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Narkologie.
Ein Handbuch der Wissenschaft
über
allgemeine nnd lokale Schmerzbetäulinng
(Narkosen und Methoden der lokalen Anästhesie)
in 2 Bänden mit zahlreichen Abbildungen
von
Dr. med. Benno Müller
H a m b u r g.
3^ ^^■
JAN 20 1906
Berlin.
Verlag- von R. Trenke
O'förj
C. Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen.
I. Band: Narkosiologie.
56770
Digitized by the Internet Archive
in 2011 with funding from
Open Knowledge Commons and Harvard Medical School
http://www.archive.org/details/narkologieeinhan01mlle
Inhaltsangabe.
Seite
Einleitung 1
A. Allgemeiner Teil.
I. Kapitel: Kurzer historischer Überblick über die Ent-
wickelung" der Narkologie 8
IL Kapitel: Die Narkose im allgemeinen.
§ 1. Definition der Narkologie 21
§ 2. Einteilung der Narkologie • 22
a) Narkosiologie.
b) Anästhetologie.
§ 3. Die Bedeutung der Narkologie 23
§ 4. Das Ziel der Narkologie 25
§ 5. Wann dürfen wir narkotisieren 25
§ 6. Die Narkose zum Zweck der Untersuchung 26
§ 7. Die Narkose für Operationen 27
§ 8. Die Indikation zur lokalen Narkose 29
§ 9. Kontraindikationen der Narkose 30
§ 10. Die Zustimmung des Kranken 31
§ 11. Die Narkose in forensisclier Beziehung 31
§ 12. Der Ort und Zeitpunkt der Narkose 86
§ 13. Die Dauer der Narkose 89
§ 14. Das Wiederholen von Narkosen 42
§ 15. Die Narkose und die Operation 44
§ 16. Der Shock und die Narkose 48
ni. Kapitel: Die Vorbereitungen zur Narkose.
§ 17. Die psychische Behandlung des Kranken vor der Narkose 50
§ 18. Bewegungsfreiheit und Bettruhe des Ki'anken .... 51
§ 19. Die Untersuchung des Kranken im allgemeinen .... 52
§ 20. Die Gefahr der Ansteckung 55
§ 21. Die Untersuchung von Mund, Nase, Rachen und Kehlkopf 56
§ 22. Die Therapie der Krankheiten der Nase, des Rachens und
Kehlkopfes 57
§ 23. Die Bedeutung des Darmtraktus für die Narkose ... 62
§ 24. Die Ernährung des Kranken vor der Narkose .... 62
§ 25. Die Magenspülung vor der Narkose 63
— VI —
Seite
§ 26. Die Laxatioii vor der Narkose 64
§ 27. Das Nährklysma vor der Narkose 64
§ 28. Der Einfluß und die Therapie des Alkoholismus vor der
Narkose 64
§ 29. Die Darreichung von Digitalis und Strophanthus vor der
Narkose 66
§ 30. Die Darreichung von Mori}hin vor der Narkose ... 67
§ 31. Die Darreichung von Atropin vor der Narkose .... 69
IT. Kapitel: Die Lagerung des Kranken während der
Narkose.
§ 32. Die horizontale Lagerung 70
§ 38. Die Lagerung nach Witzel . . 71
§ 34. Die Folgen falscher Lagerung in Gestalt der Narkosen-
lähmungen 73
a) Peripherische Lähmungen.
b) Zentrale Lähmungen.
c) Hysterische Lähmungen.
V. Kapitel: Der Verlauf der Narkose.
§ 35. Erwägungen vor der Narkose 83
§ 36. Vitalität und Narkose 84
§ 37. Krankheit und Narkose 87
§ 38. Alter und Narkose 87
§ 39. Konstitution und Narkose 89
a) Anämie.
b) Adipositas.
c) Pletora.
d) Alkoholismus.
«) Biertrinker.
ß) Weintrinker.
/) Schnapstrinker.
VI. Kapitel: Die Narkose an sich.
§ 40. Der Charakter der Narkotika 94
§ 41. Die Einteilung der Narkotika 94
§ 42. Die Uangiienzelle 96
§ 43. Die Löslichkeit der Narkotika 98
§ 44. Die Blutkörperchen und die Narkotika 99
§ 45. Das Fettgewebe und die Narkotika 100
§ 46. Die Konzentration der Narkotika im Blutplasma . . . 101
§ 47. Die Beziehungen der verschiedenen Tierarten zu den
Narkotika 103
§ 48. Die Interzelluläre Lymphe und die Narkotika .... 105
§ 49. Die drei Gruppen der Narkotika 107
§ 50. Das Protoplasma 108
§ 51. Das Lecithrn-Cholestearin-Gemisch im Protoplasma . . 108
§ 52. Die Ausscheidung der Narkotika aus dem Organismus . 110
— VII —
Seite
VII. Kapitel: Einige Hypothesen über den Mechanismus
der Narkose.
§ 53. Die Hypothese der Gehirnanämie 113
§ 54. „ „ von Cl. Bernard 114
§ 55. „ „ „ Binz 114
§ 56. ,. „ „ Dubois 115
§ 57. „ „ „ Overton und H. Meyer .... 115
§ 58. Die Theorie der Narkose von Schleich 125
a) Das phyllogenetische Alter der Zellen.
b) Die Neuroglia.
c) Der Schlaf.
d) Die Neurogliatätigkeit und die Narkose.
e) Das phyllogenetische Alter der Zellen im Ver-
hältnis zur Wirkung- der Narkotika.
§ 59. Eine weitere Theorie der Narkose vom Verfasser . . . 141
VIII. Kapitel: Die Technik der Narkose.
§ 60. Die Einverleibung der Narkotika in den Organismus . . 144
§ 61. Die Tropfmethode 149
§ 62. Die Reflexe 150
§ 63. Der Pupilleni-eflex 150
§ 64. Die vier Stadien der Narkose 152
a) Initialstadium.
b) Exzitationsstadium.
c) Toleranzstadium.
d) Stadium des Erwachens.
§ 65. NarkotisieiTingszone 156
§ 66. Die Rauschnarkose 158
§ 67. Die Herztätigkeit während der Narkose 160
a) Eintritt der Herzsynkope.
b) Behandlung der Herzsynkope.
§ 68. Die Lungentätigkeit während der Narkose 166
a) Eintritt von Apnoe.
b) Behandlung der Apnoe.
§ 69. Die Technik der künstlichen Respiration 169
§ 70. Die Tracheotomie 175
§ 71. Das Einblasen von Luft imd Sauerstoff 175
§ 72. Das Lüften des Zungengrundes 176
§ 73. Die elektrische Reizung des Zwerchfelles 179
§ 74. Verschiedene andere Methoden der Wiederbelebimg . . 179
§ 75. Die subkutane Kochsalzinfusion • . 180
§ 76. Die venöse Infusion 181
§ 77. Die Autoinfusion 181
§ 78. Die Herzmassage 182
§ 79. Die Elektropunktur des Herzens 183
§ 80. Verschiedene andere Methoden zur Herzstärkuug . . . 183
§ 81. Die Temperatur des Patienten während der Narkose . . 185
— VIII —
Seite
§ 82. Die Temperatur der Umgebung des Kranken .... 186
§ 83. Die Narkosenai)parate 187
§ 84. Desinfektion der Masken und sonstigen Apparate . . . 211
§ 85. Das Narkotikum 214
§ 86. Das Instrumentarium für die Narkose 215
a) Instrumente für den Mund des Kranken.
b) Instrumente zur subkutanen Injektion.
c) Die Instrumente für die Tracheotomie.
d) Der Irrigator.
e) Der Infusionsapparat.
f) Der Tisch für die Narkose.
IX. Kapitel: Der Narkotiseur.
§ 87. Die Stellung des Narkotiseurs 223
§ 88. Die Ausbildung des Narkotisem-s 225
§ 89. Die Verantwortung des Narkotiseurs 226
§ 90. Die Person des Narkotiseurs • . 227
§ 91. Die Aufgaben des Narkotiseiirs 227
§ 92. Die Stellung des Narkotiseurs während der Narkose . . 230
§ 93. Die Kleidung „ „ „ „ „ . . 231
§ 94. Die Tätigkeit des Narkotiseurs bei einem Unfall während
der Narkose 231
X. Kapitel: Die Beliandlimg des Kranken nacli der
Narkose.
§ 95. Die Temperatur des Kranken und der umgebenden Luft
im Zimmer 233
§ 96. Die Behandlung des Kranken bzgl. der Herz- und Lungen-
tätigkeit 233
§ 97. Das Erbrechen nach der Narkose 234
§ 98. Bettruhe oder Bewegungsfreiheit des Kranken nach der
Narkose 234
§ 99. Beobachtung der Nierentätigkeit nach der Narkose . . 235
XL Kapitel: Die Statistik der Narkosen.
§ 100. Die Statistik der Narkosentodesfälle 236
§ 101. „ „ „ Schädigungen des Kranken hinsichtlich
der Gesundheit ohne tötlichen Ausgang durch die Narkose. 240
XII. Kapitel: Die Mischnarkosen.
§ 102. Der Zweck der gemischten Narkosen 241
§ 103. Die Vorzüge und Nachteile der Mischnarkosen vor der
einfachen Narkose 242
§ 104. Die Skopolamin-Morphinnarkose im allgemeinen . . . 244
IX
B. Spezieller Teil.
I. Die Narkosen mit einem Narkotikum.
I. Kapitel: Die Chloroformnarkose. ^^^*®
§ 1. Das Chloroform an sich 247
a) Chemisches Verhalten des Chloroforms.
b) Herstellung des Chloroforms.
c) Prüfungsmethoden auf Reinheit des Chloroforms.
§ 2. Die Chloroformwirkung auf den Organismus 252
a) Die physiologische Wirkung 252
«) auf Gehirn,
ß) „ Herz, Blutdruck,
y) „ Meren und Leber,
S) „ Magen und Darm,
e) „ Lunge.
b) Die Pathologische Wirkung 270
«) aaf Gehirn,
ß) „ Herz,
/) „ Lunge,
S) „ Leber und Meren,
e) „ andere Organe (Magen, Zwerchfell etc.).
c) Die Statistik der Chloroformunfälle 287
§ 3. Die Technik der Chloroformnarkose 296
a) Die verschiedenen Methoden.
b) „ „ Apparate.
II. Kapitel: Die Äthernarkose.
§ 4. Der Aether sulfuricus au sich 323
a) Chemisches Verhalten des Äthers.
b) Herstellung des Äthers.
c) Prüfungsmethoden auf Reinheit des Äthers.
§ 5. Die Ätherwirkung auf den Organismus 328
a) Die physiologische Wirkung , 328
«) auf Gehirn,
ß) „ Herz, Blutdruck,
y) „ Nieren und Leber,
8) „ Magen-Darm,
e) „ Lunge.
b) Die Pathologische Wirkung 341
a) auf Gehirn,
ß) „ Herz,
y) „ Nieren und Leber,
S) „ Magen-Darm,
e) „ Lunge.
c) Die Statistik der Unfälle der Äthernarkose . . 364
— X —
Seite
§ 6. Die Technik der Äthernarkose 380
a) Die verschiedenen Methoden,
h) „ ., Apparate.
III. Kapitel: Cliloroform- oder Äthernarkose.
§ 7. Die Kontraindikationen der Chloroformnarkose und wie
verhält sich die Äthernarkose zu denselben? .... 413
§ 8. Die Kontraiadikationen der Athernarkose und wie verhält
sich die Chloroformnarkose zu denselben? 417
§ 9, Das Verhältnis der Einwirkungen des Chloroforms und
Äthers auf das normale Herz 418
§ 10. Die Statistik und das Resultat der Vergleiche der Wir-
kungen beider Narkosen 422
IT. Kapitel: Die Bromäthylnarkose.
§ 11. Das Bromäthyl an sich 424
a) Chemisches Verhalten des Bromäthyls.
b) Herstellung des Bromäthyls.
c) Prüfungsmethoden auf Reinheit des Bromäthyls.
§ 12. Die Bromäthylwirkung auf den Organismus 426
a) Die physiologische Wu-kung,
b) die pathologische Wirkung
«) auf das Gehirn,
/?) ,, „ Herz,
/) „ Leber und Nieren,
S) „ Magen-Darm,
fi) „ die Lungen.
c) Die Statistik der Unfälle der Bromäthylnarkose.
§ 13. Die Technik der Bromäthylnarkose 437
a) Die verschiedenen Methoden der Darreichung.
b) ,, „ Apparate zur Narkose.
V. Kapitel: Die Stiekstoffoxydulnarkose.
§ 14. Das Stickstoffoxydul an sich 439
a) Chemisches Verhalten des Stickstoffoxydul.
b) Herstellung des Stickstoffoxydul.
§ 15. Die Stickstoffoxydulwü-kung auf den Organismus . . . 440
a) Die physiologische Wirkung,
b) die pathologische Wirkung
«) auf das Gehirn,
ß) „ « Herz,
/) „ die Leber und Nieren,
8) „ den Magen-Darmkanal,
s) „ die Lungen.
c) Die Statistik der Unfälle in der Stiekstoffoxydul-
narkose.
— XI -
Seite
§ 16, Die Technik der Stickstoifoxydulnarkose 449
a) Die verschiedenen Methoden der Stickstoffoxydul-
narkose.
b) Die verschiedenen Apparate für die Stikstoff-
oxydulnarkose.
VI. Kapitel: Die Chloräthj Inarkose.
§ 17. Das Äthylchlorid an sich 452
a) Chemisches Verhalten des Chloräthyls,
h) Herstellung- des Chloräthyls.
c) Prüfungsmethoden auf dieReinheit des Chloräthyls.
§ 18. Die Äthylchloridwirkung auf den Organismus .... 454
a) Die physiologische Wirkung,
b) die pathologische Wirkung
«) auf das Gehirn,
ß) „ » Herz,
/) „ die Leber und Nieren,
S) „ den Magen-Darm,
e) ,, die Lungen,
c) Die Statistik der Unfälle.
§ 19. Die Technik der Äthylchloridnarkose 464
a) Die Methoden der Narkose.
b) „ Apparate „ „
TII. Kapitel: Die Pentalnarkose.
§ 20. Das Pental an sich 470
§ 21. Die Pentalwirkung auf den Organismus 471
a) Die physiologische,
b) „ pathologische,
«) auf das Gehirn,
ß) „ „ Herz,
/) „ die Leber und Nieren,
S) „ „ Lungen.
c) Die Statistik der Unfälle.
§ 22. Die Technik der Pentalnarkose 474
Till. Kapitel: Die Chloralhydratnarkose.
§ 23. Das Chloralhydrat an sich . . , 475
§ 24. Die Chloralhydratwirkung auf den Organismus .... 476
a) auf das Gehirn,
b) „ „ Herz,
c) ,, die Leber und Nieren,
d) „ den Magen-Darm,
e) ., die Lungen.
IX. Kapitel: Die Alkoliolnarkose.
§ 25. Die Alkoholwirkung auf den Organismus 481
§ 26. Die Technik der Alkoholnarkose 483
— XII —
X. Kapitel: Die KoMensäiirenarkose. seite
§ 27. Die Wirkung' der Kohlensäure auf den Organismus . . 483
§ 28. Die Verwendung der Kohlensäure zur Narkose .... 484
XI. Kapitel: Einige weitere zur allgemeinen Narkose
verwendete Narkotika.
§ 29. Die Äthylnitratnarkose , . . 485
§ 30. Die Äthylenchloridnarkose 485
§ 31. Die Äthylidenchloridnarkose 486
§ 32. Die Äldehydnarkose 487
§ 33. Die Acetonnarkose 487
§ 34. Die Benzinnarkose 487
§ 35. Die Essigäthernarkose , . 487
§ 36. Die Narkose mit Arans ehern Äther 488
§ 37. Die Terpentinölnarkose 488
§ 38. Die Kerosolennarkose 488
§ 39. Die Caprylwasserstoffnarkose 489
§ 40. Die Amylwasserstoffnarkose 489
§ 41. Die Bromäthylennarkose 489
§ 42. Die ChloramyLnarkose . 489
§ 43. Die Jodamylnarkose 490
§ 44. Die StickstofEnarkose 490
§ 45. Die Kohlenoxydgasnarkose 490
§ 46. Die Schwefelkohlenstoffnarkose 490
§ 47. Die Narkose mit Lykoperdon protues 490
§ 48. Die Heroinnarkose 491
§ 49. Die Narkose durch Hypnose und Elektrizität .... 491
II. Die Narkosen mit mehreren Narkotika.
XII. Kapitel: Die Mischnarkosen.
A. Die Narkose mit Mischungen der Narkotika.
§ 50. Die verschiedenen Mischungen der Narkotika seihst . . 491
§ 51. Die physikalischen Eigenschaften der Mischungen der
Narkotika 497
§ 52. Die physiologischen Einwirkungen der Mischungen der
Narkotika auf den Organismus 499
§ 53. Die pathologischen Einwirkungen der Mischungen der
Narkotika auf den Organismus 500
§ 54. Die Statistik der Mischnarkosen 503
§ 55. Die Technik der Mischnarkosen 504
B. Die Narkose mit Dampfgemischen.
§ 56. Die Dampfgemische an sich 511
§ 57. Die Chloroform -j- Äthernarkose 513
a) Die physiologische Einwirkung auf den Organismus.
h) ,, pathologische „ „ „ „
c) „ Statistik der Unfälle in dieser Narkose.
d) „ Technik der Chloroform + Äthernarkose.
— XIII —
Seite
§ 58. Die Chloroform -j- Sauerstoffnarkose 523
a) Die physiologischen Wirkungen derselben auf den
Organismus.
b) Die pathologischen Wirkungen derselben auf den
Organismus.
c) Die Statistik der Unfälle der Chloroform -f- Sauer-
stoffnarkose.
d) Die Technik der Chloroform -)- Sauerstoffnai'kose.
ij 59. Die Äther + Sauerstoffnarkose , 541
a) Die physiologischen Wirkungen der Äther -|- Sauer-
stoffnarkose.
b) Die pathologischen Wii'kungen der Äther -\- Sauer-
stoffnarkose.
c) Die Statistik der Unfälle in der Äther -\- Sauerstoff-
narkose.
d) Die Technik der Äther -\- Sauerstoff'narkose.
§ 60. Die Chloroform -]- Äther -)- Sauerstoffnarkose 546
a) Die Wirkung auf den Blutdruck der Narkose mit
Chloroform als Grimdlage.
b) Die Wirkung auf den Blutdruck der Narkose mit
Äther als Grundlage (Äther -|- Chloroform -\-
Sauerstoffinarkose).
c) Die pathologischen Wirkungen beider Arten.
d) Die Technik.
§ 61. Die Stickstoff oxydul -|- Sauerstoffnarkose 564
a) Die physiologischen Wirkungen der Stickstoff-
oxydul -|- Sauerstoffnarkose.
b) Die pathologischen Wirkungen der Stickstoff-
oxydul + Sauerstoffnarkose.
c) Die Statistik der Stickstoffoxydul -|- Sauerstoff-
narkose.
d) Die Technik der Stickstoffoxydul -f- Sauerstoff-
narkose.
XIII. Kapitel: Die komibimerte Narkose,
§ 62. Die Definition der kombinierten Narkose 571
§ 63. Die Chloroformäther- und Ätherchloroformnarkose . . 571
a) Die Chloroformäthernarkose an sich.
b) „ Ätherchloroformnarkose an sich.
c) „ physiologischen Wirkungen derselben.
d) „ pathologischen „ „
e) „ Technik der Narkosen.
f) ,, Statistik.
§ 64. Die Morphiumchloroformnarkose 575
§ 65. Die Chloralhydratchloroformnarkose • . 580
§ 66. Die Cloralhydrat + Morphium -\- Chloroformnarkose . 581
§ 67. Die Chloroformalkoholnarkose 582
— XIV —
Seite
§ 68. Die Chloroformkokainnarkose 583
§ 69. Die Chloroform -|- Atropin -f- Morphiumnarkose .... 583
§ 70. Die Chloroform -\- Bromäthyluarkose 585
§ 71. Die Chloroform + Chloräthylnarkose 586
§ 72. Die Chloroform -)- Hedonalnarkose 587
§ 73. Die Chloroform -j- Stickstoffoxydulnarkose 588
§ 74. Die Chloroform + Narceinnarkose 589
§ 75. Die Chloroform -|- Heroinnarkose . • 589
§ 76. Die Anestol -j- Morphiumnarkose 589
§ 77. Die Chloroform -\- Äther -|- Morphiumnarkose .... 590
§ 78. Die Äther + Morphium -\- Scopolaminnarkose .... 590
§ 79. Die Äther -j- Morphium -|- Atropinnarkose ...... 590
§ 80. Die Äther + Bromäthylnarkose 592
§ 8] . Die Äther + Athylchloridnarkose 592
§ 82. Die Äther + Stickstoffoxydulnarkose 593
§ 83. Die Äther -(- Chloroform -|- Stickstoffoxydulnarkose . . 595
§ 84. Die Scopolamin -)- Morphiumnarkose , . 596
§ 85. Die Kombination der Scopolamin -j- Morphiumnarkose mit
den Sauerstoffnarkosen 604
§ 86. „Die phj^siologische Narkose" (Kl ein sorgen) . . . . 606
A. Allgemeiner Teil.
Einleitung.
Wenn ich in dem folgenden Werke es unternommen habe, eine Samm-
lung all der Beobachtungen und wissenschaftlichen Errungen-
schaften auf dem Gebiete der Narkosenwissenschaft zusammenzustellen,
so ist es ein Beginnen, welches aus verschiedenen Gründen von mir
vorgenommen worden ist — und bei dem ich mir bewusst war, mit all
meiner Kraft nur geringes leisten zu können gegenüber dem unendlich
weiten Stoff und Thema. Wenn auch dies nur einen kleinen und ge-
ringen Baustein zu dem grossen Gebäude der Wissenschaft darstellt,
so mag er doch zur Weiterentwickelung einer Wissenschaft bei-
tragen, welche im Entstehen begriffen, berufen ist, dereinst eine
Stellung als Einzelwissenschaft in dem grossen allgemeinen Staate
geistiger Betätigung des Menschen einzunehmen.
Die Kunst zu narkotisieren, wie man sich bisher auszudrücken
pflegte, wenn man die Narkose in Bezug auf ihre Stellung in der
Medizin behandelte, ist seit dem reichlich dreiviertel Jahrhundert
von unseren Tagen zurückliegenden Anfange ihres Auftretens in der
Medizin schnell zu einer solchen Höhe herangewachsen, dass die Forscher
auf diesem Gebiete mit Recht freudig zurückblicken können auf die
Jahre erspriesslichen Schaffens. Wenn man aber den Ausdruck Kunst
gebraucht, so ist das ebenso wenig zvitreffend, als wenn man die Medizin
als Kunst bezeichnen will. Die Heilkunde ist eine Wissenschaft
für sich dank den Arbeiten ihrer Geistesheroen von Hippokrates
an, bis auf einen Virchow, und die zahlreichen Helden unserer Jetzt-
zeit. Und wie sich in dem letzten Jahrhundert der Riesenfortschritt
mit dadurch kundtat, dass die Wissenschaft der Aerzte eine Reihe von
Tochterwissenschaften gebar, die dank der kräftigen Mutter bald
herangewachsen sind zu üppig blühenden Wesen, so ist als der jüngste
Spross unserer geliebten Wissenschaft ein neuerblühtes Wesen uns
gegeben, welches endlich, reif zu selbstständigem Leben, den Namen
Narkosenwissenschaft, Narkologie zu führen berechtigt ist, und
sich unserer Fürsorge, hoffend auf liebevolle Pflege, anvertraut.
Wenn ich jetzt mich vermass, diesem Spross der Medizin meine
Fürsorge angcdeihen zu lassen, so ist dies vor allem darin gezeigt,
— 2 —
dass ich anfing, den Stofi dieser jüngsten Disziplin zu sammeln, so-
wohl jene ungeheuren Mengen von Beobachtungen und Ergebnissen
jahrelanger Forschung zahlreicher Meister, niedergelegt in den Schriften
der Literatur, als auch die ja zum grossen All der Wissenschaft
winzigen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen. Das Bedürfnis
wurde mir bald fühlbar, dass eine einzige Quelle, aus der man hin-
sichtlich des Narkotisierens etc. Belehrung in Fällen mangelnder Er-
fahrung schöpfen könnte, nicht existierte. So mancher Moment trat in
der ärztlichen Praxis ein, wo ich vermisste, dass die Beobachtungen
der Forscher auf dem Gebiete der Narkosen leicht zu finden waren.
Dadurch machte ich mich mit der Literatur bekannt, und sah bald, wie
nötig es doch war, dass die festerkannten Wahrheiten in einem Buche
zusammengestellt würden, aus dem jeder, sei er Arzt oder Student, in
Fällen, wo seine Kenntnisse ermangeln, Belehrung und Winke für
korrektes Handeln sich aneignen könnte. Aber nicht nur dies ist der
Grund, weshalb ich mich unterfing, dies Buch zu schreiben, sondern es
bewog mich noch der Gedanke, aus den bisher erkannten Tatsachen
für die weitere Forschung Stoff zu finden. Und so ging ich heran an
die Sammlung der Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten, und habe
vei'sucht, den grossen Komplex von Arbeiten in einzelne Teile zu zer-
legen, und die Urteile zu vergleichen, und aus den verschiedenen An-
sichten, die richtigen und am meisten wahrscheinlichen zu suchen.
Das Interesse an dieser Tätigkeit liess mich weiter fortfahren, und liess
mich bald erkennen, welch eine Fülle von herrlichen Früchten auch
das Forschen auf dem Gebiete des Narkotisierens bietet.
Wenn ich nun hier noch einen Blick auf die Wissenschaft werfe,
welche dies Werk behandeln soll, so geschieht dies deshalb, um die
Existenzberechtigung des Buches zu beweisen.
Es ist aus einer physiologischen Beobachtung eine Wissenschaft
hervorgegangen, oder wenigstens ein Teil, eine Disziplin der grossen
medizinischen Wissenschaft. Aus der einfachen Tatsache, dass ein
chemischer Körper einen das ganze Nervensystem betäubenden Einfluss
ausüben kann, haben sich in dem Laufe der Jahre so viele Methoden
und Apparate etc. herausgebildet, dass man mit einem staunenden Blick
zurückschaut auf die geringe Spanne Zeit, welche hauptsächlich die
Entwickelungsperiode unserer jungen Wissenschaft darstellt. Was
im grauen Altertume in Bezug auf betäubende Methoden bekannt war,
ist sehr gering, und das Geringe geriet im Laufe des Mittelalters wieder
in Vergessenheit bis zum Anfange des 19. Jahrhunderts. Als es zu
jener Zeit wieder aufgegriffen wurde, stellte die jetzige Wissenschaft
nur ein ganz unbedeutendes Etwas dar, und wurde ob der üblen Er-
fahrungen, die aus der Unkenntnis der Wirkungen hervorgingen, wieder
ad acta gelegt, bis man Mitte desselben Jahrhunderts mit Ernst an die
Sache herantrat. In diesen letzten 60 Jaln-en ist der Stoff' einer Dis-
ziplin der Medizin zu der Höhe herangehäuft, und die Tätigkeit ihrer
Jünger hinsichtlich Erfolg und Ausfühning zu so schöner Blüte ge-
diehen, dass sie mit Recht an die Seite ihrer Schwester -Disziplinen
treten kann.
— 8 —
Wenn ich dem Kinde einen Namen gab, so war ich bestrebt, mit
demselben zu vereinen, was, naturgemäss zusammengehörend, bisweilen
als zwei verschiedene Forschungsgebiete angesprochen wird, nämlich die
Narkose und Lokalanästhesie.
Was man bisher unter Narkose verstand, war das beschränkte
Gebiet der Inhalationsbetäubung. Allein zu dem ganzen Gebiete,
wenn wir jetzt sagen dürfen Wissenschaft, gehört weit mehr als der
Gebrauch von Chloroform und Aether mit den wenigen verwandten
Körpern, wie sie meist als Narkotika Verwendung finden. Vor allen
ist es die Lokalanästhesie mit ihren zahlreichen Methoden, nicht nur
des Zweckes, sondern der ganzen Methodik, und des ganzen Mechanis-
mus wegen, welche dazu gehört. Die Narkose ist eine Betäubung
des ganzen Körpers, die Lokalanästhesie betäubt einen Teil
desselben. Wenn man so sagen darf, so handelt es sich sogar in
einer gewissen Hinsicht um 2 Extreme, wenn man den Ort der
narkotischen Wirkung, den Angriffspunkt des Narkotikum's be-
denkt, die sich hier berühren sollen. Hier ist es die Ganglienzelle
im Zentralnervensystem, dort die Endverzweigung des Nerven,
der letzte Ausläufer des Protoplasmakörpers, an Avelchem das Narkotikum
angi'eift. Also hinsichtlich des Ortes ist ein Gegensatz nicht unver-
kennbar. Aber doch ist trotz entgegengesetzter Angriffspunkte
ein einheitliches Moment in beiden Wirkungen vorhanden, und dies
ist, wenn auch nicht der Ort, so doch das Medium, welches denselben
darstellt. Wir nehmen an, dass die Hauptwirksamkeit des Narkotikum's
im Protoplasma sich enfaltet. In der Ganglien zelle ist dies unver-
kennbar, und in den Nervenendigungen finden wir ebenfalls eine
Fortsetzung des Protop lasma's der Zelle. Der Nerv ist als ein
Ausläufer der Ganglienzelle anzusehen, und, wenn der Nerv einen lang-
ausgezogenen Protoplasmastreifen darstellt, so haben wir bei beiden
Prozessen der Betäubung ein einheitliches Moment. Der Gegen-
stand des Angriffes ist in beiden Fällen derselbe, wenn auch der
Nerv durch fortschreitende Diffen zierung der Organismen mit der Zeit
ein anderes Aussehen bekommen hat, entwicklungsgeschichtlich ist
derselbe ein Stück Protoplasma der Ganglienzelle. Diese Tatöt."he
giebt uns ein Recht, die verwandtschaftlichen Beziehungen unserei
beiden Methoden der Betäubung in ein Ganzes zu fassen. Die Stufe
der Entwicklung, auf die beide Methoden nunmehr gestiegen sind, und
die ihnen ein Recht verleiht, den Anspruch auf das Ansehen als ein-
zelne Disziplin geltend zu machen, beansprucht auch einen Namen,
unter welchem man beide zusammenfasst. So haben wir als einheit-
lichen Begriff „Narkolog-ie" gewählt, und für die Betäubungs-
methoden des Körpers durch Einwirkung mittels Medikamenten auf die
Zentren im Zentralnervensystem das Wort Narkosiolog^ie gebildet,
während für alle lokalen Betäubungsmethoden Anästhetologie gewählt
worden ist. Die Erklärung der Gründe, weshalb wir diese Ausdrücke
gewählt haben, und Definition, sind in einem kurzen Abschnitt im All-
gemeinen Teile des ersten Bandes dargetan. Somit haben wir die Dis-
ziplin mit ihren Teilen benannt, und der Stammbaum wäre folgender
— 4 -
Medizin
Chirurgie -|- Narkologie
Narkosio logie -|- Anästlietologie.
Wenn wir die Narkologie liier an die Seite der Chirurgie
stellen, so geschieht dies deshalb, weil die Chirurgie bisher ein Asyl
bildete für die Narkologie, und weil die letztere der ersteren unter-
stützend entgegenarbeitet. Dass natürlich ebenso, wie die Chirurgie,
auch die Pharmakologie, und die Physiologie neben anderen
Disziplinen an dem bisherigen Wachstum und Entwicklungsgang-
tätig beteiligt gewesen sind, soll damit nicht in den Hintergrund ge-
stellt, und in seiner Bedeutung herabgewürdigt werden.
Wenn es gelingen sollte, den Entwicklungsgang der Narkologie
so schnell und zielbewusst weiter zu leiten, wie es Dank der rastlosen
Tätigkeit der Koryphäen auf narkologischem Gebiete bisher geschehen
ist, so werden nur wenige Dezennien genügen, um eine ihrem Charakter
und ihren Leistungen für die Kranken entsprechende Stellung der
Narkologie zu erringen. Verkannt in ihrem erhabenen Zwecke war
es ihr lange Zeit beschieden, nur als Mittel zum Zweck zu dienen, und
eine untergeordnete, ja, man kann in manchen Fällen sagen, geringge-
schätzte, fast verachtete Stellung einzunehmen, denn noch sind nur
wenige Dezennien verflossen, als das Amt des Narkotisierens als das
wenigst geachtete Amt bei einer Operation angesehen wurde, und es
gereichte keinem Assistenten zur Freude, wenn er verdammt war, die
Leitung der Narkose zu übernehmen. Und doch bot ihm seine Tätig-
keit eine Gelegenheit, mehr zu leisten, als der Herr Kollege, welcher
während einer halben Stunde einen stumpfen, oder scharfen Ilaken bald
so, bald so halten durfte.
Wenn der Chirurg dem Menschen einen grossen Dienst leistet,
indem er ihm die Gesundheit wiedergiebt, so leistet der Narkolog
sowohl dem Kranken einen sehr grossen Dienst, indem er ihm
leicht macht, die Schmerzen zu ertragen, und zu gleicher Zeit einen
ebensolchen dem Chirurgen, indem er ihm ermöglicht leichter,
sicherer, und besser zu operieren, als wenn der Kranke nicht betäubt
gewesen wäre.
So hat der Narkolog Gelegenheit, sich von zwei Seiten Dank zu
verdienen, und er wird denselben ernten, wenn er in seinem Fache
grosses leistet.
Gerade von ihm hängt es oftmals ab, dass eine Operation gut
gelingt, denn leicht kann bei schlechter Beobachtung der Kranke ge-
rade in dem Moment, wo der Chirurg eine feine Naht gelegt, oder
sonst ein Kunstwerk seiner Geschicklichkeit errichtet hat, aus der Be-
täubung etwas erwachend eine Bewegung machen, die alles wieder
zerstört und vernichtet, was mit grosser Mühe kunstvoll vollbracht war,
und, wie leicht hätte dies können vermieden werden, wenn der Narko-
tiseur über die Tiefe der Narkose orientiert gewesen wäre.
- 5 —
Aber niclit nur in dic^scr Richtung- kann er seine Kunst beweisen,
sondern auch in der Leitung der Narkose hinsichtlich des Kranken
selbst. Derselbe schwebt in einer grossen Gefahr, und das geringste
Versehen von Seiten des Narkologen kann aus einem kraftstrotzen-
den Menschen in der Blüte des Lebens eine Leiche machen, ohne
dass Kunst und Kenntnisse das üble Ereignis verhindern könnten. So-
mit stellen wir Anfoi'derungen an den Nai'kotiseur, denen zu entsprechen
nur möglich sein kann, wenn er die Wissenschaft und Technik des
Narkotisierens vollkommen beherrscht. Es wird nun dem Arzte nur
eine pi'aktische Ausbildung die Aneignung der Technik ermöglichen.
Und dieses Avird er nur dann erreichen können, wenn er von einem
geübten und gewandten Narkotiseur in seiner Tätigkeit überwacht, und
bei etwaigen Mängeln seiner Leistung, entsprechend korrigiert wird.
Es kann dies einmal geschehen, wenn für die Studierenden eine Ge-
legenheit geschaffen wird, dass sie praktisch arbeiten können, oder auf
die andere Art, wenn der Arzt als Assistent an einer chirurgischen oder
dergleichen Klinik tätig sein kann. Dies letztere kann nur wenigen
beschieden sein, und doch wird von jedem praktischen Arzte verlangt,
dass er die Technik des Narkotisierens beherrscht. Wenn man nun
bedenkt, dass oftmals so viel von einem Narkotiseur abhängt, und wie
oft der Arzt eine Narkose oder Lokalanästhesie vornehmen muss,
so wird man zu der Ueberzeugung kommen, dass eine vorzügliche
technische Ausbildung schon des Studierenden ein unbedingtes
Erfordernis darstellt. Es muss in besonderen Vorlesungen den Studen-
ten nicht nur die Wissenschaft, sondern eben auch in an dieselben
anschliessenden praktischen Uebungskursen die Technik des Narko-
tisierens beigebracht werden. Nur dann wird der junge Arzt in jeder
Lage seiner beruflichen Tätigkeit ein ganzer Arzt sein, und zum Wohle
des ihm anvertrauten Menschen, korrekt in jedem Augenblicke zu
handeln vermögen.
Um nun auch dem Studierenden und Arzte Gelegenheit zu
geben, die wissenschaftlichen Daten, welche er in den Vorlesungen
über Narkosen etc. gehört hat, und die ihm vielleicht wieder entfallen
sind, sich in jedem Augenblick vor Augen führen, und nachschlagen zu
können, wenn ihn sein Gedächtnis verlässt, haben wir dieses Buch ver-
fasst, in der Absicht, eine Zusammenfassung der jetzigen Ansichten
über die Narkosenfrage zu geben, und eine Sammlung aller wissen-
schaftlichen Thesen, Theorien und Versuche zu schaffen, wodurch
zum Weiterarbeiten in den geeigneten Bahnen eine Anregung
vielleicht gegeben werden soll. Dabei haben wir uns bemüht, Technik
'und Wissenschaft gleich zu behandeln, und besonders darauf geachtet,
in jenen Fällen, wo des Arztes ganze Kunst sich beweisen muss, in
jenen schweren Momenten der Unglücksfälle während der Narkosen,
genau die korrekte Handlungsweise des Narkotiseurs zu schildern, damit
jeder ein Bild finden kann, wie in den betreffenden Augenblicken
zu handeln sei. Nun ist es natürlich nicht möglich, eine bestimmte These
aufzustellen, welche besagt, wie in jedem einzelnen Falle, auch im
Detail, gehandelt werden niu.ss. Wir sind uns sehr wohl bewusst, wie
- 6 -
auch jeder Moment, und jeder Organismus verschieden ist, wie
auch jeder Unfall in der Narkose ein anderes Handeln verlangt. Es
besteht eben gerade darin die Schwierigkeit, dass man das als bestimmte
Handlung aufstellt, was im Allgemeinen in dem und jenem Falle zu
tun ist. Wir haben uns bemüht, die allgemeinen Prinzipien zu erläutern,
nach denen der Arzt handeln muss, und haben versucht, genau die Linie
zu ziehen zwischen den allgemein feststellbaren Handlungsweisen,
und den individuell, und je, nach den obAvaltenden Verhältnissen zu
ändernden, und denselben anzupassenden Vornahmen, und Ein-
griffen des Arztes in Momenten di'ohender Gefahren während der
Narkose. Wir haben dies versucht, indem wir schilderten, wie hier und
da an der Hand von Beispielen gehandelt werden muss, und haben
nicht versäumt, so oft als möglich darauf hinzuweisen, dass immer in-
dividuelle und den Verhältnissen etc. entsprechende Aenderungen vom
Arzte selbst vorgenommen werden müssen, und dass der Arzt nie nach
der Schablone handeln darf, sondern, dass seine Handlungsweise aus
dem wissenschaftlichen Denken hervorgehen müsse. Und gerade
dies soll mit der Zweck dieses Buches sein, dem Leser die wissen-
schaftlichen Verhältnisse während des ganzen Verlaufes der Nar-
kose klarzulegen, und ihm dadurch, dass ihm die wissenschaftlichen Er-
klärungen vorgeführt, und möglichst verständlich expliziert werden, an-
zuregen, in diesem Sinne zu denken, und vor allem im geeigneten Mo-
mente mit klarem Verständnis der physiologischen und ev. patho-
logischen Vorgänge im Organismus, nach seinem wissenschaft-
lichen Denken zu handeln. Wenn es uns gelungen sein sollte, nach dieser
Richtung hin dem Bedürfnis entsprechend dies Buch abgefasst zu haben,
so sollte unser Wunsch erfüllt, und das Ziel dieser Schrift erreicht sein.
Wenn nun der junge Arzt und der Studierende das Bedürfnis
empfinden sollte, welches wir selbst einst empfanden, dass ein Buch
noch nicht vorhanden war, in welchem die Ansichten und wissen-
schaftlichen Daten mit der Technik der Narkose verknüpft nieder-
gelegt waren, so dass man Belehrung etc. durch Nachschlagen erlangen
konnte, so wird er vielleicht das in dieser Schrift finden, was er sucht,
denn unser Ziel ist es gewesen, nicht nur der Wissenschaft durch
Sammeln der Literatur, sondern auch dem Arzte zu dienen.
Gerade der praktische Arzt, der ja alles wissen möchte, aber
doch bei dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht alles wissen kann,
was Mutter Medizin aus dem unerschöpflichen Quell ihrer Weisheit
fliessen lässt in starken Strömen, wird gern ein Werk besitzen, welches
ihm das zusammen vorführt, was ihm notwendig dann vor Augen stehen
muss, wenn immer er eine Narkose vornimmt.
Wenn nun, wie wir später sehen werden, so manches überaus
wichtige, von dem oftmals das Leben eines Menschen abhängt, noch
nicht das Gemeingut aller praktischen Aerzte geworden ist,
so kann nur darin der Grund liegen, dass noch immer ein Buch fehlte,
welches all das wissenswerte über Narkosen zusammenfasst. Somit
ist nicht nur dem Arzte selbst gedient, sondern indirekt auch der lei-
denden Menschheit im allgemeinen.
— 7 —
Ein anderer Punkt war es noch, welcher uns veranlasste, diese
Schrift zu verfassen. Es ist noch immer die Lokalanästhesie nicht
so vollkommen in das Feld der Verwendung gelangt, wie es eigentlich
sein sollte. Es kommt in vielen Fällen noch immer, zum Schaden oft-
mals des Kranken, eine Narkose zur Verwendung, wo man hesser hätte
sollen eine Methode der lokalen Betäubung wählen. Auch hierin
liegt ein Fehler vor, nämlich der, dass wiederum dem Arzte und Stu-
dierenden nicht Gelegenheit geboten ist, diese verschiedenen Methoden
in einem Werke vereint gegen aneinander abwägen, und vergleichen zu
können. Auch diesem Punkte ist Rechnung getragen, man findet die
beiden Arten der Schmerzbetäubung vereint. Erst wenn die
Lokalbetäubung das Gemeingut aller Aerzte geworden ist, wird
jede wissenschaftliche Errungenschaft auf unserem Gebiete, die ihr ge-
ziemende Bedeutung erlangen, und der leidenden Menschheit, zu deren
Wohl sie ja nur erstrebt wurde, recht zu gute kommen können.
So mag dieser kleine Beitrag seinem Zweck entsprechend von
allen aufgenommen werden, und denen, welche einen Blick hineinwerfen,
Anregung zum Forschen in der Narkologie geben, und jenen die ge-
wünschte Auskunft zu teil werden lassen, und es mag jeder in der Ab-
handlung finden, was er sucht. Und wenn ein kleiner Beitrag hiermit
gebracht werden kann zu dem grossen Werke der medizinischen Wissen-
schaft, und wenn diese kleine Schrift dazu beitragen könnte, jedem
Leser die Tiefen der Narkologie zu erschliessen zum freudigen
Forschen und Arbeiten nicht nur im Interesse der ärztlichen
Wissenschaft, sondern auch zum Wohle der gesunden und lei-
denden Menschheit, dann ist der ganze Zweck des Werkes erreicht
Dr. Benno Müller.
I. Kapitel.
Kurzer historischer Überblick über die
Entwickelung der Narkologie.
Hand in Hand mit dem Entwickelungsgange der Chirurgie findet
auch die Verwendung der Narkose ihren Werdegang verknüpft, von
den schwachen Versuchen der alten Aerzte an, einen das allgemeine
Schmerzempfinden herabsetzenden Trank aus einem Decoct der Can abis-
ind ica z. B. bestehend, dem Kranken vor dem Beginn eines chirurgischen
Eingrifi'es zu reichen, bis zu den komplizierten Narkosen der Neuzeit,
und dem so äusserst segensreich wirkenden subkutanen Verwenden des
Cocains unserer Tage. Schon im grauen Altertum waren Aerzte
bemüht, gewisse den Schmerz betäubende Stoffe zu verwenden.
Bei den alten Aegyptern finden wir schon die Verwendung
von narkotisierenden, respektive anästhesierend en Mitteln, welche
den Kranken in einen berauschenden Zustand versetzten. So sahen wir
die ägyptischen Aerzte die Canabis indica, und das Opium haupt-
sächlich verwenden, das erstere in Gestalt des Rauches dem Kranken
zuführend, während sie Opium meist innerlich darreichten.
Die Assyrer hatten nach Caspar Hoffmann bei Kindern,
welche beschnitten wurden, folgendes Verfahren der Schmerzstillung
verwendet. Sie drückten während der Operation dem betreffenden
Kinde die grossen Gefässe des Halses*) zusammen, um so eine Anämie
des Gehirns zu erzeugen, und die Kinder dadurch gegen Schmerz
unempfindlicher zu machen. Plinius secundus um 32 — 79 p. Chr. n.,
und Dioscorides pedanius um 50 p. Chr. n., berichten vom Stein
von Memphis, welcher ebenfalls zum Zwecke der Anästhesie ver-
wandt wurde. Es war dies mehr ein Verfahren der lokalen An-
ästhesierung, denn man pulverisierte diesen Stein von Memphis, und
vermischte dieses Pulver mit Essig. Dieser Brei wurde auf diejenigen
Körperteile längere Zeit appliziert, welche geschnitten oder gebrannt etc.
werden sollten. So wurde die Haut unempfindlich gemacht. „Vocatur
et memphites a loco gemmanti naturae. Huius usus contere et eis, quae
urenda sint, aut secanda, ex aceto illini. Obstupescit ita corpus, nee
sentit cruciatum" etc. (Plinius Buch 36. histor. natural.)
*) Diese Methode ist in neuester Zeit wieder zwecks Schmerzstillens ver-
sucht worden in Form der Kompression der Carotis von Steiner.
— 9 -
Nach Littv6 ist dieser Stein Marmor gewesen, welcher durch
Essig" zersetzt wurde unter Kohlensäureentwickehing, und er meint,
dass die Kohlensäure eine lokale anästhesiernde Wirkung erzeugt
habe. Eine Ansicht, welche nicht unwahrscheinlich ist.
Ein viel im Altertum gebrauchtes Anästhetikum ist die Man-
dragora, oder Alraunwurzel, welche von Hippokrates an, bis, nach
den Angaben von Bodin, in das 16. Jahrhundert als Schlaf- und An-
ästhesie erzeugendes Mittel verwendet wurde.
Durch Dioscorides, und seinen Commentator Matthiolus er-
fuhren wir, dass die Mandragorawurzel mit Wein bis auf ein Drittel
des ursprünglichen Volumens abgekocht, und von diesem Deco et vor
Operationen dem Kranken ein Glas voll verabreicht wurdß.
Eine andre Art von Mandragora wird von Dioscorides als
Morion beschrieben. Das ist wahrscheinlich der weisse Same der
Mandragorapflanze. Er giebt an, dass 1 Drachme von Morion,
von einem Menschen eingenommen, Verlust des Bewusstseins hervorrufe,
und von einem 3 bis 4stündigen Schlafe gefolgt sei. Dieses Mittel
wird von den Aerzten zu chirurgischen Operationen verwandt.
Plinius schreibt folgendermassen über die Mandragora und
deren Abkochung:
„bibitur contra serpentes et ante sectiones, punctionesque, ne sentiantur"
etc. Er zieht die Blätter der "Wurzel vor, und schreibt, es gäbe Menschen,
welche schon durch den Geruch der Mandragora betäubt und eingeschläfert
würden.
Ferner wird die Mandragora von Seneca und Apuleius Lucius erwähnt."
Bei den griechischen Aerzten, sowie auch in den späteren
Zeiten bei den Aerzten der anderen Völker, wie der alten Germanen
etc. wurde meist der Mandragoratrank verwendet, welcher einen
Decoct der Wurzel oder der Blätter darstellte. Durch diesen Man -
drago ratrank ist man zuerst auf den Gedanken gekommen, durch
Inhalation einen anästhesierenden Zustand herbeizuführen, indem
man bei den den Trank durch Kochen bereitenden Personen narkotische
Wirkungen der eingeatmeten Dämpfe des Decoctes beobachtete. Diese
Wahrnehmungen sollen von den Chirurgen im 13. Jahrhundert
gemacht, und zum ersten Male von Theodorich und anderen
die ersten Inhalationen zwecks einer allgemeinen Narkose ange-
wandt worden sein. Darüber schreibt Gney von Chauliac in seiner
Chivurgia :
„Nonnulli vero ut Theodoricus, medicinas obdormitativas, ut non senti-
ant incisionem dictant. Velut est Opium, Succus, Morellae, Jusqviiani, Man-
dragorae, Hederae arboreae, Cicutae Lactueae. Et imbibunt in eis spongiam
novam, et permittunt eam in sola exsiccari. Et quando erit necesse mittunt
illam spongiam in aqua callida, et daut eam ad odorandum tantum usque quo
capiat somnum. Et ipse abdormitato faciunt applicata expergeviunt" etc.
Aus dieser Mitteilung geht hervor, dass zu dieser Zeit die erste
Narkose in unserem Sinne als allgemeine Narkose vorgenommen
worden ist. Auch die Völker in Asien haben schon in früher Zeit
solche betäubende Tränke gekannt, so wird im 3. Jahi-hundei't n. Chr.
- 10 -
von dem chinesischen Arzte Mao-Tho zum Zwecke einer allge-
meinen Betäubung der Sensibilität ein Trank aus Ma-Yo, unserem
Canabis Indica verwandt.
Dass man im Mittelalter schon die Narkose verwendet hat, geht
weiter aus einem Berichte des Origenes auf einem Konzil der eng-
lischen Kirche in Exeter vom Jahre 1287 hervor. Darin findet
man folgendes verzeichnet:
„Quando volunt medici incidere aliquos vel urere, dant eis bibere ali-
quem potum, qui facit eos profunde dormire, ita quod amentes fiant et sie non
sentiant".
Ferner hat Theodorich von Cervia, ein Schüler Hugo 's von
Lucca, Dominikaner, später Bischof, 1298 in Bologna gestorben,
ein Mittel, welches confectio soporis secundum dominum Hugo-
nem genannt, hauptsächlich Schierling, und den Saft der Mandra-
gorablätter enthielt, den Kranken vor der Operation einatmen lassen,
wie aus obigem ebenfalls entnommen werden kann. Dasselbe beschreibt
Canappe ähnlich wie Guey von Chauliac. Wenn er auch teilweise
dasselbe sagt, wie oben schon erwähnt, so wollen wir doch eine Stelle
von Canappe hier zitieren, da sie manches interessante bringt. Er
schi-eibt :
„Aucuns, dit-il, comme Theodoric, leur donnent medecines obdormi-
fieres qui les endorment, afin que ue sentent incision, comme opium, succus
morellae, hyo^cyami, mandragorae, cicutae, lactucae et plongent dedans esponge
et la laissent seicher au soleil, et quand il est n^cessite, ilz mettent cette es-
ponge en eaue chaulde, et leurs donnent k odorer tant qu'ilz prennent soni-
meil et s'endorment ; et quand ilz sont endormis, ilz fönt I'ojjeration; et puis
avec une autre espongs laign^e en vin aigre et api^lique es narilles les es-
veillent, ou ilz mettent es narilles ou en ToreiUe, succum rutae ou feni, et ainsi
les exveillent, comme ilz ditnt Les autres donnent ojaium ä boire et fönt
mal, spöcialement sil est jeune; et le apergoivent, car ce est avec une grande
bataille de vertu änimale et naturelle J'ai oui qu'ilz encourent manie et par
consequent la mort "
Von Boccaccio wird ferner berichtet, dass ein Chirurg von
Salerno, Mazzeo della Montagna, welcher von 1309 bis 1342
lebte, ebenfalls ein schlaferzeugendes und anästhesierendes Mittel bei
seinen Kranken vor der Operation angewendet habe.
Ausserdem berichtet Porta von einem leicht verdunstenden
Mittel, welches Schlaf bewirke, und in einem fest veschlossenen „Blei-
gefässe" aufbewahrt werden müsse. Dasselbe werde eingeatmet, und
erzeuge dabei einen schlafähnlichen Zustand bei der betreffenden Person.
Näheres über die Zusammensetzung und Natur dieses Mittels erfahren
wir nicht.
In derselben Zeit, wo diese ersten Inhalationsnarkosen vorge-
nommen wurden, finden wir auch die ei'sten Anfänge der lokalen Be-
täubungsmethoden. So entnehmen wir aus folgenden Worten von
Thomas Bartholinus, dass im Mittelalter die ersten Versuche in
dieser Hinsicht gemacht wurden. Derselbe schreibt:
„Antiquam cauteratio ulcera in membris excitentur, nix aftVicata indiuit,
stuporem Id me doeuit Marcus Aurelius Severinus in Grymnasio Neapolitano
— 11 -
ülim praeceptor iiiriis et hospes, Chirursorum hoc saeculo princeps. Reclissime
aiitem iiivem in vasculum maturiae, convenicntis capax, sed obhjngä ad ex-
tremum et myrtifonni spc;zie, coujectam, sine rei ullius interventu applicavit.
A gangracnae metu seeuros nos jussit, niedicamento sub augustis parallelis
lineis applicato, sensu vero post horae quadrantem sopito, secare locum indo-
lentem licel)it." (Nach Kapjjeler zitiert.)
Im 12. Jahrhundert finden wir noch als bekannte Sammlung von
Narkotica, das Autidotarium parvum des Nicolaus Praepositus,
welches 140 — 150 alphabetisch geordneter, sehr komplizierter Ver-
ordnungen enthält, sowie die genaue Beschreibung der Wirkungen und
AnAvendungsweise jedes einzelnen Rezeptes.
Die Verwendung der zu inhalierenden Mittel geschah auf ver-
schiedene Art. Die einen wurden zu Kerzen verarbeitet, und der durch
Verbrennung der Kerzen entstehende Rauch wurde von den Kranken
eingeatmet, um seine betäubende Wirkung entfalten zu können. An-
dere Substanzen wurden in Form von Salben appliziert, und bewirkten
so, teils eine lokale, teils eine allgemeine Anästhesie.
Wie auch die Verwendung narkotischer Substanzen im Altertum
sich keine allgemeine Geltung und Verwendung verschaffen konnte, so
blieb auch im Mittelalter die Verwendung dieser Präparate sehr be-
schränkt, und die üblen Nachwirkungen nach diesen Narkosen, die in
einem grossen Teile tötlich verliefen, Hessen die späteren Aerzte von
der Verwendung ganz abstehen, und die Narkose kam wieder in Ver-
gessenheit.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts sehen wir wieder ver-
schiedentlich die Anwendung von narkotischen Substanzen in Brauch
kommen. So machte im Jahre 1781 Sassard, Chirurg an der
Charite in Paris, den Vorschlag, narkotisierende Substanzen vor Opera-
tionen wieder zu verwenden, freilich mehr, um den Shock zu verhindern,
als das Schmerzgefühl herabzusetzen. Diese Methode wurde viel-
seitig gebraucht, und mit mehr oder weniger Erfolg bis zur Zeit bei-
behalten, Avo das Chloroform und der Aether eine neue Methode
brachten. Man hatte sich jetzt mehr mit der von James Moore an-
gegebenen Methode der Kompression der Nerven zwecks Herab-
setzen der Empfindlichkeit befasst. Derselbe hatte zuerst versucht,
durch eine Durchtrennung eines Nerven, eine lokale Anästhesie zu
erreichen, und kam nun auf den Gedanken, durch Kompression der
Nerven denselben Zweck zu erreichen. So soll er durch Kompression
des Nervus ischiadicus und cruralis mittels einer Verrichtung,
welche aus einem Eisenbogen mit 2 Pelotten bestand, eine schmerzlose
Amputation des Unterschenkels ausgeführt haben. Diese Methode wurde
von Hunter, Bell und anderen englischen Chirurgen verteidigt,
hat aber sonst weiter keine Nachahmer gefunden, da die Wirkung
doch nicht so war, wie mau es erwai'tet hatte, denn in dem einen
Falle war zugleich eine starke Opium dosis dem Kranken vorher ge-
geben worden, welche wohl hauptsächlich die Anästhesie erzeugt haben
mochte. Invet, Weden, Liegard etc. empfahlen für dieses Verfahren
die Abschnürung des Gliedes oder die forcierte Ein wickelung.
So war man bemüht, auf irgend eine Art, eine brauchbare Methode zu
- 12 —
f2;ewinnen, mittels deren man dem Kranken die Schmerzen der cliirur-
gischen Operationen ersparen könnte, allein alle diese Methoden haben
nicht einen genügenden Erfolg gesehen. Es sollte ehen nicht auf
mechanischem Wege das Ziel erreicht werden; sondern die weiteren
Fortschritte der Chemie am Ende des 18. Jahrhunderts rückten die
Chirurgie etwas näher an das geträumte und ersehnte Ideal heran.
Der Entdecker des Sauerstoffs, Priestly, hatte schon im
Jahre 1765 dieses Gas zu Inhalationen in therapeutischer Hin^
sieht verwendet. . Richard Pearson nahm in derselben Zeit die In-
halationen von Aetherdämpfen an Lungenleidenden vor, um
dadurch die vorhandene Dyspnoe zu mildern. Er hielt den Kranken
ein mit Aether gefülltes Gefäss, oder ein mit ebensolchem befeuchtetes
Taschentuch unter die Nase. Um dieselbe Zeit gründete Bed do es die
Medical pneumatic Institution bei Bristol, woiün er Kranke
durch Inhalationen von verschiedenen Gasen heilte, oder ihren Leiden
Linderung verschaffte. Derselbe beschrieb auch die Versuche Thorn-
ton's, welche darin bestanden, Lungenkranke durch Aetherinhalationen
vom Schmerz- und Oppressionsgefühl zu befreien. Eine Frau, welche
an Mastitis litt, wurde durch diese Inhalationen bis zur Bewusst-
losigkeit betäubt.
Dasselbe Institut wurde später von dem im 20. Lebensjahre
stehenden Chemiker Humphry Davy geleitet und derselbe nahm sich
mit Energie dieser Methoden an. Er unternahm hier seine Untersuch-
ungen über die physiologischen Eigenschaften des Stickstoffoxyduls.
Er gab demselben den Namen Lachgas, nach den Delirien heiterer
Ai't, die durch Inhalationen dieses Gases erzeugt wurden, und kam auf
den Gedanken, ob vielleicht auch die Sensibilität durch dieses Gas herab-
gesetzt werde. Er inhalierte dasselbe selbst, als er an heftigen Kojjf-
und Zahnschmerzen litt, und fand sich bald vollkommen von den Schmer-
zen befreit. Er schrieb über dies Gas und dessen Wirkung im Jahre
1800 folgendes: „As nitrous oxide in its expensive Operation seems
capable of destroying physical pain, it may probably be used.with ad-
vantage during surgical Operations, in which no great effusion of blood
takes place".
Diese Versuche und Beobachtungen Davy 's wurden nun mit
wechselndem Erfolge von anderen nachgeprüft, und gerieten, ohne dass
man sie der praktischen Medizin zugänglich machte, nach und nach
wieder in Vergessenheit.
Die Aetherinhalationen wurden aber dem Arzneischatz ein-
verleibt, ohne dass man dieselben bei chirurgischen Eingriffen weiter
verwendet hätte.
Im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurden dieselben
von Warren und Woolcombe bei Schwindsüchtigen angewendet,
Anglada brauchte sie in Montpellier zur Linderung von neural-
gischen Schmerzen, und Nysten beschreibt einen Apparat für Aether-
inhalationen wegen Kolikschmerzen. Von Faraday wird be-
richtet, dass ein Gemenge von Luft und Aetherdämpfen dieselbe Wir-
kung auf - den Organismus habe, wie das Lachgas, und dass ein junger
— 13 —
]\Iann durch solche lulialatiuncu 30 »Stundou betäubt, und deui Tode
nahe gewesen sei. Orfila betäubte Hunde durch Actherinjectionen
und Einführen von Aether in den Magen.
Die narkotischen Wirkungen des Aethers beschreiben Brodie
und Giacomini, und Christison teilt mit, dass ein Mann durch Aether-
inhalationen, wie sie von Studierenden in den chemischen Labora-
torien scherzeshalber an sich selbst vorgenommen wurden, um einen
Rauschzustand hervorzurufen, vollkommen bewusstlos und anästhetisch
geworden sei. Allein man Hess all diese Beobachtungen ungenützt.
Es geriet nun diese ganze Lehre von der Anästhesie mehr und
mehr in das Bereich des Mystischen und des Hypnotismus. So
soll Cloquet im Jahre 1829 einer 64 Jahre alten Dame während des
magnetischen Schlafes, welcher jetzt zu chirurgischen Operationen
verwendet wurde, ein Brustcarcinom mit Achseldrüsen vollkommen
schmerzlos operiert, und Ward 1842 einen Oberschenkel ohne jede
Schmerzempfindung des Patienten amputiert haben. Wenn auch diese
Berichte mystisches genug besitzen, man muss nicht übersehen, dass
es Personen gibt, welche eine pathologisch herabgesetzte Sensibi-
lität besitzen, welche simuliert haben, welche infolge der Hypnose
weniger empfindlich werden. Im allgemeinen chirurgischen Leben und
Treiben war dieser magnetische Schlaf ein Trugbild entarteter
Phantasie, und nicht als generalisierend zu verwenden.
Braid legte nun klai-, dass man z. B. durch anhaltendes Fixieren
eines bestimmten glänzenden Punktes einen kataleptischen Zustand,
den Brain Hypnotismus nannte, mit allgemeiner Anästhesie und
Hyperästhesie der spezifischen Sinne hervorrufen könne. Nun
lag es klar, dass man auch zur Verwendung der Hypnose schritt, um
eine chirurgische Operation schmerzlos zu gestalten. So soll in Vel-
peau's Klinik die schmerzlose Abnahme eines Dextrinverbandes
vorgenommen worden sein, ferner hat Broca und Tollin einen Abszess
am Anus schmerzlos eröffnet in Hypnose, und Gu6rinau einen Unter-
schenkel auf dieselbe Weise bei einem Kranken schmerzlos amputiert.
Allerdings konnten weitere Versuche nicht eine Begründung dieser
Methode erzielen, und man erlebte bald ebenso glänzendes Fiasko,
wie man glänzende Erfolge gehabt hatte, und mit der Zeit wui'den die
negativen Erfolge zahlreicher als die positiven.
So kommt man bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts nicht weiter,
bis die alte Idee der Aetherisierung wieder aufgegriffen wurde.
In dieser Zeit machten die Zahnärzte Evans in Paris und Ho-
race Wells in Hartford erneute Versuche, das Lustgas bei Zahn-
Extraktionen zu verwenden. Der Zahnarzt Watley hatte im Jahre 1844
bei einer Vorlesung des Chemikers Gölten ein Experiment mit Lust-
gas gesehen, und Hess bald nach diesem an sich selbst eine Narkose
mit Lustgas vornehmen, um sich einen Zahn extrahieren zu lassen.
Zu gleicher Zeit stellten auch Jackson und Morton mit demselben
Gas Versuche an, doch alle Experimentatoren waren von den Erfolgen
ihrer Narkosen noch sehr wenig befriedigt.
Schon seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts waren von ver-
- 14 -
schiedenen Chemikern die Wirkungen und Einflüsse des Scliwefeläthers
auf den tierischen Organismus erprobt worden. Einige von ihnen nahmen
an sich selbst Versuche vor, indem sie die Dämpfe des Schwefeläthers
einatmeten, teils, um sich selbst einen angenehmen Rausch zu verschaffen,
teils, um die Wirkung zu prüfen. Die dabei öfters eingetretenen üblen
Folgen schreckten die meisten Aerzte ab, dessen ungeachtet war aber
der Aether schon öfter als Mittel zur Betäubung verwandt worden,
während man ihn auch als Erleichterungsmittel bei Brustkrankheiten
gebrauchte, indem man die Dämpfe von den Kranken einatmen Hess.
Die Mitteilungen über die Aetherverwendung zur allgemeinen Narkose
wurden aber von den meisten Gelehrten in das Reich der Fabel verwiesen,
selbst der grosse Chirarg Velpeau stand im Jahre 1829 auf diesem
skeptischen Standpunkt, und wollte von einer Acthernarkose nichts wissen.
Derjenige, welcher als Entdecker der Narkose mit Recht anzu-
sehen ist, ist der Arzt und Chemiker Dr. med. Charles Th. Jackson
in Boston. Derselbe machte im Winter des Jahres 1841 zu 42 an
sich selbst die ersten Versuche, mit einem Gemisch von Aetherdämpfen
und atmosphärischer Luft eine Narkose zu erzeugen. Diese Versuche
wurden allerdings erst 5 Jahre später von praktischer Bedeutung. Im
Jahre 1846 wurde Jackson von seinem Schüler Morton, welcher von
den Versuchen Jacksons Kenntnis erhalten hatte, um ein Mittel ge-
beten, welches eine schmerzlose Zahn-Extraktion ermöglichte. Jackson
gab ihm den Schwefeläther, und die mit diesem sofort ausgeführten
Versuche waren von dem erAvarteten Erfolg gekrönt. Bald darauf wurde
auf Jacksons Anregung die Aethernarkose bei einer chirurgischen
Operation, Exstirpation einer Geschwulst am Halse, von Warren
am 14. Oktober 1846 zum ersten Male angewandt, und auch hier
war der Erfolg ein vollständiger. Durch Jackson selbst kam die
Kunde von diesen Versuchen nach Europa, und am 17. Dezember 1846
nahm Bott die erste Aethernarkose in Europa vor, wenige Tage
später machte Listen die zweite in London, und es folgte die dritte
am 22 Dezember desselben Jahres von Jaubert in Paris.
Jackson erhielt für seine wichtige Entdeckung den Monthyon'-
schen Preis von der Akademie in Paris, worüber sich Wells der-
artig alterierte, dass er am 24. Januar 1847 aus Kummer über die
entrissenen Lorbeeren, die er für sich beanspruchte, freiAvillig in den
Tod ging. Jackson konnte sich aber auch nicht an den Strahlen
seines Ruhmes sonnen, denn er verfiel bald dai'auf in Wahnsinn,
welcher ihm den Geist bis zum Tode umnachtete.
Nun wurden die Aethernarkosen von verschiedenen Anderen Aveiter
geprüft, so von Florent, Longet etc., welche an Tieren Narkosen
mit Aether vornahmen. Velpeau hatte nun auch seinen skeptischen
Standpunkt verlassen, und wurde ein eifriger Vertreter der Aether-
narkose, indem er sie nunmehr bei chirurgischen und geburtshilflichen
Operationen einleitete, und ihre Verwendung allgemein anriet.
Wenn bis jetzt eine Aethernarkose noch zu den seltenen Opera-
tionen gehörte, so war es der Gynäkologe Simpson, welcher derselben
eine allgemeine Verwendung verschaffte. Er machte am 17. Januar
— 15 —
1847 die erste Aethernarkose bei einer schwierigen Entbindung.
Wenige Monate später, am 4. November d. J., stellte er an sieb, und
seinen Assistenten Keith und Duncan die ersten Versuche mit einem
zweiten Mittel an, welches dem Aether den Vorrang streitig machen
sollte, aber noch immer mit demselben um die Krone des Sieges kämpft.
Dieses Avar das von Soubeirau im Jahre 1831 hergestellte Chloro-
form. Dasselbe war von Liebig ein Jahr später selbständig her-
gestellt worden, und von Dumas und Guthrie weiter untersucht, mit
dem Namen, den es heilte noch führt, belegt worden. Durch Versuche
von Bell und Flourens, die schon vorher an Tieren angestellt waren,
auf das Chloroform aufmerksam gemacht, führte es Simpson an
Stelle des Aethers in die Eeihe der Narkosenmittel ein, und begründete
seine Resultate, welche er am 10. November 1847 vor der Medi-
zinischen Gesellschaft in Edinburg praktisch mit einer Narkose
verkündete, mit mehr als 80 Narkosen an Menschen, und veröffent-
lichte eine Anzahl Arbeiten über diese Frage.
Durch diese ersten Versuche wurde eine Wissenschaft begründet,
die in unserer Zeit eine ungeheure Wichtigkeit besitzt neben dem be-
deutendsten Einfluss auf die Chirurgie und deren Disziplinen.
So zeigt es sich auch in dem weiteren Entwickeln der Narkose,
dass dieselbe Hand in Hand mit der Chirurgie sich entwickeln, und in
ihren späteren Forschern hauptsächlich Chirurgen verzeichnen kann.
Man sah nunmehr den Wert des Chloroforms und Aethers ein,
und studierte die Wirkungen dieser Stoffe, sowohl durch Tierversuche,
wie durch die Narkose im Operationssaal. Es vergingen nur wenige
Jahrzehnte, und es war allgemein bekannt, dass die Operationen ihre
Schrecken verloren hatten, und dass man, ohne den geringsten Schmerz
zu empfinden, sich den grössten Operationen u.nterziehen könnte. In
Deutschland war die erste allgemeine Narkose behufs einer chirurgi-
schen Operation von Schuh im Jahre 1847 gemacht worden. Wir
sehen von diesen Zeiten an, bis auf die heutigen Tage noch die beiden
hauptsächlichsten Narkotika, das Chlor oiorm und den Aether, im
Kampfe liegen. Wenn man auch schon in den nächsten Jahren nach
der Einführung der Narkose in Deutschland, die schweren Gefahren
des Chloroformierens erfahren musste, und, wenn man auch die Vorteile
des Aethers vor dem Chloroform erkannte, so konnte man doch nicht
eine vollkommene Entscheidung herbeiführen. Wir sahen schon 1849
in Frankreich, wie Diday und Petrequin auf Grund zahlreicher
in Lyon vorgekommener Todesfälle, die dem Chloroform zur Last ge-
legt werden mussten, als Warner vor dem enormen Gifte auftraten, und
wie durch deren Anregung wieder eine Gegenströmung zu Gunsten
des Aethers entstand. Doch auch während der Aethernarkosen er-
eigneten sich einige Todesfälle und durch diese in Schrecken versetzt,
und betroffen durch die Ueberzeugung und Erfahrung, dass der Aether
oftmals eine sehr mangelhafte Naj-.kose a,ur ,z,u erzeugen im Stande
war, konnte man sich nicht gr.nz dem Aether i^UTftinden, und denselben
ganz dem Chloroform vcrzi^hsu.
Erst nach ger^aimö.r Zeit kam muii 'durch Juli iardziiUer Ueber-
— 16 -
Zeugung, dass man bei der Aethernarkose der Luft möglichst wenig
Zutritt gestatten dürfe, und nur durch raögUchst intensiven Luftabschluss
tiefe und rasche Narkosen erreichen könne. Durch diese Ueberzeugung
wurde die sogenannte Genfer Methode, oder die Erstickungs-
narkose ins Leben gerufen. Julliard hatte sich nunmehr ganz dem
Aether zugewandt, und nahm vom Jahre 187 7 an nur Aether zum
Narkotisieren. Diesem vortrefflichen Chirurgen folgen bald andere
Forscher in seinen Fussstapfen, so sehen wir Dumont 1886, und Fulter
in Bern, Roux in Lausanne, Stelzner in Dresden 1887, 1889
Bruns in Tübingen, und eine Reihe anderer Chirurgen als begeisterte
Anhänger des Aethers. Auf dem 25. Chirurgenkongress emjjfahl
Gurlt den Aether als das beste Narkotikum, und stellte denselben
als den ungefährlichsten Stofl^, wenigstens als bedeutend harmloser, als
Chloroform hin. In begeisternder Rede trat er für den Aether ein,
und empfahl denselben in jeder Hinsicht.
Leider wissen wir alle noch aus unserem Leben, wie jenes leb-
hafte Eintreten für ein bestimmtes Narkotikum verhallen musste in
dem weiten All unserer Wissenschaft, da sich nicht das erfüllen sollte,
was die Begeisterung eines Genies über eine grosse Anzahl glücklicher
Narkosen versprochen hatte. Es war eben noch nicht das Ideal ge-
funden, und man sollte noch lange suchen nach dem, was man glaubte
in der Hand zu halten, das, was heutzutage noch nicht unser eigen ist.
So wendete man sich wieder dem Chloroform zu, teilweise das, teil-
weise den Aether brauchend.
So hat man bis in unsere Tage noch den Kampf zwischen diesen
beiden Narkotika geführt, und wir haben im Laufe der Jahre viele
Forscher bald auf dieser, bald auf jener Seite gesehen, bis man end-
lich zu der Ueberzeugung kam, die alten Methoden nach den neuen
Beobachtungen zu ändern. So sehen wir jetzt den grössten Teil der
Chirurgen eifrig für die neue Tropfmethode eintreten (Witzel, von Mi-
kulicz etc.), während man in England und Amerika mehr nach der
Methode nach Clover-Grossmann narkotisiert, welch letztere Methode
auch in Deutschland Anhänger hat (Landau etc.). Wenn hier auch
einige Unterschiede bestehen in der Methode der Dosierung, die Grund-
idee ist doch dieselbe, und zwar stellt dieselbe als erstes Erfordernis
zur Einleitung einer guten Narkose, eine exakte Dosierung. Die Frage
der Dosierung hat viel die Forscher beschäftigt. Zur Erreichung einer
exakten Verabreichung sind viele tätig gewesen, ich erinnere nur an
die Apparate von Kappeier, Junker, Wanscher, Grossmann,
Ormsbey, Bonnet etc., sowie an die komplizierten Apparate von
Dreser, Kionka, Geppert etc. Allein für die praktische Verwendung
hat sich doch die einfachste Methode als die beste herausgestellt, und
so ist man nunmehr wohl in der Hauptsache einig, und verwendet die
Tropfmethode, sowohl beim Chloroformieren, wie bei der Aether-
narkose. Die neueste ErruKgcrcchaft des forschenden Geistes ist die
Sudecksche RavxsßhiläTk<ose-,' welche f mehr und mehr Eingang auch
in die Welt 'der praktischen Medizin" 'erl^hrt,' und mit Recht sich einer
wachsen/ldnvBeliebtheit erfre?itl '- '''<, /
— 17 -
Neben dem Chloroform und Aether sind mit der Zeit eine grosse
Menge anderer Narkotika zur Verwendung gekommen, wenn auch keines
die Vorzüge obiger beiden Stoffe übertroffen, oder nur erreicht hat.
Von Priestley und Davy war das Stickstof f'oxydullgas entdeckt,
und zuerst als Narkotikum verwendet, sowie mit dem Namen Lust-
oder Lachgas benannt worden. Davy selbst stellte 1799 die
erste Narkose an sich selbst dar, und studierte so die Eigenschaften
desselben. Man hatte fast 50 Jahre lang das Lust gas nur in Labo-
ratorien gekannt, erst, als sich bei einer Vorlesung einer, der das Gas
eingeatmet hatte, sehr heftig an den Kopf stiess, ohne dass er es be-
merkt hätte, kam der Zahnarzt Horace Wells, welcher den Vorgang
bemerkt hatte, auf den Gedanken, sich durch den Zahnarzt Riggs einen
Zahn extrahieren zu lassen, während er das Gas einatmete. Er empfand
keinen Schmerz, und benützte darauf das Gas auch bei seinen Patienten.
Dr. Warren versuchte in Stickstoffoxydulnarkose eine grössere
chirurgische Operation vorzunehmen, doch dies war natürlich nicht von
dem erwarteten Erfolge begleitet. So hat man aber doch namentlich
bei Operationen der Zahnärzte das Stickstoffoxydul mit gutem Er-
folg für eine sehr kurz dauernde Narkose verwendet, bis in die neu.este
Zeit, nachdem man verschiedentlich Versu.che gemacht hat, mit dem-
selben im Verein mit anderen Narkotika längere Narkosen zu erzeugen.
Neben dem Stickstoffoxydul wurden nun in den Jahren von
ungefähr 1850 bis in die Neuzeit eine grosse Reihe von anderen
chemischen Verbindungen und Stoffen zu Narkosen verwandt, so war
es vor allen Dingen das Bromäthyl und Chloräthyl, welches man
vielfach zu kurzen Narkosen gebrauchte. Das Aethylbromid wurde
1827 von Serullas zuerst dargestellt, und von Regnault, Löwig
etc. zu verschiedenen Versuchen verwandt, und auf seine Eigenschaften
geprüft. Als Anästhetikum beschrieb es zuerst Langgaard, während
es von Nunnely im Jahre 1849 zuerst in der Chirurgie Verwendung
fand. Der letztere war ein eifriger Lobredner des Bromäthyls, und
verwendete dasselbe^ trotzdem man sich allgemein von seiner Ansicht,
das Aethylbromid sei dem Chloroform überlegen, nicht so recht
überzeugen konnte, doch sehr häufig, und führte vom Jahre 1864 — 65
sämtliche Augenoperationen , welche allgemeine Narkose erforderten,
unter Bromäthernarkose aus. Weiter wurde das Bromäthyl von
Tourneville, Turnbull, Lewis in Philadelphia, Terrillon,
Per c er etc. zu Narkosen gebraucht. Rabuteau trat 1876 als be-
geisterter Lobredner desselben auf, und rühmte eine Menge von Vor-
zügen des Bromäthers, und Alberte au sprach sich in einer Sitzung der
Pariser Akademie 1876 dahingehend aus, dass das Bromäthyl
ebenso energisch anästhesierend auf den Organismus wirke, wie Chloro-
form. Kappeier dagegen ist nicht so von den Vorzügen überzeugt, und
macht vor allem auf die leichte Zerset zbarkeit des Bromäthyls
aufmerksam. Schneider und Müller beschreiben ebenfalls eine
wechselnde Wirkung desselben, während 1883 Chisholm 400 Nar-
kosen mit demselben beschreibt, und mit grossem Lobe von der Wirkung
spricht. Später ist dasselbe 1887 von Asch, und 1890 von Schneider
2
- 18 -
definitiv in der Zahnheilkunde eingeführt worden, und hat sich eine
Reihe von Jahren behauptet, während man in der neueren Zeit doch
erkannt hat, dass dem Bromäthyl viel zu viel Vertrauen betreflfs seiner
Harmlosigkeit entgegengebracht worden ist.
Neben dem Bromäthyl ist eine ganze Reihe ähnlich zusammen-
gesetzter Stoffe gebraucht worden, doch alle haben mehr oder minder
vor der Kritik schwer bestehen können.
Nebenbei machten im Jahre 1847 Simpson und Heyfelder
Versuche mit Aethylchlorür sowie mit Aethylnitrit. Das folgende
Jahr brachte für die Medizin einige neue Narkotika, so wurde von
Thaulow der Schwefelkohlenstoff, von Snow, Simpson, Nunnely
das Aethylenchlorid, von Poggiale und Simpson das Aldehyd
in der chirurgischen Praxis erprobt und verwendet. Zu derselben Zeit
machte Arnott die ersten Versuche, mittels Kälte eine lokale Schmerz-
betäubung hervorzurufen. In den folgenden Jahren wurde von Snow
und Simpson das Benzol durch Versuche erprobt, und in der Litera-
tur bekannt gegeben. Snow hat 1852 das Aethylidenchlorid zur
Erzeugung einer Anästhesie verwendet, und 1870 wurde dasselbe
wiederum von Liebreich empfohlen. Richardson entdeckte im Jahre
1853 die anästhesierenden Eigenschaften des Lycoperdon giganteum
beim Menschen, nachdem man schon längere Zeit den Rauch des Ly-
coperdon zur Betäubung von Bienen gebraucht hatte. Das Amylen
wurde 1856 von Snow, das Kohlenoxydgas 1857 von Tourdes,
die Kohlensäure 1858 von Ozanam, als Anästhetikum beschrieben.
Bigelow beschrieb 1861 die Wirkung des Keroselen, und der
Zweifachchlorkohlenstoff wurde von Sansom und Harley, Simp-
son, Protheroe, Smith, Nunneley in den Jahren 1865 — 67 in
verschiedenen Arbeiten der Literatur einverleibt. Weiter hat man
Narkosen mit Metj^lenchlorid (Spencer, Wells, Polaillon, Le
Fort etc.) und Pental, das von Holländer eingeführt wurde, und einer
Reihe von anderen Präparaten zu erzeugen versucht. Man muss bei allen
erst die Resultate jahrelangen Forschens abwarten, ehe man eine definitive
Kritik üben darf. Es ist unwichtig, alle die weiteren einzelnen Arten
der einzelnen kleinen Abschnitte im grossen Leben der Wissenschaft
anzuführen. Ein viel wichtigeres Bestreben machte sich gar bald in
dem Zeitalter der Narkose bemerkbar, nämlich das, die üblen Eigen-
schaften des einen Narkotikums durch die guten Eigenschaften eines
anderen dadurch zu kompensieren, dass man mehrere Narkotika zu-
sammen verwandte, teils direkt gemischt, teils nur die Dämpfe in einem
bestimmten Verhältnis gemengt. In den Jahren 1861 — 69 machten
Pitha, Nussbaum, Mabart, und Bernard die ersten Versuche mit
der gemischten Narkose. Es wurden von Schleich verschiedene
Narkosengemische hergestellt, die sogenannten Schleichschen Siede-
gemische. Billroth stellte eine Mischung aus 3 Narkotika her, eben-
so wurden vom Chloroformkomite, und von Weiger, einem Zahn-
arzt in Wien, solche hergestellt, und so sind im Laufe der Zeit eine
Menge Kombinationen entstanden, welche mehr oder minder wertvoll
sind. Weiger ist der erste gewesen, welcher die Mischnarkose in
- 19 —
der Praxis eingeführt hat. Allis machte auf die verschiedene Ver-
dunstung der Narkotika aufiiierksain und zeigte so die Schwierigkeit
an, welche es galt, vor allem zu überwinden. Zu diesem Zwecke kam
man zur Konstruktion von Apparaten, die eine praktische Verwendung
allerdings unmöglich erscheinen Hessen.
Dessen aber ungeachtet hat der Gedanke doch viele wertvolle
Folgen in der Praxis der Narkosenwissenschaft gezeitigt. Wir haben
jetzt das Bestreben, noch immer mehrere Narkotika zu verwenden, und
es wird dies in der Praxis ausgeführt in der Kombination der Inha-
lationsnarkose mit einer subkutanen Injektion eines anderen
Narkotikums. Als letzteres verwendet man vor allem das Morphin.
In dieser Hinsicht wurde von Schneiderlin eine Narkose ange-
geben, welche lediglich die Narkotika subkutan verabreicht. Er
verwendet Scopolamin mit Morphin. Es ist diese Methode noch in
ihrer Erforschung nicht abgeschlossen, und, wenn auch manche Uebel-
stände noch bestehen, so muss man die Resultate weiterer Forschung
abwarten. Jedenfalls ist auch diese Narkose für gewisse Fälle von
grossem Werte.
Neben den Methoden der allgemeinen Betäubung, der Narkosen,
machte sich im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts eine Methode
bemerkbar, welche mit Genialität und Weisheit erfunden, gar wohl be-
rechtigt ist, der Narkose die nötige Ergänzung zu bieten, d. h. in jenen
Fällen, wo die allgemeine Narkose unterbleiben kann, die vielen Gefahren
und Unannehmlichkeiten derselben zu ersparen, indem sie ihnen doch
den Vorteil derselben zu teil werden lässt. Die ersten Anfänge der
Lokalanästhesie sind mit der Entdeckung der Wirkung des Aether-
spray's von Richardson im Jahre 1866 gegeben, während, wie oben
erwähnt, ja schon früher verschiedene Methoden Voi'läufer der lokalen
Schmerzbetäubu.ng darstellten, wie die Anwendung der Kälte zur An-
ästhesie, sowie der schmerzstillenden Salben im Mittelalter und
Altertum. Der eigentliche Begründer aber dieser lokalen Betäubung,
der lokalen Narkose, der Anästhetologie ist Schleich. Ihm ge-
bührt mit Recht der Ruhm, eine Methode geschaffen zu haben, die einen
ungeahnten Nutzen der leidenden Menschheit zu bringen im Stande ist,
die manches Menschenleben vor einem jähen Tode zu retten vermag.
Werden wir doch durch sie in den Stand gesetzt, die Narkose durch
eine ebenfalls die Schmerzen benehmende Methode in gewissen Fällen
zu ersetzen. Neben Schleich gebührt einer Reihe von Chirurgen der
neueren Zeit der Ruhm, die Methode weiter ausgebaut zu haben, wie
V. Mikulicz, von Bruns, v. Gottstein, v. Braatz, v. Hofmeister
und viele andere mehr.
Auch andere Methoden wurden angegeben, welche Modifikationen
oder Verbesserungen darstellen und später genauer gewürdigt werden
sollen, wie das Verfahren von Oberst, Braun, Manz etc.
Im Jahre 1860 stellte Niemann zuerst aus den Kokablättern
ein Alkaloid dar, welches noch jetzt in der Anästhetologie eine wich-
tige Rolle spielt, das Kokain. Derselbe führt auch schon in jener Zeit
die lokale Wirkung des Kokains an, doch ist erst 1884 von Koller
2*
— 20 -
auf die praktische Verwertung dieser Wirkung des Kokains auf die
sensiblen Nerven aufmerksam gemacht worden. Es wurden namentlich
die Salze des Alkaloids, das Kokain, hydro chloricum und = sul-
furicum verwendet. Es sind in der Neuzeit noch eine grosse Menge
von ähnlich wirkenden chemischen Körpern und Verbindungen herge-
stellt worden, welche ähnliche Wirkungen wie das Kokain haben sollen,
teils ohne die schädlichen Nebenwirkungen desselben, teils allerdings
auch nicht so zuverlässig, wie Eukain a u. ß, Tropakokain etc. Wie
gross aber die Bedeutung des Kokains für den Arzt geworden ist,
kann man erst erkennen, wenn man genauer die Verwendung in der
Chirurgie, Ophtalmologie, Rinologie, Larynkologie etc. der
Jetztzeit studiert. Man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet, dass
das Kokain für den Arzt ebenso wichtig ist, wie Morphin, ja dass
die Bedeutung ev. noch viel grösser und umfassender ist bei dem
heutigen Stand der Medizin.
Eine Methode ähnlich der Schleichschen Anästhesie ist in den
letzten Jahren von Bier angegeben worden, welcher von dem Gedanken
ausging, durch Kokaininjektion in die Medulla spinalis eine
Analgesie und Anästhesie der, von den Nerven unterhalb der Ein-
stichstelle versorgten Gebiete des Körpers zu. erzeugen. Es ist ihm tat-
sächlich gelungen, durch Einspritzen einer Kokainlösung z. B. in der
Gegend des letzten Brustwirbels, eine Anästhesie der ganzen Be-
zirke unterhalb des Nabels zu erreichen, und Operationen daselbst vor-
zunehmen, ohne dass der Patient auch nur die geringste Schmerzem-
pfindung zeigte und verspürte. Leider ist auch dieses Verfahren von
schweren Gefahren begleitet, so dass man neuerdings warnt, dasselbe
am Menschen zu vei*wenden. Vielleicht werden die weiteren Forschungen
darüber günstigeres erreichen. Es ist dieselbe eine Methode, welche
ein Mittelding zwischen Narkose, und den Methoden der Anäs-
thetologie zu bilden scheint. Da dieselbe die Medulla spinalis an-
greift, ist sie quasi mehr zur Narkosiologie zu rechnen, da sie aber
wiederum nur einen bestimmten Teil des Körpers anästhesiert, so ge-
hört sie in das Bereich der Anästhetologie. Dieselbe ist von Bier er-
funden, und von verschiedenen Forschern weiter geprüft worden, wie
von Stumme, Chaput, Schwarz, Ricard, Reclus, Basy, Routier,
Lejars, Poirier, Legueu, Tuffier und Kanin etc.
Wenn ich hier die geschichtliche Entwicklung nur kurz gestreift
habe, so geschieht dies aus dem Grunde, eine Wiederholung zu er-
sparen, da die geschichtlichen Daten bei Gelegenheit der Behandlung
der einzelnen Methoden doch wieder erwähnt werden müssen. So habe
ich hier nur einen oberflächlichen Ueberblick über die geschichtliche
Entwicklung unserer Wissenschaft gegeben, indem ich das hier erwähnt
habe, was in den Abschnitten über die einzelnen Themata nicht ver-
zeichnet werden konnte, aber doch von einem allgemeinen Interesse ist.
Da eine genaue geschichtliche Behandlung unserer Wissenschaft in ein
anderes Werk gehört, so habe ich hier vermieden, viel Zahlen und ge-
schichtliche Daten und Beschreibungen anzuführen, denn eine derartige
Behandlung des Stoffes würde das Buch sehr vergrössern, da die Ge-
- 21 -
schichte an sich schon einen Band gut ausfüllen würde, und eine kleine
lückenhafte Geschichte der Narkologie hier anzufügen, ist gegen das
Prinzip, alles vollkommen zu tun, und nicht teilweise und lückenhaft.
So wird dieser kleine Ueherblick über die historische Entwicklung nur
das bieten, w\as jedermann lesen und erfahren muss, da es wichtig ist,
zum Verständnis des ganzen, ehe er an das Studium unserer Disziplin
herantritt. Wenn es den Leser zu weiterem fröhlichen Studieren und
Forschen auf dem Gebiete der Narkologie anregen und veranlassen
sollte, so würde der Zweck dieser Worte erreicht sein.
IL Kapitel.
Die Narkose im allgemeinen.
§ 1. Aus den geschichtlichen Betrachtungen haben wir ersehen,
dass der erste Beginn der Betäubung auf dem Gebiete der zentralen
Betäubung liegt. Man ging davon aus, das Zentrum der Empfindung
zu lähmen, indem man dem Organismus diesen oder jenen Körper ein-
verleibte, welcher nach den gewonnenen Erfahrungen eine spezifische
Einwirkung auf die Ganglienzelle besass. In dieser Hinsicht weiter-
schreitend, haben eine grosse Anzahl von Forschern der sogenannten
Kunst zu narkotisieren, ihre Kraft und Tätigkeit geweiht, und haben
mit InteHigenz und ungeheurem Fleiss in der kurzen Spanne Zeit die
anfänglichen Versuche zu einer besonderen Disziplin in der Wissenschaft
gestaltet. Wenn man den heutigen Stand der Narkosenfrage betrachtet,
so kommt man beim Studium der Literatur zu der Ueberzeugung, dass
nicht mehr diese Kunst als Nebenbeschäftigung der Chirurgen anzu-
sehen ist, sondern, dass eine selbständige Wissenschaft erblüht ist,
die Anspruch erheben kann auf eine ihren Erfolgen und ihrer wissen-
schaftlichen Tiefe entsprechende Stellung in der allgemeinen Wissen-
schaft. Wenn wir den weiteren Kapiteln dieses Btiches folgen, so
werden wir ersehen, wie berechtigt das eben Gesagte ist.
Betrachten wir zunächst im allgemeinen unsere Wissenschaft,
so haben wir als Definition derselben folgendes zu sagen. Die Nar-
kosenAvissenschaft ist jene Betätigung des menschlichen Geistes,
welche ihr Bestreben dahin richtet, den menschlichen oder
tierischen Organismus, oder einen b estimmten Teil desselben
durch medicamentöse Behandlung in einen Zustand der Be-
täubung zu versetzen, so dass derselbe eine Schmerzempfin-
dung, welche ihm künstlich verursacht, oder ihm durch pa-
thologische Prozesse angetan wird, ohne Wahrnehmung in
seinem Bewusstsein als Schmerz erleidet. Wir nennen diese
Wissenschaft mit dem Namen Narkologie. Dieses Wort ist abgeleitet
von dem griechischen Wort r vciQXi], welches, von Hijipokrates ge-
— 22 —
braucht, Ohnmacht bedeutet. Dasselbe Wort wh*d noch gebraucht als
Ausdruck für den Zitterwels, Torpedo Galvanii, einen Fisch, bei
dessen Berühren man einen lähmenden elektrischen Schlag bekommt.
Da nun 7) vaQXt] die Betäubung bedeutet, so ist die Narkologie
diejenige Wissenschaft, welche sich mit der Betäubung im allge-
meinen, sei es totale Betäubung (Narkose) sei es lokale Betäubung
beschäftigt.
§ 2. Nach der Definition, dass die Narkologie die Betätigung
des menschlichen Geistes sei, welche ihr Bestreben dahin richtet, den
menschlichen oder tierischen Organismus, oder einen bestimmten Teil
desselben durch medicamentöse Behandlung in einen Zustand der Be-
täubung zu versetzen, so dass derselbe eine Schmerzempfindung, die
ihm künstlich verursacht, oder durch pathologische Prozesse bedingt
wird, ohne Wahrnehmen in seinem Bewusstsein als Schmerz erleidet,
können wir zwei Teile der Narkologie bilden, nämlich den einen
Teil, welcher diejenige Betätigung des menschlichen Geistes darstellt,
welche ihr Bestreben dahin richtet, durch Einverleibung bestimmter
Stoffe in den menschlichen, oder tierischen Organismus eine Wirkung
auf die Zentren bestimmter Funktionen im Zentralnerven-
system hervorzurufen, welche eine Lähmung der Ganglienzellen,
oder genauer gesagt, einen bestimmten physikalischen Zustand ge-
wisser Teile des Protoplasma's der Ganglienzellen hervorruft,
welch letzterer sich in einer Lähmung der Funktionen dieser Gang-
lienzelle offenbart, und den anderen Teil der Narkologie, welcher
diejenige Betätigung des menschlichen Geistes darstellt, die ihr Bestreben
dai'auf richtet, durch Einverleiben bestimmter Stoffe in den menschlichen,
oder tierischen Organismus eine Wirkung auf die Endigungen der
peripherischen Nerven, die eine Lähmung der Nerven darstellt,
hervorzurufen, und so eine gefühllose Stelle an bestimmten Organen
zu bilden.
Der erste Teil der Narkologie umfasst also jene Abteilung,
welche die Begriffe vereinigt, die identisch sind mit den bisherigen
Narkosen. Wir haben hier eine Lähmung der nervösen Zentren
im Gehirn, d. h. wir suchen durch Einwirkung bestimmter chemischer
Verbindungen eine Lähmung gewisser Zentren im Gehirn hervorzurufen,
und durch diesen Angriff der zentralen Systeme wird eine allge-
meine Narkose erzeugt. Die Unempfindlichkeit bei diesen Manipula-
tionen erstreckt sich über den ganzen Körper. Wenn wir für diesen
Teil der Narkologie einen Namen suchen, so ist derselbe in dem
Worte Narkosiologie zu finden. Bei dem Altvater der Medizin,
Hippokrates findet sich das Wort 1) vaQXCOOiq, welches Erstarren-
Betäubung bedeutet. Von diesem Ausdruck haben wir bereits unser
Wort Narkose abgeleitet. Die Narkosiologie bedeutet also die
Lehre von der Betäubung des ganzen Körpers mit dem Angriffs-
punkt im Zentralnervensystem.
Der zweite Teil der Narkologie umfasst alle die Methoden
der lokalen Betäubung, der sogenannten Lokalanästhesie. Wir
haben es hier mit der Lähmung der ,Nervenendio:une:en eines bestimmten
Nervcng-ebietes zu tun. Allein es ist unter dem Ausdruck Nervenen-
digung hier nicht nur die Endverzweigung des Nerven in der Haut zu
verstehen, sondern wir haben hier auch den ganzen peripherischen
Nerven uns vorzustellen. Wenn wir nach den Methoden der lokalen
Anästhesie verfahren, so werden wir aber stets zunächst mit unseren
Betäubungsmitteln an die Nervenendigungen in der Haut, sowie
dann in dem Fettgewebe, und der Muskulatur, und wenn dieselben be-
täubt sind, dann erst an den Nervenstamm herantreten. Wenn wir
aber im Gegensatz zu den zentralen AngrifiPen in der Narkosiologie
sprechen, so können wir gut hier Nervenendigung im allgemeinen sagen,
wenn wir auch bisweilen einen kleineren Stamm des Nerven direkt
attakieren.
Für diesen zweiten Teil unserer Narkologie lässt sich analog
den obigen Definitionen ebenfalls ein Name aus den Wortschätzen
unseres alten Meisters bilden. Bei Hippokrates finden wir das Ad-
jektivum ccvaiO&ijToq, welches gefühllos, unempfindlich bedeutet.
In diesem Worte ävalod-rjxog liegt schon an sich der Begriff des
Teiles, gegenüber dem Ganzen bei vccQXCOGiq, und so können wir das
Wort Anästhetologia = Anästhetologie bilden. Es bedeutet dem-
nach die Anästhetologie jene Wissenschaft, welche sich damit be-
schäftigt, einen Teil des Körpers unempfindlich, oder gefühllos zu machen.
Wir haben hier einander entgegenstehen 7] vÜQXCoöig und avaiO&rjTog,
das erstere bezeichnet Betäubung, Erstarren, und bedeutet also
mehr einen Begriff, welcher gegenüber „unempfindlich" den um-
fassenderen Begriff darstellt. Es ist nun auch die Narkose der um-
fassendere Zustand des Körpers, als die lokale Schmerzbetäubung. So-
mit drücken wir auch durch das Wort Narkosiologie diejenige Wissen-
schaft aus, welche sich mit Methoden der allgemeineren Betäubung,
der Betäubung des ganzen Körpers befasst, gegenüber der Anästhe-
tologie, welche die Lehre von der Betäubung einzelner Bezirke des
Körpers bezeichnet.
Nach diesen Definitionen wird jedermann einsehen, dass die Aus-
drücke Narkologie, Narkosiologie und Anästhetologie dem Sinn und der
Abstammung nach korrekt gebildet sind, und dass dieselben dem Be-
dürfnis nach Ausdrücken in der Narkosenwissenschaft abhelfen, und die
bisherigen mangelhaften Bezeichnungen besser ersetzen.
§ 3. Wenn wir nun die Narkologie aus den uns beiden be-
kannten Teilen zusammensetzen, so haben wir den schon in der Ein-
leitung näher erörterten Grund dazu. Die Einheit des Angriffs-
punktes in der Substanz des Protoplasma's gibt uns ein Recht zu dieser
Zusammenfassung unter einem über beiden stehenden Begriff. Ein
anderer Grund, weshalb wir die lokalen Anästhesierungsmethoden an
die Seite der allgemeinen Narkosen stellen, liegt darin, dass dieselben
einen einheitlichen Zweck verfolgen, nämlich den, dem Kranken die
Schmerzen einer Operation, oder anderer schmerzhafter Eingriffe oder
Zustände in dem menschlichen Organismus zu nehmen. Dieser Zweck
allein berechtigt zu einer Vereinigung der Glieder zu einem Ganzen.
... Diese beiden Gründe sind von einer Wichtie-keit sowohl für die
- 24 -
Aerzte, wie für die leidende Menschheit, dass schon durch dieselben die
Bedeutung der ganzen Narkologie dargetan wird.
Es ist ein Zeichen für die Bedeutung einer Wissenschaft, wenn
die Forscher und Gelehrten anderer Gebiete ihre Kraft auch für diese
einsetzen, und so sehen wir, wie in der Gegenwart die berühmtesten
Chirurgen sich dem Studium und der weiteren Entwickelung der Nar-
kologie gewidmet haben.
Es ist auch allgemein, und vor allem in Fachkreisen schon oft
das Bedürfnis ans Licht gestellt worden, der Narkologie eine gesonderte
Stellung in der Wissenschaft zu geben. Wir kommen auf diesen Punkt
noch bei Gelegenheit der Abhandlung über den Narkotiseur näher zu
sprechen. Hier sei nur bemerkt, dass England einen Schritt voraus
natürlich wie in allen Gebieten, so auch auf diesem ist, indem man
dort an grösseren KJrankenanstalten einen besonderen Arzt für Nar-
kosen anstellt. Dies ist ein Fortschritt, allein damit ist noch nicht
genügend getan. Wenn eine Wissenschaft sanktioniert werden soll, so
muss dieselbe zunächst eine Pflanz- und Pflegstätte an der Uni-
versität finden. Nur dort kann derselben das nötige Material zum
Weiterforschen, und nur dort können die nötigen Mittel zur Entfaltung
zur Blüte gegeben werden, imd allein durch eine solche akademische
Pflege kann man die Früchte endlich sammeln.
Hier ist es zu.nächst noch ein sehr niederer Entwickelungszustand,
auf dem vinsere Wissenschaft als solche, abgesondert an sich steht,
allein es bedarf nur der richtigen Pflege, um die jetzt schon zu treiben
beginnenden Triebe hervorzulocken zum üppigen Spriessen.
Wenn wir erst eine bessere Schulung auf dem Gebiete der Nar-
kologie dem Studierenden der Medizin können zuteil werden lassen,
erst dann ist die richtige Bahn gefunden zum gedeihlichen Weitersteuern.
Die bessere Ausbildung unserer praktischen Aerzte, und eine Prü-
fung derselben auch in der Narkologie, sowohl hinsichtlich der Tech-
nik, wie der wissenschaftlichen Kenntnisse in der Narkologie,
werden zeigen, worin die Früchte zu sammeln sind, die uns unsere
Wissenschaft zu bieten vermag.
Dieselben bestehen nicht nur in der Technik und den Kennt-
nissen in vollkommenstem Masse der Aerzte, sondern auch in der An-
erkennung der Leistungen derselben von selten der Laien.
Wie in der ganzen Medizin ein uneigennütziger Sinn der Jünger
Aesculaps unvei'kennbar ist, denn wohin würde der Arzt gelangen,
wollte er nicht sein eigen Ich in den Hintergrund stellend nur dem
leidenden Mitmenschen dienen, ohne den verdienten und würdigen Lohn
auch nur im entferntesten zu beanspruchen und zu erlangen in den
meisten Fällen, so ist derselbe auch das erste Gebot in der Narkologie,
indem die Früchte dieser Wissenschaft nicht dem verantwortungsvollen
tätigen Fleisse des Arztes zu gute kommen sollen, sondern der ganzen
Menschheit. Aber gerade darin liegt ja der Stolz und die Freude des
Arztes. Und doch wird auch in manchen Fällen der Laie, wenn dies
auch bei weitem das seltenste Ereignis darstellt, nicht seine Anerkennung
den Leistungen gerade der Narkologie versagen. Und gerade diese
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seltenen Früchte unsei'er veiantwortungsvollen Tätigkeit sind für uns
von köstlichstem Wert.
§ 4. Neben diesem seltenen Ruhme liegt nun die Freude des
Arztes vor allem in seinem eigenen Handeln, und dem Bewusstsein,
seiner Wissenschaft und der Menschheit gedient zu haben. Es soll
mir ferne liegen, ein Urteil über die einzelnen Disziplinen hinsichtlich
der Befriedigung ihrer Forscher zu fällen. Jedem erwächst in seinem
Fache der verdiente Dank. Aber es soll hiermit nur darauf hinge-
wiesen sein, ein wie hohes Bewusstsein dasjenige ist, einem Menschen
die Leiden und Schmerzen gelindert zu haben. Die Narkologie setzt
uns nun in den Stand, dem Menschen gerade durch das Benehmen des
Schmerzes einen grossen Dienst zu erweisen. Wie enorm wichtig
diese Handlung des Arztes ist, das kann man sofort erkennen an der
Dankbarkeit eines Menschen, welchem man im Zustande höchster Not
lindernd mit der Narkose nahte. Besonders ist dies zu empfinden,
wenn man einer Kreissenden, die tagelang die enormen Schmerzen von
Stunde zu Stunde sich steigernd ertragen hat, bis sie endlich müde
der Tröstungen einer unverständigen Hebamme, den Arzt ruft, und von
ihm ohne weitere Schmerzen erdulden zu müssen, die Annehmlichkeiten
der Narkose zu kosten bekommt. Dies Vermögen, einem Mitmenschen
all sein Leiden für einige Zeit nehmen zu können, um ihm dasselbe
entweder ganz zu tilgen, oder doch zum grössten Teil zu lindern, ist
eine der schönsten Leistungen des Arztes.
Es ergiebt sich nun die Frage, wann dürfen wir unsere Narkologie
anwenden, und wie sollen wir die einzelnen Teile derselben verwenden?
§ 5. Die erstere Frage, wann wir eine Betäubung überhaupt
vornehmen dürfen, ist viel umstritten und schwer präzis zu entscheiden
in jedem Momente und jeder Lage der Verhältnisse. Es kann nicht
eine allgemeine Regel aufgestellt werden, denn es hängt das ganz von
den Umständen ab. Nur ganz allgemein lässt sich folgendes sagen.
Wir dürfen die Betäubung im Sinne der Narkologie dann verwenden,
wenn dem Kranken durch dieselbe, soweit die Verhältnisse zu über-
sehen sind, kein Schaden entsteht. Daraus geht hervor, wie genau
wir alles erwägen müssen, und wie genau wir alle die uns zur Ver-
fügung stehenden Mittel kennen müssen hinsichtlich ihrer Wirkungen
im allgemeinen, wie unter den jeweiligen Verhältnissen. Nur dann,
wenn wir das zu verwendende Narkotikum kennen, und wenn wir die
körperlichen und psychischen Verhältnisse des Patienten so-
weit exploriert haben, dass wir ein genaues Bild von den Vorgängen
sowohl physiologischer, Avie pathologischer Art im Organismus
des Kranken uns gezeichnet haben, dürfen Avir mit der narkologischen
Operation beginnen.
Wenn wir uns nun den einzelnen Teilen unserer Wissenschaft
zuwenden, so können wir noch manche anderen Thesen aufstellen. Zu-
erst wollen wir die Frage behandeln, wann dürfen wir eine Narkose
einleiten.
Hierzu müssen wir uns einmal kurz klar machen, Avie der
Mensch zur Narkose, der Betäubung der Schmerzempfindung durch
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chemische Verhindungen auf die Ganglienzellen im Zentralnervensystem
wirkend, steht.
Die Narkose kann dem Menschen eine grosse Reihe von Gefahren
für sein Lehen sowohl, wie für seine Gesundheit mit sich bringen.
Diese Gefahren sind solche, welche teils aus den spezifischen Wirkungen
der Narkotika an sich, teils aus den Wirkungen der Narkotika im
Verhältnis zu den pathologischen Vorgängen und Veränderungen im
Organismus des Patienten entstehen, ferner sind es solche, welche aus
einem Versehen, einer mangelhaften wissenschaftlichen, einer mangel-
haften technischen Ausbildung des Narkotiseurs hervorgehen, teils sind
es Gefahren, die ganz unvermvitet, und aus noch unaufgeklärten Gründen,
entstehen können, letztere allerdings ein sehr kleiner Teil. Alle diese Ge-
fahren aus den genannten Ursachen können den Kranken dem Tode
überantAvorten, oder sie können eine schwere Schädigung der Gesundheit
des Menschen für die ganze künftige Lebensdauer mit sich bringen.
So sehen wir, dass eine Narkose nicht eine ganz unschuldige Operation
darstellt. Es kommt nun vor allem in Betracht, zu erwägen, ob eine
Narkose durch ihre Leistungen die Wahrscheinlichkeit einer der oben-
genannten Gefahren aufwiegt, wie gross die Wahrscheinlichkeit des
Eintrittes dieser Gefahren ist, und w^elche köi'perlichen etc. Verhältnisse
des Patienten mitsprechen.
Hier soll nur die Frage erörtert werden, ob der Nutzen der
Narkose den ev. Schaden soweit übersteigt, dass eine Narkose gerecht-
fertigt ward. Man wird also nur dann eine Narkose einleiten dürfen,
wenn der Vorteil, den die Narkose dem Patienten bringt, die ev.
eintretenden Nachteile aufwiegt, und dieselben an Bedeutung
weit überragt. Wenn wir diesen Satz uns immer in das Gedächtnis
rufen, wenn wir zu entscheiden haben, ob überhaupt eine allgemeine
Narkose, und Avelche Narkose gewählt werden soll, werden wir immer
das rechte finden.
§ 6. Wir kommen z. B. oft in die Lage, eine Narkose vorzu-
schlagen, um den Kranken besser untersuchen zu können. Es ist
dieser Punkt ein so ungeheuer wichtiger, dass wir denselben nicht
flüchtig übergehen können. Namentlich wir Frauenäi'zte kommen oft
in die Lage, eine Narkose wegen einer genauen Exploration vor-
zunehmen. Wir müssen hierbei bedenken, dass nicht etw^a der Grund
zu einer Narkose in der Gene oder Prüderie der Patientin liegen
darf. Eine Narkose zum Zwecke der Untersuchung ist nur dann
gerechtfertigt, wenn wir entweder einen Zustand erwaiten, dessen
Diagnose uns schon sehr wahrscheinlich ist, und nur noch genauer
bestimmt wei'den soll, und welcher eine Operation fast sicher erfordern
wird, die wir sofort an die Untersuchung anschliessen können
während derselben Narkose, oder wenn so hochgradige Schmerz-
haftigkeit besteht, dass wir eine Diagnose nicht stellen können, weil
uns der Patient unwillkürlich nicht zu beseitigende Hindernisse für die
Exploration entgegenstellt, da schon bei der geringsten Berührung der
zu explorierenden Organe, derartige schmerzhafte Reflexe aus-
gelöst werden, dass ein klares Bild über die pathologischen Ver-
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hältnisse nicht zu erlangen ist. Es muss aber bei derartigen Zu-
ständen immer ein ernstes Moment im Hindergrund stehen, wir müssen
ev. ernste Erkrankungen vermuten, ohne deren genaue Erkennung eine
das Leben, oder die dauernde Gesundheit des betreffenden Menschen
rettende Therapie nicht eingeleitet werden kann, so dass durch die
Unterlassung der Narkose eine Gefahr für die betreffende Person, ent-
weder quoad vitam, oder hinsichtlich der körperlichen Gesundheit für
alle Zukunft entstehen wird. Auch in diesen Fällen müssen wir stets
bemüht sein, die etwaige Operation oder Behandlung, soweit dieselbe
eine Narkose an sich erfordert, direkt an die Exploration anzuschliessen,
damit nicht in wenigen Stunden oder Tagen eine neue Narkose wegen
der Therapie eingeleitet zu werden braucht.
§ 7. Was nun die Narkose wegen Operationen anlangt, so
ist diese Frage hier nicht allein zu beantworten. Nur das muss als
feststehende These aufgestellt werden, dass eine Narkose nur dann
einzuleiten ist, wenn die Unterlassung derselben für das Leben, oder
die dauernde Gesundheit des betreffenden Menschen direkt gefahr-
bringend und verderblich ist.
Wir müssen dabei erwägen, ob nicht weniger gefahrvolle Opera-
tionen z. B. die der Anästhetologie an Stelle der allgemeinen Nar-
kose angewandt werden können. Erst wenn wir keine anderen Me-
thoden finden können, welche in dem bestimmten Falle die Narkose
ersetzen dürften, so haben wir ein Recht, eine allgemeine Narkose unter
obiger Bedingung einzuleiten. Wenn wir die ganze Technik und Wissen-
schaft der Narkologie beherrschen, werden wir für fast alle Fälle ein
Verfahren finden können, welches den Anforderungen entspricht.
Es gibt nur einen Zustand, wo man ev. anders urteilen muss.
Das ist der Vorgang der Entbindung. Wenn wir den allgemeinen
Wert der Narkose bei der Entbindung, und die grosse Anzahl der
Meinungen hinsichtlich der Narkose intra partum bedenken, werden
wir es gerechtfertigt finden, wenn wir hier einige Worte darüber ver-
lieren. Die Narkose intra partum verdient eine Beachtung in ver-
schiedener Hinsicht.
Zunächst müssen wir bekennen, dass es kein Mittel gibt, welches
einer Frau in diesen Verhältnissen Linderung bringt, ausser die Nar-
kotika. Ferner gibt es aber auch keine Methode der Anästhe-
tologie, welche eine Narkose intra partum nur annähernd, geschweige
denn vollkommen zu ersetzen im stände sein könnte.
Ausser diesen Tatsachen müssen wir bedenken, dass eine Frau
intra partum allerdings hinsichtlich der Wirkungen von verschiedenen
Narkotika einer grösseren Gefahr ausgesetzt ist, z. B. hinsichtlich des
Blutverlustes, der Schwäche etc. Es ist kein Zweifel, dass viele Frauen
in diesen Verhältnissen nicht narkotisiert werden sollten, und es muss
da natürlich der diesbezügliche momentane Zustand entscheiden.
Hingegen ist es auch vollkommen feststehende Tatsache, dass
eine Frau intra part. schon mit viel geringeren Mengen des Nar-
kotikums völlig narkotisiert werden kann, dass sie sehr wenig
widerstandsfähig, sehr leicht zu betäuben ist, und dass schon eine
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sehr oberflächliche Narkose d. h. oberflächlich hinsichtlich der Tiefe der
Betäubung, genügt, um die nötige Anästhesie zu erzeugen.
Es ist nun natürlich bei Frauen ganz verschieden, wie sie die
Schmerzen ertragen, die eine ist empfindlicher als die andere. Wir
haben bisweilen mit Bewunderung gesehen, wie manche Frauen gerade
die schmerzhaftesten geburtshilflichen Operationen ohne eine Linderung
der Schmerzen, ohne Klage und Jammern ertrugen. Das Weib ist
eben auch in dieser Hinsicht ein grosses Rätsel. Nun ist aber in vielen
Verhältnissen doch die Empfindlichkeit nicht herabgesetzt, und die Frau
ist gequält von den enormsten Schmerzen. Wollte man hier genau nach
der Vorschrift, eine Narkose nur dann einzuleiten, wenn ohne die Narkose
eine Gefahr für das Leben, oder die Gesundheit der Frau besteht,
handeln, so würden wir nur in seltenen Fällen im Stande sein, der
kreissenden Frau die Wohltat der Narkose zu teil werden zu lassen. Hier
ist die einzige Gelegenheit, wo wir von der obigen Regel eine Ausnahme
machen dürfen, denn nach unserer Ueberzeugung sind Verhältnisse und
Momente vorhanden, wo man der Frau die Wohltat der Narkose nicht
versagen darf. Wir werden natürlich versuchen, die Verwendung
der Narkose so viel, wie möglich zu beschränken, doch es fehlt uns an
einer anderen Methode, und wer kann sein Herz dem Mitgefühl ver-
schliessen, wenn eine Frau von argen Schmerzen gequält, Linderung
von uns fordert. Es ist eine Erfahrungstatsache , dass man einen
grossen Teil der geburtshilflichen Operationen ohne Anwendung der
Narkose vornehmen kann, allein es spricht in diesen Fällen die indi-
viduelle Empfindlichkeit mif. Wir können stets der Frau eine Linde-
rung schaffen, denn es giebt eine so grosse Anzahl von Methoden der
Narkose mit den verschiedenen Narkotika, dass es nur von dem Gerade
unserer Ausbildung in Wissenschaft und Technik der Narkose abhängt,
ob wir der betreffenden Frau helfen können und wollen. Nur ganz
seltene Komplikationen können eintreten, die uns jede Narkose verbieten.
Wenn auch von gewisser Seite noch hie und da die Ansicht auftaucht,
die Frau müsse mit Schmerzen gebären, und man dürfe daher nicht
lindernd eingreifen, weil es quasi eine religiöse Pflicht der Frau sei,
diese Schmerzen zu ertragen, so können wir auf diesen sinnlosen Ein-
wurf nur das erwidern, dass derjenige, der dieser Ansicht ist, einmal
solchen Schmerzen, wie sie eine Gebärende erleidet, ausgesetzt werden
müsste, ohne dass man ihm Hilfe brächte. Er würde der erste sein,
der nicht den zehnten Teil der Schmerzen, die eine Frau aushält, er-
dulden könnte.
So haben wir uns zur Regel gemacht, auch der Frau intra
part. so weit als irgend möglich, die Annehmlichkeiten der Narkose
zu teil werden zu lassen, und wir können mit Recht behaupten, dass wir
noch nie einen Schaden des Kindes, oder der Mutter erlebt haben,
wenn natürlich jeder Fehler vermieden, und die grösste Vorsicht be-
achtet wird. Aber der Dank bleibt nicht aus, denn auch in diesen
Verhältnissen empfindet die Frau gar wohl das Mitgefühl, das ihr der
Arzt entgegenbringt, und ist dankbar für die geringste Hilfe. So dürfen
wir auch nicht karg sein in unseren Wohltaten, sondern müssen be-
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strebt sein, in jedem Falle durch Kvmst und Wissenschaft die Narkose
so ungefährlich wie nur möglich zu gestalten.
§ 8. Wenn wir uns nun zu der Erwägung, wann wir die anäs-
thetologischen Methoden in Anwendung biingen sollen, wenden,
so müssen wir zunächst kurz die Vorteile und Nachteile der Methoden
erörtern.
Die ersteren bestehen darin, dass dem Kranken eine grosse
Menge von Unannehmlichkeiten erspart bleiben. Er wird nicht
einer so grossen Anzahl von schweren Gefahren ausgesetzt, wie bei der
Einleitung einer Narkose, er hat nicht die unangenehmen Nachwirkungen
der letzteren zu ertragen. Allerdings entbehrt er der Annehmlichkeit,
dass er, ohne von der ganzen Operation eine Empfindung im Bewusst-
sein zu haben, dieselbe übersteht. Er wird zweifellos eine grössere
psychische Erregung erleiden, wenn er sieht und hört, wie die
Operation begonnen wird. Es wird ihm nun natürlich i'ede Schmerz-
empfindung genommen, nur eine Tastempfindung behält er, er
merkt wohl, dass an seinem Körper gearbeitet wird. Nun ist ja in
den meisten Methoden keine Spur von Schmerzempfindung vorhanden,
doch nicht bei allen Methoden kann dies behauptet werden. Bisweilen
wird doch, und sei es auch wegen des Ungeschicks des betreffenden
Arztes, welcher die lokale Betäubung leitet, ein Schmerzgefühl auf-
treten, welches sofort wieder betäubt wird, wenn der Patient darüber
klagt. Es hängt dabei ganz von der Kunst des Arztes, von der Methode
der Betäubung, und von der Empfindlichkeit des Patienten ab, ob die
Anästhesie eine vollkommene ist. Nun wird ja bei vielen Kranken
es gar nicht darauf ankommen, wenn sie einmal eine geringe Schmerz-
empfindung haben; doch bei anderen wird dies sehr üble Folgen
haben können.
Wir ersehen also aus dem Gesagten , dass wir wohl unsere
Patienten genau aussuchen müssen, wir müssen bei Vornahme einer
lokalen Betäubungsmethode vorher darüber klar sein, erstens, dass wir
genau die Technik und die Methodik beherrschen, zweitens, dass der
Kranke nicht zu leicht erregbar, drittens, dass er nicht hochgradig em-
pfindlich ist, sondern bereit ist, einmal einen geringen Schmerz zu er-
tragen. Es ist nun natürlich unsere Ueberzeugung, dass es nicht vor-
kommen darf, dass der Patient Schmerz empfindet, allein, wem sind
nicht doch schon bei solchen Operationen trotz bester Technik unvor-
hergesehene Unfälle zugestossen, welche seinen Anstrengungen, wenn
auch nur für einen Moment trotzten?
Es ist eben die Verteilung der Verwendbarkeit verschieden. Wir
können nicht bei jeder Operation eine Narkose entbehren, und so hat
sich schon eine gewisse Grenze gebildet, indem sich die lokalen Betäu-
bungsmethoden mehr auf dem Gebiete heimisch machten, während auf
jenem Gebiete die Narkosiologie sich nicht verdrängen liess. Und
so sind es hauptsächlich jene Operationen, wo nicht sowohl das Leben
des Kranken, als vielmehr ein dauerndes Wohlbefinden in gesundheit-
licher Hinsicht von dem glücklichen Verlaufe der Operation abhängig
ist, bei denen wir hauptsächlich die lokalen Betäubungsmethoden ver-
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wenden. Man erinnere sich hier an die Augenoperationen, die zum
grössten Teil unter lokaler Betäubung ausgeführt werden, ferner so
viele Zahn-, Mund- und Nasenoperationen, und einen grossen Teil der
chirurgischen Eingriffe an den Extremitäten etc.
Die lokalen Betäubungsmethoden verlaufen meist mit einer weit
geringeren Wahrscheinlichkeit einer Gefahr quoad vitam des
Patienten. Es werden in vielen Fällen nicht starkgiftige Körper ver-
wandt, und von den giftigen Stoffen nur so geringe Mengen, dass der
Eintritt einer Lebensgefahr durch Intoxikation sehr weit entfernt ist.
Freilich giebt es auch verschiedene Methoden, die nicht ohne Gefahren
angewandt werden, allerdings dieselben stellen Methoden dar, welche
noch der Prüfung bedürfen, ehe sie zum Gemeingut der Aerzte werden.
Diejenigen Methoden der Anästhetologie, die vom Arzte an Stelle von
Narkosen angewandt werden düx'fen, und das Gemeingut der Aerzte
geworden sind, haben, in korrekter Weise ausgeführt, selten ernste Ge-
fahren im Gefolge.
§ 9. Wenden wir uns nun wieder der Narkosiologie zu, welche
ja in dem Folgenden zunächst behandelt werden soll! Wir haben
gesehen, welche Punkte im allgemeinen die Einleitung einer Narkose
rechtfertigen. Es können diese Angaben ja nur sehr im allgemeinen
gemacht werden, denn Avir haben bei jeder einzelnen Narkosenart wdeder
besondere Momente zu berücksichtigen, und diese Erläuterungen sind
in> dem speziellen Teil dieses Buches gelegentlich der Behandlung jeder
einzelnen Narkosenmethode, und jedes einzelnen Narkoticums genau
festgelegt. Was Avir hier im allgemeinen als Gründe gegen die Ein-
leitung einer Narkose vorbringen können, ist zwar Avenig, doch es muss
hier flüchtig erwähnt werden, um die Grenze zwischen Narkosiologie
und Anästhetologie ziehen zu können. Diese Kontraindikationen
bestehen in einer derartigen Herabsetzung der Kräfte und Lebens-
energie, dass die Wahrscheinlichkeit des Nichtüberstehens der Nar-
kose von Seiten des Patienten sehr gross erscheint. Wenn wir annehmen
müssen, dass eine allgemeine Betäubung durch das Zentralnervensystem
den Tod des Kranken herbeiführen wird, so müssen wir versuchen, die
Narkose entweder ganz zu unterlassen mit samt der Operation, oder
eine andere Methode zu finden, welche die allgemeine Narkose ersetzt.
Ist letzteres ausgeschlossen, so müssen wir erwägen, wird der Patient
durch Unterlassen der Operation und Narkose innerhalb kurzer Zeit
sterben, und kann die Operation ihn dem Tode entreissen, indem sie viel-
leicht doch möglich wäre bei Zuhilfenahme aller die Kraft steigernder
Mittel und Methoden etc. Ist letztere Erwägung mit wahrscheinlich,
oder doch möglich zu bezeichnen, und ist der Kranke ohne unsere
Hilfe sicher dem Tode überantwortet, so müssen wir die Narkose unter-
nehmen, und bemüht sein, deren Einfluss auf die Körperkraft möglichst
günstig zu gestalten. Es besteht ja doch in allen Fällen die Möglich-
keit, dass sich die Verhältnisse, wenn auch nur in geringem Grade
anders gestalten, als man voraussieht, und so sind wir der Ueberzeugung,
überall da helfend einschreiten zu müssen, wo wir noch eine, wenn
auch geringe Hoffnung, auf Erfolg zu Gunsten des Kranken haben.
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i; 10- Zu der Vornahme einer jeden Allgemeinnarkose gehört
die Zustimmung des Kranken. Wir dürfen auf keinen Fall unter-
lassen, vor einer Operation den Kranken darauf aufmerksam zu machen,
dass wir eine Narkose damit verbinden wollen. Dieselbe kann einem
Menschen stets eine Gefahr quoad vitam bringen, und deshalb darf sie
auch nie ohne seine Einwilligung vor sich gehen. Die Einwilligung
braucht aber keineswegs besonders eingeholt zu werden, wenn es sich um
intelligente Personen handelt, wie das Urteil einer neuerdings stattge-
habten Gerichtsverhandlung klar gelegt hat. Wenn dieselben die Vor-
bereitungen zu einer Narkose sehen, u.nd erheben keinen Widersjaruch,
so ist deren Zustimmung schon darin gegeben. Personen aber, welchen
die Fähigkeiten fehlen, die Verhältnisse so zu überblicken, dass sie aus
unseren Vorbereitungen auf eine Narkose schliessen können, müssen
von uns besonders um die Zustimmung zur Narkose angegangen werden.
Verweigert ein Kranker seine Zustimmung zum Einleiten einer Narkose,
so sind wir in keinem Falle berechtigt, dieselbe dennoch vorzunehmen,
selbst dann nicht, wenn die Rettung des Lebens des Kranken einzig
und allein von dieser Narkose abhängt. Wir müssen in solchen Fällen
stets den Willen des Patienten berücksichtigen.
Anders verhält es sich bei Leuten, welche unter Vormundschaft
gestellt sind, also meist bei Geisteskranken. Hier haben wir auf
den Willen des Kranken nichts zu geben, sondern müssen die Erlaub-
nis von dem Vormund einholen. Es besteht aber dieselbe Beziehung
zu diesem, ohne seine Einwilligimg ist die Narkose unmöglich.
Dasselbe gilt natürlich bei Kindern, solange dieselben noch nicht
so alt sind, dass sie über ihre Angelegenheiten selbständig verfügen
können. Wir haben hier natürlich nicht die Eltern, oder den Vor-
mund um die Erlaiibnis anzugehen, Avenn auch die Person noch nicht
mündig ist, sobald dieselbe nur so alt ist, dass sie die mit der Narkose
verbundenen Verhältnisse mit dem geistigen Auge zu überschauen
vermag.
§ 11. Es ist hier noch ein Umstand zu erwähnen, welcher für
den Arzt von grosser Bedeutung ist. Wir sollten nie eine Narkose au
einer anderen Person vornehmen, namentlich nicht an Frauen, respek-
tive Mädchen, ohne eine dritte Person als Zeugen dabei zu
haben. Es ist schon sehr häufig vorgekommen, dass namentlich junge
Mädchen, welche einer Narkose unterzogen wurden, nach dem Er-
wachen aus der Betäubung behaupteten, der Arzt habe ein Sittlich-
keitsverbrechen an ihnen begangen. Der Grund zu diesen Behaup-
tungen liegt darin, dass' ein grosser Teil der Narkotika, namentlich jene,
welche wir za kurzen Narkosen verwenden, einen Einfluss auf die
Genitalien ausüben, so dass die Narkosierten erotische Träume
haben, und meist nach den Träumen, in denen oftmals die aufregend-
sten Bilder von Coitus, und sonstigen sexuellen Vorgängen, auch
von onanistischen Maniptilationen, die vielleicht im Geistesleben in nor-
malem Zustand des Kranken eine Rolle spielen, auftreten, noch das
Gefühl in den" Genitalien von den Vorgängen der Traumbilder
haben. In vielen solchen Fällen sind die Genitalien überhaupt nicht
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berührt worden, die Operation etc., wegen welcher man narkotisierte,
betraf ganz andere Körperteile. Dass aber erotische Vorstellungen
durch die Narkotika hervorgerufen werden, erkennt man daran, dass
die Kranken meist im Beginn der Betäubung die Beine anziehen, Be-
wegungen wie beim Coitus machen, oder selbst onanistische Bewegungen
vornehmen, derartige Reden führen etc., kurz, durch ihre ganze Haltung
während der Narkose die Traumvorstellungen offenbaren. Meist wird
sich die Traum Vorstellung nach den sexuellen Beziehungen des ge-
wöhnlichen Lebens der Kranken richten, eine Frau wird mehr vom
Coitus, eine Dirne mehr von gemeinen Handlungen, ein Mädchen bis-
Aveilen von onanistischen Vorgängen träumen; je nach ihrem Stand
und der Bildung, sowie moralischen Höhe, auf der sie sich befinden,
wird sich der Eindruck der Kranken richten. Da nun aber sehr oft
das Erinnerungsvermögen an die Traumvorstellungen nach der Narkose
sehr getrübt, oder auch erloschen ist, so kombiniert die Kranke beim
Erwachen, und stellt analog ihren Gefühlen, und ev. nach Erinnerungs-
momenten aus den Träumen, Behauptungen auf, welche den Arzt be-
schuldigen.
Dass natürlich der Arzt, namentlich wenn diese Vorgänge vom
Gericht entschieden werden, in eine sehr unglückliche Lage kommen
kann, die ihn vollkommen gesellschaftlich zu Grunde richtet, und auch
pekuniär ruinieren kann, ist ja leicht einzusehen. Man muss da nicht
Rücksicht auf die anständige Gesinnung unserer Kranken nehmen, denn
die Angehörigen von einem jungen Fräulein, oder einer Dame etc. werden
dem Arzte nie glauben, auf welche Ursache diese Eindrücke zurück-
zuführen sind, und der Arzt ist nur dadurch gesichert, dass er bei der
Narkose eine dritte Person zugegen gehabt hat. Erstens hat er in
dieser Person einen Zeugen vor Gericht, zweitens lassen sich die
Kranken eher von ihrem L'rtum überzeugen, wenn sie wissen, dass der
Arzt nicht mit ihnen allein gewesen ist. Es ist ja äusserst peinlich,
wenn ein derartiger Fall überhaupt vor Gericht kommt, vorausgesetzt
natürlich, dass der Arzt unschuldig äst, denn das Publikum ist nur zu
leicht geneigt, auf den Arzt, auch wenn er freigesprochen wird, einen
Stein zu werfen, denn dasselbe kann die Umstände und Verhältnisse
nicht übersehen, und wird stets der Ansicht sein, dass doch ein ganz
klein wenig Wahrheit daran sein wird, und somit wird ein Makel an
des Arztes Ehre haften, während er doch vollkommen frei von Schuld
ist. Die Folgen sind natürlich materieller Schaden, wenn nicht Ruin,
und eine Herabsetzung der gesellschaftlichen Stellung des Arztes. Es
muss nun letzterer bestrebt sein, jeden Anlass zu solchen üblen Er-
eignissen zu vermeiden, und er kann dies nur dann, wenn er sich zur
Regel macht, nie allein eine Narkose an einer anderen Person vorzu-
nehmen. Es ist auch noch aus dem Grunde, dass der Arzt im Falle
auch des kleinsten Unglücks, eine Hilfe hat, die Anwesenheit einer
Person, die ihm das und jenes zureichen kann, sehr vorteilhaft und zu
empfehlen.
Es giebt nun auch eine andere Beziehung zwischen Arzt und Pa-
tient, welche ersteren in forum bringen kann. Dieselbe besteht in
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dem Geheim iiis, welches der Arzt betreffs aller der durch die Nnr-
kose über den Kranken erfahrenen Angelegenheiten wahren miiss. Es
ist nämlich währcaid der Narkose, namentlich während des I. und IL
Stadiums, aber auch während des Stadiums des Erwachens, mög-
lich, irgend welche Verhältnisse des Kranken von demselben zu er-
fahren. Der Kranke beschäftigt sich während der Narkose stets mit
denjenigen Dingen, welche sein Geistesleben, auch während der alltäg-
lichen Beschäftigung etc. erfüllen. Wenn man nun die Narkose auf
diesem Stadium, wo der Kranke zu reden beginnt, d. h. wo seine Ur-
teilskraft gelitten, und sein Bewusstsein noch teilweise erhalten ist, aller-
dings die Willenskraft nicht mehr Einfluss ausüben kann, erhält, und
den Kranken in ein Gespräch verwickelt, so kann man von ihm Dinge
erfahren, welche er im normalen Zixstande nie gesagt hätte. Man hat
diesen Zustand geprüft, und kann so aus einem Verbrecher das Ge-
ständnis der Tat etc. heraxislocken. Doch einen kriminellen Wert hat
dieses Geständnis nicht, denn der Kranke ist ja seiner geistigen
Eigenschaften in gewissen Beziehungen beraubt. Da nun aber
tatsächlich oftmals durch eine Narkose Dinge offenbart werden, welche
nicht das Allgemeingut anderer Leute Averden dürfen, so sind sämtliche
Personen, welche mit der Narkose zu tun haben, verpflichtet, über alle
Wahrnehmungen den Kranken betreffend das strengste Stillschweigen
zu beobachten.
Wir müssen auch vom ärztlichen Standpunkt ganz entschieden
dem entgegentreten, dass man die Narkose zum Zwecke des Ausforschens
einer Persönlichkeit verwendet. Wenn dies Brauch würde, so würde
in kurzer Zeit niemand mehr eine Narkose an sich vornehmen lassen,
denn er müsste ja gewärtig sein, man lockte aus ihm Geheimnisse her-
vor, welche er gern für sich behalten hätte.
Es ist daher die Pflicht des Narkotiseurs, jedes Wort, AA'elches er
von einem narkotisierten Patienten vernimmt, als nicht gesprochen zu
betrachten, imd er muss bestrebt sein, die Stadien der Narkose, in denen
der Kranke spricht, nach Möglichkeit abzukürzen, und darf sich auf
ein Ausforschen des Kranken nie einlassen. Ferner hat er auch über
etwaige Beobachtungen, die auf Sitten und Gewohnheiten des Patienten
Schlüsse zu ziehen gestatten, das strengste Geheimnis zu ■\\'ahren.
Neben diesen Beziehungen können wir aber auch manche Ver-
hältnisse des Kranken durch die Narkose erfahren, sei es in rein per-
sönlicher Hinsicht, z. B. über den Gesundheitszustand des Kranken,
über seine moralischen und geistigen Beziehungen, sei es in allgemein
sozialer Hinsicht, welche uns vielleicht ein mindergutes Urteil über den
betreffenden Menschen bilden lassen, und es kann an den Arzt nur zu
leicht die Eventualität herantreten, dieses Urteil dritten Personen mit-
zuteilen. Immer müssen wir uns daher bewusst sein, dass der Arzt
einen Vertrauensposten einnimmt, und dass er dieses Vertrauen
rechtfertigen muss, gezwungen, nicht nur durch sein Gewissen,
sondern auch durch das Gesetz.
Neben diesen Beziehungen bestehen noch andere, welche den
Arzt ebenfalls als Schuldigen vor den Strafrichter stelle^ können. Durch
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die Vornahme einer Narkose nimmt der Arzt eine Verantwortung für
das Leben und das künftige Wohlergehen des zu narkotisierenden
Kranken auf sich. Die Verantwortung liegt erstens darin, dass der
Kranke durch ein Versehen des Narkotiseurs, einen Fehler, eine
Unterlassung, und eine Vernachlässigung schwer geschädigt
werden kann. Die Schädigung kann bestehen in dem Verlust der
Gesundheit für kurze Zeit, für die Zukunft, und in dem Tode.
Betrachten wir zuerst den Tod während der Narkose, soweit derselbe
durch den Narkotiseur verschuldet werden kann.
Der Arzt kann den Tod des -Kranken verursachen durch einen
Fehler in der Dosierung, durch die falsche Wahl des Narkotikums
in Bezug auf den Zustand des Kranken, durch Unachtsamkeit während
der Nai'kose, indem der Arzt entweder eine eintretende Gefahr (Syn-
kope, Apnoe) zu spät erkennt, oder die zu ergx'eifenden Gegenmass-
regeln zu spät oder falsch anwendet, oder dass der Arzt die nötigen
Instrumente zu solchen Massnahmen, wie die zur Tracheotomie,
zur Infusion etc. nicht zur Hand hat, also eine ungenügende Vor-
bereitung getroffen worden ist, oder dass der Arzt ein schlechtes
Präparat (Narkotikum) verwendet, welches entweder unter seiner
mangelhaften Aufbewahrung verdorben, oder aus einer Apotheke be-
reits als schlechtes bezogen ist. In letzerem Falle trifft die Schuld
meist den Apotheker, allein teilweise auch den Arzt, da er das Prä-
parat hätte vorher prüfen, also die Zersetzung erkennen müssen, und
dasselbe folglich nicht verwenden durfte. Und so lassen sich noch eine
Menge von Beziehungen und Verhältnissen aufzählen, welche der Arzt
nicht berücksichtigte, und durch welche der Tod des Patienten herbei-
geführt wurde. Tritt nun ein solcher Fall ein, so ist es zunächst Sache
der Angehörigen, einen Prozess gegen den Arzt anzustrengen, und den-
selben auch zu begründen. Das letztere wird ihnen sehr schwer werden,
wenn nicht ein anderer Arzt zugegen war, welcher den Vorgang sach-
verständig zu schildern vermag. So wird in vielen solchen Fällen gegen
den Arzt, selbst wenn er eine Schuld am Tode hätte, doch kaum ein
gerichtliches Verfahren anhängig werden können, da die Beweise von
einem Fehler des Arztes sehr schwer zu erbringen sind, da es sich
meist um vei'säumte Handlungen handelt, die nur im Momente des
Vorganges richtig zu beurteilen sind, in vielen Fällen, nach der
Narkose aber, nur schwer noch eruiert werden können. Es ist aber
doch noch das Gewissen des Arztes da, vor dem er sich verantworten
muss, und dessen Urteil einem Ehrenmanne nicht gleichgiltig sein wird.
Wenn wir also gesehen haben, dass dem Arzte schwer ein Ver-
sehen etc. während der Narkose nachzuweisen sein wird, wenn nicht
andere Aerzte zugegen waren, die die Narkose sorgfältig mit beobachtet
haben, so ist es ebenso schwer, ja vielmals unmöglich, für einen anderen
Arzt, vielleicht den Sachverständigen, die Tätigkeit des Arztes
während der Narkose zu beurteilen, und zu entscheiden, liegt ein Ver-
sehen, eine Schuld des Arztes an dem Tode des narkotisierten
Menschen vor, oder nicht. Es wird in den meisten Fällen zur Frei-
sprechung des Arztes führen müssen, jedenfalls von der fahiliissigen
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Tötung, denn auch selbst in jenen Fällen, wo der Arzt vielleicht ein
grobes Versehen, wie die VerAvendung eines zersetzten Narkotikums oder
sonstige starke Fehler begangen hat, wird man noch immer nicht mit
Bestimmtheit entscheiden können, ist der Kranke an den Wir-
kungen des zersetzten Narkotikums gestorben, denn es können
Fülle sich ereignen, wo der Kranke auch ohne Narkose in demselben
Moment gestorben wäre, man erinnere sich nur an jenen Todesfall bei
der ersten Chloroformnarkose Es können viele andere Momente zugleich
gewirkt haben, wie Reflexe von den Schleimhäuten, Shoek, Idio-
synkrasie etc., und wir können dieselben doch nicht nachweisen. Eben-
so sind viele Narkosen mit unreinem Narkoticum, das infolge langer
Aufbewahrung zersetzt, oder unrein war infolge der Darstellung, in jenen
Jahren namentlich, wo die Narkose erst auftauchte, vorgenommen worden,
ohne dass die Kranken von den Zersetzungsprodukten oder Beimengungen
getötet worden wären, wenn auch Todesfälle zweifellos darauf bezogen
werden müssen.
Allein diese Momente sind für den Arzt nicht ein Grund, die
Vorschriften für die Narkose zu vernachlässigen. Denn wenn er auch
in vielen Fällen vielleicht nicht bestraft werden kann, so nimmt er
doch eine Last auf sich, die er schwer genug empfinden muss, wenn
er sich selbst als unparteiischer Richter sagen muss, er trage Schuld
am Tode des Kranken. Zweifellos ist, dass der Arzt bestraft werden
kann, wenn er nachweisbar leichtsinnig, und ohne die nötigen Vor-
bereitungen etc. gehandelt hat.
Er muss aber schon dem Kranken gegenüber, welcher ihm ein
so hohes Vertrauen entgegenbringt, dass er ihm sein Leben in die
Hand gibt, alles tun, um dies Vertrauen zu rechtfertigen.
Was nun die Schädigungen des Kranken an seiner dauernden
Gesundheit durch die Narkose anlangt, so kann der Arzt der fahr-
lässigen Körperverletzung leicht angeklagt und eventuell über-
wiesen werden. Wenn wir hier an die Narkosenlähmungen erinnern,
so haben wir ein Beispiel, wo der Patient den Arzt direkt verantwort-
lich machen kann. Erstens muss der Arzt dafür sorgen, dass solche
Lähmungen nicht entstehen, zweitens muss er bei dem Entstehen der-
selben dafür sorgen, dass dieselben sofort sachgemäss behandelt
werden, damit eine Restitutio ad integrum möglich ist. Hat er
beides ausser acht gelassen, und ist die Lähmung dadurch unheilbar
geworden, so hat der Kranke einen triftigen Grund, den Arzt zur Ver-
antwortung zu ziehen. Wir werden in solchen und ähnlichen Fällen
bei der Abgabe eines Gutachtens meist nicht umhin können, dem Arzt
die ganze Schuld beizumessen. Nun, dank der Seltenheit solcher Er-
eignisse, und der Unkenntnis des Publikums wird der Arzt nur sehr
selten zur Verantwortung gezogen werden. Allein er muss selbst dazu
beitragen, dass derartige Fälle, ohne dass er eine Schuld trägt, eintreten,
und er kann dies sicher vollbringen, wenn er alle die Eventualitäten,
die mit einer Narkose verknüpft sein können, beachtet und nicht leicht-
sinnig handelt mit der Ansicht, dass die vielen beschriebenen Unfälle
während der Narkose nur grosse Seltenheiten darstellten, mit deren
3*
- 36 -
Eintritt man nicht zu rechnen brauche. Nur mit peinlichster Sorgfalt
im ganzen Handeln von Anfang bis Ende der Narkose, und steter Beo-
bachtung, und regem geistigen Denken kann der Narkotiseur sein Ge-
Avissen lauter und rein erhalten. Deshalb ist die Narkose eine
Operation, die ebenso, wie jeder schwere chirurgische Eingriff, beachtet
sein will, und die nicht unter die unwichtigen und nebensächlichen
Vornahmen gerechnet av erden darf, denn der Narkotiseur trägt eine
nicht geringere Verantwortung auf seinen Schultern, als der Chirurg
Avährend einer grossen Operation.
§ 12. Neben den eben betrachteten Verhältnissen sind jene
beiden Fragen, wo und zu Avelcher Tageszeit sollen wir narkotisieren?
soAvohl für den Kranken, wie für den Arzt nicht ohne Interesse. Wenn
wir zuerst den Ort, wo die Narkose stattzufinden hat, näher betrachten
AvoUen, so müssen Avir verschiedene Verhältnisse berücksichtigen. Nehmen
Avir zunächst an, der Kranke sei ZAvecks Operation in ein Krankenhaus
gekommen. In diesem Falle stehen dem Arzte besondere Räume für
die Operation zur Verfügung, und daselbst muss natürlich auch die
Narkose stattfinden. Es ist nun in den meisten grösseren Anstalten
vorgesehen, dass die Narkose nicht im Operationszimmer selbst be-
gonnen Avird, sondern man verfährt so, dass man den Kranken in einem
fahrbaren Bett oder auf einem Tisch in das zum Narkotisieren bestimmte
Vorzimmer, das neben dem Operationssaale gelegen ist, bringt, und
daselbst mit der Betäubung beginnt. Man A^erhindert dadurch, dass der
eventuell psychisch schon erregte Kranke, durch den Anblick der
verschiedenen Vorrichtungen und Instrumente etc., die sich im
Operationssaal befinden, noch mehr erregt wird. In dem Vor-
zimmer, welches für den Beginn der Narkose bestimmt ist, muss Ruhe
herrschen, es dürfen nur die zur Narkose nötigen Personen zugegen
sein, kurz, es darf darin nichts sein, AA^as den Kranken etwa noch mehr
aufregen könnte (Mikulicz). Die Ruhe Avirkt sedativ und Avenn
der Kranke die Vorbereitungen der Operation nicht gewahr wix'd, so
gewinnt er eine grössere Resignation und die Ueberzeugung, dass
die ganze Operation etc. nicht so schlimm und gefährlich sei, Avie er
es sich gedacht hat. Der beruhigende Zuspruch des Arztes, und
der Umstand, dass nicht viel besondere Massregeln getroffen Averden,
erhöhen die Ruhe des Patienten. Nun wird die Narkose bis zum Be-
ginn des III, Stadiums geleitet, und, Avenn das Bewusstsein des Kran-
ken geschAvunden ist, wird er in den Operationssaal gebracht, und auf den
etwa erforderlichen Tisch gelegt, falls dies nicht schon im Vorzimmer
geschehen war.
Der Operationssaal ist nun der Ort, in dem die Narkose eigent-
lich von statten geht. Auf die Einrichtung desselben hat die Narkose
nur insoweit Einfluss, als man für die Narkose eine reine, gute Luft
von entsprechender Temperatur und konstanter Beschaffenheit
fordern muss. Die nötigen Apparate sind an anderer Stelle dieses
Buches erwähnt. Ausserdem muss noch den etwaigen Temperatur-
verhältnissen des Kranken Beachtung gezollt Averden, denn man
muss eventuell bei sehr langer Narkose und starker Abkül)lun<r
— 37 —
des Kranken, dpni.sclbcn AVärnie zufülircii können, was entweder durch
Erhöhung der Lufttemperatur, oder durch Heizen des Opera-
tionstisches etc. geschieht.
Ganz andere Verhältnisse herrschen im Privathause, wo der prak-
tisclie Arzt gezwungen ist, zu narkotisieren. Hier stehen oftmals keine
besonderen Zimmer zur Verfügung, und so muss der Arzt sich mit einem
Räume begnügen. Es ist auch hierbei zu beachten, dass man den
Kranken nicht durch die Vorbereitungen für die Operation aufregt.
Man geht am besten so vor, indem man zuerst die Luft- und Tempera-
turverhältnisse im Zimmer regelt, und ein für die Narkose und Opera-
tion geeignetes Lager des Kranken herstellt, w^as leicht aus 2 zusammen-
gestellten Tischen und einigen Kissen geschieht. Ehe man nun die
Instrumente sterilisiert, oder, wenn dies schon geschehen, auspackt, so
beginnt man mit der Narkose, indem man dieselbe zuerst, da man noch
nicht sterilisierte Hände hat, selbst leitet, und sie dann, wenn man die
ersten 10 Minuten dieselbe beobachtet hat, einer anderen Person über-
gibt, welche nun, unter des Arztes Aufsicht, dieselbe weiterführt, d. h.
nichts ohne Wissen und Anordnung des Arztes tut. So kann man
verhindern, dass der Kranke durch die Vorbereitungen und die sonstigen
Manipulationen des Arztes noch mehr aufgeregt Avird. Es lässt sich
auch meist im Privathause so einrichten, dass man ein Zimmer benützt,
um daselbst die Vorbeitungen zur Operation etc. vorzunehmen, während
man in dem anderen Zimmer den Kranken zu narkotisieren anfängt.
Natürlich kann man für die Verhältnisse im praktischen Leben keine
feststehenden Vorschriften in dieser Hinsicht aufstellen, nur das muss be-
tont u.nd hervorgehoben werden, dass der Arzt bemüht ist, den Kran-
ken vor Beginn der Narkose möglichst wenig dadurch aufzuregen, dass
er ihm die Vorbereitungen für die Operation, das Auswählen
und Kochen der Instrumente etc. sehen und hören lässt. Je ruhiger
die Umgebung des zu narkotisierenden Kranken ist, um so leichter
wird die Narkose eintreten und verlaufen.
Diese Verhältnisse können nicht genügend betont werden, denn
sie werden tatsächlich in der Praxis noch viel zu wenig beachtet, und
der Arzt empfindet viel zu wenig mit seinen Kranken, sonst würde er
schon aus Mitgefühl und Erbarmen mit dem angsterfüllten Gemüt der
armen Kranken diese Punkte mehr berücksichtigen. Es bedarf nur der
Probe, um jeden zu überzeugen, wieviel leichter, schneller und
ohne jede Excidation die Narkose eintritt und verläuft bei einem
Kranken, welcher psychisch beruhigt ist, als bei einem solchen, den
man noch durch die genannten Vornahmen aufgeregt hat.
So ist es auch um so mehr dem Kranken anzuraten, sich in einer
Klinik, oder in einem Krankenhause, wenn es möglich ist, operieren
zu lassen, schon aus dem Grunde, neben vielen anderen natürlich, dass
daselbst mehr Gelegenheit zu einer sachgemässeren Behandlung des
Kranken hinsichtlich der Narkose gegeben ist.
Wenden wir uns nunmehr der Frage zu, zu welcher Zeit wir
eine Narkose am besten vornehmen, so müssen wir von Anfang an
uns klar sein, dass natürlich nur diese Fälle hier zur Erörterung ge-
- 38 —
langen, welche eine Operation und Narkose verschieben lassen auf eine
vom Arzt zu bestimmende Zeit, und nicht eine sofortige Vornahme der-
selben fordern. Steht es uns frei, eine Zeit zu bestimmen, so ist es
der Morgen bis zum Mittag, welcher am besten für die Narkose ge-
eignet ist. Der Grund liegt erstens im Kranken und dessen Befinden.
Der Patient hat am Morgen eine grössere Menge Kraft zur Verfügung,
denn er hat körperlich wie psychisch geruht während der vorher-
gehenden Nacht. Er erwacht früh, nachdem er entAveder infolge von
Schlafpulvern oder wegen Ermüdung geschlafen hat, gestärkt und er-
frischt, und ist somit widerstandsfähiger als z. B. am Nachmittag,
Avo er einen halben Tag schon hinter sich hat. Es ist dies nicht ohne
Einfluss auch für die Narkose, da es auch am Morgen dem Kranken
leichter fällt, wenig Speise zu sich zu nehmen, denn da er die Nacht
geschlafen, hat er leeren Magen, und braucht nicht noch lange zu fasten,
was oftmals ziemlich lästig empfunden wird. So bleibt ihm alles das
Unangenehme, das damit verbunden ist, erspart.
Wenn man nun noch einen Umstand bedenkt, nämlich den, dass
man dem Kranken nicht den Zeitpunkt, Tag und Stunde der Opera-
tion vorher mitteilt, so hat der Kranke die Nacht ohne Angst gut ge-
schlafen, da er meint, die Operation sei vielleicht erst am nächsten
Tage. Wenn man ihm nun am Morgen kurz vor Beginn der Narkose
mitteilt, dass die Operation heute stattfindet, so hat man ihm die Angst
und Aufregung vorher in der Hauptsache erspart. Die ungestörte
Nachtruhe, das daraus hervorgehende Kräftegefühl etc. gibt dem Patien-
ten auch grösseren Mut.
Ein weiterer Umstand, weshalb man besser am Morgen narkoti-
siert, ist in dem Verhalten und Befinden des Arztes selbst gegeben.
Er ist am Morgen natürlich ebenfalls kräftiger und leistungsfähiger,
als an späteren Zeiten des Tages, wo schon durch vorhergegangene
Arbeiten und Anstrengungen die psychische, wie physische Kraft
geschwächt ist. Dies muss doch beachtet werden, auch wenn es nicht
sehr von Gewicht ist, denn der Arzt muss eben zu jeder Zeit ein
ganzer Mann sein, der all seine Kenntnisse und technische Fertig-
keiten in jedem Moment seines Lebens, nachts, wenn er aus
dem Schlafe geweckt wird, und am Tage, wenn er die Patienten be-
handelt, richtig und zu Gunsten des Kranken verwertet, es darf ihn
daher auch nicht Müdigkeit und Abspannung nach des Tages Arbeit
bei seiner Tätigkeit beeinflussen, wenigstens muss er, wenn er nicht
mehr in den widerstandsfähigen Jahren seines Lebens sich befindet,
einen derartig viel vom Arzt verlangenden Beruf, wie der des Narko-
tiseurs es ist, nicht mehr ausüben wollen. Tut er es, so muss er eben
in jedem Augenblick das Beste leisten. Aber dennoch kann er bei
sehr langen Narkosen, die ihn vielleicht mehr in Anspruch nehmen als
kurze, dieses Moment berücksichtigen, und dieselben am Morgen vor-
nehmen, da man ihm doch nicht verübeln kann, wenn er seine geis-
tigen und körperlichen Kräfte nach Möglichkeit schont. Und dies kann
er tun, wenn er so die Tageszeit wählt.
Allerdings wird es nur in dem geringeren Teile aller Fälle mög-
— 39 -
lieh sein, eine bestimmte Zeit für die Narkose zu wählen. Wo es geht,
soll man nach obigem verfahren, wie es ja auch in den meisten chi-
rurgischen Kliniken der Fall ist, in den Fällen, die zu anderer Zeit
eine Narkose fordern, muss sie natürlich vorgenommen werden, aber
wir haben dann auch für solche Fälle Zeit, da wir die anderen Nar-
kosen am Vormittag schon vollbracht haben. Somit ist das, was für
den Tag bestimmt war, früh getan, und man kann die übrige Zeit des
Tages für andere Z-afälle verwenden.
§ 13. Wenden wir uns nun zu der Zeitdauer der Narkose!
Es ist nicht möglich, eine bestimmte Angabe zu machen, wie lange
eine Narkose dauern darf. Es hängt ganz von den organischen
Verhältnissen des Individuums, von den pathologischen Zu-
ständen, von den Narkotika, von der Methode der Narkose, und
von vielem anderem mehr ab, wie lange man eine Betäubung ausdehnen
darf. Man hat bereits Narkosen von 4 Stunden Dauer, und noch
länger vorgenommen, ohne dass der Kranke auch nur die geringste
Schädlichkeit erlitten hätte. Wenn wir hier einmal kurz die Ge-
fahren einer sehr lange dauernden Narkose bedenken wollen, so müssen
Avir vor allen Dingen die Kraft und Gesundheit des Herzens er-
wägen, denn der Haupteinfluss ist in Veränderungen des Herzens und
seiner Tätigkeit zu erwarten. Ist das Herz von vornherein völlig
gesund, so wird auch während, und nach sehr lange Zeit dauernden
Narkosen in den seltensten Fällen eine Veränderung an demselben ver-
spürt werden , allerdings hat man bei einzelnen Narkotika z. B.
dem Chloroform an Tierversuchen durch die lange Einwirkung
des Narkotikums eine Verfettung des Herzens beobachtet (Oster-
tag, Ungar, Ajello, Verf. etc.).
Es ist auch dann beobachtet worden, wenn gar kein Verdacht
einer bestehenden Disposition des Myocards zur fettigen Degenera-
tion vorlag, und so ist man zu der Ueberzeugung gelangt, dass einige
Narkotika mehr wie die anderen mit der Länge der Einwirkung eine
fettige Degeneration im Herz erzeugen können. Neben dem
Herzen sind es die Nieren, welche ebenfalls oft beeinflusst Averden,
und fettige Degeneration erleiden. Man kann dies auch da an-
nehmen, wo man nach der Narkose eine Beimengung von Eiweiss im
Harn findet. Diese Albuminerie verschwindet nach einiger Zeit
wiedei", die fettige Degeneration war nur im Beginn, und ist wieder
verschwunden.
Wenn nun auch nicht in allen Fällen, wo Eiweiss im Harn
nach einer Narkose auftritt, eine beginnende fettige Degeneration
anzunehmen ist, es können auch Nephritiden etc. vorliegen, so ist
doch aus den häufigen Berichten von derartigen Befunden zu schliessen,
dass die Einflüsse einer langen Narkose auf die Nieren sehr häufig,
vielleicht häufiger, als die Veränderungen des Herzens sind (St rass-
mann, Ungar, Schmey, Ostertag , Rindskopf, Käst und
Mester etc.).
So sind es eine grosse Menge von Gefahren neben den hier ge-
nannten, die als die wichtigsten hervorgehoben wurden, die einer sehr
— 40 -
lange Zeit dauernden Narkose folgten. Allein man hat auch viele Fälle
beobachtet, wo eine .schwere Schädigung der Organe nicht die
Folge war. Es kommen natürlich ausser den Einflüssen des Narkoti-
kums eine Menge anderer, wie die Disposition, Alter, Krankheit
etc. in Betracht, so dass es eigentlich schwer erscheint, mit Bestimmt-
heit eine etwa auftretende fettige Degeneration als Folge der Nar-
kotikumwirkung hinzustellen. Wie dem nun auch sei, wenn auch
andere ursächliche Momente mitwirken, die Narkose hat ohne Z^^eifel
mit Schuld an dem Auftreten derartiger Veränderungen. Es ist daher
die Pflicht des Arztes, zu erwägen, wie weit dieser oder jener Um-
stand in Betracht kommt.
Er muss erstens den Körper ganz genau kennen, und muss
wissen, ob eine beginnende fettige Degeneration in einem oder dem
anderen Organe etwa vorhanden ist, denn dieselbe würde natürlich
schwer ins Gewicht fallen, und eine Verschlimmerung derselben würde
durch eine lange Narkose sehr wahrscheinlich sein. Ferner muss er
bedenken, wie weit die Krankheit an sich begünstigend für die üblen
Wirkungen in Betracht kommt. So sehen wir, dass eine Menge von
Verhältnissen mit sprechen bei einer sehr langen Narkose. Und wenn
wir nun ein Urteil haben wollen, welches einen Zeitpunkt festsetzt, so
müssen wir in dem jeweiligen Falle vor allem zu erfahren suchen, in
wieweit jene Nebenursachen einer etAva resultierenden schweren
Schädigung des Organismus, wie es z.B. die fettige Degene-
ration darstellt, in Betracht kommen. Erst dann, wenn alle diese aus-
zuschliessen sind, dann können wir annehmen, dass eine mehrere Stunden
dauernde Narkose ohne Schaden ertragen werden kann. Im anderen
Falle müssen wir nach den vorhandenen Nebenumständen ein Urteil
fällen, wie lange die Narkose dauern darf. Aus demselben muss es
sich auch ergeben, welches Narkotikum für die Narkose zu verwenden
sein wird, denn das eine wird weniger starke Einflüsse auf die jeweilig
vorhandenen pathologischen Veränderungen ausüben, als das andere.
Deshalb müssen wir genau das Verhalten derselben zu den organischen
Veränderungen, welche hauptsächlich in Betracht kommen, wie Herz-
und Nierenerkrankungen, fettige Degeneration derselben Or-
gane, Lungenkrankheiten etc. kennen, um in jedem Falle das
richtige Narkotikum zu wählen. Wenn alle diese Umstände Berück-
sichtigung finden, und die entsprechenden Kenntnisse sowohl der patho-
logischen Veränderungen, wie deren Beziehungen zu den Wirkungen der
einzelnen Narkotika auf den Organismus von uns vollkommen beherrscht
werden, so werden wir in jedem Falle zum Wohle des Kranken das
richtige Urteil in Bezug auf Wahl des Narkotikums etc. auch bei
sehr lange dauernder Narkose fällen. Es kann eine kurze Narkose
selbst bei anscheinend ganz normalem und gesundem Organismus
doch den Tod des Individuums hervorrufen, und es kann wiederum eine
andere Person eine sehr lange Narkose gut überstehen, obwohl man
dies wegen des anscheinend geringen Kräftezustandes nicht er-
wartet hätte. Aber trotz all der unvorherzusehenden Eingriff'e des
waltenden Schicksals, sind wir doch in der Lage, mit Kunst und Wissen-
- 11 —
Schaft in jodcin Falle das viclitigc zu leisten. So können wir in jedem
Falle die I^änge der Narkose schätzen, und nach der Untersuchung
des Kranken entscheiden, ob er sie ertragen wird.
Man kann natürlich eine Narkose nicht ad infinit um ausdehnen.
So haben wir ja gesehen, dass eine konstante Einwirkung eines
bestimmt konzentrierten Narkotikumdampfluftgemisches in be-
stimmter Zeit bei einem Hund z. B. zum Tode führt. Es besteht das-
selbe beim Menschen. Die Länge der Narkose richtet sich natürlich
nach der Konzentration des Narkotikumluftgemisches, welches
der Mensch einzuatmen bekommt. Würden wir diese Konzentration
nicht ändern, so würde in zu berechnender Zeit der Exitus letalis
eintreten. Je geringer die Konzentration, um so länger muss
dieselbe einwirken, bis der Tod eintritt. Darnach Hesse sich bestimmen,
wie lange die Narkose bei jedem Narkotikum in bestimmter Konzen-
tration der zuzuführenden Dampfluftgemische möglich ist, und dies ist
geschehen. Jedoch die Zahlen haben hier keinen Wert, weil wir doch
dem Kranken nicht ein Luft-Narkotikumdampfgemisch von gleich-
bleibender Konzentration verabreichen, sondern dasselbe bei Ein-
tritt der Toleranz vermindern, und bei etwa eintretendem Erwachen
des Patienten die Konzentration erhöhen.
Man hat lange Narkosen verwendet bei Krampfzuständen,
Tetanus, Eklampsie etc. Doch bei derartigen Fällen hat man von
den Narkosen wenig gutes gesehen, weil eben so lange Einwirkung
des Narkotikum's für verschiedene lebenswichtige Organe des Organismus
nachteilig ist.
Ebenso hat mau bei sehr lange dauernden Entbindungen Nar-
kose verwendet. Obgleich diese Narkosen, die von vornherein für
mehrere Stunden beabsichtigt sind, sei es, um die Ankunft eines anderen
Arztes abzuwarten, oder aus anderen Gründen, nur sehr oberfläch-
liche waren, und nur eben das Bewusstsein trübten, und so die Schmer-
zen milderten, so waren dieselben doch nicht ohne Nachteil für Mutter
wie Kind. Die Frau kann durch vorhergegangenen Blutverlust den
bekannten Gefahren beim Hinzukommen der Narkose ausgesetzt werden,
das Kind untersteht ebenfalls den schwersten Gefahren dadurch,
dass mit der langen Dauer der Narkose Narkotikummengen vom Blute
der Mutter auch in den kindlichen Kreislauf übergehen (Zweifel).
Wenn auch diese Mengen nur geringe sind, so genügen sie doch, den
noch sehr wenig widerstandsfähigen embryonalen Organismus zu
vernichten, das Kind schwebt oftmals in grosser Gefahr zu sterben.
Deshalb sind allzulange, und vor allen Dingen auch sehr tiefe Nai'-
kosen bei einer Kreissenden zu unterlassen. Eine kurze Narkose
hat hingegen keine besonderen Gefahren für Mutter und Kind, wenn
nicht besondere Umstände vorliegen, zumal ja das Weib während der
Entbindung ungeheuer leicht zu narkotisieren ist, es ist sehr wenig
widerstandsfähig gegen die narkotischen Wirkungen, so dass
man schon mit ganz geringen Mengen des Narkotikums, die dasselbe
Weib in normalem Zustande noch nicht zu narkotisieren vermögen, eine tiefe
Narkose erreicht, die die zur Operation nötige Anästhesie hervorruft.
- 42 —
Die Dauer der Narkose ist aber auch je nach den Narkotika,
welche man verwendet, verschieden. Dies wird bei der Behandlung
eines jeden Narkotikums im speziellen Teil erörtert werden. Manche
Narkotika rufen bekanntlich nur wenige Minuten lange Narkosen her-
vor, während man andere zu stundenlangen Betäubungen verwenden kann.
§ 14. Neben diesen Verhältnissen finden wir wichtige Beziehungen
zwischen den Wirkungen mehrerer kurz aufeinanderfolgender
Narkosen.
Es ist von grosser Bedeutung, diese Einwirkungen zu kennen.
Der Arzt wird gar oft im alltäglichen Leben vor die Eventuali-
tät gestellt werden, heute zu narkotisieren, z. B. wegen einer genauen
Untersuchung, die der Kranke nicht ohne Narkose aushalten kann, und
am nächsten Tage wieder eine Narkose einzuleiten an derselben Person,
vielleicht um die Operation vorzunehmen. In anderen Fällen kann es
nötig sein, dass mehrere Operationen hintereinander ausgeführt werden,
welche nicht an einem Tage, und während einer Narkose vorge-
nommen werden können. Wenn wir eben sagen konnten, dass man
eine Narkose oftmals ohne Schaden für den Kranken bis zu mehreren
Stunden ausdehnen darf, so gilt für das Wiederholen von Narkosen
innerhalb kiirzer Zeit, 1 — 2 Tage und eventuell länger der Satz,
dies nach Möglichkeit zu unterlassen, da derartige Wiederholungen
von Narkosen den Körper meist schwer schädigen.
Auch in dieser Beziehung haben wir mit Unterschieden nach
der Art der Narkotika zu rechnen. Jedoch als eine allgemeine
Kegel muss für jede Narkose folgendes gelten. Hat man eine Person
narkotisiert, so steht diese Person noch einige Zeit nach Beendigung
der Narkose unter dem Einfluss des Narkotikums. Je tiefer und
länger die Betäubung war, um so längere Zeit dauert die Wirkung
nach, und zwar solange, bis die letzte Menge des Narkotikums,
welches in mehr oder minder grossen Mengen im Körper aufgestapelt
war, aus dem Organismus ausgeschieden ist. Man hat für diese
Zeit 2 — 3 Tage anzunehmen.
Das subjektive Befinden des Kranken, ev. der Nachweis des Nar-
kotikums im Harn oder in der Exspirationsluft, gibt den Zeitpunkt
an, wann das Narkotikum nicht mehr im Organismus vorhanden ist.
Aber diese Zeit des Einflusses des Narkotikums reicht noch ev. über
den Zeitpunkt, wo das Narkotikum den Körper wieder vollkommen ver-
lassen hat, Aveit hinaus, denn die Veränderungen, welche durch das
Narkotikum in verschiedenen Organen hervorgerufen werden, nehmen
wir z. B. eine fettige Degeneration im Herzfleisch an, können
nicht in so kurzer Zeit ad integrum zurückgegangen sein. Es kann
1 Woche und länger dauern, bis die letzten Folgen der Einwirkung
des Narkotikums verschwunden sind. Wenn man nun während dieser
Zeit, wo eine solche Veränderung z. B. eine durch die Narkose erzeugte
Avenn auch erst beginnende fettige Degeneration noch besteht,
eine neue Narkose womöglich noch mit demselben Narkotikum
vornimmt, so ist es doch klar, dass die Veränderung, die fettige De-
generation, durch die erneute Einwirkung des Giftes, das die-
- 43 —
selbe liorvorricf, weiter im Eiitfstehen und Umsicligreif'eii an gereji,'!, und
begünstigt wird.
So verhält es sich in jeder Hinsicht mit den Wirkungen der Nar-
kotika, und es sind Fälle beobachtet, wo eine zweite Narkose, welche
in kurzer Zeit einer vorhergehenden folgte, den Tod des betreffenden
Individuums zur Folge hatte. Wenn auch nicht immer ein letaler
Ausgang folgt, so drohen schwere Krankheiten etc., die sich als
Folgen gar bald nachher zeigen. Deshalb ist es die Pflicht des Arztes,
die Wiederholung einer Narkose möglichst zu vermeiden innerhalb
kurzer Zeit. Jedenfalls muss ein Zeitraum vergehen, in welchem man
annehmen kann, dass etwa entstandene pathologische Folgezustände
der Narkotikumwirkungen zur normalen Beschaffenheit des betroffenen
Organes abgeheilt, und zurückgegangen sind. Natürlich sind hierbei
die individuellen Verhältnisse massgebend, man muss sieh den
Kranken in Bezug auf etwaige Narkotikumschädigungen ansehen. Allein
auch wenn der Patient ganz unbeeinflusst erscheint durch das Narko-
tikum, man lasse stets die Zeit, wenn irgend möglich, vergehen, während
welcher noch Narkotikummengen im Organismus vorhanden sind. Ist
dennoch neue Narkose nötig, so muss man eben untersuchen, ob die
Wahrscheinlichkeit einer Schädigung durch die Narkose grösser oder
kleiner ist, als die Schädigung des Kranken beim Unterlassen und
Verschieben der Narkose auf einen anderen Zeitpunkt. Wenn irgend
möglich, vermeide man eine so rasche Wiederholung.
Man hat diese Behauptungen durch Tierexperimente be-
kräftigt. Wenn man ein Tier mehrere Male schnell hintereinander be-
täubt, und zwischen jeder Narkose nur soviel Zeit lässt, bis das Tier
völlig erwacht ist, so wurden in 90 "/o aller Fälle schwere Organ-
veränderung, als fettige Degeneration in Herz und Nieren ge-
funden (Verf.) Wenn auch diese Versuche mit Chloroform ange-
stellt waren, so gilt das gleiche für alle anderen Narkotika. Denn bei
dem Aether haben wir Lungenaffektion en zu fürchten und bei
andern Narkotika Her zerk i*ankungen etc. So hat jedes Narkotikum
seine Beziehung zu wichtigen Organen, das eine mehr zum Herz, das
andere zur Lunge, als dritte zur Niere etc. Es ist nun keineswegs
dieser Nachteil der narkotischen Wirkung zu umgehen dadurch, dass
man bei einer zweiten Narkose ein anderes Narkotikum verwendet.
Oftmals ist dies nicht möglich, und in anderen Fällen ist dieselbe ungüns-
tige Wirkung auch dieses Mittels vorhanden und nachzuweisen. Es
kommt sogar vor, dass das zweite Narkotikum, obwohl es die Be-
ziehungen des ersten zu einem Organe nicht teilt, doch im Sinne des
ersteren, die Veränderungen begünstigend, wirkt. Drr Arzt muss daher
bei der Behandlung seines Kranken vorher einen genauen Plan aus-
arbeiten, genau wie der Feldherr einen Kriegsplan vorher festgesetzt
haben muss, nach welchem er von Anfang an, und auch nach den
ersten Schlachten handelt. Der Arzt, welcher eine Kranke wegen einer
genaueren Untersuchung narkotisiert, muss, da er ja die Diagnose
schon vorher bis zu einem gewissen Grade wissen muss, ehe er eine
solche Untersuchung vorschlägt, auch schon die Erlaubnis sich erwirkt
— 44 -
haben, die Kranken, sofort iiaclidem er die Untersuchung beendet hat,
zu operieren, wenn die Operation überhaupt nötig ist. Tut er es nicht,
so muss er mit der Operation wenigstens 8 Tage warten. Er erspart
aber seine-r Kranken durch obiges Handeln eine Narkose, und das
heisst eine Lebensgefahr, denn jede Narkose stellt eine solche dai',
in jeder Narkose kann der Tod den Kranken als Opfer fordern. So-
mit sollte man stets, auch aus diesem Grunde neben der Gefahr, welche
die Wiederholung einer Narkose überhaupt bietet, die Operation an die
Untersuchung in Narkose anschliessen.
Wie steht es nun mit jenen Operationen, welche wie die plas-
tischen Operationen im Gesicht, eine häufige Narkose erfordern?
Nun hier wird stets Gelegenheit genügend gegeben sein, solange Zeit
zwischen 2 Narkosen verstreichen zu lassen, dass man eine noch vor
der vorherigen Narkose bestehende Affektion innerer, parenchy-
matöser Organe als noch bestehend ausschliessen oder als noch nicht
eingetreten ansehen kann, Avas letzteres aus der Beobachtung hervor-
gegangen sein wird. Wie natürlich auch hier eine entsprechende
Wahl des Narkotikums, exakte Methode, Dosierung, und vor
allem genaue Beobachtung aller Momente vor, während und
nach der Narkose grosses leisten können, und Gefahren zu überwinden
helfen, zeigt ein von uns beobachteter Fall, wo ein Herzfehler,
eine Mitralinsuficienz, die zeitweise nicht kompensiert, jedenfalls
für die Narkose gefährlich war, bestand, und zwar bei einem sonst
kräftigen jungen Mädchen, bei dem wir innerhalb 10 Tagen zwei
Narkosen vornehmen mu.ssten, wegen einer Gallensteinoperation.
Obwohl diese beiden Operationen lange Zeit in Anspruch nahmen, so
zeigte sich doch keine üble Nachwirkung nach den Narkosen,
weder der ersten, noch der 10 Tage später vorgenommenen zweiten
(Verf.). Es wäre ja in diesem Falle nur eine Verschlimmerung des
Herzfehlers zu befürchten gewesen, da das iugendliche Alter eine fettige
Degeneration au parenchymatösen Organen nicht wahrscheinlich machte
in anbetracht aller körperlichen Verhältnisse, doch auch die schAvere
Erkrankung des Herzens war ohne üblen Einfluss der Narkose
geblieben. Jedenfalls kann man in solchen Fällen die Herzfehler mit
weniger Furcht einer Verschlimmerung betrachten, sofern nur alle nötigen
Beziehungen zwischen Narkotikum resp. Narkose und Herzfehler genau
beachtet werden. Man sieht hieraus, dass alle die angeführten Ge-
fahren Avohl überwunden werden können mit den bekannten Hilfsmitteln
des Narkotiseurs. Doch der Arzt muss dieselben kennen, um sie ver-
meiden zu können, oder wenigstens bei deren Eintritt nicht überrascht
zu sein, und dann die richtigen entsprechenden Gegenmassregeln zu er-
greifen.
§ 15. Es sollen hier noch einige Beziehungen zwischen Narkose
und Operation erwähnt und besprochen werden, welche bisher noch nicht
erörtert werden konnten. Die Operationen üben oftmals einen ganz be-
deutenden Einfluss aus auf den Verlauf der Narkose, nicht nur hinsicht-
lich der Beeinflussung der Vitalität durch die Operation, sondern auch
hinsichtlich direkter nervöser Einflüsse derselben. In dieser
-" 45 —
Hinsicht müssen wir zunächst die Operationen der Schilddrüse in
Betracht ziehen. Es ist bekannt, dass diese Operationen einen sehr
gefährlichen Charakter besitzen, und man weiss, dass während der-
selben ungleich häufiger, als bei anderen Opei'ationen, ebenfalls in der
Gegend des Kehlkopfes, am Halse etc., Apnöeanfälle auftreten,
und die sofortige Tracheotomie erfordern, aber bei denen oftmals,
trotz bester Technik der Narkose, plötzlicher Exitus letalis, sei
es als Apnoe, sei es als Herzsynkope, eintritt. Ein Moment, welcher
grosse Gefahren auch während der Narkose hervorrufen kann, liegt in
dem grossen Blutverlust während der Operation. Da derselbe oft-
mals ganz enorm gross und sehr plötzlich eintretend ist, so kann wohl
eine Gefahr wahrscheinlich werden, wenn man bedenkt, dass die Nar-
kose an sich schon mehr oder weniger den Blutdruck herabsetzt,
und derselbe jetzt noch durch die schnell verminderte Blutmenge
ganz bedeutend vermindert wird.
Ferner hat man einen direkten, das Volumen der Trachea
verengernden Einfluss von grossen Tumoren der Schilddrüse zu
beobachten Gelegenheit, und man kann dadurch wohl den Eintritt einer
Apnoe annehmen.
Last not least kommen aber doch noch andere Momente in Be-
tracht, welche das geradezu höchst schlechte Resultat der Statistik der
Unfälle bei diesen Erkrankungen liefern und verursachen. Wahrschein-
lich sind nervöse Einflüsse, die von der Schilddrüse ausgehen,
massgebend, und es entstehen Reizungen der Herznerven, welche
mit dem Einfluss der Narkose zusammen eine Herzsynkope hervor-
zurufen im Stande sein können Wenn man sich auch eine Ei'klärung
der grossen Gefahren einer Narkose bei diesen Operationen nicht hin-
länglich genug schaffen kann, so lehrt uns die Erfahrung, wie gefährlich
eine Narkose ist. So ist man zu dem Schritte gelangt, eine allge-
meine Narkose bei der Schilddrüsenexstirpation überhaupt zu
vermeiden, und die ganze Operation unter lokaler Anaesthesie vor-
zunehmen. Dadurch zeigt sich eine geringere Mortalität, und
somit ist erwiesen, wie gross das Mitwirken der Narkose, und der Wir-
kung des Narkotikuni's bei den Todesfällen während der Strumecto-
mien ist. Da die sensiblen Nerven der Strumen und ihrer Um-
gebung nicht sehr ausgiebig vorhanden sind, so kann man diese Ope-
rationen leicht unter lokaler Betäubung ausführen, ohne dass der
Patient viel mehr Schmerzen und Unannehmlichkeiten empfindet, als
während einer Narkose, welche ihm nebenbei noch grössere Wahrschein-
lichkeit eines schnellen Todes liefert. Wohl jeder Kranke wird da
lieber einige geringe Unannehmlichkeiten und Schmerzen mehr in Kauf
nehmen, wenn er sein Leben dabei nicht mit so grosser Wahrscheinlich-
keit des Verlustes aufs Spiel setzen muss.
Wenn wir noch andere Operationen, bei denen man eine beson-
dere Gefahr der Narkose findet, erwähnen Avollen, so können wir
die Herniotomie, d. h. die Operation eingeklemmter Brüche zu-
nächst anführen. Vor allen Dingen ist bei derartigen Operationen eine
Gefahr dann zu fürchten, wenn in den späteren Stadien der In-
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carcerationen operiert Averdeii muss. So berichtet Rochier an der
Hand von 30 Fällen incarcerierter Hernien, von denen 23 ein-
geklemmte Hernien und 7 innere Incarcer ationen waren, dass
in 29 Fällen der Tod eintrat, und nur 1 Patient die Narkose über-
stand. Es ist zu bemerken, dass die 29 Todesfälle als Narkosen-
totesfälle in gewisser Hinsicht zu betrachten sind. Fragen wir uns,
warum diese 29, allerdings schon in spätem Stadium der In-
carcer ation befindlichen Patienten reine Narkose, sei sie mit Chloro-
form, oder mit Aether ausgeführt, nicht überstehen konnten, so haben
wir zu bedenken, dass der Kranke zunächst durch die bestehende In-
carceration hochgradig in seinem Kräftezustand herabgesetzt ist.
Hierzu kommt nun der die Kräfte ebenfalls beanspruchende Einfluss
der Narkose. Ferner kommen gerade in diesen Fällen häufig mecha-
nische Atmungshindernisse in betracht, welche in Aspiration
von Erbrochenem bestehen. Der Kranke hat nicht mehr die Kraft
d as Erbrochene auszuhu sten, und nebenbei soll der Glottisreflex
vermindert sein (Rochier); so gelangen grosse Mengen von Magen-
inhalt in die Lungen, u.nd der Kranke geht, entweder an Apnoe, oder
an späteren Lungenkrankheiten zu Grunde. So sehen wir eine
Menge Momente zusammenwirken, und man muss mit Recht denen bei-
stimmen, Avelche in derartigen Fällen eine allgemeine Narkose für
contraindiciert halten, und die Operation unter lokaler Betäubung
vornehmen, da vor allem gerade in diesem Zustande die Schmerz-
empfindlichkeit des ganzen Kranken herabgesetzt ist. Es ist eben
auch in diesen Fällen alles das zu erwägen vor der Operation, was wir
an anderer Stelle genau erörtert haben.
Wenn man weiter bei anderen Operationen vor einer allgemeinen
Narkose warnt, z. B. bei Incisionen von Eiterherden bei hoch-
gradiger Septikaemie und Pyaemie, bei Laparatomien etc., so
sind dieselben Verhältnisse wie hier massgebend. Es ist falsch, wenn
man dabei die Operation verantAvortlich macht, denn dieselbe ist un-
schuldig in diesen Fällen, da hier nur die Krankheit massgebend ist.
Eine üble Folge vor allen Dingen der Laparatomien, die auf
die Narkose nicht ohne Einfluss ist, ist die, dass durch die Bauch-
wunde etc. Behinderung der Atmung nach der Operation ein-
tritt. Da bei jedem Bewegen der Bauchdecken starke Schmerzen
entstehen, so ist der Kranke bemüht, jede Bewegung zu verhüten, und
atmet infolge dessen auch nur ganz oberflächlich, möglichst ohne An-
strengung der Bauchpresse. Da nun , wie wir später sehen werden,
gerade nach der Narkose tiefe Atemzüge nötig sind, damit die
ganze Lunge in Tätigkeit tritt, und Hypostasen vermieden werden,
so kann dem Kranken aus dem oberflächlichen Atmen Gefahr entstehen.
Man muss daher nach Laparatomien dafür sorgen, dass der Patient
tief atmet; und dies können A^r nur erreichen, indem wir die Bewe-
gung der Bauchmuskeln schmerzlos machen durch Morphin oder
Opium. Man gebe solches nach derartigen Operationen, und halte die
Patienten zum tiefen Atmen an.
Anders können die Verhältnisse da liegen, wo wir durch die
— 47 —
Operation, wie bei den Sc hilddr üsencxstirpati onen, Organe ver-
letzten, die einen solchen Einfiuss auf den ganzen Organismus ausüben,
dass eine Narkose dadurch gefährlich werden kann. Hierunter müssen
wir vor allem solche Eingriffe rechnen, die einen starken Einfiuss auf
das Centralnervensystem ausüben, sei es durch direkte nervöse
Einflüsse bei Operationen an den nervösen Organen, sei es durch
indirekte Einflüsse infolge von Blutungen. Hierbei müssen wir den
Gang der Operation kennen , wir müssen wissen , wann der Operateur
an jenen gefährlichen Punkt kommt. So ist auch bei Operationen an
der Brust, wo event. ein Pneumothorax geschaffen wird, oder das
Herz, oder die Ijunge eine Lageveränderung erfährt, bei Trepa-
nationen, bei Operationen an den Organen der Bauchhöhle, nötig,
dass wir die Wirkung der Handlungsweise des Operateurs kennen. Wir
kommen bei solchen Operationen in die Gelegenheit, entweder ein b e-
sonderes Narkoticum vorzuziehen, oder die Narkose nur oberfläch-
lich zu erhalten, oder durch Anwendung von Medikamenten event.
Collaps zuständen vorzubeugen. Wir kennen den Verlauf der Nar-
kose, und den der Operation, und müssen daraus vergleichend Schlüsse
ziehen, und unsere Tätigkeit darnach einrichten.
Es kommt allerdings auch vor, dass bei bestimmten krankhaften
Veränderungen im Organismus eine Herabsetzung der Schmerzem-
pfindlichkeit an sich vorhanden ist. So finden wir dies z. B. bei
Diabetikern an den unteren Extremitäten, bei Septischen und In-
toxikationen. Bei diesen Erkrankungen ist oftmals eine tiefe an-
haltende Narkose sehr gefährlich, und kann leicht ad exitum letalem
führen, Avährend eine halbe Narkose noch vertragen wird. (Mikulicz).
Man wird in solchen Fällen ebenso gut unter einer ganz oberflächlichen
halben Narkose operieren können, und der Kranke hat nach der Operation
ebenso keine Erinnerung an Schmerzen, wie bei einer tiefen Narkose.
Da sich derartige Kranke oft, oder meist in sehr starken Fieber-
delirien befinden, so ist eine Betäubung oftmals unnötig, denn der
Kranke empfindet im deliiösen Zustand sehr gering, es kommt ihm der
physische Schmerz wenigstens nicht zum Bewusstsein, und wird er ge-
sund , so fehlt ihm die Erinnerung. Folglich können Avir in solchen
Fällen, wo eine Narkose an sich contraindiciert ist, dieselbe ganz ^yQg-
lassen, und bei den schmerzhaftesten Teilen der Operation mit lokaler
Betäubung operieren. Da das Bewusstsein des Kranken durch das
Fieber getrübt ist , so ist es ja nicht nötig , dass man dasselbe noch
durch eine Narkose trüben will, der Kranke erkennt den Schmerz
nicht als solchen, er wird ihm nicht bewusst, ebenso nicht die ganze
Operation, die Vorbereitungen etc. Das , was die Narkose heben soll,
wird vom Fieber benommen, und es wäre nur noch der Schmerz an
sich zu lindern. Das ist dann ganz abhängig von anderen Momenten,
die hier nicht erörtert werden können.
Riedel hat beobachtet, dass Manipulationen in den Baucheinge-
weiden nur wenig schmerzhaft sind, und er hat daher bei Lapara-
tomien nur bis zur Vollendung des ersten Hautschnittes narkoti-
siert. Atxch aus diesem Grunde kann man in Fällen , die eine lange,
— 48 —
tiefe Narkose nicht möglich erscheinen lassen, die Tiefe modifizieren,
und bei Arbeiten an Organen, Avelche wenig sensible Nerven zu
besitzen scheinen, wie an den Bauchorganen, mit einer halben Nar-
kose auskommen. So wie die mit gesundem Peritoneum versehenen
Darmschlingen weniger empfindlich sind, so verhält es sich auch mit
den Genitalien des Weibes, soweit dieselben in der Beckenhöhle
gelegen sind. Man kann an denselben ebenfalls ohne tiefe Betäu-
bung arbeiten, indem man den Frauen wenig Schmerzen bereitet. So
haben wir öfter beobachtet, dass wir bei sehr schwachen Frauen, die
eine lange, tiefe Narkose nicht mehr aushalten konnten, lange Zeit nach-
dem nur für den Hautschnitt eine halbe Narkose eingeleitet worden
war, im eröffneten Leibe stumpfe Verwachsungen trennen , Tumoren
exstirpieren konnten, ohne dass die Ki-anke über wesentliche Schmerzen
klagte. Einen gewissen Schmerz muss dabei jeder vertragen. Koluczek
ist der Ansicht, dass dieser Schmerz einen Shock wahrscheinlich mit
erzeugen könne. Obgleich es nicht von der Hand zu weisen ist, dass
der Shock durch die Opei'ation einen bedeutenden Einfluss auf die
Kraft des Organismus ausübt, so muss man doch entscheiden, ob der
üble Einfluss einer tiefen Narkose für den Körper gefährlicher ist, als
der Einfluss des Shocks. Es spielen daher sehr viele Umstände eine
Rolle, wenn man entscheiden will, ob der Shock zu furchten ist, oder
nicht. Ganz ausser Acht lassen dürfen wir denselben nicht.
§ 16. Was den Shock in seinem Verhältnis zur Narkose an-
langt, so müssen wir gestehen, dass derselbe eine grosse Rolle zu
spielen im Stande ist. Wir unterscheiden zwei Arten von Shock, den
traumatischen und idi opathi sehen Shock. Der erstere betrifft In-
dividuen mit leicht erregbarem Herzen, welche sehr empfindlich gegen
Schmerz sind, und sich nur mit einem grossen Aufwand moralischer
Kraft zur Operation entschliessen können. Im grossen und ganzen
sind dies mehr furchtsame und ängstli che Naturen von nervöser
Konstitution, psychopathischer A nlage. Bei ihnen kann der ge-
ringste Schmerz, Avelcher ausgelöst wird, zur Katastrophe führen. Buck-
nill hat neuerdings genauer die Verhältnisse behandelt, der Tod tritt
nach seinen Angaben geAvöhnlich dann ein, Avenn infolge einer Unter-
brechung der tiefen Narkose, die Schmerzempfindung Aviederkehrt, oder
trotz Fehlens von Schmerzempfindung eine ReflexAvirkung auf das
Herz angenommen Averden kann. Solche Reflexe führen bisAveilen zu
PupillenerAveiterung und HerzscliAväche, AA^enn an stärkere Reize
nicht geAvöhnte, mit Schleimhaut bekleidete Kanäle durch Instrumente
irritiert werden, wie beim Kathetrismus, der Vaginald ouche, Pin-
selungen des Pharynx etc. Man kennt ja den Shock, Avelcher
beim Einleiten einer Narkose entstehen kann, der einer Zahnextraktion
folgt, der oftmals beim Einführen von MetallsjJekula in die Vagina er-
folgt, namentlich wenn die Spekula kalt sind etc. Wenn man in dem
Moment, wo ein solcher Shock eintritt, zu der Operation, die geplant
ist, schreitet, so ist das vielleicht schon geschAv ächte Herz preisge-
geben, und der Tod erfolgt ohne irgend welche Vorboten unter Dila-
tation der Pupillen.
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Der idiopathische Shock tritt vor dem Beginn einer Operation
ein. Eine kranke Person wird narkotisiert, als der Narkotiseur das
Zeichen zum Beginn der Operation gibt, stirbt die Kranke nach kurzen
leichten Abwehrbewegungen. Bucknill gibt einen solchen Fall an,
und die Sektion ergab Fettherz. Die Kranke war nicht tief genug
narkotisiert, und, als sie vernahm, dass die Operation beginnen sollte,
versagte das Herz, weil es die plötzliche durch den Schreck verur-
sachte Anstrengung nicht überstehen konnte. Die Schottische Schule
vertritt aus diesem Grunde den Standpukt, man solle gerade um so
eher narkotisieren, je scliAvächer das Herz sei. „Syme's Unter-
suchung des Herzens vor der Narkose Avar aus diesem Grunde sehr
oberflächlich, er fand es jedesmal „all right". Hatte er doch bei der
Eröffnung eines Abszesses ohne Narkose einen Patienten an Shock
verloren. In einem anderen Falle trat der Tod eine Minute nach Be-
ginn der Narkotisierung ein. Eine Ueberdosierung konnte also füglich
ausgeschlossen M^erden. Der Shock entstand durch die Empfindung
der Erstickung, Avelche die in zu konzentrierter Form geatmeten
Chloroform dämpfe verursacht hatten."
Bucknill ist der Ansicht, dass die verhältnismässig grosse Zahl
der Todesfälle an Shock auf die sich immer steigernde Zahl von Ope-
rationen einerseits, andererseits auf die grössere Abnahme der Wider-
standsfähigkeit des Nervensystems der Menschen, welche durch den
gesteigerten Kamjif um's Dasein, namentlich der Einwohner grosser
Städte, hervorgerufen werde, zu beziehen sei. Ferner verwende man
heutzutage, eben wegen der gesteigerten Nervosität der Menschen,
mehr Narkosen bei kleinen Operationen, die früher stets ohne Narkose
vorgenommen wurden.
Es ist kein Zweifel, dass diese Umstände mit in Betracht kommen,
der eine mehr, der andere weniger, und um so mehr müssen wir bei
der Einleitung einer Narkose auch die Eventualität des Eintritts eines
Shocks berücksichtigen. Dass natürlich jene Ansicht, öfter zu nar-
kotisieren, um die Wirkung des Shocks unschädlich zu machen, eine
ganz falsche ist, liegt auf der Hand. Wir müssen erstens versuchen,
den Shock zu vermindern, zu verhüten, was durch eine vorsichtige
Einleitung der Narkose zu erreichen ist. So ist es ein Fehler des
Narkotiseur s, wenn er den Beginn der Operation annonciert, Avährend
die zu narkotisierende Person noch so wach ist, dass sie den Narkoti-
seur versteht. Entsteht in einem solchen Falle ein Unfall, so trifft
■die Schuld zweifellos den Narkotiseur. Ferner muss derselbe jederzeit
über die Tiefe der Betäubung orientiert sein, damit nicht der Patient
während der Operation erwacht. Einem geübten, und seiner Aufgabe
sich voll und ganz bewussten Narkotiseur kann so etwas nicht
passieren. Schwieriger, als alles dies, ist die Aufgabe des Narkotiseurs,
vor der Narkose ein Urteil sich zu bilden über den nervösen Zu-
stand des Kranken, ob derselbe geneigt ist, den Shockwirkungen
zu unterliegen, kurz, ob er für den Shock disponiert ist. Es ist
sehr schwer, hierüber ein Urteil zu erlangen, der Arzt kann es lediglich
durch eine genaue Untersuchung des Kranken erfahren. Mit einiger
4
- 50 —
üebung wird er aber bald erkennen, ob der betreffende Kranke neu-
rasthenisch, hysterisch, nervös etc. ist, er wird schon aus der
Unterhaltung mit dem Kranken ersehen, ob derselbe ängstlich und be-
sorgt ist, oder ob er mit der Ueberzeugung der Gefahrlosigkeit,
oder mit Resignation das kommende erwartet. Oftmals wird bei den
Beziehungen gerade des Shocks zur Operation, und der Betäubung,
eine Methode der Anaesthetologie angebrachter und günstiger sein,
als eine allgemeine Narkose. Eine bestimmte Kegel ist hier nicht
auf zu stellen, der Arzt muss nach den individuellen Verhältnissen
handeln.
III. Kapitel.
Die Vorbereitungen zur Narkose.
§ 17. Die Peinlichkeit in den Vorbereitungnn vor einer Narkose
muss sich vor allen Dingen auf den Kranken selbst erstrecken. Die
Vorbereitungen sollen den Patienten in einen Zustand versetzen, Avelcher
verbürgt, dass eine Narkose ohne jede Nachteile verläuft, und bestrebt
ist, so weit als möglich, durch unsere Massnahmen eventuelle Schädigungen
zu verhüten. Um aber alles das ausführen zu können, Avas wir in dem
Folgenden mitteilen Averden, ist es nötig, dass Avir den Kranken schon
einige Tage vor der Narkose in unsere Pflege übergehen lassen
können, denn Avir sollten in jedem Falle bestrebt sein, nicht sofort nach
der Einlieferung des Kranken in unsere Klinik, mit der Narkose zu be-
ginnen, denn für eine exakte Vorher eitimg sind einige Tage un-
bedingt notAvendig. Dieselben sind vor allen Dingen für den Kranken
selbst von grosser Wichtigkeit, damit wir auf seine Psyche nach
verschiedenen Seiten einzuAvirken imstande sein können. Wenn wir uns
in die geistigen Verhältnisse des Kranken A'ersetzen, so Avird es uns
klar, dass derselbe in einem Zustand starker psychischer Altera-
tion in den allermeisten Fällen sich befindet. Vorhergehende Unter-
suchungen und Besprechungen haben ihm seinen Zustand erklärt, und
er hat mehr oder weniger, je nach der Art der Krankheit, und der
seines Charakters, einen entsprechenden Einfluss auf sein Geistesleben
erlitten. Es ist nicht nur bei Personen von Aveichem und zartem
Gemüt zu beobachten, dass ein bisweilen hochgradiger Zustand psy-
chischer Alteration eingetreten ist, sondern man kann denselben auch
bei fast jedem Kranken in einem mehr oder Aveniger deutlich aus-
geprägten Stadium linden. Man muss bei der Erkennung derselben
bedenken, dass die meisten, und vor allem Männer, bemüht sind, oftmals
mit Anstrengung aller ihrer Willenskraft, sich ruhig und gleichgültig
zu zeigen, um nicht als feige und weichlich zu gelten. Es ist nun
aber mit dieser Alteration eine besondere Sache, denn sie lässt sich
- 51 —
wohl üiisserlic'h unterdrücken, doch sie ist ärztlicherseits stets nachweis-
bar durch die Prüfung der Herzaktion etc. Aber trotz aller der ver-
schiedenen Ansichten lassen wir uns nicht irre machen, denn wir wissen,
dass jeder Mensch vor einer Operation, namentlich einer solchen
von gefährlicher Art, psychisch erregt Avird. Und es kann nur der-
jenige, welcher wenig versteht in das Seelenleben des Menschen ein-
zudringen, behaupten, eine solche Alteration sei eine Feigheit. Versteht
es sich nicht von selbst, dass ein Mensch nicht gleichgültig dem Mo-
ment entgegensehen kann, in dem er sein kostbarstes Besitztum aufs
Spiel setzt, um durch einen schwierigen Eingriff seine alte Kraft und
Gesundheit wieder zu gewinnen. Nur ein gefühlloser und harter Cha-
rakter wird nicht von jenem undefinirbarem Gefühl beschlichen werden,
wenn er den Operationstisch besteigt, Avelches nur der kennt, der
in ähnlichen Momenten den Kampf mit den Schicksalsgewalten bestan-
den hat. Aber man muss energisch dem entgegentreten, der dieses
Gefühl mit dem Ausdruck von Feigheit gleichstellt. Die Beobachtung
lehrt uns nur, dass jeder Mensch, mehr oder Aveniger, in diesen Mo-
menten psychisch erregt wird, und ^vh' müssen bemüht sein, diese
Erregung zu beseitigen, da dieselbe für die Narkose im hohen Grade
nachteilig Avirken kann. Diese Beruhigung des Gemütes er-
reichen Avir nur dadurch, dass Avir den Kranken einige Tage, 2 bis
höchstens 3, vor der Operation in unsere Behandlung nehmen, und ver-
suchen, Avährend dieser Zeit vor allem das Vertrauen desselben zu
gCAvinnen, und einen Einfluss dahingehend auszuüben, dass er die
Ueberzeugung gewinnt von einer mehr, oder weniger grossen Ge-
fahrlosigkeit der ihm beA'orstehenden Operation. Es wird uns durch
Unterhaltung öfter am Tage, und bei den üblichen Besuchen in kurzer
Zeit gelingen, derartig auf den Kranken einzuwirken.
Schon die neue Umgebung, in welche der Kranke versetzt ist,
wirkt auf denselben ein, zu dem bat das Leben, wie es sich in einer
gut geleiteten Klinik abs2nelt, schon an und für sich einen beruhigen-
den Einfluss. Der Kranke sieht, Avie andere gesund geworden sind, und
beobachtet deren zufriedenen und fröhlichen Verkehr untereinander, und
bald beschleicht auch ihn die Hoffnung, dass auch ihm ein Wechsel
ad bonam partem bevorsteht, indem er sich vorstellt, wie die Personen,
die er da vergnügt ihr Leben verbringen sieht, auch einmal vor kurzer
Zeit so elend Avaren, wie er, und dass es doch der ärztlichen Kunst
gelungen ist, ihnen des Lebens kostbarstes Gut von neuem zu schenken.
Wenn man nun noch diese Gedanken durch Zuspruch hervorruft, indem
man ihm Beispiele A^orführt, avo viel kränkere Personen, Avie er, wieder
gesund gemacht AA^urden, so AAard auch er ein mit der Zeit immer grösser
werdendes Vertrauen zu seiner Umgebung geAAdnnen, und die psychische
Alteration macht einer von Stunde zu Stunde zunehmenden Ruhe
und Gleichmut Platz.
§ 18. Nun fragt es sich, wie man den Kranken an diesen Tagen
in Bezug auf seine Bewegungsfreiheit halten soll. Der eine Avird
durch Bettruhe eher beruhigt, dem anderen hilft der Verkehr mit an-
deren Kranken besser über die Schwierigkeiten des Eingewöhnens hinweg.
4*
- 52 —
Natürlich kommt vor allem in Betracht, ob der psychische Zustand
des Kranken es erlaubt, dass derselbe umhergeht, oder zu Bett liegen
soll. Da muss man sich den Charakter des Patienten- betrachten,
und danach schliessen, und überlegen, wie derselbe zu behandeln sei.
Bei den meisten Kranken ist Bettruhe das beste Mittel, um die Psyche
von der Erregung zu befreien, doch ist es nicht immer nötig, dass
eine streng(; Bettruhe beobachtet wird, man kann sehr gut den Kranken
in einem Stuhl in sitzender Haltung, die Zeit verbringen lassen.
Sehr bald wird sich zeigen, wie die Ruhe und das gleichmässige Leben
günstig auf den Kranken einwirken. Ein dem psychischen Zustande
entsprechendes Behandeln wird auch die aufgeregteste Frau mit den
typischen Zeichen hysterischen Charakters in kurzer Zeit be-
ruhigend beeinflussen, und es ist gerade die Bettruhe, welche in
solchen Fällen oft sehr rasch und sicher wirkt. Es ist eine leicht zu
beobachtende Erscheinung, dass psychisch erregte Personen eine
unruhige, oftmals sehr schwere, und mit starker Excidation ein-
hergehende Narkose erleiden. Diese imangenehmen Begleiterscheinungen
werden stark gemildert, und kommen sogar bisweilen ganz in Wegfall,
wenn man das aufgeregte Temperament vorher beruhigt hat, was
auch noch neben der ruhigen Haltung durch die während der wenigen
Tage nötigen anderen vorbereitenden Massregeln erreicht wird.
§ 19. Um die kurze Zeit für den Kranken in jeder Hinsicht
günstig auszunutzen, nehmen wir möglichst oft Gelegenheit, den Orga-
nismus des Kranken genau zu untersuchen. Wenn es auch
nicht in allen Fällen möglich ist, den Kranken während einiger Tage
zu beobachten, so müssen wir in jeder Lage vor dem Beginn der Nar-
kose doch ein genaues Bild von den körperlichen Verhältnissen erlangt
haben. In dem Falle, wo ims einige Tage zur Verfügung stehen,
müssen wir möglichst oft Gelegenheit nehmen, körperliche Untersuch-
ungen einzuleiten.
Wir wollen, um ein klares Bild einer solchen Untersuchung zu
geben, dieselbe in ihren Hauptzügen beschreiben. Wenn der Kranke
in unsere Behandlung tritt, so ist es zunächst eine genaue allge-
meine Untersuchung mit Berücksichtigung der Krankheit, soAvie
aller anderen körperlichen und seelischen Verhältnisse, welche
wir vorzunehmen haben.
Diese erste Untersuchung geht den Gang, welcher für jede der-
artige vorgeschrieben ist. Als Hauptpu.nkt für unseren Zweck kommt
in Betracht, dass wir erst einmal ein Urteil erlangen über die here-
ditären Belastungen, und über die Konstitution des Kranken.
Wenn wir, nach dem Emiren der allgemeinen Punkte, uns ein Urteil
gebildet haben, gehen wir zu der körperlichen Untersuchung über.
Hier haben wir vor Allem zu achten auf die pathologischen Ver-
hältnisse des Herzens, der Lungen, der Organe des Abdomens,
von denen vor Allem die Nieren in Betracht kommen.
Das Herz muss eingehend in Be,zug auf seine Grössenverhält-
nisse, auf seine Aktion, auf seine Klappen, sowohl perkussorisch, wie
auskultatorisch, untersucht werden. Es wird oftmals nicht e-anz leicht
— 53 -
erscheinen, ir<;encl welche Krankhcitssymptome nachzuweisen, und auch
bei dem Fehlen äussorlichei* Anzeichen kann das Herz in einem Zu-
stande sich befinden, welcher für die Narkose verhängnissvoll
werden kann. Solche Zustände sind hauptsächlich die ersten Anfangs-
stadien der fettigen Degeneration des Herzfleisches, der
braunen Atrophie, der Sklerose der Kranzarterien etc. Hier
fehlen oftmals gerade jegliche Symptome, welche ein warnendes Zeichen
geben könnten. Die fettige Degeneration des Herzfleisches bildet
einen wesentlichen Punkt in der Entscheidung, welches Narkotikum zu
wählen sei. In solchen Fällen, wo die Symptome fehlen, müssen uns
die Anamnese, und die Mitteilungen des Kranken über sein sub-
jektives Befinden massgebend sein, und es hängt von unserem Ge-
schick, das von dem Kranken herauszufragen, was auf eine beginnende
fettige Degeneration deuten könnte, ab, ob Avir ein klares Urteil
erlangen, und eine definitive Entscheidung fällen können.
Was nun die Lungen anlangt, so müssen wir bei der Unter-
suchung derselben hauptsächlich auf Tub er kulose, und Emphysem
mit Bronchitis fahnden. Die ge ringsten Anfangsstadien müssen
von uns erkannt und erwogen Averden, und auch hier werden Avir oft
an der Grenze deutlicher Wahrnehmung stehen, und auf die Kombi-
nation unserer Inteligenz, und die Aussagen des Kranken ange-
wiesen sein. Bei etAvaigen Lungenaff ek tionen ist zu eruieren, ob
dieselben akute, oder chronische Erkrankungen darstellen. Die
akuten Katarrhe AA^erden von viel besserer Prognose sein, als die
chronischen, und Avir AA'erden bestrebt sein müssen, eine Heilung vor
dem Einleiten einer Narkose zu erzielen, und uns nicht scheuen,
die Operation solange hinauszuschieben, AA^enn es möglich ist, bis die
Lungenerkrankung zum Abheilen gebracht ist. Handelt es sich um eine
chronische, tuberkulöse Affektion der Liingenspitze, so ge-
winnen wir durch ein spektatives Abwarten Avenig, oder gar nichts.
Hier muss unsere Sorge dahin gehen, die Narkose der Erkrankung ent-
sprechend anzupassen an die Verhältnisse, das am günstigsten
wirkende Narkotikum zu wählen, und die ganze Leitung der Betäu-
bxmg nach dem Lungenzustande einzurichten.
Oftmals wird es uns scliAver fallen, einen akuten Katarrh von
einem chronischen zu unterscheiden. Hier sagt uns aber schon das
Verhalten der Krankheit Avährend des AbAA^artens von 1 — 2 Tagen und
einer entsprechenden Behandlung, ob Avir es mit einem gutartigen,
leichten, Lungenkatarrh zu tun haben, oder nicht, denn derselbe
wird unserer Behandlung nicht widerstehen, sondern schon nach kurzer
Zeit eine bedeiitende Besserung, wenn nicht gar Heilung aufweisen,
Avährend sich eine Phtise nicht so schnell günstig beeinflussen lässt.
Somit haben wir darin ein Unterscheidungsmittel, und Hand in Hand
mit der Anamnese über die Verhältnisse des Kranken nachdenkend,
Averden Avir ein entscheidendes Urteil über die Lungenverhältnisse er-
langen.
Was nun die Nieren anlangt, so sind wir hier nur auf die
Untersuchung des Harnes angewiesen, neben den Daten, die wir
— 54 —
aus der Anamnese feststellen. Die Harnuntersuchung muss zunächst
ha der chemischen bestehen, indem wir den Nachweis von der An-
wesenheit von Sacharum und Albumen zu liefern suchen. Neben
diesen müssen wir aber auch eventuell andere Bestandteile erwarten,
und wir können dieselben durch eine mikroskopische Unter-
suchung des Rückstandes, welchen wir bei der Zentrifugierung des
Harns erhalten, vornehmen. Wir haben vor allen Dingen die ver-
schiedenen Arten von Zylindern, rote Blutkörperchen, Epithel-
zellen in den verschiedenen Zuständen zu siichen.
Nachdem wir so den Patienten genau körperlich besichtigt,
studiert, und eine Krankengeschichte mit der Aufzeichnung aller
der gewonnenen Daten hergestellt haben, zeichnen wir uns noch die
üblichen Puls-, ßespirations-, T emperatur- und Har nk urven auf.
Dieselben werden durch 2 stündliche Aufzeichnungen genaii hergestellt,
und geben uns an sich schon nach 2 Tagen ein genaues Bild von dem
Gesundheitszustande des Kranken. Aber wir begnügen uns noch nicht
mit obiger Untei'suchung, sondern wir nehmen dieselbe Prüfung noch
mehrere Male vor, je nachdem, wie lange Zeit uns für diese Beo-
bachtung gegönnt ist, jedenfalls aber wenigstens 3 — 4 Mal, und werden
dann über alle Verhältnisse des Organismus im Klaren sein. Auch die
Untersuchung der Nieren darf nicht nur einmal, vorgenommen werden,
sondern sie muss öfter wiederholt werden, denn eine einmalige Prü-
fung könnte leicht einen Irrtum hervorrufen.
Wenn wir nun durch diese Untersuchungen die pathologischen
Zustände erkennen können, so sind doch eine Menge von anderen
Momenten vorhanden, die besser durch die Anamnese, und durch genaue
Inspektion zu eruieren sind. Deshalb nehmen wir keinen Anstoss, uns
immer mit dem Patienten zu unterhalten, um alle Daten seines
Vorlebens kennen zu lernen. So wird man dabei oftmals über
manches Symptom schneller und besser aufgeklärt, als durch eine schwie-
rige Untersuchung. Wir haben vor allen Dingen neben den heredi-
tären Verhältnissen zu fahnden auf irgend welche schwächende Ein-
flüsse, die vorher bestanden haben. So es ist z. B, von grösster Bedeu-
tung, zu wissen, ob der Patient z. B. vorher an heftigen Blu-
tungen an irgend welchen Organen gelitten hat. Es kann dadurch
eine Anämie hervorgerufen worden sein, die noch gar nicht die
äusseren Zeichen in solch hohem Grade trägt, obwohl vielleicht die
lebenswichtigen Organe schädigende Einflüsse erlitten haben,
und gerade die Erschöpfung durch Blutungen kann höchst omi-
nös werden für die Narkose. Denn die starken Blutverluste machen
das Herz so widerstandsunfähig, dass oftmals eine Nar kos e höchst
gefährlich wird, namentlich eine solche mit Chloroform, weil das-
selbe den Blutdruck noch an und für sich bedeutend herab-
setzt, und so unberechenbare Störungen in der Herztätigkeit hervor-
zurufen im Stande ist, dass plötzlich eine Herzsynkope . eintritt, der
man machtlos gegenüber steht. Haben wir aber vorher erfahren, dass
ein Defizit an Blut besteht, so können wir durch eine subkutane
Kochsalzinfusion viel von dem verlorenen Blute wenig-stens mo-
— 55 -
mcntau ersetzen, und Avir können den -weniger das Herz übel angreifen-
den Aether als Narkotikum -wählen, und so das Leben des Kranken
retten. Aber nicht nur die Blutungen höchsten Grades sind hierbei zu
verstehen, sondern auch jene geringfügig erscheinenden, denn ge-
rade diese, welche oft schon seit Wochen oder Monaten bestehen,
aber -wegen der geringen momentan abfliesenden Menge bei
unverständigen Patienten als belanglos erachtet, und nicht besonders
erwähnt -werden, da die Kranken vielleicht -wegen eines anderen
Uebels narkotisiert werden sollen, sind, so gering die momentanen
Blutungen auch erscheinen mögen, eben wegen ihrer Dauer von
grossem Einfluss auf das Herz und die anderen Organe. So sieht
man wohl dem Kx-anken eine gewisse Anaemie an, doch man ahnt
nicht, wie schwere Veränderungen schon vorhanden sind. Da nun hier be-
reits eine schwere Herzaffektion ina Verborgenen bestehen kann,
muss man den Vorgang erkannt haben, um eine eventuelle Gefahr
verhüten zu können.
Dasselbe muss betreffend die Erkrankungen undpathologischen
Zustände in anderen Organen gesagt werden. Unsere Anamnese
muss mit Genauigkeit geführt werden, ebenso wie die Untersuchung.
Die Tuberkulose mit ihren vielen Schädigungen ist schon unter den
Lungenerkrankungen entsprechend erwähnt worden.
§ 20. Nun haben wir aber noch einen anderen Punkt zu be-
achten, der, wie die Erfahrung lehrt, fast zu wenig in Betracht gezogen
wird, das ist die Frage: ist der Kranke frei von ansteckenden Krank-
heiten, welche durch die Narkoseninstrumente auf andere Personen
vom Kranken übertragen -werden können? Hier sehen wir ab von
jenen Krankheiten, deretwegen der Patient in unsere Behandlung tritt,
sondern wir haben vor allem die Syphilis und ähnliche intercurrierende
Krankheiten im Auge. Wenn auch dieselbe keine Kontraindikation für
die Narkose an sich bildet, so gibt sie doch Gefahr für die umstehenden
Personen, und für andere, die vielleicht mit derselben Maske später,
ohne dass die Maske etc. sterilisiert wurde, narkotisiert w^erden. Es
sollte unsere Untersuchung hierbei mehr, als üblich, diesen wichtigen Punkt
im Auge haben, denn -wir wissen recht wohl, dass wir nicht immer im
Stande sein können, die syphilitische Infektion mit Sicherheit nach-
zuweisen. Es ist daher nötig, dass wir mit List bei der Anamnese
herauszubekommen suchen, ob eine Infektion dieser Art vor kürzerer
Zeit, als zur Heilung nötig ist, stattgefunden habe. Wir werden nicht
immer bei direktem Fragen eine wahre Antwort erhalten, deshalb
müssen wir versuchen, positive Anhaltspunkte für und wider durch
eine objektive Untersuchung zu ei'langen. Es ist ja kein Zweifel,
dass durch die Maske die syphilitische Erkrankung mit Leich-
tigkeit übertragen werden kann, ebenso dass der Narkotiseur,
und die anderen assistierenden Personen der Gefahr der An-
steckung ausgesetzt sind.
Es kommt nach unserer Ansicht hauptsächlich in Polikliniken,
lind den Sprechstunden viel beschäftigter Aerzte dieser Umstand in
Betracht, da dort, meist ohne vorhergehende längere Beobachtung des
— 56 -
Kranken, eine Narkose eingeleitet wird, und in der Eile vielleicht nicht
iede Maske nach der Narkose durch Hitze sterilisiert Averden kann.
Wenn längere Zeit zur Beobachtung des Kranken gegeben ist, so darf
eine syphilitische Infektion niemals dem Arzte entgehen. Es ist
ja nun auch die Pflicht des Kranken, in jedem Falle den Arzt von dem
Bestehen einer derartigen Krankheit zu unterrichten, allein es Avird da
nicht jeder Kranke so peinlich mit seiner Wahrheitsliebe umgehen,
und es ist eine allgemein feststehende Tatsache, dass die meisten Per-
sonen bestrebt sind, diese Infektion nach Möglichkeit zu ver-
heimlichen.
§ 21. Es ist nun bei der Untersuchung des Körpers, ebenso wie
auf die inneren Organe, so auch auf die etAva bestehenden patholo-
gischen Veränderungen in Mund, Nase, Rachen und Kehlkopf
die Aufmerksamkeit zu lenken. Nicht nur dass man sich durch ein-
fache Inspektion von den oberflächlichen Verhältnissen über-
zeugt, sondern man muss mit Spekulum und Reflektor eine genaue
Untersuchung dieser Organe anstellen. Dies ist nötig, um erstens im
Rachen und Kehlkopf etAA^aige das Lumen verengernde Zustände
rechtzeitig zu erkennen, damit man nicht etwa eine plötzliche Ver-
legung des Atmungstraktus bei der Narkose erlebt, durch welche
der Kranke der Gefahr der Erstickung ausgesetzt Averden kann.
Die Untersuchung muss aber auch auf etwa bestehende Schleimhaut-
veränderungen, Katarrhe und Entzündungen fahnden, denn der-
artige pathologisch A^eränderte Organe und Schleimhäute sind die Orte,
wo Bakterien und Mikroorganismen der verschiedensten Arten
und Krankheiten Avuchern und gedeihen, sie stellen künstlichen
Brutstätten ähnliche Nährböden dar, wo jeder aus der Atmungs-
luft von innen oder aussen ankommende Coccus, oder Baccillu&
einen Ort findet, der ihm gestattet, sich zu Millionen und Milliar-
den von Lebewesen in kurzer Zeit zu vermehren.
Von diesen Stellen aus werden die Krankheitserreger mit dem
Speichel nach der Lunge, oder dem Darmtraktus transportiert, und
suchen sich dann dort einen geeigneten Ort, um ihre Krankheit er-
zeugenden Einflüsse ausüben zu können. Diese Katarrhe und Ent-
zündungen bestehen in der Nase in einem chronischen Schnupfen,
im Munde, in Stomatitiden, in Tonsillarabszessen, Wucher-
ungen und Hyperplasien der Schleimhaut des Rachens bis zum
Kehlkopf. Auch bei dieser Untersuchung ist uns die Gelegenheit ge-
geben, etAvaige syphilitische Infektionen zu erkenne-. Einden
wir solche Krankheiten, so müssen wir uns mit denselben näher be-
schäftigen.
Haben Avir nun nicht Gelegenheit, den Kranken während einiger
Tage zu beobachten, so müssen wir uns auf die momentane Unter-
suchung beschränken, und versuchen, ein entscheidendes Bild von
den physischen und psychischen Verhältnissen desselben zu
erlangen.
Diese Untersuchung muss natürlich mit derselben Genauigkeit,
wie oben beschrieben, wenn auch auf kvirze Zeit beschränkt, vorge-
— i)( —
nommen werden, denn es .steht uns hier nicht noch die Beobachtung^
zur Seite, und so müssen Avir versuchen, uns dieselbe durch eine recht
eingehende Anamnese zu ersetzen.
Die Hauitt])unkte, welche für jede Narkose massgebend sind,
müssen so intensiv und erschöpfend behandelt werden, dass wir
ein annähernd brauchbares Resultat erhalten.
Wenn wir nun nach der genauen körperlichen Untersuchung
weiter vorbereitend wirken wollen, so müssen wir eine einschlägige
Therapie der durch die Untersuchung festgestellten pathol ogischen
Veränderungen einleiten.
§ 22. Beginnen wir mit der Eingangspforte der Atmungswege,
dem Munde und der Nase, so ist für die Narkose von grosser Be-
deutung, diese Höhlen vorher genau zu inspizieren. Unsere Unter-
suchung ist bereits bestrebt gewesen, mit Nasen- und Kehlkopf-
spiegel diese beiden Höhlen zu mustern, und wir haben uns ein Ur-
teil geschafft über den Gesundheitszustand der Schleimhäute.
Worauf wir hier zu fahnden haben, sind die chronischen Erkran-
krankungen der Schleimhaut, wie wir sie bei der Stomatitis, der
Pharyngitis, dem Schnupfen, und den Laryngitiden finden. Man
wird vielleicht von vornherein meinen, diese Krankheiten würden wohl
kaum eine Bedeutung für die Narkose haben. Dem gegenüber haben
wir schon weiter oben erwähnt, wie an diesen Erkrankungsorten der
Schleimhaut enorm viele Bakterien etc. ihre Wohnung aufgeschlagen
haben. Eine solche chronisch-entzündete Schleimhaut ist ge-
schwollen und aufgelockert, hyperaemisch und äusserst leicht
verletzbar, was man sofort daran erkennt, dass nur ein leichtes Be-
rühren mit einem stumpfen Spatel, oder ähnlichem Instrument Blutungen
hervorruft. In diesem aufgelockerten blutreichen Zustande liegt das
günstige Nährmittel für die Mikroorganismen zu Tage. Bakteriolo-
gische Untersuchungen haben schon zur Genüge dargetan, welche
ungeheuere Menge verschiedener Krankheitserreger daselbst
nistet, und man findet unter ihnen oftmals die Erreger der schwersten
Erkrankungen der Lungen, des Darmtraktes u. s. w. wie z. B.
Pneum ococcen, Streptococcen, Diphtheriebaccillen, Bakte-
rium coli etc. Nehmen wir einmal ein Beispiel an, und betrachten
den Mund eines unserer Bauern z. B. aus der Lüneburger Heide,
oder sonstigen Gegenden, abseits der Stätten der Kultur. Schon während
einer kurzen Tätigkeit auf dem Lande in diesen Gegenden kann man
genug Beispiele sehen, und wir haben im Ueberblick berechnet, dass
ca. 907o aller dortigen Landleute mit Stomatitis, meist höch-
sten Grades behaftet sind, und dies ist ja auch erklärlich, wenn man
sich die Lebensweise dieser Menschen, die tatsächlich oftmals ein Da-
sein kaum würdig eines Menschen führen, betrachtet. Zahnbürste ist
ein Instriiment, welches in den Augen und Anschauungen des Lüne-
burger Bauern nur der Arzt besitzt, und das ihm im höchsten Grade
überflüssig erscheint, desgleichen sind ihm Mundwasser, und andere
zur Reinlichkeit dienende Objekte, ein unbekanntes Ding. Wenn
man einem solchen Menschen nur nahe kommt, so wird einem schon
— 58 —
der im höchsten Grade widerliche Stomatitisgeruch auflfallen, und
öffnet man gar erst den Mund des Kranken, so bietet sich dem Auge
das Bild hocho-radio-er chronischer Stomatitis dar. Bei den Stadt-
bewohnern ist dieser Uebelstand nicht so verbreitet, wie unter der länd-
lichen Bevölkerung, aber immerhin findet man auch unter dem Stadt-
volk noch eine grosse Reihe, welche jener Gattung von verwahrlosten
Menschen angehören. Dass in solch verwahrlostem Munde, und eben-
solcher Nase eine Kulturstätte für Krankheitserreger aller Art zu finden
ist, wird kaum ein vernünftiger Mensch leugnen. '
Aber auch von jenen unheimlich verwahrlosten Menschen abge-
sehen, finden wir in dem Munde eines reinlichen Menschen noch
immer eine grosse, wenn auch gegen jene verschwindend kleine Anzahl
von Krankheitserregern der verschiedensten Arten, denn die
enorm zahlreichen Ecken, Winkel, Schleimhautfalten und Taschen
des Mundes und der Nase bilden Schlupfwinkel für Bakterien,
und einen Aufenthaltsort für Speisereste, welche den ersteren zur
Nahrung dienen. Wir wissen, dass neben den Krankheitserregern auch
in jedem gu.t gepflegten Munde noch eine Reihe v^on typischen
Mund-Mikroorganismen, wie sie Miller so zahlreich nachgewiesen
hat, gefunden werden. Daraus geht hervor, dass auch in der üblichen
Mundpflege noch nicht genügend Schutz gegen diese Feinde des
menschlichen Organismus geboten ist.
Nehmen wir nun an, je eine Person von beiden hier beschriebenen
Kategorien käme zur Narkose, so würden bei derselben, wenn auch
verschieden stark, so doch ganz sicher mit dem Speichel Infek-
tionen der Lungen und Atemwege hervorgerufen werden durch
Krankheitserreger, welche aus der Mund-, Nasen- und Rachenhöhle
mit Speichelteilchen in die Lungen übertragen würden.
Deshalb müssen wir Vorkehrungen treffen, um die gefährlichsten
Krankheitserreger, wenn möglich, aus den genannten Höhlen zu eli-
minieren. Dass hierzu zunächst nötig ist, zu wissen, ob die Mund-,
Nasen-, und Rachenorgane gesund, oder im höchsten Grade affiziert sind,
miiss Jedermann einleuchten, denn je nach dem gefundenen Zustande
müssen wir unsere therapeutischen Massregeln ergreifen.
Nehmen wir zunächst einmal einen Durchschnittsmenschen
an, welcher die übliche Mundpflege geAvissenhaft ausführt, so muss
unsere Sorge bei diesen Personen dahingehen, die noch immer in den
genannten Höhlen anwesenden Krankheitserreger durch Desinfektions-
versuche teils abzutöten, teils in ihrer Virulenz so weit zu schwächen,
dass sie nicht mehr Lebensfähigkeit genug besitzen, und so von den
baktericiden Sekreten des Körpers, und dem Blute überwunden
werden können. Wir übergeben dem Patienten eine gute Zahnbürste,
und desinfizierendes Mundwasser, indem wir denselben veranlassen,
öfter täglich, je nach dem Zustande, 1 stündlich, 2- oder Sstündlich
den Mund zu bürsten und zu spülen. Dabei muss ebenfalls die des-
infizierende Lösung bis in den Rachen, so weit wie möglich hinab-
gespült werden. Ist die Nasenschleimhaut in gutem, gesundem
Zustande, so genügt es, dieselbe so zu erhalten, eventuell einige Nasen-
— 59 -
duschen kurz vor dem Be<i-iun der Narkose zu dem Zwecke, um den
enthaltenen Schh'im zu entfernen, vornehmen zu lassen. Zwei Tage
einer solchen Behandlung genügen, um Mund und Nase so weit, als
möglich zu sterilisieren, und die Folge davon ist, dass Lungen-
erkrankungen nacli der Narkose verhütet werden.
Wenden wir uns nunmehr zu unserem vernachlässigten Bauern
M^ieder zurück, hier genügt die genannte Desinfektion nicht, denn
wir haben es hier mit einer bekanntlich sehr hartnäckigen Krank-
heit zu tun. Meist ist bei diesen Leuten, neben dem Mundleiden,
auch noch ein chronischer Pharynxkatarr h, und chronischer
Schnupfen vorhanden. Hier müssen wir energisch erst diese Krank-
heiten in Angriff nehmen, indem wir zunächst die Stomatitis einer
direkten Behandlung unterziehen. Zu diesem Zwecke lassen wir
den Mund des Kranken öfter am Tage von einer zuverlässigen Person
mit einem Haarpinsel, welcher in Tinctura Myrrhae oder andere
Mittel getaucht ist, so bearbeiten, dass sämtliche Schleimhäute des
Mundes mit der Tinktur bepinselt werden. Je nach der Schwere
der Erkrankung verwende man ausser der Myrrhentinktur, noch
Tinctura Jodi, oder Solutio argenti nitrici 1,0: 15,0, oder Tinc-
tura Myrrhae mit Tinctura Ratanhiae und Tinctura catechu ää,
oder Solutio Kalii chlorici 10,0 : 100,0 zum Gurgeln, oder eine
rosafarbene Lösung von übermangansaurem Kali in Wasser usw.
Diese Mittel sind je nach der Art der Stomatitis mit einem Pinsel
direkt auf die Schleimhaut aufzutragen, oder man lässt den Kranken
mit entsprechend dünnen Lösungen Mund und Rachen spülen. Als
Gurgelwasser verwendet man noch sehr gut eine Avässrige Lösung
von Thymol.
Diese Lösung muss von jedem Kranken, sei er mit, oder ohne
Mundaffektion behaftet, vor der Narkose zum Ausspülen verwandt
werden. Die Behandlung jener schweren Stomatitiden erfordert natür-
lich eine längere Zeit als 2 Tage, und wir müssen Avenigstens 3 oder
4 Tage zur Behandlung verAvenden, bis die Erkrankung so weit ge-
bessert erscheint, dass man die Narkose Avagen darf.
Wenn Avir den Kranken vor der Narkose, in Bezug auf die Rein-
lichkeit seines Mundes, behandeln, so müssen AA'ir auch nicht vergessen,
etAvaige Fremdkörper, die er im Munde bei sich führt, aus demselben
zu entfernen. Es kommen hier hauptsächlich ZAvei in Betracht, das sind
falsche Zähne und Kautabak.
Die falschen Zähne müssen schon am Tage A^or der Narkose
Gegenstand unserer Sorge sein, und Avir müssen veranlassen, dass der
Kranke dieselben Avährend des Schlafens herausnimmt, Avas viele
unvorsichtige Menschen unterlassen, und Avährend dieser Zeit müssen
dieselben in einer leicht desinfizierenden Flüssigkeit liegen. So
werden sie in Bor-, Salizyl-, Thymollösungen aufbewahrt, und
dann muss der betreffende Patient vor dem Wiedereinsetzen der-
selben eine Reinigung mit einer Bürste vornehmen, denn gerade in
den ZAvischenräumen der Zähne setzen sich Speisereste fest. Der
lebende Zahn hat eine unangenehme Empfindung, wenn zu seiner Seite
- 00 —
in dem Zwischenraum mit dem Nachbar ein Eest von Speisen zurück-
bleibt, und wir suchen denselben zu entfernen, allein an falschen
Zähnen wird man dies nicht gewahr, und deshalb müssen dieselben
öfters gut gereinigt werden. Dieselben Verhältnisse findet man unter
der Gummiplatte am Gaumen, und es zeugt von wenig Sauberkeit
des betreffenden Menschen, Avenn derselbe sein Gebiss nicht jeden Tag
einmal entfernt, und reinigt. Ferner muss unsere Sorge dahin gehen,
dass der Kranke, ehe er nach dem Operationssaal gebracht wird, noch
in seinem Zimmer die falschen Zähne entfernt und dort geeignet
aufbewalirt, denn es Avird. oftmals vorkommen können, dass die Zähne
verloren gehen, wenn er dieselben erst kurz vor Beginn der Inhalationen
in dem Operationssäle herausnimmt. Dann werden dieselben eventuell
an einen Ort gelegt, wo sie entweder unvorteilhaft aufbewahrt werden,
oder verloren gehen können. Aiisserdem kann es im letzten Moment
leicht vergessen werden, dieselben zu entfernen.
Was nun den Kautabak anlangt, so ist es am besten, der Kranke
unterlässt dieses schmutzige Vergnügen während seines Aufenthalts
im Krankenhause ganz. Wenigstens an den Tagen vor der Operation
muss man ihm die Benutzung desselben entschieden Aviderraten, erstens
aus dem Grunde der Reinlichkeit, zweitens um die meist zugleich
bestehende Stomatitis zur Abheilung zii bringen. Wird der Stift
nicht entfernt, so ist an eine günstige Therapie der Stomatitis nicht
zu denken. Dass nebenbei das hässliche Ausspucken in einem
Krankensaale nicht geduldet werden kann, ist verständlich, und schon
aus diesem Grunde müsste das Tabakkauen verboten werden. Ferner
muss natürlich auch der Stift vor der Narkose entfernt Averden,
und der Kranke sollte jedenfalls nach Entfernen desselben erst noch
eine Reinigung des Mundes vornehmen, ehe er die Inhalation be-
ginnt. Daher muss die Entfernung schon längere Zeit vorher verlangt,
und eine Desinfektion des Mundes durchgeführt Averden.
Andere Fremdkörper kommen in Mund und Nase nicht vor,
.aber es muss vor jeder Narkose noch einmal vom Narkotiseur der
Miind des Kranken, in Bezug auf Fremdkörper, betrachtet werden,
denn es geschieht während der Lähmung der Muskeln zu leicht, dass
die Gebisse sich lockern, tind verschluckt werden, falls sie nicht
vorher entfernt Avurden, und ernste Gefahren drohen dem Leben des
Kranken durch Ersticken, wenn nicht schleunigst Hilfe gebi-acht wird.
Was nun die Nase anbelangt, so werden dem Kranken, A\^elcher
eine chronische Rhinitis aufweist, Nasenduschen mit Salizyl,
Bor. , Kaliihypermanganici , Kaliichlorici-Lösungen verordnet,
ev. geht man direkt gegen die Schleimhaut mittels Aetzungen der-
selben vor.
Ausserdem lassen wir die Kranken mehrmals am Tage, um auf
den Kehlkopf, und die Luftwege desinfizierend einzuwirken,
Kochsalzwasserdämpfe, Terpentin-Spray und ähnliche Mittel
durch den Zerstäuber einatmen.
Durch diese Behandlung der oberen AtemAvege bringen wir uns
eine grosse Möglichkeit der Infektion der Lungen und Bronchien
— Cl-
in Wegfall. Denn durch diese Massnahmen sind, sowohl in Mund und
Nase, wie im Kehlkopf, Pharynx, und den Bronchien, die etwa
vorhandenen Krankheitserreger vermindert, und die noch vorhandenen
haben einen grossen Teil ihrer Vitalität eingebüsst. Es wird ja in
vielen Fällen diese Vornahme von Desinfektion auf heftigen Wider-
stand seitens unverständiger Patienten stossen, doch wenn man sie über
die Wichtigkeit belehrt, so wird ein grosser Teil klein beigeben, und
mit Energie und sicherem Handeln wird kaum einmal echter
Widerstand geleistet werden.
Ja man soll lieber einen renitenten Patienten seiner Wege
gehen lassen, als von dem Grundsatze Aveichen. Derselbe hat in der
Tat die günstigen Wirkungen in vielen Fällen gezeigt, und deshalb
darf man nicht nachgeben, weil dann jeder Patient etwas lästiges darin
findet, und so wird ein lauer Zug in der Desinfektion der betreffen-
den Organe eintreten, welcher die ganze Vornahme dann, in Bezug auf
die günstige Wirkung, illusorisch machen kann. Wir wissen aber,
dass ein ganzes Erfüllen aller Pflichten bei der ärztlichen
Tätigkeit Haupterforderuis ist, und dass jede Konzession, die
wir eventuell dem Kranken machen, wenn sie nicht durch organische
Veränderungen gerechtfertigt wird, entweder ein Zeichen unseres
eigenen Zweifels in unser Handeln ist, oder eine Charakterlosig-
keit unseres medizinischen Geistes dartut. Nur die Gesamtheit
führt hier zum Ziele, und das Ziel ist für den Patienten die Gesun-
dung seines Organismus, und für uns das Bewusstsein, alles für das
Wohlergehen des uns anvertrauten Menschen getan zu haben.
Wenn wir hier auf die gesunden Verhältnisse der Lungen be-
dacht gewesen sind, so sei hier noch bemerkt, dass der Kranke auch
vor der Narkose, neben der Pflege des Mundes, durch systematische
Atmung einen wohltuenden Einfluss auf die Lungen ausüben kann.
Wir werden den Kranken anweisen, wenn es sein Zustand, und die in
Aussicht genommene Operation gestattet, sich in der tiefen Respi-
ration zu üben. Dies ist erforderlich aus folgenden Gründen. Wenn
die Narkose beendet ist, so drohen dem Kranken Gefahren durch die
wenig ausgiebige Lungentätigkeit, indem er hypostatische
Pneumonien, Aspirationsbronchitis, und Pneumonien sich zu-
ziehen kann. Daher wird nach der Narkose, wie später noch genauer
dargetan werden wird, eine systematische Atmung vorgenommen.
Damit nun der Kranke bereits geübt ist für diese Arbeit, lassen wir
ihn vor der Narkose schon diese Atmung üben und erlernen. Die-
selbe hat aber auch noch den Nutzen, dass sie die Lunge vor der
Narkose ausdehnt und lüftet, damit nuii so zu sagen, eine tiefe In- und
Expiration erfolgen kann. Die Uebung wird folgendermassen vorge-
nommen. Der Kranke setzt sich in dem Bette auf, wenn dies sein
Zustand erlaubt; und nimmt zunächst zehnmal langsam hintereinander
tiefe Atemzüge vor. Nachdem eine halbe Stunde verflossen ist,
wird dies wiederholt, und zwar macht der Kranke jetzt 15 — 20 tiefe
Atemzüge. Es muss dies regelmässig alle halben Stunden gemacht
werden, mehr wie 20 tiefe Atemzüge soll der Kranke nicht vor-
— 62 -
nehmen. Darnach ruht er wieder eine halbe Stunde aus, um dasselbe
nach Verlauf dieser Zeit zu wiederholen. Ist der Kranke nicht in der
Verfassung, dass er sich aufrichten darf, so macht er die Atmung im
Liegen. Jedenfalls muss dies von einem Wärter, oder dem Arzte selbst
überwacht werden. Man braucht ja jetzt die Uebung nicht mit solcher
Peinlichkeit, wie nach der Oj)eration vorzunehmen, doch ist es ein sehr
grosser Vorteil, wenn der Patient diese Respirationstherapie vorher ge-
lernt hat.
§ 23. Von nicht geringerer Bedeutung wie der Atmungstraktus
in Bezug auf die Inhalationsnarkose ist der Darmtraktus. Wir haben
in Bezug auf denselben in verschiedener Richtung einen Einfluss auf
den Kranken auszuüben, denn bei nicht nach bestimmter Ordnung be-
handeltem Darmtraktus zeigen sich während der Narkose eine Reihe
von unangenehmen Ereignissen, welche durch die folgenden Massnahmen
leicht verhütet werden können. Einen ganz besonderen Einfluss auf
den Verlauf der Narkose übt der Magen an sich aus, und es kommt
je nach den obwaltenden Verhältnissen viel auf den Grad der Füllung
desselben an, weshalb es nötig ist, demselben eine besondere Be
achtung zu schenken. Da ist es nun das nächste, dass wir die Er-
nährung, die Zufuhr von Nahrungsmitteln vor der Narkose,
regeln. Dies soll zunächst in dem folgenden erörtert werden.
§ 24. Es kommt natürlich hierbei vor allen Dingen auf die
Hauptkrankheit des Patienten an. Wenn derselbe an einer patho-
logischen Veränderung des Magens, oder Darms direkt leidet,
so werden Avir denselben anders ernähren müssen, als wenn er von einer
mit den Unter leibsorganen nicht in Berührung kommenden Krank-
heit behaftet ist. Nehmen wir zunächst an, der Kranke sei im Ab-
domen gesund, und die Operation an sich verlange keine Rücksicht
auf die Ernährung.
In diesem Falle haben wir an den Tagen vor der Narkose dem
Kranken eine Nahrung zu verabfolgen, welche leicht verdaulich ist,
und nicht längere Zeit im Darmtraktus verweilt.
Unser Bestreben ist, einen möglichst leeren Magen und Darm-
kanal zu erhalten. Die Ernährung wird aber hauptsächlich am Tage
vor der Narkose so eingerichtet werden müssen, dass der Kranke eine
Nahrung erhält, die ihm noch Kraft gibt; und es ist durchaus nicht
der Zweck unseres Handelns, wie es früher vielfach Sitte war, den
Patienten vor der Narkose völlig hungern zu lassen. Dies wäre
ganz verkehrt, denn dadurch verliert derselbe Kraft, und wird am
Morgen vor der Operation matt und flau sein. Das Gegenteil wünschen
wir aber von dem Kranken, da wir ihn einer doppelten Anstren-
gung in Bezug auf seine Körperkräfte aussetzen, erstens durch die
Operation, zAveitens durch die Narkose. So müssen wir im Gegen-
teil bestrebt sein, den Patienten möglichst zu kräftigen, aber nicht
zu schwächen. Aus diesem Grunde geben Avir ihm noch am Tage
vorher etwas Fleisch und Gemüse, Tee und Wein. Auch am
Morgen vor der Narkose soll der Kranke etwas Nahrung erhalten, eine
Tasse Tee mit etAvas Kognak, eventuell auch ein kleines Brötchen.
- 63 —
Nun ist bei der Nahrungsgabe zu bedenken, ob vielleicht die
Zeit bis zur Narkose noch ausreicht, um eine völlige Verdauung dieser
Nahrung herbeizuführen.
Soll der Kranke einen völlig leeren Magen haben, was man dann
wünscht, Avenn, wie bei starken Rauchern und Trinkern es der
Fall zu sein pflegt, ein chronischer Rachenkatarrh vorhanden ist,
welcher einen erhöhten Brechreiz verursacht, so lässt man diese
Nahrungszufuhr am Morgen besser weg, namentlich, wenn die
nötige Zeit zur Verdauung fehlt. Andere Patienten, bei denen nicht
die Neigung zum Brechen und Würgen wahrscheinlich ist, lässt man
ruhig eine Tasse Tee mit Kognak, und ein Brötchen geniessen.
In dem Falle, wo dies unmöglich sein sollte, bi'ingt man dem Kranken
per rectum eine Nahrungszufuhr bei, worüber weiter unten ge-
sprochen werden soll. Die Regel, welche wir in Bezug auf Nahrungs-
zufuhr vor der Narkose aufzustellen haben, lautet: der Magen soll im
Durchschnitt nicht gefüllt sein, sondern fast leer, ohne dass aber
vorher eine starke Hungerkur bestanden hat, die den Kranken
schwächen könnte. Die Speisen, die wir ihm eventuell noch verab-
reichen, müssen in geringem Umfange viel kräftigende und anregende
Stoffe enthalten, und doch leicht verdaulich sein, damit sie bis zum
Beginn der Narkose bereits verdaut worden sind. Eine dazu genügende
Zeit muss gewählt werden.
§ 25. Wenn wir nun die überaus häufigen Narkosen bei La-
paratomien, Magen- und Darmaffektionen in Betracht ziehen,
so besteht hier die Hauptregel, dass der Magen vor der Narkose voll-
kommen leer sei, ebenso wie der Darm. Deshalb werden wir
bei Laparatomien etc., um ein Würgen oder Erbrechen, das die
Operation sehr erschwert, zu vermeiden, und zu verhüten, eine Magen -
ausspülung vor der Narkose vornehmen.
Auch in solchen Fällen, wo ein alter Magenkatarrh wahr-
scheinlich vorhanden ist, werden wir von einer Magenspülung Nutzen
sehen.
Zu der Magenspülung brauchen wir folgende Instrumente:
Eine Schlundsonde aus elastischem Gummi ä la Nelaton, einige
Gummischläuche, und ein dreiarmiges Glasrohr, sowie einen
Glastrichter, oder Irrigator. Wir verbinden zwei Arme des Glas-
rohres mit je einem Gimimischlauch,
Der eine führt zum Trichter oder Irrigator, der andere in einen
Eimer. Das noch freie Glasrohr wird mit der Schhmdsonde verbunden.
Nun führt man die Sonde in den Magen ein, indem man den Kranken
in dem Moment schlucken lässt, wenn das Rohr in die Nähe des
Kehlkopfes, unter Führung des Fingers, gelangt. Nachdem die Sonde
in den Magen eingeführt ist, lässt man die physiologische Koch-
salzlösung aus dem Irrigator in den Magen fliessen, indem man das
andere Gummirohr zusammendrückt, oder mit einem Hahn verschliesst.
Nachdem der Magen gefüllt ist, öifnet man das Abflussrohr, und schliesst
das Irrigatorrohr. Nachdem man so mehrere Male verfahren hat, ist
der im Magen etwa vorhanden gewesene Schleim, und überflüssige
— 64 —
Magensaft entfernt, und man schliesst die Spülung. Es ist sehr zu
raten, in allen Fällen, wo man Verdacht auf Erbrechen hat, eine
Magenspülung vorauszuschicken, man wird die gute Wirkung sofort
gewahr werden.
§ 26. Was nun die Verhältnisse im Darmkanal anlangt, so
soll derselbe, wenn möglich, durch Purgantien gereinigt Avorden sein.
Man tut dies am besten auf die Art, indem man dem Kranken an den
2 — 3 Tagen vorher regelmässig früh und abends ein Glas Karlsbader
Wasser zu trinken gibt, oder man wendet ein Abführmittel an, falls
hier die Wirkung nicht genügend ist. Es ist nun in manchen Fällen
erforderlich, dass der Darm ganz leer ist, z. B. bei Operationen am
Darmtraktus. In diesen Fällen muss man ein energisches Abführ-
mittel geben, und es empfiehlt sich dabei am besten ein Senna infus,
oder ein anderes stärker wirkendes Laxans. Bei den gewöhn-
lichen Narkosen ist es nicht nötig, so intensiv zu laxieren, es wird
dabei ein leichteres Laxans genügen.
§ 27. Bei i'enen Kranken, wo man per os eine Nahrungszuführ
für unangebracht hält, wird demselben ein Klysma gegeben. Dasselbe
wird von einem W ar mwass er ein lauf, welcher die etwa im Rektum
noch anwesenden Faeces entfernen soll, vorher eingeleitet. Nachdem das
Wasser wieder entfernt worden ist, lassen wir in den Darm des Kranken,
welcher auf der linken Seite mit dem Anus etwas erhöht gelagert ist, aus
einem Irrigator ein Gemisch von 50 gr. Kognak, 50 gr. Rotwein,
und einigen Tropfen Tincturae Opii, in warmen Wasser gelöst
(Witzel) eventuell mit etwas Tee oder Milch gemischt, falls uns dies
nötig erscheint, langsam einlaufen, und fordern den Patienten auf, nichts
wieder herausfliessen zu lassen. Man muss eventuell den Anus durch An-
pressen einer kleinen Gazekompresse für einige Zeit fest schliessen, um
dem Kranken das Anhalten der Flüssigkeit zu erleichtern, da dieselbe
sonst oft ohne Zutun des Kranken von selbst abfliesst.
Dieses Klysma muss natürlich bei Kranken, welche am Darm
operiert werden sollen, wegfallen, in diesen Fällen werden wir aber den
Darm, falls es möglich ist, noch vorher durch Warmwas serklysmata
reinigen. Solche Rektalspülungen sind sehr zu empfehlen.
So haben wir die Behandlung des Kranken in Bezug auf Magen
und Darmkanal erschöpft, und die wichtigsten Manipulationen erwähnt,
welche in keinem Falle vernachlässigt werden sollten. Wir wenden uns
nun zur medikamentösen Vorbereitung des Kranken.
§ 28. Da wir ja wissen, dass ein grosser Teil der Menschen in
so engen Beziehungen zum Alkohol steht, wie man kaum dieselben
Verhältnisse zu einem anderen chemischen Stoffe finden wird, so müssen
wir nicht vergessen, auch des Alkohols hier zu gedenken. Da der-
selbe ja fast in allen menschlichen Verhältnissen eine gewichtige Rolle
spielt, so ist es auch von vornherein anzunehmen, dass er diess auch
hier tun wird.
Der Alkoholismus ist in einem viel grösserem Masse verbreitet,
als man von vornherein glauben möchte, da man im allgemeinen
nur die sogenannten Trinker als AI ko ho listen bezeichnet. In un-
- 65 -
serem Fülle über ist dieser Begrift" „Alkoholis t" viel um fassen der,
als gewülmlicli angenoninien wird. Man könnte fast die Narkose als
ein sehr feines E r k e n n ii n g s z e i c h e n selbst für den schwächsten
Alkoholisten ansehen, so fein ist die Reaktion. So sehen wir oft-
mals Frauen ein typisch alkoholistisches Exzidationsstadium
passieren, und wir A\undern uns, dass auch in diesem Falle der Teufel
Alkohol die Hand im Spiele hat. Und wenn man sich nun genauer
nach der Lebensweise der betreuenden Person erkundigt, so erfährt
man denn auch, dass dieselbe allerdings eine gewisse Vorliebe für
unseren Teufel besitzt, und diese Neigung ist eine von zarten Banden
gefesselte Leidenschaft.
Wir haben gar oft Gelegenheit zu beobachten, dass selbst die
konstante Aufnahme von alkoholischen Getränken, w^enn auch
in ziemlich geringem Maasse, eine unruhige Narkose hervorbringt.
Dass natürlich der unmässige Genuss des Trinkers sich von diesen sehr
untei'scheidet, ist verständlich. Bei ihm haben wir ja oft die stärksten
Exzidationen gesehen, und diese Narkosen w^aren oftmals, namentlich
in früheren Zeiten, ein schwieriges Ringen mit dem im höchsten
Grade erregten Kranken.
Nun ist es aber nicht nur die Exzidation, welche man allein
fürchtet, es kommt beim Alkoholisten noch die Reaktion auf die
Narkotika in Betracht. Es ist vor allem der Eintritt einer Herz-
synkope, welcher zu fürchten ist. Um nun all die Nachteile, welchen
ein Alkoholist in der Narkose ausgesetzt ist, herabzusetzen in ihrer
Wirkung und Intensität, hat man dem Kranken vorher eine Dosis
Alkohol gegeben. Durch eine entsprechende Gabe Alkohol, aller-
dings lieber per rectum, und nicht per os, wegen des eventuell
entstehenden Brechreizes im Rachen des Trinkers, wird eine bei
weitem ruhigere und weniger gefährliche Narkose hervor-
gerufen. Mau gibt per Rectum bei einem Trinker mittlerer Stärke
50 gr. Kognak, und 50 gr. Rotw-ein in warmem Wasser gelöst.
Durch diese Gabe direkt vor der Narkose wirkt man anregend auf die
Herztätigkeit. Wir w^erden aber auch schon vorher dem Kranken
eine regelmässige Alkoholportion verabreichen.
Würden wir dem Manne plötzlich beim Eintritt in die Klinik den
gewöhnten Alkohol entziehen, so würden wir einen grossen Fehler
begehen. Vor allem w^ürde der Kranke, wenn er starker Trinker war,
der Möglichkeit des Eintrittes eines Delirium alcoholicum sive
tremens ausgesetzt sein, und der Verlauf desselben ist keineswegs ein
günstiger in jedem Falle.
Aber auch bei massigem Gentiss des Alkohols w^äre es
falsch, denselben ganz wegzulassen, denn wir entziehen dann dem
Herzen ein Mittel, welches anregend auf seine Tätigkeit seit
längerer Zeit , regelmässig gewirkt hat. Dadurch wird das Herz ge-
schwächt und in seiner Widerstandskraft herabgesetzt. Wenn mm
noch der Einfluss der Narkose hinzukommt, w^elcher ebenfalls Anforde-
rungen an die Kraft de-s. Herzens stellt, so haben wir zwei Momente,
welche doppelte Einwirkung auf das Herz ausüben. Durch die Alko-
5
- 66 -
holgaben vor der Narkose haben wir eine Anregung der Herztätig-
keit zu erwarten, und somit Avird das Herz eher die Anstrengung aus-
halten. Ebenso sind kleine Alkoholdar reichungen an den Tagen
vor der Narkose von Nutzen, und Avir dürfen nicht vergessen, die-
selben entsprechend den Gewohnheiten des betreffenden Individu-
ums einzurichten.
§ 29. Ebenso, wie wir schon diu'ch die Alkoholdarreichung
auf die Herztätigkeit einzuwirken suchten, ist es auch von verschie-
denen Seiten durch Darreichung von Digitalis und Strophanthus
versucht worden, stärkend die Herzaktion zu beeinflussen. Wir
Averden in der av eiteren Entwickelung sehen, dass manche Na r kose n-
arten auf die Herztätigkeit einen gewaltigen Einfluss ausüben.
So ist es nachgewiesen, dass das Chloroform für den Blutdruck von
ganz enormer Bedeutung, und somit für die ganze Herztätigkeit ist.
Wenn A\'ir nun vor der Narkose jenes vor allem im Auge haben müssen,
nämlich die Leb ens Vorgänge in dem betreffenden IndiAäduum zu er-
mitteln, und Lücken im Getriebe des Organismus noch rechtzeitig aus-
zufüllen; so müssen wir vor allem unsere Aufmerksamkeit auf die
Herztätigkeit lenken. Es kommt nur zu leicht vor, dass dieselbe
eine Aenderung erfährt, wir sehen die beginnende fettige Degene-
ration sich in einer unregelmässigen Aktion anzeigen, und wir
sehen ebenso die Arteriosclerose von gewaltigem Einfluss auf die-
selbe. Ferner kommen wir in die Verlegenheit, selbst an Herzkranken
unsere Kunst des Narkotisierens zu erproben. Da ist nun unser Haupt-
gegenstand der Obacht wiederum das Herz, und wir werden in jenen
Stallen, wo eine Degeneration, oder Sklerose bereits ihre Einflüsse
in Abweichungen der Herzaktion, und somit auch des Pulses geltend
macht, Vorkehrungen treffen müssen, um bei dem an die Herztätig-
keit schon an sich hohe Anforderungen stellenden Verfahren der Nar-
kose nicht einen locus minoris resistentiae in der Herzaktion
zu finden, sondern einen Felsen, an dessen Festigkeit selbst die
Noxen einer Chloroformnarkose machtlos abprallen. Durch ent-
sprechende Medikationen können wir eine unregelmässige Herztätig-
keit bessern , können wir eine schwache Kraft stärken , so dass die
Narkose von dem Herzen ausgehalten wird. Wir sehen hier ab von
spezifischen Wirkungen der einzelnen Narkotika auf das Herz selbst,
und ziehen nvir die schwächenden Einflüsse der Narkose, der
Betäubung im allgemeinen, in Betracht.
Da wir nun aber nicht immer die Herz erkrankungen in ihrem
Anfangsstadium zu erkennen vermögen, denn es muss bereits eine
bestimmte Grösse und Ausdehnung der Erkrankung vorhanden sein,
bis deren Gegenwart durch einen deutlich durch Gefühl und Betastung
nachweisbaren Aenderungszustand im Verhalten des Pulses ausge-
drückt wird, und die ersten Anfänge der Krankheit entgehen oftmals
lange Zeit unserem beobachtenden Betasten und Prüfen mit den Händen.
So lassen wir den Patienten bei der leisesten Ahnung und Ver-
mutung einer Herzaffektion eine regelmässige Digitalis- oder
Strophanthuskur beginnen.
— 67 —
Namentlich bei gut kompensierten Herzfehlern, wo auch
ohne Medikation eine gut geleitete A ethernarkose z. B. vertragen
werden kann, bei Alkoholismus, bei Pletora etc. werden wir pro-
phylaktisch diese Mittel mit gutem Erfolge anwenden. Wenn man
bedenkt, dass durch ganz geringfügig erscheinende Anlässe oftmals eine
Herzschwäche bei solchen Kranken hervorgebracht wird, ist es klar
und verständlich, dass eine prophylaktische Bekämpfung even-
tueller Schwächezustände von grossem Nutzen sein kann.
Neuerdings hat Kader bei über 200 Narkosen Digitalis und
Strophanthus angewendet. Er giebt Digitalis 24 — 48 Stunden,
Strophanthus (Tinctura Strophanthi) 2 — 3 mal täglich 5 bis
12 Tropfen) häufig nur wenige Stunden vor der Narkose. In
vielen Fällen genügte ihm eine Dosis, der durch die Medikation kräf-
tiger und langsamer gewordene Puls blieb selbst bei sehr lange dauernden
Narkosen älterer Leute gewöhnhch bis zum Ende der Narkose bei
guter Qualität. Auch während der Nachbehandlung verwandte
Kader dieses Mittel besonders bei Bauchoperierten, und glaubt auch
bei Mund-, Rachen- und Kehl köpf operierten dadurch manche Pneu-
monie verhütet, ja zur Heilung gebracht zu haben. Da Digitalis
das rechte Herz schwächt, (Opeucho wskj) und dadurch den
kleinen Kreislauf schädigt, ist Kader neuerdings ganz von der
Darreichung der Digitalis abgekommen, und verwendet ausschliesslich
Strophanthus.
Man gibt diese beiden bekannten Herzmedikamente, Digi-
talis und Strophanthus auch folgendermassen. Entweder man nimmt
Tinctura Digitalis, und gibt dem Kranken von derselben allein
15 — 20 Tropfen 4 mal am Tage, oder man nimmt einen entsprechend
Starken Infus der Blätter, oder Pillen. Letztere sind zu 3 — ^6 Pillen
täglich zu nehmen, und haben wegen der angenehmen Art des Ein-
nehmens vielleicht einen Vorzug. Man verwendet auch Tinctura
Digitalis oder Strophanthi zusammen (Witzel), und gibt dann 4 mal
täglich 15 Tropfen von einer Mixtur aus Tinctura Digitalis et
Strophanthi ää. Es ist kein Fehler, wenn man diese Tropfen nach
den Angaben von Witzel jedem Kranken gibt, denn man wird fast
bei der Hälfte aller Patienten dieselben so wie so anwenden müssen
wegen Verdacht einer Herzaffektion. Diese Tropfen besitzen nämlich
noch einen vorteilhaften Einfluss auf den Patienten, welcher in Be-
ruhigung und Verminderung der psychisch en Erregung besteht.
Es ist der direkte Einfluss der Medikamente auf das Nervensystem,
Avelcher sich in einer sedativen Wirkung kenntlich macht. Ausser-
dem kommt vielleicht noch jener Umstand als Beruhigungsmittel
in Betracht , nämlich der , dass der Kranke durch diese Darreichung
von Medizin sieht, es wird bei ihm eine Behandlung eingeleitet, und
dieses Bewusstsein gibt ihm eine grössere Ruhe, und mehr Vertrauen.
So haben wir einen dop})elten Nutzen von dem Darreichen der Tropfen.
Die Wirkung derselben auf Herz und Psyche ist keineswegs zu unter-
schätzen.
§ 30. Nächst dem eben erwähnten haben wir noch ein zweites
5*
- 68 —
allbeliebtes Mittel, um die Narkose selbst ruliigei* zu gestalten, und den
Kranken an sicli ebenfalls zu beruhigen. Dies ist das Morpbinuiu
muri ati cum. Wir geben dasselbe bei jeder Art der Narkose, und es
ist kein Z^veifel, dass die Wirkung desselben für die Narkose eine
günstige ist. Manche sind, und vor allen Dingen war man früher der
Ansicht, man müsse das Morphin erst 10 —15 Minuten vor Beginn
der Inhalationen geben.
Allein wir sind in dieser Hinsicht nicht mit dem alten Verfahren
einverstanden. Erstens gibt es Menschen, Avelche diesem Medikamente
eine Idiosynkrasie entgegen bringen. Man sieht, -wie nach der
kleinsten Dosis Erbrechen und Nausea eintreten, welche oft lange
Zeit anhalten, und bisweilen selbst zu Collaps führen können. Es ist
keineswegs ohne Gefahr, wenn diese Erscheinungen während der Nar-
kose auftreten, in dem Falle, dass man die Injektionen 10 Minuten
vor der Inhalation erst vorgenommen hatte. So treten Schädigungen
des Organismus durch 2 Mittel zugleich auf, und aus diesem doppelten
Angriff auf die Vitalität des Organismus können ernste Gefahren
quo ad vitam resultieren. Man hat neuerdings unter andei'em dieser
Methode den VorAvurf entgegenzuhalten, dass nach 10 Minuten das
Morphin noch nicht die ganze Wirkung auf den Organismus entfaltet
habe, und dieselbe könne erst innerhalb einer Stunde zur Geltung
kommen, sodass man eine Beruhigung des Kranken, und nicht eine
Erregung desselben bemerkt, Avelch erstere man ja ertrebt, Avährend
die Erregung A\ohl oftmals als Vorläufer vor der beruhigenden Wirkung
innerhalb 10 Minuten eintreten kann. Diese Behauptung besteht voll-
kommen zu Recht, und man hat beobachtet , dass man eine kleine
Morphindosis eine Stunde lang eiuAvirken lassen sollte, um dann
erst die Narkose zu beginnen. Ausserdem wird man, Avenn eine Stunde
verflossen ist, nicht die Wirkung des Morphin gleich der des Chloro-
forms A^erspüren , nämlich eine Blutdruck herabsetzende. Das
Morphin ist nämlich entsprechend den Einzelgaben ein Gilt, Avelches
den Blutdruck herabs etzt gleich dem Chlorofo rm, denn es gehört
ja selbst mit unter die Narkotika, und wird zum Zwecke der Betäubung
verwendet. So haben manche mit einem gewissen Recht Bedenken
getragen, das Morphin mit einem Narkotikum, AAäe Chloroform,
dessen Wirkungen denen des Morph, ähneln, zu gleicher Zeit zu geben.
Hat man nun die Injektion erst 10 Minuten vor der Narkose gegeben,
so macht sich die Wirkung beider zu gleicher Zeit geltend, Avodiu'ch
eine schwere Gefahr für das Herz entsteht. Ist aber eine Stunde
seit der Injektion A^erflossen, so ist die Wirkung der kleinen Dosis be-
reits verflossen, und es besteht nur noch der Einfluss der sedatiA'en
Eigenschaft des Morphins, wenn die Wirkung des Cliloroforni s ein-
setzt. Einige sind sogar noch strenger, und fordern das Weglassen
des Morphins bei Chloroform.
Es ist aber bei vielen Personen sehr nützlich, auch bei der
Chloroformnarkose, dass vorher eine gCAvisse Beruhigung des Or-
ganismus eingetreten ist, namentlich bei Alkoli olisten. Man sieht,
wie auftallend gering die Excidation auftritt bei einer Mo rp hingäbe
— 69 —
vor einer Stunde, während ohne dieselbe die Excidation eine viel
bedeutendere ist. Man soll ja auch die Morphininjektion nicht ver-
allgemeinern, und vor jeder Narkose eine solche vornehmen, wenn
dieselbe auch in diesen geringen Dosen nur ganz selten wird schaden
können.
Folgende Methode wird die beste sein, und wird von uns in jedem
Falle beachtet. Bei den Kranken, welche eine Gew()hnung an Alko-
hol erwarten lassen, geben wir, wenn nicht besondere Gründe dagegen
sprechen, eine Morphininjektion von 0,01 — 0,02 je nach der Kon-
stitution, dem Alter, und dem Geschlecht 1 Stunde vor dem
Beginne der Inhalationen. Bei Kindern wird entweder dieselbe ganz
weggelassen, Avas bei den meisten, jedenfalls bei Kindern bis zehn
Jahren, angebracht ist, oder man mindert dieselbe entsprechend
herab. Bei sehr alten Personen gilt auch der Rat, sehr vorsichtig
zu sein, und entweder dieselbe ganz zu u.nterlassen, oder, wenn sie
doch wünschenswert ist, den körperlichen Verhältnissen entsprechend zu
verändern. Das Geschlecht hat Avenig Einfluss, doch Avird man
bei Frauen, die in partu narkotisiert Averden, eine solche sehr
gut entbehren, ebenfalls bei den Frauen in Krankheitsfällen mit
den Avenigen Ausnahmen, avo die Frauen, ebenso Avie die Männer, dem Al-
kohol huldigen. Meist ist beim Weib Morphin nicht nötig. Da näm-
lich Frauen Avährend der Entbindxing sehr leicht zu narkoti-
sieren sind, ist kein Grund für eine Morphininjektion zu finden.
Es können auch dieser Kombination der Narkose mit Mor-
phin einige Krankheiten entgegenstehen. So ist vor allem bei Herz-
affektionen natürlich Vorsicht geboten, ebenso bei sehr scliAvachen
Personen, welche entAveder durch Blutungen, oder maligne Neu-
bildungen in ihrem Kräftezustande arg ad malam partem beein-
flusst sind.
§ 31. Wenn Avir in dem folgenden die Darreichung A'on Atropin
auf subkutane Weise vor der Narkose behandeln wollen, so geschieht
dies deshalb, Aveil man von einigen Seiten die Anwendung dieses Mittel
als äusserst praktisch zur Verhütung der bei A'erschiedenen Narkosen
mehr oder Aveniger stark auftretenden Sekretion und Hyperse-
kretion der Schleimhäute und Drüsen anempfohlen hat. Wenn
wir diese Methode, Avelche in der subkutanen Injektion von 0,001
Atropin mit 0,02 Morphin vor der Narkose (Reinhard) besteht,
verAvenden, so müssen wir uns zimächst klar sein, dass Avir dem Orga-
nismus ein nicht unbedeutendes Gift in dem Atropin einverleiben.
Es ist jedenfalls in vielen Fällen gar nicht gleichgültig, ob dem Kör-
per neben den als Gifte Avirkenden Narkotika noch ein in seinen Wir-
kungen gar nicht harmloses Gift zugeführt wird, welches an sich noch An-
forderungen an die Kraft des Organismus und die Vitalität
stellt, die im Verein mit denen des Narkotikums und der Narkose im
allgemeinen eventuell ein zu hohes Mass A'on Kraft fordern. Jeden-
falls muss man bei der Darreichung von Atrop.in vor der Narkose
indiA'idualisier en , und nicht allgemein verfahren, wie es von uns
verschiedentlich in der Praxis g-esehen Avorden ist. Dazu sind denn
- 70 —
doch die Wirkungen des Atropins nicht harmlos genug, und die In-
dividualität ist zu verschieden, um eine allgemeine Anwendung an-
zuraten. Dessen ungeachtet ist das Atropin wohl angebracht bei jenen
Narkotika, wie Aether, für welche die Anwendung von Reinhard
und anderen auch empfohlen wurde, da es die Drüsensekretion
vermindert. Man hat durch die Atropinbehandlung den Zweck
verfolgt, die durch übermässige Sekretion entstehenden Lungen er-
kranken post narkosin zu verhüten. Es ist nun schon an anderer
Stelle daraufhingewiesen und genau erklärt, wie die postnarkotischen
Lungenerkrankungen zu stände kommen, und wir wissen jetzt, dass
wir auch ohne Atropin die Hypersekretion bedeutend vermindern,
und die postnarkotischen Lungenerkrankungen verhüten können.
So haben Braun, Witzel und andere selbst bei der Aethernarkose
eine Hypersekreliion von Schleim u^nd Speichel vermeiden können
durch eine exakte und vorsichtige Dosierung. Jedenfalls ist die
Injektion von Atropin bei den übrigen Narkotika unnötig, da die
Hypersekretion auf harmlosere Art bekämpft werden kann, und auch
nur in massigem Grade bei der Narkose der meisten Narkotika vor-
kommt. Selbst bei der Aethernarkose können wir nach unserer
eigenen Erfahrung die Atropinmedikation entbehren. Eine Con-
traindikation der Atropinbehandlung bilden die grossen Schwäche-
zustände, Herzerkrankungen, dekompensierte Herzfehler,
Arteriosklerose etc., ebenso das jugendliche, und das Greisen-
alter. Wir werden bei der Behandlung der Aethernarkose im spe-
ziellen Teile nochmals auf die Atropinbehandlung vor der Nar-
kose zurückkommen müssen Für die allgemeine Nai'kose ist diese
Medikation in den meisten Fällen zu entbehren.
IV. KapiteL
Die Lagerung des Kranken zur Narkose.
§ 32. Wenn wir einen besonderen Abschnitt auf die Lagerung
des Kranken während der Narkose verwenden, so könnte man even-
tuell dies für weitschweifig halten. Doch es wird in dem Nachfolgen-
den die Wichtigkeit der Lagerung des Kranken nach bestimmten
Grundsätzen zu tage kommen. Man hat in früheren Zeiten allerdings
wenig Sorgfalt auf dieselbe verwandt, denn man kannte noch nicht die
vielen Nachteile, und wusste noch nicht, wie leicht dieselben zu ver-
hindern seien. Wenn wir nun die Lagerung bedenken, in der wir
an einem Kranken eine Narkose einleiten sollen, so müssen wir als
erstes Erfordernis das aufstellen, dass der Patient auf dem Rücken liege.
Es wäre in jedem Falle ein Nachteil, wenn man den Kranken etwa
in anderer Stellung narkotisieren wollte. Selbst bei einer ganz kurz
— 71 —
dauernden, und .schnell vorübergehenden Narkose ist die sitzende
Stellung insofern von grosser Gefahr für den Kranken, als gerade
die schnellen Narkosen eine bedeutende Gefahr für das Herz mit sich
bringen. Wenn wir nun eine Herzschwäche eintreten sehen, und es
befindet sich unser Kranker in einem Stuhle z. B. aufrecht sitzend, so
haben wir, ehe wir sonst rettend eingreifen können, die Pflicht, die
Lage so zu ändern, dass der Patient horizontal zu liegen kommt,
oder lieber noch mit dem Kopfe tiefer, als mit dem Thorax. Wie
lange es eventuell dauern kann, kann man nicht ermessen, jedenfalls
ist bei solchen Eventualitäten die Zeit so kostbar, weil die Herz-
schwäche sehr schnell fortschreitet, wenn nicht eingegriffen wird, und
Herzstillstand eintritt, dass man sich nicht erst damit abmühen darf,
den Kranken aus der sitzenden in andere Lage zu bringen. Wenn
man nur noch bedenkt, dass man oftmals allein ist, weil etwa anwesende
Laien den Kopf verlieren, so sieht man ein, dass man schwer die nar-
kotisierte Person aus dem Stuhl herausheben, und ohne Nachteil
auf die Erde legen kann. Deshalb ist es unbedingt nötig, dass die
Narkosen stets in liegender Stellung vorgenommen werden.
§ 33. Aber auch die horizontale Lage an und für sich ist
noch nicht die ideale Lagerung. Wir müssen vielmehr bestrebt sein,
den Kranken so zu legen, dass er auf einer horizontalen Ebene,
welche mit dem Beginn des Rückens in der Halsgegend abschneidet,
liegt, so dass der Kopf dorsalwärts herabhängt (vergl. Figur 1).
Derselbe muss mit beiden Händen von einem Assistenten gehalten Averden.
Diese Lagerung ist von Witzel angegeben und hat eine grosse Reihe von
Vorteilen. Der erste und bedeutendste Nutzen ist der, dass sämtlicher
Speichel, dessen Sekretion durch die meisten Narkotika, sowohl im Kehl-
kopf, wie den Bronchien und Munde hervorgerufen wird, durch die tiefere
Lagerung des Kopfes nicht vom Munde nach dem Körper zu, son-
dern diu'ch Mund und Nase nach aussen fliessen kann. Wenn man
bedenkt, dass auch die Aspiration von Speichel bei jeder Narkose,
selbst wenn eine Vermehrung desselben nicht sehr gross ist, eine
Lungenkrankheit vom unschuldigen, nicht infektiösen, schnell
abheilenden Katarrh, bis zur tödlich, oder doch sehr schwer
verlaufenden, infolge von Infektion bestimmter einzelner
Bakterienarten, oder Mischinfektion hervorgerufenen, und
lange Zeit bis zur völligen Restitutio ad integrum brauchen-
den Pneumonie entstehen kann, so ist uns schon durch die Tatsache,
dass solche schwere Schädigungen des Organismus überhaupt vorkommen
können, die Pflicht auferlegt, die Lagerung, welche zur Vermeidung
derselben beitragen kann, einer anderen, die Ursache der Erkrankung
begünstigenden, vorzuziehen. Diese Lagerung ist nur eine nicht so
einfache, wie sie anfangs erscheinen mag, und man kann dieselbe er-
reichen, indem man den eigens für dieselbe konstruierten Opera-
tionstisch nach Witzel benutzt, oder indem man auch bei den meisten
anderen Tischen den Kranken entweder so auf den Tisch legt, dass der
Kopf nicht unterstützt wird, oder dass man auch in solchen Fällen, wo
ein Operationstisch nicht vorhanden ist, sich auf folgende Art hilft.
— 72 —
Hat man einen gewöhnlichen rechteckigen Tisch zum Zwecke der
Operation, so kann man ungefähr sich auf folgende 2 Arten helfen,
um annähernd die Vorteile der Witzel'schen Lagerung zu er-
reichen. Der Tisch wird mit dem einen Paar der Beine auf eine
Fussbank, oder einen anderen ähnlichen Gegenstand, der den schweren
Druck auszuhalten vermag, gestellt So erhalten wir eine schiefe
Ebene. Legt man nun den Kranken darauf, und zwar so, dass der
Kopf nach der tieferen Seite des Tisches zu liegen kommt, so hat man
auch den Zweck erreicht, und der Schleim und Speichel des Mundes
\yird nicht nach dem Kehlkopf zu fli essen, sondern zu.m Munde
heraus , vor allem , wenn man dies etwas unterstützt dadurch, dass
man den Kopf auf eine Seite dreht und den Mund öffnet, sowie
den tiefer liegenden Mundwinkel noch etAvas nach hinten unten zieht;
dann kann der Speichel zum Munde heraus in ein davor gelegtes Hand-
tuch oder Becken fliessen. Es ist dies so sehr einfach erreicht. Man hat
nun noch den Vorteil, dass wie bei der Witzel'schen Lagerung
(vergleiche Figur 1. Lagerung nach Witzel) zu gleicher Zeit der Zungen-
grund nach vorn gezogen wird, was Witzel durch die forcierte
dorsale Reklination des Kopfes bewirkt. Hat man genügend Per-
^V ■!
Fig. 1. Lagerung nach Witzel (gez. n. Abb. von Witzel,
Münch. med. W. 1902).
sonal, so kann man ja auch auf dieser schiefen Ebene den Kranken so lagern,
dass der Kopf dorsal über den Tischrand herabhängt, und von den Händen
einer assistierenden Person gehalten wird. Die zweite Art, eine ähnliche
Lagerung zu bewirken, besteht darin, dass wir dem Kranken unter den
Rücken und die Glutaealgegend nach dem Kopfende zu langsam niedriger
werdende Kissen legt. Auf diese Weise ist ebenfalls eine schiefe Ebene
hergestellt, und der Kopf liegt tiefer, als die Briist. Es ist diese Lage-
rung ja vielleicht für den Kranken im Anfang unangenehm, doch dass
— 73 —
dieselbe ein Herabfliessen von S])eichel, in welchem das Narkoti-
kum gelöst in den Magen gelangt, wo es Würgen und Erbrechen
hervorruft, oder in den Kehlkopf, wo Husten und röchelnde,
rasselnde Atmung entsteht, und leicht mit Teile des durch den
Kehlkopfeingang mit der Respiration ein- und ausgeworfenen
Schleimes in die Bronchien und Lungen alveolen aspiriert werden
können, verhindert, kann man mit Leichtigkeit an sich selbst prüfen,
wenn man sich auf ein Chaiselongue so lagert, dass der Kopf tiefer,
als Brust und Leib liegt, also entgegengesetzt zur üblichen Lage, und
versucht Speichel zu verschlingen , so merkt man , wie dies sehr
ersclnvert und wie der Speichel nach dem Mund zurückzufliessen
bestrebt ist, noch auffallender ist es, wenn man vorher einen Löffel
voll'' Wasser in den Mund nimmt, um denselben in dieser Lage zu
verschlucken. Es stellen sich solche Schwierigkeiten entgegen, dass
man unwillkürlich sich emporzurichten bestrebt ist. Man kann in dieser
Position nur ganz geringe Mengen verschlingen, bemerkt aber deutlich,
wie der Speichel sich im Munde ansammelt. So hat man die beson-
deren Vorteile leicht erkannt.
Da nun während der Narkose die Reflexe erloschen sind, so
kann natürlich dieser Schleim bei nicht entsprechender Lage durch
den Kehlkopf ohne Hus t enreiz aspiriert werden, und die Folge sind
L u n g e n e r k r a n k u n g e n.
Es ist nach diesen Erörterungen klar, dass diese Lagerung einen
grossen Vorteil bildet, und derselbe liegt neben dem Nutzen der Ver-
hütung von Lungenleiden auch noch in der Hervorrufung einer
Hyperaemie im Gehirn, wodurch eventuelle Ohnmächten, die als
Folgen von Shock und nervösen Erregungen vorher entstehen
können, verhütet werden Würde man den Kranken in sitzender
Stellung narkotisieren, so Avürden Ohnmächten viel häufiger eintreten.
§ 34. Wenn wir nun bei der Lagerung diese Gesichtspunkte
im Auge halten müssen, so haben wir aber neben denselben noch eine
Reihe von anderen Momenten zu erwägen. Wenn der Kranke auf dem
Rücken flach aufliegt, mehr oder weniger mit Reklination des Kopfes,
so ist auch ein Hauptaugenmerk auf die Lage der Extremitäten zu
richten. Ziehen Avir zunächst die oberen Extremitäten in unsere
Betrachtung, so müssen wir als beste Lagerung die annehmen, dass
die Hände auf dem Unterleibe gekreuzt sind, falls die Operation
dies überhaupt gestattet Li anderen Fällen muss man je nach den
obwaltenden Umständen die Arme und Hände so legen, dass ihnen kein
Schaden entsteht. Wenn nämlich tiefe Narkose eintritt, das Stadium
der Toleranz erreicht ist, so sind sämtliche Muskeln des Organis-
mvis gelähmt, die Sensibilität ist erloschen, die Extremitäten
sind vollkommen schlaff und haltlos. Heben wir einen Arm einer
völlig betäubten Person in die Höhe, so werden Avir sofort bemerken,
Avelch grosses Gewicht derselbe aufweist. Aus dem Gewicht müssen
wir schliessen, dass der Arm einen erheblichen Druck auf seine Unter-
lage ausübt. Liegt nun z. B der Arm so, dass der Ellbogen auf die
harte Unterlage gestützt ist, Avährend der Arm schräg nach dem Körper
— 74 —
des Patienten gerichtet ist, so kann gerade der Nervus ulnaris in
der Rinne am Condylus des Oberarms nach dem Unterarm zu
verlaufend gegen die harte Unterlage gedrückt werden, und zwar
kommt derselbe, wenn die Verhältnisse gerade dazu stimmen, so zu
liegen, dass er zwischen Knochen und dem harten Polster des
Tisches verläuft, und es kann sich ereignen, dass ein grosser Teil des
Gewichtes des Armes, auf den Knochen lastend, den Nerv kompri-
miert, quetscht, und arg lädiert. Wenn nun der Arm vielleicht während
der ganzen Zeit der tiefen Narkose, die vielleicht eine Stunde anhält,
in dieser Stellung A^erharrt, so Avird der Nerv arg geschädigt werden,
und die Folge dieser lange anhaltenden Kompression kann eine
Tjähmung des Nerven sein. Dieser Umstand spielt ja auch eine ge-
wichtige Rolle in der Krankenpflege, denn jeder Pfleger muss bei be-
nommenen Personen die Extremitäten, namentlich die oft in der-
selben Stellung, Avie eben angezeigt, liegenden Arme, immer von Zeit
zu Zeit in eine andere Lage versetzen, da sonst diese Lähmungen,
des Nervus ulnaris eintreten, und diese D rucklähmungen sind oft-
mals sehr hartnäckig, und schwer zu heilen. Deshalb ist es auch
Pflicht des Narkotiseurs, die Arme nicht lange Zeit so liegen zu lassen,
sondern sie derart zu legen, dass sie im Ellenbogen nicht unterstützt
werden, dies geschieht dann, Avenn die Hände über dem Leibe ge-
kreuzt sind.
Man kann sich leicht überzeugen, dass die Lage der Arme den
Nervus ulnaris insultiert, denn Avenn man auf dem Rücken im Bett
liegend einen Arm so legt, dass der Ulnaris auf der Rosshaar-
matratze aufliegt, so Avird man bald merken, wie die ganze \^om
Nervus ulnaris erregte Partie des Unterarms einschläft. Dies ist
das erste Zeichen, dass der NerA' gedrückt wird. Da nun der Narko-
tisierte keine Empfindung hat, so kann er auch wegen der allgemeinen
Lähmung sich nicht gegen diesen Insult schützen.
Es kommen nun aber auch diese Drucklähmungen an anderen
NerA'en A^or, so am NerA'us radialis, wenn man einen Arm z. B vom
Tische herabhängen lässt, und der innere Teil des Oberarmes kommt
gegen die Tischkante zu liegen. Diese scharfe Kante verursacht sehr
schAvere Lähmungen, eventuell des ganzen Plexus brachialis, wenn
in seinem oberen Verlauf, oder des Nervus radialis oder Medianus,
wenn im mittleren Teile des Oberarmes eine solche DruckAvirkung statt-
hat. Dieselbe Lähmung wird hervorgerufen, wenn man dem Kranken
in die Achselhöhlen die oftmals an Operationstischen angebrachten Arm-
schlingen anlegt, die aus einem runden Lederriemen bestehend, in die
Achselhöhle zu liegen kommen, und verhindern sollen, dass der Ober-
körper bei einer schiefen Stellung des Tisches nach unten gleitet.
Wenn nun der schwere Körper des Kranken in den Haltern hängt,
wird ebenfalls leicht ein starker Druck auf die Nerven der Achsel-
höhlen ausgeübt Averden, der bei langer Dauer die Lähmung hervor-
ruft. Man bedenke also stets, dass derartige Halter, die ja übrigens bei
der jetzigen Lagerung unnötig sind, wenigstens, wenn man sie doch ein-
mal brauchen sollte, aus breitem, weichem Material gefertigt sind, damit
— 75 -
der Druck sich verteilt. Immerhin aber sei man bestrebt, Mährend
einer sehr hingen Narkose die Lage der Riemen zu ändern, damit sie
nicht immer auf denselben Punkt drücken. Sehr günstig ist, wenn man
sie mit einer dicken Kompresse aus Watte und Mull umwickelt,
weil sie dadurch dicker und weicher werden, und durch die dicke
Rolle der Druck in der Achselhöhle mehr verteilt wird.
Was nun noch vor allem die Lähmungen des Plexus brachia-
lis anlangt, so werden dieselben noch hervorgerufen durch eine be-
sondere Haltung der Arme, nämlich derjenigen über dem Kopf
nach hinten oben. Man ist bei vielen Opei'ationen genötigt, die
Arme in der genannten Art zu lagern, da man die Hände und Unter-
arme nicht im Bereich der Operation liegen haben kann, ferner weil an
der Brust und Achselhöhle operiert werden soll, so z. B. bei Lapa-
ratomien, Amputationen der Mammae, bei Toilette der Achsel-
höhle etc. Bei dieser Hyperextension in der Schulter werden die
Arme stark abduziert, die Clavicula wird erhoben und der Wirbel-
säule genähert, um schliesslich ganz dieselbe zu berühren. Bei dieser
Bewegung kreuzt der mittlere Teil der Clavicula die Processus
transversi der 6. u.nd 7. Halswirbel, und übt einen starken, quetschen-
den Druck aus auf die daselbst verlaufenden 5. und 6. Halsnerven (Bern-
hard, Braun, Hoedenmaker etc.). Eine andere Erklärung ist nach
Versuchen an Leichen von Rüdinger und Gaupp abgegeben worden.
Nach ihren Versuchen ist zunächst gar nicht möglich, dass die gehobene
Clavicula sämtliche Nerven an die Processus transversi anzudrängen
vermag, da die unteren Aeste der Nerven regelmässig zur Seite weichen.
Bei einer Elevation des Armes um 90^ nähert sich das Mittelstück
der Clavicula der ersten Rippe bis auf wenige Millimeter. Wird
nun der Arm noch mehr gehoben, so rotiert die Clavicula um ihre
Achse so, dass die bisherige untere, hintere Fläche zur unteren Fläche
wird, indem sie sich über die erste Rippe nach hinten legt. Bei dieser
Bewegung drückt sie nun gerade gegen die Stelle, wo der 5. und
6. Nervus cervicalis aus der Lücke der Scaleni heraustritt, die
oberen Wurzeln werden bei dieser Bewegung am öftesten getroffen, bei
ganz extremer Elevation werden erst die unteren Wurzeln mit
gequetscht. Bei den gewöhnlichen Bewegungen dieser Art weichen die
unteren Wurzeln der Nerven aus. Die Aterie wii'd nicht mit
gequetscht, indem sie von den Nerven geschützt wird. (Mally, Duval,
Rüdinger, Guillain.) Man wird wohl dieser letzteren Erklärung
beipflichten müssen, und zieht die Lehre daraus, die Arme nicht in
extremer Weise nach oben hinten zu legen, und vor allen Dingen die
Stellung öfter zu wechseln. Auf eine andere Art sollen ebenfalls
Lähmungen des Plexus brachialis zu stände kommen, indem die
einzelnen Nerven gedehnt werden, was dabei vorkommen soll, wenn der
Arm des Patienten stark ele viert ist, und der Kopf nach der ent-
gegengesetzten Seite gedreht, Brechbewegungen vom Patien-
ten aus gelöst werden. Dabei soll eine Dehnung der Wurzeln zu
Stande kommen, welche eine Lähmung zur Folge haben kann (Duval,
Guitiain, Mally etc.)
— 76 —
Die hier angeführten Ursachen der Lähmung des Plexus brachiahs
sind rein traumatischer Natur. Nach Ansicht von französischen
Forschern sollen auch Lähmungen des Plexus brach ialis auf rein
toxischer Grundlage hervorgerufen werden. Der belgische Ge-
lehrte Verhaagen tritt für eine toxische Lähmung ein, hervor-
gerufen durch eine besondere Wirkung der Narkotika auf die Nerven,
und hält den Plexus brachialis als eine Praedilektionsstelle für
die toxisch lähmenden Narkotikawirkungen. Er stellt da die
Narkotika entgegen dem Alkohol, welcher seine Lähmungen meist in
den unt(u-en Extremitäten bewirkt. Wir können nur nicht finden,
dass die in sonstigen Wirkungen so verwandten Stoffe, die Narkotika
und Alkohol, welch letzterer selbst ein Narkotikum darstellt, hier
differieren sollten. Jedenfalls können wir uns mit einer rein toxischen
Lähmung, die vorwiegend den Plexus brachialis betreffen soll,
nicht befreunden (Vei'f.).
Jedenfalls ist es möglich, durch Achtsamkeit diese Druck- oder
Narkosenlähmungen, letztere Bezeichnung ist sehr ungenau, zu ver-
hüten. Allein, man versäume nicht, nach sehr langer Narkose die
Kranken sofort auf etwaige Lähmungen zu untersuchen, denn die-
selben werden oftmals erst nach Verlauf von einigen Tagen von dem
Kranken dem Arzte mitgeteilt, da die Patienten denken, dieselben gehen
als Folge der Narkose noch vorüber. Da hat man aber schon eine
kostbare Zeit für die Behandlung verloren, denn nur eine sofortige
elektrische kimstgerechte Behandlung vermag in vielen Fällen,
ja in den meisten, dieselben noch zu heben, während nach Verlauf von
einigen Tagen, bisweilen die Therapie zu spät einsetzt. Hauptsächlich
kommen diese Lähmungen an den oberen Extremitäten vor. Doch
auch die unteren bleiben bisweilen nicht verschont. Da ist es vor
allem das Knie, welches unsere Beachtung verdient. Wenn wir so-
genannte Kniehalter bei gynaekologischen Untersuchungen be-
nutzen, haben wir dieselben Vorgänge, wie bei den Riemen als Achsel-
stützen. Das schwere, gelähmte Bein hängt mit all seiner Last auf
dem schmalen, wenn auch gepolsterten, so doch harten Kniehalter, und
die Nerven werden dann gegen den Knochen gedrückt. Lähmungen
des Nervus peroneus und tibialis sind öftere Erscheinungen,
wenn wir nicht den Druck verhindern. Allein diese Lähmungen treten
auch auf, wenn die Beine vielleicht über die Tisch kante herab-
hängen, oder stark im Knie flektiert, während der Operation nicht
wieder ausgestreckt werden. In dem ersten Falle drückt der Tisch-
rand gegen den Knochen, im zweiten Falle werden die Weichteile
durch die Knochen des Ober- und Unterschenkels gegen einan-
der gepresst. Man muss also darauf achten, dass die Beine in ihrer
Lage verändert werden bei lang en Narkosen, und dass die Bein-
halter eine entsprechende Konstruktion besitzen, die einen starken Druck
verhindert. Was nun die Therapie dieser Lähmungen anlangt, so ist
dieselbe Gegenstand einer anderen Disziplin, doch es sei nur kurz er-
wähnt, dass man sofort diese Lähmungen, wie schon gesagt, diag-
nostizieren muss, um die Therapie zu beginnen. Dieselbe besteht
— 77 —
ausschliesslich in lokaler, elektrischer Behandlung. Mit dem be-
liebten faradischen Apparat, der dem praktischen Arzte oftmals ein
so lieber Geselle ist, ist allerdings nichts getan, sondern man muss diese
Paresen mit dem konstanten Strome, und zwar mit der Anode be-
handeln. Es kann niu* von der sofortigen, sa chgem äs sen Behand-
lung ein Erfolg versprochen werden, ist die Lähmung schon durch
andere Behandlung verschleppt, so ist in vielen Fällen kein Erfolg mehr
zu erwarten, wenn nicht die Besserung von selbst eingetreten ist. Und
es ist zum Glück in einem Teil der Fälle eine Restitutio a. i. von selbst
nach Aufhören des Druckes möglich, imd zwar in solchen Fällen, wo
die Ursache nicht zu lange bestanden hat. Es lässt sich aber kein
Mass bestimmen, oftmals hat die Narkose nur kurz gedauert, und die
Lähmung ist so stark, dass die Behandlung scheitert, bisweilen ist doch
nach langer Dauer der Betäubung die Behandlung, wenn die Parese sofort
nach der Narkose erkannt wurde, von Erfolg. Oftmals geht die Läh-
mung auch nach langer Einwirkung des Druckes A'on selbst zurück. Gerade
aber Avegen dieses ganz wechselvollen Ausganges ist eine Beachtung
und sachgemässe Therapie sehr wichtig. Die Hauptsache aber
ist immer die, die Lähmung von Anfang an zu verhüten, denn es
Avird stets dem Narkotiseur ein Vorwurf aus dem Auftreten einer
postnarkotischen Dr acklälimting entstehen können.
Es kommen ausser den bisher genannten Lähmungen noch solche
im Bezirke anderer Nerveia vor, so z. B. hat man eine Lähmung des
NerA^'US cruralis beobachtet. Ein solcher ist von Gumpertz be-
schrieben. Nach ca. '^1^ Stunden langer Narkose, während welcher
die Frau die Lage in den Sänger'schen Beinhaltern inne gehabt
hatte, zeigte sich, dass der Musculus ileo psoas und musculus
quadriceps vollkommen parethisch Avaren. Im Gebiete der Nervi
cutaneus femoris medius, saphenus minor et major zeigte sich,
eine Hyper aesthesie und Thermoanaesthesie der Haiit. Die
elektrische Erregbarkeit im Gebiete des Nervus cruralis war bedeu-
tend herabgesetzt, eine Entartungsreaktion nicht nachAveisbar. Diese
Lähmung Avar entschieden dadurch entstanden, dass bei der extremen
Beugung des Oberschenkels im Hüftgelenk die Musculi iliacus
internus, psoas major, quadriceps femoris eine Quetschung er-
litten hatten, und dass diese komprimierten Muskeln auf den Ner-
vus cruralis gedrückt hatten. Es ist diese Erklärung A^on Grumpert
sehr Avahrscheinlich, Avenn man den Verlauf des Nervus cruralis
bedenkt.
Eine andere Ursache ist noch in den Esmarch' scheu Schläu-
chen bei der künstlichen Blutleere zu finden. Man hat in Abelen
Fällen, nach lange dauernder Operation, Lähmungen an den Extre-
mitäten beobachtet, an welchen der Schlauch gelegen. Es ist deshalb
unsere Pflicht, diesen Druck nicht so einschneidend und intensiA^
zu gestalten. Wir erreichen das dadurch, dass wir z B. an Stellen,
wo wenig Muskulatur . über dem NerA-en liegt, eine breite Gumnii-
binde an Stelle des Schlauches Avählen. Dies kommt bei den oberen
Extremitäten in Betracht. Bei den unteren Extremitäten lässt
- 78 -
sich leider der Schlauch nicht immer durch andere Gegenstände er-
setzen. Wegen der Gefahr muss man immer bemüht sein, die Dauer
der Konstriktion nach Möglichkeit herabzusetzen. Man hat natürlich
nach Esmarch'scher Blutleere alle Arten Extremitäten-Läh-
mungen gesehen.
Wenn wir uns nach den Symptomen dieser peripherischen
Lähmungen fragen, so haben wir kurz folgendes zu nennen. Erstens
die Parese der Muskeln, welche von den betreffenden Nerven ver-
sorgt werden, zweitens Sensibilitätsstörungen im Gebiete der
Nerven, welche nicht rein motorische sind. Drittens Entartungs-
reaktion in den Muskeln bei elektrischer Reizung. Viertens
Druckschmerz in manchen Fällen an der Stelle, wo die Kompres-
sion eingewirkt hat.
Um die Diagnose stellen zu können, müssen wir natürlich genau
über die Vorbereitungen der Nerven, über die Muskulatu.r,
welche von denselben versorgt wird, orientiert sein. Es würde zu weit
führen, wenn wir dies hier explizieren würden, wir müssen diese Kennt-
nisse voraussetzen.
Was die Prognose solcher peripherischer Lähmungen an-
belangt, so kann man dieselbe meist günstig stellen, wenn sofort
eine entsprechende Behandlung eingeleitet wird. Natürlich kommt auch
die Intensität der Einwirkung in Betracht, wie auch die Lokali -
sation. Allerdings sind auch Fälle von dauernder Lähmung vor-
gekommen. Doch ist dabei stets ein sehr einschneidendes Moment
massgebend gewesen. Die meisten heilen, wenn gut behandelt, voll-
kommen, viele von selbst. Bei manchen bleibt eine Schwäche
in den Muskeln noch längere Zeit bestehen.
Neben den jierip herischen Lähmungen kommen im Anschluss
an Narkosen noch Paresen vor, welche durch Insulte im Zentral-
nervensystem entstanden sind, es sind dabei die Zentren, die Gang-
lienzellen verletzt. Diese Lähmungen nennen wir zentrale Paresen,
und zwar sind solche zentrale Lähmungen sehr spärlich, und man hat
in dem ganzen grossen Gebiete der Literatur nur wenige derartige
Fälle beschrieben gefunden. Es sind 2 Arten von zentralen Läh-
mungen zu unterscheiden. I. Die Lähmungen infolge von pri-
märer Degeneration der Hirnrinde, und IL die Lähmungen in-
folge von ischämischen Erweichungen der Hirnrinde, respektive
infolge einer, oder mehrerer daselbst stattgehabter Hämorrhagien
(Rüdinger).
Fränkel hat an mehreren Leichen von Personen, welche in, oder
kurz nach der Narkose gestorben waren, eine hochgi'adige parenchy-
matöse fettige Degeneration der verschiedensten Organe gefunden,
und im Anschluss an diese Degeneration nekrotische Vorgänge.
Die Nekrose zeigte sich als Coagulationsnekrose, und war zu
finden im Myocard, in den Muskeln, Nieren, Magen, Darm etc.
Diese bekannten Erscheinungen werden zwar zum Teil den vorherbe-
stehenden Erkrankungen zuzuschreiben sein; allerdings sind auch ver-
schiedene Narkotika im stände, solche fettige Degeneration pri-
- 79 -
mär zu erzeugen, und wenn eine solche sclion bestand, hochgradig
ad malam partem zu beeinflussen, und so zur Coagulationsnekrose
zu führen. Es kann nun auch dieser Einfluss der Narkotika einmal,
anstatt sich im Myocard allein zu lokalisieren, im Zentralnerven-
system eine fettige Degeneration hervorrufen, und es kann in be-
stimmten Fällen, vielleicht im Cerebrum, eine Stelle von besonderer
Disposition, ein locus minoris resistentiae zu finden sein, welcher
eine schnelle Entstehung der fettigen Degeneration, sogar mit
Coagulationsnekrose, begünstigen kann. Und es werden diese
theoretischen Betrachtungen dvirch einige Fälle sehr wahrschein-
lich gemacht, wenn man auch nicht mit Bestimmtheit dem Narkoti-
kum den Anlass zuschieben kann. Man hat in verschiedenen Fällen,
solche Herde im Gehirn gefunden (Rüdin ger).
Nun nimmt Rüdinger an, dass die Gefässe ebenso in ihrer
Wand eine Veränderung, fettige Degeneration, erleiden, und nach-
träglich zerreissen können. In der Tat fand man in einem Falle eine
ausgesprochene Verfettung der Intima der Aorta, welche durch
Einfluss dieser Art entstanden sein konnte (R. Frank el). So kann
man ja auch annehmen, dass die Gehirnaterien fettig degenerier t
werden, und dadurch weniger widerstandsfähig sich zeigen können.
In solchen Fällen, wo die Lähmung erst einige Tage nach der Opera-
tion auftritt, kann man wohl an eine derartige Alteration der Intima
der Gehirnaterien denken.
Einen Fall, wo sich solche Erweichungsherde im Gehirn
vorfanden, beschreibt Rüdinger. Bei einer 46 Jahre alten Frau
wurde eine Inzision zu diagnostischen Zwecken gemacht. Die Frau
litt an Carcinoma ventriculi et hepatis. Es war eine kurze
Chloroformnarkose. Nach der Narkose bemerkte die Frau eine
Lähmung des linken Armes; die Finger, die Hand, und der
Vorderarm sind vollständig par ethisch, teilweise der Oberarm.
Sensibilität und Reflexe normal. Der Zustand besserte sich etwas,
doch nicht vollkommen, bis zum Tode, der 7 Wochen post operatio-
nem eintrat.
Bei der Sektion fand sich: Ausgedehnte Carcinose, und
Marasmus. An der Oberfläche der Konvexität der rechten Hirnhe-
misphäre zeigt sich eine weich anzufühlende Stelle, entsprechend
der hinteren Zentralwindung, eine ebensolche Stelle findet sich ent-
sprechend dem Fuss der zweiten Stirnwindung. Die Pia mater
haftet an der weichen Stelle fest an. Auf dem Durchschnitte findet
man das untere Drittel der hinteren Zentralwindung, und die hintere
Fläche der vorderen Zentralwindung, den Fuss der zweiten Stirnwin-
dung der rechten Hemisphäre erweicht, und im verquollenen,
bräunlich verfärbten Rande am meisten, im entsprechenden
Markteile mehr ödematös geschwollen. Ausser diesen finden sich
noch andere kleine Erweichungsherde in der Marksubstanz des
Zentrum semiovale der beiden Hemisphären. Die Arterien
sind normal. Inwieweit hier eine, durch den allgemeinen Maras-
mus hervorgerufene Degeneration schon vorher bestanden hat, lässt
— 80 -
sich nicht ermitteln, jedenfalls ist durch den Eiufluss der Narkose der
Zustand soweit verschlimmert, dass eine Zerstörung zu stände kam, und
die Lähmung ist dem Narkotikum zur Last zu legen.
Wenn wir uns nun zu der zweiten Art von Lähmungen
wenden, so betreten wir damit ein Gebiet, welches bei weitem mehr
Beachtung verdient, als man ihm bisher im allgemeinen gezollt hat.
Hier kommt als Grund der Lähmung hauptsächlich die Arteriosklerose
in Betracht. Dieselbe ist bekanntlich in einem sehr ausgedehnten Kx'eise
von Menschen verbreitet, sie bildet eine Erkrankung so weiter Volks-
klassen, dass man sich sehr wundern muss, über die Gleichgültig-
keit, mit welcher man bisher deren Vorhandensein in Bezug auf die
Narkose betrachtete, und doch sind wir überzeugt, dass eine grosse
Menge von Todesfällen plötzlicher Art während der Narkose
auf diese Krankheit zurückzuführen sind. Es kommt ja bei der Nar-
kose im allgemeinen eine Verringerung des Blutdruckes zu stände,
bei dem einen Narkotikum mehr, bei dem anderen weniger, und so
sollte man glauben, eine Zerreissung der atheromatösen Gehirn-
aterien sei nicht so leicht möglich. Dieser Punkt ist auch für eine
gut geleitete Narkose zutreffend. Bei derselben ist die Gefahr tatsäch-
lich eine sehr geringe. Aber es kommen auch bei der best geleiteten
Narkose Zustände vor, wo der Blutdruck, namentlich im C er ehr um ,
erhöht wird, geschweige denn, erst bei den Narkosen, welche nach den
veralteten Methoden (Genfer Methode, Aethererstickungs -
narkose. Chloroformieren in Güssen etc.) geleitet wurden. Da
Avird eine starke Excidation erzeugt, und die Folge davon ist eine
Blutdrucksteigerung, ferner ist ja der Patient bei diesen Methoden
im Anfang bemüht, den Atem anzuhalten, zu pressen, ferner
kommt es zum Würgen, Erbrechen, kurz, es sind viele Momente
damit verbunden, die den Blutdruck, namentlich im Cerebrum,
plötzlich stark erhöhen, noch ganz abgesehen von etwaigen Er-
stickungs an fällen etc.
Dadurch werden grosse Anforderungen an die atheromatösen
Gehirnaterien gestellt, und oftmals sind dieselben diesen nicht ge-
wachsen, u.nd bersten Derartige Blutungen in der Gehirnsubstanz
haben Lähmungen zur Folge. Dass man einen grossen Teil der
peripherischen Lähmungen vielleicht auf falsche Ursachen bezogen
hat, während sie doch einen cerebralen Ursprung haben, ist eine
Annahme. Dass aber auch ein grosser Teil von plötzlichen Todes-
fällen, namentlich denen im Anfange der Narkose auf Blutungen
in den lebenswichtigen Zentren zurückzuführen sind, ist ebenfalls
eine Annahme, welche aber viel Wahrscheinlichkeit besitzt. Nun, Avenn
wir noch bedenken, Avie viele Unfälle Avährend der Narkosen überhaupt
als mit der Narkose nicht zusammenhängend, oder aus anderen Gründen,
verheimlicht Averden, so können Avir uns ein Bild machen, Avelches uns
verrät, dass dieser Unfall doch häufiger ist, als man annimmt. Und es
ist oftmals eine sehr scliAvere Entscheidung, ob eine Apoplexie herrührt,
von der Operation, oder Narkose. Vielleicht ist in vielen Fällen
die Operation fälschlich als Ursache angenommen AA'^orden. Hoffentlich
— 81 -
wird in Zukunft in (li(!ser Hinsicht mehr auf die Arteriosklerose
geachtet, und es wird dann ein klareres Bild über die Häufigkeit der
Unfälle durch Bersten atheromatöser Gehirnarterien entstehen.
Es wird oftmals die Apoplexie dadurch auf andere Ursachen be-
zogen, weil man, solange der Kranke betäubt ist, eine Lähmung nicht
erkennen kann, und, da man ihn bisher immer längere Zeit schlafen Hess,
so entdeckte man die Lähmung erst am nächsten Tage, vielleicht noch
später, und machte andere Momente für dieselbe vei'antwortlich.
Wenn wir hier noch einen Blick auf die Punkte , durch welche
man eine zentrale von einer peripherischen Lähmung unterscheiden
kann, werfen wollen, geschieht dies deshalb, weil die Entscheidung oft
ziemlich schwierig, und doch von grosser Bedeutung ist. Wenn wir eine
Lähmung einer ganzen Extremität vor uns haben , so müssen wir zu-
nächst an eine peripherische Ursache denken. Ebenso, wenn wir
einen bestimmten Druckschmerz im Verlaufe eines Nerven linden.
Eine Zerrung des Sympathicus (Ramus communicans
sympathici), z, B. ruft eine Verengerung der Lidspalte, Myosis,
Zurückgesunkensein des Bulbus hervor.
Hat man es mit einer zentralen Lähmung zu tun, so findet
man meist die Lähmung eines bestimmten Nerven z. B. am Arm,
ixnd auch am Bein, oder man hat neben der Lähmung eines
Nerven an den Extremitäten, Komplikationen im Gesicht zu-
gleich bestehend zu erwarten. Ebenso finden sich oftmals Lähmungen
a.n den Augen, den Sprach Organen etc. Deshalb muss man stets bei
einer Lähmung auf andere Begleiterscheinungen fahnden.
Es bleibt uns nun noch eine andere Art übrig zu erwähnen, dies
sind die hysterischen Lähmungen.
Dass auch derartige Fälle vorkommen, beweist ein von Mally
beschriebener Fall. Es handelt sich dabei um eine 19 Jahre alte
Hysterica, welche einer Operation im Abdomen unterzogen werden sollte.
Als dieselbe nach Beendigung der Operation aus der Narkose erwachte,
zeigte sich eine vollständige Lähmung der rechten oberen Ex-
tremität mit Anästhesien. Dieselbe bestand noch 3 Monate nach
der Narkose. Die anästhetische Zone nahm einen grossen Teil der
Aüssenf lache des Armes ein. Die elektrische Erregbarkeit der
Muskeln zeigt keine Veränderungen. Es ist nun natürlich immer eine sehr
gewagte Diagnose, die einer hysterischen Lähmung, und man kann
•dieselbe nur per exclusionem stellen. Für das Zustandekommen
einer solchen Lähmung ist auch nach der Ansicht Mally 's ein psy-
chischer Insult verantwortlich zu machen. Kremmann zitiert ver-
schiedene Fälle, in denen Lähmungen durch psychische Alterationen,
Schreck etc. hervorgerufen worden sind, und man kann wohl annehmen,
dass die psychischen Erregungen des Kranken vor der Operation und
Narkose ausreichen, um einen solchen Insult darzustellen, welcher stark
genug ist, bei neuropathisch veranlagten Personen eine hyste-
rische Lähmung hervorzurufen. Ob nun die N arkose an sich eine
hysterische Lähmung hervorzurufen im stände ist, ist ein nicht zu ent-
scheidendes Moment, und nur in den seltensten Fällen wird man zu
6
— 82 —
dieser Diagnose schreiten. Wenn auch selten, so ist doch kein Zweifel,
dass sie vorkommen kann, wie avich ein von Determann beschriebener
Fall beweist, der eine hysterische und organische Parese zu
gleicher Zeit aufweist, und deshalb hier erwähnt werden soll.
Determann schreibt darüber: Ein 28 jähriger Tagelöhner stiess sich
durch einen Unfall eine Nadel in den rechten Arm unterhalb des Ellenbogens.
Dieselbe wurde operativ entfernt, Patient wurde chloroformiert, und eine breite,
elastische Binde etwas unterhalb der Achselhöhle angelegt. Die Binde blieb
ca. 15 Minuten liegen. Patient will schon beim Anlegen der Binde ein Gefühl
von Taubheit im rechten Arm und in der rechten Hand gespürt haben. In
der Nacht des Operationstages wachte Patient auf und fühlte, dass er die rechte
Hand, besonders die Finger nicht mehr bewegen konnte, und dass er keine
Kraft mehr im Arme habe. Am nächsten Tage war der Befund folgender :
Muskulatur und Knochenbau kräftig, psychisches Verhalten ist normal, von
hysterischen Erscheinungen ist nichts zu bemerken.
Es zeigt sich eine motorische Lähmung, ziemlich gleichmässig verbreitet
über die Grebiete der 3 Armnerven. Am meisten ist der nervus radialis be-
troffen, der Muscuhis supinator longus ist gänzlich gelähmt ; M. extensor digi-
torum communis , extensor poUicis longus et brevis sind paretisch. Auch der
N. ulnaris ist erheblich beteiligt , im Gebiet des Medianus ist die Störung am
geringsten. Soweit handelt es sich um das typische Bild einer peripherischen
Narkosenlähmung. Hierzu kam folgendes ungewöhnliche Symptom ! Es bestand
eine sensible Lähmnng, die, ohne sich an den Verlauf der Hautnerven zu
binden, die Hand und einen Teil des Unterarmes „handschuhförmig" einnahm;
es bestand also eine „typische Form der hysterischen Anästhesie. Man konnte
also hier an eine hysterische Monoplegie denken, bei der die Esmarchsche Um-
schnürung als psychisches Trauma gewirkt hätte. Unter Paradisation ver-
schwand nach 3 Tagen die Sensibilitätsstörung grösstenteils, und es blieben nur
die peripheren Nervenlähmungen zurück. Anfänglich hatten also 2 Affektionen
zu gleicher Zeit bestanden, eine organische und eine hysterische.
Den Entscheid hatte die elektrische Untersuchung geliefert,
and man kann die Diagnose einer hysterischen Lähmung dann
stellen, wenn die elektrische Untersuchung mit Sicherheit eine
organische Erkrankung eines Nerven ausschliessen lässt.
Wenn wir hier noch einen kurzen Blick auf das Wort Narkosen-
lähmung werfen wollen, so müssen wir sagen, dass dieser eine Aus-
druck eine grosse Zahl von Erscheinungen verschiedener Ur-
sachen umfasst. Eine für die in dem vorhergehenden beschriebenen
Lähmungsarten passende Bezeichnung würde in dem Ausdruck post-
narkotische Lähmung liegen. Erstens gewahrt man die Lähmungen
stets nach der Narkose, und dann können hier alle die genannten Läh-
mungen Erwähnung finden. Dieser Ausdruck gibt nicht den Giund
der Lähmung an, sondern nur den Zeitpunkt, in dem man dieselben
auftreten sieht. Dass man auch gegen diese Bezeichnung Einwände
erheben kann , ist offenbar , doch ist dieselbe immer noch zutreffender,
als „Narkosenlähmung".
Was nvin die Ursachen der Lähmungen angeht, so glauben
wir in dem Vorhergehenden hinreichend bewiesen zu haben, dass für
alle auftretenden Lähmungen eine Ursache vorliegt, welche wohl in Be-
ziehung zum Narkotikum steht. Dass Lähmungen einzig und allein
durch die toxischen Eigenschaften der Narkotika entstehen
können, ist uns sehr zweifelhaft, und wir sind der Ueberzeugung, dass
- 88 -
stets eine andere Ursache aufgefunden werden kann, welche eine Folge
der Einflüsse des Narkotikums indirekt ist. Da man auch noch nie-
mals bei Tierexperimenten eine Lähmung hat eintreten sehen, die
rein toxisclien Einflüssen zugeschrieben werden muss, so ist auch
dies ein anderer Grund gegen die Annahme reiner Lälimungen durch
die direkten Wirkungen der Narkotika als Gifte. Jedenfalls ist die Ein-
wirkung der Narkotika während der Narkose zu kurz, um solche Läh-
mungen zu erzeugen, denn auch die alkoholischen Lähmungen
treten erst nach jalirelangem, starken Alkoholmissbraucli auf. Dass in
dieser Hinsicht auch die anderen Narkotika , Avenn sie sehr lange Zeit
auf den Organismus einwirken könnten, an sich Lähmungen durch ihre
Giftwirkungen erzeugen könnten, ist anzunehmen.
V. Kapitel.
Der Verlauf einer Narkose.
§ 35. Wenn wir eine Narkose au einem Kranken vornehmen
wollen, so müssen wir so manches vor derselben bedenken, bis wir mit
dem Gewissen, das ein jeder Arzt hat, so stehen, dass wir vor dessen
unparteiischer Kritik dieselbe verantAvorten können. Die Narkose an
sich schliesst immer eine gewisse Gefahr in sich, und es sollte nicht in
jedem Falle, wie es so häufig geschieht, wegen einer fast nichtigen Ur-
sache die Betäubung unternommen werden. Der Grund zu einem solchen
Eingriff in das Getriebe des Organismus sollte nicht ein so unbedeuten-
der, wie eine einfache Zahnextraktion, oder Eröffnung eines oberfläch-
lichen Abszesses sein. Durch die Inhalationsanästhesie wird der
Organismus so stark und eingreifend beeinflusst, es werden demselben
eine Reihe von Gefahren in mehr oder weniger grosser Wahrschein-
lichkeit nahe gerückt, und er wird denselben ausgesetzt, dass man beim
kritischen Betrachten aller Schädlichkeiten sich sagen muss, man unter-
schätze oftmals weit die Bedeutung der Narkose. So kommen Avir denn
zu dem Entschluss, dass man nicht wegen jeder kleinen Schmerz-
äusserung den Körper vor die Eventualität so gewichtiger Schä-
digungen stellen darf. Wenn wir uns eine grosse Fabrik vorstellen,
die von einer grossen Dampfmaschine in allen ihren einzelnen Teilen
in Bewegung gesetzt wird, und es ereignet sich eine kleine Beschädigung
einer Maschine, die durch viele Transmissionen erst weit entfernt von
der Kraftquelle, durch die sie getrieben wird, sollte man nun wegen des
Schadens, und um denselben auszubessern, dem ganzen Maschinerie-
Mechanismus plötzlich Ruhe gebieten, und denselben in seinen Funk-
tionen aufhalten, wodurch die ganze Fabrik in Stockung geraten, und
grosser Schaden an Material, Leuten und Geld entstehen würde, nur um
diesen kleinen Teil auszubessern? Der Besitzer des Werkes wird sich
- §4 -
dies nicht gefallen lassen, und nur die eine Maschine abtrennen, und
für sich still stehen lassen, um sie wieder herzustellen. So ist der
Schaden gering, während er in anderen Fällen enorm sein könnte.
Aehnlich verhält es sich mit dem Menschen. Nehmen wir an, derselbe
leide an einem kleinen oberflächlichen Panaritium des Nagel-
gliedes eines Fingers. Die Schmerzen sind enorm, und die Gefahr
ist ebenfalls gross. Aber werden wir da nicht lieber den Finger even-
tuell nach der Methode von Schleich-Oberst anästhesieren, als den
ganzen Körper durch eine allgemeine Narkose betäuben? Im letz-
teren Falle würden wir entschieden zuviel tun, während wir im ersteren
Falle gerade das nötige vollbringen. Es wäre nun gleichgültig,
wenn das zuviel der allgemeinen Narkose nicht in sich eine Reihe von
Gefahren für den ganzen Organismus schlösse. Wir könnten durch das
zu ausgedehnte Handeln dem betreffenden Menschen mehr Schaden als
Nutzen verursachen. Da wir nun auf eine viel ungefährlichere Art zu
demselben Ziele gelangen können, sollen wir dann nicht diesen Weg
Avählen. So kommen wir zu der Ueberzeugung, dass auch in unserer
Wissenschaft das Sprichwort Geltung hat: „In der Beschränkung
zeigt sich erst der Meister!" Nun fragt es sich aber, wie sollen
wir immer den goldenen Mittelweg finden, wie sollen wir uns immer
als Meister zeigen, indem wir unsere Grenzen in der richtigen Enge
ziehen? In dem folgenden wollen wir versuchen, diese Frage in ihrer
ganzen Tragweite zu erörtern. Jeder Mensch besitzt eine gewisse Kraft,
um den Unbillen, die auf seinen Organismus einwirken, zu widerstehen.
Es besteht in der Natur ein ewiger Kampf zwischen Leben und Tod.
Der Organismus setzt sich gegen von aussen einwirkende Kräfte zur
Wehr, und er wird, so lange er Sieger in diesem Kampfe bleibt,
weiter leben, während sein Unterliegen den Tod bedeutet.
§ 36. Diese Kraft, welche unserem Körper, dem tierischen
Organismus im allgemeinen, innewohnt, nennen wir Vitalität, oder
Lebenskraft. Bei einem gesunden Menschen hat diese Vitalität ein
bestimmtes Mass von Energie. Dieses Mass Avird aber durch patho-
logische Prozesse, Avelche sich im Organismus abspielen, geschwächt.
Doch die Vitalität ist immer noch Siegerin im Kampfe, sie versteht
noch die pathologischen Prozesse zu bemeistern. In manchen
Fällen wird es ihr gelingen, dauernd die Oberhand über die Krankheit
zu behalten, dann sehen wir die letztere ausheilen. Allein der Kampf
hat die Vitalität doch stark mitgenommen, wenn sie auch die Krank-
heit überwunden hat, so hat sie doch in diesem Ringen einen Teil
ihrer Energie eingebüsst. Nun ist diese Vitalität nicht mehr so
stark, und neue schädigende Einflüsse vermögen gegen sie anzustürmen,
bis sie schliesslich unterliegt. Nehmen Avir nun einmal an, Avir stehen
vor der Gelegenheit, einen Menschen zu narkotisieren. Wir wdssen,
dass die Narkose selbst gleich ist einer jener Schädlichkeiten, mit
denen die Vitalität kämpft, und die von ihr in vielen Fällen über-
Avunden Averden. Doch wir kennen auch die Fälle, a\'o die Vitalität
schon ziiA'iel ihrer Energie eingebüsst hatte, um dem Ansturm der
Narkose zu widerstehen, dann wird sie unterließen. Deshalb ist es
— 85 -
unsore Pflicht, zunächst zu prüfen, wie gestaltet sich das Verhältnis
der Vitalität des betreffenden Individuums zu den gegen sie
anstürmenden Schädigungen der Narkose? Haben wir einen
gesunden Menschen vor uns, so fragen wir, wie verhält sich die Vi-
talität zur Narkose? Hier werden wir von vornherein erkennen, dass
die Vitalität bei Aveitem grösser und stärker ist, als die schädlichen
Einflüsse der Narkose. Tritt nun aber jener Fall ein, der der all-
täglichere ist, wo noch eine Krankheit, welche durch eine Operation
beseitigt werden soll, hinzukommt, so müssen wir neben den Leistungen
der Vitalität und Narkose, noch die schädigenden Einflüsse der
Krankheit und Operation bedenken. Es muss nun vor der Ein-
leitung einer Narkose erörtert werden, in welchem Verhältnis die Vi-
talität zu der Summe der Krankheitseinflüsse, oder patholo-
gischen Veränderungen, und der Narkosewirkungen steht. Setzen
wir für die Vitalität V., für die krankhaften Veränderungen und
Einflüsse auf den Organismus P. (Wirkungen der pathologischen
Veränderungen), und für die Einflüsse der Narkose auf die Körper-
kräfte N., so miiss, damit ein für den Organismus günstiges Resultat
herauskommt, V]>>P-|-N sein. Ist in einem Falle die Summe P-j-N
"> V, so wird der Kranke den Kampf nicht aushalten, und zu Grunde
gehen. In einem Falle, wo P = 0 (Null) wird, haben wir einen gesunden
Menschen vor uns, und das Verhältnis muss dann ergeben, das V^N
sein muss. Es kann aber auch der Fall eintreten, dass N die Grössen von
0 (Null) bis unendlich durchläuft, es wird sich dann, solange N kleiner
als V ist, für den Organismus nu.r ein günstiges Resultat ergeben.
Nimmt N aber die Werte an, welche grösser als V sind, so genügen
schon die Einflüsse der Narkose, um einen Exitus letalis herbeizu-
führen. Wir sehen also hieraus, dass je nach den Schwankungen der
einzelnen Werte, verschiedene Resultate erwachsen können. Was wir
also vor der Narkose zu u.ntersuchen haben, ist zunächst die Grösse V,
dann müssen wir prüfen, wie gross P ist. Die beiden Werte haben
wir an dem Kranken als konkrete Werte gegeben, und können die-
selben bestimmen. Es muss ja in dem Leben immer V^P sein, denn
wenn P^V wäre, so würde der betreffende Mensch nicht existieren
können. Bilden wir nun die Differenz von V — P, so erhalten wir
einen Wert, welcher uns sagt, wie gross in diesem Falle das zu wählende
N höchstens sei. Die Grösse des N wird schwanken dürfen zwischen den
Werten, welche sich bewegen zwischen 0 und dem Werte, welcher
gleich V — P ist. Dies würde also heissen, die Anstrengungen, Avelche
die einzuleitende Narkose auf den Organismus ausüben würde, dürfen
iene Grösse nicht übersteigen, welche übrigbleibt, wenn wir die Einflüsse
der pathologischen Veränderung in Bezug auf die Kraftleistung
des Körpers von der Vitalität abziehen, was durch die Differenz
V — P dargestellt wird.
Durch die jeweilige Grösse des einen oder anderen Faktors wird
bestimmt, wie weit eine Narkose, und welche Narkose, zu.lässig
ist. Wenn wir aber z. B. die Einflüsse der pathologischen Ver-
änderungen in Betracht ziehen, so linden wir diejenigen Beziehungen,
- 86 -
welche vor der Narkose schon die Wirkungen auf den Organismus aus-
geübt haben. Neben diesen kommen aber auch noch die schwächen-
den Einflüsse der Operation an sich in Betracht. Bezeichnen wir
dieselben mit Op., so kommen wir zu folgenden Schlüssen. Es ist dann
V ^ P -j- Op -j- N, d. h. es kommt noch ein Faktor dazu, welcher unsere
Gleichung kompliziert. Durch diese Zunahme der Summanden wird
aber auch die Schwierigkeit grösser, welche in der Wahl der Narkose
gelegen ist. Es stellt sich heraus, dass Op ebenso von Einfluss ist wie
P, und je grösser Op wird, um so geringere Einflüsse dürfen wir von N
voraussetzen, um so weniger darf N im Sinne von Op, also schwächend
wirken.
Nehmen wir einen gesunden Menschen an, so lautete die Gleichung,
da hier P==0 = Null ist, V = Op -j- N = Operat. -[- Narkose , dies
würde z. B. jenen Fall darstellen, wo wir eine Operation vielleicht aus
kosmetischen Gründen, und ähnlichem unternehmen, wo also keine krank-
haften Verhältnisse vorher bestanden haben, die schwächend auf V ein-
wirken konnten. In diesem Falle kann N alle Grössen einnehmen, welche
zwischen Null = 0, und V — Op. liegen. Es besteht demnach das
Verhältnis, welches dartut, dass je grösser 0 = Operat. ist, um so kleiner
kann N sein. Oder die Grösse von N steht in indirektem Verhältnis
zu der von 0 = 0 p e r. Wenn wir es nun mit einem vorher schon er-
krankten Menschen zu tun haben, so stellt sich heraus, dass für N gar
nicht ein sehr grosser Zwischeni-aum , in dem sich seine Grössen be-
wegen dürfen, gegeben ist. Die Grösse von N darf dann in den Grenzen
zwischen Null und V — P — Op = V — P — Operat. sich bewegen.
Aus allen diesen Gleichungen haben Avir einen Begriff zu geben
versucht von den Ki'aftansprüchen , die wir für eine Narkose machen
dürfen. Man kann daraus den einfachen Schluss ziehen, dass die Ge-
fährlichkeit der Narkose nicht allein von der Technik derselben,
der Dosis, und Art des Narkotikums abhängig ist, sondern auch von
der Vitalität, von der Krankheit, und der Operation. Wird z. B.
der Kraftaufwand, welchen die Vitalität der Krankheit entgegen-
setzen muss, sehr gross, so bleibt von der Vitalität nur noch ein
kleiner Teil für die Summe von Operat. -|- N. übrig. Es verhält sich
nun re vera in der Natur so, Avie in dem Zahlenverhältnis. Die Vitalität,
die Krankheit, und die Operation sind so ungeheuer verschieden,
dass man gut den Vergleich aufrecht erhalten kann , ihre Werte be-
wegten sich zwischen Null und unendlich.
Tritt nun bei einem der Faktoren P. und Op. der Fall ein,
dass er unendlich gross wird, so bedeutet dies für die Vitalität ein
Sinken unter Null, oder den Tod des Organismus. Aus diesen Ver-
hältnissen geht nun hervor, dass es für uns sehr scliAvierig ist, das
richtige Mass jedes dieser einzelnen Faktoren zu ermitteln. Wir müssen
immer zuerst bedenken, wie gross die Ki-aft des Organismus ist. Die-
selbe ist von Haus aus verschieden, jedes Individuum hat eine beson-
dere Vitalität vom Beginn seines Lebens an, und wir müssen daher
einen Unterschied zwischen den Einzelorganismen machen.
Was nun das Verhältnis des Organismus, oder besser der Vi-
- 87 -
talität desselben zur Krankheit betrifft, so sehen wir Krankheiten,
welche die Vitalität stark, andere, welche dieselbe nur gering- beein-
flussen. Das wird gegeben in den Werten von P zwischen Null und
unendlich. Bestehen aber zwischen den beiden Faktoren grössere
Einflüsse , so müssen wir dieselben wohl in Betracht ziehen , ehe wir
eine Narkose einleiten. Neben diesem sind aber wiederum vei'schiedene
Einflüsse zwischen Vitalität, Krankheit, und Operation zu finden.
Die Krankheit kann durch die Operation in gutem, wie in
schlechtem Sinne beeinflusst werden.
i; 37. Für uns aber noch wichtiger, als diese Beziehungen, sind
diejenigen, welche zwischen Narkose und Krankheit bestehen. So
kommt es oft vor, dass eine chronische Erkrankung des Organismus
gar nicht von der Narkose berührt wird. Im Gegenteil aber eine sehr
grosse Anzahl, wo die Grundkrankheit ad mal am partem beein-
flusst wird. Solche Beispiele sehen wir beim Diabetes. Oftmals ist der
Grund zu einem diabetischen Coma in einer Narkose zu suchen,
oder es ist Avenigstens eine starke Verschlimmerung der bestehenden
Erkrankung, wenn sie auch nicht zum diabetischen Coma führte,
durch dieselbe hervorgerufen worden; denn es ist eine vielbeobachtete
Tatsache, dass man bei Kranken, bei denen man vor der Narkose
Saccharum, oder Albumen im Harn fand, die Mengen derselben Körper
nach der Narkose vermehrt findet, und dass in günstigen Fällen die
Menge der Beimengungen nach und nach wieder zu der vor der Nar-
kose gewöhnlichen Höhe lierabschreitet, allerdings sind auch ungünstige
Folgen zu verzeichnen , wo eine dauernde Vermehrung der Harnbei-
mengungen als Zeichen verstärkter pathologischer Zustände in
den Nieren eintrat, und eine direkte Folge der Narkose darstellte.
Andererseits bestehen sichtliche Einflüsse der Narkose auf die
Operation, und zwar weniger ad malam, wie ad bonam partem.
Die Narkose ermöglicht dem Operateur eine leichtere Arbeit, sie macht
ihm die Verhältnisse im Organismus deutlicher, indem sie die Unter-
suchung ausgiebiger gestaltet, und so weiter in ähnlichen Beziehungen.
Ferner werden dui'ch die Narkose die psychischen Alterationen ge-
mildert, der Nervenshock wird seltener, während der Kranke früher
mit Bangen vind Zittern den Tag der Operation erwartete, und oft-
mals aus Schmerz in Ohnmacht versank, oder vor dem Betreten des
Zimmers tot umfiel, oder beim ersten Schnitt des Operateurs sein Leben
aushauchte, sieht er in der Narkose jetzt ein Mittel, durch welches
er all des Schrecklichen der Operation enthoben wird, und seine
psychische Erregung malt ihm wohl die krassen Bilder der Gefahren,
denen er entgegengeht , in lebhaften Farben aus , doch da tröstet er
sich, dass er von alledem nichts sieht, und er empfindet so die Narkose
als eine Wohltat. Dieser Einfluss muss für die Operation indirekt
günstig wirken,
§ 38. Wenn wir aber eben gesehen haben, wie die Vitalität
durch Krankheiten eine Veränderung erfährt, so müssen wir neben
den wirklich pathologischen Zuständen auch noch andere, welche
physiologische Etappen im menschlichen Leben darstellen, erwähnen.
— 88 —
Die Vitalität ist durch das Alter der Personen einer nicht geringen
Beeinflussung unterworfen. So sehen wir dieselbe schwanken mit den
einzelnen Lebensabschnitten, ein Steigen vom ersten Atemzuge bis zur
Zeit der Blütejahre des Menschen, dann ein gleichmässiges Schwanken,
während einiger Jahrzehnte, und wieder ein Abfall im Greisenalter, bis
zum Tage des Scheidens aus dem Dasein, alles das stellt einen dem
allgemeinen Kreislauf im Weltgetriebe ähnlichen Wandel dar.
So haben wir die Vitalität im Kindesalter schwach, und
wenig für einen Kamj)f geeignet, wenig widerstandsfähig, denn z. B.
schon eine massige Blutung wird die Ursache des Unterliegens, eine
Narkose eventuell der Anlass zum Tode sein. Mit den Jahren
nimmt die Kraft zu. In der Zeit von 15 — 45 Jahren werden Schä-
digungen am Organismus am besten vertragen, folglich wird auch dieses
Alter für die Narkose das am wenigsten gefährliche darstellen.
Vom 45. Jahre abwärts bis an den Rand des Grabes finden wir wieder
einen Rückgang der Vitalität. Daher entnehmen wir dem Gesagten
die Lehre, eine Narkose im früheren Kindes-, und im späten Greisen-
alter ist, wenn möglich, zu unterlassen, sie stellt je nach dem
Alter eine entsprechend grosse Gefahr für den Organismus dar. Es
ist sogar im allgemeinen Brauch, ein Kind unter 1 Jahr nicht zu nar-
kotisieren. Die Grenze im Greisenalter lässt sich nicht so leicht ziehen,
denn dasselbe ist mehr Schwankungen unterworfen. Die Geburt eines
Kindes stellt einen festen Punkt dar, an den bestimmte, feststehende
Daten, in Bezug auf körperliche Entwickelung, und Verhältnisse ge-
knüpft sind, und die EntAvickelung der Kinder im ersten Jahre hat noch
wenig eingreifende individuelle Schwankungen in dieser Hinsicht natür-
lich, wir haben mit dem Alter von 1 Jahr einen feststehenden körper-
lichen Entwickelungs-, und Kräftezustand, welcher bei gesunden Kin-
dern ungefähr gleich ist. Daher können wir in diesem Alter mit Zahlen
rechnen, obwohl natürlich auch da noch ein grosser Teil von indivi-
duellen Differenzen in Beti'acht kommt. Anders ist es mit dem
Greisenalter. Hier haben wir die Einflüsse eines langen Lebens,
welche sich in dem Zustande des betreff'enden Menschen kundgeben,
und die Verschiedenheit in Bezug auf den Zustand der Vitalität ist
eine so grosse, dass eine bestimmte Linie zwecks Abgrenzung der
Narkotisierbarkeit zu ziehen, in das Bereich der Unmöglich-
keit gehört. In diesen Fällen muss eben die Beurteilung des indi-
viduellen Zu Standes ausschlaggebend sein.
Es kommen bei dem Greisen alt er eine grosse Reihe von Mo-
menten in Betracht, welche sich jetzt zum Teil in pathologischen
Zuständen kundgeben, die aber bis zu einer gewissen Grenze nicht
als pathologisch anzusehen sind. So haben wir bei alten Leuten
die Veränderungen des Gefäss Systems in Erwägung zu ziehen. Es
hat sich teils als Folge des Berufes, teils als Resultat der Lebensge-
wohnheiten, die Arteriosklerose eingestellt, es bestehen Zirkula-
tionsanomalien, und varicöse Veränderungen, sowie eine allge-
meine Trockenheit des Körpers, und alle diese Veränderungen
im Organismus machen einen Ausgleich von Blutverlusten bei Opera-
— 89 —
tionen scliAvierig, und somit können Herzaffektionen entstehen, die eine
Narkose jeder Art zu einer hohen Gefahr machen. Dazu kommen
noch jene Veränderungen des Herzens, die ebenfalls an der Grenze
des pathologischen Begriffes stehen, die braune Atrophie des
Herzfleisches, die Sklerose der Coronargefässe , Hypertrophien,
und Dilatationen etc. Sie alle bilden die Ursache für eine geringere
Widerstandskraft des Organes. Die Herzmuskulatur entspricht nur noch
den Anforderungen des alltäglichen Lebens, jede grössere Kraftforde-
rung verursacht eine Schwäche, und in ihrer eigenen Schwäche
fehlt der Herzmuskulatur noch die Unterstützung der übrigen
Mxiskulatur des Organismus, welche sonst die Blutzirkulation noch
beförderte, jetzt aber wegen des allgemeinen Darniederliegens der Kräfte
in Wegfall kommt.
Es kommt noch ein Moment im Alter dazu, welches auf die Ver-
hältnisse der Vitalität ebenfalls einwirkt, nämlich der Umstand, dass
mit der Höhe des Greisenalters die Empfindlichkeit gegen Schmerz
zunimmt. Wenn ein Schmerz z. B. bei einem Manne im mittleren
Lebensalter eine Ohnmacht hervorruft, so ruft derselbe bei einem Greise
den plötzlichen Tod eventuell hervor. Hier kann man allerdings
durch eine Narkose helfend einschreiten. Freilich muss in solchen
Fällen die Narkose eine ganz besonders vorsichtige sein, denn
es kann ebenso statt Nutzen, Schaden entstehen durch die kleinsten
Versehen. So haben wir den Satz aufzustellen: bei dem Greise ist die
Narkose als im allgemeinen sehr gefährlich aufzufassen, namentlich,
wenn zugleich eine stark schwächende Operation bevorsteht, und
stattfindet.
§ 39. Es kommen ausser den Altersstufen vor allem auch
die verschiedenen Konstitutionen, und deren Uebergänge in patho-
logische Veränderungen in Betracht.
§ 39a. Zuerst wollen wir einen Blick auf die anämischen
Körperzustände werfen, wie sie durch lange vorher bestandene
Blutungen auftreten. Alle diese finden in der Narkose beträchtliche
Gefahren, wir müssen den Grad der Anämie kennen, um zu entschei-
den, welches Narkotikum wir wählen. Sind die Blutungen nun Folgen
von Operationen oder malignen Neubildungen, Entbindungen,
oder dergleichen, stets wird durch den starken Blutverlust eine
starke schwächende Wirkung auf das Herz ausgeübt. Das Plerz neigt
zu Kollaps, und wir müssen dem entgegen arbeiten.
Ausser dem Blutmangel kommt nun noch bei etwaigen Neu-
bildungen die Inanition in Betracht, welche auch das Herz schwächt,
und pathologische Veränderungen am Myokard hervorruft.
Wir müssen demnach vor der Einleitung einer Narkose den Grad
der Herzveränderung feststellen, um entsprechende Massnahmen
treffen zu können.
Neben den Anämien durch direkten Blutverlust, welche
der allgemeinen Anästhesie hindernd entgegentreten, sind es auch jene
schweren Bluterkrankungen, die wir mit Anämie, perniziöser Anä-
mie XTnd Leukämie bezeichnen. Da bei denselben in den meisten
- 90 —
Fällen eine Erkrankung des Myokards mit besteht, wird die Gefatr
hauptsächlich in Schwächezuständen des Herzens bestehen. Dass
natürlich je nach dem Zustande, in welchem der Kranke sich befindet,
d. h. ob die betreffende Krankheit im Anfangsstadium oder bereits
weit vorgeschritten ist, eine Entscheidung herbeizuführeii ist, ob noch
eine Narkose möglich sein kann, und welche Art der Betäubung ge-
w^älilt w^erden soll, ist einleuchtend. Wie sich die einzelnen Betäubungs-
mittel in solchen Fällen zum Organismus verhalten, wird im speziellen
Teile ermittelt und besprochen werden. Hier sei nur hervorgehoben,
dass diese Blutaffektionen Kontraindikationen hervorzurufen im
Stande sein können, und dass wir, w^enn eine Narkose unumgänglich
ist, das Narkotikum wählen müssen, Avelches dem Herzen am wenigs-
ten gefährlich ist.
§ 39b. Ziehen Avir nun jene besondere Art der Konstitution
in Betracht, die war als Fettsucht bezeichnen, und welche dem Men-
schen schon kaum im alltäglichen Leben die Verrichtungen im Beruf
und in seinen sonstigen Verhältnissen A'oUbringen lässt. Ein solches
Individuum verträgt eine allgemeine Narkose in den meisten Fällen
nur sehr schlecht, das Herz ist fast immer durch das Fett in hohem
Grade nachteilig affi ziert , es besteht neben einer hochgradigen Fett-
durcli Setzung der Muskulatur eine mehr oder minder hochgradige
Hypertrophie des Herzens. Durch diese Veränderungen wird das-
selbe in seiner Leistungsfähigkeit stark herabgesetzt, und ist in
den meisten Fällen nicht im stände, die Anstrengungen, welche eine
Narkose an dasselbe stellt, aiiszuhalten Bei dem überaus fettreichen
Organismus kommt vielleicht die Gefahr für das Herz mit daher, dass
in dem Myokard, welches reichlich mit Fett durchwachsen, und auch
aussen umgeben ist, eine bedeutende Menge des Narkotikums direkt
aufgespeichert wird, durch die Eigenschaft des Fettes, das Narkoti-
kum zu lösen. So wird natürlich in dem Fettherzen eine grössere
Menge Narkotikum vorhanden sein, als in einem normalen Herzen
w^ährend der Narkose, weil in dem letzteren nur das Blut Narkoti-
kum dahin bringt, und wenig Fett zum Lösen weiterer Mengen vor-
handen ist, und diese vermehrte Menge wird natürlich auf das, an
sich schon zur fettigen Degeneration prädisponierte Myokard
pathologisch einwirken können, und leichter eine Paralyse des
Herzens hervorrufen, als in anderen normalen Fällen. Es ist gerade
darin der Grund für eine vermehrte fettige Degeneration der Organe
durch viele Narkotika zu finden, dass die kleinen Fetttröpfchen in
den Zellen mehr Narkotikum in der Zelle aufhäufen, als die Zelle
ohne die Fettdegeneration tun würde, und dass nun das Narko-
tikum innerhalb der Zelle im Uebergewicht vorhanden ist, und als
weiterer, die Degeneration begünstigender Moment, neben den frühe-
ren vor der Narkose schon bestandenen pathologischen Zuständen
hinzukommt (Verf.).
Weiter haben wir bei der Fettsucht die Beobachtung gemacht,
und dieselbe zeigt sich schon bei dem Vergleich zwischen den Narkosen
yon einem mageren, und einem noch normalen, aber doch fast patho-
- 91 —
logisch fettreichen Menschen, dass der fette Mensch eine grös-
sere Menge des Narkotikums braucht, als der magere, was wir, da
andere Momente nicht wahrscheinlich waren, darauf beziehen mussten,
dass das Fett viel Narkotikum löst, und deshalb erst nach Verbrauch
einer grösseren Menge des Narkotikums, als im anderen Falle,
die Narkose eintreten lässt. Während Avir z. B. bei Kranken, die
mager waren, 3 — 5 gr. Chloroform brauchten, bis die Toleranz ein-
trat, so mussten wir bei den fetten, aber gleichg rossen, ungefähr
gleichalten, und auch in anderen Punkten ähnlichen Kranken
7 — 9 gr. Chloroform verbrauchen, bis dieselben in den gleichen Be-
täubungszustand verfielen (Verf.).
Es ist auch die Beobachtung gemacht worden, dass die Nach-
wirkungen beim fettreichen Organismus länger anhalten, so der
Geschmack und Geruch nach dem Narkotikum etc., als bei mageren
Personen (Verf.)
Es sind diese Beziehungen evident, und man muss die Lehre
daraus ziehen, bei fetten Personen dasjenige Narkotikum zu wählen,
welches Aveniger Tendenz zeigt, fettige Degeneration zu erzeugen,
als die anderen. Man wird da entschieden mehr den Gefahren aus-
weichen kömien.
Neben der allgemeinen Fettsucht kann auch die Gicht eine
Narkose verbieten, und es ist natürlich wiederum das Herz, welches
hier in der Hauptsache den Ausschlag giebt.
§ 39c. Bei Pletora und stark vollblütigen Personen finden
wir in vielen Fällen eine grössere Widerstandskraft gegen nar-
kotische Medikamente, imd es müssen oft grössere Dosen, als
bei normalen Menschen angewandt werden, damit man eine allgemeine
Betäubung erreichen kann. Dass in diesem Falle leicht eine Gefahr
für den Organismus eintreten kann, wenn das betreffende Narkotikum
kumulierende Wirkung besitzt, muss betont werden, und es ist in
solchen Fällen vor einer zu forcierten Narkose mittelst grosser
Dosen zu warnen. Die Widerstandskraft ist jedenfalls auch hier in
dem grossen Fettgehalt gelegen, wie schon oben erläutert.
§ 39 d. Von sehr gewichtigem Einfluss auf jede Art der Inha^
lationsnarkosen ist der Alkohol. Es ist schon oben gelegentlich
der Vorbereitung des Patienten vor der Narkose der grösste Teil der
Einflüsse des Alkohols auf die Narkose erwähnt worden. In jenem
Falle handelte es sich aber darum, dem Alkohol in seiner Wirkung
zu begegnen. Wir wollten hier hauptsächlich jene Verhältnisse be-
leuchten, wo der vorhergegangene Alkoholismus eine Kontraindi-
kation für die Narkose bildet.
Wenn wir den Alkoholismus näher betrachten, so haben wir
drei Arten von Alkoholisten zu unterscheiden, je nach der Form
des Alkohols, den sie zu sich nehmen. Es sind dies die Bier-,
Wein- und Schnapstrinker.
Diese 3 Arten von Potatoren bieten sowohl im alltäglichen
Leben, wie im Verhältnis zur Narkose, jeder ein typisches charakte-
ristisches Bild.
- 92 —
Der Biertrinker ist meist ein dickleibiger, vollblütiger Menscli,
bei ihm kommen die Gefahren der Fettsucht und Pletora zusammen
in Bezug auf die Narkose in Betracht. Hier müssen wir uns die
pathologischen Zustände des Herzens vergegenwärtigen, und wir
denken da an das bekannte Münchener Bierherz mit seiner enormen
Hypertrophie, Dilatation, Fettdur chwachsung, und oftmals be-
stehenden Myocarditis in allen den Abstufungen vom ersten Beginn
der alkoholischen Einflüsse, bis zu obigem extremen Fall, der
so oft in Bayern gefunden wurde. Neben diesen Herzveränderungen
leidet der Biertrinker meist an einem chronischen Rachenkatarrh,
und chronischem Magenkatarrh, beides Zustände, die bei der
Narkose ihren störenden Einfluss in Form von Würg- und Brech-
akten zeigen. Versetzen wir einen solchen Mann in eine Inhalations-
narkose, so sehen Avir, dass schon nach Avenigen Atemzügen das Gesicht
dunkelrote Farbe annimmt, die sich bis zu blaurotem Kolorit
steigern kann. Zwischen den festaufeinandergepressten Zahnreihen wird
der vermehrt abgesonderte Speichel hin und hergeblasen, und man hat
Mühe, die Kiefer zu öffnen, und den Mund von Schleim zu befreien,
welcher oft den ganzen Rachen bis zum Kehlkopf teilweise erfüllt und
durch die Atmung hin und hergeschleudert, ein rasselndes Atemgeräusch
erzeugt. Nachdem event. noch eine mehr oder weniger starke Excida-
tion eingetreten ist, folgt allmählich ruhigere Atmung, und ein behag-
liches Schnarchen kündet den Eintritt der tiefen Narkose an, welche
nun leicht in dem gewünschten Zustande erhalten werden kann.
Ein anderes Bild gibt uns der Wein trink er. Man sagt der Wein
macht lustig, und wohl nicht mit Unrecht nennt man die rheinische Be-
völkerung ein lustiges Völkchen. So wie im Leben der belebende, zu
fröhlichem Lachen und Scherzen anregende Einfluss des Weines unver-
kennbar ist, so finden wir auch diesen selben Charakter in der Nar-
kose eines Weintrinkers wiedergegeben. Durch die ersten Inha-
lationen schon wird der betreffende Mann in ein angeregtes Stadium,
vergleichbar dem Weinrausch versetzt. Allein es ist oftmals sehr
schwer möglich, die Toleranz zu erreichen, denn der Patient ist kaum
in einen Schlaf zu versetzen, er spricht, erzählt, scherzt, und erheitert
durch seine fröhliche Art und Weise die ganze Umgebung. Dabei ist
er aber in seinem Bewusstsein getrübt, doch gelingt es erst mit Gewalt
ihn zu betäuben, allein man zieht, wegen der Gefahren der forcierten
Narkose vor, den Kranken in seinem manischen Zustand zu. lassen, denn
man bemerkt bald, dass jede Schmerzempfindung fehlt, ebenso das Be-
wus stsein, und man kann ruhig operieren, während der Kranke seine Um-
gebung scherzend unterhält. Solche Narkosen haben nach Witzel nichts
unangenehmes , sondern dienen zu grosser Erheiterung der Umgebung.
Wenn nun auch dieser Zustand wegen seiner Anaesthesie, denn
es besteht nicht nur Analgesie, da der Kranke keine Abwehrbewe-
gungen macht, gut zur Operation verwendbar ist, so muss man nicht
denken, es sei eine völlige Betäubung unmöglich. Dieselbe ist stets
zu erreichen, wenn man auch von einer forcierten Betäubung entschie-
den abraten muss.
- 93 —
Wenn die motorische Excidation nicht zu schlinini ist, so ist
obiger Zustand gut zu benützen, während tiefe Narkosen immer
wegen eventueller Kollapszustände etc. Gefahr bringen können.
Ein ganz anderes Bild wird vom Schnapstrinker dargestellt.
Die körperlichen Verhältnisse des Mannes zeigen meist weder Fett-
leibigkeit, noch Pletora, das Gesicht ist allerdings meist bläulich-
rot verfärbt. Wenn schon der Weintrinker eine gewisse Resistenz
gegen das Narkotikum zeigte, so müssen wir in diesem Falle oft ganz
enorm hohe Mengen verbrauchen, um die Narkose zu erreichen.
Das Excidationss tadium zeigt sich wild und roh in Bezug auf
die Bewegungen, und ein lautes Schreien und Toben ist oftmals so
hochgradig vorhanden, dass es fast gefährlich erscheint für die um-
stehenden Personen, sich der Person zu nähern, dabei bricht dieselbe
in Fluchen, Schimpfen, und Schreien abwechselnd aus. Hier
macht sich mehr der wilde und rohe Charakter, entgegen dem
Weintrinker bemerkbar.
Nachdem dieses Stadium lange angehalten hat, fällt der Patient
oftmals bald schlaff zurück, und wir haben nun das Bild der gefähr-
lichsten Schwächenarkose. Dieselbe muss unsere ganze Aufmerk-
samkeit erfordern, zumal die Schwächezustände bei stai'kem Blut-
verlust während der Narkose oftmals sehr bedrohlich werden können.
Das Zeichen einer gefährlichen Schwäche ist neben den bekannten
Symptomen der Ausbruch eines in feinen Bläschen auf dem Ge-
sicht auftretenden Schweisses, wobei die Gesichtshaut livide ge-
färbt erscheint. Diese Ztistände sind bei starken Schnapstrinkern
nicht selten, imd das Bild wechselt, je nach dem Stadium der Trunk-
sucht, und bietet dann entsprechende Abweichungen. Immer aber sei
man bedacht, dass jeder Alkoholist von solchen Schwächezustän-
den befallen werden kann. Das beste Mittel, um denselben etwas
vorzubeugen, ist das, vorher starken Wein oder Kognak, wie oben
schon angegeben, dem Kranken zu verabreichen. Es sollte dies nie
unterlassen werden.
Durch diese Auseinandersetzungen ist der Einfluss des Alkohols
soweit gewürdigt worden, als er für uns in Betracht kommt. Was wir
noch in dem Folgenden als Konstitutionsanomalien zu erörtern
haben, ist das Vorhandensein jener Zustände, die wir mit dem Namen
eines Statxis lymphaticus, und Status thymicus bezeichnen. Der-
selbe ist charakterisiert durch eine Hypertrophie der Thymus, der
Milz, der Lymphdrüsen im allgemeinen. Es lässt sich bei solchen
Kranken, trotz aller Vorsicht, das Eintreten von Todesfällen oft nicht
verhindern, und da die Zahl der Todesfälle, die bei solchen Personen
beobachtet wurden, eine erheblich grosse ist, so ist die beste Vorsicht
in der Vermeidung jeder allgemeinen Narkose zu finden. Man
prüfe deshalb bei solchen Personen vorher alle Verhältnisse genau, und
sei bestrebt, die Narkose nach Möglichkeit einzuschränken, und durch
ein anderes Verfahren zu ersetzen.
Alle diese, in dem vorhergehenden angeführten Momente, müssen
bei der Wahl einer Narkose überlegt werden, und erst nachdem die
— 94 -
Prüfung keine dieser Kontraindikationen von Gewicht ergeben hat,
schreite man zu der Vornahme einer Narkose. Nunmehr kommt noch jene
Entscheidung, welches Narkotikum zu wählen ist. Auf diesen Punkt
näher einzugehen, ist nicht der geeignete Ort, denn die Verhältnisse
sind Gegenstand der Betrachtung im speziellen Teile, da man die ein-
zelnen Eigentümlichkeiten der Narkotika in Bezug auf physiologische
Vorgänge im Organismus, genau kennen muss, um dem einen den
Vorzug vor dem anderen zuteil werden zu lassen, und eine genaue
Erläuterung der Wirkungen der einzelnen Narkotika finden wir später.
VI. Kapitel.
Die Narkose an sich.
§ 40. Wenden wir uns nunmehr zu der Narkose an sich!
Was wir im allgemeinen über die Narkose sagen können, kann nur in
bestimmten Grenzen hier gegeben werden, und wird eine Ergänzung zu
den Erörterungen im speziellen Teile bilden. Wenn auch zwischen den
einzelnen Narkotika Verschiedenheiten bestehen, welche das eine zu
einem Wettstreit mit dem anderen berechtigen, so haben sie doch alle
einen bestimmten Charakter gemeinsam, und dieser allen Narko-
tika typische Charakter macht sich bemerkbar, durch die gleiche
Wirkung auf den Organismus. Wenn wir nun die einzelnen Nar-
kotika, oder Anästhetika in Bezug auf das Erzeugen von Narkose be-
trachten wollen, so liegt es nahe, dass wir eine Einteilung der ver-
schiedenen Körper suchen, und wünschen. Es sind nun verschiedent-
lich Vorschläge zu einer Klassifikation derselben gemacht worden, doch
dieselben sind alle, mehr oder weniger, zu widerlegen. Ich Avill hier
gleich darauf hinweisen, dass ich unter die Stoffe, welche Avir zur Nar-
kose verwenden, nicht nur jene rechne, welche, wie Chloroform, von
dem Organismvis durch die Lungen aufgenommen und ausgeschieden
werden. Das würde ganz vei-kehrt sein, denn wir bringen auch Nar-
kose hervor, indem wir das Agens nicht durch die Lungen, sondern
auf anderem Wege dem Organismus einverleiben, z.B. durch subku-
tane Injektion, wie bei der Skopolam in-Morphin-Nar kose Schnei-
der lin 's etc. Somit wird es klar, dass eine Unterscheidung der wir-
kenden Körper nicht durch die Art der Einverleibung in den Organis-
mus bestimmt werden kann, sondern es muss uns bei der Klassifi-
kation das Verhalten der narkotisierend wirkenden Stoffe dem
Zentralnervensystem gegenüber leiten.
§ 41. In pharmakologischer Hinsicht haben wir zwei Arten
von derartigen Stoffen, die indifferenten, und die basischen
Narkotika zu unterscheiden, und es ist diese Einteilung der Nar-
kotika vom Standpunkte der allgemeinen Physiologie wohl berech-
— 95 -
tig't. Es ist für die Wirkung der beiden Arten der Narkotika offenbar
bis zu einem gewissen Grade gleichgültig, auf welchen Bahnen sie in
den Organismus des zu Narkotisierenden liineingelangen. Das, was alle
gemeinsam haben, ist, dass sie von dem Blute aufgenommen, und von
demselben den Zellen im Zentralnervensystem zugeführt werden.
Die Narkotika haben nun den Zellen gegenüber die Eigenschaft,
durch die Zellmembran hindurch in das Protoplasma derselben
zu dringen, und es machen ihre Wirkungen im Protoplasma erst
die narkotischen Erscheinungen aus, indem die Narkotika auf den
Zustand der Cholesterin-Lecithin-Verbindungen des Protoplas-
ma's verändernd, in physikalischem Sinne, einwirken. Bei dem
grösseren Teile der basischen Narkotika ist kein Zweifel, dass,
auch wenn sie dem Organismus in Gestalt von Salzen zugeführt
werden, lediglich der basische Teil des Salzes die narkotisieren-
den Wirkungen hervorruft. Es ist dies z. B. ganz sicher der Fall
bei den Salzen des Morphin, und denen ähnlicher Alkaloide. Die
Salze der meisten Alkaloide können nicht in die lebende Zelle der
Tiere oder Pflanzen eindringen, wenn ihnen nicht das Proto-
plasma der betreffenden Zelle dabei behilflicli ist. Es werden nun
aber diese Verbindungen durch das Alkali des Blutes zerlegt, und
die freien Alkaloide, die so aus den Salzen entstanden sind, können
mit wenigen Ausnahmen nunmehr sehr leicht in alle lebenden Tier-
und Pflanzenzellen eindringen, und ebenso leicht auch wieder
aus denselben austreten. Es besteht also zwischen den beiden Arten
der Narkotika nur der Unterschied, welcher sich in ihrem Verhalten
gegenüber dem Protoplasma und den Zellbestandteilen im leben-
den Zustande zeigt. Die indifferenten Narkotika, z. B. Chloro-
form, Aetlier sulfur., Alkohol, Bromäthyl etc. sind vollkommen
unabhängig, und selbständig, gegenüber der lebenden Zelle, sie
durchdringen die Zellenwand, und gelangen ungehindert in das Pro-
toplasma, während die basischen Narkotika (Morphin, und
seine Salze etc.) erst vom Alkali des Blutes zersetzt werden müssen,
ehe sie in das Protoplasma gelangen, ihnen wird durch die Zellen-
Avaud ein Halt geboten. Wenn auch hierin ein Unterscheidungsmerk-
mal liegt, in ihrer Wirkung auf das Protoplasma sind sie sich voll-
kommen gleich, sie bewirken einen physikalischen Aenderungs-
zustand der Lecithin-Cholesteringemische im Protoplasma der
Zellen, wodurch wahrscheinlich die narkotische Wirkung auf den
Organismus übertragen wird. Es liegt also hinsichtlich unserer
Betrachtung der Narkotika eine gewisse Einheit sämtlicher Narkotika
vor, und es könnte für uns, bezüglich der Narkose, eine Unterschei-
dung der Narkotika nicht von Gewicht sein, wenn nicht zAvischen beiden
Arten gewisse feine Unterschiede in der Wirkung auf die Gang-
lienzelle beständen, so dass wohl das Resultat der Wirkung bei beiden
zwar gleich ist, die Betäubung;, die Art aber, wie dieselbe hervorge-
bracht wird, unter den einzelnen Arten differiert.
Während nämlich bei den indifferenten Narkotika die Kon-
zentrationen der Verbindungen, Avelche g-erade hinreichen, um die
— 96 —
verschiedenen Pflanzenzellen, Infusorien, Flimmerzellen etc. zu
narkotisieren, nur wenig von einem Mittelwert abweichen, ist dies
bei den basischen Narkotika durchaus nicht der Fall. Die Konzen-
trationen eines freien Alkaloids, welche zur vollständigen Narkose
erforderlich sind, differieren vielmehr bei verschiedenen Pflanzenzellen
unter sich, bei Protozoen, Flimmerepithelien etc. um ausser-
ordentlich hohe Beträge, nicht selten z. B. um mehr als den zehnfachen
Wert. Ganz dasselbe gilt übrigens für die Wirkung der basischen
Narkotika auf die Ganglienzellen des Gehirns von verschiedenen
Tieren. Bei Fröschen z. B. lässt sich mittelst Morphium überhaupt
keine vollständige Narkose erreichen, während, wie später gezeigt werden
soll, die Konzentrationen von Chloroform oder von Aether in dem
Blutplasma, welche einerseits zur vollständigen Narkose eines Frosch es,
andererseits zur gänzlichen Narkose eines Säugetieres, oder auch des
Menschen hinreichen, wenn überhaupt, so doch nur sehr wenig von
einander verschieden sind. (0 verton)
Es gibt zwischen diesen beiden Arten von Narkotika, so verschie-
den dieselben nun auch sein mögen, in ihren einzelnen typischen Ver-
tretern, doch auch, wie es so oft in der Natur der Fall ist, stufen-
weise Uebergänge. Für die Narkosenfrage kommen vorwiegend
Körper aus den indifferenten Narkotika in Betracht, während die
basischen eine geringere Menge, sowohl weniger wichtig, und
geringer an Zahl, wie an Wirkung, liefern.
Wir wollen uns nun in dem Folgenden damit beschäftigen, zu er-
mitteln, wie der Wirkungsmechanismus der Narkotika sich verhält.
Bei der Narkose spielen nun vor allen Dingen folgende Momente eine
Rolle, und zwar zunächst das Narkotikum in Bezug auf Menge,
Temperatur, die Natur des Narkotikums, die Ganglienzellen,
welche durch die Narkose betroffen werden, neben einer grossen Anzahl
anderer Momente, die wir jetzt ausser Acht lassen wollen.
§ 42. Was nun die Natur und Beschaffenheit der Gehirn-
zellen, der Ganglienzellen anlangt, so ist es ein Feld von vielen
anderen Punkten daran angrenzend, welche unsere Aufmerksamkeit
fordern, und die noch in einem wenig gelichteten Dunkel ruhen. Es
kommt von der Ganglienzelle nur eine bestimmte Menge von Bestand-
teilen in Betracht, mit denen die Wirkung der Narkotika näher ver-
bunden ist. Wir können mit Recht annehmen, dass jene Faktoren in
der Ganglienzelle, welche mit der Narkose in direktem Zusammen-
hang stehen, bei den normalen Individuen von einer und derselben Tier-
spezies in demselben Stadium der Entwickelung immer dieselben sind,
dass dieselben konstante Grössen darstellen. Wir selbst haben wenigs-
tens keinen Einfluss nach Belieben auf diese Faktoren.
Es ist nun vor allen Dingen von grosser Bedeutung, die zur Nar-
kose hinreichenden und notwendigen Mengen der verschiedenen Nar-
kotika bei einer bestimmten Temperatur und Tierart festzustellen.
Um diese ermitteln zu können, müssen wir aber erst ein Mass haben
für die Narkotika. Man hat nun dieses Mass ausgedrückt dadurch, dass
man ermittelt, wieviel Gramm des betreffenden Narkotikums pro
— 97 -
Kilogramm des Tieres angenommen werden müssen, um einen be-
stimmten physiologischen Zustand des Tieres zu erzeugen. Es ist nun aber
das Ergebnis der Erfahrung, dass man einem Menschen z. B. eine bestimmte
Menge eines Giftes nach und nach in bestimmten Intervallen und ent-
sprechend kleinen Gaben zuführen kann, ohne dass der Zustand des Men-
schen geschädigt wird, während die betreffende Menge auf einmal verab-
reicht, sofort tötlich wirken würde. Man kann so selbst von den heftigsten
Giften bedeutende Mengen ohne Schaden einnehmen, wenn man nur
die auf einmal verabreichte Menge bis zu einer bestimmten Grösse an-
steigen lässt, ohne diese je überschreiten zu dürfen, und zwischen den
einzelnen Dosen einem genügend langen Intervalle Zeit zu verstreichen
gestattet.
Ferner haben wir auch durch die Erfahrung gelernt, dass das
eine Mittel in bestimmter Hinsicht anders wirkt, wenn es per os,
anders, wenn es per rectum, und anders, wenn es subkutan ein-
verleibt wird. Das heisst also, es kommt bei der Wirkung eines
Körpers auch auf die Art, wie, und den Ort, wo er dem Organismus
einverleibt wird, an. Der Grund für diese Wirkung ist derselbe, wie
der für die vorhergenannte Eigenschaft, und besteht in Folgendem:
Wenn ein Narkotikum auf den Organismus wirken soll, so muss
es in die Blutbahn gelangen, denn auf keine andere Art kann dasselbe
zum Zentralnervensystem gelangen. Es ist nun die Zeit, in der
ein Körper vom Blut aufgenommen wird, abhängig von der Art der
Einverleibung. Es wird eine grössere Menge des Stoffes vom Blut
aufgenommen werden, wenn wir denselben subkutan, als durch die
Lungen, als durch den Magen einverleiben. Kommt eine bestimmte
Menge von demselben unter die Haut, oder in den Magen, so wird
längere Zeit gebraucht werden, bis dieselbe im Magen ganz resor-
biert ist, als die gleiche Menge unter der Haut. Nun kommt aber
noch folgendes in Betracht, während vom Magen ein Teil ins Blut
gelangt, wird von diesem eventuell ein Teil schon wieder durch Drüsen-
sekrete etc. entfernt, oder durch Organe zersetzt, oder sonstwie ge-
bunden, und somit unschädlich gemacht worden sein, ehe die ganze
Menge ins Blut gelangt ist. Folglich kommt gar nicht die ganze
Menge des Narkotikums zur Wirkung, die wir so dem Individuum ver-
abreicht haben. Dies ist sehr wichtig. Am sichersten wirkt die Menge,
wenn man sie direkt in ein Blutgefäss injiziert. Es wird also bei
der verschiedenen Einverleibung durch die langsame Aufnahme, und
teilweise Ausgabe, die Wirkung gemildert.
Wir kommen somit zu der Ueberzeugung, dass wir das Narko-
tikum in Bezug auf seine Wirkung nicht nach der Dosis messen,
welche einverleibt Avurde, sondern nach der Konzentration, mit deir
dasselbe im Blut gelöst ist, bestimmen dürfen. Man darf, um ein Bei-
spiel zu brauchen, nicht sagen, man kann den Menschen mit 50 gr.
Chloroform narkotisieren, sondern man muss sagen, eine Konzentration
von Chloroform gelöst im Blut wie die von zirka 8 gr. Chloroform
auf 100 Liter Wasser reicht gerade aus, um die Narkose hervorzurufen.
Es ist nun bei dem Ausdruck Konzentration im Blute nur die Lö-
7
— 98 —
sung des Narkotikums im Blutplasma in Betracht zu ziehen, während
die Aufnahme desselben durch die Erythro cyten extra zu ei'wägen
ist, und in anderer Hinsicht hei dem Narkosenmechanismus in Be-
tracht kommt.
Die direkte Einfühi'ung eines Narkotikums in die Blutbahn ist
aber nicht ohne Gefahr, da man durch dieselbe eine sehr konzen-
trierte Lösung des Mittels im Blute erzeugt, und durch das Narko-
tikum eine Schädigung der Blutkörperchen resultieren würde, mit
ihren bekannten üblen Einflüssen auf den ganzen Organismus. Man
muss daher von dieser Art absehen, und hat bei Tierversuchen zuerst
als die beste Einverleibung, welche in kürzester Zeit einen Uebergang
des Narkotikums ins Blut mit gleichmässiger Verteilung bewirkt, die
Injektion einer bestimmten Menge desselben in die Peritonealhöhle
gefunden. Von der Peritonealhöhle gehen die allermeisten Stoffe schnell
in die Blutbahn über, neben dieser ist die subkutane Injektion von
ebenso grosser Bedeutung. Es wird bei dieser Methode eine Vermin-
derung der Wirksamkeit nicht leicht eintreten können, da wenn be-
reits eine Veränderung, resp. Wie der aus seh ei düng etc. der ersten
in das Blut aufgenommenen Teile vor sich gehen könnte, schon die
ganze injizierte Menge in das Blut gelangt ist, und ihre Wirkung
ausüben kann. Somit werden wir nach annähernd ebenso kurzer Zeit
fast dieselbe Konzentration des Narkotikums im Blute haben, als
wenn wir es direkt in ein Blutgefäss injiziert hätten.
§ 43 Die Konzentration des Narkotikums im Blutplasma wird
aber noch von anderen Momenten beeinflusst, und zwar kommen vor allen
Dingen die Beziehungen des Narkotikums zu dem Wasser und zu den
Fetten und fett ähnlichen Stoffen in Betracht. Diese Beziehungen
des Nai'kotikums bestehen in der Löslichkeit desselben im Wasser
und den Fetten. Es gelangen diese verschiedenen Verhältnisse bei
der Narkose zu grosser Bedeutung. Erstens ist das Lösungsverhältnis
der Narkotika im Wasser verschieden, das eine wird in grösseren Massen
vom Wasser gelöst, als das andere, und dasselbe ist in Bezug auf die
Fette zu sagen. Durch die verschiedene Löslichkeit der Narkotika
im Wasser wird entsprechend die Konzentration des Narkotikums
im Blutplasma beeinflusst, d. h. je grösser die Löslichkeit des Nar-
kotikums im Wasser ist, desto leichter, fester und in grösserer
Menge wird das Narkotikum auch vom Blutplasma aufgenommen
werden. Je grösser die Löslich keit, um so schwerer ist die Ab-
gabe desselben vom Blutplasma, und um so stärker die Wirkung
des Narkotikums.
Die Löslichkeit in Fetten kommt in folgender Hinsicht in i5e-
tracht. Wenn ein Narkotikum von den Fetten sehr leicht und in
grösseren Mengen aufgenommen wird, so wird im Organismus auch
viel von dem Narkotikum dem Blut etc. durch die Fette entzogen.
Wenn nämlich ein Narkotikum in alle Gewebszellen einzudringen ver-
mag, und wenn in denselben viel Fett enthalten ist, z. B. in dem Fett-
gewebe und Unterhautzellgewebe, so wird dieses Narkotikum so-
weit in dem Fettgew ehe aufgehäuft, als dem Teilungskoeffizient
- 99 —
des Narkotikums zwischen Wasser und den betreffenden Fetten ent-
spricht. Dadurch aber, dass das Fett dem Blute entsprechende Mengen
des Narkotikums entzieht, wird die Konzentration im Blutplasma
bedeutend herabgesetzt. Es ist dies von grosser Wichtigkeit, weil tat-
sächlich alle Narkotika, die in Fetten leicht löslich sind, auch in
alle Gewebsteile leicht einzudringen vermögen. (Overton).
Zu dem kommt aber noch als ein Faktor hinzu, dass eine be-
deutende Differenz zwischen den Fetten in Bezug auf Zusammen-
setzung bei den verschiedenen Tieren besteht. Bei den Menschen
und einigen Tieren befindet sich das Fett bei der Körpertemperatur
in flüssigem Zustande; dies resultiert aus dem Vorwiegen von Trio-
lein in dem Fette, Avährend bei anderen Tieren Tripalmithin, und
Tristearin vorherrschen, und diese Fette zeigen sich von festerer
Konsistenz während des Lebens. Durch die verschiedenen Zu-
stände und Zusammensetzungen der Fette bei den verschiedenen
Tieren werden natürlich auch die Teilungsverhältnisse des
Narkotikums zwischen dem Wasser und dem Fette verschieden
beinflusst.
Neben den Fetten sind es noch die in den Geweben vielfach vor-
handenen Lecithine und Cholesterine, und diesen ähnliche Ver-
bindungen, welche dem Blute eine nicht unbedeutende Menge des
Narkotikums entziehen können.
§ 44. In ähnlicher Weise, wie die Fette, verhalten sich wahr-
scheinlich auch die Blutkörperchen zu den Narkotika. Die letz-
teren werden natürlich neben dem Blutplasma ebenfalls von den
Erythro cyten gelöst. Die Blutkörperchen enthalten ja ebenfalls
Lecithin - Cholesterin, und noch andere diesen Stoffen verwandte
Körper und Verbindungen. Von diesen Verbindungen Avird natürlich
das Narkotikum ebenfalls aufgenommen. Die Blutkörperchen be-
sitzen aber nicht einen direkten Einfluss hinsichtlich des Transportes
des Narkotikums, sondern nur einen indirekten. Während in dem
Blutplasma eine bestimmte Konzentration des Narkotikums ge-
bildet wird, welche gerade ausreicht, um die Narkose zu erzeugen, so
wird bei dieser Konzentration auch das Aufnahmeverhältnis des Nar-
kotikums in den Erythro cyten ein bestimmtes sein. Dasselbe wird
in einem direkten Verhältnis zu der Konzentration des Narkotikums im
Blutplasma stehen. Nehmen wir nun eine bestimmte Konzentration
des Narkotikums im Blutplasma an, so wird, wenn keine weitere
Zufuhr von Narkotikum erfolgt, die Konzentration abnehmen, schon
weil das Narkotikum von den Gehirnzentren aufgenommen wird.
Nun besitzen aber die Erythro cyten noch eine bestimmte Konzen-
tration des Narkotikums in ihren lösenden Bestandteilen, welche der
früheren Konzentration im Blutplasma entsprach. Da nun das Blut-
plasma ein Manko aufweist, so Avird zunächst dasselbe durch die
Mengen des Narkotikums, die in den Erythrocyten gelöst sind, teil-
weise ausgeglichen wei'den, d. h. die roten Blutkörperchen werden
einen Teil des Narkotikums wieder abgeben, die Konzentration im
Blutplasma Avird dadurch wieder etAvas erhöht werden, und somit wird
- 100 -
auch dem Zentralnervensystem wieder eine bestimmte Menge von
Narkotikum zugeführt werden können.
Ein Beweis hierfür liegt darin , dass nicht sofort , nachdem man
die Zufuhr des Narkotikums sistiert hat, auch die Narkose wieder weniger
tief wird. Dies müsste unbedingt der Fall sein, wenn nicht durch die
Erythrocyten eine Reserve gebildet würde. Diese Reserve besteht
ja weiterhin auch noch in dem Fettgewebe etc. Aber zunächst
kommen die Erythrocyten in Betracht, da sie direkt im Blutplasma
schwimmen, und so in näheren Beziehungen zu der Konzentration des Nar-
kotikums im Plasma stehen als das Fett steht. Erst wenn deren Gehalt
an Narkotikum entsprechend herabgesetzt ist, können weitere Momente
in Betracht kommen. Es wird also das Weiterfortdauern der Narkose
bis zu einem gewissen Grade durch die Blutkörperchen bewirkt.
(Verf.)
Dass nicht direkte Beziehungen zwischen Erythrocyten und
Ganglienzellen bestehen können, in Bezug auf den Transport von
solchen Stoffen, wie sie von den Narkotika dargestellt werden, ist aus
den anatomischen, und physiologischen Verhältnissen leicht
zu ersehen.
Die weissen Blutkörperchen kommen wegen ihrer geringen
Zahl hier nicht in Betracht, ebenso nicht die Blutplättchen, und würden
in dem Falle eines Einflusses dieselbe Rolle, wie die roten Blutkörper-
chen spielen.
§ 45. Wenn wir hier noch kurz die Beziehungen des Fettge-
Avebes erläutern wollen, so geschieht dies aus dem Grunde, weil Avir
in dem obigen einige Lösungsverhältnisse erörtert haben. Das Fett
nimmt das Narkotikum auf, es löst dasselbe, und zAvar in ganz be-
trächtlichen Mengen, denn man kann sich davon leicht überzeugen,
wenn man ein Tier z.B. durch Chloroform tötet, und das Fleisch,
und Fett anriecht. Man AA'ird deutlich den Chloroformgeruch
spüren. Das ist den Schlachtern bekannt, denn dieselben können
Fleisch von chloroformierten Tieren nicht verwenden, da eben
dasselbe infolge des Fettgehaltes mit Chloroform angefüllt, und
nebenbei auch noch in der Muskulatur selbst Chloroform enthalten
ist. Dadurch Avird es in der Schmackhaftigkeit beeinträchtigt. Es
ist dies sehr schade, denn man könnte sonst das Schlachten der Tiere
viel weniger roh gestalten, und mehr den zarteren Saiten unseres Mit-
gefühls anpassen.
Aus dieser Beobachtung aus dem praktischen Leben geht die
Bedeutung des Fettgewebes hervor. Dasselbe bildet ein Steuer für
die Narkose. Könnte nicht ein grosser Teil des Körpers (Musku-
latur, FettgeAvebe etc.) das Narkotikum aufnehmen, so müssten wir
bei Aveitem vorsichtiger in der Dosierung des Narkotikums
vorgehen. Wenn war einem Tiere 1 Gramm Chloroform inhalieren
lassen, so AA^ürden, Avenn nicht das Fett das Chloroform lösen könnte,
die Dämpfe A-om Bhitplasma aufgenommen, nur nach dem Zentral-
nervensystem gebracht Averden, Avelches, A'ermöge seiner besonderen
Löslichkeit, sofort eine Aveit grössere Menge, als nötig, erhalten Avürde.
- lOi -
Da aber bei der Verteilung das Fettgewebe etc. eine grosse Rolle
spielt, so wird nur ein verschwindend kleiner Teil von den Dämpfen
des einen Gramm Chloroforms wirklich in das Zentralnerven-
system gelangen.
Diese Aufspeicherung des Narkotikums im Fett- und Mus-
kelgewebe des Organismus spielt nun noch eine Rolle bei der Dauer
der Narkose. Wenn man die Zufuhr des Narkotikums unterbricht, so
dauert die Betäubung noch eine geraume Zeit an, der Kranke erwacht
nach und nach.
Zuerst bewirken dies die in den Blutkörperchen aufgespei-
cherten Mengen des Narkotikums, und dann die im Fettgewebe etc.
Erst wenn die vom Fettgewebe etc. wieder an das BHitplasma ab-
gegebenen Mengen des Narkotikums nicht mehr ausreichen, um die
Narkose zu unterhalten, erwacht der Kranke. Die noch im Fett etc.
zurückgebliebenen geringen Mengen veranlassen das Schlafen des
Kranken nach der Narkose, und später auch noch das üble Befinden.
Kehren wir nun zurück zu den Beziehungen des Narkotikums
zum Blutplasma.
Aus dem obigen ersehen wir, dass es eine sehr scliAvere Aufgabe
ist, aus den Mengen des Narkotikums, und dem Gewicht des betreffen-
den Tieres die Konzentration des Narkotikums im Blutplasma
zu bestimmen. Man muss sich darüber zuerst klar sein, wie das Nar-
kotikum sich zu den Zellen verhält, ob es in die Gewebselemente
eindringt, und dann müsste man die Verhältnisse des Fettes des be-
treffenden Tieres kennen, den Gehalt an Lecithin-Cholesterin, und
so weiter Bei diesen Erwägungen muss man auch bedenken, dass
nie ein bestimmter Zustand konstant bleibt, dass immer wieder ein
Teil von dem Narkotikum aus dem Blute ausgesondert wird, dass
chemische Verbindungen eintreten können, und noch viele andere
Schwierigkeiten mehr.
§ 46. Trotz all dieser Umstände ist es Bert gelungen, zuerst
durch Versuche die Konzentration des Narkotikums im Blut-
plasma annähernd zu ermitteln. Er verfuhr folgendermassen. Er Hess
ein Tier, oder einen Menschen eine Luft einatmen, welcher die Dämpfe
der zu prüfenden Narkotika unter einer bestimmten, sich gleich-
bleibenden Spannung beigemischt waren. Das Blut nimmt nun die
Dämpfe solange avif, bis die Konzentration direkt proportional
dem partiellen Dampfdruck des betreffenden Narkotikums ist.
Die Bluttemperatur muss natürlich dieselbe bleiben. Bert stellte
die Versuche mit titrierten Gemengen von Chloroform und Aether
sulfur. in Luft an. Aus seinen Versuchen, welche Bert an Hunden
vornahm, mit Chloroform zum Beispiel, entnimmt man, dass eine tiefe
Narkose bei einem Hunde nur dann eintritt, wenn die Konzentration
des Chloroform's im Blutplasma so weit gekommen ist, dass das
Blut aus einem Gemische von Luft und Chloroform, im Verhältnis
von 8 Gramm Chloroform auf 100 Liter Luft, kein Chloroform
mehr entnimmt, dass also zwischen beiden Gleichgewicht besteht.
So lange nun dieses Gleichgewicht bestehen bleibt, ist auch Nar-
- 102 —
kose vorhanden. Dieselbe Avird weniger tief, und das Tier beginnt zu
erwachen, wenn die Konzentration im Blutplasma unter obige
Konzentration herabgeht.
Man sieht also aus dem Angeführten, dass die Konzentration
des Narkotikums im Blutplasma der wesentliche Punkt ist, um
eine Narkose bei einem Tier zu erzeugen. Mit der Konzentration
wechselt auch die Art und Tiefe der Narkose. Wenn man die
Konzentration durch allmähliche Zufuhr von Narkotikum stufenweise
steigert, so sehen wir, Avie analog dem jeweiligen Stand der Konzen-
tration verschiedene Phasen in der Narkose eintreten. So haben
wir folgende drei zu unterscheiden: I. das Stadium, in welchem die
Schmerzempfindung nur wenig, und bis zu einem gewissen Grade
abnimmt, aber noch nicht aufgehoben wird, während das Bewusst-
sein des Ki-anken getrübt, noch teilweise erhalten ist, ebenso die Tast-
empfindung und die Reflexe, das Initialstadium.
Auf dieses Stadium folgt No. II, das Exzidationsstadium
nach alter Benennung, in welchem die Tastempfindung, und
der grösste Teil der Reflexe vollkommen aufgehoben sind, der letzte
der Reflexe ist nach früherer Ansicht der Kornealreflex, doch dies
ist sehr wechselvoll. Oftmals ist derselbe früher erloschen, oftmals be-
steht er noch länger. Man hat jetzt mit Recht als letzten Reflex,
welcher erst beim üebergang vom IL in das III. Stadium schwindet,
den konsensuellen Pupillenreflex gegen Lichteinfall erkannt.
Mit weiterer Konzentration tritt nu.nmehr das III. Stadium ein,
das Stadium der Toleranz, in dem vollständige Erschlaffung der
willkürlichen Muskulatur besteht, welcher bald, wenn die Konzen-
tration noch mehr zunimmt, der Stillstand der Atmung und der
Herztätigkeit folgt, welch letztere als Folgen der Lähmung der
Zentren in der Medula oblongata anzusehen sind. Wenn wir nun
sehen wie Bert in seinem Versuche durch die Zuführung des Chloro-
forms als Gemisch mit Luft eine entsprechende Konzentration im Blut
erreichte, welche die Narkose bewirkte, so haben wir gleich in dieser
Art der Zuführung eine sehr bequeme, und die gebräuchlichste in der
Chirurgie, gefunden. Es lässt sich in der Tat durch die Zufuhr des
Narkotikums in Form von Dampf, vermischt mit atmosphärischer
Luft, eine Konzentration des Narkotikums im Blutplasma erreichen,
welche je nach der Konzentration der Narkotikumdampf-Luftgemische
wechselt. Dies hat dazu geführt, für Narkosen diese Art der Einver-
leibung zu wählen, natürlich ist dieselbe nur möglich, so lange wir
Narkotika haben, welche einen sehr niedrigen Siedepunkt besitzen.
Wenn wir uns nun im Folgenden etwas näher mit den Verhält-
nissen zwischen Narkotikumdampfluftgemisch und Blutplasma-
konzentration beschäftigen werden, so ist das damit begründet,
dass die meisten und wichtigsten unserer Narkosen auf diese Art der
Zufuhr des Narkotikums in das Blut eingeleitet werden. Es ist
dabei vollkommen gleichgiltig, ob wir im Geiste uns unter dem Nar-
kotikum Chloroform, oder Aether, oder Chloräthyl, oder irgend
ein anderes Narkotikum vorstellen. Es wird uns in dem Folffenden
— 103 —
nur das beschäftigen, was im allgemeinen über die Narkotika zu
sagen ist. Wie die Verhältnisse jedes einzelnen Narkotikums in Bezug
auf die Narkose an sich liegen, das findet sich im speziellen Teil
dieses Buches unter der Abhandlung eines jeden der Körper erörtert.
AVenn wir nun die Konzentration eines Narkotikums dieser
Art im Blutplasma bedenken, so müssen wir zugeben, dass wir bei
der Methode der Einatmung von Luftgemischen von einem be-
stimmten gleichbleibenden Gehalt des Narkotikums nicht eine un-
mittelbare Auskunft über die Konzentration desselben Narkotikums im
Blutplasma erhalten, sondern dass wir nur sehen, dass zwischen den
Konzenti'ationen des Narkotikums in den beiden Stadien ein bestimmtes
Verhältnis besteht, nämlich das, dass die Konzentration des Narkotikums
im Blute konstant bleiben muss, wenn die Narkose nicht geändert
werden soll. Es wird dadurch, dass das Tier bei konstant bleiben-
der Konzentration des N arkotikums im Plasma, welche die Nar-
kose eben hervorrief, mit der Zeit stirbt, dargetan, dass kein ganz
vollständiges GleichgCAvicht zwischen der Konzentration des
Narkotikums im Blutplasma und dem physiologischen Zustande
des Tieres besteht. Diese Veränderung muss man auf Nebenwir-
kungen des Anästhetikums beziehen Bei den höheren Tieren
spielt vor allen Dingen auch die Abkühlung eine Rolle, denn man hat
gesehen, dass die Konzentration eines Narkotikums mit dem
Sinken der Temperatur steigt bei einem bestimmten Partialdrucke.
Da nun bei langer Dauer der Narkose die Bluttemperatur
etwas sinkt, so wird die Konzentration des Narkotikums im Blut-
plasma eine höhere Averden. Dieser Umstand ist von Bert bei seinen
Versuchen nicht beachtet worden.
§ 47. Durch diese Methode wird nun auch ein Verhältnis der
verschiedenen Tiere zu den Narkotika oflfenbar. Es hat sich er-
geben, dass der Mensch, obwohl er auf einer viel höheren Ent-
wickelungsstufe steht, als die warmblütigen Tiere, und obgleich
die Entwickelung seines Zentralnervensystems eine bedeutend höhere
ist, nicht empfindlicher gegen die Narkotika, wie Chloroform
und Aether, ist, als z. B. der Hund. Man hat nämlich gesehen, dass
dieselbe Konzentration des Narkotikums in der Luft, welche
eben einen Hund narkotisierte, auch den Menschen in eine Nar-
kose versetzte. Es ist z. B. eine Konzentration von 8 gr. Chloroform
oder 20 gr. Aether auf 100 Liter Luft hinreichend, um einen Hund
zu narkotisieren, und dieselben Zahlen stimmen auch für den Men-
schen überein. Da nun der Mensch und der Hund dieselbe Blut-
temperatur haben, so müssen Avir auch annehmen, dass die Konzen-
trationen der Narkotika im Blutplasma beim Menschen dieselben
sind, wie im Blutplasma beim Hunde. Es hat sich nun durch weitere
Versuche, namentlich die Overtons, ergeben, dass Menschen, Säuge-
tiere, Kaulquappen und Entomostraken dieselbe Konzentration
obiger beider Narkotika im Blutplasma aufweisen, Avenn sie nar-
kotisiert werden. Dies wird nun auch ausser bei Chloroform
oder Aether bei den übrigen A'on NebenAvirkunjren freien in-
- 104 -
diff er enteil Narkotika der Fall sein. Hingegen werden die ver-
schiedenen Gruppen der Würmer meistens erst bei einer doppelten
bis dreifachen Konzentration, welche zur Narkose der Kaul-
quappe nötig war, narkotisiert. Bei den Pflanzenzellen, Proto-
zoen, Flimmerzellen etc. sind 6 — 1 Ofache Konzentrationen der
indifferenten Narkotika zur Narkose nötig, als zur Narkose von
Kaulquappen. Nur bei solchen indifferenten Narkotika, welche im
Wasser leichter löslich sind, als im Olivenöl, z B. bei dem Methyl-
und Aethylalkohol, Aceton etc., ist kein so grosser Unterschied der
Konzentrationen vorhanden, sondern derselbe ist bedeutend geringer
(Overton).
Um nun die Menschen und Tiere mit solchen Luftgemischen
zu narkotisieren, bedarf man so komplizierter Apparate, dass
eine praktische Verwertung derselben bisher nicht möglich war. Bert
hat einen solchen Apparat konstruiert, in welchem er das immer
konstante anästhesierende Luftgemisch aufbewahrte, und dem
Tier durch einen Schlauch zuführte, einen anderen hat R. Dubois
gebaut, doch diese Apparate sind nur für wissenschaftliche Unter-
suchungen wertvoll. Man hat nun in den Bahnen, die hierdurch er-
öffnet wurden, weiterschreitend sein Augenmerk ausschliesslich auf die
Mengenverhältnisse, in welchen die Narkotika der Luft beigemischt
sein müssen, um Narkose zu erzeugen gerichtet, und in ihnen einen
Massstab für die anästhesierende Kraft der einzelnen Nar-
kotika gefunden. So hat Dastre für die Stoffe: Aethylaether,
Amylen, Aethylchlorid, Chloroform, die Zahlen 20, 17, 13, 10
als Ausdruck ihrer anästhesierenden Kraft avifgestellt , weil diese
Zahlen die Gewichtsmengen ausdrückten, die in 100 Liter Luft etc.
enthalten sein mussten, um Narkose zu erzeugen. Dass dies vollkom-
men ungenau ist, sieht man sofort ein. Andere haben als Mass die
niedrigsten partiellen Spannungen der verschiedenen Narkotika in
einem Luftgemisch, welches gerade Narkose bewirken konnte, auf-
gestellt.
Es ist einzig und allein die Konzentration der Narkotika im
Blutplasma, in der interzellulären Lymphe, und im Imbibitions-
wasser der Ganglienzellen, welche entscheidend ist. (Overton.)
Diese Konzentrationen der drei genannten Flüssigkeiten sind einander
gleich während der Narkose und verändern sich, sobald eines von ihnen
geändert wird , natürlich bei gleicher Temperatur und gleichem
Druck etc.
Die Konzentrationen im Blutplasma und die partielle
Spannung in dem eingeatmeten Luftgemisch sind aber nur in Be-
zug auf dasselbe Narkotikum in einem konstanten Verhältnis,
bei verschiedenen Narkotika sind die Verhältnisse verschieden. Das
Verhältnis bleibt selbst für dasselbe Narkotikum nur für eine be-
stimmte Bluttemperatur gleich. Die Temperatur hat einen bedeu-
tenden Einfluss auf dasselbe und dies muss man bei Vergleichen und
Versuchen an warm- und kaltblütigen Tieren wohl beachten.
Wenn man, um dies darzutun, einen Frosch und ein Säugetier in
— 105 —
ein und dasselbe Gef'äss bringt, in welchem z. B. Aetherdämpfe ent-
halten, sind und erhält die Temperatur im Gefässe auf 15*0. kon-
stant, so wird die Konzentration des Aethers im Blutplasma
des Frosches ungefähr 3 mal höher sein, als die im Blutplasma
des Säugetieres, wenn dieses 88^ Körperwärme besitzt, (Overton.)
Es wird nämlich von Flüssigkeiten bei einer bestimmten
partiellen Spannung der Dämpfe eines Stoffes um so mehr von
diesem Stoffe aufgenommen, je niedriger die Temperatur steht,
d. h. die Höhe der Temperatur der Flüssigkeiten bei derselben
partiellen Spannung des Dampfes des Narkotikums ist umgekehrt
proportional den Mengen des absorbierten Narkotikums.
Es wird sehr häufig die Empfindlichkeit von Tieren gegen-
über einem Narkotikum dadurch bestimmt, dass man die Zeiten misst,
in welchen die Tiere in gleicher Konzentration der Luft mit
Narkotikum betäubt werden. So wird von Dastre folgender Ver-
such angegeben.
„In einem und demselben abgeschlossenen Räume werden Organisn en
von verschiedener Organisationsstufe, z. B. ein Vogel, eine Maus, ein Frosch,
eine Sinn pflanze den Dämpfen von A etil er ausgesetzt. Man findet
dann, dass der Vogel, der eine zartere Organisation und eine grössere Vita-
lität besitzt, schon nach 4 Minuten taumelt und empfindungslos hin-
stürzt. Nach 10 Minuten gibt die Maus kein Zeichen der Sensibilität
mehr. Der Frosch wird noch später paralysiert, und erst nach 25 Mi-
nuten wird die Sinnpflanze für Reize unempfindlich."
Nach diesem zeitlichen Verlauf der Erscheinungen wäre dann die
Maus empfindlicher als der Frosch, und der Frosch empfindlicher
als die Sinnpflanze.
Es ist vollkommen falsch, wenn man daraus einen Schluss ziehen
wollte, denn erstens kann man nicht zwei Tierarten, welche den
Kalt- und Warmblütern angehören, nebeneinander stellen, zweitens
nicht Pflanzen und Tiere, ohne in beiden Fällen die Ternperatur
zu bedenken. Andernteils kommen noch die Verhältnisse der Absorp-
tion in Betracht. Die Geschwindigkeit, mit welcher sich z. B. das Blut-
plasma bei einer bestimmten Spannung der Aetherdämpfe in der
Atmungsluft sättigt, ist abhängig von der Frequenz und Aus-
giebigkeit der Atmungsbewegungen und der Herzaktion, von
der Menge des Blutes, von dem Fettgeh alt des Tieres und noch
vielen anderen Momenten. Man kann aber nur eine Tierart als em-
pfindlicher gegenüber einem Stoffe bezeichnen, als eine andere,
wenn eine geringere Konzentration des Stoffes im Blutplasma
der ersteren, als in dem Blutplasma der zweiten Tierart aus-
reicht, um ein und dieselbe Wirkung auf den Organismus hervor-
zubringen. Man erkennt daraus, wie irrig obiger Versuch in Bezug auf
die gefolgerten Behauptungen ist.
§ 48. Bisher haben wir uns nur mit der Konzentration des
Narkotikums im Blutplasma beschäftigt, und haben uns noch nicht
mit jener neben dem Blutplasma ebenfalls bei dem Transport des
Narkotikums nach der Ganglienzelle wesentlichen Flüssig-
keiten, der interzellulären Lymphe, und der Konzentration des
- 106 -
Narkotikums in derselben beschäftigt, sowie mit der Zelle und der
Konzentration derselben, und der Zeitdauer, -welche vergeht bis
das Narkotikum wirkt, befasst.
Die Zelle, auf welche das Narkotikum einzuwirken hat, wird
nun nicht von dem Blut selbst, sondern von der interzellulären
Lymphe umspült (vergleiche Figur 2). Diese letztere steht zu der
Zelle in dem Verhältnis, wie eine Nährlösung, zu den in ihr lebenden
Algen, und Pilzen, oder sonstiger Organismen (Overton).
Zellprotoplasma, resp. Zelle.
Intercelluläre Lymphe.
Blut.
Fig. 2. Schematische Darstellung der Verhältnisse zwischen Ganglienzelle,
interzellulärer Lymphe und Blut.
Durch diese interzelluläre Lymphe werden den Zellen nicht
nur die zu ihrem Lebensunterhalt, zu ihrer Reorganisation, zu ihrer
Funktion selbst nötigen Nährstoffe, welche ja alle in gelösten Salzen
bestehen, zugeführt, sondern die Zellen erhalten auch durch die inter-
zelluläre Lymphe alle löslichen Stoffe zugeführt, welche in das Blut
gelangen. Es spielt dieselbe sozusagen den Zwischenhändler, welcher
vom en gros-Händl er, dem Blute, die Stoffe bezieht, und zu den
einzelnen Abnehmern, den Zellen, führt. In Avieweit dieser Vergleich
auch für andere Stoffe, als die Narkotika zutrifft, ist nicht der
Ort hier zu erörtern, für die Narkotika aber ist er völlig zu-
treffend.
Man hat nun einige Gründe für die Annahme, dass alle in das
Blut gelangenden Christalloidkörper in der interzellulären
Lymphe sehr bald auch dieselbe Konzentration annehmen, die sie
im Blutplasma hatten. Es ist dies bei allen solchen Körpern anzu-
nehmen, Avelche rasch in die Gewebszellen eindringen, und auch
wieder dieselben verlassen, indem sie ihren Weg direkt durch die Pro-
toplasmakörper der Kapillarendothelien nehmen können. Bei
solchen Körpern, deren Lösungen nicht, oder nur langsam in der Weise
der Osmose durch die Zellen dringen können, wird vielleicht der
Ausgleich zwischen Blutplasma und Lymphe ein viel langsamer er
sein müssen, denn diese Verbindungen werden nicht durch die Zellen
selbst dringen können, sondern wahrscheinlich ihren Weg in der Kitt-
sub stanz der Endot hellen, und durch deren Stomate, wenn man
.til
- 107 —
solcho im normalen Zustande der Kapillaren wirklich annehmen
darf, sich suchen müssen. Oder es könnte eine aktive Eigenschaft
der Endothelien in den Kapillaren bestehen, welche dieselben aus
dem Blutplasma aufnimmt, und in die interzelluläre Lymphe
trans2)ortiert (0 verton). Wir haben aber in diesem Falle diese Kör-
per nicht zu bedenken, sondern für uns kommen nur die indifferen-
ten Narkotika in Betracht, und diese gehören zu denjenigen Stoffen,
welche in die Zellen einzudringen vermögen.
§ 49. Wir wollen den obigen Vergleich einer Nährhisung mit
einer Alge jetzt wiederum mit der Zelle, und der interzellulären
Lymphe gleichstellen. Bringt man in das Wasser einen löslichen
Christalloidkörper, so wird derselbe die Zellulosehaut der Alge
in allen Fällen durchdringen. Er gelangt bis zu der äusseren Plas-
mahaut. Hier wird demselben eine Mauer geboten, zu der die Kör-
per sich in verschiedener Weise verhalten, und man kann sie nach
diesem Vei'halten in drei Gruppen teilen, je nachdem sie sich im
Protoplasma verbreiten, oder nicht, und im ersteren Falle gibt die
Schnelligkeit der Ausbreitung einen Unterschied ab. Genau die-
selben Beziehungen bestehen zwischen Zelle, und interzell'ulärer
Lymphe.
Die erste der drei Gruppen umfasst alle diejenigen Körper,
Avelche, solange die Zelle lebt, und unbescliädigt bleibt, gar nicht in
das Innere des Protoplasma's einzudringen vermögen. Es
bildet also gegen diese Stoffe die äussere Plasmahaut eine sichere
Mauer, und es kann mit der Zeit passieren, dass dieselbe von den an
sie andringenden Stoffen geschädigt wird, und zu Grunde geht. Nun
fehlt der Schutz, imd der Körper dringt in das Innere der Zelle
ein. Unter diese Stoffe gehört z. B. Kalium bi Chromat etc. Es
kommt nun natürlich hier auch auf die Konzentration des Körpers
an, ob sie ihre schädigenden Einflüsse überhaupt, und in welcher
Zeit sie dieselben ausüben können.
In die zweite Gruppe gehören jene Verbindungen, welche ohne
jedes Hindernis durch die äussere Plasmahaut dringen, sich
im Blutplasma verbreiten, die innere Plasmahaut ebenfall«
durchdringen und in die Alveolen eindringend so auch in den
Z eil saft gelangen. In dem Zellsaft steigt nun die Konzentration
dos betreffenden Körpers sehr schnell bis zu der Höhe, welche
die Konzentration in der interzellulären Lymphe und im Blut-
plasma besitzt.
Diese Gruppe umfasst beinahe sämtliche indifferenten Nar-
kotika mit Ausnahme der Chloralose, welche in Gruppe III ge-
hört, sowie die indifferenten Antipyretica, viele Antiseptika etc.,
sowie auch die meisten basischen Narkotika.
Was nun die dritte Gruppe von Narkotika anbelangt, so
rechnen wir nach Overton in dieselbe alle jene Stoffe, welche eine
Mittelstellung einnehmen zwischen denjenigen der I. und denen
der IL Gruppe. Diese Stoffe dringen in das Protoplasma der Zelle
ein, aber weniger schnell als die der Gruppe II, sodass einige Zeit
— 108 -
erst vergeht, bis die Konzentration in dem Imbibitionswasser gleich
der der Lymphe ist. Diese Zeit ist nun eine ganz verschiedene, die-
selbe kann schwanken zwischen 5 Minuten und mehreren Tagen.
Wenn wir uns deren Wirkung näher überlegen, so sehen wir, dass
der Körper zunächst nur über die äussere Grenzschicht des
Protoplasmas dringt, und erst nach und nach gelangt derselbe in
die Zelle hinein, und kann über das ganze Protoplasma seine Wir-
kungen entfalten. Es gehören von den indifferenten Narkotika in
diese Klasse nur die Chloralose, von den basischen das Morphin,
ferner gehören hiei'zu die verdünnten Lösungen der starken Mineral-
säuren.
§ 50. Wenn nun ein Narkotikum in die Zelle eindringt, so
wird die Konzentration desselben im Zellsafte gleich der in der die
Zelle umgebenden Lymphe sein, allein diese Vermutung trifit für
das Protoplasma selbst der Zelle nicht zu. Die Zusammen-
setzung des Zellprotoplasmas ist nicht mit der interzellulären
Lymphe gleich zu. setzen. Wir haben nämlich das Blutplasma ebenso
wie die interzelluläre Lymphe in seiner Lösungsfälligkeit gegen-
über den Narkotika gleich dem Wasser gesetzt. Dies ist inso-
weit berechtigt, als tatsächlich dadurch einige kleine Fehlerquellen
unterlaufen, welche aber nicht in Betracht kommen, denn das Blut-
plasma und die Lymphe stellen eine dünne, wässerige Salzlösung
dar. Dieselbe ist in Hinsicht der Lösungsverhältnisse der Narkotika
eben gleich dem Wasser zu setzen, denn die Fehler, die durch die
gelösten Salze entstehen, sind so gering, dass man sie mit Recht über-
gehen kann. Die Bestandteile des Zellprotoplasmas hingegen stellen
nicht nur eine wässerige Salzlösung dar, sondern es sind neben den
verschiedenen Salzen noch eine Anzahl von Fetten der verschie-
densten Arten und ätherischer Oele, wie: Licithin, Chole-
sterin etc. in der Salzlösung des Protoplasmas suspendiert. Wenn
nun unser Narkotikum in die Zelle gelangt, so wird dasselbe nicht
nur von der dem Wasser ungefähr gleichzustellenden Salzlösung auf-
genommen , sondern auch von den in dem Protoplasma vorhandenen
Fetten, und es werden sich nun die Mengen des Narkotikums so-
lange in dem Protoplasma anhäufen, bis ihre in den einzelnen Sub-
stanzen erreichten Konzentrationen sich so zu den Konzen-
trationen desselben Stoffes in der Lymphe und dem Zellsafte
verhalten, wie die Teilungskoeffizienten des Narkotikums zwischen
den einzelnen Fetten oder ölartigen Zellbestandteilen und dem
Wasser. (Overton.)
Wie schon gesagt, kommen nun in dem Protoplasma aller
lebenden Zellen sowohl der Tier-, wie derPflanzenzellen, Lecithin
und Cholesterin vor, und diese Verbindungen besitzen unter gewissen
Umständen ein den Fetten und ätherischen Oelen sehr ähnliches
Lös urigs vermögen.
§ 5L Das reine, krystallinische Cholesterin besitzt nun
aber bei gewöhnlicher Temperatur kein Lösungsvermögen , und
gegen sehr wenige Verbindungen ausnahmsweise nur ein sehr geringes.
— 109 —
Das Lecithin dagegen besitzt die Eigenschaft, im Wasser, oder
wässerig'en Salzlösung;en, aufzuquellen. In diesem gequollenen
Zustande löst dasselbe auch bei gewöhnlicher Zimmertemperatur
alle Verbindungen, welche in Oelen löslich sind, in dem eine Art
fetter Lösung entsteht. Löst man nun Lecithin und Cholesterin
in einem anderen Stoffe, z. B. in Benzol auf, lässt das Benzol ver-
dunsten, und bringt zu der zurückgebliebenen Masse Wasser, so
quillt die Masse ähnlich dem reinen Lecithin auf, indem das
Cholesterin, falls es nicht in zu grossen Massen gelöst war, in
dem aufgequollenen Reste gelöst bleibt. Dieses aufgequol-
lene Lecithin-Cholesteringemisch besitzt nun in der Kälte ein
dem reinen Lecithin ganz ähnliches Lösungsvermögen, und es
besitzt die Fähigkeit, aus den wässerigen Lösungen solcher Ver-
bindungen, die in Aetlier und Oel leichter löslich sind, als in
Wasser, bedeutende Mengen der gelösten Substanz zu entziehen.
Auch bestimmte Verbindungen, die in Oel und Aetlier nicht löslich
sind, wie die Mehrzahl der Salze der basischen Anilinfarben,
werden von diesem aufgequollenen Gemisch von Lecithin-Choleste-
rin in grossen Mengen gelöst, respektive den wässerigen Lö-
sungen dieser Farben entzogen (Overton). Es ist nun wohl anzu-
nehmen, dass wir in dem Protoplasma der Zellen des tierischen, wie
j)flanz liehen Organismus die Lecithin-Cholesteringemische in
dieser aufgequollenen Lösungsart vorfinden, und da dieses Leci-
thin-Cholesteringemisch nur ein, bis zu einem gewissen Grade be-
grenztes Quellungs vermögen besitzt, und nicht all das im Proto-
plasma enthaltene Wasser in sich aufzunehmen im stände ist, so ist die
Frage naheliegend, wie dasselbe im Protoplasma verteilt ist.
Wenn wir nach dem Vorbild Overtons das Protoplasma mit einem
vollgesogenen Schwamm vergleichen, so ist es naeh dessen An-
sicht wahrscheinlich, dass das Lecithin -Cholesterin an dem Auf-
bau des eigentlichen Protoplasmagerüstes beteiligt ist, und zwar
würde es sich ganz besonders in denjenigen Teilen des Gerüstes be-
finden, Avelche das Protoplasma nach aussen oder gegen eine
Vakuole abgrenzen. Es ist nun im höchsten Grade wahrscheinlich,
dass die allgemeinen osmotischen Eigenschaften der Zelle haupt-
sächlich durch dieses gequollene Lecithin-Cholste ringe misch aus-
gemacht werden, denn alle Verbindungen, welche in die Zellen ein-
zudringen vermögen, besitzen auch eine Löslich keit in diesem Ge-
misch, und die Geschwindigkeit des Eindringens eines Körpers
in die Zellen steht in direktem Verhältnis zu der Löslichkeit
derselben in Wasser, und in dem Lecithin-Cholesteringemische
in gequollenem Zustande. Wenn nun diese Annahme zu recht be-
steht, so würde die Konzentration eines Narkotikums z. B. in dem
Imbibitions Wasser des Protoplasmas, nachdem Gleichgewicht ein-
getreten ist, dieselbe sein, wie in der interzellulären Lymphe.
Zieht man aber den gesamten Gehalt der Zelle an dem Narkotikum in
Betracht, so ist derselbe natürlich grösser, als der der interzellu-
lären Lym2)he, und zwar ist er um die von dem Lecithin-Chole-
— 110 —
steringemisch aufgenommene Meng e des Narkot ikums grösser;
d.h. um das Gewicht des Narkotikums pro Volumeneinheit des
Protoplasmas.
Um die Konzentrationen der Narkotika z. B. konstant zu
erhalten, hat Bert den ersten gelungenen Versuch gemacht. Neben
diesen haben 0 verton und andere eine andere Methode erwählt, näm-
lich die, die Versuchstiere (Kaulquappen etc.) in eine wässerige
Lösung des Narkotikums von bekannter Konzentration zu setzen
und das Volumen der Lösung so zu wählen, dass die Konzentra-
tion des Narkotikums durch seine Aufnahme von Seiten des Ver-
suchstieres keine wesentliche Änderung erfahren kann. Das, was für
und gegen diese Versuche Overtons, Meyers u. a. zu sagen ist, wird
hier besser übergangen, es sollen später nur die Resultate, und die
nächsten wichtigen Versuche etc. erwähnt werden.
§ 52. Wenn wir nun noch einige Betrachtungen anstellen über die
Art, wie das Narkotikum wieder aus dem Organismus entfernt
wird, so haben wir zu bedenken, dass der Rückzug des Narkotikums
beginnt, wenn die Konzentration des Narkotikums im Blutplasma
geringer wird. Es erfolgt ein Austausch an das, den Organismus um-
gebende Medium, so bei Kaulquappen an das reine Wasser etc.
Hierbei ist zu erwähnen, dass der Austausch nicht nur durch die Res-
piration sorgane, sondern auch durch die Haut etc. geschieht. Man
hat nun versucht, künstlich eine Entgiftung herbeizuführen, und zwar
hat man gefunden, dass die beste Entgiftung bei Fröschen und
Tritonen z. B. dadurch geschieht, dass man die Bauchhöhle öffnet,
und die Därme etc. mit physiologischer Kochsalzlösung um-
spült. Man hat nun weitere Versuche in diesem Sinne angestellt, und
hat bei Kaninchen während einer Vergiftung mit Chloralhydrat
durch die Bauchhöhle physiologische Kochsalzlösung fliessen
lassen, und gefunden, dass dabei eine tötliche Vergiftung überstanden
wurde von dem Tiere, welches ohne die Durchspülung der Abdo-
mialhöhle nicht am Leben geblieben wäre (Frey, Overton Verf).
Heisse Vollbäder, welche durch die Haut das Gift entziehen
wollen, können nicht genügend wirken. Hingegen ist die Durchspü-
lung der Abdominalhöhle auch von praktischem Interesse,
denn es wird dieselbe angebrachter sein, als eine grosse Blutent-
ziehung, welche man zwecks Entgif t vi ng vorgeschlagen hat. Denn
eine Blutentziehung Avird natürlich ebenso an sich schaden, und nur
dann von Nutzen sein, wenn wir es mit einem Gift zu tun haben,
welches die Blutkörperchen zerstört. Ferner hat man durch starke
subkutane Infusion von physiologischer Kochsalzlösung auf die
Nieren Sekretion einwirken wollen, damit durch dieselben eine Ent-
giftung hei'vorgerufen werde. Nun ist noch ein anderer Punkt von
Wichtigkeit, und das ist der, dass der Magen eine grosse Rolle in
der Absonderung spielt, so dass, wenn man denselben mit physio-
logischer Kochsalzlösung füllt, eine stärkere Strömung des
Blutes zu dem Magen entsteht, und aus dem mit Narkose höher
konzentrierten Blute ein Austausch entsteht. Gerade die Magen-
- 111 —
wand ist in dieser Kichtung- von grosser Bedeutung-, und man würde auch
bei Gefahren von Ueberschwemmung des Blutes in zu hohem Masse
mit einem Narkotikum zweckmässig handeln, wenn man eine konstante
Durchrieselung des Magens mit physiologischer Kochsalzlösung
vornehmen würde. Es kommt nun noch ein wichtiger Umstand hinzu,
und das ist der, dass fast alle Alkaloide in den Magensaft über-
gehen, d. h. vom Magen abgesondert werden. Man hat dies zuerst
bei Morphin, muriat. gesehen, und hat dasselbe als eine aktive Se-
kretion des Magens aufgeftisst. Aber auch ohne diese aktive Se-
kretion müssen fast alle Alkaloide in den Magen übergehen, sofern
nur der Mageninhalt sauer reagiert (Overton). Jedenfalls ist
dieser Vorgang praktisch sehr wichtig, nnd wohl auch noch zu wenig
bekannt. Es werden nun aber die Alkaloidsalze im Blute durch
das Alkali desselben zum gvössten Teil zerlegt, und diese freien
Alkaloide müssen nun auch in den Magen dringen, Dank ihrer Fähig-
keit, alle lebenden Zellen zu durchsetzen, den DifiPusionsgesetzen ge-
horchend, in dem sie die Magenepithelien durchwandern. Im Magensaft
nun werden sie an die Säure gebunden, und vermögen nun als Al-
kaloidsalze nicht wieder etwa in die Zellen zu dringen, dies ist als
Folge der Undurchdringlichkeit der Zellen durch Alkaloidsalze nicht
möglich. Es werden ebenso die Alkaloide in den sauren Zellsaft
dringen, und dort gebunden werden, ohne dass sie ziu'ück in die Zelle
dringen könnten, wenn nicht eine aktive Protoplasmaeigenschaft
dies ermöglichte. Gelangen nun diese Alkaloidsalze aus dem Magen
in den Darm, so werden sie dort durch das Alkali des Darmsaftes
wieder zerlegt, und können Aviederum als Alkaloide die Zellen durch-
dringen, und in das Protoplasma wandern. So besteht ein Kreis-
lauf der Alkaloidsalze, und sie werden nicht eher aus dem Organis-
mus entfernt werden, bis sie in die Nieren gelangen. Wenn man nun
den Magen mit einer sauren Lösung durchspült, so kann man bei
abwechselndem Füllen und Entleeren des Magens die Alkaloidsalze
aus demselben entfernen, ehe sie wieder in den Darm gelangen, wo
sie wieder zersetzt wei'den könnten.
Was die Entgiftung des Organismus durch heisse Voll-
bäder anlangt, so sind vom Verfasser Versuche angestellt worden,
welche beweisen, dass eine ganz bedeutende Entgiftung durch den
Schweiss, welcher im heissen Vollbad vermehrt wird, erzeugt wird.
Wir haben zu unseren Versuchen Morphin verwendet, da dasselbe
gerade im Bade von allen Narkotika am besten Verwendung finden
kann. Es zeigte sich, dass eine subkutan injizierte Dosis von 0,01,
welche im alltäglichen Leben bei einem nicht an narkotische Mittel ge-
wöhnten Menschen, eine deutlich fühlbare Wirkung der narkotischen
Eigenschaften erzeugte, im heissen Vollbad von 37^ C. — 38" C.
keine merklichen Symptome erzeugte, sondern, dass dieselben Symp-
tome erst bei 0,02—0,03 Morphin subkutan injiziert, erzeugt
wurden. Wir haben in 12 einwandfreien Fällen bei sonst stark auf
Morphin reagierenden Personen, mit deren Zustimmung unsere Versuche
angestellt, und in allen Fällen dieselben Erscheinungen mit mehr, oder
Zustand
Im
Scliweissausbruch im
ei Morphin
heissen
Bade erst bei Morphin mur.
0,01
0,02
0,0075
0,015
0,01
0,025
0,005
0,015
0,01
0,02
0,01
0,025
0,015
0,03
— 112 —
weniger Unterschied in den Zahlen gefunden. Die Injektionen wurden
vorgenommen, als die betreffenden Personen schon ca. 5 Minuten in
dem Bade gesessen hatten, und zwar unter einer Temperatur des
Wassers so hoch dieselbe ausgehalten wurde (37 — 38,5" C). In
allen Fällen war also der Scliweissausbruch im Gange, was sich an den
im Gesicht auftretenden Schweissperlen offenbarte, als die Injektion vor-
g-enommen wurde. Es fanden sich folgende Zahlen:
I. Fall
IL „
III. „
IV. „
■ V. „
VI— VIII. „
IX.— XII. „
Es zeigt sich also, dass sofort, noch während der Resorption des
injizierten Morphin, eine Wiederausscheidung des Morphins
durch den Seh weiss stattfand. Es ist demnach die Entgiftung des
Organismus durch die Hauttätigkeit gar nicht zu unterschätzen
und wii" würden jedenfalls bei einer Inhalationsnarkose, welche
während eines Schweissausbruches vorgenommen würde, viel mehr des
Narkotikums brauchen, als im normalen Zustand. Nach unseren Ver-
suchen waren in 7 Fällen gerade die doppelten Dosen, bei den übi'igen
sogar noch mehr, als dieselbe Dosis, 1^,^ soviel nötig, um dieselbe
Wirkung hervorzubringen.
Ein anderes Moment, welches während einer Narkose in Betracht
kommt, ist die Blutung bei der Operation. Wenn eine sehr blut-
reiche Operation ausgeführt wird, so wird schon durch die starke
Menge des fliessenden Blutes viel Narkotikum aus dem Organis-
mus entfernt (Strassmann). Dieser Umstand ist insofern zu beachten,
als bei einem plötzlichen starken Blutverlust der Patient aus
der Narkose erwachen kann, wenn nicht Narkotikum zugeführt
wird, da durch die Menge des Blutes die Konzentration im Plasma
vermindert wird. Dies ist z. B. bei Entbindungen, oder anderen
sehr blutreichen Operationen zu beachten. Der Narkotiseu.r weiss
dann, warum die Narkose plötzlich oberflächlich wird.
Die Entfernung des Narkotikums durch die Nieren geht so
vor sich, dass teils im Harn gelöste Mengen entfernt werden, teils
Zersetzungen des Narkotikums, luid Verbindungen desselben
entstehen, sodass das Narkotikum dann in Gestalt von im Harn ge-
lösten Verbindungen (Chloriden etc.) ausgeschieden wird. Hier
wird das Verhalten jedes einzelnen Narkotikums in Betracht kommen,
und dasselbe wird im speziellen Teile bei der Behandlung der
einzelnen Narkotika erwähnt werden.
— 113 -
VII. Kapitel.
Einige Hypothesen
über den Mechanismus der Narkose.
Wenn wir nun liier noch einige Hypothesen, die über die Nar-
kose aufgestellt sind, kritisch betrachten wollen, so ist nicht der Zweck,
ein umfassendes Darstellen aller der aufgestellten Theorien zu geben,
darüber kann sich jeder an anderer Stelle unterrichten, und es würde
uns zu weit führen, sondern es sollen nur die wichtigsten Theorien,
soAveit sie für uns noch von Interesse, und soweit sie zu kennen nötig
sind, hier behandelt Av^erden.
§ 53. Es liegt nach allen den Erscheinungen so nahe, dass man
die Narkose mit dem Schlafe zu vergleichen suchte, und es sind
diese Ansichten über die Beziehungen beider Zustände zu einander
immer Avieder aufgetaucht, von den einen stark befehdet, von den
anderen tapfer verteidigt.
Schon seit langen Zeiten bestand die Ansicht, dass der Schlaf
durch eine Hyperämie des Gehirns erzeugt würde. Dem entgegen
wies Durham um 1860 nach, dass in dem Gehii'n, während des Schlafes,
eine Anämie besteht, Avährend sich beim Erwachen die Blutgefässe er-
weiterten, und eine grössere Blutmenge in das Gehii-n gelangte. Derselbe
stellte seine Beobachtungen an Tieren durch ein im Schädel angebrachtes
Loch an. Später veröffentlichte Hammond ähnliche Beobachtungen
an einem Manne , dessen Gehirn infolge einer Eisenbahnverletzung zu
einem grossen Teile biosgelegt war. Diese Beobachtungen sind mehr-
fach bestätigt worden, und man hat jetzt die Ueberzeugung, dass der
Schlaf, als physiologischer Vorgang, in einer physiologischen Anä-
mie des Gehirns bestehe. Es kommt dabei auf die Grösse der in
einer bestimmten Zeiteinheit das Gehirn passierenden Blutmenge an,
und diese ist während des Schlafes herabgesetzt, also ist eine Ver-
minderung des Blutes vorhanden.
Es Avurden nun von Bedford- Brown, und andex'en auch Beo^
bachtungen während der Narkose in Bezug auf die Blutfülle des Ge-
hirns gemacht, und gefunden, dass, AA^as auch Gl. Bernard bestätigte,
erst im Anfang eine Hyperämie, dann im Verlauf der Narkose eine
Anämie im Gehirn auftrete. Gl. Bernard machte die Versuche an
Tieren, deren Gehirn blosgelegt wurde, und er sah, wie zu Beginn das
Gehirn aus der Oeffnung herausquoll, um sich dann Avieder zu setzen,
Avas durch die vermehrte Blutzufuhr bei Beginn erklärlich wird, und
nun auch durch die Farbe des Gehirns sich zeigte. Die Hyperämie
im Anfang ist zurückzuführen auf den, durch die Erregung des Kran-
ken erhöhten Blutdruck, und die Anämie durch das Sinken desselben
AA^ährend der Narkose. Doch hat es den Anschein, als Avenn die Anä-
mie des Gehirns nicht so hochgradig geAvesen ist, als in dem nor-
malen Schlafe. Es bildete sich aus diesem nun die Hypothese, dass
eine künstliche Narkose durch die Anämie des Gehirns, resp. durch
- 114 -
die Verengerung der Gehirnarterien direkt hervorgerufen werde.
Es ist also der Angriffspunkt des Narkotikum's in den vasomotorischen
Zentren zu suchen.
Man kann nun diese Annahme sehr leicht widerlegen. Es zeigt
sich nämlich, dass hei den Amphibien das Gehirn eine lange Zeit
funktionsfähig bleibt, nachdem man die Blutzirkulation in dem Gehirn
vollkommen ausgeschlossen hat, und dennoch lassen sich die Amphibien
ebenso leicht narkotisieren, wie andere Tiere, und es kommt noch hinzu,
dass die Konzentration vieler indifferenter Narkotika, welche gerade
genügend ist zu einer vollständigen Narkose bei Amphibien und
Menschen die gleiche ist, und dasselbe ist der Fall bei Insekten
und Krustaceen, welche überhauj)t keine besonderen Blutgefässe im
Gehirn besitzen, sondern nur eine Art interzellulärer Lymphe. Und
dann spielt bei den Insekten das Blut nur eine untergeordnete Rolle
als Vehikel' für die Atmungsgase, indem die Endverzweigungen der
Tracheen vielfach direkt an die Zellen treten (Overton). Es ist dies
also vollkommen falsch.
Es ist klar, dass die Narkotika dadurch wirken, ■ dass sie an die
Ganglienzellen des Gehirns direkt ihre Angriffe richten.
§ 54. Die Hypothese, welche Gl. Bernard aufgestellt hat, und
welche entschieden Beachtung verdient, soll in dem Folgenden behandelt
werden. Derselbe hält die Ganglienzelle für den Angriffspunkt der
narkotischen Wirkung. Zu den die Narkose erzeugenden Stoffen rechnet
er neben unseren Narkotika noch die „Anämie", die „Asphyxie",
und die „Wärme". Nach seiner Ueberzeugung ist trotz der Ver-
schiedenheit der narkotischen Mittel, der Mechonismus der Anästhesie
immer derselbe; indem alle diese Mittel ein und dieselbe Modifikation
in der Ganglienzelle hervorrufen. Es besteht diese Modifikation
der Ganglienzelle in einer Semicoagulation des Protoplasma's der
Nervenzelle, und diese Semicoagulation sei nur vorübergehend, und das
Protoplasma erhalte nach der Entfernung des Narkotikum's aus der
Zelle seine frühere Form wieder. Er hat seine Ansicht hergeleitet von
der durch Chlordämpfe hervorgerufenen Stari-e der Muskelfasern, welche
diesen Dämpfen ausgesetzt wurden. Dass bei jeder Narkose derselbe
Mechanismus zu Grunde liegt, ist nicht anzunehmen, denn der Mecha-
nismus der indifferenten Narkotika ist ein anderer, als der der Narkose,
die durch viele basische Narkotika bewirkt wird. Das wirklich zu-
treffende an der Hypothese ist die Semicoagu.lation des Proto-
plasma's. welche von den meisten basischen Narkotika erzeugt wird.
§ 55. Eine dieser Hypothese sehr ähnliche, ist die von Binz.
Derselbe legte bei seinen Versuchen frische Schnitte von der Gehirn-
rinde des Kaninchens in eine 17o ige Lösung von Morphin, muriaticum,
und dieselben wurden getrübt, die Kerne wie bestäubt, die Umrisse
schärfer, als in einer Lösung von Chlornatrium. Dies bezieht er auch
auf die Ganglienzellen, und meint, dass eine Verdunkelung derselben
eintrete , wenn frische Gehirnzellen Chlordämpfen ausgesetzt würden,
dasselbe erzeugt eine Lösung von neutral reagierendem Chloralhydrat.
Binz sagt nach diesem weiter:
— 115 —
„Das Ganze macht den Eindruck einer Gei-innuiigsnekrose, wie man sie
aucli g-ewahrt, wenn neutral reagierende Protoplasmagifte auf grosse durch-
sichtige Infusorien einwirken, und zwar zuerst gelinde, dann stärker. Das
Protoplasma wird anfangs ein wenig dunkel, und die Bewegungen werden
träge. Weiter wird das Protoplasma granuliert, und die Bewegungen hören
auf. Eine Erholung kann eintreten, von dem ersten Stadium, wenn man das
zugesetzte Gift wieder auswäscht, nicht von dem letzten. Ich vergleiche jenes
mit dem Schlaf, dieses mit dem Tode der Zelle. Der erste Anflug der Ge-
rinnung kann sich lösen, sie selber kann es nicht" (Binz).
Diese Versuche von Binz sind allerdings sehr vielen Vorwürfen
ausgesetzt. Schon der mit den Schnitten des Gehirns eines Kaninchens,
welche einer Morphin, muriaticum - Lösung ausgesetzt werden, ist
sehr ungenau, und so auch derjenige, wo die Gehirnschnitte den Chlor-
dämpfen ausgesetzt werden. Er hätte müssen, wenn er die Versuche
der normalen Chloroformnarkose mehr ähnlich gestalten wollte, dieselben
den Dämpfen einer wässrigen Lösung von Chloroform aussetzen,
welche das Verhältnis 1 : 6000 aufwies. Die partielle Spannung der
Chlordämpfe kommt bei dieser Lösung annähernd der Spannung der
Chlordämpfe im Blutplasma eines Tieres gleich, das durch Chloroform-
inhalationen betäubt ist, aber nicht zu tief narkotisiert, natürlich unter
gleicher Temperatur (Overton).
§ 56. Weitere Hypothesen sind die, von Dubois, welche als
eine Modifikation der von Cl. Bernard anzusehen ist, und nach
der die Narkotika eine Entwässerung des Protoplasma's hervor-
rufen, oder wie Dubois selbst sagt, die Dissociationsspannung
des Imbibitions Wassers der Gewebe vergrössern. Darnach sollen
die Organismen, welche der Wirkung solcher wasserentziehenden Stoffe
ausgesetzt werden, in einen Zustand des latenten Lebens versetzt werden.
Es liegt hier eine ganz falsche Deutung der Erscheinungen vor, da
das entzogene Wasser nicht aus dem Protoplasma, sondern aus dem
Zellsafte stammt. Von Riebet ist der Satz aufgestellt worden, dass
eine Verbindung ein um so stärkeres Narkotikum sei, oder ein
um so grösseres Gift, je geringer die Löslichkeit desselben im
Wasser ist.
Diese Behauptung trifft für eine bestimmte Anzahl von Narkotika
zu in einem gewissen Grade. Alle in Wasser schwer löslichen indiffe-
renten Narkotika haben die Eigenschaft, sich sehr schnell über das
ganze Protoplasma zu verbreiten, und es beansprucht nur wenige Se-
kunden, bis dieselben in den Zellsaft gelangt sind. Es besteht der
Satz: die stärksten Narkotika sind diejenigen Verbindungen,
welche gleichzeitig eine sehr geringe Löslichkeit in Wasser mit
einer sehr hohen Löslichkeit in Aether, Olivenöl oder den Leci-
thin-Cholesteringe mischen in gequollenem Zustande kombinieren
(Overton).
§ 57. In dem Folgenden sollen die Hypothese und Versuche,
welche von Overton und von H. Meyer aufgestellt worden sind,
näher betrachtet werden, da denselben eine hohe Bedeutung eigen ist.
In diesen soll nun, was bisher immer bei den Versuchen und
Hypothesen übergangen wurde, auf die nähere Zusammensetzung che-
— 116 -
misclier Natur des Nervensystems und der Ganglienzellen ein
Gewicht gelegt werden. Es sind die im Aetlier löslichen Substanzen,
das Cholesterin und Lecithin, welche vor allen als Angriflfspunkte der
Narkotika in Betracht kommen. Es gehören zit diesen Stoffen ausser
den genannten noch Protargon und Cerebrine, und ein Stoff, dessen
Vorkommen als chemisches Individuum neuerlich geleugnet wird, das
Jecorin. Es kommt nun vor allen Dingen darauf an, zu wissen, wie
die betreffenden Stoffe verteilt sind, und zwar in der grauen Sub-
stanz, denn bei der Narkose kommt es doch wesentlich auf die Ver-
hältnisse in der Rindensubstanz an. Da nämlich die wirbellosen
Tiere ebenso gut narkotisiert werden können, wie die Wirbeltiere, so
müssen sich die Veränderungen, welche die Narkose hervorruft, nur in
der grauen Substanz abspielen, da den wirbellosen Tieren die weisse
Substanz fehlt. Und dass der Vorgang der Narkose bei beiden Tier-
arten im Avesentlichen der gleiche sein muss, geht daraus hervor, dass
die Konzentrationen der indifferenten Narkotika, welche zur vollständi-
gen Narkose von Entomostraken und Säugetieren liinreichen, voll-
ständig gleich sind.
Petrowsky hat als erster Untersuchungen angestellt über die
Verteilung dieser Substanzen in der weissen und grauen Substanz.
Es zeigt die quantitative chemische Analyse der grauen Substanz einen
bedeutenden Unterschied gegenüber der der weissen. In der weissen
Substanz sind die Bestandteile Axenzylinder und Nervenmark.
Erstere sind in Bezug auf ihre quantitative chemische Zusammensetzung
mit der Zusammensetzung der grauen Substanz übereinstimmend. Er
untersuchte Gehirnteile von Ochsenhirn und fand, dass die graue Sub-
stanz zusammengesetzt ist aus: 55,7 7o Eiweisskörpern, 17,24 % Le-
cithin, 18,86 7o Cholesterin iiiid Fett, 0,53% Cerebrine, 6,71 7o
Neurokeratin und andere organische Verbindungen, 1,45 7o Salze.
Die weisse Siibstanz fand er bestehend aus: 24,72 7o Ei weiss,
9,90 7o Lecithin, 51,91 7o Cholesterin und Fett, 9,55 7o Cere-
brine, 3,34 7o Neurokeratin etc., 0,57 7o Salze.
Durch spätere Forscher wie Gamgee, Blackenhorn, von Rup-
pel, Freytag, Baumstark etc. ist festgestellt worden, dass Protar-
gon, welches Hoppe-Seyler und Petrowsky für ein Gemisch von
Lecithin und Cerebrin hielten, ein chemischer Körper und kein Ge-
misch sei. Dasselbe kommt aber nur spurenweise in der grauen Sub-
stanz vor, während es in der weissen in grösseren Mengen vorhanden
ist. Man kann die Annahme, dass Protargon nicht in der grauen
Substanz vorkommt, bestätigen durch einen Vergleich der Analysen von
einem embryonalen vor dem Auftreten des Nervenmarkes, und einem
ausgewachsenen Gehirn, denn das erstere besteht in jener Zeit nur
aus grauer Substanz. Solche Versuche sind von Raske angestellt, und
die Zusammensetzungen folgendermassen gefunden worden. Bei einem
Kinderembryo von 62 cm bestand das Cerebrum aus 6,63 7o Lecithin
und 18,32 7o Cholesterin, bei einem solchen von 68 cm Länge aus
3,49 7o Lecithin und 21,32 7o Cholesterin. Hieraus ergibt sich,
dass der Cholesteringehalt dieser Gehirne mit dem, welchen Pe-
- 117 -
trowsky fand, ungefähr übereinstimmt. Nur ist auffallend, A\ic der
Gelialt an Lecithin differiert.
Wenn man diese, und die Untersuchungen von anderen Forschern
genauer betrachtet, so wird augenscheinlich, dass wir bis jetzt nur die
beiden Körper Lecithin und Cholesterin als Körper, welche in
Aether löslich sind, kennen von der Zusammensetzung der grauen Sub-
stanz des Gehirns, und die quantitativen Angaben PetroAvsky's be-
stehen als richtig. Es ist das Lecithin und Cholesterin also in
ungefähr gleichen Mengen von je IS 7o "i Bezug auf die trockene
Substanz, und zu wenig, mehr als 8 7o ^^^^^ ^'^ frische Substanz vor-
handen.
Wenn wir in dem betreffenden- Organismus eine konstante
Konzentration des Narkotikums im Blutplasma erhalten, so
können wir die Verhflltnissc im Nerven mark übergehen, wird dem-
selben aber eine Menge in Bezug auf 1 kg seines Körpergewichts
dargereicht, so wird eine vermehrte Anhäufung des Narkotikums im
Nervenmark analog dem im Fettgewebe stattfinden, und die Kon-
zentration im Blutplasma erleidet dadurch Veränderungen.
Es ist von Harless und Bebra die Theorie aufgestellt worden,
dass das Narkotikum durch seine Tendenz, Fette zu lösen, dadurch
wirke, dass es die Fette aus dem Gehirn auslaugt, und dass im Ge-
hirn nacli mehreren Narkosen eine Abnahme der Fette zu konsta-
tieren sei, während in der Leber eine Zunahme derselben bemerkbar
werde. Diese Ansicht ist leicht zu widerlegen.
Wenn man z. B. eine vollständige Aethernarkose erlangen will,
muss man eine Konzentration des Aethers im Blutplasma von
'/^ Gewichts-Prozent herstellen. Die Narkose tritt augenblicklich
ein, wenn diese Konzentration erreicht ist, ohne dass sie sich weiterhin
bedeutend vertieft. Wenn nun eine Auslaugung der Fette aus dem
Gehirn der Grund der Betäubung wäre, so müsste doch mit der Zeit die
Tiefe der Narkose zunehmen. Ausserdem müsste man doch annehmen,
dass, wenn die Konzentration vorübergehend auf z. B. '/g Gewichts-
Prozent sinkt, ein Zurückwandern des Fettes erfolgen müsste.
Wenn diese Hypothese zu Recht bestände, so müsste auch eine
Auslaugung der Fette aus der Flimmerzelle, oder der Pflanzenzelle bei
der Narkose einer einzigen Zelle vor sich gehen. Es müsste dies voll-
ständig vor sich gehen, wenn diese Zellen in ein genügendes Quantum
von Wasser, in dem Aether gelöst ist, gebracht Avürden. Dasselbe
müssten dann auch Fische oder Kavilquappen erleiden, Avenn sie in
diese Lösung versetzt würden. Wenn man nun diese betreffenden In-
dividuen aus dem ätherhaltigen Wasser in reines Wasser überführt, so
schwindet die Narkose, ohne dass aber aus dem reinen Wasser die aus-
gelaugten Lecithin-Cholesterine etc. wieder in die Zelle zurück-
wandern können, denn dieselben sind ja in der anderen Flüssigkeit.
Da nun die Tiere tatsächlich erwachen, so ist an ein Auslaugen der
Zellen nicht zu denken.
Hermann griff diese Theorie Avieder auf, indem er eine ähnliche
Wirkung der Narkotika aus deren Einfluss auf die roten Bhitkörperchen
— 118 -
herleitete. Doch auch dieselbe ist nicht die richtige. Der Angriffs-
punkt der Narkotika ist zweifellos das Lecithin-Cholesteringemisch,
aber man muss nicht eine chemische Veränderung, wie diese Autoren,
erwarten, sondern einen physikalischen Aenderungszustand, in
welchen die Lecithin-Cholesteringemische durch das Narkoti-
kum versetzt werden, annehmen
Es soll nun auf die Theorie von H. Meyer und Overton näher
eingegangen werden, nachdem das vorhergehende als Einleitung gesagt
worden ist. Dieselben haben zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen
die Löslichkeit der indifferenten Narkotika in den Lecithin-
Cholesteringemischen gemacht. Dieselben nehmen an, dass die
Narkose eine Folge der durch die Aufnahme des Narkotikums in der
Zelle bewirkten Veränderung des physikalischen Zustand es der Le-
cithin-Cholesteringemische ist.
Es kommt nun hauptsächlich auf die Menge des Narkotikums
an, welches von der Zelle aufgenommen wird, nach dieser kommt bei
ihnen erst die Qu.alität in Betracht. In dieser Hinsicht werden nach
unserer Ansicht doch die Eigenschaften der einzelnen Narkotika
etwas zu sehr in den Hintergrund gestellt (Verf). Die Stärke eines
Narkotikums hängt nun nach ihnen ab von dem Teilungskoeffizien-
ten der Narkotika zwischen Wasser einerseits, und dem Lecithin-
Cholesteringemisch andererseits. Dies ist durch eine Menge von
Versuchen bestätigt.
Diese beiden Foi'scher haben nun, da die Lecithin-Cholesterin-
gemische für sich ausserhalb des Zusammenhanges mit dem Proto-
plasma der Zelle nicht zu erhalten sind, einen Körper gewählt, welcher
denselben annähernd gleichkommt in dieser Hinsicht, um den Teilungs-
koeffizienten zwischen Narkotikum und Wasser und Lecithin-Cholesterin-
gemisch zu ermittehi.
„Im Allgemeinen zeigt sich nämlich", sagt Overton, „dass, wenn der
Teilungskoeffizient einer Verbindung B zwischen Wasser und Olivenöl
mehr zu Gunsten des Olivenöls ausfällt, als der Teilungskoeffizient der Ver-
bindung A zwischen denselben beiden Lösungsmitteln, dieselben Erscheinungen
auch bei den höheren Alkoholen, Aethyläther, und ähnlichen Lösungs-
mitteln eintritt, wenn diese an Stelle des Olivenöls als zweites Lösungsmittel
verwandt werden. Freilich muss besonders betont werden, dass dies nur im
Grossen und Ganzen zutrifft. Der Teilungskoeffizient der indifferenten
Narkotika zwischen "Wasser und Olivenöl wird kaum jemals mit dem
zwischen Wasser und dem Lecithin-Cholesteringemische in der
grauen Nervensubstanz völlig übereinstimmen; sondern nur in etwa dem-
selben Grade, wie der Teilungskoeffizient desselben Narkotikums zwischen
Wasser und Aethyläther; ja selbst das qualitative Lösungsvermögen der
Lecithin-Cliolesteringemische stimmt nicht durchweg mit jenem Oliven-
öl überein, so sind die käuflichen Salze der basischen Anilmfarben in Olivenöl
fast, oder ganz unlöslich, während dieselben sowohl in Cholesterin (in ge-
schmolzenem, oder gelöstem Zustande), als auch in Lecithin leicht löslich sind.
Das Lösungsvermögen des geschmolzenen Cholesterins stimmt nach
meinen bisherigen Erfahrungen qualitativ genau überein mit dem Lösungsver-
mögen der höheren gesättigten Alkohole, z.B. des Aethals, Cic^U^-^- OH,
oder des Cerylalkohols, C27H55 • OH, und auch quantitativ liegen die Lösungs-
vermögen von Cholesterin, Aethal und Cerylalkohol nicht weit ausein-
ander. Merkwürdig ist die Tatsache, dass auch das Lösungsvermögen des
- 119 -
Lecithins trotz seiner cliemisclien Zusammensetzung, mit demjenigen der
höheren Alkohole eine grössere Uebereinstimmung zeigt, als mit jenem der
Fette und Oele. Leider ist mir dies erst vor etwas weniger, als zwei Jahren
bekannt geworden, als meine Versuche über die Narkose einen vorläufigen Ab-
schluss gefunden.
Im Uebrigen sind die höheren Alkohole von dem Gliede CgH^g-OH
an, bis zu dem Gliede Ci^Hgi'OH sehr schwer zugänglich, und selbst Aethal,
und Cerylalkohol sind so teuer, dass die Bestimmung des Teilungskoeffi-
zienten einer grösseren Anzahl Narkotika zwischen denselben und Wasser ein
sehr kostspieliges Unternehmen sein würde, wenigstens, wenn man die Tei-
lungskoeffizienten durch physikalische und chemische Methoden bestimmen
wollte. Zudem könnte diese Bestimmung nur bei einer Temperatur ausgeführt
werden, welche die Temperatur des Säugetieres bedeutend übertrifft, und sich
noch mehr von jenen Temperaturen entfernt, die durch Narkosenversuche bei
durch Kiemen atmenden Tieren gefunden sind. Der Schmelzpunkt des Aethals
liegt nämlich bei 49,5 "^ C, der des Cerylalkohol s erst bei 79" C. Die
Teilungskoeffizienten sind aber mit der Temperatur mehr oder weniger ver-
änderlich. Immerhin liegen die Verhältnisse bei diesen beiden Alkoholen viel
günstiger, als bei Cholesterin, das erst bei 147" C. schmilzt.
Aus dem vorangehenden ergibt sich, dass, solange man nicht die genaue
quantitative Zusammensetznng des Lecithin-Cholesteringemisches der
grauen Nervensubstanz kennt, und die Teilungskoeffizienten der verschiedenen
Narkotika zwischen diesem Gemisch und Wasser direkt messen kann, sondern
sich damit begnügt, an Stelle dieses Gemisches Olivenöl, oder ein ähnliches
Lösungsmittel zu den Versuchen über die Teilungsverhältnisse zu verwenden,
es für die Prüfung der neuen Theorie der Narkose viel wichtiger erscheint,
die Teilungskoeffizienten bei einer möglichst grossen Anzahl indifferenter Nar-
kotika in erster Annäherung zu bestimmen, als die Teilungskoeffizienten einer
geringeren Anzahl Narkotika mit besonderer Genauigkeit festzustellen" (Overton).
Es hat sich ergeben, dass bei der Temperatur T sich das Nar-
kotikum völlig unabhängig von der Konzentration zwischen den
beiden Lösungsmitteln stets so teilt, dass, nachdem Gleichgewicht ein-
getreten ist, die Mengen des Narkotikums die gleichen Volumina der
Lösungsmittel enthalten, und ihrer Lösliehkeit in den beiden Lösungs-
mitteln proportional sind. Nehmen wir z. B. an, bei 20"C. sei in einem
Liter Wasser 1 Gramm des Narkotikums löslich, in einem Liter Xylol,
oder Olivenöl aber bei 20" C. 10 Gramm, so teilt sich das Narkoti-
kum zwischen Wasser, und Xylol stets so, dass bei 20^ C. das Xylol
10 mal soviel von dem Narkotikum enthält, als das gleiche Volumen
Wasser. Es kommt dabei absolut nicht auf die Konzentration des
Narkotikums der Flüssigkeit, in der es zugeführt wird, an. Es ist
also der Teilungskoeffizient zwischen Wasser und Xylol des Narkoti-
kums bei allen Konzentrationen derselben, \° = 10-, Avenn man die in
der Volumeneinheit der wässrigen Lösung enthaltene Menge d3S Nar-
kotikums gleich 1 setzt (Overton).
Der Molekularzustand des Narkotikums darf sich mit der Ver-
dünnung der Lösung nicht wesentlich ändern. Wenn wir uns nun
mit der von Overton weiter angeführten Theorie, und Ermittelung
des Teilungskoeffizienten befassen wollten, so würde uns dies zu weit
führen, und wir können den Leser mit Recht auf die vortreffliche
Abhandlung von Overton verweisen. Wir wollen hier nur noch die
Bestimmung des Teilungskoeffizienten zwischen dem Lecithin-Cho-
lesteringemisch, und Wasser erläutern.
— 120 —
Wenn man in eine wässrige Lösung eines Narkotikums Leci-
thin, oder ein Lecithin-Cliolesteringemisch bringt, so wird
dieses einen Teil des Narkotikums der Narkotikumlösung entziehen,
und es ist der Teilungskoeffizient zwischen dem Narkotikum, den wäss-
rigen Lösungen, und einem solchen Lecithin Cholesteringemisch zu finden.
Man kann dies mit Hilfe von kleinen Kaulquappen, die in die
wässrige Lösung von Narkotikum gebracht werden, sofort tun, und
sobald die prozentische Zusammensetzung des Lecithin-Cholesterin-
gemisches in den Zentralnervenzellen bekannt ist, wird es der Mühe
lohnen, den Teilungskoeffizienten der Narkotika zwischen dem Lecithin-
Cholesteringemisch, und Wasser zu bestimmen.
Die Theorie von H. Meyer ist in folgenden Sätzen ausgedrückt:
L „Alle chemisch zunächst indifferenten Stoffe, die für Fett, und
fettähnliche Stoffe löslich sind, müssen auf lebendes Protoplasma, sofern
sie sich darin verbreiten können, narkotisch Avirken."
IL „Die Wirkung wird an denjenigen Zellen am ersten und
stärksten hervortreten müssen, in deren chemischem Bau jene fettähn-
lichen Stoffe vorwalten, und wohl besonders wesentliche Träger der
Zellfunktionen sind: in erster Linie also an den Nervenzellen.
III. „Die vei'hältnismässige Wii-kungsstärke solcher Narkotika
muss abhängig sein von ihrer mechanischen Affinität zu fettähnlichen
Substa;izen einerseits, zu den übrigen Körperbestandteilen d. h. haupt-
sächlich Wasser andererseits; mithin von dem Teilungskoeffizienten, der
ihre Verteilung in einem Gemisch von Wasser und fettähnlichen Sub-
stanzen bestimmt."
Allerdings üben die meisten dieser Stoffe Nebenwirkungen aus,
welche nicht zu dem narkotisierenden Charakter stimmen, und die Haupt-
wirkung vollständig zu verdecken im stände sind. In diesen Fällen
muss man eine Kombination mit reiner wirkenden Substanzen anwenden,
und erhält so die Summe der narkotischen Wirkungen, wo die Neben-
wirkungen geringer sind, und eventuell gehoben werden durch die ver-
schiedenen Narkotika.
Overton ist zu derselben Theorie gelangt bei Versuchen über
die osmotischen Eigenschaften der lebenden Tier- und Pflanzen-
zellen.
Er setzte z. B. Kaulquappen in eine 2 % ig© Lösung von
Aethylalkohol. Die Narkose trat innerhalb 1, höchstens 2 Minuten
ein. Wenn man aber dieselben Tiere in einer solchen Lösung von
Narkotikum in Wasser länger verweilen lässt, und nach einer halben, resp.
nach 1 Stunde in reines Vvasser wieder setzt, so wird die Narkose nach
2 Minuten, oder auch nach noch weniger Zeit unvollständig, und die
Tiere sind nach 3 — 5 Minuten wieder so lebhaft wie früher. Nimmt
man aber eine Lösung von 1 Gewichts-Prozent Aethylalkohol, so
findet man, dass die Kaulquappen selbst nach tagelangem Verweilen in
dieser Lösung nicht vollständig narkotisiert sind. Versetzt man nun
Kaulquappen aus einer 2 % igen Lösung des Alkohols in eine 1 7o ige
Lösung, so schwindet in wenigen Minuten die vorher in der 2 7o igen
Lösung eingetretene Betäubung.
— 121 -
Wenn man nun die Tiere in eine l'/gVoi^*^ Lösung versetzt, so
werden dieselben nach 2 — 3 Minuten vollständig betäubt sein. Die
Narkose vergeht auch wieder nach 20 stündigem Verweilen der Tiere
in der Lösung, wenn man sie in reines Wasser bringt.
Hieraus folgert 0 verton, dass die Konzentration des Alkohols
im Blutplasma, im Imbibition swass er der Ganglienzellen bereits nach
1 — 2 Minuten über 17oig' ist, wenn die Tiere in einer 2 7o i&^n Lö-
sung verweilen, oder man kann sagen, dass bei einer 2 7o if?^^^ Lösung
in der die Tiere sich befinden, in derselben Zeit mehr von dem Nar-
kotikiim in die Ganglienzelle gelangt ist, als in derselben Zeit in die-
selbe gelangt, wenn die Tiere in einer 2 7o igen Lösung verweilen, ja,
dass im ersten Falle mehr von dem Narkotikum in die Zelle eindringt,
als im zweiten Falle in beliebig langer Zeit hindurchzudringen vermag,
(1. h. was dem schliesslichen Gleichgewichtszustande bei einer 1 7o igen
Lösung entspricht. Ebenso geht aus den Versuchen hervor, dass der
A ethylalkohol ebenso schnell wieder die Zellen verlässt.
Aus allen Versuchen und Erwägungen kommt 0 verton nun zu
dem Schluss", dass erstens die narkotische Kraft einer Verbindung in
erster Linie von dem Teilungskoeffizienten derselben zwischen
den wässerigen und den Lecithin- Cholesterinartigen Lösungs-
mitteln des Organismus abhängt, und zweitens, dass eine Verbindung
nur dann als ein eigentliches Narkotikum angesehen werden
darf, wenn ihre absolute Löslichkeit in Lecithin, Cholesterin und
ähnlichen Lösungsmitteln nicht unter ein gewisses Minimum sinkt.
Die narkotische Kraft der Körper nimmt mit der Länge der
Kohlenstoff kette bis zu einem bestimmten Glied zu, und dies wird
dadurch zu erklären sein, dass die absolute Löslichkeit der Stoffe in
Gel, Lecithin-Cholesterin etc. bei Bluttemperatur von einem be-
stimmten Gliede homologer Reihen schnell geringer wird, und zwar in
einer schnelleren Progression, als der Teilungskoeffizient grösser wird.
Es wird natürlich durch Olivenöl, Aethyläther und dergleichen
immer nur soviel von dem Narkotikum aus einer Lösung desselben auf-
genommen werden, als eine gesättigte Lösung des Oeles oder Aethyl-
äthers etc. mit dem Narkotikum bei gewöhnlicher Temperatur eben
aufweist. Wenn auch der Teilungskoeffizient des Aethal zwischen
Wasser und Gel mehr zu Gunsten des Oeles liegt, als z. B. bei Aethyl-
alkohol, so hat doch die gesättigte Lösung des Aethals in Wasser keine
narkotische Kraft, weil die absolute Löslichkeit desselben in Gel oder
Lecithin -Chol est eringemisch bei gewöhnlicher Temperatur eine zu
geringe ist. Ganz ähnlich zeigen sich höhere Glieder anderer homo-
loger Reihen. So sehen wir, dass das Phenanthren in kaltem Aethyl-
aether, Oel, etc. schon bei Zimmertemperatur leicht löslich ist, da-
gegen ist das mit demselben isomere Anthracen nicht in diesen Stoffen
bei derselben Temperatur löslich. Folglich wirkt das Phenantren
narkotisch, nicht aber das isomere Anthracen, obgleich bei beiden
Körpern der Teilungskoeffizient zwischen Wasser und Oel, oder Wasser
und Aether stark zu Gunsten des Oeles und Aethers ausfällt. Daher
ist es ganz besonders zu beachten, dass selbst eine ganz geringe Lös-
- 122 —
lichkeit eines Körpers in Wasser nicht der narkotisclien Wirkung ent-
gegenstellt, wenn der Körper nur in Bezug auf Oel oder Aether schon
bei gewöhnlicher Temperatur eine hohe Löslichkeit zeigt. Und hat
der Körper die Eigenschaft, sich in Oel und Aether zu lösen, so löst
er sich auch in den Lecithin-Cholesteringemischen in der Gang-
lienzelle. So sehen wir, dass Phenantren, welches sich im Wasser
erst bei einem Verhältnis von 1 : 300000 bis 1 : 700000 löst, in einer
Konzentration von 1:1500000 vollständige Narkose hervorruft. Es
gibt aber eine Grenze, und dieselbe ist dann gegeben, wenn die Lös-
lichkeit des Körpers im Wasser unter 1 : 100000 sinkt. In solchen
Fällen tritt die Narkose relativ langsam auf, denn das Blutplasma kann
dem Gehirn bei jedem Kreislauf nur sehr geringe Spuren des Stoffes
zuführen, und es erhält somit auch das Lecithin-Cholesteringemisch
der Ganglienzellen nur sehr langsam kleine Mengen aufgespeichert,
welche nicht ausreichen, um Narkose zu beAvirken.
Wenn wir nun die Ergebnisse der näheren Untersuchungen 0 ver-
ton s über die einzelnen Narkotika kurz zusammenfassen, so werden wir
die Resultate finden, die er folgendermassen angiebt:
I. „Die Narkotika lassen sich dn zwei Hauptgruppen einteilen,
in die indifferenten und die basischen, welche aber beide unter-
ein an d er U e b e r g ä n g e aufweisen.
IL Alle Narkotika dringen mehr oder weniger leicht in die un-
versehrten Pflanzen- und Tierzellen ein, die grosse Mehrzahl derselben
ausserordentlich schnell. Ebenso können sie aus den lebenden Zellen
leicht wieder heraustreten, sobald die Konzentration des Narkotikums
in dem umgebenden Medium erniedrigt wird.
III. Die indifferenten Narkotika wirken in erster Linie in der
Weise, dass sie in die Lecithin- und Cholesterinartigen Bestand-
teile der Zellen übergehen, und hierdurch den physikalischen Zu-
stand dieser Gemische so verändern, dass sie entweder selbst ihre
normalen Funktionen innerhalb der Zelle nicht mehr vollziehen können,
oder störend auf die Funktionen andei-er Zellbestandteile wirken
IV. Die narkotische Kraft eines indifferenten Narkotikums
ist ganz vorwiegend bestimmt durch die Grösse seines Teilungs-
koeffizienten zwischen Wasser, und den wässerigen Säften des Orga-
nismus, und den Lecithin-Cholesteringemischen als Lösungs-
mittel.
V. Dem Satze IV entsprechend, nimmt in den verschiedenen
homologen Reihen die narkotische Kraft einer Verbindung mit der Länge
ihrer Kohlenstoff kette zunächst schnell zu. Wenn aber, wie bei
den höchsten Gliedern der Ketten, die absolute Löslichkeit in den
Lecithin-Cholesteringemischen unter ein bestimmtes Minimum sinkt, kann
die Verbindung nicht mehr als Narkotikum dienen, trotz der ausser-
ordentlichen Grösse ihres Teilungskoeffizienten, zwischen Lecithin-Cho-
lesterin und Wasser.
VI. Von den isomeren Alkoholen, Estern etc. ist die Verbindung
mit der am: wenigsten verzweigten Kette das stärkste, die Verbindune;
- 128 -
mit der am meisten verzweigten Kolilenstoff'kette, das schwächste Nar-
kotikum, was wieder eine Folge von Satz IV durstellt.
VII. Der Eintritt einer Hydroxylgruppe in ein Molekül an
Stelle eines Wasserstoff- oder Halogen- Atoms, setzt die narko-
tische Kraft der Verbindung stark herab, was in noch potenzier-
terem Maasse für den Eintritt von zwei oder mehr Hydroxylgruppen
in das Molekül gilt. Wird aber der Wasserstoff der Hydroxylgruppen
durch eine Alkylgruppe ersetzt, so fungieren die entstehenden Ver-
bindungen Avieder als starke Narkotika. Auch die Phenoläther
sind starke Narkotika. Diese Aenderungen in der narkotischen Kraft
einer Verbindung nach verschiedenen Substitutionen, stehen, ebenfalls
mit Satz IV in Zusammenhang.
VII. Die stärksten Narkotika sind die Verbindungen, die gleich-
zeitig eine sehr geringe Löslichkeit in Wasser mit einer sehr hohen
Löslich keit in Aether, Olivenöl, oder strenger genommen, in den
Lecithin-Cholesteringemischen kombinieren. Phenantren, z. B.
das erst in ca. 300 000 Teilen Wasser, aber in Olivenöl leicht löslich
ist, narkotisiert Kaulquappen noch in einer Konzentration von 1 : 1500000,
Chloroform erst in einer Konzentration von 1:6000.
IX. Aether und Chloroform narkotisieren Menschen, Säugetiere,
Kaulquappen und Entomostraken bei ungefähr derselben Konzen-
tration in dem Blutplasma (Aether 1:400, Chloroform 1:4500 bis
1:6000). Wahrscheinlich wird dasselbe annähernd der Fall sein, bei
anderen reiner wirkenden, d. h. von Nebenwirkungen freien, indifferenten
Narkotika. Dagegen werden die verschiedenen Gruppen der Würmer
meistens erst von den doppelten bis dreifachen Konzentrationen
der indifferenten Narkotika, als die zur Narkose der Kaulquappen er-
forderlichen, narkotisiert. Zur Narkose von Pflanzeuzellen, Proto-
zoen, Flimmerzellen etc. sind meistens 6 — 10 fach höhere Konzen-
trationen der indifferenten Narkotika erforderlich, als zur Narkose von
Kaulquappen. Nur bei solchen indifferenten Narkotika, die in Wasser
leichter löslich sind, als in Olivenöl, wie z. B. bei Methyl- und Aethyl-
alkohol, oder bei Aceton, ist der Unterschied dieser Konzentrationen
bedeutend geringer.
X. Amphibien, Insekten etc. werden unter gewöhnlichen
Bedingungen bei einem bedeutend geringeren partiellen Drucke
der flüchtigen indifferenten Narkotika in der Inspirationsluft vollständiger
narkotisiert, als Säugetiere oder Vögel. Diese Erscheinung hängt
damit zusammen, dass bei einem gegebenen partiellen Druck der
Narkotika das Blut viel grössere Mengen von dem Narkotikum bei
niedriger, als bei höherer Temperatur aufnimmt.
XL Die organischen Antiseptika (Karbolsäure, die Kre-
sole, Thymol etc.) stimmen mit den indifferenten Narkotika
darin überein, dass sie äusserst leicht in die lebenden Zellen ein-,
und austreten, sie gehen auch z. B. in die Lecithin-Cholesterin-
gemische über, besitzen aber ausserdem die Fähigkeit, mit den Zellen-
2)roteinen Verbindtingen einzugehen. Zwischen indifferenten Narkotika
und Antiseptika sind alle denkbaren Verbindungsglieder vorhanden.
— 124 —
Vielfacli handelt es sich blos um die Konzentrationsfrage, ob eine Ver-
bindung als Narkotikum, oder Antiseptikum zu bezeichnen ist. Auch
die Antipyretika und indifferenten Narkotika sind dxu'ch Ueber-
gänge mit einander verbunden.
XII. Die typischen basischen Narkotika, und die Alkaloide
überhaupt, scheinen salzartige Verbindungen mit den Zellenproteinen
einzugehen, Verbindungen, die sich im Zustande der Dissociation
befinden, und durch Herabsetzen der Konzentration der betreffenden
freien Basen im Blutplasma weiter dissoziert werden. Die Gleichge-
wichtszustände werden aber bei der Entgiftung im allgemeinen viel
langsamer erreicht, als bei den indifferenten Narkotika. Die meisten
basischen Verbindungen von sehr geringer Alkaleszenz wirken,
wenigstens bei Kaulquappen, hauptsächlich nach der Art der indiffe-
renten Narkotika.
Es geht also aus den angeführten Betrachtungen von 0 verton u.
Meyer hervor, dass dieselben den Hauptangrififspunkt der Narkotika
in die Lecitin-Cholesterin gemische der Zellen legen. Der physi-
kalische Zustand dieser wird durch das Narkotikum geändert, sodass
die Lecithin-Cholesteringemische nicht mehr im Stande sind, ihren Funk-
tionen in der Zelle nachzukommen, oder dass sie die Tätigkeit anderer
Verbindungen in der Zelle stören. Eine Haupteigenschaft der Lecithin-
Cholesteringemische ist die Tätigkeit derselben, durch welche die os-
motischen Eigenschaften der betreffenden Zellen geregelt werden.
Nun müsste man untersuchen , ob während der Narkose eine Verände-
rung in den osmotischen Vorgängen der Zellen vorhanden sei. Dies
ist nun im allgemeinen nicht der Fall, nur bei sehr langen Narkosen,
welche noch lange nach der Entfernung der Narkotika Störungen in
den Zellen zurücklassen, wäre eine geringe Aenderung der osmoti-
schen Eigenschaften möglich. Dies dürfte aber mehr bei direkten
Zellnarkosen zu erwarten sein (0 verton).
Wahrscheinlich setzten, nach den Erwägungen Overtons, die Nar-
kotika in den Ganglienzellen und deren Dentriten den Reizübertra-
gungen grosse Widerstände entgegen, welch letztere durch die Modi-
fikation des physikalischen Zustandes des Lecithin-Cho lesterin-
gemisches in irgend welcher für uns noch unbekannten Weise hervor-
gerufen werden. In ähnlicher Weise wirken auch die basischen Narko-
tika, nur dass die Wirkungen durch die Reizwiderstände auf eine andere
Art erzeugt werden. So stehen der Forschung in diesen Verhältnissen
in den Ganglienzellen, welche in direktem Zusammenhang mit den
Strnkturverhältnissen stehen, noch weite Gebiete für eifrige Tätigkeit
zur Verfügung. Es ist eine auffallende Erscheinung, dass nicht alle
indifferenten Narkotika gleich wirken, und wir müssen diese Verschieden-
heit auf Nebenwirkungen in der Zelle zu.rückführen. Es sind viel-
leicht noch andere Körper ausser den Lecithin-Cholesteringemischen
vorhanden, welche durch die Narkotika einen Einfluss erleiden.
Dass nicht alle Zellen im Zentralnervensystem einem gleichen
Einfluss unterliegen, ist auf die verschiedene Verteilung der Lecithin-
Cholesteringemische in den Zellen zu beziehen.
— 125 —
Wir haben luiiimelir diese Tlicorie beendet, und können derselben
unsere; Anerkennung nicht versagen. In vielen Beziehungen hilft uns
dieselbe das Dunkel zu erhellen, -welches noch über jenen Funktionen
im Zentralnervensystem während der Narkose schwebt, und wo wir das-
selbe teilen, gelingt es uns wohl, einen tieferen Einblick in das rätsel-
hafte Reich der physiologischen und pathologischen Vorgänge
des tierischen Organismus zu werfen, doch bald zeigt sich uns wiede-
rum ein dichterer Schleier, welchen zu durchdringen auch hiermit nicht
möglich ist. Wir sind weiter vorgedrungen auf einem dunkeln Pfade,
und ünden plötzlich nicht mehr weiter, weil unser Licht nicht mehr
genügend zu leuchten vermag. Aber immerhin, es ist ein Schritt
weiter, und wir verzagen nicht, denn wir versuchen von neuem zu dem
verschlossenen Reiche der Dunkelheit die Pforten zu öffnen. Wenn wir
in dem folgenden eine andere Theorie bearbeiten wollen, so soll es ge-
schehen, um eventuell durch dieselbe wieder einen Schritt Aveiter vor-
wärts dringen zu können. Wie weit dieselbe uns in die Finsternis
hineinführen wird mit ihrem Lichte, wollen wir erproben. Diese weitere
Theorie ist von Schleich aufgestellt worden, und sie ist mit Genia-
lität und Scharfsinn auf einem neuen Wege eingeleitet, und auf-
gebaut worden zu einem beträchtlichen Gebäude. Li dem folgenden
wollen wir uns mit ihr genauer beschäftigen.
§ 58. Schleich geht bei dem Aufstellen einer Theorie über die
Narkose von der Psychophysik aus, während bisher immer das Be-
streben der Autoren war, vom physiologischen Einfluss der Nar-
kose aus zu gehen. Schleich beginnt mit dem Zentralnerven-
system, welches bei anderen das Ende der Betrachtungen ist.
Wenn wir die Theorie Schleich's verstehen wollen, müssen wir
uns einige Einleitungen gefallen lassen, denn es scheint uns bei den
wichtigsten Theorien nicht genügend, wenn wir in kurzen Worten das
Resultat erzählen, sondern wir müssen uns dasselbe nach dem Gedanken-
gange des Autors entwickeln, um ein tieferes Verständnis zu erlangen.
§ 58a. Man nimmt bei der entwicklungsgeschichtlichen Lehre
eine Reihe von Stufen an, welche der tierische Organismus nach und
nach ersteigt. Es war in der ursprünglichen Zeit eine Einheit vor-
handen, von der alles seinen Anfang nahm, und wie durch eine ver-
schiedene Gruppierung des Atomes verschiedene Zustände desselben
Körpers entstehen, so sind auch in der Entwickelung durch eine ver-
schiedene Stellung des ursprünglichen Punktes Modifikationen desselben
entstanden. Nehmen wir als Ausgangspunkt für unsere Betrachtungen
eine Zelle an. Dies ist schon ein sehr weit vorgeschrittener Ent-
wickelungszustand in der Natur, denn zu dem Leben der Zelle sind
schon komplizierte Verhältnisse notwendig. Diese Urzelle ist der An-
fang für den Organismus, sie stellt das Modell dar, für unsere
Zelle. Nur muss man nicht denken, eine Zelle aus dem Gewebe
eines Organismus entnommen, stelle die Urzelle dar. Sie ist wohl
ähnlich, doch dasselbe ist sie nicht, denn sie hat ja ganz andere
Lebensbedingungen. Diese lebt im Konnex mit anderen, und es ist
schon eine Art Arbeitsteilung unter den Zellen eingetreten, jene aber
— 126 -
war lediglich auf sich selbst angewiesen in einer ganz anderen Um-
gebung. Mit der Teilung der Zelle traten nun andere Verhältnisse
auf, und es bildete sich mit dem weiteren Fortschreiten ein immer an-
derer Zustand, und eine neue Verbindung der Einzelwesen. So ent-
standen aus einzelnen Zellen Individuen, und aus den Individu.en
bildeten sich Arten etc. Die erste Lebensäusserung, die Irrita«
bilität entwickelte sich entsprechend den Oi'ganismen weiter während
einer Ej)oche, die nach unseren Begriffen ungeheuer gross, weil wir
sie auf unser kurzes Leben beziehen, die aber im Verhältnis zum Ent-
wickelungsvoi'gang klein erscheint. Und wie sich im Laufe der Zeiten
die Organe differenzierten, entsprechend den Leistungen des Orga-
Fig. 3. Mikroskopischer Durchschnitt der Hirnrinde. (Schemat. nach Schleich.)
I, Höchste Ganglienschicht mit unregelmässigen, atypischen kleinen! Ganglien.
II. Schicht der kleinen und grossen Pyramiden.
III. und IV. Schicht der automatischen Gangliensysteme.
Rot: Die Neuroglia und ihre Zellen.
— 127 —
nisrnus, so wurden dieselben mit dem weiteren Fortschreiten weiter aus-
geprägt, und iln-e Leistu.ngen komplizierter. Entsprechend dem Stande der
Entvvickelung zeigte sich übereinstimmend auch die Funktion der Organe.
Und wie sich im Laufe der Perioden erst nur der Organismus der ein-
fachsten Lebewesen entwickelte, so schritt derselbe weiter in seinen Funk-
tionen, wurde komplizierter, und wo sich erst nur eine Vitalität als einzige
sichere Regung offenbarte, so zeigte sich mit der Zeit mehr Tendenz die
Ijebensäusserungen zu offenbar.^n. Mit dem weiteren Fortschreiten der
Differenzierung der LebeAvesen erhob sich bald eines über das andere,
nicht nur an Vorzug der körperlichen Funktionen, sondern es zweigte sich
ein neuer Teil des Individuums in seinen Ursprüngen ab, der das ur-
eigene innere Wesen über die anderen hervorhob, und sich als geis-
tige Eigenschaft zeigte. So rollen die Bahnen des Lebens weiter in
steter Entwickelung des Organismus fortfahrend, und es ist in der
jetzigen Entwickelungsepoche hauptsächlich die Entwickelung des Geistes,
die in der Entfaltung der Eigenschaften des Menschen den Fortschritt
darstellt. Und die höheren Vorgänge, welche sich in geistiger Hinsicht
offenbaren, haben ihren Ort in dem Zentralnervensystem, und die
momentan am Aveitesten vorgeschrittene Differenzierung hat ihi-en
Sitz, wo sie sich abspielt, in den Ganglienschichten der obersten
Teile der Hirnrinde, in den Sphären des Bewusstseins. Unser
Bewusstsein ist aber nicht die Summe aller Tätigkeiten, es ist
nicht das höchste im geistigen Leben, sondern dasselbe stellt nur einen
Uebergang dar zu anderen, uns noch unbekannten geistigen
Erscheinungen. In der ganzen Substanz der Hirnrinde haben wir
mehrere Schichten zu linden, vergl. Fig. 3, die erste Schicht ist
diejenige, welche wir als oberste Ganglienschicht bezeichnen können,
und welche Ganglienzellen von ganz unregelmässigera Bau aufweist.
Die einzelnen Zellindividuen dieser Schicht zeigen einen Bau, Avelcher
den amöboiden Körpern mit uni- und multipolaren Fortsätzen
des Protoplasma's fast gleich erscheint, es ist kein bestimmter Typus
unter den Zellen zu finden, sondern dieselben scheinen mehr den ein-
fachen Grundformen des Lebens zu gleichen, und so einen Rück-
schritt zu bedeuten, vergl. Fig. 4. Achsenzylinderforts ätze und
Protoplasmafortsätze sind schwer an diesen Zellen zu unterscheiden,
die Fortsätze sind überall von wohl ausgebildeten Nervenfasern um-
geben mit kleinen kolbigen Franzen bedeckt, die aus den tieferen
Schichten stammen. Von dieser oberen, oder höchsten Ganglien-
schicht, kommen wir auf die zweite Schicht, deren Ganglienzellen
einen viel ausgeprägteren Bau zeigen, und pyramidenartig mit
Fortsätzen gebaut sind, deren Achsenzylinderfortsatz als eigentliche
Leitungsbahn deutlich als selbständiger Fortsatz gegenüber den
Protoplasmafortsätzen zu erkennen ist. Die Ganglienzellen haben die-
selbe Richtung in ihrer Anordnung, und zeigen eine Gleichmässig-
keit in ihrer Gesamtheit. Kommen wir nun von dieser mittleren
Schicht weiter zu der dritten Schicht, so sehen wir hier viel grössere
Zellen, als in der zweiten, und dieselben sind noch deutlicher gleich-
artig gelagert, pyramidenförmig konstruiert. Die Achsenzylin-
128
Fig. 4. I. Das belebte Protoplasma, Urform des Lebens darstellend.
II. Granglienzelle.
III. Ganglienzelle mit gefranzten Protoplasmafortsätzen.
(Nach Schleich gezeichnet.)
- 129 -
der beider Seil ich ten verlaufen teilweise alle nach der Tiefe zu, und
reichen mit ihren bäum form igen Verästelungen bis aufwärts in
die oberste Zellschicht hinein, avo wir die kolbenförmigen Endi-
gungen schon erwähnten. Unter diesen grossen Pyramidenzellen
haben wir eine Schicht kleinerer Zellen, welche mit ihren baum-
artigen Fortsätzen ein sehr grobes Netz bilden, tmd deutliche, nach
allen Richtungen hin verlaufende Fortsätze mit Achsenzylindern
zeigen. Die letztex'en sind sehr scharf gezeichnet, und lösen sich vor
allem sehr bald nach ihrem Verlauf in ein ungeheuer feines, und
nach vielen Seiten deutlich zu verfolgendes Netz von Fasern auf,
wodurch sie deutlich als ein selbständiges, organisiertes Gebilde von
den Zellen der obersten Schicht unterschieden werden. Siehe Fi-
gur 3 und 5.
Fig. 5. Verhältnis zwischen Neurogiia (rot) und Protoplasmafortsätze.
(Schematisch. Nach Schleich Schmerzl. Operat.)
A. Oberste gegen die Pia mater isolierende Gliaschicht.
B. Schicht der tangentialen Fasern zur Verbindung zerstreuter Rindenganglien-
systeme.
C. Oberste Ganglienschicht (psychosensible Seht) mit der Möglichkeit der
Hemmung durch jVeuroglia-Erregung.
D. Pyramidenzellen (Apperceptionsganglien).
E. Achsencylinderfortsätze.
F. Neuroo-liafäden zu automatischen Centren leitend.
Wenn wir uns nun mikroskopisch ein menschliches Zentralnerven-
system betrachten, so sehen wir, wie von unregelmässigem Baue äusser-
lich das Grosshirn sich vom Kleinhirn oder der Medulla oblong,
unterscheidet. Die Masse des Grosshirns ist von grosser Weichheit,
zart, hat eine gelatineartige Beschaffenheit, während die anderen Teile
des Zentralnervensystems eine festere Form zeigen, imd eine grössere
9
- 130 -
Derbheit und Härte des Baumaterials. Dieses ist vielleicht als ein Zeichen
aufzufassen, dass hier noch die Entwickelung auf einer niedereren Stufe
steht, als dort, dass wir es hier noch mit etwas nicht fertigem zu tun
haben. Darin mag vielleicht auch schon jene schwankende äussere
Form, welche bei dem so, bei jenem so, hier mit deutlicheren Win-
dungen, dort mit undeutlicheren, seinen noch nicht ganz beendeten Ent-
wickelungsgang zeigt, begründet sein. Hierüber sagt Schleich selbst:
„Datür haben wir aber zahlreiche ähnliche Vorgänge auch sonst im
Körper. Der weichen, in der Zeichnung unsicheren Form der Milz, des
Knochenmarkes, der Lymphdrüsen mit dem wenig ausgesprochenen inneren
Bau entspricht ein physiologisch immer erneuter Wandel und "Wechsel der
Elemente, ja das weichste Gewebe des Körpers, das Blut, ist auch zugleich das
schwankendste und veränderungsfähigste Element des Leibes. Ich scheue mich
nicht, den Satz auszusprechen, dass, je fester ein Gewebe ist, um so klarer ge-
reift, um so sicherer ausgeprägt, um so weniger wandlungsfällig erscheint uns
auch sein inneres Gelüge, und sein physiologischer Anteil an der allgemeinen
Arbeitsteilung des Organismus."
„Es macht sich aber auch in dem mikroskopischen Aufbau des Gehirnes
deutlich erkennbar, dass immer mehr nach der Tiefe die Differenzierung der
einzelnen Elemente eine höhere wird, die Ausgeprägtheit der einzelnen Form
und Lage der Teile zu einander wird immer deutlicher, je mehr man rück-
wärts durch die radiäre Ausstrahlung der Hirnkappe über das Kleinhirn,
die Med u IIa oblongata in das Rückenmark gelangt. Mikroskopisch aber
finden wir vom Rückenmark über die Medulla oblongata, Kleinhirn, und Mittel-
hirn her eine gegenüber den Elementen des Grosshirns leicht analysierbare
Anordnung der Zellen, eine gewisse Konstanz ihrer Verbindungen, sowohl
unter einander, als mit anderen Teilen des Zentralapparates, vermittels eines
fast typischen Faserverlaufsystems. Vergleich. Fig. 6.
Fig. 6. Mikroskopischer Durchschnitt der Kleinhirnrinde. (Schemat.^
(Xach Schleich.) Symmetrie der Teile und Automatic der Funktion.
— 131 —
Diese Tatsache, dass die Anordiiiiiig, Gruppierung der Teile mit ihrer
mehr typisclien liegelmässigkeit und Symmetrie in der Medulla aufwärts zur
Grrosshirnrinde in den gangliüsen Partien immer weniger deutlich wird, um in
den obersten Hirnlagern völlig regellos, atypisch, und polymorph zu werden,
ist für uns der Ausdrii<;k eines entwicklungsgeschichtlichen Faktums von weit-
tragender Bedeutung. Hieraus entnimmt man, dass der Uebergang von auto-
matischer Coordination der nervösen Funktionen bis in die Sphären der Sinnes-
wahrnehmungen und jene der aperceptiven psychischen Vorgänge ein all-
mähliger ist, dass also die instinktiven Fähigkeiten des Menschen in die be-
wussten Empfindungen hinüberreichen, und dass ein prinzipieller Gegensatz
zwischen Bewusstem, und Unbewusstem nicht existiert, dass aus den erwor-
benen instinktiven und automatischen Fähigkeiten durch immer fortschreitende
Differenzierung an der entwicklungsgeschichtlichen Peripherie des nervösen
Zentralapparates sich die Bewusstseinsvermittlung herausgebildet hat. Dieser
Vorgang kommt niemals zum Stillstand: auch für das Bewusstsein dieser
Menschheitsepoche ist es denkbar, ja wahrscheinlich, dass sich sein Problem-
leben zur instinktiven Regulation aller augenblickliehen Daseinspostulate um-
bildet, dass das, was heute zweifelhaft, strittig, unsicher, ungewiss ist (die
Probleme der Ethik, Religion, Kunst, Physik), dereinst seine instinktive Lösung,
wie beispielsweise das sozialpolitische Problem bei den Termiten gelöst er-
scheint, finden werde." (Schleich).
Hieraus können wir folgern, dass alles, was wir jetzt unbewusst,
instinktiv tuen, früher von uns bewusst getan wurde, indem wir
durch unsere vitale Notwendigkeit dazu gezwungen wurden. So hat
sich alles, was jetzt im Organismus unbewusst geschieht, erst, als wir
auf einer Stufe uns befanden, wo die Verhältnisse andere waren, und
wir selbsttätig die Funktion der Organe regulierten, von dieser Willens -
Unterwerfung frei machen müssen durch die Zeit, in der infolge
weiterer Differenzierung jene Willensimpulse unnötig wurden. Und
in dieser Zeit der weiteren Differenzierung rückte immer stufen-
weise einmal eine Schicht von Ganglienzellen in eine niedere
Region, indem an ihre Stelle andere traten, und die Tätigkeit in anderer
Hinsicht entfalteten. Auch unser Bewusstsein wird von nichts anderem
dargestellt, als von jenem in der Entwickelung am weitest vorgescho-
benen Teile des nervösen Organes, welche Teile momentan in Differen-
zierung begriffen sind, und nach einer bestimmten Zeit, wenn ihre
Differenzierung soweit vollendet ist, wieder durch andere ersetzt werden;
und die bewussten, jetzigen Funktionen sind in Zukunft durch auto-
matische, .unbewusste ersetzt. In diesen obersten Schichten
der Hirnrinde ist ständig rege Tätigkeit vorhanden, hier müssen
Systemregulierungen Platz greifen, hier muss das, w^as definitiv
gewonnen und festgesetzt ist, nun auch bewahrt .werden, damit ein
Ausgleiten aus den bestimmten Bahnen nicht vorkommt; dies ist ein
Teil unserer Seele, welcher die schwächste, irrtumreicbste, un-
sicherste Phase derselben darstellt. Das, was durch unsere Perzep-
tion festgesetzt und zweckmässig geworden ist, das kann sich nicht
mehr irren, das arbeitet dann in sicheren Bahnen weiter!
§ 58b. Es ist nun die Frage, Avodurch die Wandlung des Be-
wussten in Unbewusstes geschieht. Es ist anzunehmen, dass ein
hemmender Apparat besteht, ein sogenannter Isolationsmecha-
nismus, für die einmal gewonnenen und festgesetzten Verbindungen
der Ganglienzellen unter sich. Allein, ein solcher Apparat ist noch
9*
- 132 -
nicht nachgewiesen worden, und Schleich macht dafür den Umstand
verantwortlich, dass man bisher nach dem Vorbilde Virchow's die
Neuroglia nur als eine Art von BindegeAvebe auffasste. Man muss
l'a für bestimmte Teile zugeben, und mit vollem Recht sagen, dass die
Neuroglia ein Stützgewebe darstellt, doch, man hat auch ein Recht
mit Schwalbe, v. Bardeleben, Schleich anzunehmen, dass, neben
den Stützungs- und Festigungseigenschaften, derselben auch
noch andere mehr mit den Funktionen der in ihr ruhenden nervösen
Elemente verwandte Eigenheiten beizumessen sind. Nun ist es
aher nach Sclileich nicht mehr zu leugnen, dass die Neuroglia mit
dem Bindegewebe nichts zu tun hat, sondern, „es ist dieselbe
aufzufassen, als eine spezifische geformte Masse mit nach-
weisbarem Zusammenhang mit den Uranfängen und den Ur-
lagern der primitiven Nervenzentren". „Die Neuroglia ist
vielleicht der regulierende, systemhemmende, Leitungsbahnen
eindämmende, entwirrende, und gruppierende Isolationsme-
chanismus, ohne welchen weder die Hirnphysiologie, Psycho lo-
Fig. 7. Verhältnis der Neuroglia zu den Protoplasmafortsätzen.
(Nach Schleich. Schmerzlose Operat.)
A. Ganglienzelle der höchsten Schicht. B. Neurogliazelle mit Netzwerk.
C. Achsenzylinderfortsätze. D. Rückwärtsverbindung der Neuroglia
mit automatischen Centren.
Die Neuroglia umgiebt die Verzweigungen der Protoplasmafortsätze dicht in
allen Verzweigungen, ebenso die Zelle selbst. Die Neuroglia ist rot gezeichnet.
— 183 -
g'iG, noch die Psychiatrie auszukommen vennag, innerhalb welcher
Disziplinen überall mit einem durchaus unrealen, rein phantastischen
Hemmving-smechanismus gearbeitet Avird," um mit den Worten Schleich's
zu sprechen. Wenn nun diese Annahme der Funktion der Neuro-
glia verständlich werden soll, so liegt der Vergleich derselben mit Iso-
lationsmassen bei der Elektrizität nahe. Und ganz so isoliert die
Neuroglia die Zellen und verschiedenen Bahnen, indem sie die
Ganglienzellen und Nervenfasern etc. umspinnt, und verhindert, dass
von einer Nervenbahn, wenn wir elektroide Spannungen und Ströme
in den Nervenzellen etc. annehmen, der betrefiende Strom in andere
Bahn überspringen kann. Vergleiche Figur 7. Wenn man bisher
annahm, dass Aktion und Nichtaktion in denselben Systemen selbst
ausgeführt würden, dass die Zelle selbst aktiv, und wieder hemmend
sich zeige, so ist doch die Annahme eines dritten, besonderen Isola-
lationsm echanismus viel mehr wahrscheinlich, und eine Hemmung
ist unbedingt nötig, sonst würden die Assoziationen im Grosshirn
jeden Moment in allen Richtungen aufgelöst werden.
So erklärt infolgedessen Schleich das Denken als nichts anderes,
„als die transformierte Irritabilität der lebendigen Materie,
indem auch die höchsten Orientierungsvorgänge, (Gehirnzellenreaktion
auf Aussenweltwirkungell) vermittels dieser Hemmung ihre arterhaltende
Regulation von den Uranfängen differenzierter Nerventätigkeit, von dem
Sympathikus her erhalten."
Die Untersuchungen von Andriezen rechtfertigen diese Theorie,
Fig. 8. a. Protoplasmazelle der Neuroglia, in der grauen Hirnrinde vorkommend
(zur Isolation der Ganglienzellen), b. Geiässverbindung der aktiven Neurog-
liazelle. (Nach Andriezen.) c. Blutgefäss.
— 134
und nach ihm besteht die Neuroglia aus 2 von einander verschie-
denen Elementen zelliger Natur, nämlich den Protoplasmazellen
mit vielfachen dentritischen Fortsätzen, und den Faserzellen,
geschwänzte und Sternfasern, deren Substanz in mehr oder minder
von einander isolierte glatte Faserfortsätze gelöst ist. Vergl. Fig. 8 u. 9.
Die Protoplasmazellen, Fig. 8, sind von eigenartigem, moos-
artigem Bau, zahllose Fortsätze gehen von ihnen aus, und einer dei'-
selben steht stets durch
eine platte Ausbreitung mit
einem Gefäss in Verbin-
dung. Sie finden sich meist
da, wo der Ganglien-
a p p a r a t vorhanden ist, in
der Rinde des Gross-
hirns etc.; die perivasku-
lären Lymphräume
setzen sich direkt durch
den Fortsatz in die Zelle
fort und umhüllen ihre
Gesamtstruktur. Dadurch,
dass nachgewiesen ist, dass
diese Zellen überall da
sind, wo nervöse gangliöse
Fig. 9. Neuroglia-Faserzelle der Marksubstanz Elemente vorhanden sind,
oder weissen Masse des menschlichen Gehirns, und dass dieselben von den
(Nach Andriezen-Schleich). nervartigen Fortsätzen
quasi umsponnen werden,
wird der Einfluss der Neuroglie sehr wahx'scheinlich gemacht.
Die andere Art der Zellen, die vielfach gekreuzte Faserkom-
Fig. 10. Sieben geschwänzte Neurogiia-Faserzellen der ersten Lage der mensch-
lichen Rinde (Knotenpunkt assozierter Leitungsbtränge). (Nach Schleich-
Andriezen.)
— 135 -
plcxe darstellen, verg'l, Fig. 9 und 10, finden sich, wo meist nervöse
Strangapparate, Achsenzylinder, Assoziationsfasern, Leitungs-
drähte vorhanden sind. Die isolierende, hemmend wirkende Neuroglia
findet sich nun so verteilt, dass sie in den in entwickeln ngsge-
schichtlicher Hinsicht jüngeren Teilen des Gehirns weniger
dicht vorhanden ist, und somit übersprungen werden kann, hingegen
au den festen, geregelten, automatischen Bahnen umhüllt sie die
Stränge so dicht, dass das Uebcrspringen von Strömen des einen
Systems auf ein benachbartes unmöglich ist. In dem ersteren Be-
reich, dem des Bewusstseins, muss eine Möglichkeit bestehen, durch
aktive Funktion der prGtoj)lasmatischen Neurogliazellcn eben die Systeme
unscheinbarer Willkürlichkeit abwechsehid von einander zu isolieren,
oder miteinander zu verbinden, während in dem letzteren Bereiche
eine Willkürlichkeit nicht herrschen darf, und deshalb ist hier die
Neuroglia dichter und die Bahnen fest um seh liessend angehäuft.
Vergh Fig. 11.
Da nun jede der Neurogliamooszellen mit je einem Blut-
Fig. 11. Verhältnis von Neuroglia -Protoplasma- und Faserzellen zu einzelnen
Granglien-Systemen. (Nach Schleich).
a. Neuroglia -Isolation gegen die Pia.
b. Sternzellen der Neuroglia an Nervensträngen -Kreuzungspunkten.
c. Protoplasmazellen, Mooszellen der Neuroglia.
d. Faserzellen der Neuroglia.
f. g. h. i. k. ^ Gangliensysteme der Rinde.
(Neuroglia rot, Gangliensysteme schwarz).
— 136 —
gefäss direkt zusammenhängt, vergl. Fig. 8, so erklärt es sich, dass
eine wechselnde Blutfülle in der Rinde so stai-ken Einfluss auf die
Tätigkeit des Cerebrum haben kann, denn die schwankenden Füllungen
der Gefässe stärken und schwächen ganz direkt den Hemmungs-
mechanismus der Zellen der Neuroglia. Füllung des Gefäss es er-
zeugt feuchte Mooszellen und so Hemmung, während Trocken-
heit der Zelle die Tätigkeit der Neuroglia herabsetzt. „Bei
gesteigerter Hemmung" sagt Schleich, „also bei Gefässfülle, Neuroglia-
aktion, überwiegt die Isolation die Erregung, bei herabgesetzter Hem-
mung, Gefässleere, Neurogliaschwächung vermehren sich die Assoziationen,
und vermittelt die ungehemmte Erregungsfähigkeit der Ganglien die
schnelle Folge von Perzeptions -Vorstellung und Aktion."
Die Regulierung dieser Funktion ist natürlich der Psyche unter-
worfen. In den Gebieten des Kleinhirns, Rückenmarks, Sym-
pathicus bildeten sich im Laufe der Entwickelungsperioden Zentren
der lebenswichtigen Funktionen aus, wie das Zentrum für die
Herz- und Lungen tätigkeit etc. in einer geschichtlichen Reihen-
folge quasi, das eine eher als das andere zu einem bestimmten Stand,
indem sich so genetisch jüngere, und genetisch ältere Teile dif-
ferenzierten. Und auch hier war die Neurogliamasse die isolierende
Substanz zwischen einzelnen nervösen Elementen, und dieselbe ent-
wickelte sich entsprechend dem Vorwärtsschx'eiten der Entwickelung der
Zellen und Bahnen ebenso weiter, sodass sie Zellen, die in früherer
Epoche durch das Bewusstsein regiert wurden, weniger dicht um-
gab , und machte durch das Hiuüberrücken mit diesen Zellen in die
Reihe des Unbewussten ihre umgebenden Massen enger an dieselben
schliessend sich zu einer undurchdringlichen Isolierungssubstanz,
und diese Funktion der Neuroglia ist durch die Blutbahnen direkt
zu beeinflussen. „Es ist also," nach Schleichs Ansicht, „ein direkter
physiologischer Antagonismus im Gehirn ebenfalls vorhanden
zwischen eigentlich spezifischer Zelltätigkeit und direkter Auf-
hebung dieser Zelltätigkeit."
§ 58 c. Diirch diese eben auseinandergesetzten Beziehungen der
Neuroglia zu den Ganglienzellen erklärt Schleich auch den
Schlaf, lind er definiert denselben folgendermassen: „Ich fasse den na-
türlichen Schlaf auf als einen durch Anpassung und Vererbung er-
lernten Mechanismus der Hemmung zwecks Ausschaltung des lae-
sibeln, jüngeren, bildungs-, Wachstums- und schonungsbedürftigen Teiles
der Grosshirnrinde. Er tritt ein, Avenn von den Zentren des schon de-
finitiv regulierten mehr vegetativen Lebens auf dem Wege des Reflexes
die Neuroglia in Aktion versetzt wird. Das geschieht einmal perio-
disch, und ist eine dem Organismus von aussen aufgezAvungene Not-
wendigkeit, (Eintritt der Nacht, Fehlen des Sonnenlichtes) oder aber
er stellt sich atypisch ein, wenn dieser Reflex auf andere Weise zur
Auslösung gelangt. (Ueberwindung, Hypnose, Vergiftungen, pathologische
Reflexanomalien, Störungen der Gefäss- und Nervenfunktion)."
Nun nimmt er an, dass in den obersten Schichten der Hirnrinde
nach den Anstrengungen des Tages eine Hyperämie eintritt, welche
- 137 —
allerdings nicht als Hyperämie des Gehirns aufzufassen ist, sondern
welche nur eine stärkere Füllung in den Mooszellen von den
feinsten Gefässen der Hirnrinde aus, namentlich in den obersten
Schichten darstellt, Avodurch eine Reizung der Plasmazellen der
Neuroglia entsteht, und somit der Schlaf, welcher wieder unter-
brochen wird durch eine „Reflcxisc hämie" des Gehirns.
Es stehen nun zwei Annahmen nebeneinander , die eine ist die,
welche die Neuroglia-Tätigkeit durch Reflex bewirken lässt, die
andere, welche physiologische Ermüdungsstoffe für die Reizung
verantwortlich macht. (Beyei-.) Die erstere nimmt reflectorische,
die letztere chemische Erregung an.
Schleich nimmt eine reflectorische Erregung an, und zwar
aus folgendem Grunde: „Wenn wir einschlafen wollen, sagt er, so nehmen
wir entweder nur einen Gedanken in unserer Erinnerung fest, oder hören
dem gleichmässigen Ticken der Uhr zu, oder bringen eine gleichmässige
Bewegung (Wiegen) hervor etc. Hierdurch werden alle anderen Gang-
lienfunktionen entspannt, ausser dem einen gleichmässig monoton be-
wegten vibrierenden psycliisclien Systeme; dadurch wird das Bewusst-
sein geschwächt, das Situationsbewusstsein für die übrigen Realitäten des
Au.genblickslebens herabgesetzt, und der Neurogliareflex, der Sieg der
Hemmung über die seelische Erregung, Avird erleichtert".
Dabei bleibt die den tieferen Schichten in der Hirnrinde eigene
Tätigkeit erhalten, z. B. das IchbeAvusstsein besteht fort, Avelches
sich schon aus älteren festbegründeten und feststehenden Phantasie-
vorstellungen herleitet, entsprechend ist die Möglichkeit einer selb-
ständigen, doch aus dem BeAvusstsein nicht resultierenden Wandlung
wie Sprechen, Lachen, Weinen etc. erhalten, so finden Avir dies
z. B. bei Somnambulen dargestellt, und es ist der Somnambule
quasi ein Individuum, dessen AugenblicksbeAVUsstsein getrübt ist.
,. Und man kann demnach annehmen, dass der Somnambule wie der
Schlafende überhaupt in einen Zustand zurücktritt, in dem eine Vor -
periode physischer Fähigkeiten den einzigen Bestand des Be-
wussts eins ausmachte, und so dürfte man den Schlaf, die Hypnose,
den Somnambulismus als ein periodisches Zurücksinken in
frühere Daseinsperioden auffassen." (Schleich.)
„Nach unserer Ansicht", sagt Schleich, „enthalten sowohl der künst-
liche Schlaf, die kataleptischen Zustände, die somnambulen Ak-
tionen der Hypnose, deshalb nichts rätselhaftes mehr, AA'eil keine Ausschal-
tung der ganzen Hirnrinde bei der Hypnose angenommen zu Averden braucht,
denn diese hypnotische Hemmung der Gesamthirnrinde AA'ürde es unbegreiflich
machen, wie vollkommene Nachahmungen, wie z. B. das Nachsingen zu stände
kommen können, während nach unserer Theorie die Freilassung aller unter-
bewussten, tieferen Schichten der Rinde von der Neurogliahemmung,
die Möglichkeit aller motorischen Aktionen angeregt durch die Inanspruch-
nahme der Sinnesorgane, ohne Bewusstseinssynthese sehr wohl besteht.
Darum kann ein Hypnotisierter nachahmen, Avandeln, bestimmte
Aufträge erfüllen, ohne in seinem BeAvusstsein auch nur eine Spur Em-
pfindung, oder Erinnerung davon zu haben, Avas er tut, oder getan hat.
Es spielt sich eben alles im Unterbe wusstsein ab. Für die kataleptischen
Erscheinungen Avird es aber so gewiss verständlich, dass eine Glied Stellung,
welche passiv vollzogen Avird, dauernd deshalb dieselbe bleibt, Aveil alle von
— 138 -
aussen wirkenden, im Gehirn spezifisch umgesetzten Spannkräfte im Augen-
blick der Hypnose auf einer Stelle der Bewusstseinsbreite konzentriert er-
scheinen, und durch die passiv vorgenommene Erregung und Anspannung ge-
wisser Muskelgruppen das ganze Kraftmass nervöser Erregung gerade auf
diese peripher erregten Bahnen abgeleitet wird, darum verharren die Muskeln
solange in Starre, bis ein neuer peripherer Anstoss die narkotischen Energien
in andere Bahnen lenkt. Denn an dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft
muss auch für die psychischen Funktionen festgehalten werden (Schleich)."
§ 56 d. Wenn nun Schleich soweit eine Erläuterung seiner
Theorie über die Neuroglia Tätigkeit gegeben liat, zieht er die-
selbe ebenfalls, wie zur Erklärung des Schlafes etc., zur Definition der
narkotischen Wirkungen heran. Nehmen Avir mit ihm an, ein
Patient Averde durch Chloroform z. B. narkotisiert, so machen sich
die ersten Einflüsse des Narkotikums in der Reizung peripheris eher
Organe, dann in lokalen Reizen an den Endapparaten der
Sinnesorgane erkennbar. Die Wirkungen auf den Zentralapparat
sind folgende :
Das Blut strömt in der Neuroglia in feinsten Gefässen, und
die erste Wirkung des Narkotikums wird sich in einer dumpfen
Schwere über den ganzen Kopf zeigen, und es würde, wenn nicht
ziemlich zu gleicher Zeit auch die Ganglienzellen selbst eine Reizung
erführen, ein Schlaf durch Neurogliareizung eintreten. Tatsächlich
kann man diesen Schlaf im Anfangsstadium bei manchen Personen,
z. B. bei Kindern, durch sehr langsames Narkotisieren hervorrufen.
Die kleinen Mengen des im Blute im Anfang kreisenden Narkotikums
können wegen des engen Zusammenhanges der Neuroglia-Pro-
toplasmazellen mit den Gefässen eine Reizung der Vasomotoren,
und somit eine Verengerung der Ge fasse bewirken. Dadurch wird
die Tätigkeit der Protoplasmazellen infolge geringer Flüssigkeit
vermindert, die Hemmung ist herabgesetzt. Ideen-Vorstellungen
und Gedanken jagen zügellos umher auf freien Bahnen. Erst da-
durch, dass eine Vasomotorenlähmung eintritt, werden die Gefässe
weiter, und das Narkotikum kann nun direkt die Protoplasmazellen
reizen. Nim wird die Ideenjagd eingeengt. Die hemmende Tätig-
keit der Neuroglia schiebt sich nun weiter, auch zwischen die ein-
zelnen sensoriellen Verknüj)fungen. Die Situation verwischt
sich, das momentane Bewusstsein geht verloren, nur Einzelvor-
stellungen werden bewusst, wie im unruhigen Schlaf jagen die Ideen.
Nun beginnt der Zustand immer mehr Aehnlichkeit mit dem Schlaf
zu erhalten, anfangs unruhig mit Träumen erfüllt, später tief, ruhig.
Die Pupillen sind noch für Lichtreize empfindlich, doch erreichen
sie nicht mehr die volle Weite bei Lidschluss, die Verengerung wird
um so stärker, je mehr die Narkose fortschreitet. Auch im Schlafe
sind die Pupillen eng. Es besteht Avahrscheinlich ein Reflexbogen
zwischen Neurogliareizung und Oculomotoriusfunktion resp.
Sympathicuslähmung.
„Denn auffallenderweise bei allen narkotischen Giften haben wir dieselbe
Wirkung auf die Pupillen". „Bei Morphin, Chloralhydrat , Haschisch,
deren Wirkung nach unserer Auffassung eine schlafbringende ist, weil sie die
Neuroglia rtizen, und so den Schlaf hervorrufen, durch Inanspruchnahme des
— 139 —
Henimuiigsmechaiiismus des Bewusstseius. „Der Antag-onismus dieser
Mechanismen war recht deutlich bewiesen durch die Tatsache, dass die phy-
siologischen Antagonisten der Narkotika, Atropin, Horaatropin,
Duboisin, Kokain, neben Pupillen er Weiterung Unruhe statt Schlaf,
Delirium und andere Aufregungszustände im Gehirn auflösen. Aus
dieser Tatsache ergibt sich bis zur Evidenz das Bestehen des von uns ver-
muteten Antagonismus zwischen Neurolglia- und Ganglientätigkeit
einerseits, und Neurogliareizung und Ocul omotoriusaktion anderer-
seits. Ja, dieser Antagonismus ist so deutlich, dass im Stadium derNeu-
roglialähmung und Sprengung ihrer Funktion durch Ueberdo-
sierung und exzessive Giftwirkung gleicherweise beim Morphin, wie
beim Chloroform, wieder Pupillen weite (direkte Ganglienreizung) eintritt.
Hieraus ergibt sich ein überaus wichtiges Erkennungsmittel des Grades der
Intoxikation bei Chloroform. Xach Schleich sind Chloroform und Chlo-
ralhydrat, MoriDhin, Alkohol, Haschisch mildere Gifte, weil sie erst
mit einer Neurogliareizung einhergehim, während die echten Zellgifte
sofort in die Ganglienzellen eintreten, und ihren relativen Einfluss über
die schützende "Wirkung der Neuroglia hinweg auf die Ganglienzellen
ausüben von den Lymphräumen und Blutgefässen aus. So sehen wir die Neu-
roglia gegen gewisse Substanzen widerstandsfähig, und zum Schutz
um die Ganglienzelle gelagert. Somit sind die Chloroform-, Aether-,
Alkohol- etc. Narkosen Steigerungen physiologischer Mechanismen,
nämlich Blutfüllungsveränderungen und Reizungen der Neuroglia.
"Werden sie in bestimmten Mengen verabfolgt, welche einen Gleichge-
wichtszustand zwischen Wirkung der Narkotika und der Wi derstands-
kraft der Neuroglia hervorrufen, so ist ihre "Wirkung eine narkotische, und
dieselbe wird stärker, jemehr die Wage des Gleichgewichts nach dem Narko-
tikum ausschlägt, bis sie endlich die Neuroglia überwindet, und dann so
wirkt, wie die Zellgifte, welche über die Neuroglia hinweggehend, sofort die
Ganglienzelle angreifen. Wir sehen, wie so in einem Falle eine Narkpse
möglich ist, und wir müssen daraus die Lehre ziehen, die Zustände der Neu-
roglia immer genau zu eruieren, um einen Begriff von der Wirkung der
Narkotika zu erhalten. So sehen wür, wie in den oberen Zonen, wo die
Neuroglia nicht so dicht vorhanden ist, um ein Bild zu brauchen, leichter die
Wirkung des Narkotikums zu stände kommt, während die tieferen intrakor-
dikalen Ganglienschichten vermöge ihrer schon ererbten konstanten
Struktur und ihres spezifischen Baues weniger leicht zu durchdringen
sind, als die genannten oberen, entwickelungsgeschichtlich j üngeren
Zonen. Während nun die lungeren Zonen von der Narkose ergriffen sind,
befinden sich die älteren noch im Stadium der Beizung. Wird die Narkose
weiter fortgeführt, so werden endlich einmal auch die dichten Umpflanzungen
der Neuroglia der älteren Ganglienzellen nicht mehr standhalten können,
und es kommt zu einem direkten Angriff der Ganglienzellen, und zu einer
Lähmung derselben, welche den Tod des Organismus bedeutet.
Wenn wir uns den Menschen bis zum Engerwerden der Pupillen
narkotisiert denken, so ist in diesem Zustand die Neuroglia in voller Funk-
tion, noch ist Erwachen möglich, die Aussenwelts wir kung kann ruck-
weise die Neurogliahemmung überwinden, dann aber werden die obersten
Schichten der Rinde gelähmt, die Traumvorstellungen verschwinden. Jetzt
beginnt Anästhesie, sie ist praktisch selten zu verwerten, weil noch
Abwehrbewegungen aus den tiefsten motorischen Gangliensystemen
und zwar oft sehr heftige gemacht werden. Die Zentren der automatisch-
motorischen Coordination werden nunmehr getroffen, gereizt, und es
entsteht motorische Excidation. Die sensorielle hat schon früher be-
gonnen, und sie ist jetzt schon meist einer funktionellen Depression ge-
wichen. Nun kann unter dem Bilde von heftigen, zwecklosen, oft tetanischen
Gliederstellungen, asymetris chen Bewegungen der Bulbi, anti-
peristaltischen Bewegungen der Därme, die bis in die instinktiv en
Coordinationen hineinreichende Neurogliareizung, oder Neuroglia-
auflösung zum Ausdruck kommen. Dann folgt die Lähmung der moto-
. — 140 —
Tischen Zentren, Aufheben der Reflexe, das Stadium der Toleranz.
Nun ist die intrakordikale Neuroglia gelähmt, und man würde ein
sofortiges Erwachen erwarten müssen, wenn nicht die zelligen Bestand-
teile der Rinde schon früher gelähmt wären. Aehnlich dem hier eventuell
eintretenden Erwachen, ist das Aufflackern des Bewusstseins in der
Agone, denn hier kann bereits die Neuro glia gelähmt, aber noch hier
und da ein Teil der Zellen der Rinde in den obersten Schichten vmberührt,
und am Leben sein, folglich tritt Bewusstsein auf, bis die Lähmung auch diese
Zentren erfasst. Da aber bei der Narkose das Narkotikum diese Zellen schon
lähmt, ehe die Neuroglia gelähmt wird, so kann ein Aufflackern des Be-
wusstseinl in der Narkose nicht eintreten. Auf dem jetzigen Zustand
miiss die Narkose weiter geführt werden. Lässt man die Zufuhr des Nar-
kotikums aufhören, so geht die Narkose zurück, und endlich in tiefen Schlaf,
den postnarkotischen Schlaf über. Man soll den Patienten hier nicht
unnötig erwecken, nur, wenn der Nachschlaf die Neurogliastarre über Stunden
hinaus anhält, kann man versuchen, die antagonistischen Ganglienapparate zur
„Ueberkompensation der Hemmung anzuregen."
Würde man, anstatt das Narkotikum wegzulassen, dasselbe weiter-
geben, so erfolgt Reizting der sympathischen Fasern, üeber-
reizung des Sympathicus (sprungweises Erweitern der Pupillen),
und endlich Lähmung des Nervus Sympathicus mit sprungweiser Ver-
engerung ad maximiim der Pujjillen, und es Averden AfFektionen
des Herzens resp. Atemzentrvim s folgen, endlich Lähmung des
Zentrums der Herzaktion und der Tod.
§ 58 e. Wenn wir nun die Wirkung der Narkotika betrachten,
so steigt dieselbe stufenweise abwärts, sozusagen in die Tiefe des Ge-
hirns, an jeder Stelle der Einwirkung folgt auf Reizung Lähmung,
auf Excidation Depression.
„Zuerst wird die "Wirkung- klar," sagt Schleich, ,,von der Sphäre
logischer Empfindungen und Augenblicksvorstellungen zu den
Sinneswahrnehmungen und ihrer motorischen und unterbewussten Verknüpfung
derselben in die Sphären der motorischen Coordination in der Tiefe der Rinde
über die Grosshirnknollen, dann die Systeme coordinierter , glatter
Muskulatur, die Sitze der sympathischen Automatie, und endlich
geht sie über auf die Herde der Regulation der Atmung und des
Herzens". '
In Wahrheit greift das Narkotikum die Zentren alle gleich an, und die-
selben sind auch verschieden in der Empfindlichkeit gegenüber dem Narkoti-
kum. Die Zentren sind, nach Schleich, um so empfindlicher, je jünger ent-
wicklungsgeschichtlich genommen , der affizierte Bezirk ist. „Die phylogene-
tisch ältesten Bestandteile nervöser Differenzierung, das Zentrum des Herzens
und der Atmung, erweisen sich meist als die widerstandsfähigsten, und
erst von hohen Dosen, und zuletzt alterierten Strukturen und Gruppierungen
von Nervenelementen der frühesten En twick elungsperide. Jede da-
raus hervorgegangene, ihr organisch sich anschliessende Differenzierung folgender
Epochen, ist reizbarer als ihre Matrix, so werden aufwärts die einzelnen Gang-
lien- und Nervensysteme immer leichter und früher von der Schädlichkeit ge-
trofi'en, je näher ihre Bildungsepoche der gegenwärtigen Epoche der Entwick-
lung liegt."
Nach Schleich ist also die Wirkung des Chloroforms und
der meisten Narkotika auf die einzelnen Zentren des mensch-
lichen Gehirns in ihrem Verlauf in umgekehrtein Verhältnis stehend
zu der phylogenetischen Entwickelung- der Zentren.
So kommt Schleich auch durch diese Theorie dazu, dass er die
— 141 —
Narkotika als primäre Neiirogliagifte und ilirc Antagonisten
(die Zcllgifte) als primäre Ganglie ng-ifte darstellt.
Ferner erklärt er den Umstand, dass Morphin und Chloroforiri
bei manchen Menschen so ungeheuer giftig erscheinen, damit, dass bei
diesen Leuten die Neuroglia auf die gewöhnliche Giftdosis nicht
mit Reizung, sondern sofort mit Lähmung antwortet. Es ist dies
von grosser Wichtigkeit, ^xei\ dieser Mangel an Widerstandskraft der
Neuroglia sich bei genauester Beobachtung der Narkose schon sehr
bald nach den ersten Inhalationen oder anderen Gaben des Nar-
kotikums in dem gestörten Ablauf der Pupillen Verengerung, und
aus dem nicht eintretenden Schlaf erkennen lässt. Wenn bei einem
Mensehen die Pupillen gar keine Neigung zur Verengerung bei
Beginn der Chloroformnarkose zeigen, kann man annehmen, dass
die Neurogliamasse des Gehirns bei dem betreffenden Individuum nicht
gereizt, sondern sofort gelähmt wird. Wenn nun aber diese Nar-
kotika in einem solchen Fall schon auf die Neuroglia lähmend wirken,
so kann man annehmen, dass sie auch auf die tieferen lebenswich-
tigen Zentren schädigend, d. h. lähmend wirken, woraus dem
betreffenden Menschen Gefahren entstehen können. Daher ist es ein
grosser Vorteil, wenn man eine solche Idiosynkrasie zeitig erkennen
kann, ehe man zu viel von dem Narkotikum verabfolgt.
Somit haben wir die Theorien, welche Schleich aufgestellt hat,
in den Hauptpunkten dargetan, und dies mag genügen, um den Leser
ohne vorherige Kenntnis der Schi eich sehen Ansichten einen Einblick
zu gewähren und zum klaren Verständnis zu verhelfen. Es mag uns
erlaubt sein, in dem Folgenden einige Worte hinzuzufügen.
Wenn Schleich eine verschiedene Empfindlichkeit der Neu-
roglia in den verschiedenen Entwickeliingsepochen annimmt, so
ist es damit noch immer nicht erklärt, wie die Narkotika auf die Gang-
lie nzenzellen selbst wirken.
§ 59. Es ist, wenn unsere eigene Ansicht hier in kurzen Worten
angegeben Averden darf, nicht zu leugnen , dass jene durch Versuche
festbegründeten Tatsachen der Theorie Overton-Meyer auch mit dieser
Theorie in Einklang zu bringen sind. Nehmen Avir also an, das Nar-
kotikum gelangte wie bei einer gewöhnlichen Narkose durch die Lungen
in das Blut, und werde von demselben in das Zentralnervensystem
transportiert, so gelangt dasselbe, wie oben erläutert, endlich nach den
Ganglienzellen der Hirnrinde. In der Ganglienzelle ist der Gegen-
stand der Einwirkungen des Narkotikums das oben näher beschriebene
Lecithin-Cholesteringemisch, und dieses ei'leidet eine physi-
kalische Umwandlung. Nach der Schleichschen Theorie sind nun
neben den Ganglienzellen noch die Plasmazellen der Neurogha wichtig.
Diesen Plasmazellen schreibt er eine hemmende Eigenschaft zu,
Avährend dieselben jede funktionsfähige Ganglienzelle umgeben und direkt
mit einem Gefäss in Verbindung stehen. Es ist nun die Frage, wie
stehen diese Plasmazellen mit den Ganglienzellen hinsichtlich des Baues
ihres Protoplasmas, und haben dieselben mit den Ganglienzellen die
Le cit h in -Cholester in o-e mische o-emeinsam? Da nach den Beschrei-
— 142 -
bungen von Schleich und Andriezen diese Plasmazellen als aktiv
funktionierende Elemente zu betrachten sind, so müssen wir an-
nehmen, dass auch dem Protoplasma dieser Plasmazellen die
Lecithin-Cholesteringemische eigen sind. Wenn diese Plasma-
zellen nu.n die Ganglienzellen dicht umspinnen, so müssen wir an-
nehmen , dass das Narkotikum aus dem Blute dieselben erst passieren
muss.
Die Plasmazellen hängen nun tatsächlich direkt mit den perivas-
kulären Lymphräumen der Gefässe zusammen und werden selbst
von Lymphräumen umgeben, folglich muss das Narkotikum, welches
in einer bestimmten Konzentration im Blutplasma enthalten ist,
von der Lymphe dieser Lymphräume au.fgenommen Averden , es muss
sich zwischen beiden Flüssigkeiten Gleichgewicht in der Konzen-
tration des Narkotikums herstellen. Nunmehr haben wir eine
Lösung eines Nai'kotikums von bestimmter Konzentration, welches
die Plasmazellen umgiebt. Es fragt sich nun, wie verhält sich dieselbe
dem Narkotikum gegenüber. Nehmen wir, was tatsächlich der Fall
ist, wie leicht du.rch Experimente erwiesen werden kann, an, dass alle
indifferenten Narkotika in dieselbe eindringen können. Somit muss von
dem Zellsafte im ProtOjDlasma eine bestimmte Menge von Narkotikum
aiifgenommen werden, ehe dasselbe zu der eingeschlossenen Ganglien-
zelle gelangen kann. Es kommt nun auf die Zusammensetzung des
Protoplasmas der Plasmazellen an, wieviel Narkotikum dieselben
aufnehmen werden, ehe dasselbe in die Ganglienzelle gelangt. Nehmen
wir ferner an, dass das Narkotikum zvmächst die Plasmazelle reizt
und dann dieselbe lähmt, so haben Avir bei der Lähmung dieser Plas-
mazelle jenen Moment erreicht, in welchem die Menge des Narkoti-
kums in der Plasmazelle so gross ist, dass keine neuen Mengen aui-
genommen werden können, und es gelangt nunmehr das Narkotikum
auch in die Ganglien z eile. Jetzt kann die Plasmazelle passiert
werden, ohne dass das Protoplasma derselben etAvas vom Narkotikum
aufnehmen kann, und die Ganglienzelle nimmt Narkotikum aus der
interzellulären Lymphe auf. Wenn nun die Plasmazelle z. B. viel
Lecithin-Cho lesteringemisch enthält, oder ausser demselben noch
ähnliche ölartige Stoffe, welche die indifferenten Narkotika zu
lösen im Stande sind, so wird ein grosser Teil des Narkotikums,
jedenfalls entsprechend den Mengen der lösenden Stoße, aufgenommen
werden.
Nimmt man nun an, diese Plasmazellen seien zur Regulierung der
Funktionen der Ganglien da, so wird zunächst durch das Narkotiku.m
eine Reizung durch die ersten kleiiien im Blute kreisenden Mengen
entstehen, bald aber bei höherer Konzentration des Narkotikums im
Blutplasma folgt eine Lähmung der Zelle, die regulierende Tätigkeit
hört auf. Dies ist ja nun zweifellos sehr wahrscheinlich, und hat eine
sehr grosse Stütze in dem Verlauf der Narkose.
Wenn nun aber eine verschiedene Verteilung der Plasmazellen
vorhanden ist, wenn eine besonders starke Netzbildung und Umwuche-
rung durch diese Plasmazellen um die phylogenetisch älteren Be.
— 143 -
zirke im Z(^n tralnervensystcm sich findet, welche mau dann also
vor allem um die Zentren und Bahnen der lebenswichtigen Organe, wie
die Zentren der Herzaktion, Atmung etc., angeordnet findet, so wird
jener Umstand erklärt, dass das Narkotikum nicht alle Zentren auf
einmal in Narkose versetzen kann. Um das Zentrum der Herztätig-
keit z. B. finden wir ein dichteres Geflecht, als um die Zentren der
willkürlichen Muskeln etc. Während nun eine bestimmte Konzentration
des Narkotikums im Blutplasma entsteht, so wird das Narkotikum mit
dem Blute gleichmässig über das ganze Gehirn verteilt. Es gelangt
mit dem Blute genau dieselbe Flüssigkeit mit gleicher Konzentration
an diese beiden Zentren, und es wird das Zentrum der willkürlichen
Motilität gelähmt, während das Zentrum für die Herzaktion weiter
unbeeinflusst funktioniert. In dem ersteren Falle hat die Konzen-
tration ausgereicht, um den Zellen der Neuroglia soviel des Narko-
tikums zu liefei'n, dass die das Zentrum umschliessenden und regulieren-
den Plasmazellen von) Narkotikum gesättigt sind, und keinen
schützenden Widerstand dem Eindringen des Narkotikums in die
Ganglienzellen entgegensetzen, so dass dasselbe lähmend auf die
Ganglienzelle zu wirken vermag, während die Menge des Narkotikums
im zweiten Falle noch nicht ausreicht, um die Plasmazellen, welche
die Ganglienzellen des Herzzentrums umschliessen, zu sättigen, diese
sind noch tätig un gelähmt an sich, und verhindern ein direktes
Eindringen des Nai'kotikums in die Ganglienzellen. Erst wenn
die Konzentration des Narkotikums im Blutplasma noch höher steigt,
so wird auch hier eine Lähmung der Plasmazellen entstehen, und
ein Eindringen des Narkotikums in die Ganglienzellen des Herz-
zentrums ermöglicht, dem bald eine Lähmung auch dieser Gang-
lienzellen folgt. So sehen wir, wie diese Neurogliatätigkeit eine
Erklärung gibt für die verschiedene Wirkung des Narkotikums auf die
einzelnen Zentren. Dadurch, dass wir annehmen, dass auch in den
Plasmazellen die Lecithin-Cholesteringemische vorhanden sind,
wird es erklärlich, dass sie eine Fähigkeit, das Narkotikum zu lösen,
besitzen, ausserdem könnte es möglich sein, dass diese Plasma zellen
eine noch andere, aber ähnliche, Substanz enthalten, Avelche in den
Ganglienzellen nicht vorhanden ist, und somit den Plasmazellen die
Fähigkeit verleiht, noch grössere Mengen des Narkotikums zu
binden, und es kann dieser andere Körper in den phylogenetisch
älteren Plasmazellen in grösseren Mengen, als in den jüngeren
enthalten sein, wodurch sich noch auf eine zweite Art die längere
Eesistenz erklärt. Da aber die erstere Erklärung diu-ch die vermehrte
Neuroglia auf Untersuchungsresultaten beruht, so hat dieselbe
mehr Anrecht auf Geltung, und es genügt uns dieselbe auch voll-
kommen. Dass nun jedenfalls das Lösungsverhältnis des Narko-
tikums in den Zellen der Neuroglia eine gewichtige Bedeutung
haben muss, und auch hat, das ist augenscheinlich und offenbar, wenn
man die Tätigkeit der Neuroglia überhaupt als etwas mehr wie
Bindegewebsfunktion auflfasst.
Auf eine andere Art, als durch verschiedene Lösungsfähig-
- 144 -
keit, ist die Steuerung durch die Neuroglia nicht möglich, wenigstens
gegenüber den indifferenten Narkotika, weil diese in alle Zellen
einzudringen vermögen. AVenn dieselben nun in sämtliche anderen
Zellen eindringen, und man nähme an, dass sie die Neurogliazellen
nicht passieren könnten, so wäre dies eine zu unwahrscheinliche An-
nahme. Durch die verschiedene Anzahl der vorhandenen Plasma-
zellen wird die verschiedene Wirkung auf die Ganglienzellen erklärt.
Wenn wir annehmen, die eine Ganglienzelle sei von 5 zu einem
Geflecht vereinigten Plasmaz eilen umschlossen, und eine andere gleiche
Ganglienzelle von 15 Plasmazellen, während beide Zellgruppen in
einer Lösung von Narkotikum in Wasser von einer beliebigen kon-
stant bleibenden Konzentration sich befinden, so würde es doch
erklärlich sein, dass die Ganglienzelle I in einer kürzeren Zeit von
dem Narkotikum völlig durchdi-ungcn sein Avürde, und in ihrem Proto-
plasma die höchstmögliche Menge de« Narkotikums gelöst enthalten
könnte, wobei das Imbibitionswasser und der Zellsaft dieselbe
Konzentration des Narkotikums erreichen, als die Zelle II. Die-
selbe wird, wenn ihr protoplasmatischer Bau in Bezug auf Grösse und
Zusammensetzung dem der Zelle I gleich ist, sowie natürlich während
des ganzen Vorganges die gleiche Temperatur herrscht, in einer
dreimal längeren Zeit erst vom Narkotikum durchsetzt sein, wie
Zelle I. Wenn man so sich aus den beiden Theorien eine andere kon-
struiert, und beide somit zu vereinigen sucht, so lässt sich eine ebenso
wahrscheinliche Annahme aufstellen, wie Avahrscheinlich jede der beiden
einzelnen ist. Dass dieselben Aviderlegbar sind, ist uns bekannt, doch
so lange nicht durch Versuche und Beobachtungen mehr Licht in diese
Verhältnisse gebracht ist, muss man sich mit unseren Annahmen und
Folgerungen begnügen.
VII. Kapitel.
Die Technik der Narkose.
Wenn wir nun, nachdem wir uns einen Einblick in die Theorien
der Narkose geschaffen haben, auf die Technik derselben eingehen
wollen, so ist hier um so eher der Platz, als aus den theoretischen
Betrachtungen die Erscheinungen der Narkose und unsere Tätig-
keit in den verschiedenen Phasen der Narkose, seien sie physio-
logischer, seien sie pathologischer Natur, herzuleiten sind.
§ 60. Die Narkose Avird dadurch erreicht, dass man dem Orga-
nismus, Avir nehmen hier zunächst immer den menschlichen an, ein
Narkotikum so beibringt, dass dasselbe in die Blutbahn gelangt.
Es gibt in dieser Hinsicht mehrei-e Wege, um zu narkotisieren.
Der gebräuchlichste ist der, das Narkotikum als Dampf der
- 145 -
Luft beigemengt in die Lungen zu füliren. Der grüsste Teil aller
Narkosen wird auf diese W(?ise bewirkt, und es sind nur wenige Aus-
nahmen vorhanden, wo wir im praktischen Leben die totale Be-
täubung durch subkutane Injektion von gewissen Narkotika
erreichen. Dieser Methode begegnen wir bis jetzt hauptsächlich bei der
Morphin-Skopolaminnarkose Schneiderlin's. Diese stellt zur Zeit
die einzige Narkose mit subkutaner Einführung des Narkotikums
dar, wenn wir auch bei den kombinierten Narkosen die teilweise
subkutane Injektion öfters antreffen. Bei denselben ist jedoch stets
die Inhalation die hauptächlichste Methode der Einverleibung,
und man verwendet nur nebenbei eine subkutane Injektion. Bei
der letzteren Narkotisieru.ngsart ist es hauptsächlich das Morphin,
welches injiziert wird, andere Narkotika werden selten zu solcher
Methode verwendet.
Man hat noch die Einverleibung durch den Darm empfohlen, und
so hat man vor allem den Aether per rectum in den Organismus
gelangen lassen (Molliere, Iversen, Pirogow, Starcke). Wenn
auch diese Methode gewisse Vorzüge besitzt, eine allgemeine wird
sie nie werden können, denn die Dosierung zeigt entschieden grössere
Schwierigkeiten. Ein Vorteil der Methode soll nach Molliere in
dem Fehlen jeglicher Exzidation liegen. Es vvird allerdings diese
Art bei Operationen im Gesicht von Wert sein, und man sollte bei
derartigen Fällen derselben auch nähertreten.
Bei Tierversuchen sind die Narkotika vor allem reichlich,
leicht und schnell vom Peritoneum aus absorbiert worden. Von
praktischer Bedeutung kann eine derartige Beobachtung natürlich
nicht sein.
Bei der Inhalation der Narkotikumdampfluftgemische
haben wir aber nicht nur mit dem Narkotikum, welches von der
Maske aus verdunstet, zu rechnen, sondern wir müssen auch jene
Mengen des Narkotikumdampfes mit in Betracht ziehen, welche
durch die Exspirationsluft ausgeatmet werden. Dieselben kommen
bei den Masken wieder zu der Inspirationsluft hinzu, wenigstens
teilweise. Dass diese Mengen nicht unwichtig lür die Narkose sind,
sehen wir daraus, dass wir bei der Aethernarkose z. B. die Maske wäh-
rend der tiefen Narkose auf dem Gesicht liegen lassen und so den
Patienten veranlassen, die ausgeatmeten Aethermassen wieder
teilweise zu inspirieren. Dieses Verfahren erspart uns das Auf-
gi essen von Aether, denn die Narkose wird so eine lange Zeit unter-
halten, solange, als die Mengen der Aether ämpfe, welche die Exspi-
rationsluft liefert, in solchen Dosen in die Inspirationsluft
übergehen, welche hinreichen, um die Konzentration des Aethers
im Blutplasma auf der Höhe zu erhalten, dass tiefe Narkose be-
steht. Hier benützen wir tatsächlich die Ausatmung des Narkoti-
kums. In anderen Fällen können wir leicht durch Nichtbeachten
dieses Faktors eine Ueberd osierung resp. eine zu hohe Konzen-
tration des Narkotikums im Blutplasma erreichen, und nament-
lich bei solchen Narkotika, welche kumulierende Eigenschaften
10
- 146 -
besitzen, kann eine Lebensgefahr für den Kranken daraus ent-
stehen. Deshalb muss diese exspirierte Menge des Narkotikums
beachtet werden.
In jenen Fällen, wo die Exspirationsluft in die Umgebung des
Kranken abgeleitet wii'd , spielt obiges keine Rolle ; nur bei solchen
Narkosenapparaten, welche einen Abschluss mehr oder minder
dicht um die Respirationsöffnungen: Mund und Nase des
Kranken, bilden , muss der Narkotiseur mit diesem Umstände rechnen,
z. B. bei der Wausch ersehen Maske etc.
Es kommt aber bei der Inhalationsnarkose neben den direkten
Einflüssen des Narkotikums noch ein anderer Körper, die Kohlen-
säure, mehr oder weniger in Betracht. Die Kohlensäure an sich wirkt
ebenfalls betäubend auf die nervösen Zentralorgane. Wenn wir
z. B. bei den früheren Narkotsierungsmethoden die Gasverhält-
nisse in den Lungen bedenken, so finden wir, dass ein beträchtlicher
Sauerstoffmangel besteht, während ein Ueberschuss von Kohlen-
säure vorhanden ist. Dies kommt daher: Bei manchen Narkosen,
z.B. der Genfer Methode, der Wauscherschen Mask e etc., ist das
Prinzip das, dem Kranken neben dem Aether, (meist ist derselbe
dabei verwendet) oder anderem Narkotikum wenig Luft zuzuführen,
und dem Patienten die Exspirationsluft wieder inspirieren zu lassen.
Diese Exspirationsluft besteht zum grössten Teil aus Kohlensäure,
Wasserdampf, Narkotikumdampf, Stickstoff und ganz wenig
Sauerstoff. Je dichter die Maske auf dem Gesicht aufliegt, je länger
dieselbe, ohne abgenommen oder gelockert worden zu sein, liegt, um
so reicher wird die u.nter der Maske befindliche Luft an Kohlen-
säure, die eingeatmet Avird. Der Kranke steht also unter einem
Sauerstoffmangel, und folglich zeigt er das Bild eines cyanotischen,
apnoischen Menschen, oftmals sucht er sich Luft zu schaffen, und es
entstehen Delirien, die Symptome der Excidation. Bei allen diesen
Narkosen haben Avir es eigentlich mit einer Aether- Kohlensäure- oder
Chloroform-Kohlensäure-Narkose, also einer Mischnarkose zu
tun. Dass nun die Kohlensäur» kein sehr wenig harmloses Nar-
kotikum ist, werden wir später sehen, und dass diese Narkosen sehr
viel Gefahren mit sich brachten, hat man erkannt, da man von der
Methode abstand.
Es ist jedenfalls in vielen Fällen gar nicht das Narkotikum
an sich gewesen, das den Unglücksfall während der Narkose her-
vorrief, sondern die Kohlensäure, Avelche toxisch wirkte. Man
schrieb irrtümlicherweise die grössere narkotische Kraft, z. B. des Aethers
bei Luftabschluss, den konzentrierten Aetherdämpfen zu, weil
die Narkose eher eintrat, als bei Sauerstoffzutritt. Währenddessen
vvar es aber die Kohlensäure, welche hauptsächlich die schnellere
Narkose bewirkte, wenn auch nebenbei die konzentrierten Aetherdämpfe
etwas stärker wirkten, doch nicht so stark, wie tatsächlich nötig war
für die Betäubung. Man sah auch bei dieser Methode sehr bald, dass
man mit wenig Aether eine tiefere Narkose erreichen konnte, als
bei Luftzutritt.
— 147 -
Bei Luftzutritt entweicht Aether nach aussen, doch nicht so viel,
als die Differenz ausmacht zwischen den verbrauchten Mengen bei
beiden Narkosen, denn bei der Luftabschluss narkose muss weniger
Aether gebraucht werden, weil eben die Kohlensäure einen Teil des
Aethers vertritt. Die Gefahren für den Kranken resultierten bei der
Luftabschlussmethode teils aus den AVirkungen der Kohlensäure, teils
aber aus dem Mangel an Sauerstoff. Es ist aus diesen Betrach-
tungen ersichtlich, dass der Luftzutritt bei jeder Narkose soweit er-
möglicht werden muss , dass der Kranke den zur Atmung nötigen
Sauerstoff zugeführt erhält. Diesen Grundsatz verfolgt man neuei*-
dings bei allen Methoden, und man muss sich Avundern, dass doch
noch Anhänger jener Methoden, wie der Genfer und der Wau-
scherschen ohne Luftzutritt etc., zu linden sind.
Bei dem meist üblichen Verfahren in Deutschland, der Tropf-
methode, wird diese ausgeatmete Menge des Narkotikums mit in Be-
tracht kommen , weil wir nicht viel Luft seitlich von der Maske zu-
strömen lassen. Wenn die umgebende Luft dicht abgeschlossen ist,
so atmet der Kranke unter der Maske eine höher mit Narkotikum-
dampf konzentrierte Luft, als wir durch Darreichung erzielen,
und zwar um so viel höher, als der Kranke von Narkotikumdämpfen
exspiriert. Um übergrosser Zufuhr dadurch vorzubeugen, ist es gut,
wenn wir neben der Maske reichlich atmosphärische Luft hinzutreten
lassen. Bei den starkwirkenden Narkotika, wie Chloroform, ist dies
sehr wichtig, während Avir bei den milderen, wie Aether, oftmals die
Luftzufuhr etAvas beschränken dürfen, und so die Exspiration von Aether-
dämpfen mit zur Narkose benutzen. Jedenfalls müssen wir uns be-
Avusst sein, dass der Kranke bestimmte Mengen exs])iriert, und dass hier-
bei auch die Kohlensäure mitspricht, und wir müssen Avissen, wie
weit Avir dieselben in den jeweiligen Fällen benützen dürfen, ohne den
Kranken ernsten Gefahren auszusetzen. Jedenfalls sollten Avir
stets grosse Vorsicht bei VerAvendung derselben beobachten.
Die Art, wie wir das Narkotikum dem Organismus einverleiben, hat
auf die Narkose an sich wenig Einfluss, denn bei allen Bezieh-
ungen kommt es nur auf die Konzentration des Narkotikums im
Blutplasma an, Avie wir gesehen haben. Auf welche Weise man das
Narkotikum in das Blut bringt, ist erst in zav eiter Richtung Avichtig.
In der Tat besitzt auch die Methode der Einverleibung keinen beson-
ders grossen Einfluss auf den Verlauf der Narkose, denn es macht
nur wenig Zeitdifferenz aus, ob man inhalieren lässt, oder sub-
kutan einspritzt, oder durch den Darm resorbieren lässt. Hin-
gegen ist die Inhalationsmethode wohl deshalb die gebräuchlichste,
weil die meisten Narkotika, welche bis jetzt Verwendimg gefunden haben,
leicht verdampfb.ar sind, und somit am zweckmässigsten inha-
liert werden. Die anderen Methoden, vor allem die subkutane Ein-
verleibung, sind nicht so vorteilhaft, da man die Dosierung nicht
so leicht ändern und bestimmen kann nach der momentanen
Reaktion, und Aveil viele dieser Narkotika auf das Blut, wenn sie
in grossen Mengen direkt mit demselben in Berührung kommen,
10*
— 148 -
zerstörend, Erytlirocyten vernichtend, wirken. Der Vorzug der
Inlialationsmetliode ist also der, dass man den direkten momentanen
Reaktionen des Organismus auf kleine Mengen entsprechend die
Dosierung und Darreichung einrichten kann. So kann man in
jedem Moment die Narkose unterbrechen, während man hei an-
deren Einverleibungen derselben Narkotika natürlich mehr auf einmal
einführen müsste, und nicht sofort die Narkose unterbrechen könnte,
wenn irgend ein Unfall Veranlassung dazu bietet.
Es kommt nun bei der Inhalationsmethode nur darauf an,
dass man dem Organismus das Narkotikum in Dampfform mit Luft
gemischt in einer bestimmten Konzentration zuführt. Die Höhe
der Konzentration ist für jedes Narkotikum einzeln zu bestimmen.
Man hat ja gefunden, dass eine bestimmte Konzentration des Nar-
kotikums im Blute herrschen muss, damit die Narkose eine voll-
ständige wird, und dass diese Konzentration gleich bleiben muss,
wenn die Narkose gleich tief fortdauern soll. Wird die Konzen-
tration geringer im Blutplasma, so wird auch die Narkose zu-
rückgehen etc. Hieraus geht daher hervor, dass man die Konzen-
tration der Dämpfe immer so gestalten muss, dass die Konzentra-
tion im Blutplasma gleich bleiben muss. Daher ist es erforderlich,
dass bei Eintritt der Toleranz eine geringere Menge Narkotikum-
dampf mit Liift gemengt eingeatmet werden muss, gerade so viel
weniger, als von dem Blutplasma in bestimmter Zeit an den Körper
abgegeben wird. Durch dies Minus Avird die Konzentration im
Plasma geringer, und es muss das Minus ausgeglichen Averden, um
die Narkose zu unterhalten. Würde man dieselbe Konzentration
des Narkotikums in der Luft Aveiter geben, so Avürde das Blut zu
A'iel erhalten, die Konzentration im Plasma Avürde zu hoch
AA^erden, und dadurch könnte der Organismus in Gefahr kommen ev.
der Tod eintreten.
Daher ist es nun sehr Avichtig zu Avissen, Avie\'iel gibt denn das
Blutplasma Narkotikum in einer bestimmten Zeit ab, denn soA'iel
muss ihm ja AA'ieder zugeführt Averden. Diese Abgabe des Plasma
ist aber in jeder Phase der Narkose verschieden, richtet sich auch
nach den körperlichen Verschiedenheiten und Verhältnissen.
Man muss bedenken, dass das Narkotikum nicht nur von den Zellen
des Gehirns, sondern auch im ganzen Körper von vielen Zellen
aufgenommen und vorläufig gebunden wird, z. B. von jenen Zellen
Avelche viel Fette und Oele etc. enthalten, denn Fette, Oele und
ähnliche Stoffe lösen die indifferenten Narkotika sehr gut.
Wenn aber diese Fettzellen mit Narkotikum gesättigt sind, so nehmen
sie keins mehr auf, folglich ist die Aufnahme und die Abgabe des
Blutplasma in jedem Moment eine andere. Wir müssen also von
vornherein verzichten, dieses Defizit ermitteln zu können. Allein
Avenn wir auch nicht einen Zahlen wert dafür erhalten können, so
steht es ims doch zu, jeden Moment über die Konzentration des
Narkotikums im Blutplasma uns zu orientieren. Denn der
Körper zeigt genau an, Avie hoch sich die Konzentration beläuft,
- 14«) —
und die Werte sind: genügend , zu viel und zu wenig. Diese drei
Stufen genügen uns vollkommen. Der Messer dieser Werte wird
uns diu-ch die Pupille gegeben, und der Zeiger ist die verschiedene
Weite und die Reaktion der Pupillen auf Licht. Diese Verän-
derungen stellen Reflexe dar.
§ 61. Um aber auch immer die Werte verAverten zu können,
welche uns die Pupillenbeschaffenheit angibt, müssen wir Sorge
tragen, dass die Dosierung momentan eine sehr geringe ist. Es
darf auf einmal eine sehr geringe Menge, dafür aber öfter, der Luft
beigemischt werden. Dadurch erhalten wir annähernd die nötige
Konzentration des Narkotikums in der Atmungsluft. Die
Hauptmethode, wie wir diese Konzentration erreichen, ist die der
Tropfmethode. Es sind Apparate konstruiert worden, Avelche
immer die richtige Konzentration herstellen, doch diese Apparate
sind derart kompliziert, da zu viel Momente dabei bedacht und in
Rechnung gezogen werden müssen, wie Temperatur, atmosphäri-
scher Druck etc., dass dieselben Avohl zu Avissenschaftlichen
Untersuchungen, zu Narkosen an Tieren verAv endet Averden
können, nicht aber für die Praxis zu gebrauchen sind. Wenn man
aus einer massigen Höhe einen Tropfen des Narkotikums, und so
weiter jede Sekunde einen neuen, immer in bestimmten Zeiträurnen,
auf die Maske fallen lässt, so Avird unter der letzteren annähernd die
gCAvünschte Konzentration erreicht. Durch dieses Auf tropfen
ist es nun leicht, in jedem Augenblick die Konzentration zu ändern,
indem man schneller oder langsamer die Tropfen fallen lässt, ausser-
dem kann man durch Lüften der Maske ebenfalls auf die Konzentra-
tion eiuAvirken. Nun ist ja auch bis zum Eintritt der Toleranz eine
bestimmte Höhe der Konzentration nötig, und solange Avird man
entsprechend der Art des Narkotikums die Tropfen in einer bestimmten
Zeit fallen lassen, bis sie erreicht ist. Von dem Eintritt der Tole-
ranz an kann man die GescliAvindigkeit des Tropfens verlang-
samen und man Avird sich dabei genau nach dem Verhalten der Pu-
pillen richten. Diese Methode ist entschieden diejenige, welche dem
Ideal am nächsten kommt. Man hat die Konzentration des Nar-
kotikums unter den verschiedenen Masken während der Narkose
geprüft, und chemisch die Zusammensetzung des Luft-Narko-
tikumgemisches unter der Maske bestimmt, und es hat sich heraus-
gestellt, dass die Luft - Narkotikumdampfgemische unter der Maske
Avährend der Tropfmethode am meisten der für das bestimmte Nar-
kotikum feststehenden Höhe der Konzentration ähneln, und bei
peinlicher Dosierung und Handhabung fast gleich sind. Diese
Untersuchungen machen dem Wettstreit der verschiedenen Methoden
der Inhalationsnarkose ein Ende, indem man durch dieselben zum
Verwenden der Tropfenmethode gebracht Avird. Es spricht auch
noch die leichte Handhabung und Transportierbarkeit der
Apparate mit für die Tropfmethode und deren Apparat. Da
letzterer sehr einfach und klein ist, so lässt er sich leicht in der Tasche
mit über Land führen. Aus diesem und noch vielen Gründen ist die
- 150 -
Tropfmethode für den praktischen Arzt die beste. Man hat
daher auch in der Jetztzeit bei den meisten Inhalationsnarkotika
diese Metiiode als feststehend gewählt.
§ 62. Es gilt als Tatsache, dass die Reflexe die letzten un-
willkürlichen Tätigkeitseffekte der Ganglienzellen darstellen,
welche erlöschen ehe die lebensA^ächtigen Zentren getroffen werden.
Von den Reflexen sind nun einzig und allein die Lichtreflexe der
Pupillen zu gebrauchen, denn diese widerstehen der Wirkung des
Narkotikums am längsten bez. der totalen Lähmung. Dieselben werden
aber auch sofort bei den ersten Atemzügen von Narkotikum-
Luft beeinflusst, und in jeder Phase der Narkose bilden uns die
Pupillen die sichersten Leiter. Es ist ja nicht zu leugnen, dass
wir auch den Kornealreflex in manchen Fällen gebrauchen müssen,
wo z. B. die Augen krankhaft aftiziert sind, und eine Funktion der
Pupillen nicht mehr- vorhanden ist, z. B. bei Tabes dorsalis,
Paralyse. Aber auch in solchen Fällen fehlt meist der Korneal-
reflex. Ausserdem ist derselbe so verschieden in seinem Schwinden
und Vorhandensein beeinflusst durch individuelle und sonstige
Verhältnisse, dass er ein sicheres Mass nicht darstellt. Jene
wenigen Fälle, wo die Pupillar Verhältnisse nicht für uns verwert-
bar sind, stellen grosse Seltenheiten dar.
§ 63. Die Prüfung der Pupillen muss nun aber in jedem
Falle vor dem Einleiten einer Narkose erfolgen, denn es könnte ja
z.B. eine Tabes dorsalis bestehen, und die Reaktion fehlen. Hat
man sich nun überzeugt, dass im normalen Zustande die Reaktion
der Lic ht Verhältnisse normal vor sich geht, so hat man einen
sicheren Führer in derselben während der Narkose. Bei Beginn der
Inhalationen hat schon eine genaue Beobachtung zu erfolgen.
Man denke nicht, dass jetzt während des Anfangs noch keine
Gefahren eintreten können. Unsere Pflicht ist jetzt, zu erkennen, wie
sich der betreffende Organismus gegenüber dem Narkotikum ver-
hält. Schon die ersten Atemzüge führen eine genügende Menge
des Narkotikums in den Organismus, dass die Pupillen beeinflusst
werden können, und durch ihr Verhalten Gefahren oder eiiae Idio-
synkrasie anzudeuten vermögen. Wenn nämlich die Pupille sofort
nach den ersten Atemzügen auffallend starr wird, und eine beson-
dere Neigung zum Erweitern zeigt, so ist dies ein Symptom, dass
der betreffende Organismus eine Idiosynkrasie gegen das betreffende
Narkotikum besitzt, und es ist das beste Mittel, um plötzlich ein-
tretenden ernsten Gefahren wie Herzsynkope etc. vorzubeugen, das
Narkotikum mit einem anderen zu vertauschen. Es ist dieses Ver-
halten der Pupillen vor allem beim Chloroform beobachtet, und
doch sind dieselben Beziehungen, wie man sie bei Chloroforminhalationen
beobachtet hat, auch auf die anderen Narkotika zu beziehen. Es
ist dieses Symptom im Anfang der Narkose ungeheuer wichtig, und
findet doch noch in vielen Fällen eine zu geringe Beachtung.
Die Pupillen verändern sich im Laufe der Narkose mehrfach
ganz analog der Tiefe der Betäubung, und geben so ein sicheres
- 151 —
Zeichen, wie tief der Patient narkotisiert ist. Man hat bei der
Prüfung- der Pupillen vor allen Dingen zu beachten, ob die Pupille
normal weit ist, ob sie sehr eng, sehr weit ist. Ferner hat man zu
])rüfen, ob dieselbe auf Lichteinfall reagiert. Jedermann weiss, dass
das Licht die Pupille zur Kontraktion bringt, und dass im Dunkeln
die Pupille wieder aus der Kontraktionsstellung zurückkehrt in
die gewöhnliche mittelweite Stellung. Durch den Einfluss der Nar-
kotika wird die Pupille durch die Lähmung der Muskeltätig-
keit etc. verändert. Wenn wir nun die Pupillenverhältnisse prüfen
wollen, so haben wir also zu beachten, wie ist die Weite der Pupille,
und wie verhält sich zu gleicher Zeit die Reaktion auf das durch das
Oeffnen des Auges in dasselbe fallende Licht. Wir haben da
folgende Zustände:
I. Mitttelweite Pupille und vorhandenen Lichtreflex,
d. h. die Pupille wird beim Oeffnen des Auges etwas enger. Dies
ist der gewöhnliche Zustand des Auges.
IL Enge Pupille, welche nicht mehr auf Lichteinfall hin
enger wird. Dies ist der Zustand, wo Toleranz, d. h. tiefe Nar-
kose, bei der schon Anästhesie besteht, eingetreten ist.
III. Enge Pupille, welche beim Oeffnen des zweiten Auges
ein ganz wenig enger wird. Das ist der Zustand, auf welchem die
Narkose erhalten werden soll, denn der Kranke ist soweit narkotisiert,
dass er anästhetisch ist, aber nicht ganz so tief betäubt ist, wie
in Fall II, sondern er ist ein wenig näher dem Erwachen.
IV. Weite Pupille, welche nicht auf Lichteinfall reagiert.
Hier finden wir die Pupille viel mehr dilatiert, als im Normalzustand.
Es ist dies ein sehr gefährlicher Zustand, da die Betäubung so
tief ist, dass der Tod nahe ist. Man muss sofort die Zufuhr des
Narkotikums sistieren. Wenn nicht, so springt die Pupille plötzlich
in die maximale Verengerung über, und der Tod tritt ein.
V. Vollkommene, maximale Enge ohne Lichtreaktion. In
diesem Zustand ist die Pupille noch enger, als im Fall III. Dieser
Zustand tritt mit dem Tod ein, und nach demselben erweitert sich die
Pupille noch ein wenig.
Zu beachten ist noch, dass die Pupille durch irgend welche
Zustände oder Medikamente etc. beeinflusst wird, und dass in
solchen Fällen natürlich Abweichungen von der Norm eintreten
können, welche man kennen muss. So kommt es vor, dass bei Ope-
rationen an den Unterleibsorganen die Pupillen während der
ganzen Dauer der Operation reflektorisch weit erscheinen.
Ferner kommt es vor, namentlich im Beginne der Narkose,
dass eine vorübergehende Erweiterung der mittelweiten Pupille
eintritt. Dies ist nach Hankel eine Folge der Trigeminusreizung,
welche mit der Erregung reflektorisch auf den Sympathicus wirkt.
Dieselbe Erscheinung kann man durch Hautreize, wie Bürsten der
Haut etc. hervorrufen.
Die Reaktion der engen Pupille beim Oeffnen des anderen
Auges beruht nach Strassmann auf der Vermehr un«: des direkten
— 152 —
Reizes um den konsensuellen. Die Enge der Pupille kann im
höchsten Grade Stecknadelkopfgrösse betragen, während die grösste
Dilatation einen Durchmesser der Pupille von 2 mm hervorrufen
kann. Die sprungweise Erweiterung der engen reaktionslosen
Pupille, oder besser, der maximal engen Pupille, denn die maxi-
male Enge schliesst eine Reaktion auf Licht an sich aus^ bei stetem
Nark otikum verabreichen wird durch Reizung des Sympathicus
erklärt.
Das Prüfen des Pupillenreflexes geschieht so, dass man mit
dem Daumen das obere Augenlid hebt. Man achte darauf, dass
der Daumen nur die äussere Haut, nie die Konjunktiv a oder
Kornea berühre, denn die Finger des Narkotiseurs können nicht
so sauber sein, dass nicht Spuren des Narkotikums, welche im Auge
Aetz Wirkungen erzeugen können, an denselben haften, oder andere
Verunreinigungen an denselben sich befinden, welche im Auge
Krankheiten erzeugen, und dem Kranken Schaden zufügen können.
Aus diesem Grunde ist schon das Prüfen des Korne alreflex es zu
verwerfen.
Wenn Avährend der Narkose Erbrechen eintritt, so wird dieses
durch ein eigentümliches Verhalten der Pupillen angezeigt. Die-
selben befinden sich vor dem Erbrechen in schwankender Be-
wegung, bald eng, bald weit, vorübergehend rhythmisch ihren Zu-
stand ändernd. Dieses wechselnde Verhalten der Pupillen
nennt Strassmann Pupillentanzen. Dieses Pupillentanzen tritt
vor jedem Brechen in dem Stadium des Anfanges und des Er-
wachens auf, während des Brechens sind die Pupillen weit,
dilatiert.
Das Verhalten der Pupillen wird ferner durch die vorhergehende
Darreichung von Morphin beeinflusst, und zwar wird der Sphink-
terentonus verstärkt, die Pupillen werden bei grossen Morphium-
gaben im ganzen verengt. Wenn man dies weiss, so kann man die
Pupillen demgemäss beurteilen.
Durch die Darreichung von Atropin können die Pupillen
ebenfalls eine Aenderung erfahren, sie werden erweitert, und neigen
wenig zur Kontraktion. Hierdurch können Verwechslungen ent-
stehen, wenn man nicht weiss, ob und wieviel Atropin vor der Nar-
kose injiziert worden ist.
§ 64. Analog den Aenderungen der Pupillen, die man als
Mass für die Tiefe der Narkose ansehen kann, hat man mehrere
Stadien der Betäubung zu unterscheiden, von denen jedes einzelne
durch ein bestimmtes Verhalten der Pupillen gekennzeichnet ist.
Wir werden in dem Folgenden die 4 Stadien der Narkose betrachten,
und dabei das Verhalten der Pupillen in jedem einzelnen Stadium
erörtern.
§ 64a. Bei Beginn der Narkose müssen die Pupillen noch
je nach den Lichtverhältnissen eine mittlere Weite und eine
prompte Reaktion auf Lichteinfall aufweisen. Mit dem Weiter-
fortschr eiten der Narkose werden die Pupillen immer enger, und
— 153 —
verlieren die Fähigkeit zu reagieren, d. li. die Breite, in der sie auf
Lichteinfall sich zusammenziehen, und bei Verdunkelung Avieder
ausdehnen wird geringer. Jetzt haben wir noch das Stadium I
der Narkose, das Initialstadium vor uns. Der Patient verhält sich
in diesem Stadium meist noch ähnlich einem Menschen mit Bewusst-
sein, man kann mit ihm noch reden, denn das Bewusstsein ist ja noch
nicht erloschen. In diesem Anfangsstadium gut es bei vielen Nar-
kotika scharf beobachten und aufpassen, denn es ereignet sich in
manchen Fällen, dass jetzt bestimmte Symptome auftreten, welche auf
eine Idiosynkrasie der betreffenden Person hindeuten, und die Be-
achtung verdienen, da eine Fortsetzung der Narkose mit demselben
Narkotikum den sofortigen Tod des Kranken hervorrufen kann.
Diese Zeichen sind in der Reaktion der Pupillen gegeben, denn bei
vorhandener Idiosynkrasie werden die Pupillen un verhältnis-
mässig starr und reaktionslos auf Licht, und neigen zur Di-
latation.
Ferner muss man gerade im Anfangsstadium Puls, Atmung,
und die sonstigen Funktionen des Organismus genau beobachten, ivm
zu erfahren, wie der Kranke auf das Narkotikum reagiert.
Zugleich muss man vorsichtiger in der Verabreichung sein, als
eventuell später, da man eben erst die Verhältnisse prüfen und er-
forschen muss. Es können gerade im Beginn der Inhalationen
schwere Gefahren entstehen, entweder infolge von S hock, oder durch
Reflexwirkung von den Schleimhäuten in Nase und Rachen,
oder durch zu starke und tiefe Inspirationen, nachdem der Kranke
den Atem angehalten hat, wodurch eine Ueberschwemmung des
Blutes und Gehirns mit dem Narkotikum entsteht, die bei manchen
Narkotika verderblich werden kann. Es muss der Arzt jetzt genau
beobachten, um die Wirkungen des Narkotikums, und die Reaktion
des Organismus kennen zu lernen, und in den späteren Stadien
darf er nicht minder achtsam sein, denn er muss dann seine Beobach-
tungen verwerten, und darf nicht denken, dabs jetzt weniger genaue
Beachtung aller Erscheinungen nötig sei, denn in jeder Minute ändert
sich das Bild, und neue Verhältnisse können entstehen, neue Symp-
tome sich zeigen, die er verstehen und beachten muss.
§ 64b. Mit den weiteren Gaben des Narkotikums stellt sich
nach und nach eine Veränderung im Bewusstsein ein, die Ge-
danken fangen an wirr und kraus durcheinander zu scliiessen. Dabei
fühlt der Patient meist ein eigentümliches Ameisenlaufen, Krabbeln
und Prickeln über den ganzen Körper, und endlich dumpfe
Schwere in den Gliedern. Die Pupillen sind jetzt noch mittel-
weit, und reagieren der Dauer der Narkose, und der Menge des ver-
brauchten Narkotikums entsprechend träge.
Nunmehr gelangt der Patient in das IL Stadium, das der Ex-
zidation. Wenn man die Dosierung recht langsam steigernd und
mit Luft beigemengt eingerichtet hat, d. h. wenn nie eine grössere
Menge auf einmal verabfolgt wurde, so wird der Patient oftmals
ganz ruhig h inübersclilummern in die Toleranz. Allerdings ist es
— 154 —
bei den verschiedenen Narkotika verschieden, das eine erregt eine
grössere Unruhe, als das andere, doch es ist als nunmehr feststehend
erprobt worden, dass durch eine langsame Einl e i tun g der Narkose
die Exzidation bedeutend gemildert, ja in manchen Fällen ganz ver-
hindert werden kann (Witzel, Mikulicz etc.). Früher war man der
Ansicht, der Patient müsste mit dem Narkotikum schnell betäubt
werden, und so gab man auf einmal grosse Dosen bei Verhinderung
von Luftzutritt. Man bezeichnet dies jetzt als Erstickungsnar-
kosen, und wir finden den Hergang bei solchen Narkosen schon durch
diesen Namen erklärt.
Wie viele Gefahren durch diese Methoden heraufbeschworen
wurden, kann man garnicht so schnell übersehen, und ein genaues Er-
wägen zeigt deutlich, wie falsch die Methode war. Wir haben da-
her jetzt vollkommen die Narkotisierungsart in Güssen aufge-
geben, und lassen in den meisten Fällen die Tropf methode mass-
gebend sein.
Die Exzidation des Patienten zeigt sich als ein hoher Grad
von geistiger wie körperlicher Unruhe. Der Kranke schlägt um
sich, wehrt sich heftig, und ist in hochgradiger motori scher Unruhe
begriffen, nebenbei heftig schreiend, sprechend, singend, weinend,
zankend und scheltend etc. Es ist eine Verschiedenheit in der
Exzidation bei den verschiedenen Narkotika wahrnehmbar, die einen
rufen eine mehr heitere (manische) Erregung, die anderen eine
melancholisch traurige, andere eine mehr erotische, sexuelle
Erregung hervor.
Neben den direkten Einflüssen der Narkotika sind es die
Gesichtskreise der Psyche jedes einzelnen Menschen, Avelche sich
in der Excidation offenbaren, und man kann in vielen Fällen aus
dem Charakter der Excidation auf die Eigenschaften psychi-
scher Art, auf die Tätigkeit, die sozialen Verhältnisse, die
Charaktereigenschaften, auf die geistige Beschäftigung und die
Gedankensphäre des Patienten in normalen Zeiten, die vor der
Narkose lagen, schliessen. Oftmals erlangt man einen gar weiten Ein-
blick in die Tiefen des Geisteslebens des Kranken durch die Nar-
kose, oftmals plaudert auch der Kranke Sachen aus, die er lieber als
Geheimnis bewahrt hätte. Wir haben diesen Punkt an anderer Stelle
genauer erörtert.
§ 64c. Wenn sich nun in dem zweiten Stadium diese Zeichen
der Excidation offenbaren, so haben wir nur nötig, dem Kranken
die bestimmte Konzentration des Narkotikums in der Luft weiter
zu verabreichen. Wir sehen dann bald alle die Erregungszustände
sich verringern, und bald wird der Kranke ruhiger und fängt an
einzuschlafen. Während er bisher immer noch eine Ans]3annung
der Muskulatur, eine deutliche Funktion der Reflexe (Würgen,
Brechen, Husten) gezeigt hatte, macht sich nunmehr eine vollkom-
mene Parese der motorischen Muskeln und teilweise der Reflexe
bemerkbar. Die Augen refl exe sind erloschen bis auf den Pupillen -
reflex, welcher nunmehr ebenfalls immer mehr beeinflusst wird.
— 155 -
Wir haben nunmehr das dritte Stadium, das der Toleranz
vor uns. Der Patient liegt schlaff auf dem Tische, die Extremitäten
fallen vollständig- schlaff" herab, die Atmung ist tief, regelmässig,
schnarcliend, die Augen sind starr, die Pupillen sind ad maxi-
mum verengt, ohne Lichtreflexe zu zeigen. Es ist dies eine sehr
tiefe Narkose, die Anaesthesie ist eine vollkommene.
Nun fragt es sich , soll die Narkose auf diesem Punkt erhalten
bleiben? Viele Autoren wollen diesen Zustand immer erhalten,
sie geben so viel Narkotikum bis die maximale Verengerung der
Pupillen erreicht wird.
Würde man nunmehr noch weitere Mengen des Narkotikums
dem Kranken zuführen, so würden die Pupillen plötzlich maximal er-
weitert werden, sie springen quasi um, ohne aber auf Lichtein-
fall wieder zu reagieren. Li diesem Zustand ist die Narkose bedroh-
lich, die Gefahren sind höchst nahe, man muss auf jeden Fall das
Narkotisieren unterbrechen. Setzt man es dennoch fort, so werden
die Pupillen plötzlich sprungweise maximal eng, nachdem Herz-
und Lungentätigkeit gelähmt ist, und es ist der Tod eingetreten.
Der Zustand, auf welchem wir die Narkose erhalten sollen,
ist aber nicht derjenige, wie oben geschildert, wo die Pupillen ad
maximum verengt sind, sondern es ist eine Spanne Zeit früher.
Wenn wir nämlich die Narkose unterbrechen , so gehen mit dem Be-
ginn der Verringerung der Konzentration des Narkotikums im
Blutplasma die Pupillen ein wenig aus ihrer maximalen Ver-
engerung heraus, sie werden ein wenig weiter. In diesem Zustande
sehen wir, dass eine Pupille beim Oeff'nen des Auges auf Licht
nicht mehr reagiert, öfi^net man aber dns andere Auge und prüft
die Pupille, so sieht man, wie dieselbe auf Lichteinfall ganz ge-
ringe Reaktion zeigt, sich ein ganz wenig kontrahiert. Dieser
Moment, wo die Pupillen ein derartiges Verhalten zeigen, ist jener Zu-
stand der Narkose, in welchem sie stets erhalten werden sollte,
und es dauert bei weiterem Sistieren der Zufuhr des Narkotikums
nur eine kurze Zeit, bis die Narkose zum Erwachen führt. Giebt
man nun wieder eine gelinge Dosis mehr von dem Narkotikum, so ist
das nächste Stadium das der engsten reaktionslosen Pupillen.
Wenn man den Kranken immer in diesem Zustande zu erhalten sucht,
so ist derselbe den wenigsten Gefahren ausgesetzt. Hingegen ist
der Punkt der engsten reaktionslosen Pupille ein gefährlicheres
Stadium, da eine geringe Zufuhr von Narkotikum genügt, um die
Pupillen ad maximum zu dilatieren, und somit die Lähmung der
lebenswichtigen Zentren in bedrohliche Nähe zu rücken. Da verschie-
dene Narkotika, wie Chloroform, in ihrer Wirkung unberechenbar
sind, so neigen gerade diese Stadien zu den höchst gefahrvollen*
Momenten der Narkose für den Kranken, Herzsynkope ist sehr
nahe, und bei der geringsten Dosis zu viel, kann der Tod erfolgen, über
dessen unvermutetes Eintreten man event. sehr erstaunt sein kann. Da
nun durch jene eigentümliche Reaktion der Pupillen ein Stadium
der Narkose kurz vor dem des Erwachens angedeutet wird, in welchem
— 15(3 —
aber vollkommene Anaesthesie noch vorhanden ist, ohne eine so
grosse Wahrscheinlichkeit drohender Gefahren, so ist es für den
Narkotiseur sehr günstig, den Kranken immer in diesem Stadinm
der Narkose zu erhalten, freilich erfordert dasselbe auch viel Geschick
und Beobachtungskullst, da bei der geringsten Verzögerung der Zufuhr
des Narkotikums der Patient erwachen kann.
§ 64 d. Die Narkose kann nun durch Sistieren der Narko-
tikumzufuhr in das IV. Stadium übergeleitet werden, in das
Stadium des Erwachens. Die Dauer der Zeit, welche vergeht, bis
der Mensch zum Bewusstsein zurückgekehrt ist, richtet sich ganz
nach dem betreffenden Narkotikum und nach der Dauer der Nar-
kose, Quantität des Narkotikums und Disposition des Patienten etc.
Meist geht die Narkose in einen Schlaf über. Die Pupillen werden
wieder mittelweit, die Keaktion derselben auf Licht kehrt zurück,
wenn auch dieselbe noch während einiger Zeit etwas träge auf Licht-
einfall statt hat, ein Zeichen der noch vorhandenen Narkotikum-
wirkung im Organismus.
Man hat bei dem Erwachen darauf zu achten, dass man den
Kranken nicht plötzlich aufrichtet, während er im postnarkotischen
Schlafe sich befindet, denn man kann dadurch leicht Gehirnanämien
und Erbrechen hervorrufen. Jedenfalls ist es vorteilhafter, den
Patienten ruhig ausschlafen zu lassen.
Es ist nun aber noch nicht die Zeit, dass wir unsere Hände in
den Schoss legen, sondern die Behandlung und Beobachtungen
des Kranken müssen jetzt noch fortgesetzt werden. Wir müssen noch
die Herzaktion und Atemtätigkeit kontrollieren etc. Darüber
soll weiter unten gesprochen werden.
§ 65. Man hat bei den verschiedenen Narkotika durch Versuche
und exakte Untersuchungen festzustellen gesucht mittels Apparaten,
welche den Lungen genau dosierte Mengen des Narkotikums zuführen,
wie gross bei dem einzelnen Versu.chstiere die zur Erzielung einer tiefen
Narkose nötige Dosis des Narkotikums ist. Wenn man diese Dosis
überschreitet, so entstehen Gefahren für das Leben des Tieres. Man
hat also einen bestimmten Prozentgehalt der Luft mit Narkotikum-
dampf festzuhalten, unter dessen Höhe herabgegangen in der Inhala-
tion, das Tier aus der Betäubung erwacht, über dessen Höhe bis
zu einem gewissen Grade gegangen, der Tod des Tieres hervorgerufen
wird. Wir haben also eine bestimmte Dosis, welche Narkose erzeugt,
und eine solche, welche den Tod hervorruft. Den Unterschied zwischen
der narkotisierenden und der tötlichen Dosis bezeichnet Paul
Bert als Zone maniable, Kionka als Narkotisierungszone. Die
Narkotierungszone stellt also den Spielraum dar, innerhalb dessen
man den Prozentgehalt der Inspiratiois sluft an Narkotikum-
dampf schwanken lassen darf, um den Narkotisierten in einer tiefen
Betäubung mit vollkommener Anästhesie zu erhalten, ohne den-
selben jedoch der Gefahr quo ad vitam auszusetzen. Diese Narko-
tisierungszone ist nun bei den verschiedenen Narkotika verschieden,
sie schwankt mit der verschiedenen Grösse des Teilungskoeffizien-
— 157 -
teil der verscliiedeiien Narkotika zwischen Wasser und den Leci-
thin-Cholesteringemischen, und ist um so breiter, je geringer
die narkotisclie Kraft des Narkotikums oder die Grösse des
Teilung-sko effizienten ist. So haben wir bei Aether sulfuricus
eine breitere Nar kotisierungszone, als beim Chloroform, d.h.
wir können durch eine geringere Ueberschreitung der Höhe der nar-
kotisierenden Dosis den Tod bei der Chloroformnarkose hervor-
rufen, als beim Aether sulfur., bei welchem wir weit über die nar-
kotisierende Dosis hinausgehen können. Von der Grösse dieser
Narkotisier ungszone können wir urteilen auf die unmittelbare
Gefährlichkeit der Wirkung eines Narkotikums. Ebenso können
wir von der Breite der Narkotisierungszone eine Lehre ziehen
für unser Handeln, d. h. für die Dosierung des Narkotikums. Wir
müssen bei einer geringen Narkotisierungszone peinlicher do-
sieren, und sorgfältiger die Verabreichung einrichten, überwachen
und beobachten, als bei einer grösseren Narkotisierungszone. Dies
bezieht sich aber nur auf die unmittelbare Gefahr der Intoxikation
durch zu hohe Dosen des Narkotikums, nicht auf die Wirkungen im
allgemeinen. Es können nebenbei andere Wirkungen mit dem Narko-
tikum verbunden sein, welche, wenn auch die Narkotisierungzone eine
breite ist, doch eine ebenso genaue Dosierung erfordern, als im anderen
Falle. Man muss hieraus nur die Aufforderung entnehmen, dann be-
sonders auf die Dosierung zu achten, wenn die Zone gering ist.
Die narkotische Kraft des Narkotikums ist der Grösse der
Narkotisierungszone umgekehrt proportional. Ferner ist der
Verbrauch des Narkotikums der Narkotisierungszone direkt, der
narkotischen Kraft indirekt proportional.
Was nun das Verhältnis zwischen der Narkotisierungsdosis
und der letalen Dosis anlangt, so lässt sich folgendes sagen.
Wenn man einem Hund in 100 L. Luft 8 gr. Chloroform verabreicht,
so wird bald vollkommene Narkose eintreten, und bei permanenter
Inhalation dieses Luft-Chloroformdampfgemisches stirbt das Tier nach
4 Stunden. Wird das Gemisch wie 15 : 100 hergestellt, so wird das
Tier sofort narkotisiert, und stirbt schon nach 40 Minuten. Bei noch
höherer Konzentration stirbt das Tier nach wenigen Minuten. Wir
würden also hier die Narkotisierungsdosis 8, und die letale Dosis
ca. 15 haben, d. h. die Narkotisierungsdosis ist ungefähr halb
so gross als die letale Dosis oder besser, die letale ist doppelt so
gross als jene, da wir wohl eher die Narkotisierungsdosis erfahren
können. Bei Aether sind die Zahlen 20 zu 50. Folglich ist die Nar-
kotisierungszone für Chloroform 7 und für Aether 30. Es ist
durchweg als Regel zu beachten, dass die Narkotisierungsdosis
ungefähr die Hälfte der letalen Dosis darstellt. Man kann daher
bei jedem Narkotikum ungefähr die letale Dosis feststellen, wenn
man die Narkotisierungsdosis kennt. Es ist ferner noch jene Be-
ziehung interessant, nämlich je niedriger in der Zahlenreihe der
Wert für die Narkotisierungsdosis liegt, um so geringer ist die
Narkotisierungszone, z. B. 8 und 16, oder 20 und 50 etc., und die
- 158 —
Narkotisierungszone wird um so breiter, je höher der Wert für
die Narkotisierungsdosis in der Zahlenreihe gelegen ist, ebenso
wird dies Verhältnis der beiden Dosen mehr von 2 : 1 abweichend, je
höher die Narkotisierungsdosis in der Zahlenreihe liegt, z. B.
20 als Narkotisierungsdosis und 50 als letale Dosis. Folglich gilt das
für feststehend, je grösser die Zahl der Narkotisierungsdosis ist,
vim so weniger gefährlich wirkt das Narkotikum, und um so
weniger ängstlich braucht man wegen Erreichen der letalen Dosis
zu sein.
§ 66. Nachdem Avir nun diese Verhältnisse der Narkose behandelt
haben, ist es noch Avichtig, ein Bild einer momentanen Analgesie
zu erAvähnen, Avelches unter dem Namen als Aether rausch, oder die
Kauschmethode zuerst benutzt und bekannt wurde (Sudeck etc.). Es zeigte
sich nämlich, dass man schon im Beginn der Narkose eine kurze Zeit an-
haltende Analgesie erreicht, welche man zu kleinen Operationen
verwenden kann. Es müssen diese sogenannten kurzen Rauschnar-
kosen, Avelche man nicht nur bei der Aetherinhalation, sondern
bei allen Inhalationsnarkosen findet, durch schnelles tiefes Ein-
atmen sehr konzentrierter Narkotikumdampfluftgemische her-
vorgerufen werden. Sobald der betreffende Kranke nicht sehr tief in-
spiriert, was bei der hohen Konzentration der Gasgemenge seine
ScliAAäerigkeiten hat, und sobald man sehr erregte nervöse
Menschen vor sich hat, ist dieser Rauschzustand nicht, oder nur sehr
unvollkommen zu erreichen.
Man verwandte früher diese Methode ausschliesslich bei Aether-
inhalationen (Sudeck, Kronecker, Terveles etc.). Doch hat man
dieselbe ebenfalls bei Chloroform (Riedel) empfohlen. Es besteht
ja bei allen Narkotika, den einen mehr oder weniger, die Eigen-
schaft, im Beginn der Wirkung eine kurze Zeit dauernde Analgesie
zu erzeugen. Während dieses Zustandes empfindet der Kranke
ganz deutlich, dass an der betreffenden Stelle des Körpers etwas,
getan Avird, er kann auch die einzelnen Phasen der kleinen Opera-
tion genau feststellen, nur die Schmerzempfindung fehlt. So er-
zählt Riedel, dass er bei Versuchen an Kollegen von diesen ein
Zeichen erhielt, wann die Analgesie eintrat, und er operieren sollte,,
Avobei die betreffenden Avohl die Manipulationen des Operateurs genau
verfolgten, und als dumpfes Betasten empfanden, doch ohne Schmer-
zen zu erleiden. Der Laie vermag natürlich nicht den Zeitpunkt
des Eintrittes der Analgesie festzustellen, man muss sich da selbst klar
sein, wann dieselbe eintritt. Es ist meist der Anfang da, Avenn die
Kranken die kleinste Unordnung im Zählen verraten, Avenn sie
eine uncoordinierte Bewegung der Extremitäten machen und
dergleichen. Diesen Zeitpunkt muss man sofort ausnutzen, und die
Operation beginnen.
Die Methode besteht darin, dass man die Kranken zunächst zählen
lässt, Avährend man ihnen das Narkotikum zuführt und zwar ver-
fährt man bei Aether mit grossen Dosen auf einmal, während man
bei Chloroform dasselbe tropfenweise auffallen lässt. Die Rausch-
- 159 -
analgesie tritt in letzterem Falle meist nach 80 bis 100 Tropfen
Chloroform auf. Die grosse Gefährhchkeit des Chloroforms na-
mentlich gegenüber dem Herzen verbietet ein Verabreichen in
grossen Dosen. Wenn wir andere Narkotika in Betracht ziehen,
so sehen wir dieselbe Rauschnarkose ausgenutzt bis zu einem gewissen
Grade bei der Bromaethylnarkose und den ähnlichen kurzen Narkosen,
bei denen oftmals das Bewusstsein nicht schwindet. Wenn auch bei
diesen kurzen Narkosen eine volle Betäubung während weniger
]\[i nuten auftritt, so wären dieselben zur Rausch analgesie ebenso-
gut zu verwenden, da dieselben ebenso bei tropfen weiser Dar-
reichung nach 30 — 40 Tropfen wirken, wie Aether und Chloroform.
Die Bromaethylnarkose ist eigentlich nur eine tiefere Rauschnarkose,
wenigstens in vielen Fällen, oftmals fehlt bei ihr ebenso die Bewusst-
seinsstörung und es besteht nur Analgesie. Darüber ist im speziellen
Teil mehr zu finden.
Jedenfalls ist diese Analgesie sehr gut in der kleinen Chi-
rurgie zu verwenden, . zu Operationen an Organen, wo wenig sen-
sible Nerven vorhanden sind, oder bei Erkrankungen wo eventuell
nur ein Hautschnitt zu machen ist. So ist diese Methode sehr vor-
teilhaft zu verwenden bei Zahnextraktionen, bei Abscessspal-
tungen, bei Reposition von Brüchen kleinerer Knochen, wie
bei Behandlung der Radiusfractur (Riedel), und beim Einrichten
von Malleolarfrakturen etc. Ferner gibt Riedel den Rat, diese
Rauschanalgesie bei Verbandwechsel zu verwenden, wo man aus
Wunden Tampons entfernt, da dieses Herausnehmen von Vor-
bandgaze meist ungeheuer schmerzhaft ist. Zu derartigen chirur-
gischen Eingriffen ist diese Methode sehr gut zu verwenden und
kaum zu ersetzen. Es ist aber entschieden zu weit gegangen, wenn
man dieselbe zu grösseren Operationen verAvenden will, wie man
es angeblich mit gutem Erfolg versucht hat. Man muss immer be-
denken, dass dieser Zustand nur ein kurz dauernder und vorüber-
gehender ist, und man muss sich vorher genau klar sein über die
Dauer des chirurgischen Eingriffes. Wenn die Operation nicht
ganz schnell beendet sein kann , so werden dem Kranken starke
Schmerzen verursacht, und die Wirkung der ganzen Methode ist
eine illusorische, wenn der Kranke am Ende noch, wenn auch nur
ganz kurze Zeit, heftige Schmerzen erleidet. Korrekt angewandt
und ausgeführt in Harmonie mit der Operation muss der Patient
völlig von Schmerzen verschont geblieben sein, und der Operateur
muss fertig sein mit seiner Arbeit bei der Wiederkehr der Schmerz-
empfindlichkeit.
Es ist nun allerdings diese Methode sehr leicht in eine Nar-
kose überzuleiten. Die Analgesie tritt am Ende des I. Stadiums
vor dem Beginn des II. Stadiums, des der Excidation, ein. Be-
darf man nun aus unvorhergesehenen Gründen einer vollständigen
Narkose, so ist es ein leichtes, diese zu erhalten, man braucht nur
die Inhalation fortsetzen zu lassen.
So ist man selbst soweit gegangen, diese Methode als Einleitung
— 160 —
zu jeder Narkose zu verwenden, allein es stehen dieser Methode
grosse Bedenken entgegen. Vor allem ist jede schnelle Betäu-
bung bei vielen Narkotika sehr gefährlich, und es bleibt bei der
Rauschniethode , wenn sie weiter fortgesetzt wird, meist eine
stai'ke Excidation nicht aus. Diese Excidation lässt sich hingegen
bei langsamer Narkose vermeiden. Ferner muss man bei vielen
Narkotika auf etAva vorhandene Idiosynkrasie achten, und dies kann
leicht vernachlässigt werden bei solcher Narkose. Es ist auch
im allgemeinen der Rat zu geben, die Rauschmethode nicht zu
überschätzen und vor allem dieselbe auf den Aether zu beschränken,
da die meisten anderen Narkotika bei einer Verabreichung in solch
hohen Dosen, wie sie zur Rauschnarkose nötig sind, viele ernste
Gefahren für den Kranken quoad vitam mit sich bringen können.
Diese Methode hat allerdings für den praktischen Arzt einen
ganz ungeahnten Wert, und es ist nur leider zu wenig Kenntnis von
der Rauschnarkose in die Aerztewelt gedrungen. Der Arzt kann
bei dieser Methode einen Assistenten entbehren, oder kann die Hand-
habung einem Laien überlassen. Andernteils verursacht die Methode
dem Kranken keine Beschwerden nachträglich, daher ist dieselbe
in der Sprechstunde gut zu verwenden, ebenso bei Entbindungen,
wo vielleicht nur kurze Zeit arge Schmerzen verursacht werden (Zange,
Extraktion etc.). So bietet die Rauschnarkose einen weiteren
grossen Nutzen in der Geburtshilfe. Auch hier kann der Arzt,
wenn nur eine kleine Operation von kurzer Dauer vorliegt, die
Analgesie verwenden, ohne einen Kollegen wegen der Narkose zu
benötigen, so z. B. bei einer leichten Zangen entbindung, wo die
meisten Schmerzen ja während des Durchtrittes des Kopfes durch
den Introitus vaginae bestehen, oder bei ähnlichen Operationen.
Während der Entbindung, wo die Frau an sich wenig widerstands-
fähig gegen die Wirkung der Narkotika ist, genügen nur wenige
Tropfen um den geeigneten Zustand zu erzeugen.
Wir haben jedenfalls in dieser Methode ein Hilfsmittel, das
grosse Bedeutung für den Arzt und Kranken besitzt, und verdient
mit Recht eine allgemeinere Verwendung zu erlangen.
§ 67. Wenn wir während der Narkose noch weiter eine genaue
Beobachtung des Kranken durchführen, so ist es vor allen Dingen
die Herztätigkeit und AtembeAvegung, welche vmser Haupt-
augenmerk beanspruchen muss. Die Verhältnisse der Herzaktion
und der Atmung werden bei jeder einzelnen Narkose in so detail-
lierter Weise beschrieben werden müssen, dass es hier nicht eines
genaueren Eingehens auf diese Verhältnisse bedarf, zumal die Einflüsse
des Narkotikums an sich bei jeder Narkosenart andere sind. Die
Eigentümlichkeiten in dem Verhalten der Wirkungen der Narkotika zu
diesen beiden Hauptfunktionen des Organismus werden bei der
Abhandlung der einzelnen Narkotika im speziellen Teile dieses
Buches genau erwähnt.
Wir haben hier nur zu betonen, dass eine genaue Prüfung
dieser beiden Organfu.nktionen während einer Narkose in jedem
- 161 —
Moment geschehen muss. Der Narkotiseur muss nicht nur eine Hand
am Pulse des Kranken halten, sondern er muss vor allen Dingen
bei der Sache sein, und muss ganz in seiner Tätigkeit aufgehen,
so dass er nicht nur nach dem Pulsfühlen urteilt, sondern auch mit
den Augen seinen Narkotisierten im ganzen betrachtet und jede
Stelle des Körpers besichtigt, so dass ihm nicht die geringste
Veränderung entgehen kann. Zu diesem Zwecke muss aber auch
der Patient dem Narkotiseur an allen jenen Körp erstellen zugänglich
sein, wo Veränderungen von Wichtigkeit durch die Narkotikumwirkung
entstehen können, die Brust muss vor allem frei und offen sein, das
Gesicht wenn möglich nicht bedeckt, das Abdomen ebenfalls sichtbar.
Liegen dem Narkotiseur alle diese Regionen des Körpers frei da, so
kann er keinen Grund zur Entschuldigung anführen, wenn dem
Kranken ein Unglück in der Narkose zustösst, ohne dass es von ihm
vorher bemerkt wurde. Es handelt sich hier hauptsächlich um folgende
Ereignisse, die während der Narkose eintreten können.
§ 67a. Zunächst betrachten wir die Herzschwäche. Es ist
nur zu. leicht der Fall, dass eine solche eintritt. Es giebt während
der Narkose im allgemeinen leichte und schwere Herzs chwächen.
Die leichten stellen die aus diversen Gründen entstehenden Collapse
dar, welche oftmals nicht in direktem Zusammenhange mit der Narkose
stehend schnell ohne schwere Folgen vorübergehen. Wir haben
schon an anderer Stelle die Ursachen kennen gelernt, Shock,
Neurasthenie und Hysterie, grosse psychische Alterationen,
beginnende Herzkrankheiten, Anämie etc. Der Symptomen-
komplex ist folgender. Der bisher immer völlig normale Mensch
bekommt plötzlich blasses Gesicht, blasse Lippen, schwache
Herzaktion, unregelmässigen, sehr kleinen Puls etc., Zeichen,
Avie sie bei jeder Ohnmacht vorkommen. Wir müssen diesen Zu-
stand sofort erkennen und im Augenblick des Eintretens auch
schon orientiert sein, was die Ursache dazu ist. Nur dann können
"\\ir sachgemäss handeln, denn es gilt bei allen diesen Accidenten
zuerst die Narkose wegzuschaffen, dann erst können wir zu anderen
Mitteln des Bekämpfens schreiten, denn besteht die Ursache fort, so
nützen all unsere etwa eingeleiteten Manipulationen nichts. Die
Ursachen zu solchen vorübergehenden Collapse n sind aber meist
geringfügiger Art, denn die Collapse gehen eben schnell wieder
vorüber. Selbst auch dann, wenn sie so schnell vorübergehend auf-
treten, dass viele Narkotiseure, wie es oft vorgekommen ist, dieselben
garnicht bemerkt haben, und sie sich nur in schnell wieder schwindender
Blässe des Gesichtes dartun, muss man ihnen Beachtung schenken
und den Grund zu ermitteln suchen, jedenfalls muss man sie stets
bemerken und nie übersehen, denn oftmals deuten dieselben auf Idio-
synkrasien der Person gegen das Narkotikum, oder auf nicht
bemerkbare Herzerkrankungen im Beginn etc. hin. So können sie
doch oftmals den Anlass geben, ein anderes Narkotikum zu wählen.
Die schweren und gefährlichen Herzschwächen bilden leider
den weitaus grösseren Teil von allen, während die eben geschilderten
11
- 162 —
in geringerer Zahl auftreten. Somit sagt uns auch schon dieser Um-
stand, dass wir vor allem dem Auftreten gleich im Beginn Beachtung
schenken und den Collaps sofort diagnostizieren müssen. Diese Collapse
zeigen ganz dasselbe Bild im Beginn wie die vorhererwähnten, der
Puls l)eginnt zuerst etwas schwach und unregelmässig zu werden.
Daran ist in allen Fällen eine nahende Herzschwäche zu erkennen.
Xunmehr treten sehr bald schwerere Symj)tome ein, Blässe der
Schleimhäute, weite reaktionslose Pupille. Die Blutung bei der
Operation lässt nach, man merkt dies schon sehr zeitig. Nach und
nach wird der Ptils immer schwächer, bis er nicht mehr zu fühlen
ist. Wenn man nun auch den Stillstand des Herzens erkennt, so
sind meist nur noch wenige Atemzüge dem Patienten vergönnt,
wenn nicht schnell Hilfe kommt.
Diese ist nun tatsächlich in manchen Fällen ohne Erfolg, selbst,
wenn man bei dem ersten Zeichen die Schwere des Collapses erkennend,
ihm entgegenarbeitet. Der Grund zu diesen Collapsen liegt in
zu hohen Dosen der Narkotika, in Herzerkrankungen und
Schwächezuständen, die vorher schon bestanden, sei es bei ma-
lignen Neubildungen, sei es bei Blutungen etc., sowie in der
Anstrengung durch die Operation, und heftigem Blutverlust
wä,hrend der Narkose. Auch hier haben wir natürlich zu versuchen,
die Ursache zu beseitigen, und das ist leicht getan in jenen Fällen,
wo das Narkotikum die Schuld trägt. In den anderen Fällen müssen
wir entsprechend den Ursachen handeln. Daher können wir nicht ein
definitiv begrenztes Bild des Handelns bei Herzcollapsen aufstellen,
da in jedem Falle nach den obwaltenden Verhältnissen und den
individuellen Dispositionen die Massnahmen eingerichtet werden
müssen. Nichtsdestoweniger wollen wir hier die Hauptmass nahmen
anführen.
§ 67 b. Das erste Gebot heisst hier, mag die Ursache in irgend
welcher Veränderung bestehen stets die Narkose unterbrechen,
die Verabreichung des Narkotikums sistieren. Doch damit ist
noch nicht alles getan, sondern der Narkotiseur muss nun schon die
Ursache erkannt haben. Nehmen wir z. B. an, die Herzschwäche
ist schon beim ersten Andeuten durch Veränderung des Pulses bemerkt,
es kommt ja vor allem darauf an, bei dem ersten Zeichen keine
neuen Dosen von Narkotikum zu verabreichen, und nehmen wir
ferner an, die Ursache sei in Anaemie, durch eine maligne Neu-
bildung, vorherige Blutungen, sowie starken Blutverlust bei
der Operation bedingt, nebenbei sei noch eine durch die maligne
Neubildung hervorgerufene Herabsetzung der Kräfte mittleren Grades
vorhanden, so haben wir es mit mehreren Ursachen zu tun.
Nachdem die Verabreichung des Narkotikums unterbrochen
ist, müssen wir zunächst suchen, die Herzkraft zu erhöhen, und
verhüten, dass das Herz aufhört zu schlagen. Da haben wir nun
mit Ruhe und Uebe riegung vorgehend unserem Assistenten die
künstliche Atmung anzubefehlen. Während dieselbe vorgenommen
wird in der richtigen Weise, wie später dargetan werden soll, haben
- 163 -
Avir bereits die beiliegenden nötigen Instrumente ergriffen, und
machen an den beiden Oberschenkeln und auf der Brust eine sub-
kutane Kochsalzinfusion.
Durch die künstliche Atmung wird bewirkt, dass die Oxy-
dation des Blutes weiter vor sich geht, und die Herzaktion infolge-
dessen nicht ganz aufhört, denn wenn dieses eingetreten wäre, würde
uns auch die Infusion nichts nützen, da ja die Kochsalzlösung
nicht resorbiert werden und in die Blutbahn gelangen kann.
Wir sehen, dass durch die Infusion die Herztätigkeit schon nach
kurzer Zeit etAvas steigt. Dies ist ein gutes Zeichen, doch wir haben
noch nicht gesiegt.
Würden wir nun den Herzschlag überhaupt nicht mehr gefühlt
haben, so würden wir versuchen müssen, dem Herzen doch noch neben
der künstlichen Atmung wieder Kraft zu geben, indem wir die
Infusion nicht subkutan, sondern in eine grosse Vene direkt,
z. B. die Vene mediana des linken Armes machen. Es kommt
vor allen Dingen bei diesen Manipulationen in Betracht, dass man
sich über Ursache der Syncope klar ist. Denn in unserem Falle,
wo das Herz durch vorherige Schwächezustände sehr matt und
schwach ist, und wo nun die noch hinzugekommenen Anstrengungen,
(Narkose, Blutung, Operation) genügt haben, um dies Erliegen
herbeizuführen, würde es ein grosser Fehler sein, wollte man z. B.
mit Massage gegen das Herz vorgehen. Die Massage ist zweifellos
ein sehr gutes Unterstützvmgsmittel der Herztätigkeit, allein
nur in solchen Fällen wo ein sonst gesundes Herz vorliegt, und die
Herzschwäche durch eine Lähmung der Centren infolge zu grosser
Dosen des Narkotikums, öder infolge spezifischer Wirkung der-
selben hervorgerufen worden ist. Wir haben es in unserem Falle hin-
gegen mit einem sehr scliAvachen, matten, überanstrengten in
der Ernährung her ab gekommenen Organ zu tun, und somit Aväre
es ein grosser Fehler, dem Herzen eine neue Arbeit zu zumuten.
Durch Massage würde dasselbe noch mehr geschwächt. Die Herz-
massage ist nur dann anwendbar, und das ist sehr wichtig, dass nicht
durch falsche Handlung eher die Schwäche gefördert wird, an-
statt aufgehoben und beseitigt zu werden, wenn der Reiz, welcher
das Herz zum Schlagen veranlasst, und der von dem Zentrum
der Herzaktion ausgeht, fehlt, infolge Lähmung des Zentrums
durch vielleicht zu hohe Dosen oder spezifische toxische Wirkung des
Narkotikums bei entsprechender Disposition des Organismus. Dann
muss man versuchen, durch Kraft einwirkung von aussen, den Reiz
zu ersetzen, man mu.ss versuchen, das Herz zu erregen, ja zur Kon-
traktion zu bringen. Allein in unserem obigen Falle ist der Reiz
zur Kontraktion vorhanden, nur fehlt die Kraft, diesem Reiz zu
entsprechen. In jenen Fällen, wo, wie bei Chloroform eine kumu-
lierende Wirkung der Mengen im Blute zu bemerken ist, und sei
es durch übergrosse Dosen, oder die spezifische toxische Wirkung eine
Parese des Herzzentrums stattgefunden hat, ist Herzmassage
am Platze.
11*
— 164 —
Weiterhin kann man die Herzschwäche auch noch durch
Medikamente zu heben suchen, indem man subcutan Kamp her
oder Aether einspritzt. Alle die subcutanen Injektionen können
natürlich nur dann wirken, wenn noch eine Spur von HerzbeAvegung
bestellt, sonst wird ja eine Aufnahme der durch die subcutane In-
jektion einverleibten Medikamente in das Blut nicht erfolgen
können, und dieselben gelangen nicht zum Herzen. Deshalb soll man
diese Injektionen auch nicht an einer Stelle des Körpers vornehmen,
welche sehr weit vom Herzen entfernt ist, sondern in der Nähe, damit
eventuell die Bahn im Blutwege nicht so gross ist, dass die Herzkraft
das Blut nicht mehr hindurch zu treiben vermag.
Man hat neuerdings in dem Nebennierenextrakte resp. dem Supra-
renin und Adrenalin Mittel, die, in Fällen höchster Gefahr in das
Myocard selbst durch die Thoraxwand injiciert, (Reichert) das Herz
wieder zum Schlagen anregen, gefunden. Wir haben selbst Versuche
mit Suprarenin und Adrenalin in Lösungen 1:10 000 und 1 : 5 000
angestellt, und sahen nach Injektion von 1 cbcm in die Wand des linken
Ventrikels die Herzkraft wiederkehren, nachdem alle andren Mittel ver-
sagt hatten, und die Versuchstiere erholten sich wieder und lebten weiter.
Diese Injektionen können als völlig gefahrlos als ultimum refugium
empfohlen werden. Ueber die Technik siehe später.
Ferner muss beim Aether in Betracht gezogen werden, dass
derselbe bei Ae thernarkosen nicht als herzerregendes Mittel
wirkt, sondern im Sinne der Narkose an sich, also lähmend. Da-
her muss man bei einer Aethernarkose Kampher injizieren.
Ausser diesen Mitteln hat man auch noch den Sauerstoff zur Ver-
fügung, den man teils durch die Lu.ngen, teils durch das Blut dem
Organismus einzuverleiben versucht.
Wenn wir also unsere Handlungsweise bei Herzschwäche zu-
ständen kurz zusammenfassen, so haben wir bei allen, zunächst
Unterbrechen der Verabreichung des Narkotikums und dann
erst in jedem Falle Einleiten von künstlicher Atmung, nach
dieser erst die andern Hilfeleistungen zu bewerkstelligen. Unter jeder
Bedingung muss die künstliche Atmung vorgenommen werden, und
man darf in diesem Falle nicht die Zeit, in der sie noch hilft, die
Anfangszeit der Schwächezustände vorübergehen lassen vielleicht
mit Inszenierung der Infusion etc. Es ist unter allen Umständen,
in allen diesen analogen Fällen, wo die Herzschwäche durch Ver-
änderungen im Organismus hervorgebracht wird, die Pflicht des
Arztes, künstliche Respiration vorzunehmen, und alles andere zu
unterlassen, und nur diese solange auszuführen, bis ein Erfolg oder
Misserfolg deutlich ist. Andere Hilfsmittel kommen erst in Be-
tracht und Verwendung, wenn genügend Personal zur Verfügung steht,
sodass durch diese Manipulationen die künstliche Respiration nicht
beeinträchtigt wird. Fehlen geeignete Hilfskräfte, so lassen wir alles
andere Aveg, und machen selbst künstliche Atmung. Dieselbe muss
auch kunstgerecht ausgeführt werden, und man sollte diejenigen
Laien, welche man ev. zur Hilfe bei der Narkose verwenden will
— 165 -
vorher genau über die Methode der künstlichen Respiration
unterrichten, damit man es ihnen nicht erst im Falle der Gefahr bei-
bringen muss, Avobei sie meist den Kopf verlieren. Erst in zweiter
Linie kommen Infusionen und Kampfer- Aether-Injektion, Sauer-
stoffin ha lationen etc. in Betracht, dabei möchte ich nicht die In-
fusion vernachlässigt Avissen, wenn auch die künstliche Atmung
mehr wert i.st, weil sie erst die Wirkung der Infusion möglich
macht. Es ist sogar oftmals die Infusion als Prophylaktikum zu
verwenden. In Fällen von starkem Blutverluste, wo man einen
CoUaps vermuten kann, wird man durch Infusion oftmals denselben
am Eintritt zu verhindern im Stande sein. Deshalb soll man sich nicht
scheiien, vor der Narkose eine Kochsalz-Infusion zu machen, wenn
nur der geringste Verda cht des Eintretens von Herzkollapsen
vorliegt, und wenn namentlich starke Blutungen vorausgingen.
In den Fällen, avo eine stark toxisch wirkendeDosisNarkotikum
einen Herzcollaps erregt, ist ein entsprechendes Antidotum
ebenfalls verAvendbar, so ist Atropin gegen Morphinintoxikation,
andere Exzidantien sind Amylium nitrosum, Strychnin. nitric.
etc. Andere haben empfohlen heisse Kompressen, Senfteige oder
Thermophore auf die Herzgegend zu applizieren, Eis in den Mast-
darm zu bringen, ebenso sind Alkohol-Darreichung, Berieseln
des Kopfes und der Brust mit kaltem Wasser, Schlagen der
Brust mit Tüchern und anderes mehr als Aveitere Hilfsmittel
empfohlen worden. Diese letzteren Manipulationen sind nur bei
leichteren Collapsen wirksam, bei schweren mu.ss man nicht die
kostbare Zeit mit diesen Kleinigkeiten verlieren, sondern muss der
künstlichen Respiration seine ganze Kraft Avidmen. Für dieselbe
sind zwei geübte Personen nötig, und diese sollten nie in ihrem Handeln
gestört Averden, denn es ist nicht immer mit der Arbeit Avährend einiger
Minuten getan, sondern es ist in vielen Fällen stundenlange
ununterbrochene Tätigkeit nötig gCAvesen, um die immer Avieder
collabierende Herzkraft aufrecht zu erhalten. Man soll daher in
solchen Fällen, avo nicht schon nach einigen Minuten Restitutio ad
integrum auftritt, nicht den Mut verlieren und mit der Tätigkeit
nachlassen, denn es ist schon gelungen nach 2 — 3 stündigen Be-
mühungen doch die Kraft des Herzens wieder dauernd zu stärken,
und so dem Kranken durch Ausdauer das Leben zu retten. Leider
gibt es auch so desolate Fälle, und oft sind es gerade diejenigen, avo
man vom ersten Moment an den CoUaps bemerkt und ihm entgegen-
gearbeitet hat, welche endhch doch ad exitum letalem kommen. Wir
sehen, wie nach den ersten künstlichen AtembeAvegungen die Herzkraft Avieder
steigt, um sofort wieder zu sinken, sobald die Atembewegungen sistiert werden.
So geht es abwechselnd oft stundenlang fort, und es wird dabei trotz
aller nebenbei eingeleiteten Hilfsmittel keine Besserung erzielt, sondern
die Herzkraft schwindet zusehends, um unter unseren Händen endlich
ganz zu erlöschen dem Tod den Sieg zuerkennend. Wir haben in
solchen Fällen eben dann nur das eine BcAvusstsein, alles getan zu
haben, Avas in unserer Macht stand, sind Avir ja doch schon gCAvöhnt
— 166 —
zu unterliegen, und unsere Kraft erlahmen zu sehen, wo wir sie so
gern siegreich gesehen hätten, indem wir so oft unsere teuersten,
liebsten Wesen auch müssen gerade zum Trotz unserer Kunst sterben
sehen unter unseren Händen, ohne helfen zu können.
§ 68. Neben den Herzcollapsen sind es die Lungenläh-
mungen, welche die zweite Rubrik der Verhängnisse während der
Narkose bilden. Hier ist der Angriffspunkt das Zentrum der
Atmung, welches vom Narkotikum gelähmt wird, und neben diesen
direkten toxischen Lähmungen sind es noch eine Reihe anderer
Ursachen, welche einen Atmungsstillstand hervorrufen können. In
diesen Fällen steht die Atmung still, während die Herztätigkeit
noch einige Zeit fortbesteht. Man hat hier für eine grosse Gruppe
von Unfällen den Ausdruck Asphyxie gebraucht. Derselbe bedeutet
in der alten Weise alle Unfälle während der Narkose, die durch
Atembeeinflussung entstehen. Es ist ganz verkehrt, die ganz ver-
schiedenen Ereignisse mit diesem einen noch dazu ganz etwas anderes
bedeutenden Au.sdruck zu benennen. Das Wort Asphyxie = A,
alpha privativ um und ogjv^eiv = pulsieren, bedeutet demnach Puls-
losigkeit, und wäre folglich viel besser eine Bezeichnung für die Herz-
synkope, welche wir eben beschrieben haben, als für einen Zustand,
wo eine Lähmung des Atemzentrums vorliegt, also eine Apnoe, eine
Atemlosigkeit. Alle diese hierhergehörenden Unfälle sind, wenn man
sie auf ihren endlichen Ausgang hin betrachtet, alle Apnoen, denn
es tritt stets entweder durch das Narkotikum selbst, oder durch
Kohlensäurevergiftung eine Lähmung des Atemzentrums ein.
Folglich ist der passende Ausdruck Aj)noe.
§ 68a. Dieser Zustand der Apnoe macht sich durch folgende
Symptome sehr bald kenntlich. Der Kranke zeigt unregelmässige,
erschwerte Atemzüge, bekommt ein dunkelrotes bis blaurotes
Gesicht, die Atmung hört auf, ev. sieht man noch krampfhafte
Bewegungen der Atemmuskeln, Das Blut, welches vorher hell-
rot bei der Operation floss, ist jetzt dunkelrot bis schwarz, venös,
dies ist ein sicheres Zeichen für drohende und beginnende Apnoe.
Was nuii ein Zeichen der höchsten Gefahr kui-z vor dem
Tode anlangt, so hat man ein solches in den athetotischen Be-
wegungen der Finger, manchmal auch der Hände, ganz ähnlich
wie sie auch bei Athetose auftreten, beobachtet. (Strassmann). Dieses
Symptom ist mit eines der ersten einer hohen Gefahr. Neben diesen
athetotischen Flexionsbewegungen der Finger, resp. der Hände
sieht man auch unkoordinierte Bewegungen der Bulbi.
Diese unwillkürlichen Bewegungen sind durch zentrale Reizung
zu erklären, und man darf dieselben nicht mit den Avillkür liehen
Abwehrbewegungen verwechseln. Diese treten nur im Stadium H,
dem der Erregung auf, wo noch ein Teil des Bewusstseins vor-
handen ist, währeiid jene in einem Stadium tiefster Narkose auf-
treten, wo jedes Bewusstsein und alle Reflexe erloschen sind.
Der Puls ist anfangs noch normal, wird nach und nach schwächer
bis er nicht mehr zu fühlen ist, die Pupillen, die anfangs plötzlich
- 167 —
maximal dilatiert, reaktionslos wurden, springen jetzt plötz-
lich in maximale Verengerung über, und der Tod ist ein-
getreten.
Die Ursachen hierzu sind zunächst eine direkte Lähmung
des Atemzentrums durch das Narkotikum. Entweder es sind zu
grosse Dosen gegeben, oder es besteht eine Idiosynkrasie der
Person gegen das Narkotikum. Was haben wir in solchen Fällen
zu tim? Wenn wir uns klar sind, dass kein anderer Grund vorliegt
als direkte Lähmung durch das Narkotikum, so ist die erste
Handlung die Einleitung künstlicher Respiration. Es fehlt hier
der Impuls, der Reflex, w^elcher die Lungentätigkeit hervorruft,
deshalb muss man bemüht sein, die Bewegung der Lungen anzu-
regen. Dies erreicht man am allerbesten wieder diu'ch Einleiten
künstlicher Respiration. Dieselbe ist in jedem Falle dieser Art
die wichtigste Vornahme, und darf nicht vernachlässigt werden,
etwa um andere nebensächliche Massregeln zu ergreifen. Wenn ge-
nügende Hilfe zur Hand ist, kann man noch andere Hilfsmittel ver-
wenden: Anwenden von Elektrizität, Einblasen von Luft in die
Ijungen, oder Einblasen von Sauerstoff, oder man kitzelt den
Kehlkopf mit einer Feder, man sucht durch die bekannten Mittel
die Herztätigkeit zu stärken etc. Wenn war uns einmal den Zu-
stand genauer klar machen, den wir jetzt vor uns haben, so ist zu
«agen: es besteht eine Ueberschwemmung mit Narkotikum. Das-
selbe kann nicht wegen Stillstand der Atmung und schwacher
Herzaktion aus dem Körper entfernt w^erden, in dem Blut ist zu
hohe Konzentration des Narkotikums vorhanden. Aus diesen
Erwägungen können wir Schlüsse für unser Handeln ziehen. Wir
müssen versuchen, das Narkotikum aus dem Blut zu entfernen, das
erreichen wir erstens dadurch, dass wir, wenn das Herz nicht durch
starke Blutungen und Schw^ächezustände vor der Narkose ge-
schwächt ist, eine Menge Blut aus dem Organismus entfernen, und
dasselbe durch sterile Kochsalzlösung ersetzen. Aber diese
Blutentziehung darf nur bei sehr kräftigem Herzen vorgenommen
werden. In dem anderen Falle, bei zugleich bestehenden Herz-
schwächezuständen, was in den meisten Fällen zutrifft, werden wir
nur Kochsalzlösung infundieren, dadurch ward das Blut verdünnt,
und wir erreichen ungefähr dasselbe. Man kann ausserdem eine kon-
stante Durchrieselung des Magens mit Kochsalzlösung vor-
nehmen, wodurch ebenfalls Narkotikum dem Blutplasma ent-
zogen wnrd. Ausserdem wird gegebenenfalls eine Durchrieselung der
Bauchhöhle mit steriler Kochsalzlösung sehr gute Dienste leisten,
wenn vielleicht zufällig eine Laparatomie vorgenommen wdrd.
Nun gelangen wir zu der zw^eiten Reihe von Apnoen. Die-
selben sind hervorgerufen durch direkte Verlegung des Atemweges,
durch Zurücksinken der Zunge, Krampf der Kehlkopfmuskeln,
Fremdkörper, Schleim, Strumen, Tumoren, etc. Alle diese
Gegenstände und Verhältnisse verursachen eine erschwerte Atmung
zunächst mit krampfhaften Atembewegungen, Stertor, Hyper-
— 168 —
aemie des Gesichts etc., weiter zeigt sich ein immer stärkeres Auftreten
der Symptome, eine Ueberladung des Blutes mit Kohlensäure,
und diese starke Anhäufung der Kohlensäure ruft endlich eine
Lähmiing des Zentrums der At embewegungen hervor mit Still-
stand der Atmung. Diese Fälle sind also ebenfalls unter die Rubrik
Apnoe zu stellen, und unsere erste Handlung muss wieder sein:
Unterbrechen der Verabreichung des Narkotikums.
§ 68b. Aber ehe Avir die künstliche Respiration einleiten,
müssen wir erst das Hindernis entfernen. Dies geschieht entweder
durch direktes Extrahieren der Fremdkörper, Hervorziehen
der Zunge, Entfernen von Schleim oder Blutgerinnseln etc. Liegt
aber die Sache so, dass man entweder von oben der Ursache nicht
beikommen kann, oder ist ein Krampf im Kehlkopf, ein Tumor
vorhanden, der die Trachea komprimiert, oder ähnliches mehr, so
lassen wir nicht die kostbare Zeit mit langen Versuchen des
Luftschaffens durch den Mund etc. vergehen, sondern greifen rasch
zum Messer und tracheotomieren den Kranken. Wer die Technik
beherrscht, kann in einzelnen Fällen auch Intubieren. Nachdem wir
durch die Tracheotomie Luft geschaffen, ev. durch Aspi-
rieren Schleim oder Blut aus der Trachea oder den Bronchien
entfernt haben, sehen wir in vielen Fällen, wie die Lungentätigkeit
wieder einsetzt, und wenn dies nicht geschieht, so ist es jetzt an der
Zeit, künstliche Respiration einzuleiten. Die Zeit vom ersten Be-
merken der Atmungserschwerung bis zum Luftschaffen auf irgend eine
AVeise muss, obgleich sie sehr kurz ist, doch gut ausgenutzt werden.
Die Tracheotomie soll man nicht zu lange hinausschieben, da man doch
dazu ^/g — 1 Minute Zeit gebrauchen kann, und es ist besser, früher
zu tracheotomieren, damit es dann nicht zu spät ist. Es ist aber
wiederum die Geschicklichkeit des Narkotiseurs, welche ent-
scheiden muss, wie derselbe handeln soll. Er muss durch seine gute
Beobachtung von Anfang an informiert sein über den ganzen Her-
gang. Wenn er das ist, wird er meist seinen Kranken retten können,
indem er dann sofort sach gemäss handelt, und nicht die kostbare
Zeit zu nebensächlichen Manipulationen verschwendet.
Die Hauptsache aber ist die, die Ursachen zu solchen Kom-
plikationen von Anfang an zu beseitigen. So kann man sehr viel
tim, und mit Recht behaupten, dass nur ein kleiner Teil der zweiten
Gruppe von Apnoen übrig bleibt, wenn wir alle geforderten Be-
dingungen für eine Narkose der Jetztzeit erfüllt haben. Fremd-
körper dürfen nicht im Munde sein, der Speichel muss durch ent-
sprechende Lagerung entfernt werden, ebenso Blut bei Operationen,
so bleiben uns noch jene Fälle wo ein Krampf im Kehlkopf ein-
tritt, wo Tumoren die Passage verengern, und m'O der Zungen-
grund nach hinten fällt. Letzterer Fall ist aber so oft zu sehen, dass
jeder so geübt ist, um hier nie ernste Gefahren entstehen zu lassen,
und wir kennen ja die Handlungsweisen, wie wir ein Herabsinken
des Zungengrundes zu verhindern im Stande sind. Daraus geht
hervor, dass nur wenige Ursachen bestehen bleiben. Jene Fälle, wo
— 169 —
die dünnen Lippen und Nasenflügel sich an die Knochen an-
legen, und Ventilverschluss herstellen, braucht man wohl kaum zu
erAvähnen, es ist ja eine Kleinigkeit, diese Uebelstände zu beseitigen.
Ferner sind jene Fälle, wo Anschwellungen und Wucherungen
in Nase und Rachen vorhanden sind, ebenfalls bekannt genug,
und leicht zu behandeln.
Neben alledem ist noch ein anderer die Atmungverhinderung
und Apnoe erzeugender Umstand, Avelcher ebenfalls wie der Glottis-
krampf unvorhergesehen eintritt, in dem Glottisoedem gegeben.
Dasselbe tritt so plötzlich auch in der Narkose auf, dass man stets
damit rechnen muss.
Die Ursachen iür ein so unerwartet auftretendes Glottisoedem
sind natürlich sehr schwer zu eruieren, und man wird in vielen Fällen
vollkommen im dunkeln tappen. Von manchen wird eine spezifische
Wirkung bestimmter Narkotika, welche in sehr konzentrierten
Dämpfen auf die Schleimhaut des Kehlkopfes einwirken, für das
Glottisoedem verantwortlich gemacht. Es lässt sich dies aller-
dings nicht mit Sicherheit behaupten. Dass aber eine Reflexwirkung
durch konzentrierte Dämpfe des Narkotikums, auch wenn sie
nicht direkt auf die Schleimhaut des Kehlkopfes einwirken können,
ein solches Oedem hervorrufen kann, ist nicht von der Hand zu weisen,
und ist immerhin wahrscheinlich. Sehr oft trägt aber weniger die
Narkose, als die Operation, welche vielleicht in der Nähe des
Kehlkopfes stattfindet, die Schuld. Eine Therapie kann natürlich nur
in der Tracheotomie gegeben sein, und es ist Pflicht des Nar-
kotiseurs, sich sofort bei Eintritt einer Erschwerung des Atmens klar
zu machen, worin letztere besteht, und dass einzig und allein ein Glottis-
oedem vorliegt. Er muss diese Ueberzeugung aus dem ganzen Her-
gang der Narkose durch scharfe Beobachtung erlangt haben,
und muss im Beginn der Gefahr schon per exclusionem anderer
Ursachen seine Diagnose sichern, und sofort richtig handelnd
einschreiten. Eine Untersuchung etwa erst noch, ob Fremdkörper
den Weg versperren, mviss unnötig, und zu unterlassen sein, da sich
der Narkotiseur klar sein muss, dass kein Fremdkörper anwesend
gewesen ist, und die Untersuchung würde nur die Zeit rauben, welche
gerade noch ausreicht, um schnell zu tracheotomieren, und dadurch
den Menschen zu retten.
In manchen Fällen, wo wir eine Verlegung des Atemtraktus
erwarten können, wie bei sehr blutigen Operationen im Munde
und Rachen, sowie bei Strum ektomien, ist es wohl angebracht
vorher zu tracheotomieren, und im ersteren Falle die Trendelen-
burgsche Tampon- Canüle einzulegen, welche ein Herabfliessen
von Blut in die Trachea verhindert. Die Narkosen bei Strumen sind
besonders gefährlich, und es sind gerade bei diesen Operationen sehr
viele Narkosenunfälle, sowohl Apnoe- als Herzsyncope-Fälle
zu verzeichnen. Inwiefern die Operation infolge nervöser Laesioiien
und anderer Verhältnisse hier mit hineinspielt, ist nicht der Ort zu erörtern.
§ 69. Nachdem wir nun diese Gefahren, und unsere Tätig-
- 170 —
"keit zur Ueberwindung derselben gezeigt haben, wenden wir uns
zu dem genaueren Explizieren der zu ergreifenden Gegenmassregeln,
und betrachten zuerst die künstliche Respiration. Es ist ganz un-
bedingt nötig, dass dieselbe hier erkläi-t wird, denn ein grosser Teil
der Leser wird nicht leicht sich die Instruktion darüber aus anderen
Werken suchen wollen, und dann wird eine alleinige Schilderung
der Vornahme der künstlichen Respiration in Bezug auf die
Narkose sehr viel Wissenswertes für den Narkotiseur zu Tage
fördern.
Es gibt verschiedene Arten, eine künstliche Respiration einzuleiten.
Die künstliche Atmung hat den Zweck, die Atembewegungen,
welche normaler Weise von den Atemmuskeln bewirkt wer-
den, zu erzeugen, und so in rhythmischer Folge eine Kom-
pression der Brust, also eine Verringerung des Inhaltes der
Lungen, und darauf folgend wieder eine Erweiterung des
Brustkorbes, eine Vermehrung des Inhaltes der Lungen zu
bewirken. Dadurch, dass man innerhalb der Brusthöhle einen luftver-
dünnten Raum herstellt, werden die Lungen ausgedehnt, und saugen
Luft ein, während bei entgegengesetzter Manipulation die Luft aus
der Lunge heraus getrieben wird. Die erstere Art entspricht einer
Inspiration, die letztere einer Exspiration.
Als erste Methode der künstlichen Respiration wollen wir
das Verfahren von Marshall Hall beschreiben. Man legt die betref-
fende Person in Bauchlage, bringt ein Kissen oder zusammengelegte
Kleider etc. unter die Brust, und legt einen der Arme unter das Gesicht.
Auf den Rücken zwischen den Schulterblättern übt man nun mit beiden
Händen Avährend zweier Sekunden einen g-leichmässigen, inten-
Fig. 12. Künstliche Respiration nach Marsliall Hall.
- 171 —
siven Druck aus, wendet die Person dann auf die Seite, und darüber
hinaus, um sie dann wieder nach 2 Sekunden schnell in die Bauch-
lage zu rollen. Vergleiche Figur 12. Während man diese Prozedur
15 mal in der Minute wiederholt, wird der Kopf des Patienten von
einem Assistenten gehalten. Die hier in der Bauchlage erzielte Ver-
engerung des Brustkorbes, und die während der Supinationsbe-
Avegxuig vermöge der Elastizität des Thorax folgende Erweiterung
derselben, sind verhältnismässig gering. Denn der durch die Unterlage
gebogene Rumpf ruht in der Bauchlage nur allein auf Hüften und
Schultern fest auf, während der von der elastischen Brust gebildete
höchste Punkt des Bogens hohl liegt, sodass der hierselbst ausgeübte
Druck keinen festen Widerstand findet. Die Zunge muss von einem
Assistenten hervorgezogen werden, da dieselbe sonst zurücksinkt
und den Luftzutritt verhindert.
Das Sylvester'sche Verfahren: Man legt den Patienten in
der Rückenlage auf eine geneigte Fläche mit dem Kopfe nach oben.
Unter den oberen Teil des Rückens und den Nacken legt man ein
Kissen. Die Zunge muss von einem Assistenten hervorgezogen aus
dem Munde gehalten werden, oder man muss dieselbe irgendwie durch
einem Faden fest binden. Man ergreift nun hinter dem Kopfe des
Patienten stehend beide Arme des letzteren dicht oberhalb
des Ellenbogens, und zieht sie kräftig über den Kopf des Patienten
zugleich etwas nach unten, und hält sie so 2 Sekunden lang auf-
wärts gestreckt, um sie alsdann wieder abwärts führend fest an die
Seitenwände der Brust zu drücken. Vergleiche Fig-ur 13 u. 14.
Fig. 13. Künstliche Respiration nach Sylvester. I. Teil.
Dies Auf- und Abwärtsführen der Arme wird zehnmal in der
Minute.rhy thmisch wiederholt. Diese Bewegungen müssen rhythmisch,
intensiv, aber langsam ausgeführt werden. Man sei nie hastig.
III. Pacini's Verfahren stellt eine Modifikation des Sylvester'
— 172 —
sehen dar. Der Arzt umfasst hier beide Schultern des Patienten,
so dass die geschlossenen vier Finger jeder seiner Hände hinten auf den
Fig. 14. Künstliche Respiration nach Sylvester. II. Teil.
Schulterblättern, seine beiden Daumen auf den entsprechenden Ober-
armköpfen des Patienten ruhen. Alsdann zieht er im Rhythmus einer
langsamen Inspiration die Schultern kräftig nach oben und
rückwärts. Hierdurch wird der Brustkorb vermittels der mit ihm
verbundenen Knochen des Schultergerüstes erweitert.
IV. Bains Verfahren: Beide Schultern des Patienten wer-
den von den beiden Händen des Arztes so umfasst, dass die vier
Finger jeder derselben in den Achselhöhlen, beide Daumen aber auf
den entsprechenden Schlüsselbeinen des Patienten liegen. Die übrigen
Manipulationen sind dieselben wie bei dem Sylvester 'sehen Verfahren.
V. Howards Verfahren. Der Apnoische wird bis zur Taille
entblösst auf den Bauch gelegt. Unter das Epigastrium legt man
eine Rolle oder Kissen, so dass das Epigastrium den höchsten
Punkt bildet, der Mund aber tiefer gelegen ist. Eine Hand oder
einen Arm legt man unter das Gesicht, damit derselbe nicht auf dem
Boden aufliegt. Der Arzt breitet nun seine linke Hand auf die Basis
des Brustkorbes des Apnoischen links von der Wirbelsäule aus,
seine rechte Hand legt er aber auf die Wirbelsäule etwas unter-
halb seiner linken Hand. So drückt er nun mit der ganzen Last etwa
drei Sekunden lang auf den Körper des Patienten, und wiederholt
diesen Druck noch 2 — 3 mal, bis die gesamte im Magen, oder der
Luftröhre angesammelte Flüssigkeit herausgeflossen ist. Dies kommt
hauptsächlich bei Ertrunkenen in Betracht, allein auch bei den Ap-
noischen in der Narkose ist diese Entfernung von etwa vorhandener
Flüssigkeit von W^ert, denn sehr oft sind Schleim-, Blut- oder
Speiehelmassen im Kehlkopf und der Trachea angesammelt.
Dieselben müssen stets entfernt sein, ehe Respirationsbewegungen
— 173 —
gemacht wei'dcn, weil durcli dieselben sonst die Flüssigkeiten in die Lunge
aspiriert werden, was vom grössten Nachteil für den Kranken ist, und,
wenn dennoch Rettung eintritt, schwere Lungenerkrankungen zur
Folge haben kann. Nachdem man dies getan hat, legt man den Kran-
ken in die Rückenlage. Das Rollkissen legt man nun mehr unter
die Basis des Brustkoi'bes , sodass die Schultern etwas abwärts geneigt,
Kopf und Hals stark nach hinten unten gebeugt sind, und legt die
Hände des Patienten, welche an ihren Gelenken kreuzweis vielleicht
zusammengebunden sind, über den Kopf. Falls ein Assistent vorhanden
ist, so hält derselbe Avieder die Zunge mittelst einer Zange aus dem
Munde herausgezogen. Nunmehr kniet der Arzt rittlings mit ge-
spreizten Beinen über den Patienten, sodass die Hüften des letzteren
zwischen seinen Knieen liegen, und setzt die Ballen seiner beiden
Daumen und kleinen Finger derartig auf die inneren freien Ränder
des knorpeligen Rippenbogens des Patienten, dass die Spitzen seiner
beiden Daumen nach aufwärts gerichtet sind, letztere aber in der Nähe
des Processus Xiphoideus, oder auf diesem selbst, und die übrigen
Finger seiner Hände in den beiderseitigen, entsprechenden Literkostal-
räumen des Brustkorbes des Kranken liegen. Nun stützt er fest seine
eigenen Ellenbogen unbeweglich auf die eigenen Hüftknochen und
Seiten, und drückt dann gegen das Zwerchfell des Patienten
zu nach auf- und rückwärts 2 — 3 Sekunden lang mit Avachsender
Stärke, indem er seine Kniee als Drehpunkte brauchend sich selbst
mit dem Gewicht des eigenen Körpers langsam nach aufwärts zieht,
bis sein Gesicht das des Patienten berührt. Hierauf geht er plötz-
Hch in seine frühere Stellung zurück, sodass die vorher ausgedehnten
Rippen zurückweichen und die Brusthöhle verengern. Man muss
diese Kompressionen ca. 10 mal in der Minute wiederholen. Vergl. Fig. 15.
Fig. 15. Künstliche Resioiration nach Howard.
Nach Nussbaum ist die künstliche Respiration folgendermassen
einzurichten. Man komprimiert in Zwischenräumen von 3 — 4 Se-
kunden den Unterleib stark, aber langsam, wodurch das Zwerchfell
nach oben gedrängt, und somit die Luft aus den Lungen getrieben
— 174 —
wird. Man nimmt dies am besten mit beiden flachausgebreiteten Händen
vor, die eine auf das Sternalende, die andere auf die Gegend des
Nabels legend. Wenn der Druck schnell nachgelassen wird, dringt
Luft in die Lungen ein. Man muss dasselbe Komprimieren un-
gefähr 5 — 6 mal in der Minute wiederholen.
Schütter greift mit den Fingerspitzen unter die Rippen-
bögen, zieht dieselben in die Höhe, und presst sie dann wieder zu-
sammen, beides rhythmisch nacheinander ausführend.
Eine sehr brauchbare Methode ist nach unserer Erfahrung eine
Kombination von der Sylvesters und dem zweiten Teile von
Howards Methode. Es geschieht dies folgendermassen. Wenn der
Narkotiseur ausruft „künstliche Respiration", fasst er die Arme nach
Sylvesters Methode, und ein anderer Assistent arbeitet, sich über
den Kranken beugend, ja cv. knieend, nach der Howard'schen Me-
thode, hidem er die Rippenbögen zusammendrückt. Beide Arzte
müssen sich aneinander anpassen, sodass während der Narkotiseur
die Arme nach oben zieht, der Assistent die Brust auseinander
gehen lässt, und nun zu gleicher Zeit die Rippenränder kompri-
miert, während der erstere die Arme seitwärts andrückt. Diese
Methode muss rhythmisch, langsam, und einer nach dem andern
entsprechend arbeitend vor sich gehen. Sie ist bei Narkosen
sehr vorteilhaft, weil man hier nicht die Zeit verlieren darf mit
der Lagerung des Patienten entsprechend der Anforderungen
der Methoden. Wir lassen ihn ruhig in seiner Lage, und beginnen
sofort die künstlichen Atembewegungen. Selbstverständlich muss
vorher etwaiger Schleim oder dergleichen aus dem Kehlkopf,
Rachen oder der Trachea entfernt sein.
Eine grosse Hauptsache bei der Einleitung der künstlichen
Respiration ist die Ruhe und Gleichmässigkeit in der Me-
thodik. Man muss nicht denken, dass man durch überaus schnelle
Handhabung eher zum Ziele kommt. Je langsamer und ruhiger
die Bewegungen gemacht werden, um so bessere Erfolge haben
dieselben. Man muss bei den Versuchen, die Brust zu vergrössern, auch
der Lunge Zeit lassen sich auszudehnen, indem man auf dem
Punkte, wo man die Arme nach oben hinten gezogen hat, eine Se-
kunde verweilt, und nicht schnell wieder zurückkehrt, denn dann
würde der Lunge gar keine Zeit gelassen, zum Ausdehnen. In allen
Lagen des Lebens muss der Arzt Ruhe und Kaltblütigkeit bewahren,
so auch hier, der ängstliche, hastige und nervöse kommt nicht zum
Ziele. Deshalb sollte man sich vor jeder Narkose mit seinem
Assistenten vereinigen, wie man im Falle der Gefahr zusammen ai-beiten
will. Hat man einen Arzt zur Assistenz, so werden wenige Worte zur
Verständigung genügen, hat man Laien zu Hilfe, so wird es gut sein,
denselben erst einmal die Prozeduren zu zeigen, damit sie im Punkte
der Gefahr orientiert sind, denn nur durch gegenseitiges Ergänzen und
Einvernehmen kann man das höchste leisten, ist dann aber auch
belolmt durch den herrlichen Erfolg, welcher die Mühen lohnt. V/er
Momente solcher Gefahren durchgemacht hat, der kennt die bangen
— 175 —
Gefühle, die einen beschleichen, wenn man während den wie Stunden
erscheinenden Minuten der Entscheidung über Leben und Tod die Wahl
des Schicksals erwartet. Und Avie stolzes Bewusstsein erhebt uns,
wenn wir sehen, wie das gut geschulte Personal Hand in Hand
mit dem Narkotiseur auf ein kurzes Wort desselben stumm
aber zielbewusst, mit kalter Ruhe arbeitet gewiss des Erfolges^
welcher in den meisten Fällen nicht ausbleibt, und wie froh und be-
friedigt sieht man die ersten Atemzüge des Kranken wieder ein-
setzen.
Aber es ist in diesen schweren Zeiten nicht die künstliche
Respiration allein, die uns hilft, wir haben noch mehr Hilfsmitteh
§ 70. Es ist in vielen Fällen die Tracheotomie nötig, jeder-
mann kennt den Hergang, und jedermann weiss auch, welche Schwierig-
keiten diese Operation bisweilen selbst dem geschicktesten Operateur
bereitet. Wir dürfen in solchen Fällen keine Zeit verlieren, nur
rasches Handeln kann dem Patienten das Leben retten, daher seien
wir nicht im Zweifel, ev. die Laryngotomie zu machen, wenn die
Verhältnisse, wie es bei kleinen Kindern, oder sehr starken Perso-
nen mit kurzem Halse, oder bei Tumoren der Schilddrüse etc.
der Fall sein kann, sehr hindernd für die Traeheotomia superior
und inferior liegen. Es muss hier nur das Bestreben uns leiten,
Luft zu schaffen, allerdings müssen wir immer bedacht sein, den Kran-
ken soviel wie möglich nicht zu schädigen. Es wird aber einem geschickten
Chirurgen in jedem Falle glücken, in wenigen Bruchteilen von Minu-
ten die Tracheotomie beendet zu haben, und nun muss sofort die
künstliche Respiration begonnen werden. Auch hier ist es nötig, sein
assistierendes Personal bereits instruiert zu haben, über die Tätigkeit
bei dem Befehl „Tracheotomie". Jeder muss sofort die richtigen
Massnahmen treffen, damit die Operation schnell vor sich gehen kann.
Nachdem man die Tracheotomie beendet hat, müssen stets die
etwa in der Trachea angesammelten Sekret- Schleimmassen, Blut
und Blutgerinnsel aus derselben entfernt werden. Dies gelingt am
besten dadurch, dass man durch die Wunde einen weichen elasti-
schen Katheter (Nelaton etc.) in die Luftröhre einführt, oder eine
dünne weiche Schlundsonde, und durch Aspirationsversuche
die Schleim- resp. Blutmassen heraussaugt. In den meisten
Fällen sind solche Substanzen vorhanden, und deren Anwesenheit
würde die Inspirationsbewegungen verhindern, Luft einzusaugen.
Sie würden bei der künstlichen Respiration in die Lungen aspiriert
werden, und entweder die Wirkung der künstlichen Respiration unmög-
lich machen, der Kranke würde trotz aller Mühe sterben, oder,
wenn sie in geringeren Mengen vorhanden waren, würden sie wenig-
stens einen Teil der Lunge schwer schädigen.
§ 71. Ein weiteres Mittel, welches die künstliche Respiration
ergänzen kann, ist das Einblasen von Luft oder Sauerstoff in die
Lungen. Man führt durch den Kehlkopf einen Katheter oder eine
dünne Schlundsonde in die Trachea ein, bei Tracheotomierten
durch die Wunde, und versucht erst eventuell in den Luftwegen
— 176 —
an2:esaramelten Schleim oder Blut zu aspii'ieren und zu besei-
tigen. Erst wenn man sich überzeugt bat, dass derartige Substanzen
nicht im Wege stehen, beginnt man mit dem Einblasen von Luft
durch das Rohr. Ich erwähne ausdrücklich, dass in jedem Falle erst
aspiriert werden soll, denn in den meisten Fällen sind Schleim-
massen vorhanden, und, wenn man dieselben nicht entfernt, so bläst
man sie ja direkt in die Lungen. Wenn man die Vorrichtung haben
kann, so wird die Luft mittelst eines Blasebalges, oder Gebläses einge-
führt. Man kann auch aus einem eigens dazu vorhandenen Apparat
Sauerstoff mit Luft in die Lungen blasen. Dies ist ein ganz vor-
zügliches Mittel, denn durch den starken Sauerstoffgehalt der In-
spirationsluft wird die Lunge zum Atmen angeregt.
Das Einblasen von Luft mit dem Munde ist entschieden dem
Verfahren mittelst Gasometer unterlegen, denn, wenn man auch noch so
sehr bemüht ist, nur gute Luft einzublasen, es wird doch stets viel
Kohlensäure beigemengt sein, und die Luft ist verschlechtert und
kann dem Kranken wenig oder gar nichts nützen. Ein Gasometer,
welcher eine sauerstoffreiche Luft enthält, ist in i'edem Falle besser,
und kann im Operationssaal bereit gehalten werden. Der reine Sauer-
stoff ist nicht so wertvoll wie ein Luftgemisch. Allerdings wirkt der
erhöhte Sauers toffgehalt sehr günstig, indem er erstens die At-
mung anregt, schneller vmd leichter, als Luft in gewöhnlicher
Zusammensetzung, das Blut oxydiert, und dadurch den Menschen
retten kann.
§ 72. Es ist nun noch hier der Ort jene Methode zu be-
schreiben, wie man bei Zurü cksinken des Zungengrundes dauernd
denselben gehoben halten kann. Das Zurücksinken des Zungen-
grundes stellt sich bei fast allen Menschen im Stadium der Tole-
ranz ein, und ist bei dem einen ein grosses Hindernis für den
Luftzug wegen der engen ßachenverhältnisse , indem es in solchen
Fällen schwere Erstickungszustände hervorruft. In anderen Fällen, wo
weitere räumliche Verhältnisse bestehen, kommt nur eine Be-
hinderung der Atmung zu stände, durch welche eine schnarchende
Atmung erzeugt wird. In beiden Fällen muss das Hindernis be-
seitigt werden. Wenn man meint, im zweiten Falle die schnarchende
Atmung mit in Kauf nehmen zu sollen, so ist dies ganz falsch, denn
namentlich bei laugen Narkosen wird der Kranke mit der Zeit einen
beträchtlichen Mangel an Sauerstoff im Blut aufweisen, und
eine zu grosse Menge Kohlensäure, denn, da durch die Verengung
des Kehlkopfes nicht so viel Luft, als nötig, inspiriert werden kann,
so wird dieses Manko entstehen, und bei langem Anhalten dieses Zu-
standes wird eine Kohlensäureintoxikation entstehen, die ebenfalls
Gefahren mit sich bringt. Daher muss auf jeden Fall dafür gesorgt
■werden, dass der Zungen grund nach vorn oben gelangt Dies
erreicht man durch die Lagerung nach Witzel.
Wer aber diese Lagerung nicht wählt, muss einen Handgriff
anwenden, welcher in folgendem besteht.
Der Narkotiseur steht hinter dem Kopfe des Patienten und
— 177
fasst mit jeder Hand mit dem Zeige- und eventuell dem dritten
Finger dicht hinter dem Angulus des Unterkiefers den hinteren
Teil des Kiefers und schiebt denselben so von hinten unten
nach vorn oben. Man wird sofort bemerken, dass der Unterkiefer
in genannter Eichtung geschoben wird, und derselbe steht vollkommen
richtig, wenn die Zahnreihe desselben ca. 1 Fingerbreit über die
Zahnreihe des Oberkiefers nach vorn steht, (von Esmarch und
Kappeier), Vergl. Fig. 16 und 17. Sobald diese Stellung erreicht ist,
wird auch sofort das Schnar-
chen der Atmung wegfallen,
und man hört jetzt keine Ge-
räusche mehr, sieht nur, wie-
viel ausgiebiger jetzt nach Be-
seitigung des Hindernisses die
Brust arbeitet. Durch dieses
Verschieben des Kiefers
wird der Zungen gr und in-
folge des Zuges der bekannten
Muskeln nach vorn oben ge-
zogen, und die Passage
wird frei. Bei dem Handgriff
nach Kappeier Fig. 17 fasst der
Arzt den Angulus von vorn mit
dem Zeige- und dritten Finger.
Ein anderes Mittel, um dasselbe zu erreichen, besteht darin,
dass man mit zwei Fingerspitzen unter das Kinn in den Winkel,
Fiff. 16.
Lüften des Kiefers nach
von Esmarch.
/^
Fig. 17. Lüften des Kiefers nach Kappeier.
den beide Kieferknochen bilden, greift, und den Kiefer nach vorn
zieht. Die Wirkung ist dieselbe wie oben, nur ist es eine unbequemere
Art, den Kiefer nun dauernd so zu halten, denn man muss bei
12
— 178 —
beiden Methoden natürlicli während der ganzen Dauer der Narkose den
Kiefer unterstützen, da derselbe beim Nachlassen des Druckes unserer
Hände sofort nach hinten unten sinkt, und der alte Zustand
ist wieder vorhanden.
Eine andere Methode ist die, mittelst eines scharfen Häk-
chens das Zungenbein anzuhaken und nach vorn oben zu
ziehen, ev. es dauernd so zu halten. (Nussbaum). Diese Methode
ist von Wichtigkeit, denn es kann in besonderen Verhältnissen auf
andere Art sehr erschwert sein, den Kiefer selbst anzufassen. Dieses
Anhaken des Zungenbeins ist besser als die folgende Methode.
Braatz gibt den Kat mit dem Zeigefinger über den Zungen-
rücken herabzugreifen, und die Zunge schnell nach vorn zu drücken.
Allein durch diese Methode wird nur momentan Luftdurch-
tritt geschaffen, während man nicht die Zunge längere Zeit vorn auf
diese Weise halten kann. Die Zunge wird sofort wieder zurücksinken,
nachdem man den Finger aus dem Halse entfernt hat. Man muss sich
daher nach Instrumenten umsehen, durch die man dasselbe dauernd
erreichen kann.
Man nimmt zu dem Zwecke entweder einen scharfen Haken,
oder eine Hakenzange, fasst die Zunge selbst damit, und zieht
dieselbe hervor. Dadurch werden aber Verletzungen in die Zunge ge-
setzt, welche unnötige Schmerzen nachher bereiten können. Ausserdem
kann man bei unvorteilhafter Wahl der Stelle durch Anstechen der
grossen Vene eine massige Blutung erhalten, welche doch ver-
mieden werden kann. Man kann bei dieser Methode auch grössere
Verletzungen der Zunge herbeiführen, denn ungeübten Händen können
selbst Einreissungen in die Zunge durch zu forsches Ziehen an
dem scharfen Haken oder der Hakenzange entstehen, ev. kann dies
durch unvorhergesehene Bewegungen des Kranken, indem er den Kopf
seitlich dreht etc. ohne Schuld des Narkotiseurs hervorgerufen werden.
Um derartige Verletzungen zu vermeiden, sind verschiedene Zungen-
zangen konstruiert worden, welche an anderer Stelle beschrieben, hier
nur erwähnt werden sollen. Fehlt eine solche Zungenzange, so kann
man an deren Stelle auch eine gewöhnliche Peanzange verwenden.
Man fasst mit der Zange die Zunge fest an, denn durch die stumpfen
Branchen können so leicht keine Verletzungen entstehen, und zieht
die Zunge kräftig aus dem Munde heraus. So kann dieselbe
lange Zeit gehalten werden. Es sind auch Zunge nzangen mit schar-
fen Branchen konstruiert Avorden, um ein Abgleiten der Zange von
der Zunge zu verhüten. Allein dieselben sind wegen der Verletzungen
nicht vorteilhaft, und man tut dann besser eine Hakenzange zu nehmen,
denn diese setzt nur zwei Wunden, während die scharfen Zungen-
zangen mehrere Wunden verursachen.
Durch das Hervorziehen der Zunge ist auch eine Unter-
stützung der künstlichen Atmung gegeben, indem man systema-
tisch die Zunge nach vorn zieht, ebenso den Kiefer nach vorn
schiebt. Allein diese Atembewegungen sind nur gering, und bei ganz
leichten Apnoefällen zu verwenden.
— 179 —
Ein Uebelstand ist meist der, dass mau niclit in den Mund des
Kranken gelangen kann, namentlich wenn derselbe krampfhaft ge-
schlossen ist, was mehr in dem Stadium des Erwachens vorkommt,
wo aber doch ein Hindernis, sei es Schleim oder sonst etwas, die
Atmung verhindert. Man muss in solchen Fällen gewaltsam den
Mund öffnen, und offen halten. Dazu verwendet man die bekannten
Mundsperrer, von denen der Roser-König'sche und der Keil die
gebräuchlichsten und besten sind. Die Beschreibung derselben findet
sich an anderer Stelle.
Wir kommen nun zu den Hilfsmitteln, welche uns in der Elek-
trizität gegeben sind.
§ 73. Man hat durch die Elektrizität versucht, die Zwercli-
fellmuskulatur zur Kontraktion zubringen, und somit künstliche
Atembewegungen zu erzeugen. Dieses wird dadurch erreicht, dass
man die Nervi phrenici am Halse elektrisch reizt, wodurch der
Zwerchfellmuskel ebenfalls erregt wird, und ausser ihm auch noch
andere Nerven und Inspirationsmuskeln, wie die Muse. Scalen us
anticus, sternocleidomastoidei, cucullares, pectorales, ser-
rati etc. zur Tätigkeit angeregt Averden. Man setzt zu dem Zwecke
die beiden Elektroden eines Induktionsapparates zu beiden Seiten
des Halses am äusseren Rande des etwas medianwärts gedrängten
Musculus sternocleidomastoideus über dem unteren Ende des
Musculus scalenus ant. auf. (Ziemssen, Duchenne). Die Reizung
soll alle zwei Sekunden erfolgen und immer methodisch fortgeführt
werden. Dies wird unterstützt durch Komprimieren der oberen und
unteren Thoraxpartien während der Exspiration, und Nachlassen
des Druckes während der Inspiration.
Andere setzen eine grosse Schwammelektrode auf dem Epi-
gastrium auf, und die andere Elektrode an die bezeichnete Stelle an
einer Seite des Halses, und schliessen dann den Strom. Durch
rhythmisches Oeffnen und Schliessen des Stromes regt man die
Muskeln zur Kontraktion an.
§ 74. Andere Manipulationen bestehen noch im Komprimier en
des Bauches und der unteren Thoraxpartien während der Exspi-
ration und methodischem Fortsetzen desselben. (Ziemssen).
Die etwa im Hals und Kehlkopf angesammelten Schleim- und
Blut massen versucht man zu entfernen durch Austupfen mit Schwäm-
men, durch Auslösen von Brechbewegungen, Einführen von
Kathetern in die Luftröhre etc. Das Gesicht bespritzt man mit kaltem
Wasser, reibt die Schläfen mit Essig, schlägt Brust und Ge-
sicht mit nassen Tüchern, hält dem Patienten Salmiakgeist unter
die Nase, um Reflexe auszulösen etc.
Durch Strychnininjektionen, subcutan, ruft man eine starke,
erhöhte Erregbarkeit des Rückenmarkes und der Medulla oblon-
gata hervor, und regt ebenso das Respirationszentrum und die
motorischen Herznerven zur Tätigkeit an. Man injiziert bis eine
Spritze voll = 1 cbcm. von einer Lösung: Strychn. 0.02: Aqua des-
till. 10,0, die natürlich stei-ilisiert sein muss.
12*
— 180 —
§ 75. Wenden wir uns nun zu den Methoden, die Herz-
scliwäche zu behandeln. Um die Herzkraft zu erhöhen haben wir
vor allem die subcutane Infusion von steriler Kochsalzlösung
als Hilfsmittel. (Kronecker, v. Ott, v. Ziemssen, Breuer, Feis u. a.).
Die Infusion besteht darin, dass man eine dem Blutplasma un-
gefähr gleichkommende Salzlösung in die Blut bahn bringt.
Diese Lösung ist nach den bisherigen Beobachtungen am geeignetsten
in der physiologischen Kochsalzlösung von 0,6 ^/q zu finden,
andere haben eine Salzlösung aus 6 gr. Kochsalz, 1000 gr.
Aqua destill, und geringen Mengen Natrium bicarbonicum und
2 Tropfen Liquor Natri caustici angegeben. Die am meisten benutzte
Lösung ist allerdings die physiologische Kochsalzlösung. Man muss
von derselben stets mehrere Liter gut sterilisiert in einer grossen Flasche
von-ätig haben. Ferner muss ein sterilisierter Irrigator mit Gum-
mischlauch und Infusionsnadel bereit stehen. Die Infusions-
nadel wird mit dem Schlauch des Irrigators verbunden, und die
sterile Flüssigkeit in den Irrigator gegossen, worauf man den Schlauch
durch einen Hahn abschliesst. Natürlich muss die Flüssigkeit Kör-
pertemperatur besitzen und auf derselben erhalten werden, ca.
38 — 3U^C warm, denn dieselbe wird beim Durchfliessen durch den
Schlauch um 1 — ^2^0 abgekühlt. So muss der Apparat neben dem
Operationstisch stehen. Man hat verschiedene Arten von Infusions-
nadeln konstruiert, solche, welche drei Nadeln nebeneinander an
einem Ansatzrohr besitzen, sodass der Wasserstrahl an drei wenige
cm. von einander entfernt liegenden Orten unter die Haut geführt wird.
Allein es genügt eine Nadel, und man kann ev. mehrere Schläuche
von dem Irrigator, oder einer grossen Flasche etc. ableiten, um an
drei verschiedenen Stellen des Körpers eine Infusion vornehmen
zu können. Dies ist sehr praktisch und anzuraten. Die Stellen,
welche man wählt, sind die Aussenseiten des Oberschenkels, die
Brust oberhalb der Mamilla, die Nates, ausser an diesen Stellen
kann man gut am Rücken in der Gegend der Scabulae einstechen.
Was die Oertlichkeit betrifft , wo man die Infusion vorneh-
men soll, so muss man bedenken, dass eine Infusion in der Gegend
des Halses leicht üble Folgen haben kann, so Glottisoedem und
andere Oedeme der Schleimhaut im Rachen und der Kehlkopf-
gegend, welche die Passage für die Atmungsluft erschweren,
ja verhindern können. Auf der Brust liegt die Gefahr vor, dass sich
die Flüssigkeit in das Mediastinum senkt, und daselbst die Herz-
tätigkeit beeinträchtigt. Das letztere entsteht nur, wenn man sehr
grosse Mengen unter die Brusthaut injiziert, bei massigen Mengen
von ^/^ — ^/., Liter ist nichts nachteiliges zu befürchten. Eine sehr
geeignete Stelle bilden die Nates.
Es wird sich ganz nach den besonderen Verhältnissen richten,
wieviel man Flüssigkeit infundieren muss. Ein Liter wird in
den meisten Fällen die geringste Menge sein. Nachdem man an einer
Stelle ca. ^/„ Liter hat einfliessen lassen, muss daselbst sistiert, und
der Tumor etwas massiert werden, damit die Flüssigkeit schneller in
— 181 -
die Bliitb;ilin ^(ilang't. Während ein Assistent die Vertreibung
der Schwellung vornimmt, infundiert man an einer anderen Stelle,
und sofort, ev. an mehreren Stellen zu gleicher Zeit. Dadurch
wird Zeit gespart und mehr Flüssigkeit in die Blutbahn ge-
langen zu derselben Zeit, als wenn man nur an einer Stelle in-
fundiert. Dass natürlich eine peinliche Sterilisation, sowohl der
Instrumente und Gefässe, wie der Flüssigkeit, vorher stattgefunden
haben muss, ist selbstverständlich und muss streng beachtet werden.
^ 76. Man hat ferner in solchen Fällen, wo die Herztätigkeit
stark herabgesetzt ist, eine intravenöse Infusion vorgenommen. (Kron-
ecker, Jul. Sander etc.). Auch hierzu verwendet man am besten physio-
logische Kochsalzlösung. Man präpariert eine Vene, meist die Vena
mediana basilica des Armes, und zwar des linken, frei, und verbindet
dieselbe durch einen entsprechend starken Trocart mit dem Gummi-
schlauch. Man muss darauf achten, nicht schnell die Kochsalz-
lösung ausfliessen zu lassen und nicht unter hohem Druck. Die Lösung
soll sich vielmehr langsam mit dem Blute in der Vene vermischen.
Es richtet sich die Menge, welche man infundiert natürlich nach den
Verhältnissen. Selbstverständlich muss man beachten, dass die Flüs-
sigkeit genau die Bluttemperatur besitzt. Natürlich müssen vor jeder
Infusion Schlauch und Nadel mit Flüssigkeit gefüllt sein, da-
mit keine Luft in das Gefäss oder unter die Haut gelangt. Die
speziellere Technik muss als bekannt vorausgesetzt werden, wie die
Kenntnis der Eegeln strengster Asepsis,
Es sind früher vielfach Versuche gemacht worden, Blut von an-
deren Tieren oder von Menschen bei Anaemien z. B. zu injizieren. (Blundell,
Panum, Gesellius, Hasse, v. Ziemssen, Freund, Eulenburg, Landois etc. etc.).
Diese Methoden sind vollkommen ohne Erfolg, da die Blutkörperchen
anderer Individuen, selbst derselben Gattung, wie von Mensch zu
Mensch (Blundell, Panum etc.), wenn sie in ein anderes Individuum ge-
langen, sämtlich zu Grunde gehen. (Landois.) Folglich nützt von dem Blute
nur das Serum als dünne Salzlösung, während die abgestorbenen und
aufgelösten Erythrocyten nur erschwerend in Betracht kommen,
da sie wieder ausgeschieden Averden müssen. Da man nun dies
beobachtet hat, so kam man auf den Gedanken, eine dem Blutserum
entsprechende Salzlösung zu infundieren, was schneller und leich-
ter möglich ist, und genau denselben, wenn nicht einen besseren
Erfolg hat, als die Transfusion von Blut. (Kronecker etc.).
§ 77. Man hat weiterhin eine Art Autoinfusion angegeben,
welche in folgender Prozedur besteht. Man legt den Patienten mit dem
Kopfe tief, hält Arme und Beine des Kranken in die Höhe, so
dass sämtliches Blut aus denselben zurückweicht. Nun wickelt man
die Extremitäten, nachdem man das Blut durch entsprechende
Massage noch herausgetrieben hat, fest mit elastischen Binden
ein, u.nd beschwert den Unterleib. So führt man das Blut in grös-
seren Massen zum Gehirn und in die Medulla oblongata als
im normalen Zustand. Man muss hierbei nur beachten, dass die Be-
lastung des Unterleibes nicht die Atmung erschwert, denn vor
— 182 —
allen Dingen muss die Atmung frei bleiben. Diese Methode Rann
wohl bei Gelegenheiten auf dem Lande, wo man einen Apparat
für die Infusion nicht mitführen kann, an Stelle der Infusion
angewandt werden.
Hierbei muss man noch beachten bei dem Abstellen der Trans-
fusion die Binden nur ganz allmälig zu lösen, da bei einer plötz-
lichen Freigabe der Blutbahn, eine grosse Menge Blut sofort in die
leeren Extremitäten schiessen wird, und dadurch werden Gehirn-
ana emie und ev. wieder starke Collapse entstehen. Deshalb muss
man ganz langsam und allmälig die Blutbahn freigeben.
§ 78. Wir kommen nun zu einem anderen wichtigen Verfahren,
Avelches in der Herzmassage besteht. Diese wird durch verschiedene
Manij)ulationen dargestellt.
Man hat nach den Autoren König, Holtz, Maas, ein Verfahren
das König- Maas' sehe benannt. Dasselbe soll bei Sistieren des
Herzschlages durch rasch aufeinander folgende starke Kom-
pressionen der Herzgegend die Herzaktion anfrischen. Man tritt
auf die linke Seite des Patienten, das Gesicht demselben zugewandt,
und drückt mit raschen kräftigen Bewegungen tief in die
Herzgegend ein, indem man den Daumenballen der geöffneten
rechten Hand zwischen die Stelle des Spitzenstosses und der linken
Thoraxwand setzt. Man muss 120 und mehr solche Kompressio-
nen in der Minute ausführen. Man braixcht nicht zu fürchten, zu
stark zu drücken, sondern muss während der Tätigkeit die Kraft immer
von neuem anstrengen. Man schafft sich etwas Erleichterung, indem
man mit der linken Hand die rechte Tlioraxseite des Kranken
umfasst, um so einen Gegendruck gegen die Massage auszuführen.
Die Erfolge dieser Massage zeigen sich in dem Auftreten von eini-
gen Carotispulsschlägen.
Eine andere Art von Herzmassage besteht darin, dass man mit
der Hand unter den Rippenbogen drückend nach oben und vorn
versucht das Herz an der Spitze gegen die vordere Brustwand
zu drücken. Ferner kann man durch Reiben der Herzgegend,
durch stossweises Drücken gegen Spitze und Ventrikel den
Muskel reizen.
Eine sehr empfehlenswerte Massage wird durch die Vibrations-
massage erreicht. Wenn man die nötige Vorrichtung, welche auf
verschiedene Weise eingerichtet werden kann, besitzt, um den Apparat
zu jeder Zeit in Bewegung zu setzen, so bildet keine andere
Art einen Ersatz. Man setzt einen Vibrationsmassage- Apparat
auf die Herzgegend auf, und durch die enorme Geschwindig-
keit der aufklopfenden Metallschlägel, oder dergleichen, wird
ein sehr tiefgehender Reiz ausgeübt, welcher das Herz zum Schla-
gen wieder anregt. Vergl. Fig. 18. Durch die verschiedenen Ajiparate,
welche leicht ausgewechselt werden können, vermag man die Stösse in
jeder Zahl pro Minute regelmässig wirkend anzuwenden, ausserdem
kann man noch wen iger intensiv wirkende Methoden der Vibra-
tionsmassage brauchen, welche nur durch Umschalten eines An-
— 183 —
Satzes an den A]) parat erhalten werden können, und welche man
je nach dem Zustand des Herzens zu wählen vermag. Den Vorzug
bildet die gleichmässige, andauernde Funktion des Apparates.
Fig. 18. Vibrationsmassage des^Herzens.
gez. Nach Groldscheider und Jacob. Hdb. d. phys. Therapie.
§ 79. Neben der Massage hat man noch die Elektro punktur
des Herzens verwandt. Man versuchte hierbei mittelst einer mit
einem elektrischen Strome in Verbindung stehenden Nadel, welche
in der Herzspitzengegend eingestochen wurde, direkt das Herz
durch elektrische Ströme zu reizen. Das Verfahren ist allerdings
wegen der Gefährlichkeit nicht zu empfehlen, denn Siegmund Mayer
hat bewiesen, dass direkte elektrische Reizung des Herzens
durch constante, wie Induktionsströme, als Herzgift wirkt. Nach
den Versuchen von Watson ist die Punktur an sich unschädlich
an Tieren, nur wenn die Vena cava getroffen wurde, erfolgte eine
profuse Blutung in die Brusthöhle! Allein diese Methode wird im Mo-
ment der Gefahr nicht von besonderem Erfolge sein, zumal auch die
Einleitung derselben eine längere Zeit erfordert.
§ 80. Andere Mittel, um die Herztätigkeit wieder anzuregen, be-
stehen in ähnlich der Infusion wirkenden Spülungen des Magens,
Darmes etc. wie oben erwähnt. Durch die erhöhte Wasserzufuhr soll
die Ausscheidung des Narkotikums in höherem Masse eintreten.
Man füllt zu diesem Zwecke den Magen mit Kochsalzlösung, und
— 184 —
lässt so eine grosse Menge durch denselben laufen. Zu diesem Zwecke
muss man eine Magensonde in den Magen bringen und diese in
Verbindung mit einem Irrigator setzen. Dass diese Manipulationen
nicht so sehr bei direkter Syncope, als bei etwaigen Collapsen
nach langen Narkosen verwandt werden sollen, leuchtet ein.
Wir wissen, dass durch den Magen eine bestimmte Menge des Narko-
tikum's abgesondert wird.
Ebenso nimmt man Spü Hingen des Rectum s vor. Man macht
dieselben mit einem langen Katheter, den man ziemlich hoch in den
Darm schiebt, so hoch wie möglich, und indem man nun aus einem
Irrigator durch ein Gummirohr mit dreiteiligem Glasrohr abwechselnd
warmes Wasser ein- und auslaufen lässt.
Ferner verwendet man bei anhaltenden Collapsen Klystiere,
welche nach einer ausgiebigen Wasserspülung vorgenommen werden,
und statt Wasser ^/^ bis ^/g Liter Thee mit 1 Glas Kognak und
1 Glas Rotwein in den Darm führen. Dies lässt man möglichst lange
im Darm verweilen, damit es resorbiert wird. Man kann dem Gemisch
noch beliebige Medikamente beimengen je nach dem vorliegenden
Falle das nötige wählend.
Hat man im gegebenen Falle gerade eine Operation im Ab-
domen vor, so wird man sehr gut tun, die Bauchhöhle mit einer
sterilen Kochsalzlösung zu durchspülen, falls ein Collaps bei
der Operation stattfindet. Zu diesem Zwecke muss sterile Koch-
salzlösung vorhanden sein und die nötigen Instrumente.
Alle diese letzteren Methoden sind solche, Avelche nur quasi als
nachträgliches Hilfsmittel, um die Herzkraft intakt zu er-
halten, verwandt werden sollen, und ausserdem als Hilfsmittel dienen
können, wenn man sehr lange, 2 — 3 stündige Narkosen überstan-
den hat, nach denen die Patienten noch lange im Rausche des Nar-
kotikum's liegen, und bei denen sich Zeichen von Herzschwäche
kund tun. Hier muss es unser Bemühen sein, dem Kranken das Nar-
kotikum, das sich während so langer Narkosen in grossen Mengen im
Organismus aufgestapelt hat, aus dem Körper ausscheiden zu
helfen. So suchen wir eben durch Magen- und Darmspülungen
die Ausscheidung zu fördern, und auf andere Art das Herz kräftig
zu erhalten, damit dasselbe die Ausscheidung leichter bewerkstelU-
gen kann. Wenn nach sehr langer Narkose noch eine grosse Menge
des Narkotikums im Körper vorhanden ist, wirkt dasselbe natürlich
noch nach, und dies zeigt sich dadurch, dass der Kranke lange
schläft und benommen erscheint. In diesen Zuständen sind
die genannten Methoden sehr wertvolle Mittel, den Organis-
mus in seiner Tätigkeit zu unterstützen.
Injektionen vom Kampher und Aether werden ebenso wie
Digi talin - Injektionen die Herzkraft stärken. Man muss bekannt-
lich diese Injektionen in die Muskulatur, und nicht subcutan aus-
führen. Man wählt am besten die Aussenseite des Oberschenkels,
die Nates etc. dazu.
Kobroff warnt vor Aether Injektionen, indem er angibt, dass
— 1 85
dieselben zum Beispiel bei Intoxikation mit Chloroform die Wirkung
des Narkotikums erhöben, und zu einer Lähmung der lebenswich-
tigen Zentren fuhren. Diese Annahme ist berechtigt bei Acther-
narkosen. Dann kann man durch Actherinjektionen nur eine Vcr-
melirung der Narkose erwarten, allein bei anderen Narkosen kommt
die Injektion des Aethers als herzerregend in Betracht, wenn nicht
zu grosse Dosen, die dann narkotisierend wirken, injiziert werden.
Kleine Dosen werden stets herzanregend wirken, und es könnte obige
Wirkung nur, wie gesagt, bei zu grossen Mengen des injizierten
Aethers oder bei gleichzeitiger Aethernarkose zutreffen.
Ein anderes Mittel ist Amylnitrit, Amylium nitrosum , welches
ev. bei Unfällen angewandt werden darf. Dasselbe ruft eine Hyper-
aemie im Gehirn hervor. Es wird daher anzuwenden sein bei allen
jenen Unfällen, Avelche auf Anaemie des Gehirns zurückzuführen
sind. Diese anaemi sehen Zustände sind aber bei Narkosen sehr
h ä u f i g.
Andere Methoden bei Collapsen anwendbar sind folgende: Man
schlägt Brust, Gesicht und Arme mit nassen Tüchern, man mas-
siert die Extremitäten um die Zirkulati on in den Hautgefässen
durch Reizung der Hautnerven zu befördern. W. Koch hat Fol-
gendes empfohlen: Man führt die nicht mit Elektroden versehenen
Enden der Leitungsdrähte eines Induktionsapparates in die
beiden Nasenlöcher, und lässt recht starke Ströme durch die
Drähte auf die Schleimhaut der Nase wirken, während 10 bis
20 Sekunden, nach ein- oder mehrmaligen solchen Reizungen er-
folgen meist Inspirationen, und die Atmung beginnt wieder stärker
zu werden.
§ 81. Eine weitere Beachtung verdient während der Narkose
die Temperatur sowohl des Patienten, als auch der ihn um-
gebenden Luft.
Während der Narkose erleidet der Patient eine nicht unbedeu-
tende Abkühlung. Dieselbe wii'd erstens hervorgerufen durch Herab-
setzung des Blutdruckes, andererseits durch die ruhige Lage,
durch die Inaktivität der Muskeln. Ferner ist die Abkühlung nicht
unbeträchtlich, welche die Inspirationsluft erfährt durch das ver-
dunstende Narkotikum.
Man kann letzteres leicht nachweisen, wenn man in die grosse,
früher vielfach verAvandte, jetzt auch noch gebrauchte Julliardsche
Äthermaske ein Thermometer bis auf die Rosette in die der Äther
gegossen wird, führt. Es ist beim Äther garnicht selten zu bemerken,
dass bei langer Narkose die Rosette hart gefriert, wenigstens
zeigt sich fast bei jeder Narkose Schnee auf derselben gefroren.
Wenn man schnell einmal während einer Äthernarkose in die Julliard-
sche Maske riecht und deren Luft einatmet, empfindet man deutlich,
dass die Luft sehr kalt ist. Bei weniger leicht verdampf-
baren Narkotika ist die Abkühlung vielleicht nicht so hochgradig,
doch sie ist vorhanden, da eine Verdampfung stattfindet, und sie stellt
einen Faktor dar, mit welchem man rechnen muss.
— 186 -
Die Inspirationsluft wird bei verschiedenen Narkotika verschieden
beeinfiusst, bei allen Inhalationsanästhetika aber wird dieselbe
mehr oder minder abgekühlt. So atmet der Patient eine kalte Luft
ein, welche ihm natürlich Wärme entzieht. Dies ist nicht un-
Avesentlich bei langen Narkosen. Deshalb muss man bemüht sein,
der allgemeinen Abkühlung des Kranken entgegen zu arbeiten.
Zu diesem Zwecke muss man versuchen, die Momente der Ab-
kühlung selbst zu mindern. Dies lässt sich hier nicht tun.
Deshalb muss man den Kranken vor einer Aveiteren Abgabe von
Wärme an seine Umgebung gut schützen. Dies erreicht
man dadurch, dass man den Kranken mit Decken gut zudeckt an
den Stellen seines Körpers, an denen es durch die Operation nicht
verhindert wird. Der Kranke wird also überall mit wollenen
Decken, welche in Leinenüberzug, der sterilisiert werden kann, gehüllt
sind, gut zugedeckt, die Extremitäten werden mit solchen Decken
umwickelt.
§ 82. Allein in manchen Fällen, wo wir stundenlang zu operieren
haben, wird dies nicht genügen. Deshalb sucht man dem Kranken
Wärme zuzuführen, und zwar durch die Luft. Die Temperatur der
umgebenden Luft darf aber nicht sehr viel höher als 20° C
gesteigert werden aus Rücksicht auf die anderen Personen. Neben-
bei muss gut ventiliert werden, wodurch auch kalte Luft wieder
in den Saal gelangt. Da nun die Luft nicht viel wärmer ge-
macht werden darf, so hat man den Kranken auf mit warmem
Wasser gefüllte Wasserkissen gelegt. Dies ist eine einfache
und überaus wirksame Wärmequelle für die Patienten, die an sich
wenig Körperwärme besitzen. Ausserdem gibt es heizbare Operations-
tische, welche durch das unter der Platte, auf welcher der Kranke
liegt, fliessende heisse Wasser warmgehalten werden, und so dem Kranken
vom Lager aus Wärme zuzuführen vermögen. So muss man
auf jede mögliche Weise versuchen, das durch die lange Narkose
entstehende Defizit au Körperwärme des Kranken zu ersetzen.
Durch die Abkühlung der Inspirationsluft infolge der
Verdunstung des Narkotikums können dem Kranken ernste Ge-
fahren bereitet werden in Erkältungen der Respirationsorgane.
Um diese möglichst zu verhüten, wäre es sehr angebracht, wenn man
heizbare Masken verwenden wollte. Dieselben werden durch eine Ther-
mophorrosette, oder durch eine um die Maske in zahlreichen
Windungen laufende Rohrleitung aus Metall, welche mit heissem
Wasser vor der Narkose gefüllt wird, erwärmt. Solche Masken
sind neben anderen vom Verfasser konstruiert und angegeben
worden. Dieselben liefern eine etwas erwärmte Luft direkt vor
dem Munde und der Nase des Patienten, und verhindern vollkommen
eine so grosse Abkühlung der Inspirationsluft durch die Ver-
dunstung des Narkotikums, dass dem Patienten eine Erkältung
der Respirationsorgaue drohen kann. Durch die so konstant erhal-
tene Temperatur wird auch eine gleichmässigere Verdunstung des
Narkotikums, und somit eine gleichmässigere Konzentration des Nai'ko-
_ 187 —
tikumdampfluf'tgciuisclies erzielt. Ein weiterer Umstand, der die Ab-
küliluiig' vcnnindert, i.st der, dass man mögliclist Avarmc Luft unter die
Maske gelangen lässt, deshalb niuss die Luft im Zimmer eine mög-
lichst hohe Temperatur haben.
§ 83. Für die LLandhabung der Narkose ist eine grosse Menge
von Instrumentarium notwendig. Dasselbe wird hauptsächlich gebildet
aus den für die Einverleibung der Nai'kotika in den Organismus nötigen
Apparaten, und wir wollen uns zunächst mit diesen etwas näher be-
schäftigen, soweit dieselben eine allgemeine Behandlung gestatten. Da
wir in weitaus den meisten Fällen von Narkosen es mit der sogenannten
Lihalationsnarkose zu tun haben, Avelche dem Oi'ganismus die Narkotika
in Form von Dampf mehr oder weniger mit Luft vermengt durch die
Limgen einführt, so haben wir uns zunächst mit den verschiedenen
Formen der sog. Masken zu befassen. Die Maske war von Anfang an
der gebräuchlichste Narkosenapparat, und man hat da ganz verschiedene
Formen konstruiert, die einen, Avelche nur für Chloroform, die anderen,
welche nur für Aether bestimmt waren, dabei von jeder Kathegorie
verschiedene Arten mit diesen und Jenen Veränderungen. Eine er-
schöpfende Behandlung aller Masken kann hier nicht gegeben Averden.
Hier wollen Avir in dem Folgenden nur die gebräuchlichsten Masken
kurz behandeln, wie AAdr sie noch teihveise in VerAvendung finden.
Zunächst betrachten AAär die JuUiard'sche Maske, Avie sie zur
Aethernarkose vielfach verAvendet Avurde. Dieselbe stellt, wie aus
Fig. 19 und 20 ersichtlich, ein Drahtgestell dar mit dichtem Bill roth oder
Gummistoff überzogen, unter welchem eine Lage Mull sich befindet,
auf welchen der Aether gegossen wird. Man kann vermittels des Draht-
reiferis oder des inneren mit Scharnieren verbundenen Korbes in Fig. 20
die Bedeckung des Drahtgestelles nach Belieben entfernen und erneuern
zum ZAvecke der Sterilisation.
Fig'. 19. JuUiard'sche Maske.
Fig. 20. JuUiard'sche Maske
mit Korbeinsatz.
Diese JuUiard'sche Maske ist in verschiedenen Modifikationen vor-
handen, die hier übergangen av erden können. Andere Aethermasken
— 188 -
sind die von Czerny (siehe Figur 21) und von Rosenfeld (siehe
Figur 22).
^=^3s
Fig. 21. Aethermaske nach Czerny. Fig. 22. Aethermaske nach Rosenfekl.
Die obengenannten Masken stellen schon komplizierte Apparate
dar. Wir kommen nun zu den Aethernarkoseapparaten von Wanscher
(vergleiche Fig. 23) und Grossmann (vergl. Fig. 24). Beide stellen
besondere Apparate dar, welche man nicht allein mit dem Worte Maske
bezeichnen darf, da sie ein besonderes Prinzip für die Dosierung verfolgen.
Fig. 23. Aethernarkoseapparat von
Wanscher.
*^ r higesreii \
usnehmbop.
Fiff. 24.
Aethernarkoseapparat nach
Grossmann.
Wenn wir uns nun zu den Masken für die Chloroformnarkose
wenden, so haben wir zunächst die gebräuchlichste Maske zii nennen,
die von Esmarch'sche, Avelche bedeutend kleiner als die Julliard'sche
- 189 —
Maske ist, aber nach demselben Prinzip gebaut, aus einem Drahtgestell
bestehciul mit einem Bezu"- aus Trikotstoft' ttberzoo'on wird. Der Unter-
Fig. 25.
Chloroformmaske nach
V. Esmarch.
Fig. 26. Esniarch'sclie Chloroform-
maske im Etui mit Tropfvorrich-
tung' und Zungenzange.
Fig. 27. Chloroformmaske Dach Skinner.
schied liegt neben der verschie-
denen Grösse darin, dass die Es-
march'sche Maske mit einem durch-
lässigen Stoffe überzogen ist, so
dass man das Chloroform auf die
Aussenseite der Maske tropfen
kann, während die Julliard'sche Maske von einem undurchlässigen Stoff
überzogen ist. Figur 25 zeigt die Esniarch'sclie Maske mit Ueberzug
und Figur 26 zeigt uns dieselbe
Maske mit den dazu nötigen In-
strumenten, Tropf ei nrichtung und
Zungenzange in einem Etui, eine
Zusammenstellung, die für den
praktischen Arzt von grossem
Werte ist.
Eine andere Chloroform-
niaske ist die von Skinner (vergl.
Fig. 27), welche ähnlich der vor-
hergehenden ist, wohl aber kaum besondere Vorzüge vor jener voraus hat.
Weitere Chloroformmasken '
sind von Schinimelbusch kon-
struiert worden. (Verf. Fig. 28
und 29.) Dieselben besitzen den
Vorteil, dass man sie nicht von
der Stirn aus festhalten muss,
sondern dass sie einen seitlichen
Griff besitzen, welcher ein beque-
meres Festhalten mit der einen
Hand ermöglicht, während man die-
selbe Hand zum Kieferlüften etc.
benützen kann. Ferner kann man
das Drahtgestell dieser Maske, wie
aus den Abbildungen ersichtlich
ist, zusammen legen, wodu.rch ein
leichterer Transport der Maske
ermöglicht wird.
Fig. 28. Chloroformmaske nach
Schimihelbusch.
190 -
Fiff. 29.
Chloroformmaske nach Schimmel-
busch.
Neben den Masken, in welche das Narkotikum direkt gegossen
wurde, konstruierte man bald kompliziertere Apparate für die Narkose,
welche dem Kranken ein
Narkotikum - Dampfgemisch
mit Luft zuführen sollten.
Solche Apparate wurden
von Kappeier und Jun-
ker konstruiert für die
Chloroformnarkose. Der
Junker 's che Apparat ist
in Figur 30 dargestellt.
Einige Veränderungen dieses
Apparates zeigen die Modi-
fikationen von Friedrich
(Fig. 31) und Scböne-
mann in Figur 32.
Bei diesem Appa-
rate wird ein Luftstrom
durch das in der Flasche
befindliche Chloroform
getrieben, und bei dieser
Gelegenheit mischt sich
die Luft mit Chloroform-
dämpfen, welches Ge-
menge nach der Maske,
die über Mund und Nase
gehalten wird, getrieben
vom Kranken inspiriert
wird. Man kann durch
langsames und schnelles
Drücken des Blasebalges
die Menge des einzuatmenden Chloi'oforms verringern und vermehren,
und so nach Bedarf die Dosierung modifizieren.
Es sind diese Apparate freilich nicht vollkommen in der Dosierung,
Fig. 30. Chloroformapparat nach Junker.
Fig. 31. Chloroformapparat nach Friedrich.
doch immerhin ganz brauchbar und Avertvoll, wo man Ijaien zum
narkotisieren verwenden muss, welche die Tropfmethode schwerer
erlernen als den Gebrauch dieser Apparate.
— 191 -
Für die wenigen Fälle, in denen man eine Person durch die
Tracheotomiewunde narkotisieren muss, sind zwei sehr brauchbare kleine
Apparate mit geeigneter
Trachealkanüle konstru-
iert worden, der eine
in Trendelenburgs - Tra-
chealkanüle in Figur 33
und der andere in Hahns
Kanüle in Figur 34.
In beiden Appara-
ten wird das Narkotikum
auf einen mit Mull über-
spannten Trichter ge-
tropft, welcher durch
einen Schlauch mit der
Kanüle verbunden ist, sodass der Kranke die Luft durch den Trichter
atmet. An Stelle des Trichters kann man auch einen Junkerschen
Fifif. 34. Hahns Trachealkanüle.
Fiß-. 32. Chloroformmaske nach Schönemann.
Fig. 33. Trendelenburgs Tamponkanüle.
Apparat oder dergleichen anfügen, durch welchen man die Luft mit
Narkotikumdampf in die Trachea blässt.
— 192 —
Im Anschluss an diese Apparate wollen wir noch jene sinnreiche
Vorrichtung erwähnen, die, wie Figur 35 zeigt, an einem Mundsperrer
2 Rohre besitzt, durch die das Narkotikumdampfgemisch in den Mimd
aus einem Junker'schen Apparat geblasen wird. Dieser Apparat wird
dann verwendet werden, Menn man im Gesicht operiert, oder im
Munde usw., sodass eine Maske nicht gut Verwendung finden kann,
und wobei der Mund offen gehalten wird durch den Sperrer. Dieselbe
ist von Hewitt konstruiert worden.
Fig. 35. Narkoseapparat nach Hewitt.
Ein dem vorigen sehr ähnliches Instrument jedoch nur mit einem
Rohr zum zuführen des Narkotikumdampf luftgemisches, welcher bei
Mundoperationen sehr praktisch zu verwenden ist, indem man denselben
geschlossen vor Beginn der Nai'kose zwischen die Zahnreihen legt und
so liegen lässt, bis man ihn zum Öffnen des Mundes braucht, ist der
Fig. 36. Doyen'scher Mundsperrer modifiziert von Probyn "Wilhams.
von Probyn -Williams modifizierte Doyensche Mundsperrer, wie wir ihn
in Figur 36 sehen.
Das Rohr wird mit einem Junkerschen Apparat verbunden, und
#
— 193 —
so erhält der Kranke das Narkotikum durch der Apparat iiii Munde
zug-eführt, ohne duss der Oi)erateur in seiner Tätij>'keit durch eine Maske
oder dergl. gestört wird.
a 1)
Fig. 37. Ormsby's Apparat für die Aethernarkose.
a) gebrauchsfertig^er Apparat, b) Durchschnitt durch den Apparat von Ormsby.
Auch für den Äther hat man kompliziertere Apparate ersonnen,
so den Ormsbyschen Apparat, Figur 37, und den Cloverschen
Apparat Figur
38, sowie eine Mo-
difikation des letz-
teren in dem S h e p -
pardschen Ap-
parat, Figur 39.
DieserAppa-
rat von Ormsby
soll dem Narkoti-
seur ermöglichen,
nach Belieben dem
Kranken die reinen
Ätherdämpfe zu
verabreichen, oder
atmosphärische
Luft hinzuzufügen,
oder nur Luft at-
men zu lassen, ohne
dass der Apparat Yig. 38. Aethernarkoseapparat von Clover.
13
— 194 —
vom Gesicht des Kranken, dem er dicht aufsitzt, entfernt zu werden
braucht.
Dasselbe Prinzip weist der Clo versehe Appju'at auf, welcher noch
ein Bassin besitzt, in welchem Luft imd Ätherdämpfe gemischt werden
Fig. 39. Acthernarkosea[)parat nach Sheppard.
je nach dem Bedürfnis durch einen Hahn regulierbar, und dem Kranken
das fertige Luftäthergemenge in bestimmten Verhältnis zugeführt wird.
Der Sheppardsche
S J^ Apparat ist dem Cloverschen
sehr ähnlich im Prinzip und
unterscheidet sich von die-
sem dm-ch eine Abknickung
des Gasleitungsrohres , wo-
durch ermöglicht wird, dass
der Apparat auch dann auf
dem Gesicht dicht aufliegen
kann, wenn der Kranke auf
Brust und Bauch liegen
muss, wie aus Figur 39 er-
sichtlich.
Neuerdings hat Lon-
gard einen Apparat zur
Athernarkose angegeben,
welcher manche Vorzüge hat,
und in Figur 40 abgebildet
ist. Über das Prinzip soll im
speziellen Teil dieses Buches
Fig. 40. Aethernarkoseapparat von Longard. näher berichtet werden.
- 195 —
Wenn niuu aber hierbei die Bestrebunt^en liatte, einen Apparat
zu konstruieren, welcher eine genaue Dosierung der Narkotikuinniengen
gestattete und dem Kranken ein je nach dem Bedürfnis veränderbar
konzentrirtes Narkotikumdanijtf'luftgemenge zuführte, so Avar das ein
Problem, welches nicht so leicht zu lösen war. Die genannten Apparate
reichten nicht aus, tim zuverlässig zu arbeiten. Wir haben eine Reihe
der besten und brauchbarsten von diesen Apparaten genannt, und
können hier die anderen übergehen, da dieselben nicht in der Praxis
verwendbar sind, und der einfachsten Narkotisierungsmethode, der
Tropfnarkose nie eine ernste Konkurrenz machen können. Es kommen
eben eine ganze Reihe von Schwierigkeiten in Betracht, wenn man
einen genau dosierenden Apparat bauen will, z. B. die Temperatur,
der Luftdruck und das wechselnde Bedürfnis einer hohen und niedrigen
Konzentration der Gasgemische. Diese Punkte sind bei obigen Appa-
raten nicht alle beachtet, und deshalb können dieselben nicht genau
arbeiten. Dabei sollen die Apparate möglichst klein, handlich und leicht
zu transportieren sein.
Allerdings hat man tatsächlich Apparate konstruiert, welche eine
vollkommen genaue und exakte Dosierung gestatten. Da diese Apparate
für wissenschaftliche Untersuchungen namentlich für Tierexperimente
sehr wertvoll sind, so Avollen wir einige derselben erwähnen. Für die
allgemeine Praxis können dieselben keine Vei'Avendung finden, da sie
nicht von Ort zu Ort transportiert und so über Land vom Arzte mit-
geführt werden können. Sie sind nur in einer Klinik zu verwenden,
und stellen in gewisser Hinsicht einen sehr wertvollen Apparat dar.
Doch, wenn sie nicht Aligemeingut der Arzte Averden können, so ist
ihre VerAvendung für Narkose in der Klinik ebenfalls illusorisch, denn
dort sollen dem Studierenden und Arzte doch die in der Praxis ver-
wertbaren Methoden gezeigt Averden.
Da nun auch noch die Handhabung derselben einige Übung er-
fordert, so kann man sie auch aus diesem Grunde nicht für alle Nar-
kosen verAveuden. So sind sie eben nur zum Experiment, namentlich
an Tieren für uns brauchbar.
Schon Snow kam zu der Überzeugung, dass man bei der Narkose
eine bessere Dosierung des Narkotikums anwenden müsse, und konstruierte
einen Apparat, Avelcher die Darreichung bestimmt dosierter Narkotikum-
damfluftgemische ermöglichen sollte.
Nach ihm Avar es P. Bert, welcher in diesem Sinne Aveiter ai'bei-
tend zeigte, dass die Schnelligkeit des Eintrittes der Narkose, deren
Tiefe und Dauer, während welcher der Tod bei fortgesetzter Darreichung
des Narkotikums endlich eintrat, einzig und allein von dem Prozent-
gehalt der betäubenden Dämpfe an der Inspirationsluft abhängig sei.
Bert empfahl gestützt auf seine Untersuchungen titrierte Mischungen
von Luft und Narkotikumdampf für die Narkosen in der Praxis.
Li denselben Bahnen arbeitete auch Pean Aveiter und fand, dass
z. B. zu einer Narkose ein Gemisch aus 8 g Chloroform auf 100 Liter
Luft nötig sei. Die Apparate, Avelche dazu verwandt Avurden, waren sehr
umständlich, und nicht allgemein A^erAvendbar.
13*
— 196 -
Einen sehr sinnreichen und gut arbeitenden Apparat konstruieret
Dreser, wenn derselbe auch hinlänglich kompliziert war. Die Apparate
der neueren Zeit zeigen uns zwar nicht weniger komplizierten Bau, aber
eine exakte Funktion, welche bei vielen der früheren fehlte.
So konstruierte Kionka 1894 einen Apparat, welcher folgender-
massen aussieht.
Das Tier ist tracheotomiert und mit einer T-förmigen Trachealkanüle
versehen, in dem es durch Ventile atmet, sodass von der einen Seite her die
Luft eingeatmet, nach der entgegengesetzten ausgeatmet wird. Das Zuleitungs-
rolir besitzt noch eine andere Leitung, welche die Dämpfe des Narkotikums
in die Inspirationsluft mischt. Das Tier atmet also durch ein in zwei Röhren
sich teilendes Rohr. Eine dieser Röhren endet in die Luft, die andere führt
zu verschiedenen Apparaten, welche die sie durchströmende Luft mit Narkoti-
kumdampf (Chloroform etc.) sättigen sollen.
Die Luft soll nun einen bestimmten Prozentgehalt a,n Narkotikumdampf
erhalten. Dies wird folgendermassen erreicht: Vor der Öffnung des Rohres,
durch welches das Tier atmet, befindet sieb eine Gasuhr, auf deren Achse
ein Rad befestigt, sich mit dem Uhrwerk dreht. Um das Rad ist eine Schnur
gewickelt, die sieb beim Drehen desselben abwickelt, an deren freiem Ende sich
mit der Konkavität nach unten gerichtet ein gebogenes Röhrchen befindet
durch einen Gummischlauch mit dem unteren Ende einer senkrecht stehenden
Bürette kommunizierend. In letzterer befindet sich "Wasser, das sich immer in
gleiches Niveau mit der Mündung des Röhrchens einstellt. Wenn sich die
Schnur vom Rad abwickelt, fliesst "Wasser durch das gebogene Röhrchen aus
der Bürette, und swar entsprechend den Bewegungen der Gasuhr, d. h. eine
Menge "Wasser fiiesst ab, welche den die Uhr passierenden Luftmengen entspricht.
Das "Wasser fliesst in einen auf eine "Wulffsche Flasche luftdicht gefügten Trichter,
der erst am Boden der Flasche in eine die Flasche teilweise füllende "Wasser-
schicht mündet, welche sich entsprechend den Inspirationen der Atmung des
Tieres hebend ein entsprechendes Quantum Luft aus der "Wulffschen Flasche
durch ein luftdicht aufgesetztes Glasrohr in einen Apparat drückt, in welchem
die Luft mit Dampf eines Narkotikums gesättigt, und aus welchem Apparat
dieselbe endlich wieder in die Leitung geführt wird, durch die das Tier atmet,
vgl. Fig. 41.
Fig. 41. Narkotisier ungsapparat nach Kionka.
Dieser letztere Apparat besteht aus einer in einem "Wasserbad auf ent-
sprechende (bei Chloroform 60 0 C) Temperatur erwärmte doppelt tubulierte
— 197 -
Flasche mit dem Xarkotikum (Chloroform), in welcher sich die Luft mit den
Dämpfen des Narkotikums sättigt, und zweitens aus einem im Wasser von
{gewöhnlicher Temperatur hängenden M-Rohr, in welchem die erwärmte Luft
beim Durchtreten abgekühlt wird, und das überschüssige Narkotikum (Chloro-
form), welches sich beim Abkühlen abscheidet, zurücklassen kann.
Je nach der gewählten engeren oder weiteren Bürette kann man
den Gehält der Inspirationsluft am Narkotikumdampf ändern und regu-
lieren. Uiin kann das Tier durch diesen Apparat ein bestimmt kon-
zentriertes Luft-Narkotikuindampfgemisch atmen lassen, und vermag auch
den Gehalt an Naikotikumdampf beliebig zu ändern. Die Resultate,
welche man hiermit erreicht hat, sind befriedigende.
Indessen genügte dieser Apparat nicht bei dem Verwenden meh-
rerer Narkotika, und zu diesem Zwecke konstruierte Kionka folgenden
Apparat, vergl. Fig. 42, den er wie folgend schildert:
„Während bei dem ersten Apparat das Tier selbst durch seine Inspira-
tion den Luftstrom im Apparat in Bewegung setzen musste, lasse ich jetzt —
ebenfalls mit einer T-förmigen Trachealkanüle, sowie Inspirations- und Lx-
spirationsventil versehen — aus einem grossen Kautschukbeutel atmen, durch
den vermittelst eines Wasserstrahlgebläses ein permanenter Luftstrom streicht..
Die Dosierung wird nun in diesem Luftstrome, der den Ivautschukbeutel ven-
tiliert, vorgenommen. -r ,.. i t • i • -u
Zum Abmessen der zur Einatmung dienenden Lult bediene ich micü
einer Gasuhr. In derselben Weise wie bei dem früheren Apparat wickelt sich
beim Gehen der Gasuhr von einem auf ihrer Achse befestigten Rade eine bchnur
ab welche an ihrem freien Ende eine unten zugeschmolzene, durch bchrot-
kuoeln beschwerte, lange Glasröhre trägt. Diese Röhre taucht m ein hohes
zylindrisches Gefäss, welches an einer Stelle kurz unterhalb des oberen Randes
mit einem Überlauf versehen ist und das betreffende Narkotikum aufnimmt.
Da das Rad auf der Achse der Gasuhr sich genau nach dem Gange der Gas-
uhr dreht, so muss sich auch die an der Schnur hängende Glasruhre m einem
Fio-. 42. Narkotisierungsapparat für Chloroform und Aether nach Kionka.
— 198 -
genau dem Gange der Gasuhr entsprechenden Verhältnis in das flüssige Nar-
kotikum einsenken. Hierbei verdrängt sie aber aus dem Zylinder eine ent-
sprechende Menge Flüssigkeit, die also in ganz bestimmten Verhältnis zu dem
Gange der Gasuhr, d. h. den durch sie hindurchtretenden Luftmengen, steht.
Die Grösse dieses Verhältnisses kann man leicht dadurch variieren, dass man
engere oder weitere Röhren eintauchen lässt, oder noch einfacher, wie wir es
gewöhnlich taten, dadurch, dass auf die Achse der Gasuhr eine ganze Anzahl
von Rädern verschiedenen Durchmessers gesetzt sind, sodass man jederzeit
mitten im A-^ersuch Avechselt, bald von einem kleineren, bald von einem grösseren
Rade die Schnur sich abwickeln lassen kann.
Das aus dem Zylinder ausfiiessende Chloroform gelangt durch einen
mit trichterförmigem Mundstück A'crsehenen kleinen Siphon, der zu gleicher
Zeit als Luftabschluss dient, m die Luftleitung und vsird dort verdampft. Zu
diesem Zweck tritt die vom Wasserstrahlgebläse getriebene Luft hinter der
Gasuhr zunächst in eine U-Röhre. Diese steht in einem Wasserbade von 60*^ 0.
und ist locker mit Glasperlen angefüllt, sodass das von oben eintropfende
Chloroform sofort in Dampfform umgewandelt wird. Die aus der U-Röhre
austretende Luft besitzt also, da ja die in der Zeiteinheit abtropfende Chloro-
formmenge in einem bestimmten Verhältnis zu der in derselben Zeiteinheit
hindurchpassierenden Luftmeuge steht, stets einen konstantbleibenden Chloro-
formgehalt. Sie streicht jetzt durch einen Schlangenkühler, in dem sie wieder
auf Zimmertemperatur abgekühlt wird, und gelangt so in den_ Gummibeutel,
aus welchem durch eine Seitenleitung das Tier atmet. Die freie Öffnung, durch
die der Ventilationsstrom den Gummibeutel verlässt, ist gegen etwaiges Ein-
dringen der Aussenluft durch ein leicht spielendes Ventil verschlossen, wodurch
verhindert wird, dass etwa bei einer besonders tiefen Inspiration des Tieres
reine, unvermischte Luft in den Gummibeutel eingesogen werde."
Mau muss diesen Apparat vor jedem Gebrauch aiclieu, indem
man den Cliloroformcylinder bis an den Ueberlauf mit Chloroform füllt,
und die Schnur mit der Glasröhre so einstellt, dass die Glasröhre gerade
mit dem Ende in das Chloroform eintaucht. Man nimmt den Sypliou
ab, und befestigt ihn direkt unter dem Ueberlauf mit einem Halter.
Ein graduierter Cylinder wird unter die Ausflussöffnung gestellt, welcher
in ^Ij^q cbcm-Teile graduiert ist. Darauf setzt man diirch das Wasser-
strahlgebläse die Gasuhr in Bewegung, und liest die abgeflossene Chloro-
formmenge nach dem Durchtritt von je 10 Liter von dem Messcylinder
ab. Natürlich muss man dies mit dem betreffenden zu benützenden
Narkotikum und bei bestimmter konstanter Temperatur vornehmen. So
kann man erfahren , wieviel Kubikzentimeter des Narkotikums bei der
Benutzung jedes Rades in 10 Liter Luft verdampfen. Die Berechnung
ist folgende:
,,Es sei z.B., wie Kionka anführt, gefunden, dass bei Benutzung des
(kleinsten) Rades I in 10 Liter je 0,25 cbcm Choroform zur Verdampfung ge-
langen. 0,25 cbcm entsprechen aber 0,064 Liter Chloroformdampf bei einer
Temperatur von 15^ C. und 760 mm Hg. Stand, d. h. aus je 10 Liter Luft,
welche durch den Apparat gehen, werden 0,64 Liter chloroformhaltige Luft
mit einem Gehalt von 0,064 Liter Chloroformdampf. Es enthält also 0,635
Volumenprozent Chloroformdampf."
So kann man diesen Apparat auch für andere Narkotika als
Chloroform verwenden, luid derselbe entspricht den gestellten Anforde-
rungen.
Es lässt sich dieser Apparat auch zu Narkosen an Menschen ver-
wenden mit einer kleinen Modifikation in Gestalt einer gut anschliessenden
Maske an Stelle des Gummibeutels oder anderen kleinen Veränderungen.
- 199 -
Ein anderer, sehr genau funktionierender und dosierender Apj)arat
für Narkosen, an Menschen sowohl wie zu Tierexperimenten, ist von
Geppert konstruiert -worden, und ^ir \\ollen denselben hier kurz be-
schreiben.
Er besteht aus einem Gasometer, dessen unlerer Kessel mit "Wasser bis
etwa 8 cm unter dem oberen Rand gefüllt ist. Wenn man den Apparat an
Gewicht leichter machen will, um denselben zu transportieren, ist eine Seele
eingesetzt. Dieselbe stellt ein verjüngtes Abbild des anderen Kessels dar. Der
obere Kessel hängt an einem Drahtseil, welches oben über zwei Räder läuft
und am andern Ende ein Gegengewicht trägt. Das letztere ist so gewählt,
dass im Kessel ein Druck von 3 cm Wasser herrscht. Wenn man den Kessel
aufziehen will , um ihn mit Luft zu füllen , so fügt man noch zwei Gewichte
hinzu und öfthet einen Hahn w am Boden des Gasometers. Nachdem der Kessel
aufgestiegen ist, schliesst man den Hahn und entfernt die beiden Gewichte.
Ein anderer Hahn v gestattet der Luft, wenn er geöffnet ist, vom Innern des
Gasometers nach dem Verdampfungsapparat f zu strömen. Man lässt denselben
solange geschlossen, bis das Narkotikum in den Verdampfungsapparat f gegossen
ist. Damit man nun bequem und leicht das Nai'kotikum hinein bringen kann,
ist ein Hahn a dicht hinter dem Verdampfungsapparat angebracht, durch dessen
Öffnung die Luft nach aussen entweichen kann, wodurch der Kessel z sinkt.
Dabei stellt sich das Niveau des Narkotikums auf den richtigen Stand ein.
Man schliesst den Hahn nachdem einige Tropfen des Narkotikums übergeflossen
sind, und der Apparat ist zum Gebrauch fertig. Der Hahn a ist an dem un-
teren Schenkel eines Y-iörmigen Rohres befestigt, und hat den Zweck, wenn
man unvorsichtig Narkotikum in das Rohr D eingegossen hat, welches nach E
überfliesst, dass es daselbst verdampft wird, und die Dämpfe gelangen in das
Y-förmige Rohr, woselbst sie sich kondensieren. Offnet man nun den Hahn a
zum Einstellen, so fliesst das Narkotikum ab. Man leitet nnn entweder durch
ein Gummirohr, wenn man den Apparat in die Nähe des Operationstisches
stellen kann, oder sonst durch eine feste Rohrleitung das Gas bis zum Re-
gulierhahn, indem man das Leitungsrohr mit dem Ansatzstück an dem Y-
förmigen Rohr verbindet. Man kann bei mehreren Operationen zu gleicher
Zeit mehrere Hähne mit Schlauchansätzen anbringen, und so zu gleicher Zeit
mehrere Narkosen ausführen.
Der Regulierhahn ist an einem Ständer 0 befestigt, welcher oben eine
Gabel trägt, durch welche der Schlauch gelegt werden kann. Er führt dann
hoch durch die Luft, ohne im Saal die Personen in ihrer Bewegungsfreiheit
zn stören.
Der Regulierhahn ist folgendermassen konstruiert.
Auf einem Stopfen q befindet sich eine Platte r, durch die man denselben
wie einen gewöhnlichen Hahn drehen kann. Diese Bewegung wird durch die
Schraube s getan, wodurch eine sehr feine Einstellung geschehen kann. Eine
Skala befindet sich auf dieser Platte, auf welcher ein Zeiger vom Zuleitungs-
rolir t mit seiner Spitze aufliegt. Derselbe zeigt entsprechend den Drehungen
der Platte auf die verschiedenen Zahlen der Skala. Die letzteren geben nun
an, wieviel Kubikzentimeter des Narkotikums bei der betreffenden Hahnstellung
verdampft werden und in die Maske gelangen. Dieselben werden bei jedem
Hahn bestimmt. Zu diesem Zwecke verfährt man folgendermassen: Ehe die
Skala auf der Platte fest bestimmt wird, wird der Hahn im Apparat befestigt
und bis zu einem beliebigen Punkte gedreht. Nun sieht man zu, wieviel cm
das Schrotrohr c pro Minute in die Flüssigkeit einsinkt, und kann daraus be-
rechnen, wieviel cbcm des Narkotikums verdampft werden. Dies wird notiert,
und der Punkt wird auf der Platte markiert. So werden noch weitere Punkte
bestimmt, und man erhält einen Anhalt, wo die Zahlen zu liegen kommen, auf
die es beim Narkotisieren hauptsächlich ankommt. Dies ist namentlich die An-
fangsdose, mit der jede Narkose begonnen wird. Dieselbe entspricht nach
Geppert 1,2 cbcm. Dieser Punkt wird durchprobieren genau bestimmt und
mit einer längeren Linie markiert. Weiter bestimmt man die Stellen , die
- 200 -
2,2, 3,2 cbcra etc. entsprechen, weiter bis ca. 6 cbcm. An diesen Stellen werden
längere Striche gezogen, deren Zwischenräume noch durch 3 kleinere Striche
geteilt werden. So erhält man eine regelmässige Skala.
Man muss für die Leitung sehr weite Rohre verwenden, um die Reibung
möglichst gering zu gestalten, sowie die Leitung durch gleichmässig temperierte
Fig. 45. Verdampfungsapparat.
Fig. 43. Apparat von Geppert.
a Hahn am Y-Rohr links von der Flamme, b Bügel, an dem hängt c Schrot-
rohr, d Rohr für Chloroform, e Rohrleitung ausgehend vom Y-Rohr. f Glas-
kugel des Verdampfungsapparates, g Wasserbad. h Leitung an der Einmün-
dungsstelle des Chloroformdampfes, i Wasserkugel zur Erhaltung des konstanten
Niveau's. k Eisenrohr. 1 Luftrohr des Gasometers, m Leitungshahn an der
Wand. N Klammer, mit d» r der Regulierhahn befestigt ist an o Ständer, q
Stopfenteil des Regulierhahnes, r Skalenplatte, t, t Zu- und Ableitungsrohr
des Regulierhahnes, v Hahn im Leitungsrohr, w Hahn am Boden, x Contre-
balance. y unterer Kessel des Gasometers, z oberer Kessel.
— 201 -
Räume führen, da etwaige Temperaturunterschiede auf die Konzentration ein-
wirken. Die Hähne müssen 0,5 cm Durchmesser in der Bohrung haben.
Als Maske wählt mau eine gewöhnliche, in welche das Rohr die Wand
durchbohrend führt, im Inuern der Maske noch etwa 1 cm fortgesetzt, über
welche Fortsetzung ein kurzer Gummischlauch befestigt ist, durch welchen der
Narkotikumdampf unmittelbar ins Bereich der Atmung, dicht vor den Mund,
gebracht wird. Lässt man das Rohr im Niveau der Maske enden, so kann es
passieren, dass beim Verschieben der Maske der Narkotikum dampf gegen den
Nasenrücken geblasen wird. Das Rohr selbst ist beweglich in die Maske ein-
gesetzt und hat Knieform, an deren horizontalem Schenkel der Schlauch an-
gesetzt ist.
Das Grundprinzip, nachdem der Apparat gebaut ist, und nach welchem
die narkotikumhaltige Luft hergestellt wird, ist das, dass man auf eine ge-
messene Menge Luft ein gemessenes Quantum des Narkotikums verdampft.
Der Gasometer wird mit Luft gefüllt, er hat ein Ausflussrohr 1, das in seinem
Innern beginnend, die Lutt entweichen lässt, wenn man den Hahn v geöffnet
hat. Dieselbe strömt dann vom Rohr 1 in das Rohr h, woselbst der Narkotikum-
dampf in abgemessener Menge zugeführt wird. Dies geschieht, wenn Luft aus
dem Gasometer strömt, sinkt der Kessel z, mit welchem man eine mit Schrot
gefüllte, unten zugeschmolzene Glasröhre c verbunden hat. Dieselbe ist an
einem Metallbügel b befestigt und taucht in eine mit dem Narkotikum gefüllte
Glasröhre d, welche soweit mit dem Narkotikum gefüllt ist, dass dasselbe auch
noch in dem rechts angesetzten Querrohr, das nach f leitet, steht. Wenn der
obere Kessel sinkt, senkt sich auch das Schrotrohr c in das Narkotikum ein,
wodurch dasselbe nach f überfliesst. Von da an gelangt soviel Narkotikum in
das Rohr t, als durch das Einsinken des Glasstabes aus dem Rohr D verdrängt
wird. In dem Rohre f verdampft sofort das Narkotikum, da dasselbe in einem
heissen Wasserbade g steht. Das Rohr f ist unten kugelförmig geblasen, damit
eine grössere Fläche zum Verdampfen vorhanden ist. Wenn f mit Dampf ge-
füllt ist, bewirkt jede neu überfliessende Menge Narkotikum, dass eine ent-
sprechende Menge Dampf aus der Röhre f oben entströmt, welche in das Rohr
h mündet, durch welches die Luit vom Gasometer hergeleitet wird, und so wird
Luft mit Narkotikumdampf gemischt, und zwar in abgemessenen Mengen. Wenn
nämlich der Kessel um 1 cm sinkt, so fliesst ein bestimmtes Quantum Luft aus
und wird ein gemessenes des Narkotikums verdampft. Das Verhältnis dessen
ist durch die Querschnitte des oberen Kessels und des Glasrohres c bestimmt.
Das entstehende Gemenge entspricht diesen Verhältnissen genau. Nun kann
man diese Luft-Narkotikumdampfgemische nach dem Regulierhahn leiten, das
Wasserbad ist in einem verzinnten Kupferkessel durch eine Gasflamme heizbar
angebracht, ev. kann es auch mit Spiritusbrennern geheizt Averden. Die Tem-
peratur desselben muss mindestens 90 '^ C betragen, damit die Verdamfung
momentan und richtig bewirkt werden kann. An Stelle dfs Wassers soll besser
eine Chlorkalziumlösung 500 : 1000 Verwendung finden , da dieselbe immer ge-
heizt werden kann, ohne dass viel verdunstet und nicht bei 100° C überkocht,
doch lässt sich das Wärmebad auch auf andere Art leicht regeln.
Dieser Apparat ist zweifellos ein gut funktionierender und ent-
spricht den Forderungen, die wir an eine exakte Dosierung stellen.
Derselbe hat allerdings den grossen Nachteil, dass die Narkose nur in
dem Räume vorgenommen werden darf, in w^elchem der Apparat auf-
gestellt ist. Man kann höchstens die Gasgemenge einige Meter weit in
ein anderes Zimmer leiten. Für die allgemeine Praxis ist dieser Apparat
nicht brauchbar. Da derselbe aber zweifellos für wissenschaftliche
Untersuchungen, für Narkosen an Tieren ete., sehr geeignet ist, haben
wir denselben hier genauer beschrieben.
In dem Folgenden sollen noch einige Apparate für Narkosen hier
Erwähnung linden, welche für die Praxis -wohl brauchbar sind, wenn auch
— 202 —
nur teilweise, und welche vor allem in Krankenhäusern und Khniken
Verwendung- finden.
Zunächst betrachten wir den Apparat für die Chloroformsauerstöff-
narkose von Dr. Roth -Drag er in Lübeck. Derselbe bewirkt eine
genaue Dosierung des Chloroforms und Sauerstoffes und gestattet eine
vorzügliche Narkose. Die genaue Beschreibiing finden wir im speziellen
Teil unter der Chlöroformsauerstoff"narkose. Hier seien in Fig. 46, 47
und 48 die Apparate abgebildet. Fig. 46 zeigt uns den Apparat auf
Fig. 46. Chlorol'ormsauerstoffapparat nach Dr. Roth - Dräger auf fahrbarem
Gestell.
einem durch|Rollen fahrbaren Gestell montiert, mit Sauerstoffzylinder
und dem Chloroformapparat, daneben auf einem Tischchen die nötigen
Masken und Instrumente. Fig. 47 zeigt uns die wichtigsten Teile des
Apparates vergrössert, ebenso führt uns Fig. 48 den Chloroform-
niessapparat noch vergrössert vor.
Aus den Abbildungen ersieht man die Funktion des Apparates.
Derselbe verdient entschieden den Vorzug vor manchen anderen der-
gleichen. Im Anschluss an die Apparate von Roth-Dräger wollen wir
die Apparate für Sauerstoffinhalation und für Sauer.stoffchloroform-
Fig. 47. Grössere Abbildung der Ventile und Messapparate des Apparates von
Dr. Roth - Dräger.
M. ist das Verschlussventil auf dem Sauerstoffzylinder.
X ist das Fmimeter, welches den Inhalt des Zylinders ständig anzeigt zum
Zweck der Kontrolle des vorrätigen Sauerstoffquantums.
0 ein kleines Ventil zum Offnen und Schliessen des Sauerstoffstromes.
P Instrument, das den Sauerstoffverbrauch pro Minute in Litern anzeigt. Die
Sauerstoffdosierung geschieht mit der Flügelschraube Q.
P reagiert auf Q.
R ist der Hahn zum Dosieren der
Chloroformmenge pro Minute.
T ist das Chlorofoi'm im abnehmbaren
Glase, welches nach Gramm
eingeteilt ist, um am Schlüsse
einer Narkose noch eine Kon-
trolle über den tatsächlichen
Chloroformverbrauch zu er-
möglichen.
V ist der Vergaser im Schauglas.
L ist der Sparapparat mit Beutel I.
Von L führt ein Metallschlauch
zur Gesichtsmaske.
Chlorofonnraessapparat des Apparates
von Dr. Roth-Dräger vergrössert.
R Skala zur Messung des Chloroforms.
S Tropfschauglas. T Tropfenbilder. G
Chloroformglas. H Steigrohr, welches
Chloroform ansaugt durch den strö-
menden Sauerstoff. Durch Drehen am
Chloroformhahn kann das Saugen stär-
ker oder schwächer gemacht werden. Ficr. 48.
204
Arbeitsleishunq^^^
Jnhalh der Flasche
A
Flg. 50.
Sauerstoff inlialationsapparat der Sauerstoff- Fabrik
Berlin nach Prof. Michaelis für klinischen Gebrauch.
Fig. 53.
Maske ohne BefestigungS'
einrichtung für obigen
Apparat.
205
Fig. 5-^.
Chloroformsauerstoffappavat vergrössert.
Fig. 54.
Maske mit Befestigungsein-
richtung für obigen Chloro-
formsauerstoff- Apparat.
— 206 —
narkose von Wohlgemut und Prof. Dr. Michaelis hier erwähnen.
Dieselben werden von der „Sauerstoff-Fabrik in Berlin'" hergestellt
und bilden sowohl einen Apparat für die Inhalation von Sauerstoff
allein, die wir ebenfalls bei Unfällen während der^- Narkose mit grossem
Fig. 49. Sauerstoffinhalationsapparat der yauerstull- Fabrik Berlin nach Prof.
Michaelis für den häuslichen Grebrauch.
Nutzen für den Kranken anwenden, als auch Apparate zur Chloroform-
sauerstoffnarkose, welche als erste Instrumente unter der Reihe der
Narkotisierungsapparate dastehen. Wir haben zunächst in Fig. 49 einen
Sauerstoffinhalationsapparat einfacher Art für den häuslichen Gebrauch
und in Fig. 50 einen komplizierten Sauerstoff'inhalierapparat für kli-
nischen Gebrauch, welcher durch seine Ventile und Messapparate eine
~ 207 -
willkürliche Regelung der Sauerstoifzufulir in jedem Moment veränderbar
gestattet.
Der Sauerstoffapparat Fig. 50 ist nun noch mit einem Chloroform-
apparat verbunden worden, um eine Sauerstoffchlorof'ormnarkose zu
Flg. 51. Chiorolbnusauer^loir-Narkose-Apparar der Sauerstoff- Fabrik auf einem
Tischchen lieoend.
ermöglichen. Fig. 51 zeigt uns diesen Narkoseapparat auf einem Tisch-
chen liegend zum Gebrauche fertig. Dieser Apparat kann infolge seiner
verhältnissmässig mittleren Grösse auch in der Praxis verwandt werden,
da man ihn mit sich über Land nehmen kann, freilich erhöht er
den Baiast des ärztlichen Instrumentariums beträchtlich. Immerhin
ist es ein Vorteil, dass man diesen Apparat nicht nur in der Klinik ver-
wenden darf, sondern auch über Land, wenn auch der komplizierte
Mechanismus eine sachverständige Bedienung erfordert, so dass der Arzt
selbst die Narkose stetig mit überwachen muss, wenn er auch die Hand-
habung der Maske einem Laien übertragen muss.
Flg. 52 zeigt uns denselben Apparat vergrössert, sodass man die
Konstruktion und Funktion ersehen kann.
208
Fig. 53 und Fig. 54 zeigen uns 2 Masken, welche das Narkotikum-
luftgemiscli dem Kranken zu^füliren. Die eine Maske Fig. 53 muss vom
Narkotiseur gehalten werden, während die Maske in Fig. 54 mit einem
Band versehen ist, um dieselbe
am Kopfe des Kranken zu
fixieren.
Nachdem wir hier eine
Reihe der gebräuchlichsten und
besten Apparate für die Aether-
Chloroform und Sauerstofi-
Choroformnarkose angeführt
haben, wollen Avir noch einen
Apparat für die Stickstoffbxy-
dulnarkose in Figur 55 er-
wähnen, den Paterson'schen
Apparat. Aus der Abbil-
dung ist die Konstruktion er-
sichtlich. Neben diesem sind
natürlich noch eine Reihe von
Apparaten für diese Narkose
konstruiert worden, doch deren
ErAvähnung würde zu weit füh-
ren, zumal dieselben von ge-
ringer Bedeutuns: sind.
Figur 55. Patersons Apparat für die
Stickstoff-Oxydulnarkose.
Figur 56. ßendler's Narkoseappa-
rat für Narkoseng-emische.
Für die gemischten Narkosen sind ebenfalls noch eine Anzahl
von Apparaten konstruiert worden, z. B. Rendler's Narkoseapparat (siehe
Fig. 56) und noch verschiedene andere, welche aber von geringerer
Bedeutung sind und hier übergangen werden können.
Wenn man sich auch noch soviel Mühe gegeben hat, durch Appa-
— 209 —
rate eine genaue Dosicrmig zu erzielen, so hat man ZAvar das Ziel er-
reicht, doch mittelst Apparaten, welche nie das Gemeingut der prak-
tischen Aerzte werden können. Diese Apparate sind sehr teuer, um-
fangreich und schwer an Gewicht, Aveshalb der praktische Arzt meist
von ihnen absehen niuss. Er wird immer wieder zu der Tropfmethode
zurückkehren, für die er nur eine kleine Maske nötig hat, die er überall
mit sich führen kann.
Um nun die Tropfmethode zu erleichtern, hat man besondere
Flaschen konstruiert, welche ein kontinuierliches Tropfen des Narkotikums
ermöglichen. Am besten ist dazu eine ganz gewöhnliche Tropfflasche,
wie man sie in der Apotheke erhält, zu verwenden. Neben dieser sind
eine ganze Keihe von anderen Tropfflaschen konstruiert worden, wie:
von Esmarch (Fig. 57), von Skinner (Fig. 58), nach Lomsky
(Fig. 59), nach Lomer (Fig. 60), nach Loursky (Fig. 61), nach Paul
Rosenberg (Fig. 62). Ferner eine Aetherflasche von Kurrer (Fig. 63),
Tropfflasche nach v. Es-
march.
Figur 58. Tropfflasche nach
Skinner.
welche sich selbst verschliesst, so dass nie Aether heraus fliessen kann,
wenn die Flasche umfällt etc. Die Vorteile einer jeden Flasche ersieht
man leicht aus den Abbildimgen.
Wenn wir hiermit die Tropfflaschen verlassen, so dürfen wir nicht
unerwähnt lassen, dass diese Flaschen selbstverständlich jjeinlichst sauber
gehalten werden müssen, und dass man das Narkotikum erst kurz vor
Beginn der Narkose in dieselben giessen darf. Niemals lasse man von
einer Narkose zur anderen längere Zeit Narkotikummengen in den Tropf-
flaschen stehen. Dabei wäirde das Narkotikum Zersetzungen erleiden
und unbrauchbar werden zum Schaden der Kranken, die event. damit
später narkotisiert würden.
Zum Schluss unserer Betrachtung der Narkosenapparate im all-
gemeinen wollen wir nicht die neueste Maske vergessen, welche von
Dr. Sud eck für die von ihm ausgebildete Methode der Aetherrausch-
narkose konstruiert worden ist. Dieselbe ist, wie Figur 64, 65 und
14
— 210 —
Figur 59. Tropfflasche
nach L 0 m s k y.
Figur 61. Tropfflasche nach
Loursky.
Figur 60. Tropf-
flasche nach L 0 m e r.
Figur 62. Narlvosenapparat nach
Paul Rosenberg-.
Figur 63. Selbsttätiger Aetherflaschenverschluss nach Kurrer.
66 zeigen, aus Metall gefertigt und mit 2 Ventilen versehen, ein Ventil,
durcli welches der Kranke den in die obere Oeffnung auf Gaze ge-
- 211 —
tropften Aetlior einatmet, und ein zweites seitliches Ventil, durch welches
die ausgeatmete Lxit't des Kranken entweicht. Die für die Rausch-
narkose überaus praktische Maske hat den Vorteil, dass sie in toto
sterilisiert werden kann. Dieselbe wird in 2 Grössen, eine für Er-
wachsene, die andere für Kinder angefertigt.
Was nun die Anwendung der Narkosenapparate im aligemeinen
anlangt, so müssen wir vor allen Dingen unsere Obacht auf denjenigen
^^^^
Figur 64. Maske von Sudeck für Aetherrauschnarkose.
A. Einguss für den Aether. B. Ventil für die Exspirationsluft. C. Einguss-
öffnung für Aether bei seitlicher Kopfhaltung.
Teil richten, welcher mit dem Gesicht des Kranken direkt in Berührung
kommt, um ihm den Narkotikumdampf zuzuführen, diesen Teil bezeichnen
wir der Einfachheit halber bei jedem Apparat mit dem Namen Maske.
Den übrigen Teil des Apparates haben wir natürlich je nach der Kon-
struktion besonders zu behandeln, event. müssen die Hähne geölt oder
gefettet, Gläser gereinigt werden etc. Manipulationen, welche uns als
Arzt nicht besonders interessieren, sondern die ebensogut von einem in
der Mechanik bewanderten Diener besorgt werden können.
§ 84. Wir wollen nunmehr noch einiges beachtenswertes über
die Masken erwähnen. Dieselben sind insofern für uns von Wichtigkeit,
14*
— 212 —
als sie Träger von Infektionsstoffen der verschiedensten Krankheiten
darstellen können. Wenn wir jetzt einen Kranken mit Gesichtserysipel
oder mit Diphtherie narkotisiert haben, so können wir mit derselben
Maske den nächsten Kranken infizieren, wenn wir nicht die Maske
sterilisieren. Aber nicht nur diese Krankheiten kommen in Betracht,
sondern noch eine grosse Anzahl anderer und vor allem die Syphilis.
Leider können wir in die Lage kommen, dass wir gar nicht wissen,
dass unser Kranker auch noch an infektiöser Syphilis leidet. Da ist
es nun unsere Pflicht, den Kranken genau zu untersuchen, um zu
eruieren, ob er an Syphilis oder einer anderen infektiösen Krankheit
leidet. Da wir auch eine Mens-e anderer Krankheiten übertrafen können
Figur 65. Sudeck'sche Maske von unten gesehen.
B. Ventil für die Exspirationsluft. C. Ventil für Inspirationsluft (Aetherdampf).
D. Einkerbuno- für den Nasenrücken.
durch die Maske, so muss die Reinlichkeit dieser Instrumente der Gegen-
stand unserer Sorge sein. Ausser Syphilis kommen auch Tuberkulose,
Mundkrankheiten und viele andere mehr in Betracht. Aber nicht allein
aus dem Grunde der Infektion, auch in ästhetischer Beziehung ist die
peinlichste Reinlichkeit hier erforderlich, wenn auch die Ansteckung
einen entscheidenden Faktor bildet.
Man darf sich da nicht zufrieden geben, dass man den Kranken
womöglich noch oberflächlich auf Lues hin geprüft und nichts Ver-
dächtiges gefunden hat. Es wird uns in unseren Krankenhäusern
bei der genauen Untersuchu.ng, welcher sich die Kranken unterziehen
müssen, möglich sein, stets oder in den allermeisten Fällen sicher über
eine etwa vorhandene Lues unterrichtet zu sein, doch in poliklinischer
Behandlung, und in der Tätigkeit des praktischen Arztes, wird oftmals
— 213
eine Lucs übersehen werden können, da ja die Symptome meist gar
nicht so offen zu Tage liegen, und der Kranke vielleicht wegen einer
kleinen Operation am Finger oder Kopf, nicht in bezug auf die
Genitalien untersucht wurde. Daher müssen Avir prophylaktisch vor-
gehen, und unsere Instrumente desinfizieren. Es ist kein Zweifel, dass
der Arzt in dieser Hinsicht
für die Gesundheit seines
Patienten verantwortlich ist.
Allerdings ist oftmals einer
Desinfektion namentlich bei
einer angestrengten Tätig-
keit eines vielbeschäftigten
Arztes manches grosse Hin-
dernis in den Weg gestellt,
und man ist nur zu leicht
geneigt, sofort mit dem Nar-
kotisierapparat von dem
Kranken auf jenen über-
zugehen. Wenn wir es uns
aber zum Grundsatz machen,
jede Maske /.n sterilisieren,
bei komplizierten Apparaten
kommt ja nur das auf dem
Gesicht aufliegende Ansatz-
stück in Beti'aeht, so wer-
den wir uns bald daran ge-
wöhnt haben und sehen,
dass die Schwierigkeiten
doch überwunden werden
können. Natürlich müssen
genügend Masken zur Ver-
fügung stehen, damit nicht
ein Mangel entsteht. Die
Sterilisation kann nur in
einem Aussetzen der Maske
dem strömenden Dampfe,
oder kochendem Wasser bestehen. Die etwa vorhandenen Stoffüberzüge
oder Watteeinlagen müssen selbstverständlich vor jeder Narkose er-
neuert werden.
Dieser Umstand sollte bei weitem mehr Beachtung finden, und
man sollte nicht auf Grund der Behauptung, dass man noch keinen
Fall von Übertragung einer Krankheit durch die Maske gesehen habe,
die Sterilisation, wie in manchen Fällen Usus ad acta legen, oder
so lau betreiben, dass von einer Sterilisation nicht mehr die Rede
sein kann.
In den seltensten Fällen wird mau den Tatbestand einer Infektion
durch die Narkose klar legen können, da erstens die Kranken viel-
leicht bald aus unserer Behandlung scheiden, zM-eitens der Ausbruch
Figur 6<1 Sudeck'sche Maske von oben
gesehen.
A. Einguss für Aetlier. B. Ventil für die
Exspirationsluft. C. Ventil für die Inspi-
rationsluft (Aetherdampf).
— 214 —
einer Syphilis eine längere Inkubationszeit vorausgehend haben kann,
und aus vielen anderen Umständen mehr. Eher wird man ja an die
Möglichkeit einer anderen ursächlichen Beziehung denken, und so ist
dieser wichtige Punkt oft übersehen worden. So gut man aber weiss,
dass die Mundinstrumente, wie Zahnzangen usw. leicht Ühertragungs-
objekte bilden, und wir jeden Arzt gewissenlos nennen, der diese In-
strumente nicht peinlich desinfiziert, ebenso gut muss man in unserem
Falle eine strikte Desinfektion üben.
§ 85. Wenden Avir uns nun dem Narkotikum selbst zu. Es sind
nur wenige Worte über die Narkotika im allgemeinen zu verlieren,
und Mär wollen nur die allen Narkotika gemeinsamen, beachtenswerten
Verhältnisse hier erwähnen. Alle Narkotika, Avelche für Inhalations-
narkosen Verwendung finden, haben einen verhältnissmässig niedrigen
Siedepunkt, je niedriger der Siedepunkt gelegen um so grösser ist die
Verdampfbarkeit, um so leichter verdunsten sie bei gewöhnlicher
Temperatur. Diese leichte Verdunstbarkeit veranlasst uns, das Nar-
kotikum in gut verschlossenen Gefässen aufzubewahren. Ein anderer
Grund ist der, dass sie sich sämtlich sehr leicht u.nter Anwesenheit
von Luft, (bei schlechtem Verschluss) und Licht zersetzen. Deshalb
muss man dieselben unter Ausschluss von Licht, d. h. in braunen oder
schwarzen Flaschen aufbewahren. Da die Zersetzungsprodukte meist
dem Organismus schaden können, so muss man in jedem Falle das
Narkotikum vor der Narkose untersuchen, ob es rein und unzersetzt
ist. Die schädlichen Stoffe können herrühren von der schlechten Her-
stellnngsweise und von der schlechten Aufbewahrung. Deshalb sollte
man vor jeder Narkose sich durch eine schnell vorgenommene Unter-
suchung von der Reinheit der Präparate überzeugen.
Die Untersuchungsmethoden werden bei jeder speziellen Abhandlung
über die einzelnen Narkotika angegeben werden, und es ist ein leichtes,
sich die nötigen Chemikalien zu einer Probe bereit zu halten. Man
muss aber schon durch die Fabrik, von der man die Narkotika bezieht,
einige Sicherheit über die Güte und Reinheit der Narkotika erhalten
können. Die Fabriken stellen durchweg gute Präparate her und zwar
iu solchen Verpackungen, dass man in jeder Einzelpackung meist für
eine mittellange Zeit dauernde Narkose genügende Menge des Nar-
kotikums findet. Diese Packung in Einzeldosen ist sehr praktisch.
Man lässt sich eine Anzahl von Flaschen kommen, und kann dieselben
an einem kühlen, dunklen Ort aufbewahrend das Narkotikum unzersetzt
halten. Diese Flaschen bleiben fest verschlossen stehen, und es
werden von ihnen kurz vor der Narkose nicht mehr als eine geöffnet,
der Inhalt geprüft und wenn rein befunden, verwandt. Natürlich darf
"man nicht unterlassen, einige Flaschen als Reserve ungeöffnet in die
Nähe zu stellen, denn es könnte doch passieren, dass entweder die
eine Flasche nicht reicht, oder der Inhalt vergossen wird, kurz, es
können Verhältnisse eintreten, w-elche eine grössere Menge erfordern.
Durch diese Einzelpackung wird es noch ermöglicht, dass man auf
Reisen leicht einige Dosen mit sich führen kann. Bei jeder Narkose
gelte die feststehende Regel, dass man nie den Rest des Narkotikums
- 215 -
von einer Narkose für spätere Narkosen aufhebt. Stets muss das
übrigbleibende Narkotikum vernichtet werden, wenn man es nicht zu
einer sich direkt anschhessenden Narkose verwenden kann. Jedenfalls
darf eine geöffnete Flasche nicht wieder verschlossen werden, denn in
diesem Falle wird sich das Narkotikum nicht unzersetzt aufbewahren
lassen. Dui'ch die den Narkosen angemessene Packung wird verhindert,
dass man grosse Mengen übrig behält und somit kommt der Kostenpunkt
nicht in Beti*acht.
Eine ganz falsche Methode ist die, sich aus ein^r Apotheke eine
bestimmte Menge des Narkotikums für jede Narkose zu verschreiben.
Erstens weiss man nicht, auf welche Art der Apotheker dasselbe
aufbewahrt hat, und ob es nicht schon Gelegenheit hatte, sich in
der Apotheke zu zersetzen. Ferner kann das Narkotikum auf dem
Transport von der Apotheke eine Zersetzung erleiden. Die oben be-
schriebene Verpackung in Einzeldosen ist die beste Art des Versandes
und der AufbeAvahrung der Narkotika.
Weiterhin ist es besser die kleine Flasche, in welcher das Nar-
kotikum aus der Fabrik bezogen wurde, direkt zxi benutzen, man
kann an ihr eine Tropfvorrichtung anbringen, denn durch Umgiessen
in ein anderes Gefäss wird eine Zersetzung möglich, und die Dosis
verändert. Eine grosse Anzahl von Gefahren können aus den Verun-
reinigungen der Narkotika entstehen, und es ist Pflicht des Narkotiseurs,
dass er dieselben nach Möglichkeit vermindert.
§ 86. Wenden wir uns nun zu den Instrumenten welche der Narko-
tiseur für den Mund des Kranken usw. braucht. Hierzu gehören die Kiefer-
klemmen, Zungenzangen, Tupfer oder Schwammhalter, Brechschale usw.
§ 86a. Was zunächst die Kieferklemmen anlangt, so ist als
gebräuchlichste der Mundsperrer von Roser -König zu nennen
(Fig. 67). Derselbe besteht, wie Figur 67 zeigt, aus einer Art Zange,
welche zusammengeschlossen zwischen die Zahnreihen eingeschoben,
dann gespreizt wird, und so den Mund öffnet. Man bringt am besten
um die auf die Zähne zu liegen kommenden Branchen etwas Gummi
an, um so besseren Halt zu haben. Dasselbe ereschieht am einfachsten
Fig. 67. Mundsperrer nach Roser-König-.
216 -
dadurch, dass man ein kurzes Stück gewöhnlichen Guramischlauches,
wie man denselben an Irrigatoren und dergleichen Apparaten verwendet,
über die Enden der Branchen streift. Es wird namentlich leicht ohne
den Gummi erstens die Zange von den Zähnen gleiten, zweitens können
bei starkem Zusammendrücken der Zange kleine Stückchen vom Schmelz
des Zahnes abgesprengt werden. Durch den Gummi wird beides verhütet.
Nachdem man mit demselben den Mund geöfihet hat, legt man
zwischen die Zähne einen an einem Faden befestigen Giimmikeil oder
Holzkeil (wie Fig. 68) ein, welcher ein Wiederschliessen der Kiefer
verhindert (vergl. Fig. 69).
Ein zweiter ebenfalls während der Narkose sehr brauchbarer
Mundsperrer ist der von Heister. Derselbe öffnet, wie aus beistehen-
der Figur 70 ersichtlich, den Mund dadurch, dass man, nachdem man
ihn geschlossen zwischen die Zahnreihen geschoben hat. durch die
Schraube die Schenkel zum Spreizen
bringt, welche die Kiefer von einander
entfernen. Diese beiden Mundsperrer
genügen , und müssen auf einem
Tischchen neben dem Narkotiseur lie-
gen. Zugleich bei ihnen liegt der
schon erwähnte Gummikeil. Andere
Mundsperrer, die ebenfalls sehr brauch-
bar sind, sind die von Schmidt (vergl.
Fig. 71), die ähnlich wie der Roser-
König'sche wirken, ferner von Nuss-
baum in Figur 72 und von O'Dwyer
Figur 73. Der Mundsperrer von Wingrave dient dazu, den Mund,
nachdem er mit einem der genannten Mundsperrer geöifnet ist, ofien
zu halten. (Fig. 74.) Für Mundoperationen sehr praktisch während einer
Narkose zu verAvenden
ist der Mundsperrer von
Whitehead (Figiu- 75).
Weiter finden wir auf dem
Tischchen ein Eiterbecken,
welches zum Auffangen
von erbrochenen Massen
dient, und am besten eine
nierenförmige Gestalt hat.
Man kann diese mittel-
grossen nieren form igen
Becken dank ihrer Krüm-
mung dicht vor den Hals-
oder die Mundgegend an-
legen, und so die aus dem
Mund fliessenden Schleim-
massen, oder den erbro-
chenen Mageninhalt auf-
Fig-. 70. Mundsperrer nach Heister. fangen.
Flg. 68.
Gummikeil .
Fig. 69.
Holzkeil nach
Pitha.
— 217 —
Eine Zungenzange darf weiter niclit felilen. Am meisten ist
die Esmarch'sclie Zungenzange zu empfehlen. (Siehe Fig. 76.) Die-
Fig. 76. Zungenzange Fig. 77. Zungenzange
nach V. Esmai'ch. nach Strassmann.
Fig. 78. Zungenzange
von Houze.
selbe ist, wie aus der Abbildung (Fig. 76) ersichtlich ist, mit ringför-
migen Zwingen versehen, mit welchen man die Zunge fasst. Dadurch,
dass die Zunge in den Ring hiueingepresst wird,
erhält die Zange grösseren Halt, und gleitet nicht
so leicht ab. Dieselbe hat den Vorteil, dass
Fig. 79. Zungenzange
nach Mathieu.
Fig. 80. Zungenzange
nach Champonniere.
Fig. 81. Zungenzango
nach Könisf.
— 218
Fig. 71. Mundsperrer nach Schmidt. Fig. 73. Mundsperrer nach O'Dwyer.
Fig-. 72. Mundsperrer nach Nussbaum. Fig. 74. Mundsperrer nach Wingrave.
Fig. 75. Mundspei'rer nach Whitehead.
— 219 -
sie keine Verletzungen in die Zunge setzt. Aelmliche Zangen zum
Hervorziehen der Zunge wie die von Esmarcli'sclie sind die von Strass-
mann (Fig. 77), ferner von Houze (Fig. 78) und die von Mathieu
in Figur 79, welche keine Verletzungen setzen und doch möglichst fest
fassen. Allerdings gleiten dieselben doch bisweilen ab, aber man kann
bei korrektem Fassen der Zunge dieselbe doch sehr weit und sicher
nach vorn ziehen. Nach den Angaben anderer soll mau Zungenzangen
nehmen, welche an den ringförmigen Branchen im Innern derselben
mehrere ineinanderfassende lange Spitzen haben, ähnlich wie in Figur 80
die Zange von Chamj)onniere zeigt. Dieselben dringen beim Fassen
der Zunge tief in die Muskulatur derselben ein und bewirken aller
dings das, dass die Zunge festgefasst wird. Durch die Verletzungen
aber werden dem Patienten noch nach der Narkose Schmerzen ent-
stehen, und man hat selbst stärkere momentane Blutungen entstehen
sehen. Es ist entschieden von dem Gebrauch derselben abzuraten.
Als Ersatz für die Zungenzange empfehlen andere eine mit
scharfen Haken versehene Hakenzange, z. B. die König'sche Zungen-
zange (Fig. 81) und die von Muzeux in Figur 82. Man setzt da
allerdings nur zwei Wunden und kann die Zunge fest fassen. Doch
wer dabei übersieht, die Zunge in der Mitte, wo dieselbe stark ist, zu
fassen, sondern an der Spitze oder am Rande einsetzt, dem kann es
leicht passieren , dass die Zange das Gewebe durchreisst, und es ent-
stehen hässliche schmerzhafte Verletzungen der Zunge. Auch aus diesem
Grunde ist diese Methode verwerflich, doch man mag sie im Notfalle
verwenden, nur muss man Vorsicht beobachten.
Ein der Esmarch'schen Zungenzange sehr nahe kommender Ersatz
ist die Köberle'sche oder Pean'sche Zange Figur 83. Mit der-
selben, wenn sie nicht zu klein ist, lässt sich die Zunge sehr leicht
und fest fassen und hervorziehen.
Eine dieser Zangen muss bei jeder Narkose daneben auf dem Tische
liegen, ausserdem event. noch ein scharfes Häkchen zum Anhaken des
Zungenbeines.
§ 86 b. Es muss auf dem Tische neben dem Narkotiseur eine
Flasche mit Oleum camphoratum und eine Flasche mit Aether pro in-
jectione, eine Flasche mit einer Lösung von Strychnin, Atropin, Mor-
phin etc. bereitstehen.
Die Strychninlösung wird folgende sein: Strychnini nitr. 0,05,
Aqua destill. 10,0. Von dieser sterilisierten Lösung injiziert man ^/.^ bis
'^j,2 Spritze. Von Atropin hält man eine Lösung von Atropini tuffru". O.Ol,
Aqua dest. 10,0 bereit, von welcher man ^/^ bis 1 Spritze injiziert.
Das Moi-phin ist in folgender sterilisierter Lösung anzufertigen. Morphin,
muriat. 0,2, Aqua destill. 20,0. Hiervon werden 1 Spritze injiziert.
Daneben liegen in einem Glaskasten mit Glasdeckel zugedeckt in
steriler Watte zwei ausgekochte, gut funktionierende Pravazspritzen mit
mehreren mittelstarken Nadeln, fertig zum Gebrauch. Der ganze Inhalt
dieses Glaskastens ist sterilisiert, und der Kasten wird, nachdem er geöffnet
und eine Spritze gebraucht ist, weggenommen und durch einen neuen ste-
rilen ersetzt. Alles dies muss an seinem bestimmten Platz stehen nach der
— 220
Reihenfolge, nicht einmal hier und morgen dort, sondern so geordnet, wie
es der Narkotiseur gewöhnt ist. Dadtirch weiss er sofort, wo er das, was
er wünscht, zu suchen hat. Dabei muss jede Flasche eine deutliche
Fig. 82. Zange nach
Muzeux.
Fig. 83. Köberle- oder
Pean-Zange.
Fig. 84. Zange zum Halten
der Tupfer u. Schwämme.
Signatur des Inhalts, welcher natürlich sterilisiert
sein muss, aufweisen, damit keine Verwechslung
möglich ist. Die Flaschen selbst müssen aus
dunklem Glas mit weitem Hals und Glaspfropfen
versehen sein.
§ 86 c. Der Tisch besitzt noch eine^zweite
Abteilung, die unter der Platte sich befindet.
Daselbst steht eine grosse Glasschale von der
Fig. 85. Irrigator auf
Gestell und Tisch.
86. Irrigator mit Glasdeckel und Flasche als
Irrigatorgeiäss.
— 221 —
Grösse der Tischplatte- mit einer pusseudeu Glasplatte versclilossen. Der
Inhalt der Glasschale stellt die sterilisierten Instrumente für die Tracheo-
tomie dar. Man ündet darin all^s, was für eine Tracheotomie nötig
ist, einige Messer, zwei krumme, zwei spitze Scheren, mehrere Koberles,
zwei Paar scharfe Häkchen, ein Paar doppelte scharfe Häkchen, ver-
schiedene Nadeln mit Seidenfäden, zwei Nadelhalter, verschiedene Ca-
nülen, mehrere Katheder und Schlundsonden, zwei Paar stumpfe Haken,
Kornzangen und Klemmen, und Avas sonst noch nach persönlichen Wunsche
des Narkotiseurs dazu gehören sollte.
Auf dem Tische auf der oberen Platte sind noch mehrere lange
Stieltupfer und Zangen für Schwämme, wie Figur 84 zeigt, bereit, mit
denen man den Schleim aus dem Halse und Kehlkopfe entfernen kann.
§ 86 d. Abseits neben dem Tischchen sehen wir einen auf einem
verschiebbaren Gestell befindlichen Irrigator mit langem Guramischlauch
Fig. 85. An dem Gummischlauch ist ein dreieckiges Glasrohr angebracht,
dessen einer Schenkel mit einem Gummirohr in Verbindung steht,
welches in einen Schmutzeimer führt, dessen drittes Ende mit einer
Schlundsonde oder einem anderen Ansatzstück, welche alle in einer
Glasschale nebst einigen Kathetern und Glasröhren sterilisiert daneben
liegen, verbunden werden kann. Die Gummischläuche sind durch
Quetschhähne zu verschliessen. In dem Irrigator befindet sich an-
gewärmte Kochsalzlösung, die vorher sterilisiert wurde. Der Irrigator,
wie in Fig. 86, ist entweder mit einem Glasdeckel verschlossen oder
wird von einer Flasche gebildet. Derselbe muss vor jeder Oj^eration
sterilisiert werden, wenigstens jeden Morgen, wenn er an dem Tage
noch nicht gebraucht wurde. Dieser Irrigator dient zu Magen- und
Rektalspülungen.
§ 86 e. Daneben steht ebenfalls auf einem leicht durch Räder
bewegbaren Gestell eine grosse Glasflasche, welche 5 — 6 Liter
wenigstens fasst. Dieselbe hat drei Öffnungen am Boden, an welche
Gummischläuche angebracht sind. Diese Gummischläuche sind sterilisiert
mit Quetschhähnen verschlossen und haben eine Länge von 3 — 3^2 ™-
An ihr Ende sind je eine Nadel zur Infusion angebracht, AA^elche in
einem Glasgefäss in steriler Kochsalzlösung liegen, welches Gefäss am
Ständer angebracht ist. Man braucht nur eine der Nadeln zu erfassen,
unter die Haut zu stossen und den Quetschhahn zu öffnen, um eine In-
fusion voi'zunehmen. Durch die drei Schläuche kann man an drei Stellen
zu gleicher Zeit Kochsalzlösung infundieren, ein Vorteil, welcher nicht
zu verkennen ist. Diese Flasche ist in ihrer Öffnung durch einen
Stopfen vei-schlossen, welcher ein zweimal rechtwinklig gebogenes Glas-
rohr trägt, das somit nach unten offen steht, wodurch keine Bakterien
hineingelangen können, wohl aber Luft. Indem man dies Rohr mit
einem Gummischlauch verbindet, kann man frische heis$e Kochsalz-
lösung in die Flasche hebern oder durch Druck spritzen. An dem
Gestell ist, unter dem Boden der Glasflasche ein Gasbrenner oder
ein Spiritusbrenner angebracht, welcher das Wasser in der Flasche,
die aus Glas, das durch die Hitze nicht springt, hergestellt ist, auf der
gewünschten Temperatur erhält. Ein Thermometer führt von oben
222 —
durch den Stopfen in die Mitte der Flüssigkeit und zeigt die Temperatur
an. Man fertigt den Apparat auch aus Blech an, ganz ähnlich dem aus
Glas, wodurch die Gefahr, dass das Glas springt usw. vermieden wird.
Das Stativ, welches auch nicht unbedingt nötig ist, ist so gebaut, dass
der Apparat beliebig gehoben und gesenkt werden kann, je nach den
Verhältnissen, die einen bestimmten Druck erfordern. Au dem Stativ
sind Behälter mit Deckeln vorhanden, in denen die Nadeln und
Troikarts steril aufbewahrt werden. Dieser Infusionsapparat ist für
Kliniken und Operationssäle sehr praktisch. In der Praxis kann man
ihn natürlich durch jeden Irrigator ersetzen. Man kann mit diesem
Infusionsapparat auch eine Druchrieselung der Bauchhöhle oder eine
Infusion intravenös vornehmen. Zu beiden Operationen ist er gleich
praktisch. Die drei Gummirohre ermöglichen also zu gleicher Zeit
eine Infusion, Magenspülung und Durchrieselung der Bauchhöhle. Es
kann jedenfalls nicht grössere Bequemlichkeit geschafft werden, aller-
dings kommt diese Einfachheit im Apparat auch dem Kranken zu gute,
denn es wird ermöglicht, durch einen Apparat dreierlei herzstärkende
Manipulationen vorzunehmen. Der Apparat ist vom Verfasser konstruiert
und durch jeden Instrumentenhändler von demselben zu beziehen.
Natürlich muss man für eine peinliche Sauberkeit sorgen, der Apparat
muss wenigstens teil-
weise öfter sterilisiert
werden. Die Tempe-
ratur der Lösung kann
auch durch Zufuhr
von heissem oder kal-
tem Wasser durch die
U- förmig gebogene
Röhre geändert wer-
den. An die Gummi-
rohre lassen sich sämt-
liche Ansätze anbrin-
gen. Durch eine Me-
chanik kann die Fla-
sche leicht gehoben
und gesenkt werden,
je nach dem Druck,
welcher gebraucht
wird. Ausserdem lässt
sich der Druck auch
durch die Hähne än-
dern, d. h. vermindern
wenn nötig.
Ausser diesem Apparat ist noch ein Sauerstoffapparat in der Nähe
des Narkotiseurs vorhanden, welcher ihm Sauerstoff liefert falls er
solchen bedarf. Derselbe wird zweckmässig durch den Michaelischen
Sauerstoffapparat Fig. 34 und 35 gebildet, aus welchem der Narkotiseur
jederzeit Sauerstoff dem Kranken zuführen kann, meist durch Inhalation.
Fig. 87. Vorrichtung zum Fixieren des Kopfes in
der Lage nach "Witzel in Ansicht von oben seitlich.
223
§ 86 f". Nun sollen zum Schluss noch einige AVovte über die zur Nar-
kose praktischsten Tische gesagt werden. Wie wir bereits aus früheren
Erwägungen wissen, ist die Lagerung mit tiefer liegendem Kopf die
beste. Zu diesem Zwecke kann
man jeden Operationstisch verwen-
den. Witzel hat eigens zu seiner
Methode einen Tisch konstruiert,
welcher nicht ohne grosse Vorteile
alle Wünsche des Narkotiseurs für
die Lagerung des Kranken erfüllt.
Wer aber den Tisch nicht neu an-
schaffen kann, der kann ebenfalls
an den bisher üblichen Formen die
richtige Lagerung erreichen. Ja
man kann sogar jeden gewöhnlichen
vierbeinigen Tisch im Privathaus verwenden. Um die Kopfhaltung
nach Witzel dem Narkotiseur zu erleichtern und zu verhindern, dass
am gewöhnlichen Operationstische der Kopf nach hintenüber fällt,
habe ich eine an jedem Tisch anzubringende Vorrichtung konstruiert,
welche wie die Fig. 87 und 88 zeigt, den Kranken in der gewünschten
Kopfhaltung zu verweilen zAvingt. Der Ko})f wird dabei über eine
gepolsterte Erhöhung in Nacken gebeugt und durch einen Stirnriemen
festgehalten. Dadurch wird dem Narkotiseur das Halten des Kopfes
genommen und doch bewirkt, dass erstens der Speichel aus dem Munde
läuft, dass zweitens der Zungengrund durch den Muskelzug nach vorn
gebracht Avird.
Dieselbe Vorrichtung- in
seitlicher Ansicht.
IX. Kapitel.
Der Narkotiseur.
Mit dieser Ueberschrift ist ein Thema gegeben, welches wegen
seiner enormen Wichtigkeit eine genauere Behandlung in eingehender
Weise verdient. Was hängt nicht von dem Narkotiseur alles ab, welche
Verantwortung ruht nicht auf seinen Schultern, sowohl in strafrecht-
licher als in rein menschlicher Hinsicht! Wollen wir zunächst einmal
erörtern, wer die Narkose leiten soll.
§ 87. Es war früher allgemein Usus, die Narkose als ein neben-
sächliches Ding zu betrachten. Die Leitung derselben wurde meist als
ein sehr lästiges Amt betrachtet und in den meisten Fällen dem jüngsten
Assistenzai'zte übergeben. Derselbe bekam den Patienten zum ersten
Male zu sehen, kurz vor der Narkose, er kannte seine körperlichen
Verhältnisse gar nicht. Aber oftmals war es nicht einmal ein Arzt,
welcher die Narkose leitete, sondern man übergab sie einer Pflegerin,
einem Heilgehilfen oder einem Studenten. Die ersteren beiden Personen
— 224 —
waren sich jedenfalls nicht dei grossen Aufgabe bewiisst, welche ihnen
zu Teil wurde, sie besassen ja gar nicht die Fähigkeiten, eine Nar-
kose zu leiten. Sie können wohl Chloroform aufgiessen, oder Aether
in grossen Mengen in die Maske schütten, aber von einer Beobachtung
des Patienten ist bei solchen Personen meist gar keine Rede. Das war
ja etwas anderes, wenn junge Aerzte, die sich praktisch weiter ausbilden
wollten, die Narkose in die Hand bekamen. Sie besassen vielleicht die
Fähigkeit zu beobachten, doch sie hatten ihre Augen auf den Händen
des Operateurs, und verfolgten mit Interesse die Operation, ohne viel
der Narkose die gebührende Beobachtung zxi schenken. Und doch ist
in vielen Fällen die Narkose ein viel schwierigeres Unternehmen, als
die Operation.
In England hat man mehr als in Deutschland den hohen Wert
einer fachgemässen Leitung der Narkose erkannt. Dort legt man die
Betäubung in die Hände eines Arztes, welcher für die Ausführung aller
Narkosen angestellt ist. Wenn auch derselbe nicht alle Narkosen selbst
ausübt, so überwacht er doch jede, und es Avird keine solche vor-
genommen, ohne dass derselbe sein Urteil abgegeben hat. Er prüft
alle Umstände, gibt die Art der Narkose an, imd überwacht die
Handhabung.
Das ist ein sehr wichtiges Beginnen. Wir können jetzt nicht
mehr von einer Narkosenmethode S]3rechen, sondern wir müssen eine
Narkosenwissenschaft anerkennen. Es ist nicht nur eine Technik,
die jedermann erlernen, sondern es ist eine Wissenschaft, welche nur
der medizinisch durch und durch gebildete Arzt verstehen und richtig
ausüben kann. Ist wohl ein Krankenpfleger imstande zu entscheiden,
ob in einem Falle von Herzsynkope Massage angewandt werden darf,
oder nicht? Wie soll er denn die Verhältnisse klarlegen? Er hat ja
keine Ahnu.ng von den interkun'ierenden Krankheiten und deren Ein-
fluss auf das Herz, er wird probieren und da ihm in vielen Fällen
Herzmassage guten Erfolg gebracht hat, so Avird er dieselbe stets an-
wenden, und auch in demjenigen Falle, in welchem er sie unter keinen
Umständen auAA'enden dürfte. Hier wird natürlich, Aveil die Massage
wegen Herzschwäche kontraindiciert war, der Patient sterben, allein, wer
kann ihm jetzt noch nacliAveisen, dass die Massage das Herz erst noch
ganz zu gründe gerichtet hat?
Es gibt jetzt eine so grosse Menge von Spezialfächern in der
Medizin, aber keines wird mehr Berechtigung haben von den in neuerer
Zeit sich abgeschiedenen Spezialfächern, als das für die Narkosen-
wissenschaft. Es gibt eine Rhinologie , X,aryngologie , Balneologie
und so viele andere mehr, warum soll es nicht auch eine Narkologie
geben? Es ist nur eine Frage der Zeit, und auch in Deutschland
Avird sich die Aenderung in den chirurgischen Kliniken einstellen, und
wir werden besondere Aerzte anstellen, welche nur die Leitung der
Narkose übernehmen. Die grosse Ausdehnung des wissenschaftlichen
Materials macht es auch nötig, dass an den Universitäten Vorlesungen
über Narkologie gehalten werden, damit auch den Studierenden ein
besserer Einbhck in die Tiefe der Narkosenwissenschaft geboten wird,
- 225 —
und damit die jungen Aerzte dadurcli schon einen besseren Grund ge-
legt erhalten zum Verständnis der Narkosenleitung. Dann darf es aller-
dings auch nicht vorkommen, dass die Leitung einer Narkose in die
Hände einer Krankenpflegerin gelegt wird. Kein Chirurg gestattet einer
PHegerin oder einem Heilgehilfen ein Panaritium zu inzidieren, und
doch ist dabei nicht soviel wissenschaftliche Bildung notwendig, als bei
der Ausführung einer Narkose, deren Leitimg er aber dem Laien ohne
weiteres überliess.
§ 88. Damit dem Kranken während der Narkose in jeder Mi-
nute eine ungeheuer grosse Gefahr, die, wenn sie der Laie kennen
würde, ihn sicher davon abhielte sich betäuben zu lassen, verhütet
werde, muss der Arzt mit seiner ganzen geistigen Kraft den Gegen-
stand seiner Tätigkeit verarbeiten, er muss denken, muss in jedem
Augenblick denken, sehen, handeln. Aber diese drei Anforderungen
sind nicht leicht erfüllt. Damit der Narkotiseur denken kann, muss
er zunächst durch keine äusseren Eindrücke in Anspruch genommen
Averden, er muss sich nur mit seinem Kranken beschäftigen. Und
Avährend er denkt, muss er auch sehen. Dies Wort ist hier mehr
allgemein als Sammelbegriff für fühlen, sehen, hören, empfinden etc.
aufzufassen, denn mit Sehen allein kommt er nicht aus, und wir
haben kein Wort, das alle diese Tätigkeiten ausdrückt in unserer
Sprache. Durch dieses „Sehen" geht er in seinem Kranken ganz auf.
Er betrachtet seine Hautfarbe, fühlt nach dem Puls und hört auf die
Atmung, prüft die Reflexe etc. So verschafft er sich einen Gesamt-
eindruck von dem Zustande, in welchem sich sein Patient in jeder
Minute, ja Sekunde, befindet. Derselbe ändert sich aber in jedem
kleinsten Zeitraum, imd deshab muss der Narkotiseiir immer scharf be-
obachten und nicht gestört oder abgelenkt werden, um immer über
seinen Kranken vollkommen orientiert zu sein. Aus dem folgt dann
das Handeln des Narkotiseurs, Avelches entweder in Verabreichen oder
Sistieren von Narkotikumdosen besteht, oder in dem Verhüten etwa
vorhandener Gefahren, oder in dem Bekämpfen der eingetretenen. Dies
alles ist eine sehr grosse und schwere Aufgabe, die der Arzt beim Ein-
leiten einer Narkose übernimmt.
Nur eine tiefe wissenschaftliche Bildung kann den Narkotiseur in
den Stand setzen, alles das in dem gegebenen Moment richtig durch-
zuführen. Allein, diese Avissenschaftliche Bildung sollte nicht so ver-
nachlässigt werden in bezug zuf die Narkose, denn jeder, der ein
wissenschaftlich gebildeter Nai'kotiseur sein will, muss auch die Wissen-
schaft in Rücksicht auf die Narkose studiert haben. Jetzt ist es nur
einigen wenigen Forschern möglich, sich mit der wissenschaftlichen
Narkose zu beschäftigen. Dadurcli aber, dass die Narkose in die Hand
von bestimmten Aerzten gelegt wird, wird die Wissenschaft noch weiter
ausgebildet und auch weiteren ärztlichen Kreisen zugänglich gemacht
werden. Ausserdem können, wenn bestimmte Personen sich ausschliess-
lich mit der Kunst zu narkotisieren beschäftigen, die wissenschaftlichen
Beobachtungen besser verwertet w^erden, das Material kann besser zum
Nutzen der Menschheit und zum Erweitern und grösseren Ausbauen
15
— 226 -
der Wissenschaft verwertet werden, als bisher, wo die Narkose in vielen
Fällen von ungeübten Händen geleitet Avorden war. Denn die Be-
obachtungen und Aufzeichnungen sind bis jetzt oftmals nicht von dem
Wert, als Avie sie es sein könnten. Nehmen wir z. B. den jetzigen
Stand der Todesfälle während der Narkose an. Früher rechnete man
mit einem Verhältnis, das riesig günstig erschien, wo früher 10000
stand, steht jetzt 100. Dies ist ein Zeichen, nicht dass jetzt mehr
Menschen in der Narkose sterben, sondern dass man in der Wissenschaft
der Narkose weiter vorgedrungen ist, und jetzt die Einwirkungen der
Narkotika auch in weiteren Beziehungen wie früher kennen gelernt hat.
Früher kannte man noch nicht die Nachwirkung nach Chloroform und
Aether, man bezog den protrahierten Chloroformtod auf ganz andere
Momente und ebenso in vielen weitei'en ähnlichen Beziehungen. Somit
haben wir die Erklärung für die zu Ungunsten der Narkotika ermittelten
Zahlen. Da man nun früher eine ganz enorme Anzahl von Todesfällen
nicht mitgerechnet hat, so kann man auch diese Statistiken in unseren
jetzigen Zeiten nicht mit verwerten. Wir müssen jetzt bemüht sein,
neue Statistiken zu bilden, wie dies ja schon in vielen Fällen in lobens-
werter Weise geschieht. Aber diese Statistiken können erst Wert er-
langen, wenn die Wissenschaft der Narkose in einheitlichere Bahnen
gelenkt Avoi'den ist. Was nützen denn die Statistiken, wenn bei den
angeführten Fällen keine einheitliche Methode zu Griinde liegt, wenn
der eine noch 100 Fälle überliefert, in denen er nach der Genfer
Methode narkotisierte, und daneben stehen andere, die nach der
modernen Tropfmethode ausgeführt Avurden. Ferner liegt auch noch
keine Einheit in den Beurteilungen der Folgezustände vor. Der eine
bezieht das auf die Nai'kose, AA^as der andere durch eine nicht mit der
Narkose zusammenhängende Ursache erklären Avill. Es ist eben noch
zu viel geteilte Meinung in dieser jungen Wissenschaft. Das Avird sich
ändern, sobald die Wissenschaft anerkannt ist, um, Avie alle anderen,
eine gleich angesehene Stellung im grossen Reiche geistiger Betätigung
einzunehmen. Damit die Narkologie aber diese Stellung erreicht, muss
jeder Narkotiseur voUbeAvusst seiner heiligen Pflichten gegen die Wissen-
schaft, mit ganzer Seele in seiner Disziplin ai'beiten und das wissen-
schaftlich A'erAverten, Avas er Gelegenheit hat täglich^ zu beobachten.
Mit dem geistigen Auge muss er sehen und sichten, und bald wird er
bemei'ken, wie sich so manches dunkle und ungekannte Gebiet ihm
erschliesst, mit seinem geistigen Lichte wird er es erleuchten und ver-
werten, indem er auch seinen Baustein zu dem allgemeinen grossen
Werke beiträgt.
§ 89. Nach diesen abschweifenden Betrachtungen kehren Avir
Avieder zurück zu dem Narkotiseur. Wie oben schon bemerkt, lastet
eine grosse Verantwortung auf seinen Schultern, und so wollen Avir hier
dieselbe noch ein Avenig erläutern. Es drohen dem Kranken durch die
Einleitung der Narkose eine Reihe von Gefahren. Dieselben sind erstens
solche, welche von dem Narkotikum direkt herrühren, gegen die wir
nicht angehen können. Allein ein anderer und bei weitem der grössere
Teil der Gefahren, welche dem Kranken überhaupt während der Nar-
- 227 —
küso drohen, können entweder durch die Kunst des Narkotiscurs ver-
hindert werden, oder sie werden durch direkten Fehler desselben herauf-
beschworen, oder sie entstehen durch Unkenntnis des Narkotiscurs etc.
Das Eintreten der ersteren Art von Gefahren, Avelche er verhindern
kann , werden ihm bei ihrem Auftreten ohne sein Gegenhandehi den
Vorwurf der Nachlässigkeit nicht ersparen können, die zweite Art,
welche durch Fehler in seinem Handeln entstehen, machen ihn eben-
falls für die Folgen verantwortlich, und die dritte Art, machen ihm den
Vorwurf der Unkenntnis, d. h. er ist in seinem Fach nicht erfahren und
gebildet genug, um diese Kunst auszuüben. Wir sehen aus diesen nur
wenigen Gefahren, an die wir erinnert haben, dass die Verantwortung
eine sehr grosse ist. Es kommt ja in den meisten Fällen nur die Ver-
antwortlichkeit vor dem eigenen Gewissen in Betracht, denn der Straf-
richter wird nur in seltenen Fällen dazAvischen zu treten haben. Eine
Menge von Fehlern sind nur von Sachverständigen zu beurteilen, und
dann oftmals auch nur in dem Moment des Vorganges. Natürlich kann
der Sachverständige oftmals auch nach der Narkose noch entscheiden,
ob ein Fehler des Narkotiseurs vorgelegen oder nicht. Nun, wenn man
auch in den seltensten Fällen den Strafrichter zu fürchten hat, so ist
doch das Gewissen ein ebenso strenger Richter im Menschen, vielleicht
bei manchen ein strengerer als der Strafrichter. Deshalb wird jeder
Arzt sich eine entspi'echende Ausbildung aneignen müssen , wenn er
narkotisieren will.
§ 90. Wir treten hierbei an den Punkt, zu entscheiden, ob man
die Narkose in die Hände eines Laien legen darf Im Krankenhause
und in der Stadt wird man entschieden dem entgegentreten müssen,
einen Laien mit der Handhabung der Narkose zu betrauen. Es ist ganz
unmöglich, dass ein solcher dieselbe leiten kann, und es ist der Operateur
ganz entschieden im Falle eines Narkosentodes für den Tod verantwort-
lich, man wird eine Fahrlässigkeit hier ganz entschieden sehen müssen, und
es wird eine fahrlässige Tötung im Sinne des Strafgesetzes vorliegen können
wenn ein Laie narkotisierte. Es ist Bestimmung, dass stets ein Arzt die
Narkose leiten muss, wenn nicht aussergewöhnliche Fälle vorliegen.
Dann muss der Operateur selbst im Notfalle dieselbe überwachen.
Anders liegen die Verhältnisse auf dem Lande. Wenn der prak-
tische Arzt nachts zu einem Kranken, sagen wir zu einer Entbindung,
gerufen wird, so ist es in den meisten Fällen unmöglich, einen zweiten
Arzt zu rufen. Wenn es natürlich angeht, so soll man einen solchen
für die Ausführung der Narkose zuziehen. Wenn es aber nicht mög-
lich ist, so wird man natürlich die Maske von der Hebeamme halten
lassen, oder von einer andern Person, immer aber muss man sich be-
wusst sein, dass die ganze Verantwortung auf den eigenen Schultern
ruht. Deshalb muss der Arzt mit grosser Vorsicht zu Werke gehen
und verschiedene Punkte vorher erwägen. Diese sind die, ob überhaupt
Narkose nötig, oder Lokalanästhesie, welches Narkotikum zu wählen,
welche Art der Dosierung etc.
§ 91. Die Entscheidung, ob Narkose überhaupt nötig ist, muss
Folgendes bedenken: Wenn man die Operation ohne Narkose ausführt,
15*
— 228 —
trägt dann der Patient grossen Schaden davon? Es ist ja in vielen
Fällen eine Narkose nicht so unbedingt nötig, dass durch ihr Unter-
lassen der Kranke Schaden erleidet. Man wird in vielen Fällen die
Narkose unterlassen können.
Weiterhin niuss man, wenn die Narkose unbedingt notwendig ist,
das für den Kranken am wenigsten Gefahren mit sich bringende Nar-
kotikum wählen, vor allen Dingen ein solches, welches nicht kumulie-
rend wirkt, wie etwa Chloroform, sondern an dessen Stelle lieber Äther.
Wenn sich auch die Gefahren beider die Waage ziemlich halten, so ist
doch eine gesundheitliche Schädio-ung oder Lebensgefahr bei der Ather-
narkose nicht so gross, wie bei der Chloroformbetäubung. Aber dies ist
natürlich nicht die einzige Hinsicht bei der Wahl des Narkotikums. Es
kommen noch viele andere Momente hinzu, und so muss der Arzt in
jedem Falle besonders entscheiden. Ferner darf er die Narkose nur
soweit aus der Hand geben, als er der Person das Tropfen des Nar-
kotikums und das Halten der Maske überlässt, während er in jeder
Hinsicht die Narkose selbst leitet. Er hat bei Operationen ein gutes
Merkmal in der Blutung, Stärke derselben und der Farbe des Blutes
Wird die Blutung schwächer, so droht Gefahr von Seiten des Herzens,
Avird das Blut dunkel bis sclnvarz, so ist eine Atembehinderung im
Anzüge, das Blut ist mit Kohlensäure überschwemmt und es besteht
Sauerstofimangel. Aber er muss diese Symptome schon frühzeitig ent-
decken, damit sein Einschreiten nicht event. zii spät geschieht. Es ist
in jeder Hinsicht eine Riesenarbeit für einen Arzt, zu operieren und
zu gleicher Zeit die Narkose zu leiten. Nicht allein schon wegen der
Asepsis etc. wird ihm grosse Schwierigkeit bereitet, sondern auch in dem
Übersehen so wichtiger kleiner Anzeichen kann ihn ein grosses Unheil
überraschen. Deshalb kann es sich in solchen Fällen nur um kurz-
dauernde kleine Operationen handeln, bei denen nur kurze Narkose
nötig ist. Jedenfalls Avird er in vielen Fällen besser mit einer Methode
der lokalen Betäubung zum Erfolg kommen.
Es ist leider in der Hinsicht der Wahl und Anwendung der ver-
schiedenen Narkosen und Anästhesierungsmethoden noch bei den Ärzten
eine grosse UuAvissenheit vorhanden. Wenn erst die lokalen Anästhe-
sierungsmethoden das Allgemeingut der Ärzte geworden sein Averden,
dann Avird auch noch manche Gefahr vermieden werden, und manche
schlechte Narkose ohne Assistenz wird durch eine lokale Methode der
Betäubung besser ersetzt Averden, ohne dass der Kranke Schmerzen
empfindet, und mehr zu seinem Nutzen. Deshalb ist dem Arzt eine bessere
Ausbildung, eine reichlichere Gelegenheit zum Erlernen der verschiedenen
Älethoden zu geben, überaus notwendig. Man liest jetzt oft von Kiirsen
zur Aveiteren Ausbildung der Ärzte, so müsste auch ein Kursus zur
Ausbildung in dieser Wissenschaft Aiel öfters gehalten Averden, denn
gerade unsere Wissenschaft schreitet rasch fort in der EntAvickelung,
und die neueren Methoden werden den praktischen Ärzten auf andere
Art schwer bekannt.
Der Narkotiseur muss für die Leitung der Narkose eine a-o11-
kommen sichere Kenntnis von den körperlichen Verhältnissen des
— 229 —
Kranken erhalten haben, und er kann dies nur dann, wenn er die
Kranken an den Tagen vorher untersucht hat. Diese Untersuchung
kann Hand in Hand mit denen des Stationsarztes gehen, der letztere
muss durch Mitteilung seiner Beobachtungen den Narkotiseur unter-
stützen. Es würde an grossen Anstalten ganz unmöglich sein, dass der
Narkotiseiu- ohne diese Hilfe auskommt, doch mit derselben wird ihm
die Vervollkommnung seiner Kenntnisse möglich. Er wird mit der
Zeit eine grosse Fertigkeit erlangen im Beurteilen eines Menschen in
Hinsicht einer vorzunehmenden Narkose. Das wird ihm sehr zu Gute
kommen in Fällen, wo eine längere Beobachtung ihm nicht gestattet
ist, bei poliklinischem Material usw^ Dabei wird für die Narkosen der
am meisten erfahrene Narkotiseur die Narkose übernehmen müssen
denn was ein anderer minder erfahrener sich durch Beobachtungen und
öftere Untersuchungen erst aneignen muss in Bezug auf Kenntniss der
Kranken nach allen Richtungen, das geAvinnt der andere durch eine
einzige Untersuchung und Betrachtung Dank seiner grösseren Übung.
Der Narkotiseur wird aber nicht zu diesem Zweck allein angestellt
sein, dass er alle Narkosen selbst leitet, sondern ihm wird auch die
Pflicht obliegen, die jüngeren Assistenzärzte in der Wissenschaft des
Narkotisierens praktisch auszubilden, indem ihm je nach Bedarf 1 oder
2 Assistenten zugeteilt werden, die er weiter auszubilden hat. Zu dem
Zwecke wird er dem Assistenten die Technik der Narkosen je nach den
Verhältnissen überlassen, während er nur denselben kontrolliert und
ihm, wo nötig, einen Wink gibt, oder ihn das oder jenes anders zu
machen lehrt. Dadurch werden die jungen Arzte in der Narkologie
weiter ausgebildet. An Universitäten wird es dem Narkotiseur noch
obliegen, die Studierenden in die theoretische Wissenschaft einzuweihen
durch Vorlesungen mit praktischen Übungen.
Während der Narkose hat sich der Narkotiseur ausnahmslos mit
der Narkose zu beschäftigen, er darf seine Aufmerksamkeit nicht durch
andere Dinge vor allem durch die Operation ablenken lassen; wenn er
auch durch einen Blick sich von dem Stand der Operation überzeugt,
damit er die Narkose darnach einrichten kann, so muss er doch haupt-
sächlich dem Betäubten seine Aufmerksamkeit schenken. Hat er die
Narkose bis zur Toleranz geleitet, so giebt er dem Operateur zu wissen,
dass er beginnen darf, und dieser wiederum gibt dem Narkotiseur zu
wissen, wann er die Narkose sistieren darf nach Beendigung der
Operation. So arbeiten beide für sich, jeder muss ganz mit seiner
Arbeit beschäftigt sein, und doch kann auch jeder bis zu einem ge-
wissen Grade die Arbeit des andern mit verfolgen. Hat einer der
beiden Ärzte dem anderen etwas mitzuteilen, so muss dasselbe laut
und für alle vernehmbar sowie kurz ausgedrückt geschehen. Überflüssige
Unterhaltung ist entschieden zu vermeiden. Der Operateur wird aller-
dings oftmals die Narkose ebenfalls sehr leicht beobachten können, hat
er doch in der Blutung der Wunde einen genauen Messer der Ver*
hältnisse der Betäubung, da eine Herzschwäche sich sofort durch die
nachlassende Blutung kund tut, die dunkle Verfärbung des arteriellen
Blutes eine beginnende Apnoe anzeigt, somit ist er wohl berechtigt.
— 230 —
den Narkotiseur von seinen Wahrnehnuingen zu benachrichtigen. Aller-
dings muss letzterer diese Gefahren längst erkannt haben, er darf die
Unfälle nicht erst so spät erkennen, denn in diesen Fällen hat eine
Herzschwäche oder Apnoe sich schon längst dem geübten beobachtenden
Auge eines gewandten Narkotiseurs kund getan. Nach Ansicht von
Mikulicz ist es wohl erlaubt, die Narkose einer Schwester usw. zu
übergeben, aber er bemerkt dabei ausdrücklich, dass dann nur der rein
mechanische Teil der Narkose von derselben gehandhabt wird, während
ein älterer Assistent oder der Operateur selbst die Beobachtung über-
nimmt und die Vei'antwortung trägt. Dies ist natürlich wohl angängig,
denn es bleibt dann immer ein Arzt Narkotiseur und der „mechanische
Narkotiseur" darf nichts tun, als auf Anordnung Narkotikum auf-
tropfen usw. In dieser Weise wird ja bei uns meist in den Kranken-
anstalten verfahren, und die Arzte werden ja auch so zu Narkotiseuren
ausgebildet. Besser wäre es aber doch wenn nur bestimmte Arzte
zur Narkose angestellt würden, es würde dann eine bessere Ausbildung
der praktischen Arzte in der Narkologie die Folge sein. Es ist nicht
uninteressant hier noch die Bestimmungen anzuführen, welche Mikulicz
in seiner Klinik in allen Operationssälen für den Narkotiseur an-
geschlagen hat.
Dieselben lauten:
1. Jeder Narkotisierende hat sich ausschliesslich mit der Narkose zu
beschäftigen.
2. Der Narkotisierende führt die Narkose ohne Unterbrechung von An-
fang bis zu Ende; er verlässt den Kranken erst dann, wenn derselbe
zum Bewusstsein zurückgekehrt ist, event. bogleitet er ihn auf die
Station.
3. Die Übertragung der einmal begonnenen Narkose an einen zweiten
Arzt ist unter keiner Bedingung zulässig, auch nicht vorübergehend.
Die Yerantwortung für die Narkose trägt ausschliesslich derjenige,
der sie zu Anfang übernommen hat.
4. Bei jedem Kranken ist nachzusehen, ob künstliche Zähne vorhanden
sind, und sind dieselben zu entfernen.
5. Der Narkotisierende muss stets bei sich haben: den Mundspiegel und
die Zungenzange.
6. Der Magen muss mit der Magensonde entleert werden
a) bei allen Kranken, die nicht mindestens 6 Stunden vor der Ope-
ration gefastet haben ;
b) die an irgend einer Art des Magen- oder Darniverschlusses leiden
(Stenosis pylori, incarcerierte Hernie, alle Arten von Ileus etc.).
7. In den Vorbereitungsräumen sind die Kranken nur ganz oberflächlich
zu narkotisieren, eine tiefe Narkose darf nur im Beisein des verant-
Avortlichen Assistenzarztes eingeleitet werden.
8. Wer gegen die vorangehenden Bestimmungen verstösst, hat persönlich
alle Konsequenzen zu tragen , die sich aus einer event. eintretenden
Gefahr für das Leben des Narkotisierten ergeben. Für die Über-
wachung und Durchtührung der vorstehenden Bestimmungen ist der
Assistenzarzt, zu dessen Station der zu Narkotisierende gehört oder
gehören soll, verantwortlich.
Diese wichtigen Bestimmungen enthalten das zunächst notwendig-
wissens- u.nd beachtenswerte für den Narkotiseur und sind geeignet
für eine Bekanntgabe auch in allen Operationssälen.
§ 92. Der Narkotiseur wird in den verschiedenen Methoden
- 231 -
verschiedene Stellungen einnehmen. Bei der Methode nach Witze!
wird er auf einem Stuhl sitzend hinter dem Kranken sich befinden.
Sind zwei Ärzte nötigj so sitzt der Assistent, welcher den Kopf hält,
und der Narkotiseur steht daneben seitlich vom Kopfe des Kranken
und tropft das Narkotikum auf die Maske. Ist nur ein Arzt nötig, so
setzt er sich hinter den Kopf, welcher auf der Vorrichtung fixiert ist
und tropft das Narkotikum auf die Maske mit der rechten Hand, während
er mit der linken die Maske hält. Bei anderen Lagerungen steht der
Narkotiseur meist, doch ist es ihm nicht übel zu nehmen, wenn er sich
nach Möglichksit setzt, denn er muss oft lange Zeit ruhig stehen, und
dasselbe strengt sehr an.
§ 93. Was nun die Kleidung desselben anlangt, so hat er einen
gewöhnlichen weissen Operationsmantel an, die Arme bis über die
Ellenbogen entblösst. AVitzel empfiehlt eine Schutzvorrichtung vor den
Mund des Narkotiseurs, damit ihm nicht die ganze Menge von Nar-
kotikum, das in der Luft verdunstet, direkt in den Mund strömt, sondern
von der Schutzhaube abgehalten wird. Es mag dies von Nutzen sein
und wohl verwendbar. Allein unbedingt nötig erscheint es uns nicht.
Der Narkotiseur wird trotzdem viel Narkotikum mit inspirieren müssen
und folglich dies als Übelstand empfinden. Eine Schutzvorrichtung vor
dem Munde wird den Narkotiseur nur noch mehr beengen, und mancher
wird lieber die Narkotikummengen mit einatmen, als durch eine solche
Vorrichtung in der Atmung behindert zu sein. Der Narkotiseur muss
vor allem nicht zu warm und einengend gekleidet sein, denn er erträgt
sonst die warme Temperatur des Operationssaales nur schwer zugleich
mit der durch Narkotikumdämpfe verschlechterten Luft.
§ 94. Worauf der Narkotiseur während der Narkose vor allem
zu achten hat, das ist uns schon bekannt. Im Falle eines nahenden
Unfalles während der Narkose kommt es vor allen Dingen darauf an,
dass der Narkotiseur seine Sache ganz versteht. Er muss zunächst
laut und deutlich verkünden, was geschehen und was zu tun ist. Durch
seine Beobachtung während des ganzen bisherigen Verlaufes muss er
orientiert sein über den Grund des Unfalles, und er muss auch schon
die ersten Symptome bemerkt und sofort die Narkose sistiert haben.
Ruhe und Geistesgegenwart setzen ihn in den Stand, sofort die Ursache
zu beseitigen und die richtigen Gegenmassregeln zu treffen. Er tut
selbst was unbedingt notwendig ist und erteilt ruhig und präzise die
Befehle, welche die anderen Personen vollführen müssen. Überhaupt
muss ihm in diesem Moment jedermann gehorchen. Aber auch das
Personal muss sich geschult zeigen, indem es nicht in Hast und Auf-
regung verfällt, sondern es muss jeder an seinem Platz den Befehl
abwarten und nach demselben handeln. Nur der Nai-kotiseur weiss,
welche Massregel am Platze ist, deshalb soll kein anderer Arzt Hand
an den Kranken legen, und tun was ihm nicht befohlen ist. Ein
solcher Vorgang muss sich abspielen, als sei er vorher verabredet, als
stelle er eine Operation dar, die man mit Bewusstsein alles Handelns
vorgenommen hat und nicht als sei er ein unvorhergesehener Zufall.
Der Laie darf garnicht gewahr werden, dass ein Unfall geschehen ist.
- 232 —
so ruhig und Avie selbstverständlich müssen die nötigen Massnahmen ge-
troffen werden. Dann läuft jeder Riemen über seiner Rolle, dapn greift
ein Rad in das andere, und das Resultat wird das gewünschte sein. Ist
der Unfall vorüber, so muss alles wieder in seinen gewohnten Bahnen
weiter laufen, alles aufgeregte Reden usav. ist zu vermeiden, die Operation
wird fortgesetzt. Der Opei'ateur hat ja nur bei der letzten Behandlung
zugesehen, da der Narkotiseur Mann genug sein musste, um korrekt
zil handeln. So hat der Operateur auch sterile Hände behalten und
kann sofoi't mit seinem Assistenten die Operation fortsetzen, denn oft-
mals liegt gei-ade darin der Wert, dass nunmehr die Operation schnell
beendet werde, und eine lange Narkose erspart bleibe. Der Narkotiseur
gibt dem Operateur das Zeichen wenn er wieder fortfahren darf. Für
den Narkotiseur darf es während der Narkose überhaupt keine Über-
raschungen durch Unglücksfälle geben. So schnell und unerwartet
sie auch auftreten, so haben sie doch stets, wenn auch nur gering-
fügige Vorläufer, welche Veränderungen an Puls, Atmung oder sonstAvo
verursachen, die dem Narkotiseur nie entgehen dürfen. Überdies Avird
er aus dem Urteil, welches er sich über den Kranken vorher gebildet
hat, schon vor der Nai'kose ahnen und vorhersehen können, AA^elche Un-
fälle etwa auftreten können, und so hat er dieselben sich schon vorher
vergegeuAvärtigt und kennt die Symptome genau genug, um ihr Eintreten
nicht zu übersehen. So Avird er aber event. auch schon vorher den-
selben nach Kräften entgegen gearbeitet haben. Auch dies ist ihm
möglich. Folglich muss einem gut gebildeten geübten Narkotiseur eine
Überraschung ein unbekanntes Etwas sein.
Wenn AA-ir gesehen haben, wie der Narkotiseur den Kranken vom
ersten Tage an beobachtet hat bis jetzt, avo die Narkose unter-
brochen Averden soll, Aveil die Operation beendet ist, so hat er noch
nicht alles getan, er trägt noch immer die Verantwortung für den
Kranken. Deshalb darf er ihn nicht eher aus den Augen verlieren,
als bis derselbe vollkommen munter und aus der Betäubung erwacht
ist. Solange bleibt er neben dem Lager desselben auAvesend, denn es
können noch viele wichtige Ereignisse eintreten. Erst wenn der Kranke
die Augen aufgeschlagen und vernünftig mit dem Arzte gesprochen hat,
dann kann der Narkotiseur die Obhut dem Personal überlassen, welchem
er noch Weisungen betreffs der Nachbehandlung des Kranken gibt.
Was der Arzt noch für Pflichten nach der Narkose dem Kranken
gegenüber auf sich genommen hat, AA'ollen wir im folgenden behandeln.
- 28)i —
X. Kajtitel.
Die Behandlung des Kranken nach der Narkose.
§ 95. Die Behandlung des Kranken nach der Narkose richtet
sich immer in gewissem Masse nach den Vornahmen vor der Narkose.
Zunächst müssen wir den Kranken in einen Raum bringen, wo derselbe
eine gute frische, nicht gerade kühle, aber auch nicht warme Luft atmen
kann. Daselbst darf er auch nicht Abkühlung erleiden, sondern er
muss in Avarme Decken gehüllt sein. Hat derselbe vielleicht eine sehr
lange Narkose durchgemacht, und vermutet man eine grosse Abkühlung
und Verminderung der Körpertemjjeratur, so werden wir den Kranken
mit Wärmflaschen umgeben, welche zwischen die Decken längs des
Körpers gelegt werden. Es darf dies ja nicht vernachlässigt werden.
Die Luft im Krankenzimmer muss frisch und ev. etwas kühl sein.
Eine zu Avarme Luft wirkt nicht so anregend auf die Respiration wie
eine etwas kühlere. Deshalb werden vorher die Fenster geöffnet, doch
es muss immerhin eine Temperatur von 18 — 20^ C. herrschen.
Die Güte der Luft besteht hauptsächlich in einem hohen Sauer-
stoffgehalt, Um denselben zu erreichen, muss eben für eine vorherge-
gangene Lüftung des Krankenzimmers gesorgt Averden, ehe der Kranke
in das Zimmer gebracht wird. Die Luft muss aber nun auch dauernd
auf der richtigen Temperatur von 18 — 20*^ C. und der hohen Sauer-
stoffbeimengung erhalten Averden. Durch das VerAveilen des narkoti-
sierten Kranken in dem Zimmer wird die Luft verschlechtert, besonders
dadurch, dass derselbe konstant noch Dämpfe des Narkotikums ausatmet.
So mengen sich je nach der Dauer und Tiefe der Narkose mit dem
Verweilen des Kranken immer mehr Mengen von Narkotikumdämpfen
zu der Luft. Damit nun der Kranke bald erwacht, müssen wir diese
narkotikumhaltige Luft entfernen. Dies muss bei kleinen Kranken-
zimmern durch gute Ventilation ev. durch Oeflfnen der Fenster ge-
schehen. Will man das Oeffnen der Fenster umgehen, so muss man den
Kranken in ein grosses geräumiges hohes Zimmer bringen, Avoselbst
soviel Luft vorhanden ist, dass die Beimengung des Narkotikum-
dampfes zu der Exspirationsluft keine Bedeutung haben kann. Dies
ist der Fall in grossen Krankensälen.
§ 96. Die nächste Sorge haben w ir auf Herz- und Liuigentätig-
keit zu verAvenden. Wenn das Herz kräftig und ohne Besonderheiten
ist, so können wir besondere Massnahmen untei'lassen. Im entgegen-
gesetzten Falle müssen wir ev. Kamphorinjektionen oder nochmals In-
fusionen vornehmen. Sehr angebracht ist ein Einlauf von Thee mit
Rum und Rotwein, ev. mit Tinct. digitalis oder Strophanthuszusatz. Diese
die Herzkraft anregenden Darmcinläufe sind von grossem Vorteil nament-
lich bei Alkoholisten, welche an Herzschwächezviständen leiden.
Was nun die Ijungentätigkeit anlangt, so haben Avir zu befürchten,
dass Hypostasen usav. eintreten. Diese zu verhüten muss unsere nächste
Sorge sein. Zu diesem Zwecke haben wir den Patienten schon vor
der Narkose unterrichtet, und wir lassen ihn nun sein Gelerntes ver-
- 234 —
werten, indem wir ihn auffoi'dern, wenn die Operation es erlaubt, sich
ein wenig- aufzusetzen. Ist die Operation hindernd, so lassen wir ihn
im Liegen folgendes ausführen. Er atmet mehrere male 10 — 15 mal
hintereinander tief ein, dann Avieder normal, nach 20 Minuten atmet
er wieder ev. unter Aufrichten des Oberkörpers langsam und tief 20
mal hintereinander, und so wird diese Prozedur alle halben Stunden
wiederholt. Das erste Mal hat der Narkotiseur es selbst überwacht,
in den folgenden Zeiten ist es die Pflicht des Pflegepersonals dasselbe
zu besorgen, und den Kranken dazu zu veranlassen, denn er wird es
vergessen, weil er A\deder einschläft. Man wird bald sehen, welchen
grossen Einfluss diese Respirationstherapie zur Verhütung von
hypostatischen Pneunomien besitzt.
§ 97. Sehr oft tritt nun in dieser Periode Erbrechen ein. Man
begegnet demselben dadurch, dass man eine Magenspülung vornimmt,
denn das Erbrechen ist ein Zeichen, dass der Kranke Schleim und Nar-
kotikummengen in dem Schleim gelöst verschluckt hat. Nach einer
Spülung des Magens mit Kochsalzlösung lässt meist das Brechen so-
fort nach. Der Kranke erhält weiter reichliche Gelegenheit den Mund
mit Wasser zu spülen, mit der Zahnbürste zu reinigen und ev. des-
infizierendes MundAvasser. Sehr vorteilhaft ist es, denselben kleine
Eisstückcheu auf die Zunge nehmen zu lassen, ohne dass er das Wasser
verschluckt.
Nach einigen Stunden geben wir dem Kranken eine Tasse schwarzen
Kaffee zu trinken, und, wenn er denselben gut vertragen hat, nach eini-
ger Zeit eine entsprechende Nahrung.
Wenn wir vor der Narkose dem Kranken Digitalis, Strophanthus
oder dergleichen gegeben haben, so wird dies nunmehr auch fortgesetzt,
so lange bis man annehmen kann, dass eine Herzschwäche nicht wieder
eintreten wird.
§ 98. Es ist nun die Frage, soll man einen Kranken nach der
Narkose im Bett liegen, oder, wenn es sonst sein Zu.stand erlaubt, auf-
stehen lassen? Diese Frage ist ja nicht nur in Hinsicht auf die Narkose
von Wichtigkeit, sondern auch hinsichtlich der Operation. Wenn man
irgend kann, d. h. wenn die Operation nicht das Abdomen, oder die Brust
oder unteren Extremitäten etc. in ei'heblichem Masse getroffen hat, wodurch
eine ganz ruhige Lage gefordert wird, so wird man besser tun, den Kranken
so bald als möglich nach der Narkose, entweder im Bett aufzuiüchten,
oder in einen bequemen Stuhl zu setzen. Die Aufrechthaltung ist von
grossem Werte für die Lungen. Und wenn die Tätigkeit der lebens-
wichtigen Organe eine vortrefi'lich gesunde ist, so wird auch die Heilung
von Wunden schnell vor sich gehen. Die Kranken sollen, was die
Rücksicht auf die Narkose anlangt, schon sobald als sie das Bewusst-
sein erlangt haben, und aufrecht sitzen können, in diese Stellung ge-
bracht werden. Wollen sie noch schlafen, so können sie dies in einem
bequemen Stuhle ebenso gut tun, als in dem Bett, ja wegen der Be-
quemlichkeit, die die sitzende Stellung besser unterstützt, noch vorteil-
hafter. Nun in vielen Fällen wird es unmöglich sein, den Kranken
derart zu behandeln, so soll man aber so viel als möglich bestrebt sein.
— 235 —
den Oberkörper auch im Bett höher zu lagern, damit die Atmung unter-
stützt, und ausgiebiger wird.
Es -wird ja nach vielen Operationen vor allem auf eine andauernde
ruhige Lage des Kranken ankommen, die Narkose wii'd dieselbe auch
nicht stören, nixr die Forderung für eine möglichst ausgiebige Atem-
tätigkeit muss erfüllt werden. Die gefürchteten postnarkotischen Lungen -
erkrankungen müssen vor allen Dingen an ihrem Eintreten verhindert
werden. Es Avird ja nach den verschiedenen Narkosen eine verschieden
grosse Gefahr für die Lungen bestehen. Wir wissen aber, dass ein
grosser Teil der Lungenerkrankungen nur durch die wenig ausgiebige
Atmung und das Vermeiden des Aushustens der Schleiriimengen in den
Luftwegen hervorgerufen wird. Wir lassen deshalb den Kranken nicht
nur die Lungengymnastik, wie oben geschildert, vornehmen, sondern
wir halten ihn auch an, den Schleim auszuhusten. Es wird nun nach
vielen Operationen diese Lungengymnastik und das Husten vor allen
Dingen durch die Schmerzen verhindert werden, die der Kranke beim
Atmen und tiefen Atmen sowie Husten in gesteigertem Masse em-
pfindet, wie nach Laparatomien, Brustoperationen etc., wodiu'ch er be-
strebt ist, möglichst wenig tief zu atmen, die operierten Teile möglichst
wenig zu bewegen, da jede Verwendung der Muskeln in diesem Körper-
bezirk heftige Schmerzen auslöst. Wir können den Kranken immer
nur dadurch zum tiefen Inspirieren und Husten bi'ingen, indem wir ihm
die Schmerzen lindern oder ganz nehmen. Dies wird durch Injektionen
CKler Verabreichen von Opium, Morphium oder dergleichen Mitteln ge-
schehen. Man sei nicht sparsam mit diesen Medikamenten, denn der
Nutzen hebt vielmals den geringen Schaden auf. Wenn wir vielleicht
in manchen Fällen, wo Herzschwäche zu befürchten ist. Bedenken
tragen, Morphin anzuwenden, können wir entweder ein weniger stark
wirkendes, wie Dionin, Codein etc. Medikament Avählen, oder man gibt
zugleich die Herzkraft anregende Mittel.
§ 99. Man hat bekanntlich oftmals durch die Einwirkungen
vieler Narkotika schwere und leichte Erkrankungen der Nieren beobachtet.
Es besteht ja die Gefahr der fettigen Degeneration in den Nieren,
welche man vor allen Dingen häufig nach Chloroformnarkosen beobachtet
hat. (Ungar, Junker, Strassmann, Stommel, Foerster, Verf, etc.) Es
ist aber nicht nur das Chloroform, Avelches in gewissen Fällen schwere
Nierenerkrankungen hervorrufen kann, es sind die deletären Einflüsse
auf die parenchymatösen Organe im tierischen Organismus allen Nar-
kotika, dem einen mehr, dem anderen weniger eigen. Wir ziehen
daraus den Schluss, dass wir nach jeder Narkose der Nierenseki*etion
unsere besondere Beachtung angedeihen lassen müssen. Wir müssen
daher sofort nach der Narkose zunächst den Harn, welchen der Kranke
zuerst wieder lässt, genau untersuchen, und zwar nicht nur chemisch
auf Eiweiss und Zucker, sondern auch mikroskopisch auf Cylinder,
Epithelzellen etc. Allerdings ist mit dieser einen Harmmtersuchung
noch nicht genug getan, denn die Erkrankungen der Nieren treten nicht
immer sofort ein, man hat beobachtet,' dass Stunden vergingen nach
den Narkosen, ehe man Symptome der degenerativen Prozesse in Ge-
— 236 -
stalt von Harnveränderungen finden konnte. (Ungar, Junker etc). Wir
wertkii daher nach Verlauf von einigen Stunden eine neue Harnunter-
siicliuii^ \ ornehmen müssen. Nur durch eine mehrmalige Untersuchung
vou /u verschiedenen Zeiten vom Kranken gelassenen Harn können
wir <iiL definitives Urteil üher den Gesundheitszustand der Nieren er-
hitltf ir. Die Veränderungen in den Nieren zeigen sich vor allen Dingen
durch EiM eissgehalt des Harnes an, ferner durch Gegenwart von Cylindern,
E|'ithflzellen, zerfallenen Zellen und ev. durch Blutkörperchen im Se-
dinifiir oder dem Ergebnis des Centrifugierens des Harnes. Was wir
nun zur Therapie solcher Nierenerkrankungen tun müssen, gehört der
inneren medizinischen Behandlung an. Wir haben vor allem aus diesen
Befunden zu lernen, dass der betr. Kranke jedenfalls einer weiteren
Narkose uicht wieder ausgesetzt werden darf, bis nicht die abnormen
Harnbestandteile wieder verschwunden sind, d, h. die Nieren-Degene-
ration zurückgegangen, abgeheilt ist. Es besteht nach den Erfahrungen
der Grundsatz, dass man bei jeder Nierenerkrankung mit einer Narkose
grosse Vorsicht beachten soll, vor allen Dingen nicht das Narkotikum
wieder zur Betäubung des Kranken brauchen darf, welches eine Nieren-
erkrankung bei ihm erzeugt hat. Es besteht ja bei dem Eintreten von
Nieren ei'krankungen zweifellos eine Disposition des Kranken, denn ein
AxUlig undisponiertes Individium wii-d erst nach sehr langen Narkosen
eine Nierenschädigung erleiden, wobei vielleicht vorher schon andere
Organ(j, geschädigt werden, ehe die Nieren ergriften werden. Er wird
daher, wie schon früher erwähnt, vor allem schon vor der Einleitung
einer Narkose vom Arzte zu eruieren sein, ob der betr. Kranke prädis-
poniert ist für Nierenerki-ankungen. Diese Prophylaxe ist das wich-
tigste. Eine Behandlung leichter Nierenaff'ektionen ist meist nicht nötig,
da dieselben von selbst nach Verlauf von einigen Stunden bis Tagen
wieder zurückgehen, schwere Aftektionen führen oftmals sehr bald ad
exituni h^talem, oder Averden nach den Grundsätzen der interneii Medizin
behandelt. Wir werden im speciellen Teil dieses Buches bei der Behandlung
der einzelnen Narkotika noch genauer die Nieren äff ektionen zu behandeln
haben. Dass dieselben nicht ohne Bedeutung sind, zeigt eine Mitteilung
vou Rindskopf, welcher nach 93 Chloroformnarkosen 31 mal Albuminurie
und r'vjindrurie nachgewiesen hat.
XI. Kapitel.
Die Statistik der Narkosen.
4: lOO. Wenn wir hier noch einige Betrachtungen über die Statistik
anstellen vvollen, so ist es nur das Bestreben, alle Beziehungen der Nar-
kosen ini menschlichen Leben zu erörtern. Jedenfalls können wir von
Anfanj;' an nicht das von der Statistik erwarten, was man im allgemeinen
derselben zu entnehmen geneigt ist. Wir sind der Ueberzeugung, dass die
ganzM. Statistiken der Narkosen mit ihren Todesfällen, schädlichen Ein-
— 287 -
Füssen usw. usw. nicht einen so grossen Wert für unsere Wiss,-iis.r]ia.ft
liaben, wie er allgemein ang-enotnnien wird. Wenn eine Statistik ein wirklich
massgebendes Resultat liefern soll, so muss jeder Statistiker i.iss^Ibe
Prinzip verfolgen, d. h. er darf nicht eine Statistik mit 2000 Narkos-^n,
die mit Aether nach der Genfer Methode vorgenommen wurden, 'in-^r
anderen mit vielleicht 3000 Narkosen mit Chloroform nach «ier Tn.pf-
methode, oder einer mit 1000 Narkosen der Sauerstoffchlorofonnmetliode
entgegenstellen. Es fehlt bei der bisherigen Statistik die Einheit so-
wohl im Narkotisieren, als auch die Gleichheit im Beobachten, im Be-
urteilen usw.. Wenn wir strenggenommen alle die genannten I'nter-
schiede der einzelneu Statistiken bedenken, so müssen wir /.u dem
traurigen Urteil gelangen, dass uns alle Statistik wenig nutzr, -ia.ss sie
uns kein sicheres Resultat liefern kann. Eine Statistik würde allein
für uns von Wei't sein, wenn ein Narkotiseur au grossen Anstalten an-
gestellt wäre, welcher bei einem enormen Material, das nur mehrere
Krankenhäuser einer Grossstadt liefern können, stets die Narkosen nach
derselben Methode vornehmen Hesse, möglichst alle selbst beobachtete,
wenigstens von seinen Assistenten, die ja nach seiner Methode sowohl
im Beobachten wie im Handeln angelernt sind und folgdich wie ei*
arbeiten, beobachten oder leiten sowie genaue Berichte jeder Narkose
abfassen Hesse. So könnte eine grosse Menge einheitlich geleiterer und
beobachteter Narkosen zusammengestellt werden und so allein mit der
Zeit, im Laufe von 5 — 10 Jahren eine massgebende Statistik geschaffen
werden. Es wäre dies nicht unmöglich, wenn endlich die Narkose in
die Hände von Aerzten gelegt würde, und auch bei uns Aerzte als
Narkotiseure angestellt würden.
Wenn wir uns einmal die alten Statistiken ansehen, in Be/.ug auf
die Todesfälle in der Narkose z. B., so werden wir obiges bewiesen
finden. Wir haben seit der Einführung der Narkose gelernt mit der
Zeit der Beobachtung eine Menge Todesfälle auf die Einwirkung des
Narkotikums beziehen, die man früher nicht als Folgen der Nai'kose ansah.
So kam es, dass mit der weiteren Ausbildung der Narkose sowohl in
Bezug auf Technik als auf Wissenschaft, die Todesfälle zahlreicher
AYurden. anstatt abzunehmen an Zahl, was nach der besseren Kenntnis
der Narkosenwissenschaft ja anzunehmen ist. Es ergibt sich z. B. aus
der Narkosenstatistik von Gurlt 1895 eine Mortalität bei der (.'hloro-
formnarkose von 1 : 2075. Neve hat aus einer grossen Sammlung von
Narkosen, welche an grossen Krankenhäusern in Indien vorgenommen
wurden, für Chloroform ein Verhältnis von 1 Todesfall aiif 8000 Chloro-
formnarkosen, in einer anderen Krankenanstalt Indiens hat er ein Ver-
hältnis von 1:20000 berechnet, Grube hat auf 40000 ChL>rotonnnar-
kosen 3 Todesfälle, also 1 : 1333 , innerhalb 40 Jahren angegeben,
SklifossoAvski rechnet 28 708 Chloroformnarkosen mit 5 Todesfällen,
also 1:5741. Nach Mikulicz kommen in neuester Zeit sogar auf 1683
Chloroformnarkosen 1 Todesfall. Gurlt hat für Aethernarko.sen ei)i Ver-
hältnis von 1:5112, Riedel ein solches von 1:3000 angegeben. Die
Narkosenstatistik von Gurlt aus den Jahren 1890 — 93 gibr folgende
interessante Verhältnisse an:
- 238 -
Von 133729 Chlorotbrniiiarkosen traten 46 Todesfälle auf,
also ein Verhältnis von 1 : 2907
Von 14646 Aethernarkosen traten 1 Todesfall auf,
also ein Verhältnis von 1 : 14646
Von 4118 gemischte Cloroform- u. Aethernark. traten 1 Todesfall auf.
also ein Verhältnis von 1 : 4118
Von 3440 Narkosen mit BiHrothscher Mischung traten 0 Todesfall auf,
also ein Verhältnis von 0 : 3440
Im Jahre 1895 kamen auf 1376 Chloroformnarkosen 1 Todesfall
und auf 3164 Aethernarkosen ebenfalls 1 Todesfall vor. Ferner sind
von Gurlt für 4555 Bromaethylnarkosen 1 Todesfall, für 591 Pental-
narkosen 3 Todesfälle, also ein Verhältnis von 1:197, für 11464 Nar-
kosen mit Stickstoffoxydoll kein Todesfall angegeben worden. Für Pen-
talnarkosen sind folgende Zahlen angegeben worden, Stallard 1 : 149,
Gurlt 3:600 = 1:200, Snow 2:238 = 1:119. Nach Mikulicz sind
in den Jahren 1896 — 00 in der Provinz Schlesien auf 87530 Chloro-
formnarkosen 52 Todesfälle, also 1 : 1683, auf 6046 Bromaethylnarkosen
1 Todesfall, auf 223 Chloroformaethernarkosen 2 Todesfälle also 1:111
vorgekommen.
Wenn wir nun einmal alle die hier angeführten Zahlen addieren,
um ein Durchschnittsverhältnis für die Todesfälle in der Narkose über-
haupt zu erlangen ohne Rücksicht auf das verwendete Narkotikum, so
erhalten wir auf 373208 Narkosen 127 Todesfälle oder ein Verhältnis
von 1 : 2938. Diese Zahl ergibt immerhin ein recht gutes Verhältnis,
wenn sie auch strengenommen nicht massgebend sein kann. Wenn wir
dieses Verhältnis einmal mit der der Unfälle mit tötlichem Ausgang bei
den Methoden der Anaesthetologie vergleichen wollen, so finden wir es
immer noch recht schlecht. Mikulicz hat im Jahre 1901 eine Statistik
über die Todesfälle aufgestellt, die bei einer Methode der Anaestheto-
logie eintraten und auf 103064 Fälle von lokaler Betäubung 3 Todes-
fälle festgestellt, also ein Verhältnis von 1:34155. Letzteres ist gewiss
ein vorzügliches Resultat, nur muss man bedenken, dass weitaus die
meisten schwer kranken Menschen, bei denen also eine Todesgefahr über-
aus gross ist, einer Inhalationsnarkose unterzogen werden, während man
meist nur leicht Kranke, leicht Verletzte mit den Methoden der Anaes-
thetologie behandelt.
Wenn wir uns obige Zahlen etwas genauer betrachten, so finden
wir recht grosse Differenzen zwischen den Verhältniszahlen der einzelnen
Narkosenarten. Wir sehen z. B. dass die Pentalnarkose die bei weitem
gefährlichste Narkose darstellt, denn die Statistiken von 3 Autoren
zeigen ungefähr das gleiche schlechte Resultat. Allerdings müssen wir
immerhin vorsichtig sein mit dem Schlussfolgern, denn wir sehen aus
den Angaben von Mikulicz, dass auf 233 gemischte Narkosen 2 Todes-
fälle kommen. Dieses Verhältnis stellt jedenfalls nur einen unglück-
lichen Zufall dar, denn man hat von anderer Seite meist sehr gute
Resultate mit den gemischten Narkosen erlangt, hat doch Schleich bei
600 Narkosen mit seinen Siedegemischen nicht einen Todesfall erlebt.
- 2H<) —
Ferner können wir aus der Gurlt'schen Statistik entnehmen, dass bei
3440 Narkosen mit Billrothscher Mischung kein Todesfall vorkam, ferner
bei 4118 gemischten Chlorof'orm-Aethernarkosen nur 1 Todesfall auf-
zuweisen war. Die Todesfälle, die Gurlt in 5 Jahren bei über 200000
reinen Chlorofbrmnarkosen fand, bilden ein Verhältnis von 1:2286.
Es ist also die Verhältniszahl der Mischnarkosen, die, wenn wir das
Mittel aus jenen beiden ziehen, 1 : 7558 beträgt, bedeutend zu Gunsten
der gemischten Narkosen ausschlagend. Selbst wenn wir 1:4118 als
die Verhältniszahl ansehen, so ist dieselbe fast noch doppelt so günstig
als die bei Chloroformnarkosen.
Wenn wir uns nun aber einmal überlegen, was uns diese Zahlen
streng genommen positives angeben, so müssen wir zugeben, dass diese
Zahlen doch immerhin sehr relative sind. Erstens ist die Ansicht sehr
geteilt über die Narkosentodesfälle, der eine rechnet einen Todesfall zur
Last der Narkose, wähi'end ein anderer denselben einer anderen Ursache
zuerkennt. Es ist ja so oft die individuelle Ansicht massgebend, und
kein Mensch, auch nicht der genaueste Statistiker, wird sich bei der
Aufstellung seiner Zahlen ganz von der Subjektivität freimachen, er
wird unwillkürlich immer zu Gunsten seiner Statistik fühlen und arbeiten,
wenn er sich auch die grösste Mühe gibt, ganz objektiv zu verfahren.
Ferner kommen neben dem Statistiker an sich die verschiedenen Me-
thoden und Narkotika in Betracht. Eine Statistik der Narkosen im
allgemeinen, Avie wir oben eine berechnet haben, ist nur ein willkür-
liches Spiel, dem man kein ernstes massgebendes Urteil entlocken darf.
Man muss Avenigstens nur Statistiken jeder einzelnen Narkosenart auf-
stellen, ja selbst die Methoden der Dosierung und Verabi-eichung des
Narkotikums haben entschieden Einfluss, denn die Persönlichkeit des
Narkotiseurs mit seinem ihm angeborenen Geschick und den Avechselnden
Kenntnissen und Erfahrungen, die er sich auf irgend eine Art ange
eignet hat, die Beschaftenheit des Narkotikums und last not least die
Individualität des Kranken selbst mit den Avechselnden Bildern der
Krankheit, Operation, Disposition und des psychischen Zustandes sind
gar einflussreiche Objekte, die hie und da in den extremsten Zu-
ständen ihres Einzelseins vorhanden den und jenen Aenderungszu-
stand in der Zahlenreihe hervor zu rufen im Stande sein können. Man
müsste alle diese vielen Punkte genau präzisieren, ehe man eine mass-
gebende Statistik verlangen könnte. Wer hindert denn jenen Arzt,
dass er einen fast ausgebluteten Verunglückten noch einer Chloroform-
narkose unterzieht, um ihn zu operieren und dabei vergisst, erst die
allein Rettung schaffende Infusion vorzunehmen? Der Kranke stirbt
nach den ersten Zügen, die er unter der Maske getan hat, und der
Chloroformtot ist fertig. Natürlich wird dieser Fall dem Chloroform
zur Last gelegt, obwohl viel näher liegende Ursachen da sind: die Ver-
blutung, ev. zu rasches Narkotisieren, falsche Wahl des Narkotikums,
Aether wäre besser gewesen, eventuelle Ueberdosierung etc. Gerade
die vielen kleinen Versehen bei der Narkose, die zu leichtsinnige Vor-
nahme der Narkose überhaupt, wo die vielen Methoden der Anaesthe-
tologie zur Verfügung stehen, und so vieles mehr, müssten vorerst be-
- 240 —
seitigt werden, ehe man Statistiken aufstellt. Es sei aber hiermit nicht
etwa jenen vortrefflichen Statistikern, wie Gurlt, Mikulicz und andern
ein Vorwurf gemacht. Wir sind der Ueberzeugung, dass in deren Klinik
solche Fälle, Avie der oben erwähnte und ähnliche, dank der vortreff-
lichen Leitung nicht vorkommen, allein Mikulicz hat nicht allein bei der
Aufstellung der einen Statistik die Narkosen aus seiner Klinik ge-
sammelt, er hat die Beiträge von praktischen Aerzten mit verwendet,
allerdings mehr zum Zwecke des Nachweises der Häutigkeit der Nar-
kosen etc. Die Methode der Fragebogen ist zweifellos eine sehr gute,
allein jedermann wird erkennen, dass man eine exakte Statistik, welche
das Verhältnis von Todesfällen angeben soll, nicht damit gründen kann.
Nun, wie dem auch sei, die Statistik hat immerhin auch ihr Gutes,
und neuerdings ist man bemüht jene Mängel abzustellen. Freilich wäre
es im Interesse der Wissenschaft sehr zu wünschen, dass auch in
Deutschland in den grossen Krankenhäusern mehr die Handhabung der
Narkose etc. in eine Hand käme, dann könnte der Narkotiseur zuver-
lässigere Statistiken aufstellen, und wir zweifeln nicht, dass dieselben
ganz andere Zahlen aufweisen würden, als die jetzigen Statistiken angeben.
Wir wollen uns hier nicht weiter mit dieser allgemeinen Statistik
abgeben. Ein annähernd genaues Resultat kann nur die Statistik jeder
einzelnen Narkosenart geben, deshalb soll bei ilen Abhandlungen der
einzelnen Narkosen im spez. Teil noch genauer auf die Statistik ein-
gegangen werden.
§ 101. Wenn man Statistiken aufstellt in der medizinischen
Wissenschaft, so hat man nicht allein die Todesfälle zu verzeichnen,
sondern man hat auch mit leichteren Schädigungen des Organismus zu
rechnen. So haben wir also auch Statistiken über die Unfälle und
Nacherkrankungen ohne direkten tötlichen Ausgang. Die Narkose
bringt ja dem Menschen, wie wir gesehen haben, eine Reihe ernster
Gefahren auch quoad valitudinem neben denen quoad vitam. Dieselben
bestehen ja vor allem in dem Eintreten von Herz-, Lungen-, Nieren-
und Gehirnerkrankimgen, sowie Erkrankungen der Extremitäten (Läh-
mungen) und anderen mehr. Die Schädigungen der Gesundheit, die
nicht sobald ad exitum führen, sind hauptsächlich Folgezustände nach
Narkosen, während die tötlichen Unfälle hauptsächlich und zum grössten
Teile während der Narkose auftreten, obwohl natürlich eine Reihe von
Todesfällen auch erst nach der Narkose auftreten (protrahirter Chloro-
formtot) und wieder Glieder aus der ersteren Kategorie auch während der
Narkose sich ereignen können. Die Statistik dieser Unfälle ist nun aber
nicht so leicht aufzustellen, denn eine allgemeine Angabe der Zahl von
Schädigungen quoad valetudinem auf eine grössere Zahl Narkosen ist
so wenig bedeutend, dass wir verzichten hier Zahlen zu nennen, denn
man wird sich leicht erklären wie viel relativer diese Zahl sein muss,
als die Zahl der wirklichen Narkosentodesfälle, wie sie ja viel mehr noch
abhängig ist von der Technik der Narkose, Dosierung, Qualität und Art
des Narkotikums, ferner von der Disposition des Kranken, der Ki-ank-
heit, Operation und endlich nicht weniger abhängig von dem Narkoti-
seur selbst, dessen Kenntnissen, Hebung, Erfahrung, Fertigkeit usw.
— 241 —
Wir können alle diese Beziehungen hier nicht erörtern, wir können nur
Statistiken aufstellen bei größerer Beschränkung' der einzelnen in Betracht
kommenden Verhältnisse, weshalb wir die genauen Zahlen in späteren Kapiteln
dieses Buches neuneu werden, wo die einzelnen Narkosenarten mehr im be-
sonderen zu betrachten sind. Um genauere Statistiken zu ermöglichen, ist es
vor allen Dingen nötig, daß genauere Aufzeichnungen, wie bisher, über den
Verlauf der Narkosen gemacht werden. So empfiehlt M. v. Cackovic ein Nar-
kosenbuch mit folgenden Rubriken, welche genau ausgefüllt wohl eine wert-
volle Statistik mit der Zeit zu liefern imstande sein könnten. Die einzelnen
Rubriken sollen folgende Überschriften tragen: 1. fortlaufende Nummer. 2. Datum.
3. Operation, Nummer des Operationsprotokolls, Name und Alter des Patienten,
4. Diagnose und Allgemeinzustand, ö. Herz. 6. Puls. 7. Lunge. 8. Narko-
tikum. 9. Art der Narkose (tief oder oberflächlich). 10. Dauer und Verbrauch
(Minuten, Gramm). 11. Eintritt der Anästhesie nach Minuten, Gramm. 12. Ab-
normale Beobachtungen: a)Excidation, b) Puls, c) Pupillen, d) Atmung, e) Speichel-
fluß, f) Erbrechen,: «) im Beginn, ß) während, y) nach. 13. Harn: a) vor, b) nach.
14. Unmittelbare Einwirkungen. 15. Folgeerkrankungen. 16. Bemerkungen.
Diese Tabelle läßt sich leicht durch Hinzufügen noch einiger wesentlicher
Punkte mit wenigen Änderungen zu einer recht brauchbaren gestalten. So fehlt
die nähere Bezeichnung der Methode, des Apparates zur Narkose, ferner der
Name des Narkotiseurs, ferner müßte noch die Vorbehandlung des Kranken
und die Nachbehandlung, die Lage des Krauken während der Narkose, ferner
muß genau der Zeitpunkt angegeben werden, wann die Lihalation begonnen,
wann Anästhesie auftrat, wann die Darreichung des Narkotikums sistiert wurde,
wann Patient erwachte, wann die Operation begann, wann beendet war, ferner
müßte noch genau erwähnt sein, ob irgend welche Medikamente, wie Morphin,
Atropin etc. gegeben wurden. Wenn man so die Tabelle noch vervollkommnet,
wird dieselbe sehr brauchbar. Man wird dann nach Verlauf von mehreren
Jahren die Notizen sammeln können, und wenn möglichst die Beobachtungen
immer von einem Arzte oder nur wenigen, die aus einer Schule stammen, her-
rühren, ein wertvolles Material für eine annähernd genaue Statistik erhalten.
XII. Kapitel.
Die Mischnarkosen.
§ 102. Nachdem wir nun in den verschiedensten Richtungen die allge-
meine Narkose betrachtet haben, indem wir dabei immer eine Narkose im Sinne
hatten, die durch ein Narkotikum erzeugt wurde, so wollen wir uns nunmehr
mit einigen wenigen Worten zu jenen Narkosen wenden, welche mit mehreren
Narkotika ausgeführt werden.
Man hatte bei der Anwendung der verschiedenen Narkotika gesehen,
wie das eine so, das andre so wirkte, man hatte bald das eine vorgezogen,
um es ebenso bald wieder als schädlich beiseite zu tun. Kurz, es zeigten
sich bei allen Betäubungsmitteln Nachteile, die schwere Gefahren für den
Organismus mit sich führen konnten. So kann man auch noch jetzt kein
einziges Narkotikum finden, welches nicht unter gewissen Umständen, als
16
242 —
starkes Gift wirkend, den Tod des narkotisierten Mensclien herbeiführen könnte.
So lernte man nun viele üble Eigenschaften auch weniger gefährlicher Natur
an den einzelneu Narkotika kennen, und man sah, daß oftmals das eine ge-
rade die üble Eigenschaft oder Wirkung des anderen kompensierte, ersetzte.
So kam man auf den Gedanken, durch Verwendung von zwei der Narkotika,
die guasi sich gegenseitig unterstützend in ihrer Wirkung nun weniger ge-
fährlich zusammen wirken sollten, indem das eine die üble Wirkung des andern
aufhob, eine ungefährlichere Narkose zu erzeugen, als mit einem der Stoffe
allein möglich war.
Der erste Schritt zu der kombinierten Narkose war darin getan, daß
man mit dem Chloroform oder Äther das Morphin so verband zum Zwecke
der Erreichung einer Narkose, daß man einige Zeit vor dem Beginn der In-
halationen dem Kranken subkutan eine entsprechende Dosis Morphin verab-
reichte. Die Folge davon war eine Verminderung der ps3'-chischen wie motorischen
Excidation, die geringere Neigung zum Brechen, weniger starke Nausea nach
der Narkose. Wenn man Irüher diese Morphiuminjektion ca. 10 Minuten vor
der Narkose gab, so beging man damit einen Fehler, wie schon oben erörtert
und mau ist jetzt zu der Überzeugung gelangt, daß eine erfolgreiche Mit-
wirkung des Morphins nur dann eintreten könne, wenn die Verabreichung
wenigstens ^2 — 1 Stunde vor Beginn der Inhalation gemacht wurde.
Mit diesen Erfolgen nicht zufrieden strebte man immer nach einer völlig
gefahrlosen Methode der allgemeinen Narkose und begann einige Inhalations-
narkotika zusammen zu geben, immer von dem Gesichtspunkte ausgehend, bei
der Wahl der einzelueu Narkotika und deren Mengen, daß dieselben sich in
ihren Wirkungen auf den Organismus gegenseitig ergänzten. So entstanden
verschiedene Mischungen, wie Chloroform und Äther, oder Bromäthyl und
Chloroform und verschiedene mehr. Ja man ging sogar noch viel weiter und
nahm o bis 4 Narkotika, wie Chloroform, Äther, Alkohol, in verschiedenen
ihren physikalischen Eigenschaften (Siedepunkt, Verdampfbarkeit, Lösungsver-
hältnis in Wasser und Fetten etc.) entsprechenden Mengen. So entstanden
die Billroth'sche 3Iischung, Wiener Mischung, ACE-Mischung etc. Eine andere
Methode gab Schleich an, die Narkose mit den Schleichschen Siedegemischeu.
Dieselben bestanden aus Chloroform, Aether sulf. oder Aether Petrol. etc. Das
Ziel seiner Bestrebungen war das, in dem Narkotikagemische solche zusammen-
zustellen, welche einen Siedepunkt gleich der Körpertemperatur besitzen.
Nähere Einzelheiten darüber finden sich im speziellen Teile. Hier sei nur das
erwähnt, was mehr oder weniger allen diesen genannten Mischnarkosen ge-
meinsam ist.
§ 103. Es ist bis zu einem gewissen Grade nicht zu leugnen, daß
diese Narkosen einen Vorzug vor den einfachen Narkosen besitzen, allein
dieser Vorzug ist sehr individuell verschieden, und in manchen Fällen auch
nur sehr gering. Wenn mau behauptet, durch die kombinierte Narkose einen
ruhigeren Verlauf, geringere Excidation, geringeres Übelbefinden nach der
Narkose, geringere Gefahren während der Narkose für das Leben des Kranken
zu erreichen, so sind dies alles Postulate, welche bei vielen einfachen Narkosen
durch vorsichtige Technik etc. auch erreicht werden können. Immerhin muß
mau bedenken, wie viel komplizierter die kombinierte Narkose für den prak-
tischen Arzt ist. Dieser wird kaum dieselbe anwenden können, sobald dieselbe
— 243 —
wie die Schleichscheu Siedegeinische gar viel mehr xlufwaud au Kosten,
Instrumentarium etc. machen als die einfache Chloroformnarkose.
Aber noch andere Punkte können den Mischnarkosen als mangelhafte
und unvorteilhafte Eigenschaften entgegengehalten Averden. So hat man sehr
bald bemerkt,'"daß jedes der gemischten Narkotika einzeln verdampft (Houigmann),
wenn man die Tropfmethode verwendet. So fand Houigmann, daß die Bestand-
teile des Gemenges mit verschiedener Schnelligkeit verdunsten und annähernd
nach dem Gesetze der fraktionierten Destillation einzeln übergehen. Der
Kranke steht also nach jedesmaligem Aiif träufeln z. B. eines Äther-Chloro-
formgemeuges anfänglich hauptsächlich unter dem Einflüsse des flüchtigeren
Äthers und erst nach dem Verdampfen desselben unter der Einwirkung der
Chloroformdämpfe. Hierdurch müssen große gefahrvolle Schwankungen in
der Konzentration beider Mittel entstehen und bei häufigerem Aufträufeln wird
der Kranke ausschließlich unter einer Äthernarkose stehen. So wirkt eine
Mischung von 4 Teilen Äther und einem Teile Chloroform lediglich wie eine
reine Ätherdarreichuug. Zu derartigen Erfahrungen sind außer Houigmann
noch eine Reihe von Forschern durch zahlreiche Versuche an Tieren und Beob-
achtungen vou Narkosen au Menschen gelangt, wie Rodmann, Thomson und
Kemp, Zahn, Trumaun, Poppert, Schmidt etc. Man sieht aus diesen Angaben,
daß mau bei der Verwendung vou Narkotikagemischeu auf die Tropfmethode
verzichten muß. Denn wenn man eine bessere Wirkung von Gemischen er-
zielen will, muß mau nicht die Flüssigkeiten selbst, sondern deren Dämpfe
mischen und das Dampfgemisch dem Krauken darreichen.
In dieser Hinsicht weiterschreiteud hat Braun einen Apparat kon-
struiert, welcher derartig eingerichtet ist, daß der Narkotiseur dnrch 2 Hähne
durch den einen 1 Vol.-Prozeut Chloroform und durch den anderen 4 VoL-
Prozent Äther dem Kranken verabreichen kann. Allein auch dieser Methode
haften in gewissem Grade die Nachteile der reinen Ätheruarkose au.
Eine andere Methode ist von Geppert angegeben worden mit einem von
demselben konstruierten Apparate. Der letztere ist au anderer Stelle genauer
beschrieben und die Verhältnisse dieser Methode werden im speziellen Teile
noch klarer gelegt werden. Hier wollen wir nur kurz mitteilen, daß es
Geppert gelungen ist, eine genaue Dosierung zu erreichen.
Wenn man ein Urteil über das Verhalten der Mischuarkosen fällen will,
so müssen noch mehr Versuche und Beobachtungen der einzelnen Methoden
vorausgehen. Nur eines ist bis jetzt zu sagen, das ist, daß die richtige exakte
Dosierung nur durch Mischen der Dämpfe erhalten werden kann, uud daß
hierzu Apparate nötig sind, welche, wenn sie gat und exakt funktionieren
sollen, sehr kompliziert gebaut sein müssen und dadurch so kompendiös uud
schwer transportabel werden, daß der praktische Arzt dieselben nie verwenden
kann, sondern daß dieselben nur in einer Klinik gebraucht werden, wo sie an
einem Platze feststeheukönnen. Ferner ist dann auch die Bedienung eine so
wenig leichte, daß der praktische Arzt, der Narkotiseur uud Operateur zu
gleicher Zeit ist, dieselbe nicht ausüben kann. Was nun die Wirkung der
Mischnarkose auf den Organismus anlangt, so hat man bei einigen Methoden
z. B. den Blutdruck weniger tief sinken seheu als bei einer einfachen Narkose,
wie bei der Chloroformnarkose, wo er fast die Hälfte der Norm erreicht. Allein
bei anderen Mischuarkosen war dieser Vorzug nicht zu beobachten. Ferner
16*
— 244 —
glaubte mau, die Luugeukomplikatioueu, die so oft uach dem Auweuden des
Äthers auftreteu, zu verminderu uud doch starheu uach Poppert vou 812 Misch-
narkosen 5 Personen au Pneumonie, außerdem beobachtete er eine große Menge
von Bronchitiden und leichteren Pneumonien, die in Genesung übergingen.
Wenn man auch aus diesen Unfällen lernte und andere Gemische herstellte,
welche in dieser Hinsicht besser auf den Organismus wirken sollten, so zeigten
sich dann wieder andere Nachteile. Wir können hier weitere Einzelheiten
nicht geben, ohne in eine spezielle Betrachtung der einzelnen Methoden und
Gemische treten zu müssen. Im zweiten Teil dieses Bandes wird jede einzelne
Methode genau erwähnt werden und wir werden sehen, welches die Vorzüge
des einen, welches die des anderen Gemisches sind. Zweifellos ist, daß die
Akten hierüber noch nicht geschlossen sind, denn der Gedanke ist jedenfalls
ein sehr yielversprechender, und es muß ein stetes Weiterforschen ergeben, ob
hierin das Ideal einer Narkose gelegen ist.
§ 104. Wenn wir hier noch wenige Worte hinzufügen wollen, so
ist es um eine Methode zu erwähnen, welche vollkommen gesondert steht
von den Mischnarkosen, die aber auch 2 Narkotika verwendet. Dies ist die
Schneiderlinsche Scopolamin-Morphin-Narkose. Dieselbe unterscheidet sich von
den obigen dadurch, daß die Darreichung durch subkutane Injektion beider Mittel
geschieht. Es ist im allgemeinen über diese Methode nichts zu erwähnen,
da ein näheres Eingehen auf dieselbe Sache der speziellen Betrachtung ist.
Die gesonderte Stellung dieser Methode ist ihr durch die besondere Art der
Einverleibung gegeben. Meist ist mau gezwungen, noch eine geringe Menge
Äther zu geben, um die Betäubung vollkommen zu machen.
Wir können hiermit das Kapitel über Mischnarkosen verlassen. Die im
vorhergehenden über die einfache Narkose genannten allgemeinen Daten finden
ihre Anwendung auch auf diese Methode, die Gesichtspunkte beim Einleiten,
bei der Technik, der Vorbereitung und Nachbehandlung des Kranken etc. sind
hier ebenso wichtig, wie bei der einfachen Inhalationsnarkose und so brauchen
wir weiter nichts hinzuzufügen, sondern nur auf die früheren Kapitel dieses
Buches zu verweisen.
B. Spezieller Teil.
1. Kapitel.
Die Chloroformnarkose.
§ 1. Das Chloroform ist eine wasserklare Flüssigkeit, stark licht-
brecheud und leicht verdampfend, von dem spezifischen Gewichte 1,485 — 1,489,
dessen Siedepunkt zwischen 60** und 62" gelegen ist. Dasselbe hat einen an-
genehm süßlichen Geruch und Geschmack, ist nur wenig im Wasser löslich,
leichter in Alkohol, Äther, Fetten und ätherischen Ölen. Durch Einwirken
von Luft, Licht und Wärme zersetzt sich das Chloroform sehr leicht.
Dasselbe ist von Methangas derartig ableitbar, daß 3 Wasserstoifatome
des Methan durch 3 Chloratome im Chloroform ersetzt werden, daher die
chemische Formel für Chloroform C. H. CI3.
Die Darstellung des Chloroforms erfolgt fabrikmäßig aus dem Äthyl-
alkohol durch Hinzufügen von Chlorkalk. Weitere Darstelhmgsmethoden sind
die durch Einwirken von Alkalien auf Chloralhydrat, von Aceton auf Chlorkalk
und verschiedene mehr, welche in neuerer Zeit soweit vervollkommnet sind,
daß die Fabriken ein völlig reines Präparat in den Handel bringen.
In England stellt man hauptsächlich das Chloroform durch Chlorieren
des sorgfältig gereinigten Methylalkohols dar, und ist auf dessen Reinheit be-
sonders stolz. Auf Veranlassung von Liebreich hat Pictet aus dem im Handel
käuflichen Chloroform bei — 70° bis 80° eine Art Chloroform in langen Nadeln
ausgeschieden und dies mit dem Namen Eischloroform belegt. Anschütz hat
das reinste Chloroform aus einer Verbindung des Salizyl mit Chloroform her-
gestellt, das sogenannte Salizylidchloroform. Die Verbindung des Salizyl mit
Chloroform ist ein kristallinischer Körper, aus welchem durch Destillation das
reine Chloroform erhältlich ist. Witzel ist ein eifriger Verteidiger dieses
Chloroforms, während Hans Schmidt Witzeis Erfolge nicht ani die Reinheit
bezieht, sondern auf die Methode des Narkotisiereus, die sorgfältige Tropf-
methode. Schmidt konnte auch mit anderem Chloroform wie dem Eischloroform
keine besonderen Erfolge erzielen, welches nach Hohenemser das beste Chloro-
form sein sollte, derselben Ansicht war Philip. Custing untersuchte auch
Fabrikate ausländischen Chloroforms und fand bei ihnen dieselben Erfolge wie
mit den anderen Chloroformarteu. Reznier rät, Chloroform kurz vor der
Narkose zu destillieren, da es so keine' Zeit habe, sich zu zersetzen.
Die Pharmakopoe bestimmt die Eigenschaften des Chloroforms wie vorher
geschildert. Durch Zusatz von Alkohol wird der Siedepunkt und das spezifische
Gewicht herabgesetzt. Nach den Behauptungen von Biltz, Lewin, Husemann,
Rumpf, Liebreich, Hirsch, Schneider ist der Zusatz von Alkohol notwendig,
tmi der Zersetzung vorzubeugen. Der Zusatz von ^/.^"/o Alkohol soll bis zu
— 248 —
11 Monaten, l^l^ bis über 1 Jahr Schutz vor Zersetzung- bei Aufbewahrung des
Chloroforms im ungedämpften Tageslicht gewähren.
Biltz hatte über 6 Jahre einen Teil solchen Chloroforms aufbewahrt,
ohne daß dasselbe sich zersetzt hatte.
Ohne Alkoholzusatz ist freilich Vorsicht anzuraten iiud nur guter Ver-
schluß mit Abschluß von Licht dringend zu empfehlen.
Das Chloroform ist in bezug auf den menschlichen und tierischen Or-
ganismus ein sehr starkes Gift und wir müssen infolgedessen bestrebt sein,
bei der Anwendung nur ein vollkommen reines Präparat zu verwenden. Es ist
leicht zu verstehen, daß etwaige Zersetzungsprodukte des Chloroforms ebenso
Beimengungen von anderen chemischen Stoffen, wie sie bei der Darstellung
leicht dem Chloroform anhaften bleiben können, für den Organismus schädlich
sein werden. Deshalb ist es unsere erste Pflicht, ein vollkommen chemisch
reines Präparat zu verwenden. Die in dieser Hinsicht besten Chloroformsorten
sind folgende. Ein vorzügliches Chloroform wird von der Aktiengesellschaft
für Anilinfabrikation in Berlin unter dem Namen Chloroform-Anschütz in den
Handel gebracht. Dieses Chloroform ist von uns während unserer Tätigkeit
ausschließlich zu Narkosen verwandt worden und wir haben bei den vielen
Narkosen, die wir mit Chloroform-Anschütz gemacht und gesehen haben, nie
irgendwelchen Schaden für den Kranken entstehen sehen und keinen Unfall
ernster Art, der auf etwaige Mängel am Chloroform zu beziehen wäre, erlebt.
Witzel, Schmid, Tillmanns, Fritsch und andere rühmen ebenfalls die vorzüg-
lichen Eigenschaften dieses Chloroforms. Anschütz hat durch die Herstellungs-
weise die größtmögliche Reinheit erreicht, indem er Chloroform mit Salizylid
verbindet zu einem kristallinischen Körper, dem Salizylid-Chloroform. In dem-
selben spielt das Chloroform dieselbe Rolle wie das Kristallwasser in vielen
Salzen. Durch Erhitzen des Salizylid-Chloroform in einem Destillierapparat
spaltet sich das Chloroform ab und wird als vollkommen chemisch reines
Präparat durch diese Destillation erhalten. Es entspricht also dieses Chloro-
form den geforderten Eigenschaften, nur muß man bei demselben ebenso wie
bei allen anderen Sorten vor der Zersetzung bei Anwesenheit von Luft, Licht
und Wärme auf der Hut sein. Es wird deshalb das Chloroform in Einzel-
packungen von 25, 50 und 100 g in braunen gut verschlossenen Flaschen in
den Handel gebracht. Diese Packung ist von ganz enormem Wert, da der
Arzt die gebräuchlichste Menge für eine Narkose (25 g) in einer Flasche erhält,
er braucht nicht große Quantitäten zu kaufen . die umgegossen und länger
aufbewahrt werden müssen, wobei sie Zersetzungen erleiden. Eine andere
Packung in Ampullen ist ebenfalls sehr brauchbar und praktisch. Nur durch
die Abgabe von festverschlossenen Einzeldosen von der Fabrik, an denen der
Apotheker nicht zu öffnen etc. hat, kann eine Gewähr für ein dauernd reines,
vollkommen unzersetztes Präparat gegeben, werden und der Arzt kann diese
Flaschen uneröffnet mit sich führen und sofort bei Bedarf verwenden, ohne
Sorge zu haben, daß etwa eine Zersetzung eingetreten sein könnte, wie bei
Bezug in abgegossenen Mengen aus einer Apotheke.
Neben dem Chloroform-Anschütz haben wir in dem Chloroform von
Schering ein ebenfalls vorzügliches Präparat. Dasselbe wird aus Chloralhydrat
durch Zersetzung desselben dargestellt und hat nach verschiedeutlichem Ver-
wenden einen ebensolchen Ruf der Reinheit erlangt, wie das vorhergehende.
— ^49 —
Andere ebenfalls bekannte und vorzügliche Präparate sind folgende:
Das Cliloruform Ph. G. IV. puriss. ]\Iarke Riedel,
,, „ pur. Ph. G. IV. E. Merck, Darmstadt,
„ „ puriss. Marke E. H. Chem. Fabrik E. Heuer, Cotta bei
Dresden,
„ „ Duucaus Pure. S. G. 1,490 Prepared entirely froni
British Ethelic Alcohol by Duncan, Flockhard & Co.
Edinburgh and London.
„ „ e chloralo, .J. D. Riedel,
„ „ e chloralo Ph. Hung II. E. Merck, Darmstadt.
Diese hier genannten Sorten sind sämtlich von der Pharmokopöe aner-
kannte, gute Präparate. Die deutsche Pharmakopoe nimmt nämlich keine
Rücksicht auf die Darstellung des Chloroforms, sondern nur auf die Eigen-
schaften desselben. Das Chloroform kann aus Chlorkalk und Alkohol, oder
Chloralhydrat etc. hergestellt sein, es muß den gesetzlich bestimmten Anfor-
derungen entsprechen. Es hat sich nun bei der näheren Untersuchung dieser
verschiedenen Chloroformarten herausgestellt, daß dieselben doch mehr oder
weniger voneinander verschieden sind, obwohl sie den Anforderungen der
Pharm, germ. entsprechen.
Es folgt in den nächsten Paragraphen eine Tabelle von Lauggaard,
welcher mit den gebräuchlichsten Chloroformarten mit einer Schwefelsäure-
Formalinprobe Untersuchungen anstellte. Er fand bei seinen Untersuchungen,
welche später noch genauer aufgezeichnet sind, daß gerade die sich in der
Praxis am besten bewährten Chloroformsorten ein weniger gutes Resultat
bei diesen Untersuchungen abgeben. Nach diesen von Lauggaard vorgenommenen
Proben stellt sich das Chloroform Schering als das beste heraus. Es geht
ferner aus dieser Untersuchung Lauggaards hervor, daß die Herstellung aus
Chloralhydrat oder Salizylidchloroform keine Garantie für absolute Reinheit
abgibt, und daß die Sorten, die aus Chlorkalk oder Aceton und Chlorkalk etc.
hergestellt sind, ebenso Beimengungen aufweisen, ev. sogar bisweilen weniger
als jene. Aber dennoch sollten doch die Bestrebungen dahingehen, auch nach
den Untersuchungen jener Tabelle hin, ein möglichst reines Chloroform, wie
das Scheringsche, herzustellen. Diese Beimengungen nämlich haben jedenfalls
keinen Einfluß bedeutender Art, denn in praxi hat man einen Todesfall
durch dieselben nicht zu verzeichnen, wohl aber mögen dieselben unangenehme
Erscheinungen während und nach der Narkose eventuell hervorrufen, wie Kopf-
schmerz, Übelkeit, Erbrechen etc. Diese Beimengungen werden nun aber
ganz erheblich dann vermehrt, wenn das Chloroform Gelegenheit hat, sich zu
zersetzen. Deshalb muß man dies vermeiden, denn bei der Zersetzung bilden
sich durch Einwirken von Licht, Luft und Wärme Chlorverbindungen, Phosgen
und andere Stoffe, die den Organismus bei genügenden Mengen stark schädigen
können. Aiich die obengenannten Fabriken bringen das Chloroform in kleinen
Einzelpackungen in den Handel, wodurch weniger günstige Verhältnisse für
die Zersetzung geschaffen werden. Der Arzt muß schon durch den Geruch
reines Chloroform von zersetztem, schlechtem, verunreinigtem unterscheiden
können, deshalb sollte jeder sich darin üben, indem er bei jeder Gelegenheit
das zu verwendende Chloroform vorher auf seinen Geruch hin prüft.
— 250 —
Wir wolleu uns uuu in dem Folgenden mit den anderen Metlioden zur
Prüfung- der Bescliaffenlieit des Chloroforms befassen.
Es sind die gebräuchliclisten und die, welche von jedem Arzt durch
Bereithalten der wenigen notwendigen Chemikalien leicht vorgenommen werden
können, in dem Folgenden zusammengestellt:
I. Die Bestimmung des Weingeistgehaltes im Chloroform ist die ein-
fachste Methode. Man bestimmt das spezifische Gewicht des betreffenden
Chloroforms. Hat dasselbe ein geringeres als 1,485 — 1,489, so deutet dies
einen Gehalt von Weingeist an, welcher um so größer ist, je geringer das
spezifische Gewicht ist.
II. Läl3t man ca. 1 com Chloroform auf einem Uhrschälchen verdunsten,
so darf in dem Uhrschälchen kein Rückstand bleiben. Ist nach wenigen Minuten
in dem Uhrschälchen ein lester oder öliger Rückstand, so sind fremde Bestand-
teile in dem Chloroform enthalten gewesen.
Diese Rückstände könnten sein: Salzsäure, Arsenverbindungen, Chlor-
verbindungen etc.
III. Schüttelt man 6 ccni Chloroform mit 3 ccm Wasser heftig einige
Sekunden und taucht in dieses Gemisch blaues Lackmuspapier ein, so muß
dasselbe bei reinem Chloroform blau bleiben. Wird das Lackmuspapier rot
gefärbt durch die Flüssigkeit, so deutet dies auf Anwesenheit einer Säure,
meist Salzsäure hin.
IV. Nimmt man einige Kubikzentimeter obiger Mischung von Chloroform
mit Wasser und schichtet dieselben vorsichtig auf eine Lösung von Silbernitrat,
so bildet sich bei Gegenwart von Salzsäure eine weiße milchige Trübung,
zuerst an der Grenze beider Lösungen. Bleiben diese Flüssigkeiten beide klar,
so ist das Chloroform rein, wenigstens nicht mit Salzsäure verunreinigt.
V. Wird bei obiger Überschichtung in No. IV ein rötlich-brauner bis
gelber Ring und schließlich Trübung sichtbar, so ist in dem Chloroform Arsen
enthalten.
VI. Schüttelt man Chloroform mit Jodzinkstärkelösang zu gleichen
Teilen, so bleibt bei reinem Chloroform dasselbe ungefärbt, und es darf ferner
keine Blaufärbung der Jodzinkstärkelösung .auftreten. Ist freies Chlor im
Chloroform enthalten, so färbt sich die Jodzinkstärkelösung blau, bei größerer
Menge freien Chlors wird auch das Chloroform violett gefärbt.
VII. Verunreinigungen des Chloroforms, welche durch Zersetzung des-
selben bei langem Stehen ohne oder bei schlechtem Verschluß etc. entstanden
sind, kann man durch den Geruch wahrnehmen, indem man bemerkt, daß dieses
Chloroform einen erstickenden Geruch nach Phosgengas besitzt.
VIII. Nimmt man bestes weißes Filtrierpapier, tränkt dasselbe mit
Chloroform, und läßt letzteres verdunsten, so clarf das Papier, nachdem es
trocken gewurden ist, keinen Geruch mehr aufweisen Hat dasselbe noch
irgendwelchen (xeruch, so deutet das auf die Gegenwart von Chlorverbindungen
des Aethyls, Amyls etc. hin.
IX. Nimmt man 20 ccm Chloroform, versetzt dieselben mit 15 ccm
Schwefelsäure und bringt das Gemisch in ein vorher durch Schwefelsäure aus-
gespültes und gereinigtes Fläschchen mit Glasstöpsel, welches gut verschlossen,
während einer Stunde stehen gelassen wird, wobei man es häufig kräftig um-
schüttelt, so darf sich nach einer Stunde die Schwefelsäure nicht färben, wenn
das Chloroform rein ist. Färbt sich die Schwefelsäure braun, so deutet dies
auf Gegenwart von fremden Chlorverbindungen des Aethylidens, Amils etc.
Eine weitere Probe ist von Lauggaard angegeben, welche wohl der all-
gemeinen Anerkennung wert erscheint und den bisher üblichen Prüfungs-
methoden angereilit werden muß. Langgaard hat auf Anregung einer englischen
Firma, welche in verschiedenen Chloroformarten Beimengungen fremder Art
gefunden zu haben meinte, indem sie ein Destillationsresultat von teils kri-
stallinischer, teils schmieriger Natur aus diversen Chloroformproben darge-
stellt hatte. Versuche angestellt, und sicü mit der Prüfung näher befassend
— 251 -
durch seine neue Probe festgestellt, flaß luelirere von der Pharuiakopöe als
vorzüg-licli rein anerkannte Präparate doch noch Verunreinigungen enthalten,
wie oben schon bemerkt wurde.
Diese Probe besteht in folgendem: Man bringt das oben in No. IX ge-
schilderte Chloroformschwefelsäureg'emisch in ein durch Schwefelsäure ausge-
spültes Glasgefäi3, welches durch einen Glasstopfen verschließbar ist. Diesem
Gemisch setzt man 3 — 4 Tropfen Formalin hinzu und schüttelt dieses Gemisch
kräftig durch. Direkt nach dem ümschütteln tritt eine mehr oder weniger
intensive Braimfärbung der Schwefelsäure auf, und selbst eine braune Ab-
scheidung in manchen Fällen. Diese Pteaktiou ist nach den Versuchen von
H. Linke zur Erkennung von Benzol als sicher geschildert, und es deutet
demnach die positiv e Chloroformprobe eine Beimengung von Benzol an. Das
von Linke verwandte Reagens auf Benzol besteht aus 3 ccm konzentrierter
Schwefelsäure mit 2 Tropfen Furmalin und gibt bei Gegenwart von Benzol
braune bis schwarzbraune Färbung resp. Abscheidung. Dasselbe Reagens wurde
vorher von Marquis zum Nachweis von Morphin verwandt, da es bei Morphin-
gegenwart eine rotviolette Färbung liefert.
Lauggaard hat nun dieser Probe folgende Chloroforme unterworfen und
zugleich dieselben auf ihren Verdampfungsrückstand geprüft und fand zwar bei
unsern gebräuchlichsten Chloroformsorten keinen wägbaren Verdampfungsrück-
stand, wohl aber geringe Rückstände von sehr intensiv stechendem Geruch.
Ich lasse hier seine Resultate in der von ihm aufgestellten Tabelle folgen:
Chloroformprobe
Verdampfungs-
rückstand
Formalin-Schwefelsäurereaktion
I. Chloroform Ph. G. IV
puriss. Marke „Riedel"
Stechender (4eruch
nach gechlorten
Produkten
Braunfärbuug
II. Chloroform pur. Ph.
G. IV. E. Merck.
Geruchlos
Dunkelbraune Färbung , nach
einiger Zeit braune Abscheidung
III. Chloroform puriss.
Marke E. H. ehem. Fa-
brik Cotta. E.Heuer
Geruch nach ge-
chlorten Produkten,
leicht stechend
Ganz leichter Stich ins Bräun-
liche, am folgenden Tage Fär-
bung stärker
IV. Chloroform Duneans
„Pure" Sp. G. 1, 490
Widerlicher, senf-
ölartiger Geruch
Farblos. Am folgenden Tage
schwache Gelbfärbung-
V. Scherings Chloral-
Chloroform
Geruchlos
Farblos. Am folgenden Tag
gelb, etwas stärker als bei IV
VI. Chloroformium e
chloralo J. D. Riedel
Stechender starker
Geruch nach ge-
chlorten Produkten
Starke dunkelbraune Färbung,
nach einiger Zeit braune Ab-
scheidung
VII. Chorof orm e chloralo
Ph. Hung II, E. Merck
Geruchlos
Starke dunkelbraune Färbung,
später braune Abscheiduug wie
bei VI
VIII. Chloroform - An-
schütz
Schwacher, muffiger
Geruch
Starke dunkelbraune Färbung,
später braune x4.bscheiduug wie
bei VI.
Das Resultat dieser Untersuchungen ist ein sehr interessantes, denn es
zeigt, daß gerade das in ärztlichen Kreisen als reinstes Chloroform gekannte
Chloroform-Anschütz die meisten Beimengungen enthält und als schlechtestes
in dieser Reihe dasteht. Es ist ja aus dieser Tabelle nicht ersichtlich, was
diese Beimengungen bedeuten. Jedenfalls kann man diese Beimengungen nicht
für die wenigen Chloroform-Todesfälle verantwortlich machen, ob sie die Ur-
— 252 —
sacbe zu üblen Erscheimmgeu während der Narkose sind, läßt sich bis jetzt
noch nicht sicher entscheiden. Auf jeden Fall ist es nötig, daß in dieser
Richtung noch weitere Versuche angestellt werden.
Dieses sind die Proben auf die hauptsächlichsten Verunreinigungen des
Chloroforms, welche durch ihre Nebenwirkungen dem Organismus Schaden zu-
zufügen imstande sein können. Dieselben zeichnen sich dadurch aus, daß sie
schnell und ohne große Mühe nicht nur in einer chirurgischen Klinik, wo
ihre Anwendung meist überflüssig erscheint, da hier dem Präparat schon von
Haus aus mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, sondern auch vom praktischen
Arzte in dessen AVohnung vorgenommen werden können, welcher oftmals nicht
die Garantie hat, daß ihm von der Apotheke ein einwandfreies Präparat ge-
sandt wird, oder schon länger aufbewahrtes Chloroform verwenden will. Da bei
ihm nicht täglich Narkosen gemacht werden, so kann es passieren, daß er ev.
fern von einer Apotheke nur auf seinen Vorrat von Chloroform augewiesen ist,
und es ist in einem solchen Falle für den Arzt eine große Annehmlichkeit,
wenn er eine Probe auf die Verwertbarkeit und Reinheit seines Narkotikums
anwenden kann, um ev. verunreinigtes auszuschalten, ehe ein Unglücksfall
durch Unreinheiten im Chloroform sich ereignen könnte. Eine dieser Methoden
auszuführen wird er wohl stets imstande sein, denn dieselben sind einfach
und erfordern Mittel, die ihm fast überall zur Verfügung stehen können, in
seinem Hause aber zur Hand sein müssen.
§ 2. Wenn wir uns in dem Folgenden mit der Chloroformwirkung
auf den Organismus beschäftigen wollen, so muß ich vorausschicken, daß ich
die Chloroformwirkung als eine physiologische, d. h. physiologisch in bezug
auf die Narkose an sich, und eine pathologische Einwirkung betrachte. Es ist
ja die Chloroformnarkose wie jede Narkose eine Intoxikation des Organismus.
Da aber die Narkose in der ärztlichen Praxis eine so unentbehrliche Vornahme
ist, so halte ich es nicht für falsch, wenn man die normal verlaufende Chloro-
formwirkung physiologisch nennt, gegenüber den schädigenden Wirkungen der
Chloroformnarkose, die unter besonderen Verbältnissen entstehen, ja aus den
physiologischen Wirkungen hervorgehen und sich als stärkere Wirkung äußern,
die eine pathologische Veränderung im Organismus zur Folge hat.
Diese physiologische Wirkung des Chloroforms, welche also dem Körper
des Chloroformierten keinen dauernden, ja auch keinen momentanen Schaden
verursacht, muß präzisiert werden, damit der Arzt weiß, wo hört dieselbe auf
und wo fängt die pathologische an.
Das Chloroform wirkt ja, wie früher im allgemeinen Teile dieses Buches
genau erörtert wurde, zunächst auf die nervösen Zentralorgane, das Gehirn
mit seinen Ganglienzellen ein, es bringt in den Ganglienzellen einen anderen
Zustand hervor, wodurch diese oder jene Erscheinung am Körper hervor-
gerufen wird. Wie diese Veränderungen in den Ganglienzellen vor sich gehen,
das entzieht sich unserer Kenntnis, wir haben wohl gewisse Theorien, aber wir
wissen es noch nicht mit Bestimmtheit. Das Vehikel, durch welches das
Chloroform in das Gehirn transportiert wird, wird durch das Blut dargestellt.
Wir verabreichen dem Kranken das Chloroform mit Luft mehr oder weniger
stark vermengt als Dampf durch die Respirationsorgane, die Lungen nehmen
die Chloroformdämpfe auf, und in demselben werden sie dem Blute übermittelt.
Es ist wohl am wahrscheinlichsten, daß das Plasma des Blutes das eigentliche
Vehikel darstellt, jedenfalls spielt nach Overtou, Meyer etc. dasselbe die
Hauptrolle, während das von den Blutkörperchen gebundene Chloroform nur
einen geringen Teil repräsentiert, welcher, wie im allgemeinen Teil des ge-
naueren erörtert, erst in zweiter Linie in betracht kommt. Aus dem Blutplasma
gelangt das Chloroform im Gehirn zunächst in den Zellsaft der Ganglienzellen
und dann in die Cholesterin-Lecithinverbindungen des Protoplasma, woselbst
es die Wirkung als Narkotikum entfaltet.
Wenn man einen Menschen mit Chloroform vollkommen narkotisieren
will, so muß man demselben ein Gasgemeuge von 8 g Chloroform auf einen
Hektoliter Luft bei 20 o C. von gleichbleibender Konzentration zuführen (Overton).
Dieses Gasgemisch bewirkt bei der Einatmung durch die Lungen die zur Be-
täubung nötige Konzentration der Lösungen von Chloroform im Blutplasma
und Zellsaft. Aus dem Zellsaft gelangt dann das Chloroform in die Lecithin-
cholesteariuhaltigen Bestandteile der Ganglienzellen des Grehirns und verändert
den physiologischen Zustand dieser Lecithin-cholestearingemische derart, daß
sie entweder selbst ihre normalen Funktionen innerhalb der Zellen nicht mehr
vollziehen können oder störend auf die Funktionen anderer Zellenbestandteile
wirken. Die narkotische Kraft des Chloroforms ist bestimmt durch die Größe
des Teilungskoeffizienten des Chloroforms zwischen Wasser resp. den wässe-
rigen Säften des Organismus und den Lecithiu-cholestearingemischen als Lösungs-
mittel. Der Teilungscoeffizient des Chloroforms zwischen Wasser und Olivenöl
ist für verdünntere Lösungen ca. 30 — 33, wie durch Bestimmung des partiellen
Dampfdruckes des Chloroforms in Lösungen von Wasser und Öl gefunden
wurde (Overton etc.)
Das Chloroform tritt leicht in die Zellen des lebenden Organismus ein,
kann aber ebenso leicht bei wechselnden Konzentrationen in den umgebenden
Medien (Blutplasma, Zellsaft etc.) aus der Zelle in die Medien übertreten.
Durch Versuche hat man gefunden, daß die einzelnen Tierklassen ver-
schieden zur Chloroformwirkung sich verhalten. Die Widerstandsfähigkeit der
Tiere gegen das Chloroform ist umgekehrt proportional der Reihenfolge
der einzelnen Tierklassen, d. h. je niedriger ein Tier steht, um so mehr
Chloroform ist nötig, um dasselbe zu narkotisieren (Overton, Meyer) und die
Menge wird um so größer, als das Tier in die niedrigeren Klassen rückt. Hieraus
folgt, daß die Empfindlichkeit des Organismus auf die Wirkung des Chloroforms
mit der höheren Stufe, auf der das Tier steht, wächst, also die Empfindlichkeit
der einzelnen Tierklassen ist direkt proportional ihrer Stufe der Entwicklung,
d. h. das Säugetier reagiert leichter, oder schon auf eine geringere Menge
Chloroform als die Würmer, diese wieder leichter als die Protozoen.
Als Folgen dieser Einwirkung auf die Ganglienzellen des Gehirns sehen
wir am narkotisierten Menschen all die Erscheimingen auftreten, wie sie im
allgemeinen Teil als typische Zeichen der Narkose erläutert wurden. Die
Chloroformnarkose weist typisch die 4 Stadien auf, welche nur die Folgen der
stärkeren und intensiveren Intoxikation des Organismus, die Zeichen der
stufenweise progredient einhergehendeu Lähmung der Ganglienzellen im Gehirn
darstellen.
Das Initialstadium bei der Chloroformuarkose ist als ein gegenüber dem
der Äthernarkose kürzeres anzusehen, eine Folge der stärkeren Giftwirkung
des Chloroforms.
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Es ist auch iu diesem Stadium die Chlor oformwirkuug ähnlich der des
Äthers , indem dieselbe auch einen Zustand allgemeiner Analgesie hervorruft,
die sogenannte „Rauschnarkose", die am Ende des Initialstadiums eintritt
(Riedel etc.). Dieser Chloroformrausch tritt namentlich dann ein, wenn mau
dem Kranken schnell und tief Chloroformdämpfe in hoher Konzentration ein-
atmen läßt. Es wird dabei der Organismus sehr rasch mit viel Chloroform
überschwemmt und dabei eine sehr gute und vollkommene Analgesie
des Menschen bei erhaltenem Bewußtsein erzeugt, so daß sehr leicht kleinere
Operationen vollkommen schmerzlos ausgeführt werden können. Allerdings
dauert dieser Zustand nur sehr kurze Zeit au, er ist bei weitem kürzer als bei
der Ätherwirkung, eine Folge der größeren Giftigkeit des Chloroforms, xiußerdeui
ist dieser Chloroformrausch auch mit Gefahren für den Menschen quoad vitam
verbunden. Es ist eine bekannte Tatsache, daß gerade im Beginne der Chloro-
formuarkose bei sehr rascher Intoxikation des Organismus plötzliche Todesfälle
eingetreten sind, welche man der Chloroformwirkuug zur Last legen mußte.
Es sind diese Unfälle beim Chloroform im ersten Stadium, ja bei den ersten
Zügen, die der Kranke unter der Maske ataiet, auf einen direkten Reiz der
Nervenendigungen in der Nasenschleimhaut (Trigeminus- vagusreiz) wodurch
Herzstillstand (Synkope) hervorgerufen werden kann, einerseits zurückzuführen
(Dastre, Richardson, Rutherford etc.), andrerseits auf eine zu schnelle Über-
schwemmung des Zentralnervensystems mit großen Mengen Chloroform im Blut-
plasma gelöst (schnelle hohe Konzentration) wodurch die lebenswichtigen Zeutra
in der Medulla oblongata sofort gelähmt werden können, was den Tod zur Folge
hat. Diese Verhältnisse werden weiter unten genauer erörtert werden. Aus
diesen üblen Erfahrungen geht hervor, daß man die Chloroformnarkose nur
langsam beginnen darf, jede Überschwemmung des Cerebrum mit hohen Kon-
zentrationen des Chloroforms im Blute ist zu vermeiden. Man ist daher auch
von der Rauschmethode mittels Chloroform abgekommen.
Es wurde oben die Refiexwirkuug von der Nasenschleimhaut aus auf den
Herzdruck erwähnt. Dieser Zusammenhang zwischen Reflex und Herztätigkeit
ist keineswegs ohne praktisches Interesse. Wir sehen z. B. bei Tieren, welche
tracheotemiert worden sind und mit dem Kopf unter Wasser gehalten wurden,
so daß sie aber noch durch die Kanüle Luft erhalten konnten, wie sie zugrunde
gehen, ohne eine Atembewegung zu machen (Fischer). Ebenso gehen Kaninchen
durch Riechen von verschieden stark reizenden Stoffen durch Anhalten der
Respiration und Stillstand der Zirkulation zugrunde (Rutherford). Durch-
schneidet man den Nervus Vagus, so sterben die Tiere nicht, sondern leben
weiter. Dies beweist, daß von der Nasenschleimhaut ein Trigeminus-vagus-
reiz ausgeübt wird, der sich entweder in Druckschwankungen im Herzen oder
bei stärkerem Reiz im Stillstand der Atmung und Herzaktion zeigt. Gerade
dieser Umstand ist bei der Chloroformnarkose zu beachten, denn man hat
gerade im Beginn der Narkose öfter Todesfälle ganz plötzlich eintreten sehen,
welche einzig und allein auf die Trigeminus-vagusreizung von der Nasen-
schleimhaut aus zurückzuführen sind. Deshalb beachte man stets im Beginn
der Chloroformnarkose eine langsame nicht zu konzentrierte Verabreichung des
Chloroforms, um eine zu starke Reizung der Nasenschleimhaut zu verhüten.
Man hat zur Verhütung dieses Reizes eine Kokainisierung der Nasenschleim-
haut vor der Narkose vorgeschlagen, und dahingehende Versuche (Aurep,.
Moäso, Roseuberg) haben auch gezeigt, daß bei ausgiebiger Kokainisieruug der
Nasenschleimhaut bei der Inhalation des Chloroforms Unregelmäßigkeiten des
Pulses und Anhalten der Atmung wegfallen, und ein laugsames Sinken des
Blutdruckes und Langsamerwerden der Atmung auftritt. Dastre hat die Zufälle
durch Trigeminus-vagusreizung durch eine Herzsynkoj^e, Eichardson in einer
„syncopal apnoea" verursacht gehalten. Jedenfalls hat es den Anschein, daß
das Chloroform hinsichtlich der Gefahren einer Trigeminus-vagusreizung andere
Narkotika übertrifft und gefährlicher erscheint.
Es sind diese Zufälle bei anderen Narkotika bei weitem seiteuer beob-
achtet worden, obwohl z. B. Äther sulfur. eine viel intensivere Wirkung infolge
seines mehr stechenden Geruches haben sollte. Vielleicht sind spezifische
Chloroforniwirkungen hierbei anzunehmen. Wahrscheinlich ist aber dies bei
weitem zurücktretend gegen die individuelle Disposition, die eine viel größere
Rolle spielen mag. Solche Unfälle treten vorwiegend bei sehr nervösen Per-
sonen auf, deren Pieflexerregbarkeit an sich schon eine enorm gesteigerte ist.
Es ist jedenfalls von ganz besonderem Werte, daß man vor dem Einleiten einer
Chloroformnarkose auf diese nervöse Belastung achtet und deren Vorhanden-
sein zu diagnostizieren und deren Beziehungen zum Chloroform zu eruieren
sucht. So kann man durch die obengenannte Art dem Unfall vorbeugen, indem
man die Schleimhäute kokainisiert. Ein weit sicheres Vorbeugen ist aber in
einer vorsichtigen Verabreichung des Chloroforms zu finden, und man geht viel
sicherer, wenn man vorsichtig narkotisiert, indem man dem Patienten nicht
sofort stark konzentrierte Chloroformluftgemenge atmen läßt, sondern anfangs
viel Luft beimengt, um erst zu sehen, wie das Chloroform vertragen wird, als
daß man sich auf die Kokainisieruug der Schleimhaut verläßt. Vielleicht spielt
bei diesen Todesfällen auch der Chock eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Im Initialstadium zeigt der Kranke noch Besinnung, die Refiese am
Auge sowohl wie am anderen Körper sind noch vorhanden. Wenn man nun
dem Patienten weitere Mengen Chloroform verabreicht, so stellt sich bald eine
teilweise Trübung der geistigen Fähigkeiten ein und das erste Stadium geht
in das zweite über. Man findet im Anfangsstadium der Chloroformnarkose die
Pupillen meist etwas mehr erweitert als im normalen Ziistande des Menschen.
Diese größere Weite der Pupille ist die Folge einer Trigeminusreizung, die
reflektorisch auf den Sympathikus wirkt (Haeckel). Diese selbe Erweiterung
kann man am normalen Menschen auch durch Hautreize (wie Bürsten der
Haut) erzeugen. Diese etwas erweiterte Pupille verengert sich sofort beim
Offnen des Auges. Mit dem weiteren Verabreichen von Chloroform trübt sich
das Bewußtsein des Menschen mehr und mehr, und es tritt jetzt im zweiten
Stadium meist eine mehr oder weniger starke Exzitation ein. Nur bei wenigen
Älenschen (Frauen und Kindern) findet sich gar keine Exzitation. Bekanntlich
hängt der Grad der Erregung im zweiten Stadium vom psychischen Zustand,
in dem sich der Kranke gerade befindet (Angst vor der Operation) vom Pota-
torium, von Nervosität, Temperament, Alter etc. ab. Das Exzitationsstadium
in der Chloroformnarkose ist geringer, als in der Äthernarkose, es läßt sich
bedeutend mildern durch eine sehr vorsichtige Dosierung, durch die Methode
der Betäubung, durch eine Morphiuminjektion vor der Narkose. In früherer
Zeit, als man noch nicht die Technik der Narkose so beherrschte wie heute,
sah man meist sehr starke Kämpfe sich abspielen zwischen dem Kranken und
— 256 —
dem Personal und Narkotiseur. Zweifellos kann der Arzt sich als gewandter
Narkotiseur dadurch beweisen, daß man bei seinen Chloroformnarkosen kein
oder nur ein sehr mäßiges Erreguugsstadium sieht. Im zweiten Stadium
schwinden die Reflexe, der Cornealreflex fehlt am Ende des zweiten Stadiums.
Dastre hat einen Zahnfleischreflex noch länger bestehen, sehen als den Corneal-
reflex. Derselbe besteht in einem Zucken der Oberlippe, nachdem man das
Zahnfleich mit einem harten Gegenstand gereizt hat. Am längsten soll der Reflex
der Adduktoren der Oberschenkel in der Chloroformnarkose bestehen. Das Auge
verhält sich am Ende des zweiten Stadiums wie schon früher genau erörtert,
es steht starr, die Pupille ist eng, reaktionslos. Es soll nun die Karkose
so erhalten werden, daß man am Auge noch das Straßmannsche Phänomen
findet. Dasselbe zeigt an, daß der Kranke tief narkotisiert ist, aber beim
Sistieren der Chloroformzufuhr erwacht. Der Kranke befindet sich jetzt im
dritten Stadium, dem der tiefen Narkose. Jetzt findet man keine Reflexe mehr
auslösbar, die Extremitäten sind schlaff', der ganze Körper ist gelähmt bis auf
die Herz- und Atemtätigkeit. Bei weiterer Chloroformzufuhr werden die Pupillen
maximal dilatiert, um dann wieder eng zu werden. Jetzt tritt Exitus ein und nach
dem Tode werden die Pupillen nochmals ein wenig dilatiert. Das Engerwerden
nach der sprungweisen Erweiterung ist die Folge einer stärkeren Reizung der
Okulomotoriuszentrums, das dann kurz vor dem Tode gelähmt wird (Straßmann).
Bei dieser letzten Erweiterung kann nach Straßmann ein Reiz des diktierenden
Zentrums noch vorliegen, nach Joh. Müller kann die Erweiterung auch durch
die Volumenzunahme der Jris nach Lähmung der Vasomotoren mit Gefäß-
erweiterung begründet sein.
Mau sieht also, wie die Wirkung des Chloroforms auf die Zentren im
Zentralnervensystem bei der Narkose sich im Verhalten der Pupillen genau in
ihren einzelnen Phasen widerspiegelt, und der Narkotiseur kann sich stets
durch einen Blick in die Augen vom Stande der Betäubung überzeugen.
Natürlich muß er vor Beginn der Narkose die Augen auf ihre normale Be-
schaffenheit geprüft haben (Tabes, Paralyse etc.). Die Pupillen können aber
auch durch das Erbrechen des Krauken beeinflußt werden, indem man beim
Erbrechen im ersten Stadium enge Pupillen findet. Es kann an diesem Ver-
halten der Pupillen eine durch Anämie des Gehirns erfolgte Reizung des
Okulomotorius oder eine Sympathikuslähmung durch Magenreizung die Schuld
tragen. Findet man beim Erbrechen maximal dilatierte Pupillen ohne Reaktion,
so ist das Erbrechen eine Prodromalerscheiuung des Todes, hierbei wird das
Erbrechen durch Reizung der Medulla oblongata hervorgerufen. Ferner können
die Pupillen bei Operationen in der Bauchhöhle während der ganzen Narkose
maximal dilatiert sein.
Auf das dritte Stadium folgt auch bei der Chloroformnarkose das vierte
Stadium, das des Erwachens. In diesem klingt die Lähmung der nervösen
Zentren ebenso ab, wie sie im ersten Stadium begonnen hat, natürlich in um-
gekehrter Reihenfolge, denn diese nervösen Zeutra, welche am spätesten ge-
lähmt wurden, erwachen zuerst wieder.
Wenn wir uns nun zu dem Einfluß der Chloroformwirkung auf das
Herz wenden wollen, so wollen wir zunächst in wenig Worten die Verhältnisse
zwischen Chloroform und dem Blut erörtern, \im dann auf den Einfluß der
Chloroformwirkung auf den Herzdruck. Blutdruck etc. näher einzugehen.
Das Chloroform wirkt auf die Blutkörperchen direkt zerstörend, d. h. weun
man Blut mit Chloroform mischt, so verbindet sich das letztere mit den Blut-
körperchen. Diese Verbindung- ist eine sehr innige und kann nur durch sehr starke
Luftzufuhr wieder getrennt werden. Läßt man das Chloroform längere Zeit auf
die Blutkörperchen außerhalb des Organismus einwirken, so werden dieselben
zerstört, der Rand derselben quillt auf, das einzelne Blutkörperchen nimmt kugel-
förmige Gestalt an und löst sich im Blutplasma auf (Beuassi, etc.). Das Hämo-
globin wird in eine kristallinische Verbindung übergeführt, bindet Sauerstoff.
Man hat die Annahme gemacht, dieser Prozeß gehe auch bei der Chloroform-
narkose im Körper vor sich, die Blutkörperchen würden aufgequollen uudbewirkten
so eine Embolie in den Hirugefäßen, wodurch eine venöse Stase entstehe und
so die Lähmung erzeugt würde. Diese Ansicht ist jedenfalls nicht die richtige.
Man hat bisher noch niemals im lebenden Blute eine derartige Ein-
wirkung des Chloroforms auf die Blutkörperchen konstatieren können, denn
man hätte doch in dem Blute von narkotisierten Menschen oder Tieren rote
Blutkörperchen mit zackigen aufgequollenen Rändern finden müssen.
Bei der Inhalation von Chloroform in den zur Narkose gebräuchlichen
Mengen wird jedenfalls kein deletärer Einfluß auf die Blutkörperchen ausgeübt.
Die roten Blutkörperchen besitzen eine Affinität zum Chloroform und können
viermal soviel Chloroform aufnehmen, als das Blutserum. Eine Konzentration
des Chloroform im Blute, die auf die roten Blutkörperchen zerstörend ein-
wirken könnte, wird bei Narkosen nie erreicht (Kappeier). Das Blut nimmt das
Chloroform jedenfalls nur auf, um es nach dem Zentralnervensystem zu trans-
portieren und dabei spielen die roten Blutkörperchen nur eine untergeordnete
Rolle, indem sie das Chloroform binden xmd dann wieder abgeben. Die Hauptrolle
beidem Chloroform transportnachdenNervenzellenim Gehirn spielt das Blutplasma.
Nach Sabbarth roch das Blutplasma noch 24 Stunden nach dem Tode des
Tieres nach Chloroform.
Um einen Menschen vollkommen zu narkotisieren, muß eine bestimmte
Konzentration des Chloroforms im Blutplasma vorhanden sein. Bei 38 '' C und
einem Partialdruck der Chloroformdämpfe von 12 mm absorbiert ein Liter
Wasser 0,275 g Chloroform (0 verton). Das Blutplasma ist nun eine Salzlösung,
welche, wenn man von der Beimengung von Fetttropfen, Cholestearin, Lezithin etc.
absieht, ungefähr dieselbe Menge Chloroform absorbieren wird, etwas weniger,
bei 38° C und demselben Partialdruck der Chlorofornidämpfe von 12 mm wie
das Serum. Diese Konzentration des Chloroform wird natürlich erhöht für das
Blut im allgemeinen, da ja die Blutkörperchen auch noch Chloroform aufnehmen
infolge ihres Lezithin- und Cholestearingehaltes. Es ist nun nachgewiesen, daß
den meisten aller Säugetiere eine Konzentration des Chloroforms im Blutplasma
von 1:6000 genügt, um eine Narkose zu unterhalten. Diese Konzentration
1:6000 ist gleich 0,275 g Chloroform pro Liter, wenn man einige Abweichungen,
die an der Grenze der Versuchsfehler liegen, außer acht läßt. Nach 0 verton s Ver-
suchen genügt eine Chloroformlösung von 1 Teil Chloroform auf 6000 Teile
Wasser, um 3 Kaulquappen von 9 mm Länge zu narkotisieren. Dies ist gleich
dem Lösungsverhältnisse des Blutplasma.
Die Blutverhältnisse welche während der Narkose vor allen Dingen im
Gehirn herrschen, mögen uns in dem Folgenden beschäftigen. In der Mitte
des 19. Jahrhunderts brach man mit der alten Ansicht , daß der Schlaf eine
17
— 258 —
Hyperämie des Gehirnes als Ursache habe. Durhaui widerlegte 1860 diese
Ansicht, indem er eine Anämie des Gehirns für den Schlaf verantwortlich
machte und stellte darüber an einem trepanierten Hunde Versuche an, die
zeigten, daß das Volumen des Gehirnes im Schlafe ein geringeres wurde unter
dem Zeichen der Anämie, während er beim Erwachen des Tieres eine Zu-
nahme des Volumens des Gehirns feststellte und die Gefäße sich erweitern
und füllen sah.
Später wurden ähnliche Versuche von M. Hammond veröffentlicht, die
diese Ansicht bestätigten. Bedf ord-Brown beobachtete zuerst an einem narko-
tisierten Kranken dieselben Erscheinungen und konstatierte, daß im Beginn der
Narkose eine vorübergehende Hyperämie des Gehirns eintrete, welche bald durch
eine Anämie gefolgt wurde, die während der ganzen Narkose bestand. Nun
folgten Tierversuche, welche teils Anämie, teils Hyperämie konstatieren ließen.
Ol. Bernard's Versuche ergaben eine Hyperämie im Beginn der Narkose, die
sich dadurch zeigte, daß die Hirnsubstanz über die Ränder der Schädelöffnung,
welche durch Trepanation hergestellt worden war, hervorquoll. In Wahrheit wird
diese hervorgerufen durch die Aufregung des Tieres. Nun folgt bald eine Blut-
armut des Gehirns, die sich durch ein Zurückweichen der Gehirnhernie erweist und
selbst so weit geht, daß das Gehirn von dem Knochen zurücksinkt, indem die
Oberfläche desselben blaß wird, während sie im normalen Zustand des Tieres
rot gefunden wurde. Nach dieser Anschauung mußte das Chloroform zunächst
die Zentren der Vasomotoren angreifen. Diese Annahme ist aber eine völlig-
falsche. Sie ist leicht zu widerlegen durch ein Experiment au Amphibien. Das
Gehirn derselben bleibt nämlich noch längere Zeit funktionsfähig, nachdem die
Zirkulation in demselben vollständig unterbrochen ist. Demnach lassen sich
die Amphibien ebenso leicht narkotisieren wie die Säugetiere.
Es ist eine besondere Einwirkung des Chloroforms auf den Blutdruck im
allgemeinen vorhanden. Der Blutdruck sinktzunächst bei demBeginne der Narkose,
um bald nachdem wieder zu steigen und wechselndes Verhalten während des Ver-
laufes der Narkose zu zeigen, indem das Chloroform nicht nur auf das vasomoto-
rische Zentrum , sondern auch auf den muskulomotorischen Apparat des Herzeus
direkt wirkt (Tillmanns). Die ersten dahingehenden Versuche wurden von Leus,
Brunner, Gall und von dem englischen Chloroformkomitee ausgeführt.
Letzteres stellte mitHilfe desHämatodyuamometers fest, daß die Quecksilbersäule
im Anfang verschieden hoch stieg, dann während ^2 — 1 Minute sank und mit der
Tiefe der Narkose weiter fiel, um erst mit dem Sistieren der Narkose wieder
zu steigen. Die Beobachtungen über die Druckverhältnisse sind auseinander-
gehend (Schein es son, Job. Müller). Was deu Herzdruck anlangt, so ist mau
sich darüber einig, daß derselbe mit der Tiefe der Narkose sinkt, jedes Auf-
gießen von Chloroform zeigt sich in einer Verminderung des Herzdruckes.
Wenn man Chloroform auf die Nasenschleimhaut direkt bläst, so treten starke
Schwankungen in der Herztätigkeit auf (Holmgreen). Der mittlere Herzdruck
ist dann gesteigert (Job. Müller, Kretzschmer). Atmet ein Tier Chloroform-
dämpfe durch die Nase ein, so zeigen sich Differenzen im Herzdruck von bis
70 mm Hg. (Müller). Nach Rosenberg steigt der Druck der Systole vou 110
auf 190, der der Diastole fällt von 90 auf 40 bei Chlorofoimgabe. Job. Müller
untersuchte die Schwankungen im Anfang der Narkose und fand dieselben
bei 17,5 •* Lufttemperatur, 38,7 « Körpertemperatur 69 — 130 mm, bei 5° (1 Stunde
— 259 —
angekühlt) 34,5" Körpertemperatur 30— 102 mm, bei 40° (1 Stunde erwärmt)
und 40,7° Körpertemperatur 20 — 48 mm. Man sieht daraus, wie verschieden
die Druckschwankung-en im Herzen sind, da sie normalerweise auf 93 — 103 mm
angegeben werden, und wie sie abhängen von Körper- und Lufttemperatur.
Es sind noch von verschiedenen Forschern über die Blutdruckverhält-
nisse Untersuchungen angestellt worden. So sind zuerst Tierversuche vorge-
nommen worden. Cushny stellte durch solche an Kaninchen und Hunden
fest, daß das Chloroform ein fortwährendes ununterbrochenes Sinken des Blut-
druckes hervorrief, dasselbe fand Du Bois-Reymond. Ganz besonders starke
Erniedrigungen fand Remedi durch Messungen, welche er mittels Quecksilber-
manometers in der Arteria feraoralis und Carotis von Hunden anstellte, die
bis 86 mm Hg. betrugen.
Kionka hat bei Verwendung seines Apparates, welcher ihm ein-e genaue
Messung der zugeführten Menge des Narkotikum ermöglichte und den Prozent-
gehalt der eingeatmeten Luft an Cloroform angab, gefunden, daß Chloroform
schon von vornherein vor Eintritt der Toleranz ungünstig auf die Zirkulation
und Atmung wirke, sowie daß es rasch zum Stillstand der Atmung und Herz-
tätigkeit kommen könne.
Rosenfeld hatte bei seinen Versuchen mit sehr geringen Mengen Chloro-
form gearbeitet und fand, daß der Blutdruck bei Eintritt der Narkose nur um
wenige Millimeter niedriger stand als zu Anfang des Versuches, um dann sehr
intensiv zu sinken. Wenn die Chloroformmengen noch geringer waren, so
blieb der Druck zu Anfang derselbe oder stieg sogar etwas, um dann aber
auch wieder schnell abzunehmen.
Orthelder stellte Versuche am Froschherzen an, durch welches er
Schweineblut mit Chloroformzusatz leitete. Das Chloroform bewirkte schon in
kleinsten Mengen eine sehr erhebliche Störung der Blutzirkulation , vor allem
eine bedeutende Herabsetzung der Herzleistung.
Witte hatte in der Carotis von Kaninchen Blutdruckmessungen angestellt
und fand, daß beim Erlöschen des Kornealreflexes der Druck während der
Chloroformnarkose bedeutend herunterging.
Chloroform rief, nach den Untersuchungen vonBoitz in bezug auf das
isolierte Herz von Säugetieren, stets ein bedeutendes Sinken des Blutdruckes
hervor. Fast unmittelbar nach dem Beginn der Inhalationen des Chloroforms
begann das Sinken und nahm immer mehr zu, je weiter die Inhalation f ort-
schritt, sie dauerte auch noch während der ersten Zeit nach Sistierung der
Chlnroformzufuhr an.
Simon Dyplai und Louis Hallian hatten außerordentlich eingehende
Untersuchungen der Blutdruckverhältnisse gemacht und benutzten dabei tracheo-
tomierte Hunde, denen sie durch die Kanüle bestimmte Mengen Chloroform
einverleibten.
Im Anfang der Chloroforminhalationen stieg der Druck, selten erfolgte
ein vorübergehendes Sinken. Im allgemeinen bestand aber das Hauptmerkmal
der Druckkurve beim Chloroform im Sinken des Blutdruckes, wobei sich zeigte,
daß die Größe der Schwankungen unter der Normaldruckhöhe direkt proportional
sei der Menge des inspirierten Chloroforms. Die Respirations- und Pulskurven
fielen, auch wenn der Blutdruck sehr tief sank, doch dies geschah erst so spät,
daß bereits hohe Gefahr quo ad vitam bestand. Sie stellten dann durch Unter-
suchungen an der Niere fest, daß das erste Ansteigen der Kurve durch Kon-
traktion der Gefäße verursacht werde, daß aber beim Abfallen das Nachlassen
der Tätigkeit des Herzens die Ursache des Sinkens darstellt. Die Einflüsse
auf die Vasomotoren waren bei den Versuchen mit Chloroform und Äther
dieselben.
Nun stellten Gaskel und Shore Versuche darüber an, ob bei der Chloro-
formnarkose das Sinken durch Beeinflussung des Vasomotorenzentrums oder des
Herzens und der Herzbewegung selbst bedingt sei. Deshalb ki-euzten sie den
Blutkreislauf zweier Tiere derart, daß das Cerebrum des einen von dem Blut
17*
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des anderen durchflössen wurde. Hierbei fand sich ebenfalls ein stetiges Sinken
des Blutdi'uckes während der Chloroforminhalationen. Sie zogen daraus den
Schluß, daß das Sinken des Blutdruckes bei den Chloroforminhalationen nicht
durch eine Lähmung des Vasomotorenzentrums hervorgerufen werde, sondern
daß an dem Sinken primär eine Erschlafl'ung der Herztätigkeit die Schuld trage.
Geza Dieballa hat demgegenüber durch Versuche am Froschherzen ge-
zeigt, daß erst bei einer 16 fachen Konzentration der das Herz nicht mehr
beeinflussenden Chloroformdosis ein Axifhören der Herztätigkeit eintrete.
Wenn wir nun alle diese Tierversuche zusammen betrachten, so ergibt
sich das Resultat, daß das Chloroform ein Sinken des Blutdrucks hervorruft.
Diese Tatsache könnte mau auf den Menschen in gewisser Hinsicht mit Recht
übertragen, doch muß man die Beschränkung zugeben, daß eine außerordentliche
Empfindlichkeit mancher Tierarten, wie z. B. des Kaninchens, gegenüber
Chloroform besteht, und daß für den Menschen vielleicht eine Abweichung
anzunehmen sei.
Um diese Unsicherheit der Annahme zu beseitigen, sind Versuche an
Menschen während der Chloroformnarkose angestellt worden. Kappeier fand,
daß bei Beginn der Narkose eine Pulsfrequenz um 10 — 20 Schläge eintrat. Mit
dem Erlöschen der Sensibilität und der Erschlaffung der Muskulatur schwand
diese Frequenz wieder und der Puls ward langsamer als unter normalen Ver-
hältnissen. Die Pulskurve veränderte sich in diesem Stadium dahingehend,
daß der aufsteigende Schenkel schräg emporstieg, der Kurvengipfel abgerundet
war, und daß der absteigende Schenkel eine bedeutend mehr schräge Richtung
erhalten hatte. Die Rückstoßelevation zeigt sich wenig ausgeprägt. Dasselbe
erklärt Kappeier durch eine Lähmung der Vasomotoren, eine Verminderung des
arteriellen Druckes und eine Verlangsamung des Blutkreislaufes.
Durch Holz wurden zaerst instrumentale Untersuchungen an Menschen
angestellt, indem er das von Kriessche Tachometer verwandte, durch welches
die von der Herztätigkeit abhängige periodische Schwankung der Stromstärke
oder die Geschwindigkeit des Blutes an einem bestimmten Gefäßquerschnitt
festgestellt werden. Er hat bei 34 Chloroformnarkosen Beobachtungen angestellt
und kam zu dem Resultat, daß das Chloroform eine schon im Beginn oder erst
am Ende der Narkose auftretende Abnahme der Pulsstärke hervorrufe. Man
kann aus dem Ausschlag der Flammen des Apparates mittels einer von Thoma
aufgestellten Formel den Zuwachs in Millimeter Hg. berechnen, welchen der
mittlere Druckwert in der Arterie durch die Systole erleidet. Von diesem
schloß Holz wieder auf den mittleren arteriellen Druck. Dieses Verhältnis der
beiden Größen war nun aber nur für Tiere berechnet. Man konnte aber doch bei
einer bedeutenden Zunahme des ersteren eine solche des anderen auch erwarten.
Es wurde nun durch Turicelli mittels sphy gmographischer Untersuchungen
bei mit Chloroform narkotisierten Personen ermittelt, daß konstant ein Steigen
des Blutdruckes und der Pulszahl während der Zeit der Vorbereitungen zur
Narkose und im Anfangsstadium derselben sich zeigte. Sobald aber die Toleranz
erreicht war, trat ein kontinuierliches Sinken ein. Dieser niedrige Druck hielt
selbst noch nach Aussetzen des Chloroforms und nachdem der Kranke bereits
erwacht war, noch eine Zeitlang an und kehrte dann erst allmählich zur Norm
zurück.
Wir haben nun diese wichtigen Daten kennen gelernt, allein man
muß diesen Versuchen den Vorwurf machen, daß sie den Blutdruck nicht direkt
— 261 —
bestimmten, soiulem daß bei densclbeu nur mehr oder weniger genaue und
zutreffende Schlüsse aus denselben gezogen wurden. Man hatte eben keine
Apparate zu diesen Versuchen, welche am Menschen ohne große Schwierig-
keiten und doch mit einiger Genauigkeit Blutdruckbestimmungen auszuführen
ermöglichten. Es wurden nun Apparate zu diesem Zwecke von B asch, Harthle
und Riva-Rocci konstruiert. Doch deren Handhabung erfordert umständliche
Behandlung und es zeigen sich während der Narkose große Schwierigkeiten.
Einen brauchbaren Apparat für diese Zwecke entwarf Gärtner, und mit
demselben sind von Kapsammer, Schröder, Blauel etc. Untersuchungen
gemacht worden, auf deren Resultat wir näher eingehen wollen.
Die mit dem Gärtnerschen Tonometer angestellten Versuche von den
ersten beiden Autoren ergaben einen sehr starken Abfall des Blutdruckes.
Schröder schiebt, abgesehen von Länge und Schwere der Operation die Schuld
auf die Güte und Dauer der Narkose. Wenn man die Blutdruckverhältnisse
bestimmen will, so muß man die Beeinflussung der Operation und Narkose
bedenken. Der Einfluß der Operation auf den Blutdruck ist nun nach den
Versuchen von Blauel nicht bedeutend.
Ein großer Teil der Blutdruckschwankungen bei Operationen ohne Narkose
ist für sich schon psychischen Momenten zuzuschreiben und diese fallen während
der Narkose fort. Aber gesetzt den Fall, die Einwirkung der Operation als
solche wäre eine erhebliche in bezug auf den Blutdruck, so würde die Brauch-
barkeit der Ergebnisse nicht leiden. Es würden dieselben sogar dann dem
praktischen Bedürfnisse gerecht werden, da sie die Einwirkung des Chloroforms
gerade unter den äußeren Umständen veranschaulichen, unter welchen wir
dasselbe gebrauchen, nämlich während der Operation (Blauel).
Das Gärtnersche Tonometer welches Blauel verwandte, mißt den
Blutdruck an den Arteriae digitales. Daselbst kann durch einen zirkulären Druck
leicht eine vollständige Kompression der Arterien gegen den Fingerknochen
erfolgen. Es übt nun diesen Druck ein pneumatischer Ring aus, welcher an
der Außenseite mit einem Metallreif versehen ist. Der Gummi läßt sich mit
Luft durch entsprechende Vorrichtung aufblasen. Durch ein Manometer wird
der Druck gemessen. Man legt bei den Versuchen den Ring um die 2. Pha-
lange eines Fingers, während die Endphalauge mittels einer besonderen Kom-
pressionsvorrichtung nach Möglichkeit anämisch gemacht wird. In dem Ring
wild ein so hoher Druck erzeugt, daß derselbe ein Rückströmen des Blutes in
den vor dem Ringe gelegenen anämischen Teil des Fingers verhütet. Bei
langsamem Nachlassen des Druckes wird sich ein Augenblick einstellen, in dem
der arterielle Druck dem auf die Arterie wirkenden Außeudrucke gleich ist.
Im nächsten Moment wird bei weitei-em Nachlassen das Blut in die Finger-
spitze schießen und dieselbe rot färben. Die jetzt im Manometer bezeichnete
Zahl ist der Blutdruck in der Arteria digitalis.
Es haften natürlich auch diesem Apparate Fehler an, doch dieselben
lassen sich bei einiger Übung und genauer Befolgung der Anwendungs-
maßregeln Gärtners zum Minimum herabdrücken, so daß man sie gut mit in
Kauf nehmen kann.
Gärtner stellt folgende zwei Thesen auf in bezug auf die Funktionen
seines Apparates:
I. Die Tonometerwerte entsprechen oder nähern sich den absoluten
Werten des mittleren Blutdruckes.
— 262 —
II. Veränderungen der Touometerwerte an ein und demselben Individuum
beobachtet, bedeuten gleichgroße Veränderungen des Blutdruckes.
Wenden wir uns nun den Versuchen Blauels zu und lernen wir sein
Verfahren kennen, welches sich folgendermaßen gestaltete:
„Mehrere Tage vor der Operation, im Notfalle nur einen Tag vor der-
selben, oft aber auch mehrere Tage nachher, wurde die Normalblutdruckhöhe
festgestellt. Dieser Teil des Versuches erfordert nicht nur wegen seiner
Wichtigkeit, sondern vor allem auch seiner Schwierigkeit besondere Beachtung.
Den nicht unerheblichen Einfluß der Tageszeit auf den Stand des Blut-
druckes auszuschalten, gelingt am einfachsten dadurch, daß die Messungen
regelmäßig zu derselben Stunde vorgenommen werden. Die genaue Tages-
einteilung in einem Krankenhause bringt dabei die angenehme Erleichterung
mit sich, daß zu derselben Tagesstunde auch immer ungefähr die gleiche Zeit
seit der letzten Mahlzeit verstrichen ist, der Einfluß derselben auf den Blut-
druck, der fraglos vorhanden, also auch für alle Untersuchungen annähernd
der gleiche ist. Die Störungen durch Tageszeit und Nahrungsaufnahme sind
aber verschwindend klein gegenüber denjenigen, welche die Patienten durch
ihr psychisches Verhalten bieten. Es erfordert nicht nur große Uebung, sondern
auch gehörige Geduld, um Resultate zu erlangen, auf welche man sich ver-
lassen kann. Sicherlich findet man hier und da einen Patienten, bei welchem
fortgesetzte Untersuchungen in schöner Regelmäßigkeit dieselben Druckwerte
ergeben. Minder entwickelte Intelligenz und ausgesprochene Indolenz sind
hier ausnahmsweise Verbündete des untersuchenden Arztes. In der Mehrzahl
der Fälle bewirkt aber die Angst vor einer Untersuchung mit einem etwas
gefährlich aussehenden Apparate eine oftmals sehr beträchtliche Steigerung
des Blutdruckes. Ich habe solche bis zu 50 i'im Hg. gesehen. Daß die größere
Aufregung, in welcher die Mehrzahl der Patienten einer chirurgischen Klinik
vor der Operation sich befinden, hierfür von wesentlichem Ausschlage ist, ergab
sich aus der Beobachtung, daß Messungen einige Tage nach der Operation
bedeutend weniger durch die psychischen Momente beeinflußt wurden.
Ich begnügte mich in der Regel, wenn in drei aufeinanderfolgenden
Untersuchungen sich die gleichen Werte ergaben; bei schwankenden Zahlen
nahm ich den tiefsten Blutdruckstand als die Norm an. Durchschnittlich nahm
ich sechs Einzelmessungen vor, zwischen welche nach Möglichkeit Pausen von
einigen Minuten eingefügt wurden. Auf diese Weise gelang es mir mit ver-
einzelten Ausnahmen stets zum Ziele zu gelangen" (Blauel).
Es würde ein großer Fehler sein, den Blutdruckstand vor der Operation
als den normalen Punkt anzusehen, dann würden stets Senkungen zu ver-
zeichnen sein, denn derselbe pflegt vor der Operation wegen der Aufregung
des Kranken ein sehr hoher zu sein. Die Messungen hat Blauel nun erst im
Stadium der Toleranz begonnen, denn wie man sich leicht erklären kann, ist
im Stadium der Exzitation ein genaues Messen oft unmöglich wegen der Be-
wegungen des Kranken. Die Messungen wurden minutenweise wiederholt.
Dadurch entstanden Kurven, die denen eines registrierenden Apparates sehr
nahekommen. Die Atmung muß während der, Messung natürlich ruhig
gleichmäßig sein, eine wenn auch ganz geringe Änderung im Atmen erzeugt
sofort sehr beträchtliche Schwankungen der Hg.-Säule.
Nach Eintritt des Bewußtseins wurden die Messungen sistiert. Die be-
sonders wichtigen Ereignisse während der Operation wurden notiert, damit
dieselben bei der Kurve ev. in Rücksicht gezogen werden konnten. Der
Einfluß der Operation an sich darf allerdings nicht zu hoch gerechnet werden,
denn die durch operative Maßnahmen hervorgerufenen Schwankungen gleichen
sich sehr bald aus, e-inen bedeutenden Einfluß besaß aber die Abnahme des
Esmarchschen Schlauches bei Blutleere, sie hatte stets eine Abnahme des
Blutdruckes zur Folge, aber auch diese glich sich bald wieder aus.
Messungen bei kleinen Eingriffen ohne Narkose ergaben stets im Anfang
ein Steigen des Blutdruckes, die Folge der Erregungen psychischer Art, und
bald sank der Druck auf die normale Höhe nach Ablauf der Erregung oder
wenn man die Aufmerksamkeit des Kranken von der Operation ablenkte.
— 2iu] —
l)ie Prüfung- des Blutdruckes wurde nun bei 37 Chloroformnarkosen vor-
genommen. Zur Anwendung- kam der Kappelersche Apparat der Narkose. Bei
tiefer Inspiration wurde das Gebläse in Tätigkeit gesetzt bis zur Toleranz,
nach deren Eintritt nur dann wieder Chloroform gegeben wurde, wenn der
Kranke Zeichen des Erwachens gab. Bei 25 Narkosen wurde vorher 0,01 Mor-
phium gegeben, 12 waren reine Chloroformnarkosen. Von den Patienten waren
25 Männer, 12 weiblichen Geschlechtes.
Das Alter der Patienten bewegte sich zwischen den Jahren von 40 und 50
in der Mehrzahl, unter 20 Jahren waren nur 9 Personen (1 weibliche und
8 männliche Personen). Das jüngste Kind war 3 Jahre, die älteste Person
76 Jahre alt. Die mittlere Dauer der Narkose war 60 Minuten.
Es waren 7 Operationen am Knochensystem, 14 Tumorexstirpationen.
4 Laparatomieu , 4 Radikaloperationen von Hernien, 3 Exstirpationen von
Strumen, 1 von Lymphomen und 4 andere Operationen.
Nach der Ansicht der meisten Autoreu wirkt das Chloroform so gering
auf den Blutdruck ein, daß eine Mitwirkung bei der Chloroformnarkose nicht
deutlich zutage tritt, und man kann annehmen, daß die reinen Chloroform-
uarkosen ebenso wie die Äthernarkosen verliefen in bezug auf den Blutdruck.
Was nun die Versuche von Blauel selbst anlangt, so hat sich ergeben, daß die
Blutdruckkurve eine ausgesprochene Neigung zum Verlaufe unter der Normal-
höhe besitzt. In 30 Kurven ist dies besonders deutlich. 3 Kurven halten
sich ungefähr auf der Normaldruckhöhe, doch gewahrt man auch bei diesen
verschiedentlich Remissionen, welche eine Tendenz zum Sinken unter die
Normalhöhe andeuten. In 4 Fällen erhalten sich die Kurven über der Normal-
höhe. Wir können die Kurven in 4 Gruppen teilen:
I. Es verlaufen die Kurven durchweg unter der Normalhöhe in 23 Fällen = 62,2"/^
II. „ „ ,, „ „ mäßig tief in 7 „ = 18,9\
III. „ „ „ „ durchschnittl. m. d. Normalhöhe in 3 „ = 8,1 **/o
IV. „ „ „ „ durchweg unter der „ „ 4 ,, :=10,87o
Das höhere Alter, über 50 Jahre, ist hauptsächlich in der Gruppe IV ver-
treten, das jugendliche Alter dagegen hauptsächlich in Gruppe I. Kinder unter
15 Jahren kommen nur in Gruppe I in Betracht. Dies entspricht nicht der
Anschauung, die allgemein herrscht, daß Kinder das Chloroform besonders gut
vertragen.
Man muß aus den Versuchen in Anbetracht der Konstitution der Kranken
schließen, daß auch bei mäßig geschädigtem Allgemeinzustande das Chloroform
nicht unbedingt blutdruckherabsetzend wirken muß. '
Die Mehrzahl der Fälle betraf durchaus gesunde Menschen und so finden
wir hierdurch den alten Satz bestätigt, daß auch ein gesunder Körper im
kräftigen Alter durchaus nicht einen Schutz gegen die Gefahren der Chloroform-
inhalationen bietet. Ferner ergeben diese Versuche, daß auch schon eine ganz
geringe Chloroformdosis, die kaum das Stadium der Toleranz hervorrufen kann,
eine tiefe Depression des Blutdruckes zu erzeugen imstande ist. Ferner ist
die Tiefe der Narkose von keinem geringen Einfluß auf die Blutdruckkurve,
Es zeigt sich aber noch eine Eigentümlichkeit an der Blutdruckkurve,
welche den Gegensatz zu der bei Äthernarkosen bildet, und die in einem
ständigen Sehwanken zwischen Hoch- und Tiefstand besteht. Die Kurve sinkt
plötzlich ganz unvermittelt tief und schroff ab, während die Abfälle beim Äther.
— 264 —
wenn sie einmal vorkommen, sich in allmählichem Senken zeigen. Dabei fehlt
beim Chloroform jede Möglichkeit, ein solches Sinken vorauszusehen, es tritt
ganz plötzlich und unvermittelt ein, der Patient atmete ganz ruhig und doch
zeigte sich in der nächsten Sekunde der Tiefstand. Dabei kommen neben
harmlosen Senkungen, welche ca. 10 — 20 mm ausmachen, auch solche von sehr
besorgniserregender Tiefe vor. Man bekommt dadurch das Gefühl, daß während
der Chloroforminhalationen der Zirkulatiousmechanismus sich in labilem Gleich-
gewicht befinde, aus dem er durch die unbedeatendsten Ursachen heraus-
gebracht werden kann, oftmals ist es überhaupt sehr schwer, eine Ursache für
das rasche Fallen zu finden. Dadurch wird dem Charakter der Blutdruckkurve
beim Chloroform eine Unruhe verliehen, während derselbe bei der Äthernarkose
ein gleichmäßiger ist.
Was das Verhalten der Blutlruckkurve vor der Chloroformnarkose an-
langt, so ist zu sagen, daß hier keine Einheit im Verhalten vorhanden war,
immerhin ist aber in 59,5 % der Fälle ein Sinken des Blutdruckes festzustellen
gewesen. In 21,6 7o war ein Steigen zu konstatieren und in 18,9% verhielt
sie sich auf dem Niveau der Normaldruckkurve. Im Verlaufe der Narkose
fand sich selten bei neuer Zufuhr von Chloroform eine Beeinflussung der
Kurve, was wohl auf den Narkoseapparat zu beziehen ist, es zeigte sich
deutlicher Einfluß der Chloroformzufuhr 24 mal. In den meisten übrigen Fällen
zeigte sich ein starkes Sinken innerhalb sehr kurzer Zeit. In Fig. 2 sehen
wir deutlich einen solchen Einfluß durch die Chloroformzufuhr durch plötzliches
Sinken kundgegeben. Auf jede weitere neue Gabe sah man einen neuen Abfall,
und zwar erreichte derselbe einen immer tieferen Stand mit den fortschreitenden
Chloroformgaben.
Beim Erwachen aus der Narkose finden wir in 27% der Fälle den Druck
über oder auf dem Niveau der Normaldruckkurve, in 46% unter demselben.
Dieses Verhalten könnte man im ersten Augenblick als unerwartet finden,
denn man sollte doch eher annehmen, daß infolge der kumulierenden Wirkung
des Chloroforms die Kurve den maximalen Tiefstand zu Ende erreichte und
doch ist obiges Erscheinen erklärlich, wenn man bedenkt, daß das Erwachen
eine geraume Zeit nach der letzten Chloroformdosis erst eintritt. Der Chloro-
formeinfluß hat daher schon beträchtlich nachgelassen beim Erwachen des
Kranken.
Bei leichten Narkosen mit wenig Chloroformverbrauch wird die Zeit bis
zum Erwachen genügen, um einen Druckstand gleich dem der Normaldruck-
kurve annähernd zu erreichen. Der Zeitpunkt an dem die normale Druckhöhe
wieder erreicht wird, wird um so später eintreten, je länger die Narkose und
je größer der Chloroformverbrauch war. Es entsprechen nun auch bei den
Versuchen diejenigen Fälle mit dem annähernd normalen Stande der kürzeren
Narkose, während wir bei sehr langen Narkosen mit viel Chloroformverbrauch
oftmals noch sehr lange Zeit nach der letzten Gabe einen sehr tiefen Stand,
bisweilen 50 mm unter Normaldruck selbst noch beim Erwachen fanden.
Es ist nicht füi- alle Fälle gleichmäßig festzustellen, wo der tiefste
Punkt während der Narkose lag. In der Mehrzahl aller Chloroformnarkosen
finden wir zwei Punkte des tiefsten Standes, von denen der erstere Punkt noch
in das erste Viertel, der andere Punkt etwa gegen das Ende des dritten Viertels
der Narkosendauer zu liegen kommt. Zwischen beiden liegt eine Zone von
265 —
mäßiger Erhebung der Kurve. Mau kanu sich das so erklären: Der erstere
Tiefstand ist die Folge der ersten konzentrierten Chloroformdämpfe. Nimmt
dann während der Narkose der Prozentgehalt an Chloro'form der Atmungsluft
wieder ab, so erhält der Zirkulationsapparat wieder soviel Kraft, um eine
geringe Steigerung des Blutdruckes zu bewirken. Mit der Zeit tritt nun doch
eine kumulierende Wirkung des Chloroforms gegen Ende der Narkose auf,,
welche nunmehr den zweiten Tiefstand bewirkt.
Um das Gesagte nun nochmals kurz zusammenzufassen, erhalten wir
nach Blauel als das Bild der durchschnittlichen Chloroformdruckkurve einen
nach oben offenen Bogen, der im allgemeinen von Anfang an steil abfallt und
in seinem Verlaufe wenig Gleichmäßigkeit zeigt. Im ersten und dritten Viertel
der Kurve sehen wir auf längere Strecken ausgedehnte Erhebungen und
Senkungen sich markieren, dann aber ist ein Hin- und Herschwanken in
kurzen Zeiträumen zu bemerken, wodurch steile Remissionen auftreten, welche
der ganzen Kurve einen unruhigen Charakter verleihen. Diese Remissionen
können besonders intensiv und direkt bis zum Bedrohlichen sich steigernd,
von synkopeähnlicheu Symptomen begleitet werden, wenu während der Narkose
größere Chloroformmengen zugeführt werden.
Beim Erwachen des Kranken steht der Blutdruckstand gewöhnlich in
direktem Verhältnis zur Länge und Tiefe der Narkose, meist unter der Nornial-
druckhöhe sich haltend (Blauel).
Folgende beiden Kurven in Figur 89 und 90 rnögen ein Bild^der Blut-
druckschwankungen geben.
Fionr 89.
Chloroformblutdruckkurve nach Blauel.
Exstirpation eines Wangen sarkoms. Narkosenlänge 52 Minuten. Chlorolorm-
verbrauch 15,0 ccm. Morphin 0,01. Die Horizontale N bedeutet die Normal-
blutdruckhöhe und gibt als Abszisse zugleich die Zeit in Minuten au. Die
Ordinate zeigt in Millimeter Hg. die Blutdruckhöhe an. Bei 0 Beginn der
Narkose. Die PI eile bedeuten verstärkte Chloroformzufuhr.
Ich habe diese Versuche von Blauel etwas eingehend geschildert, weil
dieselben so überaus deutlieh ein Bild von der Chloroformwirkung geben
und für uns von so hoher Bedeutung sind, denn wir sehen hier direkt
graphisch dargestellt, wie gefährlich doch die großen Dosen Chloroform wirken
können und wie schon durch verhältnismäßig gar nicht übertrieben hohe Kon-
— 266 —
zentrationen plötzlich, wie sie so leicht bei neuer Zufuhr von Chloroform auf-
treten können, sich schon gar bedrohlich erscheinende Schwankungen in den
Kurven markieren.
Figur 90.
Chloroformblutdruckkurve nach Blauel.
Besectio genus. Narkosenlänge 76 Minuten. Chloroformverbrauch 28 ccm.
Morphin 0,01. Bezeichnung sonst wie in vorhergehender Kurve.
"Wir sehen aus diesen ebenso wie aus den früheren Tierversuchen, wie
das Chloroform eine beträchtliche Herabsetzung des Blutdrucks hervorruft und
wie wiederum die kumulierende Wirkung ersichtlich wird. Ferner ersehen wir
aber auch, wie plötzlich ganz unvermittelt starke Senkungen des Blutdruckes
auftreten , ohne daß wir eine Ursache finden könnten. Ein Beweis für die
lieimtückische Wirkung des Chloroforms.
Es wäre nun zu wünschen, daß solche Untersuchungen auch bei der
Tropfmethode angestellt würden, damit sich nachweisen ließe, ob man durch
•die Methode die Gefahren vielleicht verringern könnte.
Die Verhältnisse der Einwirkung des Chloroforms auf den Puls sind
ähnlich den Druckverhältnissen im Herzen. Man muß zunächst bedenken, daß
der Mensch vor dem Beginn der Narkose mehr oder weniger aufgeregt ist und
daß dabei auch sein Puls beeinflußt wird, er ist mei.st beschleunigter und
kleiner als in normalem Seelenzustande des Patienten. Es ist deshalb von
großem Wert für den Narkotiseur, daß die normale Pulstätigkeit vor der
Narkose festgestellt worden ist. Man wird dies in vielen Fällen tun können,
indem man während 2 — 3 Tagen vor der Operation den Puls prüft. Bisweilen
wird es aber nicht angehen und man muß dann die Aufregung bei der Beur-
teilung der Pulstätigkeit bedenken. Kurz nach Beginn der Narkose schwindet
die Aufregung, der Puls wird langsamer, seine Frequenz nimmt ca. 20 Schläge
•ab, in seltenen Fällen nur 2 — 8 oder 30 — 40 Schläge. Im Stadium der tiefen
Narkose wird der Puls weich und langsam analog der Herabsetzung des Blut-
druckes, der Spitzenstoß verschwindet oft ganz oder wird weniger deutlich
sieht- und fühlbar. Das Gesicht wird blaß. Dies ist das Bild bei ruhiger
Narkose.
— 267 —
An den Kapillaren chloroformierter Tiere hat man beobachten können,
und dies Experiment ist leicht mit einem narkotisierten Frosch etc. anzustellen,
daß im Beginn der Narkose die Bluthewegung beschleunigt wird, die kleinsten
Arterien werden kontrahiert, während die Kraft der Zirkulation gleichbleibt.
Später fängt die Zirkulation an zu stocken in den Kapillaren, die BlutkrJrperchen
beginnen sich zusammenzuballen und wälzen sich nur langsam vorwärts.
Endlich tritt Erweiterung der kleinsten Arterien und Stase ein.
Wenn man bei einem Tier den Nervus vagus und Nervus sympathicus
durchschneidet und chloroformiert dieses Tier, so findet man denselben Einfluß
auf die Gefäße. Folglich ergibt sich, daß die Herabsetzung der Kraft des
Pulses und des Blutdruckes durch Veränderung des Gefäßtonus der Arterien
entsteht, welche nicht nur durch die Lähmung der vasomotorischen Zentren,
sondern auch durch eine lähmende Beeinflussung der gangliösen Zentren, welche
im Herzmuskel und der Gefäßwand der großen Arterien gelegen sind, hervor-
gerufen wird.
Interessante Versuche hierüber wurden vom englischen Chloroform-
komitee gemacht, indem einem Hunde ein Hämatodynamometer in die Schenkel-
arterie gebracht wurde. Das Quecksilber stieg zuerst plötzlich bei Inhalation von
Chloroformdämpfen, was auf die erregende Wirkung des Chloroforms auf die
Tiere bezogen werden kann, dann sank sie plötzlich. Wenn die Tiere ganz
ruhig lagen, ohne sträubende Bewegungen zu machen, stieg die Quecksilber-
säule ebenfalls und man wird diese Steigerung der kumulierenden Wirkung
kleiner Chloroformdosen zuschreiben können. Mit der Wirkung des Chloroforms
fiel in dem weiteren Verlauf die Quecksilbersäule. Wenn das Tier nicht atmete,
stieg sie sofort wieder, also wenn kein Chloroform aufgenommen wurde, oder
wenn man das Chloroform ganz wegließ. Wurde es wieder verabreicht, so sank
die Säule wieder.
Die Hyderabad. -Kommission hat auf Grund von 100 Tierexperimenten
folgende Thesen aufgestellt:
„Chloroform fortwährend unter hinreichendem Luftzutritt gegeben, ver-
ursacht ein Sinken des Blutdruckes in ganz allmählicher Weise, solange die
Respiration nicht gehindert ist und das Atmen ruhig vor sich geht. Bei
stärkerer Chloroformdosis ist das Sinken des Blutdruckes rascher, aber immer
noch allmählich, selbst starke Dosen von Chloroform bedingen keinen Herz-
stillstand."
„Das Fallen des Blutdruckes wird nur dann plötzlich, wenn unregel-
mäßiges Atmen eintritt, dann allerdings kommt es vor, daß Tiere rasch bewußtlos
werden, die Respiration und zuletzt der Herzschlag authört."
Neben der Verringerung der Pulszahl ist auch ein Herabsetzen der
Temperatur während der Chloroformnarkose zu konstatieren. Die Temperatur
sinkt während der Narkose um 0,2— 1° C, im Mittel um 0,59° C. Die Ernie-
drigung der Temperatur wird erst ca. 10 Minuten nach Beginn der Narkose
bemerkt, das Maximum der Verringerung der Temperatur fällt in das post-
narkotische Stadium. Nicht allein die Verminderung des Blutdruckes an sich
erzeugt eine Herabsetzung der Temperatur, sondern auch die Ruhe sämtlicher
willkürlicher Muskeln trägt mit dazu bei. Die wärmeerzeugenden Funktionen
der lebenswichtigen Organe sind in ihrer Intensität bedeutend herabgesetzt
während der Chloroformnarkose, die Oxydation des Blutes ist eine geringere,
die Tätigkeit des Magens und Darmtractus ist fast ganz aufgehoben, die
Leberfunktion liegt fast ganz danieder, und gerade durch diese chemischen
Vorgänge wird eine Menge Wärme im Körper erzeugt. Durch das Fehlen
dieser Quelle an Wärme kühlt der Körper ab. Zu gleicher Zeit gibt der Körper
— 268 —
viel AVärme ab, er liegt entblößt da, die Lungen atmen ein kühles Gasgemisch
ein, denn bei der Verdunstung des Chloroforms entsteht starke Abkühlung der
Gasgemenge. Die kühlen Gasgemische entziehen der Lunge Wärme. Infolge
der verschiedenen Verdunstbarkeit ist die Wärmeabgabe der Lungen bei der
Ohloroformnarkose nicht so groß wie bei der Äthernarkose. Immerhin erleidet
aber der Körper durch alle diese Momente beträchtliche Abkühlung auch in
der Chloroformnarkose. Man muß die Abkühlung nach Möglichkeit verringern.
Hierfür gelten die im Allgemeinen Teil aufgestellten Thesen.
Der Einfluß des Chloroforms auf die anderen Funktionen des Körpers
in physiologischer Hinsicht ist von geringerer Intensität. Die Nierentätigkeit
wird durch das Chloroform nur wenig beeinflußt in den Grenzen, die man als
physiologisch ansehen kann. Ein großer Teil des in den Körper gelangten
Chloroforms wird durch die Nieren abgesondert, und es ist behauptet worden,
daß die Nierentätigkeit durch das Chloroform bedeutend vermindert werde.
Daß ein besonderer Einfluß auf die Nierenepithelien durch das Chloroform
ausgeübt wird ist zweifellos, doch derselbe erzeugt an den Nierenepithelien
Veränderungen, welche pathologischer Natur sind und später erörtert werden.
Das Chloroform wird im Harn hauptsächlich in Form von Chloriden abgesondert
(Zeller). Die Harnsekretion wird während der Chloroformnarkose,, wahrschein-
lich infolge der Verminderung des Blutdruckes, nach den Versuchen von
Dranske sehr stark herabgesetzt, er fand dieselbe auf ^/g — ^j^ der Norm ver-
mindert. Nach seiner Ansicht soll man die Harnsekretion durch Darreichen
eines Diuretikums vor der Narkose anregen, das man ca. 1 Stunde vor Be-
ginn der Chloroforminhalation verabreichen soll.
Was den Darmtraktus anlaugt, so findet man in dessen einzelnen Teilen
während der Chloroformuarkose ebenfalls nur geringe physiologische Vorgänge
sich abspielen, die rein durchs Chloroform hervorgerufen wurden. An Mund
und Rachen sehen wir die Schleimdrüsen stärker in Tätigkeit, es zeigt sich
vermehrte Salivation und Schieimabsonderung, die sich weiter auch auf die
Luftröhren, den Kehlkopf, den Magen und Darm erstreckt. In den vermehrt
abgesonderten Säften findet sich reichlich Chloroform, vor allem im Magen-
saft. Die starke Sekretion des Magens ruft leicht Erbrechen hervor, weil
das im Saft enthaltene Chloroform im Magen bei genügenden Mengen einen
solchen Reiz auf die Magennerven ausübt, daß antiperistaltische Bewegungen
ausgelöst werden. Entfernt man nach der Narkose die, vermehrten Magensaft-
mengen durch eine Magenspülung, so hört sofort das Erbrechen auf. Es ist
also die Wirkung des Chloroforms hier als eine Reizung der Drüsen auf-
zufassen. Dabei wird gleichzeitig Chloroform aus dem Körper entfernt. Die
Darmtätigkeit ist aber während der Chloroformuarkose vermindert, die Be-
wegungen der Darmmuskulatur sind geschwächt.
Eine bedeutendere Beeinflussung erleiden die Lungen durch das Chloro-
form in physiologischen Grenzen. Der Einfluß des Chloroforms auf die
Respiration zeigt sich in einer, sobald die Chloroformwirkung nicht mehr vom
Willen des Kranken beeinflußt werden kann, eintretenden Verlangsamung der
Atemzüge. Im Anfang wird mancher Mensch die Atmung namentlich bei
mangelhafter Chloroformierung anzuhalten suchen.
Es muß vor allen Dingen gesorgt werden, daß der Patient ruhig atmet,
man kann dies am ehesten erreichen, indem man ihm genügend Luft neben
— 2()9 —
dem Chloroform zuströmen läßt. Wird die Narkose tiefer, so werden auch
die Atemzüge langsamer und tiefer und man muß hierbei wiederum beachten,
daß man nicht gerade bei einer Inspiration zu konzentrierte Chloroformdämpfe
gibt, denn es kann bei sehr tiefen Atemzügen leicht eine Intoxikation
erfolgen.
Bisweilen werden die Atemzüge aber sehr obei-flächlich und unregel-
mäßig und es ist wichtig, daß der Narkotiseur dieses sofort erkennt um
eventuell die Weitergabe des Chloroforms zu sistieren.
Die allgemeinen Vorschriften über die Atmung während der Narkose
sind natürlich zu beachten. Daß oftmals das Zurücksinken des Zungen-
grundes die Atmung übel beeinflußt, muß bedacht, und die allgemeinen Vor-
schriften zu dessen Verhütung etc. müssen getroffen werden. Fremdkörper.
Schleim etc. können die Respirationsbahnen (Kehlkopf, Bronchien etc.) verlegen
und verstopfen, man muß dieselben daher vor der Narkose so weit wie
möglich entfernen, damit die Atmung durch sie nicht gestört wird.
Ein ruhiges Atmen im Anfang der Narkose zu erreichen muß das Ziel
sein, da sonst auch im weiteren Verlauf der Narkose dieselbe unregelmäßige
Respiration herrscht. Man erreicht am besten eine recht ruhige Atmung, in-
dem man von Anfang an den Patienten von 200 oder 300 abwärts zählen läßt.
Dadurch wird er gezwungen, mehr zu denken, als beim Zählen von 1 an, und
infolgedessen wird seine Aufmerksamkeit von der Angst um die Narkose ab-
gelenkt und mehr konzentriert. Dabei erkennt man zeitiger, wenn das Be-
wußtsein getrübt wird, da der Patient bei halbem Bewußtsein nicht mehr
rückwärts zu zählen vermag, Fehler macht etc. Die Folge dieser Methode ist
ein regelmäßigeres Atmen als beim Zählen von 1 aufwärts. Man verhütet
ferner dadurch wie durch ruhigen Zuspruch, daß der Kranke nicht lange den
Atem anhält, denn gerade dies kann bei der Chloroformnarkose gefährlich
werden. Wenn nämlich der Kranke plötzlich krampfhaft verweigert zu atmen,
so folgt auf das Anhalten des Atems eine enorm tiefe Inspiration, durch
welche, wenn nicht der Narkotiseur die Maske entfernt Iiat, eine sehr große
Menge Chloroform plötzlich in das Blut gelangt. Das Chloroform ist nun in
dieser Beziehung ein sehr gefährliches Gift, denn es kann auf eine solche
Überschwemmung des Blutes mit Chloroform durch die tiefe Inspiration sofort
Herzsynkope oder Apnoe folgen, hervorgerufen durch die toxische Wirkung
der starken Chloroformdosis, die durch die tiefe Inspiration in das Blut und
somit in das Gehirn gelangte, indem das Chloroform sofort die Zentra der
Herztätigkeit oder Lungenfunktion lähmt. Man hat zahlreiche solche Fälle
beobachtet, und es ist zum Teil die speziell intensiv toxische, stark narkotische
Wirkung des Chloroforms in diesen Fällen, welche das Unheil bewirkt, zu
dem der Anlaß durch die unregelmäßige Atmung gegeben wurde.
Es wird auch in den Bronchien und Broncheoli durch das Chloroform
die Schleimhaut zur stärkeren Absonderung angeregt, so daß sich bei der
Atmung im Kehlkopf reichlich Schleim ansammelt. Diese vermehrte Schleim-
produktion in der Lunge selbst ist nun beim Chloroform nicht pathologisch
gesteigert, wenigstens nicht in den meisten Fällen, sie besteht aber doch in
gesteigertem Maße, wie mir durch eingehende Untersuchung der Lungen von
Hunden nach Chloroformnarkosen nachzuweisen gelungen ist.
Ein großer Teil der im Organismus kreisenden Chloroformmengen wird
— 270 —
durch die Lungen wieder aus dem Körper abgesondert. Somit gescliieht es,
daß die Respiratiousluft des Krauken noch längere Zeit nach der Chloroform-
narkose nach dem Narkotikum riecht, daß der Kranke selbst auch meint, das
Chloroform zu riechen.
Neben den Lungen und Nieren sondert auch die Haut durch die
Schweißdrüsen Chloroform ah. Auch in die Milch der Frau und in den
fötalen Kreislauf der graviden Frau geht Chloroform über und ist im Blut des
Kindes nachgewiesen worden (Zweifel).
Ein großer Teil des Chloroforms wird auch in zersetztem Zustande aus
dem Körper ausgeschieden. Ein Zeichen, das auf sehr starke Stoffwechsel-
veränderungen im Organismus schließen läßt, ist die Tatsache, daß das
Körpergewicht des Kranken nach der Chloroformierung bedeutend niedriger
ist als vorher (Malenjuk). Aus dem Organismus wird bedeutend mehr
Stickstoff, Schwefel und Phosphor, ferner werden größere Mengen Chloride
ausgeschieden nach und in der Narkose. Das Chlor der Chloride stammt
aber nicht aus dem Chloroform. Ferner bewirkt die Chloroformwirkung eine
größere Ausscheidung von nicht volloxydiertem Schwefel, und organischen
Stoffen, die Chlor enthalten, und welcher Umstand darauf schließen läßt, daß
unter dem Einfluß des Chloroformierens die oxydierenden Vorgänge im
Organismus bedeutend geringer werden. Die gesteigerte Ausscheidung von
Phosphorsäure und Kali erlauben zu glauben, daß die Zerstörungen durch das
Chloroform in den an Phosphor und Kali reichen Geweben vor sich gehen,
also im Muskel- und Nervengewebe, in den morphologischen Bestandteilen
des Blutes und überhaupt in dem zellreichen parenchymatösen Organen und
Geweben (Herz-, Leber-, Nieren-, Nervenganglien-, Fettmetamorphose und
Nekrose). Die gesteigerte Ausscheidung von Chlor muß man als direkte not-
wendige Folge der gesteigerten Zufuhr von phosphorsaurem Kalk in die
Zirkulation auffassen (Malenjuk).
Viel bedeutender als die physiologischen Schwankungen der Orgau-
funktionen infolge der Chloroformnarkose sind die pathologischen Ein-
wirkungen, die dem Chloroform zur Last gelegt werden können. Es ist
schwer eine genaue Grenze zwischen physiologischen und pathologischen Ver-
änderungen hier zu ziehen, doch ich glaube bis zu einem gewissen Grade
beide gesondert zu haben.
Zuerst sollen die Veränderungen im Gehirn Erwähnung finden.
Die pathologischen Veränderungen im Gehirn bestehen vor allem in Lähmungen
wichtiger Zentren, hervorgerufen durch entweder zu hohe Dosen, oder durch
Disposition im Gehirn, durch unreines Präparat etc. Die beiden wichtigsten
Lähmungen, die der Respirations- und Herztätigkeitszentren, sollen an anderer
Stelle behandelt werden.
Hier soll nur auf die Lähmungen anderer Gehirnabschnitte aufmerksam
gemacht werden, welche ebenfalls schwere Schädigungen des Organismus zur
Folge haben können. Ein Teil der Narkosenlähmungen ist auf eine zentrale
Lähmung der Nervenzentren durch die Chloroformwirkung zurückzuführen.
Es hat sich nämlich nach Chloroformnarkosen in den Ganglienzellen im
Gehirn Fettmetamorphose nachweisen lassen (Verf.). Nach längeren und
öfteren Chloroformnarkosen fand man in dem Protoplasma einzelner Ganglien-
zellen Fetttropfen von verschiedener Größe, Zahl und Anordnung. Vergleiche
Figur 91. Dieselbe stellt eine Zeichnung nach einem Präparat aus dem
Gehirn eines mit Chloroform narkotisierten Hundes dar. Gleiche Bilder und
solche, wo noch mehr Fetttropfen in den Ganglienzellen zu finden waren.
— 271 —
wurden stets nach Cbloroformuarkoseu bei den vom Verf. angestellteu Experi-
menten beobachtet. Hier soll. nur diese Abbildung ein oberfläcblicbes Bild
der Fettmetamorphose der Ganglienzellen des Gehirns geben.
Figur 91.
Gauglieuzelk'ii des Großhirns mit Fetttropfeu
im Protophx.sma nach Chloroformnarkose.
Es ist infolge dieser Befunde zu vermuten, daß in geeigneten Fällen
eine stärkere Fettmetamorphose in einzelnen Zentren eintreten kann, welche,,
sei es vorübergehend oder für immer, die Ganglienzellen schädigt, was eine
Lähmung der von den Zellen innervierten Körperteile zur Folge haben kann.
Das Chloroform besitzt eine besonders starke Tendenz, solche Fettmetamorphose
im Zerebrnm hervorzurufen.
Weiter hat man in den Wandungen der i^apillaren und größeren Ge-
fäße der Hirnmasse reichlich Fett in großen Mengen gefunden (Verf.). Dies
Fett war in Haufen in einzelnen Zellen der Wand gelegen, bewirkt eine Ver-
dünnung der Gefäßwand an dieser Stelle und größere Brüchigkeit. Somit
können einesteils Aneurysmen der Hirngefäße andererseits Berstungen der
Wand während der Narkose und Hämorrhagien in das Gehirn entstehen. Die
Aneurysmen können auch gelegentlich platzen und Apoplexie erzeugen. So-
mit kann man dunkle Fälle von plötzlichen Lähmungen vielleicht erklären.
Jedenfalls können diese Veränderungen in den Hirngefäßen dem Patienten
sehr gefährlich werden. Diese Einwirkung des Chloroforms auf das Gehirn
ist besonders gefährlich bei Leuten mit Arteriosklerose, alten Leuten etc..
Besonders günstige Momente für die Entstehung solcher Apoplexien werden
während der Narkose gegeben durch die Blutdrucksteigerung im Anfang, beim
Brechen, beim Atemanhalten im Exzitationsstadium. Die Gehirnhämorrhagiea
272
können nicht nur in der Narkose, sondern aucli noch nach derselben hervor-
gerufen werden, sie können besonders gefährlich werden bei Wiederholungen
von Narkosen.
Immerhin hat man die zentralen Lähmungen nach Chlorofoymnarkosen
selten beobachtet. Es mögen aber vielleicht manche raschen Todesfälle, manche
vorübergehenden Lähmung&n nicht als zentrale Veränderungen (Fettmetamor-
phose der Ganglienzellen und Hämorrhagien durch Ruptur der fettmetamor-
phosierten Gefäßwand) infolge der Chloroformwirkung erkannt worden sein.
Weit größere Bedeutung hat lür uns die Lähmung des Zentrums der
Herztätigkeit. Dieselbe tritt in mehrfacher Form auf. Zunächst beobachtet
man die Synkope ganz im Anfang der Narkose. Der Kranke, welcher die
ersten Atemzüge unter der Maske tut, sinkt plötzlich tot nieder, das Herz
steht still. Diese Herzsynkope entsteht wahrscheinlich entweder infolge einer
Trigeminusvagusreizung von der Nasenschleimhaut aus, oder durch Reizung
der Ausbreitungen des nervus laryngeus superior im Kehlkopf. Man hat
gegen diese Reizung von selten der Nasenschleimhaut empfohlen, die Schleim-
haut vor jeder Narkose zu kokainisieren (Gerster, Rosenberg etc.).
Einen anderen Vorschlag, diese Reflexsynkope zu verhüten, hat Gräfe
gemacht. Er gibt den Rat, die Nasenlöcher während der ganzen Dauer der
Narkose mittels einer von ihm ersounenen Klemmvorrichtung zu verschließen.
Er ist mit dem Erfolg dieser Methode recht zufrieden gewesen. Der Kranke
ist dabei gezwungen, nur durch den Mund zu atmen. Es fällt zwar der
Reflex von der Nasenschleimhaut aus weg, doch kann immer noch ein solcher
von der Kehlkopfschleimhaut aus erfolgen (nervus laryngeus super.). Doch
es ist dieselbe vielleicht weniger empfindlich, als die Nasenschleimhaut.
Eine weitere Ursache für die plötzliche Synkope im Anfang der Chloro-
formuarkose ist in einer Idiosynkrasie des Kranken gegen Chloroform gegeben,
ferner kann durch Unachtsamkeit auch eine so starke Überschwemmung des
Kranken mit Chloroform durch schnelles tiefes Atmen hervorgerufen worden
sein, daß die Menge des Chloroforms im Blut ausreichte, um das Zentrum
für die Herztätigkeit zu lähmen. Es gibt noch viele andere Nebenursachen,
die Aufgeregtheit des Kranken, den Shock etc., welche solche plötzliche
Lähmungen begünstigen, ja selbst herbeiführen können, und im Allgeni.
Teil schon erörtert sind, aber mehr oder weniger bei jeder Narkose in
Betracht kommen.
Das Chloroform besitzt als gefährlichste Eigenschaft eine ganz be-
sonders starke Wirkung direkt auf das Herz. Dieselbe tut sich kund in
Lähmungen der nervösen Zentra im Herzen selbst und in direkten Ver-
änderungen der Herzmuskelfaser. Die Zentren im Herzen selbst werden
durch das Chloroform leicht gelähmt durch zu große Dosen, die entweder aus
Unachtsamkeit des Narkotiseurs verabreicht, oder durch zu konzentrierte
Dämpfe und sehr tiefe Atmung bewirkt werden. Alle diese Ursachen der
plötzlichen Synkope durch direkte Lähmung der Herzzentren können und
müssen vermieden werden. Die dritte Ursache ist in verminderter Wider-
standskraft des Herzzentrums gegeben. Dieselbe wird hervorgerufen erstens
durch Erkrankungen des Herzens, welche vor der Narkose bestanden, z. B.
Fettherz, Myokarditis, Nervosität etc., oder durch Disposition, d. h. eine ver-
minderte Widerstandskraft gegen Chloroform allein bei sonst gesundem Herzen.
— 27:^
Durch alle solche Ursachen kauii plötzlich im Anfang- oder auch im weiteren
Bestehen der Narkose Synkope auftreten, und zwar tritt bei diesen Ursachen
meist der Tod sofort ein. Nur in den seltensten Fällen kann man hier die
Synkope durch die bekannten Maßnahmen, wie sie im Allgemeinen Teil ge-
schildert sind, bekämpfend, den Tod verhüten.
Die Wirkung des Chloroforms auf die Herzmuskelfaser besteht in der F e 1 1 -
metamorphose derselben (Tanger, Strafhnann, Fränkel, Nothnagel,
Bastianelli eto. Diese Veränderung ist die Ursache der meisten Todesfälle
nach der Chloroformnarkose, der Kranke geht seltener während der Inhalation
als in den Tagen nach derselben zugrunde (protrahierter Chloroformtod).
Es sind in solchen Fällen oftmals ganz kurze Narkosen vorhergegangen
(Vorderbrügge), es sind während derselben keine besonderen Unglücks-
fälle etc. vorgekommen, sondern die Narkosen sind ganz normal von statten
gegangen, und doch tritt am Ende der ersten 24 Stunden oder später plötzlich
rapider Kräfteverfall und Herzschwäche auf, die in kurzer Zeit zum Tode führt.
Bei der Sektion findet man neben anderen später zu schildernden Verände-
rungen anderer Organe im Herz ausgedehnte Fettmetamorphose der Fasern.
Das Fett findet sich in zwei Arten der Anordnung. Einesteils findet
das Fett sich in Haufen von feinen Tropfen in der Längsachse der Faser zu
beiden Polen des Kernes angeordnet, teils in feinen Tropfen über die ganze
Faser verteilt. (Verf.)
In den Abbildungen in Figur 92 und 93 finden sich die Verhältnisse
veranschaulicht. Figur 92 stellt einen Schnitt des Myokards eines Hundes,
der mit Chloroform narkotisiert worden war, dar. Man sieht daselbst das Fett
in feinen Tropfen zu beiden Polen der Kerne in länglichen Haufen angeordnet.
Figur 92.
Typische Fettmetamorphose der Herzmuskelfaser nach Chloroformnarkose.
Die Figur 93 bietet ein anderes Bild. Dieselbe zeigt einen Schnitt aiis
dem Herzen eines ebenfalls mit Chloroform narkotisierten Hundes, welcher
drei Narkosen innerhalb drei Tagen überstanden hatte. Hier sieht man, wie
die Herzmuskelfasern dicht mit feinen Fetttropfen gleichmäßig besetzt sind.
Es scheint die eine Form ein Stadium des Beginnes der Fettmeta-
morphose, die andere ein fortgeschritteneres Stadium zu sein. Die Quer-
streifung der Muskelfasern ist verwaschen und undeutlich, bisweilen hat man
auch Zerfall der Fasern gefunden (Straßmann, Unger, Fränkel, Vorder-
brügge, Verf. etc.). Diese schwere Schädigung des Herzens ist als reine
18
274
Chloroformwirkung aufzufassen, das Fett entsteht, nicht wie von einigen ange-
nommen worden ist, durch die vom Chloroform bewirkte Auflösung der roten
Blutkörperchen, sondern es entsteht aus den Muskelfasern durch Einwirkung
des Chloroforms auf das Protoplasma. Die Fettmetamorphose der Herzmuskel-
fasern ist wohl imstande, den Tod des Individuums zu bewirken, es kommen
aber noch ähnliche Veränderungen in anderen Organen in Betracht, welche
zusammenwirkend den Anlaß zu dem protrahierten Chloroformtod geben.
Die klinischen Symptome der Herzsynkope sind früher des näheren erörtert
worden, ebenso die Behandlung, Verhütung etc., so daß hier diese Sachen über-
gangen werden können, da das Chloroform in dieser Hinsicht keine Besonder'
heiten bietet.
Figur 93.
Fettmetamorphose des Herzeus nach mehrfachen Chloroformnarkosen,
Es gibt nun oft Bilder, wo man in demselben Präparat Muskelfasern der
ersten und solche der zweiten geschilderten Kategorie der Fettmetamorphose
findet.
Es ist nun von besonderer Wichtigkeit für die Entstehung der Fett-
metamorphose, wie das Herz vor der Narkose sich verhielt. Ein ganz gesundes
Herz wird nur wenig vom Chloroform durch eine Narkose geschädigt. Eine
geringfügige Alteration der Muskelfaser muß aber fast stets stattfinden, denn
wenn man z. B. bei einem Hund innerhalb 24 Stunden eine zweite Chloroform-
narkose der ersten folgen läßt, so findet man nach derselben ausgeprägte
Fettmetamorphose (Verf.). Dieselbe ist hochgradiger, als wie sie von einer
Narkose hervorgerufen werden kann, wie man aus Vergleichen mit Präparaten
nach einer Narkose sieht. Hieraus geht hervor, daß die auch nur in den ersten
geringsten Anfängen nach der einen Narkose bestehende Fettmetamorphose
durch Chloroform stark beeinflußt, vermehrt wird. Die nach einer Chloroform-
narkose bestehende geringe Alteration der Herzmuskelfaser genügt also, daß
eine erneute Narkose schwere Läsionen aus ihr erzeugt. Hinwiederum besitzt
die Fettmetamorphose auch im fortgeschrittenen Zustande große Tendenz
abzuheilen, sie ist in wenigen Tagen wieder verschwunden (Verf.). Aus
alledem geht hervor, daß die Wiederholung einer Chloroformnarkose innerhalb
24 — 36 Stunden Gefahren für das Herz in sich schließt. Es ist allerdings
— 275 -
auch hierin nicht ein Fall nach dem anderen zu beurteilen, es muß immerhin
eine gewisse Disposition des Menschen bestehen, soll durch wiederholte Narkosen
der Tod durch Fettmetaraorphose des Herzens hervorgerufen werden, wenn man
auch annehmen kann, gestützt auf Erfahrungen und Experimente, daß ein
gewisser Grad von Fettmetamorphose stets nach Chloroformnarkose im Herzen
hervorgerufen wird, so hat man doch vielfach auch beobachtet, daß Personen
viele Male in kurzen Intervallen chloroformiert wurden, ohne Schaden zu erleiden
(von Nußbaum, Heinz etc.). Hierbei kommt in Betracht, daß die normaliter
erzeugte geringe Alteration des gesunden Herzens sehr schnell abheilt.
Der Tod durch Synkope in und nach der Chloroformnarkose kann aber
auch durch manche andere Umstände hervorgerufen werden. So bilden eine
gewisse Gefahr für die Narkose der Status thymicus oder lymphaticus, das
Chloroform ist bei solchen Kranken durchaus kontraindiziert, da die infolge des
primären Leidens bestehende Aufregung des Herzens und des Nervensystems
durch die Chloroformwirkung gesteigert und leicht Todesfälle hervorgerufen
werden können (Paltauf, Kundrat).
Lesser hat für den Chloroformtod in der Narkose Gasblasen, die er
bei der Sektion im Blute fand, verantwortlich gemacht, indem durch deren
Ansammlung im Herzen die Klappen in ihrer Funktion gestört würden. Diese
Blasen sind aber Stickstoffgas, die jedenfalls als Leichenerscheinung aufzu-
fassen sind (Kappeier). Dieselben haben demnach keine Beziehungen zur
Chloroformwirkung. Pirogoff hat in einem Falle im Gefäßsystem Gasblasen
in größerer Menge während des Lebens nachgewiesen, durch die der Tod ver-
ursacht wurde. Dieser Fall ist aber einzig bis jetzt.
Neben diesen Verhältnissen spielt auch der Shock eine bedeutende Eolle.
Es ist z. B. bekannt, daß nervöse, aufgeregte, sehr ängstliche Personen plötzlich
durch Schreck an Herzsynkope zugrunde gehen können. So hat man auch
Fälle beobachtet, wo Personen beim Auflegen einer Maske ohne Chloroform
starben ohne einen Atemzug getan zu haben, wo Kranke bei kleinen Operationen
bei dem ersten größeren Schmerz ebenfalls tot zusammensanken, man denke
an jenen Todesfall bei der ersten Chloroformnarkose Simpsons. Ferner können
Synkopetodesfälle durch Reflexwirkung auftreten, indem der Operateur zu zeitig
beginnt, während das Stadium der Toleranz noch nicht eingetreten ist. Es
wird behauptet, daß selbst im Stadium der Toleranz solche Reflexwirkung
zustande kommen könne (Bornträger), so sei z. B. bei Zahnextraktionen
und Durchschneiden großer Nerven in tiefer Narkose Herzsynkope aufgetreten
direkt nach dem Hauptinsult auf den Nerven. Solche Fälle sind von Vigouroux,
Le Fort, Richardson, Sprengel, Vulpian etc. beobachtet worden.
J. Müller erklärt diese Fälle dadurch, daß noch ein Teil der Reflexe nicht
gelähmt sei, und er stellt diese Fälle im Vergleich mit der Erweiterung der
Pupille bei Laparatomien , die auch im Stadium der Toleranz zu beobachten
ist. Jedenfalls können solche Reize bei nicht vollkommener Narkose infolge
Shockwirkung eine Herzsynkope hervorrufen, vielleicht begünstigt dies gerade
die Chloroformnarkose und es mögen solche Fälle gewesen sein, wo auch das
Chloroform sehr schwere Schädigung der Herzmuskelfaser bewirkte, so daß das
Herz dem Shock nicht standhielt. Daß in vollkommener Narkose eine solche
Wirkung möglich ist, ist nicht anzunehmen. Man wird aber aus diesen Fällen
die Lehre ziehen, nicht vor Eintritt der Toleranz zu operieren.
18*
— 276 -
Eine Herzschädigung durch die Chloroformwirkung kann auch noch durch
andere Verhältnisse begünstigt werden, so spielt vor allem die Intoxikation
durch Kohlensäure und der Sauerstoffmangel dabei eine Rolle. Es ist
vor allem bei den früher üblichen Methoden der Narkose sehr oft eine direkte
Kohlensäurenarkose neben der Chloroformnarkose geleitet worden, unbewußt
natürlich, denn man ließ dem Kranken oft absichtlich wenig Luft neben dem
Chloroformdampf zuströmen, so trat zunächst Sauerstoffmangel und dann
Kohlensäureüberfluß auf. Mancher plötzliche Todesfall an Synkope mag diesem
Übelstand in der Methode zur Last fallen. Bei unseren jetzigen Methoden
trägt man diesen Umständen Rechnung und es werden bei einer gut geleiteten
Narkose heutzutage nie Kohlensäureintoxikationen eintreten.
Es ist von manchen eine Herzsynkope in der Chloroformnarkose
vollkommen geleugnet worden. Die Hyderabad-Kommission schließt aus
ihren an Tieren vorgenommenen Versuchen, daß die Respiration vor der Herz-
tätigkeit stets sistiere, daß also alle Synkopefälle auf Apnoe zurückzuführen
seien. Zur Begründung führt sie außer den zahlreichen Tierexperimenten die
Angaben des indischen Chirurgen Syme an, welcher bei 45000 Chloroform-
narkosen nicht einen Todesfall an Synkope hatte. Derselbe hat aber nur die
Respiration genau beobachtet und die Herztätigkeit vernachlässigt. Obwohl die
Hyderabad-Kommission bei einigen Fällen nach dem Herzstillstand noch
Atembewegungen beobachtete, leugnet sie doch die Möglichkeit eines Herztodes
vollkommen, indem sie die Atembewegungen als Zwerchfellkrämpfe auffaßt.
Dem entgegen stehen die Beobachtungen des englischen Chloroform-
komitees und Schmeys, welche nach ihren Tierexperimenten üic Herz-
synkope als Todesursache annehmen. Kappeier tritt entschieden für den
Herztod ein, da eine direkte Einwirkung des Chloroforms auf den Herzmuskel
außer Zweifel nachgewiesen ist. Kappeier ist der Ansicht, daß jeder
Chloroformtod, der seinen Ausgang von der Respiration nimmt, ein Tod infolge
Asphyxie im Sinne Richats ist, nämlich ein Tod infolge Überladung des
Organismus mit Kohlensäure. Der Stillstand der Atmung sei hier ein ohne
durch Störungen in derLungentätigkeit vorher angezeigter plötzlich eingetretener
Tod, eine reine respiratorische Synkope. Mit der größeren Zahl der Chloroform-
todesfälle zeige sich, daß der gleichzeitige Stillstand der Herz- und Respirations-
tätigkeit oder der primäre Herzstillstand mit bald früher, bald später nach-
folgendem Stillstand der Atemtätigkeit den primären Stillstand der Respiration
bei weitem an Zahl übertrifft. Man hat die Lähmung des vasomotorischen
Zentrums durch die Chloroform Wirkung festgestellt, durch die Experimente
Kroneckers und Schmeys ist die Lähmung des im Herzen selbst sich
befindenden Koordinatioussystemes für die Herzkammerbewegung durch das
Chloroform bewiesen worden, Francois Frank und viele andere haben die
direkte schädigende Einwirkung des Chloroforms auf die Herzmuskelfaser
deutlich gezeigt, Winogradoff hat endlich den Beweis von der schädlichen
Wirkung des Chloroforms auf die Herzganglien erbracht. Bei alledem und noch
bei dem Anspruch, den die Krankheit des zu operierenden Menschen, Blut-
verlust etc. an die Herztätigkeit stellt, wird man wohl einsehen, daß ein
gesundes Herz, um vielmehr ein vielleicht vorher erkranktes, durch die
Chloroformwirkung wird zum Stillstand gebracht werden können. Es wird sich
schwer entscheiden lassen, ob in manchen Fällen die Respiration vor der
Herztätigkeit gelähmt war, es wird oftmals gleichgültig sein es zu wissen,
aber es besteht die Möglichkeit eines primären Herztodes ebenso, wie die der
Eespirationslähmung.
Aus diesen Betrachtungen ersieht man, wie gefährlich das Chloroform
für das Herz werden kann. Auch die Lungen und die Respirationstätigkeit
wird in vielen Fällen schwere Schädigungen erleiden können. Es besteht, wie
im vorigen schon bemerkt ist, in der Chloroformnarkose die Gefahr der
— 277 —
Lälimuui,'' des Kesiiirationszeutrums in der MeduUa oblongata, die schwerste
Schädij^uug bezüglich der Lungentätig-keit durch die Chloroformwirkuiig.
In dem Folgenden sollen zunächst die Beziehungen der Chloroform-
'wirkung zur Lunge, die sich meist in Apnoe äußern, des genaueren gewürdigt
werden. Die Symptome etc. sind im Allgemeinen Teile eingehend behandelt,
hier soll nur noch einiges hinzugefügt werden, das für das Chloroform
charakteristisch ist.
Die Apnoe infolge der Chloroformwirkung kann auf mehrere Arten ent-
stehen, zunächst als die Folge zu hoher Chloroformdosen, wenn entweder
durch Unachtsamkeit des Arztes zuviel Chloroform, d. h. zu hoch konzentrierte
Chloroform-Luftgemische dem Kranken verabreicht wurden, oder der Ki'auke,
sei es, weil er vorher die Luft angehalten, sei es aus anderem Grunde,
plötzlich tief und ausgiebig inspiriert, und so zuviel Chloroform auf einmal
in die Medulla oblougata, vielmehr in zu hoher Konzentration im Blute ge-
löst, gelangt, in Mengen jedenfalls, welche genügen, das Kespirationszentrum
sofort zu lähmen. Andere Ursachen für plötzlich eintretende Apnoe sind ge-
geben in einer verminderten Widerstandskraft der Ganglienzellen im Zentrum
der Lungeutätigkeit. Infolge irgendwelcher uns unbekannter Momente können
die Zellen des Atemzentrums von den zur Narkose unbedingt erforderlichen
Mengen des Chloroforms, ja von noch geringeren gelähmt werden. Ein
anderer Grund ist vielleicht auch darin zu finden, daß die Ganglienzellen des
Atemzentrums durch das Chloroform während einer normal und regelmäßig
verlaufenden Narkose eine Fettmetamorphose erleiden. Derartige Fettmeta-
morphosen sind in den Ganglienzellen nachgewiesen worden (Verf. etc.). Es
finden sich im Protoplasma der Ganglienzellen Fetttropfen in verschieden
großen Mengen, Tropfen und größere Ballen. So kann während einer
Chloroformnarkose in den Zellen des Atemzentrums eine derartig starke Fett-
metamorphose erzeugt werden, die genügt, während der Dauer der Betäubung
plötzlich die Atmung zu lähmen; oder die Veränderung ist nicht so hoch-
gradig, daß noch während der Narkose der Tod eintritt. Dann heilt die Fett-
metamorphose entweder nach der Narkose ab, oder schreitet trotz Sistierens
der Chloroformzufuhr fort und führt nach einigen Tagen zum Exitus. Folgt
in solchen Fällen eine zweite Narkose innerhalb der Zeit, wo die Restitutio
ad integrum noch nicht eingetreten ist, so kann bei Beginn oder im Verlauf
derselben der Tod durch Apnoe auftreten, da die Fettmetamorphose nun stark
vermehrt wird. Diese Verhältnisse sind zweifellos oftmals bei wunderbaren,
unvorhergesehenen Todesfällen maßgebend gewesen. Ein anderer Grund plötz-
licher Apnoe in der Narkose kann auch in Verunreinigungen des Chloroforms
zu finden sein. Darüber wird weiter unteu gesprochen werden.
Ein großer Teil der Apnoen in der Chloroformnarkose kommt durch
Kohlensäureintoxikation zustande. Kappe 1er hält jede Apnoe dadurch für
hervorgerufen. Dies ist nun nicht der Fall. Doch, namentlich in früheren
Zeiten, als man die Narkosenwissenschaft noch nicht so gut studiert hatte,
wie heute, werden viele Todesfälle an Apnoe durch Kohlensäureintoxikation
bewirkt worden sein (Richat). Dieselben entstehen dadurch, daß dem
Kranken zu wenig Sauerstoff neben dem Chloroform zugeführt, und ihm die
Exspirationsluft immer wieder mit neuen Chloroformmengen gemischt ver-
abreicht wird. Dadurch wird der Kranke zunächst unter Sauerstoffmangel
— 278 —
und bald unter Kohleusäureintoxikation gesetzt. Die Kohlensäure wird mit
der Zeit der weiteren Narkose immer stärker in den Lungen und im Blute
konzentriert, und so kann sie endlich genügend sein, um das Atemzentrum zu
lähmen, oder sie wird plötzlich so gesteigert, sei es durch Verlegen des Atem-'
traktus, Atemanhalten etc., daß sie ebenfalls genügend ist, um den Tod zu
verursachen. Es kommt zweifellos begünstigend für die Lähmung des Atem-
zentrums durch die Kohlensäure die Chloroformwirkung hinzu und es ist
schwer abzuwägen, welche ausschließlich die Apnoe verursachte, jedenfalls wird
in solchen Fällen oft die Kohlensäurewirkung den Ausschlag gegeben haben.
So sieht man deutlich, wie das Chloroform dem Menschen gefährlich
werden kann auf verschiedene Art wirkend und immer das gleiche Resultat
erzeugend. Es bestehen aber noch andere Einwirkungen des Chloroforms auf
die Atmungsorgane, die weniger gefährlich quo ad vit\am als qwo ad valitudinem
werden können.
In den Lungen findet man nach Chloroformnarkosen, namentlich nach
wiederholten, eine ausgedehnte Fettmetamorphose der Zellen des respiratorischen
Epithels. In den Zellen der Alveolen, denen der Broncheoli und selbst den
Zylinderepithelzellen der großen Bronchien finden sich reichlich feine bis
große Fetttropfen, oft in großer Anzahl die Zellen anfüllend (Verf.). Diese
Fettmengen sind zweifellos durch die Chloroformwirkung erzeugt. Die Zellen
sind in ihrer Lebensfähigkeit arg geschädigt. Diese Schädigung der Zellen,
die für den Gasaustausch besonders wichtig sind, wird zweifellos für den
ganzen Organismus bedeutend sein, es wird zu mangelhafter Reinigung des
Blutes kommen können, ein Sauerstoffmangel und Kohlensäurereichtum des
Blutes wird die Folge sein, der wohl viel mit zu dem Unbehagen, Kopf-
schmerz etc. nach der Chloroformnarkose beitragen wird. Diese Veränderung
der Lungenepithelien heilt bald ab, nach einigen Tagen nach der Narkose ist
kein Fett mehr zu finden. Sie wird aber auch für die Entstehung von
Pneumonien begünstigend in die Wagschale fallen, eventuell aus den oberen
Luftwegen in die Alveolen gelangte Schleimmassen mit Bakterien versehen,
werden in den Alveolen den Anlaß für Lungenentzündungen geben, die er-
krankten Epithelien werden das Wachsen und Eindringen der Bakterien nicht
verhindern können, wenigstens nicht in dem Maße, wie es gesunde Zellen
vermögen. Somit ist auch die Fettmetamorphose in den Zellen des respi-
ratorischen Epithels von großer Bedeutung.
Was nun die vermehrte Schleimabsonderung anlangt, so ist dieselbe
zweifellos durch Chloroform hervorgerufen und dieselbe ist vorhanden. Aller-
dings ist dieselbe nicht sehr hochgradig. Die Schleimljäute der Bronchien
und der Trachea sondern zweifellos in der Chloroformnarkose mehr Schleim
ab als im Leben. Es spielen dabei auch hier Disposition und ev. Erkrankungen
in den Aterawegen begünstigende Momente. Es läßt sich die vermehrte
Schleimabsonderung in den Lungenalveolen mikroskopisch nachweisen. Die-
selbe ist bei Chloroform am geringsten im Vergleich zu anderen Narkotika,
vor allem geringer als bei Aether sulfuricus und Aether bromatus.
Wie oben schon bemerkt wurde, hat man von manchen Seiten den Tod
in der Narkose nur durch Lähmung des Atemzentrums entstehen lassen und
die Herzsynkope vollkommen geleugnet, ße vera bestehen beide Todesarten
nebeneinander, wie aus den obigen Erörterungen hervorgeht.
— 279 —
Wood hat versuclit, durch Experimeute diese Fraise zu löseu, und
l'aiid, daß bisweilen die Atmung- zuerst stillstand, bisweilen zuerst die Herz-
tätigkeit, und die Atmung dauerte nocli bis zu 2 Minuten an nach dem Herz-
stillstand. Interessant ist es zu untersuchen, wie oft beide Todesarten ein-
treten. Man hat bei solchen statistischen Untersuchungen gefunden, daß die
Synkopetodesfälle ungefähr doppelt so oft auftraten, als die Apnoetodesfälle.
Früher war das Verhältnis ein anderes, weil mau da die Wirkung des Chloro-
forms auf das Herz noch nicht so gut kannte wie heute, und eine große An-
zahl Apnoefälle für Herztodesfälle hielt. Aus folgenden Zahlen geht hervor,
wie die Ansichten sich geändert haben.
Es beobachtete z. B.
Sabbarth im .Jahre 1866 auf 1 Apuoefall 0,3 Herzsynkopetodesfälle
Kappeier ,, „ 1880 „ 1 „ 1,3 „
Bornträger,, „ 1890 „ 1 „ 3.8 „
Djakonow „ „ 1891 „ 1 „ 3,0. „
Man beobachtet also in der neueren Zeit bei weitem mehr Herzsynkope-
fälle. Eine Statistik aus der neuesten Zeit ergibt ein ganz ähnliches Ver-
hältnis, es kommen auch jetzt wenigstens doppelt bis 3 mal soviel Synkope-
ais Apnoefälle vor. Es ist ja in vielen Fällen nicht möglich, genau fest-
zustellen, ob zuerst die Atmung oder die Herztätigkeit sistiert. Durch die
neueren Untersuchungen über die Chloroformwirkuug hat man gelernt, daß
viele Todesfälle, namentlich nach der Narkose, die man früher nicht zu den
Cbloroformtodesfällen zählte, der Chloroformwirkung zur Last gelegt werden
müssen. Somit zeigen die neueren Statistiken mehr Todesfälle im allgemeinen
und mehr Herzsynkopefälle im besonderen, die durch Chloroform bewirkt
werden. Viele der am 1. — 3. Tage und später an den Folgen der Narkose
eingetretenen Todesfälle wurden früher nicht mit in die Statistik aufgenommen.
Daher sind auch die allgemeinen Statistiken des Todes infolge der Chloroform-
wirkung mit den Jahren bedeutend anders geworden. Dies soll weiter unten
des genaueren erörtert werden.
Es erübrigt jetzt noch einige Betrachtungen in aller Kürze über die
weiteren Gefahren, die der Lunge durch Chloroform entstehen können, an-
zuschließen. Es kommt hier vor allem die Fähigkeit des Chloroforms, sich
zu zersetzen, in Betracht und vor allem die Zersetzung der Chloroformdämpfe
bei einer offenen Flamme, wie Gas-, Petroleum- und Kerzenlicht. Man beob-
achtete bei Chloroformnarkosen längerer Dauer in einem mit offener Flamme
beleuchteten Räume, daß ein starker Hustenreiz sowohl der Arzte und Pfleger,
als besonders auch des Kranken eintrat (Fischer, Röttschau, Bossart,
Zell er etc.). Weiter verspürten die Personen ein Oppressionsgefühl im Kopfe,
Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen.
Röttschau berichtet unter anderem im Jahre 1889 von solchen Beob-
achtungen und schildert sehr starke Beschwerden, die er an sich wahrgenommen,
wie heftigen Hustenreiz, Brechreiz, ja selbst Ohnmachtsanfälle etc. Aehnliche
Beobachtungen waren von Stobwasser, Meyer und anderen gemacht, welche
der Meinung waren, daß die Gase der Lampen mit den Chloroformdämpfen
Stoffe erzeugten, welche die intensivsten Reize auf Lungen und Kehlkopf,
Brechreiz und Kopfschmerzen neben allgemeiner Uebelkeit hervorriefen. Man
hatte beobachtet, daß der starke Hustenreiz wegfiel, wenn die Personen das
Zimmer, in dem die Narkose stattfand, verlassen hatten. Aehnliche Berichte
wurden auch von anderen laut. Iterson beobachtete in Lej^den schwere
plötzliche Asphyxie bei Chloroformnarkose in einem Raum, in dem wegen der
unzureichenden Heizanlage mehrere Gasflammen an besonders kalten Tagen
zur Erwärmung während der Narkose angezündet worden waren. Er berichtet
von einem Todesfall in der Narkose, für den er die aus den Chloroform- und
Gasflammengasen entstehenden schädlichen Stoffe verantwortlich macht.
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Zweifel, Roseuberger, Schönborn, Hofmeier berichten von Kranken,
die laparatomiert wurden in Cliloroformnarkose in Gegenwart von Gasfiammen
und die schweren Hustenreiz, selbst katarrhalische Pneumonien bekamen,
während Kranke, die die gleichen Operationen in Chloroformnarkosen ohne offene
Beleuchtung überstanden, keine Lungenkrankheiten aufwiesen.
Man wandte daher diesen Verhältnissen seine besondere Aufmerksamkeit zu,
imd versuchte die Gase zu bestimmen, die unter Einwirkung von Chloroformdämpfen
auf offene Flammen entstehen. Benhard fand Phosgengas (Chlorkohlenoxyd,
C CI2 0), Salzsäuregas (H Ci) und freies Chlor nebst einigen anderen Stoffen.
Dasselbe wurde von Stapp, Schmiedeberg, Ramsay, Schumburg u. a.
gefunden, während Rudolph durch eingehende Untersuchungen nachwies, daß
Chloroformdämpfe im glühenden Teile einer Flamme meist in Salzsäure über-
gehen, während nur wenig Chlor frei wird, die anderen Stoffe, wie Phosgen,
Kohlenoxydgas , Essigsäure, Ameisensäure etc. nur in ganz geringen, kaum
nachweisbaren Mengen entstehen. Diese Menge von Salzsäuredämpfen genügt
nun vollkommen, um derartig schwere Schädigungen der Respirationsorgane
hervorzurufen. Mau hat nachgewiesen, daß ein Mensch in einem Luftgemenge,
das 0,01 — 0,05'7oo Salzsäuredämpfe enthält, tätig sein kann, aber die genannten
üblen Folgen verspürt (Matt, Lehmann, Rudolph etc.), während man bei
mehr als 0,0.5%(, Salzsäuregehalt nicht existieren kann. Wenn nun in einem Raum
von 100 cbm Inhalt, wie es ein gewöhnliches Operationszimmer ungefähr dar-
stellt. 10 ccm Chloroform bei Gaslicht zersetzt werden, so erhält die Luft
0,059**/ 00 Salzsäuredämpfe beigemengt (Rudolph). Wenn man nun bedenkt, wieviel
mehr Chloroform oftmals zersetzt wird, so muß man sich wundern, daß nicht
öfter solche Schädigungen der Lungen entstehen. Dies wird erklärlich, wenn
man erwägt, wie doch in solchen Räumen die Ventilation sehr gut funktioniert
und viel der Dämpfe der Salzsäure entlernt, sowie daß diese Dämpfe, die im
Zimmer verbleiben, von der großen Menge von Wasser, Feuchtigkeit der
Luft etc. gebunden, wenigstens zum größten Teil gebunden werden, so daß
man sie nicht oft bemerke. Sie werden sofort lästig, wenn der Raum klein,
schlecht ventiliert ist und wenn sehr trockene Luft und wenig sonstige feuchte
Gegenstände darin sind. Diese üblen Gase entstehen nicht, wenn im Zimmer
elektrische Glühlampen verwandt werden, während Bogenlicht keinen Schutz
gewährt. Auch die Nernstlampe und ähnliche können dem Uebelstande der
Salzsäureproduktiou abhelfen.
Mit diesen Schädigungen der Lungen und des Herzens ist aber die Ge-
fahr der Chloroformwirkung für den Menschen noch nicht erschöpft, es lassen
sich noch schwere Veränderungen pathologischer Natur in verschiedenen
anderen Orgauen nachweisen. Zunächst ist es die Leber, der wir unsere Auf-
merksamkeit schenken wollen. Die Veränderungen die sich in der Leber
finden, bestehen in Fettmetamorphose, Nekrose und Zerfall der Leberzellen
(ünger, Ostertag, Straßmann, Fränkel, Bastionelli, Bandler, Saleu,
Wallis, Nachod, Marthen, Schenk, Cohn, Luther, Wunderlich,
Vorderbrügge, Verf. etc.).
Es findet sich namentlich bei jenen Personen, die in oder nach der
Chloroformnarkose gestorben sind, in den Leberzelleu sehr viel Fett in feinen
bis großen Tropfen im Protoplasma, so daß der Kern oft vollkommen verdeckt
wird. Nebenbei sieht man in den Interstitien und den Bindegewebsmaschen
reichlich Fett, oft in großen Klumpen, oftmals liegt hier das Fett auch in den
Gefäßen oder Gallengängen und füllt stellenweis die Gänge aus, so daß man in
mit Flemmingscher Lösung behandelten Präparaten schwarze Ausgüsse
von Teilen solcher Gefäße etc. sieht. In Figur 94 findet man einen Schnitt
aus der Leber nach Chloroformnarkoseu , in dem die obengeschilderten Ver-
hältnisse klar zu sehen sind.
Leber nach Chloroformiiarkosen mit Fett als scliAvarzen Tropfen in den Leber-
Zellen und in den Interstitien, oft Ausgüsse von Gefäßen formend.
Die Fettmetamorphose ist verschieden stark in der Leber. In dem Zentrum
der Acini ist sie geringer, während sie in den peripheren Teilen weit hoch-
gradiger, oft in Nekrose und Zerfall der Leberzellen übergehend, sich findet
(siehe Figur 95).
Figur 95.
Leber nach Chloroformnarkose. Fett in schwarzen Punkten, mehr in
der Peripherie, weniger im Zentrum der Acini sichtbar.
So sieht man in den Präparaten, in denen das Fett aufgelöst ist,
Stelleu, wo noch guterhaltene Leberzellen, solche, wo reichlich Zerfall und
Nekrose sich finden, namentlich bei schwacher Vergrößerung deuten sich die
Stellen, wo Nekrose besteht, durch hellere Färbung an und bei stärkerer Ver-
größerung sieht man in dem Zentrum der Acini die Leberzellen erhalten, doch
bemerkt man in dem Protoplasma zahlreiche rundliche Hohlräume, die Stellen,
in denen das Fett sich befand, das aufgelöst ist. In der Peripherie sieht
— 282 —
man selten noch einzelne LeberzeUen, nur Balken von Zellen, deren Konturen
gar nicht mehr zu erkennen sind, liegen in einer Menge von Detritus mit
Kernen, Blutkörperchen und Bindegevrebe. Auch hier sieht man große Hohl-
räume, wo Fettballen sich befanden. Diese Bilder, die sich in Figur 96 u. 97
Fiijur 'lß.
Leber, das Fett ist aufgelöst, es zeigen sich nur noch Fellbalken mit undeut-
lichen Kernen, daneben viel Blutkörperchen und Zerfall, freie Kerne und
schollig zerfallenes Protoplasma. Leber nach zvpei Chloroformnarkosen.
Fiffur 97.
Leber mit Nekrose und Zerfall der Leberzellen nach Chloroformnarkosen.
Stellenvreis finden sich noch erhaltene Leberzellen, daneben Detritis, freie Kerne,
Blutkörperchen, abgestorbene Zellen. Das Fett ist aufgelöst.
"wiedergegeben finden, habe ich nach Präparaten von mit Chloroform narkotisierten
Hunden gezeichnet. Sie sind von anderen Forschern durch deren Beobachtungen
am Menschen bestätigt worden. Diese hochgradigen Veränderungen der Leber,
die oftmals kaum noch Leberstruktur zeigen, — die Zellen sind meist trübe, die
Konturen sind undeutlich, verwaschen, nicht zu sehen, das Protoplasma ist von
Fetttropfen erfüllt, an vielen Stellen zeigt sich hochgradige Nekrose, — müssen
natürlich auf den Organismus sehr schädigend quo ad vitam einwirken. Man
— 28:5 —
hat auch am Menschen derart hochgradige Veränderungen der Leber nachgewiesen,
so heschreibt Bandler einen Fall von akuter gelber Leberatrophie nach
Chloroformnarkose, andere Fälle sind von Stocker, v. Erlach u. a. mehr
beschrieben worden. Daß auch gelegentlich in der Leber nach Narkosen
Fettmetamorphose, wenn auch nur im beginnenden Zustand, auftritt,
darauf deuten die vielen Fälle, wo nach Chloroform Ikterus in akuter, bald
schwindender Form beobachtet wurde (Bastionelli, Bandler, Stocker,
Ostertag etc.).
Es ist nun von einigen Seiten bezweifelt worden, daß das Fett in den
Leberzellen entstehe, Ostertag hielt die Fettansammlung in der Leber für
Fettinfiltratiou, andere wollten Fettdegeneration und Fettiufiltration zugleich
wahrnehmen. Straßmaun hat durch eingehende Versuche eine Fettmeta-
morphose nachgewiesen. Nach den von mir angestellten Versuchen an Tieren
ist es zweifellos eine Fettmetamorphose. Die Bilder, die sich in sehr hoch-
gradigen Stadien, wo man ganze Ausgüsse von Gefäi3en mit Fett findet, auf-
weisen, lassen ja den Verdacht aufkommen, daß eine Fettinfiltration bestehe,
oder wenigstens zu gleicher Zeit stattfinde, doch dies ist nur eine Täuschung,
da das Fett in den Interstitien, Gefäßen etc. aus den zerfallenen Leberzellen
stammt. Wo kein Zerfall, findet sich auch das geschilderte Symptom nicht.
Es hat sich bei meinen Versuchen gezeigt, daß nach jeder längeren
Chloroformnarkose in den Leherzellen sich eine beginnende, wenn auch noch
ganz geringe Fettmetamorphose schon nachweisen läßt. Narkotisiert man einen
Hund, an dessen Leber man durch Resektion eines Stückes Leber eine
beginnende Fettmetamorphose als Folge der ersten Narkose nachgewiesen hat,
nach 12 — 24 Stunden nochmals mit Chloroform und entnimmt nach der zweiten
Narkose wiederum ein Stück Leber, so sieht man jetzt bedeutend fort-
geschrittenere Fettmetamorphose. Nach einer weitereu Narkose ist das Bild
noch hochgradiger. Es geht aus diesen Experimenten mit Evidenz hervor,
daß erstens Chloroform stets eine geringe Schädigung der Leberzelleu hervor-
ruft, zweitens die beginnende Fettmetamorphose durch eine neue Chloroformnarkose
bedeutend verschlimmert wird. Diese Fettmetamorphose besitzt hingegen
eine große Tendenz zur Heilung, denn wenige Tage nach einer Reihe von
Chloroformnarkoseu findet mau die Leber wieder normal, es zeigt sich kein
Fett mehr, die etwa zerfallenen Zellen sind ersetzt. Dies zeigte sich bei einem
Hund, welcher nach zwei Narkosen eine starke Fettmetamorphose mit beginnender
Nekrose der Leberzellen erlitten hatte*), nach Verlauf von 3X24 Stunden nach
der letzten Chloroformnarkose. Die Leber war wieder normal. Es gehen
natürlich auch jene Tiere, wo die Veränderungen zu fortgeschritten, die
Nekrose zu ausgedehnt war, nach der Narkose zugrunde. Bei einer mäßigen
Fettmetamorphose aber, selbst wenn auch schon Nekrose im Beginn vorhanden
war, geuaßen die Tiere wieder schnell. Die Veränderungen nach einer Narkose
längerer Dauer sind stets nach drei Tagen so weit geheilt, daß eine Schädigung
einer weitereu Narkose nicht schwerere Veränderungen in der Leber erzeugt,
als eine einmalige Narkose am gesunden Tier. Es besteht also starke Neigung
zur Regeneration, zur Heilung. Deshalb erlebt man auch weniger Todesfälle
nach Narkosen als man aus den anatomischen Veränderungen erwarten müßte.
Die Experimente an Hunden kann man bis zu einem gewissen Grade
auf den Menschen direkt übertragen. Anders steht es mit anderen Tieren, es
bestehen unter den einzelnen Tierarten sehr verschiedene generelle Unter-
schiede hinsichtlich dem Verhalten der Organe gegenüber der Chloroform-
wirkung (Ostertag, 0 verton etc.).
Daß diese Veränderungen in der Leber schwere schädigende Momente
für das Leben darstellen, muß immerhin anerkannt werden. Denn eine Menge
von Todesfällen sind dem Chloroform zur Last zu legen, und stets findet man
bei den Leichen der an Chloroformwirkung gestorbenen Menschen die geschilderte
*) Es wurde operativ ein Stück Leber reseziert und untersucht.
— 284 —
Leberfettmetamorphose. Ganz analog- den Verhältnissen in der Leber spielen
sich Prozesse in den Nieren ab (Unger, Ostertag, Straßniann, Nachod,
Bandler, Bastionelli, Marthen, Schenk, Cohn, Luther, Wunderlich
>
Rindskopf, Eisendraht, Rast, Mestor, Vorderbrügge, Verf. etc.).
Es finden sich ausgedehnte Fettmetamorphose in den Epithelien der Niereu
bei allen Chloroformtodesfällen. Die Fettansammlung ist nach den Versuchen
verschiedener Autoreu in den Epithelien der gewundenen Harnkanälchen stärker
als in den der geraden (Verf. etc.). An den Versuchen vom Verf. fanden
sich nach einer Narkose in den Epithelien der Henleschen Schleifen feine
Eetttropfen stets vor, während in den anderen Teilen der Nieren noch kein
Fett zu finden war. Nach einer weiteren Narkose war eine weit ausgedehntere
Fettmetamorphose in den Nierenepithelien zu finden, es zeigte sich beginnender
Zerfall der Zellen in den Harnkanälchen, sehr viel Fett im Protoplasma der
Epithelien. Die Nekrose war wenig, oftmals gar nicht in den Pyramiden, reichlich
in den Henleschen Schleifen. An den Glomeruli fand sich meist kein Fett,
bisweilen nur wenig feine Tropfen. Das Fett fand sich in feinen bis großen
Tropfen, in den Epithelien sehr viele der Zellen ganz anfüllend. Meist beob-
achtet man an den Nieren, namentlich in der Rinde, starke Veränderungen.
Viel Fett und Nekrose der Epithelien. Bei schwacher Vergrößerung sieht man
oft das Fett in schwarzen Streifen und Flecken, welche bei stärkerer Ver-
größerung ganz mit großen Fettballen erfüllte Harnkanälchen repräsentieren.
Diese Verhältnisse zeigt die Abbildung in Figur 98.
Fio-ur 98.
Niere nach Chloroformnarkosen mit schwacher Vergrößerung betrachtet. Die
schwarzen Flecke stellen stark fettmetamorphosierte Harnkanälchen dar. Das Fett
ist daselbst in großen Mengen und Klumpen, in dem andern Niereugewebe ist das
Fett in feinen Tropfen und deshalb bei dieser Vergrößerung nicht sichtbar.
In den Figuren 99 und 100 zeigen sich die Verhältnisse wie oben
geschildert. In Figur 99 sieht man in den Epithelien feine Fetttropfen in teils
geringen, teils großen Zahlen. Hier sieht man noch geringere Einwirkung des
Chloroforms, die Zellen sind noch erhalten, die Konturen sind zwar etwas
verwaschen, doch noch sichtbar. (Siehe Figur 99 S. 285).
Anders verhält es sich mit dem Präparat, das in Figur 100 abgebildet
ist. Hier sieht man ausgedehnte Nekrose und Zerfall der Zellen, während
normal erhaltene Zellen nicht in dem Bilde zu sehen sind. Die Zellen sind
größtenteils in homogene Protoplasmahaufen verwandelt, in denen Kerne und
— 285 —
zerfallene Kerne mit Fettkltimpen zerstreut sind. Zellgrenzen sind nur ange-
deutet. (Siehe Figur 100 S. 285.)
Diese Veränderungen in den Nieren sind in ebendemselben Maße auch
nach Narkosen mit Chloroform am Menschen beobachtet worden und tragen
mit zu dem Symptomenkomplex der Chloroformwirkung bei. Es ist nuu
Fi2ur 99.
Niere nach Chloroformnarkose. Feine Fetttropfen in den Epithelien.
Keine Nekrose.
Figur 100.
Niere nach Chlorofornmarkosen.
Das Fett ist in schwarzen Tropfen sichtbar. Die Epithelien der Harnkauälchen
zeigen hier starken Zerfall, die Zellgrenzeu sind verschwunden, undeutlich,
freie Kerne. Die Harnkanälcheu im Bild sind stellenweis vollkommen in
Nekrose, stelleuweis noch erhalten.
anzunehmen, daß gewisse Läsionen oder Störungen der vitalen Lebensverhältnisse
an den Nieren epithelien nach jeder Chloroformnarkose auftraten, mehr oder
tveniger intensiv, wie man aus den vielfachen Befunden von Eiweiß, Blut,
— 286 —
Zylindern und Epithelieu im Harn uacli Cliloroformnarkoseu, ferner aus dem
Befunde von Fett nach langen Chloroforinnarkosen in den Nierenepithelien,
schließen kann. Allein, es müssen gewisse Vorbedingungen erfüllt sein, damit
ein solches Bild sich entfalten kann. Dazu rechnet man vor allem die Disposition
des betreffenden Organismus, und weiter schwere Erkrankungen, die Verände-
rungen in den Nierenepithelien an sich schon bedingen, schwere langanhaltende
Blutungen vor der Narkose, Nierenentzündungen etc. Diese Zustände bilden
zweifellos günstigen Boden für die Entstehung der Fettmetamorphose auch in
den Nieren.
An anderen Organen ist gelegentlich der allgemeinen Fettmetamorphose
auch Fett gefunden worden, so in der Milz, in den Epithelieu der Magen»
Schleimhaut, in der Zwerchfellmuskulatur, in den Bauchmuskeln, in der Aorta,
in den Nebennieren etc. Die Fettmetamorphose ist aber in allen diesen Organen
gering und von geringerer Bedeutung für den Organismus.
Alle diese beschriebenen und eingehend geschilderten Veränderungen iu
den parenchymatösen, inneren Organen bilden zusammen den Sj'^mptomenkomplex
der Chloroformwirkung und meist den des protrahierten Chloroformtodes. Dieser
sogenannte protrahierte Chloroformtod ist die Folge von einer oder auch nur
von einer kurzen Narkose, bisweilen auch von mehreren innerhalb weniger
Stunden oder Tage wiederholten Chloroformierungen. Mau hat den Tod nach
einer kurzen Narkose innerhalb weniger Stunden auftreten sehen, obwohl die
Narkose keine Unregelmäßigkeiten in ihrem Verlaufe geboten hatte, man hat
aber auch noch nach 1 — 2 Tagen dessen Eintritt erlebt. Gerade in den
meisten Fällen bemerkt man während der Narkose keine Unregelmäßigkeiten,
meist auch hat man an den Personen vorher keine begünstigenden Momente
oder Krankheiten nachweisen können, denn dann wäre es ja unverantwortlich
leichtsinnig, eine Chloroformnarkose einzuleiten, wenn man eine üble Einwirkung
erwarten könnte. Worin in diesen Fällen das begünstigende Moment beruht, ist
nicht bekannt, deshalb hilft man sich mit dem Ausdruck Disposition. Man
sagt, der Kranke war für Chloroform zuwenig, oder abnorm wenig wider^
standsfähig, d. h. für üble Chloroformnach Wirkung disponiert.
Wie oben schon auseinandergesetzt wurde, unterscheidet man bei dem
Chloroformtod im allgemeinen zwei Todesarten, Synkope und Apnoe. Es
ist schon im allgemeinen Teil über beide Todesarten geschrieben worden,
Dieselben treten während und nach der Narkose ein. Die während der Narkose
eintretenden Todesfälle können oftmals von zu großen Chloroformgaben hervor-
gerufen werden. Dies ist ein Ereignis, welches nie vorkommen dürfte. Es
sind früher die Symptome, die sich vor einer nahenden Apnoe oder Synkope
einstellen, genau behandelt worden, diese Symptome haben bei der Chloroform-
narkose genau dieselben Grundzüge, wie oben beschrieben, deshalb ist es nicht
nötig, hier dieselben zu wiederholen, ebenso sind die Mitttel und Wege, durch
welche man diesen Unfällen erfolgreich begegnen kann, genau angegeben
worden. Es ist dem hier weiter nichts hinzuzufügen, Es ist nur immer
wieder anzuraten, jede Narkose mit Chloroform genau nach den gegebenen
Vorschriften zu leiten, da das Chloroform ein stärkeres Narkotikum als
Äther etc. ist, und da infolgedessen auch nur geringe Mengen genügen, um
den Organismus schwer zu schädigen. Eine Konzentration von 8 g auf 100 l
Luft genügen, um Narkose hervorzurufen. Höhere Konzentrationen sind
gefährlich. Demzufolge ist auch die Narkosenbreite nur mäßig, kleiner als
— 287 —
beim Äther z. B. und folglich leichter ein Unfall mög-lich. Allein ein auf-
merksaraer, g-enaii beobachtender, geschickter und geübter Narkotiseur wird
selten Unfälle erleben, da man sie in vielen Fällen verhüten kann.
Es ist schon oben bemerkt worden, daß die Chloroformtodesfälle in der
Jetztzeit viel häufiger bezüglich des Verhältnisses zur Narkosenzahl geworden
sind. Dies beruht darauf, daß man durch genaue Erforschung der Chloroform-
wirkung gefunden hat, daß weitaus mehr Todesfälle dem Chloroform zur Last
gelegt werden müssen, als man früher dachte. Viele Todesfälle, die man jetzt
zum Chloroformtod zählt, sind früher auf andere Ursachen und Anlässe bezogen
worden. Daher ist die Prozentzahl verändert. Es ist dies also ein Zeichen,
daß man in der Wissenschaft weiter vorgeschritten ist, daß man besser
beobachtet.
Die Statistik der Chloroformtodesfälle ist ein sehr schwer zu lösendes
Problem, liefert auch bei den verschiedenen Autoren recht verschiedene Resultate.
In dem Folgenden soll kurz darüber das Notwendigste erwähnt werden.
Zunächst ist es interessant zu ermitteln, in welchem Verhältnis die
Synkope zur Apnoe steht. Die Todesfälle an Synkope sind etwa doppelt so
häufig als die Apnoefälle; so wurden z. B. 206 Fälle von Synkope und 117
Todesfälle durch Apnoe auf 323 Todesfälle beobachtet. In der neueren Zeit
hat die Zahl der Synkopefälle gegenüber den Apnoefällen zugenommen, die
Verhältnisse sind aus folgendem zu ersehen:
Sabbarth hat im Jahre 1866 auf 1 Apnoe 0,3 Synkopetodesfälle gesehen,
Kappeier „ „ „ 1880 „ 1 „ 1,3 „ „
Bornträger,, „ „ 1890 „ 1 „ 3,8 „ „
Djakonow „ „ „ 1891 „ 1 ,, 3,0 „ „
Somit ersieht man eine bedeutende Vermehrung der Synkopefälle, was
wohl ebenfalls auf die genauere Beobachtung und Untersuchung der Fälle
zurückzuführen ist.
Was nun die Verhältnisse der anderen Todesfälle anlangt^, so hat
Hewitt eine kleine Statistik aufgestellt, die zwar immerhin etwas unklar
erscheint, doch aber interessant ist.
I. Er beobachtete an Synkope 56 Todesfälle.
IL Er sah Synkopetodesfälle in dem Exzitatiousstadium in 6 Fällen.
III. „ „ plötzlichen Tod in 6 „
IV. ,, „ Tod in Ohnmacht in 10 „
V. ,, „ ,, durch Aufhören von Puls und Atmung
zusammen in 9 „
VI. „ ,, Aufhören von Atmung allein in 6 „
VII. „ „ „ „ „ „ bei dem der Puls
blieb in 2 „
Es ist vielleicht die Trennung der einzelneu Fälle nicht ganz richtig
geschehen, denn es sind die Unfälle Nr. 2. 3 und 4 doch sicher Synkope-
todesfälle, also zu Nr. 1 zu rechnen, während die Fälle in VII als zweifelhaft
zu betrachten sind.
In dem Folgenden werden die Todesfälle nicht nach ihrer Art unter-
schieden werden, da es ja immerhin für die Statistik belanglos ist, ob Synkope
oder Apnoe eintrat, und es wird nun die allgemeine Statistik der durch Chloro-
form hervorgerufenen Todesfälle besprochen werden.
— 288 —
Nach den verschiedenen großen Statistiken hat man bei allen fast
gleiches Resultat gefunden, nämlich auf ca. 3000 Chloroformnarkosen kommt
ein Todesfall, der sicher durch Chloroformwirkung verursacht ist.
Von Nußbaum ist bis zum Jahre 1878 auf 15000, von Syme bei
45000 Chloroformnarkosen in Indien kein Todesfall, von 30000 Narkosen der
französischen Armee im Krimkriege nur 1 Todesfall verzeichnet worden. Trotz
dieser Angaben schätzt Sabbarth bis zum Jahre 1868 die Chloroformnarkosen
auf 3000000 und stellt 1197 Todesfälle fest, ein Verhältnis von 1:2522,
Andrews hat 117078 Chloroformnarkosen mit 43 Todesfällen, das ist 1 : 2723,
Palliard 1:3258, Combe 1:2733, Ormsbey 1:2873, Wachenholz
1:2029, Coles 1:2873. Williams Roger 1:1236 als Verhältnis des Todes-
falles zu den Narkosen angegeben. In Skandinavien ist ein Verhältnis von
1 : 2257 beobachtet worden. Nach diesen Angaben sieht man, daß das Ver-
hältnis 1 : 3000 ungefähr richtig ist, denn die dabei sich zeigenden Verschieden-
heiten sind immer in der Grenze des Erlaubten.
In neuerer Zeit sind genaue Statistiken von dem Deutschen Chirurgen-
kongresse in Berlin aufgestellt worden, denen man vielleicht mehr Gewicht
beilegen darf, als denen aus früheren Zeiten.
Darnach findet man folgendes:
Im Jahre 1890/91 wurden auf 22636 Chloroformuarkos. 6 Todesf. beob. = l : 3776
„ „ 189192 „ „ 72593 „ 31 „ „ =1:2341
„ „ 1892/93 „ „ 38499 „ 9 „ „ =1:4278
„ „ 1893/94 „ „ 33084 „ 17 „ „ =1:1941
„ „ 1894/95 „ „ 34412 „ 25 „ „ =1:1876
Das Mittel daraus ergibt 201224 Narkosen mit 88 Todesfällen oder ein
Verhältnis von 1 : 2286.
Hieraus sehen wir, daß im Mittel dasselbe Verhältnis ungefähr noch
besteht. Aus den einzelnen Statistiken geht aber zweifellos hervor, daß die
Todesfälle in Chloroformnarkosen mit den Jahren öfter geworden sind.
In den Jahren 1895/97 wurden 27025 Narkosen mit 29 Todesfällen
beobachtet, das ist ein Verhältnis von 1 : 932, welches ein sehr schlechtes
Resultat gibt.
Aus den Statistiken in der neueren Zeit lassen sich folgende Zahlen
zusammenstellen, aus denen wir Schlüsse ziehen können, welche vielleicht
insofern genauere Resultate liefern, als hier meist die Tropfmethode angewandt
wurde und man somit einen Faktor ausschließen kann, welcher manche Statistik
unklar machte bei denen man nicht weiß, welcher Chloroformapparat und welche
Methoden verwendet wurden. Das Resultat wird anders, wenn in dem Falle
die Tropfmethode, in jenem der Junker sehe Apparat etc. verwandt werden.
Nach V. Bardelebeu kamen auf 666 Chloroformuarkosen 1 Chloroformtod.
„ B a r d e n h e u e r „ „ 797 „ 0 „
„ Braun etc. „ „ 1365 „ 1 „
„ Bruns „ „ 152 „ 0 „
„ Czerny „ „ 589 „ 0 „
„ G ö s c h e 1 „ „ 358 „ 0 „
„ Scheve „ „ 1869 „ 1
„ Zell er „ „ 435 „ 1
,, Anger er „ „ 108 „ 1
— 289
Nach Barth
kamen auf 409
B 0 e t e r s
11
n
185
11
Braun
11
n
11
568
962
C z e r 11 y
n
17
1361
E b k a m
11
11
43
Ct a r r 6
11
n
236
(ir ö s c h e 1
11
n
326
J u n g- e n g-
el
11
n
939
»
K tt mm e 1 1
u.
Sic
k 1,
n
1371
»
L au e n s t (
i i u
i
71
11
288
»
Schopf
S a b b 0 t i c
n
367
1257
1)
K 0 m V e r
T)
11
1200
»
L a w r i e
n
11
1236
11
Grube
n
n
40000
)i
Skliiossow
sky
11
.11
28708
In Summa kamen auf 84623 Chloroformnark. 27 Chl.-Todesf.
Also kamen nach diesen Statistiken auf 84623 reine Chloroformnarkosen
27 Todesfälle, oder 1 Todesfall auf 3134 reine Chloroformnarkosen. Rechnet
man die vielleicht etwas fraglichen Zahlen von Grube, Lawrie und
Sklif ossowsky nicht mit dazu, da in diesen vielleicht auch Mischnarkosen etc.
enthalten sein können, so erhält mau 14671 reine Chloroformnarkosen mit
18 Todesfällen, was ein Verhältnis von 1 Todesfall auf 815 Narkosen
bedeutet. Dies ist eine sehr viel kleinere Zahl, bedeutet ein sehr viel
schlechteres Verhältnis. Das Verhältnis 1:3134 ist das allgemein bekannte,
welches aber wahrscheinlich etwas zu günstig ist, und jedenfalls nicht die
wirkliche Verhältniszahl bedeutet.
Im Jahre 1900 wurden in Amerika auf 3749 Chloroformnarkosen 1 Todes-
fall berechnet, Gurlt gibt in seiner Statistik aus dem Jahre 1897 ein Verhältnis
von 1 Todesfall auf 2075 Chlorofornmarkosen an, Sklif ossowsky hat ein
solches von 1 Todesfall zu 5741 Chloroformnarkosen gefunden. Diese Zahlen
zeigen alle einen bedeutenden Unterschied. Jedenfalls ist es gar nicht leicht,
eine wirklich zutreffende Statistik aufzustellen, denn es kommen zuviel Ver-
hältnisse in Betracht, die berücksichtigt werden müssen, aber von den ver-
schiedenen Statistikern in verschiedenem Maße beachtet wurden. Im großen
und ganzen ersieht man jedenfalls aus den angeführten Zahlen, daß die
Gefahren des Chloroforms einerseits nicht unterschätzt werden dürfen, anderer-
seits aber auch durch den Narkotiseur und die Technik der Narkose sehr zu
beeinflussen sind. So hat z. B. Grube auf 40000 Chloroformnarkosen innerhalb
45 Jahren nur 3 Todesfälle zu verzeichnen und hält diesen überaus günstigen
Prozentsatz für die Folge äußerster Sorgfalt, die in Grub es Klinik der
Chloroformierung geschenkt wird. Vielleicht sind aber hierbei auch gewisse
günstige Momente noch maßgebend.
Ähnlich günstige Zahlen nennt Neve. Er hat in Indien beobachtet, daß
dort die Todesfälle in der Chloroformnarkose 1:8000 betragen. In einigen
größeren Hospitälern sei das Verhältnis sogar 1:20000. Die Ungefährlichkeit
soll hier nicht von einer besonderen Konstitution der indischen Rasse oder
ihrer Lebensweise abhängen, sondern durch das warme Klima begünstigt
werden, da die AVärme eine schnellere Wirkung des Chloroforms, aber aach
eine schnellere Elimination aus dem Organismus bewirkt. Deshalb gibt Neve
den Rat, nur bei 70° F zu operieren. Es ist wohl anzunehmen, daß ein gewisser
Einflirß der Wärme in dem heißen Klima besteht. Doch ob man diese Ver-
19
— 290 —
hältnisse durch Erhöhung der Temperatur im Operationssaal ebenfalls hei uns
erreichen kann, ist zweifelhaft.
Wenn man das Geschlecht und Alter betrachtet, in welchem die ver-
schiedenen Verstorbenen standen, so haben wir von 207 Chloroformtodesfällen
150 Männer und 57 Frauen, d. h. 72% sind Männer und 17,5 7o Frauen.
Von den 207 Narkosentodesfällen waren
unter 5 Jahren 2 = 0,96 7^
on 5 — 15
17
21 = 107o
„ 16-30
n
49 = 23,6 7o
„ 31-45
n
53 = 25,6 7o
„ 46-60
n
37 = 17,8 7o
über 60
„
3 = l,45 7o
Hieraus ließe sich entnehmen, daß das kräftige Lebensalter die meisten
Opfer 25,6 7o erfordere.
Eine interessante Statistik findet mau von Hankel aufgestellt, in der
er die Beziehungen der Operationen zum Chloroformtod mit in Rechnung
bringt. Dieselbe zeigt folgendes :
Die Art der Operation war in der
Zusammenstellung von
« S »
Wo ■
o
TS
CS
CO
<s
'S
Ph
pH
M
03
S
Fisteln, Haemorrhoidenoperat. Kau-
terisat
^
13
4
6
8
31
Entfernung eines Nagels, Operat.
an Zehen, Fingern, Phalangen .
1
9
5
12
9
36
Zahnextraktionen
12
6
4
8
6
36
Entfernung von Geschwülsten . .
8
7
4
12
8
39
Resektion, gr. Amputationen, Ovario-
tomien, Greburtshilfl. Operationen
17
15
9
41
Lig. gr. Gefäße, kl. Amputationen .
5
4
5
6
9
26
Augenoperationen
4
2
4
3
12
25
Operat. an Hoden, Anus, Rectum,
Katheterism
29
6
3
10
12
60
Repon. V. L uxat. Forcierte Streckung
29
2
3
4
11
49
Eingeklemmter Bruch
1
1
—
4
2
8
Delir. trem. Manie
1
—
3
3
—
7
Absz. kl. Operat., Unters. Frakt.
Nekrose, Karies
9
.
8
14
31
Neuralgie
2
—
—
1
—
3
118
50
35
92
97
392
Hieraus sieht man, daß etwa ein Viertel der ganzen Chloroformtodesfälle
bei schweren und großen Operationen vorkommen.
Dieser Satz zeigt nun, daß man vielleicht doch bei manchen Fällen der
Operation mit einen Einfluß beimessen muß, auch wenn der Tod ein reiner
Chloroformtod zu sein scheint. Die schwächende Wirkung der Operation kann
— 291 —
doch eine Disposition schaffen, welche ein geeignetes Terrain iür die Gift-
wirkung des Chloroforms schafft.
Nußbaum rechnet auf 50 Chloroformnarkosen eine, welche mit Gefahren
verläuft, hat aber bei 15000 Narkosen keinen Todesfall beobachtet, schildert
aber 9 Fälle, wo es nur dem energischen Handeln, der Geschicklichkeit und
Gewandtheit dieses Operateurs zu danken ist, daß der Tod verhindert wurde.
Ich habe bei ca. 100 Narkosen ebenfalls zweimal schwere plötzlich ein-
tretende toxische Wirkungen des Chloroforms erlebt, und zwar in beiden Fällen
trat Herzschwäche so überaus plötzlich ein, daß kaum eine Sekunde zu ver-
lieren war. Es war dies einmal bei einem 25jährigen Mädchen, die völlig
gesund war an den Zirkulationsorganen und bei der eine Abrasio uteri vor-
genommen werden sollte. Plötzlich trat Kollaps ein, der Puls fehlte, die
Atmung hörte auf und das Herz war ebenfalls dem Aufhören ganz nahe, kaum
hörbarer und fühlbarer Herzschlag. Nur dem sofortigen Bemerken der Anämie und
dem sofortigen Einleiten von künstlicher Atmung und Herzmassage meinerseits
unter gewandter und geschickter Unterstützung der assistierenden Kollegen
gelang es mir nach recht peinlichen Minuten die Kranke zu retten. Der zweite
Fall war ähnlich. Eine überreichliche Chloroformgabe lag nicht vor und so war
bei dem Fehlen sämtlicher anderer Ursachen dieser Kollaps einzig auf die
Chloroformwirkung zurückzuführen. Interessant ist, daß ich den zweiten Fall,
welcher etwas weniger schwer war, nach ca. ^/j Jahr wieder narkotisieren
mußte wegen Laparatoraie, und in diesem Falle wählte ich Aether und hatte
eine leidlich gute Narkose. Nach einigen Jahren wurde die Kranke ohne mein
Wissen von einem Kollegen w^ieder operiert und mit Chloroform narkotisiert
und ging 3 Tage nach der Narkose au protrahiertem Chloroform tod zugrunde.
Nach den Veröffentlichungen des Chirurgenkongresses 1891 kommen
Apnoen im Verhältnis von 1:319, nach Wachenholz im Verhältnis von
1:184 vor.
Man hat hingegen manche Personen hundert-, ja über tausendmal in
mehreren Jahren narkotisiert, ohne daß denselben irgend ein Schaden daraus
entstand. Wurm z. B. hat eine Hysterika innerhalb eines Zeitraumes von
6 Jahren 1305 mal ohne jeden Nachteil chloroformiert.
Wenn man nun zu ergründen sucht, in welchem Stadium der Narkose
der Tod am häufigsten, in welchem er weniger oft auftritt, so finden wir im
Stadium des Beginnes ca. 7% Todesfälle, im zweiten Stadium, dem Excitations-
stadium ca. 15,6 °/o, im Stadium der vollsten Anästhesie ca. 25,5 7o bis 35,4 7o'
im Stadium des Erwachens und nach der Operation ca. 16 o/o- Hiernach ist
das Stadium der tiefen Narkose das gefährlichste.
Man hat auch die Todesfälle berechnet nach den Minuten und zwar in der
1. Minute trat der Tod in 10 Fällen von 75 Todesfällen auf
1 q
3. 5. „ „ „ „
spater „ „ „ „
Hiernach ergibt sich nach Hj
der gefährlichste Moment bestände.
Der Wert der Statistik ist nicht ein so bedeutender in Wirklichkeit, als
er zu sein scheint, wenn man die Resultate zu Papier bringt. Ganz recht sagt
Schleich, daß die Häufigkeit der Chloroformtodesfälle eine viel größere ist,
denn der kleinste Teil ist es nur, der bekannt wird, ein großer Teil, namentlich
vom protrahierten Chloroformtod, wird nicht als solcher erkannt aus verschiedenen
Gründen und kommt somit auch nicht in die Statistiken. In denselben finden
19*
13
11
»
75
»
»
12
11
11
75
„
»
33
»
11
75
»
11
7
75
11
11
11
11
kel.
daß
in
der Zeit
der 6.-
—15. Minute
— 292 —
wir immer nur die Resultate der Kliniken etc. aufgestellt, der praktische Arzt
stellt selten Statistiken auf, erstens weil das ihm zu Gebote stehende Material
ein zu kleines scheint, zweitens weil oftmals von anderen Kollegen nicht gern
das Material zur Statistik beigetragen wird. Es wird deshalb immer ein gewisser
Mangel bestehen bleiben, den zu beseitigen man schwerlich wird imstande sein.
Es ist noch von Interesse, in kurzen Worten die Verhältnisse zu
berechnen, in denen die Apnoen ohne tödlichen Ausgang, die Kollapse etc. sich
ereignen, die als Unfälle in der Narkose auftreten, aber durch die bekannten
Manipulationen beseitigt werden.
Grrube hat während der Chloroformnarkosen in 5 — 6°/o der Fälle Apnoe-
fälle eintreten sehen, Komver sah bei 1200 Narkosen sechsmal Kollapse,
dreimal Apnoen. Es ist wohl zu vermuten, daß auch beim Eintreten von
Apnoe mehr die individuellen Verhältnisse in Betracht kommen. Im allgemeinen
nimmt mau an , daß bei Chloroform mehr Kollapse als Apnoefälle eintreten,
das Verhältnis beider Unfälle ist ungefähr 3:2.
Grube hat auch das Auftreten von Erbrechen statistisch behandelt und
in 20*^/o der Fälle während der Chloroformnarkose, in 10 — 15% nach derselben
Erbrechen konstatieren können.
Eine sehr wichtige Folgeerscheinung der Narkose besteht in der Pneu-
monie, wie oben erörtert wurde. Diese postoperativen Pneumonien sind ja bis
zu einem gewissen Grade abhängig von dem Narkotikum, von der Methode
der Narkose etc. Beim Chloroform ist die Gefahr der postnarkotischen Pneu-
monie nicht so groß als bei anderen Narkotika, hingegen ist sie auch nach
Chloroformnarkosen bisweilen zu beobachten. Von besonderer Bedeutung ist
hier auch die Operation , so begünstigen z. B. Laparatomien den Eintritt von
Pneumonien, da der Kranke nicht so ausgiebig atmet. Sonntag hat nach
Laparatomien und Chloroformnarkosen 5 7o Pneumonien beobachtet, auf
300 Chlorofornmarkosen 15 Pneumonien. Von diesen 15 Fällen endeten 4 tödlich.
Interessante Statistiken hat v. Mikulicz über die Pneumonien nach
Chloroformnarkosen und verschiedenen Operationen aufgestellt. Er hat gefunden:
bei Strumen mit oder ohne Basedow in Chloroformnarkose 8,1 ^o Pneumonien
mit 2,5% Mortalität
bei Gastrostromie und Chloroformnarkose 12,4% Pneumonien und 7,4% Mortalität
„ Gastroenterostomie u. Chlorof ormnark.
und Pyloroplastik 9,7 7^ „ „ 5,2% „
„ Magenresektion u. Chloroformnark. . 17,7% „ „12,9% „
„ and. Laparatomien u. Chloroformnark. 5,8% „ „ 2,0% „
„ Hernien u. Rad. Op.„ „ 6,5% „ „ 1,5% „
„ Incarcer. Hernien „ „ 4:,17o „ „ 2,0% „
„ Gangränöse „ „ „ 30,0% „ „ 20% „
Summa bei 1007 Operat.u. „ 7,6% „ „ 3,4 «^ „
Diese kleine Statistik gibt interessante Aufschlüsse über die Verhältnisse
der Pneumonien zu Narkosen mit Chloroform, es sind die gangränösen Hernien-
operationen die gefährlichsten nach der Statistik. Die Zahl der Pneumonien
nach Operationen in der Mund- und Rachenhöhle sowie an den Kiefern ist
nach V. Mikulicz noch größer.
Diese statistischen Bemerkungen und Beobachtungen werden genügen,
am ein Bild von der Gefährlichkeit des Chloroforms auf den Organismus zu
gehen. Eine erschöpfende Statistik aufzustellen ist unmöglich bei den ver-
schiedenen Methoden und Beobachtungen, von denen das Material stammt.
— 293 —
Eine einwandfreie Statistik der Ghloroformtodesfälle und -uufäile vurüber-
gehender Art müßte von Material gebildet werden, das einerseits sehr groß,
andererseits aber auch von nur einem Narkotiseur beobachtet und zusammen-
gestellt wäre. Schon diese beiden Postulate sind schwer zu vereinen, dazu
kommen noch eine Menge anderer Anforderungen und Bedingungen , die
schwerlich alle beachtet und erfüllt werden können. Man kann aber auch aus
diesen au sich mangelhaften Statistiken viel für die Praxis lernen. Und wenn
sie dieser Aufgabe, belehrend zu wirken, gerecht werden, so ist schon ein
großer Zweck dieser Zahlen erfüllt.
Nachdem bisher so vieles über die Wirkungen des Chloroforms im
Organismus angeführt und erörtert worden ist, soll in den folgenden Zeilen
der Verbleib des Chloroforms im Organismus und die Eliminierung noch kurz
gestreift werden. Das Chloroform gelangt von den Lungen aus in das Blut
und wird von dem letzteren nach den Ganglienzellen im Gehirn transportiert,
woselbst die Hauptwirkung durch Umgestaltung der Protoplasmabestandteile
(Cholestearin-Lezithingemische) vor sich geht. Wenn nun die Inspirationsluft
eine geringere Konzentration von Chloroformdämpfen aufweist, als in dem
Blutplasma vorhanden ist, so wird aus dem letzteren Chloroform wieder in
den Lungen an die Luft abgegeben, es gelangt also Chloroform in Dämpfen
durch die Respiration aus dem Organismus heraus. So wird im Laufe der
nächsten Stunden nach der Narkose eine Menge Chloroform aus dem Körper
eliminiert. .Jedenfalls ist dies weitaus der größte Teil des im Organismus noch
vorhandenen Chloroforms, der durch die Lungen eliminiert wird.
Es sind aber noch verschiedene andere Körperfunktionen, die bei der
Entchloroformierung in Betracht kommen, vorhanden.
Ehe die Verhältnisse der Ausscheidung des Chloroforms durch die Lungen
verlassen werden, ist es noch interessant, folgende Beobachtungen kurz zu
erwähnen. Der Organismus besitzt bekanntlich eine gewisse Kraft, Bakterien,
die in die einzelnen Organe eindringen, abzutöten. So besitzt auch die Lunge
eine starke baktericide Kraft unter normalen Verhältnissen. Diese Kraft kann
durch verschiedene Momente geschwächt werden und so hat man gefunden,
daß auch die Narkose mit Chloroform diese baktericide Kraft des Körpers
aufhebt, so lange, als noch Chloroformmengen im Blute kreisen (Platania,
Klein, Coxwell). Weitergehende Untersuchungen hierüber sind von Snel,
betreffend die Lunge, angestellt worden, und er hat gefunden, daß die baktericide
Kraft durch Chloroform sehr geschwächt, bei langen Narkosen ganz aufgehoben
wird, die Kräfte kehren aber schnell wieder zurück, wenn kein Chloroform
mehr vorhanden ist. Deshalb gibt er den Rat, Mund und Rachenhöhle zu
desinfizieren und frische Luft während der Narkose zu beschaffen.
Die Verminderung der baktericiden Kraft der Lunge wird wohl dadurch
hervorgerufen werden, daß, wie oben bemerkt, durch Chloroform in den Epithelien
des respiratorischen Epithels (Epithelzellen der Alveolen etc.) Fettmetamorphose
erzeugt wird (Verf.), wodurch die Tätigkeit der Zellen gestört wird, die ja
die Quelle der baktericiden Kraft der Lunge ist.
Wenn man bedenkt, daß während der Narkose der ganze Körper mit
Chloroform erfüllt ist, daß durch das Blut das Narkotikum in die Haut,
Muskulatur und alle Teile und Organe des Körpers gebracht wird, so wird
mau auch leicht einsehen, daß alle jene Funktionen, die Stoffe, Sekrete etc.
aus dem Körper eliminieren, auch das Chloroform mit herausbefördern werden.
Infolge dieser Beziehungen zu den verschiedensten Funktionen im Organismus
muß das Chloroform auch verschiedene Verbindungen eingehen und chemische
— 294 —
Umsetzungen veranlassen. Solche Veränderungen linden vor allem im Stoff-
wechsel statt, wofür Zeichen und Andeutungen in dem Sinken des Körper-
gewichts nach Chloroformnarkosen, in gesteigerter Ausscheidung von Stickstoff,
Schwefel und Phosphor, in erhöhter Ausscheidung von Chloriden etc. in und
nach der Chloroformwirkung gegeben sind.
Malenjuk glaubt, daß die Ausscheidung von nicht volloxydiertem
Schwefel und organischen Stoffen, die Chlor enthalten, mit dem Harn zu
der Annahme berechtigen, daß unter dem Einfluß des Chloroformierens die
oxydierenden Vorgänge im Organismus bedeutend verringert werden, ferner
die gesteigerte Ausscheidung von Phosphorsäure und Kali zu der Vermutung
berechtigen, daß die Zerstörungen durch das Chloroform in den an Phosphor
und Kali reichen Geweben vor sich gehen; der pathologisch anatomische Ausdruck
dieser Vorgänge ist die Veränderung in den parenchymatösen Organen, wie
sie oben geschildert ist. Die gesteigerte Ausscheidung von Chlor rühre von
der gesteigerten Zufuhr von phosphorsaurem Kalk in die Zirkulation her.
Es wird wohl kaum möglich sein, die im Organismus vor sich gehenden
chemischen Vorgänge während der Chloroformwirkung genau zu eruieren.
Immerhin bieten die Versuche, das Dunkel zu lichten, manches Interessante.
Man hat nun, gestützt auf Beobachtungen, den im Organismus befindlichen
Chloroforramengen und Verbindungen verschiedene Wirkungen zugeschrieben.
So hat Baccarani Solimei dem im Blute befindlichen Chloroform eine
baktericide Kraft zugeschrieben, ferner die Eigenschaft, die Erythrozyten zu
vermindern und die Leukozyten zu vermehren. Benasis beobachtete eine
Verminderung der roten und weißen Blutkörperchen, sowie Formveränderungen
der Blutkörperchen, die um so langsamer abheilen, je länger Chloroform ein-
gewirkt habe. Spieß will beobachtet haben, daß Entzündungen und Krank-
heitszustände entzündlicher Natur nach Chloroform schneller abheilen und erklärt
den entzündungswidrigen Einfluß des Chloroforms und anderer Stoffe dadurch,
daß wahrscheinlich die Wirkung des Narkotikums die Vasomotoren beeinflußt
und zur Blutstauung in dem betreffenden Gebiete, sicher wenigstens zur
Abnahme der Hyperämie führt. Es mögen wohl diese Beobachtungen eher
durch andere Momente als das im Organismus befindliche Chloroform bewirkt
werden, immerhin kann man bis jetzt noch den Beweis, daß Chloroform hierbei
nicht beteiligt sei, nicht erbringen, so muß man auch diese Eigenschaften des
Chloroforms berücksichtigen.
Die im Organismus frei oder in Verbindungen befindlichen Mengen von
Chloroform werden zum größten Teil durch die Nieren abgeschieden
(Rydygier etc.). Die Nierentätigkeit wird nun durch die Narkotikumwirkung
vermindert, somit wird weniger Harn abgesondert. Das Chloroform wird im
Harn gelöst und in Verbindungen abgesondert. Man tut gut, durch geeignete
Medikation vor der Narkose die Harnsekretion anzuregen (Dranske).
Der Harn weist noch lange Zeit nach der Narkose Chloroform beigemengt
auf. Weiter wird Chloroform durch die Schweißdrüsen, Speicheldrüsen etc.
abgesondert.
Eine bedeutende Menge Chloroform geht durch den Magen aus dem
Blute in den Magensaft über. Das in dem Magensaft enthaltene Chloroform
regt den Magen zum Brechen an, dies ist auch der Anlaß zu dem oftmals
recht hartnäckigen und unangenehmen Erbrechen nach der Narkose. Bei
besonders zum Brechen disponierten Personen, sowie bei solchen, deren Magen
besonders empfindlich und schwach ist oder im Zustande chronischen Katarrhes
sich befindet, tritt das Erbrechen so stark auf, daß man versuchen maß,
Linderung zu schaffen. Dieselbe wird bewirkt durch Entfernen des sich immer
bildenden und einen Reiz ausübenden Magensaftes durch öfteres Magenspüleu.
- 295 —
Ist es uicht uiögiich, öftere Mag-euspülungeii vorzuuehmen, so leisten Kokain,
Morphintropfen gute Wirkung. Man gibt den Kranken 15 — 20 Tropfen einer
Kokainlösung 0,1 : 10,0, ev. mit 0,05 Morphin verbunden. Bei stündlichem
Verabreichen dieser Tropfen habe ich meist erfolgreich überstarkes Brechen
bekämpft. Auch während der Narkose verursacht das Chloroformerbrechen,
einerseits im Beginn der Narkose, wo der Reflex noch nicht gelähmt ist, oder
im Zustande des Erwachens, wenn der Narkotiseur zu wenig Chloroform
gegeben hat, oder, als ominöses Zeichen kurz vor dem drohenden Exitus,
infolge zu großer Chloroformdosen, Herzschwäche etc. Ein großer Teil dieser
Übelstände kann am Auftreten verhindert werden, indem man einerseits recht
langsam die Narkose einschleicht, denn das Erbrechen im Anfang tritt oft nur
dann ein, wenn schnell große Dosen Chloroform gegeben werden, andererseits,
indem man den Kranken nicht zur ungeeigneten Zeit erwachen läßt, anderer-
seits, indem man vorsichtig dosiert. Die Beziehungen des Erbrechens zur
Pupillenreaktion sind früher erörtert worden, ebenso die verschiedenen Mittel
und Methoden zur Verhütung. Das Chloroform besitzt eine besonders starke
Einwirkung auf den Magen hinsichtlich des Brechreizes.
Aus allen diesen Erörterungen über die Chloroformwirkung in Hinsicht
auf die Organe und Funktionen des menschlichen Organismus lassen sich eine
Reihe von Kontraindikationen gegen die Verwendung des Chloroforms ableiten.
Im großen und ganzen gelten die Regeln, die im Allgemeinen Teil aufgestellt
sind, hinsichtlich der Wahl der Narkose. Es sollen hier kurz die haupt-
sächlichsten und striktesten Kontraindikationeu aufgeführt werden, während
die feineren Fragen für oder wider die einzelnen Narkotika später in einem
besonderen Kapitel verhandelt werden sollen, nachdem alle die einzelnen
Narkotika und Methoden der Narkose des genaueren besprochen sind.
Es lassen sich gegen die Chloroformnarkose als Kontraindikationen vor
allem schwere Herzleiden anführen. Die Herzkrankheiten chronischer Art
bilden keine strikte Indikation, namentlich nicht die kompensierten Herzfehler
(ausgenommen die Aortenfehler, sowie Hypertrophie und Dilatation mäßigen
Grades). Alle stark ausgeprägten Herzleiden, alle akuten Herzkrankheiten,
Aortenfehler und dekompensierte Herzfehler verbieten stets die Chloroform-
narkose. Dur et hält die Fettmetamorphose des Herzens für gefährlicher als
die Klappenfehler für die Chloroformnarkose.
Die Ansichten über die Herzkrankheiten als Kontraindikationen der
Chloroformnarkose sind allerdings oft widersprechend. Bucquoy nennt die
Aortenfehler als strikte Kontraindikation, weil dieselben zur Synkope prädis-
ponieren, Le Dentu hält Herzfehler und Myokarditis für Chloroformnarkosen
für gefährlich, Huchard hält alle infektiösen frischen Herzleiden für
Kontraindikationen, während er bei anderen Herzleiden Chloroform zuläßt,
wenn recht vorsichtig narkotisiert wird, derselben Ansicht ist Richelot,
Le Dentu, Delorme, Poncet, Gruinard,Guyon,Bronardel, Panasu. a.
Champonniere erlaubt das Chloroform bei Herzleiden. Es zeigen diese
Ansichten eine Differenz in der Ueberzengung, im allgemeinen gilt aber die
Regel, daß man bei Herzleiden Chloroform vermeidet (Kapp 1er etc.). Es läßt
sich ja anführen, daß die Erfahrung lehrt, daß viele Herzieidende Chloroform-
narkosen gut überstanden haben, doch die Erfahrung lehrt auch, daß man
einem Herzkranken nie den nächsten Tag garantieren kann zu erleben. Es ist
daher besser, bei solchen Leiden Chloroform nicht zu verwenden.
Andere strikte Kontraindikation bilden Basedowsche Krankheit,
Strumen, Hypertrophie der Thymus (Broca, Mignon, Laqueur etc.). Es ist
— 296 —
natürlich auch bei diesen Leiden zu individualisieren, bei geringfügigen, nicht
ausgesprochenen Krankheiten dieser Gruppe kann wohl eine Narkose mit
Chloroform ausgeführt werden, hingegen sind Fälle angegeben, wo man erst bei
der Sektion die vergrößerte Thymus fand und so die Ursache zum Chloroformtod
feststellte. Broca und Mignon haben Todesfälle an Thymushypertrophie bei
Chloroformnarkose beschrieben, Laqueur gibt den Rat, stets vor der Narkose,
namentlich bei Kindern, auf vergrößerte Thymus zu fahnden, er hat gefunden,
daß bei Thymushypertrophie auch stets die Balgdrüsen des Zungeugrundes
und der hinteren Rachenwand vergrößert seien, wodurch man sicher die
Krankheit erkennen könne. Deshalb solle mau vor jeder Chlorofonnnarkose
nach diesen Drüsenschwellungeu suchen.
Die Strumen bilden auch eine große Gefahr für die Chjoroformuarkose
wie für jede Narkose im allgemeinen (Rosenfeld etc.).
Weitere Kontraiudikationen bilden alle die Zustände, welche eine Fett-
metamorphose innerer Organe hervorrufen, begünstigen oder anzeigen können.
Hierzu gehören neben der Fettleber, Fettherz, Nierenleiden a\ich schwere,
lauganhaltende Blutungen, Inanitiouszustände, Kachexie etc. Last not least
ist die Disposition zu erwähnen (Lengemanu, Bazy etc.). Es gibt Personen,
welche vermöge noch nicht bekannter Eigenschaften ihres Organismus trotz
Gesundheit aller ihrer Organe der kürzesten Chloroformnarkose erliegen oder
nach einer ganz normal verlaufeneu Narkose zugrunde gehen. Man erklärt
dies damit, indem man annimmt, diese Personen besitzen so wenig Widerstands-
kraft gegen die Chlorofonnwirkung, daß sie derselben unterliegen. Lengemann
hat Untersuchungen über die zur Narkose nötigen Mengen von Cloroform au-
gestellt und auch dabei die große Verschiedenheit der Menschen gegenüber der
Chloroformwirkung gefunden. Er meint, weder Technik, noch Alkoholismus noch
Kachexie, noch Geschlecht, Alter etc. vermögen den Unterschied in der
Empfindlichkeit der Menschen gegenüber Chloroform zu erklären. Man drückt
dieses verschiedene Verhalten mit dem Worte Disposition aus.
Neben all diesen Kontraindikationen, die hier genannt sind, wären noch
eine Reihe weniger wichtige zu erwähnen, die nur dann eine strikte Kontra-
indikation bilden, wenn man sie nicht genügend beachtet, wie Shock, Angst,
Nervenleiden etc. Diese Verhältnisse sind früher genauer erörtert worden.
§ 4. Nachdem ich glaube, in dem Vorhergehenden ein genügend
gezeichnetes Bild der Chloroform Wirkung , wie sie der Chloroformnarkose
typisch ist, entworfen zu haben, soll in den folgenden Abschnitten die Technik
und Methodik der Chloroformnarkose des genaueren betrachtet werden.
Die Vorbereitung des Kranken an den Tagen vorher oder auch kurz
vor der Narkose selbst ist im Allgemeinen Teil genau beschrieben und es
gelten hier die dort festgelegten Tatsachen. Es soll hiermit gleich mit
den yerschiedenen Methoden der Chloroformnarkose begonnen werden.
Die für jede Chloroformnarkose geeignetste Lagerung des Kranken ist
die horizontale, mit dem Kopfe etwas mehr geneigte Lage auf einem eigens für
die Operation konstruierten Tische. Man kann entweder, je nach der Art der
vorzunehmenden Operation, den Krauken horizontal lagern, und tut am besten,
den Kopf etwas tiefer zu posieren, so daß der Speichel aus dem Kehlkopf nach
dem Munde läuft. Man erreicht dies einmal dadurch, daß man die forcierte
dorsale Reklination des Kopfes nach Witzel anwendet, wie sie im Allgemeinen
— 297 —
Teil beschrieben ist, oder indein mau den Kupf über eine Rolle uder die vom
Verf. angegebene Vorrichtung mit fixierender Stirnbinde lagert, oder indem
der Narkotiseur den Kopf über das obere Ende des Tisches herabhängen läßt,
indem er ihn dabei mit einer Hand stützt. Eventuell kann dies auch eine
Pflegerin tun. Bei dieser Lagerung befindet sich also der Körper horizontal
und nur der Kopf ist tiefer gerichtet, nach hinten unten gebeugt. Die andere
Lagerung erübrigt die dorsale Kekliuatiou des Kopfes, es ist dies die Becken-
hochlagerung. Hierbei kommt der Kopf sowieso sehr viel tiefer zu liegen als der
Körper. Bei beiden Lagerungen ist das Prinzip in Hinsicht auf die Narkose das, die
im Rachen, Kehlkopf, Trachea vermehrt sezernierten Schleimmassen nicht nach
der Lunge, in die Bronchien fließen zu lassen und auch den Speichel aus dem
Munde am Zurückfließen in den Rachen zu verhindern, und die Schleimmengen im
Munde zu sammeln, wo sie vomNarkotiseur entweder weggetupft werden, oder von
wo sie bei der Witzel sehen Lagerung durch die Nase und Mundwinkel nach
außen fließen. Auch schon bei der horizontalen Lagerung mit tieferliegendem
Kopfe kann man durch Seitlichdrehen des Kopfes die Speichelmassen aus
dem einen Mundwinkel in ein bereitstehendes Becken fließen lassen.
Es werden durch diese Lagerung Infektionen der Lungen verhindert,
bei der Beckenhochlagerung fließen sogar die in den Bronchien vermehrt
abgesonderten Schleimmeugeu nach außen durch den Kehlkopf.
Durch die Witzeische und die Lagerung auf der Vorrichtung vom
Verf. wird auch das Lüften des Kiefers unnötig, der Kiefer und Zungeugrund
kann nicht nach hinten auf den Kehlkopf fallen.
Es ist nötig, noch einige Worte über die Beekenhochlagerung hier einzu-
schalten. Man hat derselben Drucklähmuugen des nervus tibialis und Emphysem
der Bauchdeckeu zur Last gelegt (Kraske). Auch schwere Zirkulations-
störungen, die nach der Narkose aufgetreten, sind als Folgen der Beekenhoch-
lagerung aufgefaßt worden (Kraske,Schautaetc.).Treudelenburg. Rieht er,
Dührssen etc. haben durch diese Lagerung Aspiration von Mageninhalt
erlebt, während Kümmell bei 1000 Beckenhochlagerungen keinen Nachteil
gesehen hat. Ein großer Teil dieser Nachteile läßt sich verhindern, während
die Zirkulationsstörungen nicht so ohne weiteres zu verhüten sind.
Franz hat nun bei 15 Frauen dahingehende Untersuchungen angestellt.
Die Resultate der Atmuugsmessungen waren folgende: Es ergab sich bei allen
Versuchen eine starke Verminderung der abdominalen Atmung in Beckenhoch-
lagerung, daneben fand sich eine Erschwerung der Exspiration und Inspiration.
Die thorakale Atmung verhielt sich etwas anders. Hier konnte in Becken-
hochlagerung bei den 12 nichtuarkotisierten Frauen festgestellt werden, daß
zweimal die thorakale Atmung flacher war als in Rückenlage, daß sie dreimal
ziemlich gleichblieb, und daß sie siebenmal etwas tiefer wurde. Bei den
3 chloroformierten Frauen zeigte sich jedesmal eine sehr starke Minderung der
abdominalen Atmung, dagegen eine ausgesprochene Vertiefung der thorakalen
Atmung. Man kann also sagen, daß in Beckenhochlagerung die abdominale
Atmung konstant bedeutend schwächer wird, die thorakale sich gar nicht oder
nur wenig kompensatorisch verstärkt. In der Narkose scheint eine stärkere
Kompensation der abgeschwächten abdominalen Atmung durch eine vertiefte
thorakale stattzufinden. Es steht fest, daß die Beckenhochlagerung die
Ventilation der Lunge in einer nicht geringen Anzahl von Fällen herabsetzt.
Werden die Personen aus der Hochlagerung in die normale überführt, so
zeigt sich bei den ersten Atemzügen eine starke Verminderung der abdominalen
und thorakalen Atmung. Allmählich bessert sich dann dieser Zustand wieder.
_ 298 —
Die folgenden Kurven geben ein deutliches Bild der Einwirkung der
Beckenhochlagerung ohne und bei Chloroformnarkose , sowie den Unterschied
gegenüber der horizontalen Lagerung.
Figur 101.
Untersuchung ohne Narkose nach Franz.
I. Abdominale i » , • tj- i i
II. thorakale / ^*"""^§" ^^ Rückenlage,
III. abdominale i a, ■ t> i u i i «co
IV. thorakalel ) Atmung m Beckenhochlage von 45».
J =: Inspiration. E = Exspiration.
Figur 102.
/(f
(\
mm
Untersuchung in Chloroformnarkose nach Franz.
Yv thorSale^*^ } ^^^^^^^ ^^ Beckenhochlagerung von 45".
Diese Veränderung der Atmung beim Lagewechsel aus normaler Lage
in Beckenhochlagerung ist in Figur 102 zu sehen. Wo die Kurve unregel-
mäßig sich gestaltet, ist die horizontale Lage mit der Beckenhochlagerung
vertauscht.
— 299 —
Es haben sich uuu nach den Beobachtungen von Franz bei 150 Chloro-
formnarkosen in Rückenlage 4 Bronchitiden = 2,7*^/0, bei 233 Chloroform narkosen
in Beckenhochlagerung 0 Bronchitiden = 3,0 "/,, gezeigt. Ein bedeutender
Unterschied besteht demnach niclit bezüglich der Chloroformnarkose. Anders
verhält sich dies mit der Ätbernarkose. Hierüber wird später gesprochen
werden. .Jedenfalls besteht bei der Chloroformnarkose keine besondere Schädigung
der Kranken durch die Beckenhochlage. Da mag wohl die Ursache für üble
Folgen in anderen Verhältnissen liegen. Jedenfalls hat die Lage auf den
Organismus einen Einfluß, doch ist derselbe nicht so bedeutend und schädigend,
als daß er den Nutzen, den die Beckenhochlageruug bringt, aufheben könnte.
Nur das muß beachtet werden, der Wechsel aus der einen in die andere Lage
muß langsam vor sich gehen.
Die Arme des Kranken werden am besten entweder auf der Brust
gekreuzt, oder der eine seitlich au den Körper des Patienten gelegt, der
andere wird vom Narkotiseur leicht nach hinten oben gebeugt, resp. von einem
Pfleger seitlich gerade abgebogen gehalten. Mau hat zur Erleichterung Hand-
fesseln konstruiert, welche die Hände über dem Kopf des Kranken üxieren
(von Holst etc.).
Diese Fesseln haben aber verschiedene Nachteile. Einerseits erschweren
sie die Lösung der Arme, falls ein Unfall entsteht und künstliche Respiration
vorgenommen werden muß. Es gehen dann sehr kostbare Sekunden mit dem
Lösen der Hände verloren. Im Eifer und der Angst gelingt es womöglich
dem Pfleger nicht schnell, die Fessel zu lösen, so kann viel Unheil entstehen.
Andererseits prädisponiert diese Lagerung gerade zur Drucklähmung der
Armnerven (Roth, Glitzsch, Hofmeister, Steiuthal etc.). Wenn man
auch noch nicht einig ist, wie die Drucklähmungeu des Plaxus brachialis etc.
Bntstehen, so scheint mir doch nach den anatomischen Verhältnissen gerade
diese Lagerung der Arme über dem Kopfe die gefährlichste zu sein. Man ist
in neuerer Zeit auch allgemein zu der Ansicht gekommen, daß die genannte
Lagerung neben der Lagerung der Hände und Unterarme über der Brust
gekreuzt die besten Formen der Lagerung sind, je nachdem die Operation es
erfordert, wählt man die eine oder die andere. Jedenfalls vermeidet man so
am ehesten die unangenehmen Narkoseulähmungeu.
Puschnig gibt den Rat, die Hände gekreuzt auf dem Brustkorbe zu
lagern, so daß jede Hand an den gegenüberliegenden Ellenbogen zu liegen
kommt und dieselben in dieser Stellung dadurch zu befestigen, daß man das
Vorderblatt des Hemdes hinaufschlägt und ziemlich straff über die gekreuzten
Arme legt indem man es unter denselben feststeckt, so daß die Innenseite
des Hemdes nach außen gekehrt erscheint. Die Hände sind so leicht zu
lösen, und daß die Atmung nicht beeinflußt wird, beweist Puschnig durch
eine kleine Statistik der Narkosen in Beziehung auf die Apnoen, die sich
während derselben ereignet haben.
Eine weitere Gefahr für etwaige Narkoseulähmungeu ist in dem Lagern
der Beine gegeben. Wenn man per Vaginam oder im Rectum operiert, legt
man meist die Beine über Beinhalter. Hierbei muß man ebenfalls jeden
scharfen laugen Driick in der Kniekehle vermeiden. Man wähle die geeigneten
Beinhalter, die den Fuß stützen, oder lasse die Beine von zwei Pflegerinnen
halten. Diese Bemerkungen sollen nur kurz an die Daten im Allgemeinen
Teil erinnern.
— 300 —
Es ist in neuerer Zeit ein Fall von Narkosenlähmung vor Gericht wegen
Anspruch auf Entschädigung behandelt worden und es sind dabei die ver-
schiedensten Ansichten zutage getieten. Nach genauer Abwägung aller
Momente muß man in dieser Frage zur Freisprechung aller Schuld des Arztes
gelangen, wenn derselbe nicht die elementarsten Vorsichtsmaßregeln außer acht
gelassen hat. Es gibt, wie oben bemerkt, doch Fälle, die man auf zerebrale
Störungen durch das Narkotikum (Fettmetamorphose der (ranglienzellen und
HämoiThagien nach fettmetamorphosierten Gehirngefäßen) zurückführen kann
(Bü ding er). Wenn nicht dann ganz klar auf der Hand liegt, daß die Lähmung
durch Druck entstanden ist, so ist die Ursache immer fraglich. Chloroform
wirkt stärker auf die zerebralen Elemente als andere Narkotika.
Alle die Umstände verlangen genaue Beachtung von selten des Nar-
kotiseurs besonders auch deshalb, weil die zahlreichen Untersuchungen ergeben
haben, daß sehr viele Umstände und Momente beim Entstehen der Narkosen-
lähmungen mitspielen (Littauer, Windscheid, Braun, Bardenheuer,
Gaupp, van Hoedenmaker, Nonne, Bernhard, Büdiuger, Krumm,
Krön, Madiener, Bucht, Skutsch, Glitsch etc.). Daß man aber auch noch
immer nicht alle Fälle definitiv erklären kann, beweisen die Aeußerungen von
Littauer, der sagt: „Es ist anzunehmen, daß in den unglückseligen zu Nerven-
schädigungen führenden Ausnahmefällen irgendwelche anatomische Anomalien
vorliegen (Fettarmut, oberflächliche Lage des Plexus etc.)," und Wind seh eids,
der sich lolgendermaßen äußert: „Wahrscheinlich ist es nicht allein der auf die
Nerveustämme ausgeübte Druck, sondern es spielt auch die Zerrung eine
gewisse Rolle. Ferner muß wohl noch irgendeine äußere Veranlassung dazu-
kommen, sonst wäre nicht zu erklären, warum nicht häufiger Narkosenlähmungen
vorkommen." Deshalb muß der Narkotiseur jeden xlnlaß vermeiden und der
Lagerung der Extremitäten seine Sorge wohl angedeihen lassen.
Was nun den Ort etc., wo die Narkose stattfinden soll, anlangt, so gelten
die im Allgemeinen Teil aufgestellten Thesen.
Bei der t'hloroformnarkose hat mau noch zu bedenken, daß offene Flammen
im Zimmer leicht Zersetzungen des Chloroforms hervorrufen, die schwere
Lungenschädigungen bedingen. Deshalb wähle man Zentralheizung und Glüh-
lampen oder Nernstlicht, sowie gute Ventilation (Zweifel, Ramsay,
Schumburg, Rudolf etc.).
Der Operationstisch wird eventuell zu heizen sein. Es geschieht dies
sehr leicht durch Glühlampen, die unter der Platte angebracht sind, so daß
über der Birne eine runde Öffnung in der Platte sich befindet, durch welche
die Wärme au den Kranken gelangt. Diese Modifikation ist anderen vorzu-
ziehen, da eine Verbrennung des Kranken ausgeschlossen ist.
Nachdem allen Anforderungen, wie sie für jede Narkose erfüllt werden
müssen, gerecht geworden ist, wird die Narkose begonnen.
Die Methoden des Ghloroformierens sind verschiedener Art, und lassen
sich hauptsächlich in zwei große Gruppen scheiden, die einen, in denen dem
Kranken das Chloroform direkt in Form von Tropfen oder flüssigen Mengen
auf einer Maske gereicht wird, und die andern, in denen in einem Apparat die
Dämpfe des Chloroforms mit Luft in einem bestimmten Verhältnis gemischt
werden und dieses Luft-Chloroformdampfgemisch dem Patienten zugeführt wird.
Bei der Chloroforinnarkose gilt es vor allem zu bedenken, eine Methode
zu wählen, welche dem Kranken die denkbar geringste Gefahr quo ad vitam
et valitudinem bietet und dabei dem Arzte auch die Handhabung der Narkose
so viel als möglich erleichtert. Die Gefahr für den Kranken liegt nun meistens
in der Überschwemmung mit Chloroform, in der Verabreichung zu großer
Dosen. Es geht aus den früher geschilderten Befunden an Herz, Leber,
— 301 —
Niere. Gehirn der au Chloroformwirkung verstorbenen Menschen und Tiere
mit Evidenz hervor, daß große Dosen des Chloroforms, auf einmal in den
Organismus gelangt, schwere Schädigungen hervorrufen und daß das Chloro-
form ein Gift ist, dessen Eigenschaften so überaus verschieden und abhängig
sind von so vielen Nebenumständen in ihrer Einwirkung auf den Organismus,
daß man die größte Vorsicht in der Verabreichung obwalten lassen muß. Eine
sehr üble Eigenschaft des Chloroforms liegt auch noch darin, daß es kumu-
lierend wirkt, worin die Forderung feinster Dosierung gegeben ist. Die
kumulierende Wirkung ist die Folge der schwereren Löslichkeit im Blut-
plasma und somit auch der weniger schnellen Abgabe des Chloroforms von
selten des Protoplasmas der Zellen des Zellsaftes, und endlich des Blutes.
Die erste Methode der Chloroformnarkose, wie sie von Simpson etc.
augewendet wurde, bestand darin, daß man auf eine Maske oder auf eine
zusammengefaltete Kompresse Chloroform aufgoß und diese mit Chloroform
getränkte Maske etc. dem Kranken vor Mund und Nase hielt unter möglichstem
Abschluß von Luft, Man glaubte damals, je dichter man die atmosphärische
Luft vom Kranken fernhielt, um so schneller und tiefer würde derselbe narko-
tisiert. So verwandte man die Skinnersche, Esmarchsche und andere
Masken zur Narkose, welche Masken aus einem ürahtgestell bestanden, über
welches ein Trikotüberzug gespannt war. Man legte die Maske auf das
Gesicht des Kranken und goß von außen Chloroform auf den Überzug. Durch
die Atmung des Kranken wurde Luft durch den Trikotüberzug gesaugt, der
das verdunstende Chloroform sich beimischte. Es entstand somit unter der
Maske zunächst ein Gemisch aus atmosphärischer Luft und Chloroformdämpfen.
Beim weiteren Atmen des Kranken gelangte aber auch die Exspirationsluft,
die reich an Kohlensäure ist, mit unter die Maske und so bildete sich nach
wenigen Minuten, wenn die Maske der Vorschrift entsprechend nicht auf-
genommen wurde, unter derselben ein Gasgemisch, das hauptsächlich ans
Chloroformdampf und Kohlensäure, sowie Stickstoff und Wasserdampf bestand,
während Sauerstoff' nur sehr wenig dabei war, da ja die Exspirationsluft immer
wieder aus- und eingeatmet und so immer ärmer an Sauerstoff wurde, während
vom Überzug der Maske nur immer neue Chloroformdämpfe entstanden.
Natürlich kann durch den porösen Überzug der Maske Luft hindurch treten,
doch diese Menge von Sauerstoff wird sehr gering sein, da ja dieser Überzug
mit Chloroform getränkt ist. Es ist also zweifellos, daß die Geraische von
Dämpfen und Gasen unter der Maske bei dieser Methode sehr viel Chloroform,
Kohlensäure und wenig Sauerstoff' aufweisen. Der Kranke atmet neben deu
Chloroformdämpfen wieder die exspirierte Kohlensäure ein, und steht so unter
Chloroform-Kohlensäurenarkose. Im Blut bildet sich Sauerstoffinangel und
Kohlensäurereichtum. Dies zeigt sich äußerlich durch Cynose im Gesicht an.
Die Verhältnisse der Gasgemische, welche unter der Esmarchschen
Maske während der Chloroformnarkose herrschen, sind von Witte des
genaueren studiert worden. Er stellte vohimetrische Messungen der unter
einer Esmarchschen Maske während der Chloroformuarkose befindlichen
Luft an und verglich die gewonnenen Zahlen seiner 34 Versuche mit den
Zahlen, welche Paul Bert bei der Aufstellung seiner dose mortelle, anaesthesique
et mauiable gewonnen hatte. Bei der Umrechnung der nach Gewichtsmengen
angegebenen Konzentrationen (dose mortelle ist gleich dem Verhältnis von
20,0 g Chloroform zu 100 1 atmosphärischer Luft, die dose anaesthesique ist
— 302 —
gleich dem Verhältnis von 10,0 g Chloroform zu 100 1 Luft) in Volumprozente
ergab sich für die dose mortelle 1,87 7o, für die dose anaesthesique 3,74 %•
Eine nach drei Minuten tötende Konzentration war 30 g Chloroform auf
100 1 Luft, das einem Volumprozent von 5,61^0 entspricht. Die Gasgemenge
unter der Esmarchschen Maske entsprachen nun meist der dose anaesthesique
bei einer vorsichtigen, tropfenweis verabreichenden Methode, nur selten näherten
sich die Werte der dose mortelle. Gab mau aber versuchsweise größere Mengen
Chloroform auf die Maske, so erreichte das Gasgemenge sofort einen Prozent-
gehalt von 6,63 7o, was also die in drei Minuten tötende Konzentration (5,61 7o)
bedeutend überstieg.
Dies ist also ein Beweis, daß man durch Aufgießen von Chloroform in
Strömen auf die Maske so hohe Konzentrationen des Chloroformdampfluft-
gemisches unter der Maske erreicht, daß ein Mensch bei unausgesetzter In-
spiration binnen wenigen Minuten zugrunde gehen muß. Durch Analysen der
Luftchloroformdampfgemische hat man dann auch den hohen Gehalt an
Kohlensäure und den geringen Sauerstoifgehalt gefunden. Es ist leicht ver-
ständlich, daß diese beiden Umstände eine große Gefahr für den Narkoti-
sierten bilden. Man ist daher aucli von jener alten Methode, der Verab-
reichung in Güssen, abgekommen und hat den Grundsatz für eine gutgeleitete
Narkose aufgestellt, das Narkotikum nur in kleinen Mengen, gleichmäßig
dosiert, zu verabreichen.
Durch die Versuche von Paul Bert, Overton, Meyer u. a. ist nach-
gewiesen, daß eine Konzentration von 8,0 g Chloroform auf 100 1 Luft gemischt
in Gasgemengen gerade genügend ist, um eine vollständige Narkose zu erzeugen.
Wenn dem Kranken ein Gasgemisch dieser Konzentration oder wie oben
bemerkt von ca. 1,87 "/o Chloroformgehalt in die Lungen gebracht wird, so
wird im Blute sehr bald eine gleiche Konzentration der Chloroformdämpfe
sich zu bilden suchen und wenn diese Konzentration im Blutplasma erreicht
ist, wird tiefe Narkose eintreten. Es liegt demnach daran, dem Kranken immer
ein Luftchloroformgemisch von 1,87% oder 8 — 10 g pro 100 1 Luft zuzuführen.
Die zahlreichen Versuche haben nun ergeben, daß man diese immer gleich
konzentrierten Chloroformluftgemische auf verschiedene Arten erreichen kann.
Als einfachste Methode hat sich die Tropfmethode bewährt (Witzel etc.).
Man hat nämlich gefunden, daß unter einer Esmarchschen Maske, wenn
man immer nur tropfeuweis Chloroform auf tropfen läßt, ungefähr 40 — 60 Tropfen
in der Minute, ein Gasgemisch der gewünschten Konzentration entsteht, welches
immer ungefähr gleichbleibt, wenn man die Tropfen in der gleichen Weise
auffallen läßt. Sobald man aber in Strömen Chloroform aufgießt, wird eine
viel zu hohe Konzentration erreicht.
Die Tropfmethode hat ihren eigentlichen Meister in Witzel,
wenigstens ist von Witzel zuerst eine systematische Methode in Form der
sog. Tropfmethode angegeben und wissenschaftlich begründet und ausgebaut
worden. Es ist dies ein nicht zu unterschätzendes Verdienst, denn wenn man
bedenkt, welche enorme toxische Einwirkung das Chloroform auf alle inneren
parenchymatösen Organe des tierischen Körpers hat, und besonders noch
gesteigert in etwaigen krankhaften Zuständen etc. haben kann, wird man
abwägen können, was es bedeutet, eine möglichst gefahrlose und doch überall
und unter allen Umständen anwendbare Methode der Chloroformierung zu haben.
Und daß die Tropfmethode das leistet, was man von einer guten Narkosen-
methode fordert, das hat die Erfahrung hinreichend bewiesen und gezeigt.
— 303 —
Es hat sich diese Methode , die im Anfang nur für die f'hloroforinnarkose
angegeben worden war, auch als überaus geeignet für alle anderen zu längeren
Narkosen zu verwendenden Narkotika erwiesen und ist deshalb als beste Methode
für jede Narkose schon im Allgemeinen Teil genau erörtert worden. Somit ist
es hier nicht nötig, die Technik genau zu wiederholen. Tch will nur bemerken,
daß man auch in der Tropfmethode imstande ist, in jedem Moment die Kon-
zentration der Chloroformdampfluftgemische in ihrer Konzentration zu ändern.
Dies ist ja natürlich unbedingt nötig, denn man wird bei dem Beginn der
Narkose höhere Konzentrationen brauchen, als im Stadium der Toleranz.
Natürlich soll man auch im Anfang nur langsam den Kranken in die Betäubung
einschleichen, er soll nicht mit Gewalt narkotisiert werden, sondern soll
langsam einschlafen, als würde ein ruhiger Schlaf ihn in seine Träume ein-
wiegen. Deshalb soll man im Anfang dem Kranken noch reichlich Luft neben
der Maske zuströmen lassen.
Es gilt dies für alle Methoden, daß im Beginn der Narkose der Kranke
nicht sofort die höchste Konzentration 8:100 1 Luft erhalten soll, denn diese
hohe Konzentration würde ihm das Atmen erschweren, es würden Reize aus-
geübt werden, die schwere Folgen haben könnten (Reflexsynkope). Es ist
also die Hauptforderung, daß der Kranke erst einige Atemzüge unter der
Maske tut, ohne Chloroform zu erhalten, er atmet ijuasi Probe. Dies hat den
Zweck, den Kranken zu beruhigen und an das Atmen unter der Maske zu
gewöhnen, damit er sieht, er kann auch iinter der Maske Luft in genügenden
Mengen erhalten. Nach einigen Atemzügen läßt man langsam einige Tropfen
Chloroform in Zwischenräumen von je 3 — 4 Sekunden auffallen. Atmet der
Kranke ungestört weiter, so läßt man die Tropfen immer öfter fallen.
Es muß natürlich noch so manches nebenbei beachtet werden, der
Kranke muß vorbereitet sein, es muß Ruhe im Zimmer herrschen etc., alles das
muß erfüllt sein, was im Allgemeinen Teil des genaueren augeführt und
aufgezählt ist. Nur dann kann man eine gute und ruhige Narkose erhalten.
Man wird nun auch bei der Tropfmethode den Kranken von 200 zurück-
zählen lassen (Lengemann). Früher ließ man von 1 an zählen, doch das
Abwärtszählen läßt den Kranken mehr denken, er wird im Geist von der
Operation abgelenkt, wird ruhiger und der Narkotiseur bemerkt am ehesten,
wenn der Kranke in das Stadium II übergeht, denn die ersten Trübungen
der Assoziationen zeigen sich hierbei im falschen Zählen. Der Kranke macht
Fehler, überschlägt Zahlen, sagt einzelne doppelt, immer noch merkt man aber
das Bemühen, abwärts zu zählen, bis er endlich aufhört. Das Bewußtsein ist
dann erloschen. Allerdings kann es sich ereignen, daß der Arzt froh sein
wird, wenn die Kranken von 1 an zählen können (Kinder, wenig intelligente
Personen). Dann soll man sie nach ihrer gewohnten Weise zählen lassen.
Es hängt sehr viel davon ab, daß der Anfang der Narkose nach den
Vorschriften eingeleitet ist, denn danach richtet sich der ganze weitere
Verlauf. Man hat beobachtet, daß die ganze weitere Narkose unruhig, von
Unfällen, Erbrechen, starker Excitation gestört war, wenn der Kranke hei den
ersten Atemzügen zu hochkonzentrierte Chloroformluftgemenge erhielt, so daß
er sofort die Atmung anhielt und so nicht respirieren zu können angab , die
Maske vom Gesicht entfernen wollte, sich sträubte etc. Dadurch kommt es
— 304 —
zu einem wahren Kampf zwischen Patient und Arzt resp. Personal, und der
Kranke verliert das Vertrauen und die Ruhe. Wer öfter Narkosen geleitet
hat, wird wissen, daß sich nun in den Träumen des Kranken während der
nächsten Minuten immer diese Szenen weiter fortspielen, der Kranke träumt
dadurch aufgeregt und selbst im Stadium der Toleranz treten Störungen auf,
weil der Kranke sofort unruhig wird, wenn er einmal dem Erwachen nahe
kommt. Es ist also jeder die psychische Piuhe des Krauken störende Einfluß
und umstand fernzuhalten. Alle die für die Chloroformnarkose sonst erforder-
lichen Verhältnisse der Umgebung etc. erfordern dieselben Maßnahmen, wie
jede andere Narkose auch, und es sind daher die Angaben des Allgemeinen
Teiles zu berücksichtigen.
Das Lastrumentarium für die Tropfmethode besteht in einer Maske, wie
sie von Esmarch, Skinner etc. angegeben ist. Die Hauptbedingung hei
den Masken ist die, daß sie mit durchlässigem Stoff' überspannt sind, mit Trikot
und nicht mit Billrothbattist. Mau tropft ja bei der Tropfmethode das Chloro-
form auf die Außenseite der Maske, dann verteilt sich das Chloroform in dem
Trikotstoff, und die durch die Atmung in Bewegung gesetzte Luft streicht
durch den Trikotstoff, indem sie den verdunstenden Chloroformmengen sich
beimischt. Dies ist das Prinzip der Methode, daß der Kranke von überallher
durch die Maske Luft erhalten kann.
Die Maske ist nun nicht unbedingt notwendig für eine Chloroformnarkose,
man wird sich auch mit einer Kompresse begnügen können, die man dem
Kranken, mit Chloroform getränkt, vor Mund und Nase halten kann. Auch
auf diese Art ist Narkose auszuführen und diese Methode ist bei kleinen
Kindern sogar besser und praktischer als die Verwendung einer Maske. Wenn
man Kinder von 2 — 4 Jahreu chloroformieren will, sei es nun lange oder nur
vorübergehend, so bedient man sich am besten eines Handtuches oder einer
dünnen Kompresse, die mau in einer Lage über das Gesicht legt. Auf die Gegend
der Nase tropft man einen Tropfen Chloroform auf. Je nach Bedarf wiederholt
man dies, und das Kind wird sehr bald einschlafen. Da Kinder schon von
ganz geringen Mengen betäubt werden, so muß man mit Chloroform sehr
vorsichtig sein und der leichte Luftzutritt bei dieser Methode verhindert eine
Intoxikation mit Apnoe oder Sj^nkope, die bei Kindern schneller und schwerer
auftreten als bei erwachsenen Personen. Kappeier empfiehlt ein Tuch
tütenförmig zusammenzurollen, so daß ein Kegelmantel entsteht, dessen weite
runde Basis auf das Gesicht aufgehalten wird und durch dessen Spitze Luft
und Chloroform Zutritt erlangt, nebenbei kann auch durch den Mautel selbst
Luft zutreten. Diese einfachen Methoden will ich hier erwähnen, da sie noch
immer Verwendung finden können, wenn der Arzt in Verhältnisse kommt, wo
er keine Maske zur Hand hat. Bei Gelegenheiten in fernen Ortschaften auf dem
Lande kann er dann doch chloroformieren, wenn er auch die Maske gerade
nicht bei der Hand hat, sofern er Chloroform bei sich führt, oder aus der
Apotheke holen lassen kann. Einzig in solchen Verhältnissen wird man zu
solchen einfachen Mitteln greifen, und es ist dann immerhin gut, wenn man
sich zu helfen weiß.
Wenn man nun auch in der Esmarch sehen Maske eine für die
Chloroform tropfnarkose vollkommen genügende Maske besaß, so wurden
doch im Laufe der Zeit eine Anzahl neuer Masken konstruiert, die im Grunde
von der Esmarchschen ausgingen und das Prinzip behielten, nur hier und
da Besserungen und Veränderungen der Konstruktion zeigten;
Die Skiunersche Maske ist der Esmarchschen vollkommen gleich
bezüglich der Funktion, nur ist sie etwas anders geformt. Man findet die
beiden Masken in nachstehenden Abbildungen in Figur 103 und 101 aufgeführt.
:j()5
Fl'j-m lo;;.
Fiöur 104.
Ohloroluniiuiaske nach Skiinier.
(.'lilüi'ofonnmaske
nach V. Esmarcb.
Schimmelbusch hat eine Veränderung- insofern angegeben, als er eine
zerlegbare Maske konstruierte, die man besser mit sich über Land führen kann,
man findet sie in Figur 105 und 106 abgebildet.
Fiffur 105.
Chloroformmaske
nach Schimmelbusch mit
seitlichem Halter.
Chloroformmaske
nach Schimmelbuscb mit Stirnhalter.
Es besteht bei allen diesen Masken ein kleiner Uebelstand, der nur dann
als solcher bemerkbar wird, wenn mau recht viel Chloroform auf die Maske
tropfen muß, und der namentlich früher sehr unangenehm fühlbar wurde, als
man noch in Strömen Chloroform aufgoß, nämlich der, daß das Chloroform
vom Stoff der Maske herunter auf die Gesichtshaut floß und daselbst die
Haut infolge der Kältewirkung schädigte. Kirchhoff hat diesem Uebel-
stande abgeholfen, indem er um die Maske, da wo sie auf dem Gesicht aufliegt,
eine l'etallrinne anbrachte, in der sich das abfließende Chloroform sammeln
sollte. Diese Maske besitzt für uns keinen Torteil, da jetzt ein Abfließen
von Chloroform bei der Tropfmethode nicht vorkommen, und die alte
Methode, in Güssen zu chloroformieren, nicht mehr angewendet werden darf.
Eine Maske, welche mit ihrem Trikot nicht auf das Gesicht reicht, sondern
unten einen freien Kaum läßt, wodurch erstens Herabfließen von Chloroform
verhindert, zweitens eiu erleichterter Luftzutritt geschaffen wird, ist von
Girard, und eine nach derselben Methode, welche noch zwei Ringe zu ihren
beiden Seiten besitzt, in denen eiu Finger der das Gesicht resp. den Kiefer
haltenden Hände einfassen und die Maske halten kann, ist von Kocher
konstruiert worden. Vajnas gab eine Maske aus Glas an. Dieselbe besteht
aus einem ovalen Glaszylinder , der nach der Gesichtsform an der Basis
ausgeschnitten, an der anderen der Basis gegenüberliegenden Fläche gerade
abgetrennt ist, worüber ein Trikotstoff gespannt wird, auf den mau das
Chloroform auftropft. Die Maske hat den Vorzug, daß man das Gesicht
betrachten kann. Allerdings ist auch dies nicht leicht und meist unmöglich,
20
— 306 —
da sich das Glas innen mit Wasserdampf beschlägt. Der Nachteil der Maske
ist der, daß sie leicht zerschlagen werden kann. Ferner hat man Masken
konstruiert, welche durch ein Band an der Stirn des Kranken befestigt werden,
somit auf dem Gesicht fixiert sind, der Arzt kann dieselben beiseite schieben,
braucht sie aber nicht zuhalten (Stobwasser). Cheatle hat einen Apparat
konstruiert, der aus einem Fischbeinstab und einem Griff mit Schrauben-
vorrichtung besteht. Der Fischbeinstab wird gebogen und beide Enden in den
Griff geschoben und über die Fischbeinbiegung irgendein Stoff gespannt, so daß
man sich schnell eine Maske bereiten kann. Ein Bügel aus Fischbein hält den
Stoff gehoben. Ich habe hier eine Eeihe solcher verschiedenen Masken kurz
angeführt, es gibt noch eine große Menge andere, welche hier anzuführen zu
weitschweifig wäre, denn die Esmarchsche und Skinnersche Maske sind
für die Tropfmethode yollkommen genügend und am praktischsten.
Es ist jetzt die Tropfmethode diejenige Art der Chloroformierung, welche
am meisten angewendet wird und wegen des geringen und kleinen Apparates,
den der Arzt nötig hat, in allen Lagen und Verhältnissen anzuwenden ist. In
Kliniken und Krankenhäusern kann man sich umständlichere Apparate leisten,
allein der praktische Arzt müßte immer einen kleinen Möbelwagen mit sich
führen, wenn er solche komplizierte, allerdings auch sehr gut funktionierende
Apparate verwenden wollte. Es wird eben so lange als der Arzt äußere Praxis
treibt, solange nicht alle Patienten ins Krankenhaus gehen, oder in jedem kleinen
Neste ein Krankenhaus besteht, was ja bei der Sucht in neuerer Zeit, überall
Krankenhäuser zu errichten und der Überfüllung des ärztlichen Standes vielleicht
einstmals möglich sein wird, immer die Tropfmethode die Methode der Praxis
sein. Deshalb habe ich dieselbe auch zuerst betrachtet uiTd erörtet.
Bei dem Bemühen, eine möglichst bestimmte Konzentration der Chloro-
formluftgemische in jeder Sekunde variabel durch einen Apparat zu erreichen,
hat man eine Reihe von komplizierten Apparaten konstruiert. Der erste, der
einen derartigen Apparat baute, war Junker. Dieser Junkersche Chloro-
formapparat, wie ihn Figur 107 zeigt, besteht aus einem Fläschchen, in welches
das Chloroform geschüttet wird und in dessen Verschluß zwei Öffnungen mit
Rohren angebracht sind. Das eine Rohr führt bis auf den Boden des
Fläschchens, das andere ist kurz unter dem Verschluß abgeschnitten.
Fig. 107.
Chloroformapparat nach Junker.
— 307 —
An das auf den Boden reichende Kohr wird ein Gebläse angesetzt und an
das andere Rohr ein Gummischlauch der nach einer Metallmaske führt, die
luftdicht auf das Gesicht paßt und an welcher noch ein Ventil für den Eintritt
von Luft und ein solches für den Austritt der Exspirationsluft sich befindet.
Es wird durch das Gebläse Luft durch das in dem Fläschchen befindliche
Chloroform getrieben, welche sich mit ChJoroformdämpfen sättigt und nach der
Maske gelangt. Wenn man nun das Luftventil der Maske schließt, so atmet
der Kranke nur die ihm durch den Blasebalg zugetriebene Luft mit Chloro-
form. Je nach der Geschwindigkeit, mit der man die Luft durch den Apparat
treibt, richtet sich die Menge des Chloroforms, die der Kranke atmet. Öffnet
man das Luftrentil der Maske, so atmet der Kranke noch mehr Luft, und
setzt man den Blasebalg nicht in Bewegung, so atmet der Kranke reine Luft.
Dies ist der ursprüngliche Junkersche Apparat und dessen Prinzip.
Es sind nun eine Reihe von Modifikationen dieses Apparates geschaffen
worden. Friedrich hat denselben verbessert.
Einen ähnlichen Apparat hat Kapp eler konstruiert,
nur besitzt derselbe einen wesentlichen Unterschied, der
darin gelegen ist, daß das in das Chloroformgefäß vom
Gebläse aus führende Rohr nicht bis auf den Boden des
Gefäßes reicht, sondern nur so tief, daß es 1 mm über der
Chloroformfläche endet, wenn 50 ccm Chloroform in die
Flasche geschüttet sind. Die übrige Bauart ist dieselbe
wie der Junkersche Apparat. Es ist nun sehr wesentlich,
daß das zuführende Rohr nie in das Chloroform taucht.
Bei der Funktion des Junkers eben Apparates werden leicht
durch den durch das Chloroform getriebenen Luftstrom f"
feine Chloroformtropfen mit fortgerissen und gelangen in
der Luft in die Lungen etc. des Kranken. Jedenfalls wird
beim Junkerschen Apparat sehr leicht eine überaus hohe
Konzentration erreicht, was beim Kappelerschen System
vermieden wird. Das Gefäß beim Kappelerschen
Apparat enthält eine Skala von 5 — .^0, die die Chloroform-
menge angibt. Neben dieser Skala sind noch 2 andere,
wie aus Figur 108 ersichtlich.
Das Doppelgebläse des Kappelerschen Apparates
muß entsprechend den beiden Skalen E und F, welche die
Chloroformverdunstuug angeben, einen Rauminhalt von
110 ccm haben. Die drei Skalen sind der besseren Unter-
scheidung halber im Apparat rot, weiß und blau gefärbt.
Wenn mau das Gebläse des Apparates 30 mal in der
Minute funktionieren läßt, so wird ein genau bestimmtes
Chloroformdampfluftgemisch erzeugt, dessen Konzentration
auf den Skalen abgelesen werden kann und zwar gibt die
Skala D den Chloroforminhalt des Gefäßes in Kubik-
zentimetern an. Die Skalen E und F zeigen Gehalt des
Chluroformdampfluftgemisches an Chloroform auf 100 1
Luft in Grammen an. Auf der Skala E liest man die
Konzentration des eingeatmeten Luftcbloroformdampf-
gemisches auf 100 1 Luft in Grammen ab, wenn von
50 ccm an weiter verdunstet wird. Hat man das Glas
Figur 108.
11^
ä?
SO,i— i''*.«!
1—1—17,^
P
S.S
6.8-35
^■30
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10
■S-
■ü_l
-]>
mit 50 ccm Chloroform gefüllt und ohne Unterbrechung
Die drei Skalen in
die Narkose durch stetiges Bewegen des Gebläses bis auf Kannelerschen
eine Chloroformmenge von 25 ccm im Glas weitergeführt, Annarates
so erhält der Patient bei 50 ccm Füllung mit Chloroform ^^
ein Chloroformdampfluftgemisch von 14,8 g Chloroform auf ICO 1 Luft. Hat
man aber beim Weiterchloroformieren eine Chloroformhöhe von 45 ccm erreicht,
20*
— 308 —
so erhält der Kranke jetzt ein Grasgeniiscli von 7,5 g Chloroform auf 100 1
Luft. So ändert sich die Konzentration des Gasgemisches mit dem Sinken
des Niveaus des Chloroforms in der Flasche und wenn ein Niveau von 25 ccm
Chloroform erreicht ist, erhält der Kranke ein Gasgemisch von 2,8 g Chloro-
form auf 100 1 Luft. Dieses von 14,8 g auf 2,8 g abwärts schreitende Gas-
gemisch ist für Männer ausreichend, um eine tiefe Narkose zu erreichen. Die
Skala F gibt die Konzentration des Gasgemisches in Grammen auf 100 1
Luft berechnet an, wenn die Narkose bei einer Höhe des Chloroforms von
50,45, 40, 35, 30 ccm begonnen wird.
Wenn man Frauen oder Kinder mit dem Apparat narkotisieren will,
muß man ein weniger hoch konzentriertes Gasgemisch verwenden, als 14,8,
und man wählt dann die Skala F. Will man Frauen mit dem Apparat
narkotisieren, so füllt man das Gefäß nur bis 45 ccm mit Chloroform, und für
Narkose an Kindern nur bis 40 ccm oder 35 ccm, und von diesem Chloroform-
stand beginnt man die Narkose. Es ist klar ersichtlich, daß der Chloroform-
gehalt des beim Betrieb des Apparates entstehenden Cloroformdampfluft-
gemenges ein anderer ist, wenn das Chloroform bis 40 reicht, als wenn es bis
50 reicht, und so in jedem Moment anders, wenn durch den durchströmenden
Lufthauch das Chloroform nach und nach verdunstend einen immer niedrigeren
Chloroformstand annehmen wird.
Es wird durch diese Einrichtung erreicht, daß man sehr wenig Chloro-
form für eine tiefe Narkose braucht, daß der Kranke nie einen höher konzen-
trierten Chloroformluftstrom erhalten kann als der höchste Punkt der Skala
anzeigt, daß man das Chloroform annähernd genau dosieren und so dem
Alter, Geschlecht, Konstitution und Krankheit des Kranken anpassen sowie
die Konzentration des dem Kranken zugeführteu Chloroformdampfluftgemenges
in jedem Augenblick von der Skala ablesen kann. Daß mm die auf der Skala
angegebenen Zahlen nicht ganz mathematisch genau stimmen, kommt bei der
geringen Fehlerzahl nicht in Betracht, es werden ja verschiedene Momente,
wie die verschiedene Temperatur etc. einwirken, doch die Abweichungen sind
so gering, daß man die Zahlen als richtig annehmen kann.
Eine Modifikation dieses Kappelerschen Apparates ist der von
Schöuemann konstruierte, in Figur 109 abgebildete Chloroformuniversalapparat,
Chloroformapparat von Schönemann.
den man als Kappelerschen Apparat oder als Maske mit Tropfflasche ver-
wenden kann, je nachdem es der Narkotiseur wünscht. Es ist dies ein Vor-
teil des Apparates. Die Konstruktion ist aus der Figur deutlich zu erkennen.
Er ist im Prinzip dem Kappelerschen gleich, nur ist er leicht zu zerlegen.
Diese je nach der Narkose verschieden beanspruchte Chloroforramenge
hat man versucht auf andere Art zu modifizieren, als es Kappeier in der
309
verschieden bolien Füllxiug' erreicht hat. Krohue und Sesemaun haben den
ursprüng'lichen Junker sehen Apparat gewählt und das Gebläse verändert,
während sie sonst den Apparat genau wie den Junkers eben (mit auf den
Boden des Glases reichendem zuführenden Rohr) konstruierten. Man bat das
Gehläse mit 4 Ringen versehen und diese Druckbirne mit den Ringen so
konstruiert, das ein Druck in der Gegend je eines Ringes eine bestimmte
Konzentration des Cbloroformgemisches hervorruft. Figur 110 zeigt diese
Birne, die mit dem Schlauch an die Flasche des Junkerschen Apparates
angefügt wird.
Wenn man den obersten Ring komprimiert, so wird am Figur 110.
wenigsten, wenn man den untersten komprimiert, am meisten
Chloroform dem Kranken zugeführt. Kr ohne und Sesemanu
gingen hierbei von den Angaben von Snow aus, daß man zur
Erzielung einer ruhigen Narkose 4 — 5 Minuten brauche, in
Ausnahmefällen 6 — 7 Minuten, bei Kindern und schwächlichen
Erwachseneu nur 2 — 3 Minuten, und daß dazu nötig wären
1,17 ccm = 1,75.5 g Chloroform. Sie bezweckten nun mit dem
Apparat, dem Kranken in der bestimmten Zeit diese Menge
Chloroform zuzuführen und zwar in allmählich zu steigernden
Quantitäten. So gaben sie für die erste Minute bei 20 Inspi-
rationen 20 Achtelkompressionen, d. h. 20 Kompressionen des
obersten Ringes, sodann für die zweite Minute 20 Viertel-
(zweiteu Ringes), für die dritte Minute 20 Halbe- (dritten Ringes) Gebläse des
und für die vierte Minute 20 Dreiviertelkompressionen (des Apparates von
vierten Ringes) an. Wenn dies so ausgeführt wird, so erhält Krohne-
der Kranke wahrscheinlich während der vierten Älinute die Sesemann.
nötige Chloroformmenge für die Narkose zugeführt. Wenn
noch nicht tiefe Narkose eingetreten ist, so soll während der fünften Minute
mit jeder Inspiration des Krauken eine volle Kompression des ganzen Gebläses
gegeben werden, bis die Narkose vollkommen ist. Sobald Toleranz eingetreten
ist, genügen kleine mit jeder Inspiration zu verabreichende Dosen. Man soll
nun immer nur so viel Chloroform durch Kompression des Gebläses geben, daß
der Kranke eben in tiefer Narkose liegt, nur so viel Chloroform,
als der Organismus wieder ausgeschieden hat. Das Prinzip ist Figur 111.
also , bei Beginn nur einen kleinen Teil des Gebläses in Tätig-
keit zu setzen und nach und nach mehr zu tun, immer in
Harmonie mit der Atmung, die natürlich nicht stocken darf und
genau kontrolliert werden muß. Dieser Apparat ist nun noch
einmal modifiziert worden von Krohue und Sesemann. Derselbe
hat an dem Gebläse 3 Abteilungen in Form von 3 Kugeln, von
denen die oberste 10 ccm, die zweite 30 ccm und die dritte 60 ccm
groß ist und welche bei der Einleitung der Narkose nacheinander
in Tätigkeit gesetzt werden, wie oben beschrieben. Es werden
durch diese Modifikation, deren Gebläse in Figur 111 ver-
anschaulicht ist, ziemlich genaue Konzentrationen dem Kranken
zugeführt.
Diese Apparate werden von vielen gelobt, weil sie einerseits
sehr wenig Chloroform verbrauchen, annähernd genau dosierte
Chloroformmengen dem Kranken zuführen und andererseits eine
ruhige Narkose bewirken ohne starke Exzitatiou, ohne Erbrechen und
postnarkotischem Übelsein. So haben sich diese Apparate vielfach
Anhänger erworben. Natürlich gehört zur Narkose mit diesen
Apparaten eine gewisse Übung, die sich ja ein Arzt schnell Gebläse des
aneignet und eine genaue Beobachtung des Kranken, die ja bei Apparates
allen Methoden absolute Notwendigkeit ist. Ob aber diese Appa-'^onKrohne -
rate einen großen Vorteil vor der Tropfmethode voraushaben, will ' ^semann.
ich nicht entscheiden, jedenfalls ist ein Urteil nicht leicht zu fällen, und
— 310 —
es haften jeder Methode Mängel au, deshalb wird sich Jeder Narkotiseur seine
spezielle Methode wählen. Ans dem Grunde, 'jedem eine große Auswahl
für seine ganz individuellen Eigenheiten zu geben, führe ich alle diese
Apparate an.
Neuerdings ist von Pflüg er eine Methode, welche früher rein Methode
der physiologischen Laboratorien war, auch in die klinische Tätigkeit ein-
geführt worden. Dieselbe hat den Grundsatz, dem Kranken möglichst genau
dosierte und doch jederzeit wechselbare Mengen von Luft und Chloroform zu-
zuführen. Der Apparat ist von Kronecker konstruiert und besteht in Vor-
richtungen, welche unter dem Drucke einer Hochdruckwasserleitung dem
Kranken ein genau titriertes Gemenge von durch Wasser getriebener Luft und
durch Chloroform getriebener Luft in leicht veränderbarem Rhythmus zuführt.
Man kann die Konzentration der Gemische leicht ändern, ev. sofort Chloroform
vollkommen ausscheiden. Die Narkose wird mit einem Gemisch aus 20 Teilen
Chloroform und 80 Teilen Luft eingeleitet und später mit 40 — 50**/o Chloroform
fortgeführt bis Toleranz erreicht ist, dann wird nur ein 10 prozentiges Gemisch
gegeben, um die Narkose weiter zu erhalten. Der Vorzug dieser Methode ist
nach Pflüger in der leichten Änderung der Konzentration und genauen
Konzentration während der Narkose, ferner darin, daß der Kranke zum Atmen
angeregt wird, weil ihm durch den Apparat Luft und Chloroform in die
Nase etc. gepumpt wird, ferner in dem geringen Konsum von Chloroform und
in der ruhigen exzitationslosen Narkose gelegen.
Es sind nun aber nicht immer die Verhältnisse so, daß man derartige
Apparate für Narkosen verwenden kann, wie ich sie bisher angeführt habe.
Es können Verhältnisse obwalten, wo es dem Arzte unmöglich ist, die Maske
auf das Gesicht des Kranken zu legen, weil gerade das Operationsfeld im
Gesicht liegt und somit eine Berührung die Wunden verunreinigen würde, und
ferner kommen Gelegenheiten und Verhältnisse vor, wo der Mensch nicht
durch den Mund atmet, sondern durch Tracheotomiewunden und Kanülen, da
entweder die Krankheit eine Tracheotomie erfordert hat, oder die Narkose
oder die ungünstigen Verhältnisse bei der Operation die Tracheotomie ver-
langten. In solchen Verhältnissen kommt man schwer mit der Maske von
Esmarch oder dem Junkerschen Apparat etc. aus. Zu solchen Gelegen-
heiten hat man eine Reihe von Methoden und Apparaten ersonnen. Es ist im
Allgemeinen Teil darüber schon das meiste angeführt und es ist hier nur noch
kurz zu erwähnen, daß man bei Operationen die im Munde oder Rachen vor
sich gehen, zweierlei Methoden der Narkose verwenden kann. Entweder mau
narkotisiert hier in Etappen, indem man erst den Kranken tief betäubt und
nun den Operateur so lange arbeiten läßt, bis der Kranke wieder zu erwachen
beginnt und nun wieder narkotisiert bis zur Toleranz und so fort, bis die
Operation beendet ist. Dazu muß man natürlich die Masken peinlich steri-
lisieren und verwendet am besten den Junkerschen Apparat, da man mit
demselben dem Kranken ein Luftgemisch höchstzulässiger Konzentration
direkt in Mund und Nase blasen kann, ohne daß man die Maske fest auf das
Gesicht legt, sondern sie nur soweit demselben nähert, daß sie nicht die
Wundflächen berührt. Wenn auch die Maske steril ist, so wird doch die
Asepsis gestört, wenn man die Maske auflegt. Die andere Art, bei solchen
Operationen zu narkotisieren, besteht darin, daß man mit dem Junkerschen
— an —
Apparat nicht eine Maske verbindet, sondern eigens dazu konstruierte
Kiefersperrer, die neben den Branchen ein Rohr führen, durch welches der
Junker sehe Apparat das ('hloroform in den Rachen bläst. So kann operiert
und zugleich narkotisiert werden, ohne daß beide Ärzte sich gegenseitig stören.
Solche Apparate sind von Hewitt und Probyn Williams konstruiert worden.
Sie sind früher erwähnt und abgebildet. Vgl. S. 192 Figur 35 und 36. Diese
Apparate lassen sich bei allen Operationen im Gesicht, Rachen, Hals und am
Kopf, wenn der Kranke seitlich oder auf dem Bauche liegen muß, gut ver-
wenden und stellen sehr praktische Hilfsmittel dar. Denn in allen jenen Fällen,
wo nicht der Operateur wünscht, daß der Kranke nur in einer Halbnarkose
gehalten wird, damit er noch Blut und Schleim aus dem Rachen und Kehlkopf
aushustet, ist die Narkose durch diese Apparate vorzuziehen der Narkose in
Etappen, während man letztere besser verwendet, wenn der Kranke noch auf
Reflexe reagieren soll.
Die Narkose durch die Tracheotomiekanüle wird nur in seltenen Fällen
angewendet. Wenn man dieselbe brauchen muß, so ist vor allem zu beachten,
daß die Luft, welche durch den Junkerschen etc. Apparat in die Trachea
eingeblasen wird, eine der Körperwärme nahekommende Temperatur besitzt,
denn die Luft von gewöhnlicher Temperatur 12 — 15'^ R wird durch den Chloro-
formdampf stark abgekühlt, und wenn dem Kranken solche kalte Luft direkt
in die Lunge gebracht wird, sind Lungen erkrankungen eine sichere Folge. Es
ist daher auch nicht geraten, den durch die Kanüle atmenden Menschen mit
der Tropf methode zu narkotisieren, indem man die Esmarchsche Maske
über die Kanüle hält. Die Luft unter dieser Maske ist nämlich sehr kalt.
Eine andere Methode ist die, die Kanüle mit einem Trichter durch einen Gummi-
schlauch zu verbinden, über die weite Öffnung des Trichters Gaze zu spannen
und auf diesen Gazeüberzug Chloroform aufzutropfen. Der Kranke muß die
Luft durch den Trichter saugen und atmet das Cloroform mit ein. Auch
dieser Methode haftet bis zu einem gewissen Grade der Übelstand der zu starken
Abkühlung der Luft durch das Verdunsten des Chloroforms an. Verwendet
man diesen Trichter, so muß die Luft eine sehr hohe Temperatur haben. Es
ist aber doch viel ratsamer, der Kranke wird durch einen Junker'schen
Apparat oder einen ähnlichen narkotisiert, in dem statt der Maske die Kanüle
mit dem abführenden Schlauch verbunden ist. Man wird dann entweder die
Luft im Zimmer sehr warm, 20 — 21^ R, temperieren, oder man wird die Luft
durch eine Wärmevorrichtung erwärmen, indem man den Schlauch in heißes
Wasser legt, der zwischen Apparat und Kanüle in genügender Länge vorhanden
sein muß, oder indem man auf sonst eine passende Art nur sehr warme Luft
in den Apparat gelangen läßt. Dieser Umstand ist überaus wichtig. Zur Er-
leichterung der Narkose per Tracheotomiam verwendet man die Trendelen-
burgsche Tamponkanüle oder die Hahn sehe Trachealkanüle. Beide Kanülen
sind so konstruiert, daß sie das Herablaufen des Blutes und Schleimes neben
Kanüle und Traehealwand verhindern, die erstere durch eine von außen mit
Luft aufzublasende Gummiwandung, die andere diu'ch Schwamm, welcher das
Blut etc. ansaugt und so taniponiert. Die erstere Kanüle ist entschieden
der anderen vorzuziehen. Dieselben sind auf Seite 191 abgebildet. Es wird
natürlich eine seltene Methode sein, die oben behandelt worden ist, doch sie
ist immerhin gelegentlich die einzig mögliche Narkose, und es muß der Arzt
— 312 —
wissen, wie er für den Kranken am günstigsten verfährt und was vor allem
dabei berücksichtigt werden muß.
Wenn ich bisher Apparate und Methoden genannt habe, so sind es
solche gewesen, die in der Praxis meist verwendbar, mit Ausnahme des
Pflügerschen Apparates, und gut für die Chloroformnarkose zu brauchen
sind, indem sie eine Narkose von geeigneter Tiefe und leichter Methodik
gestatten, und die auch meist in den Kliniken und Krankenhäusern für die
Chloroformnarkose verwendet werden.
Ehe ich die Narkose mittels dieser Apparate verlasse, ist es nötig,
noch einiger hierhergehörender Apparate und Methoden kurz zu erwähnen.
Kuhn empfiehlt, gestützt auf Beobachtungen bei Narkosen mittels dei
Trendelenburgschen Tamponkanüle eine Narkose ohne Maske, eine so-
genannte perorale und nasale Narkose, bei der das Chloroform durch Tiibage
direkt in die Lunge geleitet wird. Er beobachtete, dai3 der Vorteil der
Narkose mittels der Tracheotomiekanüle in einem geringen Chloroformver-
brauch und einem überaus ruhigen Verlauf der Narkose besteht, in dem
schnellen Erwachen des Kranken nach derselben, in der geringen Gefahr der
Überdosierung, im Wegfallen von Würgen, Erbrechen, Spasmus glottidis,
Aspiration von Schleim etc. sich zeigt.
Es ist übrigens diese Methode schon früher angewandt worden.
O'Dwyer konstruierte 1894 ein Instrument aus einem abgebogenen Metall-
rohr, an welches zweckentsprechende Tuben angeschraubt werden konnten,
und einem an dem Rohr befestigten Gummischlauch bestehend, der mit einem
Gebläse in Verbindung stand. Dieses Instrument wurde ursprünglich zur
Unterhaltung künstlicher Respiration bei Asphyxie-, Opium- etc. Vergiftungen
verwendet, dann aber als Ersatz für Trendelenburgs Trachealkanüle bei
größeren Operationen im Rachen, Nase etc. zur Narkose gebraucht. Nur für
Narkosen wurde 1898 von W. A. van Slockum ein Apparat konstruiert,
ebenfalls aus Tube und Zuleitungsrohr bestehend, der aber dabei eine voll-
ständige Tamponade des Aditus laryngis und der Trachea bewirkte. Weiter
haben dann Trump p, Schlechtendahl und andere die Intubation zui
Narkose angeraten. Schlechtendahl stellte Tierversuche mit der Narkose
mittels Intubation an, und gibt den Rat, den Kranken erst ein wenig anzu-
narkotisieren mit gewöhnlicher Maske und beim Eintritt der Toleranz das von
ihm angegebene Instrument in den Kehlkopf einzuführen und durch diese
Tube weiter zu narkotisieren. Das Instrument besteht aus Tuben, welche je
nach dem Alter und der Größe des Patienten gewählt werden und der Form
des Kehlkopfes genau entsprechen. Diese Tuben haben einen Fortsatz, an
dem ein elastisches Spiralrohr angefügt wird. Mittels einer bestimmten Zange
wird die Tube in den Kehlkopf gebracht. Die Kanülen schließen den Kehl-
kopf genau ab, so daß Blut etc. nicht in die Trachea gelangen kann.
Schlechtendahl gibt selbst zu, daß er bei seinen Tieren sehr oft Verletzungen
des Kehlkopfes durch die Tube gesehen hat, die jedenfalls beim Menschen
ebenfalls bewirkt werden können und eine sehr unangenehme Beigabe sind.
Es ist demnach diese Methode immer noch sehr im Beginn der Technik und
ist bis jetzt noch nicht als vollkommen anzusehen. Zweifellos hat dieselbe
viel Vorteile bei Operationen im Hals, doch es ist die Gelegenheit zur Ver-
wendung immerhin beschränkt, da man ja jetzt durch die Methoden der lokalen
— :5i:} —
Anästhesie sehr viel derartio'er Operationen ohne Narkose ausführen kann.
Außerdem gibt auch Schlechtendahl als Kontraindikation der Intubation '
Katarrhe der Lung-en an. die wegen des Schleimes liinderlich sind. Immerhin
wird es Fälle geben, in denen auch diese Methode der Chloroformnarkose wird
verwendet werden können zum Wohle des Kranken. Vor allem ist dabei zu
beachten, daß eine gut passende Kanüle gewählt wird, die keine Verletzungen
im Kehlkopf setzt. Es ist von allen Autoren angegeben, daß diese Narkosen
ruhiger verlaufen als die gewöhnlichen, was wohl seinen Grund im Ausschalten
des Reflexes von der Nasen- und Rachenschleimhaut aus haben mag.
Diese Methoden und Apparate sind nun aber nicht imstande, eine wirklich
wissenschaftliche Narkose zu liefern, indem sie ein vollkommen genau dosiertes,,
jederzeit zubestimmendes und zu veränderndes Chloroformdampfluftgemisch
liefern. Es muß ja die Sehnsucht des Narkotiseurs sein, einen Apparat zu kon-
struieren, der klein, handlich und leicht überallhin transportabel ist, und dabei
ein vollkommen genau dosiertes und jederzeit veränderbares Chloroformdampf-
luftgemisch liefert. Leider ist ein solcher Apparat bis jetzt noch nicht erfunden,
die Apparate sind entweder enorm umfangreich und feststehend, wenn sie
genau dosieren, oder sie sind transportabel und dosieren uicht genau. Für
klinische Zwecke hat man Apparate konstruiert, die allen Anforderungen der
genauen Dosierung entsprechen.
Es ist nun gerade bei der Chloroformnarkose von ganz besonderem Wert,
jederzeit genau zu wissen, ein wie hoch konzentriertes Chloroformdampfluft-
gemiscli mau dem Kranken verabreicht, weil das Chloroform eine nur geringe
Narkotisierungsbreite besitzt und ein kumulierendes Narkotikum darstellt.
Dabei ist die Einwirkung des Chloroforms auf Herz und Blutdruck sehr stark
und intensiv und eine Synkope ist nur zu schnell und leicht eingetreten, wenn
nicht genau die entsprechende Dosis gegeben wird. Somit wäre es sehr zu
wünschen, einen Apparat zu besitzen, der vollständig genau dosiert. Aber es
ist auch mit dem bestdosierenden Apparat möglieh, daß eine schwere Herz-
schwäche oder Intoxikation des Kranken eintritt, wenn nicht die Narkose von
einem tüchtigen Arzte geleitet wird, der genau beobachtet. Der Narkotiseur
muß trotz allerbester Apparate genau berechnen in jedem Augenblick, wieviel
Chloroform dem Kranken jetzt noch zugeführt werden muß. Denn auch der
bestdosierende Apparat arbeitet maschinenmäßig, er gibt, auf eine Dosis ein-
gestellt, immer dieselbe weiter oder er steigt oder fällt in der Dosis, je nach
der Einstellung, also kommt es auch wiederum darauf an, den Apparat richtig
zu stellen und in jeder Sekunde nach dem Stand der Betäubung zu regulieren.
Ich will nun nicht entscheiden, ob es leichter ist, bei der Tropfmethode zu
regulieren oder einen genau dosierenden Apparat zu lenken. Das ist eine
individuell wechselnde Ansicht. Aber es wird auch aus diesem Grunde stets
die Tropfmethode jede Konkurrenz bestehen. Man wird deshalb die genau
arbeitenden Apparate auch in den meisten Fällen nur zu wissenschaftlichen
Narkosen verwenden, in Laboratorien und Kliniken werden sie sehr gute
Dienste leisten, da man mit ihnen mit Zahlen rechnen kann, was bei der
Tropfmethode unmöglich ist.
Schon früh hat man sich mit dem Problem der Konstruktion solcher
Apparate und Ausführung exakter Narkosen beschäftigt, viele Apparate sind
angegeben worden, doch sie leisteten nicht genügendes. Wirklich gut
— 314 —
arbeitende sind konstruiert worden von Snow, P. Bert, Pean und Dreser.
Kionka hat ebenfalls zwei Apparate konstruiert, die für wissenschaftliche
Narkosen von Wert sind. Dieselben liefern genau dosierte Chloroformdampf-
luftgemische und können auch für andere Narkotika verwendet werden.
Sie sind auf S. 196 ff. genau beschrieben worden. Einen anderen ebenfalls
sehr genau arbeitenden Apparat hat Geppert angegeben, der auch früher be-
schrieben wurde, vgl. S. 199 ff., und der hier nur erwähnt werden soll.
Diese Apparate können nur in Kliniken oder Krankenhäusern Verwendung
finden und es ist deshalb hier unnötig, dieselben genau anzuführen.
Es ist aus dem hier über die Technik der Chloroformnarkose Gesagten zu
ersehen, daß man verschiedene Wege zur Einleitung einer guten Narkose ein-
geschlagen hat. Es ist nun zweifellos mit diesen Apparaten und Methoden
möglich, eine gute Chloroformnarkose mit der denkbar geringsten Gefahr für
den Kranken auszuführen, aber es gehört, wie schon gesagt, zu dem besten
Apparat wie zur einfachen Maske ein genau beobachtender, durch und durch
geschulter Arzt. Es gehört zur Technik der Chloroformnarkose eben noch
viel mehr als ein Apparat und Chloroform, wenn dies auch die ersten Er-
fordernisse sind.
Es ist hier noch zu erwähnen, daß man für die Ausführung der Tropf-
methode noch eines Tropffläschchens bedarf, und man hat deren eine ganze
Menge. Sie sind im Allgemeinen Teil genau beschrieben. Das Chloroform
besitzt eine große Neigung sich zu zersetzen, deshalb gieße man kurz vor
dem Beginn der Narkose erst das Chloroform in die Tropfflasche oder in das
Gefäß der anderen Apparate, in dem es zur Verdunstung gelangt. Was die
weiteren Utensilien für die Chloroformnarkose und deren Verwendung und
Technik anlangt, so verweise ich auf das über die Apparate der Narkose Gesagte
im Allgemeinen Teil.
Hier müssen noch einige Worte über die verschiedenen Maßnahmen
während der Chloroformnarkose gesprochen werden, denn es bestehen be-
stimmte Besonderheiten in der Chloroformwirkung, die zu kennen nötig sind.
Zunächst muß man sich klar sein, in welchem Zustand die Narkose
zu erhalten ist. Es ist nicht damit genügend gesagt, man soll sie im Stadium
der Toleranz erhalten. Dieses Stadium ist immerhin ein weiter Begriff. Man
war sich bisher nicht einig. Es gelten für die Chloroformnarkose die Gesetze
der Pupillenreaktion und ßeflexveränderungen genau wie es in dem All-
gemeinen Teil erklärt ist.
Schleich will die Chloroformnarkose in dem Stadium mittlerer
Pupillenweite gehalten haben, ohne Reaktion auf Licht, er meint, man müsse
sich fortwährend in der Narkose von der Beeinflußbarkeit der Pupillenweite,
sei es durch Aufschütten von Chloroform sie zu erweitern, sei es durch Ent-
fernen der Maske sie zu verengern, überzeugen. Joh. Müller will die
Pupille an der Grenze der Enge und Erweiterung im Toleranzstadium ge-
halten haben, nach Kappeier soll für den Chirurgen ein Stadium paralyticum
(das der erweiterten Pupille) nicht existieren, da es der Lähmung der
Zirkulations- und Atemzentren unmittelbar vorausgeht und somit die größte
Lebensgefahr involviert. Es soll also die Narkose kurz vor diesem Stadium
gehalten werden. Kionka verlangt mäßig verengte Pupillen, ein Erweitern
derselben kann durch Erbrechen oder Erwachen bewirkt werden, tritt es aber
— 315 —
nicht aus einer dieser beiden Ursachen ein, so bedeutet es sehr hohe Gefahr.
Hankel schreibt: „Tritt an Stelle der Hirnreizung- Hirnlähmung ein, so müssen
die Pupillen sich natürlich erweitern. Eine Lähmung kann aber nur im Augen-
blick gToßer Gefahr eintreten. Wenn in tiefer Narkose sich die Pupillen, sei es
auch nur vorübergehend, erweitern, so ist ein Lähmungszustand vorhanden,
und die Narkose ist stets eine unangenehme, in der asphyktische Erscheinungen
selten fehlen." Flocke manu weist auf eine Eigentümlichkeit der Pupillen
in der Chloroformuarkose hin, welche darin besteht, daß, wenn der Kranke im
Toleranzstadium sich beiludet, die Pupille des geöffneten einen Auges eng ist
und beim Öffnen nicht reagiert, die Pupillen doch noch reagieren, wenn man
beide Augen zugleich öffnet. Er nennt dies Phänomen die Grenze der
Pupillenreaktion auf Licht in der Ghloroformnarkose. Es ist dies ein Stadium
in der Narkose, wo der Kranke eben in die Toleranz tritt, und in diesem
Zustand soll man den Kranken erhalten. Gibt man mehr Chloroform, so folgt
das Stadium der völlig starren Pupillen auch beim Öffnen beider Augen, läßt man
Chloroform weg, so erwacht der Kranke. Dies Phänomen beschreibt vor Flocke-
mann schon Straßmann und man bezeichnet es auch als Straßmaunsches
Phänomen. Ich habe dasselbe übrigens auch bei anderen Narkotika beob-
achtet und deshalb schon im Allgemeinen Teil für jede Narkose als das
Stadium, auf dem dieselbe unterhalten werden soll, bezeichnet.
Es ist für den Kranken zweifellos dieses Stadium der Narkose das wenigst
gefährliche und deshalb soll man ihn immer darin zu erhalten suchen. Mau wird
die Narkose beenden, wenn der Operateur das Zeichen gibt, und braucht dann
nicht lange zu warten, bis der Kranke erwacht. Außerdem spart man viel
Chloroform, wenn der Kranke immer in diesem Stadium gehalten wird.
Was nun die Menge des Chloroforms, die man für eine Narkose brauchen
darf, anlangt, so kann man schwer Zahlen nennen, denn es hängt von so
vielen Umständen, vom Apparat, Kranken, Narkotiseur etc. ab, wieviel Chloro-
form gebraucht wird. Vor allem zeigt sich die Kunst des Narkotiseurs darin,
möglichst wenig Chloroform für eine tiefe Narkose zu brauchen. Meist kann
man mit 5- — 7 g Chloroform einen erwachsenen Mann bis zur Toleranz bringen,
der weitere Verbrauch ist dann gering \ind hängt von der Dauer der Operation ab.
Jedenfalls kann man mit 30 — 50 g schon eine Narkose von langer Dauer, bis zu
einer Stunde und länger, leiten. Natürlich braucht man bei der Tropfmethode
mehr Chloroform als beim [Kappelerschen Apparat. Es lassen sich bestimmte
Zahlen nicht geben, auch ist es vollkommen belanglos, solche zu kennen.
Es ist versucht worden, durch statistische Zusammenstellungen ungefähr
zu ermitteln, wieviel Chloroform zu einer Narkose notwendig ist. Da diese
Zahlen manches Interessante bieten, will ich folgende anführen:
1. V. B ardeleb en brauchte bei 924Nark. 22 ocm Chlorof.rpro Nark.u. 0,57 ccm pro Minute
2. Bardenheuer „ , 797 „ — „ „ '„ „ „0,58 „ „
. „ .0,87 „ „
„ « „0,50 „ „
„ „0,99 „ „
„ „ „0,9 „ „
" l l „0,61 l l
„ „0,53 „ „
„ „ 0,542 „ „
„ „ 0,46 „ „
„ .„ „1,0 „ „
„ „ „ „0,72 „ „
„ ■ „ „0,50 „ „
„ „ „0,77 „
3. B r a u n „
„ 1.365
, 37,6
4. Bruns „
„ 162
,■ 20
5. Gösohel „
„ 358
20,8
6. Schede
„ 1869
39
7. Zeller „
., 4:35 ,
22,9
8. Angerer „
„ 1108 ,
30
9. Barth „
„ 409 ,
18
10. Boeters „
„ 568
26,1
11. Braun .,
V 962
, 22,0
12. Göschel ,„
„ 326 „ 19,32
13. Jungengel „
„ 939
, 29,50
14. Kümmellu-Sick „
„ 1371
, 31
15. Lauenatein „
„ 288
, 11,75
16. Subbotic „
„ 1257
, .37,0
— 316 —
xius diesen Zahlen geht hervor, daß im Durchschnitt ca. 0,5 ccm ChlorO'
form pro Minute verbraucht wurde, es würde also in einer Stunde ca. 30 ccm
Chloroform nötig sein. Es ist natürlich klar, daß man aus diesen Zahlen keine
Thesen aufstellen kann, aber man kann ungefähr aus denselben entnehmen, welche
Zahlen viel und welche wenig bedeuten und ich habe deshalb diese kleine
Tabelle angeführt, denn es könnte vorkommen, daß man bei einer Gerichts-
verhandlung z. B. gefragt würde, ob ein Xarkotiseur zuviel Chloroform ver-
braucht hätte. Deshalb ist es immerhin wünschenswert, zu wissen, welche
Mengen bei gewöhnlichen Narkosen nötig sind. Natürlich richten sich die
Mengen vor allem nach dem Chloroformapparat, den man verwendet hat.
Im Anschluß hieran soll eine Statistik von Hanke! angeführt werden,
welche angibt, welche Apparate bei 151 Chloroformtodesfällen gebraucht wurden.
Es starben von diesen 151 Fällen
87 bei Bemitzung eines Tuches oder Lint
5 „ „ „ Lint mit Schwamm
11 „ ,, „ Schwammes
3 „ „ einer Papiertüte oder Tuchkonus
2 „ „ „ Maske nach Skinner
5 „ „ „ „ „ Esmarch
1 „ „ „ „ ohne Angabe
30 „ „ von Inhalationsapparaten ohne genauere Angabe
2 ,, „ „ Inhalationsapparaten, die freien Luftzutritt gestatteten
5 „ „ mit geschlossenem Apparat.
Es ist ja natürlich immerhin ein unsicheres Urteil, das diese Zahlen
reden, sie lassen aber doch ersehen, daß die Apparate mit der besseren
Dosierung auch geringere Zahlen an Todesfällen liefern. Ebensowenig wie
mau genaue Folgerungen aus obiger Statistik ziehen darf, so kann man auch
hier nur gewisse Schlüsse ziehen, die mit einer bestimmten Reserve aufzunehmen
sind. Es hängen ja die Unfälle noch von vielen anderen Momenten ab.
Allerdings besteht ein großer Unterschied in den Beziehungen der ver-
schiedenen Personen zum Chloroform. Es ist bekannt, daß Männer schwerer
zu chloroformieren sind als Frauen und solche wieder als Kinder. Der Mann
ist widerstandsfähiger gegen die Chloroformwirkung als die Frau, und der
Erwachsene ist widerstandsfähiger als ein Kind.
Es spielen hierbei die Lebensgewohnheiten eine große Eolle und es ist
allgemein bekannt, daß man in der Größe der Exzitation in der Narkose einen
Messer der Widerstandskraft des betreffenden Individuums gegenüber Chloro-
form besitzt.
Natürlich hängt das Auftreten von starker Exzitation auch noch von
anderen Verhältnissen ab, vor allem von der Methode und dem Apparat, von
der Tüchtigkeit des Narkotiseurs etc. Doch alles dies soll hier nicht in JBetracht
kommen, es soll jetzt eine mustergültige Chloroformnarkose angenommen
werden, bei der das Auftreten von Erregung in der Narkose lediglich von den
Eigenschaften des Kranken abhängt.
Der gesunde kräftige Mann setzt entschieden der Chloroformwirkung
einen größeren Widerstand entgegen als das Weib und es äußert sich dies
auch in einer größeren Menge von Chloroform, welche nötig ist, um das
Stadium der Toleranz zu erreichen, so berechnet Kappeier für seinen Apparat
zur Einleitung einer Narkose für einen Mann 14,8 g Chloroform auf 100 1
Luft, während er für eine Frau nur 9,7 g Chloroform auf 100 1 Luft fest-
setzt. Es liegt schon in der Natur, in der Fähigkeit, größeren Anstrengungen
jeglicher Art stärker zu widerstehen, beim Manne und überträgt sich die
I
— 317 —
größere Widerstandskraft auch auf die Chloroformwirkung. Natürlich bestehen
bedeutende Unterschiede in Alter. Konstitution, Charakter etc. Diese Ver-
hältnisse haben aber keine Besonderheiten voraus vor der allgemeinen Narkose
und sind im Allgemeinen Teil dieses Buches erörtert. So ist auch ein nervös
aufgeregter Mann unruhiger in der Narkose wie ein Phlegmatiker, ein Greis
ist weniger erregt xind widerstandsfähig als ein Jüngling. So wie der Greis
in allgemeiner Hinsicht sich immer mehr der Kindheit wieder näherbringt,
wie er in vielen Beziehungen dem Kinde ähnelt, so auch gegenüber der
Chloroformnarkose, sehr alte Leute sind wie ganz junge Kinder besonders
empfindlich gegen Chloroform.
Die Haupteiuwirkung auf die Chlornformnarkose des Mannes übt aber
der Alkoholisraus aus. Der Manu, der gewohnheitsmäßig auch nur geringe
Mengen Alkohol zu sich nimmt, weist ein stärkeres Exzitationsstadium auf
als ein völlig abstinenter. Besonders aber der Trinker, der starke Potator,
hat ein schweres Exzitationsstadium und ist überaus widerstandsfähig gegen
die Chloroformwirkung, so daß man für eine Narkose bis zur Toleranz oft die
doppelte Menge Chloroforms braucht, wie für einen abstinenten oder einen
nur mäßig Alkohol zu sich nehmenden Mann. Der Alkoholismus unterscheidet
sich, wie früher auseinandergesetzt wurde, in drei Arten, nach der Form, in
welcher der Alkohol, sei es als Bier, Wein oder Schnaps, aufgenommen wird,
bezüglich auch der Chloroformnarkose. Diese Beziehungen sind im Allgemeinen
Teil erörtert und es kann hier darauf verwiesen werden. Nur das ist zu
beachten, daß für den Alkoholisten schwererer Art in der Chloroformnarkose
eine große Gefahr liegen kann, denn das Chloroform übt, infolge seiner Ein-
wirkung auf das Herz und den Blutdruck, einen schwer schädigenden Einfluß
auf das durch den Alkohol krankhaft veränderte Herz und Gefäßsystem in
besonderem Maße aus. Deshalb muß der Narkotiseur gegenüber solchen
Personen vor allem folgendes beachten: Findet sich bereits eine schwere
Schädigung des Herzmuskels, Myocarditis oder Fettmetamorphose stärkeren
Grades, so ist eine reine Chloroformnarkose in allen Fällen sehr gefährlich
und am besten zu vermeiden. Die hochgradigsten Trinker, namentlich Schnaps-
trinker, sind unter diese Kategorie zu rechnen. Bei weniger stark krankhaft
affizierten Herzen ist eine Chloroformuarkose wohl möglich, doch der Narkoti-
seur muß sehr vorsichtig dosieren und genau die Herztätigkeit überwachen,
mit besonderem Verdacht auf etwa eintretende Synkope. In anderen Fällen
bietet beim Trinker die Arteriosklerose Gefahren wegen Apoplexien, Blutungen
im Gehirn infolge fettigdegenerierter Gefäßwand. Hierbei ist die Gefahr teils
während der Narkose groß, deshalb muß der Narkotiseur durch langsames
vorsichtig dosiertes Einleiten der Chlorotormierung jede starke Exzitation
wegen der Erhöhung des Blutdruckes vermeiden und verhüten, teils liegt sie
in der Zeit nach der Narkose, denn die infolge Arteriosklerose zur Fettmetamor-
phose disponierte Gefäßwand wird während der Chlorformierung erkranken
und jede später eintretende plötzliche Blutdrucksteigerung kann zu einer
Apoplexie führen. Es ist also bei Potatoren vor allem das Exzitationsstadium
abzukürzen und zu verhüten, dabei neigen diese Kranken stark zur Exzitation.
Es sind aber nicht nur die typischen Alkoholisten, die eine stärkere
Exzitation in der Chloroformnarkose und größere Resistenz gegenüber derselben
zeigen, es sind auch alle jene Männer, die wir nicht zu den Alkoholisten
— 318 —
rechnen, die nur mäßig- und wenig Alkohol zu sich nehmen, schwerer zu
chloroformieren und neigen zur Exzitation. Es besteht ein großer Unterschied
zwischen einer Narkose an einem abstinenten und einem mäßig Alkohol zu
sich nehmenden Manne.
Aber auch Frauen sind nicht ganz aus der Gruppe der Alkoholisten
zu streichen, mau findet auch unter ihnen solche, die infolge starken
Alkoholgenusses schwere Exzitationsstadien aufweisen und dadurch als
Alkoholisten zu erkennen sind.]
Sonst zeigt die Frau und das Kind eine sehr geringe Widerstandskraft
gegen Chloroform. Namentlich die Frau in der Entbindung ist leicht zu
chloroformieren. Im allgemeinen findet man bei Frauen nie ein Exzitations-
stadiirm, wenn die Narkose gut geleitet und Alkoholismus nicht vorliegt.
Allerdings kommt der Charakter etwas mit in Betracht und die nervösen
Veranlagungen, Hysterie und Neurasthenie. Die Neurasthenischen und
Hysterischen sind etwas widerstandsfähiger gegen die Chloroformwirkuug.
Im großen und ganzen darf bei einer normalen, quo ad alcohol normalen
Frau in der Chloroformnarkose stärkere Exzitation nicht eintreten, der
Narkotiseur muß dieselbe vermeiden können. Näheres hierüber ist früher
gesagt. Bei den Kindern wird es bisweilen nicht ganz ohne Exzitation ab'
gehen, da dieselben leicht die Luft anhalten und sich sträuben. Allein
man kann auch durch vorsichtiges Einschleichen ein Kind chloroformieren,
ohne daß es etwas merkt, wenn es nur auf Zuspruch sich beruhigen
läßt. So sieht man einen bedeutenden Unterschied im Alter und dem
Geschlecht gegenüber der Chloroformwirkung. Es ist aber noch eine
kurze Betrachtung über die Verhältnisse der Frauen in der Geburt gegenüber
der Chloroformwirkung hier anzuschließen.
Es ist in diesen Fällen das Chloroform sicher das am meisten ver-
wandte Narkotikum, erstens weil dasselbe nicht feuergefährlich ist und weil
die meisten Entbindungen nachts unsere Hilfe fordern. In der Geburt besteht
eine so geringe Resistenz der Frauen gegen Chloroform, daß sie schon nach
wenigen Tropfen narkotisiert sind. Dies hat seinen Grund darin, daß die
Frau ermattet und oftmals schon stark verblutet ist, was beides dazu bei-
trägt, der Chloroformwirkung wenig Widerstand entgegenzusetzen, zweitens
wünschen die Frauen so sehnlichst eine Erleichterung, denn meist haben sie
schon längere Zeit leiden müssen, ehe die Hebamme das Feld räumt und den
Arzt ruft, daß sie mit Freuden die Chloroformdämpfe einatmen, und so wegen
der regelmäßigen tiefen Inspirationen schnell in Narkose verfallen. Beob-
achtungen haben nun gezeigt, daß man in der Tat bei Frauen während der
Entbindung die Toleranz schon sehr zeitig erreicht und oftmals sind sie noch
lange nicht tief narkotisiert und man kann schon die betr. Operation be-
ginnen, ohne daß sie eine Empfindung haben. Bei keiner sonstigen Narkose
braucht man in derselben Zeit so wenig Chloroform, als bei geburtshilflichen
Operationen.
Man hat nun früher das Chloroform dazu verwandt, um Frauen die
Schmerzen der Entbindung zu lindern, indem man dieselben nur so weit
narkotisierte, daß sie die Wehen nur ganz wenig oder eben nicht mehr
empfanden, und daß dabei die Kontraktionen des Uterus nicht gelähmt wurden.
So hat man die Puerpera stundenlang in Halbnarkose erhalten und die Ent--
— 319 —
brndung vor sich gehen lassen. Man ist jetzt mit Recht von diesem Ver-
fahren ganz abgekommen, bestehen doch zu viel Gefahren bei einer so langen.
Narkose, daß der Nutzen nicht die Gefahren aufwiegt. Es ist ja natürlich,
daß die lange Narkose auf die parenchymatösen Organe deletär einwirken
kann und dann besteht noch die Gefahr, daß das Kind ebenfalls narkotisiert
wird und ev. tot oder schwer apnöisch zur Welt kommt. Einen solchen Fall
habe ich selbst erlebt, wo eine Halbnarkose über 2 Stunden lang zur Er-
leichterung der Kranken bis zu meinem Eintreffen gemacht wurde und das.
Kind, ein großer kräftiger Knabe, tot zur Welt kam. Es war in diesem Falle
für den Tod des Kindes nach meiner Überzeugung die Hauptursache in der
langen Narkose zu suchen.
Aus diesem Grunde muß entschieden von langen Chloroformnarkosen
während der Entbindung abgeraten werden. Außerdem liegt eine Gefahr für
die Frau auch in der oftmals starken Blutung, die eine Anämie hervorgebracht
haben kann. Da man nun die Beobachtung gemacht hat, daß gerade Chloroform bei
Anämie durch Blutung besonders gefährlich auf das Herz wirkt, und da hierbei
noch die allgemeine Schwäche der Gravida und ihre geringe Widerstandskraft
hinzukommt, so soll man lange dauernde Chloroformnarkosen vermeiden, hin-
gegen ist kein Bedenken gegen eine kurze Narkose für die Ausführung der
Operation zu hegen. Zweifel ist derselben Ansicht und sieht Gefahr in dem
Übergang des Chloroforms auf das Kind, dem stehen Duterre und Dobro-
wolsky entgegen.
Was den Einfluß des Chloroforms auf die Wehentätigkeit anlangt, so
ist derselbe nach Dönhoff, welcher genaue Untersuchungen mit dem
Takodynamometer, ein in den Uterus eingeführtes Manometer, angestellt
hat, der, daß die Wehen durch die leichteste Narkose etwas gelähmt werden.
Die Summe des Wehendruckes sinkt in gleicher Zeit in der Narkose fast bis
auf die Hälfte, auf '/is des vor der Narkose bestehenden Druckes. Nach der
Narkose tritt bald wieder eine geringe Steigerung der Wehentätigkeit auf..
Die Summe des AVehendruckes in der gleichen Zeit nach der Narkose verhält
sich zu dem unmittelbar vor der Narkose vorhandenen Drucke wie 2:3. Die
Wehentätigkeit bleibt nach der Narkose noch lange Zeit geringer als sie vor
der Narkose war. In 2 Fällen war die ursprüngliche Wehentätigkeit erst
2 Stunden nach Beendigung der Narkose vorhanden. Die Bauchpresse wird
schon durch leichte Narkose in ihrer Tätigkeit geschwächt und ganz aufgehoben.
nur wenn sie vor der Narkose sehr angestrengt war, funktioniert sie auch in
der Halbnarkose weiter. Die Wehenpausen werden selbst bei einer leichten
Narkose länger, die Wehenzahl verringert sich um 20 — 25% sogar. Es ist
also auch hierdurch einleuchtend, daß man besser die langen Halbnarkosen,
nicht anwendet.
Bei Krampfwehen ist die einzige Gelegenheit, wo die Narkose angebracht
ist. Durch die Eigenschaft, die Wehen zu verringern, trägt die Narkose in
solchen Fällen dazu bei, die Geburt zu beschleunigen. Dazu genügt meist
eine kleine Menge Chloroform. Bei eklamptischen Anfällen ist eine Narkose
mit Chloroform auf alle Fälle zu verbieten, wenn dieselbe zur Linderung
der Krämpfe dienen soll.
In neuerer Zeit wird Chloroform bei Eklampsie strikte verboten, da man
bereits eine Intoxikation des Organismus vor sich hat und nicht noch eine
— 320- —
zweite ohne Schaden des Kranken hinzufügen darf. Das Chloroform ist hier
besonders schädlich, deshalb soll man Aether snlf. wählen, wenn wegen eines
operativen Eingriffes bei Eklampsie Narkose nötig- wird.
Bei schweren puerperalen Septicaemien ist Chloroform ebenfalls kontra-
indiziert, Dührssen erwähnt einen Todesfall infolge der Chloroform Wirkung
"bei einer septischen Gebärenden. Der Grund liegt in der schweren Schädigung
und Affektion von Herz und Nieren durch die Toxine bei der Septicaemie und
der Vorliebe des Chloroforms, solche Prozesse zu fördern und zu verstärken.
Nach langen Chloroformuarkosen während der Gravidität der Frauen
sind Aborte beobachtet worden (Rüge, Meli seh er), die auf die Chloroform-
wirkung ätiologisch zurückgeführt wurden. Ferner hat man bei stillenden
Frauen längere Chloroformnarkosen verboten, weil das Chloroform in die Milch
übergehe und das Kind dadurch Schaden erleide.
Aus all diesen Umständen ersieht man, wie schwer schädigend das
Chloroform in verschiedeneu Zuständen des Menschen wirken kann und es
müssen alle diese Verhältnisse genau beachtet werden. Immerhin kommt es
vor, daß ein Arzt auch in Fällen, wo man Chloroform verbietet, dasselbe not-
gedrungen anwenden muß, dann wird er von Fall zu Fall entscheiden müssen,
ob er die Verantwortung der Narkose tragen kann oder nicht. Immer muß
man auch bedenken, daß man durch vorsichtige, genau alle Umstände beachtende
€hloroformieruug viel Nachteile verhüten oder vermindern und dem
Kranken auch in den schwersten Fällen doch die Vorteile der Chloroform-
uarkose unter möglichster Einschränkung der Gefahren zuteil werden
lassen kann.
Es sind hier nicht alle Kontraiudikationen angeführt, dies wird in einem
besonderen Kapitel erörtert werden, wo über die Wahl zwischen Chloroform
und Aether sulfur. gesprochen werden soll. Es kommen bei der Chloroform-
uarkose auch die im Allgemeinen Teil als Kontraindikationen für die Narkose
überhaupt angeführten Momente in Betracht.
Ehe dies Kapitel verlassen werden soll, mögen noch in kurzen Worten
die Mittel und Wege erörtert werden, die für die Chloroformnarkose zur Hand
sind, um die Gefahren zu mindern. Es gehören hierher neben der exakten
Technik und Ausführung der Narkose all die früher erörterten Verhältnisse.
Es muß natürlich der Kranke so für die Chloroformnarkose vorbereitet sein,
wie dies im Allgemeinen Teil bestimmt ist. Es kommen hierbei noch zwei
Maßnahmen in Betracht, das ist die vorherige Verabreichung von Digitalis-
Strophanthus und Morphin. Es ist gerade für die Chloroformnarkose von
besonderer Bedeutung, die Herztätigkeit in bester Ordnung und Funktion für
die Narkose zu erhalten. Deshalb ist von Witzel u. a. geraten worden, dem
Kranken vor der Narkose Digitalis und Strophanthus zu verabreichen und
auch nach der Narkose dies zur Verhütung etwa eintretender Herzschwäche
zu geben. Es ist entschieden anzuraten, dies auch bei der Chloroformnarkose
zu tun, wenigstens sollte es bei allen jenen Kranken, welche auch nur die
geringste Herzaffektion aufweisen, bei Alkoholisten, Arteriosklerotikern, älteren
Leuten etc. nicht unterlassen werden.
Wie früher schon erwähnt, kann mau etwaiger Synkope bei Potatoren
dadurch vorbeugen, daß man dem Kranken am Morgen des Operationtages ein
halbes Glas Wein oder etwas Tee mit Rum oder Kognak verabreicht (AVitzel).
— 321 —
Ist es unmöglich, dies per Os zu, geben, so wird dem Kranken ein Einlauf in
den Darm mit entsprechenden Flüssigkeiten verabreicht (s. Allgemeinen Teil).
Dies ist auch bei der Ghloroformnarkose sehr wichtig und es kann durch
solche kleine Alkoholgaben schweren Unfällen vorgebeugt werden.
Was nun die Morphiunigabe anlangt, so will ich hier nicht die
kombinierte Morphium-Chloroformnarkose besprechen, das soll in einem
anderen Kapitel getan werden, sondern es soll hier nur die Verwendung von
Morphin behandelt werden wie es durch besondere Verhältnisse gefordert wird.
Vor allem die Alkoholiker, nervös aufgeregten Personen, welche voraussichtlich
eine sehr starke Exzitation in der Chloroformnarkose werden zu überstehen
haben, werden durch eine geringe Gabe von Morphin subcutan vor der Narkose
vor allzustarker Exzitation bewahrt. Es ist daher zu raten, solchen Patienten
vor der Narkose eine Morphiuinjektion von 0,001 — 0,01 zu verabreichen, die
Größe der Dosis hat zu wechseln nach den verschiedenen körperlichen und
krankhaften Zuständen, Alter, Geschlecht etc. Die Injektion hat am besten
^2 Stunde vor Beginn der Narkose zu erfolgen. Es wird auf diese Weise er-
reicht, daß der Kranke schneller in die Toleranz verfällt.
Aus diesem gelegentlichen Verwenden des Morphins ist die kombinierte Mor-
phin-Chloroformnarkose geschaffen worden, worüber später geschrieben werden hoU.
Ein weiterer Vorteil der vorhergegangenen Morphininjektion ist das
Verschwinden des Brechens in und nach der Narkose. Man hat auch bei
Personen, welche sehr viel und stark nach der Chloroformierung brechen, noch
nach der Narkose eine schwache Morphininjektion gemacht, die in vielen
Fällen das Brechen lindert. Über die Zeit der Morphininjektiou vor der
Narkose ist man geteilter Ansicht, später werden einzelne Ansichten erörtert
werden, hier ist zu beachten, daß für den Zweck der Verhütung starker
Exzitation ^/^ Stunde vor der Narkose am besten die Morphininjektion geschieht.
Gegen das nach der Chloroformnarkose oftmals je nach der individuellen
Beschaffenheit des Kranken sehr stark auftretende Erbrechen ist von Seh ü Her
Orexin empfohlen worden. Derselbe gibt Orexinbasen oder Orexiuum tannicum
in mehrfach wiederholten Dosen von 0,3 — 0,4 in Oblaten und hat guten Er-
folg damit gehabt. Weljaminow hat mit Erfolg gegen das Erbrechen
Injektionen von Spermin angewandt. Chorwath hat gefunden, daß ältere
Personen, Hysteriker, Alkoholiker etc. unter dem Einfluß des Sperminum-Poehl
viel größere Chloformmeugen und längere Narkosen mit Chloroform als sonst
vertragen und daß die Narkosen besser verlaufen, Erbrechen, Synkope und
Apnoe sollen nur sehr viel seltener auftreten.
Dies sind Mittel und Methoden, welche noch der Nachprüfung und
Erfahrung bedürfen, ehe man über sie urteilt. Ich möchte noch bemerken,
daß gerade beim Erbrechen nach Chloroformuarkosen die Magenspülung ein
glänzend erfolgreiches Mittel ist, das nie versagen wird. Ist das Erbrechen
sehr stark, so ist es das sicherste Mittel, da der chloroformhaltige Magensaft
einen Reiz auf die Magenuerven ausübt. Derselbe wird durch die Spülung ent-
fernt und vor allem werden Schleimmengen herausbefördert, die selbst beim Er-
brechen noch an der Magenschleimhaut haften bleiben.
Büdinger hat nämlich nachgewiesen, daß der Speichel, das Sputiim, und
der Schleim besonders lange Zeit noch nach der Narkose Chloroformmengen
enthalten. Dieses Sputum wird ja eben in den meisten Fällen verschluckt und
21
— 322 —
gelangt in den Magen, wo es wegen des in ihm enthaltenen Chloroforms Erhrechen
bewirkt. Nach den Untersuchungen von B. fand sich noch bis vier Tage nach
langen Narkosen Chloroform in der Expiratiousluft, während nach 16 — 18 Stunden
nach verschwinden des Chloroforms aus der Atmungsluft solches im Sputum
noch immer zu finden war. Es ist kein Zweifel, daß der mit Chloroformmengen
vermischte Schleim noch nach der Narkose zu Schädigungen des Wohlbefindens
Anlaß gibt, und daß man dafür sorgen muß, denselben nach Möglichkeit aus
dem Magen zu entfernen.
Weber gibt als Vorbeugemittel für das Erbrechen in der Chloroform-
narkose an, man solle den Kranken, wenn möglich, tage- ja wochenlang vor
der Narkose eine mit Chloroformwasser versetzte Pepsin-Salzsäurelösung ver-
ordnen zum dreimaligen täglichen Einnehmen. Er beobachtete nämlich, daß
Kranke, denen er diese Lösung dyspeptischer Zustände wegen verordnet hatte,
eine Chloroformuarkose sehr gut überstanden, ohne in oder nach der Narkose
zum Erbrechen zu kommen. Es ist ja die Wirkung dieses Mittels leicht er-
klärlich, nur kann man es nicht allgemein brauchen, da man selten Patienten
wochenlang für eine Chloroformnarkose durch langsames Gewöhnen an die
Chloroformwirkung vorbereiten kann.
Es ist nun alles hier angeführt worden, was für die Chloroformuarkose
typisch und wissenswert ist. Die besonderen Details, die hier vermißt werden,
sind im Allgemeinen Teil erörtert, da sie für alle Narkosen wichtig sind.
Die reine Chloroformnarkose, wie sie hier beschrieben ist, stellt immer
noch die meist angewandte Narkose dar, und sie ist, wenn korrekt von einem
Arzte ausgeführt, auch die beste Narkose, die wir bis jetzt besitzen, da sie
leicht überall und unter allen Verhältnissen ausführbar ist. Ich will das
Kapitel nicht schließen, ohne noch mit einigen Worten der von Riedel an-
gegebenen Chloroformrauschmethode Erwähnung zu tun. Diese Methode ist
eine Analgesie, wie sie in jeder Narkose am Anfang derselben zwischen
dem 1. und 2. Stadium eintritt. Der Kranke ist vollkommen bei sich und
fühlt keinen Schmerz. Zuerst wurde diese Methode beim Äther entdeckt und
angeraten zu Operationen (Sud eck). Diese Rauschnarkose tritt ein, wenn
man den Kranken recht schnell tiefe Atemzüge unter der Maske tun läßt.
Da nun diese rasche Intoxikation mit Chloroform große Gefahren in sich
birgt (Reflexsynkope etc.) und sehr leicht eine starke Überschwemmung des
Blutes mit Chloroform eintreten kann (Synkope), so ist von der Methode ent-
schieden abzuraten. Die Dauer des Chloroformrausches ist auch bedeutend
kürzer als die des Ätherrausches, da Chloroform eine kürzere Narkosenbreite
besitzt. Auch dieser Umstand macht die Methode nur selten anwendbar, da
sie für die meisten Operationen zu kurz ist. Man ist in neuerer Zeit ganz
von dieser Methode abgekommen, sie ist auch tatsächlich nur von wenigen
Operateuren probiert (Lawrie, etc.) und bald wieder verlassen worden. So-
mit ist ihrer nur als historische Tatsache zu gedenken. Man ersetzt sie in
geeigneten Fällen durch die Halbnarkose, indem man den Kranken nicht bis
zur tiefen Toleranz betäubt, sondern ihn im ersten Anfange der Toleranz, im
Übergang vom 2. zum 3, Stadium erhält, wobei noch Reflexe vorhanden, aber
das Schmerzgefühl und die Besinnung geschwunden sind. Dies ist auch eine
wenig gefährliche und leichte Narkose, die den Rausch vollkommen ersetzt.
— 323 —
IL Kapitel.
Die Äthernarkose.
§ 5. Nachdem iu dem Vorigen das Chloroform in seiner schwerwiegenden
Bedeutung für den menschlichen Organismus behandelt worden ist, wird nun-
mehr ein anderer chemischer Körper unsere Aufmerksamkeit in Anspruch
nehmen, ein Körper, der eigentlich in der Geschichte der Narkosenwissenschaft
ältere Anrechte auf Erwähnung als Narkotikum hat, der denn auch seit dem
Bestehen einer Narkologie im Kampfe mit dem Chloroform sich befunden, der
Äther, kurzweg so genannt; obwohl dieses Wort eine Gruppe von Verbindungen
bezeichnet, erkennt aber doch jeder Arzt sofort unter dieser Bezeichnung den
Äthyläther, den er zu Narkosen jeglicher Art verwendet. Es soll hier nicht
chronologisch verfahren werden, denn sonst wäre die Äthernarkose vor der
Chloroformnarkose zu behandeln, sondern ich habe erst jene erörtert, weil
dieselbe als erste und wichtigste dasteht unter allen Narkosen, weil sie vor
allen dem praktischen Arzte die Narkose der Praxis bedeutet und somit die
erste Stelle verdient. Ich bin mir indessen wohl bewußt, daß man wohl kaum
mit vollem Recht die eine der anderen Narkose wird vorziehen können, der
Äther ist ebenso wertvoll wie das Chloroform, und es soll deshalb nicht das
Gemüt des Ätherfreundes beleidigen, wenn sein Liebling an zweiter Stelle steht.
Einer muß eben zuerst kommen.
Der Äther, welcher zur Narkose Verwendung findet, ist der früher so-
genannte Schwefeläther Aether sulfuricus. Derselbe ist seiner chemischen Zu-
sammensetzung nach Äthyläther, (C2H5)20 oder C4H10O.
Derselbe stellt eine wasserhelle, stark lichtbrechende Flüssigkeit dar von
der Fähigkeit, leicht zu verdunsten. Der Siedepunkt liegt bei 35°, das spezi-
fische Gewicht ist 0,720. Der Geruch des Äthers ist stechend, dabei erfrischend,
säuerlich; infolge des niederen Siedepunktes ruft der Äther auf die Haut ge-
gossen Kältegefühl hervor. Der Äther läßt sich aus gewöhnlichem Alkohol
dadurch ableiten, daß ein Atom Wasserstoff im Äthylalkohol durch die Gruppe
CjHr, substituiert ist, also Äthylalkohol = CgH^OH, folglich Äthyläther =
C2H5O C^H- =-- (C2H5) , . 0 = C^HioO. Der Äther besitzt eine sehr leichte Ent-
zündbarkeit, seine Dämpfe mit Luft gemischt stellen ein Gasgemenge von
hoher Explosionskraft dar. was eine große Gefahr bei der Verwendung des
Äthers repräsentiert. Man unterscheidet zweierlei Äthersorten. Den gewöhn-
lichen Aether sulfur., welchen wir zum Waschen etc. verwenden, sowie den
Aether pro narcosi. Dies Attribut pro narcosi unterscheidet den reinen Äther
von dem gewöhnlichen, welcher nicht chemisch rein ist.
Der Äther ist ein weniger starkes Narkotikum, was aus der leichteren
Verdampfbarkeit, dem niedrigen Siedepunkt resultiert. Es ist infolgedessen
zu einer Narkose mit Äther eine bedeutend größere Quantität nötig als z. B.
von Chloroform. Während man beim Chloroform mit 30 — 50 ccm eine nicht
zu lange Narkose ausführen kann, so braucht man vom Äther wenigstens 100 cbm.
Deshalb sind die von den Fabriken unter Garantie der Reinheit in den Handel
gebrachten Flaschen solche von 100 g Inhalt. Es muß dieser Umstand der
geringeren narkotischen Kraft wohl beachtet werden, denn es kann sonst dem
Arzt in praxi leicht passieren, daß der Vorrat an Äther nicht zu einer Nar-
kose ausreicht. Analog der geringeren narkotischen Kraft besitzt der Äther
21*
— 324 —
eine größere Narkosenbreite. Zu einer Narkose braucht man vom Äther nach
Overton ein Luftätherdampfgemisch von 20 g Äther auf 100 1 Luft.
Der Äther besitzt eine starke Eigenschaft, sich zu zersetzen, und zwar
tragen dazu bei, das Licht und die Luft, ebenso die Temperatur. Lassen wir
Äther an der Luft und bei Zutritt von Licht stehen, so finden wir schon an
dem Geruch, daß mit dem Äther eine Veränderung vor sich gegangen ist.
Der Geruch ist ein wesentlich anderer geworden, derselbe ist säuerlicher
und stark von dem stechenden Geruch des reinen Äthers verschieden, und es
sind diese Dämpfe nicht mehr Äther-, sondern Azetondämpfe sowie andere
Zersetzungsprodukte. Daher muß man beim Aufbewahren peinlich darauf
achten, daß die Flasche luftdicht abgeschlossen ist und daß die Einwirkung
des Lichtes verhindert wird. Das letztere geschieht durch dunkles Glas.
Wenn eine Flasche mit braunem Glas gentigt, um andere Stoffe ganz vor Zer-
setzung durch Licht zu schützen, so ist beim Äther nicht ganz vollkommene
Sicherheit damit gegeben, sondern man muß darauf achten, die Ätherflaschen,
auch wenn sie aus farbigem Glas hergestellt sind, nicht dem Licht auszusetzen,
sondern im Dunkeln aufzubewahren. Selbst in farbigen Flaschen zersetzt sich
Äther, wenn er im Licht, womöglich Sonnenlicht, dasteht.
Der Äther ist in Alkohol löslich, mit Ölen und Fetten mischbar, in
Wasser wenig löslich.
Mit Chloroform ist derselbe ebenfalls leicht zu mischen. Der Äther besitzt
eine weitaus größere Neigung zu verdunsten als das Chloroform. Die Wirkungen
für die Narkose können nur dann eine für den Organismus völlig gleichbleibende
und in der Schädlichkeit am beschränktesten sein, wenn der Äther völlig rein
und absolut ist. Es ist nun die Art der Darstellung, wie wir es schon beim
Chloroform sahen, ein Umstand, welcher für die absolute Reinheit eine an-
nähernde Sicherheit gewährt. Man hat verschiedene Arten der Darstellung er-
funden und es besteht ein Wettstreit der Fabriken, möglichst ein gutes, ein-
' wandfreies Präparat zu liefern.
Man gewinnt Aether sulfur., indem man Weingeist mit Schwefelsäure
vermischt. Daher ist der Name Schwefeläther entstanden, zum Unterschied
gegen andere Äther. Richtiger als die alte Bezeichnung Schwefeläther ist der
Ausdruck: Äthyläther. Es ist diese Benennung analog der Alkoholreihe, wir haben
Äthylalkohol, Methylalkohol, Propylalkohol etc. und so haben wir Äthyläther,
Methyläther, Propyläther etc., je nachdem man Äthyl-, Methyl-, Propylalkohol zur
Darstellung nimmt. Aus dem Gemisch von Äthylalkohol mitH2S04 entsteht zuerst
Äthylschwefelsäure, dann regeneriert sich beim Erhitzen Schwefelsäure und
Äthyläther bildet sich rCaHg.OH+HsSOi^CaHs • H2SO4+ H2O.HSO + C2H5 . 0H =
C2H5 • OCjHg-j-HjSOi. Fehlt es der HoSO^ an Weingeist, auf den sie einwirken
kann, so zersetzt sie sich in Äthylen und H2SO4, also C2H5HS04 = C2H4-)-H2S04.
In diesem Äther ist aber sowohl Wasser wie Weingeist in unzersetztem
Zustande vorhanden, sowie bisweilen schweflige Säure und anderej Stoffe.
Durch wiederholtes Schütteln, Abhebern und Wiederdestillieren erhält man
von 122,15 g rohen Äthers 55,3 g reinen Äther.
Es ist von verschiedenen Fabriken Aether puriss. dargestellt worden
und man kann denselben in den meisten Fällen als ein recht gutes Präparat
bezeichnen, so z. B. den Aether pro narcosi von Schering, welcher ein vor-
zügliches Präparat darstellt und andere mehr. Es ist wichtig, reinen Äther
— 325 —
von ruheiu unterscheiden zu können, und es gibt zu diesem Zwecke chemische
Reag-entien , die Verunreinigungen in dem Äther anzeigen j und diese ünter-
suchungsmethoden auf etwa besonders oft vorkommende und dem Organismas
nachteilige Beimengungen kennen zu lernen, soll in den nächsten Abschnitten
Gelegenheit gegeben werden.
Man hat hier sich zunächst zu fragen, welches sind die Beimengungen
im Äther, die wir zu ermitteln haben und welche Eigenschaften überhaupt
muß der Äther pro narcosi besitzen und wie erkennen wir diese Eigen-
schaften. Gehen wir zunächst auf die Eigenschaften näher ein, so müssen wir
von dem Äther verlangen:
1. derselbe muß ein spezifisches Gewicht haben von 0,720,
2. derselbe muß auf festes Kaliumhydroxyd und Kaliumjodidlösung
innerhalb einer bestimmten Zeit in keiner sichtbaren Weise einwirken.
Man hat in dem Äther als Beimengungen Vinylalkohol, Wasserstoff-
superoxyd in geringen Mengen, Acetaldehyd etc. gefunden. Zur Prüfung des
Äthers auf Vinylalkohol und Wasserstoffsuperoxyd sind folgende Reaktionen
vorhanden :
Scheidet ein Äther, besonders bei Gegenwart von Essigsäure, Jod aus
einer Jodkaliumlösung ab, so ist diese Reaktion auf Wasserstoffsuperoxyd
zurückzuführen, während der Vinylalkohol eine Bräunung von Kaliurahydroxyd
veranlaßt.
Die Entstehung von Vinylalkohol und Wasserstoffsuperoxyd sind durch
die Einwirkung des Lichts auf Äther bedingt.
Man hat nun dem Äther, um ihn haltbarer zu machen, ca. 2 % Alkohol
zugefügt. Es ist dies nach den Erfahrungen, welche man mit Chloroform
und Alkoholzusatz machte, geraten worden, weil man annahm, der Alkohol
habe ebenso wie auf Chloroform auch auf Äther eine schützende Kraft.
Man hat nun gefunden, daß der reinste Äther durch Sonnenlicht zer-
setzt wird und daß Wasserstoffsuperoxyd und Vinylverbindungen durch
Lichteinwirkung und die des Sauerstoffes auch bei völlig rein befundenem
Äther erzeugt werden. Man fand, daß Wasserstoffsuperoxyd auch
dann entsteht, wenn Äther mit sauerstoffhaltigem Wasser in einem ge-
schlossenen Gefäß unter völligem Abschluß des Lichtes mehrere Tage lang
einer Temperatur von 60 — 80° C ausgesetzt wird (Richard sou). Ferner
wurde unter dem Einfluß von Licht und Luft im Äther nicht nur Äthyl-
peroxyd, sondern auch Salpetersäure gefunden (Berthelot). Thoms fand
ferner, daß man bei einem ursprünglich reinen Äther, welcher längere Zeit in
nicht ganz gefüllter Flasche aufbewahrt war, beobachten konnte, wie sich nach
Hineinwerfen eines feuchten porösen Papierstreifens lebhaft Gas in dem Äther
entwickelte. Dieselbe Eigenschaft zeigte Äther, welcher in einem Blechgefäß
mit verzinnten Wänden, vor Licht geschützt, aufbewahrt war; die Gasentwick-
lung hat oft mehrere Stunden angehalten. Dieser Äther reagierte neutral auf
feuchtes Lackmuspapier, dasselbe wurde jedoch bei langsamem Abdunsten des
Äthers vollkommen weiß gebleicht. Der Rückstand nach dem Verdunsten war
ölig und roch stechend, rettigähnlich, seine Reaktion war sauer, angefeuchtetes
Lackmuspapier wurde gebleicht.
Wenn man frisch gefälltes breiförmiges Eisenhydroxydul mit diesem
Äther in einem ührschälchen übergießt, so wird dasselbe sogleich zu braunem
— 326 —
Eiseiioxyd oxydiert, während die grünliche Farbe des Eisenhydroxyduls durch
reinen Äther bei längerer Zeit der Einwirkung nicht verändert wird. Wenn
man nun diesen Äther mit alkalischer Lösung von Quecksilbermonoxychlorid
mengt, so erhält mau in reichlicher Menge die Vinylverbindung abgeschieden.
Das Gas, welches sich aus dem Äther entwickelt, ist ein Gemenge von
84,4 Volumprozent Stickstoff uud 15,6 Volumprozent Sauerstoff.
Man fand ferner, daß der sorgfältigst gereinigte Äther angefeuchtetes,
empfindliches, rotes Lackmuspapier bläut. Auch die Dämpfe reiuen Äthers
wirken in derselben Art. Auf andere Reagentien für alkalische Reaktion
wirkt Äther allerdings nicht positiv. Es bleibt zurzeit noch ein Rätsel, wie die
bläuende Eigenschaft des Äthers auf rotes Lackmuspapier zu erklären ist. Auf
Fuchsinschwefligsäure reagiert der Aether purissinius auch positiv. Man hat
nun ganz verschiedene gereinigte Äthersorten daraufhin geprüft und hat
gefuuden, daß der Äther stets rotes Lackmuspapier bläut und Fuchsiu-
schwefligsäure innerhalb ^'4 Std. rot färbt (T h 0 m s). Daher muß man anneh-
men, daß diese Eig'enschaften dem reinsten Äther spezifisch sind.
Es hat sich nun auch gezeigt, daß das Hinzusetzen von 2*^/^ Alkohol
nicht die Zersetzung des Äthers verhindern kann und somit ist es unnötig,
den Äther mit Alkohol zu versetzen.
Es gibt noch andere Proben auf die Reinheit des Äthers, die wohl Be-
achtung verdienen. Dieselben sind:
1. Man läßt ca. 20 ccni Äther in einer Glasschale verdunsten. Der sich
nach der Verdunstung zeigende feuchte Beschlag muß vollkommen geruchlos
sein und derselbe darf angefeuchtetes blaues Lackmuspapier nicht röten
noch bleichen. Ist der Rückstand nicht geruchlos, so deutet der Geruch auf
Anwesenheit von Fuselölen, Weinöl etc. in dem Äther.
2. Überschüttet mau in einem Uhrschälchen einige Tropfen einer
10% igen Ferrosulfatlösung mit Äther und läßt einige Tropfen Natronlauge
hinzufließen, so darf innerhalb einer Minute eine Braunfärbuug der Flüssigkeit
nicht erfolgen.
Einige andere Proben auf verschiedene Beimengungen sollen noch auf-
geführt werden, durch welche man im Narsokenäther andere Bestandteile
finden kann.
Durch eine rote Verfärbung des Lackinuspapieres im Verfahren I ersehen
wir, daß in dem Äther Säuren vorhanden sind, dieselben können sein Schwefel-
säure und Essigsäure. Aus der Bleichung des blauen Papieres schließen wir
auf Gegenwart von Wasserstoffsuperoxyd. Aus dem Verfahren in Nr. II er-
sehen wir die Gegenwart von Vinylalkohol und Aldehyd an der gelben
Verfärbung.
Wasserstoffsuperoxyd kann man nachweisen, indem man 10 ccm Äther
mit 1 ccm Kaliumjodidlösung in einem völlig gefüllten geschlossenen Glas-
stöpselglase 3 Stunden lang vor Licht geschützt stehen läßt. Bei Anwesenheit
von Hydroxyd färbt sich der Äther gelb, ein Farblosbleiben desselben zeigt seine
Reinheit an.
Eine Probe auf den Gehalt des Äthers an Aldehyd wurde von Schön-
h eim er angegeben. Derselbe stellte die Behauptung auf, daß aldehydfreier Äther
lange nicht die üblen Eigenschaften habe, als der bis dahin von ihm ver-
wandte Aldehydäther. Mau löst 1 g Fuchsin in 1 1 Wasser und fügt eine Lö-
— 327 —
nuug vou 7 g- Natriunibisulrit iu 18 g H,/» hinzu. Nach 1 Stuude wird dieses
Gemenge mit 10 ccm Salzsäure versetzt und muß nun einige Tage stehen.
Dann ist es verwendbar und zeigt bei Aldehydgehalt des mit der Lösung
geschüttelten Äthers eine nach wenigen Minuten eintretende rote Verfärbung,
welche mit der Zeit tiefer rot wird. Fehlt Aldehyd, so bleibt die Lösung klar
und farblos.
R ehn hat zuerst gezeigt, daß der Ätherdampf in Gegenwart von brennenden
Gasflammen Azetylen bilde. Dasselbe ist für die Umgebung erstens wegen der
starken explosiven Eigenschaft und wegen der die Schleimhaut reizenden
Wirkung schädlich. Dasselbe entsteht durch unvollständige Verbrennung der
Ätherdämpfe. Die Gegenwart des Azetylens in den Ätherdämpfen oder der
Luft läßt sich nachweisen, indem man das Gasgemenge in eine Lösung von
Kupfersulfat oder Silbernitrat leitet. Es bildet sich dabei Azetylenkupfer als
brauner Niederschlag und Azetylensilber als weißer Niederschlag (Job. Müller).
Den Gehalt des Äthers an Wasser kann man dadurch nachweisen, daß man
in den Äther weißes entwässertes (geglühtes) Kupfersulfat bringt. Bei Gegen-
wart von Wasser wird das weiße Kupfersulfat geblaut (Bin z). Ist Alkohol im
Äther enthalten, so löst sich Fuchsin, bei Fehlen von Alkohol löst es sich nicht
im Äther.
Schüttelt man Äther mit Quecksilber, so wird letzteres bei Anwesenheit
von H2O2 (Wasserstoffsuperoxyd) schwarz gefärbt.
Weingeistgehalt des Äthers weist man dadurch nach, indem mau zu
dem xither etwas Kaliumacetat und nachher H,S04 bringt. Der charakte-
ristische Geruch von Essigäther zeigt, daß Weingeist enthalten ist.
Dieses mag genügen, um uns kurz über die chemischen Verhältnisse des
Äthers zu orientieren. Wir ziehen daraus die Folgerungen, daß wir den Äther
wegen seiner leichten Brennbarkeit und der leichten Zersetzungsfähigkeit seiner
Dämpfe in explosive Gase und Gasgemische bei ol^l'enen Flammen im Zimmer
nicht verwenden dürfen. Es ist ja in einem großen Operationssaale mit sehr
guter Ventilation keine Gefahr, namentlich bei einer kurzen Narkose. Doch
wie leicht vergißt man nicht die Explosionsgefahr, wenn man in anderer Um-
gebung narkotisieren muß und hat sich nicht gewöhnt, abends Äther zu ver-
meiden, und kann dann gerade in einem kleinen Baume eine gefährliche Ex-
plosion erleben. Freilich kann man bei großer Vorsicht eine Explosion ver-
meiden, indem mau die offenen Flammen sehr hoch über dem Kranken anbringt.
Der Äther sinkt infolge seiner größereu Schwere aiif den Fußboden des Zimmers,
und die explosiblen Gasgemenge sind nur unterhalb der Gesichtsebene des
Kranken zu finden. Wenn die Flammen also höher angebracht sind, bringen
sie erst bei sehr großen Mengen vou Äther oder sehr kleinem Baum Gefahr. Be-
dient man sich aber des Paqxielin, so ist bei Äthernarkosen immer eine Explosion
zu fürchten, da die Flamme des Paquelin in dem Bereiche der Ätherdampfluft-
gemische brennt und diese sehr leicht entzünden kann. Dies muß besonders
beachtet werden. Andernteils beachten wir die große Tendenz des Äthers zur
Zersetzung in Gegenwart von Luft, Licht etc. und verwenden nur Äther, der
im Dunkeln aufbewahrt wurde und in gut verschlossenem Gefäß, überhaupt
ist es bei Äther unsere Pflicht, denselben nicht lange Zeit aufzubewahren, da
er, wie wir sahen, selbst im Dunkeln bei Gegenwart von wenig Licht
Zersetzung erleidet. Deshalb machen wir es uns zur Gewohnheit, den Äther für
— 328 —
Narkosen frisch vor jeder Operation zu beziehen. Die Flaschen, welche ein-
mal eröifnet waren, werden nicht wieder zu einer zweiten Narkose verwendet,
es sei denn, daß dieselben einander ohne Zwischenzeit folgen.
§ 5. Die Wirkung des Äthers auf den Organismus des Menschen iind
des Warmblütlers ist im großen und ganzen der Wirkung des Chloroforms
ähnlich, der Äther ist dem Chloroform verwandt, er ist ein Narkoticum und
unterscheidet sich in seiner narkotischen Wirkung gegenüber dem Chloro-
form durch seine weniger starke narkotische Kraft. Die Verwendung des
Äthers zur Narkose geschieht durch Einverleiben der Dämpfe des Äthers durch
die Lungen in das Blut, und von diesem wird der Äther nach dem Zentral-
nervensystem transportiert, wo er die Wirkung ganz ähnlich dem Chloroform
entfaltet, er wirkt auf die Ganglienzellen so ein, daß eine Lähmung derselben
erreicht wird, je nach der Widerstandskraft der betreffenden Zentra und Gang-
lienzellen bei verschiedenen Konzentrationen der Lösung des Äthers im Blut-
plasma und Zellsaft. Bei immer steigender Konzentration der Ätherdampf-
lösung im Blutplasma wird endlich einmal die Lähmung der Herz- und
Lungentätigkeitszentra erfolgen und der Tod ist die Folge. Die Narkose mit
Äther ist also ebenfalls nur bei einer gewissen Konzentration der Lösung der
Ätherdämpfe im Blutplasma möglich und nur infolge der verschieden starken
Widerstandskraft der Ganglienzellen zu erreichen.
Was die Konzentration der Ätherdampflösung im Blutplasma anlangt,
die nötig ist, um Narkose zu erreichen, so hat 0 verton durch Versuche an
Hunden gefunden, daß ein Hund, welcher ein Gemisch von 20 g Äther auf 100 1
Luft einzuatmen bekam, gegen Ende einer halben Stunde in tiefe Narkose ver-
fiel, es narkotisiert also ein solches Ätherdampfluftgemisch auch einen Menschen
innerhalb kurzer Zeit. Das Molekulargewicht des Äthers ist 74. Wenn nun
ein Liter Wasserstoff bei O^C und gewöhnlichem Druck 0,0896 g wiegt, so
wiegt ein Liter Ätherdampf bei 760 mm atmosphärischem Druck und 0°C nach
dem Henry-Daltonschen Gesetz, nach welchem die Menge des absorbierten
Gases bei einer bestimmten Temperatur dem Gasdruck (Dampfdruck) direkt
proportional ist, 37 • 0,0896 = 3,32 g, der partielle Dampfdruck des Äthers
bei einem Gehalt von 26 g auf 100 1 Luft oder 0,2 g auf ein 1 Luft würde
20
bei 0° C ^g-- 760 = 46 mm oder bei 20**C, die als die Versuchstemperatur
„ 46.293 ,^ ,
angenommen sein soll, „ — = 50 mm betragen. Da man nun den gesamten
Partialdruck der Gase in der Lunge ungefähr gleich dem der Luft setzen
kann, so wird nur die Temperatur in der Lunge neue Veränderungen hervor-
rufen, indem sie die Gase entsprechend erwärmt, wodurch eine größere Aus-
dehnung der Volumina stattfindet. Eine Vergrößerung des partiellen Druckes
der Ätherdämpfe findet nicht statt bei der Erwärmung, eher könnte derselbe
bei 38*'C durch die Sättigung des Luftäthergemisches mit Wasserdampf eine
Veränderung in geringem Grade erleiden. Dies ist aber so gering, daß man
es übersehen kann. In 1001 Wasser lösen sich bei 38° 5 g Äther. Die Spannung
des Dampfes des reinen Äthers ist bei 38 «C 840— 850 mm. Es zeigt sich nun,
daß in einer bei 38 °C gesättigten Lösung Äther in Wasser das Gemisch in
zwei Teile sondert, von denen der eine eine gesättigte Lösung von Äther in
Wasser, der andere eine gesättigte Lösung von Wasser in Äther darstellt, der
— 829 —
partielle Dampfdruck des Ätherdainpt'es ist iu beiden gleich. Da sich nun
Wasser in Äther so löst, daß nur eine dreiprozentige Lösung entsteht, so beträgt
die Erniedrigung nur wenige Prozente des Dampfdrackes des reinen Äthers,
so daß man den partiellen Dampfdruck des Äthers in einer gesättigten Lösung
Wasser in Äther und somit auch in einer solchen von Äther in Wasser bei
38°C ca. 810mm setzen kann. Lösen nun bei 38^0 100 ccm Wasser bei
einem Drucke der Ätherdämpfe von 810 mm 5 g Äther, so müssen bei einem
partiellen Dampfdrucke der Ätherdämpfe von 50 mm und derselben Temperatur
50 ■ 5
von 100 ccm Wasser ' = 0,31 g Äther lösen. Somit kann man sagen, daß
bei 50 mm ^partiellem Dampfdruck der Ätherdämpfe und 38 °C vom Wasser etwa
'/4% Äther absorbiert wird (0 verton).
Man begeht keinen großen Fehler, wenn man gleich Wasser eine dünne
Salzlösung oder das Blutplasma setzt. Dasselbe würde unter denselben Ver-
hältnissen nur ein geringes weniger als 0,31% Äther lösen; der Fehler wird
etwa dadurch ausgeglichen, daß der Teilungskoeffizient des Äthers zwischen
dem Blutplasma und den Lecithincholestearinverbindungen im Gehirn in dem-
selben Verhältnis stärker zu Gunsten des letzteren ausfällt, als wenn die
Teilung zwischen reinem Wasser und demselben stattfinden würde.
Es ist aus diesen Erörterungen zu entnehmen, daß Narkose des Menschen
dann eintritt, wenn im Blutplasma eine solche Konzentration des Äthers be-
steht, wie das Verhältnis von 20 g Äther auf 100 1 Lwtt angibt. Die Narkose
wird nun bei allen Tieren, die die gleiche Körpertemperatur wie der Mensch haben,
durch die gleiche Konzentration hervorgerufen. Die Säugetiere, Vögel, Amphibien,
Insekten und Entomostraken erfordern nach 0 verton dieselbe Konzentration
des Äthers gelöst im Blutplasma, während die Würmer mindestens die doppelte
Konzentration verlangen. Bei den Protozoen und Pflanzen sind etwa sechsmal
höhere Konzentrationen nötig, um Narkose zu erreichen.
Die Wirkung des Äthers hat ihren eigentlichen Schauplatz im Gehirn,
in den Zentren der verschiedenen Funktionen, und der Äther steht in bestimmtem
Verhältnis zu den Cholestearin-Lecithinverbindungen in den Ganglienzellen.
Durch das Blutplasma wird der Äther an die Ganglienzelle gebracht, geht in
die interzelluläre Lymphe über, von dieser gelangt er durch die äußere Plasma-
haut der Ganglienzelle in das Protoplasma, auch die innere Plasmahaut oder
Vacuolenhaut durchdringt derselbe und gelangt in den Zellsaft. So wird die
Konzentration der Ätherdämpfe in diesen Flüssigkeiten gleich der in dem Blut-
plasma. Durch die Verbindung des Äthers mit den Lecithincholestearinbestand-
teilen des Protoplasmas wird die Narkose erzeugt. So bat der Äther genau
die Eigenschaften wie jedes Narkoticum, die narkotische Kraft. Die Ver-
hältnisse sind im allgemeinen Teile genau geschildert und nur hier kurz an-
gedeutet worden, um darzutun, wie die Wirkung des Äthers sich vollzieht.
Sie ist im Wesen genau gleich der des Chloroforms, nur unterscheidet sich
der Äther durch seine verschiedenen Lösungsverhältnisse.
Das Chloroform bewirkt in einer Konzentration von 8 g auf 100 1 Luft
Narkose, der Äther in einer solchen von 20 g auf 100 1 Luft. Man ersieht
also, der Äther ist ein schwächeres Narkoticum, er ist nach diesen Zahlen
ungefähr zweieinhalbmal schwächer als Chloroform. Dafür besitzt der Äther
aber eine größere Narkotisierungsbreite (Kionka) oder Zone maniable (Bert).
— ;530 —
Dieser Vurzug der größeren Narkotisierungsbreite macht den Äther
weniger gefährlich, da während der Narkose die tötliche Dosis nicht so leicht
verabreicht, die tötliche Konzentration des Äthers im Blutplasma nicht so leicht
erreicht werden kann. Der niedrig gelegene Siedepunkt des Äthers bringt es
mit sich, daß der Äther schneller vom Blut aufgenommen und ebenfalls von den
Ganglienzellen schneller absorbiert, wie auch schneller wieder von beiden Medien
abgegeben wird als Chloroform. Es ist daher die Wirkung des Äthers weniger
anhaltend, und da nun auch eine höhere Konzentration im Blutplasma nötig
ist, um Narkose zu erreichen, so wird die Narkose schnell wieder verschwinden,
weniger tief werden als bei Chloroform, der Kranke erwacht schneller aus der
Betäubung.
Das Verhältnis des Äthers zu den Lecithiu-cholesteariugemischen in der
Clangiienzelle besteht darin, daß diese Gemische den Äther aufnehmen und
einen physikalischen Änderungszustau d unter dem Einfluß des Äthers eingehen,
sofort aber in ihre früheren physikalischen Zustände zurückkehren, wenn der
Äther die Ganglienzelle wieder verläßt. Es besteht keine chemische Umsetzung
wahrscheinlich, sondern nur eine physikalische Umwandlung. Diese Wirkung
des Äthers auf die Ganglienzellen äußert sich am Körper in der Lähmung der
Funktionen. Bei einer zu starken Zufuhr von Äther wird auch eine Lähmung
der Herz- und Respirationszentren hervorgerufen, welche den Tod des indivi-
duums bewirkt. Der Tod durch Äther kann sowohl eine Synkophe als Apnoe
sein. Daß die Zentren nicht alle auf einmal gelähmt werden, beruht auf den
im allgemeinen Teil erörterten Umständen, die für alle Narkotica die
gleichen sind.
Durch die narkotische Wirkung des Äthers wird eine Narkose hervor-
gerufen, die die vier Stadien wie alle Narkosen aufweist, nur sind diese Stadien
entgegen denen bei Chloroform zeitlich etwas verschieden. Das erste Stadium
des Anfanges ist länger, das zweite ebenfalls länger und etwas stärker in der
Excidation, das dritte Stadium, der Toleranz, ist im ganzen gleich, doch nicht
so anhaltend, da der Kranke leicht erwacht, das vierte des Erwachens ist
kürzer als beim Chloroform. Natürlich sind je nach der Menge des verbrauchten
Äthers etc. Unterschiede vorhanden. Der Äther bewirkt bei Beginn seiner Ein-
wirkung auf die Ganglienzellen eine Erregung der Reflexe, stärker als andere
Narkotica, die sich bisweilen in starkem Tremor aller Extremitäten des Patienten
äußert. Im zweiten Stadium tritt bei manchen Personen ein eigentüm-
liches Zittern aller Muskeln auf. Es kann diese allgemeine Steigerung der
Reflexe leicht ein Bild zeigen, das dem, der die Ursache etc. nicht kennt,
ominös erscheint. Meist beginnt der Zustand mit Zittern aller Muskeln, das
immer stärker wird, die Beine schlagen auf den Tisch in rythmischer Weise,
die Reflexe zeigen sich stark erhöht (Fußklonus). Der ganze Körper zittert
wird erschüttert, die Atmung ist frequeut, auch die Arme zittern und schlagen
auf und ab. Dieses Bild sieht sehr häßlich aus, und man kann den Zustand
nur beenden durch starke Dosen von Äther, er schwindet dann bald, sofort
nach Eintritt der Toleranz. Potatoren zeigen oft das Bild (Fueter). Diese
Erregung der Reflexe ist eine typische Ätherwirkuug und vollkommen harmlos.
Der Äther wirkt stärker erregend als andere Narkotica.
Das Gehirn zeigt während der Äthernarkose eine Hyperaemie. Dieselbe
ist vor allem im ersten und zweiten Stadium vorhanden; da die Excidation
— :-{3i —
bei der Ätheruarkose stärker ist, wird auch die Hyperaemie des Gehirns stärker.
Sie schwindet in der Toleranz mehr und mehr.
Im Anfang- der Athernarkose tritt ein Stadium der allgemeinen Anal-
gesie auf, der Ätherrausch, wie er auch dem Chloroform in geringem (rrade
eigen ist. Dieser Atherrausch ist infolge der weniger starken narkotischen
Wirkung, der größeren Narkosenbreite des Äthers länger dauernd als bei
anderen Narkotica, und man kann denselben sehr gut zu Operationen kurzer
Dauer verwenden. (Sudeck, Küttner etc.) Derselbe beruht auf der Lähmung
der Schmerzempfindlichkeit ehe eine Lähmung der weiteren Funktionen ein-
getreten ist.
Die bei der Chloroformuarkose so gefürchtete Einwirkung auf die Nerven-
endigungen des Trigeminns und Vagus in der Nasen- und Rachenschleimhaut
ist beim Äther nicht oder nur sehr gering vorhanden, jedenfalls wirkt der
Äther nicht so stark, daß Reflexsynkope eintritt. Es ist dies zu bewundern, da
der Äther doch einen viel stechender unangenehmeren Geruch besitzt als das
Chloroform. Wenn er auch im Anfang der Narkose keine Reflexsynkope erzeugt,
so wirkt er doch unangenehm für den Kranken, derselbe hält oft den Atem
krampfhaft an, da er sich vor dem stechenden Geruch scheut. Deshalb muß
der Narkotiseur reichlich Luft zugleich geben, da starke Äthergemische von
vielen Kranken nicht eingeatmet werden können.
Auf das Herz wirkt der Äther hingegen anregend, die Aktion ver-
stärkend im Anfang jeder Äthernarkose, vor allem in kleinen Dosen verabreicht
(Holz, Blauel, Kappeier, Duplay und Hallion etc.). In späteren Stadien
der Narkose wirkt der Äther nicht mehr so stark anregend auf das Herz,
immerhin noch in gewissem Grade verstärkend, jedenfalls nicht schwächend
wie Chloroform (Blauel etc.).
Nach der Ansicht von Hankel und Wood allerdings wirkt der Äther
im Anfang der Narkose anregend auf die Herzaktion, während er in großen
Dosen immer eine Depression herbeiführt.
Der Blutdruck wird durch Äther physiologischer Weise gesteigert und
der Puls wird verstärkt durch die Aetherwirkuug (Blauel, Holz). Stärkere
Veränderungen sind pathologischer Natur und werden weiter iinten besprochen.
Auf die roten Blutkörperchen wirkt der Aether zerstörend ein. Er war der-
jenige Stoff, an dem von W ittich zuerst beobachtete, daß sich der rote Farb-
stoff von den Blutkörperchen trennen lasse und sich im Blutplasma löse, indem
er dieses rot färbt. Das Blut wird dadurch, daß mau es mit Aether mischt
und stark durcheinander schüttelt, in dünnen Schichten durchsichtig lackfarben,
aber es wird dunkler. Hierzu sind aber größere Mengen Aether nötig, als man
sie bei der Narkose in das Blut bringt. Die während der Narkose im Blute
kreisenden Mengen Aether haben auf den Haemoglobingehalt der Erythrocyten
keinen Einfluß (Tillmanns).
Außerdem hat man nach Aethernarkosen Pcdycythaemie beobachtet, die
nach Costa und Kalteyer einesteils von den vorangegangenen Vorbereitungen,
andernteils von der Narkose selbst und dem postoperativen Stadium ab-
hängen soll. Das Blut wird durch Wasserverlust konzentriert, was sich
besonders sofort nach der Narkose bemerkbar mache, die absolute Haemoglobin-
menge sei stes vermindert. Der Aether bewirke vermehrte Haemolyse. Der
Körper ersetze die zu Grunde gegangenen Blutkörperchen bald wieder, doch
seien dieselben mit einer unter der Norm stehenden Haemoglobinmenge aus-
gestattet. Es sei nicht mit Sicherheit festzustellen, ob die Dauer der Narkose
oder die Menge des verbrauchten Aethers die Blutbeschaffenheit beeinflusse.
Sie stellen nun den Satz auf, man solle vor jeder Narkose den Haemoglobiu-
— 332 —
gehalt prüfen. Finde mau einen sehr niedrigen Haemog-lobingehalt, so sei dies
eine Kontraindikation für die Narkose im allgemeinen, Aether dürfe nie ge-
geben werden bei einem unter 50% herabgesunkenen Haemoglobingehalt, auch
Chloroform sei dann verboten.
Bei solchen Verhältnissen wird man stets eine Narkose zu vermeiden
bestrebt sein. Daß Veränderungen im Blut vor sich gehen während der Nar-
kose ist sicher, ob aber der Aether so stark auf die Blutkörperchen wirkt,
ist fraglich.
Der Puls wird bei der Aethernarkose um 20 — 30 Schläge in der Minute
vermehrt (Dieff enbach) und zwar im Anfang, während er mit der längeren
Dauer der Narkose wieder normal wird. Beim Erwachen zeigt sich wieder
eine geringe Beschleunigung.
V. Gräfe hat an sich selbst bis 180 Schläge in der Minute bei Beginn
der Aethernarkose beobachtet, was ihn von der weiteren Verwendung abhielt.
Andere wollen Venenpuls beobachtet haben im Beginn und auch der späteren
Aethernarkose (Fueter, Noel, Neeb)). Neeb und Kappeier haben auch
eine Zunnahme des Pulses an Kraft und Zahl im Anfang gefunden, die gegen
Ende der Aethernarkose wieder abnahm. Die Klärung der Verhältnisse des
Pulses und der Herzaktion ist von besonderer Bedeutung und es ist wichtig,
zu ermitteln, wieweit der Aether den Blutdruck verändert.
Wenn man sich nun mit der Messung der Funktion des Herzens während
der Aethernarkose beschäftigen wollte, so konnte mau zwei Wege einschlagen,
erstens die vergleichende Prüfung des Pulses und die Messung des Blutdruckes.
Beim Menschen mußte man. so lange man nicht Methoden geschaffen hatte,
mittels denen man ohne direkte Eingriffe den Blutdruck bestimmen konnte,
den ersteren Weg betreten, bei Tierversuchen wählte man die Messung des
arteriellen Blutdruckes.
So stellte Cushny durch Versuche an Tieren (Hunden und Kaninchen)
solche Untersuchungen an und fand, daß Aether ein geringes Sinken des Blut-
druckes verursachte, und Kionka fand, daß derselbe Respiration und Zirkulation
völlig unbeeinflußt lasse.
Osthelder stellte Versuche am Froschkörper au, durch welchen er
Schweineblut mit Aetherzusatz leitete und fand eine deutliche Abnahme der
Herzleistung, doch wurde niemals ein Herabsinken unter die Hälfte der Norm
gefunden. Bei kleinen Aethermengen fand er sogar mitunter eine Erhöhung
der Herzleistung.
Bock untersuchte an isolierten Säugetierherzen die Aethereinwirkung
und fand, daß der Aether trotz bedeutender Mengen und langer Zeit fort-
gesetzter Gaben kein oder doch nur ein geringes Sinken des Blutdruckes be-
wirkte. Der Blutdruck stieg nach dem Aufhören der Zufuhr sehr schnell bis zu
seiner ursprünglichen Höhe wieder an.
Csikj stellte an Hunden fest, daß Aether den Blutdruck erhöhe und
zwar dadurch, daß er das Herz reize.
Simon Duplay und Louis Hallion ließen Hunde, welche tracheo-
tomiert worden waren, durch die Canule bestimmte Mengen Aether einatmen
und fanden bei der Aethernarkose nach Einführen auch sehr großer Mengen
des Narkoticums und während langer Zeit einen dem normalen nahen oder
denselben übersteigenden Druck. Die Puls- und Atmungskurve zeigte keine
genaue Uebereinstimmung mit der Blutdruckkurve, indem ein deutlicher Ab-
fall derselben trotz vollständiger Gleichmäßigkeit der Druckkurve zu beobachten
war. Das Resultat wird daraus gezogen, daß Puls und Atmung keinen Auf-
schluß über die Verhältnisse des Blutdruckes geben, derselbe vielmehr direkt
gemessen werden muß.
Dieselben machten nun den Versuch festzustellen, worin das Fallen und
Steigen des Blutdruckes seine Ursache habe. Sie nahmen Messungen der
Volumenzunahme oder Abnahme der isolierten Niere vor und schlössen von
denselben auf den Kontraktionszustand der Gefäße. Durch Berücksichtigung
derselben war nun der Anteil des anderen Faktors an der Regulierung des
Blutdruckes, der Energie des Herzens zu berechnen. Es wurde durch diese
— 83:i —
Art festgestellt, daß beim ersten Anstiege der Kurve die Gefäßkontraktion die
Ursache der Erhöhung des Druckes bildet, während beim Abfall das Nachlassen
der Herztätigkeit wirkt. Die vasomotorischen Einflüsse waren bei Chloroform
und Aether fast die gleichen. Nur bestand der große Unterschied, daß beim
Aether die Herzaktion sich viel höher erhielt und die vasomotorische Reaktion
intensiver und dauernder war. Daraus resultiert der andauernd hohe Blutdruck
(ßlauel).
Diese Versuche ergeben alle, — und es stehen nur die geringen Abweichungen
der Versuche Geza Dieballas entgegen, welche ergeben, daß die 46 fache
Konzentration der das Froschherz eben nicht mehr beeinflussenden Chloroform-
dosis ein Aufhören der Herztätigkeit bewirkt, während der Äther das schon
bei einer 12 fachen Konzentration bewirkt — daß der Äther ein Gleichbleiben
oder gar ein Steigern des Blutdruckes hervorruft. Es ist nun nicht so ganz
ohne Einwand, wenn man diese Versuche an Tieren einfach auf den Menschen
übertragen will. Denn es bestehen ja doch bei den verschiedenen Tieren
verschiedene Grade von Empfindlichkeit gegen die Narkotica.
Da lag also das Bedürfnis vor, am Menschen selbst nach diesen Ver-
hältnissen zu forschen.
Es ist nun Kappeier der erste gewesen, welcher eingehend den Arterien-
puls während der Narkose prüfte. Derselbe fand beim Äther, daß die
Pulskurve in einigen Fällen gar nicht beeinflußt wurde, in anderen hingegen
zeigt dieselbe eine Veränderung, so daß der aufsteigende Schenkel schräg
emporsteigt, der Kurvengipfel abgerundet ist und der absteigende Schenkel eine
bedeutend schrägere Richtung annimmt.
Die Rückstoßelevation ist deiitlich ausgeprägt, während dieselbe beim
Chloroform nur sehr wenig deutlich war.
Bei den 150 Ätheruarkosen. welche Kaefer daraufhin untersuchte,
stellte sich heraus, daß niemals ein Sinken der Heizaktion zu bemerken war.
Der Puls wurde sogar in verschiedenen Fällen kräftiger während der Äther-
inhalationen. Auch bei Herzfehlern fand er eine durchwegs gute und nicht
ad malam partem beeinflußte Herzaktion.
Instrumentelle Untersuchungen am Menschen wurden zuerst von Holz
in Bezug auf die Verhältnisse zwischen Äther und Herzaktion angestellt.
Derselbe verwandte zu seinen Versuchen das von Kries'sche Tachometer,
welches an einem bestimmten Gefäßquerschuitt die Geschwindigkeit des Blutes
anzeigt. Aus seinen Beobachtungen von 37 Äthernarkosen ergab sich folgendes
Verhalten. Der Äther bewirkte fast in allen Fällen eine große Zunahme der
periodischen Geschwindigkeitsschwankuug des Blutes, d. h. der Pulsstärke.
Bei allen diesen Methoden sind aber große Nachteile vorhanden, vor
allem der, daß sie den Blutdruck nicht direkt bestimmen, sondern nur mehr
oder weniger genaue Schlüsse auf denselben zu ziehen gestatten. Da hat nun,
nachdem v. Buch, Hürthle, Riva-Rocci etc. schon solche konstruiert
hatten, die aber wenig brauchbar waren, Gärtner einen Apparat, Tonometer,
konstruiert, mit welchem genaue Messungen des Blutdruckes am Menschen vor-
genommen werden können. Es sind Untersuchungen mit diesem von Kaps-
ammer angestellt, welche mit Schleichschem Gemische narkotisierte
Personen betrafen, ferner hat Schröder, wie oben bei Chloroform erwähnt,
das Tonometer angewandt. Genaue Untersuchungen mit diesem Tonometer sind
von Blauel angestellt worden, deren Details beim Chloroform behandelt
— 334 —
wurden, und ich will uur hier die Ergebnisse seiner Untersuchungen während
der Äthernarkose mitteilen.
Er untersuchte das Verhalten des Blutdruckes bei 100 Äthernarkosen.
Bei der Narkose wurde die JuUiardsche Maske benutzt. Nachdem anfangs
eine kleine Dosis Äther gegeben war, um den Kranken an die Einatmung des
Äther zu gewöhnen, wurde ca. 10 — 20 cbcm Äther in die Maske geschüttet und,
wenn nötig, dieselbe Dosis noch einmal nach weniger Zeit verabreicht. Die
Maske wurde dabei vollständig luftdicht auf das Gesicht gelegt. Nach 3 bis
4 Minuten hatte Blauel eine ruhige tiefe Narkose meist erzielt. Nach Eintritt
der Toleranz wird die Narkose durch kleinere Ätherdosen unterhalten. Der
Verlauf der Narkose war stets ein guter und ruhiger, niemals ist es passiert,
daß die Narkose schwer oder gar nicht eingetreten wäre. Es waren von den
100 Narkotisierten 53 Männer und 47 Frauen, 30 derselben waren unter 20 Jahren
(18 männliche, 12 weibliche), es waren die Altersstufen von 2 — 79 Jahren
vertreten.
Die Dauer der Narkosen schwankte zwischen 16 und 125 Minuten, die
meisten waren von 50 — 60 Minuten Dauer.
Von den Operationen waren Operationen am Knochensystem 28, Ampii-
tationen 4, Thoracoplastiken 4, Tumorexstirpationen 16, Laparatomien 8, Radikal-
operationen von Hernien 22, Castration 3, Exstirpation von Strumen 2, von
Lymphonen 2. Andere Operationen 11.
Da hat sich nun gezeigt, daß von diesen 100 Narkosen bei den meisten
die Blutdruckkurve über der Normaldruckhöhe sich bewegt.
Nur bei 12 Personen war dies nicht der Fall.
Blauel hat nun aus 100 Kurven 4 Gruppen ziisammengestellt.
Dieselben sind folgende:
Gruppe I umfaßt alle die, welche durchweg über der Normaldruckhöhe verlaufen,
42 an Zahl.
Grupe II umfaßt alle die, welche durchschnittlich über der Normaldruckhöhe ver-
laufen. 37 an Zahl.
Gruppe III umfaßt alle die. welche auf oder wenig imter der Normaldruckhöhe
verlaufen, 9 an Zahl.
Gruppe IV faßt alle die. welche ausgesprochen unter der Normaldruckhöhe ver-
laufen, 12 an Zahl.
Kinder unter 10 Jahren waren niu' in Gruppe I und II vertreten.
Personen im zweiten Dezennium gehören auch vorwiegend nach I und II.
Das mittlere Alter bis 50 Jahre ist gleichmäßig auf alle verteilt und das
höhere Alter bewegt sich meist in den drei letzten Gruppen (II, III, IV), vor
allem aber in No. III. Es hat mehr den Anschein, als habe das jugendliche
Alter mehr Neigung zu Blutdrucksteigerung, als die späteren Stufen, das hohe
Alter ist dagegen weniger dem Blutdruck steigernden Einfluß des Äthers unter-
worfen.
Was nun den konstitutionellen Zustand der Kranken anlangt, so waren
in Gruppe III keine besonders an Körperkräften heruntergekommenen Personen
dabei, bei der II. und I. Gruppe finden sich 16<"o von heruntergekommenen
Leuten. Wir sehen also, daß auch Patienten im schlechten Allgemeinzustande
eine Äthernarkose durchmachen können, ohne daß ein Nachlassen in der Energie
— 335 —
ihres Zii'kiilatioiisiiiecliaiiisnnis (iiiitritt. daß ahiT andererseits ein größer(!r Pro-
zentsatz in ilu'eiii All^enieiuliefinden gestöi'ter Patienten in der Athernarkose
eine Herabsetzimg ihres Blutdi-iickes erfahren können. Die Gnippe IV, welche
12 Nummern umfaßt, enthält alle diejenigen Kurven, hei denen der Blutdruck
eine ausgesprochene Tendenz zeigt, unter der Norraalhöhe sich zu halten. Es
sind also die Fälle, welche, soweit es den Blutdruck anljctrifft, von der Ather-
narkose schlecht beeinflußt wurden.
Fassen wir also zunächst die allgemeinen Ergebnisse dieser Blutdruck-
untersuchungen während der Athernarkose zusammen, so läßt sich sagen, daß
der Äther in der großen Mehrzahl der Fälle (79%) eine Steigerung des Blut-
druckes bewirkt, bei weiteren 9'7o ein Gleichbleiben oder geringes Sinken hervor-
ruft. Einen tiefen Manometerstand kann mau erwarten bei durch Ki-ankheit
sehr geschwächten Personen, sowie bei starken Blutungen und profusen Schweiß -
ausbrüchen. Neben diesem Allgemeinbilde der Ätherdruckkurve erfordert jetzt
aber auch die Einzelkurve mit ihrem mehr oder weniger wechselnden Verlaufe
unsere Betrachtung (Blauel).
Bei dem Beginne der Narkose bewirken die Atherdosen sofort eine Druck-
steigerung, wobei es auf die gegebene Menge Äther ankommt, d. h. große An-
faugsdosen steigern den Blutdruck sofort beim Beginne der Inhalation, bei
langsamer Darreichung tritt diese Steigerung laugsamer ein.
Wenn nun das Stadium der Toleranz erreicht ist, so wird bei einer neuen
Ätherzufuhr in den meisten Fällen eine Steigerung des Blutdruckes eintreten,
bisweilen bleiben diese Gaben ohne Einfluß. Es ist niemals ein Sinken des
Bhitdi'uckes ohne Grund, welcher in zu der Narkose nicht direkt gehörenden
Einflüssen wie plötzlichem Blutverlust etc. zu finden war, beobachtet worden.
Trat dennoch eine Herzschwäche ein, so war sie nur in langsamem Sinken zu
beobachten und man konnte sehen, wie dieselbe nach Beseitigung des Grundes
sofort nachließ.
Dies ist ein sehr wichtiges Moment, es zeigt, daß man bei guter Be-
obachtung eine Herzschwäche immer zeitig genug erkennen kann, um noch
rechtzeitig einzugreifen, daß aber nie beim Äther ein plötzliches Sinken eintritt,
wodurch man die Herzschwäche erst im Höhepunkt gewahrt.
Was nun das Verhalten des Blutdruckes im Stadium IV der Narkose,
dem des Erwachens, anlangt, so hat sich folgendes Resultat ergeben :
Natürlich ist ja, daß die Blutdruckhöhe hier große Verschiedenheiten
zeigt, denn es kommen ja meist die Einflüße der Operationen, starke Blutver-
luste etc. mit in Betracht. Die Blutdruckhöhe stand nun bei Blaueis Ver-
suche zur Zeit des Erwachens 33 mal annähernd auf dem Niveau der Normal-
druckhöhe und 35 mal über derselben, 32 mal unter ihr. Es war also immer
ein günstiger Stand vorhanden, wenn man die Einflüsse der Operationen mit
in Betracht zieht. Die Länge der Narkose hat keinen Einfluß auf die Druck-
höhe, denn gerade bei den längsten Narkosen war beim Erwachen ein hoher
BlutdiTick zu verzeichnen. Blauel schreibt weiter über die Verhältnisse der Kurve:
„Berücksichtigen wir jetzt noch, daß in der Mehrzahl der Fälle der
höchste Gipfel der Kurve etwa an der Grenze zwischen erstem und zweitem
Drittel zu liegen pflegt, so ergibt sich für den Durchschnitt der Ätherblutdnick-
kurveu etwa folgendes Schema:
— 336
Fignr 112.
Ätherblutdruckkurve. Cholecystostomie, Narkosenlänge 104 Min.
Ätherverbranch 125 cbcm. Die Horizontale N bedeutet die Nornialbhitdruckhöhe
und gibt als Abszisse zugleich die Zeit in Minuten an; die Ordinate zeigt in
Millimeter Hg die Blutdruckböhe. Bei 0 Beginn der Narkose, die Pfeile be-
deuten Ätherzufuhreu.
Die Kurve stellt einen nach unten offenen Bogen dar, dessen Höhe-
punkt zwischen erstem und zweitem Drittel liegt. Zu dieser Höhe steigt die
Linie gleichmäßig an und zwar beginnt dieser Anstieg entweder unmittelbar
nach der ersten Äthergabe, oder erst, nachdem eine Zeitlang ein Stand auf der
Normalhöhe oder etwas unter derselben innegehalten wurde.
Kl.eine Ätherzufuhren im Verlaufe der Narkose haben entweder blutdrack-
steigernde Wirkung oder beeinflussen den Lauf der Kurve gar nicht. Ernie-
drigungen des Druckes gehören zu den größten Seltenheiten, ebenso plötz-
liche Remissioneu im Verlaufe der Narkose. Wo solche stattfindeu, sind sie
durch operative EingTiff'e bedingt. Am Schlüsse der Narkose zeigt der Blut-
druck ein unregelmäßiges Verhalten, ein Sinken iinter die Normalhöhe findet
jedoch nui' in einem Drittel der Fälle statt."
Die beiden Abbildungen in Figur 112 und 113 stellen zwei Kurven von
Blauel dar und gebeu die geschilderten Verhältnisse wieder.
Figur 113.
Ätherblutdruckkurve. Amputatio humeri et cruris. Narkosenläuge 54 Minuten.
Ätherverbrauch 100 cbcm. Bezeichnung wie in voriger Figur.
Was wir nun aus i;nseren Betrachtungen für einen Schluß zu ziehen
haben, ist der, daß in der Äthernarkose plötzliche Druckschwankung in Gestalt
— 887 —
von rascbciu Sinken imt(!r die Norm infolge^ der Ätherwirkung- nicht vorkommen,
treten sie vm, so liegt die Veranlassung in einem Umstände der Operation und
mit der Ui-sache wird auch das Sinken der Druckhöhe beseitigt. Sinkt aber
d(n' Blutdruck stark unter die Norm infolge der Ätherwirkung, so geschieht
dies langsam und zeigt sich rechtzeitig dem Narkotiseur an. Deshalb ist
stetes Beobachten des Pulses die Pflicht desselben.
Es ist natürlich auch der Eintritt schwerer Herzkollapse durch Äther-
wirkung ]nöglich, doch diese Kollapse treten nicht so rasch ein, sie zeigen sich
sehr früh in Störungen der Herztätigkeit. Immerhin können sie auch gelegent-
lieh zu Synkope führen (Schneider etc.).
Es ist eine von Dieff enbach erkannte Erscheinung, daij während einer
Äthernarkose eine stärkere Blutung bei der Operation aus den Geweben des
Organismus erfolge als in Chloroformnarkose oder im normalen Zustand des
Kranken. Der Grund für diese stärkere Blutung kann in der spät eintretenden
Gefäßparalyse (Job. Müller) oder nach anderen in der erhöhten Zirkulation
liegen. Dies geht auch aus den Resultaten von Blaueis Blutdi'uckversuchen
hervor, daß der stärkere Druck im Gefäßsystem die stärkere Blutung hervorrufe.
Die Temperaturverhältnisse im Organismus werden durch den Äther
bedeutend verändert. Es tritt in den meisten Fällen eine bedeutende Erniedi'i-
gimg der Temperatiir in der Äthernarkose auf, nach Kappeier im Mittel
um 0,52 *'. Die Temperatiu* sank nach seinen Versuchen nach 10 — 20 Minuten
nach Beginn der Ätherinhalationen, der niedrigste Stand der Temperatur wurde
20 Minuten bis 20 Stunden nach Beginn der Narkose beobachtet, Demme fand
denselben drei Stunden nach dem Beginn. Man sah die Temperatur eines drei
Monate alten Kindes von 37,8° sait 35,6° sinken während einer Äthernarkose,
(Alien).
Im Anfang der Äthernarkose sind hin und wieder Temperatursteigerungen
beobachtet worden, eine Erscheinung, die wohl mit der angeregten Herztätig-
keit zusammenhängen kann. Nach den Untersuchungen von Neeb beträgt das
Mittel der Erniedrigung der Temperatur 0,8°, er fand, daß in der Äthernarkose
0,1° mehr Erniedrigung als bei der Chloroformnarkose eintrat. Die größten
Differenzen in der Äthernarkose betrugen 6° C. (Harless, Müller).
Allen gibt den Rat, zur Verminderung der Abkühlung den Kranken in
warme Decken soweit als angängig zu hüllen und für Zufuhr von Wärme
zu sorgen. Seitdem er dies streng befolgt, hat er nur mehr Abkühlung von
0,6° — 2° nach langen Narkosen beobachtet.
Es ist die Erniedrigung der Köpertemperatur durch die starke Kälte-
wirkung des Äthers bedingt und zweifellos erleidet der Organismus durch die
kalten Ätherdampfluftgemische, die oftmals bei einer hartgefrorenen Maske ein-
geatmet werden, eine starke Abkühlung in der Lunge. Diese Abkühlung be-
wirkt in gewissen Verhältnissen eine Abkühlung des ganzen Organismus, vor
allem auch bei sehr langer Narkose (Whiteford, Allen etc.). Deshalb soll
man Ätherdampfgemische nicht so kalt in die Lungen gelangen lassen.
Die physiologische Einwirkung des Äthers auf Leber und Nieren ist nur
gering, denn meist werden dieselben pathologischer Art sein. Die Funktion
dieser Organe wird während der Narkose herabgesetzt, die Harnmenge wird
nach der Äthernarkose vermindert gefunden, (Couche) namentlich am ersten
Tage, weniger am zweiten, der Harnstoff im Urin ist vermindert, die Phosphor-
22
•-- 338 —
säure ist wechselnd, bald yermindei't, bald erhöht gefunden worden. Die Oalle
ist ebenfalls weniger an dem Tage nach der Narkose, wenn auch nur geringe
Diiferenzen bestehen. Ein großer Teil des Äthers wird durch die Nieren im
Harn aus dem Organismus ausgeschieden, allerdings nicht als reiner Äther,
sondern in Verbindungen.
Untersuchungen über die Nierenfunktion in der Äthernarkose sind von
Popoff angestellt worden. Erfand, daß Äther Albuminurie hervorrufen könne,
die aber nicht als Symptom einer Nephritis aufzufassen sei, sondern die, auch
nach Wunderlich, infolge der durch die Äthernarkose erzeugte Blutdruck-
steigerung hervorgerufen werde , namentlich infolge der Drucksteigerung in
den kleinen Nierenarterien. Auch Cylindrurie tritt nach Ätheruarkosen auf,
die Pop off ebenfalls für eine physiologische auffaßt. Er hält eine toxische
Einwirkung des Äthers auf die Nieren zur Erklärung dieser Harnauomalien
deshalb für unerwiesen und unwahrscheinlich, weil es ihm trotz sorgfältigster
Untersuchungen niemals gelang, Äther im Urin, sei es durch den Gerach, sei
es durch chemische Reaktion, nachzuweisen.
Die Magendarmfunktion ist ebenfalls während der Äthernarkose vermindert,
die Bewegungen sind geringer und träger als im normalen Zustand. Durch
die Magendrüsen wird Äther im Magensaft abgesondert, wodurch beim Anhäufen
von Magensaft im Magen Erbrechen hervorgerufen werden kann (Erbrechen
während und nach der Äthernarkose). Allerdings ist das Erbrechen geringer
als bei der Chloroformnarkose, der Äther reizt jedenfalls die Magenreflexe nicht
so stark. Vielleicht ist der Grund auch darin gelegen, daß der Äther schneller
aus dem Magensaft in die Luft übergeht und als Gas aus dem Magen entfernt
wird (Aufstoßen der Ki-anken nach Narkosen, wobei die Luft aus dem Munde
nach Äther riecht). Nach Äthernarkosen ist Obstipation während zwei bis di'ei
Tagen beobachtet (Comte) worden, bei Kindern dagegen Diarrhoe und Ikterus
(Demme).
Die Speicheldrüsen des Mundes und Rachens werden durch den Äther
stark zur Seki-etion angeregt, vermehrte Salivation. Auf diese Drüsen wirkt
Äther stärker als Chloroform. Durch die vermehrte Speichel- und Schleim-
absonderung erklärt sich das Röcheln des ätherisierten Xi-anken, man findet
im Rachen während der Narkose stets viel Schleim und Speichel. Derselbe
muß am Zurückfließen in die Lunge verhindert werden. In vielen Fällen ist
die vermehrte Salivation als pathologische Wirkung anzusehen und soll später
noch erwähnt werden.
Auf die Lungen und deren Funktion wirkt der Äther in physiologischer
Hinsicht insofern, als bei Beginn der Narkose die Atmung unruhig und meist
beschleunigt sowie flacher wird. Der Äther wirkt reizend auf die Lungen,
die Kranken husten oft. Auch auf die Drüsen und Schleimhäute in den
Bronchien wirkt der Äther reizend und somit auch die Schleimabsonderung
anregend. Diese Eigenschaft ist nachzuweisen, indem man Tiere mit herab-
hängendem Kopfe ätherisiert, so daß aus dem Rachen Speichel nicht in den
Kehlkopf fließen kann. Man findet dann in den Lungen reichlich Schleim, die
Alveolen sind teilweise oder ganz in manchen Bezirken mit Schleim angefüllt.
(Verf.) Diese Eigenschaft des Äthers ist teils physiologisch, in manchen
Fällen auch pathologisch, deshalb soll sie weiter unten erörtert werden.
Im Anfang der Äthernarkose veranlaßt die stark reizend wirkende
— 8:} 9 —
Eigenschaft der Atherdämpfe reflektorisch eine krampfhafte Verengerung des
Kehlkopfeinganges, wodurch ein Atemhindernis geschaffen werden kann, welches
aber beim weiteren Narkotisieren nach und nach wieder verschwindet und
deshalb harmlos ist. Man hat auch bei mageren Personen das sog. Yentil-
atnien beobachtet, welches darin besteht, daß bei der Inspiration die Nasen-
flügel, Lijjpeu und Wangen eingezogen, bei der Expiration stark aufgebläht
werden, wodurch bei der Inspiration ein Hindernis der Respiration geschaffen
werden kann. Dasselbe kann leicht verhütet werden.
Sehr oft beobachtet mau bei Ätheruarkosen eine sehr ausgiebige Zwerch-
fellatmung, die bei Laparatomien sehr unangenehm werden kann, da die
Darmschlingen dann in die Wunde oder das Operationsgebiet getrieben werden.
Diese Zwerchfellrespiration besteht in krampfhaften beschleunigten Kontraktionen
der Muskulatur des Zwerchfells, wobei die anderen Atemmuskelu untätig sind
und das Zwerchfell fast allein arbeitet. Diese Zwerchfellrespiration kann in
drei Stadien vorkommen. Im Anfangsstadium tritt sie auf als Reiz oder Re-
flexerscheinung bei sehr konzentrierten Aetherdämpfen. Der Kranke hat dabei
noch sein Bewußtsein ungetrübt. In diesem Zustande beseitigt man die
forcierte Zwerchfellatmung durch Entfernen der Maske während einiger Se-
kunden, denn der Kranke leidet an Mangel von Sauerstoff wegen Ueberfluß
von Aetherdämpfen. Im zweiten Stadium tritt die Zwerchfellatmung beim
Schwund des Bewußtseins ein und bildet einen Teil des Exzidationsstadiums.
Es ist überhaupt beim Aether eine häufige Erscheinung, daß die Exzidation
hauptsächlich durch Veränderung in der Respiration dargestellt wird. Mau
bekämpft die forcierte Zwerchfeilatmung hier durch Zufuhr von Aether. Das
Eintreten derselben im dritten Stadium, dem der Toleranz, ist das wichtigste
und auch gefährlichste, da es in diesem Falle ein Zeichen von Mangel an
Sauerstoff ist. Man findet dann alle Zeichen einer drohenden Apnoe und muß
deshalb sofort die Maske entfernen und dem Kranken reine Luft und Sauer-
stoff' zuführen, dann schwindet dies Symptom bald. Hieraus ersieht man, daß
dieser Erscheinung immerhin einige Wichtigkeit beigelegt werden muß und
man es nicht nach den Angaben Großmanns als ganz belanglos betrachten
darf. Die Gefahr, welche mit diesem Zustande verbunden sein kann, liegt
nicht in dem Znstand selbst, sondern in den Maßnahmen, die der Narkotiseur
zur Beseitigung der ausgiebigen Zwerchfellatmung anwendet, denn man ersieht
aus dem Gesagten, daß die Gegenmaßregeln je nach dem Stadium der Narkose,
in welchem die Zwerchfellatmung auftritt, ergriffen werden müssen, einmal
muß mehr Aether in verstärkter Dosis gegeben, das andre Mal Sauerstoff'
den Lungen in erhöhtem Maße verabreicht werden. Somit kann es für den
Kranken höchst gefährlich werden, wenn der Narkotiseur das Stadium der
Betäubung nicht beachtet, denn die erhöhte Dosis Aether, zu falscher Zeit
verabreicht, kann den Narkotisierten in schwere Lebensgefahr versetzen, es
kann schwere Apnoe auftreten. Der ganze Zustand aber kann durch die vor-
sichtige Leitung der Betäubung leicht vermieden werden, namentlich bei der
modernen Aethernarkose beobachtet man denselben sehr selten. Bei richtigem
Erkennen der Verhältnisse ist derselbe allerdings ohne Gefahr.
Weitere Einflüsse des Äthers auf die Respiration und Lungen in
physiologischer Hinsicht sind nur wenige vorhanden. Der Äther wird in der
Lunge sowohl in das Blut durch die Tätigkeit der Zellen des respiratorischen
Epithels aufgenommen, als auch aus demselben wieder an die Luft, nachdem
er den Kreislauf passiert hat, abgegeben. Somit erfährt die Narkose durch
die Respiration eine gewisse Steuerung, und es wird bei der Atmung, wenn
die Maske z. B. fest auf dem Gesichte aufliegt, nicht nur der Äther von der
Maske aus eingeatmet, sondern es werden auch die mit der Expiratiousluft
aus der Lunge resp. dem Blut entfernten Ätherdämpfe wieder inspiriert
werden. Man muß dies berücksichtigen, ein Sympton. das bei jeder Inhalatious-
22*
— 340 —
iiarkose in Betracht kommt. Infolge des niedrigen Siedepunktes resp. der
leichten Verdampfbarkeit des Äthers hat derselbe bekanntlich die Eigenschaft,
aus seiner Umgebung yiel Wärme aufzunehmen, wodurch er starke Abkühlung
der umgebenden Medien bewirkt während er verdunstet. Man verwendet ja
diese Eigenschaft zur Erzeugung künstlicher Kälte. Auch in der Lunge wird
diese Abkühlung von Wichtigkeit, denn meist bewirkt der Äther unter der
Maske eine starke Abkühlung der Ätherdampfluftgemenge, man beobachtet
sehr oft, daß die Rosette in der Äthermaske mit Schnee bedeckt oder fest-
gefroren ist. Durch die Einatmung der kalten Gemische erleidet die Luft
in der Lunge eine bedeutende Abkühlung, und bei langer Narkose überträgt
sich die Abkühlung auf den ganzen Organismus, die Temperatur fällt nicht unbe-
trächtlich während der Äthernarkose (Allen, Whitef ord etc.). Ist die Narkose
nicht sehr lang, oder wird für sehr warme Luft der Umgebung gesorgt, so daß die
Ätherluftgemenge unter der Maske nicht zu sehr abgekühlt werden, so wird die
Lunge durch die kühle Luft nicht sehr belästigt. Allerdings entsteht eine Ernied-
rigung der Temperatur in der Lunge, doch wenn diese in geringem Grade
stattfindet, schadet sie nicht, ist sie aber sehr stark, so erleidet die Lunge
Erkältungen etc. und der Patient nimmt Schaden, dann entstehen pathologische
Folgen. Für gewöhnlich halten sich die Veränderungen in physiologischen
Grenzen.
Beim Eintritt der tiefen Narkose wird die Atmung oft stertorös, ein
sehr häufiges Zeichen der Äthernarkose, das Atemgeräusch ist dann rasselnd,
fauchend und schnaubend. Das Rasseln wird durch den vermehrt abge-
sonderten Schleim erzeugt, das Schnaufen und Fauchen ist durch Raum-
beengung in Kehlkopf, Nase und Hals hervorgerufen und ist mehr oder weniger
bei jeder Äthernarkose zu finden. Das Schnarchen entsteht dadurch, daß der
Zungeugrund in der Ätheruarkose in vielen Fällen nicht ganz zurücksinkt,
also den Raum beengt, während er bei Chloroform ganz auf den Kehlkopf
zurücksinkt. Dies ist durch die verschieden starke Lähmung der Muskeln
zu erklären.
In der Äthernarkose ist im Anfang die Kohlensäureabsonderung in der
Lunge vermehrt, später vermindert. Der Grund soll in der starken Muskel-
anstrengung während der Exzidation und in der Ruhe während der Toleranz
für die Vermehrung einerseits und die Verminderung der Kohlensäure in der
Toleranz andererseits zu finden sein.
Ehe die physiologischen Einwirkungen des Äthers auf den Organismus
verlassen werden, muß auch mit wenig Worten eine eigentümliche Beziehung
der Ätherwirkung zur Haut und deren Blutgefäßen der narkotisierten Person
erwähnt werden. Es ereignet sich nämlich sehr häufig bei Äthernarkosen,
daß eine Turgeszens und Cyanose der Haut auftritt, die sich beim Beginn
der Inhalation zeigt und mit der Dauer der Narkose wieder verschwindet.
Nur im Gesicht bleibt die Cyanose bestehen und tritt auch dort in jeder
Äthernarkose auf. Dieses Phänomen ist auf Erschlaffung der Gefäßnerven
der Haut zurückzuführen. Außer diesen Erscheinungen hat man während der
Athernarkosen auf der ganzen Haut des Körpers des Narkotisierten ein eigen-
tümliches Erythem beobachten können, manchmal bevorzugt dasselbe die Haut
des Halses und der Brust; dasselbe verschwindet aber sehr bald nach der
Narkose wieder und ist daher als harmlos zu betrachten. Auch die Cyanose
-^- 341 —
mäßigen Grades braucht den Narkotiseur nicht zu schrecken, da sie ohne
ernste Störungen verläuft.
Nachdem hiermit die hauptsächlichsten physiologischen Einflüsse des
Äthers auf die verschiedenen Organe des menschlichen Körpers erörtert
worden sind, sollen nunmehr die bei weitem wichtigeren pathologischen Ein-
flüsse und Veränderungen, die durch die Atherwirkung entstehen und auftreten
können, betrachtet werden. Ein großer Teil derselben geht aus den physio-
logischen Einflüssen hervor, deshalb muß ich bisweilen auf das obengesagte
zurückkommen.
Zunächst sollen die Einflüsse des Äthers auf das Gehirn betrachtet
werden. Neben den in physiologischen Grenzen erzeugten Veränderungen im
Cerebrum finden sich bedeutend schwerere Affektionen pathologischer Natur,
welche je nach der Dauer der Äthereinwirkung und dei Disposition des betr.
Individuums auftreten. Zunächst dokumentiert sich die Ätherwirkung in einer
starken Veränderung der Zellen der Blutgefäßwandung, welche genau wie es
beim Chloroform schon erwähnt wurde, durch die Ätherwirkung ebenfalls derart
geschädigt werden, daß sie eine Fettmetamorphose zeigen. Es werden vor
allem die Zellen der Intima und Media größerer und kleinster Hirngefäße
und die Zellen der Wandung der Capillaren affiziert und man findet, nament-
lich nach langen oder häufigen Narkosen stellenweis starke Anhäufung von
Fetttropfeu in den Wandungen, so daß daselbst die Wand verdickt wird und
später eine Narbe mit Verdünnung der Wand entstehen kann.
Diese Einwirkung des Äthers ist von mir im Experiment geprüft worden,
und es fand sich folgendes:
Wenn man längere Äthernarkosen 1 — 2 Stunden lang z. B. an Hunden
vornimmt, oder wenn man Hunde ^2 Stunde lang mit Äther mehrmals in
zwölfstündigen Intervallen narkotisiert, so zeigen sich stets in den Gefäß-
wandungen, sowohl des Groß- als auch des Kleinhirns, reichlich Fettansamm-
lungen, die je größer, häufiger und ausgedehnter sind, je länger die Narkosen
waren und je häufiger sie wiederholt wurden. Diese Veränderung in den
Gefäßwandungen ist ähnlich der wie sie bei Chloroform beschrieben ist. Die
Zellen der Intima und Media, der größeren Blutgefäße, sowie die Zellen der
Capillaren erleiden durch den Äther eine Fettmetamorphose, und man findet
in den mit Osmium behandelten Präparaten große Mengen Fetttropfen, welche
einen Teil der Zellen vollkommen anfüllen und die Zellen zerstören. Man
sieht an Querschnitten dann an der Stelle, wo die Fettmetamorphose stattfindet,
eine deutliche Verdickung der Gefäßwand, die durch die Fettmengen hervor-
gerufen wird. Wenn nun aber die Zellen zugrunde gehen, so entsteht dann
eine Verdünnung an dieser Stelle der Gefäßwand. In nicht so hochgradigen
Fällen zeigen sich geringere Mengen von Fett, nur wenige mittelgroße Tropfen,
die meist in Haufen liegen. In den Schnitten solcher Gehirnpräparate waren
bei meinen Versuchen stets sehr zahlreiche Stellen mit fettmetamorphosierter
Gefäßwanduug zu finden, man nahm dieselben oftmals schon mit schwachen
Vergrößerungen oder auch mit bloßem Auge als schwarze Punkte in dem gelben
Präparate wahr und sah dann eine Menge solcher Punkte. Bei näherer Unter-
suchung der Schnitte bei stärkerer Vergrößerang stellte sich heraus, daß die
schwarzen Punkte Gefäßquerschnitte mit sehr großen Mengen von Fett waren,
— 342 —
während sich in der übrigen Gehirumasse noch viele Gefäßquerschnitte zeigten,
in denen weniger oder gar kein Fett vorhanden war.
Jedenfalls ist dieses Fett in den Zellen der Gefäßwandungen dui'ch den
Äther hervorgerufen, denn normaliter findet es sich nicht im Gehirn und es hat
sich bei den vielen Versuchen mit Äther, die ich augestellt habe, stets gezeigt.
Beistehende Figur 114 zeigt einen Schnitt aus dem Gehirn eines Hundes, der nach
Figui' 114. Gehirn von einem Hund nach vier Äthernarkoseu.
In Ganglienzellen und Blutgefäßwandungeu reichlich Fett.
vier Äthernarkosen getötet wurde. Man sieht darin deutlich die fettmetamor-
phosierten Gefäßwandstellen. Die Fettmetamorphose in den Gefäß Wandungen
findet sich ebenso in den Gefäßen des Kleinhirnes, wie des Großhirnes. In
Figur 115 ist ein Bild der Veränderungen im Gerebellum dargestellt. Man sieht
auch hier, wie die Fettmetamorphose haufenweise auftritt und dann die Gefäß-
wand vorbuchtet. Natürlich finden sich nicht immer so hochgradige Verände-
rungen, bei weniger Narkosen, bei kürzere Zeit dauernden Einwirkungen des
Äthers sind die Fettmengen geringer, mau findet bisweilen nur wenige Tropfen.
Immerhin habe ich auch nach 50 — 70 Minuten langen Äthernarkosen schon
Fettmetamorphose in den Gefäßwandungen des Kleinhii-ns und Cerebmms
gefunden, wenn auch die Fetttropfen nicht so groß und zahlreich waren.
Es ist nun natürlich auch auf Längsschnitten der Gefäße das Fett zu
finden. Die Frage ist nur, wie kommt es, daß so viele Zellen der Gefäß-
wandungen diese Veränderang erleiden, während andere gesund bleiben. Es ist
mii- noch nicht gelungen, eine Antwort auf diese Frage zu finden, die mir eiu
klares Bild der Entstehung gibt, es bleibt nichts anderes übrig bis jetzt, als
anzunehmen, daß diese Zellen disponiert sind, daß sie gerade aus irgend-
welchen Gründen und Verhältnissen weniger widerstandsfähig gegen die Äther-
wirkung sind.
— 843 —
Dieses Veruiögen, die Gefäliwauduiineu zu alterieren, ist allen Narkoticis,
die mau gewöhnlich zur Inhalatiousuarkose verwendet, eigen. Der Äther wii'kt
ziemlich stark, es scheint mir aus den Beobachtungen meiner Versuche nicht,
als ob der Äther in dieser Hinsicht schwächer wirke als Chloroform.
Die Fettmetamorphose in den Blutgefäßen ist nun schon nach einer
langen Narkose mit Äther, 1 — IV2 Stunden laug, zu finden, es zeigen sich dann
vereinzelt Fetttropfen in den Zellen der lutima xmd Media. Nach zwei solchen
Äthernarkoseu, zwischen denen zehn bis zwölf Stunden Intervall gelegen hat,
zeigt sich schon bedeiitend mehr Fett, wo ein oder zAvei Tropfen in dem
Präparat nach einer Narkose zu sehen waren, finden sich jetzt Haufen von
drei bis sechs Fetttropfen, nach drei und vier Narkosen sind die Fettmassen
noch größer, vor allem sind die Tropfen viel größer, die kleineren sind konfluiert.
Es zeigt sich also, daß schon eine lange Narkose Fettmetamorphose erzeugt,
daher ist anzunehmen, daß in bestimmten Fällen beim Menschen, wenn Dis-
position vorhanden ist, die Fettmetamorphose auch in stärkerem Maße auftiitt.
Aber auch die in mäßigen Grenzen sich bildende Veränderung kann an einzelnen
Stelleu in der Gefäßwand sich stärker bilden, es kann daselbst zu ausgedehntem
Zerfall der Zellen kommen, ixnd die Folge davon kann in Ruptur der Gefäß-
wand, HämoiThagie oder in einer Narbe in der Gefäßwand bestehen, welch
letztere dui-ch den Blutdruck zu einem Aneurysma ausarten oder ruptui-ieren
kann, uameutlich gelegentlich starker Blutdrucksteigerungeu. So kann auch
schon während der Atheruarkose, uameutlich währeud einer sehr langen, oder
einer solchen, der am Tage vorher schon eine Narkose vorhergegangen ist, bei
Blutdrucksteigerungeu (Exzitation, Apnoe etc.) eine Gehirnhämorrhagie entstehen,
deren Folgen ja bekannt sind.
Es ist aus diesen anatomischen Befunden die Lehre zu ziehen, nicht
eine Narkose innerhalb ein oder zwei Tagen zu wiederholen, und alle starken
En-egungen zu vermeiden. Die Fettmetamorphose ist jedenfalls in besonderen
Fällen der Grund schwerer Gehirnstörungen, es ist möglich, daß mancher Todesfall,
der äußerlich Zeichen, die auf einen Zusammenhang mit der Narkose hindeuten
nicht erkennen ließ, auf diese Verhältnisse zu beziehen ist. Es können auch
vorübergehende Lähmungen, Schwächegefühle in Extremitäten, starke Kopf-
schmerzen etc., die nach der Narkose auftreten, in Blutungen aus kleinen fett-
metamorphosierten Gehirngefäßen, die einen größeren Umfang nicht angenommen
haben, ihre Ursache haben. Vielleicht wird die weitere Beobachtung mit den
Jahren solche Fälle entdecken. Man kann jedenfalls auch manche Apoplexie,
manchen Fall von Aneurysmata der Gehirngefäße in seinen ersten Anfängen auf eine
Narkose zurückführen und deshalb muß man sein Augenmerk auch auf diese
Verhältnisse richten. Allerdings muß man auch bedenken, daß die Fettmetamor-
phose mäßiger Art und Ausdehnung, wie sie meist in normalen Fällen nach einer
langen Äthernarkose zu finden ist, sehr schnell abheilt. Nm* in schweren
Fällen, wie iu obigem Präparat veranschaulicht wird, bilden sich nach der Narkose
an den Stellen der Fettmetamoi-phose Narben mit Verdünnung der Gefäßwand.
Besonders prädisponierend für diese Verhältnisse ist jedenfalls die Arterio-
sklerose und der Alkoholismus.
Auch schon andere Forscher haben auf die besondere Gefahr der Apoplexie
in der Äthernarkose aufmerksam gemacht (Sänger, de Quervain etc.), welche
namentlich für alte Leute größer sei als bei anderen Narkotica, wegen der
— 344 —
Blutdrucksteigenmg. Es ist ja zuzugeben, daß der Äther nicht so schwer
schädigend auf Herz, Blutgefäße etc. wirkt, wie Chloroform, man muß auch die
Gefahr gerade der Apoplexie bei alten Leuten, die ohne Narkose operiert werden,
als gToß erkennen (Kapsammer), aber man muß auch in Betracht ziehen, daß
der Äther in der Narkose vielerlei Gelegenheiten zu sehr starken vorüber-
gehenden Blutdrucksteigenxngen gibt, namentlich wenn der Narkotiseui" ungeübt
oder unerfahren ist, und daß unter diesen Verhältnissen die Gefahr der Apoplexie,
Figur 115. Kleinhirnrinde vom Hund nach Äthernarkosen.
Fett in Ganglienzellen und Gefäßquerschnitten.
namentlich bei älteren Leuten, größer ist, als bei der Narkose mit Chloroform.
Es ist daher vor allem die Pflicht des Narkotiseurs, vorsichtig zu betäuben und
jede plötzliche Blutdi-ucksteigerung zu vermeiden. Gerade die vorsichtige
Leitung der Narkose ist auch beim Äther unerläßliches Postulat.
Die andere Verändening des Gehirns besteht in Fettmetamorphose der
Ganglienzellen. Ich habe bei meinen Versuchen gefunden, daß Äther ebenso wie
Chloroform eine Fettmetamorphose in den Ganglienzellen hervorrufen kann. Es
fand sich Fett in den Ganglienzellen stets nach langen oder öfteren Narkosen,
allerdings war das Fett nur in mäßigen Mengen vorhanden. Bisweilen fanden
sich in einzelnen Ganglienzellen nur zwei bis vier mittelgroße Fetttropfen, bis-
weilen hingegen waren einzelne Ganglienzellen mit Fettti'opfen übersät, feine Fett-
tropfen füllten das ganze Protoplasma der Ganglienzellen aus. In Figur 114
sieht man Ganglienzellen des Großhii-ns mit Fetttropfen, während in Figur 115
auch einige Ganglienzellen des Kleinhirns mit Fetttropfen abgebildet sind. Es
ist diese Figui* nach einem Schnitt aus dem Kleinhirn eines mit Äther narkoti-
sierten Hundes gezeichnet. Diese Versuche sind äußerst schwierig anzustellen
und ich habe deshalb noch nicht können mehr Klarheit hierüber erlangen.
Jedenfalls ist aus den Untersuchungen ersichtlich, daß nicht alle Ganglienzellen
ergTiffen werden. Es finden sich stets bestimmte Zellen ergriffen, wähi'end
andere gesund sind. Es waren ebenso die Ganglienzellen des Großhirns, wie
— Uh —
die der Kleiuliiruriiidc, welclie Fettmetaiiioii)hose zeigten. Stärkere Läsionen habe
ich nicht beobachten können. Jedenfalls läßt sich bis jetzt noch nicht erkennen,
welchem roli;'en diesen Veränderuuo-en zuzuschreiben sind. Es wäre ja denkbar,
daß geleg'entlich auch die Lähmungen bestimmter Nerven durch Veränderungen
dieser Art hervorgerufen würden. (Waller, Braatz, Mally, Garrigues etc.).
Darüber müssen jedenfalls noch weitere Untersuchungen angestellt werden.
Wenn ich hier noch kurz einige Worte über die etwa in oder nach
Äthernarkosen auftretenden Lähmungen peripherer Nerven hinzufüge, so ge-
schieht es deshalb, weil auch in der Äthernarkose diese Verhältnisse nicht ohne
Belang sind. Der weitaus größte Teil der sogenannten Narkosenlähmungen steht
in keiner direkten Beziehung zu dem Narkoticum, da er durch äußere mechanische
Einwirkungen auf den peripheren Verlauf der Nei*ven entsteht. Nur wenige
Fälle wird es geben, welche auf zerebrale Entstehiing zurückzuführen sind, und
für diese waren die genannten Veränderungen des Gehirns durch die Äther-
wirkung maßgebend (Fettmetamorphose in den Ganglienzellen, Hämorrhagien
nach Ruptur fettmetamorphosierter Gehinigefäße). Diese Fälle sind allerdings
sehr selten. Der Narkotiseur hat aber vor allem die Pflicht, die erstere Art
von Lähmungen zu vermeiden, und wird für deren Eintritt haftbar zu machen
sein in Fällen, wo ihm ein Außerachtlassen der Vorsichtsmaßregeln nach-
gewiesen werden kann. Es ist dies des genaueren früher bei Chloroform und
im allgemeinen Teil besprochen.
Auch in den Gehii'nhäuten, in den Meningen und der Dura finden sich
Fettmetamorphose der Gefäßwandungen und der Zellen der Haut, namentlich
der Entothelzellen. Diese Veränderungen haben aber auf den Gesundheits-
zustand des Menschen wohl kaum einen Einfluß.
Nachdem ich hier die Einflüsse der Äthernarkose auf das Gehirn erörtert
habe, will ich noch den von manchen Seiten angegebenen Zusammenhang der
Narkose mit Geisteskrankheiten kurz erwähnen. Man will nämlich Fälle
beobachtet haben, wo Personen auch nach Aethernarkoseu Geisteskrank-
heiten bekamen (Tyrell, Scharlieb, Bakewell, Davis, Crouch, Silk,
Savage etc.). So wird von Savage angegeben, daß nach den Narkosen zwar
Melancholie und Wahnideen nicht sicher nachgewiesen seien, daß er aber häufiger
Stumpfsinn (Stupor) von mehreren Wochen Dauer beobachtet habe. Dem ent-
gegen glaubt Silk einen Zusammenhang zwischen dem Ausbleiben von Er-
brechen und dem Auftreten von Delirien nach Aethernarkoseu annehmen zu
dürfen. Low berichtet über einen Fall, wo eine Patientin in der Aethernarkose
einen typischen epileptischen Anfall bekam, obwohl sie vorher nie daran gelitten
hatte. Auch nach der Narkose trat nie wieder ein epileptischer Anfall auf.
Es ist zu bemerken, daß die Patientin allerdings Alkoholistin war. Peterson
hält es für möglich, daß der Sauerstoff im Übermaß zu Convnlsiouen führe. Es
sind diese Ansichten wohl nicht als ganz richtig anzusehen, da man wenn wirklich
nach einer Narkose, namentlich einer solchen mit Aether, eine Psychose auf-
träte, dieselbe wohl mehr durch die Operation bedingt sei (Savage). Savage
hält es für gefährlich, wegen eines Recidives Leute, die an einer Geisteskrank-
heit gelitten hätten, zu narkotisieren, während man dies bei Geisteskranken
selbst ohne Schaden tun kann. Diese letztere Ansicht mag eine gewisse Be-
rechtigung haben. Immerhin wird man eine vorsichtige Aethernarkose ohne
Schaden vornehmen können. .Jedenfalls wird man kaum annehmen können, daß
der Aether so schwere Einwirkung auf das Cerebrum haben kann, daß er
Psychosen erzeugt. Natürlich muß man den psychischen Shock bedenken, doch
ist derselbe nur bei prädisponierten oder psychopathischen Individuen vielleicht
geeignet, eine vorübergehende Psychose (Hysterie) hervorzurufen, bei gesunden
Menschen kann man einen solchen starken Einfluß nicht anerkennen,
— 346 —
Auch das Herz ei'leiclet durch den Äther pathologische Veränderungen.
In kleinen Teilen wirkt der Äther ja günstig auf das Herz, indem er die Herz-
tätigkeit am-egt. Anders steht es bei langer Einwirkung, namentlich bei langen
Narkosen. Es ist früher allgemein angenommen worden, der Äther wirke
gerade entgegen dem Chloroforai nur günstig, wenigstens nicht schädigend, auf
das Herz.
Diese Annahme ist als vollkommen irrig zu betrachten, denn dem Äther
ist auch eine schwer schädigende Einwirkung auf die Herzmuskelfaser eigen.
Diese Herzwirkung besteht in Störungen der normalen Zellfunktion in der
Muskelfaser, die sich in Fettmetamorphose äußert. Es ist nun eigentlich wunder-
bar, daß man diese Eigenschaft des Äthers noch nicht entdeckt hat, da man
doch die Wirkung des Chloroforms in dieser Hinsicht genau studiert hat. Es
scheint wohl der Grund darin zu liegen, daß die Einwirkung des Äthers auf
das Herz nicht so stark wie die des Chloroforms ist, und daß weit eher
schwere andere Veränderungen in den lebenswichtigen Organen, namentlich den
Limgen, auftreten und den Tod des Individuums hervoiTufen, ehe die Herz-
fettmetamorphose so stark ist, daß sie tödlich wirken könnte.
Es ist also dies Vermögen des Äthers, Fettmetamorphose im Herzfleisch
zu erzeugen, geringer als beim Chloroform. Äther wirkt schwächer in dieser
Hinsicht, aber dessen ungeachtet findet mau nach langen Äthernarkosen oder
nach öfteren Betäubungen deutliche Fettmetamorphose in den Herzmuskelfasern.
Bei meinen Versuchen zeigte sich nach mehreren Äthernarkosen mit 12 — 24 stünd-
lichen Intervallen stets deutliche Fettmetamorphose des Herzens, in den
Muskelfasern war die Querstreifung undeutlich geworden, verwaschen, oft ganz
fehlend, dabei zeigte sich in den Fasern zii beiden Polen des Kernes reichlich Fett
in feinen Tropfen, bisweilen war das Fett auch über die ganzen Fasern gleich-
mäßig in feineu Tröpfchen verteilt. Die Kerne waren erhalten. In den hoch-
gradigsten Fällen fand sich die Fettmetamorphose im Herzen nur in niedrigem
Grade, und sie war geringer wie in den gleichen Fällen bei Chloroform.
Es ist aber immerhin aus den Versuchen ersichtlich, daß Aether snlfur. Fett-
metamoi-phose im Herzen erzeugen kann. Übrigens haben meine Versuche er-
geben, daß alle Narkotika die gleichen Eigenschaften, die Fähigkeit Fett-
metamoi-phose im Herzen zn erzeugen, haben, nur daß Unterschiede in der
Stärke dieser Fähigkeit bestehen, und da hat sich ergeben, daß Aether sulfur.
am schwächsten wirkt.
Es hat sich nun aber auch ergeben, daß nach jeder längeren Äthernarkose
eine Alteration der Herzmuskelfaser entsteht, die sich in trüber Schwellung und
beginnender Fettmetamorphose dartut. Nach Äthernarkosen von 1 — 1^2 Stunden
Dauer fand sich hier und da wenig Fett in feinen Tropfen zu beiden Polen des
Kernes in den Muskelfasern, doch nur sehr selten, viel weniger als nach gleicher
Chl^roformnarkose. Nach zwei laugen Narkosen mit Äther war die Fettmeta-
morphose schon ganz deutlich.
Es geht daraus hervor, daß man auch bei der Äthernarkose das Herz
beachten muß, und daß Herzkranken auch die Äthernarkose gefährlich
werden kann. Die Veränderungen in den Herzmuskelfasern nach einer Narkose
heilen allerdings sehr schnell ab, und es ist infolgedessen die Gefahr bei sonst
gesundem Herzen geringer als bei anderen Narkotika.
Diese meine Beobachtungen bei Äthernarkosen an Tieren haben mich zu
— 347 —
der Überzeugiiug gebracht, daß der Tod auch iu geeigneten Fällen durch Hei-z-
synkope eintreten kann, und es haben auch schon früher andere Forscher Kollaps-
zustände in der Äthernarkose beobachtet, so hat Lewin bei Äthernarkosen eine
plötzlich eintretende Herzschwäche gesehen, die immer stärker wurde, bis das
Herz stillstand und exitus letalis eintrat. Derselbe hat neben diesem zum Tode
führenden Falle auch leichtere Herzkollapse gesehen, welche wieder vorüber-
gingen, nachdem der Arzt Gegenmaßregeln angewendet hatte, daß aber in manchen
Fällen auch die Herzschwäche so stark war, daß noch an den Tagen nach der
Narkose Gefahr für das Leben des Kranken bestand, indem die Herzkraft zu
erlahmen drohte.
Es ist also in diesen Fällen anzunehmen, daß eine mäßige Fettmetamor-
phose der Herzmuskelfasern bestanden habe, die bisweilen abheilte, in anderen
Fällen aber zum Tode führte.
Es wurde bisher von vielen Forschern bestritten, daß beim Äther Syn-
kope eintreten könne, sondern man nahm nur den Tod durch Apnoe an. Zweifel-
los kommen Apnoefälle ungleich häufiger vor als Synkopetodesfälle (Kappeier).
Doch wird man letztere nicht ganz leugnen können (Lewin, Spellissy).
Die Beobachtungen bei Äthernarkosen an Tieren, die man zur Feststellung
der Todesart vornahm, haben gezeigt, daß in allen Fällen zuerst die Atmung
stillstand und das Herz noch weiter schlug (Garre etc.). Man hat sich nun
den Vorgang beim Äthertod folgendermaßen gedacht. Wenn man ein Tier
ätherisiert und zwar so lauge, bis die toxische Wirkung zutage tritt, so sieht
mau zunächst Cyanose auftreten, die engen Pupillen werden sprungweise weit,
die Augen erstarren, und die Atmung sistiert. Währenddessen schlägt das Herz
noch weiter und zwar in der nächsten Zeit nach dem Stillstand der Atmung
ungestört. Der Puls ist dabei frequenter als normal, regelmäßig, kräftig. AVenu
man jetzt gleich künstliche Respiration anwendet, so kann man das Tier noch
am Leben erhalten, die Atmung setzt bald wieder ein. Gibt man aber weiter
Äther, so wird das Atmungszentrum vollständig gelähmt, der Puls wird irregulär,
äußerst frequent und steht nach wenigen Minuten still, die Herztätigkeit
ist jetzt ebenfalls gelähmt. Wenn man mit dem Beginne der Jrregularität des
Pulses Wiederbelebungsversuche anstellte, so ist in vielen Fällen keine Rettung
mehr möglich, die Herztätigkeit versiegt trotz aller Mittel, die Atmung tritt
nicht wieder auf. Es handelt sich also hier um eine primäre Lähmung des
Respirationszentrums und eine sekundäre Herzlähmung. Es fragt sich nun,
worin besteht die Ursache der sekundären Herzlähmuüg. Dieselbe ist nach
den Versuchen so stark, daß bei Irregularität in der Aktion das Leben nicht
mehr erhalten werden kann in den Fällen, wo man mit Gegenmitteln nicht so-
fort nach Eintritt der Irregularität einzuwirken beginnt. Es kommen hier
zweierlei Gifte in Betracht, einmal der Äther, das andere Mal die Kohlensäure.
Wenn die Atmung stillsteht, tritt zunächst Sauerstoffmangel auf, dann Kohlen-
säureintoxikation. Nebenbei besteht im Blute die Konzentration der Äther-
dämpfe, welche Narkose bewirkte. Wenn nun die Konzentration der Äther-
dämpfe im Blut genügend war, um eine Lähmung des Respirationszentrums
hervorzurufen, so sollte man annehmen, daß dieselbe auch das Herzzentrum
stark schädige. Dasselbe ist aber zweifellos widerstandsfähiger gegenüber der
Ätherwirkung als das Respiratiouszentrum. Es wird die Herzlähmung nunmehr
lediglich durch die Kohlensäureintoxikation und den Sauerstoffmaugel hervor-
— 348 —
gerufen. Das geht auch daraus hervor, daß mau kurz nach Eintritt der Apnoe
noch lehensrettend eingreifen kann, und zwar nur so lange, als noch nicht zu
starke Kohlensäureintoxikation aufgetreten ist. Bis dieselbe auftritt, können
einige Minuten vergehen, denn der Mensch kann bekanntlich ca. zwei Minuten,
ohne Sauerstoff zu atmen, leben. Die Gefahr dieser Apnoen wird entschieden
herabgesetzt durch die Sauerstoftatherinhalationeu.
Es geht demnach aus den Beobachtungen hervor, daß beim Äther in den
meisten Fällen die Atmung vor der Herztätigkeit stillsteht. Es ist damit aber
nicht ausgeschlossen, daß namentlich bei Herzfehlern eine Herzsynkope trotz-
dem auftreten könne, dies wird bewiesen durch die Fettmetamorphose in den
Herzmuskelfasern nach Ätheruarkosen. Es ist ja natürlich auch möglich, daß
eine Synkope bei unveränderten Herzmuskelfasern auftritt, eine Lähmung resp.
Zerstörung der Ganglienzellen des Zentrums der Herztätigkeit in der Medulla
oblongata infolge der Ätherwirkung. Es ist aber auch durch die Beobachtung
und Erfahrung feststehend, daß ein protrahierter Äthertod, der infolge Fett-
metamorphose im Herzmuskel analog dem Chloroformtod entsteht, sehr selten
beobachtet ist und von manchen Seiten ganz geleugnet wird. Daß derselbe
möglich ist, beweisen die Tierversuche, daß er aber in der Praxis sehr selten
resp. gar nicht beobachtet wird, das wird bei den Erörterungen der Lungen-
krankheiten nach Äthernarkosen behandelt Averden. Es ist jedenfalls feststehend,
daß der Äther nicht ein ausschließliches Herzgift ist, sondern daß er das Herz
und dessen Tätigkeit in vielen F'ällen nicht nachteilig, in anderen wenigstens
nicht so schwer schädigend wie Chloroform beeinflußt.
Bedeutend größerer Einfluß wird dem Aether sulfuricus auf die Nieren
und die Leber zugeschrieben. Man hat vor allem dem Äther den Vorwurf ge-
macht, daß er die Nieren direkt schädige, daß er Nierenentzündungen hervor-
rufe etc.
Die Einwirkung des Äthers auf die Nieren äußert sich nach Comte in
einer Verminderung der Harnmenge namentlich am ersten Tage nach der
Narkose, das spezifische Gewicht des Harnes wird erhöht, die Harnstoff'menge
ist vermindert, der Gehalt des Harns an Phosphorsäure ist schwankend, bald
erhöht, bald vermindert.
Emmet, Gester, Miliard etc. haben behauptet, daß der Äther wegen des
auf die Nieren ausgeübten Reizes bei Erkrankungen der Nieren vor allen Dingen
konti'ainziert sei. Fueter, Roux, Wunderlich, Garre, Eisendraht u. a.
wiesen dem gegenüber nach, daß der Äther nicht einen Reiz auf die Nieren ausübe,
sondern daß z. B. bei Albumen, welches vor der Äthernarkose im Harn vor-
handen war, eine Vermindenmg desselben nach der Narkose zu finden sei, daß
dasselbe sogar nach der Narkose in manchen Fällen verschwimden gewesen sei.
Leppmann, d'Angelesco, Buxton, v. Lerber, Dudley etc. haben
axxf Tierexperimente gestützt das Resultat erlangt, daß der Aether bedeutend
weniger schädlich als das Chloroform auf die Nieren einwirke. Man hat nun
aber dennoch bisweilen Eiweiß im Harn nach Aethernarkosen gefunden, Rovix
fand bei 115 Aethernai'kosen 4mal Albuminurie. Angelesco bei 128 Aether-
narkosen 16 mal leichte Albuminurie, aber man fand auch, daß diese Albuminiirie,
wenn sie auftrat, nur vorübergehehend war und nur wenige Tage bestand, daß
die Albuminmie, die schon vor der Narkose bestand, keine Steigerung erfuhr
(Angelesco) durch die Aetherwirkung. Ferner beobachtete man auch Cy linderurie
nach Aethernarkose, die ebenfalls selten imd nur vorübergehend auftrat. Garre
beobachtete einen Fall, wo Albumen vor der Aethernarkose bestand und nach der-
selbe]! verschwunden war. Babacci und Bebi sahen nach Aethernarkosen eine
— 349 —
Nierenentzündimg; entstehen, die sie als hämorrhagische Nephritis bezeichnen,
wobei die EiitzüiuhTns- nur in den Gloraeruli verlaufe, die aber große Tendenz
abzuheilen habe.
Pop off liält die nach Aethernarkoscn gelegentlich auftretende Albuminurie
und Cylindrurie nicht für Zeichen pathologischer Veränderungen in den Nieren,
denn er konnte niemals im Harn den Aether nachweisen
Nach den Angaben dieser Forscher sind die Schädigungen der Nieren
nicht erheblich, immerhin deuten die Befunde von Eiweiß und Zylindern ge-
legentlich nach Äthernarkosen darauf, daß in geeigneten Fällen doch eine
schädigende Einwirkung des Äthers auf die Nierenepithelien anzunehmen ist.
Es ist nun auch tatsächlich gelungen, durch Äthernarkosen an Hunden schwere
Läsionen der Nieren zu erzeugen, die denen nach langen und häufigen Chloro-
formnarkosen sehr ähnelten, indem sie ebenfalls in ausgedehnter Fettmeta-
morphose der Nierenepithelien, die stellenweis auch in Nekrose und Zerfall der
Zellelemente übergeht, auftrat (Verf.). Diese Befunde sind folgendermaßen
erlangt worden.
Es wurden von mir analog den Versuchen mit Chloroform Hunde auch
mit Aether sulfur. narkotisiert und zwar 25—50 Minuten lang. Diese Narkose
wurde nach Verlauf von 12 — 24 Stunden wiederholt und so fort, bis das Tier
4 — 5 mal innerhalb einiger Tage betäubt worden war. Die mikroskopische
Untersuchung der Organe ergab dann in den Nieren das Bild der ausgedehnten
Fettmetamorphose. In den gewundenen Harnkanälchen waren die Epithelien
am stärksten affiziert, es fand sich hier sehr viel Fett in feinen bis großen
Tropfen, stellenweise fand sich hier auch Nekrose und Zerfall der Epithelien.
In den übrigen Bezirken der Niere war ebenfalls Fettmetamorphose stark vor-
handen, namentlich in der Rinde, auch in geringerem Maße in den Mark-
substanzcD. Die Zellen der Harnkanälchen im allgemeinen w^aren trübe ge-
schwellt, das Protoplasma wolkig und ungleichmäßig färbbar, die ZellgTenzen
waren undeutlich verwaschen, im Protoplasma w^aren stellenweis große zahl-
reiche Hohlräume. Außerdem bestand starke Hyperämie der Niere, die Gefäße
waren strotzend mit Blut gefüllt. In den Glomeruli fand sich kein Fett, wohl
aber Hyperämie und anscheinend ein Exsudat zwischen dem Glomei'ulus und der
Wandung. Der Glomerulus zeig-t einen ziemlich großen Hohlraum zwischen
Wandung und Glomerulus. Ferner ist an gewissen Stellen, namentlich in den Tubuli
contorti, reichlich Zerfall der Zellen mit Untergang der Kerne vorhanden. Doch
ist dieser Zerfall und diese Nekrose der Epithelien nicht so ausgedehnt und hoch-
gradig zu finden wie bei Chloroform. Durch entsprechende Versuche habe ich
nach 1, 2, 3 und mehr Narkosen die Veränderung der Nieren in verschiedenen
Stadien gefunden und schon nach einer langen Äthernarkose fand sich
stets trübe Schwellung der Nierenepithelien, bisweilen auch in den Zellen der
Tubuli contorti Fett in feinen Tropfen, doch nur wenig und selten.
Es ist ersichtlich, daß diese Veränderung durch eine zweite Narkose be-
deutend vermehrt und verschlimmert wird, wenn die zweite Narkose innerhalb
der Zeit vorgenommen wird, innerhalb deren die trübe Schwellung und be-
ginnende Fettmetamorphose der Nierenepithelien noch nicht abgeheilt ist. Es
ist aus diesen Befunden wohl erklärlich, daß gelegentlich beim Menschen auch
eine solche starke Fettmetamorphose entsteht, die sich dui-ch Eiweiß im Harn
anzeigt. Es entsteht wahrscheinlich nach jeder längeren Äthernarkose (45 bis
— 350 —
120 Minuten) eine mehr oder weniger starke Veränderung in den Nieren, die
in trüber Scliwellung und aucli schon in beginnender Fettmetamorphose sich
dai'tut. Dieselbe heilt aber bald nach der Narkose ab und ist verschwunden,
wenn die letzten Äthermengen den Organismus verlassen haben. Deshalb soll
für die Praxis die Regel gelten, eine Narkose mit Äther nach Möglichkeit erst
zu wiederholen, wenn keine Äthermengen mehr im Organismus kreisen. Man
ersieht hieraus, daß eine gewisse Ähnlichkeit in der Einwirkung des Äthers auf
den Organismus mit dem Chloroform besteht, niu* daß Äther weniger stark auf die
Nieren schädigend wirkt als Chloroform. Von einer gut geleiteten, nicht zu
langen Äthernarkose kann man erwarten, daß die Nieren nur wenig oder gar
nicht geschädigt werden. Allerdings muß auch hierbei die Disposition beachtet
werden, bei dem einen Menschen wird eine Narkose nicht schaden, während sie
bei einem anderen schon schwere Störungen hervorrufen kann.
Die Nieren haben nun die Aufgabe, den Äther zum Teil wieder ax\a dem
Organismus zu eliminieren. Ein Teil des im Blute ki-eisenden Äthers wird in
den Harn übergehen und durch die Nieren den Körper verlassen.
Was nun die Tätigkeit der Leber in der Äthernarkose anlangt, so ist
eine verminderte Tätigkeit der Gallenproduktion zu finden. Mau hat auch durch
Tierversuche die Verhältnisse geprüft und es stellte Bau dl er fest, daß der
Äther die Leber nicht schädige, und so nahm man bisher an, daß die Äther-
narkose gegenüber der mit Chloroform hierin einen Vorteil besitze. Nach meinen
Experimenten kann ich diese Annahme nicht gelten lassen, denn es hat sich
herausgestellt, daß der Äther zwar Dicht so stark wie Chloroform wirkt, daß
aber doch auch hinsichtlich der Leber eine in den Crundzügen gleiche Ein-
wirkung wie bei Chloroform besteht.
Es sind in dieser Hinsicht von verschiedenen Seiten Untersuchungen über
die Verhältnisse bei der Äthernarkose angestellt worden (Ostertag, Straß-
mann, Seibach, Bandler, Schenk, Lengemann u. a.), doch meist mit dem
Erfolg, daß man Äther die Fähigkeit, Fettmetamorphose zu erzeugen, absprach.
Schenk und Lengemann fanden aber doch bei ihren Versuchen einen ver-
mehrten Fettgehalt der Leber bei den Tieren, die sie Äthernarkosen unterzogen
hatten.
Aus meinen zahlreichen Tierexperimenten geht mit Sicherheit hervor,
daß auch die Leber in der Äthernarkose gewisse Veränderungen erleidet. Es
ist nm- dadurch erklärlich, daß man bisher annahm, der Äther bewirke nicht
eine Fettmetamorphose in der Leber, daß man bei den Tierexperimenten, wie
sie Bandler vornahm, der an 4 Hunden und 4 Kaninchen mit Äther voll-
ständigen IVlißerfolg zu verzeichnen hatte hinsichtlich der Erzeugung einer
Fettmetamorphose in der Leber, nur zu kurze Äthernarkosen ausführte,
deren in der Leber bewirkte Verändeningen allerdings leicht übersehen werden
können. Will man solche Wü-kungen prüfen, so muß man die Tiere unter eine
lange und öftere Äthereinwirkung stellen, so habe ich, wie oben bemerkt, die
Tiere 4 langen Äthernarkosen ausgesetzt und gerade in der Leber sehr aus-
gedehnte Fettmetamorphose erzielen können. Es fand sich stets in der Leber
hochgradige Fettmetamorphose, die in der Peripherie der Acini in Nekrose und
Zerfall der Leberzellen überging — ein Bild, das dem der Chloroformeinwirkung
sehr ähnlich ist. Es besteht wohl ein Unterschied in der Intensität der Wirkung
auf die Leber, nicht aber in der Art derselben. Es war vor allem der Über-
— 351 —
gang in Nekrose und Zerfall bei den Äthemarkosen nicht so hochgradig und
ausgebreitet wie bei der Chloroformwirkung. Die Befunde allei'diugs in der
Leber nach einer langen (60 — 120 Minuten) Äthernarkose sind nicht hochgradig
und können ev. leicht übersehen werden, denn es findet sich trübe Schwellung
der Leberzellen und stellenweis wenig feine Fetttropfen in den Zellen. Da nun
auch im normalen Zustande bisweilen hier und da Fett in den Leberzellen zu
finden ist, so kann man namentlich bei der Untersuchung der Leber nach einer
kurzen Äthernarkose leicht die geringe Verändening für noi'mal halten. Die
Beobachtungen aber nach 2 oder 3 Narkosen an der Leber lehren eine ent-
schieden starke Einwirkung des Äthers. Somit hat sich eine gewisse Verwandt-
schaft des Äthers mit dem Chloroform ergeben.
Die Stärke der Fähigkeit eines Narkotikums, Fettmetamorphose in den
inneren pareuchj^matösen Organen und dem Herzen zu erzeugen, ist direkt
proportional der narkotischen Kraft oder umgekehrt proportional der Narkosen-
breite. Demzufolge ist diese Fähigkeit des Äthers kleiner als die des Chloroforms.
Wenn man nun die Einwirkung des Äthers auf die Leber erkannt hat,
so findet man auch eine Erklärung für die Fälle von Ikterus, die bisweilen
auch oft nach Äthernarkosen auftreten (Demme, Comte etc.). Es besteht jeden-
falls in diesen Kranken eine größere Neigung zu Lebererkrankung und deshalb
bildet bei ihnen die Leber einen locus minoris resistentiae für die toxische
Wirkung des Äthers.
Es ist mir ganz unbegreiflich, warum man bisher so fest au der Annahme
hielt, der Äther wirke nicht in der toxischen Art des Chloroforms. Da derselbe
ebenfalls ein Narkotikum darstellt und die narkotische Wirkung eine toxische
gewisse zentrale Nervenelemente lähmende, schließlich zerstörende Funktion dar-
stellt, so liegt es nach meiner Ansicht sehr nahe, anzunehmen, die hinsichtlich
anderer Organe toxischen Eigenschaften und EinAvirkungen des einen Narkotikums
seien in gewissen Grundzügen allen Narkotika eigen, vor allem da die Ki-aft,
Fettmetamorphose zu erzeugen, mit der narkotischen Kraft eng zusammen zu
hängen scheint, wenn überhaupt nicht beide identisch sind. Hierüber müssen
erst noch weitere Untersuchungen angestellt werden, ehe man Bestimmtes be-
haupten kann.
Was nun den Magen-Darmkanal mit seinen Nebenorganen anlangt, so
finden sich pathologische Veränderungen nur in geringem Grade durch die
Ätherwirkung erzeugt. Die Magentätigkeit ist gelähmt und geschwächt, ebenso
die Darmperistaltik. Bringt man Äther in kleinen Teilen in den Magen, so regt
er dessen Tätigkeit an, in großen Mengen aber bewirkt er Meteorismus. Nach
Job. Müller soll er wegen seiner leichten Verdampfbarke.it, wenn in größeren
Mengen in den Magen gelangt, diu'ch Empordrängen des Zwerchfelles zur Er-
stickung führen. Diese Annahme ist wohl etwas übertrieben. Nach Demme
folgen den Äthernarkosen bei Kindern besonders leicht katarrhalischer Ikterus sowie
Diarrhöen. Auch der Darm erleidet nach Äthernarkosen oft starke Gasan-
sammlung, da sich im Magensaft und auch teilweise im Darmsaft Äther aus
dem Organismus absondert, verdunstet derselbe in dem Darmraum und treibt
den Darm auf, während er dabei namentlich nach langen Nai'kosen, wo viel
Äther noch nach der Narkose im Organismus sich befindet, auch die Darmtätig-
keit beeinflußt, indem er dieselbe anregt und reizt. Es entstehen dann zunächst
Diarrhöen und später, wenn der Äther entfernt ist, Obstipation.
— 352 —
Der Magen wird diu'ch den Äther noch in anderer Hinsicht beeinflußt, nämlich
indem er gereizt wird und Brechbewegungeu entstehen. Bei sehr langen Nar-
kosen, wenn sehr viel Äther im Blut gelöst ist, wird das Erbrechen eventuell
sehr stark und anhaltend sein, es wird dann hervorgerufen durch die im Magen-
saft enthaltenen Äthermengen (Stoß etc.) Die beste Gegenmaßregel gegen dieses
Erbrechen nach der Narkose besteht in Magenspülungen. Dieses Erbrechen wird
namentlich bei Personen mit schwachem Magen sehr stark auftreten und lästig
sein. Man hat beim Äther mehr Neigung zu solchem Brechen gefunden als
bei Chloroform. Es kann aber durch sparsames Verabreichen von Äther an
den Kranken dem Erbrechen entgegengearbeitet werden. Neben diesem post-
narkotischen Erbrechen, das bei Äther ebenso oft wie bei Chloroform auftritt,
tritt noch Erbrechen während der Narkose auf, erstens im Anfang der Äther-
gaben, beim Erwachen und eventuell kurz vor dem Tode. Im Anfang kann es
verhindert werden durch vorsichtiges Dosieren, das beim Erwachen in der Narkose
darf nicht eintreten, da der Narkotiseur den Kranken nicht unnötig während der Be-
täubung erwachen lassen soll, und das kurz ante exitum darf ebenfalls nie auftreten,
da es die Folge starker Überdosierung darstellt und ein sehr ominöses Symptom
bedeutet. Man erkennt das letztere Erbrechen an den weiten reaktiouslosen Pu-
pillen. Es ist beim Äther nicht so leicht möglich, daß diese Art des Erbrechens
auftritt, wie bei Chloroform, weil beim Äther eine solch hochgradige Über-
dosierung nicht so leicht möglich ist, immerhin nuiß der Narkotiseur dieses
Symptom höchster Gefahr kennen.
Durch den Magen wird, wie schon gesagt, ein großer Teil des Äthers
abgeschieden. Dies geschieht in den Magendrüsen vor allen Dingen, dann auch
in der Schleimhaut. Auch bei Äthernarkosen findet sich in den Zellen der
Magendrüsen und Schleimhaut Fettmetamorphose, genau wie bei Chloroform-
narkosen. Es ist aber diese Veränderung in den Zellen nur mäßig und tritt
nur noch nach sehr langen oder oft wiederholten Narkosen auf. Nach meinen
Versuchen war der Fettgehalt in den Zellen der Magendrüseu oft sehr stark,
es fanden sich reichlich Fetttropfen im Protoplasma, in den Zellen der Schleim-
haut war die Fettmenge geringer. Jedenfalls ist auch der Einfluß des Äthers
auf die Magendrüsen geringer als der des Chloroforms, hingegen ist er doch
vorhanden und muß beachtet werden. Gewisse, wenn auch geringe pathologisch
vermehrte Fettmengen finden sich in den Magendrüsenzellen stets nach längeren
Äthernarkosen, doch habe ich nie Neki'ose und Zerfall wie in Leber und Nieren
gesehen. Dieser Einfluß auf die Magendrüsen ist nun keinesfalls ohne Belang,
denn von ihm wii-d zweifellos das Übelsein nach der Narkose mit hervorgerufen
werden. Die Magendrüsen werden nicht normal funktionieren können, wenn die
Zellen pathologisch verändert sind, d. h. wenn sie eine Fettmetamorphose ei'-
litten haben, und die Folge wird Übelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen etc. sein.
Es ist also anzunehmen, daß eine Veränderung der Drüsen bis zu einem
gewissen Grade vorliegt, wenn sehr starke Magenstönmgen nach der Narkose
auftreten. Auch hierbei spielt die Disposition eine gewichtige Rolle. Diese Ver-
änderung in den Drüsenzellen heilt bald nach der Narkose ab, jedenfalls spätestens
dann, wenn die letzten Äthermengen den Organismus verlassen haben.
Sind die Magensymptome sehr unangenehm und stark, so wird dem Kranken
am besten dm-ch eine Magenspülung geholfen, die man eventuell nach einiger
Zeit wiederholt.
Bei unvorsichtigem Ätherisiereu und vor allem bei der Methode, in Güssen
zu narkotisieren, kann es leicht vorkommen, daß Äther von der Maske auf Mund,
ISTase und Wangen fließt, woselbst er die Haut zerstört und die Folge sind Ver-
ätzungen, die dem Krauken Schmerzen nach der Narkose bereiten. Dies muß
vermieden werden. Der Äther wirkt da vor allem durch die dauernde Kälte-
wirkung schädlich auf die Haut.
Aber es ist fi-üher sogar beobachtet worden, daß der Äther in den Mund
fldß und die Schleimhaut des Mundes, Rachens und Kehlkopfes verätzte. Man
faud dann am Tage nach der Narkose sehr schmerzhafte Ulcerationen im Rachen,
die dem Kranken sehr lästig waren. Gelangt der Äther in den Mund in größeren
Mengen, kann er entweder in den Magen durch die Speiseröhre fließen, oder er
gelangt in den Kehlkopf, über die Veränderungen des Kehlkopfes wird später
gesprochen. Ist bei diesen Verhältnissen der Kranke tief narkotisieit, so fließt
der Äther iu den Magen, ist der Patient aber noch im Stadium II bei vor-
handenen Reflexen, so hiistet er und erbleicht eventuell. Sehr gefährlich kann das
Herabfließeu des Äthers in den Magen werden. Es wird auch schon schaden,
wenn der Äther nicht rein, sondern mit Speichel vermischt in den Magen gelangt.
Er verätzt die Speiseröhre und den Magen, so entstehen (jeschwüre in der Speise-
röhre und dem Magen. Die ersteren w'erden bald nach der Narkose bemerkt,
der Kranke klagt über Schmerzen im Hals und vor allem, wenn er Speisen
verschlingt. Der Oesophagus ist bisweilen schwer geschädig-t worden und es
haben sich narbige Stenosen nach Abheilen der ülcera gebildet, und im Magen
sind ülcera beobachtet worden, deren Dasein man meist erst einige Tage nach
der Narkose beobachtet. Es ist mancher Kranke dui'ch diese Umstände schwer
geschädigt worden und manches Ulcus ventriculi hat früher seine erste Ursache
in diesen Unfällen während der Narkose gehabt. Der Äther wirkt sehr stark
ätzend, stärker als Chloroform und ist insofern gefährlicher. Es ist auch beim
Äther leichter möglich, daß solche Verätzungen entstehen, weil der Äther als
schwächeres Narkotikum iu größeren Mengeu, d. h. in höher konzeutiierten Luft-
gemischen gebraucht wird, weshalb der Narkotiseur leicht geneigt ist, den Äther
nicht auf die Maske zu tropfen, sondern zu gießen. Bei einer modernen, gut
geleiteten Äthernarkose dürfen solche Verätzungen nicht entstehen. Natüi'lich
verursachen die in den Magen gelaugten Ätherspeichelmengen Erbrechen. Schon
die im Speichel gelösten Äthermengen nach der Narkose verui'sachen im Magen
Brechreiz, deshalb soll der Kranke den Speichel ausspucken, nicht verschluckeu,
tut er es doch und erbricht der Kranke viel, soll man den Magen spülen.
Auch iu den Kehlkopf und auf die Stimmbänder kann unter diesen Uni-
stäudeu Äther gelangen und daselbst Verätzungen, Geschwüre und Ödem,
Glottisödem, hervorrufen, wodurch der Kranke nach der Narkose heisere Sprache
zeigt und während der Narkose durch Glottisödem schwere Apnoe mit Er-
stickuugsgefahr entsteht. Es darf dies bei einer modernen Äthernarkose nie
vorkommen.
Wenn man durch die bisherigen Betrachtungen den Eindruck erhalten
hat. daß der Äther hinsichtlich der behandelten Organe nicht so schwer
schädigend wiikt, als das Chloroform und deshalb als ein weniger gefährliches
Narkotikum zu betrachten sei, so wird dieser Eindruck bedeutend abgeschwächt,
wenn man sich die Beziehungen des Äthers zur Lunge und deren Funktion
vor Augen führt. Allerdings muß gleich bei Beginn der Erörterung der Ein-
23
flüsse pathologischer Natur auf die Lmigen hervorgehoben werdeu, daß der
Äther zweifellos in dieser Hinsicht gefährlicher als andere Narkotika ist, daß
aber dieser Einfluß nicht zu hoch eingeschätzt werden darf, da er bis zu einem
gewissen Grade jedem Narkotikum eigen und daß des Äthers besonders ge-
fährliche Wirkung bedeutend durch eine vorsichtige Dosierung und Hand-
habung der Narkose abgeschwächt werden kann.
Was zunächst den Einfluß des Äthers auf die Respiration anlangt, so
ist beobachtet worden, daß oftmals im Laufe der Narkose stertoröses Atmen,
Schnarchen und Rasseln im Kehlkopf auftritt. Es ist dieses stertoröse Atmen
absolut nicht, wie vielfach augenominen wird, eine Eigentümlichkeit der
Atmung in der Äthernarkose, sondern sie ist ein Zeichen, daß Sauerstoff-
mangel, daß Schleimansammlung etc. besteht. Man wird sofort ruhiges Atmen
erhalten, wenn man dem Kranken in diesen Momenten frische Luft in ge-
nügenden Mengen zuströmen läßt, ferner wenn man den Schleim aus dem Kehl-
kopf wischt etc. Das Atmen muß in der Äthernarkose genau so ruhig und
leise vor sich gehen, wie im normalen Zustande des Menschen, und es ist Sache
des Narkotiseurs, dafür zu sorgen; wie und wodurch er dies vermag, wird sich
weiter unten ergeben.
Es ist schon erwähnt, daß Äther eine starke Salivation der Mund- und
Rachendrüseu erzeuge. Diese Vermehrung der Absonderung der Drüsen ist
tatsächlich vorhanden und auch die Drüsen des Kehlkopfes, der Trachea und
Bronchien, die Schleimhaut dieser Organe selbst werden zur vermehrten Ab-
sonderung von Schleim angereizt, durch Äther stärker als durch Chloroform.
Man hat allgemein früher angenommen, die Lungenerkrankungen nach Äther-
narkosen entstehen duixh Reizung der Schleimhaut durch den Äther. Dieser
Theorie stehen andere entgegen (Nauwerck, Großmann etc.) und mit Recht,
wenn auch die Reizung nicht ganz geleugnet werden kann. Es gibt für die
nach Äthernarkosen häufig auftretenden Lungenerkrankungen verschiedene Ur-
sachen, auf die in dem folgenden des genaueren eingegangen werden soll.
Die vermehrte Absonderung der Drüsen und Schleimhaut in den Bronchien,
Trachea und Larynx kann maii direkt nachweisen, indem man ein Experiment
ausführt. Wenn man einen Hund ätherisiert, mit dem Kopfe tiefer liegend
oder den Kopf nach unten hängend, während der Thorax horizontal und höher
lieg-t, so ist vollkommen ausgeschlossen, daß Speichel aus dem Rachen in die
Luftwege gelangt, sondern man sieht sehr große Mengen Speichel und Schleim aus
dem Maule fließen. Tötet man nun den Hund nach einer langen Narkose
(50 — 60 Minuten) und untersucht die Lunge näher mit dem Mikroskop, so findet
mau verschiedentlich in den Lungenalveolen Schleimmassen, welche die Alveolen
stellenweis ganz oder nur teilweise anfüllen. Diese Schleimmassen müssen aus
den Luftwegen vom Kehlkopf abwärts stammen, denn wo sollten sie sonst her-
kommen. Dieselben sind reichlicher in den unteren, d. h. bei der Lage des
Tieres gerechnet, Partien zu finden, als in den oberen, ein Zeichen, daß sie
sich in den Bronchien gesammelt haben und durch die Inspirationen in die
Alveolen aspii-iert worden sind. Ich habe bei allen Äthernarkosen diese Schleim-
mengen gefunden, und zwar habe ich auch bemerkt, daß sie in größeren
• Mengen vorhanden waren, als bei Chloroformnarkosen. Diese vermehrte Sekretion
ist allen Narkotika eigen, doch in verschiedenem Grade, es ist zweifellos die
Stärke der Anregung der Salivation umgekehrt proportional der narkotischen
— 855 —
Kraft. Es ist uim aber bei der Athernarkose am Menschen dieser Umstand von
großer Bedeutung, und an können aus demselben Krankheiten der Lunge
entstehen.
Man hat zweifellos verschiedene Erkrankungen nach Äthernarkosen in
den Lungen zu unterscheiden, man hat einmal leichte, schnell zurückgehende
Bronchitiden und mau hat schwere, sich weitiM- ausbreitende Pneumonien. Unter
den Bronchitiden hat man entschieden zwei Arten , die einen, die ohne
bakterielle Lifektion entstehen, dieselben werden hervorgerufen nur durch die
vermehrte Schleimabsonderung und die Reize, die der Äther auf die Bronchiai-
schleimhaut ausübt, und gehen sehr bald wieder zurück nach der Narkose.
Sie äußern sich nur in wenig Husten von selten des Kranken. Die anderen
Bronchitiden entstehen durch Infektion. Hierbei müssen folgende Verhältnisse
bestehen: Während der Äthernarkose können, wenn der Narkotiseur nicht
ganz geschickt und nach den neuesten Vorschriften narkotisiert, Sehleimmassen
aus dem Rachen in den Kehlkopf gelangen und werden entweder bei noch
bestehenden Reflexen ausgehustet oder aspiriert. Sind nun diese Schleimmassen
nur gering oder bestehen dieselben nur aus Speichelbläschen, die bei nicht
aus dem Rachen entfernten Schleimmassen während der Narkose bei schnar-
chendem, rasselndem Atmen durch die Atmung in die Trachea und Bronchien
gelangen, so werden dieselben in den Bronchien sich ablagern, sie werden
zunächst noch nicht in die Alveolen gebracht werden. Durch die Ätherwirkung
wird nun aber auf die Schleimhaut der Bronchien, der Trachea, der Broncheoli eine
Schädigung- der vitalen Vorgänge und Tätigkeit des Protoplasmas der einzelnen
Epithelzellen ausgeübt, welche sich darin pathologisch-anatomisch dokumentiert,
daß eine Fettmetaraorphose in den Zellen entsteht. Diese Fettmetaniorphose
ist bei kurzen Narkosen noch im Anfang, es ist vielleicht nur erst trübe
Schwellung vorhanden, oder diese erst im Beginn, allein es ist durch diese
Einwirkung die Lebenskraft der Zelle geschwächt. Die Zelle kann äußeren
schädigenden Einflüssen nicht mehr so wie in gesunden Verhältnissen wider-
stehen, imd sie vermag daher auch nicht die auf sie gelangenden Bakterien
zu töten oder sie mittels ihrer Flimmerbewegung nach außen zu befördern.
Wenn nun die Speichelbläschen oder kleinen Speichelmassen, welche durch den
Atmungsluftstrom in die Bronchien gelangt sind, Bakterien enthalten, wie
Strepto - Staphylo - Pneumokokken etc., so werden diese Krankheitserreger
günstigen Boden für ihre Weiterentwicklung finden, sie wuchern und rufen
eine Entzündung der betreffenden Gegend hervor, die sich in den Bronchien
als Brx)nchitis d?rtut. Diese Form des Bronchialkatarrhs ist bedeutend
schwerer, anhaltender und gefährlicher. Während der Katarrh, der nur durch
die auf die Zellen wirkenden Äthereinflüsse entsteht, harmlos ist, schnell ver-
läuft, weil er nicht durch Bakterien hervorgerufen wird und beim Aufhören
der Äthernarkose auch sofort das den Katarrh hervorrufende Agens wegfällt
ist der bakterielle Katarrh länger dauernd und kann sich noch weiter aus-
breiten. Immerhin ist auch der bakterielle Bronchialkatarrh eine der leichteren
Erkrankungen nach der Äthernarkose, die sehr oft auftreten. Unter denselben
Verhältnissen können auch Pneumonien entstehen, von denen ebenfalls zwei
Hauptarten, die harmlosen, schnell heilenden und die schweren Pneumonien zu
unterscheiden sind. Die ersteren entstehen nach sehr langen Äthernarkosen.
auch nach wiederholten Betäubungen und zwar nur durch die Schleimmengen,
23*
— 356 —
die sich durch die Atherwirkung angeregt und A^eimehrt abgesondert, in deu
Alveolen sammeln lesp. in die Alveolen aspiriert werden. Bei langen oder
öfteren Narkosen werden größere Bezii'ke der Lunge mit Schleim erfüllt und
bieten dann das Bild einer Pneumonie, die aher, da sie nicht durch Bakterien
hervorgerufen ist, sofort nach der Narkose zurückgeht, wenig Symptome macht
und selten ist. Überhaupt haben diese Pneumonien und Bronchitiden ohne
Bakterienanwesenheit die Tendenz, sehr schnell abzuheilen und zu verschwinden
(Poppert, Lindemauii etc.), während die bakteriellen Erkrankungen längere
Zeit nach der Narkose bestehen bleiben können. Weit häufiger sind die in-
fektiösen Formen, die dui'ch Schleimbläschen mit Bakterien aus Mund und
Rachen aspiriert in die Lungenalveolen schließlich gelangt sind. An den Stellen,
wo Schleim die Alveolen teilweise oder ganz erfüllt, finden die Bakterien ge-
eigneten Boden zum Wachstum, sie vei-mehren sich und rufen Pneumonien
hervor. Es gelangen ja auch normaliter Bakterien in die Alveolen, doch [sie
werden durch die gesunden Zellen des respiratorischen Epithels getötet, wenn
sie nicht zu zahlreich oder viralent sind. Sind aher die Zellen des respiratorischen
Epithels gesch-w'ächt etc., so wuchern die Bakterien und die Bedingungen zur
Entstehung der Pneumonie sind erfüllt. Bei der Narkose sind die Zellen dui-ch
die Ätherwii'kung in ihi-en Lebensbedingungen gestört, sie sind krank, weniger
widerstandsfähig. Nach langen Narkosen findet man dann in deu Zellen des respi-
ratorischen Epithels, in den Zellen der Alveolen Fettmetamorphose. Somit
finden die Bakterien einen geeigneten Ort für ihr Wachstum und gar bald ist
eine Pneumonie entstanden. Es ist klar, daß man sehr oft Bronchitiden und
Pneumonien zusammen findet. Meist treten die Pneumonien lobulär auf, bis-
weilen allerdings auch als croupöse Formen.j Es ist die Prognose der
Pneumonien oftmals infaust zu stellen, man muß nach genauer Untersuchung
der Lungen feststellen, wie große Bezirke erkrankt sind. Daraus wird man
auf den weiteren Verlauf schließen können. Natürlich ist auch der Erreger
von Bedeutung, es können Pneumokokken, Streptokokken, Diplokokken etc. die
Krankheit erregen. Einen schädigenden Einfluß auf die Schleimhaut der Bronchien
übt der Äther auch durch die Abkühlung aus. (Hof mann, Allen etc.)
Die starke Abkühlung, die durch die Verdunstung des Äthers unter der Maske
entsteht, die Rosette der Maske ist oftmals hart gefroren, ist für die Lunge
natürlich sehr geiährlich und es ist nötig, daß der Narkotiseur eine Erkältung
verhindert. Dies geschieht durch hohe Temperatur der umgebenden Luft,
ev. durch Erwärmen der Maske (Thermophormaske). (Wagner, Longard etc.).
Es kommen neben den Pneiinionien, die durch Bakterien aus den
aspirierten Schleimbläschen entstehen, auch solche vor, welche durch direkt
aspiririerte größere Schleimmengen aus Rachen, Mund und Kehlkopf in den
Lungen sich direkt nach der Narkose bilden. Diese sogenannten Aspirations-
pneumonieu sind natürlich sehr schwere Erkrankungen, die eigentlich nie vor-
kommen dürften. Immerhin sind früher bei weniger aufmerksamer Technik der
Narkose solche Fälle aufgetreten, die wohl in jeder Narkose hervorgerufen
werden können, beim Äther aber häufiger waren, weil hier mehr Speichel imd
Schleim sezerniert wird. Wenn der Narkotiseur, wie es früher viel Usus war,
die durch den Kehlkopf verlegende Schleimmassen hervorgerufene röchelnde, sterto-
röse Atmung lange Zeit bestehen läßt, ohne den Schleim aus dem Rachen zu ent-
fernen, so werden diese Massen beim Fehlen der Reflexe in der Toleranz aspiriert, die
— 357 —
Atmuiiii' wird wieder frei, bis ueue Schleimmasseu sich aug-esaiamelt liabea, und
so gelaugeu während der Narkose reichliche Meu^eu Schleim direkt in die Laui^e ,
■wo sie in den unteren Partien Infiltrationen verursachen. Man hat auch Magen-
inhalt, der beim Erbrechen aspiriert wurde, in den Lungen gefunden. Es ist
über diese Lungenentzündungen weiter kein Wort zu verlieren, als daß sie nie
vorkommen dürfen. Die jetzige Technik kann sie gut vermeiden.
Nach diesen Erörterungen über die Entstehung der Lungenkrankheiten
Bach der Äthernarkose ist es leicht erklärlich, wie man dem Eintreten von
postnarkotischen Lungenkrankheiten vorbeugen kann. Einmal kann man vor-
beugen, indem man eine Aspiration von größeren Schleimmassen aus Mund und
Rachen verhindert, was man dadurch bewirken kann, indem die Lagerung de 3
Kranken nach Witzel verwandt wird, oder indem man den Kopf tiefer als
den Thorax lagei't, oder indem man oft den Schleim aus Mund und Rachen wischt.
Durch diese Maßnahmen kann man viel dazu beitragen, um Bronchitiden und
Pneumonien zu verhüten, doch noch mehr läßt sich dies tun durch eine peinliche
Desinfektion des Mundes des Kranken. Es ist schon im allgemeinen Teil über
dies Thema geschrieben worden, denn es ist nicht nur bei der Äthernarkose
eine peinliche Desinfektion des Mundes vor der Narkose zu beachten, sondern
mehr oder weniger bei allen Narkosen. Die Desinfektion des Mundes ist nun
freilich genau genommen ein Ding der Unmöglichkeit, denn daß man alle
Bakterien in den zahlreichen Ecken etc. des Mundes und Rachens entfernen
oder abtöten könnte ist nicht ausfuhrbar, das sieht jederman von vornherein
ein, doch dies bezweckt man auch nicht, denn die in normalem Zustand im
Munde befindlichen Bakterien! sind', ziemlich harmlos, da sie einesteils
nicht schwere pathogene, anderenteils nicht stark virulente Mikroorganismen
darstellen. Allein sobald die Pflege des Mundes vernachlässigt wird, stellen
sich beim Menschen sofort eine große Menge von gefährlichen Bakterien im Munde
ein, sie wachsen daselbst und sind meist hochvirulent. Darin liegt für die
Narkose die Gefahr. Der Speichel für gewöhnlich bei gesunden Schleimhäuten
des Mundes ist antiseptisch, er tötet oder schwächt die in den Mund von außen
gelangenden Bakterien in ihrer Viralenz bedeutend, und man will nur durch
die Desinfektion des Mundes erreichen, daß dieser Zustand besteht und gefähr-
liche Bakterien aus dem Munde etc. entfernt werden.
Diese Eigenschaft verliert er aber in Fällen von Erkrankungen, wenn auch
leichterer Art der Schleimhaut, wie bei Stomatitis, Gingivitis etc. Da nun ein
großer Teil der Menschen, die man in der Praxis zu narkotisieren hat, mit
solchen Krankheiten des Mundes behaftet ist, denn gerade die ärmeren Klassen
unseres Publikums kennen keine Mundpflege und leiden alle bis zu einem gewissen
Grade an Stomatitis, so ist ziemlich oft zu Infektionen der Lungen Gelegen-
heit gegeben. Der Speichel aber aus einem solchen Munde enthält eine Menge
gefährlicher Bakterien, wie Streptokokken und Pneumokokken etc., welche,
wenn sie in ''die Lunge oder Bronchien gelangen, infolge ihrer hohen Virulenz
sofort wachsen und wuchern und '^dadurch Krankheiten hervorrufen.
Dies mag genügen, um die Behauptung, ein großer Teil der Lungen-
erki-ankungen nach Äthernarkosen entstehe durch Bakterien aus dem schlecht
gepflegten Munde des Kranken, zu rechtfertigen. Man wird daher Sorge tragen
müssen, den Mund an den Tagen vor der Narkose mit Bürste und Thymol zu
reinigen. Ist es nicht möglich, den Mund vor der Narkose zu reinigen, so muß
— 358 —
man eben doppelt vorsichtig- sein, um zu verhüten, daß Schleim und Speichel
aus Mund und Rachen in die Lungen aspiriert werden. Wie man dies erreicht,
wird später erörtert. Da aber oftmals nicht jede Vorschriit für die Narkose
in allen Fällen ausgeführt werden kann, so muß man peinlich die beachten,
die auszuüben man imstande ist.
Es ist namentlich in früherer Zeit, als man noch nicht die Wichtigkeit
der exakten Dosierung des Äthers kannte, als man in Güssen narkotisierte,
vorgekommen, daß dem Kranken Äther direkt in den Mund floß und daß dabei
sehr stark konzentrierte Speichelätheimischungen entstanden. Es war nun in
der Narkose auch möglich, daß diese Speicheiäthergemische in den Kehlkopf
flössen, teilweise aspiriert wurden, ja auch, daß reiner Äther in den Kehlkopf
gelangte oder aspiriert wurde. Die Folgen solcher Verhältnisse waren schwere
Lungenkrankheiten und man sah sogar Verätzungen des Kehlkopfes, der Trachea
und Bronchien auftreten; daß natürlich solche Beschädigungen durch den Äther
nicht vorkommen dürfen, ist augenscheinlich, und sie werden auch in der Gegen-
wart nie heobachtet werden, deshalb brauchen weitere Worte hierüber nicht
verloren zu werden. Der Äther wird natürlich in solchen Konzentrationen oder
rein auf die Schleimhaut gelangt, die Zellen zerstören, und der Boden für Bakterien-
wachstum ist geschaffen. Weiter kann der Äther im Kehlkopf Glottisödem
hervorrufen, wenn es in größeren Mengen in den Bachen fließt. Hierdurch
kann höchste Lebensgefahr für den Kranken entstehen. Wenn schon die Dämpfe
des Äthers und die geringen Mengen, die in den kleinen Speichelbläschen, die durch
die Luft in die Lungen gelangen, oder doch trotz größter Vorsicht aus dem Bachen
in den Kehlkopf gelangend aspiriert werden können, die Zellen der Schleimhaut
schädigen, wie oben beschrieben, um so mehr werden reine Äthermengen oder
Mischungen von Äther und Speichel, die bei der Methode, in Güssen zu
ätherisieren, in den Kehlkopf bei der früher üblichen Lagerung der Kranken
leicht gelangen können, die Zellen vernichten, so daß selbst Defekte der Schleim-
haut entstehen werden. Man beobachtete auch früher oft Heiserkeit der Kranken
nach Äthernarkosen, was auf Verätzungen der Stimmbänder usw. des Kehlkopfes
zurückgeführt werden muß. Natürlich darf dies nie vorkommen.
Es ist namentlich früher behauptet worden, der Aether sulfur. prä-
disponiere zu Lungenleiden. Dies ist bis zu einem gewissen Grade widerlegt durch
die Erfahrungen der modernen Methodik, allein man kann nicht leugnen, daß
Äther mehr als andere Narkotika reizend auf die Eespirationsorgane wirkt und
man kann diesen Beiz wohl ansehen als einen schädigenden Einfluß auf die
Zellen und als einen erregenden auf die Nervenendigungen in der Schleim-
haut. Letzterer ist wohl gleich bei allen Narkotika, aber ersterer mag beim
Äther stärker sein, wodurch die Zellen der Schleimhaut des respiratorischen
Epithels weniger widerstandsfähig werden gegenüber den Bakterien während
der Äthernarkose, und so leichter Lungenerkrankungen entstehen können als
nach anderen Narkotika. Wenn nun aber schon im normalen Lebenszustande
des Menschen die Gefahr des Eintrittes von Lungenerkrankungen nach Äther-
narkosen so groß ist, so hat man zweifellos auch eine noch viel größere Ge-
fahr anzunehmen, wenn ein Mensch mit Äther betäubt wird, der schon lungen-
krank ist. Über diese Verhältnisse soll weiter unten gesprochen werden.
Es kann auch eine andere schwere Lungenerkrankung durch die Äther-
wirkung entstehen, das ist das Lungenödem. Man hat nach Äthemarkosen ein
akutes Luugx'iiiidt'iii Ix'obachtet, "weaii iuicli nur selten, so ist es doch eiu reeht
wichtiges Ereignis, das wohl der Erwägung wert erscheint (Poppert etc.).
Es ist l)iswei]en das Lungi^nödem aufgetreten bei Kranken, w^elche, so
quasi y.ai i'iy.oyj]v dem Tode verfaileu, nicht auf ein neubeginneudes Leben post-
narcosin rechnen sollten, und man kann in diesen Fällen das eingetretene Lungen-
ödem nur als agonale Erscheinung auffassen, welches aber kaum der toxischen
Atherwirkung zuzuschreiben ist. Diese Fälle von Lungenödem sind, nicht ganz
selten, und es sind eine Reihe in der Literatur zu finden. Aber noch bis vor
kurzer Zeit dachte man der Todesfälle nicht, welche durch ein Lungenödem als
toxische Erscheinung des Äthers hervorgerufen wurden. Es war nur zu er-
klärlich, daß dieselben im großen und ganzen nicht dem Äther zur Last gelegt
wurden, da oftmals der Tod einige Tage nach der Narkose auftrat, nachdem der
Kranke sich leidlich wohlgefühlt hatte. Zweifellos sind eine Reihe von solchen
Fällen auch früher vorgekommen, man hat sie aber nicht in die Narkosen-
Statistik hineingezogen, aus Mangel an Kenntnis derselben. Nun hat man aber
durch Tierexperimente nachgewiesen (Löwitt), daß ein Lungenödem durch Äther-
wirkung erzeugt werden kann. Wenn man bei einem Kaninchen, welches ku-
rarisiert ist, oder einer Katze u. dgL, auch beim Hund habe ich es
nachgewiesen, einige Tropfen Essigäther in die Ingularvene injiziert, so sistiert
die Herztätigkeit sehr bald. Vorher sieht man eine blutigrote schaumige Flüssig-
keit in der Trachealkanäle als Zeichen eines hochgradigen Lungenödems auf-
treten. Bei der Sektion findet man das ausgeprägteste Lungenödem.
Es läßt sich au Stelle des Essigäther ebenso Äthyläther zum Erzeugen
dieser Erkrankuug verwenden und es haben die Versuche damit ergeben, daß das
Lungenödem, wenn auch nicht ganz so hochgradig erscheint, doch durch intra-
venöse Injektion von Äther erzengt werden kann. Auifallenderweise entsteht ausge-
sprochenes Lungenödem ebenso, wenn man den Äther, Essigäther oder Buttersäure-
äther, in die Luftröhre von Tieren träufelt. Löwitt beweist in seiner Abhandlung, daß
es sich hier nicht um ein Stauungsödem, sondei'n um ein wirkliches toxisches Ödem,
vom Äther erzeugt, handelt. Wahrscheinlich wird dieses Lungenödem durch
eine erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwand, ev. durch geänderte sekretorische
Verhältnisse in diesem Falle hervorgerufen.
Nach diesen Versuchen, welche , da man vom Hund so manche Er-
scheinungen auf den Menschen überträgt, auch auf den Menschen als zu Recht
bestehend bezogen werden können, ist es keinem Zweifel unterworfen, daß auch
bei der Äthernarkose derartige Todesfälle sowohl während als nach der Nar-
kose vorkommen können. Einen überaus typischen Fall hat Poppert beobachtet,
welcher sich an einem 46 jährigen Landarbeiter ereignete, der wegen eines irre-
poniblen rechtsseitigen Leistenbruches mit peritonitischer Reizung etc. operiert
wurde. Die Äthernarkose dauerte 30 Minuten und es wurden 130 ccm Äther
verbraucht. Eiu Fehler in der Technik und Dosierung des Äthers während
der Narkose kam nicht vor. Die Betäubung war keine ganz tiefe, der Kranke
machte von Zeit zu Zeit Abwehrbewegungen. Die Narkose verlief mit geringer
Cyanose, die Atmung war tief und regelmäßig, einmal trat Erbrechen von wenig
Schleim ein, gegen Schluß der Narkose zeigte sich nur ganz geringes Schleim-
rasseln. Der Kranke erwachte bald nachher und war sehr zufrieden mit seiner
Lage. Von selten der Lungen zeigten sich keine Andeutungen auf pathologische
Prozesse. Nachdem er aber eine Stunde sich wohl befunden hatte, stellte sich
— 360 —
plötzlich rasch zunehmende Atemnot ein, lautes Schleimi-asseln wurde hörbar,
der Kranke mußte viel husten, wobei er schaumiges, schleimiges Sputum ent-
leerte. Der Puls war dabei noch kräftig, das Sensorium war völlig frei. Der
Zustand verschlimmerte sich zusehends, das Herz wurde trotz Darreichung von
Exzitantien schwächer, es trat Cyanose ein, aus Mund und Nase quoll rötlich ge-
färbter kleinblasiger Schleim in großen Massen heraus. Der Tod erfolgte unter
diesen Symptomen des akuten Lungenödems 2 Stunden nach der Narkose. Die
noch an demselben Tage vollstreckte Autopsie ergab das Vorhandensein einer
diffusen Bauchfellentzündung etc. Doch war dies viel zu g-ering und im Anfangs -
Stadium, als daß es hätte ad exitum führen können. Das Herz war von normaler
Größe, die rechte Höhle stark mit Blut gefüllt. Das Myocard war dunkelbraun t
rot, gut entwickelt. Die Klappen waren überall intakt. Die Lungen, welche
hochgradig emphysematös waren, zeigten sich besonders in ihrem unteren Abschnitt
enorm ödematös, beim Durchschnitt quoll eine Menge dünner, rötlich gefärbter
mit Schaum untermischter Flüssigkeit aus dem Gewebe hervor. Auch die Trachea
und die Bronchien waren mit dieser schaumigen Flüssigkeit angefüllt. Die
übrigen Orgaue waren ohne Besonderheiten.
Dieser Fall stellt einen typischen Lungeuödemtod infolge der Äther -
Wirkung dar, da keine weiteren Todesursachen zu linden waren.
Was nun bei Tierexperimenten künstlich erzeugt wurde, ist hier am
Mengchen bewiesen. Es sind noch einige weitere Fälle von toxischem Lungenödem
bei Ätherinhalationen beschrieben worden (Hankel, Trendelenburg etc.), bei
den meisten sehen wü- den Tod einige Stunden bis zu 32 Stunden (Trendelen-
burg) nach der Narkose auftreten.
Es muß ja zugegeben werden, daß das Odem, namentlich wenn die
Diagnose erst durch die Sektion gestellt wird, leicht auch während der
Agone aufgetreten sein und mit dem agonalen Lungenödem verwechselt werden
könnte. In manchen Fällen mag es zweifelhaft sein, wenn aber der Symptomen-
komplex so deutlich wie oben schon inti'a vitam eintritt, ist an dem Auftreten
des Lungenödems infolge der Ätherwirkung nicht zu zweifeln.
Es ist nun kemeswegs unmöglich, daß das Lungenödem in vielen Fällen
in der Literatur, namentlich zu jenen Zeiten, wo die Genfer-Methode noch
herrschte, durch jenen Tierversuchen analog direktes Eindringenvon Äther in die
Trachea hervorgerufen sein könnte. Wahrscheinlich genügen schon Schleim -
massen mit Äther gemischt in jener Konzentration, die bei den großen Äthergaben
jedenfalls eine sehr hohe war, um dieselbe Wirkung hervorzubringen. Daß es
bei der Äther erstickungsmetho de leicht möglich ist, daß Äther mit Muudspeichel
vermischt aspiriert werden kann, beweisen jene Fälle von Verätzungen der
Mund- und Rachenschleimhaut, der Speiseröhre und des Magens, wie sie im
Anschluß an Äthernarkosen beobachtet wurden. Wenn so konzentrierte
Speichel -Äthergemische verschluckt werden können, daß im Magen Ge-
schwüre entstehen, so können auch gleiche Mengen durch den Kehlkopf in die
Trachea einmal gelangt sein und können gleich einigen Tropfen Äther ihre
Wirkungen entfalten. Nun es mögen solche Fälle vorgekommen, sie mögen
wohl in der Annahme einer anderen Todesursache gar nicht in die Statistiken
der Äthertodesfälle aufgenommen worden sein, für die Gegenwart kann es in
mancher Hinsicht gleichgültig sein, denn man hat jetzt längst erkannt, welche
Gefahren die unvorsichtige, schlecht dosierende Methode der Äthernarkose bietet,
— 3fil —
und in der mo(leru(!U Äni darf ein solcher Fall von Luiigonödeiu. durcli Aspii'afioii
von Äther erzeugt, nicht jiiclir vorkommen.
Wenn nun auch das Lungenödem in vielen Fällen durch di(; geschickte
Methoile der Nai-kose verhütet werden kann, so ist doch nicht zu leugnen, daß
es axich einige weaige Fälle gibt, wo es ti-otz aller Vorsicht entsteht. Dies
betrifft dann disjjonierte Personen.
Die Entstehung des Lungenödems erklärt P o p p e r t durch eine Schädigung,
eine Alteration der Gefäßwand, welche sich durch eine vermehrte Durchlässig-
keit derselben für Blutkörperchen und Blutflüssigkeit kundgibt. Wie Lövvitt
eingehend nachgewiesen hat, ist diese Durchlässigkeit der Gefäße als eine
toxische Wirkung des Äthers aufzufassen und nicht etwa als eine Folge einer
Blutstauung in der Lunge, was oben erörtert wurde.
Neben den genannten pathologischen Veränderungen in den Lungen ruft
die Ätherwü'kung auch meist eine starke Hyperämie in dem Lungengewebe und
Blutungen in dasselbe hervor. Die Veränderungen sind in den abhängigen
Teilen der Lungen am deutlichsten ausgesprochen. Meist findet man die Blutungen
in der Lunge derjenigen Seite am häufigsten, auf der das betreffende Indivi-
duum gelegen hat, wie bei Tierversuchen beobachtet wurde (Popp er tj. Mög-
licherweise hängt diese Erscheinung mit der Ansammlung des Schleimes in den
abhängigen Stellen zusammen, wodurch das Zustandekommen der Hyperämie
und der Blutungen begünstigt wird. Die Hyperämie und Blutaustritte finden
sich sehr häufig nach Äthernarkosen und hängen zweifellos von der Methode
der Ätherisation ab, denn nach Narkosen mit der Genfer Methode fand ich sie
bei Tieren häufiger als bei vorsichtigen Tropfnarkosen. Jedenfalls kann man
die Blutungen hierdurch vermeiden, wenn auch Hyperämie stets entstehen wird.
Es ist schon oben gelegentlich der Erörterung der Entstehung der Bron-
chitiden und Pneumonien der Einfluß des Äthers auf die Lebenserscheinungen
der Zellen des respiratorischen Epithels geschildert worden. Auch der Äther
besitzt die Eigenschaft, in hohem Maße sogar, in den Epithelzellen der Lungen
Fettmetamorphose zu erzeugen. Es ist natürlich bei kurzen Narkosen diese
schädigende Eigenschaft nicht sehr ins Gewicht fallend, eine nur zwanzig Mi-
nuten dauernde Ätherisierung ruft noch nicht Fettdegeneratiou hervor, aber die
Zellen erleiden doch schon eine Veränderung geringerer Art, die sich noch nicht
in Fettansammluug im Protoplasma zeigt, die aber den Beginn derselben, ein
frühes Anfangsstadium (trübe Schwellung), darstellt, das, wenn die Narkose
weiter dauert oder wiederholt wird, zur typischen Fettmetamorphose führt.
Nach langen Äthernarkosen, nach innerhalb 12 — 24 Stunden wiederholten Be-
täubungen, fand ich stets reichlich Fetttropfen im Protoplasma der Zellen der
Alveolen, (der Epithelzellen der Broucheoli und der Bronchialschleimhaut.
Das ist auch ein Zeichen der toxischen Eigenschaft des Äthers. Auch in den
Knorpelzellen war viel Fett zu finden. Es ist auch hierbei die Disposition
maßgebend, aber |man kann behaupten, daß die Epithelzellen einen geringen
Grad der Schädigung bei jeder Betäubung erleiden, der aber bald wieder abheilt,
wenn der Äther aus dem Organismus verschwunden ist.
Besondere Bedeutung haben diese Verhältnisse dann, wenn vor der Äther-
narkose schon Lungenerkrankungen bestanden. Es ist aus theoretischen Erwägungen
leicht zu erklären, daß eine Äthernarkose bei schon erkrankten Bronchien und bei
— 362 —
etwa bestehenden tuberkulösen Infiltrationen des Lungengewebes eine Yer-
sclilimmeiTing der Prozesse hervorrufen wird. Es ist deshalb allgemeine Über-
zeugung, daß Lungenki-anke nicht mit Äther betäubt werden dürfen. Namentlich
wichtig ist es bei Tuberkulose und Emphysem, daß man nach Möglichkeit
die Äthernarkosen yermeidet, denn es kann mir zu leicht sich ereignen, daß
der Arzt eine beginnende Phthise übersieht, ist doch oftmals die Diagnose von
tuberkulösen Herden in den Lungenspitzen sehr schwierig, manchmal unmög-
lich. Gerade die tuberkulösen Herde können durch die Ätherwirkung zum
Aufflackern und rapiden Umsichgreifen angeregt werden und aus der vorher
geringen Spitzeninflltration kann eine floride, schnell tötlich verlaufende
Phthise werden. Natürlich ist nicht jeder Fall ein solcher, aber man muß mit
der Möglichkeit rechnen.
Auch f ür Emphysematiker ist Äther gefährlich (Julliard, White etc.); da
sich beim Emphysem meist auch chronische Bronchitis und Atheriosklerose findet, so
hat man mehrere Gründe, um den Äther zu fürchten, denn es können die Katarrhe
verschlimmert werden und Pneumonien leicht auftreten, da die Lunge sich nicht
normal ausdehnen und zusammenziehen kann, und Pneumonien sind in solchen
Stadien höchst gefährlich. Es ist daher am besten, die Äthernarkose zu ver-
meiden. Ob man in solchen Fällen überhaupt die Narkose vermeiden soll, muß
von Fall zu Fall entschieden werden. Es ist allerdings auch zu bedenken, daß
man bei der modernen kunstgerechten Äthernarkose alle die Ursachen für die
Entstehung von Lungenkrankheiten bis zu einem gewissen Grade verhüten kann,
außer der direkten Eeizuug auf die Epithelzellen, allein auch diese kann auf
ein Minimum beschränkt werden durch eine vorsichtige Dosierung und Mischung
der Dämpfe.
Wenn man sich nun die Gefahren der Äthernarkose hinsichtlich der
Lungen vor Augen führt, so bemerkt man, daß die bisher genannten alle
solche darstellen, die hauptsächlich erst nach der Narkose entstehen ihre Ur-
sache in den Verhältnissen der Ätherwirkung bis zu einem gewissen Grade findend.
Es sind nun noch diewährend der Narkose auftretenden direktenLungen Schädigungen,
die durch den Äther bedingt werden, zu betrachten. Unter diesen ist vor allem die
Apnoe hervorzuheben. Die Ursachen der Apnoe in der Äthernarkose sind zum
großen Teil solche, wie sie im allgemeinen Teil als wichtig für alle Narkosen
genannt sind, Aspiration von Schleim, Erbrochenem, Glottisödem etc. und die
bei allen Narkotika vorkommen. Nur die durch die Ätherwirknng an sich be-
wirkten Apnoefälle sollen hier erörtert werden.
Der für die Ätherwirkung typische Tod besteht in einer Lähmung des
Atemzentrums entgegen dem Chloroform, welches vorwiegend Synkopetodes-
fälle aufwies. Man hat beobachtet, daß Tiere, die man durch Äther tötete,
noch Herztätigkeit zeigten, während die Atmung bereits stillestand. Somit
hat man allgemein angenommen, daß der Äther das Zentrum der Atembewegung
in der Medulla oblongata lähmt, was zur Folge hat, daß die Atmung sistiert,
während das Herz noch arbeitet. Da nun jetzt das Blut in den Lungen nicht
mehr mit neuen Mengen Sauerstoff vei'sehen wird, so tritt Kohlensäureüberfluß
auf, und nach einiger Zeit versiecht auch die Herztätigkeit, der Tod ist ein-
getreten. Diesen Vorgang bezeichnet man sehr richtig mit Apnoe. Oh man
mit Recht behauptet, der Tod durch Ätherintoxikation stelle einen Lungentod
— 36;5 —
Tor, ist selir Irniilidi, dtiiii e? Avird doch iuiuiei' zuletzt noch das Herz
durch die K.ohlensäiuevergiftuiig- und den Sauerstofi'mangel zum Still-
stand gebracht. Es ließe sich ja für die Annahme eines Lungentodes der
Umstand anführen, daß die Anwendung künstlicher Respiration kurze Zeit nach
dem völligen Stillstand der Atmung infolge der Ätherwirkung ohne Erfolg
ist, wie oben des näheren expliziert wurde. Allein dieses kann auch ein
Zeichen sein, daß die Herzkraft schon gebrochen ist. Es handelt sich nach
meiner Überzeugung schließlich doch um einen Herztod, wenn auch der
Äther die Eigenschaft besitzt, die Respiration eher als die Tätigkeit des
Herzens zu lähmen. Daß es neben den Apnoen auch Synkopefälle in der
Athernarkose geben kann, ist oben schon gesagt.
Wenn mau nun auch aus den Befunden annehmen kann, daß Äther eine
Synkope heiTorrufe, so ist doch in der Praxis nie eine solche beobachtet worden,
die wenigen bekannten Eälle sind nicht einwandfrei, weshalb man sie nicht
rechnen kann, was weiter unten erörtert wird. Das Chloroform kann Apnoe
oder Synkope heryoriufeu. doch in der Äthernarkose beobachtet man nur
Apnoen. Es besteht scheinbar eine geringere Widerstandskraft des Atmungs-
zentrums gegen die Ätherwirkung, denn wenn die Konzentration von über 40 g
Äther auf 100 1 Luft erreicht ist, im Blute also dieselbe Konzentration der
Ätherdämpfe auftritt, hört die Atmungstätigkeit auf zu funktionieren. Während
dieses Sistierens der Respiration werden dem Blute keine neuen Äthermengen
zugeführt, es wird sogar Äther durch die Sekretion der Drüsen (Nieren, Schweiß,
Magen etc.) abgesondert und die Konzentration der Ätherdämpfe im Blute muß
etwas, wenn nur um weniges, geringer werden. Das Herz schlägt anfangs
weiter. Daß nun die im Blute befindliche Äthermenge nicht den Stillstand des
Herzens bewirkt, ist naheliegend, denn sie ist ja geringer geworden als beim
Eintritt der Apnoe, kann also auch nicht schädigend auf das Herz wirken^
denn noch stärkere Konzentrationen schadeten dem Herzen nicht. Es ist daher
mit Sicherheit anzunehmen, daß die Lähmung des Herzens durch Kohlensäui'e-
iutoxikation eintritt. Mau kann diesen gefährlichen Apnoen bis zu einem ge-
wissen Grade begegnen, indem man Sauerstoff' gibt, allein man kann dadurch
dem Sauerstoffmangel abhelfen und in vielen Fällen wird dies genügen, um die
Eespiration wieder anzuregen, aber in schweren Fällen wird auch dies versagen,
da durch das Verabreichen von Sauerstoff der Kohlensäureüberfluß im Blut nicht
entfernt werden kann, weil die Lungen nicht arbeiten und so wird bei hohen
Kohlensäuremengen doch der Tod eintreten.
Es gibt während der Äthernarkose verschiedene Arten von Apnoen, solche,
die ohne anderen Grund nur durch zu hohe Konzentration der Ätherdämpfe
plötzlich auftreten und durch künstliche Eespiration bei sofortigem Bemerken
der ersten Symptome erfolgreich bekämpft werden, andere, die aus eben derselben
Ursache eintreten, aber wegen gewissen Verhältnissen allen Gegenmaßregeln
trotzen. Dieselben sind sehr selten und wohl auf eine Disposition des Atem-
zentrums zurückzuführen.
Neben der Disposition im allgemeinen sind wohl auch noch andere Um-
stände vorhanden, welche gegebenenfalls eine Apnoe begünstigen, so rechne ich
vor allem die häufige Wiederholung von Äthernarkosen innerhalb 12 — 24 Stunden
zu prädisponierenden Momenten. Ich habe bei häufigen Äthernarkosen an
Tieren zwecks Experimenten die Beobachtung gemacht, daß die Tiere ziemlich
— 364 —
oft in der 3. oder 4. Ätherüarkose au Apaoe zagraade sfeheu, öftei" jedeufalls
als in der 1. oder 2. Narkose. Einen Fall dieser Art am Menschen hat Sonnen '
bürg beobachtet. Der Fall betraf einen Mann, der innerhalb 5 Tagen 5 mal
ätherisiert werden mußte imd in der letzten Narkose plötzlich an Apnoe
starb (Tschmarke). Die ersten Narkosen waren sehr gut vertragen worden,
während er in der 5. Narkose cyanotisch aussah und röchelte. Es trat plötz-
lich Apnoe und Erbrechen ein. Wiederbelebungsversuche waren erfolglos.
Allerdings ist damals noch die Äthererstickungsmefchode ausgeübt worden, was
wohl viel zu dem Eintritt der Apnoe beigetragen hat. Tschmarke erklärt
sich in der Beschreibung dieses Falles als Anhänger der Genfer Methode, doch
geht aus seinen Ausführungen hervor, daß er mit vielen unangenehmen Er-
scheinungen während der Narkose rechnet, die während der modernen Äther-
narkose nicht mehr auftreten, wie starke Excidation, Singaltus etc. In diesem
Falle von Apnoe ist nach meiner Überzeugung der xAnlaß zn der R3spiration3-
lähmung in der häufigen Ätherisation zu finden, da die ersten Narkosen auch
ziemlich lange Zeit gedauert hatten. .Jedenfalls ist das Respirationszentriim
durch die häufige Ätherwirkung so geschwächt worden, daß es der letzten nicht
mehr widerstehen konnte, und die hohen Konzentrationen der Ätherdämpfe,
für die Apnoe genügend, sind erreicht worden, da nach der Genfer
Methode narkotisiert wurde. Es geht dai'aus hervor, daß man auch beim Äther
gehäuftes Narkotisieren möglichst vermeiden soll.
Andere leichte Fälle gibt es noch, die durch mechanische Behindernng
der Atmung auftreten und schon im allgemeinen Teil beschrieben sind. Die
ersten Andeutungen der Apnoe, die Gegenmaßregeln und die Technik der letzteren
sind ebenfalls früher genau besprochen und können hier übergangen werden.
Es ist hier nur noch hinzuzufügen, daß eine Apnoe den Arzt nicht überraschen
darf, er muß sie sofort erkennen, muß schon die erste Veränderung der Atmung
bemerken, und es dürfen auch nur jene Fälle auftreten, welche durch die
Disposition hervorgerufen werden, alle anderen Ursachen für die Apnoe müssen
durch eine vorzügliche Technik der Narkose, Beobachtung und Kenntnis der
Theorie vom Narkotiseur vermieden werden.
Es gibt bei der Äthernarkose viel weniger ernste Unfälle während der
Betäubung als bei Chloroform, die Synkopefälle durch Reflex von selten der
Nasen-Rachenschleimhaut fallen weg, andere Synkopefälle sind höchst selten und
nur bei krankem jHerzen zu fürchten, dafür kann aber Apnoe auftreten. Dieselbe
tritt auch nicht leicht ein, da die Narkosenbreite bei Äther sehr groß ist, die
Dose anaesthetique ist 20, die mortelle über 40. Außerdem besitzt der Äther
nicht kumulierende Wirkung, wie allgemein angenommen wird. Dies ist nun
allerdings ein großer Irrtum, wenn man behauptet, Äther habe nicht kumu-
lierende Wirkung. Dieselbe ist allen Narkotika eigen, nur ist sie beim Äther
geringer als beim Chloroform, dieselbe ist proportional der narkotischen Kraft,
xmd folglich beim Äther viel geringer als bei Chloroform, ferner hängt sie auch
von den Lösungsverhältnisseu, Siedepunkt, Spez. Gewicht etc. ab. Die Gefahren
während der Äthernarkose für den Narkotisierten sind geringer als bei Chloroform,
aber dieselben, welche nach der Narkose auftreten, sind bei beiden wohl gleich.
Auch die Annahme eines protrahierten Äthertodes analog dem des protrahierten
Chloroformtodes, kann nicht g-anz geleugnet werden, denn man hat gefunden,
daßj der Äther ebenso wie Chloroform Fettmetamorphose der inneren Organe
— HGf) —
erzeugen kann, nur wirkt auch hier der Äther sehr schwach. Der (iruud aber,
warum mau nicht einen protrahierten Athertdd öfter tindet, liegt darin, daß viel
eher schwere Lungeuerkrankungen auftreten nach der Äthernarkose, die zum
Tode führen, als Fettmetaniorphose fortschreitenden Charakters. ~ Die post-
narkotischen Lungenerkrankungen sind aber nach Äthemarkosen so wichtig,
gefährlich und häufig, wi^ der protrahierte Chloroiormtod. Wie sich die
statistischen Verhältnisse bei der Äthemarkose verhalten, das soll nunmehr be-
handelt werden.
Die Todesfälle, welche man dem Äther zur Last legt, sind recht ver-
schieden berechnet worden. Garre fand bei 3.50.500 Äthemarkosen 25 Todesfälle,
also auf 14000 Äthemarkosen 1 Todesfall, Ollier hat bei 10500 Äthernarkosen
keinen Todesfall, Poncet bei 15000 nur 2 Todesfälle, also auf 7500 Narkosen
einen Todesfall gefunden. Weiter sind folgende Zahlen angegeben worden:
Andrews hat bei 92815 Äthernarkosen -t Todesfälle beobachtet, also 1:23204
Julliard „ „314738 ., 21 „ „ „ 1:14987
Wilh. Roger ,. 14581 „ 3 „ „ „1: 4860
Chir. Kongr. ,; 42091 „ 7 „ _ „ „ 1 : 6013
Aus diesen Zahlen ergeben sich auf 464225 Äthemarkosen 35 Todesfälle
oder ein Verhältnis von 1 : 13264.
Gurlt hat aus den .Jahren 1890 — 95 42141 Äthemarkosen mit 7 Todes-
fällen gesammelt, was ein Verhältnis von 1 : 6020 ergibt.
Im Hotel Dieu in Lyon sind 40000 Äthernarkoseu ohne einen Todesfall
beobachtet worden. (Gebhardt). Easter hat beim Äther eine Mortalität von
0,065 7o gefunden.
Miektilicz hat in seiner Statistik für den Äther ein Verhältnis der
Todesfälle von 1:5112 berechnet. Ein ähnliches Verhältnis gibt Roger
W'illiams an. Derselbe hat im St. Bartholomeus-Hospital in London eine sehi'
große Anzahl von Äthernarkosen beobachtet und die Zahlen der Narkosen auch
von anderen Narkotiseuren gesammelt. So hat er innerhalb 10 Jahren auf
14 581 Äthemarkosen 3 Todesfälle, also 1:4860, gefunden. Hieraus sieht man,
daß die Zahlen sich ungefähr gleichen, welche in der neueren Zeit gesammelt sind.
Das Middlesex-Hospital hat ein Verhältnis von 1 : 1050, berechnet, ferner
hat man nach den Statistiken des Chirurg. Kongresses von
1890/91 470 Äthernarkosen mit keinem Todesfall
91/92 7968
92/93 6213
93/94 11619 „ ,. 2 Todesfällen
94/95 15821 „ „' 5 ,.
beobachtet, was ein Verhältnis von 1 : 6013 ergibt.
Hankel hat bei genau.er Berechnung aller Todesfälle, die durch Äther
hervorgerufen w'urden, im Jahre 1894 anf 11619 Narkosen 5 Todesfälle, also
1 : 2324 imd 1895 auf 15821 Narkosen 22 Todesfälle, also 1 : 719 gefimdeu. Man
ersieht- also aus diesen Zahlen, daß doch recht verschiedene Werte entstehen
können. Im aligemeinen nimmt man beim Äther ein Verhältnis von 1 : 3000 an,
allein es ist in neuerer Zeit, wo man gelernt hat, alle Wirkimgen imd Be-
ziehungen des Äthers zum Organismus in und nach der Narkose zu würdigen
imd zu erforschen, eine andere Überzeugung entstanden und man hat erkannt,
daß früher viel Todesfälle auf andere Ursachen bezogen wurden, während sie
durch die Ätherwirkung entstanden. Aber trotz alledem kann man auch jetzt
ein Verhältnis von J : 3— 4000 annehmen, da man zugleich gelernt hat, durch
geeignete Maßnahmen die schwer schädigenden Einflüsse des Äthers zu
kompensieren und Todesfälle zu verhindern. Diese allgemeinen Statistiken
— 366 —
geben ein zu unklares Resultat, es ist daher viel interessanter, die Verhältnisse
der einzelnen Arten der Unfälle während und nach der Ätherwirkung' in ihren
Verhältaiszahlen zu den Narkosen zu berechnen.
Es mag hier zunächst die Synkope erörtert werden, da man doch deren
Vorhandensein nicht leugnen kann. Man hat gegen 25 Fälle als reine toxische
Äthersynkopefälle gesammelt. Es ist wohl möglich, daß solche auftreten und es
mag wohl schon vor der Narkose eine Erkrankung des Herzens bestanden
haben, so daß der Äther eine Herzsjmkope bewirken konnte, ehe die Apnoe
eintrat. Hankel hat bis zum .Jahre 1898 nur 85 Todesfälle gesammelt, welche
er als dui'ch Ätherwirkung verursacht ansieht; daß diese Zahl viel zu klein ist,
wird man sich leicht denken können, wenn man überlegt, wieviel Äthernarkosen
von der Entdeckung bis 1898 geleitet wurden und dabei sollten nur 85 Todes-
fälle vorgekommen sein. Unter denselben führt Hankel 10 Synkopefälle an. Da
dieselben nicht ohne Interesse sind, will ich sie zur genaueren Kritik in dem
Fol2:enden aufführen:
Vorhandene
Erscheinungen,
Alter etc.
Konstitution
Krankheiten und
unter denen der Tod
Obduktions-
Operationen
eintrat
beweise
I. Rayner,
Frau, 44 J.
Krebskrank,
Krebs
Puls hörte auf.
Brit med.
Herz gesund
Journ. 1891
II. WannetB
Manu, 45 J.
Sch.wächlicli,
Abszess in der
Der Puls wurde sehr
Herz hypertro-
Haut des
schlecht, die Lippen
pMscli, blasende
Skrotums u. d.
blass und der Atem
Geräusche am
Umgeb., die mit
schnappend, die Pu-
Herzen and der
Urin durchtränkt
pillen waren normal
Aorta, Puls
war
und die Konjunkt.
Bchwaoh, un-
empfindlich.
regelmässig,
Cyanose v. d. 0.
in. Brit.
Frau, 41 J.
Anämisch, Herz,
Operation eines
Nach 25 Min. dauern-
med. Jom-n.
Lungen, Nieren
normal
Uterus fibroides
der Einatmung wurde
das Herz schwächer
und blieb nach weite-
ren 5 Min. stehen.
IV. Brit.
Mann, 56 J.
_
Larynsverenge-
Puls gut, nach
Herz blass, ver-
med. Journ.
rung
4 — 5 Minuten welker,
schlaffer, Anästhesie
unterbrochen, doch
hörte die Herztätig-
keit, die sich ge-
bessert, von neuem
auf. Starke Blässe.
längert, ziemlich
bedi; fettig. Er-
weiterung und
ätheromatöse
Entartung der
Aorta, Larynx
ödematös.
V. Lancet
Frau
—
Vesicovaginal-
Der Puls wurde
Herzklappen
89
fistel
klein, Schleimhäute
und Lippen blau,
Kesp. unregelmässig.
Endlich hörte die
Atmung auf.
nicht normal;
Nieren granu-
liert.
VI. W^erold.
Frau, 41 J.
Aorteninsnä. \ Eingeklemmte
Verschlechterung
L. Ventr. hart.
D. med. W.'
Diastol. Ger. I linkss. Femor
des Pulses, Weg-
kontrahiert.
1894.
Herz 4 cm über! Hernie
nahme der Maske,
rechter schlaff.
361
der 1. Mamillarl.
Wiedererholung.
Neue Narkose. Auf-
hören der Atmung
und des Pulses.
Aorteninsuff.
Lungen blut-
reich, Leber und
Nieren blutreich.
Vn. Kehn-
Frau
Gallenblasen-
Puls während der
Ohne besond.
gurlt,
resektion wegen
Operation schlecht.
Befund.
Arch. f. kUn.
Carcinomes
die Kr. ist nach-
Chir.
träglich sehr kolla-
Bd. XLVIU
biert. Tod im Kollaps.
367
vm. Schopf
IX. ßai-de-
leben
X. Brit.
med. Journ.
Alter etc.
Frau, 35 J.
Konstitution
Abmagerung der
sehr fetten Per-
son, Puls kaum
fühlbar
Insuffic. der
Aortenklappen
Vorhandene Erscheinungen,
Krankheiten und unter denen der Tod
Operationen eintrat
Obduktion»
beweise
Fibroid des
Uterus Exstirpat.
Vergrösserte
Herzdämpf uug,
Bronchial-
katarrh
Herniotomie
Langes Sifcch-
tum. Rascher
Verfall n. der
Narkose
Rektumkrebs
Operation
15 Min. Excidation
dann Ruhe, plötzlich
■wird die Kranke
livide. Pup. miximal
erweitert, reaktions-
loB. Kein Herzschlag.
Noch einige
schwache Atemzüge.
Nach 48 Min. wurde
der Puls schlecht,
die Maske entfernt,
da sich der Puls
wieder hob, wurde
die Maske wieder
aufgelegt. Nach
weiteren 3 Min. Aus-
setzen des Pulses.
Stockung d. Atmung.
Nach der ersten In-
zision wurde der
Puls fast unfühlbxir,
der Atem matt. Trotz-
dem der Aether so-
fort weggelassen
wurde, hob sich der
Puls nicht und der
Kr. starb nach 5 Min.
nach "Weglassen des
Aethers.
Fettherz.
Chi'on. Arthritis
Nephritis chron.
))arenchymat.
Tumor lienis,
chron. Degen.
hepat adipos.
Herz, linker
Vent. hart, recht,
schlaff. Insuff.
der Aorten-
klappen. Liuigeii
blutreich etc.
Wenn mau iiuu diese hier angeführteu Todesfälle angeblich durch Synkope
hervorgerufen, näher betrachtet, so findet man bei Fall I als Diagnose der Ki'auk-
heit, an welcher die Patientin vor der Narkose litt, Careinom. Es ist weiter nichts
über die Kranke erwähnt, als daß in vivo das Herz gesund befunden worden
sei. Wird nun in diesem Falle jemand eine Fettdegeneration des Herzens
haben erkennen können, wenn sie nicht gerade im höchsten jede Narkose kon-
traindizierenden Stadium vorhanden gewesen wäre? Man kann hier mit Fug
und Recht den Verdacht äußern, daß das Herz bereits von der Krebskachexie
in einem gewissen Grade beeinflußt worden ist, daß vielleicht jede andere
starke Erregung ausgereicht hätte, um den Tod herbeizuführen, und daß die
Atherwirkung hier nicht als spezifisch toxische, sondern nur in allgemein
schwächender Hinsicht als Narkosenwirkung aufzufassen ist. Dieser Fall kann
also nicht als Beweis für eine die Synkope hervorrufende Wirkung des Aethers
aufgefaßt werden.
In Fall II findet man sogar ein Herz, welches hypertrophisch ist, welches
Geräusche aufweist, einen unregelmäßigen Puls, kurz ein krankes Herz. Daß
hier auch allein eine Irritation ausreicht, um Herzsynkope zu erzeugen, weiß
jeder. Daß auch der Fall nichts Sicheres beweist, ist ebenso klar.
In Fall III findet man die Diagnose „Anämisch", wobei eine Neubildung
des Uterus operiert werden sollte. Auch hier ist dasselbe gegen die Aether-
syukope ins Feld zu führen, denn wenn die Konstitution als anämisch be-
zeichnet wird, so ist auch hier eine primäre Herzafiektion sehr wahrscheinlich.
Es sind vielleicht starke Blutungen vorausgegangen und so handelt es sich hier
wiederum um ein Herz, das in vivo als gesund anzusehen war, das aber wohl
schon als wenig risistent anerkannt werden muß, denn bei einer anämischen
Person wird -jedermann Verdacht auf Herzschwächezustände infolge Fettmeta-
morphose hegen.
Fall IV. Hier besteht eine Verengerung des Laryux. Vielleicht ist
auch hier irgendwelche stark schwächende Hauptkrankheit vorhanden gewesen,
denn die Sektion gibt an. daß bedeutende fettige Degeneration des Herz-
fleisches bestand. Außerdem Atheromatose der Aorta. Daß nun der Aether
in einer Narkose von kaum 10 Minuten so hochgradige fettige Degeneration des
— 368 —
Herzens heiTonufen kiiuL, ist unwahrscheiniith. Hier ist der Beweis er-
bracht, daß schon vor der Narkose Fettdegeneration bestand, die auch ohne
Aethervergiftnng znni Tode führen konnte. Jedenfalls kommt auch hier nicht
die direkte Aethergiftigkeit, sondern die die Fettmetamorphose vermehrende
Wirkung des Aethers als Todesursache in Betracht.
Fall V. Hier erfahren wir nichts über den Zustand der Person, nur daß
eine Vesicovaginalfistel bestand. Jedenfalls ist auch hier eine andere schwere
Erkrankung vorausgegangen. Die Sektion sagt, daß die Herzklappen nicht
normal waren. Jsach dieser ungenauen Leichendiagnose zu urteilen bestand
ein Herzfehler und auch dieser Fall kann nicht viel beweisen.
Fall VI. In diesem Falle bestand in vivo ein Herzfehler mit Vergrößerung
des Herzens. Es gilt dasselbe wie in Fall V.
Fall VII. Hier ist wieder Carcinom vorhanden und dann starb die
Kranke 30 Stunden post narcosin, also ein Spättod, aber auch hier ist eine
andere Ursache für den Tod viel wahrscheinlicher als die toxische Aether-
wirkung.
Fall VIII. In diesem Falle ist starke Abmagerung vorhergegangen. Die
Sektion ergibt Fettherz. Chronische Nephritis, Fettdegeneration der Leber.
Gründe genug, die einen Tod herbeiführen mußten, wenn eine Narkose unter-
nommen wurde. Es wird hier der Aether die Fettmetamorphose zweifellos
enorm vermehrt haben, so daß der Tod eintrat.
Fall IX. Herzfehler, ebenfalls nicht einwandfrei.
Fall X. Hier bestand vor der Narkose langes Siechtum und rascher
Verfall der Kräfte. Die Diagnose lautete auf Carcinoma recti. Es wui'de um-
wenig Aether gegeben, der Tod trat 5 Minuten nach Eintritt der Narkose em.
Es ist auch hierbei anzunehmen, daß eine beginnende Fettmetamorphose
im Herzen bestanden habe, welche durch die Aetherwirkung verschlimmert
wurde, oder M-elche das Herz so geschwächt hatte, daß es dem Aether unter-
liegen mußte.
Aus einem Teile dieser Fälle geht mit Evidenz hervor, daß der Äther
auch auf das Herz schwer schädigend einzuwirken vermag, denn im Vergleich
zu den Resultaten meiner Versuche mit Äther an Tieren findet sich eine große
Ähnlichkeit mit diesen Fällen. Es fand sich bei den gesunden Tieren stets
Fett im Herzen, somit ist auch anzunehmen, daß in diesen Fällen die Fettmeta-
morphose im Herzen verschlimmert wurde. Allerdings kann man diese Fälle nicht
als typische Äthersynkopetodesfälle hinstellen. Jedes Narkotikum wird in solchen
Fällen eine Fettmetamorphose verschlimmem und zum Tod als Synkope fühieu,
deshalb ist dies nicht als speziell toxische Ätherwirkung anzusehen. Es ist
aber bewiesen, daß der Äther bei Herzkrankheiten auch Synkope hervorrufen
kann, es genügt dann eine geringere Konzentration der Ätherdämpfe im Blut
zur Synkope als zui' Erzeugung der Apnoe nötig ist. Wenn nun auch von
diesen Fällen keiner so einwandsfrei ist, daß man ihn für eine Synkope, durch die
Ätherwirkung allein hervorgerufen, betrachten könnte, so lehren sie doch, daß
der Narkotiseur auch bei der Äthernarkose einerseits auf Synkope gefaßt sein
muß, andererseits aber eine genaue Untersuchung des Herzens vor der Narkose
vornehmen und alle Umstände und Veränderungen des Organismus genau er-
wägen muß, damit eine durch vorherige Herzerkrankung begünstigte Synkope
vermieden wird. Es wird das Eintreten der Synkope aber doch sehr selten
während der Äthernarkose sein. Neben den schweren tödlich endenden Syn-
kopefällen, wie sie hier ei'wähnt waren, kommen auch leichte, schnell vorüber-
gehende Kollapse in der Äthernarkose vor. Dieselben sind einzig und allein
auf Kohlensäureintoxikation zunickzuführen und werden bei korrekter Technik
der Narkose nie sich zeigen, weshalb man sie auch bei der modernen Äthei'-
— :5fi9 —
iiarkose iiiclit keimt. Bei der tViüu-r iililicheii (ienfernietliotli' trutcn öfters
solche vnrülierijelu'iKle Kdllnpse ein.
Wie man die HerzsjMikope zu bekämpfen hat, ist im Allgemeinen Teil
>»eschrieb(!n. Dem möchte ich durch neuere Experimente von De necke*) am
Herzen einer hingerichteten Person kurz nach dem Tode derselben vorgenommen
vernnlaBt, hier nur noch kurz einiges liinznt'ügen, das wohl für die Narkosenkollapse
ernster Art wertvoll werden könnte. Denecke sah das Herz einer eben hiu-
g-erichtetcn Frau '20 Minuten nach dem Tode, nachdem es aus dem Organismus
herausgenommen war. wieder zu Kontraktionen zurückkehren, wenn er es mit dem
Blute der Person zur Hälfte mit Pin gerscher Flüssigkeit verdünnt, bei einer
Temperatur von .'is^'C. durchspülte. i)ie Flüssigkeit wurde durch die Aorta in
die Coronargefäße getrieben zugleich mit Sauerstoif' unter dem Dnick der Sauer-
stoffbombe im Laugen dorff scheu Apparat, und gelangte so durch das rechte
Atrium M'ieder heraus. Das Herz schlug nun 83mal in der Minute bis zu
drei Stunden ])auer. Hieraus läßt sich annehmen, daß man bei schweren Syn-
kopezufällen in dei' Narkose, sei es Aether oder Chloroformnarkose, namentlich
aber bei letzterer, mit dem Verfahren von Prus Erfolg haben könnte. Dieses
Verfahren der direkten Herzmassage von Prus besteht darin, daß man sofort,
zwei flippen reseziert, das Herz bioslegt und nun dasselbe mit der Hand rliythmisch
komprimiert. Nebenbei soll man tracheotomieren und mit der Canule einen
Plasebalg in Verbindung setzen. Prus konnte auf diese Weise Tiere, die er
durch Chloroform getötet, noch nach einerStunde wiederbeleben. K jer-Pelissen
hat bei einem NarkosenunfaU die Methode an einem Mann probiert, hat das
Herz bei uneröffnetem Perikard komprimiert. Nachdem der Mann eine Zeit-
lang ohne Atmung und Herzaktion gelegen, beginnt jetzt das Herz hurtig zu
schlagen, die Atmung beginnt nach oO Minuten schnappend wieder um nach
zwei Stunden dieser Bemühungen regelmäßig und selbständig zu erfolgen. Das
Bewußtsein war aber nicht wieder gekehrt und nach einer halben Stunde wird
die Atmung wieder schlecht, hört auf und der Kranke stirbt. Einen andern
Fall beschreibt Mang, doch war es auch hier nicht möglich, den Kranken zu
retten. Man nennt das Verfahren das Prus-Maagsche Wiederbelebungs-
verfahren. Aglinzeff hat ebenfalls bei einem Knaben die j\Iethode erfolglos
erprobt. Nach dem neuesten Versuch von Denecke habe ich ähnliche Ver-
suche begonnen und versucht, die Kombination des eben genannten Verfahrens
mit intravenösen Infusionen bei Tieren anzuwenden. Freilich kann ich hier
noch keine Pesultate angeben, da die Versuche noch nicht beendet sind, nur
scheint das Vei-fahren der direkten Herzinassage mit der Infusion gute Resultate
zu liefei'n. die man gelegentlich am Menschen ausprobieren muß. In Fällen wo
höchste Gefahr vorhanden, wird ja ein solcher Eingriff berechtigt sein, wenn
er auch immerhin bei den modernen Narkosen zu den größten Seltenheiten
gehört, denn Erfolg wird man nur dann haben, wenn das Herz nur durch das
Narkotikum geschädigt, sonst aber nicht schwer erkrankt ist, denn wenn hoch-
gradige Fettmetamorphose oder dergleichen den Herzkollaps verursacht hat,
wird der Erfolg ausbleiben. Dies ist der Grund, weshalb diese Versuche bei
Tieren Erfolg haben, weil man daselbst ein an sich gesundes Herz vor sich
hat. Ich bemerke dies hier, weil mich die vor wenigen Tagen von Denecke
angestellten Versuche am Herzen zu der Ansicht gebracht haben, daß ein nicht
ganz krankes Herz vielleicht doch wieder dauernd gekräftigt werden kann.
Weit häufiger sind die Apnoetodesfälle in der Äthernarkose. Die weit-
aus größte Zahl der statistisch gesammelten Fälle von Tod in der Äthernarkose
repräsentieren Apnoefälle, und man hat demnach ein Verhältnis von 1 : 3000
als richtig anzunehmen. Es ist hierbei natürlich nur die infolge der Ather-
wirkung auftreteude tödlich endende Apnoe gemeint, nicht jene plötzlich mit
Cyanose etc. -während der Betäubung infolge irgendeines Versehens vor-
kommende. Wenn man nun auch eine gewisse Anzahl von Todesfällen
■') Mitteilungen im ärztl. Verein zu Hamburg. Sitzung am 21. Febr. 1905.
24
— :570 —
als die Folge toxisehei' Ätlierwirkung- gelten lassen muß, so ist doch immerliiu
der Eintritt einer tödlich endenden Apnoe sehr abhängig von der Methode und
Ausführung der Narkose, da man bei sehr vorsichtigem Narkotisieren nur sehr
selten Todesfälle erlebt. Dies ersieht man daraus, daß man auch auf ca-
6000 Äthernarkosen nui' einen Todesfall durch Apnoe, ja nach Gurlt sogar
auf 13160 Äthernarkosen nur einen Apnöefall beobachtet hat.
Viel häutiger ereignen sich die leichteren Apnoefälle während der Nar-
kose, Fälle, die aus äußeren Anlässen oder auch aus Überdosierung und der-
gleichen mehr Ursachen entstehen können und auch dem besten Narkotiseur
doch gelegentlich passieren, die aber bei geeigneten Gegenmaßregeln
wieder ohne Nachteil für den Kranken gehoben werden können. So berichtet
Schultz von .5 Apnoen bei -463 reinen Äthernarkosen, welche aber alle ohne
Nachteil bekämpft werden konnten. Diese Unfälle während der Äthernarkose
sind aber nur zu abhängig vom Narkotiseur (Kroemer, Pfannenstiel), als daß
man allgemeingültige Zahlen nennen könnte. Der eine Narkotiseur wird ab
und zu solche Fälle erleben, während sie bei anderen nur zu den allergrößten
Seltenheiten gehören.
Von weit größerem Interesse ist die Statistik der nach der Äthernarkose
auftretenden Lungenkrankheiten, wie Pneumonien und Bronchitiden. Natürlich
ist auch bei diesen Folgen der Narkose die Technik von Bedeutung (Bushmore),
so daß man in neuerer Zeit diese Lungen erkrankungen auch tatsächlich be-
deutend seltener auftreten sieht. Immerhin gibt es Fälle, wo trotz größter
Vorsicht des Narkotiseurs eine Pneumonie sich zeigt. Neben diesen Umständen
hat auch die Operation einen Einfluß auf das Entstehen einer Pneumonie nach
der Ätherwirkung. Schultz hat bei 463 Äthernarkosen 33 Bronchitiden oder
Püeumonien beobachtet, von denen 19 leichtei'e Erkrankungen waren und
schnell abheilten, während die übrigen schwerere Formen darstellten, dem
gegenüber hat Tillmanns bei 4000 Äthernarkosen nie Lungenkrankheiten
ernster Art beobachtet, was er der Lagerung und Methode der Narkose zu-
schiebt. Es erhellt also schon aus diesen beiden Angaben, wie ungeheuer
Anchtig die gute Technik der Narkose ist. Der Verlauf der Lungenerkrankungen
ist verschieden, von 30 Pneumonien der Statistik des Chirurg. Kongr. 1897
endeten 15 tödlich. Krön lein gibt an, daß während einer Zeit von 77 Jahren
Beobachtung an seiner Klinik nur 1 Mann an Pneumonie nach Äthernarkosen
gestorben sei, was ein riesig günstiges Resultat bei der großen Anzahl der
Narkosen bedeutet.
Blake hat unter 1250 Äthernarkosen drei schwere Lungenerkrankungeu
beobachtet, RiimboU unter 1500 Äthernarkosen eine Bronchitis, eine Pneumonie
und vier Bronchialreizungen, also leichte Bronchitiden erlebt, Stanly-Boyd
hat während fünfjähriger Praxis sechs Fälle von Lungenleiden, von denen eine
Lobärpneumonie, eine Bronchopneumonie und vier Bronchitiden waren, auftreten
gesehen, Gunning sah unter 2068 Äthernarkosen eine schwere Pneumonie,
öfterer leichte Lungenleiden auftreten. Macnaughton-.Tones hat in dreißig-
jähriger Tätigkeit keinen Fall schwerer Lungenleiden nach Äthernarkosen
gesehen.
Sonntag hat bei 38 Äthernarkosen 6 Pneumonien mit 4 Todesfällen
beobachtet, ein Prozentsatz, der recht schlecht zu nennen ist. Es ist zweifel-
los in diesen Fällen entweder ein ung'lücklicher Zufall, der eine solche Höhe
— 371 —
von Püeumoiiieü erregte oder die Technik der Narkose hat j?rnße Mäugel s:e-
litten. Namentlich die Mortalität ist eine enorm hohe, als allgemeingiiltii;'
kann man diese Zahlen nicht ansehen.
Einen besonders bcgünstig-enden Einfluli auf den Eintritt der Pneumonie
hat die Laparatomie, so fand Kümmel bei 1070 Laparatomicn 40 Pneumonien
mit 1 1 Todesfällen.
Es ist ja zweifellos, daß die Laparatomie das Atmen nach der Narkose
wenigstens an Tiefe beschränkt und gerade das tiefe In- und Exspirieren ist
nach der Äthernarkose enomi wichtig (Witzel, Hofmanu, Starling.
Gunning- etc.).
Es ist aus diesen wenigen statistischen Angaben zu ersehen, daß die
Lungenerkrankungen nach der Äthernarkose recht häufig auftreten, daß aber auch
die Zahlen klar beweisen, wie eine gute Beobachtung und Ausführimg der
Narkose die Gefahr sehr vermindern können.
Was die Operation im Verhältnis zu den Todesfällen in und nach Aether-
uarkosen anlangt, so ersieht man aus den vouHankel gesammelten Statistiken
folgendes:
Es finden sich Todesfälle verzeichnet bei folgenden Operationen:
bei Herniotomieu 13 Todesfälle infolge der Aetherwirkung
„ Laparatomieu 11 „ „ „ „
„ Gallensteinoperationen 2 „ „ ,^ ,^
„ Krebsoperationeu '" 9 „ „ ,, „
„ Tumorexstirpationen 1 „ ,^ ^^ ^
„ Colotomie 6 „ ,, „ ,^
„ Gynäkologische Operationen .3 ,, ,, ,^ ^^
„ Erakturen und Streckungen 4 ,, ^, „ ^^
„ Einrichtungen von Luxationen 2 „ „ „ „
„ Sectuestrotomien 1 ', ,, ,, ,^
„ Amputationen 3
„ Empyemoperationen 1 „ » „ „
„ Resektionen 1
„ Tracheotomieu 2 „ „ „ „
„ Operationen im Abdomen 5 „ „ „ „
„ Wunden 1 „ „ „ „
„ Augeuoperationen 1 „ „ „ „
,, Zahuextraktionen 1 „ ^, ,, ^^
„ sonstigen Operationen 11 „ „ „ „
„ geburtshilflichen Operationen 2 „ „ „ „
Aus diesen Zahlen geht hervor, daß Todesfälle am häufigsten bei schweren
Operationen infolge der Ätherwirkung vorkommen.
Beim Chloroform hingegen zeigten sich die meisten Todesfälle bei den
leichteren Operationen. Man ersieht daraus, daß das Chloroform giftiger ist
als der Äther, denn wenn mehr Todesfälle bei schweren Operationen vor-
kommen, so ist das ein Zeichen, daß der Äther nicht sehr giftig wirkt, weil bei
schweren Operationen schon die Anstrengung durch die Operation den Tod
hervorrufen wird ohne daß der Äther hierbei sehr toxisch wirken muß, beim
Tod nach leichten Operationen aber muß das Narkotikum sehr stark toxisch
gewirkt haben (Chloroform) und eine geringe Anzahl von Todesfällen nach
leichten Operationen beweist, daß auch das verwendete Narkotikum wenig
toxisch wirkt.
Es ist noch von Interesse, einen Blick auf die Verteilung der Todesfälle
in der Äthernarkose auf das Geschlecht und Lebensalter zu werfen. So findet
24*
— 372 —
man uuter 75 Todesfällen 45 Personen mänulichen und 30 weiblichen Ge-
schlechtes. Kappeier hat hei Chlorofoi-mtodesf allen 78% Männer und 22%
Frauen, bei Äthertodesfällen 60% Männer und 40% Frauen angegeben. Es ist
also das weibliche Geschlecht beim Äther mit mehr Todesfällen vertreten. Es
mag der Unterschied wohl darauf beruhen, daß die Männer, welche in den
meisten Fällen Alkoholisten sind, öfter mit Chloroform narkotisiert werden, da
der Äther bei Alkoholisten oftmals nicht so schnell und leicht tiefe Narkose
herTorruft wie Chloroform, während hingegen Frauen mehr mit Äther betäubt
werden. So wird sich der Unterschied aus der verschiedeneu ^'erwendung
erklären.
Das Alter, in welchem die Todesfälle bei Äthernarkosen eintreten, zeigt
sich in folgenden Zahlen vertreten.
in der Ätheruarkose vorgekommen.
In den Jahren
von
1—10 war
1
Todesfall
10—20 waren
5
Todesfälle
20—30 „
o
ji
30—40 „
10
11
40-50
20
)i
50—60 „
11
n
60^70 „
7
11
70—80 war
1
Todesfall
über 80 waren 2 Todesfälle „ ,, „ „
Daraus geht hervor, daß in den Jahren 40 — 50 die meisten Todesfälle
auftreten.
Aus diesen wenigen statistischen Aufzeichnungen läßt sich ersehen, daß
die Gefahr eines plötzlichen Todes in der Äthernarkose nicht so groß ist wie
bei der Chloroformuarkose, denn mau hat bei den modernen Äthernarkosen
ein Verhältnis von 1 : 5000 aufgestellt und manche Autoren haben noch bessere
Resultate zu verzeichnen, wie im Hotel Dieu in Lyon bei 40000 Äthernarkosen
nicht ein Todesfall beobachtet worden ist. Dieser Umstand hat auch schon
in früheren Zeiten, als man nur ein Verhältnis von 1 : 3000 annahm, dem Äther
und ebenso auch jetzt viele Freunde und Anbänger gewonnen, welche den-
selben ohne Konzessionen dem Chloroform vorziehen (Julliard, Garre,
Wanscher, Großmann etc.). Was aber die Folgen der Äthernaikose an-
langt, so ist nur schwer ein Unterschied zugunsten des Äthers gegenüber
dem Chloroform zu finden, denn die doch immerhin noch recht oft auftretenden
Lungenerkrankungen nach der Ätheruarkose bilden eine ebenso schwere Gefahr
für den Krauken wie der ev. eintretende protrahierte Chloroformtod. Darüber
soll weiter unten des genaueren gesprochen, und hier nur dieser Umstand er-
wähnt werden.
Die Ätherwirkung kommt genau so zustande, wie die Chloroform-
narkose, der Äther wird durch die Lungen in das Blut aufgenommen und nach
dem Gehirn transportiert. Auch die Ausscheidung des Äthers geht genau so
vor sich wie bei Chloroformnarkosen. Ein großer Teil des Äthers wird durch
die Lungen wieder ausgeschieden. Noch Stunden und Tage nach der Äther-
narkose kann man m der Exspirationsluft des narkotisierten Menschen Äther
nachweisen, selbst der betr. Kranke riecht und schmeckt noch in den Stunden
nach der Narkose die exspirierten Äthermengen, und diese Ausscheiduug dauert
— 373 —
je nach der Liinye der Xarkose Stuudeii bis zu drei und vier Tagen nacli der
Betäubung' an, bis die letzten Mengen den Organismus verlassen haben. Auch
in den Sekreten der Drüsen finden sich nach der Narkose kleine Äthermengen,
die aber genügend sind, um gelegentlich Beschwerden zu verursachen, so raft
im Magen der ätherhaltige Magensaft Erbrechen hervor und dieses Erbrechen
kann sehr hartnäckig sein. Da ja in den verschluckten Speichelmassen in
allen neu sezernierten Mageusaftmengen Äther enthalten ist, so wird immer
nacli dem Erbrechen innerhalb kurzer Zeit wieder derselbe Reiz auf die Magen-
nerveu ausgeübt, wodurch lange Zeit anhaltendes lästiges Erbrechen entstehen
iann. Man begegnet diesem Erbrechen auf zweierlei Art am besten. Erstens
spült man den Magen mit physiologischer Kochsalzlösung aus, welche
Magenspülung ev. noch mehrere Male wiederholt werden muß. Immerhin ge-
nügt in vielen Fällen eine Magenspülung, um das Erbrechen zu heben. Ein
anderes Mittel besteht darin, daß man die Magennerven weniger empfindlich
macht, so daß sie auf den Reiz des Äthers nicht so leicht reagieren. Mau gibt
zu diesem Zwecke Kokain und Morphin zusammen in Tropfenform. Die Tropfen
helfen in diesen hartnäckigen Fällen sehr gut, denn hier besteht meist eine
Überempfindiichkeit der Magennerven, und diese wird durch die Tropfen be-
seitigt. In vielen Fällen vs^ird aber das Erbrechen nur durch die im Magen
angesammelten sehr stark ätherhaltigen Saftmengen hervorgerufen und sistiert
sofort nach der ersten Magenspülung. Einen großen Teil des Äthers entfernen
die Nieren aus dem ( »rganismus, im Harn gelöst und auch chemisch gebunden.
Der Äther hat neben seinem niederen spezifischen Gewichte und seinem niedrigen
Siedepunkte auch die Eigenschaft, sich sehr leicht in Wasser und Ölen zu lösen
und ebenso leicht diese Lösung wieder zu trennen. Dieser Umstand ver-
leiht dem Äther den Vorzug vor Chloroform, daß er nicht kumulierend
wirkt, wenigstens nicht so stark kumulierend wie Chloroform. Die kumu-
lierende Eigenschaft entsteht dadurch, daß infolge der Löslichkeit des
Narkotikums in den Cholestearin-Lecithingemischen immer mehr Mengen hin-
zukommen, während noch früher in den Körper gelangte Mengen in den-
selben enthalten sind, so daß in diesen Gemischen eine nach dem Lösungsver-
mögen höchst konzentrierte Lösung entstehen kann, wenn immer mehr des
Narkotikums dem Organismus zugeführt wird. Bei Chloroform, welches
schwerer wieder aus den Gemischen abgegeben wird, kann auf diese Weise
eine zu hohe Konzentration leicht eintreten, eine Lähmung der Zentren. Bei
Äther hingegen sind die Lösungsverhältnisse sehr locker, es wird während der
Inspirationen immer Avieder viel Äther abgegeben, und zwar kommt dabei vor
allem der Harn, Schweiß und die Sekrete der Drüsen in Betracht, daß die
anfangs inspirierten Äthermengen den Organismus schon wieder verlassen,
wenn wenige Sekunden verflossen sind. Somit kann, wenn immer die gleiche
Konzentration der Ätherdampfluftgemenge inspiriert wird, so leicht nicht eine
höhere Konzentration als erlaubt ist in den Cholestearin-Lecithingemischen
entstehen. Es muß natürlich stets die gleiche Konzentration des Narkotikum-
luftgemenges zur Atmung verabreicht werden, denn sonst kann natürlich eine
Überdosierung sofort eintreten, wenn man stärker konzentrierte Gemenge ver-
abreichen wollte. Die kumulierende Eigenschaft besteht nur dann, wenn bei
gleicher Konzentration die Lösungsverhältnisse sich .. vergrößern infolge der
größeren Lösungsfähigkeit des Narkotikums. Infolge der Eigenschaft, sich schneller
— 374 —
Tiud leichter ans den Lösungen abzutrennen, ist der Äther Tiel weniger ge-
fährlich, als Chloroform, denn die kumulierende Eigenschaft verursacht leicht
Lähmungen der lebenswichtigen Zentren. Diese Steuerung im Organismus wird
nun besonders durch die Nieren bewirkt. Während der Narkotisierte in
der Exspirationsluft Äther aufnimmt, und sich je nach der Konzentration
der Ätherdampfluftgemische eine entsprechende Konzentration der Ätherdämpfe
im Blut zu bilden sucht, führen die Nieren gewisse Mengen von Äther wieder
aus dem Blut fort, auch die Drüsen und die Haut entfernen Äthermengen. So-
mit kann mau nie ganz genau die Konzentration der Ätherdampflösungen im
Blute bestimmen. Immerhin sind aber während der Narkose die durch die
Nieren abgesonderten Äthermengen nur gering, auch die auf anderen Wegen
■den Organismus verlassenden Ätherdärapfe repräsentieren nicht viel. Be-
sondere Wichtigkeit erhalten diese Prozesse der Eliminierung aus dem Organis-
mus erst, wenn Äther nicht mehr durch die Lungen zugeführt wird. Dann ist
vor allem die Zeit angebrochen, wo die eliminierenden Funktionen in Tätig-
keit zu treten haben.
Bei der Eliminierung des Äthers aus dem Organismus muß mau auch
<las Blut beachten, welches bei der Operation verloren gelit, denn durch das-
selbe werden ebenfalls Mengen von Äther aus dem Organismus entfernt, je
nach der Menge des Blutes. Es kommt dies vor allem in Betracht, wenn bei
■Operationen, in der Entbindung etc., plötzlich einmal eine große Menge Blut
aus dem Gefäßsystem fließt. Dann kann der Kranke ganz plötzlich erwachen,
weil die Konzentration des Äthers im Blute schnell geringer wurde. Der
Narkotiseur muß mit solchen Umständen rechnen.
Die Dauer der Äthernarkose ist insofern, als man die Dauer bis zum
Erwachen des Kranken aus der Narkose versteht, eine kürzere, als bei Chloro-
form, was wiederum in Zusammenhang mit der narkotischen Kraft, resp. der
leichteren Trenmmg der Lösungsverhältnisse des Äthers mit den Cholestearin-
Lecithingemischen der Ganglienzellen oder mit dem Blutplasma steht. Der
mit Äther narkotisierte Mensch erwacht viel schneller aus der tiefen Narkose
als bei Chloroform. Die Mengen des Äthers, welche zur Narkose gebraucht
werden, sind ja hohe und da nun die Lösungsverhältnisse leicht getrennt
werden, also auch viel Äther aus dem Organismus eliminiei't wird, so genügen
nach Sistieren der Ätherzufuhr die im Organismus noch kreisenden Äther-
mengen nicht mehr, um Toleranz zu erzeugen, nach wenigen Minuten erwacht
•der Kranke. Die Zeit von der letzten Dosis, die verabreicht wurde, bis zum
Erwachen des Narkotisierten ist bei Äther viel kürzer, \.,mal so kurz, als bei
Chloroform.
Was nun die Dauer der Äthernarkose in bezug auf die Möglichkeit der
Toleranzerhaltuug anlangt, so kann man keine bestimmten Zahlen nennen,
man kann die Narkose stundenlang führen, man hat Patienten zwei Stunden
und noch länger ätherisiert. Für die meisten Fälle wird ja eine ^/.^ — ^/^ stündige
tiefe Narkose genügen, doch es gibt auch Operationen, welche längere Nar-
kosen erfordern, bis 2 und 2^/., Stunden hat wohl schon jeder Chirurg Kranke
narkotisiert. Es hängt ja ganz von den körperlichen Verhältnissen ab, wie
lange man die Narkose ausdehnen darf, es werden nur zu oft während der
Betäubung Umstände auftreten, die einem längeren Narkotisieren eine Grenze
.setzen. Somit muß jeder Arzt vorher den Krauken genau untersuchen und
— :57ö —
nach dem (iesuu(llieitsz\istiiii(lc die L»auei' der Narkose abschätzen, resp. ein
rrteil fällen, ob der Kranke die geplante voraussichtlich so und so lange Zeit
liir die Narkose erfordernde Operation aushalten wird.
Die Zeit, welche von der ersten Athergabe bis zum Eintritt der Toleranz
verläuft, ist angegeben worden. Dieselbe ist aber auch ein recht relativer
Begriff, denn sie ist von zu vielen Umständen, vom Kranken selbst (Alkoholiker,
Neurastheniker etc.), vom Arzt und dessen ^Methode der Betäubung abhängig.
Immerhin kann man für gesunde, normale Personen bei vorsichtiger Technik
der Narkose Zahlen ermitteln, so hat Körte 7,5 Minuten als Mittel vom ersten
Atemzug unter der Maske bis zum Eintritt der Toleranz berechnet und zwar
waren bei seinen Fällen bei 156 Narkosen 7 Minuten, bei 104 10 Minuten und
in 40 10 — 20 Minuten vergangen. Nach anderen Autoren sind 3 Minuten
(Butter), 4,8 Minuten (Fueter), 13 Minuten (Vallas) etc., als Zeitdauer bis
zur Toleranz gefunden worden. Garre gibt als Mittel 4 Minuten an, doch setzt
er hinzu, daß dies nach den verschiedeneu Methoden der Darreichung natür-
lich verschieden ist. so beobachtete man bei Anwendung der Genfer Methode
als kürzeste Zeit bis zum Eintritt der Toleranz 1 Minute, als längste
12 — 16 Minuten. Nach anderen Methoden ist die Durchschnittszeit auf 14 Minuten
berechnet worden. Genauere Untersuchungen über diesen Punkt haben ergeben,
daß ein Hund, wenn man ihm ein Atherluftgemisch von 20 g Äther auf 100 1
Luft verabreicht, nach Einatmung dieses Gemisches von der Dauer einer
halben Stunde, also 30 Minuten narkotisiert ist, der Tod tritt nach 2 Stunden
der konstanten Einatmung bei dieser Konzentration der Gasgemenge ein, läßt
man aber ein Gemisch von 50 g Äther auf 100 1 Luft dem Hunde einatmen.
so wird er nach 1 — 2 Minuten in die tiefe Narkose verfallen und nach 30 Minuten
sterben (Overton). Da man nun den Hund in dieser Hinsicht direkt mit dem
Menschen gleichstellen kann, so sieht man, daß der Mensch einer bedeutenden
Gefahr ausgesetzt ist, wenn er ein Luftäthergemisch von 50 g : 100 1 Luit einzu-
atmen erhält, er wird nach 30 — 40 Minuten sterben, wenn die Konzentration nicht
herabgesetzt wird. Man wird nun, wenn man einen Menschen ätherisiert, die
Konzentration der Dampfgemische ändern je nach Bedarf. Aber man wird
bei vorsichtiger Methode, namentlich bei der Tropfmethode, 10 bis event.
15 Minuten Zeit bedürfen, um die Toieiauz zu erreichen. Es ist auch
beim Äther die Beobachtung vor allem auf die Augen des Kranken zu richten,
da die Pupillen den Grad der Ätherwirkung genau, wie früher schon erörtert,
angeben. Es ist aber auch behauptet worden, die Pupillen geben bei der
Äthernarkose keinen Aufschluß über die Tiefe der Narkose (Hankel,
Bergson etc.). Kappeier hat bei 150 Fällen im Anfang der Äthernarkose
eine Erweiterung der Pupille gefunden, gewöhnlich schon nach den ersten
Atemzügen. Eine Verengerung will er nur in 37 Fällen gesehen haben. Bis-
weilen will er auch die im weiteren Verlauf in der Toleranz auftretende Ver-
engerung der Pupille noch nach dem Erwachen weiterbestehen gesehen haben..
Neeb hat die Pupillen nach Abnahme der Maske meist eng gefunden, oder
wenigstens etwas verengert, doch mit Reaktion auf Lichteinfall. Wenn man
diese verschiedenen Angaben übersieht, so wundert mau sich ob ihrer unge-
wöhnlichen Angaben, man muß aber bedenken, daß der Äther namentlich bei
Verwendung der Genfer Methode mit der J uUiard sehen Maske die Augen
sehr beeinflussen konnte, er übte starke Beize auf dieselben aus und so mögen
— 376 —
die auormaleu Befunde zu erkläreu sein. Die Bulbi finden sich meist nach
innen oben gestellt (Bergson, Dieffenbach etc.), auch hat mau das soge-
nannte Wandern der Bulbi bisweilen beobachtet. Was nun das Verhalten der
Pupillen anlangt, so ist dasselbe genau so, wie es im allgemeinen Teile beschrieben
und erörtert wurde, für alle Narkotika typisch. Auch in der Athernarkose
beobachtet mau das Straßmanusch e Phänomen und soll die Narkose indem
Stadium, wo dieses Phänomen vorhanden ist, erhalten (Flockmaun, Witzel,
Mikulicz etc.).
Wenn man nun das Alter des zu narkotisierenden Patienten prüft, so hat
mau im allgemeinen die Regel aufgestellt, zu Juuge und zu alte Individuen
sollen nicht mit Äther betäubt werden.
Zieht man zunächst einmal das kindliche Alter in Betracht, so kann
man wohl zugeben, daß man ein Kind unter ü Monaten nicht gern narkotisiert,
allerdings ebensowenig mit Äther wie mit Chloroform. ]\lan hat augegehen,
bei Kindern frühen Alters häufig Atemstillstand in der Athernarkose beobachtet
zu haben. Es kommt nun allerdings, wie man auch au jungen Katzen etc.
nachwies, in der Äthernarkose leicht zu Apnoen auch bei jungen Kindern,
aber diese Apnoen lassen sich stets durch die bekannten Mittel wieder be-
seitigen (Arloing etc.).
Rowell hat genaue Untersuchungen bei Kindern angestellt und hebt
zunächst hervor, daß Kinder im allgemeiuen die Narkose weit besser vertragen
als Erwachsene und Todesfälle in der Narkose seltener vorkommen als bei
Erwachsenen, weil wegen der größereu Elastizität des kindlichen Tborax und
der größeren Widerstandskraft des Herzens üble Zufälle durch die gewöhn-
lichen Mittel leichter abzuwenden seien. Todesfälle beruhen in der Narkose
fast stets auf üeberdosierung. Der Aether ist zur Einleitung der Narkose
wegen seiner Reizwii'kung auf die Schleimhäute des Respirationstraktus nicbt
g:ut verwendbar. Mau kann die Narkose mit Stickstoffoxydul beginnen, und
dann ist der Aether nach Rowell ein vortreffliches Mittel, um die Narkose
weiter zu erhalten. Er hat mit seiner Methode sehr gute Resultate bei
800 Kindern erzielt und sogar ein erst wenige Stunden altes Kind wegen
Atresia aui mit Erfolg operiert. Er erkennt das Stadium tiefer Narkose bei
Kindern, da sich die Symptome der Pupillen, Augeu etc. oft schlecht prüfen
lassen, auf andere Art. Er hat gefunden, daß eiu Kind, wenn es dem Er-
wachen nahe ist. von selten der Respiratiousorgaue sofort reagiert, wenn man
ihm plötzlich stärkere Aetherdämpfe zu atmen gibt. Ist es tief narkotisiert,
so tritt eine Reaktion seitens der Respirationsschleimhäute nicht auf.
Dem entgegen glaubt Stoß, daß sich bei Kindern die Salivation weniger
bemerkbar und gelteud mache als bei Erwachsenen.
Dumont hat Kinder vom vierten Tage an ohne Schaden ätherisiert. Er
hat von 271 Kindern 162 ohne jede Nachwirkung ätherisiert, und hält ein
Lungenleiden als Kontraiudikatiou bei Kindern für den Aether. Fueter
hält die Dentitionsperiode nicht für eine Kontraindikation der Narkose und
will die vermehrte Salivation durch kleine Aetherdosen vermeiden.
Das Chloroform wirkt bei lündern gefährlicher, indem es Synkope hervor-
ruft, der man meist machtlos gegenübersteht. Deshalb wird man Äther vorziehen.
C 0 m t e hat bei sehr vielen Fällen nachgewiesen, daß bei eintretender Apnoe schon
das einfache AVegnehmen der Maske, Bespritzen des Gesichtes mit Wasser ge-
nügen, um die Atmung wieder anzuregen. Stoß hat bei 200 Äthernarkosen au
Kindern nie unangenehme Nebenwirkungen und Erscheinungen während und nach
der Narkose gesehen. Rosenfeld erwähnt dem entgegen zwei Fälle, bei denen er
die Kinder von unter 6 ]\lonaten nicht mit Äther betäuben konnte, selbst Dosen
von Äther, die für einen Erwachsenen vollkommen zur Erzeugung von Narkose
— :}77 —
genügt hätten, seien niclit iui.stande gewesen, Narkose bei den Kindern zu
erzeugen. Dies ist wnlil aber nur als eine Ausnahme zu betrachten und man
kann sagen, das eine gut geleitete Atbernarkose auch bei sehr kleinen Kindern
angewandt werden darf, wenn es eben unumgänglich ist, zu narkotisieren.
Jedenfalls ist Äther dem Chloroform nach Ansicht der meisten Autoi-en vor-
zuziehen (Tavel, Stoß, Dumont etc.).
Es ist natürlich bei Kindern die größte Vorsicht zu üben und man
braucht nur ganz geringe Mengen Äther, um das lüiid zu betäuben. "Wie
wenig Äther schon eine Narkose bei einem kleineu Kinde hervorrufen kann,
zeigt der von mir beobachtete Fall, wo ein 1 Jahr altes kräftigem Kind, das
an einem Nabelbruch litt und zur Heilung einen Heftpflasterverband erhalten
hatte, in Narkose verfiel, weil es ein klein wenig des Äthers, den ich zum Ab-
lösen des Heftpflasters verwandte, eingeatmet hatte. Es wurde sofort voll-
kommen tief narkotisiert, zum Schreck der Mutter, erholte sich aber bald.
Obwohl ich mich vorgesehen, und nur ganz wenig Äther verwendet hatte, so
war doch eine genügende Menge in den Organismus gelangt. Es ist bei der
Narkose bei Kindern am besten, wenn mau sie nur halb narkotisiert, so daß sie
nur eben betäubt sind. Ein wenig Schreien oder Bewegungen schadet nichts,
wenn es nicht gerade die Operation stört. Es ist mir bei einer großen Zahl
von Kindern, die ich mit Äther narkotisiert habe, nie ein Unfall passiert.
Bei sehr alten Personen hingegen ist eine größere Gefahr vorhanden,
und es kommen verschiedene krankhafte Zustände in Betracht, die ev. eine
Atheruarkose verbieten werden. So beschreibt Schneider einen plötzlichen
Todesfall in einer Äthernarkose bei einem Manne von ca. 60 .fahren, der, nach-
dem er 50 ccm Äther erhalten hatte, starb, indem Herzschlag und Respiration
zugleich sistierten. Die Sektion ergab, daß ein allgemeiner geschwächter Ge-
sundheitszustand bestanden hatte, hervorgerufen durch Emphysem, Hypertrophie
und Dilatation des Herzens, Stauungshyperämie der Lungen, Cirrhosis
hepatis etc. Aus diesem Befunde geht hervor, daß die Äthernarkose genügte,
um die Kraft des Organismus noch gaoz zu vernichten, es bestand eben in-
folge der organischen Veränderungen nur eine so geringe Widerstandskraft
des Organismus, daß eine Atheruarkose nicht mehr ausgehalteu werden konnte.
Es hätte vielleicht hier jede andere Anforderung an besondere Kraftleistung
des Organismus ebenso wie die Äthernarkose genügt, um Exitus hervorzurufen.
Die Arteriosklerose ist schon weiter oben erwähnt worden. Dieselbe bietet
in sehr ausgeprägtem, fortgeschrittenem Zustande ein günstiges Feld einerseits
für die Fettmetamorphose in den Gefäß wandungeu des (iehirns, andererseits
wegen der Entstehung von Apoplexien infolge Ruptur der sklerotisch ver-
änderten event. noch fettmetamorphosierten Gehirnarterien (Kapsammer,
de Querrain, Sänger etc.). Natürlich muß man auch hierbei individuali-
sieren, denn es wird nur selten eine so hochgradige Arteriosklerose vorhanden
sein, daß sie eine kurze Narkose mit Äther verbietet. Ist die Arteriosklerose
hochgradig, so muß man die Narkose nach Möglichkeit abkürzen, vorsichtig
dosieren, jede Excidation vermeiden etc., dann wird man in den meisten Fällen
noch alte Leute mit Äther betäuben können. Haben doch Versuche von
Käpsammer gezeigt, daß auch eine Operation ohne Narkose für alte Leute
sehr gefährlich ist, auch wegen Apoplexie, da eine starke Blutdrucksteigerung
entsteht.
— 878 —
Auch Empbj^sem und sonstige Luiigenleiden sind bei alten Leuten
Kontvaindikationen tür die Äthernarkose, wie sie es überhaupt sind, go mui]
man bei jedem Falle die Verhältnisse prüfen und beurteilen, ob der Kranke
noch eine Narkose mit Äther aushält. Doch hat man auch Leute über 80 Jahre
alt mit Äther ohne Nachteil narkotisiert.
Ganz abgesehen von dem Lebensalter gibt es gewisse Zustände, welche
die Äthernarkose verbieten, wenigstens in gewissen Fällen und Verhältnissen
Tinmöglich machen, es gehören hierzu die verschiedenen Konstitutiousanomalien.,
wie die tuberkulöse, ski-ofulöse, anämische, alkoholische, nervöse und lymphatische
Konstitution. Je nach Stärke der jen'eiligen pathologischen Zustände bilden
diese Konstitutionen an sich Kontraindikationen, freilich meist nur in den
höchsten fortgeschrittenen Zuständen, und dann verbieten sie meist jede Narkose.
Aber der Arzt muß die Gegenwart solcher in diese Kategorie gehörender
pathologischer Zustände erkennen, um in der Narkose dieselben zu berück-
sichtiger und so Gefahren vorzubeugen. In den meisten Fällen wird man
eine Äthernarkose hierbei noch mit geringerer Gefahr vornehmen können, als
andere Narkosen, wie vor allem solche mit Chloroform. Der Äther ist bei
diesen Zuständen weniger gefährlich, weil er nicht so schAver schädigend auf
das Herz einwirkt, wie die meisten anderen Narkotika, und Aveil gerade diese
pathologischen Verhältnisse meist mit geschwächten, affizierteu Herzen einher-
gehen. Nur bei jenen Konstitutionsauomalien. wo schwere Luugenleiden (Tuber-
kulöse, skrofulöse Konstitution) bestehen oder vorhanden zu sein scheinen, ist
Äther absolut zu vermeiden und ein anderes Mittel zu wählen. Im übrigen
kann eine vorsichtige Technik viel Gefahr verhüten.
Das Geschlecht bietet gegenüber der Äthernarkose wenig Unterschiede
bezüglich dein weiblichen und männlichen. Es ist nur festzustellen, daß
Männer meist \iel schwerer zu ätherisieren sind als Frauen, und dies beruht
einmal auf der größeren Widerstandskraft des Mannes gegenüber diesen
Körpern im allgemeinen, andererseits aber auf den Gewohnheiten der meisten
31äuner, viel oder nur regelmäßig Alkohol zu sich zu nehmen und zu rauchen.
So ist es bisAveilen unmöglich, einen Alkoholisten mit Äther zu betäiiben, er
bekommt sehr starke Excidation und verfällt bisweilen sehr schwer in die
Toleranz. Dann muß man andere Mittel zu Hilfe nehmen. Die Frau ist be-
deutend leichter zu betäuben, sie braucht Aveniger Äther, weniger Zeit bis
zum Eintritt der Toleranz etc. Bei guter moderner Äthernarkose darf bei
einer Frau keine Excidation auttreten und l)ei einem Nichtalkoholiker (Mann)
nur eine sehr geringe. Auch in der Geburt sind die Frauen sehr leicht zu
narkotisieren und ist der Äther dabei sehr brauchbar. Daß der Äther bei
langer Narkose einer Schwangeren auch in den Kreislauf des Kindes in utero
übergeht, ist nachgewiesen Avorden. Man darf daher scliAvangere Frauen nicht
lange ätheresieren. Auch in die Milch der stillenden Frauen geht der Äther
über. Allerdings ist der Äther, hinsichtlich dieser beiden Umstände, nicht
so gefährlich AAde das Chloroform, da der Äther ja nicht ein so starkes Nar-
kotikum darstellt, es wird daher das Kind in utero nicht so leicht getötet,
das Kind durch die Milch nicht so leicht geschädigt werden, Avenn die Illutter
mit Äther narkotisiert AA'ürde. Eine kurze Narkose wird auch hier nur in den
seltensten Fällen Schaden bringen. Daß gerade bei dem weiblichen Individuum
die Äthernarkose eine sehr brauchbare und für die Kranken angenehme Methode
— 379 —
(larstclll. scliiklert Pf annen stie 1 , tU-v die Uetäubuug mit Äther stetb uei den
von ihm operierten Frauen angewendet liat und nie über zu mangelhafte
Toleranz zu khigen hatte. Daß natürlich bei 31änneru die Verhältnisse nicht
so einfach liegen, das ist leicht erklärlich, immerhin kann man dci:. Li teil von
Pfannenstiel, Knoblauck u. a. nur beistimmen, welohe behaupten, daß der
Mangel an dieser Narkose durch Äther nicht in allen Fällen und Beziehungen
dem Äther zur Last zu legen ist, sondern der Methode der Verabreichung, da
mau durch entsprechende Dosierung und Technik der Äthernarkose sehr viel
zur Erreichung einer für alle Operationen, selbst auch Laparatomien geeigneter
Betäubung beitragen kann. Nur wenige Fälle gibt es, wo infolge Alkoholismus
oder anderer Umstände die Ätherwirkung erschwert und vermindert wird, wo-
durch die Toleranz bisweilen nicht zu erreichen ist. So kann mau z. B. Ärzte,
die bei Narkosen oft und viel Äther einatmen, ev. nicht oder nur schwer
narkotisieren, da sie zu sehr infolge der Gewöhmmg an den Äther wider-
standsfähig geworden sind. Dies sind aber nur Ausnahmefälle und man hat
Mittel und AVege, um auch danu die Äthernarkose genügend tief zu ge-
stalten, vor allem durch die vorher vorzunehmende Morphininjektion. Im
Anschluß an diese Betrachtungen sollen noch kurz einige Worte über die
Kontrain dikationeu der Äthernarkose augefügt werden. Wenn man für die
Chloroformnarkose eine Reihe von Fällen und Krankheiten anführen konnte,
w'elche mehr oder minder strikte die Vornahme der Narkose verbieten, so kann
man für die Äthernarko.se nur bedeutend weniger pathologische Zustände,
Veränderungen im Organismus oder dergleichen Krankheiten als kontraindiziert
anführen. Man kann wohl sagen, daß der Äther auch Gefahren für das Leben
des Ki'ankeu mit sich bringt während der Betäubung, allein dieselben sind
nicht so häufig und nicht so sehr zu fühlen, da dem Äther nicht die schwer
schädigende Einwirkung auf das Herz in dem Maße zuteil wird, wie dem
Chloroform und da der Äther eine größere Narkosenbreite besitzt Hingegen
sind die indirekten Lebensgefahren, die, welche zunächst nur eine Schädigung
der Gesundheit des Kranken bedingen, also Gefahren quoad valitudinem, beim
Äther nicht zu unterschätzen. Zu den erstereu gehören bekanntlich die
Apnoen und Synkopetodesfälle Avährend der Narkose, z\i den letzteren die
Pneumonien nach derselben.
Hieraus geht hervor, daß mau als Kontraindikationen der Äthtrnarkose
weniger die Herz- als die Lungeuleiden anzusehen hat. Ja man kann sagen,
daß man eine leichte und kurze Äthernarkose bei manchen Herzkranken, die
eine Chlorofornmarkose nicht überstehen würden, ohne Nachteil für den Kranken
vornehmen kann. Hierher sind vor allem Klappenfehler, Pericarditische Ver-
wachsungen, Myocarditiden etc. zu rechnen. Lauge Äthernarkosen bieten natür-
lich dabei auch Gefahren und man soll bei Fettmetamorphose des Herzens, sei
die Ursache derselben welche sie wolle, und sei die Fettmetamorphose nicht ganz
geringen Grades vorhanden, eine lange Äthernarkose vermeiden, hierher gehören
eben alle die schweren Zustände, die überhaupt keine Narkose mehr erlauben,
und wo das Herz Veränderungen erlitten hat, die auch durch die Ätherwirkung
vermehrt werden können. Der Äther kann ja bei langer Einwirkung ebenfalls
Fettmetamorphose in Herz, Leber und Nieren etc erzeugen. Kurze, nur ober-
flächliche Narkosen wird man aber in vielen Fällen mit Äther ohne Gefahr vor-
nehmen dürfen, auch wo solche Ziistände bestehen. Man muß nur streng indi-
— :]8() —
vidualisieren, und muß geuau erforschen, wie der Org-anisinus beschaffen ist, und
ob die Atherwirkung noch ertrag'eu werden wird.
Sehr große Gefahren bieten die Luug-enleiden (Gunuiug, Stanley',
Bord, Starling-, Blake etc.). E'^ ist das schon oben erörtert. Schwere
Tuberkulose, Bronchitis chronica, Pneumonien, Phthise etc. sind strikte Kontra-
indikatioueu. Leichte Tuberkulose kann auch schwere Gefahren bringen, doch
kann man bei Beachtung aller Vorsichtsmaßregeln eine kurze Narkose wagen.
Leber- und Xierenleiden sind nur in dem höchsten Grade und letzten,
s chwersten Stadium der Krankheit Kontraindikationen, bei leichteren Fällen
wird meist eine kurze Narkose mit Äther gut A^ertrageu (Leppmanu, Käst,
Mester etc.). Natürlich muß man die Krankheit kennen und berücksichtigen,
damit man die Narkose darnach einrichtet.
Alle diese Ka-ankheiten sind mehr oder weniger als Kontraindikationen
zu betrachten, viel kann man die Gefahr vermindern, indem man die Narkose
nach Möglichkeit kürzt, beschränkt, oberflächlich leitet und vorsichtig dosiert.
Die Technik kann viel die Gefahren vermindern und so ist es gekommen, daß
es Chirurgen gibt, die für Äther nur wenig Kontraindikationen kennen, die auch
bei schweren Fällen der genannten Leiden mit Glück ätherisiert haben, die im
Vertrauen auf ihre gute Technik dennoch Narkosen mit Äther wagen, wo mancher
andere die Narkose vermeiden Avürde. Jeder muß eben wissen, wieviel er sich
zuti-auen darf, er muß aber dabei auch ganz die Technik beherrschen, dann wird
er auch von Fall zu Fall entscheiden, ob noch eine Äthernarkose möglich ist
oder nicht und er wird oft noch eine leichte, kurze Betäubiing ausführen können,
wo ohne die beste Technik dies nicht möglich gewesen wäre. So hat man sogar
die Meinung gefunden, der Äther sei völlig gefahrlos und man hat dem-
selben zugunsten gerechnet, was ihm nicht gebührt. Auch er hat üble
Wirkungen, auch die Äthernarkose bringt Gefahren mit sich. Gefahren, die nicht
zu unterschätzen sind, wenn sie auch geringer sind, als vielleicht bei der Chloro-
formnarkose. Aber auch dies ist nicht so ohne weiteres zu behaupten, denn auch
beim Chloroform läßt sich viel Unheil durch die gute Technik vermeiden, wie
früher erörtert wurde. So ist aus dem Gesagten zu ersehen, daß die Technik
der Äthernarkose von sehr großer Bedeutung ist und dieselbe soll in den nächsten
Abschnitten behandelt werden.
§ 6. Zu einer guten und einwandfreien Technik gehört eine sachgemäße
Vorbereitung des Kranken in den Tagen, welche der Narkose vorausgehen. Es
ist schon früher des genaueren im Allgemeinen Teil die Vorbereitung des Kranken
für eine Narkose besprochen worden und die dort angeführten Daten und Vor-
schi'iften sind in jedem Falle vor einer Äthernarkose strikte zu befolgen. Was
aber aus allen diesen Vorschriften besonders hervorgehoben werden muß, das
ist die Pflege des Mundes und der Nase an den Tagen vor der Narkose. Es
ist beim Besprechen der postätherischen Lungenleiden des genaueren auseinander-
gesetzt worden, weshalb man den Mund peinlich reinigen muß. Dies hat zu ge-
schehen mit Zahnbürste und Mentholwasser, oder mit Sol. Kali chlorici oder, Kali
hypermang. etc. Ferner muß die Atemgymnastik dem Ki-anken eingeübt werden,
damit er nach der Narkose dieselbe schon kennt. Diese beiden Vorbereitungs-
methoden in Rücksicht auf etwaige später eintretende Lungenleiden sind gerade
bei der Äthernarkose von ganz besonderer Bedeutung, da ja bekanntlich die
— :581 —
Hauptgefalir in di'ii iiostnai kotischen JAiii<i(.'ulci(lon Lieschen werden niiil). Daher
ist besondere Ohacht auf die.selb(!n zu nehmen.
I)aneben wird natVirlicIi der Rest der Vorbereitungsvorsdiriften eben-
falls zu licachteu sein, auch die Digita1is-Stroph;iiithus-Medikation ist A'or der
Athornarkose sehr anzuraten, damit die Niereniuuktion uiul H(^rztätigkeit kräftig
erhalten wird.
Was di<^ Beschaffenheit des Magens und Darmes anlangt, so soll der-
selbe nicht ganz leer sein, eine Tasse Tee mit Rotwein darf noch 1 — 2 Stunden
Yor der Narkose genossen werden. Wenn nicht die Operationen andere ^'or-
schriften verlangen, wird man kurz vor einer laugen Narkose eine Magensplilung
vornehmen. Dieselbe vei-hindert das Erbrechen und es werden dadurch noch
et.Avaige Speisereste aus dem Magen entfernt, die bei häufigem Erbrechen in der
Narkose im Falle, daß eine ülagcnspülung versäumt wurde, unangenehme Er-
scheinungen bewirken können, wie durch Aspiration derselben in die Lunge etc.
(Gant, Witzel. Hofmann, Kuoblanck etc.). Der Darm wird am besten
durch Abführmitt(il und P^inläufe entleert, was wegen Operationen im Abdomen
meist erfoi'derlich ist.
Weiter wird man gerad(i bei der Ath{n-narkose in vielen Fällen gut tun,
wenn man '/^ Stunde vor derselben in jenen Fällen, wo besondere Wider-
standskraft gegen dieselbe von selten des Patienten erwartet wird, z. B. bei
Männern, bei Alkoholikern etc., eine Morphininjektion vornimmt. Es ist auch
angeraten worden, Atropiu dem Morphin beizugeben (Eeinhard, Hof mann etc.).
Reinhard gibt den Rat, ^'4 — 1 Stunde vor der Athernarkose von der Lösung,
Morphin mur. 0,2, Atropin sulf. O.Ol, Aqua dest 10,0, je V» — 1 fem zu injizieren.
Diese Lösung soll vor allen Dingen die vom Äther hervorgerufene starke Sali-
vation vermindern. Er gibt au, seit der Verwendung dieses Jlittels keineLungen
erkrankungcu nach Narkosen mehr gesehen zu haben. Über die Kombination
des Äthers mit Morphin und Atropin wird auf ein besonderes Kapitel des
späteren Teiles dieses Buches verwdesen. Hier sei nur bemerkt, daß eine
schablonenhafte Anwendung dieser Injektion nicht anzuraten ist, sondern daß
mau nur in den F'ällen von derselben Gebrauch machen soll, wo man einerseits
stärkere Exzitatiou, andererseits vermehrte Salivation resp. besonderen Neigung des
Kranken zur lebhaften Speichelabsonderung erw^arten muß. Eine Morphin-
injektion geringen Grades, also 0,002^ — 0,008, w4rd ohne jeden Schaden und nur
zum Nutzen vorgenommen werden können.
Weitere Vorbereitung des Kranken ist nicht in besonderem Maße zu treffen,
und man beachte nur noch die früher angeführten allgemeinen Ratschläge für
jede Narkose.
Ehe die Technik der Narkose an sich behandelt w^erden kann, muß noch
in dem Folgenden die Lagerung des Kranken erörtert werden. Es ist von
ganz besonderer Bedeutung für die Äthernarkose, wie der Kranke liegt, und mau
wird in den Fällen, wo die Operation an sich nicht besondere Forderungen
bezüglich der Lagerung des Kranken stellt, eine für die Narkose günstigste
Lagerung durchführen müssen. Früher war es allgemeiner Brauch, den Kranken
in jeder Narkose auf den Rücken platt auf einen Tisch mit ein wenig erhöhtem
Oberkörper zu lagern.
Diese Art der Lage des Körpers ist entschieden für die Narkose un-
günstig. Man muß hier die Eigenschaft des Äthers, die Salivation besonders
— 382 —
stark anzuregen, im Ange haben und muß bedenken, daß während der Betäubung
der diu'ch den Eeiz des Äthers besonders stark und vermehrt abgesonderte
Speichel im Mund und Rachen bei leicht erhöhter Lage des Oberkörpers aus
dem Rachen in die Gegend des Kehlkopfs fließen wird. Solange der Kranke
noch im ersten oder zweiten Stadium der Narkose sich befindet, wii-d der noch
nicht erloschene Reflex den Patienten veranlassen zu husten und den Schleim
zu verschlucken. Tritt aber Toleranz und mit ihr Lähmung aller Reflexe auf,
soweit dieselben hier in Betracht kommen, so wird der Speichel in dem Eingang
zum Kehlkopf liegen bleiben und durch die Atmung hin- und hergeschleudert
werden, wodurch die rasselnde Atmung (Stertor) entsteht. Dabei werden aber
einerseits Schleimbläschen in großer Anzahl mit der durch die Schleim- und
Speichelmassen streichenden Luft in die Lunge mit fortgeiissen werden, die
daselbst Infektionen erzeugen können, andererseits selbst größere Schleimmengen
in den Larynx gelangen und aspiriert werden. Dadurch entstanden die früher
so gefürchteten Aspirationspneumonieu. Man war genötigt, von Zeit zu Zeit
diese Schleimmassen aus dem Kehlkopfeiugaug mit Schwämmen oder Stieltupferu
auszuwischen und zu entfernen. Die starke Salivation anregende Kraft und
Eigenschaft des Äthers bewirkt eine so große Menge solchen Schleimes,
daß man ernstlich an dessen Beseitigung denken mußte. Dabei ist in dem
Speichel oder Schleim Äther gelöst, der bei Aspiration desselben in die Lungen
daselbst die Schleimhaut schädigte und reizte. Neben der Aspiration gelangt
ein großer Teil dieses Schleimes in den Magen, woselbst er bei genügender
Menge die Magennerven durch den in ihm enthaltenen Äther reizte und dadurch
Erbrechen bewirkte. Um nun all diese Mißstände der vermehrten Schleim-
absonderung und -ansammlung im Kehlkopfeiugang zu beseitigen, hat Witzel
eine andere Lagerung des Kranken angegeben, die früher schon genau beschriebene
auf einem besonders von Witzel angegebenen und dazu konstruierten Tische
leicht zu erreichende Lagerung mit tiefliegendem Kopf und erhöhter Brust,
sowie mit forcierter dorsaler Reklination des Kopfes des Kranken (Witzeische
Lagerung). Durch dieselbe wird bewirkt, daß der Schleim aus dem Munde
des Krankau oder auch aus der Nase herausfließt. Es ist gar kein Zweifel,
daß diese Lagerung eine der besten darstellt und daß man dieselbe entschieden
verwenden sollte. Freilich muß eine Person den Kopf halten, welcher vom Tisch
herabhängt und von zwei Händen gestützt werden muß und zwar so, daß die-
jenige Person, welche hierzu bestimmt ist, sich auf einen niedrigen Schemel
setzt, den Kopf so faßt, daß die Daumen beider Hände auf der Stirn, die übrigen
Finger im Nacken als Hypomochlion liegen, und nun durch entsprechenden
Druck den Kopf stark nach hinten überbeugt, wodurch noch erreicht wird, daß
der Unterkiefer mit dem Zungeng) unde in der Toleranz nicht nach hinten sinken
und, den Kehlkopf eingang verlegend, ein Atemhindernis abgeben kann. Bei-
stehende Figur 116 zeigt die Witzeische Lagerung nach einem von Witzel
selbst gezeichneten Bilde und man kann aus der Abbildung noch das Gesagte
deutlich erkennen. Diese Lagerung hat die großen Vorzüge, daß keine Schleim-,
Äther- und Speichelmengen vom Mund aus in den Kehlkopf, die Trachea und
Lungen gelangen können, somit auch eine Infektion der Lungen erschwert
wii'd, denn die Bakterien können nunmehr nur noch in der Inspirationsluft in die
Lungen gebracht werden. Auch die Möglichkeit, daß Speichel oderSchleimbläschen,
Bakterien enthaltend, in den Luftstrom gelangen und in die Lungen transportiert
— ;5s:5 —
werden, ist sehi' g-i'riiii;-, denn die luspirationsliift streiclif jetzt, uiciitniclir durcii
größere Mengen von Speichel oder Schleim, da die geriug.steu 3Ienoeu von ver-
mehrt abgesondertem Schleim und Speichel nach außen Hießen. Aber auch der
im Kehlkopf, Aov Trachea und größeren Bronchien vermehrt abgesonderte Schleim
Hießt nicht in die Lungen zurück, sondern durch den Kehlkopf in den Rachen
Fig. llt>. Lagerung nach Witzel zur Athertropfuarkosc mit
forcierter dorsaler Reklination des Kopfes.
und von da nach außen. Es ist aber möglich, daß der im Kehlkopf vermehrt
abgesonderte Schleim Bakterien beigemengt erhalten könnte. Somit kann auch
dieser die Lungen nicht infizieren, da er ja nach außen fließt. Durch diese
Lagerung wird nun allerdings nicht verhindert werden können, daß der in den
kleineren Bronchien, Broncheoli und Alveolen ev. vermehrt von der Schleimhaut
abgesonderte Schleim in den Alveolen sich ansammelt, doch dieser ist weniger
gefährlich .
Bei sehr lange dauernden Äthernarkosen kann dieser Schleim eine be-
trächtliche Menge bilden und zu lokalen Pneumonien ohne Bakterien führen.
Meine Versuche und Untersuchungen der Lungen von lange ätherisierten
Hunden haben solche Mengen von Schleim stets nachgewiesen. Aber derselbe
verursacht keine ernsten Lungenerkrankungen. Man ersieht also, welch enormen
Nutzen diese Witzeische Lagerung gewährt. Allerdings besitzt dieselbe auck
große Nachteile, z. B. es wird eine Person zum Halten des Kopfes nötig, die
Lagerung ist den Kranken beim Einleiten der Narkose sehr lästig, weshalb man
sie erst beim Schwinden des Bewußtseins in diese Lagerung bringen sollte. Den
ersteren Nachteil beseitigt die von mir früher beschriebene Einrichtung zur Lage-
rung und Fixierung des Kopfes des Kranken. Ein Hauptnachteil ist der, daß
man einen besonderen Tisch nötig hat. Allerdings kann man dieselben Vorteile
'durch die Lagerung des Kranken auf jedem Operationstische oder sonstigem
Tische mit einem hohen Kissen unter der Lendenwirbelsäule bis zu den Schulter-
blättern und Herabhängen des Kopfes erreichen. So liegt der Kranke quasi auf einer
schiefen Ebene und der Rachen bildet den tiefsten Punkt. Man dreht dann den
— 384 —
Kopf auf eine Seite und so fiieJ.5t der iSpeichel aus dem betreffenden Mundwinkel
in ein bereitstehendes Becken. Diese Lagerung des Kranken läßt sich bei Jedem
Tisch und in jedem Zimmer einrichten. Hat man einen gewöhnlichen Tisch im
Privathause. so hilft man sich dadurch noch besonders, indem man unter die
Tischbeine gegenüber dem Kopfende des Tisches einen Fußtritt etc. stellt, der
ca. 10 — 15 cm hoch ist, so daß der Tisch dann eine schiefe Ebene bildet. Wenn
man nun noch unter den Rücken ein kleines Kissen legt, so ist die Lagerung
die denkbar günstigste.
Unterstützt wird diese Lagerung durch die Beckenhochlag(^nmg, die man
ja bei Operationen im Abdomen fast stets verwendet. Dieselbe hat allerdings
besondere Beziehiingeu, sowohl zur Xarkose wie zu manchen Krankheiten, wde
der hochgradigen Arteriosklerose etc., doch ist das letztere hier nicht zu erörtern.
Au sich hat die Beekenhochlagerung keinen ungünstigen Einfluß auf die Ather-
narkose (Pfanne nstiel). Knoblanck will allerdings eine Beeinträchtigung
der Narkose durch die Beekenhochlagerung beobachtet haben. Es hat sich
herausgestellt, daß nach Äthernarkoseu bei Beekenhochlagerung besonders häufig
Bronchitiden einstellten. Das widerspricht unseren obigen Angaben scheinbar.^
Allerdings kann man die von Witzel etc. angegebene Lagerung des Kranken
mit tiefliegendem Kopf nicht ohne w^eiteres mit der Beckenhochlagerimg identi-
fizieren, denn die letztere stidlt eine bei weitem hochgradigere Lagerung nach
obigen Angaben dar. Franz fand nun, daß bei 825 Äthernarkosen in Rücken-
lage 19 Bronchitiden, bei 49o Äthernarkoseu in Beekenhochlagerung 44 ein-
traten, also bei der Rückenlage 2,8 "/o i^iufl lj<'i d^'i" Beekenhochlagerung B,0*>/g
Bronchitiden. Zweifellos wird durch die Beckeuhochlagiuuug die Ventilation
der Lunge herabgesetzt, doch ist dieselbe nicht allein flu' die Bronchitiden ver-
antwortlich zu machen. Franz erklärt die Bronchitis folgendermaßen: Bei
Beckenliochlageruug sammelt sich der Schleim , der bei der Rückenlage in der
Mundhöhle sich sammelt und von da leicht aus dem Hund ausfiießen kann, im
Nasenrachenraum. Wird nun die narkotisierte Person aus der Beekenhoch-
lagerung in die liückeulage gebracht, so kann sehr leicht der mit Bakterien
durchsetzte Schleim aus der Nase in die Trachea und Bronchien gelangen und
Bronchitis hervorrufen. Man wird also gut tun, bei allen in Beekenhochlagerung
ätherisierten und operierten Patienten den Mund gründlich auszuwischen, bevor
die Beekenhochlagerung aufgegeben wird. Dies ist die Erklärung von Franz.
Allerdings kann man dieselbe nicht vollkommen von der Hand weisen und es
ist der Rat, den Schleim axis dem jMunde vor dem Wechsel der Lagerung zu
entfernen, ein sehr guter, und diese Entfernung des Schelmes wird jeder ge-
wissenhafte Narkotiseur vornehmen. Aber ich kann nicht darin die einzige
Ursache für die Bronchitiden finden, denn ich meine nach allem, was ich über
die Schleimverhältnisse gesagt habe, ist zu ersehen, daß einerseits der Schleim
durch die Nase und den Mund auch bei der Beekenhochlagerung abfließen wird
und daß der Narkotiseur ein Abfließen veranlassen muß, kurz, daß er bemüht
ist, den Speichel nicht in die Lunge resp. den Kehlkopf zurückfließen zu lassen,
andererseits der Mund und die Nase vor der Operation und Narkose desinfiziert
werden, und gerade durch die tiefere Lage des Kopfes Bedingungen geschaffen
werden, vermöge deren die Lungenleiden verhütet werden. Es kommen nach
meiner Ansicht vielmehr hier vor allem als prädisponierende Umstände bei der
Beekenhochlagerung diejenigen in Betracht, welche einerseits Folgen der Äther-
w ifkuiii;' (Inrsrt'llcu, iiiüulicli die vcniirlirtc So'ki'otiou iu dci- Liiuge selbst und
die ÖcliädiiiTini>- der Epithelzidlcn des respiratorischeu Epithels, uiidererseits in der
durch die Becken liochlaiici'un«»' veriuinderten tiefen Atmuny und in den Foloeu der
Laparatomiewuude g-eg'eben sind. Infolge der oberflächlichen Respiration weg-en
der Schmerzen im Abdomen werden die Lungen nicht so ausgedehnt und es ent-
stehen Hypostasen und die Schleimmassen in den Alveolen werden nicht entfernt.
Es geht also aus all diesen Verhältnissen und Erörterungen hervor, daß man
bei der Athernarkose die Beckenhochlagerung ohne Sorge ausführen kann, wenn
mau vor allem bearht(^t, den Wechsel aus Hochlagerung in normale Lage recht
langsam vorzunehmen und zwar erst dann, Avenn die Reflexe wieder erwacht
sind, damit der Patient den ev. zurückfließenden Schleim aushustet. Natürlich
wird mau nur, wenn möglich, so lange mit dem Lagewechsel warten, erfordert
die Operation eine andere Lage, so muß sie natürlich sofort aber langsam vor
sich gehen und geschaffen werden. Weiter muß man stets, ehe man aus der
Beckeuhochlagerung die normale Rückenlage herstellt, allen Schleim aus der
Nase uud dem Rachen entfernen, ferner soll man den Kranken nach der Nar-
kose die angegebene Respirationstätigkeit vornehmen lassen, damit die Lungen
ordentlich gelüftet werden.
Bei der Beckeuhochlagerung macht es sich sehr oft^ unangenehm bemerk-
bar, daß der Ivi-anke leicht nach dem Kopfende des Tisches zu gleitet, was
bisweilen iTuangenehm werden kann. Um dies zu verhindern, hat Hartog eine
Vorrichtung in Form von Schiilterstützen konstruiert, welche auf dem Operations-
tisch beweglich und au jeder beliebigen Stelle fixierbar angebracht sind, und
welche die Schultern am Herabgleiten verhindern Ähnliche Schuiterstützen
sind auch an anderen Operationstischen angebracht worden und stellen ein sehr
praktisches Mittel zur besseren Lagerung des Kranken dar.
Wenn man nun gelegentlich dieser Erörterungen noch die Lagerung der
Arme kurz behandelt, so ist hier dem schon in der Abhandlung über Chloroform
Gesagten weiter nichts von wesentlicher Bedeutung hinzuzufügen. Die Arme werden
am besten gekreuzt auf der Brust gelagert, und, wenn dies durch die Operation un-
möglich gemacht ist, von einem Gehilfen jeder Arm mäßig abduziert vom
Körper gehalten. Puschnig gibt den Rat, die Arme bei Laparatomien und
solchen Operationen, die ein über der Brust gekreuztes Lagern verhindern,
unter den Rücken geki-euzt zu legen, so daß sie von der Belastung durch den
Körper fixiert werden. Andere geben den Rat, die Hände und Unterarme über
den Kopf gekreuzt zu fixieren, ev. durch Handfesseln. Diese letztere Lagerung
ist entschieden zu widerraten, denn es können diu'ch die Hyperextension im
Schultergelenk leicht Lähmungen des Plexus brachialis verursacht werden, die
recht unangenehme Folgen der Narkose darstellen. Auch ist es viel Brauch,
den einen Ai'm zur Seite des Patienten auf den Tisch zu legen, während der
andere Ann von einem Pfleger leicht vom Körper abduziert gehalten und dem
Narkotiseur gereicht wird, wenn derselbe den Puls kontrollieren will.
Die Lagerung der Arme bildet während der Äthernarkose, genau wie bei
der Chloroformbetäubung, einen Gegenstand höchster Bedeutung, denn durch
Druck, Hyperextension etc. können ebensogut wie beim Chloroform Lähmungen
entstehen, die entschieden verhindert werden müssen. Es ist im Allgemeinen
Teil das Wichtigste über die Narkosenlähmungen geschrieben und dort nachzu-
sehen. Es kann hier nur das wiederholt werden, daß der Narkotiseur besondere
Obacht auf die Lage der Extremitäten haben muß, es kommen die Arme wie
die Beine in Betracht, und daß die meisten Fälle von Lähmungen nach Narkosen
auf eine falsche, ungeeignete Lage der Extremitäten zui'ückzuführen sind. Ist
eine dahingehende Unterlassung der Vorsichtsmaßregeln des Narkotiseurs nach-
zuweisen, so kann der Arzt für die Folgen haftbar gemacht werden. Wenn
25
— 386 —
auch eine Entstelinug dureli zentrale Veränderungen uiögiich ist, so ist doch in
den meisten Fällen eine i^eriphere von einer zentralen Lähmixng genau zu
unterscheiden. Es ist nun auch heim Äther möglich, daß bei bestehender Dis-
position oder Erkrankung des G-efäßsystems eine zentrale Hämorrhagie eintreten
xind eine Lähmung hervorrufen kann. Doch es sind diese Fälle sehr selten
und es werden Fälle, die wahrscheinlich zentrale Lähmungen darstellen, von
Schwarfcz und anderen beschrieben, doch sind es immerhin nur sehr wenige
und auch ätiologisch umstrittene Fälle. Jedenfalls ist eine zentrale Entstehung
der Lähmung möglich, aber doch recht selten. Es sind in der Literatur vor
allem Hemiplegien und Lähmungen einzelner Muskeln nach Chloroform be-
schrieben worden, die als zentral sicher anzunehmen waren (Sehwartz, Chipault,
Reboul etc.), doch sind solche Beobachtungen nach Äthernarkosen imgleich
seltener, was wohl mit der häufigeren Verwendung des Chloroforms zu langen
Operationen und der größeren Neigung desselben zu Veränderungen im Gehirn
zu erklären ist. Der Äther wird meist für kürzere Narkosen verwendet, weil
bei langen Narkosen mit schweren Operationen stets sehr tiefe Narkose und
völlige Erschlaffung der Muskeln gefordert Avird, die man oft mit Äther schwer
erreicht, oder auch gar nicht genügend, was früher die Operateure vielfach be-
weg, das Chloroform vorzviziehen. ■ Es ist oben erklärt worden, daß Äther eben-
falls imstande ist, die Hirngefäße zu alterieren, wodurch Buptm-en der Gefäß-
wand und Blutungen in das Cerebrum entstehen können. Wenn man einen
Operationstisch auswählt, muß man jedenfalls berücksichtigen, daß derselbe gut
gepolsterte Beinstützen hat, und möglichst alle Kanten etc., auf welche die
Annen und Beine drücken könnten, vermieden sind.
Bei der Wahl des Operationstisches sei noch erwähnt, daß mau bei der
Äthernarkose besonders darauf achten soll, wenn möglich einen heizbaren Ope-
rationstisch zu wählen. Solche Operationstische können durch Zuführen von
heißem Wasser unter die Tischplatte erwärmt werden (Whiteford), auch hat
man, wie beim Chloroform erwähnt wurde, die Tische durch elektrische Glüh-
birnen erwärmt. Weiter wird man den Kranken nach Möglichkeit in warme
Decken hüllen (Allen), damit er möglichst vor zu großer Abkühlung bewahrt bleibe.
Im Operationssaal muß man dafür sorgen, daß die Temperatur eine an-
gemessene ist. Über die Höhe der Lufttemperatur hat Allen Versuche be-
treffs der Wirkung der verschiedenen Wärmegrade angestellt, und er fand,
daß ein Hund, welcher in einem überhitzten Zimmer narkotisiert wurde, eine
Temperatursteigerung von 4,6 ^ C während der Narkose aufwies, während der
Blutdruck auf 32 mm Hg sank. Nach der Narkose war das Tier auffallend
erschöpft. Daraus schließt Allen, daß das Operieren in überhitzten Räumen
die Kranken ebenso erschöpfe wie den Operateur, und es deshalb besser ist, in
kühlen Räumen zu operieren, und den Kranken durch Einhüllen in Decken vor
Abkühlung von aixßen zu schützen. Es ist zweifellos hierin ein Teil Wahrheit
zu finden, doch darf immerhin die Temperatur nicht gerade kühl sein, sondern
sie muß wenigstens 20° C aufweisen. Zu hohe Temperatur soll man vermeiden,
doch darf dieselbe auch nicht zu niedrig sein, da der Kranke bei den meisten
Operationen eben nackend oder nur von einem dünnen Tuch bedeckt auf dem
Tische liegen muß, und ein Einhüllen in Decken nicht angängig ist.
Die Luft muß sauerstoffreich sein, muß durch Ventilation immer erneut
werden können. Ferner soll natürlich für genügende Beleuchtung gesorgt sein.
— 387 —
l>er Kranke wird (;v. voi' der Narkose eine Inj(3ktiou von Ergotin oder
Atropiu ci-haltcu, da durch diese ]uj(>ktiouen der Wärmeverlust durch die Narkose
venuindert werdeu soll (Allen). Mau kann ja diese Medikation versuchen,
di»cli bezweifle ich eine besondere Wirkung, die Umgehung- muß ruhig sein,
während die Nai'kose eingeleitet wird. Am besten narkotisiert man den Kranken
in einem besonderen Zimmer und transportiert ihn erst nach Eintritt der Toleranz
in den Ojjerationssaal und auf den Operationstisch. Durch diese Maßnahme
wird verhindert, daß der Kranke all die Vorbereitungen. Instrumente etc., die
für die Operation nötig sind, sieht und sich aufregt. Je ruhiger der Kranke
ist, um so besser verläuft die Narkose, um so schneller verfallt er in die
Toleranz und um so geringer ist die Exzitation. Vieles Sprechen, Umherlaufen etc.
soll ebenfalls vermieden werden, bis der Kranke in tiefe Narkose verfallen ist.
Es ist von E. v. Rodt auf einen originellen Einfluß der Musik auf die
Narkose aufmerksam gemacht worden. Auf Veranlassung von Girard wurden
von Rodt eine große Anzahl von Narkosen während einer musikalischen Pro-
duktion durch einen Phonographen, dessen Hörschläuche mit den Ohren des
Kranken verbunden wurden, ausgeführt, und es soll sich ergeben haben, daß die
Narkosen günstig von der Musik beeinflußt w^urdeu. Neben den P>eobachtungen
des Verlaufes der Narkose wurden auch Blutdruckuntersuchungeu mit dem
Gärtnerschen Tonometer ausgeführt. Das Resultat war folgendes: Erstens
wird die Narkose durch Kombination mit Musik günstig beeinflußt, was da-
diu'ch erwiesen wird, daß mit dem Einsetzen der Musik der Blutdruck steigt.
Zweitens war der Verlauf ein viel ruhigerer und gleichmäßigerer als ohne Musik.
Weiter war das Exzitationsstadium bedeutend reduziert, das Erbrechen war
meist vollkommen fortgeblieben, die Nausea nach dem Erwachen war geringer und
seltener vorhanden. Alle Patienten, die früher schon einmal narkotisiert
worden waren, gaben an, daß die Narkose mit Musik viel angenehmer gewesen
sei als die früheren Narkosen.
Gewiß ist es ein origineller Gedanke, die Kombination der Narkose mit
Musik zu leiten, es wird die Wirkung nur darauf beruhen, daß der Kranke
von seinen ängstlichen Gedanken an die Narkose und Operation abgelenkt und
somit beruhigt wird, allein man kann unmöglich im allgemeinen diesen Ein-
fluß der Musik ausnützen.
Alle die weiteren Vorbereitungen, welche noch von einer Narkose gefordert
werden, müssen auch bei der Äthernarkose getroffen werden und es sind die-
selben im Allgemeinen Teil erörtert worden, weshalb ich hier nur darauf zu
verweisen brauche.
Die Beleuchtung in dem Operationssaale und vor allem in dem Zimmer,
in welchem man in der allgemeinen Praxis operiert, hat bei der Ather-
narkose in einer geschlossenen Lampe zu bestehen. Eine oiiiene Flamme
muß ganz entschieden verboten werden. Der Äther bildet mit der atmo-
sphärischen Luft ein Gasgemisch, das eine große Explosionskraft besitzt. Da
aber der Ätherdampf schwerer als die Luft ist, so sinkt derselbe auf den
Boden des Zimmers und es befinden sich denn auch tatsächlich daselbst die
explosiven Gase. Man kann sich ev. in einen Raum, in welchem eine bestimmte
Menge Äther verdunstet worden ist, mit einem offenen brennenden Lichte
begeben, wenn man das Licht in solcher Höhe hält, daß es über den Explosions-
gasen brennt, bringt man es aber auf den Boden des Zimmers, oder wirft man
ein brennendes Streichholz weg, so entsteht sofort eine heftige Explosion. Es
ist auch meist bei Äthernarkosen keine Gefahr, wenn das Licht über dem
Kranken brennt, da die Ätherdampfluftgemische unterhalb der Ebene, in welcher
sich das Gesicht des Kranken befindet, am Boden lagern. So kann man, wenn
das Zimmer groß genug ist, bei offenen Lampen mit Äther narkotisieren. Ist
aber das Zimmer sehr klein, niedrig, oder hängen die Lampen sehr niedrig und
25*
— 388 —
dauert die Narkose sehr lauge Zeit, so daß große Mengen Äther in die Luft
verdampfen, so kann eine große Gefahr entstehen und eine Explosion eintreten.
Man hat schon öfters solche Explosionen mit schweren Verbrennungen des
Kranken und der anderen Personen erlebt, und es ist deshalb allgemein Regel,
abends und bei offenen Flammen nicht zu ätherisieren. Vor allem gilt diese
Regel für die allgemeine Praxis, wo der Arzt oft in sehr kleinem Raum
lange Zeit ätherisieren muß. Weiter muß man beachten, nie bei einer
Äthernarkose den Pacquelin zu brauchen , da derselbe die um den Kopf des
Kranken stets sich bildenden explosiblen Ätherdämpfe entzünden kann. Wenn
man elektrisches Licht zur Verfügung hat und einen großen, gut ventilierten
Operationssaal, braucht man die Explosionsfähigkeit der Ätherluftgemische
nicht zu fürchten. Da man aber, wenn man sich gewöhnt, auch abends bei
Licht zu ätherisieren, dann in der Praxis gelegentlich vergessen kann,
daß man nicht im Operationssaal operiert, so wird man Gefahr laufen, durch
Explosionen überrascht zu werden. Es ist deshalb besser, man macht sich
zur Gewohnheit, stets bei Nachtoperationen den Äther nach Möglichkeit zu
vermeiden. Habe ich doch in einer großen Klinik in großem Operationssaal
eine Explosion der Ätherdämpfe beobachtet, die zum Glück gut ablief, da nur
wenig Äther verdunstet war. Es war dabei eben das Abdomen intensiv ab-
geäthert worden, als auch schon die Kranke und der Assistent in Flammen
standen, die aber leicht und schnell gelöscht wurden. Die Menge des Äthers,
welche bei dem Waschen mit Äther schnell verdunstet war, hatte sich an den
über dem Operationstische brennenden Gaslampen, die ca. 50 cm vom Abdomen
entfernt waren, entzündet. Wenn man aber bedenkt, wie unangenehm und
gefährlich solche Explosionen im Privathaus , wo man nicht soviel Personal
um sich versammelt hat, das gleich rettend und helfend eingreifen kann, sein
können, wird man den Entschluß, nie abends bei offenen Flammen Äther zu
verwenden, wohl für berechtigt halten.
Nach diesen Vorbemerkimgen gehen wir nun zu der Äthernarkose und
deren Technik selbst über. So, wie man in den letzten Jahrzehnten in der
ganzen medizinischen Wissenschaft eine Unmenge Neuerungen und Erfindungen
zu verzeichnen hat, so hat man auch eine große Anzahl von verschiedenen
Methoden und Arten der Ätheruarkose geschaffen, immer bestrebt, Besseres und
für den Ki'anken Günstigeres damit zu erzielen.
So sind eine große Zahl von Methoden und Apparaten zu nennen und
wenn man dieselben numerisch überschlägt, muß man gesteheu, daß deren
Zahl die der Methoden und Apparate der Chloroformuarkose bei weitem über-
trifft. Viele sind geschaffen worden, die nicht verschieden voneinander iu
wesentlichen Punkten sind und wenn ich hier alle anführen wollte, so würden
nur unnötig Raum und Zeit vergeudet, ich werde deshalb nur die wichtigen
und besten Methoden und Apparate der Äthernarkose beschreiben und erörtern.
Die erste Art der Verabreichung des Äthers bestand darin, daß man
denselben auf einen Schwamm, ein Tuch od. dgi. goß und dem Kranken
unter die Nase hielt. Man merkte aber sehr bald, daß diese Methode recht
schwer eine tiefe Narkose erzeugte, so daß man zur Konstruktion einer Maske
schritt, welche eine Beschränkung des Luftzutrittes bewirken sollte, denn man
hatte gefunden, daß die Narkose schneller eintrat und tiefer sich gestaltete,
wenn man die Ätherdämpfe mit möglichster Beschränkung der atmosphärischen
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Luft verabreichte. S« eutstaiKT die Julliardsche Maske, uud die Methode
der Verabreichung' mit dersellieu gestaltete sich so, daß man die Maske, wodche
von impermeablen Stoif (Gummi oder Bill roth-Batistj überzogen war, dicht auf
das Gesicht des Kranken legte, so daß zwischen Maskenwaud und Haut des
Gesichtes kein Zwischenraum und die Luft völlig abgeschlossen war. Zur
Erreichung des völligen Luftabschlusses schlang man noch ein in einen Streifen
zusammengelegtes Handtuch um den Rand der Maske, da wo letztere auf dem
Gesicht auflag. In den inneren Teil der Maske wurde von Zeit zu Zeit 15 bis
20 ccm Äther gegossen, nachdem man die Maske aufgehoben hatte. Diese
Methode ist die sogenannte Genfer Methode, oder die Ätherisation in Güssen,
oder die sogenannte Erstickungsmethode. Den ersteren Namen erlangte sie,
weil der Hauptverteidiger der Athernarkose zu damaliger Zeit, als der Äther
erst anüng, dem Chloroform den Rang ablaufen zu wollen, der Genfer Chirurg
Julliard und dessen Schule diese Methode vor allem anwendeten und ver-
teidigten gegenüber den Anhängern der Chloroformnarkose. Es war ja zweifel-
los diese Genfer Methode nicht eine sehr gute und gefahrlose Art der Narkose,
doch sie war eben für die damalige Zeit mit der derzeitigen Kenntnis der
Narkosenwissenschaft das Beste, was man auf dem Gebiet leisten konnte. Der
itbelstand lag in der Beschränkung der Sauerstofizufuhr. Da man eine Maske
mit undurchdringlichem Überzug verwendete und dieselbe fest auf dem Gesicht
liegen ließ, so bildete sich unter der Maske ein Gasgemenge aus Äther-
dämpfen, Kohlensäure, Wasserstoff, Stickstoff und wenig Sauerstoff, welch
letzterer, je länger die Maske ruhig liegen bliel>, immer weniger wurde, da
der Kranke nur immer Kohlensäure ausatmete, die unter der Maske verblieb.
Die Folge der Inhalation dieser kohlensäurereichen Ätherdämpfe war eine
Kohlensäureintoxikation des Organismus neben der Äthernarkose, und da die
Kohlensäure auch narkotisch wirkt, so trat bald Toleranz ein, jedenfalls
zeitiger und schneller als bei einer Methode, wo man reichlich Luft zutreten
ließ. Die Genfer Schule nahm aber dessenungeachtet an, der Äther wirke, auf
diese Art verabreicht besser.
Wenn man eine solche Äthernarkose früher beobachtete, so sah man
einen ziemlich hochgradig cyanotischen Kranken, mau hörte fauchendes,
rasselndes, schnaufendes Atemgeräusch, und dabei zeigte sieh stets starke
Exzitation. Man hat nun erkannt, daß die Cyanose, die rasselnde Atmung
und Exzitation fast ausschließlich durch die Kohlensäure verursacht werden,
und das Experiment ist geglückt, welches den Beweis erbringen sollte, daß
die Äthernarkose bei reichlichem Luftzutritt ohne Cyanose und fauchender
Atmung verlaufe sowie eine bedeutend geringere Exzitation zeige. Ein weiterer
wichtiger Umstand bei dieser Genfer Methode ist der durch die dichtabge-
schlossene Maske hervorgerufene Sauerstoffmangel, und dieser ist wohl zur
Hauptsache für die fauchende und rasselnde Atmung und die Cyanose in der
Äthernarkose verantwortlich zu machen'.
Es hat sich nämlich durch Experimente erwiesen, daß die Kohlensäure
einen nicht so schwer schädigenden Einfluß bei der Narkose ausübt, als man
angenommen hat. So hat Waller neben Versuchen anderer Narkotika auch
die Kohlensäure in ihrer Wirkung auf die isolierten Nerven untersucht, und er
fand, daß Kohlensäure die elektrische Erregbarkeit der Nerven, in geringen
Mengen verabreicht, steigert, während sie in größeren Mengen anfangs lähmend
später erregend -wärkt. Ferner fand er, daß Chlorofonndämpfe viel intensiver
— 390 —
unter Beimengung von Kohlensäure wirken, als ohne solche, jedoch erholt sich
der Kranke schneller wieder, als wenn das Chloroform nur mit atmosphärischer
Luft gemischt verabreicht wurde. Gestützt anf diese Versuche hat nun
Powell an einer großen Anzahl von Krauken bewiesen, daß die Nervenerreg-
barkeit schneller wiederkehrt, wenn man Aether mit Kohlensäure vermischt ver-
abreicht. Er ließ also seinen Kranken neben den Aetherdämpfen zugleich
Kohlensäure einatmen. Unter 1372 Narkosen kam es nur in einem Falle zu
alarmierenden Erscheinungen, im ganzen aber verlaufen die Narkosen auf-
fallend gut.
Nach diesen Versuchen ließe sich eine günstige Wirkung von der Kohleu-
säui'e erwarten, allerdings ist man im ganzen anderer Ansicht und ist bestrebt,
bei den Narkosen stets die Überschwemmung des Organismus mit Kohlensäure
zu vermeiden. Jedenfalls liegt aber der Hauptnachteil der Genfer Methode in
dem Mangel an Sauerstoff, unter welchem der Kranke von Anfang an stand
und in den häufigen großen Dosen, die dem Patienten verabreicht woirden. All-
genieia bekannt ist bei denen, die noch Narkosen nach der Genfer Methode
gesehen haben, wie stark stets die Exzitation war, namentlich bei Alkoholisten,
die oft mit Äther gar nicht in Toleranz versetzt werden konnten, wie aber auch
bei Frauen stets eine gewisse Exzitation zu finden war, ohne daß die Ki-ankeu
Alkoholistinnen waren. Wenn man diese Erinnerungsbilder der Äthei'narkoseu
mit der modernen Äthernarkose vergleicht, glaubt man kaum, daß diese beiden
Methoden einer Narkosenart angehören. Gerade die großen Dosen im Anfang,
verbunden mit dem Sauerstoffmangel, bewirken die Exzitation. Nachdem dann
der Kampf des Narkotiseurs und seiner Assistenten mit dem Kranken beendet
war, verfiel letzterer in Toleranz. Es soll hier nur der historischen Bedeutung
wegen die Genfer Methode erwähnt werden, für die Praxis kommt sie heute
nicht mehr in Betracht und sie gibt ein Bild einer Narkose, wie es gerade
nicht sein darf, weshalb sie auch eine gewisse Bedeutung hat.
Die Maske, welche Julliard konstruiert hat, ist aber, wenn auch die
Genfer Methode ad acta gelegt werden muß, deshalb doch noch nicht ganz im-
brauchbar, denn es gibt auch eine Methode, wo man diese Maske doch noch
verwenden kann. Deshalb soll die Maske hier kurz beschrieben werden.
Die Julliardsche Maske besteht aus einem Drahtgeflecht, welches eine
Größe des Umfanges eines Gesichtes von mittlerer Größe hat, so daß die
Oeffnung der Maske ein Oval darstellt, das beim Gebrauch das Gesicht von
der Stü-n bis unter das Kinn bedeckt. Die Höhe der Maske beträgt ungefähr
10 cm. Diese Maske hat an dem einen Pol der Basis einen Griff, über das
Drahtgeflecht ist ein impermeabler Stoff, meist Billrothbatist, gespannt, an der
Innenseite des Drahtgestelles findet sich unter dem Billroth eine Lage Flanell
oder eiaige Mullagen, und im höchsten Teile des Gestelles eine Flanellrosette,
die dem Mund und der Nase des Kranken sich ungefähr gegenüber befindet,
wenn die Maske auf dem Gesicht aufliegt. Dies ist die einfachste Form der
Maske. Damit man den Flanellüberzug wechseln und die Maske sterilisieren
kann, hat man die .Julliardsche Maske so modifiziert, daß man den Flaue 1-
Billi-othüberzug jederzeit abnehmen und neu anbringen kann, was durch einen
Drahtreifen, welcher die Form der Basis der Maske hat, ermöglicht wird. Der
Beifen preßt den üeberzug auf das Gestell, ohne daß man den Billrothbatist
annähen etc. müßte. So kann er jederzeit nach Bedarf gewechselt werden.
Diese Maske ist in Figui- 117 veranschaulicht. Dieses Auswechseln der Ueber-
züge wu'd noch erleichtert durch eine Modifikation der Art, wie sie die Ab-
bildimg in Figur 118 darstellt. Es besteht da die Maske aus zwei Gestellen,
die von einem Scharnier verbunden und von denen das eine ein verkleinertes
Abbild des anderen darstellt, so daß beide übereinander liegen und auseinander-
— ^591 —
geklappt werden köniieu. Man legt den Ueberzug üljer di(! kleinere Maske und
klappt die größere auf die kleine. Dies ist eine sehr brauchbare Maske. Hier-
mit sind die wichtigsten Arten der Julliardschen Maske erAvähnt worden.
Die Verwendung der Julliardschen Maske geschieht nun nach der
neueren Methode auf folgende Art. Während man fi'üher bemüht war, die
Athernarkose unter möglichstem Abschluß von Sauerstoff auszuführen, hat mau
den Nachteil des Sauerstoffmangels im Klute des Ej-anken würdigend die Ver-
abreichung des Äthers unter möglichst reichlichem Zutritt von Luft vorge-
nommen. Man gießt auf die iimere Mull- oder Flanellschicht zunächst ca. 15 ccm
Äther und hält die Maske dem Kranken im Anfang ca. 10 cm vom Gesicht entfernt,
vor Mund vind Nase, indem man den Kranken anhält, möglichst tief und schnell zu
atmen. Wenn der Äther den Kranken nicht mehr am Atmen verhindert, also
der Kranke sich an die Dämpfe gewöhnt hat, nähert man die Maske dem Ge-
Figur 117.
Maske nach Julliard mit abnehm-
barem Überzug.
Figur 118.
.Julliard' sehe Maske mit Korb=
einsatz.
sieht immer mehr und gießt von neuem 10 — 15 ccm Äther in die Maske. Jetzt
bringt man die Maske ganz nahe vor das Gesicht, läßt aber doch noch zwischen
Maske und Gesicht reichlich Luft zutreten. Der Kranke atmet natürlich direkt
nach dem Aufschütten von Äther ein höher konzentriertes Ätherdampflutt-
gemisch, das sich mit der Zeit immer mehr an Äthergehalt natürlich vermindert.
Daraus ist ersichtlich, daß eine besonders gleichmäßige Narkose nicht erreicht
werden wird. Immerhin muß der Narkotiseur bei dieser Methode bemüht sein,
möglichst geringe Mengen auf einmal in die Maske zu gießen, denn je kleiner
dieselben sind imd je öfter sie erneuert werden, eine um so gleichmäßigere
Konzentration von Ätherdampfluftgemischen wird der Kranke erhalten. So führt
der Narkotiseur die Narkose, bis er den Kranken in das Stadium der Toleranz
gebracht hat. Vom Moment an, wo dies ^erreicht ist, genügen ganz geringe
Mengen von Äther, um die Narkose zu erhalten. Man nennt diese Methode
der Äthernarkose die Ätherisierung in Güssen. Die Nachteile der Methode
— 392 —
sind leicht ersieh tlicli : Maa wird stets bei derselben eiue mehr oder minder
starke Exzitation beobachten, ebenso wird leicht Erbrechen auftreten und die
Tiefe der Narkose wird leicht wechseln, weil die Dosen zu sehr verschieden
in ihrer Höhe sind. Um noch mehr die Konzentration im Beginn der Narkose
zu erhöhen, wird nach JuUiard ein in einen Streifen gelegtes Handtuch um
die Basis der Maske gelegt, während sie auf dem Gesicht aufliegt. Dieser
Handtuchstreifen verhindert noch mehr den Luftzutritt und somit wird die
Konzentration erhöht. Das Handtuch kann bei Eintritt der Toleranz weg-
gelassen werden. Diese Methode ist von Julliard selbst angegeben und wird
von ihm und vor allem noch den Schweizer Chirurgen verwendet (Dumont etc.).
Wenn man auch diese Methode nicht als die vielfach in Verruf gekommene
Erstickungsmethode (Mikulicz) bezeichnen kann, so ist doch immerhin nicht
gerade die idealste Dosierung durch dieselbe erreicht. Jedenfalls kann man,
natürlich bei geeigneter Beachtung aller Umstände und Verabreichen von
kleinen Dosen von Äther unter genügendem Zutritt von Luft neben der Maske
eine leidlich gute Narkose auch auf diese Art erreichen , es hängt dies eben
von den Eigenschaften des Narkotiseurs ab. Daß aber sehr leicht aus dieser
Methode die frühere Erstickuugsmethode entstehen kann, Avenn die Narkose
von ungeübter Hand und wenig geschultem Arzte geleitet Avird, ist leicht
ersichtlich. Wenn nun auch nach den Experimenten von Dreser der Kohleu-
säuregehalt der Gasgemische unter der Julliardschen Maske von 1,2 7o — lJ7o
gefunden wurde und ein Sauerstoffgehalt von 16,6 — 18,7% daselbst bestand,
was also nicht gerade als schlechtes Verhältnis anzusehen ist, so ist doch
immerhin dieses Gasgemisch von dem genannten Gasgehalt und Prozentsatz
gefunden, wenn die Maske des öfteren gelüftet wui'de , wie es von Julliard
ja auch für die Methode vorgeschrieben Avurde. Wenn nun aber die Maske,
wie man es oft gesehen hat, mit 30 — 40 ccm Äther beschickt, lange Zeit fest mit
einem Tuche umschlossen liegen gelassen und nur ein Lüften derselben vorgenommen
wii'd, wenn es nötig Avird neue Ätherzufuhr vorzunehmen, so ist es leicht denkbar,
daß die Gasgemische in diesen Verhältnissen eiue bedeutend andere Zusammen-
setzung zeigen, und daß dann unter der Maske höhere Prozentzahlen von Kohlen-
säure und geringere von Sauerstoff sich finden. So ist es mir bei einigen Fällen
gelungen, die Gasgemische zu analysieren und zwar hatte ich ungefähr nach
der alten Genfer Methode die Dosierung vorgenommen, ich gab 30 ccm Äther
auf die Maske und ließ den tief narkotisierten Patienten bei Umschließen der
Maske mit einem Handtuch während einiger Minuten atmen. Nach 2 Minuten
trat bereits Cyanose der Haut auf und der Ki'anke atmete schnarchend. Nach-
dem 3 Minuten die Maske dicht auf dem Gesicht gelegen, nahm ich eine Unter-
suchung der Luft, die ich unter der Maske entnommen hatte, vor.
Es sind diese Versuche ja sehr schwer ausführbar. Immerhin gelang es
mii- ganz gut, den Gasgehalt zu bestimmen und es fand sich in allen Fällen, die
so untersucht Avurden, ein Gehalt von Kohlensäure von 2,5 7o, 2,75% und 2,6% und
ein Gehalt an Sauerstoff von 10 %, 9,2 % und 9,8 ^1^. Diese Zahlen zeigen einen be-
deutenden Unterschied gegenüber den Zahlen, die Dreser gefunden, und geben ein
Beispiel davon, wie verschieden eben die Verhältnisse beim Narkotisieren liegen.
Jedenfalls kann man durch seinen Willen die Gasgemische wesentlich beeinflussen,
denn die von mü- untersuchten Luftmengen sind jedenfalls dadurch zu solcher
Zusammensetzxmg gelangt, daß ich eben die Maske dicht abschloß und lauge
— :J93 —
Zeit liegen ließ. Es yibt Ja doch ui<!maud eine Garantie, daß bei Verwendung-
der JuUiardscheu Methode ein Arzt auch die 3Iask(' länger liegenläßt. T^ud
gerade dadurch kommt der Kranke in große Gefahren. Jedenfalls kann man
nicht diese Methode als eine weniger gefährliche hinstellen und für die Praxis
(empfehlen, ist doch noch so mancher Übelstaud mit der Julliardschen Maske
verknüiift, last not least die Größe derselben, die das ganze Gesicht vehüllt,
die Augen bedeckt, welche vom Äther belästigt und sogar beschädigt werden können,
imd wichtige Beobachtungsgebiete ausschaltet (Knoblanck, Pf anuenstiel etc.).
Jedenfalls gibt es andere Methoden der Narkose, welche bei weitem weniger
Gefahren mit sich bringen.
Auch hei der Athernarkose hat man vor allem zu beachten, daß die
Menge des Äthers, die dem Kranken zugeführt wird, eine bestimmte Höhe hat,
und daß vor allem Gleichmaß im Dosieren angewandt wird. Die Dose
anaesthetique für den Äther ist in einem Gemisch von 20 Teilen Äther mit 100 1
Luft gefunden worden (Bert, Kionka, 0 verton etc.), während die Dose
mortelle 50 ccm Äther auf 100 1 Luft bedeutet. Es muß daher während der
Äthernarkose stets eine Konzentration der Atherdämpfe in der Luft von höchstens
20 : 100 dem Kranken zugeführt werden. Wenn man einen Kranken anfängt
zu betäuben, muß man ihm im Anfang ein niedrig dosiertes Gemenge aus wenig
Äther und viel Luft zuführen, und erst wenn sich der Kranke au die Ätherdämpfe
gewöhnt hat, und dieselben ruhig einatmet, erhöht man langsam die Konzentration,
bis man dem Kranken ein Gemisch von ca. 20 : 100 zuführt. Wenn der Patient
an den Äthergeruch gewöhnt ist, atmet er auch konzentriertere Gemische
ohne Widerstreben ein. Es wäre zu wünschen, einen Apparat oder eine
Methode zu besitzen, welche uns in den Stand setzen, die Konzentration der
Ätherluftgemische nach Bedürfnis einzurichten und zu ändern. Di(^ses Ziel kann
auf verschiedenen Wegen erreicht werden, einerseits durch ganz laugsames
Verabreichen von kleinen Mengen Äthers immer häufiger und schneller hinter-
einander, bis der Kranke die Symptome eines Narkotisierten zeigt, man beobachtet
also den Kranken genau und schließt von dessen Verhalten auf die Höhe der
verabreichten Konzentration. Damit dabei aber keine Gefahren entstehen, muß
man nur sehr kleiue Dosen (Tropfen) verabreichen und genau beobachten. Man
wird dann, wenn der Kranke im Anfang das Gemisch ruhig einatmet, nur sehr
geringen Prozentgehalt an Äther verabreichen und denselben ganz laugsam um
geringe Mengen steigern bis der Kranke in Toleranz verfällt, dann hat man
die Konzentration von 20 : 100 erreicht. Diese Methode ist nicht leicht und muß
erlernt sein, hängt ab von der Intelligenz, Tüchtigkeit und Übung des Narkotiseurs,
ist aber die einfachste und beste Methode. Andererseits erreicht mau das Ziel
durch Apparate Avelche die Gasgemische jederzeit geuau analysiert nach Prozent-
gehalt angeben.
Diese hier eben geschilderte Methode ist die Tropf methode, welche Witzel
für die Äthernarkose zuerst angegeben hat. Als Maske verwendet man die
kleine Esmarchsche Maske, welche einen Trikotüberzug besitzt. Man legt
bei Beginn der Tropfnarkose zunächst die Maske dem Kranken auf die Nasen-
uud Mundöffnung und veranlaßt ihn, ruhig, tief iiud ausgiebig zu atmen, indem
er von 200 zurückzählt. Nachdem der Kranke einige Atemzüge unter der lose
auf dem Gesicht liegenden Maske getan hat, beginnt man mit dem Auftropfeu
des Äthers und zwar läßt mau im Anfang langsam einen Tropfen in gleichmäßigem
— 394 —
lutervall nacli dem auclern auf den Überzug der Maske falleu. Der Kranke
atmet dabei ruhig weiter, und man beschleunigt nach und nach den Tropfen-
fall, immer genau beachtend daß der Patient noch gleichmäßig atmet. Be-
kommt er Husten oder sträubt er sich, so läßt man kurze Zeit die Tropfen
etwas langsamer auffallen. Bei diesem regelmäßigen Tropfenauffall wird der
Kranke bald in einen berauschten Zustand und nach einigen Minuten in die
Toleranz verfallen, ohne daß ein Zeichen der Erregung zu spüren gewesen wäre.
Sobald der Kranke die Toleranz erreicht hat, was man am Reflexziistand der
Augen erkennt, die Pupillen sind maximal verengt und reagieren nicht mehr
auf Lichteinfall, unterbricht mau den raschen Tropfenfall und läßt nur einige
Tropfen während einei' Minute auf die Maske fallen, bis die Augen das
Straßmannsche Phänomen (minimale Reaktion der engen Pupillen beim
Öffnen beider Augen zu gleicher Zeit) zeigen. Nun läßt man die Tropfen wieder
ein wenig schneller fallen, denn der Patient steht jetzt eben vor dem Erwachen,
gibt aber doch nicht soviel Äther, daß das Straßmannsche Phänomen wieder
verschwindet, sondern nur soviel, als nötig ist, damit das Stadium der Narkose
bestehen bleibt. Es muß das Phänomen immer positiv sein. Um die Narkose
so in der Toleranz zu erhalten, bedarf es nur sehr geringer Mengen von Äther,
und man verbraucht jetzt ni;r noch sehr wenig. Bei einiger Übung lernt mau
sehr bald, wieviel Tropfen man auffallen lassen muß, es richtet sich dies ja
ganz nach den individuellen Eigenheiten des Kranken, der eine bedarf größerer
Mengen als der andere. Immerhin aber weiß es jeder geübte Narkotiseur sehr
bald nach Beginn der Narkose, wie sein Patient sich zum Äther verhält. Danach
richtet er seine Dosen ein. Man kann deshalb auch nicht bestimmen, wieviel
Tropfen in der Minute verabreicht werden müssen. Die meisten Patienten sind
auf diese AVeise sehr schnell und leicht zu narkotisieren, allerdings erfordert
die Tropfmethode mehr Zeit, als die Genfer, denn bei letzterer kann der Patient
innerhalb tou 2 Minuten narkotisiert sein, während bei der Tropfmathode
6 — 10 Minuten vergehen, bis der Patient in die Toleranz versetzt ist. Auch
ist ein störendes Moment der Alkoholismus der Kranken, denn bei einem starken
Potator kann mau bisweilen nur mit großer Mühe ein starkes Exzitationsstadium
umgehen und es gibt Fälle, wo der Trinker durch Äther überhaupt nicht in die
Toleranz gebracht werden kann. Für diese Fälle gibt nun die Äthertropfnarkose
immer noch die besten Chancen von allen Äthernarkosen, denn gerade durch
die langsame Betäubung wird der Patient noch am leichtesten über die Exzitatiou
gebracht. Ist es aber doch nicht möglich, eine tiefe Betäubung des Säufers
zu erzielen, so soll man nach Angabe Witzeis einige Tropfen Chloroform zwischen
den Äthertropfen auf die Maske fallen lassen. Durch einige wenige Tropfen
Chloroform ist dann sofort tiefe Narkose zu erreichen. Es gibt eben Kranke,
welche wegen der durch Alkoholismus vermehrten Widerstandsfähigkeit gegen
die Ätherwirkung nicht für die Äthernarkose geeignet sind. In jeder Hinsicht
repräsentiert aber die Äthertropfmethode die Methode, welche am wenigsten Gefahren
für den Kranken, am wenigsten Unannehmlichkeiten für den Narkotisierten und
doch tiefe Narkose neben dei' Einfachheit der Methode und Appai'ate aufweist. Sie
stellt eine Narkose dar, die der Arzt bei jeder Gelegenheit, im Krankenhaus wie im
Privathaus, bei viel Personal und ohne solches ausführen kann. Es ist sogar
möglich, die Esmarchsche Maske zu entbehren und den Äther auf eine Kompresse
zu tropfen, oder sich aus einem Handtuch oder ähnlichem Tücherstoff eine tüten-
— H9Ö —
förmige Maske herzustellen, iu ^^■elche mau den Äther tropfeuweis fallen läßt, so
läßt sich im Notfall die Tropfnarkose stets anwenden. Dieser Punkt ist sehr wichtig,
denn es werden längst nicht die Hälfte der Narkosen in einem Krankenhause vor-
genommen weixlen können. .\uch der Umstand, daß die Narkose mit den denkbar
kleinsten Instrumentarien ausgeführt werden kann, ist ein überaus großer Vorteil,
denn dei' praktische x^rzt muß in jeder Weise mit dem Raum in seinem Kofüer
sparen und kann nicht noch große Narkosenapparate auf dem Zweirad oder dem
Rücken des Pferdes mit über Land nehmen und wird somit stets die Methode der
Narkose wählen, die ihm am wenigsten Ballast für seinen Koffer verursacht. Wenn
man neben diesen Vorteilen noch genauer auf die Ätherwirkung bei der Tropf-
methode eingeht, so kommt man zu der überraschenden Erkenntnis, daß der
Äther, in Tropfenform verabreicht, stärker wirkt als in Güssen (Hofmann).
Wenn man z. B. ein Glas Wein rasch austrinkt, so bemerkt man davon so gut
wie keine Wirkung, tx'inkt man aber dasselbe Glas voll Wein langsam dui"ch
einen Strohhalm, so wird man fast berauscht, als hätte mau wenigstens eine
Flasche getrunken. Jeder, der früher den Schläger geschwungen, wird dies
praktisch schon erfahren haben, als er, mit tiefem Durchzieher abgestochen,
beschaulich des Abends sein Bier durch ein Glasrohr trinken mußte. Der Bruder
Studio kennt den Rausch, der einem so verbrachten Kneipabend folgt: genau so
wirkt der Äther. Hof manu hat z.B. ein Meerschweinchen durch Auftropfen
narkotisiert und brauchte dazu 2 Min. und 5 ccm Äther und das Tier erwachte
nach 1^/.^ Minuten, ein gleiches in Güssen narkotisiertes brauchte 3^/^ Minuten,
29 ccm Äther und zeigte starke Exzitation, es erwachte nach 3^j^ Minuten das
erstere zeigte keine Exzitation. Dieser Versuch ist sehr typisch und zeigt,
wieviel intensiver der Äther in Tropfenform wirkt. Hof mann gibt nun den
Rat, bei starker Widerstandsfähigkeit des betr. Kranken vor der Narkose eine
Morphininjektion zu verabreichen. Die Kombination des Äthers mit Morphiu
wird später erörtert werden. Es ist daher der Vorzug der Äthertropfmethode
neben den schon genannten in der geringeren Exzitation, dem schnellei'en Eintritt
der Toleranz und schnellerem Erwachen, ferner in dem Fehlen von Erbrechen
in und nach der Narkose, und sonstigen Störungen gelegen, wärend bekanntlich
der Methode in Güssen diese Vorzüge nicht zuteil werden. Man kann daher
mit Recht sagen, daß die Tropfmethode auch für die Äthernarkose die beste
Art der Betäubung darstellt.
Das Bestreben, eine genauere Dosierung und leichtere Verabreichung
des Äthers zu erzielen, zeitigte eine große Anzahl von komplizierteren Apparaten.
Ein großer Teil dieser Apparate ist für den Arzt in der Praxis nicht verwend-
bar, ein anderer ist es wohl, aber erfordert stets eine kundige Hand und erfahrene
Person, die dem Arzte in der allgemeinen Praxis nicht immer zur Verfügung
steht. Immerhin sind einige doch auch für die Praxis brauchbar, wähi'end ein
großer Teil nur für die Hospitalpraxis verwendbar ist. Ehe ich auf die komplizierten
Apparate übergehe, will ich noch einige Masken und einfachere Apparate zur
Äthernarkose beschreiben.
Eine Äthermaske ist von Thöle 1901 konstruiert, und besteht in folgender
Konstruktion. Sie besteht aus einem einzigen Drahtkorb, mit welchem durch ein
Scharnier ein federnder Reif verbunden ist. Der Drahtkorb hat als Umrandung
eine Metallrinne, wie die Schimmelbusch' sehe Chloroformmaske. Diese ist
nicht deshalb gewählt, um den überflüssigen Äther aufzunehmen, sondern damit die
— 396 —
ümbieg'uugs- imd Lötstelleu des Drahtkorbes au dem uutereu Reif, wie sie
bei der Julliard scheu Maske vorhaudeu siud, wegfallen. Diese drückeu das
Gesicht uud dasselbe soll verhindert werden durch die glatte luneufläche dieser
Rinne. Der von beiden Seiten zusammeufedernde, den Überzug des Korbes
festklemmende Reif drückt sich fester in die Rinne ein. Er wird hinter einem
Haken, welcher über der Stelle des Handgriffes an der Rinne augebracht ist,
festgehalten. Der Reif ist gewissermaßen zu schmal und zu laug, er muß beim
Aufklemmen in der Richtung der Längsachse der Maske zusammengedrückt
werden, um hinter den Haken zu kommen. Seine Elastizität drückt alsdann
den Überzug fest an den Korb. Der Überzug besteht aus einer sechsfachen
Gazeschicht, welche unter dem gleich zu beschreibenden Einguß durch eine etwa
12 cm im Quadrat messende, 24 fache, lose aufgelegte oder mit einigen Stichen
befestigte Gazekompresse verstärkt ist. Darüber liegt der impermeable Stoff.
Der Eingußapparat besteht aus zwei runden und der Wölbung des Korbes
entsprechend leicht gebogenen Platten, welche etwa •'/4 cm voneinander entfernt
in ihrer Mitte an einem senkrecht zu ihrer Fläche stehenden fast 2 cm weiten
Röhrchen befestigt sind. Letzteres durchbohrt die obere Platte und überragt
sie um 1 cm. Der Abschnitt zwischen beiden Platten ist durchlöchert. Ebenso
ist die untere Platte bis auf ihre Mitte durchlöchert. Gießt man in das Röhrchen
von oben Flüssigkeit, so fließt diese durch die Löcher des Verbindungsstückes der
beiden Platten über die untere Platte und durch die in ihr vorhandenen Löcher
sowie über ihren Rand ab, auf die untergelegte dicke Gazekompresse. Eine
dritte kleinere Platte hat den Zweck, den impermeablen Stoff' auf die obere
jener beiden Platten festaufgedrückt zu halten. Der Stoff' hat hier einen runden
Ausschnitt, um über das Eingußrohr gelegt werden zu können. Um die kleinere
dritte Platte abnehmen zu können, ist ihr ein geriefter Ring aufgesetzt, welcher
das Eingußrohr fest umfaßt. Letzteres wird mit einem Kork verschlossen. Die
Wölbung der Platten gestattet, daß der Eingußapparat auf jeder Seite des
Korbes fest aufliegt. Will man also mit rechter Seitenlage des Kopfes narkotisiereu,
so liegt der Einguß auf der liukeu Seite des Korbes, der impermeable Stoff
hat sein Loch nicht in der Mitte, sondern seitlich. War eine andre Lage des
Kopfes erforderlich, so war der Einguß dem Korbe an anderer Stelle aufgelegt,
immer so, daß das Rohr etwa senkrecht steht, so daß man bequem eingießen
kann. Der Überzug kann nach jeder Narkose, besonders wenn er von Schleim
etc. beschmutzt ist, leicht und rasch gewechselt werden etc. (Thöle).
Hierdurch ersieht man den Zweck der Maske, sie ermöglicht das Aufgießen
von Äther ohne Entfernen der Maske. Nun muß ich aber gleich bemerken, daß
es dem Narkotiseur völlig unmöglich ist, ohne Aufnehmen der Maske die Pupilleu-
reaktioü zu prüfen, und es wird nun wohl gleich der Übelstaud klar, denn
wenn man die Maske entfernen muß, um die Augen zu prüfen, so kann man
auch Äther aufgießen während dieser Zeit uud verzichtet man auf das Prüfen der
Pupillenreaktion zugunsten des Aufgießens durch die Öffnung, so verlieren
wir das wichtigste Merkmal, welches uns eine nahende Gefahr in der Narkoe
etwa andeuten könnte. Man sieht also, in jeder Beziehung ist auch diese
Maske nicht dem Ideale nähergekommen, im Gegenteil, man muß diese Methode
gegen die von AVitzel entschieden für keine bessere Methode erachten, denn
Thöle sagt in der Beschreibung der Methode seiner Äthernarkose, daß er die
Maske nach und nach mit je 5 — 8 ccm Äther beschickt und dieselbe von Anfang
bis Ende auf dem Gesicht festliegen läßt.
— 397 —
Es sind imu in dcv luniei'eu Zeit eine j^'auze Reihe von modifizierten
Methoden und Maslcen auch für die Äthevnarkose aufgetauclit. ]\[au hat in allen
den einzelnen Arten hier und da einen Vorteil enungen, um einen Nachteil
mehr womög-lich mit in den Kauf zu nehmen. Es ist die Tropfmethode schon
von Riedel angegeben, und zwar ließ derselbe die Tropfen durch eine Öffnung in
der mit impermeablen Stoff überzogenen Maske fallen, eine Art der Ätherisierung-,
welche bei vorsichtiger Zufuhr von Äther eine ganz brauchbare Blethode dar-
stellt. Mau kann dazu eine kleine Maske (die Esmarchsche etc.) mit Biil-
roth-Batist überzogen und im oberen Teil mit einem talergroßen Loch versehen
brauchen, wobei nnter dem Billroth-Batist einige Lagen Mull sich befinden.
Durch die kleine Maske ermöglicht mau das Beobachten der Augenreflexe
während die Maske fest auf dem Gesicht lieg-en bleibt.
Figur 119. Narkoseapparat nach Ormsby.
Eine weitere Maske, resp. ein Atherisierungsapparat, der zugleich eine
besondere Methode mit sich verknüpft, soll nunmehr betrachtet werden. Der-
selbe ist zuerst in England konstruiert worden, und man hat an ihn anschließend
eine Menge anderer Apparate erfunden, die mehr oder weniger Verbesserungen
zeigen. [^In England war von Ormsby ein Apparat für die Athernarkose
konstruiert worden, der in beistehender Abbildung dargestellt ist, (Figur 119)
und welcher eine neue Methode darin anregt, daß der Äther in einen Gummi-
beutel gegossen und daselbst je nach der ruhigen Lage oder durch Schütteln
mehr oder weniger schnell zur Verdunstung gebracht wird. Aus dem Beutel
führt ein kurzes Halsstück in eine Maske, welche ähnlich der beim Junker-
scheu Chloroformapparat nur Nase und Mund bedeckt und ein Ventil für Luft-
zutritt besitzt. Man gießt in den Beutel 150 ccm Äther und läßt den Kranken
zunächst nur die Luft durch die Maske atmen, während der Beutel mit Äther
— 398 —
ruhig liegt. Während dieser Zeit bekommt der Kranke hauptsächlich atmo-
sphärische Luft durch das Ventil zu atmen mit nur wenig Ätherdämpfen, die
aus dem Beutel strömen. Will man nun dem Kranken mehr Atherdämpfe zu-
führen, so setzt man die Maske fest auf das Gesicht auf, um Luftzutritt neben
dem Mundstück zu verhüten und macht von Zeit zu Zeit mit dem Beutel
schüttelnde Bewegungen, wodurch schneller und mehr Äther verdampft. Auch
schon durch die Wärme der den Beutel umfassenden Hand wird eine erhöhte
Verdunstung von Äther veranlaßt. Je mehr Äther dem Krauken zuströmen
soll, um so häufiger und intensiver schüttelt man den Beutel, bis die ganze
Menge des darin befindlichen Äthers schließlich verdampft ist. Es wird bei
dieser Methode dem Kranken nur Ätherdampf mit Luftgemisch zugeführt und
das Verdunsten des Äthers dicht vor dem Mund verhütet, so daß auch die
Abkühlung geringer ist. Dieser Apparat ist von W an seh er zimächst ver-
ilngestell \
iu;nehnibn:'.
Figur 120.
Ätherapparat von W an seh er.
Figur 121.
Äth erapp arat von W a n s c h e r - G r o ß m a n u.
ändert worden, und zwar insofern, als derselbe den Hals des Beutels recht-
winklig abbog, um ein besseres Zm'ückhalten des flüssigen Äthers im Beutel
hervorzurufen (Figur 120). Dann verbesserte diesen Apparat Großmann durch
ein herausnehmbares Drahtgestell, welches den Beutel am Zusammenfallen
verhindert und somit einen größeren Raum für das Verdunsten des Äthers er-
zeugt. Man nennt diesen Apparat den Wanscher-Großmannschen; der-
selbe ist in beistehender Figur 121 abgebildet, aber ohne die Maske, welche
man sich noch an den Hals angefügt denken muß.
Damit der Äther nicht in das Mundstück fließen kann, bringt Ormsby in
den Hals des Beutels ein wenig Gaze, ebenso Wan scher, während dies bei der
Wanscher-Großmannschen Maske nicht nötig ist. Dieser Apparat wird
von manchen Seiten warm empfohlen (Pfannenstiel, Krömer etc.).
Ein Ubelstand dieses Apparates besteht vor allem darin, daß der Speichel des
Kranken in das Mundstück desselben fließt. Um diesen Speichel besser ent-
fernen und die Maske leichter reinigen zu können, hat Mikulicz einen Korb
— 399
koustnüert, doi' mit Mull ülierzo^-en in die 31aske g'est(;llt wii'd und den
Speichel iu dein 3lull sammelt. Nach jeder Narkose wird der Korb entfernt
lind durch einen neuen, saubereu, ersetzt. Ein Nachteil der Wausch er-Groß-
nianu sehen Maske ist ferner der, daß ihr ein Ventil für die Inspirationsluft
fehlt, wie es bei dem Apparat von Ormsby vorhanden ist. Durch dieses
Ventil erhält der Kranke auch frische Luft, wenn man die Maske fest auf das
Uesicht auflegt, hingegen wird bei dem Apparat von Wauscher-Großmaun
ein Mangel an Sauerstoff und Überfluß von Kohlensäure auftreten müssen,
wenn man den Apparat luftdicht auf das Gesicht aufdrückt. Krömer gibt
noch den Rat, die Maske fest auf die Haut des Gesichtes zu drücken und bei
undichtem Rand die Offuungeu zwischen Haiit und Maske, welche Luft ein-
dringen lassen durch Wattebäiische zu verschließen. Ich kann mir nicht
anderes denken, als daß hier-
bei ein Vorteil nicht vorhanden
ist, denn die Luft wird in dem
Beutel immer reicher an Koh-
lensäui'e und immer ärmer an
Sauerstoff werden, ein Um-
stand, den man der Genfer
Methode vorwirft als großer
Übelstand und der hierbei ent-
schieden wieder einen großen
Nachteil bildet. Jedenfalls ist
hier nur ein kleiner Vorteil,
daß in dem Apparat mehr
Sauerstoff als in dem der
Julliardscheu Maske vor-
handen ist, aber derselbe wird
nicht sehr lange Zeit vorhalten
und es werden uugeeignete
Gasgemische entstehen, was
auch Dr e s er gefunden hat. Es
ist dieser Apparat also nur
dann ohne Nachteile zu ver-
wenden, wenn man das von
Ormsb}^ augebrachte Ventil im Mimdstück anbringt, oder den Apparat nicht
luftdicht aufsetzt. Immerhin ist dieser vielumstritteue Apparat nicht imstande,
der Tropfmethode ernstlich Konkurrenz zu machen.
Einen eigentlich einer Maske sehr ähnelnden Apparat haben W agner -
Longard angegeben. Derselbe besteht, wie Figur 122 zeigt, aus einem Zylinder-
förmigen Rohr, dessen Basis, mit entsprechenden Ausschnitten für Nase und
Kinn versehen, dicht auf das Gesicht paßt und Nase und Mund bedeckt. Der
Raum des Zylinders ist durch 2 Böden iu 3 Etagen geschieden, imd der dritte
Raum ist nach oben durch eine trichterförmige Bedeckung bis auf eine kleine
Stelle geschlossen. Diese offene Stelle ist durch ein Spiralfederventil nach innen
so abgeschlossen, daß Luft einströmen, aber nicht entströmen kann. Dieses
Inspirationsveutil ist mit B bezeichnet. D und G sind die beiden Böden, welche
von Sieben oder Gittern gebildet werden. Der obere Boden D ist herausnehm-
bar und man legt für den Gebrauch zwischen die beiden Böden etwas gekrüllte
Gaze. Bei H ist ein Exspirationsventil angebracht. Wenn man die Maske
Figur 122.
Ätheiapparat nach Wagner-Longard.
— 400 —
brauchen will, wird dieselbe zunächst dicht auf das Gesicht des Patienten auf-
gelegt, und ev. durch den mit Luft aufzublasenden Gummischlauch luftdicht
adaptiert. Ein vollkommen luftdichter Abschluß zwischen Maskenwand und
Gesicht des Patienten ist zur richtigen Funktion des ganzen Apparates nötig.
Nachdem der Kranke einige Züge durch die Maske geatmet hat, läßt man
durch das Inspiratiousventil einen Tropfen Aether einfließen. Allerdings ist
die Maske nur gut brauchbar, wenn der Kopf in horizontaler Lage sich
befindet, ein Umstand, der die A'erwendung des Apparates für die meisten
Fälle illusorisch macht, oder doch die Anwendung der Maske erschwert,
wenn man auch bei seitlicher Kopflage dieselbe verwenden kann, so ist
es doch immer mit mehr Schwierigkeiten verbunden als bei normaler Lage.
Der Aethertropfen fällt durch das Ventil auf den Mull resp. die Gaze und ver-
dunstet daselbst. Der Kranke atmet den Sauerstoff in der Luft durch das In-
spirationsventil ebenfalls und die Luft mischt sich mit Aetherdämpfen in einer
Konzentration, welche abhängig ist von der Menge des Aethers, den man in die
Oeffnung gegossen hat. I>ie Exspirationsluft soll durch Exspirationsventil H
ausgestoßen werden. Danach müßte also immer gute Luft einströmen, sich mit
Aether mischen, in die Lunge gelangen, wieder exspiriert werden und durch
Ventil H aus der Maske ausströmen. Daß das nicht der Fall ist, sieht jeder-
mann sofort ein, denn die Kohlensäure der Exspirationsluft des Kranken wird
sich mit der im Apparat befindlichen Luft mischen und es wird immer wieder
möglich sein, daß mehr Kohlensäure sieh ansammelt, als sich ansammeln sollte.
Das ist hierbei eben nicht zu umgehen. Immerhin ist der Apparat nicht ohne
Nutzen, denn er veranlaßt einerseits den Patienten zu starkem Atmen und
er ermöglicht eine annähernd genaue Konzentration je nach dem Wunsche des
Narkotiseurs, da der Aether nur im Apparat verdunsten und nicht nach außen
entweichen kann. Ein Vorteil der Maske ist die Zufuhr von sauerstoffhaltiger
Luft. Aber bei dem Gebrauch namentlich in Räumen mit sehr feuchter Luft,
was ja in Operationssälen meist der Fall ist, wird bei längerer Dauer der
Narkose in den Sieben resp. den Böden 1) und G sich Koudenswasser ab-
setzen, das infolge der Aetherkältewirkung gefriert und nach und nach die
Siebe völlig verstopft. Man hat hierbei noch den Nachteil, daß man dem
Kranken sehr kalte Gasgemische zuführt, welche die Lunge erkälten und
schädigen können. Vor allem ist dies wichtig, weil der Kranke gerade bei
dieser Maske vom Anfang an gewöhnt durch die ganze Narkose sehr tief und
ausgiebig inspiriert, wobei die kalte Luft sehr stark mit der Lunge in
Berührung kommt und besonders stark abkühlend wirken kann. Longard hat
diesem üebelstand durch das Anbringen eines Thermophor zwischen Sieb und
Deckel abgeholfen. Dieser Thermophor ist ringförmig, läßt also in der Mitte Raum
für den durchtropfenden Aether. Er wird vor der Narkose einige Minuten in
kochendes Wasser gelegt und dann in die Maske gebracht. Dadurch hat
Longard die Abkühlung etc. völlig verhütet. Bei den Narkosen mit dieser
Maske fehlen jede Cyanose, Exzitation bei Frauen und Kindern vollkommen,
auch Potatoren werden mit wenig Exzitation betäubt. Die Dauer der Einleitung
der Narkose ist bei Frauen und Nichtalkoholisten 3 — 5, bei Alkoholisten 5—8
Minuten. Jedenfalls verläuft die Narkose sehr gut, leicht und ohne Zwischen-
fälle, der Aetherverbrauch ist sehr gering. Man kann stets Toleranz mit nur
25 — 40 com Aether erreichen, indem man denselben tropfenweise in die Maske
fließen läßt.
Ein dieser Maske sehr ähnlicher Apparat ist der Aetherinhaler von
Dr. Jos. W. Hearn, welcher in Philadelphia als Chirurg am Jefferson Med.
Hospital denselben für die Aethernarkosen verwendete. Dieser Inhaler verdient
noch eher den Namen einer Maske, weil er kleiner und weniger kompliziert ist.
Er besteht aus einem auf das Gesicht genau passenden Zylinder, in welchem
auf einem Sieb eine Muilkompresse liegt. Nach dem anderen Ende ist der
Zylinder durch einen Deckel mit zentraler kleiner Öeff'nung verschlossen, durch
welche der Aether auf die unter der Oeffnung liegende Mullkompresse getropft
wird. Der Kranke atmet durch die Oeffnung die Luft ein, die durch die
Kompresse streicht und den Aether mit sich in Dämpfen mischt. Der ganze
Apparat ist viel primitiver und bietet alle Nachteile, die der Wagner-
401
J.oug-ardsclie Apparat olmc TlicniKiphni- ebenfalls besitzt. Ein Vorzus'
dieses Inlialers ist nicbt vorliaiiden.
Solch ähnliclie Masken sind necli verscliiedentlich angegeben nnd kon-
struiert worden, die alle hier zu nennen nicht augängio- ist. Ich werde nur die
bekanntesten Apparate beschreiben, die am meisten Verwendung finden und am
besten funktionieren.
Ein Apparat, welcher besonders genau dosierte Gemische liefern und auch
dem Krauk(>n verabreichen soll, ist von Clover konstruiert worden. Derselbe
stellt allerdings einen recht brauchbaren Apparat dar, der in Prinzip und Bauart
mit dem Ormsby sehen Tnhaler viel Ähnlichkeit aufweist, aber eben wegen
der genauen Dosierung auch einen recht komplizierten Apparat darstellt, der,
wenn er auch nicht gerade voluminös und schwer transportabel ist, so doch
immerhin einen größeren Bal-
last als eine E s m a r c h s c h e
]\[aske darstellt und vor allem
in der Handhabung geübte
Hand und erfahrenen Narkoti-
seur verlangt, der dem prak-
tischen Ai'zte nicht immer zur
Verfügung steht. .Somit wird
derselbe mehr ein Apparat
für Hospitaltätigkeit sein.
Der C 1 0 V e r s c h e App ar at
wird vor allen Dingen in
Frankreich und England ver-
wendet und hat sich dort
viele Anhänger erworben.
Derselbe besteht, wie aus Figur 123 ersichtlich,
aus einem Metallkessel für die Aufnahme des Aethers,
in welchen man durch eine verschließbare ( )effnung den
Aether eingießen kann. Die untere Hälfte des Kessels
ist von einer durch eine Schraube verschließbaren Wasser-
kammer umgeben, in welche man heißes Wasser gießen
kann, um die zu starke Abkühlung der Aetherdämpfe
zu verhüten. Mit dem Kessel ist durch ein rechtwinklig-
gebogenes Rohr ein Gummibeutel verbunden und an der
entgegengesetzten Seite des Metallkessels ist die für
das Gesicht bestimmte Maske angefügt, welche ähnlich
wie die Maske beim (iroßmannschen Inhaler mit einem durch Luft aufblas-
baren Gunimirohre versehen ist und für Nase und Kinn passsende Einkerbungen
aufweist.
Der Metallkessel ist der Hauptbestandteil des ganzen Apparates und im
Innern ziemlich kompliziert gebaut. Der Aetherraum ist in seiner ganzen Höhe
von einem runden Kanal durchsetzt, mit welchem der Innenraum durch vier
Löcher verbunden ist. An diesen Kanal setzt sich das in den Gummibeutel
führende Eohr an, welches nach wenig Zentimeter Verlauf- rechtwinklig ab-
gebogen ist. Entgegen dem Ansatz dieses Rohres an den Kanal setzt sich da,
wo der Kanal die Wand des Kessels durchbohrt, eine Pfeife an, welche die
Verbindung mit dem Mundstück, der Maske, herstellt, und die im Innern gelegen,
von außen nicht sichtbar ist. Diese Pfeife ist durch einen außen am Apparat
sichtbaren Hebel zu drehen und zu verstellen. Dieselbe kann mit einer
zweiten im Kanal selbst angebrachten Pfeife in Verbindung gebracht werden
und durch die verschiedene Stellung dieser Pfeifen zueinander wird der
Aethergehalt der inspirierten Luft geregelt, verändert und genau dosiert. Wenn
26
Figur 123.
Äth ern arko s eapp ar at
von C 1 0 V e r.
— 402 —
nämlich die erste Pfeife so steht, daß der mit ihr verbundene Hebel auf einem
am Apparat mit 0 markierten Punkte steht, so ist durch die beiden Pfeifen die
Kommunikation des Mundstückes oder der Maske mit dem Gummibeutel her-
gestellt, und die tou dem Kranken ausgeatmete Luft wird in dem Gummibeutel
geblasen und von da wieder inspiriert, so daß also der Narkotisierte immer seine
Exspirationsluft wieder inspiriert. Es sind nun an der Außenseite des Kessels
die Ziffern 1, 2, 3, 4 aufgeschrieben, und dieselben markieren Punkte, auf welche
man den Hebel stellen muß, um bestimmte Aetherbeimengungen zu der Luft im
Apparat hinzufügen zu können. Wenn man den Hebel auf Punkt 4 stellt, so
muß all die Luft, welche der Kranke ein- und ausatmet, durch den Aetherkessel
hindurchströmen, wobei sie natürlich eiue greße Menge von Aetherdämpfen
aufnimmt und sich beimengen muß, so daß nun der Kranke nicht mehr reine
Luft atmet, sondern die von ihm selbst expirierte Luft mit viel Aetherdämpfen
inspiriert und so fort. Während er nun so weiter atmet wird er immer mehr
Aetherdämpfe erhalten, das Gasgemenge im Apparat wird immer reicher an
Aetherdämpfen, reicher an Kohlensäure und ärmer an Sauerstoff werden. Wenn
man daher den Hebel auf der 4 stehen läßt, wird der Kranke sehr bald tief
narkotisiert werden. Wenn man nun den Hebel auf Nummer 3 stellt, so wird
nicht die ganze Luft durch den Aetherkessel getiieben werden, sondern es
wird nur ca. '•^j^ der Luft durch den Aether strömen und 1/4 wird an der Aether-
kammer vorbei in den Beutel streichen, stellt man den Hebel auf Nummer 2,
so wird nur die Hälfte, stellt man ihn auf Nummer 1, so wird nur 1/4 der Luft
in die Aetherkammer streichen und sich Aether beimengen, während der Piest,
jetzt also ^li Teile der Luft, neben dem Aetherraum vorbei in den Gummibeutel
strömt. Es wird also je nach den Zahlen die Luft mit viel oder mit wenig-
Aetherdämpfen vermischt werden und somit erhält der Kranke bei 0 keinen
Aether, bei 1 nur wenig, bei 2 etwas mehi', bei 3 noch mehr und bei 4 sehr
viel xietherdämpfe.
Wenn man also einen Kranken mit dem. Clover sehen Apparat, der in
Figiu- 123 abgebildet ist, narkotisieren will, so beschickt man zunächst den
Aetherkessel mit 75 — 100 ccm Aether, dann stellt man den Hebel auf den Null-
punkt ein und läßt einige Atemzüge von dem Kranken tun. Dann stellt man
den Hebel auf Nummer 1 und läßt den Kranken ruhig weiter atmen, indem
man beobachtet, ob der Aether auch schon gut vex'tragen wird. Man kann ja
auch erst den Hebel auf die Hälfte der Entfernung von 0 — 1 stellen, dann
erhält der Kranke noch weniger Aetherdämpfe. Atmet der Patient ruhig ohne
Störung, so stellt man den Hebel nach und nach auf Marke 2 und 3, bis man
auf 4 angelaugt ist. Dabei wird der Kranke sehr bald betäubt sein. Clover
rühmt neben der prompten ruhigen Narkose, die man mit seinem Apparate
erzielt, als besondere Vorteile einen sehr geringen Konsum an Aether, die Dämpfe
können langsam, stufenweise höher konzentriert werden, man brauche keinen
Aether nachzugießen u. dgl. m.
Der Clover sehe Apparat besitzt den geringen Vorteil, daß er während der
ersten Minuten langsam bestimmte Dosen aiü'steigend verabreicht, aber diese Dosie-
rung wird bald ganz illusorisch, denn der Kranke atmet ja immer wieder Aether-
dämpfe mit der Luft aus, es entstehen also in dem Beutel höhere Konzentrationen^
als man annimmt, der Patient erhält zweitens während der ganzen Narkose
keinen Sauerstoff, sondern er muß mit der geringen Menge, welche in dem
Apparat vorhanden war, auskommen, also entsteht im Organismus ein starker
Mangel an Sauerstoff, weiter bildet sich im Cloverschen Apparat eine große
Menge Kohlensäure, die der Kranke stets wieder in- und exspiriert, also wird
neben der Aether- hierbei eine Kohlensäurenarkose bestehen, weiter vermag
man wohl den Aethergehalt zu steigern bei Beginn der Narkose, doch wenn der
Kranke tief betäubt ist und man stellt den Hebel auf 0, so atmet der Kranke
immer weiter die ätherreiche Luft im Gummibeutel, bis der darin enthaltene
Aether verbraucht ist, was, wenn der Aether nicht eine so große Narkosenbreite
besitzen würde, dem Kranken große Gefahren bringen könnte, so wäre z. B.
für die Chloroformnarkose dieser Apparat ein höchst gefährliches Instrument.
Wenn der Apparat geuaii dosieren sollte, so müßte der Kranke nicht die Luft
aus dem Beutel, sondern reine atmosphärische Luft zugeführt erhalten. Wenn
403
stets saiierstoffi'eiche Luft durch die Pfeifen sti-ömeu würde, könnte man eine
annälicrnd genaue Dosierung annelimeu. An diesem Apparat aber, wie ilin
Clover angegeben hat, ist nie eine angemessene Konzentration der Aether-
diimpfe in dem Gasgemisch enthalten, angemessen den Zahlen, die die Marken
für den Hebel angeben. Es ist demnach auch der Clover sehe Apparat nicht
für eine reine Aethernarkose, wie man sie sich jetzt als Idealnarkose vorstellt»
bei welcher der Kranke reichlich Sauerstoff atmet und nicht unter Kohlensäure-
iutoxikation steht, zu brauchen, denn der Clover sehe Apparat bewirkt nicht
eine Aethernarkose, sondern eine Aetherkohlensäurenarkose. Es ist aber nun
gerade in der neueren Zeit erkannt worden, wieviel bei jeder Narkose die reich-
liche Zufuhr von Sauerstoff zu den Lungen wert ist, so daß man bereits den
Aetherdämpfen Sauerstoffgas beimischt, und man hat, gestützt auf diesen Gedanken-
gang und zahllose Beobachtungen und Versuche, die Aethererstickungsuarkose
der Genfer Methode als nicht ungefährlich hingestellt. Man kann nun da
unmöglich die Narkose nach Clover als einen Fortschritt bezeichnen und muß
nach unserer heutigen Ueberzeugung die Clover sehe Maske entschieden
als wenig geeignet für eine Narkose erachten.
Der ebenbeschriebene Clo-
ver sehe Apparat ist nun modi-
fiziert worden, und zwar ^on
Sheppard dadurch, daß da-.
Verbindungsrohr zwischen Ma-.ke
oder Mundstück und dem Metall -
kessel eine rechtwinklige Ab-
knickung er-
hielt, so daß
es dadurch er-
möglichtwird.
daß man einen
Kranken, der
den Kopf auf
der Seite lie-
gen hat, be-
quem narkoti-
sieren kann.
Es ist die Ver-
wendung die-
ses Sheppardschen Apparats in beistehender Figur 124 abgebildet.
Weiter ist der Apparat von Silk anstatt mit dem mit einem aufblähbareii
Gummischlauch versehenen Metallmundstück mit einem aus Zelluloid bestehenden
Mundstück versehen w'orden. Auch dieses durchsichtige Zelluloidmundstück ist
in der Figur 124 zu sehen.
Von Wilson Smith ist eine Modifikation dieses Apparates angegeben
worden, Avelche den Ätherkessel aus Glas angefertigt zeigt, so daß mau imstande
ist zu kontrollieren, ob der Äther verbraucht oder ob noch genügend in dem
Kessel vorhanden ist. Diese Verbesserungen bedeuten nur geringe Fortschritte.
Weiter ist von Barth ein Gummiballon angegeben worden, der vom
Apparat abnehmbar und umzustülpen ist, so daß man die Innenfläche des Äther-
ballons besser und bequemer, auch intensiver reinigen und lüften kann, wodurch
die sonst in dem Ballon zurückbleibenden Ätherreste entfernt werden. Dadurch
hat der Apparat im Anfang der Narkose noch keinen Geruch nach Äther, was
26*
Figur 124. Äthernarkoseapparat von Sheppard.
— 404
den Kranken bisweilen sonst absclireckt. Ferner hat man eleu Ballon resistenter
angefertigt, so daß er nickt so leicht zusammenfällt, sondern elastischer bleibt.
In Deutschland sind noch zwei andere Apparate für die Aethernarkose
in Gebrauch, welche besondere Aehnlichkeit mit dem obeng-enannten Wagner-
Longardschen Apparat haben. Der eine dieser Apparate ist von Czerny
angegeben und besteht, wie aus beistehender Figur 125 ersichtlich ist, aus
einem Zylinder mit einem denselben quer durchsetzenden Sieb, auf welches man
Mull in einer dünnen Schicht legt. Die Maske ist durch einen Deckel ver-
schlossen, welcher ebenfalls Löcher hat. Man gießt den Aether auf den Mull.
Der Kranke respiriert die Luft durch die Maske und erhält dabei die Aether-
dämpfe beigemengt. Einen besonderen Vorteil bietet dieser Apparat gegenüber
den anderen nicht.
Rosenfeld hat einen komplizierteren Apparat angegeben, weicher dem
Prinzip nach ebenso gebaut ist, der nur aus zwei ineinandersitzenden zylinder-
förmigen Gebilden besteht. Aus beistehender
Figur 126 ist ersichtlich, daß in dem großen Zylin-
der (du kleinerer mit SIull od. dgl. überzogener
Zylinder angebracht ist. In der Decke des Appa-
. rats ist eine Oeffuung, durch welche man deu
Aether in den Apparat gießt. Der Aether fließt
auf den inneren Zylinder und wird daselbst ver-
teilt über eine größere
Fläche, so daß eine in-
tensivere Verdunstung
entsteht. Der ganze
Apparat gestattet in-
folge seiner Bauart einen
reichlicheren Sauerstoff-
zutritt als die anderen
Apparate und bietet in-
folgedessen einen Vor-
teil, indem er dem Kran-
ken ein sauerstoffreiche-
res Aetherdampfluftge-
misch verabreicht mit
geriugerem Prozentge-
halt an Kohlensäure wie
die englischen Apparate.
Alle diese eben hier
angeführten Apparate
verfolgen das Prinzip liei der Äthernarkose, eine
zu bewirken und dabei soviel als angängig den
war diese Ausicht, die Ätherwirkung sei eine
Figur 125. Atherpparat
von Czerny.
Figur 126. Ätherapparat
von Rosenfeld.
möglichst genaue Dosierung
Luftzutritt zu hindern. Es
stärkere bei völligem Luft-
abschluß, hervorgegangen aus der Beobachtung bei der Genfer Methode, daß
die Narkose um so schneller eintrete, je intensiver man die Luft fern halte,
was man ja bekanntlich dabei durch das Umwickeln des Maskenrandes mit einem
Handtuch z\i erreichen suchte und auch erreichte. Diese Annahme war
aber eine irrige, denn man schadete nur dem Kranken. So haben sich die
Narkotiseure in zwei Lager geteilt, die einen, welche die Narkose unter Luft-
abschluß und die anderen, die sie unter Luftzutritt erreichen wollen.
Ein für die Äthernarkose noch angegebener praktischer Apparat, welcher
die Narkose ähnlich wie die von Wagner-Longard konstruierte Maske er-
möglicht, ist der von Pendler angegebene Apparat. Derselbe besteht, wie
Figur 127 zeigt, aus einem zylinderförmigen Metallgefäß, welches mit der Basis
genau auf das Gesicht des Kranken paßt und am entgegengesetzten Teil eine
— 405 -
abgerundete mit zahlreichen Ivüchcru versehene Decke besitzt, welche man
abnehmen kann. Im Inneren des Apparats befindet sich ein Zwischenbüdeu,
der ebenfalls durchbrochen ist und auf welchen man Watte oder Mullkompressen
legt. Durch die durchlochte Decke wird der Äther getropft oder in kleinen
Mengen gegossen und fließt von da in die Mull- oder Wattelagen. Der Kranke
atmet die Luft durch den Apparat, da seitlich keine solche zudringen kann und
erhält so die mit Äther gemengte Luft je nachdem man viel oder wenig Äther
a\ifgießt. Natürlich darf der Äther nur in kleinen Mengen aufgetropft oder
gegossen werden, damit er nicht auf das Gesicht des Patienten fließt. Der
Apparat ist auskochbar und insofern von Vorteil. Auch ist die Narkose da-
durch sehr angenehm zu Ijewirken, da man leicht und sicher die Dämpfe
konzentrieren kann.
Wenn man nun diese genannten Apparate kri-
tisch betrachtet, so lassen sie sich in die zwei
Gruppen trennen, in die, welche dem Kranken atmo-
sphärische Luft zuführen und in die, welche nur die
eigene Luft und die im Apparat befindliche atmen
lassen. Es ist leicht erklärlich, daß die Apparate und
Methoden ersterer Gruppe bei weitem vorzuziehen
sind gegenüber den letzteren, denn innerhalb der Ap-
parate, welche atmosphärische Luft nicht zutreten
lassen, wird sich sehr bald der wenige Sauerstoff
aufbrauchen, ohne daß solcher regeneriert wird. Da-
durch entsteht mit der Zeit ein Mangel an Sauer-
stoff, der sich auch im Blute des Menschen bemerk-
bar macht und die natürliche Folge ist eine Kohlen-
säureintoxikation. Bei allen diesen Apparaten findet, Figur 127. Ätherapparat
wenn der Narkotiseur nicht neben dem Mundstück nach Ben dl er.
und Gesicht Luft zutreten läßt, sondern den Apparat
fest auf das Gesicht aufsetzt, neben der Äthernarkose auch eine Kohlensäure-
narkose statt. Diese Kombination ermöglicht eine schnellere Betäubung, das
Stadium 1 und 2 der Narkose ist kürzer, aber es bestehen daneben Gefahren
durch die Kohlensäurewirkung. Die Abkürzung des ersten und zweiten Stadiums
Avird dabei vor allen Dingen dadurch erzielt, daß der Äther unter weuigei' Luft-
beimengung, also konzentrierter eingeatmet wird, als bei den offenen Apparaten.
Es wird aber durch die geschlossene Methode der Äther stärker in seinen üblen
Eigenschaften zur Geltung kommen, denn die Dämpfe sind konzentrierter, und
diese üblen Eigenschaften bestehen vor allem in Eeizung der Lungen etc.
Man hat beobachtet, daß bei langsamer Steigerung der Konzentration der Äther-
luftgemische unter reichlichem Luftbeitritt die Reize, welche auf die Schleim-
haut der Bronchien ausgeübt werden, viel geringer sind, man sieht diese geringere
Reizwirkung sofort auch an der Schleimabsonderung und Speichelsekretion im
Munde, welche bei der langsamen Dosierung viel geringer ist, als bei den
geschlossenen Apparaten. Die Folgen dieser Reizung durch den Äther sind ja
bekannt und man hat es in der Hand, die Gefahren der Äthernarkose stark zu
vermindern. Deshalb ist die Tropfmethode eben die beste Darreichungsart.
Natürlich läßt sich auch mit den übrigen Methoden eine exakte Dosierung und
vorsichtige Verabreichung erzielen, und dies muß auch bei den bestfunk-
— 406
tiouiereudeu Apparaten das Bestreben des Xarkotiseurs sein, denn er kann
dnrcli korrekte Leitung der Betäubung den Apparat in seiner Wirkung be-
deutend unterstützen.
Es ist bei allen diesen Apparaten und Methoden der Darreichung des
Äthers das Operieren im Gesicht bedeutend erschwert, denn die Maske
oder das Mundstück der Apparate nimmt stets einen großen Teil des Gesichts in
Anspruch und verdeckt meist Mund und Nase. Daher kann man all diese
Apparate bei Operationen im Mund, Rachen oder der Nase nicht gut brauchen,
es sei denn, man verwendet die abwechselnde Betäubung, wobei man durch
festes Auflegen der Maske erst den Ki-auken tief betäubt, bis er in der tiefsten
Toleranz angelangt ist, nimmt nun die Maske weg und läßt den Operateur
arbeiten, bis der Kranke zu erwachen beginnt. Da unterbricht der Operatem-
die Operation und der Narkotiseur betäubt wieder bis zur Toleranz. So wechselt
man ab. Dies hat aber viel Nachteile, die sich jeder leicht vorstellen kann.
Deshalb hat man versucht, auf andere Art die Ätherdarreichung auszuführen.
Die Methode, wie sie bei Chloroform er-
wähnt wurde und die in Tracheotoraie mit
Auftropfen des Narkotikums auf den mit
Mull überspannten Trichter besteht, kann
bei Aether sulf. deshalb nicht ausgeführt
werden, weil der Äther, durch die Tracheo-
tomiekanüle inspiriert, eine zu starke
Kältewirkung auf die Schleimhaut der
Bronchien ausübt. Man soll dazu nie Äther
verwenden, sondern Chloroform. Ist dies
nicht möglich, muß man die Ätherdämpfe
aus einem langen Schlauch, der durch
warmes Wasser läuft, in die Trachealkanüle
eindringen lassen.
Mau hat zum Zwecke der Narkose bei Operationen im Gesicht, Hals etc.
einen Apparat angegeben, der entweder direkt mit der Tracheotomiekanüle
verbunden werden kann, oder welcher mit einem Glasrohr endet, das recht-
winklig abgebogen ist und in einen Mundwinkel des Patienten gelegt wird.
Der Apparat ist von Arndt angegeben worden und besteht aus einer Glasflasche
von 200 — 300 ccm Inhalt, die einen Stopfen aus Gummi besitzt, welcher doppelt
durchbohrt mit zwei Glasröhren versehen ist, von denen das eine Rohr kurz
unterhalb der unteren Korkfläche abgeschnitten und mit einem langen Gummi-
schlauch verbunden ist, der ca. 1 m laug an dem anderen Ende das eben be-
schriebene Mundstück besitzt. Das andere Rohr des Gummistopfens führt bis
ziemlich auf den Boden des Gefäßes, und ist mit einem Gummischlauch an dem
äußeren Ende versehen, welcher mit einem Gebläse verbunden ist. Das Gebläse
ist so konstruiert, daß der zu komprimierende Gummiball am Erdboden liegen
kann, während der Luftsammeiball auf dem Tisch liegt neben der Flasche.
Der Apparat ist in Figur 128 in schematischer Darstellung abgebildet, und die
Konstruktion desselben zu ersehen. So kann man den ersteren Ball mit dem
Fuße komprimieren, natürlich kann er auch mit der Hand in Bewegung gesetzt
werden. In die Glasflasche füllt mau Aether hinein und treibt durch das Gebläse
Luft durch den Aether, welche sich mit dessen Dämpfen sättigt und dieses
Luftäthergemisch dem Patienten in den Mund bläst, so daß er dadurch narkotisiert
werden kannj je nach Bedarf kann man dem Kranken durch schnelles Kom-
primieren des Gebläses viel Aether zuführen, oder auch langsamer komprimieren
und somit weniger Aether verabreichen. Dieser Apparat hat viel Aehnlichkeit
mit dem Junkers eben Chloroformapparat. Man kann, wenn eine Tracheotomie
Figur 128. Narkoseapparat von
Arndt füi' Narkosen bei Operationen
im Gesicht, Mund etc.
A = Gummiball , B = SammelDallon,
C = Äthergefäß, D = Mundstück.
— 407 —
unuiugäuglich ist, auch den Guminischlauch anstatt mit dem Mundstück mit
der Trachealkanüle verbinden, und man kann auch den Gummischlauch ev. dui'ch
ein Gefäß mit lieißem ^^'asser leiten, um eine Erwärmung- der Gase zu erzielen.
Beides läßt sich mit Leichtigkeit erreiclien. Es ist dieser Apparat für solche
Fälle ein sehr brauchbarer und am einfachsten in der Anwendung. Wenn der
Apparat in Tätigkeit ist, so kann man bei konstantem Durchblasen eines Luft-
stromes 1 1 Luft in einer Minute durch den Apparat treiben, iind diese
Luft sättigt sich mit Aetherdämpfen, und zwar bei 16" C enthält dieselbe ca.
46 Volumprozent Aetherdämpfe. Dies ist ein enorm hoher Gehalt und man
kann denselben nur dann verwenden, wenn der Apparat in den Mund leitet,
woselbst sich das Gemenge verdünnt. Die Mischung welche sich im Munde
bildet, enthält dann höchstens 4 — 5% Aether, was sich leicht berechnen läßt.
Man hat im Wanscherscheu Apparat bis 34 "/o Aethergehalt, unter der
Julliardschen 2 — 5%, und es ist von Kionka berechnet, daß 4 — 8 *'/p Aether-
gehalt zur Narkose vollkommen genügen. Es wären also 46*"^ viel zu hoch.
Man darf daher den Luftstrom nur langsam diu'ch den Apparat treiben, und muß
vor allen Dingen bei der Narkose durch die Trachealkanüle sehr vorsichtig'
sein und langsam den Luftstrom hindurchblasen, denn in diesem Falle kommt
ja der ganze Aethergehalt des Luftstromes unverdünnt in die Lungen. Aber
der Apparat gestattet ja auch eine sehr leichte Modifikation, indem man nur
langsam und wenig stark den Gummibali komprimiert. Wenn Narkose ein-
getreten, braucht man nur wenig Aether und selten zu komprimieren. Aber der
Apparat wird am besten nur zur Fortsetzung der Narkose verwendet, denn im
Beginn der Inhalationen belästigen die stark konzentrierten Aetherdämpfe den
Patienten sehr stark: so wird man am besten erst den Kranken mit einer
anderen Maske bis zur Toleranz betäuben und dann mit dem Apparat von
Arndt die Narkose unterhalten. Zum allgemeinen Gebrauch eignet er sich
deshalb nicht.
Von all den bisher genannten Apparaten und Methoden der Äther-
narkose ist entschieden die Tropfmethode die brauchbarste und einfachste,
man braucht für dieselbe nur die Esmarchsche oder Schimmelbus ch-
sche Maske und eine Tropfflasche. Infolge dieses wenigen und kleinen
Instrumentariums ist diese Methode für die Praxis am meisten geeignet.
Es sind noch verschiedene Tropfflaschen dazu angegeben worden, so ist
die Flasche mit dem Verschluß nach Kurrer eine ganz brauchbare, da der
Verschluß, der im Allgemeinen Teil in Figur 63 abgebildet ist, automatisch
funktioniert und somit eine Erleichterung für den Narkotiseur darstellt. In
neuerer Zeit ist noch eine Vorrichtung zum bequemeren Ausgießen des Aethers
angegeben worden, welche ebenfalls auf jeder Flasche anzubringen ist und
durch den Druck der Finger das Ausfließen ermöglicht. Dieselbe ist von
V. Bayer konstruiert und bildet eine Erleichterung bei der Narkose, hat aber
weniger Vorteile wie der Kurrersche Verschluß. Immerhin sind dies Ein-
richtungen, die man entbehren kann. Der Arzt in der Praxis verwendet auch
meist eine gewöhnliche Tropfflasche, wie man sie in der Apotheke erhält, oder
mangels einer solchen eine selbstgefertigte, welche er darstellt, indem er in
den Kork der Aetherflasche an zwei auf der Circumferens des Korkes sich
gegenüberliegenden Punkten in der Längsachse verlaufende Rinnen, die er
mit dem Messer einschneidet, anbringt. Setzt man den so modifizierten Kork
auf die Flasche, verschließt die eine der Kinnen, welche nun Offnungen bilden,
mit dem Finger und neigt die Flasche über die Maske, so kann man durch
Lüften und Aufdrücken des Fingers abwechselnd ein beliebig zu modifi-
zierendes tropfen des Aethers leicht ermöglichen. Dies ist die einfachste
Tropfflasche.
Neben der durch die verschiedenen Methoden erzeugten Äthernarkose hat
man noch zwei Methoden, die ich im folgenden kurz beschreiben will. Die eine
ist die coupierte Äthernarkose von Kronach er. Dieselbe soll vor allen
Dingen das Eintreten postnarkotischer Luugenleiden verhüten und besteht
— 408 —
darin, daß man auf eine der üblichen Masken 5 bis 10 ccm Äther giel3t und
läßt den Kranken unter der Maske unter abwechselndem Lüften der Maske
einige tiefe Atemzüge ausführen. Nach einiger Zeit gießt man 10 — 20 ccm
Äther wieder in die Maske und narkotisiert so den Kranken bis zum Eintreten
der Exzitation. Wenn die Exzitation eingetreten ist, läßt mau den Kranken
noch 5 — 10 Atemzüge unter der Maske ausführen, wobei mau ev. nochmals
10^ — 20 ccm Äther in die Maske gießt. Meist ist jetzt vollkommene Anästhesie
eingetreten, wenn nicht, so läßt man den Kranken noch so lange Äther ein-
atmen, bis dieselbe erfolgt. Xun entfernt man die Maske und operiert. Mau
kann jetzt bis 10 Minuten lang operieren, ohne daß der Kranke auch nur die
geringsten Schmerzen empfindet. Ist die Operation noch nicht beendet und
äußert der Kranke wieder Schmerzen, so narkotisiert man wieder bis zum Ein-
tritt der Exzitation. Natürlich ist diese Methode am besten bei kleineu
Operationen zu verwenden, und die Erfolge hängen auch von dem Kranken
ab, ein Alkoholist ist schwerer zu betäuben, oft gar nicht, und bei Frauen
oder Nichtalkoholisten ist die Narkose sehr brauchbar. Bedarf man bei der
Operation aber völlige Muskelerschlaftung, so ist die Methode nicht geeignet,
denn eine völlige Lähmung der Muskeln tritt meist nicht während der ganzen
Dauer der Narkose auf. Sie ist daher nur zu kleinen Eingriffen zu verwenden
und bietet eben den Vorteil, daß nicht alle Keflexe erloschen sind und der
Kranke nicht Schleim u. dgl. aspirieren kann. Es ist vor allem bei
Mund- und Halsoperationen diese coupierte Narkose zu verwenden, wobei der
Kranke das in den Rachen fließende Blut uoch auszuspucken und auszuhusten
oder zu verschlucken vermag. Insofern und wegen der wenigen in die Lungen
gelangenden Ätherdämpfe ist die Lunge auch nicht so großen (jefahren aus-
gesetzt wie bei der langen Äthernarkose.
Sehr ähnlich dieser Methode ist der Ätherrausch (Sudeck, Kuttner etc.).
Derselbe ist eine Analgesie, welche bei jeder Narkose kurz vor dem Übergang
in die Exzitation eintritt. Es wird dabei nur die Schmerzempfindung gelähmt,
während alle anderen Reflexe und das Bewußtsein nicht erlöschen. Der Rausch
dauert aber auch nur kurze Zeit, 3 bis höchstens 10 Minuten, an. Man kann
daher kleine chirurgische Eingriffe völlig schmerzlos ausführen, ohne daß der
Patient tief narkotisiert ist. Er braucht zu der Rauschmethode nicht vor-
bereitet zu sein, ebenso hat er nach der Narkose keine Beschwerden, es fehlen
Übelsein, Erbrechen, Schwindel, Kopfschmerz, der Kranke steigt vom Operations-
tisch und kann sofort nach Hause gehen, ohne sich übel zu fühlen. Der Äther-
rausch ist eben nur eine durch schnell eingeatmete konzentrierte Äthermengen
erzeugte Analgesie und dieser Rausch ist um so ausgeprägter, je weniger
stark narkotisch ein Mittel wirkt. Da nun der Äther schwächer wirkt als
Chloroform, so hat er auch ein längeres Rauschstadium. Man kann diese kurze
Analgesie auch zu größeren Operationen verwenden. So ist von verschiedenen
Chirurgen die Methode zur Ausführung von Amputationen, Knochenresektionen etc.
verwendet worden (Sudeck etc.), doch es macht sich bei größeren Operationen
der Umstand unangenehm bemerkbar, daß das Bewußtsein des Kranken vor-
handen und die Tastempfindung nicht gelähmt ist. Der Kranke empfindet
zwar keinen Schmerz, doch er merkt deutlich, daß an dem betreffenden Gliede
etwas vorgenommen wird, er merkt das Sägen und Meißeln am Knochen etc.,
und diese Tastempfludung ist bei nervösen Leuten sehr lästig, zudem kommt
— 409 —
die Shokwirknny hierbei iu Betracht, welche bei emptindlicheu Patienten ja so^ar
den 'i'od herbeiführen kann. Somit ist die ^Vlethode eben nnr für kleine
Operationen geeignet.
Man verfährt am besten folgendermaßen, um den Ätherrausch hervor-
zurufen. Der Kranke muß schnell hintereinander tiefe Atemzüge ausüben und
dabei zählen. Meist beginnt die Analgesie, wenn der Kranke unregelmäßig
zählt und abwehrende Bewegungen zu machen beginnt. Man läßt dann den
Kranken weiter zählen, ohne neue Mengen von Äther zu verabreichen. Der
Arzt selbst, wenn an ihm die Rauschmethode ausgeführt wird, kann augeben
und dem Kollegen sagen, wann die Analgesie beginnt, denn er fühlt den Ein-
tritt der Analgesie, während er noch vollkommenes Bewußtsein besitzt. Bei
dem Kranken als Laien muß man warten, bis die ersten Trübungen des Be-
wußtseins sich zeigen. Wenn mau operiert und der Kranke fängt wieder an,
über Schmerzen zu klagen, man merkt den Eintritt der Sensibilität am Zu-
sammenzucken des Patienten, so kann man durch neues Verabreichen von
Äther den Rausch erneuern, und dies mehrmals hintereinander vornehmen. So
kann man im Rausch, der 2— o mal erneuert wurde, Ins zu 20 Minuten lang
operieren. Wenn man das Spiel aber weiter fortsetzt, so verfällt der Kranke
in tiefe Narkose. Übrigens ist es sehr leicht, aus dem Rausch eine längere
Äthernarkose einzuleiten, der Übergang vom Rausch in Toleranz geht schnell
und ohne wesentliche Exzitation vor sich. Es kommt der Mangel wesentlicher
Exzitation daher, daß im Organismus durch das Inspirieren des Äthers füi'
den Rausch schon eine größere Menge von Äther enthalten ist und der Kranke
sich an das Einatmen der Dämpfe in konzentrierter Form gewöhnt hat, so daß
die weiteren Äthergaben nicht mehr unangenehm empfunden und in großen
Dosen eingeatmet werden, so daß rasch die Toleranz erreicht wird. So hat
man auch den Ätherrausch zur Einleitung der längeren Äther- oder Chloroform-
uarkose zu verwenden angeraten, doch bestehen Gründe dagegen, da mau eine
längere Zeit dauernde Äthernarkose nicht mit so konzentrierten Ätherluft-
gemischen einleiten soll, weil dabei der Äther einen sehr starken Reiz auf die
Bronchialschleimhaut etc. ausübt und Lungenerkrankungen begünstigt werden.
Für den kurzen Ätherrausch schaden die großen Dosen wenig oder nicht, aber
auch wegen der Reizung der Bronchialschleimhaut darf der Ätherrausch nicht
über längere Zeit ausgedehnt werden. Er eignet sich nur für kurze Narkosen.
Die Technik wird am besten mit der von Sudeck angegebenen Maske
ausgeführt. Dieselbe ist in Figur 129 abgebildet. Sie besteht aus dem Mund-
stück, das fest auf das Gesicht paßt und gelegt wird und welches ein Exspirations-
ventil, durch das die Exspirationsluft in die Umgebung ausgestoßen wird, und
ein luspirationsventil besitzt. Letzteres führt iu die obere Abteilung der 3'aske,
woselbst eine geringe Menge Watte etc. liegt, auf welche man den Äther
tropfenweis auftropft. Der Luftstrom, welchen der Kranke iuspiratorisch er-
zeugt, streicht durch diese Watte und vermischt sich mit dem dort ver-
dampfenden Äther, so daß der, Kranke stets sauerstotfreiche Luft mit Äther-
dämpfen gemischt einatmet. Die Maske veranlaßt, wegen der Ventile und des
luftdichten Abschlusses am Gesicht, den Kranken kr-äftig zu atmen. Je nach
der Zahl der auffallenden Tropfen kann man die Konzentration der Luftäther-
gemische erhöhen oder vermindern, wie es der Zustand des Kranken gerade
erfordert. Lu Anfang läßt man den Äther in ca. 60 Tropfen pro Minute in die
— 410
Watte fallen, so daß der Kranke eine hohe Konzentration des Ätherdampfes
inspiriert.
Nachdem der Rausch eingetreten ist, läßt man nur noch wenig Tropfen
oder wenn die Operation bald beendet ist, gar keine mehr in die Maske fallen.
Kurz nachdem man die Ätherzufuhr sistiert, schwindet auch nach einigen
Miniiten die Analgesie und der Kranke kann ohne Nachwirkung bei völligem
Wohlbefinden nach Hause gehen.
Die ebengesehilderte Maske von Sud eck stellt auch eine sehr brauch-
bare Maske für die lange Äthernarkose dar, sie ist im großen und ganzen der
Wagner - L o n g a r d s c h e n
Maske sehr ähnlich. Letztere hat
vielleicht die Vorzüge, daß sie die
Gase ev. erwärmen läßt und fester
auf dem Gesicht aufsitzt etc. Doch
hat sie den Nachteil, daß sie uicht
auskochbar ist und ein größeres
lustruinent darstellt, während die
Sud eck sehe Maske, ganz aus
Metall gefertigt, auskochbar ist und
eine Größe aufweist, die einen
leichteu Transport, selbst in der
Tasche, ermöglicht. Allerdings
sind die ÄtherMtgemische sehr
kalt, die der Kranke durch diese
Maske atmet. Es ist dies bei
langen Narkosen ein großer Übel-
stand und mau sollte die Kälte-
wirkung auch bei anderen Appa-
raten mehr zu vermeiden suchen.
In dieser Hinsicht ist die heizbare
Wagner-Longardsche Maske
die beste.
Die Ausführung des Äther-
rausches ist natürlich mit jeder
Figar 129. anderen Maske ebensogut möglich,
Äthermaske nach Sudeck. ^an kann eine Julliardsche
Maske ebensogut verwenden, als eine der anderen Masken. Man hat auch
empfohlen, in die Julliardsche Maske zunächst 20 ccm Äther zu gießen, die
Maske fest auf das Gesicht zu legen und den Rand mit einem Handtuch zu
umwickeln, indem man den Kranken tief und schnell inspirieren läßt. Diese
Methode ist entschieden zu verwerfen, da der Kranke nicht Sauerstoff in ge-
nügenden Quanten atmen kann. Die beste Methode ist neben der Verwendung
der Sudeckschen Maske die Verwendung einer Esmarchschen Maske, auf die
man rasch Äther tropft und den Kranken tief und ausgiebig atmen läßt. Man
tropft den Äther so lange auf, bis die Analgesie eintritt, was innerhalb weniger
Sekunden, 30 — 50 Sekunden, geschieht.
Am besten wird der Kranke nach Möglichkeit von dem Gedanken au die
Operation abgelenkt, man soll ihm gar nicht sagen, daß man operieren will,
— 411 —
während er iiiub nicht ganz betäuht ist, sondern der Kranke soll im Glauben
sein, er werde erst tief betäubt. Bei ruhig-eu, vernünftigen Leuten kann man
dann die Operation ausüben, ohne daß der Kranke etwas merkt und er wundert
sich, wenn alles schon vorüber ist, während er glaubt, es solle erst die Narkose
beginnen. Bei sehr nervösen und ängstlichen Leuten soll man aber lieber eine
tiefe Narkose ausführen.
Nach diesen Betrachtungen über die Technik der Atheruarkose müssen
noch einige Bemerkungen über eine Methode angefügt werden, welche wohl
kaum noch jetzt verwendet wird, die aber doch wichtig ist und wenigstens als
historisches Faktum erwähnt werden muß. Pirogoff und Roux haben im
Jahre 1847 die Einleitung und Ausführung der Äthernarkose per rectum an-
gewendet und Pirogoff hielt dieselbe für sehr brauchbar. Es hat nämlich der
Darm die Eigenschaft, den Ätherdampf sehr schnell zu resorbieren und man
kann somit durch Einleiten von Ätherdämpfen in das Rektum eine Narkose
hervorrufen. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, daß sie ermöglicht,
Operationen im Hals, Kehlkopf etc. auszuführen, ohne daß mau eine Maske
vor dem Gesicht etc. nötig hat. Dudley Buxton hat die Methode bei
solchen Operationen in der Neuzeit noch sehr oft angewendet und er hat als
Vorteile angegeben, daß man wenig Äther brauche, der Kranke sich schneller
nach der Betäubung erholt, die Nachwirkungen geringer sind, die Exzitation
sehr wenig oder gar nicht vorhanden sei. Ein Nachteil ist der, daß es längere
Zeit dauert, bis der Patient zur Operation fertig ist, was man dadurch ver-
bessern wollte, daß man die Narkose per Os als Inhalationsuarkose anfing und
dann nach Beginn der Operation per rectum unterhielt (Buxton). In neuerer
Zeit ist diese Methode von Iversen, Wanscher, Moliere, Bull, Weir,
Stedmann etc. angewendet worden und letzterer hat angeblich sehr gute Re-
sultate damit erzielt. Die Methode hat den Vorteil, daß Lungenleiden ver-
mindert werden, ganz beseitigt können die Beschädigungen der Lungen nicht
werden, denn das Äther wird zum größten Teil durch die Lungen aus dem
Organismus eliminiert. Dadurch, daß die Lungen Äther abscheiden, Averden die
Epithelien und die Schleimhaut immerhin in gewissem Grade affiziert und die
Sekretion von Schleim vermehrt. Ich habe bei Hunden, welche ich per rectum
narkotisierte, in den Lungen, auch vermehrte Schleimmengen in den Alveolen
gefunden, wenn auch nicht in dem Maße, wie nach Inhalationsnarkosen, so doch
in beträchtlichen Mengen. Die Alveolen waren stellenweis mit Schleim an-
gefüllt, und in den Epithelien des respiratorischen Epithels fand sich auch Fett-
metamorphose, wenn auch in geringerem Grade wie bei der gewöhnlichen Äther-
narkose. Es geht also aus diesen Befunden hervor, daß die Gefahren post-
narkotischer Lungenerkrankungen nicht ganz beseitigt werden können. Weitere
Nachteile der Methode sind schwerer Meteorismus, Diarrhoen und sogar Me-
laena, welche man in einigen Fällen nach dieser Methode auftreten sah. Diese
Nebenwirkungen lassen sich vermeiden durch eine recht vorsichtige und exakte
Dosierung und der Obacht, daß man die Ätherdämpfe nicht zu rasch und kon-
densiert in den Darm einströmen läßt. Bei sehr hochkonzentrierten Gasgemischen
treten sehr unangenehme Schmerzen im Darm auf, die man auch vermeiden muß.
Kinder werden schneller betäubt als Erwachsene, doch ist die Zeit bis
zum Eintritt der Toleranz sehr wechselnd. Buxton sah schon nach 3 Minuten,
aber auch erst nach 15 — 30 Minuten Toleranz eintreten. Es sind aber aucli
412 —
Todesfälle bei dieser Methode beobachtet worden (Simpson). Nach der Narkose
treten leicht Koliken im Darm, starker Tenesmns, Diarrhoe mit ruhrartigem Verlauf,
Schmerzen beim Stuhl (Ulcera der Darmwand), selbst Kollapse auf. Man be-
kämpft die Symptome nach den bekannten Methoden und hat besonders gute Erfolge
mit Opium bei den Darmaffektionen gesehen. Natürlich sind Personen mit schon vor
der Narkose erkranktem Darmkaual nicht für diese Methode geeignet.
Die Technik der Methode besteht darin, daß man in das Rektum, nach-
dem man durch hohe und öftere Einlaufe dasselbe ganz entleert hat, Luft-
und Ätherdämpfe gemischt einleitet. Vor allem muß man sich hüten, flüssigen
Äther in den Darm zu bringen.
Man kann den oben beschriebenen Apparat von Arndt, der dem Junker-
schen Chloroformapparat sehr ähnlich ist, dazu verwenden. Ein besonderer
Apparat ist von Buxton für diese Methode kon-
struiert worden.
Derselbe besteht aus einem Glasgefäß. in
welches man ca. 90 — 100 ccm Äther schüttet,
und welches in ein zweites Glasgefäß taiicht,
welches mit Wasser von 48,9° C (=39,10 ß
= 120° F) gefüllt ist. Das Äthergefäß ist von
einem Gummipfropfen verschlossen, welcher durch-
bohrt und mit einem Glasrohre, das an der
unteren Fläche des Korkes kurz abgeschnitten
ist, versehen ist. An das äußere Ende dieses Rohres
ist ein Gummischlauch angebracht, welcher ca.
25 cm lang ist und zu einem Glaskolben führt,
Fio-ur. 130. ii ^^^ ^^ ^i* einem Rohr mündet. Der Glas-
Narkoseapparat von Buxton kolben führt entgegengesetzt des einmündenden
für die rechale Athernarkose. Rohres in ein anderes Rohr mit Gummischlauch,
"^"^ ^Glaskolben; D = aSrÄ''' derwiedcrum ca.25-50cmlangineinDarmansatz-
E = Darmrohr. stück endet. Man führt das Darmstück in den
Anus ein und läßt die Ätherdämpfe je nach Bedarf rasch oder langsam in den Darm
strömen. Das Wasser im großen Glasgefäß darf nicht wärmer sein, da sonst die
Verdampfung zu schnell vor sich geht. Aus beistehender Figur 130 ist die
Konstruktion des Apparates zu ersehen.
Die Narkosen, welche man auf diese Weise ausführt, sind ja immerhin
nur in seltenen Fällen verwendbar und nötig, da man der besseren Dosierung
und einfacheren Technik halber die Tropfmethode bei allen anderen Gelegen-
heiten vorziehen wird. Jedenfalls ist aber die Methode bei schweren Operationen
am Hals oft von Wert und bietet sie verhältnismäßig wenig Gefahren.
Mit diesen Betrachtungen schließe ich das Kapitel über die Äthernarkose,
da alle Punkte, welche hier nicht erwähnt worden sind, im Allgemeinen Teile
besprochen worden und beim Äther wie bei allen Narkosen gleich anwend-
bar sind. Ehe ich aber mich zu anderen Narkotika und zu den kombinierten
Äther- oder Chloroformnarkosen wenden werde, soll in dem nächsten Kapitel noch
kurz die Frage, ob Chloroform oder Äther für die Narkose vorgezogen werden
soll und wie beide Stoffe zueinander stehen, erörtert werden. Ich habe bei der
Behandlung der einzelnen Narkosen diese Frage nicht berührt, und will sie
nun im Anschluß an diese Darlegungen erörtern.
— 41:5 —
JH. Ivai)itcl.
Die Chloroform- oder Äthernarkose.
15 7. In hcutiiieu cliirurgisckeu Kreisen ist es von größter Becleutuug',
welches Narkotikum mau zu der Betäubung des Krauken verwendet, denn es
hat sich ja bei jedem der bisher zu Narkosen emptohhi'ueu chemischen Körperu
gar manche üble Wirkung auf den menschlichen resp. auf den tierischen
Organismus, wenn man den umfassenderen Begriff: Tier im Gegensatz zu Pflanzen
und als den des großen Naturreiches, das Mensch und Tier umfaßt, hier brauchen
darf, gezeigt uud man hat bei Beginn einer Narkose zu viel zu berücksichtigen,
als daß man so ohne weiteres die Wahl des Narkotikums dem momentanen
Gutdünken, den Gewohnheiten des Operateurs oder dem Zufall, der den oder
jenen chemischen Körper dem Narkotiseur gerade in die Hand spielt, überlassen
könute. Mit dem tieferen Eindringen der Physiologie und Pathologie in die
Geheimnisse des tierischen Lebens hat der Arzt immer mehr erkennen gelernt,
ein wie labiles Gleichgewicht im menschlichen Leben besteht und wie leicht durch
die geringsten Anlässe dasselbe gestört den Menschen erkranken oder sterben
läßt. Bei dieser Erkenntnis findet er auch die richtige Schätzung der Einflüsse
der Narkose auf den ganzen Organismiis und er weiß, wie in seiner Hand des
Patienten Leben liegt, und daß er durch das geringste Versehen den Kranken iu
die höchste Gefahr versetzen kann. Man hat alles dies erkannt und hat ver-
sucht, die Wirkungen der Narkosemittel genauer zu studiereu, um durch diese
Kenntnis aller Beziehungen der Narkotika zu den Organen und Funktionen die
Gefahren vermindern zu können, welche jede Narkose dem Narkotisierten bringt.
Trotz der großen Anzahl der Narkotika sind doch immer Äther und Chloroform
diejenigen beiden Stoffe gewesen, die, am meisten verwendet, zeither in
einem Wettstreit um die Vorherrschaft gelegen haben, ein Kampf, der noch
immer besteht, und es ist noch keine Aussicht, daß er so bald entschieden
werden könnte. Da nun die Chloroform- und Äthernarkose iu all ihren Einzel-
heiten in den vorhergehenden Paragrapheu erörtert worden ist, so ist es gerecht-
fertigt, wenn ich hier noch in wenig Worten über das Verhältnis der beiden
Stoffe zueinander Erörterungen anschließe, aus denen man wird ersehen können,
ob dem einen der Vorzug zuerkannt werden kann, und wann, wie und wo der
eine oder der andere Körper zur Narkose verwendet w-erden darf.
Für eine lange Narkose kommt allerdings bis jetzt noch immer nur Äther
oder Chloroform in Betracht und man hat außer diesen beiden Stoffen nur die
Mischungen und Kombinationen dieser beiden Körper mit Sauerstoff oder
anderen Narkotika verwendet. Diese sogenannten Mischnarkosen soUen hier
nicht mit in Betracht gezogen werden, denn für die Narkose der Praxis wird immer
nur Äther oder Chloroform Verwendung finden können, da ja die Mischnarkoseu
und die Sauerstoff-Chloroform- oder Sauerstoff-Äthernarkosen zu komplizierte
Apparate erfordern, als daß der praktische Arzt dieselben zu Narkosen verwenden
könnte. Gerade dieser Umstand ist ungeheuer wichtig, denn die meisten Nar-
kosen werden heute doch in der allgemeinen Praxis fern von den Operations-
sälen der Ki-ankenhäuser vorgenommen und oftmals muß der Arzt mit den
vielen Instrumenten und Verbandsstoffen, die er zur Operation nötig hat, stunden-
— 414 —
lang iu seinem Wagen fahren, ehe er das Haus des Kranken erreicht, wo er die
Operation vornehmen will. Im günstigsten Falle hat er dann noch die Hebamme
füi" Assistenz nnd diese muß die Narkose übernehmen. Wenn auch sie fehlt,
so muß der Arzt die Narkose eben selbst ausführen und das Halten der Maske
einem Laien überlassen, Avelcher nur nach den Direktiven des Arztes zu handeln
hat. Daß in diesen Verhältnissen der Arzt nur diejenige Narkose wählt, welche
am leichtesten auszuführen, am wenigsten Instrumentarium, und vor allen Dingen
einfache Instrumente verlangt, ist wohl von selbst verständlich. Wenn man nun
bedenkt, wie ungeheuer häufig in unserer Zeit wegen jeder Kleinigkeit narkotisiert
wird, und wie oft auch der Landarzt zu operieren hat, da versteht man wohl
leicht, daß immer das Wichtigste bei der Wahl einer Methode ist, diejenige zu
finden, welche für die Praxis am vorteilhaftesten, einfachsten und leichtesten
ist. Somit ist auch erklärlich, daß der praktische Arzt noch immer nur die
beiden Narkotika Chloroform und Äther kennt. Ehe aber ein definitives Urteil
gefällt werden kann, sollen erst hier noch kurz die hauptsächlichsten Wirkungen
der beiden Stoffe miteinander verglichen werden.
Das Chloroform ist bekanntlich ein bedeutend stärkeres Narkotikum, es
besitzt eine größere narkotische Kraft, kleinere Narkosenbreite und größere
Giftigkeit als der Äther, welcher weniger toxisch wirkt, eine größere Narkosen-
breite besitzt, aber dafür auch ein bedeutend schwächeres Narkotikum dar-
stellt. Wie verhält es sich nun mit den Kontraindikationen der beiden Stoffe?
Das Chloroform und der Äther haben beide strikte Kontraindikationen in jenen
Fällen, wo man überhaupt eine Narkose nicht wagen kann, das sind alle die
schwer kachektischen, entbluteten Patienten, deren Lebenskraft den An-
forderungen der Narkose im allgemeinen nicht gewachsen ist, das sind jene
Kranken, welche eine ausgesprochene lymphatische, anämische und tuber-
kulöse Konstitution haben, wobei man eigentlich nicht nur den Zustand als
Konstitutionsanomalie auffassen darf, sondern schon mehr als Krankheit bezeichnen
muß, einen Zustand höchster Schwäche, der hervorgegangen ist aus den
pathologischen Veranlagungen des Organismus, wozu auch noch die alkoholische
und nervöse Konstitution gerechnet werden muß. Während die lymphatische
Konstitution, sobald man sie als solche deutlich feststellen kann, eine strikte
Kontraindikation gegen jede Narkose darstellt, so kann man die anderen
Konstitutionsanomalien nur in ihrer höchsten Ausbildung, wenn sie die Kräfte
derart in Anspruch genommen und so stark verzehrt haben, daß eben das
Lebenslicht nur noch ein flackernd Flämmleiu ohne genügend Öl darstellt, als
Kontraindikationen auffassen. Diese seltenen Fälle müssen also von vorn-
herein ausgeschlossen werden.
Es sind nunmehr noch die Verhältnisse zu erörtern, welche eine Kontra-
indikation des einen oder anderen Narkotikums bilden und es entsteht dann
die Frage, ist in den Fällen, wo man das eine Narkotikum verbietet, das
andere anzuwenden? Diese Frage kann nicht so ohne weiteres bejahend ent-
schieden werden, denn die A^erhältnisse liegen nicht so einfach. Man kann
wohl mit Recht sagen, daß es für die unter allen Kautelen vorgenommenen
Chloroformnarkoseu nur wenige Kontraindikationen gibt, bei denen man be-
haupten darf, eine Chloroformnarkose sei in diesem Fall dem Kranken sehr
gefährlich und man müsse in Hinsicht auf die direkte Lebensgefahr durch die
Chloroformnarkose dieselbe verbieten, hingegen sei in diesem Falle eine Äther-
— 415 —
narkose zu gestatten und ohne Gefahr auszuführen! Mau muß entschieden
zugeben, daß solche Krankheiten niir sehr selten zu finden sind. Rekapituliert
man sich einmal die Koutraiudikationen der Chhjroformnarkose, so hat mau
da vor allem die Erkrankungen akuter infektiöser Natur des Herzens, die
chronische Fettmetamorphose von Herz, Leber, Nieren etc. in nachweisbarem
Zustande und die schweren allgemeinen marastischen Erkrankungen, bei denen
der Patient nur einen geringen Überschuß au Kraft noch aufweist, der ge-
nügend ist, sein Leben noch zu erhalten, aber doch größeren Ansprüchen, wie
einer Chloroformnarkose, nicht gewachsen ist. Erklärt man sich hierbei die
Wirkung des Chloroforms, so muß man einesteils die üble deprimierende Ein-
wirkung, die schwächenden Einflüsse des Chloroforms auf die Herzleistung,
Herzkraft und den Blutdruck in Betracht ziehen, andererseits muß man die
Tendenz des Chloroforms, eine beginnende Fettmetamorphose innerer paren-
chymatöser Organe und des Herzens, der Hirngefäße und Ganglienzellen etc.
zu erzeugen beachten — alles Einwirkungen schwerster Art, welche vor allen
Dingen zutage treten nach Chloroformnarkosen längerer Dauer, häufiger
Wiederholung, und selbst mittellanger, ja kurzer Narkosen bei bestehender
Disposition zu diesen Leiden, ja bei schon bestehenden Veränderungen, wenn
auch nur im Beginn, dieser Art im Herz und in den inneren parenchymatösen
Organen, im Cerebrum, in den Gefäßwandungen etc. Aus allen diesen
theoretischen Erwägungen zieht man sehr leicht das Eesultat, welches mit
den Beobachtungen im praktischen Leben übereinstimmt und dadurch bedeutend
gefestigt und erwiesen wird, nämlich daß man eine Chloroformnarkose bei
diesen Erkrankimgen vermeiden soll. (Mikulicz, Witzel, Hofmaun, Straß-
mann etc. etc.) Man hat die allgemeine Überzeugung erlangt, daß die Ge-
fahren der Chloroformnarkose bei diesen Krankheiten große sind, jedenfalls
groß genug, um den Arzt zu veranlassen, hierbei ein anderes Narkotikum zu
wählen. Allerdings bestehen hier keine feststehenden Grenzen, man kann nicht
genau sagen und entscheiden, hier ist Chloroform verboten, hier darf man die
Chloroformnarkose nicht anwenden, denn es sind zu viel Bedingungen vor-
handen, unter denen mau doch noch selbst bei derartigen Erkrankungen eine
Chloroformnarkose wagen darf, die man in gewissen Verhältnissen des täg-
lichen Lebens nicht immer wählen kann, da die Krankheit oftmals nur sehr
gering ist, und da auch die Technik und Ausführung der Chloroformnarkose
die Gefahren der Chloroformwirkung selbst auf disponierte Orgaue und krank-
hafte Veränderungen beginnender Art der oben bezeichneten Leiden bedeutend
müdern, verringern und abschwächen kann, so daß man eine Menge von Mit-
teilungen findet und liest, welche von der geringen toxischen Wirkung des
Chloroforms in diesen Verhältnissen berichten, während andere von den großen
Gefahren der Narkose bei den sogar nur in den ersten Anfängen vorhandenen
pathologischen Zuständen obiger Art erzählen und nicht genug vor der Ver-
wendung des Chloroforms warnen können. Es bestehen eben zu viel Be-
dingungen und Wechselbeziehungen zwischen Narkose und Krankheit, zwischen
Narkotiseur und der Narkose, zwischen dem Chloroform und der Technik der
Narkose, der Operation, den äußeren Verhältnissen etc., welche alle mitwirken,
je nach dem gerade obwaltenden Zustande, in dem jeder einzelne Punkt sich
befindet, zugunsten oder Ungunsten der Chloroformnarkose und des Kranken.
Man hat also aar mancherlei zu bedenken, ehe man eine Chloroform-
— . 416 —
narkose verbietet. Wenn man mm die Koutraindikationen gegen die Chloroform-
narkose etwas mehr präzisieren will, so muß man Chloroform dann verbieten,
wenn eine Affektion des Herzens mehr oder weniger fortgeschritten oder aus-
gebildet, ja nur in den ersten Anfängen besteht. Man soll daher bei allen
Herzkranken, bei allen Personen, welche infolge ihrer Erkrankung, Konstitution,
Lebensart oder Heredität ein erkranktes Herz vermuten lassen, wobei man
unter der Herzerkrankung Debilitas, Fettmetamorphose, akute entzündliche
Veränderungen in iind am Herzen, C)bliteration der Perikardblätter, Sclerose
der Gefäße verstehen muß, und seien diese Zustände auch nur im Beginn vor-
handen, oder seien nur Zeichen da, daß man auf das Vorhandensein dieser
Veränderungen oder nur auf die ersten Anfänge derselben schließen muß, die
Chloroformnarkose vermeiden. (Blauel, Whiteford, Duplay, Hallion,
Knoblanck, Holz, Czempin. Smith, Luria, Mikulicz, Pasini, Wohl-
gemut etc.) Man hat natürlich auch Fälle gesehen, wo die Chloroforinnarkose
trotz bestehender Herzaffektion vertragen wurde, doch das sind Ausnahmen
und man darf nicht mit denselben rechnen. Neben den Herzveränderungen
dieser Art sind nur wenige andere Zustände zu nennen, welche die Chloro-
formnarkose verbieten, weil alle die hier in Betracht kommenden Krankheiten
dann auch eine oder die andere der genannten Herzveränderungen bewirken
und somit schon die Chloroformnarkose verbieten, denn diese genannten Herz-
leiden sind in den meisten Fällen sekundäre Erscheinungen, Folgen von anderen
den Organismus stark alterierenden Ki'ankheiten. Es kommen noch schwere
Nieren- und Leberleiden hierbei in Betracht, ferner Eklampsie und schließlich
die Arteriosklerose. Natürlich werden hier all die vielen akuten Infektions-
krankheiten übergangen, denn dieselben sind ja selbstverständlich bis zii einem
gewissen Grade Kontraindikationen jeder Narkose.
Es wäre nun zu erörtern, welche Narkose man bei den hier genannten
Kontraindikationen für Chloroform anwenden soll und ob der Äther eine un-
gefährlichere Narkose erzeugt. Es ist diese Frage nicht so ohne weiteres zu
entscheiden, man kann nicht in allen Fällen der genannten Herzleiden die
Chloroformnarkose durch die Ätherbetäubung ersetzen. Der Äther kommt ja
natürlich lediglich zunächst als Narkotikum in Betracht, allein man muß da
auch die Verhältnisse in Betracht ziehen. Im allgemeinen kann man aber sagen,
daß der Aether sulfur. bei Herzleiden besser vertragen wird als das Chloroform
Mau soll daher stets bei Verdacht von Herzleiden der genannten Art den Äther
wählen. Die Vorzüge des Äthers liegen darin, daß er einerseits die Herzkraft
anregt entgegen dem Chloroform, welches dieselbe schwächt, andererseits den
Blutdruck erhöht. Nur sehr lange Äthernarkosen bewirken auch eine gering-
fügige Schwächung .der Herzkraft. Also wird man in allen jenen Fällen, wo
man das Chloroform wegen seiner deprimierenden, schwächenden, das Herz
direkt toxisch beeinflussenden Eigenschaft vermeiden soll, den Äther wählen.
Vorausgesetzt muß auch dies bei den Herzleiden werden, daß noch die genügende
Widerstandskraft des Organismus im allgemeinen und des Herzens im besonderen
vorhanden sein muß, um einer Äthernarkose widerstehen zu können, denn auch
diese stellt an die Kraft des Organismus Anforderungen, welche natürlich mit
der Dauer der Narkose schwanken. Man kann daher sagen, daß bei den Herz-
leiden, wie Arteriosklerose, Endocarditis, Myocarditis, Pericarditis, wenn Narkose
unbedingt nötig ist, eine kui-ze, leichte Äthernarkose erlaubt ist, ebenso bei den
— 4l7 —
verschiedenen Klappenfehlern. lunuer soll mau auch bei kompensierten Klappen-
fehlern die Ätliernarkose vorziehen. Nun ist die Fettmetamorphose des Myo-
cards noch nicht in ihrem Verhältnis zur Äthernarkose erörtert worden. Es ist
hei allen Leiden, welche einen Verdacht auf bestehende oder beginnende Fett-
metamorphose aulkommen lassen, nicht so ohne weiteres die Äthernarkose für
weniger gefährlich als die Chloroformnarkose anzusehen und daher anzuwenden.
Man hat früher angenommen, die Fettmetamorphose, welche man bei Chloro-
form oftmals in dem Herzen, der Leber, der Niere findet, sei eine nur für dieses
Narkotikum typische toxische Wirknng. Diese Ansicht ist durch neuere Unter-
suchungen widerlegt wordeu (Verfasser). Es ist durch eingehende Experimente
nachgewiesen wordeu, daß die Fettmetamorphose in den inneren Organen von
allen Narkotika erzeugt wird, daß also auch Äther bei langer Dauer der Ein-
wirkung Fettmetamorphose erzeugen kann und man hat daher auch die Erklärung
gefunden für so manche Erscheinungen nach langen Äthernarkosen (Ikterus,
Albuminurie, Cylindrurie etc.). Es besteht daher auch die Grefahr, daß Äther die
Fettmetamorphose im Herzen, ebenso in Leber und Nieren, beeinflusse, vermehre
und dadurch dem Kranken gefährlich werde. In Rücksicht auf diese Eigen-
schaft des Äthers kann mau daher bei all den Leiden, welche Fettmetamorphose
im Herzen und anderen inneren Organen wahrscheinlich machen, auch nicht so
ohne weiteres den Äther als günstiger für die Narkose hinstellen gegenüber dem
Chloroform. Wenn man nun auch zugeben muß, daß auch die Äthernarkose bei
diesen Leiden eine Gefahr bedeutet, so kann man doch dem entgegenhalten, daß
der Äther ein bedeutend schwächeres Narkotikum mit bedeutend geringerer nar-
kotischer Kraft darstellt als das Chloroform und deshalb bei diesen Leiden dem
Chloroform vorzuziehen ist, da er bedeutend weniger Gefahr bietet, die Fett-
metamorphose zu verschlimmern, als Chloroform. Man hat zudem noch zu be-
rücksichtigen, daß der Äther nur hei sehr langer Dauer der Narkose Gefahren
verursacht, man wird daher die Narkose möglichst abkürzen. Jedenfalls stellt
der Äther auch in dieser Hinsicht ein weniger gefährliches Narkotikum dar.
Das Resümee also dieser Betrachtungen lautet so, daß Chloroform bei den
Herzleiden und den Herzleiden hervorruf enden und begünstigenden,
die allgemeine Körperkraft schwer beeinträchtigenden Krank-
heiten kontraindiziert und daß ihm dann Aether sulfuricus vorzu-
ziehen ist, da derselbe hinsichtlich dieser pathologischen Zu-
stände weniger Gefahren mit sich bringt, daß aber Gefahren auch
bei der Äthernarkose nicht auszuschließen sind, weshalb man die
Narkose möglichst beschränken und abkürzen soll.
§ 8. Wendet man sich nun zu den Kontraindikationen der Äthernarkose, so
kann man folgendes anführen. Die Äthernarkose übt besonders nachteilige
Einwirkungen auf die Lunge und deren Tätigkeit aus, indem einerseits durch
eine Äthernarkose eine starke Vermehrung der Schleimabsonderung in der
Lunge selbst hervorgerufen wird, wodurch Pneumonien und Bronchitiden ver-
anlaßt werden können, und andererseits die Lunge seihst durch den Äther in
ihrem physiologischen Zustande geschädigt werden kann, was wiederum zu
Lungenleideu und außerdem noch zu plötzlichen Todesfällen während der Nar-
kose zu führen vermag. Wenn man nun eine Person zu narkotisieren hat, welche
eine mehr oder minder hochgradige Lungenkrankheit aufweist, so läuft man
Gefahr, daß diese Lungenerkrankung durch die Ätherwirkuug so stark ver-
27
— 418 —
scUimmert wird, daß das Leben des Krauken bedroht, und daß auch während
der Narkose eine Apnoe, eine Atemlähmung, erzeugt werden kann. Man hat
infolge dieser Verhältnisse die Äthernarkose bei Lungenkranken nicht au-
gewendet und betrachtet alle Lungenleiden als Kontraindikationen. Dies ist
natürlich wiederum nur unter gewissen Voraussetzungen und Bedingungen als
Regel anzusehen. Man wird natürlich bei allen akuten Entzündungen der
Lungen, bei Pneumonien etc., eine Äthernarkose unterlassen, allerdings bilden
Pneumonien auch gegen jede Narkose Kontraiudikationen. Vor allem aber die
Bronchitiden akuter und chronischer Art werden durch eine Äthernarkose ent-
schieden übel beeinflußt, sie werden verschlimmert und können zu schweren
Pneumonien führen. Besonders wichtig hierbei sind zwei Krankheiten, die
Lungentuberkulose und das Emphysem mit chronischer Bronchitis. Diese
beiden pathologischen Zustände werden durch eine Äthernarkose sehr schwer
verändert, können zu schweren, lebensgefährlichen Krankheiten verschlimmert
werden und dem Kranken das Leben bedi'ohen. Es ist daher die Äthernarkose
stets kontraindiziert bei jeder nachweisbaren Tuberkulose, bei Verdacht auf
Lungentuberkulose, bei Emphysem und Bronchitis.
Das Chloroform wirkt entschieden günstiger auf diese Lungenleiden, wenu
man auch nicht sageu kann, daß die Chloroformnarkose vollkommen \xngefahr-
lich ist, so wirkt das Chloroform doch nicht so schwer und intensiv auf die
Lungen ein. Man hat nun aber auch hier einen allen Narkotika mehr oder
weniger anhaftenden Einfluß auf die Lungen gefunden, welcher darin besteht,
die Schleimabsonderung der Bronchialschleimhaut in der Lunge zu vermehren
und eine Fettmetamorphose in den Epithelien des respiratorischen Epithels
hervorzui'ufeu, durch welche letztere der Lunge vor allem die baktericide Kraft
geraubt wird, so daß Pneumonien etc. entstehen können. Diese Einwirkung-
Ist entsprechend der narkotischen Kraft in umgekehrter Proportionalität vor-
handen, so daß Aether sulfuricus stärker auf die Lungen einwirkt als Chloro-
form. Es geht also daraus hervor, daß auch das Chloroform auf schwere Lungen-
leiden verschlimmernd einwirken muß. Man wird daher mir bei solchen Lungen-
leiden, welche noch nicht sehr hochgradig vorhanden sind, eine Chloroform-
narkose ohne wesentlichen Schaden vornehmen können, während man bei hoch-
gradigem Emphysem, bei fortgeschrittener Phthise eine Chloroformnarkose nicht
ohne Gefahr ixnd Schaden ausführen wird. Immerhin hat man auch sehr aus-
■ gedehnte Phthisen durch eine nicht zu lauge, vorsichtig geleitete Chloroform-
narkose nicht wesentlich schlecht beeinflussen sehen, ich habe z. B. einen Phthi-
siker mit beiderseitiger Cavernenbilduug innerhalb 4 Wochen dreimal chloro-
formieren müssen, wobei die erste Narkose 30 Minuten, die zweite 15 und die
dritte 25 Minuten dauerte, und eine Schädigung der Lunge nicht eintrat. Ge-
fährlicher ist die Narkose bei Emphysematikern, bei diesen gibt es entschiedene
Grenzen je nach dem objektiven Befund. Das Resümee dieser Betrachtung
lautet folgendermaßen: Bei Luugenleiden chronischer Art soll mau
die Äthernarkose vermeiden und an deren Stelle eine Chloroform-
narkose verwenden. Die Chloroformnarkose bietet weniger Ge-
fahren als die Narkose mit Äther bei Phthisen und Bronchitiden,
während sie bei Emphysem gefährlich ist.
§ 9. Aus diesen Erörterungen gehen die Wirkungen der beiden Narkosen
hervor iind dieselben zeigen schon an sich recht deutlich, daß mau nicht einer
— 419 —
Methode vor der anderen ohne weiteres den Vorzug geben kann. Es wird
immer Fälle geben, wo man Äther anwenden und solche, wo man Chlorofonn
brauchen muß.
Man hat dem Chloroform vielfach eine größere Giftwirkung beigemessen
und dasselbe infolgedessen dem Äther nachgestellt. Dieser Punkt der Toxizität
der beiden Narkotika ist dahin zu entscheiden, daß das Chloroform allerdings
giftiger wirkt, daß es kumulierende Eigenschaften in viel höherem Maße hat,
als der Äfher. Diese beiden Eigenschaften der Narkotika hängen aber direkt
ab von der narkotischen Kraft, und indem das Chloroform giftiger und kumu-
lierender wirkt, ist es ein stärkeres Narkotikum, während der Äther schwächer
wirkt und daher auch in manchen Fällen schwerer Narkose herbeiführt. Die
narkotische Kraft bringt verschiedene Nachteile mit sich, denn bei dem stärker
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Figur 131. Durchschnittskui'ven links für Aether sulfr. berechnet aus 25, rechts
für Chloroform berechnet aus 18 Einzelkurven von gesunden Menschen über
20 Jahre bei einer Narkosenlänge von mindestens 50 Minuten. Die Horizontale
N bedeutet die Normalblutdruckhöhe (nach Blauel).
wirkenden Chloroform bewirkt dieselbe Nebenwirkungen auf Herz und Puls (Holz,
Blauel, Hölscher etc.) und bei dem schwächer wirkenden Äther sind auch
Fälle genannt, wo die narkotische Kraft nicht ausreichte, um eine genügende
Betäubung zu bewirken. Dies letztere tritt bekanntlich bei hochgradigen
Alkoholisten ein, und man muß dann ein anderes Narkotikum zu Hilfe nehmen,
welches, neben dem Äther verwendet, die tiefe Narkose erzeugt, und einer-
seits im Morphin andererseits im Chloroform gegeben ist.
Die Wirkungen der beiden Körper auf das normale, gesunde, nicht von
Krankheiten veränderte Herz schildern so recht die Unterschiede und Vorteile
des einen vor dem anderen. Das Chloroform bewirkt eine hochgradige Depression,
ein Sinken des Blutdruckes, und während einer langen Narkose ruft die Chloroform-
wirkung neben einem beträchtlichen Sinken unter die Normalblutdruckhöhe noch
tiefe, enorm schroff eintretende und abfallende Remissionen hervor, welche
27*
— 420 —
einen Beweis für die toxische Wirkung- des Chloroforms darstellen. Entgegen
diesem starken Sinken der Blutdruckkurve unter die Normaldruckhöhe durch
die Chloroformwirkung besitzt der Äther die Eigenschaft, den Blutdruck während
der ganzen Dauer der Narkose zu erhöhen, stets bleibt die Kurve in der Äther-
narkose über der Normaldruckhöhe und derselben fehlen die Remissionen (Blauel).
Diese Verhältnisse sind am besten ersichtlich aus den Blutdruckkurven, wie sie in
Figur 131 und den Figuren 132 und 133 wiedergegeben sind. Diese Kurven stellen
die Einflüsse von Chloroform und Äther auf den Blutdruck dar und sind von
Blauel aus den bei seinen Untersuchungen gewonnenen Resultaten zusammen-
gestellt worden. In diesen drei Abbildungen sind rechts die Chloroformkurven,
links die Ätherkurven veranschaulicht und man kann deutlich den Unterschied
in den Wirkungen der beiden Narkotika auf den Blutdruck gewahren. Die
Blutdruckkurve bei Chloroform zeigt von Anfang an ein rasches Sinken unter
die Normalblutdrnckhöhe, und dieser niedrige Stand des Blutdruckes bleibt
Figur 132. Diirchschnittskurve bei Amputatio maiiimae, liuks für Aether sulf.,
rechts für Chloroform berechnet aus je 3 Eiuzelkurven. (Blauel.)
während der ganzen Narkose bestehen, daneben sind Remissionen deutlich,
während die nebenstehenden Ätherkurven zunächst einen raschen Anstieg des
Blutdruckes über die Normalblutdruckhöhe zeigen, nach welchem der Blutdruck
langsam aber stetig ohne wesentliche Unterbrechungen sinkt, bis er beim Er-
wachen des Kranken auf der Normalblutdruckhöhe wieder angelangt ist. Bei
der Kurve in Figur 131 ist eine wesentlich einflußreiche Operation nicht vor-
handen gewesen, die Personen sind ganz normale, gesunde Personen gewesen.
Bei den anderen Kurven in Figuren 132 und 133 wurden schwere Operationen
nebenbei ausgeführt, wie die Amputatio mammae oder Laparotomien, welche aber
einen wesentlichen Einfluß auf die Kurven nicht ausgeübt haben. Was man nun
aus diesen Betrachtungen, Bildern und Resultaten der Versuche von Blauel ent-
nimmt, ist die Tatsache, daß die Chloroformnarkose einen schwer schädigenden
Einfluß auf die Herztätigkeit ausübt, während der Äther das Herz nicht nach-
teilig beeinflußt. Man muß also aus diesen Befunden bei den Narkosen den
Schluß ziehen, daß die Chloroformnarkose auch für den gesunden Menschen
immer die Gefahr des Eintrittes einer Herzsynkope mit sich bringt und daß
man, wenn weitere Gegengründe nicht vorliegen, den Äther für die Narkose
— 421 —
vorziehen muß. Man hat also hier ganz entschieden einen Punkt, der in der
allgemeinen Praxis gegen die Verwendung des Chloroforms und für die des
Äthers spricht. Dieselben Untersuchungen, die Blauel angestellt und bei denen
er diese ebengenannten Resultate erhalten hat, sind von verschiedenen Forschern
ebenfalls bearbeitet vforden, und man hat dieselben Resultate gefunden (Holz,
Kapsammer, Tillmanns, P. Bruns, Osthelder, Gumprecht etc.).
Diese Einwirkung des Chloroforms auf das normale und die obengenannte
Einwirkung auf das erkrankte Herz lehren eine große Vorsicht, die man bei
der Wahl des Chloroforms als Narkotikum beachten muß und sie zeigen, daß
das C!hloroform gar manche schweren Gefahren mit sich bringt. Wenn man nun
noch die Möglichkeit der Reflexsynkope im Anfang der Chloroformnarkose, die
aus verschiedenerlei Ursachen schnell und unerwartet eintretenden Synkope- und
Apnoefälle während der Narkose, wenn man die Gefahr der Fettmetamorphose
der inneren parenchymatösen Organe, diese schwer unter dem Bilde des protrahierten
Figur 133. Durch schnittskurve bei Laparotomien, links für Aether sulf., rechts
für Cloroform. Für Aether berechnet aus 8 für Chloroform aus 4 Einzelkurven.
(Blauel).
Chloroformtodes nach der Narkose auftreten, in Betracht zieht und bedenkt man
auch noch, daß das Chloroform auch auf die Lungen schädigend wirken, Apnoe,
Pneumonien und Bronchitiden erzeugen kann, so erkennt man, welch einen
gefährlichen Körper doch das Chloroform darstellt. Noch ein kurzes Wort soll
hier über die Lungenleiden nach Chloroformnarkosen hinzugefügt werden, ehe
diese Betrachtung beendet werden soll. Das Chloroform besitzt bekanntlich
nicht die starke Wirkung auf die Lunge, wie der Äther, doch es erzeugt auch
in der Lunge nach langen Narkosen, in geringem Maße zwar, aber immer eine
mehr oder weniger ausgebreitete Fettmetamorphose der Zellen des respiratorischen
Epithels und eine Schleimvermehrung, wodurch eine Disposition zur Pneumonie
geschaffen wird. Allerdings kann man durch die gute Technik den Eintritt der
Lungenleiden stark vermindern, doch ist immerhin die Gefahr da und muß
beachtet werden.
Was die weiteren Verhältnisse der beiden Narkotika anlangt, so ist ein
wesentlicher einflußreicher Umstand, der für eine Methode besonders spricht,
nicht vorhanden. Nach Chloroform- und nach Äthernarkosen treten periphere
422
und zentrale Lähmungen, Apoplexien etc. auf, auch vorübergehende Geistes-
störungen sind nach heiden gesehen worden (Sa vage, Silk, Davis, Tyrell etc.),
auch epileptische Anfälle sind nach den Narkosen aufgetreten (Low etc.). Man
kann aher hier nicht einem _ Narkotikum eine besondere üble Wirkung zu-
schreiben, jedoch ist man zur Überzeugung gekommen, Leute, die eine Geistes-
krankheit überstanden haben, nicht ohne Gefahr einer Narkose aussetzen zu
dürfen, es kann ein neuer Ausbruch der Psychose erfolgen, während man
Geisteskranke seihst ohne Nachteil narkotisieren darf. Das Narkotikum kann
dabei sowohl in Chloroform oder Äther bestehen (Savage), eine besondere Be-
ziehung zu den Psychosen kommt einem der beiden nicht zu, obwohl Silk
einen Zusammenhang zwischen dem Ausbleiben von Erbrechen und dem Aus-
bruch von Delirien nach Athernarkosen finden will. Es ist aber in Wirklichkeit
in dieser Hinsicht zwischen Chloroform und Aether snlf. kein Unterschied vor-
handen.
§ 10. Einige kleine statistische Bemerkungen werden noch das Bild der
beiden Narkosenarten im Vergleich vervollkommnen.
Betrachtet man die Zahl der Todesfälle, welche man in der Chloroform-
narkose beobachtet hat, so sind dies meist Syukopefälle. Schwartz hat in
der neuesten Zeit auf 10000 Chloroformnarkosen einen Todesfall beobachtet.
Dur et hat eine große Zahl von Chloroformtodesf allen gesammelt und fand
dabei, daß unter den 135 Todesfällen 8 mal der Tod bei Klappenfehlern, 20 mal
bei Fettdegeneration des Herzens eintrat. Unter 60 anderen Todesfällen war
11 mal Eettmetamorphose vorher vorhanden gewesen. Brouardel fand unter
25 Todesfällen nach Chloroform 11 mal pathologisch veränderte Nieren. Evelt
hat auf 500 Chloroformnarkosen keinen Todesfall beobachtet. Fuchs hat auf
3000 Narkosen 2 |Todesfälle, Monprofit 5000 mit 1 Todesfall, Laub auf
4000 Narkosen 2 Todesfälle gefunden. Man ersieht also aus diesen wenigen
Zahlen, daß man eine einheitliche Statistik der Todesfälle schwer aufstellen
kann, es kommen dabei eben zuviel Nebenumstände in Betracht. Immerhin
kann man, wenn man die früheren Statistiken von Gurlt und dem Chirurgeu-
kougreß etc. in Betracht zieht, behaupten, daß auf 2000 — 5000 Chloroform-
narkosen 1 Todesfall sich ereignet. In den meisten Fällen sind diese Todesfälle
Synkopefälle. Was die Lungenaffektionen nach Chloroform anlangt, so kann
mau schwer Zahlen aufstellen, immerhin sind 2 — 3°/o Pneumonien und Bronchi-
tiden nach Chloroformnarkosen zu berechnen.
Die Ätherstatistik zeigt anscheinend, viel günstigere Verhältnisse so hat
Poncet 29000 Äthernarkosen mit nur einem Todesfall, Villi ar hat 4050
Äthernarkosen ohne Todesfall erlebt.
Crouch und Corner haben auf 600 Chloroformnarkosen einen Patienten
an Pneumonie verloren, und es erkrankten von 2400 Äthernarkotisierten 10 au
Lungenleiden post narcosin. Sonntag hat aber bei 300 Cloroformuarkosen
15 Pneumonien erlebt, also 5 °/o während er bei 38 Äthernarkosen 6 Pneumonien
also 12,13 7o fand. Nach Roux sind die Lungenleiden nach Äthernarkosen
nicht häufiger als nach Chloroform. Wenn man nun bedenkt, daß bei
Äther zwar eine geringere Mortalität 1 : 5000 bis 1 : 10000 ungefähr be-
steht, so hat man aber zu bedenken, daß auf 240 Narkosen eine Pneumonie
beobachtet wurde, und daß dieselben gelegentlich noch häufiger aiiftreten.
Gunning hat unter 2068 Äthernarkosen 4 Todesfälle nach der Narkose an
Pneumonien und 1 an Herzschwäche infolge der Ätherwirkung beobachtet,
Freemann hat unter 1600 Äthernarkosen nur 1 leichte Bronchitis post narcosin
— 423 —
gefunden, die bald abheilte. Die direkte Lebensgefahr in der Narkose ist
jedenfalls geringer, aber es sind die Nachwirkungen nicht wesentlich günstiger,
denn von 30 Pneumonien nach Äther endeten 15 tödlich (Ghir. Kongx.).
Schultz hat bei 463 Athernarkosen 33 Lungenkraukheiten auftreten sehen,
während Blake auf 1250 Äthernarkosen nur 3, Euniboll auf 1500 solcher
6 Lungenleiden beobachtet hat. Rossa hat unter 100 Äthernarkosen 1 Todes-
fall an Ätherwirkung auf die Lungen bei ganz gesunden Personen beobachtet,
sowie 15 schwerere Lungenleiden, 9 Bronchitis und 6 Pneumonien nach den
Narkosen erlebt. Der Tod trat bei diesem Fall 1 Va Stunden nach der Narkose
im Collaps ein, während Hyperaemie und Haemorrhagien in den Lungen als
Todesursache gefunden wurden. Man ersieht also aus diesen kurzen Angaben,
die nicht näher erläutert werden brauchen, daß recht große Gefahren immerhin
als Folgen der Äthernarkose auftreten können. Aber die Zahlen der Statistiken
sind recht verschieden und es läßt sich aiis denselben nicht ein einheitliches
Urteil erlangen. Tatsache aber ist, daß die Luugeuleiden durch eine gute
Technik der Narkose stark yermindert werden können, das ersieht man eben
auch aus den Statistiken von früheren Jahren und den heutigen. Aber auch
die Nachwirkungen des Chloroforms lassen sich durch gute Technik sehr ver-
ringern. Im allgemeinen kann man die Zahlen von Clurlt, welcher die Todes-
fälle infolge der Narkotikumwirkung für Cloroform wie 2075 : 1 und für Aether
sulfur. wie 5112 : 1 berechnet hat, als richtig anerkennen und hätte dabei
einen Vorteil im Äther, der aber durch die zahlreicheren Todesfälle an Pneumonien
nach Äther ausgeglichen wird. Wenn auch nach Chloroformnarkosen Pneumonien
oft auftraten, so sind die nach Äthernarkosen doch gefährlicher. Allein auch
das Chloroform hat den protrahirten Chloroformtod zur Folge, eine Folgeer-
scheinung, die dem Aether sulf. viel seltener eigen ist. So gleichen sich die
Nachteile vielfach aus, und man muß auch noch in vielen Fällen bei den Todes-
und Unfällen die Einflüsse der Operation und Krankheit bedenken. Ich habe denn
aus dem genauen Studium der Literatur aller Zeiten der Narkosenwissenschaft,
aus der praktischen Tätigkeit und zahlreichen Versuchen und Experimenten
folgendes Urteil erlaugt: Man kann nicht dem einen von beiden
Narkotika den Vorzug geben, denn sie stellen zwei Stoffe
dar, weiche nebenein an der zur Na rkoseverwendetwer den
müssen, der Wert der beiden Narkosen für den Arzt ist
gleich, denn mau kann weder Chloroform noch Äther in
allen Fällen entbehren, und es ist gerade darin der Vor-
teil für den Chirurgen gelegen, daß er in vielen Fällen,
wo das eine Narkotikum kontraindiziert ist, das andere
verwenden kann, und, um so die günstigen Wirkungen
jedes einzelnen Narkotikums richtig ausnützen und ver-
wenden, sowie die schädlichenEinflüsse auf denOrganis-
mus eines jeden vermeiden zu können, muß d erArzt jeden
Fall genau hinsichtlich der Narkose prüfen. Bei rich-
tiger, vollkommener Kenntnis der Technik, tadelloser
und genauer Dosierung sowie scharfer Beobachtung des
Kranken in der Narkose kann man die Gefahren sehr ver-
mindern, so daß man Resultate findet, wo Todesfälle nur
höchst selten, schädliche Folgen fast gar nicht nach den
— 424- —
Narkosen auftreten. Aber es ist eiu vollkommen falscher
Standpunkt, den der einnimmt, welcher behauptet, die
eine oder andere Narkose sei vollkommen gefahrlos, und
die oder jene sei die beste. Jede Narkose ist eine In-
toxikation des Organismus und somit kann eine Gefahr
nie ganz ausgeschlossen werden, und deshalb kann man
auch nicht für alle Fälle eine Methode empfehlen, denn
man muß die Narkose stets im Verhältnis zum Organismus
und dessen vitalen, physiologischen und pathologischen
Beziehungen und Zuständen betrachten, beurteilen und
wählen. Dann wird man für jeden Fall entscheiden, ob
Äther oder Chloroform anzuwenden ist. Ist an einen ganz
gesunden Menschen, d. h. hinsichtlich der inneren Organe
gesunden, eine Narkose vorzunehmen, und sind sowohl
Chloroform wie Äther gestattet, so wähle ich Äther, da
ich denselben dann für das weniger gefährliche Narko-
tikum halte, aber dies geschieht nur in dem Fall, wo kein
Punkt vorhanden ist, der für eine der beiden Methoden
entscheidend ist. Diese Fälle sind verhältnismäßig-
selten.
IV. Kapitel.
Die Bromäthylnarkose.
§ 11. Mau hat neben Chloroform und Äther eine Menge anderer
Narkotika angegeben und vielfach zu Narkosen verwendet. Sehr oft, nament-
lich zu kurzen Narkosen besonders in der zahnärtzlichen Tätigkeit ver-
wendet man das Bromäthyl, einen dem Äther verwandten chemischen
Körper, welcher die Zusammensetzung C, II5 Br hat, wobei also an Stelle der
Gruppe OH im Alkohol Brom getreten ist. Man bezeichnet diesen in ge-
wöhnlicher Temperatur eine wasserklare Flüssigkeit darstellenden Körper auch
noch mit den Namen Aether bromatus, Bromäther, oder Aethylbromid. Der
Geruch ist ein bedeutend angenehmerer als der von Äther; denn das Bromäthyl
hat einen mehr süßlichen knoblauchartigen phosphorähnlichen Geruch, nicht so
stechend, aber doch dem Äther sehr ähnlich. Der Geschmack ist süßlich-brennend.
Das spez. Gevncht des Bromäthyl beträgt 1,473. Der Siedepunkt ist
sehr niedrig, bei 38 — 40° C gelegen, infolgedessen verdunstet und verdampft
dasselbe sehr leicht. Diese Eigenschaft ermöglicht ja die Verwendung als
Inhalationsanästhetikum und ruft auch die leichte Applikation des Stoffes zur
Narkose hervor. In Wasser ist Bromaethyl wenig löslich, während es in
Weingeist und Äther in allen Verhältnissen löslich ist. Der Umstand, daß
dasselbe in Wasser nur wenig löslich ist, und der überaus niedrig gelegene
Siedepunkt haben einen besonderen Einfluß auf die Verwendbarkeit zur Narkose,
worüber weiter unten noch gesprochen werden soll. Ein großer Vorteil des
Bromäthyls ist der Mangel der Brennbarkeit. Das Bromäthyl selbst wie auch
die Dämpfe und die Mischungen der Dämpfe mit Luft entzünden sich nicht
— 425 —
leicht au J^'laiiniieu, verbrenmin üIxm- mit gTÜnlicher Flamme. Das Bromäthyl wird
aber wie alle die ihm ähnlichen und in dieselbe Gruppe gehörenden Stoffe durch
Luft, Licht und Wärme sehr leicht zersetzt, weshalb man dasselbe nicht in
unverschlossenen oder schlecht verkorkten Flaschen unter der Einwirkung- des
Tageslichtes aufbewahren darf. Dieser Umstand ist ungeheuer wichtig und
von großer Bedeutung. Durch Umgießen von einer Flasche in die andere,
durch langes Stehen, wenn auch in verschlossenen Gefäßen und unter Licht-
abschhiß, zersetzt sieb das Bromäthyl sehr stark, so daß es mit der Zeit
und nach längerer Aufbewahrung vollkommen unbrauchbar wird, denn es ver-
liert dabei einerseits die narkotische Ki-aft, andererseits entstehen fremde Ver-
bindungen und Umsetzungen von giftigen Eigenschaften und schädlichen
Nebenwirkungen auf den Organismus. Man erkennt schon durch den Geruch
das zersetzte und verdorbene Präparat gegenüber dem normalen, denn derselbe
entbehrt des knoblauchartigen Timbre's. Der normale Geruch nämlich weist
einen deutlichen knoblauchartigen oder phosphorähnlichen Beigeruch auf. Man
kann an dem Fehleu desselben sehr leicht das verdorbene Präparat erkennen.
Dieser phosphorähnliche Geruch ergibt sich daher, daß man bei der Herstellung
des Bromäthyls amorphen Phosphor mit Alkohol übergießt, Brom hinzusetzt
und hiernach destillieit. Das Destillat stellt dann das Bromäthyl dar. Es
wurde zuerst im Jahre 184:9 von Nunnely zu Narkosen verwendet. Die in
Frankreich hergestellten Präparate stellen reines Bromäthyl dar, während man
in Deiitschlaud und der Schweiz eine geringe Menge Alkohol dem Bromäthyl
zusetzt in der Anualime und der Absicht, durch den Alkoholzusatz der leichten
Zersetzung vorl)eugcn zu köuncn. Wenn man die Dämpfe des Bromäthyls,
welche sich schwer entzünden, verbrennt, so zeigen sie eine grünliche Flamme
und es entsteht während der Verbrennung Bromwasserstofi. Die ganz reinen
Sorten von Bromäthyl haben einen Siedepunkt von 38 — 39*^0 und ein spez.
Gew. von 1,4735 bei 15 °C. Die Pharmacopoea germanica schreibt für das
Präparat ein spez. Gew. von 1,453 — 1,457 und einen Siedepunkt von 38 — 40 °0,
die Pharmacopoea gallica ein spez. Gew. von 1,473 und einen Siedepunkt
von 38,5*'C, und die Pharmacopoea helvetica ein spez. Gew. von 1,445 — 1,450
und einen Siedepunkt von 38 — 40 °0 vor. Dabei erlaubt die Pharmacopoea ger-
manica 1%, die gallica eine Spur und die helvetica 1 — l,5 7o Alkoholzusatz.
Natürlich ist, wie bei allen Narkotika die Reinheit des Präparates eine unerläß-
liche Bedingung (Haffter). Um sich von der Pteinheit überzeugen zu können,
hat man folgende Proben augegeben, welche leicht ausführbar sind:
1. Eine kleine Menge von Bromäthyl in ein Uhrschälchen gegossen und
darin zur Verdunstung einige Zeit stehen gelassen, muß derart ver-
dunsten, daß auf dem Glas kein Rückstand bleibt. Die Verdunstung
muß rasch vor sich gehen. Gießt man einige Tropfen von Bromäthyl
auf die Haut, so muß ein Gefühl der Kälte entstehen.
2. Wenn man Bromäthyl mit destilliertem Wasser zu gleichen Teilen
mischt und mehrmals durcheinander beide Flüssigkeiten schüttelt, so
muß, wenn man diese Mischung filtriert hat, das wässerige Filtrat
neutral reagieren. Fügt man diesem Filtrat eine Argentum nitricum-
lösuug bei, so darf eine Veränderung nicht entstehen.
3. Fügt man zu reinem Bromäthyl konzentrierte Schwefelsäure, so darf
— 426 —
keine Braiinfärbuug entstehen. Wenn mau eine gelbliche bis braune
Färbung erhält, so deutet dies eine Zersetzung des Präparates an.
§ 12. Die Narkose mit Bromäthyi ist eine Inhalationsnarkose genau wie die
Chloroformnarkose und mau verabreicht das Bromäthyl in Dampfform, indem
man die Dämpfe der Luft beimengt. Es besteht aber zweifellos ein bedeutender
Unterschied zwischen diesem Narkotikum und dem Chloroform oder Äther,
welcher darin besteht, daß das Bromäthyl zu einer langen Narkose absolut un-
geeignet ist. Die Verwendung besteht also entgegen der allgemeinen Narkose
nur in einer kurze Zeit dauernden Einwirkung des Bromäthyls auf den
Organismus. Es hat nämlich dasselbe eine ziemlich bedeutende narkotische
Kraft, denn es genügen nur wenige Kubikzentimeter von Bromäthyl, um sofort
eine tiefe Narkose zu erzeugen, welche allerdings nur wenige Mim^ten, 2 — 3,
anhält. Man hat daher die Indikation zur Anwendung des Bromäthyls nur in
kurzdauernden Operationen gefunden, denn man fand, daß die Betäubung unter
Bromäthyldämpfen viel schneller auftrat, als z. B. unter Chloroform, (Haffter,
Rabuteau etc.). Man hat daher dem zu narkotisierenden Menschen sehr rasch
10 — 15 ccm Bromäthjd einzuatmen gegeben, und nach kaum 1 Minute der Ein-
atmung verfällt der Mensch in eine tiefe Narkose. Der Vorgang bei dieser
Narkose ist genau derselbe wie bei jeder anderen, denn das Bromäthyl wird in
Dampfform in die Limgen gebracht, und wird dort vom Blute aufgenommen.
Da sich nun Bromäthyl im Wasser nur sehr schwer löst, etwas mehr in Fetten
und Ölen, so wird nicht sehr viel vom Blute gelöst, sondern nur ein Teil, der
aber genügt, um eine sofortige Betäubung hervorzurufen. Es bildet sich in dem
Blute eine bestimmte Konzentration der Bromäthyldämpfe, und diese ist geringer
als die des Chloroforms, sie beträgt ungefähr sov^iel, wie ein Gasgemenge von
4 — 5 g Bromäthyl auf 100 1 Luft. Es wird also eine entsprechende Konzentration
der Dämpfe auch im Blute gebildet, und das Blut transportiert das Bromäthyl
in das Gehirn, wo es von den Cholestearin-Lecithingemischeu der Ganglienzellen
aufgenommen wird und in das Protoplasma der Zellen gelangt. So wird eine
Betäubung des Menschen hervorgerufen, indem das Bromäthyl narkotisch wirkt,
und erst eine Reizung geringen Grades und dann eine Lähmung der Zellen
bewirkt. Die Theorie ist dieselbe, wie schon früher für jede Narkose beschrieben.
Die narkotische Kraft ist aber eine ziemlich starke. Es zeigen sich in der
Bromäthylnarkose geuaii die drei Stadien, wie in jeder anderen Narkose, nur
sind das erste und zweite Stadium überaus kurz, die Exzitation ist vorhanden,
aber nur sehr kurz dauernd. Der Kranke verfällt sehr schnell in die Toleranz.
Das 4, Stadium, das des Erwachens ist sehr kurz, der Kranke erwacht inner-
halb weniger Sekunden, während die Toleranz an sich nur wenige Minuten
dauert.
Wenn die Bromäthyldämpfe in den Ganglienzellen ihre Wirkung entfaltet
haben, wenn dem Menschen nicht mehr neue Mengen von Bromätbyl-Luftgemischen
zugeführt werden, so eliminieren die Lungen, Nieren etc. wieder die Bromäthyl-
dämpfe, und es wird dabei die Konzentration der Bromätbyldampflösung im
Blutplasma geringer, folglich verlieren auch die zentralen Elemente, die Ganglien-
zellen, die Bromäthyldämpfe, was zur Folge hat, daß der Kranke erwacht. Es ist
dieser Kreislauf derselbe wie bei allen Narkosen.
Eine vollständige Lähmung aller Reflexe wird aber bei der kurzen
gewöhnlich angewendeten Narkose nicht erreicht, sondern das Bewußtsein
— 427 —
erlöscht uud eiu Teil der willkürlicheu Muskeln uud teilweise auch die Reflexe.
Führt man eine längere Narkose aus, so werden genau wie bei jeder Narkose
die Reflexe verschwinden, auch die Augenverhältnisse sind analog denen bei
(Jhloroforin. Die Muskeln sind vollkommen schlaft'. Die Pupillen sind dann
eng und reaktionslos in tiefer Narkose und zeigen auch das Straßmannsche
Phänomen. Kurz vor dem Exitus erweitern sie sich sprungweise. In der
gewöhnlichen kurzen Bromäthylnarkose kommt es nicht immer zu einer tiefen
Narkose, zur Toleranz. Es schwindet zuerst das Schmerzgefühl (Rausch),
welche Insensibilität 2—3 Minuten dauert, und dieselbe besteht oft noch, wenn
die Kranken bereits erwacht sind. Hingegen tritt eine vollkommene Erschlaffung
der Muskeln meist nicht ein. Das Bewußtsein kann vollkommen aufgehoben
sein, wie in jeder Narkose, es kann aber auch nur eine Trübung des Bewußt-
seins hervorgerufen werden, während aber vollkommene Analgesie trotz des
teilweise erhaltenen Bewußtseins besteht und die Operation schmerzlos aus-
geführt wird. Meist erreicht man aber völlige Bewußtlosigkeit für wenige
Minuten.
Während Szumann in der kurzen Bromäthernarkose die Besinnung
leidlich erhalten hat und nur leichte Benommenheit und Betäubung beobachtete ,
fanden Hankel, Adrian etc. vollständigen Schwund des Bewußtseins während
1 — 1 Vo Minuten. Es schwindet meist auch die Tastempfindung, während die
Reflexe meist bestehen bleiben, natürlich nm- bei der kurzen Narkose. Aber in
allen Fällen wird die Schmerzempfinduug nicht vollkommen aufgehoben, das
Bromäthyl wirkt bei manchen Menschen nur unvollkommen in den erlaubten
Dosen. Es entsteht oft nur eine Herabsetzung der Schmerzempfindung (Szumann).
Exzitation findet sich in vielen Fällen, oftmals sehr stark, bisweilen fehlt sie,
immer ist sie kurz, doch kommt es vor, das manche Personen (Alkoholiker)
gar nicht mit Bromäthyl betäubt werden können.
Die physiologischen Einwirkungen des Bromäthyls auf das Cerebrum
des Menschen bestehen also in der Lähmung der zentralen Elemente, und diese
Einwirkung ist als eine physiologische anzusehen, solange sie die lebens-
wichtigen Zentren, die der Herz- und Lungentätigkeit nicht lähmt. Sobald eine
Lähmung dieser Zentren eintritt, hat man es mit einer pathologischen Wirkung
zu tun. Dieselbe tritt ein, wenn man die Verabreichung der Luft-Bromäthyl-
dampfgemische über die zulässige Höhe steigert, einerseits zu lauge verabreicht,
andererseits die Konzentration der Gemische zu stark erhöht.
Die Einwirkung auf den Organismus in physiologischer Hinsicht zeigt sich
ferner in einem Sinken des Blutdruckes während der Narkose, welcher 20 — 30 mm
beträgt, auf das Herz wirkt es im Anfang anregend, auf die Lungen nicht
wesentlich ein (AbonjM etc.), Avenn man es in kleineu Dosen verabreicht. Die
narkotische Wirkimg ist entschieden stärker, als die des Chloroforms (Bonome,
Mezza etc.), aber es kann nur zu kurzen Narkosen verwendet werden, da in
längerer Verabreichung schwere pathologische Einwirkungen zu finden sind.
Infolge der raschen Wirkung und der Verabreichung in einer Dosis zu nur kurz-
dauernder Narkose erwacht der Kranke sehr rasch aus der Narkose und er ver-
spürt meist nach derselben keine Beschwerden, kein Übelsein, keinen Kopfschmerz,
es tritt kein Erbrechen ein (Turnbell, Givel, Montgomery, Pauschinger etc.).
Die Eliminierung der im Organismus kreisenden Brom äthermengen geht nach
der Narkose sehr rasch vor sich, ein Umstand, der mit der schweren Löslichkeit
des Bromäthyls im Wasser und Blute zusammenhängt. Infolge dieses Umstandes
sind auch üble Nachwirkungen gering oder gar nicht vorhanden. Wollte man
aber das Bromäthyl zu langen Narkosen verwenden, so würden ebenfalls \\u-
angenehme Nachwirkungen entstehen. Bei den kurzen Narkosen, zu denen man
das Narkotikum verwendet, gelangen ja nur geringe Mengen von Bromäthyl iu
— 428 —
den Organismus, und da die Eliniinierung durch Lungen, Nieren etc. sehr schnell
vor sich geht, so kommen tihle Nachwirkungen nicht oder nur in ganz geringem
Maße zustande. Eine eigentümliche Einwirkung besitzt das Bromäthyl auf die
Genitalien und die Genitalfunktion, denn man kann bei allen im Geschlechts-
leben stehenden Personen beobachten, daß dieselben in der Narkose, namentlich
im Anfangsstadium, zu sexuellen Verrichtungen augeregt werden, wobei die
Kranken eine aufregende Empfindung, Libido, haben, sie träumen von sexuellem
Verkehr oder von anderen anregenden mit dem Liebesleben eng verknüpften
Verhältnissen, und man gewahrt meist, daß Personen, welche des öfteren in
sexuellen Verkehr treten, die gewohnte Stellung auf dem Operationstisch
einnehmen, man beobachtet Erektionen des Penis, Abgang von Sperma, Frauen zeigen
ebenfalls sexuelle Erregung, sie greifen nach den Genitalien, machen Coitus-
bew'egungen etc., und beim Erwachen aus der Narkose wollen die Kranken meist die
nächststehenden Personen mit Liebesbezeugungen überschütten, sie lachen heftig
und sind in angeregtester Stimmung. Ich habe bei allen Bromäthylnarkosen, die ich
gesehen und ausgeführt habe, diese anregende Wirkung desselben beobachtet.
Nur ganz selten findet man Personen, welche in das andere Extrem der Stimmung,
in Trauer verfallen. Diese Wirkung des Bromäthyls könnte uns Ärzten ja
ziemlich gleichgültig sein, wenn nicht unangenehme Folgen entstehen könnten,
denn die Kranken, namentlich Frauen und Mädchen, glauben, wenn sie aus der
Narkose erwachen, oftmals, ihre Träume waren Wahrheit und behaupten, der
Arzt habe während der Narkose ein Sittlichkeitsverbrechen an ihnen begangen.
Wenn man dann nicht dritte Personen zugegen gehabt hat, so können für den
Arzt sehr unangenehme Folgen daraus entstehen. Oftmals wird das Bromäthyl
bei Zahn Operationen verwendet, und es geschieht oft, daß der Arzt vergißt, noch
eine Person hinzuzuziehen. Die Frauen und Damen namentlich, welche
mit Chene an sexuelle Dinge denken, meinen dann stets, es sei ihnen ein
solcher Gedanke nie in den Sinn gekommen und der Traum könne nur durch
das Sittlichkeits vergehen hervorgerufen worden sein. Wie schwer es ist, Laien
von der Tatsache zu überzeugen, daß Bromäthyl eine solche Wirkung besitzt,
das hat man ja schon genug erfahren. Es ist daher entschieden anzuraten,
eine Bromäthylnarkose nie ohne Gegenwart von dritten Personen, welche die
Unschuld des Arztes beweisen können, vorzunehmen, namentlich nicht an Frauen
oder Mädchen. Das Exzitationsstadiuin trägt eben fast stets einen erotischen
Charakter bei Bromäthylnarkosen.
Die Eliminieruug des Bromäthers geschieht hauptsächlich durch die
Lungen, denn infolge der schweren Löslichkeit ist die Verbindung der Brom-
ätherdämpfe mit dem Blutserum nur locker, und nach Sistieren der Zufuhr
von Bromäthyldämpfen gibt das Blut sofort große Mengen an die Luft ab.
R ab Ute au nimmt an, daß die Ausscheidung fast nur durch die Lungen erfolge,
denn er fand im Harn keine Brommengen und glaubt, daß die Nieren nicht mit
beteiligt sind. Nach ßegli wird ein Teil des Bromäthers durch die Nieren
abgeschieden, doch sei die Absonderung der Nieren nur gering. Li den Lungen
wird jedenfalls die größte Menge wieder eliminiert und man bemerkt nach der
Narkose beim Ausatmen des Kranken den Knoblauchgeruch. Cohn glaubt,
daß der Knoblauchgeruch durch Zersetzung des Broms infolge der Einwirkung
des Schwefelwasserstoffes der Mundhöhle entsteht, und daß das Resultat dieser
chemischen Umsetzung, nämlich das Äthylsulfid, die wirksame Substanz sei. Es ist dies
— 429 —
aber ein sicherer Beweis, daß die Lungen die meisten Mengen des Narkotikum
aus dem Organismus eliminieren.
Bedeutend wichtiger sind die pathologischen Einflüsse des Bromäthyls
auf den Organismus und es sind da eine solche bedeutende Anzahl vor-
handen, daß man den Wert des Körpers als Narkotikum sehr stark be-
zweifelt. Betrachtet man zunächst den Einfluß des Bromäthyls auf das
Zentralnervensystem, so findet man eine sehr ähnliche Einwirkung, wie
man das vom Chloroform kennt. Es sind über diese und ähnliche Beziehungen
des Bromäthyls zum Gehirn bisher noch keine Versuche angestellt worden, so
daß man bisher nur wenig darüber erfahren konnte. Ich habe eine eingehende
Prüfung aller für die Narkose in Betracht kommenden chemischen Körper vor-
genommen und habe gefunden, daß die Wirkungen des Bromäthyls sehr
gefährlich sind. Wenn man einen Hund mit Bromäthyl betäubt, und zwar eine
längere Narkose ausführt, so zeigt sich im Groß- und Kleinhirn eine Ein-
wirkung, die sich einerseits in einer Fettmetamorphose der Ganglienzellen,
andererseits in einer solchen der Zellen der Hirngefäßwanduugen offenbart.
Schon nach einer längeren Bromäthylnarkose findet sich dies sehr deutlich, wendet
man aber des öfteren Bromäthyi an, d. h. narkotisiert man den Hund in Zwischen-
räumen von 12 Stunden drei- bis viermal, so ist die bezeichnete Veränderung-
ganz enorm ausgebreitet und stai'k. Man findet dann sehr viel Fett in Form
von großen Tropfen an einzelnen Stellen der Wanduug der Blutgefäße, und zwar
liegt das Fett an einem ca. ^/^ — ^4 ^^^ ganzen Gefäßciuerschnittes einnehmenden
Bezirk in Haufen von feinen bis großen Tropfen. Dieselben liegen in den
Zellen der Media und Intima bei größeren Gefäßen, in den Zellen der Kapillar-
wand, und finden sich an vielen Stellen, so daß mau im gefärbten Präparat die
Fetthaufen als schwarze Punkte erkennt, namentlich bei schwacher Vergrößerung
oder schon bei makroskopischer Betrachtung. Die Gefäßwandung wird natür-
lich an dieser Stelle verdickt, sie wölbt sich nach außen vor und man findet,
nachdem das Fett aufgelöst ist, einen Haufen von untergegangenen Zellen, die
Wandung wird daselbst verdünnt, und wenn die Veränderung abheilt, bildet
sich eine Narbe, die zu einer Verdünnung der Gefäßwand an dieser Stelle führt,
namentlich bei größeren Gefäßen, die einem starken Blutdruck ausgesetzt sind,
wird die Wand an der verdünnten Stelle aneurysmaartig vorgewölbt. Es können
dadurch Rupturen der Arterien und Hämorrhagien in das Gehirn erfolgen.
Diese Veränderungen der Gehii-ngefäße sind bei Bromäthyl überaus stark und
ausgebreitet, dieselben erscheinen fast stärker und ausgebreiteter, als man sie
beim Chloroform findet. Es haben alle meine Tierversuche eine sehr starke
Fettmetamorphose der Gehirnarterien sowohl im Cerebrum wie im Cerebellum
aufgewiesen, und ich konnte schon nach einer 50 Minuten dauernden Bromäthyl-
narkose die Fettmetamorphose in den Hirnarterien finden, wenn auch nur in
Form von 2 — 3 Tropfen an einzelnen Stellen in den Zellen der Wandung, vor
allem fand sich die Veränderung auch an den Kapillaren. Nach 2 — 3 Narkosen
fand sich die Veränderung sehr stark und ausgebreitet.
Was nun die Fettmetamorphose in den Ganglienzellen anlangt, so ist
dieselbe ebenfalls sehr stark und ausgedehnt zu finden nach Bromäthylnarkosen
längerer Dauer, es fanden sich in einzelnen Ganglienzellen des Groß- und
Kleinhirns eine große Anzahl feiner Fetttropfen, welche das Protoplasma der
Zellen ganz ausfüllten, in anderen sah man nur G — 8 größere Fetttropfen. Es
— 430 -^
war diese Einwirkung- auf die zentralen Elemente ebenfalls sehr deutlich und
intensiv, und steht der Wirkung von Chloroform nicht nach. Es geht aus
diesen Befunden hervor, daß das Bromäthyl eine sehr schwere und starke Ein-
wirkung auf das Gehirn ausübt, und daß in Fällen, wo eine Disposition
des Kranken besteht, z. B. Arteriosklerose etc., eine Bromäthylnarkose große
Gefahren bringen kann, einerseits in Form der Hirnhämorrhagien, andererseits
in Lähmungen der Zentren. Denn die Eettmetamorphose der Ganglienzellen
muß als eine Erkrankung derselben, ein pathologischer Zustand aufgefaßt werden.
Die Veränderung heilt allerdings nach der Narkose schnell ab, wird aber auch
durch eine folgende Narkose, wenn sie noch nicht ganz verschwunden war, sehr
stark vermehrt und verschlimmert.
Betrachtet man nun die pathologische Einwirkung des Bromäthyls auf
das Herz, so findet man schon von verschiedenen Autoren Angaben über sehr
üble Wirkungen. (Wood, Kappeier, Pomeranzew, Semazki etc.).
Während man im Anfang nach der Entdeckung der Bromäthylnarkose des
Lobes voll war und kein ungefährlicheres Narkotikum kannte, so war sehr bald
nach einigen Jahren hier und da die Beobachtung gemacht worden, daß das
Bromäthyl sehr schwere Einwirkungen auf das Herz vor allen Dingen ausübe,
und daß man öfters Herzsynkopefälle beobachtete, die bei ganz gesunden
Personen nach einer kurzen Bromätheruarkose auftraten. Man schob diesen
Umstand auf die Beimengungen, welche man im Anfang infolge der mangel-
haften Darstellung im Bromäthyl fand. Doch es waren dieselben entschieden
von großer Bedeutung, und die Reinheit des Präparates ist noch heute das
erste Erfordernis, allein auch die reinsten Sorten haben doch eine sehr toxische
Wirkung auf das Herz, die sich in Lähmung des Herzens äußert (Marion Sims),
und man hat plötzliche Synkopetodesfälle auch bei und nach Verwendung der
besten und reinsten Bromäthylsorten gesehen. So habe ich selbst einen sehr
unglücklichen Fall erlebt, wo ein 19jähriges Mädchen, dessen Herz vor der
Narkose untersucht und als ganz gesund befunden wurde, nachdem ihm in einer
mit 10 g Bromäthyl ausgeführten Narkose ein Zahn extrahiert worden war,
wenige Minuten nach dem Erwachen tot umfiel und nicht wieder zum Leben zurück-
zubringen war. Solche Fälle sind in großer Zahl beobachtet worden und es
zeigen alle diese Unfälle die schwere Einwirkung des Bromäthers an.
Wood fand auch durch genaue Blutdruckbestimmungen, daß das Brom-
äthyl den Blutdruck in gewissem Grade herabsetzt, und daß der Blutdruck um
20 — 30 mm während der Narkose sinkt, wenn auch in manchen Fällen eine
geringere Differenz vorhanden ist, so besteht doch für gewöhnlich eine stark
lähmende Einwirkung des Bromäthyls auf das Herz.
Bei seinen interessanten Versuchen mit Bromäthyl stellte Löhers fest,
daß dasselbe einerseits gleich Chloroform einen starken Reiz auf die Vagus-
endigungen in der Nase erzeugt und Reflexsynkope hervorrufen kann, anderer-
seits starke Arythmie des Herzschlages hervorruft, weiter eine starke Vermehrung
der Pulszahl, um 9 — 30 Schläge pro Minute, ein stetes, außergewöhnlich schnelles
Sinken des Blutdruckes. Wenn sich bei seinen Versuchen Synkope oder Apnoe
einstellte, so war das Tier nicht wieder in das Leben zurückzurufen, wenn
nicht sofort energische Gegenmaßregeln angewendet wurden, welche das im
Herzen befindliche stark bromäthylhaltige Blut herausbeförderten und durch
anderes ersetzten. Es mußte daher sofort Herzmassage eingeleitet werden, die
durch Druck auf den Thorax bewirkt wurde. Wurde dies nicht sofort energisch
ausgeführt, so war das Tier nicht zum Leben zurückzubringen.
Um ein genaues Bild von der Bromäthylnarkose und deren Verhältnis
— 431 —
zum Orgauisinus zu erhalteu, habe ich das Bromäthyl zu Narkosen an Hunden
verwendet und habe gefunden, daß in laug-er Narkose eine starke Fettmetamorphose
im Herzmuskel erzeugt wird, die der nach Chloroform nicht nachsteht. Es
fand sich ausgedehnte Fettansamnilung im Myocard, nach einer 30 — 40 Minuten
dauernden Bromäthylnarkose war in dem Herzfieisch eines gesunden Hundes
schon deutlich Fett in feinen Tropfen zu finden. Nach zwei Narkosen an zwei
Tagen war das Fett sehr reichlich, nach drei und vier Narkosen war hochgradige
Fettmetamorphose zu finden. Es fand sich in den Muskelfasern das Fett schon
nach zwei Narkosen in typischer Anordnung in Haufen bipolar zu dem Kern an-
geordnet und auch über die ganze ]\Iuskelfaser gleichmäßig verteilt in feinen
Tropfen. Es ist also durch diesen Befund, der regelmäßig vorhanden war, dar-
getan. daß das Bromäthyl dem Herzen sehr gefährlich werden kann, denn schon
nach einer kurzen Narkose kann bei bestehender Disposition des Herzens eine
so hochgradige Fettmetamorphose, vor allem, wenn dieselbe im Beginn schon
vorher bestanden hatte, erzeugt werden, daß Exitus letalis eintritt. Es ist das
Bromäthyl nach den Resultaten dieser Versuche, denen anderer Forscher,
und den Beobachtungen aus der Praxis als ein schweres Herzgift zu betrachten,
dessen Verwendung nur mit höchster Vorsicht geschehen darf. Die Hauptgefahr
in der Bromäthylnarkose besteht in der während oder kurz nach der Betäubung
auftretenden Synkope, und dieselbe wird hauptsächlich durch die direkte das
Hei'z lähmende Einwirkung des Bromäthyls erzeugt, während die toxische
Wirkung auf die Herzmuskelfaser nur bei längeren Narkosen und bei krankem
Herzen eine Synkope in der Narkose erzeugen kann. Jede längere Narkose mit
Bromäthyl bildet eine so große Gefahr für das Herz, daß man dieselbe ent-
schieden vermeiden muß.
Weiter soll iu dem Folgenden der Einfluß des Bromäthyls auf die
übrigen inneren Organe betrachtet werden. Es kommen da vor allem die Leber
und die Nieren in Betracht, welche einem sehr starken Einfluß unterworfen sind.
Die Experimente haben ergeben, daß die Leber bei längerer Narkose durch
Bromäthyl sehr stark geschädigt wird, und zwar findet man ausschließlich eine
sehr starke Fettmetamorphose der Leberzellen nach der Bromäthylnarkose. Es
hat sich ergeben, daß die Leber schon nach einer ca. 40 Minuten langen
Bromäthylnarkose eine starke Fettmetamorphose zeigte, die durch eine folgende
Narkose bedeutend verschlimmert wurde. Hauptsächlich trat in der Peripherie der
Acini eine starke Fettmetamorphose mit Nekrose und Zerfall der Leberzellen
auf, so hochgradig, wie man sie kaum bei gieichlangen Chloroformnarkosen findet.
Die Nekrose war besonders stark. Ln Zentrum der Acini war weniger Nekrose
als Fettmetamorphose vorhanden. Die Bilder in den Präparaten der Leber
glichen vollkommen denen von Lebern der mit Chloroform betäubten Tiere.
Diese Leberveränderung tritt nach einer längeren Narkose in geringem Grade
auf, wird aber von einer weiteren Narkose innerhalb der Zeit, wo sie noch
nicht abgeheilt ist, stark vermehrt. Es wird also auch jede vorher bestehende
Disposition zu Leberleiden oder jede im Anfang vorhandene Fettleber durch
eine Bromäthylnarkose stark verschlimmert werden. Daneben bestehen starke
Hyperämie und Hämorrhagien im Parenchym. Was die Nieren anlangt, so
werden dieselben analog der Leber verändert, starke Fettmetamorphose entsteht
nach langem und öfteren Betäuben und am meisten in den Tubuli contorti, wo-
selbst man neben viel Fett auch Zerfall der Epithelien und Neki'ose findet.
Die Glomeruli zeigen keiu Fett, haben aber stark gefüllte Gefäße und einen
großen Hohlraum zwischen Glomerulus und Bowmanscher Kapsel (Exsudat).
In den Tubuli recti ist weniger Nekrose und Zerfall der Zellen, doch noch viel
Fett, während in den Zellen der Pyramiden weniger Fett vorhanden ist. Die
Fettmetamorphose ist nach einer langen Narkose im Beginn mit feinen Tropfen
— 432 —
zu üuden, nach 2 — 3 Betäubungen aber stark ausgeprägt mit großen Fettballen
und Nekrose. Jede folgende Narkose vermehrt die Fettmetamorphose enorm.
Die Nieren sind sonst stark hyperämisch, Häraorrhagien sind oft zu finden,
namentlich unter der Kapsel.
Die Nieren spielen bei der Eliminierung der Narkotika eine ganz be-
deutende Rolle, denn es werden nicht geringe Mengen bei der Chloroform-
narkose aus dem Blute abgesondert, und so geschieht auch bei der Bromäthyl-
narkose eine Absonderung von Bromäthyl durch die Nieren. Rabuteau meint,
daß die Nieren nicht an der Ausscheidung des Bromäthyls aus dem Organismus
beteiligt seien, weil er keine Bromverbinduugen im Harn fand. Regli glaubt,
daß nur wenig Bromäthyl durch die Nieren eliminiert wird. Die Verhältnisse
liegen so, daß bei der kurzen in praxi ausgeführten zwei Minuten dauernden
Bromäthylnarkose nur wenig Bromäther die Nieren passiert, denn es wird ja
auch nur eine geringe Menge von Bromäthyl in den Organismus gelangen, da
man dem Kranken nur einmal eine kleine Menge zu inspirieren gibt, die zum
größten Teil durch die Lungen eliminiert wird. Allein ein kleiner Teil passiert
auch die Nieren. Narkotisiert mau aber ein Tier 30 Minuten, so findet man
sehr bald nach Beginn, sicher nach der Narkose, Bromverbindungen und Brom-
äthyl im Harn. Ich habe dies durch chemische Reaktien nachweisen können.
Immerhin ist nur sehr wenig Bromäthyl in dem Harn frei oder in Verbindungen
enthalten. Dies beruht darauf, daß Bromäthj^l sehr schwer im Wasser löslich
ist, es wird daher überhaupt nur wenig in das Blut aufgenommen und die
Lösung ist nur sehr locker, so daß das Bromäthyl sehr schnell und leicht
wieder aus der Lösung ausscheidet. Daher werden die größten Mengen durch
die Lungen aus dem Organismus eliminiert. IiuiuerLin werden die Nieren doch
von dem Bromäthyl passiert.
Die Resultate der Bromäthyleiuwirkuug auf die Nieren in Hinsicht
der Fettmetamorphose stellen eine große Gefahr für den Kranken bei
längeren Narkosen dar. Klinisch hat man auch Schädigungen der Niereu nach
Bromäthylnarkosen beobachtet, so fand Regli, daß größere Dosen von Brom-
äthyl regelmäßig xllbuminurie hervorriefen, Haslebacher fand Albuminurie
öfters, seltener Zylinderurie, dagegen hat derselbe auch Fettablagerung in den
Nieren beobachtet. Haslebacher fand auch im Herzen Fett sowie Ver-
schmälenmg der Muskelfasern und Schwinden der Querstreifuug. Diese
klinischen Beobachtungen deuten darauf hin, daß in den Nieren schwere
Schädignngeu durch das Bromäthyl erzeugt werden.
Diese Veränderungen in den Nieren sind sehr ähnlich denen, wie man
sie bei Chloroform findet, und es steht die Bromäthylwirkung der des Chloroforms
nicht nach. Was nun den Magen-Darmkanal anlangt, so sind weniger schwere
Veränderungen darin zu finden. Eine kurze Narkose bringt da keine pathologischen
Wirkungen hervor, nur findet sich eine vermehrte Absonderung von Schleim
sowohl in den Speicheldrüsen des Mundes, Rachens und Kehlkopfes, während
der Magen und Darm nicht wesentlich beeinflußt Averden. Auch in den
Magensaft gehen wesentliche Mengen von Bromäthyl bei kurzer Narkose nicht
über, und die Folge davon ist die, daß jedes Erbrechen und Übelkeit vom
Magen aus nach der Narkose fehlt. Der Umstand, daß das Bromäthyl nur
sehr schwer löslich ist, bringt auch mit sich, daß im Magensaft solches nicht
abgesondert wird. Nach langen Narkosen mit Bromäthyl aber, schon nach
solchen von 10 Minuten Toleranzdauer, finden sich geringe Mengen von solchem
im Magensaft und rufen im Magen starke Übelkeit und Erbrechen hervor.
Immerhin gelangen nur wenig Bromäthylmengen in den Magensaft, doch dieselben
genügen aber, da Bromäthyl stark reizend auf die Magennerven wirkt, um
Erbrechen zu erzeugen. Bei längereu Narkosen findet sich in den Epithel-
zellen der Magenschleimhaut und der Magendrüsen sehr reichlich Fett in feinen
— 433 —
bis iiiitt(!lteinen 'J'ropfeu. Auch diese Fettdegeueration der Mageuepithelieu
zeigt die starke Wirkung des Bromätbyls auf die Zelle, denn die Fettmetamorphose
ist verhältnismäßig- stark. Die Darmtätigkeit wird bei langen Narkosen ge-
schwächt, auch die Magensekretion wird vermindert.
Sehr viel wichtiger als diese Wirkungsweise des Aether bromatus ist die
auf die Lungen. Es besteht bei den kurzen Narkosen meist zunächst eine
beträchtliche Beschleunigung der Respirationstätigkeit, die erst kurz vor dem
Erwachen nachläßt und einer Verlangsamung der Atemtätigkeit weicht. Weiter
übt das Bromäthyl einen sehr stark reizenden Einfluß auf die Schleimhaut und
die Drüsen des Kehlkopfes, der Bronchien und Broncheoli aus. Man beobachtet
schon bei kurzen Narkosen eine Vermehrung des Schleimes. Besonders stark
ist dieselbe aber bei längeren Narkosen. Ich habe eingehende Versuche angestellt
und gefunden, daß unter längerer Einwirkung in der Lunge selbst bedeutende
Mengen von Schleim produziert wurden, welche dann in den Alveolen zu finden
waren. Vom Rachen und Mund konnten diese Mengen von Schleim nicht in
die Lunge aspiriert worden sein, denn dies verhinderte ich durch entsprechende
Maßnahmen. Auch schon während der Narkosen bemerkte man bei den Hunden
einen großen Überschuß von Speichel und Schleim, der aus dem Maule heraus-
floß. Die Lungen aber, welche von außen nicht mit Schleim erfüllt werden
konnten, zeigten in großen Bezirken die Alveolen mit Schleim erfüllt, und zwar
waren diese Bezirke groß und ausgedehnt, dabei reichlich in den Lungen vor-
handen, und zAvar in den bei der Lage des Tieres abwärtigen Gebieten am
stärksten, so daß man also annehmen muß, der Schleim sei von den Bronchien
in die Alveolen herabgeflossen. Diese Schleimmassen waren entsprechend den
Narkosen ebenso groß und ausgedehnt, wie bei Athernarkosen. Jedenfalls wirkt
Bromäthyl viel stärker anregend auf die Schleimsekretion als Chloroform und
steht in dieser Hinsicht dem Aether salfur. gleich. Weiter fand sich bei der
genauen Untersuchung der Lungen auch eine sehr starke Fettmetamorphose in
den Zellen des respiratorischen Epithels. In den Zellen der Alveolen, der
Broncheoli und der Schleimhaut der Bronchien waren reichlich Fetttropfen zu
finden. Dies ist ein Zeichen der reizenden Wirkung des Bromäthyls auf die
lebende Zelle. Die Folgen der Fettmetamorphose der Zellen des respiratorischen
Epithels sind darin zu finden, daß durch die Fettmetamorphose eine Schädigung
der Lebensfähigkeit der Epithelzelle erzeugt wird, wodurch die bakterizide
Kraft der Zelle geschwächt, aufgehoben wird, was zur Folge hat, daß Bakterien,
welche in dem Luftstrom auf die Schleimbaut gelangen, einen für ihre Weiter-
entwicklung günstigen Boden finden, sie werden sich auf der erki-ankten Zelle
ansiedeln und wuchern, anstatt von der Zelle getötet zu werden. Auch fallen
durch die Erkrankung der Zellen die Flimmerbewegungen weg, so daß die
Bakterien nicht wegtransportiert werden. Die Folge ist die Entwickelung von
Bronchitiden und Pneumonien. Diese Erkrankungen werden begünstigt durch
die vermehrte Schleimansammlimg in den Alveolen und die Fettmetamorphose.
Es ist also in dieser Hinsicht das Bromäthyl ein sehr gefährliches Narkotikum,
welches hierin dem Aether sulfur. gleichkommt, vielleicht denselben noch über-
trifft. Ich habe bei allen Tieren, welche ich mit Bromäthyl länger narkotisierte,
diese Verhältnisse feststellen können. Je länger die Narkose, um so mehr
Gefahr ist für den Eintritt postnarkotischer Pneumonien vorhanden. Bei
kurzen Narkosen kommen diese Verhältnisse weniger in Betracht, immerhin
28
— 434 —
muß man sie beachten bei Leuten, welche lungenleidend sind. Bei ihnen
kann durch die Narkose eine starke Verschlimmerung der Lungenkrankheit
entstehen. Man muß dies aber auch kennen für Narkosen mit Gemischen aus
ßromäthyl und anderen, solche sind von Otis angegeben worden, weil man
dabei ja eine längere Einwirkung des Bromäthyls auf den Organismus vor sich hat.
Der Einfluß des Bromäthyls auf die Atmung besteht darin, daß dasselbe,
um mich teleologisch auszudrücken, wie Löhers in seinen Untersuchungen fand,
einen Zustand der Lungen erzeugt, der ein Fernhalten der giftigen Gase bezweckt.
Bei Nasenatmung sistiert sie ganz, um erst nach 30 Sekunden in beschränkter
Weise wiederzukehren, bei Trachealatmuug tritt eine Verflachung ein. Der
exspiratorische Atmuugs still stand ist eine Folge der Reizung des Trigeminus-
vagus in der Nase und dem Larynx. Die Atmung wird beschleunigt und ver-
flacht, was als Reflexerscheinung vom Nervus vagus aufgefaßt werden muß.
Das Bromäthyl wirkt nicht lähmend auf das Respirationszentrum. Niemals
beobachtet man in der Narkose die ominöse synkoptische Atmung, wo zwischen
einzelne tiefe Atemzüge sich exsph'atorische Pausen einschieben und der Thorax
die Kadaverstellung einnimmt. (Löhers.) Es hat dies große Bedeutung, da
dadurch die Restituierung der erloschenen und die Überführung der gestörten
in die normalen Atembewegungen erheblich mehr garantiert ist.
Weitere Einflüsse auf die Lungen kommen nicht vor, man muß natürlich
ebenso wie bei allen Narkosen den Eintritt einer Apnoe verhüten, denn auch
beim Bromäthyl können die verschiedenen Apnoefälle vorkommen, die man ja
aber leicht verhüten kann.
Aus allen diesen hier angeführten Verhältnissen und Beziehungen der
Bromäthylwirkung zum Organismus muß man entnehmen, daß man es mit
einem schwer toxischen Körper zu tun hat und, daß die Bromäthylnarkose
absolut nicht eine besonders harmlose Betäubung darstellt. Dieselbe ist im
Gegenteil sehr gefährlich, und man darf Bromäthyl nur in bestimmten Fällen
und gewissen Beschränkungen verwenden. Vor allem sind nur kurze, schnell
vorübergehende Betäubungen mit Bromäthyl vorzunehmen. (Härdy, Blumm,
Schneider, Abonyi, Leo Szumann, Gilles Pauschinger, Challand,
Montgommery etc.)
Allein auch kurzdauernde Narkosen haben bedeutende Gefahren für das
Leben des Kranken und es werden oft Bromäthernarkosen wegen Operationen
ausgeführt, wo man sehr leicht eine weniger gefährliche Methode finden konnte,
so ist z. B. der Atherrausch viel angenehmer und weniger gefährlich, als die
Bromäthylnarkose. Vielfach hat man Zahnextraktionen mit Bromäther ausgeführt.
Es sind selbst bei ganz gesunden Personen Synkopetodesfälle eingetreten, und
es liegt eine große Gefahr in der Anwendungsweise des Bromäthyls, denn um
eine Narkose zu erzeugen, muß man dem Menschen schnell große Dosen inspirieren
lassen, und man gibt für einen erwachsenen Menschen 15 — 20 g auf einmal.
Es ist leicht erklärlich, daß hei sehr ausgiebiger Inspiration große Mengen in
den Organismus gelangen können, größere als zulässig sind, und es kann zur
Herzsynkope kommen. Ein glücklicher Umstand ist die schwere Löslichkeit des
Bromäthyls in Wasser, und somit auch im Blutplasma, wodurch eine Über-
dosierung erschwert wird. Wenn in die Lunge sehr viel Dämpfe gelangt sind
und eine hohe Konzentration im Blute entsteht, so kann leicht Synkope eintreten.
Man darf nie mehr als 20 g auf einmal verabreichen.
— 435 —
Der Kranke atmet schnell die Dämpfe ein und verfällt dabei sehr rasch
in ein kurzes Exzitationsstadium, welchem dann nach 20 Sekunden eine Betäubung
mit vollkommener Lähmung aller willkürlichen Muskeln und der meisten Reflexe
folgt. Diese Toleranz dauert 2 — 2^j\j^ Minuten. Danach erwacht der Patient,
und es besteht noch ca. 1 — 2 Minuten vollkommene Analgesie, während der
Patient vollkommen bei sich ist. Wenn man ihm zuzureden vermag, so kann
man jetzt noch ohne Schmerzen für den Patienten operieren. Dieses Stadium
der Analgesie ist gut zu verwerten. Die ganze Narkose macht mehr den Ein-
druck einer Rauschnarkose, doch ist sie nicht eigentlich gleich dem Äther- und
Chloroformrausch, sondern es besteht für ganz kurze Zeit vollkommene Toleranz.
Wenn man in derselben Äther oder Chloroform verabreicht, kann man leicht
die Bromäthernarkose in eine solche mit diesen Stoffen überleiten. Die Augen
verhalten sich genau, wie früher erörtert, sie zeigen enge reaktionslose
Pupillen in der Toleranz. Das Erwachen geht sehr schnell vor sich und es
fehlen meist jede Nausea und Übelkeit, der Kranke fühlt sich äußerst wohl und
ist in gehobener Stimmung.
Infolge dieser kurzen Dauer tiefer Narkose, Fehleu aller Nausea nach
der Narkose etc. hat mau die Bromäthylnarkose für alle kleinereu chirurgischen
Eingriffe angeraten, und man hat vielfach sehr gute Resultate gehabt. (Bonome,
Haffter, Abonyi etc.) Vielfach ist das Mittel bei Zahuoperationeu in Gebrauch.
(Schneider, Härdy, Blumm etc.) Auch für die Frau in der Geburt hat man
die Bromäthylnarkose empfohlen. (Montgommery , Givel etc.) Es ist von
Givel bei 20 Kreißenden verwendet worden, doch mit wenig gutem Erfolg,
während M o n t g o ra m e r y in 29 Geburten diese Narkose verwandte. Er verfuhr auf
diese Weise, daß er beim Herannahen einer Wehe einige Tropfen Bromäthyl der
Frau zu inspirieren gab, nach der Wehe ließ er die Maske weg. Er hat damit
leidlich gute Erfolge gehabt. Ich möchte hingegen entschieden warnen, bei
Kreißenden das Bromäthyl zu verwenden, da in größeren Dosen oder längerem
Gebrauch schwere Gefahren entstehen können. Vor allem soll man bei vorher-
gegangenen abundanten und während starker Blutungen das Mittel meiden wegen
Gefahr der Synkope.
Die Frauen vertragen Bromäthyl am besten, während Männer oft mit
demselben in Dosen von 20 g nicht zu narkotisieren sind, namentlich wenn der
Mann Alkoholist ist. Ich habe meist Männer nur unvollkommen in Narkose
fallen sehen oder gar nicht. Auch Frauen werden manchmal nicht tief betäubt.
Es müßte dann eine größere Dosis verwendet werden, was entschieden zu ver-
bieten ist, da dadurch schwere Gefahren drohen.
Bei Frauen, die schwach sind, soll man nur 10 g geben, da sie dann
weniger widerstandsfähig sind. Kinder mit Bromäthyl zu betäuben, ist ent-
schieden zu widerraten. 5 g genügen bei solchen von 10—12 Jahren. Bei
kleinen Kindern ist Bromäther nicht anzuwenden. Man berechnet für Kinder
pro Jahr lg. (Härdy, Wieland, Demme etc.) Wieland hat 200 Narkosen
an Kindern ohne Unfall und Nachteil ausgeführt und ist sehr zufrieden mit der
Narkose. Demme fand häufiges Erbrechen nach der Narkose bei Kindern,
doch hat Wieland dasselbe nie gesehen, nur Cyanose im Gesicht am Schluß
der Narkose, die sehr bald verschwand, wenn das Kind reine Luft zu atmen
erhielt. Er hat aber den Knoblauchgeruch übel bemerkt, der tagelang bei den
Kindern nach der Narkose anhielt, und wegen dessen sich manche Kinder nicht
zum zweitenmal betäuben lassen wollten. Diesen Autoren entgegen stehen
viele, welche bei der Verabreichung von großen Dosen auf einmal Unfälle
— 436 —
beobachtet haben, da ja leicht eine zu hohe Konzentration der Bromäthyldämpfe
im Blute entstehen kann. So hat Mikulicz von zwei Todesfällen berichtet. Es
muß vor allem die Verabreichung des Mittels beachtet werden.
Bisher war man der Ansicht, die Narkose werde am besten eingeleitet,
wenn man große Dosen auf einmal gebe. (Haffter.) So hat man bis 20 — 30 g
auf einmal in eine Maske gegossen und dem Kranken schnell einatmen lassen.
Bei dieser Methode kann aber zu leicht eine Überdosierung eintreten und mau
sollte dieselbe nie anwenden, denn die meisten Todesfälle, die bisher in der
Bromäthylnarkose vorkamen, müssen dieser Methode zur Last gelegt werden.
Man hat daher auch für diese Narkose als beste Darreichung die Tropfmethode
erkannt. (Partsch, Mikulicz, Larisch etc.) Darüber weiter unten.
Für die kurze Bromäthylnarkose kann man eine weite Grenze ziehen,
solange man die Dosierung in Tropfen ausführt. Immerhin sind Kontra-
indikationen vorhanden und in folgenden Krankheiten gegeben. Vor allem
sind Herzleiden, akute Mj^ocarditis, Endocarditis und dekompensierte Klappen-
fehler, Fettmetamorphose, alle hochgradigen Schwächezustände und Kachexien,
Lungenleiden ausgedehnter Art, schwere anhaltende Blutungen etc. Kontra-
indikationen der Narkose. Weiter soll man Potatoren, Arteriosklerotiker, Em-
physematiker, sehr alte Leute und Kinder der ersten Jahre nicht mit Bromäthyl
narkotisieren. Man soll ebenfalls dasselbe nie zu längeren Narkosen verwenden,
auch nie gemischt mit anderen Narkotika. Überhaupt sollte man die Bromäthyl-
narkose nur bei kräftigen, ganz gesunden Individuen verwenden, bei denen nur
kurze Narkose nötig und eine andere Methode unmöglich ist. Seitdem ich aber
qei einem ganz gesunden Mädchen, bei dem wegen Zahnextraktion eine Brom-
äthernarkose mit vorsichtiger Dosierung in Tropfen vorgenommen worden war,
kurz nach dem Erwachen Synkope mit Tod eintreten sah, habe ich Bromäthyl
nie mehr angewendet, und habe stets Methoden der lokalen Anästhesie oder
andere Narkose, vor allem den Atherrausch gefunden, die eine Bromäthylnarkose
besser ersetzten, ohne den Kranken so hoher Lebensgefahr wegen einer so
kleinen Operation auszusetzen. Vor allem der Ätherrausch vermag der
Bromäthernarkose ernste Konkurrenz zu machen. Die Behauptung, eine kurze
Bromäthylnarkose sei ganz ungefähi'lich, ist entschieden nicht aufrecht zu erhalten.
Was die Statistik anlangt, so läßt sich folgendes feststellen. Rubzow
hat in 150 Fällen Bromäthyl angewendet, und hat 15mal starke Exzitation
gesehen, nie aber üble Folgen beobachtet. Larisch hat 1263 Bromäthyl-
narkosen mit keinem Todesfall gesammelt. In 1,5— 2 "/q der Fälle hat er Er-
brechen beobachtet, in 8,11% Exzitation.
Aus dem Jahre 95/96 hat Gurlt auf 1826 Bromäthylnarkosen keinen, aus
früheren Jahren auf 5396 einen Todesfall angegeben. Reboul hat übe.i 100
Narkosen mit gutem Erfolg, doch oft Erbrechen, zweimal starke cerebrale Ex-
zitation und mehrfach Ikterus nach denselben beobachtet. Guinard hat einen
Kranken durch primäre Synkope in der Bromäthernarkose verloren. Brower-
Kelly hat 1300 Bromäthernarkosen ohne Todesfall ausgeführt.
Wieland hat 200 Narkosen ohne Todesfall und schwere Nebenwirkungen
ausgeführt, Gurlt hat auf 4555 Bromäthylnarkosen einen Todesfall gesehen.
Dieses Verhältnis ist immerhin noch zu günstig, denn es traten bedeutend mehr
Todesfälle auf, wenn auch deren Zahlen in den Statistiken noch nicht registriert
sind. (Löhers, Haslebacher, Rabuteau, Bonome, v. Openchowsky,
— 437 —
Sims Marion etc.) Nach diesen Statistikern hätte man anf ca. 17000 Xarlvoseu
3 Todesfälle. Dies wäre 1:5330, ein Verhältnis, das in anbetracht, daß alles
nur ganz kurze Narkosen waren, ein schlechtes zu nenjien ist. Die Gefahr steht
da nicht im Verhältnis zur Bedeutung der Operation. Es werden aber auch nicht
alle Todesfälle gemeldet. Man muß nach den von mir, Löhers, Haslebacher und
anderen vorgenommenen Untersuchungen über die Wirkung des Bromäthyls
dasselbe als ebenso gefährlich wie Chloroform ansehen, wenn man es in kurzen
Betäubungen verwendet, als viel gefährlicher aber, wenn man es wollte zu
längeren Narkosen verwenden, wozu es absolut ungeeignet ist. Die üblen
Wirkungen auf Herz und Lunge bilden eine große Gefahr für den Narkotisierten.
(Löhers, Haslebacher.) In Anbetracht der gefährlichen Wirkung ist das
Bromäthyl nur für kurzdauernde Operationen zu verwenden, und dann auch nur
bei ganz gesunden Leuten. Eine bedeutende Rolle spielt nun wie bei allen
Narkosen so auch bei der Bromäthylnarkose die Technik und Verabreichung.
§ 13. Was die Technik der Bromäthylnarkose anlangt, so wird man natürlich
hierbei alle Vorschriften, die man bei Chloroform oder Äthernarkosen verwendet,
beachten müssen. Der Kranke wird ja bei dieser rasch vorzunehmenden Narkose
nicht so vorbereitet werden können, doch soweit es möglich ist, soll mau auch
hierbei die allgemeinen Maßnahmen bedenken. Die Hauptaufgabe, welche aber
dem Arzte vor dem Einleiten der Bromäthyinarkose zufällt, besteht in einer
genauen körperlichen Untersuchung, damit der Ai'zt erfährt, ob ein gesundes
Herz und eine gesunde Lunge vorliegen. Bei jeder krankhaften Veränderung
an diesen beiden Organen ist eine kurze Bromäthylnarkose höchst gefährlich,
wegen einer ev. eintretenden Synkope oder Apnoe.
Der Ki'anke wird zur Ausführung der Narkose am besten in Rückenlage
oder in sitzende Stellung gebracht und so betäubt. Als einzige Indikation für
die Bromäthylnarkose ist vielleicht die Operation der adenoiden Wucherungen im
Nasenrachenraum anzusehen und man kann sagen, daß bei dieser Operation die
Bromäthylnarkose wegen der nicht totalen Lähmung der Reflexe mit die beste
Betäubung darstellt und von keiner anderen besser ersetzt werden kann, während
in allen anderen Fällen mau eine weniger gefährliche Methode finden wird, als
die Bromäthylnarkose.
Was die Technik der Narkose an sich betrifft, so ist eben nur eine
kurze Narkose in der Praxis auszuführen, für längere Narkosen ist dieselbe
nicht zu verwenden. Wollte man längere Narkosen ausführen, müßte die
Lagerung genau wie bei der Chloroformnarkose zu wählen sein.
Es gibt mehrere Methoden der Bromäthylbetäubung, von denen aber nur
eine zu empfehlen ist, das ist die Tropfmethode. Dieselbe ist von Kölliker
angegeben worden und besteht darin, daß man dem Ivi'anken in einer dicht
abgeschlossenen Maske das Bromäthyl tropfenweis verabreicht, während er normal
respiriert, und wenn er sich an die Einatmung und an den Geruch der Dämpfe
gewöhnt hat, wird der ganze Rest des Narkotikums in die Maske gegossen und
dem Kranken verabreicht. Die Dosis ist die genannte, 5 — 25 g.
Eine andere Methode ist die von Haff ter, welcher die Narkose so aus-
führt, daß er die ganze Menge des zu verwendenden Bromäthyls in die Maske
schüttet und diese dicht auf das Gesicht des Kranken, Mund und Nase be-
deckend, legt, wobei jeder Luftzutritt nach Möglichkeit abgehalten wird. Der
Ki-anke atmet dabei anfangs erschwert, läßt aber bald die Verweigerung des
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Atmens weg- imd respiriert tief und ausgiebig. Haffter gibt 5 — 20 g und
gibt an, daß man bei tropfenweiser Darreichung Xarkose nicht erreichen könne.
Bei seiner Methode tritt nach wenigen Atemzügen tiefe Betäubung auf, die dann
bis 5 Minuten anhalten kann. Diese Methode war die früher aligemein übliche
und es haben sich dabei yiele Todesfälle ereignet. Als Kriterium für einge-
tretene Narkose kann das Fallenlassen eines oder beider zu Beginn ausge-
streckter Arme angesehen werden. Nachdem die Narkose einige Zeit gedauert
hat, erwacht der Kranke und fühlt sich in den meisten Fällen wohl, ohne Er-
brechen, Kopfschmerzen etc. zu zeigen. Diese Methode ist aber wegen der mit
ihr verbundenen Gefahr der Überdosierung entschieden zu vermeiden, und man
soll auch bei der Bromäthjdnarkose die Tropfmethode wählen (v. Mikulicz,
V. Eiseisberg, Partsch, Larisch, Terrier, Peraire etc.). Man hat in
den letzten Jahren in vielen Fällen die Tropfmethode verwendet und mit der-
selben bessere Kesultate erzielt als mit der früheren Narkose. (Terrier,
Peraire etc.) Zur Ausführung der Bromäthj'lnarkose verwendet man am besten
eine Esmarchsche Maske, welche mit Gummistoff oder Billrothbatist überzogen
ist. (Haffter.) Auch die Girardsche Maske läßt sich mit impermeablem
Stoff überzogen sehr gut verwenden. Gilles hat eine Maske angegeben, welche
sich recht gut eingeführt hat. Diese Maske ist von der Größe und Form der
Esmarch sehen, besteht aber aus zwei Drahtkörben, von denen der eine eine
Verjüng-ung des anderen darstellt, und welche mit einem Scharnier verbunden
sind, so daß der eine in den anderen hineingebogen werden kann. Man legt nun
zwischen die Körbe eine Lage Gummistoff und Flanell, der die untere Lage
darstellt, wodurch man eine mit impermeablem Stoff' überzogene Maske erhält
und den Vorteil hat, diese Maske schnell durch eine neue ersetzen zu können,
nachdem man eine Narkose ausgeführt hat. Man kann auch den äußeren Korb
mit dem Gummistoff fest überziehen und zwischen die beiden Drahtgestelle
nur den Flanell legen. Dann braucht man beim Zugießen während der Nar-
kose nur den mit Gummistoff' überkleideten Korb zu öffnen, um die Bromäthyl-
tropfen auf den Flanell gießen zu können. Eine andere Maske ist die von
Hägler. Diese Maske besteht ganz aus vernickeltem Metall und ist ähnlich
der eben beschriebenen, indem der äußere Korb aus Blech geformt ist, in
welchen der untere Korb paßt. Zwischen die Metallglocke und den Korb
legt man Flanell oder Gaze und tropft auf diese das Bromäthyl.
Eine weitere Maske ist von Rosenthal angegeben, welche aus einem
Gummibeutel besteht, an welchem ein Mundstück ähnlich dem am Junkerschen
Apparat befestigt ist. In den Beutel gießt man das Bromäthyl und läßt den
Kranken die in dem Beutel sich bildenden Dämpfe inspirieren. Dieser Apparat
ist nicht so brauchbar wie die mit impermeablem Stoff überzogenen Masken,
da man die Tropfmethode nicht bei diesem verwenden kann.
Dies ist das Wichtigste, was über die Technik zu sagen ist. Es ist aus
all dem zu ersehen, daß die Bromäthylnarkose eine zu gefährliche Betäubung
darstellt, als daß man sie bei so kleinen, wenig wichtigen Operationen ver-»
wenden könnte, ohne eine große Verantwortung zu übernehmen. Es steht der
Nutzen bei den kleinen Operationen nicht im Einklang mit der Größe der
Gefahr. Nachdem man in neuerer Zeit den ganz ungefährlichen Ätherrausch
für kleine Narkosen zu verwenden gelernt hat, hat man einen Ersatz für
die Bromäthylnarkose in jeder Hinsicht gefunden. Man hat nun die Bromäthyl-
— 439 —
narkose zur Einleitung' größerer Narkosen mit Chloroform oder Äther ver-
wendet, um die Betäubung zu beschleunigen. Über den Wert dieser Methode
werde ich weiter unten sprechen. Es ist nur hier zu bemerken, daß man ent-
schieden vor diesen Kombinationen warnen muß. Es ist nun auch die Be-
geisterung für Bromäthyl, welche die Narkose im Anfang hervorrief, nicht
bestehen geblieben, und man wendet jetzt nui- ausnahmsweise diese Narkose
an. Es muß aber gerechterweise anerkannt werden, daß die Bromäthj'lnarkose
auch Vorzüge besitzt, und daß man sie, wenn man peinlich auf ein ganz reines,
unzersetztes Präparat hält, bei kleinen Operationen, nur an ganz gesunden
Menschen und nur für ganz kurze Betäubung mit der Tropfmethode verwenden
darf, ohne sich eines Leichtsinnes schuldig zu machen. Freilich darf man nicht
annehmen, daß die Methode ungefährlicher als eine kurze oberflächliche Chloro-
formnarkose oder der Ätherrausch ist, denn Bromäthyl ist viel toxischer
wirkend als Äther und Chloroform. Folglich wird ein gewissenhafter Arzt den
Ätherrausch oder eine leichte Äthernarkose vorziehen, ganz abgesehen von den
vielen ungefährlichen Methoden der Anästhetologie, welche die Bromäthyl-
narkose vollkommen ersetzen. Man kann also mit Fug und Recht das Brom-
äthyl ad acta legen.
Ehe ich dies Kapitel schließe, muß noch auf einen Umstand aufmerksam
gemacht werden. Man hat nämlich Bromaethyl bisweilen mit dem enorm
giftigen Bromäthj'len, Aethylenum bromatum, C2H4Br2, verwechselt, wodurch
man Todesfälle erlebte. (Dumont.) Dieser Körper sieht dem Bromäthyl sehr
ähnlich, ist aber infolge seines hohen Bromgehaltes enorm giftig, besonders
für das Herz, weshalb vor dem Körper als Narkotikum verwendet dringend
gewarnt werden muß. Näheres vide sub Bromäthylen.
Y. Kapitel.
Die Stickstoffoxydulnarkose.
§ 14. Mau hat neben dem Chloroform und Äther schon seit langen Zeiten
das Stickstoffoxydul als Narkotikum verwendet und es hat sich dieser Körper
namentlich bei kurzdauernden Operationen als überaus brauchbar erwiesen.
Allerdings bestehen gewisse Momente, welche eine allgemeine Anwendung des
Stickstoffoxyduls in der allgemeinen Praxis erschweren. Das Stickstoff'oxydul
wurde im Jahre 1776 von Priestley entdeckt. Im .Jahre 1844 wurde dasselbe
zuerst von Horace Wells verwendet und gelangte damals zu einer allge-
meinen Verwendimg, indem man meist zu kleineren Operationen, wie in der
Zahnpraxis, die Stickstoffoxydulnarkose verwendete. Nachdem aber in den
nächsten Jahrzehnten die Chloroformnarkose zur Geltung und Verwendung
in der Chirurgie kam, geriet das Stickstoff'oxydul mehr und mehr in Vergessen-
heit und am Ende des vorigen Jahrhunderts war eine Zeit, wo man nur noch
dieser Narkose als einer historischen Tatsache in der Geschichte der Chirurgie
gedachte. Man verwendete es damals fast gar nicht mehr und erst in der
neuesten Zeit hat man die Bedeutung dieser Narkose verstanden und wieder
seine Aufmerksamkeit dem Stickstoffoxydul zugewendet. Namentlich in England
wird jetzt ein reichlicher Gebrauch von derselben gemacht, und man schildert all-
— 440 —
gemein die günstigen Resultate, die man mit diesem Narkotikum erzielte. Das
Stickstoä'oxydul wird aber erst noch einer Zeit der noch ausgedehnteren Ver-
wendung entgegengehen und es bedarf nur noch der allgemeinen Kenntnis der
vorzüglichen Eigenschaften desselben, daß auch der praktische Arzt sich dieser
Narkose mehr und mehr bedienen wird, indem er mit derselben die viel ge-
fährlichere Bromäthylnarkose und ähnliche ersetzen lernt.
Die Bezeichnung für diesen Körper ist noch durch die Namen: Stickoxydul,
Stickstoffmonoxyd, Lachgas und Lustgas gegeben, in der Chemie hat man die
Formel NgO aufgestellt. Es stellt ein Gas dar, welches schwach süßlich
schmeckt und riecht, ein spezifisches Gewicht von 1,52 hat und die Ver-
brennung fast genau so wie Sauerstoff unterhält. Wenn man das Gas auf 0 **
abkühlt und unter einen Druck von 30 Atmosphären stellt, so wird dasselbe zu
einer farblosen, wasserklaren, leicht beweglichen Flüssigkeit kondensiert, die
das spezifische Gewicht 0,9004 besitzt und bei — 88 ° C siedet, sowie bei
— 115 ° C erstarrt. Das Gas ist für den tierischen Organismus irrespirabel,
wenn man es rein einatmet, denn dasselbe führt binnen kurzer Zeit Apnoe
herbei, so daß ein Mensch binnen 2 — 4 Minuten der Einatmung des reinen
Gases stirbt, Vögel schon nach 30 — 40 Sekunden, Kaninchen innerhalb 2 Mi-
nuten, Hunde innerhalb 3 Minuten ad exitum kommen. Somit stellt das Stick-
stoffoxydul ein Gift dar, mit dessen Verwendung man eben wie mit allen gif-
tigen Körpern eine gewisse Vorsicht üben muß. Man stellt das Gas dar, indem
mau salpetersaures Ammoniak vorsichtig erhitzt und das Gas mit Eisenvitriol-
lösuug und Kalilauge wäscht. Das salpetersaure Ammoniak wird folgender-
maßen umgesetzt: NO3 NH4 = N2O -)- 2 H2O, es entsteht also bei der Zersetzung
neben Stickstoffoxydul noch Wasser, das von dem Gas durch Eisenvitriol und
Kalilauge getrennt wird. 1 kg salpetersaures Ammoniak liefert 278 1 Stickstoff-
oxydulgas, welches sowohl flüssig wie fest unter bestimmtenVoraussetzungen er-
halten werden kann, somit kommt das Stickstoffoxydul in allen drei Aggregats-
zuständen vor. Man verwendet dasselbe für die Narkose am besten als Gas. Um aber
die für eine Narkose nötige M.<5nge Stickstoffoxydul am einfachsten und leichtesten
mit sich führen und transportieren zu können, hat man das Lachgas in eiserne
Flaschen unter hohem Druck gepreßt, so daß es darin flüssig geworden ist. Im
flüssigen Zustande ist das Gas am besten zu transportieren, kann es am besten
verkauft und versandt werden, da es so den geringsten Raum beansprucht
und doch sofort verwendet werden kann, denn wenn man die Flasche
öffnet, strömt das Gas aus derselben heraus. Die Darstellung im großen
geschieht in großen eisernen Eetorten und liefert ein vollkommen reines, un-
zersetztes Präparat.
§ 15. Das Stickstoffoxydul ist ein Narkotikum und als solches ein weniger
starkes als Chloroform, denn es wirkt nicht so stark, wie dieses, doch immer-
hin stärker als Aether sulfuricus. Ein großer Vorteil der Wirkung des Stick-
stoffoxyduls liegt darin, das es sehr rasch Narkose erzeugt, es wird dem
Menschen durch die Lungen zugeführt und bewirkt innerhalb weniger Sekunden
eine Betäubung. Die Wirkung ist neben der narkotischen eine angenehm
euphorische, der Betäubte kommt in sehr gute Stimmung und lacht und ist
äußerst vergnügt, eine Nachwii-kung übler Art, wie Erbrechen, Übelkeit etc.
fehlt meist nach der Narkose. Die Einführung in die ärztliche Praxis geschah
durch Wells. Nach ihm haben besonders Lea Rymer in England und
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in New-York Hasbrouck und ('olton, in Frankreich Ev aus uud iu Deutsch-
land Krieshab er, Hermann u. a. m. die Narkose mit Lachgas in die
ärztliche Praxis eingeführt und die Bedeutung dieser Narkose hervorgehoben.
Später verwendete man es dann auch namentlich in England zur Einleitung der
Äther- oder Chloroformnarkose (Clover). Meist fehlt bei der Stickstoft'oxydul-
narkose jede Exzitation, der Kranke verfällt rasch in Betäubung und dieselbe
kann nun längere oder kürzere Zeit fortgeführt werden. Meist verwendet man
allerdings die Betäubung nur für kurze Eingriffe, für kleine Operationen, denn
bei längeren Betäubungen stellen sich doch Übelstände heraus, die eine ausge-
dehnte Narkose verbieten. Die Aufnahme des Gases geschieht durch die
Liingen, in denen das Blut das Gas iu sich aufnimmt und nach dem Zentral-
nervensystem transportiert, wo die Wirkung ausgeübt wird. Die Ganglienzellen
nehmen das Lachgas auf und es wird hier eine physikalische Veränderung in
den Cholestearin-Lecithingemischeu hervorgerufen, welche die narkotische
Wii'kung darstellt und sich in Lähmung der Zentren, der Zellen repräsentiert.
Wenn den Lungen kein Gas mehr zugeführt wird, so wird die Konzentration
im Blut geringer, die Lungen geben wieder Gas nach außen ab und der Mensch
erw^acht. Führt man so viel Gas in das Blut, daß die erlaubte Konzentration
überstiegen wird, so wird die Lähmung der Ganglienzellen, auch der lebens-
wichtigen Zentren hervorgerufen, was den Tod des Individuums bedeutet. Es
darf die Konzentration von 2 7o nicht überstiegen werden, denn eine höher
konzentrierte Lösung von Stickstoffoxydulgas im Blutserum bewirkt schwere
Gefahren, die sich stets in Lähmung des Eespirationszentrums dartun, es entsteht
Apnoe. Man vermag oft noch die Apnoe zu beseitigen, indem man künstliche
Respiration einleitet, doch bei stärkerer Konzentration ist eine Rettung un-
möglich. Man muß also auch bei diesem Mittel vorsichtig sein, denn die An-
gabe, ein Narkotikum sei vollkommen ungefährlich, ist eine ganz sinnlose Be-
hauptung, da die narkotische Wirkung nur durch eine lähmende Beeinflussung
der Ganglienzellen hervorgerufen werden kann und diese lähmenden Einflüsse
Giftwirkungen darstellen. Nur Gifte wirken narkotisch, folglich ist jedes
Narkotikum ein Gift und ist für den Organismus gefährlich, da die höhere
Potenz jeder narkotischen Wirkung Lähmung der Zentren der Herz- und
Lungenfunktion , den Tod, darstellen. Es hat also auch das Lachgas schwere
gefahrbringende Eigenschaften und Einflüsse und es darf daher nur in be-
stimmten Mengen dem Organismus zugeführt werden. Vor allen Dingen darf
man dasselbe nie rein längere Zeit inspirieren lassen. Für eine kurze Narkose
darf man eine kleine Menge nur mit wenig Luft beigemengt dem Kranken ver-
abreichen, doch für längere Zeit dauernde Narkosen darf nie reines Stickstoff--
oxydul länger als einige Sekunden verabreicht werden, denn schon nach
2 — 4 Minuten tötet reines Stickstoffoxydulgas einen Menschen. Vögel werden
schon nach ^/.^ Minute getötet. Es ist die Einwirkung des Gases verschieden
auf die verschiedenen Tierarten, und auch auf die verschiedenen Menschen-
rassen wii'kt es verschieden, so werden die farbigen Rassen der Menschen
schneller betäubt und sind weniger widerstandsfähig wie die Europäer, die
Weißen (Neudörfer). Männer sind widerstandsfähiger wie Frauen gegen
das Gas, ebenso wie bei allen Narkotika. In den Ländern, welche unter höherer
Breite liegen, wirkt das Stickstoffoxydul weniger schnell tödlich, als in den
unter dem Äquator liegenden Ländern oder den tropischen Gebieten. Wenn
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mau bei einem durch Stickstoffoxydul getöteten Menschen die Gasmeugen aus
der Lunge entfernt, Sauerstoff einbläst, während man künstliche Respiration
ausführt, gelingt es in den meisten Fällen, die Person ins Leben zurückzurufen,
doch ist es auch möglich, daß die Konzentration der Gaslösung im Blute eine
zu hoch konzentrierte war, als daß es noch möglich ist, den Tod zu hemmen.
Man gibt am besten eine Mischung von Luft und Gas, indem man je nach
Bedarf die Konzentration der Mischung ändert, außerdem verwendet man auch
eine Mischung von Sauerstoff und Stickstoffoxydul oder letzteres allein. Diese
drei Verwendungen kommen in Betracht. Die Luftmischung nennt man auch
Lachgas, weil dieselbe eine euphorische Stimmung des Betäubten hervorruft
und denselben meist zum Lachen und zur Fröhlichkeit anregt. Das Gas hat
auch in anderen Mischungen diese Wirkung, weiter erzeugt es auch oft eine
sexuelle Euphorie und erregt die Betäubten. Doch tritt dieselbe mehr gegen
die allgemeine frohe Stimmung zurück. Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerz, Be-
nommensein etc. fehlen nach kurzen Narkosen vollkommen, während sie nach
langen Betäubungen in geringem Grade hervorgerufen werden. Natürlich ist
dies individuellen Schwankungen unterworfen.
Bei der Einatmung des Stickstoffoxydulgases mit Sauerstoff zu 4 : 1
gemischt treten Brausen und Trommeln in den Ohren, Undeutlichwerden der
Gefühlswahrnehmungen, erhöhtes Wärmegefühl, ein Eieseln und Gefühl großer
Leichtigkeit im ganzen Körper etc. auf, die Empfindlichkeit gegen Schmerz ist
herabgesetzt, das Tastvermögen ist erhalten, das Bewußtsein schwindet nie
vollkommen. (Hermann.) Nur bei Einatmen reinen Gases werden die Patienten
vollkommen bewußtlos, während Dyspnoe, Cyanose des Gesichts und der Schleim-
häute auftreten. (Hermann.) Im Stadium der Insensibilität tritt Dilatation der
Pupillen, stockende Respiration, Verlangsamung und Intermittens des Pulses
und Blässe sowie Lividität des Gesichtes auf. (Evans.) Manche Menschen
klagen aber entgegen den meisten Narkotisierten über ein zusammenschnürendes
und beängstigendes Gefühl auf der Brust, Träume beängstigender Natur,
konvulsivisches Zittern _ vor Eintritt der Narkose, ferner empfinden dieselben
dann nach der Narkose Übelkeit und leichte Eingenommenheit im Kopf, während
Erbrechen nicht beobachtet wurde. (Kappeier.)
In den inneren Organen tritt während der kurzen Narkose eine Hyperämie
auf, die Funktionen von Magen, Darm und Leber sind vermindert.
Die pathologischen Einwirkungen des Stickstoffoxyduls sind bis zu
einem gewissen Grade ebenso vorhanden wie bei allen anderen Narkotika, nur
in weit geringerem Grade, denn man muß gestehen, daß die kurze Narkose
nur sehr wenig pathologische Veränderungen im Organismus hervorzurufen
imstande ist.
Auf das Gehirn wirkt das Stickstoff'oxydiil in verschiedener Hinsicht
wenn auch nur vorübergehend pathologisch ein. Eine Einwirkung während der
kurzen, nur wenige Minuten dauernden Narkose kann in pathologischer Hinsicht
in dem Cerebrum nur wenig Veränderungen bewirken, man hat daher auch
fast keine Nachteile beobachtet. Morgan gibt an, daß ein Kranker während
der kurzen Narkose einen epileptiformen Anfall bekam, obwohl er vor und nach
der Betäubung nie solche Anfälle gehabt hatte und wieder zeigte, es war wohl
durch einen geeigneten Umstand vom Stickstoffoxydul ein starker Reiz auf die
Hirnrinde ausgeübt worden, welcher die Krämpfe hervorrief. Es werden ja
neben solchen seltenen Erscheinungen auch Krämpfe berichtet, welche mehr
duixh die erstickende Wirkung des reinen Gases erzeugt werden und die ein
Zeichen der Erstickung, ein sehr ominöses, sind. (Petter, Coleman.
— 443 —
V. Nußbaum.) Bei längerer Einwirkung- zeigt das Gas viel stärkere Ein-
wirkung-, worüber ich, um den wahren Wert des Narkotikums feststellen zu
können, eingehende Tierexperimente an Hunden und Meerschweinchen vorg-e-
nommen habe. Wenn man nun auch nicht in praxi lange Narkose gewöhnlich
ausführt, so ist dies doch von manchen getan worden, und deshalb haben die
Versuche einen gewissen Wert. Weiter haben sie noch den Vorteil, daß sie
eben die Wirkung deutlicher zeigen als nach kurzen Narkosen, denn nur erst
diu'ch die längere Einwirkung des Gases auf den Organismus kann man ein
Bild der Veränderungen erhalten, welches deutlich die Wirkung zeigt, welche
der Körper auch bei kurzen Narkosen und bestehender Disposition des Patienten
hat. Diese Versuche wurden so ausgeführt, wie ich sie schon bei den Unter-
suchungen über Chloroform oder Äther beschrieben habe, daß das Tier mehr-
mals längere Zeit, 30 Minuten und länger, betäubt wurde, so daß zwischen
2 Narkosen immer 12 — 20 Stunden dazwischen lagen. So wurden nach 1 bis
4 Narkosen die Organe untersucht und es fand sich folgendes, betreffend das
Gehirn. Es konnte in den Ganglienzellen nach mehreren Narkosen deutlich
Fett in feinen Tropfen sowohl in den Ganglienzellen des Cerebrum wie des
Cerebellum nachgewiesen werden, doch war dies nur wenig Fett, in einer Zelle
meist nicht mehr als 5 — 8 Fetttropfen von feinem bis mittelgroßem Korn.
Inwiefern diese bei allen Narkotika gefundene mehr oder minder starke Fett-
metamorphose der Ganglienzellen zu erklären ist, kann ich hier nicht ent-
scheiden, jedenfalls hat man es mit einem pathologischen Zustand zu tun, der
bald nach der Narkose abheilt, durch eine folgende Betäubung aber ver-
schlimmert wird, und welcher entschieden durch das Narkotikum bewu-kt wird.
Ob die narkotische Wirkung auf die Ganglienzelle sich in einer Fettmetamor-
phose äußert, kann ich nicht von der Hand weisen, denn ich habe bei allen
Narkotika Fett in den Zellen gefunden, immerhin kann ich diese Frage jetzt
noch nicht entscheiden. Weiter finden sich auch in den Zellen der Blutgefäß-
wandungen der Hirnkapillaren bis zu den größeren Gefäßen Fettklumpen und
Anhäufungen, welche stellenweise zu finden sind und daselbst die Wandung
verdünnen. Man findet das Fett in den Zellen der Intima und Media und
zwar in Haufen von feinen bis größeren Tropfen, bisweilen sind große Klumpen
von Fett zu finden, welche die Gefäßwandung vorwölben und verdicken, aber,
wenn sie rückgebildet werden, durch Untergang der Zellen eine Narbe mit
Verdünnung der Gefäßwand hervorrufen, welche den Anlaß zu Aneuiysma-
bildung und Hirnhämorrhagien geben können. Diese Veränderungen finden
sich nach langen Stickstoffoxydulnarkosen vor, doch nur in einem geringen
Grade, jedenfalls nicht so hochgradig, wie man es bei Chloroform, Brom-
äthyl etc. findet. Das Stickstoffoxydul wirkt selbst bei langen und häufigen
Narkosen nicht besonders stark, die Stellen mit Fettmetamorphose sind nicht
so häufig- vorhanden wie bei Chloroform, während die Stärke der Fettmeta-
morphose, d. h. die Fettmenge, nicht wesentlich geringer ist. Es zeigt also
das Lachgas hierin eine günstigere Wirkung als Chloroform etc. und man muß
noch bedenken, daß bei kurzen Narkosen die Gefahr bedeutend verringert wird.
Hewitt läßt die Lachgasnarkose auf andere Art entstehen, denn er meint, daß
im Gehirn die Oxydationsprozesse gehemmt und gestört werden durch die
Wirkung des Stickstoffoxyduls, und daß allein diese Störung der Oxydations-
vorgänge im Zentralnervensystem die Anästhesie hervorrufe.
— 444 —
Betrachten wir uun die Einwirkungen des Stickstoffoxyduls auf das
Herz, so kann mau sagen, daß eine schädigende Wirkung nur in sehr ge-
ringem Grade vorhanden ist. Kemp hat gefunden, daß während der Narkose
eine erhebliche Steigerung des Blutdruckes bewirkt, während eine depressive
Wirkung nicht ausgeübt wird.
Man hat früher auch behauptet, daß das Lachgas die Erj'throzyten des
Blutes zerstöre (Hermann), dem entgegen haben Dudley, Buxton, Turn-
bull u. a. m. nachgewiesen, daß dasselbe das Blut nicht schädige, sondern sich
mit dem Hämoglobin des Blutes verbindet, ohne daß mau nach den Narkosen
auch nur die geringsten Veränderungen an den Blutkörperchen finden kann.
Was nun das Gas selbst anlangt, so wird es im Blute nicht verändert,
sondern wird unzersetzt wieder ausgeschieden (Frankland, Colemanj, und
die A.usscheidung geht hauptsächlich durch die Lungen vor sich. (Hermann.)
Das Herz selbst Avird nur wenig vom Lachgas verändert. Crouch gibt
an, daß nach einer Narkose eine Dilatation, welche sich zusehends verschlim-
merte, eintrat, ähnliche Fälle schildert Granville, Silk, Buxton etc.
Immerhin sind diese Beobachtungen als sehr selten anzusehen, und es kommen
dabei gewisse prädisponierende Momente in Betracht. Es ist aber kein Zweifel,
daß solche Fälle namentlich bei längerer Narkose vorkommen können.
Bei meinen Versuchen fand sich nur eine geringe Schädigung des Herz-
muskels durch das Gas. Nach sehr langen und häufigen Narkosen war in dem
Herzmuskel die Querstreifung verschwunden, die Fasern waren trübe und
zeigten mäßige Fettmetamorphose, denn es fanden sich in den Fasern bipolar zum
Kern angeordnet Haufen von Fetttropfen, während nur selten über der ganzen
Muskelfaser Fett in feinen Tropfen sich zeigte. Die Fettmetamorphose zeigte
sich nach mehreren Narkosen von 25 — 30 Minuten Dauer nur mäßig und gering,
jedenfalls viel weniger als bei Chloroform. Dies ist ein Zeichen, daß das
Lachgas nur wenig pathologisch auf das Herz im normalen Zustande wirkt.
Vor allem ist bei kurzer Narkose keine Gefahr vorhanden, anders ist es aber
bei langen Narkosen und bei pathologisch verändertem Herz. Wenn schon vor
der Narkose schwere Herzerkrankungen bestehen, dann kann auch eine kurze
Narkose zur Synkope führen. Immerhin tritt dies sehr selten auf und man
braucht für das Herz von einer kurzen Narkose keine Gefahr zu fürchten,
wenn dasselbe nicht hochgradig erkrankt ist, wobei jede Narkose eben enorm
gefährlich ist.
Was nun die Organe der Bauchhöhle anlangt, so hat man die Funktion
des Magen- und Darmtraktus vermindert, während eine Anregung der Salivation
nicht zu leugnen ist. Was die Nieren anlangt, so wird durch die Wirkung
des Stickstoffoxyduls die Harnmenge nach der Narkose vermindert, das Volumen
der Nieren ist wechselnd, in tiefer, langer Narkose kommt es zu Albuminurie.
(Kemp.) Die Nieren sondern nach der Narkose Albumen ab, was auf Störungen
in den Epithelien schließen läßt. Bei meinen Untersuchungen fand ich stets
stärkere Veränderungen in den Nieren als im Herzen. In den Epithelien der
Tubuli contorti fand sich stets nach langen Narkosen Fett in beträchtlichen
Mengen, dabei Nekrose der Zellen, auch in den Tubuli recti war viel Fett-
metamorphose zu finden. Nur in den Glomeruli war kein Fett. Weiter fand
sich stets starke Hyperämie im Nierengewebe, ebenso in den Glomeruli, welche
zwischen Kapsel und Glomerulus einen großen leeren Zwischenraum zeigten,
— 445 —
der durch Exsudat hervorgerufen wird. Die Läsioueu der Nieren waren stets
stark, doch nicht so hochgradig wie bei der häufigen oder langen Chloroform-
narkose, aber sie waren doch deutlich, die Fettmetamorphose ging stellenweise
in Nekrose der Nierenepithelien über, namentlich in den Tubuli contorti. Man
bemerkte auch eine Veränderung schon nach einer langen Narkose ron
ca. 30 — 15 Minuten. Danach war bereits Fett in den Epithelzellen der Tubuli
contorti deutlich nachzuweisen. Jede folgende Narkose verschlimmerte dieselbe
bedeutend. Es ist also daraus zu ersehen, daß das Lachgas in langer Ein-
wirkung den Nieren schweren Schaden bringt.
Durch die Nieren wird bei langen Narkosen das Gas teilweise abgesondert
und läßt sich im Harn nachweisen.
Auch Hämorrhagien unter die Kapsel und in das Nierengewebe fanden
sich, nebenbei starke Hyperämie.
Die Leber erleidet sehr ähnliche Veränderungen, wenn dieselben auch
nicht so hochgradig sind. Ich fand nach langen und häufigen Narkosen in den
Leberzellen reichlich Fett in feinen bis großen Tropfen, namentlich viel Fett in
der Peripherie der Acini, weniger in dem Zentrum. In den Leberzellen der
Peripherie der Acini war das Fett in großen Mengen, stellenweise war auch
Nekrose und Zerfall dieser Zellen zu bemerken. Die Fettmetamorphose der
Leber war weit geringer als nach Chloroformuarkosen, doch war sie schon nach
einer langen Narkose zu finden und wurde durch folgende Narkosen stark ver-
schlimmert. Sie heilte aber bald wieder ab. Weiter fanden sich in der Leber
starke Hyperämie und Hämorrhagien in das Lebergewebe und unter die Kapsel
der Leber. Nach einer kurzen Narkose ist aber eine Schädigung der Leber
nicht zu erwarten, sie könnte aber eintreten, wenn eine Lebererkrankung resp.
Disposition für dieselbe besteht.
Die Einwirkungen des Stickstoffbxyduls auf Herz, Leber und Nieren sind
nur wenig schwer, sind viel geringer als die von Chloroform, Immerhin ge-
nügen dieselben, um bei langen Narkosen Gefahren erzeugen zu können.
Weit schwereren Einflüssen als diese Organe sind die Lungen ausge-
setzt. Dieselben bilden schon seit je das gefürchtetste Organ betr. die Narkose,
und es tritt auch der Tod infolge Intoxikation mit Stickstoffoxydul durch
Apnoe, durch Lähmung des Zentrums der Respirationstätigkeit ein. Die Atmung
erleidet schon in der kurzen Narkose große Veränderungen, welche von dem
Lachgas erzeugt werden, so hat man allgemein ein stertoröses Atmen in der
Narkose bemerkt. Dieses Symptom wird aber nicht durch die Lunge oder
durch Verhältnisse und Veränderungen im Larynx hervorgerufen, sondern es
besteht darin, daß der Kehlkopf durch Muskelspasmus in die Höhe gezogen
wird, etwa wie während der ersten Phase des Schluckaktes, infolgedessen
wird die obere Öffnung des Larynx durch die Epiglottis und die Zungenbasis
geschlossen und die Respiration hört auf (Hewitt). Unter Umständen tritt
diese Obstruktion der Luftwege geräuschlos ein und es werden noch Atem-
bewegungen gemacht, obwohl die Luftwege bereits völlig verschlossen sind
(D e n t , Hewitt). Diese Verhältnisse werden rein durch das Lachgas er-
zeugt und führen zu Cyanose, Konvulsionen und schließlich Apnoe. In manchen
Fällen sind sie stärker, und in manchen schwächer, wodurch die verschiedenen
Symptome hervorgerufen werden. Man kann diese Zustände verhüten, indem
man dem Lachgas genügend Sauerstoff zusetzt (Hewitt). Es können durch
— 446 —
diese Behiiidenxng der Atmung- sehr schwere Gefahren entstehen, denn das Blut
wird dabei immer ärmer an Sauerstoff, wenn man reines Stickstoff'oxydul gibt,
es treten dadurch im ganzen Organismus Störungen auf, welche eigentlich nicht
direkt Folgen der Lachgaswirkung, sondern des Sauerstoffmangels und des
Kohlensäureüberflusses im Blut sind, also sekundäre Folgen der Lachgaswirkung.
Die durch das Stickstoff oxydul hervorgerufene Apnoe ist also mehr eine Folge
mechanischer Behinderung normaler Respirationstätigkeit, als der toxischen
Einflüsse des Gases selbst. Nur in seltensten Fällen tritt eine solche ein, die
dann durch zu hohe Konzentration der Gasmengen im Blute erzeugt wird.
Immerhin treten während der Narkose öfter Zustände auf, wo vorübergehende
Asphyxien resp. apnoische Anfälle sich zeigen, welche auf eine dieser Arten
entstehen, und die dann eine Steigerung des Blutdruckes bewirken (K e m p).
Neben der Beschleunigung der Herzaktion erzeugt das reine Stickstoffoxydul
noch eine starke Erweiterung der Pupille und Schwellung der Zunge (Hewitt,
Flux, Nobel, Dent etc.). Die Schwellung der Zunge beschränkt sich
mehr auf den Zungengrund und führt dabei neben den oben erläuterten Ver-
hältnissen zu Behinderung der Luftpassage, Verengerung des Kehlkopfeinganges.
Kommen nun noch Schleimmassen oder dergleichen dazu, so kann eine völlige
Verlegung des Kehlkopfs, namentlich bei engen Verhältnissen, entstehen. Diese
Wirkung des Gases muß beachtet werden, da man sonst leicht Todesfälle durch
Apnoe erleben kann, und man kann sie so leicht vermeiden, indem mau das
Gas nicht rein verabreicht.
Weiter besitzt das Lachgas auch in anderen Hinsichten üble Einwirkungen,
wenn auch dieselben gegenüber anderen Narkotika nur sehr gering sind. Was
Sekretion von Schleim, Speichel etc. anlangt, so ist dieselbe in gewissem
Grade vorhanden. Auch durch Lachgas werden die Speicheldrüsen zu ver-
mehrter Sekretion veranlaßt, und diese Schleim- oder Speichelmasseu sammeln
sich bei langen Narkosen im Kehlkopf, im Rachen und Nasenrachenraum an,
können auch in die Lungen etc. gelangen. Es ist aber diese Fähigkeit der
Schleimsekretionsanregung nur gering gegenüber anderen Narkotika. Es läßt
sich bei längeren Narkosen deutlich die vermehrte Sekretion nachweisen und
dieselbe erstreckt sich auch auf die Bronchien und die Schleimhaut dieser Teile.
Es ist dies nach langen Narkosen in den Lungen direkt nachzuweisen, indem
man Bezirke der Lungen mit Schleimmassen angefüllt findet. Ich habe an
Tieren die Lunge daraufhin untersucht und habe diese Verhältnisse deutlich
nachgewiesen. Es entsteht bei den Narkosen eine starke Hyperämie der Lungen,
Hämorrhagien subpleural wie auch in das Lungengewebe selbst finden sich eben-
falls und neben diesen zeigten sich die Alveolen stellenweis mit Schleim teilweise
oder auch ganz erfüllt. Es war bei meinen Experimenten infolge der Lagerung der
Tiere während der Narkose nicht möglich gewesen, daß aus dem Rachen Schleim
aspiriert wurde, somit kann der Schleim in den Alveolen nur aus den Bronchien
und Broncheoli herabgeflossen sein. Dies wurde auch noch bevsdesen dadurch
daß die Bezirke der mit Schleim erfüllten Alveolen hauptsächlich und in größerer
Menge in den abhängigen Partien der Lungen zu finden waren, namentlich in
denjenigen Teilen, welche bei der jeweiligen Lagerung des Tieres die tieferen
gewesen waren. Es ist also ganz augenscheinlich, daß der Schleim in ver-
mehrtem Maße von der Bronchialschleimhaut abgesondert wird und aus den
Bronchien in die Alveolen fließt, dui'ch den Luftstrom unterstützt. Es ist aber
— 447 —
gauz eutscbiedeu bervorznliebeu, daß die Mengen des Schleimes bedeutend ge-
ringer sind als bei Chloroform, man findet selbst nach laugen und häufigen
Narkosen die Alveolen nur teilweise mit Schleim erfüllt, nur selten sind die
Alveolen ganz ausgefüllt, was bei Chloroform meist zu finden ist. Es ist also
diese Einwirkung entschieden gering und kommt bei kurzen Narkosen nicht in
Betracht. Der Grund zu der geringeren Kraft der Sekretionsvermehrung liegt
einerseits in der weniger reizenden Einwirkung des Gases auf die Epithelzellen
der Schleimhaut, weiter aber auch zu einem großen Teil in der geringeren
Kältewirkimg des Gases. Das Stickstoff oxydul ist, wenn es auch, vom flüssigen
in den gasförmigen Zustand übergehend, verwendet wird, doch nicht so kalt
und wirkt nicht so stark wärmeentziehend auf seine Umgebung, wie die
anderen Narkotika. Die Temperatur der Luft-Stickstoifoxydulgemische ist viel
höher als die der Chloroformdampfluftgemische. Dies ist ein wesentlicher Punkt,
denn beim Lachgas wird die Hauptkältewirkung in der eisernen Flasche er-
zeugt und das Gas ist bereits bedeutend wärmer, wenn es in den Mund resp.
die Lungen gelangt, da es ja auch durch die beigemengte Luft erwärmt wird.
Trotzalledeni besteht aber die Erzeugung vermehrter Schleimabsonderung, doch
ist dieselbe nur bei längeren Narkosen vorhanden und wird weniger, wenn man
das Gas nicht rein, sondern mit Luft oder Sauerstoff gemengt, verabreicht. Es
ist aber trotzdem möglich, daß bei langen Narkosen Bronchitiden oder selbst
Pneumonien dadurch entstehen.
Weiter findet mau auch noch die Einwirkung des Gases auf die Epithel-
zellen der Bronchialschleimhaut, welche dem Chloroform ebenfalls eigen ist und
in einer Fettmetamorphose der Epithelzellen besteht. Nach langen oder häufigen
Narkosen mit reinem Stickstoffoxydul fand sich stets in den Zellen der Schleim-
haut der Bronchien und Alveolen, in den Zellen des respiratorischen Epithels
eine ziemlich ausgedehnte Fettmetamorphose, die darin bestand, daß in den
Zellen Fett in feinen bis großen Tropfen auftrat, welches bisweilen sehr reich-
lich, bisweilen nur wenig und gering war. Namentlich in den Zellen der
Alveolen fand sich in allen Fällen sehr viel Fett in großen Mengen. In diesen
Zellen ist die Fettmetamorphose auch schon nach einer mäßig langen Narkose,
20 Minuten laugen, zu finden, wenn auch dann nur in geringem Grade. Diese
Fettmetamorphose verschwändet sehr bald nach der Narkose wieder und hätte
nur wenig Bedeutung, wenn durch dieselbe nicht eine Schädigung der vitalen
Eigenschaften dieser Zellen auftreten und bewirkt würde. Die Epithelzellen,
welche eine starke Fettmetamorphose erlitten haben, können ihre ihnen von der
Natur aufgegebenen Pflichten nicht mehr in normaler Weise erfüllen. Sie können
also einesteils die Invasion imd Ansiedelung von Bakterien, welche im Luft-
strom in die Lungen gelangen, nicht mehr verhindern, andererseits verlieren
sie, wenn es Flimmerepithelien betrifft, ihre Flimmertätigkeit, eine solche er-
krankte Zelle stellt dann eine Lücke in der Überkleidung der Schleimhaiit dar
und durch diese Lücke können Bakterien in den Lymph- resp. Blutstrom
eindringen, außerdem können Bakterien auf diesen erki'ankten Zellen haften
bleiben und wuchern, da die Zellen ihre baktericide Ki-aft einbüßen. Die
Lungen haben infolge dieser bakterienvernichtenden Eigenschaft ihrer Schleim-
haut die Kraft den Infektionen zu widerstehen, und nur in Lungen, welche
diese Kraft ganz oder teilweise eingebüßt haben, können sich Pneumonien und
Bronchitiden entwickeln, und somit ist auch die Gefahr vorhanden, daß nach
— 448 —
langen Narkosen mit Stickstoffoxydnl postnarkotische Lnngenerkrauknngen ent-
stehen (Silk, Snel etc.). Man hat solche Krankheiten wenig oder fast gar nicht
beobachtet, was dadurch erklärt wird, daß man in den allermeisten Fällen nur kurze
Narkosen mit diesem Narkotikum ausführt, kurze Narkosen, welche eben die Lunge
noch nicht so stark schädigen, daß Pneumonien und Bronchitiden sich entwickeln
können. Immerhin muß mau bei Verwendung des Lachgases zu längeren Be-
täubungen mit diesen Gefahren rechnen und muß bedenken, daß die Ver-
änderungen in den Lungen immerhin schwerwiegend sind, wenn sie auch nicht
so hochgradig erscheinen, wie nach Äther oder Chloroform, so sind sie doch
von hoher Bedeutung, namentlich im Verein mit den anderen die Lunge schädigenden
Einflüssen des Lachgases, wie der Laryuxvereugung und der toxischen Apnoe.
Weiter haben sie Bedeutung bei Kranken, welche zu Lungenleiden disponiert
sind, welche schon an Lungenaffektionen leiden, wie beginnende Tuberkulose,
Emphysem, Bronchitis chronica etc. All diese Krankheiten werden durch eine
längere Narkose mit reinem Stickstoffoxydulgas schwer beeinflußt, verschlimmert
und können Anlaß zu schweren tödlich verlaufenden Nachkrankheiten geben.
Lungenleiden sind daher als eine strikte Kontraindikation für die lange und
reine Narkose anzusehen, aber auch mit kurzen Narkosen soll man bei
bestehenden Lungeuleiden sehr vorsichtig sein und nie reines Lachgas,
sondern stets eine Mischung von Luft oder Sauerstoff und Stickstoffoxydnl
verwenden.
Rein angewendet bewirkt das Gas Erstickung, da dem Organismus der
Sauerstoff fehlt und es kommt dann zu der Wirkung des Lachgases noch die
der Kohlensäure hinzu, sodaß der Organismus unter zwei Giften steht, welche
zu großen Gefahren Anlaß geben, die sowohl in Synkope als besonders in
Apnoe bestehen. Letztere ist entschieden die häufigere Todesart. Das Atem-
zentrum wird vor dem der Herzaktion gelähmt, ein umstand, welcher dem
Stickstoffoxydnl eigen ist und noch bei schon bestehender Apnoe eine Bettung
des Kranken erlaubt, wenn man sofort die bekannten Gegenmaßregeln ergreift.
So kann man in vielen Fällen die Apnoe erfolgreich bekämpfen.
Man hat verschiedene Todesfälle in der Narkose erlebt und wenn die-
selben auch sehr selten sind, so sind sie doch möglich und können auch bei
ganz kurzer Narkose auftreten, und so sind verschiedene Todesfälle gerade bei
Zahnextraktionen vorgekommen.
H e ] e berichtet von einem Fall, wo Dyspnoe und Lividität plötzlich
während kurzer Narkose eintraten, die man durch Einleiten künstlicher Re-
spii'ation erfolgreich bekämpfte. Morgan, Fetter, Coleman sahen epilepti-
forme Anfälle nach der Narkose auftreten, Flux narkotisierte ein 19jähriges
Mädchen, das sonst gesund war, aber aus der Narkose nicht wieder erwachte
bis eine Zeit von 1 Stunde und 20 Minuten verflossen war, welchen Zustand
er als Hysterie, Hystero-Epilepsie oder einen hypnotischen deutet, v. Nuß-
baum hat in 37 Fällen starke Aufregung und Cyanose beobachtet, ohne daß
Anästhesie eintrat, so daß er noch Chloroform anwenden mußte. Holden gibt
an, daß durch Stickstoäoxydul eine besonders hohe Tendenz zur Blutung er-
zeugt werde, er sah stets starke Lungenhyperämie und hält alle Lungenkranken,
namentlich die zu Hämoptoe neigenden oder Kranke mit hämorrhagischer Diathese
für nicht geeignet für die Lachgasnarkose. Todesfälle in kurzen Narkosen werden
von B e r g h a m e r , v. Nußbaum u. a. beschrieben, bei denen stets der Tod
unter Lividität und Gedunsenheit des Gesichtes. Cyanose und Dyspnoe eintrat.
Bei einem Todesfall von Nußbaum fand Voit im Herzblut alle Blut-
körperchen zerstört und in eine schmierige lackfarbige Masse verwandelt.
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iMan lial das Lacligas meist zu Narkosen bei kloinen, kurzdauernden
Operationen, wie Zahnextraktionen, Abszeßspaltnngen etc. verwendet und da
meist sehr gute Resultate erzielt. Aber auch zu großen Operationen wurde es
verwendet, so operierte C a r u o c h a n längere Zeit unter dieser Narkose, \md
iührte Auiputatio maramae, und Extremitätenamputationeu aus. Morton
machte eine Kastration, Amputationen etc., Marion 8ims operierte 16 Minuten
laug an einer Amputatio niammae, 20 Minuten an einer Laparotomie wegen
eines abdominalen Tumors, Blanchet narkotisierte 25 Minuten lang mit
Stickstoft'oxydul und Luft abwechselnd. In neuerer Zeit hat mau das Lachgas
nicht mehr zu längerer Narkose verwendet, sondern man kombiniert es mit
Ohloroform oder Äther, worüber später des genaueren geschrieben werden wird.
Was nun die Statistik anlangt, so hat man sehr gute Resultate ge-
funden, so haben Smith 3929, Colton 27 217 Narkosen ohne Todesfall aus-
geführt. Ferner hat Hasbrouck 69 000, Golzon 150000 Lachgasnarkosen
ohne Todesfall ausgeführt, Thomas über 14000 ohne Nachteile und Unfälle
geleitet, und es werden in den Vereinigten Staaten jährlich gegen 750000 Lach-
gasnarkosen ausgeführt (W o o d), bei denen nie mehr als 3 Todesfälle sich
ereignen, was also nach den Angaben von Wood ein Verhältnis von 1 : 250000 dar-
stellt. Jedenfalls ist dies ein überaus günstiges Resultat, doch muß man auch
bedenken, daß all die Narkosen nur wegen Zahnextraktioneu und ähnlichen
kleinen Operationen vorgenommen werden. Man hat nun ungefähr sechs Todes-
fälle nach Lachgasnarkosen beschrieben, welche sicher vom Stickstoffoxydul
hervorgerufen wurden, welche Zahl ja unendlich klein ist. R u m b o 1 1 hat be-
rechnet, daß in England diu'chschnittlich in den letzten 10 Jahren 4 Millionen
Lachgasnarkosen ausgeführt wiirden, und daß davon nur fünf Todesfälle bekannt
geworden seien. Man ersieht also aus diesen Zahlen, daß das Lachgas bei
kurzen Narkosen das gefahrloseste Mittel darstellt.
§ 16. Der Grund für die große Ciefahrlosigkeit liegt in der Methode der
Darreichung. Wenn man die alten Mitteilungen über die Lachgasnarkose liest,
so hört man von vielerlei Nachteilen, selbst von Todesfällen (Hermann,
Dent, Hewitt, Noble, Silk, Crouch, Flux, Gardner, Grauville etc.).
In der neueren Zeit berichtet man nur von harmlosen Wirkungen, und es hat
dies seinen Grund in der besseren Art der Narkose und der Verabreichung mit
Luft (Hewitt, H a 1 d a u e , N o g u i , Bert, Nußbaum etc.). Man ver-
wendet zur Narkose am besten das Gas mit Luit gemischt und zwar so, daß
man je nach Bedarf Luft zuströmen läßt (Flux). Flux verfährt mit dieser Art
der Lachgasmethode folgendermaßen. Das Gesicht des Kranken wird mit einem
geräumigen, nach oben offenen, dem Gesicht sich selbst mittels eines ring-
förmigen Luftkissens eng anschließenden Zelluloidgefäß bedeckt, und das Gas,
welches spezifisch schwerer als Luft ist, wird durch die freie Öffnung des
Gefäßes einströmen gelassen. Der Patient atmet mithin das Gas mit einem
relativ reichlichen Luftquantum gemischt ein. So hat Flux über 250 Patienten
ohne Nachteile betäubt. Paul Bert gibt das Lachgas unter zwei Atmo-
sphären Druck mit gleichen Teilen Luft gemischt. Diese Methode ermöglicht
auch eine längere Narkose.
Andere empfehlen die Mischimg mit Sauerstoff (G a r d n e r , W e t z e 1 ,
Hewitt etc.). G a r d n e r gibt an , daß die Mischung für Kinder bis
10 — 15 Jahren nicht geeignet ist, weil bei diesen Erbrechen und Übelkeit auf-
treten, und für kräftige Männer sowie Alkoholisten ebenfalls ungeeignet sei.
Hewitt hat einen Apparat zur genaueren Dosierung konstruiert und hält
29
- 450
Saiierstoff und Stickstoff oxydul für die beste Mischung, wobei aber von der richtigen
Konzentration, Dosierung und Verabreichung der gute Erfolg abhängt. Zur
Einleitung der Narkose gibt man nur 2%
Fig. 13-t. Narkose Apparat von Pattersou iüi
die Stickstoffoxyduluarkose.
A. Halter zum Anhängen des Apparates an nebenstehender Figur 134 ersieht
Sauerstoff und steigt allmählich auf
7, 8, 9 und lO^o, indem man um
so mehr Sauerstoff gibt, je länger
die Narkose dauert. Die nächst-
besten Resultate liefert die An-
wendung konstanter Mischungen,
für Erwachsene von 6 — 7% Sauer-
stoff, für Frauen und Kinder
von 7 — 9% Sauerstoffgehalt. Ver-
wendet man Liift und Lachgas,
so hat man 14— 18%resp. 18—22%
Luft dem Gas beizumischen.
Eine einfache Art der An-
wendung des reinen Gases hat
Dudlej^ Buxton angegeben, iu-
I m er einen Apparat konstruierte,
1 r leicht transportabel und an-
mdbar ist. Er besteht aus einer
ahlflasche mit 200 1 Gas, welche
it einem Ausführrohr verseben
;, au dem ein sog. Silencer, d. b.
1 Rohr, welches das Zischen
,mpft, angebracht ist. Von dem-
Iben führt ein Schlauch das (Tas
einen Ballon, von dem ein
.._derer Schlauch nach einer Metall-
kammer führt, die einen Hahn be-
sitzt, der entweder Luft oder Gas
eintreten läßt; diese Kammer wird
durch ein Rohr mit einem Mund-
stück verbunden. Durch den Hahn
kann man die Zusammensetzung
des Gasgemisches ändern.
Eine Modifikation des Appa-
rates von H e witt ist der Apparat
von Patterson, welcher eine
sehr leichte Anwendung ermög-
licht. Die Konstruktion ist aus
die Kleider des Narkotiseurs. B. Ventil für
die Menge des Gases. H. Hahn zur Regulie-
rung des Ventils. C. Ballon. E, E' Schläuche,
welche das Gas und Luft oder Sauerstoff in
die Maske führen. D. Maske. G. Maske ver-
größert.
lieh.
Man fügt an den Apparat eine
Stahlflasche mit dem flüssigen
Gas und kann dazu durch eine
leichte Änderung auch eine Flasche
mit Sauerstoff an fügen, so daß man beide Gase zugleich verwenden kann.
Durch einen Hahn kann man die zuströmenden Gasgemenge, und somit die Nar-
— 45i —
kose o-euan naoli den inoiueiitaiien Verliältuissen reg'ulieren. Man muß nur genau
beachten, daß auf eine Inspiration aucli eine Exspiration folgt, und dies erst
abwarten, ehe man neue Gasdosen verabreicht. Ist der Patient betäubt, so gibt
man Luft und läßt erst einige Zeit das Gas weg. So kann man abwechselnd
Luft und Gas verabreichen und auch längere Narkosen einleiten. Mit diesen
Apparaten und unter Beitritt von Luft oder Sauerstoff ausgeführt stellt die
Stickstoffoxydulnai-kose eine sehr wenig gefährliche Methode dar, die aber nur
fiir kui'ze Zeit dauernde Operationen verwendet werden soll. Man kann eine
längere Narkose sehr gut ausführen, indem mau den Kranken mit dieser Methode
betäubt und demselben dann Äther verabreicht, wobei er leicht in die Äther-
narkose überführt wird. Ein anderer Apparat für die reine Stickstoffoxyduls
narkose ist der von Gesell konstruierte, der, wie Fig. 13ü zeigt, aus einem
Fig. 135. Narkose Apparat für die Stickstoffoxydulnarkose von Gesell.
Gasometer von der Form eines Blasebalges besteht, in welchen das Gas aus
einer eisernen Flasche geleitet wird, und von dem ein Rohr das Gas in die
Maske leitet, welche ein Exspiratiousventil besitzt und luftdicht auf dem Gesicht
aufsitzt. Dieser Apparat ist zwar etwas groß, aber sonst ganz brauchbar
und viel verwendet worden.
Die Kombination von Sauerstoff und Stickstoffoxydul wird später noch
genauer behandelt.
Der Stickstoffoxydulnarkose geht eine geringe Exzitation vorauf, aber
es ist dies Stadium nur sehr kurz, es verfließen nur 30 Sekunden, bis die tiefe
Betäubung auftritt, welche aber noch nicht eine wirkliche Toleranz mit Lähnnmg
sämtlicher Reflexe darstellt. Dies Stadium der kompleten Lähmung und voll-
kommenen Toleranz und Muskelerschlaffung soll bei der Lachgasnarkose nie er-
reicht werden, denn dann wird die Narkose höchst gefährlich. Mau findet auch
die Augenreflexe in diesem Rausch nicht aufgehoben, doch ist die Pupille meist
weit. Dies ist aber schon ein Zeichen, daß man die Narkose sistieren muß. Die
kurze Rauschmethode ist eine der brauchbarsten Methoden für kurze Operationen
und dürfte auch ohne jede Sorge augeAvendet w^erden, doch soll man sich
hüten, eine längere Betäubung auszuführen. Die Gefahren, welche dem Gas
29*
— 452 —
anhaften, treten erst-auf, wenn die Narkose verlängert wird, und man soll
daher nur für kurze, 1 — 2 Minuten dauernde Eingriffe, die Narkose wählen.
Dann ist das Lachgas der geeignetste Körper für die Anästhesie und bringt
keine Gefahren mit sich, wenn die Anwendung nach den angeführten Methoden
geschieht. Auch hier ist die erste Anfordeiung die genaue Dosierung und
vorsichtige Verabreichung bei genauer Beobachtung des Kranken.
VI. Kapitel.
Die Äthylchloridnarkose.
§ 17. Das Aethylchlorid wird noch mit den Namen: Chloräthyl, Aethyluni
chloratum, Aether chloratus, Aether muriaticus, Aethylchlorür, leichter Salzäther,
Monochloräther benannt. Die chemische Formel ist C0H5CI. Dieser chemische
Stoff war schon vor mehreren .Jahrhunderten den Chemikern bekannt, wie
Glauber, Basilius, Valentiuus uud anderen, und die Zusammensetzung
desselben wiarde von Robiquet und Colin erkannt und augegeben. Das Chlor-
äthyl stellt eine klare, wasserhelle, leicht bewegliche Flüssigkeit dar, welche
schwach ätherisch riecht und einen süßlichen aber brennenden Geschmack besitzt.
Es verdampft äußerst schnell und leicht bei unserer gewöhnlichen Temperatur und
erzeugt bei der Verdunstung auf der Haut ein starkes Kältegefühl. Der Siede-
punkt liegt zwischen 12** C und 13° C, und es erstarrt bei — 29° C, das spezi-
fische Gewicht beträgt bei 0 ° 0,921. Die Dämpfe des Chloräthj'ls haben eine
narkotische Wirkung auf den tierischen Organismus. Diese Wii-kung als Nar-
kotikum wurde schon von Flourens, Bibra, Harleß uud Tracy gekannt,
und das Cloräthyi wurde von Heyfelder für Operationen als Narkosemittel ver-
wendet. Flourens hat im Jahre 1847 die anästhesierenden Eigenschaften zuerst
bekannt gegeben und schilderte die durch die Chloräthyl Wirkung entstehende
Narkose als eine sehr schnell eintretende, welche vollkommene Anästhesie und
Bewußtlosigkeit hervorruft und weder Hustenreiz noch unangenehme Nach-
wirkungen nach der Narkose erzeugte. Im Jahre 1890 wurde das Chloräthyl
von Redard zur Erzeugung einer lokalen Anästhesie zuerst verwendet. Die
Narkose war bald nach der Entdeckung der narkotischen Kraft des Chloräthyls
wieder verlassen worden, da man den Körper wegen der großen Tendenz zui'
Verdampfung nicht leicht herstellen und in geeigneten Gefäßen transportieren
und anwenden konnte. So kam man erst am Ende des vorigen Jahrhunderts
wieder durch Zufall gelegentlich der Verwendung als lokales Anästhetikum
bei Zahnextraktionen auf die allgemeine Narkose zurück, uud in neuerer Zeit
erst ist die Chloräthyluarkose namentlich in England und Amerika zur richtigen
Geltuug gekommen.
Das Chloräthyl ist sehr leicht brennbar und entzündet sich an jeder
oüenen Flamme sehr leicht, indem es mit grünlicher Flamme brennt. Im Wasser
löst es sich sehr schwer und nur wenig, leicht in Äther und Alkohol, Die
Herstellung geschieht durch Erhitzen von Äthylalkohol mit Salzsäure unter
einem Druck von 40 Atmosphären bis auf 150° C. Das Äthylchlorid geht
dabei über uud muß entwässert werden, woraiif man es nochmals destilliert
und in Vorlagen unter niedriger Temperatur sich absetzen läßt. Das Gas
— 453 —
wird zur Narkose verwendet, indem man dasselbe mit Luft gemischt dem
Kranken dui'oli die Lungen zuführt. Das fiüssig'e Cliloräthy] verdunstet un-
geheuer hMcht und Avird am besten in zugeschniolzeuen (ilasampullen versandt,
von Avelcheu man die Spitze abbricht, oder welche mit einem Metallverschluß ver-
sehen sind, de)' durch Schrauben oder Hehelvorrichtung geöffnet werden kann,
wobei ein feiner Strahl des Cloräthyls aus der Flasche entweicht. Man muß die
Ampullen im dunklen und kühlen Raum aufbewahren, da sich das ("hloräthyl
bei Licht, Wärme und Luftzutritt zersetzt. Das zersetzte oder unrein herge-
stellte Präparat ist für die Inhalation vollkommen unl)rauchbar, da infolge der
Zersetzungsprodukte schwere Nebenwirkungen auf das Herz ausgeübt werden,
welche dem reinen ('hloräthyl nicht eigen sind. Die ^'erpackung wird am
besten in zugeschmolzenen Flakons geschehen, weil ja nur unter einem be-
stinunten Druck das Chloräthyl Üüssig bleibt, falls nicht die Temperatur unter
12"!' herabgegangen ist, was Ja selten in den zu Operationen nötigen Räumen
geschehen kann. Die Darstellung im großen ist zuerst von der Societe chimique
des Ilsines du Rhone in Lyon und La Plaiue erfolgt, welche das von ihr dar-
gestellte Präparat unter dem Namen Kelene in den Handel brachte. In Deutsch-
land werden die besten Präparate von Henning & Speier in Berlin, Dr. Thilo
& Co. in Mainz etc. geliefert.
Man muß besondere Sorge tragen, zur Inhalationsuarkose nur ein voll-
kommen chemisch reines Präparat zu verwenden, und deshalb stets ein neues
Flakon für jede Operation beziehen. Längere Zeit aufbewahrte Flakons sind
meist nicht mehr ganz rein und sollten dann nicht für Narkose, sondei'u für
die lokale Betäubung verwendet werden. Über die Verwendung des Chlor-
äthyls zur lokalen Anästhesie wird im zweiten Band geschrieben werden, hier
soll nur die Erzeugung der Narkose durch dasselbe Erwähnung finden. Wenn
man unreines von reinem Chloräthyl unterscheiden will, so hat man folgende
Methoden der Prüfung. Eine größere Anzahl von Untersuchungsmethoden kom-
plizierterer Art hier anzuführen ist nicht nötig, da der Arzt dieselben doch
nicht ausführen kann, weil er größere Mengen flüssigen Chloräthyls eben nicht
frei in Flaschen behandeln kann. Deshalb sollen nur folgende einfache Ver-
suche geschildert werden.
I. Verdunstet man einen Teil des Chloräthyls auf der Haut oder einem Uhr-
schälchen, so darf ein Rückstand nicht vorhanden sein, wenn das Präparat
rein und unzersetzt ist.
II. Wenn man das Gas von Chloräthyl in Wasser leitet, so darf das Wasser,
in dem solches gelöst ist, nicht blaues Lackmuspapier rot färben, also das
Wasser darf nicht sauer reagieren.
III. Säuert man das Wasser, in dem Chloräthyl gelöst ist, mit Salpetersäure
an, und setzt dieser Mischung eine Lösung von xArgentum nitricum zu, so
darf eine Färbung nicht sofort auftreten. Natürlich muß das verwendete
Wasser aqua destiliata sein.
Diese drei Prüfungsmethoden genügen, um das unreine und zersetzte
Präparat zu erkennen und sind auch leicht ausführbar.
Die ersten Narkosen mit dem Chloräthyl wurden, nachdem es seit seiner
Entdeckung fast vergessen oder nur für lokale Kältewirkung verwendet worden
war, 1894: von C a r 1 s o n in Gothenburg an zwei Patienten wegen Zahn-
extraktionen vorgenommen, nachdem man vorher gelegentlich der Erzeugung der
— 454 —
lukaleu Auästliesie im j\luude mittels Cbloräthyl zufällig durch sehr lauge
Applikatiou mehrfach Narkoseu erhalten hatte, ohue daß mau dies wollte. Der
Patient, welchen Carls on so hetäubte, erklärte, daß diese Narkose, nachdem er
schon zweimal mit Bromäthyl und Chloroform narkotisiert worden war, hei
weitem angenehmer sei, da das Ei'sticlmngsgefühl vollkommen fehlte und auch
Uebelkeit nach der Narkose nicht eintrat. Ein Jahr später empfahl Thiesing
das Chloräthyl als besonders geeignet für Narkose bei Zahnexti-aktionen, und es
folgten dann Billeter, Ruegg, Respinger, Seitz, Brodtbeck u.
a. m., welche alle sehr günstige Erfahrungen bei Zahn Operationen mit
dem Chloräthyl gemacht hatten. Nun wurden auch die Chii'urgen für dasselbe
angeregt, und in der Klinik von v. Hackei' machte man Vei'suche mit dieser
Narkose, welche in der Zahl von 16 von Ludwig beschrieben wurden, der die
Vorzüge des Chloräthyls feststellte und gute Narkosen erreicht hatte. Die
Atmung und Herzaktion war während der Narkose ruhig gewesen, imd die
Analgesie trat bei Frauen imd Kindern 1 Minute nach Beginn der Inhalationen
auf, bei Männern vergingen 1^/4 — P/2 Minvxten. Um eine Narkose von 4 Minuten
Dai;er zu erzielen, genügen 3 — 5 g Kelen. Wenn man andere Sorten des
Chloräthyls verwendete, so dauerte es bedeutend längere Zeit, bis Narkose ein-
trat. Exzitation fehlte meist vollkommen, und wenn sie auftrat, war sie mir
recht gering und unbedeutend, wobei oft die Exzitation in geringerem Grade
ei'st nach dem Eintreten der Anästhesie sich zeigte, und nur 1 — IV2 Minuten
dauerte, indem sie nur aus Abwehrbewegungen ähnlichen Muskelkontraktionen
der Exiremitäten bestand. Die Augenreflexe waren meist vollkommen erhalten
geblieben, mid es erfolgte auch nicht eine vollkommene Lähmung der will-
kürlichen Muskeln. Immerhin konnte man die Muskeln so weit entspannen und
ei'schlaffen, daß man selbst veraltete Luxationen mit Erfolg reponiei'en konnte.
Mau hatte auch keine schädlichen Einwirkungen des Chloräthyls auf Herz mid
Lungen beobachtet imd gab an, selbst bei Phthise, Pneumonie und anderen hoch-
gradigen Lungenleiden, ohne eine Verschlimmerung dieser Lungenaffektionen
hervorzurufen, die Narkose verwendet zu haben. Auch auf die Nieren soll ein
schädlicher Einfluß trotz genauer Kontrolle des Harns nie gesehen worden sein.
Mit dem Entfernen der Maske trat auch sofort das Erwachen des Kranken ein
und derselbe äiißeite keine Beschwerden, kein Uebelsein, Erbrechen, Kopf-
schmei'z etc., der Appetit Avar sofort nach der Narkose normal vorhanden.
So war man des Lobes voll über die gute Narkose mit Kelen. Es wurden
nun in der folgenden Zeit sehr viele Nachuntei'suchungen vorgenommen,
Lotheisen berichtet über 70 Narkosen, Wiesner über 400 und beide waren
vollkommen zufiieden mit den Narkosen. So hat man denn in den folgenden
Jahren vielfach das Aethylchlorid verwendet und noch manche genauere Beo-
bachtung gemacht.
§ 18. Die Narkose mit diesem Körpei' stellt eine Inhalationsnarkose dar, das
Gas wird mit Luft gemischt dem Kranken in die Lungen zugeführt. Die nar-
kotische Kraft ist nicht gering, ähnlich der des Äther und etwas schwächer
als die des Chloroforms. Die Löslichkeit in Wasser ist nur geling und
die Lösung ist sehr locker. Infolgedessen nimmt das Blutserum auch nur
eine geringe Menge auf, es löst sich im Blutserum nicht viel mehr als im
reinen Wasser. Daneben nehmen einen kleinen Teil die Blutkörperchen auf.
Infolge der schweren Löslichkeit im Blutserum muß man möglichst hoch konzentrierte
Luftchloräthylgemische den Limgen zuführen, da wegen der lockeren Lösung
sofort wieder Dämpfe aus dem Blute abgegeben werden. Sobald nicht hoch-
konzentrierte Luftchloräthylgemenge dem Kranken zugeführt werden, erwacht
er schnell, eben weil die Lösung im Blut nur sehr locker ist. Die Dämpfe
bleiben nicht lange im Blute gelöst, sondern werden sofort wieder abgegeben.
Das Blut transportiert das Gas in das Cerebrum und zu den Ganglienzellen, in
deren Saft das Chloiiithyl ebenfalls übei'geht und von den Cholestearin-Lecithin-
gemischeu aufgenommen wird. Dadurch wird die Lähmung der Zellen erzeugt.
— 455 —
ihi nun aber flie riösiuii;' im Zcllsaff clicii mir eine si'erinji'c ist, so vvirrl nur
ein« kh'iue Menge lüiloräthyl in die Zelle geltrucht, welche bei kurzen Narkosen
gar nicht ausreicht alle die Zellen zu lähmen, es würden wohl die Zentren der
.'~^chnler/.(•ln])findlult^• gelähmt, um aber die gegen die Xai'kotika widerstands-
fähigei'cn Zentra zu lähmen, reichen die Mengen nicht immer aus, weshalb in dei'
Narkose dann auch nicht die Reflexe, die Muskeln etc. vollkommen gelähmt,
aufgehoben, erschlafft sind. Erst wenn man die Chloräthyldämpfe längere Zeit
inspirieren läßt, werden größere Mengen dei-selben in den zentralen Elementen,
den Ganglienzellen in den C'holestearin-Lecithingemischen, welche größere
Mengen von Chloräthyl lösen als das Wasser resp. Blutsei'um, aufgehäuft, welche
dann eine vollkommene Lähmung dieser Zeuti'a herljeifühi-eu. Die narkotische
Kraft des Chloräthyls ist kleine]" als die des Chloroforms, aber größer als die
des Äthers. Die Ausscheidung des Chloi'äthyls geschieht am meisten dui'ch die
Lungen, namentlich bei kurzen Narkosen wei'den fast alle Dämi)fe wieder von dej'
Lunge eliminiert, was verhältnismäßig schnell geht, da die Lösung im Blut sehr locker
ist. Die Nieren rmd andei'en Drüsen kommen bei dei' kurzen Narkose nur sehr Avenig
in Betracht, dieselben eliminieren nur bei längeren Narkosen wesentliche Mengen
von Chloräthyl. Der Umstand, daß die Löslichkeit im Blutserum nui' sehr
gering ist, bewii'kt auch das vollkommene Fehlen von Magenaffektionen, Un-
wohlsein, Einbrechen etc. nach kurzen Narkosen, denn die geriiigen Mengen im
Blut werden sofort elimiuiei't und gehen nicht in den Magensaft oder nur in
ganz geringen, unwirksamen Dosen über. Bei längeren Nai-kosen kommen eben
größere Mengen in das Blut und werden auch in den Magensaft abgesondert,
wodurch dann auch Übelkeit, ja selbst Erbrechen nach dem Erwachen des Kranken
entstehen. Auch die Löslichkeit in den Cholestearin-Lecithiugemischen, welche
sich im Protoplasma der Zellen finden, ist geringer, als z. B. bei Chloroform
oder Äther, so daß auch nicht so hohe Mengen in den Zellen angehäuft werden
können. Wenn die Lihalation neuer Dämpfe in der Narkose sistiert, so werden
auch den Zellen nicht mehr neue Mengen zugeführt, sondern die darin enthalteneu
werden wiedei* eliminiert. Diese Eliminierung kann aber nur in den Mengen
vor sich gehen, welche das Bhitserum lösen kann. Da die Cholestearin-Lecithin-
gemische der Ganglienzellen aber bedeutend mehr Chloräthyl lösen und somit
auch wähi'end der Narkose aufhäiifen, als das Blutserum zu lösen imstande ist,
so wird es längere Zeit dauern, ehe die letzten Mengen von Chloräthyl aus den
Ganglienzellen eliminiert sind. Bei einer kurzen Narkose sind diese aufge-
speicherten Mengen nur sehr gering. Hat die Nai'kose aber längere Zeit ge-
dauert, so werden diese Mengen eine bestimmte Gi'öße erhalten, über die
natürlich .nicht hinausgegangen werden darf, da sonst der Mensch stirbt. Da
nun das Chloräthyl in den Cholestearin-Lecithingemischen nur wenig löslich,
weniger als Chloroform z. B. ist, so ist diese Menge geringer, als in den Gang-
lienzellen aufgespeichert wird. Es wird aber doch diese Menge Chloräthyl nach
langen Narkosen noch genügend sein, um nachziiwirken und Schwindel, Kopf-
schmerz etc. zii erzeugen. Allein, da diese Menge geringer als bei Chloroform
ist, so ist aiich diese Übelkeit etc. geringer. Wegen der schweren Löslichkeit
des Chloräthyls in Wasser, Blutserum etc. ist dasselbe auch nicht so brauchbar
für eine lange, eine Dauernarkose, als für eine kurze, nur 2 — 3 Minuten an-
haltende Scbmerzbetäubung. Und hierzu ist das Chloräthyl auch meist nur ver-
wendet worden. Da infolo-e der schweren Löslichkeit auch die Narkose schnell
— 456 —
schwindet, der Kranke rasch erwacht, so ist die Narkose für lauge Operatioueu,
namentlich für solche, bei denen man tiefe Narkose mit vollkommener Muskel-
erschlaffiing braucht, nicht brauchbar, weil bei der geringsten verminderten Zu-
fuhr dei' Kranke sofort erwacht. Es stellt die k\irze Narkose eigentlich nicht
eine volle Narkose dar, denn oft tritt eben keine völlige Ei'schlaffung, völlige
Lähmung der Muskeln, der Reflexe auf, sondern oft nur eineu Rausch ähnlichen
Zustand.
In dei' langen Chloi'äthj'lnai'kose unterscheidet man die vier Stadien wie
bei jeder Nai'kose, und es ist nur das erste und zweite Stadium sehr kurz. Aber
die Reflexe sind erloschen, die Pupillen zeigen genau die Verhältnisse wie bei
den anderen Narkosen und wie früher geschildert. Aber bei der kurzen Nar-
kose sind die Pupillen nicht reaktionslos, auch die anderen Reflexe sind nicht
aufgehoben.
Um eine kurze Narkose hervorzurufe]i, braucht man nur wenige CTramm;
2 — 5 g rufen innerhalb 25 — 40 Sekunden die Anästhesie hervor (Malherbe,
Stepinski, Brodtbeck, Clirard, Seitz, Fromaget etc.).
Zw diesen kurzen Narkosen für eine nui" wenige Minuten in Anspruch
nehmende Operation ist das Chloräthyl überaus brauchbar, allein mau kann es
auch für eine längere Narkose verwenden, es hat dasselbe hierin entschieden
einen Vorzug vor dem ebenfalls vielfach empfohlenen Bromäthyl, wenn mau
auch nicht gerade das Chloräthyl zu stiindenlangen Narkosen brauchen soll, denn
in diesen Fällen gibt es ja die vorzüglichen Narkosen mit Chloroform oder
Äther, aber es ist doch infolge der Wirkungen des Chloräthyls möglich, eine
Narkose von 10 — 20 Minuten Dauer ohne große und schwere Gefahren für den
Narkotisierten auszuführen. Das Bromäthyl ist ja entschieden füi- lange Nar-
kosen unbrauchbar, aber für das Chloräthyl braucht mau die Indikatiousgrenze
nicht so eng iiud strikte zu ziehen. Es sind auch in neuerer Zeit von ver-
schiedenen Seiten die günstigen Resultate bei solchen mäßig langen Opei'ationeu
angegeben worden. Immerhin muß man bedenken, daß diese Nai'kosen m\v bei
leichten Opei-ationen voi'genommen wei'den dürfen, weil eben der Kranke sehr
leicht erwacht und oftmals eine vollkommene Muskelerschlaffung, wie man sie
bei größeren Operationen unbedingt fordern muß, nicht eintritt. Deshalb darf
das Chloräthyl nur füi- kleinere Operationen reserviert wei-den, und es wird
immer am besten bei ganz kurz dauernden Eingi'iffen am Platze sein.
Die physiologischen Einwirkungen des Äthylchlorids sind für das Cerebrum
bereits geschildert und bestehen in der Lähmung der Ganglienzellen. Die
Wirkung auf das Nervengewebe hat Cantelupe genauei' studiert und hat ge-
funden, daß das Äthylchlorid eine doppelte Wirkung ausübt, einerseits eine
direkte chemische, andererseits eine indirekte, durch Gehirnanämie infolge
Lähmung des Vasomotorenzentrums bedingte. An den Fasei-n der weißen
Substanz fand er sowohl im Groß- wie im Kleinhirn leichte degenerative Ver-
änderungen, jedoch waren dieselben nur mit der Marchischen Methode nach-
weisbar. Er betrachtet sie als den Ausdruck der in der Periode des Erwachens
noch anhaltenden nutritiven Veränderungen der Nervenzelle und mithin auch
der nervösen Fortsätze derselben. Vielleicht handelt es sich hier um rein
funktionelle und demgemäß heilbare Veränderungen.
Das Chloräthyl wirkt nur wenig reizend auf die lebende Zelle ein, wenigstens
nicht stark, und infolgedessen fehlen auch manche unangenehmen Nebenwirkungen,
— 457 —
wie man sie lici iuidcrcii Narkdtika ^iclcii'ciitlicli liiidct. Die IlcrztäHo-kfif wird
nur wenig vpränfh^rt, l)ei läiigciTr Xai'kose ündct ein Fallen des Blutdruckes
geringer Intensifät statt. AiU'h der Puls wii'd dann verlangsamt. Die Lungeu-
t.ätigkeit wii'd melii- pathologischer Art heonuflußt. Die I\[ageu und J)arm-
funktioiien werden wenii;- beeinflußt. Leber und Nieren w^ei'den in ihrer Sekretion
geschwächt.
Bei langen Narkosen wird ein Teil des Chloräthyis dui'ch die Nieren ab-
gesondert, und wild im Harn in Verbindungen gefunden, bei kurzen Narkosen
wii'd nur si-hr wenig Ohloräthyl durch die Nieren eliminiert.
Viel bedeutender sind die pathologischen Einwirkungen des Chloräthyls.
Natürlich sind dieselben bei einei- kurzen, wenige Minuten dauernden Narkosenursehr
gering, ja fast gar nicht vorhanden, weshalb man, da die Hauptindikation in
Narkosen für ganz kurze Eingriffe bestand und nur ganz selten längere Betäubimgen
mit demselben ausgeführt wurden, auch nur sehr wenige Todesfälle beobachtet
hat. Es ist daher dasselbe als ganz harmlos bezeichnet worden, und man hielt
es fü]' das M^enigst gefährliche Narkotikum, was aber durch einzelne Todesfälle,
die trotzdem auftraten, bis zu einem gewissen Grade als zu optimistische Ansicht
betrachtet werden muß. Wenn auch der Organismus bei einer kurzen Narkose
weniger Gefahren vom Narkotilmm ausgesetzt ist, als bei langen, so kann doch
immerhin auch bei ganz kurze Zeit nur dauernden Einwirkungen des Chloräthyls
eine schädliche Beeinflussung des Organismus entstehen, und lun die Gefahren
gei\au zu kennen und beurteilen zu können, muß man das Chloräthyl bei längerer
Einwirkung auf den Orgaiiismus studiei'en.
Es fehlt dem Äthylchlorid entschieden einerseits die stai-ke Exzitation,
andererseits die starke Reizwirkung und somit auch die Gefahr des Eintrittes
einer Reflexsynkope infolge Trigenimus-Vagus-Reizung von der Nasen-Pharynx-
schleimhaut aus. Diese beim Chloroform so gefürchtete Reflexsynkope fehlt hier
vollkommen.
Die pathologischen Wirkungen des ('hloräthyls sind von mir eingehend
an Tieren gepi'üft worden, und es hat sich da als Gesamtbild ei'geben, daß die
Einflüsse des Chloräthyls auf die innei'en Organe bei weitem geringer sind, als
die beim Chloroform. Es besteht aber eine entschieden ähnliche Wirkung
zwischen diesen beiden Körpei-n, vor allem die Tendenz, Fettmetamorphose zu
erzeugen, besteht bei beiden, nur ist die Intensität der Wirkung sehr verschieden.
Chloräthyl wirkt bedeutend schwächer als das Chloroform.
Im einzelnen verhält sich das Chloräthyl vor allem zum Gehirn nicht
w^enig pathologisch wirksam. In den Ganglienzellen ei'zeugt dasselbe während
der längeren Narkose eine Fettmetamorphose, welche nur wenig von der Chloroform-
wirkung verschieden, wenig schwächer ist. In den Gefäßen des Cerebrams fand
sich auch nach langen Narkosen und häutigen Betäubungen ziemlich ausgedehnte
Fettmetamorphose der Zellen der Intima und Media der Wandung, welche aber
nur stellenweis auftrat, so daß man an einzelnen Gefäßquer- oder -längsschnitteji
Haufen von Fetttropfen an einer Stelle fand, welche eine Vorwölbung und mit
der Zeit eine Verdünnung der Wand mit Aneurysmabildung hervorrufen kann.
Diese Fettmetamorphose der Gefäßwandungen ist sowohl in den Kapillaren wie
in den größeren Gefäßen deutlich zu finden und dieselbe ist geringer, weniger aus-
gebreitet, als sie beim Chloroform zu finden ist, doch ist sie vorhanden und zwar
in einem Grade und einer Intensität, daß sie eine schwere pathologische Ein^
— 458 —
Wirkung davstellt, die dein für Erkrankung- der Gefäße disponierten Kranken
schwere Gefahren heraufbeschwören kann, denn hei bestehender Sklerose etc.
der (iefäßwandungen kajin es zu Kuptur luid Hämori'hagien in das Cerebrum
führen, woraus Lähmungen und Exitus letalis hervorgehen können. Diese Ein-
wirkung auf das Gefäßsystem kommt aber besonders bei längere Zeit dauernden
Narkosen in Betracht, deim bei einer kurzen Narkose von 1 — 2 Minuten Dauer
ist eine solche Veränderung nicht möglich. Ebenso spricht diese pathologische
Einwirkung gegen häufige Narkosen, innerhalb einer Zeit ausgeführt, wo die
Vei'änderungen der ersten Narkose noch nicht wieder verschwunden sind.
Die Einwirkimg des Chloräthyls auf das Herz ist bedeutend günstiger, als
die des Chloroforms. Der Blutdi'uck wird nur mäßig und weniger herabgesetzt bei
langen Narkosen, bei kurzen Nai-kosen tritt meist eine Steigerung desselben ein.
Was das Myocai'd selbst anlangt, so wii'd bei langen Narkosen eine deutliche
Fettmetamorphose dei' Herzmuskelfasern hervorgerufen. Dieselbe ist entschieden
gei'inger als bei Chloroform, doch sie ist vorhanden imd kann bei häufigen
Narkosen hochgradig gesteigert werden.
In den Fasern des Herzmuskels faiid sich nach längeren und häufigen
Narkosen das Fett in feinen Tropfen über die ganze Muskelfaser gleichmäßig
verteilt, und in anderen in Haufen von mittelgroßen l)is großen Tropfen bipolai'
des Kernes in der Eichtung der Achse. Die Querstreifung der Faser war stets
geschwunden oder stark verwaschen, meist sah man die Querstreifung überhaiipt
nicht mehr, auch in den Fällen, wo die Fettmetamorphose nur sehr gering noch
wav. weil das Chloi'äthyl noch nicht lange genug eingewirkt hatte, war die
Querstreifung stark verwaschen, undeutlich, die Fasern waren auch ungleichmäßig
gefärbt, das Protoplasma war ti'übe, wolkig. Die Fettmetamorphose fand sich
in den Anfangsstadien bei'eits nach einer ca. 40 Minuten langen Cbloräthyl-
nai'kose, eine folgende Narkose verschlimmerte die Fettmetamorphose stark.
Weitere Einflüsse pathologischer Art auf das Herz sind nicht vorhanden,
es wird in der Chloräthylnarkose das Herz überhaupt nicht sehr schwer be-
einti'ächtigt. Immerhin beobachtet man in der langen Narkose doch leicht
l'ollapse uiul di'ohende Schwächezustände, welche alier doch verhältnismäßig
selten sind. Bei der kiirzen Narkose sind Schädigungen des Herzens überhaupt
nicht beobachtet worden, da dabei ja das Herz auch weniger affizieit. wei'den kann.
Man hat bei allen kurzen Narkosen, vor allem infolge der zu solchen aus-
schließlich verwendbaren Mittel eine stärkere pathologische Beeinflussung dei'
Lunge zu fürchten, als des Herzens.
Was nun die anderen inneren Oi'gane anlangt, so ergibt sich die Leber als
ein bei der langen Einwirkung stark geschädigtes Organ. Ich habe bei meinen
Experimenten stets in der Leber eine außerordentlich stai'ke Fettmetamorphose
gefunden, welche der nach Chloroform nur wenig nachsteht. Es findet sich nach
Narkosen von längerer Darier und öfterer Wiederholung eine sehr starke Fett-
metamorphose der Leberzellen, welche sogar in ausgebreitete Nekrose und Zej'-
fall derselben übergeht. Voi- allen Dingen in der Peripherie dei' Acini findet
sich die Nekrose und der Zei'fall der Leberzellen, während im Zentrum der
Acini die Leberzellen noch erhalten sind, aber sehr starke Fettmetamorphose
zeigen. Daneben findet man in dem Leberparenchym starke Hyperämie und auch
stellenweis Hämon'hagien in das Parenchym und besonders unter die Kapsel.
Die Fettmetamorphose der Leber ist bedeutend nach längeren Narkosen, auch
~ 459 —
nach riiicr 40 Aliimti'n (liiiicriKlcii Xarkdsc l'aiid «icli hci'cits dciitlicliH FeM.-
iiu'taiiioi'plioso der Lcberzcllen, das rrotoplasma zeigt sich trülje, wolkij^-, nug-leicli
färbljar, die Kerne sind stellenweis schwach färbhai', und im Pi'otoplasma findet
sich das Fett in vermehrtei' Men^'e als i)hysiolog'isch. Diese Fettmetamorphose
der Leber ist uur weniy geringer, wie nach •»■leichen Chloroformuarkoseii, es ist
vor allem die Nekrose noch nicht so hochg'radisj;', wie nach Chloroform. Immerhin
ist dieselbe reichlich vorhanden und ist ein Zeichen der bis zu einem gewissen
Grade schwer toxischen Wirkung des Ohloräthyls.
Sehr ähnliche Verhältnisse finden sich nach den Chloräthylnai'koseu in
den Niereu. Hiei" hat mau dasselbe Bild, hochgradige Fettmetamorphose in deu
Tubuli contorti, weniger in den recti. daneben in den Tubuli contorti sehr
reichlich Nekrose und Zerfall der Epithelien. In den Tubuli i'ecti ist die Neki-ose
bedeutend weniger ausgebi'eitet, in den Zellen der Pyramiden ist die Fett-
nietamorphose weniger. In den (Uomeruli ist kein Fett zu finden, oder doch
nur sehr wenig, dieselben sind hyperämisch, zwischen Kapsel und Glomerulus
ist stets ein Zwischenraum zu sehen, der größer als noi'malitei' und durch ein
Exsudat entstanden ist. In dem Niei'enparenchym ist Hyperämie vorhanden, es
linden sich Hämorrhagien in das Pareuchym, und Blutungen unter die Kapsel. So
ist das Bild nach mehreren langen Narkosen mit Ghloräthyl. Die Veränderungen in
den Nieren sind beträchtlich, aber im Wesen geringer als bei Chloroform. Nach
kurzen Narkosen ist die Niei'e weniger geschädigt. Immerhin fand sich nach
einer Narkose von -10 Minuten Dauer in den Epithelzelleu der Tubuli contorti
beginnende Fettmetamorphose. Die Epithelien waren übei'all in der Niere trübe,
ungleich gefärbt, das Protoplasma wolkig, die Konturen undeutlich. Auch in
den übrigen Harukanälchen war Fett vei"niehrt zu finden. Nekrose imd Zerfall
war noch nicht vorhanden.
Man ersieht aus diesen Veränderungen, daß hei langen Narkosen eiue
schwere Läsion der Niei'en entsteht, und daß die längere Nai'kose deshalb ver-
mieden werden muß. Bei kixrzdauerndeu Inhalationen kommen natürlich solche
schwere Veränderungen nicht vor, allein man muß die Wi}-kuug kennen, um bei
geeigneten, disponierten Kranken ev. die Narkose zu vermeiden. Allein bei den
besonderen Lösrmgsverhältnissen des Chloräthyjs kommen bei kurzen Narkosen
nur so geringe Mengen in die Niei'en und zui' Eliminierung durch dieselben,
daß schwere Läsionen der Nierenepithelien nicht erzeugt werden können, so daß
selbst bei disponierten Kranken während einer ganz kurzen Narkose die Gefahr
gering ist. Bei längeren protrahierten Narkosen kommt natürlich das Chloräthyl
intensiver mit den Nieren in Berührung, weil größere Mengen des Gases in den
Organismus aufgenommen werden. Dann werden auch bestimmte Mengen von
Chloräthyl durch die Nieren aus dem Orgaiiismus eliminiei't. Diese Eliminierung
duix'h die Nieren geht ganz entschieden vor sich, da man das Chloräthyl im
Hara direkt, wenn aiich nur in kleinen Mengen rein, in bedeutenderen aber als
Chlorverbindungen nachweise]! kann.
Einen sehr bedeutenden Einfluß des Chloräthyls kann man in den Lungen
nach längeren Betäubungen konstatieren. Was die Atmung anlangt, so bemerkt
man mit der Dauer der Narkose eine Verflachung der Atmung, eine Ver-
minderung, der Zahl der Atemzüge in der Minute. Weitere Einflüsse der Atem-
tätigkeit sind als reine Folge der Chloräthylnarkose nicht zu konstatieren. Die aus
äußeren Anlässen, durch Fremdkörper, Raumbeengungen, Glottisödem etc, ent-
— 460 —
stehenrleii Apnoen sind nicht besondere Eigentüiulichkeiteu dieser Narkose.
Es sind Ereignisse, wie sie bei Narkosen vorkommen, und aixf die bekannte Art
bekämjift werden können.
Die Drüsensekretioii wird durch die Chloräthylwirkung ebenso beeinflußt,
wie von den anderen Narkotika auch. Man findet bei dieser Narkose ebenfalls
die Speicheldrüsen des Mvandes und Rachens vermehrten Speichel absondern, und
diese Menge des Speichels ist immerhiji beträchtlich, sie ist ungefähr gleich der,
welche das Chloroform veranlaßt. Bei kurzen Narkosen bemerkt man diese vermehrte
Speichelproduktion gar nicht oder doch nur in sehr geringem Maße. Bedeuten-
der ist sie allerdings bei jeder längeren Narkose, und schon nach einer solchen
von 15 — 25 Minuten kann man deutlich die Speichelmassen aus dem Munde
fließen sehen. Neben den größeren Drüsen werden auch die Schleimhäute zur
vermehrten Absonderung des Schleimes angeregt, und diese Absonderung von
Schleim ist besonders wichtig, soweit sie sich auf die Schleimhäute in den
Bronchien, der Trachea und dem Kehlkopf ersti-eckt. Ich habe durch die Unter-
suchung der Lungen der mit Chloräthyl mehrfach narkotisierten Tiere feststellen
können, daß während der Narkose eine beträchtlich vermehrte Schleimsekretion
in den Bronchien und der Trachea stattfindet. In allen Präparaten fand mau
in deji bei der Lagerung des Tieres zur Zeit der Narkose abhängigen Partien
der Lungen die Alveolen stellenweis total oder teilweise mit Schleimmassen er-
füllt. Der Schleim war in den Bronchien abgesondert und dabei in die Alveolen
geflossen oder aspiriert worden. Daß aus dem Rachen Speichel in die Lungen
geflossen wäre, war nicht möglich, denn infolge der tieferen Lagerung des
Kopfes des Tieres als der Brust mußte aus dem Rachen aller Speichel und
Schleim zum Maule des Tieres herausfließen. Somit war erwiesen, daß in den
Bronchien mehi- Schleim als gewöhnlich sezeniert wird.
In der Lunge fanden sich neben diesen Schleimansammlungen starke
Hyperämie und stellenweise Hämorrhagien, besonders unter der Pleura.
Weiter zeigte auch das respiratorische Epithel die Wirkung, wie sie
allen Narkotika mehr oder weniger zukommt, und es bestand dieselbe in dem
Hervorrufen einer Fettmetamorphose in diesen Zellen. Es fanden sieh in den
Zellen der Alveolen stellenweis sehr viel Fetttropfen von feinem bis mittelgroßem
Koi'n, stellenweis weniger, während in den Epithelzellen der Schleimhaut der
Bronchien und Broncheoli ebenfalls Fett zu finden wai", aber in manchen Zellen
viel, in anderen wiedei- weniger und oft zeigten sich einige Zellen noch normal.
So findet man die Schleimhaut der Bronchien durch die Narkotikumwirkung ge-
schädigt und die Zellen erki'ankt. Die Fettmetamorphose der Zellen des re-
spiratorischen Epithels ist nach alleii Narkosen gefunden worden und es zeigte
sich ein wesentlicher Unterschied gegenüber der Chloroformwirkung nicht, nur
ist vielleicht eine etwas geringere Ausdehnung und Ausbreitung der Fettmeta-
morphose zu konstatieren, während sie im wesentlichen gleich erscheint. Es ist
diese Einwirkung auf die Lunge entschieden die intensivste gegenüber den Be-
funden am Herzen und den anderen Organen. Die Fettmetamoi-phose in diesen
Zellen der Lunge ist die Folge der Einwirkung des Chloräthyls und gibt Anlaß
zu ev. nach der Narkose auftretenden Lungenleiden. Die Eigenschaft, Fett-
metamorphose in diesen Zellen zu erzeugen, geht wahrscheinlich hervor aus der
anfänglichen Reizwirk\\ng, welche das Chloräthyl iii mäßigen Mengen ausübt
upd dadurch die Zellen zur vermehrten Sekretion anregt, während dieser Reiz
— 401 —
mit der Dimci' der Einwirkung zu ciii(;r dclatiircn Wirkung auf die lebenden
Z(;ll('n wird, Avelchc die Zelle zur Fettmetamorpliose und bei weiterer EinAvirkuiig
scbließlich zu Neki-ose und Zei'fall, wie in Niere und Lebei', bi'ingt, so daß die
nnfäniiTicb(; Heizwirkung mit dei- Zeit zui' dclatären, zerstörenden, das Leben
vciiiiclitcnden Kraft wird. 31an findet die Fettmetamorphose in der Lunge schon
in i;<'\\isscni Anfangsstadiuni nach einer langen Narkose, wäh]-end sie nach zwei
innei'lialb 24 Stunden wiederholten Narkosen schon sehr deutlich und fortge-
schi'itten erscheint. Daß infolge der Fettmetamorphose die Epithelzellen ihre
normale bakterizide Kraft und ihre sonstigen vitalen Eigenschaften ganz oder
zum Teil einbüßen, das ist leicht zu erklären. Die gesimde Lunge hat die
Eigenschaft, von außen in dieselbe gelangende Bakterien zu töten, weshalb die
Lunge bei der vielfachen Gelegenheit, zu erkranken, gesund bleibt. Diese Kraft
ist der Schleimhaut eigen und somit auch jeder einzelnen Epithelzelle. Wenn
nun in der Schleimhaut einige Zellen ei'ki'anken, indem sie Fettmetamorphose
ei'leiden, so sind neben den gesunden Zellen solche vorhanden, welche die
Bakterien nicht töten, sondern ihnen sogar einen geeigneten Ort fiii- ihre weitere
Entwicklung bieten. Durch diese Verhältnisse verliert die Lunge ihre
bakterizide Kraft und es können infektiöse Lungenleiden entstehen. Somit er-
sieht mau, daß auch das Chloi-äthyl bei langen Narkosen Lungenleiden zur Folge
liaben kann, und daß die längere Narkose nicht zu empfehlen ist. Snel hat
Versuche angestellt und nachgewiesen, daß die Lunge durch jede Narkose ihi-e
bakterizide Kraft einbüßt. Dieser Verlust der bakteriziden Kraft erfolgt auch
liei der Chloräthj'Lnai'kose und wii'd durch diese Fettmetamorphose erzeugt.
Nach kurzen Narkosen sind natürlich die Einflüsse ai\f die Lungen
entsprechend geringer, und man kann bei Narkosen von nur wenigen Minuten
annehmen, daß die Lunge wesentliche Nachteile nicht erleidet, wenn sonst alle
Vorsichtsmaßregeln beobachtet werden. Allerdings kann man schon nach Nar-
kosen von 25 Minuten stärkere Schleimvermehrung und beginnende Fett-
metamorphose in den Zellen des respiratorischen Epithels bemerken. Es ist
daher voi' allen Dingen zu beachten, daß Kranke mit Lungenleiden von jeder
Narkose irgendwelcher längerer Dauer verschont bleiben müssen. Ja selbst
bei kurzen Narkosen muß man die Lungenleiden beachten und ev. eine andere
Art der Schmerzbetäubung bei Lungenki'anken wählen.
In den früheren Berichten über die Wirkungsweise des Chloräthyls finden
sich nur sehr wenig pathologische Beobachtungen. Ruegg fand weder eine
Veränderung an der Atmung noch am Puls in der Narkose, ferner daß im
Gehirn zuerst eine Erweiterung und im weiteren Vei'lauf der Aetbylchlorid-
narkose eine Verengerung der Gefäße stattfindet. König fand bei Affen imd
Kaninchen weder das Herz, noch den Gefäßtonus, auch die Atmung nicht
schädlich beeinflußt. An Menschen setzte er dann seine Studien fort, und
konnte gute Resultate erzielen, er beobachtete sehr schnell eintretende Anästhesie,
geringe Exzitation, meist Erschlaffung der Muskulatur und sehr schnelles Er-
wachen, Herz, Lungen und Nieren wurden nicht schädlich beeinflußt, und es
fehlte nach den Narkosen Uebelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen. Aber er hat,
da der Kranke sehr leicht erwacht, das Aethylchlorid nicht für lange Narkosen ver-
wendet. Wenn man dauei'ude Narkose ausführen will, so stört das rasche Erwachen
sehr, und es passiert leicht, daß der Kranke während dei' Operation einmal erwacht.
Allerdings tritt bei längeren Narkosen auch Erbrechen auf, wie ich beobachtet habe,
Uebelsein etc. Für die kurze Narkose ist es eben auch wegen des schnellen Ein-
tretens der Narkose, Fehlens starker Exzitation und Nausea nach der Narkose sehr
geeignet (König, Pircher, Fr o mag et etc.). Das rasche Erwachen ist bei kurzen
Narkosen ein Vorteil, während es bei den protrahierten Narkosen ein großer
— 4Ö2 ^
Nachteil ist, denn es kann dann bei empfindlichen Personen, wenn sie in der
Narkose erwachen, der Shock derart heftig wirken, daß selbst Synkope ein-
treten kann, wenigstens aber die weitere Narkose sehr erschwert, fast unmöglich
wird. Nausea und Erbrechen nach der Narkose treten nach längeren Be-
täubungen auch auf, immerhin sind sie geringer als beim Chloroform nach
gleichlangen Narkosen. Die Uebelkeit und das Erbrechen bei dem Narkosen-
kater kommen durch den Beiz des auf die Magennerven durch das im Magen-
saft abgesonderte Narkotikiim zustande. Da nun das Chloräthj-l in Wasser nur
sehr wenig löslich ist, so wird auch nach längeren Narkosen nur wenig Ohlor-
äthyl im Magensaft erscheinen, und diese Mengen sind sehr gering, dabei ist der
Reiz des Chloräthyls auf die Nerven nicht sehr groß, weshalb Erbrechen selten,
Uebelkeit nur gering ist. Nach kurzen Narkosen reichen die im Magensaft ab-
geschiedenen Spuren von Chloräthyl noch nicht hin, um einen solchen Eeiz auf
die Magennerven auszuüben. Man findet auch in den Epithelzellen der Magen-
schleimhaut nur sehr wenig Fettmetamorphose, sehr gering gegenüber den Be-
fimden bei Chloroform.
Bei Männern hat das Chloräthyl eine weniger starke Wirkung, als bei
Fi'auen, letztere eignen sich entschieden besser zur Chloräthylnai'kose, als der
Mann, denn derselbe ist von Natur aus widerstandsfähiger gegenüber den
Narkotika. Dann kommt beim Manne noch der Alkoholgcnuß in Belraclit,
welcher entschieden die Narkose erschwert, denn hochgradige Alkoholiker
können überhaupt nicht durch Chloräthyl in eine brauchbare Narkose versetzt
wei-den, während man mäßige Alkoholisten betäuben kann. Frauen und Kinder
sind leichter zu betäuben.
Die Dauei' bis zum Eintritt der Narkose ist nur sehi' kurze Zeit, 2") bis
40 Sekunden, bisweilen schon 15 Sekunden, und man braucht hierzu nur
2 — 4 g. (Malherbe, Stepinski, Mc. Cardie etc.). Gießt man nun wieder
2 ;5 g. auf die Maske, so kann man die Betäubung fortsetzen. Von manchen
Autoren ist bisweilen Erbrechen und Uebelseiii, wenn auch weniger, wie nach
(.Chloroform, beobachtet worden (Mc. ('ardie, Lotheisen, Piohn etc.). Lebet
gibt an, daß l)ei einem Kaninchen bei Zufuhr vou \'^ Aetbylchlorid mit ■'/., -Luft
ein Exzitationsstadium von 3 Minuten und Anästhesie von 6 Minuten eintraten, und
daß ein Tier, dem er oOÜ ccm physiol. Kochsalzlösung mit 7 ccm Aethyl-
chloi'id in die Bauchhöhle spritzte, 40 Minuten lang narkotisiert war, uutei'
Schüttelfrost und Temperatur von 32'' C, doch bei Erwärmung sich wieder erholte.
Es sind verschiedentlich längere Operationen in Aethylchloridnarkose aus-
geführt worden, doch hat man wieder davon Abstand genommen und fühi't
nur kurzdauernde Betäubungen aus (Malherbe, Ware, Stockum, Seitz,
Severeaun, Leonte, Gerota, Uristoderescu, Bardescu, Mc. Cardie etc.).
Man beobachtet in der längeren Narkose vollkommene Lähmung der Reflexe,
wie in jeder Narkose, doch ist eben das Erwachen sehr nahe, und man
hat dadurch Hindernisse im langen Erhalten der Toleranz. Nach (Ilirai'd be-
steht die Gefahr der Eespirationslähmuug (Spätsj'ukope), während Reflexsynkope
nicht auftritt. Deshalb ist es weniger gefährlich als Chloroform, und man vei'-
wendet es sehr gut zum Einleiten der Narkose, indem man mit Aethylchlorid
betäubt und nach Eintritt der Toleranz mit Chloroform oder Aethei- fortfährt,
woduix-h man die Exzitation umgeht. Darüber wii'd später berichtet.
Aus alledem geht hervor, daß Äthylchlorid für kurze Narkosen sehr
brauchbar, aber für dauernde Narkosen vollkommen unbrauchbar ist. Die oben
auseinande]'gesetzten pathologischen Einwirkungen auf die inneren Organe vei'-
bieten die längeren Narkosen, ebenso soll man bei schwei-en Lungenleiden mit
der kurzen Narkose vorsichtig sein, während bei anderen Krankheiten üble
Einflüsse nicht zu erwarten sind, sofern die Krankheiten nicht a prioi'i jede
Narkose verbieten. Man kann auch entschieden die kurze Chloräthylnarkose
der Bromäthylnarkose vorziehen, denn letztere bietet viel mehr Gefahi-en selbst
hei kurzen Eingriffen. Es muß aber bei aller Anerkennung der Vorzüge des
— 403 —
Chloi-iithyls iUU'h immci' Ijcdaeht wei'dim, daß man es mit einer Tutoxikation
zu tun hat, die eben unter gewissen Verliältnisseu dem Organismus gefährlich
werden kann, denn ohne jede Gefahr ist keine Narkose.
Xunmchr soHen die statistischen Verhältnisse der C!hloräthylnarkose er-
örtert wei-den. Mau hat auch von vei-schiedenen Seiten auf Todesfälle aufmei'k-
sam gemacht und hat (Telegenheit gehabt, solche zu beobachten. So hat
Lotheisen allei'dings bei einem Potator einen Todesfall erlebt, dei' Mann stai'b
nach 2 Minuten dauernder Kelennarkose unter Aussetzen des Pulses. Es wai-
dei- Tod so schnell eingeti'cten, daß vom Beginn der Inhalation nur 3 Minuten
vei'strichen waren, verabreicht wurden .5 g Chloräthyl. Es fand sich bei der
Autopsie eine exzentrische Hypeitroj^hie des Herzens sowie Fettdegeneration
d(M' Herzmuskelfasei'n, Aiteiiosklerose der arteria coronaria etc. Ekchymosen
fehlten vollkommen. Es haiulelt sich also hierbei um einen Herztod, und be-
weist dieser Fall doch recht deutlich, wie gefährlich die Narkose bei schon
bestehender Fettmetamorphose des Herzens werden kann. ICinen anderen, eben-
falls dem Athylchloi'id zur Last zu legenden Todesfall berichtet Mc. Cardie,
welcher einen sehi- schwachen Alkoholiker 7 Minuten lang mit 20 g Äthyl-
chlorid betäubte. Ei' starb l'/j Stunde nach dem Erwachen aus der Narkose.
Es fand sich liei der Sektion die Striktur der ITrethra, wegen der er narkotisieit.
woi-den war, mit konsekutiver Nephiitis, ferner chi'on. adhäs. Peiitonitis, Peri-
karditis. IMeuritis und Fettleber etc. Es ist also auch dieser Fall sicher durch
die Wirkung des Äthylchlorids zugi'unde gegangen, da einerseits die Nephiitis,
anderei'seits die Fettleber schwer von dem Chloiüthyl verschlimmert werden
können, luid bei denen eine Narkose eben nicht mehr vorgenommen werden
sollte. Weitere Todesfälle sind von Bossart, Seitz, König u. a. beschrieben
worden, und mau ersieht, daß eben auch eine gewisse Gefahr bei dieser Narkose
besteht, wenn auch gewisse Einwände gegen diese Todeslälle gemacht werden
können, so ist doch das Äthj^lchlorid zweifellos mit die Ursache des Einti'ittes
der Todesfälle gewesen.
Todesfälle sind durch die Verwendung des Chloräthyleu anstatt des Chlor-
äthyl hervorgerufen worden (Kocher, So ulier, Brian etc.). Dieser Körper
ist dem Ghlorätbyl sehr ähnlich und hat ebenfalls narkotische Kraft, doch Avii'kt
er sehi- schwer toxisch, und man muß entschieden wai-nen, beide Körpei- nicht
zu verwechseln. Soulier und Brian haben das Chloräthylen zu Narkosen ver-
wendet und geprüft, doch sind die Resultate sehr schlechte gewesen, und man
hat dasselbe nicht weiter verwendet.
Was nun die Zahl der Narkosen mit den Todesfällen anlangt, so hat man
folgende Statistiken zusammengestellt. Seitz hat 16 000 Narkosenberichte ge-
sammelt und unter diesen nur einen Fall genannt, in welchem bei einem
Mädchen nach der 9 Minuten dauernden Narkose Erbrechen und Übelkeit ein-
setzte, welches 30 Stunden anhielt, während sonst nie Erbrechen auftrat. Die
russischen Autoren Saweliew und Blank berichten von überaus häufig
beobachteter sehr starker Exzitation. Diese Exzitation ist wahrscheinlich dui'ch
den starken Alkoholgenuß, der bei der i'ussischen Bevölkerung Usus ist, be-
gründet. Alkoholisteu vertragen eben die Narkose mit Äthylchlorid wie jede
andere viel schlechter. Wie verschieden die Resultate sind, zeigen die An-
gaben von Brodtbeck, welcher die Narkose mit Suggestion verbindet und so
Hunderte von Narkosen ausgeführt hat, wobei er nur sehr wenig Chloräthyl, bis
— 464 —
0,!) g heniiiter, verabreicht für die ganze Xarkose, und dabei sehr gute Resultate
erzielt hat, daiieben hat er 307 reine Athj'lchloriduarkosen verwendet, ohne
Nachteile zu gewahren.
Lotheisen hat auf 17000 Narkosen 1 Todesfall berechnet, Mc.
Cardie giebt 350 Narkosen ohne Todesfall, Nove-Josserand hat auf
2000 Äthylchloridnarkosen nur einen üblen Zufall von Oyanose, der bald vorübei'-
giug, Hanimes hat 200 ohne Tod, Malherbe 170 Narkosen, Bossai-t 157,
Stockuni 200, Nanu 80, Gerota 100, Pircher 140, Ware 400 Narkosen mit
Äthylchlorid ohne Todesfälle und Nachteil ausgeführt. Pircher hat sogar
Narkosen von ^4 bis IV2 Stunden Länge mit einem Verbrauch bis höchstens
45 g Äthylchlorid angewendet und hat Kinder von 1^2 Jahren an bis Er-
wachsene zu 72 Jahren betäubt. Man ersieht also aus all diesen Angaben daß die
Moitalität sehr gering konstatiert werden kann. Man muß aber dabei auch be-
denken, daß die allermeisten Narkosen von sehr kurzer Dauer nur wareu, und
daß man aus so kurzen Narkosen nicht mit völliger Sicherheit auf die wii'kliche
Beschaffenheit der Einflüsse des Narkotikum auf den Organismus schließen darf.
Würde man z. B. den Äther nur zu solch kurzen Narkosen verwenden, würde
man also an Stelle der Äthylchloridnarkosen den Ätherraiisch setzen, so würde
man jedenfalls gar keine Todesfälle zu beklagen haben. Immerhin hat der
Äther bei langen Narkosen eine Mortalität von 1: 3000 — 5000. Man darf da-
her nicht so ohne weiteres die Chlorofoi-m- oder Äthernarkose mit dei' Äthyl-
chloridnarkose kurzer Dauer vergleichen. Will man die längere Narkose, die
pi'otrahierte Chloräthylnarkose mit der Chloroformnarkose hinsichtlich der
Moitalität vergleichen, so würde jedenfalls ein wesentlicher Unterschied nicht
zu erkennen sein, denn nach den pathologischen Befunden nach meinen Ver-
suchen gelangt man zu der Überzeugung, daß das Chloräthyl für die lange
Narkose kaum eine günstigere Statistik liefern würde. Hinsichtlich der kurzen
Betäubungen hat man im Äthylchlorid ein Mittel, das sehr wenig Gefahren
mit seiner Verwendung verbindet.
§ 19. Nunmehr muß die Technik der Narkose betrachtet werden. Man
kann zu der Chloräthylnarkose jede beliebige Maske nehmen und das Narkotikum
auf den Überzug tropfen; so verAvendet man die Schimmelbusch'sche und
Esmarch'sche Maske. Allein das Chloi-äthyl verdampft sehr schnell und es geht
dabei viel Gas in die umgebende Luft verloren, das der Kranke nicht inspiriert.
Deshalb hat man geschlossene Apparate konstruiert, über die weitei' unten ge-
spi-ochen werden soll. Eine Vorbereitung des Kranken ist bei den kurzen
Narkosen nicht nötig, nur bei langen Narkosen muß man dasselbe beachten,
was über Vorbereitung und Lagerung des Kranken im allgemeinen Teil erörtert
wurde. Man verwendet das Äthylchlorid am besten unter reichlichem Luftzutritt.
Die einfachste Methode ist die mittels einer Kompresse, auf welche man 2—4 g
Chloi-äthyl gießt und dem Kranken dicht vor Nase und Mimd hält (Mal herbe).
Mau kann im großen und ganzen zwei Arten der Narkose unterscheiden, die
eine, bei der man das Chloräthyl auf die offene Maske gießt oder in das Innere
einer Maske, wie bei der Esmarchschen Maske, dies ist die offene Methode,
während man weiter wegen der enorm leichten Verdampfbarkeit des Äthyl-
chloi'ids eine Anzahl Apparate koustruieit. hat, in die man das Chloi'äthyl gießt,
und welche durch ihre Bauart das Verdunsten außerhalb des Apparates oder in
die Umgebimg mehr oder weniger verhindern. Die Vei'wendung solcher
465
Ai)])arate eniiöy-liL'ht die geschlossene Methode. Natürlich kauu man diese Be-
zeichnungen nicht wörtlich nehmen, es gibt aber in dieser Hinsicht viel Kon-
zessionen, die man ohne weiteres machen muß, und Übergänge sowie Ver-
änderungen, daß man nur schwer eine exakte Trennung dieser beiden Gnippen
aufrecht erhalten kann. Bei der Behandhmg der Apparate ersieht man auch
die Methoden, weshalb ich nun sofort mit den Apparaten beginnnen und deren
verschiedene Arten schildern werde.
Nierikers elastische Maske besteht aus 10 Lagen i'echtwinkelig oder
quadi-atisch zugeschnittenen Flanells, die, an den Rändern vereinigt, zwischen
2. und 3. Lage einen nach der Nasenwurzel sich öffnenden Spalt bilden, in welchen
das Chloräthyl eingegossen wird. Die Maske ist durch ein winkeliges, auf den
Wangen und seinen Enden ruhendes Gestell versteift, und wird dui'ch eine, die
oberen Ränder einandernähernde Sicherheitsnadel zu einer sich der Nase an-
schmiegenden Hohlkehle formiert. Beim Gebrauch wird die zweifache Flanell-
lage dem Gesicht aufgelegt. Man läßt dabei aus einer besonders kalibrierten
Tube das Chloräthyl in den Lmenraum der Maske fließen. Mit einem
Gummiband fixiert man die Maske an der Stirn imd kann sie so leicht nach
oben zurückschlagen.
Heisted verwendet die Schimmelbuschsche Maske, welche er mit
Gummistoff überzieht oben ein Giimmirohr in denselben einpassend durch
welches das Chloräthyl eingegossen wird. Lotheisen gibt aber den Rat, die
geschlossenen Masken zu vermeiden, da sie zu leicht eine zu hohe Konzentration
der Dämpfe bewirken.
Luka empfiehlt den Cloverschen Apparat auch für die Äthylchlorid-
narkose.
Der meist verwendete Apparat ist der Breuer 'sehe
Korb. Derselbe besteht aus einem Metallhelm, welcher
mittels Gummirandes luftdicht auf dem Gesicht
aufliegt, und ein In- und Exspii'ationsventil besitzt.
Auf dem letzteren sitzt eine Hohlkugel, welche einen
schmalen Spalt aufweist, durch den man das Athyl-
chlorid eingießt, und durch welchen auch die Re-
spirationsluft eindringt. Beistehende Abbildung ver-
anschaulicht in Figur 13(5 die Konstruktion.
Eine andere Maske ist die üniversalmaske von
Schönemann, die von dem Chloroformapparat ab-
genommen ist, und in welche man das Drahtgestell
mit Gaze oder Mull umwickelt eingesetzt hat. Oben
hat die Maske eine Öffnung, durch welche die Luft
einstreicht und man das Chloräthyl eingießt, das pjo-. iSQ, Der Breuersche
dann auf das Drahtgestell imd dessen Mullkompresse Korb, ein Apparat zur Chlor-
fließt. Die Maske ist von Brodtbeck modifiziert äthylnarkose.
worden, indem derselbe die Öffnung durch eine Iris-
blende verschloß, durch welche man den Luftstrom regulieren kann. In Figur 137
ist die Maske mit der Irisbleu de abgebildet.
Ein größerer Apparat ist von Respinger und Ruegg konstruiert worden.
Derselbe besteht aus einer Maske, die luftdicht auf dem Gesicht aufsitzt und
ein Exspirationsventil hat neben dem sich fortsetzenden Inspirationsrohr, das durch
30
— 466 —
137. Maske von Brodtbeck, modi-
fizierte Schöuemannsche Maske.
dar.
ein längeres verschiebbares Teleskoprohr mit einem Reservoir verbunden ist.
An dem letzteren ist ein Schraubenhahn, welcher bestimmte Quanten Athyl-
chlorid je nach der Drehiing austreten läßt, die dann in dem Rohr weiter-
strömen und in die Maske gelangen. Weiter befindet sich zwischen Maske und
dem Hahn an dem Rohr ein In-
spirationsluftventil. Atmet der Kranke,
so inspiriert er durch das Ventil Luft,
die sich mit dem Athylchlorid aus
dem Reservoir mischt und von ihm
inspiriert wird. Der Hahn läßt pro
^[inute je nach der Stellung 1, 2, 3 g
Chloräthyl entströmen. Protrahierte
Narkosen kann man mit dem Apparat
nicht ausführen und für kurze ist er
reichlich komplizi rt.
Weiter hat man noch den Apparat
der Societe des Usines du Rhone
zur Ghloräthylnarkose empfohlen, wel-
cher sich aber nur wenig durch kleine
Modifikationen vom Breuers eben
Apparat imterscheidet. Während der
Breuersche Korb nur Mund und
Nase bedeckt, schließt diese Maske das
ganze Gesicht ein und stellt insofern
einen weniger vorteilhaften Apparat
Das Aethylchlorid wird ebenfalls durch eine Hohlkugel zugeführt, und die
Exspirationsluft entweicht diu-ch ein zweites Ventil.
Erdmann hat einen von Thiemann in New-York konstruierten Apparat auch
für die Aethylchloridnarkose verwendet, der aus Figur 138 in seiner Konstruktion
zu erkennen ist. Derselbe hat große Aehnlichkeit mit dem Apparat von Gl over
und ist auch nach ähnlichem Prinzip gebaut. Er hat den Vorteil ein Exspiratious-
ventil am Gesichtsteil des Appa-
rates zu besitzen imd erlaubt
genaue Regelung der Zufuhr von
Chloräthyl mit Luft in ver-
schiedenen Konzentrationen ge-
mengt. Man kann den Apparat
auch zur Aethernarkose verwen-
den.
Einen anderen Apparat hat
Ware angegeben, welcher nur
für Chloräthyl zu verwenden ist
und in Figur 139 abgebildet ist.
Dieser Apparat b steht aus einem
aus Hartgummi gefertigten Mund-
stück, das dem Gesicht glocken-
förmig aufliegt und fest auf das-
selbe paßt. Dieser Ha\iptteil des
Apparates ist in der Figur 139
mit A bezeichnet und endet in
ein Rohr, in das ein kleineres
Rohr B eingefügt werden kann.
Über das Rohr B fügt man
138. Apparat zur Athylnarkose von
Erdmann-Tiemann.
A Exspirationsventil. B Skala mit Hahn zum
Dosieren des Gasgemisches. C Ventil zum
Luftzutritt. Das Aethylchlorid wird in die
Kammer, an welcher der Hahn und die Skala
B angebracht sind, vorher gegossen.
467
mittels einer Drahthaube, wie sie in C dieser Abbildung angedeutet ist, etwas
M\ill und steckt das Rohr B mit dem Mull und der Drahthaube armiert in: A
ein. So ist der Apparat zur Narkose fertig
auf das Gesicht und läßt
in das offene Ende des
Rohres B das Äthyl
Chlorid eintropfen.
Zur Äthylchloridnar-
kose ist auch sehr viel
der Apparat von Allis,
der Ailis-Inhaler, ver-
wendet worden, welcher
ebenfalls zur Ätheruar-
kose Verwendung ge-
funden hat. Dieser AUis-
Inhaler ist in Figur 140
abgebildet, luid ist dessen
Konstruktion aus der Abbildung zu erkennen.
Man setzt ihn min dem Kranken
Fig. 139.
Apparat von Ware
narkose.
für die Äthylchlorid-
Man setzt ihn mit der offenen Seite
auf das Gesicht und hebt den Deckel D vom Apparat, um das Athylchlorid' hinein-
zutropfen oder zu gießen, dann schließt man den Deckel wieder. Das Äthylchlorid
fließt dann im Apparat in die Metallfranzen bei
A, welche den Apparat ausfüllen, und verteilt
sich in denselben dabei sehr leicht verdampfend.
Durch die seitliche Öffnung D, welche man je
nach Bedarf wechselnd schließen oder öffnen,
oder auch nur wenig öffnen kann, strömt atmo-
sphärische Luft in den Apparat. Dieser Apparat
ermöglicht eine ganz vorzügliche Narkose.
Seitz hat einen Apparat angegeben, den
er nur für die Chloräthylnarkose empfiehlt. Der-
selbe ist in Figur 141 abgebildet, von oben
gesehen. Man hat diese Maske später modi-
fiziert, um sie auch für Chloroform und Brom-
äthyl verwenden zu können. Der iipparat be-
steht aus einem Gummiüberzug mit Luftkissen
für das Gesicht, ein Exspirationsventil und einer
Oeffnung für das Eingießen des ChloräThyls.
Man sieht in der Figur 141 bei A den Deckel
der Eingußöffnung C, welcher aiif dieselbe ge-
dreht werden kann und Oeffnungen enthält,
durch welche die Luft eindringt. B ist das
Exspirationsventil und D das Rohr, mit welchem
das Luftkissen aufgeblasen werden kann. Im
Innern dieser im Bilde von außen gesehenen
Maske befindet sich ein Drahtgestell, welches
aus einem Rahmen mit drei Drahtbügeln besteht,
die ausgewechselt werden können. Der eine
Bügel paßt in das Gestell der Eingußöffnung
und bewirkt so eine Spanmmg des Gummi-
mantels, so daß eine Maskenform entsteht. Ein
anderer Bügel stützt das Exspirationsventil, die
beiden noch vorhandenen Bügel tragen den Rezipienten, welcher direkt unter der
Eingußöffnung gelegen ist, sowie eine Gummiplatte, welche zwischen dem Rezipienten,
30*
Fig. 140. .Der AlJis-Inhaler,
Apparat für Äthylchloridnarkose.
4G8 —
Fig. 141.
den man in der Figur bei C durchscheinen sieht, bedeckt mit einer Gazekompresse,
auf welche das Chloräthyl tropft, und dem Gesicht des Kranken angebracht ist und
verhindern soll, daß das Chloräthyl vom Rezipienten auf das Gesicht tropft, sowie
daß die Kältewirkung zu stark auf das
Gesicht einwirken kann. Wenn man also
den Apparat in Tätigkeit setzt, wobei
man ebensogut Chloroform wie Aethyl-
chlorid verwenden kann, nur Aether sulfur.
ist nicht für diese Maske geeignet, so
gießt oder tropft man das Chloräthyl
in die Oeffnung. Dasselbe fließt da auf
die Gaze des Rezipienten und verdunstet;
ev. kann es noch auf die darunter befind-
liche Platte fließen, woselbst es sich
verbreiten und schneller verdampfen kann.
Der Kranke atmet nun, nachdem man
i , A die Eingußöffmmg geschlossen hat, das
\-"" Gas mit mehr oder weniger Luft beige-
mengt, je nachdem, wie man die Platte
A stellt, ein, und die von ihm exspirierten
Gase verlassen die Maske durch das Ex-
spirationsventil B. Man vermag durch
diesen Apparat eine gutregulierbare Kon-
zentrierung der Gasluft-
gemenge zu erreichen.
Derselbe ist zusammen-
legbar und leicht zu
transportieren, was einen
großen Vorteil bedeutet.
Das Chloräthyl kann
also, wie man gesehen
hat, durch sehr verschiedene Apparate zur Narkose verwendet
werden, imd man könnte noch mehr Masken und Apparate
nennen, die filr diese Narkose bestimmt worden sind, aber
es ist dies zu weitgehend, da alle die genannten Apparate
solche darstellen, welche die besten sind, und alle anderen ent-
weder nur ]\Iodifikationen dieser darstellen oder zu komplizierte
und in der Praxis nicht verwendbare Apparate sind. Es erübrigt
noch, einige Blicke auf die Tuben und Gefäße zu werfen, in denen
man das Äthylchlorid aus der Fabrik erhält. Diese Gefäße
werden meist in Form- von Glastuben hergestellt, doch hat
man auch Metalltuben angefertigt. Dieselben haben alle eine
längere, zylinderförmige Gestalt, so daß man sie bequem in der
Hand halten kann. Die Gefäße enden in einem Hals, welcher
entweder zugeschmolzen ist, und für Entnahme des Äthyl
Chlorids abgebrochen werden muß, wobei das Äthylchlorid so-
fort entströmt, durch die Wärme der die Tube haltenden Hand
wird die Verdunstung noch bedeutend vermehrt. Beistehende
Figur 142 zeigt eine solche Tube. Meist hat man aber den
Verschluß dieser Tuben durch einen Metallansatz ermöglicht,
der abschraubbar hergestellt ist, und das Chloräthyl durch eine Yig. 142. Glas-
ganz kleine Öffnung in feinstem Strahl entströmen läßt. Die tube mit zuge-
Figur 143 zeigt eine Tube mit dem Schraubenverschluß. Um schmolzenem
nun aber ein bequemeres Öffnen und Schließen der Tuben zu
Maske von Seitz zur Äthyl-
chloriduarkose.
X>-' n
Hals.
— 4r,9
Chloraethyl „Henning"
Lokale ^naesthesie-NarKose
D-"". G. F. Henning Berlin.
Fig. 143. Tube mit Schraubeuverschluß.
erino glichen, so daß mau beinahe eiu tropfenweise^ Ausfließen, ein kleiner
Strahl strömt stets aus, erhalten kann, hat man verschiedene Verschlüsse der
Tuben herge.stellt, welche durch Hebelvorrichtungen und Federwirkung ein so-
fortiges Öffnen und Schließen der ,
Tuben gestatten. So hat mau den
automatischen Verschluß der Me-
tallflasche von Henning in Figur
144. Weiter hat Henning einen
Verschluß konstruiert , wodurch
man durch einen Biomentverschlnß
ein leichtes Öffnen und Schließen
erreichen kann. Dies zeigt Fig445.
Die Flasche in Figur 145 ist außer dem sehr leicht zu brauchenden Verschluß
noch durch die (Traduieruug in der Flasche wertvoll, wodurch man erfährt,
wieviel Chloräthyl man veibraucht hat. Von Thilo & Cie. ist ferner eine Glas-
flasche mit einfachem Verschluß
in den Handel gebracht, die in
Figur 146 abgebildet und für die
Narkose sehr brauchbar ist, man
braucht dieselbe nicht zu stürzen
und kann sie auf den Tisch stellen.
Die Funktion ist aus der Figur
zu ersehen. Ein anderer sehr ein-
facher Verschluß von Thilo ist
der in Figur 147 abgebildete, wel-
cher bequeme Verwendung des
Chloräthyls gestattet. Der Ver-
schluß der Tuben des Kelene der
Societe chimique des Usines in Lyon ist dem Verschluß, wie er in Figur 148
abgebildet ist, sehr ähnlich, fast gleich und kann hier übergangen werden.
Ein sehr brauchbarer Verschluß ist der in Figur 148
abgebildete, der auf jeden Schraubenverschluß auf-
geschraubt werden kann, und welcher an den Glas-
tuben der Firma Thilo & Cie. in Mainz augebracht
ist. Diese Fabrik bringt eines der besten Prä-
parate in den Handel. Der Verschluß wird durch
einen Hebel mit Feder bewirkt und ist leicht zu
handhaben. Den neuesten und einfachsten Ver-
schluß, welcher sehr viele Vorteile vor allen anderen,
namentlich dem Schraubenverschluß hat, ist der
von Thilo & Cie. ebenfalls verfertigte Federkappen-
verschluß Futura, welcher aus Figur 149 zu er-
sehen ist. Der Vorleil liegt darin, daß an der
Tube keinerlei Metallvorrichtung befestigt ist,
sondern daß der Verschluß durch die Spirale,
welche sich an den Glasknopf anschließt, nach
der Schraubenwirkung festgedrückt wird. Die
Vorzüge dieser Vorrichtung sind leicht ersicht-
Fig. 144. Ath^l^hloridfla><che aus Metall mit
automatischem Verschluß von Henning.
Fig. 145. Äthylchloridflasche
von Henning mit Skala und
automatischem Verschluß.
470
lieh, man kann beide Teile leicht reinigen, Undichtigkeit ist unmöglich, dem
Verstopftseiu kann leicht abgeholfen werden etc.
Ich habe hier die gebräuchlichsten Verschlüsse der Tuben angeführt,
weil es wichtig ist, dieselben zu kennen, denn man wird dieselben einesteils
sehr gut für die Narkose verwenden können, andererseits sind sie bei der
Verwendung des Äthylchlorids zur Erzeugung lokaler Kältewirkung in der
Anästhetologie wichtig. Es ist hier nicht der Ort, darauf näher einzugehen,
sondern es werden diese Verhältnisse später erörtert
werden, und ich werde im zweiten Band hierauf Be-
zug nehmen. Da man in der Praxis oft den Ver-
schluß der Flaschen nicht wählen kann, so muß man
auch bei der Narkose mit jedem umzugehen wissen.
VII. Kapitel.
Die Pentalnarkose.
§ 20. Neben dem Bromäthyl und Chloräthyl
hat man zur allgemeinen Narkose auch das Pental
verwendet, welches auch Amylen, B-Isoamylen, Trime-
thyläthylen genannt wird und die chemische Formel
C5 Hjo besitzt.
Das Pental wurde 1844 von Baiard entdeckt,
während Snow im Jahre 1856 zuerst die anästhe-
sierenden Eigenschaften des Mittels erkannte und ver-
wertete. Nach diesem günstigen Verwenden des
Pentals zur Narkose kurze^- Dauer bei Zahnextrak-
tionen berichteten bald auch andere über die Brauch-
barkeit des Pentals sowohl zu kurzen wie zu längere
Zeit dauernden Narkosen (Lohmeyer, Spiegel-
berg, Lallemand, Schech, Robert, Dittal,
Perrin, Duroy, Purdes etc.). Snow wendete das
Pental bei längeren und kürzeren Narkosen an Tieren
und Menschen in ca. 100 Fällen an, erlebte aber
2 Todesfälle, die ihn dann veranlaßten, das Mittel
wieder zu verlassen. Dann hat Holländer das
Pental genauer studiert und vielfach verwendet, bis
man in neuerer Zeit mehr und mehr von der Gefahr
dieser Narkose und den vielen Nachteilen, welche die
Vorteile bedeutend überwiegen, überzeugt, wieder von
der Verwendung zurückkam. (Sick, Kleindienst,
Culalb, Mercuse, Herz-Fränkl, Schirmer etc.)
\^ M — -f— —.^ y I^^s Pental ist eine farblose Flüssigkeit von sehr
^^-^ unangenehmem Geruch, leicht beweglich und äußerst
Fig. 146. Chloräthylflasche flüchtig, entzündet sich sehr leicht am Feuer und
von Thilo aus Glas, ste- ^j^^jg^^. -^ ^^^ Geruch etwas dem Benzin. Das spä-
hend verwendbar mit auto- .^ , ^ . , . ^ „„„ , r,- -. , ,• 1 •
matischem Verschluß zinsche Gewicht ist 0,679, der Siedepunkt liegt bei
37 — 38 oC. Das Pental ist in Wasser fast gar nicht
löslich, hingegen leicht in Äther, Alkohol und Chloroform. Beim Verdampfen
des Pentals entsteht Kälte, und so findet man in den Masken bei der Narkose
oft Eiskristalle gefroren. Ein Vorteil des Präparates liegt darin, daß es sich
fast gar nicht zersetzt, man kann es an der Luft und am Sonnenlicht stehen
lassen, ohne eine Zersetzung fürchten zu müssen.
- 471 —
§ 21. Die Wirkung: des Pentals auf den Organismus ist eine narkotische
gleich dem Chloroform, und es kann mit demselben eine kurzdauernde, aber
auch eine protrahierte Narkose erzeugt werden. Die Aufnahme in den Organismus
geschieht durch die Lungen, indem man dem Kranken die Dämpfe mit Luft
gemengt einatmen läßt. Infolge seiner geringen Löslichkeit in Wasser werden
nur sehr kleine Mengen von Pental im Blutserum gelöst, ein Teil wird durch
Fig. 147. Chloräthylflasche aus Metall mit automatischem Verschluß.
die roten Blutkörperchen aufgenommen, so wird es vom Blut in das Cerebrum
transportiert, wo es gleich Chloroform auf die nervösen Zentren wirkt. Die
narkotische Kraft des Pentals ist ziemlich groß, da die geringen Mengen, welche
im Blute gelöst sind, die Zentren lähmen und Narkose erzeugen können. Das
Pental ist während der Narkose nur durch den häßlichen Geruch lästig, sonst
hat es aber die guten Eigenschaften, daß es sehr schnell tiefe Narkose erzeugt,
denn es tritt die Narkose schon nach 50 — 90 Sekunden ein, und nach der Nar-
472 —
kose fehlen unaugeuehme Empfindungen, der Kranke fühlt sich ganz wohl. Dies
ist ein Vorzug, welcher durch die geringe Löslichkeit im Blute hervor-
gerufen wird.
Allerdings sollen bisweilen nur unvollständige Anästhesie und üble
Nachwirkungen auf innere Organe auftreten. Die Reflexe werden bei der kurzen
Narkose meist nicht vollkommen gelähmt, es ist die Willenstätigkeit und das
Bewußtsein oft noch erhalten, während Anästhesie bestellt, das Auge ist starr,
die Pupille ist erweitert, der' Cornealreflex schwindet nicht vollkommen. Bei
längerer Narkose werden auch die Reflexe
bis auf die bekannten wenigen, wie bei jeder
anderen Narkose, gelähmt. Die Narkose tritt
langsam ein ohne eine Exzitation zu zeigen,
wenn auch Personen, wie Alkoholisten etc.,
die den Narkotika sehr stark widerstehen,
stärkere Exzitation zeigen und oft überhaupt
nicht völlig betäubt werden können. Wenn
der Kranke erwacht, so dauert die Anästhesie
noch eine Zeitlang fort, man kann noch
operieren, während der Patient schon munter
ist, ohne daß er Schmerzen erleidet. Das Er-
wachen geht allmählich vor sich, nicht so
schnell und plötzlich wie bei Bromäthyl z. B.;
aber immerhin dauert die Zeit bis zum völ-
ligen Erwachen nicht lange.
Die Einwirkung des Pentals auf die
inneren Organe ist nur wenig studiert worden,
aber man hat doch sehr bald erkannt, daß das
Rühmen der Ungefährlichkeit des Pentals,
welches anfangs namentlich von vielen Seiten
eifrig besorgt wurde, doch gewisse Ein-
schränkungen erleiden müsse. Pourdes hat
bei seinen Versuchen an Kaninchen Intoxi-
kationssj'mptome und ein Stadium des frei-
willigen Widerstandes gefunden, ferner ein
Stadium der konvulsivischen Starrheit und
des Zitterns. Nach diesen Erscheinungen trat
Anästhesie auf, die 2 — 3 Minuten dauerte,
aber bei fortgesetztem Verabreichen des
Pentals zur längeren Narkose wie bei Chloro-
form führte. Man hat auch tonische und
klonische Muskelkrämpfe häufig auftreten
sehen, welche Störungen in der Respiration
hervorriefen, und es trat in manchen Fällen
sogar der Tod ein. Derselbe erfolgt durch
Atemstillstand, während das Herz noch
weiter fortschlägt, bis es, wenn nicht Hilfe
kommt, ebenfalls sistiert (Lalleiuand, Perrin, Duroy, Spiegelberg,
Lohmeyer etc.). Während der Inhalationen namentlich bei kurze Zeit dauernden
Narkosen tritt sehr oft erotische und fröhliche Stimmung auf, die Patienten
lachen und singen etc. (Snow, Egger, Petry etc.), während man Erbrechen
während und nach der Narkose nur sehr selten findet, ebenso fehlt jeder Kater
nach der Narkose (Snow, Rigand, Luton, Debout, Espagne, Robert etc.).
Viele Autoren nennen aber vor allem als große Nachteile den sehr unangenehmen
Geruch, der tagelang nach Narkosen die Kranken noch belästigt, und oft un-
Fig. 148. Automatischer .. Ver-
schluß der Glastuben für Athyl-
chlorid von Thilo & Co.
— -173
geiiüii-eude Auiisthesie. (Lohmeyer, Schuh, Dittel, Brauu, Berend,
V. Dinureicher. Spieg^elherg etc.)
Es ist das Pental zweifellos ein sehr gefährliches Mittel, welches die inneren
Organe sehr schwer schädigt und namentlich bei langen Narkosen den Patienten
in große Gefahren bringen kann. Man hat zwar angegeben, daß Herz- und
Atemtätigkeit nicht übel beeinflußt wurden (Holländer, Hägler etc.), doch
haben andere durch Experimente nachgewiesen, daß Herz und Blutzirkulation sehr
deprimiert werden (Calalle, Mercuse etc.).
Um ein klares Bild von der Wirkung des
Pentals zu erhalten, habe ich genaue Unter-
suchungen an Tieren angestellt iind ge-
funden, daß neben den guten Eigenschaften
dem Pental schwer toxische Wirkungen an-
haften. Bei der längeren Narkose wird
stets der Blutdruck bedeutend herabgesetzt,
die Blutdruckkurve sinkt ganz bedeutend unter die
Normalblutdruckhöhe. Es weiden aber noch andere
Einwirkungen ersichtlich, so daß man aus allem den
Eindruck erlangt, daß das Pental ein sehr toxisches
Narkotikum darstellt. Ich habe auch mit dem Pental
dieselben Untersuchungen, wie ich sie mit Chloro-
form etc. angestellt habe, vorgenommen und habe
eine günstige Ein\\irkung auf die inneren Organe
nicht gefunden. Ich brauche hier die Versuche nicht
näher zu schildern, da ich dies schon bei der Behand-
lung der anderen gebräuchlichen Narkotika getan
habe. Somit will ich nur die Resultate hier an-
führen. Es fand sich eine hochgradige zerstörende
Einwirkung des Pentals auf die lebenden Zellen.
Diese das Leben vernichtenden Einwirkungen be-
stehen in der Erzeugung von Fettmetamorphose,
ausgehend in Nekrose und Zerfall der Zellen. Man
fand diese Fettmetamorphose auch stark in den Blut-
gefäßwandungen des Cerebrum und in den Ganglien-
zellen. Natürlich sind diese Veränderungen so hoch-
gradig nur nach längeren Narkosen oder öfter wieder-
holten gefunden worden. In dem Herzen fand sich
ebenfalls eine ausgedehnte Fettmetamorpbose der
Herzmuskelfaser, die Querstreifung war untergegangen
und die Fettmetamorphose im Herzen trat nicht
zurück hinter der Chloroformwirkung. In den Lungen
fanden sich ganz besonders hochgradige Verände-
rungen, die einerseits in der Schädigung der Zellen
des respiratorischen Epithels, andererseits in einer
vermehrten Schleimabsonderung infolge Reizung der
Bronchialschleimhaut bestanden. Sehr stark war die Fettmetamorphose in
Leber und Nieren zu finden. Daselbst konnte man neben der reichlichen Fett-
ansammluug auch ausgedehnte Nekrose und Zerfall der Leberzellen, nament-
lich in der Peripherie der Acini, finden. In den Nieren war die Nekrose und
Fig. 149. Federkappen-
verschluß Futura von
Thilo & Co. lür Chlor-
äthyltuben.
— 474 —
der Zerfall der Epithelien besonders in den Tubuli contorti, nicht so stark in
den recti, während in den Zellen der Pja-amiden weniger Fettmetamorphose,
Zerfall und Nekrose anzutreffen waren, sowie in den Glomeruli selbst voll-
kommen fehlten. Die Glomeruli waren aber verkleinert, sie zeigten einen
großen leeren Raum zwischen Kapsel und Glomerulus, was als Folge eines
Exsudates anzusehen ist, daneben war in den Glomeruli wie in der ganzen
sonstigen Niere sehr starke Hyperämie vorhanden, und man fand im Nieren-
gewebe sowie unter der Kapsel oft Hämorrhagien. Auch in der Leber fand
sich starke Hyperämie und reichliche Hämorrhagien in das Gewebe und unter
die Kapsel. Diese Veränderungen an den inneren Organen sind beim Pental
sehr hochgradig, ja man kann sagen, sie fanden sich fast stäi'ker als nach
Chloroform, wenigstens waren sie den Bildern der Veränderungen nach ent-
sprechenden Chloroformnarkosen vollkommen gleich. Man kann aus diesen
Veränderungen entnehmen, daß Pental viel schwerer toxisch wirkt, als Chloroform,
denn bei der Pentalnarkose kommen infolge der schweren Löslichkeit des
Pentals im Wasser nur sehr geringe Mengen in das Blut, also muß die Wirkung
eine viel intensivere sein, wenn diese geringen Mengen schon genügende Nar-
kose und so starke Veränderungen wie Chloroform erzeugen. Es geht daraus
hervor, daß man das Pental vor allem nicht zur protrahierten Narkose verwenden
darf, denn je länger die Einwirkung dauert, um so größer ist die Gefahr, um
so schwerer wirkt das Pental auf die inneren Organe ein, um so größer ist die
Gefahr, daß schwere Störungen in den physiologischen Funktionen der Organe
entstehen, welche durch die Fettmetamorphose etc. hervorgerufen werden. Des-
halb ist Pental nicht zu langen Narkosen geeignet.
Ähnliche Beobachtungen sind auch von anderen Autoren gemacht worden,
so hat Natalie Kleindienst nach den Pentalnarkosen schädliche Einflüsse
auf die Nieren beobachtet. So fand sich nach 12 Narkosen achtmal Eiweiß im
Harn, und zwar bis zu 6*'/q, zweimal Blut. Auch von anderen Seiten ist über
unangenehme Eigenschaften des Pentals berichtet worden (Herz-Fränkl,
Mercuse, Schirmer etc.), und man hat auch eineReihe von Todesfällen beobachtet.
Snow hat zwei Todesfälle erlebt, Sick ebenfalls 2, Gurlt hat in seiner
Narkosenstatistik eine Sterblichkeit des Pentals von 1 : 213 berechnet, ein Ver-
hältnis, das recht schlecht erscheint gegenüber dem der anderen Narkotika, in
einer anderen Statistik hat er auf 600 Narkosen 3 Todesfälle, Snow auf
238 Pentalnarkosen 2, Stellard auf 149 Narkosen 1 Todesfall berechnet. Alle
diese Zahlen zeigen recht schlechte Verhältnisse an und man erkennt daraus
die große Gefahr, welche in der Pentalnarkose gelegen ist. Holländer erlebte
hingegen bei seinen vielen Narkosen keinen Todesfall. Immerhin stellt die
Pentalnarkose eine sehr gefährliche Methode dar, welche man nicht wählen soll,
da man weniger gefährliche Mittel zur Verfügung hat. Namentlich bieten lange
Narkosen große Gefahren, weshalb man nur zu kurzen Betäubungen Pental im
Notfall anwenden soll.
§ 22. Die Technik der Narkose ist einfach, mau verwendet eine
Esmarchsche Maske und tropft das Pental auf dieselbe. Holländer bediente
sich des Junkerschen Apparates, da das Pental sehr leicht verdunstet. Auch
andere Masken und Apparate sind brauchbar. Es genügen schon 8 — 10 ccm
des Mittels, um Narkose zu erzeugen. Natürlich muß eine vorsichtige Auswahl
der Patienten für diese Narkose stattfinden. Alle Herz- und Lungenleiden sind
— 475 —
Kontraiudikationeu für die Narkose. Mau soll dieselbe nur bei gauz gesuudeu
Menschen für ganz kurzdauernde Operationen verwenden und soll alle Vorsichts-
maßregeln b(!acliten, welche für jede Narkose beachtet werden müssen, sowie
Sorge tragen, neben dem Pental reichlich Luft dem Kranken zu verabfolgen.
Man muß natürlich darauf achten, nur ein reines, gut hergestelltes Präparat zu
verwenden, da die Verunreinigungen natürlich schwere Gefahren bringen können.
Cook gibt den Rat, längere Narkosen mit Pental nur in Rückenlage des Kranken
auszuführen, da die depressive Einwirkung des Peutals auf das Herz in dieser
Lage besser bekämpft wird.
VIII. Kapitel.
Die Chloralhydratnarkose.
§ 23. Das Chloralhydrat ist in der Medizin in verschiedener Hinsicht
zu therapeutischen Zwecken verwendet worden, wobei man immer die narkotische
Eigenschaft des Chloralhj^drats verwendete imd bei den Erfahrungen, die man
dabei machte hat sich herausgestellt, daß die Wirkung des Chloralhydrates sich
sehr gut in der Chirurgie zur Erzeugung allgemeiner Narkose verwenden läßt.
Das Chloralhydrat stellt ein Narkotikum dar, und hat in dieser Hinsicht manche
Ähnlichkeit mit dem Chloroform. Die chemische Zusammensetzung desselben
ist durch die Formel C.^ Hj CI3 0.^ ausgedrückt, es ist ein fester, kristallinischer
Körper, welcher in Wasser leicht löslich, ist, an der Luft verdunstet und einen
stechenden, scharfen Geruch hat, durch Luft, Licht und Wärme zersetz
wird. Man muß diese Eigenschaften kennen, denn man darf das Chloralhydrat
nicht in Form von Pulvern in den üblichen Papierbeuteln aufbewahren, sondern
man darf dasselbe nur in gut verschlossenen Glasgefäßen von braunem Glase
aufheben.
Das Chloralhydrat wurde 1832 von Liebig entdeckt, und von Dumas
und Städeler, sowie besonders von Liebreich hinsichtlich seiner nar-
kotischen Kraft empfohlen. Das Chloralhydrat wirkt sehr stai-k reizend in
reinem Zustande und hat einen überaus scharfen, imangeuehmen Geschmack.
Von Lambert wurde dasselbe in England vor allen Dingen zur Schmerz-
betäubung in der Geburt verwendet und empfohlen. Es soll für Mutter und Kind
vollkommen ungefährlich sein und die Kontraktionen des Uterus nicht schädigen
(Pelissier, Bourdon etc.). Saint Germain empfahl dasselbe 1869 gegen
Eklampsie. Wenn man auch hier und da das Chloralhydrat verwendete, allge-
meine Anwendung fand es nicht in der Chirurgie, erst 1872 wandte Ore zuerst
das Chloralhydrat intravenös an, indem er eine Lösung von Chloralhydrat als
Antidot gegen Strychninvergiftung empfahl, und 1874 erzeugte er auf diese
Weise eine längere Narkose für größere chirurgische Operationen (Krebsoperationen,
Ovariotomien, Knochenoperationen etc). Er injizierte 4 — 10 ccni einer 0,25 °/oigen
Lösung des Chloralhydrats in die Armveneu. Er empfiehlt die Lösung mit
einigen Tropfen einer Lösung von Natron carbonicum zu neutralisieren, lang-
sam in die Vene zu injizieren. Er erhielt bei dem ersten Versuch eine tiefe
Narkose von 3 Stunden Dauer, welcher ein mehrstündiger tiefer Schlaf folgte.
Die Gefahr liegt hierbei in Gerinnselbildung und Embolien. Die Injektion mixß
sehr langsam vor sich gehen. Allein man erlebte auch Todesfälle an Synkope.
Vulpian fand bei Hunden nach den intravenösen Injektionen Hämaturie,
Colin Synkope, Tillaux uud Cruveilhier sahen Gerinnselbildung und Embolien.
Glückliche Narkosen ohne Exzitation und ohne Nachteile bei vollkommener
Anästhesie werden von Deneffe und Wetter berichtet. Lanelougue aber sah
nach einer solchen Narkose 48stündige Anurie und Gerinnsel in der Vene, in einem
— 47fi —
anderen Falle heftige Exzitation und Auf regnug- vor Eintritt der Toleranz, nach dem
Erwachen Thronibeubildung und starke Exzitation, ferner einen Todesfall an
Sj'ukope, nachdem er 6 g Chloralhydrat injiziert hatte. Es war dieser Todesfall
auf 65 Narkosen berechnet, also ein Verhältnis von 1 : 65, das sehr schlecht ist.
Man erklärte die bei der venösen Injektion auftretenden Synkopefälle als
durch die direkte Berührung des Chlorais mit dem Endokard. Daraufhin wurde
von Eichet empfohlen, das Chloral intraperitoneal zii injizieren. Er verwendete
dies bei Tieren und injizierte 0,5 g Chloral pro kg des Tieres. Bei dieser
Methode ei-reichte er vollkommene Anästhesie, ohne je Gefahren und unangenehme
Nebenwirkungen zu finden.
Die Narkose mit Chloralhydrat ist keine eigentliche Inhalationsnarkose,
wie die Chloroformnarkose es ist, sondern man muß, um eine Betäubung über-
haupt erreichen zu können, das Choralhydrat auf andere Ai't, als die übliche,
in die Blutbahn bringen, da das Chloral nur so schwer verdampft, daß man die
Dämpfe normaliter nicht verwerten kann. Man wird aber noch weiter unten
ersehen, daß bei der Chloralnarkose gewisse Ähnlichkeiten mit den Inhalations-
narkoseu bestehen. Man hat neben den obengenannten Methoden, das Chloral
auch per rectum dem Organismus einverleibt.
§ 24. Man erreicht durch die Chloralwirkung eine vollkommene Narkose, in der
man alle 4 Stadien findet, wobei das 2. Stadium meist nur gering ist, während
die Zeit bis zum Eintritt der Toleranz ziemlich lang ist. Das Chloral lähmt
die Keflexe, es erlöscht aber die Sensibilität der Cornea eher als die der Haut
des Organismus, ein Umstand, der gerade entgegen den Verhältnissen bei der
allgemeinen Narkose sich zeigt. Die Temperatur des Kranken wird während
der Narkose stark vermindert, sie wird sogar bisweilen stärker herabgesetzt,
als in der Chloroform- oder Athernarkose.
Das Chloralhydrat wirkt auf das Herz sehi' nachteilig ein, man hat
plötzliche Todesfälle als Synkope in der Narkose beobachtet und hat gefunden,
daß das Choral stark depressiv auf das Herz wirkt, der Blutdruck wird in der
Narkose sehr stark herabgesetzt und fällt tief unter die Normaldruckhöhe, wo-
bei man deutlich ziemlich hohe Remissionen beobachten kann, so daß die Blut-
dnickkurve große Ähnlichkeit mit der des Chloroform zeigt. Ich habe darüber
einige Versuche angestellt und fand die Verhältnisse genau so. Aus der Kurve
in Eigur 150 ersieht man die Ähnlichkeit der Einwirkung des Chlorais mit der
des Chloroforms. Die Kurve ist während einer 2 Stunden dauernden Chloral-
hydratnarkose aufgenommen worden, man sieht an ihr vor allem das starke
Sinken des Blutdruckes und die starken Remissionen.
Dieser Einfluß auf den Blutdruck macht sich auch in der Pulsbeschaffen-
heit bemerkbar, derselbe wird klein, schwach und langsam, bisweilen irregulär.
Neben dieser Beeinflussung des Blutdruckes wird auch die Atmung stark ver-
flacht, unregelmäßig, der Kranke atmet nur sehr oberflächlich.
Die Narkose mit Chloralhydrat entsteht genau wie die Chloroform-
narkose, mit der sie große Ähnlichkeiten aufweist, indem das Chloral vom Blut
nach dem Cerebrum transportiert wird und dort Veränderungen in den Chole-
stearin-Lezithingemischen der Ganglienzellen erzeugt, wodurch die Narkose
entsteht. Es ist der Mechanismus der Chloralnarkose so zu denken, daß das
in das Blut aufgenommene Chloralhydrat in andere chemische Verbindungen
umgesetzt wird, wobei aus dem Chloral Chloroform entsteht. Man hat dem-
nach bei dieser Narkose nicht eigentlich eine Chloral- als eine Chloroform-
— 477 —
narkose. Es ist nach ineiueu UntersiKhuugeu «j-aiiz sicher, daß aus dem Chloral-
hj'drat im Orgaiiismns Chloroform entsteht, und daß die Wirkung des Chlorals
nur auf den im Blut entstandenen Chloroforniniengen beruht. Ich habe diese
Ansicht aus den nachher zu erläuternden Befunden erhalten. Auf diese Art
kann man sich manche Erscheinungen in der Chloralnarkose erklären. Es
kommen also in die cerebralen Zentren Chloroformmengen, welche daselbst
wirken und von dort wieder weitergeführt werden, um in den Lungen, Nieren
und Drüsen wieder eliminiert zu werden. Es erklärt sich hieraus der Umstand,
daß die Chloralnarkose nur sehr langsam auftritt, und daß es am besten wirkt,
wenn man es direkt ins Blut odei- die Bauchhöhle bringt, während durch
Applikation durch den Magen odei' Darm Narkose nicht erreicht werden kann.
De geschieht deshalb, weil vcm Magen und Daim aus nur wenig Chloral ins
gelangt, also zu wenig, um genügend Chloroform zu bilden, welches
Fla". 1'"'0 Blutdruckkurve während der Chloralhj^dratuarkose.
bei dem fortwährenden Eliminieren von Chloroform durch die Lungen etc. ge-
nügt, um Narkose zu erhalten. Man müßte zu diesem Zweck zu große Mengen
von Chloral in den Magen bringen, welche daselbst Schaden anrichten würden,
wollte man Narkose erreichen. Somit ist es nur möglich, das Chloral intravenös
oder peritoneal zu injizieren. Wenn man die Exspirationsluft der Tiere genau
sammelt und untersucht, kann man die darin enthaltenen geringen Mengen von
Chloroform nachweisen. Die Umsetzung des Chlorals im Blute geht uicht schnell
vor sich, sondern braucht längere Zeit, weshalb auch die Narkose langsam beginnt
und lange Zeit anhält. Man hat diese Theorie verworfen, Aveil es nicht geglückt war,
in der Eespirationsluft Chloroform nachzuweisen. Dem entgegen ist es mir ge-
lungen, Chloroform einwandfrei zu finden, allerdings sind die Mengen Chloro-
form in der Respirationsluft so gering, daß man nur schwer nachweisbare
Spuren findet. Man kann sich aber auch vorstellen, daß diese exspirierten
Chloroformmengen nur sehr gering sind, denn zur Narkose auf diese Art sind
im Blute nur so geringe Mengen von Chloroform erforderlich, daß man den
geringen Teil, der durch die Lungen exspiriert wird, nur selten und schwer
nachAveisen kann.
— 478 —
Meine Versuche haben erwiesen, daß Chloral genau wie Chloroform
wirkt, und daß man die Befunde nach Chloralnarkosen g-enau mit denen
nach Chloroform identifizieren kann. Die Veränderungen im Gehirn waren
nach Chloralnarkosen sehr deutlich zu finden, ich konnte sowohl in den
Wandungen der Blutgefäße, Kapillaren wie größeren Gefäßen, reichlich Fett-
metamorphose stellenweise finden, als auch in den Ganglienzellen deutliche Fett-
tropfen nachweisen, die auf die Chloralwirkung deuteten. Es waren diese Befunde
so hochgradig nach Chloralnarkosen gleicher Dauer, wie die nach Chloroform-
narkosen, so daß eine Ähnlichkeit der Wirkung nicht zu verkennen war. Das
Fett in den Wandungen der Blutgefäße war in Haufen vorhanden, fand sich
stellenweise in den Gefäßwandungen und verdickte daselbst die letztere, so daß
eine Verwölbung der Wandung entstand. Die Gefäßwand war an diesen Stellen
dadurch verändert, daß diese Zellen, in denen die Fettmetamorphose vor sich
gegangen war, zugrunde gingen und somit eine Verdünnung der Wand be-
vdrkten, welche zu Aneuiysmabildung, ev. zu Eiipturen und Hämorrhagien Anlaß
geben konnte. Diese Fettmetamorphose ist auch in den Zellen der Kapillaren
zu finden, bei größeren Gefäßen in den Zellen der Intima und Media. Auf den
Querschnitten sieht man das Fett einen Teil der Gefäßwand, ^4 tiis Vs des
Kreises, einnehmen, auf Längschnitten sieht man Haufen schwarzen Fettes in
der Wand stellenweis liegen.
In dem Herzen fanden sich ebenfalls schwere Veränderungen an den
Herzmuskelfasern. Man fand nach langen und häufigen Narkosen die Quer-
streifimg verwaschen oder ganz aufgehoben, undeutlich, daneben in den einzelnen
Fasern feine Fetttropfen, welche hier in feinstem Korn gleichmäßig über die
ganze Muskelfaser verteilt war, dort in Haufen von Tropfen feinen bis mittel-
feinen Kornes in länglichen Haufen bipolar der Kerne der Muskelfasern ange-
ordnet. Diese letztere tj'pische Anordnung des Fettes war in fast allen Muskel-
fasern mehr oder wenigeV deutlich zu finden, man sah aber auch daneben Fasern,
welche ganz und gar mit feinen Fetttropfen durchsetzt waren. Es war im
Herzen sehr starke Fettmetamorphose der Muskelfasern zu finden, welche in
Ausdehnung und Charakter ganz der nach Chloroformnarkosen entsprach.
Sehr starke Veränderungen fanden sich in der Leber und den Nieren.
Die Fettmetamorphose der Leber war äußerst hochgradig, es war eine so aus-
gedehnte, intensive Veränderung der Leberzellen zu finden, daß man erstaunt
ist, wenn man diese Befunde mit denen nach Chloroform vergleicht, über die
Ähnlichkeit. Die Leberveränderung zeigt das bekannte Bild, sehr viel Fett
in feineu Tropfen bis zu großen in und neben den Leberzellen. In der Peripherie
der Acini ist sehr ausgedehnte Nekrose und Zerfall der Leberzellen zu sehen,
Bilder, wie sie nach langen und häufigen Chloroformnarkosen auch gefunden
wurden. Im Zentrum der Acini sind die Leberzellen meist noch besser erhalten,
zeigen aber viel Fett. Schon nach einei- P/'a— 2 Stunden langen Chloralhydrat-
narkose war in der Leber viel Fett zu finden, das natürlich durch eine
folgende Narkose bedeutend vermehrt wird. In den Nieren war ebenfalls das
Bild der Chloroformwirkung deutlich, denn es fand sich nach mehreren Narkosen
in den Zellen der Tubuli contorti reichlich Fettmetamorphose und Nekrose mit
Zerfall der Epithelien. In den Tubuli recti findet sich nur starke Fettmeta-
morphose, während hier die Nekrose noch wenig oder doch gar nicht vor-
handen ist. In den Glomeruli ist kein Fett oder nur sehr wenig, hier und da
ein Tropfen, zu finden. Dagegen ist um den Glomerulus ein großer freier
Hof, welcher das Resultat eines Exsudates in dem Raum zwischen Glomerulus
und Kapsel darstellt. In den anderen Bezirken der Nieren findet sich nur
wenig Nekrose der Epithelien, während Fettmetamorphose auch dort zu finden
ist. Weiter habe ich in den Nieren wie in der Leber starke Hyperämie und
reichlich Hämon-hagien in das Leber- und Nierengewebe, sowie unter die
— 479 —
Kapsel gefuudcu. ^fan Jiudet die Fettmetamorphose natürlich nach einer langen
Narkose weniger stark, als nach 2, 8 oder mehreren Narkosen in Zwischeii-
räninen von 12 — 24 Stunden ausgeführt, so daß die Veränderungen von der
einen Narkose noch nicht abgeheilt waren, als schon die zweite Narkose
folgte etc. Die Vergleiche der Bilder mit denen nach Chloroformnarkosen
haben ergeben, daß eine auffallende Ähnlichkeit besteht.
Die Untersuchung des Magens dieser mit Chloralhydrat narkotisierten
Tiere ergab die sehr reichliche Anwesenheit von Fett in den Zellen der Magen-
drüsen sowie der Schleimhaut. Es faud sich das Fett, welches man normaliter
ja in diesen Zellen landet, bedeutend vermehrt, so daß man annehmen mußte, dieses
Fett sei von dem Chloral erzeugt. Es ist kein Zweifel, daß diese Annahme richtig
ist, und den Vorgängen entspricht, und man kann daraus schließen, daß das Chloral
im Magen Chloroform absondert, welches diese Veränderung der Magendrüseu-
epithelien erzeugt. Weiter ist auch ein Zeichen für die Richtigkeit dieser Be-
hauptung das in und nach der Chloralnarkose auftretende Erbrechen, Es werden
durch die Magendrüsen Chloroformmengen in den Magensaft abgesondert und
dieselben erregen daselbst Erbrechen und Übelkeit. Diese Mengen von Chloro-
form sind gering, aber immerhin genügend, um einerseits Fettmetamorphose in
den Zellen, andererseits eine Reizung der Nervenendigungen in der Magen-
schleimhaiit, welche das Erbrechen etc. erzeugt, hervorzurafen. Diese Befunde
am Magen und den Magendrüsen zeigen wiederum eine deutliche Ähnlichkeit
mit den Veränderungen im Magen nach und bei der Chloroformnarkose.
Viel intensiver ist die Einwirkimg des Choralhydrats auf die Lunge und
den Atmungstraktus. Im Anschluß an die Befunde im Magen ist es der Ort,
auch die Verhältnisse im Mund und Rachen zu erörtern. Da dieselben aber
sehr viel Bedeutung für die Lungentätigkeit besitzen, so erwähne ich diese
Einflüsse des Chlorals hier. Es sind die Einflüsse des Chlorals hier vor allem
in der Anregung der Speichelsekretion zu finden. Man bemerkt die eigentlich
nicht erwartete Tatsache, daß die Speicheldrüsen im Munde zu vermehrter
Speichel- und Schleimproduktion angeregt werden. Man kann dies leicht beob-
obachten, wenn man ein Tier mit Chloral narkotisiert und wähi^end der Narkose
so lagert, daß der Speichel aus dem Maule herausfließt, also mit schräg herab-
hängendem oder tiefer als die Brust liegendem Kopfe. Nachdem die Narkose
einige Zeit gedauert hat, bemerkt man eine große Menge von Speichel aus dem
Maule herausfließen, dieser Speichel ist entschieden sehr stark vermehrt.
Was nun die Lunge selbst anlangt, so habe ich bei meinen Versuchen
Sorge getragen, daß dieser Speichel und Schleim nicht in den Kehlkopf und
in die Bronchien fließen konnte, und es fand sich doch bei allen Narkosen eine
sehr starke Schleimvermehrung in der Lunge selbst, und zwar war in der Limge
eine große Menge von Schleim vorhanden, welcher die Alveolen stellenweis
total, stellenweis zum Teil anfüllte. Dieser Schleim ist in sehr großen Mengen
zu finden, sogar mehr als ich ihn stets nach Chloroform gefunden habe und
rührt her von den Schleimhäuten der Bronchien. Es ist also dieser Umstand,
daß man bei der Narkose, bei welcher das Nai'kotikum nicht als Gas durch die
Lungen dem Blute zugeführt wird, doch in der Lunge selbst vermehrte Ab-
sonderung der Schleimhäute findet, ein Zeichen und Beweis, daß in der Lunge
Chloroform abgesondert wird. Dies geht noch besonders daraus hervor, daß
man in den Zellen des respiratorischen Epithels starke Fettmetamorphose findet.
— 480 —
Es zeigen sich in den Zellen der Alveolenwand reichlich Fetttropfen von feinem
bis großem Korn, sie sind in Hänfen vorhanden, indem sie die Zellen ganz aus-
füllen und in den Präparaten schwarz färben. Auch in deu Epithelzellen der
Schleimhaut der Broncheoli finden sich Fetttropfen in großen Mengen, ebenso in
denen der großen Bronchien. Mau ersieht hieraus, daß in der Chloralnarkose ein
Reiz auf die Schleimhäute der Bronchien vom Kehlkopf bis zu den Alveolen aus-
geübt wird, welcher einerseits die Zellen zu vermehrter Tätigkeit, Sekretion, an-
regt, andererseits noch weiter auf das lebende Protoplasma der Zellen einwirkt
und somit einen zerstörenden Einfluß ausübt, vermöge dessen die Zellen vernichtet
werden, was mit der Erreg^^ng einer Fettiuetamorphose beginnt. Diese Fett-
metamorphose wird zunächst nur in wenigen Zellen, welche eine geringere
Widerstandskraft besitzen, begin.\]en und nach und nach immer mehr Zellen
befallen, wodurch die Schleimhaut weniger widerstandsfähig gegen Bakterien
wird, so daß Pneumonien entstehen, ja begünstigt werden können. Der Reiz
beginnt mit der stärkeren Sekretion und endet mit der Fettmetamorphose.
Diese Befunde an den Lungen entsprechen vollkommen denen nach Chloroform,
es findet sich sogar noch eine stärkere Schleiinproduktion, als man sie bei
Chloroform zu sehen gewohnt ist. Daher ist anzunehmen, daß das Chloral im
Blute in Chloroform umgesetzt wird, und letzteres durch die Lungen zum Teil
eliminiert wird. Wenn man nämlich eine Narkose durch einen chemischen
Körper erzeugt, welcher weder durch die Lungen in das Blut aufgenommen,
noch durch die Lungen wieder aus dem Organismus eliminiert wird, so kann
man annehmen, daß die Lunge während dieser Narkose keine wesentlichen
schädlichen Einwirkungen dieses Narkotikums zeigen wiid, denn das Narkotikum
kommt ja dabei gar nicht direkt in die Epithelzellen des respiratorischen
Epithels. Es muß dabei also die Lunge gesund bleiben. Findet man aber in
den Zellen der Limgen die Veränderungen, welche das Narkotium in den
Zellen der anderen inneren Organe ebenfalls erzeugt, so erkennt man daraus,
daß das Narkotikum in den Lungen abgesondert wird. Da nun nicht anzunehmen
ist, daß Chloralhydrat selbst durch die Lungen eliminiert wird, so ist anzu-
nehmen, daß während der Chloralnaikose Chloroform durch die Lungen
eliminiert wird. Es ist der Prozeß folgender: Das Blut erthält aus dem zer-
setzten Chloral so viel Chloroform, als zur Narkose notwendig ist und bringt
dieses Chloroform auch in die Lungen, woselbst es aus dem Blut in die
Epithelzellen des respiratorischen Epithels übergeht, um von diesen Zellen
wieder der Luft weitergegeben zu werden. So passieren die Choroformmengen
die Epithelzellen der Lungen und üben dabei ihre Einflüsse auf die Zellen aus.
Es ist dies ein sehr gewichtiger Befund, welcher für die Umsetzung des Chlorals
in Chloroform im Organismus spricht. Diese Befunde in den Lungen sind teilweise
gleich denen bei Chloroformnarkosen, teilweise übertreffen sie dieselben noch,
z. B. die Schleimvermehrung und die in den Alveolen angesammelten Schleim-
massen sind stärker vorhanden wie bei Chloroform. Ich habe daher in allen
Lungen der mit Chloral narkotisierten Tiere beginnende Pneumonien gefunden,
welche nur durch die starke Schleimsekretion hervorgerufen worden waren.
Daneben bemerkt man in den Lungen Hyperämie und Hämorrhagien, die
subpleural aber auch im Lungengewebe zu finden sind. Alle diese Lungenver-
änderungen haben ein Bild, das nach einer gleichlangen oder nach gleich-
häufigen Chloroformnarkosen in demselben Maße gefunden wird, es sind diese
— 481 —
Verän(lcrnn<>eii in ihrer Art eben s'leifh. Die Expeiimcnte au Himdini imd Meer-
schweincbeu, welche ich zur Entscbeiduny diesci' Frage vorgenoiuuieu habe,
habeu stets dasselbe Bild der Verimdei'uuiieu g-egeben. Wenn luau nuu aus all
diesen Befuudeu das Fazit zieht, so findet mau eine deutliclie Übereinstimmung'
der Veräudcrungeu bei beiden Nai'kotika, und mau kanu noch gestützt auf den
gelungene}! Nachweis von kbMuen Chloi'ofoi-mmengen in dei' Exspii-ationsluft
der chloi'alisierten Tiere behaupten, daß man es mit eiuei' Chloroformnarkose
während der (_!hloi'alhydi'atuarkose zu tun hat, daß das Ghloralhydrat sich im
tierischen resp. menschlichen Blut in Chloroform umsetzt, welches die narkotische
Wirkung des Chlorals ei'zeugt. Was also die Verwendung des Chloralhydrats
in der Chirai'gie anlangt, so kann man sagen, daß dieselbe mit großer Voi'sicht
nur zu geschehen hat, und daß das Chloi-alhydrat sehr große Gefahi-en für den
Organismus, besoiiders für Herz und Lungen, mit sich bringt. Es hat das
Chloralhydrat also als Narkotikum nur eine geringei'e Bedeutung, vor allen
Dingen zum Zwecke längerer Betäubimgen ist dasselbe unbi-auchbar, da man
wegen der Vei'abi'eichuug in die Blutbahn direkt odei- in die Bauchhöhle keine
Möglichkeit hat, die Zufuhr zu vermindern und je nach den obwaltenden Ver-
hältnissen zu verändern. Wenn man auch von manchen Seiten, namentlich von
Physiologen, die die Chloralnarkose an Tieren anwenden, günstige Belichte liest
(Arloing, Daske, Morat etc.), so ist doch vor einer Verwendung des Chlorals
als Narkotikum in der Chirurgie zu warnen. Trotzdem wird natürlicli, das
Chloralhydi'at in der inneren Medizin weiter seine Verwendung linden und ein
vortrettliches Mittel darstellen, doch auch dem inneren Mediziner wird es von
Wert sein, diese Beziehungen des Chloralhydrats zu kenneu. Man hat das
Chloralhydrat mit anderen Narkotika kombiniei't zu Nai'kosen verwandt, wor-
übei' hier nicht weitei- gespi'ochen werden kanu, da dies später ei'örtert wird,
doch das kann man schon bemerken, daß bis jetzt auf diese Art keine bessere
Narkose erzeugt wird, als man sie mit Chloroform oder Äther allein erreicht.
IX. Kapitel.
Die Alkoholnarkose.
§ 25. Auch dei' Alkohol ist zur allgemeinen Nai'kose verwendet woi'den.
Wenn mau auch diesen Gedanken als naheliegend bezeichnen muß, so kann man
doch nicht sagen, daß die Alkoholnarkose eine besonders brauchbai'e Nai'kose
darstellt. Jedermann weiß, daß die Trunkenheit eine Narkose darstellt, man
weiß auch, daß der Mensch im Alkoholrausch gefühllos wird, daß er schließlich
in einen Zustand totaler Lähmung verfällt. Es ist an jedem Menschen, der
betrunken ist oder an den Personen, die im Begriffe stehen, dem Rausche zu
verfallen, zu beobachten, wie dieselben alle vier Stadien der Narkose durchlaufen.
Der Student, der oft einmal zu tief in Bacchus erlösenden Becher geblickt
hat, kennt diese Zustände nur zu gut. Man sieht z. B. bei einem Zechgelage im
Anfang desselben das erste Stadium der Narkose, wo mit der längereu Dauer
immer lustigere aufgeregte Stimmung entsteht, die nach gewisser Zeit in heftige
Aufregung, das zweite Stadium, die Exzitation, übergeht, in welcher der be-
treffende Mensch lacht, singt, weint oder zankt und streitet, je nach Charakter-
stimmung und Umgebung. Danach folgt das Stadium der Toleranz, in welches
31
— 482 —
nur selten ein Mensch verfällt, weil er frühei' zu trinken aufhört, aber bisweilen
findet man doch auch Menschen, welche in voller Narkose vom Stuhl fallen und
nach Hause transportiert werden müssen. Danach folgt das vierte Stadium,
das des Erwachens mit dem Kater. Der Mensch benutzt also hier ein
Narkotikum, um sich in das Stadium der Exzitatiou zu versetzen und somit die
Zeit angenehm zu vertreiben. Man muß sagen, obwohl man selbst als ehe.
maliger flotter Bruder Studio der mit Cerevis und Schläger des Lebens schönste
Stunden im trauten Kreise der lustigen Gesellen verlebte, nur zu oft des
Alkohols belebende und auch narkotische Wii'kuug erprobte, daß diese Sitte des
Deutschen doch eine recht wenig ästhetische ist, und doch möchte man dieselbe
in gewissen Grenzen nicht missen. Nach solchen Beobachtungen hat man dann
den Alkohol auch der Chirurgie mit seiner narkotischen Kraft dienstbar machen
wollen mid hat auch vielfach Narkosen erzeugt. Der Alkohol ist ein flüssiger
Körper, der nicht so leicht wie andere Narkotika verdampft und deshalb auch
nicht so leicht als Inhalationsanästhetikuni verwendet werden kann. Die all-
gemeinen Eigenschaften des Alkohols zu erörtern kann ich mir sparen, denn
jeder Arzt kennt denselben genau, und die Narkose wird kaum zur häufigen Ver-
wendung kommen, weshalb nur die historischen Tatsachen und wissenswerten
Verhältnisse hiei' niedergelegt werden sollen.
Die Anregimg, den Alkohol zur Narkose zu verwenden, ist von Mathäi
ausgegangen, welcher den Rat gab, nachdem er an Kaninchen festgestellt hatte,
daß mit Alkohol eine Nai'kose zu erzeugen möglich sei, auch an Menschen
vor allem bei Potatoren, die Narkose durch Alkohol zu erzeugen, da ja bei
dem chronischen Säufer der Alkohol das weniger gefährliche Na)-kotikum dar-
stellen wird, als Chlorofoi-m. Mathäi hat an Kaninchen innerhalb 2 Minuten
tiefe Narkose ei'zeugen können, und es ist gelungen, dabei gi'ößere Eingriffe
schmerzlos auszuführen. Der Alkohol bewirkt nach meinen Experimenten an
Tieren eine vollkommen tiefe Narkose mit Lähmung aller Reflexe, wobei ie-
selben in der üblichen Reihenfolge nach und nach gelähmt werden Auch die
inneren Organe werden vom Alkohol geschädigt und verändert, man findet nach
sehr langen Alkoholnai'kosen im Herzmuskel Fett in feinen Tropfen, die Quer-
streifung dei' Muskelfasern ist verschwunden, die Fettmengen sind mäßig.
Weiter findet sich sehr viel Fett in der Lebei- und den Nieren, in denen die
Zellen stellenweis in Nekrose verfallen und zugrunde gehen. Tj'pisch ist dies
stets in erhöhtem Maße in der Peiipheiie der Leberacini zu sehen, woselbst auch
das Fett zuerst und am stäi'ksteu auftritt, in den Nieren in den Tubuli contoi-ti.
Man findet in den Lungen bei Alkoholnai'kosen stets starke Schleimvermehrung
und beginnende Pneumonien, daneben in den Zellen des respii'atorischen Epithels
Fett in mäßigen Mengen. Im Cerebrum tritt Fett in Haufen auf und in einzelnen
Tropfen in den Zellen der Wandung der Kapillaren und größeren Gefäße. Bei
den größeren Gefäßen werden die Zellen der Intima und Media ergriffen.
Diese Befunde sind nach laugen Narkosen schon im Beginn zw finden, sie sind
hochgradig nach 2 — 3 Narkosen. Diese Wirkung steht der Chloroformwirkung
allerdings bedeutend nach, ist aber von derselben Art. Man ersieht daraus, daß
der Alkohol von dem Blute in das Cerebrum transportiert wird und dort mit
den Ganglienzellen eine Verbindung eingeht, ganz so, wie es auch Chloroform
tut. Der Alkohol wird dann durch die Lungen zum Teil, ferner diirch die
Nieren und den Schweiß ausgeschieden.
— 48:{ —
Tn den Narkosen tritt Erln'ccheii Iciclit anf, fei'ncr folo-t nach denselben
starkes Übelsein, Erbrechen, Kopfsehmei'z etc.
§ 26. Die Technik ist von Mathäi so angegeben, daß man den Alkohol
in einem zu diesem Zwecke modifizierten Junkei'schen oder Kappelerscben
Apparat gießt, ihn auf 50 — 60 "C erwärmt und dem Ki'anken verabi-eicht. Die
Narkose tritt nur sehr schwer auf, es dauert wenigstens 20- 30 Miiiuten. Dabei
ist sie sehr oberflächlich. Man kann sie aber bedeutend erleichtern und ver-
tiefen, indem man dem Patienten vor der Einleitung ein Alkoholklysma vei--
abreicht. Man hat nämlich die Beobachtung gemacht, daß die Narkose besser
eri'eicht wird, wenn der Alkohol durch den Darm resorbiert wii'd, während es
nicht von Voi-teil ist, resp. ganz wirkungslos sich erweist, wenn man den
Alkohol durch den Magen dem Kranken zufühit. Man verfährt also am besten,
einem erwachsenen Menschen vor der Narkose ein Klysma aus Vs Alkohol imd
^.j Wasser zu verabreichen. Mathäi gibt den Rat, diese Methode bei Säufei-n
anzuwenden, welche wegen einer Verletzung in oder nach dei' Trunkenheit zur
Narkose kommen. Bei ihnen kann das Alkoholklysma wegfallen, da im
Organismus schon genügend Alkohol vorhanden sei. Bei Frauen, Kindern und
von .Jugend auf abstinenten Männern wird am besten ein Weiuklysma ver-
abreicht.
Die ganze Alkoholnarkose, wie mau sie bishei' angewendet wnä an Tieren
erpi'obt hat, ist noch nicht imstande, dem Äther oder Chloroform erfolgreich
Konkurrenz zu machen. Es ist nicht zu leugnen, daß der Gedanke, den Saufe]'
dui'ch Alkohol zu betäuben, nicht ohne guten Grund gefaßt und auch ausge-
führt Avoi'den ist,, aber es fehlen dem iVlkohol vor allem die Eigenschaften,
schnell zu wirken, denn, da er sehr leicht löslich im Blutserum ist, so wird er
nur sehr langsam wiedei' aus dem Organismus eliminiert, was zur Folge hat,
daß die Nachwirkungen sehr unangenehme sind. Weiter wirkt er nur schwach
narkotisch, er vermag dabei- nur in sehi- hohen Konzentrationen erst Narkose
zu erzeugen. Da man nun viel besser wirkende und ungefährlichere Methoden
und Narkotika besitzt, so ist die Alkoholnarkose bisher noch nicht aufgekommen
und wird sich auch nicht so bald Eingang in die Praxis der Narkologie ver-
schaffen. Man kann daher mit Eecht sagen, daß die Alkoholnarkose nicht an-
zuraten ist, sondern daß man statt ihi-er die kombinierte Äthernarkose ver-
wenden soll.
X. Kapitel.
Die Kohlensäurenarkose.
§ 27. Man hat in der Kohlensäiire einen Körper, welcher in der Narkologie
eine große Rolle spielt, dann ganz abgesehen davon, daß man dieselbe zur
Narkose allein verwendet hat, ist sie bei einem großen Teile der Narkose-
methoden und Apparate ein nicht beachteter und oft unbekannter Faktor gewesen,
mit dessen Hilfe die Narkose schnell erreicht und zur nötigen Tiefe gebracht
wurde. So hat man früher bei der Chloroformnarkose und Äthernarkose den
Kranken das Narkotikum nur unter möglichstem Abschluß der Luft zugeführt,
wobei in dem Blute des Narkotisierten ein Reichtum au Kohlensäure entstand,
weil die Exspirationsluft immer wieder inspiriert wurde, und so neben dem
Narkotikum Kohlensäure zuführte. Man beobachtete dabei Cyanose des Patienten,
31*
— 484 —
die man vor allem bei der Äthernarkose als ganz normal erachtete, die aber
nur durch diesen Überschui3 au Kohlensäure und den Sauerstoffmaugel entstand.
Auch in den geschlossenen Narkoseapparaten von Wauscher, Großmann etc.
ist die Kohlensäure in dem Beutel sehr reichlich vorhanden und trägt viel mit
bei zur schnellen Erzielung der tiefen Narkose. Weiterhin hat man die Er-
fahrung gemacht, daß Patienten, welche an einer Verlegung des Atemweges
leiden und dem Ersticken nahe sind, wie z. B. bei der Larjmxdiphtherie, dem
Glottisödem etc., vollständig gefühllos sind, daß man an ihnen eine Operation
ohne Schmerzempfindung ausführen kann, so die Tracheotomie, welche ja in
solchen Fällen meist noch gemacht wird. Jeder Arzt, der öfter diphtherie-
krauke Kinder tracheotomiert hat, weiß, daß im höchsten Zustand der Dyspnoe
die Operati(tn ohne Narkose sehr leicht ausführbar ist und der kleine Patient
keine Empfindung von Schmerzen hat. Wenn die Atemnot sehr hochgradig
wird, verlieren bekanntlich diese Kranken auch das Bewußtsein xind verfallen
in eine tiefe Narkose, die Kohlensäureuarkose oder besser Kohlensäureintoxikation.
Kothschild hat nun diese Tatsache praktisch zii verwerten gesucht, indem er
an Tieren Versuche mit der Kohlensäiu-enarkose machte, indem er dieselben
ein Gemisch von Kohlensäure und Sauerstoff inspirieren ließ. Friedländei'
und Herten haben 1870 zuerst Versuche mit der Kohlensäure angestellt, doch
recht schlechte Resultate gefunden, welche denen von Rothschild, der die-
selben nachprüfte vollkommen gleichen. Er konnte mit 40 — TO^oig'eu Kohlen-
säure-Sauerstoffgemischen tiefe Narkose erzielen, aber die Folgen derselben waren
doch so schlechte, daß mau von weiteren Versuchen absehen mußte. Es stellten
sich Atemstörungen ein, welche zum Tode führten, wenn man nicht schnell im
richtigen Moment GegenmaLiregeln ergriff und die Narkose imterbrach. Neben
der Atmung erleidet der Blutdruck eine sehr schAvere Depression durch die
Kohlensäure und es resultieren daraus ernste Gefahren. Außerdem verursachte
schon eine nur kurze Zeit dauernde Einatmung eines Gemisches von 20 "/o Kohlen-
säure sehr schwere Nephritis, Hämorrhagien in Lungen und unter die Pleura
und sonstige Störungen, weshalb man von den Versuchen zurückkam.
§ 28. Es sind aber Versuche angestellt worden, welche eine Ver-
wendung der nicht zu leugnenden narkotischen Kraft der Kohlensäure mit den
anderen Narkotika prüften, und so kam Waller zu dem Resultat, daß
Chloroformdämpfe intensiver unter Kohlensäurebeimengung wirken, als reine
Chloroformdämpfe, und die Erholung des Kranken tritt nach solcher Narkose
schneller ein. Powell hat dies durch klinische Beobachtimg bestätigt gefunden
und hat erkannt, daß die Nervenerregbarkeit nach der Einwirkung eines
Anästhetikums um so schneller wiederkehrt, wenn man demselben Kohlensäure
beimischt. Es erwies sich sowohl bei Chloroform, wie Äther, als auch Lachgas
als vorteilhaft, den Kranken gleichzeitig Kohlensäure einatmen zu lassen.
Deshalb hat man schon seit 1887 am Königl. Hospital zu Belfast den Ormsbyschen
Narkoseapparat geschlossen verwendet. Von 1372 Narkosen, welche auf diese
Art geleitet wurden, sind nur einnml gefährliche Unfälle aufgetreten, während
die anderen Narkosen sehr gut verliefen. Diese Angaben könnten ja sehr
günstig erscheinen, wenn man nicht immer bei solchen Nai'kosen die schwer
toxischen Einwirkungen der Kohlensäure auf die Nieren etc. bedenken müßte,
welche hei langen Narkosen eintreten können. Da man nun nie so genau wissen
kann, ob die Kohlensäure bei dem betreffenden Kranken schon nach kurzer
— 585 —
oder laug'cr Dauer der Kiuwirkiiuo- scliädiyend, toxisch wirken wird, so ist b(;i
jeder läiii^-eren Nai-kose eiue größere (iefalir für den Krankem voi'handen, als
bei der reinen Narkose ohne Kohlensäure, und man wird den Vorteil des schnelleren
Erwachens lieber eintauschen gegen die Sicherheit dei' weniger gefährlichen
reinen Chloroform- oder Athernarkose. Die Beobachtung hat gelehrt, dal.} die
geschlossenen Apparate nicht so gute und gefahrlose Narkosen ermöglichen,
eben wegen der im Organismus aufgehäuften Kohlensäure, als die offenen
Apparate. Deshalb wird man auch die Kohlejisäureuarkose besser nicht ver-
wenden.
XI. Kapitel.
Einige weitere zur allgemeinen Narkose verwendete
Narkotika.
Es ist außer den bisher hier angeführten Narkosearten noch eine große
Zahl von Narkosen mit den verschiedensten chemischen Köi"pern ausgeführt
und gelegentlich erprobt worden. Obwohl man mit den bisher hier be-
schriebenen Mitteln sehr brauchbare Narkosen ausführen konnte, so hat man
doch noch immer gestrebt, weniger gefährliche Narkosenmittel zu finden.
Es soll der Vollkommenheit und historischen Eakta halber alles das hiei" noch
in einem Kapitel zusammengefaßt werden, was über die bisher noch nicht
genannten Narkotika bekannt ist. Es wird vielleicht aus manchen jetzt noch
nicht genügend erprobten und bekannten Stoffen sich eine brauchbare Methode
finden lassen, doch ist es bisher noch nicht gelungen die alten klassischen
Narkosen zu ersetzen.
§ 29. Mau hat auch die kurzdauernden Narkosen aus Äthylnitrat
empfohlen (Simpson). Dasselbe stellt eine farblose, durchsichtige, wasserhelle
Flüssigkeit dar, vom spezif. Gewicht 1,132, dem Siedepunkt von 85°C., ist un-
löslich im Wasser, und brennt mit weißer Flamme, während sich der über
85" erhitzte Dampf unter heftiger Explosion zersetzt. Man stellt dasselbe
durch Destillation von absolutem Alkohol mit Salpetersäure unter Zusatz von
Harnstoff dar, es hat die chemische Formel C.^ Hg NO3 und wird noch mit
dem Namen Salpetersaurer Athyläther, Salpetersaueres Äthyloxyd etc. be-
zeichnet. Man kann durch diesen Köi'per eiue kurze Zeit dauernde Anästhesie
erzeugen, indem man dem Kranken dasselbe einatmen läßt. Nach Simpson
kann man schon mit 50—60 Tropfen, die man auf eine Maske oder in das
Taschentuch gießt, und dem Kranken einatmen läßt, Narkose erzengen.
Ehe die Narkose eintritt, empfindet aber der Patient Schwindel, Sausen und
allerlei Geräusche im Kopf, in den Ohren, auf die Betäubung folgt ebenfalls
heftiger Kopfschmerz und Schwindel, sowie Benommenheit und Übelsein. Man
kann zwar eine kurzdauernde Narkose erzeugen, doch ist das Mittel nicht
geeignet zur Narkose, da die Nachwirkungen sehr schlechte sind und auch
die sonstigen Eigenschaften sehr toxische sind.
§ 30. Das Äthylencblorid ist ein dem Chloräthyl verwandter Körper
und wirkt ebenfalls als Narkotikum. Es wird noch mit folgenden Namen
belegt: Äthylenum chloratum, Dutchoil, Ol der holländischen Chemiker.
Es wurde 1795 von Deimann, Troostwyk, Bondt und Lauwerenburgh
— 486 —
entdeckt, hat die chemische Formel O2H4CI2 und entsteht, wenn mau
Chlorgas auf Äthylen einwirken läßt, ist eine farblose, leicht bewegliche wasser-
helle Flüssigkeit, hat einen dem Chloroform ähnlichen Geruch, einen süßlichen
Geschmack, das spezif. Gewicht 1,25, löst sich fast gar nicht im Wasser,
hingegen in allen Verhältnissen mit Alkohol, Chloroform und Äther, verdampft
sehr leicht, ist leicht entzündlich und brennt mit grünlicher Flamme, wobei
es stark rußt und Chlorwasserstoff entwickelt. Das Äthylenchlorid wurde im
Jahre 1847 von S n 0 w zu Narkosen verwendet, neben diesem haben noch
Simpson und N u n n e 1 e y unabhängig voneinander dasselbe zur Be-
täubung gebraucht. N u n u e 1 e y hat dasselbe vielfach zu Narkosen verwendet
und empfiehlt es sehr. Es hat sich aber dieser Körper als sehr gefährlich er-
wiesen, und ist nicht als brauchbares Narkoticum zu betrachten. Wenn mau dem
Kranken kontiuuirlich neue Mengen verabreicht, kann man eine protrahierte
Narkose erzeugen, wenn nicht, so erwacht derselbe bald. In dem ersten Stadium
und auch nach dem Erwachen tritt oft Erbrechen aiif, weiter wirken die Dämpfe
sehr stark reizend auf die Schleimhäute, es entsteht eine starke vermehrte
Salivation, auf das Herz wirkt es sehr stark depressiv und erzeugt leicht
Synkope. Die Narkose ist oft unsicher und fehlt manchmal ganz. Es ist für
die Narkose nicht anzuraten, da es toxischer als Chloroform und Äther wirkt.
§ 31. Das Äthylideuclilorid ist bereits bei der Behandlung der Chlor-
äthylnarkose erwähnt worden, da man dasselbe mit dem Chloräthyl ver-
wechselt hat. Es wird auch Äthylidenum chloratum genannt, hat die Formel
C.,H.jCl.,, ist isomer mit dem vorhergehenden Präparat. Es entsteht, wenn
Chlor auf Chloräthyl wirkt, ferner wenn Phosphorpeutachlorür auf Äthyl-
aldehyd wirkt, wurde 1839 von R e g n a u 1 1 entdeckt, ist eine helle, wasser-
klare Flüssigkeit, in Wasser unlöslich, in Äther, Chloroform, Alhohol leicht
löslich, hat das spezif. Gewicht von 1,182. Es wurde 1852 von Snow zuerst
als Narkotikum verwendet, indem er es mehrfach am Menschen brauchte und
dadurch sehr gute Narkosen erzeugte. Man konnte es damals schwer rein
darstellen und hatte deshalb viel Schwierigkeiten zu überwinden, bis es von
Liebreich wiederum zur Gellung gebracht wurde, welcher es durch zahl-
reiche Tierversuche prüfte und die guten Eigenschaften erkannte. Langen-
b e c k verwendete es ebenfalls zu Narkosen. Die Betäubung tritt sehr bald
ein, es vergehen 1 — Vj.^ Minuten bis zum Eintritt der Toleranz, in manchen
Fällen auch 3 Minuten. Auf die Lungen wirkt es nicht reizend, die Narkose
ist gleichmäßig, tief, ist aber nicht von langer Dauer, da der Kranke sehr
schnell erwacht, weil das Mittel sehr flüchtig ist, leicht verdampft und im
Wasser unlöslich ist, das Herz soll nicht übel beeinflußt werden, unangenehme
Nachwirkungen nach dem Erwachen fehlen (Steffen, Sauer etc.). Am
besten ist das Mittel zu kurzen Narkosen geeignet, man braucht 4 — 15 g
für eine kurze Narkose. Durch neues Verabreicheii kann man eine protrahierte
Narkose erhalten, doch gibt es Leute, bei denen man Toleranz nicht erreichen
kann. Der Puls soll nicht übel beeinflußt werden. Man hat aber Todesfälle
vereinzelt beobachtet, es sind wohl zwei bis jetzt bekannt. Es soll nach
anderen Synkope hervorrufen und gefährlicher als Chloräthyl sein. Jedenfalls
soll man mit Narkosen mit diesem Körper vorsichtig sein. Die angeblichen
guten Wirkungen haben sich nicht sicher erwiesen und man hat diesen Körper
als schwer toxisches Narkoticum erkannt, weshalb man es nicht mehr verwendet,
— 487 —
5; 32. Iias Aldühjd, Ätliylaldcliyd, Äf-hyleiioxyd, Azetaldohyrt, r^H/),
isi vdii Döbereiuer entdeckt, von Liel)ig beschrieben und von ver-
schiedenen Seiten als Anästhetikum verv^-endet worden (Simpson,
Pog'giale etc.). Es stellt eine helle, klare, loMcht bewegliche, verdampfende
Flüssigkeit von erstickendem (leruch dar, die ein spez. Gew. von 0,807 hat und
in AVasser, Aether sulfur. und Alkohol leicht löslich ist, mit weißer Flamme
brennt und sehr flüchtig ist. Die Narkose mit Aldehyd tritt l)ald ein, dauert
kurze Zeit und schwindet ebenfalls bald, nachdem eine vollkommene Anästhesie
während einiger Minuten gedauert hat. Manche Personen konnten nicht damit
betäubt werden. Das Aldehyd hat bei der Verwendung zur luhalationsnarkose
sehr unaugeiu^hme Nebenwirkungen, es erzeugt bei dem Kranken sofoi't nach den
ersten Atemzügen Husten und Hustenreiz sowie ein einschnürendes, beklemmendes
(iefühl auf der Brust, während der Narkose wird der Puls klein, weich, freyueut
und nach dem Erwachen ti'itt sofort lästiger Husten auf, sowie starkes
Oppressionsgefühl und Angstgefühle, welche oft längere Zeit noch anhalten.
Man hat wohl Narkosen mit diesem Körper erreicht, doch ist derselbe zur all-
gemeinen Narkose nicht zu empfehlen.
§ 33. Auch das Aceton, eine leicht bewegliche, rasch verdunstende,
angenehm erfrischend riechende Flüssigkeit von der Zusammensetzung CgHgO,
wurde zu Narkosen verwendet. Das Aceton oder Dimethylketon brennt mit
weißer Flamme und ist leicht entzündbar, auch die Dämpfe explodieren leicht,
es hat ein spez. Gewicht von 0,800 und ist in Wasser, Alkohol, Aether siüfm\
und Chloroform leicht löslich. Simpson hat dasselbe zu Narkosen verwendet,
doch sind dieselben teils nicht tief genug, teils von üblen Folgen begleitet.
Man hat das Aceton des öfteren versucht, doch immer ohne wesentlichen Erfolg,
da dasselbe die Schleimhäute sehr stark reizt, Dyspnoe und Pneumonien erzeugt,
weshalb man zu dessen Verwendung nicht raten darf.
§ 34. Das Beuzin, Benzol, Phenylwasserstoff, C^Hß, ist eine leicht be-
wegliche, verdampfende, helle, leicht entzündliche, mit rußender Flamme
brennende Flüssigkeit vom spez. Gewicht von 0.89, angenehm ätherischem Geruch
in Wasser unlöslich, in Alkohol, Aether sulfur. leicht löslich. Dasselbe erzeugt
Narkose, doch verursacht es nach Simpson Sausen und Geräusche im Kopf, Be-
nommenheit etc., während Snow dasselbe für ein brauchbares Narkotikum hält,
das abei' nach seineu Erfahrungen Zittern und Konvulsionen erzeugt, so daß
man es zu längeren und tiefen Narkosen gar nicht, auch für kurze Narkosen
am besten nicht verwenden soll (Richardson etc.).
§ 35. Der Essigsäure-Äthyläther, essigsaures Äthyloxyd oder Essig-
äther, C4HSO2, entsteht durch Einwirken der Essigsäure auf Alkohol, und
wird dargestellt, indem man eine Mischung von Alkohol, konzentrierter Schwefel-
säure und entwässertem Natriumacetat destilliert. Der Essigäther stellt eine
wasserhelle Flüssigkeit von angenehm erfiischeudem Geruch und Geschmack
dar, welche neutral reagiert, sich leicht entzündet, ein spez. Gewicht von
0,904 bei IT" C hat, im Wasser fast unlöslich, leicht aber in Alkohol, Aether
sulfur. und Chloroform löslich ist, zersetzt sich an der Luft sehr leicht unter
Bildung von Essigsäure und hat auf den Organismus narkotische Einwirkung.
Da der Essigäther sehr leicht verdampft und schwer in Wasser löslich ist, so
wird er nur sehr locker an das Blut gefesselt, die Narkose beginnt bald, ver-
schwindet aber auch wieder sehr schnell. Man hat diesen Körper verschiedent-
— 488 —
lieh zu Narkosen verwendet, (Tracy, Sigmund, Bouisson etc.), doch siud
die Erfolge wenig ermutigend zur weiteren Verwendung des Stoffes als Narko-
tikum, die Narkose ist in manchen Fällen gar nicht oder nur sehr spät zu er-
reichen gewesen. Bouisson hat eine Tumorexstirpation in Essigäthernarkose aus-
geführt, doch trat die Narkose erst nach 20 Minuten ein, war abei- vollkommen ge-
nügend zur schmerzlosen Operation, und er will beobachtet haben, daß durch
Essigäther weniger Husten und Suffokationsgefühl erzeugt wird, als durch
Aether sulfur. Diese Angabe ist irrig, denn der Essigäthei' wirkt sehr stark
reizend auf die Lungenschleimhäute, er erzeugt, wie ich selbst beobachtet habe,
starke Salivation und Keizung der Zellen, ferner kann man mit demselben
Lungenödem (toxisches Lungenödem) erzengen (Poppert), und ich habe beob-
achtet, daß in dieser Hinsicht der Essigäther viel toxischer auf die Luugen
wirkt als der Aether sulfur. A 1 b e r t o n i und L u s s a n a stellten an Tieren
Versuche mit dem Essigäther an, indem sie denselben in die Jugularvene ein-
spritzten, fanden aber keine AUgemeinwirkung, während K r a u t w i g tödliche
Wirlamg nach der Injektion von 1 ccm in die Jugularvene eines Kaninchens
sah, wobei an den Lungen Hämorrhagien zu finden waren, nachdem er 6 ccm
in kurzen Zwischenräumen subkutan angewendet, verfiel das Tier in tiefe Be-
täubung. Die Atmung wird verlangsamt, die Tätigkeit des Herzens wird weniger
als die der Lungen beeinflußt. Der Tod erfolgt unter Krämpfen. In kleinen
Dosen verlangsamt der Essigäther die Atmung ebenfalls. Er wirkt rascher
als der Äther sulfur. anästhetisch, doch ist er den Lungen sehr gefährlich.
In ganz kleinen Dosen intern gegeben oder inspiriert wirkt er als Exzitans.
Eine allgemeine protrahierte Narkose ist daher bis jetzt mit diesem Körper ge-
fährlich, und man kann nicht zur Anwendung des Essigäthers raten.
§ 36. Ein dem Chloräthyl sehr ähnliches Narkotikum ist der Aransche
Äther, oder Aether anästheticns, welcher ein Gemisch verschiedener Chlor-
substitutionsprodukte des Chloräthyls darstellt, von denen der wichtigste Be-
standteil das Tetrachloräthylchlorid ist. Der Aransche Äther ist eine farblose, leicht
bewegliche Flüssigkeit, die bei 130° C siedet, ein spezifisches Gewicht von
1,5 — 1,6 besitzt und zuerst von M i a 1 h e, dann von A r a n, H e i f e 1 d e r und
Schott dargestellt und zur Erzeugung einer allgemeinen Narkose verwendet
wurde. Derselbe zersetzt sich aber leicht, ist wechselnd in der Zusammensetzung
und deshalb für die Narkose nicht zu empfehlen, vor allem, da er Vorzüge vor
anderen Narkotika nicht im geringsten besitzt.
§ 37. Das Terpentinöl, CioHjg, ist eine ölige, helle, leicht bewegliche,
verdampfende, brennbare, mit rußender Flamme brennende Flüssigkeit, spezif.
Gewicht 0,89, in Wasser unlöslich, aber in Alkohol und Aether sulfur. löslich,
verwandelt Sauerstoff in Ozon. Dasselbe wurde in Ermangelung von Chloro-
form auf einem Auswandererschiff mit Erfolg zur Nai-kose an einem Seemann
verwendet (K a p p e 1 e r). N u n n e 1 e y imd R i c h a r d s o n haben dasselbe zu
Narkosen ebenfalls gebraucht und bei Tieren langsam eintretende, aber doch
vollkommen tiefe Narkose erreicht. Nach Richards on haften demselben keine
üblen Nachwirkungen an, während N u n n e 1 e y dasselbe für die Schleimhäute
der Lungen reizend hält. Bekanntlich erzeugt Terpentinöl eine vermehrte
Salivation und regt die Schleimhäute zur Sekretion an. Zur allgemeinen Narkose
kann man dasselbe aber nicht verwenden.
§ 38. Kerosolen oder Petroläther, ein Gemisch aus Aniyl-, Capryl-,
— 489 —
Ouautliyl-, r>auryl- de. Wasscrstdft'cii wui'dc aus aiiicrikaiusibcui ['ctrolimm gc-
woiiuen, nud von E i g' e 1 o w zu Nai'koseu verweudet. Dasselbe erreet aber
sehr b(;drohliche Nebeuwirkuug'en nud Beschwerdeu und ist als Narkotikum
uiilirauchbar. Es wird von Schleicb in den Gemischen der Narkotika verweudet.
i^ 39. Capryhvasserstoff ist ein ähnlicher Körpei-, der von Richardson
an Tieren versucht wurde, aber sehr starke Exzitatiou und Erbrechen hervoi'rief,
während das Erwacheu sehr schnell g'ing und scheinbar ohne Beschwerde sich
zeigte. Es ist als Narkotikum jedenfalls noch nicht genau erforscht und bis
jetzt noch nicht verwendbar.
§ 40. Äjnylwasserstoff G^JI^^, Hydramyl, Isoamylwasserstoff wird aus
dem amerikanischen reti-oleum gewonnen, ist eine farblose, fast geruchlose
Flüssigkeit von dem spezif. CTCwicht von 0,626. R i c h a r d s o n hat dasselbe
au Tieren verweudet, es tritt innerhalb 2 Minuten vollkommene Narkose ein,
ruhiger Schlaf ohne Aufregung, rasches Erwachen folgt. Der Tod durch das-
selbe wird bei Tieren unter stetem Abfall der Temperatur, Dilatation der Pupillen
u)id gleichzeitiger Ivähmuug der Herz- und Atemzenti-en und Atem -Funktion
bewirkt. E i c h ar d s o n fand in den getöteten Tieren negative Sektiousbefunde
und betäubte sich selbst mit diesem Mittel. Er fand die Dämpfe angenehm ein-
zuatmen, keine Beklemmungen, Oppression und Reizung der Bronchialschleim-
haut. Nach wenig Sekiuiden der Inhalation trat die Toleranz ohne Exzitatiou
ein. Die Toleranz dauerte einige Minuten unter vollkommener Anästhesie und
nach dem Erwachen fehlten alle imaugenehmen Folgen. Er hat dasselbe öfter
angewendet und lobt es sehr.
Die Kombination von Hydramyl mit Äther, wodurch sich Narkose ebenso
erzengen läßt, welche aber langsamer eintritt und Oppression und Snffokations-
symptome aufweist, die bei der Narkose mit reinem Hydramyl fehlten, wurde
von Richardson an Stelle der einfachen Hydramylnarkose empfohlen. Es eignet
sich das Hydramyl am besten zu kurzen Nai'kosen. Man hat es aber weiter
]iicht mehr verwendet.
§ 41. Das Äthylenum bromatum, Bromäthylen, CoH^Brg, ist ein sehr
giftiger Körper, welcher gegen Epilepsie verwendet wird und auch zur
Narkose gebraucht wurde. Man hat denselben mit Bromäthyl verwechselt
und dabei einen Todesfall erlebt. Kollmar hat einem Arbeiter aus solcher
Verwechslung 40 g Bromäthylen auf die Maske gegossen, worauf sofort Un-
ruhe, Kehlkopfreiz, aber keine Narkose eintrat. Es wurde mit Chloroform
weiter betäubt. Der Mann g'ing, nachdem er am ganzen Tag nach dem Er-
wachen an unstillbarem Erbrechen gelitten hatte, zugrunde unter dem Zeichen
der Herzschwäche bei vollem Bewußtsein. Die Sektion erwies starke Ent-
zündungen der Schleimhaut der Bronchien, die Magenschleimhaut war gelblich
verfärbt etc. Es ist also dieser Körper als ein sehr gefährliches Narkotikum
zu betrachten, welches man nicht mit Bromäthyl verwechseln und zur Narkose
verwenden soll.
§ 42. Chloramyl, C5H11CI ist ebenfalls zu Narkosen verwendet w^orden.
Snow hat dasselbe an Tieren verwendet und eine langsam eintretende aber
lange dauernde Anästhesie erzeugt. Er hat es dann selbst eingeatmet und
empfand eine langsam eintretende Betäubung und einen Rauschzustand, beim
Erwachen empfand er keine Beschwerden. Darauf hat Richardson dasselbe
mehrfach zu kurzen Narkosen verwendet.
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§43. Jodaniyl, OßHjj.I wirkt nach Richardsou ebenfalls aiiästhesiereud.
Weitere Erfahrungen hat man über diesen Stoft nicht gesammelt.
§ 44. Der Stickstoff, N, ist ebenfalls zur allgemeinen Anästhesie
verwendet worden. (S ander son, Turner, Murray). Bei der Einatmung
des Gases beobachtete man Beschleunigung des Pulses und der Atmung
in der ersten Zeit, während sehr bald die Respiiatiou langamer wurde und
einen anstrengenden Charakter annahm, sowie unregelmäßig wurde. Die
Pupillen sind im Anfang weit und werden dann enger, je langsamer der
Puls wird. Das Gesicht wird blaß. Es tritt jetzt vollkommene Anästhesie
ein, welche, wenn man jetzt die Inhalation iiuterbricht, noch eine Zeitlang
anhält. Wird in diesem Stadium die Inhalation unterbrochen, so wird der Puls
bald wieder normal. In der Anästhesie kann mau kurze Zeit dauernde
Operationen vollkommen schmerzlos ausführen, doch ist die Narkose nicht an-
zuraten.
§ 45. Das liohlenoxydg'as, CO, ist ebenfalls ein Anästhetikum, dessen
Eigenschaften man im praktischen Leben des öfteren bei Vergiftungen kennen
gelernt hat. Es ist eines der wirksamen Produkte des Leuchtgases, welches die
Betäubung des Kranken bei Leuchtgasvergiftungen bewirkt. Es erfolgt beim
Einatmen des Gases nach kurzer Zeit Müdigkeit und völlige Bewiißtlosigkeit,
welche, wenn die Inhalation rechtzeitig unterbrochen und künstliche Respiration
eingeleitet wird, wieder verschwinden kann, der Kranke erwacht allerdings
unter heftigem Übelbefinden, welches noch längere Zeit nachhält. Sehr
schwere Läsiouen der inneren Organe bewirken in vielen Fällen den Tot
noch nachträglich, vor allem häufig tritt schwere Nephritis auf. Zur arti-
fiziellen Narkose ist das Kohlenoxydgas nicht geeignet.
§ 46. Der Schwefelkohlenstoff, C.S.^, ist des öfteren zur Erzeugung
der Narkose verwendet worden. Derselbe ist bekanntlich eine helle, leicht
bewegliche, stark lichtbrechende Flüssigkeit, welche leicht verdampft, einen
häßlichen Geruch besitzt, mit blauer Flamme brennt, leicht entzündlich ist.
Spez. Gew. 1,270 hei 15° C, ist in Wasser unlöslich, wohl aber in Äther,
Alkohol, Chloroform und Ölen. Die narkotischen Eigenschaften haben Hermann,
Clöez, Hirt, Delpech. Levy etc. nachgewiesen. Die Atmung wird bei
der Narkose zuerst stark beschleunigt und dann verlangsamt, bis sie endlich
zum Stillstand gebracht wird, wenn man die Verabreichung nicht sistiert. Der
Blutdruck wird zuerst einige Sekunden gesteigert, dann vermindert. Die
Anästhesie tritt zunächst au der Cornea auf, dann erst am andern Körper
(Levy, Bergeron), so daß man bei Arbeitern, welche mit Schwefelkohleustoff
viel zu tun haben, eine völlige Unempfindlichkeit als erstes Zeichen der
Intoxikation findet. Serre beobachtete nur unvollkommene Anästhesie. Es wurde
der Schwefelkohlenstoff verschiedentlich zu langen Narkosen verwendet, doch
klagt man allgemein über üble Nachwirkungen, Kopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen,
Benommenheit etc. (Miller, Simpson. Harold Thaulow, Serre- etc,)
Miller amputirte eine Brust in Schwefelkohlenstoffnarkose, doch zeigte sich am
Ende der Narkose große Unruhe, und nach derselben starker Kopfschmerz
und Pulsfrequenz. Es ist der Schwefelkohlenstoff' zur Narkose wenig zu
empfehlen.
§ 47. Richar dson empfahl den Rauch von Lykoperdon proteus (g-ig-an-
teum) zur Narkose. Derselbe wurde zur Betäubung der Bienen benutzt und
— 491 —
vuu R. auch am ]\l(^iisclieii uud größeren Tieren verwendet. Er konnte längere
Anästhesie aiu Menschen erzeugen, Respiration und Herzaktiou wui'deu dabei
verlangsamt, die Atmung bis auf 6 Atemzüge pro Minute. Wurde die Inhalation
aiisgesetzt, so kehrte das Bewußtsein rasch wieder, selbst wenn die Pupille
starr uud der Herzschlag kaum noch zu fühlen war. H e r a p a t h fand, daß
in dem Rauch vor allen Dingen das Kohlenoxydgas die Narkose erzeuge.
Von Wert ist dieses Narkotikum nicht.
§ 48. Das Heroin ist ein Ersatz des Morphins und an Stelle desselben
zur Narkose verwendet worden. Es ist ein Diessigsäureester des Morphins
und wirkt gleich dem ]\Iorphin, nur fehlen die üblen Nachwirkungen, wie
Kopfschmerz, Erbrechen, Öhrensausen etc. nach Heroindarreichung vollkommen,
es ist nur einmal ein leichtes Schwindelgefühl nach dem Gebrauch des Heroin
beobachtet worden. Wiesner empfiehlt 0,01 zu injizieren bei Alkoholikern
zur Vorbereitung für die Narkose. Eine Gewöhnung an dasselbe tritt weniger
ein. Man verwendet dasselbe nicht allein zur Narkose, sondern stets mit
anderen kombiniert, weshalb später über dasselbe noch genauer geschrieben
wii-d. Ebenso wird das Morphin als Narkotikum später behandelt werden.
Die Dosis des Heroin in 0,01 — 0,03 in sukuntaner Injektion.
§ 49. Man hat auch in neuerer Zeit die Hypnose und Elekti'izitiit zur
Erzeuzung allgemeiner Anästhesie uud Narkose herangezogen und es wird
von Dona über drei Fälle berichtet, in denen es ihm gelungen ist, eine Operation
iinter Hypnose auszuführen. Es wurden die Kranken durch Vorhalten einer
Maske mit nur wenigen Tropfen Chloroform oder Chloräthyl oder eines sonstigen
Mittels von intensivem Geruch unter dem nötigen Zureden in einen Zustand
der Hypnose versetzt, der eine Operation ohne Schmerzen gestattete. So hat
Dona eine Adenitis iuguinalis tuberculosa operiert, eine Trepanation des
Prozessus mastoideus bei einem 14jährigen Mädchen ausgeführt unter
Hypnose, ebenso einen Arbeiter der im Delirium während einer Tnfluenza-
Pneumonie sich mehrere Bauch- und Leberwunden beigebracht hatte, unter
Hypnose die Wunden besorgt. L e D u c s hat auch die Elektrizität heran-
gezogen, doch kann man diese Narkosen noch nicht als genügende für den all-
gemeinen Gebrauch ansehen. Es wird allerdings kaum möglich sein, daß man
die hypnotische Narkose allgemein verwendet, denn es sind immer nur gewisse
Personen, Leute mit psychopathischer Anlage, für die Hypnose so geeignet,
daß eine wirkliche Anästhesie erreicht wird. Man wird wohl Bedenken tragen
müssen, ob man bei jedem Menschen die Anästhesie durch Hypnose uud
Elektrizität wird erzeiigeu können. Man muß also die Resultate der dahin-
gehenden Forschungen noch mit Interesse erwarten und vorerst noch mit dem
endgültigen Urteil zurückhalten.
XII. Kapitel
Die Mischnarkosen.
§ 50. Unter der Bezeichnung Mischnarkose versteht man, wie schon früher
erörtert, eine Narkose, welche hervorgebracht wii'd durch ein Gemisch von zwei oder
mehreren Narkotika. Der Gedankengang, der zur Mischuarkose führte, war der,
daß man mit den Resultaten der einfachen Chloroform- oder Äthernarkose nicht
zufrieden und in der Erkenntnis, das eine Narkotikum habe oft entgegengesetzte
— 492 —
Wii'kuugeu wie das andere, und es würden mauchmal die Wirliimgeu des einen
durch das andere paralysiert, mehrere Narkotilva mischte und sie verabreichte
in der Ansicht, daß die schlechten oder üblen Wirkungen des einen durch die
guten des anderen, und umgekehrt, unschädlich gemacht würden, während sich
die narkotische Kraft summiere. Dieser Gedanke war sehr naheliegend, aber
er erwies sich sehr bald als nicht zutreffend, wenigstens nicht so bhne weiteres
als lichtig, indem nämlich die entgegep gesetzte Wirkung der einen Narkotika
nicht die der anderen aufhob und auch die narkotische Kraft nicht summiert
wurde. Immerhin kann man nicht von vornherein diese Annahme als vollkommen
falsch erklären, denn es bestehen ganz entschieden Vorzüge der Mischnarkose
vor der einfachen, wenn auch gewisse Nachteile vorhanden sind. Es kann ein
Urteil nicht so ohne weiteres abgegeben werden, man muß die einzelnen Ver-
hältnisse dazu genau erw'ägen.
Die ersten Mischungen der Narkotika betrafen nur Chloroform und Äther.
Man mischte diese beiden Stoffe in verschiedenen Verhältnissen \md fügte dann
noch den Alkohol in geringen Prozentsätzen hinzu, weil man sich von demselben
gewisse Vorzüge versprach. Es gibt ganz enorm viel solcher Mischungen, und man
kann sich leicht denken, daß sich schon aus diesen dreiNarkotika eine große Zahl von
Mischungen herstellen ließen. Schon bald nahm man statt Alkohol noch ein
drittes Narkotikum, meist Bromäthyl oder Chloräthyl, indem man sich von diesen
Geinischen Vorzüge versprach.
Mau hat also vor allen Dingen folgende Mischungen, die man be-
rücksichtigen muß, angegeben.
Die Mischung, welche am meisten in früheren Zeiten verwendet wurde,
war die Wiener Mischung, welche aus 6 Teilen Chloroform und Ü Teilen
Aether sulfur. besteht. Dieselbe wurde zuerst in Wien angewendet und dort
auch am meisten verwendet. Man schrieb ihr besondere Vorzüge zu und hielt
sie lange Zeit für völlig ungefährlich. Es wurden angeblich 8000 Narkosen
mit dieser Mischung ausgeführt, unter denen nicht ein Todesfall sich ereignet
haben soll.
Eine andere Mischung ist die von L inhart, welcher 1 Teil Chloroform
und 4 Teile Aether sulfur. mischte und diese Mischung für sehr gefahrlos hielt.
Billroth hat eine Mischung angegeben, welche aus 3 Teilen Chloroform'
1 Teil Aether sulfur. und 1 Teil Alkohol zusammengesetzt ist. Billroth lobt
diese Mischung sehr, während andere dieselbe nicht bewährt fanden (Pawlik,
Dudley, Buxton, Gauvard etc.) und man sogar einzelne Todesfälle auf
Kosten derselben schrieb.
Otis gab eine Mischung an, welche aus 3 Chloroform -|- 4 Alkohol -)-
1 Bromäthyl zusammengesetzt ist.
Das englische Chloroformkomitee gab drei Mischungen au, welche als
Mischung A, Mischung B, Mischimg C bezeichnet wurden. Die Mischung A
wird auch als ACE-Mischung (Alkohol-Chloroform-Ether mixture) bezeichnet, sie
besteht nämlich aus 1 Alkohol -j- 2 Chloroform -|- 3 Aether sulfur. Die ACE-
Mischung ist eigentlich von Harley erfunden und vom englischen Chloroform-
Komitee empfohlen worden. Die Mischung B besteht aus 1 Chloroform -)-
4 Aether sulfur., die Mischung C aus 1 Chloroform -{- 2 Aether sulfur.
Richardson gab eine Mischung von 2 Chloroform -j- 2 Alkohol -j-
3 Aether sulfur. an.
— 493 —
Ferner verwendete mau eine Miscbung von Chloroform -|- Aether snlfur. ää,
Radestock empfiehlt 2 Chloroform + <^ Aether sulfur.
Stephens gab eine Mischung aus Chloroform und Alkohol aa an, welcher
er noch einige Tropfen Aqua Colon, zusetzte.
Wachsmuth hat *j-, Chloroform + Vr, Oleum therebinth. (Terpentinöl)
angegeben, welche besonders Synkope verhüten soll.
V. Meriug hat eine Mischung von 1 Chloroform -|- 2 Dimethylacetat
angegeben und verwendet.
Ferner hat mau 3 Chloroform -|- 4 Alkohol -|- 1 Chloräthyl verwendet,
außerdem 3 Äther -\- 1 Chloroform, 2 Aether sulf. -f- 1 Chloroform, 4 Aether sulf. -j-
1 Chloroform etc.
Natürlich lassen sich eine sehr große Menge solcher Mischungen nennen.
Von allen diesen Mischungen hat die ACE-Mischung sehr viel Verwendung ge-
funden. So hält Eowell dieselbe für sehr vorteilhaft, er hat sie in 800 Fällen
als ganz ungefährlich erprobt, vor allem auch bei Kindern. White und Owen
halten dieselbe für unzuverlässig und sogar gefährlich, gefährlicher als Chloroform.
Silk hingegen hält die ACE -Mixtur geeignet für Kinder von 3-12 .Jahren,
und ebenfalls für ältere Leute über 60 Jahren, ebenso hält er in allen Alters-
stufen dieselbe für angebracht bei fetten und plethorischen Kranken, bei
chronischen Luugenleiden, während man sie bei Nierenkranken und ( )perationen
au Hals und Kopf nicht verwenden soll. Braine verwendet die xlCE-Mixtur bei
Kindern unter 6 Jahren, ferner bei Ileus nach vorhergegangener Magenspülung.
Whiteford hat ebenfalls diese Mischung viel verwendet. Man kann aus den
Angaben entnehmen, daß diese Mischung gegen andere sehr gut wirkt.
Die Billroths che Mischung ist nächst dieser am meisten verwendet
worden. Alessandri hat bei 106 Narkosen keine Uebelstände gefunden, dem
entgegen hält Radestock die Mischung für ebenso gefährlich wie Chloroform
und verwirft dieselbe deshalb. Aus den Statistiken von Gurlt entnimmt man
eine Sterblichkeit für die Billrothsche Mischung von 1 : 3370, in einer anderen
Statistik kommt auf 996 Narkosen von Billroths Mischung 1 Todesfall. Die
Mortalität für Chloroform -j- Aether ää -Narkosen stellt sich auf 1 : 5064.
H e w i 1 1 empfiehlt für fettleibige Leute eine Mischung aus 3 Teilen Aether sulf.
und 2 Teilen Chloroform, für Herzkranke wählt er Mischungen aus Chloroform
und Aether ää oder Alkohol-}- Aether-)- Chloroform. Tait empfiehlt eine Mischimg
aus 2 Aether sulf. -J- 1 Chloroform (Taits Mixtur), namentlich für Frauen, doch
hat er einen Todesfall mit dieser Narkose erlebt.
Das englische Chloroformkomitee hat bei der Angabe seiner Gemische
vor allen Dingen den Zweck verfolgt, durch das Hinzufügen von Alkohol und
Äther oder Äther allein die Herzkraft mehr anzuregen und durch dieses An-
regen die Wirkung des Chloroforms, welches depressiv wirkt, zu paralysieren.
Diese Ansicht konnte zunächst als recht plausibel erscheinen und man konnte
annehmen, daß durch diese Kombination dem Chloroform die gefürchteten üblen
Eigenschaften genommen würden. Allein es ergab sich ein ganz anderes Ver-
hältnis während der Narkose mit den Mischungen, welche ja alle mehr oder
weniger dasselbe Ziel in jedem einzelnen Falle verfolgen, indem nämlich durch
Ellis zuerst nachgewiesen wiirde, daß bei den Mischungen die einzelnen
Narkotika ganz anders zur Wirkung kommen, als man allgemein annahm. Man
führte ja die Mischnarkose genau wie die gewöhnliche Narkose aus, indem man
die Mischung in eine Maske goß. Dabei verdunsten aber die drei oder zwei Narkotika
infolge ihrer verschiedenen Siedepunkte ganz verschieden, denn zuerst verdampft
der Äther, dann das Chloroform und zuletzt der Alkohol, so daß also der
Kranke, wenn man eben eine größere Menge der Mischung in die Maske gegossen
- 494 —
hat, in den ersten Sekunden fast ausschließlich unter der Atherwirkung und
später wieder ausschließlich unter der Chloroforniwirkung- steht.
Wenn nun aher nach der Absicht des Narkotiseurs der Aether sulfur. das
Herz kräftigen soll nach der deprimierenden Wirkung des Chloroforms, so ge-
schieht dies in Wirklichkeit gar nicht, denn es kommt überhaupt zuerst der
Äthei' zur Wirkung, kann also nicht die Schäden des Chloroforms ausgleichen.
E 1 1 i s hat genaue Versuche darüber angestellt und hat gefunden, daß z. B.
von 2 g der ACE Mischung, welche ca. 6 — 10 Minuten Zeit zur Verdunstung
brauchen, in der ersten Minute fast nur Aether sulfur. verdampft, in den
folgenden 3 Minuten das Chloroform und in den letzten Minuten der Alkohol
in die Inspirationsluft übergeht. Wenn also ein Kranker 2 g solcher Mischung
einatmet, so erhält er zuerst Aether sulfur., nach kurzer Zeit nur noch Chloroform
und steht unter Chloroformnai'kose bis neue Mengen aufgegossen werden. Es
ist nun abei' hierbei gerade in der Zeit, wo mau bei der Chloroformnarkose die
Refiexsynkope fürchtet, die Narkose ausschließlich eine Chlo'ofornmarkose, folg-
lich ist die Gefahr der Reflexsynkope hier ebensogroß wie bei dei- reinen
Chloroformnarkose. Man erkennt also hieraus deutlich, daß ein Voiteil der
Mischnarkose gegenüber der reinen Narkose nicht besteht, und es sind auch tat-
sächlich Todesfälle in der Mischnarkose vorgekommen, die der Chloi'oformwii'kung
zuzuschreiben sind (K a p p e 1 e r etc.).
Da man nun also erkannte, daß durch die Mischung der Narkotika selbst
ein Voiteil infolge geringerer Lebensgefahr für den Kranken nicht voi'handen
sei, versuchte man auf andere Art die Mischimgen herzustellen, und zwar
war es E 1 1 i s, welcher die Dämpfe der Nai'kotika sich mischen ließ, indem er
einen Apparat konstruierte, in welchem 3 Kammern vorhanden waren, dei'en
jede mit einem Narkotikum beschickt wurde, so daß in der einen Alkohol, in
der anderen Chloi'oform und in der dritten Aether sulfuricuswar. In diesen Kammern
befinden sich Baumwollfäden ausgespannt, an denen das Narkotikum verdampft,
wodurch eine schnellere und intensivere Verdunstung der Narkotika gewähr-
leistet wird. Durch diese Einrichtung und die Größe der Kammern ist es
ermöglicht, daß die Inhalationsluft, welche dem Kranken durch den Apparat
zugefühlt wird, nie mehr als 2% Alkoholdämpfe, B^o Äther- und Chloroform-
dämpfe beigemischt erhält. Diese Dämpfe werden in einem Rezeptakuluin ge-
sammelt und von dort als Mischung der Gase dem Kranken verabreicht. An
dem Apparat ist eine Vorrichtung angebracht, durch welche mau die Zusammen-
setzung der Gasgemische ändern kann, je nach dem Zustand des Kranken, in-
dem man entweder nur das Gasgemisch, oder nur Chloroformdämpfe, odei' reine
Äther oder Alkoholdämpfe verabreichen kann. So kann man durch diesen
Appai'at jederzeit genau die Zusammensetzung bestimmen, ändern und den Ver-
hältnissen anpassen. Der Nachteil dieser Methode liegt nun aber darin, daß man
zui' Narkose einen sehr komplizierten Apparat bi'aucht, welcher zu umfangreich
und kompliziert ist, als daß man ihn in der Praxis verwenden könnte.
Diese Anregungen gingen zunächst wieder unter im Meere der Vergessen-
heit, da es jetzt Schleich war, welcher die Narkose mit mehreren Narkotika
in andere Bahnen lenkte. Schleich stellte Mischungen der Narkotika dar,
welche einen Siedepunkt gleich der Körpertemperatur hatten, und nannte diese
seine Gemische S i e d e g e m i s c h e. Es ist nämlich Tatsache, daß ein Nar-
kotikum um so eher von dem Blute durch die Lungen aufgenommen wird, je
— 495 —
niedrig-ev sein Siedepunkt g-elegcn sei, und daß auch das Narkotikum wieder um
Hü schneller aus dem Organismus eliminiert wird, je niedriger der Siedepimkt
liegt, hingegen wird ein schwer verdunstendes, also einen hohem Siedepunkt
besitzendes Nai'kotikum schwerer in das Blut aitfgenommeu und schwer wieder
ahgegehen. Es wii'd dahei' ein Narkotikum mit hohem Siedepunkt auch länger
im Olganismus verbleiben, es wird im Blut und Organismus aufgespeichert
werden und dadurch üble Einwirkungen ausüben, während ein solches mit
niedi-igem Siedepunkt im Körper nicht festgehalten wird, sondern sehi- leicht
(eliminiert wii'd. Somit wird nun nach Schleich ein Narkotikum mit einem Siede-
punkt, der imter der Körpertempei'atur liegt, die Lungen in gespannter Dampf-
foi'ui verlassen müssen, während ein Narkotiki;m, welches einen der Küi'per-
tempei-atui' gleichen Siedepunkt besitzt, äußerst leicht durch die Lungen
elimiuiei't wird, hingegen könne ein Narkotikum von höherem Siedepunkt, als
die Köi-pei'wäi'uie beträgt, nur in bestimmten Mengen den Organismus durch
die Lungen verlass n. Diese Mengen werden durch den Verdunstungs(j[Uotienten
bestimmt, welcher nach Schleich durch die Zahl repräsentiert wird, welche an-
gibt, wieviel von einer Flüssigkeit bei bestimmter Temperatur und atmo-
sphärischem Druck sich in der Zeiteinheit in das verwandelt. Schleich nimmt
nun an, daß sich die Narkotika nicht mischen, sondern ineinander auflösen, und daß
durch die Lösung eines Körpei's in dem anderen der Siedepunkt verändert wii'd,
so hat Wasser einen anderen Siedepunkt, wenn Salz in ihm gelöst ist, und es
wird auch der Siedepunkt des Chloroforms verschoben, wenn in ihm Chloräthj^ etc.
gelöst ist. Ebenso behauptet Schleich, daß eine Lösung nicht fi'aktioniert
destilliert, während nur Mischungen fraktioniert verdampfen. Er nimmt also
an, daß die Mischungen der Narkotika als Lösungen verdampfen imd einen
gemeinsamen Siedepunkt erhalten. Schleich nimmt daher an, daß „bei der
Inhalation der Gemische jedes dem Gemenge angehörige Gas gleichzeitig unter
gleichem Verdunstungsquotienten in die Lungen eintritt". Es hat daher Schleich
Gemische konstruiert, welche zusammen einen Siedepunkt haben, der gleich der
Köi'pertemperatur ist und er gibt au, daß es dabei nicht gleichgültig sei, wenn
annähernd der Siedepunkt gleich der Köi'pertemperatur sei, sondern dersell)e
müsse bei kurzen Narkosen der Körpertem])eratur vollkommen gleichen, während
bei laugen Narkosen der Siedepunkt 2° höher gelegen sein müsse, wenn
man tiefe Narkose von langer Dauer wünsche. Es sei für die Narkose das
das beste Narkotikum, welches einen Siedepunkt von der Höhe der Körper-
temperatur besitzt, lind diese Narkotika kann man nur durch Mischung von
mehreren anderen erhalten. So hat Schleich seine Siedegemische angegeben,
welche folgendermaßen zusammengesetzt siud. Zuerst hat Schleich die Gemische
aus Chloroform -|- Aether sulfiir. -(- Petroläther, welch letzterer einen Siedepunkt
von 65 haben muß, gebildet, es waren also:
das I. Siedegemisch: Chloroform 15 ccm -{- Aether Petrol. 5 cem -\- Aether siilfur. 00 ccm,
„ n. „ „ 15 „ + „ „ 5 „ + „ „ 50 „
"„ ni. „ „ 10 „ + „ „ 5 „ + „ „ 27,0 „
In der neuereu Zeit hat Schleich an Stelle des Petroläthers Chloräthj^
verwendet und nun lauten seine Gemische folgendermaßen :
I. Siedegemisch: 16 ccm Chloroform -(- 8 ccm AthyJchlorid -|- 48 ccm Aether sulfiir.,
II- „ IC „ „ + G » „ + 48 „
III- „ 16 „ „ +2 „ „ + 48 „ „ „
_ 496 —
Die einfachen Verhältniszahlen sind folgende :
Siedegemisch I: Chloroform 4, Chloräthyl 2, Aether sulfur. 12 = 38 "C Siedepunkt
„ n ., 4, „ 1,5, ,, ,, 12 = 40 "C „
,, ni ,, 4, „ 0,5, ,. ,. 12 = 42« C „
Es entspricht also das Siedegemisch I mit dem Siedepunkt bei 38 ''C
einer Körpertemperatur von 38*'C, das II einer von 40 "C, das III von 42° C.
Schleich schi-eibt über diese Gemische folgendermaßen, woraus man
die Verwendung erkennt: „Auf diese Weise bin ich in der Lage, Patienten,
welche einei' kurzen Narkose bedürfen, immittelbar nach Beendigung der
Operation schon wieder wach zu haben; denn narkotisiert man bei Siedepunkt-
temperatur, also mit Siedegemisch I, so genügen einige Atemzüge und der
Patient erwacht, so leicht wird das bei Körpertemperatur siedende Gemisch
wieder evakuiert. Bedarf ich aber einer längerdauernden und tieferen Narkose,
so wird der Siedepunkt höher gewählt, Siedegemisch II und III, weil alsdann
dei- geringe Überschuß, welcher mit der Atmungsluft auf dem Wege der lang-
sameren Verdunstung nicht sofort eliminiert werden kann, den tiefen Schlaf
mit mögligst kleiner Dosis erzeugt. In keinem der Fälle hat uns dieses
individualisierende Verfahren der angepaßten Narkose im Stich gelassen. Ferner
geht aus den genau geführten Protokollen hervor, daß man auf diese Weise
allein durch den Atmungsmodus die Narkose regulieren kann. Bei großen Dosen
wii'd die Atmung schneller und tiefer nach eingetretener Narkose, weil die
Limgen größere Anstrengung machen, die' aufgehäufte Menge des Gasgemisches
zu evakuieren und bei Fortfall der Neuzufuhr kehrt die Atmung wieder zui'
Norm zurück. Damit kongruent ge'it die COg-Pupille mit Dilatationszuuahmc
und die Schlafinipille mit Dilatationsabnahme (resp. Enge). Der Puls, der
immerhin kontrolliert wird, wurde durchgehends voller gespannt, selten
frequenter, einige Male verlangsamt befunden. Nach dieser Richtung waren die
Verhältnisse genau wie bei den Äthernarkoseu. Die Dauer des Eintiittes der
Narkosen ist ebenfalls abhängig von den gewählten Siedepunkten. Bei S=T
dauert es weniger lange, als bei den von mir beobachteten Aethernarkosen, aber
länger als beim Chloi-oform. Bei S>T waren die verbrauchten Mengen geringe]'
als bei S=;T. Die höchste von mir verwandte Menge betrug 180 g des Ge-
misches III bei einer fast l'/o stündigen Narkose wegen komplizierter Uterus-
exstirpation. Das Exzitationsstadium war selbst bei Potatoren sehr wenig aus-
geprägt, es fehlte sonst fast ganz. Die Narkose Avar stets tief genug, um
völlige Analgesie zu erzielen. Bei Kindern oder Greisen zeigten sich keine Ab-
weichungen von der Art der Narkose. Bei gynäkologischen Operationen wurde stets
eine volle Erschlaffung der Bauchdecken erreicht. Cyanose trat niemals ein."
Weitei- gibt Schleich an, daß sich die Patienten nach Narkosen mit seinen Ge-
mischen frischei- und wohler fühlten, als nach reinen Chloroform- oder Aether-
narkosen. Erbrechen und Uebelkeit tritt ebenso häufig wie nach jenen Narkosen
auf. Die Nachwirkungen dauerten nie länger als 5 — 6 Stunden. Auch Reizungen
von Seiten der Respirationsorgane will Schleich nicht beobachtet haben.
Schleich hat über 600 Narkosen damit ausgefühi't, ohne einen Mißerfolg zu
gewahren und ohne auch nur üble Zufälle erlebt zu haben. Es besteht kein
Zweifel, daß ein gewisse]' Vorteil in den Gemischen analog den Schleichschen
Angaben besteht, aber es wird weiter unten gezeigt wei'den, daß derselbe nicht
so groß ist, wie man erwartet hat.
Wenn man mm noch statt Aethei' -\- Chloroform-Mischungen solche aus 3
odei' gar 4 Narkotika bedenkt, so wei'den die Verhältnisse noch komplizierter, abei'
bei weitem nicht besser, denn immei' wird der Narkotisiei'te nicht das Gemisch
so inspii'ieren, wie mau es als Mischung der Narkotika wünscht, sondei'n ei'
wii'd im Anfang mehr Aether inspii'ieren und später mehi' Chloroform, wenn das
Gemisch aus Chloi'oform und Aethei' bestand, wähi'end er bei einem Gemisch aus
Aether -|- Chloroform -\- Chloi'äthyl zuerst Chloi'äthyl und wenig Aether ,dann viel
Aether mid wenig Chloroform und zuletzt reichlich Chloi'ofoi'ui inspii'iei-en muß.
Diese Vei'hältnisse bestehen bei allen Mischungen und lassen sich nicht beseitigen,
Avenu man nicht komplizierte Appai'ate zu Hilfe nimmt.
Honigmann äußei't sich in seiner Arbeit über die Mischnarkose folgende]'-
maßen: „Wenn die Gesamtmenge des Gemisches in einem Rezipienten verdunstet, —
— 497 —
et\v:i8 Aehnlichos tritt hei schubwcdseiu Anfoi(iß(!n auf die Maske uud hei dciu
Schlciehschcii Vei'faliveu ein — und der Patient aus diesem den Dampf d(;s
ganzen Flüssi<;,'keitsi4'emenffes einatmet, so Avird der V(M'lauf d(!r ganzen Nai'kose
'6 Pliasen unterscheiden lassen. Im Anfang wird größtenteils Aether und sehr
wenig C'hlorofoi'm verdampfen, dann wii'd ein Stadium kommen, wo Chloroform
und Aether annähei-nd gleichmäßig zur Verwendung gelangen, und am Ende
der Narkose wird reines Chloroform allein übergehen. Bei ti'opfenweiser Ver-
dunstung des Gemisches wird die im ersten Fall geschilderte aus '6 Phasen be-
stehende Periode sich so oft wiederholen, als ein Tropfen auf die Maske fällt,
vorausgesetzt, daß erst dann ein neuer Tropfen auffällt, wenn der vorige ver-
dampft ist, und daß die Dämpfe jedes Tropfens auch in die Einatmungsluft des
Patienten gleichmäßig gelangen. Dann wird die Narkose während ihres ganzen
Verlaufes einen gleichmäßigen Charakter behalten, indem fortwährend und rasch
hintereinander die einzelnen Verdunstungsphasen abwechseln und daher die
Einatmimgsluft in jedem Zeitabschnitt, welcher de]- Verdunstung eines Tropfens
entspricht, zugleich mit Aether und mit Chloroform dampf sich mischen kann."
AVas die Mischungen von Narkotika anlangt, so hat man diese hier ge-
nannten Arten zu berücksichtigen, während bei dem andern Teil der Misch-
narkosen, wie schon angedeutet, nicht die Narkotika, sondern die Dämpfe der-
selben gemischt werden. Ehe aber die letzteren erörtert werden, sollen die
näheren A-'erhältnisse und Wirkungen dieser Narkotikamischungen betrachtet
werden.
§ 51. Die physikalischen Eigenschaften der Narkotikagemische haben
eine große Ähnlichkeit mit denen der einzelneu Narkotika und sollen im folgenden
des näheren behandelt werden.
Wenu man 2 Narkotika, nehmen wir au Chloroform und Aether sulfuricus,
mischt, so erhält man eine Flüssigkeit, welche zwar ein anderes spezifisches
Gewicht erhält, ebenfalls einen anderen Siedepunkt, welche aber nicht gleich-
mäßig verdunstet, wie man annahm, also nicht z. B. bei Mischung von 3 : 1 auch
3 Teile von Chloroform und 1 Teil Äther verdunsten, sondern stets in anderen
Verhältnissen, die je nach der Temperatur wechseln. Immerhin aber wird Äther
in größeren Mengen verdampfen. (Honigmann, Braun etc.)
Es sind über diese Verhältnisse genaue Untersuchungen augestellt worden,
und so sind verschiedene Forscher zu denselben Resultaten gelangt. Die Ver-
suche von Braun haben ergeben, daß, wenn mau Aether und Chloroform
mischt, ebenso bei der Mischung anderer Narkotika, eine Erwärmung der
Flüssigkeit mit Kontraktion stattfindet, so daß das Volumen von Alkohol und
Aether größer ist, als das Volumen der Mischung Alkohol-Aether. Braun hat
folgende Tabelle aufgestellt und berechnet:
Verhältnis des Gemisches. Spezif. Gew. bei 15° C. Volumen von 100 ccm. AC.
AC = 6 : 1 0,837 98.5 ccm
AC == 3 : 1 0,925 98,0 „
AC--=2:1 0,990 97,7 „
AC = 3:2 1,044 97,6 ,.
AC = 1:1 1,120 97,5 ,.
AC = 2:3 1.2025 97,0 „
AC = 1 : 2 1,2475 96,5 „
Wenn man eine Mischung von Aether-Chloroform (AC) in ein anderes
Gefäß gießt, so wird dabei schon das spez Gewicht verändert, es steigt, ebenso,
wenn man nur kurze Zeit die Flasche offen stehen läßt, in welcher sich die
Mischung befindet, es ändert sich also fortwährend die Ziisammensetzung des,
Gemisches, indem mehr Aether als Chloroform verdunstet. Durch Versuche
mit einem eigens hierzu konstruierten Apparat hat Braun gefunden, daß. wenn
man bei 15 ^ ein Quantum AC in 6 : 1 gemischt, etwa bis zur Hälfte verdampft,
eine Mischung von durchschnittlich 25,5 Teilen Aether und 1 Teil Chlorofoi'm
32
— 498 —
verdunstet, während der Rückstand eine AC-Mischung von 3 : 1 darstellt. Ver-
dampft mau ein Quantum AC von 3:1 bis zur Hälfte, so geht eine Mischung"
von durchschnittlich 8 Teilen Aether und 1 Teil Chloroform in Dampf über,
w^ährend der Rückstand eine Mischung von AC := 3 : 2 darstellt. Der relative
Chloroformgehalt des Rückstandes nimmt fortdauernd zu und der Aethergehalt
der Dampf mischung nimmt ununterbrochen ab, und es verdampft selbst aus
einer Mischung von AC = 2:3 noch mehr Aether als Chloroform.
Die Temperatur hat auf die Gemische eine sehr starke Einwirkung, und
es ändert sich die Zusammensetzung der Gemische mit jedem Wechsel der
Temperatur. Braun hat ferner nachgewiesen, daß die Verdunstung der Gemische
von Chloroform und Aether um so gleichmäßiger ist, je höher die
Temperatui" ist, imd daß gerade bei der Temperatur, welche während der Nar-
kose in Frage kommt, die Verdampfung am ungleichmäßigsten vor sich geht.
Honig mann, Nernst etc. haben dargetau, daß eine Aether-Chloroformmischung
von ganz bestimmter Zusammensetzung bei einer Temperatur und einem
Barometerstand allerdings verdampfen muß, ohne daß sich ihre Zusammen-
setzung verändert, was aber bei der Narkose nicht in Betracht gezogen werden
kann, da die Zusammensetzung derselben relativ so große Mengen Aether mit
so kleinen Mengen Chloroform aufweist, daß man eine für die Narkose am
Menschen wesentliche Beeinflussung diesen geringen Chloroformmengen nicht
zuschreiben kann.
Nach diesen Erörterungen muß die Tropfmethode als beste Art derVei'-
abreichung erscheinen, doch dies ist nicht in dem Maße der Fall, wie es ersc heint,
denn es ist nicht immer möglich, so ideale Verhältnisse zu schaffen, daß ein
Tropfen immer erst auffällt, nachdem der andere verdunstet ist etc.
Kochmann hat z.B. nachgewiesen, daß schon die Zusammensetzung-
sich ändert, während das Gemisch den Weg von der Tropfflasche bis zum Meß-
glas etc. zurücklegt. Er fand auch, daß an der Luft viel weniger des Gemisches
verdampft, als man denken sollte nach den einzelnen Bestandteilen, und es
erklärt dies Kochmann dadurch, daß sich um jeden Tropfen gewissermaßen eine
Gashülle der im Gemisch enthaltenen Substanzen gebildet hat, welche die Ver-
dimstung verhindert, indem sie den Tropfen von der atmosphärischen Luft ab-
schließt. Bei dem am schwersten verdunstenden Alkohol ist die Gashülle be-
sonders dicht und undiirchdringlich. Allein es sind dies nur geringe Ver-
änderungen, die in der Praxis einen Einfluß nicht ausüben können.
Wenn man Chloroform und Äther mischt und verabreicht, so soll der
Äther als Antidot des Chloroforms wirken. Honigmann hat nun nach-
gewiesen, daß der Äther nicht als Antidot des Chloroforms auftritt und wirkt
und die schädlichen Einflüsse des Chloroforms auf den Organismus paralysiert,
sondern er hat gefunden, daß bei gleichzeitiger Inhalation vom Chloroform-
und Ätherdämpfen schon sehr geringe prozentische Mengen beider Narkotika
genügen könnten, um eine vollkommene Betäubung herbeizuführen. Diese
Volumprozente schwanken zwischen 0.11 Volumprozent Chloroform, 0,29 Volum-
prozent Äther einerseits und 0,8 Volumprozent Chloroform, 4,9 Volumprozent
Äther andererseits. Man ersieht aus diesen Angaben von Honig mann die
Verhältniszahlen, in welchen die Dampfvolumina von Chloroform und Äther
der Luft beigemengt sein müssen, damit dieselbe die höchste Potenz ihrer
narkotischen Kraft erlangt. Es stehen also die Volumprozente von Chlorofoi'm
\mä. Äther im Verhältnis von 0,11:0,29 oder 1:2,65, im anderen Falle im
Verhältnis von 0,8 : 4,9 oder 1 : 4,87. Wenn man nun untersucht, welche
Narkotikamischungen diesen Verhältniszahlen entsprechen, so sind nach
Kochmann folgende Gemische zu nennen :
I. Das mittlere Schleichsche Gemisch, welches Chloroform und Äther
im Verhältnis von 1 : 2,66 enthält ;
— 499 —
II. die Mischung B des Chlorofoi-mkomitees, Chloroform-Äther wie
1 : 3,06 ;
TU. eventuell noch die Wiener Mischling-, Chloroform -Äther wie
1 : 2,29.
Es kommen nun aber, wie Kochmann ausführt, bei Verwendung- der
Tropfmethode nur die Verhältnisse nach dem Tropfen in Betracht. Nach dieser
würde nun nur die W e i g- e r t s c h e Mischung, in welcher man Chloroform
und Äther im Verhältnis von 1 : 4,28 gemischt hat, allenfalls noch die Mischung
B des Chloroformkomitees für die Narkose zu empfehlen sein, denn alle anderen
Mischungen enthalten Chloroform und Äther in anderen Verhältnissen gemischt,
weshalb Narkosen mit ihnen schwierig einzuleiten sind und keinen Vorzug vor
den einfachen Narkosen mit Chloroform oder Äther haben. Es ist also nach
Kochmann nur dies eine Gemisch für die Tropfmethode brauchbar, und
doch haben auch dabei noch viele Verhältnisse Beachtung zu finden, man
müßte die Tropf methode in ganz idealer Weise durchführen, wollte man eine
wirklich richtige und bessere Narkose erhalten.
Man hat für alle die Mischungen der Narkotika von der Wiener
Mischung an bis zu den Schleichschen Siedegemischen zu bedenken,
daß die Verdunstung der Narkotika nicht als Mischung geschieht, sondern daß
die einzelnen Bestandteile verschieden verdampfen, von welcher Regel auch die
Mischungen von drei Narkotika keine Ausnahme bilden, auch nicht die Schleich-
schen Gemische. Und gerade dieser Umstand, der bei drei und mehr Bestand-
teilen der Mischung sehr komplizierte Verhältnisse schafft, gibt dem Wert der
Mischungen den Todesstoß. Die Verwendung- derselben ist ja die einfachste in
Form der Tropfmethode, doch es ist eben bewiesen, daß auch dabei nur eine
Mischung halbwegs gutes und brauchbares Verhalten zeigt, während alle anderen
Mischungen ganz anders verdunsten als man wünscht. Somit lag es nahe,
Apparate zu konstruieren, welche eine bessere Verdampfung gewährleisten
sollen, darüber wird weiter unten geschrieben werden. Auch die Vorzüge,
welche Schleich seinen Gemischen zuschreibt, sind nicht wirklich vorhanden,
denn es kann schon dann, wenn die Verdampfung nicht einheitlich geschieht
vom gleichen Siedepunkt nicht die Rede sein. Und man kann somit einen
Vorteil in den Gemischen nicht erblicken.
§ 52. Die physiologischen Einwirkungen der Gemische verhalten sich im
großen und ganzen nur wenig verschieden von dem Bilde bei einfacher Narkose.
Die Einwirkung- auf den Organismus besteht genau wie bei den einfachen Narkosen
in einer Lähmung der zentralen Elemente, der Ganglienzellen, und es treten diese
Lähmungen cm infolge der Wirkung der narkotischen Kraft der einzelnen Be-
standteile, welche, je nachdem in welchen Mengen sie in die Inspirationsluft ge-
langen, auf das Cerebrum einwirken. Honigmann hat an Tierversuchen gezeigt,
daß zur Herbeiführung der Narkose bei gleichzeitiger Anwendung von Äther
lind Chloroform in vielen Fällen eine außerordentlich geringe Konzentration
der narkotischen Dämpfe in der Atmungsluft erforderlich ist, und daß fast
immer die zur Narkose nötigen Konzentrationen erheblich niedriger sind als
bei Anwendung reiner Chloroform- oder Ätherdämpfe. Die kleinste Menge,
mit der Honigmann eine tiefe Narkose erzeugen konnte, bestand in 0,11
Volumprozent Chloroform und 20 Volumprozent Äther, während die größte Menge
0,8 Volumprozent Chloreform und 4,2 Volumprozent Äther betrug. Bei reiner Chloro-
32*
— 500 —
formnarkose siucl die Zalileu für die durchschnittliclie anästliesierende Dosis
1,2 Volumprozent uud für Atlier 5,1 Volumprozent. Es erhöhen sich also
durch die Mischung der Narkotika gegenseitig bei gleichzeitiger Anwendung
die narkotisierenden Eigenschaften der einzelnen Narkotika (H o n i g m a n n ,
Braun etc.). Der Äther wirkt also, wenn er dem Chloroform beigemengt
wird, verstärkend auf die narkotische Kraft des Chloroforms. Der Vorzug der
Gemische gegenüber der reinen Narkose liegt also darin, daß man geringere
Mengen, zur Narkose braixcht, um Toleranz zu erreichen, als mit Chloroform
oder Äther allein.
Wenn man nun die Mischungen, in denen hauptsächlich Chloroform und
Aether sulfur. enthalten ist, imtersucht, so findet man, daß dieselben auf die Herz-
tätigkeit gar nicht einwirken, der Blutdruck wird während der Narkose nicht
herabgesetzt und vermindert (H o n i g m a n n , G e p p e r t , Brau n). Der
Äther wirkt in den Mischungen sowohl als Narkotikum die narkotische Kraft
verstärkend als aiich die Herztätigkeit anregend. Die günstigsten Mischungen
sind solche, in denen zwei Volum Chloroform und ein Volum Aether sulf. ent-
halten sind. Bei diesen Mischungen braucht man weniger Narkotikum als bei
reinen Narkosen zui- Erreichung der Toleranz und es wirkt hier der Äther
die Herztätigkeit anregend und hat dabei doch keine wesentlich üblen Ein-
wirkungen auf die Lungen. Verwendet man hingegen Gemische, in denen
weniger Chloroform imd mehr Äther enthalten ist, wie drei Volum Aether sulf.
und ein Volum Chlorofoim, so findet man die schädlichen Lungenaftektiouen
der Ätherwirkung. (G e p p e r t , H o n i g m a n n , Braun etc.) Ein weiterer
Vorteil der Gemische soll in einer geringeren Exzitation, weniger Übelkeit nach
der Narkose, selteueremErbrechen während und nach derselben bestehen. Es hängen
diese Erscheinungen ganz ab von der Dauer der Narkose, denn nach sehr langen
Narkosen sieht man auch die üblen Folgen auftreten. Die Sekretion der Schleim-
häute wird durch die Mischungen mehr als durch die reine Chloroformnar-
kose angeregt, aber weniger als durch Äthernarkosen. Die verschiedenen Tier-
klasseu zeigen sich auch verschieden empfindlich gegenüber der Mischnarkose,
denn es werden die einen Tiere von der Mischung narkotisiert, wähi'end die-
selbe bei anderen Tieren keine Narkose zu erzeugen vermag, oder wieder andere
Tiere schnell tötet, schon im Beginn dei' Inhalationen. Es wurden leichte und
schwere Asphyxien bei den Tieren beobachtet.
§ 58. Was nun die pathologischen Wirkungen der Narkotikamischuugen
aiif den Organismus anlangt, so kann man folgendes feststellen. Es sind die
Einwirkungen der Mischnarkosen in verschiedenen Hinsichten geprüft worden,
und man hat so manchen Einblick in deren Wirkungsweise erlangt, doch es hat
bisher noch niemand die Einwirkung der Mischnarkoseu auf die inneren Organe
erforscht. Deshalb habe ich dahingehende Versuche angestellt, da nach meiner
Ansicht die Wirkung und der Wert eines Narkotikums am besten erkannt und
geschätzt werden kann nach den Ergebnissen der Einwirkungen bei längeren
Narkosen auf die inneren parenchymatösen Organe. Das Resultat meiner
Experimente an Hunden ist folgendes.
Die längeren Narkosen mit den verschiedenen Mischungen der Narkotika
haben ergeben, daß eine große Ähnlichkeit der pathologisch-anatomischen Ver-
änderungen mit denen nach den einfachen Chloroform- ;ind Äthernarkosen
besteht. Ich prüfte die verschiedensten Mischimgen, welche je aufgestellt worden
— 501 —
sinfl, A'on den Mischuiig'ou von Cliloroform nnd Aether sulfnr. in allen Verhältnissen
bis zu den Mischungen aus 3-4 Narkotika und den Schi eich scheu Siedegemischen.
Es hat sich dann ergeben, daß in allen Mischungen, in denen Chloroform in
wesentlichen Mengen vorhanden ist, auch die Veränderungen dei- Organe denen
nach Chloroformnarkosen sehr ähneln, und zwar noch vermehrt sind durch die
spezitischen Vei-ändei'uiigen der beigemengten Narkotika. Es ist also eine ver-
mehrte schädliche Wirkung vorhanden. Natürlich ist dies Bild der Veränderungen
bei Narkosen mit emem Gemisch aus 3 Narkotika nicht gleich der Summe der
Veränderungen dieser 3 Narkotika, sondern man findet in den Veränderungen
die Gruudzüge der Wirkungen auf die Organe jedes Narkotikums verzeichnet.
So ist z. B. das Bild der Veränderungen nach 4 langen Narkosen mit einem
Geraisch aus 3 Chloroform und l Aether sulfui". fast gleich dem Bilde nach
reinen Chloroformnarkosen, die Veränderungen sind in Herz, Leber, Niere und
Gehirn gleich denen bei Chloroform, in der Lunge sind sie etwas hochgradiger,
aber nicht viel schlimmer. Hat man aber mit 3 Aether sulf. und 1 Chloroform
narkotisiert, so ist ein Bild der pathologischen Veränderungen vorhanden, das
dem nach reinen Äthernarkosen fast gleicht. Mau findet dxselbst starke Ver-
änderungen in den Lungen, Gehii'u, Leber und Nieren, die gleich denen nach
Äthernarkosen sind, im Herzen aber ist die Fettmetamorphose stärker als nach
reiner Äthernarkose. Hat man nun eine Mischung von Chloroform -\- Aether ää,
so sind die Veränderungen sehr schwere, nebsn den Veräaderangen in Herz,
Gehii'n, Leber und Niere, die denen nach reinen Chloroformnarkosen vollko:nmen
gleichen, bisweilen, namentlich in den Nieren und Leber, oft auch Gehirn
und Herz, dieselben noch übertreffen an Ausdehnung und Intensität, findet
man in den Lungen die schwersten pneumonischen Infiltrationen, die denen
nach reinen Äthernarkosen nicht nachstehen. Wenn man nun 3 Narkotika
gemischt, so wird] au diesen Bildern gar nichts geändert, denn bei diesen
Mischungen sind immer Chloroform und Aether sulfur. die Hauptbestandteile,
während das dritte Narkotikum nur in geringen Mengen vorhanden ist. Ist
der dritte Körper Bromäthyl, so sind die Organläsionen sehr schwere, völlig
gleich denen nach reinen Chloroformnarkosen und dazu gesellen sich noch die
schweren Lungenaffektionen. Weniger schädlich ist Chloräthyl, dasselbe wirkt
im Sinne von Chloroform und schädigt weniger die Lungen, mau hat dann
meist ein Bild wie nach vielen Chloroformnarkosen, wozu noch die Wirkung*
des Äthers kommt, wenn derselbe in größeren Mengen beigegeben ist. Am
wenigsten schadet der Alkohol. Derselbe vermehrt die Organläsionen nicht
oder nur ganz wenig, verursacht aber nach meinen Beobachtungen sehr unan-
genehme Nachwirkungen und Übelbefinden, Kopfsehmerz und Erbrechen nach
den Narkosen beim Menschen. Nur wenn er in ganz geringen Mengen beige-
geben ist, übt er keine wesentlichen Einwirkungen aiis. Es geht also aus
diesem hervor, daß sich die schädlichen Einwirkungen auf die inneren Organe
nicht durch die Mischnarkose vermindern lassen, so?idern, daß der Organismus
einer größeren Gefahr ausgesetzt wird durch die Mischnarkose, als durch die
reine Narkose. Es wird durch die Mischung die narkotische Kraft erhöht,
zugleich aber auch die Läsion der Organe. Es scheint, als sei die Ver-
änderung in den inneren Organen, die in Fettmetamorphose besteht, eng ver-
knüpft mit der narkotischen Kraft. Je größer die narkotische Kraft eines
Narkotikums ist, um so schwerer wirkt dasselbe auf die inneren Organe ein,
— 502 —
um so leichter bewirkt dasselbe Fettmetamorphose. Dies gilt auch für die
Mischungen. Je größer die narkotische Kraft eines Narkotikumgemisches ist,
um so leichter ruft dasselbe Fettmetamorphose hervor. Es wird ja nun
zweifellos die Narkose durch die Mischungen schneller erreicht, weil eben bei
manchen Mischungen die narkotische Kj'aft gesteigert ist. Ein geringer
Vorteil könnte dann darin liegen, daß mau dabei weniger von der Mischung zui'
Narkose braucht. Allein man muß eben auch mit den Mischungen um so vor-
richtiger in der Verabreichung sein, je höher die narkotische Kraft ist. Neben-
bei muß man noch die Wirkung des Aethers sulfur. auf die Lungen berück-
sichtigen. Wenn in einer Mischung der Äther in wesentlichen Mengen vor-
handen ist, so übt derselbe schädliche Einflüsse auf die Lungen aus.
Da auch das Cbloroform die Salivation in gewissem Grade anregt und Fett-
metamorphose in den Lungenepithelien erzeugt, so wird die Ätherwii-kung
noch vermehrt werden. Es fanden sich in allen Versuchen mit Gemischen,
in denen Aether sulf. in wirksamen Mengen vorhanden war, schwere Lungen-
affektionen.
Was nun die Einwirkungen im besonderen anlangt, so ist das Bild bei
der Behandlung der Äther- und Chloroformnarkose des genaueren beschrieben
worden, und es kann dasselbe in den früheren Kapiteln dieses Buches nach-
gelesen werden. Ich will hier nur erwähnen, daß sich im Gehirn stets reich-
lich Fett in den Wandungen der Blutgefäße und den Ganglienzellen fand,
ebenso im Groß- wie im Kleinhirn, namentlich in den Gefäßwandungen war
sehr viel Fett zu finden. Das Herz war am wenigsten von allen Organen ver-
ändert. In demselben war wohl Fettmetamorphose vorhanden, doch war die-
selbe nie stärker als nach reinen Chloroformnarkosen, und es war nie Nekrose
und Zerfall der Muskelfasern zu finden, wohl aber war stets die Querstreifung voll-
kommen verschwunden, und in den Muskelfasern war Fett in feinen Tropfen
gleichmäßig über die ganze Faser verteilt oder in Havifen bipolar in der Achse
des Kernes vorhanden. In Leber und Nieren waren die Veränderungen sehr
stark, von der hochgradigen Fettmetamorphose bis zur Nekrose und Zerfall
war die Veränderung überall zu finden, am meisten in der Peripherie der Acini
der Leber und in den Tubuli contorti der Nieren. In den Lungen war meist
viel Fettmetamorphose der Epithelzellen des respiratorischen Epithels vor-
handen, daneben mehr oder weniger starke pneumonische Infiltration und
Schleimansammlung in den Alveolen. Diese Bilder waren stets vorhanden, bei
den einen mehr, den anderen weniger ausgeprägt.
Was nun die pathologischen Einwirkungen während der Narkosen selbst
anlangt, so ist zu bemerken, daß Herzschwächezustände, Kollapse, Synkope
bei meinen Versuchen weniger häufig beobachtet wurden, als bei den reinen
Chloroformnarkosen, und es erscheint mir entschieden sicher, als habe die Misch-
narkose einen günstigeren Einfluß auf das Herz als die reine Chloroformnarkose.
Dies istj auch von Honigmann, Braun, Geppert etc. schon nach-
^gewiesen worden und entschieden ein Vorteil, der nicht zu unterschätzen ist.
Allein er wird aufgewogen durch die bei weitem häufigeren Lungenaffektionen
nach den Narkosen. Natürlich muß auch bei der Mischnarkose für reichlichen
Luftzutritt zu den Lungen gesorgt werden, denn der Kranke bedarf ebensogut
wie bei den reinen Narkosen so auch hier des Sauerstoffes. Es erübrigt hier
nicht mehr die einzelnen Wirkungen der Gemische zu präzisieren. Meine
Versuche sind in anderer Richtung und anderer Hinsicht angestellt, und die
Resultate decken sich vollkommen mit den Resultaten Honig manns und
anderer, die Experimente wieder in anderer Hinsicht anstellten. Somit ist es
eine Genugtuimg, zu erfahren, daß diese Beobachtungen durch verschiedene
— 503 —
Forscher auf verschiedenen Wegen erlangt M^urdeu. Aus alledem geht hervor,
daß von den Mischungen nur wenige brauchbar sind, und daß auch diese
wenigen keine Vorzüge vor den einfachen Narkotika in ihrer Wirkung auf den
Organismus haben.
§ 54. Nach diesen Betrachtungen sollen noch kairz einige statistische
Fragen erörtert werden.
Wenn man die Todesfälle berechnet, so ergibt sich folgendes:
Schleich fand bei 600 seiner Narkosen keinen Todesfall
Gurlt „ „ 3370 Narkosen mit Billrothscher Mischung 1 Todesfall
„ „ „ 207.5 „ ,, reinem Chloroform 1 ,,
„ „ „ 5112 „ „ „ Aether sulf. 1 ,,
V. W i n c k e l hat unter 100 Narkosen mit Schleichschem Siedegemisch I
häufig bedrohliche Erscheinungen gefunden und mußte zehnmal wegen derselben
ein anderes Narkotikum wählen. Poppert berichtet über 812 mit einem
Äthei'-Chloroformgemisch von 5 : 1. Eine vollkommen ruhige Narkose konnte
nur in 767 Fällen erzielt werden. Dreimal traten äußerst bedrohliche Er-
scheinungen von selten des Herzens ein; 32mal waren Störimgen wie Würgen,
Erbrechen, kurze Asphyxien etc. vorhanden, imd fünf Patienten starben nach-
träglich an Pneumonien. Diese Resultate sind sehr schlechte, und Poppert
äußert sich auch' sonst noch recht unzufrieden über diese Narkosen mit Ge-
mischen, denn bei zwei Patienten war überhaupt kein Schlaf zu erzielen, und in
neun Fällen trat ein überaus starkes, protrahiertes und ausgeprägtes Exzitations-
stadium ein.
Gurlt hat in anderen Statistiken auf 996 Narkosen mit Billrothscher
Mischung einen Todesfall, ferner auf 7613 Narkosen mit Chloroform und Aether
einen Todesfall gesammelt. R o w e 1 1 hat 800 Narkosen mit der ACE-Mischung
ohne Todesfall und sonstige üble Erscheinungen gesammelt, Alessand ri
hat 315 Narkosen mit Chloroform und Äther ohne Todesfall und 106 mit Bill-
rothscher Mischung ohne Tod, während er auf 4153 Chloroformnarkosen einen
Todesfall erlebte. M a d u r o hat 5000 Narkosen mit den Schleichschen
Gemischen gesammelt und unter denselben nicht einmal üble Erscheinungen
zu verzeichnen, auch keinen Todesfall zu melden, Rodmann hat an 700
Narkosen mit den Schleichschen Siede gemischen Erfahrungen ge-
sammelt und warnt vor diesen Gemischen, da sie in seinen Fällen nie die
ihnen zugeschriebenen Vorteile gezeigt haben, und da er selbst des öfteren
Atemstillstand und ein unerwartet frühzeitiges Erlöschen der Reflexe, also die
Symptome der Überdosierung, beobachtete. 1 1 j i n hat bei 165 Narkosen mit den
Schleichschen Gemischen oft bedenkliche Erscheinungen, zweimal be-
drohlichen Stillstand der Atmung gesehen; hingegen hat Stone 441 Narkosen
mit den Schleichschen Siedegemischen ausgeführt und einen Todesfall an
Synkope erlebt. Die betreffende Patientin war nicht herzkrank und auch sonst
nicht schwer leidend und wurde wegen chronischer Perityphlitis operiert. Die
Operation war beinahe beendet, als der Puls anfing schlecht zu werden, die
Herzkraft zu erlahmen, und die Patientin bald starb. Neben diesem Todesfalle
wurden unter den 441 Narkosen 13mal ernstere Symptome beobachtet, welche
aber wieder beseitigt werden konnten. David Lamb hat unter 4000 Nar-
kosen mit Chloroform und Aether sulf. ää zwei Todesfälle erlebt. Weber hat
unter 300 Chloroform — |- Aethernarkosen keinen Todesfall aber mehrere Herz-
schwächeanfälle und vorübergehende Asphyxien sowie 2 mal Bronchitiden und
einmal Pneumonie nach den Narkosen gefunden, v/ährend Kuhn unter 200
gleichen Narkosen keine üblen Nebenwirkungen beobachtete. K r ö u i g hat
1000 Aether- -)- Chloroformnarkosen ausgeführt ohne Todesfall und wesent-
liche Nachteile zu erleben. Bernd t hat 120 Aether-Chloroformnarkoseu
ohne üble Nebenwirkungen geleitet. F a r r i e s berichtet über einen Todesfall
— 504 —
in Narkose mit Schleichschen Siedegemisch Nr. 1, der auf 100 Nar-
kosen mit diesen Gemischen kommt, Alessandri hat weiter 307 Narkosen
mit Aether -|- Chloroform äa und 166 mit Billrothscher Mischung ohne Todes-
fall gesammelt.
Aus diesen Angaben kann man folgendes berechnen: Es sind 13 Todes-
fälle auf 29835 Mischnarkosen, was ein Verhältnis von 1: 2295 darstellt. Dieses
Verhältnis der Todesfälle ist kein gutes zu nennen, denn es ist bedeutend
schlechter als das der Chloroformtodesfälle. Auch aus den einzelnen Zahlen
der verschiedenen Mitteilungen ersieht man ein wenig günstiges Verhältnis.
Jedenfalls sagt das Gesamtverhältnis wie die einzelnen Verhältniszahl dn dem
Beobachter, daß die Todesfälle nicht seltener bei und kurz nach den Misch-
narkosen vorkommen, Wären die Mischnarkosen so ungefährlich, wie man sie
hingestellt hat, so müßte man wenigstens ein Verhältnis der Todesfälle gleich
dem des Aether sulfur. erhalten, also 1: 5000. Dem entgegen ist das Verhältnis
noch ein schlechteres als das der Chloroformwirkung. Durch die Resultate
der Statistik werden also die Ergebnisse meiner Untersuchungen au Tieren
vollauf bestätigt, welche besagen, daß die Gefahren eher vermehrt als ver-
mindert werden. Mischt man zwei Narkotika, so erhält man in gewissem Grade
eine vermehrte narkotische Kraft, man vermehrt aber damit auch die schäd-
lichen Einflüsse der Nai'kotikagemische auf die inneren lebenswichtigen Organe.
Überlegt man nach diesen Berichten die Verhältnisse der Herzkollapse, so hat
man eine Synkope auf 141 Narkosen, ferner zwei schwere Lungenleiden auf 300 Nar-
kosen, beobachtet. Es geht auch aus diesen Zahlen hervor, daß ein Vorteil
in dieser Hinsicht den Mischnarkosen nicht anhaftet. Es ist daher aus all
diesen wenigen Angaben schon zu entnehmen, daß auch die Statistik die Misch-
narkose nicht günstig beurteilen läßt. Mau hat entschieden bei diesen
Arten der Mischnarkosen eine gefährliche Intoxikation des Organismus vor
sich, welche insofern besonders gefährlich ist, als die Narkotika nicht in den
gewünschten Verhältnissen dem Organismus zugeführt werden, sondern
wechselnd in verschiedenen Konzentrationen in die Lungen gelangen.
§ 55. Nach diesen Erörterungen über die Mischuarkosen sollen nun-
mehr die Technik und Arten der Ausführung derselben besprochen werden.
Die einfachste und an sich beste Art der Verabreichung der Narkotikagemische
ist die Tropfmethode und neben derselben hat man eine Reihe von Apparaten
konstruiert, welche eine exaktere Dosierung ermöglichen sollten. Was nun
die nähere Ausführung der Narkose mit gemischten Narkotika anlangt, so hat
man zuerst natürlich die Vorbereitung der Kranken für die Narkose in pein-
licher Weise zu treffen. Es sind da natürlich alle die schon früher im all-
gemeinen Teil als Vorschriften für die Vorbereitung für jede Art der Narkose
aufgestellten Thesen geltend, und die Vorbereitung des Kranken, Narkotiseurs,
des Zimmers etc. muß genau so geschehen, wie für jede Chloroform- oder
Athernarkose. Das ist also als bekannt vorauszusetzeen. Auch die Lagerung
des Ej.'anken in der Narkose etc. ist dieselbe wie bei den reinen Narkosen.
Da all diese Dinge früher erörtert sind, genügt es hier nur darauf zu ver-
weisen, weshalb wir uns jetzt sofort zur Ausführung der Narkose selbst wenden
wollen.
Genau wie bei der reinen Chloroform- oder Athernarkose spielt auch hier
die Tropfmethode die Hauptrolle, denn wenn mau die Mischnarkose dem
— 505 —
Praktischen Arzte in die Ilaud geben will, muß die Technik an sich die denk-
bar einfachste, dazu das Instrumentarium nach Möglichkeit klein und beschränkt
sein. Allen diesen Postulaten entspricht die Tropfmethode, denn man bedarf
zu derselben nur einer Tropfflasche und einer Esmarchschen Maske. Wie
schon oben erwähnt wurde ist die Tropfmethode aber auch diejenige Art der
Darreichung, welche annähernd eine Mischung der Dämpfe der in der Maske
verdunstenden Narkotika gleich den geforderten Verhältnissen, in denen man die
Mischungen hergestellt hat, ermöglicht. Wenn die Dämpfe in den gleichen Ver-
hältnissen unter der Maske sich mischen sollen, so dürfte man nur einen Tropfen
in die Maske tropfen nachdem der vorhergehende vollkommen verdampft ist,
denn dann erst wäre der Fehler der entstehenden Mischungen der Dämpfe
gegenüber denen der Narkotika im Tropfen gering. .Je kleinei- die momentan
verabreichten Mengen sind, desto kleiner ist auch der Fehler. Nun, man kann
aber nie in praxi diese Verhältnisse erreichen, denn Avollte mau in die Maske
nw einen Tropfen nach der vollkommenen Verdampfung des ersten und vorher-
gehenden hineinfallen lassen und so weiter, so würde man nie einen Menschen
betäuben. Man ist also genötigt, die Tropfen, sehr rasch in die Maske oder
auf dieselbe fallen zu lassen, und man verliert dabei wieder vollkommen die
Möglichkeit einer auch nur annähernd gleichen Konzentration der Gase. Unter
der Maske werden sich Mischungen bilden, welche vollkommen andere
Zusammensetzung haben als die Verhältnisse der Mischungen. Somit ist eigent-
lich die Verwendung der Tropfmethode bei der Mischnarkose vollkommen
illusorisch, denn man wird nie wissen, welche Mengen des einen oder anderen
Narkotikums der Ki-anke in dem oder jenem Moment inspiriert. Und gerade
das ist ja der ideale Wert der Mischnarkose, daß man weiß, jetzt erhält der
Kranke diese Mengen der Narkotika, so daß man je nach den Verhältnissen des
Kranken eine geeignete Mischung wählen kann. Immerhin ist die Misch-
narkose dmxh die Tropfmethode noch am besten auszuführen, denn alle
Apparate, die für diese Narkose konstruiert wurden, sind in praxi nicht brauch-
bar. Man wird aber auch nach den bis jetzt gemachten Erfahrungen diese
Art von Mischnarkosen kaum noch verwenden, da eben so ein Vorteil vor der
reinen Narkose nicht vorhanden ist.
Da man erkannte, daß mit der Tropfmethode eine wissenschaftlich exakte
Mischnarkose nicht ausgeführt werden konnte, geschweige denn mit der Auf-
gußmethode, welch' letztere darin besteht, daß man in eine J u 1 1 i a r d s c h e
oder auch Schimmmelbuschsche Maske das Gemisch 5 — 10 ccm-weis
aufgoß, schritt man dazu, Apparate zu erfinden, mit denen eine genaue Dosierung
der Gemische und genaue Zusammensetzung zu ei'reichen war. Ehe ich auf
diese eingehe, müssen noch einige andere Methoden und Apparate erwähnt
werden, welche zur Narkose mit Gemischen dienen. Zuerst will ich die Maske
erwähnen, mit welcher Schleich empfiehlt, seine Siedegemische zu ver-
wenden.
Diese Maske hat den Vorzug, daß man sie überall und jederzeit selbst
herstellen kann, denn man braucht dazu nur ein Stück Pappe iiud ein frisch
gewaschenes Handtuch. Diese nun gleich zu beschreibende Maske ist in
Amerika für die Aethernarkose vielfach in Verwendung. Man nimmt ein Stück
Pappe oder mangels derselben einige Lagen dicken Packpapieres und schneidet
einen Streifen von etwa 90 cm Länge und 15 cm Breite zurecht und legt diesen
Streifen auf ein flach ausa-ebreitetes Handtuch von 106 cm Länge und 40 cm
— 506 —
Breite so auf, daß links nur ein schmaler Streifen, rechts etwa 20 cm vom
Handtuch unbedeckt bleiben. Vom unteren Eande bleibt so viel vom
Handtuch unbedeckt, daß die über die Pappe geschlagene Kante des Handtuchs
gerade den oberen Rand des Pappstreifens erreicht. An der entgegengesetzten
Seite reichen etwa 9 cm vom Handtuch beim Ueberfalten des unteren Teiles
über die Pappe hinaus. Hierauf wird der linke freie Handtuchstreifen fest
über die Pappe gefaltet und man knickt nun, indem man alles in gleicher Lage
beläßt, das Handtuch mit der Pappe von links her um 15 cm, so daß man ein
ziemlich quadratisches Stück nach rechts umbiegen kann, darauf steht eine
doppelte Lage vom oberen freien Handtuchrande über die quadratisch gefaltete
Pappe ab. Nun knickt man die Pappe wiederum zur Hälfte in einen Winkel
von 45° ein so daß der linke Rand den oberen Rand des nun bedeckten Papp-
streifens berührt. Darauf folgt die zweite und etwa 6 malige Knickung der
Pappe, so daß von linksher gleichsam die Pappe aufgerollt wird, wobei jedes-
mal eine Umbiegung von 15 zu 15 cm ihrer Länge stattfindet. Wenn man auf
diese Weise die Pappe zu einem Zylinder aufgerollt hat, so wird der oben
frei überstehende Teil der Handtuchlagen von oben über das quadratisch-
zjdindrische Pappstück eingeschlagen und mit einigen Sicherheitsnadeln be-
festigt. Nunmehr legt man den rechtsseitigen freien Handtuchrand über die
Papplagen um und befestigt ihn mit ebenso vielen Sicherheitsnadeln. Somit ist
die Maske fertiggestellt. Wenn man sie in die Hand nimmt, so stellt sie
einen nach unten offenen Hohlraum dar, welchen man wie eine viereckige
Düte zu einem kleinen Zylinderhut ausweiten kann. In die Höhlung derselben
wii'd etwas Watte gelegt. So beschreibt Schleich selbst die Herstellung der
Maske, und man ersieht daraus wie einfach eigentlich eine solche Maske zu
fertigen ist. Allerdings haften derselben auch große Mängel an. Wenn man
nun die Maske verwendet, so gibt Schleich den Rat, vorher stets das Gesicht
zum Schutz gegen die Narkotikumätzung, falls dasselbe auf das Gesicht fließen
sollte, mit Vaseline dick einzufetten. Die Narkose wird dann derart vorge-
nommen, daß man in die Maske die erste Dosis der zu verwendenden Mischung
gießt und darauf die Maske fest auf das Gesicht des Kranken aufsetzt. Die
Maske schließt nicht vollkommen ab, sondern sie ermöglicht einen Luftdurch-
tritt von der Außenluft in die innere Maske, so daß also der Kranke nicht
unter der Maske die Dämpfe unter vollkommenem Luftabschluß atmet. Die
Augen werden von dieser Maske freigelassen, die Maske selbst ist stets sauber
und zu sterilisieren, dies sind Vorteile dieser Maske. Um die Narkose zur
nötigen Tiefe zu bringen, gießt man von Zeit zu Zeit 20 g der Mischung in
die Maske hinein und bringt so nach und nach den Kranken zur Toleranz.
Dies ist die Methode Schleichs, welche aber vor der Verwendung
einer der bekannten anderen Masken keinen Vorzug hat. Man kann natürlich
die Schleichs chen Siedegemische ebensogut durch andere Masken ver-
abreichen. Daß aber ein besonderer Vorteil durch diese Methode gegeben ist,
ist ausgeschlossen, denn es erfolgt eben nie eine Verdunstung der Gemische in den
Mengen, welche durch die Zahlen der Mischungsverhältnisse angegeben werden,
sondern es gehen die einzelnen Narkotika fraktioniert über, wie oben schon
erklärt wurde. Man hat ja bisweilen die Gemische Schleichs sehr gelobt,
man hat aber auch schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht, ein Vorteil ist
in diesen Mischungen eben nicht gegeben. Die Vorzüge der Schleichschen
Gemische sind gering, und es bestehen sogar Nachteile und gefährliche Neben-
wirkungen, was von verschiedenen Seiten durch Beobachtungen größerer Reihen
von Narkosen bestätigt wurde. (Noack, Rüge, Rodman etc.)
W e r t h e i m hat eine Änderung der Schleichschen Siedegemische vor-
genommen, indem er ein Gemisch konstruierte aus 1 l'eil Chloroform und
Aether petroli ää und 2 Teilen Aether sulf. Dieses Gemisch ist dem dritten
Schleichschen sehr ähnlich. Er hat 2500 Narkosen mit diesem Gemisch aus-
— 507 —
geführt, und es soUeu rubigo Narkosen damit erzeugt werden, die aber weseut-
licbe Vorzüge vor den reinen Äther- oder Cbloroformnarkosen nicht haben.
W e r t h e i m verwendete zu seinen Narkosen den Xarkosenkorb von
Rosthor n, welcher in einer gewöhnlichen kleinen Maske aus Drahtgestell
besteht, an dessen Basis sich eine breite Rinne um den untersten Drahtreifen
befindet, welche in ein Abflußrohr ausläuft. Die Maske wird mit Trikotstoff
überzogen. Die Rinne dient dazu, das herabfließende Gemisch aufzufangen
und durch das Rohr abzuleiten. Durch das Anbringen der Rinne wird das
überaus lästige Verbrennen der Gesichtshaut durch das von der Maske fließende
Narkotikumgeraisch vermieden, was z. B. bei der Schleichschen Maske einen
großen Nachteil darstellt.
Die Wertheimsche Mischung ist in England viel angewendet
worden, und man hat mit ihr teils gute, teils auch schlechte Erfahrungen
gemacht, jedenfalls bietet die Mischung keine Vorzüge vor den anderen
Gemischen und den einfachen Narkosen, was aus den Mitteilungen über die
Erfahrungen mit diesen Narkosen hervorgeht. (Rüssel, Howard, Harold,
Bernard, Probyn-Williams etc.)
Eine in neuerer Zeit vielfach zu kiirzen Narkosen namentlich empfohlene
Mischung kommt unter dem Namen Somnoform in den Handel. Durch diesen
Namen erscheint ev. manchem der Körper als einheitliches Narkotikum,
während derselbe eine Mischung aus mehreren Narkotica darstellt. Das
Somnoform besteht aus Äthylchlorid 60,0 Methylchlorid 35,0, Äthylbromid 5,0
(Rolland). Das Somnoform ist hervorgegangen aus dem Corjd, eine Mischung
von Bromäthyl und Ghloräthyl, welches zur lokalen Anästhesie verwendet
wurde. Fouvet-Fanton hatte schon gelegentlich entdeckt, daß mit Coryl
leicht Narkose zu erreichen sei. Rolland machte dieselbe Bemerkung
und konstruierte aus dem Coryl das Somnoform und führte es in die Praxis
ein. Er hatte es anfangs bei 700 Fällen erprobt und war sehr zufrieden, und
fand die Vorzüge vor allem im schnellen Eintritt der Narkose und darin, daß
die Kranken nicht vorbereitet zu sein brauchen sowie nach der Narkose nicht
unwohl sind. Er hielt auch jede schädliche Wirkung für ausgeschlossen, die
ja auch bei kurzen Narkosen sehr gering ist. Rolland wandte nun das
Somnoform nicht allein bei Zahnoperationen, sondern auch bei langen Operationen
in der Geburtshilfe, hei anderen kleinen chirurgischen Eingriffen an. S a u v e z ,
H 0 d 0 n , Mähe, V i a u etc. haben ebenfalls sehr gute Resultate mit
kurzen Narkosen erzielt. Rolland berichtete vor der Societe de Medicine
et de Chirurgie de Bordeaux über 1500 Narkosen bei kurzen Eingriffen und
rühmte das Somnoform sehr. C 1 e r c hat an sich selbst die Wirkung geprüft
und sich und seinen Assistenten über lOOmal somnoformiert und rühmt die
angenehme Narkose. Er hat dasselbe auch in der Geburtshilfe viel ver-
wendet, um zu große Wehen schmerzen zu lindern und Dammrisse zu nähen.
L 0 u m e a u hat auch bei langen Narkosen, z. B. für eine Nephrektomie,
Urethrotomie, Lithrotomie etc. das Somnoform zu seiner vollsten Zufriedenheit
verwendet. L e g r o u g e hat dasselbe auch bei Augenoperationen vielfach ver-
wendet. Rolland hat mit der Zeit 15 000 Narkosen ausgeführt ohne jeden
Unfall.
Die Wirkungen dieses Gemisches sind wie bei allen Mischnarkosen die
Summe der Wirkungen der einzelnen Bestandteile. Man kann mit dem Somnoform
eine schnell vorübergehende Narkose erzeugen, die man sehr gut zu kurzdauernden
Operationen verwenden kann, doch man hat gewisse Nachteile zu beachten,
denn es kommt bei der Narkose mit diesem Gemisch die Bromäthylwirkung
auf das Herz in Betracht, außerdem die reizende Wirkung auf die Lungen-
— 508
epithelien. Versuche, die ich mit Somnoform austeilte, haben ergeben, daß das
Gemisch vor der reinen Äthj^lchloridnarkose keinen Vorzug hat, sondern daß
dem Somnoform mehr nachteilige Wirkungen anhaften. Man muß mit
diesem Gemisch ganz besonders vorsichtig sein, und darf es nur zu kurz-
dauernden Narkosen verwenden, und selbst bei denselben ist noch Gefahr für
Herz und Lungen vorhanden, namentlich bei Personen, die au chronischen
Herz- und Lungenkrankheiten leiden. Ich will dabei natürlich nicht gewisse
Vorzüge leugnen, die dem Gemisch anhaften. Auch C o 1 e weist auf die üble
Wirkung des Bromäthyls im Somnoform hin, während von Robinson,
Kirkpatrick etc. gute Resultate gemeldet werden, doch hält M c. C a r d i e
die Mischung nicht für besser, als die reine Äthj4chloridnarkose. Alle Autoren
haben es nur für kui-ze Narkosen verwendet. Die Narkose tritt nach einer Minute
ein und dauert 15 Sekunden bis 2 Minuten an. Kirkpatrick verwendete
es bei 207 Fällen mittels des Ormsbyschen Apparates. Erbrechen trat
selten auf. Ein besonderer Apparat ist von V e r n o n Kn o av 1 e s für die
Somnoformnarkose konstruiert worden, der in Figur 151 abgebildet ist.
Der Apparat, „Ideal" genannt, ist aus der Figur 151 in seiner Konstruktion
zu ersehen. Er besteht im ganzen aus Mundstück, Sammelballon und Ver-
bindungsro'hr beider, in welchem ein Luftventil C angebracht ist, welches in
eine Röhre D führt. Das Luftventil C
kann durch den Hebel B geöffnet
und geschlossen werden. Durch das
Rohr D kann man, nachdem das
Ventil C geöffnet ist, Somnoform
eingießen. Der Guramibeutel kann
leicht vom ganzen Apparat abge-
nommen und umgestülpt werden. Er
kann ebenso wie die Gesichtsmaske
ausgekocht werden. In die Maske
wird ein Stückchen Mull gelegt,
welches rund geschnitten und als
Kegel zusammengelegt in die Maske
geschoben und von den federnden
Armen an der Maskenwand fest an-
gedrückt gehalten wird. Um den
Apparat zu benutzen, muß man
stets ein solches Stückchen Mull in
die Maske einlegen. Man schließt
dann das Luftventil und gießt auf
das Stück Mull in der Maske
2 — 5 ccm Somnoform auf, drückt die
Maske fest auf das Gesicht und läßt den Kranken atmen, indem er die Luft
aus dem Gummiballon inspiriert mit den Somnoformdämpfen and die .. Ex-
spirationsluft wieder in den Gummiball ausstößt, um sie daraus wieder zu in-
spirieren. Reicht die Menge Somnoform nicht aus, oder will man die Narkose
verlängern, so gießt mau entweder wieder einige ccm Somnoform auf den
Mull in der Maske, nachdem man dieselbe vom Gesicht gehoben hat, oder öffnet
das Luftventil und gießt durch dasselbe das Somnoform in den Beutel. Letztere
Methode ist besser. Die Methode mit diesem Apparat kann wohl unbeschadet
in manchen Fällen für kurze Narkosen verwendet werden, docli darf man sie
nie zu längeren Narkosen verwenden, da der Patient in dem Apparat zu gleicher
Zeit unter Sauerstoffmangel und Kohlensäureintoxikation gesetzt wii'd. Beides
wirkt gefahrvoll. Das Somnoform wird von der Firma C. de Trey in Berlin-London
fabriziert und in Flaschen, wie sie beistehende Abbildimg zeigt, in den Handel
gebracht. Die Flasche ist graduiert, damit man ablesen kann, wieviel Somno-
form man vei-wendet hat. Figur 152 zeigt diese Flasche, außerdem kommt
Fig. 151. Narkoseapparat „Ideal"
für die Somnoformnarkose.
509
Somnoforni auch in zugeschmolzenen Glastubeu in den Handel. Xatürlicli muß
man für ein reines, untersetztes Präparat sorgen, alle Zersetzungen, die leicht
(>ntstehen, und Verunreinigungen sind sehr gefährlich für die Narkose. Man hat
wohl mit dem Somnoforni gute Narkosen erzielt, doch besteht ein wesent-
licher Vorzug VC)' den reinen Narkosen in dieser Methode nicht.
Was nun die weiteren Apparate anlangt, welche man für die Narkosen-
gemische verwendet hat, so sind der Clo versehe Apparat, der Ormsbysche,
der R e n d 1 e r s c h e u. dgi. m. zu nennen, die man für die reine
Äthernarkose auch verwendet. Im übrigen kann man jede Maske und jeden
Apparat, den man für Chloroform- oder Athernarkosen braucht, auch für die
Gemische verwenden.
Eine andere Art, das Somnoforni zur Narkose dem
Kranken zu verabreichen, ist folgende, welche wohl vom
Anfang an Verwendung gefunden hat. Man nimmt ein vier-
eckiges Tuch, Taschentuch oder Serviette, und schneidet
sich einen ca. 50 cm langen und 15 cm breiten Pappstreifen
oder Streifen dicken Papiers. Der Pappstreifen muß die
Länge einer Seite des Tuches haben und die Breite ^4 dieser
Länge. Man legt ihn dann anf die Serviette und faltet
dieselbe in Streifenform über die Pappe, so daß letztere mit
Leinen überzogen ist. Nun hat man einen langen Streifen,
welchen man zu einem Kegel zusammenlegen und mittels
Sicherheitsnadeln fixieren kann. Dieser Kegel ist die Maske,
in dessen Innenraum ein kleiner Wattebausch mit einer Nadel
in der Spitze befestigt wird. Auf diesen Wattebausch gießt
man das Somnoform und setzt die Maske mit der Grund-
fläche des Kegelmantels, den dieselbe repräsentiert, auf das
Gesicht des Kranken fest auf. Man muß darauf achten, daß
der Rand der Maske luftdicht auf dem Gesicht aufliegt. Die
Augen bleiben frei. Nachdem man 5 g Somnoform in die
Maske gegossen, läßt man den Kranken tief atmen und ver-
anlaßt ihn, die Augen offen zu behalten. Sobald die Narkose
eintritt, fallen die Augen zu, und der Blick wird starr.
Jetzt kann man die Operation beginnen. Bei 5 g Somnoform
dauert es mit dieser Maske 50 Sekunden, bis die Betäubung
eintritt. Man soll aber die Methode nur zu kui'zen Narkosen
verwenden. Dazu ist es ebenso geeignet, wie das Chloräthyl,
Lachgas etc.
Dies sind die haupsächlichsten und wichtigsten Appa-
rate und Methoden der Darreichung, und man kann mit der
einfachsten Methode, der Tropfnarkose, die besten Narkosen
auch mit den Gemischen herbeiführen. Es ist wunderbar,
daß man in dieser Methode eine für alle Narkosenarten
und alle Narkotika, die in Üüssigem Zustande verabreicht
werden, gleich brauchbare Darreichungsform hat, denn wie
oben des genaueren erörtert wui'de, kann man einzig und Somnolormfiasche.
allein ein annähernd richtiges Verhältnis der Dampf mischungen durch das
Tropfen erreichen. Allein auch völlig genau arbeitet die Tropfmethode hier
nicht, man kann mit ihren Piesultaten bei den Gemischen nicht zufrieden sein,
weil eben die physikalischen Verhältnisse in den Narkotikamischungen andere
sind, als man angenommen hätte.
Eine andere Mischung von Narkotika ist das Narkotil, welches von
Eastham für Narkosen verwendet worden ist. Man gewinnt das Narkotil,
wenn man eine Mischung von Äthyl- und Methylalkohol mit Salz-
— 510 —
säure behandelt und destilliert. Die aus dieser Mischung entstehenden Dämpfe
werden gereinigt und unter erhöhtem Druck kondensiert. Das Narkotil stellt
ein konstantes vom Licht nicht beeinflußbares, gut haltbares Produkt von
großer Flüchtigkeit und angenehmem Geruch dar. Dasselbe ist gleich dem
Aether sulfuricus sehr leicht entzündlich. Um das Narkotil als Narkotikum
zu verwenden, muß man einen geschlossenen Apparat brauchen. Die Wirkungen
des Narkotils gleichen am meisten denen des Aether sulfur., vor allen Dingen
wirkt das Narkotil anregend auf die Herzaktion, während man eine vermehrte
Salivation bei den Narkosen nicht beobachtet haben will. Die Narkose ist eine
vollkommen tiefe, die Muskulatur wird total erschlafft, gelähmt, während
die Pupillen im Anfang der Narkose erweitert später verengt werden. Die
Toleranz wird wie bei andern Narkotika auch durch eine maximale Verengerung
der Pupillen angedeutet. Man kann an den Augen auch das Straß-
m a n n s c h e Phänomen beobachten (Verf.). Die Narkose tritt rasch ein und
das Erwachen erfolgt ebenso schnell. Da das Mittel sehr leicht verdampfbar ist
und sich nur wenig in Wasser löst, ist die Lösung im Blutserum nur eine sehr
lockere. Nach denNarkosen fehlen meistKopfschmerzen vollkommen, ebenso treten
Erbrechen, Übelsein etc. sehr selten auf. Nach kurzen Narkosen werden fast
gar keine Beschwerden nach der Narkose gefunden, während nach langen Be-
täubungen auch Erbrechen und Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel zu
finden sind, die nach einigen Stunden bis Tagen verschwinden (Verf.).
E a s t h a m hat üble Nebenwirkungen nicht gesehen, meint aber, daß durch
Üherdosierung solche entstehen können und meint, daß bei der großen Flüchtig-
keit des Narkotils künstliche Respiration, zur rechten Zeit eingeleitet, stets den
Kranken vor Exitus bewahren kann. Das Narkotil erzeugt sehr starke Kälte-
wirkung beim Verdampfen, weshalb auch die Dämpfe sehr kalt sind, und dadurch
leicht die Lungen reizen können sowie Erkältungen herbeiführen werden.
Nach E a s t h a m eignet sich das Narkotil sowohl für lange, als auch kurze
Narkosen. Er hat 20 solcher Narkosen ausgeführt und ist recht zufrieden damit
gewesen. Er verwendet einen Apparat von L o b j o i s, welcher einen Gebläse-
apparat mit Exspirationsventil darstellt. E a s t h a m gibt den Rat, um die
Wirkung der sehr kalten Gasgemische auf die Lungen günstiger zu machen,
die Flasche des Gebläseapparates in ein mit warmem W^asser gefülltes Glas
zu stellen, um so die Gase anzuwärmen. Dies wird aber nach meiner Ansicht
unvorteilhaft sein, weil durch die höhere Temperatur mehr Narkotil verdampft,
als man zu dem durchgetriebenen Luftstrom beigemengt wünscht. Wenn die
kalten Gase eine so stark schädliche Wirkung besitzen, also die Abkühlung eine
sehr hohe ist, so wird man besser die Luft-Narkotilgasgemische durch einen
langen Gummischlauch, welcher zwischen dem Gefäß des Apparates und der
Maske angebracht ist und durch ein Gefäß, das mit heißem Wasser gefüllt ist,
führt, treiben, so daß sich nur die Gasgemische erwärmen. Es ließe sich diese
Vorrichtung an jedem .J u n k e r s c h e n Apparat anbringen. Der Junker sehe
Apparat ist ebenfalls gut für das Narkotil brauchbar. Ich habe nur wenig
Narkosen mit Narkotil ausgeführt, und habe kein definitives Urteil, es scheint
für kürzere Narkosen ganz vorteilhaft zu sein. Immerhin scheinen Gefahren
nicht ausgeschlossen, und man muß mit der Verwendimg noch vorsichtig sein,
ehe man nicht an Tierversuchen die Wirkungen des Narkotiles auf den
Organismus in jeder Hinsicht geprüft hat.
— 511 —
In Italien wird von Dr. Zambeletti-Milano der Liquor Somniferus
Zambeletti für kurze Narkosen empfohlen. Dei'selbe ist ein Gemisch, das sich
für kurze. Betäubungen sehr gut eignet und dem Somnoform sehr ähnlich ist.
Die Narkose tritt rasch ein und hält bis 2 Ja 5 Minuten an.
§ 56. Eine weit größere Bedeutung haben die Mischnarkosen erlang-t
durch den Fortschritt, welcher durch E 1 11 s zuerst geschaffen wurde, indem
man eine Änderung der Mischungen bewirkte, indem man nicht mehr vor der
Verabreichung die Narkotika selbst mischte, sondern erst die Dämpfe derselben
gemischt dem Kranken verabreichte.
E 1 1 i s war der erste, welcher diesen Gedanken verwirklichte und zu
diesem Zwecke einen Apparat konstruierte, der drei Kammern enthält, eine für
Alkohol, eine für Aether sulfur. und eine füi" Chloroform, und in denen jedes
der drei Narkotika verdampfte, indem es an Baumwollfäden zur- Verdunstung
kam, und zwar waren diese Kammern in Größe und sonstigen Verhältnissen so
eingerichtet, daß die durch sie durchstreichende Luft immer 2^0 Alkoholdämpfe
und nie mehr als S^/,, Äther und Ghloroformdämpfe beigemengt erhielt, und
somit ein Gemenge von Gasen entstand, dessen Zusammensetzung man genau
kannte. Es ist diese Änderung in der Narkosenform eine so bedeutende, daß
ich es nicht für richtig halte, wenn man die Resultate der Mischnarkosen, bei
denen man die Narkotika selbst mischt, im gleichen Rahmen abhandelt mit den
Resultaten dieser Narkosen. Der Unterschied beider Arten von Mischnarkosen
mag dem Laien nicht so groß erscheinen, dem Sachverständigen aber ist es
von vornherein klar, daß ein ganz gewaltiger LTuterschied zwischen beiden
Methoden besteht. Es ist kein Zweifel, daß die Narkose mit Dampfgemischen
die beste Narkose darstellt, und daß man von derselben die schönsten Erfolge
auf dem Gebiete der Narkosenwissenschaft erwarten kann. Der Anlaß, der zu
der Dampfmischung führte, war darin gelegen, daß man erkannte, daß selbst
in den genauesten Mischungen der Narkotika eine andere Verdunstung und
andere Mischungen der Dämpfe entstehen mußten, und daß man doch bestrebt
sein mußte, dem Kranken bestimmte Gasgemische von bestimmter, feststehen-
der Konzentration zu verabreichen, deren Zusammensetzung man aber
während der Narkose in jedem Augenblicke ändern könnte. Nicht in der
Narkotikumflasche liegt der Hauptschwerpunkt der Narkose, sondern in dem
sich dicht vor den Respirationswegen des Kranken unter der Maske bildenden
Gasgemische. So konnte man nur durch die Mischung der Dämpfe der einzeln
verdunstenden Narkotika eine Besserung schaffen.
Die Mischung der Dämpfe der Narkotika hat nun natürlich eine sehr
große Ausdehnung erlangt, denn es werden ja sehr viele Variationen möglich
sein, welche dm*ch die Kombination der verschiedenen Narkotika entstehen.
Wenn man also diese Dampfgemische im allgemeinen betrachten W'Ollte, so
würde man nicht ein Bild entwerfen können, man kann nicht diese Mischungen
so beurteilen, wie die Mischungen der Narkotika selbst, denn bei letzteren
handelte es sich immer nur um die Mischung der Narkotika Chloroform und
Äther unter Beifügen eines dritten eventuell. Diese Mischungen konnten ein
einheitliches Bild in ihrer Wirkung auf den Organismus eher ergeben als
diese Dampfmischungen, welche eine zu große Variation erlitten haben, da
man die Narkotika selbst meist nur in bestimmten Mengen gemischt verwenden
konnte, während hier neben den beiden gebräuchlichsten Narkotika Chloroform
— 512 —
und Aether sulfur. noch verschiedeue an sich gasförmige Narkotilva hinzu-
kommen, und man hier auch nicht immer Chloroform und Aether sulfur. zu-
sammen verwendet, Avie es in den allermeisten Mischungen der Narkotika
selbst geschah, wodurch dort ein mehr einheitlicher Charakter geschaffen
wurde. Bei den Dampfmischungen geschieht es sogar sehr oft, daß man
Chloroform allein mit Sauerstoff gemischt verwendet, ebenso Aether sulfur.
allein mit diesem. Daß diese Verhältnisse nicht einheitliche Bilder der Wirkungs-
weise der Mischungen auf den Organismus zu entwerfen gestatten, ist leicht
erklärlich. Wenn man diese Arten der Mischnarkosen als Dampfgemische be-
zeichnet, so ist dies weniger zutreffend für alle die jetzt unter diese Rubrik
zu rechnenden Narkosen, denn man kann den Sauerstoff schwerlich als Dampf
betrachten, obwohl dies in einer gewissen Hinsicht richtig sein könnte, denn
der Sauerstoff stellt unter anderen Verhältnissen eben auch eine Flüssigkeit
dar, doch wir betrachten ihn nun einmal als ein Gas, und man würde auch nicht
fehlgehen, wenn man die Chloroformdämpfe als Gas ansehen würde, und diese
Narkosen als Gasmischnarkosen bezeichnen würde. ISIun, es ist dieser Vorschlag
nur deshalb gestellt, weil er meiner Ansicht nach berechtigter ist, weil ja die
gemischten Narkotika in toto Gase darstellen, weil eben Gas der weitere Be-
griff ist als Dampf. Dampf erinnert an das eben aus dem flüssigen in den
gasförmigen Zustand übergegangene Narkotikum, und da diese Dämpfe Gase
darstellen und mit anderen Gasen gemischt werden, so ist es wohl ein
logischerer Ausdruck, Gasmischnarkose zu sagen, als Dampfgemischnarkose, oder
Narkose mit Gasmischungen oder Gasgemischen entgegen Narkose mit Dampf-
gemischen. Unter Dampfgemische wären streng genommen nur die Chloro-
form-Ätherdampfgemische etc. zu rechnen, während die Sauerstoflgemische
nicht dahin gehören dürften, da man den Sauerstoff nicht immer als Dampf
verwendet, denn derselbe ist oft als Gas im Gasometer vorhanden, und selbst
wenn man komprimierten Sauerstoff verwendet, so ist man mehr gewöhnt den-
selben als Gas zu betrachten, da er eben unter den bei uns üblichen Ver-
hältnissen gasförmig ist und nur erst durch unsere Kunst flüssig gemacht
wird. Es soll daher hier von Narkosen mit Gasgemischen gesprochen werden.
Diese Methode der Gasgemische ist von E 1 1 i s angegeben, und ist dann
weiter ausgebaut worden von T y r e 1 1, Braun, Kionka, Geppert,
Roth, u. a. m. Die Methoden der Gasgemischnarkosen hängen eng
zusammen mit den Apparaten, denn man wird leicht einsehen, daß nur durch
den betreffenden Apparat die jeweilige Verwendung mehrerer Gase möglich
wird. Wenn mau bei der Verwendung der Gasgemische einen Vorteil für die
Narkose erwarten kann, so hat man diese einzig in der genauen Dosierung
der einzelnen zur Mischung verwendeten Narkotika zu linden. Es besteht
aber kein Zweifel, daß man mit der genau berechneten Konzentration der
Dämpfe einen günstigeren Einfluß auf die Vorgänge im Organismus erwarten
kann, denn bei der Mischung der Gase wird man vielleicht die schwere,
deprimierende Wirkung des Chloroforms auf das Herz durch Aether sulfuricus
mildern können, um ein Beispiel anzuführen, welches sehr oft in der Praxis
gerade gefimden wird. Wenn man nun die Einwirkung dieser Gasgemische
auf den Organismus näher studieren will, so muß man die Narkose und deren
Wirkungen mit jeder einzelnen Mischung betrachten, und es soll deshalb nun-
mehr jede einzelne Art der Narkosen mit Gasgemischen erörteit werden.
— 5i:5 —
§ 57. Die erste Mischung, welche hier betrachtet werden soll, stellt
diejenige, in welcher Chloroform + Aether sulfur. zusammen Verwendung
finden, dar. Im AnschhUi an die Be(jl)achtuiigen von E 1 1 i s haben sich noch
andere Forscher mit der Lösung des Problemes der Mischung der Chloroform-
Ätherdämpfe beschäftigt, und mau konstruierte zu diesem Zwecke Apparate,
welche eine genaue in jedem Moment veränderbare Dosierung jedes dieser
Gase ermöglichten, so daß man also je nach dem jeweiligen Bedürfnis mehr
Chloroform oder Äther oder beide in gleichen Mengen etc. verabreichen konnte
(Kionka, Bert, Geppert etc.). Man glaubte durch Verwendung genau
dosierter Gasgemische dem Narkotiseur die Verantwortlichkeit verringern,
die Aufmerksamkeit auf den Kranken liedeutend ersparen und somit
die Narkose mehr zu einem mechanischen Vorgang gestalten zu können.
Allein es zeigte sich sehr bald, daß dies ein gewaltiger Irrtum war, und daß
vielmehr stets die individuell so außerordentlich wechselnde Reaktion des
Organismus gegen das Narkotikum das einzige Kriterium sei, welches dem
Narkotiseur den jeweiligen Stand der Narkose angeben und ihm sagen konnte,
wann er die Dosierung vergrößern oder verringern sollte. Es ist daher der
bestdosierende Apparat in der Praxis nicht imstande, den Arzt von aller
Verantwortung und peinlichem Beachten aller Funktioueu im Organismus des
Ej-anken zu entbinden, und dieselben können nie die einfachen Tropfnarkoseu
übertreffen.
Wenn man dem Kranken die beiden Narkotika Chloroform und Äther
in Dämpfen oder gasförmigem Zustande gemischt verabreicht, so hat man eine
Einwirkung auf den Organismus während dieser Narkose zu vermuten, die
eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Bilde der reinen Narkosen hat. Führt
man dem Organismus ein Gasgemisch von mehr Chloroform als Aether sulfur.
zu, so kann das Bild der Veränderungen in den inneren Organen dem der
reinen Chloroformnarkose ähneln, und hat man eine Inhalation von hauptsäch-
lich Ätherdämpfen, so ist das Bild dem nach reinen Äthernarkosen ähnlich.
Die Wirkung der Mischnarkose mit den beiden Gasen ist in physiologischer
Hinsicht in gewissem Sinne eine bessere als bei den reinen Narkosen, Man
beobachtete im allgemeinen bei diesen Mischuarkosen natürlich hinsichtlich der
Narkose, den Reflexen etc. dasselbe Bild, wie bei der reinen Narkose, uiu*
zeigt sich hier ein schnellerer Eintritt der Toleranz, ein geringeres Exzitatious-
stadium, iind ein selteneres Auftreten von Erbrechen während und nach der
Narkose, auch der Narkosenkater ist weniger stark, und das Erwachen tritt
sehr bald ein, (Brau n). So sah Braun bei seinen Chloroform-Äthernar-
kosen, wie sie weiter unten noch beschrieben werden, die Toleranz meist nach
6 — 8 Minuten auftreten, beobachtete nur sehr selten Störungen der Herz- und
Atemtätigkeit, Erbrechen bei nur Vs der Kranken und fand, daß je kürzer die
Mischnarkose ist, um so geringer die Nachwirkungen sind, so daß bei nur
wenige Minuten Toleranz verlangenden Operationen nach der Narkose gar kein
Übelbefinden bestand, und die Kranken sofort weggehen konnten. Dabei
ist der Verbrauch des Narkotikums ein sehr geringer, denn auch bei diesen
Mischungen zeigt sich, daß die narkotische Kraft wenn auch nicht doppelt so
groß — denn das ist unmöglich — so doch bedeutend vermehrt ist. Die
Salivation ist natürlich vermehrt, wenn sie auch nicht sehr stark ist. Ich
habe auch bei meinen vielen Versuchen eine sehr gute Einwirkung der
33
— 514 —
Mischungen der Gase feststellen können, und es ist dem Arzte in dieser
Narkose eine Methode gegeben, welche ihm für jeden Fall eine Narkose er-
möglichen läßt, ausgeuouimen da, wo überhaupt jede Narkose kontraiudiziert
ist. Es besteht gar kein Zweifel, daß bei diesen Mischungen die Herztätig-
keit bedeutend gebessert werden kann, wenn einmal das Chloroform stark
depressiv wirkt. Durch den Äther kann man das Herz erregen. Der auf-
merksame Narkotiseur gibt dem Kranken je nach dem Zustande mehr Äther
oder Chloroform und es ist diese Methode die denkbar vollkommenste, wo man
je nach dem momentanen Zustande die Konzentration der Gemische ändern
kann. Darin liegt der Vorteil gegenüber den Mischungen der Narkotika selbst.
Man spart Narkotikum und somit Gift für den Organismus und erreicht
dennoch eine tiefe für alle Operationen gut brauchbare Narkose. Man kann
fast alle Menschen mit diesen Gemischen tief narkotisieren mit Ausnahme
hochgradiger Alkoholisten, denen mau Morphin voraus verabreichen muß.
Sonst ist bei allen Personen ein günstiger Einfluß der Narkose zu sehen.
Bei richtiger Technik wird die Narkose ohne wesentliche Exzitation verlaufen,
natürlich ist dies wechselnd, wie bei allen Narkosen.
Was nun die pathologischen Wirkungen anlangt, so darf man natürlich
nicht in einem zu optimistischen Glauben an die Gefahrlosigkeit schweben.
Die Mischuarkose bietet natürlich bei den Gemischen aus Chloroform und
Aether sulf. die Gefahren beider Narkotika. Wenn man Tiere sehr lauge
betäubt mit einer Mischung von drei Teilen Chloroformdampf auf einen Teil
Ätherdampf, so zeigt das Tier die Einwirkungen der reinen Chloroformnarkose
in Gehirn, Herz, Leber, Nieren, aber in den Lungen eine stärkere Veränderung,
die auf die Ätherbeimengungen zu beziehen ist, denn man findet beginnende
Pneumonien. Gibt man drei Äther auf ein Chloroform,^ so hat man das Bild
der reinen Äthernarkose ev. mit einer vermehrten Fettmetamorphose im
Herzen. Man ersieht also, daß bei Vorwiegen des einen Narkotikums haupt-
sächlich das Bild der Einwirkung dieses Narkotikums zu finden ist, mit
geringer Andeutung der Hauptwirkung des anderen. Gibt man dem Tiere
beide Gase zu gleichen Teilen, so findet man sehr schwere Veränderungen
in den Organen; neben der starken Fettmetamorphose wie bei Chloroform
allein findet sich noch die Ätherwirkung, so daß in Lunge, Nieren und
Leber stärkere Veränderungen zu finden sind, als nach reinen Narkosen.
Man hat in diesen Fällen imgefähr die Siimme der üblen Wirkungen bei-
der Narkotika, wobei aber das Bild der Wirkungen jedes einzelnen Narkotikums
nicht dem Bilde nach reinen Narkosen gleicher Länge wie die Dauer der
Mischnarkose, sondern der halben Dauer entspricht. Hat man z. B. ein Tier
zwei Stunden mit der Mischung betäubt, so entspricht das Bild der Chloro-
formveränderungen ungefähr einer Chloroformnarkose von einer Stunde Dauer,.
ebenso die Ätherwirkimg; natürlich kann man das nur annähernd schätzen.
Dieses Ergebnis habe ich aus einer Reihe von Versuchen mit Narkosen mit
Mischungen an Tieren gewonnen, und es ist daher immerhin ein gewisser
Vorteil in den Mischnarkosen der Gasgemische gelegen, denn wenn auch bei
der ungeschicktesten Ausführung der Narkose, wobei gar nicht eine Beachtung
der Verhältnisse, Wirkungen und Veränderungen im Organismus des Kranken
stattfindet, sondern ohne jede Änderung der Konzentration dem betreffenden;
Kranken das Gemisch zu gleichen Teilen vei'abreicht wird, die pathologisch
— 515 —
auatoiuiscbeu Bilder der Veräudenmi^-eu liochgradig-e sind, so ist doch eine
geAvisse günstigere Einwirkung nicht zu verkennen, welche eben darin besteht
daß durch die Summe der Nai'kotikadämpfe auch die narkotische Kraft ver-
mehrt wird. Die Veränderungen in den inneren Organen bestehen natürlich
je nach den verwendeten Mischungen entweder in starker Fettmetamorphose
oder hochgradigen Pneumonien und Bronchitiden. Die Bilder der Fett-
metamorphose sind dieselben, wie sie beim Chlorofoi-m, die der Lungenleiden,
wie sie beim Aether sulfur. geschildert worden sind. Natüiiich treten große
Veränderungen durch die verschiedenen Mischungen und die Veränderungen
während der Narkose auf.
Was nun die Narkose mit den Gasgemischen im Verhältnis zur Herz-
aktion anlangt, so kann man auch hier nur annähernd ein Bild entwei'fen.
Bei vorwiegend Chloroforminhalationen wird das Herz schwer beeinflußt
werden, die Reflexsynkope im Anfang der Narkose ist nicht sicher auszu-
schließen und bei langer Dauer wird auch die Gefahr der Synkope und Fett-
nietamorphose mit protrahiertem Chloroformtod möglich sein. Der Blutdruck
wird stark sinken, Remissionen sich zeigen und der Druck unter die Normal-
blutdriTckhöhe fallen. Wenn man aber Äther in wirksamen Mengen beigibt,
so kann man das Sinken des Blutdruckes vollkommen verhindern, und gerade
darin besteht ein großer Vorteil der Gemischnarkose. In der Narkosenpraxis
kann mau dies leicht nachweisen. Wenn man im Anfang einer Narkose vor-
wiegend Chloroform mit niu' ganz geringen Spuren Äther gibt, kann man bald ein
Sinken des Blutdruckes gewahren, auch der Puls wird kleiner. Sobald man
jetzt mehr Aether sulf. verabreicht, so steigt der Blutdruck sofort wieder über
die Normalblutdruckhöhe und bleibt über derselben, sofern man nicht den Äther
sofort wieder wegläßt (Verf.), man merkt auch am Puls sofort ein kräftigeres
Schlagen desselben, und man wird bei jedem drohenden Kollaps mehr Äther
geben als vorher, dadurch den Puls bessern und ernste Kollapse ver-
hüten. Anders steht es aber in Fällen, wo viel Aether sulfur. und wenig
Chloroform, oder beide Gase in gleichen Mengen verabreicht werden,
und doch Kollapszustände eintreten. In diesen Fällen nützt ein neues
Zufügen von Äther gar nichts, sondern verschlimmert nur die Verhältnisse.
Der Äther wirkt ja, wie oben erörtert wurde, herzanregend, aber auch bei
langer Narkose im Sinne des Chloroforms auf den Herzmuskel, indem er daselbst,
zwar schwächer als Chloroform, aber viel Fettmetamorphose erzeugt. Deshalb er-
eignen sich auch in der Äthernarkose manchmal Kollapse. Wenn Chloroform
zugleich wirkt, so kann Äther die fettmetamorphotische Wirkung verstärken
lind das Chloroform sogar unterstützen, so daß man dann ernste Kollapse an-
trifft, welche nur durch Fortlassen der Narkose gebessert werden können. Es
muß eben immer das Herz beachtet werden und man kann ja durch die
Anpassung der Konzentrationen der Mischung der Gase viel für die günstige
Wirkung auf das Herz tun, denn wenn man z. B. Verdacht auf Herzschwäche-
zustände hat, so wird man für die Narkose mehr Äther als Chloroformgas
verwenden.
Aut die Lungen wirkt die Mischnarkose in gewisser Hinsicht nicht viel
günstiger, als die reine Äthernarkose. In den meisten Fällen, wenn nicht ganz
wenig Äther verwendet wird, muß man mit stark vermehrter Salivation rechnen,
und es bestehen alle Gefahren der Äthernarkosen. Aber auch hier läßt
33*
— 516 —
sich durch eiue vorsichtige Narkose viel verhüten, und man hat die Lungen-
leiden nach den Mischuarkosen aiich nicht häufiger gefunden. Schon das
Chloroform bewirkt ja eine vermehrte Schleimsekretion, die nun dui'ch beide
Narkotika natürlich vermehrt wird. Auch die Schädigung der Lungenepithelien
findet sich stets nach Mischnarkosen sehr ausgeprägt. Die Lungen stehen
natürlich in großer Gefahr, und deshalb muß genau beobachtet vrerden.
Bei all diesen pathologischen Einvi^irkungen der Mischnarkose ist es
von ungeheurem Wert, daß die narkotische Ki-aft durch beide Narkotika ver-
mehrt w^ird, und man hat darin einen großen Vorzug zu sehen, daß man
nur viel weniger Narkotikagase braucht für eiue Mischnarkose mit Chloroform
und Aether sulfur., als für die gleich langen Narkosen mit nur einem
Narkotikum. Der Äther ist von beiden Narkotika der schwächer wirkende
Körper, und derselbe ist daher auch mit seinen pathologischen Wirkungen auf
den Organismus mit Ausnahme auf die Lungen weniger gefährlich als Chloro-
form. Braun schreibt zwar, man soll den Äther als Grundlage für die Misch-
narkose, und Chloroform nur zur Verstärkung verwenden, weil der Äther
keine Fettmetamorphose erzeuge. Darin geht nun aber Braun fehl, denn
Aether sulfur. bewirkt, wie ich nachgewiesen habe, ebenso Fettmetamorphose
in Gehirn, Herz, Leber und Nieren etc., wie Chloroform, nur in viel geringerem
Maße. Wenn aber der Grund, den Braun anführt, nicht völlig richtig
ist, so hat doch sein Rat sehr viel Gutes. Für die meisten Fälle wird es
angebracht sein, wenn man bei der Mischnarkose mit diesen beiden Dämpfen
den Äther als Hauptnarkotikum wählt, und die Chloroformgase nur in den
Mengen beigibt, welche nötig sind, um die Wirkung des Äthers zu erhöhen.
Dies gilt für alle Fälle, für welche eine Äthernarkose an sich erlaubt wäre.
Allein, man muß in gewissen Fällen, wo man die Ätherwirkung auf die Lungen
zu fürchten hat, anders verfahren. In allen jenen Fällen wird man das
Chloroform zur Grundlage der Narkose machen und Aether sulfur. nur in
Mengen beigeben, welche genügen, um die narkotische Kraft zu erhöhen und
die Herztätigkeit anzuregen, ohne wesentlich Schädlich auf die Lungen zu
wirken. Man wird im praktischen Leben manchen Krauken treffen, der so
sehr vorteilhaft narkotisiert werden kann. Man wird in schweren Fällen z. B.
die Narkose mit Äther beginnen und so viel Chloroform beigeben, bis Toleranz
erreicht ist, während man nun mit fast reinen Ätherdämpfen die Narkose lange
unterhalten kann, ohne wesentlich oder überhaupt Chloroform beizugeben, im
anderen Falle hingegen vsdrd man mit Chloroform imd wenig Äther beginnen,
und den Äther nur in ganz geringen Mengen nebenbei geben, so daß ein übler
Einfluß auf die Lungen nicht wird ausgeübt werden können. Es ist nun aller-
dings Tatsache, daß man in den meisten Fällen mit den Narkosen ersterer
Art auskommt, und nur selten zu letzteren zu greifen gezwungen ist.
Der Einfluß der Gasmischnarkose auf die inneren Organe ist nun zwar
nicht ein besserer als der der reinen Chloroform- oder Äthernarkose, wenn
man die Gemische nur als Gemische verabreicht ohne sie zu wechseln, denn
nur dadurch kann man die pathologischen Veränderungen der verschieden
konzentrierten Gemische erforschen. Experimente aber, an Tieren mit den
genau funktionierenden Apparaten ausgeführt, wobei man je nach den Ver-
hältnissen das eine Narkotikum nur gering verabreichte und beimengte, jeden-
falls nur nach Bedarf, haben ergeben, daß die Fettmetamorphose in den inneren
— 517 —
Organen sehr gering war. Es ist natürlich möglich, die Veränderungen her-
vorzurufen, doch ich habe beobachtet, daß die Narkose viel längere Zeit aus-
geführt werden kann, als die entsprechende Äther- oder Chloroformnarkose,
ehe ich die Fettmetamorphose in dem Grade erzeugen konnte, wie nach reiner
Narkose; das zeigt deutlich den Vorteil der Mischnarkose, denn die Mischixng
der Gase erhöht die narkotische Kraft und läßt dadurch weniger Narkotikum-
menge verbrauchen, wodurch die Veränderungen in den Organen natürlich
schwächer und geringer werden. Eine vorsichtig geleitete Chloroformäther-
narkose mit dem Chloroform als Grundlage ließ sieb 3 Stunden lang ausdehnen,
ehe die Fettmetamorphose so stark in den inneren parenchymatösen Organen
war, als nach einer zwei Stunden langen Narkose nur mit Chloroform. Nach
einer 2 Stunden langen Narkose mit reinem Aether sulfur. fand sich Fettmeta-
morphose und Schleimansammlung mit beginnender Pneumonie in der Lunge
in demselben Maße, wie nach zwei Äther-Chloroformmischnarkosen von je 1 bis
2 Stunden Dauer und innerhalb 12 Stunden Zeit wiederholt. Man ersieht also,
daß die Narkose, welche mit Äther als Grundlage ausgeführt, durch Chloroform
verstärkt, viel bessere Resultate liefert, als die, welche Chloroform zur Grund-
lage hat. Allerdings besteht die Gefahr der Pneumonie, und deshalb kann diese
Narkose nicht bei allen Kranken verwendet werden.
Wenn man nun also diese Verhältnisse beachtet, so muß man allerdings
einen gewissen Vorzug dieser Art der Mischnarkose zuerkennen, doch der-
selbe darf auch nicht überschätzt werden, denn all die günstigen Erfahrungen,
wie sie Braun an seinen 250 Fällen beschrieben hat, wie sie von anderen
beobachtet sind, und wie ich sie ebenfalls gefunden habe, können nur erlangt
werden, wenn man den Kranken während der Narkose sehr genau beobachtet,
und wenn man einen guten Apparat zur Narkose verwendet. Die genaue sach-
verständige durch große Übung erlangte Beobachtung ist erstes Erfordernis
für diese Mischnarkose, denn bei derselben muß genau individualisiert und
beobachtet werden, sonst wird der Vorteil ein illusorischer. Dieser Umstand
ist aber wiederum ein Grund, weshalb diese Narkose nie Gemeingut der
praktischen Ärzte werden kann so lange jedenfalls, wie der praktische Arzt noch
die Narkosen im entlegenen Orte der Hebamme etc. übergeben muß, und
vielleicht selbst nicht die nötige Übung für die Mischnarkose besitzen kann.
Es ist kein Zweifel, daß ein Laie die Narkose nicht ausführen, und der Arzt
sie nicht von der Operation aus kommandieren kann, so wie es jetzt oft in
praxi geschieht, wo der Arzt die Narkose beginnt und dann von einer Person
weiter leiten läßt, indem er dieselbe instruiert, wann und wieviel Äther nach-
getropft werden soll. Das ist aber ein Nachteil dieser Methode, den man
bisher noch nicht hat entfernen können. Die Mischnarkose will von
kundiger Hand ausgeführt sein, und solange man eben noch in unseren jetzigen
Verhältnissen lebt, wo der Landarzt nicht immer einen Kollegen zur Narkose
herbeiziehen kann, wo auch die meisten Ärzte noch wenig die Misch-
narkose ausgeführt haben, solange wird dieselbe schwer in der allgemeinen
Praxis Eingang finden. Es geht das noch eher in der Stadt, doch auf dem
Land ist der Arzt meist auf sich selbst angewiesen. Dieser Umstand ist nicht ohne
Bedeutung und verschließt manche Gebiete der Mischnarkose.
Die Eliminierung der Gase geschieht wie bei allen Narkosen dieser Art
durch die Lungen, Nieren, Magensaft und Schweißdrüsen. Es eignen sich für
— 518 —
diese Mischnarkose, wie aus obigem hervorgeht, alle Personen mit Krankheiten
außer denen, die au sich jede Narkose verbieten. Man hat aber genau den
Kranken vorher zu untersuchen, wie Herz und Lungen, das G-efäßsystein, Leber,
Nieren etc. beschaffen sind, denn danach hat man die Mischung einzurichten.
Der große Wert liegt eben darin, daß man die Mischung den Verhältnissen des
einzelnen Kranken in jeder Minute resp. Sekunde anpassen kann, ferner in dem
geringen Verbrauch von Narkotikum und den verhältnismäßig geringen Neben-
und Nachwirkungen.
Betrachtet man nun die Statistik dieser Narkose, so muß mau allerdings
sagen, daß die Fälle noch sehr gering an Zahl sind, die bisher mit dieser Narkose
ausgeführt Avurden. P o p p e r t hat schlechte Resultate gefunden, von 812
Narkosen von 1 Chloroform- sowie 5 Äthergemischeu hat er 45 mal Störungen
allerlei Art gesehen, sowie 5 Pneumonien mit tödlichem Ausgang. Deshalb be-
gegnet nach diesen Resultaten P o p p e r t auch den Braunschen Misch-
narkosen mit Mißtrauen. Bei 2500 Narkosen mit dem Gepp ertschen
Apparat hat P o p p e r t viel bessere Resultate gesehen, sie verliefen ohne
jeden Nachteil und ohne schlechte Wirkungen. Auch T r e i b e r rühmt diese
Gemische der Gase für Narkosen. Adams rühmt ebenfalls die Chloroform-
Äthernarkose und hat bei 300 Fällen keine Nachteile und Unfälle gesehen.
G u r 1 1 stellte für die gemischte Chloroform-Athernarkose eine Mortalität von
1:7613 aiif, allerdings sind das nicht alle diese Narkosen gewesen, sondern
es sind auch Mischungen der beiden Narkotika selbst dabei verwandt worden.
Webe r hat 300 Narkosen mit den Braunschen Gemischen aus-
geführt und beobachtete einige Herzkomplikationen und auch einige Asphyxien,
die aber erfolgreich bekämpft werden konnten, ferner 2 Bronchitiden und
1 Pneumonie post operationem, ist aber mit den Narkosen sehr zufrieden, ein
Todesfall trat nicht auf. Kuhn hat 200 Narkosen dieser Art ohne Störungen,
Krönig 1000 Braunsche Narkosen, die sich aber, alle an Frauen ausgeführt,
gut bewährten, B e r n d t hat 150 Narkosen mit gesteigerter Schleimsekretion
ausgeführt, doch fast keine üblen Nebenwirkungen beobachtet.
Aus diesen Angaben ersieht man trotz der verhältnismäßig geringen
Zahlen, daß die Narkosen einen günstigen Einfluß ausüben und gute Resultate
liefern ; ob sie in allen Fällen einen Vorzug vor den reinen Chloroform- oder
Äthernarkosen haben, muß man noch dahingestellt sein lassen, die weitereu
Beobachtungen werden ergeben, wie die Verhältnisse der Todesfälle bei den-
selben sind. Bis jetzt hat man meist sehr gute Resultate gefimdeu, und die
Narkosen werden in vielen Fällen einen Vorzug vor den einfachen Narkosen
bedeuten.
Die Technik der Mischnarkosen von Äther- und Chloroformgasen ist eng
mit dem Apparat verknüpft, und die einzelnen Methoden unterscheiden sich
nur durch die verschiedenen Apparate. Es bestehen natürlich für die Misch-
narkose ebenso wie für alle anderen Inhalationsnarkosen dieselben Vorschriften
hinsichtlich der Vorbereitungen des Kranken und der Lagerung während der
Narkose, sowie der Nachbehandlung nach derselben. Dies ist früher des
genaueren erörtert Avorden und kann hier übergangen werden, indem ich mu'
darauf verweise.
Die Ausführung der Mischuarkose ist ebensogut für kurze Operationen^
wie für lange geeignet. Die Beobachtung des Kranken ist, wie schon gesagt,
— 519 —
die Hauptsache, mau kontrolliert die Xarkotikuiuwii'kung au dem Verhalten
der Augeureflexe, vor allem der Pupillen, welche genau dieselben Verhältnisse
zeigen, wie oben beschrieben, und die man am besten immer so zu finden hat,
wie das StraUmannsche Phänomen es andeutet. Wenn die Narkose immer in
diesem Stadium erhalten wird, daß das Straßmaunsche Phänomen positiv aus-
fällt, so hat man die günstigste Narkose vor sich, die am wenigsten Gefahren ver-
ursacht. Auch diese Narkose durch Gasgemische zeigt die bekannten viev Stadien.
Es braucht hier nichts mehr erwähnt zu werden, die Angaben über die
Narkose im allgemeinen Teil dieses Buches bestehen hier ebenfalls zu Recht.
Ich wende mich also sofort zu den einzelnen Apparaten und Methoden, mit
denen man die Äther- Chloroformmischnarkose ausführt.
Nach dem oben beschriebenen Apparat von E 1 1 i s haben vor allen
Paul Bert, K i o n k a und G e p p e r t weitergearbeitet, um das Problem
der exakten Dosierung zu lösen, und es entstanden die verschiedensten Apparate.
Bert hat einen Apparat konstruiert, der aber, sehr kompliziert, sich für Nar-
kosen in Praxis wenig eignete. Die Apparate von Iv i o n k a ermöglichen
eine exakte Dosierung und recht gute Narkose. Doch diese Apparate sind für
die allgemeine Praxis gar nicht und nur für wissenschaftliche Untersuchungen
brauchbar. Das Nähere über dieselben ist im allgemeinen Teil Seite 196 ff.
gesagt worden, und es finden sich beide Apparate daselbst in Figur tl und 42
dieses Buches abgebildet. Ich verweise auf diese Kapitel, und erwähne diese
Apparate hier nur flüchtig, weil dieselben jetzt nui* noch historischen "Wert
haben und nur für wissenschaftliche Experimente, allerdings für diese sehr gut
brauchbar sind. Für die Praxis sind sie nicht konstruiert.
Ein anderer Apparat ist der von G e p p e r t, welcher eine sehr gute
Narkose ermöglicht aber, sehr voluminös gebaut, ebenfalls nur für Hospital-
tätigkeit in Betracht kommt und daselbst soAvohl für Experimente, wie für
Narkosen an Kranken gebraucht werden kann. Wie oben mitgeteilt, sind über
1000 Narkosen mit diesem Apparat zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt
worden. Der Apparat ist auf Seite 200 ff. genau beschrieben und in Figur
43 — 45 abgebildet. Allerdings hat derselbe neben den großen Vorzügen auch
ganz enorme Nachteile, welche vor allen Dingen darin bestehen, daß er zu
groß und kompliziert ist, als daß er in der Praxis eingeführt und verwendet
werden könnte. Der G e p p e r t s c h e Apparat ist nur für Krankenhäuser
brauchbar und auch da nicht für alle Fälle, denn er kann nicht von einem
Zimmer in das andere transportiert werden, sondern man kann höchstens eine
Leitung mit Gummirohr vom Apparat in ein benachbartes Zimmer legen, doch
für größere Entfernungen ist dies unmöglich. Dieser Umstand ist ebenfalls
sehr wichtig, denn man wird sehr oft auch in einem großen Krankenhaus die
Narkose nicht immer im Operationssaal ausführen wollen, sondern einen
Kranken bisweilen auch in einer vom Operationssaal weit entfernten Baracke
oder einem Krankenzimmer im dritten Stock narkotisieren wollen, während das
Operations- resp. Narkosenzimmer im Parterre z. B. gelegen ist. Wenn nun schon
für große Krankenhäuser Schwierigkeiten in der VerAvendung des Geppertschen
Apparates bestehen, so wird er für kleinere Hospitale und die Praxis in Stadt und
Land gar nicht brauchbar sein. Da der Apparat aber wissenschaftlichen AVert besitzt,
indem er eine vorzügliche Narkose, in jeder Hinsicht gut dosierte Gemische,
die stets verwandelbar sind, liefert, so habe ich ihn im allgemeinen Teil dieses
— 520 —
Buches genau beschrieben, während ich ihn hier, wo ich hauptsächlich
Methoden etc. für die Praxis nennen will, übergehen kann.
Eine der wichtigsten Methoden der Chloroform-Äthergasnarkosen ist die
von Braun angegebene, und dieselbe stellt eine Narkose dar, die sowohl für
die Praxis wie für die wissenschaftliche Tätigkeit gleich wertvoll ist.
Ehe ich aber auf den Apparat von Braun näher eingehe, muß der Vor-
läufer von demselben erwähnt werden, welcher in dem Apparat von Tyrell
besteht. Der Gedanke, die Mischnarkose diu'ch Mischung der Gase zu erzeugen,
ließ Tyrell dazu gelangen, zwei Junkersche Apparate zu verwenden, in denen
Aether in dem einen, Chloroform im anderen sich befand und durch den durch
die Apparate getriebenen Luftsü'om verdampft wurde. Das Gebläse teilte
sich wie man aus Fig. 152a ersieht, in zwei Rohre, die nach jedem Junkerschen
Apparat liefen.
Gummiball im Netz.
Ge])läse ohne Netz.
Fig. 152.a. Apparat für die Chloroform-Aetheruarkose von Tyrell.
A = Chloroformglas, B = Aetherglas, C = Gebläse, M = Maske.
Die von den beiden Apparaten laufenden Gummirohre vereinigten sich
in einem Rohr, welches nun Aether-Chloroformdampf gemischt in die Maske
führte. Es waren nun vor der Vereinigung der beiden Rohre Hähne angebracht,
so daß man je nach Bedarf die Gase von einem Apparat ausschalten kann. So
konnte man mit diesem Apparat eine Mischung von in gleichen Teilen ge-
mischten Gasen verabreichen, oder nur eines allein. Man ersieht, daß mit diesem
Apparat aber nicht eine wechselnde Konzentration der Dämpfe, so daß man bald
1:2, 1 : 3, 1 : 4 oder 4:1, 3:1, 2:1 der Gase verwendet, erzielt werden
konnte, so feine Variationen waren nicht möglich, aber man wünschte dieselben
doch sehr und so versuchte Braun das Problem zu lösen.
Der Apparat von Braun wurde 1898 konstruiert imd ermöglicht eine
wechselnde, je nach den obwaltenden Verhältnissen veränderte Konzentration
der Gasgemenge. Der erste Apparat ist der in Fig. 153 abgebildete, der
folgendermaßen konstruiert ist.
„In einem aus Gips und Holz bestehenden und mit passenden Ver-
tiefungen versehenen Klotz a stehen zwei weithalsige Flaschen, eine größere b,
etwa 200 ccm fassend, eine kleinere c, etwa 100 ccm fassend. Beide sind mit
521 —
Kubikzeutimeter-Maßemteihing versehen, die eine bis löO, die andere bis 50 ccm.
Jede der Flaschen ist mit einem doppeltdurchbohrteu, luftdicht abschließenden
Kork versehen. In jede i'eicht ein mit Hahn d und dj versehenes Glasrohr
bis auf ihren Boden, ein zweites kurzes c nnd Cj endet dicht unter dem Kork.
Jedes der beiden Röhrenpaare wird mit einem gläsernen T-rohr f und g durch
Giimmischläuche verbunden, an f wird ein Doppelgebläse mit etwa 90 ccm
Förderung befestigt, mit g eine geeignete Maske verbunden. Das Gefäß a wird
mit 120-150 ccm Aether, das Gefäß c mit 30 — 40 ccm Chloroform gefüllt.
Schickt man einen Luftstrom durch das Rohr f, so geht derselbe allein diu'ch
den Aether wenn der Hahn dj geschlossen ist — allein durch das Chloroform,
wenn der Hahn d geschlossen ist — durch beide, wenn beide Hähne geöffnet
sind, durch teilweises Schließen des einen oder anderen Hahnes lassen sich
noch andere Variationen erzielen." (Braun.)
Fig. 153. Der erste Apparat von Brau n.
a = Schutzgefäß, b = Aetherflasche, c = Chloroformflasche, e u. e^ = abführende
Rohre, d u. dj = zuführende Rohre, d = Hahn für Aether, dj = Hahn für
Chloroform.
Dieser selbe Apparat ist in eine mehr handliche Form gebracht worden,
wie man aus Fig. 154 ersieht.
Derselbe zeigt die Flaschen in einem Metallgefäß, so daß mau den ganzen
Apparat leicht transportieren und umhängen kann. Diese 3Ietallhülle ist hier
mit A bezeichnet und die Rohre, welche die Luft aus dem Gebläse in die Flaschen
treiben, sind ebenfalls in eine Metallhülse D gebracht, an der man die beiden
Hähne E und F sieht, welche sowohl die zuführenden wie abführenden Rohre
verschließen und öffnen, so daß, wenn mau beide Hähne geschlossen hat, Äther
und Chloroform weder heraus noch ineinander überfließen können. Durch das
Öffnen und Schließen, teilweise Offnen der Hähne und jedes einzelneu, mehr oder
weniger Offnen derselben kann man ganz verschiedene Mischungen erreichen, je
nach dem Bedarf. Dem Apparat ist eine Maske aus Metall mit einem Luftloch bei-
3n. Dieselbe ist klein und niedrig, damit sie nicht die Ansammlung
— 522 —
größerer Mengen konzentrierter narkotischer Dämpfe, welche ja erst durch die
Atmungslnft des Kranken verdünnt werden müssen, herbeiführt. Es sollen
duixh die Maske die Dämpfe aus dem Apparat der luspirationsluft beigefügt
werden, weshalb man möglichst nur während der Inspiration das G-ebläse in
Tätigkeit versetzt, also rhythmisch, nicht konstanten Strom liefernd. Braun ver-
wendet oft zu seinen Narkosen eine ganz offene Maske ähnlich der von Geppert,
bei welcher das die Äther-Chloroformdämpfe zuleitende Rohr bis dicht vor die
Nasenlöcher des Kranken verlängert ist. Der Gebrauch dieser Maske erfordert
aber große Aufmerksamkeit, denn wenn der Gebläseball nicht ganz genau
konform mit jeder Inspiration gedrückt wird, so kann man keine Narkose er-
halten, oder der Kranke erwacht, wenn er schon narkotisiert war. Diese Maske
ist deshalb nicht jedem Apparat beigegeben, sondern wird nur auf Wunsch des
Bestellers geliefert. Man kann auch an Stelle der Maske ein Glasrohr mit
rechtwinkliger Umbiegung verwenden, wie es in der Figur angedeutet ist, wenn
man im Gesicht operiert und die Maske im Wege ist. Dann führt man das
Rohr in den Mund des Kranken.
Der Braun sc he
Apparat ist nun sokon-
sti'uiert, daß er im
Durchschnitt eine
Mischung von unge-
fähr 1 Vol. - Prozent
Chloroformdampf mit
4 Vol.-Proz. Aether-
dampf gemischt liefert,
wenn seine beiden
Hähne geöffnet sind.
AVenn man, wie es
beim praktischen Ge-
brauch vorkommt,
längere Zeit hindurch
Aether sulfur. allein
verdunstet und dann
wieder das nicht ab-
Gebläse kommend, C = abführendes Rohr zu der Maske, S'^^l^^^j^lte , Cliloroform
E ^ Hahn für Aether, F = Hahn für Chloroform. ^,S^^^t'rhäl?nis ^er
Chloroform- zu den Aetherdämpfen vorübergehend auf 1 : 2. Wenn man den
vorschriftsmäßigen Gebläseball benutzt, welcher bei nicht besonders intensivem
Komprimieren 90 ccm Luft durch den Apparat treibt, und denselben ferner bei
jeder Inspiration einmal komprimiert, und mau die Menge der Inspirationsluft
auf 500 ccm annimmt, so kann mau berechnen, daß die vom Kranken eingeatmete
Luft im Anfang der Narkose etwa 6 Vol.-Proz. Aetherdampf und 1,7 Vol.-Proz.
Chloroformdampf, später ungefähr halb soviel enthält. Ein erheblicher Teil der
Dämpfe geht aber auch bei geschickteste Handhabung des Apparates verloren.
(Braun.) Man ei'sieht also aus diesen Angaben, wie der Apparat arbeitet und
daß derselbe recht gute annähernd genaue Dosierung bewirkt.
Man kann nun ja, wie schon oben bemerkt wurde, auch zuzeiten den
einen Hahn schließen und nur ein Narkotikum verwenden, eine Methode, auf die
ich später noch einmal zu sprechen komme.
Man muß nur bei dem Apparat beachten, nach jeder Narkose die Ather-
flasche wieder mit Äther neu zu füllen, damit bei Beginn der neuen Narkose
wieder 150 ccm Äther vorhanden sind, ebenso natürlich das Chloroform, wenn
beträchtliche Mengen von demselben verbraucht worden sind. Es läßt sich mit
Fig. 154. Der zweite Apparat von Braun.
A = Schutzgefäß aus Blech, B = zuführendes Rohr vom
— 523 —
diesem Apparat natürlich ebeusog'Ut eine Nai'kose mit dem Atliei' als Grundlage
nud geringen Chloi'oformbeigaben, als auch umgekehrt eine Narkose mit Chloro-
form als Grundlage und Äther als Hilfsnarkotikum verwenden, für die lichtige
Gasmischuai'kose wird mau aber immer Gemische finden, die allerdings mehr
Chloroform oder Äther enthalten könueu je nach Wunsch und Bedürfnis.
§ 58. Die Chloroform + Sauerstoffnarkose ist die nächst wichtige
Narkose neben der eben besprochenen, und dieselbe stellt einen großen Fort-
schritt in der Narkosenwissenschaft dar. Entgegen dem "^'ersuch, durch
Kombinatiou der Narkotika mit der Kohlensäure eine schnellere Narkose zu
erreichen, hat man den Sauerstoff mit den Narkotika kombiniert, indem mau
der Ansicht war, durch die Kombination der Chloroformnarkose mit Sauerstoff
die üblen Nebenwirkungen der einfachen Chloroformnarkose zu beseitigen, da
man annahm, ein großer Teil der schädlichen und gefährlichen Nebenwirkungen
des Chloroforms rühre daher, daß im Organismus ein Sauerstoffmangel entstehe,
und daß dadurch oft schwere Störungen der vitalen Vorgänge im Organismus
bedingt würden. Man ging so gar soweit, daß man annahm, der Sauerstoff
wirke als Gegenmittel des Chloroforms. Der erste, welcher diese Mischnarkose
vorschlug und anführte, war Neudörffer in Wien und Kreutzmann
in San Franzisko, doch war deren Verfahren ein sehr umständliches, obwohl
ihre Resultate vorzügliche waren. Nachdem man technisch lernte den Sauer-
stoff in handliche Form zu bringen, war es Wohlgemuth, welcher bei
uns die erste Chloroformsauerstoffnarkose ausführte. Derselbe begründete seine
Applikation des Sauerstoffs auf die vorzüglichen E]-f abrangen , welche
Prochownik mit den Sauerstoffiuhalationen nach Chloroformuarkosen machte.
Derselbe ließ seinen Chloroformierten nach der Narkose Sauerstoff inhalieren
und fand, daß die Gesichtsfarbe eine frischere, rosige wurde, der Glanz der
Konjunktiven sich vermehrte, die Horuhautreflexe rasch zum Vorschein kamen,
die Lippen und Schleimhäute eine rosarote Farbe annahmen, entgegen der
tui'geszenten Blaufärbung, daß der Puls kräftig wurde, die Atmung schneller
und regelmäßig tiefer, und das Erbrechen sich ganz bedeutend verminderte.
Diese Beobachtungen ließen W o h I g e m u t h zu der Überzeugung kommen, daß,
wenn man den Kranken schon während der Chloroforminhalationen Sauerstoff
verabreichte, die schwächenden Einflüsse des Chloroforms auf Herzaktion und
Atemtätigkeit verhindert würden, und der Kranke kräftig und ohue Nachteile selbst
lauge Narkosen überstehen würde. Man hat nun diese Kombination des Sauerstoffs
mit dem Chloroform vielfach verwendet und hat eine große Anzahl von Narkosen mit
diesen Gemischen geleitet. Die Einwii'kung dieser Narkose auf den menschlichen
Orgaiiismus besteht in derselben Wirkung wie beim Chloroform beschrieben
wurde; es ist das Chloroform das wirksame Narkotikum und seine Einwirkungen
auf den Organismus werden alle ausgeübt, so daß man eine Narkose erhält mit
all den verschiedenen Eigentümlichkeiten, wie sie dem Chloroform allein auch
zukommen. Es brauchen also die Einflüsse des Chloroforms hier nicht wieder-
holt zu werden, denn es gilt das, was für die einfache Chloroformwirkung gilt,
hier auch hinsichtlich der Entstehung und Art der Narkose, der Eliminierung
des Chloroforms, der Wirkung auf das Zerebrum etc., und ich werde nur hier
das anführen, Avas diese Narkose von der einfachen Chloroformnarkose unter-
— 524 —
scheidet und welche Wirkungen anders sind. Der Sauerstoff wirkt nach Roth,
Wohlgemuth etc. als Antidot des Chloroforms. Wenn ich nun hier an-
führe, daß bei der Narkose von Anfang an Sauerstoff beigegeben wird, so tue
ich dies vorwegnehmend der Technikabhandlung. Wenn man nun aber den
Sauerstoff als Antidot des Chloroforms ansehen muß, so ist es eigentlich
wunderbar, warum man denselben von Anfang an beigemischt gibt und nicht erst
dann, wenn derselbe nötig wird, denn, er muß doch als Antidot von Anfang an
die Wirkung des Chloroforms abschwächen. Auf diese Beziehungen weist
n neuerer Zeit Rothfuchs hin, indem er nach seinen Erfahrimgeu angibt,
daß der Eintritt der Toleranz durch den Sauerstoff verspätet, erschwert wird.
Er gibt den sehr richtigen Rat, im Anfang nur Chloroform mit Luft gemengt
zu verabreichen und erst nach Eintritt der Toleranz den Sauerstoff beizugeben.
Dieser Rat ist nach meinen Erfahrungen vollkommen berechtigt doch schwer
durchführbar. Der Vorzug der Sauerstoffchloroformnarkose liegt darin, daß
eine genaue Dosierung der Gemische durch die Methode erreicht wird, daß
Erbrechen seltener nach der Narkose auftritt, daß die Exzitation geringer ist,
daß man seltener Herzschwächezustände und Apnoen beobachtet, und daß der
Kranke schneller erwacht, selbst bei langen Narkosen.
Wenn man nun die physiologischen Einwirkungen der Sauerstoffchloro-
formgemenge auf den Organismus näher betrachtet, so hat man bei diesen
Narkosen das zu nennen, daß die Kranken immer im Sauerstoffüberfluß sich
befinden, es treten daher nie die Symptome des Sauerstoffmangels auf, so
beobachtet man z. B. schon nach wenigen Minuten, nach den ersten Inhalationen,
der Gasgemische, daß die Haut und sichtbaren Schleimhäute eine hellrote Farbe
annehmen, so daß hochgradig anämische und matte Patienten eine gesunde,
normal aussehende Farbe zeigen, und daß in einem Falle ein ziemlich starker
Ikterus, der infolge Okklusion des Choledochus durch Steine bei einem Kranken
bestand, durch die rote Farbe der Haut verdrängt und fast unsichtbar wurde.
Die Einwirkung auf das Herz zeigt sich darin, daß der Puls voller, langsamer,
kräftiger wird, eine Veränderung gegenüber dem Normalzustande des Herz-
schlages, die ungefähr so deutlich zu empfinden ist, wie die Veränderung des
Pulses nach Digitalismedikation, aber in dem Moment, wo die Toleranz eintritt,
sinkt der Blutdruck konstant, so daß die Zahl der Pulsschläge bis auf 60 gelangt.
Man hat in manchen Fällen 56 — 41 Pulsschläge in der Minute während der
tiefen Narkose beobachtet. (Wohlgemuth), und der Puls behält dann diese
Frequenz während der Dauer der Toleranz und wird sofort wieder schneller
und frequenter, sobald der Patient zu erwachen beginnt. Die Atemzüge sind
während der Narkose ruhig, tief, gleichmäßig, ohne Schnarchen und Rasseln.
Die Pupillen zeigen das Verhältnis, wie es im allgemeinen Teil erläutert ist. Die
Narkose zeigt in den meisten Fällen kein Exzitationsstadium, nur bei starken
Potatoren tritt solches natürlich ein. Bei Frauen, Kindern und abstinenten
Männern findet man keine besondere Erregung. Freilich tritt die Narkose nicht
so schnell ein, bei Frauen und Kindern innerhalb 3 — 7 Minuten, bei Männern
innerhalb 12 — 15 Minuten. Rothfuchs bemerkt, daß das Exzitationsstadium
bei allen schweren Alkoholisten erheblich länger dauert, so daß er solche Personen
nicht mit dieser Methode betäubt. Während und nach der Narkose tritt Erbrechen
bisweilen ein, doch man findet dasselbe erheblich seltener als nach reinen Narkosen.
Auch die Reizerscheinungen von selten des Organismus sind sehr gering. Es
— 525 —
besteht eiue geiliiiie Vennchi'uiig- der Schleim- und Speichelsekretiou, doch
dieselbe ist um- wenig' und gering. Im großen und ganzen macht die Narkose
den Eindruck einer äußei'st ruhigen Betäubung, Herz- und Atemfunktionen
sind normal und kräftig und man glaubt, daß eine Synkope und Apnoe gar
nicht auftreten könnten.
Diese hier augeführten Einwirkungen stellen sehr große Vorteile der
Narkose dar, und man kann annehmen, daß diese Narkose eine der besten ist,
die mau bisher ei'funden hat. Das Erwachen des Kranken geht verhältnis-
mäßig schnell vor sich, denn innerhalb 5 — 10 Minuten erwacht derselbe und
wird meist nicht oder nur sehr wenig durch Übelbefinden belästigt.
Natürlich tritt nach sehr langen Narkosen eine mäßige Übelkeit auf, doch
ist dieselbe sehr gering, so daß sie nach kurzen Inhalationen vollkommen fehlt.
Infolge der Sauerstofiljeigabe wird die Narkose der üblen Wirkungen bis
zu einem gewissen Grade beraubt, die Herzkraft wird erhalten, man spart
Chloroform, ein sehr wichtiger Umstand, denn man kann leicht beobachten,
daß man sehr lange Narkosen mit nur wenig ccm Chloroform ausführen
kann, so daß also in den Organismus nur wenig Chloroform gelangt, wodurch
auch die üblen Wirkungen geringer werden müssen. Dieses Sparen von
Chloroform ist ein großer Vorteil, denn es kann dadurch die schädliche Wirkung
des Chloroforms auf die inneren Organe bedeutend vermindert werden, wozu
noch kommt, daß der Sauerstoff als Antidot .wirkt und gerade die Erzeugung
der Fettmetamorphose bis zu einem gewissen Grade verhindert.
Inwiefern die Chloroformsauerstoffnarkose üble Einwirkungen auf den
Organismus zeigt, soll in dem Folgenden erörtert werden, denn wenn auch
diese Narkose große Vorzüge vor der einfachen Chloroformnarkose hat, so besteht
doch immer noch trotz der Sauerstoffzufuhr die Tatsache, daß der Organismus eine
Intoxikation erleidet, welche schwere Organläsionen hervorrufen kann. Wenn
man dies bedenkt, so wird man sich nicht wundern, daß auch Todesfälle
infolge der Chloroformsauerstoffnarkose vorgekommen sind. Was nun die
Einwirkung des Chloroforms auf die inneren parenchymatösen Organe anlangt,
so habe ich früher genau das Bild der reinen Chloroformwirkung gezeichnet.
Hier kann ich nun die Resultate meiner Untersuchungen über die Chloroform-
sauerstoffnarkose hinzufügen und ich kann allerdings im allgemeinen hier
erklären, daß die Veränderungen bedeutend geringer sind als nach den reinen
Narkosen. Während ich in meiner Arbeit über die Einwirkung der Narkotika
auf die inneren parenchymatösen Organe bei einfachen und Mischnarkosen
(Gemische der Narkotika selbst) nachgewiesen habe, daß die Narkosen mit den
Gemischen keinen Vorzug vor den einfachen Narkosen besitzen, haben meine
weiteren Untersuchungen über die Narkose mit Gasgemischen ergeben, daß in
denselben viel günstigere Narkosen gegeben sind, denn wenn man die Organe
von Tieren nach sehr langen oder häufigen Narkosen mit Gasgemischen unter-
sucht, findet man die Fettmetamorphose viel geringer als bei den einfachen
Narkosen. Das mit Sauerstoff gemischte Chloroformgas hat lange nicht die
toxischen Einwirkungen auf Herz, Leber, Nieren, Gehirn und Lunge, wie das
reine Chloroform. Die Fettmetamorphose, welche man nach solchen Narkosen
in den Organen findet, ist zwar als solche deutlich, doch es fehlt derselben meist
am Übergang in Nekrose und Zerfall der Zellen und auch an Größe der
Fettmengen. Die Fettmetamorphose ist im allgemeinen viel geringer. Woran
— 526 —
(lies liegt, läßt sich nicht so ohne weiteres entscheiden. Ein Grund ist
sicher der, daß man in der Chloroformsauerstofinarkose nur sehr wenig-
Chloroform, die denkbar geringste Menge, welche unbedingt nötig ist zur
Erzeugung der Narkose, verwendet, wodurch also eine viel geringere Menge
Chloroform während der gleichen Dauer in den Organismus gelangt, als nach
einfachen Narkosen. Dies ist ja natürlich. Ein anderer Gi'und ist in dem Mangel
an einer Kohlensäureintoxikatiou gegeben, denn es wird bei diesen Narkosen
das Blut stets mit genügend Sauerstoff versehen und es verschwindet der
Überfluß an Kohlensäure im Blut, der bei den einfachen Narkosen oft eintritt.
Die Kohlensäure wirkt als Narkotikum und begünstigt die Fettmetamorphose
in ihrer Entstehung. Wenn nun Chloroform und Kohlensäure zusammen in hohen
Mengen auf die inneren Organe einwirken, so muß natürlich mehr und
stärkere Fettmetamorphose erzeugt werden, als in jenem Falle, wo die Kohlen-
säure überhaupt fehlt und Chloroform in viel geringeren Mengen in den
Organismus überhaupt hineingebracht wird. Schon diese beiden Gründe können
genügen, um den Umstand zu erklären, daß die Fettmetamorphose nach
den Chloroformsauerstoffnarkosen geringer ist, als nach den einfachen Narkosen,
mit Chloroform. Wenn man nun noch die Gegenwart des Sauerstoffes bedenkt,
welcher entschieden auf die lebende Zelle in den Organen kräftigend und
stärkend einwirkt, so hat man einen dritten Grund für die geringere Fett-
metamoi-phose. Es ist entschieden, daß die Chloroformsauerstoffnarkose weniger
schwere Fettmetamorphose in Herz, Nieren, Leber und Gehirn erzeugt, wenn
auch die Gefahr derselben bei bestehender Disposition und auch bei gesunden
Organen nicht geleugnet werden kann, so ist sie doch geringer als bei der
reinen Chloroformnarkose. Man kann sehr lange Narkosen ohne Schaden des
Kranken mit der Sauerstoffnarkose ausführen, und wenn man nach einer 1 Stunde
langen Chloroformnarkose in Herz, Leber, Gehirn und Nieren Fettmetamorphose
im Beginn schon fand, so ist solche nach einer einstündigen Sauerstoffchloroform-
narkose nicht zu finden, sondern man findet dasselbe Bild erst nach 2 — 27.2 stün-
diger Narkose. Dies zeigt also, daß ein Vorzug in dieser Art der Narkose ge-
legen ist. Was nun die Veränderungen in den inneren Organen nach öfteren,
längeren Chloroformsauerstoffharkosen anlangt, so sind dieselben ebenfalls nicht
so hochgradige, wie nach reinen Chloroformnarkosen, doch sie sind natürlich
mehr oder minder stark vorhanden, und wenn man einen Hiind jeden Tag
2 Stunden laug mit diesem Gemisch narkotisiert und zwar 4 Tage bis 5 Tage
hintereinander, so geht das Tier in der letzten Narkose oder bald*nach der-
selben zugrunde, und man findet in den Organen das Bild wie beim protra-
hierten Chloroformtod, starke Fettmetamorphose in Herz, in Leber und Nieren,
stellenweis in Nekrose übergehend, und ebenso im Cerebram die bekannten Ver-
änderungen in den Gefäßwandungen und Ganglienzellen. Allerdings ist auch
hier zu bemerken, daß diese Veränderungen bei den reinen Chloroformnarkosen
schon früher so stark auftreten. Man kann also wohl eine Besserung in der
Chloroformwirkung sehen, doch aufgehoben wird diese Toxinwirkung nicht, dies
beweisen die gelegentlich auch in der Sauerstoffchloroformnarkose auf-
tretenden Todesfälle. Was nun die Lungen anlangt, so habe ich auch da die
Wii'kung geprüft imd habe gefunden, daß eine bedeutende Besserung hier nicht
vorhanden ist, wohl aber eine geringe. Die Schleimvermehrnng ist beim
Chloroform an sich nicht sehr stark, aber dieselbe kana durch die Saiierstoff-
— 527 —
beiinischuug nicht aufgehoben werden. Mau liiulet in der Lunge der narkoti-
sierten Tiere, wobei uatin-lich durch die Lagerang derselben verhindert wurde,
daß die Schleimniassen aus dem Rachen in den Kehlliopf vand die Bronchien
fließen konnten, eine gelinge Menge von Schleim stets in den Alveolen, nament-
lich nach langen Narkosen. Es kommt eben auf die Dauer der Narkose an,
wie groß die in den Alveolen sich anhäufenden Schleimmassen sind. Bei 1^/2 bis
2 stündigen Narkosen ist deutlich vermehrte Salivation sowohl im Maul und
Rachen des Tieres als auch in den Lungenalveolen zu finden, man kann in
den abhängigen Gebieten der Lunge herdweise Schleiminfiltrationen mäßiger Aus-
dehnung gewahren. In diesen Bezii'ken sind die Alveolen mit Schleim teilweise
oder ganz erfüllt. Freilich sind keine Rundzelleninfiltrationen um die Herde zu finden,
und die Herde sind auch nur klein und nicht zahlreich. Man kann sagen, daß
die vermehrte Schleimabsonderung in den Bronchien nur gering, aber doch vor-
handen und derart zu finden ist, daß in bestimmten Verhältnissen immerhin
genau wie bei den einfachen Chloroformnarkosen Erkrankungen der Lungen
resultieren und dadurch begünstigt werden können. Was nun die Verän-
derungen in den Epitkelien der Luftwege anlangt, so waren dieselben in ge-
ringem Grade ebenfalls vorhanden, man findet aiich nach langen Sauerstoff-
chloroformnarkosen in den Zellen des respiratorischen Epithels Fettmetamorphose,
und zwar sowohl in den Zellen der Alveolen wie der Schleimhaut der Broncheoli
und Bronchien. Es ist daraus also zu ersehen, daß die Epithelien des respira-
torischen Epithels in ihren vitalen Funktionen gestört werden, daß sie hier
und da Veränderungen erleiden, welche sie verhindern, ihre normalerweise aus-
geführten Schutzmaßregelu vor Infektion der Lungen jetzt noch zu vollbringen,
wobei die Gefahr entsteht, daß die Bakterien, welche in die Lungen und
Bronchien gelangen, nicht getötet werden, sondern sich lebhaft weiter ent-
wickeln können, und daß die schon in der Lunge vorhandenen Bakterien, wie
die Tuberkelbazillen und die Bakterien der chronischen Bronchitiden, veranlaßt
werden, in anderen Lungenpartien, welche bisher von ihnen verschont worden
waren infolge der Widerstandskraft des respiratorischen Epithels, sich anzu-
siedeln und daselbst krankhafte Prozesse hervorzurufen. Diese beiden Arten
der Veränderungen in den Lungen sind zweifellos nach den Sauerstoffnarkosen
geringer, und der Anlaß zu der geringeren Schädigung der Lunge liegt einmal
darin, daß die Chloroformmenge, welche in den Organismus gelangt, bei dieser
Narkose sehr gering ist, so daß längere Narkosen weniger starke Verän-
derungen erzeugen als bei der gewöhnlichen Chloroformnarkose, bei der viel mehr
Chloroform in den Organismus in derselben Zeit gelangt. Weiter mag wohl
der Sauerstoff eine geringe Besserung hervorrufen, aber es erscheint mir sehr
fraglich, ob die geringere Veränderung der Lungen durch den Sauerstoff her-
vorgerufen wird. Die Veränderungen in den Lungen sind nämlich derart aus-
gedehnt und stark, wie es wohl der in den Organismus gelaugten Chloroform-
menge entspricht. Es ist dies schwer zu entscheiden. .Jedenfalls hat man aber
geringere Salivation und Fettmetamorphose der Epithelzellen, als bei reinen
Chloroformnarkosen, und man beobachtet bei kurzen Sauerstoff'chloroformnarkosen
am Menschen auch fast keine Salivation im Mund und Rachen, nur bei langen
und ausgedehnten Narkosen zeigt sich deutlich etwas vermehrter Speichelfluß.
Aus alledem geht also hervor, daß die Sauerstol^ichloroformnarkose etwas
weniger toxisch auf die Lunge wirkt, als die reine Chloroformnarkose.
— 528 —
Daß dem Chloroform die toxische Wirkung nicht vollkommen g nommen
werden kann durch die Kombination mit Sauerstoif geht auch aus den Beob-
achtungen der Herzaktion während dieser Narkose hervor. Im allgemeinen hat
man beobachtet, daß der Puls langsamer und weniger frequent wird, sobald die
Narkose in die Toleranz übergegangen ist. Man hat, wie oben schon bemerkt,
den Pulsschlag auf bis 44 Schläge herabgehen sehen, in anderen Fällen auf
56 und 60 Schläge pro Minute (Wohlgemuth). Es wird also eine depressive
Wirkung auf den Blutdruck ausgeübt. Um die Verhältnisse des Blutdruckes
in der Sauerstoffchloroformnarkose analog den Untersuchungen Blau eis bei
Kurve A.
Kurve B.
Kurve C.
Fiff. 155.
Blutdruckkurven in der Chlorofoi'msauei'stoffuarkose.
N =^ Normalblutdruckhöhe.
Aether- und Chloroformnarkosen feststellen zu können, habe ich bei mehreren
Kranken mit dem Gärtnerschen Tonometer Versuche angestellt, welche das
Resultat geliefert haben, daß der Blutdruck allerdings eine Depression in der
Toleranz erfährt, so daß er während der Narkose mit Chloroformsauerstoff kon-
stant sinkt und zwar unter die Norraalblutdruckhöhe, daß aber die Kurve be-
stimmte Unterschiede gegenüber der Kurve bei reiner Chloroformnarkose zeigt.
— 529 —
der reiueu Chloroformuarkose, und daß vor allen Dingen die starken Remissionen,
welche Blaue 1 als besondere Zeichen der toxischen Chloroformwirkung anführt,
nicht so intensiv und hochgradig vorhanden sind, wie hei der einfachen Chloro-
formnarkose, so daß man mehr den Eindruck der Gleichmäßigkeit dieser Kurven
erhält. In Fig. 156 sind drei Kurven von Chloroformsauerstoö'narkosen angeführt,
welche diese Verhältnisse deutlich zeigen und veranschaulichen. Diese Befunde
am Blutdruck zeigen also einen bedeutenden Vorteil der SauerstofEnarkose und
es sind diese Narkosen bei schwei-en Operationen ausgeführt worden, wobei die
Dauer der Narkose meist 1 Stunde und bisweilen 1^4 Stunde betrug.
Man ersieht aus diesen Kurven, wenn man dieselben mit den Kurven
von Blauel in Figur 89 und 90 vergleicht, daß in allen diesen Narkosen der
Blutdruck nur wenig unter die Nonnalblutdruckhöhe sank, und daß Remissionen
fast gar nicht zu sehen waren. Da, wie Blauel angibt, die Remissionen be-
drohlicher Art hauptsächlich immer direkt nach dem Zuführen neuer Chloro-
formmengen auftraten, so kann man bei dieser Methode schon von vornherein
erwarten, daß solche Remissionen nicht zu finden sein würden, da die Chloro-
formzufuhr mit dem Roth-D rag er sehen Apparat nur sehr allmählich vor-
genommen wird. Somit erkennt man recht deutlich die günstige Wirkung
dieser Narkose besonders auf das Herz, denn besonders starker Abfall des Blut-
druckes war selbst bei den sehr langen Narkosen nicht zu beobachten und zu
plötzlichen Steigerungen wurde kein Anlaß gegeben. Es war auch in den
anderen siel)en von mir aufgenommenen Kurven gelegentlicher Narkosen dasselbe
Bild zu finden, nie war ein stärkeres Sinken des Blutdruckes zu beobachten.
Wenn man nun noch die Harnsekretion während dieser Narkosen be-
trachtet, so ist zu bemerken, daß man bisher noch keine Harmmtersuchungen be-
schrieben hat. Ich habe bei 15 Narkosen mit Sauerstoffchloroformgemischen ein-
mal eine geringe Menge Albumen im Harn nach der Narkose gefunden bei einem
vorher sehr schwachen Mann, wo aber Albuminurie vor der Operation nicht
bestanden hatte und der Mann wegen Cholelithiasis operiert wurde. Die
Albuminurie war am dritten Tage post narkosin verschwunden, und es trat völlige
Genesung des Kranken auf. Die Nieren sondern Chloroform ab und können
Schädigimgen erleiden, wie aus den Tierversuchen nachgewiesen wurde, aller-
dings erst nach sehr langen Narkosen oder bei besonderer Disposition.
Die Hauptmasse des Chloroforms wird durch die Lungen eliminiert.
Das Resümee, welches man aus den jetzt gemachten Erfahrungen ziehen
kann, ist das, daß trotz der Sauerstofibeimengung natürlich eine Intoxikation
des Organismus herbeigeführt wird, welche schwere Störungen und selbst den
Tod zur Folge haben kann. Allerdings wird durch diese Methode und Apparate
eine höchstmögliche Beschränkung der Chloroformmenge bewirkt und daneben
übt der Sauerstoff kräftigende Einflüsse aus und verringert die toxische Wirkung
des Chloroforms, so daß die Gefahren bei dieser Methode geringer sind, als bei
der einfachen Chloroformnarkose. Es wird daher auch die Indikationsgrenze
dieser Narkose weiter gezogen werden können, als die der reinen Chloroform-
narkose. Allerdings muß man immer bedenken, daß bei bestehender Disposition
zu Herz-, Leber-, Nierenkrankheiten, zu Pettmetamorphose etc. die Chloro-
formwirkung in Betracht kommt, iind daß man bei der Auswahl der Kranken
vorsichtig sein muß und eine genaue körperliche Untersuchung unumgänglich
ist. Vor allen Dingen sind auch hier wieder die starken chronischen Alko-
holisten nicht sehr geeignet, denn bei ihnen tritt die Narkose schwer ein, und
man beobachtet ev. Kollapse. Wenn auch alle Gefahren nicht auszuschließen
sind, so ist diese Narkose doch eine sehr viel weniger gefährliche als die
einfache Chloroformnarkose.
34
— 530 —
Ein Umstand kommt allerdings in Betracht, nämlich der, daß die Narkose
immer nur für Ärzte in der Stadt nnd für Hosi^itale möglich sein wird, denn
für den Arzt auf dem Lande ist es zu umständlich, Sauerstoff zu erlangen,
und für ihn ist auch das Instrumentarium reichlich großj wenn auch dasselbe
jetzt so konstruiert ist, daß man es leicht transportieren kann, so ist es doch
derart umfangreich, daß ein Arzt in ländlichen Verhältnissen seine Koffer etc.
zu sehr belasten und füllen würde, wenn er diese Apparate verwenden wollte.
Weiter erfordern die Apparate auch ziemliche Übung, die nur der Arzt erlaDgt,
so daß man also einem Laien die Narkose nitiht in die Hand geben kann, wes-
halb für den Landarzt diese Narkose ebenfalls nicht geeignet ist.
Michaelis, Falk und Lauenstein haben die Befürchtung aus-
gedrückt, daß das Chloroform bei der Mischung mit Sauerstoff im Roth-Dräger-
Apparat sich zersetze. Doch dahingehende Untersuchungen haben ergeben,
daß dies absolut nicht der Fall ist und das Chloroform vollkommen unzersetzt
in die Lungen gelangt. (Roth.)
Was nun die bisherigen Erfahrungen mit diesen Narkosen anlangt, so
hat Wohlgemuth 181 Fälle beschrieben, in denen er nachteilige Neben-
wirkungen nicht beobachtete, ebenso keinen Todesfall. Große Statistiken sind
natürlich noch nicht vorhanden, weil die Praxis in dieser Narkosenmethode
erst wenige Jahre umfaßt. Wi n d r o t h hat 100 Narkosen ohne Todesfall uad
ohne üble Folgen gesehen, Hahn 77 Narkosen, Lauenstein 120,
Roth 300, Engelmann hat 2-40 Narkosen ohne Todesfall ausgeführt und
sehr gute Resultate mit dieser Narkose erzielt, nur in 3 7o war Exzitation
vorhanden, doch waren Kallapse nicht ganz zu vermeiden. Auch Jayle berichtet
von vorzüglichen Resultaten. Im Hamburger neuen allgemeinen Krankenhaus
werden diese Narkosen seit Jahi-en ausgeführt, und man hat nach allen Publi-
kationen gute Resultate damit erzielt. Es werden daselbst täglich ca. 10 Nar-
kosen ausgeführt, also eine Zahl im Jahre, die schon ein Urteil erlaubt. In
neuester Zeit berichtet Rothfuchs einen Todesfall in dieser Narkose, der sich
in einem hiesigen Krankenhaus ereignet hat und er teilt mit, daß auch in einem
anderen Krankenhaus ein solcher Todesfall vorgekommen ist. Der von Roth-
fuchs mitgeteille Todesfall ist folgender.
Ein 20 jähriger Arbeiter wird wegen Durchschneidung mehrerer Sehnen
der linken Hand in der Nacht in das Krankenhaus gebracht. Die Sehnen
werden in Chloroformsauerstoffnarkose genäht. 4 Tage später mußte eine
beginnende Phlegmone in Narkose gespalten werden. Die Eiterung ging
weiter, so daß wieder 8 Tage später in Narkose 4 Handwurzelknochen entfernt
werden mußten. Als nun nach ca.26 Tagen der Defekt durch Transplantation
gedeckt werden sollte, wurde wieder dieselbe Narkose ausgeführt, der Kranke
hatte 4,5 g Chloroform erhalten, da blieb plötzlich, obgleich er noch im Exzi-
tationsstadium sich befand, die Atmung und Herztätigkeit stehen, und der Tod
trat trotz aller Gegenmaßregeln ein. Das Herz war vorher als gesund be-
fi;nden worden, und es ergab die Autopsie: alte perikarditische Narben am
Herzen, Fettbewachsung und leichte fettige Degeneration des Herzmuskels.
Dieser Fall ist sehr typisch und zeigt das, was ich eben bei meinen
Tierexperimenten nachgewiesen habe, daß das Chloroform mit Sauerstoff doch
Fettmetamorphose erzeugen kann. Dieser Kranke ist durch das Potatorium
disponiert, durch drei Narkosen und eine eitrige Erkrankung ist das Herz ge-
schwächt worden, so daß die Narkose doch genügte, um tödliche Verände-
rungen hervorzurufen. Dieser Fall ist also sehr wertvoll und typisch und
— 531 —
zeigt, daß trotz aller Güte der Narkose doch eine gewisse Gefahr besteht, und
mau uicht glauben darf, man könne jeden Krankeu ohne Auswahl chlorofor-
mieren. Vielleicht wäre in diesem Fall eine Athernarkose mit wenig Chloroform
günstiger gewesen. Man sieht aber auch hieraus, daß trotz normalem Unter-
suchimgsbefunde der Tod eintreten kann. Bei dem geringsten Verdacht auf
Disposition zur Fettmetamorphose und Alkoholismus sowie langen, eitrigen,
fieberhaften Prozessen ist Äther mit Chloroform, nur zum Erreichen der
Toleranz beigefügt, entschieden vorzuziehen.
Rothfuchs gibt an, daß dieser Todesfall auf 600 Narkosen zu rechnen
ist. Wenn man den von ihm noch genannten Todesfall mitrechnet, so sind
bis jetzt 2 Todesfälle bekannt. Es sind 1628 Narkosen hier zusammenzuzählen,
und nimmt man vielleicht noch ca. 2000 Narkosen auf den anderen Todesfall
an, den Rothfuchs angab, so ist ungefähr das Verhältnis von 1 : 1628 und
2 : 3628, welches also im großen und ganzen einem Verhältnis von 1 : 2000 bis
3000 wohl entsprechen wird. Diese Zahlen werden sich mit der Zeit vielleicht
als zu ungünstig erweisen, denn ich glaube annehmen zu dürfen, wenn das
Resultat der Sammelstatistik von Roth wird bekannt werden, ein günstigeres
Verhältnis sich ergeben wird. Jedenfalls hat diese Narkose ungefähr feine
Mortalität wie der Äther. ,
Nachdem ich nun diese Einwirkungsart der Sauerstoffchlorofoi'mnarkose
etwas genauer erörtert habe, wende ich mich nun zu der Technik derselben,
welche mit den Hauptfaktor der ganzen Narkose bildet, denn es ist leicht er-
klärlich, daß man hier sehr viel durch die Beobachtung leisten kann, und daß
hierbei der Apparat eine besondere Bedeutung hat. Was nun die Ausführung
dieser Narkose anlangt, so kann ich, was die Vorbereitung, Umgebung und
Lagerung des Kranken für die Narkose anbetriift, auf die Kapitel der Chloro-
formnarkose und die im allgemeinen Teil verweisen. Alles dies kann hier über-
gangen werden. Nur das will ich bemerken, daß gerade die gute Vorbereitimg
des Kranken von ungeheurer Bedeutung ist, und daß man da genau alle früher
gegebenen Vorschriften beachten muß. Ferner muß auch die Lagerung des
Kranken so sein, wie es früher erörtert wurde, auf gutem Tisch mit tiefliegen-
dem Kopf, die Abkühlung ist zu vermeiden etc. Nach diesen kurzen Be-
merkungen wende ich mich zu den Apparaten für die Narkose, da mit den-
selben die Technik eng zusammenhängt, so daß man beides nicht gilt trennen kann.
Zu der einfachen Methode, bei welcher man den Sauerstoff, wie es zuerst
von Prochownik getan wurde, nach der Chloroformnarkose verabreichte,
kann man den Apparat vonWohlgemuth verwenden, welcher aus einem Zylinder
mit komprimiertem Sauerstoff besteht, der mittels einer Maske dem Kranken
zugeführt wird. Man kann zu gleicher Zeit durch einen Junkerschen Apparat
Chloroform beimengen oder in die Maske tropfen. Dieser einfache Sauerstoff-
apparat von Michaelis ist im allgemeinen Teil in Fig. 49 und 50 abgebildet und
dort nachzusehen. Dieser Apparat ist zur einfachen Sauerstoffinhalation ebenso
geeignet wie zur Kombination mit der Chloroformnarkose. Durch die Ver-
wendung der Maske, welche an diesem Apparat angebracht ist, kann man sehr
leicht auch Chloroform durch das Luftventil eintropfen in ein an demselben be-
festigtes Gazestückchen. Diese Maske ist als eine sehr vorteilhafte auch ohne
diese Art der Verwendung bei dem Gebrauch des gleich zu beschreibenden
Apparates, den die Sauerstofffabrik in Berlin für die Chloroformnarkose kon-
struiert hat, anzusehen, und ich füge daher die Abbildung derselben in den bei-
stehenden Figuren 156 und 157 hier an, da man aus den Abbildungen besser
die Konstruktion ersieht. Man hat zwei Masken, die eine mit einem Stirnband,
34*
— 532 —
Fig. 156. Maske des Sauerstofichloroformapparats
der Saiierstoffabrik Berlin mit Stirnbinde.
damit sie auf dem Gesicht fixiert werden kann, so daß der Arzt dieselbe nicht
zu halten braucht, was bei der Bedienung des Apparates von großem Vorteil ist.
Bei dieser Maske tritt das das Gasgemenge zuführende Eohr direkt gegenüber
der Nasenöffnung an der seitlichen Maskenwand in dieselbe ein, so daß das
Gasgemisch somit dem Kranken direkt vor die Nasenöffnung geblasen wird.
Nebenbei besitzt die Maske ein Luftventil, durch welches der Kranke die atmo-
sphärische Luft erlangt. Diese Maske muß natürlich so auf das Gesicht gelegt
werden, daß das zuführende Rohr nach dem Kinn resp. Hals des Kranken zu
weist. Die andere Maske ist ans Zelluloid, also durchsichtig, und unterscheidet
sich von ersterer dadurch, daß das das Gasgemisch zuführende Rohr den oberen
Teil der Maske durchbohrt und senkrecht noch ein Stück in die Maske ragt,
und zwar ist es so eingerichtet, daß bei richtiger Lage der Maske auf dem
Gesicht des Krankon das Rohr bis dicht vor die Nasen- und Mundappertur des
Kranken reicht, also die Gas-
gemische auch direkt in die
Nase führt. An der Maske
sind außen zwei hakenför-
mige Griffe angebracht, an
denen man sie festhalten,
oder durch welche man
einen Stirnriemen zur Be-
festigung auf dem Gesicht
anbringen kann. Beide Mas-
ken schließen auf dem Ge-
sicht luftdicht ab und lassen
Luft nur durch das Luft-
ventil eintreten.
Nunmehr soll der Appa-
rat der Berliner Sauerstoff-
fabrik Erwähnung finden ,
da derselbe einen sehr guten und brauchbaren Apparat zur Narkose mit Chloro-
formsauerstoff abgibt. Dieser Apparat ist von Wohlgemuth konstruiert
worden, er besitzt die eben beschriebene
Maske als Mundstück. Die beistehende
Figur lö8 gibt den Apparat hier wieder.
Der Apparat besteht aus einem
großen schmiedeeisernen Zylinder, in
welchem der Sauerstoff vorhanden ist.
Von demselben führt ein Rohr in ein
Manometer, in welchem man den Ver-
brauch von Sauerstoff angezeigt findet.
Neben dem Manometer M ist der Chloro-
formapparat angebracht, welcher in der
Figur 1.58 mit C bezeichnet ist. Man
kann an dem Gefäß den Chloroform-
verbrauch jederzeit ablesen. Das Chloro-
form fließt aus dem Apparat ah durch
einen Hahn, den man je nach Bedarf
so stellen kann, daß die Tropfen lang-
sam oder schnell fallen, dieser Hahn
ist mit D bezeichnet. In dem unter
demselben befindlichen Gefäß E ver-
dampft das Chloroform, und der Chloro-
formdampf mischt sich mit dem Sauer-
stoff in dem Hahn F und gelangt nun
in den Gummibeutel G, woselbst eine
ausgiebige Mischung der Gase vor
sich geht. Aus diesem Beutel führt
Fig. 157. Maske des Sauerstoff-Chloro-
formapparates der Sauerstoffabrik
Berlin aus Zelluloid.
538
ein Hahn H in den Schlauch, welcher zur Maske führt. Die genauere Kon-
struktion ist aus der Abbildung zu ersehen. Dieser Apparat stellt ein sehr
großes und umfangreiches, schwer transportables Instrument dar. Damit man
aber diesen Apparat auch mit nach einem dritten Ort transportieren und leicht
im Koifer oder im Wagen etc. mit sich führen kann, hat die Berliner Sauer-
Fig. 158. Sauerstoff-Chloroformapparat vju
Wohlgemuth.
Stoff abrik diesen Apparat in viel kleineren Dimensionen her^'estellt, so daß der
ganze Apparat mit Sauerstoffzylinder in einem mäßig großen Holzkasten, vom
Umfang eines kleinen Koffers, leicht verpackt, und somit überaus einfach von
einem Ort zum andern befördert werden kann, wodurch dem Arzte in praxi er-
möglicht werden soll, die Sauerstoffchloroformnarkose auch in seiner Tätigkeit über
— 534
jjand verwenden zu können. Es ist zweifellos von enormer Bedeutung, daß
man diesen Apparat mit geringer Mühe schnell transportieren kann, und wenn
auch der Arzt auf dem Lande diese Narkose nicht anwendet, da sie für ihn so
mancherlei andere Unbequemlichkeiten und Hindernisse besitzt, so ist der
Apparat doch für den Arzt in der Stadt und an größeren Orten, wo man Sauer-
stoff leicht erhalten kann, ein überaus wertvolles Instrument, das in vielen Ge-
legenheiten großen Nutzen stiften kann.
Die Verwendung des Apparates ist einerseits die als Sauerstoffapparat
allein, andererseits als Narkosenapparat mit Chloroform. Durch die Konstruktion
wird es ermöglicht, die Chloroformmenge nicht nur auf ein Minimum zu be-
schränken, sondern die Do-
sen auch genau abzumessen
und zu bestimmen, so daß
man stets weiß , wieviel
Chloroform und Sauerstoff
der Kranke zur Inspiration
erhält. Außerdem kann
man jederzeit äußerst leicht
die Chloroformmenge ver-
mehren und vermindern, je
nach den obwaltenden Ver-
hältnissen. Auch kann für
bestimmte Zeiten das Chlo-
roform ganz weggelassen
und allein Sauerstoff ver-
abreicht werden , ebenso
umgekehrt. Der kleine
Apparat von Wohlge-
muth ist äußerst brauch-
bar. Er ist in beistehender
Fig. 159 auf einem Tisch-
chen liegend abgebildet,
imd man ersieht die geringe
Ausdehnung desselben. Na-
türlich ist er ziemlich
schwer, doch ist dieser
Nachteil nur gering.
Um mit dem Sauerstoff-
apparat von Michaelis
eine Chloroformnarkose ver-
binden zu können , hat
Wohlgemuth folgenden
Chloroformapparat kon-
struiert, welcher direkt an
das Manometer des Sauer-
Fig. 159. Sauerstoffchloroformapparat stoffzylinders angeschlossen
von Wohlgemuth, mit kleinem Zylinder, leicht werden kann. Dieser Appa-
tränsportierbar, auf einem Tisch zu liegend. rat besteht, wie Fig. 160
zeigt, aus einem 50 ccm
fassenden Glasgefäß G, in welches man von oben durch einen mit Glasstopfen
verschlossenen Hals das Chloroform einschütten kann.
Dieses Gefäß G hat unten einen Hahn J, welcher in ein spitz endendes
Glasrohr sich fortsetzt. Dieses Glasrohr führt luftdicht verbunden in ein
U-f örmig gebogenes, ungefähr von dreifachem Durchmesser als das Glasrohr ge-
bildetes Kohr. Dieses U-förmige Kehr setzt sich nach beiden Seiten in schmälere
Glasrohransatzstücke fort. Am Boden des U-förmigen Rohres liegt ein Gaze-
tupfer bei B, in welchen, wenn man den Hahn J öffnet, das Chloroform tropft
und daselbst sehr schnell verdunstet. Dieser Apparat wird nun mit dem Sauer-
stoffapparat so verbunden, daß das linke Ansatzrohr durch einen Gummischlauch
mit dem Manometer des Sauerstoffzylinders zusammenzuhängen kommt. Ev.
4
— 535 —
m — > C
A
kann man zwischeu beide hier noch einen Filtrierapparat einschalten, doch ist
das nicht nötig-. Das rechte Ansatzrohr der U-förmig gebogenen Röhre wird
mit der Maske durch ein langes Gummirohr verbunden. Wenn der Apparat in
Tätigkeit ist, so strömt der Sauerstoff durch die U-förmige Röhre von links
nach rechts. Oeffnet man nun den Hahn J, so tropft auf ^den Gazetupfer
Chloroform, und zwar je nach der Oeffnung des Hahnes ensteht ein rascher oder
langsamer Tropfenfall, ganz wie es der Narkotiseur braucht. Das Chloroform
verdunstet rasch in der Gaze, wird von dem durch das Rohr streichenden
Sauerstoff mit fortgerissen und beide Gase mischen sich in dem »Verhältnis,
welches durch die Frequenz des Tropfenfalls und der Geschwindigkeit des Sauer-
stoffstromes, der im Manometer ablesbar ist, bestimmt wird. Auf einem Stativ
wird dieser Chloroformapparat am Sauerstofi'zylinder, der in Figur 49 und 50
abgebildet ist, befestigt, und
man hat den von Wohlge-
muth angegebenen Narkose-
apparat vor sich. Dieser
Apparat ist auch sehr brauch-
bar. Der Chloroformapparat
ist leicht zu reinigen und
arbeitet sehr gut, wenn er
gut und richtig gebaut ist.
Wenn man diesen Apparat
mit dem Sauerstoffapparat
verbindet, so muß das Sauer-
stoffgas, wie in Fig. 50 auf
Seite 204 ersichtlich ist, erst
durch zwei Manometer strö-
men. Das eine Manometer
zeigt den Inhalt des Zylin-
ders au Gas in Atmosphären-
druck an, z. B. bei halbge-
fülltem Zylinder liest man 50
Atmosphären ab etc., das
andere 3Ianometer dient als
Reduzierventil, und läßt einen
Druck bis zu einer Atmos-
phäre zu, welchen man durch
eine kleine vor oder unter
dem Manometer angebrachte
Schraube durch Lockern der-
selben verstärken kann.
Zwischen diesem Reduzier-
ventil und dem Chloroform-
apparat ist noch ein Hahn
angebracht , durch welchen
man auch bei geöffnetem Zy-
linder den Sauerstoffstrom
abstellen, und verhindern
kann, durch den Chloro-
formapparat zu strömen. Der Apparat funktioniert folgendermaßen: Ehe
man die Narkose beginnt, muß man den Glasstopfen, welcher das Chloroform-
gefäß verschließt, so einstellen, daß das denselben durchsetzende Rohr offen ist,
also ein Abtropfen des Chloroforms erfolgen kann. Wenn nämlich der Stopfen
das Gefäß luftdicht abschließt, kann kein Chloroform abfließen, weil dann keine
Luft nachströmen kann. Man darf also nicht vergessen, den Stopfen entsprechend
umzustellen.
Früher wurde vor den Chloroformapparat ein Wassergefäß vorgestellt, so
daß der Sauerstoff durch Wasser strömen und sich dadurch anfeuchten sollte
(Kobert). Wohlgemuth ist aber wieder von dieser Vorrichtung abgekommen,
und man läßt jetzt den Sauerstoff trocken in das Chloroform strömen.
Fig 160. Chloroformapparat von Wohlgemuth
zur Verbindung mit dem Sauerstoffapparat.
A = Ansatzstück zur Verbindung mit dem Sauer-
stoffmanometer, C = Ansatzstück zur Verbindung
mit der Maske, B = Gaze oder Watte, I = Hahn,
G = Chloroformgefäß mit Einteilung.
— 536 —
Weuu man mm den Apparat brauchen will, öffnet man zuerst die am
Kopf des Sauerstoffzylinders angebrachte Schraube. Wenn diese Schraube ge-
schlossen war, so stand das Manometer auf 100 Atmosphären und 1 Atmosphäre.
Nun wird die vor dem kleinen Manometer befindliche Schraube gelockert,
der Hahn geöffnet und geschlossen, und man dreht nun dieselbe Schraube
wieder so viel hinein, bis der Zeiger des kleinen Manometers '/lo — ^/lo Atmo-
sphären anzeigt. Nunmehr stellt man den Chloroformapparat so ein, daß unge-
fähr 100 bis 200 Tropfen Chloroform pro Minute demselben entströmen und
auf den Gazetupfer im U-förmigen Rohr fallen, und öffnet den Hahn, welcher
zväschen Manometer und Chloroformapparat sich befindet, damit das Chloroform
vom Sauerstoff durchströmt wird, und sich beide Gase mischen können. Nachdem
man diesen Hahn geöffnet hat, fällt schnell der Zeiger des kleineu Manometers
auf 0 und der Sauerstoff strömt kontinuierlich durch den Chloroformapparat
nach dem Mundstück. Der Sauerstoff hat jetzt einen Druck von Vio — ^/lo Atmo-
sphären. Durch den vermehrten Luftdruck im U-förmigeu Rohr wird jetzt
bewirkt, daß das Chloroform langsamer tropft, was man aber leicht regulieren
kann. Man befestigt jetzt dauernd die Maske auf dem Gesicht des Kranken
und veranlaßt den Kranken, regelmäßig tief zu atmen und den Mund dabei offen
zu halten. Von Zeit zu Zeit muß der Narkotiseur die Maske öffnen und sich
überzeugen, daß reichliche Chloroformdämpfe ausströmen und nicht etwa der
Druck des Sauerstoffs zu hoch oder gar zu klein, gleich Null ist, was natürlich
ein Verdampfen des Chloroforms verhindert. Wenn man dies findet, so muß man
die Regulierschraube unterhalb des kleineu Manometers ein wenig, ^^ — 1/2 Um-
drehung, hüieinschrauben und sich nun überzeugen, daß die Chloroformdämfe
immer intensiver in die Maske strömen. Wenn nach Verlauf von drei bis
zehn Minuten Toleranz eingetreten ist, so wird jetzt nicht mehr soviel Chloroform
dem Kranken zugeführt, sondern man läßt jetzt nur noch 30 — 40 Tropfen pro
Minute aus der Chloroformflasche tropfen, ev. noch weniger, je nach dem
Zustand des Kranken. Man kann auch bei Eintritt tiefer Betäubung für einige
Zeit den Tropfenfall ganz unterbrechen, da in dem Gazetupfer jetzt genügend
Chloroform vorhanden sein wird, um für einige Minuten die Narkose zu
iinterhalten. Man muß eben den Kranken genau beobachten und je nach dem
Zustande der Reflexe die Chloroformgabe einrichten. AVenn man einige Uebung
mit dem Apparat erlangt hat, kann man den Verbrauch von Chloroform auf
ein erstaunlich geringes Maß reduzieren, und es muß auch bei dieser Methode
der Narkotiseur eine Ehre darin finden, den Kranken mit der möglichst ge-
ringen Menge von Chloroform zu betäuben. Da hierbei das üebergehen und
Verdunsten von Chloroform in die uiu gebende Luft auf ein Minimum beschränkt
ist und fast alles im Apparat verdampfende Chloroform dem Kranken in die
Lunge zugeführt wird, so wirkt die geringste Menge von Chlorofurm schon sehr
stark, und während man bei der Tropfmethode mit Esmarchscher Maske
für eine Narkose mittlerer Länge 40 — 50 g braucht , kann man eine ebenso
lange Narkose mit diesem Apparat unter einem Verbrauch von nur 12 — 20 g aus-
führen. Die Kranken erwachen allerdings auch sehr schnell aus der Narkose, so
daß man während der Operation immer genau auf den Kranken achten muß,
denn er erwacht oft sehr schnell, ehe man es ahnt. Je besser die Narkose ge-
leitet wird, je geringere Dosen für die Narkose verwendet werden, um so leichter
erwacht der Ki'anke, da ja dann im Blute nur die zur Narkose eben nötigen
Massen Chloroform kreisen, und deren geringste Verminderung muß das Erwachen
bewirken. Man kann aber durch gute Beobachtung zu frühes Ei wachen ver-
hüten, und wenn die Narkose beendet ist, so ist es von Vorteil, wenn der Kranke
bald erwacht.
Die Technik der Narkose mit diesem Apparat ist dieselbe wie mit dem
Sauerstoff Chloroformapparat der Sauerstoffabrik, wie er in Fig. 158 abgebildet
ist. Es wird daselbst nur das Gasgemisch noch in einem Gummibeutel ge-
sammelt, um eine intensive Mischung der beiden Gase hervorzurufen. Von dem
Beutel G wird das Gasgemisch in die Maske geleitet.
Ein anderer Apparat für diese Narkose, welcher ebenfalls eine bedeutende
— 537 —
Verwendung zur Narkose namentlich in Krankenhäusern erlangt hat, ist der
von Roth konstruierte Apparat, welcher der Roth-D räger-Ap parat heißt,
weil ihn das Drägerwerk in Lübeck fabriziert, während Dr. Roth in Lübeck
am Krankenhaus denselben konstruierte und zuerst verwendete. Dieser Apparat
mit seiner Methode ist auch in den Hamburger Krankenanstalten meist in
Brauch und hat seit Jahren recht gute Dienste geleistet. Während, wie schon
gesagt, die Sauerstoffabrik in Berlin den Apparat in eine handliche, kleine
Form gebracht hat, um denselben auch in der allgemeinen Praxis verwenden
zu lassen, und so die Sauerstoffnarkose auch weiteren Kreisen von Ärzten in der
Stadt und auf dem Lande ev. sogar zu ermöglichen, denn den Sauerstoff kann man
Fig. 161. Sauei'stoffchloroformapparat von Roth-Dräger.
sich ja per Post senden lassen, ist der Roth-Dräger -Apparat wohl von
Zimmer zu Zimmer leicht transportierbar, doch er ist nicht so gebaut, daß man
ihn mit über Land nehmen könnte. Dies ist entschieden ein Nachteil gegen-
über dem Wohlgemuthschen Apparat.
Dieser Roth-Dräger-Apparat ist auf einem eisernen Gestell aufgestellt
und durch Rollen leicht beweglich, während ein langer Schlauch zu der Maske
auf dem Gesicht des Kranken führt. Dieser Apparat ist in Figur 46 Seite 202
abgebildet, ebenfalls mit allem ev. notwendigen Zubehör. Derselbe ist ent-
schieden für Kliniken und Krankenhäuser sehr brauchbar. Der Apparat, welcher
die neuesten Verbesserungen zeigt, ist in Figur 161 hier beistehend abgebildet.
Er besteht aus einem großen Sauerstoffzylinder, auf welchem zunächst ein
Ventil aufsitzt, welches durch die Schraube M geöffnet werden kann, darauf
folgt das Manometer oder Finimeter, N genannt, welches durch ein kleines
Ventil 0 bedient wird. Um den Apparat in Tätigkeit zu setzen, öffnet man das
Ventil bei M, aus welchem der Sauerstoff in das Manometer N strömt und
daselbst anzeigt, wieviel Sauerstoff in dem Zylinder enthalten ist. Wenn man
— 538 —
nun den Hahn bei 0 öifnet, so strömt der Sauerstoff durch den Schlauch,
welcher zu den anderen Teilen des Apparates führt, durch die unter dem
Manometer angebrachte Fitigelschraube Q, durch welche man den Verbrauch
des Sauerstoffes regulieren kann. Die durchströmende Menge Sauerstoff soll
nämlich in der Minute 3 1 betragen. Wenn man nun den Druck ändern
will, so dreht man die Flügelschraube Q, doch ist dieselbe so konstruiert, daß
der höchstanstellbare Druck 5 1 pro Minute nicht übersteigen darf. An
Fig. 162. Chloroformapparat
zum ersten Eoth-Dräger-
apparat.
Fig. 163. Der zweite zum Roth-Dräger-
apparat gehörende Chloroformapparat.
dem weiteren Apparat sieht man nun ein anderes Manometer P, welches anzeigt,
wieviel Sauerstoff jeweilig verbraucht wird, und zwar zeigt P den Verbrauch
in Litern pro Minute an. Durch die Stellung der Flügelschraube Q wird P so-
fort andere Werte anzeigen.
Nunmehr kommt der zweitwichtigste Teil des Apparates, der Chloroform-
meßapparat. Dieser Apparat wurde in den früheren Apparaten von ß o t h -
Drag er durch die Vorrichtung gebildet, welche in Figur 162 wiederge-
geben ist.
Diese Vorrichtung besteht, wie man sieht, aus einem Glasgefäß, in welchem
Chloroform enthalten ist, und zwar ist dieses Gefäß graduiert von 0 — 100, man
kann also immer sehen, wieviel Chloroform verdunstet ist. Das in dieser Ab-
bildung gezeichnete Manometer ist das P aus obiger Abbildung und zeigt an,
wieviel Liter Sauerstoff pro Minute verbraucht werden. Von diesem Manometer
— 539 —
striimt der Sauerstoff durch ein Ventil, welches durch einen Zeiger, der auf einer
Skala drehbar ist, reguliert wird, und zwar Avird durch dieses Ventil ein Teil
des Sauei'stoffstronies abgezweigt und in das Chlorofornigefäß geführt, woselbst
er durch das Chloroform sti'ömt und ein gewisses Quantum des Chloroforms
aufwirbelt, welches vermöge einer sinnreichen Einrichtung immer annähernd
auch bei foitschreitender Verdunstung des Chloroforms dasselbe bleibt, und
mit Chlorofoi'mgas gemischt weiterströmt iind sich mit dem vorher ab-
gezweigten Hauptstrom des Sauerstoffs wieder vermischt. Je nach der Stellung
des Zeigers auf der Skala kann man nun viel oder wenig Sauerstoff durch das
Chloroform strömen lassen, wodurch eben die Menge des beigemengten Chloro-
formgases wechselt. Es wird nun das Gemisch weitergeleitet zum Kranken.
Allerdings bleibt die Verdunstung des Chloroforms infolge der Abkühlung,
welche dasselbe beim längeren Durchströmen des Sauerstoffes erleidet, nicht
dieselbe, sondern sie wird mit der vorschreitenden Narkose etwas geringer als
sie es im Anfang war. Wenn nun dieser Fehler praktisch auch wenig oder
gar keine Bedeutung hat, so hat Roth es doch für besser gehalten, den
Chloroformapparat durch einen anderen zu ersetzen, welcher diese Mängel nicht
besitzt. Um dies abzustellen, durfte der Sauerstoff nicht mehr durch das
Chloroform strömen. Nach langen Mühen hat Roth nun folgenden Apparat
erfunden.
Der zweite, jetzt ausschließlich an den Apparaten verwendete Chloroform-
apparat ist in beistehender Figur 163 abgebildet. Es ist Roth in diesem
Apparat gelungen, das Chloroform durch die Saugwirkxmg des Saxierstoffstromes
aus einem besonders konstruierten Gefäß tropfenweis sichtbar fallen zu lassen.
Es werden durch eine besondere Konstruktion stets gleich große Tropfen ge-
bildet, so daß "0 Tropfen immer 1 g ausmachen. Ein drehbarer Hahn R
reguliert die Tropfenzahl und gestattet also je nach Bedarf kleine oder große
Chloroformmengen in den unter dem Tropfapparate in bekanntem Verhältnis
fließenden Sauerstoffstrom hineinfallen und so zur Verdunstung kommen zu
lassen. Der an dem Hahn über einer Skala angebrachte Zeiger orientiert über
die jeweilige Tropfenzahl, also auch Chloroformgabe in Grammen, da 50 Tropfen
= 1 g Chloroform sind, welche in der Minute zur Verdunstung kommt. In
dem Gefäß G wird das Chloroform aufgenommen und steigt in dem Rohr H in
die Höhe, um durch T im Glasgefäß S herabzutropfen. Das Prinzip ist in diesem
Apparat ebenfalls wie in dem ersteren, nämlich daß der Chloroformverbrauch
unter allen Umständen in dem Augenblicke von selbst aufhört, in welchem der
Sauerstoffstrom abgestellt wird. Wenn das nicht der Fall wäre, so würde der
Tropfapparat nach Abschluß des Sauerstoffstromes weiterarbeiten, und man müßte
einen besonderen Hahn anbringen, um den Apparat abzustellen. Daß während
der Benutzimg mm leicht einmal vergessen werden könnte, diesen Hahn ab-
zuschließen, wobei wäh]-end der Narkose Ueberdosiemngen entstehen könnten,
ist leicht denkbar. Deshalb ist dieses automatische Arbeiten am vorteilhaftesten.
Dieser Chloroformapparat ist auch auf dem allgemeinen Bilde des R o t h -
D r ä g e r- Apparates angebracht und hat sich sehr bewährt. Der Sauerstoff,
der sich nun also mit Chloroformgas gemischt hat , wird nun in einen
Gummibeutel I geleitet, aus welchem ein Schlanch bei L abführt und das Gas-
gemisch nach der Maske transportiert.
Dieser Beutel hat die Bezeichnung Sparapparat und hat den Zweck, zu
verhindern, daß das Gasgemisch, welches ja kontinuierlich strömt, während der
Exspiration verloren geht, sondern zu bewirken, daß es im Beutel als Resei-voir sich
sammelt. Es sammeln sich in dem Beutel die während der Exspiration des Kranken
neu herzuströmenden Sauerstoffchloroformgasgemenge, um dann während der
folgenden Inspiration wieder aus dem Beutel entnommen zu werden. Ein sehr
leichtes, dicht schließendes Rückschlagventil gänzlich ohne Feder im Kopfe der
Beutelverschraubung bei L angebracht, verhindert das Eindringen von Gasen aiis
der Lunge des Kranken während der Exspiration, welche ungehindert aus
dem Exspirationsventil der Maske resp. der Oefi'nung in der Maske in die um-
gebende Luft entweichen. Dieser Beutel ist gleichzeitig ein Indikator für die
Lungenfunktion, denn derselbe fällt mit jeder Inspiration zusammen imd er-
weitert sich bei jeder Exspiration. Ein langes Rohr führt zu der Maske, welche
— 540 —
sehr klein ist, axis Metall konstruiert durch Einschnitte am Rande dicht auf
dem Gesicht aufliegt und eine Oeffuung zum Eintritt der Luft besitzt. Das
Rohr für das Gasgemisch führt ein Stück in die Maske hinein und endet so, daß
es gerade vor die Nasen- und Mundöffnung des Kranken zu liegen kommt, und
die Gasgemische dem Patienten direkt in die Nase und Rachenhöhle geblasen
werden. Dies ist die Konstruktion des R o t h - D r ä g e r- Apparates. Die
Narkose wird folgendermaßen ausgeführt: Man läßt den Kranken zunächst
einige Züge unter der Maske atmen, ohne daß man den Apparat in Tätigkeit
setzt. Wenn der Kranke ruhig atmet, öffnet man den Zylinder M und läßt den
Sauerstoff durchströmen, indem man ihn durch die Flügelschraube reguliert,
nachdem man die Schraube 0 geöffnet hat. Jetzt strömt Sauerstoff in die
Maske, und zwar durchschnittlich -3 l pro Minute. Um nun dem Sauerstoff-
strom Chloroform beizumischen verstellt man den Zeiger bei R, und von dem
Moment an wird Chloroform in Tropfen herabfallen. Man kann sich sofort
davon überzeugen. Je nach dem Verhalten des Kranken wird man mehr oder
weniger Chloroform brauchen und je nachdem verstellt man den Zeiger. Durch
diesen Zeiger kann man den Tropfenfall regulieren, denn man liest auf der
Tafel die Zahl der Tropfen ab, welche bei der betreffenden Stellung des Zeigers
auf die Zahl pro Minute ans dem Chloroform gefäß fallen, und deren Gas dem
Sauerstoff sich beimengt. Es beginnt der Tropfenfall mit 5, 15, 30, 45 und
gelangt so bis 90 pro Minute. Unrer diesen Zahlen auf der Scheibe sind Zahlen
geschrieben, welche angeben, wieviel Kubikzentimeter Chloroform diese
Tropfenzahl repräsentiert. So steht bei 30 Tropfen 0,5, bei 45 Tropfen 1 cbcm usw.
Während man im Anfang der Narkose die Tropfen schneller fallen läßt, ver-
mindert man nach Eintiitt der Toleranz die Tropfenzahl oder läßt für einige
Zeit das Chloroform ganz weg. So kann man leicht durch einen Griff' am
Apparat die Gasgemische ändern und den Kranken vor Ueberdosierung be-
wahren. Wenn der Kranke atmet, füllt sich bei jeder Exspiration der Beutel.
Dies rührt daher, weil der Kranke während der Exspiration den kontinuier-
lich strömenden Gasstrom nicht in sich aufnimmt, und sich das während der
Exspii'ation also übeT'flüssige Gasgemisch in den Beutel ergießt, aus dem es
während der Inspiration wieder heraustritt. So kann man an dem Bewegen
des Beutels erkennen ob die Atmung noch normal vor sich geht. Dieser R o t h-
D r ä g e r -Apparat ist ein sehr beliebtes Instrument für die Sauerstoffchloroform-
uarkose und ist viel in Verwendung. Von verschiedenen Seiten hat man recht
gute Resultate mit demselben erzielt (Roth, E u g e 1 m a n n, Wacüs etc.). In
neuerer Zeit hat Rothfuchs darauf aufmerksam gemacht, daß die Narkose
späte]' eintritt und vor allem bei Potatoren oft mißlingt, so daß derselbe
bei Potatoren die Tropfmethode vorzieht. Er hält es für unpraktisch, von
Anfang an Sauerstoff dem Chloroform beigemischt zu geben, da Sauerstoff als
Antidot des Chlorolorms wirkt, so hebt er im Anfang die Chloroformwirkung
teilweise auf, und es tritt deshalb namentlich bei Potatoren die Narkose schwerer
imd später ein Es ließe sich ja durch eine Modifikation des Apparates leicht
einrichten, daß man im Anfang nur Chloroform gibt und erst später nach Ein-
tritt der Tole]-anz das Sauerstoffchloroformgasgemisch verabreicht. Diese
Methode würde ja am besten so zu erreichen sein, daß man bis zur Toleranz
mit der Tropfmethode narkotisiert und nach Eintritt derselben den Roth^-
D r ä g er-Apparat verwendet. Da man bei den meisten Patienten recht gute
Narkosen erreicht, so würde es nicht nötig sein, den Apparat umzubauen, was
viel Muhe kosten würde. Und da man diese Modifikation hauptsächlich bei
Potatoren braucht, so wäre es nicht nötig, für die wenigeren Fälle den Apparat
zu ändern, sondern man verfährt am besten, indem man Potatoren erst mit der
Tropfmethode annarkotisiert und dann weiter mit diesem Apparat betäubt, oder
eine andere Kombination, wie die Morphinchloroform -f- Aethersauerstoffnarkose,
welche bei Potatoren am besten wirkt und später beschrieben werden wii'd,
verwendet.
Mit diesem habe ich die Hauptpunkte der Sauerstoff Chloroformnarkose
erwähnt, imd es ist wohl ersichtlich, daß diese Methode eine der besten Narkosen
ermöglicht, mu- bestehen zwei Mängel, die noch abgestellt werden müssen.
— 541 —
Ersteus siud die Ai)parate sehr teuer, so daß jeder praktische Arzt auf dem Lande
sie nicht kaufen kann, und ei'fordern Übung und sachgemäße Leitimg. Allein
der praktische Arzt kann ja die Narkose selbst überwachen und den Apparat
von einem Gehilfen nach seineu Vorschriften bedienen lassen, doch auch der
Sauerstoff macht die Methode teurer und komplizierter, da der Sauerstoifzj'linder
aus der Stadt bezogen werden muß. Zweitens kann der Apparat auf große
Entfernungen nicht transportiert werden, und wenn man auch den kleinen
Apparat von W o h 1 g e m u t h verwendet, so belastet derselbe den Arzt zu
sehr. Der R o t h - D r äg e r - A p p a r a t ist überhaupt nicht so leicht zu
transportieren. Es ist eben sehr schwer, den Sauerstoff in so kleinem Eauui
imterzubringen, daß der Apparat handlicher, kleiner und leichter sowie besser
zu transportieren würde. AVenn man nun sehr kleine Sauerstoffzylinder ver-
wenden will, so hat man wieder die Gefahr, daß der Sauerstoff zu schnell ver-
braucht wird, da in dem Zylinder eben zu wenig Sauerstoff aufgenommen
werden kann. Es ist zweifellos, daß unter diesen Umständen die Sauerstoff-
chloroformnarkose nicht Gemeingut aller Arzte werden kann. Vielleicht gelingt
es noch, die Apparate zu vervollkommnen.
§ 59. Die Äther + Sanerstofifnarkose ist eine Narkosenart, welche
bei weitem weniger und seltener verwendet wird, als die Sauerstoffchloroform-
narkose. Es war sehr naheliegend, daß man nach den guten Erfahrungen, Avelch«
man mit der Sauerstoffchloroformnarkose machte, versuchte eine ähnliche Kom-
bination mit Aether sulfuricus zu benützen, um vielleicht die Gefahren der
Aether-sulfur.-Narkose zu vermindern. (Markoe, Abbe, Bryant, Curtis,
Hare etc.) Die Methode dieser Narkose ist derart, daß man entweder von
Anfang an Sauerstoff mit Ätherdämpfeu gemischt verabreicht, oder anfangs nur
Aether sulf.-Dämpfe allein und nach Eintritt der Toleranz die Mischung der
Gase für weitere Fortsetzung der Narkose. Es kann diese Narkose ganz
ähnlich der Sauerstoffchloroformnarkose verwendet werden.
Was nun die physiologischen Einwirkungen dieser Narkose auf den Or-
ganismus anlangt, so ist dasselbe hier zu beachten, was bei der einfachen Äther-
narkose erörtert wurde. Die Mechanik der Narkose, die Aufnahme der Gase
durch die Lungen, und der Transport derselben durch das Blut in das Zentral-
nervensystem, wo die Wirkung auf die Ganglienzellen ausgeübt wird, sowie
die Eliminierung gehen genau so vor sich, wie bei jeder Inhalationsnarkose.
Die Herz- und Lungentätigkeit ward in physiologischer Hinsicht in dieser Narkose
genau so beeinflußt, wie in der einfachen Äthernarkose. Sauerstoff und Äthergas
gemischt wirken auf Herz und Lungen anregend, die Herzkraft wird verstärkt,
der Blutdruck erhöht. Es ist in dieser Hinsicht hier auf alles das beim Äther
früher Gesagte zu verweisen.
Man hat aber vor allen Dingen dui"ch die Kombination der Äthernarkose
mit Sauerstoff die schwerschädlichen Einflüsse des Äthers auf die inneren Organe
günstig beeinflussen wollen. Inwieweit dies durch den Sauerstoff' gelingt,
wollen wir jetzt erörtern.
Die narkotische Kraft des Äthers ist an sich nicht sehr stark, und es
wird dieselbe durch die Mischung mit Sauerstoff nicht erhöht. Es wird daher
Menschen geben, die man mit dieser Narkose nicht betäuben kann, so kauu
man einen Potator mit Äthersauerstoff nicht betäuben, wenn er nicht vorher
542 —
m
Fig. 164.
Blutdruckkurven in der Äther-
sauerstoffnarkose.
eine starke Dosis Morphin erhalten hat. Es
ist daher die Sauerstoffäthernarkose vor allem
für Frauen und Kinder sowie abstinente Männer
geeignet. Die Einwirkung auf das Zerehrum
wird nicht verändert. Man braucht zwar bei
dieser Methode nicht soviel Äther, wie bei der
Tropfmethode, doch man muß die Ersparnis
des Äthers hauptsächlich dem geschlossenen
Apparat und der genauen Dosierung zu-
schreiben. Immerhin liegt in der Beschrän-
kung des Äthers ein großer Vorteil für den
Kranken; denn der Organismus wird hier
nicht mit unnötig großen Äthermengen über-
schwemmt. Wenn man allerdings Tiere sehr
lange mit Äthersauerstoff betäubt, so findet
man in den Gehirngefäßen ebenso Fettmetamor-
phose geringen Grades, wie nach einfachen
Äthernarkosen. Der Einfluß auf das Herz ist
ein durchaus günstiger. Die Sauerstoffäther-
narkose wirkt als anregendes Mittel auf das
Herz, dasselbe wird gestärkt, angeregt und der
Blutdruck wird gesteigert. Die Blutdruck-
verhältnisse in der Sauerstoffäthernarkose sind
von mir selbst an Kranken studiert worden,
und ich habe bei den von mir ausgeführten
Narkosen nie Kollapse gesehen. Der Blutdruck
wird bis zum Eintritt der Toleranz über die
Normalblutdruckhöhe gesteigert, während in der
Toleranz eine langsame Verminderung des
Druckes eintritt, doch sinkt derselbe nie, auch
bei sehr laugen Narkosen nicht, unter die
Normalblutdruckhöhe. Es ist also ein zweifel-
los guter Einfluß zu sehen, und man erkennt
aus den Kurven einen stetigen, ruhigen Einfluß
der Ätherwirkung, und zwar sinkt die Kurve
bis zum Ende der Narkose konstant, ohne
wesentliche Störungen, wenn nicht Apnoen etc.
eintreten. Aus beistehender Figur 164 ersieht
man die Wirkung der Sauerstoäathemarkose,
man sieht, wie die Kurve langsam sinkt, aber
während der ganzen Dauer der Narkose über
der Normalblutdruckhöhe sich hält.
Das Herz an sich kann durch sehr lange
und namentlich häufige Äthersauerstoffnarkosen
auch affiziert werden. Ich habe auch nach solchen
Narkosen von sehr langer Dauer typische
Fettmetamorphose in den Herzmuskelfasern an
Hunden nachweisen können, doch war das
— 543 —
Fett entschieden nur sehr gering und wenig, es war jedenfalls ungefähr das-
selbe Bild wie nach einfachen Äthernarkosen. Vielleicht war die Fettmeta-
morphose noch etwas geringer, als bei der einfachen Äthernarkose. Man er-
sieht aber daraus, daß auch in dieser Narkose bei geeigneten Kranken Kollapse
und SynkopefäUe auftreten können, wenn dieselben auch sehr selten sein
werden. Jedenfalls ist der Einfluß der Äthersauerstoffnarkose auf das Herz
ungefähr gleich dem der einfachen Äthernarkose.
Die anderen inneren Organe, Leber und Nieren, werden allerdings be-
deutend weniger geschädigt durch lange Sauerstoffäthernarkosen, als durch die
einfachen Narkosen. Man findet nach sehr langen zweistündigen Sauerstoffather-
narkosen bei Hunden reichlich Fettmetamorphose mit Nekrose und Zerfall der
Zellen in Niere und Leber. Ich habe diese Einwirkung genau geprüft und ge-
funden, daß bei der Sauerstoffäthernarkose die Leberzellen und Nierenepithelien
zwar bei langen und häufig wiederholten Narkosen Fettmetamorphose erleiden,
daß aber die Nekrose und der Zerfall derselben viel weniger und geringer ist,
als nach einfachen Äthernarkosen. Es ist hierin zweifellos eine günstigere
Wirkung der Sauerstoffnarkose zu sehen, iind es kommt dies nicht nur von der
geringeren Ätherraenge, sondern es scheint der Sauerstoff direkt die Zellen zu
schützen und zu kräftigen, damit sie der toxischen Ätherwirkung besser Wider-
stand leisten können. Diese Einwirkung ist zweifellos ein großer Vorzug der
S auerstoff'narko s e .
Viel wichtiger ist der Einfluß der Narkose auf die Lungen. Man hat all-
gemein bezweckt, die Cj^anose in der Äthernarkose durch die Mischung mit
Sauerstoff zu beseitigen.
Dieser Gedanke war der nächstliegende, da man ja schon die Beobachtung
machte, daß die Beimengung von reichlich atmosphärischer Luft die Cyanose
verminderte, man kann z. B. bei den geschlossenen Apparaten für die Ätbernar-
kose stets eine ziemlich hochgradige Cyanose der Patienten beobachten, während
bei der Tropfmethode fast gar keine Cyanose vorhanden ist. So hat auch Markoe,
Abbe, Bryant etc. bei der Verbindung der Sauerstoffinhalation mit der Äther-
narkose nie Cyanose beobachtet. Man kann diese Beobachtung ja sofort
bei jeder Sauerstoffäthernarkose machen. Immerhin hat man auch Berichte
gefunden, in denen doch Cyanose beobachtet wurde (Curtis), doch mag wohl
die Cyanose durch andere Momente hervorgerufen worden sein, jedenfalls wird
durch den Sauerstoff die Cyanose, welche die Ätherdämpfe an sich erzeugen,
beseitigt, während natürlich Raumbeengungen in den Atemwegen etc. nicht durch
den Sauerstoff gehoben werden können. Was nun die vermehrte Salivation an-
langt, welche ja der Hauptnachteil der einfachen Ätheruarkose ist, so kann man
dieselbe nicht vollkommen aufgehoben finden. Der Äther übt auf die Epithelieu
der Bronchialschleimhaut, auf die Zellen der Drüsen Reize aus, welche die Zellen
zu vermehrter Tätigkeit anregen, und dieser Reiz wird bei der Sauerstoffäther-
narkose stark vermindert, doch ist derselbe nicht aufgehoben. Ich habe an Hunden
beobachtet, daß bei völligem Verhindern der Aspiration irgendwelcher Schleim-
massen aus dem Rachen und Mund in die Bronchien doch nach langen Narkosen
in den Bronchien viel Schleimmassen zu finden waren, daß in einzelnen Be-
zirken sogar pneumonische Infiltration der Luuge vorhanden war, und dieser
Schleim war lediglich das Produkt des Reizes, den der Äther auf die Schleim-
haut der größeren Bronchien bis zu den Alveolen ausübt. Dieser Reiz wird
— 544 —
vermindert, aber er ist nicht aufgehoben durch die Mischung' mit Sauerstoff.
Die Verminderung des Reizes des Äthers auf die Epithelien und Schleimhäute
der Bronchien wird bewirkt einesteils durch die geringere Menge von Äther,
welche zur Narkose nötig ist, andernteils durch die kräftigende Wirkung des
Sauerstoffes. Immerhin ist letztere nicht sehr groß, und man darf nicht zu
viel verlangen. Auch die Zellen des respiratorischen Epithels erleiden eine
mäßige Fettmetamorphose, welche aber nur nach sehr langen Narkosen vor-
handen und stark ist, während sie nach kurzen Betäubungen unwesentlich ist.
Es wird aber durch diese Einwirkung des Äthers immerhin die baktericide Kraft
der Lunge herabgesetzt und besonders nach langen Narkosen. Es ergibt sich
also als Resultat, daß die Möglichkeit einer postnarkotischen Bronchitis und
Pneumonie nicht unbedingt durch die Mischung der Gase beseitigt ist, sondern
es besteht immer noch die Gefahr der Lungenaffektionen. Es ist dieselbe aber
entschieden geringer als nach einfachen Äthernarkosen. Doch sie ist so
vorhanden, daß man mit ihr rechnen muß. Curtis hat diese günstige Wirkung
an einem Falle gesehen, wo vor der Narkose eine Bronchitis bestanden hatte,
die aber durch die Äthersauerstofi'narkose nicht verschlimmert wurde. Tyrell
hat bei sehr langen Narkosen nie Cyauose beobachtet. Morton macht auch
darauf aufmerksam, daß durch die Äthersauerstoffnarkose die Atmung und Herz-
aktion nie übel beeinflußt Avurden, daß die Schleimsekretion bedeutend ver-
mindert war, als bei einfacher Äthernarkose. Es ist zweifellos ein Vorteil der
Mischung, daß die Lunge weniger geschädigt wird; immerhin muß man aber
bei Lungenkranken vorsichtig sein und lieber die Narkose vermeiden, denn die
Lungenleiden können sehr schwer verschlimmert werden.
Was nun aber als Vorzug der Narkose erscheint, ist nicht so groß, daß
es die Nachteile aufwiegt. Zu den Nachteilen der Sauerstoffäthernarkose ge-
hören folgende Punkte. Erstens ist das Gemisch aus Äther und Sauerstoff ein
höchst explosibles Gas, und man darf dasselbe nie bei offenem Licht anwenden
(Morton). Weiter wird die narkotische Kraft des Äthers nicht wesentlich
vermehrt, sondern es ist oft beobachtet worden, daß manche Personen nicht
betäubt werden konnten. So beobachtete Morton, daß Kinder und nervöse
Personen schwer betäubt werden konnten, Potatoren kann man gar nicht be-
täuben. Ferner wird der Eintritt der Toleranz verzögert, das Exzitationsstadium
ist oft verlängert (Curtis), ferner hatBryant einen Patienten überhaupt nicht
völlig tief narkotisieren können, und es dauerte bisweilen 17 — 20 Minuten, ehe
Toleranz eintrat. Auch Abbe beobachtete geringe Schleimvermehrung, während
aber die sonstigen Nachteile nicht vorhanden waren. Als besondere Vorteile
hebt er hervor, daß die Kranken sich meist nicht übel fühlten, daß sie schnell
und rasch erwachten (Morton, Curtis etc.), daß das Blut arteriell und die Ge-
sichtsfarbe normal war.
Aus allen diesen Angaben erkennt man, daß die Äthersauerstoffnarkose
nicht eine sehr geeignete Methode zur Narkose in allen Fällen ist, man würde
dieselbe entschieden besser verwerten können, wenn man sie mit der Chloroform-
narkose verbinden würde, indem man den Kranken mit Chloroform betäubte,
und nach Eintritt der Toleranz mit Äthersauerstoff, dem je nach Bedarf Chloro-
form beigemengt werden kann, die Betäubung unterhalten würde. Jedenfalls ist
man allgemein von der Äthersauerstoffnarkose wieder abgekommen, weil eben
viele Kranke nicht damit zu betäuben sind. Immerhin ist die Verbindung mit
— 545 —
Sauerstoff sehr güustig', und man kauu der Atheruarkose viel (lefahreu uehmeu
durch die Mischung der Gase, und wird, wenn man mit der einfachen Äther-
narkose schon (!ine Mortalität von 1:29000, 1:10000 etc. — Julliard hat auf
9289 Ätheruarkosen einen Todesfall, Villar auf 4050 keinen, Ponget auf 29000
einen heobachtet - erreichte, vielleicht noch bessere Kesultate erzielen. Die
Lungenleiden sind ja nach einfachen Äthernarkosen sehr häufig, aber sie werden
sich durch diese Narkose vielleicht auch noch vermindern lassen. Moi'ton hat
ca. 300 solcher Narkosen mit Sauerstoffäthei- ausgeführt ohne Todesfall, ohne
Lungenleiden zu beobachten. Man hat größere Statistiken mit dieser Narkose
noch nicht aufgestellt, und die anderen Autoren berichten nur über geringe An-
zahlen von Fällen.
Was nun die Technik der Narkose anlangt, so soll man alle Vorschriften
beachten, welche für die einfache Äthernarkose gegeben sind. Es ist vor allem
auf die Desinfektion des Mundes, auf die gute Vorbereitung des Ki'anken, die
Umgebung, Lagerung etc. zu achten, und sind sonst alle früher gegebenen Vor-
schriften zu beobachten. Man leitet die Narkose am besten in liegender Stellung
mit tiefer liegendem Kopfe ein und zwar muß man einen Apparat verwenden,
welcher die Gase mischt, ähnlich den Apparaten, wie sie bei der Chloroform-
sauerstoffnarkose beschrieben worden sind. Ein solcher Apparat ist von Morton
für die Narkose verwendet worden, und hat er sehr gute Resultate mit dem
Apparat erzielt. Derselbe wird von Lentz&Sons in Philadelphia fabriziert.
Der Apparat mischt die Gase miteinander und gestattet durch eine einfache
Handhabe, die Zusammensetzung der Gase schnell und leicht zu ändern, und
auch, den Äther allein zu verwenden und den Sauerstoff nur nach Be-
lieben beizufügen, auch kann man den Sauerstoff' allein oder in beliebig kon-
zentriertem Gemisch mit Äther verabreichen. Morton gibt auch den Rat, um
die lange Verzögerung des Eintrittes der Toleranz zu vermeiden, im Anfang
Äther allein zu geben, und erst nach Eintritt der Toleranz die Narkose mit dem
Gemisch der Gase zu unterhalten. Natürlich kann man jederzeit die Dosis des
Äthers modifizieren. Es ist auch in vielen Fällen anzuraten, den Kranken vor
der Narkose eine Dosis Morphin, mur. subkutan zu verabreichen.
Eine sehr einfache Sauerstoffäthernarkose kann man auf folgende Art
erreichen. Man nimmt einen Sauerstoffapparat, wie ihn die Sauerstoffabrik
Berlin liefert und verbindet diesen Apparat mit einem nach Art des Junkerschen
Chloroformapparates gebauten Ätherapparat. Man verbindet dann den zur Maske
führenden Sauerstoffschlauch kurz vor der Mündung in dieselbe mit dem Rohr,
welches aus dem Sauerstoffapparat kommt. Diesen letzteren setzt man durch
ein Gebläse in Tätigkeit und gibt zu diesem Ätherstrom je nach. Bedarf Sauer-
stoff, dessen Menge man durch das Manometer (vgl. Fig. 50) regulieren kann.
Die Maske muß dann aber eine geschlossene sein. Auf diese Weise hat man
einen sehr einfachen Apparat. Der Ätherapparat muß nur etwas größer imd
geräumiger als ein Junkerscher Apparat sein, die Flasche zu 150 cbcm und
das Gebläse etwa doppelt soviel fassend. Dann kann man eine sehr gute und
gefahrlose Narkose erzielen.
Auch die im vorherigen Kapitel beschriebenen Apparate für die Sauer-
stoffchloroformnarkose können mit geringen Abänderungen für die Sauerstoffäther-
narkose verwendet werden. Es ist kein ZAveifel, daß die Kombination der Chloro-
formsauerstoffnarkose mit der Äthernarkose noch bessere Resultate liefern würde,
35
— 546 —
nnd zwar kann man durch Hinzufügen eines Äthertropfapparates zu den
Apparaten für die Chloroformnai-kose einen Apparat erhalten, mit welchem man
je nach Bedarf Äther, Chloroform oder beide gemischt, und stets mit Sauerstoff
dem Kranken zuführen könnte. Somit ist das wichtigste der Sauerstoff-
äthernarkose erwähnt, eine Methode, die leider wieder zu bald verlassen
worden ist.
§ 60. Die Chloroform + ÄtUer + Sanerstoffnarkose ist eine Kom-
bination, welche ganz besondere Vorteile für den Kranken besitzt. Dieselbe ist
hervorgegangen aus der Sauerstofi'chloroformnarkose, deren Nachteile man durch
das Hinzufügen des Äthers verhüten will. Diese Narkose ist von Krönig zuerst
verwendet worden, und auf dessen Veranlassung hat das Drägerwerk in Lübeck
einen Apparat konstruieit, welcher wie unten des näheren auseinandergesetzt
wird, gleich dem Prinzip des Chloroformapparates gebaut ist, nur noch eine
Vorrichtung besitzt, durch welche man gleich dem Chloroform auch Aether
sulfur. verabreichen kann. Diese Methode erscheint als die denkbar beste
Narkose, und steht ätiologisch der Äther -|- Chloroformmischnarkose sehr nahe,
denn wenn man die Vorzüge der Braunschen Narkose bedenkt und zu dieser
Narkose noch den Sauerstoff hinzufügt, so hat man diese Narkose.
Ich habe mich unabhängig von Krönig schon seit Jahren mit diesen
Narkosen beschäftigt iind genaue Untersuchungen angestellt, welche im folgenden
in kurzen Worten erörtert werden sollen. Man muß hier entschieden zwei
Hauptnarkosenarten unterscheiden, die Chlor oform-(- Äther -\- Sauer-
stoffnarkose, bei der als Girrundlage Chloroform gegeben und zur Ver-
besserung Äther verabreicht wird, und die Äther -f- Chloroform -|-
Sauer Stoffnarkose, die Äther als Grundlage und zui- Ergänzung Chloro-
form aufweist. Diese beiden Arten gehen natürlich in der Praxis ineinander
über, aber man kann sie immer genau erkennen, und die Indikationen richten
sich nach den für Äther nnd Chloroform früher festgestellten Thesen.
Ich werde nun die Einflüsse dieser Narkosenarten auf den Organismus
so weit als nötig erörtern und dabei vor allem den Einfluß aixf den Blutdruck
und auf die inneren Organe beschreiben.
Der Blutdruck wird, wie wir früher gesehen haben, durch die Chloroform-
sauerstofi'narkose bedeutend herabgesetzt, es besteht also immer die Gefahr auch
in der Sauerstoff'kombination mit Chloroform, daß der Blutdruck bei dazu
disponierten Individuen derart herabgesetzt wird, daß eine ernste Gefahr quoad
vitam für den Patienten daraus resultiert. Deshalb habe ich versucht, diese
üble NebenAvirkung des Chloroforms durch Beimischung von Aether sulfur. auch
in der Sauerstoffchloroformnarkose verbessern zu können. Die Versuche sind
nun folgendermaßen angestellt worden. Bei einem Kranken, welcher mit der
Chloroformsauerstoffnarkose betäubt werden sollte, wurde während der Narkose
die Messung des Blutdruckes genau so vorgenommen wie gewöhnlich, und der
Stand des Blutdruckes jederzeit bestimmt. Wenn nun der Blutdruck unter die vor-
her von dem Kranken bestimmte Normalblutdruckhöhe sank, wurde eine geringe
Menge Aether in Tropfenform dem Ki-anken gegeben. Es läßt sich die Aetherzufuhr
ja jederzeit sehr leicht regulieren und ausführen, wenn man den Apparat von
Roth-Dräger verwendet, aber auch auf andere Weise kann man das tun. Das
erste Experiment war also dieses, festzustellen, ob man die ersten Schwankungen
im Blutdruck durch die Pulskontrolle feststellen könnte, und ob die sofortige
Aetherzufuhr eine Besserung des Blutdruckes bewirken könnte. Man ersieht
schon ans den Blutdruckkurven bei der Chloroformsauerstoflhiarkose, daß schon
nach Eintritt der Toleranz ein Sinken unter die Normalblutdruckhöhe in den
allermeisten Fällen eintiitt. Wenn man den Puls des Patienten fühlt und sich
I
— 547 —
darin einige Uebung- verschafft hat, so lernt man auch aus dem Puls des Kranken
annähernd erkennen, oh der Blutdruck wesentlich gesunken sei. Es ist natürlich
nicht mögiich, festzustellen, ob der Blutdruck über, oder auf, oder dicht unter
der Xormalblutdruckhöhe sich befindet, wenn diese Schwankungen in geringen
Grenzen vor sich gehen. Wenn diesodben aber so ausgesproch(!n sind, wie bei
der Chloroforuiiiarkose, kann man schon aus dem Puls die dei)rimierende Ein-
wirkung erkennen, und es wird dem gewissenhaften Narkotiseur nicht schwer
fallen, sich diese Uebung und Fertigkeit zu verschaffen. Ich habe nun die Be-
obachtung gemacht, daß man in der Chloroformsauerstoff'narkose sehr leicht
diese Verminderung der Pulsstärke erkennen kann, und dann auch sofort fühlt,
wie der Blutdruck wenige Sekunden nach dem Verabreichen einiger Tropfen
Aether sulfur. zu dem Chloroform wieder steigt.
Es ist vor allen Dingen die Stärke des Blutdruckes dadurch sofort nach-
zuweisen, daß man die Komprimierbarkeit der Arterie prüft. Man kann sehr
leicht fühlen, wie die Arterie vor Beginn der Toleranz, also im Stadium II,
stark gefüllt und gespannt ist, und kann dann sehr bald nach Eintritt der
Toleranz bemerken, wie diese Spannung des Pulses geringer wird. Man kann
also sehr bald nach Eintritt dei' Toleranz etwas Aether verabreichen. Nun ist
es aber notwendig, weiter den Puls zu beobachten, um wieder feststellen zu
können, wann die Aetherwirkung wieder nachläßt und der Blutdruck sinkt,
denn wenn man auch den Blutdruck zunächst durch die Aethergabe steigert, so
wird sehr bald nach Sistieren der Aetherzufuhr auch der Blutdruck Avieder
sinken. Wann dies eintritt, kann mau nicht anders erfahren als durch Pals-
kontrolle. Wenn man den Aether ohne Indikation wegen Depression des Blut-
druckes geben wollte, so wäre dies ein großer Schematismus, der wohl zu
wenig guten Resultaten führen würde. Man kann aber am Puls die Steigerung-
durch Aether und die Verminderung des Blutdruckes nach Abklingen der Aether-
wirkung sehr gut feststellen. Die Experimente dieser Art haben nun zunächst
ergeben, daß man in der Kiuwe des Blutdruckes sofort die Einwirkung des
Aethers konstatieren kann, das Quecksilbermanometer steigt sofort um ein Be-
trächtliches. Es dauerte je nach der Dosis von Aether die Wirkung 2 bis
5 Minuten an. Um die Verhältnisse hier genauer ermitteln zu können, habe
ich die Messungen öfter als jede Minute vorgenommen und meist alle '/g Minuten
den ewig schwankenden Stand notiert. Man muß nun natürlich bemüht sein, die
großen Unterschiede in der Druckhöhe zu vermeiden, denn die korrekte Chloro-
formäthersauerstoffnarkose muß sich dadui'ch auszeichnen, daß der Blut-
druck dauernd wenigstens auf oder etwas über der Normalblutdruckhöhe sich
findet. Wenn man solche Kurven mit Chloroform und Aether erreicht, so kann
man sagen, daß man die Narkose richtig kombiniert hat, denn man hat da den
Aether in richtigen Mengen und zur richtigen Zeit angewendet. Gerade darin
liegen die Schwierigkeiten, indem man nur durch die Beobachtung des Kranken
und die Pulskontrolle die richtigen Augenblicke für die Aetherzufuhr und die
richtigen Dosen wählt, ohne zu große Dosen zu verabreichen, welche dann üble
Aetherwirkungen verui'sachen können. Ich habe in dieser Narkose mit Absicht
die Dosen so gegeben, daß der Blutdruck sichtbar beeinflußt wurde. Daß es
nun aber möglich ist, auch die Narkosen so zu ai'rangieren, daß der Blutdruck
dauernd ein normaler ist und die Kurve immer über der Normalblutdruckhöhe
sich bewegt, zeigen die anderen Kurven*), welche ich nun während der korrekten
Chloroformäthersauerstoffnarkose aufgenommen habe. In Fig. 165 sind einige
Kurven abgebildet, aus denen man die Einflüsse des Aether erkennen kann,
ebenso kann man aus denselben ersehen, daß man die Narkose leiten kann ohne
daß die Aethergabeu im Blutdruck wesentlich bemerkt werden. Ebenso sind
die Chloroformgaben zu bemerken, oder bei guter Narkose nur wenig ange-
deutet. Diese weiteren Kurven zeigen, daß man dieses Ideal sehr leicht er-
reichen kann. Immerhin sieht mau bei einigen Kurven, daß hier und da ein
tieferes Sinken stattgefunden hat, worauf dann ein dauernder Anstieg wieder
erfolgte. Aber diese Zeichen der Punkte, wo Aether neu verabreicht wurde.
*) Die einzelnen Kurven sind in meiner Abhandlung über den Einfluß der Gasgemisch-
narkose auf die inneren Organe, Langenbeoks Arch. f. klin. Chirurgie, Bd. 77, abgebildet.
35*
— 548 —
sind in manchen Kurvten ganz weg-g'ef allen. Dieselben verlaufen ganz glatt
und durchweg auf oder über der Normalblutdruckhöhe, ein Zeichen also, daß
eine hohe und ausreichende Anregung auf das Herz und den Blutdruck ausgeübt
wurde, so daß eine zu tiefe Depression des Blutdruckes durch das Chloroform
nicht ausgeübt werden konnte.
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Figur 165. Blutdruckkurven in der kombinierten Chloroforraäther-
sauerstoffnarkose.
A. Blutdruckkurve in der Äther-phloroform-Sauerstoffuarkose unter schema-
tischer Darreichung des Äthers bei A und Chloroform bei C.
Blutdruckkurveu in der Äther-Chloroform-Sauerstoft'narkose bei exakter
Leitung.
C. Blutdruckkurven in der Chloroform-Äther-Sauerstoffnarkose bei exakter
Leitung. N = Normalblutdruckhöhe.
Wenn man nun diese Narkose näher betrachtet, so ist dieselbe derart
vorgenommen worden, daß den Patienten zunächst nur Chloroform und Sauer-
stoff verabreicht wurde, bis derselbe in Toleranz gebracht war. Von dem Moment
an, wo die Toleranz eintrat, wurde dem Patienten neben dem Chloroform noch
Äther gegeben und zwar in ganz geringen Mengen. Die Chloroformdosen
— 549 —
konnten jetzt eine Zeitlang weggelassen werden, und der Kranke atmete einige
Minuten imi- Sauerstoff -f- Äther, dann erhielt er wieder einige Tropfen Chloro-
form, und so weiter in stetem Wechsel, wobei es abhängig gemacht wurde, ob
und wieviel und welches Narkotikum gegeben werden sollte, von der Reaktion
der Pupillen, dem Verhalten des Pulses und den sonstigen Verhältnissen.
Diese Narkose stellt ja entschieden die beste Art der Kombination bei Vor-
herrschen des Chloroforms dar. Wenn man also eine nach Möglichkeit be-
schränkte toxische Wirkung der Narkose auf den Organismus erreichen will,
so muß man derart verfahren, wobei das Grundprinzip immer das ist, jedes
Narkotikum nach Möglichkeit zu beschränken. Darin liegt der Wert der Narkose;
die Kunst des Narkotiseurs besteht darin, die Narkotika weitmöglichst auszu.
nützen, ihre narkotische Kraft soviel als möglich wirksam zu machen und dabei die
toxischen Nebenwirkungen weitmöglichst zu beschränken. Man erreicht dabei
eine Narkose, in der allerdings das Chloroform im großen und ganzen vor-
herrscht, in der aber weder das Choroform noch der Äther zu schwer toxischen
Einwirkungen gelangen können.
Betrachten wir nimmehr die Verhältnisse bei der anderen Art der Narkose,
bei welcher man den Aether sulfuricus als Grundlage, als Hauptnarkotikum
verwendet, und hier vor allem die Einflüsse dieser Narkose auf den Blutdruck.
Wenn man die Atbernarkose mit dem Chloroform verbindet, so muß vor allem
darauf geachtet werden, daß das Chloroform nur in minimalsten Mengen ge-
geben wird, denn in größeren Mengen verabreicht, verursacht dasselbe Depression
des Blutdruckes, derselbe ist ja in der Äthernarkose ein dauernd hoher, und
man darf unter Benutzen der stärkeren narkotischen Kraft des Chloroforms
nicht den Vorteil, den besten Einfluß des Äthers, die Steigerung des Blut-
druckes, durch die üble Wirkung des Chloroforms vernichten. Es ist daher vor
allen Dingen darauf zu achten, daß man das Chloroform zui' Vertiefung der
Narkose nur in den geringst wirksamen Mengen, der Zahl von wenigen Tropfen
braucht und verabreicht. Hat man doch verschiedentlich beobachtet, daß selbst
bei dei" offenen Tropfmethode wenige Tropfen von Chloroform genügen, um
die Toleranz in der Äthernarkose zu erreichen (W itzel, Hofmann etc.).
Schon 5 — 10 Tropfen Chloroform haben eine starke narkotische Wirkung, wenn
der betreffende Kranke schon mit anderen Narkotika halb betäubt ist. Wenn
man nun dazu noch einen geschlossenen Apparat, wie den von R o t h-D r ä g e r ,
verwendet, kommen die Chloroformtropfen noch stärker zur Wirkung, hier kann
man mit fünf Tropfen so viel erreichen, wie bei der offenen Methode mit zehn
Tropfen. Einen wie bedeutenden Einfluß die Chloroformgaben auf den Blut-
druck in der Äthersauerstoffnarkose haben und ausüben können, zeigt folgender
Versuch.
Ich habe eine Person mit Äthersauerstoff bis zum Beginn des
Stadiums 11 der Narkose betäubt und, um die Toleranz schneller und leichter zu
erreichen, werden einige Tropfen Chloroform dazugegeben, und mit Hilfe von
zehn Tropfen ist die Toleranz innerhalb weniger Minuten eri-eicht. Der Blut-
druck war vor Eintritt der Toleranz bedeutend über der Normalblutdruckhöhe,
und es wurden nun folgende Experimente ausgeführt. Der Blutdruck wird alle
^/.2 Minuten aufgezeichnet und gemessen, wobei sich immer jetzt, da der Kranke
nur mit Aether weiter betäubt wird, derselbe über der Normalblutdruckhöhe hält.
Nach einigen Minuten wird au Stelle des Aethers Chlorofoi-m gegeben in Tropfen,
und zwar so viel, daß der Kranke mit demselben in der Toleranz erhalten wird.
Die Tropfen werden in langsamem Tropfenfall gegeben, und es zeigt sich nach
— 550 —
wenigen Sekunden bereits ein langsames Sinken des Blutdruckes, und zwar
sinkt derselbe bei fortgesetzter Cbloroformzufuhr langsam unter die Normal-
blutdruckböhe, bisweilen auch einmal plötzlich einige Millimeter fallend und so
einen plötzlichen Tiefstand einnehmend. Diese Einflüsse des Chloroforms auf
den Blutdruck findet man ja nicht bei allen Kranken so deutlich, denn es
kommen oft andere Einflüsse dazu, welche den Blutdruck an sich beeinflussen.
Wenn man aber eine ganz gesunde Person mit ruhigem Herzschlag und ohne
psychische Alteration zu diesem Experiment verwendet, gelingt es zweifellos,
diese Wirkung des Chloroforms durch den Blutdruck festzustellen. Man darf
aber nicht vergessen, daß hier absichtlich die Dosen des Chloroforms so gewählt
und verabreicht wurden, daß man diesen Einfluß erhielt. In der gut geleiteten
Aetherchloroformsauerstoffuarkose düi-fen derartige Remissionen nicht vorkommen,
es muß eine dauernd normale Höhe des Blutdruckes vorhanden sein. Es ist
auch sehr leicht möglich, diesen Anforderungen gerecht zu werden, denn mau
muß dabei nur das beachten, daß man die Chloroformgaben in kleinsten Mengen,
in feinsten Dosen, Terabreicht, Dabei ist es geraten, den Aether nicht in vollen
Dosen nebenbei zu verabreichen. Dies ist nur erlaubt in der Zeit vor Eintritt
der Toleranz, Avährend nach Eintritt tiefer Narkose dieselbe nur- weiter erhalten
werden soll, und dazu genügen in den meisten Fällen schon geringe Aether-
dosen. Doch man wird auch während dieser Zeit den Aether zeitweise durch
wenige Tropfen Chloroform ersetzen, da man dadurch Aether spart und den
Kranken sehr tief betäubt, damit alle Muskeln schlaff, alle Reflexe aufgehoben
sind, falls dies, wie es in den allermeisten Fällen langer Xarkosen das Haupt-
erfordernis ist, von dem Operateur verlangt wird. Der Grund, weshalb man
den Aether mit Chloroform kombiniert, ist ja überhaupt darin gelegen, daß
man einerseits die Narkose vertieft, was bei Leuten, die schwer zu betäuben
sind, unbedingt notwendig ist, andererseits eine Ersparnis an Aether bewirkt,
wodurch auch dem Aether eine geringere Gelegenheit gegeben ist, seine üblen
Wirkungen auf den Organismus zu entfalten. Wenn man nun das Chloroform
nur in kleinen Mengen und abwechselnd mit Aether, hier und da auch wenn
nötig mit Aether gemischt, verabreicht und dabei den Puls der Kranken genau
beobachtet, ebenso die übrigen Fiuiktionen des Organismus genau im Auge
behält und die Dosen in kleinen Zwischenräumen ändert, kann man eine Narkose
erzielen, bei welcher der Blutdruck nur wenig Verschiedenheiten von dem im
normalen Leben hat, xmd dessen Kurve einen ruhigen Charakter zeigt, so daß
man bei oberflächlichem Betrachten gar keine Unregelmäßigkeiten bemerkt,
sondern nur erst bei genauerem Studium der Kujve geringe Einflüsse der ver-
schiedenen Narkotika finden kann. Vgl. Fig. 165.
Gewisse Schwankungen im Blutdruck treten natürlich ein, und man kann
dieselben nicht immer auf die Narkotikumwirkung beziehen, namentlich bei
vorübergehenden mäßigen Unregelmäßigkeiten sind oft andere Ursachen vor-
handen. Jedenfalls sind die bei diesen Narkosen aufgenommenen Kurven von
überaus regelmäßiger Form und Verlauf, so daß man die Narkose, welche diese
regelmäßige Kurve erzeugt, als eine hinsichtlich des Blutdrucks sehr günstige
Betäubung ansehen muß. Man kann also mit vollem Recht behaupten, daß die
Kombination der Äthernarkose mit der Chloroformwirkung zu ganz vor-
züglichen Betäubungen führt, denn auch der Verlauf dieser Narkosen in
klinischer Hinsicht ist ein vorzüglicher ohne jede üblen Nebenwirkungen.
Jedenfalls ist die gefährliche Chloroformwtrkung durch den Äther bis zu einem
gewissen Grade aufgehoben, nämlich die deprimierende Wirkung auf das Herz.
Wenn schon durch den Sauerstoff allein diese üble Chloroformwirkuug bis zu •
einem gewissen Grade gebessert wird, so kann man mit der Kombination dieser
Narkose mit Äther eine noch viel intensiver anregende Einwirkung auf das
Herz, und damit eine Steigerung des Blutdruckes bewirken.
Natürlich ist es auch möglich, die Chloroformnarkose ohne Sauerstoff
nur mit Äther kombiniert dahin zu beeinflussen, daß der Blutdruck ebenfalls
— 551 —
uoi'iiial bleibt und nicht Depressionen gefährlicher Art durch die Chloroform-
wirkung' entstehen. Allein man braucht dazu viel mehr Äther, und es liegt
dann immer die Gefahr nahe, daß der Äther an sich den Organismus übel l)e-
einflusse. Der Sauerstoff ist in der Kombination mit den Narkotika ein vor-
zügliches Mittel zur Unterstützung der narkotischen Kraft, und somit zur Ver-
tiefung der Narkose und Ersparnis von Narkotikummengen. Darin liegt der
große Wert der Sauerstoffgegenwart, daß man mit den geringsten Mengen des
zugefügten Äthers oder Chloroforms schon intensive Einwirkungen erzielt und
das zweite Narkotikum in so geringen Mengen nur zu verabreichen braucht, daß
eine üble Wirkung desselben ausgeschlossen ist.
Nach diesen Untersuchungen wollen wir nunmehr diese Kombination der
beiden Narkotika auch auf ihre Einflüsse auf die inneren lebenswichtigen Organe
untersuchen. Es ist dafür zuerst die Narkose mit der Grundlage von Chloro-
form und der Ergänzung durch Äther zu betrachten, und zwar ganz analog
den bei der einfachen Chloroformsauerstoffnarkose vorgenommenen Experimenten
soll auch diese Methode behandelt werden. — Die mit dieser Kombination an
Hunden vorgenommene Narkose wurde genau so ausgeführt, und zwar wurde
dabei durch direkte Messung des Blutdruckes derart verfahren, daß durch die
Kombination des Äthers die Blutdruckhöhe immer dicht über der Normalblut-
druckhöhe sich befand. Diese Narkose, welche den Blutdruck immer normal
erhält, ist die denkbar beste Narkose, und da bei den Tieren die Pulskontrolle
bedeutend erschwert ist, so habe ich den Blutdruck direkt durch Messung
mittels Manometers bestimmt und die Äthergaben nach dem Blutdruck ein-
gerichtet. So wurde das Tier viermal in Zwischenräumen von je 12 — 20 Stunden
narkotisiert, und zwar dauerte jede Narkose 1 — 1^/4 Stimde. Nach diesen
Narkosen wurde das Tier getötet und die inneren Organe wurden untersucht.
Was nun zuerst den Verlauf dieser Narkosen anlangt, so war der Verbrauch
an Chloroform und Äther auffallend gering, es war zwar die Narkose haupt-
sächlich eine Chloroformnarkose, doch auch der Äther wirkte mit, aber in
jeweiligen Mengen, die üble Wirkungen auf den Organismus nicht ausüben
konnten. Weiter war die Exzitation eine sehr geringe, die Toleranz trat sehr
rasch ein und die Narkose war tief und ruhig. Die Untersuchung der Organe
der Tiere nach den Narkosen ergab folgendes Bild. Die Narkosen waren im
allgemeinen genau so ausgeführt, wie die Experimente mit den Chloroform-
sauerstoffnarkosen.
Die Befunde waren also direkt mit denen nach den Narkosen mit
Chloroformsauerstoff oder mit Aethersauerstoff zu vergleichen. Das Befinden
der Tiere war nach diesen vier langen Narkosen immer ein gutes, jedenfalls
bedeutend besseres, als nach vier einfachen Chloroformnarkosen. Von denselben
starb nur ein Tier am Ende der vierten Narkose, die anderen hätten noch
weiter gelebt, wenn sie nicht für die Sektion hätten getötet werden müssen.
Die Veränderungen im Zentralnervensystem waren im ganzen bedeutend weniger
ausgebreitet, als nach den Chloroformsauerstoffnarkosen. Die Veränderungen,
welche sich im Zerebrum fanden, bestanden hauptsächlich in Fettmetamorphose
der Gefäßwandungen, und zwar fand sich die Fettmetamorpbose spärlicher als
nach Chloroformsauerstoffnarkosen, es waren entschieden weniger Gefäße er-
griffen. Vielleicht sind aber die ersten Anfänge der Affektion in manchen
Gefäßwandzellen übersehen worden. Wenn man vielleicht bei noch genauerer
Untersuchung der Präparate und Beachten auch der geringsten Fettanhäufungen
in den Gefäßwandungen eine gleiche Anzahl von erkrankten Gefäßen findet,
so muß man doch entschieden die Veränderung als bedeutend geringer ansehen,
— 552 —
als uach den Chloroformsauerstoffuarkoseu. Die Fetttropfeu, welche ich in dem
Zerebrum analog den früheren Angaben fand, waren nur klein, von feinem und
mittelfeinem Korn und in viel geringerer Zahl vorhanden, meist nur 2 — 3,
selten 5 — 6 Tropfen in einem Gefäßquerschnitt. Mau kann sagen, daß die
Affektion bedeutend geringer war als uach den Chloroformsauerstoffnarkosen,
doch war sie deutlich nachweisbar und erkennbar. In den Ganglienzellen war
bisweilen wenig Fett zu linden, hier und da einige feine Fetttropfen im Proto-
plasma derselben. Die Fettmetamorphose der Gefäße war sowohl im Groß- wie
Kleinhirn gleich stark vorhanden.
Die weitereu pathologischen Einwirkungen der Narkose auf das Herz
waren nur sehr gering und wenig deutlich, wenn auch Fett hier und da in
den üblichen Mengen zu finden war, so war dasselbe doch in viel geringeren
Mengen vorhanden, man findet in den Muskelfasern die Querstreifung ver-
waschen und nicht deutlich, und in der Gegend der Kerne sind Haufen von
Fetttropfen vorhanden, welche in tjqjischer Weise angeordnet, aber viel weniger
groß sind als bei der Chloroformsauerstoffwirkung. Die Fetttropfen sind kleiner
und weniger zahlreich, und es gibt hier und da auch Stellen im Myocard, wo
in den Fasern kein Fett zu finden ist. Wenn auch diese noch von der Fett-
metamorphose weniger ergriffeneu Stellen, in denen, Avenn auch Fett fehlt, so
doch die Struktur verwaschen und undeutlich ist, selten und klein sind, so
zeigen sie doch, daß das Chloroform in diesen Narkosen bei weitem weniger
toxisch eingewirkt hat. Nirgends finden sich im Myocard Fasern, welche voll-
kommen mit feinen Fetttropfen durchsetzt sind, immer findet man nur kleine
Haufen neben den Kernen.
Die Befunde in der Leber sind allerdings bei weitem hochgradiger als
im Herzen. Die Leber bietet in toto das Bild der trüben Schwellung und zeigt
mäßige Hyperämie. Die Zellen sind trübe, wolkig und ungleichmäßig gefärbt,
die Konturen sind verAvaschen, man erkennt aber noch meist die Begrenzungen
der einzelnen Zellen. In den nach F 1 e m m i n g behandelten Schnitten sieht
man reichlich Fett in den Leberzellen. Meist findet mau die Zellen mit einigen
feinen bis stellenweis mittelgroßen Fetttropfen erfüllt, es lassen sich 2 — 5 Tropfen
im Protoplasma zählen. Man erkennt deutlich beim Vergleich mit den Ver-
änderungen nach Chloroformsauerstoftnarkosen eine bedeutend geringere Äff ektion
der Zellen. Die Fettansammlung ist in dem Zentrum der Acini bedeutend
weniger und geringer als in der Peripherie der Acini; während in den Zellen
der zentralen Partien 1 — 3 Fetttropfen meist feinen Kornes zu finden sind,
gewahrt man in den Zellen der peripheren Gewebsteile 3 — 5 Tropfen, uud zwar
sind dieselben bisAveilen von mittelgroßem Korn. Durch diese verschieden
starke Äffektion der Leber erhält man bei der Betrachtung der Präparate mit
schwacher Vergrößerung ein fleckiges Aussehen der Leberstruktur, Aveil die
schwarz gefärbten Fetttropfen in den peripheren Zellen dunklere Färbung
hervorbringen, als die viel spärlicheren und feineren Tröpfchen in den Zentren
der Acini. Es ist diese Verteilung der Fettmetamorphose stets vorhanden.
Entgegen den Veränderungen nach vier Chloroformsauerstoffuarkoseu fehlt hier
die Nekrose und der Zerfall der Lebex'zellen A^ollkommen. Findet sich Nekrose
und Zerfall in den peripheren Teilen, so erhält man bei der Färbung mit
Hämatoxylin-Eosin der Präparate gerade das entgegengesetzte Aussehen, weil
die nekrotischen Protoplasmaschollen wenig oder gar keine Farbe annehmen,
so daß das Lebergewebe daselbst heller gefärbt erscheint. Die Bilder der
Leberpräparate nach den vier Chloroformäthersauerstoffuarkosen zeigen also
eine viel geringere Veränderung in der Leber als die Chloroformsauerstoff-
uarkoseu hervorzurufen vermögen. Immerhin sind aber die Leberaffektionen
doch recht beträchtlich, stärker verhältnismäßig als die Veränderungen im
Herzen. Wenn man nun die Leber nach ein oder zwei solchen Chloroform-
äthersauerstoffnarkosen untersucht, so gewahrt man allerdings noch recht
geringe Affektion der Zellen, nach einer 60 Minuten dauernden Narkose fand
sich in dem resezierten Leberstück noch keine nennenswerte Fettmetamorphose,
während nach zwei Narkosen dieselbe schon deutlich nachweisbar war. Man
erkennt also doch aus dieseu Befunden, daß die Gefahr der Fettmetamorphose
in diesen Narkosen eine geringere ist als nach allen bisher üblichen Narkosen.
— 553 —
In deu Nieren waren die Veränderungen nach vier Narkosen verhältnis-
mäßig' ähulicli denen in der Leber. Es fand sich hier deutliche Fettmeta-
morphose in den Tubuli contorti, hier war in den Zellen das Fett in feinen
und mittelgroßen Tropfen zu linden, meist 4 — 6 Tropfen, während Neki'ose und
Zerfall der Epithelien hier nicht vorhanden war. In den Tubuli recti war das
Fett bedeutend spärlicher voi'handen, man sieht hier oft nur einige feine Fett-
tröpfcheu im Protoplasma, stellenweise sind die Zellen ganz ohne Fett, ebenso
ist in den Zellen dei- Harnkanälchen der Pyramiden nur selten Fett zu finden.
Hauptsächlich sind die Nierenepithelien der Tubuli contorti affiziert. In den
Glomeruli ist kein Fett vorhanden, es findet sich mäßige Hyperämie, auch in
der übrigen Niei-e ist Hyperämie mäßigen Grades vorhanden, doch sind
Hämoi-rhagien auch subkapsulär nicht zu finden. Die Nierenepithelien zeigen
durchweg trübe Schwellung und die Konturen, die Niereustruktur, die Zell-
grenzen sind undeutlich, verwaschen. Diese Affektion der Niere ist entschieden
weniger und geringer, als ich sie nach vier Chloroformsauerstoffuarkosen ge-
funden habe. Wenn man die Niere nach zwei solchen Chloroformäthersauerstoff-
narkosen untersucht, so läßt sich jetzt eine eben beginnende Fettmetamorphose
finden. Fett ist nur in feinen Tropfen in den Zellen der Tubuli contorti zu
finden, während in deu Zellen der übrigen Niere noch keine Fetttropfen
auftreten.
Die Befunde in den Lungen sind folgende gewesen. Während dieser
Narkosen bemerkte man nur eine ganz mäßige Vermehrung der Schleim- und
Speichelsekretion im Mund und Rachen. Die Untersuchung der Lungen der
viermal narkotisierten Tiere ergibt folgenden Befund. In den Alveolen der
Lungen finden sich nur an wenigen Stellen geringe Mengen von augesammelten
Schleimmassen, nirgends werden die Alveolen von diesen Schleimmengen erfüllt,
auch in den Alveolen der während der Narkosen bei der Lagerung abhängigen
Partien der Lungen ist nicht mehr Schleim zu finden, man sieht daselbst nur
ab und zu einige Alveolen bis zur Hälfte von Schleim angefüllt. Im Lungen-
gewebe ist eine bedeutende Hyperämie nicht zu finden, Hämorrhagien, paren-
chymatöse wie subpleurale, sind nicht zu sehen. Wenn man nun die Unter-
suchung der Lungen nach der Flemming sehen Methode vornimmt und die
Präparate betrachtet, so gewahrt man in den Zellen des respiratorischen
Epithels eine mäßige Fettmetamorphose. Man findet in den Zellen der Alveolen,
in den Zellen der Bronchialschleimhaut feine Fetttropfen, deren Zahl wechselnd
von einigen wenigen bis zu 5 — 6 Tropfen festgestellt wird, und es zeigen sich
nicht alle Zellen des respiratorischen Epithels gleichmäßig ergriffen, sondern
nur hier und da kann man die affizierten Zellen nachweisen. Es ist zweifellos
diese Affektion der Lunge geringer als bei den Chloroformsauerstoffnarkosen,
doch ist der Unterschied nicht sehr stark. Während die Fettmetamorphose
nicht viel geringer zu finden ist, kann man die Salivation besonders reduziert
nennen, die Schleimabsoudei'ung ist viel geringer als nach den Chloroform-
sauerstoffnarkosen. Dieser letztere Befund ist sehr wichtig, denn er zeigt, daß
der nebenbei verwendete Aether in solch geringen Mengen nur angewendet
worden ist, daß er eine vermehrte Salivation nicht bewirken konnte. Es ist
dies auch das erste Erfordernis bei der Kombination der beiden Narkotika,
daß das zweite nur zur Hilfe, nicht als selbständig wirkender Körper ver-
wendet wird.
Die Veränderungen nach der Chloroformäthersauerstoffnarkose zeigen im
großen und ganzen in den Veränderungen in den Orgauen die Chloroforni-
wirkungen an sich. Es soll nun das Resultat der Einwirkungen der Äther-
chloroformsauerstoff'narkose besprochen werden, bei welcher das Chloroform,
wie oben schon erörtert wurde, nur in minimalen Mengen verabreicht wird.
Die Experimente wurden in genau derselben Art vorgenommen und es fand
sich hei den Tieren nach vier Narkosen in dem Zentralnervensystem eine Fett-
metaraorphose sehr geringen Grades, wie sie der einfachen Äthernarkose bei
gleicher Dauer der Einwirkung noch lange nicht eigen ist. Das Fett in den
Wandungen der Blutgefäße ist zwar deutlich vorhanden, doch ist dasselbe nur
— 554 —
in kleinen Mengen zn finden, die Tropfen sind fein und mittelgroß und es sind
nur 4 — 6 an einem Haufen beteiligt. Vielfach findet man diese Fetthaufen in
den Kapillaren, und es erfüllt das Fett dann eine Zelle der Wandung voll-
kommen. Jedenfalls ist diese Affektion bedeutend weniger, aber doch deutlich
zu finden. In den Cxanglienzellen ist nur selten wenig Fett in feinen Tropfen
zu sehen.
Die Veränderungen im Herzen sind ebenfalls nur sehr gering, das
Mj'ocard zeigt trübe Schwellung und in den Muskelfasern findet sich ab und
zu Fett in kleinen Haufen neben den Kernen, nicht alle Fasern sind befallen,
doch findet man immerhin das Fett so oft, daß jede zweite Faser solches zeigt,
aber die Haufen sind klein. Die Querstreifung ist stellenweis erhalten, stellen-
weis vollkommen verschwunden.
In der Leber ist bedeutend stärkere Fettmetamorphose zu finden. Die
Leberzellen sind trübe geschwollen, das Protoplasma ist wolkig, die Zellgrenzen
sind verwaschen und undeutlich. In den Zellen im Zentrum der Aciui ist
wenig Fett, 1 — 3 Tropfen feinen Kornes sind hier und da zu finden, daneben
sind Zellen, in denen kein Fett vorhanden ist, es sind hier die Hälfte der
Zellen nicht von Fett erfüllt. In den Zellen der Peripherie ist viel Fett vor-
handen, alle Zellen sind befallen, es finden sich 3 — 6 Tropfen in den Zellen.
Nekrose ist nicht vorhanden. Die Leber ist wenig hyperämisch, Hämorrhagien
sind nicht nachweisbar. Diese Affektion der Leber ist entschieden geringer
als nach Aethersauerstoffnarkosen. Nach einer Narkose findet sich in der Leber
noch sehr wenig Fett, nur hier und da sieht man in den peripheren Partien
die Zellen von einigen feinen Fetttropfen erfüllt, sonst sieht man nur trübe
Schwellung der Zellen. Nach zwei Narkosen ist die Fettmetamorphose schon
deutlich, man sieht deutliche Fettmassen in den Zellen der Peripherie der
Aciui.
Die Nieren zeigen ein ähnliches Bild. In den Zellen der Tubuli contorti
findet sich reichlich Fett in feinen bis mittelgroßen Tropfen von 2 — 6 Stück,
Nekrose ist nicht vorhanden. In den Nierenepithelieu der Tubuli recti ist nicht
immer Fett nachweisbar. Allerdings findet sich in den meisten Zellen etwas
Fett, 1 — 3 Tropfen, doch sind auch zahlreiche Zellen ohne Fett deutlich zu sehen,
in den Pyramiden ist wenig Fett zu finden. In allen Zellen aber sieht man
deutlich die trübe Schwellung, das Protoplasma ist körnig, wolkig und färbt
sich ungleichmäßig. Wenn man auch nicht überall Fett findet, so ist doch der
Beginn der Fettmetamorphose deutlich überall vorhanden.
Diese Fettmetamorphose in den Nieren ist bedeudent geringer als bei
der einfachen Aethernarkose. sie ist auch etwas weniger wie bei der Aether-
saiierstoffnarkose, aber sie ist immerhin stark vorhanden. Daneben findet sich
mäßige Hyperämie der Niereu, keine Hämorrhagien, in den Glomeruli ist kein
Fett, doch sind dieselben hyperämisch.
Bedeutender als all diese Affektionen sind die Veränderungen in den
Lungen. Hier findet man nur eine sehr mäßige Salivation. Es zeigen sich in
den abhängigen Partien der Lungen Stellen, wo die Alveolen mit Schleim erfüllt
sind, doch es sind diese Bezirke klein aber häufig, und es ist keine Ruudzellen-
infilti'ation in der Umgebung. Die Alveolen sind total oder zur Hälfte in diesem
Bezirke mit Schleim erfüllt. Diese infiltrierten Bezirke waren nur in den ab-
hängigen Bezirken zu finden und nicht sehr zahlreich und groß. Es ist also
noch eine geringe Salivation vorhanden.
Was die Epithelzellen anlangt, so fand sich eine mäßige Fettmetamorphose,
die etwas geringer ist, als nach Äthersauerstoffnarkosen. Es war in den Zellen
der Alveolen und den Epithelzellen der Bronchialschleimhaut Fett in feinen
Tropfen zu finden, doch nicht in allen Zellen, es waren nur hie und da einige
Zellen erkrankt, die anderen waren gesund. Diese Fettmetamorphose war stärker
in den Alveolen als in den Bronchien. In der Lunge Avar deutliche geringe
Hyperämie vorhanden, doch waren keine Hämorrhagien im Pai'enchym wie
subpleural vorhanden. Diese Affektion der Lungen ist wenig verschieden von der
bei der Aethersauerstoffnarkose, doch etwas geringer.
— oOo
Die Respii'atioii wird iu dieser Narkose nur wenig' beeinflußt, bei den
Narkosen an Ki-aiiken findet man weder Cj^anose im Gesicht, noch röchelnde
Atmung, der Stertor der Aetkernarkose fehlt vollkommen. Auch die im Rachen
veiTnehrt abgesonderten Speicheiniengen sind auffallend gering. Es ist nur wenig
Speichel, dei' bei der dorsalen Reklination des Kopfes aus Mund und Nase fließt.
Es wird daher auch kein Rasseln und stertoröses Atmen ei'zeugt, weil der
Speichel fehlt, der den Kehlkopfeingang verlegt. Die Atemtätigkeit wird in
dieser Narkose ebenfalls wenig beeinflußt, die Zahl der Atemzüge war immer
über der normalen Atniungszahl, auch die Intensität und Tiefe der einzelnen
Atemzüge wird nicht deprimiert, sondern die Atmung bleibt fast normal. Die
Kontrolle der Atemzüge in der Minute während der Narkose ergab vollkommen
normale Zahlen.
Es sind somit die Einwirkungen dieser Narkosen auf die inneren Organe
erörtert worden, und wir werden nun diese Befunde kurz kritisch betrachten
und miteinander vergleichen. Man hat hier zwei an sich verschiedene Narkosen
vor sich, die eine, welche Chloroform in vermehrten Dosen verabreicht und
hauptsächlich als Chloroformnarkose aufzufassen ist, und welcher Äther nur in
ganz geringem Maße beigegeben wird, und die andere, welche den Äther als
Grundlage hat und Chloroform zur Aushilfe in geringen Dosen verwendet. Der
Hauptvorteil dieser Narkosen liegt eben darin, daß man den Kranken je nach
den obwaltenden somatischen Verhältnissen unter die eine oder andere Narkose
versetzt, und das zweite Narkotikum nebenbei verabreicht, aber nur in Dosen,
daß es allein narkotisch wirkt, also das Hauptnarkotikum unterstützt, und nui"
noch in seinen günstigen Wirkungen auftreten kann, während es aber nicht
vermag, die ihm eigenen toxischen Einwirkungen in wesentlicher Art zu ent-
falten. Es war von vornherein fraglich, ob man in der Praxis dies erreichen
konnte. Die Experimente sind deshalb von mir herangezogen worden, und es
waren von Anfang an zwei Möglichkeiten vorhanden, nämlich die eine, welche
darin bestand, daß die Experimente mit diesen kombinierten Narkosen eine
w^esentlich stärkere toxische Wirkung des Narkotikums, das als Grundlage ge-
wählt worden war, ergaben, die sich einerseits in einer stärkeren Fettmeta-
morphose, andererseits in einer hochgradigeren Salivation und Schleimabsonderung
sowie Beeinflussung des Blutdruckes, als man diese pathologischen Zustände
bei den einfachen Chloroform- oder Äther-Sauerstoffnarkosen nachgewiesen
hatte, dartun mußte, und die zweite Möglichkeit, welche eine Veränderung iu
den inneren Orgauen, also eine toxische Wirkung der Narkose zeigte, die der
nach der einfachen Chloroform- oder Äthersauerstoffnarkose entweder gleich
war, oder sich sogar geringer als diese erwies. Es ist die zweite Möglichkeit
eingetroffen, und es haben die Resultate bewiesen, daß man durch die Kom-
bination eine geringere toxische Wirkung erlangen kann. Es muß aber ganz
besonders darauf aufmerksam gemacht werden, daß es in der Hand des Nar-
kotiseurs stets gelegen ist, ob er dies erreicht oder nicht. Er kann es sehr
leicht erreichen, ^ wenn er einen entsprechenden Narkoseapparat zur Verfügung
hat und dabei die Vorschriften der Beobachtung und Dosierung genau innehält.
Man hat ein sehr einfaches Mittel, um zu prüfen, ob eine ausgeführte Narkose
günstig für den Kranken geleitet worden ist, und dieses Mittel ist in der zur
Narkose verwendeten Menge beider Narkotika und der Zeitdauer der Narkose
gegeben. Je kleiner die Menge des Gesamtverbrauchs an Narkotikum ist, um
so günstiger ist die Narkose für den Kranken gewesen. Man kann da nicht
Zahlen angeben, denn dieselben schwanken zu erheblich, und es kommt auf zu
— 556 —
viel Verhältnisse au, welche den Narkotikum verhrauch beeinflussen; es muß daher
jeder Narkotiseur mit der Zeit der Übung und Praxis in dieser Narkose sich
selbst eine Skala bilden, welche ihn die Zahlen beurteilen lehrt. Er wird mit
der Zeit bei größerer Übung mit der Hälfte der Dosis auskommen lernen,
welche Dosis er im Anfange seiner Tätigkeit brauchte. Da man in jedem
Falle das zweite Narkotikum je nach dem Bedarf, nach den Forderungen, die
durch den Verlauf der Narkose augezeigt werden, und nach den somatischen
Verhältnissen sowie pathologischen Zuständen des Kranken verabreichen muß,
immer bestrebt, das Grundnarkotikum zu unterstützen, aber an beiden so viel,
als nur irgend angängig ist, zu sparen, so wird man erkennen, daß man nicht
angeben kann, wieviel Chloroform und wieviel Äther verabreicht werden darf.
Dies hängt vor allen Dingen von der Beobachtungsgabe und Übung des Nar-
kotiseurs ab, denn er muß quasi fühlen, wieviel, wann und warum er das eine
verabreichen, das andere weglassen oder beide zugleich geben soll. Man er-
kennt unschwer, daß die ideale Narkose nicht von jedem Arzte geleitet werden
kann, sondern daß er erst eine gewisse Übung erlangen muß. Aber diese Übung
kann er bald erlangen, wenn er öfter auf diese Art narkotisiert und überhaupt
Interesse für die Narkose besitzt. Es ist ja bekanntlich gar nicht schwer, eine
Narkose derart zu leiten, sobald man nur den Kranken beobachtet und alle
Zeichen und Veränderungen in der Herzaktion und Atemtätigkeit kennt, ver-
steht und ausnützen gelernt hat, so daß man Aveiß, was gegen diese xmd jene
zu tun ist. Es hat sich nach den Experimenten mit den kombinierten Narkosen
sogar ergeben, daß die Einwirkungen auf die Tiere und deren interne Organe
geringer waren, als man die Veränderungen in den Organen nach gleich langen
einfachen Sauerstoffnarkosen fand. Wenn auch diese Verminderung der Fett-
metamorphose nicht nach Zahlen ausdrückbar, sondern nur verhältnismäßig
gering war, so war doch ein deutlicher Unterschied vorhanden, welcher zum
Vorteil der kombinierten Sauerstoffnarkosen entschied. Man ersieht also daraus,
daß die Kombination des Chloroforms mit dem Äther eine bedeutend günstigere
Narkose bewirkt. Es fragt sich nun, wodurch erreicht man eine geringere Fett-
metamorphose bei der Kombination zweier Narkotika, wo doch früher nachge-
wiesen wurde, daß durch gleichzeitige Verwendung zweier Narkotika ebensogut
die üblen wie die günstigen Einwirkungen addiert werden. Man versetzt be-
kanntlich einen Kranken unter eine größere Gefahr, wenn man ihn mit der
Mischung von Chloroform -\- Äther ää narkotisiert, als wenn man ihn nur mit
einem Narkotikum betäubt. Es ist dies ja der größte Nachteil der Misch-
narkose, und es liegt gerade darin der Vorzug der kombiniertan Narkose vor
der Mischnarkose, daß die erstere betrebt ist, die günstigen Einwirkungen
der verwendeten Narkotika nur zu addieren, während sie die üblen Einflüsse
zu vermindern sucht, aber nicht auch diese sich addieren läßt. Wo letzteres
vor sich geht, hat man es mit einer ganz unbrauchbaren Methode zu tun,
welche nicht verwendbar ist. Es ist schon oben gesagt, daß man durch die
feinste Dosierung und durch die Verabreichung der minimalsten eben nur wirk-
samen Menge des zweiten, sekundären Narkotikums erreicht, daß nur die günstigen
Eigenschaften der Narkotika sich addieren und die üblen des sekundären noch nicht
zur Wirkung gelangen können. Ganz wie es oben bei der Betrachtung der
Chloroformsauerstoff- und der Äthersai;erstofi:narkose erörtert wurde, so ist auch
hier die Hauptbesserung der toxischen Wirkung nicht nur auf den Sauerstoff direkt.
— 557 —
sondern auch auf die Ersparnis an Narkotikummeugen und die für Narkose kleinere
verwendete Dosis zu beziehen. Man hat bei dieser Kombination von Äther und
Chloroform mit Sauerstott' die günstigere Einwii-kung hauptsächlich auf die ge-
ringere Menge Chloroform und Äther, welche zur Chloroform- Athersauerstoffnarkose
und zur Äther-Chloroformsauerstofi'narkose nötig ist. zu beziehen, und bei genauer
Prüfung und Vergleichen zwischen den einfachen und kombinierten Sauerstof?-
narkosen findet man, daß das Manko an Fettmetamorphose nach der kombinierten
Narkose der geringeren Menge Chloroform entspricht. Es ist immerhin eine
Differenz unter den Mengen der Narkotika vorhanden. Einige Beispiele werden
dies dartun. Für viei- Narkosen an einem Tiere, wie sie für die Experimente
verwendet wurden, brauchte man:
bei Tier I zu 4 Narkosen ä 1 — 1^4 Std. 105 g Chloroform -|- Sauerstoff
300 g Aether -|- Sauerstoff'
I
zu
4
N;
arkos
ien
ä
1-
-IV.
IIT
11
4
«
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1-
-IV.
IV
):
4
11
k
1-
-IV,
80 g Chloroform -)- 125 g Aether -|-
Sauerstoff (Chloroformäther-
s aiierstoff narko se)
„ „ VII „4 „ ä 1 — IVi „ l'i'5 g Aether + 50 g Chloroform -f-
S. (Aether-Chloroformsauer-
stoffnarkose.)
„ „ VIII „ 4 „ ä 1—1 Vi „ 76 g Chlorof. + 100g Aether -i-S.
„ „ XII „4 „ ä 1—1 V4 „ 180 g Aether -f 35 g Chiorof. + S.
„ „ X „ 4 „ ä 1—1 Vi 1, 200 g Aether + 30 g Chiorof. + S.
„ „ XV ,.4 „ ä l—lVi „ 78 g Chiorof. + 104 g Aether + S.
„ „ II ,; 4 „ ä 1—1 V4 „ 120 g Chloroform + S.
„ „ XIV „4 „ ä 1—1 Vi „ 100 g Chloroform + S.
„ „ VI „4 „ ä 1-1 Vi „ 350 g Aether + S.
„ XVI „4 „ ä 1— IV4 „ 325 g Aether -fS.
■V^^enn man nun diese Zahlen vergleicht, so findet man einen bedeutenden
Unterschied an Narkotikummengeu, wenn man die beiden kombinierte. Man
muß ja für den Durchschnitt die Zahlen durch 4 teilen, um die ungefähren
Zahlen für eine Narkose zu erhalten, allerdings erhält man da nur ungefähre
Zahlen; denn die Mengen differieren gewaltig. Man braucht für die erste Nar-
kose mehr Narkotikum als für die zweite, und für die zweite mehr als für die
dritte etc.. denn die Tiere sind nach einer Narkose, sobald dieselbe innerhalb
24 Stunden wenigstens wiederholt wird, viel weniger widerstandsfähig, als
gegen die erste Narkose, ebenso werden sie mit jeder weiteren Narkose leichter
zu betäuben. Infolgedessen hat man für die erste Narkose am meisten Nar-
kotikum nötig, während man für die vierte Narkose z. B. bedeutend weniger
braucht. Aus den Zahlen der wenigen hier angeführten Narkosen geht hervor,
daß man für die kombinierten Sauerstoffnarkosen verhältnismäßig weniger
Narkotikum braucht als für die einfachen Narkosen, Es sind die Unterschiede
beträchtlich und man erkennt bei genauerer Beurteilung und Prüfung der Zahlen,
daß die Differenzen viel ausmachen. Nimmt man z. B. Chloroform in der
Chloroformäthersauerstoff'narkose an, so beträgt die Diff'erenz für vier Narkosen
25 — 30 g, also pro Narkose 6 — 8 g Chloroform, dafür hat man 100 g Aether
hinzugefügt, also durchschnittlich pro Narkose 25 g Aether mehr. Wenn man
nun bedenkt, was bedeuten für den Organismus 6 g Chloroform, so muß man
zugeben, daß diese Menge nicht unwesentlich ist und wohl in Betracht kommt,
denn 6 g Chloroform können den Organismus ganz gewaltig schädigen, vor
allen Dingen, wenn man diese 6 — 8 g als Summand zu der für die Narkose
schon verwendeten Chloroformmenge betrachtet, dann ist es absolut bedeutungs-
voll, wenn jemand mit 6 — 8 g weniger betäubt werden kann. Im Verhältnis
zu dem schon unter Chloroformwirkung stehenden Organismus sind diese 6 — 8 g
von ganz enormer Bedeutung. Diese 6 — 8 g Chloroform werden ersetzt durch
25 g Aether sulfur. Wenn man nun im Gegensatz zu den 8 g Chloroform die
25 g Aether in ihrer Bedeutung für den Organismus an sich und auch für den
— 558 —
schon unter Ckloroformwirkuug stehenden Organismus beurteilt, so muß man
zu der Ueberzeugung kommen, daß eine solche kleine Menge Aether, die mau
bei der Genfer Aethernarkose auf einmal als Anfangsdosis verabreicht, keine
hohe Bedeutung für den Organismus hinsichtlich der schädlichen Wirkung,
hinsichtlich toxischer Einflüsse haben kann, denn 25 g Aether können während
der Chloroformnarkose weder die Fettmetamorphose verschlimmern, noch Sali-
vation erzeugen, vor allen Dingen in den kleinen Dosen, in denen diese 25 g
dem Organismus einverleibt werden, denn man gibt dieselben ja in wenigen
Tropfen. Wohl aber haben diese 25 g Aether günstige Einwirkungen auf den
Blutdruck, auf die Chloroformwirkung und auf die narkotische Ki-aft. Man
kann durch diese Aetherwirkung die Chloroform Wirkung unterstützen, zu-
gleich die Herztätigkeit anregen, und dadurch der depressiven Chloroform-
wirkung erfolgreich steuern. In dieser Hinsicht hat man entschieden eine
deutliche Verminderung der Narkotikumdosis, die für die Narkosen nötig ist.
Aehnlich liegen die Verhältnisse bei der Aetherchloroformsauerstoffnarkose. Bei
derselben hat man eine Verminderung des Aethers um 100 — 130 g pro 4 Nar-
kosen. Also ist pro Narkose 25 — 30 g Aether weniger, dazu kommen nun
ca. 30 g Chloroform, also 8 g pro Narkose, eine Menge, welche natürlich he-
deutenden Schwankungen unterworfen ist. Immerhin haben die Narkosen ergeben,
daß man für eine 60 — 80 Minuten daixernde Aetherchloroformsauerstoffnarkose
nicht mehr als 6 — 8 g Chloroform braucht. Es sind also hier die Verhältnisse
derartige, daß man die Differenz des Aethers durch Chloroform ersetzt, wobei
aber natürlich den 8 g Chloroform eine größere Bedeutung zukommt als den
30 g Aether. Immerhin haben die 8 g Chloroform keine üblen Wirkungen
auf die inneren Organe, sie wirken nur verstärkend narkotisch und nicht deletär.
Die momentan in der Narkose verabreichten Dosen von Chloroform haben auf
den Blutdruck keinen depressiven Einfluß, sie schädigen auch die inneren
parenchymatösen Organe nicht, sondern haben nur einen stärkeren narkotischen
Einfluß auf die Aetherwirkung. Man gibt ja im Verlauf der langen Narkose
die Chloroformdosen nur selten zu wenigen Tropfen, so daß im Organismus eine
größere Menge Chloroform während der Narkose nicht aufgespeichert werden
kann, denn, wenn man die erste Chloroformdosis in Form von ca. 10 Tropfen
gibt und damit Toleranz erzielt, so hahen diese geringen Mengen den Or-
ganismus längst wieder verlassen, wenn man nach Verlauf von 5 — 10 Minuten
wieder einige Tropfen Chloroform braucht. Somit ist es unmöglich, daß das
Chloroform in Dosen im Organismus aufgehäuft wird, welche schädlich auf
die inneren parenchymatösen Organe wirken können. Aus diesen wenigen
Zahlen, welche aber nur sehr relative Mengen angeben, denn diese Narkosen
sind meist am Tiere ausgeführt, welches widerstandsfähiger ist als der Mensch, er-
sieht man immerhin die Hauptgrundgesetze der Narkosen. Die Zahlen für
diese Tierexperimente sind übrigens genau entsprechend den Verhältnissen beim
Menschen. Einige Zahlen von Sauerstoffnarkosen werden diese Verhältnisse
erläutern. Für eine Narkose
1. von 60 Min. Dauer wurde verwendet 30 g Chloroform -f- Sauerstoff
35 g
32 e
55 55 55 _ S 55 55
55 55 55 ^^ §" 55 55
„ „ „ 108 g Aether + Sauerstoff
„ „ „ 120 g Aether -\- Sauerstoff
„ „ „ 20 g Chlorof.-|- 35 g Aether -[-Säuerst.
18 g- 5, 30 §• „
16 g' 5, 26 g „
„ „ „ 75 g Aether -|- 10 g Chlorof . -)- Säuerst.
„ 90 g .. 8 g
85 g „ 11g
Aus diesen Zahlen ersieht man recht deutlich, wie wenig Narkotikummengen
doch für die komhinierte Narkose notwendig sind, und wie stets die Dosis des
sekundären Narkotikums verschwindend klein ist für die lange Zeit der
Narkose. Aber auch das primäre Narkotikum wird in geringerer Menge ver-
braucht.
2.
5, 60
3.
„ 60
4.
„ 60
5.
„ 60
6.
„ 60
7.
„ 60
8.
,. 60
9.
,; 60
10.
,. 60
11.
5, 60
12.
„ 60
— 559 —
AVeun man uuu all diese Zahlen erwägt, so erkennt man recht deutlich,
daß die Verminderung der toxischen Wirkung dieser kombinierten Narkosen
nur durch eine geringere Menge des in den Organismus gelangten Narkotikums
hervorgerufen wird. Ein anderer Grund wäre ja auch wenig wahrscheinlich.
Immerhin zeigen die Befunde doch deutlich, daß es möglich ist, die Mengen
von Chloroform und Aoither auf eine Dosis zu beschränken, welche für eine
andere Narkose nach der offenen Methode kaum die Hälfte der Zeit ausreicht.
Dieser Umstand wird noch begünstigt durch die gegenseitigen Beziehungen
von Chloroform und Aether, denn dieselben haben in den Kombinationen dieser
Art die Fähigkeit, in kleinen Mengen sich gegenseitig zu unterstützen, in der
narkotischen Kraft und in den üblen Einwirkungen sich zu ergänzen, indem
bis zu einem gewissen Grade der Aether die üblen Wirkungen des Chloroforms,
und dieses wiederum die des Aethers vermindert oder ganz aufhebt. Natürlich
nur bis zu einem gewissen Grade, und derselbe wird dadurch bestimmt, daß die
Dosis des sekundären Narkotikums immer nur in solchen geringen Mengen
verwendet wird, in denen es selbst toxisch nicht zu wirken imstande ist.
Man hat, wie aus dem Gesagten hervorgeht, im großen und ganzen zwei
Arten von diesen kombinierten Narkosen zu unterscheiden, je nach dem primären
Narkotikum. Es erhellt ja auch aus den Ergebnissen der Experimente, daß
diese bei den Narkosen zu unterscheiden sind. Es kann ja gegen die einfache
Chloroform- oder Äthersauerstoffnarkose immerhin manche Kontraindikation
aufgestellt werden. Die Untersuchungen mit diesen Gasgemischen haben er-
geben, daß der Narkose mit der Sauerstoffkombination immerhin noch gewisse
Gefahren anhaften, und man hat ja auch zahlreiche Fälle in der Praxis
beobachtet, wo die Narkose ad exitum führte, genau wie die einfache Chloroform-
narkose. Es ist ja auch in der Sauerstoffnarkose an sich noch kein Grund
gegeben, der die toxische Wirkung des Chloroforms verhindern könnte. Die
Vorzüge der Chloroformsauerstoffnarkose, wie sie seit Jahren bekannt gegeben
werden, und wie sie auch ganz unumstößlich sicher der Methode anhaften,
werden nur indirekt vom Sauerstoff bewirkt, während die direkte Ursache der
besseren Narkose in der geringeren zur Betäubung nötigen Menge von Chloro-
form gelegen ist. Wenn aber ein Mensch für Herz-, Leber-, Nieren- etc. Leiden
disponiert ist, so kann auch in der Chloroformsauerstoffnarkose eine Gefahr
für ihn liegen, indem das zur Narkose verwendete Chloroform trotz aller
Vorsicht hinreichen kann, schwere, lebensgefährliche Veränderungen in diesen
Organen hervorzurufen und so den Menschen ad exitum zu bringen, wenn
auch solche Fälle bis jetzt sehr selten sind; es sind solche in der Literatur nur
sehr spärlich verzeichnet. Rothfuchs hat kürzlich auf zwei Todesfälle
hingewiesen, in oder nach der Chloroformsauerstoffnarkose entstanden, die aber
durch die Chloroformwirkung zweifellos hervorgerufen wurden, von denen er
einen Fall näher beschreibt, welcher bei einem Alkoholiker eintrat, der mehrfach
hatte müssen narkotisiert werden. Es war also darin die Disposition in dem
Einfluß des Alkoholismus gelegen. Solche Fälle sind bisher wenig gemeldet,
vielleicht werden mit der Zeit darüber Publikationen erscheinen, denn mit der
größeren Verwendung der Sauerstoffnarkosen werden auch diese reichlicher
werden. Es ist also nicht ausgeschlossen, daß bei bestehender Disposition, vor
allen Dingen bei sehr schwachen, kachektischen und entbluteten Patienten, die
Chloroformsauerstoffnarkose schwere Gefahren bringt. Man muß deshalb die
Grenzen der Verwendbarkeit auch für diese Narkose ungefähr so ziehen, wie
für Chloroform allein. Dies ist ein Nachteil, welcher jeder Narkose bis zu
einem gewissen Grade anhaftet, der aber bei der Chloroforinnarkose besonders
- 560 —
groß ist. Anders liegen aber die Verhältnisse für die kombinierten Sauerstoff-
narkosen, denn dieselben schränken diesen Nachteil besonders ein, da die
Gefahr der Fettmetaniorphose dabei sehr gering ist. Wenn man also Menschen
zn betäuben hat, welche in diesem Sinne disponiert sind, und welche an langen
parenchymatösen Hämorrhagien gelitten haben, welche schwer kachektisch etc.
sind, so wird man die Atherchloroformsauerstoffnarkose mit weniger Gefahr für
den Krauken ausführen können, als die Chloroformsauerstoffuarkose. Somit hat
man durch diese Kombination eine Erweiterung der Indikationsgrenze ermöglicht,
denn man kann Leute, welche mit der einfachen Chloroformnarkose nicht mehr
narkotisiert werden können, mit der Ätherchloroforrasauerstoffnarkose noch ohne
Schaden betäuben. Wenn man die Größe der Gefahr bei diesen Narkosen er-
mitteln will, so muß man auch bedenken, daß die Narkosen oft nur ''■j^ Stunde
und noch kürzere Zeit dauern, und daß die Gefahr in gewissem Sinne geringer
ist, je kürzer die Narkose ist. Dies gilt aber nicht für alle Narkosengefahren,
denn gerade das Chloroform wirkt oft schon nach den ersten Inhalationen
tödlich (Trigeminus-Vagus-Reiz mit folgender Synkope). Allein diese Fälle sind
bei der kombinierten Sauerstoffnarkose nicht zu erwarten, denn es wird ja das
Chloroform nur in den geringst wirksamen Dosen gegeben, außerdem kann
man ja als primäres Narkotikum Äther wählen. Dadurch, daß man die Narkose
zwischen den beiden Extremen Chloroform Sauerstoff und Äthersauerstoff variieren
kann, ist eine große Menge von einzelnen Narkosen möglich, welche dem
Kranken angepaßt werden können. Gerade darin liegt der Wert der Narkose,
daß man die Äther- und Chloroformgabeu ganz den in jedem Moment der
Narkose bestehenden Verhältnissen angepaßt verabreichen kann. Dies ist aber
nur möglich durch eine genaue Beobachtung des Kranken. Man wird nach
dem Resultat der Untersuchung des Kranken vor der Narkose entscheiden,
welches Narkotikum primär, und welches sekundär zu geben ist. Aber man
wird vorher nicht genau bestimmen können, wie man dann während der Narkose
weiter verfährt. Es steht ja dem Arzte das sekundäre Narkotikum zur
Kombination zur Verfügung, und man muß dasselbe dann benützen, wann es not-
wendig erscheint. Dabei muß der Narkotiseur genau Puls und Respiration
kontrollieren, außerdem auch den Kranken in toto beobachten, alle Symptome
benützen und aus ihnen entnehmen, wie die Vorgänge im Innern des Organis-
mus sich abspielen, und was durch dieselben gefordert wird. Wenn man so
verfährt, so wird man die Narkotika individuell verwenden, und man wird am
Schluß der Narkose ersehen, wieviel von jedem verbraucht wurde. Freilich
wird man da nicht immer solche Zahlen erhalten, wie sie oben angegeben sind,
das sind nur Repräsentanten der Typen der Narkose, der beiden Grundtypen,
die Chloroform oder Äther zur Grundlage und in größten Mengen verwendet
zeigen. In den meisten Fällen wird mau mit einer dieser Typen auch aus-
kommen, doch es kann auch Fälle geben, wo das primäre Narkotikiim später
fast ganz durch das sekundäre ersetzt wird. Das ergibt sich dann aus der
Reaktion des Organismus auf die Narkose. Immer aber muß das Verhältnis
der Narkotika so sein, daß die Mengen der Narkotika möglichst gering sind,
und es muß das eine das andere in der Menge ergänzen, so daß in der
narkotischen Kraft nie die Summe der beiden Narkotika die Menge, welche
für eine einfache entsprechende Sauerstoffnarkose verbraucht wird, wesentlich
übertrifft. Man erkennt, ob ein richtiges Verhältnis besteht, aus den Mengen
— 561 —
der Narkotika auf die Länge der Narkose berechnet, wobei natürlich dem
Narkotiseur die Erfahrung sehr zugute kommt.
Das Bestreben des Narkotiseurs muß es stets während der Narkose sein,
den Kranken mit den geringst nötigen Dosen des Narkotikums zu betäuben,
und er kann dies sehr leicht ermöglichen, indem er den Kranken immer in
dem Stadium der Narkose erhält, welches durch den positiven Ausfall des
S tr a ß m a n n s c h e n Phänomens angedeutet wird. Das Straßmannsche
Phänomen besteht bekanntlich in der Reaktion der engen Pupille bei gleich-
zeitigem Offnen beider Augen, während die Pupille beim Offnen nur einen
Auges eng erscheint und sich nicht mehr kontrahiert. Dieses Symptom zeig-t
an, daß der Kranke sich am Ende des Stadiums in, dem der Toleranz, befindet,
wobei er aber schon dem Erwachen nahe ist, also der Übergang in Stadium IV
nahe bevorsteht. Wenn man nun immer durch kleine Mengen Narkotikum
dafür sorgt, daß dieses Phänomen, nachdem man es eben beobachtete, infolge
neuer Dosis verschwindet, um nach wenigen Minuten zurückzukehren, so erhält
man den Kranken in dem meist gefahrlosen Stadium der Narkose. Wenn man
aber das Phänomen bestehen läßt, ohne neue Dosen Narkotikum zu geben, so
verschwindet es bald und der Kranke erwacht. Da dies bei guter Narkose
nicht vorkommen darf, muß man immer kleine Dosen verabreichen, um die
Narkose wenig zu vertiefen. Das Phänomen kann man nur positiv erhalten,
wenn man in kleinen Dosen Narkotika verabreicht, denn bei großen Dosen
kommt der Kranke gleich in tiefere Toleranz und bleibt längere Zeit in der-
selben als bei kleinen Dosen. Gerade das nicht gewünschte Erwachen muß der
Narkotiseur stets verhüten, denn wenn der Kranke erwacht, so muß man zur
abermaligen Betäubung, die ja von der Operation gefordert wird, größere
Mengen des Narkotikums verwenden, während beim Vermeiden solcher Unter-
brechungen der Kranke mit ganz geringen Mengen in der Narkose erhalten
werden kann. Wenn solche Störungen im gleichmäßigen Verlauf der Narkose
vorkommen, ist es nicht möglich, die Menge des Narkotikums auf das größte
Mindestmaß zu beschränken, dann braucht man viel mehr Narkotikum, als bei
ruhigem, gleichmäßigem Verlauf der Narkose gewöhnlich verwendet wird.
Darin liegt eben der Beweis der Tüchtigkeit des Narkotiseurs, daß er solche
unbeabsichtigte Unterbrechungen vermeidet und verhütet, und dieselben können
auch bei guter Beobachtung des Kranken nicht vorkommen, weshalb stets den
Narkotiseur der Vorwurf eines Verseheus treffen muß, wenn der Kranke, ohne
daß es vom Narkotiseur beabsichtigt wurde, erwacht Freilich muß man be-
merken, daß es in den Narkosen verschieden ist, wie tief die Toleranz verläuft,
so ist z. B. die Toleranz in der Chloroformsauerstoffnarkose tiefer als in der
Äthersauerstoffnarkose, und es kommt demnach in der Athernarkose leichter
vor, daß der Kranke plötzlich erwacht, als in der Chloroformsauerstoifnarkose.
Es ist dies so zu verstehen, daß die Wirkung einer Dosis Chloroform längere
Zeit anhält als die Dosis Äther. Um nun die Äthersauerstoffnarkose noch be-
sonders zu vertiefen, gibt man ab und zu auch während der Toleranz Chloroform
und verwendet besser an Stelle der Äthersaiierstoffnarkose die Äther-Chloroform-
Sauerstoffnarkose. So hat der Narkotiseur im Chloroform ein Mittel, die Äther-
sauerstoffnarkose zn vertiefen.
Weitere Vorteile der kombinierten Sauerstoffnarkosen bestehen in dem
ebenmäßigeren klinischen Verlauf der Narkose. Die Exzitation, welche bis-
36
— 562 —
■weilen in der einfachen Chloroformsauerstoflnarkose namentlich bei Alkoholisten
stark ist, läßt sich durch die Kombination mit Äther bedeutend mindern, oft
ganz beseitigen, und umgekehrt wird die Athersauerstoffnarkose, welche oft
einen etwas widerstandsfähigeren Kranken gar nicht vermag in vollkommene
Toleranz zu versetzen, durch die Chloroformdosen bedeutend vertieft, erleichtert
und tritt schneller ein. Diese Umstände sind ganz besonders zu beachten, denn
man unterschätzt zu leicht diese Symptome. Weiter habe ich bemerkt, daß
Erbrechen sehr selten ist, fast gar nicht auftritt, wenn der Kranke angemessen,
wie es für jede Inhalationsnarkose vorgeschrieben ist, vorbereitet worden ist,
ferner, daß das Erwachen nach Beendigung der Operation rasch eintritt; es ist
ja die Zeit, welche vergeht, bis der Kranke erwacht, verschieden und richtet
Alfier Chloroform
DRAGERWERK
LÜBECK
Fig. 166. Krönig-Roth-Diager-Naikoseapparat für die kombinierte Chloroform-
Aether-Sauerstoff-Narkose. (Modifikation des Roth-Dräger- Apparates von Krönig
für die kombinierte Sauerstoffnarkose.)
sich ganz nach der Dauer der Narkose, doch auch nach sehr langen Narkosen
erwachten die Kranken sehr rasch ohne in dem postnarkotischen Stadium be-
deutende Beschwerden zu haben, Kopfschmerz, Erbrechen, Übelkeit etc. waren
nur gering nach sehr langen Narkosen vorhanden, während sie nach kurzen
fast ganz fehlten. Alle diese klinischen Beschwerden der Narkose sind in und
nach der Sauerstoffnarkose und namentlich nach der kombinierten Sauerstoff-
narkose gering, viel geringer als nach den einfachen Chloroform- oder Äther-
narkosen. Natürlich sind diese Behauptungen nur relative, da die Zahl der
von mir vorgenommenen Narkosen, die im Laufe der letzten Jahre nur einige
dreißig betragen, ja sehr gering ist und ein definitives statistisches Urteil auf
diese kleine Zahl nicht begründet werden kann, so daß ich Statistikern, die über
größeres Material verfügen, es überlasse, diese klinischen Symptome festzustellen.
— 563 —
Immerhin stimmen meine Beobachtungen mit denen der bis jetzt beschriebenen
Chloroformsauerntoffnarkosen überein. Der Narkotiseur kann sich das korrekte
Leiten dieser kombinierten Sauerstoffnarkosen sehr erleichtern, indem er während
der Narkose den Blutdruck fortwährend bestimmt, und das sekundäre Narkotikum
verabreicht, wie es der Blutdruck erfordert. Man braucht da nur um einen
Finger eines Kranken ein Tonometer, ähnlich dem von Gärtner, anziibriugen,
an welchem man immer die Höhe des Blutdruckes ablesen kann. Ich habe das
Tonometer zum allgemeinen Gebrauch für die Narkose modifiziert und dieser
Apparat erleichtert die kombinierte Narkose sehr. Das Ablesen des Blutdruckes
ist einfach, schnell und leicht möglich und der Narkotiseur kann erfahren, wenn
der Blutdruck Äther oder Chloroform erfordert. Aus dem Puls kann man das
natürlich auch feststellen, doch ist dies viel schwerer und erfordert viel Übung
vom Narkotiseur. Man kann mit dem Tonometer vorher die Normalblutdruck-
höhe feststellen, doch ist dies in eiligen Fällen nicht notwendig, denn man er-
kennt schon aas dem Fallen des Druckes die Chloroformwirkung. Auf diese
Weise kann man leicht eine vorzügliche Narkose erzielen.
Was nun die Technik der kombinierten Chloroform-Äther-Sauerstoff-
narkosen anlangt, so hat das Drägerwerk in Lübeck einen Apparat nach
K r ö n i g konstruiert, der einen der besten Apparate darstellt und eine klassische
Narkose ermöglicht. Der Apparat ist ganz ähnlich dem für die Chloroform-
DRAGERWERK LÜBECK.
Fig. 167. Masken mit Drahtbügel für den Roth-Drägerapparat.
sauerstoffnarkose gebaut, nur besitzt er zwei Narkotikumgefäße und Tropf-
vorrichtungen, von denen das eine für Äther, das andere für Chloroform bestimmt
ist. Dieselben sind durch Ventile und Hähne so an den Sauerstoffapparat an-
gefügt, daß man den Sauerstoffstrom entweder mit Chloroform allein, oder
mit Äther allein, oder mit beiden gemischt verwenden kann und dabei doch die
Prozentgehalte regeln und stets genau ablesen kann In der beistehenden
Figur 166 ist dieser Apparat abgebildet.
Man ersieht deutlich aus der Abbildung die Konstruktion dieses Apparates,
und es ist die Funktion desselben genau so, wie sie früher bei der Chloroform-
sauerstoffnarkose mit dem Roth-Dräger-Apparat erörtert wui'de. Es
sind hier eben zwei Narkotikumgefäße vorhanden, welche je nach dem Bedarf
durch die entsprechenden Hähne geöffnet und geschlossen werden müssen. Man
kann dann alle die Modifikationen dieser Narkose erreichen und alle Kombinationen
erzeugen, so daß man für jede Person, für jede Krankheit und für alle Fälle,
wo eine allgemeine Narkose überhaupt möglich ist, eine passende und die
gefahrloseste Narkose finden kann. In der Figur 167 findet man die zu diesen
36*
— 564
Apparaten gebräuchlichen Masken abgebildet, welche mit einem Drahtbügel
versehen sind, der die Maske am Kopfe fixiert. Diese Masken sind für Kinder
und Erwachsene zu haben und je nachdem auch der Drahtbügel.
Die Konstruktion der Masken ist aus der Figur 167 zu ersehen.
Für die Technik der Narkose kommen sonst alle Vorschriften, wie sie
im allgemeinen Teil gegeben sind, in Betracht, vmd es ist dem hier nichts hin-
zuzufügen. Die Art der Verabreichung und die Konzentration der Gemische
geht aus den Erörterungen der Wirkungen etc. hervor.
§ 61. Das Stickstoffoxj^dulgas ist mit Sauerstoff ver-
mischt zur Stickstoffoxydulsanerstoffnarkose verwendet worden, und zwar
war Paul Bert der erste, welcher diese Grasgemenge verwendete. Bert
versuchte 1875 das Gemisch von Sauerstoff und Lachgas durch einen erhöhten
Druck auf das ursprüngliche Volumen des in dem Gemisch enthaltenen Lach-
gases zu bringen und zur Kompensierung besondere Kammern zu konstruieren,
in denen ein erhöhter Luftdruck vorhanden war und in denen nun die Narkose
ausgeführt werden sollte. Es wurde zu diesem Zwecke eine kleine Metall-
kammer mit völliger luftdichtverschließender Wandung konstruiert, die so-
genannte Narkosenkammer, wie man sie im Hospital Beaujou noch heute als
Rarität und Altertum aufgehoben hat,
in welche mir der Operationstisch,
Narkotiseui" und die nötigsten Per-
sonen zur Operation hineinkonnten
und darin unter erhöhtem Druck ar-
beiteten, glaubte man doch dieses
Gemisch nicht anders anwenden zu
können, als unter erhöhtem Luftdruck.
Der Originalität halber soll in bei-
stehender Figur 168 eine solche Nar-
kosenkammer abgebildet sein, welche
von Fontaine angegeben wurde,
und welche demselben Prinzip unter-
steht. Man ersieht aus derselben die
Konstruktion der Kammer und wie
deren Verwendung stattfinden sollte. Eine neben der Kammer aufgestellte Luft-
pumpe versorgte die Kammer mit erhöhtem Luftdruck, nachdem sämtliche für die
Operation nötigen Personen in derselben untergebracht worden waren. Das
Narkotikumgemisch wurde aus einem Gasometer, der unterhalb des Operations-
tisches angebracht worden war, durch einen Schlauch in eine Maske geführt,
welche dem Kranken auf das Gesicht aufgesetzt wui'de. Der ganze Apparat
konnte auf Rollen bewegt werden.
Man ersieht auf den ersten Blick, daß dieser Gedanke recht phantastisch
anmutet. Immerhin könnte ja ein solcher kleiner Operationssal für die Asepsis
recht günstig sein, doch hat derselbe recht wichtige andere Nachteile, die ich
nicht zu erörtern brauche und es hat sich mit der Zeit ergeben, daß diese
Bauten nur einen historischen Wert haben, daß aber die nicht unbeträchtlichen
Kosten, die man zur Konstruktion dieser Narkosenkammern aufgewendet hat,
vollkommen nutzlos vergeudet wurden, denn die ganze Sache war eine phan-
tastische Methode, die noch dazu schlechte Resultate lieferte (Terrier,
Fig. 168. Narkosenkammer für die Stick
stoffoxydul-Sauerstoffnarkose von
Fontaine.
— 565 —
P e r a i r e), und die g-aiiz ohne zwiug'enden Grund so kostspielig ausgebaut
worden war, denn Klikowitsch erbrachte sehr bald den Beweis, daß man
zur Verwendung dieses Gemisches absolut nicht eines erhöhten Luftdruckes
bedürfe. Derselbe verwendete das Gemisch vor allen Dingen bei Frauen sub
paitu und erzielte recht gute Resultate. Er fand, daß das Gemisch weder
für Mutter noch Kind irgendwelchen Nachteil ausübe und auch den Geburts-
mechanismus nicht nachteilig beeinflusse, wobei das Gemisch die Schmerzen
sehr stark vermindere, auch während aller Geburtsperioden, daß das Gemisch
neben der Anästhesie weder Erbrechen noch Kopfschmerzen hervorrufe, daß
Exzitatiou vollkommen fehle und nach der Narkose auch Erbrechen und Übel-
sein völlig ausblieben. Man kann nach Klikowitsch die Narkose während der
ganzen Geburt fortsetzen, ohne kumulierende AVirkung zu sehen, da man
in der Wehenpause die Inhalation unterbrach. Tittel, Döderlein,
Zweifel, W i n c k e 1 etc. haben das Gemisch ebenfalls in der Geburtshilfe
sehr oft verwendet und für sehr brauchbar gefunden. Wenn man aber die
Narkose trotzdem nicht allgemein einführen konnte, so lag es an dem hohen
Kostenpunkt, der schwierigen Transportfähigkeit, der umständlichen Herstellung
des Gasgemisches und dem Umfange des ganzen Apparates, den man schwer
transportieren konnte. S w i e c i c k i hat das Gemisch zuerst in eine handliche
Form gebracht und die Verwendbarkeit erleichtert, so daß man dasselbe jetzt
überall anwenden, überallhin transportieren und jedem den Vorteil dieser Nar-
kose zuteil werden lassen kann.
Auf Veranlassung von S w i e c i c k i wurde von der Fabrik Ash&Sons
das Gasgemisch aus ^/g Stickstoffoxydul und ^ ^ Sauerstoff in einem eisernen
Zylinder kondensiert und zur Verwendung dieses kondensierten Gasgemisches
ein besonderer Apparat konstruiert, der weiter unten näher beschrieben
werden soll.
Unabhängig von Klikowitsch hat H i 1 1 i s c h e r das Gasgemisch
verwendet, und er hat mit einem Gemisch im Verhältnis von 4 Stickstoftbxydul
und 1 Sauerstoff sehr gute Erfahrungen gemacht.
Das Gasgemisch hat im wesentlichen dieselben Eigenschaften wie das
Stickstoffoxydul und ich kann hier auf das frühere Kapitel über Stickstoff-
oxydul verweisen. Die Narkose ist wie jede Inhalationsnarkose mit einer ge-
wissen Gefahr verbunden, doch wird dieselbe durch den Sauerstoff auf ein
Minimum beschränkt, wenigstens gegenüber der einfachen Narkose stark ver-
mindert. Die Narkose mit diesem Gemisch ist nicht nur für ganz kiirze
operative Eingriffe geeignet, sondern man kann auch längere Operationen unter
dieser Betäubung ausführen. Immerhin ist die Narkose in vielen Fällen nicht
tief genug, daß man größere Operationen darin ausführen könnte, sondern man
begegnet Personen, welche durch das Gemisch nicht in tiefe Narkose versetzt
werden können, sondern nur eine Analgesie erleiden. Die narkotische Kraft
dieses Gemisches ist nicht für alle Fälle ausreichend, immerhin kann man bei
Frauen und Kindern sehr gute Narkosen damit ausführen. Hillischer hat
daher geraten, den Sauersoff nach Möglichkeit zu vermindern und zu dem Stick-
stoffoxydul nur 10 ^0 bis höchstens 15% Sauerstoff zuzufügen, denn nach
Pettenkofer genügen zum Unterhalt des Lebens über 7 % Sauerstoff, d. h.
bei 7% Sauerstoff erlischt das Leben. Es genügt also 10% Sauerstoff bei
langen Narkosen und Personen, die schwer zu betäuben sind. Niir in be-
— 566 —
stimmten Verliältnissen bei Personen in der Entbindung, bei Dyspnoe, Herz-
affektionen, apoplektischem Habitus etc. soll man bis 15 % Sauerstoff dem Lach-
gas beimischen. Dieses Gemisch nennt Hillischer Schlafgas. Diese Nar-
kose mit dem Schlafgas kann nach Hillischer für stundenlange Betäubungen
verwendet werden und bewirkt keine üblen Erscheinungen, Dyspnoe, Er-
brechen etc. Allerdings hat Hammerschlag nachgewiesen, daß das Ge-
misch bei längerem Aufbewahren aus einem Gasgemisch in eine chemische
Verbindung übergeht, welche höhere Oxydationsverbindungen des Stickstoffes
darstellt, und er fand nach neuntägigem Aufbewahren eines Gemisches in dem-
selben Spuren von Salpetersäure und Salpetriger Säure, welche sich erst gebildet
hatten. Hieraus geht hervor, daß man ältere Gemische nicht verwenden darf,
und es ist noch nicht die Grenze gezogen, wie alt das Gemisch sein darf.
Daher muß man sehr vorsichtig mit demselben sein.
Die Wirkung auf den Organismus ist eine derartige, daß die Narkose eben
nur für kurze Betäubungen in Betracht kommt, und es bleibt eine Einschränkung
bestehen, denn es gibt Personen, welche mit dem Mittel nicht betäubt werden
können. Bei langen Narkosen bleiben auch gewisse üble Wirkungen nicht aus,
die nur wenig von den oben bei Behandlung der einfachen Stickstoff oxydul-
narkose beschriebenen verschieden sind. Für kurz dauernde Narkosen ist
aber diese Methode entschieden der einfachen überlegen, und man erzielt sehr
nihige Betäubungen, namentlich bei leicht zu narkotisierenden Frauen etc., ohne
Erregung, Nachwehen, Übelsein, Erbrechen, und kann ohne Nachteil die Narkose
auf mehrere Minuten ausdehnen. Die Narkose hält bis zwei Minuten noch an
nachdem man aufgehört hat, das Gasgemisch zu verabreichen. Bei kurzen
Narkosen hat man üble Folgen nicht zu fürchten. Bei sehr nervösen Frauen,
tritt kurz vor Eintritt der Betäubung geringe Erregung auf, und zwar tränen
meist die Augen. Alkoholisten sind nicht zu betäuben und zeigen starke
Exzitation. Bei längeren Narkosen hat man dieselben Nachteile zu befürchten,
wie bei einfachen Stickstoffoxydulnarkosen, welche oben geschildert wurden.
Es erübrigt hier, darauf hinzuweisen, und ich brauche weiter keine Erörterungen
hier anzuschließen, da das Gemisch doch nur für kurze Narkosen in Betracht
kommt. Für protrahierte Narkosen hat man geeignetere Narkotika.
Was die Statistik anlangt, so hat Hillischer 15000 Narkosen von
kiu-zer Dauer ohne Unfall und nachteilige Nebenwirkungen ausgeführt. Nogue
hat nur 40 Narkosen ausgeführt, allerdings mit sehr gutem Erfolg.
Die Technik der Narkosen ist eng verknüpft mit den Apparaten. Der
Kranke muß für lange Narkosen' natürlich nach den allgemeinen Vorschriften
vorbereitet sein, und es muß dabei alles beachtet werden, was früher erwähnt
wurde. Für kurze Narkosen ist eine Vorbereitung nicht nötig, es soll da nur da-
rauf geachtet werden, daß der Kranke nicht direkt nach dem letzten Essen nar-
kotisiert wird, sondern daß wenigstens drei Stunden seit der letzten Mahlzeit ver-
strichen sind. Man kann den Kranken bei kurzen Narkosen in sitzender oder
liegender Stellung betäuben. Lange Narkosen können nur in liegender Stellung
ausgeführt werden. Es ist die kurze Narkose vor allen Dingen angezeigt bei
Operationen in Mund, Rachen und Nase, weil die Anästhesie noch längere
Zeit bis zwei Minuten nach der letzten Dosis anhält und die Reflexe oft noch
vorhanden sind, so daß der Kranke das Blut, welches bei Mundoperationen etc.
1
— 567 —
in den Rachen fließt, nicht aspiriert, sondern verschluckt oder ausspuckt. Bei
kurzen Narkosen erlöschen meist nie alle Reflexe.
Der Apparat von Swiecicki ist folgendermaßen konstruiert:
In einem schmiedeeisernen Zylinder ist das Gasgemisch aus ''/g Stickstoff-
oxydul und '/5 Sauerstoff kondensiert und komprimiert enthalten. Dieser Zy-
linder faßt 220 1 des Gasgemisches und ist in einem Holzkasten untergebracht.
Wie aus beistehender Figur 169 ersichtlich ist, kann der ganze Apparat in einem
mäßig großen Kasten leicht transportiert werden. Der Zylinder ist mit einem
Ventil verschlossen, vv^elches durch den Hahn G geöffnet und geschlossen werden
kann. Von diesem Ventil führt ein Schlauch nach einem Gummiballon und von
demselben zu dem Mundstück. Das Mundstück stellt eine kleine Metallmaske
dar, welche mittels pneumatischem Gummischlauch luftdicht auf dem Gesicht
des Kranken aufliegt und ein Exspirationsventil A besitzt. Durch einen Hahn H
wird das Gas der Maske zugeführt, und man kann durch diesen Hahn den
Gasstrom verringern und unterbrechen. An den Hahn H kann man an Stelle
der Maske auch ein gebogenes oder gerades Rohr ansetzen, welches man bei
s\ ^
Fig. 169.
Apparat von Swiecicki für die Stickstoff oxydul-
Sauerstoffnarkose.
Operationen in Mund und Rachen verwendet und direkt in den Mund führen
kann. Aus der Figur 169 ist das Nähere zu ersehen. Die Verwendung des
Apparates ist derart, daß man dem Kranken die Maske fest auf das Gesicht
aufsetzt und denselben erst einige Atemzüge atmen läßt. Dann öffnet man die
Hähne G und H, und läßt dem Kranken das Gasgemisch in der jeweilig nötigen
Menge zuströmen. Der Apparat ist wenig umfangreich und leicht verwend-
bar. Er eignet sich aber nur für kurze Narkosen, da die Dosierung un-
genau ist. Jedenfalls liefert der Apparat für kurze Operationen eine recht
brauchbare Narkose.
In neuerer Zeit ist die Narkose mit dem Sauerstoff-Stickstoffoxydul-
gemisch vielfach, namentlich in England, verwendet worden und H e w i 1 1 hat
einen Apparat konstruiert, welcher ganz vorzügliche Narkosen liefert.
— 568
Dieser Apparat ist in Figur 170 abgebildet und besteht aus drei Stahl-
zylindern, in denen das Gas enthalten ist, und zwar enthalten zwei Stickstoff-
oxydul und einer Sauerstoff. Aus diesen drei Zylindern wird das Gas durch
Hähne in zwei Schläuchen nach zwei Guinmiballons geführt, von denen der eine
für Sauerstoff, der andere für das Stickstoffoxydul bestimmt ist uud aus diesen
Gummiballons führen zwei Rohre nach einem Saniraelventil, in welchem die
Gase in einer Kammer nach bestimmten Verhältnissen gemischt werden. Außen
auf dem Ventil ist eine Skala und Zeiger angebracht, mittels welchem man die
Mischung der Gase ändern kann, je nachdem man den Zeiger auf diese oder
jene Zahl stellt. Man kann dadurch in jedem Moment je nach Bedarf die Zu-
sammensetzung- des Gasgemisches ändern. Von diesem Ventil führt ein Rohr
das Gasgemisch in die Maske, welche dem Gesicht des Kranken luftdicht auf-
sitzt imd ein Exspirationsveutil besitzt.
Man kann bei der Verwendung dieses Ap-
parates den Kranken sowohl sitzend, wie
liegend narkotisieren. Nachdem man das
Mundstück luftdicht auf das Gesicht des
Kranken aufgepaßt und gelegt hat, wird
zunächst mit dem Fuße der Hahn des am
Boden liegenden dreifachen Zylinders ge-
öffnet, durch welchen derSauerstoffzylinder
mit dem Apparat verbunden ist; nachdem
dies geschehen, öffnet man den Hahn des
Stickstoffoxydulzylinders. Der Kranke muß
jetzt ruhig atmen. Nun verstellt man den
Zeiger am Apparat. Wenn derselbe auf
der Mai'ke „Air" steht, so erhält der Kranke
atmosphärische Luft, nun stellt man den
Zeiger auf Marke 2. wobei der Kranke ein
Gemisch von 2 Teilen Sauerstoff auf 100
Teile Stickstoffoxydul erhält. Nun wird,
nachdem der Kranke drei bis vier Inspira-
tionen ausgeführt hat, der Zeiger auf Mar-
ke 3, dann nach weiteren drei bis vier In-
spirationen auf Marke 4- gestellt, wobei man
beachten muß, daß beide Ballons gleich
stark gespannt sind. Die weitere Be-
dienung des Apparates muß nach den Ver-
kältnissen geschehen; man wird entweder
den Sauerstoff einschränken, oder vermeh-
ren müssen. Gibt man zuviel Sauerstoff,
so tritt leicht Exzitation, gibt man zuwenig,
tritt Cj^anose ein. Zwischen diesen beiden
Extremen muß man die Narkose leiten.
Die Tolei'anz tritt meist nach zwei bis drei
Minuten auf.
Fig. 170. Apparat von H e w i 1 1
für die Stickstoffoxydul -Sauerstoff-
narkose.
In Deutschland hat die Firma Gesell in Berlin einige brauchbare
Apparate konstruiert, welche noch kurz erwähnt werden sollen. Der Apparat
dieser Fabrik ist in Figur 171 abgebildet, aber wegen seines voluminösen
Baues wenig vorteilhaft. Er besteht aus zwei Zylindern, welche zu beiden Seiten
des Tisches angebracht sind. Aus diesen Zylindern, von denen der eine Sauer-
stoff, der andere Stickstoffoxydul enthält, tührt je ein Schlauch nach einem
blasebalgähnlichen Gummiballon, von denen der für das Stickstoffoxydulgas
bestimmte größere Ballon 48 1, der andere kleinere für den Sauerstoff bestimmte
30 1 faßt. Dieser Apparat besitzt außerdem die sogenannte prozentuale Misch-
vorrichtung, welche folgendermaßen konstruiert ist. Sie ist in der Figur 172
abgebildet, und man kann aus deren Abbildung leicht die Konstruktion ersehen.
Von jedem Ballon führt ein Gummischlauch nach der Mischvorrichtung, welche
quasi als Ventil dient und das Gas nach der Maske leitet. Die Mischvor-
— 569 —
richtune^ zeigt auf einer rmuleu Scheibe mit Skala einen Zeiger. Je nachdem,
wie man den Zeiger stellt, erhält der Kranke eine verschieden zusammengesetzte
Gasmischuug. Auf der einen Seite der Skala steht Stickstoffoxydul, und es
beginnt die Skala mit 0 und geht weiter bis zum Ende von 100. Dort ist
Fig. 171. Apparat von Gesell für die Stickstoffosydul-Sauerstoffnarkose.
Sauerstoff angegeben. Wenn man den Zeiger also auf 50 stellt, so hat man ein
Gemisch aus 50 Teilen Sauerstoff und 50 Teilen Stickstoffoxydul, stellt man ihn
auf 30, so hat man 70 Teile Sauerstoff und 30 Teile Stickstoff. Der Kranke
kann also je nach Bedarf eine Mischung von beliebiger Zusammensetzung erhalten,
oder reinen Sauerstoff oder reinen Stickstoff. An die Mischvorrichtung ist eine
Fig. 172. Die prozentuale Mischvorrichtung.
kleine Metallmaske angefügt, welche ein Exspirationsventil besitzt, und welche
fest und luftdicht auf dem Gesicht aufsitzt. Wenn man den Kranken narko-
tisiert, so öffnet man, nachdem die Maske aufgesetzt ist, die Zylinder und läßt
die Gase in ihre Gasometer strömen. Dann stellt man den Weiser zunächst
so, daß der Kranke nur wenig Sauerstoff, ca. 10 — 15 7o, erhält und mehr Stick-
570
Stoffoxydul und ändert die Zusammensetzung der Gase je nach dem Bedarf
und dem Verhalten des Kranken.
Ein anderer Apparat von Ge-
sell ist noch konstruiert worden für
diese Narkose und in Figur 173 ah-
gebildet. Derselbe besteht aus einem
großen Gasometer, welcher die Mi-
schung enthält und der in dem Zimmer
stehen muß, wo man narkotisieren
will. Dieser Apparat ist für die Nar-
kose gebraucht worden, aber nur noch
als historischer Apparat zu betrach-
ten, denn er kann nicht leicht von Ort
zu Ort transportiert werden und ist
deshalb nur für Zahnärzte brauchbar,
welche nur Narkosen in ihrem Hause
ausführen. Dazu ist er viel verwendet
worden und hat gute Dienste getan.
Für den Arzt ist er aber nicht brauch-
bar. Dieser Apparat hat mit dem
von K a p p e 1 viel Ähnlichkeit. Die
Konstruktion ersieht man aus der
Figur.
Dieser Apparat ist so umständ-
lich gebaut, so schwer transportabel
und auch sehr voluuainös, daß man
ihn für die Praxis nicht verwenden
kann. Ein anderer Apparat ist von
E. Kappel konstruiert worden.
Derselbe ist aber nur für sehr großen
Verbrauch zu verwenden, und auch
nur für größere Institute geeignet,
denn der Apparat ist feststehend und
kann nicht transportiert werden. Er
kann nur auf EoUen im Zimmer hin
und her geschoben werden, doch ist
derselbe für die Praxis völlig un-
geeignet. Derselbe braucht hier nicht
weiter beschrieben zu werden, da er
vor den anderen keine Vorzüge vor-
aus hat.
Am brauchbarsten für die Narkose ist der Apparat von H e w i 1 1 und
der von S w i e c i c k i , mit denen man sehr gute Narkosen erzeugen kann, und
die leicht transportabel und verwendbar sind.
Fig. 173. Narkoseapparat von Gesell
für die Stickstoff oxydul-Sauerstoffnarkose.
— 571 —
XIII. Kapitel.
Die kombinierte Narkose.
§ 62. Nachdem in den vorhergehenden Kapiteln die Narkosen mit den
Narkotiknmgemischen und Gasgemischen erörtert worden sind, bleibt nunmehr
noch übrig, eine andere Art der Narkose zu erwähnen, welche man die
kombinierte Narkose im Gegensatz zur Mischnarkose nennt. Während man
bei der Mischnarkose die Narkotika in irgendeiner Art, sei es als Flüssigkeit
oder als Dampf, gemischt verabreicht, wird bei der kombinierten Narkose ein
Narkotikum nicht zugleich mit dem anderen oder gar gemischt verabreicht,
sondern man verabreicht eines nach dem anderen. Es kommt hierbei lediglich
auf die Art der Verabreichung an, denn die Wirkung auf den Organismus
geschieht meist auch zu gleicher Zeit. Es wäre diese Narkose, wenn man hin-
sichtlich der wirkenden Narkotika sie beurteilt, auch eine Mischnarkose, denn
der Organismus steht oft hierbei auch unter der Wirkung mehrerer Narkotika
zu gleicher Zeit, nur daß man dieselben nicht zusammen gibt, sondern erst das
eine und nach demselben das andere je nach den Verhältnissen innerhalb einer
längeren oder kürzeren Zeit verabreicht. Man hat eine große Anzahl verschiedener
Arten der kombinierten Narkosen, welche man einzeln betrachten muß, da sie
zu große Verschiedenheiten voreinander besitzen, um allgemeine Beurteilung
zuzulassen. Es soll daher sogleich mit der speziellen Behandlung der einzelnen
Methoden begonnen werden.
§ 63. Die erste Methode, welche hier erörtert werden soll, ist die
kombinierte Chloroformäthernarkose. Diese Methode ist zuerst von
Bourguignon eingeführt und angegeben worden. Die Methode besteht
darin, daß man den Kranken zunächst mit Chloroform bis zur Toleranz
narkotisiert und die weitere Narkose mit Aether sulfur. unterhält. Es liegt
ganz entschieden etwas sehr Gutes in der Kombination dieser Methoden, denn
man kann dem Kranken durch das andere Narkotikum nützen, indem man die
Gefahren der einen Methode vermindert. Allerdings darf man hierbei nicht so
strikte verfahren, wie es angegeben wird, daß man nur bis zur Toleranz
chloroformiert, sondern man soll nur dann Chloroform geben, wenn es nötig
wird. Dann wird aber eine andere Methode daraus, als sie unter dieser Be-
zeichnung bekannt ist. Man hat dieser Methode von Bourguignon nicht
viel Sympathie entgegengebracht, obgleich die Kombination eigentlich eine recht
vorteilhafte Methode darstellt. Julliard hat ein sehr drastisches Urteil über
dieselbe gefällt, indem er sie mit „Methode combinee des dangers du chloro-
forme aux inconvenients de l'Ether" bezeichnete. Ehe ich etwas näher auf
die Kombination von Chloroform und Äther eingehe, will ich zugleich noch
eine andere Methode erwähnen, welche man die Ätherchloroformnarkose
genannt hat, und welche zuerst in Amerika aufgetaucht ist, von W y c h an-
gegeben und verschiedentlich verwendet. Diese Methode besteht darin, daß
man dem Kranken von Anfang an Aether sulfur. verabreicht, und nur zur Er-
reichung einer tieferen Narkose oder schnelleren Eintrittes der Toleranz
Chloroform nebenbei gibt. Diese Methode hat C h a p u t in Paris sehr viel
verwendet, und damit sehr gute Resultate erzielt, indem er dabei die
Reflexsynkope des Chloroforms vermeidet und die Ätherwirkung auf die
- 572 —
Luugen durch Beifügen von Chloroform vermindert. Diese letztere Methode
ist in neuerer Zeit wieder aufgetaucht, indem W i t z e 1 bei seiner modernen
Äthernarkose die Wirkung durch kleine Gaben von Chloroform verstärkt. Es
ist absolut ein großer Fehler, wenn man diese Kombination, wie es in den
modernen Lehrbüchern der Narkosen meist geschieht, nur oberflächlich erwähnt,
ohne näher auf die Wirkungen dieser vorzüglichen Narkosen einzugehen. Wenn
man die moderne Narkose von Braun bedenkt, welche die Gase von Äther
und Chloroform gemischt verabreicht und je nach Bedarf erst Chloroform
oder Äther etc. gibt, so hat man darin nur eine Vervollkommnung dieser ein-
fachen Methoden. Man kann das. was Braun in seinem Apparat erreicht,
auch mittels der Tropfmethode erreichen, indem man die Tropfen bald von
dem einen, bald von dem anderen Narkotikum gibt. Es lassen sich aber bei
dieser Verwendung nicht zwei Methoden genau auseinandei' halten, wie
Chloroformäther- oder Ätherchloroformnarkose. Es müssen sich vielmehr diese
beiden Methoden unter eine vereinen lassen. Der praktische Arzt wird nie
über die Tropfmethode hinauskommen, denn die Vorteile dieser Methode sind
so große, daß man dieselbe nicht einfach in den Hintergrund stellen und durch
komplizierte Apparate ersetzen kann. Es ist nicht möglich, daß der Arzt auf
dem Lande große komplizierte Apparate für die Narkose mit über Land transportiert,
er wird iür alle Fälle eine kleine Esmarchsche Maske in seinem Koffer haben
und eine Flasche mit Chloroform sowie eine mit Äther, aber er wird nicht Raum
für die komplizierten Narkosenapparate haben, und selbst wenn er solche ver-
wendet, so kann er sie nicht immer bei sich haben, denn es geschieht oft, daß
der Arzt auf einer Tour, wenn er durch einen Ort fährt, angerufen wird und
operieren muß. Für solche Fälle hat jeder vielbeschäftigte Landarzt seinen
großen Koffer auf dem Wagen, in welchem alles zur Hand ist, was er brauchen
kann. Daß darin nicht ein großer Narkosenapparat Platz haben kann, läßt sich
denken.
Wenn man nun aber bedenkt, wie oft doch für den oder jenen Kranken
die Chloroformnarkose nicht geeignet ist, sondern Ätheruarkose und umgekehrt,
auch wie man oft den Äther durch Chloroform verstärken will etc., so gelangt
man zu der Überzeugung, daß die kombinierte Ätherchloroformnarkose für die
Praxis die brauchbarste und beste ist. WeEn ich hier weiter von dieser
Methode spreche, so handelt es sich um die Methode, in welcher der Äther die
Grundlage bildet, während man Chloroform nur zur Hilfe gibt, während nur in
seltenen Fällen bei Patienten, welche gegen Äther Kontraindikationen abgeben,
das Chloroform die Grundlage bildet mid der Äther nur nebenbei als anregendes
Mittel zum Stärken der Herztätigkeit gegeben wii'd. Wenn man der Chloroform-
narkose nämlich einige Tropfen Äther beigibt, so gewahrt man sofort eine be-
deutende Besserung des Pulses, derselbe wird sofort kräftiger. Es ist daher
sehr vorteilhaft, bei langen Chloroformnarkosen, in denen eine sehr starke
Depression des Blutdruckes entsteht als Folge der Chloroformwirkung, ab und
zu die Narkose während einiger Minuten mit Äther zu leiten, oder, falls man
die Ätherwirkung auf die Lungen fürchtet, nur wenige Tropfen Äther ab und
zu an Stelle des Chloroforms zu verabreichen. Es ist kein Zweifel, daß durch
diese Kombination der beiden Narkotika die üblen Wirkungen des einen durch
die guten Einflüsse des anderen bis zu einem gewissen Grade paralysiert
werden können. Natürlich darf man dies nicht überschätzen und muß auch die
— 571} —
Avichtigen Grenzen innehalten, denn bei ungeeigneter Kombination kann man
leicht mehr Schaden als Nutzen stiften. Immer muß man beachten, daß man
nie beide Narkotika zu gleichen Mengen geben soll, sondern das eine soll als
Grundlage dienen und das andere darf nur in geringen Mengen zur Verstärkung
gegeben werden. Nie darf man soviel des anderen geben, daß die Wirkungen
summiert werden, denn dann summieren sich vor allem die üblen Einwirkungen
auf die inneren Organe.
Was nun die Verhältnisse der Einwirkungen dieser kombinierten Narkosen
anlangt, so hat man folgendes gefunden. Narkosen, in denen Chloroform vor-
herrscht und Äther nur in unwesentlichen Mengen beigegeben ist, wirken auf
den Organismus wie reine Chloroformwirkungen, nur mit dem Unterschied, daß
der Blutdruck und die Herzkraft nicht so sehr geschädigt werden, wie bei der
einfachen Chloroformnarkose, während Narkosen, in denen hauptsächlich Aether
sulfur. gegeben und Chloroform nur in minimalen Mengen beigefügt wird,
wie reine Athernarkosen wii'ken mit dem unterschied, daß man weniger
Äther zur Narkose braucht und die Toleranz leichter eintritt. Gibt man dabei
von beiden Narkotika größere Mengen, so summieren sich die üblen Ein-
wirkungen beider Narkotika und der Kranke ist größeren Gefahren ausgesetzt,
als bei der einfachen Narkose, während besondere Vorteile von der Narkose
nicht zu sehen sind. Die pathologischen Einwirkungen auf die inneren paren-
chymatösen Organe sind bei diesen Narkosen sehr leicht auf ein Minimum zu
beschränken, während man sie auch leicht bedeutend steigern kann. Mau muß
als feststehende Regel bei der kombinierten Narkose betrachten, daß man nie
beide Körper in für die Narkose wirksamen Mengen geben darf, sondern es
darf das eine nur als Narkotikum ausschließlich verwendet werden, während
das andere einzig als Korrigens des ersteren verwendet werden darf. In diesen
Fällen wird die narkotische Kraft gesteigert, und man spart dabei Narkotikum-
mengen, während man dadurch die pathologischen Einwirkungen mit verringert,
und es werden ruhigere, gleichmäßigere Narkosen von geringeren Beschwerden
und Nachwirkungen itnd schnellem Erwachen erzielt.
Es sind von mir eingehende Untersuchungen über diese Narkosen an-
gestellt worden, und ich habe gefunden, daß die Narkosen, bei denen man
sowohl Äther wie Chloroform in großen Dosen halb und halb etc. verwendet,
in den inneren Organen des narkotisierten Tieres schwerere Veränderungen
erzeugten, als man sie nach den einfachen Narkosen fand. Es fand sich nach
solchen Narkosen sowohl eine ausgedehnte Fettmetamorphose in den inneren
parenchymatösen Organen, als auch ausgedehnte pneumonische Infiltrationen in
den Lungen. Also wäre die Summe der schädlichen Wirkungen vorhanden,
und dies ist entschieden ein schwerer Nachteil, denn diese Gefahr, in welche
man da den Kranken versetzt, steht nicht im Verhältnis zu dem Nutzen,
welchen die Mischung für den Verlauf der Narkose bringt. Anders aber sind
die Einwirkungen jeuer Narkosen, wo das zweite Mittel nur in minimalen
Mengen verabreicht wird. Bei diesen Narkosen fand sich in den Tieren nach
dem Verwenden der Ghlorofomäthernarkose wohl auch die Fettmetamorphose
angedeutet, doch nicht so hochgradig, wie nach gleichen einfachen Chloroform-
narkosen, während in den Lungen keine Pneumonien zu entdecken waren. Es
kommt diese Verminderung geringen Grades der Fettmetamorphose dadurch zu
Stande, daß man zu diesen Narkosen bedeutend weniger Chloroform verwendet
— 574 —
und dasselbe zeitweise durch Äther ersetzt. Hiugegen ist der Äther nicht in
dem Maße verwendet worden, daß er schädliche Wirkungen ausüben kann. Der
Vorteil dieser Narkose liegt neben der Verminderung des Chloroforms
auch noch in der Steigerung der Herzkraft und somit auch des ganzen
Wohlbefindens nach der Narkose. Die Narkose mit hauptsächlich Äther und
wenig Chloroform rief in den inneren Organen die Veränderungen der einfachen
Äthernarkose in weit geringerem Grade hervor. Man fand nach solchen
Narkosen in den Lungen viel weniger Schleimmassen, viel weniger und kleinere
pneumonische Infiltrationen nach vier Narkosen als nach vier einfachen Äther-
narkosen. Auch in den anderen Organen war die Fettmetamorphose nicht stäker als
nach der einfachen Äthernarkose. Weiter brauchte ich zu den Narkosen bedeutend
weniger Äther, und dieselben verliefen ohne jede Exzitation und Erbrechen, die
Toleranz trat bald ein, nach der Narkose war nur wenig Übelsein, Erbrechen etc.
vorhanden. Ich habe diese letztere Art der Narkose sehr oft ausgeführt und bin
damit sehr zufrieden gewesen. Man kann diese Narkosen durch geschickte Ver-
wendung der einzelnen Narkotika zu den denkbar besten Betäubungen und
wenigst gefahrvollen Narkosen machen. Der Hauptvorteil bei denselben liegt
in der Ersparnis an Narkotikum.
Was nun die Verwendung dieser Narkosen anlangt, so muß man
natürlich bei der Auswahl der Methoden streng individualisieren, und es kommen
hier alle die Indikationen und Kontraindikationen in Betracht, welche früher
für die einfache Äther- und einfache Chloroformnarkose erörtert worden sind.
Somit wird man also aus der Beschaffenheit des Kranken bestimmen können,
welches Nai-kotikum man als Grundlage der Betäubung wählt. Die meisten
Fälle werden mit der Ätherchloroformuarkose betäubt werden können, nur bei
Lungenleidenden wird man die Chloroformäthernarkose verwenden. Die
Einzelheiten sind früher bei der Besprechung der einfachen Narkosen behandelt
worden.
Was nun die Technik dieser Narkosen anlangt, so muß zunächst erwähnt
werden, daß alle Bestimmungen, die für die einfachen Narkosen getroffen
worden sind, hier ebenfalls beachtet werden müssen. Die Verabreichung der
Narkotika geschieht am besten durch die Tropfmethode. Man verwendet eine
kleine mit Trikotstoff überzogene Esmarchsche Maske. Die Maske wird
auf das Gesicht des Kranken gelegt und nun bei der Chloroformäther-
narkose zunächst Chloroform in Tropfen auf die Maske getropft. Dies wird so
lange fortgesetzt, bis der Kranke einige Minuten inspiriert hat, dann gibt
man schon inzwischen einmal während einer Minute Äthertropfen an Stelle
des Chloroforms, bis der Kranke zur Toleranz gelangt ist. Wenn er tief
betäubt ist, wird die Narkose zunächst mit einigen Tropfen Äther unterhalten
und nach zwei Minuten wieder etwas Chloroform gegeben u. s. f. Wenn man
bemerkt, daß der Puls schwach wird, so muß man einige Tropfen Äther ver-
abreichen. Während dieser Narkosen muß der Kranke peinlich beobachtet
werden, denn jede Veränderung muß Beachtung finden. Der Narkotiseur kann
hier sehr viel an Narkotikum sparen, denn mit einiger Übung kann man mit
wenigen Tropfen Chloroform oder Äther die Narkose lange Zeit erhalten. Die
Ätherchloroformnarkose wird zunächst mit Äther begonnen, und zwar verwendet
man ebenfalls eine Esmarchsche Maske und tropft auf dieselbe zunächst
Äther und, nachdem der Kranke zu atmen gelernt hat, fügt man dem Äther einige
I
OtiJ —
Tropfen Chloroform bei. Namentlich dann, wenn der Kranke in das Stadium II
verfällt, muß man für einige Minuten Chloroform auftropfen lassen, dann wird
die Exzitation vollkommen vermieden und der Kranke wird leicht und schnell
zur Toleranz gebracht. Wenn letztere eingetreten ist, gibt man nur noch
Äther in Tropfen und erst dann wieder, wenn der Kranke zu erwachen droht,
läßt man 5 — 6 Tropfen Chloroform auf die Maske fallen. Man kann bei solchen
Tropfnarkosen durch wenige Tropfen Chloroform die Toleranz sofort erreichen.
Gerade die Kombination beider Narkotika bewirkt den raschen Eintritt der
tiefen Narkose. In dem weiteren Verlaufe der Narkose wird nur ab und zu
einmal ein wenig Chloroform, zwei bis drei Tropfen, beigegeben.
Diese Methoden sind für jeden Arzt verwendbar und liefern bei einiger
Übung, Geschick und guter Beobachtung sehr gute Narkosen. Diese Methoden
sind vor allem die Methoden der Praxis. Sie können, wie weiter unten noch
erklärt werden wird, noch mit Morphin kombiniert werden, wodurch man noch
mehr an Narkotikum sparen kann. Jede Ersparnis an Narkotikummenge ist
für den Kranken eine Ersparnis an schädlichen Wirkungen und ein Schutz vor
Gefahren. Man hat diese Narkosen in vielen Fällen erprobt und sehr gute
Resultate damit erzielt (W itzel, Hewitt, Fuchs etc.). B e r n d t hat
120 solcher Narkosen ohne jede Nachteile und üble Wirkungen ausgeführt, er
verwendete meist nur 3 g Chloroform neben dem Äther und hat nie Lungen-
leiden nach den Narkosen gesehen, sondern oft Lungenkranke ohne Schaden
betäubt. Köllicker hat mit der Ätherchloroformnarkose sehr gute Erfolge
erzielt, Adams hat 300 Fälle mit Chloroformäthernarkosen ohne Unfall, Neben-
wirkungen und Exzitation etc. ausgeführt. Eine genauere Statistik läßt sich
bis jetzt noch nicht feststellen. Immerhin kann man behaupten, daß eine solche
Narkose, wenn sie recht vorsichtig und exakt geleitet wird, die denkbar beste
und ungefährlichste ist, aber nur, wenn das zweite Narkotikum in kleinsten
Dosen, nur zur Unterstützung, verwendet wird und nur in der Tropfmethode bei
strengster Beobachtung des Kranken und Beachtung aller Vorschriften.
§ 64. Eine der wichtigsten Kombinationen ist die Verbindung der Mor-
phinwirkung mit Chloroform, welche zu der sogenannten Morphium Chloroform-
narkose geführt hat, eine Methode, welche selbst noch häuflger fast angewendet
wü"d, als die einfache Chloroformnarkose.
Der Gedanke, die Chloroformnarkose durch Verbindung mit anderen be-
ruhigenden, narkotisch wirkenden Mitteln zu vertiefen und zu erleichtern, ist
schon ein sehr alter in der Narkosiologie, und man kann zurückgreifen auf die
ersten Versuche der Verwendung der ISfarkotika, denn schon P i t h a 1871 hat
das Chloroform mit anderen narkotischen Mitteln verbunden verabreicht. Er
hatte einen Kranken wegen einer Herniotomie zu narkotisieren, und zwar gelang
es ihm nicht, denselben mit Aether und Chloroform zu betäuben, und nachdem
er zwei Stunden lang, zuletzt mit Chloroform allein, die Narkose vergeblich ver-
sucht hatte, ließ er dem Kranken perRecti;m 20 g Extractum Belladonuae ver-
abreichen, worauf sehr bald tiefe Narkose eintrat, welche zwölf Stunden auhielt.
Als der Kranke nach zwölf Stunden erwachte, fühlte er sich zwar ganz wohl, doch
hatte er zunächst das Augenlicht verloren, doch kehrte nach wenigen Stunden
das Sehvermögen wieder. Das Befinden des Kranken war sonst nach dem Er-
wachen aus der Betäubung ein recht gutes. Der erste, welcher das Morphin
zur Narkose zu verwenden riet, war Claude Bernard, welcher sich schon
im Jahre 1869 damit beschäftigte, Chloroform und Morphin zur Narkose zu
verwenden. Erst im Jahre 1873 aber kam v. Nußbaum zu einer ähnlichen
Verwendung. Während aber Claude Bernard versuchte, durch Morphin,
— 576 —
vor der Narkose gegeben, die Menge der zur Narkose notwendigen Chloroform-
dosis verringern zu können, machte v. N u ß h a i; m bei einem Krauken die
Morphininjektion zuerst nach der Narkose, um dem Krauken die Schmerzen
zu nehmen. So verwendete v. Nußbaum bei vielen Kranken das Morphin
erst nach der Narkose, oder er injizierte dasselbe während des Exzitations-
stadiums und während der Toleranz, indem er dadurch erreichte, die Narkose
länger auszudehnen, als gewöhnlich, denn er konnte die Narkose zwei bis zwölf
Stunden lang unterhalten, wenn er während der Toleranz 0,03 — 0,06 Morphini
acetici injizierte. Die Kranken verfielen nach der Narkose in tiefen Schlaf,
aus welchem man sie während mehrerer Stunden auf keine Weise und durch
kein Mittel erwecken konnte, während sie endlich spontan erwachten, ohne
Uebelkeit und Erbrechen zu zeigen. Diese Methode wurde sehr bald von R a b o t
in Frankreich weiter ausgebaut und verwendet.
Schon vor Claude B e r n a v d hat U t e r h a r t durch Zufall die
günstige Wirkung der Morphin-Chloroformnarkose gesehen. Er wollte nämlich
bei einem Potator eine Schulterluxation einrichten und hatte dem Kranken eine
große Dosis Morphin verabreicht, doch gelang es ihm nicht, und er mußte nach
ca. Vi Stunde noch chloroformieren, wobei er merkte, daß die Narkose äußerst
rasch und leicht eintrat, und er bedeutend weniger Chloroform als bei gewöhn-
lichen Narkosen brauchte. Daraufhin machte er weitere Versuche und fand
schließlich, daß eine zehn Minuten vor dem Beginn der Chloroformnarkose
ausgeführte Morphininjektion die Narkose bedeutend erleichtere, und gab den
Rat, daß man diese Methode verwenden solle.
C 1 a u d e B e r u a r d , welcher weitgehende physiologische Versuche noch
mit dieser Methode angestellt hatte, fand, daß die Morphininjektion insofern
wirkt, als das Morphin die Nerven in einer Weise abstumpft, daß die Nerven
schon durch Blut, das eine für die Aufhebung der Sensibilität normaler, gesunder
Nerven lange nicht genügende Bienge Chloroform gelöst enthält, vollkommen
anästhetisch gemacht werden. Chloroform und Morphin wirken in gleichem
Sinne und ergänzen sich hinsichtlich der narkotischen Wij'kung, obwohl Mor-
phium nicht ein Narkotikum wie Chloroform ist und nur das mit dem Chloro-
form gemein hat, daß es auf das gleiche organische Element, den Nerven,
wirkt und seine physiologischen Eigenschaften zu zerstören bemüht ist. Dies
ist die Ansicht der Wirkung des Morphium von Claude B e r n a r d.
M 0 1 1 0 w erklärt die Vorzüge der Morphium-Chloi'oformnarkose, indem
er annimmt, daß das Morphin die Ii-ritabilität der Respiratiousschleimhaut be-
deutend vermindert und so die Reflexe auf die Respirationsorgane und das Herz
durch das Chloroform verhindert. Es wirkt daher die Morphininjektion genau
wie die Durchschneiduug der Nervi vagi. Ferner erhöht das in kleinen Dosen
verabreichte Morphin den Blutdruck infolge Reizung der exzitomotorischen Herz-
ganglieu und Kontraktion der peripheren Gefäße, während das später wirkende
Chloroform uur diesen Ueberdruck zu beseitigen vermag, ohne den Blutdruck
selbst unter die Nomialblutdruckhöhe herabdrücken zu können. Er bemerkte
bei der Chloroformnarkose ohne Morphin eine rasche Erschlaffung des vaso-
motorischen Zentrums bei der reflektorischen Reizung vom Nervus ischiadicus
aus, während bei der Morphininjektion vor der Narkose das Zentrum seine
Irritabilität noch lange ungestört besaß. Weiter wird die zur Narkose nötige
Menge des Chloroforms bedeutend herabgesetzt, so daß dieselbe, welch eine
Menge Chloroform auch immer verabreicht werde, nicht genügt, die gefürchtete
Herzsynkope, Lähmung der Zirkulations- und Respirationszentren hervorzurufen ;
eine Behauptung, die allerdings zu optimistisch ist!
Es ist kein Zweifel, daß die Kombination der Chloroformnarkose mit
vorhergehender Morphininjektion voi' allen Dingen eine ruhigere Narkose her-
beiführt, die Toleranz schneller eintreten läßt, die Chloroformmenge vermindert
und somit gewissermaßen die Gefahr, und die Narkose länger dauernd und
ruhiger macht. (Labbe.Goujon, Guibert, Demarquay, Kappeier.
V. Nußbaum etc.)
— 5/V —
Die Wirkung- des Jllorphins ist derart, daß dasselbe eiueu lähiiiendeu Eiii-
rtnÜ auf das Zei-eljruiu und die Medulla oblong-ata ausübt, so daß die Nerven-
zeutren schon gewissermaßen etwas depriniiei't sind und bei den ersten Einflüssen
des Chloi'oforms niclit die stai'ke, namentlich bei Alkoholikern oft hochgradige
Exzitation auslösen, so daß der Kranke meist ohne jede Erregung betäubt
wird. Neben diesem Vorteil wird auch die Gefahr der Reflexsynkope im Anfang
der ('hloroformuarkose infolge Trigeminus-vagus-Reizung von der Xasenrachen-
schleimhaut aus durch die Morphinwirkung verringert, während sie aber nie ganz
verhütet werden kann, ja sogar auch bei diesen Narkosen beobachtet worden ist.
Weiter wird auch durch das Morphin die Empfindlichkeit der Schleimhäute in
den Bronchien herabgesetzt, was einerseits eben die Synkope vermindert und auch
die Hypersekretion bedeutend verringert.
Ein weiterer Vorzug der Morphinwirkung liegt darin, daß sehr leicht nur
eine Analgesie erzielt werden kann, während noch das Bewußtsein vorhanden ist
(G u i b e r t). Während bei der einfachen Chloroformnarkose die Intelligenz, die
Sensibilität und das Perzeptionsvermögen auf einmal gelähmt werden, kann man
bei der Morphinchloroformnarkose, wenn man das Chloroform in recht kleinen
Dosen verabreicht, eine Disassoziation erreichen, so daß nämlich die Sensibilität
völlig erloschen, das Bewußtsein aber noch zum größten Teil erhalten ist. Man
kann daher einen Kranken z. B. bei Hals Operationen so weit betäuben, daß er
zu schlafen scheint und nichts fühlt, doch wenn man ihn anruft und auffordert,
a,uszuspucken, dies tut, wobei auch der Reflex im Kehlkopf noch vorhanden ist,
so daß der Kranke schluckt oder ausspuckt, aber die Blut- oder Scheimmassen
nicht aspiriert. Bei derart betäubten Personen ist noch ein Teil Tast-, Geruch-
und Gehörvermögen vorhanden, während die allgemeine Sensibilität erloschen,
das Bewußtsein noch vorhanden, aber etwas benommen ist, so daß der Patient
angerufen werden muß, wenn er etwas tun soll, sonst schläft ei' oder ist
berauscht. Man kann diesen Zustand leicht erreichen, doch darf man nicht
zuviel Chloroform geben, sonst wird der Kranke leicht ganz narkotisiert.
Während schon G u i b e r t diese Methode empfiehlt, hat sie K a p p e 1 e r nicht
gekannt. Ersterer empfiehlt diese Halbnarkose vor allem für die Geburtshilfe,
während ei' sie für Operationen weniger geeignet hält. In neuerer Zeit hat
Riedel dieselbe im „Chloroformrausch" wieder empfohlen. Man hat aber zu
dieser kurzen Narkose besser den Äther verwendet, da Chloroform zuviel
Gefahren mit sich bringen kann.
Die protrahierte Morphin-Chloroformnarkose hat im allgemeinen einen
ruhigeren Charakter (K a p p e 1 e r), man braucht weniger Chloroform, es fehlen
Respirationsstörungen fast ganz, sind aber sicher seltener als bei reinen Chloro-
formnarkosen. Nur tritt eine Abnahme der Pulsfrequenz auf, während Erbrechen
häufiger vorkommt als bei einfacher Narkose. (Dudley-Buxton Demar-
q u a y etc.) Auch die tiefe Morphin-Chloroformnarkose ist für Geburten und
geburtshilfliche schwere Operationen empfohlen und mit besten Resultaten in
solchen Fällen angewendet worden. (G u i b e r t , v. Nußbaum etc.)
E m b 1 e y hat interessante Versuche über Chloroform in seiner Wirkung
auf das Herz gemacht und fand folgendes: Wenn ein Herz durch Einatmung
von zwei oder mehr "/o Chloroformluft vorgiftet ist, so kann es in allen Fällen
sofort zum Stillstand gebracht werden, wenn man die Nervi vagi faradisiert,
vorausgesetzt, daß der Blutdruck auf 40 — 50 mmHg gesunken ist. Chloroform
erhöht die Reizbarkeit der Vagi besonders in den ersten Stadien der Narkose.
37
— 578 —
Diese erhöhte Reizbarkeit wird bedingt durch die Wirkung des Chloroforms
auf das Vaguszentrum. Die hemmende Wirkung ist um so bedeutender und
gefährlicher, je mehr die spontane Erregbarkeit des Herzens durch das Chlo-
roform vermindert ist. Bei morphinisierten Hunden setzt das Chloroform, wenn
der Gehalt der Inspirationsluft 1,5 7o nicht überschreitet, die Reizbarkeit des
Vagus langsam herab. Die Reizbarkeit des Vagus kann sich wieder heben
durch VermehiTiug der Chloroformzufuhr oder durch Asphyxie.
Schwär tz verwendet Morphin mir bei Alkoholikern, Hysterischen, so-
wie bei Schädel- und Gehirnoperationen vor der Narkose und hat so gute Re-
sultate, indem er auf 10000 Narkosen nur einen Todesfall erlebte.
Richelot, Tuffier und andere verwerfen die Kombination, denn sie
erlebten oft lange, dem Coma gleichende schlaf artigen Zustände nach Morphin-
injektionen vor der Narkose.
E V e 1 1 hat die Morphin-Chloroformnarkose in 500 Fällen mit sehr gutem
Erfolg verwendet, doch läßt er das Morphin V-a Stunde vor der Narkose verab-
reichen, und zwar 0,01. Ein Todesfall trat nie ein. Doch hat E v e 1 1 nur
Frauen so betäubt.
Soloweitschik hat bei der Morphin-Chloroformnarkose sehr gute
Resultate, nur trat auf lOOO Narkosen zehnmal Erbrechen auf.
Potherat meint, daß das Morphin die Gefahren in der Chloroformuarkose
vermehre und ungünstig wirke nach seinen Erfahrungen.
Man hat in der Chloroformnarkose das Erbrechen recht oft beobachtet
und zu dessen Verhüten verschiedene Hilfsmittel angegeben, welche wohl hier
und da helfen. Am vorteilhaftesten sind gegen lästiges anhaltendes Erbrechen
nach der Narkose Magenspülungen vorzunehmen.
Weber riet, eine mit Chloroformwasser versetzte Pepsin-Salzsäuremixtur
längere Zeit vor der Narkose dem Kranken zu verabreichen. Er gibt den Rat»
in Fällen, wo man warten kann, den Kranken wochenlang damit vorzubereiten. (!)
Für Patienten, denen der Geschmack des Chloroformwassers unangenehm ist,
soll man einen Zusatz von je vier Tropfen Pfefferminz- oder Anisessenz zu
200 g Aqua chlorofoi-m. verwenden.
L e w i n will die Reizung der Magennerven durch folgende Methoden ver-
hüten : erstens soll man die Magennerven durch eine Kokainlösung lähmen, indem
man dem Kranken 300 — 500 ccm einer Solution von 0,05 — 0,1 Kokain : 500
Aqua dest. verabreicht; zweitens soll man die Magenschleimhaut mit einem indiffe-
renten für das Chloroform undurchdringlichen Schutzmittel überziehen, welches
z. B. Mucilago gummi arabici 1,0 : 42 Aqua oder Tragacantha 1 — 2 : 100—200
Aqua oder Slucilago, Salep. Carrageen, Rad. Althae. etc. darstellen könnte.
Dies soll dem Kranken drei bis vier Stunden vor der Narkose verabreicht werden.
Hierbei bedenkt Lewin nicht, daß das Chloroform doch in den Magendrüsen
und der Schleimhaut selbst abgesondert wird, also doch mit den Magennerven
trotzdem in Berührung kommen muß. Tatsächlich ist das Kokain ein sehr gutes
Mittel und ich gebe dasselbe in Tropfen mit Morphin oder ohne dieses bei
heftigem Erbrechen nach der Magenspülung, denn es wird ja immer wieder
Chloroform abgesondert, weshalb diese Medikation günstig wirken kann. (Verf.)
Was die Gefahren der Narkosen mit Morphin anlangt, so kann man kaum
sagen, daß dieselben bedeutend geringer seien, als bei der einfachen Narkose.
Sklifossowski hat auf 28708 Narkosen 5 Todesfälle, also 1:5741 erzielt,
und die Angaben anderer Forscher sind ähnliche. K ü m m e 1 1 gibt an, daß.
mit Morphininjektionen kombinierte Chloroformnarkose die respiratorische Syn-
kope begünstige in den späteren Stadien der Narkose. Auch D a s t r e hat
diesen Nachteil konstatieren können. Es tritt nämlich bisweilen, nachdem das
Chloroform schon weggelassen ist, allmähliche Verlangsamung der Atembewe-
gungen und endlich ein plötzliches Sistieren derselben auf, wobei das Herz zu-
nächst noch weiter schlägt, dann aber auch plötzlich zu schlagen aufhört.
— 579 —
AUei'dmgs kann mau stets den Kranken noch vor dem Tode retten, wenn man noch
rechtzeitig- bei Beginn der Atemlähmung- künstliche Respiration etc. einleitet,
dann ist die regelmäßige Atmung uach wenigen Minuten wieder zu erreichen.
Es ist dies also ein Unfall, der sehr schwere Folgen haben kann, wenn er ein-
tritt, w'enn der Arzt nicht mehr bei dem Kranken, und das Personal nicht
instruiert ist. Man wird daher den Rat geben müssen, die Chloroformmorphin-
narkose nie auf dem Lande oder dort vorzunehmen, wo der Kranke den
ersten Tag nach der Narkose nicht unter ärztlicher stetiger Kontrolle sich be-
findet oder das Personal entsprechend geschult ist und der Arzt stets sofort erreicht
werden kann. Dieser Umstand ist sehr wichtig und er ist eine Veranlassung für
den Arzt jeden so narkotisierten Patienten noch nach der Betäubung längere Zeit
selbst zu beobachten. Diese Respirationssynkope kann leicht bekämpft werden und
tritt ja nicht nur bei der Morphinnarkose, sondern auch bei der einfachen
Chloroform- oder Äthernarkose auf, nur ist sie bei der Chloroformmorphinnar-
kose viel häufiger. Ein weiterer Nachteil dieser Narkose ist die starke Tem-
peraturverminderung (Poncet etc.), welche durch die Morphinwirkung bedingt
wird. Diese Nachteile wiegen den Vorteil der Verminderung der Sjmkope im
Initialstadium auf und auch die anderen Vorteile. Trotzdem hat die Narkose
in gewissen Fällen aber große Vorzüge (Potatoren, Hysterische, Nem-asthe-
niker etc.). Was die Einwirkung des Chloroforms auf die inneren Organe an-
langt, so ist ein wesentlicher Unterschied nicht zu bemerken. Es bestehen die-
selben Gefahren genau wie bei der Chloroformnarkose, und es ist auch dem
hier weiter nichts hinzuzufügen; alles, was sonst früher über das Chloroform
gesagt worden ist, das gilt auch für die Morphinnarkose. Eine günstigere
Wirkung ist nur insofern zu bemerken, als man durch die Morphininjektion
vor der Narkose eine bedeutende Ersparnis an Chloroform hervorruft und jede
Ersparnis an demselben ist ein Gewinn für den Kranken, denn auch die Ein-
wii'kung des Chloroforms auf die inneren Organe ist eine günstigere, wenn
weniger Chloroform in den Organismus gebracht wird. Es wird nun aller-
dings die üble Wirkung des Chloroforms dazuzurechnen sein, doch dieselbe
ist nicht so groß, daß sie den durch die Ersparnis bedingten Vorteil aufwöge.
Was nun die Verwendung des Morphins anlangt, so kann man natürlich
ebenso eine Morphininjektion der Sauerstoffchlorformnarkose voraufschicken,
dieselbe wird da eine ebenso gute Wirkung tun. Man soll aber auch diese
Methode nicht verallgemeinern. Nur in Fällen, wo es dem Arzt notwendig er-
scheinen wird, soll er Morphin vor der Narkose verwenden. Personen, welche
ebensoleicht ohne dasselbe betäubt werden können, sollen kein Morphin erhalten.
Es sind immer zwei Toxine, unter deren Wirkung der Organismus steht, und
wenn auch die Narkose mit Morphin Vorteile hat, so ist doch eine doppelte
Giftwirkung vorhanden, der man nicht einen Menschen ohne zwingenden Grund
aussetzen soll.
Was die Technik der Narkose anlangt, so ist nur die Art der Verab-
reichung des Morphins hier zu erörtern. Alles andere ist bei der Chloroform-
narkose erörtert u.nd soll dort nachgeschlagen werden. Die einen haben an-
gegeben, das Morphin ca. 10 — 15 Minuten vor der Narkose zu verabreichen, an-
dere hingegen haben wenigstens 30 Minuten bis eine Stunde Zeit für die Morphin-
wirkung gewünscht. Q u e n u machte die Injektion ^2 — Vi Stunde vor der
Narkose. Es ist richtig, daß das Morphin erst nach längerer Zeit wirklich und
37*
— 580 —
am stärksten beniMgend wirkt, und daß man dalier die Injektion nicht zu kurz
vorher ausführen soll. Es ist daher am besten, die Morphininjektion ca. dreißig
Minuten vor dem Beginn der Inhalationen auszuführen (E v e 1 1 etc.). Die
Morphinwirkung hält lange Zeit an und es ist daher der Kranke in der Zeit
von 30 Minuten bis eine Stunde nach der Injektion gerade unter der stärksten
Morphinwirkung. Man kann die Beobachtung leicht an jedem Menschen, dem man
Morphin zwecks Linderung der Schmerzen injiziert, machen. Derselbe fühlt sich
^2 — 1 Stunde nach der Injektion am wohlsten. Wenn man 10 Minuten bis
■1/4 Stunde vor der Narkose das Morj^hin verabreicht, wü'kt es mit dem Chloro-
form noch nicht so stark beruhigend, wie es sollte, und man beobachtet an
Potatoren, daß dieselben noch ein starkes Exzitationsstadium durchzumachen
haben, wenn die Injektion 10 — 15 Minuten vor der Narkose vorgenommen wurde,
während sie fast ohne jede Exzitation einschliefen, wenn die Morphininjektion
30 — 60 Minuten vorher ausgeführt wurde.
Man soll 0,01 — 0,03 Morphin injizieren bei Erwachsenen, während bei
Kindern Morphin überhaupt nicht verwendet werden soll. Bei Frauen genügen
auch schon 0,005 g Morphin. Weitere Vorschriften sind für die Technik nicht
zu geben, denn die Asepsis, Art der Injektion etc. müssen als bekannt voraus-
gesetzt werden, und alles andere ist imter dem Kapitel der Chloroformnarkose
nachzulesen. Nur eines muß noch erwähnt werden, daß der Arzt den Kranken
nach der Narkose stets noch beobachten muß und ihn nicht ohne sachgemäße
Aufsicht lassen darf (Respirationssynkope). Die Art der Verabreichung des
Chloroforms ist ohne Belang, nur muß auch in der Narkose Herz- und Atem-
tätigkeit gut beobachtet werden.
§ 65. An Stelle des Morphins hat man das Chloralhydrat verwendet und
eine Cliloralhydrat-Chloroformnarkose oder Chloralchloroformnarkose ge-
bildet (ferne, Hartwig, Lee. Dubois etc.). Das Chloralhydrat bildet, wie
man früher gesehen hat. ein Narkotikum, welches, schon allein verwendet,
Narkosen erzeugen kann, und es liegt der Gedanke nicht so weit, auch dieses
Mittel mit dem Chloroform zu verbinden.
Ferne gab Kranken vor der Narkose 2—4 g Chloralhydrat und fand bei
der folgenden Chloroformnarkose bedeutende Ersparnis an Chloroform imd
leichtere Narkose, kurz alle Vorteile der Morphinnarkose. Dolbeau und
Demarquay halten die Kombination beider Narkotika für gefährlich, ebenso Lee,
während Perrin sehr gute Erfolge erzielte, wenn er 3 g Chloralhydrat vor der
Narkose gab. Hartwig gibt 3 g Chloralhydrat bei Erwachsenen, 1,5 bei
Kindern per os. Man hat das Chloralhydrat teilweise per os, teilweise per Rectum
eine Stunde vor der Narkose gegeben und dann, wenn die Kranken schliefen,
die Chloroformnarkose begonnen (Dolbeau, Guyon, Cusco, Perrin etc.).
Wenn man diese Methode und die Resiiltate meiner Versuche über
die Chloralhydratwü'kimg bedenkt, so kommt man zu der Überzeugung, daß
dieselbe nicht eine vorteilhafte seia kann, denn es geht das Chloralhydrat im
Organismus in Chloroform über und wirkt daher genau wie Chloroform.
Es ist nun bei der internen Verabreichung des Chloralhydrats nie möglich,
die Dosis zu ändern, und so kann man sehr leicht durch das Zufügen der In-
halationsnarkose eine Überdosierung erreichen und den Kranken unter schwere
Gefahren bringen. Was nun die Wirkung dieser Narkosenart anlangt, so
braucht man keine großen Erörterungen hier anzuschließen, denn es werden die
Chloroformwirkungen nur durch das Chloral verstärkt, natürlich wird mau
— 581 —
weniger Chlontform zur luhalationsuarkose brauchen, doch nur deshalb, weil
schon Chloroform im Organismus enthalten ist und es werden daher die
AMi-kungeu, sowohl die üblen wie die guten, summiert. Während man bei der
Morphin-Chlorofoi-mnarkose ein Mittel dem Chloroform beigibt, welches andere
Wirkungen hat und teilweise üble Wirkungen des anderen paralysieren kann,
ist dies hier nicht der Fall, sondern es werden beide Wirkungen summiert. Es
ist diese Nai-kose gefährlicher als die einfache Chloroformnarkose, da man nie
genau weiß, wieviel Chloi'oform im Organismus schon gebildet ist. Diese
Methode ist daher vollkommen aus der praktischen Narkosiologie zu streichen
und nur noch als historisches Faktum zu erwähnen.
§ 66. Eine andere, in gewisser Hinsicht brauchbare Methode ist die
Chloralhydrat - Morphium - Chloroformnarkose oder die Chloralhydrat -
Morphinnarkose allein. Als ei'ster hatte Jastrowitz die beiden Narkotika,
Chloralhydrat und Morphin, kombiniert, während Trelat dieselbe Methode zuerst
in seiner chirurgischen Abteilung der Pariser Charite zu Operationen verwendete.
Er verfuhr da so, daß er für längere Narkosen bei größeren Operationen
Chloroformnarkose nach vorhergehender Morphin-Chloralhydratmedikation an-
wendete, während er kleinere operative Eingriffe nur unter der Betäubung von
Chloralhydrat -|- Morphin ausführte. Wenn letztere Methode verwendet werden
sollte, erhielt der Kranke , je nach dem Alter, 4 — 9 g Chloralhydrat auf
20 — 40 g Syrupus Morphin, in 120 g Wasser gelöst, verabreicht, und mußte diese
Mixtur innerhalb ^j^ Stunde einnehmen. Manche Patienten bekamen nach dem
Einnehmen Übelkeit, starke Speichelsekretion, Speichelfluß, Pills und Atmung
wurden stark beschleunigt, das Gesicht gerötet, die Pupillen diktiert. Nach
30 — 40 Minuten verfiel der Kranke in Somnolenz und Benommenheit trat ein,
die Sensibilität wurde geringer, der Cornealreflex verschwand. Nach Verlauf
weiterer 15 — 20 Minuten wird der Kranke komatös und bleibt dies meist
P/o Stunden lang, während welcher Zeit man leicht operative Eingriffe voll-
führen kann, die eine gewisse Mithilfe des Kranken erheischen, wie z. B. Aus-
spucken etc. Der Kranke kann durch Anrufen zu solchen Aktionen veranlaßt
werden und da die Reflexe im Hals noch bestehen, so aspiriert er auch das
Blut aus Mund und Nase nicht, sondern verschlingt es. Deshalb hat man diese
Methode sehr eindringlich für die Operation des Zungencarcinoms empfohlen.
Wenn man hingegen tiefe Narkose braucht, wenn man Muskelerschlaff'ung
wünscht, so reicht diese Methode nicht aus. Immerhin ist dieselbe nicht
so gefährlich, wie die Chloroform-Chloral-Morphinnarkose, aber man besitzt in
der Neuzeit viele weniger gefährliche Methoden für die Betäubung bei solchen
Operationen. Immerhin haften auch dieser Methode Gefahren an, welche man
um so weniger ermessen kann, als man die Dosis des im Organismus sich
bildenden Chloroforms nicht vermindern kann. Solche Methoden sind ein zu
großes Tappen im Dunkeln.
Wenn aber schon diese Methode nicht empfehlenswert ist, so ist es
noch weniger die Kombination derselben mit Chloroform, denn man hat die so
berauschten Kranken durch Chloroforminhalationen weiter betäubt. Es wäre
entschieden mehr angebracht gewesen, die Methode mit Aether sulfur. weiter zu
vervollkommnen, anstatt mit Chloroform. Gibt man nun einem solchen Kranken
einige Tropfen Chloroform zu inhalieren, so ist er ohne Exzitation sofort tief
betäubt. Man braucht nur sehr wenig Chloroform, doch dauert das Erwachen
— 582 —
aus der Narkose sehr lange Zeit, denn das Chloralhydrat und Morphin wirken
noch lange Zeit schlaferregend. Oft liegt ein solcher Kranker noch 36 — 48 Stunden
nach der Narkose in komatösem Znstande. Daß dies nicht erwünscht • ist, weiß
jeder, denn wir streben ja jetzt ein sehr rasches Erwachen des Kranken an,
damit er recht intensiv atmet und so die Lungen ventiliert. Diese Narkose ist
bei allen schweren Leiden, Depressionszuständen, Herzaffektionen etc. streng
zu verbieten.
Diese Narkose ist von Perrier näher studiert worden, und er hat ver-
sucht, die Dosis des Chlorals genauer zu bestimmen und hat deshalb dasselbe
allmählich an den Tagen vor der Operation gegeben, doch ohne wesentlichen
Erfolg zu erzielen. Trelat hat die Chloroform-Chloralhydrat-Morphinnarkose
verschiedentlich verwendet, doch es hat sich diese Methode nie einbürgern
können, vor allen Dingen ist sie in unserer modernen Narkosiologie nicht mehr
offiziell und gebräuchlich, da wir jetzt viel weniger gefährliche Methoden haben.
Es wird auch diese Methode entschieden von der Chlorform-Morphinnarkose
übertroffen. Was die Technik anlangt, so brauche ich hier nichts mehr hinzu-
zufügen. Es geht alles aus dem eben Gesagten hervor.
§ 67. Auch den Alkohol hat man direkt zur Verbesserung der Chloro-
formuarkose verwendet und eine Chloroform - Alkoholnarkose geschaffen
(Stefani, Vachetta etc.). In England war man zuerst dazu geschritten,
den Kranken vor der Narkose Brandy zu verabreichen, und es wurde dadurch
in manchen Fällen ein gewisser Vorteil erreicht. Obwohl die Methode, dem
Kranken vor der Chloroformierung größere Mengen Alkohol zu verabreichen, in
Perrin und Lallemand, Dumont etc. entschiedene Gegner fand, welche die-
selbe energisch bekämpften, kam sie doch zuerst durch Stefani und Vachetta,
welche rieten, dem Kranken, nachdem sie die Methode an Hunden ausprobiert
hatten, vor der Narkose größere Mengen starken Weines zu geben, wieder auf.
Dieselben meinen durch den Alkohol die SjTikope, Apnoe, Erbrechen, Kollapse etc.
zu verhüten, was allerdings nicht in allen Fällen möglich ist. Da nun in der
Chloroformnarkose bei sehr aufgeregten Personen z. B., und bis zu einem ge-
wissen Grade bei allen Leuten, die Magenfunktion völlig damiederliegt, so ver-
dauen diese Personen den verabreichten Alkohol gar nicht, er bleibt im Magen
und erregt schon sehr bald nach den ersten Chloroforminhalationen Erbrechen.
Somit wird derselbe wieder aus dem Körper entfernt und kann seine wirklich
guten Einwirkungen gar nicht entfalten. Deshalb nützt er meist nichts. In-
folgedessen empfahl Julliard, den Alkohol dem Kranken vor der Narkose per
intravenöser Infusion zu verabreichen, was ja zweifellos eine sichere Resorption
zur Folge haben wird, aber doch ein ziemlich gefährliches Unternehmen dar-
stellt. In neuerer Zeit hat man aber die guten Einwirkungen des Alkohols
doch wieder versucht, der Narkose dienstbar zu machen, und man verabreicht
entweder eine mäßige Menge, ein Glas Rotwein mit Tee, ca. Vj^ Stunden vor
der Narkose od*er gibt dem Kranken ein großes Glas Kognak mit Tee oder
Milch per Rektum, nachdem ein Reinigungsklysma verabreicht wurde (Witze 1).
Diese Methode ist zweifellos ganz unschuldig und liefert doch recht gute Re-
sultate, da bei den meisten Patienten nach 17-2 Stunden die geringe Menge
resorbiert ist, und wenn Magenleiden etc. vorhanden sind, vermeidet man eben
die Magenresorption, und es ward dann der Alkohol im Rektum sehr gut und
schnell resorbiert. Namentlich bei Alkoholisten und zu Kollapsen neigenden
— 583 —
Personen unterstützt diese Methode die Herzkraft sehr stark und verhütet die
Kollapse. Dabei wird Chloroform gespart, der Kranke hat leichtere Narkose,
Synkope, Apnoe nnd ähnliche schwere Unfälle treten seltener auf.
Verbindet man diese Methode noch mit einer Morphininjektiou vor der
Narkose, so erreicht man eine sehr angenehme, leichte, wenig gefährliche
Narkose, bei geringem Verbrauch von Chloroform, Fehlen von Erbrechen und
geringem Kater. Natürlich muß man den Kranken dazu genau auswählen, und
vor allem ist der Alkoholist dadurch günstig zu beeinflussen.
§ 68. Die Kombination des Chloroforms mit Kokain zui' Chloroform-
Kokainnarkose ist ebenfalls angegeben worden, und zwar bezwekt diese Kom-
bination vor allen Dingen die Bekämpfung der Synkope im Anfangsstadium
der Narkose infolge Reizung der Vagus-Trigeminus-Endigungen in der Nasen-
Rachenschleimhaut. Frank empfahl zu diesem Zwecke, in die Nasenlöcher
je 1 ccm einer 2 °/oigen Kokainlösung zu spritzen, und eine solche Lösung in dem
Pharynx zu zerstäuben. Durch diese Kokainlösung wird die Schleimhaixt an-
ästhetisch und man hat somit eigentlich in dieser Narkose eine Kombination
einer ]\Iethode der Anästheologie und Inhalationsnarkose. Rosenberg läßt
die Nasenschleimhaut mit einer Kokainlösung bepinseln.
Neben dieser Methode, die man auch mit Eukain ß, Tropakokain etc. aus-
führen kann, hat man noch eine andere Art der Kokain - Chloroform-
narkose angegeben, welche darin besteht, daß man den Kranken zunächst mit
Chloroform betäubt und ihm nun eine Injektion von 0,02—0,05 Kokain mur.
subkutan verabreicht (Obalinsky). Ahnliche Verfahren sind von Drausart,
Terrier, Tschaikowsky etc. angegeben worden, die aber in der Theorie
dieselbe Methode darstellen. Man war der Ansicht, durch die Wirkung des
Kokains die Menge des zur Narkose nötigen Chloroforms verringern zu können,
sowie das Erbrechen zu vermeiden und die üblen Nachwirkungen nach der
Narkose zu verhüten. Allerdings lehrt die Praxis, daß sehr leicht schwere
Erregungszustände auftreten, daß die nervösen Patienten noch viel aufgeregter
durch die Kokainwirkung werden und daß die Chloroformwirkung durch das
Kokain eher gestört, beeinträchtigt und vermindert, als verbessert wird
(D u b 0 i s etc.) Es ist daher diese letztere Methode nicht anzuwenden. Die
Kokainisierung der Nasen-Rachenschleimhaut ist schon oben erwähnt bei der
Chloroformnarkose und kann bei sehr empfindlichen Patienten sehr gute Dienste
tun. Da sie bei Verwendung nicht starker Lösung keine üblen Nebenwirkungen
hat, sondern eine unschuldige Hilfsmethode darstellt, die aber oft schwere Ge-
fahren verhüten kann, so soll man dieselbe bei passenden Personen anwenden.
Die Technik ist sehr einfach. Man kann mit Pinsel die Schleimhaut betupfen
oder mit Spray beschicken. Es wird ebensogut eine 2 — 5^0 ige Kokain-, wie
Eukain ß-, wie Tropakokainlösung dazu verwendet.
§ 69. Die Morphin-Chloroformnarkose ist noch mit Atropin zur Chloro-
form-Atropin-Morphinnarkose kombiniert worden (Dastre, Mo rat). Das
Atropin. sulfur. hat nämlich die Eigenschaft, die Irritabilität der Herzfasem
des Nervus vagus aufzuheben, wodurch dasselbe bei der Kombination mit der
Chloroformnarkose die Gefahren, welche durch die Wirkung des Chloroforms
auf den Vagus entstehen, vermindern oder ganz aufheben kann. Wenn man
Atropin allein injiziert, so entstehen leicht sehr bedrohliche und gefährlich
aussehende Zustände, welche man sehr leicht durch die Morphinwirkung paraly-
— 584 —
sieren kann, D a s t r e versuchte uiui zuerst die Methode, vor der Chloroform-
narkose Atropiu-Morphin zu verwenden, an Hunden und erzielte sehr gute
Resultate. Wenn auch im Anfang jeder dritte Hund starb und auch die anderen
beiden Hunde schwere toxische Erscheinungen zeigten, so konnte er doch mit
der Zeit eine Methode erreichen, bei der er einerseits das Chloroform auf ein
Minimum beschränken konnte, andererseits keine bedrohlichen Erscheinungen
mehr fand. Auch M o r a t erzielte sehr gute Resultate und verbrauchte bei
seinen Narkosen den zwanzigsten bis dreißigsten Teil des sonst nötigen Chloro-
forms für die Narkose. Dies war ein sehr gutes Resultat, doch war die Methode
bisher nur an Tieren ausgeführt worden. Am Menschen machte zuerst Aubert
später Tripier solche Narkosen. Es wurde den Patienten ^j^ — 1/2 Stunde
vor Beginn der Inhalation des Chloroforms VI2 ccm einer Lösung subkutan
injiziert, die aas folgendem zusammengesetzt war:
Morphin, mur. 0,1
Atropin. sulfur. 0,005
Aqua dest. 10,0
Die Resultate mit diesen Injektionen waren ganz gute. G a y e t verwendete
eine andere Lösung, welche folgendermaßen zusammengesetzt ist:
Morphin, mur. 0,2
Atropin. sulfur. 0,02
Aqua dest. 20,0
Von dieser Lösung gibt er 20 Minuten vor der Inhalation 1 ccm.
L a b 0 r d e hat sich mit der Narkose Herzkranker beschäftigt und ver-
sucht Mittel und Wege zu finden, um die Synkope zu verhüten. Er weist
darauf hin, daß es weniger organische Veränderungen am Herzen, spez. Klappen-
fehler etc. sind, welche Zufälle in der Nai-kose herbeiführen, als vielmehr der
Zustand des Nervensystems. Unter den HerzafEektionen, welche in erster Linie
Unfälle begünstigen, sind Fettmetamorphose , Myokarditis , Aortenklappen-
Insuffizienz und asystolische Zustände vor allem zu nennen. Die Sj^nkope auf
dem Operationstisch kann sich ereignen, ehe der Kranke Inhalationen erhält
und bei den ersten Zügen; in beiden Fällen ist der Mechanismus der gleiche.
Die Gi'undiu'sache besteht in der individuellen auf nervöser Überempfindlich-
keit beruhenden Prädisposition, dort ist es die nervöse Erregbarkeit der
Kranken an sich, hier die Erregung der sensiblen Nervenendigungen durch die
Chloroformdämpfe, welche reflektorisch zum Herzstillstand führen. Es ist
jedenfalls nicht gleichgültig, ob das Herz intakt oder krank ist. Die Beruhi-
gung des Kranken erreicht nun L a b 0 r d e bei diesem Leiden am besten durch
eine subkiitane Injektion von 1 ccm folgender Mixtur:
Morphin, mur. 0,1
Atropin. sulfur. 0,005
Sp artein sulfur. 1,0
Aqua dest. 10,0
Labor de hat damit gute Erfahrungen gemacht, und hält es für sehr wichtig,
das Atropin dem Morphin und Spartein hinzuzufügen, da man an Stelle des
Morphin auch Spartein verwenden kann, während L e D e n t u und L u c u s -
Championniere den Wert des Morphins bestreiten und H u c h a r d das
Atropin entbehren will.
— 585 —
Miiu hat verscliiedeutlifh diese Kombination der drei Körper verwendet,
und es wurden recht g'Ute Erfahruui>-eu gemacht. So belichtete Aubert über
eine große Reihe vorzüglich ausgeführter Nai'kosen. Die Vorteile derselben
liegen vor allen Dingen darin, daß die Narkose rasch und sicher eintritt, ruhig
verläuft, das Erwachen rasch \mä leicht erfolgt und Übelkeit, Erbrechen und
Kopfschmerz nach der Narkose vollkommen fehlen. Aubert hat mehrere
tausend Narkosen ohne jeden Unfall und Nebenwirkungen ausgeführt. Während
bei diesen Narkosen Morphin an sich das Erbrechen vermehrt und begünstigt,
wirkt das Atropin dem entgegen und verhütet das Erbrechen. Deshalb sind
diese Narkosen wenigei- von Erbrechen begleitet als die Chloroformmorphin-
narkosen. Außerdem wirkt das Atropin auch auf die Speichelsekretion ver-
mindernd ein und paralysiert bis zu einem gewissen Grad die Salivation des
Chloroform. Bei kurzen Narkosen gewahrt man keine üblen Wirkungen, Er-
brechen, Salivation, während bei sehr langen Narkosen diese üblen Neben-
wirkungen der Chloroformnarkose nicht vollkommen beseitigt werden können
durch die Atropinwirkung. Deshalb beobachtet man nach langen Betäubungen
oft diese Beschwerden, doch sind dieselben meist nicht sehr stark und
hochgradig.
Schon H a r 1 e y hatte vor D a s t r e Atropin subkutan zur Narkose ver-
wendet, und war mit solchen Narkosen sehr zufrieden, ebenso hatte P i t h a
1861 in Wien bei einem Kranken, welcher durch Chloroform nicht betäubt
werden konnte, durch Darreichen eines Klysmas mit 1 g Extr. Belladonnae
schnell tiefe Narkose erreichen können. Es ist auch gelungen, Atropinintoxi-
kationen, welche mit Delirien einhergingen, durch Chloroforrainhalationen günstig
zu beeinflussen (B r o w n - S e q u a r d , Aubert).
Es ist kein Zweifel, daß diese Narkose eine sehr günstige ist, vmd man
wird die geeigneten Personen dazu leicht auswählen können, denn solche
Kranken, welche geringfügige Lungenleiden haben, werden durch die Atropin-
wirkung Gutes empfinden, ebenso manche Herzleideude. Im übrigen sind diese
Methoden nicht ohne Gefahren, die Chloroformwirkung ist genau wie bei der
einfachen Narkose so gefährlich für den Organismus, und so sind auch Todes-
fälle beobachtet worden. (Quenu, Terrier, Poirier, Reclus etc.)
Immerhin sind die Gefahren nicht größer als bei der einfachen Narkose.
Die Technik ist nicht besonders zu beschreiben, man muß die Injektion
V4 — ^ii Stunde vor der Narkose machen und sonst alles genau beachten, was
für die Chloroformnarkose früher vorgeschrieben ist.
§ 70. Die Chloroform-Broniäthylnarkose ist eine Kombination der
Narkose, welche darin besteht, daß man die Betäubung des Kranken mit Brom-
äthyl vornimmt und, nachdem derselbe betäubt ist, die Toleranz durch Chloro-
form weiter führt. Die Narkose tritt infolge der Bromäthylwirkung sehr
rasch ein, und man hat bezwecken wollen, die Initialsynkope der Chloroform-
narkose zu vermeiden.
Poitou-Duplessy hat diese Methode 1890 eingeführt und er gibt
den Rat, daß man, wenn man bei einem Alkoholiker z. B. in der Bromäthyl-
narkose heftiges Exzitationsstadinm findet, dem Kranken kein Chloroform geben
soll, sondern sofort wieder Bromäthyl Aveiter, und so den Kranken mit Brom-
äthyl betäuben soll. Dieser Rat dürfte sehr gefährlich sein (Verf.). Nach
Poitou-Duplessy ist die Methode vielfach angewendet worden, und man
— 586 —
hat ang-eblich sehr gute Resultate damit erzielt. (P e r i e r , E i c h e 1 o t ,
Berg'er, Championniere etc.) Terrier und Peraire behaupten,
die Initialsynkope durch diese Methode oft verhütet zu haben.
Die Methode ist von Hartmann insofern abgeändert Avorden, indem
er das Bromäthyl nur sehr kurze Zeit, während 30 — 50 Sekunden, gab und dann
sofort Chloroform nachgab. Dabei soll bei eintretendem Ersatz des Bromäthyls
durch Chloroform die Rötung des Gesichtes allmählich abnehmen, ohne ganz
zu verschwinden, und die Pupillen verengen sich. Dieser Zustand der Pupillen
soll während der ganzen Xarkose so ierhalten werden. Diese Methode soll sich
sehr gut bewährt haben (Hartmann, Bourbon etc.).
Man wird diese Narkose jedenfalls nicht empfehlen können, denn die
Wirkung des Bromäthyls ist eine zu gefährliche, als daß man dasselbe noch
mit dem sehr ähnlich wirkenden Chloroform verbinden dürfte. Die üblen
Wirkungen des Bromäthyls auf Herz und innere Organe sind denen des Chlo-
roforms vollkommen gleich, und da sich, wie ich durch Tierexperimente nach-
gewiesen habe, die Wirkungen der Narkotika summieren, und, wenn eines dem
anderen folgt, in gleichem Sinne wirken, so daß die durch Bromäthyl etwa er-
zeugte Fettmetamorphose im Herzen durch das folgende Chloroform arg ver-
schlimmert wird, so kann man leicht ersehen, daß eine solche Kombination
keinen Vorteil bringt. Wenn man Narkotika kombiniert, die sich gegenseitig
ergänzen oder ihre üblen Wirkungen kompensieren, so ist dies gerechtfertigt,
doch diese Narkose läßt sich nie rechtfertigen, da Bromäthyl ein zu starkes
Crift für Herz, Lunge, Niere und Leber darstellt (Verf.).
Meist findet sich in solchen Narkosen starke Exzitation. R u b z o 1 d sah
dieselbe unter 15 Fällen zehnmal. Pomeranzew erwähnt einen Todesfall
in dieser Narkose. Ein ganz gesunder 22 jähriger Mann starb nach 5 ccm
Bromäthyl und 6 ccm Chloroform an Synkope. D u b r o w i n beschreibt
einen gleichen Fall. S e m a z k i hat 8000 solcher Narkosen ohne Todesfall aus-
geführt und empfiehlt die Methode sehr. R e b o u 1 hat teilweise gute Nar-
kosen ausgeführt, doch erlebte er sehr oft heftiges Erbrechen und mehr-
fach auch Ikterus nach den Narkosen. R i c h e 1 o t hat gute Erfolge erzielt.
Dem entgegen hat G u i n a r d zwei Patienten durch die Bromäthylnarkose ver-
loren, der eine starb kurz nach den ersten Bromäthylgaben, der andere, als er
Chloroform erhielt. D e 1 b e t hat bei solchen Narkosen sehr oft Ikterus ge-
sehen und wendet die Methode nicht mehr an.
R i c h e 1 0 t meint, daß die vielen Mißerfolge imd Unfälle durch schlechtes
zersetztes Bromäthyl erzeugt seien und daß mangelhafte Technik vorgelegen
habe. Nach ihm soll das Bromäthyl in mittleren Dosen, ohne den Ki-anken
asphyktisch machen zu können, gegeben werden, und es soll völlige Anästhesie
durch Bromäthyl nicht erzeugt werden. Potherat glaubt, daß das Brom-
äthyl die Chloroformnarkose ungünstig beeinflusse.
Man ersieht jedenfalls aus diesen kurzen statistischen Angaben, daß diese
Methode in der Prayis sich so bewährt hat, wie ich es dui'ch meine Tierversuche
erkannt habe, nämlich sehr schlecht, und daß man entschieden von der
Methode abraten muß. Die Bromäthylnarkose vermehrt die Gefahren der
Chloroformnarkose bedeutend.
§ 71. Entgegen dem Bromäthyl hat man das C'hloräthyl mit dem
Chloroform kombiniert und die Chloroform-Chlorätliylnarkose angegeben.
Malherbe macht darauf aufmerksam, daß man die Narkose mit Chloräthyl
einleiten und bis zur tiefen Betäubung leiten soll und dann, sobald Toleranz
eintritt, Chloroform weitergeben. Man vermeidet dadurch vor allem die
Initialsynkope des Chlorofonns, starke Exzitation und erreicht schnell, inner-
— 587 —
halb 30 Sekunden bis eine Minute, tiefe Narkose, und der Kranke erbricht nicht
und hat eine ruhii>-e Narkose. Dabei spart man Chloroform. Die Kranken er-
wachen sehr schnell, ohne an Benommenheit zu leiden und ohne zu erbrechen
und sich schlecht zu fühlen, wenn nicht die Narkose sehr lange gedauert
hat. M a 1 h e r b e hat zur Einleitung der Narkose 2 — 4 g Chloräthyl ge-
braucht. Man erspart für die weitere Narkose bedeutend an Chloi-oform.
Auch Ware hat mit dieser Methode recht gute Erfolge erzielt. Die Exzitatiou
war vollkommen ausgeblieben und die Narkosen waren alle recht ruhig und
sehr günstig verlaufen. Auch G u i n a r d empfiehlt diese Methode und em-
pfiehlt dieselbe vor allen Dingen auch bei manchen Herzleiden. Er zieht Chlor-
äthyl entschieden dem Bromäthyl vor. Alle diese Autoren haben günstige Er-
fahrungen zu melden und ich kann dasselbe nur bestärken, denn ich verwende
diese Methode sehr oft und habe nur gute Resultate erzielt. Namentlich in
der Greburtshilfe ist dieselbe sehr angebracht. Man erzielt schnell tiefe Nar-
kose ohne Exzitation, Erbrechen und Unruhe, die Kranke erw^acht sehr rasch
und fühlt sich auch nach langen Narkosen viel wohler, als nach einfachen
Chloroformnarkosen. Girard, Reboul etc. haben ebenfalls mit dieser
Methode diese Vorteile erkannt. Bossart, Helstedt, Nieriker be-
richten über vorzügliche Erfolge mit dieser Narkose.
Die Wirkungen auf die inneren Organe werden natürlich durch das Chlor-
äthyl vermehrt, doch wirkt dieses entgegen Bromäthyl weniger toxisch.
Die wenigen Gramm, 1 — 2 g genügten bei mir stets zur Einleitung der Nar-
kose, haben keine wesentlichen schweren, schädlichen Einwirkungen. Da
Chloräthyl im Organismus genau wie Chloroform wirkt, so verbinden sich
die Wtrkimgen besser, denn beide Stoffe wirken in gleichem Sinne, und auch
die toxischen Einwirkungen des einen sind nicht viel schlimmer als die des
anderen. Wenn Chloräthyl nur in solchen kleinen Dosen verwendet wird hat
es keine Nachteile, sondern nur Vorteile, indem es Chloroform spart, die Initial-
synkope verhütet, Exzitation verhütet, Erbrechen, Kollapse und sonstige üble
Zustände vermindert. Nur nach sehr langen Chloroformnarkosen tritt Er-
brechen auf. Weiter bewirkt Chloräthyl schnelles Erwachen ohne Übelkeit.
Durch das Ersparen von Chloroform werden ebenfalls die Gefahren der Narkose
vermindert (Lotheisen, Guinard etc.j.
Die Technik ist folgende: Man tropft nach und nach in eine Esmarch-
sche Maske 1 — 2 g Chloräthyl, bis der Kranke anfängt unklar zu zählen
und fügt schon vordem ab und zu einige Tropfen Chloroform auf die 3Iaske,
ungefähr 20 in der Minute. Nach 40 Sekunden zählt der Kranke ganz verwirrt.
Nun läßt man Chloroform etwas mehr geben bis der Kranke tief betäubt ist.
Dann wird die Narkose mit wenigen Tropfen Chloroform unterhalten. In
den seltensten Fällen habe ich 3 — 4 g Chloräthyl gebraucht. Es ist auf-
fallend, wie wenig Chloroform man dann zum Unterhalten der Narkose braucht.
Die Methode ist vor allen Dingen für den Arzt auf dem Lande zu empfehlen.
Bei Entbindungen leistet sie vorzügliche Dienste. (Burnet, Girard, Le
Den tu. Riebet, Verf. etc.)
§ 72. Die Chloroform-Hedonalnarkose ist eine Kombination der Chlo-
roformnarkose mit Hedonal. Hedonal ist ein Körper, welcher infolge der in
ihm enthaltenen Amidogruppe den Blutdruck zu steigern vermag. Sonst wirkt
dasselbe beruhigend und schlafbringend, ganz entsprechend dem Morphin.
— 588 —
Durch das Vermögen aber, den Blutdruck zu steigern, ist das Hedoiial dem
Morphin entschieden üherlegen. K r a w k o w hat diese Kombination em-
pfohlen und dieselbe zuerst an Tieren ausprobiert. Er gibt beim Menschen
3,0 g Hedonal eine Stunde vor Beginn der Narkose. Der Kranke schläft sehr
bald ruhig ein, und eine Stunde, nachdem man das Hedonal gegeben, beginnt
man mit der Chloroforminhalation. Die Vorzüge der Methode bestehen vor
allem darin, daß man enorm an Chloroform spart, es wird die Exzitation voll-
kommen vermieden, die Narkose tritt schnell ein, es fehlen Erbrechen, und nach
dem Brw^achen fühlt sich der Kranke meist recht wohl. Das Erwachen tritt
rasch ein, Erbrechen und Übelkeit fehlen meist, nur nach langen Narkosen sind
sie in geringem Grade vorhanden, Kopfschmerz besteht nicht. Die Methode
hat große Vorzüge vor der Morphinnarkose und bringt eben dieselben Vor-
teile wie diese mit sich. Man hat verschiedentlich sehr gute Resultate da-
mit erzielt.
§ 73. Die Chloroform-StickstoflFoxydiilnarkose ist eine Narkose, bei
welcher man den Kranken mit Stickstoffoxydul bis zur tiefen Narkose betäubt,
^^nd ihn dann mit Chloroform weiter narkotisiert (Hewitt, Boyd, Ma-
duro etc.). Diese Methode hat ebenfalls den Zweck, die Initialsynkope zu
verhüten, die Narkose schneller zu erreichen, die Exzitation zu vermindern und
Chloroform zu sparen; Erbrechen tritt weniger auf. Alle diese Vorteile besitzt
die Methode bis zu einem gewissen Grade. Jedenfalls wird durch die Stickstoff-
oxydulwirkung keine üble Wirkung auf den Organismus ausgeübt, und es ist
daher ein großer Vorteil, daß man bis zur Toleranz kein Chloroform braucht.
Man kann dann mit sehr wenig Chloroform die Narkose unterhalten. Die
Kranken erwachen bald aus der Betäubung und fühlen sich meist wohl. Wenn
die Narkose sehr lange Zeit gedauert hat, tritt bisweilen Übelkeit und Erbrechen
nach der Narkose auf, doch fehlt dies nach nicht zu langen Narkosen voll-
kommen. Allerdings muß man zu dieser Narkose einen komplizierteren Apparat
haben als zu einfachen Chloroformnarkosen, weshalb diese Methode für die Praxis
nicht brauchbar ist. Wenn man aber einen Apparat für die Lachgasnarkose
besitzt, so läßt sich die Methode leicht ausführen. Ein Vorteil liegt auch in
der den Blutdruck steigernden Wirkung des Stickstoffoxyduls. Dasselbe kom-
pensiert daher bis zu einem gewissen Grade die Chloroformwirkung. Man braucht
nur sehr wenig Chloroform für die Narkose. Die Narkose tritt nach 20 — 40 Se-
kunden auf, und man soll die Narkose unterbrechen, sobald sich die Pupillen
erweitern und die Augen tränen (M a d u r o). Wenn der Kranke betäubt ist,
wird Chloroform in Tropfen gegeben. Man kann diese Methode auch mit
Lachgas und Sauerstoff ausführen und mit Chloi-oform weiter narkotisieren,
oder nach Ettinger mit Stickstoffoxydul oder Stickstoffoxydul-Sauerstoff
den Patienten bis zur Narkose betäuben imd dann dui'ch ACE-3Iixtiir weiter
betäuben.
Die Technik ist so, daß mau mit einem Hewittschen oder dergleichen
Apparat für die Stickstoffoxyduluarkose oder Stickstoffoxydul -\- Sauerstoffnarkose
den Patienten bis zum Eintritt der Betäubung narkotisiert und nach diesem den
Kranken mit der Esmarchschen Maske nach der Tropfmethode mit Chlo-
roform weiter betäubt. Diese Methode ist für die Praxis zu umständlüch und
wird sich nie bei den Ärzten einbürgern, obwohl sie sehr gute Resultate liefert
und große Vorzüge besitzt. Es ist ja schon für die kurze Stickstoffoxydul-
— 589 —
narkose ein zu großer und schwerer Apparat uotwendig, den der praktische
Arzt auf dem Laude schwer mit sich führen kann. Die Narkose ist daher nur
für Krankenhäuser und Arzte in Städten geeignet.
§ 74. Die Chloroformnarkose ist auch noch mitNarcein zur Chloroform-
narceinnarkose kombiniert worden. An Stelle des Morjohin gab R a b u t e a u
an, Narcein zu verwenden, ein Mittel, welches dem Morphin verwandt ist und
auch aus dem Mohn gewonnen wird, und einen Bestandteil des Opiums bildet.
Es ist ein Alkaloid, welches genau wie Morphin wirkt, nur weniger toxische
Eigenschaften haben soll. Vor allem soll dasselbe stark schlaferregend Avirken,
während es auch die Schmerzen stillt. C 1 a u d e - B e r n a r d hat das Narcein
als das wenigst toxische Alkaloid des Opiums erklärt. Dasselbe soll vor allen
Dingen dem Ohloroform in gewissen Beziehungen entgegenwirken, es soll Übel-
keit, Erbrechen beseitigen und die Nerven für die Chloroformwirkung günstig
beeinflussen, das ganze Nervensystem beruhigen, so daß die Exzitation ver-
mieden und Synkope im Anfangstadium der Narkose verhütet wird. In gewisser
Hinsicht ersetzt das Narcein das Morphin, doch ist es nicht imstande, dies voll-
ständig zu tun. Jedenfalls hat es keinen Vorteil vor dem Morphin voraus.
Man verfährt mit dem Narcein genau so wie mit dem Morphin, man verabreicht
dasselbe 1/2 — ^j^ Stimde vor der Narkose in einer Dosis von 0,01 — 0,03 und er-
spart dadurch bedeutende Mengen von Chloroform. Die Salivation wird nicht
wesentlich verringert in dieser Kombination.
§ 75. Eine dieser Methode sehr ähnliche ist die Chloroform-Heroin-
narkose, welche darin besteht, daß man dem Kranken vor der Narkose Heroin
verabreicht (W i e s n e r). Das Heroin ist ein Alkaloid des Opiums und hat
verschiedene Vorzüge vor Morphin. Man hat behauptet, daß eine Gewöhnung
an dasselbe nicht eintritt (W i e s n e r), doch ist dies ein großer Irrtum, denn
man kannte den Heroinismus bereits. Das Heroin bewirkt weder Ohrensausen,
noch Kopfschmerz, noch Erbrechen, doch bekommen manche Kranken nach der
Injektion profuse Schweißausbrüche und ein geringes Schwindelgefühl. Es be-
ruhigt die Patienten sehr leicht und wirkt daher für die Narkose sehr günstig.
Namentlich empfieht W i e s u e r , das Heroin bei Alkoholikern vor der Narkose
anzuwenden, und zwar gibt er vor der Narkose 0,03 g subkutan. Es muß
^/a — ^,'4 Stunde vor der Narkose injiziert werden. Die Wirkungen und Vorzüge
der Chloroform-Heroinnarkose sollen denen der Morphinkombination völlig gleichen,
ja denselben sogar bedeutend überlegen sein, da Heroin weniger toxisch wirkt.
§ 76. Eine andere Methode ist die Anestol-Morphiumnarkose, welche
Meyer angegeben hat. Das Anestol ist ein Gemisch aus 35,89 •'/q Chloroform
-f 47,11 7(, Aether sulfur. + 17 7^ Äthylchlorid. Diese Mischung hat den Siede-
pimkt von 40° und verdampft, ohne Chloroform zurückzulassen. Wenn man
dieses Gemisch verwenden will, so muß vorher eine Morphininjektion von
0,01—0,03 gemacht worden sein (M e y e r). Ohne Morphin kann man eine tiefe
^ Narkose nicht erreichen. Das Gemisch hat große Anlichkeit mit den Schleich-
schen Siedegemischen, doch soll es besser und weniger gefährlich wirken, als diese.
Wirkliche Vorteile haften der Methode nicht an. . Der Organismiis wird unter
vier Gifte gesetzt und es kann eine sehr schwere Schädigung desselben erfolgen,
wollte man lange Narkosen damit ausführen. Jedenfalls hat es, selbst wenn
die guten Erfolge Meyers immer zutreffen, keinen Vorzug vor Chloroform
voraus. Die Verhältnisse liegen sonst ganz so, wie sie früher über die Ge-
— 590 —
mische erörtert wurden, weshalb mau in dieser Methode einen Vorteil nicht er-
blicken kann.
§ 77. Eine sehr brauchbare Narkose ist die Chloroform-Ätliei-MorphlTiiii.
narkose nach Witzel, Hof mann, etc. Dieselbe besteht in der bekannten
Äthertropfmethode von W i t z e 1 , wobei man je nach den Verhältnissen Chloro-
form in kleinen Mengen beigibt. Diese vorzügliche Narkose wurde schon
früher beschrieben. Hier wird derselben noch eine Morphininjektion voraus-
geschickt, wodurch ein großer Vorteil erreicht wird, indem die Narkose
schneller und leichter eintritt, Exzitatiou fast vollkommen fehlt und die Menge
des Äthers eine ganz geringe ist. Während Witzel 0,01 — 0,02 Morphin
"'/a — ^li Stunde vor der Narkose gibt, hat Fuchs bei Laparotomien durch das
Morphin mehrfach unangenehme Störungen der Darmperistaltik beobachtet, und
er gibt daher den Rat, bei Laparotomien 0,15 Codein phosphor. subkutan vor
der Narkose an Stelle des Morphins zu geben. Es sind 300 Narkosen mit dieser
Methode von Fuchs zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt worden. Es ist ja
diese Methode auch eine sehr variationsreiche Narkose, welche allen Even-
tualitäten gerecht werden und allen an sie gestellten Anforderungen entsprechen
kann. Üble Nachwirkungen sind höchst selten, und es ist diese Kombination
jedenfalls die denkbar beste.
§ 78. H a r 1 0 g hat die Äthermorphin-Skopolaminuarkose empfohlen,
indem er der Äthernarkose eine Injektion von 0,01 Morphin -(- 0,0005 Skopo-
lamin ^/j — 1 Stunde vor der Narkose vorherschickte. Die Kranken haben darauf
eine ruhige Narkose gehabt, das Erbrechen hat vollkommen gefehlt, Exzitation
war ebenfalls nie vorhanden, und als die Kranken aus der Narkose erwachten,
empfanden sie weder Übelkeit, noch zeigte sich Kopfschmerz, noch Erbrechen.
Stärkere Salivation wurde fast nie beobachtet. Es wird auf diese Art der
Nai'kose später nochmals zurückgekommen werden, wenn die Skopolamin-Mor-
phinnai'kose behandelt werden wird. Was die einzelnen Wirkungen anlangt, so
schlage man dort nach.
§ 79. Man hat auch die Morphinwirkung zur Verbesserung der Äther-
wirkung zu der Xtbermorphiumnarkose und ebenso das Atropin mit und ohne
Morphin mit Äther kombiniert und so die Äther-Morphium-Atropinnarkose
geschaffen. (Riedel, Julliard, Hofmann etc.) Die vor der Äther-
uarkose vorgenommene Morphininjektion bewirkt einen schnelleren Eintritt
der Narkose, verstärkt die narkotische Kraft des Äthers, verkürzt und ver-
mindert die Exzitation. Durch die Morphinwirkung wird die Ätkernarkose ganz
bedeutend vertieft und erleichtert. Man kann dadurch erreichen, einen Al-
koholisten, der durch Äther allein nicht betäubt werden kann, ohne wesentliche
Exzitation zu betäuben. Man muß abei" die Morphininjektion ^a — V4 Stunde vor
der Äthernarkose ausführen ( W i t z e 1 , H 0 f m a n n). Auch die Menge des zur
Narkose notwendigen Äthers wird durch das Morphin ganz bedeutend vermindert,
und somit werden der Narkose auch weniger schädliche Ätherwirkimgen an-
haften. Riedel gibt bei Männern 0,01 Morphin und bei Frauen 0,005 g ^/^ Stunde
bis 20 Minuten vor dei* Narkose. Namentlich bei Leuten mit Emphysem, Tuber-
kulose, chronischen Bronchitiden kann man sehr gute Narkosen damit erreichen.
Auf das Herz hat die Äthermorphiumnarkose einen sehr günstigen Einfluß.
Der Blutdruck wird nicht übel beeinflußt, sondern im Gegenteil gestärkt, die
Kraft des Herzens angeregt.
— 591 —
Dui'c'h die Kombination von jMoqjhin imd Atropin mit Äthei' erreicht mau
in der Äthermorpliium-Atropinnarkose eine sehi' gute Betäubung, deren Ge-.
fahren ganz besonders gemildei't sind (H o f m a n n , J u 1 1 i a r d , Reinhard,
D a s t r e etc.). Durch die Wirkung des Atropins wird vor allen Dingen dem
Äther der Reiz, welchen er in einfachen Äthernarkosen auf die Schleimhäute der
Bronchien ausübt, genommen, oder derselbe wird doch stark gemildert. Die
Folge davon ist die. daß die Sekretion der Drüsen und Schleimhäute sowohl
in der Lunge, wie im Rachen und Mund vei'mindert wird. Es ist ein großer
Vorteil, wenn hei der Äthernarkose die enorme Salivation vermindert wird, odei'
ganz wegfällt. Wenn nun auch bei langen Äthernarkosen eine vollkommene
Beseitigung der Salivation nicht erreicht werden kann, so ist doch bei Narkosen
von 15 bis 30 Minuten meist eine beträchtliche Sekretion von Schleim und
Speichel nicht vorhanden. Natürlich ist es nicht ganz indifferent, ob man den
Organismus außer dem Äther noch zwei weitere Gilfte einverleibt, und man
hat verschiedentlich auf die Gefahren der Atropinwirkung hingewiesen (B r a u n,
Becher etc.). Wenn nun auch nicht geleugnet werden kann, daß Atropin
als starkes Gift gelegentlich einmal schaden kann, so muß man aber doch be-
denken, daß die injizierten Mengen nur sehr gering sind. In diesen Dosen
wirkt das Atropin nur günstig für die Narkose und man hat nie von Unfällen
gehört, die dem Atropin zur Last gelegt werden könnten. Entgegen den Ver-
mutungen über toxische Wirkungen des Atropins hat man von der Morphin-
Atropinkombination mit Äther nur Gutes gehört (Reinhard, .J u 1 1 i a r d ,
Kroemer, Pfannen stiel, Lun d ström, Hof mann,Witzel etc.),
Reinhard empfiehlt für die Kombination folgende Lösung :
Atropin. sulfur. 0,01
Morph, muriat. 0,02
Aqua dest. 10,0
M.D.S. zur subkutanen Injektion
^2 — 1 Stunde voi" der Narkose eine Spritze zu injizieren. Er empfiehlt auch ent-
gegen dem üblichen Brauch, die Injektion ^/^ Stunde vorher zu machen, wenigstens
^/a bis 1 Stunde vorher schon die Injektion vorzimehmen, ila erst nach
V2 Stunde und länger das Morphin eine beruhigende Wjrkung ausübt und auch
das Atropin dann erst richtig zur Geltung kommen kann. Die Resultate sind
jedenfalls vorzügliche, und man kann diese Kombination nur empfehlen, wobei
man aber wohl beachten muß, daß eine schablonenhafte Ausführung, wie in
allen Disziplinen der Medizin so auch hier verboten ist, denn man kann nicht
jedem Kranken durch die Injektion nützen. Es kommt eben auf die inneren
Organe, die Krankheit etc. an. Immerhin wird es nur wenige Fälle geben,
wo diese Kombination wirklich kontraindiziert ist. In Fällen, wo man starke
Salivation erwarten muß, soll man die Injektionen stets ausführen. Es werden
der Aethernarkose viele Gefahren dadurch genommen und mau kann manchen
Kranken vor Lungenleiden bewahren, wenn man diese Narkose wählt. Freilich
muß man hier auch erwähnen, daß eine gute Technik viel Gefahren auch in
dieser Hinsicht verhüten kann. Denn je mehr die Menge des für die Nai'kose nötigen
Äthers eingeschränkt wird, um so leichter werden Lungenleiden verhütet werden
können. Aber es wird nicht immer für den Arzt möglich sein, das dm-ch die
Technik zu erreichen, was er hier durch die Methode ei'reichen kann. Es ist
deshalb diese Kombination eine Narkose der Praxis. Der Arzt auf dem Lande
kann nicht die üebung, die guten Apparate und alle Vervollkommmmgen haben,
wie der Arzt in der Stadt und am Krankenhaus, und er kann daher viele
Mängel seiner Narkosen durch solche Hilfsmittel ersetzen. Diese Methode ist
sehr geeignet für den Arzt in der allgemeinen Praxis, doch er muß individua-.
lisieren und nicht schablonenhaft verfahren.
— 592 —
Becker hat die sekretionsbescliränkeiide, sowie fäulnis- und gäruug-s-
widrigeu Eigenschaften des Terpentin- und Latschenöls, Ol. Pini Pumilionis,
für die Aethernarkose nvrtzbar zu machen versucht, um dadurch die Lungenleiden
verhüten und somit der Aethernarkose Gefahren nehmen zu können. Er hat
500 Narkosen damit ausgeführt imd ist sehr zufrieden. Selbst bei bestehender
Bronchitis, Tuberkulose, Empyem, Emphysem etc., auch bei Emphysem alter
Leute hat er neben der Aethernarkose Latschenöl inhalieren lassen und dadurch
nie eine Verschlimmerung gesehen. Das Gel wird kurz vor der Narkose dem
Aether zugesetzt, und zwar werden 20 Tropfen = 1 g auf 200 g Aether ge-
geben. Der stechende Geruch des Aethers wird durch den angenehm harzigen
Duft des Oeles verbessert. Auch Terpentinöl wird so gegeben. Diese Methode
hat zweifellos einen gewissen Nutzen, doch kann sie mit der Atropinuarkose
nicht konkurieiTen.
Landström hat vielfach den Ätherrausch verwendet und er fand,
derselbe wirke bei Potatoren nicht genügend. Daher verwendete er bei solchen
Kranken vor Einleiten des Ätherrausches eine Morphininjektion und empfiehlt
diese Methode. Es wäre dies als Morpliinätlierrauscli zu bezeichnen und ist
entschieden sehr brauchbar.
Die Technik der Äther-Morphin-Atropinnarkose ist sehr einfach und aus
obigem zu ersehen. Man muß beachten, die Injektion '/, — 1 Stunde vor der
Narkose zu machen und natürlich sonst alle Kautelen der Äthernarkose zu ver-
wenden, denn von der guten Technik hängt viel der gute Erfolg mit ab. Bei
Kindern soll die Methode nicht angewendet werden, wenn sie unter zwölf Jahren
sind, denn es ist bei denen eine vorzügliche Narkose mit Äther allein zu erreichen.
§ 80. Die Ätherbromäthylnarkose ist eine Kombination derart, daß
mau die Narkose mit Bromäthyl einleitet iind nach Eintritt der Betäubung die
Narkose mit Aether siüfur. weiterführt. Es ist dieses Verfahren verschiedent-
lich angewendet wordeu und soll einesteils den Eintritt der Narkose beschleu-
nigen, die Exzitatioü vermindern, Äther sparen und audernteils dem Kranken
Übelkeit, Erbrechen etc. ersparen. (Perrier, Kocher, Reboul, Cham-
pion n i e r e etc.) Kocher gibt an, den Erwachsenen 20 — 30 g Bromäthyl bis zum
Eintritt der Narkose zu geben, Kindern 10 — 20 g, und erreicht auf diese Weise
in 20 — 50 Sekunden Narkose. Er braucht danach wenig Äther, die Narkose
tritt schnell ein, und es wird diese Methode von Kocher sehr gelobt. Jeden-
falls ersieht man aber, daß ziemlich große Dosen von Bromäthyl genommen
werden und es ist bekannt, daß Bromäthyl überaus toxisch wirkt. (P o m e r a n ,
Eubzow, Reboul, ßichelot, Potherat etc.) Es ist also ebenso die
Gefahr der Synkope, der Apnoe, des Ikterus etc. vorhanden, wie sie
nach der Kombination mit Chloroform auftreten. Jedenfalls ist der Vprzug
dieser Methode der, daß die Narkose schnell und leicht eintritt, doch nach den
in andern Kapiteln auseinandergesetzten Verhältnissen des Bromäthyls zu dem
menschlichen Organismus sind die Gefahren dieser Methode größer als der
Nutzen. Die Lunge wird jedenfalls dabei schwer gefährdet, ebenso Herz, Leber
und Nieren. Diese Narkose ist gar nicht zu empfehlen, da sie mehr Gefahren
mit sich bringt, als die einfache Ätheruarkose.
Kocher gibt an, zu der Narkose eine mittelgroße mit impermeablem
Stoff überzogene Maske zu verwenden, weiter soll man neben der Maske reich-
lich Luft zutreten lassen.
§ 81. Weniger gefährlich ist die Ither-ithylcliloridnarkose, welche
dariu besteht, daß man den Kranken mit Äthylchlorid betäubt und nach Ein-
— 593 —
tritt der Toleranz mit Aether sulfur. weiter narkotisiert. Man erreicht dabei
schnellen Eintritt der Narkose, vermeidet die Exzitation, braucht weniger Äther
und der Kranke hat weniger Erbrechen, Übelsein und Kopfschmerz nach der
Narkose, wenn dieselbe nicht zulange gedauert hat. Das Verfahren ist von
K ö n i g angegeben. Mau kann diese Methode als sehr brauchbar bezeichnen,
da der Kranke hier nicht mehr Gefahren ausgesetzt ist, als bei der einfachen
Äthernarkose. Das Chloräthyl ist weniger gefährlich als das Bromäthyl und
insofern ein Vorzug in dieser Kombination gelegen. Man braucht nur weuig
Chloräthyl zu geben, 2 — 5 g genügen. Ich habe stets mit 2 — 3 g Narkose
so viel erreicht, daß der Kranke tief betäubt war. Die Patienten empfinden die
Narkose sehr angenehm. Der stechende Geruch des Äthers kommt den Patienten
nicht zur Empfindung, selbst wenn man im Anfang schon wenig Äther nebenbei
gibt. Der Verlauf ist i\beraus glatt, ohne Exzitation, und man braucht sehr
wenig Äther etc. Nach dem Erwachen fühlen sich die Kranken meist sehr wohl,
wenn nicht die Narkose zu lange Zeit gedauert hat. Nach sehr langen Nar-
kosen ist etwas Übelsein vorhanden, doch sehr wenig. Alkoholisten sind sehr
schwer damit zu betäuben. Man tut gut, denselben eine Morphininjektion vor-
her zu verabreichen, denn dadurch gelingt es, den Kranken ohne jede Auf-
regung zu betäuben. Erbrechen während der Narkose fehlt vollkommen.
Dieses Verfahren eignet sich vor allen Dingen für Entbindungen, für geburts-
hilfliche Operationen etc.
Die Technik ist die denkbar einfachste, weshalb diese Methode dem
praktischen Arzte sehr zu empfehlen ist. Man nimmt eine gewöhnliche E s -
marchsche Maske und läßt aus dem Chloräthylglas den Strahl in das Innere
der Maske fließen, während dieselbe auf dem Gesicht des Kranken aufliegt.
Dabei läßt man von außen schon hier und da einige Tropfen Aether sulfur.
auftropfen. Wenn der Kranke betäubt ist. gibt man nur Äther weiter. Nach
30 Sekunden ist der Kranke betäubt. Für die Äthernarkose gilt das früher
Erörterte. Man kann auch eine beliebige Maske anderer Art wählen.
§ 82. Die Äther-StickstoflFoxydulnarkose ist eine der brauchbarsten
Narkosen, wenn sie auch für den praktischen Arzt nicht so brauchbar ist, wie
die Äthylchloridkombinatiou, bei der die Technik sehr einfach ist, weil für die
Stickstoffoxydulkombination die Technik durch den besonders notwendigen Stick-
stoffoxydulapparat bedeutend komplizierter wird, als für die eben genannte Narkose.
Diese Methode besteht darin, daß man den Kranken bis zur Toleranz mit Stick-
stoffoxydul narkotisiert und darauf die Narkose durch Äther unterhält. Diese
Narkose ist von C 1 o v e r angegeben und zuerst empfohlen worden, nachdem
er dieselbe vielfach verwendet hatte. C 1 o v e r hat sich zu diesem Zwecke
einen Apparat konstruiert, der in Fig-ur 174 abgebildet ist, und dessen Funktion
und Konstruktion man leicht aus der Abbildung ersehen kann. Die Vorzüge
dieser Narkose liegen in der geringen Gefährlichkeit derselben, die Narkose
tritt rasch ein, es fehlt jede Exzitation, Übelkeit, Erbrechen, Aufregung,
Unruhe und Kopfs chmerz nach der Narkose (Arsdale, Clover,
Dudley, Buxton etc.). Wenn auch natürlich gewisse Gefahren und
Mängel der Narkose anhaften, so kann man doch das nicht anders erwarten,
aber man hat hier die beiden wenigst gefährlichen und toxischen Narkotika
kombiniert. Die Methode spart Äther imd es werden dadurch auch postnarko-
tische Lungenleiden vermindert, wenn auch die Gefahr deren Eintrittes stets vor-
38
594
banden ist. Doch ist diese Gefahr nicht größer als nach einfachen Narkosen,
sondern sogar weniger, da man weniger Äther zur Narkose braucht. Eine vor-
sichtige Technik und gute Beobachtung kann diese Methode zu einer sehr wenig
gefährlichen machen, und man kann diese Kombination nur empfehlen. Alko-
holisten sind damit allerdings schwer zu betäuben, man muß vorher eine
Morphininjektion in solchen Fällen anwenden. Sonst gelten alle Regeln, wie
für die einfache Äthernarkose.
Diese Methode wird, so empfehlenswert sie ist, dem praktischen Arzt
erschwert durch den notwendigen großen Apparat.
Miller hat die Äther-Lachgasnarkose vielfach verwendet und empfiehlt
dieselbe deshalb, weil sie in zwei bis drei Minuten ohne Belästigung des Kranken
eintritt. Die Mortalität ist eine sehr geringe in dieser Narkose. So hat er auf
12941 Narkosen mit Äther-Stickstoffosydulnarkosen am St. Bartholomews Hos-
pital einen Todesfall beobachtet, während der auf 2830 reine Aethernarkosen einen
solchen statistisch berechnete. TJebelkeit und Erbrechen nach der Narkose sind
vermindert. Miller verwendet den Ormsbyschen Apparat nicht mehr,
sondern die offene Methode zur Dar-
reichung des Aethers. Er stellt sich
eine Maske her aus einem Bogen Papier,
den er in Tütenform faltet mit einer
Oeffnung an der Spitze. Ueber diese
Tüte schlägt er ein Handtuch und be-
festigt in dem inneren Teile einen
Wattebausch, auf welchen er den Aether
durch die Oeffnung in der Spitze tropft,
worauf er den Trichter dem Patienten
mit der Basis auf das Gesicht setzt. Die
Lachgasnarkose muß vorher mit einem
anderen Apparat, wie man ihn für die
Methode kennt, eingeleitet werden.
Cyanose und Asphyxie hat er durch
diese Narkose und die offene Methode
vollkommen vermieden.
Die Technik ist derart, daß man
dem Kranken erst das Gas allein zu
inhalieren gibt und nach Eintritt der
Toleranz Äether verabreicht. Der
Cloversche Apparat ist sehr brauch-
bar für diese Narkose. Der Apparat,
wie er in Figur 174 abgebildet ist, be-
steht aus einer eisernen Flasche, in wel-
cher das Stickstoffoxydulgas enthalten
ist. Dieselbe ist vom Hahn F ver-
schlossen, welcher ein Rohr besorgt, das mit H bezeichnet und bei G an die Flasche
angefügt ist. Das Rohr H führt bei M in ein Gefäß, in welchem ein Hahn K
angebracht ist Die Aetherkammer G ist in diesem Gefäß enthalten, und wenn
man den Hahn K dreht, kann man einrichten, daß das Gas von der Flasche
entweder durch die Aetherkammer streicht und sich mit Aether mischt, oder
er kann anders gestellt werden, so daß das Gas nicht durch die Aetherkammer
strömt, so erhält der Kranke nur Gas. Ein Rohr N führt von dem Gefäß nach
einem Ventil 0, in welchem man durch einen Hahn die Konzentration re-
gulieren kann. Von hier wird das Gemisch oder Gas in die Maske geleitet.
Slan kann mit dem Apparat allein Stickstoffoxydul geben oder dasselbe mit
Aether gemischt, und schließlich nur Aether allein. Der Apparat funktioniert
sehr schön und der Narkotiseur kann alle Mischungen je nach Bedarf erhalten.
Dieser Apparat ist das Modell zu dem von Dudley-Buxton an-
gegebenen Apparat, welcher in Figur 175 dai-gestellt ist. Derselbe wird von
Fig, 174. Narkoseapparat von
Clover für die Stickstoff-Aether-sulf.
Narkose.
— 595 —
der Firma M e y e r & M e 1 1 z e r in London fabriziert und besteht aus zwei
Stahlzylindern mit Stickstoffoxydulgas. Von denselben führt ein Eohr nach der
Aetherkammer.
Die Aetherkammer ist aus der Figui" 176 ersichtlich und ist sehr ein-
fach konstruiert.
Man ersieht aus der Richtung der Pfeile den Weg, welchen das Gas
geht, wenn es durch Aether streicht und wenn es allein gegeben wird. Der
Apparat kann so, wie er abgebildet ist, in den einzelnen Teilen auseinander-
genommen und leicht wieder zusammengesetzt werden. Dadurch kann er in-
tensiv nach jedem Gebrauch gereinigt werden. In dem Ballon kann sich das
überschüssige Narkotikum bis zur nächsten Inspiration aufspeichern. So kann
man auch mit diesem Apparat, der im Prinzip dem obigen vollkommen gleicht,
den Kranken erst mit Stickstoffoxydul narkotisieren nnA dann mit Aether lang-
sam das Gemisch verstärkend übergehen zur Aethernarkose.
Die Erfolge, welche man mit dieser Narkose erzielt hat, sind recht gute
gewesen, doch es ist immer ein ziemlich komplizierter Apparat nötig. Man hat
als Nachteil die Explosionsgefahr der Gasgemische angeführt (Auvard,
C a u b e t), doch ist diese Gefahr nicht sehr groß, da der Apparat ja ge-
^
Fig. 175. Narkoseapparat von Dudley-
Buxtou für die Stickstoff -Aether-sulf.-
Narkose.
^3
Fig. 176.
Aetherkammer des Apparates
von Dudley -Buxton.
schlössen ist. Immerhin muß man dieselbe beachten, wenn auch die Entzünd-
barkeit in der Praxis nicht als Gefahr in Betracht kommen soll (Dudley-
Buxton). Man kann natürlich für eine solche Narkose auch jeden anderen
Apparat verwenden, der für Stickstoffoxydul angegeben worden ist, wie der von
Hewitt etc. Man wird dabei erst den Krauken mit dem Stickstoffoxydul tief
betäuben und darauf mit der Tropfnarkose mit Äther fortfahren. Man kann
auch die Methode mit der Sauerstoff-Stickstoffoxydulnarkose zuerst beginnen
und dann mit Äther oder mit Äther und Sauerstoff weiterführen. Auch diese
Kombinationen liefern gute Narkosen.
§ 83. Eine Kombination des Lachgases mit der Ätherchloroformnarkose
nach Braun ist von K r ö n i g angegeben worden, die Äther-Cbloroform-
Stickstoffoxydulnarkose. K r ö n i g' verwendete die B r a u n s c h e Narkose
und fand, daß die Toleranz 15 — 30 Minuten dauerte, ehe sie eintrat. Um diesem
Übelstand abzuhelfen, betäubte er die Kranken mit Lachgas bis zui- tiefen Narkose
38*
— 596 —
und fuhr dann mit dem Brauns chen Gemisch fort. Um diese Narkosen ausführen
zu können, hat K r ö n i g den Inhaler von B e n n e t , welcher in Amerika viel-
fach für Narkosen mit Stickstoifoxydul verwendet wird, mit dem Braunschen
Apparat kombiniert. Bei dieser Kombination ist der Kranke innerhalb 40 bis
60 Sekunden tief narkotisiert, so daß jetzt der Braunsche Apparat ein-
geschaltet wird, und nachdem nun das Gemisch vier bis fünf Minuten eingewirkt
hat, kann die Operation beginnen. An 500 solchen Narkosen hat er die Methode
erprobt, und es sind nur die besten Resultate erhalten worden. Freilich ist die
Narkose reichlich umständlich und für den Arzt auf dem Lande z. B. gar nicht
brauchbar. Immerhin kann man in Kliniken und Krankenhäusern diese Nar-
kose verwenden und unter solchen Bedingungen gibt dieselbe vorzügliche Resul-
tate. Die Figur 177 zeigt den Apparat abgebildet, und man kann aus derselben
die Konstruktion genau erkennen.
Man ersieht aus der Abbil-
dung, daß der Apparat reichlich
kompliziert ist. Es sind zwar
sehr gute Narkosen dadurch zu
erhalten, doch wird man mit der
Chloroform -Ather-Sauerstoifnar-
kose eine ebenso gute Narkose
erzielen, und der Apparat ist
entgegen diesem entschieden
handlicher und einfacher. Im-
merhin hat diese Narkose Vor-
züge und ist vor allem wegen
des raschen Eintrittes angenehm.
Der Apparat wird von Heine-
mann- Leipzig , Thomasring,
fabriziert.
§ 84. Die Scopolamiu-Morphium-Narkose ist eine der in der Neuzeit
wichtigsten Arten der Betäubung geworden und man hat in dieser Kombination
eine Narkose, welche ganz im Gegensatz zur Inhalationsnarkose steht, denn
man kann diese Narkose nur durch Injektion von Morphin und Scopolamin
unter die Haut eri'eichen. Diese Methode ist von Schneide rlin angegeben
worden. Derselbe war bestrebt, eine Methode für die Narkose zu finden, welche
weder schwer gefahrbringend für den Kranken, noch von komplizierter Technik
sei, so daß der Kranke nicht durch viele Manipulationen während der Narkose
belästigt werde, noch darf ein Kater nach dem Erwachen bestehen, und
die Narkose muß eine kontinuierliche sein, welche weder durch Erbrechen,
noch durch Husten etc. gestört wird. Allen diesen Anforderungen glaubte
S chneiderlin durch die Kombination von Morphium mit Scopolamin
zu genügen.
Schmidt hat nachgewiesen, daß die im Handel vorkommenden und bisher
zu therapeutischen Zwecken gebrauchten Hyoscinpräparate nicht dem Laden-
burgschen Hyoscin entsprechen, sondern nur aus Scopolamin bestehen. Man hat
daher in dem für verschiedene Methoden verwendeten Hyoscin Scopolamin zu
erblicken. Es ist daher auch von der Pharmacopoekommission das Hyoscinum
hydrobromicum mit dem Namen Scopolaminum hydrobromicum bezeichnet worden.
Das Scopolaminum hydrobromicum, welches zu der Gruppe der Tropeine gehört,
Fig. 177. Apparat von Krönig für- die
Aether - Chloroform - Stickstoffoxydulnai-kose.
— 597 —
ist (las Alkaloid verschiedener Scopoliaarten und von Hyoscyamus niger,
hat die Formel 0,^ H.^, N()4 H . Br und ist dem Kokaiu isomer. Es stellt farb-
lose rhombische Kristalle dar, ist optisch links drehend und löst sich in Wasser
und Weingeist leicht zu einer farblosen, blaues Lackmuspapier schwach rot
färbenden Flüssigkeit von bitterem uud zugleich kratzendem Geschmack. Das-
selbe ist in Aethei' und Chlorofoi-m nur schwer löslich. Im Auge kann man
durch Einträufeln einigei- Tropfen einer dünnen Lösung Pupillenerweitenmg be-
wirken. Dasselbe wirkt etwa fünfmal so stark als Atropin, jedoch ist die Dauer
der Wirkung selbst bei den stärkstzulässigen Konzentrationen wesentlich kürzer
als die des Atropins (R ü h 1 m a n n , Illig). Das Scopolamin ist auch da-
durch vom Atropin verschieden, daß es keine Steigerung des intraokulären
Druckes heiTori'uft (Uli g). Vor allen Dingen wird das Scopolamin in der
Neurologie und Psychiatrie verwendet, denn es wirkt sehr stark benihigend,
selbst schon in sehr kleinen Dosen, ohne unangenehme Nebenwirkungen zu
zeigen. Das Scopolamin wirkt aber absolut nicht gleichmäßig, sondern es ist
die Toleranz gegen dasselbe oft bei demselben Menschen eine wechselnde.
Kunkel hat genauere Untersuchungen über die Wirkungen augestellt und
gefunden, daß nach einer subkutanen Injektion von ^/.^ — 1 mg Scopolamin am
gesiinden Menschen folgende Erscheinungen auftreten: Schon nach acht Minuten
nach der Injektion werden die Lider schwer, die Pupillen werden nach zehn
Minuten weit, der Kopf sinkt herab. Der betreffende Mensch fühlt Müdigkeit
in allen Gliedern, Trockenheit im Munde, Abgeschlagenheit, Durstgefühl, der
Gang wird schwankend, der Puls wird verlangsamt. Darauf tritt fester Schlaf ein,
der weder von Träumen noch von Delirien gestört wird, während welchem die
Respiration tief und gleichmäßig ist. Andere haben Schwindelgefühl, hochgradige
motorische Unruhe, Verwirrung etc. beobachtet.
Auch ich habe nach ganz geringer Dosis von 0,5 mg bei einem Kranken
schwere Intoxikationserscheinungen, starke aufgeregte verwirrte Zustände nach
einem mehrstündigen Schlafe eintreten sehen. 0 s t e r m a y e r hat nach 1 mg
Scopolamin den Tod eintreten sehen. Man hat mehrfach Intoxikationen beobachtet.
Die Symptome sind Benommenheit, Coma, Trismus, klonische Zuckungen der
Exti'emitäten, des Unterkiefers, blasses Gesicht, maximale Dilatation der Pupillen,
Pulsfrequenz etc. Nachdem man durch Morphin die Krämpfe beseitigt, trat
Körperstarre und Sopor ein, und endlich klang der Zustand bald ab (A d 1 e r). Es
sind auch noch eine Reihe anderer Symptome beobachtet. Uebrigens tritt auch die
Intoxikation verschieden auf (Kochmann, Ernst, Sohrt, Githgens etc.).
Die pharmakodynamischen Wirkungen des Scopolamius sind von verschiedenen
experimentell festgesetzt und erforscht worden (Koch mann, Koberts,
Ernst, Sohrt etc.). Kochmann stellt dieselben folgendermaßen zu-
sammen :
I. Der Blutdruck wird diirch kleine Gaben von Scopolamin hydrobrom.
infolge Reizung des vasomotorischen Zentrums gesteigert, durch
große Gaben dagegen stark erniedrigt. Letzteres beruht nicht auf
einer Lähmung des vasomotorischen Zentrums, sondern auf einer
Schädigung des exzitomotorischen Apparates des Herzens.
II. Der Puls ist bei kleinen Dosen des Alkaloids nicht wesentlich gegen
die Norm verändert, auf große Dosen tritt durch Vagusreizung Ver-
ringerung der Pulsfrequenz und Größerwerden der Pulselevationen
ein (Vaguspuls).
m. Der N. vagus wird selbst durch große Dosen bei Hunden nicht ge-
lähmt, bei Kaninchen dagegen ist schon auf mittlere Gaben eine
Lähmung des Nervus vagus zu finden.
IV. Die Erregbarkeit der Großhirnrinde für farad. Sti-öme wird durch
Scopolamin herabgesetzt.
V. Scopolamin ruft selbst in kleinen Dosen beim Menschen und Hunde
Schlaf hervor, dem motorische Unruhe, wahrscheinlich auf Halluzi-
nationen beruhend, vorausgeht. Analgesie besteht während des
Schlafes nicht. Bei Kaninchen kommt diese sedative Wirkung
nicht zum Vorschein, beim Frosch ist auf Scopolamin hin eine
— 598 —
zentrale Lähmung und Reflexunerregbarkeit nach vorhergehender
Irradiation der Reflexe zu bemerken.
VI. Die Respiration wird beim Menschen und Hunde durch therapeutisch
schon wirksame Dosen nicht geschädigt. Bei großen Dosen ist
eine Schädigung der Atmung immer zu konstatieren. Bei Kaninchen
tritt sogar primärer A.temstillstand ein.
VII. Die Speichel-, Schweiß- und Schleimsekretion wird durch Scopo-
lamin aufgehoben.
VIII. Sowohl bei lokaler Installation ins Auge als auch resorptiv treten
Mydriasis und Akkomodationslähmung ein, welche aber schneller
vorübergehen als beim Atropin.
IX. Scopolamin lähmt die motorischen Endapparate des N. vagus im
Darm, hebt aber den Splanchnicustonus auf.
X. Scopolamin wird durch die Nieren ausgeschieden.
Wenn man nun diese Einwirkungen des Scopolamins auf die Funktionen
im Organismus mit denen des Moii^hins vergleicht, so kann man konstatieren,
daß beiden eine hj^pnotische und anästhesierende Eigenschaft zuteil wird,
während sie in allen ihren andern Eigenschaften und Einwirkungen auf den
Organismus als Antagonisten zu betrachten sind (Bio s).
Man kann aber nicht einen vollen Antagonismus annehmen, denn dies ist
ja überhaupt nicht wörtlich zu verstehen, da es einen Antagonismus re vera gar
nicht gibt, aber es bestehen zwischen den beiden Stoffen Wirkungen auf be-
stimmte Organe, welche durch ihre verschiedenen Resultate in günstigem Sinne
den Gesamtorganismus beeinflussen. Man kann daher durch die Kombination
dieser beiden Stoffe Wirkungen erzielen, welche dem einen und andern allein
nicht im mindesten innewohnen. So fand Kochmann, daß 0,01 Morphin bei
zwei gleich schweren Hunden außer einer gewissen Benommenheit keine anderen
Erscheinungen hervorrufe, und daß 0,0005 Scopolamin, allein injiziert, nur kurz-
dauernden Schlaf ohne Analgesie erzeugt. Wenn er aber diese beiden Dosen
vereinigt injizierte, so konnte er bei einem Hunde tiefen Schlaf mit vollkom-
mener Analgesie erzeugen. Bei einem anderen Hunde konnte er mit der gleichen
Dosis tiefen Schlaf mit nur bedeutender Herabsetzung der Schmerzempfindlichkeit
erreichen. Man muß dies auf die verschiedene Wirkung des Scopolamins be-
ziehen. Dieser Zustand hielt aber bei den Tieren fünf Stunden lang an.
Kochmann weist darauf hin, daß hier ähnliche Beziehungen bestehen werden,
wie sie H o n i g m a n n für die Kombination von Chloroform und Aether
sulf . zahlenmäßig feststellte. Honigmann fand, daß, wenn m 7o Chloro-
formdämpfe der Inspirationsluft des Kranken beigegeben werden müssen,
oder n7o Atherdämpfe, um Narkose zu erzielen, bei einer Mischung von Chloro-
form und Äther nicht -^7o Chloroform -|- ^7o Äther in der Inspirationsluft ent-
halten sein müssen, sondern -^^o Chloroform -|- ~7o Äther genügen, um eine
Narkose zu erzeugen. Diesen Verhältnissen entsprechen auch die Beobachtungen
der Wirkungen der Scopolaminmorphinnarkose. Schneiderlin hat durch
die höchsten Dosen von Morphin oder Scopolamin allein nicht die Anästhesie,
überhaupt nicht Anästhesie erreichen können, die er durch Kombination beider
Mittel leicht erzielte. Es ist allerdings auch hier die Wirkung verschieden;
die individuelle Anlage spielt eine sehr große Rolle, denn eine Person ist leicht
mit dieser Methode zu betäuben, während eine andere nicht in Narkose verfällt.
— 599 —
Es ist auch die Wirkvmn' des Scopolaminmorphiusjemisclies auf das Herz
untersuclit Avorden und de Caspero konnte Ijei Herzleidenden keine un-
g'ünstigen Nebenwirkungen beobachten. Der Blutdruck blieb auch in diesen
Fällen ganz unverändert, wenn er Hei'zkranke damit betäubte. Es mag dies
darin liegen, daß in der Narkose die Spannung der Gefäße geringer, die Füllung
aber erhöht wird.
Schneiderlin hat nun zur Verwendung dieser Methode zwecks Nar-
kose bei chirurgischen Eingriifen die Art der Einleitung der Narkose näher
bestimmt. Vor allen Dingen gibt er folgende Punkte zur Beachtung an: I. Vor-
sichtiges Ausprobieren der Dosis. II. Injektion der Lösung au verschiedenen
Stellen. III. Man warte nach der Injektion 1^2 — ^ Stunden. IV. Verwendung
stets ft'ischer Lösungen. — Zur Einleitung einer Narkose verfährt Schneiderlin
so, daß er mit 0,0003 Scopolamin -)- 0,01 Morphin anfängt und diese Dosis
nach ein bis zwei Stunden wiederholt, oder er gibt die Dosis probeweise
am Abend vor der Operation und am nächsten Tage eine höhere Dosis. Auf
diese Weise konnte er nach zwei- bis viermaligem Ausprobieren die für die
Operation nötige Narkose erreichen, indem er auch auf die Dauer der vor-
zunehmenden Operation Rücksicht nimmt. Wenn man aber nicht soviel Zeit
zum Warten hat, so werden 0,005—0.0008—0,001 Scopolamin + 0,02—0,03 Mor-
phin gegeben. Dieses Ausprobieren war aber absolut kein Vorzug dieser neuen
Narkose gegenüber der Atherinhalationsnarkose, und um dies abzuändern, hat
K 0 r f f verschiedentliche Versuche angestellt. Zuerst machte K o r f f innerhalb
einiger Stunden mehrere Injektionen der Lösung und vervollkommnete dann
die Narkose durch Chloroform. Obwohl die Eesultute recht gute waren, so
war er doch besti-ebt, das Chloroform oder ein anderes Narkotikum ganz zu
entbehren, und so stellte er folgendes Verfahren zusammen: Vier Stunden vor
der Operation wurde, nachdem der Kranke ^'3 Stunde vorher ein Frühstück aus
flüssigen Speisen erhalten hatte, die erste Injektion von 0,01 Morphin -j- 0,0012
Scopolamin gegeben. Nach zwei Stunden folgte eine zweite Injektion, und ^/g Stunde
vor der Operation wurde noch eine dritte Injektion von derselben Dosis verab-
reicht. Wenn man nur kurze Operationen, wie Herniotomien etc., von der Dauer
von fünf bis zehn Minuten, vornehmen wollte, konnte man schon mit zwei In-
jektionen eine genügende Narkose erreichen, oder man machte kurz vor der
Operation noch eine Injektion von der halben Dosis. So erreichte K 0 r f f voll-
kommene Narkose, bei der nur manchmal durch das Zurücksinken des Zuugen-
grundes ein Atemhindernis entstand, sonst aber keine Nachteile bestanden.
130 Fälle hat so er ohne üble Zwischenfälle narkotisiert. Eine sehr herunter-
gekommene Frau collabierte, konnte aber durch Kamphor wieder gerettet werden,
K 0 V f f beobachtete bei sonst ruhiger Herzaktion eine starke Gefäßerweitemng
im Carotidengebiet und gibt den Rat, diese Narkose deshalb bei Strumaoperationen
zu vermeiden. Sonst ist die Narkose ganz ruhig, ohne Exzitation, einfach zu
erreichen, ohne üble Nebenerscheinungen und ohne Gefahr (Korff, Bios etc.).
Bios gibt am Abend vor der Operation eine Probeinjektion von ^2 — 1 Maximai-
dosis der Lösung, um zu sehen, wie der Kranke die Wirkung verträgt. Wird
diese Dosis schlecht vertragen, so wendet er die Methode dann nicht an. Er
verwendete am häufigsten die Mischimgen pro Dosis:
I. 0,001 Scopolamin + 0,06 Morphin,
II. 0,001 Scopol. + 0,06 Morphin und später 0,0005 Scopol. + 0,03 Morphin,
III. 0,00075 Scopolamin + 0,045 Morphin.
— 600 —
Bios gibt den Rat nach seinen Erfahrungen mit diesen großen Dosen,
dieselben in zwei bis drei Zeiten zn verabreichen, und so gibt er lieber
kleine Dosen öfter. Er hat meist 1 — 1^2 Stunden warten müssen, bis die Nar-
kose eintrat, während die Narkosen selbst mindestens eine Stunde bis zu drei
Stunden anhielten. Allerdings gibt es öfter Kranke, welche nicht in vollkom-
mene Narkose verfallen, er hat dann mit Äther die Narkose ergänzt. Aber
sonst sind seine Resultate sehr gute gewesen.
W i t z e 1 hingegen hat gar keine guten Resultate erzielt und deshalb
die Methode wieder verlassen. Schicklberger hat meist sehr starke moto-
rische Unruhe und dabei so ungenügende Entspannung der Muskeln beobachtet,
daß er ziim Chloroform griff. Er hat aber sonst sehr gute Resultate erzielt
und meint nur, daß das Scopolamin ein nicht ganz zuverlässiges Narkotikum
ist und vor allem nicht immer alle Muskeln entspannt, was bei manchen Ope-
rationen störend ist. Deshalb wird in solchen Fällen, wo man Entspannung-
aller Muskeln fordert, die Chloroform- oder Athernarkose verwendet wei'den
müssen. Er will die Scopolaminmorphinnarkose für jene Fälle angewendet wissen,
wo die Inhalationsnarkose kontraindiziert ist. Wild hat die Methode ebenfalls
öfter angewendet und bei einem 18 jährigen gesunden Mädchen, die au Empyem
der Kieferhöhlen litt, einen sehr schweren Herzkollaps in der Narkose gesehen,
der beinahe zum Tode führte, und wobei das Mädchen erst nach stundenlangem
(zwölf Stunden) Bemühen vom Tode gerettet werden konnte. Er empfiehlt
daher große Vorsicht.
Bios hat auf 70 Narkosen ueuii Atemstörungen bei guter Herzaktion
und einen Todesfall beobachtet. Der Mann, der sehr schwer krank war
(Phthisis pulmon., Caries etc.), starb sechs Stunden nach der Operation durch
Atmungsstillstand. W i t z e 1 hat einen Todesfall erlebt und zweimal Mißerfolge
der Narkose, einen Kollaps und zu frühes Erwachen, ohne daß der Kranke sich
aber später an die Operation erinnern konnte. H e i n a t z hat 38 Narkosen
gemacht. Er machte vier-, zwei- imd ^ g stündig vor der Operation Injektionen
von 0,0012 Scopolamin -J- 0,015 Morphin. In 18 Fällen trat genügende Narkose
ein, bei den übrigen nicht, er mußte Chloroform zu Hilfe nehmen. Er brauchte
12 — 20 g Chloroform, einmal erlebte er Apnoe, öfter Erbrechen.
Schneiderlin fand bei seinen weiteren Untersuchungen gute Resul-
tate, er gibt den Rat, auf das Zurücksinken des Zungeugrundes zu achten.
Ebenso müsse bei Operationen im Mund peinlichste Blutstillung vorgenommen
werden. Nach Schneiderlin liegen die Nachteile der Methode darin, daß
man die Wirkung erst ausprobieren muß und damit Zeit verliert, ferner daß
man nach dem Erwachen die Respiration genau beachten muß, wofür als Vor-
teil die Gefahrlosigkeit bei richtigem Anwenden, Wegfallen des psychischen
Shocks auf den Patienten u. a. m. zu betrachten sind. Die Methode ist von
Bloch bei otologischen, von F 1 a t a u bei gynäkologischen Operationen aus-
geführt worden, imd zwar haben dieselben sehr gute Resultate gefunden. Doch
hatte Flatau trotz sorgfältiger Auswahl einen Todesfall auf 77 Fälle beobachtet.
Es war dieser Fall eine Frau mit Myom und vorhergehenden Blutungen, die
nachdem die Narkose vorzüglich verlaufen war, 41/2 Stunden nach derselben
coUabierte und nach IV2 stündigem fruchtlosen Bemühen der Wiederbelebung an
fortschreitender Herzschwäche zugrunde ging. Flatau meint, daß in diesem
Falle für die Kranke zu hohe Dosen gegeben seien, was man aber natürlich nicht
— 601 —
vorbei* so geuau wissen kann, luul daß die Ki-anke uiir infolge dei" Narkose
gestorben sei. G r e v s e n hat 69 Narkosen ausgeführt, von denen in 15 Fällen
starke Unruhe auftrat, bei einem ISjäbrigen Knaben war die Unruhe so stark, daß
die Operation unterlassen werden mußte. Erbrechen trat zweimal auf, Puls und
Atemtätigkeit waren nie übel beeinflußt. Bei älteren Leuten bestand noch
tagelang nach dei- Narkose Beeinträchtigung des Denkvermögens. Stolz hat
fünf Fälle narkotisiert und ebenfalls oft Unruhe der Kranken beobachtet, ein-
mal so stark noch nach der Operation, daß Patientin im Bett festgehalten werden
mußte. Die Pupillen waren in der Narkose weit, i-eaktionslos, die Atmung ver-
langsamt, röchelnd, der Puls beschleunigt. Nach seiner Ansicht ist die Narkose
so ganz unzureichend, wie sie jetzt vorgenommen wird. Man hat auch von
anderer Seite diese Beobachtung gemacht und den Rat gegeben, die Narkose
mit Äther zu vervollkommnen (Kor ff, Bios, Hartog, Volk mann etc.).
Wenn man die Berichte über die Scopolamiu-Morphinnarkose allein ge-
nauer prüft, so kommt man allerdings zu der Überzeugung, daß diese Narkose
nicht eine genügende Betäubung hervorruft. Natürlich könnte man eine tiefe
Narkose erreichen, doch dann müßte man eine Dosis Scopolamin und Morphin
geben, welche sehr viel Gefahren bi'ingt. Man hat aus den angeführten Todes-
fällen gesehen, daß das Scopolamin die schwersten Herzkollapse hervorrufen
kann. Gerade darin liegt der Nachteil dieser Narkose, daß die Wirkung des
Scopolamin eine sehr unsichere ist, und man nie vorher genau wissen kann,
wie der Kranke darauf reagiert. Es ist das Skopolamiu eben ein schweres Gift
und ist als solches gar nicht indifferent. Man darf auch nicht sagen, daß die
Scopolamin-Morphinnarkose weniger Gefahren bringe, als die einfache Chloro-
form- oder Athernarkose. Dies geht schon daraus hervor, daß bei den wenigen
tausend Narkosen, welche bisher auf diese Methode überhaupt ausgeführt worden
sind, schon mehrere Todesfälle bekannt gegeben sind. Immerhin aber hat die
Methode große Vorzüge. Ein besonderer Vorzug ist der, daß die Scopolamin-
Morp hinwirkung die Sekretion der Schleimhäute vermindert, daß der Blutdruck
nicht herabgesetzt wird, wenigstens nicht wesentlich, daß der Kranke durch die
Ausführung der Narkose nicht so stark belästigt wird wie bei der Inhalationsnar-
kose, und noch verschiedene Vorzüge mehr sind vorhanden. Es sind aber die
Vorzüge der Narkose bei weitem nicht so einwandfrei, wie man anfangs glaubte,
das Herz und die Atmung können, wie wir gesehen haben, schwer geschädigt
werden (Flatau, Wild, Witzel, Bios, Kochmann etc.), und es
kommt hierzu noch der Umstand, daß mau solche schwere Störungen dieser
lebensvpichtigen Funktionen bei ganz gesunden Menschen gesehen hat. Ein
weiterer Ubelstand ist der, daß man während der Narkose es nicht in der
Hand hat, die Dosis des Narkotikums zu ändern. Man hat nach Gutdünken
eine bestimmte Menge der Mischung injiziert und muß es nun dem Organismus
überlassen, wie er sich dazu stellt. Natürlich kann man vorher ausprobieren,
doch auch das ist ein Übelstand, und beseitigt die Gefahren nicht ganz. Das
Verhalten der Pupille ist für den Narkotisem* nicht wesentlich wichtig, denn
es tritt sofort nach der ersten Injektion Mydriasis ein, manchmal tritt dieselbe
erst nach mehreren Dosen auf, auch dies wechselt. Die Weite der Pupille
bleibt aber immer gleich. Man muß während der Narkose stets auf Unfälle
und toxische Wirkung gefaßt sein, und man kann bei Eintritt derselben die
Dosis im Organismus nicht ändern, und kann nur symptomatisch die In-
— 602 —
toxikation bekämpfen. Erbrechen tritt bisweilen ebenfalls in der Narkose auf.
Das Unangenehme ist die häufige starke Unruhe. Grevser, Rosenfeld etc.
geben den Rat, nie alte Lösungen zu verwenden, denn die Unruhe tritt nach
ihnen öfter auf. Natürlich wäre es höchst leichtsinnig, wenn ein Arzt von
diesem sich leicht zersetzenden Präparat, das an sich schon sehr unsicher wirkt,
alte Lösungen verwenden wollte.
Durch die Kombination dieser Narkose mit Chloroform oder Äther ist
allerdings eine bedeutend brauchbarere Methode entstanden (Bios, Kor ff,
Schneiderlin etc.). Man spart ganz bedeutend an dem Inhalationsanästhetikum
und kann in allen Fällen sicher Narkose erreichen. Man verfährt da am besten
so, daß man den Kranken zunächst 0,0012 Scopolamin -{- 0,01 Morphin sub-
kutan verabreicht. Daraufhin schläft der Kranke nach ^4 — 1 Stunde ein, nach-
dem er zuvor Müdigkeit, Trockenheit im Munde, erschwertes Sprechen und
Blutandrang nach dem Kopfe empfunden hatte. Nach 1^2 — 2 Stunden nach
der ersten Injektion folgt die zweite Injektion, und ^2 Stunde vor der
Operation die dritte. Es wird also die erste Injektion 4 Stunden, die
zweite 2 Stunden , die dritte V2 Stunde vor der Operation gegeben , und
jedesmal die genannte Dosis. Wenn man sicher ist , daß man Äther
oder Chloroform noch nebenbei verwenden muß, so genügen ein oder zwei
Injektionen in entsprechenden Zwischenräumen. Wenn man aber einen
gesunden Menschen vor sich hat , kann man drei Injektionen ausführen
und versuchen, ob derselbe völlig betäubt wird. Gelingt dies, so führt man
die Operation aus, wenn nicht, so nimmt man noch Äther oder Chloroform.
Die Wahl, ob man Äther oder Chloroform verwenden soll, hängt vom
Kranken und dessen Verhalten etc. ab. In den meisten Fällen kommt man
mit wenig Äther zum Ziele und erreicht eine sehr gute Narkose. Man gibt
den Äther in der Tropfform und kann auch je nach Bedarf einige Tropfen
Chloroform beifügen. Die Indikationen füi" Äther oder Chloroform sind hier
genau dieselben wie bei der einfachen Chloroform- oder Äthernarkose, was
früher erörtert wurde.
Kor ff hat als zu verwendende Lösimg folgende angegeben:
Scopolamin. hydrobrom. 0,001
Morphin, mur. 0,25
Aqua dest. coct. 10,0
von welcher er 2^/2, bzw. 1^2, bzw. ^/a Stunde vor der Operation ^3 Pravaz-
spritze, also insgesamt 0,001 Scopolamin und 0,025 Morphin gibt. v. Stein-
büchel injiziert 0,0003 — 0,0004 Scopolamin -|- 0,01 Morphin, und erreicht mit
1 — 2 solchen Dosen eine sehr gute Ergänzung der Inhalationsnarkose. Die
Vorbereitung des Kranken ist nur gering, denn es genügt, wenn derselbe ein
flüssiges Frühstück 1^ — 2 Stunden vor der Injektion erhalten hat.
Marmetschke hat füi' die ergänzende Inhalationsnarkose wenige
Tropfen, bis 20 g Chloroform, letztere Dosis für eine 21/2 Stunden dauernde
Operation, und bis zu 100 g Äther gebraucht, in einem Falle genügten zehn
Tropfen Chloroform und 30 Tropfen Äther für l''/4 Stunden lange Narkose, und
mit 100 g Äther wurde über eine Stunde lang betäubt, die Pupillendilatation
hält nach der Narkose oft noch tagelang an, die Cornealreflexe erlöschen nie.
Marmetschke hat von 17 Fällen zweimal Erbrechen, zweimal Asphyxie mit
starker Cyanose beobachtet, die Schleimabsonderung war auffallend gering,
— 6U3 —
auch weuii Äther noch gegeben wurde. Die Hautgefäße von Hals und Gesicht
waren überall stark injiziert, die oberflächlichen größeren Venen waren überall
prall gefüllt, der Puls beschleunigt, bisweilen auf 130 pro Minute, sowie leicht
komprimierbar und arhythmisch. In einem Falle war der Puls schon nach
einer Injektion so schwach und unregelmäßig geworden, daß eine Kampfer-
injektion gemacht werden mußte. Die Vermehrung der Pulsfrequenz dauerte
meist noch tagelang nach der Narkose an, in vier Fällen war der Puls noch
wochenlang stark beschleunigt und unregelmäßig. Unruhe stärkeren Grades
bestand stets. In einem Falle trat am dritten Tage nach der Narkose (xly-
kosurie auf, welche schon monatelang völlig sistiert hatte. Das Erwachen aus
der Betäubung erfolgt 1 — 3 Stunden nach Beendigung der Operation, in einem
Falle sogar erst nach sieben Stunden. In allen Fällen bestand vollkommene Am-
nesie bezüglich der Vorgänge unmittelbar vor der Narkose in der Operation.
Diese Amnesie, verbunden mit starken Aufregungszuständen und Ver^^irrtheit
nach der Narkose erfordert sorgfältigste Überwachung des Patienten nach den Be-
täubungen. Alle Kranken sind beim Erwachen desorientiert, manche wollen aus
dem Bett springen etc., oft besteht tagelang Unbesinnlichkeit und Gedächtnis-
schwäche, die nur langsam schwinden.
Die schweren unbei'echenbaren Wirkungen dieser Narkose, die Gefahr
für Herz und Lungen und viele unangenehme Nebenerscheinungen lassen diese
Narkose sehr weit hinter der Chloroform-, Äther- oder jeder anderen Narkose,
namentlich unserer gemischten Sauerstoffnarkose, zurückstehen. Bios hält
Hysterie und Neurasthenie als Koutraindikationen der Narkose, weil diese
Kranken auf die kleinsten Mengen Scopolamin geradezu spezifisch mit höchster
Um'uhe, Herzklopfen, Halluzinationen, Erbrechen etc. reagieren. Wenn auch
Volkmann und Heiuatz ohne Schaden und Nebenwirkungen diese Narkose
bei schweren Herz- und Nierenkranken angewendet haben, so bestehen doch
Erfahrungen, die schon Leute mit gesundem Herzen an Kollaps sterben ließen
(Flatau, Witzel etc.), so daß man wohl diese Narkose bei solchen Kranken
unterlassen dürfte. Man muß Scopolamin als direktes Herzgift ansehen
(Witzel, Kochmann, Grevsen, Flatau, Hartog, Bios etc.), was aus
zahlreichen Beobachtungen hervorgeht. Es ist daher größte Vorsicht mit dieser
Narkose zu üben. Es ist zweifellos, daß der Methode große Vorzüge anhaften.
Nach den Angaben von Kümmell auf dem Chirui'genkongreß 1905 sind bei
ihm seit der Einführung der Scopolamin-Morphinnarkose die Pneumonien und
postoperativen Lungenleiden bedeutend zurückgegangen. Während er 1904
43 postoperative Pneumonien hatte, von denen 15 starben, wurden die Resultate
nach der Sauerstoff'-Chloroformnarkose besser, wesentlich aber erst durch diese
Narkose, was er der austrocknenden Wirkung des Scopolamins zuschreibt. Es
ist gar kein Zweifel, daß diese Verhältnisse auch mit der Zeit noch von
anderen Operateuren beobachtet werden, denn dieser Umstand ist wohl der
größte Nutzen der Scopolamin-Morphinnarkose.
Obwohl ich bei Einleiten einer Scopolaminnarkose sehr schwere Er-
scheinungen beobachtete und von der reinen Scopolamin-Morphinnarkose wenig
erwarte, so halte ich die Kombination der Scopolamin-Morphinnarkose mit der
Ätheruarkose für die Methode der Zukunft in dieser Hinsicht. Natürlich wird
in Fällen, wo Äther direkt kontraindiziert ist, auch Chloroform verwendet
werden können, doch wird in den meisten Fällen der Äther gewählt werden
— 604 —
können, denn seine übelste Nebenwirkung anf die Lungen wird stark gemildert,
die Sekretionsvermehrung hängt natürlich ganz ab von der Menge des verab-
reichten Äthers, aber schon dadurch, daß man nur sehr wenig Äther braucht,
wird die Sekretion nicht vermehrt, und wenn reichlich 100 ccm nötig sind, so
vermögen dieselben die Sekretion gar nicht anzuregen. Es ist daher bei allen
Narkosen mit Scopolamin keine Salivation vorhanden. Eine noch geeignetere
Kombination dieser Methode ist die mit der Sauerstoff-Chloroformäthernarkose,
worüber ich weiter unten noch des näheren belichten werde.
Wenn man nun aber die Narkose doch mit einem Inhalationsanästhetikum
kombiniert, so ist es auch nicht nötig, den Kranken der Gefahr größerer Dosen
Scopolamins auszusetzen, sondern man kann die geringst wirksame Dosis ver-
wenden. Man wird daher mit einer Injektion von 0,0003 bis 0,00075 Scopolamin
auskommen, und mit 0,01 bis 0,02 Moi'phin, oder, falls dies nicht genügend
wirken sollte, eine zweite Injektion kurz vor der Narkose machen. Dann wird
man den Kranken mit Äther weiter betäuben. Dies entspricht der von Hartog
angegebenen Methode, die früher schon erwähnt wurde.
Die nähere Einwirkxxng der Morphin-Scopolaminnarkose auf die inneren
Organe ist uoch nicht genauer untersucht worden. Es ist daher auch nicht
bekannt, ob die Intoxikation mit Scopolamin, mit der man es hier zweifellos
zu tun hat, schwerere Veränderungen im Organismus erzeugt. Die Symptome
der Narkose lassen erwarten, daß die Einwirkung auch auf die inneren Organe
nicht ganz so harmlos ist, als man sie allgemein hinstellt. Es sind vor allen
Dingen die lange vorhaltende Gedächtnisschwäche, die motorische Unruhe
und die oft nach der Narkose auftretenden anderen noch lange Zeit anhaltenden
und nur langsam nach der Narkose abklingenden Anzeichen, welche eine ziemlich
intensive Wirkung des Scopolamins auf das Zerebrum verraten ätiologisch noch
unbekannt. Es müssen erst noch genauere Untersuchungen, Tierexperimente und
Beobachtungen an größerem Material ausgeführt werden und man muß daraus ein
Urteil zu erreichen suchen. Es ist allerdings oft der Fall, daß man durch anfäng-
liche Mißerfolge abgeschreckt wird, iind so habe ich auch lange nicht ver-
mocht, weitere Versuche an Patienten zu machen, nachdem ich bei einigen
Narkosen sehr starke Nebenwirkungen, Unruhe, hochgradigste Erregungszu-
stände und Halluzinationen erleben mußte, die bei einem Fall die ganze Nacht
von abends 6 Uhr anhielten, so daß natürlich die Lust zu weiterem Probieren
mir gründlich genommen wurde. Da nun solche Zufälle in der Privatpraxis
für den Arzt sehr unangenehm sind, so kann man zur allgemeinen Verwendung
dieser Narkose nicht raten. Anders ist allerdings die Kombination mit Äther,
denn bei dieser kann man den Kranken weniger unter die Scopolaminwirkung
stellen, als dieselbe nur zur Verstärkung der Äthernarkose benutzen und da-
durch vor allen Dingen dem Äther die gefährlichste Nebenwirkung, die der
Anregimg der Salivation, fast ganz rauben. Ob der Äther auch die Reize auf
die Schleimhaut der Bronchien durch die Scopolaminwirkung einbüßt, ist noch
nicht erforscht, aber es ist schon durch die Verminderung der Salivation viel
gewonnen.
§ 85. Aus den Ausführungen über die Scopolamin-Morphinnarkose er-
sieht man, daß eine allgemeine Verwendung dieser Narkose noch nicht möglich
ist, da die Wirkung des Scopolamins in den nötigen Dosen doch größere Ge-
fahren mit sich bringt, als die einfache Narkose mit Chloroform etc., daß ferner
— 605 —
auch uicht alle rersoiien mit Scopolamin-Morphhi narkotisiert werden könneu.
Man hat nun zur Vermeidung der üblen Wirkungen nur eine Scopolamin-
Morphininjektion mit der Äther- oder Chlorofonnnarkose kombiniert. In An-
betracht der günstigen Wirkung des Scopolamins zni- Verhütung der Salivation,
und derselben des Morphins zui' Vertiefung der Xarkose, habe ich die Scopolamin-
Morphii\injektionen vor der Sauerstoffnarkose angewendet. Es ergibt dies die
Scopolamin-Morphin-C'hloroform-Äther-SaTierstoffnarkose und die Scopo-
lamin-Morphin-Äther-Chloroform-Sauerstoffttarkose.
Wenn auch diese Narkosen noch wenig verwendet worden sind, so kann
man doch erwarten, daß sie eine größere Verbreitung finden werden, denn man
vermag durch diese Kombinationen vorzügliche Narkosen zu erzielen, welche
die denkbar angenehmsten Betäubungen für den Kranken darstellen. Infolge
der Scopolamin-Morphininjektion eine Stunde vor Beginn der Inhalationsnarkose
wird der Kranke langsam schon betäubt und merkt es gar nicht, wenn die
Inhalation beginnt, so daß all die Unannehmlichkeiten bei der Narkose, wie
Atemnot, Exzitation etc., wegfallen. Dieser Vorteil eines ruhigeren Eintrittes
und Verlaufes dieser Narkosen hat eine große Bedeutung. Ein weiterer Um-
stand, der vorteilhaft ist, liegt in der Verminderung der Salivation, eine ver-
mehrte, überhaupt nur nachweisbare Absonderung von Schleim ist gar nicht
vorhanden, imd somit wird der Inhalationsnarkose eine große Gefahr genommen,
indem postnarkotische Lungenleiden verhütet werden. Das Scopolamin wirkt
derart austrocknend, daß selbst die die Salivation anregende Wirkung des
Äthers, Chloroforms etc. durch die Scopolamin Wirkung paralj^siert wird. Diese
Narkosen werden entschieden sehr gute Eesultate erzielen. Ich verwende bei
Frauen eine einmalige Injektion eine Stunde vor Beginn der Narkose von
0,00015 Scopolamin. hydrochlor. -|~ 0,005 Morphin, mur. Während ich bei
Männern, die nicht Potatoren sind, mit derselben Dosis auskomme, injiziere
ich Potatoren 0,0003 Scopolamin -|- 0,01 Morphin. Auf diese Weise kann man
starke Potatoren leicht und ohne eine Gefahr bedeutender Art betäuben. Diese
Dosen sind sehr gering und schaden nie, rufen nie Intoxikationssymptome oder
unangenehme Nebenwirkungen hervor. Welche Narkose man dazu verwendet,
muß aus dem jeweiligen Zustand des Kranken entschieden werden. Am besten
wird man da die Äther-Chloroform-Sauerstoff'narkose verwenden, während man
nur in selteneren Fällen die Chloroform-Äther-Sauerstoffnarkose braucht. Wenn
auch diese Narkosen noch nicht vielfach verwendet und erprobt worden sind,
so haben doch die bisher angestellten Experimente sehr befriedigende Resultate
geliefert, und es wird die weitere Verwendung den Wert der Methode lehren.
Diese Methode muß überall da Anwendung finden, wo man es mit Kranken zu
tun hat, welche zu Salivation und Lungenleiden prädisponiert sind, und bei
denen man Verdacht auf etwa gar bestehende Lungenleiden hat. Der Mangel
jeder Salivation ist der größte Vorteil.
Noch ehe ich diese Zeilen zur Publikation bringe, erhalte ich eine Mit-
teilung von Professor Krönig in Freiburg, worin derselbe mich auf die Vor-
züge dieser Methode hinweist und bemerkt, daß er mit der Kombination von
Scopolamin-Morphin mit der Äthernarkose und ebenfalls mit der Sauerstoffnarkose
recht gute Resultate erzielt hat. Der Umstand, daß von uns unbewußt diese
Methode verwendet und als gut befunden wurde, zeigt, daß diese Narkose eine
— 606 —
vorzügliche ist und jedenfalls verdient, vi^eiter untersucht und verwendet zu
werden.
Es wird zweifellos auch die Kombination der Scopolamin-Morphiniujektion
mit der Chloroformsauerstoff- oder der Äthersauerstoffnarkose vorzügliche Re-
sultate liefern. Man kann daher eine Menge von einzelnen Variationen erhalten
und dieselben ganz nach den somatischen Verhältnissen des Kranken einrichten,
so daß man für jeden Zustand oder jeden Kranken die günstigste Narkose so
darstellen kann. Immer muß man aber dessen eingedenk sein, daß man nie
zu große Dosen verwenden soll, denn Scopolamin und Morphin sollen nur in
Dosen verwendet werden, in denen sie nicht toxisch, sondern nur in der ge-
wünschten Art und Weise (austrocknend und narkotisch) den Organismus
beeinflussen. Somit muß nur die kleinste eben wirksame Dosis injiziert
werden, denn im Verein und mit anderen Narkotika kombiniert erhöhen sich
die Wirkungen jedes einzelnen Narkotikums auf den Organismus. Ebenso soll
die Injektion eine Stunde vor Beginn der Operation ausgeführt werden, denn
nur innerhalb dieser Zeit kann die Injektion im Organismus erst zur richtigen
Wirkimg kommen.
§ 86. Ehe ich den Band der Narkosiologie beschließe, möchte ich nicht
vergessen, noch auf eine eigentümliche Form der allgemeinen Narkose aufmerk-
sam zu machen, welche man mit dem Namen „physiologische Narkose"
(Kleinsorgen) bezeichnet, und welche eine Art Hypnose darstellt. Mit diesem
Namen bezeichnet Kleinsorgen einen Betäubungszustand, der im Gegensatz
zu dem durch chemische Stoffe (Narkotika) hervorgerufenen Schlafzustand auf
rein natürlichem Wege uuter einziger Verwendung jener natürlichen Verhältnisse,
welche für den normalen Schlaf auch unbedingt erforderlich sind, zustande
gebracht wird. Die Hauptbedingungen zu solcher Narkose sind Ruhe und
Dunkelheit. Wenn diese beiden Faktoren vorhanden sind, oder wo man sie künst-
lich erzeugen kann, kann sehr bald jener geistige Dämmerzustand eintreten,
in welchem nur noch die vegetativen und reflektiven Organe an Stelle des
wahrnehmenden Verstandes tätig sind. Ruhe und Dunkelheit sind schon Vor-
bedingungen des natürlichen Schlafes, um so mehr müssen sie gefordert werden
und vorhanden sein bei diesem künstlichen Schlafe, wo schon an sich eine
größere Erregtheit des Patienten, Unruhe und Aufregung vorhanden sind. .Jedes,
auch das geringste Geräusch stört die Narkose. Auch das Licht wirkt
störend auf diese Narkose. Durch Anlegen eines Schalldämpfers und einer
Diinkelbrille werden die den Patienten störenden Momente beseitigt. Neben
diesen hat man noch Fuß- und Handbinden angegeben, und so einen „Nerven-
bindungsapparat" konstruiert, welcher jede Bewegung verhindern soll. Dadurch
will man eine vollkommene geistige wie körperliche Ruhe erzielen. Die Ein-
leitung der physiologischen Narkose geschieht nun folgendermaßen: In einem
ruhig gelegenen, abgeschlossenen Zimmer wird der Kranke auf einem Ruhebett
gelagert, und zwar in Rückenlage. Nun wird ihm der Schalldämpfer um die
Ohren, die Dunkelbrille auf die Augen gelegt. Dadurch ist die geistige Ruhe
gesichert. Wenn man sehr unruhige, nervöse Kranke vor sich hat, so legt
man ihnen die Hand und Fußbinden an, um eine körperliche Ruhe zu sichern.
Wenn der Kranke so daliegt, soll er das Gefühl haben, der Außenwelt ent-
rückt zu sein. Er hört keinen Ton und er erleidet keine unangenehmen oder
aufregenden Vorstellungen. Der Mensch soll so nur noch vegetativ und re-
— (i07 —
tlektiv leben, der wahrnehiueude Verstand soll außer Tätigkeit gesetzt seiu.
Um nun noch die reflektive Geistestätigkeit auszuschalten, läßt man den Kranken
zählen, und zwar seine eigenen Atemzüge, jedoch ohne zu sprechen, nur in
(Tedanken, und zwar von 100 abwärts. Nach diesen Vorbereitungen und dieser
Einleitung soll Patient sehr bald in einen lange Zeit andauernden erquickenden,
nervenberuhigenden Schlaf verfallen. Ob man aber in diesem Zustande
Operationen ausführen kann, ist nicht ei'wieseu. Immerhin ist es möglich,
denn man muß diesen Zustand als eine Hypnose auffassen, und man hat be-
obachtet, daß Menschen in der Hypnose vollkommen unempfindlich sind. Ich
habe Gelegenheit gehabt, hier eine Dame zu untersuchen, welche sich als so-
genannte Schlaftänzerin produzierte, und die in der Hypnose vollkommen gefühl-
los war. Es besteht kein Zweifel, daß man an ihr ohne Empfindung derselben
eine Operation in hypnotischem Zustande ausführen kann. Allerdings muß man
bedenken, daß man nicht jeden Menschen in einen derartigen hypnotischen
Zustand versetzen kann. Nicht jeder Mensch kann derart hypnotisiert werden,
daß die Sensibilität erlischt, ich zweifle nicht, daß man die meisten Menschen
mit der Zeit hypnotisieren kann, doch bei Vornahme einer Operation würden
dieselben zweifellos erwachen. Jedenfalls muß man aber auch diese sogenannte
„physiologische Narkose" beachten, und wenn dieselbe auch noch nicht für
chirurgische Zwecke verwendbar ist, so wird sie vielleicht für die innere
Medizin und Nervenheilkunde zu verwenden sein. Zu operativen Eingriffen
größerer Art kann man sie nicht verwenden, aber man kann dieselbe mit der
Inhalationsnarkose kombinieren, indem man die Kranken erst hypnotisiert und
dann in diesem willenlosen Zustand leichter narkotisieren kann, als im normalen.
Dadurch wird entschieden der Eintritt der Toleranz erleichtert, weil die Ex-
zitation wegfällt und der Kranke besser die Narkotikagemische inspiriert. Nur
so kann diese Methode praktisch in der Chirurgie verwendet werden, aber
immer müssen die betr. Kranken auch geeignete Medien sein, die sich leicht
hypnotisieren lassen. Ebenso wird vielleicht diese Methode mit der Scopolamin-
Morphinnarkose kombiniert werden können. Man wird aber erst Versuche an-
stellen müssen, ehe man die Methode empfehlen kann, so ctoUt sie nur eine
Orginalität dar. ,■ > \, '-^ y/ '^''^'; 35','% ,
Weiter hat man auch versucht, durch ^arweiideii des blauen Liclit'es'.earif5 •
allgemeine Narkose zu erzeugen (Redardy Nach Redard erzeugt das rote
Licht einen Zustand von Erregung una narv^öser Unruhe, das gelbe Licht ruft
Schwermütigkeit und Traurigkeit nervör, während das blaue , Lieht ein,e lie- ,
ruhigende Wirkung ausübt, und daneben das Sefjil^l^des "V^ohjlbfiljnd^ensiÄl'ac'^gt;,
Daneben erzeugt blau auch eine allgemeine Anästhesie, die zur Alisführung ' einer
kleinen Operation, wie Zahnextraktion, etc. genügt. R e d a r d verfährt beim
Erzeugen seiner Narkose durch blaues Licht so, daß er eine elektrische Birne
aus blauem Glas, oder ein Licht, das mit blauem Glas oder Schleier umgeben
ist, in einer Entfernung von 15 cm von den Augen des Kranken aufstellt, so
daß die Augen im Brennpunkt eines das blaue Licht von der Lampe reflek-
tierenden Reflektors stehen, und den Kopf des Patienten und das Licht mit
einem blauen Schleier aus Satin umhüllt, so daß das Tageslicht abgeschlossen
ist. Der Kranke wird beruhigt, man suggeriert ihm, daß er keinen Schmerz
empfinde und er muß das Licht fixieren. Nach 2 — 3 Minuten tritt Anästhesie
ein, die sich durch Erweitern der Pupillen ankündigt. .Jetzt kann die Operation
— 608 —
schmerzlos ausgeführt werden. Wenn man das Licht entfernt, erwacht der
Patient \ind gibt an, nichts empfunden zu haben. Nach R e d a r d erzeugen
andere Lichtarten diese Narkose nicht. Trotzdem glaube ich aber, daß der
Hauptmoment die Hypnose darstellt, welche vielleicht durch das blaue Lichts
eben weil es beruhigend wirkt, leichter hervorgerufen wird als durch anderes
Licht. Es sollen sich in dieser Narkose eine große Anzahl von Operationen ohne
jeden Schmerz ausführen lassen. Jedenfalls handelt es sich hier um eine
Narkose infolge hj^pnotischer Wirkung, was aber nicht ausschließt, daß das Ver-
fahren noch mit OTtem Erfolg- kann verwendet werden.
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