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Full text of "Narkologie : ein Handbuch der Wissenschaft über allgemeine und lokale Schmerzbetäubung (Narkosen und Methoden der lokalen Anästhesie) : in 2 Bänden mit zahlreichen Abbildungen"

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Narkologie. 


Ein  Handbuch  der  Wissenschaft 


über 


allgemeine  nnd  lokale  Schmerzbetäulinng 

(Narkosen    und    Methoden    der    lokalen    Anästhesie) 
in  2  Bänden  mit  zahlreichen  Abbildungen 


von 


Dr.  med.  Benno  Müller 


H  a  m  b  u  r  g. 


3^  ^^■ 


JAN  20  1906 

Berlin. 

Verlag-  von   R.  Trenke 


O'förj 


C.  Schulze  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Gräfenhainichen. 


I.  Band:   Narkosiologie. 


56770 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

Open  Knowledge  Commons  and  Harvard  Medical  School 


http://www.archive.org/details/narkologieeinhan01mlle 


Inhaltsangabe. 


Seite 

Einleitung 1 

A.  Allgemeiner  Teil. 

I.  Kapitel:  Kurzer  historischer  Überblick  über  die  Ent- 

wickelung"  der  Narkologie 8 

IL  Kapitel:   Die  Narkose  im  allgemeinen. 

§     1.     Definition  der  Narkologie 21 

§     2.     Einteilung  der  Narkologie • 22 

a)  Narkosiologie. 

b)  Anästhetologie. 

§     3.     Die  Bedeutung  der  Narkologie 23 

§     4.     Das  Ziel  der  Narkologie 25 

§     5.     Wann  dürfen  wir  narkotisieren 25 

§     6.     Die  Narkose  zum  Zweck  der  Untersuchung 26 

§     7.     Die  Narkose  für  Operationen       27 

§     8.     Die  Indikation  zur  lokalen  Narkose 29 

§     9.     Kontraindikationen  der  Narkose 30 

§  10.     Die  Zustimmung  des  Kranken 31 

§  11.    Die  Narkose  in  forensisclier  Beziehung 31 

§  12.     Der  Ort  und  Zeitpunkt  der  Narkose 86 

§  13.     Die  Dauer  der  Narkose 89 

§  14.     Das  Wiederholen  von  Narkosen 42 

§  15.     Die  Narkose  und  die  Operation 44 

§  16.     Der  Shock  und  die  Narkose 48 

ni.  Kapitel:   Die  Vorbereitungen  zur  Narkose. 

§  17.     Die  psychische  Behandlung  des  Kranken  vor  der  Narkose  50 

§  18.     Bewegungsfreiheit  und  Bettruhe  des  Ki'anken       ....  51 

§  19.     Die  Untersuchung  des  Kranken  im  allgemeinen   ....  52 

§  20.     Die  Gefahr  der  Ansteckung 55 

§  21.     Die  Untersuchung  von  Mund,  Nase,  Rachen  und  Kehlkopf  56 
§  22.    Die  Therapie  der  Krankheiten  der  Nase,  des  Rachens  und 

Kehlkopfes 57 

§  23.     Die  Bedeutung  des  Darmtraktus  für  die  Narkose      ...  62 

§  24.     Die  Ernährung  des  Kranken  vor  der  Narkose       ....  62 

§  25.     Die  Magenspülung  vor  der  Narkose 63 


—     VI     — 

Seite 

§  26.     Die  Laxatioii  vor  der  Narkose 64 

§  27.     Das  Nährklysma  vor  der  Narkose 64 

§  28.     Der  Einfluß  und  die  Therapie  des  Alkoholismus  vor  der 

Narkose 64 

§  29.     Die  Darreichung  von  Digitalis  und  Strophanthus  vor  der 

Narkose 66 

§  30.    Die  Darreichung  von  Mori}hin  vor  der  Narkose       ...  67 

§  31.     Die  Darreichung  von  Atropin  vor  der  Narkose  ....  69 

IT.  Kapitel:   Die  Lagerung   des  Kranken  während  der 
Narkose. 

§  32.     Die  horizontale  Lagerung 70 

§  38.     Die  Lagerung  nach  Witzel .     .       71 

§  34.    Die  Folgen  falscher  Lagerung  in  Gestalt  der  Narkosen- 
lähmungen     73 

a)  Peripherische  Lähmungen. 

b)  Zentrale  Lähmungen. 

c)  Hysterische  Lähmungen. 

V.  Kapitel:   Der  Verlauf  der  Narkose. 

§  35.     Erwägungen  vor  der  Narkose 83 

§  36.     Vitalität  und  Narkose 84 

§  37.     Krankheit  und  Narkose 87 

§  38.     Alter  und  Narkose 87 

§  39.     Konstitution  und  Narkose 89 

a)  Anämie. 

b)  Adipositas. 

c)  Pletora. 

d)  Alkoholismus. 
«)  Biertrinker. 
ß)  Weintrinker. 
/)  Schnapstrinker. 

VI.  Kapitel:   Die  Narkose  an  sich. 

§  40.     Der  Charakter  der  Narkotika 94 

§  41.     Die  Einteilung  der  Narkotika 94 

§  42.     Die  Uangiienzelle 96 

§  43.     Die  Löslichkeit  der  Narkotika 98 

§  44.    Die  Blutkörperchen  und  die  Narkotika 99 

§  45.    Das  Fettgewebe  und  die  Narkotika 100 

§  46.  Die  Konzentration  der  Narkotika  im  Blutplasma      .     .     .  101 

§  47.  Die  Beziehungen    der    verschiedenen    Tierarten   zu   den 

Narkotika 103 

§  48.  Die  Interzelluläre  Lymphe  und  die  Narkotika     ....  105 

§  49.     Die  drei  Gruppen  der  Narkotika 107 

§  50.     Das  Protoplasma 108 

§  51.  Das  Lecithrn-Cholestearin-Gemisch  im  Protoplasma      .     .  108 

§  52.  Die  Ausscheidung  der  Narkotika  aus  dem  Organismus     .  110 


—     VII     — 

Seite 

VII.  Kapitel:   Einige  Hypothesen  über  den  Mechanismus 
der  Narkose. 

§  53.    Die  Hypothese  der  Gehirnanämie 113 

§  54.       „  „  von  Cl.  Bernard 114 

§  55.       „  „  „     Binz 114 

§  56.       ,.  „  „     Dubois 115 

§  57.       „             „             „     Overton  und  H.  Meyer     ....     115 
§  58.     Die  Theorie  der  Narkose  von  Schleich 125 

a)  Das  phyllogenetische  Alter  der  Zellen. 

b)  Die  Neuroglia. 

c)  Der  Schlaf. 

d)  Die  Neurogliatätigkeit  und  die  Narkose. 

e)  Das   phyllogenetische  Alter   der  Zellen  im  Ver- 
hältnis zur  Wirkung-  der  Narkotika. 

§  59.    Eine  weitere  Theorie  der  Narkose  vom  Verfasser  .     .     .     141 

VIII.  Kapitel:   Die  Technik  der  Narkose. 

§  60.     Die  Einverleibung  der  Narkotika  in  den  Organismus  .     .     144 

§  61.    Die  Tropfmethode 149 

§  62.    Die  Reflexe 150 

§  63.    Der  Pupilleni-eflex 150 

§  64.    Die  vier  Stadien  der  Narkose 152 

a)  Initialstadium. 

b)  Exzitationsstadium. 

c)  Toleranzstadium. 

d)  Stadium  des  Erwachens. 

§  65.     NarkotisieiTingszone 156 

§  66.     Die  Rauschnarkose 158 

§  67.     Die  Herztätigkeit  während  der  Narkose 160 

a)  Eintritt  der  Herzsynkope. 

b)  Behandlung  der  Herzsynkope. 

§  68.     Die  Lungentätigkeit  während  der  Narkose 166 

a)  Eintritt  von  Apnoe. 

b)  Behandlung  der  Apnoe. 

§  69.  Die  Technik  der  künstlichen  Respiration 169 

§  70.  Die  Tracheotomie 175 

§  71.  Das  Einblasen  von  Luft  imd  Sauerstoff 175 

§  72.  Das  Lüften  des  Zungengrundes 176 

§  73.  Die  elektrische  Reizung  des  Zwerchfelles 179 

§  74.  Verschiedene  andere  Methoden  der  Wiederbelebimg    .     .  179 

§  75.  Die  subkutane  Kochsalzinfusion •     .  180 

§  76.  Die  venöse  Infusion 181 

§  77.  Die  Autoinfusion 181 

§  78.  Die  Herzmassage 182 

§  79.  Die  Elektropunktur  des  Herzens 183 

§  80.  Verschiedene  andere  Methoden  zur  Herzstärkuug   .     .     .  183 

§  81.  Die  Temperatur  des  Patienten  während  der  Narkose  .     .  185 


—     VIII     — 

Seite 

§  82.     Die  Temperatur  der  Umgebung  des  Kranken      ....     186 

§  83.     Die  Narkosenai)parate 187 

§  84.     Desinfektion  der  Masken  und  sonstigen  Apparate   .     .     .     211 

§  85.     Das  Narkotikum 214 

§  86.     Das  Instrumentarium  für  die  Narkose 215 

a)  Instrumente  für  den  Mund  des  Kranken. 

b)  Instrumente  zur  subkutanen  Injektion. 

c)  Die  Instrumente  für  die  Tracheotomie. 

d)  Der  Irrigator. 

e)  Der  Infusionsapparat. 

f)  Der  Tisch  für  die  Narkose. 

IX.  Kapitel:   Der  Narkotiseur. 

§  87.     Die  Stellung  des  Narkotiseurs 223 

§  88.     Die  Ausbildung  des  Narkotisem-s 225 

§  89.     Die  Verantwortung  des  Narkotiseurs 226 

§  90.     Die  Person  des  Narkotiseurs •     .  227 

§  91.    Die  Aufgaben  des  Narkotiseiirs 227 

§  92.  Die  Stellung  des  Narkotiseurs  während  der  Narkose  .     .  230 

§  93.  Die  Kleidung  „             „                    „          „           „          .     .  231 

§  94.  Die  Tätigkeit  des  Narkotiseurs  bei  einem  Unfall  während 

der  Narkose 231 

X.  Kapitel:     Die   Beliandlimg   des   Kranken   nacli   der 

Narkose. 

§  95.     Die  Temperatur  des  Kranken  und  der  umgebenden  Luft 

im  Zimmer 233 

§  96.  Die  Behandlung  des  Kranken  bzgl.  der  Herz-  und  Lungen- 
tätigkeit     233 

§  97.     Das  Erbrechen  nach  der  Narkose 234 

§  98.     Bettruhe  oder  Bewegungsfreiheit  des  Kranken  nach  der 

Narkose 234 

§  99.     Beobachtung  der  Nierentätigkeit  nach  der  Narkose     .     .     235 

XL  Kapitel:    Die  Statistik  der  Narkosen. 

§  100.     Die  Statistik  der  Narkosentodesfälle 236 

§  101.       „  „  „    Schädigungen  des  Kranken  hinsichtlich 

der  Gesundheit  ohne  tötlichen  Ausgang  durch  die  Narkose.     240 

XII.  Kapitel:   Die  Mischnarkosen. 

§  102.     Der  Zweck  der  gemischten  Narkosen 241 

§  103.     Die  Vorzüge   und  Nachteile    der  Mischnarkosen  vor  der 

einfachen  Narkose 242 

§  104.     Die  Skopolamin-Morphinnarkose  im  allgemeinen      .     .     .  244 


IX 


B.  Spezieller  Teil. 
I.   Die   Narkosen   mit   einem   Narkotikum. 

I.  Kapitel:   Die  Chloroformnarkose.  ^^^*® 

§  1.     Das  Chloroform  an  sich 247 

a)  Chemisches  Verhalten  des  Chloroforms. 

b)  Herstellung  des  Chloroforms. 

c)  Prüfungsmethoden  auf  Reinheit  des  Chloroforms. 

§  2.     Die  Chloroformwirkung  auf  den  Organismus 252 

a)  Die  physiologische  Wirkung 252 

«)  auf  Gehirn, 

ß)     „    Herz,  Blutdruck, 
y)     „    Meren  und  Leber, 
S)     „    Magen  und  Darm, 
e)     „    Lunge. 

b)  Die  Pathologische  Wirkung 270 

«)  aaf  Gehirn, 

ß)     „    Herz, 

/)     „    Lunge, 

S)     „    Leber  und  Meren, 

e)     „    andere  Organe  (Magen,  Zwerchfell  etc.). 

c)  Die  Statistik  der  Chloroformunfälle 287 

§  3.     Die  Technik  der  Chloroformnarkose 296 

a)  Die  verschiedenen  Methoden. 

b)  „  „  Apparate. 

II.  Kapitel:    Die  Äthernarkose. 

§  4.     Der  Aether  sulfuricus  au  sich 323 

a)  Chemisches  Verhalten  des  Äthers. 

b)  Herstellung  des  Äthers. 

c)  Prüfungsmethoden  auf  Reinheit  des  Äthers. 

§  5.     Die  Ätherwirkung  auf  den  Organismus 328 

a)  Die  physiologische  Wirkung       , 328 

«)  auf  Gehirn, 

ß)     „    Herz,  Blutdruck, 
y)     „    Nieren  und  Leber, 
8)     „    Magen-Darm, 
e)     „    Lunge. 

b)  Die  Pathologische  Wirkung 341 

a)  auf  Gehirn, 

ß)  „    Herz, 

y)  „    Nieren  und  Leber, 

S)  „    Magen-Darm, 

e)  „    Lunge. 

c)  Die  Statistik  der  Unfälle  der  Äthernarkose      .     .     364 


—     X     — 

Seite 

§  6.    Die  Technik  der  Äthernarkose 380 

a)  Die  verschiedenen  Methoden, 
h)     „  .,  Apparate. 

III.  Kapitel:   Cliloroform-  oder  Äthernarkose. 

§  7.     Die  Kontraindikationen  der  Chloroformnarkose  und  wie 

verhält  sich  die  Äthernarkose  zu  denselben?    ....    413 

§  8.     Die  Kontraiadikationen  der  Athernarkose  und  wie  verhält 

sich  die  Chloroformnarkose  zu  denselben? 417 

§  9,     Das  Verhältnis   der  Einwirkungen  des  Chloroforms   und 

Äthers  auf  das  normale  Herz 418 

§  10.     Die  Statistik  und  das  Resultat   der  Vergleiche  der  Wir- 
kungen beider  Narkosen 422 

IT.  Kapitel:   Die  Bromäthylnarkose. 

§  11.     Das  Bromäthyl  an  sich 424 

a)  Chemisches  Verhalten  des  Bromäthyls. 

b)  Herstellung  des  Bromäthyls. 

c)  Prüfungsmethoden  auf  Reinheit  des  Bromäthyls. 

§  12.     Die  Bromäthylwirkung  auf  den  Organismus 426 

a)  Die  physiologische  Wu-kung, 

b)  die  pathologische  Wirkung 
«)  auf  das  Gehirn, 

/?)     ,,      „     Herz, 
/)    „    Leber  und  Nieren, 
S)     „    Magen-Darm, 
fi)     „    die  Lungen. 

c)  Die  Statistik  der  Unfälle  der  Bromäthylnarkose. 

§  13.     Die  Technik  der  Bromäthylnarkose 437 

a)  Die  verschiedenen  Methoden  der  Darreichung. 

b)  ,,  „  Apparate  zur  Narkose. 

V.  Kapitel:   Die  Stiekstoffoxydulnarkose. 

§  14.     Das  Stickstoffoxydul  an  sich 439 

a)  Chemisches  Verhalten  des  Stickstoffoxydul. 

b)  Herstellung  des  Stickstoffoxydul. 

§  15.     Die  Stickstoffoxydulwü-kung  auf  den  Organismus   .     .     .    440 

a)  Die  physiologische  Wirkung, 

b)  die  pathologische  Wirkung 
«)  auf  das  Gehirn, 

ß)     „      «    Herz, 
/)     „    die  Leber  und  Nieren, 
8)     „    den  Magen-Darmkanal, 
s)     „    die  Lungen. 

c)  Die  Statistik  der  Unfälle  in  der  Stiekstoffoxydul- 
narkose. 


—     XI     - 

Seite 

§  16,    Die  Technik  der  Stickstoifoxydulnarkose 449 

a)  Die  verschiedenen  Methoden  der  Stickstoffoxydul- 
narkose. 

b)  Die    verschiedenen    Apparate   für    die    Stikstoff- 
oxydulnarkose. 

VI.  Kapitel:   Die  Chloräthj Inarkose. 

§  17.     Das  Äthylchlorid  an  sich 452 

a)  Chemisches  Verhalten  des  Chloräthyls, 
h)  Herstellung-  des  Chloräthyls. 

c)  Prüfungsmethoden  auf  dieReinheit  des  Chloräthyls. 

§  18.     Die  Äthylchloridwirkung  auf  den  Organismus     ....    454 

a)  Die  physiologische  Wirkung, 

b)  die  pathologische  Wirkung 
«)  auf  das  Gehirn, 

ß)     „      »     Herz, 
/)     „    die  Leber  und  Nieren, 
S)     „    den  Magen-Darm, 
e)     ,,    die  Lungen, 

c)  Die  Statistik  der  Unfälle. 

§  19.     Die  Technik  der  Äthylchloridnarkose 464 

a)  Die  Methoden  der  Narkose. 

b)  „     Apparate     „  „ 

TII.  Kapitel:   Die  Pentalnarkose. 

§  20.     Das  Pental  an  sich 470 

§  21.     Die  Pentalwirkung  auf  den  Organismus 471 

a)  Die  physiologische, 

b)  „  pathologische, 
«)  auf  das  Gehirn, 
ß)     „      „     Herz, 

/)     „    die  Leber  und  Nieren, 
S)     „     „    Lungen. 

c)  Die  Statistik  der  Unfälle. 

§  22.     Die  Technik  der  Pentalnarkose 474 

Till.  Kapitel:   Die  Chloralhydratnarkose. 

§  23.     Das  Chloralhydrat  an  sich     .     .     , 475 

§  24.     Die  Chloralhydratwirkung  auf  den  Organismus  ....     476 

a)  auf  das  Gehirn, 

b)  „  „     Herz, 

c)  ,,  die  Leber  und  Nieren, 

d)  „  den  Magen-Darm, 

e)  .,  die  Lungen. 

IX.  Kapitel:   Die  Alkoliolnarkose. 

§  25.     Die  Alkoholwirkung  auf  den  Organismus 481 

§  26.     Die  Technik  der  Alkoholnarkose 483 


—     XII    — 

X.  Kapitel:   Die  KoMensäiirenarkose.  seite 

§  27.     Die  Wirkung'  der  Kohlensäure  auf  den  Organismus    .     .  483 

§  28.     Die  Verwendung  der  Kohlensäure  zur  Narkose  ....  484 

XI.  Kapitel:    Einige   weitere  zur   allgemeinen  Narkose 

verwendete  Narkotika. 

§  29.     Die  Äthylnitratnarkose ,     .     .  485 

§  30.     Die  Äthylenchloridnarkose 485 

§  31.     Die  Äthylidenchloridnarkose 486 

§  32.     Die  Äldehydnarkose 487 

§  33.     Die  Acetonnarkose 487 

§  34.     Die  Benzinnarkose 487 

§  35.     Die  Essigäthernarkose       ,     .  487 

§  36.     Die  Narkose  mit  Arans ehern  Äther 488 

§  37.     Die  Terpentinölnarkose 488 

§  38.     Die  Kerosolennarkose 488 

§  39.    Die  Caprylwasserstoffnarkose 489 

§  40.     Die  Amylwasserstoffnarkose 489 

§  41.     Die  Bromäthylennarkose 489 

§  42.     Die  ChloramyLnarkose .  489 

§  43.     Die  Jodamylnarkose 490 

§  44.     Die  StickstofEnarkose 490 

§  45.     Die  Kohlenoxydgasnarkose 490 

§  46.     Die  Schwefelkohlenstoffnarkose 490 

§  47.     Die  Narkose  mit  Lykoperdon  protues 490 

§  48.     Die  Heroinnarkose 491 

§  49.     Die  Narkose  durch  Hypnose  und  Elektrizität      ....  491 

II.  Die  Narkosen  mit  mehreren  Narkotika. 

XII.  Kapitel:    Die  Mischnarkosen. 

A.  Die  Narkose  mit  Mischungen  der  Narkotika. 

§  50.  Die  verschiedenen  Mischungen  der  Narkotika  seihst  .  .  491 
§  51.     Die    physikalischen    Eigenschaften    der   Mischungen    der 

Narkotika 497 

§  52.     Die  physiologischen  Einwirkungen    der  Mischungen    der 

Narkotika  auf  den  Organismus 499 

§  53.     Die    pathologischen    Einwirkungen    der  Mischungen    der 

Narkotika  auf  den  Organismus 500 

§  54.     Die  Statistik  der  Mischnarkosen 503 

§  55.     Die  Technik  der  Mischnarkosen 504 

B.  Die  Narkose  mit  Dampfgemischen. 

§  56.     Die  Dampfgemische  an  sich 511 

§  57.     Die  Chloroform  -j-  Äthernarkose 513 

a)  Die  physiologische  Einwirkung  auf  den  Organismus. 

h)     ,,    pathologische  „  „      „  „ 

c)  „    Statistik  der  Unfälle  in  dieser  Narkose. 

d)  „    Technik  der  Chloroform  +  Äthernarkose. 


—     XIII     — 

Seite 

§  58.     Die  Chloroform  -j-  Sauerstoffnarkose 523 

a)  Die  physiologischen  Wirkungen  derselben  auf  den 
Organismus. 

b)  Die  pathologischen  Wirkungen  derselben  auf  den 
Organismus. 

c)  Die  Statistik  der  Unfälle  der  Chloroform  -f-  Sauer- 
stoffnarkose. 

d)  Die  Technik  der  Chloroform  -)-  Sauerstoffnai'kose. 

ij  59.     Die  Äther  +  Sauerstoffnarkose ,     541 

a)  Die  physiologischen  Wirkungen  der  Äther  -|-  Sauer- 
stoffnarkose. 

b)  Die  pathologischen  Wii'kungen  der  Äther  -\-  Sauer- 
stoffnarkose. 

c)  Die  Statistik  der  Unfälle  in  der  Äther  -\-  Sauerstoff- 
narkose. 

d)  Die  Technik  der  Äther  -\-  Sauerstoff'narkose. 

§  60.     Die  Chloroform  -]-  Äther  -)-  Sauerstoffnarkose 546 

a)  Die  Wirkung  auf  den  Blutdruck  der  Narkose  mit 
Chloroform  als  Grimdlage. 

b)  Die  Wirkung  auf  den  Blutdruck  der  Narkose  mit 
Äther  als  Grundlage  (Äther  -|-  Chloroform  -\- 
Sauerstoffinarkose). 

c)  Die  pathologischen  Wirkungen  beider  Arten. 

d)  Die  Technik. 

§  61.     Die  Stickstoff oxydul  -|-  Sauerstoffnarkose 564 

a)  Die    physiologischen    Wirkungen    der    Stickstoff- 

oxydul -|-  Sauerstoffnarkose. 

b)  Die    pathologischen    Wirkungen    der    Stickstoff- 

oxydul +  Sauerstoffnarkose. 

c)  Die  Statistik  der  Stickstoffoxydul  -|-  Sauerstoff- 
narkose. 

d)  Die  Technik  der  Stickstoffoxydul  -f-  Sauerstoff- 
narkose. 

XIII.  Kapitel:   Die  komibimerte  Narkose, 

§  62.     Die  Definition  der  kombinierten  Narkose 571 

§  63.     Die  Chloroformäther-  und  Ätherchloroformnarkose       .     .     571 

a)  Die  Chloroformäthernarkose  an  sich. 

b)  „  Ätherchloroformnarkose  an  sich. 

c)  „  physiologischen  Wirkungen  derselben. 

d)  „  pathologischen  „  „ 

e)  „  Technik  der  Narkosen. 

f)  ,,     Statistik. 

§  64.  Die  Morphiumchloroformnarkose 575 

§  65.  Die  Chloralhydratchloroformnarkose •     .  580 

§  66.  Die  Cloralhydrat  +  Morphium  -\-  Chloroformnarkose      .  581 

§  67.  Die  Chloroformalkoholnarkose 582 


—    XIV     — 

Seite 

§  68.     Die  Chloroformkokainnarkose 583 

§  69.  Die  Chloroform  -|-  Atropin  -f-  Morphiumnarkose  ....  583 

§  70.     Die  Chloroform  -\-  Bromäthyluarkose 585 

§  71.     Die  Chloroform  +  Chloräthylnarkose 586 

§  72.     Die  Chloroform  -)-  Hedonalnarkose 587 

§  73.     Die  Chloroform  -j-  Stickstoffoxydulnarkose 588 

§  74.     Die  Chloroform  +  Narceinnarkose 589 

§  75.     Die  Chloroform  -|-  Heroinnarkose  .   • 589 

§  76.     Die  Anestol  -j-  Morphiumnarkose 589 

§  77.  Die  Chloroform  -\-  Äther  -|-  Morphiumnarkose      ....  590 

§  78.  Die  Äther  +  Morphium  -\-  Scopolaminnarkose      ....  590 

§  79.  Die  Äther  -j-  Morphium  -|-  Atropinnarkose  ......  590 

§  80.     Die  Äther  +  Bromäthylnarkose 592 

§  8] .    Die  Äther  +  Athylchloridnarkose 592 

§  82.     Die  Äther  +  Stickstoffoxydulnarkose 593 

§  83.  Die  Äther  -(-  Chloroform  -|-  Stickstoffoxydulnarkose     .     .  595 

§  84.     Die  Scopolamin  -)-  Morphiumnarkose ,     .  596 

§  85.  Die  Kombination  der  Scopolamin  -j-  Morphiumnarkose  mit 

den  Sauerstoffnarkosen 604 

§  86.  „Die  phj^siologische  Narkose"  (Kl  ein  sorgen)   .     .     .     .  606 


A.  Allgemeiner  Teil. 


Einleitung. 


Wenn  ich  in  dem  folgenden  Werke  es  unternommen  habe,  eine  Samm- 
lung all  der  Beobachtungen  und  wissenschaftlichen  Errungen- 
schaften auf  dem  Gebiete  der  Narkosenwissenschaft  zusammenzustellen, 
so  ist  es  ein  Beginnen,  welches  aus  verschiedenen  Gründen  von  mir 
vorgenommen  worden  ist  —  und  bei  dem  ich  mir  bewusst  war,  mit  all 
meiner  Kraft  nur  geringes  leisten  zu  können  gegenüber  dem  unendlich 
weiten  Stoff  und  Thema.  Wenn  auch  dies  nur  einen  kleinen  und  ge- 
ringen Baustein  zu  dem  grossen  Gebäude  der  Wissenschaft  darstellt, 
so  mag  er  doch  zur  Weiterentwickelung  einer  Wissenschaft  bei- 
tragen, welche  im  Entstehen  begriffen,  berufen  ist,  dereinst  eine 
Stellung  als  Einzelwissenschaft  in  dem  grossen  allgemeinen  Staate 
geistiger  Betätigung  des  Menschen   einzunehmen. 

Die  Kunst  zu  narkotisieren,  wie  man  sich  bisher  auszudrücken 
pflegte,  wenn  man  die  Narkose  in  Bezug  auf  ihre  Stellung  in  der 
Medizin  behandelte,  ist  seit  dem  reichlich  dreiviertel  Jahrhundert 
von  unseren  Tagen  zurückliegenden  Anfange  ihres  Auftretens  in  der 
Medizin  schnell  zu  einer  solchen  Höhe  herangewachsen,  dass  die  Forscher 
auf  diesem  Gebiete  mit  Recht  freudig  zurückblicken  können  auf  die 
Jahre  erspriesslichen  Schaffens.  Wenn  man  aber  den  Ausdruck  Kunst 
gebraucht,  so  ist  das  ebenso  wenig  zvitreffend,  als  wenn  man  die  Medizin 
als  Kunst  bezeichnen  will.  Die  Heilkunde  ist  eine  Wissenschaft 
für  sich  dank  den  Arbeiten  ihrer  Geistesheroen  von  Hippokrates 
an,  bis  auf  einen  Virchow,  und  die  zahlreichen  Helden  unserer  Jetzt- 
zeit. Und  wie  sich  in  dem  letzten  Jahrhundert  der  Riesenfortschritt 
mit  dadurch  kundtat,  dass  die  Wissenschaft  der  Aerzte  eine  Reihe  von 
Tochterwissenschaften  gebar,  die  dank  der  kräftigen  Mutter  bald 
herangewachsen  sind  zu  üppig  blühenden  Wesen,  so  ist  als  der  jüngste 
Spross  unserer  geliebten  Wissenschaft  ein  neuerblühtes  Wesen  uns 
gegeben,  welches  endlich,  reif  zu  selbstständigem  Leben,  den  Namen 
Narkosenwissenschaft,  Narkologie  zu  führen  berechtigt  ist,  und 
sich  unserer   Fürsorge,  hoffend  auf  liebevolle  Pflege,  anvertraut. 

Wenn  ich  jetzt  mich  vermass,  diesem  Spross  der  Medizin  meine 
Fürsorge    angcdeihen    zu    lassen,    so    ist    dies    vor    allem   darin  gezeigt, 


—     2     — 

dass  ich  anfing,  den  Stofi  dieser  jüngsten  Disziplin  zu  sammeln,  so- 
wohl jene  ungeheuren  Mengen  von  Beobachtungen  und  Ergebnissen 
jahrelanger  Forschung  zahlreicher  Meister,  niedergelegt  in  den  Schriften 
der  Literatur,  als  auch  die  ja  zum  grossen  All  der  Wissenschaft 
winzigen  eigenen  Beobachtungen  und  Erfahrungen.  Das  Bedürfnis 
wurde  mir  bald  fühlbar,  dass  eine  einzige  Quelle,  aus  der  man  hin- 
sichtlich des  Narkotisierens  etc.  Belehrung  in  Fällen  mangelnder  Er- 
fahrung schöpfen  könnte,  nicht  existierte.  So  mancher  Moment  trat  in 
der  ärztlichen  Praxis  ein,  wo  ich  vermisste,  dass  die  Beobachtungen 
der  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Narkosen  leicht  zu  finden  waren. 
Dadurch  machte  ich  mich  mit  der  Literatur  bekannt,  und  sah  bald,  wie 
nötig  es  doch  war,  dass  die  festerkannten  Wahrheiten  in  einem  Buche 
zusammengestellt  würden,  aus  dem  jeder,  sei  er  Arzt  oder  Student,  in 
Fällen,  wo  seine  Kenntnisse  ermangeln,  Belehrung  und  Winke  für 
korrektes  Handeln  sich  aneignen  könnte.  Aber  nicht  nur  dies  ist  der 
Grund,  weshalb  ich  mich  unterfing,  dies  Buch  zu  schreiben,  sondern  es 
bewog  mich  noch  der  Gedanke,  aus  den  bisher  erkannten  Tatsachen 
für  die  weitere  Forschung  Stoff  zu  finden.  Und  so  ging  ich  heran  an 
die  Sammlung  der  Ergebnisse  wissenschaftlicher  Arbeiten,  und  habe 
vei'sucht,  den  grossen  Komplex  von  Arbeiten  in  einzelne  Teile  zu  zer- 
legen, und  die  Urteile  zu  vergleichen,  und  aus  den  verschiedenen  An- 
sichten, die  richtigen  und  am  meisten  wahrscheinlichen  zu  suchen. 
Das  Interesse  an  dieser  Tätigkeit  liess  mich  weiter  fortfahren,  und  liess 
mich  bald  erkennen,  welch  eine  Fülle  von  herrlichen  Früchten  auch 
das  Forschen  auf  dem  Gebiete  des  Narkotisierens  bietet. 

Wenn  ich  nun  hier  noch  einen  Blick  auf  die  Wissenschaft  werfe, 
welche  dies  Werk  behandeln  soll,  so  geschieht  dies  deshalb,  um  die 
Existenzberechtigung  des  Buches  zu  beweisen. 

Es  ist  aus  einer  physiologischen  Beobachtung  eine  Wissenschaft 
hervorgegangen,  oder  wenigstens  ein  Teil,  eine  Disziplin  der  grossen 
medizinischen  Wissenschaft.  Aus  der  einfachen  Tatsache,  dass  ein 
chemischer  Körper  einen  das  ganze  Nervensystem  betäubenden  Einfluss 
ausüben  kann,  haben  sich  in  dem  Laufe  der  Jahre  so  viele  Methoden 
und  Apparate  etc.  herausgebildet,  dass  man  mit  einem  staunenden  Blick 
zurückschaut  auf  die  geringe  Spanne  Zeit,  welche  hauptsächlich  die 
Entwickelungsperiode  unserer  jungen  Wissenschaft  darstellt.  Was 
im  grauen  Altertume  in  Bezug  auf  betäubende  Methoden  bekannt  war, 
ist  sehr  gering,  und  das  Geringe  geriet  im  Laufe  des  Mittelalters  wieder 
in  Vergessenheit  bis  zum  Anfange  des  19.  Jahrhunderts.  Als  es  zu 
jener  Zeit  wieder  aufgegriffen  wurde,  stellte  die  jetzige  Wissenschaft 
nur  ein  ganz  unbedeutendes  Etwas  dar,  und  wurde  ob  der  üblen  Er- 
fahrungen, die  aus  der  Unkenntnis  der  Wirkungen  hervorgingen,  wieder 
ad  acta  gelegt,  bis  man  Mitte  desselben  Jahrhunderts  mit  Ernst  an  die 
Sache  herantrat.  In  diesen  letzten  60  Jaln-en  ist  der  Stoff'  einer  Dis- 
ziplin der  Medizin  zu  der  Höhe  herangehäuft,  und  die  Tätigkeit  ihrer 
Jünger  hinsichtlich  Erfolg  und  Ausfühning  zu  so  schöner  Blüte  ge- 
diehen, dass  sie  mit  Recht  an  die  Seite  ihrer  Schwester -Disziplinen 
treten  kann. 


—     8     — 

Wenn  ich  dem  Kinde  einen  Namen  gab,  so  war  ich  bestrebt,  mit 
demselben  zu  vereinen,  was,  naturgemäss  zusammengehörend,  bisweilen 
als  zwei  verschiedene  Forschungsgebiete  angesprochen  wird,  nämlich  die 
Narkose   und  Lokalanästhesie. 

Was  man  bisher  unter  Narkose  verstand,  war  das  beschränkte 
Gebiet  der  Inhalationsbetäubung.  Allein  zu  dem  ganzen  Gebiete, 
wenn  wir  jetzt  sagen  dürfen  Wissenschaft,  gehört  weit  mehr  als  der 
Gebrauch  von  Chloroform  und  Aether  mit  den  wenigen  verwandten 
Körpern,  wie  sie  meist  als  Narkotika  Verwendung  finden.  Vor  allen 
ist  es  die  Lokalanästhesie  mit  ihren  zahlreichen  Methoden,  nicht  nur 
des  Zweckes,  sondern  der  ganzen  Methodik,  und  des  ganzen  Mechanis- 
mus wegen,  welche  dazu  gehört.  Die  Narkose  ist  eine  Betäubung 
des  ganzen  Körpers,  die  Lokalanästhesie  betäubt  einen  Teil 
desselben.  Wenn  man  so  sagen  darf,  so  handelt  es  sich  sogar  in 
einer  gewissen  Hinsicht  um  2  Extreme,  wenn  man  den  Ort  der 
narkotischen  Wirkung,  den  Angriffspunkt  des  Narkotikum's  be- 
denkt, die  sich  hier  berühren  sollen.  Hier  ist  es  die  Ganglienzelle 
im  Zentralnervensystem,  dort  die  Endverzweigung  des  Nerven, 
der  letzte  Ausläufer  des  Protoplasmakörpers,  an  Avelchem  das  Narkotikum 
angi'eift.  Also  hinsichtlich  des  Ortes  ist  ein  Gegensatz  nicht  unver- 
kennbar. Aber  doch  ist  trotz  entgegengesetzter  Angriffspunkte 
ein  einheitliches  Moment  in  beiden  Wirkungen  vorhanden,  und  dies 
ist,  wenn  auch  nicht  der  Ort,  so  doch  das  Medium,  welches  denselben 
darstellt.  Wir  nehmen  an,  dass  die  Hauptwirksamkeit  des  Narkotikum's 
im  Protoplasma  sich  enfaltet.  In  der  Ganglien zelle  ist  dies  unver- 
kennbar, und  in  den  Nervenendigungen  finden  wir  ebenfalls  eine 
Fortsetzung  des  Protop lasma's  der  Zelle.  Der  Nerv  ist  als  ein 
Ausläufer  der  Ganglienzelle  anzusehen,  und,  wenn  der  Nerv  einen  lang- 
ausgezogenen Protoplasmastreifen  darstellt,  so  haben  wir  bei  beiden 
Prozessen  der  Betäubung  ein  einheitliches  Moment.  Der  Gegen- 
stand des  Angriffes  ist  in  beiden  Fällen  derselbe,  wenn  auch  der 
Nerv  durch  fortschreitende  Diffen zierung  der  Organismen  mit  der  Zeit 
ein  anderes  Aussehen  bekommen  hat,  entwicklungsgeschichtlich  ist 
derselbe  ein  Stück  Protoplasma  der  Ganglienzelle.  Diese  Tatöt."he 
giebt  uns  ein  Recht,  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  unserei 
beiden  Methoden  der  Betäubung  in  ein  Ganzes  zu  fassen.  Die  Stufe 
der  Entwicklung,  auf  die  beide  Methoden  nunmehr  gestiegen  sind,  und 
die  ihnen  ein  Recht  verleiht,  den  Anspruch  auf  das  Ansehen  als  ein- 
zelne Disziplin  geltend  zu  machen,  beansprucht  auch  einen  Namen, 
unter  welchem  man  beide  zusammenfasst.  So  haben  wir  als  einheit- 
lichen Begriff  „Narkolog-ie"  gewählt,  und  für  die  Betäubungs- 
methoden des  Körpers  durch  Einwirkung  mittels  Medikamenten  auf  die 
Zentren  im  Zentralnervensystem  das  Wort  Narkosiolog^ie  gebildet, 
während  für  alle  lokalen  Betäubungsmethoden  Anästhetologie  gewählt 
worden  ist.  Die  Erklärung  der  Gründe,  weshalb  wir  diese  Ausdrücke 
gewählt  haben,  und  Definition,  sind  in  einem  kurzen  Abschnitt  im  All- 
gemeinen Teile  des  ersten  Bandes  dargetan.  Somit  haben  wir  die  Dis- 
ziplin mit  ihren  Teilen  benannt,  und  der  Stammbaum  wäre  folgender 


—     4     - 
Medizin 

Chirurgie   -|-  Narkologie 

Narkosio  logie  -|-  Anästlietologie. 

Wenn  wir  die  Narkologie  liier  an  die  Seite  der  Chirurgie 
stellen,  so  geschieht  dies  deshalb,  weil  die  Chirurgie  bisher  ein  Asyl 
bildete  für  die  Narkologie,  und  weil  die  letztere  der  ersteren  unter- 
stützend entgegenarbeitet.  Dass  natürlich  ebenso,  wie  die  Chirurgie, 
auch  die  Pharmakologie,  und  die  Physiologie  neben  anderen 
Disziplinen  an  dem  bisherigen  Wachstum  und  Entwicklungsgang- 
tätig  beteiligt  gewesen  sind,  soll  damit  nicht  in  den  Hintergrund  ge- 
stellt, und  in  seiner  Bedeutung  herabgewürdigt  werden. 

Wenn  es  gelingen  sollte,  den  Entwicklungsgang  der  Narkologie 
so  schnell  und  zielbewusst  weiter  zu  leiten,  wie  es  Dank  der  rastlosen 
Tätigkeit  der  Koryphäen  auf  narkologischem  Gebiete  bisher  geschehen 
ist,  so  werden  nur  wenige  Dezennien  genügen,  um  eine  ihrem  Charakter 
und  ihren  Leistungen  für  die  Kranken  entsprechende  Stellung  der 
Narkologie  zu  erringen.  Verkannt  in  ihrem  erhabenen  Zwecke  war 
es  ihr  lange  Zeit  beschieden,  nur  als  Mittel  zum  Zweck  zu  dienen,  und 
eine  untergeordnete,  ja,  man  kann  in  manchen  Fällen  sagen,  geringge- 
schätzte, fast  verachtete  Stellung  einzunehmen,  denn  noch  sind  nur 
wenige  Dezennien  verflossen,  als  das  Amt  des  Narkotisierens  als  das 
wenigst  geachtete  Amt  bei  einer  Operation  angesehen  wurde,  und  es 
gereichte  keinem  Assistenten  zur  Freude,  wenn  er  verdammt  war,  die 
Leitung  der  Narkose  zu  übernehmen.  Und  doch  bot  ihm  seine  Tätig- 
keit eine  Gelegenheit,  mehr  zu  leisten,  als  der  Herr  Kollege,  welcher 
während  einer  halben  Stunde  einen  stumpfen,  oder  scharfen  Ilaken  bald 
so,  bald  so   halten  durfte. 

Wenn  der  Chirurg  dem  Menschen  einen  grossen  Dienst  leistet, 
indem  er  ihm  die  Gesundheit  wiedergiebt,  so  leistet  der  Narkolog 
sowohl  dem  Kranken  einen  sehr  grossen  Dienst,  indem  er  ihm 
leicht  macht,  die  Schmerzen  zu  ertragen,  und  zu  gleicher  Zeit  einen 
ebensolchen  dem  Chirurgen,  indem  er  ihm  ermöglicht  leichter, 
sicherer,  und  besser  zu  operieren,  als  wenn  der  Kranke  nicht  betäubt 
gewesen  wäre. 

So  hat  der  Narkolog  Gelegenheit,  sich  von  zwei  Seiten  Dank  zu 
verdienen,  und  er  wird  denselben  ernten,  wenn  er  in  seinem  Fache 
grosses  leistet. 

Gerade  von  ihm  hängt  es  oftmals  ab,  dass  eine  Operation  gut 
gelingt,  denn  leicht  kann  bei  schlechter  Beobachtung  der  Kranke  ge- 
rade in  dem  Moment,  wo  der  Chirurg  eine  feine  Naht  gelegt,  oder 
sonst  ein  Kunstwerk  seiner  Geschicklichkeit  errichtet  hat,  aus  der  Be- 
täubung etwas  erwachend  eine  Bewegung  machen,  die  alles  wieder 
zerstört  und  vernichtet,  was  mit  grosser  Mühe  kunstvoll  vollbracht  war, 
und,  wie  leicht  hätte  dies  können  vermieden  werden,  wenn  der  Narko- 
tiseur  über  die  Tiefe  der  Narkose  orientiert  gewesen  wäre. 


-     5     — 

Aber  niclit  nur  in  dic^scr  Richtung-  kann  er  seine  Kunst  beweisen, 
sondern  auch  in  der  Leitung  der  Narkose  hinsichtlich  des  Kranken 
selbst.  Derselbe  schwebt  in  einer  grossen  Gefahr,  und  das  geringste 
Versehen  von  Seiten  des  Narkologen  kann  aus  einem  kraftstrotzen- 
den Menschen  in  der  Blüte  des  Lebens  eine  Leiche  machen,  ohne 
dass  Kunst  und  Kenntnisse  das  üble  Ereignis  verhindern  könnten.  So- 
mit stellen  wir  Anfoi'derungen  an  den  Nai'kotiseur,  denen  zu  entsprechen 
nur  möglich  sein  kann,  wenn  er  die  Wissenschaft  und  Technik  des 
Narkotisierens  vollkommen  beherrscht.  Es  wird  nun  dem  Arzte  nur 
eine  pi'aktische  Ausbildung  die  Aneignung  der  Technik  ermöglichen. 
Und  dieses  Avird  er  nur  dann  erreichen  können,  wenn  er  von  einem 
geübten  und  gewandten  Narkotiseur  in  seiner  Tätigkeit  überwacht,  und 
bei  etwaigen  Mängeln  seiner  Leistung,  entsprechend  korrigiert  wird. 
Es  kann  dies  einmal  geschehen,  wenn  für  die  Studierenden  eine  Ge- 
legenheit geschaffen  wird,  dass  sie  praktisch  arbeiten  können,  oder  auf 
die  andere  Art,  wenn  der  Arzt  als  Assistent  an  einer  chirurgischen  oder 
dergleichen  Klinik  tätig  sein  kann.  Dies  letztere  kann  nur  wenigen 
beschieden  sein,  und  doch  wird  von  jedem  praktischen  Arzte  verlangt, 
dass  er  die  Technik  des  Narkotisierens  beherrscht.  Wenn  man  nun 
bedenkt,  dass  oftmals  so  viel  von  einem  Narkotiseur  abhängt,  und  wie 
oft  der  Arzt  eine  Narkose  oder  Lokalanästhesie  vornehmen  muss, 
so  wird  man  zu  der  Ueberzeugung  kommen,  dass  eine  vorzügliche 
technische  Ausbildung  schon  des  Studierenden  ein  unbedingtes 
Erfordernis  darstellt.  Es  muss  in  besonderen  Vorlesungen  den  Studen- 
ten nicht  nur  die  Wissenschaft,  sondern  eben  auch  in  an  dieselben 
anschliessenden  praktischen  Uebungskursen  die  Technik  des  Narko- 
tisierens beigebracht  werden.  Nur  dann  wird  der  junge  Arzt  in  jeder 
Lage  seiner  beruflichen  Tätigkeit  ein  ganzer  Arzt  sein,  und  zum  Wohle 
des  ihm  anvertrauten  Menschen,  korrekt  in  jedem  Augenblicke  zu 
handeln  vermögen. 

Um  nun  auch  dem  Studierenden  und  Arzte  Gelegenheit  zu 
geben,  die  wissenschaftlichen  Daten,  welche  er  in  den  Vorlesungen 
über  Narkosen  etc.  gehört  hat,  und  die  ihm  vielleicht  wieder  entfallen 
sind,  sich  in  jedem  Augenblick  vor  Augen  führen,  und  nachschlagen  zu 
können,  wenn  ihn  sein  Gedächtnis  verlässt,  haben  wir  dieses  Buch  ver- 
fasst,  in  der  Absicht,  eine  Zusammenfassung  der  jetzigen  Ansichten 
über  die  Narkosenfrage  zu  geben,  und  eine  Sammlung  aller  wissen- 
schaftlichen Thesen,  Theorien  und  Versuche  zu  schaffen,  wodurch 
zum  Weiterarbeiten  in  den  geeigneten  Bahnen  eine  Anregung 
vielleicht  gegeben  werden  soll.  Dabei  haben  wir  uns  bemüht,  Technik 
'und  Wissenschaft  gleich  zu  behandeln,  und  besonders  darauf  geachtet, 
in  jenen  Fällen,  wo  des  Arztes  ganze  Kunst  sich  beweisen  muss,  in 
jenen  schweren  Momenten  der  Unglücksfälle  während  der  Narkosen, 
genau  die  korrekte  Handlungsweise  des  Narkotiseurs  zu  schildern,  damit 
jeder  ein  Bild  finden  kann,  wie  in  den  betreffenden  Augenblicken 
zu  handeln  sei.  Nun  ist  es  natürlich  nicht  möglich,  eine  bestimmte  These 
aufzustellen,  welche  besagt,  wie  in  jedem  einzelnen  Falle,  auch  im 
Detail,  gehandelt  werden  niu.ss.    Wir  sind  uns  sehr  wohl  bewusst,  wie 


-     6     - 

auch  jeder  Moment,  und  jeder  Organismus  verschieden  ist,  wie 
auch  jeder  Unfall  in  der  Narkose  ein  anderes  Handeln  verlangt.  Es 
besteht  eben  gerade  darin  die  Schwierigkeit,  dass  man  das  als  bestimmte 
Handlung  aufstellt,  was  im  Allgemeinen  in  dem  und  jenem  Falle  zu 
tun  ist.  Wir  haben  uns  bemüht,  die  allgemeinen  Prinzipien  zu  erläutern, 
nach  denen  der  Arzt  handeln  muss,  und  haben  versucht,  genau  die  Linie 
zu  ziehen  zwischen  den  allgemein  feststellbaren  Handlungsweisen, 
und  den  individuell,  und  je,  nach  den  obAvaltenden  Verhältnissen  zu 
ändernden,  und  denselben  anzupassenden  Vornahmen,  und  Ein- 
griffen des  Arztes  in  Momenten  di'ohender  Gefahren  während  der 
Narkose.  Wir  haben  dies  versucht,  indem  wir  schilderten,  wie  hier  und 
da  an  der  Hand  von  Beispielen  gehandelt  werden  muss,  und  haben 
nicht  versäumt,  so  oft  als  möglich  darauf  hinzuweisen,  dass  immer  in- 
dividuelle und  den  Verhältnissen  etc.  entsprechende  Aenderungen  vom 
Arzte  selbst  vorgenommen  werden  müssen,  und  dass  der  Arzt  nie  nach 
der  Schablone  handeln  darf,  sondern,  dass  seine  Handlungsweise  aus 
dem  wissenschaftlichen  Denken  hervorgehen  müsse.  Und  gerade 
dies  soll  mit  der  Zweck  dieses  Buches  sein,  dem  Leser  die  wissen- 
schaftlichen Verhältnisse  während  des  ganzen  Verlaufes  der  Nar- 
kose klarzulegen,  und  ihm  dadurch,  dass  ihm  die  wissenschaftlichen  Er- 
klärungen vorgeführt,  und  möglichst  verständlich  expliziert  werden,  an- 
zuregen, in  diesem  Sinne  zu  denken,  und  vor  allem  im  geeigneten  Mo- 
mente mit  klarem  Verständnis  der  physiologischen  und  ev.  patho- 
logischen Vorgänge  im  Organismus,  nach  seinem  wissenschaft- 
lichen Denken  zu  handeln.  Wenn  es  uns  gelungen  sein  sollte,  nach  dieser 
Richtung  hin  dem  Bedürfnis  entsprechend  dies  Buch  abgefasst  zu  haben, 
so   sollte  unser  Wunsch   erfüllt,   und  das  Ziel  dieser  Schrift  erreicht  sein. 

Wenn  nun  der  junge  Arzt  und  der  Studierende  das  Bedürfnis 
empfinden  sollte,  welches  wir  selbst  einst  empfanden,  dass  ein  Buch 
noch  nicht  vorhanden  war,  in  welchem  die  Ansichten  und  wissen- 
schaftlichen Daten  mit  der  Technik  der  Narkose  verknüpft  nieder- 
gelegt waren,  so  dass  man  Belehrung  etc.  durch  Nachschlagen  erlangen 
konnte,  so  wird  er  vielleicht  das  in  dieser  Schrift  finden,  was  er  sucht, 
denn  unser  Ziel  ist  es  gewesen,  nicht  nur  der  Wissenschaft  durch 
Sammeln   der  Literatur,   sondern   auch  dem   Arzte   zu  dienen. 

Gerade  der  praktische  Arzt,  der  ja  alles  wissen  möchte,  aber 
doch  bei  dem  heutigen  Stand  der  Wissenschaft  nicht  alles  wissen  kann, 
was  Mutter  Medizin  aus  dem  unerschöpflichen  Quell  ihrer  Weisheit 
fliessen  lässt  in  starken  Strömen,  wird  gern  ein  Werk  besitzen,  welches 
ihm  das  zusammen  vorführt,  was  ihm  notwendig  dann  vor  Augen  stehen 
muss,  wenn  immer  er  eine  Narkose  vornimmt. 

Wenn  nun,  wie  wir  später  sehen  werden,  so  manches  überaus 
wichtige,  von  dem  oftmals  das  Leben  eines  Menschen  abhängt,  noch 
nicht  das  Gemeingut  aller  praktischen  Aerzte  geworden  ist, 
so  kann  nur  darin  der  Grund  liegen,  dass  noch  immer  ein  Buch  fehlte, 
welches  all  das  wissenswerte  über  Narkosen  zusammenfasst.  Somit 
ist  nicht  nur  dem  Arzte  selbst  gedient,  sondern  indirekt  auch  der  lei- 
denden Menschheit  im  allgemeinen. 


—     7     — 

Ein  anderer  Punkt  war  es  noch,  welcher  uns  veranlasste,  diese 
Schrift  zu  verfassen.  Es  ist  noch  immer  die  Lokalanästhesie  nicht 
so  vollkommen  in  das  Feld  der  Verwendung  gelangt,  wie  es  eigentlich 
sein  sollte.  Es  kommt  in  vielen  Fällen  noch  immer,  zum  Schaden  oft- 
mals des  Kranken,  eine  Narkose  zur  Verwendung,  wo  man  hesser  hätte 
sollen  eine  Methode  der  lokalen  Betäubung  wählen.  Auch  hierin 
liegt  ein  Fehler  vor,  nämlich  der,  dass  wiederum  dem  Arzte  und  Stu- 
dierenden nicht  Gelegenheit  geboten  ist,  diese  verschiedenen  Methoden 
in  einem  Werke  vereint  gegen  aneinander  abwägen,  und  vergleichen  zu 
können.  Auch  diesem  Punkte  ist  Rechnung  getragen,  man  findet  die 
beiden  Arten  der  Schmerzbetäubung  vereint.  Erst  wenn  die 
Lokalbetäubung  das  Gemeingut  aller  Aerzte  geworden  ist,  wird 
jede  wissenschaftliche  Errungenschaft  auf  unserem  Gebiete,  die  ihr  ge- 
ziemende Bedeutung  erlangen,  und  der  leidenden  Menschheit,  zu  deren 
Wohl  sie  ja  nur  erstrebt  wurde,   recht  zu  gute  kommen  können. 

So  mag  dieser  kleine  Beitrag  seinem  Zweck  entsprechend  von 
allen  aufgenommen  werden,  und  denen,  welche  einen  Blick  hineinwerfen, 
Anregung  zum  Forschen  in  der  Narkologie  geben,  und  jenen  die  ge- 
wünschte Auskunft  zu  teil  werden  lassen,  und  es  mag  jeder  in  der  Ab- 
handlung finden,  was  er  sucht.  Und  wenn  ein  kleiner  Beitrag  hiermit 
gebracht  werden  kann  zu  dem  grossen  Werke  der  medizinischen  Wissen- 
schaft, und  wenn  diese  kleine  Schrift  dazu  beitragen  könnte,  jedem 
Leser  die  Tiefen  der  Narkologie  zu  erschliessen  zum  freudigen 
Forschen  und  Arbeiten  nicht  nur  im  Interesse  der  ärztlichen 
Wissenschaft,  sondern  auch  zum  Wohle  der  gesunden  und  lei- 
denden Menschheit,   dann  ist  der  ganze   Zweck  des  Werkes  erreicht 

Dr.  Benno  Müller. 


I.  Kapitel. 

Kurzer  historischer  Überblick  über  die 
Entwickelung  der  Narkologie. 

Hand  in  Hand  mit  dem  Entwickelungsgange  der  Chirurgie  findet 
auch  die  Verwendung  der  Narkose  ihren  Werdegang  verknüpft,  von 
den  schwachen  Versuchen  der  alten  Aerzte  an,  einen  das  allgemeine 
Schmerzempfinden  herabsetzenden  Trank  aus  einem  Decoct  der  Can abis- 
ind ica  z.  B.  bestehend,  dem  Kranken  vor  dem  Beginn  eines  chirurgischen 
Eingrifi'es  zu  reichen,  bis  zu  den  komplizierten  Narkosen  der  Neuzeit, 
und  dem  so  äusserst  segensreich  wirkenden  subkutanen  Verwenden  des 
Cocains  unserer  Tage.  Schon  im  grauen  Altertum  waren  Aerzte 
bemüht,   gewisse  den  Schmerz  betäubende   Stoffe   zu  verwenden. 

Bei  den  alten  Aegyptern  finden  wir  schon  die  Verwendung 
von  narkotisierenden,  respektive  anästhesierend  en  Mitteln,  welche 
den  Kranken  in  einen  berauschenden  Zustand  versetzten.  So  sahen  wir 
die  ägyptischen  Aerzte  die  Canabis  indica,  und  das  Opium  haupt- 
sächlich verwenden,  das  erstere  in  Gestalt  des  Rauches  dem  Kranken 
zuführend,  während  sie   Opium  meist  innerlich  darreichten. 

Die  Assyrer  hatten  nach  Caspar  Hoffmann  bei  Kindern, 
welche  beschnitten  wurden,  folgendes  Verfahren  der  Schmerzstillung 
verwendet.  Sie  drückten  während  der  Operation  dem  betreffenden 
Kinde  die  grossen  Gefässe  des  Halses*)  zusammen,  um  so  eine  Anämie 
des  Gehirns  zu  erzeugen,  und  die  Kinder  dadurch  gegen  Schmerz 
unempfindlicher  zu  machen.  Plinius  secundus  um  32  —  79  p.  Chr.  n., 
und  Dioscorides  pedanius  um  50  p.  Chr.  n.,  berichten  vom  Stein 
von  Memphis,  welcher  ebenfalls  zum  Zwecke  der  Anästhesie  ver- 
wandt wurde.  Es  war  dies  mehr  ein  Verfahren  der  lokalen  An- 
ästhesierung, denn  man  pulverisierte  diesen  Stein  von  Memphis,  und 
vermischte  dieses  Pulver  mit  Essig.  Dieser  Brei  wurde  auf  diejenigen 
Körperteile  längere  Zeit  appliziert,  welche  geschnitten  oder  gebrannt  etc. 
werden  sollten.  So  wurde  die  Haut  unempfindlich  gemacht.  „Vocatur 
et  memphites  a  loco  gemmanti  naturae.  Huius  usus  contere  et  eis,  quae 
urenda  sint,  aut  secanda,  ex  aceto  illini.  Obstupescit  ita  corpus,  nee 
sentit  cruciatum"    etc.      (Plinius  Buch  36.  histor.  natural.) 


*)  Diese  Methode  ist  in  neuester  Zeit  wieder  zwecks  Schmerzstillens  ver- 
sucht worden  in  Form  der  Kompression  der  Carotis  von  Steiner. 


—     9      - 

Nach  Littv6  ist  dieser  Stein  Marmor  gewesen,  welcher  durch 
Essig"  zersetzt  wurde  unter  Kohlensäureentwickehing,  und  er  meint, 
dass  die  Kohlensäure  eine  lokale  anästhesiernde  Wirkung  erzeugt 
habe.      Eine   Ansicht,   welche   nicht  unwahrscheinlich   ist. 

Ein  viel  im  Altertum  gebrauchtes  Anästhetikum  ist  die  Man- 
dragora, oder  Alraunwurzel,  welche  von  Hippokrates  an,  bis,  nach 
den  Angaben  von  Bodin,  in  das  16.  Jahrhundert  als  Schlaf-  und  An- 
ästhesie  erzeugendes  Mittel  verwendet  wurde. 

Durch  Dioscorides,  und  seinen  Commentator  Matthiolus  er- 
fuhren wir,  dass  die  Mandragorawurzel  mit  Wein  bis  auf  ein  Drittel 
des  ursprünglichen  Volumens  abgekocht,  und  von  diesem  Deco  et  vor 
Operationen   dem  Kranken   ein  Glas  voll  verabreicht  wurdß. 

Eine  andre  Art  von  Mandragora  wird  von  Dioscorides  als 
Morion  beschrieben.  Das  ist  wahrscheinlich  der  weisse  Same  der 
Mandragorapflanze.  Er  giebt  an,  dass  1  Drachme  von  Morion, 
von  einem  Menschen  eingenommen,  Verlust  des  Bewusstseins  hervorrufe, 
und  von  einem  3  bis  4stündigen  Schlafe  gefolgt  sei.  Dieses  Mittel 
wird  von  den  Aerzten  zu  chirurgischen   Operationen  verwandt. 

Plinius  schreibt  folgendermassen  über  die  Mandragora  und 
deren  Abkochung: 

„bibitur  contra  serpentes  et  ante  sectiones,  punctionesque,  ne  sentiantur" 
etc.  Er  zieht  die  Blätter  der  "Wurzel  vor,  und  schreibt,  es  gäbe  Menschen, 
welche  schon  durch  den  Geruch  der  Mandragora  betäubt  und  eingeschläfert 
würden. 

Ferner  wird  die  Mandragora  von  Seneca  und  Apuleius  Lucius  erwähnt." 

Bei  den  griechischen  Aerzten,  sowie  auch  in  den  späteren 
Zeiten  bei  den  Aerzten  der  anderen  Völker,  wie  der  alten  Germanen 
etc.  wurde  meist  der  Mandragoratrank  verwendet,  welcher  einen 
Decoct  der  Wurzel  oder  der  Blätter  darstellte.  Durch  diesen  Man - 
drago ratrank  ist  man  zuerst  auf  den  Gedanken  gekommen,  durch 
Inhalation  einen  anästhesierenden  Zustand  herbeizuführen,  indem 
man  bei  den  den  Trank  durch  Kochen  bereitenden  Personen  narkotische 
Wirkungen  der  eingeatmeten  Dämpfe  des  Decoctes  beobachtete.  Diese 
Wahrnehmungen  sollen  von  den  Chirurgen  im  13.  Jahrhundert 
gemacht,  und  zum  ersten  Male  von  Theodorich  und  anderen 
die  ersten  Inhalationen  zwecks  einer  allgemeinen  Narkose  ange- 
wandt worden  sein.  Darüber  schreibt  Gney  von  Chauliac  in  seiner 
Chivurgia : 

„Nonnulli  vero  ut  Theodoricus,  medicinas  obdormitativas,  ut  non  senti- 
ant  incisionem  dictant.  Velut  est  Opium,  Succus,  Morellae,  Jusqviiani,  Man- 
dragorae,  Hederae  arboreae,  Cicutae  Lactueae.  Et  imbibunt  in  eis  spongiam 
novam,  et  permittunt  eam  in  sola  exsiccari.  Et  quando  erit  necesse  mittunt 
illam  spongiam  in  aqua  callida,  et  daut  eam  ad  odorandum  tantum  usque  quo 
capiat  somnum.     Et  ipse  abdormitato  faciunt  applicata  expergeviunt"  etc. 

Aus  dieser  Mitteilung  geht  hervor,  dass  zu  dieser  Zeit  die  erste 
Narkose  in  unserem  Sinne  als  allgemeine  Narkose  vorgenommen 
worden  ist.  Auch  die  Völker  in  Asien  haben  schon  in  früher  Zeit 
solche   betäubende  Tränke   gekannt,   so  wird  im   3.  Jahi-hundei't   n.  Chr. 


-     10     - 

von  dem  chinesischen  Arzte  Mao-Tho  zum  Zwecke  einer  allge- 
meinen Betäubung  der  Sensibilität  ein  Trank  aus  Ma-Yo,  unserem 
Canabis   Indica  verwandt. 

Dass  man  im  Mittelalter  schon  die  Narkose  verwendet  hat,  geht 
weiter  aus  einem  Berichte  des  Origenes  auf  einem  Konzil  der  eng- 
lischen Kirche  in  Exeter  vom  Jahre  1287  hervor.  Darin  findet 
man  folgendes   verzeichnet: 

„Quando  volunt  medici  incidere  aliquos  vel  urere,  dant  eis  bibere  ali- 
quem  potum,  qui  facit  eos  profunde  dormire,  ita  quod  amentes  fiant  et  sie  non 
sentiant". 

Ferner  hat  Theodorich  von  Cervia,  ein  Schüler  Hugo 's  von 
Lucca,  Dominikaner,  später  Bischof,  1298  in  Bologna  gestorben, 
ein  Mittel,  welches  confectio  soporis  secundum  dominum  Hugo- 
nem  genannt,  hauptsächlich  Schierling,  und  den  Saft  der  Mandra- 
gorablätter enthielt,  den  Kranken  vor  der  Operation  einatmen  lassen, 
wie  aus  obigem  ebenfalls  entnommen  werden  kann.  Dasselbe  beschreibt 
Canappe  ähnlich  wie  Guey  von  Chauliac.  Wenn  er  auch  teilweise 
dasselbe  sagt,  wie  oben  schon  erwähnt,  so  wollen  wir  doch  eine  Stelle 
von  Canappe  hier  zitieren,  da  sie  manches  interessante  bringt.  Er 
schi-eibt : 

„Aucuns,  dit-il,  comme  Theodoric,  leur  donnent  medecines  obdormi- 
fieres  qui  les  endorment,  afin  que  ue  sentent  incision,  comme  opium,  succus 
morellae,  hyo^cyami,  mandragorae,  cicutae,  lactucae  et  plongent  dedans  esponge 
et  la  laissent  seicher  au  soleil,  et  quand  il  est  n^cessite,  ilz  mettent  cette  es- 
ponge en  eaue  chaulde,  et  leurs  donnent  k  odorer  tant  qu'ilz  prennent  soni- 
meil  et  s'endorment ;  et  quand  ilz  sont  endormis,  ilz  fönt  I'ojjeration;  et  puis 
avec  une  autre  espongs  laign^e  en  vin  aigre  et  api^lique  es  narilles  les  es- 
veillent,  ou  ilz  mettent  es  narilles  ou  en  ToreiUe,  succum  rutae  ou  feni,  et  ainsi 
les  exveillent,  comme  ilz  ditnt  Les  autres  donnent  ojaium  ä  boire  et  fönt 
mal,  spöcialement  sil  est  jeune;  et  le  apergoivent,  car  ce  est  avec  une  grande 
bataille  de  vertu  änimale  et  naturelle  J'ai  oui  qu'ilz  encourent  manie  et  par 
consequent  la  mort  " 

Von  Boccaccio  wird  ferner  berichtet,  dass  ein  Chirurg  von 
Salerno,  Mazzeo  della  Montagna,  welcher  von  1309  bis  1342 
lebte,  ebenfalls  ein  schlaferzeugendes  und  anästhesierendes  Mittel  bei 
seinen   Kranken   vor  der   Operation  angewendet  habe. 

Ausserdem  berichtet  Porta  von  einem  leicht  verdunstenden 
Mittel,  welches  Schlaf  bewirke,  und  in  einem  fest  veschlossenen  „Blei- 
gefässe"  aufbewahrt  werden  müsse.  Dasselbe  werde  eingeatmet,  und 
erzeuge  dabei  einen  schlafähnlichen  Zustand  bei  der  betreffenden  Person. 
Näheres  über  die  Zusammensetzung  und  Natur  dieses  Mittels  erfahren 
wir  nicht. 

In  derselben  Zeit,  wo  diese  ersten  Inhalationsnarkosen  vorge- 
nommen wurden,  finden  wir  auch  die  ei'sten  Anfänge  der  lokalen  Be- 
täubungsmethoden. So  entnehmen  wir  aus  folgenden  Worten  von 
Thomas  Bartholinus,  dass  im  Mittelalter  die  ersten  Versuche  in 
dieser  Hinsicht  gemacht  wurden.      Derselbe  schreibt: 

„Antiquam  cauteratio  ulcera  in  membris  excitentur,  nix  aftVicata  indiuit, 
stuporem      Id  me  doeuit  Marcus  Aurelius  Severinus  in  Grymnasio  Neapolitano 


—    11    - 

ülim  praeceptor  iiiriis  et  hospes,  Chirursorum  hoc  saeculo  princeps.  Reclissime 
aiitem  iiivem  in  vasculum  maturiae,  convenicntis  capax,  sed  obhjngä  ad  ex- 
tremum  et  myrtifonni  spc;zie,  coujectam,  sine  rei  ullius  interventu  applicavit. 
A  gangracnae  metu  seeuros  nos  jussit,  niedicamento  sub  augustis  parallelis 
lineis  applicato,  sensu  vero  post  horae  quadrantem  sopito,  secare  locum  indo- 
lentem licel)it."     (Nach  Kapjjeler  zitiert.) 

Im  12.  Jahrhundert  finden  wir  noch  als  bekannte  Sammlung  von 
Narkotica,  das  Autidotarium  parvum  des  Nicolaus  Praepositus, 
welches  140 — 150  alphabetisch  geordneter,  sehr  komplizierter  Ver- 
ordnungen enthält,  sowie  die  genaue  Beschreibung  der  Wirkungen  und 
AnAvendungsweise  jedes   einzelnen  Rezeptes. 

Die  Verwendung  der  zu  inhalierenden  Mittel  geschah  auf  ver- 
schiedene Art.  Die  einen  wurden  zu  Kerzen  verarbeitet,  und  der  durch 
Verbrennung  der  Kerzen  entstehende  Rauch  wurde  von  den  Kranken 
eingeatmet,  um  seine  betäubende  Wirkung  entfalten  zu  können.  An- 
dere Substanzen  wurden  in  Form  von  Salben  appliziert,  und  bewirkten 
so,  teils  eine  lokale,  teils  eine  allgemeine  Anästhesie. 

Wie  auch  die  Verwendung  narkotischer  Substanzen  im  Altertum 
sich  keine  allgemeine  Geltung  und  Verwendung  verschaffen  konnte,  so 
blieb  auch  im  Mittelalter  die  Verwendung  dieser  Präparate  sehr  be- 
schränkt, und  die  üblen  Nachwirkungen  nach  diesen  Narkosen,  die  in 
einem  grossen  Teile  tötlich  verliefen,  Hessen  die  späteren  Aerzte  von 
der  Verwendung  ganz  abstehen,  und  die  Narkose  kam  wieder  in  Ver- 
gessenheit. 

Gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  sehen  wir  wieder  ver- 
schiedentlich die  Anwendung  von  narkotischen  Substanzen  in  Brauch 
kommen.  So  machte  im  Jahre  1781  Sassard,  Chirurg  an  der 
Charite  in  Paris,  den  Vorschlag,  narkotisierende  Substanzen  vor  Opera- 
tionen wieder  zu  verwenden,  freilich  mehr,  um  den  Shock  zu  verhindern, 
als  das  Schmerzgefühl  herabzusetzen.  Diese  Methode  wurde  viel- 
seitig gebraucht,  und  mit  mehr  oder  weniger  Erfolg  bis  zur  Zeit  bei- 
behalten, Avo  das  Chloroform  und  der  Aether  eine  neue  Methode 
brachten.  Man  hatte  sich  jetzt  mehr  mit  der  von  James  Moore  an- 
gegebenen Methode  der  Kompression  der  Nerven  zwecks  Herab- 
setzen der  Empfindlichkeit  befasst.  Derselbe  hatte  zuerst  versucht, 
durch  eine  Durchtrennung  eines  Nerven,  eine  lokale  Anästhesie  zu 
erreichen,  und  kam  nun  auf  den  Gedanken,  durch  Kompression  der 
Nerven  denselben  Zweck  zu  erreichen.  So  soll  er  durch  Kompression 
des  Nervus  ischiadicus  und  cruralis  mittels  einer  Verrichtung, 
welche  aus  einem  Eisenbogen  mit  2  Pelotten  bestand,  eine  schmerzlose 
Amputation  des  Unterschenkels  ausgeführt  haben.  Diese  Methode  wurde 
von  Hunter,  Bell  und  anderen  englischen  Chirurgen  verteidigt, 
hat  aber  sonst  weiter  keine  Nachahmer  gefunden,  da  die  Wirkung 
doch  nicht  so  war,  wie  mau  es  erwai'tet  hatte,  denn  in  dem  einen 
Falle  war  zugleich  eine  starke  Opium dosis  dem  Kranken  vorher  ge- 
geben worden,  welche  wohl  hauptsächlich  die  Anästhesie  erzeugt  haben 
mochte.  Invet,  Weden,  Liegard  etc.  empfahlen  für  dieses  Verfahren 
die  Abschnürung  des  Gliedes  oder  die  forcierte  Ein wickelung. 
So   war  man  bemüht,   auf  irgend   eine  Art,   eine   brauchbare  Methode  zu 


-     12     — 

f2;ewinnen,  mittels  deren  man  dem  Kranken  die  Schmerzen  der  cliirur- 
gischen  Operationen  ersparen  könnte,  allein  alle  diese  Methoden  haben 
nicht  einen  genügenden  Erfolg  gesehen.  Es  sollte  ehen  nicht  auf 
mechanischem  Wege  das  Ziel  erreicht  werden;  sondern  die  weiteren 
Fortschritte  der  Chemie  am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  rückten  die 
Chirurgie   etwas  näher  an  das  geträumte  und  ersehnte  Ideal  heran. 

Der  Entdecker  des  Sauerstoffs,  Priestly,  hatte  schon  im 
Jahre  1765  dieses  Gas  zu  Inhalationen  in  therapeutischer  Hin^ 
sieht  verwendet.  .  Richard  Pearson  nahm  in  derselben  Zeit  die  In- 
halationen von  Aetherdämpfen  an  Lungenleidenden  vor,  um 
dadurch  die  vorhandene  Dyspnoe  zu  mildern.  Er  hielt  den  Kranken 
ein  mit  Aether  gefülltes  Gefäss,  oder  ein  mit  ebensolchem  befeuchtetes 
Taschentuch  unter  die  Nase.  Um  dieselbe  Zeit  gründete  Bed  do es  die 
Medical  pneumatic  Institution  bei  Bristol,  woiün  er  Kranke 
durch  Inhalationen  von  verschiedenen  Gasen  heilte,  oder  ihren  Leiden 
Linderung  verschaffte.  Derselbe  beschrieb  auch  die  Versuche  Thorn- 
ton's,  welche  darin  bestanden,  Lungenkranke  durch  Aetherinhalationen 
vom  Schmerz-  und  Oppressionsgefühl  zu  befreien.  Eine  Frau,  welche 
an  Mastitis  litt,  wurde  durch  diese  Inhalationen  bis  zur  Bewusst- 
losigkeit  betäubt. 

Dasselbe  Institut  wurde  später  von  dem  im  20.  Lebensjahre 
stehenden  Chemiker  Humphry  Davy  geleitet  und  derselbe  nahm  sich 
mit  Energie  dieser  Methoden  an.  Er  unternahm  hier  seine  Untersuch- 
ungen über  die  physiologischen  Eigenschaften  des  Stickstoffoxyduls. 
Er  gab  demselben  den  Namen  Lachgas,  nach  den  Delirien  heiterer 
Ai't,  die  durch  Inhalationen  dieses  Gases  erzeugt  wurden,  und  kam  auf 
den  Gedanken,  ob  vielleicht  auch  die  Sensibilität  durch  dieses  Gas  herab- 
gesetzt werde.  Er  inhalierte  dasselbe  selbst,  als  er  an  heftigen  Kojjf- 
und  Zahnschmerzen  litt,  und  fand  sich  bald  vollkommen  von  den  Schmer- 
zen befreit.  Er  schrieb  über  dies  Gas  und  dessen  Wirkung  im  Jahre 
1800  folgendes:  „As  nitrous  oxide  in  its  expensive  Operation  seems 
capable  of  destroying  physical  pain,  it  may  probably  be  used.with  ad- 
vantage  during  surgical  Operations,  in  which  no  great  effusion  of  blood 
takes  place". 

Diese  Versuche  und  Beobachtungen  Davy 's  wurden  nun  mit 
wechselndem  Erfolge  von  anderen  nachgeprüft,  und  gerieten,  ohne  dass 
man  sie  der  praktischen  Medizin  zugänglich  machte,  nach  und  nach 
wieder  in  Vergessenheit. 

Die  Aetherinhalationen  wurden  aber  dem  Arzneischatz  ein- 
verleibt, ohne  dass  man  dieselben  bei  chirurgischen  Eingriffen  weiter 
verwendet  hätte. 

Im  ersten  Jahrzehnt  des  19.  Jahrhunderts  wurden  dieselben 
von  Warren  und  Woolcombe  bei  Schwindsüchtigen  angewendet, 
Anglada  brauchte  sie  in  Montpellier  zur  Linderung  von  neural- 
gischen Schmerzen,  und  Nysten  beschreibt  einen  Apparat  für  Aether- 
inhalationen wegen  Kolikschmerzen.  Von  Faraday  wird  be- 
richtet, dass  ein  Gemenge  von  Luft  und  Aetherdämpfen  dieselbe  Wir- 
kung auf  -  den  Organismus  habe,   wie  das  Lachgas,   und  dass  ein  junger 


—     13     — 

]\Iann  durch  solche  lulialatiuncu  30  »Stundou  betäubt,  und  deui  Tode 
nahe  gewesen  sei.  Orfila  betäubte  Hunde  durch  Actherinjectionen 
und   Einführen   von  Aether  in  den   Magen. 

Die  narkotischen  Wirkungen  des  Aethers  beschreiben  Brodie 
und  Giacomini,  und  Christison  teilt  mit,  dass  ein  Mann  durch  Aether- 
inhalationen,  wie  sie  von  Studierenden  in  den  chemischen  Labora- 
torien scherzeshalber  an  sich  selbst  vorgenommen  wurden,  um  einen 
Rauschzustand  hervorzurufen,  vollkommen  bewusstlos  und  anästhetisch 
geworden  sei.     Allein  man  Hess  all  diese  Beobachtungen  ungenützt. 

Es  geriet  nun  diese  ganze  Lehre  von  der  Anästhesie  mehr  und 
mehr  in  das  Bereich  des  Mystischen  und  des  Hypnotismus.  So 
soll  Cloquet  im  Jahre  1829  einer  64  Jahre  alten  Dame  während  des 
magnetischen  Schlafes,  welcher  jetzt  zu  chirurgischen  Operationen 
verwendet  wurde,  ein  Brustcarcinom  mit  Achseldrüsen  vollkommen 
schmerzlos  operiert,  und  Ward  1842  einen  Oberschenkel  ohne  jede 
Schmerzempfindung  des  Patienten  amputiert  haben.  Wenn  auch  diese 
Berichte  mystisches  genug  besitzen,  man  muss  nicht  übersehen,  dass 
es  Personen  gibt,  welche  eine  pathologisch  herabgesetzte  Sensibi- 
lität besitzen,  welche  simuliert  haben,  welche  infolge  der  Hypnose 
weniger  empfindlich  werden.  Im  allgemeinen  chirurgischen  Leben  und 
Treiben  war  dieser  magnetische  Schlaf  ein  Trugbild  entarteter 
Phantasie,   und  nicht  als  generalisierend  zu  verwenden. 

Braid  legte  nun  klai-,  dass  man  z.  B.  durch  anhaltendes  Fixieren 
eines  bestimmten  glänzenden  Punktes  einen  kataleptischen  Zustand, 
den  Brain  Hypnotismus  nannte,  mit  allgemeiner  Anästhesie  und 
Hyperästhesie  der  spezifischen  Sinne  hervorrufen  könne.  Nun 
lag  es  klar,  dass  man  auch  zur  Verwendung  der  Hypnose  schritt,  um 
eine  chirurgische  Operation  schmerzlos  zu  gestalten.  So  soll  in  Vel- 
peau's  Klinik  die  schmerzlose  Abnahme  eines  Dextrinverbandes 
vorgenommen  worden  sein,  ferner  hat  Broca  und  Tollin  einen  Abszess 
am  Anus  schmerzlos  eröffnet  in  Hypnose,  und  Gu6rinau  einen  Unter- 
schenkel auf  dieselbe  Weise  bei  einem  Kranken  schmerzlos  amputiert. 
Allerdings  konnten  weitere  Versuche  nicht  eine  Begründung  dieser 
Methode  erzielen,  und  man  erlebte  bald  ebenso  glänzendes  Fiasko, 
wie  man  glänzende  Erfolge  gehabt  hatte,  und  mit  der  Zeit  wui'den  die 
negativen  Erfolge   zahlreicher  als   die  positiven. 

So  kommt  man  bis  in  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  nicht  weiter, 
bis  die  alte  Idee  der  Aetherisierung  wieder  aufgegriffen  wurde. 

In  dieser  Zeit  machten  die  Zahnärzte  Evans  in  Paris  und  Ho- 
race  Wells  in  Hartford  erneute  Versuche,  das  Lustgas  bei  Zahn- 
Extraktionen  zu  verwenden.  Der  Zahnarzt  Watley  hatte  im  Jahre  1844 
bei  einer  Vorlesung  des  Chemikers  Gölten  ein  Experiment  mit  Lust- 
gas gesehen,  und  Hess  bald  nach  diesem  an  sich  selbst  eine  Narkose 
mit  Lustgas  vornehmen,  um  sich  einen  Zahn  extrahieren  zu  lassen. 
Zu  gleicher  Zeit  stellten  auch  Jackson  und  Morton  mit  demselben 
Gas  Versuche  an,  doch  alle  Experimentatoren  waren  von  den  Erfolgen 
ihrer  Narkosen  noch  sehr  wenig  befriedigt. 

Schon    seit    dem    Anfang    des    19.  Jahrhunderts    waren    von  ver- 


-      14     - 

schiedenen  Chemikern  die  Wirkungen  und  Einflüsse  des  Scliwefeläthers 
auf  den  tierischen  Organismus  erprobt  worden.  Einige  von  ihnen  nahmen 
an  sich  selbst  Versuche  vor,  indem  sie  die  Dämpfe  des  Schwefeläthers 
einatmeten,  teils,  um  sich  selbst  einen  angenehmen  Rausch  zu  verschaffen, 
teils,  um  die  Wirkung  zu  prüfen.  Die  dabei  öfters  eingetretenen  üblen 
Folgen  schreckten  die  meisten  Aerzte  ab,  dessen  ungeachtet  war  aber 
der  Aether  schon  öfter  als  Mittel  zur  Betäubung  verwandt  worden, 
während  man  ihn  auch  als  Erleichterungsmittel  bei  Brustkrankheiten 
gebrauchte,  indem  man  die  Dämpfe  von  den  Kranken  einatmen  Hess. 
Die  Mitteilungen  über  die  Aetherverwendung  zur  allgemeinen  Narkose 
wurden  aber  von  den  meisten  Gelehrten  in  das  Reich  der  Fabel  verwiesen, 
selbst  der  grosse  Chirarg  Velpeau  stand  im  Jahre  1829  auf  diesem 
skeptischen  Standpunkt,  und  wollte  von  einer  Acthernarkose  nichts  wissen. 

Derjenige,  welcher  als  Entdecker  der  Narkose  mit  Recht  anzu- 
sehen ist,  ist  der  Arzt  und  Chemiker  Dr.  med.  Charles  Th.  Jackson 
in  Boston.  Derselbe  machte  im  Winter  des  Jahres  1841  zu  42  an 
sich  selbst  die  ersten  Versuche,  mit  einem  Gemisch  von  Aetherdämpfen 
und  atmosphärischer  Luft  eine  Narkose  zu  erzeugen.  Diese  Versuche 
wurden  allerdings  erst  5  Jahre  später  von  praktischer  Bedeutung.  Im 
Jahre  1846  wurde  Jackson  von  seinem  Schüler  Morton,  welcher  von 
den  Versuchen  Jacksons  Kenntnis  erhalten  hatte,  um  ein  Mittel  ge- 
beten, welches  eine  schmerzlose  Zahn-Extraktion  ermöglichte.  Jackson 
gab  ihm  den  Schwefeläther,  und  die  mit  diesem  sofort  ausgeführten 
Versuche  waren  von  dem  erAvarteten  Erfolg  gekrönt.  Bald  darauf  wurde 
auf  Jacksons  Anregung  die  Aethernarkose  bei  einer  chirurgischen 
Operation,  Exstirpation  einer  Geschwulst  am  Halse,  von  Warren 
am  14.  Oktober  1846  zum  ersten  Male  angewandt,  und  auch  hier 
war  der  Erfolg  ein  vollständiger.  Durch  Jackson  selbst  kam  die 
Kunde  von  diesen  Versuchen  nach  Europa,  und  am  17.  Dezember  1846 
nahm  Bott  die  erste  Aethernarkose  in  Europa  vor,  wenige  Tage 
später  machte  Listen  die  zweite  in  London,  und  es  folgte  die  dritte 
am  22    Dezember  desselben  Jahres  von  Jaubert  in  Paris. 

Jackson  erhielt  für  seine  wichtige  Entdeckung  den  Monthyon'- 
schen  Preis  von  der  Akademie  in  Paris,  worüber  sich  Wells  der- 
artig alterierte,  dass  er  am  24.  Januar  1847  aus  Kummer  über  die 
entrissenen  Lorbeeren,  die  er  für  sich  beanspruchte,  freiAvillig  in  den 
Tod  ging.  Jackson  konnte  sich  aber  auch  nicht  an  den  Strahlen 
seines  Ruhmes  sonnen,  denn  er  verfiel  bald  dai'auf  in  Wahnsinn, 
welcher  ihm   den   Geist  bis   zum  Tode  umnachtete. 

Nun  wurden  die  Aethernarkosen  von  verschiedenen  Anderen  Aveiter 
geprüft,  so  von  Florent,  Longet  etc.,  welche  an  Tieren  Narkosen 
mit  Aether  vornahmen.  Velpeau  hatte  nun  auch  seinen  skeptischen 
Standpunkt  verlassen,  und  wurde  ein  eifriger  Vertreter  der  Aether- 
narkose, indem  er  sie  nunmehr  bei  chirurgischen  und  geburtshilflichen 
Operationen  einleitete,  und  ihre  Verwendung  allgemein  anriet. 

Wenn  bis  jetzt  eine  Aethernarkose  noch  zu  den  seltenen  Opera- 
tionen gehörte,  so  war  es  der  Gynäkologe  Simpson,  welcher  derselben 
eine   allgemeine  Verwendung  verschaffte.      Er  machte    am    17.  Januar 


—     15     — 

1847  die  erste  Aethernarkose  bei  einer  schwierigen  Entbindung. 
Wenige  Monate  später,  am  4.  November  d.  J.,  stellte  er  an  sieb,  und 
seinen  Assistenten  Keith  und  Duncan  die  ersten  Versuche  mit  einem 
zweiten  Mittel  an,  welches  dem  Aether  den  Vorrang  streitig  machen 
sollte,  aber  noch  immer  mit  demselben  um  die  Krone  des  Sieges  kämpft. 
Dieses  Avar  das  von  Soubeirau  im  Jahre  1831  hergestellte  Chloro- 
form. Dasselbe  war  von  Liebig  ein  Jahr  später  selbständig  her- 
gestellt worden,  und  von  Dumas  und  Guthrie  weiter  untersucht,  mit 
dem  Namen,  den  es  heilte  noch  führt,  belegt  worden.  Durch  Versuche 
von  Bell  und  Flourens,  die  schon  vorher  an  Tieren  angestellt  waren, 
auf  das  Chloroform  aufmerksam  gemacht,  führte  es  Simpson  an 
Stelle  des  Aethers  in  die  Eeihe  der  Narkosenmittel  ein,  und  begründete 
seine  Resultate,  welche  er  am  10.  November  1847  vor  der  Medi- 
zinischen Gesellschaft  in  Edinburg  praktisch  mit  einer  Narkose 
verkündete,  mit  mehr  als  80  Narkosen  an  Menschen,  und  veröffent- 
lichte  eine  Anzahl  Arbeiten  über  diese  Frage. 

Durch  diese  ersten  Versuche  wurde  eine  Wissenschaft  begründet, 
die  in  unserer  Zeit  eine  ungeheure  Wichtigkeit  besitzt  neben  dem  be- 
deutendsten Einfluss   auf  die   Chirurgie  und   deren  Disziplinen. 

So  zeigt  es  sich  auch  in  dem  weiteren  Entwickeln  der  Narkose, 
dass  dieselbe  Hand  in  Hand  mit  der  Chirurgie  sich  entwickeln,  und  in 
ihren  späteren  Forschern  hauptsächlich  Chirurgen  verzeichnen  kann. 
Man  sah  nunmehr  den  Wert  des  Chloroforms  und  Aethers  ein, 
und  studierte  die  Wirkungen  dieser  Stoffe,  sowohl  durch  Tierversuche, 
wie  durch  die  Narkose  im  Operationssaal.  Es  vergingen  nur  wenige 
Jahrzehnte,  und  es  war  allgemein  bekannt,  dass  die  Operationen  ihre 
Schrecken  verloren  hatten,  und  dass  man,  ohne  den  geringsten  Schmerz 
zu  empfinden,  sich  den  grössten  Operationen  u.nterziehen  könnte.  In 
Deutschland  war  die  erste  allgemeine  Narkose  behufs  einer  chirurgi- 
schen Operation  von  Schuh  im  Jahre  1847  gemacht  worden.  Wir 
sehen  von  diesen  Zeiten  an,  bis  auf  die  heutigen  Tage  noch  die  beiden 
hauptsächlichsten  Narkotika,  das  Chlor oiorm  und  den  Aether,  im 
Kampfe  liegen.  Wenn  man  auch  schon  in  den  nächsten  Jahren  nach 
der  Einführung  der  Narkose  in  Deutschland,  die  schweren  Gefahren 
des  Chloroformierens  erfahren  musste,  und,  wenn  man  auch  die  Vorteile 
des  Aethers  vor  dem  Chloroform  erkannte,  so  konnte  man  doch  nicht 
eine  vollkommene  Entscheidung  herbeiführen.  Wir  sahen  schon  1849 
in  Frankreich,  wie  Diday  und  Petrequin  auf  Grund  zahlreicher 
in  Lyon  vorgekommener  Todesfälle,  die  dem  Chloroform  zur  Last  ge- 
legt werden  mussten,  als  Warner  vor  dem  enormen  Gifte  auftraten,  und 
wie  durch  deren  Anregung  wieder  eine  Gegenströmung  zu  Gunsten 
des  Aethers  entstand.  Doch  auch  während  der  Aethernarkosen  er- 
eigneten sich  einige  Todesfälle  und  durch  diese  in  Schrecken  versetzt, 
und  betroffen  durch  die  Ueberzeugung  und  Erfahrung,  dass  der  Aether 
oftmals  eine  sehr  mangelhafte  Naj-.kose  a,ur  ,z,u  erzeugen  im  Stande 
war,  konnte  man  sich  nicht  gr.nz  dem  Aether  i^UTftinden,  und  denselben 
ganz  dem  Chloroform  vcrzi^hsu. 

Erst  nach   ger^aimö.r  Zeit  kam  muii  'durch  Juli iardziiUer  Ueber- 


—     16     - 

Zeugung,  dass  man  bei  der  Aethernarkose  der  Luft  möglichst  wenig 
Zutritt  gestatten  dürfe,  und  nur  durch  raögUchst  intensiven  Luftabschluss 
tiefe  und  rasche  Narkosen  erreichen  könne.  Durch  diese  Ueberzeugung 
wurde  die  sogenannte  Genfer  Methode,  oder  die  Erstickungs- 
narkose ins  Leben  gerufen.  Julliard  hatte  sich  nunmehr  ganz  dem 
Aether  zugewandt,  und  nahm  vom  Jahre  187  7  an  nur  Aether  zum 
Narkotisieren.  Diesem  vortrefflichen  Chirurgen  folgen  bald  andere 
Forscher  in  seinen  Fussstapfen,  so  sehen  wir  Dumont  1886,  und  Fulter 
in  Bern,  Roux  in  Lausanne,  Stelzner  in  Dresden  1887,  1889 
Bruns  in  Tübingen,  und  eine  Reihe  anderer  Chirurgen  als  begeisterte 
Anhänger  des  Aethers.  Auf  dem  25.  Chirurgenkongress  emjjfahl 
Gurlt  den  Aether  als  das  beste  Narkotikum,  und  stellte  denselben 
als  den  ungefährlichsten  Stofl^,  wenigstens  als  bedeutend  harmloser,  als 
Chloroform  hin.  In  begeisternder  Rede  trat  er  für  den  Aether  ein, 
und  empfahl  denselben  in  jeder  Hinsicht. 

Leider  wissen  wir  alle  noch  aus  unserem  Leben,  wie  jenes  leb- 
hafte Eintreten  für  ein  bestimmtes  Narkotikum  verhallen  musste  in 
dem  weiten  All  unserer  Wissenschaft,  da  sich  nicht  das  erfüllen  sollte, 
was  die  Begeisterung  eines  Genies  über  eine  grosse  Anzahl  glücklicher 
Narkosen  versprochen  hatte.  Es  war  eben  noch  nicht  das  Ideal  ge- 
funden, und  man  sollte  noch  lange  suchen  nach  dem,  was  man  glaubte 
in  der  Hand  zu  halten,  das,  was  heutzutage  noch  nicht  unser  eigen  ist. 
So  wendete  man  sich  wieder  dem  Chloroform  zu,  teilweise  das,  teil- 
weise den  Aether  brauchend. 

So  hat  man  bis  in  unsere  Tage  noch  den  Kampf  zwischen  diesen 
beiden  Narkotika  geführt,  und  wir  haben  im  Laufe  der  Jahre  viele 
Forscher  bald  auf  dieser,  bald  auf  jener  Seite  gesehen,  bis  man  end- 
lich zu  der  Ueberzeugung  kam,  die  alten  Methoden  nach  den  neuen 
Beobachtungen  zu  ändern.  So  sehen  wir  jetzt  den  grössten  Teil  der 
Chirurgen  eifrig  für  die  neue  Tropfmethode  eintreten  (Witzel,  von  Mi- 
kulicz etc.),  während  man  in  England  und  Amerika  mehr  nach  der 
Methode  nach  Clover-Grossmann  narkotisiert,  welch  letztere  Methode 
auch  in  Deutschland  Anhänger  hat  (Landau  etc.).  Wenn  hier  auch 
einige  Unterschiede  bestehen  in  der  Methode  der  Dosierung,  die  Grund- 
idee ist  doch  dieselbe,  und  zwar  stellt  dieselbe  als  erstes  Erfordernis 
zur  Einleitung  einer  guten  Narkose,  eine  exakte  Dosierung.  Die  Frage 
der  Dosierung  hat  viel  die  Forscher  beschäftigt.  Zur  Erreichung  einer 
exakten  Verabreichung  sind  viele  tätig  gewesen,  ich  erinnere  nur  an 
die  Apparate  von  Kappeier,  Junker,  Wanscher,  Grossmann, 
Ormsbey,  Bonnet  etc.,  sowie  an  die  komplizierten  Apparate  von 
Dreser,  Kionka,  Geppert  etc.  Allein  für  die  praktische  Verwendung 
hat  sich  doch  die  einfachste  Methode  als  die  beste  herausgestellt,  und 
so  ist  man  nunmehr  wohl  in  der  Hauptsache  einig,  und  verwendet  die 
Tropfmethode,  sowohl  beim  Chloroformieren,  wie  bei  der  Aether- 
narkose. Die  neueste  ErruKgcrcchaft  des  forschenden  Geistes  ist  die 
Sudecksche  RavxsßhiläTk<ose-,' welche  f mehr  und  mehr  Eingang  auch 
in  die  Welt 'der  praktischen  Medizin" 'erl^hrt,' und  mit  Recht  sich  einer 
wachsen/ldnvBeliebtheit  erfre?itl  '-  '''<,  / 


—     17     - 

Neben  dem  Chloroform  und  Aether  sind  mit  der  Zeit  eine  grosse 
Menge  anderer  Narkotika  zur  Verwendung  gekommen,  wenn  auch  keines 
die  Vorzüge  obiger  beiden  Stoffe  übertroffen,  oder  nur  erreicht  hat. 
Von  Priestley  und  Davy  war  das  Stickstof f'oxydullgas  entdeckt, 
und  zuerst  als  Narkotikum  verwendet,  sowie  mit  dem  Namen  Lust- 
oder Lachgas  benannt  worden.  Davy  selbst  stellte  1799  die 
erste  Narkose  an  sich  selbst  dar,  und  studierte  so  die  Eigenschaften 
desselben.  Man  hatte  fast  50  Jahre  lang  das  Lust  gas  nur  in  Labo- 
ratorien gekannt,  erst,  als  sich  bei  einer  Vorlesung  einer,  der  das  Gas 
eingeatmet  hatte,  sehr  heftig  an  den  Kopf  stiess,  ohne  dass  er  es  be- 
merkt hätte,  kam  der  Zahnarzt  Horace  Wells,  welcher  den  Vorgang 
bemerkt  hatte,  auf  den  Gedanken,  sich  durch  den  Zahnarzt  Riggs  einen 
Zahn  extrahieren  zu  lassen,  während  er  das  Gas  einatmete.  Er  empfand 
keinen  Schmerz,  und  benützte  darauf  das  Gas  auch  bei  seinen  Patienten. 
Dr.  Warren  versuchte  in  Stickstoffoxydulnarkose  eine  grössere 
chirurgische  Operation  vorzunehmen,  doch  dies  war  natürlich  nicht  von 
dem  erwarteten  Erfolge  begleitet.  So  hat  man  aber  doch  namentlich 
bei  Operationen  der  Zahnärzte  das  Stickstoffoxydul  mit  gutem  Er- 
folg für  eine  sehr  kurz  dauernde  Narkose  verwendet,  bis  in  die  neu.este 
Zeit,  nachdem  man  verschiedentlich  Versu.che  gemacht  hat,  mit  dem- 
selben im  Verein  mit  anderen  Narkotika  längere  Narkosen  zu  erzeugen. 

Neben  dem  Stickstoffoxydul  wurden  nun  in  den  Jahren  von 
ungefähr  1850  bis  in  die  Neuzeit  eine  grosse  Reihe  von  anderen 
chemischen  Verbindungen  und  Stoffen  zu  Narkosen  verwandt,  so  war 
es  vor  allen  Dingen  das  Bromäthyl  und  Chloräthyl,  welches  man 
vielfach  zu  kurzen  Narkosen  gebrauchte.  Das  Aethylbromid  wurde 
1827  von  Serullas  zuerst  dargestellt,  und  von  Regnault,  Löwig 
etc.  zu  verschiedenen  Versuchen  verwandt,  und  auf  seine  Eigenschaften 
geprüft.  Als  Anästhetikum  beschrieb  es  zuerst  Langgaard,  während 
es  von  Nunnely  im  Jahre  1849  zuerst  in  der  Chirurgie  Verwendung 
fand.  Der  letztere  war  ein  eifriger  Lobredner  des  Bromäthyls,  und 
verwendete  dasselbe^  trotzdem  man  sich  allgemein  von  seiner  Ansicht, 
das  Aethylbromid  sei  dem  Chloroform  überlegen,  nicht  so  recht 
überzeugen  konnte,  doch  sehr  häufig,  und  führte  vom  Jahre  1864  —  65 
sämtliche  Augenoperationen ,  welche  allgemeine  Narkose  erforderten, 
unter  Bromäthernarkose  aus.  Weiter  wurde  das  Bromäthyl  von 
Tourneville,  Turnbull,  Lewis  in  Philadelphia,  Terrillon, 
Per c er  etc.  zu  Narkosen  gebraucht.  Rabuteau  trat  1876  als  be- 
geisterter Lobredner  desselben  auf,  und  rühmte  eine  Menge  von  Vor- 
zügen des  Bromäthers,  und  Alberte  au  sprach  sich  in  einer  Sitzung  der 
Pariser  Akademie  1876  dahingehend  aus,  dass  das  Bromäthyl 
ebenso  energisch  anästhesierend  auf  den  Organismus  wirke,  wie  Chloro- 
form. Kappeier  dagegen  ist  nicht  so  von  den  Vorzügen  überzeugt,  und 
macht  vor  allem  auf  die  leichte  Zerset zbarkeit  des  Bromäthyls 
aufmerksam.  Schneider  und  Müller  beschreiben  ebenfalls  eine 
wechselnde  Wirkung  desselben,  während  1883  Chisholm  400  Nar- 
kosen mit  demselben  beschreibt,  und  mit  grossem  Lobe  von  der  Wirkung 
spricht.    Später  ist  dasselbe  1887  von  Asch,  und  1890  von  Schneider 

2 


-     18     - 

definitiv  in  der  Zahnheilkunde  eingeführt  worden,  und  hat  sich  eine 
Reihe  von  Jahren  behauptet,  während  man  in  der  neueren  Zeit  doch 
erkannt  hat,  dass  dem  Bromäthyl  viel  zu  viel  Vertrauen  betreflfs  seiner 
Harmlosigkeit  entgegengebracht  worden  ist. 

Neben  dem  Bromäthyl  ist  eine  ganze  Reihe  ähnlich  zusammen- 
gesetzter Stoffe  gebraucht  worden,  doch  alle  haben  mehr  oder  minder 
vor  der  Kritik  schwer  bestehen  können. 

Nebenbei  machten  im  Jahre  1847  Simpson  und  Heyfelder 
Versuche  mit  Aethylchlorür  sowie  mit  Aethylnitrit.  Das  folgende 
Jahr  brachte  für  die  Medizin  einige  neue  Narkotika,  so  wurde  von 
Thaulow  der  Schwefelkohlenstoff,  von  Snow,  Simpson,  Nunnely 
das  Aethylenchlorid,  von  Poggiale  und  Simpson  das  Aldehyd 
in  der  chirurgischen  Praxis  erprobt  und  verwendet.  Zu  derselben  Zeit 
machte  Arnott  die  ersten  Versuche,  mittels  Kälte  eine  lokale  Schmerz- 
betäubung hervorzurufen.  In  den  folgenden  Jahren  wurde  von  Snow 
und  Simpson  das  Benzol  durch  Versuche  erprobt,  und  in  der  Litera- 
tur bekannt  gegeben.  Snow  hat  1852  das  Aethylidenchlorid  zur 
Erzeugung  einer  Anästhesie  verwendet,  und  1870  wurde  dasselbe 
wiederum  von  Liebreich  empfohlen.  Richardson  entdeckte  im  Jahre 
1853  die  anästhesierenden  Eigenschaften  des  Lycoperdon  giganteum 
beim  Menschen,  nachdem  man  schon  längere  Zeit  den  Rauch  des  Ly- 
coperdon zur  Betäubung  von  Bienen  gebraucht  hatte.  Das  Amylen 
wurde  1856  von  Snow,  das  Kohlenoxydgas  1857  von  Tourdes, 
die  Kohlensäure  1858  von  Ozanam,  als  Anästhetikum  beschrieben. 
Bigelow  beschrieb  1861  die  Wirkung  des  Keroselen,  und  der 
Zweifachchlorkohlenstoff  wurde  von  Sansom  und  Harley,  Simp- 
son, Protheroe,  Smith,  Nunneley  in  den  Jahren  1865  —  67  in 
verschiedenen  Arbeiten  der  Literatur  einverleibt.  Weiter  hat  man 
Narkosen  mit  Metj^lenchlorid  (Spencer,  Wells,  Polaillon,  Le 
Fort  etc.)  und  Pental,  das  von  Holländer  eingeführt  wurde,  und  einer 
Reihe  von  anderen  Präparaten  zu  erzeugen  versucht.  Man  muss  bei  allen 
erst  die  Resultate  jahrelangen  Forschens  abwarten,  ehe  man  eine  definitive 
Kritik  üben  darf.  Es  ist  unwichtig,  alle  die  weiteren  einzelnen  Arten 
der  einzelnen  kleinen  Abschnitte  im  grossen  Leben  der  Wissenschaft 
anzuführen.  Ein  viel  wichtigeres  Bestreben  machte  sich  gar  bald  in 
dem  Zeitalter  der  Narkose  bemerkbar,  nämlich  das,  die  üblen  Eigen- 
schaften des  einen  Narkotikums  durch  die  guten  Eigenschaften  eines 
anderen  dadurch  zu  kompensieren,  dass  man  mehrere  Narkotika  zu- 
sammen verwandte,  teils  direkt  gemischt,  teils  nur  die  Dämpfe  in  einem 
bestimmten  Verhältnis  gemengt.  In  den  Jahren  1861 — 69  machten 
Pitha,  Nussbaum,  Mabart,  und  Bernard  die  ersten  Versuche  mit 
der  gemischten  Narkose.  Es  wurden  von  Schleich  verschiedene 
Narkosengemische  hergestellt,  die  sogenannten  Schleichschen  Siede- 
gemische.  Billroth  stellte  eine  Mischung  aus  3  Narkotika  her,  eben- 
so wurden  vom  Chloroformkomite,  und  von  Weiger,  einem  Zahn- 
arzt in  Wien,  solche  hergestellt,  und  so  sind  im  Laufe  der  Zeit  eine 
Menge  Kombinationen  entstanden,  welche  mehr  oder  minder  wertvoll 
sind.     Weiger  ist  der   erste  gewesen,    welcher    die  Mischnarkose    in 


-     19     — 

der  Praxis  eingeführt  hat.  Allis  machte  auf  die  verschiedene  Ver- 
dunstung der  Narkotika  aufiiierksain  und  zeigte  so  die  Schwierigkeit 
an,  welche  es  galt,  vor  allem  zu  überwinden.  Zu  diesem  Zwecke  kam 
man  zur  Konstruktion  von  Apparaten,  die  eine  praktische  Verwendung 
allerdings  unmöglich  erscheinen  Hessen. 

Dessen  aber  ungeachtet  hat  der  Gedanke  doch  viele  wertvolle 
Folgen  in  der  Praxis  der  Narkosenwissenschaft  gezeitigt.  Wir  haben 
jetzt  das  Bestreben,  noch  immer  mehrere  Narkotika  zu  verwenden,  und 
es  wird  dies  in  der  Praxis  ausgeführt  in  der  Kombination  der  Inha- 
lationsnarkose mit  einer  subkutanen  Injektion  eines  anderen 
Narkotikums.      Als  letzteres  verwendet  man   vor  allem   das  Morphin. 

In  dieser  Hinsicht  wurde  von  Schneiderlin  eine  Narkose  ange- 
geben, welche  lediglich  die  Narkotika  subkutan  verabreicht.  Er 
verwendet  Scopolamin  mit  Morphin.  Es  ist  diese  Methode  noch  in 
ihrer  Erforschung  nicht  abgeschlossen,  und,  wenn  auch  manche  Uebel- 
stände  noch  bestehen,  so  muss  man  die  Resultate  weiterer  Forschung 
abwarten.  Jedenfalls  ist  auch  diese  Narkose  für  gewisse  Fälle  von 
grossem  Werte. 

Neben  den  Methoden  der  allgemeinen  Betäubung,  der  Narkosen, 
machte  sich  im  letzten  Viertel  des  vorigen  Jahrhunderts  eine  Methode 
bemerkbar,  welche  mit  Genialität  und  Weisheit  erfunden,  gar  wohl  be- 
rechtigt ist,  der  Narkose  die  nötige  Ergänzung  zu  bieten,  d.  h.  in  jenen 
Fällen,  wo  die  allgemeine  Narkose  unterbleiben  kann,  die  vielen  Gefahren 
und  Unannehmlichkeiten  derselben  zu  ersparen,  indem  sie  ihnen  doch 
den  Vorteil  derselben  zu  teil  werden  lässt.  Die  ersten  Anfänge  der 
Lokalanästhesie  sind  mit  der  Entdeckung  der  Wirkung  des  Aether- 
spray's  von  Richardson  im  Jahre  1866  gegeben,  während,  wie  oben 
erwähnt,  ja  schon  früher  verschiedene  Methoden  Voi'läufer  der  lokalen 
Schmerzbetäubu.ng  darstellten,  wie  die  Anwendung  der  Kälte  zur  An- 
ästhesie, sowie  der  schmerzstillenden  Salben  im  Mittelalter  und 
Altertum.  Der  eigentliche  Begründer  aber  dieser  lokalen  Betäubung, 
der  lokalen  Narkose,  der  Anästhetologie  ist  Schleich.  Ihm  ge- 
bührt mit  Recht  der  Ruhm,  eine  Methode  geschaffen  zu  haben,  die  einen 
ungeahnten  Nutzen  der  leidenden  Menschheit  zu  bringen  im  Stande  ist, 
die  manches  Menschenleben  vor  einem  jähen  Tode  zu  retten  vermag. 
Werden  wir  doch  durch  sie  in  den  Stand  gesetzt,  die  Narkose  durch 
eine  ebenfalls  die  Schmerzen  benehmende  Methode  in  gewissen  Fällen 
zu  ersetzen.  Neben  Schleich  gebührt  einer  Reihe  von  Chirurgen  der 
neueren  Zeit  der  Ruhm,  die  Methode  weiter  ausgebaut  zu  haben,  wie 
V.  Mikulicz,  von  Bruns,  v.  Gottstein,  v.  Braatz,  v.  Hofmeister 
und  viele   andere  mehr. 

Auch  andere  Methoden  wurden  angegeben,  welche  Modifikationen 
oder  Verbesserungen  darstellen  und  später  genauer  gewürdigt  werden 
sollen,  wie  das  Verfahren  von   Oberst,  Braun,  Manz   etc. 

Im  Jahre  1860  stellte  Niemann  zuerst  aus  den  Kokablättern 
ein  Alkaloid  dar,  welches  noch  jetzt  in  der  Anästhetologie  eine  wich- 
tige Rolle  spielt,  das  Kokain.  Derselbe  führt  auch  schon  in  jener  Zeit 
die    lokale  Wirkung  des  Kokains    an,    doch  ist   erst   1884  von  Koller 

2* 


—     20     - 

auf  die  praktische  Verwertung  dieser  Wirkung  des  Kokains  auf  die 
sensiblen  Nerven  aufmerksam  gemacht  worden.  Es  wurden  namentlich 
die  Salze  des  Alkaloids,  das  Kokain,  hydro  chloricum  und  =  sul- 
furicum  verwendet.  Es  sind  in  der  Neuzeit  noch  eine  grosse  Menge 
von  ähnlich  wirkenden  chemischen  Körpern  und  Verbindungen  herge- 
stellt worden,  welche  ähnliche  Wirkungen  wie  das  Kokain  haben  sollen, 
teils  ohne  die  schädlichen  Nebenwirkungen  desselben,  teils  allerdings 
auch  nicht  so  zuverlässig,  wie  Eukain  a  u.  ß,  Tropakokain  etc.  Wie 
gross  aber  die  Bedeutung  des  Kokains  für  den  Arzt  geworden  ist, 
kann  man  erst  erkennen,  wenn  man  genauer  die  Verwendung  in  der 
Chirurgie,  Ophtalmologie,  Rinologie,  Larynkologie  etc.  der 
Jetztzeit  studiert.  Man  sagt  nicht  zu  viel,  wenn  man  behauptet,  dass 
das  Kokain  für  den  Arzt  ebenso  wichtig  ist,  wie  Morphin,  ja  dass 
die  Bedeutung  ev.  noch  viel  grösser  und  umfassender  ist  bei  dem 
heutigen  Stand  der  Medizin. 

Eine  Methode  ähnlich  der  Schleichschen  Anästhesie  ist  in  den 
letzten  Jahren  von  Bier  angegeben  worden,  welcher  von  dem  Gedanken 
ausging,  durch  Kokaininjektion  in  die  Medulla  spinalis  eine 
Analgesie  und  Anästhesie  der,  von  den  Nerven  unterhalb  der  Ein- 
stichstelle versorgten  Gebiete  des  Körpers  zu.  erzeugen.  Es  ist  ihm  tat- 
sächlich gelungen,  durch  Einspritzen  einer  Kokainlösung  z.  B.  in  der 
Gegend  des  letzten  Brustwirbels,  eine  Anästhesie  der  ganzen  Be- 
zirke unterhalb  des  Nabels  zu  erreichen,  und  Operationen  daselbst  vor- 
zunehmen, ohne  dass  der  Patient  auch  nur  die  geringste  Schmerzem- 
pfindung zeigte  und  verspürte.  Leider  ist  auch  dieses  Verfahren  von 
schweren  Gefahren  begleitet,  so  dass  man  neuerdings  warnt,  dasselbe 
am  Menschen  zu  vei*wenden.  Vielleicht  werden  die  weiteren  Forschungen 
darüber  günstigeres  erreichen.  Es  ist  dieselbe  eine  Methode,  welche 
ein  Mittelding  zwischen  Narkose,  und  den  Methoden  der  Anäs- 
thetologie  zu  bilden  scheint.  Da  dieselbe  die  Medulla  spinalis  an- 
greift, ist  sie  quasi  mehr  zur  Narkosiologie  zu  rechnen,  da  sie  aber 
wiederum  nur  einen  bestimmten  Teil  des  Körpers  anästhesiert,  so  ge- 
hört sie  in  das  Bereich  der  Anästhetologie.  Dieselbe  ist  von  Bier  er- 
funden, und  von  verschiedenen  Forschern  weiter  geprüft  worden,  wie 
von  Stumme,  Chaput,  Schwarz,  Ricard,  Reclus,  Basy,  Routier, 
Lejars,  Poirier,  Legueu,   Tuffier  und  Kanin  etc. 

Wenn  ich  hier  die  geschichtliche  Entwicklung  nur  kurz  gestreift 
habe,  so  geschieht  dies  aus  dem  Grunde,  eine  Wiederholung  zu  er- 
sparen, da  die  geschichtlichen  Daten  bei  Gelegenheit  der  Behandlung 
der  einzelnen  Methoden  doch  wieder  erwähnt  werden  müssen.  So  habe 
ich  hier  nur  einen  oberflächlichen  Ueberblick  über  die  geschichtliche 
Entwicklung  unserer  Wissenschaft  gegeben,  indem  ich  das  hier  erwähnt 
habe,  was  in  den  Abschnitten  über  die  einzelnen  Themata  nicht  ver- 
zeichnet werden  konnte,  aber  doch  von  einem  allgemeinen  Interesse  ist. 
Da  eine  genaue  geschichtliche  Behandlung  unserer  Wissenschaft  in  ein 
anderes  Werk  gehört,  so  habe  ich  hier  vermieden,  viel  Zahlen  und  ge- 
schichtliche Daten  und  Beschreibungen  anzuführen,  denn  eine  derartige 
Behandlung    des  Stoffes   würde    das  Buch   sehr  vergrössern,    da   die   Ge- 


-     21     - 

schichte  an  sich  schon  einen  Band  gut  ausfüllen  würde,  und  eine  kleine 
lückenhafte  Geschichte  der  Narkologie  hier  anzufügen,  ist  gegen  das 
Prinzip,  alles  vollkommen  zu  tun,  und  nicht  teilweise  und  lückenhaft. 
So  wird  dieser  kleine  Ueherblick  über  die  historische  Entwicklung  nur 
das  bieten,  w\as  jedermann  lesen  und  erfahren  muss,  da  es  wichtig  ist, 
zum  Verständnis  des  ganzen,  ehe  er  an  das  Studium  unserer  Disziplin 
herantritt.  Wenn  es  den  Leser  zu  weiterem  fröhlichen  Studieren  und 
Forschen  auf  dem  Gebiete  der  Narkologie  anregen  und  veranlassen 
sollte,   so   würde   der  Zweck  dieser  Worte   erreicht  sein. 


IL  Kapitel. 

Die  Narkose  im  allgemeinen. 

§  1.  Aus  den  geschichtlichen  Betrachtungen  haben  wir  ersehen, 
dass  der  erste  Beginn  der  Betäubung  auf  dem  Gebiete  der  zentralen 
Betäubung  liegt.  Man  ging  davon  aus,  das  Zentrum  der  Empfindung 
zu  lähmen,  indem  man  dem  Organismus  diesen  oder  jenen  Körper  ein- 
verleibte, welcher  nach  den  gewonnenen  Erfahrungen  eine  spezifische 
Einwirkung  auf  die  Ganglienzelle  besass.  In  dieser  Hinsicht  weiter- 
schreitend, haben  eine  grosse  Anzahl  von  Forschern  der  sogenannten 
Kunst  zu  narkotisieren,  ihre  Kraft  und  Tätigkeit  geweiht,  und  haben 
mit  InteHigenz  und  ungeheurem  Fleiss  in  der  kurzen  Spanne  Zeit  die 
anfänglichen  Versuche  zu  einer  besonderen  Disziplin  in  der  Wissenschaft 
gestaltet.  Wenn  man  den  heutigen  Stand  der  Narkosenfrage  betrachtet, 
so  kommt  man  beim  Studium  der  Literatur  zu  der  Ueberzeugung,  dass 
nicht  mehr  diese  Kunst  als  Nebenbeschäftigung  der  Chirurgen  anzu- 
sehen ist,  sondern,  dass  eine  selbständige  Wissenschaft  erblüht  ist, 
die  Anspruch  erheben  kann  auf  eine  ihren  Erfolgen  und  ihrer  wissen- 
schaftlichen Tiefe  entsprechende  Stellung  in  der  allgemeinen  Wissen- 
schaft. Wenn  wir  den  weiteren  Kapiteln  dieses  Btiches  folgen,  so 
werden  wir  ersehen,  wie   berechtigt  das    eben   Gesagte  ist. 

Betrachten  wir  zunächst  im  allgemeinen  unsere  Wissenschaft, 
so  haben  wir  als  Definition  derselben  folgendes  zu  sagen.  Die  Nar- 
kosenAvissenschaft  ist  jene  Betätigung  des  menschlichen  Geistes, 
welche  ihr  Bestreben  dahin  richtet,  den  menschlichen  oder 
tierischen  Organismus,  oder  einen  b  estimmten  Teil  desselben 
durch  medicamentöse  Behandlung  in  einen  Zustand  der  Be- 
täubung zu  versetzen,  so  dass  derselbe  eine  Schmerzempfin- 
dung, welche  ihm  künstlich  verursacht,  oder  ihm  durch  pa- 
thologische Prozesse  angetan  wird,  ohne  Wahrnehmung  in 
seinem  Bewusstsein  als  Schmerz  erleidet.  Wir  nennen  diese 
Wissenschaft  mit  dem  Namen  Narkologie.  Dieses  Wort  ist  abgeleitet 
von  dem   griechischen  Wort  r  vciQXi],  welches,  von  Hijipokrates  ge- 


—     22     — 

braucht,  Ohnmacht  bedeutet.  Dasselbe  Wort  wh*d  noch  gebraucht  als 
Ausdruck  für  den  Zitterwels,  Torpedo  Galvanii,  einen  Fisch,  bei 
dessen  Berühren  man  einen  lähmenden  elektrischen  Schlag  bekommt. 
Da  nun  7)  vaQXt]  die  Betäubung  bedeutet,  so  ist  die  Narkologie 
diejenige  Wissenschaft,  welche  sich  mit  der  Betäubung  im  allge- 
meinen, sei  es  totale  Betäubung  (Narkose)  sei  es  lokale  Betäubung 
beschäftigt. 

§  2.  Nach  der  Definition,  dass  die  Narkologie  die  Betätigung 
des  menschlichen  Geistes  sei,  welche  ihr  Bestreben  dahin  richtet,  den 
menschlichen  oder  tierischen  Organismus,  oder  einen  bestimmten  Teil 
desselben  durch  medicamentöse  Behandlung  in  einen  Zustand  der  Be- 
täubung zu  versetzen,  so  dass  derselbe  eine  Schmerzempfindung,  die 
ihm  künstlich  verursacht,  oder  durch  pathologische  Prozesse  bedingt 
wird,  ohne  Wahrnehmen  in  seinem  Bewusstsein  als  Schmerz  erleidet, 
können  wir  zwei  Teile  der  Narkologie  bilden,  nämlich  den  einen 
Teil,  welcher  diejenige  Betätigung  des  menschlichen  Geistes  darstellt, 
welche  ihr  Bestreben  dahin  richtet,  durch  Einverleibung  bestimmter 
Stoffe  in  den  menschlichen,  oder  tierischen  Organismus  eine  Wirkung 
auf  die  Zentren  bestimmter  Funktionen  im  Zentralnerven- 
system hervorzurufen,  welche  eine  Lähmung  der  Ganglienzellen, 
oder  genauer  gesagt,  einen  bestimmten  physikalischen  Zustand  ge- 
wisser Teile  des  Protoplasma's  der  Ganglienzellen  hervorruft, 
welch  letzterer  sich  in  einer  Lähmung  der  Funktionen  dieser  Gang- 
lienzelle offenbart,  und  den  anderen  Teil  der  Narkologie,  welcher 
diejenige  Betätigung  des  menschlichen  Geistes  darstellt,  die  ihr  Bestreben 
dai'auf  richtet,  durch  Einverleiben  bestimmter  Stoffe  in  den  menschlichen, 
oder  tierischen  Organismus  eine  Wirkung  auf  die  Endigungen  der 
peripherischen  Nerven,  die  eine  Lähmung  der  Nerven  darstellt, 
hervorzurufen,  und  so  eine  gefühllose  Stelle  an  bestimmten  Organen 
zu  bilden. 

Der  erste  Teil  der  Narkologie  umfasst  also  jene  Abteilung, 
welche  die  Begriffe  vereinigt,  die  identisch  sind  mit  den  bisherigen 
Narkosen.  Wir  haben  hier  eine  Lähmung  der  nervösen  Zentren 
im  Gehirn,  d.  h.  wir  suchen  durch  Einwirkung  bestimmter  chemischer 
Verbindungen  eine  Lähmung  gewisser  Zentren  im  Gehirn  hervorzurufen, 
und  durch  diesen  Angriff  der  zentralen  Systeme  wird  eine  allge- 
meine Narkose  erzeugt.  Die  Unempfindlichkeit  bei  diesen  Manipula- 
tionen erstreckt  sich  über  den  ganzen  Körper.  Wenn  wir  für  diesen 
Teil  der  Narkologie  einen  Namen  suchen,  so  ist  derselbe  in  dem 
Worte  Narkosiologie  zu  finden.  Bei  dem  Altvater  der  Medizin, 
Hippokrates  findet  sich  das  Wort  1)  vaQXCOOiq,  welches  Erstarren- 
Betäubung  bedeutet.  Von  diesem  Ausdruck  haben  wir  bereits  unser 
Wort  Narkose  abgeleitet.  Die  Narkosiologie  bedeutet  also  die 
Lehre  von  der  Betäubung  des  ganzen  Körpers  mit  dem  Angriffs- 
punkt im  Zentralnervensystem. 

Der  zweite  Teil  der  Narkologie  umfasst  alle  die  Methoden 
der  lokalen  Betäubung,  der  sogenannten  Lokalanästhesie.  Wir 
haben   es  hier  mit  der  Lähmung  der  ,Nervenendio:une:en  eines  bestimmten 


Nervcng-ebietes  zu  tun.  Allein  es  ist  unter  dem  Ausdruck  Nervenen- 
digung hier  nicht  nur  die  Endverzweigung  des  Nerven  in  der  Haut  zu 
verstehen,  sondern  wir  haben  hier  auch  den  ganzen  peripherischen 
Nerven  uns  vorzustellen.  Wenn  wir  nach  den  Methoden  der  lokalen 
Anästhesie  verfahren,  so  werden  wir  aber  stets  zunächst  mit  unseren 
Betäubungsmitteln  an  die  Nervenendigungen  in  der  Haut,  sowie 
dann  in  dem  Fettgewebe,  und  der  Muskulatur,  und  wenn  dieselben  be- 
täubt sind,  dann  erst  an  den  Nervenstamm  herantreten.  Wenn  wir 
aber  im  Gegensatz  zu  den  zentralen  AngrifiPen  in  der  Narkosiologie 
sprechen,  so  können  wir  gut  hier  Nervenendigung  im  allgemeinen  sagen, 
wenn  wir  auch  bisweilen  einen  kleineren  Stamm  des  Nerven  direkt 
attakieren. 

Für  diesen  zweiten  Teil  unserer  Narkologie  lässt  sich  analog 
den  obigen  Definitionen  ebenfalls  ein  Name  aus  den  Wortschätzen 
unseres  alten  Meisters  bilden.  Bei  Hippokrates  finden  wir  das  Ad- 
jektivum  ccvaiO&ijToq,  welches  gefühllos,  unempfindlich  bedeutet. 
In  diesem  Worte  ävalod-rjxog  liegt  schon  an  sich  der  Begriff  des 
Teiles,  gegenüber  dem  Ganzen  bei  vccQXCOGiq,  und  so  können  wir  das 
Wort  Anästhetologia  =  Anästhetologie  bilden.  Es  bedeutet  dem- 
nach die  Anästhetologie  jene  Wissenschaft,  welche  sich  damit  be- 
schäftigt, einen  Teil  des  Körpers  unempfindlich,  oder  gefühllos  zu  machen. 
Wir  haben  hier  einander  entgegenstehen  7]  vÜQXCoöig  und  avaiO&rjTog, 
das  erstere  bezeichnet  Betäubung,  Erstarren,  und  bedeutet  also 
mehr  einen  Begriff,  welcher  gegenüber  „unempfindlich"  den  um- 
fassenderen Begriff  darstellt.  Es  ist  nun  auch  die  Narkose  der  um- 
fassendere Zustand  des  Körpers,  als  die  lokale  Schmerzbetäubung.  So- 
mit drücken  wir  auch  durch  das  Wort  Narkosiologie  diejenige  Wissen- 
schaft aus,  welche  sich  mit  Methoden  der  allgemeineren  Betäubung, 
der  Betäubung  des  ganzen  Körpers  befasst,  gegenüber  der  Anästhe- 
tologie, welche  die  Lehre  von  der  Betäubung  einzelner  Bezirke  des 
Körpers  bezeichnet. 

Nach  diesen  Definitionen  wird  jedermann  einsehen,  dass  die  Aus- 
drücke Narkologie,  Narkosiologie  und  Anästhetologie  dem  Sinn  und  der 
Abstammung  nach  korrekt  gebildet  sind,  und  dass  dieselben  dem  Be- 
dürfnis nach  Ausdrücken  in  der  Narkosenwissenschaft  abhelfen,  und  die 
bisherigen  mangelhaften  Bezeichnungen  besser  ersetzen. 

§  3.  Wenn  wir  nun  die  Narkologie  aus  den  uns  beiden  be- 
kannten Teilen  zusammensetzen,  so  haben  wir  den  schon  in  der  Ein- 
leitung näher  erörterten  Grund  dazu.  Die  Einheit  des  Angriffs- 
punktes in  der  Substanz  des  Protoplasma's  gibt  uns  ein  Recht  zu  dieser 
Zusammenfassung  unter  einem  über  beiden  stehenden  Begriff.  Ein 
anderer  Grund,  weshalb  wir  die  lokalen  Anästhesierungsmethoden  an 
die  Seite  der  allgemeinen  Narkosen  stellen,  liegt  darin,  dass  dieselben 
einen  einheitlichen  Zweck  verfolgen,  nämlich  den,  dem  Kranken  die 
Schmerzen  einer  Operation,  oder  anderer  schmerzhafter  Eingriffe  oder 
Zustände  in  dem  menschlichen  Organismus  zu  nehmen.  Dieser  Zweck 
allein  berechtigt  zu  einer  Vereinigung  der  Glieder  zu  einem  Ganzen. 
...    Diese    beiden  Gründe    sind  von   einer  Wichtie-keit  sowohl  für  die 


-     24     - 

Aerzte,  wie  für  die  leidende  Menschheit,  dass  schon  durch  dieselben  die 
Bedeutung  der  ganzen  Narkologie  dargetan  wird. 

Es  ist  ein  Zeichen  für  die  Bedeutung  einer  Wissenschaft,  wenn 
die  Forscher  und  Gelehrten  anderer  Gebiete  ihre  Kraft  auch  für  diese 
einsetzen,  und  so  sehen  wir,  wie  in  der  Gegenwart  die  berühmtesten 
Chirurgen  sich  dem  Studium  und  der  weiteren  Entwickelung  der  Nar- 
kologie gewidmet  haben. 

Es  ist  auch  allgemein,  und  vor  allem  in  Fachkreisen  schon  oft 
das  Bedürfnis  ans  Licht  gestellt  worden,  der  Narkologie  eine  gesonderte 
Stellung  in  der  Wissenschaft  zu  geben.  Wir  kommen  auf  diesen  Punkt 
noch  bei  Gelegenheit  der  Abhandlung  über  den  Narkotiseur  näher  zu 
sprechen.  Hier  sei  nur  bemerkt,  dass  England  einen  Schritt  voraus 
natürlich  wie  in  allen  Gebieten,  so  auch  auf  diesem  ist,  indem  man 
dort  an  grösseren  KJrankenanstalten  einen  besonderen  Arzt  für  Nar- 
kosen anstellt.  Dies  ist  ein  Fortschritt,  allein  damit  ist  noch  nicht 
genügend  getan.  Wenn  eine  Wissenschaft  sanktioniert  werden  soll,  so 
muss  dieselbe  zunächst  eine  Pflanz-  und  Pflegstätte  an  der  Uni- 
versität finden.  Nur  dort  kann  derselben  das  nötige  Material  zum 
Weiterforschen,  und  nur  dort  können  die  nötigen  Mittel  zur  Entfaltung 
zur  Blüte  gegeben  werden,  imd  allein  durch  eine  solche  akademische 
Pflege  kann  man  die  Früchte  endlich  sammeln. 

Hier  ist  es  zu.nächst  noch  ein  sehr  niederer  Entwickelungszustand, 
auf  dem  vinsere  Wissenschaft  als  solche,  abgesondert  an  sich  steht, 
allein  es  bedarf  nur  der  richtigen  Pflege,  um  die  jetzt  schon  zu  treiben 
beginnenden  Triebe  hervorzulocken  zum  üppigen  Spriessen. 

Wenn  wir  erst  eine  bessere  Schulung  auf  dem  Gebiete  der  Nar- 
kologie dem  Studierenden  der  Medizin  können  zuteil  werden  lassen, 
erst  dann  ist  die  richtige  Bahn  gefunden  zum  gedeihlichen  Weitersteuern. 
Die  bessere  Ausbildung  unserer  praktischen  Aerzte,  und  eine  Prü- 
fung derselben  auch  in  der  Narkologie,  sowohl  hinsichtlich  der  Tech- 
nik, wie  der  wissenschaftlichen  Kenntnisse  in  der  Narkologie, 
werden  zeigen,  worin  die  Früchte  zu  sammeln  sind,  die  uns  unsere 
Wissenschaft  zu  bieten  vermag. 

Dieselben  bestehen  nicht  nur  in  der  Technik  und  den  Kennt- 
nissen in  vollkommenstem  Masse  der  Aerzte,  sondern  auch  in  der  An- 
erkennung der  Leistungen  derselben  von  selten  der  Laien. 

Wie  in  der  ganzen  Medizin  ein  uneigennütziger  Sinn  der  Jünger 
Aesculaps  unvei'kennbar  ist,  denn  wohin  würde  der  Arzt  gelangen, 
wollte  er  nicht  sein  eigen  Ich  in  den  Hintergrund  stellend  nur  dem 
leidenden  Mitmenschen  dienen,  ohne  den  verdienten  und  würdigen  Lohn 
auch  nur  im  entferntesten  zu  beanspruchen  und  zu  erlangen  in  den 
meisten  Fällen,  so  ist  derselbe  auch  das  erste  Gebot  in  der  Narkologie, 
indem  die  Früchte  dieser  Wissenschaft  nicht  dem  verantwortungsvollen 
tätigen  Fleisse  des  Arztes  zu  gute  kommen  sollen,  sondern  der  ganzen 
Menschheit.  Aber  gerade  darin  liegt  ja  der  Stolz  und  die  Freude  des 
Arztes.  Und  doch  wird  auch  in  manchen  Fällen  der  Laie,  wenn  dies 
auch  bei  weitem  das  seltenste  Ereignis  darstellt,  nicht  seine  Anerkennung 
den  Leistungen    gerade    der    Narkologie    versagen.      Und   gerade    diese 


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seltenen  Früchte  unsei'er  veiantwortungsvollen  Tätigkeit  sind  für  uns 
von   köstlichstem  Wert. 

§  4.  Neben  diesem  seltenen  Ruhme  liegt  nun  die  Freude  des 
Arztes  vor  allem  in  seinem  eigenen  Handeln,  und  dem  Bewusstsein, 
seiner  Wissenschaft  und  der  Menschheit  gedient  zu  haben.  Es  soll 
mir  ferne  liegen,  ein  Urteil  über  die  einzelnen  Disziplinen  hinsichtlich 
der  Befriedigung  ihrer  Forscher  zu  fällen.  Jedem  erwächst  in  seinem 
Fache  der  verdiente  Dank.  Aber  es  soll  hiermit  nur  darauf  hinge- 
wiesen sein,  ein  wie  hohes  Bewusstsein  dasjenige  ist,  einem  Menschen 
die  Leiden  und  Schmerzen  gelindert  zu  haben.  Die  Narkologie  setzt 
uns  nun  in  den  Stand,  dem  Menschen  gerade  durch  das  Benehmen  des 
Schmerzes  einen  grossen  Dienst  zu  erweisen.  Wie  enorm  wichtig 
diese  Handlung  des  Arztes  ist,  das  kann  man  sofort  erkennen  an  der 
Dankbarkeit  eines  Menschen,  welchem  man  im  Zustande  höchster  Not 
lindernd  mit  der  Narkose  nahte.  Besonders  ist  dies  zu  empfinden, 
wenn  man  einer  Kreissenden,  die  tagelang  die  enormen  Schmerzen  von 
Stunde  zu  Stunde  sich  steigernd  ertragen  hat,  bis  sie  endlich  müde 
der  Tröstungen  einer  unverständigen  Hebamme,  den  Arzt  ruft,  und  von 
ihm  ohne  weitere  Schmerzen  erdulden  zu  müssen,  die  Annehmlichkeiten 
der  Narkose  zu  kosten  bekommt.  Dies  Vermögen,  einem  Mitmenschen 
all  sein  Leiden  für  einige  Zeit  nehmen  zu  können,  um  ihm  dasselbe 
entweder  ganz  zu  tilgen,  oder  doch  zum  grössten  Teil  zu  lindern,  ist 
eine  der  schönsten  Leistungen   des  Arztes. 

Es  ergiebt  sich  nun  die  Frage,  wann  dürfen  wir  unsere  Narkologie 
anwenden,   und  wie  sollen  wir  die   einzelnen  Teile   derselben  verwenden? 

§  5.  Die  erstere  Frage,  wann  wir  eine  Betäubung  überhaupt 
vornehmen  dürfen,  ist  viel  umstritten  und  schwer  präzis  zu  entscheiden 
in  jedem  Momente  und  jeder  Lage  der  Verhältnisse.  Es  kann  nicht 
eine  allgemeine  Regel  aufgestellt  werden,  denn  es  hängt  das  ganz  von 
den  Umständen  ab.  Nur  ganz  allgemein  lässt  sich  folgendes  sagen. 
Wir  dürfen  die  Betäubung  im  Sinne  der  Narkologie  dann  verwenden, 
wenn  dem  Kranken  durch  dieselbe,  soweit  die  Verhältnisse  zu  über- 
sehen sind,  kein  Schaden  entsteht.  Daraus  geht  hervor,  wie  genau 
wir  alles  erwägen  müssen,  und  wie  genau  wir  alle  die  uns  zur  Ver- 
fügung stehenden  Mittel  kennen  müssen  hinsichtlich  ihrer  Wirkungen 
im  allgemeinen,  wie  unter  den  jeweiligen  Verhältnissen.  Nur  dann, 
wenn  wir  das  zu  verwendende  Narkotikum  kennen,  und  wenn  wir  die 
körperlichen  und  psychischen  Verhältnisse  des  Patienten  so- 
weit exploriert  haben,  dass  wir  ein  genaues  Bild  von  den  Vorgängen 
sowohl  physiologischer,  Avie  pathologischer  Art  im  Organismus 
des  Kranken  uns  gezeichnet  haben,  dürfen  Avir  mit  der  narkologischen 
Operation  beginnen. 

Wenn  wir  uns  nun  den  einzelnen  Teilen  unserer  Wissenschaft 
zuwenden,  so  können  wir  noch  manche  anderen  Thesen  aufstellen.  Zu- 
erst wollen  wir  die  Frage  behandeln,  wann  dürfen  wir  eine  Narkose 
einleiten. 

Hierzu  müssen  wir  uns  einmal  kurz  klar  machen,  Avie  der 
Mensch    zur    Narkose,     der    Betäubung    der    Schmerzempfindung    durch 


-     26     - 

chemische  Verhindungen  auf  die  Ganglienzellen  im  Zentralnervensystem 
wirkend,   steht. 

Die  Narkose  kann  dem  Menschen  eine  grosse  Reihe  von  Gefahren 
für  sein  Lehen  sowohl,  wie  für  seine  Gesundheit  mit  sich  bringen. 
Diese  Gefahren  sind  solche,  welche  teils  aus  den  spezifischen  Wirkungen 
der  Narkotika  an  sich,  teils  aus  den  Wirkungen  der  Narkotika  im 
Verhältnis  zu  den  pathologischen  Vorgängen  und  Veränderungen  im 
Organismus  des  Patienten  entstehen,  ferner  sind  es  solche,  welche  aus 
einem  Versehen,  einer  mangelhaften  wissenschaftlichen,  einer  mangel- 
haften technischen  Ausbildung  des  Narkotiseurs  hervorgehen,  teils  sind 
es  Gefahren,  die  ganz  unvermvitet,  und  aus  noch  unaufgeklärten  Gründen, 
entstehen  können,  letztere  allerdings  ein  sehr  kleiner  Teil.  Alle  diese  Ge- 
fahren aus  den  genannten  Ursachen  können  den  Kranken  dem  Tode 
überantAvorten,  oder  sie  können  eine  schwere  Schädigung  der  Gesundheit 
des  Menschen  für  die  ganze  künftige  Lebensdauer  mit  sich  bringen. 
So  sehen  wir,  dass  eine  Narkose  nicht  eine  ganz  unschuldige  Operation 
darstellt.  Es  kommt  nun  vor  allem  in  Betracht,  zu  erwägen,  ob  eine 
Narkose  durch  ihre  Leistungen  die  Wahrscheinlichkeit  einer  der  oben- 
genannten Gefahren  aufwiegt,  wie  gross  die  Wahrscheinlichkeit  des 
Eintrittes  dieser  Gefahren  ist,  und  w^elche  köi'perlichen  etc.  Verhältnisse 
des  Patienten  mitsprechen. 

Hier  soll  nur  die  Frage  erörtert  werden,  ob  der  Nutzen  der 
Narkose  den  ev.  Schaden  soweit  übersteigt,  dass  eine  Narkose  gerecht- 
fertigt ward.  Man  wird  also  nur  dann  eine  Narkose  einleiten  dürfen, 
wenn  der  Vorteil,  den  die  Narkose  dem  Patienten  bringt,  die  ev. 
eintretenden  Nachteile  aufwiegt,  und  dieselben  an  Bedeutung 
weit  überragt.  Wenn  wir  diesen  Satz  uns  immer  in  das  Gedächtnis 
rufen,  wenn  wir  zu  entscheiden  haben,  ob  überhaupt  eine  allgemeine 
Narkose,  und  Avelche  Narkose  gewählt  werden  soll,  werden  wir  immer 
das  rechte  finden. 

§  6.  Wir  kommen  z.  B.  oft  in  die  Lage,  eine  Narkose  vorzu- 
schlagen, um  den  Kranken  besser  untersuchen  zu  können.  Es  ist 
dieser  Punkt  ein  so  ungeheuer  wichtiger,  dass  wir  denselben  nicht 
flüchtig  übergehen  können.  Namentlich  wir  Frauenäi'zte  kommen  oft 
in  die  Lage,  eine  Narkose  wegen  einer  genauen  Exploration  vor- 
zunehmen. Wir  müssen  hierbei  bedenken,  dass  nicht  etw^a  der  Grund 
zu  einer  Narkose  in  der  Gene  oder  Prüderie  der  Patientin  liegen 
darf.  Eine  Narkose  zum  Zwecke  der  Untersuchung  ist  nur  dann 
gerechtfertigt,  wenn  wir  entweder  einen  Zustand  erwaiten,  dessen 
Diagnose  uns  schon  sehr  wahrscheinlich  ist,  und  nur  noch  genauer 
bestimmt  wei'den  soll,  und  welcher  eine  Operation  fast  sicher  erfordern 
wird,  die  wir  sofort  an  die  Untersuchung  anschliessen  können 
während  derselben  Narkose,  oder  wenn  so  hochgradige  Schmerz- 
haftigkeit  besteht,  dass  wir  eine  Diagnose  nicht  stellen  können,  weil 
uns  der  Patient  unwillkürlich  nicht  zu  beseitigende  Hindernisse  für  die 
Exploration  entgegenstellt,  da  schon  bei  der  geringsten  Berührung  der 
zu  explorierenden  Organe,  derartige  schmerzhafte  Reflexe  aus- 
gelöst werden,   dass   ein  klares  Bild  über  die   pathologischen   Ver- 


-     27     - 

hältnisse  nicht  zu  erlangen  ist.  Es  muss  aber  bei  derartigen  Zu- 
ständen immer  ein  ernstes  Moment  im  Hindergrund  stehen,  wir  müssen 
ev.  ernste  Erkrankungen  vermuten,  ohne  deren  genaue  Erkennung  eine 
das  Leben,  oder  die  dauernde  Gesundheit  des  betreffenden  Menschen 
rettende  Therapie  nicht  eingeleitet  werden  kann,  so  dass  durch  die 
Unterlassung  der  Narkose  eine  Gefahr  für  die  betreffende  Person,  ent- 
weder quoad  vitam,  oder  hinsichtlich  der  körperlichen  Gesundheit  für 
alle  Zukunft  entstehen  wird.  Auch  in  diesen  Fällen  müssen  wir  stets 
bemüht  sein,  die  etwaige  Operation  oder  Behandlung,  soweit  dieselbe 
eine  Narkose  an  sich  erfordert,  direkt  an  die  Exploration  anzuschliessen, 
damit  nicht  in  wenigen  Stunden  oder  Tagen  eine  neue  Narkose  wegen 
der  Therapie  eingeleitet  zu  werden  braucht. 

§  7.  Was  nun  die  Narkose  wegen  Operationen  anlangt,  so 
ist  diese  Frage  hier  nicht  allein  zu  beantworten.  Nur  das  muss  als 
feststehende  These  aufgestellt  werden,  dass  eine  Narkose  nur  dann 
einzuleiten  ist,  wenn  die  Unterlassung  derselben  für  das  Leben,  oder 
die  dauernde  Gesundheit  des  betreffenden  Menschen  direkt  gefahr- 
bringend und  verderblich  ist. 

Wir  müssen  dabei  erwägen,  ob  nicht  weniger  gefahrvolle  Opera- 
tionen z.  B.  die  der  Anästhetologie  an  Stelle  der  allgemeinen  Nar- 
kose angewandt  werden  können.  Erst  wenn  wir  keine  anderen  Me- 
thoden finden  können,  welche  in  dem  bestimmten  Falle  die  Narkose 
ersetzen  dürften,  so  haben  wir  ein  Recht,  eine  allgemeine  Narkose  unter 
obiger  Bedingung  einzuleiten.  Wenn  wir  die  ganze  Technik  und  Wissen- 
schaft der  Narkologie  beherrschen,  werden  wir  für  fast  alle  Fälle  ein 
Verfahren  finden   können,   welches   den  Anforderungen  entspricht. 

Es  gibt  nur  einen  Zustand,  wo  man  ev.  anders  urteilen  muss. 
Das  ist  der  Vorgang  der  Entbindung.  Wenn  wir  den  allgemeinen 
Wert  der  Narkose  bei  der  Entbindung,  und  die  grosse  Anzahl  der 
Meinungen  hinsichtlich  der  Narkose  intra  partum  bedenken,  werden 
wir  es  gerechtfertigt  finden,  wenn  wir  hier  einige  Worte  darüber  ver- 
lieren. Die  Narkose  intra  partum  verdient  eine  Beachtung  in  ver- 
schiedener Hinsicht. 

Zunächst  müssen  wir  bekennen,  dass  es  kein  Mittel  gibt,  welches 
einer  Frau  in  diesen  Verhältnissen  Linderung  bringt,  ausser  die  Nar- 
kotika. Ferner  gibt  es  aber  auch  keine  Methode  der  Anästhe- 
tologie, welche  eine  Narkose  intra  partum  nur  annähernd,  geschweige 
denn  vollkommen  zu  ersetzen  im   stände  sein  könnte. 

Ausser  diesen  Tatsachen  müssen  wir  bedenken,  dass  eine  Frau 
intra  partum  allerdings  hinsichtlich  der  Wirkungen  von  verschiedenen 
Narkotika  einer  grösseren  Gefahr  ausgesetzt  ist,  z.  B.  hinsichtlich  des 
Blutverlustes,  der  Schwäche  etc.  Es  ist  kein  Zweifel,  dass  viele  Frauen 
in  diesen  Verhältnissen  nicht  narkotisiert  werden  sollten,  und  es  muss 
da  natürlich  der  diesbezügliche  momentane  Zustand  entscheiden. 

Hingegen  ist  es  auch  vollkommen  feststehende  Tatsache,  dass 
eine  Frau  intra  part.  schon  mit  viel  geringeren  Mengen  des  Nar- 
kotikums völlig  narkotisiert  werden  kann,  dass  sie  sehr  wenig 
widerstandsfähig,    sehr  leicht  zu  betäuben  ist,    und  dass   schon   eine 


-     28     - 

sehr  oberflächliche  Narkose  d.  h.  oberflächlich  hinsichtlich  der  Tiefe  der 
Betäubung,  genügt,  um   die  nötige  Anästhesie  zu  erzeugen. 

Es  ist  nun  natürlich  bei  Frauen  ganz  verschieden,  wie  sie  die 
Schmerzen  ertragen,  die  eine  ist  empfindlicher  als  die  andere.  Wir 
haben  bisweilen  mit  Bewunderung  gesehen,  wie  manche  Frauen  gerade 
die  schmerzhaftesten  geburtshilflichen  Operationen  ohne  eine  Linderung 
der  Schmerzen,  ohne  Klage  und  Jammern  ertrugen.  Das  Weib  ist 
eben  auch  in  dieser  Hinsicht  ein  grosses  Rätsel.  Nun  ist  aber  in  vielen 
Verhältnissen  doch  die  Empfindlichkeit  nicht  herabgesetzt,  und  die  Frau 
ist  gequält  von  den  enormsten  Schmerzen.  Wollte  man  hier  genau  nach 
der  Vorschrift,  eine  Narkose  nur  dann  einzuleiten,  wenn  ohne  die  Narkose 
eine  Gefahr  für  das  Leben,  oder  die  Gesundheit  der  Frau  besteht, 
handeln,  so  würden  wir  nur  in  seltenen  Fällen  im  Stande  sein,  der 
kreissenden  Frau  die  Wohltat  der  Narkose  zu  teil  werden  zu  lassen.  Hier 
ist  die  einzige  Gelegenheit,  wo  wir  von  der  obigen  Regel  eine  Ausnahme 
machen  dürfen,  denn  nach  unserer  Ueberzeugung  sind  Verhältnisse  und 
Momente  vorhanden,  wo  man  der  Frau  die  Wohltat  der  Narkose  nicht 
versagen  darf.  Wir  werden  natürlich  versuchen,  die  Verwendung 
der  Narkose  so  viel,  wie  möglich  zu  beschränken,  doch  es  fehlt  uns  an 
einer  anderen  Methode,  und  wer  kann  sein  Herz  dem  Mitgefühl  ver- 
schliessen,  wenn  eine  Frau  von  argen  Schmerzen  gequält,  Linderung 
von  uns  fordert.  Es  ist  eine  Erfahrungstatsache ,  dass  man  einen 
grossen  Teil  der  geburtshilflichen  Operationen  ohne  Anwendung  der 
Narkose  vornehmen  kann,  allein  es  spricht  in  diesen  Fällen  die  indi- 
viduelle Empfindlichkeit  mif.  Wir  können  stets  der  Frau  eine  Linde- 
rung schaffen,  denn  es  giebt  eine  so  grosse  Anzahl  von  Methoden  der 
Narkose  mit  den  verschiedenen  Narkotika,  dass  es  nur  von  dem  Gerade 
unserer  Ausbildung  in  Wissenschaft  und  Technik  der  Narkose  abhängt, 
ob  wir  der  betreffenden  Frau  helfen  können  und  wollen.  Nur  ganz 
seltene  Komplikationen  können  eintreten,  die  uns  jede  Narkose  verbieten. 
Wenn  auch  von  gewisser  Seite  noch  hie  und  da  die  Ansicht  auftaucht, 
die  Frau  müsse  mit  Schmerzen  gebären,  und  man  dürfe  daher  nicht 
lindernd  eingreifen,  weil  es  quasi  eine  religiöse  Pflicht  der  Frau  sei, 
diese  Schmerzen  zu  ertragen,  so  können  wir  auf  diesen  sinnlosen  Ein- 
wurf nur  das  erwidern,  dass  derjenige,  der  dieser  Ansicht  ist,  einmal 
solchen  Schmerzen,  wie  sie  eine  Gebärende  erleidet,  ausgesetzt  werden 
müsste,  ohne  dass  man  ihm  Hilfe  brächte.  Er  würde  der  erste  sein, 
der  nicht  den  zehnten  Teil  der  Schmerzen,  die  eine  Frau  aushält,  er- 
dulden könnte. 

So  haben  wir  uns  zur  Regel  gemacht,  auch  der  Frau  intra 
part.  so  weit  als  irgend  möglich,  die  Annehmlichkeiten  der  Narkose 
zu  teil  werden  zu  lassen,  und  wir  können  mit  Recht  behaupten,  dass  wir 
noch  nie  einen  Schaden  des  Kindes,  oder  der  Mutter  erlebt  haben, 
wenn  natürlich  jeder  Fehler  vermieden,  und  die  grösste  Vorsicht  be- 
achtet wird.  Aber  der  Dank  bleibt  nicht  aus,  denn  auch  in  diesen 
Verhältnissen  empfindet  die  Frau  gar  wohl  das  Mitgefühl,  das  ihr  der 
Arzt  entgegenbringt,  und  ist  dankbar  für  die  geringste  Hilfe.  So  dürfen 
wir    auch    nicht    karg    sein  in  unseren  Wohltaten,    sondern  müssen  be- 


-     29     - 

strebt  sein,  in  jedem  Falle  durch  Kvmst  und  Wissenschaft  die  Narkose 
so  ungefährlich  wie  nur  möglich  zu  gestalten. 

§  8.  Wenn  wir  uns  nun  zu  der  Erwägung,  wann  wir  die  anäs- 
thetologischen  Methoden  in  Anwendung  biingen  sollen,  wenden, 
so  müssen  wir  zunächst  kurz  die  Vorteile  und  Nachteile  der  Methoden 
erörtern. 

Die  ersteren  bestehen  darin,  dass  dem  Kranken  eine  grosse 
Menge  von  Unannehmlichkeiten  erspart  bleiben.  Er  wird  nicht 
einer  so  grossen  Anzahl  von  schweren  Gefahren  ausgesetzt,  wie  bei  der 
Einleitung  einer  Narkose,  er  hat  nicht  die  unangenehmen  Nachwirkungen 
der  letzteren  zu  ertragen.  Allerdings  entbehrt  er  der  Annehmlichkeit, 
dass  er,  ohne  von  der  ganzen  Operation  eine  Empfindung  im  Bewusst- 
sein  zu  haben,  dieselbe  übersteht.  Er  wird  zweifellos  eine  grössere 
psychische  Erregung  erleiden,  wenn  er  sieht  und  hört,  wie  die 
Operation  begonnen  wird.  Es  wird  ihm  nun  natürlich  i'ede  Schmerz- 
empfindung genommen,  nur  eine  Tastempfindung  behält  er,  er 
merkt  wohl,  dass  an  seinem  Körper  gearbeitet  wird.  Nun  ist  ja  in 
den  meisten  Methoden  keine  Spur  von  Schmerzempfindung  vorhanden, 
doch  nicht  bei  allen  Methoden  kann  dies  behauptet  werden.  Bisweilen 
wird  doch,  und  sei  es  auch  wegen  des  Ungeschicks  des  betreffenden 
Arztes,  welcher  die  lokale  Betäubung  leitet,  ein  Schmerzgefühl  auf- 
treten, welches  sofort  wieder  betäubt  wird,  wenn  der  Patient  darüber 
klagt.  Es  hängt  dabei  ganz  von  der  Kunst  des  Arztes,  von  der  Methode 
der  Betäubung,  und  von  der  Empfindlichkeit  des  Patienten  ab,  ob  die 
Anästhesie  eine  vollkommene  ist.  Nun  wird  ja  bei  vielen  Kranken 
es  gar  nicht  darauf  ankommen,  wenn  sie  einmal  eine  geringe  Schmerz- 
empfindung haben;  doch  bei  anderen  wird  dies  sehr  üble  Folgen 
haben  können. 

Wir  ersehen  also  aus  dem  Gesagten ,  dass  wir  wohl  unsere 
Patienten  genau  aussuchen  müssen,  wir  müssen  bei  Vornahme  einer 
lokalen  Betäubungsmethode  vorher  darüber  klar  sein,  erstens,  dass  wir 
genau  die  Technik  und  die  Methodik  beherrschen,  zweitens,  dass  der 
Kranke  nicht  zu  leicht  erregbar,  drittens,  dass  er  nicht  hochgradig  em- 
pfindlich ist,  sondern  bereit  ist,  einmal  einen  geringen  Schmerz  zu  er- 
tragen. Es  ist  nun  natürlich  unsere  Ueberzeugung,  dass  es  nicht  vor- 
kommen darf,  dass  der  Patient  Schmerz  empfindet,  allein,  wem  sind 
nicht  doch  schon  bei  solchen  Operationen  trotz  bester  Technik  unvor- 
hergesehene Unfälle  zugestossen,  welche  seinen  Anstrengungen,  wenn 
auch  nur  für  einen  Moment  trotzten? 

Es  ist  eben  die  Verteilung  der  Verwendbarkeit  verschieden.  Wir 
können  nicht  bei  jeder  Operation  eine  Narkose  entbehren,  und  so  hat 
sich  schon  eine  gewisse  Grenze  gebildet,  indem  sich  die  lokalen  Betäu- 
bungsmethoden mehr  auf  dem  Gebiete  heimisch  machten,  während  auf 
jenem  Gebiete  die  Narkosiologie  sich  nicht  verdrängen  liess.  Und 
so  sind  es  hauptsächlich  jene  Operationen,  wo  nicht  sowohl  das  Leben 
des  Kranken,  als  vielmehr  ein  dauerndes  Wohlbefinden  in  gesundheit- 
licher Hinsicht  von  dem  glücklichen  Verlaufe  der  Operation  abhängig 
ist,    bei    denen  wir  hauptsächlich  die   lokalen  Betäubungsmethoden  ver- 


—     30     - 

wenden.  Man  erinnere  sich  hier  an  die  Augenoperationen,  die  zum 
grössten  Teil  unter  lokaler  Betäubung  ausgeführt  werden,  ferner  so 
viele  Zahn-,  Mund-  und  Nasenoperationen,  und  einen  grossen  Teil  der 
chirurgischen  Eingriffe  an   den  Extremitäten   etc. 

Die  lokalen  Betäubungsmethoden  verlaufen  meist  mit  einer  weit 
geringeren  Wahrscheinlichkeit  einer  Gefahr  quoad  vitam  des 
Patienten.  Es  werden  in  vielen  Fällen  nicht  starkgiftige  Körper  ver- 
wandt, und  von  den  giftigen  Stoffen  nur  so  geringe  Mengen,  dass  der 
Eintritt  einer  Lebensgefahr  durch  Intoxikation  sehr  weit  entfernt  ist. 
Freilich  giebt  es  auch  verschiedene  Methoden,  die  nicht  ohne  Gefahren 
angewandt  werden,  allerdings  dieselben  stellen  Methoden  dar,  welche 
noch  der  Prüfung  bedürfen,  ehe  sie  zum  Gemeingut  der  Aerzte  werden. 
Diejenigen  Methoden  der  Anästhetologie,  die  vom  Arzte  an  Stelle  von 
Narkosen  angewandt  werden  düx'fen,  und  das  Gemeingut  der  Aerzte 
geworden  sind,  haben,  in  korrekter  Weise  ausgeführt,  selten  ernste  Ge- 
fahren im  Gefolge. 

§  9.  Wenden  wir  uns  nun  wieder  der  Narkosiologie  zu,  welche 
ja  in  dem  Folgenden  zunächst  behandelt  werden  soll!  Wir  haben 
gesehen,  welche  Punkte  im  allgemeinen  die  Einleitung  einer  Narkose 
rechtfertigen.  Es  können  diese  Angaben  ja  nur  sehr  im  allgemeinen 
gemacht  werden,  denn  Avir  haben  bei  jeder  einzelnen  Narkosenart  wdeder 
besondere  Momente  zu  berücksichtigen,  und  diese  Erläuterungen  sind 
in>  dem  speziellen  Teil  dieses  Buches  gelegentlich  der  Behandlung  jeder 
einzelnen  Narkosenmethode,  und  jedes  einzelnen  Narkoticums  genau 
festgelegt.  Was  Avir  hier  im  allgemeinen  als  Gründe  gegen  die  Ein- 
leitung einer  Narkose  vorbringen  können,  ist  zwar  Avenig,  doch  es  muss 
hier  flüchtig  erwähnt  werden,  um  die  Grenze  zwischen  Narkosiologie 
und  Anästhetologie  ziehen  zu  können.  Diese  Kontraindikationen 
bestehen  in  einer  derartigen  Herabsetzung  der  Kräfte  und  Lebens- 
energie,  dass  die  Wahrscheinlichkeit  des  Nichtüberstehens  der  Nar- 
kose von  Seiten  des  Patienten  sehr  gross  erscheint.  Wenn  wir  annehmen 
müssen,  dass  eine  allgemeine  Betäubung  durch  das  Zentralnervensystem 
den  Tod  des  Kranken  herbeiführen  wird,  so  müssen  wir  versuchen,  die 
Narkose  entweder  ganz  zu  unterlassen  mit  samt  der  Operation,  oder 
eine  andere  Methode  zu  finden,  welche  die  allgemeine  Narkose  ersetzt. 
Ist  letzteres  ausgeschlossen,  so  müssen  wir  erwägen,  wird  der  Patient 
durch  Unterlassen  der  Operation  und  Narkose  innerhalb  kurzer  Zeit 
sterben,  und  kann  die  Operation  ihn  dem  Tode  entreissen,  indem  sie  viel- 
leicht doch  möglich  wäre  bei  Zuhilfenahme  aller  die  Kraft  steigernder 
Mittel  und  Methoden  etc.  Ist  letztere  Erwägung  mit  wahrscheinlich, 
oder  doch  möglich  zu  bezeichnen,  und  ist  der  Kranke  ohne  unsere 
Hilfe  sicher  dem  Tode  überantwortet,  so  müssen  wir  die  Narkose  unter- 
nehmen, und  bemüht  sein,  deren  Einfluss  auf  die  Körperkraft  möglichst 
günstig  zu  gestalten.  Es  besteht  ja  doch  in  allen  Fällen  die  Möglich- 
keit, dass  sich  die  Verhältnisse,  wenn  auch  nur  in  geringem  Grade 
anders  gestalten,  als  man  voraussieht,  und  so  sind  wir  der  Ueberzeugung, 
überall  da  helfend  einschreiten  zu  müssen,  wo  wir  noch  eine,  wenn 
auch  geringe  Hoffnung,   auf  Erfolg  zu  Gunsten   des  Kranken  haben. 


—     31     - 

i;  10-  Zu  der  Vornahme  einer  jeden  Allgemeinnarkose  gehört 
die  Zustimmung  des  Kranken.  Wir  dürfen  auf  keinen  Fall  unter- 
lassen, vor  einer  Operation  den  Kranken  darauf  aufmerksam  zu  machen, 
dass  wir  eine  Narkose  damit  verbinden  wollen.  Dieselbe  kann  einem 
Menschen  stets  eine  Gefahr  quoad  vitam  bringen,  und  deshalb  darf  sie 
auch  nie  ohne  seine  Einwilligung  vor  sich  gehen.  Die  Einwilligung 
braucht  aber  keineswegs  besonders  eingeholt  zu  werden,  wenn  es  sich  um 
intelligente  Personen  handelt,  wie  das  Urteil  einer  neuerdings  stattge- 
habten Gerichtsverhandlung  klar  gelegt  hat.  Wenn  dieselben  die  Vor- 
bereitungen zu  einer  Narkose  sehen,  u.nd  erheben  keinen  Widersjaruch, 
so  ist  deren  Zustimmung  schon  darin  gegeben.  Personen  aber,  welchen 
die  Fähigkeiten  fehlen,  die  Verhältnisse  so  zu  überblicken,  dass  sie  aus 
unseren  Vorbereitungen  auf  eine  Narkose  schliessen  können,  müssen 
von  uns  besonders  um  die  Zustimmung  zur  Narkose  angegangen  werden. 
Verweigert  ein  Kranker  seine  Zustimmung  zum  Einleiten  einer  Narkose, 
so  sind  wir  in  keinem  Falle  berechtigt,  dieselbe  dennoch  vorzunehmen, 
selbst  dann  nicht,  wenn  die  Rettung  des  Lebens  des  Kranken  einzig 
und  allein  von  dieser  Narkose  abhängt.  Wir  müssen  in  solchen  Fällen 
stets   den   Willen   des  Patienten  berücksichtigen. 

Anders  verhält  es  sich  bei  Leuten,  welche  unter  Vormundschaft 
gestellt  sind,  also  meist  bei  Geisteskranken.  Hier  haben  wir  auf 
den  Willen  des  Kranken  nichts  zu  geben,  sondern  müssen  die  Erlaub- 
nis von  dem  Vormund  einholen.  Es  besteht  aber  dieselbe  Beziehung 
zu  diesem,   ohne   seine  Einwilligimg  ist  die  Narkose  unmöglich. 

Dasselbe  gilt  natürlich  bei  Kindern,  solange  dieselben  noch  nicht 
so  alt  sind,  dass  sie  über  ihre  Angelegenheiten  selbständig  verfügen 
können.  Wir  haben  hier  natürlich  nicht  die  Eltern,  oder  den  Vor- 
mund um  die  Erlaiibnis  anzugehen,  Avenn  auch  die  Person  noch  nicht 
mündig  ist,  sobald  dieselbe  nur  so  alt  ist,  dass  sie  die  mit  der  Narkose 
verbundenen  Verhältnisse  mit  dem  geistigen  Auge  zu  überschauen 
vermag. 

§  11.  Es  ist  hier  noch  ein  Umstand  zu  erwähnen,  welcher  für 
den  Arzt  von  grosser  Bedeutung  ist.  Wir  sollten  nie  eine  Narkose  au 
einer  anderen  Person  vornehmen,  namentlich  nicht  an  Frauen,  respek- 
tive Mädchen,  ohne  eine  dritte  Person  als  Zeugen  dabei  zu 
haben.  Es  ist  schon  sehr  häufig  vorgekommen,  dass  namentlich  junge 
Mädchen,  welche  einer  Narkose  unterzogen  wurden,  nach  dem  Er- 
wachen aus  der  Betäubung  behaupteten,  der  Arzt  habe  ein  Sittlich- 
keitsverbrechen  an  ihnen  begangen.  Der  Grund  zu  diesen  Behaup- 
tungen liegt  darin,  dass'  ein  grosser  Teil  der  Narkotika,  namentlich  jene, 
welche  wir  za  kurzen  Narkosen  verwenden,  einen  Einfluss  auf  die 
Genitalien  ausüben,  so  dass  die  Narkosierten  erotische  Träume 
haben,  und  meist  nach  den  Träumen,  in  denen  oftmals  die  aufregend- 
sten Bilder  von  Coitus,  und  sonstigen  sexuellen  Vorgängen,  auch 
von  onanistischen  Maniptilationen,  die  vielleicht  im  Geistesleben  in  nor- 
malem Zustand  des  Kranken  eine  Rolle  spielen,  auftreten,  noch  das 
Gefühl  in  den"  Genitalien  von  den  Vorgängen  der  Traumbilder 
haben.     In    vielen    solchen    Fällen    sind    die   Genitalien  überhaupt  nicht 


-     32     - 

berührt  worden,  die  Operation  etc.,  wegen  welcher  man  narkotisierte, 
betraf  ganz  andere  Körperteile.  Dass  aber  erotische  Vorstellungen 
durch  die  Narkotika  hervorgerufen  werden,  erkennt  man  daran,  dass 
die  Kranken  meist  im  Beginn  der  Betäubung  die  Beine  anziehen,  Be- 
wegungen wie  beim  Coitus  machen,  oder  selbst  onanistische  Bewegungen 
vornehmen,  derartige  Reden  führen  etc.,  kurz,  durch  ihre  ganze  Haltung 
während  der  Narkose  die  Traumvorstellungen  offenbaren.  Meist  wird 
sich  die  Traum  Vorstellung  nach  den  sexuellen  Beziehungen  des  ge- 
wöhnlichen Lebens  der  Kranken  richten,  eine  Frau  wird  mehr  vom 
Coitus,  eine  Dirne  mehr  von  gemeinen  Handlungen,  ein  Mädchen  bis- 
Aveilen  von  onanistischen  Vorgängen  träumen;  je  nach  ihrem  Stand 
und  der  Bildung,  sowie  moralischen  Höhe,  auf  der  sie  sich  befinden, 
wird  sich  der  Eindruck  der  Kranken  richten.  Da  nun  aber  sehr  oft 
das  Erinnerungsvermögen  an  die  Traumvorstellungen  nach  der  Narkose 
sehr  getrübt,  oder  auch  erloschen  ist,  so  kombiniert  die  Kranke  beim 
Erwachen,  und  stellt  analog  ihren  Gefühlen,  und  ev.  nach  Erinnerungs- 
momenten aus  den  Träumen,  Behauptungen  auf,  welche  den  Arzt  be- 
schuldigen. 

Dass  natürlich  der  Arzt,  namentlich  wenn  diese  Vorgänge  vom 
Gericht  entschieden  werden,  in  eine  sehr  unglückliche  Lage  kommen 
kann,  die  ihn  vollkommen  gesellschaftlich  zu  Grunde  richtet,  und  auch 
pekuniär  ruinieren  kann,  ist  ja  leicht  einzusehen.  Man  muss  da  nicht 
Rücksicht  auf  die  anständige  Gesinnung  unserer  Kranken  nehmen,  denn 
die  Angehörigen  von  einem  jungen  Fräulein,  oder  einer  Dame  etc.  werden 
dem  Arzte  nie  glauben,  auf  welche  Ursache  diese  Eindrücke  zurück- 
zuführen sind,  und  der  Arzt  ist  nur  dadurch  gesichert,  dass  er  bei  der 
Narkose  eine  dritte  Person  zugegen  gehabt  hat.  Erstens  hat  er  in 
dieser  Person  einen  Zeugen  vor  Gericht,  zweitens  lassen  sich  die 
Kranken  eher  von  ihrem  L'rtum  überzeugen,  wenn  sie  wissen,  dass  der 
Arzt  nicht  mit  ihnen  allein  gewesen  ist.  Es  ist  ja  äusserst  peinlich, 
wenn  ein  derartiger  Fall  überhaupt  vor  Gericht  kommt,  vorausgesetzt 
natürlich,  dass  der  Arzt  unschuldig  äst,  denn  das  Publikum  ist  nur  zu 
leicht  geneigt,  auf  den  Arzt,  auch  wenn  er  freigesprochen  wird,  einen 
Stein  zu  werfen,  denn  dasselbe  kann  die  Umstände  und  Verhältnisse 
nicht  übersehen,  und  wird  stets  der  Ansicht  sein,  dass  doch  ein  ganz 
klein  wenig  Wahrheit  daran  sein  wird,  und  somit  wird  ein  Makel  an 
des  Arztes  Ehre  haften,  während  er  doch  vollkommen  frei  von  Schuld 
ist.  Die  Folgen  sind  natürlich  materieller  Schaden,  wenn  nicht  Ruin, 
und  eine  Herabsetzung  der  gesellschaftlichen  Stellung  des  Arztes.  Es 
muss  nun  letzterer  bestrebt  sein,  jeden  Anlass  zu  solchen  üblen  Er- 
eignissen zu  vermeiden,  und  er  kann  dies  nur  dann,  wenn  er  sich  zur 
Regel  macht,  nie  allein  eine  Narkose  an  einer  anderen  Person  vorzu- 
nehmen. Es  ist  auch  noch  aus  dem  Grunde,  dass  der  Arzt  im  Falle 
auch  des  kleinsten  Unglücks,  eine  Hilfe  hat,  die  Anwesenheit  einer 
Person,  die  ihm  das  und  jenes  zureichen  kann,  sehr  vorteilhaft  und  zu 
empfehlen. 

Es  giebt  nun  auch  eine  andere  Beziehung  zwischen  Arzt  und  Pa- 
tient,   welche    ersteren    in  forum    bringen    kann.       Dieselbe    besteht    in 


—     33     - 

dem  Geheim iiis,  welches  der  Arzt  betreffs  aller  der  durch  die  Nnr- 
kose  über  den  Kranken  erfahrenen  Angelegenheiten  wahren  miiss.  Es 
ist  nämlich  währcaid  der  Narkose,  namentlich  während  des  I.  und  IL 
Stadiums,  aber  auch  während  des  Stadiums  des  Erwachens,  mög- 
lich, irgend  welche  Verhältnisse  des  Kranken  von  demselben  zu  er- 
fahren. Der  Kranke  beschäftigt  sich  während  der  Narkose  stets  mit 
denjenigen  Dingen,  welche  sein  Geistesleben,  auch  während  der  alltäg- 
lichen Beschäftigung  etc.  erfüllen.  Wenn  man  nun  die  Narkose  auf 
diesem  Stadium,  wo  der  Kranke  zu  reden  beginnt,  d.  h.  wo  seine  Ur- 
teilskraft gelitten,  und  sein  Bewusstsein  noch  teilweise  erhalten  ist,  aller- 
dings die  Willenskraft  nicht  mehr  Einfluss  ausüben  kann,  erhält,  und 
den  Kranken  in  ein  Gespräch  verwickelt,  so  kann  man  von  ihm  Dinge 
erfahren,  welche  er  im  normalen  Zixstande  nie  gesagt  hätte.  Man  hat 
diesen  Zustand  geprüft,  und  kann  so  aus  einem  Verbrecher  das  Ge- 
ständnis der  Tat  etc.  heraxislocken.  Doch  einen  kriminellen  Wert  hat 
dieses  Geständnis  nicht,  denn  der  Kranke  ist  ja  seiner  geistigen 
Eigenschaften  in  gewissen  Beziehungen  beraubt.  Da  nun  aber 
tatsächlich  oftmals  durch  eine  Narkose  Dinge  offenbart  werden,  welche 
nicht  das  Allgemeingut  anderer  Leute  Averden  dürfen,  so  sind  sämtliche 
Personen,  welche  mit  der  Narkose  zu  tun  haben,  verpflichtet,  über  alle 
Wahrnehmungen  den  Kranken  betreffend  das  strengste  Stillschweigen 
zu  beobachten. 

Wir  müssen  auch  vom  ärztlichen  Standpunkt  ganz  entschieden 
dem  entgegentreten,  dass  man  die  Narkose  zum  Zwecke  des  Ausforschens 
einer  Persönlichkeit  verwendet.  Wenn  dies  Brauch  würde,  so  würde 
in  kurzer  Zeit  niemand  mehr  eine  Narkose  an  sich  vornehmen  lassen, 
denn  er  müsste  ja  gewärtig  sein,  man  lockte  aus  ihm  Geheimnisse  her- 
vor, welche   er  gern  für   sich  behalten   hätte. 

Es  ist  daher  die  Pflicht  des  Narkotiseurs,  jedes  Wort,  AA'elches  er 
von  einem  narkotisierten  Patienten  vernimmt,  als  nicht  gesprochen  zu 
betrachten,  imd  er  muss  bestrebt  sein,  die  Stadien  der  Narkose,  in  denen 
der  Kranke  spricht,  nach  Möglichkeit  abzukürzen,  und  darf  sich  auf 
ein  Ausforschen  des  Kranken  nie  einlassen.  Ferner  hat  er  auch  über 
etwaige  Beobachtungen,  die  auf  Sitten  und  Gewohnheiten  des  Patienten 
Schlüsse  zu  ziehen  gestatten,   das  strengste   Geheimnis   zu  ■\\'ahren. 

Neben  diesen  Beziehungen  können  wir  aber  auch  manche  Ver- 
hältnisse des  Kranken  durch  die  Narkose  erfahren,  sei  es  in  rein  per- 
sönlicher Hinsicht,  z.  B.  über  den  Gesundheitszustand  des  Kranken, 
über  seine  moralischen  und  geistigen  Beziehungen,  sei  es  in  allgemein 
sozialer  Hinsicht,  welche  uns  vielleicht  ein  mindergutes  Urteil  über  den 
betreffenden  Menschen  bilden  lassen,  und  es  kann  an  den  Arzt  nur  zu 
leicht  die  Eventualität  herantreten,  dieses  Urteil  dritten  Personen  mit- 
zuteilen. Immer  müssen  wir  uns  daher  bewusst  sein,  dass  der  Arzt 
einen  Vertrauensposten  einnimmt,  und  dass  er  dieses  Vertrauen 
rechtfertigen  muss,  gezwungen,  nicht  nur  durch  sein  Gewissen, 
sondern  auch   durch   das   Gesetz. 

Neben  diesen  Beziehungen  bestehen  noch  andere,  welche  den 
Arzt  ebenfalls   als  Schuldigen  vor  den  Strafrichter  stelle^  können.    Durch 

3 


—     34     — 

die  Vornahme  einer  Narkose  nimmt  der  Arzt  eine  Verantwortung  für 
das  Leben  und  das  künftige  Wohlergehen  des  zu  narkotisierenden 
Kranken  auf  sich.  Die  Verantwortung  liegt  erstens  darin,  dass  der 
Kranke  durch  ein  Versehen  des  Narkotiseurs,  einen  Fehler,  eine 
Unterlassung,  und  eine  Vernachlässigung  schwer  geschädigt 
werden  kann.  Die  Schädigung  kann  bestehen  in  dem  Verlust  der 
Gesundheit  für  kurze  Zeit,  für  die  Zukunft,  und  in  dem  Tode. 
Betrachten  wir  zuerst  den  Tod  während  der  Narkose,  soweit  derselbe 
durch  den  Narkotiseur  verschuldet  werden  kann. 

Der  Arzt  kann  den  Tod  des -Kranken  verursachen  durch  einen 
Fehler  in  der  Dosierung,  durch  die  falsche  Wahl  des  Narkotikums 
in  Bezug  auf  den  Zustand  des  Kranken,  durch  Unachtsamkeit  während 
der  Nai'kose,  indem  der  Arzt  entweder  eine  eintretende  Gefahr  (Syn- 
kope, Apnoe)  zu  spät  erkennt,  oder  die  zu  ergx'eifenden  Gegenmass- 
regeln zu  spät  oder  falsch  anwendet,  oder  dass  der  Arzt  die  nötigen 
Instrumente  zu  solchen  Massnahmen,  wie  die  zur  Tracheotomie, 
zur  Infusion  etc.  nicht  zur  Hand  hat,  also  eine  ungenügende  Vor- 
bereitung getroffen  worden  ist,  oder  dass  der  Arzt  ein  schlechtes 
Präparat  (Narkotikum)  verwendet,  welches  entweder  unter  seiner 
mangelhaften  Aufbewahrung  verdorben,  oder  aus  einer  Apotheke  be- 
reits als  schlechtes  bezogen  ist.  In  letzerem  Falle  trifft  die  Schuld 
meist  den  Apotheker,  allein  teilweise  auch  den  Arzt,  da  er  das  Prä- 
parat hätte  vorher  prüfen,  also  die  Zersetzung  erkennen  müssen,  und 
dasselbe  folglich  nicht  verwenden  durfte.  Und  so  lassen  sich  noch  eine 
Menge  von  Beziehungen  und  Verhältnissen  aufzählen,  welche  der  Arzt 
nicht  berücksichtigte,  und  durch  welche  der  Tod  des  Patienten  herbei- 
geführt wurde.  Tritt  nun  ein  solcher  Fall  ein,  so  ist  es  zunächst  Sache 
der  Angehörigen,  einen  Prozess  gegen  den  Arzt  anzustrengen,  und  den- 
selben auch  zu  begründen.  Das  letztere  wird  ihnen  sehr  schwer  werden, 
wenn  nicht  ein  anderer  Arzt  zugegen  war,  welcher  den  Vorgang  sach- 
verständig zu  schildern  vermag.  So  wird  in  vielen  solchen  Fällen  gegen 
den  Arzt,  selbst  wenn  er  eine  Schuld  am  Tode  hätte,  doch  kaum  ein 
gerichtliches  Verfahren  anhängig  werden  können,  da  die  Beweise  von 
einem  Fehler  des  Arztes  sehr  schwer  zu  erbringen  sind,  da  es  sich 
meist  um  vei'säumte  Handlungen  handelt,  die  nur  im  Momente  des 
Vorganges  richtig  zu  beurteilen  sind,  in  vielen  Fällen,  nach  der 
Narkose  aber,  nur  schwer  noch  eruiert  werden  können.  Es  ist  aber 
doch  noch  das  Gewissen  des  Arztes  da,  vor  dem  er  sich  verantworten 
muss,   und  dessen  Urteil  einem  Ehrenmanne  nicht  gleichgiltig  sein  wird. 

Wenn  wir  also  gesehen  haben,  dass  dem  Arzte  schwer  ein  Ver- 
sehen etc.  während  der  Narkose  nachzuweisen  sein  wird,  wenn  nicht 
andere  Aerzte  zugegen  waren,  die  die  Narkose  sorgfältig  mit  beobachtet 
haben,  so  ist  es  ebenso  schwer,  ja  vielmals  unmöglich,  für  einen  anderen 
Arzt,  vielleicht  den  Sachverständigen,  die  Tätigkeit  des  Arztes 
während  der  Narkose  zu  beurteilen,  und  zu  entscheiden,  liegt  ein  Ver- 
sehen, eine  Schuld  des  Arztes  an  dem  Tode  des  narkotisierten 
Menschen  vor,  oder  nicht.  Es  wird  in  den  meisten  Fällen  zur  Frei- 
sprechung   des   Arztes   führen  müssen,  jedenfalls  von   der  fahiliissigen 


-     85     - 

Tötung,  denn  auch  selbst  in  jenen  Fällen,  wo  der  Arzt  vielleicht  ein 
grobes  Versehen,  wie  die  VerAvendung  eines  zersetzten  Narkotikums  oder 
sonstige  starke  Fehler  begangen  hat,  wird  man  noch  immer  nicht  mit 
Bestimmtheit  entscheiden  können,  ist  der  Kranke  an  den  Wir- 
kungen des  zersetzten  Narkotikums  gestorben,  denn  es  können 
Fülle  sich  ereignen,  wo  der  Kranke  auch  ohne  Narkose  in  demselben 
Moment  gestorben  wäre,  man  erinnere  sich  nur  an  jenen  Todesfall  bei 
der  ersten  Chloroformnarkose  Es  können  viele  andere  Momente  zugleich 
gewirkt  haben,  wie  Reflexe  von  den  Schleimhäuten,  Shoek,  Idio- 
synkrasie etc.,  und  wir  können  dieselben  doch  nicht  nachweisen.  Eben- 
so sind  viele  Narkosen  mit  unreinem  Narkoticum,  das  infolge  langer 
Aufbewahrung  zersetzt,  oder  unrein  war  infolge  der  Darstellung,  in  jenen 
Jahren  namentlich,  wo  die  Narkose  erst  auftauchte,  vorgenommen  worden, 
ohne  dass  die  Kranken  von  den  Zersetzungsprodukten  oder  Beimengungen 
getötet  worden  wären,  wenn  auch  Todesfälle  zweifellos  darauf  bezogen 
werden   müssen. 

Allein  diese  Momente  sind  für  den  Arzt  nicht  ein  Grund,  die 
Vorschriften  für  die  Narkose  zu  vernachlässigen.  Denn  wenn  er  auch 
in  vielen  Fällen  vielleicht  nicht  bestraft  werden  kann,  so  nimmt  er 
doch  eine  Last  auf  sich,  die  er  schwer  genug  empfinden  muss,  wenn 
er  sich  selbst  als  unparteiischer  Richter  sagen  muss,  er  trage  Schuld 
am  Tode  des  Kranken.  Zweifellos  ist,  dass  der  Arzt  bestraft  werden 
kann,  wenn  er  nachweisbar  leichtsinnig,  und  ohne  die  nötigen  Vor- 
bereitungen etc.  gehandelt  hat. 

Er  muss  aber  schon  dem  Kranken  gegenüber,  welcher  ihm  ein 
so  hohes  Vertrauen  entgegenbringt,  dass  er  ihm  sein  Leben  in  die 
Hand  gibt,   alles  tun,  um   dies  Vertrauen  zu  rechtfertigen. 

Was  nun  die  Schädigungen  des  Kranken  an  seiner  dauernden 
Gesundheit  durch  die  Narkose  anlangt,  so  kann  der  Arzt  der  fahr- 
lässigen Körperverletzung  leicht  angeklagt  und  eventuell  über- 
wiesen werden.  Wenn  wir  hier  an  die  Narkosenlähmungen  erinnern, 
so  haben  wir  ein  Beispiel,  wo  der  Patient  den  Arzt  direkt  verantwort- 
lich machen  kann.  Erstens  muss  der  Arzt  dafür  sorgen,  dass  solche 
Lähmungen  nicht  entstehen,  zweitens  muss  er  bei  dem  Entstehen  der- 
selben dafür  sorgen,  dass  dieselben  sofort  sachgemäss  behandelt 
werden,  damit  eine  Restitutio  ad  integrum  möglich  ist.  Hat  er 
beides  ausser  acht  gelassen,  und  ist  die  Lähmung  dadurch  unheilbar 
geworden,  so  hat  der  Kranke  einen  triftigen  Grund,  den  Arzt  zur  Ver- 
antwortung zu  ziehen.  Wir  werden  in  solchen  und  ähnlichen  Fällen 
bei  der  Abgabe  eines  Gutachtens  meist  nicht  umhin  können,  dem  Arzt 
die  ganze  Schuld  beizumessen.  Nun,  dank  der  Seltenheit  solcher  Er- 
eignisse, und  der  Unkenntnis  des  Publikums  wird  der  Arzt  nur  sehr 
selten  zur  Verantwortung  gezogen  werden.  Allein  er  muss  selbst  dazu 
beitragen,  dass  derartige  Fälle,  ohne  dass  er  eine  Schuld  trägt,  eintreten, 
und  er  kann  dies  sicher  vollbringen,  wenn  er  alle  die  Eventualitäten, 
die  mit  einer  Narkose  verknüpft  sein  können,  beachtet  und  nicht  leicht- 
sinnig handelt  mit  der  Ansicht,  dass  die  vielen  beschriebenen  Unfälle 
während    der  Narkose   nur  grosse   Seltenheiten   darstellten,  mit   deren 

3* 


-     36     - 

Eintritt  man  nicht  zu  rechnen  brauche.  Nur  mit  peinlichster  Sorgfalt 
im  ganzen  Handeln  von  Anfang  bis  Ende  der  Narkose,  und  steter  Beo- 
bachtung, und  regem  geistigen  Denken  kann  der  Narkotiseur  sein  Ge- 
Avissen  lauter  und  rein  erhalten.  Deshalb  ist  die  Narkose  eine 
Operation,  die  ebenso,  wie  jeder  schwere  chirurgische  Eingriff,  beachtet 
sein  will,  und  die  nicht  unter  die  unwichtigen  und  nebensächlichen 
Vornahmen  gerechnet  av erden  darf,  denn  der  Narkotiseur  trägt  eine 
nicht  geringere  Verantwortung  auf  seinen  Schultern,  als  der  Chirurg 
Avährend   einer  grossen   Operation. 

§  12.  Neben  den  eben  betrachteten  Verhältnissen  sind  jene 
beiden  Fragen,  wo  und  zu  Avelcher  Tageszeit  sollen  wir  narkotisieren? 
soAvohl  für  den  Kranken,  wie  für  den  Arzt  nicht  ohne  Interesse.  Wenn 
wir  zuerst  den  Ort,  wo  die  Narkose  stattzufinden  hat,  näher  betrachten 
AvoUen,  so  müssen  Avir  verschiedene  Verhältnisse  berücksichtigen.  Nehmen 
Avir  zunächst  an,  der  Kranke  sei  ZAvecks  Operation  in  ein  Krankenhaus 
gekommen.  In  diesem  Falle  stehen  dem  Arzte  besondere  Räume  für 
die  Operation  zur  Verfügung,  und  daselbst  muss  natürlich  auch  die 
Narkose  stattfinden.  Es  ist  nun  in  den  meisten  grösseren  Anstalten 
vorgesehen,  dass  die  Narkose  nicht  im  Operationszimmer  selbst  be- 
gonnen Avird,  sondern  man  verfährt  so,  dass  man  den  Kranken  in  einem 
fahrbaren  Bett  oder  auf  einem  Tisch  in  das  zum  Narkotisieren  bestimmte 
Vorzimmer,  das  neben  dem  Operationssaale  gelegen  ist,  bringt,  und 
daselbst  mit  der  Betäubung  beginnt.  Man  A^erhindert  dadurch,  dass  der 
eventuell  psychisch  schon  erregte  Kranke,  durch  den  Anblick  der 
verschiedenen  Vorrichtungen  und  Instrumente  etc.,  die  sich  im 
Operationssaal  befinden,  noch  mehr  erregt  wird.  In  dem  Vor- 
zimmer, welches  für  den  Beginn  der  Narkose  bestimmt  ist,  muss  Ruhe 
herrschen,  es  dürfen  nur  die  zur  Narkose  nötigen  Personen  zugegen 
sein,  kurz,  es  darf  darin  nichts  sein,  AA^as  den  Kranken  etwa  noch  mehr 
aufregen  könnte  (Mikulicz).  Die  Ruhe  Avirkt  sedativ  und  Avenn 
der  Kranke  die  Vorbereitungen  der  Operation  nicht  gewahr  wix'd,  so 
gewinnt  er  eine  grössere  Resignation  und  die  Ueberzeugung,  dass 
die  ganze  Operation  etc.  nicht  so  schlimm  und  gefährlich  sei,  Avie  er 
es  sich  gedacht  hat.  Der  beruhigende  Zuspruch  des  Arztes,  und 
der  Umstand,  dass  nicht  viel  besondere  Massregeln  getroffen  Averden, 
erhöhen  die  Ruhe  des  Patienten.  Nun  wird  die  Narkose  bis  zum  Be- 
ginn des  III,  Stadiums  geleitet,  und,  Avenn  das  Bewusstsein  des  Kran- 
ken geschAvunden  ist,  wird  er  in  den  Operationssaal  gebracht,  und  auf  den 
etwa  erforderlichen  Tisch  gelegt,  falls  dies  nicht  schon  im  Vorzimmer 
geschehen  war. 

Der  Operationssaal  ist  nun  der  Ort,  in  dem  die  Narkose  eigent- 
lich von  statten  geht.  Auf  die  Einrichtung  desselben  hat  die  Narkose 
nur  insoweit  Einfluss,  als  man  für  die  Narkose  eine  reine,  gute  Luft 
von  entsprechender  Temperatur  und  konstanter  Beschaffenheit 
fordern  muss.  Die  nötigen  Apparate  sind  an  anderer  Stelle  dieses 
Buches  erwähnt.  Ausserdem  muss  noch  den  etwaigen  Temperatur- 
verhältnissen des  Kranken  Beachtung  gezollt  Averden,  denn  man 
muss    eventuell   bei  sehr  langer  Narkose   und   starker   Abkül)lun<r 


—     37     — 

des  Kranken,  dpni.sclbcn  AVärnie  zufülircii  können,  was  entweder  durch 
Erhöhung  der  Lufttemperatur,  oder  durch  Heizen  des  Opera- 
tionstisches etc.   geschieht. 

Ganz  andere  Verhältnisse  herrschen  im  Privathause,  wo  der  prak- 
tisclie  Arzt  gezwungen  ist,  zu  narkotisieren.  Hier  stehen  oftmals  keine 
besonderen  Zimmer  zur  Verfügung,  und  so  muss  der  Arzt  sich  mit  einem 
Räume  begnügen.  Es  ist  auch  hierbei  zu  beachten,  dass  man  den 
Kranken  nicht  durch  die  Vorbereitungen  für  die  Operation  aufregt. 
Man  geht  am  besten  so  vor,  indem  man  zuerst  die  Luft-  und  Tempera- 
turverhältnisse im  Zimmer  regelt,  und  ein  für  die  Narkose  und  Opera- 
tion geeignetes  Lager  des  Kranken  herstellt,  w^as  leicht  aus  2  zusammen- 
gestellten Tischen  und  einigen  Kissen  geschieht.  Ehe  man  nun  die 
Instrumente  sterilisiert,  oder,  wenn  dies  schon  geschehen,  auspackt,  so 
beginnt  man  mit  der  Narkose,  indem  man  dieselbe  zuerst,  da  man  noch 
nicht  sterilisierte  Hände  hat,  selbst  leitet,  und  sie  dann,  wenn  man  die 
ersten  10  Minuten  dieselbe  beobachtet  hat,  einer  anderen  Person  über- 
gibt, welche  nun,  unter  des  Arztes  Aufsicht,  dieselbe  weiterführt,  d.  h. 
nichts  ohne  Wissen  und  Anordnung  des  Arztes  tut.  So  kann  man 
verhindern,  dass  der  Kranke  durch  die  Vorbereitungen  und  die  sonstigen 
Manipulationen  des  Arztes  noch  mehr  aufgeregt  Avird.  Es  lässt  sich 
auch  meist  im  Privathause  so  einrichten,  dass  man  ein  Zimmer  benützt, 
um  daselbst  die  Vorbeitungen  zur  Operation  etc.  vorzunehmen,  während 
man  in  dem  anderen  Zimmer  den  Kranken  zu  narkotisieren  anfängt. 
Natürlich  kann  man  für  die  Verhältnisse  im  praktischen  Leben  keine 
feststehenden  Vorschriften  in  dieser  Hinsicht  aufstellen,  nur  das  muss  be- 
tont u.nd  hervorgehoben  werden,  dass  der  Arzt  bemüht  ist,  den  Kran- 
ken vor  Beginn  der  Narkose  möglichst  wenig  dadurch  aufzuregen,  dass 
er  ihm  die  Vorbereitungen  für  die  Operation,  das  Auswählen 
und  Kochen  der  Instrumente  etc.  sehen  und  hören  lässt.  Je  ruhiger 
die  Umgebung  des  zu  narkotisierenden  Kranken  ist,  um  so  leichter 
wird  die   Narkose   eintreten  und  verlaufen. 

Diese  Verhältnisse  können  nicht  genügend  betont  werden,  denn 
sie  werden  tatsächlich  in  der  Praxis  noch  viel  zu  wenig  beachtet,  und 
der  Arzt  empfindet  viel  zu  wenig  mit  seinen  Kranken,  sonst  würde  er 
schon  aus  Mitgefühl  und  Erbarmen  mit  dem  angsterfüllten  Gemüt  der 
armen  Kranken  diese  Punkte  mehr  berücksichtigen.  Es  bedarf  nur  der 
Probe,  um  jeden  zu  überzeugen,  wieviel  leichter,  schneller  und 
ohne  jede  Excidation  die  Narkose  eintritt  und  verläuft  bei  einem 
Kranken,  welcher  psychisch  beruhigt  ist,  als  bei  einem  solchen,  den 
man  noch  durch  die  genannten  Vornahmen  aufgeregt  hat. 

So  ist  es  auch  um  so  mehr  dem  Kranken  anzuraten,  sich  in  einer 
Klinik,  oder  in  einem  Krankenhause,  wenn  es  möglich  ist,  operieren 
zu  lassen,  schon  aus  dem  Grunde,  neben  vielen  anderen  natürlich,  dass 
daselbst  mehr  Gelegenheit  zu  einer  sachgemässeren  Behandlung  des 
Kranken  hinsichtlich   der  Narkose  gegeben   ist. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  der  Frage  zu,  zu  welcher  Zeit  wir 
eine  Narkose  am  besten  vornehmen,  so  müssen  wir  von  Anfang  an 
uns    klar    sein,    dass  natürlich  nur  diese  Fälle   hier  zur  Erörterung  ge- 


-     38     — 

langen,  welche  eine  Operation  und  Narkose  verschieben  lassen  auf  eine 
vom  Arzt  zu  bestimmende  Zeit,  und  nicht  eine  sofortige  Vornahme  der- 
selben fordern.  Steht  es  uns  frei,  eine  Zeit  zu  bestimmen,  so  ist  es 
der  Morgen  bis  zum  Mittag,  welcher  am  besten  für  die  Narkose  ge- 
eignet ist.  Der  Grund  liegt  erstens  im  Kranken  und  dessen  Befinden. 
Der  Patient  hat  am  Morgen  eine  grössere  Menge  Kraft  zur  Verfügung, 
denn  er  hat  körperlich  wie  psychisch  geruht  während  der  vorher- 
gehenden Nacht.  Er  erwacht  früh,  nachdem  er  entAveder  infolge  von 
Schlafpulvern  oder  wegen  Ermüdung  geschlafen  hat,  gestärkt  und  er- 
frischt, und  ist  somit  widerstandsfähiger  als  z.  B.  am  Nachmittag, 
Avo  er  einen  halben  Tag  schon  hinter  sich  hat.  Es  ist  dies  nicht  ohne 
Einfluss  auch  für  die  Narkose,  da  es  auch  am  Morgen  dem  Kranken 
leichter  fällt,  wenig  Speise  zu  sich  zu  nehmen,  denn  da  er  die  Nacht 
geschlafen,  hat  er  leeren  Magen,  und  braucht  nicht  noch  lange  zu  fasten, 
was  oftmals  ziemlich  lästig  empfunden  wird.  So  bleibt  ihm  alles  das 
Unangenehme,  das  damit  verbunden   ist,   erspart. 

Wenn  man  nun  noch  einen  Umstand  bedenkt,  nämlich  den,  dass 
man  dem  Kranken  nicht  den  Zeitpunkt,  Tag  und  Stunde  der  Opera- 
tion vorher  mitteilt,  so  hat  der  Kranke  die  Nacht  ohne  Angst  gut  ge- 
schlafen, da  er  meint,  die  Operation  sei  vielleicht  erst  am  nächsten 
Tage.  Wenn  man  ihm  nun  am  Morgen  kurz  vor  Beginn  der  Narkose 
mitteilt,  dass  die  Operation  heute  stattfindet,  so  hat  man  ihm  die  Angst 
und  Aufregung  vorher  in  der  Hauptsache  erspart.  Die  ungestörte 
Nachtruhe,  das  daraus  hervorgehende  Kräftegefühl  etc.  gibt  dem  Patien- 
ten  auch  grösseren  Mut. 

Ein  weiterer  Umstand,  weshalb  man  besser  am  Morgen  narkoti- 
siert, ist  in  dem  Verhalten  und  Befinden  des  Arztes  selbst  gegeben. 
Er  ist  am  Morgen  natürlich  ebenfalls  kräftiger  und  leistungsfähiger, 
als  an  späteren  Zeiten  des  Tages,  wo  schon  durch  vorhergegangene 
Arbeiten  und  Anstrengungen  die  psychische,  wie  physische  Kraft 
geschwächt  ist.  Dies  muss  doch  beachtet  werden,  auch  wenn  es  nicht 
sehr  von  Gewicht  ist,  denn  der  Arzt  muss  eben  zu  jeder  Zeit  ein 
ganzer  Mann  sein,  der  all  seine  Kenntnisse  und  technische  Fertig- 
keiten in  jedem  Moment  seines  Lebens,  nachts,  wenn  er  aus 
dem  Schlafe  geweckt  wird,  und  am  Tage,  wenn  er  die  Patienten  be- 
handelt, richtig  und  zu  Gunsten  des  Kranken  verwertet,  es  darf  ihn 
daher  auch  nicht  Müdigkeit  und  Abspannung  nach  des  Tages  Arbeit 
bei  seiner  Tätigkeit  beeinflussen,  wenigstens  muss  er,  wenn  er  nicht 
mehr  in  den  widerstandsfähigen  Jahren  seines  Lebens  sich  befindet, 
einen  derartig  viel  vom  Arzt  verlangenden  Beruf,  wie  der  des  Narko- 
tiseurs  es  ist,  nicht  mehr  ausüben  wollen.  Tut  er  es,  so  muss  er  eben 
in  jedem  Augenblick  das  Beste  leisten.  Aber  dennoch  kann  er  bei 
sehr  langen  Narkosen,  die  ihn  vielleicht  mehr  in  Anspruch  nehmen  als 
kurze,  dieses  Moment  berücksichtigen,  und  dieselben  am  Morgen  vor- 
nehmen, da  man  ihm  doch  nicht  verübeln  kann,  wenn  er  seine  geis- 
tigen und  körperlichen  Kräfte  nach  Möglichkeit  schont.  Und  dies  kann 
er  tun,  wenn  er  so   die  Tageszeit  wählt. 

Allerdings  wird  es  nur  in  dem  geringeren  Teile  aller  Fälle  mög- 


—     39     - 

lieh  sein,  eine  bestimmte  Zeit  für  die  Narkose  zu  wählen.  Wo  es  geht, 
soll  man  nach  obigem  verfahren,  wie  es  ja  auch  in  den  meisten  chi- 
rurgischen Kliniken  der  Fall  ist,  in  den  Fällen,  die  zu  anderer  Zeit 
eine  Narkose  fordern,  muss  sie  natürlich  vorgenommen  werden,  aber 
wir  haben  dann  auch  für  solche  Fälle  Zeit,  da  wir  die  anderen  Nar- 
kosen am  Vormittag  schon  vollbracht  haben.  Somit  ist  das,  was  für 
den  Tag  bestimmt  war,  früh  getan,  und  man  kann  die  übrige  Zeit  des 
Tages  für  andere  Z-afälle  verwenden. 

§  13.  Wenden  wir  uns  nun  zu  der  Zeitdauer  der  Narkose! 
Es  ist  nicht  möglich,  eine  bestimmte  Angabe  zu  machen,  wie  lange 
eine  Narkose  dauern  darf.  Es  hängt  ganz  von  den  organischen 
Verhältnissen  des  Individuums,  von  den  pathologischen  Zu- 
ständen, von  den  Narkotika,  von  der  Methode  der  Narkose,  und 
von  vielem  anderem  mehr  ab,  wie  lange  man  eine  Betäubung  ausdehnen 
darf.  Man  hat  bereits  Narkosen  von  4  Stunden  Dauer,  und  noch 
länger  vorgenommen,  ohne  dass  der  Kranke  auch  nur  die  geringste 
Schädlichkeit  erlitten  hätte.  Wenn  wir  hier  einmal  kurz  die  Ge- 
fahren einer  sehr  lange  dauernden  Narkose  bedenken  wollen,  so  müssen 
Avir  vor  allen  Dingen  die  Kraft  und  Gesundheit  des  Herzens  er- 
wägen, denn  der  Haupteinfluss  ist  in  Veränderungen  des  Herzens  und 
seiner  Tätigkeit  zu  erwarten.  Ist  das  Herz  von  vornherein  völlig 
gesund,  so  wird  auch  während,  und  nach  sehr  lange  Zeit  dauernden 
Narkosen  in  den  seltensten  Fällen  eine  Veränderung  an  demselben  ver- 
spürt werden ,  allerdings  hat  man  bei  einzelnen  Narkotika  z.  B. 
dem  Chloroform  an  Tierversuchen  durch  die  lange  Einwirkung 
des  Narkotikums  eine  Verfettung  des  Herzens  beobachtet  (Oster- 
tag,  Ungar,  Ajello,  Verf.  etc.). 

Es  ist  auch  dann  beobachtet  worden,  wenn  gar  kein  Verdacht 
einer  bestehenden  Disposition  des  Myocards  zur  fettigen  Degenera- 
tion vorlag,  und  so  ist  man  zu  der  Ueberzeugung  gelangt,  dass  einige 
Narkotika  mehr  wie  die  anderen  mit  der  Länge  der  Einwirkung  eine 
fettige  Degeneration  im  Herz  erzeugen  können.  Neben  dem 
Herzen  sind  es  die  Nieren,  welche  ebenfalls  oft  beeinflusst  Averden, 
und  fettige  Degeneration  erleiden.  Man  kann  dies  auch  da  an- 
nehmen, wo  man  nach  der  Narkose  eine  Beimengung  von  Eiweiss  im 
Harn  findet.  Diese  Albuminerie  verschwindet  nach  einiger  Zeit 
wiedei",  die  fettige  Degeneration  war  nur  im  Beginn,  und  ist  wieder 
verschwunden. 

Wenn  nun  auch  nicht  in  allen  Fällen,  wo  Eiweiss  im  Harn 
nach  einer  Narkose  auftritt,  eine  beginnende  fettige  Degeneration 
anzunehmen  ist,  es  können  auch  Nephritiden  etc.  vorliegen,  so  ist 
doch  aus  den  häufigen  Berichten  von  derartigen  Befunden  zu  schliessen, 
dass  die  Einflüsse  einer  langen  Narkose  auf  die  Nieren  sehr  häufig, 
vielleicht  häufiger,  als  die  Veränderungen  des  Herzens  sind  (St rass- 
mann, Ungar,  Schmey,  Ostertag ,  Rindskopf,  Käst  und 
Mester   etc.). 

So  sind  es  eine  grosse  Menge  von  Gefahren  neben  den  hier  ge- 
nannten,   die  als  die  wichtigsten  hervorgehoben  wurden,  die  einer  sehr 


—     40     - 

lange  Zeit  dauernden  Narkose  folgten.  Allein  man  hat  auch  viele  Fälle 
beobachtet,  wo  eine  .schwere  Schädigung  der  Organe  nicht  die 
Folge  war.  Es  kommen  natürlich  ausser  den  Einflüssen  des  Narkoti- 
kums eine  Menge  anderer,  wie  die  Disposition,  Alter,  Krankheit 
etc.  in  Betracht,  so  dass  es  eigentlich  schwer  erscheint,  mit  Bestimmt- 
heit eine  etwa  auftretende  fettige  Degeneration  als  Folge  der  Nar- 
kotikumwirkung hinzustellen.  Wie  dem  nun  auch  sei,  wenn  auch 
andere  ursächliche  Momente  mitwirken,  die  Narkose  hat  ohne  Z^^eifel 
mit  Schuld  an  dem  Auftreten  derartiger  Veränderungen.  Es  ist  daher 
die  Pflicht  des  Arztes,  zu  erwägen,  wie  weit  dieser  oder  jener  Um- 
stand in  Betracht  kommt. 

Er  muss  erstens  den  Körper  ganz  genau  kennen,  und  muss 
wissen,  ob  eine  beginnende  fettige  Degeneration  in  einem  oder  dem 
anderen  Organe  etwa  vorhanden  ist,  denn  dieselbe  würde  natürlich 
schwer  ins  Gewicht  fallen,  und  eine  Verschlimmerung  derselben  würde 
durch  eine  lange  Narkose  sehr  wahrscheinlich  sein.  Ferner  muss  er 
bedenken,  wie  weit  die  Krankheit  an  sich  begünstigend  für  die  üblen 
Wirkungen  in  Betracht  kommt.  So  sehen  wir,  dass  eine  Menge  von 
Verhältnissen  mit  sprechen  bei  einer  sehr  langen  Narkose.  Und  wenn 
wir  nun  ein  Urteil  haben  wollen,  welches  einen  Zeitpunkt  festsetzt,  so 
müssen  wir  in  dem  jeweiligen  Falle  vor  allem  zu  erfahren  suchen,  in 
wieweit  jene  Nebenursachen  einer  etAva  resultierenden  schweren 
Schädigung  des  Organismus,  wie  es  z.B.  die  fettige  Degene- 
ration darstellt,  in  Betracht  kommen.  Erst  dann,  wenn  alle  diese  aus- 
zuschliessen  sind,  dann  können  wir  annehmen,  dass  eine  mehrere  Stunden 
dauernde  Narkose  ohne  Schaden  ertragen  werden  kann.  Im  anderen 
Falle  müssen  wir  nach  den  vorhandenen  Nebenumständen  ein  Urteil 
fällen,  wie  lange  die  Narkose  dauern  darf.  Aus  demselben  muss  es 
sich  auch  ergeben,  welches  Narkotikum  für  die  Narkose  zu  verwenden 
sein  wird,  denn  das  eine  wird  weniger  starke  Einflüsse  auf  die  jeweilig 
vorhandenen  pathologischen  Veränderungen  ausüben,  als  das  andere. 
Deshalb  müssen  wir  genau  das  Verhalten  derselben  zu  den  organischen 
Veränderungen,  welche  hauptsächlich  in  Betracht  kommen,  wie  Herz- 
und  Nierenerkrankungen,  fettige  Degeneration  derselben  Or- 
gane, Lungenkrankheiten  etc.  kennen,  um  in  jedem  Falle  das 
richtige  Narkotikum  zu  wählen.  Wenn  alle  diese  Umstände  Berück- 
sichtigung finden,  und  die  entsprechenden  Kenntnisse  sowohl  der  patho- 
logischen Veränderungen,  wie  deren  Beziehungen  zu  den  Wirkungen  der 
einzelnen  Narkotika  auf  den  Organismus  von  uns  vollkommen  beherrscht 
werden,  so  werden  wir  in  jedem  Falle  zum  Wohle  des  Kranken  das 
richtige  Urteil  in  Bezug  auf  Wahl  des  Narkotikums  etc.  auch  bei 
sehr  lange  dauernder  Narkose  fällen.  Es  kann  eine  kurze  Narkose 
selbst  bei  anscheinend  ganz  normalem  und  gesundem  Organismus 
doch  den  Tod  des  Individuums  hervorrufen,  und  es  kann  wiederum  eine 
andere  Person  eine  sehr  lange  Narkose  gut  überstehen,  obwohl  man 
dies  wegen  des  anscheinend  geringen  Kräftezustandes  nicht  er- 
wartet hätte.  Aber  trotz  all  der  unvorherzusehenden  Eingriff'e  des 
waltenden  Schicksals,  sind  wir  doch  in  der  Lage,  mit  Kunst  und  Wissen- 


-    11    — 

Schaft  in  jodcin  Falle  das  viclitigc  zu  leisten.  So  können  wir  in  jedem 
Falle  die  I^änge  der  Narkose  schätzen,  und  nach  der  Untersuchung 
des  Kranken   entscheiden,   ob   er  sie   ertragen   wird. 

Man  kann  natürlich  eine  Narkose  nicht  ad  infinit  um  ausdehnen. 
So  haben  wir  ja  gesehen,  dass  eine  konstante  Einwirkung  eines 
bestimmt  konzentrierten  Narkotikumdampfluftgemisches  in  be- 
stimmter Zeit  bei  einem  Hund  z.  B.  zum  Tode  führt.  Es  besteht  das- 
selbe beim  Menschen.  Die  Länge  der  Narkose  richtet  sich  natürlich 
nach  der  Konzentration  des  Narkotikumluftgemisches,  welches 
der  Mensch  einzuatmen  bekommt.  Würden  wir  diese  Konzentration 
nicht  ändern,  so  würde  in  zu  berechnender  Zeit  der  Exitus  letalis 
eintreten.  Je  geringer  die  Konzentration,  um  so  länger  muss 
dieselbe  einwirken,  bis  der  Tod  eintritt.  Darnach  Hesse  sich  bestimmen, 
wie  lange  die  Narkose  bei  jedem  Narkotikum  in  bestimmter  Konzen- 
tration der  zuzuführenden  Dampfluftgemische  möglich  ist,  und  dies  ist 
geschehen.  Jedoch  die  Zahlen  haben  hier  keinen  Wert,  weil  wir  doch 
dem  Kranken  nicht  ein  Luft-Narkotikumdampfgemisch  von  gleich- 
bleibender Konzentration  verabreichen,  sondern  dasselbe  bei  Ein- 
tritt der  Toleranz  vermindern,  und  bei  etwa  eintretendem  Erwachen 
des  Patienten  die  Konzentration  erhöhen. 

Man  hat  lange  Narkosen  verwendet  bei  Krampfzuständen, 
Tetanus,  Eklampsie  etc.  Doch  bei  derartigen  Fällen  hat  man  von 
den  Narkosen  wenig  gutes  gesehen,  weil  eben  so  lange  Einwirkung 
des  Narkotikum's  für  verschiedene  lebenswichtige  Organe  des  Organismus 
nachteilig  ist. 

Ebenso  hat  mau  bei  sehr  lange  dauernden  Entbindungen  Nar- 
kose verwendet.  Obgleich  diese  Narkosen,  die  von  vornherein  für 
mehrere  Stunden  beabsichtigt  sind,  sei  es,  um  die  Ankunft  eines  anderen 
Arztes  abzuwarten,  oder  aus  anderen  Gründen,  nur  sehr  oberfläch- 
liche waren,  und  nur  eben  das  Bewusstsein  trübten,  und  so  die  Schmer- 
zen milderten,  so  waren  dieselben  doch  nicht  ohne  Nachteil  für  Mutter 
wie  Kind.  Die  Frau  kann  durch  vorhergegangenen  Blutverlust  den 
bekannten  Gefahren  beim  Hinzukommen  der  Narkose  ausgesetzt  werden, 
das  Kind  untersteht  ebenfalls  den  schwersten  Gefahren  dadurch, 
dass  mit  der  langen  Dauer  der  Narkose  Narkotikummengen  vom  Blute 
der  Mutter  auch  in  den  kindlichen  Kreislauf  übergehen  (Zweifel). 
Wenn  auch  diese  Mengen  nur  geringe  sind,  so  genügen  sie  doch,  den 
noch  sehr  wenig  widerstandsfähigen  embryonalen  Organismus  zu 
vernichten,  das  Kind  schwebt  oftmals  in  grosser  Gefahr  zu  sterben. 
Deshalb  sind  allzulange,  und  vor  allen  Dingen  auch  sehr  tiefe  Nai'- 
kosen  bei  einer  Kreissenden  zu  unterlassen.  Eine  kurze  Narkose 
hat  hingegen  keine  besonderen  Gefahren  für  Mutter  und  Kind,  wenn 
nicht  besondere  Umstände  vorliegen,  zumal  ja  das  Weib  während  der 
Entbindung  ungeheuer  leicht  zu  narkotisieren  ist,  es  ist  sehr  wenig 
widerstandsfähig  gegen  die  narkotischen  Wirkungen,  so  dass 
man  schon  mit  ganz  geringen  Mengen  des  Narkotikums,  die  dasselbe 
Weib  in  normalem  Zustande  noch  nicht  zu  narkotisieren  vermögen,  eine  tiefe 
Narkose   erreicht,   die   die   zur  Operation  nötige  Anästhesie   hervorruft. 


-      42     — 

Die  Dauer  der  Narkose  ist  aber  auch  je  nach  den  Narkotika, 
welche  man  verwendet,  verschieden.  Dies  wird  bei  der  Behandlung 
eines  jeden  Narkotikums  im  speziellen  Teil  erörtert  werden.  Manche 
Narkotika  rufen  bekanntlich  nur  wenige  Minuten  lange  Narkosen  her- 
vor, während  man  andere  zu  stundenlangen  Betäubungen  verwenden  kann. 

§  14.  Neben  diesen  Verhältnissen  finden  wir  wichtige  Beziehungen 
zwischen  den  Wirkungen  mehrerer  kurz  aufeinanderfolgender 
Narkosen. 

Es  ist  von  grosser  Bedeutung,  diese  Einwirkungen  zu  kennen. 
Der  Arzt  wird  gar  oft  im  alltäglichen  Leben  vor  die  Eventuali- 
tät gestellt  werden,  heute  zu  narkotisieren,  z.  B.  wegen  einer  genauen 
Untersuchung,  die  der  Kranke  nicht  ohne  Narkose  aushalten  kann,  und 
am  nächsten  Tage  wieder  eine  Narkose  einzuleiten  an  derselben  Person, 
vielleicht  um  die  Operation  vorzunehmen.  In  anderen  Fällen  kann  es 
nötig  sein,  dass  mehrere  Operationen  hintereinander  ausgeführt  werden, 
welche  nicht  an  einem  Tage,  und  während  einer  Narkose  vorge- 
nommen werden  können.  Wenn  wir  eben  sagen  konnten,  dass  man 
eine  Narkose  oftmals  ohne  Schaden  für  den  Kranken  bis  zu  mehreren 
Stunden  ausdehnen  darf,  so  gilt  für  das  Wiederholen  von  Narkosen 
innerhalb  kiirzer  Zeit,  1 — 2  Tage  und  eventuell  länger  der  Satz, 
dies  nach  Möglichkeit  zu  unterlassen,  da  derartige  Wiederholungen 
von  Narkosen  den  Körper  meist  schwer  schädigen. 

Auch  in  dieser  Beziehung  haben  wir  mit  Unterschieden  nach 
der  Art  der  Narkotika  zu  rechnen.  Jedoch  als  eine  allgemeine 
Kegel  muss  für  jede  Narkose  folgendes  gelten.  Hat  man  eine  Person 
narkotisiert,  so  steht  diese  Person  noch  einige  Zeit  nach  Beendigung 
der  Narkose  unter  dem  Einfluss  des  Narkotikums.  Je  tiefer  und 
länger  die  Betäubung  war,  um  so  längere  Zeit  dauert  die  Wirkung 
nach,  und  zwar  solange,  bis  die  letzte  Menge  des  Narkotikums, 
welches  in  mehr  oder  minder  grossen  Mengen  im  Körper  aufgestapelt 
war,  aus  dem  Organismus  ausgeschieden  ist.  Man  hat  für  diese 
Zeit  2 — 3  Tage  anzunehmen. 

Das  subjektive  Befinden  des  Kranken,  ev.  der  Nachweis  des  Nar- 
kotikums im  Harn  oder  in  der  Exspirationsluft,  gibt  den  Zeitpunkt 
an,  wann  das  Narkotikum  nicht  mehr  im  Organismus  vorhanden  ist. 
Aber  diese  Zeit  des  Einflusses  des  Narkotikums  reicht  noch  ev.  über 
den  Zeitpunkt,  wo  das  Narkotikum  den  Körper  wieder  vollkommen  ver- 
lassen hat,  Aveit  hinaus,  denn  die  Veränderungen,  welche  durch  das 
Narkotikum  in  verschiedenen  Organen  hervorgerufen  werden,  nehmen 
wir  z.  B.  eine  fettige  Degeneration  im  Herzfleisch  an,  können 
nicht  in  so  kurzer  Zeit  ad  integrum  zurückgegangen  sein.  Es  kann 
1  Woche  und  länger  dauern,  bis  die  letzten  Folgen  der  Einwirkung 
des  Narkotikums  verschwunden  sind.  Wenn  man  nun  während  dieser 
Zeit,  wo  eine  solche  Veränderung  z.  B.  eine  durch  die  Narkose  erzeugte 
Avenn  auch  erst  beginnende  fettige  Degeneration  noch  besteht, 
eine  neue  Narkose  womöglich  noch  mit  demselben  Narkotikum 
vornimmt,  so  ist  es  doch  klar,  dass  die  Veränderung,  die  fettige  De- 
generation,   durch    die  erneute  Einwirkung  des   Giftes,   das  die- 


-     43     — 

selbe  liorvorricf,  weiter  im  Eiitfstehen  und  Umsicligreif'eii  an  gereji,'!,  und 
begünstigt  wird. 

So  verhält  es  sich  in  jeder  Hinsicht  mit  den  Wirkungen  der  Nar- 
kotika, und  es  sind  Fälle  beobachtet,  wo  eine  zweite  Narkose,  welche 
in  kurzer  Zeit  einer  vorhergehenden  folgte,  den  Tod  des  betreffenden 
Individuums  zur  Folge  hatte.  Wenn  auch  nicht  immer  ein  letaler 
Ausgang  folgt,  so  drohen  schwere  Krankheiten  etc.,  die  sich  als 
Folgen  gar  bald  nachher  zeigen.  Deshalb  ist  es  die  Pflicht  des  Arztes, 
die  Wiederholung  einer  Narkose  möglichst  zu  vermeiden  innerhalb 
kurzer  Zeit.  Jedenfalls  muss  ein  Zeitraum  vergehen,  in  welchem  man 
annehmen  kann,  dass  etwa  entstandene  pathologische  Folgezustände 
der  Narkotikumwirkungen  zur  normalen  Beschaffenheit  des  betroffenen 
Organes  abgeheilt,  und  zurückgegangen  sind.  Natürlich  sind  hierbei 
die  individuellen  Verhältnisse  massgebend,  man  muss  sieh  den 
Kranken  in  Bezug  auf  etwaige  Narkotikumschädigungen  ansehen.  Allein 
auch  wenn  der  Patient  ganz  unbeeinflusst  erscheint  durch  das  Narko- 
tikum, man  lasse  stets  die  Zeit,  wenn  irgend  möglich,  vergehen,  während 
welcher  noch  Narkotikummengen  im  Organismus  vorhanden  sind.  Ist 
dennoch  neue  Narkose  nötig,  so  muss  man  eben  untersuchen,  ob  die 
Wahrscheinlichkeit  einer  Schädigung  durch  die  Narkose  grösser  oder 
kleiner  ist,  als  die  Schädigung  des  Kranken  beim  Unterlassen  und 
Verschieben  der  Narkose  auf  einen  anderen  Zeitpunkt.  Wenn  irgend 
möglich,  vermeide  man  eine  so   rasche  Wiederholung. 

Man  hat  diese  Behauptungen  durch  Tierexperimente  be- 
kräftigt. Wenn  man  ein  Tier  mehrere  Male  schnell  hintereinander  be- 
täubt, und  zwischen  jeder  Narkose  nur  soviel  Zeit  lässt,  bis  das  Tier 
völlig  erwacht  ist,  so  wurden  in  90  "/o  aller  Fälle  schwere  Organ- 
veränderung, als  fettige  Degeneration  in  Herz  und  Nieren  ge- 
funden (Verf.)  Wenn  auch  diese  Versuche  mit  Chloroform  ange- 
stellt waren,  so  gilt  das  gleiche  für  alle  anderen  Narkotika.  Denn  bei 
dem  Aether  haben  wir  Lungenaffektion  en  zu  fürchten  und  bei 
andern  Narkotika  Her  zerk  i*ankungen  etc.  So  hat  jedes  Narkotikum 
seine  Beziehung  zu  wichtigen  Organen,  das  eine  mehr  zum  Herz,  das 
andere  zur  Lunge,  als  dritte  zur  Niere  etc.  Es  ist  nun  keineswegs 
dieser  Nachteil  der  narkotischen  Wirkung  zu  umgehen  dadurch,  dass 
man  bei  einer  zweiten  Narkose  ein  anderes  Narkotikum  verwendet. 
Oftmals  ist  dies  nicht  möglich,  und  in  anderen  Fällen  ist  dieselbe  ungüns- 
tige Wirkung  auch  dieses  Mittels  vorhanden  und  nachzuweisen.  Es 
kommt  sogar  vor,  dass  das  zweite  Narkotikum,  obwohl  es  die  Be- 
ziehungen des  ersten  zu  einem  Organe  nicht  teilt,  doch  im  Sinne  des 
ersteren,  die  Veränderungen  begünstigend,  wirkt.  Drr  Arzt  muss  daher 
bei  der  Behandlung  seines  Kranken  vorher  einen  genauen  Plan  aus- 
arbeiten, genau  wie  der  Feldherr  einen  Kriegsplan  vorher  festgesetzt 
haben  muss,  nach  welchem  er  von  Anfang  an,  und  auch  nach  den 
ersten  Schlachten  handelt.  Der  Arzt,  welcher  eine  Kranke  wegen  einer 
genaueren  Untersuchung  narkotisiert,  muss,  da  er  ja  die  Diagnose 
schon  vorher  bis  zu  einem  gewissen  Grade  wissen  muss,  ehe  er  eine 
solche  Untersuchung  vorschlägt,    auch  schon  die  Erlaubnis  sich  erwirkt 


—     44     - 

haben,  die  Kranken,  sofort  iiaclidem  er  die  Untersuchung  beendet  hat, 
zu  operieren,  wenn  die  Operation  überhaupt  nötig  ist.  Tut  er  es  nicht, 
so  muss  er  mit  der  Operation  wenigstens  8  Tage  warten.  Er  erspart 
aber  seine-r  Kranken  durch  obiges  Handeln  eine  Narkose,  und  das 
heisst  eine  Lebensgefahr,  denn  jede  Narkose  stellt  eine  solche  dai', 
in  jeder  Narkose  kann  der  Tod  den  Kranken  als  Opfer  fordern.  So- 
mit sollte  man  stets,  auch  aus  diesem  Grunde  neben  der  Gefahr,  welche 
die  Wiederholung  einer  Narkose  überhaupt  bietet,  die  Operation  an  die 
Untersuchung  in  Narkose   anschliessen. 

Wie  steht  es  nun  mit  jenen  Operationen,  welche  wie  die  plas- 
tischen Operationen  im  Gesicht,  eine  häufige  Narkose  erfordern? 
Nun  hier  wird  stets  Gelegenheit  genügend  gegeben  sein,  solange  Zeit 
zwischen  2  Narkosen  verstreichen  zu  lassen,  dass  man  eine  noch  vor 
der  vorherigen  Narkose  bestehende  Affektion  innerer,  parenchy- 
matöser Organe  als  noch  bestehend  ausschliessen  oder  als  noch  nicht 
eingetreten  ansehen  kann,  Avas  letzteres  aus  der  Beobachtung  hervor- 
gegangen sein  wird.  Wie  natürlich  auch  hier  eine  entsprechende 
Wahl  des  Narkotikums,  exakte  Methode,  Dosierung,  und  vor 
allem  genaue  Beobachtung  aller  Momente  vor,  während  und 
nach  der  Narkose  grosses  leisten  können,  und  Gefahren  zu  überwinden 
helfen,  zeigt  ein  von  uns  beobachteter  Fall,  wo  ein  Herzfehler, 
eine  Mitralinsuficienz,  die  zeitweise  nicht  kompensiert,  jedenfalls 
für  die  Narkose  gefährlich  war,  bestand,  und  zwar  bei  einem  sonst 
kräftigen  jungen  Mädchen,  bei  dem  wir  innerhalb  10  Tagen  zwei 
Narkosen  vornehmen  mu.ssten,  wegen  einer  Gallensteinoperation. 
Obwohl  diese  beiden  Operationen  lange  Zeit  in  Anspruch  nahmen,  so 
zeigte  sich  doch  keine  üble  Nachwirkung  nach  den  Narkosen, 
weder  der  ersten,  noch  der  10  Tage  später  vorgenommenen  zweiten 
(Verf.).  Es  wäre  ja  in  diesem  Falle  nur  eine  Verschlimmerung  des 
Herzfehlers  zu  befürchten  gewesen,  da  das  iugendliche  Alter  eine  fettige 
Degeneration  au  parenchymatösen  Organen  nicht  wahrscheinlich  machte 
in  anbetracht  aller  körperlichen  Verhältnisse,  doch  auch  die  schAvere 
Erkrankung  des  Herzens  war  ohne  üblen  Einfluss  der  Narkose 
geblieben.  Jedenfalls  kann  man  in  solchen  Fällen  die  Herzfehler  mit 
weniger  Furcht  einer  Verschlimmerung  betrachten,  sofern  nur  alle  nötigen 
Beziehungen  zwischen  Narkotikum  resp.  Narkose  und  Herzfehler  genau 
beachtet  werden.  Man  sieht  hieraus,  dass  alle  die  angeführten  Ge- 
fahren Avohl  überwunden  werden  können  mit  den  bekannten  Hilfsmitteln 
des  Narkotiseurs.  Doch  der  Arzt  muss  dieselben  kennen,  um  sie  ver- 
meiden zu  können,  oder  wenigstens  bei  deren  Eintritt  nicht  überrascht 
zu  sein,  und  dann  die  richtigen  entsprechenden  Gegenmassregeln  zu  er- 
greifen. 

§  15.  Es  sollen  hier  noch  einige  Beziehungen  zwischen  Narkose 
und  Operation  erwähnt  und  besprochen  werden,  welche  bisher  noch  nicht 
erörtert  werden  konnten.  Die  Operationen  üben  oftmals  einen  ganz  be- 
deutenden Einfluss  aus  auf  den  Verlauf  der  Narkose,  nicht  nur  hinsicht- 
lich der  Beeinflussung  der  Vitalität  durch  die  Operation,  sondern  auch 
hinsichtlich      direkter      nervöser     Einflüsse     derselben.       In      dieser 


-"     45     — 

Hinsicht  müssen  wir  zunächst  die  Operationen  der  Schilddrüse  in 
Betracht  ziehen.  Es  ist  bekannt,  dass  diese  Operationen  einen  sehr 
gefährlichen  Charakter  besitzen,  und  man  weiss,  dass  während  der- 
selben ungleich  häufiger,  als  bei  anderen  Opei'ationen,  ebenfalls  in  der 
Gegend  des  Kehlkopfes,  am  Halse  etc.,  Apnöeanfälle  auftreten, 
und  die  sofortige  Tracheotomie  erfordern,  aber  bei  denen  oftmals, 
trotz  bester  Technik  der  Narkose,  plötzlicher  Exitus  letalis,  sei 
es  als  Apnoe,  sei  es  als  Herzsynkope,  eintritt.  Ein  Moment,  welcher 
grosse  Gefahren  auch  während  der  Narkose  hervorrufen  kann,  liegt  in 
dem  grossen  Blutverlust  während  der  Operation.  Da  derselbe  oft- 
mals ganz  enorm  gross  und  sehr  plötzlich  eintretend  ist,  so  kann  wohl 
eine  Gefahr  wahrscheinlich  werden,  wenn  man  bedenkt,  dass  die  Nar- 
kose an  sich  schon  mehr  oder  weniger  den  Blutdruck  herabsetzt, 
und  derselbe  jetzt  noch  durch  die  schnell  verminderte  Blutmenge 
ganz  bedeutend  vermindert  wird. 

Ferner  hat  man  einen  direkten,  das  Volumen  der  Trachea 
verengernden  Einfluss  von  grossen  Tumoren  der  Schilddrüse  zu 
beobachten  Gelegenheit,  und  man  kann  dadurch  wohl  den  Eintritt  einer 
Apnoe    annehmen. 

Last  not  least  kommen  aber  doch  noch  andere  Momente  in  Be- 
tracht, welche  das  geradezu  höchst  schlechte  Resultat  der  Statistik  der 
Unfälle  bei  diesen  Erkrankungen  liefern  und  verursachen.  Wahrschein- 
lich sind  nervöse  Einflüsse,  die  von  der  Schilddrüse  ausgehen, 
massgebend,  und  es  entstehen  Reizungen  der  Herznerven,  welche 
mit  dem  Einfluss  der  Narkose  zusammen  eine  Herzsynkope  hervor- 
zurufen im  Stande  sein  können  Wenn  man  sich  auch  eine  Ei'klärung 
der  grossen  Gefahren  einer  Narkose  bei  diesen  Operationen  nicht  hin- 
länglich genug  schaffen  kann,  so  lehrt  uns  die  Erfahrung,  wie  gefährlich 
eine  Narkose  ist.  So  ist  man  zu  dem  Schritte  gelangt,  eine  allge- 
meine Narkose  bei  der  Schilddrüsenexstirpation  überhaupt  zu 
vermeiden,  und  die  ganze  Operation  unter  lokaler  Anaesthesie  vor- 
zunehmen. Dadurch  zeigt  sich  eine  geringere  Mortalität,  und 
somit  ist  erwiesen,  wie  gross  das  Mitwirken  der  Narkose,  und  der  Wir- 
kung des  Narkotikuni's  bei  den  Todesfällen  während  der  Strumecto- 
mien  ist.  Da  die  sensiblen  Nerven  der  Strumen  und  ihrer  Um- 
gebung nicht  sehr  ausgiebig  vorhanden  sind,  so  kann  man  diese  Ope- 
rationen leicht  unter  lokaler  Betäubung  ausführen,  ohne  dass  der 
Patient  viel  mehr  Schmerzen  und  Unannehmlichkeiten  empfindet,  als 
während  einer  Narkose,  welche  ihm  nebenbei  noch  grössere  Wahrschein- 
lichkeit eines  schnellen  Todes  liefert.  Wohl  jeder  Kranke  wird  da 
lieber  einige  geringe  Unannehmlichkeiten  und  Schmerzen  mehr  in  Kauf 
nehmen,  wenn  er  sein  Leben  dabei  nicht  mit  so  grosser  Wahrscheinlich- 
keit des  Verlustes  aufs   Spiel   setzen  muss. 

Wenn  wir  noch  andere  Operationen,  bei  denen  man  eine  beson- 
dere Gefahr  der  Narkose  findet,  erwähnen  Avollen,  so  können  wir 
die  Herniotomie,  d.  h.  die  Operation  eingeklemmter  Brüche  zu- 
nächst anführen.  Vor  allen  Dingen  ist  bei  derartigen  Operationen  eine 
Gefahr   dann  zu   fürchten,    wenn  in    den    späteren    Stadien    der    In- 


—     46     — 

carcerationen  operiert  Averdeii  muss.  So  berichtet  Rochier  an  der 
Hand  von  30  Fällen  incarcerierter  Hernien,  von  denen  23  ein- 
geklemmte Hernien  und  7  innere  Incarcer ationen  waren,  dass 
in  29  Fällen  der  Tod  eintrat,  und  nur  1  Patient  die  Narkose  über- 
stand. Es  ist  zu  bemerken,  dass  die  29  Todesfälle  als  Narkosen- 
totesfälle in  gewisser  Hinsicht  zu  betrachten  sind.  Fragen  wir  uns, 
warum  diese  29,  allerdings  schon  in  spätem  Stadium  der  In- 
carcer ation  befindlichen  Patienten  reine  Narkose,  sei  sie  mit  Chloro- 
form, oder  mit  Aether  ausgeführt,  nicht  überstehen  konnten,  so  haben 
wir  zu  bedenken,  dass  der  Kranke  zunächst  durch  die  bestehende  In- 
carceration  hochgradig  in  seinem  Kräftezustand  herabgesetzt  ist. 
Hierzu  kommt  nun  der  die  Kräfte  ebenfalls  beanspruchende  Einfluss 
der  Narkose.  Ferner  kommen  gerade  in  diesen  Fällen  häufig  mecha- 
nische Atmungshindernisse  in  betracht,  welche  in  Aspiration 
von  Erbrochenem  bestehen.  Der  Kranke  hat  nicht  mehr  die  Kraft 
d  as  Erbrochene  auszuhu  sten,  und  nebenbei  soll  der  Glottisreflex 
vermindert  sein  (Rochier);  so  gelangen  grosse  Mengen  von  Magen- 
inhalt in  die  Lungen,  u.nd  der  Kranke  geht,  entweder  an  Apnoe,  oder 
an  späteren  Lungenkrankheiten  zu  Grunde.  So  sehen  wir  eine 
Menge  Momente  zusammenwirken,  und  man  muss  mit  Recht  denen  bei- 
stimmen,  Avelche  in  derartigen  Fällen  eine  allgemeine  Narkose  für 
contraindiciert  halten,  und  die  Operation  unter  lokaler  Betäubung 
vornehmen,  da  vor  allem  gerade  in  diesem  Zustande  die  Schmerz- 
empfindlichkeit des  ganzen  Kranken  herabgesetzt  ist.  Es  ist  eben 
auch  in  diesen  Fällen  alles  das  zu  erwägen  vor  der  Operation,  was  wir 
an  anderer   Stelle  genau  erörtert  haben. 

Wenn  man  weiter  bei  anderen  Operationen  vor  einer  allgemeinen 
Narkose  warnt,  z.  B.  bei  Incisionen  von  Eiterherden  bei  hoch- 
gradiger Septikaemie  und  Pyaemie,  bei  Laparatomien  etc.,  so 
sind  dieselben  Verhältnisse  wie  hier  massgebend.  Es  ist  falsch,  wenn 
man  dabei  die  Operation  verantAvortlich  macht,  denn  dieselbe  ist  un- 
schuldig  in  diesen  Fällen,    da    hier  nur  die  Krankheit  massgebend  ist. 

Eine  üble  Folge  vor  allen  Dingen  der  Laparatomien,  die  auf 
die  Narkose  nicht  ohne  Einfluss  ist,  ist  die,  dass  durch  die  Bauch- 
wunde  etc.  Behinderung  der  Atmung  nach  der  Operation  ein- 
tritt. Da  bei  jedem  Bewegen  der  Bauchdecken  starke  Schmerzen 
entstehen,  so  ist  der  Kranke  bemüht,  jede  Bewegung  zu  verhüten,  und 
atmet  infolge  dessen  auch  nur  ganz  oberflächlich,  möglichst  ohne  An- 
strengung der  Bauchpresse.  Da  nun ,  wie  wir  später  sehen  werden, 
gerade  nach  der  Narkose  tiefe  Atemzüge  nötig  sind,  damit  die 
ganze  Lunge  in  Tätigkeit  tritt,  und  Hypostasen  vermieden  werden, 
so  kann  dem  Kranken  aus  dem  oberflächlichen  Atmen  Gefahr  entstehen. 
Man  muss  daher  nach  Laparatomien  dafür  sorgen,  dass  der  Patient 
tief  atmet;  und  dies  können  A^r  nur  erreichen,  indem  wir  die  Bewe- 
gung der  Bauchmuskeln  schmerzlos  machen  durch  Morphin  oder 
Opium.  Man  gebe  solches  nach  derartigen  Operationen,  und  halte  die 
Patienten  zum   tiefen  Atmen  an. 

Anders    können    die   Verhältnisse    da    liegen,     wo    wir    durch    die 


—     47     — 

Operation,  wie  bei  den  Sc  hilddr  üsencxstirpati  onen,  Organe  ver- 
letzten, die  einen  solchen  Einfiuss  auf  den  ganzen  Organismus  ausüben, 
dass  eine  Narkose  dadurch  gefährlich  werden  kann.  Hierunter  müssen 
wir  vor  allem  solche  Eingriffe  rechnen,  die  einen  starken  Einfiuss  auf 
das  Centralnervensystem  ausüben,  sei  es  durch  direkte  nervöse 
Einflüsse  bei  Operationen  an  den  nervösen  Organen,  sei  es  durch 
indirekte  Einflüsse  infolge  von  Blutungen.  Hierbei  müssen  wir  den 
Gang  der  Operation  kennen ,  wir  müssen  wissen ,  wann  der  Operateur 
an  jenen  gefährlichen  Punkt  kommt.  So  ist  auch  bei  Operationen  an 
der  Brust,  wo  event.  ein  Pneumothorax  geschaffen  wird,  oder  das 
Herz,  oder  die  Ijunge  eine  Lageveränderung  erfährt,  bei  Trepa- 
nationen, bei  Operationen  an  den  Organen  der  Bauchhöhle,  nötig, 
dass  wir  die  Wirkung  der  Handlungsweise  des  Operateurs  kennen.  Wir 
kommen  bei  solchen  Operationen  in  die  Gelegenheit,  entweder  ein  b  e- 
sonderes  Narkoticum  vorzuziehen,  oder  die  Narkose  nur  oberfläch- 
lich zu  erhalten,  oder  durch  Anwendung  von  Medikamenten  event. 
Collaps zuständen  vorzubeugen.  Wir  kennen  den  Verlauf  der  Nar- 
kose, und  den  der  Operation,  und  müssen  daraus  vergleichend  Schlüsse 
ziehen,   und  unsere  Tätigkeit    darnach  einrichten. 

Es  kommt  allerdings  auch  vor,  dass  bei  bestimmten  krankhaften 
Veränderungen  im  Organismus  eine  Herabsetzung  der  Schmerzem- 
pfindlichkeit an  sich  vorhanden  ist.  So  finden  wir  dies  z.  B.  bei 
Diabetikern  an  den  unteren  Extremitäten,  bei  Septischen  und  In- 
toxikationen. Bei  diesen  Erkrankungen  ist  oftmals  eine  tiefe  an- 
haltende Narkose  sehr  gefährlich,  und  kann  leicht  ad  exitum  letalem 
führen,  Avährend  eine  halbe  Narkose  noch  vertragen  wird.  (Mikulicz). 
Man  wird  in  solchen  Fällen  ebenso  gut  unter  einer  ganz  oberflächlichen 
halben  Narkose  operieren  können,  und  der  Kranke  hat  nach  der  Operation 
ebenso   keine  Erinnerung    an   Schmerzen,    wie  bei   einer  tiefen   Narkose. 

Da  sich  derartige  Kranke  oft,  oder  meist  in  sehr  starken  Fieber- 
delirien  befinden,  so  ist  eine  Betäubung  oftmals  unnötig,  denn  der 
Kranke  empfindet  im  deliiösen  Zustand  sehr  gering,  es  kommt  ihm  der 
physische  Schmerz  wenigstens  nicht  zum  Bewusstsein,  und  wird  er  ge- 
sund ,  so  fehlt  ihm  die  Erinnerung.  Folglich  können  Avir  in  solchen 
Fällen,  wo  eine  Narkose  an  sich  contraindiciert  ist,  dieselbe  ganz  ^yQg- 
lassen,  und  bei  den  schmerzhaftesten  Teilen  der  Operation  mit  lokaler 
Betäubung  operieren.  Da  das  Bewusstsein  des  Kranken  durch  das 
Fieber  getrübt  ist ,  so  ist  es  ja  nicht  nötig ,  dass  man  dasselbe  noch 
durch  eine  Narkose  trüben  will,  der  Kranke  erkennt  den  Schmerz 
nicht  als  solchen,  er  wird  ihm  nicht  bewusst,  ebenso  nicht  die  ganze 
Operation,  die  Vorbereitungen  etc.  Das ,  was  die  Narkose  heben  soll, 
wird  vom  Fieber  benommen,  und  es  wäre  nur  noch  der  Schmerz  an 
sich  zu  lindern.  Das  ist  dann  ganz  abhängig  von  anderen  Momenten, 
die  hier  nicht  erörtert  werden  können. 

Riedel  hat  beobachtet,  dass  Manipulationen  in  den  Baucheinge- 
weiden nur  wenig  schmerzhaft  sind,  und  er  hat  daher  bei  Lapara- 
tomien  nur  bis  zur  Vollendung  des  ersten  Hautschnittes  narkoti- 
siert.     Atxch   aus   diesem   Grunde   kann  man    in   Fällen ,    die   eine  lange, 


—     48     — 

tiefe  Narkose  nicht  möglich  erscheinen  lassen,  die  Tiefe  modifizieren, 
und  bei  Arbeiten  an  Organen,  Avelche  wenig  sensible  Nerven  zu 
besitzen  scheinen,  wie  an  den  Bauchorganen,  mit  einer  halben  Nar- 
kose auskommen.  So  wie  die  mit  gesundem  Peritoneum  versehenen 
Darmschlingen  weniger  empfindlich  sind,  so  verhält  es  sich  auch  mit 
den  Genitalien  des  Weibes,  soweit  dieselben  in  der  Beckenhöhle 
gelegen  sind.  Man  kann  an  denselben  ebenfalls  ohne  tiefe  Betäu- 
bung arbeiten,  indem  man  den  Frauen  wenig  Schmerzen  bereitet.  So 
haben  wir  öfter  beobachtet,  dass  wir  bei  sehr  schwachen  Frauen,  die 
eine  lange,  tiefe  Narkose  nicht  mehr  aushalten  konnten,  lange  Zeit  nach- 
dem nur  für  den  Hautschnitt  eine  halbe  Narkose  eingeleitet  worden 
war,  im  eröffneten  Leibe  stumpfe  Verwachsungen  trennen ,  Tumoren 
exstirpieren  konnten,  ohne  dass  die  Ki-anke  über  wesentliche  Schmerzen 
klagte.  Einen  gewissen  Schmerz  muss  dabei  jeder  vertragen.  Koluczek 
ist  der  Ansicht,  dass  dieser  Schmerz  einen  Shock  wahrscheinlich  mit 
erzeugen  könne.  Obgleich  es  nicht  von  der  Hand  zu  weisen  ist,  dass 
der  Shock  durch  die  Opei'ation  einen  bedeutenden  Einfluss  auf  die 
Kraft  des  Organismus  ausübt,  so  muss  man  doch  entscheiden,  ob  der 
üble  Einfluss  einer  tiefen  Narkose  für  den  Körper  gefährlicher  ist,  als 
der  Einfluss  des  Shocks.  Es  spielen  daher  sehr  viele  Umstände  eine 
Rolle,  wenn  man  entscheiden  will,  ob  der  Shock  zu  furchten  ist,  oder 
nicht.      Ganz  ausser  Acht  lassen   dürfen  wir  denselben  nicht. 

§  16.  Was  den  Shock  in  seinem  Verhältnis  zur  Narkose  an- 
langt, so  müssen  wir  gestehen,  dass  derselbe  eine  grosse  Rolle  zu 
spielen  im  Stande  ist.  Wir  unterscheiden  zwei  Arten  von  Shock,  den 
traumatischen  und  idi  opathi  sehen  Shock.  Der  erstere  betrifft  In- 
dividuen mit  leicht  erregbarem  Herzen,  welche  sehr  empfindlich  gegen 
Schmerz  sind,  und  sich  nur  mit  einem  grossen  Aufwand  moralischer 
Kraft  zur  Operation  entschliessen  können.  Im  grossen  und  ganzen 
sind  dies  mehr  furchtsame  und  ängstli  che  Naturen  von  nervöser 
Konstitution,  psychopathischer  A  nlage.  Bei  ihnen  kann  der  ge- 
ringste Schmerz,  Avelcher  ausgelöst  wird,  zur  Katastrophe  führen.  Buck- 
nill  hat  neuerdings  genauer  die  Verhältnisse  behandelt,  der  Tod  tritt 
nach  seinen  Angaben  geAvöhnlich  dann  ein,  Avenn  infolge  einer  Unter- 
brechung der  tiefen  Narkose,  die  Schmerzempfindung  Aviederkehrt,  oder 
trotz  Fehlens  von  Schmerzempfindung  eine  ReflexAvirkung  auf  das 
Herz  angenommen  Averden  kann.  Solche  Reflexe  führen  bisAveilen  zu 
PupillenerAveiterung  und  HerzscliAväche,  AA^enn  an  stärkere  Reize 
nicht  geAvöhnte,  mit  Schleimhaut  bekleidete  Kanäle  durch  Instrumente 
irritiert  werden,  wie  beim  Kathetrismus,  der  Vaginald  ouche,  Pin- 
selungen des  Pharynx  etc.  Man  kennt  ja  den  Shock,  Avelcher 
beim  Einleiten  einer  Narkose  entstehen  kann,  der  einer  Zahnextraktion 
folgt,  der  oftmals  beim  Einführen  von  MetallsjJekula  in  die  Vagina  er- 
folgt, namentlich  wenn  die  Spekula  kalt  sind  etc.  Wenn  man  in  dem 
Moment,  wo  ein  solcher  Shock  eintritt,  zu  der  Operation,  die  geplant 
ist,  schreitet,  so  ist  das  vielleicht  schon  geschAv ächte  Herz  preisge- 
geben, und  der  Tod  erfolgt  ohne  irgend  welche  Vorboten  unter  Dila- 
tation  der   Pupillen. 


—     49     — 

Der  idiopathische  Shock  tritt  vor  dem  Beginn  einer  Operation 
ein.  Eine  kranke  Person  wird  narkotisiert,  als  der  Narkotiseur  das 
Zeichen  zum  Beginn  der  Operation  gibt,  stirbt  die  Kranke  nach  kurzen 
leichten  Abwehrbewegungen.  Bucknill  gibt  einen  solchen  Fall  an, 
und  die  Sektion  ergab  Fettherz.  Die  Kranke  war  nicht  tief  genug 
narkotisiert,  und,  als  sie  vernahm,  dass  die  Operation  beginnen  sollte, 
versagte  das  Herz,  weil  es  die  plötzliche  durch  den  Schreck  verur- 
sachte Anstrengung  nicht  überstehen  konnte.  Die  Schottische  Schule 
vertritt  aus  diesem  Grunde  den  Standpukt,  man  solle  gerade  um  so 
eher  narkotisieren,  je  scliAvächer  das  Herz  sei.  „Syme's  Unter- 
suchung des  Herzens  vor  der  Narkose  Avar  aus  diesem  Grunde  sehr 
oberflächlich,  er  fand  es  jedesmal  „all  right".  Hatte  er  doch  bei  der 
Eröffnung  eines  Abszesses  ohne  Narkose  einen  Patienten  an  Shock 
verloren.  In  einem  anderen  Falle  trat  der  Tod  eine  Minute  nach  Be- 
ginn der  Narkotisierung  ein.  Eine  Ueberdosierung  konnte  also  füglich 
ausgeschlossen  M^erden.  Der  Shock  entstand  durch  die  Empfindung 
der  Erstickung,  Avelche  die  in  zu  konzentrierter  Form  geatmeten 
Chloroform  dämpfe  verursacht  hatten." 

Bucknill  ist  der  Ansicht,  dass  die  verhältnismässig  grosse  Zahl 
der  Todesfälle  an  Shock  auf  die  sich  immer  steigernde  Zahl  von  Ope- 
rationen einerseits,  andererseits  auf  die  grössere  Abnahme  der  Wider- 
standsfähigkeit des  Nervensystems  der  Menschen,  welche  durch  den 
gesteigerten  Kamjif  um's  Dasein,  namentlich  der  Einwohner  grosser 
Städte,  hervorgerufen  werde,  zu  beziehen  sei.  Ferner  verwende  man 
heutzutage,  eben  wegen  der  gesteigerten  Nervosität  der  Menschen, 
mehr  Narkosen  bei  kleinen  Operationen,  die  früher  stets  ohne  Narkose 
vorgenommen  wurden. 

Es  ist  kein  Zweifel,  dass  diese  Umstände  mit  in  Betracht  kommen, 
der  eine  mehr,  der  andere  weniger,  und  um  so  mehr  müssen  wir  bei 
der  Einleitung  einer  Narkose  auch  die  Eventualität  des  Eintritts  eines 
Shocks  berücksichtigen.  Dass  natürlich  jene  Ansicht,  öfter  zu  nar- 
kotisieren, um  die  Wirkung  des  Shocks  unschädlich  zu  machen,  eine 
ganz  falsche  ist,  liegt  auf  der  Hand.  Wir  müssen  erstens  versuchen, 
den  Shock  zu  vermindern,  zu  verhüten,  was  durch  eine  vorsichtige 
Einleitung  der  Narkose  zu  erreichen  ist.  So  ist  es  ein  Fehler  des 
Narkotiseur s,  wenn  er  den  Beginn  der  Operation  annonciert,  Avährend 
die  zu  narkotisierende  Person  noch  so  wach  ist,  dass  sie  den  Narkoti- 
seur versteht.  Entsteht  in  einem  solchen  Falle  ein  Unfall,  so  trifft 
■die  Schuld  zweifellos  den  Narkotiseur.  Ferner  muss  derselbe  jederzeit 
über  die  Tiefe  der  Betäubung  orientiert  sein,  damit  nicht  der  Patient 
während  der  Operation  erwacht.  Einem  geübten,  und  seiner  Aufgabe 
sich  voll  und  ganz  bewussten  Narkotiseur  kann  so  etwas  nicht 
passieren.  Schwieriger,  als  alles  dies,  ist  die  Aufgabe  des  Narkotiseurs, 
vor  der  Narkose  ein  Urteil  sich  zu  bilden  über  den  nervösen  Zu- 
stand des  Kranken,  ob  derselbe  geneigt  ist,  den  Shockwirkungen 
zu  unterliegen,  kurz,  ob  er  für  den  Shock  disponiert  ist.  Es  ist 
sehr  schwer,  hierüber  ein  Urteil  zu  erlangen,  der  Arzt  kann  es  lediglich 
durch  eine  genaue  Untersuchung   des  Kranken   erfahren.     Mit  einiger 

4 


-     50     — 

üebung  wird  er  aber  bald  erkennen,  ob  der  betreffende  Kranke  neu- 
rasthenisch,  hysterisch,  nervös  etc.  ist,  er  wird  schon  aus  der 
Unterhaltung  mit  dem  Kranken  ersehen,  ob  derselbe  ängstlich  und  be- 
sorgt ist,  oder  ob  er  mit  der  Ueberzeugung  der  Gefahrlosigkeit, 
oder  mit  Resignation  das  kommende  erwartet.  Oftmals  wird  bei  den 
Beziehungen  gerade  des  Shocks  zur  Operation,  und  der  Betäubung, 
eine  Methode  der  Anaesthetologie  angebrachter  und  günstiger  sein, 
als  eine  allgemeine  Narkose.  Eine  bestimmte  Kegel  ist  hier  nicht 
auf  zu  stellen,  der  Arzt  muss  nach  den  individuellen  Verhältnissen 
handeln. 


III.  Kapitel. 

Die  Vorbereitungen  zur  Narkose. 

§  17.  Die  Peinlichkeit  in  den  Vorbereitungnn  vor  einer  Narkose 
muss  sich  vor  allen  Dingen  auf  den  Kranken  selbst  erstrecken.  Die 
Vorbereitungen  sollen  den  Patienten  in  einen  Zustand  versetzen,  Avelcher 
verbürgt,  dass  eine  Narkose  ohne  jede  Nachteile  verläuft,  und  bestrebt 
ist,  so  weit  als  möglich,  durch  unsere  Massnahmen  eventuelle  Schädigungen 
zu  verhüten.  Um  aber  alles  das  ausführen  zu  können,  Avas  wir  in  dem 
Folgenden  mitteilen  Averden,  ist  es  nötig,  dass  Avir  den  Kranken  schon 
einige  Tage  vor  der  Narkose  in  unsere  Pflege  übergehen  lassen 
können,  denn  Avir  sollten  in  jedem  Falle  bestrebt  sein,  nicht  sofort  nach 
der  Einlieferung  des  Kranken  in  unsere  Klinik,  mit  der  Narkose  zu  be- 
ginnen, denn  für  eine  exakte  Vorher eitimg  sind  einige  Tage  un- 
bedingt notAvendig.  Dieselben  sind  vor  allen  Dingen  für  den  Kranken 
selbst  von  grosser  Wichtigkeit,  damit  wir  auf  seine  Psyche  nach 
verschiedenen  Seiten  einzuAvirken  imstande  sein  können.  Wenn  wir  uns 
in  die  geistigen  Verhältnisse  des  Kranken  A'ersetzen,  so  Avird  es  uns 
klar,  dass  derselbe  in  einem  Zustand  starker  psychischer  Altera- 
tion in  den  allermeisten  Fällen  sich  befindet.  Vorhergehende  Unter- 
suchungen und  Besprechungen  haben  ihm  seinen  Zustand  erklärt,  und 
er  hat  mehr  oder  weniger,  je  nach  der  Art  der  Krankheit,  und  der 
seines  Charakters,  einen  entsprechenden  Einfluss  auf  sein  Geistesleben 
erlitten.  Es  ist  nicht  nur  bei  Personen  von  Aveichem  und  zartem 
Gemüt  zu  beobachten,  dass  ein  bisweilen  hochgradiger  Zustand  psy- 
chischer Alteration  eingetreten  ist,  sondern  man  kann  denselben  auch 
bei  fast  jedem  Kranken  in  einem  mehr  oder  Aveniger  deutlich  aus- 
geprägten Stadium  linden.  Man  muss  bei  der  Erkennung  derselben 
bedenken,  dass  die  meisten,  und  vor  allem  Männer,  bemüht  sind,  oftmals 
mit  Anstrengung  aller  ihrer  Willenskraft,  sich  ruhig  und  gleichgültig 
zu  zeigen,  um  nicht  als  feige  und  weichlich  zu  gelten.  Es  ist  nun 
aber    mit    dieser  Alteration    eine    besondere   Sache,    denn    sie  lässt  sich 


-     51     — 

wohl  üiisserlic'h  unterdrücken,  doch  sie  ist  ärztlicherseits  stets  nachweis- 
bar durch  die  Prüfung  der  Herzaktion  etc.  Aber  trotz  aller  der  ver- 
schiedenen Ansichten  lassen  wir  uns  nicht  irre  machen,  denn  wir  wissen, 
dass  jeder  Mensch  vor  einer  Operation,  namentlich  einer  solchen 
von  gefährlicher  Art,  psychisch  erregt  Avird.  Und  es  kann  nur  der- 
jenige, welcher  wenig  versteht  in  das  Seelenleben  des  Menschen  ein- 
zudringen, behaupten,  eine  solche  Alteration  sei  eine  Feigheit.  Versteht 
es  sich  nicht  von  selbst,  dass  ein  Mensch  nicht  gleichgültig  dem  Mo- 
ment entgegensehen  kann,  in  dem  er  sein  kostbarstes  Besitztum  aufs 
Spiel  setzt,  um  durch  einen  schwierigen  Eingriff  seine  alte  Kraft  und 
Gesundheit  wieder  zu  gewinnen.  Nur  ein  gefühlloser  und  harter  Cha- 
rakter wird  nicht  von  jenem  undefinirbarem  Gefühl  beschlichen  werden, 
wenn  er  den  Operationstisch  besteigt,  Avelches  nur  der  kennt,  der 
in  ähnlichen  Momenten  den  Kampf  mit  den  Schicksalsgewalten  bestan- 
den hat.  Aber  man  muss  energisch  dem  entgegentreten,  der  dieses 
Gefühl  mit  dem  Ausdruck  von  Feigheit  gleichstellt.  Die  Beobachtung 
lehrt  uns  nur,  dass  jeder  Mensch,  mehr  oder  Aveniger,  in  diesen  Mo- 
menten psychisch  erregt  wird,  und  ^vh'  müssen  bemüht  sein,  diese 
Erregung  zu  beseitigen,  da  dieselbe  für  die  Narkose  im  hohen  Grade 
nachteilig  Avirken  kann.  Diese  Beruhigung  des  Gemütes  er- 
reichen Avir  nur  dadurch,  dass  Avir  den  Kranken  einige  Tage,  2  bis 
höchstens  3,  vor  der  Operation  in  unsere  Behandlung  nehmen,  und  ver- 
suchen, Avährend  dieser  Zeit  vor  allem  das  Vertrauen  desselben  zu 
gCAvinnen,  und  einen  Einfluss  dahingehend  auszuüben,  dass  er  die 
Ueberzeugung  gewinnt  von  einer  mehr,  oder  weniger  grossen  Ge- 
fahrlosigkeit der  ihm  beA'orstehenden  Operation.  Es  wird  uns  durch 
Unterhaltung  öfter  am  Tage,  und  bei  den  üblichen  Besuchen  in  kurzer 
Zeit  gelingen,   derartig  auf  den  Kranken   einzuwirken. 

Schon  die  neue  Umgebung,  in  welche  der  Kranke  versetzt  ist, 
wirkt  auf  denselben  ein,  zu  dem  bat  das  Leben,  wie  es  sich  in  einer 
gut  geleiteten  Klinik  abs2nelt,  schon  an  und  für  sich  einen  beruhigen- 
den Einfluss.  Der  Kranke  sieht,  Avie  andere  gesund  geworden  sind,  und 
beobachtet  deren  zufriedenen  und  fröhlichen  Verkehr  untereinander,  und 
bald  beschleicht  auch  ihn  die  Hoffnung,  dass  auch  ihm  ein  Wechsel 
ad  bonam  partem  bevorsteht,  indem  er  sich  vorstellt,  wie  die  Personen, 
die  er  da  vergnügt  ihr  Leben  verbringen  sieht,  auch  einmal  vor  kurzer 
Zeit  so  elend  Avaren,  wie  er,  und  dass  es  doch  der  ärztlichen  Kunst 
gelungen  ist,  ihnen  des  Lebens  kostbarstes  Gut  von  neuem  zu  schenken. 
Wenn  man  nun  noch  diese  Gedanken  durch  Zuspruch  hervorruft,  indem 
man  ihm  Beispiele  A^orführt,  avo  viel  kränkere  Personen,  Avie  er,  wieder 
gesund  gemacht  AA^urden,  so  AAard  auch  er  ein  mit  der  Zeit  immer  grösser 
werdendes  Vertrauen  zu  seiner  Umgebung  geAAdnnen,  und  die  psychische 
Alteration  macht  einer  von  Stunde  zu  Stunde  zunehmenden  Ruhe 
und  Gleichmut  Platz. 

§  18.  Nun  fragt  es  sich,  wie  man  den  Kranken  an  diesen  Tagen 
in  Bezug  auf  seine  Bewegungsfreiheit  halten  soll.  Der  eine  Avird 
durch  Bettruhe  eher  beruhigt,  dem  anderen  hilft  der  Verkehr  mit  an- 
deren Kranken  besser  über  die  Schwierigkeiten  des  Eingewöhnens  hinweg. 

4* 


-     52     — 

Natürlich  kommt  vor  allem  in  Betracht,  ob  der  psychische  Zustand 
des  Kranken  es  erlaubt,  dass  derselbe  umhergeht,  oder  zu  Bett  liegen 
soll.  Da  muss  man  sich  den  Charakter  des  Patienten-  betrachten, 
und  danach  schliessen,  und  überlegen,  wie  derselbe  zu  behandeln  sei. 
Bei  den  meisten  Kranken  ist  Bettruhe  das  beste  Mittel,  um  die  Psyche 
von  der  Erregung  zu  befreien,  doch  ist  es  nicht  immer  nötig,  dass 
eine  streng(;  Bettruhe  beobachtet  wird,  man  kann  sehr  gut  den  Kranken 
in  einem  Stuhl  in  sitzender  Haltung,  die  Zeit  verbringen  lassen. 
Sehr  bald  wird  sich  zeigen,  wie  die  Ruhe  und  das  gleichmässige  Leben 
günstig  auf  den  Kranken  einwirken.  Ein  dem  psychischen  Zustande 
entsprechendes  Behandeln  wird  auch  die  aufgeregteste  Frau  mit  den 
typischen  Zeichen  hysterischen  Charakters  in  kurzer  Zeit  be- 
ruhigend beeinflussen,  und  es  ist  gerade  die  Bettruhe,  welche  in 
solchen  Fällen  oft  sehr  rasch  und  sicher  wirkt.  Es  ist  eine  leicht  zu 
beobachtende  Erscheinung,  dass  psychisch  erregte  Personen  eine 
unruhige,  oftmals  sehr  schwere,  und  mit  starker  Excidation  ein- 
hergehende Narkose  erleiden.  Diese  imangenehmen  Begleiterscheinungen 
werden  stark  gemildert,  und  kommen  sogar  bisweilen  ganz  in  Wegfall, 
wenn  man  das  aufgeregte  Temperament  vorher  beruhigt  hat,  was 
auch  noch  neben  der  ruhigen  Haltung  durch  die  während  der  wenigen 
Tage  nötigen   anderen  vorbereitenden  Massregeln  erreicht  wird. 

§  19.  Um  die  kurze  Zeit  für  den  Kranken  in  jeder  Hinsicht 
günstig  auszunutzen,  nehmen  wir  möglichst  oft  Gelegenheit,  den  Orga- 
nismus des  Kranken  genau  zu  untersuchen.  Wenn  es  auch 
nicht  in  allen  Fällen  möglich  ist,  den  Kranken  während  einiger  Tage 
zu  beobachten,  so  müssen  wir  in  jeder  Lage  vor  dem  Beginn  der  Nar- 
kose doch  ein  genaues  Bild  von  den  körperlichen  Verhältnissen  erlangt 
haben.  In  dem  Falle,  wo  ims  einige  Tage  zur  Verfügung  stehen, 
müssen  wir  möglichst  oft  Gelegenheit  nehmen,  körperliche  Untersuch- 
ungen  einzuleiten. 

Wir  wollen,  um  ein  klares  Bild  einer  solchen  Untersuchung  zu 
geben,  dieselbe  in  ihren  Hauptzügen  beschreiben.  Wenn  der  Kranke 
in  unsere  Behandlung  tritt,  so  ist  es  zunächst  eine  genaue  allge- 
meine Untersuchung  mit  Berücksichtigung  der  Krankheit,  soAvie 
aller  anderen  körperlichen  und  seelischen  Verhältnisse,  welche 
wir  vorzunehmen  haben. 

Diese  erste  Untersuchung  geht  den  Gang,  welcher  für  jede  der- 
artige vorgeschrieben  ist.  Als  Hauptpu.nkt  für  unseren  Zweck  kommt 
in  Betracht,  dass  wir  erst  einmal  ein  Urteil  erlangen  über  die  here- 
ditären Belastungen,  und  über  die  Konstitution  des  Kranken. 
Wenn  wir,  nach  dem  Emiren  der  allgemeinen  Punkte,  uns  ein  Urteil 
gebildet  haben,  gehen  wir  zu  der  körperlichen  Untersuchung  über. 
Hier  haben  wir  vor  Allem  zu  achten  auf  die  pathologischen  Ver- 
hältnisse des  Herzens,  der  Lungen,  der  Organe  des  Abdomens, 
von  denen  vor  Allem   die  Nieren  in  Betracht  kommen. 

Das  Herz  muss  eingehend  in  Be,zug  auf  seine  Grössenverhält- 
nisse,  auf  seine  Aktion,  auf  seine  Klappen,  sowohl  perkussorisch,  wie 
auskultatorisch,   untersucht  werden.      Es    wird  oftmals    nicht   e-anz  leicht 


—     53     - 

erscheinen,  ir<;encl  welche  Krankhcitssymptome  nachzuweisen,  und  auch 
bei  dem  Fehlen  äussorlichei*  Anzeichen  kann  das  Herz  in  einem  Zu- 
stande sich  befinden,  welcher  für  die  Narkose  verhängnissvoll 
werden  kann.  Solche  Zustände  sind  hauptsächlich  die  ersten  Anfangs- 
stadien der  fettigen  Degeneration  des  Herzfleisches,  der 
braunen  Atrophie,  der  Sklerose  der  Kranzarterien  etc.  Hier 
fehlen  oftmals  gerade  jegliche  Symptome,  welche  ein  warnendes  Zeichen 
geben  könnten.  Die  fettige  Degeneration  des  Herzfleisches  bildet 
einen  wesentlichen  Punkt  in  der  Entscheidung,  welches  Narkotikum  zu 
wählen  sei.  In  solchen  Fällen,  wo  die  Symptome  fehlen,  müssen  uns 
die  Anamnese,  und  die  Mitteilungen  des  Kranken  über  sein  sub- 
jektives Befinden  massgebend  sein,  und  es  hängt  von  unserem  Ge- 
schick, das  von  dem  Kranken  herauszufragen,  was  auf  eine  beginnende 
fettige  Degeneration  deuten  könnte,  ab,  ob  Avir  ein  klares  Urteil 
erlangen,  und   eine    definitive  Entscheidung  fällen  können. 

Was  nun  die  Lungen  anlangt,  so  müssen  wir  bei  der  Unter- 
suchung derselben  hauptsächlich  auf  Tub  er kulose,  und  Emphysem 
mit  Bronchitis  fahnden.  Die  ge  ringsten  Anfangsstadien  müssen 
von  uns  erkannt  und  erwogen  Averden,  und  auch  hier  werden  Avir  oft 
an  der  Grenze  deutlicher  Wahrnehmung  stehen,  und  auf  die  Kombi- 
nation unserer  Inteligenz,  und  die  Aussagen  des  Kranken  ange- 
wiesen sein.  Bei  etAvaigen  Lungenaff  ek  tionen  ist  zu  eruieren,  ob 
dieselben  akute,  oder  chronische  Erkrankungen  darstellen.  Die 
akuten  Katarrhe  AA^erden  von  viel  besserer  Prognose  sein,  als  die 
chronischen,  und  Avir  AA'erden  bestrebt  sein  müssen,  eine  Heilung  vor 
dem  Einleiten  einer  Narkose  zu  erzielen,  und  uns  nicht  scheuen, 
die  Operation  solange  hinauszuschieben,  AA^enn  es  möglich  ist,  bis  die 
Lungenerkrankung  zum  Abheilen  gebracht  ist.  Handelt  es  sich  um  eine 
chronische,  tuberkulöse  Affektion  der  Liingenspitze,  so  ge- 
winnen wir  durch  ein  spektatives  Abwarten  Avenig,  oder  gar  nichts. 
Hier  muss  unsere  Sorge  dahin  gehen,  die  Narkose  der  Erkrankung  ent- 
sprechend anzupassen  an  die  Verhältnisse,  das  am  günstigsten 
wirkende  Narkotikum  zu  wählen,  und  die  ganze  Leitung  der  Betäu- 
bxmg  nach   dem  Lungenzustande  einzurichten. 

Oftmals  wird  es  uns  scliAver  fallen,  einen  akuten  Katarrh  von 
einem  chronischen  zu  unterscheiden.  Hier  sagt  uns  aber  schon  das 
Verhalten  der  Krankheit  Avährend  des  AbAA^artens  von  1 — 2  Tagen  und 
einer  entsprechenden  Behandlung,  ob  Avir  es  mit  einem  gutartigen, 
leichten,  Lungenkatarrh  zu  tun  haben,  oder  nicht,  denn  derselbe 
wird  unserer  Behandlung  nicht  widerstehen,  sondern  schon  nach  kurzer 
Zeit  eine  bedeiitende  Besserung,  wenn  nicht  gar  Heilung  aufweisen, 
Avährend  sich  eine  Phtise  nicht  so  schnell  günstig  beeinflussen  lässt. 
Somit  haben  wir  darin  ein  Unterscheidungsmittel,  und  Hand  in  Hand 
mit  der  Anamnese  über  die  Verhältnisse  des  Kranken  nachdenkend, 
Averden  Avir  ein  entscheidendes  Urteil  über  die  Lungenverhältnisse  er- 
langen. 

Was  nun  die  Nieren  anlangt,  so  sind  wir  hier  nur  auf  die 
Untersuchung    des  Harnes    angewiesen,    neben    den  Daten,    die  wir 


—     54    — 

aus  der  Anamnese  feststellen.  Die  Harnuntersuchung  muss  zunächst 
ha  der  chemischen  bestehen,  indem  wir  den  Nachweis  von  der  An- 
wesenheit von  Sacharum  und  Albumen  zu  liefern  suchen.  Neben 
diesen  müssen  wir  aber  auch  eventuell  andere  Bestandteile  erwarten, 
und  wir  können  dieselben  durch  eine  mikroskopische  Unter- 
suchung des  Rückstandes,  welchen  wir  bei  der  Zentrifugierung  des 
Harns  erhalten,  vornehmen.  Wir  haben  vor  allen  Dingen  die  ver- 
schiedenen Arten  von  Zylindern,  rote  Blutkörperchen,  Epithel- 
zellen in  den  verschiedenen  Zuständen   zu  siichen. 

Nachdem  wir  so  den  Patienten  genau  körperlich  besichtigt, 
studiert,  und  eine  Krankengeschichte  mit  der  Aufzeichnung  aller 
der  gewonnenen  Daten  hergestellt  haben,  zeichnen  wir  uns  noch  die 
üblichen  Puls-,  ßespirations-,  T  emperatur-  und  Har  nk  urven  auf. 
Dieselben  werden  durch  2  stündliche  Aufzeichnungen  genaii  hergestellt, 
und  geben  uns  an  sich  schon  nach  2  Tagen  ein  genaues  Bild  von  dem 
Gesundheitszustande  des  Kranken.  Aber  wir  begnügen  uns  noch  nicht 
mit  obiger  Untei'suchung,  sondern  wir  nehmen  dieselbe  Prüfung  noch 
mehrere  Male  vor,  je  nachdem,  wie  lange  Zeit  uns  für  diese  Beo- 
bachtung gegönnt  ist,  jedenfalls  aber  wenigstens  3 — 4  Mal,  und  werden 
dann  über  alle  Verhältnisse  des  Organismus  im  Klaren  sein.  Auch  die 
Untersuchung  der  Nieren  darf  nicht  nur  einmal,  vorgenommen  werden, 
sondern  sie  muss  öfter  wiederholt  werden,  denn  eine  einmalige  Prü- 
fung könnte  leicht  einen  Irrtum   hervorrufen. 

Wenn  wir  nun  durch  diese  Untersuchungen  die  pathologischen 
Zustände  erkennen  können,  so  sind  doch  eine  Menge  von  anderen 
Momenten  vorhanden,  die  besser  durch  die  Anamnese,  und  durch  genaue 
Inspektion  zu  eruieren  sind.  Deshalb  nehmen  wir  keinen  Anstoss,  uns 
immer  mit  dem  Patienten  zu  unterhalten,  um  alle  Daten  seines 
Vorlebens  kennen  zu  lernen.  So  wird  man  dabei  oftmals  über 
manches  Symptom  schneller  und  besser  aufgeklärt,  als  durch  eine  schwie- 
rige Untersuchung.  Wir  haben  vor  allen  Dingen  neben  den  heredi- 
tären Verhältnissen  zu  fahnden  auf  irgend  welche  schwächende  Ein- 
flüsse, die  vorher  bestanden  haben.  So  es  ist  z.  B,  von  grösster  Bedeu- 
tung, zu  wissen,  ob  der  Patient  z.  B.  vorher  an  heftigen  Blu- 
tungen an  irgend  welchen  Organen  gelitten  hat.  Es  kann  dadurch 
eine  Anämie  hervorgerufen  worden  sein,  die  noch  gar  nicht  die 
äusseren  Zeichen  in  solch  hohem  Grade  trägt,  obwohl  vielleicht  die 
lebenswichtigen  Organe  schädigende  Einflüsse  erlitten  haben, 
und  gerade  die  Erschöpfung  durch  Blutungen  kann  höchst  omi- 
nös werden  für  die  Narkose.  Denn  die  starken  Blutverluste  machen 
das  Herz  so  widerstandsunfähig,  dass  oftmals  eine  Nar  kos  e  höchst 
gefährlich  wird,  namentlich  eine  solche  mit  Chloroform,  weil  das- 
selbe den  Blutdruck  noch  an  und  für  sich  bedeutend  herab- 
setzt, und  so  unberechenbare  Störungen  in  der  Herztätigkeit  hervor- 
zurufen im  Stande  ist,  dass  plötzlich  eine  Herzsynkope .  eintritt,  der 
man  machtlos  gegenüber  steht.  Haben  wir  aber  vorher  erfahren,  dass 
ein  Defizit  an  Blut  besteht,  so  können  wir  durch  eine  subkutane 
Kochsalzinfusion    viel    von     dem    verlorenen  Blute    wenig-stens    mo- 


—     55     - 

mcntau  ersetzen,  und  Avir  können  den  -weniger  das  Herz  übel  angreifen- 
den Aether  als  Narkotikum  -wählen,  und  so  das  Leben  des  Kranken 
retten.  Aber  nicht  nur  die  Blutungen  höchsten  Grades  sind  hierbei  zu 
verstehen,  sondern  auch  jene  geringfügig  erscheinenden,  denn  ge- 
rade diese,  welche  oft  schon  seit  Wochen  oder  Monaten  bestehen, 
aber  -wegen  der  geringen  momentan  abfliesenden  Menge  bei 
unverständigen  Patienten  als  belanglos  erachtet,  und  nicht  besonders 
erwähnt  -werden,  da  die  Kranken  vielleicht  -wegen  eines  anderen 
Uebels  narkotisiert  werden  sollen,  sind,  so  gering  die  momentanen 
Blutungen  auch  erscheinen  mögen,  eben  wegen  ihrer  Dauer  von 
grossem  Einfluss  auf  das  Herz  und  die  anderen  Organe.  So  sieht 
man  wohl  dem  Kx-anken  eine  gewisse  Anaemie  an,  doch  man  ahnt 
nicht,  wie  schwere  Veränderungen  schon  vorhanden  sind.  Da  nun  hier  be- 
reits eine  schwere  Herzaffektion  ina  Verborgenen  bestehen  kann, 
muss  man  den  Vorgang  erkannt  haben,  um  eine  eventuelle  Gefahr 
verhüten  zu  können. 

Dasselbe  muss  betreffend  die  Erkrankungen  undpathologischen 
Zustände  in  anderen  Organen  gesagt  werden.  Unsere  Anamnese 
muss  mit  Genauigkeit  geführt  werden,  ebenso  wie  die  Untersuchung. 
Die  Tuberkulose  mit  ihren  vielen  Schädigungen  ist  schon  unter  den 
Lungenerkrankungen   entsprechend  erwähnt  worden. 

§  20.  Nun  haben  wir  aber  noch  einen  anderen  Punkt  zu  be- 
achten, der,  wie  die  Erfahrung  lehrt,  fast  zu  wenig  in  Betracht  gezogen 
wird,  das  ist  die  Frage:  ist  der  Kranke  frei  von  ansteckenden  Krank- 
heiten, welche  durch  die  Narkoseninstrumente  auf  andere  Personen 
vom  Kranken  übertragen  -werden  können?  Hier  sehen  wir  ab  von 
jenen  Krankheiten,  deretwegen  der  Patient  in  unsere  Behandlung  tritt, 
sondern  wir  haben  vor  allem  die  Syphilis  und  ähnliche  intercurrierende 
Krankheiten  im  Auge.  Wenn  auch  dieselbe  keine  Kontraindikation  für 
die  Narkose  an  sich  bildet,  so  gibt  sie  doch  Gefahr  für  die  umstehenden 
Personen,  und  für  andere,  die  vielleicht  mit  derselben  Maske  später, 
ohne  dass  die  Maske  etc.  sterilisiert  wurde,  narkotisiert  w^erden.  Es 
sollte  unsere  Untersuchung  hierbei  mehr,  als  üblich,  diesen  wichtigen  Punkt 
im  Auge  haben,  denn  -wir  wissen  recht  wohl,  dass  wir  nicht  immer  im 
Stande  sein  können,  die  syphilitische  Infektion  mit  Sicherheit  nach- 
zuweisen. Es  ist  daher  nötig,  dass  wir  mit  List  bei  der  Anamnese 
herauszubekommen  suchen,  ob  eine  Infektion  dieser  Art  vor  kürzerer 
Zeit,  als  zur  Heilung  nötig  ist,  stattgefunden  habe.  Wir  werden  nicht 
immer  bei  direktem  Fragen  eine  wahre  Antwort  erhalten,  deshalb 
müssen  wir  versuchen,  positive  Anhaltspunkte  für  und  wider  durch 
eine  objektive  Untersuchung  zu  ei'langen.  Es  ist  ja  kein  Zweifel, 
dass  durch  die  Maske  die  syphilitische  Erkrankung  mit  Leich- 
tigkeit übertragen  werden  kann,  ebenso  dass  der  Narkotiseur, 
und  die  anderen  assistierenden  Personen  der  Gefahr  der  An- 
steckung  ausgesetzt  sind. 

Es  kommt  nach  unserer  Ansicht  hauptsächlich  in  Polikliniken, 
lind  den  Sprechstunden  viel  beschäftigter  Aerzte  dieser  Umstand  in 
Betracht,    da  dort,  meist  ohne   vorhergehende  längere  Beobachtung  des 


—     56     - 

Kranken,  eine  Narkose  eingeleitet  wird,  und  in  der  Eile  vielleicht  nicht 
iede  Maske  nach  der  Narkose  durch  Hitze  sterilisiert  Averden  kann. 
Wenn  längere  Zeit  zur  Beobachtung  des  Kranken  gegeben  ist,  so  darf 
eine  syphilitische  Infektion  niemals  dem  Arzte  entgehen.  Es  ist 
ja  nun  auch  die  Pflicht  des  Kranken,  in  jedem  Falle  den  Arzt  von  dem 
Bestehen  einer  derartigen  Krankheit  zu  unterrichten,  allein  es  Avird  da 
nicht  jeder  Kranke  so  peinlich  mit  seiner  Wahrheitsliebe  umgehen, 
und  es  ist  eine  allgemein  feststehende  Tatsache,  dass  die  meisten  Per- 
sonen bestrebt  sind,  diese  Infektion  nach  Möglichkeit  zu  ver- 
heimlichen. 

§  21.  Es  ist  nun  bei  der  Untersuchung  des  Körpers,  ebenso  wie 
auf  die  inneren  Organe,  so  auch  auf  die  etAva  bestehenden  patholo- 
gischen Veränderungen  in  Mund,  Nase,  Rachen  und  Kehlkopf 
die  Aufmerksamkeit  zu  lenken.  Nicht  nur  dass  man  sich  durch  ein- 
fache Inspektion  von  den  oberflächlichen  Verhältnissen  über- 
zeugt, sondern  man  muss  mit  Spekulum  und  Reflektor  eine  genaue 
Untersuchung  dieser  Organe  anstellen.  Dies  ist  nötig,  um  erstens  im 
Rachen  und  Kehlkopf  etAA^aige  das  Lumen  verengernde  Zustände 
rechtzeitig  zu  erkennen,  damit  man  nicht  etwa  eine  plötzliche  Ver- 
legung des  Atmungstraktus  bei  der  Narkose  erlebt,  durch  welche 
der  Kranke  der  Gefahr  der  Erstickung  ausgesetzt  Averden  kann. 
Die  Untersuchung  muss  aber  auch  auf  etwa  bestehende  Schleimhaut- 
veränderungen, Katarrhe  und  Entzündungen  fahnden,  denn  der- 
artige pathologisch  A^eränderte  Organe  und  Schleimhäute  sind  die  Orte, 
wo  Bakterien  und  Mikroorganismen  der  verschiedensten  Arten 
und  Krankheiten  Avuchern  und  gedeihen,  sie  stellen  künstlichen 
Brutstätten  ähnliche  Nährböden  dar,  wo  jeder  aus  der  Atmungs- 
luft von  innen  oder  aussen  ankommende  Coccus,  oder  Baccillu& 
einen  Ort  findet,  der  ihm  gestattet,  sich  zu  Millionen  und  Milliar- 
den von  Lebewesen  in  kurzer  Zeit  zu  vermehren. 

Von  diesen  Stellen  aus  werden  die  Krankheitserreger  mit  dem 
Speichel  nach  der  Lunge,  oder  dem  Darmtraktus  transportiert,  und 
suchen  sich  dann  dort  einen  geeigneten  Ort,  um  ihre  Krankheit  er- 
zeugenden Einflüsse  ausüben  zu  können.  Diese  Katarrhe  und  Ent- 
zündungen bestehen  in  der  Nase  in  einem  chronischen  Schnupfen, 
im  Munde,  in  Stomatitiden,  in  Tonsillarabszessen,  Wucher- 
ungen und  Hyperplasien  der  Schleimhaut  des  Rachens  bis  zum 
Kehlkopf.  Auch  bei  dieser  Untersuchung  ist  uns  die  Gelegenheit  ge- 
geben, etAvaige  syphilitische  Infektionen  zu  erkenne-.  Einden 
wir  solche  Krankheiten,  so  müssen  wir  uns  mit  denselben  näher  be- 
schäftigen. 

Haben  Avir  nun  nicht  Gelegenheit,  den  Kranken  während  einiger 
Tage  zu  beobachten,  so  müssen  wir  uns  auf  die  momentane  Unter- 
suchung beschränken,  und  versuchen,  ein  entscheidendes  Bild  von 
den  physischen  und  psychischen  Verhältnissen  desselben  zu 
erlangen. 

Diese  Untersuchung  muss  natürlich  mit  derselben  Genauigkeit, 
wie    oben    beschrieben,    wenn    auch    auf   kvirze  Zeit    beschränkt,  vorge- 


—      i)(       — 

nommen  werden,  denn  es  .steht  uns  hier  nicht  noch  die  Beobachtung^ 
zur  Seite,  und  so  müssen  Avir  versuchen,  uns  dieselbe  durch  eine  recht 
eingehende  Anamnese  zu  ersetzen. 

Die  Hauitt])unkte,  welche  für  jede  Narkose  massgebend  sind, 
müssen  so  intensiv  und  erschöpfend  behandelt  werden,  dass  wir 
ein   annähernd  brauchbares  Resultat  erhalten. 

Wenn  wir  nun  nach  der  genauen  körperlichen  Untersuchung 
weiter  vorbereitend  wirken  wollen,  so  müssen  wir  eine  einschlägige 
Therapie  der  durch  die  Untersuchung  festgestellten  pathol  ogischen 
Veränderungen   einleiten. 

§   22.      Beginnen    wir    mit    der    Eingangspforte   der  Atmungswege, 
dem  Munde    und    der  Nase,    so    ist    für  die  Narkose  von   grosser  Be- 
deutung,    diese    Höhlen    vorher    genau    zu    inspizieren.      Unsere    Unter- 
suchung   ist    bereits    bestrebt    gewesen,    mit    Nasen-    und    Kehlkopf- 
spiegel   diese   beiden   Höhlen  zu  mustern,  und  wir  haben  uns  ein   Ur- 
teil   geschafft    über    den    Gesundheitszustand    der    Schleimhäute. 
Worauf    wir    hier  zu  fahnden  haben,    sind   die   chronischen  Erkran- 
krankungen    der  Schleimhaut,    wie  wir   sie  bei  der  Stomatitis,   der 
Pharyngitis,   dem  Schnupfen,  und  den  Laryngitiden  finden.      Man 
wird  vielleicht  von  vornherein  meinen,   diese  Krankheiten  würden  wohl 
kaum    eine  Bedeutung  für  die  Narkose   haben.      Dem   gegenüber  haben 
wir    schon    weiter    oben    erwähnt,    wie   an   diesen  Erkrankungsorten   der 
Schleimhaut  enorm  viele  Bakterien   etc.  ihre  Wohnung  aufgeschlagen 
haben.      Eine    solche    chronisch-entzündete   Schleimhaut    ist    ge- 
schwollen und  aufgelockert,   hyperaemisch   und    äusserst  leicht 
verletzbar,    was  man  sofort  daran   erkennt,   dass   nur  ein  leichtes  Be- 
rühren  mit  einem  stumpfen  Spatel,  oder  ähnlichem  Instrument  Blutungen 
hervorruft.      In    diesem    aufgelockerten    blutreichen    Zustande    liegt  das 
günstige  Nährmittel    für    die  Mikroorganismen  zu  Tage.      Bakteriolo- 
gische Untersuchungen    haben   schon  zur  Genüge  dargetan,   welche 
ungeheuere     Menge     verschiedener     Krankheitserreger     daselbst 
nistet,  und  man  findet  unter  ihnen  oftmals  die  Erreger  der  schwersten 
Erkrankungen    der   Lungen,    des    Darmtraktes    u.  s.  w.  wie  z.  B. 
Pneum  ococcen,    Streptococcen,    Diphtheriebaccillen,    Bakte- 
rium  coli   etc.      Nehmen    wir    einmal    ein  Beispiel    an,  und  betrachten 
den  Mund   eines  unserer  Bauern   z.  B.   aus   der  Lüneburger  Heide, 
oder   sonstigen  Gegenden,  abseits  der  Stätten  der  Kultur.    Schon  während 
einer    kurzen  Tätigkeit  auf   dem   Lande  in   diesen  Gegenden   kann   man 
genug  Beispiele    sehen,    und    wir    haben    im  Ueberblick  berechnet,   dass 
ca.  907o    aller   dortigen  Landleute    mit  Stomatitis,    meist  höch- 
sten Grades  behaftet  sind,  und  dies  ist  ja  auch  erklärlich,  wenn  man 
sich    die  Lebensweise    dieser  Menschen,    die  tatsächlich   oftmals   ein  Da- 
sein   kaum    würdig    eines  Menschen  führen,   betrachtet.      Zahnbürste  ist 
ein    Instriiment,    welches    in    den  Augen  und  Anschauungen  des  Lüne- 
burger Bauern    nur    der  Arzt    besitzt,  und  das  ihm  im  höchsten   Grade 
überflüssig    erscheint,    desgleichen   sind  ihm  Mundwasser,   und  andere 
zur  Reinlichkeit  dienende   Objekte,    ein  unbekanntes  Ding.      Wenn 
man    einem    solchen  Menschen    nur    nahe   kommt,   so   wird   einem  schon 


—     58     — 

der  im  höchsten  Grade  widerliche  Stomatitisgeruch  auflfallen,  und 
öffnet  man  gar  erst  den  Mund  des  Kranken,  so  bietet  sich  dem  Auge 
das  Bild  hocho-radio-er  chronischer  Stomatitis  dar.  Bei  den  Stadt- 
bewohnern  ist  dieser  Uebelstand  nicht  so  verbreitet,  wie  unter  der  länd- 
lichen Bevölkerung,  aber  immerhin  findet  man  auch  unter  dem  Stadt- 
volk noch  eine  grosse  Reihe,  welche  jener  Gattung  von  verwahrlosten 
Menschen  angehören.  Dass  in  solch  verwahrlostem  Munde,  und  eben- 
solcher Nase  eine  Kulturstätte  für  Krankheitserreger  aller  Art  zu  finden 
ist,   wird  kaum   ein  vernünftiger  Mensch  leugnen.    ' 

Aber  auch  von  jenen  unheimlich  verwahrlosten  Menschen  abge- 
sehen, finden  wir  in  dem  Munde  eines  reinlichen  Menschen  noch 
immer  eine  grosse,  wenn  auch  gegen  jene  verschwindend  kleine  Anzahl 
von  Krankheitserregern  der  verschiedensten  Arten,  denn  die 
enorm  zahlreichen  Ecken,  Winkel,  Schleimhautfalten  und  Taschen 
des  Mundes  und  der  Nase  bilden  Schlupfwinkel  für  Bakterien, 
und  einen  Aufenthaltsort  für  Speisereste,  welche  den  ersteren  zur 
Nahrung  dienen.  Wir  wissen,  dass  neben  den  Krankheitserregern  auch 
in  jedem  gu.t  gepflegten  Munde  noch  eine  Reihe  v^on  typischen 
Mund-Mikroorganismen,  wie  sie  Miller  so  zahlreich  nachgewiesen 
hat,  gefunden  werden.  Daraus  geht  hervor,  dass  auch  in  der  üblichen 
Mundpflege  noch  nicht  genügend  Schutz  gegen  diese  Feinde  des 
menschlichen   Organismus  geboten  ist. 

Nehmen  wir  nun  an,  je  eine  Person  von  beiden  hier  beschriebenen 
Kategorien  käme  zur  Narkose,  so  würden  bei  derselben,  wenn  auch 
verschieden  stark,  so  doch  ganz  sicher  mit  dem  Speichel  Infek- 
tionen der  Lungen  und  Atemwege  hervorgerufen  werden  durch 
Krankheitserreger,  welche  aus  der  Mund-,  Nasen-  und  Rachenhöhle 
mit  Speichelteilchen  in  die  Lungen  übertragen  würden. 

Deshalb  müssen  wir  Vorkehrungen  treffen,  um  die  gefährlichsten 
Krankheitserreger,  wenn  möglich,  aus  den  genannten  Höhlen  zu  eli- 
minieren. Dass  hierzu  zunächst  nötig  ist,  zu  wissen,  ob  die  Mund-, 
Nasen-,  und  Rachenorgane  gesund,  oder  im  höchsten  Grade  affiziert  sind, 
miiss  Jedermann  einleuchten,  denn  je  nach  dem  gefundenen  Zustande 
müssen  wir  unsere  therapeutischen  Massregeln   ergreifen. 

Nehmen  wir  zunächst  einmal  einen  Durchschnittsmenschen 
an,  welcher  die  übliche  Mundpflege  geAvissenhaft  ausführt,  so  muss 
unsere  Sorge  bei  diesen  Personen  dahingehen,  die  noch  immer  in  den 
genannten  Höhlen  anwesenden  Krankheitserreger  durch  Desinfektions- 
versuche teils  abzutöten,  teils  in  ihrer  Virulenz  so  weit  zu  schwächen, 
dass  sie  nicht  mehr  Lebensfähigkeit  genug  besitzen,  und  so  von  den 
baktericiden  Sekreten  des  Körpers,  und  dem  Blute  überwunden 
werden  können.  Wir  übergeben  dem  Patienten  eine  gute  Zahnbürste, 
und  desinfizierendes  Mundwasser,  indem  wir  denselben  veranlassen, 
öfter  täglich,  je  nach  dem  Zustande,  1  stündlich,  2-  oder  Sstündlich 
den  Mund  zu  bürsten  und  zu  spülen.  Dabei  muss  ebenfalls  die  des- 
infizierende Lösung  bis  in  den  Rachen,  so  weit  wie  möglich  hinab- 
gespült werden.  Ist  die  Nasenschleimhaut  in  gutem,  gesundem 
Zustande,  so  genügt  es,   dieselbe  so  zu  erhalten,   eventuell  einige  Nasen- 


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duschen  kurz  vor  dem  Be<i-iun  der  Narkose  zu  dem  Zwecke,  um  den 
enthaltenen  Schh'im  zu  entfernen,  vornehmen  zu  lassen.  Zwei  Tage 
einer  solchen  Behandlung  genügen,  um  Mund  und  Nase  so  weit,  als 
möglich  zu  sterilisieren,  und  die  Folge  davon  ist,  dass  Lungen- 
erkrankungen   nacli   der  Narkose  verhütet  werden. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  zu  unserem  vernachlässigten  Bauern 
M^ieder  zurück,  hier  genügt  die  genannte  Desinfektion  nicht,  denn 
wir  haben  es  hier  mit  einer  bekanntlich  sehr  hartnäckigen  Krank- 
heit zu  tun.  Meist  ist  bei  diesen  Leuten,  neben  dem  Mundleiden, 
auch  noch  ein  chronischer  Pharynxkatarr h,  und  chronischer 
Schnupfen  vorhanden.  Hier  müssen  wir  energisch  erst  diese  Krank- 
heiten in  Angriff  nehmen,  indem  wir  zunächst  die  Stomatitis  einer 
direkten  Behandlung  unterziehen.  Zu  diesem  Zwecke  lassen  wir 
den  Mund  des  Kranken  öfter  am  Tage  von  einer  zuverlässigen  Person 
mit  einem  Haarpinsel,  welcher  in  Tinctura  Myrrhae  oder  andere 
Mittel  getaucht  ist,  so  bearbeiten,  dass  sämtliche  Schleimhäute  des 
Mundes  mit  der  Tinktur  bepinselt  werden.  Je  nach  der  Schwere 
der  Erkrankung  verwende  man  ausser  der  Myrrhentinktur,  noch 
Tinctura  Jodi,  oder  Solutio  argenti  nitrici  1,0: 15,0,  oder  Tinc- 
tura Myrrhae  mit  Tinctura  Ratanhiae  und  Tinctura  catechu  ää, 
oder  Solutio  Kalii  chlorici  10,0  :  100,0  zum  Gurgeln,  oder  eine 
rosafarbene  Lösung  von  übermangansaurem  Kali  in  Wasser  usw. 
Diese  Mittel  sind  je  nach  der  Art  der  Stomatitis  mit  einem  Pinsel 
direkt  auf  die  Schleimhaut  aufzutragen,  oder  man  lässt  den  Kranken 
mit  entsprechend  dünnen  Lösungen  Mund  und  Rachen  spülen.  Als 
Gurgelwasser  verwendet  man  noch  sehr  gut  eine  Avässrige  Lösung 
von  Thymol. 

Diese  Lösung  muss  von  jedem  Kranken,  sei  er  mit,  oder  ohne 
Mundaffektion  behaftet,  vor  der  Narkose  zum  Ausspülen  verwandt 
werden.  Die  Behandlung  jener  schweren  Stomatitiden  erfordert  natür- 
lich eine  längere  Zeit  als  2  Tage,  und  wir  müssen  Avenigstens  3  oder 
4  Tage  zur  Behandlung  verAvenden,  bis  die  Erkrankung  so  weit  ge- 
bessert erscheint,   dass  man  die  Narkose   Avagen  darf. 

Wenn  Avir  den  Kranken  vor  der  Narkose,  in  Bezug  auf  die  Rein- 
lichkeit seines  Mundes,  behandeln,  so  müssen  AA'ir  auch  nicht  vergessen, 
etAvaige  Fremdkörper,  die  er  im  Munde  bei  sich  führt,  aus  demselben 
zu  entfernen.  Es  kommen  hier  hauptsächlich  ZAvei  in  Betracht,  das  sind 
falsche   Zähne   und  Kautabak. 

Die  falschen  Zähne  müssen  schon  am  Tage  A^or  der  Narkose 
Gegenstand  unserer  Sorge  sein,  und  Avir  müssen  veranlassen,  dass  der 
Kranke  dieselben  Avährend  des  Schlafens  herausnimmt,  Avas  viele 
unvorsichtige  Menschen  unterlassen,  und  Avährend  dieser  Zeit  müssen 
dieselben  in  einer  leicht  desinfizierenden  Flüssigkeit  liegen.  So 
werden  sie  in  Bor-,  Salizyl-,  Thymollösungen  aufbewahrt,  und 
dann  muss  der  betreffende  Patient  vor  dem  Wiedereinsetzen  der- 
selben eine  Reinigung  mit  einer  Bürste  vornehmen,  denn  gerade  in 
den  ZAvischenräumen  der  Zähne  setzen  sich  Speisereste  fest.  Der 
lebende  Zahn  hat  eine  unangenehme  Empfindung,   wenn  zu  seiner  Seite 


-     00     — 

in  dem  Zwischenraum  mit  dem  Nachbar  ein  Eest  von  Speisen  zurück- 
bleibt, und  wir  suchen  denselben  zu  entfernen,  allein  an  falschen 
Zähnen  wird  man  dies  nicht  gewahr,  und  deshalb  müssen  dieselben 
öfters  gut  gereinigt  werden.  Dieselben  Verhältnisse  findet  man  unter 
der  Gummiplatte  am  Gaumen,  und  es  zeugt  von  wenig  Sauberkeit 
des  betreffenden  Menschen,  Avenn  derselbe  sein  Gebiss  nicht  jeden  Tag 
einmal  entfernt,  und  reinigt.  Ferner  muss  unsere  Sorge  dahin  gehen, 
dass  der  Kranke,  ehe  er  nach  dem  Operationssaal  gebracht  wird,  noch 
in  seinem  Zimmer  die  falschen  Zähne  entfernt  und  dort  geeignet 
aufbewalirt,  denn  es  Avird.  oftmals  vorkommen  können,  dass  die  Zähne 
verloren  gehen,  wenn  er  dieselben  erst  kurz  vor  Beginn  der  Inhalationen 
in  dem  Operationssäle  herausnimmt.  Dann  werden  dieselben  eventuell 
an  einen  Ort  gelegt,  wo  sie  entweder  unvorteilhaft  aufbewahrt  werden, 
oder  verloren  gehen  können.  Aiisserdem  kann  es  im  letzten  Moment 
leicht  vergessen  werden,   dieselben   zu  entfernen. 

Was  nun  den  Kautabak  anlangt,  so  ist  es  am  besten,  der  Kranke 
unterlässt  dieses  schmutzige  Vergnügen  während  seines  Aufenthalts 
im  Krankenhause  ganz.  Wenigstens  an  den  Tagen  vor  der  Operation 
muss  man  ihm  die  Benutzung  desselben  entschieden  Aviderraten,  erstens 
aus  dem  Grunde  der  Reinlichkeit,  zweitens  um  die  meist  zugleich 
bestehende  Stomatitis  zur  Abheilung  zii  bringen.  Wird  der  Stift 
nicht  entfernt,  so  ist  an  eine  günstige  Therapie  der  Stomatitis  nicht 
zu  denken.  Dass  nebenbei  das  hässliche  Ausspucken  in  einem 
Krankensaale  nicht  geduldet  werden  kann,  ist  verständlich,  und  schon 
aus  diesem  Grunde  müsste  das  Tabakkauen  verboten  werden.  Ferner 
muss  natürlich  auch  der  Stift  vor  der  Narkose  entfernt  Averden, 
und  der  Kranke  sollte  jedenfalls  nach  Entfernen  desselben  erst  noch 
eine  Reinigung  des  Mundes  vornehmen,  ehe  er  die  Inhalation  be- 
ginnt. Daher  muss  die  Entfernung  schon  längere  Zeit  vorher  verlangt, 
und   eine  Desinfektion  des  Mundes   durchgeführt  Averden. 

Andere  Fremdkörper  kommen  in  Mund  und  Nase  nicht  vor, 
.aber  es  muss  vor  jeder  Narkose  noch  einmal  vom  Narkotiseur  der 
Miind  des  Kranken,  in  Bezug  auf  Fremdkörper,  betrachtet  werden, 
denn  es  geschieht  während  der  Lähmung  der  Muskeln  zu  leicht,  dass 
die  Gebisse  sich  lockern,  tind  verschluckt  werden,  falls  sie  nicht 
vorher  entfernt  Avurden,  und  ernste  Gefahren  drohen  dem  Leben  des 
Kranken   durch  Ersticken,    wenn  nicht    schleunigst  Hilfe  gebi-acht  wird. 

Was  nun  die  Nase  anbelangt,  so  werden  dem  Kranken,  A\^elcher 
eine  chronische  Rhinitis  aufweist,  Nasenduschen  mit  Salizyl, 
Bor.  ,  Kaliihypermanganici  ,  Kaliichlorici-Lösungen  verordnet, 
ev.  geht  man  direkt  gegen  die  Schleimhaut  mittels  Aetzungen  der- 
selben vor. 

Ausserdem  lassen  wir  die  Kranken  mehrmals  am  Tage,  um  auf 
den  Kehlkopf,  und  die  Luftwege  desinfizierend  einzuwirken, 
Kochsalzwasserdämpfe,  Terpentin-Spray  und  ähnliche  Mittel 
durch  den  Zerstäuber  einatmen. 

Durch  diese  Behandlung  der  oberen  AtemAvege  bringen  wir  uns 
eine    grosse  Möglichkeit  der  Infektion  der  Lungen   und  Bronchien 


—  Cl- 
in Wegfall.  Denn  durch  diese  Massnahmen  sind,  sowohl  in  Mund  und 
Nase,  wie  im  Kehlkopf,  Pharynx,  und  den  Bronchien,  die  etwa 
vorhandenen  Krankheitserreger  vermindert,  und  die  noch  vorhandenen 
haben  einen  grossen  Teil  ihrer  Vitalität  eingebüsst.  Es  wird  ja  in 
vielen  Fällen  diese  Vornahme  von  Desinfektion  auf  heftigen  Wider- 
stand seitens  unverständiger  Patienten  stossen,  doch  wenn  man  sie  über 
die  Wichtigkeit  belehrt,  so  wird  ein  grosser  Teil  klein  beigeben,  und 
mit  Energie  und  sicherem  Handeln  wird  kaum  einmal  echter 
Widerstand  geleistet  werden. 

Ja  man  soll  lieber  einen  renitenten  Patienten  seiner  Wege 
gehen  lassen,  als  von  dem  Grundsatze  Aveichen.  Derselbe  hat  in  der 
Tat  die  günstigen  Wirkungen  in  vielen  Fällen  gezeigt,  und  deshalb 
darf  man  nicht  nachgeben,  weil  dann  jeder  Patient  etwas  lästiges  darin 
findet,  und  so  wird  ein  lauer  Zug  in  der  Desinfektion  der  betreffen- 
den Organe  eintreten,  welcher  die  ganze  Vornahme  dann,  in  Bezug  auf 
die  günstige  Wirkung,  illusorisch  machen  kann.  Wir  wissen  aber, 
dass  ein  ganzes  Erfüllen  aller  Pflichten  bei  der  ärztlichen 
Tätigkeit  Haupterforderuis  ist,  und  dass  jede  Konzession,  die 
wir  eventuell  dem  Kranken  machen,  wenn  sie  nicht  durch  organische 
Veränderungen  gerechtfertigt  wird,  entweder  ein  Zeichen  unseres 
eigenen  Zweifels  in  unser  Handeln  ist,  oder  eine  Charakterlosig- 
keit unseres  medizinischen  Geistes  dartut.  Nur  die  Gesamtheit 
führt  hier  zum  Ziele,  und  das  Ziel  ist  für  den  Patienten  die  Gesun- 
dung seines  Organismus,  und  für  uns  das  Bewusstsein,  alles  für  das 
Wohlergehen  des  uns  anvertrauten  Menschen  getan  zu  haben. 

Wenn  wir  hier  auf  die  gesunden  Verhältnisse  der  Lungen  be- 
dacht gewesen  sind,  so  sei  hier  noch  bemerkt,  dass  der  Kranke  auch 
vor  der  Narkose,  neben  der  Pflege  des  Mundes,  durch  systematische 
Atmung  einen  wohltuenden  Einfluss  auf  die  Lungen  ausüben  kann. 
Wir  werden  den  Kranken  anweisen,  wenn  es  sein  Zustand,  und  die  in 
Aussicht  genommene  Operation  gestattet,  sich  in  der  tiefen  Respi- 
ration zu  üben.  Dies  ist  erforderlich  aus  folgenden  Gründen.  Wenn 
die  Narkose  beendet  ist,  so  drohen  dem  Kranken  Gefahren  durch  die 
wenig  ausgiebige  Lungentätigkeit,  indem  er  hypostatische 
Pneumonien,  Aspirationsbronchitis,  und  Pneumonien  sich  zu- 
ziehen kann.  Daher  wird  nach  der  Narkose,  wie  später  noch  genauer 
dargetan  werden  wird,  eine  systematische  Atmung  vorgenommen. 
Damit  nun  der  Kranke  bereits  geübt  ist  für  diese  Arbeit,  lassen  wir 
ihn  vor  der  Narkose  schon  diese  Atmung  üben  und  erlernen.  Die- 
selbe hat  aber  auch  noch  den  Nutzen,  dass  sie  die  Lunge  vor  der 
Narkose  ausdehnt  und  lüftet,  damit  nuii  so  zu  sagen,  eine  tiefe  In-  und 
Expiration  erfolgen  kann.  Die  Uebung  wird  folgendermassen  vorge- 
nommen. Der  Kranke  setzt  sich  in  dem  Bette  auf,  wenn  dies  sein 
Zustand  erlaubt;  und  nimmt  zunächst  zehnmal  langsam  hintereinander 
tiefe  Atemzüge  vor.  Nachdem  eine  halbe  Stunde  verflossen  ist, 
wird  dies  wiederholt,  und  zwar  macht  der  Kranke  jetzt  15 — 20  tiefe 
Atemzüge.  Es  muss  dies  regelmässig  alle  halben  Stunden  gemacht 
werden,    mehr    wie     20    tiefe  Atemzüge    soll    der  Kranke   nicht  vor- 


—     62     - 

nehmen.  Darnach  ruht  er  wieder  eine  halbe  Stunde  aus,  um  dasselbe 
nach  Verlauf  dieser  Zeit  zu  wiederholen.  Ist  der  Kranke  nicht  in  der 
Verfassung,  dass  er  sich  aufrichten  darf,  so  macht  er  die  Atmung  im 
Liegen.  Jedenfalls  muss  dies  von  einem  Wärter,  oder  dem  Arzte  selbst 
überwacht  werden.  Man  braucht  ja  jetzt  die  Uebung  nicht  mit  solcher 
Peinlichkeit,  wie  nach  der  Oj)eration  vorzunehmen,  doch  ist  es  ein  sehr 
grosser  Vorteil,  wenn  der  Patient  diese  Respirationstherapie  vorher  ge- 
lernt hat. 

§  23.  Von  nicht  geringerer  Bedeutung  wie  der  Atmungstraktus 
in  Bezug  auf  die  Inhalationsnarkose  ist  der  Darmtraktus.  Wir  haben 
in  Bezug  auf  denselben  in  verschiedener  Richtung  einen  Einfluss  auf 
den  Kranken  auszuüben,  denn  bei  nicht  nach  bestimmter  Ordnung  be- 
handeltem Darmtraktus  zeigen  sich  während  der  Narkose  eine  Reihe 
von  unangenehmen  Ereignissen,  welche  durch  die  folgenden  Massnahmen 
leicht  verhütet  werden  können.  Einen  ganz  besonderen  Einfluss  auf 
den  Verlauf  der  Narkose  übt  der  Magen  an  sich  aus,  und  es  kommt 
je  nach  den  obwaltenden  Verhältnissen  viel  auf  den  Grad  der  Füllung 
desselben  an,  weshalb  es  nötig  ist,  demselben  eine  besondere  Be 
achtung  zu  schenken.  Da  ist  es  nun  das  nächste,  dass  wir  die  Er- 
nährung, die  Zufuhr  von  Nahrungsmitteln  vor  der  Narkose, 
regeln.      Dies  soll  zunächst  in   dem  folgenden  erörtert  werden. 

§  24.  Es  kommt  natürlich  hierbei  vor  allen  Dingen  auf  die 
Hauptkrankheit  des  Patienten  an.  Wenn  derselbe  an  einer  patho- 
logischen Veränderung  des  Magens,  oder  Darms  direkt  leidet, 
so  werden  Avir  denselben  anders  ernähren  müssen,  als  wenn  er  von  einer 
mit  den  Unter leibsorganen  nicht  in  Berührung  kommenden  Krank- 
heit behaftet  ist.  Nehmen  wir  zunächst  an,  der  Kranke  sei  im  Ab- 
domen gesund,  und  die  Operation  an  sich  verlange  keine  Rücksicht 
auf  die  Ernährung. 

In  diesem  Falle  haben  wir  an  den  Tagen  vor  der  Narkose  dem 
Kranken  eine  Nahrung  zu  verabfolgen,  welche  leicht  verdaulich  ist, 
und  nicht  längere  Zeit  im  Darmtraktus  verweilt. 

Unser  Bestreben  ist,  einen  möglichst  leeren  Magen  und  Darm- 
kanal zu  erhalten.  Die  Ernährung  wird  aber  hauptsächlich  am  Tage 
vor  der  Narkose  so  eingerichtet  werden  müssen,  dass  der  Kranke  eine 
Nahrung  erhält,  die  ihm  noch  Kraft  gibt;  und  es  ist  durchaus  nicht 
der  Zweck  unseres  Handelns,  wie  es  früher  vielfach  Sitte  war,  den 
Patienten  vor  der  Narkose  völlig  hungern  zu  lassen.  Dies  wäre 
ganz  verkehrt,  denn  dadurch  verliert  derselbe  Kraft,  und  wird  am 
Morgen  vor  der  Operation  matt  und  flau  sein.  Das  Gegenteil  wünschen 
wir  aber  von  dem  Kranken,  da  wir  ihn  einer  doppelten  Anstren- 
gung in  Bezug  auf  seine  Körperkräfte  aussetzen,  erstens  durch  die 
Operation,  zAveitens  durch  die  Narkose.  So  müssen  wir  im  Gegen- 
teil bestrebt  sein,  den  Patienten  möglichst  zu  kräftigen,  aber  nicht 
zu  schwächen.  Aus  diesem  Grunde  geben  Avir  ihm  noch  am  Tage 
vorher  etwas  Fleisch  und  Gemüse,  Tee  und  Wein.  Auch  am 
Morgen  vor  der  Narkose  soll  der  Kranke  etwas  Nahrung  erhalten,  eine 
Tasse  Tee  mit  etAvas  Kognak,   eventuell  auch   ein  kleines  Brötchen. 


-     63     — 

Nun  ist  bei  der  Nahrungsgabe  zu  bedenken,  ob  vielleicht  die 
Zeit  bis  zur  Narkose  noch  ausreicht,  um  eine  völlige  Verdauung  dieser 
Nahrung  herbeizuführen. 

Soll  der  Kranke  einen  völlig  leeren  Magen  haben,  was  man  dann 
wünscht,  Avenn,  wie  bei  starken  Rauchern  und  Trinkern  es  der 
Fall  zu  sein  pflegt,  ein  chronischer  Rachenkatarrh  vorhanden  ist, 
welcher  einen  erhöhten  Brechreiz  verursacht,  so  lässt  man  diese 
Nahrungszufuhr  am  Morgen  besser  weg,  namentlich,  wenn  die 
nötige  Zeit  zur  Verdauung  fehlt.  Andere  Patienten,  bei  denen  nicht 
die  Neigung  zum  Brechen  und  Würgen  wahrscheinlich  ist,  lässt  man 
ruhig  eine  Tasse  Tee  mit  Kognak,  und  ein  Brötchen  geniessen. 
In  dem  Falle,  wo  dies  unmöglich  sein  sollte,  bi'ingt  man  dem  Kranken 
per  rectum  eine  Nahrungszufuhr  bei,  worüber  weiter  unten  ge- 
sprochen werden  soll.  Die  Regel,  welche  wir  in  Bezug  auf  Nahrungs- 
zufuhr vor  der  Narkose  aufzustellen  haben,  lautet:  der  Magen  soll  im 
Durchschnitt  nicht  gefüllt  sein,  sondern  fast  leer,  ohne  dass  aber 
vorher  eine  starke  Hungerkur  bestanden  hat,  die  den  Kranken 
schwächen  könnte.  Die  Speisen,  die  wir  ihm  eventuell  noch  verab- 
reichen, müssen  in  geringem  Umfange  viel  kräftigende  und  anregende 
Stoffe  enthalten,  und  doch  leicht  verdaulich  sein,  damit  sie  bis  zum 
Beginn  der  Narkose  bereits  verdaut  worden  sind.  Eine  dazu  genügende 
Zeit  muss   gewählt  werden. 

§  25.  Wenn  wir  nun  die  überaus  häufigen  Narkosen  bei  La- 
paratomien,  Magen-  und  Darmaffektionen  in  Betracht  ziehen, 
so  besteht  hier  die  Hauptregel,  dass  der  Magen  vor  der  Narkose  voll- 
kommen leer  sei,  ebenso  wie  der  Darm.  Deshalb  werden  wir 
bei  Laparatomien  etc.,  um  ein  Würgen  oder  Erbrechen,  das  die 
Operation  sehr  erschwert,  zu  vermeiden,  und  zu  verhüten,  eine  Magen - 
ausspülung  vor  der  Narkose  vornehmen. 

Auch  in  solchen  Fällen,  wo  ein  alter  Magenkatarrh  wahr- 
scheinlich vorhanden  ist,  werden  wir  von  einer  Magenspülung  Nutzen 
sehen. 

Zu  der  Magenspülung  brauchen  wir  folgende  Instrumente: 
Eine  Schlundsonde  aus  elastischem  Gummi  ä  la  Nelaton,  einige 
Gummischläuche,  und  ein  dreiarmiges  Glasrohr,  sowie  einen 
Glastrichter,  oder  Irrigator.  Wir  verbinden  zwei  Arme  des  Glas- 
rohres mit  je  einem  Gimimischlauch, 

Der  eine  führt  zum  Trichter  oder  Irrigator,  der  andere  in  einen 
Eimer.  Das  noch  freie  Glasrohr  wird  mit  der  Schhmdsonde  verbunden. 
Nun  führt  man  die  Sonde  in  den  Magen  ein,  indem  man  den  Kranken 
in  dem  Moment  schlucken  lässt,  wenn  das  Rohr  in  die  Nähe  des 
Kehlkopfes,  unter  Führung  des  Fingers,  gelangt.  Nachdem  die  Sonde 
in  den  Magen  eingeführt  ist,  lässt  man  die  physiologische  Koch- 
salzlösung aus  dem  Irrigator  in  den  Magen  fliessen,  indem  man  das 
andere  Gummirohr  zusammendrückt,  oder  mit  einem  Hahn  verschliesst. 
Nachdem  der  Magen  gefüllt  ist,  öifnet  man  das  Abflussrohr,  und  schliesst 
das  Irrigatorrohr.  Nachdem  man  so  mehrere  Male  verfahren  hat,  ist 
der  im  Magen   etwa  vorhanden  gewesene  Schleim,  und  überflüssige 


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Magensaft  entfernt,  und  man  schliesst  die  Spülung.  Es  ist  sehr  zu 
raten,  in  allen  Fällen,  wo  man  Verdacht  auf  Erbrechen  hat,  eine 
Magenspülung  vorauszuschicken,  man  wird  die  gute  Wirkung  sofort 
gewahr  werden. 

§  26.  Was  nun  die  Verhältnisse  im  Darmkanal  anlangt,  so 
soll  derselbe,  wenn  möglich,  durch  Purgantien  gereinigt  Avorden  sein. 
Man  tut  dies  am  besten  auf  die  Art,  indem  man  dem  Kranken  an  den 
2  —  3  Tagen  vorher  regelmässig  früh  und  abends  ein  Glas  Karlsbader 
Wasser  zu  trinken  gibt,  oder  man  wendet  ein  Abführmittel  an,  falls 
hier  die  Wirkung  nicht  genügend  ist.  Es  ist  nun  in  manchen  Fällen 
erforderlich,  dass  der  Darm  ganz  leer  ist,  z.  B.  bei  Operationen  am 
Darmtraktus.  In  diesen  Fällen  muss  man  ein  energisches  Abführ- 
mittel geben,  und  es  empfiehlt  sich  dabei  am  besten  ein  Senna  infus, 
oder  ein  anderes  stärker  wirkendes  Laxans.  Bei  den  gewöhn- 
lichen Narkosen  ist  es  nicht  nötig,  so  intensiv  zu  laxieren,  es  wird 
dabei  ein  leichteres  Laxans  genügen. 

§  27.  Bei  i'enen  Kranken,  wo  man  per  os  eine  Nahrungszuführ 
für  unangebracht  hält,  wird  demselben  ein  Klysma  gegeben.  Dasselbe 
wird  von  einem  W  ar  mwass  er  ein  lauf,  welcher  die  etwa  im  Rektum 
noch  anwesenden  Faeces  entfernen  soll,  vorher  eingeleitet.  Nachdem  das 
Wasser  wieder  entfernt  worden  ist,  lassen  wir  in  den  Darm  des  Kranken, 
welcher  auf  der  linken  Seite  mit  dem  Anus  etwas  erhöht  gelagert  ist,  aus 
einem  Irrigator  ein  Gemisch  von  50  gr.  Kognak,  50  gr.  Rotwein, 
und  einigen  Tropfen  Tincturae  Opii,  in  warmen  Wasser  gelöst 
(Witzel)  eventuell  mit  etwas  Tee  oder  Milch  gemischt,  falls  uns  dies 
nötig  erscheint,  langsam  einlaufen,  und  fordern  den  Patienten  auf,  nichts 
wieder  herausfliessen  zu  lassen.  Man  muss  eventuell  den  Anus  durch  An- 
pressen einer  kleinen  Gazekompresse  für  einige  Zeit  fest  schliessen,  um 
dem  Kranken  das  Anhalten  der  Flüssigkeit  zu  erleichtern,  da  dieselbe 
sonst  oft  ohne   Zutun  des  Kranken  von   selbst  abfliesst. 

Dieses  Klysma  muss  natürlich  bei  Kranken,  welche  am  Darm 
operiert  werden  sollen,  wegfallen,  in  diesen  Fällen  werden  wir  aber  den 
Darm,  falls  es  möglich  ist,  noch  vorher  durch  Warmwas  serklysmata 
reinigen.      Solche  Rektalspülungen  sind  sehr  zu  empfehlen. 

So  haben  wir  die  Behandlung  des  Kranken  in  Bezug  auf  Magen 
und  Darmkanal  erschöpft,  und  die  wichtigsten  Manipulationen  erwähnt, 
welche  in  keinem  Falle  vernachlässigt  werden  sollten.  Wir  wenden  uns 
nun  zur  medikamentösen  Vorbereitung   des   Kranken. 

§  28.  Da  wir  ja  wissen,  dass  ein  grosser  Teil  der  Menschen  in 
so  engen  Beziehungen  zum  Alkohol  steht,  wie  man  kaum  dieselben 
Verhältnisse  zu  einem  anderen  chemischen  Stoffe  finden  wird,  so  müssen 
wir  nicht  vergessen,  auch  des  Alkohols  hier  zu  gedenken.  Da  der- 
selbe ja  fast  in  allen  menschlichen  Verhältnissen  eine  gewichtige  Rolle 
spielt,  so  ist  es  auch  von  vornherein  anzunehmen,  dass  er  diess  auch 
hier  tun  wird. 

Der  Alkoholismus  ist  in  einem  viel  grösserem  Masse  verbreitet, 
als  man  von  vornherein  glauben  möchte,  da  man  im  allgemeinen 
nur    die    sogenannten  Trinker    als  AI  ko  ho  listen  bezeichnet.      In  un- 


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serem  Fülle  über  ist  dieser  Begrift"  „Alkoholis  t"  viel  um  fassen  der, 
als  gewülmlicli  angenoninien  wird.  Man  könnte  fast  die  Narkose  als 
ein  sehr  feines  E  r  k  e  n  n  ii n  g  s  z  e  i  c  h  e  n  selbst  für  den  schwächsten 
Alkoholisten  ansehen,  so  fein  ist  die  Reaktion.  So  sehen  wir  oft- 
mals Frauen  ein  typisch  alkoholistisches  Exzidationsstadium 
passieren,  und  wir  A\undern  uns,  dass  auch  in  diesem  Falle  der  Teufel 
Alkohol  die  Hand  im  Spiele  hat.  Und  wenn  man  sich  nun  genauer 
nach  der  Lebensweise  der  betreuenden  Person  erkundigt,  so  erfährt 
man  denn  auch,  dass  dieselbe  allerdings  eine  gewisse  Vorliebe  für 
unseren  Teufel  besitzt,  und  diese  Neigung  ist  eine  von  zarten  Banden 
gefesselte  Leidenschaft. 

Wir  haben  gar  oft  Gelegenheit  zu  beobachten,  dass  selbst  die 
konstante  Aufnahme  von  alkoholischen  Getränken,  w^enn  auch 
in  ziemlich  geringem  Maasse,  eine  unruhige  Narkose  hervorbringt. 
Dass  natürlich  der  unmässige  Genuss  des  Trinkers  sich  von  diesen  sehr 
untei'scheidet,  ist  verständlich.  Bei  ihm  haben  wir  ja  oft  die  stärksten 
Exzidationen  gesehen,  und  diese  Narkosen  w^aren  oftmals,  namentlich 
in  früheren  Zeiten,  ein  schwieriges  Ringen  mit  dem  im  höchsten 
Grade  erregten   Kranken. 

Nun  ist  es  aber  nicht  nur  die  Exzidation,  welche  man  allein 
fürchtet,  es  kommt  beim  Alkoholisten  noch  die  Reaktion  auf  die 
Narkotika  in  Betracht.  Es  ist  vor  allem  der  Eintritt  einer  Herz- 
synkope, welcher  zu  fürchten  ist.  Um  nun  all  die  Nachteile,  welchen 
ein  Alkoholist  in  der  Narkose  ausgesetzt  ist,  herabzusetzen  in  ihrer 
Wirkung  und  Intensität,  hat  man  dem  Kranken  vorher  eine  Dosis 
Alkohol  gegeben.  Durch  eine  entsprechende  Gabe  Alkohol,  aller- 
dings lieber  per  rectum,  und  nicht  per  os,  wegen  des  eventuell 
entstehenden  Brechreizes  im  Rachen  des  Trinkers,  wird  eine  bei 
weitem  ruhigere  und  weniger  gefährliche  Narkose  hervor- 
gerufen. Mau  gibt  per  Rectum  bei  einem  Trinker  mittlerer  Stärke 
50  gr.  Kognak,  und  50  gr.  Rotw-ein  in  warmem  Wasser  gelöst. 
Durch  diese  Gabe  direkt  vor  der  Narkose  wirkt  man  anregend  auf  die 
Herztätigkeit.  Wir  w^erden  aber  auch  schon  vorher  dem  Kranken 
eine  regelmässige   Alkoholportion  verabreichen. 

Würden  wir  dem  Manne  plötzlich  beim  Eintritt  in  die  Klinik  den 
gewöhnten  Alkohol  entziehen,  so  würden  wir  einen  grossen  Fehler 
begehen.  Vor  allem  w^ürde  der  Kranke,  wenn  er  starker  Trinker  war, 
der  Möglichkeit  des  Eintrittes  eines  Delirium  alcoholicum  sive 
tremens  ausgesetzt  sein,  und  der  Verlauf  desselben  ist  keineswegs  ein 
günstiger  in  jedem   Falle. 

Aber  auch  bei  massigem  Gentiss  des  Alkohols  w^äre  es 
falsch,  denselben  ganz  wegzulassen,  denn  wir  entziehen  dann  dem 
Herzen  ein  Mittel,  welches  anregend  auf  seine  Tätigkeit  seit 
längerer  Zeit  ,  regelmässig  gewirkt  hat.  Dadurch  wird  das  Herz  ge- 
schwächt und  in  seiner  Widerstandskraft  herabgesetzt.  Wenn  mm 
noch  der  Einfluss  der  Narkose  hinzukommt,  w^elcher  ebenfalls  Anforde- 
rungen an  die  Kraft  de-s. Herzens  stellt,  so  haben  wir  zwei  Momente, 
welche  doppelte   Einwirkung  auf  das  Herz   ausüben.      Durch   die  Alko- 

5 


-     66     - 

holgaben  vor  der  Narkose  haben  wir  eine  Anregung  der  Herztätig- 
keit zu  erwarten,  und  somit  Avird  das  Herz  eher  die  Anstrengung  aus- 
halten. Ebenso  sind  kleine  Alkoholdar reichungen  an  den  Tagen 
vor  der  Narkose  von  Nutzen,  und  Avir  dürfen  nicht  vergessen,  die- 
selben entsprechend  den  Gewohnheiten  des  betreffenden  Individu- 
ums einzurichten. 

§  29.  Ebenso,  wie  wir  schon  diu'ch  die  Alkoholdarreichung 
auf  die  Herztätigkeit  einzuwirken  suchten,  ist  es  auch  von  verschie- 
denen Seiten  durch  Darreichung  von  Digitalis  und  Strophanthus 
versucht  worden,  stärkend  die  Herzaktion  zu  beeinflussen.  Wir 
Averden  in  der  av eiteren  Entwickelung  sehen,  dass  manche  Na r kose n- 
arten  auf  die  Herztätigkeit  einen  gewaltigen  Einfluss  ausüben. 
So  ist  es  nachgewiesen,  dass  das  Chloroform  für  den  Blutdruck  von 
ganz  enormer  Bedeutung,  und  somit  für  die  ganze  Herztätigkeit  ist. 
Wenn  A\'ir  nun  vor  der  Narkose  jenes  vor  allem  im  Auge  haben  müssen, 
nämlich  die  Leb  ens Vorgänge  in  dem  betreffenden  IndiAäduum  zu  er- 
mitteln, und  Lücken  im  Getriebe  des  Organismus  noch  rechtzeitig  aus- 
zufüllen; so  müssen  wir  vor  allem  unsere  Aufmerksamkeit  auf  die 
Herztätigkeit  lenken.  Es  kommt  nur  zu  leicht  vor,  dass  dieselbe 
eine  Aenderung  erfährt,  wir  sehen  die  beginnende  fettige  Degene- 
ration sich  in  einer  unregelmässigen  Aktion  anzeigen,  und  wir 
sehen  ebenso  die  Arteriosclerose  von  gewaltigem  Einfluss  auf  die- 
selbe. Ferner  kommen  wir  in  die  Verlegenheit,  selbst  an  Herzkranken 
unsere  Kunst  des  Narkotisierens  zu  erproben.  Da  ist  nun  unser  Haupt- 
gegenstand der  Obacht  wiederum  das  Herz,  und  wir  werden  in  jenen 
Stallen,  wo  eine  Degeneration,  oder  Sklerose  bereits  ihre  Einflüsse 
in  Abweichungen  der  Herzaktion,  und  somit  auch  des  Pulses  geltend 
macht,  Vorkehrungen  treffen  müssen,  um  bei  dem  an  die  Herztätig- 
keit schon  an  sich  hohe  Anforderungen  stellenden  Verfahren  der  Nar- 
kose nicht  einen  locus  minoris  resistentiae  in  der  Herzaktion 
zu  finden,  sondern  einen  Felsen,  an  dessen  Festigkeit  selbst  die 
Noxen  einer  Chloroformnarkose  machtlos  abprallen.  Durch  ent- 
sprechende Medikationen  können  wir  eine  unregelmässige  Herztätig- 
keit bessern ,  können  wir  eine  schwache  Kraft  stärken ,  so  dass  die 
Narkose  von  dem  Herzen  ausgehalten  wird.  Wir  sehen  hier  ab  von 
spezifischen  Wirkungen  der  einzelnen  Narkotika  auf  das  Herz  selbst, 
und  ziehen  nvir  die  schwächenden  Einflüsse  der  Narkose,  der 
Betäubung    im    allgemeinen,   in  Betracht. 

Da  wir  nun  aber  nicht  immer  die  Herz  erkrankungen  in  ihrem 
Anfangsstadium  zu  erkennen  vermögen,  denn  es  muss  bereits  eine 
bestimmte  Grösse  und  Ausdehnung  der  Erkrankung  vorhanden  sein, 
bis  deren  Gegenwart  durch  einen  deutlich  durch  Gefühl  und  Betastung 
nachweisbaren  Aenderungszustand  im  Verhalten  des  Pulses  ausge- 
drückt wird,  und  die  ersten  Anfänge  der  Krankheit  entgehen  oftmals 
lange  Zeit  unserem  beobachtenden  Betasten  und  Prüfen  mit  den  Händen. 
So  lassen  wir  den  Patienten  bei  der  leisesten  Ahnung  und  Ver- 
mutung einer  Herzaffektion  eine  regelmässige  Digitalis-  oder 
Strophanthuskur  beginnen. 


—     67     — 

Namentlich  bei  gut  kompensierten  Herzfehlern,  wo  auch 
ohne  Medikation  eine  gut  geleitete  A  ethernarkose  z.  B.  vertragen 
werden  kann,  bei  Alkoholismus,  bei  Pletora  etc.  werden  wir  pro- 
phylaktisch diese  Mittel  mit  gutem  Erfolge  anwenden.  Wenn  man 
bedenkt,  dass  durch  ganz  geringfügig  erscheinende  Anlässe  oftmals  eine 
Herzschwäche  bei  solchen  Kranken  hervorgebracht  wird,  ist  es  klar 
und  verständlich,  dass  eine  prophylaktische  Bekämpfung  even- 
tueller  Schwächezustände  von  grossem  Nutzen   sein  kann. 

Neuerdings  hat  Kader  bei  über  200  Narkosen  Digitalis  und 
Strophanthus  angewendet.  Er  giebt  Digitalis  24 — 48  Stunden, 
Strophanthus  (Tinctura  Strophanthi)  2 — 3  mal  täglich  5  bis 
12  Tropfen)  häufig  nur  wenige  Stunden  vor  der  Narkose.  In 
vielen  Fällen  genügte  ihm  eine  Dosis,  der  durch  die  Medikation  kräf- 
tiger und  langsamer  gewordene  Puls  blieb  selbst  bei  sehr  lange  dauernden 
Narkosen  älterer  Leute  gewöhnhch  bis  zum  Ende  der  Narkose  bei 
guter  Qualität.  Auch  während  der  Nachbehandlung  verwandte 
Kader  dieses  Mittel  besonders  bei  Bauchoperierten,  und  glaubt  auch 
bei  Mund-,  Rachen-  und  Kehl  köpf  operierten  dadurch  manche  Pneu- 
monie verhütet,  ja  zur  Heilung  gebracht  zu  haben.  Da  Digitalis 
das  rechte  Herz  schwächt,  (Opeucho wskj)  und  dadurch  den 
kleinen  Kreislauf  schädigt,  ist  Kader  neuerdings  ganz  von  der 
Darreichung  der  Digitalis  abgekommen,  und  verwendet  ausschliesslich 
Strophanthus. 

Man  gibt  diese  beiden  bekannten  Herzmedikamente,  Digi- 
talis und  Strophanthus  auch  folgendermassen.  Entweder  man  nimmt 
Tinctura  Digitalis,  und  gibt  dem  Kranken  von  derselben  allein 
15 — 20  Tropfen  4  mal  am  Tage,  oder  man  nimmt  einen  entsprechend 
Starken  Infus  der  Blätter,  oder  Pillen.  Letztere  sind  zu  3 — ^6  Pillen 
täglich  zu  nehmen,  und  haben  wegen  der  angenehmen  Art  des  Ein- 
nehmens  vielleicht  einen  Vorzug.  Man  verwendet  auch  Tinctura 
Digitalis  oder  Strophanthi  zusammen  (Witzel),  und  gibt  dann  4  mal 
täglich  15  Tropfen  von  einer  Mixtur  aus  Tinctura  Digitalis  et 
Strophanthi  ää.  Es  ist  kein  Fehler,  wenn  man  diese  Tropfen  nach 
den  Angaben  von  Witzel  jedem  Kranken  gibt,  denn  man  wird  fast 
bei  der  Hälfte  aller  Patienten  dieselben  so  wie  so  anwenden  müssen 
wegen  Verdacht  einer  Herzaffektion.  Diese  Tropfen  besitzen  nämlich 
noch  einen  vorteilhaften  Einfluss  auf  den  Patienten,  welcher  in  Be- 
ruhigung und  Verminderung  der  psychisch  en  Erregung  besteht. 
Es  ist  der  direkte  Einfluss  der  Medikamente  auf  das  Nervensystem, 
Avelcher  sich  in  einer  sedativen  Wirkung  kenntlich  macht.  Ausser- 
dem kommt  vielleicht  noch  jener  Umstand  als  Beruhigungsmittel 
in  Betracht ,  nämlich  der ,  dass  der  Kranke  durch  diese  Darreichung 
von  Medizin  sieht,  es  wird  bei  ihm  eine  Behandlung  eingeleitet,  und 
dieses  Bewusstsein  gibt  ihm  eine  grössere  Ruhe,  und  mehr  Vertrauen. 
So  haben  wir  einen  dop})elten  Nutzen  von  dem  Darreichen  der  Tropfen. 
Die  Wirkung  derselben  auf  Herz  und  Psyche  ist  keineswegs  zu  unter- 
schätzen. 

§  30.     Nächst  dem   eben   erwähnten   haben  wir    noch   ein   zweites 

5* 


-     68     — 

allbeliebtes  Mittel,  um  die  Narkose  selbst  ruliigei*  zu  gestalten,  und  den 
Kranken  an  sicli  ebenfalls  zu  beruhigen.  Dies  ist  das  Morpbinuiu 
muri ati cum.  Wir  geben  dasselbe  bei  jeder  Art  der  Narkose,  und  es 
ist  kein  Z^veifel,  dass  die  Wirkung  desselben  für  die  Narkose  eine 
günstige  ist.  Manche  sind,  und  vor  allen  Dingen  war  man  früher  der 
Ansicht,  man  müsse  das  Morphin  erst  10  —15  Minuten  vor  Beginn 
der  Inhalationen   geben. 

Allein  wir  sind  in  dieser  Hinsicht  nicht  mit  dem  alten  Verfahren 
einverstanden.  Erstens  gibt  es  Menschen,  Avelche  diesem  Medikamente 
eine  Idiosynkrasie  entgegen  bringen.  Man  sieht,  -wie  nach  der 
kleinsten  Dosis  Erbrechen  und  Nausea  eintreten,  welche  oft  lange 
Zeit  anhalten,  und  bisweilen  selbst  zu  Collaps  führen  können.  Es  ist 
keineswegs  ohne  Gefahr,  wenn  diese  Erscheinungen  während  der  Nar- 
kose auftreten,  in  dem  Falle,  dass  man  die  Injektionen  10  Minuten 
vor  der  Inhalation  erst  vorgenommen  hatte.  So  treten  Schädigungen 
des  Organismus  durch  2  Mittel  zugleich  auf,  und  aus  diesem  doppelten 
Angriff  auf  die  Vitalität  des  Organismus  können  ernste  Gefahren 
quo  ad  vitam  resultieren.  Man  hat  neuerdings  unter  andei'em  dieser 
Methode  den  VorAvurf  entgegenzuhalten,  dass  nach  10  Minuten  das 
Morphin  noch  nicht  die  ganze  Wirkung  auf  den  Organismus  entfaltet 
habe,  und  dieselbe  könne  erst  innerhalb  einer  Stunde  zur  Geltung 
kommen,  sodass  man  eine  Beruhigung  des  Kranken,  und  nicht  eine 
Erregung  desselben  bemerkt,  Avelch  erstere  man  ja  ertrebt,  Avährend 
die  Erregung  A\ohl  oftmals  als  Vorläufer  vor  der  beruhigenden  Wirkung 
innerhalb  10  Minuten  eintreten  kann.  Diese  Behauptung  besteht  voll- 
kommen zu  Recht,  und  man  hat  beobachtet ,  dass  man  eine  kleine 
Morphindosis  eine  Stunde  lang  eiuAvirken  lassen  sollte,  um  dann 
erst  die  Narkose  zu  beginnen.  Ausserdem  wird  man,  Avenn  eine  Stunde 
verflossen  ist,  nicht  die  Wirkung  des  Morphin  gleich  der  des  Chloro- 
forms A^erspüren ,  nämlich  eine  Blutdruck  herabsetzende.  Das 
Morphin  ist  nämlich  entsprechend  den  Einzelgaben  ein  Gilt,  Avelches 
den  Blutdruck  herabs  etzt  gleich  dem  Chlorofo  rm,  denn  es  gehört 
ja  selbst  mit  unter  die  Narkotika,  und  wird  zum  Zwecke  der  Betäubung 
verwendet.  So  haben  manche  mit  einem  gewissen  Recht  Bedenken 
getragen,  das  Morphin  mit  einem  Narkotikum,  AAäe  Chloroform, 
dessen  Wirkungen  denen  des  Morph,  ähneln,  zu  gleicher  Zeit  zu  geben. 
Hat  man  nun  die  Injektion  erst  10  Minuten  vor  der  Narkose  gegeben, 
so  macht  sich  die  Wirkung  beider  zu  gleicher  Zeit  geltend,  Avodiu'ch 
eine  schwere  Gefahr  für  das  Herz  entsteht.  Ist  aber  eine  Stunde 
seit  der  Injektion  A^erflossen,  so  ist  die  Wirkung  der  kleinen  Dosis  be- 
reits verflossen,  und  es  besteht  nur  noch  der  Einfluss  der  sedatiA'en 
Eigenschaft  des  Morphins,  wenn  die  Wirkung  des  Cliloroforni  s  ein- 
setzt. Einige  sind  sogar  noch  strenger,  und  fordern  das  Weglassen 
des  Morphins  bei   Chloroform. 

Es  ist  aber  bei  vielen  Personen  sehr  nützlich,  auch  bei  der 
Chloroformnarkose,  dass  vorher  eine  gCAvisse  Beruhigung  des  Or- 
ganismus eingetreten  ist,  namentlich  bei  Alkoli  olisten.  Man  sieht, 
wie  auftallend  gering  die  Excidation   auftritt  bei  einer  Mo rp  hingäbe 


—     69     — 

vor  einer  Stunde,  während  ohne  dieselbe  die  Excidation  eine  viel 
bedeutendere  ist.  Man  soll  ja  auch  die  Morphininjektion  nicht  ver- 
allgemeinern, und  vor  jeder  Narkose  eine  solche  vornehmen,  wenn 
dieselbe  auch  in  diesen  geringen  Dosen  nur  ganz  selten  wird  schaden 
können. 

Folgende  Methode  wird  die  beste  sein,  und  wird  von  uns  in  jedem 
Falle  beachtet.  Bei  den  Kranken,  welche  eine  Gew()hnung  an  Alko- 
hol erwarten  lassen,  geben  wir,  wenn  nicht  besondere  Gründe  dagegen 
sprechen,  eine  Morphininjektion  von  0,01 — 0,02  je  nach  der  Kon- 
stitution, dem  Alter,  und  dem  Geschlecht  1  Stunde  vor  dem 
Beginne  der  Inhalationen.  Bei  Kindern  wird  entweder  dieselbe  ganz 
weggelassen,  Avas  bei  den  meisten,  jedenfalls  bei  Kindern  bis  zehn 
Jahren,  angebracht  ist,  oder  man  mindert  dieselbe  entsprechend 
herab.  Bei  sehr  alten  Personen  gilt  auch  der  Rat,  sehr  vorsichtig 
zu  sein,  und  entweder  dieselbe  ganz  zu  u.nterlassen,  oder,  wenn  sie 
doch  wünschenswert  ist,  den  körperlichen  Verhältnissen  entsprechend  zu 
verändern.  Das  Geschlecht  hat  Avenig  Einfluss,  doch  Avird  man 
bei  Frauen,  die  in  partu  narkotisiert  Averden,  eine  solche  sehr 
gut  entbehren,  ebenfalls  bei  den  Frauen  in  Krankheitsfällen  mit 
den  Avenigen  Ausnahmen,  avo  die  Frauen,  ebenso  Avie  die  Männer,  dem  Al- 
kohol huldigen.  Meist  ist  beim  Weib  Morphin  nicht  nötig.  Da  näm- 
lich Frauen  Avährend  der  Entbindxing  sehr  leicht  zu  narkoti- 
sieren   sind,    ist  kein   Grund  für  eine   Morphininjektion  zu  finden. 

Es  können  auch  dieser  Kombination  der  Narkose  mit  Mor- 
phin einige  Krankheiten  entgegenstehen.  So  ist  vor  allem  bei  Herz- 
affektionen natürlich  Vorsicht  geboten,  ebenso  bei  sehr  scliAvachen 
Personen,  welche  entAveder  durch  Blutungen,  oder  maligne  Neu- 
bildungen in  ihrem  Kräftezustande  arg  ad  malam  partem  beein- 
flusst  sind. 

§  31.  Wenn  Avir  in  dem  folgenden  die  Darreichung  A'on  Atropin 
auf  subkutane  Weise  vor  der  Narkose  behandeln  wollen,  so  geschieht 
dies  deshalb,  Aveil  man  von  einigen  Seiten  die  Anwendung  dieses  Mittel 
als  äusserst  praktisch  zur  Verhütung  der  bei  A'erschiedenen  Narkosen 
mehr  oder  Aveniger  stark  auftretenden  Sekretion  und  Hyperse- 
kretion  der  Schleimhäute  und  Drüsen  anempfohlen  hat.  Wenn 
wir  diese  Methode,  Avelche  in  der  subkutanen  Injektion  von  0,001 
Atropin  mit  0,02  Morphin  vor  der  Narkose  (Reinhard)  besteht, 
verAvenden,  so  müssen  wir  uns  zimächst  klar  sein,  dass  Avir  dem  Orga- 
nismus ein  nicht  unbedeutendes  Gift  in  dem  Atropin  einverleiben. 
Es  ist  jedenfalls  in  vielen  Fällen  gar  nicht  gleichgültig,  ob  dem  Kör- 
per neben  den  als  Gifte  Avirkenden  Narkotika  noch  ein  in  seinen  Wir- 
kungen gar  nicht  harmloses  Gift  zugeführt  wird,  welches  an  sich  noch  An- 
forderungen an  die  Kraft  des  Organismus  und  die  Vitalität 
stellt,  die  im  Verein  mit  denen  des  Narkotikums  und  der  Narkose  im 
allgemeinen  eventuell  ein  zu  hohes  Mass  A'on  Kraft  fordern.  Jeden- 
falls muss  man  bei  der  Darreichung  von  Atrop.in  vor  der  Narkose 
indiA'idualisier  en ,  und  nicht  allgemein  verfahren,  wie  es  von  uns 
verschiedentlich    in    der    Praxis    g-esehen    Avorden    ist.      Dazu    sind  denn 


-     70     — 

doch  die  Wirkungen  des  Atropins  nicht  harmlos  genug,  und  die  In- 
dividualität ist  zu  verschieden,  um  eine  allgemeine  Anwendung  an- 
zuraten. Dessen  ungeachtet  ist  das  Atropin  wohl  angebracht  bei  jenen 
Narkotika,  wie  Aether,  für  welche  die  Anwendung  von  Reinhard 
und  anderen  auch  empfohlen  wurde,  da  es  die  Drüsensekretion 
vermindert.  Man  hat  durch  die  Atropinbehandlung  den  Zweck 
verfolgt,  die  durch  übermässige  Sekretion  entstehenden  Lungen  er- 
kranken post  narkosin  zu  verhüten.  Es  ist  nun  schon  an  anderer 
Stelle  daraufhingewiesen  und  genau  erklärt,  wie  die  postnarkotischen 
Lungenerkrankungen  zu  stände  kommen,  und  wir  wissen  jetzt,  dass 
wir  auch  ohne  Atropin  die  Hypersekretion  bedeutend  vermindern, 
und  die  postnarkotischen  Lungenerkrankungen  verhüten  können. 
So  haben  Braun,  Witzel  und  andere  selbst  bei  der  Aethernarkose 
eine  Hypersekreliion  von  Schleim  u^nd  Speichel  vermeiden  können 
durch  eine  exakte  und  vorsichtige  Dosierung.  Jedenfalls  ist  die 
Injektion  von  Atropin  bei  den  übrigen  Narkotika  unnötig,  da  die 
Hypersekretion  auf  harmlosere  Art  bekämpft  werden  kann,  und  auch 
nur  in  massigem  Grade  bei  der  Narkose  der  meisten  Narkotika  vor- 
kommt. Selbst  bei  der  Aethernarkose  können  wir  nach  unserer 
eigenen  Erfahrung  die  Atropinmedikation  entbehren.  Eine  Con- 
traindikation der  Atropinbehandlung  bilden  die  grossen  Schwäche- 
zustände, Herzerkrankungen,  dekompensierte  Herzfehler, 
Arteriosklerose  etc.,  ebenso  das  jugendliche,  und  das  Greisen- 
alter. Wir  werden  bei  der  Behandlung  der  Aethernarkose  im  spe- 
ziellen Teile  nochmals  auf  die  Atropinbehandlung  vor  der  Nar- 
kose zurückkommen  müssen  Für  die  allgemeine  Nai'kose  ist  diese 
Medikation  in  den  meisten  Fällen  zu  entbehren. 


IV.  KapiteL 

Die  Lagerung  des  Kranken  zur  Narkose. 

§  32.  Wenn  wir  einen  besonderen  Abschnitt  auf  die  Lagerung 
des  Kranken  während  der  Narkose  verwenden,  so  könnte  man  even- 
tuell dies  für  weitschweifig  halten.  Doch  es  wird  in  dem  Nachfolgen- 
den die  Wichtigkeit  der  Lagerung  des  Kranken  nach  bestimmten 
Grundsätzen  zu  tage  kommen.  Man  hat  in  früheren  Zeiten  allerdings 
wenig  Sorgfalt  auf  dieselbe  verwandt,  denn  man  kannte  noch  nicht  die 
vielen  Nachteile,  und  wusste  noch  nicht,  wie  leicht  dieselben  zu  ver- 
hindern seien.  Wenn  wir  nun  die  Lagerung  bedenken,  in  der  wir 
an  einem  Kranken  eine  Narkose  einleiten  sollen,  so  müssen  wir  als 
erstes  Erfordernis  das  aufstellen,  dass  der  Patient  auf  dem  Rücken  liege. 
Es  wäre  in  jedem  Falle  ein  Nachteil,  wenn  man  den  Kranken  etwa 
in    anderer  Stellung    narkotisieren  wollte.      Selbst    bei    einer   ganz  kurz 


—     71     — 

dauernden,  und  .schnell  vorübergehenden  Narkose  ist  die  sitzende 
Stellung  insofern  von  grosser  Gefahr  für  den  Kranken,  als  gerade 
die  schnellen  Narkosen  eine  bedeutende  Gefahr  für  das  Herz  mit  sich 
bringen.  Wenn  wir  nun  eine  Herzschwäche  eintreten  sehen,  und  es 
befindet  sich  unser  Kranker  in  einem  Stuhle  z.  B.  aufrecht  sitzend,  so 
haben  wir,  ehe  wir  sonst  rettend  eingreifen  können,  die  Pflicht,  die 
Lage  so  zu  ändern,  dass  der  Patient  horizontal  zu  liegen  kommt, 
oder  lieber  noch  mit  dem  Kopfe  tiefer,  als  mit  dem  Thorax.  Wie 
lange  es  eventuell  dauern  kann,  kann  man  nicht  ermessen,  jedenfalls 
ist  bei  solchen  Eventualitäten  die  Zeit  so  kostbar,  weil  die  Herz- 
schwäche sehr  schnell  fortschreitet,  wenn  nicht  eingegriffen  wird,  und 
Herzstillstand  eintritt,  dass  man  sich  nicht  erst  damit  abmühen  darf, 
den  Kranken  aus  der  sitzenden  in  andere  Lage  zu  bringen.  Wenn 
man  nur  noch  bedenkt,  dass  man  oftmals  allein  ist,  weil  etwa  anwesende 
Laien  den  Kopf  verlieren,  so  sieht  man  ein,  dass  man  schwer  die  nar- 
kotisierte Person  aus  dem  Stuhl  herausheben,  und  ohne  Nachteil 
auf  die  Erde  legen  kann.  Deshalb  ist  es  unbedingt  nötig,  dass  die 
Narkosen  stets  in  liegender   Stellung  vorgenommen  werden. 

§  33.  Aber  auch  die  horizontale  Lage  an  und  für  sich  ist 
noch  nicht  die  ideale  Lagerung.  Wir  müssen  vielmehr  bestrebt  sein, 
den  Kranken  so  zu  legen,  dass  er  auf  einer  horizontalen  Ebene, 
welche  mit  dem  Beginn  des  Rückens  in  der  Halsgegend  abschneidet, 
liegt,  so  dass  der  Kopf  dorsalwärts  herabhängt  (vergl.  Figur  1). 
Derselbe  muss  mit  beiden  Händen  von  einem  Assistenten  gehalten  Averden. 
Diese  Lagerung  ist  von  Witzel  angegeben  und  hat  eine  grosse  Reihe  von 
Vorteilen.  Der  erste  und  bedeutendste  Nutzen  ist  der,  dass  sämtlicher 
Speichel,  dessen  Sekretion  durch  die  meisten  Narkotika,  sowohl  im  Kehl- 
kopf, wie  den  Bronchien  und  Munde  hervorgerufen  wird,  durch  die  tiefere 
Lagerung  des  Kopfes  nicht  vom  Munde  nach  dem  Körper  zu,  son- 
dern diu'ch  Mund  und  Nase  nach  aussen  fliessen  kann.  Wenn  man 
bedenkt,  dass  auch  die  Aspiration  von  Speichel  bei  jeder  Narkose, 
selbst  wenn  eine  Vermehrung  desselben  nicht  sehr  gross  ist,  eine 
Lungenkrankheit  vom  unschuldigen,  nicht  infektiösen,  schnell 
abheilenden  Katarrh,  bis  zur  tödlich,  oder  doch  sehr  schwer 
verlaufenden,  infolge  von  Infektion  bestimmter  einzelner 
Bakterienarten,  oder  Mischinfektion  hervorgerufenen,  und 
lange  Zeit  bis  zur  völligen  Restitutio  ad  integrum  brauchen- 
den Pneumonie  entstehen  kann,  so  ist  uns  schon  durch  die  Tatsache, 
dass  solche  schwere  Schädigungen  des  Organismus  überhaupt  vorkommen 
können,  die  Pflicht  auferlegt,  die  Lagerung,  welche  zur  Vermeidung 
derselben  beitragen  kann,  einer  anderen,  die  Ursache  der  Erkrankung 
begünstigenden,  vorzuziehen.  Diese  Lagerung  ist  nur  eine  nicht  so 
einfache,  wie  sie  anfangs  erscheinen  mag,  und  man  kann  dieselbe  er- 
reichen, indem  man  den  eigens  für  dieselbe  konstruierten  Opera- 
tionstisch nach  Witzel  benutzt,  oder  indem  man  auch  bei  den  meisten 
anderen  Tischen  den  Kranken  entweder  so  auf  den  Tisch  legt,  dass  der 
Kopf  nicht  unterstützt  wird,  oder  dass  man  auch  in  solchen  Fällen,  wo 
ein    Operationstisch    nicht    vorhanden    ist,    sich    auf   folgende   Art  hilft. 


—     72     — 

Hat  man  einen  gewöhnlichen  rechteckigen  Tisch  zum  Zwecke  der 
Operation,  so  kann  man  ungefähr  sich  auf  folgende  2  Arten  helfen, 
um  annähernd  die  Vorteile  der  Witzel'schen  Lagerung  zu  er- 
reichen. Der  Tisch  wird  mit  dem  einen  Paar  der  Beine  auf  eine 
Fussbank,  oder  einen  anderen  ähnlichen  Gegenstand,  der  den  schweren 
Druck  auszuhalten  vermag,  gestellt  So  erhalten  wir  eine  schiefe 
Ebene.  Legt  man  nun  den  Kranken  darauf,  und  zwar  so,  dass  der 
Kopf  nach  der  tieferen  Seite  des  Tisches  zu  liegen  kommt,  so  hat  man 
auch  den  Zweck  erreicht,  und  der  Schleim  und  Speichel  des  Mundes 
\yird  nicht  nach  dem  Kehlkopf  zu  fli essen,  sondern  zu.m  Munde 
heraus ,  vor  allem ,  wenn  man  dies  etwas  unterstützt  dadurch,  dass 
man  den  Kopf  auf  eine  Seite  dreht  und  den  Mund  öffnet,  sowie 
den  tiefer  liegenden  Mundwinkel  noch  etAvas  nach  hinten  unten  zieht; 
dann  kann  der  Speichel  zum  Munde  heraus  in  ein  davor  gelegtes  Hand- 
tuch oder  Becken  fliessen.  Es  ist  dies  so  sehr  einfach  erreicht.  Man  hat 
nun  noch  den  Vorteil,  dass  wie  bei  der  Witzel'schen  Lagerung 
(vergleiche  Figur  1.  Lagerung  nach  Witzel)  zu  gleicher  Zeit  der  Zungen- 
grund nach  vorn  gezogen  wird,  was  Witzel  durch  die  forcierte 
dorsale  Reklination  des  Kopfes  bewirkt.      Hat  man  genügend  Per- 


^V   ■! 


Fig.  1.     Lagerung  nach  Witzel  (gez.  n.  Abb.  von  Witzel, 
Münch.  med.  W.  1902). 


sonal,  so  kann  man  ja  auch  auf  dieser  schiefen  Ebene  den  Kranken  so  lagern, 
dass  der  Kopf  dorsal  über  den  Tischrand  herabhängt,  und  von  den  Händen 
einer  assistierenden  Person  gehalten  wird.  Die  zweite  Art,  eine  ähnliche 
Lagerung  zu  bewirken,  besteht  darin,  dass  wir  dem  Kranken  unter  den 
Rücken  und  die  Glutaealgegend  nach  dem  Kopfende  zu  langsam  niedriger 
werdende  Kissen  legt.  Auf  diese  Weise  ist  ebenfalls  eine  schiefe  Ebene 
hergestellt,  und  der  Kopf  liegt  tiefer,  als  die  Briist.  Es  ist  diese  Lage- 
rung ja  vielleicht  für  den  Kranken  im  Anfang  unangenehm,   doch   dass 


—     73     — 

dieselbe  ein  Herabfliessen  von  S])eichel,  in  welchem  das  Narkoti- 
kum gelöst  in  den  Magen  gelangt,  wo  es  Würgen  und  Erbrechen 
hervorruft,  oder  in  den  Kehlkopf,  wo  Husten  und  röchelnde, 
rasselnde  Atmung  entsteht,  und  leicht  mit  Teile  des  durch  den 
Kehlkopfeingang  mit  der  Respiration  ein-  und  ausgeworfenen 
Schleimes  in  die  Bronchien  und  Lungen alveolen  aspiriert  werden 
können,  verhindert,  kann  man  mit  Leichtigkeit  an  sich  selbst  prüfen, 
wenn  man  sich  auf  ein  Chaiselongue  so  lagert,  dass  der  Kopf  tiefer, 
als  Brust  und  Leib  liegt,  also  entgegengesetzt  zur  üblichen  Lage,  und 
versucht  Speichel  zu  verschlingen ,  so  merkt  man ,  wie  dies  sehr 
ersclnvert  und  wie  der  Speichel  nach  dem  Mund  zurückzufliessen 
bestrebt  ist,  noch  auffallender  ist  es,  wenn  man  vorher  einen  Löffel 
voll'' Wasser  in  den  Mund  nimmt,  um  denselben  in  dieser  Lage  zu 
verschlucken.  Es  stellen  sich  solche  Schwierigkeiten  entgegen,  dass 
man  unwillkürlich  sich  emporzurichten  bestrebt  ist.  Man  kann  in  dieser 
Position  nur  ganz  geringe  Mengen  verschlingen,  bemerkt  aber  deutlich, 
wie  der  Speichel  sich  im  Munde  ansammelt.  So  hat  man  die  beson- 
deren  Vorteile  leicht  erkannt. 

Da  nun  während  der  Narkose  die  Reflexe  erloschen  sind,  so 
kann  natürlich  dieser  Schleim  bei  nicht  entsprechender  Lage  durch 
den  Kehlkopf  ohne  Hus  t  enreiz  aspiriert  werden,  und  die  Folge  sind 
L  u  n  g  e  n  e  r  k  r  a  n  k  u  n  g  e  n. 

Es  ist  nach  diesen  Erörterungen  klar,  dass  diese  Lagerung  einen 
grossen  Vorteil  bildet,  und  derselbe  liegt  neben  dem  Nutzen  der  Ver- 
hütung von  Lungenleiden  auch  noch  in  der  Hervorrufung  einer 
Hyperaemie  im  Gehirn,  wodurch  eventuelle  Ohnmächten,  die  als 
Folgen  von  Shock  und  nervösen  Erregungen  vorher  entstehen 
können,  verhütet  werden  Würde  man  den  Kranken  in  sitzender 
Stellung  narkotisieren,  so  Avürden  Ohnmächten  viel  häufiger  eintreten. 

§  34.  Wenn  wir  nun  bei  der  Lagerung  diese  Gesichtspunkte 
im  Auge  halten  müssen,  so  haben  wir  aber  neben  denselben  noch  eine 
Reihe  von  anderen  Momenten  zu  erwägen.  Wenn  der  Kranke  auf  dem 
Rücken  flach  aufliegt,  mehr  oder  weniger  mit  Reklination  des  Kopfes, 
so  ist  auch  ein  Hauptaugenmerk  auf  die  Lage  der  Extremitäten  zu 
richten.  Ziehen  Avir  zunächst  die  oberen  Extremitäten  in  unsere 
Betrachtung,  so  müssen  wir  als  beste  Lagerung  die  annehmen,  dass 
die  Hände  auf  dem  Unterleibe  gekreuzt  sind,  falls  die  Operation 
dies  überhaupt  gestattet  Li  anderen  Fällen  muss  man  je  nach  den 
obwaltenden  Umständen  die  Arme  und  Hände  so  legen,  dass  ihnen  kein 
Schaden  entsteht.  Wenn  nämlich  tiefe  Narkose  eintritt,  das  Stadium 
der  Toleranz  erreicht  ist,  so  sind  sämtliche  Muskeln  des  Organis- 
mvis  gelähmt,  die  Sensibilität  ist  erloschen,  die  Extremitäten 
sind  vollkommen  schlaff  und  haltlos.  Heben  wir  einen  Arm  einer 
völlig  betäubten  Person  in  die  Höhe,  so  werden  Avir  sofort  bemerken, 
Avelch  grosses  Gewicht  derselbe  aufweist.  Aus  dem  Gewicht  müssen 
wir  schliessen,  dass  der  Arm  einen  erheblichen  Druck  auf  seine  Unter- 
lage ausübt.  Liegt  nun  z.  B  der  Arm  so,  dass  der  Ellbogen  auf  die 
harte  Unterlage  gestützt  ist,  Avährend   der  Arm  schräg  nach   dem  Körper 


—     74     — 

des  Patienten  gerichtet  ist,  so  kann  gerade  der  Nervus  ulnaris  in 
der  Rinne  am  Condylus  des  Oberarms  nach  dem  Unterarm  zu 
verlaufend  gegen  die  harte  Unterlage  gedrückt  werden,  und  zwar 
kommt  derselbe,  wenn  die  Verhältnisse  gerade  dazu  stimmen,  so  zu 
liegen,  dass  er  zwischen  Knochen  und  dem  harten  Polster  des 
Tisches  verläuft,  und  es  kann  sich  ereignen,  dass  ein  grosser  Teil  des 
Gewichtes  des  Armes,  auf  den  Knochen  lastend,  den  Nerv  kompri- 
miert, quetscht,  und  arg  lädiert.  Wenn  nun  der  Arm  vielleicht  während 
der  ganzen  Zeit  der  tiefen  Narkose,  die  vielleicht  eine  Stunde  anhält, 
in  dieser  Stellung  A^erharrt,  so  Avird  der  Nerv  arg  geschädigt  werden, 
und  die  Folge  dieser  lange  anhaltenden  Kompression  kann  eine 
Tjähmung  des  Nerven  sein.  Dieser  Umstand  spielt  ja  auch  eine  ge- 
wichtige Rolle  in  der  Krankenpflege,  denn  jeder  Pfleger  muss  bei  be- 
nommenen Personen  die  Extremitäten,  namentlich  die  oft  in  der- 
selben Stellung,  Avie  eben  angezeigt,  liegenden  Arme,  immer  von  Zeit 
zu  Zeit  in  eine  andere  Lage  versetzen,  da  sonst  diese  Lähmungen, 
des  Nervus  ulnaris  eintreten,  und  diese  D  rucklähmungen  sind  oft- 
mals sehr  hartnäckig,  und  schwer  zu  heilen.  Deshalb  ist  es  auch 
Pflicht  des  Narkotiseurs,  die  Arme  nicht  lange  Zeit  so  liegen  zu  lassen, 
sondern  sie  derart  zu  legen,  dass  sie  im  Ellenbogen  nicht  unterstützt 
werden,  dies  geschieht  dann,  Avenn  die  Hände  über  dem  Leibe  ge- 
kreuzt sind. 

Man  kann  sich  leicht  überzeugen,  dass  die  Lage  der  Arme  den 
Nervus  ulnaris  insultiert,  denn  Avenn  man  auf  dem  Rücken  im  Bett 
liegend  einen  Arm  so  legt,  dass  der  Ulnaris  auf  der  Rosshaar- 
matratze aufliegt,  so  Avird  man  bald  merken,  wie  die  ganze  \^om 
Nervus  ulnaris  erregte  Partie  des  Unterarms  einschläft.  Dies  ist 
das  erste  Zeichen,  dass  der  NerA'  gedrückt  wird.  Da  nun  der  Narko- 
tisierte keine  Empfindung  hat,  so  kann  er  auch  wegen  der  allgemeinen 
Lähmung  sich  nicht  gegen  diesen  Insult  schützen. 

Es  kommen  nun  aber  auch  diese  Drucklähmungen  an  anderen 
NerA'en  A^or,  so  am  NerA'us  radialis,  wenn  man  einen  Arm  z.  B  vom 
Tische  herabhängen  lässt,  und  der  innere  Teil  des  Oberarmes  kommt 
gegen  die  Tischkante  zu  liegen.  Diese  scharfe  Kante  verursacht  sehr 
schAvere  Lähmungen,  eventuell  des  ganzen  Plexus  brachialis,  wenn 
in  seinem  oberen  Verlauf,  oder  des  Nervus  radialis  oder  Medianus, 
wenn  im  mittleren  Teile  des  Oberarmes  eine  solche  DruckAvirkung  statt- 
hat. Dieselbe  Lähmung  wird  hervorgerufen,  wenn  man  dem  Kranken 
in  die  Achselhöhlen  die  oftmals  an  Operationstischen  angebrachten  Arm- 
schlingen anlegt,  die  aus  einem  runden  Lederriemen  bestehend,  in  die 
Achselhöhle  zu  liegen  kommen,  und  verhindern  sollen,  dass  der  Ober- 
körper bei  einer  schiefen  Stellung  des  Tisches  nach  unten  gleitet. 
Wenn  nun  der  schwere  Körper  des  Kranken  in  den  Haltern  hängt, 
wird  ebenfalls  leicht  ein  starker  Druck  auf  die  Nerven  der  Achsel- 
höhlen ausgeübt  Averden,  der  bei  langer  Dauer  die  Lähmung  hervor- 
ruft. Man  bedenke  also  stets,  dass  derartige  Halter,  die  ja  übrigens  bei 
der  jetzigen  Lagerung  unnötig  sind,  wenigstens,  wenn  man  sie  doch  ein- 
mal  brauchen  sollte,   aus  breitem,  weichem  Material  gefertigt  sind,   damit 


—     75     - 

der  Druck  sich  verteilt.  Immerhin  aber  sei  man  bestrebt,  Mährend 
einer  sehr  hingen  Narkose  die  Lage  der  Riemen  zu  ändern,  damit  sie 
nicht  immer  auf  denselben  Punkt  drücken.  Sehr  günstig  ist,  wenn  man 
sie  mit  einer  dicken  Kompresse  aus  Watte  und  Mull  umwickelt, 
weil  sie  dadurch  dicker  und  weicher  werden,  und  durch  die  dicke 
Rolle   der  Druck  in  der  Achselhöhle   mehr  verteilt  wird. 

Was  nun  noch  vor  allem  die  Lähmungen  des  Plexus  brachia- 
lis  anlangt,  so  werden  dieselben  noch  hervorgerufen  durch  eine  be- 
sondere Haltung  der  Arme,  nämlich  derjenigen  über  dem  Kopf 
nach  hinten  oben.  Man  ist  bei  vielen  Opei'ationen  genötigt,  die 
Arme  in  der  genannten  Art  zu  lagern,  da  man  die  Hände  und  Unter- 
arme nicht  im  Bereich  der  Operation  liegen  haben  kann,  ferner  weil  an 
der  Brust  und  Achselhöhle  operiert  werden  soll,  so  z.  B.  bei  Lapa- 
ratomien,  Amputationen  der  Mammae,  bei  Toilette  der  Achsel- 
höhle etc.  Bei  dieser  Hyperextension  in  der  Schulter  werden  die 
Arme  stark  abduziert,  die  Clavicula  wird  erhoben  und  der  Wirbel- 
säule genähert,  um  schliesslich  ganz  dieselbe  zu  berühren.  Bei  dieser 
Bewegung  kreuzt  der  mittlere  Teil  der  Clavicula  die  Processus 
transversi  der  6.  u.nd  7.  Halswirbel,  und  übt  einen  starken,  quetschen- 
den Druck  aus  auf  die  daselbst  verlaufenden  5.  und  6.  Halsnerven  (Bern- 
hard, Braun,  Hoedenmaker  etc.).  Eine  andere  Erklärung  ist  nach 
Versuchen  an  Leichen  von  Rüdinger  und  Gaupp  abgegeben  worden. 
Nach  ihren  Versuchen  ist  zunächst  gar  nicht  möglich,  dass  die  gehobene 
Clavicula  sämtliche  Nerven  an  die  Processus  transversi  anzudrängen 
vermag,  da  die  unteren  Aeste  der  Nerven  regelmässig  zur  Seite  weichen. 
Bei  einer  Elevation  des  Armes  um  90^  nähert  sich  das  Mittelstück 
der  Clavicula  der  ersten  Rippe  bis  auf  wenige  Millimeter.  Wird 
nun  der  Arm  noch  mehr  gehoben,  so  rotiert  die  Clavicula  um  ihre 
Achse  so,  dass  die  bisherige  untere,  hintere  Fläche  zur  unteren  Fläche 
wird,  indem  sie  sich  über  die  erste  Rippe  nach  hinten  legt.  Bei  dieser 
Bewegung  drückt  sie  nun  gerade  gegen  die  Stelle,  wo  der  5.  und 
6.  Nervus  cervicalis  aus  der  Lücke  der  Scaleni  heraustritt,  die 
oberen  Wurzeln  werden  bei  dieser  Bewegung  am  öftesten  getroffen,  bei 
ganz  extremer  Elevation  werden  erst  die  unteren  Wurzeln  mit 
gequetscht.  Bei  den  gewöhnlichen  Bewegungen  dieser  Art  weichen  die 
unteren  Wurzeln  der  Nerven  aus.  Die  Aterie  wii'd  nicht  mit 
gequetscht,  indem  sie  von  den  Nerven  geschützt  wird.  (Mally,  Duval, 
Rüdinger,  Guillain.)  Man  wird  wohl  dieser  letzteren  Erklärung 
beipflichten  müssen,  und  zieht  die  Lehre  daraus,  die  Arme  nicht  in 
extremer  Weise  nach  oben  hinten  zu  legen,  und  vor  allen  Dingen  die 
Stellung  öfter  zu  wechseln.  Auf  eine  andere  Art  sollen  ebenfalls 
Lähmungen  des  Plexus  brachialis  zu  stände  kommen,  indem  die 
einzelnen  Nerven  gedehnt  werden,  was  dabei  vorkommen  soll,  wenn  der 
Arm  des  Patienten  stark  ele viert  ist,  und  der  Kopf  nach  der  ent- 
gegengesetzten Seite  gedreht,  Brechbewegungen  vom  Patien- 
ten aus  gelöst  werden.  Dabei  soll  eine  Dehnung  der  Wurzeln  zu 
Stande  kommen,  welche  eine  Lähmung  zur  Folge  haben  kann  (Duval, 
Guitiain,   Mally  etc.) 


—     76     — 

Die  hier  angeführten  Ursachen  der  Lähmung  des  Plexus  brachiahs 
sind  rein  traumatischer  Natur.  Nach  Ansicht  von  französischen 
Forschern  sollen  auch  Lähmungen  des  Plexus  brach  ialis  auf  rein 
toxischer  Grundlage  hervorgerufen  werden.  Der  belgische  Ge- 
lehrte Verhaagen  tritt  für  eine  toxische  Lähmung  ein,  hervor- 
gerufen durch  eine  besondere  Wirkung  der  Narkotika  auf  die  Nerven, 
und  hält  den  Plexus  brachialis  als  eine  Praedilektionsstelle  für 
die  toxisch  lähmenden  Narkotikawirkungen.  Er  stellt  da  die 
Narkotika  entgegen  dem  Alkohol,  welcher  seine  Lähmungen  meist  in 
den  unt(u-en  Extremitäten  bewirkt.  Wir  können  nur  nicht  finden, 
dass  die  in  sonstigen  Wirkungen  so  verwandten  Stoffe,  die  Narkotika 
und  Alkohol,  welch  letzterer  selbst  ein  Narkotikum  darstellt,  hier 
differieren  sollten.  Jedenfalls  können  wir  uns  mit  einer  rein  toxischen 
Lähmung,  die  vorwiegend  den  Plexus  brachialis  betreffen  soll, 
nicht  befreunden   (Vei'f.). 

Jedenfalls  ist  es  möglich,  durch  Achtsamkeit  diese  Druck-  oder 
Narkosenlähmungen,  letztere  Bezeichnung  ist  sehr  ungenau,  zu  ver- 
hüten. Allein,  man  versäume  nicht,  nach  sehr  langer  Narkose  die 
Kranken  sofort  auf  etwaige  Lähmungen  zu  untersuchen,  denn  die- 
selben werden  oftmals  erst  nach  Verlauf  von  einigen  Tagen  von  dem 
Kranken  dem  Arzte  mitgeteilt,  da  die  Patienten  denken,  dieselben  gehen 
als  Folge  der  Narkose  noch  vorüber.  Da  hat  man  aber  schon  eine 
kostbare  Zeit  für  die  Behandlung  verloren,  denn  nur  eine  sofortige 
elektrische  kimstgerechte  Behandlung  vermag  in  vielen  Fällen, 
ja  in  den  meisten,  dieselben  noch  zu  heben,  während  nach  Verlauf  von 
einigen  Tagen,  bisweilen  die  Therapie  zu  spät  einsetzt.  Hauptsächlich 
kommen  diese  Lähmungen  an  den  oberen  Extremitäten  vor.  Doch 
auch  die  unteren  bleiben  bisweilen  nicht  verschont.  Da  ist  es  vor 
allem  das  Knie,  welches  unsere  Beachtung  verdient.  Wenn  wir  so- 
genannte Kniehalter  bei  gynaekologischen  Untersuchungen  be- 
nutzen, haben  wir  dieselben  Vorgänge,  wie  bei  den  Riemen  als  Achsel- 
stützen. Das  schwere,  gelähmte  Bein  hängt  mit  all  seiner  Last  auf 
dem  schmalen,  wenn  auch  gepolsterten,  so  doch  harten  Kniehalter,  und 
die  Nerven  werden  dann  gegen  den  Knochen  gedrückt.  Lähmungen 
des  Nervus  peroneus  und  tibialis  sind  öftere  Erscheinungen, 
wenn  wir  nicht  den  Druck  verhindern.  Allein  diese  Lähmungen  treten 
auch  auf,  wenn  die  Beine  vielleicht  über  die  Tisch  kante  herab- 
hängen, oder  stark  im  Knie  flektiert,  während  der  Operation  nicht 
wieder  ausgestreckt  werden.  In  dem  ersten  Falle  drückt  der  Tisch- 
rand gegen  den  Knochen,  im  zweiten  Falle  werden  die  Weichteile 
durch  die  Knochen  des  Ober-  und  Unterschenkels  gegen  einan- 
der gepresst.  Man  muss  also  darauf  achten,  dass  die  Beine  in  ihrer 
Lage  verändert  werden  bei  lang  en  Narkosen,  und  dass  die  Bein- 
halter eine  entsprechende  Konstruktion  besitzen,  die  einen  starken  Druck 
verhindert.  Was  nun  die  Therapie  dieser  Lähmungen  anlangt,  so  ist 
dieselbe  Gegenstand  einer  anderen  Disziplin,  doch  es  sei  nur  kurz  er- 
wähnt, dass  man  sofort  diese  Lähmungen,  wie  schon  gesagt,  diag- 
nostizieren muss,  um   die  Therapie    zu  beginnen.      Dieselbe  besteht 


—     77     — 

ausschliesslich  in  lokaler,  elektrischer  Behandlung.  Mit  dem  be- 
liebten faradischen  Apparat,  der  dem  praktischen  Arzte  oftmals  ein 
so  lieber  Geselle  ist,  ist  allerdings  nichts  getan,  sondern  man  muss  diese 
Paresen  mit  dem  konstanten  Strome,  und  zwar  mit  der  Anode  be- 
handeln. Es  kann  niu*  von  der  sofortigen,  sa chgem äs  sen  Behand- 
lung ein  Erfolg  versprochen  werden,  ist  die  Lähmung  schon  durch 
andere  Behandlung  verschleppt,  so  ist  in  vielen  Fällen  kein  Erfolg  mehr 
zu  erwarten,  wenn  nicht  die  Besserung  von  selbst  eingetreten  ist.  Und 
es  ist  zum  Glück  in  einem  Teil  der  Fälle  eine  Restitutio  a.  i.  von  selbst 
nach  Aufhören  des  Druckes  möglich,  imd  zwar  in  solchen  Fällen,  wo 
die  Ursache  nicht  zu  lange  bestanden  hat.  Es  lässt  sich  aber  kein 
Mass  bestimmen,  oftmals  hat  die  Narkose  nur  kurz  gedauert,  und  die 
Lähmung  ist  so  stark,  dass  die  Behandlung  scheitert,  bisweilen  ist  doch 
nach  langer  Dauer  der  Betäubung  die  Behandlung,  wenn  die  Parese  sofort 
nach  der  Narkose  erkannt  wurde,  von  Erfolg.  Oftmals  geht  die  Läh- 
mung auch  nach  langer  Einwirkung  des  Druckes  A'on  selbst  zurück.  Gerade 
aber  Avegen  dieses  ganz  wechselvollen  Ausganges  ist  eine  Beachtung 
und  sachgemässe  Therapie  sehr  wichtig.  Die  Hauptsache  aber 
ist  immer  die,  die  Lähmung  von  Anfang  an  zu  verhüten,  denn  es 
Avird  stets  dem  Narkotiseur  ein  Vorwurf  aus  dem  Auftreten  einer 
postnarkotischen  Dr acklälimting   entstehen   können. 

Es  kommen  ausser  den  bisher  genannten  Lähmungen  noch  solche 
im  Bezirke  anderer  Nerveia  vor,  so  z.  B.  hat  man  eine  Lähmung  des 
NerA^'US  cruralis  beobachtet.  Ein  solcher  ist  von  Gumpertz  be- 
schrieben. Nach  ca.  '^1^  Stunden  langer  Narkose,  während  welcher 
die  Frau  die  Lage  in  den  Sänger'schen  Beinhaltern  inne  gehabt 
hatte,  zeigte  sich,  dass  der  Musculus  ileo psoas  und  musculus 
quadriceps  vollkommen  parethisch  Avaren.  Im  Gebiete  der  Nervi 
cutaneus  femoris  medius,  saphenus  minor  et  major  zeigte  sich, 
eine  Hyper aesthesie  und  Thermoanaesthesie  der  Haiit.  Die 
elektrische  Erregbarkeit  im  Gebiete  des  Nervus  cruralis  war  bedeu- 
tend herabgesetzt,  eine  Entartungsreaktion  nicht  nachAveisbar.  Diese 
Lähmung  Avar  entschieden  dadurch  entstanden,  dass  bei  der  extremen 
Beugung  des  Oberschenkels  im  Hüftgelenk  die  Musculi  iliacus 
internus,  psoas  major,  quadriceps  femoris  eine  Quetschung  er- 
litten hatten,  und  dass  diese  komprimierten  Muskeln  auf  den  Ner- 
vus cruralis  gedrückt  hatten.  Es  ist  diese  Erklärung  A^on  Grumpert 
sehr  Avahrscheinlich,  Avenn  man  den  Verlauf  des  Nervus  cruralis 
bedenkt. 

Eine  andere  Ursache  ist  noch  in  den  Esmarch' scheu  Schläu- 
chen bei  der  künstlichen  Blutleere  zu  finden.  Man  hat  in  Abelen 
Fällen,  nach  lange  dauernder  Operation,  Lähmungen  an  den  Extre- 
mitäten beobachtet,  an  welchen  der  Schlauch  gelegen.  Es  ist  deshalb 
unsere  Pflicht,  diesen  Druck  nicht  so  einschneidend  und  intensiA^ 
zu  gestalten.  Wir  erreichen  das  dadurch,  dass  wir  z  B.  an  Stellen, 
wo  wenig  Muskulatur  .  über  dem  NerA-en  liegt,  eine  breite  Gumnii- 
binde  an  Stelle  des  Schlauches  Avählen.  Dies  kommt  bei  den  oberen 
Extremitäten    in  Betracht.      Bei    den    unteren    Extremitäten  lässt 


-     78     - 

sich  leider  der  Schlauch  nicht  immer  durch  andere  Gegenstände  er- 
setzen. Wegen  der  Gefahr  muss  man  immer  bemüht  sein,  die  Dauer 
der  Konstriktion  nach  Möglichkeit  herabzusetzen.  Man  hat  natürlich 
nach  Esmarch'scher  Blutleere  alle  Arten  Extremitäten-Läh- 
mungen gesehen. 

Wenn  wir  uns  nach  den  Symptomen  dieser  peripherischen 
Lähmungen  fragen,  so  haben  wir  kurz  folgendes  zu  nennen.  Erstens 
die  Parese  der  Muskeln,  welche  von  den  betreffenden  Nerven  ver- 
sorgt werden,  zweitens  Sensibilitätsstörungen  im  Gebiete  der 
Nerven,  welche  nicht  rein  motorische  sind.  Drittens  Entartungs- 
reaktion in  den  Muskeln  bei  elektrischer  Reizung.  Viertens 
Druckschmerz  in  manchen  Fällen  an  der  Stelle,  wo  die  Kompres- 
sion  eingewirkt  hat. 

Um  die  Diagnose  stellen  zu  können,  müssen  wir  natürlich  genau 
über  die  Vorbereitungen  der  Nerven,  über  die  Muskulatu.r, 
welche  von  denselben  versorgt  wird,  orientiert  sein.  Es  würde  zu  weit 
führen,  wenn  wir  dies  hier  explizieren  würden,  wir  müssen  diese  Kennt- 
nisse voraussetzen. 

Was  die  Prognose  solcher  peripherischer  Lähmungen  an- 
belangt, so  kann  man  dieselbe  meist  günstig  stellen,  wenn  sofort 
eine  entsprechende  Behandlung  eingeleitet  wird.  Natürlich  kommt  auch 
die  Intensität  der  Einwirkung  in  Betracht,  wie  auch  die  Lokali - 
sation.  Allerdings  sind  auch  Fälle  von  dauernder  Lähmung  vor- 
gekommen. Doch  ist  dabei  stets  ein  sehr  einschneidendes  Moment 
massgebend  gewesen.  Die  meisten  heilen,  wenn  gut  behandelt,  voll- 
kommen, viele  von  selbst.  Bei  manchen  bleibt  eine  Schwäche 
in  den  Muskeln  noch  längere  Zeit  bestehen. 

Neben  den  jierip herischen  Lähmungen  kommen  im  Anschluss 
an  Narkosen  noch  Paresen  vor,  welche  durch  Insulte  im  Zentral- 
nervensystem entstanden  sind,  es  sind  dabei  die  Zentren,  die  Gang- 
lienzellen verletzt.  Diese  Lähmungen  nennen  wir  zentrale  Paresen, 
und  zwar  sind  solche  zentrale  Lähmungen  sehr  spärlich,  und  man  hat 
in  dem  ganzen  grossen  Gebiete  der  Literatur  nur  wenige  derartige 
Fälle  beschrieben  gefunden.  Es  sind  2  Arten  von  zentralen  Läh- 
mungen zu  unterscheiden.  I.  Die  Lähmungen  infolge  von  pri- 
märer Degeneration  der  Hirnrinde,  und  IL  die  Lähmungen  in- 
folge von  ischämischen  Erweichungen  der  Hirnrinde,  respektive 
infolge  einer,  oder  mehrerer  daselbst  stattgehabter  Hämorrhagien 
(Rüdinger). 

Fränkel  hat  an  mehreren  Leichen  von  Personen,  welche  in,  oder 
kurz  nach  der  Narkose  gestorben  waren,  eine  hochgi'adige  parenchy- 
matöse fettige  Degeneration  der  verschiedensten  Organe  gefunden, 
und  im  Anschluss  an  diese  Degeneration  nekrotische  Vorgänge. 
Die  Nekrose  zeigte  sich  als  Coagulationsnekrose,  und  war  zu 
finden  im  Myocard,  in  den  Muskeln,  Nieren,  Magen,  Darm  etc. 
Diese  bekannten  Erscheinungen  werden  zwar  zum  Teil  den  vorherbe- 
stehenden Erkrankungen  zuzuschreiben  sein;  allerdings  sind  auch  ver- 
schiedene Narkotika    im   stände,   solche   fettige  Degeneration  pri- 


-     79     - 

mär  zu  erzeugen,  und  wenn  eine  solche  sclion  bestand,  hochgradig 
ad  malam  partem  zu  beeinflussen,  und  so  zur  Coagulationsnekrose 
zu  führen.  Es  kann  nun  auch  dieser  Einfluss  der  Narkotika  einmal, 
anstatt  sich  im  Myocard  allein  zu  lokalisieren,  im  Zentralnerven- 
system eine  fettige  Degeneration  hervorrufen,  und  es  kann  in  be- 
stimmten Fällen,  vielleicht  im  Cerebrum,  eine  Stelle  von  besonderer 
Disposition,  ein  locus  minoris  resistentiae  zu  finden  sein,  welcher 
eine  schnelle  Entstehung  der  fettigen  Degeneration,  sogar  mit 
Coagulationsnekrose,  begünstigen  kann.  Und  es  werden  diese 
theoretischen  Betrachtungen  dvirch  einige  Fälle  sehr  wahrschein- 
lich gemacht,  wenn  man  auch  nicht  mit  Bestimmtheit  dem  Narkoti- 
kum den  Anlass  zuschieben  kann.  Man  hat  in  verschiedenen  Fällen, 
solche  Herde  im  Gehirn  gefunden  (Rüdin ger). 

Nun  nimmt  Rüdinger  an,  dass  die  Gefässe  ebenso  in  ihrer 
Wand  eine  Veränderung,  fettige  Degeneration,  erleiden,  und  nach- 
träglich zerreissen  können.  In  der  Tat  fand  man  in  einem  Falle  eine 
ausgesprochene  Verfettung  der  Intima  der  Aorta,  welche  durch 
Einfluss  dieser  Art  entstanden  sein  konnte  (R.  Frank el).  So  kann 
man  ja  auch  annehmen,  dass  die  Gehirnaterien  fettig  degenerier  t 
werden,  und  dadurch  weniger  widerstandsfähig  sich  zeigen  können. 
In  solchen  Fällen,  wo  die  Lähmung  erst  einige  Tage  nach  der  Opera- 
tion auftritt,  kann  man  wohl  an  eine  derartige  Alteration  der  Intima 
der   Gehirnaterien  denken. 

Einen  Fall,  wo  sich  solche  Erweichungsherde  im  Gehirn 
vorfanden,  beschreibt  Rüdinger.  Bei  einer  46  Jahre  alten  Frau 
wurde  eine  Inzision  zu  diagnostischen  Zwecken  gemacht.  Die  Frau 
litt  an  Carcinoma  ventriculi  et  hepatis.  Es  war  eine  kurze 
Chloroformnarkose.  Nach  der  Narkose  bemerkte  die  Frau  eine 
Lähmung  des  linken  Armes;  die  Finger,  die  Hand,  und  der 
Vorderarm  sind  vollständig  par  ethisch,  teilweise  der  Oberarm. 
Sensibilität  und  Reflexe  normal.  Der  Zustand  besserte  sich  etwas, 
doch  nicht  vollkommen,  bis  zum  Tode,  der  7  Wochen  post  operatio- 
nem   eintrat. 

Bei  der  Sektion  fand  sich:  Ausgedehnte  Carcinose,  und 
Marasmus.  An  der  Oberfläche  der  Konvexität  der  rechten  Hirnhe- 
misphäre zeigt  sich  eine  weich  anzufühlende  Stelle,  entsprechend 
der  hinteren  Zentralwindung,  eine  ebensolche  Stelle  findet  sich  ent- 
sprechend dem  Fuss  der  zweiten  Stirnwindung.  Die  Pia  mater 
haftet  an  der  weichen  Stelle  fest  an.  Auf  dem  Durchschnitte  findet 
man  das  untere  Drittel  der  hinteren  Zentralwindung,  und  die  hintere 
Fläche  der  vorderen  Zentralwindung,  den  Fuss  der  zweiten  Stirnwin- 
dung der  rechten  Hemisphäre  erweicht,  und  im  verquollenen, 
bräunlich  verfärbten  Rande  am  meisten,  im  entsprechenden 
Markteile  mehr  ödematös  geschwollen.  Ausser  diesen  finden  sich 
noch  andere  kleine  Erweichungsherde  in  der  Marksubstanz  des 
Zentrum  semiovale  der  beiden  Hemisphären.  Die  Arterien 
sind  normal.  Inwieweit  hier  eine,  durch  den  allgemeinen  Maras- 
mus hervorgerufene  Degeneration   schon  vorher  bestanden  hat,  lässt 


—     80     - 

sich  nicht  ermitteln,  jedenfalls  ist  durch  den  Eiufluss  der  Narkose  der 
Zustand  soweit  verschlimmert,  dass  eine  Zerstörung  zu  stände  kam,  und 
die  Lähmung  ist  dem  Narkotikum   zur  Last  zu  legen. 

Wenn  wir  uns  nun  zu  der  zweiten  Art  von  Lähmungen 
wenden,  so  betreten  wir  damit  ein  Gebiet,  welches  bei  weitem  mehr 
Beachtung  verdient,  als  man  ihm  bisher  im  allgemeinen  gezollt  hat. 
Hier  kommt  als  Grund  der  Lähmung  hauptsächlich  die  Arteriosklerose 
in  Betracht.  Dieselbe  ist  bekanntlich  in  einem  sehr  ausgedehnten  Kx'eise 
von  Menschen  verbreitet,  sie  bildet  eine  Erkrankung  so  weiter  Volks- 
klassen, dass  man  sich  sehr  wundern  muss,  über  die  Gleichgültig- 
keit, mit  welcher  man  bisher  deren  Vorhandensein  in  Bezug  auf  die 
Narkose  betrachtete,  und  doch  sind  wir  überzeugt,  dass  eine  grosse 
Menge  von  Todesfällen  plötzlicher  Art  während  der  Narkose 
auf  diese  Krankheit  zurückzuführen  sind.  Es  kommt  ja  bei  der  Nar- 
kose im  allgemeinen  eine  Verringerung  des  Blutdruckes  zu  stände, 
bei  dem  einen  Narkotikum  mehr,  bei  dem  anderen  weniger,  und  so 
sollte  man  glauben,  eine  Zerreissung  der  atheromatösen  Gehirn- 
aterien  sei  nicht  so  leicht  möglich.  Dieser  Punkt  ist  auch  für  eine 
gut  geleitete  Narkose  zutreffend.  Bei  derselben  ist  die  Gefahr  tatsäch- 
lich eine  sehr  geringe.  Aber  es  kommen  auch  bei  der  best  geleiteten 
Narkose  Zustände  vor,  wo  der  Blutdruck,  namentlich  im  C  er  ehr  um , 
erhöht  wird,  geschweige  denn,  erst  bei  den  Narkosen,  welche  nach  den 
veralteten  Methoden  (Genfer  Methode,  Aethererstickungs - 
narkose.  Chloroformieren  in  Güssen  etc.)  geleitet  wurden.  Da 
Avird  eine  starke  Excidation  erzeugt,  und  die  Folge  davon  ist  eine 
Blutdrucksteigerung,  ferner  ist  ja  der  Patient  bei  diesen  Methoden 
im  Anfang  bemüht,  den  Atem  anzuhalten,  zu  pressen,  ferner 
kommt  es  zum  Würgen,  Erbrechen,  kurz,  es  sind  viele  Momente 
damit  verbunden,  die  den  Blutdruck,  namentlich  im  Cerebrum, 
plötzlich  stark  erhöhen,  noch  ganz  abgesehen  von  etwaigen  Er- 
stickungs  an  fällen  etc. 

Dadurch  werden  grosse  Anforderungen  an  die  atheromatösen 
Gehirnaterien  gestellt,  und  oftmals  sind  dieselben  diesen  nicht  ge- 
wachsen, u.nd  bersten  Derartige  Blutungen  in  der  Gehirnsubstanz 
haben  Lähmungen  zur  Folge.  Dass  man  einen  grossen  Teil  der 
peripherischen  Lähmungen  vielleicht  auf  falsche  Ursachen  bezogen 
hat,  während  sie  doch  einen  cerebralen  Ursprung  haben,  ist  eine 
Annahme.  Dass  aber  auch  ein  grosser  Teil  von  plötzlichen  Todes- 
fällen, namentlich  denen  im  Anfange  der  Narkose  auf  Blutungen 
in  den  lebenswichtigen  Zentren  zurückzuführen  sind,  ist  ebenfalls 
eine  Annahme,  welche  aber  viel  Wahrscheinlichkeit  besitzt.  Nun,  Avenn 
wir  noch  bedenken,  Avie  viele  Unfälle  Avährend  der  Narkosen  überhaupt 
als  mit  der  Narkose  nicht  zusammenhängend,  oder  aus  anderen  Gründen, 
verheimlicht  Averden,  so  können  Avir  uns  ein  Bild  machen,  Avelches  uns 
verrät,  dass  dieser  Unfall  doch  häufiger  ist,  als  man  annimmt.  Und  es 
ist  oftmals  eine  sehr  scliAvere  Entscheidung,  ob  eine  Apoplexie  herrührt, 
von  der  Operation,  oder  Narkose.  Vielleicht  ist  in  vielen  Fällen 
die   Operation    fälschlich  als  Ursache  angenommen  AA'^orden.      Hoffentlich 


—     81     - 

wird  in  Zukunft  in  (li(!ser  Hinsicht  mehr  auf  die  Arteriosklerose 
geachtet,  und  es  wird  dann  ein  klareres  Bild  über  die  Häufigkeit  der 
Unfälle   durch   Bersten   atheromatöser   Gehirnarterien   entstehen. 

Es  wird  oftmals  die  Apoplexie  dadurch  auf  andere  Ursachen  be- 
zogen, weil  man,  solange  der  Kranke  betäubt  ist,  eine  Lähmung  nicht 
erkennen  kann,  und,  da  man  ihn  bisher  immer  längere  Zeit  schlafen  Hess, 
so  entdeckte  man  die  Lähmung  erst  am  nächsten  Tage,  vielleicht  noch 
später,  und  machte  andere  Momente   für  dieselbe   vei'antwortlich. 

Wenn  wir  hier  noch  einen  Blick  auf  die  Punkte ,  durch  welche 
man  eine  zentrale  von  einer  peripherischen  Lähmung  unterscheiden 
kann,  werfen  wollen,  geschieht  dies  deshalb,  weil  die  Entscheidung  oft 
ziemlich  schwierig,  und  doch  von  grosser  Bedeutung  ist.  Wenn  wir  eine 
Lähmung  einer  ganzen  Extremität  vor  uns  haben ,  so  müssen  wir  zu- 
nächst an  eine  peripherische  Ursache  denken.  Ebenso,  wenn  wir 
einen  bestimmten  Druckschmerz  im  Verlaufe   eines  Nerven  linden. 

Eine  Zerrung  des  Sympathicus  (Ramus  communicans 
sympathici),  z,  B.  ruft  eine  Verengerung  der  Lidspalte,  Myosis, 
Zurückgesunkensein   des  Bulbus  hervor. 

Hat  man  es  mit  einer  zentralen  Lähmung  zu  tun,  so  findet 
man  meist  die  Lähmung  eines  bestimmten  Nerven  z.  B.  am  Arm, 
ixnd  auch  am  Bein,  oder  man  hat  neben  der  Lähmung  eines 
Nerven  an  den  Extremitäten,  Komplikationen  im  Gesicht  zu- 
gleich bestehend  zu  erwarten.  Ebenso  finden  sich  oftmals  Lähmungen 
a.n  den  Augen,  den  Sprach  Organen  etc.  Deshalb  muss  man  stets  bei 
einer  Lähmung  auf  andere  Begleiterscheinungen  fahnden. 

Es  bleibt  uns  nun  noch  eine  andere  Art  übrig  zu  erwähnen,  dies 
sind  die    hysterischen    Lähmungen. 

Dass  auch  derartige  Fälle  vorkommen,  beweist  ein  von  Mally 
beschriebener  Fall.  Es  handelt  sich  dabei  um  eine  19  Jahre  alte 
Hysterica,  welche  einer  Operation  im  Abdomen  unterzogen  werden  sollte. 
Als  dieselbe  nach  Beendigung  der  Operation  aus  der  Narkose  erwachte, 
zeigte  sich  eine  vollständige  Lähmung  der  rechten  oberen  Ex- 
tremität mit  Anästhesien.  Dieselbe  bestand  noch  3  Monate  nach 
der  Narkose.  Die  anästhetische  Zone  nahm  einen  grossen  Teil  der 
Aüssenf lache  des  Armes  ein.  Die  elektrische  Erregbarkeit  der 
Muskeln  zeigt  keine  Veränderungen.  Es  ist  nun  natürlich  immer  eine  sehr 
gewagte  Diagnose,  die  einer  hysterischen  Lähmung,  und  man  kann 
•dieselbe  nur  per  exclusionem  stellen.  Für  das  Zustandekommen 
einer  solchen  Lähmung  ist  auch  nach  der  Ansicht  Mally 's  ein  psy- 
chischer Insult  verantwortlich  zu  machen.  Kremmann  zitiert  ver- 
schiedene Fälle,  in  denen  Lähmungen  durch  psychische  Alterationen, 
Schreck  etc.  hervorgerufen  worden  sind,  und  man  kann  wohl  annehmen, 
dass  die  psychischen  Erregungen  des  Kranken  vor  der  Operation  und 
Narkose  ausreichen,  um  einen  solchen  Insult  darzustellen,  welcher  stark 
genug  ist,  bei  neuropathisch  veranlagten  Personen  eine  hyste- 
rische Lähmung  hervorzurufen.  Ob  nun  die  N  arkose  an  sich  eine 
hysterische  Lähmung  hervorzurufen  im  stände  ist,  ist  ein  nicht  zu  ent- 
scheidendes Moment,    und   nur    in    den    seltensten  Fällen  wird    man    zu 

6 


—     82     — 

dieser  Diagnose  schreiten.  Wenn  auch  selten,  so  ist  doch  kein  Zweifel, 
dass  sie  vorkommen  kann,  wie  avich  ein  von  Determann  beschriebener 
Fall  beweist,  der  eine  hysterische  und  organische  Parese  zu 
gleicher  Zeit  aufweist,  und  deshalb   hier  erwähnt  werden  soll. 

Determann  schreibt  darüber:  Ein  28 jähriger  Tagelöhner  stiess  sich 
durch  einen  Unfall  eine  Nadel  in  den  rechten  Arm  unterhalb  des  Ellenbogens. 
Dieselbe  wurde  operativ  entfernt,  Patient  wurde  chloroformiert,  und  eine  breite, 
elastische  Binde  etwas  unterhalb  der  Achselhöhle  angelegt.  Die  Binde  blieb 
ca.  15  Minuten  liegen.  Patient  will  schon  beim  Anlegen  der  Binde  ein  Gefühl 
von  Taubheit  im  rechten  Arm  und  in  der  rechten  Hand  gespürt  haben.  In 
der  Nacht  des  Operationstages  wachte  Patient  auf  und  fühlte,  dass  er  die  rechte 
Hand,  besonders  die  Finger  nicht  mehr  bewegen  konnte,  und  dass  er  keine 
Kraft  mehr  im  Arme  habe.  Am  nächsten  Tage  war  der  Befund  folgender : 
Muskulatur  und  Knochenbau  kräftig,  psychisches  Verhalten  ist  normal,  von 
hysterischen  Erscheinungen  ist  nichts  zu  bemerken. 

Es  zeigt  sich  eine  motorische  Lähmung,  ziemlich  gleichmässig  verbreitet 
über  die  Grebiete  der  3  Armnerven.  Am  meisten  ist  der  nervus  radialis  be- 
troffen, der  Muscuhis  supinator  longus  ist  gänzlich  gelähmt ;  M.  extensor  digi- 
torum  communis ,  extensor  poUicis  longus  et  brevis  sind  paretisch.  Auch  der 
N.  ulnaris  ist  erheblich  beteiligt ,  im  Gebiet  des  Medianus  ist  die  Störung  am 
geringsten.  Soweit  handelt  es  sich  um  das  typische  Bild  einer  peripherischen 
Narkosenlähmung.  Hierzu  kam  folgendes  ungewöhnliche  Symptom !  Es  bestand 
eine  sensible  Lähmnng,  die,  ohne  sich  an  den  Verlauf  der  Hautnerven  zu 
binden,  die  Hand  und  einen  Teil  des  Unterarmes  „handschuhförmig"  einnahm; 
es  bestand  also  eine  „typische  Form  der  hysterischen  Anästhesie.  Man  konnte 
also  hier  an  eine  hysterische  Monoplegie  denken,  bei  der  die  Esmarchsche  Um- 
schnürung als  psychisches  Trauma  gewirkt  hätte.  Unter  Paradisation  ver- 
schwand nach  3  Tagen  die  Sensibilitätsstörung  grösstenteils,  und  es  blieben  nur 
die  peripheren  Nervenlähmungen  zurück.  Anfänglich  hatten  also  2  Affektionen 
zu  gleicher  Zeit  bestanden,  eine  organische  und  eine  hysterische. 

Den  Entscheid  hatte  die  elektrische  Untersuchung  geliefert, 
and  man  kann  die  Diagnose  einer  hysterischen  Lähmung  dann 
stellen,  wenn  die  elektrische  Untersuchung  mit  Sicherheit  eine 
organische  Erkrankung  eines  Nerven    ausschliessen  lässt. 

Wenn  wir  hier  noch  einen  kurzen  Blick  auf  das  Wort  Narkosen- 
lähmung werfen  wollen,  so  müssen  wir  sagen,  dass  dieser  eine  Aus- 
druck eine  grosse  Zahl  von  Erscheinungen  verschiedener  Ur- 
sachen umfasst.  Eine  für  die  in  dem  vorhergehenden  beschriebenen 
Lähmungsarten  passende  Bezeichnung  würde  in  dem  Ausdruck  post- 
narkotische Lähmung  liegen.  Erstens  gewahrt  man  die  Lähmungen 
stets  nach  der  Narkose,  und  dann  können  hier  alle  die  genannten  Läh- 
mungen Erwähnung  finden.  Dieser  Ausdruck  gibt  nicht  den  Giund 
der  Lähmung  an,  sondern  nur  den  Zeitpunkt,  in  dem  man  dieselben 
auftreten  sieht.  Dass  man  auch  gegen  diese  Bezeichnung  Einwände 
erheben  kann ,  ist  offenbar ,  doch  ist  dieselbe  immer  noch  zutreffender, 
als   „Narkosenlähmung". 

Was  nvin  die  Ursachen  der  Lähmungen  angeht,  so  glauben 
wir  in  dem  Vorhergehenden  hinreichend  bewiesen  zu  haben,  dass  für 
alle  auftretenden  Lähmungen  eine  Ursache  vorliegt,  welche  wohl  in  Be- 
ziehung zum  Narkotikum  steht.  Dass  Lähmungen  einzig  und  allein 
durch  die  toxischen  Eigenschaften  der  Narkotika  entstehen 
können,  ist  uns  sehr  zweifelhaft,  und  wir  sind  der  Ueberzeugung,  dass 


-     88     - 

stets  eine  andere  Ursache  aufgefunden  werden  kann,  welche  eine  Folge 
der  Einflüsse  des  Narkotikums  indirekt  ist.  Da  man  auch  noch  nie- 
mals bei  Tierexperimenten  eine  Lähmung  hat  eintreten  sehen,  die 
rein  toxisclien  Einflüssen  zugeschrieben  werden  muss,  so  ist  auch 
dies  ein  anderer  Grund  gegen  die  Annahme  reiner  Lälimungen  durch 
die  direkten  Wirkungen  der  Narkotika  als  Gifte.  Jedenfalls  ist  die  Ein- 
wirkung der  Narkotika  während  der  Narkose  zu  kurz,  um  solche  Läh- 
mungen zu  erzeugen,  denn  auch  die  alkoholischen  Lähmungen 
treten  erst  nach  jalirelangem,  starken  Alkoholmissbraucli  auf.  Dass  in 
dieser  Hinsicht  auch  die  anderen  Narkotika ,  Avenn  sie  sehr  lange  Zeit 
auf  den  Organismus  einwirken  könnten,  an  sich  Lähmungen  durch  ihre 
Giftwirkungen   erzeugen  könnten,   ist  anzunehmen. 


V.  Kapitel. 

Der  Verlauf  einer  Narkose. 

§  35.  Wenn  wir  eine  Narkose  au  einem  Kranken  vornehmen 
wollen,  so  müssen  wir  so  manches  vor  derselben  bedenken,  bis  wir  mit 
dem  Gewissen,  das  ein  jeder  Arzt  hat,  so  stehen,  dass  wir  vor  dessen 
unparteiischer  Kritik  dieselbe  verantAvorten  können.  Die  Narkose  an 
sich  schliesst  immer  eine  gewisse  Gefahr  in  sich,  und  es  sollte  nicht  in 
jedem  Falle,  wie  es  so  häufig  geschieht,  wegen  einer  fast  nichtigen  Ur- 
sache die  Betäubung  unternommen  werden.  Der  Grund  zu  einem  solchen 
Eingriff  in  das  Getriebe  des  Organismus  sollte  nicht  ein  so  unbedeuten- 
der, wie  eine  einfache  Zahnextraktion,  oder  Eröffnung  eines  oberfläch- 
lichen Abszesses  sein.  Durch  die  Inhalationsanästhesie  wird  der 
Organismus  so  stark  und  eingreifend  beeinflusst,  es  werden  demselben 
eine  Reihe  von  Gefahren  in  mehr  oder  weniger  grosser  Wahrschein- 
lichkeit nahe  gerückt,  und  er  wird  denselben  ausgesetzt,  dass  man  beim 
kritischen  Betrachten  aller  Schädlichkeiten  sich  sagen  muss,  man  unter- 
schätze oftmals  weit  die  Bedeutung  der  Narkose.  So  kommen  Avir  denn 
zu  dem  Entschluss,  dass  man  nicht  wegen  jeder  kleinen  Schmerz- 
äusserung  den  Körper  vor  die  Eventualität  so  gewichtiger  Schä- 
digungen stellen  darf.  Wenn  wir  uns  eine  grosse  Fabrik  vorstellen, 
die  von  einer  grossen  Dampfmaschine  in  allen  ihren  einzelnen  Teilen 
in  Bewegung  gesetzt  wird,  und  es  ereignet  sich  eine  kleine  Beschädigung 
einer  Maschine,  die  durch  viele  Transmissionen  erst  weit  entfernt  von 
der  Kraftquelle,  durch  die  sie  getrieben  wird,  sollte  man  nun  wegen  des 
Schadens,  und  um  denselben  auszubessern,  dem  ganzen  Maschinerie- 
Mechanismus  plötzlich  Ruhe  gebieten,  und  denselben  in  seinen  Funk- 
tionen aufhalten,  wodurch  die  ganze  Fabrik  in  Stockung  geraten,  und 
grosser  Schaden  an  Material,  Leuten  und  Geld  entstehen  würde,  nur  um 
diesen  kleinen   Teil   auszubessern?     Der  Besitzer  des  Werkes  wird    sich 


-     §4     - 

dies  nicht  gefallen  lassen,  und  nur  die  eine  Maschine  abtrennen,  und 
für  sich  still  stehen  lassen,  um  sie  wieder  herzustellen.  So  ist  der 
Schaden  gering,  während  er  in  anderen  Fällen  enorm  sein  könnte. 
Aehnlich  verhält  es  sich  mit  dem  Menschen.  Nehmen  wir  an,  derselbe 
leide  an  einem  kleinen  oberflächlichen  Panaritium  des  Nagel- 
gliedes eines  Fingers.  Die  Schmerzen  sind  enorm,  und  die  Gefahr 
ist  ebenfalls  gross.  Aber  werden  wir  da  nicht  lieber  den  Finger  even- 
tuell nach  der  Methode  von  Schleich-Oberst  anästhesieren,  als  den 
ganzen  Körper  durch  eine  allgemeine  Narkose  betäuben?  Im  letz- 
teren Falle  würden  wir  entschieden  zuviel  tun,  während  wir  im  ersteren 
Falle  gerade  das  nötige  vollbringen.  Es  wäre  nun  gleichgültig, 
wenn  das  zuviel  der  allgemeinen  Narkose  nicht  in  sich  eine  Reihe  von 
Gefahren  für  den  ganzen  Organismus  schlösse.  Wir  könnten  durch  das 
zu  ausgedehnte  Handeln  dem  betreffenden  Menschen  mehr  Schaden  als 
Nutzen  verursachen.  Da  wir  nun  auf  eine  viel  ungefährlichere  Art  zu 
demselben  Ziele  gelangen  können,  sollen  wir  dann  nicht  diesen  Weg 
Avählen.  So  kommen  wir  zu  der  Ueberzeugung,  dass  auch  in  unserer 
Wissenschaft  das  Sprichwort  Geltung  hat:  „In  der  Beschränkung 
zeigt  sich  erst  der  Meister!"  Nun  fragt  es  sich  aber,  wie  sollen 
wir  immer  den  goldenen  Mittelweg  finden,  wie  sollen  wir  uns  immer 
als  Meister  zeigen,  indem  wir  unsere  Grenzen  in  der  richtigen  Enge 
ziehen?  In  dem  folgenden  wollen  wir  versuchen,  diese  Frage  in  ihrer 
ganzen  Tragweite  zu  erörtern.  Jeder  Mensch  besitzt  eine  gewisse  Kraft, 
um  den  Unbillen,  die  auf  seinen  Organismus  einwirken,  zu  widerstehen. 
Es  besteht  in  der  Natur  ein  ewiger  Kampf  zwischen  Leben  und  Tod. 
Der  Organismus  setzt  sich  gegen  von  aussen  einwirkende  Kräfte  zur 
Wehr,  und  er  wird,  so  lange  er  Sieger  in  diesem  Kampfe  bleibt, 
weiter  leben,   während  sein  Unterliegen   den  Tod   bedeutet. 

§  36.  Diese  Kraft,  welche  unserem  Körper,  dem  tierischen 
Organismus  im  allgemeinen,  innewohnt,  nennen  wir  Vitalität,  oder 
Lebenskraft.  Bei  einem  gesunden  Menschen  hat  diese  Vitalität  ein 
bestimmtes  Mass  von  Energie.  Dieses  Mass  Avird  aber  durch  patho- 
logische Prozesse,  Avelche  sich  im  Organismus  abspielen,  geschwächt. 
Doch  die  Vitalität  ist  immer  noch  Siegerin  im  Kampfe,  sie  versteht 
noch  die  pathologischen  Prozesse  zu  bemeistern.  In  manchen 
Fällen  wird  es  ihr  gelingen,  dauernd  die  Oberhand  über  die  Krankheit 
zu  behalten,  dann  sehen  wir  die  letztere  ausheilen.  Allein  der  Kampf 
hat  die  Vitalität  doch  stark  mitgenommen,  wenn  sie  auch  die  Krank- 
heit überwunden  hat,  so  hat  sie  doch  in  diesem  Ringen  einen  Teil 
ihrer  Energie  eingebüsst.  Nun  ist  diese  Vitalität  nicht  mehr  so 
stark,  und  neue  schädigende  Einflüsse  vermögen  gegen  sie  anzustürmen, 
bis  sie  schliesslich  unterliegt.  Nehmen  Avir  nun  einmal  an,  Avir  stehen 
vor  der  Gelegenheit,  einen  Menschen  zu  narkotisieren.  Wir  wdssen, 
dass  die  Narkose  selbst  gleich  ist  einer  jener  Schädlichkeiten,  mit 
denen  die  Vitalität  kämpft,  und  die  von  ihr  in  vielen  Fällen  über- 
Avunden  Averden.  Doch  wir  kennen  auch  die  Fälle,  a\'o  die  Vitalität 
schon  ziiA'iel  ihrer  Energie  eingebüsst  hatte,  um  dem  Ansturm  der 
Narkose    zu  widerstehen,    dann    wird    sie    unterließen.     Deshalb  ist  es 


—     85     - 

unsore  Pflicht,  zunächst  zu  prüfen,  wie  gestaltet  sich  das  Verhältnis 
der  Vitalität  des  betreffenden  Individuums  zu  den  gegen  sie 
anstürmenden  Schädigungen  der  Narkose?  Haben  wir  einen 
gesunden  Menschen  vor  uns,  so  fragen  wir,  wie  verhält  sich  die  Vi- 
talität zur  Narkose?  Hier  werden  wir  von  vornherein  erkennen,  dass 
die  Vitalität  bei  Aveitem  grösser  und  stärker  ist,  als  die  schädlichen 
Einflüsse  der  Narkose.  Tritt  nun  aber  jener  Fall  ein,  der  der  all- 
täglichere ist,  wo  noch  eine  Krankheit,  welche  durch  eine  Operation 
beseitigt  werden  soll,  hinzukommt,  so  müssen  wir  neben  den  Leistungen 
der  Vitalität  und  Narkose,  noch  die  schädigenden  Einflüsse  der 
Krankheit  und  Operation  bedenken.  Es  muss  nun  vor  der  Ein- 
leitung einer  Narkose  erörtert  werden,  in  welchem  Verhältnis  die  Vi- 
talität zu  der  Summe  der  Krankheitseinflüsse,  oder  patholo- 
gischen Veränderungen,  und  der  Narkosewirkungen  steht.  Setzen 
wir  für  die  Vitalität  V.,  für  die  krankhaften  Veränderungen  und 
Einflüsse  auf  den  Organismus  P.  (Wirkungen  der  pathologischen 
Veränderungen),  und  für  die  Einflüsse  der  Narkose  auf  die  Körper- 
kräfte N.,  so  miiss,  damit  ein  für  den  Organismus  günstiges  Resultat 
herauskommt,  V]>>P-|-N  sein.  Ist  in  einem  Falle  die  Summe  P-j-N 
">  V,  so  wird  der  Kranke  den  Kampf  nicht  aushalten,  und  zu  Grunde 
gehen.  In  einem  Falle,  wo  P  =  0  (Null)  wird,  haben  wir  einen  gesunden 
Menschen  vor  uns,  und  das  Verhältnis  muss  dann  ergeben,  das  V^N 
sein  muss.  Es  kann  aber  auch  der  Fall  eintreten,  dass  N  die  Grössen  von 
0 (Null)  bis  unendlich  durchläuft,  es  wird  sich  dann,  solange  N  kleiner 
als  V  ist,  für  den  Organismus  nu.r  ein  günstiges  Resultat  ergeben. 
Nimmt  N  aber  die  Werte  an,  welche  grösser  als  V  sind,  so  genügen 
schon  die  Einflüsse  der  Narkose,  um  einen  Exitus  letalis  herbeizu- 
führen. Wir  sehen  also  hieraus,  dass  je  nach  den  Schwankungen  der 
einzelnen  Werte,  verschiedene  Resultate  erwachsen  können.  Was  wir 
also  vor  der  Narkose  zu  u.ntersuchen  haben,  ist  zunächst  die  Grösse  V, 
dann  müssen  wir  prüfen,  wie  gross  P  ist.  Die  beiden  Werte  haben 
wir  an  dem  Kranken  als  konkrete  Werte  gegeben,  und  können  die- 
selben bestimmen.  Es  muss  ja  in  dem  Leben  immer  V^P  sein,  denn 
wenn  P^V  wäre,  so  würde  der  betreffende  Mensch  nicht  existieren 
können.  Bilden  wir  nun  die  Differenz  von  V  —  P,  so  erhalten  wir 
einen  Wert,  welcher  uns  sagt,  wie  gross  in  diesem  Falle  das  zu  wählende 
N  höchstens  sei.  Die  Grösse  des  N  wird  schwanken  dürfen  zwischen  den 
Werten,  welche  sich  bewegen  zwischen  0  und  dem  Werte,  welcher 
gleich  V  —  P  ist.  Dies  würde  also  heissen,  die  Anstrengungen,  Avelche 
die  einzuleitende  Narkose  auf  den  Organismus  ausüben  würde,  dürfen 
iene  Grösse  nicht  übersteigen,  welche  übrigbleibt,  wenn  wir  die  Einflüsse 
der  pathologischen  Veränderung  in  Bezug  auf  die  Kraftleistung 
des  Körpers  von  der  Vitalität  abziehen,  was  durch  die  Differenz 
V  —  P  dargestellt  wird. 

Durch  die  jeweilige  Grösse  des  einen  oder  anderen  Faktors  wird 
bestimmt,  wie  weit  eine  Narkose,  und  welche  Narkose,  zu.lässig 
ist.  Wenn  wir  aber  z.  B.  die  Einflüsse  der  pathologischen  Ver- 
änderungen in  Betracht  ziehen,   so  linden  wir  diejenigen  Beziehungen, 


-     86     - 

welche  vor  der  Narkose  schon  die  Wirkungen  auf  den  Organismus  aus- 
geübt haben.  Neben  diesen  kommen  aber  auch  noch  die  schwächen- 
den Einflüsse  der  Operation  an  sich  in  Betracht.  Bezeichnen  wir 
dieselben  mit  Op.,  so  kommen  wir  zu  folgenden  Schlüssen.  Es  ist  dann 
V  ^  P  -j-  Op  -j-  N,  d.  h.  es  kommt  noch  ein  Faktor  dazu,  welcher  unsere 
Gleichung  kompliziert.  Durch  diese  Zunahme  der  Summanden  wird 
aber  auch  die  Schwierigkeit  grösser,  welche  in  der  Wahl  der  Narkose 
gelegen  ist.  Es  stellt  sich  heraus,  dass  Op  ebenso  von  Einfluss  ist  wie 
P,  und  je  grösser  Op  wird,  um  so  geringere  Einflüsse  dürfen  wir  von  N 
voraussetzen,  um  so  weniger  darf  N  im  Sinne  von  Op,  also  schwächend 
wirken. 

Nehmen  wir  einen  gesunden  Menschen  an,  so  lautete  die  Gleichung, 
da  hier  P==0  =  Null  ist,  V  =  Op -j- N  =  Operat. -[- Narkose ,  dies 
würde  z.  B.  jenen  Fall  darstellen,  wo  wir  eine  Operation  vielleicht  aus 
kosmetischen  Gründen,  und  ähnlichem  unternehmen,  wo  also  keine  krank- 
haften Verhältnisse  vorher  bestanden  haben,  die  schwächend  auf  V  ein- 
wirken konnten.  In  diesem  Falle  kann  N  alle  Grössen  einnehmen,  welche 
zwischen  Null  =  0,  und  V —  Op.  liegen.  Es  besteht  demnach  das 
Verhältnis,  welches  dartut,  dass  je  grösser  0  =  Operat.  ist,  um  so  kleiner 
kann  N  sein.  Oder  die  Grösse  von  N  steht  in  indirektem  Verhältnis 
zu  der  von  0  =  0  p  e  r.  Wenn  wir  es  nun  mit  einem  vorher  schon  er- 
krankten Menschen  zu  tun  haben,  so  stellt  sich  heraus,  dass  für  N  gar 
nicht  ein  sehr  grosser  Zwischeni-aum ,  in  dem  sich  seine  Grössen  be- 
wegen dürfen,  gegeben  ist.  Die  Grösse  von  N  darf  dann  in  den  Grenzen 
zwischen  Null  und  V —  P  —  Op  =  V —  P  —  Operat.   sich   bewegen. 

Aus  allen  diesen  Gleichungen  haben  Avir  einen  Begriff  zu  geben 
versucht  von  den  Ki'aftansprüchen ,  die  wir  für  eine  Narkose  machen 
dürfen.  Man  kann  daraus  den  einfachen  Schluss  ziehen,  dass  die  Ge- 
fährlichkeit der  Narkose  nicht  allein  von  der  Technik  derselben, 
der  Dosis,  und  Art  des  Narkotikums  abhängig  ist,  sondern  auch  von 
der  Vitalität,  von  der  Krankheit,  und  der  Operation.  Wird  z.  B. 
der  Kraftaufwand,  welchen  die  Vitalität  der  Krankheit  entgegen- 
setzen muss,  sehr  gross,  so  bleibt  von  der  Vitalität  nur  noch  ein 
kleiner  Teil  für  die  Summe  von  Operat.  -|-  N.  übrig.  Es  verhält  sich 
nun  re  vera  in  der  Natur  so,  Avie  in  dem  Zahlenverhältnis.  Die  Vitalität, 
die  Krankheit,  und  die  Operation  sind  so  ungeheuer  verschieden, 
dass  man  gut  den  Vergleich  aufrecht  erhalten  kann ,  ihre  Werte  be- 
wegten sich   zwischen  Null  und  unendlich. 

Tritt  nun  bei  einem  der  Faktoren  P.  und  Op.  der  Fall  ein, 
dass  er  unendlich  gross  wird,  so  bedeutet  dies  für  die  Vitalität  ein 
Sinken  unter  Null,  oder  den  Tod  des  Organismus.  Aus  diesen  Ver- 
hältnissen geht  nun  hervor,  dass  es  für  uns  sehr  scliAvierig  ist,  das 
richtige  Mass  jedes  dieser  einzelnen  Faktoren  zu  ermitteln.  Wir  müssen 
immer  zuerst  bedenken,  wie  gross  die  Ki-aft  des  Organismus  ist.  Die- 
selbe ist  von  Haus  aus  verschieden,  jedes  Individuum  hat  eine  beson- 
dere Vitalität  vom  Beginn  seines  Lebens  an,  und  wir  müssen  daher 
einen  Unterschied  zwischen  den  Einzelorganismen  machen. 

Was    nun  das   Verhältnis  des   Organismus,    oder  besser   der  Vi- 


-     87     - 

talität  desselben  zur  Krankheit  betrifft,  so  sehen  wir  Krankheiten, 
welche  die  Vitalität  stark,  andere,  welche  dieselbe  nur  gering-  beein- 
flussen. Das  wird  gegeben  in  den  Werten  von  P  zwischen  Null  und 
unendlich.  Bestehen  aber  zwischen  den  beiden  Faktoren  grössere 
Einflüsse ,  so  müssen  wir  dieselben  wohl  in  Betracht  ziehen ,  ehe  wir 
eine  Narkose  einleiten.  Neben  diesem  sind  aber  wiederum  vei'schiedene 
Einflüsse  zwischen  Vitalität,  Krankheit,  und  Operation  zu  finden. 
Die  Krankheit  kann  durch  die  Operation  in  gutem,  wie  in 
schlechtem  Sinne  beeinflusst  werden. 

i;  37.  Für  uns  aber  noch  wichtiger,  als  diese  Beziehungen,  sind 
diejenigen,  welche  zwischen  Narkose  und  Krankheit  bestehen.  So 
kommt  es  oft  vor,  dass  eine  chronische  Erkrankung  des  Organismus 
gar  nicht  von  der  Narkose  berührt  wird.  Im  Gegenteil  aber  eine  sehr 
grosse  Anzahl,  wo  die  Grundkrankheit  ad  mal  am  partem  beein- 
flusst wird.  Solche  Beispiele  sehen  wir  beim  Diabetes.  Oftmals  ist  der 
Grund  zu  einem  diabetischen  Coma  in  einer  Narkose  zu  suchen, 
oder  es  ist  Avenigstens  eine  starke  Verschlimmerung  der  bestehenden 
Erkrankung,  wenn  sie  auch  nicht  zum  diabetischen  Coma  führte, 
durch  dieselbe  hervorgerufen  worden;  denn  es  ist  eine  vielbeobachtete 
Tatsache,  dass  man  bei  Kranken,  bei  denen  man  vor  der  Narkose 
Saccharum,  oder  Albumen  im  Harn  fand,  die  Mengen  derselben  Körper 
nach  der  Narkose  vermehrt  findet,  und  dass  in  günstigen  Fällen  die 
Menge  der  Beimengungen  nach  und  nach  wieder  zu  der  vor  der  Nar- 
kose gewöhnlichen  Höhe  lierabschreitet,  allerdings  sind  auch  ungünstige 
Folgen  zu  verzeichnen ,  wo  eine  dauernde  Vermehrung  der  Harnbei- 
mengungen als  Zeichen  verstärkter  pathologischer  Zustände  in 
den  Nieren   eintrat,   und  eine  direkte  Folge   der  Narkose  darstellte. 

Andererseits  bestehen  sichtliche  Einflüsse  der  Narkose  auf  die 
Operation,  und  zwar  weniger  ad  malam,  wie  ad  bonam  partem. 
Die  Narkose  ermöglicht  dem  Operateur  eine  leichtere  Arbeit,  sie  macht 
ihm  die  Verhältnisse  im  Organismus  deutlicher,  indem  sie  die  Unter- 
suchung ausgiebiger  gestaltet,  und  so  weiter  in  ähnlichen  Beziehungen. 
Ferner  werden  dui'ch  die  Narkose  die  psychischen  Alterationen  ge- 
mildert, der  Nervenshock  wird  seltener,  während  der  Kranke  früher 
mit  Bangen  vind  Zittern  den  Tag  der  Operation  erwartete,  und  oft- 
mals aus  Schmerz  in  Ohnmacht  versank,  oder  vor  dem  Betreten  des 
Zimmers  tot  umfiel,  oder  beim  ersten  Schnitt  des  Operateurs  sein  Leben 
aushauchte,  sieht  er  in  der  Narkose  jetzt  ein  Mittel,  durch  welches 
er  all  des  Schrecklichen  der  Operation  enthoben  wird,  und  seine 
psychische  Erregung  malt  ihm  wohl  die  krassen  Bilder  der  Gefahren, 
denen  er  entgegengeht ,  in  lebhaften  Farben  aus ,  doch  da  tröstet  er 
sich,  dass  er  von  alledem  nichts  sieht,  und  er  empfindet  so  die  Narkose 
als  eine  Wohltat.  Dieser  Einfluss  muss  für  die  Operation  indirekt 
günstig  wirken, 

§  38.  Wenn  wir  aber  eben  gesehen  haben,  wie  die  Vitalität 
durch  Krankheiten  eine  Veränderung  erfährt,  so  müssen  wir  neben 
den  wirklich  pathologischen  Zuständen  auch  noch  andere,  welche 
physiologische  Etappen  im  menschlichen  Leben  darstellen,  erwähnen. 


—     88     — 

Die  Vitalität  ist  durch  das  Alter  der  Personen  einer  nicht  geringen 
Beeinflussung  unterworfen.  So  sehen  wir  dieselbe  schwanken  mit  den 
einzelnen  Lebensabschnitten,  ein  Steigen  vom  ersten  Atemzuge  bis  zur 
Zeit  der  Blütejahre  des  Menschen,  dann  ein  gleichmässiges  Schwanken, 
während  einiger  Jahrzehnte,  und  wieder  ein  Abfall  im  Greisenalter,  bis 
zum  Tage  des  Scheidens  aus  dem  Dasein,  alles  das  stellt  einen  dem 
allgemeinen  Kreislauf  im  Weltgetriebe  ähnlichen   Wandel  dar. 

So  haben  wir  die  Vitalität  im  Kindesalter  schwach,  und 
wenig  für  einen  Kamj)f  geeignet,  wenig  widerstandsfähig,  denn  z.  B. 
schon  eine  massige  Blutung  wird  die  Ursache  des  Unterliegens,  eine 
Narkose  eventuell  der  Anlass  zum  Tode  sein.  Mit  den  Jahren 
nimmt  die  Kraft  zu.  In  der  Zeit  von  15 — 45  Jahren  werden  Schä- 
digungen am  Organismus  am  besten  vertragen,  folglich  wird  auch  dieses 
Alter  für  die  Narkose  das  am  wenigsten  gefährliche  darstellen. 
Vom  45.  Jahre  abwärts  bis  an  den  Rand  des  Grabes  finden  wir  wieder 
einen  Rückgang  der  Vitalität.  Daher  entnehmen  wir  dem  Gesagten 
die  Lehre,  eine  Narkose  im  früheren  Kindes-,  und  im  späten  Greisen- 
alter ist,  wenn  möglich,  zu  unterlassen,  sie  stellt  je  nach  dem 
Alter  eine  entsprechend  grosse  Gefahr  für  den  Organismus  dar.  Es 
ist  sogar  im  allgemeinen  Brauch,  ein  Kind  unter  1  Jahr  nicht  zu  nar- 
kotisieren. Die  Grenze  im  Greisenalter  lässt  sich  nicht  so  leicht  ziehen, 
denn  dasselbe  ist  mehr  Schwankungen  unterworfen.  Die  Geburt  eines 
Kindes  stellt  einen  festen  Punkt  dar,  an  den  bestimmte,  feststehende 
Daten,  in  Bezug  auf  körperliche  Entwickelung,  und  Verhältnisse  ge- 
knüpft sind,  und  die  EntAvickelung  der  Kinder  im  ersten  Jahre  hat  noch 
wenig  eingreifende  individuelle  Schwankungen  in  dieser  Hinsicht  natür- 
lich, wir  haben  mit  dem  Alter  von  1  Jahr  einen  feststehenden  körper- 
lichen Entwickelungs-,  und  Kräftezustand,  welcher  bei  gesunden  Kin- 
dern ungefähr  gleich  ist.  Daher  können  wir  in  diesem  Alter  mit  Zahlen 
rechnen,  obwohl  natürlich  auch  da  noch  ein  grosser  Teil  von  indivi- 
duellen Differenzen  in  Beti'acht  kommt.  Anders  ist  es  mit  dem 
Greisenalter.  Hier  haben  wir  die  Einflüsse  eines  langen  Lebens, 
welche  sich  in  dem  Zustande  des  betreff'enden  Menschen  kundgeben, 
und  die  Verschiedenheit  in  Bezug  auf  den  Zustand  der  Vitalität  ist 
eine  so  grosse,  dass  eine  bestimmte  Linie  zwecks  Abgrenzung  der 
Narkotisierbarkeit  zu  ziehen,  in  das  Bereich  der  Unmöglich- 
keit gehört.  In  diesen  Fällen  muss  eben  die  Beurteilung  des  indi- 
viduellen Zu  Standes  ausschlaggebend  sein. 

Es  kommen  bei  dem  Greisen  alt  er  eine  grosse  Reihe  von  Mo- 
menten in  Betracht,  welche  sich  jetzt  zum  Teil  in  pathologischen 
Zuständen  kundgeben,  die  aber  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  nicht 
als  pathologisch  anzusehen  sind.  So  haben  wir  bei  alten  Leuten 
die  Veränderungen  des  Gefäss Systems  in  Erwägung  zu  ziehen.  Es 
hat  sich  teils  als  Folge  des  Berufes,  teils  als  Resultat  der  Lebensge- 
wohnheiten, die  Arteriosklerose  eingestellt,  es  bestehen  Zirkula- 
tionsanomalien, und  varicöse  Veränderungen,  sowie  eine  allge- 
meine Trockenheit  des  Körpers,  und  alle  diese  Veränderungen 
im  Organismus    machen    einen  Ausgleich    von  Blutverlusten  bei  Opera- 


—     89     — 

tionen  scliAvierig,  und  somit  können  Herzaffektionen  entstehen,  die  eine 
Narkose  jeder  Art  zu  einer  hohen  Gefahr  machen.  Dazu  kommen 
noch  jene  Veränderungen  des  Herzens,  die  ebenfalls  an  der  Grenze 
des  pathologischen  Begriffes  stehen,  die  braune  Atrophie  des 
Herzfleisches,  die  Sklerose  der  Coronargefässe ,  Hypertrophien, 
und  Dilatationen  etc.  Sie  alle  bilden  die  Ursache  für  eine  geringere 
Widerstandskraft  des  Organes.  Die  Herzmuskulatur  entspricht  nur  noch 
den  Anforderungen  des  alltäglichen  Lebens,  jede  grössere  Kraftforde- 
rung verursacht  eine  Schwäche,  und  in  ihrer  eigenen  Schwäche 
fehlt  der  Herzmuskulatur  noch  die  Unterstützung  der  übrigen 
Mxiskulatur  des  Organismus,  welche  sonst  die  Blutzirkulation  noch 
beförderte,  jetzt  aber  wegen  des  allgemeinen  Darniederliegens  der  Kräfte 
in   Wegfall  kommt. 

Es  kommt  noch  ein  Moment  im  Alter  dazu,  welches  auf  die  Ver- 
hältnisse der  Vitalität  ebenfalls  einwirkt,  nämlich  der  Umstand,  dass 
mit  der  Höhe  des  Greisenalters  die  Empfindlichkeit  gegen  Schmerz 
zunimmt.  Wenn  ein  Schmerz  z.  B.  bei  einem  Manne  im  mittleren 
Lebensalter  eine  Ohnmacht  hervorruft,  so  ruft  derselbe  bei  einem  Greise 
den  plötzlichen  Tod  eventuell  hervor.  Hier  kann  man  allerdings 
durch  eine  Narkose  helfend  einschreiten.  Freilich  muss  in  solchen 
Fällen  die  Narkose  eine  ganz  besonders  vorsichtige  sein,  denn 
es  kann  ebenso  statt  Nutzen,  Schaden  entstehen  durch  die  kleinsten 
Versehen.  So  haben  wir  den  Satz  aufzustellen:  bei  dem  Greise  ist  die 
Narkose  als  im  allgemeinen  sehr  gefährlich  aufzufassen,  namentlich, 
wenn  zugleich  eine  stark  schwächende  Operation  bevorsteht,  und 
stattfindet. 

§  39.  Es  kommen  ausser  den  Altersstufen  vor  allem  auch 
die  verschiedenen  Konstitutionen,  und  deren  Uebergänge  in  patho- 
logische Veränderungen   in   Betracht. 

§  39a.  Zuerst  wollen  wir  einen  Blick  auf  die  anämischen 
Körperzustände  werfen,  wie  sie  durch  lange  vorher  bestandene 
Blutungen  auftreten.  Alle  diese  finden  in  der  Narkose  beträchtliche 
Gefahren,  wir  müssen  den  Grad  der  Anämie  kennen,  um  zu  entschei- 
den, welches  Narkotikum  wir  wählen.  Sind  die  Blutungen  nun  Folgen 
von  Operationen  oder  malignen  Neubildungen,  Entbindungen, 
oder  dergleichen,  stets  wird  durch  den  starken  Blutverlust  eine 
starke  schwächende  Wirkung  auf  das  Herz  ausgeübt.  Das  Plerz  neigt 
zu  Kollaps,  und  wir  müssen   dem   entgegen   arbeiten. 

Ausser  dem  Blutmangel  kommt  nun  noch  bei  etwaigen  Neu- 
bildungen die  Inanition  in  Betracht,  welche  auch  das  Herz  schwächt, 
und  pathologische  Veränderungen   am  Myokard  hervorruft. 

Wir  müssen  demnach  vor  der  Einleitung  einer  Narkose  den  Grad 
der  Herzveränderung  feststellen,  um  entsprechende  Massnahmen 
treffen  zu  können. 

Neben  den  Anämien  durch  direkten  Blutverlust,  welche 
der  allgemeinen  Anästhesie  hindernd  entgegentreten,  sind  es  auch  jene 
schweren  Bluterkrankungen,  die  wir  mit  Anämie,  perniziöser  Anä- 
mie   XTnd  Leukämie    bezeichnen.      Da    bei    denselben    in   den  meisten 


-     90     — 

Fällen  eine  Erkrankung  des  Myokards  mit  besteht,  wird  die  Gefatr 
hauptsächlich  in  Schwächezuständen  des  Herzens  bestehen.  Dass 
natürlich  je  nach  dem  Zustande,  in  welchem  der  Kranke  sich  befindet, 
d.  h.  ob  die  betreffende  Krankheit  im  Anfangsstadium  oder  bereits 
weit  vorgeschritten  ist,  eine  Entscheidung  herbeizuführeii  ist,  ob  noch 
eine  Narkose  möglich  sein  kann,  und  welche  Art  der  Betäubung  ge- 
w^älilt  w^erden  soll,  ist  einleuchtend.  Wie  sich  die  einzelnen  Betäubungs- 
mittel in  solchen  Fällen  zum  Organismus  verhalten,  wird  im  speziellen 
Teile  ermittelt  und  besprochen  werden.  Hier  sei  nur  hervorgehoben, 
dass  diese  Blutaffektionen  Kontraindikationen  hervorzurufen  im 
Stande  sein  können,  und  dass  wir,  w^enn  eine  Narkose  unumgänglich 
ist,  das  Narkotikum  wählen  müssen,  Avelches  dem  Herzen  am  wenigs- 
ten gefährlich  ist. 

§  39b.  Ziehen  Avir  nun  jene  besondere  Art  der  Konstitution 
in  Betracht,  die  war  als  Fettsucht  bezeichnen,  und  welche  dem  Men- 
schen schon  kaum  im  alltäglichen  Leben  die  Verrichtungen  im  Beruf 
und  in  seinen  sonstigen  Verhältnissen  A'oUbringen  lässt.  Ein  solches 
Individuum  verträgt  eine  allgemeine  Narkose  in  den  meisten  Fällen 
nur  sehr  schlecht,  das  Herz  ist  fast  immer  durch  das  Fett  in  hohem 
Grade  nachteilig  affi ziert  ,  es  besteht  neben  einer  hochgradigen  Fett- 
durcli  Setzung  der  Muskulatur  eine  mehr  oder  minder  hochgradige 
Hypertrophie  des  Herzens.  Durch  diese  Veränderungen  wird  das- 
selbe in  seiner  Leistungsfähigkeit  stark  herabgesetzt,  und  ist  in 
den  meisten  Fällen  nicht  im  stände,  die  Anstrengungen,  welche  eine 
Narkose  an  dasselbe  stellt,  aiiszuhalten  Bei  dem  überaus  fettreichen 
Organismus  kommt  vielleicht  die  Gefahr  für  das  Herz  mit  daher,  dass 
in  dem  Myokard,  welches  reichlich  mit  Fett  durchwachsen,  und  auch 
aussen  umgeben  ist,  eine  bedeutende  Menge  des  Narkotikums  direkt 
aufgespeichert  wird,  durch  die  Eigenschaft  des  Fettes,  das  Narkoti- 
kum zu  lösen.  So  wird  natürlich  in  dem  Fettherzen  eine  grössere 
Menge  Narkotikum  vorhanden  sein,  als  in  einem  normalen  Herzen 
w^ährend  der  Narkose,  weil  in  dem  letzteren  nur  das  Blut  Narkoti- 
kum dahin  bringt,  und  wenig  Fett  zum  Lösen  weiterer  Mengen  vor- 
handen ist,  und  diese  vermehrte  Menge  wird  natürlich  auf  das,  an 
sich  schon  zur  fettigen  Degeneration  prädisponierte  Myokard 
pathologisch  einwirken  können,  und  leichter  eine  Paralyse  des 
Herzens  hervorrufen,  als  in  anderen  normalen  Fällen.  Es  ist  gerade 
darin  der  Grund  für  eine  vermehrte  fettige  Degeneration  der  Organe 
durch  viele  Narkotika  zu  finden,  dass  die  kleinen  Fetttröpfchen  in 
den  Zellen  mehr  Narkotikum  in  der  Zelle  aufhäufen,  als  die  Zelle 
ohne  die  Fettdegeneration  tun  würde,  und  dass  nun  das  Narko- 
tikum innerhalb  der  Zelle  im  Uebergewicht  vorhanden  ist,  und  als 
weiterer,  die  Degeneration  begünstigender  Moment,  neben  den  frühe- 
ren vor  der  Narkose  schon  bestandenen  pathologischen  Zuständen 
hinzukommt  (Verf.). 

Weiter  haben  wir  bei  der  Fettsucht  die  Beobachtung  gemacht, 
und  dieselbe  zeigt  sich  schon  bei  dem  Vergleich  zwischen  den  Narkosen 
yon   einem   mageren,  und  einem  noch  normalen,  aber  doch  fast  patho- 


-     91     — 

logisch  fettreichen  Menschen,  dass  der  fette  Mensch  eine  grös- 
sere Menge  des  Narkotikums  braucht,  als  der  magere,  was  wir,  da 
andere  Momente  nicht  wahrscheinlich  waren,  darauf  beziehen  mussten, 
dass  das  Fett  viel  Narkotikum  löst,  und  deshalb  erst  nach  Verbrauch 
einer  grösseren  Menge  des  Narkotikums,  als  im  anderen  Falle, 
die  Narkose  eintreten  lässt.  Während  Avir  z.  B.  bei  Kranken,  die 
mager  waren,  3 — 5  gr.  Chloroform  brauchten,  bis  die  Toleranz  ein- 
trat, so  mussten  wir  bei  den  fetten,  aber  gleichg rossen,  ungefähr 
gleichalten,  und  auch  in  anderen  Punkten  ähnlichen  Kranken 
7  —  9  gr.  Chloroform  verbrauchen,  bis  dieselben  in  den  gleichen  Be- 
täubungszustand verfielen   (Verf.). 

Es  ist  auch  die  Beobachtung  gemacht  worden,  dass  die  Nach- 
wirkungen beim  fettreichen  Organismus  länger  anhalten,  so  der 
Geschmack  und  Geruch  nach  dem  Narkotikum  etc.,  als  bei  mageren 
Personen  (Verf.) 

Es  sind  diese  Beziehungen  evident,  und  man  muss  die  Lehre 
daraus  ziehen,  bei  fetten  Personen  dasjenige  Narkotikum  zu  wählen, 
welches  Aveniger  Tendenz  zeigt,  fettige  Degeneration  zu  erzeugen, 
als  die  anderen.  Man  wird  da  entschieden  mehr  den  Gefahren  aus- 
weichen kömien. 

Neben  der  allgemeinen  Fettsucht  kann  auch  die  Gicht  eine 
Narkose  verbieten,  und  es  ist  natürlich  wiederum  das  Herz,  welches 
hier  in  der  Hauptsache  den  Ausschlag  giebt. 

§  39c.  Bei  Pletora  und  stark  vollblütigen  Personen  finden 
wir  in  vielen  Fällen  eine  grössere  Widerstandskraft  gegen  nar- 
kotische Medikamente,  imd  es  müssen  oft  grössere  Dosen,  als 
bei  normalen  Menschen  angewandt  werden,  damit  man  eine  allgemeine 
Betäubung  erreichen  kann.  Dass  in  diesem  Falle  leicht  eine  Gefahr 
für  den  Organismus  eintreten  kann,  wenn  das  betreffende  Narkotikum 
kumulierende  Wirkung  besitzt,  muss  betont  werden,  und  es  ist  in 
solchen  Fällen  vor  einer  zu  forcierten  Narkose  mittelst  grosser 
Dosen  zu  warnen.  Die  Widerstandskraft  ist  jedenfalls  auch  hier  in 
dem  grossen  Fettgehalt  gelegen,  wie  schon  oben   erläutert. 

§  39 d.  Von  sehr  gewichtigem  Einfluss  auf  jede  Art  der  Inha^ 
lationsnarkosen  ist  der  Alkohol.  Es  ist  schon  oben  gelegentlich 
der  Vorbereitung  des  Patienten  vor  der  Narkose  der  grösste  Teil  der 
Einflüsse  des  Alkohols  auf  die  Narkose  erwähnt  worden.  In  jenem 
Falle  handelte  es  sich  aber  darum,  dem  Alkohol  in  seiner  Wirkung 
zu  begegnen.  Wir  wollten  hier  hauptsächlich  jene  Verhältnisse  be- 
leuchten, wo  der  vorhergegangene  Alkoholismus  eine  Kontraindi- 
kation für  die   Narkose  bildet. 

Wenn  wir  den  Alkoholismus  näher  betrachten,  so  haben  wir 
drei  Arten  von  Alkoholisten  zu  unterscheiden,  je  nach  der  Form 
des  Alkohols,  den  sie  zu  sich  nehmen.  Es  sind  dies  die  Bier-, 
Wein-  und   Schnapstrinker. 

Diese  3  Arten  von  Potatoren  bieten  sowohl  im  alltäglichen 
Leben,  wie  im  Verhältnis  zur  Narkose,  jeder  ein  typisches  charakte- 
ristisches Bild. 


-     92     — 

Der  Biertrinker  ist  meist  ein  dickleibiger,  vollblütiger  Menscli, 
bei  ihm  kommen  die  Gefahren  der  Fettsucht  und  Pletora  zusammen 
in  Bezug  auf  die  Narkose  in  Betracht.  Hier  müssen  wir  uns  die 
pathologischen  Zustände  des  Herzens  vergegenwärtigen,  und  wir 
denken  da  an  das  bekannte  Münchener  Bierherz  mit  seiner  enormen 
Hypertrophie,  Dilatation,  Fettdur  chwachsung,  und  oftmals  be- 
stehenden Myocarditis  in  allen  den  Abstufungen  vom  ersten  Beginn 
der  alkoholischen  Einflüsse,  bis  zu  obigem  extremen  Fall,  der 
so  oft  in  Bayern  gefunden  wurde.  Neben  diesen  Herzveränderungen 
leidet  der  Biertrinker  meist  an  einem  chronischen  Rachenkatarrh, 
und  chronischem  Magenkatarrh,  beides  Zustände,  die  bei  der 
Narkose  ihren  störenden  Einfluss  in  Form  von  Würg-  und  Brech- 
akten zeigen.  Versetzen  wir  einen  solchen  Mann  in  eine  Inhalations- 
narkose, so  sehen  Avir,  dass  schon  nach  Avenigen  Atemzügen  das  Gesicht 
dunkelrote  Farbe  annimmt,  die  sich  bis  zu  blaurotem  Kolorit 
steigern  kann.  Zwischen  den  festaufeinandergepressten  Zahnreihen  wird 
der  vermehrt  abgesonderte  Speichel  hin  und  hergeblasen,  und  man  hat 
Mühe,  die  Kiefer  zu  öffnen,  und  den  Mund  von  Schleim  zu  befreien, 
welcher  oft  den  ganzen  Rachen  bis  zum  Kehlkopf  teilweise  erfüllt  und 
durch  die  Atmung  hin  und  hergeschleudert,  ein  rasselndes  Atemgeräusch 
erzeugt.  Nachdem  event.  noch  eine  mehr  oder  weniger  starke  Excida- 
tion  eingetreten  ist,  folgt  allmählich  ruhigere  Atmung,  und  ein  behag- 
liches Schnarchen  kündet  den  Eintritt  der  tiefen  Narkose  an,  welche 
nun   leicht  in  dem  gewünschten   Zustande   erhalten   werden  kann. 

Ein  anderes  Bild  gibt  uns  der  Wein  trink  er.  Man  sagt  der  Wein 
macht  lustig,  und  wohl  nicht  mit  Unrecht  nennt  man  die  rheinische  Be- 
völkerung ein  lustiges  Völkchen.  So  wie  im  Leben  der  belebende,  zu 
fröhlichem  Lachen  und  Scherzen  anregende  Einfluss  des  Weines  unver- 
kennbar ist,  so  finden  wir  auch  diesen  selben  Charakter  in  der  Nar- 
kose eines  Weintrinkers  wiedergegeben.  Durch  die  ersten  Inha- 
lationen schon  wird  der  betreffende  Mann  in  ein  angeregtes  Stadium, 
vergleichbar  dem  Weinrausch  versetzt.  Allein  es  ist  oftmals  sehr 
schwer  möglich,  die  Toleranz  zu  erreichen,  denn  der  Patient  ist  kaum 
in  einen  Schlaf  zu  versetzen,  er  spricht,  erzählt,  scherzt,  und  erheitert 
durch  seine  fröhliche  Art  und  Weise  die  ganze  Umgebung.  Dabei  ist 
er  aber  in  seinem  Bewusstsein  getrübt,  doch  gelingt  es  erst  mit  Gewalt 
ihn  zu  betäuben,  allein  man  zieht,  wegen  der  Gefahren  der  forcierten 
Narkose  vor,  den  Kranken  in  seinem  manischen  Zustand  zu.  lassen,  denn 
man  bemerkt  bald,  dass  jede  Schmerzempfindung  fehlt,  ebenso  das  Be- 
wus  stsein,  und  man  kann  ruhig  operieren,  während  der  Kranke  seine  Um- 
gebung scherzend  unterhält.  Solche  Narkosen  haben  nach  Witzel  nichts 
unangenehmes ,    sondern   dienen   zu  grosser  Erheiterung  der   Umgebung. 

Wenn  nun  auch  dieser  Zustand  wegen  seiner  Anaesthesie,  denn 
es  besteht  nicht  nur  Analgesie,  da  der  Kranke  keine  Abwehrbewe- 
gungen macht,  gut  zur  Operation  verwendbar  ist,  so  muss  man  nicht 
denken,  es  sei  eine  völlige  Betäubung  unmöglich.  Dieselbe  ist  stets 
zu  erreichen,  wenn  man  auch  von  einer  forcierten  Betäubung  entschie- 
den abraten   muss. 


-     93     — 

Wenn  die  motorische  Excidation  nicht  zu  schlinini  ist,  so  ist 
obiger  Zustand  gut  zu  benützen,  während  tiefe  Narkosen  immer 
wegen    eventueller    Kollapszustände    etc.   Gefahr    bringen    können. 

Ein  ganz  anderes  Bild  wird  vom  Schnapstrinker  dargestellt. 
Die  körperlichen  Verhältnisse  des  Mannes  zeigen  meist  weder  Fett- 
leibigkeit, noch  Pletora,  das  Gesicht  ist  allerdings  meist  bläulich- 
rot verfärbt.  Wenn  schon  der  Weintrinker  eine  gewisse  Resistenz 
gegen  das  Narkotikum  zeigte,  so  müssen  wir  in  diesem  Falle  oft  ganz 
enorm  hohe  Mengen  verbrauchen,  um  die  Narkose  zu  erreichen. 
Das  Excidationss tadium  zeigt  sich  wild  und  roh  in  Bezug  auf 
die  Bewegungen,  und  ein  lautes  Schreien  und  Toben  ist  oftmals  so 
hochgradig  vorhanden,  dass  es  fast  gefährlich  erscheint  für  die  um- 
stehenden Personen,  sich  der  Person  zu  nähern,  dabei  bricht  dieselbe 
in  Fluchen,  Schimpfen,  und  Schreien  abwechselnd  aus.  Hier 
macht  sich  mehr  der  wilde  und  rohe  Charakter,  entgegen  dem 
Weintrinker  bemerkbar. 

Nachdem  dieses  Stadium  lange  angehalten  hat,  fällt  der  Patient 
oftmals  bald  schlaff  zurück,  und  wir  haben  nun  das  Bild  der  gefähr- 
lichsten Schwächenarkose.  Dieselbe  muss  unsere  ganze  Aufmerk- 
samkeit erfordern,  zumal  die  Schwächezustände  bei  stai'kem  Blut- 
verlust während  der  Narkose  oftmals  sehr  bedrohlich  werden  können. 
Das  Zeichen  einer  gefährlichen  Schwäche  ist  neben  den  bekannten 
Symptomen  der  Ausbruch  eines  in  feinen  Bläschen  auf  dem  Ge- 
sicht auftretenden  Schweisses,  wobei  die  Gesichtshaut  livide  ge- 
färbt erscheint.  Diese  Ztistände  sind  bei  starken  Schnapstrinkern 
nicht  selten,  imd  das  Bild  wechselt,  je  nach  dem  Stadium  der  Trunk- 
sucht, und  bietet  dann  entsprechende  Abweichungen.  Immer  aber  sei 
man  bedacht,  dass  jeder  Alkoholist  von  solchen  Schwächezustän- 
den befallen  werden  kann.  Das  beste  Mittel,  um  denselben  etwas 
vorzubeugen,  ist  das,  vorher  starken  Wein  oder  Kognak,  wie  oben 
schon  angegeben,  dem  Kranken  zu  verabreichen.  Es  sollte  dies  nie 
unterlassen  werden. 

Durch  diese  Auseinandersetzungen  ist  der  Einfluss  des  Alkohols 
soweit  gewürdigt  worden,  als  er  für  uns  in  Betracht  kommt.  Was  wir 
noch  in  dem  Folgenden  als  Konstitutionsanomalien  zu  erörtern 
haben,  ist  das  Vorhandensein  jener  Zustände,  die  wir  mit  dem  Namen 
eines  Statxis  lymphaticus,  und  Status  thymicus  bezeichnen.  Der- 
selbe ist  charakterisiert  durch  eine  Hypertrophie  der  Thymus,  der 
Milz,  der  Lymphdrüsen  im  allgemeinen.  Es  lässt  sich  bei  solchen 
Kranken,  trotz  aller  Vorsicht,  das  Eintreten  von  Todesfällen  oft  nicht 
verhindern,  und  da  die  Zahl  der  Todesfälle,  die  bei  solchen  Personen 
beobachtet  wurden,  eine  erheblich  grosse  ist,  so  ist  die  beste  Vorsicht 
in  der  Vermeidung  jeder  allgemeinen  Narkose  zu  finden.  Man 
prüfe  deshalb  bei  solchen  Personen  vorher  alle  Verhältnisse  genau,  und 
sei  bestrebt,  die  Narkose  nach  Möglichkeit  einzuschränken,  und  durch 
ein   anderes   Verfahren  zu  ersetzen. 

Alle  diese,  in  dem  vorhergehenden  angeführten  Momente,  müssen 
bei    der  Wahl    einer    Narkose    überlegt    werden,    und  erst  nachdem  die 


—     94     - 

Prüfung  keine  dieser  Kontraindikationen  von  Gewicht  ergeben  hat, 
schreite  man  zu  der  Vornahme  einer  Narkose.  Nunmehr  kommt  noch  jene 
Entscheidung,  welches  Narkotikum  zu  wählen  ist.  Auf  diesen  Punkt 
näher  einzugehen,  ist  nicht  der  geeignete  Ort,  denn  die  Verhältnisse 
sind  Gegenstand  der  Betrachtung  im  speziellen  Teile,  da  man  die  ein- 
zelnen Eigentümlichkeiten  der  Narkotika  in  Bezug  auf  physiologische 
Vorgänge  im  Organismus,  genau  kennen  muss,  um  dem  einen  den 
Vorzug  vor  dem  anderen  zuteil  werden  zu  lassen,  und  eine  genaue 
Erläuterung  der  Wirkungen   der  einzelnen  Narkotika  finden  wir  später. 


VI.  Kapitel. 

Die  Narkose  an  sich. 

§  40.  Wenden  wir  uns  nunmehr  zu  der  Narkose  an  sich! 
Was  wir  im  allgemeinen  über  die  Narkose  sagen  können,  kann  nur  in 
bestimmten  Grenzen  hier  gegeben  werden,  und  wird  eine  Ergänzung  zu 
den  Erörterungen  im  speziellen  Teile  bilden.  Wenn  auch  zwischen  den 
einzelnen  Narkotika  Verschiedenheiten  bestehen,  welche  das  eine  zu 
einem  Wettstreit  mit  dem  anderen  berechtigen,  so  haben  sie  doch  alle 
einen  bestimmten  Charakter  gemeinsam,  und  dieser  allen  Narko- 
tika typische  Charakter  macht  sich  bemerkbar,  durch  die  gleiche 
Wirkung  auf  den  Organismus.  Wenn  wir  nun  die  einzelnen  Nar- 
kotika, oder  Anästhetika  in  Bezug  auf  das  Erzeugen  von  Narkose  be- 
trachten wollen,  so  liegt  es  nahe,  dass  wir  eine  Einteilung  der  ver- 
schiedenen Körper  suchen,  und  wünschen.  Es  sind  nun  verschiedent- 
lich Vorschläge  zu  einer  Klassifikation  derselben  gemacht  worden,  doch 
dieselben  sind  alle,  mehr  oder  weniger,  zu  widerlegen.  Ich  Avill  hier 
gleich  darauf  hinweisen,  dass  ich  unter  die  Stoffe,  welche  Avir  zur  Nar- 
kose verwenden,  nicht  nur  jene  rechne,  welche,  wie  Chloroform,  von 
dem  Organismvis  durch  die  Lungen  aufgenommen  und  ausgeschieden 
werden.  Das  würde  ganz  vei-kehrt  sein,  denn  wir  bringen  auch  Nar- 
kose hervor,  indem  wir  das  Agens  nicht  durch  die  Lungen,  sondern 
auf  anderem  Wege  dem  Organismus  einverleiben,  z.B.  durch  subku- 
tane Injektion,  wie  bei  der  Skopolam in-Morphin-Nar kose  Schnei- 
der lin 's  etc.  Somit  wird  es  klar,  dass  eine  Unterscheidung  der  wir- 
kenden Körper  nicht  durch  die  Art  der  Einverleibung  in  den  Organis- 
mus bestimmt  werden  kann,  sondern  es  muss  uns  bei  der  Klassifi- 
kation das  Verhalten  der  narkotisierend  wirkenden  Stoffe  dem 
Zentralnervensystem  gegenüber  leiten. 

§  41.  In  pharmakologischer  Hinsicht  haben  wir  zwei  Arten 
von  derartigen  Stoffen,  die  indifferenten,  und  die  basischen 
Narkotika  zu  unterscheiden,  und  es  ist  diese  Einteilung  der  Nar- 
kotika   vom   Standpunkte   der  allgemeinen  Physiologie  wohl   berech- 


—     95     - 

tig't.  Es  ist  für  die  Wirkung  der  beiden  Arten  der  Narkotika  offenbar 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  gleichgültig,  auf  welchen  Bahnen  sie  in 
den  Organismus  des  zu  Narkotisierenden  liineingelangen.  Das,  was  alle 
gemeinsam  haben,  ist,  dass  sie  von  dem  Blute  aufgenommen,  und  von 
demselben  den  Zellen  im  Zentralnervensystem  zugeführt  werden. 
Die  Narkotika  haben  nun  den  Zellen  gegenüber  die  Eigenschaft, 
durch  die  Zellmembran  hindurch  in  das  Protoplasma  derselben 
zu  dringen,  und  es  machen  ihre  Wirkungen  im  Protoplasma  erst 
die  narkotischen  Erscheinungen  aus,  indem  die  Narkotika  auf  den 
Zustand  der  Cholesterin-Lecithin-Verbindungen  des  Protoplas- 
ma's  verändernd,  in  physikalischem  Sinne,  einwirken.  Bei  dem 
grösseren  Teile  der  basischen  Narkotika  ist  kein  Zweifel,  dass, 
auch  wenn  sie  dem  Organismus  in  Gestalt  von  Salzen  zugeführt 
werden,  lediglich  der  basische  Teil  des  Salzes  die  narkotisieren- 
den Wirkungen  hervorruft.  Es  ist  dies  z.  B.  ganz  sicher  der  Fall 
bei  den  Salzen  des  Morphin,  und  denen  ähnlicher  Alkaloide.  Die 
Salze  der  meisten  Alkaloide  können  nicht  in  die  lebende  Zelle  der 
Tiere  oder  Pflanzen  eindringen,  wenn  ihnen  nicht  das  Proto- 
plasma der  betreffenden  Zelle  dabei  behilflicli  ist.  Es  werden  nun 
aber  diese  Verbindungen  durch  das  Alkali  des  Blutes  zerlegt,  und 
die  freien  Alkaloide,  die  so  aus  den  Salzen  entstanden  sind,  können 
mit  wenigen  Ausnahmen  nunmehr  sehr  leicht  in  alle  lebenden  Tier- 
und  Pflanzenzellen  eindringen,  und  ebenso  leicht  auch  wieder 
aus  denselben  austreten.  Es  besteht  also  zwischen  den  beiden  Arten 
der  Narkotika  nur  der  Unterschied,  welcher  sich  in  ihrem  Verhalten 
gegenüber  dem  Protoplasma  und  den  Zellbestandteilen  im  leben- 
den Zustande  zeigt.  Die  indifferenten  Narkotika,  z.  B.  Chloro- 
form, Aetlier  sulfur.,  Alkohol,  Bromäthyl  etc.  sind  vollkommen 
unabhängig,  und  selbständig,  gegenüber  der  lebenden  Zelle,  sie 
durchdringen  die  Zellenwand,  und  gelangen  ungehindert  in  das  Pro- 
toplasma, während  die  basischen  Narkotika  (Morphin,  und 
seine  Salze  etc.)  erst  vom  Alkali  des  Blutes  zersetzt  werden  müssen, 
ehe  sie  in  das  Protoplasma  gelangen,  ihnen  wird  durch  die  Zellen- 
Avaud  ein  Halt  geboten.  Wenn  auch  hierin  ein  Unterscheidungsmerk- 
mal liegt,  in  ihrer  Wirkung  auf  das  Protoplasma  sind  sie  sich  voll- 
kommen gleich,  sie  bewirken  einen  physikalischen  Aenderungs- 
zustand  der  Lecithin-Cholesteringemische  im  Protoplasma  der 
Zellen,  wodurch  wahrscheinlich  die  narkotische  Wirkung  auf  den 
Organismus  übertragen  wird.  Es  liegt  also  hinsichtlich  unserer 
Betrachtung  der  Narkotika  eine  gewisse  Einheit  sämtlicher  Narkotika 
vor,  und  es  könnte  für  uns,  bezüglich  der  Narkose,  eine  Unterschei- 
dung der  Narkotika  nicht  von  Gewicht  sein,  wenn  nicht  zAvischen  beiden 
Arten  gewisse  feine  Unterschiede  in  der  Wirkung  auf  die  Gang- 
lienzelle beständen,  so  dass  wohl  das  Resultat  der  Wirkung  bei  beiden 
zwar  gleich  ist,  die  Betäubung;,  die  Art  aber,  wie  dieselbe  hervorge- 
bracht wird,   unter  den   einzelnen  Arten  differiert. 

Während  nämlich  bei  den  indifferenten  Narkotika  die  Kon- 
zentrationen  der  Verbindungen,  Avelche  g-erade  hinreichen,  um  die 


—     96     — 

verschiedenen  Pflanzenzellen,  Infusorien,  Flimmerzellen  etc.  zu 
narkotisieren,  nur  wenig  von  einem  Mittelwert  abweichen,  ist  dies 
bei  den  basischen  Narkotika  durchaus  nicht  der  Fall.  Die  Konzen- 
trationen eines  freien  Alkaloids,  welche  zur  vollständigen  Narkose 
erforderlich  sind,  differieren  vielmehr  bei  verschiedenen  Pflanzenzellen 
unter  sich,  bei  Protozoen,  Flimmerepithelien  etc.  um  ausser- 
ordentlich hohe  Beträge,  nicht  selten  z.  B.  um  mehr  als  den  zehnfachen 
Wert.  Ganz  dasselbe  gilt  übrigens  für  die  Wirkung  der  basischen 
Narkotika  auf  die  Ganglienzellen  des  Gehirns  von  verschiedenen 
Tieren.  Bei  Fröschen  z.  B.  lässt  sich  mittelst  Morphium  überhaupt 
keine  vollständige  Narkose  erreichen,  während,  wie  später  gezeigt  werden 
soll,  die  Konzentrationen  von  Chloroform  oder  von  Aether  in  dem 
Blutplasma,  welche  einerseits  zur  vollständigen  Narkose  eines  Frosch  es, 
andererseits  zur  gänzlichen  Narkose  eines  Säugetieres,  oder  auch  des 
Menschen  hinreichen,  wenn  überhaupt,  so  doch  nur  sehr  wenig  von 
einander  verschieden   sind.     (0 verton) 

Es  gibt  zwischen  diesen  beiden  Arten  von  Narkotika,  so  verschie- 
den dieselben  nun  auch  sein  mögen,  in  ihren  einzelnen  typischen  Ver- 
tretern, doch  auch,  wie  es  so  oft  in  der  Natur  der  Fall  ist,  stufen- 
weise Uebergänge.  Für  die  Narkosenfrage  kommen  vorwiegend 
Körper  aus  den  indifferenten  Narkotika  in  Betracht,  während  die 
basischen  eine  geringere  Menge,  sowohl  weniger  wichtig,  und 
geringer  an  Zahl,  wie  an  Wirkung,  liefern. 

Wir  wollen  uns  nun  in  dem  Folgenden  damit  beschäftigen,  zu  er- 
mitteln, wie  der  Wirkungsmechanismus  der  Narkotika  sich  verhält. 
Bei  der  Narkose  spielen  nun  vor  allen  Dingen  folgende  Momente  eine 
Rolle,  und  zwar  zunächst  das  Narkotikum  in  Bezug  auf  Menge, 
Temperatur,  die  Natur  des  Narkotikums,  die  Ganglienzellen, 
welche  durch  die  Narkose  betroffen  werden,  neben  einer  grossen  Anzahl 
anderer  Momente,   die  wir  jetzt  ausser  Acht  lassen  wollen. 

§  42.  Was  nun  die  Natur  und  Beschaffenheit  der  Gehirn- 
zellen, der  Ganglienzellen  anlangt,  so  ist  es  ein  Feld  von  vielen 
anderen  Punkten  daran  angrenzend,  welche  unsere  Aufmerksamkeit 
fordern,  und  die  noch  in  einem  wenig  gelichteten  Dunkel  ruhen.  Es 
kommt  von  der  Ganglienzelle  nur  eine  bestimmte  Menge  von  Bestand- 
teilen in  Betracht,  mit  denen  die  Wirkung  der  Narkotika  näher  ver- 
bunden ist.  Wir  können  mit  Recht  annehmen,  dass  jene  Faktoren  in 
der  Ganglienzelle,  welche  mit  der  Narkose  in  direktem  Zusammen- 
hang stehen,  bei  den  normalen  Individuen  von  einer  und  derselben  Tier- 
spezies in  demselben  Stadium  der  Entwickelung  immer  dieselben  sind, 
dass  dieselben  konstante  Grössen  darstellen.  Wir  selbst  haben  wenigs- 
tens keinen  Einfluss  nach  Belieben  auf  diese  Faktoren. 

Es  ist  nun  vor  allen  Dingen  von  grosser  Bedeutung,  die  zur  Nar- 
kose hinreichenden  und  notwendigen  Mengen  der  verschiedenen  Nar- 
kotika bei  einer  bestimmten  Temperatur  und  Tierart  festzustellen. 
Um  diese  ermitteln  zu  können,  müssen  wir  aber  erst  ein  Mass  haben 
für  die  Narkotika.  Man  hat  nun  dieses  Mass  ausgedrückt  dadurch,  dass 
man    ermittelt,    wieviel    Gramm    des    betreffenden    Narkotikums    pro 


—     97     - 

Kilogramm  des  Tieres  angenommen  werden  müssen,  um  einen  be- 
stimmten physiologischen  Zustand  des  Tieres  zu  erzeugen.  Es  ist  nun  aber 
das  Ergebnis  der  Erfahrung,  dass  man  einem  Menschen  z.  B.  eine  bestimmte 
Menge  eines  Giftes  nach  und  nach  in  bestimmten  Intervallen  und  ent- 
sprechend kleinen  Gaben  zuführen  kann,  ohne  dass  der  Zustand  des  Men- 
schen geschädigt  wird,  während  die  betreffende  Menge  auf  einmal  verab- 
reicht, sofort  tötlich  wirken  würde.  Man  kann  so  selbst  von  den  heftigsten 
Giften  bedeutende  Mengen  ohne  Schaden  einnehmen,  wenn  man  nur 
die  auf  einmal  verabreichte  Menge  bis  zu  einer  bestimmten  Grösse  an- 
steigen lässt,  ohne  diese  je  überschreiten  zu  dürfen,  und  zwischen  den 
einzelnen  Dosen  einem  genügend  langen  Intervalle  Zeit  zu  verstreichen 
gestattet. 

Ferner  haben  wir  auch  durch  die  Erfahrung  gelernt,  dass  das 
eine  Mittel  in  bestimmter  Hinsicht  anders  wirkt,  wenn  es  per  os, 
anders,  wenn  es  per  rectum,  und  anders,  wenn  es  subkutan  ein- 
verleibt wird.  Das  heisst  also,  es  kommt  bei  der  Wirkung  eines 
Körpers  auch  auf  die  Art,  wie,  und  den  Ort,  wo  er  dem  Organismus 
einverleibt  wird,  an.  Der  Grund  für  diese  Wirkung  ist  derselbe,  wie 
der  für  die   vorhergenannte  Eigenschaft,  und  besteht  in   Folgendem: 

Wenn  ein  Narkotikum  auf  den  Organismus  wirken  soll,  so  muss 
es  in  die  Blutbahn  gelangen,  denn  auf  keine  andere  Art  kann  dasselbe 
zum  Zentralnervensystem  gelangen.  Es  ist  nun  die  Zeit,  in  der 
ein  Körper  vom  Blut  aufgenommen  wird,  abhängig  von  der  Art  der 
Einverleibung.  Es  wird  eine  grössere  Menge  des  Stoffes  vom  Blut 
aufgenommen  werden,  wenn  wir  denselben  subkutan,  als  durch  die 
Lungen,  als  durch  den  Magen  einverleiben.  Kommt  eine  bestimmte 
Menge  von  demselben  unter  die  Haut,  oder  in  den  Magen,  so  wird 
längere  Zeit  gebraucht  werden,  bis  dieselbe  im  Magen  ganz  resor- 
biert ist,  als  die  gleiche  Menge  unter  der  Haut.  Nun  kommt  aber 
noch  folgendes  in  Betracht,  während  vom  Magen  ein  Teil  ins  Blut 
gelangt,  wird  von  diesem  eventuell  ein  Teil  schon  wieder  durch  Drüsen- 
sekrete etc.  entfernt,  oder  durch  Organe  zersetzt,  oder  sonstwie  ge- 
bunden, und  somit  unschädlich  gemacht  worden  sein,  ehe  die  ganze 
Menge  ins  Blut  gelangt  ist.  Folglich  kommt  gar  nicht  die  ganze 
Menge  des  Narkotikums  zur  Wirkung,  die  wir  so  dem  Individuum  ver- 
abreicht haben.  Dies  ist  sehr  wichtig.  Am  sichersten  wirkt  die  Menge, 
wenn  man  sie  direkt  in  ein  Blutgefäss  injiziert.  Es  wird  also  bei 
der  verschiedenen  Einverleibung  durch  die  langsame  Aufnahme,  und 
teilweise  Ausgabe,   die  Wirkung  gemildert. 

Wir  kommen  somit  zu  der  Ueberzeugung,  dass  wir  das  Narko- 
tikum in  Bezug  auf  seine  Wirkung  nicht  nach  der  Dosis  messen, 
welche  einverleibt  Avurde,  sondern  nach  der  Konzentration,  mit  deir 
dasselbe  im  Blut  gelöst  ist,  bestimmen  dürfen.  Man  darf,  um  ein  Bei- 
spiel zu  brauchen,  nicht  sagen,  man  kann  den  Menschen  mit  50  gr. 
Chloroform  narkotisieren,  sondern  man  muss  sagen,  eine  Konzentration 
von  Chloroform  gelöst  im  Blut  wie  die  von  zirka  8  gr.  Chloroform 
auf  100  Liter  Wasser  reicht  gerade  aus,  um  die  Narkose  hervorzurufen. 
Es  ist  nun  bei   dem  Ausdruck  Konzentration  im   Blute  nur  die   Lö- 

7 


—     98     — 

sung  des  Narkotikums  im  Blutplasma  in  Betracht  zu  ziehen,  während 
die  Aufnahme  desselben  durch  die  Erythro cyten  extra  zu  ei'wägen 
ist,  und  in  anderer  Hinsicht  hei  dem  Narkosenmechanismus  in  Be- 
tracht kommt. 

Die  direkte  Einfühi'ung  eines  Narkotikums  in  die  Blutbahn  ist 
aber  nicht  ohne  Gefahr,  da  man  durch  dieselbe  eine  sehr  konzen- 
trierte Lösung  des  Mittels  im  Blute  erzeugt,  und  durch  das  Narko- 
tikum eine  Schädigung  der  Blutkörperchen  resultieren  würde,  mit 
ihren  bekannten  üblen  Einflüssen  auf  den  ganzen  Organismus.  Man 
muss  daher  von  dieser  Art  absehen,  und  hat  bei  Tierversuchen  zuerst 
als  die  beste  Einverleibung,  welche  in  kürzester  Zeit  einen  Uebergang 
des  Narkotikums  ins  Blut  mit  gleichmässiger  Verteilung  bewirkt,  die 
Injektion  einer  bestimmten  Menge  desselben  in  die  Peritonealhöhle 
gefunden.  Von  der  Peritonealhöhle  gehen  die  allermeisten  Stoffe  schnell 
in  die  Blutbahn  über,  neben  dieser  ist  die  subkutane  Injektion  von 
ebenso  grosser  Bedeutung.  Es  wird  bei  dieser  Methode  eine  Vermin- 
derung der  Wirksamkeit  nicht  leicht  eintreten  können,  da  wenn  be- 
reits eine  Veränderung,  resp.  Wie  der  aus  seh  ei  düng  etc.  der  ersten 
in  das  Blut  aufgenommenen  Teile  vor  sich  gehen  könnte,  schon  die 
ganze  injizierte  Menge  in  das  Blut  gelangt  ist,  und  ihre  Wirkung 
ausüben  kann.  Somit  werden  wir  nach  annähernd  ebenso  kurzer  Zeit 
fast  dieselbe  Konzentration  des  Narkotikums  im  Blute  haben,  als 
wenn  wir  es   direkt  in   ein  Blutgefäss  injiziert  hätten. 

§  43  Die  Konzentration  des  Narkotikums  im  Blutplasma  wird 
aber  noch  von  anderen  Momenten  beeinflusst,  und  zwar  kommen  vor  allen 
Dingen  die  Beziehungen  des  Narkotikums  zu  dem  Wasser  und  zu  den 
Fetten  und  fett  ähnlichen  Stoffen  in  Betracht.  Diese  Beziehungen 
des  Nai'kotikums  bestehen  in  der  Löslichkeit  desselben  im  Wasser 
und  den  Fetten.  Es  gelangen  diese  verschiedenen  Verhältnisse  bei 
der  Narkose  zu  grosser  Bedeutung.  Erstens  ist  das  Lösungsverhältnis 
der  Narkotika  im  Wasser  verschieden,  das  eine  wird  in  grösseren  Massen 
vom  Wasser  gelöst,  als  das  andere,  und  dasselbe  ist  in  Bezug  auf  die 
Fette  zu  sagen.  Durch  die  verschiedene  Löslichkeit  der  Narkotika 
im  Wasser  wird  entsprechend  die  Konzentration  des  Narkotikums 
im  Blutplasma  beeinflusst,  d.  h.  je  grösser  die  Löslichkeit  des  Nar- 
kotikums im  Wasser  ist,  desto  leichter,  fester  und  in  grösserer 
Menge  wird  das  Narkotikum  auch  vom  Blutplasma  aufgenommen 
werden.  Je  grösser  die  Löslich keit,  um  so  schwerer  ist  die  Ab- 
gabe desselben  vom  Blutplasma,  und  um  so  stärker  die  Wirkung 
des  Narkotikums. 

Die  Löslichkeit  in  Fetten  kommt  in  folgender  Hinsicht  in  i5e- 
tracht.  Wenn  ein  Narkotikum  von  den  Fetten  sehr  leicht  und  in 
grösseren  Mengen  aufgenommen  wird,  so  wird  im  Organismus  auch 
viel  von  dem  Narkotikum  dem  Blut  etc.  durch  die  Fette  entzogen. 
Wenn  nämlich  ein  Narkotikum  in  alle  Gewebszellen  einzudringen  ver- 
mag, und  wenn  in  denselben  viel  Fett  enthalten  ist,  z.  B.  in  dem  Fett- 
gewebe und  Unterhautzellgewebe,  so  wird  dieses  Narkotikum  so- 
weit in  dem  Fettgew  ehe  aufgehäuft,   als  dem   Teilungskoeffizient 


-     99     — 

des  Narkotikums  zwischen  Wasser  und  den  betreffenden  Fetten  ent- 
spricht. Dadurch  aber,  dass  das  Fett  dem  Blute  entsprechende  Mengen 
des  Narkotikums  entzieht,  wird  die  Konzentration  im  Blutplasma 
bedeutend  herabgesetzt.  Es  ist  dies  von  grosser  Wichtigkeit,  weil  tat- 
sächlich alle  Narkotika,  die  in  Fetten  leicht  löslich  sind,  auch  in 
alle   Gewebsteile  leicht   einzudringen  vermögen.      (Overton). 

Zu  dem  kommt  aber  noch  als  ein  Faktor  hinzu,  dass  eine  be- 
deutende Differenz  zwischen  den  Fetten  in  Bezug  auf  Zusammen- 
setzung bei  den  verschiedenen  Tieren  besteht.  Bei  den  Menschen 
und  einigen  Tieren  befindet  sich  das  Fett  bei  der  Körpertemperatur 
in  flüssigem  Zustande;  dies  resultiert  aus  dem  Vorwiegen  von  Trio- 
lein  in  dem  Fette,  Avährend  bei  anderen  Tieren  Tripalmithin,  und 
Tristearin  vorherrschen,  und  diese  Fette  zeigen  sich  von  festerer 
Konsistenz  während  des  Lebens.  Durch  die  verschiedenen  Zu- 
stände und  Zusammensetzungen  der  Fette  bei  den  verschiedenen 
Tieren  werden  natürlich  auch  die  Teilungsverhältnisse  des 
Narkotikums  zwischen  dem  Wasser  und  dem  Fette  verschieden 
beinflusst. 

Neben  den  Fetten  sind  es  noch  die  in  den  Geweben  vielfach  vor- 
handenen Lecithine  und  Cholesterine,  und  diesen  ähnliche  Ver- 
bindungen, welche  dem  Blute  eine  nicht  unbedeutende  Menge  des 
Narkotikums   entziehen  können. 

§  44.  In  ähnlicher  Weise,  wie  die  Fette,  verhalten  sich  wahr- 
scheinlich auch  die  Blutkörperchen  zu  den  Narkotika.  Die  letz- 
teren werden  natürlich  neben  dem  Blutplasma  ebenfalls  von  den 
Erythro cyten  gelöst.  Die  Blutkörperchen  enthalten  ja  ebenfalls 
Lecithin  -  Cholesterin,  und  noch  andere  diesen  Stoffen  verwandte 
Körper  und  Verbindungen.  Von  diesen  Verbindungen  Avird  natürlich 
das  Narkotikum  ebenfalls  aufgenommen.  Die  Blutkörperchen  be- 
sitzen aber  nicht  einen  direkten  Einfluss  hinsichtlich  des  Transportes 
des  Narkotikums,  sondern  nur  einen  indirekten.  Während  in  dem 
Blutplasma  eine  bestimmte  Konzentration  des  Narkotikums  ge- 
bildet wird,  welche  gerade  ausreicht,  um  die  Narkose  zu  erzeugen,  so 
wird  bei  dieser  Konzentration  auch  das  Aufnahmeverhältnis  des  Nar- 
kotikums in  den  Erythro  cyten  ein  bestimmtes  sein.  Dasselbe  wird 
in  einem  direkten  Verhältnis  zu  der  Konzentration  des  Narkotikums  im 
Blutplasma  stehen.  Nehmen  wir  nun  eine  bestimmte  Konzentration 
des  Narkotikums  im  Blutplasma  an,  so  wird,  wenn  keine  weitere 
Zufuhr  von  Narkotikum  erfolgt,  die  Konzentration  abnehmen,  schon 
weil  das  Narkotikum  von  den  Gehirnzentren  aufgenommen  wird. 
Nun  besitzen  aber  die  Erythro  cyten  noch  eine  bestimmte  Konzen- 
tration des  Narkotikums  in  ihren  lösenden  Bestandteilen,  welche  der 
früheren  Konzentration  im  Blutplasma  entsprach.  Da  nun  das  Blut- 
plasma ein  Manko  aufweist,  so  Avird  zunächst  dasselbe  durch  die 
Mengen  des  Narkotikums,  die  in  den  Erythrocyten  gelöst  sind,  teil- 
weise ausgeglichen  wei'den,  d.  h.  die  roten  Blutkörperchen  werden 
einen  Teil  des  Narkotikums  wieder  abgeben,  die  Konzentration  im 
Blutplasma  Avird  dadurch  wieder  etAvas   erhöht  werden,    und  somit  wird 


-     100     - 

auch  dem    Zentralnervensystem    wieder  eine   bestimmte  Menge   von 
Narkotikum   zugeführt  werden   können. 

Ein  Beweis  hierfür  liegt  darin ,  dass  nicht  sofort ,  nachdem  man 
die  Zufuhr  des  Narkotikums  sistiert  hat,  auch  die  Narkose  wieder  weniger 
tief  wird.  Dies  müsste  unbedingt  der  Fall  sein,  wenn  nicht  durch  die 
Erythrocyten  eine  Reserve  gebildet  würde.  Diese  Reserve  besteht 
ja  weiterhin  auch  noch  in  dem  Fettgewebe  etc.  Aber  zunächst 
kommen  die  Erythrocyten  in  Betracht,  da  sie  direkt  im  Blutplasma 
schwimmen,  und  so  in  näheren  Beziehungen  zu  der  Konzentration  des  Nar- 
kotikums im  Plasma  stehen  als  das  Fett  steht.  Erst  wenn  deren  Gehalt 
an  Narkotikum  entsprechend  herabgesetzt  ist,  können  weitere  Momente 
in  Betracht  kommen.  Es  wird  also  das  Weiterfortdauern  der  Narkose 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  durch  die  Blutkörperchen  bewirkt. 
(Verf.) 

Dass  nicht  direkte  Beziehungen  zwischen  Erythrocyten  und 
Ganglienzellen  bestehen  können,  in  Bezug  auf  den  Transport  von 
solchen  Stoffen,  wie  sie  von  den  Narkotika  dargestellt  werden,  ist  aus 
den  anatomischen,  und  physiologischen  Verhältnissen  leicht 
zu  ersehen. 

Die  weissen  Blutkörperchen  kommen  wegen  ihrer  geringen 
Zahl  hier  nicht  in  Betracht,  ebenso  nicht  die  Blutplättchen,  und  würden 
in  dem  Falle  eines  Einflusses  dieselbe  Rolle,  wie  die  roten  Blutkörper- 
chen  spielen. 

§  45.  Wenn  wir  hier  noch  kurz  die  Beziehungen  des  Fettge- 
Avebes  erläutern  wollen,  so  geschieht  dies  aus  dem  Grunde,  weil  Avir 
in  dem  obigen  einige  Lösungsverhältnisse  erörtert  haben.  Das  Fett 
nimmt  das  Narkotikum  auf,  es  löst  dasselbe,  und  zAvar  in  ganz  be- 
trächtlichen Mengen,  denn  man  kann  sich  davon  leicht  überzeugen, 
wenn  man  ein  Tier  z.B.  durch  Chloroform  tötet,  und  das  Fleisch, 
und  Fett  anriecht.  Man  AA'ird  deutlich  den  Chloroformgeruch 
spüren.  Das  ist  den  Schlachtern  bekannt,  denn  dieselben  können 
Fleisch  von  chloroformierten  Tieren  nicht  verwenden,  da  eben 
dasselbe  infolge  des  Fettgehaltes  mit  Chloroform  angefüllt,  und 
nebenbei  auch  noch  in  der  Muskulatur  selbst  Chloroform  enthalten 
ist.  Dadurch  Avird  es  in  der  Schmackhaftigkeit  beeinträchtigt.  Es 
ist  dies  sehr  schade,  denn  man  könnte  sonst  das  Schlachten  der  Tiere 
viel  weniger  roh  gestalten,  und  mehr  den  zarteren  Saiten  unseres  Mit- 
gefühls  anpassen. 

Aus  dieser  Beobachtung  aus  dem  praktischen  Leben  geht  die 
Bedeutung  des  Fettgewebes  hervor.  Dasselbe  bildet  ein  Steuer  für 
die  Narkose.  Könnte  nicht  ein  grosser  Teil  des  Körpers  (Musku- 
latur, FettgeAvebe  etc.)  das  Narkotikum  aufnehmen,  so  müssten  wir 
bei  Aveitem  vorsichtiger  in  der  Dosierung  des  Narkotikums 
vorgehen.  Wenn  war  einem  Tiere  1  Gramm  Chloroform  inhalieren 
lassen,  so  AA^ürden,  Avenn  nicht  das  Fett  das  Chloroform  lösen  könnte, 
die  Dämpfe  A-om  Bhitplasma  aufgenommen,  nur  nach  dem  Zentral- 
nervensystem gebracht  Averden,  Avelches,  A'ermöge  seiner  besonderen 
Löslichkeit,   sofort   eine  Aveit  grössere   Menge,   als  nötig,   erhalten  Avürde. 


-     lOi     - 

Da  aber  bei  der  Verteilung  das  Fettgewebe  etc.  eine  grosse  Rolle 
spielt,  so  wird  nur  ein  verschwindend  kleiner  Teil  von  den  Dämpfen 
des  einen  Gramm  Chloroforms  wirklich  in  das  Zentralnerven- 
system gelangen. 

Diese  Aufspeicherung  des  Narkotikums  im  Fett-  und  Mus- 
kelgewebe des  Organismus  spielt  nun  noch  eine  Rolle  bei  der  Dauer 
der  Narkose.  Wenn  man  die  Zufuhr  des  Narkotikums  unterbricht,  so 
dauert  die  Betäubung  noch  eine  geraume  Zeit  an,  der  Kranke  erwacht 
nach    und  nach. 

Zuerst  bewirken  dies  die  in  den  Blutkörperchen  aufgespei- 
cherten Mengen  des  Narkotikums,  und  dann  die  im  Fettgewebe  etc. 
Erst  wenn  die  vom  Fettgewebe  etc.  wieder  an  das  BHitplasma  ab- 
gegebenen Mengen  des  Narkotikums  nicht  mehr  ausreichen,  um  die 
Narkose  zu  unterhalten,  erwacht  der  Kranke.  Die  noch  im  Fett  etc. 
zurückgebliebenen  geringen  Mengen  veranlassen  das  Schlafen  des 
Kranken    nach    der  Narkose,  und  später  auch  noch   das  üble   Befinden. 

Kehren  wir  nun  zurück  zu  den  Beziehungen  des  Narkotikums 
zum   Blutplasma. 

Aus  dem  obigen  ersehen  wir,  dass  es  eine  sehr  scliAvere  Aufgabe 
ist,  aus  den  Mengen  des  Narkotikums,  und  dem  Gewicht  des  betreffen- 
den Tieres  die  Konzentration  des  Narkotikums  im  Blutplasma 
zu  bestimmen.  Man  muss  sich  darüber  zuerst  klar  sein,  wie  das  Nar- 
kotikum sich  zu  den  Zellen  verhält,  ob  es  in  die  Gewebselemente 
eindringt,  und  dann  müsste  man  die  Verhältnisse  des  Fettes  des  be- 
treffenden Tieres  kennen,  den  Gehalt  an  Lecithin-Cholesterin,  und 
so  weiter  Bei  diesen  Erwägungen  muss  man  auch  bedenken,  dass 
nie  ein  bestimmter  Zustand  konstant  bleibt,  dass  immer  wieder  ein 
Teil  von  dem  Narkotikum  aus  dem  Blute  ausgesondert  wird,  dass 
chemische  Verbindungen  eintreten  können,  und  noch  viele  andere 
Schwierigkeiten  mehr. 

§  46.  Trotz  all  dieser  Umstände  ist  es  Bert  gelungen,  zuerst 
durch  Versuche  die  Konzentration  des  Narkotikums  im  Blut- 
plasma annähernd  zu  ermitteln.  Er  verfuhr  folgendermassen.  Er  Hess 
ein  Tier,  oder  einen  Menschen  eine  Luft  einatmen,  welcher  die  Dämpfe 
der  zu  prüfenden  Narkotika  unter  einer  bestimmten,  sich  gleich- 
bleibenden Spannung  beigemischt  waren.  Das  Blut  nimmt  nun  die 
Dämpfe  solange  avif,  bis  die  Konzentration  direkt  proportional 
dem  partiellen  Dampfdruck  des  betreffenden  Narkotikums  ist. 
Die  Bluttemperatur  muss  natürlich  dieselbe  bleiben.  Bert  stellte 
die  Versuche  mit  titrierten  Gemengen  von  Chloroform  und  Aether 
sulfur.  in  Luft  an.  Aus  seinen  Versuchen,  welche  Bert  an  Hunden 
vornahm,  mit  Chloroform  zum  Beispiel,  entnimmt  man,  dass  eine  tiefe 
Narkose  bei  einem  Hunde  nur  dann  eintritt,  wenn  die  Konzentration 
des  Chloroform's  im  Blutplasma  so  weit  gekommen  ist,  dass  das 
Blut  aus  einem  Gemische  von  Luft  und  Chloroform,  im  Verhältnis 
von  8  Gramm  Chloroform  auf  100  Liter  Luft,  kein  Chloroform 
mehr  entnimmt,  dass  also  zwischen  beiden  Gleichgewicht  besteht. 
So    lange    nun    dieses   Gleichgewicht    bestehen  bleibt,  ist  auch  Nar- 


-     102     — 

kose  vorhanden.  Dieselbe  Avird  weniger  tief,  und  das  Tier  beginnt  zu 
erwachen,  wenn  die  Konzentration  im  Blutplasma  unter  obige 
Konzentration  herabgeht. 

Man  sieht  also  aus  dem  Angeführten,  dass  die  Konzentration 
des  Narkotikums  im  Blutplasma  der  wesentliche  Punkt  ist,  um 
eine  Narkose  bei  einem  Tier  zu  erzeugen.  Mit  der  Konzentration 
wechselt  auch  die  Art  und  Tiefe  der  Narkose.  Wenn  man  die 
Konzentration  durch  allmähliche  Zufuhr  von  Narkotikum  stufenweise 
steigert,  so  sehen  wir,  Avie  analog  dem  jeweiligen  Stand  der  Konzen- 
tration verschiedene  Phasen  in  der  Narkose  eintreten.  So  haben 
wir  folgende  drei  zu  unterscheiden:  I.  das  Stadium,  in  welchem  die 
Schmerzempfindung  nur  wenig,  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
abnimmt,  aber  noch  nicht  aufgehoben  wird,  während  das  Bewusst- 
sein  des  Ki-anken  getrübt,  noch  teilweise  erhalten  ist,  ebenso  die  Tast- 
empfindung und   die   Reflexe,   das  Initialstadium. 

Auf  dieses  Stadium  folgt  No.  II,  das  Exzidationsstadium 
nach  alter  Benennung,  in  welchem  die  Tastempfindung,  und 
der  grösste  Teil  der  Reflexe  vollkommen  aufgehoben  sind,  der  letzte 
der  Reflexe  ist  nach  früherer  Ansicht  der  Kornealreflex,  doch  dies 
ist  sehr  wechselvoll.  Oftmals  ist  derselbe  früher  erloschen,  oftmals  be- 
steht er  noch  länger.  Man  hat  jetzt  mit  Recht  als  letzten  Reflex, 
welcher  erst  beim  üebergang  vom  IL  in  das  III.  Stadium  schwindet, 
den    konsensuellen    Pupillenreflex    gegen    Lichteinfall   erkannt. 

Mit  weiterer  Konzentration  tritt  nu.nmehr  das  III.  Stadium  ein, 
das  Stadium  der  Toleranz,  in  dem  vollständige  Erschlaffung  der 
willkürlichen  Muskulatur  besteht,  welcher  bald,  wenn  die  Konzen- 
tration noch  mehr  zunimmt,  der  Stillstand  der  Atmung  und  der 
Herztätigkeit  folgt,  welch  letztere  als  Folgen  der  Lähmung  der 
Zentren  in  der  Medula  oblongata  anzusehen  sind.  Wenn  wir  nun 
sehen  wie  Bert  in  seinem  Versuche  durch  die  Zuführung  des  Chloro- 
forms als  Gemisch  mit  Luft  eine  entsprechende  Konzentration  im  Blut 
erreichte,  welche  die  Narkose  bewirkte,  so  haben  wir  gleich  in  dieser 
Art  der  Zuführung  eine  sehr  bequeme,  und  die  gebräuchlichste  in  der 
Chirurgie,  gefunden.  Es  lässt  sich  in  der  Tat  durch  die  Zufuhr  des 
Narkotikums  in  Form  von  Dampf,  vermischt  mit  atmosphärischer 
Luft,  eine  Konzentration  des  Narkotikums  im  Blutplasma  erreichen, 
welche  je  nach  der  Konzentration  der  Narkotikumdampf-Luftgemische 
wechselt.  Dies  hat  dazu  geführt,  für  Narkosen  diese  Art  der  Einver- 
leibung zu  wählen,  natürlich  ist  dieselbe  nur  möglich,  so  lange  wir 
Narkotika  haben,  welche   einen  sehr  niedrigen  Siedepunkt  besitzen. 

Wenn  wir  uns  nun  im  Folgenden  etwas  näher  mit  den  Verhält- 
nissen zwischen  Narkotikumdampfluftgemisch  und  Blutplasma- 
konzentration beschäftigen  werden,  so  ist  das  damit  begründet, 
dass  die  meisten  und  wichtigsten  unserer  Narkosen  auf  diese  Art  der 
Zufuhr  des  Narkotikums  in  das  Blut  eingeleitet  werden.  Es  ist 
dabei  vollkommen  gleichgiltig,  ob  wir  im  Geiste  uns  unter  dem  Nar- 
kotikum Chloroform,  oder  Aether,  oder  Chloräthyl,  oder  irgend 
ein  anderes  Narkotikum  vorstellen.     Es  wird  uns  in   dem  Folffenden 


—     103     — 

nur  das  beschäftigen,  was  im  allgemeinen  über  die  Narkotika  zu 
sagen  ist.  Wie  die  Verhältnisse  jedes  einzelnen  Narkotikums  in  Bezug 
auf  die  Narkose  an  sich  liegen,  das  findet  sich  im  speziellen  Teil 
dieses  Buches  unter  der  Abhandlung  eines  jeden   der  Körper   erörtert. 

AVenn  wir  nun  die  Konzentration  eines  Narkotikums  dieser 
Art  im  Blutplasma  bedenken,  so  müssen  wir  zugeben,  dass  wir  bei 
der  Methode  der  Einatmung  von  Luftgemischen  von  einem  be- 
stimmten gleichbleibenden  Gehalt  des  Narkotikums  nicht  eine  un- 
mittelbare Auskunft  über  die  Konzentration  desselben  Narkotikums  im 
Blutplasma  erhalten,  sondern  dass  wir  nur  sehen,  dass  zwischen  den 
Konzenti'ationen  des  Narkotikums  in  den  beiden  Stadien  ein  bestimmtes 
Verhältnis  besteht,  nämlich  das,  dass  die  Konzentration  des  Narkotikums 
im  Blute  konstant  bleiben  muss,  wenn  die  Narkose  nicht  geändert 
werden  soll.  Es  wird  dadurch,  dass  das  Tier  bei  konstant  bleiben- 
der Konzentration  des  N  arkotikums  im  Plasma,  welche  die  Nar- 
kose eben  hervorrief,  mit  der  Zeit  stirbt,  dargetan,  dass  kein  ganz 
vollständiges  GleichgCAvicht  zwischen  der  Konzentration  des 
Narkotikums  im  Blutplasma  und  dem  physiologischen  Zustande 
des  Tieres  besteht.  Diese  Veränderung  muss  man  auf  Nebenwir- 
kungen des  Anästhetikums  beziehen  Bei  den  höheren  Tieren 
spielt  vor  allen  Dingen  auch  die  Abkühlung  eine  Rolle,  denn  man  hat 
gesehen,  dass  die  Konzentration  eines  Narkotikums  mit  dem 
Sinken   der  Temperatur   steigt  bei  einem  bestimmten  Partialdrucke. 

Da  nun  bei  langer  Dauer  der  Narkose  die  Bluttemperatur 
etwas  sinkt,  so  wird  die  Konzentration  des  Narkotikums  im  Blut- 
plasma eine  höhere  Averden.  Dieser  Umstand  ist  von  Bert  bei  seinen 
Versuchen  nicht  beachtet  worden. 

§  47.  Durch  diese  Methode  wird  nun  auch  ein  Verhältnis  der 
verschiedenen  Tiere  zu  den  Narkotika  oflfenbar.  Es  hat  sich  er- 
geben, dass  der  Mensch,  obwohl  er  auf  einer  viel  höheren  Ent- 
wickelungsstufe  steht,  als  die  warmblütigen  Tiere,  und  obgleich 
die  Entwickelung  seines  Zentralnervensystems  eine  bedeutend  höhere 
ist,  nicht  empfindlicher  gegen  die  Narkotika,  wie  Chloroform 
und  Aether,  ist,  als  z.  B.  der  Hund.  Man  hat  nämlich  gesehen,  dass 
dieselbe  Konzentration  des  Narkotikums  in  der  Luft,  welche 
eben  einen  Hund  narkotisierte,  auch  den  Menschen  in  eine  Nar- 
kose versetzte.  Es  ist  z.  B.  eine  Konzentration  von  8  gr.  Chloroform 
oder  20  gr.  Aether  auf  100  Liter  Luft  hinreichend,  um  einen  Hund 
zu  narkotisieren,  und  dieselben  Zahlen  stimmen  auch  für  den  Men- 
schen überein.  Da  nun  der  Mensch  und  der  Hund  dieselbe  Blut- 
temperatur haben,  so  müssen  Avir  auch  annehmen,  dass  die  Konzen- 
trationen der  Narkotika  im  Blutplasma  beim  Menschen  dieselben 
sind,  wie  im  Blutplasma  beim  Hunde.  Es  hat  sich  nun  durch  weitere 
Versuche,  namentlich  die  Overtons,  ergeben,  dass  Menschen,  Säuge- 
tiere, Kaulquappen  und  Entomostraken  dieselbe  Konzentration 
obiger  beider  Narkotika  im  Blutplasma  aufweisen,  Avenn  sie  nar- 
kotisiert werden.  Dies  wird  nun  auch  ausser  bei  Chloroform 
oder  Aether    bei    den    übrigen     A'on    NebenAvirkunjren    freien    in- 


-      104     - 

diff  er  enteil  Narkotika  der  Fall  sein.  Hingegen  werden  die  ver- 
schiedenen Gruppen  der  Würmer  meistens  erst  bei  einer  doppelten 
bis  dreifachen  Konzentration,  welche  zur  Narkose  der  Kaul- 
quappe nötig  war,  narkotisiert.  Bei  den  Pflanzenzellen,  Proto- 
zoen, Flimmerzellen  etc.  sind  6  —  1  Ofache  Konzentrationen  der 
indifferenten  Narkotika  zur  Narkose  nötig,  als  zur  Narkose  von 
Kaulquappen.  Nur  bei  solchen  indifferenten  Narkotika,  welche  im 
Wasser  leichter  löslich  sind,  als  im  Olivenöl,  z  B.  bei  dem  Methyl- 
und  Aethylalkohol,  Aceton  etc.,  ist  kein  so  grosser  Unterschied  der 
Konzentrationen  vorhanden,  sondern  derselbe  ist  bedeutend  geringer 
(Overton). 

Um  nun  die  Menschen  und  Tiere  mit  solchen  Luftgemischen 
zu  narkotisieren,  bedarf  man  so  komplizierter  Apparate,  dass 
eine  praktische  Verwertung  derselben  bisher  nicht  möglich  war.  Bert 
hat  einen  solchen  Apparat  konstruiert,  in  welchem  er  das  immer 
konstante  anästhesierende  Luftgemisch  aufbewahrte,  und  dem 
Tier  durch  einen  Schlauch  zuführte,  einen  anderen  hat  R.  Dubois 
gebaut,  doch  diese  Apparate  sind  nur  für  wissenschaftliche  Unter- 
suchungen wertvoll.  Man  hat  nun  in  den  Bahnen,  die  hierdurch  er- 
öffnet wurden,  weiterschreitend  sein  Augenmerk  ausschliesslich  auf  die 
Mengenverhältnisse,  in  welchen  die  Narkotika  der  Luft  beigemischt 
sein  müssen,  um  Narkose  zu  erzeugen  gerichtet,  und  in  ihnen  einen 
Massstab  für  die  anästhesierende  Kraft  der  einzelnen  Nar- 
kotika gefunden.  So  hat  Dastre  für  die  Stoffe:  Aethylaether, 
Amylen,  Aethylchlorid,  Chloroform,  die  Zahlen  20,  17,  13,  10 
als  Ausdruck  ihrer  anästhesierenden  Kraft  avifgestellt ,  weil  diese 
Zahlen  die  Gewichtsmengen  ausdrückten,  die  in  100  Liter  Luft  etc. 
enthalten  sein  mussten,  um  Narkose  zu  erzeugen.  Dass  dies  vollkom- 
men ungenau  ist,  sieht  man  sofort  ein.  Andere  haben  als  Mass  die 
niedrigsten  partiellen  Spannungen  der  verschiedenen  Narkotika  in 
einem  Luftgemisch,  welches  gerade  Narkose  bewirken  konnte,  auf- 
gestellt. 

Es  ist  einzig  und  allein  die  Konzentration  der  Narkotika  im 
Blutplasma,  in  der  interzellulären  Lymphe,  und  im  Imbibitions- 
wasser  der  Ganglienzellen,  welche  entscheidend  ist.  (Overton.) 
Diese  Konzentrationen  der  drei  genannten  Flüssigkeiten  sind  einander 
gleich  während  der  Narkose  und  verändern  sich,  sobald  eines  von  ihnen 
geändert  wird ,  natürlich  bei  gleicher  Temperatur  und  gleichem 
Druck   etc. 

Die  Konzentrationen  im  Blutplasma  und  die  partielle 
Spannung  in  dem  eingeatmeten  Luftgemisch  sind  aber  nur  in  Be- 
zug auf  dasselbe  Narkotikum  in  einem  konstanten  Verhältnis, 
bei  verschiedenen  Narkotika  sind  die  Verhältnisse  verschieden.  Das 
Verhältnis  bleibt  selbst  für  dasselbe  Narkotikum  nur  für  eine  be- 
stimmte Bluttemperatur  gleich.  Die  Temperatur  hat  einen  bedeu- 
tenden Einfluss  auf  dasselbe  und  dies  muss  man  bei  Vergleichen  und 
Versuchen  an  warm-  und  kaltblütigen  Tieren  wohl  beachten. 
Wenn  man,    um   dies  darzutun,    einen  Frosch  und  ein   Säugetier  in 


—     105     — 

ein  und  dasselbe  Gef'äss  bringt,  in  welchem  z.  B.  Aetherdämpfe  ent- 
halten, sind  und  erhält  die  Temperatur  im  Gefässe  auf  15*0.  kon- 
stant, so  wird  die  Konzentration  des  Aethers  im  Blutplasma 
des  Frosches  ungefähr  3  mal  höher  sein,  als  die  im  Blutplasma 
des  Säugetieres,  wenn  dieses  88^  Körperwärme  besitzt,   (Overton.) 

Es  wird  nämlich  von  Flüssigkeiten  bei  einer  bestimmten 
partiellen  Spannung  der  Dämpfe  eines  Stoffes  um  so  mehr  von 
diesem  Stoffe  aufgenommen,  je  niedriger  die  Temperatur  steht, 
d.  h.  die  Höhe  der  Temperatur  der  Flüssigkeiten  bei  derselben 
partiellen  Spannung  des  Dampfes  des  Narkotikums  ist  umgekehrt 
proportional  den   Mengen  des   absorbierten  Narkotikums. 

Es  wird  sehr  häufig  die  Empfindlichkeit  von  Tieren  gegen- 
über einem  Narkotikum  dadurch  bestimmt,  dass  man  die  Zeiten  misst, 
in  welchen  die  Tiere  in  gleicher  Konzentration  der  Luft  mit 
Narkotikum  betäubt  werden.  So  wird  von  Dastre  folgender  Ver- 
such angegeben. 

„In  einem  und  demselben  abgeschlossenen  Räume  werden  Organisn  en 
von  verschiedener  Organisationsstufe,  z.  B.  ein  Vogel,  eine  Maus,  ein  Frosch, 
eine  Sinn  pflanze  den  Dämpfen  von  A  etil  er  ausgesetzt.  Man  findet 
dann,  dass  der  Vogel,  der  eine  zartere  Organisation  und  eine  grössere  Vita- 
lität besitzt,  schon  nach  4  Minuten  taumelt  und  empfindungslos  hin- 
stürzt. Nach  10  Minuten  gibt  die  Maus  kein  Zeichen  der  Sensibilität 
mehr.  Der  Frosch  wird  noch  später  paralysiert,  und  erst  nach  25  Mi- 
nuten wird  die  Sinnpflanze  für  Reize  unempfindlich." 

Nach  diesem  zeitlichen  Verlauf  der  Erscheinungen  wäre  dann  die 
Maus  empfindlicher  als  der  Frosch,  und  der  Frosch  empfindlicher 
als   die   Sinnpflanze. 

Es  ist  vollkommen  falsch,  wenn  man  daraus  einen  Schluss  ziehen 
wollte,  denn  erstens  kann  man  nicht  zwei  Tierarten,  welche  den 
Kalt-  und  Warmblütern  angehören,  nebeneinander  stellen,  zweitens 
nicht  Pflanzen  und  Tiere,  ohne  in  beiden  Fällen  die  Ternperatur 
zu  bedenken.  Andernteils  kommen  noch  die  Verhältnisse  der  Absorp- 
tion in  Betracht.  Die  Geschwindigkeit,  mit  welcher  sich  z.  B.  das  Blut- 
plasma bei  einer  bestimmten  Spannung  der  Aetherdämpfe  in  der 
Atmungsluft  sättigt,  ist  abhängig  von  der  Frequenz  und  Aus- 
giebigkeit der  Atmungsbewegungen  und  der  Herzaktion,  von 
der  Menge  des  Blutes,  von  dem  Fettgeh  alt  des  Tieres  und  noch 
vielen  anderen  Momenten.  Man  kann  aber  nur  eine  Tierart  als  em- 
pfindlicher gegenüber  einem  Stoffe  bezeichnen,  als  eine  andere, 
wenn  eine  geringere  Konzentration  des  Stoffes  im  Blutplasma 
der  ersteren,  als  in  dem  Blutplasma  der  zweiten  Tierart  aus- 
reicht, um  ein  und  dieselbe  Wirkung  auf  den  Organismus  hervor- 
zubringen. Man  erkennt  daraus,  wie  irrig  obiger  Versuch  in  Bezug  auf 
die  gefolgerten  Behauptungen  ist. 

§  48.  Bisher  haben  wir  uns  nur  mit  der  Konzentration  des 
Narkotikums  im  Blutplasma  beschäftigt,  und  haben  uns  noch  nicht 
mit  jener  neben  dem  Blutplasma  ebenfalls  bei  dem  Transport  des 
Narkotikums  nach  der  Ganglienzelle  wesentlichen  Flüssig- 
keiten,  der  interzellulären  Lymphe,   und  der  Konzentration  des 


-     106     - 

Narkotikums  in  derselben  beschäftigt,  sowie  mit  der  Zelle  und  der 
Konzentration  derselben,  und  der  Zeitdauer,  -welche  vergeht  bis 
das  Narkotikum   wirkt,  befasst. 

Die  Zelle,  auf  welche  das  Narkotikum  einzuwirken  hat,  wird 
nun  nicht  von  dem  Blut  selbst,  sondern  von  der  interzellulären 
Lymphe  umspült  (vergleiche  Figur  2).  Diese  letztere  steht  zu  der 
Zelle  in  dem  Verhältnis,  wie  eine  Nährlösung,  zu  den  in  ihr  lebenden 
Algen,   und  Pilzen,  oder  sonstiger   Organismen   (Overton). 


Zellprotoplasma,  resp.  Zelle. 
Intercelluläre  Lymphe. 

Blut. 


Fig.  2.     Schematische  Darstellung   der  Verhältnisse  zwischen  Ganglienzelle, 
interzellulärer  Lymphe  und  Blut. 

Durch  diese  interzelluläre  Lymphe  werden  den  Zellen  nicht 
nur  die  zu  ihrem  Lebensunterhalt,  zu  ihrer  Reorganisation,  zu  ihrer 
Funktion  selbst  nötigen  Nährstoffe,  welche  ja  alle  in  gelösten  Salzen 
bestehen,  zugeführt,  sondern  die  Zellen  erhalten  auch  durch  die  inter- 
zelluläre Lymphe  alle  löslichen  Stoffe  zugeführt,  welche  in  das  Blut 
gelangen.  Es  spielt  dieselbe  sozusagen  den  Zwischenhändler,  welcher 
vom  en  gros-Händl  er,  dem  Blute,  die  Stoffe  bezieht,  und  zu  den 
einzelnen  Abnehmern,  den  Zellen,  führt.  In  Avieweit  dieser  Vergleich 
auch  für  andere  Stoffe,  als  die  Narkotika  zutrifft,  ist  nicht  der 
Ort  hier  zu  erörtern,  für  die  Narkotika  aber  ist  er  völlig  zu- 
treffend. 

Man  hat  nun  einige  Gründe  für  die  Annahme,  dass  alle  in  das 
Blut  gelangenden  Christalloidkörper  in  der  interzellulären 
Lymphe  sehr  bald  auch  dieselbe  Konzentration  annehmen,  die  sie 
im  Blutplasma  hatten.  Es  ist  dies  bei  allen  solchen  Körpern  anzu- 
nehmen, Avelche  rasch  in  die  Gewebszellen  eindringen,  und  auch 
wieder  dieselben  verlassen,  indem  sie  ihren  Weg  direkt  durch  die  Pro- 
toplasmakörper der  Kapillarendothelien  nehmen  können.  Bei 
solchen  Körpern,  deren  Lösungen  nicht,  oder  nur  langsam  in  der  Weise 
der  Osmose  durch  die  Zellen  dringen  können,  wird  vielleicht  der 
Ausgleich  zwischen  Blutplasma  und  Lymphe  ein  viel  langsamer  er 
sein  müssen,  denn  diese  Verbindungen  werden  nicht  durch  die  Zellen 
selbst  dringen  können,  sondern  wahrscheinlich  ihren  Weg  in  der  Kitt- 
sub stanz    der  Endot hellen,    und  durch   deren   Stomate,  wenn  man 


.til 


-     107     — 

solcho  im  normalen  Zustande  der  Kapillaren  wirklich  annehmen 
darf,  sich  suchen  müssen.  Oder  es  könnte  eine  aktive  Eigenschaft 
der  Endothelien  in  den  Kapillaren  bestehen,  welche  dieselben  aus 
dem  Blutplasma  aufnimmt,  und  in  die  interzelluläre  Lymphe 
trans2)ortiert  (0 verton).  Wir  haben  aber  in  diesem  Falle  diese  Kör- 
per nicht  zu  bedenken,  sondern  für  uns  kommen  nur  die  indifferen- 
ten Narkotika  in  Betracht,  und  diese  gehören  zu  denjenigen  Stoffen, 
welche  in  die  Zellen  einzudringen  vermögen. 

§  49.  Wir  wollen  den  obigen  Vergleich  einer  Nährhisung  mit 
einer  Alge  jetzt  wiederum  mit  der  Zelle,  und  der  interzellulären 
Lymphe  gleichstellen.  Bringt  man  in  das  Wasser  einen  löslichen 
Christalloidkörper,  so  wird  derselbe  die  Zellulosehaut  der  Alge 
in  allen  Fällen  durchdringen.  Er  gelangt  bis  zu  der  äusseren  Plas- 
mahaut.  Hier  wird  demselben  eine  Mauer  geboten,  zu  der  die  Kör- 
per sich  in  verschiedener  Weise  verhalten,  und  man  kann  sie  nach 
diesem  Vei'halten  in  drei  Gruppen  teilen,  je  nachdem  sie  sich  im 
Protoplasma  verbreiten,  oder  nicht,  und  im  ersteren  Falle  gibt  die 
Schnelligkeit  der  Ausbreitung  einen  Unterschied  ab.  Genau  die- 
selben Beziehungen  bestehen  zwischen  Zelle,  und  interzell'ulärer 
Lymphe. 

Die  erste  der  drei  Gruppen  umfasst  alle  diejenigen  Körper, 
Avelche,  solange  die  Zelle  lebt,  und  unbescliädigt  bleibt,  gar  nicht  in 
das  Innere  des  Protoplasma's  einzudringen  vermögen.  Es 
bildet  also  gegen  diese  Stoffe  die  äussere  Plasmahaut  eine  sichere 
Mauer,  und  es  kann  mit  der  Zeit  passieren,  dass  dieselbe  von  den  an 
sie  andringenden  Stoffen  geschädigt  wird,  und  zu  Grunde  geht.  Nun 
fehlt  der  Schutz,  imd  der  Körper  dringt  in  das  Innere  der  Zelle 
ein.  Unter  diese  Stoffe  gehört  z.  B.  Kalium  bi Chromat  etc.  Es 
kommt  nun  natürlich  hier  auch  auf  die  Konzentration  des  Körpers 
an,  ob  sie  ihre  schädigenden  Einflüsse  überhaupt,  und  in  welcher 
Zeit  sie  dieselben  ausüben  können. 

In  die  zweite  Gruppe  gehören  jene  Verbindungen,  welche  ohne 
jedes  Hindernis  durch  die  äussere  Plasmahaut  dringen,  sich 
im  Blutplasma  verbreiten,  die  innere  Plasmahaut  ebenfall« 
durchdringen  und  in  die  Alveolen  eindringend  so  auch  in  den 
Z eil saft  gelangen.  In  dem  Zellsaft  steigt  nun  die  Konzentration 
dos  betreffenden  Körpers  sehr  schnell  bis  zu  der  Höhe,  welche 
die  Konzentration  in  der  interzellulären  Lymphe  und  im  Blut- 
plasma besitzt. 

Diese  Gruppe  umfasst  beinahe  sämtliche  indifferenten  Nar- 
kotika mit  Ausnahme  der  Chloralose,  welche  in  Gruppe  III  ge- 
hört, sowie  die  indifferenten  Antipyretica,  viele  Antiseptika  etc., 
sowie  auch  die   meisten   basischen  Narkotika. 

Was  nun  die  dritte  Gruppe  von  Narkotika  anbelangt,  so 
rechnen  wir  nach  Overton  in  dieselbe  alle  jene  Stoffe,  welche  eine 
Mittelstellung  einnehmen  zwischen  denjenigen  der  I.  und  denen 
der  IL  Gruppe.  Diese  Stoffe  dringen  in  das  Protoplasma  der  Zelle 
ein,   aber  weniger  schnell  als  die   der   Gruppe  II,   sodass  einige  Zeit 


—     108     - 

erst  vergeht,  bis  die  Konzentration  in  dem  Imbibitionswasser  gleich 
der  der  Lymphe  ist.  Diese  Zeit  ist  nun  eine  ganz  verschiedene,  die- 
selbe kann  schwanken  zwischen  5  Minuten  und  mehreren  Tagen. 
Wenn  wir  uns  deren  Wirkung  näher  überlegen,  so  sehen  wir,  dass 
der  Körper  zunächst  nur  über  die  äussere  Grenzschicht  des 
Protoplasmas  dringt,  und  erst  nach  und  nach  gelangt  derselbe  in 
die  Zelle  hinein,  und  kann  über  das  ganze  Protoplasma  seine  Wir- 
kungen entfalten.  Es  gehören  von  den  indifferenten  Narkotika  in 
diese  Klasse  nur  die  Chloralose,  von  den  basischen  das  Morphin, 
ferner  gehören  hiei'zu  die  verdünnten  Lösungen  der  starken  Mineral- 
säuren. 

§  50.  Wenn  nun  ein  Narkotikum  in  die  Zelle  eindringt,  so 
wird  die  Konzentration  desselben  im  Zellsafte  gleich  der  in  der  die 
Zelle  umgebenden  Lymphe  sein,  allein  diese  Vermutung  trifit  für 
das  Protoplasma  selbst  der  Zelle  nicht  zu.  Die  Zusammen- 
setzung des  Zellprotoplasmas  ist  nicht  mit  der  interzellulären 
Lymphe  gleich  zu.  setzen.  Wir  haben  nämlich  das  Blutplasma  ebenso 
wie  die  interzelluläre  Lymphe  in  seiner  Lösungsfälligkeit  gegen- 
über den  Narkotika  gleich  dem  Wasser  gesetzt.  Dies  ist  inso- 
weit berechtigt,  als  tatsächlich  dadurch  einige  kleine  Fehlerquellen 
unterlaufen,  welche  aber  nicht  in  Betracht  kommen,  denn  das  Blut- 
plasma und  die  Lymphe  stellen  eine  dünne,  wässerige  Salzlösung 
dar.  Dieselbe  ist  in  Hinsicht  der  Lösungsverhältnisse  der  Narkotika 
eben  gleich  dem  Wasser  zu  setzen,  denn  die  Fehler,  die  durch  die 
gelösten  Salze  entstehen,  sind  so  gering,  dass  man  sie  mit  Recht  über- 
gehen kann.  Die  Bestandteile  des  Zellprotoplasmas  hingegen  stellen 
nicht  nur  eine  wässerige  Salzlösung  dar,  sondern  es  sind  neben  den 
verschiedenen  Salzen  noch  eine  Anzahl  von  Fetten  der  verschie- 
densten Arten  und  ätherischer  Oele,  wie:  Licithin,  Chole- 
sterin etc.  in  der  Salzlösung  des  Protoplasmas  suspendiert.  Wenn 
nun  unser  Narkotikum  in  die  Zelle  gelangt,  so  wird  dasselbe  nicht 
nur  von  der  dem  Wasser  ungefähr  gleichzustellenden  Salzlösung  auf- 
genommen ,  sondern  auch  von  den  in  dem  Protoplasma  vorhandenen 
Fetten,  und  es  werden  sich  nun  die  Mengen  des  Narkotikums  so- 
lange in  dem  Protoplasma  anhäufen,  bis  ihre  in  den  einzelnen  Sub- 
stanzen erreichten  Konzentrationen  sich  so  zu  den  Konzen- 
trationen desselben  Stoffes  in  der  Lymphe  und  dem  Zellsafte 
verhalten,  wie  die  Teilungskoeffizienten  des  Narkotikums  zwischen 
den  einzelnen  Fetten  oder  ölartigen  Zellbestandteilen  und  dem 
Wasser.      (Overton.) 

Wie  schon  gesagt,  kommen  nun  in  dem  Protoplasma  aller 
lebenden  Zellen  sowohl  der  Tier-,  wie  derPflanzenzellen,  Lecithin 
und  Cholesterin  vor,  und  diese  Verbindungen  besitzen  unter  gewissen 
Umständen  ein  den  Fetten  und  ätherischen  Oelen  sehr  ähnliches 
Lös  urigs  vermögen. 

§  5L  Das  reine,  krystallinische  Cholesterin  besitzt  nun 
aber  bei  gewöhnlicher  Temperatur  kein  Lösungsvermögen ,  und 
gegen  sehr  wenige  Verbindungen   ausnahmsweise  nur  ein  sehr  geringes. 


—     109     — 

Das  Lecithin  dagegen  besitzt  die  Eigenschaft,  im  Wasser,  oder 
wässerig'en  Salzlösung;en,  aufzuquellen.  In  diesem  gequollenen 
Zustande  löst  dasselbe  auch  bei  gewöhnlicher  Zimmertemperatur 
alle  Verbindungen,  welche  in  Oelen  löslich  sind,  in  dem  eine  Art 
fetter  Lösung  entsteht.  Löst  man  nun  Lecithin  und  Cholesterin 
in  einem  anderen  Stoffe,  z.  B.  in  Benzol  auf,  lässt  das  Benzol  ver- 
dunsten, und  bringt  zu  der  zurückgebliebenen  Masse  Wasser,  so 
quillt  die  Masse  ähnlich  dem  reinen  Lecithin  auf,  indem  das 
Cholesterin,  falls  es  nicht  in  zu  grossen  Massen  gelöst  war,  in 
dem  aufgequollenen  Reste  gelöst  bleibt.  Dieses  aufgequol- 
lene Lecithin-Cholesteringemisch  besitzt  nun  in  der  Kälte  ein 
dem  reinen  Lecithin  ganz  ähnliches  Lösungsvermögen,  und  es 
besitzt  die  Fähigkeit,  aus  den  wässerigen  Lösungen  solcher  Ver- 
bindungen, die  in  Aetlier  und  Oel  leichter  löslich  sind,  als  in 
Wasser,  bedeutende  Mengen  der  gelösten  Substanz  zu  entziehen. 
Auch  bestimmte  Verbindungen,  die  in  Oel  und  Aetlier  nicht  löslich 
sind,  wie  die  Mehrzahl  der  Salze  der  basischen  Anilinfarben, 
werden  von  diesem  aufgequollenen  Gemisch  von  Lecithin-Choleste- 
rin  in  grossen  Mengen  gelöst,  respektive  den  wässerigen  Lö- 
sungen dieser  Farben  entzogen  (Overton).  Es  ist  nun  wohl  anzu- 
nehmen, dass  wir  in  dem  Protoplasma  der  Zellen  des  tierischen,  wie 
j)flanz  liehen  Organismus  die  Lecithin-Cholesteringemische  in 
dieser  aufgequollenen  Lösungsart  vorfinden,  und  da  dieses  Leci- 
thin-Cholesteringemisch nur  ein,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  be- 
grenztes Quellungs vermögen  besitzt,  und  nicht  all  das  im  Proto- 
plasma enthaltene  Wasser  in  sich  aufzunehmen  im  stände  ist,  so  ist  die 
Frage  naheliegend,  wie  dasselbe  im  Protoplasma  verteilt  ist. 
Wenn  wir  nach  dem  Vorbild  Overtons  das  Protoplasma  mit  einem 
vollgesogenen  Schwamm  vergleichen,  so  ist  es  naeh  dessen  An- 
sicht wahrscheinlich,  dass  das  Lecithin -Cholesterin  an  dem  Auf- 
bau des  eigentlichen  Protoplasmagerüstes  beteiligt  ist,  und  zwar 
würde  es  sich  ganz  besonders  in  denjenigen  Teilen  des  Gerüstes  be- 
finden, Avelche  das  Protoplasma  nach  aussen  oder  gegen  eine 
Vakuole  abgrenzen.  Es  ist  nun  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich, 
dass  die  allgemeinen  osmotischen  Eigenschaften  der  Zelle  haupt- 
sächlich durch  dieses  gequollene  Lecithin-Cholste  ringe  misch  aus- 
gemacht werden,  denn  alle  Verbindungen,  welche  in  die  Zellen  ein- 
zudringen vermögen,  besitzen  auch  eine  Löslich keit  in  diesem  Ge- 
misch, und  die  Geschwindigkeit  des  Eindringens  eines  Körpers 
in  die  Zellen  steht  in  direktem  Verhältnis  zu  der  Löslichkeit 
derselben  in  Wasser,  und  in  dem  Lecithin-Cholesteringemische 
in  gequollenem  Zustande.  Wenn  nun  diese  Annahme  zu  recht  be- 
steht, so  würde  die  Konzentration  eines  Narkotikums  z.  B.  in  dem 
Imbibitions Wasser  des  Protoplasmas,  nachdem  Gleichgewicht  ein- 
getreten ist,  dieselbe  sein,  wie  in  der  interzellulären  Lymphe. 
Zieht  man  aber  den  gesamten  Gehalt  der  Zelle  an  dem  Narkotikum  in 
Betracht,  so  ist  derselbe  natürlich  grösser,  als  der  der  interzellu- 
lären Lym2)he,    und    zwar  ist  er  um   die   von   dem  Lecithin-Chole- 


—     110     — 

steringemisch  aufgenommene  Meng  e  des  Narkot  ikums  grösser; 
d.h.  um  das  Gewicht  des  Narkotikums  pro  Volumeneinheit  des 
Protoplasmas. 

Um  die  Konzentrationen  der  Narkotika  z.  B.  konstant  zu 
erhalten,  hat  Bert  den  ersten  gelungenen  Versuch  gemacht.  Neben 
diesen  haben  0 verton  und  andere  eine  andere  Methode  erwählt,  näm- 
lich die,  die  Versuchstiere  (Kaulquappen  etc.)  in  eine  wässerige 
Lösung  des  Narkotikums  von  bekannter  Konzentration  zu  setzen 
und  das  Volumen  der  Lösung  so  zu  wählen,  dass  die  Konzentra- 
tion des  Narkotikums  durch  seine  Aufnahme  von  Seiten  des  Ver- 
suchstieres keine  wesentliche  Änderung  erfahren  kann.  Das,  was  für 
und  gegen  diese  Versuche  Overtons,  Meyers  u.  a.  zu  sagen  ist,  wird 
hier  besser  übergangen,  es  sollen  später  nur  die  Resultate,  und  die 
nächsten  wichtigen   Versuche   etc.   erwähnt  werden. 

§  52.  Wenn  wir  nun  noch  einige  Betrachtungen  anstellen  über  die 
Art,  wie  das  Narkotikum  wieder  aus  dem  Organismus  entfernt 
wird,  so  haben  wir  zu  bedenken,  dass  der  Rückzug  des  Narkotikums 
beginnt,  wenn  die  Konzentration  des  Narkotikums  im  Blutplasma 
geringer  wird.  Es  erfolgt  ein  Austausch  an  das,  den  Organismus  um- 
gebende Medium,  so  bei  Kaulquappen  an  das  reine  Wasser  etc. 
Hierbei  ist  zu  erwähnen,  dass  der  Austausch  nicht  nur  durch  die  Res- 
piration sorgane,  sondern  auch  durch  die  Haut  etc.  geschieht.  Man 
hat  nun  versucht,  künstlich  eine  Entgiftung  herbeizuführen,  und  zwar 
hat  man  gefunden,  dass  die  beste  Entgiftung  bei  Fröschen  und 
Tritonen  z.  B.  dadurch  geschieht,  dass  man  die  Bauchhöhle  öffnet, 
und  die  Därme  etc.  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  um- 
spült. Man  hat  nun  weitere  Versuche  in  diesem  Sinne  angestellt,  und 
hat  bei  Kaninchen  während  einer  Vergiftung  mit  Chloralhydrat 
durch  die  Bauchhöhle  physiologische  Kochsalzlösung  fliessen 
lassen,  und  gefunden,  dass  dabei  eine  tötliche  Vergiftung  überstanden 
wurde  von  dem  Tiere,  welches  ohne  die  Durchspülung  der  Abdo- 
mialhöhle  nicht  am  Leben  geblieben    wäre    (Frey,   Overton  Verf). 

Heisse  Vollbäder,  welche  durch  die  Haut  das  Gift  entziehen 
wollen,  können  nicht  genügend  wirken.  Hingegen  ist  die  Durchspü- 
lung der  Abdominalhöhle  auch  von  praktischem  Interesse, 
denn  es  wird  dieselbe  angebrachter  sein,  als  eine  grosse  Blutent- 
ziehung, welche  man  zwecks  Entgif t vi ng  vorgeschlagen  hat.  Denn 
eine  Blutentziehung  Avird  natürlich  ebenso  an  sich  schaden,  und  nur 
dann  von  Nutzen  sein,  wenn  wir  es  mit  einem  Gift  zu  tun  haben, 
welches  die  Blutkörperchen  zerstört.  Ferner  hat  man  durch  starke 
subkutane  Infusion  von  physiologischer  Kochsalzlösung  auf  die 
Nieren  Sekretion  einwirken  wollen,  damit  durch  dieselben  eine  Ent- 
giftung hei'vorgerufen  werde.  Nun  ist  noch  ein  anderer  Punkt  von 
Wichtigkeit,  und  das  ist  der,  dass  der  Magen  eine  grosse  Rolle  in 
der  Absonderung  spielt,  so  dass,  wenn  man  denselben  mit  physio- 
logischer Kochsalzlösung  füllt,  eine  stärkere  Strömung  des 
Blutes  zu  dem  Magen  entsteht,  und  aus  dem  mit  Narkose  höher 
konzentrierten  Blute   ein   Austausch  entsteht.    Gerade  die  Magen- 


-    111    — 

wand  ist  in  dieser  Kichtung-  von  grosser  Bedeutung-,  und  man  würde  auch 
bei  Gefahren  von  Ueberschwemmung  des  Blutes  in  zu  hohem  Masse 
mit  einem  Narkotikum  zweckmässig  handeln,  wenn  man  eine  konstante 
Durchrieselung  des  Magens  mit  physiologischer  Kochsalzlösung 
vornehmen  würde.  Es  kommt  nun  noch  ein  wichtiger  Umstand  hinzu, 
und  das  ist  der,  dass  fast  alle  Alkaloide  in  den  Magensaft  über- 
gehen, d.  h.  vom  Magen  abgesondert  werden.  Man  hat  dies  zuerst 
bei  Morphin,  muriat.  gesehen,  und  hat  dasselbe  als  eine  aktive  Se- 
kretion des  Magens  aufgeftisst.  Aber  auch  ohne  diese  aktive  Se- 
kretion müssen  fast  alle  Alkaloide  in  den  Magen  übergehen,  sofern 
nur  der  Mageninhalt  sauer  reagiert  (Overton).  Jedenfalls  ist 
dieser  Vorgang  praktisch  sehr  wichtig,  nnd  wohl  auch  noch  zu  wenig 
bekannt.  Es  werden  nun  aber  die  Alkaloidsalze  im  Blute  durch 
das  Alkali  desselben  zum  gvössten  Teil  zerlegt,  und  diese  freien 
Alkaloide  müssen  nun  auch  in  den  Magen  dringen,  Dank  ihrer  Fähig- 
keit, alle  lebenden  Zellen  zu  durchsetzen,  den  DifiPusionsgesetzen  ge- 
horchend, in  dem  sie  die  Magenepithelien  durchwandern.  Im  Magensaft 
nun  werden  sie  an  die  Säure  gebunden,  und  vermögen  nun  als  Al- 
kaloidsalze nicht  wieder  etwa  in  die  Zellen  zu  dringen,  dies  ist  als 
Folge  der  Undurchdringlichkeit  der  Zellen  durch  Alkaloidsalze  nicht 
möglich.  Es  werden  ebenso  die  Alkaloide  in  den  sauren  Zellsaft 
dringen,  und  dort  gebunden  werden,  ohne  dass  sie  ziu'ück  in  die  Zelle 
dringen  könnten,  wenn  nicht  eine  aktive  Protoplasmaeigenschaft 
dies  ermöglichte.  Gelangen  nun  diese  Alkaloidsalze  aus  dem  Magen 
in  den  Darm,  so  werden  sie  dort  durch  das  Alkali  des  Darmsaftes 
wieder  zerlegt,  und  können  Aviederum  als  Alkaloide  die  Zellen  durch- 
dringen, und  in  das  Protoplasma  wandern.  So  besteht  ein  Kreis- 
lauf der  Alkaloidsalze,  und  sie  werden  nicht  eher  aus  dem  Organis- 
mus entfernt  werden,  bis  sie  in  die  Nieren  gelangen.  Wenn  man  nun 
den  Magen  mit  einer  sauren  Lösung  durchspült,  so  kann  man  bei 
abwechselndem  Füllen  und  Entleeren  des  Magens  die  Alkaloidsalze 
aus  demselben  entfernen,  ehe  sie  wieder  in  den  Darm  gelangen,  wo 
sie  wieder  zersetzt  wei'den  könnten. 

Was  die  Entgiftung  des  Organismus  durch  heisse  Voll- 
bäder anlangt,  so  sind  vom  Verfasser  Versuche  angestellt  worden, 
welche  beweisen,  dass  eine  ganz  bedeutende  Entgiftung  durch  den 
Schweiss,  welcher  im  heissen  Vollbad  vermehrt  wird,  erzeugt  wird. 
Wir  haben  zu  unseren  Versuchen  Morphin  verwendet,  da  dasselbe 
gerade  im  Bade  von  allen  Narkotika  am  besten  Verwendung  finden 
kann.  Es  zeigte  sich,  dass  eine  subkutan  injizierte  Dosis  von  0,01, 
welche  im  alltäglichen  Leben  bei  einem  nicht  an  narkotische  Mittel  ge- 
wöhnten Menschen,  eine  deutlich  fühlbare  Wirkung  der  narkotischen 
Eigenschaften  erzeugte,  im  heissen  Vollbad  von  37^  C. —  38"  C. 
keine  merklichen  Symptome  erzeugte,  sondern,  dass  dieselben  Symp- 
tome erst  bei  0,02—0,03  Morphin  subkutan  injiziert,  erzeugt 
wurden.  Wir  haben  in  12  einwandfreien  Fällen  bei  sonst  stark  auf 
Morphin  reagierenden  Personen,  mit  deren  Zustimmung  unsere  Versuche 
angestellt,  und  in   allen   Fällen   dieselben  Erscheinungen  mit  mehr,  oder 


Zustand 

Im 

Scliweissausbruch  im 

ei  Morphin 

heissen 

Bade  erst  bei  Morphin  mur. 

0,01 

0,02 

0,0075 

0,015 

0,01 

0,025 

0,005 

0,015 

0,01 

0,02 

0,01 

0,025 

0,015 

0,03 

—     112     — 

weniger  Unterschied  in  den  Zahlen  gefunden.  Die  Injektionen  wurden 
vorgenommen,  als  die  betreffenden  Personen  schon  ca.  5  Minuten  in 
dem  Bade  gesessen  hatten,  und  zwar  unter  einer  Temperatur  des 
Wassers  so  hoch  dieselbe  ausgehalten  wurde  (37  —  38,5"  C).  In 
allen  Fällen  war  also  der  Scliweissausbruch  im  Gange,  was  sich  an  den 
im  Gesicht  auftretenden  Schweissperlen  offenbarte,  als  die  Injektion  vor- 
g-enommen  wurde.      Es  fanden   sich  folgende   Zahlen: 


I.  Fall 

IL  „ 

III.  „ 

IV.  „ 
■  V.  „ 

VI— VIII.     „ 
IX.— XII.     „ 

Es  zeigt  sich  also,  dass  sofort,  noch  während  der  Resorption  des 
injizierten  Morphin,  eine  Wiederausscheidung  des  Morphins 
durch  den  Seh  weiss  stattfand.  Es  ist  demnach  die  Entgiftung  des 
Organismus  durch  die  Hauttätigkeit  gar  nicht  zu  unterschätzen 
und  wii"  würden  jedenfalls  bei  einer  Inhalationsnarkose,  welche 
während  eines  Schweissausbruches  vorgenommen  würde,  viel  mehr  des 
Narkotikums  brauchen,  als  im  normalen  Zustand.  Nach  unseren  Ver- 
suchen waren  in  7  Fällen  gerade  die  doppelten  Dosen,  bei  den  übi'igen 
sogar  noch  mehr,  als  dieselbe  Dosis,  1^,^  soviel  nötig,  um  dieselbe 
Wirkung  hervorzubringen. 

Ein  anderes  Moment,  welches  während  einer  Narkose  in  Betracht 
kommt,  ist  die  Blutung  bei  der  Operation.  Wenn  eine  sehr  blut- 
reiche Operation  ausgeführt  wird,  so  wird  schon  durch  die  starke 
Menge  des  fliessenden  Blutes  viel  Narkotikum  aus  dem  Organis- 
mus entfernt  (Strassmann).  Dieser  Umstand  ist  insofern  zu  beachten, 
als  bei  einem  plötzlichen  starken  Blutverlust  der  Patient  aus 
der  Narkose  erwachen  kann,  wenn  nicht  Narkotikum  zugeführt 
wird,  da  durch  die  Menge  des  Blutes  die  Konzentration  im  Plasma 
vermindert  wird.  Dies  ist  z.  B.  bei  Entbindungen,  oder  anderen 
sehr  blutreichen  Operationen  zu  beachten.  Der  Narkotiseu.r  weiss 
dann,  warum   die  Narkose  plötzlich   oberflächlich  wird. 

Die  Entfernung  des  Narkotikums  durch  die  Nieren  geht  so 
vor  sich,  dass  teils  im  Harn  gelöste  Mengen  entfernt  werden,  teils 
Zersetzungen  des  Narkotikums,  luid  Verbindungen  desselben 
entstehen,  sodass  das  Narkotikum  dann  in  Gestalt  von  im  Harn  ge- 
lösten Verbindungen  (Chloriden  etc.)  ausgeschieden  wird.  Hier 
wird  das  Verhalten  jedes  einzelnen  Narkotikums  in  Betracht  kommen, 
und  dasselbe  wird  im  speziellen  Teile  bei  der  Behandlung  der 
einzelnen  Narkotika  erwähnt  werden. 


—     113     - 
VII.   Kapitel. 

Einige  Hypothesen 
über  den  Mechanismus  der  Narkose. 

Wenn  wir  nun  liier  noch  einige  Hypothesen,  die  über  die  Nar- 
kose aufgestellt  sind,  kritisch  betrachten  wollen,  so  ist  nicht  der  Zweck, 
ein  umfassendes  Darstellen  aller  der  aufgestellten  Theorien  zu  geben, 
darüber  kann  sich  jeder  an  anderer  Stelle  unterrichten,  und  es  würde 
uns  zu  weit  führen,  sondern  es  sollen  nur  die  wichtigsten  Theorien, 
soAveit  sie  für  uns  noch  von  Interesse,  und  soweit  sie  zu  kennen  nötig 
sind,   hier  behandelt  Av^erden. 

§  53.  Es  liegt  nach  allen  den  Erscheinungen  so  nahe,  dass  man 
die  Narkose  mit  dem  Schlafe  zu  vergleichen  suchte,  und  es  sind 
diese  Ansichten  über  die  Beziehungen  beider  Zustände  zu  einander 
immer  Avieder  aufgetaucht,  von  den  einen  stark  befehdet,  von  den 
anderen  tapfer  verteidigt. 

Schon  seit  langen  Zeiten  bestand  die  Ansicht,  dass  der  Schlaf 
durch  eine  Hyperämie  des  Gehirns  erzeugt  würde.  Dem  entgegen 
wies  Durham  um  1860  nach,  dass  in  dem  Gehii'n,  während  des  Schlafes, 
eine  Anämie  besteht,  Avährend  sich  beim  Erwachen  die  Blutgefässe  er- 
weiterten, und  eine  grössere  Blutmenge  in  das  Gehii-n  gelangte.  Derselbe 
stellte  seine  Beobachtungen  an  Tieren  durch  ein  im  Schädel  angebrachtes 
Loch  an.  Später  veröffentlichte  Hammond  ähnliche  Beobachtungen 
an  einem  Manne ,  dessen  Gehirn  infolge  einer  Eisenbahnverletzung  zu 
einem  grossen  Teile  biosgelegt  war.  Diese  Beobachtungen  sind  mehr- 
fach bestätigt  worden,  und  man  hat  jetzt  die  Ueberzeugung,  dass  der 
Schlaf,  als  physiologischer  Vorgang,  in  einer  physiologischen  Anä- 
mie des  Gehirns  bestehe.  Es  kommt  dabei  auf  die  Grösse  der  in 
einer  bestimmten  Zeiteinheit  das  Gehirn  passierenden  Blutmenge  an, 
und  diese  ist  während  des  Schlafes  herabgesetzt,  also  ist  eine  Ver- 
minderung des  Blutes  vorhanden. 

Es  Avurden  nun  von  Bedford- Brown,  und  andex'en  auch  Beo^ 
bachtungen  während  der  Narkose  in  Bezug  auf  die  Blutfülle  des  Ge- 
hirns gemacht,  und  gefunden,  dass,  AA^as  auch  Gl.  Bernard  bestätigte, 
erst  im  Anfang  eine  Hyperämie,  dann  im  Verlauf  der  Narkose  eine 
Anämie  im  Gehirn  auftrete.  Gl.  Bernard  machte  die  Versuche  an 
Tieren,  deren  Gehirn  blosgelegt  wurde,  und  er  sah,  wie  zu  Beginn  das 
Gehirn  aus  der  Oeffnung  herausquoll,  um  sich  dann  Avieder  zu  setzen, 
Avas  durch  die  vermehrte  Blutzufuhr  bei  Beginn  erklärlich  wird,  und 
nun  auch  durch  die  Farbe  des  Gehirns  sich  zeigte.  Die  Hyperämie 
im  Anfang  ist  zurückzuführen  auf  den,  durch  die  Erregung  des  Kran- 
ken erhöhten  Blutdruck,  und  die  Anämie  durch  das  Sinken  desselben 
AA^ährend  der  Narkose.  Doch  hat  es  den  Anschein,  als  Avenn  die  Anä- 
mie des  Gehirns  nicht  so  hochgradig  geAvesen  ist,  als  in  dem  nor- 
malen Schlafe.  Es  bildete  sich  aus  diesem  nun  die  Hypothese,  dass 
eine    künstliche    Narkose    durch    die   Anämie   des   Gehirns,  resp.   durch 


-     114     - 

die  Verengerung  der  Gehirnarterien  direkt  hervorgerufen  werde. 
Es  ist  also  der  Angriffspunkt  des  Narkotikum's  in  den  vasomotorischen 
Zentren  zu  suchen. 

Man  kann  nun  diese  Annahme  sehr  leicht  widerlegen.  Es  zeigt 
sich  nämlich,  dass  hei  den  Amphibien  das  Gehirn  eine  lange  Zeit 
funktionsfähig  bleibt,  nachdem  man  die  Blutzirkulation  in  dem  Gehirn 
vollkommen  ausgeschlossen  hat,  und  dennoch  lassen  sich  die  Amphibien 
ebenso  leicht  narkotisieren,  wie  andere  Tiere,  und  es  kommt  noch  hinzu, 
dass  die  Konzentration  vieler  indifferenter  Narkotika,  welche  gerade 
genügend  ist  zu  einer  vollständigen  Narkose  bei  Amphibien  und 
Menschen  die  gleiche  ist,  und  dasselbe  ist  der  Fall  bei  Insekten 
und  Krustaceen,  welche  überhauj)t  keine  besonderen  Blutgefässe  im 
Gehirn  besitzen,  sondern  nur  eine  Art  interzellulärer  Lymphe.  Und 
dann  spielt  bei  den  Insekten  das  Blut  nur  eine  untergeordnete  Rolle 
als  Vehikel'  für  die  Atmungsgase,  indem  die  Endverzweigungen  der 
Tracheen  vielfach  direkt  an  die  Zellen  treten  (Overton).  Es  ist  dies 
also  vollkommen  falsch. 

Es  ist  klar,  dass  die  Narkotika  dadurch  wirken,  ■  dass  sie  an  die 
Ganglienzellen  des   Gehirns  direkt  ihre  Angriffe  richten. 

§  54.  Die  Hypothese,  welche  Gl.  Bernard  aufgestellt  hat,  und 
welche  entschieden  Beachtung  verdient,  soll  in  dem  Folgenden  behandelt 
werden.  Derselbe  hält  die  Ganglienzelle  für  den  Angriffspunkt  der 
narkotischen  Wirkung.  Zu  den  die  Narkose  erzeugenden  Stoffen  rechnet 
er  neben  unseren  Narkotika  noch  die  „Anämie",  die  „Asphyxie", 
und  die  „Wärme".  Nach  seiner  Ueberzeugung  ist  trotz  der  Ver- 
schiedenheit der  narkotischen  Mittel,  der  Mechonismus  der  Anästhesie 
immer  derselbe;  indem  alle  diese  Mittel  ein  und  dieselbe  Modifikation 
in  der  Ganglienzelle  hervorrufen.  Es  besteht  diese  Modifikation 
der  Ganglienzelle  in  einer  Semicoagulation  des  Protoplasma's  der 
Nervenzelle,  und  diese  Semicoagulation  sei  nur  vorübergehend,  und  das 
Protoplasma  erhalte  nach  der  Entfernung  des  Narkotikum's  aus  der 
Zelle  seine  frühere  Form  wieder.  Er  hat  seine  Ansicht  hergeleitet  von 
der  durch  Chlordämpfe  hervorgerufenen  Stari-e  der  Muskelfasern,  welche 
diesen  Dämpfen  ausgesetzt  wurden.  Dass  bei  jeder  Narkose  derselbe 
Mechanismus  zu  Grunde  liegt,  ist  nicht  anzunehmen,  denn  der  Mecha- 
nismus der  indifferenten  Narkotika  ist  ein  anderer,  als  der  der  Narkose, 
die  durch  viele  basische  Narkotika  bewirkt  wird.  Das  wirklich  zu- 
treffende an  der  Hypothese  ist  die  Semicoagu.lation  des  Proto- 
plasma's.   welche  von   den  meisten  basischen   Narkotika  erzeugt  wird. 

§  55.  Eine  dieser  Hypothese  sehr  ähnliche,  ist  die  von  Binz. 
Derselbe  legte  bei  seinen  Versuchen  frische  Schnitte  von  der  Gehirn- 
rinde des  Kaninchens  in  eine  17o  ige  Lösung  von  Morphin,  muriaticum, 
und  dieselben  wurden  getrübt,  die  Kerne  wie  bestäubt,  die  Umrisse 
schärfer,  als  in  einer  Lösung  von  Chlornatrium.  Dies  bezieht  er  auch 
auf  die  Ganglienzellen,  und  meint,  dass  eine  Verdunkelung  derselben 
eintrete ,  wenn  frische  Gehirnzellen  Chlordämpfen  ausgesetzt  würden, 
dasselbe  erzeugt  eine  Lösung  von  neutral  reagierendem  Chloralhydrat. 
Binz  sagt  nach   diesem  weiter: 


—     115     — 

„Das  Ganze  macht  den  Eindruck  einer  Gei-innuiigsnekrose,  wie  man  sie 
aucli  g-ewahrt,  wenn  neutral  reagierende  Protoplasmagifte  auf  grosse  durch- 
sichtige Infusorien  einwirken,  und  zwar  zuerst  gelinde,  dann  stärker.  Das 
Protoplasma  wird  anfangs  ein  wenig  dunkel,  und  die  Bewegungen  werden 
träge.  Weiter  wird  das  Protoplasma  granuliert,  und  die  Bewegungen  hören 
auf.  Eine  Erholung  kann  eintreten,  von  dem  ersten  Stadium,  wenn  man  das 
zugesetzte  Gift  wieder  auswäscht,  nicht  von  dem  letzten.  Ich  vergleiche  jenes 
mit  dem  Schlaf,  dieses  mit  dem  Tode  der  Zelle.  Der  erste  Anflug  der  Ge- 
rinnung kann  sich  lösen,  sie  selber  kann  es  nicht"  (Binz). 

Diese  Versuche  von  Binz  sind  allerdings  sehr  vielen  Vorwürfen 
ausgesetzt.  Schon  der  mit  den  Schnitten  des  Gehirns  eines  Kaninchens, 
welche  einer  Morphin,  muriaticum  -  Lösung  ausgesetzt  werden,  ist 
sehr  ungenau,  und  so  auch  derjenige,  wo  die  Gehirnschnitte  den  Chlor- 
dämpfen ausgesetzt  werden.  Er  hätte  müssen,  wenn  er  die  Versuche 
der  normalen  Chloroformnarkose  mehr  ähnlich  gestalten  wollte,  dieselben 
den  Dämpfen  einer  wässrigen  Lösung  von  Chloroform  aussetzen, 
welche  das  Verhältnis  1  :  6000  aufwies.  Die  partielle  Spannung  der 
Chlordämpfe  kommt  bei  dieser  Lösung  annähernd  der  Spannung  der 
Chlordämpfe  im  Blutplasma  eines  Tieres  gleich,  das  durch  Chloroform- 
inhalationen betäubt  ist,  aber  nicht  zu  tief  narkotisiert,  natürlich  unter 
gleicher  Temperatur   (Overton). 

§  56.  Weitere  Hypothesen  sind  die,  von  Dubois,  welche  als 
eine  Modifikation  der  von  Cl.  Bernard  anzusehen  ist,  und  nach 
der  die  Narkotika  eine  Entwässerung  des  Protoplasma's  hervor- 
rufen, oder  wie  Dubois  selbst  sagt,  die  Dissociationsspannung 
des  Imbibitions Wassers  der  Gewebe  vergrössern.  Darnach  sollen 
die  Organismen,  welche  der  Wirkung  solcher  wasserentziehenden  Stoffe 
ausgesetzt  werden,  in  einen  Zustand  des  latenten  Lebens  versetzt  werden. 
Es  liegt  hier  eine  ganz  falsche  Deutung  der  Erscheinungen  vor,  da 
das  entzogene  Wasser  nicht  aus  dem  Protoplasma,  sondern  aus  dem 
Zellsafte  stammt.  Von  Riebet  ist  der  Satz  aufgestellt  worden,  dass 
eine  Verbindung  ein  um  so  stärkeres  Narkotikum  sei,  oder  ein 
um  so  grösseres  Gift,  je  geringer  die  Löslichkeit  desselben  im 
Wasser  ist. 

Diese  Behauptung  trifft  für  eine  bestimmte  Anzahl  von  Narkotika 
zu  in  einem  gewissen  Grade.  Alle  in  Wasser  schwer  löslichen  indiffe- 
renten Narkotika  haben  die  Eigenschaft,  sich  sehr  schnell  über  das 
ganze  Protoplasma  zu  verbreiten,  und  es  beansprucht  nur  wenige  Se- 
kunden, bis  dieselben  in  den  Zellsaft  gelangt  sind.  Es  besteht  der 
Satz:  die  stärksten  Narkotika  sind  diejenigen  Verbindungen, 
welche  gleichzeitig  eine  sehr  geringe  Löslichkeit  in  Wasser  mit 
einer  sehr  hohen  Löslichkeit  in  Aether,  Olivenöl  oder  den  Leci- 
thin-Cholesteringe mischen  in  gequollenem  Zustande  kombinieren 
(Overton). 

§  57.     In    dem    Folgenden    sollen    die  Hypothese    und  Versuche, 

welche    von   Overton    und    von   H.  Meyer    aufgestellt    worden    sind, 

näher  betrachtet  werden,   da  denselben    eine  hohe  Bedeutung  eigen  ist. 

In    diesen    soll    nun,    was    bisher    immer    bei    den   Versuchen  und 

Hypothesen  übergangen  wurde,   auf  die  nähere   Zusammensetzung   che- 


—     116     - 

misclier  Natur  des  Nervensystems  und  der  Ganglienzellen  ein 
Gewicht  gelegt  werden.  Es  sind  die  im  Aetlier  löslichen  Substanzen, 
das  Cholesterin  und  Lecithin,  welche  vor  allen  als  Angriflfspunkte  der 
Narkotika  in  Betracht  kommen.  Es  gehören  zit  diesen  Stoffen  ausser 
den  genannten  noch  Protargon  und  Cerebrine,  und  ein  Stoff,  dessen 
Vorkommen  als  chemisches  Individuum  neuerlich  geleugnet  wird,  das 
Jecorin.  Es  kommt  nun  vor  allen  Dingen  darauf  an,  zu  wissen,  wie 
die  betreffenden  Stoffe  verteilt  sind,  und  zwar  in  der  grauen  Sub- 
stanz, denn  bei  der  Narkose  kommt  es  doch  wesentlich  auf  die  Ver- 
hältnisse in  der  Rindensubstanz  an.  Da  nämlich  die  wirbellosen 
Tiere  ebenso  gut  narkotisiert  werden  können,  wie  die  Wirbeltiere,  so 
müssen  sich  die  Veränderungen,  welche  die  Narkose  hervorruft,  nur  in 
der  grauen  Substanz  abspielen,  da  den  wirbellosen  Tieren  die  weisse 
Substanz  fehlt.  Und  dass  der  Vorgang  der  Narkose  bei  beiden  Tier- 
arten im  Avesentlichen  der  gleiche  sein  muss,  geht  daraus  hervor,  dass 
die  Konzentrationen  der  indifferenten  Narkotika,  welche  zur  vollständi- 
gen Narkose  von  Entomostraken  und  Säugetieren  liinreichen,  voll- 
ständig gleich  sind. 

Petrowsky  hat  als  erster  Untersuchungen  angestellt  über  die 
Verteilung  dieser  Substanzen  in  der  weissen  und  grauen  Substanz. 
Es  zeigt  die  quantitative  chemische  Analyse  der  grauen  Substanz  einen 
bedeutenden  Unterschied  gegenüber  der  der  weissen.  In  der  weissen 
Substanz  sind  die  Bestandteile  Axenzylinder  und  Nervenmark. 
Erstere  sind  in  Bezug  auf  ihre  quantitative  chemische  Zusammensetzung 
mit  der  Zusammensetzung  der  grauen  Substanz  übereinstimmend.  Er 
untersuchte  Gehirnteile  von  Ochsenhirn  und  fand,  dass  die  graue  Sub- 
stanz zusammengesetzt  ist  aus:  55,7  7o  Eiweisskörpern,  17,24  %  Le- 
cithin, 18,86  7o  Cholesterin  iiiid  Fett,  0,53%  Cerebrine,  6,71  7o 
Neurokeratin  und  andere  organische  Verbindungen,  1,45  7o  Salze. 
Die  weisse  Siibstanz  fand  er  bestehend  aus:  24,72  7o  Ei  weiss, 
9,90  7o  Lecithin,  51,91  7o  Cholesterin  und  Fett,  9,55  7o  Cere- 
brine,  3,34  7o    Neurokeratin   etc.,  0,57  7o    Salze. 

Durch  spätere  Forscher  wie  Gamgee,  Blackenhorn,  von  Rup- 
pel,  Freytag,  Baumstark  etc.  ist  festgestellt  worden,  dass  Protar- 
gon, welches  Hoppe-Seyler  und  Petrowsky  für  ein  Gemisch  von 
Lecithin  und  Cerebrin  hielten,  ein  chemischer  Körper  und  kein  Ge- 
misch sei.  Dasselbe  kommt  aber  nur  spurenweise  in  der  grauen  Sub- 
stanz vor,  während  es  in  der  weissen  in  grösseren  Mengen  vorhanden 
ist.  Man  kann  die  Annahme,  dass  Protargon  nicht  in  der  grauen 
Substanz  vorkommt,  bestätigen  durch  einen  Vergleich  der  Analysen  von 
einem  embryonalen  vor  dem  Auftreten  des  Nervenmarkes,  und  einem 
ausgewachsenen  Gehirn,  denn  das  erstere  besteht  in  jener  Zeit  nur 
aus  grauer  Substanz.  Solche  Versuche  sind  von  Raske  angestellt,  und 
die  Zusammensetzungen  folgendermassen  gefunden  worden.  Bei  einem 
Kinderembryo  von  62  cm  bestand  das  Cerebrum  aus  6,63  7o  Lecithin 
und  18,32  7o  Cholesterin,  bei  einem  solchen  von  68  cm  Länge  aus 
3,49  7o  Lecithin  und  21,32  7o  Cholesterin.  Hieraus  ergibt  sich, 
dass   der  Cholesteringehalt    dieser    Gehirne    mit    dem,    welchen   Pe- 


-     117     - 

trowsky  fand,  ungefähr  übereinstimmt.  Nur  ist  auffallend,  A\ic  der 
Gelialt  an  Lecithin   differiert. 

Wenn  man  diese,  und  die  Untersuchungen  von  anderen  Forschern 
genauer  betrachtet,  so  wird  augenscheinlich,  dass  wir  bis  jetzt  nur  die 
beiden  Körper  Lecithin  und  Cholesterin  als  Körper,  welche  in 
Aether  löslich  sind,  kennen  von  der  Zusammensetzung  der  grauen  Sub- 
stanz des  Gehirns,  und  die  quantitativen  Angaben  PetroAvsky's  be- 
stehen als  richtig.  Es  ist  das  Lecithin  und  Cholesterin  also  in 
ungefähr  gleichen  Mengen  von  je  IS  7o  "i  Bezug  auf  die  trockene 
Substanz,  und  zu  wenig,  mehr  als  8  7o  ^^^^^  ^'^  frische  Substanz  vor- 
handen. 

Wenn  wir  in  dem  betreffenden-  Organismus  eine  konstante 
Konzentration  des  Narkotikums  im  Blutplasma  erhalten,  so 
können  wir  die  Verhflltnissc  im  Nerven  mark  übergehen,  wird  dem- 
selben aber  eine  Menge  in  Bezug  auf  1  kg  seines  Körpergewichts 
dargereicht,  so  wird  eine  vermehrte  Anhäufung  des  Narkotikums  im 
Nervenmark  analog  dem  im  Fettgewebe  stattfinden,  und  die  Kon- 
zentration im   Blutplasma  erleidet  dadurch  Veränderungen. 

Es  ist  von  Harless  und  Bebra  die  Theorie  aufgestellt  worden, 
dass  das  Narkotikum  durch  seine  Tendenz,  Fette  zu  lösen,  dadurch 
wirke,  dass  es  die  Fette  aus  dem  Gehirn  auslaugt,  und  dass  im  Ge- 
hirn nacli  mehreren  Narkosen  eine  Abnahme  der  Fette  zu  konsta- 
tieren sei,  während  in  der  Leber  eine  Zunahme  derselben  bemerkbar 
werde.      Diese  Ansicht  ist  leicht  zu  widerlegen. 

Wenn  man  z.  B.  eine  vollständige  Aethernarkose  erlangen  will, 
muss  man  eine  Konzentration  des  Aethers  im  Blutplasma  von 
'/^  Gewichts-Prozent  herstellen.  Die  Narkose  tritt  augenblicklich 
ein,  wenn  diese  Konzentration  erreicht  ist,  ohne  dass  sie  sich  weiterhin 
bedeutend  vertieft.  Wenn  nun  eine  Auslaugung  der  Fette  aus  dem 
Gehirn  der  Grund  der  Betäubung  wäre,  so  müsste  doch  mit  der  Zeit  die 
Tiefe  der  Narkose  zunehmen.  Ausserdem  müsste  man  doch  annehmen, 
dass,  wenn  die  Konzentration  vorübergehend  auf  z.  B.  '/g  Gewichts- 
Prozent  sinkt,   ein  Zurückwandern  des  Fettes   erfolgen   müsste. 

Wenn  diese  Hypothese  zu  Recht  bestände,  so  müsste  auch  eine 
Auslaugung  der  Fette  aus  der  Flimmerzelle,  oder  der  Pflanzenzelle  bei 
der  Narkose  einer  einzigen  Zelle  vor  sich  gehen.  Es  müsste  dies  voll- 
ständig vor  sich  gehen,  wenn  diese  Zellen  in  ein  genügendes  Quantum 
von  Wasser,  in  dem  Aether  gelöst  ist,  gebracht  Avürden.  Dasselbe 
müssten  dann  auch  Fische  oder  Kavilquappen  erleiden,  Avenn  sie  in 
diese  Lösung  versetzt  würden.  Wenn  man  nun  diese  betreffenden  In- 
dividuen aus  dem  ätherhaltigen  Wasser  in  reines  Wasser  überführt,  so 
schwindet  die  Narkose,  ohne  dass  aber  aus  dem  reinen  Wasser  die  aus- 
gelaugten Lecithin-Cholesterine  etc.  wieder  in  die  Zelle  zurück- 
wandern können,  denn  dieselben  sind  ja  in  der  anderen  Flüssigkeit. 
Da  nun  die  Tiere  tatsächlich  erwachen,  so  ist  an  ein  Auslaugen  der 
Zellen  nicht  zu   denken. 

Hermann  griff  diese  Theorie  Avieder  auf,  indem  er  eine  ähnliche 
Wirkung   der  Narkotika   aus   deren  Einfluss   auf  die  roten  Bhitkörperchen 


—     118     - 

herleitete.  Doch  auch  dieselbe  ist  nicht  die  richtige.  Der  Angriffs- 
punkt der  Narkotika  ist  zweifellos  das  Lecithin-Cholesteringemisch, 
aber  man  muss  nicht  eine  chemische  Veränderung,  wie  diese  Autoren, 
erwarten,  sondern  einen  physikalischen  Aenderungszustand,  in 
welchen  die  Lecithin-Cholesteringemische  durch  das  Narkoti- 
kum versetzt  werden,  annehmen 

Es  soll  nun  auf  die  Theorie  von  H.  Meyer  und  Overton  näher 
eingegangen  werden,  nachdem  das  vorhergehende  als  Einleitung  gesagt 
worden  ist.  Dieselben  haben  zum  Ausgangspunkt  ihrer  Untersuchungen 
die  Löslichkeit  der  indifferenten  Narkotika  in  den  Lecithin- 
Cholesteringemischen  gemacht.  Dieselben  nehmen  an,  dass  die 
Narkose  eine  Folge  der  durch  die  Aufnahme  des  Narkotikums  in  der 
Zelle  bewirkten  Veränderung  des  physikalischen  Zustand  es  der  Le- 
cithin-Cholesteringemische  ist. 

Es  kommt  nun  hauptsächlich  auf  die  Menge  des  Narkotikums 
an,  welches  von  der  Zelle  aufgenommen  wird,  nach  dieser  kommt  bei 
ihnen  erst  die  Qu.alität  in  Betracht.  In  dieser  Hinsicht  werden  nach 
unserer  Ansicht  doch  die  Eigenschaften  der  einzelnen  Narkotika 
etwas  zu  sehr  in  den  Hintergrund  gestellt  (Verf).  Die  Stärke  eines 
Narkotikums  hängt  nun  nach  ihnen  ab  von  dem  Teilungskoeffizien- 
ten der  Narkotika  zwischen  Wasser  einerseits,  und  dem  Lecithin- 
Cholesteringemisch  andererseits.  Dies  ist  durch  eine  Menge  von 
Versuchen  bestätigt. 

Diese  beiden  Foi'scher  haben  nun,  da  die  Lecithin-Cholesterin- 
gemische für  sich  ausserhalb  des  Zusammenhanges  mit  dem  Proto- 
plasma der  Zelle  nicht  zu  erhalten  sind,  einen  Körper  gewählt,  welcher 
denselben  annähernd  gleichkommt  in  dieser  Hinsicht,  um  den  Teilungs- 
koeffizienten  zwischen  Narkotikum  und  Wasser  und  Lecithin-Cholesterin- 
gemisch zu  ermittehi. 

„Im  Allgemeinen  zeigt  sich  nämlich",  sagt  Overton,  „dass,  wenn  der 
Teilungskoeffizient  einer  Verbindung  B  zwischen  Wasser  und  Olivenöl 
mehr  zu  Gunsten  des  Olivenöls  ausfällt,  als  der  Teilungskoeffizient  der  Ver- 
bindung A  zwischen  denselben  beiden  Lösungsmitteln,  dieselben  Erscheinungen 
auch  bei  den  höheren  Alkoholen,  Aethyläther,  und  ähnlichen  Lösungs- 
mitteln eintritt,  wenn  diese  an  Stelle  des  Olivenöls  als  zweites  Lösungsmittel 
verwandt  werden.  Freilich  muss  besonders  betont  werden,  dass  dies  nur  im 
Grossen  und  Ganzen  zutrifft.  Der  Teilungskoeffizient  der  indifferenten 
Narkotika  zwischen  "Wasser  und  Olivenöl  wird  kaum  jemals  mit  dem 
zwischen  Wasser  und  dem  Lecithin-Cholesteringemische  in  der 
grauen  Nervensubstanz  völlig  übereinstimmen;  sondern  nur  in  etwa  dem- 
selben Grade,  wie  der  Teilungskoeffizient  desselben  Narkotikums  zwischen 
Wasser  und  Aethyläther;  ja  selbst  das  qualitative  Lösungsvermögen  der 
Lecithin-Cliolesteringemische  stimmt  nicht  durchweg  mit  jenem  Oliven- 
öl überein,  so  sind  die  käuflichen  Salze  der  basischen  Anilmfarben  in  Olivenöl 
fast,  oder  ganz  unlöslich,  während  dieselben  sowohl  in  Cholesterin  (in  ge- 
schmolzenem, oder  gelöstem  Zustande),  als  auch  in  Lecithin  leicht  löslich  sind. 

Das  Lösungsvermögen  des  geschmolzenen  Cholesterins  stimmt  nach 
meinen  bisherigen  Erfahrungen  qualitativ  genau  überein  mit  dem  Lösungsver- 
mögen der  höheren  gesättigten  Alkohole,  z.B.  des  Aethals,  Cic^U^-^-  OH, 
oder  des  Cerylalkohols,  C27H55  •  OH,  und  auch  quantitativ  liegen  die  Lösungs- 
vermögen von  Cholesterin,  Aethal  und  Cerylalkohol  nicht  weit  ausein- 
ander.    Merkwürdig    ist    die    Tatsache,    dass    auch    das  Lösungsvermögen    des 


-     119     - 

Lecithins  trotz  seiner  cliemisclien  Zusammensetzung,  mit  demjenigen  der 
höheren  Alkohole  eine  grössere  Uebereinstimmung  zeigt,  als  mit  jenem  der 
Fette  und  Oele.  Leider  ist  mir  dies  erst  vor  etwas  weniger,  als  zwei  Jahren 
bekannt  geworden,  als  meine  Versuche  über  die  Narkose  einen  vorläufigen  Ab- 
schluss  gefunden. 

Im  Uebrigen  sind  die  höheren  Alkohole  von  dem  Gliede  CgH^g-OH 
an,  bis  zu  dem  Gliede  Ci^Hgi'OH  sehr  schwer  zugänglich,  und  selbst  Aethal, 
und  Cerylalkohol  sind  so  teuer,  dass  die  Bestimmung  des  Teilungskoeffi- 
zienten einer  grösseren  Anzahl  Narkotika  zwischen  denselben  und  Wasser  ein 
sehr  kostspieliges  Unternehmen  sein  würde,  wenigstens,  wenn  man  die  Tei- 
lungskoeffizienten durch  physikalische  und  chemische  Methoden  bestimmen 
wollte.  Zudem  könnte  diese  Bestimmung  nur  bei  einer  Temperatur  ausgeführt 
werden,  welche  die  Temperatur  des  Säugetieres  bedeutend  übertrifft,  und  sich 
noch  mehr  von  jenen  Temperaturen  entfernt,  die  durch  Narkosenversuche  bei 
durch  Kiemen  atmenden  Tieren  gefunden  sind.  Der  Schmelzpunkt  des  Aethals 
liegt  nämlich  bei  49,5 "^  C,  der  des  Cerylalkohol s  erst  bei  79"  C.  Die 
Teilungskoeffizienten  sind  aber  mit  der  Temperatur  mehr  oder  weniger  ver- 
änderlich. Immerhin  liegen  die  Verhältnisse  bei  diesen  beiden  Alkoholen  viel 
günstiger,  als  bei  Cholesterin,  das  erst  bei  147"  C.  schmilzt. 

Aus  dem  vorangehenden  ergibt  sich,  dass,  solange  man  nicht  die  genaue 
quantitative  Zusammensetznng  des  Lecithin-Cholesteringemisches  der 
grauen  Nervensubstanz  kennt,  und  die  Teilungskoeffizienten  der  verschiedenen 
Narkotika  zwischen  diesem  Gemisch  und  Wasser  direkt  messen  kann,  sondern 
sich  damit  begnügt,  an  Stelle  dieses  Gemisches  Olivenöl,  oder  ein  ähnliches 
Lösungsmittel  zu  den  Versuchen  über  die  Teilungsverhältnisse  zu  verwenden, 
es  für  die  Prüfung  der  neuen  Theorie  der  Narkose  viel  wichtiger  erscheint, 
die  Teilungskoeffizienten  bei  einer  möglichst  grossen  Anzahl  indifferenter  Nar- 
kotika in  erster  Annäherung  zu  bestimmen,  als  die  Teilungskoeffizienten  einer 
geringeren  Anzahl  Narkotika  mit  besonderer  Genauigkeit  festzustellen"  (Overton). 

Es  hat  sich  ergeben,  dass  bei  der  Temperatur  T  sich  das  Nar- 
kotikum völlig  unabhängig  von  der  Konzentration  zwischen  den 
beiden  Lösungsmitteln  stets  so  teilt,  dass,  nachdem  Gleichgewicht  ein- 
getreten ist,  die  Mengen  des  Narkotikums  die  gleichen  Volumina  der 
Lösungsmittel  enthalten,  und  ihrer  Lösliehkeit  in  den  beiden  Lösungs- 
mitteln proportional  sind.  Nehmen  wir  z.  B.  an,  bei  20"C.  sei  in  einem 
Liter  Wasser  1  Gramm  des  Narkotikums  löslich,  in  einem  Liter  Xylol, 
oder  Olivenöl  aber  bei  20"  C.  10  Gramm,  so  teilt  sich  das  Narkoti- 
kum zwischen  Wasser,  und  Xylol  stets  so,  dass  bei  20^  C.  das  Xylol 
10  mal  soviel  von  dem  Narkotikum  enthält,  als  das  gleiche  Volumen 
Wasser.  Es  kommt  dabei  absolut  nicht  auf  die  Konzentration  des 
Narkotikums  der  Flüssigkeit,  in  der  es  zugeführt  wird,  an.  Es  ist 
also  der  Teilungskoeffizient  zwischen  Wasser  und  Xylol  des  Narkoti- 
kums bei  allen  Konzentrationen  derselben,  \°  =  10-,  Avenn  man  die  in 
der  Volumeneinheit  der  wässrigen  Lösung  enthaltene  Menge  d3S  Nar- 
kotikums gleich   1   setzt   (Overton). 

Der  Molekularzustand  des  Narkotikums  darf  sich  mit  der  Ver- 
dünnung der  Lösung  nicht  wesentlich  ändern.  Wenn  wir  uns  nun 
mit  der  von  Overton  weiter  angeführten  Theorie,  und  Ermittelung 
des  Teilungskoeffizienten  befassen  wollten,  so  würde  uns  dies  zu  weit 
führen,  und  wir  können  den  Leser  mit  Recht  auf  die  vortreffliche 
Abhandlung  von  Overton  verweisen.  Wir  wollen  hier  nur  noch  die 
Bestimmung  des  Teilungskoeffizienten  zwischen  dem  Lecithin-Cho- 
lesteringemisch,   und  Wasser  erläutern. 


—     120     — 

Wenn  man  in  eine  wässrige  Lösung  eines  Narkotikums  Leci- 
thin, oder  ein  Lecithin-Cliolesteringemisch  bringt,  so  wird 
dieses  einen  Teil  des  Narkotikums  der  Narkotikumlösung  entziehen, 
und  es  ist  der  Teilungskoeffizient  zwischen  dem  Narkotikum,  den  wäss- 
rigen  Lösungen,  und  einem  solchen  Lecithin  Cholesteringemisch  zu  finden. 
Man  kann  dies  mit  Hilfe  von  kleinen  Kaulquappen,  die  in  die 
wässrige  Lösung  von  Narkotikum  gebracht  werden,  sofort  tun,  und 
sobald  die  prozentische  Zusammensetzung  des  Lecithin-Cholesterin- 
gemisches  in  den  Zentralnervenzellen  bekannt  ist,  wird  es  der  Mühe 
lohnen,  den  Teilungskoeffizienten  der  Narkotika  zwischen  dem  Lecithin- 
Cholesteringemisch,   und  Wasser  zu  bestimmen. 

Die  Theorie   von  H.  Meyer  ist  in   folgenden  Sätzen  ausgedrückt: 

L  „Alle  chemisch  zunächst  indifferenten  Stoffe,  die  für  Fett,  und 
fettähnliche  Stoffe  löslich  sind,  müssen  auf  lebendes  Protoplasma,  sofern 
sie  sich   darin  verbreiten  können,   narkotisch  Avirken." 

IL  „Die  Wirkung  wird  an  denjenigen  Zellen  am  ersten  und 
stärksten  hervortreten  müssen,  in  deren  chemischem  Bau  jene  fettähn- 
lichen Stoffe  vorwalten,  und  wohl  besonders  wesentliche  Träger  der 
Zellfunktionen  sind:   in  erster  Linie   also   an   den  Nervenzellen. 

III.  „Die  vei'hältnismässige  Wii-kungsstärke  solcher  Narkotika 
muss  abhängig  sein  von  ihrer  mechanischen  Affinität  zu  fettähnlichen 
Substa;izen  einerseits,  zu  den  übrigen  Körperbestandteilen  d.  h.  haupt- 
sächlich Wasser  andererseits;  mithin  von  dem  Teilungskoeffizienten,  der 
ihre  Verteilung  in  einem  Gemisch  von  Wasser  und  fettähnlichen  Sub- 
stanzen bestimmt." 

Allerdings  üben  die  meisten  dieser  Stoffe  Nebenwirkungen  aus, 
welche  nicht  zu  dem  narkotisierenden  Charakter  stimmen,  und  die  Haupt- 
wirkung  vollständig  zu  verdecken  im  stände  sind.  In  diesen  Fällen 
muss  man  eine  Kombination  mit  reiner  wirkenden  Substanzen  anwenden, 
und  erhält  so  die  Summe  der  narkotischen  Wirkungen,  wo  die  Neben- 
wirkungen geringer  sind,  und  eventuell  gehoben  werden  durch  die  ver- 
schiedenen Narkotika. 

Overton  ist  zu  derselben  Theorie  gelangt  bei  Versuchen  über 
die  osmotischen  Eigenschaften  der  lebenden  Tier-  und  Pflanzen- 
zellen. 

Er  setzte  z.  B.  Kaulquappen  in  eine  2  %  ig©  Lösung  von 
Aethylalkohol.  Die  Narkose  trat  innerhalb  1,  höchstens  2  Minuten 
ein.  Wenn  man  aber  dieselben  Tiere  in  einer  solchen  Lösung  von 
Narkotikum  in  Wasser  länger  verweilen  lässt,  und  nach  einer  halben,  resp. 
nach  1  Stunde  in  reines  Vvasser  wieder  setzt,  so  wird  die  Narkose  nach 
2  Minuten,  oder  auch  nach  noch  weniger  Zeit  unvollständig,  und  die 
Tiere  sind  nach  3  —  5  Minuten  wieder  so  lebhaft  wie  früher.  Nimmt 
man  aber  eine  Lösung  von  1  Gewichts-Prozent  Aethylalkohol,  so 
findet  man,  dass  die  Kaulquappen  selbst  nach  tagelangem  Verweilen  in 
dieser  Lösung  nicht  vollständig  narkotisiert  sind.  Versetzt  man  nun 
Kaulquappen  aus  einer  2  %  igen  Lösung  des  Alkohols  in  eine  1  7o  ige 
Lösung,  so  schwindet  in  wenigen  Minuten  die  vorher  in  der  2  7o  igen 
Lösung  eingetretene  Betäubung. 


—     121     - 

Wenn  man  nun  die  Tiere  in  eine  l'/gVoi^*^  Lösung  versetzt,  so 
werden  dieselben  nach  2 — 3  Minuten  vollständig  betäubt  sein.  Die 
Narkose  vergeht  auch  wieder  nach  20  stündigem  Verweilen  der  Tiere 
in   der  Lösung,   wenn   man   sie  in  reines   Wasser   bringt. 

Hieraus  folgert  0 verton,  dass  die  Konzentration  des  Alkohols 
im  Blutplasma,  im  Imbibition swass er  der  Ganglienzellen  bereits  nach 
1 — 2  Minuten  über  17oig'  ist,  wenn  die  Tiere  in  einer  2  7o  i&^n  Lö- 
sung verweilen,  oder  man  kann  sagen,  dass  bei  einer  2  7o  if?^^^  Lösung 
in  der  die  Tiere  sich  befinden,  in  derselben  Zeit  mehr  von  dem  Nar- 
kotikiim  in  die  Ganglienzelle  gelangt  ist,  als  in  derselben  Zeit  in  die- 
selbe gelangt,  wenn  die  Tiere  in  einer  2  7o  igen  Lösung  verweilen,  ja, 
dass  im  ersten  Falle  mehr  von  dem  Narkotikum  in  die  Zelle  eindringt, 
als  im  zweiten  Falle  in  beliebig  langer  Zeit  hindurchzudringen  vermag, 
(1.  h.  was  dem  schliesslichen  Gleichgewichtszustande  bei  einer  1  7o  igen 
Lösung  entspricht.  Ebenso  geht  aus  den  Versuchen  hervor,  dass  der 
A  ethylalkohol   ebenso   schnell  wieder  die   Zellen  verlässt. 

Aus  allen  Versuchen  und  Erwägungen  kommt  0 verton  nun  zu 
dem  Schluss",  dass  erstens  die  narkotische  Kraft  einer  Verbindung  in 
erster  Linie  von  dem  Teilungskoeffizienten  derselben  zwischen 
den  wässerigen  und  den  Lecithin- Cholesterinartigen  Lösungs- 
mitteln des  Organismus  abhängt,  und  zweitens,  dass  eine  Verbindung 
nur  dann  als  ein  eigentliches  Narkotikum  angesehen  werden 
darf,  wenn  ihre  absolute  Löslichkeit  in  Lecithin,  Cholesterin  und 
ähnlichen  Lösungsmitteln   nicht  unter  ein   gewisses  Minimum   sinkt. 

Die  narkotische  Kraft  der  Körper  nimmt  mit  der  Länge  der 
Kohlenstoff  kette  bis  zu  einem  bestimmten  Glied  zu,  und  dies  wird 
dadurch  zu  erklären  sein,  dass  die  absolute  Löslichkeit  der  Stoffe  in 
Gel,  Lecithin-Cholesterin  etc.  bei  Bluttemperatur  von  einem  be- 
stimmten Gliede  homologer  Reihen  schnell  geringer  wird,  und  zwar  in 
einer  schnelleren  Progression,  als  der  Teilungskoeffizient  grösser  wird. 
Es  wird  natürlich  durch  Olivenöl,  Aethyläther  und  dergleichen 
immer  nur  soviel  von  dem  Narkotikum  aus  einer  Lösung  desselben  auf- 
genommen werden,  als  eine  gesättigte  Lösung  des  Oeles  oder  Aethyl- 
äthers  etc.  mit  dem  Narkotikum  bei  gewöhnlicher  Temperatur  eben 
aufweist.  Wenn  auch  der  Teilungskoeffizient  des  Aethal  zwischen 
Wasser  und  Gel  mehr  zu  Gunsten  des  Oeles  liegt,  als  z.  B.  bei  Aethyl- 
alkohol,  so  hat  doch  die  gesättigte  Lösung  des  Aethals  in  Wasser  keine 
narkotische  Kraft,  weil  die  absolute  Löslichkeit  desselben  in  Gel  oder 
Lecithin -Chol est eringemisch  bei  gewöhnlicher  Temperatur  eine  zu 
geringe  ist.  Ganz  ähnlich  zeigen  sich  höhere  Glieder  anderer  homo- 
loger Reihen.  So  sehen  wir,  dass  das  Phenanthren  in  kaltem  Aethyl- 
aether,  Oel,  etc.  schon  bei  Zimmertemperatur  leicht  löslich  ist,  da- 
gegen ist  das  mit  demselben  isomere  Anthracen  nicht  in  diesen  Stoffen 
bei  derselben  Temperatur  löslich.  Folglich  wirkt  das  Phenantren 
narkotisch,  nicht  aber  das  isomere  Anthracen,  obgleich  bei  beiden 
Körpern  der  Teilungskoeffizient  zwischen  Wasser  und  Oel,  oder  Wasser 
und  Aether  stark  zu  Gunsten  des  Oeles  und  Aethers  ausfällt.  Daher 
ist  es  ganz   besonders  zu  beachten,    dass   selbst  eine    ganz  geringe   Lös- 


-     122     — 

lichkeit  eines  Körpers  in  Wasser  nicht  der  narkotisclien  Wirkung  ent- 
gegenstellt, wenn  der  Körper  nur  in  Bezug  auf  Oel  oder  Aether  schon 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  eine  hohe  Löslichkeit  zeigt.  Und  hat 
der  Körper  die  Eigenschaft,  sich  in  Oel  und  Aether  zu  lösen,  so  löst 
er  sich  auch  in  den  Lecithin-Cholesteringemischen  in  der  Gang- 
lienzelle. So  sehen  wir,  dass  Phenantren,  welches  sich  im  Wasser 
erst  bei  einem  Verhältnis  von  1  :  300000  bis  1  :  700000  löst,  in  einer 
Konzentration  von  1:1500000  vollständige  Narkose  hervorruft.  Es 
gibt  aber  eine  Grenze,  und  dieselbe  ist  dann  gegeben,  wenn  die  Lös- 
lichkeit des  Körpers  im  Wasser  unter  1  :  100000  sinkt.  In  solchen 
Fällen  tritt  die  Narkose  relativ  langsam  auf,  denn  das  Blutplasma  kann 
dem  Gehirn  bei  jedem  Kreislauf  nur  sehr  geringe  Spuren  des  Stoffes 
zuführen,  und  es  erhält  somit  auch  das  Lecithin-Cholesteringemisch 
der  Ganglienzellen  nur  sehr  langsam  kleine  Mengen  aufgespeichert, 
welche  nicht  ausreichen,  um   Narkose  zu  beAvirken. 

Wenn  wir  nun  die  Ergebnisse  der  näheren  Untersuchungen  0 ver- 
ton s  über  die  einzelnen  Narkotika  kurz  zusammenfassen,  so  werden  wir 
die  Resultate  finden,   die  er  folgendermassen   angiebt: 

I.  „Die  Narkotika  lassen  sich  dn  zwei  Hauptgruppen  einteilen, 
in  die  indifferenten  und  die  basischen,  welche  aber  beide  unter- 
ein an  d  er  U  e  b  e  r  g  ä  n  g  e   aufweisen. 

IL  Alle  Narkotika  dringen  mehr  oder  weniger  leicht  in  die  un- 
versehrten Pflanzen-  und  Tierzellen  ein,  die  grosse  Mehrzahl  derselben 
ausserordentlich  schnell.  Ebenso  können  sie  aus  den  lebenden  Zellen 
leicht  wieder  heraustreten,  sobald  die  Konzentration  des  Narkotikums 
in  dem   umgebenden  Medium   erniedrigt  wird. 

III.  Die  indifferenten  Narkotika  wirken  in  erster  Linie  in  der 
Weise,  dass  sie  in  die  Lecithin-  und  Cholesterinartigen  Bestand- 
teile der  Zellen  übergehen,  und  hierdurch  den  physikalischen  Zu- 
stand dieser  Gemische  so  verändern,  dass  sie  entweder  selbst  ihre 
normalen  Funktionen  innerhalb  der  Zelle  nicht  mehr  vollziehen  können, 
oder  störend   auf  die  Funktionen  andei-er  Zellbestandteile  wirken 

IV.  Die  narkotische  Kraft  eines  indifferenten  Narkotikums 
ist  ganz  vorwiegend  bestimmt  durch  die  Grösse  seines  Teilungs- 
koeffizienten zwischen  Wasser,  und  den  wässerigen  Säften  des  Orga- 
nismus, und  den  Lecithin-Cholesteringemischen  als  Lösungs- 
mittel. 

V.  Dem  Satze  IV  entsprechend,  nimmt  in  den  verschiedenen 
homologen  Reihen  die  narkotische  Kraft  einer  Verbindung  mit  der  Länge 
ihrer  Kohlenstoff  kette  zunächst  schnell  zu.  Wenn  aber,  wie  bei 
den  höchsten  Gliedern  der  Ketten,  die  absolute  Löslichkeit  in  den 
Lecithin-Cholesteringemischen  unter  ein  bestimmtes  Minimum  sinkt,  kann 
die  Verbindung  nicht  mehr  als  Narkotikum  dienen,  trotz  der  ausser- 
ordentlichen Grösse  ihres  Teilungskoeffizienten,  zwischen  Lecithin-Cho- 
lesterin  und  Wasser. 

VI.  Von  den  isomeren  Alkoholen,  Estern  etc.  ist  die  Verbindung 
mit  der    am:  wenigsten  verzweigten  Kette  das   stärkste,   die   Verbindune; 


-     128     - 

mit  der  am  meisten  verzweigten  Kolilenstoff'kette,  das  schwächste  Nar- 
kotikum,  was   wieder   eine   Folge  von   Satz  IV   durstellt. 

VII.  Der  Eintritt  einer  Hydroxylgruppe  in  ein  Molekül  an 
Stelle  eines  Wasserstoff-  oder  Halogen- Atoms,  setzt  die  narko- 
tische Kraft  der  Verbindung  stark  herab,  was  in  noch  potenzier- 
terem  Maasse  für  den  Eintritt  von  zwei  oder  mehr  Hydroxylgruppen 
in  das  Molekül  gilt.  Wird  aber  der  Wasserstoff  der  Hydroxylgruppen 
durch  eine  Alkylgruppe  ersetzt,  so  fungieren  die  entstehenden  Ver- 
bindungen Avieder  als  starke  Narkotika.  Auch  die  Phenoläther 
sind  starke  Narkotika.  Diese  Aenderungen  in  der  narkotischen  Kraft 
einer  Verbindung  nach  verschiedenen  Substitutionen,  stehen,  ebenfalls 
mit  Satz  IV  in   Zusammenhang. 

VII.  Die  stärksten  Narkotika  sind  die  Verbindungen,  die  gleich- 
zeitig eine  sehr  geringe  Löslichkeit  in  Wasser  mit  einer  sehr  hohen 
Löslich keit  in  Aether,  Olivenöl,  oder  strenger  genommen,  in  den 
Lecithin-Cholesteringemischen  kombinieren.  Phenantren,  z.  B. 
das  erst  in  ca.  300  000  Teilen  Wasser,  aber  in  Olivenöl  leicht  löslich 
ist,  narkotisiert  Kaulquappen  noch  in  einer  Konzentration  von  1 :  1500000, 
Chloroform   erst  in   einer  Konzentration  von   1:6000. 

IX.  Aether  und  Chloroform  narkotisieren  Menschen,  Säugetiere, 
Kaulquappen  und  Entomostraken  bei  ungefähr  derselben  Konzen- 
tration in  dem  Blutplasma  (Aether  1:400,  Chloroform  1:4500  bis 
1:6000).  Wahrscheinlich  wird  dasselbe  annähernd  der  Fall  sein,  bei 
anderen  reiner  wirkenden,  d.  h.  von  Nebenwirkungen  freien,  indifferenten 
Narkotika.  Dagegen  werden  die  verschiedenen  Gruppen  der  Würmer 
meistens  erst  von  den  doppelten  bis  dreifachen  Konzentrationen 
der  indifferenten  Narkotika,  als  die  zur  Narkose  der  Kaulquappen  er- 
forderlichen, narkotisiert.  Zur  Narkose  von  Pflanzeuzellen,  Proto- 
zoen, Flimmerzellen  etc.  sind  meistens  6 — 10  fach  höhere  Konzen- 
trationen der  indifferenten  Narkotika  erforderlich,  als  zur  Narkose  von 
Kaulquappen.  Nur  bei  solchen  indifferenten  Narkotika,  die  in  Wasser 
leichter  löslich  sind,  als  in  Olivenöl,  wie  z.  B.  bei  Methyl-  und  Aethyl- 
alkohol,  oder  bei  Aceton,  ist  der  Unterschied  dieser  Konzentrationen 
bedeutend  geringer. 

X.  Amphibien,  Insekten  etc.  werden  unter  gewöhnlichen 
Bedingungen  bei  einem  bedeutend  geringeren  partiellen  Drucke 
der  flüchtigen  indifferenten  Narkotika  in  der  Inspirationsluft  vollständiger 
narkotisiert,  als  Säugetiere  oder  Vögel.  Diese  Erscheinung  hängt 
damit  zusammen,  dass  bei  einem  gegebenen  partiellen  Druck  der 
Narkotika  das  Blut  viel  grössere  Mengen  von  dem  Narkotikum  bei 
niedriger,   als  bei  höherer  Temperatur  aufnimmt. 

XL  Die  organischen  Antiseptika  (Karbolsäure,  die  Kre- 
sole,  Thymol  etc.)  stimmen  mit  den  indifferenten  Narkotika 
darin  überein,  dass  sie  äusserst  leicht  in  die  lebenden  Zellen  ein-, 
und  austreten,  sie  gehen  auch  z.  B.  in  die  Lecithin-Cholesterin- 
gemische  über,  besitzen  aber  ausserdem  die  Fähigkeit,  mit  den  Zellen- 
2)roteinen  Verbindtingen  einzugehen.  Zwischen  indifferenten  Narkotika 
und  Antiseptika   sind   alle   denkbaren  Verbindungsglieder  vorhanden. 


—     124     — 

Vielfacli  handelt  es  sich  blos  um  die  Konzentrationsfrage,  ob  eine  Ver- 
bindung als  Narkotikum,  oder  Antiseptikum  zu  bezeichnen  ist.  Auch 
die  Antipyretika  und  indifferenten  Narkotika  sind  dxu'ch  Ueber- 
gänge  mit  einander  verbunden. 

XII.  Die  typischen  basischen  Narkotika,  und  die  Alkaloide 
überhaupt,  scheinen  salzartige  Verbindungen  mit  den  Zellenproteinen 
einzugehen,  Verbindungen,  die  sich  im  Zustande  der  Dissociation 
befinden,  und  durch  Herabsetzen  der  Konzentration  der  betreffenden 
freien  Basen  im  Blutplasma  weiter  dissoziert  werden.  Die  Gleichge- 
wichtszustände werden  aber  bei  der  Entgiftung  im  allgemeinen  viel 
langsamer  erreicht,  als  bei  den  indifferenten  Narkotika.  Die  meisten 
basischen  Verbindungen  von  sehr  geringer  Alkaleszenz  wirken, 
wenigstens  bei  Kaulquappen,  hauptsächlich  nach  der  Art  der  indiffe- 
renten Narkotika. 

Es  geht  also  aus  den  angeführten  Betrachtungen  von  0  verton  u. 
Meyer  hervor,  dass  dieselben  den  Hauptangrififspunkt  der  Narkotika 
in  die  Lecitin-Cholesterin  gemische  der  Zellen  legen.  Der  physi- 
kalische Zustand  dieser  wird  durch  das  Narkotikum  geändert,  sodass 
die  Lecithin-Cholesteringemische  nicht  mehr  im  Stande  sind,  ihren  Funk- 
tionen in  der  Zelle  nachzukommen,  oder  dass  sie  die  Tätigkeit  anderer 
Verbindungen  in  der  Zelle  stören.  Eine  Haupteigenschaft  der  Lecithin- 
Cholesteringemische  ist  die  Tätigkeit  derselben,  durch  welche  die  os- 
motischen Eigenschaften  der  betreffenden  Zellen  geregelt  werden. 
Nun  müsste  man  untersuchen ,  ob  während  der  Narkose  eine  Verände- 
rung in  den  osmotischen  Vorgängen  der  Zellen  vorhanden  sei.  Dies 
ist  nun  im  allgemeinen  nicht  der  Fall,  nur  bei  sehr  langen  Narkosen, 
welche  noch  lange  nach  der  Entfernung  der  Narkotika  Störungen  in 
den  Zellen  zurücklassen,  wäre  eine  geringe  Aenderung  der  osmoti- 
schen Eigenschaften  möglich.  Dies  dürfte  aber  mehr  bei  direkten 
Zellnarkosen  zu   erwarten   sein   (0 verton). 

Wahrscheinlich  setzten,  nach  den  Erwägungen  Overtons,  die  Nar- 
kotika in  den  Ganglienzellen  und  deren  Dentriten  den  Reizübertra- 
gungen grosse  Widerstände  entgegen,  welch  letztere  durch  die  Modi- 
fikation des  physikalischen  Zustandes  des  Lecithin-Cho  lesterin- 
gemisches  in  irgend  welcher  für  uns  noch  unbekannten  Weise  hervor- 
gerufen werden.  In  ähnlicher  Weise  wirken  auch  die  basischen  Narko- 
tika, nur  dass  die  Wirkungen  durch  die  Reizwiderstände  auf  eine  andere 
Art  erzeugt  werden.  So  stehen  der  Forschung  in  diesen  Verhältnissen 
in  den  Ganglienzellen,  welche  in  direktem  Zusammenhang  mit  den 
Strnkturverhältnissen  stehen,  noch  weite  Gebiete  für  eifrige  Tätigkeit 
zur  Verfügung.  Es  ist  eine  auffallende  Erscheinung,  dass  nicht  alle 
indifferenten  Narkotika  gleich  wirken,  und  wir  müssen  diese  Verschieden- 
heit auf  Nebenwirkungen  in  der  Zelle  zu.rückführen.  Es  sind  viel- 
leicht noch  andere  Körper  ausser  den  Lecithin-Cholesteringemischen 
vorhanden,   welche   durch  die  Narkotika   einen  Einfluss   erleiden. 

Dass  nicht  alle  Zellen  im  Zentralnervensystem  einem  gleichen 
Einfluss  unterliegen,  ist  auf  die  verschiedene  Verteilung  der  Lecithin- 
Cholesteringemische  in   den   Zellen   zu  beziehen. 


—     125     — 

Wir  haben  luiiimelir  diese  Tlicorie  beendet,  und  können  derselben 
unsere;  Anerkennung  nicht  versagen.  In  vielen  Beziehungen  hilft  uns 
dieselbe  das  Dunkel  zu  erhellen,  -welches  noch  über  jenen  Funktionen 
im  Zentralnervensystem  während  der  Narkose  schwebt,  und  wo  wir  das- 
selbe teilen,  gelingt  es  uns  wohl,  einen  tieferen  Einblick  in  das  rätsel- 
hafte Reich  der  physiologischen  und  pathologischen  Vorgänge 
des  tierischen  Organismus  zu  werfen,  doch  bald  zeigt  sich  uns  wiede- 
rum ein  dichterer  Schleier,  welchen  zu  durchdringen  auch  hiermit  nicht 
möglich  ist.  Wir  sind  weiter  vorgedrungen  auf  einem  dunkeln  Pfade, 
und  ünden  plötzlich  nicht  mehr  weiter,  weil  unser  Licht  nicht  mehr 
genügend  zu  leuchten  vermag.  Aber  immerhin,  es  ist  ein  Schritt 
weiter,  und  wir  verzagen  nicht,  denn  wir  versuchen  von  neuem  zu  dem 
verschlossenen  Reiche  der  Dunkelheit  die  Pforten  zu  öffnen.  Wenn  wir 
in  dem  folgenden  eine  andere  Theorie  bearbeiten  wollen,  so  soll  es  ge- 
schehen, um  eventuell  durch  dieselbe  wieder  einen  Schritt  Aveiter  vor- 
wärts dringen  zu  können.  Wie  weit  dieselbe  uns  in  die  Finsternis 
hineinführen  wird  mit  ihrem  Lichte,  wollen  wir  erproben.  Diese  weitere 
Theorie  ist  von  Schleich  aufgestellt  worden,  und  sie  ist  mit  Genia- 
lität und  Scharfsinn  auf  einem  neuen  Wege  eingeleitet,  und  auf- 
gebaut worden  zu  einem  beträchtlichen  Gebäude.  Li  dem  folgenden 
wollen  wir  uns  mit  ihr  genauer  beschäftigen. 

§  58.  Schleich  geht  bei  dem  Aufstellen  einer  Theorie  über  die 
Narkose  von  der  Psychophysik  aus,  während  bisher  immer  das  Be- 
streben der  Autoren  war,  vom  physiologischen  Einfluss  der  Nar- 
kose aus  zu  gehen.  Schleich  beginnt  mit  dem  Zentralnerven- 
system,  welches  bei  anderen  das  Ende  der  Betrachtungen  ist. 

Wenn  wir  die  Theorie  Schleich's  verstehen  wollen,  müssen  wir 
uns  einige  Einleitungen  gefallen  lassen,  denn  es  scheint  uns  bei  den 
wichtigsten  Theorien  nicht  genügend,  wenn  wir  in  kurzen  Worten  das 
Resultat  erzählen,  sondern  wir  müssen  uns  dasselbe  nach  dem  Gedanken- 
gange  des  Autors   entwickeln,    um   ein  tieferes  Verständnis  zu   erlangen. 

§  58a.  Man  nimmt  bei  der  entwicklungsgeschichtlichen  Lehre 
eine  Reihe  von  Stufen  an,  welche  der  tierische  Organismus  nach  und 
nach  ersteigt.  Es  war  in  der  ursprünglichen  Zeit  eine  Einheit  vor- 
handen, von  der  alles  seinen  Anfang  nahm,  und  wie  durch  eine  ver- 
schiedene Gruppierung  des  Atomes  verschiedene  Zustände  desselben 
Körpers  entstehen,  so  sind  auch  in  der  Entwickelung  durch  eine  ver- 
schiedene Stellung  des  ursprünglichen  Punktes  Modifikationen  desselben 
entstanden.  Nehmen  wir  als  Ausgangspunkt  für  unsere  Betrachtungen 
eine  Zelle  an.  Dies  ist  schon  ein  sehr  weit  vorgeschrittener  Ent- 
wickelungszustand  in  der  Natur,  denn  zu  dem  Leben  der  Zelle  sind 
schon  komplizierte  Verhältnisse  notwendig.  Diese  Urzelle  ist  der  An- 
fang für  den  Organismus,  sie  stellt  das  Modell  dar,  für  unsere 
Zelle.  Nur  muss  man  nicht  denken,  eine  Zelle  aus  dem  Gewebe 
eines  Organismus  entnommen,  stelle  die  Urzelle  dar.  Sie  ist  wohl 
ähnlich,  doch  dasselbe  ist  sie  nicht,  denn  sie  hat  ja  ganz  andere 
Lebensbedingungen.  Diese  lebt  im  Konnex  mit  anderen,  und  es  ist 
schon    eine   Art  Arbeitsteilung  unter   den  Zellen  eingetreten,    jene   aber 


—     126     - 

war  lediglich  auf  sich  selbst  angewiesen  in  einer  ganz  anderen  Um- 
gebung. Mit  der  Teilung  der  Zelle  traten  nun  andere  Verhältnisse 
auf,  und  es  bildete  sich  mit  dem  weiteren  Fortschreiten  ein  immer  an- 
derer Zustand,  und  eine  neue  Verbindung  der  Einzelwesen.  So  ent- 
standen aus  einzelnen  Zellen  Individuen,  und  aus  den  Individu.en 
bildeten  sich  Arten  etc.  Die  erste  Lebensäusserung,  die  Irrita« 
bilität  entwickelte  sich  entsprechend  den  Oi'ganismen  weiter  während 
einer  Ej)oche,  die  nach  unseren  Begriffen  ungeheuer  gross,  weil  wir 
sie  auf  unser  kurzes  Leben  beziehen,  die  aber  im  Verhältnis  zum  Ent- 
wickelungsvoi'gang  klein  erscheint.  Und  wie  sich  im  Laufe  der  Zeiten 
die  Organe   differenzierten,   entsprechend  den  Leistungen  des  Orga- 


Fig.  3.    Mikroskopischer  Durchschnitt  der  Hirnrinde.    (Schemat.  nach  Schleich.) 

I,  Höchste  Ganglienschicht   mit  unregelmässigen,    atypischen  kleinen!  Ganglien. 

II.  Schicht  der  kleinen  und  grossen  Pyramiden. 

III.  und  IV.  Schicht  der  automatischen  Gangliensysteme. 

Rot:  Die  Neuroglia  und  ihre  Zellen. 


—     127     — 

nisrnus,  so  wurden  dieselben  mit  dem  weiteren  Fortschreiten  weiter  aus- 
geprägt, und  iln-e  Leistu.ngen  komplizierter.  Entsprechend  dem  Stande  der 
Entvvickelung  zeigte  sich  übereinstimmend  auch  die  Funktion  der  Organe. 
Und  wie  sich  im  Laufe  der  Perioden  erst  nur  der  Organismus  der  ein- 
fachsten Lebewesen  entwickelte,  so  schritt  derselbe  weiter  in  seinen  Funk- 
tionen, wurde  komplizierter,  und  wo  sich  erst  nur  eine  Vitalität  als  einzige 
sichere  Regung  offenbarte,  so  zeigte  sich  mit  der  Zeit  mehr  Tendenz  die 
Ijebensäusserungen  zu  offenbar.^n.  Mit  dem  weiteren  Fortschreiten  der 
Differenzierung  der  LebeAvesen  erhob  sich  bald  eines  über  das  andere, 
nicht  nur  an  Vorzug  der  körperlichen  Funktionen,  sondern  es  zweigte  sich 
ein  neuer  Teil  des  Individuums  in  seinen  Ursprüngen  ab,  der  das  ur- 
eigene innere  Wesen  über  die  anderen  hervorhob,  und  sich  als  geis- 
tige Eigenschaft  zeigte.  So  rollen  die  Bahnen  des  Lebens  weiter  in 
steter  Entwickelung  des  Organismus  fortfahrend,  und  es  ist  in  der 
jetzigen  Entwickelungsepoche  hauptsächlich  die  Entwickelung  des  Geistes, 
die  in  der  Entfaltung  der  Eigenschaften  des  Menschen  den  Fortschritt 
darstellt.  Und  die  höheren  Vorgänge,  welche  sich  in  geistiger  Hinsicht 
offenbaren,  haben  ihren  Ort  in  dem  Zentralnervensystem,  und  die 
momentan  am  Aveitesten  vorgeschrittene  Differenzierung  hat  ihi-en 
Sitz,  wo  sie  sich  abspielt,  in  den  Ganglienschichten  der  obersten 
Teile  der  Hirnrinde,  in  den  Sphären  des  Bewusstseins.  Unser 
Bewusstsein  ist  aber  nicht  die  Summe  aller  Tätigkeiten,  es  ist 
nicht  das  höchste  im  geistigen  Leben,  sondern  dasselbe  stellt  nur  einen 
Uebergang  dar  zu  anderen,  uns  noch  unbekannten  geistigen 
Erscheinungen.  In  der  ganzen  Substanz  der  Hirnrinde  haben  wir 
mehrere  Schichten  zu  linden,  vergl.  Fig.  3,  die  erste  Schicht  ist 
diejenige,  welche  wir  als  oberste  Ganglienschicht  bezeichnen  können, 
und  welche  Ganglienzellen  von  ganz  unregelmässigera  Bau  aufweist. 
Die  einzelnen  Zellindividuen  dieser  Schicht  zeigen  einen  Bau,  Avelcher 
den  amöboiden  Körpern  mit  uni-  und  multipolaren  Fortsätzen 
des  Protoplasma's  fast  gleich  erscheint,  es  ist  kein  bestimmter  Typus 
unter  den  Zellen  zu  finden,  sondern  dieselben  scheinen  mehr  den  ein- 
fachen Grundformen  des  Lebens  zu  gleichen,  und  so  einen  Rück- 
schritt zu  bedeuten,  vergl.  Fig.  4.  Achsenzylinderforts  ätze  und 
Protoplasmafortsätze  sind  schwer  an  diesen  Zellen  zu  unterscheiden, 
die  Fortsätze  sind  überall  von  wohl  ausgebildeten  Nervenfasern  um- 
geben mit  kleinen  kolbigen  Franzen  bedeckt,  die  aus  den  tieferen 
Schichten  stammen.  Von  dieser  oberen,  oder  höchsten  Ganglien- 
schicht, kommen  wir  auf  die  zweite  Schicht,  deren  Ganglienzellen 
einen  viel  ausgeprägteren  Bau  zeigen,  und  pyramidenartig  mit 
Fortsätzen  gebaut  sind,  deren  Achsenzylinderfortsatz  als  eigentliche 
Leitungsbahn  deutlich  als  selbständiger  Fortsatz  gegenüber  den 
Protoplasmafortsätzen  zu  erkennen  ist.  Die  Ganglienzellen  haben  die- 
selbe Richtung  in  ihrer  Anordnung,  und  zeigen  eine  Gleichmässig- 
keit  in  ihrer  Gesamtheit.  Kommen  wir  nun  von  dieser  mittleren 
Schicht  weiter  zu  der  dritten  Schicht,  so  sehen  wir  hier  viel  grössere 
Zellen,  als  in  der  zweiten,  und  dieselben  sind  noch  deutlicher  gleich- 
artig gelagert,   pyramidenförmig  konstruiert.      Die   Achsenzylin- 


128 


Fig.  4.     I.  Das  belebte  Protoplasma,  Urform  des  Lebens  darstellend. 

II.  Granglienzelle. 

III.  Ganglienzelle  mit  gefranzten  Protoplasmafortsätzen. 

(Nach  Schleich  gezeichnet.) 


-     129     - 

der  beider  Seil  ich  ten  verlaufen  teilweise  alle  nach  der  Tiefe  zu,  und 
reichen  mit  ihren  bäum  form  igen  Verästelungen  bis  aufwärts  in 
die  oberste  Zellschicht  hinein,  avo  wir  die  kolbenförmigen  Endi- 
gungen schon  erwähnten.  Unter  diesen  grossen  Pyramidenzellen 
haben  wir  eine  Schicht  kleinerer  Zellen,  welche  mit  ihren  baum- 
artigen Fortsätzen  ein  sehr  grobes  Netz  bilden,  tmd  deutliche,  nach 
allen  Richtungen  hin  verlaufende  Fortsätze  mit  Achsenzylindern 
zeigen.  Die  letztex'en  sind  sehr  scharf  gezeichnet,  und  lösen  sich  vor 
allem  sehr  bald  nach  ihrem  Verlauf  in  ein  ungeheuer  feines,  und 
nach  vielen  Seiten  deutlich  zu  verfolgendes  Netz  von  Fasern  auf, 
wodurch  sie  deutlich  als  ein  selbständiges,  organisiertes  Gebilde  von 
den  Zellen  der  obersten  Schicht  unterschieden  werden.  Siehe  Fi- 
gur 3   und  5. 


Fig.  5.     Verhältnis  zwischen  Neurogiia  (rot)    und  Protoplasmafortsätze. 

(Schematisch.     Nach  Schleich  Schmerzl.  Operat.) 

A.  Oberste  gegen  die  Pia  mater  isolierende  Gliaschicht. 

B.  Schicht  der  tangentialen  Fasern  zur  Verbindung  zerstreuter  Rindenganglien- 

systeme. 

C.  Oberste  Ganglienschicht  (psychosensible  Seht)    mit  der  Möglichkeit  der 

Hemmung  durch  jVeuroglia-Erregung. 

D.  Pyramidenzellen  (Apperceptionsganglien). 

E.  Achsencylinderfortsätze. 

F.  Neuroo-liafäden  zu  automatischen  Centren  leitend. 


Wenn  wir  uns  nun  mikroskopisch  ein  menschliches  Zentralnerven- 
system betrachten,  so  sehen  wir,  wie  von  unregelmässigem  Baue  äusser- 
lich  das  Grosshirn  sich  vom  Kleinhirn  oder  der  Medulla  oblong, 
unterscheidet.  Die  Masse  des  Grosshirns  ist  von  grosser  Weichheit, 
zart,  hat  eine  gelatineartige  Beschaffenheit,  während  die  anderen  Teile 
des   Zentralnervensystems   eine    festere    Form   zeigen,    imd   eine  grössere 

9 


-     130     - 

Derbheit  und  Härte  des  Baumaterials.  Dieses  ist  vielleicht  als  ein  Zeichen 
aufzufassen,  dass  hier  noch  die  Entwickelung  auf  einer  niedereren  Stufe 
steht,  als  dort,  dass  wir  es  hier  noch  mit  etwas  nicht  fertigem  zu  tun 
haben.  Darin  mag  vielleicht  auch  schon  jene  schwankende  äussere 
Form,  welche  bei  dem  so,  bei  jenem  so,  hier  mit  deutlicheren  Win- 
dungen, dort  mit  undeutlicheren,  seinen  noch  nicht  ganz  beendeten  Ent- 
wickelungsgang  zeigt,   begründet   sein.     Hierüber  sagt  Schleich  selbst: 

„Datür  haben  wir  aber  zahlreiche  ähnliche  Vorgänge  auch  sonst  im 
Körper.  Der  weichen,  in  der  Zeichnung  unsicheren  Form  der  Milz,  des 
Knochenmarkes,  der  Lymphdrüsen  mit  dem  wenig  ausgesprochenen  inneren 
Bau  entspricht  ein  physiologisch  immer  erneuter  Wandel  und  "Wechsel  der 
Elemente,  ja  das  weichste  Gewebe  des  Körpers,  das  Blut,  ist  auch  zugleich  das 
schwankendste  und  veränderungsfähigste  Element  des  Leibes.  Ich  scheue  mich 
nicht,  den  Satz  auszusprechen,  dass,  je  fester  ein  Gewebe  ist,  um  so  klarer  ge- 
reift, um  so  sicherer  ausgeprägt,  um  so  weniger  wandlungsfällig  erscheint  uns 
auch  sein  inneres  Gelüge,  und  sein  physiologischer  Anteil  an  der  allgemeinen 
Arbeitsteilung  des  Organismus." 

„Es  macht  sich  aber  auch  in  dem  mikroskopischen  Aufbau  des  Gehirnes 
deutlich  erkennbar,  dass  immer  mehr  nach  der  Tiefe  die  Differenzierung  der 
einzelnen  Elemente  eine  höhere  wird,  die  Ausgeprägtheit  der  einzelnen  Form 
und  Lage  der  Teile  zu  einander  wird  immer  deutlicher,  je  mehr  man  rück- 
wärts durch  die  radiäre  Ausstrahlung  der  Hirnkappe  über  das  Kleinhirn, 
die  Med u IIa  oblongata  in  das  Rückenmark  gelangt.  Mikroskopisch  aber 
finden  wir  vom  Rückenmark  über  die  Medulla  oblongata,  Kleinhirn,  und  Mittel- 
hirn her  eine  gegenüber  den  Elementen  des  Grosshirns  leicht  analysierbare 
Anordnung  der  Zellen,  eine  gewisse  Konstanz  ihrer  Verbindungen,  sowohl 
unter  einander,  als  mit  anderen  Teilen  des  Zentralapparates,  vermittels  eines 
fast  typischen  Faserverlaufsystems.     Vergleich.  Fig.  6. 


Fig.  6.     Mikroskopischer  Durchschnitt  der  Kleinhirnrinde.     (Schemat.^ 
(Xach  Schleich.)     Symmetrie  der  Teile  und  Automatic  der  Funktion. 


—     131     — 

Diese  Tatsache,  dass  die  Anordiiiiiig,  Gruppierung  der  Teile  mit  ihrer 
mehr  typisclien  liegelmässigkeit  und  Symmetrie  in  der  Medulla  aufwärts  zur 
Grrosshirnrinde  in  den  gangliüsen  Partien  immer  weniger  deutlich  wird,  um  in 
den  obersten  Hirnlagern  völlig  regellos,  atypisch,  und  polymorph  zu  werden, 
ist  für  uns  der  Ausdrii<;k  eines  entwicklungsgeschichtlichen  Faktums  von  weit- 
tragender Bedeutung.  Hieraus  entnimmt  man,  dass  der  Uebergang  von  auto- 
matischer Coordination  der  nervösen  Funktionen  bis  in  die  Sphären  der  Sinnes- 
wahrnehmungen und  jene  der  aperceptiven  psychischen  Vorgänge  ein  all- 
mähliger  ist,  dass  also  die  instinktiven  Fähigkeiten  des  Menschen  in  die  be- 
wussten  Empfindungen  hinüberreichen,  und  dass  ein  prinzipieller  Gegensatz 
zwischen  Bewusstem,  und  Unbewusstem  nicht  existiert,  dass  aus  den  erwor- 
benen instinktiven  und  automatischen  Fähigkeiten  durch  immer  fortschreitende 
Differenzierung  an  der  entwicklungsgeschichtlichen  Peripherie  des  nervösen 
Zentralapparates  sich  die  Bewusstseinsvermittlung  herausgebildet  hat.  Dieser 
Vorgang  kommt  niemals  zum  Stillstand:  auch  für  das  Bewusstsein  dieser 
Menschheitsepoche  ist  es  denkbar,  ja  wahrscheinlich,  dass  sich  sein  Problem- 
leben zur  instinktiven  Regulation  aller  augenblickliehen  Daseinspostulate  um- 
bildet, dass  das,  was  heute  zweifelhaft,  strittig,  unsicher,  ungewiss  ist  (die 
Probleme  der  Ethik,  Religion,  Kunst,  Physik),  dereinst  seine  instinktive  Lösung, 
wie  beispielsweise  das  sozialpolitische  Problem  bei  den  Termiten  gelöst  er- 
scheint, finden  werde."  (Schleich). 

Hieraus  können  wir  folgern,  dass  alles,  was  wir  jetzt  unbewusst, 
instinktiv  tuen,  früher  von  uns  bewusst  getan  wurde,  indem  wir 
durch  unsere  vitale  Notwendigkeit  dazu  gezwungen  wurden.  So  hat 
sich  alles,  was  jetzt  im  Organismus  unbewusst  geschieht,  erst,  als  wir 
auf  einer  Stufe  uns  befanden,  wo  die  Verhältnisse  andere  waren,  und 
wir  selbsttätig  die  Funktion  der  Organe  regulierten,  von  dieser  Willens - 
Unterwerfung  frei  machen  müssen  durch  die  Zeit,  in  der  infolge 
weiterer  Differenzierung  jene  Willensimpulse  unnötig  wurden.  Und 
in  dieser  Zeit  der  weiteren  Differenzierung  rückte  immer  stufen- 
weise einmal  eine  Schicht  von  Ganglienzellen  in  eine  niedere 
Region,  indem  an  ihre  Stelle  andere  traten,  und  die  Tätigkeit  in  anderer 
Hinsicht  entfalteten.  Auch  unser  Bewusstsein  wird  von  nichts  anderem 
dargestellt,  als  von  jenem  in  der  Entwickelung  am  weitest  vorgescho- 
benen Teile  des  nervösen  Organes,  welche  Teile  momentan  in  Differen- 
zierung begriffen  sind,  und  nach  einer  bestimmten  Zeit,  wenn  ihre 
Differenzierung  soweit  vollendet  ist,  wieder  durch  andere  ersetzt  werden; 
und  die  bewussten,  jetzigen  Funktionen  sind  in  Zukunft  durch  auto- 
matische, .unbewusste  ersetzt.  In  diesen  obersten  Schichten 
der  Hirnrinde  ist  ständig  rege  Tätigkeit  vorhanden,  hier  müssen 
Systemregulierungen  Platz  greifen,  hier  muss  das,  w^as  definitiv 
gewonnen  und  festgesetzt  ist,  nun  auch  bewahrt  .werden,  damit  ein 
Ausgleiten  aus  den  bestimmten  Bahnen  nicht  vorkommt;  dies  ist  ein 
Teil  unserer  Seele,  welcher  die  schwächste,  irrtumreicbste,  un- 
sicherste Phase  derselben  darstellt.  Das,  was  durch  unsere  Perzep- 
tion  festgesetzt  und  zweckmässig  geworden  ist,  das  kann  sich  nicht 
mehr  irren,   das   arbeitet  dann  in  sicheren  Bahnen  weiter! 

§  58b.  Es  ist  nun  die  Frage,  Avodurch  die  Wandlung  des  Be- 
wussten in  Unbewusstes  geschieht.  Es  ist  anzunehmen,  dass  ein 
hemmender  Apparat  besteht,  ein  sogenannter  Isolationsmecha- 
nismus, für  die  einmal  gewonnenen  und  festgesetzten  Verbindungen 
der   Ganglienzellen    unter    sich.      Allein,     ein    solcher  Apparat    ist  noch 

9* 


-     132     - 

nicht  nachgewiesen  worden,  und  Schleich  macht  dafür  den  Umstand 
verantwortlich,  dass  man  bisher  nach  dem  Vorbilde  Virchow's  die 
Neuroglia  nur  als  eine  Art  von  BindegeAvebe  auffasste.  Man  muss 
l'a  für  bestimmte  Teile  zugeben,  und  mit  vollem  Recht  sagen,  dass  die 
Neuroglia  ein  Stützgewebe  darstellt,  doch,  man  hat  auch  ein  Recht 
mit  Schwalbe,  v.  Bardeleben,  Schleich  anzunehmen,  dass,  neben 
den  Stützungs-  und  Festigungseigenschaften,  derselben  auch 
noch  andere  mehr  mit  den  Funktionen  der  in  ihr  ruhenden  nervösen 
Elemente  verwandte  Eigenheiten  beizumessen  sind.  Nun  ist  es 
aher  nach  Sclileich  nicht  mehr  zu  leugnen,  dass  die  Neuroglia  mit 
dem  Bindegewebe  nichts  zu  tun  hat,  sondern,  „es  ist  dieselbe 
aufzufassen,  als  eine  spezifische  geformte  Masse  mit  nach- 
weisbarem Zusammenhang  mit  den  Uranfängen  und  den  Ur- 
lagern  der  primitiven  Nervenzentren".  „Die  Neuroglia  ist 
vielleicht  der  regulierende,  systemhemmende,  Leitungsbahnen 
eindämmende,  entwirrende,  und  gruppierende  Isolationsme- 
chanismus,   ohne  welchen   weder  die   Hirnphysiologie,  Psycho lo- 


Fig.   7.     Verhältnis  der  Neuroglia  zu  den  Protoplasmafortsätzen. 

(Nach  Schleich.     Schmerzlose  Operat.) 

A.  Ganglienzelle  der  höchsten  Schicht.     B.  Neurogliazelle  mit  Netzwerk. 

C.  Achsenzylinderfortsätze.     D.  Rückwärtsverbindung  der  Neuroglia 

mit  automatischen  Centren. 

Die  Neuroglia    umgiebt  die  Verzweigungen    der  Protoplasmafortsätze    dicht   in 

allen  Verzweigungen,  ebenso  die  Zelle  selbst.    Die  Neuroglia  ist  rot  gezeichnet. 


—     183     - 

g'iG,  noch  die  Psychiatrie  auszukommen  vennag,  innerhalb  welcher 
Disziplinen  überall  mit  einem  durchaus  unrealen,  rein  phantastischen 
Hemmving-smechanismus  gearbeitet  Avird,"  um  mit  den  Worten  Schleich's 
zu  sprechen.  Wenn  nun  diese  Annahme  der  Funktion  der  Neuro- 
glia  verständlich  werden  soll,  so  liegt  der  Vergleich  derselben  mit  Iso- 
lationsmassen bei  der  Elektrizität  nahe.  Und  ganz  so  isoliert  die 
Neuroglia  die  Zellen  und  verschiedenen  Bahnen,  indem  sie  die 
Ganglienzellen  und  Nervenfasern  etc.  umspinnt,  und  verhindert,  dass 
von  einer  Nervenbahn,  wenn  wir  elektroide  Spannungen  und  Ströme 
in  den  Nervenzellen  etc.  annehmen,  der  betrefiende  Strom  in  andere 
Bahn  überspringen  kann.  Vergleiche  Figur  7.  Wenn  man  bisher 
annahm,  dass  Aktion  und  Nichtaktion  in  denselben  Systemen  selbst 
ausgeführt  würden,  dass  die  Zelle  selbst  aktiv,  und  wieder  hemmend 
sich  zeige,  so  ist  doch  die  Annahme  eines  dritten,  besonderen  Isola- 
lationsm  echanismus  viel  mehr  wahrscheinlich,  und  eine  Hemmung 
ist  unbedingt  nötig,  sonst  würden  die  Assoziationen  im  Grosshirn 
jeden   Moment  in   allen  Richtungen   aufgelöst  werden. 

So  erklärt  infolgedessen  Schleich  das  Denken  als  nichts  anderes, 
„als  die  transformierte  Irritabilität  der  lebendigen  Materie, 
indem  auch  die  höchsten  Orientierungsvorgänge,  (Gehirnzellenreaktion 
auf  Aussenweltwirkungell)  vermittels  dieser  Hemmung  ihre  arterhaltende 
Regulation  von  den  Uranfängen  differenzierter  Nerventätigkeit,  von  dem 
Sympathikus   her  erhalten." 

Die  Untersuchungen  von  Andriezen    rechtfertigen  diese  Theorie, 


Fig.  8.    a.  Protoplasmazelle  der  Neuroglia,  in  der  grauen  Hirnrinde  vorkommend 

(zur  Isolation    der  Ganglienzellen),     b.  Geiässverbindung    der    aktiven  Neurog- 

liazelle.     (Nach  Andriezen.)     c.  Blutgefäss. 


—     134 


und  nach  ihm  besteht  die  Neuroglia  aus  2  von  einander  verschie- 
denen Elementen  zelliger  Natur,  nämlich  den  Protoplasmazellen 
mit  vielfachen  dentritischen  Fortsätzen,  und  den  Faserzellen, 
geschwänzte  und  Sternfasern,  deren  Substanz  in  mehr  oder  minder 
von  einander  isolierte  glatte  Faserfortsätze  gelöst  ist.  Vergl.  Fig.  8  u.  9. 
Die  Protoplasmazellen,  Fig.  8,  sind  von  eigenartigem,  moos- 
artigem Bau,   zahllose  Fortsätze   gehen  von  ihnen   aus,  und  einer  dei'- 

selben  steht  stets  durch 
eine  platte  Ausbreitung  mit 
einem  Gefäss  in  Verbin- 
dung. Sie  finden  sich  meist 
da,  wo  der  Ganglien- 
a  p  p  a  r  a  t  vorhanden  ist,  in 
der  Rinde  des  Gross- 
hirns etc.;  die  perivasku- 
lären Lymphräume 
setzen  sich  direkt  durch 
den  Fortsatz  in  die  Zelle 
fort  und  umhüllen  ihre 
Gesamtstruktur.  Dadurch, 
dass  nachgewiesen  ist,  dass 
diese  Zellen  überall  da 
sind,    wo   nervöse  gangliöse 

Fig.  9.    Neuroglia-Faserzelle  der  Marksubstanz      Elemente     vorhanden     sind, 

oder  weissen  Masse  des  menschlichen  Gehirns,      und  dass  dieselben  von   den 

(Nach  Andriezen-Schleich).  nervartigen   Fortsätzen 

quasi     umsponnen    werden, 
wird    der  Einfluss   der  Neuroglie  sehr  wahx'scheinlich  gemacht. 

Die    andere  Art    der  Zellen,    die  vielfach  gekreuzte    Faserkom- 


Fig.  10.    Sieben  geschwänzte  Neurogiia-Faserzellen  der  ersten  Lage  der  mensch- 
lichen  Rinde    (Knotenpunkt    assozierter    Leitungsbtränge).       (Nach     Schleich- 

Andriezen.) 


—     135     - 

plcxe  darstellen,  verg'l,  Fig.  9  und  10,  finden  sich,  wo  meist  nervöse 
Strangapparate,  Achsenzylinder,  Assoziationsfasern,  Leitungs- 
drähte vorhanden  sind.  Die  isolierende,  hemmend  wirkende  Neuroglia 
findet  sich  nun  so  verteilt,  dass  sie  in  den  in  entwickeln ngsge- 
schichtlicher  Hinsicht  jüngeren  Teilen  des  Gehirns  weniger 
dicht  vorhanden  ist,  und  somit  übersprungen  werden  kann,  hingegen 
au  den  festen,  geregelten,  automatischen  Bahnen  umhüllt  sie  die 
Stränge  so  dicht,  dass  das  Uebcrspringen  von  Strömen  des  einen 
Systems  auf  ein  benachbartes  unmöglich  ist.  In  dem  ersteren  Be- 
reich, dem  des  Bewusstseins,  muss  eine  Möglichkeit  bestehen,  durch 
aktive  Funktion  der  prGtoj)lasmatischen  Neurogliazellcn  eben  die  Systeme 
unscheinbarer  Willkürlichkeit  abwechsehid  von  einander  zu  isolieren, 
oder  miteinander  zu  verbinden,  während  in  dem  letzteren  Bereiche 
eine  Willkürlichkeit  nicht  herrschen  darf,  und  deshalb  ist  hier  die 
Neuroglia  dichter  und  die  Bahnen  fest  um  seh  liessend  angehäuft. 
Vergh  Fig.   11. 

Da   nun   jede    der    Neurogliamooszellen    mit  je  einem    Blut- 


Fig.  11.     Verhältnis  von  Neuroglia -Protoplasma-  und  Faserzellen  zu  einzelnen 

Granglien-Systemen.     (Nach  Schleich). 

a.    Neuroglia -Isolation  gegen  die  Pia. 

b.    Sternzellen  der  Neuroglia  an  Nervensträngen -Kreuzungspunkten. 

c.    Protoplasmazellen,  Mooszellen  der  Neuroglia. 

d.   Faserzellen  der  Neuroglia. 

f.  g.  h.  i.  k.  ^  Gangliensysteme  der  Rinde. 

(Neuroglia  rot,  Gangliensysteme  schwarz). 


—     136     — 

gefäss  direkt  zusammenhängt,  vergl.  Fig.  8,  so  erklärt  es  sich,  dass 
eine  wechselnde  Blutfülle  in  der  Rinde  so  stai-ken  Einfluss  auf  die 
Tätigkeit  des  Cerebrum  haben  kann,  denn  die  schwankenden  Füllungen 
der  Gefässe  stärken  und  schwächen  ganz  direkt  den  Hemmungs- 
mechanismus der  Zellen  der  Neuroglia.  Füllung  des  Gefäss  es  er- 
zeugt feuchte  Mooszellen  und  so  Hemmung,  während  Trocken- 
heit der  Zelle  die  Tätigkeit  der  Neuroglia  herabsetzt.  „Bei 
gesteigerter  Hemmung"  sagt  Schleich,  „also  bei  Gefässfülle,  Neuroglia- 
aktion,  überwiegt  die  Isolation  die  Erregung,  bei  herabgesetzter  Hem- 
mung, Gefässleere,  Neurogliaschwächung  vermehren  sich  die  Assoziationen, 
und  vermittelt  die  ungehemmte  Erregungsfähigkeit  der  Ganglien  die 
schnelle  Folge  von  Perzeptions -Vorstellung  und  Aktion." 

Die  Regulierung  dieser  Funktion  ist  natürlich  der  Psyche  unter- 
worfen. In  den  Gebieten  des  Kleinhirns,  Rückenmarks,  Sym- 
pathicus  bildeten  sich  im  Laufe  der  Entwickelungsperioden  Zentren 
der  lebenswichtigen  Funktionen  aus,  wie  das  Zentrum  für  die 
Herz-  und  Lungen tätigkeit  etc.  in  einer  geschichtlichen  Reihen- 
folge quasi,  das  eine  eher  als  das  andere  zu  einem  bestimmten  Stand, 
indem  sich  so  genetisch  jüngere,  und  genetisch  ältere  Teile  dif- 
ferenzierten. Und  auch  hier  war  die  Neurogliamasse  die  isolierende 
Substanz  zwischen  einzelnen  nervösen  Elementen,  und  dieselbe  ent- 
wickelte sich  entsprechend  dem  Vorwärtsschx'eiten  der  Entwickelung  der 
Zellen  und  Bahnen  ebenso  weiter,  sodass  sie  Zellen,  die  in  früherer 
Epoche  durch  das  Bewusstsein  regiert  wurden,  weniger  dicht  um- 
gab ,  und  machte  durch  das  Hiuüberrücken  mit  diesen  Zellen  in  die 
Reihe  des  Unbewussten  ihre  umgebenden  Massen  enger  an  dieselben 
schliessend  sich  zu  einer  undurchdringlichen  Isolierungssubstanz, 
und  diese  Funktion  der  Neuroglia  ist  durch  die  Blutbahnen  direkt 
zu  beeinflussen.  „Es  ist  also,"  nach  Schleichs  Ansicht,  „ein  direkter 
physiologischer  Antagonismus  im  Gehirn  ebenfalls  vorhanden 
zwischen  eigentlich  spezifischer  Zelltätigkeit  und  direkter  Auf- 
hebung dieser  Zelltätigkeit." 

§  58  c.  Diirch  diese  eben  auseinandergesetzten  Beziehungen  der 
Neuroglia  zu  den  Ganglienzellen  erklärt  Schleich  auch  den 
Schlaf,  lind  er  definiert  denselben  folgendermassen:  „Ich  fasse  den  na- 
türlichen Schlaf  auf  als  einen  durch  Anpassung  und  Vererbung  er- 
lernten Mechanismus  der  Hemmung  zwecks  Ausschaltung  des  lae- 
sibeln,  jüngeren,  bildungs-,  Wachstums-  und  schonungsbedürftigen  Teiles 
der  Grosshirnrinde.  Er  tritt  ein,  Avenn  von  den  Zentren  des  schon  de- 
finitiv regulierten  mehr  vegetativen  Lebens  auf  dem  Wege  des  Reflexes 
die  Neuroglia  in  Aktion  versetzt  wird.  Das  geschieht  einmal  perio- 
disch, und  ist  eine  dem  Organismus  von  aussen  aufgezAvungene  Not- 
wendigkeit, (Eintritt  der  Nacht,  Fehlen  des  Sonnenlichtes)  oder  aber 
er  stellt  sich  atypisch  ein,  wenn  dieser  Reflex  auf  andere  Weise  zur 
Auslösung  gelangt.  (Ueberwindung,  Hypnose,  Vergiftungen,  pathologische 
Reflexanomalien,   Störungen  der   Gefäss-  und  Nervenfunktion)." 

Nun  nimmt  er  an,  dass  in  den  obersten  Schichten  der  Hirnrinde 
nach  den  Anstrengungen  des  Tages   eine  Hyperämie    eintritt,    welche 


-     137     — 

allerdings  nicht  als  Hyperämie  des  Gehirns  aufzufassen  ist,  sondern 
welche  nur  eine  stärkere  Füllung  in  den  Mooszellen  von  den 
feinsten  Gefässen  der  Hirnrinde  aus,  namentlich  in  den  obersten 
Schichten  darstellt,  Avodurch  eine  Reizung  der  Plasmazellen  der 
Neuroglia  entsteht,  und  somit  der  Schlaf,  welcher  wieder  unter- 
brochen wird   durch   eine    „Reflcxisc  hämie"    des   Gehirns. 

Es  stehen  nun  zwei  Annahmen  nebeneinander ,  die  eine  ist  die, 
welche  die  Neuroglia-Tätigkeit  durch  Reflex  bewirken  lässt,  die 
andere,  welche  physiologische  Ermüdungsstoffe  für  die  Reizung 
verantwortlich  macht.  (Beyei-.)  Die  erstere  nimmt  reflectorische, 
die  letztere   chemische  Erregung  an. 

Schleich  nimmt  eine  reflectorische  Erregung  an,  und  zwar 
aus  folgendem  Grunde:  „Wenn  wir  einschlafen  wollen,  sagt  er,  so  nehmen 
wir  entweder  nur  einen  Gedanken  in  unserer  Erinnerung  fest,  oder  hören 
dem  gleichmässigen  Ticken  der  Uhr  zu,  oder  bringen  eine  gleichmässige 
Bewegung  (Wiegen)  hervor  etc.  Hierdurch  werden  alle  anderen  Gang- 
lienfunktionen entspannt,  ausser  dem  einen  gleichmässig  monoton  be- 
wegten vibrierenden  psycliisclien  Systeme;  dadurch  wird  das  Bewusst- 
sein  geschwächt,  das  Situationsbewusstsein  für  die  übrigen  Realitäten  des 
Au.genblickslebens  herabgesetzt,  und  der  Neurogliareflex,  der  Sieg  der 
Hemmung  über  die   seelische  Erregung,  Avird  erleichtert". 

Dabei  bleibt  die  den  tieferen  Schichten  in  der  Hirnrinde  eigene 
Tätigkeit  erhalten,  z.  B.  das  IchbeAvusstsein  besteht  fort,  Avelches 
sich  schon  aus  älteren  festbegründeten  und  feststehenden  Phantasie- 
vorstellungen herleitet,  entsprechend  ist  die  Möglichkeit  einer  selb- 
ständigen, doch  aus  dem  BeAvusstsein  nicht  resultierenden  Wandlung 
wie  Sprechen,  Lachen,  Weinen  etc.  erhalten,  so  finden  Avir  dies 
z.  B.  bei  Somnambulen  dargestellt,  und  es  ist  der  Somnambule 
quasi  ein  Individuum,  dessen  AugenblicksbeAVUsstsein  getrübt  ist. 
,. Und  man  kann  demnach  annehmen,  dass  der  Somnambule  wie  der 
Schlafende  überhaupt  in  einen  Zustand  zurücktritt,  in  dem  eine  Vor - 
periode  physischer  Fähigkeiten  den  einzigen  Bestand  des  Be- 
wussts  eins  ausmachte,  und  so  dürfte  man  den  Schlaf,  die  Hypnose, 
den  Somnambulismus  als  ein  periodisches  Zurücksinken  in 
frühere  Daseinsperioden   auffassen."      (Schleich.) 

„Nach  unserer  Ansicht",  sagt  Schleich,  „enthalten  sowohl  der  künst- 
liche Schlaf,  die  kataleptischen  Zustände,  die  somnambulen  Ak- 
tionen der  Hypnose,  deshalb  nichts  rätselhaftes  mehr,  AA'eil  keine  Ausschal- 
tung der  ganzen  Hirnrinde  bei  der  Hypnose  angenommen  zu  Averden  braucht, 
denn  diese  hypnotische  Hemmung  der  Gesamthirnrinde  AA'ürde  es  unbegreiflich 
machen,  wie  vollkommene  Nachahmungen,  wie  z.  B.  das  Nachsingen  zu  stände 
kommen  können,  während  nach  unserer  Theorie  die  Freilassung  aller  unter- 
bewussten,  tieferen  Schichten  der  Rinde  von  der  Neurogliahemmung, 
die  Möglichkeit  aller  motorischen  Aktionen  angeregt  durch  die  Inanspruch- 
nahme der  Sinnesorgane,  ohne  Bewusstseinssynthese  sehr  wohl  besteht. 
Darum  kann  ein  Hypnotisierter  nachahmen,  Avandeln,  bestimmte 
Aufträge  erfüllen,  ohne  in  seinem  BeAvusstsein  auch  nur  eine  Spur  Em- 
pfindung, oder  Erinnerung  davon  zu  haben,  Avas  er  tut,  oder  getan  hat. 
Es  spielt  sich  eben  alles  im  Unterbe wusstsein  ab.  Für  die  kataleptischen 
Erscheinungen  Avird  es  aber  so  gewiss  verständlich,  dass  eine  Glied  Stellung, 
welche   passiv    vollzogen   Avird,  dauernd  deshalb  dieselbe  bleibt,  Aveil  alle  von 


—     138     - 

aussen  wirkenden,  im  Gehirn  spezifisch  umgesetzten  Spannkräfte  im  Augen- 
blick der  Hypnose  auf  einer  Stelle  der  Bewusstseinsbreite  konzentriert  er- 
scheinen, und  durch  die  passiv  vorgenommene  Erregung  und  Anspannung  ge- 
wisser Muskelgruppen  das  ganze  Kraftmass  nervöser  Erregung  gerade  auf 
diese  peripher  erregten  Bahnen  abgeleitet  wird,  darum  verharren  die  Muskeln 
solange  in  Starre,  bis  ein  neuer  peripherer  Anstoss  die  narkotischen  Energien 
in  andere  Bahnen  lenkt.  Denn  an  dem  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Kraft 
muss  auch  für  die  psychischen  Funktionen  festgehalten  werden  (Schleich)." 

§  56 d.  Wenn  nun  Schleich  soweit  eine  Erläuterung  seiner 
Theorie  über  die  Neuroglia  Tätigkeit  gegeben  liat,  zieht  er  die- 
selbe ebenfalls,  wie  zur  Erklärung  des  Schlafes  etc.,  zur  Definition  der 
narkotischen  Wirkungen  heran.  Nehmen  Avir  mit  ihm  an,  ein 
Patient  Averde  durch  Chloroform  z.  B.  narkotisiert,  so  machen  sich 
die  ersten  Einflüsse  des  Narkotikums  in  der  Reizung  peripheris  eher 
Organe,  dann  in  lokalen  Reizen  an  den  Endapparaten  der 
Sinnesorgane  erkennbar.  Die  Wirkungen  auf  den  Zentralapparat 
sind  folgende : 

Das  Blut  strömt  in  der  Neuroglia  in  feinsten  Gefässen,  und 
die  erste  Wirkung  des  Narkotikums  wird  sich  in  einer  dumpfen 
Schwere  über  den  ganzen  Kopf  zeigen,  und  es  würde,  wenn  nicht 
ziemlich  zu  gleicher  Zeit  auch  die  Ganglienzellen  selbst  eine  Reizung 
erführen,  ein  Schlaf  durch  Neurogliareizung  eintreten.  Tatsächlich 
kann  man  diesen  Schlaf  im  Anfangsstadium  bei  manchen  Personen, 
z.  B.  bei  Kindern,  durch  sehr  langsames  Narkotisieren  hervorrufen. 
Die  kleinen  Mengen  des  im  Blute  im  Anfang  kreisenden  Narkotikums 
können  wegen  des  engen  Zusammenhanges  der  Neuroglia-Pro- 
toplasmazellen  mit  den  Gefässen  eine  Reizung  der  Vasomotoren, 
und  somit  eine  Verengerung  der  Ge fasse  bewirken.  Dadurch  wird 
die  Tätigkeit  der  Protoplasmazellen  infolge  geringer  Flüssigkeit 
vermindert,  die  Hemmung  ist  herabgesetzt.  Ideen-Vorstellungen 
und  Gedanken  jagen  zügellos  umher  auf  freien  Bahnen.  Erst  da- 
durch, dass  eine  Vasomotorenlähmung  eintritt,  werden  die  Gefässe 
weiter,  und  das  Narkotikum  kann  nun  direkt  die  Protoplasmazellen 
reizen.  Nim  wird  die  Ideenjagd  eingeengt.  Die  hemmende  Tätig- 
keit der  Neuroglia  schiebt  sich  nun  weiter,  auch  zwischen  die  ein- 
zelnen sensoriellen  Verknüj)fungen.  Die  Situation  verwischt 
sich,  das  momentane  Bewusstsein  geht  verloren,  nur  Einzelvor- 
stellungen werden  bewusst,  wie  im  unruhigen  Schlaf  jagen  die  Ideen. 
Nun  beginnt  der  Zustand  immer  mehr  Aehnlichkeit  mit  dem  Schlaf 
zu  erhalten,   anfangs  unruhig  mit  Träumen  erfüllt,  später  tief,  ruhig. 

Die  Pupillen  sind  noch  für  Lichtreize  empfindlich,  doch  erreichen 
sie  nicht  mehr  die  volle  Weite  bei  Lidschluss,  die  Verengerung  wird 
um  so  stärker,  je  mehr  die  Narkose  fortschreitet.  Auch  im  Schlafe 
sind  die  Pupillen  eng.  Es  besteht  Avahrscheinlich  ein  Reflexbogen 
zwischen  Neurogliareizung  und  Oculomotoriusfunktion  resp. 
Sympathicuslähmung. 

„Denn  auffallenderweise  bei  allen  narkotischen  Giften  haben  wir  dieselbe 
Wirkung  auf  die  Pupillen".  „Bei  Morphin,  Chloralhydrat ,  Haschisch, 
deren  Wirkung  nach  unserer  Auffassung  eine  schlafbringende  ist,  weil  sie  die 
Neuroglia  rtizen,    und  so  den  Schlaf  hervorrufen,  durch  Inanspruchnahme  des 


—     139     — 

Henimuiigsmechaiiismus  des  Bewusstseius.  „Der  Antag-onismus  dieser 
Mechanismen  war  recht  deutlich  bewiesen  durch  die  Tatsache,  dass  die  phy- 
siologischen Antagonisten  der  Narkotika,  Atropin,  Horaatropin, 
Duboisin,  Kokain,  neben  Pupillen  er  Weiterung  Unruhe  statt  Schlaf, 
Delirium  und  andere  Aufregungszustände  im  Gehirn  auflösen.  Aus 
dieser  Tatsache  ergibt  sich  bis  zur  Evidenz  das  Bestehen  des  von  uns  ver- 
muteten Antagonismus  zwischen  Neurolglia-  und  Ganglientätigkeit 
einerseits,  und  Neurogliareizung  und  Ocul  omotoriusaktion  anderer- 
seits. Ja,  dieser  Antagonismus  ist  so  deutlich,  dass  im  Stadium  derNeu- 
roglialähmung  und  Sprengung  ihrer  Funktion  durch  Ueberdo- 
sierung  und  exzessive  Giftwirkung  gleicherweise  beim  Morphin,  wie 
beim  Chloroform,  wieder  Pupillen  weite  (direkte  Ganglienreizung)  eintritt. 
Hieraus  ergibt  sich  ein  überaus  wichtiges  Erkennungsmittel  des  Grades  der 
Intoxikation  bei  Chloroform.  Xach  Schleich  sind  Chloroform  und  Chlo- 
ralhydrat,  MoriDhin,  Alkohol,  Haschisch  mildere  Gifte,  weil  sie  erst 
mit  einer  Neurogliareizung  einhergehim,  während  die  echten  Zellgifte 
sofort  in  die  Ganglienzellen  eintreten,  und  ihren  relativen  Einfluss  über 
die  schützende  "Wirkung  der  Neuroglia  hinweg  auf  die  Ganglienzellen 
ausüben  von  den  Lymphräumen  und  Blutgefässen  aus.  So  sehen  wir  die  Neu- 
roglia gegen  gewisse  Substanzen  widerstandsfähig,  und  zum  Schutz 
um  die  Ganglienzelle  gelagert.  Somit  sind  die  Chloroform-,  Aether-, 
Alkohol-  etc.  Narkosen  Steigerungen  physiologischer  Mechanismen, 
nämlich  Blutfüllungsveränderungen  und  Reizungen  der  Neuroglia. 
"Werden  sie  in  bestimmten  Mengen  verabfolgt,  welche  einen  Gleichge- 
wichtszustand zwischen  Wirkung  der  Narkotika  und  der  Wi  derstands- 
kraft  der  Neuroglia  hervorrufen,  so  ist  ihre  "Wirkung  eine  narkotische,  und 
dieselbe  wird  stärker,  jemehr  die  Wage  des  Gleichgewichts  nach  dem  Narko- 
tikum ausschlägt,  bis  sie  endlich  die  Neuroglia  überwindet,  und  dann  so 
wirkt,  wie  die  Zellgifte,  welche  über  die  Neuroglia  hinweggehend,  sofort  die 
Ganglienzelle  angreifen.  Wir  sehen,  wie  so  in  einem  Falle  eine  Narkpse 
möglich  ist,  und  wir  müssen  daraus  die  Lehre  ziehen,  die  Zustände  der  Neu- 
roglia immer  genau  zu  eruieren,  um  einen  Begriff  von  der  Wirkung  der 
Narkotika  zu  erhalten.  So  sehen  wür,  wie  in  den  oberen  Zonen,  wo  die 
Neuroglia  nicht  so  dicht  vorhanden  ist,  um  ein  Bild  zu  brauchen,  leichter  die 
Wirkung  des  Narkotikums  zu  stände  kommt,  während  die  tieferen  intrakor- 
dikalen  Ganglienschichten  vermöge  ihrer  schon  ererbten  konstanten 
Struktur  und  ihres  spezifischen  Baues  weniger  leicht  zu  durchdringen 
sind,  als  die  genannten  oberen,  entwickelungsgeschichtlich  j  üngeren 
Zonen.  Während  nun  die  lungeren  Zonen  von  der  Narkose  ergriffen  sind, 
befinden  sich  die  älteren  noch  im  Stadium  der  Beizung.  Wird  die  Narkose 
weiter  fortgeführt,  so  werden  endlich  einmal  auch  die  dichten  Umpflanzungen 
der  Neuroglia  der  älteren  Ganglienzellen  nicht  mehr  standhalten  können, 
und  es  kommt  zu  einem  direkten  Angriff  der  Ganglienzellen,  und  zu  einer 
Lähmung  derselben,  welche  den  Tod  des  Organismus  bedeutet. 

Wenn  wir  uns  den  Menschen  bis  zum  Engerwerden  der  Pupillen 
narkotisiert  denken,  so  ist  in  diesem  Zustand  die  Neuroglia  in  voller  Funk- 
tion, noch  ist  Erwachen  möglich,  die  Aussenwelts wir kung  kann  ruck- 
weise die  Neurogliahemmung  überwinden,  dann  aber  werden  die  obersten 
Schichten  der  Rinde  gelähmt,  die  Traumvorstellungen  verschwinden.  Jetzt 
beginnt  Anästhesie,  sie  ist  praktisch  selten  zu  verwerten,  weil  noch 
Abwehrbewegungen  aus  den  tiefsten  motorischen  Gangliensystemen 
und  zwar  oft  sehr  heftige  gemacht  werden.  Die  Zentren  der  automatisch- 
motorischen Coordination  werden  nunmehr  getroffen,  gereizt,  und  es 
entsteht  motorische  Excidation.  Die  sensorielle  hat  schon  früher  be- 
gonnen, und  sie  ist  jetzt  schon  meist  einer  funktionellen  Depression  ge- 
wichen. Nun  kann  unter  dem  Bilde  von  heftigen,  zwecklosen,  oft  tetanischen 
Gliederstellungen,  asymetris  chen  Bewegungen  der  Bulbi,  anti- 
peristaltischen  Bewegungen  der  Därme,  die  bis  in  die  instinktiv  en 
Coordinationen  hineinreichende  Neurogliareizung,  oder  Neuroglia- 
auflösung    zum  Ausdruck  kommen.     Dann    folgt  die  Lähmung  der  moto- 


.  —     140     — 

Tischen  Zentren,  Aufheben  der  Reflexe,  das  Stadium  der  Toleranz. 
Nun  ist  die  intrakordikale  Neuroglia  gelähmt,  und  man  würde  ein 
sofortiges  Erwachen  erwarten  müssen,  wenn  nicht  die  zelligen  Bestand- 
teile der  Rinde  schon  früher  gelähmt  wären.  Aehnlich  dem  hier  eventuell 
eintretenden  Erwachen,  ist  das  Aufflackern  des  Bewusstseins  in  der 
Agone,  denn  hier  kann  bereits  die  Neuro glia  gelähmt,  aber  noch  hier 
und  da  ein  Teil  der  Zellen  der  Rinde  in  den  obersten  Schichten  vmberührt, 
und  am  Leben  sein,  folglich  tritt  Bewusstsein  auf,  bis  die  Lähmung  auch  diese 
Zentren  erfasst.  Da  aber  bei  der  Narkose  das  Narkotikum  diese  Zellen  schon 
lähmt,  ehe  die  Neuroglia  gelähmt  wird,  so  kann  ein  Aufflackern  des  Be- 
wusstseinl  in  der  Narkose  nicht  eintreten.  Auf  dem  jetzigen  Zustand 
miiss  die  Narkose  weiter  geführt  werden.  Lässt  man  die  Zufuhr  des  Nar- 
kotikums aufhören,  so  geht  die  Narkose  zurück,  und  endlich  in  tiefen  Schlaf, 
den  postnarkotischen  Schlaf  über.  Man  soll  den  Patienten  hier  nicht 
unnötig  erwecken,  nur,  wenn  der  Nachschlaf  die  Neurogliastarre  über  Stunden 
hinaus  anhält,  kann  man  versuchen,  die  antagonistischen  Ganglienapparate  zur 
„Ueberkompensation  der  Hemmung  anzuregen." 

Würde  man,  anstatt  das  Narkotikum  wegzulassen,  dasselbe  weiter- 
geben, so  erfolgt  Reizting  der  sympathischen  Fasern,  üeber- 
reizung  des  Sympathicus  (sprungweises  Erweitern  der  Pupillen), 
und  endlich  Lähmung  des  Nervus  Sympathicus  mit  sprungweiser  Ver- 
engerung ad  maximiim  der  Pujjillen,  und  es  Averden  AfFektionen 
des  Herzens  resp.  Atemzentrvim  s  folgen,  endlich  Lähmung  des 
Zentrums   der  Herzaktion  und  der  Tod. 

§  58  e.  Wenn  wir  nun  die  Wirkung  der  Narkotika  betrachten, 
so  steigt  dieselbe  stufenweise  abwärts,  sozusagen  in  die  Tiefe  des  Ge- 
hirns, an  jeder  Stelle  der  Einwirkung  folgt  auf  Reizung  Lähmung, 
auf  Excidation   Depression. 

„Zuerst  wird  die  "Wirkung-  klar,"  sagt  Schleich,  ,,von  der  Sphäre 
logischer  Empfindungen  und  Augenblicksvorstellungen  zu  den 
Sinneswahrnehmungen  und  ihrer  motorischen  und  unterbewussten  Verknüpfung 
derselben  in  die  Sphären  der  motorischen  Coordination  in  der  Tiefe  der  Rinde 
über  die  Grosshirnknollen,  dann  die  Systeme  coordinierter ,  glatter 
Muskulatur,  die  Sitze  der  sympathischen  Automatie,  und  endlich 
geht  sie  über  auf  die  Herde  der  Regulation  der  Atmung  und  des 
Herzens".   ' 

In  Wahrheit  greift  das  Narkotikum  die  Zentren  alle  gleich  an,  und  die- 
selben sind  auch  verschieden  in  der  Empfindlichkeit  gegenüber  dem  Narkoti- 
kum. Die  Zentren  sind,  nach  Schleich,  um  so  empfindlicher,  je  jünger  ent- 
wicklungsgeschichtlich genommen ,  der  affizierte  Bezirk  ist.  „Die  phylogene- 
tisch ältesten  Bestandteile  nervöser  Differenzierung,  das  Zentrum  des  Herzens 
und  der  Atmung,  erweisen  sich  meist  als  die  widerstandsfähigsten,  und 
erst  von  hohen  Dosen,  und  zuletzt  alterierten  Strukturen  und  Gruppierungen 
von  Nervenelementen  der  frühesten  En  twick  elungsperide.  Jede  da- 
raus hervorgegangene,  ihr  organisch  sich  anschliessende  Differenzierung  folgender 
Epochen,  ist  reizbarer  als  ihre  Matrix,  so  werden  aufwärts  die  einzelnen  Gang- 
lien- und  Nervensysteme  immer  leichter  und  früher  von  der  Schädlichkeit  ge- 
trofi'en,  je  näher  ihre  Bildungsepoche  der  gegenwärtigen  Epoche  der  Entwick- 
lung liegt." 

Nach  Schleich  ist  also  die  Wirkung  des  Chloroforms  und 
der  meisten  Narkotika  auf  die  einzelnen  Zentren  des  mensch- 
lichen Gehirns  in  ihrem  Verlauf  in  umgekehrtein  Verhältnis  stehend 
zu  der  phylogenetischen  Entwickelung-  der  Zentren. 

So   kommt  Schleich   auch   durch  diese  Theorie   dazu,   dass   er  die 


—     141     — 

Narkotika  als  primäre  Neiirogliagifte  und  ilirc  Antagonisten 
(die   Zcllgifte)   als   primäre   Ganglie  ng-ifte   darstellt. 

Ferner  erklärt  er  den  Umstand,  dass  Morphin  und  Chloroforiri 
bei  manchen  Menschen  so  ungeheuer  giftig  erscheinen,  damit,  dass  bei 
diesen  Leuten  die  Neuroglia  auf  die  gewöhnliche  Giftdosis  nicht 
mit  Reizung,  sondern  sofort  mit  Lähmung  antwortet.  Es  ist  dies 
von  grosser  Wichtigkeit,  ^xei\  dieser  Mangel  an  Widerstandskraft  der 
Neuroglia  sich  bei  genauester  Beobachtung  der  Narkose  schon  sehr 
bald  nach  den  ersten  Inhalationen  oder  anderen  Gaben  des  Nar- 
kotikums in  dem  gestörten  Ablauf  der  Pupillen  Verengerung,  und 
aus  dem  nicht  eintretenden  Schlaf  erkennen  lässt.  Wenn  bei  einem 
Mensehen  die  Pupillen  gar  keine  Neigung  zur  Verengerung  bei 
Beginn  der  Chloroformnarkose  zeigen,  kann  man  annehmen,  dass 
die  Neurogliamasse  des  Gehirns  bei  dem  betreffenden  Individuum  nicht 
gereizt,  sondern  sofort  gelähmt  wird.  Wenn  nun  aber  diese  Nar- 
kotika in  einem  solchen  Fall  schon  auf  die  Neuroglia  lähmend  wirken, 
so  kann  man  annehmen,  dass  sie  auch  auf  die  tieferen  lebenswich- 
tigen Zentren  schädigend,  d.  h.  lähmend  wirken,  woraus  dem 
betreffenden  Menschen  Gefahren  entstehen  können.  Daher  ist  es  ein 
grosser  Vorteil,  wenn  man  eine  solche  Idiosynkrasie  zeitig  erkennen 
kann,   ehe  man  zu  viel  von   dem  Narkotikum  verabfolgt. 

Somit  haben  wir  die  Theorien,  welche  Schleich  aufgestellt  hat, 
in  den  Hauptpunkten  dargetan,  und  dies  mag  genügen,  um  den  Leser 
ohne  vorherige  Kenntnis  der  Schi  eich  sehen  Ansichten  einen  Einblick 
zu  gewähren  und  zum  klaren  Verständnis  zu  verhelfen.  Es  mag  uns 
erlaubt  sein,  in  dem   Folgenden  einige  Worte  hinzuzufügen. 

Wenn  Schleich  eine  verschiedene  Empfindlichkeit  der  Neu- 
roglia in  den  verschiedenen  Entwickeliingsepochen  annimmt,  so 
ist  es  damit  noch  immer  nicht  erklärt,  wie  die  Narkotika  auf  die  Gang- 
lie nzenzellen    selbst  wirken. 

§  59.  Es  ist,  wenn  unsere  eigene  Ansicht  hier  in  kurzen  Worten 
angegeben  Averden  darf,  nicht  zu  leugnen ,  dass  jene  durch  Versuche 
festbegründeten  Tatsachen  der  Theorie  Overton-Meyer  auch  mit  dieser 
Theorie  in  Einklang  zu  bringen  sind.  Nehmen  Avir  also  an,  das  Nar- 
kotikum gelangte  wie  bei  einer  gewöhnlichen  Narkose  durch  die  Lungen 
in  das  Blut,  und  werde  von  demselben  in  das  Zentralnervensystem 
transportiert,  so  gelangt  dasselbe,  wie  oben  erläutert,  endlich  nach  den 
Ganglienzellen  der  Hirnrinde.  In  der  Ganglienzelle  ist  der  Gegen- 
stand der  Einwirkungen  des  Narkotikums  das  oben  näher  beschriebene 
Lecithin-Cholesteringemisch,  und  dieses  ei'leidet  eine  physi- 
kalische Umwandlung.  Nach  der  Schleichschen  Theorie  sind  nun 
neben  den  Ganglienzellen  noch  die  Plasmazellen  der  Neurogha  wichtig. 
Diesen  Plasmazellen  schreibt  er  eine  hemmende  Eigenschaft  zu, 
Avährend  dieselben  jede  funktionsfähige  Ganglienzelle  umgeben  und  direkt 
mit  einem  Gefäss  in  Verbindung  stehen.  Es  ist  nun  die  Frage,  wie 
stehen  diese  Plasmazellen  mit  den  Ganglienzellen  hinsichtlich  des  Baues 
ihres  Protoplasmas,  und  haben  dieselben  mit  den  Ganglienzellen  die 
Le  cit h in -Cholester in o-e mische   o-emeinsam?     Da  nach  den  Beschrei- 


—     142     - 

bungen  von  Schleich  und  Andriezen  diese  Plasmazellen  als  aktiv 
funktionierende  Elemente  zu  betrachten  sind,  so  müssen  wir  an- 
nehmen, dass  auch  dem  Protoplasma  dieser  Plasmazellen  die 
Lecithin-Cholesteringemische  eigen  sind.  Wenn  diese  Plasma- 
zellen nu.n  die  Ganglienzellen  dicht  umspinnen,  so  müssen  wir  an- 
nehmen ,  dass  das  Narkotikum  aus  dem  Blute  dieselben  erst  passieren 
muss. 

Die  Plasmazellen  hängen  nun  tatsächlich  direkt  mit  den  perivas- 
kulären Lymphräumen  der  Gefässe  zusammen  und  werden  selbst 
von  Lymphräumen  umgeben,  folglich  muss  das  Narkotikum,  welches 
in  einer  bestimmten  Konzentration  im  Blutplasma  enthalten  ist, 
von  der  Lymphe  dieser  Lymphräume  au.fgenommen  Averden ,  es  muss 
sich  zwischen  beiden  Flüssigkeiten  Gleichgewicht  in  der  Konzen- 
tration des  Narkotikums  herstellen.  Nunmehr  haben  wir  eine 
Lösung  eines  Nai'kotikums  von  bestimmter  Konzentration,  welches 
die  Plasmazellen  umgiebt.  Es  fragt  sich  nun,  wie  verhält  sich  dieselbe 
dem  Narkotikum  gegenüber.  Nehmen  wir,  was  tatsächlich  der  Fall 
ist,  wie  leicht  du.rch  Experimente  erwiesen  werden  kann,  an,  dass  alle 
indifferenten  Narkotika  in  dieselbe  eindringen  können.  Somit  muss  von 
dem  Zellsafte  im  ProtOjDlasma  eine  bestimmte  Menge  von  Narkotikum 
aiifgenommen  werden,  ehe  dasselbe  zu  der  eingeschlossenen  Ganglien- 
zelle gelangen  kann.  Es  kommt  nun  auf  die  Zusammensetzung  des 
Protoplasmas  der  Plasmazellen  an,  wieviel  Narkotikum  dieselben 
aufnehmen  werden,  ehe  dasselbe  in  die  Ganglienzelle  gelangt.  Nehmen 
wir  ferner  an,  dass  das  Narkotikum  zvmächst  die  Plasmazelle  reizt 
und  dann  dieselbe  lähmt,  so  haben  Avir  bei  der  Lähmung  dieser  Plas- 
mazelle jenen  Moment  erreicht,  in  welchem  die  Menge  des  Narkoti- 
kums in  der  Plasmazelle  so  gross  ist,  dass  keine  neuen  Mengen  aui- 
genommen  werden  können,  und  es  gelangt  nunmehr  das  Narkotikum 
auch  in  die  Ganglien z eile.  Jetzt  kann  die  Plasmazelle  passiert 
werden,  ohne  dass  das  Protoplasma  derselben  etAvas  vom  Narkotikum 
aufnehmen  kann,  und  die  Ganglienzelle  nimmt  Narkotikum  aus  der 
interzellulären  Lymphe  auf.  Wenn  nun  die  Plasmazelle  z.  B.  viel 
Lecithin-Cho  lesteringemisch  enthält,  oder  ausser  demselben  noch 
ähnliche  ölartige  Stoffe,  welche  die  indifferenten  Narkotika  zu 
lösen  im  Stande  sind,  so  wird  ein  grosser  Teil  des  Narkotikums, 
jedenfalls  entsprechend  den  Mengen  der  lösenden  Stoße,  aufgenommen 
werden. 

Nimmt  man  nun  an,  diese  Plasmazellen  seien  zur  Regulierung  der 
Funktionen  der  Ganglien  da,  so  wird  zunächst  durch  das  Narkotiku.m 
eine  Reizung  durch  die  ersten  kleiiien  im  Blute  kreisenden  Mengen 
entstehen,  bald  aber  bei  höherer  Konzentration  des  Narkotikums  im 
Blutplasma  folgt  eine  Lähmung  der  Zelle,  die  regulierende  Tätigkeit 
hört  auf.  Dies  ist  ja  nun  zweifellos  sehr  wahrscheinlich,  und  hat  eine 
sehr  grosse  Stütze  in  dem   Verlauf  der  Narkose. 

Wenn  nun  aber  eine  verschiedene  Verteilung  der  Plasmazellen 
vorhanden  ist,  wenn  eine  besonders  starke  Netzbildung  und  Umwuche- 
rung  durch    diese  Plasmazellen  um   die  phylogenetisch  älteren  Be. 


—     143     - 

zirke   im    Z(^n tralnervensystcm    sich    findet,    welche  mau  dann   also 
vor  allem   um   die  Zentren  und  Bahnen   der  lebenswichtigen  Organe,  wie 
die    Zentren    der  Herzaktion,    Atmung  etc.,    angeordnet    findet,    so    wird 
jener  Umstand   erklärt,    dass  das   Narkotikum   nicht    alle   Zentren   auf 
einmal   in  Narkose   versetzen  kann.     Um   das  Zentrum   der  Herztätig- 
keit z.  B.    finden    wir    ein    dichteres  Geflecht,    als    um  die  Zentren  der 
willkürlichen  Muskeln   etc.     Während   nun   eine   bestimmte  Konzentration 
des  Narkotikums  im   Blutplasma  entsteht,    so    wird   das  Narkotikum   mit 
dem   Blute    gleichmässig    über    das    ganze   Gehirn    verteilt.      Es    gelangt 
mit  dem  Blute   genau   dieselbe  Flüssigkeit  mit  gleicher  Konzentration 
an   diese  beiden  Zentren,  und   es  wird   das  Zentrum   der  willkürlichen 
Motilität  gelähmt,  während  das  Zentrum  für  die  Herzaktion  weiter 
unbeeinflusst  funktioniert.      In    dem    ersteren  Falle  hat    die  Konzen- 
tration  ausgereicht,    um    den   Zellen    der  Neuroglia  soviel   des   Narko- 
tikums  zu   liefei'n,   dass   die  das  Zentrum  umschliessenden  und  regulieren- 
den   Plasmazellen     von)     Narkotikum     gesättigt    sind,    und    keinen 
schützenden    Widerstand    dem    Eindringen    des    Narkotikums    in     die 
Ganglienzellen    entgegensetzen,    so    dass    dasselbe    lähmend    auf    die 
Ganglienzelle   zu  wirken  vermag,    während  die  Menge   des  Narkotikums 
im   zweiten   Falle  noch  nicht  ausreicht,   um   die  Plasmazellen,   welche 
die   Ganglienzellen  des  Herzzentrums  umschliessen,    zu  sättigen,   diese 
sind  noch   tätig   un gelähmt    an   sich,    und    verhindern    ein    direktes 
Eindringen    des    Nai'kotikums    in    die    Ganglienzellen.      Erst    wenn 
die  Konzentration   des  Narkotikums   im  Blutplasma  noch  höher  steigt, 
so    wird    auch    hier    eine  Lähmung  der  Plasmazellen    entstehen,    und 
ein  Eindringen  des  Narkotikums  in  die  Ganglienzellen  des  Herz- 
zentrums   ermöglicht,    dem    bald    eine  Lähmung  auch  dieser  Gang- 
lienzellen  folgt.      So   sehen  wir,  wie   diese  Neurogliatätigkeit  eine 
Erklärung  gibt  für  die   verschiedene  Wirkung  des   Narkotikums   auf  die 
einzelnen    Zentren.      Dadurch,    dass    wir    annehmen,    dass    auch    in    den 
Plasmazellen  die  Lecithin-Cholesteringemische  vorhanden   sind, 
wird  es   erklärlich,    dass    sie    eine  Fähigkeit,    das  Narkotikum    zu  lösen, 
besitzen,   ausserdem  könnte   es  möglich  sein,    dass   diese  Plasma zellen 
eine    noch    andere,    aber    ähnliche,    Substanz    enthalten,    Avelche    in  den 
Ganglienzellen  nicht  vorhanden  ist,    und    somit  den  Plasmazellen   die 
Fähigkeit    verleiht,    noch    grössere    Mengen    des    Narkotikums    zu 
binden,    und    es    kann    dieser    andere  Körper  in  den    phylogenetisch 
älteren  Plasmazellen    in    grösseren  Mengen,    als    in    den   jüngeren 
enthalten  sein,    wodurch    sich    noch    auf    eine    zweite  Art    die  längere 
Eesistenz   erklärt.      Da  aber  die  erstere  Erklärung    diu-ch   die  vermehrte 
Neuroglia    auf  Untersuchungsresultaten    beruht,    so    hat  dieselbe 
mehr   Anrecht    auf  Geltung,    und    es    genügt    uns    dieselbe    auch    voll- 
kommen.    Dass    nun  jedenfalls    das  Lösungsverhältnis    des  Narko- 
tikums in   den  Zellen   der  Neuroglia  eine  gewichtige  Bedeutung 
haben  muss,  und  auch  hat,   das  ist  augenscheinlich  und   offenbar,  wenn 
man    die  Tätigkeit    der  Neuroglia    überhaupt    als    etwas    mehr    wie 
Bindegewebsfunktion   auflfasst. 

Auf  eine  andere  Art,    als    durch   verschiedene  Lösungsfähig- 


-     144     - 

keit,  ist  die  Steuerung  durch  die  Neuroglia  nicht  möglich,  wenigstens 
gegenüber  den  indifferenten  Narkotika,  weil  diese  in  alle  Zellen 
einzudringen  vermögen.  AVenn  dieselben  nun  in  sämtliche  anderen 
Zellen  eindringen,  und  man  nähme  an,  dass  sie  die  Neurogliazellen 
nicht  passieren  könnten,  so  wäre  dies  eine  zu  unwahrscheinliche  An- 
nahme. Durch  die  verschiedene  Anzahl  der  vorhandenen  Plasma- 
zellen wird  die  verschiedene  Wirkung  auf  die  Ganglienzellen  erklärt. 
Wenn  wir  annehmen,  die  eine  Ganglienzelle  sei  von  5  zu  einem 
Geflecht  vereinigten  Plasmaz eilen  umschlossen,  und  eine  andere  gleiche 
Ganglienzelle  von  15  Plasmazellen,  während  beide  Zellgruppen  in 
einer  Lösung  von  Narkotikum  in  Wasser  von  einer  beliebigen  kon- 
stant bleibenden  Konzentration  sich  befinden,  so  würde  es  doch 
erklärlich  sein,  dass  die  Ganglienzelle  I  in  einer  kürzeren  Zeit  von 
dem  Narkotikum  völlig  durchdi-ungcn  sein  Avürde,  und  in  ihrem  Proto- 
plasma die  höchstmögliche  Menge  de«  Narkotikums  gelöst  enthalten 
könnte,  wobei  das  Imbibitionswasser  und  der  Zellsaft  dieselbe 
Konzentration  des  Narkotikums  erreichen,  als  die  Zelle  II.  Die- 
selbe wird,  wenn  ihr  protoplasmatischer  Bau  in  Bezug  auf  Grösse  und 
Zusammensetzung  dem  der  Zelle  I  gleich  ist,  sowie  natürlich  während 
des  ganzen  Vorganges  die  gleiche  Temperatur  herrscht,  in  einer 
dreimal  längeren  Zeit  erst  vom  Narkotikum  durchsetzt  sein,  wie 
Zelle  I.  Wenn  man  so  sich  aus  den  beiden  Theorien  eine  andere  kon- 
struiert, und  beide  somit  zu  vereinigen  sucht,  so  lässt  sich  eine  ebenso 
wahrscheinliche  Annahme  aufstellen,  wie  Avahrscheinlich  jede  der  beiden 
einzelnen  ist.  Dass  dieselben  Aviderlegbar  sind,  ist  uns  bekannt,  doch 
so  lange  nicht  durch  Versuche  und  Beobachtungen  mehr  Licht  in  diese 
Verhältnisse  gebracht  ist,  muss  man  sich  mit  unseren  Annahmen  und 
Folgerungen   begnügen. 


VII.  Kapitel. 

Die  Technik  der  Narkose. 

Wenn  wir  nun,  nachdem  wir  uns  einen  Einblick  in  die  Theorien 
der  Narkose  geschaffen  haben,  auf  die  Technik  derselben  eingehen 
wollen,  so  ist  hier  um  so  eher  der  Platz,  als  aus  den  theoretischen 
Betrachtungen  die  Erscheinungen  der  Narkose  und  unsere  Tätig- 
keit in  den  verschiedenen  Phasen  der  Narkose,  seien  sie  physio- 
logischer,  seien  sie  pathologischer  Natur,   herzuleiten  sind. 

§  60.  Die  Narkose  Avird  dadurch  erreicht,  dass  man  dem  Orga- 
nismus, Avir  nehmen  hier  zunächst  immer  den  menschlichen  an,  ein 
Narkotikum  so  beibringt,  dass  dasselbe  in  die  Blutbahn  gelangt. 
Es  gibt  in  dieser  Hinsicht  mehrei-e  Wege,  um  zu  narkotisieren. 
Der    gebräuchlichste    ist    der,    das    Narkotikum    als    Dampf    der 


-     145     - 

Luft  beigemengt  in  die  Lungen  zu  füliren.  Der  grüsste  Teil  aller 
Narkosen  wird  auf  diese  W(?ise  bewirkt,  und  es  sind  nur  wenige  Aus- 
nahmen vorhanden,  wo  wir  im  praktischen  Leben  die  totale  Be- 
täubung durch  subkutane  Injektion  von  gewissen  Narkotika 
erreichen.  Dieser  Methode  begegnen  wir  bis  jetzt  hauptsächlich  bei  der 
Morphin-Skopolaminnarkose  Schneiderlin's.  Diese  stellt  zur  Zeit 
die  einzige  Narkose  mit  subkutaner  Einführung  des  Narkotikums 
dar,  wenn  wir  auch  bei  den  kombinierten  Narkosen  die  teilweise 
subkutane  Injektion  öfters  antreffen.  Bei  denselben  ist  jedoch  stets 
die  Inhalation  die  hauptächlichste  Methode  der  Einverleibung, 
und  man  verwendet  nur  nebenbei  eine  subkutane  Injektion.  Bei 
der  letzteren  Narkotisieru.ngsart  ist  es  hauptsächlich  das  Morphin, 
welches  injiziert  wird,  andere  Narkotika  werden  selten  zu  solcher 
Methode  verwendet. 

Man  hat  noch  die  Einverleibung  durch  den  Darm  empfohlen,  und 
so  hat  man  vor  allem  den  Aether  per  rectum  in  den  Organismus 
gelangen  lassen  (Molliere,  Iversen,  Pirogow,  Starcke).  Wenn 
auch  diese  Methode  gewisse  Vorzüge  besitzt,  eine  allgemeine  wird 
sie  nie  werden  können,  denn  die  Dosierung  zeigt  entschieden  grössere 
Schwierigkeiten.  Ein  Vorteil  der  Methode  soll  nach  Molliere  in 
dem  Fehlen  jeglicher  Exzidation  liegen.  Es  vvird  allerdings  diese 
Art  bei  Operationen  im  Gesicht  von  Wert  sein,  und  man  sollte  bei 
derartigen  Fällen   derselben   auch  nähertreten. 

Bei  Tierversuchen  sind  die  Narkotika  vor  allem  reichlich, 
leicht  und  schnell  vom  Peritoneum  aus  absorbiert  worden.  Von 
praktischer  Bedeutung  kann  eine  derartige  Beobachtung  natürlich 
nicht  sein. 

Bei  der  Inhalation  der  Narkotikumdampfluftgemische 
haben  wir  aber  nicht  nur  mit  dem  Narkotikum,  welches  von  der 
Maske  aus  verdunstet,  zu  rechnen,  sondern  wir  müssen  auch  jene 
Mengen  des  Narkotikumdampfes  mit  in  Betracht  ziehen,  welche 
durch  die  Exspirationsluft  ausgeatmet  werden.  Dieselben  kommen 
bei  den  Masken  wieder  zu  der  Inspirationsluft  hinzu,  wenigstens 
teilweise.  Dass  diese  Mengen  nicht  unwichtig  lür  die  Narkose  sind, 
sehen  wir  daraus,  dass  wir  bei  der  Aethernarkose  z.  B.  die  Maske  wäh- 
rend der  tiefen  Narkose  auf  dem  Gesicht  liegen  lassen  und  so  den 
Patienten  veranlassen,  die  ausgeatmeten  Aethermassen  wieder 
teilweise  zu  inspirieren.  Dieses  Verfahren  erspart  uns  das  Auf- 
gi essen  von  Aether,  denn  die  Narkose  wird  so  eine  lange  Zeit  unter- 
halten, solange,  als  die  Mengen  der  Aether  ämpfe,  welche  die  Exspi- 
rationsluft liefert,  in  solchen  Dosen  in  die  Inspirationsluft 
übergehen,  welche  hinreichen,  um  die  Konzentration  des  Aethers 
im  Blutplasma  auf  der  Höhe  zu  erhalten,  dass  tiefe  Narkose  be- 
steht. Hier  benützen  wir  tatsächlich  die  Ausatmung  des  Narkoti- 
kums. In  anderen  Fällen  können  wir  leicht  durch  Nichtbeachten 
dieses  Faktors  eine  Ueberd  osierung  resp.  eine  zu  hohe  Konzen- 
tration des  Narkotikums  im  Blutplasma  erreichen,  und  nament- 
lich   bei    solchen  Narkotika,    welche    kumulierende    Eigenschaften 

10 


-     146     - 

besitzen,  kann  eine  Lebensgefahr  für  den  Kranken  daraus  ent- 
stehen. Deshalb  muss  diese  exspirierte  Menge  des  Narkotikums 
beachtet  werden. 

In  jenen  Fällen,  wo  die  Exspirationsluft  in  die  Umgebung  des 
Kranken  abgeleitet  wii'd ,  spielt  obiges  keine  Rolle ;  nur  bei  solchen 
Narkosenapparaten,  welche  einen  Abschluss  mehr  oder  minder 
dicht  um  die  Respirationsöffnungen:  Mund  und  Nase  des 
Kranken,  bilden ,  muss  der  Narkotiseur  mit  diesem  Umstände  rechnen, 
z.  B.  bei  der  Wausch ersehen  Maske   etc. 

Es  kommt  aber  bei  der  Inhalationsnarkose  neben  den  direkten 
Einflüssen  des  Narkotikums  noch  ein  anderer  Körper,  die  Kohlen- 
säure, mehr  oder  weniger  in  Betracht.  Die  Kohlensäure  an  sich  wirkt 
ebenfalls  betäubend  auf  die  nervösen  Zentralorgane.  Wenn  wir 
z.  B.  bei  den  früheren  Narkotsierungsmethoden  die  Gasverhält- 
nisse in  den  Lungen  bedenken,  so  finden  wir,  dass  ein  beträchtlicher 
Sauerstoffmangel  besteht,  während  ein  Ueberschuss  von  Kohlen- 
säure vorhanden  ist.  Dies  kommt  daher:  Bei  manchen  Narkosen, 
z.B.  der  Genfer  Methode,  der  Wauscherschen  Mask  e  etc.,  ist  das 
Prinzip  das,  dem  Kranken  neben  dem  Aether,  (meist  ist  derselbe 
dabei  verwendet)  oder  anderem  Narkotikum  wenig  Luft  zuzuführen, 
und  dem  Patienten  die  Exspirationsluft  wieder  inspirieren  zu  lassen. 
Diese  Exspirationsluft  besteht  zum  grössten  Teil  aus  Kohlensäure, 
Wasserdampf,  Narkotikumdampf,  Stickstoff  und  ganz  wenig 
Sauerstoff.  Je  dichter  die  Maske  auf  dem  Gesicht  aufliegt,  je  länger 
dieselbe,  ohne  abgenommen  oder  gelockert  worden  zu  sein,  liegt,  um 
so  reicher  wird  die  u.nter  der  Maske  befindliche  Luft  an  Kohlen- 
säure, die  eingeatmet  Avird.  Der  Kranke  steht  also  unter  einem 
Sauerstoffmangel,  und  folglich  zeigt  er  das  Bild  eines  cyanotischen, 
apnoischen  Menschen,  oftmals  sucht  er  sich  Luft  zu  schaffen,  und  es 
entstehen  Delirien,  die  Symptome  der  Excidation.  Bei  allen  diesen 
Narkosen  haben  Avir  es  eigentlich  mit  einer  Aether-  Kohlensäure-  oder 
Chloroform-Kohlensäure-Narkose,  also  einer  Mischnarkose  zu 
tun.  Dass  nun  die  Kohlensäur»  kein  sehr  wenig  harmloses  Nar- 
kotikum ist,  werden  wir  später  sehen,  und  dass  diese  Narkosen  sehr 
viel  Gefahren  mit  sich  brachten,  hat  man  erkannt,  da  man  von  der 
Methode  abstand. 

Es  ist  jedenfalls  in  vielen  Fällen  gar  nicht  das  Narkotikum 
an  sich  gewesen,  das  den  Unglücksfall  während  der  Narkose  her- 
vorrief, sondern  die  Kohlensäure,  Avelche  toxisch  wirkte.  Man 
schrieb  irrtümlicherweise  die  grössere  narkotische  Kraft,  z.  B.  des  Aethers 
bei  Luftabschluss,  den  konzentrierten  Aetherdämpfen  zu,  weil 
die  Narkose  eher  eintrat,  als  bei  Sauerstoffzutritt.  Währenddessen 
vvar  es  aber  die  Kohlensäure,  welche  hauptsächlich  die  schnellere 
Narkose  bewirkte,  wenn  auch  nebenbei  die  konzentrierten  Aetherdämpfe 
etwas  stärker  wirkten,  doch  nicht  so  stark,  wie  tatsächlich  nötig  war 
für  die  Betäubung.  Man  sah  auch  bei  dieser  Methode  sehr  bald,  dass 
man  mit  wenig  Aether  eine  tiefere  Narkose  erreichen  konnte,  als 
bei  Luftzutritt. 


—     147     - 

Bei  Luftzutritt  entweicht  Aether  nach  aussen,  doch  nicht  so  viel, 
als  die  Differenz  ausmacht  zwischen  den  verbrauchten  Mengen  bei 
beiden  Narkosen,  denn  bei  der  Luftabschluss  narkose  muss  weniger 
Aether  gebraucht  werden,  weil  eben  die  Kohlensäure  einen  Teil  des 
Aethers  vertritt.  Die  Gefahren  für  den  Kranken  resultierten  bei  der 
Luftabschlussmethode  teils  aus  den  AVirkungen  der  Kohlensäure,  teils 
aber  aus  dem  Mangel  an  Sauerstoff.  Es  ist  aus  diesen  Betrach- 
tungen ersichtlich,  dass  der  Luftzutritt  bei  jeder  Narkose  soweit  er- 
möglicht werden  muss ,  dass  der  Kranke  den  zur  Atmung  nötigen 
Sauerstoff  zugeführt  erhält.  Diesen  Grundsatz  verfolgt  man  neuei*- 
dings  bei  allen  Methoden,  und  man  muss  sich  Avundern,  dass  doch 
noch  Anhänger  jener  Methoden,  wie  der  Genfer  und  der  Wau- 
scherschen   ohne   Luftzutritt   etc.,  zu  linden  sind. 

Bei  dem  meist  üblichen  Verfahren  in  Deutschland,  der  Tropf- 
methode,  wird  diese  ausgeatmete  Menge  des  Narkotikums  mit  in  Be- 
tracht kommen ,  weil  wir  nicht  viel  Luft  seitlich  von  der  Maske  zu- 
strömen lassen.  Wenn  die  umgebende  Luft  dicht  abgeschlossen  ist, 
so  atmet  der  Kranke  unter  der  Maske  eine  höher  mit  Narkotikum- 
dampf konzentrierte  Luft,  als  wir  durch  Darreichung  erzielen, 
und  zwar  um  so  viel  höher,  als  der  Kranke  von  Narkotikumdämpfen 
exspiriert.  Um  übergrosser  Zufuhr  dadurch  vorzubeugen,  ist  es  gut, 
wenn  wir  neben  der  Maske  reichlich  atmosphärische  Luft  hinzutreten 
lassen.  Bei  den  starkwirkenden  Narkotika,  wie  Chloroform,  ist  dies 
sehr  wichtig,  während  Avir  bei  den  milderen,  wie  Aether,  oftmals  die 
Luftzufuhr  etAvas  beschränken  dürfen,  und  so  die  Exspiration  von  Aether- 
dämpfen  mit  zur  Narkose  benutzen.  Jedenfalls  müssen  wir  uns  be- 
Avusst  sein,  dass  der  Kranke  bestimmte  Mengen  exs])iriert,  und  dass  hier- 
bei auch  die  Kohlensäure  mitspricht,  und  wir  müssen  Avissen,  wie 
weit  Avir  dieselben  in  den  jeweiligen  Fällen  benützen  dürfen,  ohne  den 
Kranken  ernsten  Gefahren  auszusetzen.  Jedenfalls  sollten  Avir 
stets  grosse  Vorsicht  bei  VerAvendung  derselben   beobachten. 

Die  Art,  wie  wir  das  Narkotikum  dem  Organismus  einverleiben,  hat 
auf  die  Narkose  an  sich  wenig  Einfluss,  denn  bei  allen  Bezieh- 
ungen kommt  es  nur  auf  die  Konzentration  des  Narkotikums  im 
Blutplasma  an,  Avie  wir  gesehen  haben.  Auf  welche  Weise  man  das 
Narkotikum  in  das  Blut  bringt,  ist  erst  in  zav  eiter  Richtung  Avichtig. 
In  der  Tat  besitzt  auch  die  Methode  der  Einverleibung  keinen  beson- 
ders grossen  Einfluss  auf  den  Verlauf  der  Narkose,  denn  es  macht 
nur  wenig  Zeitdifferenz  aus,  ob  man  inhalieren  lässt,  oder  sub- 
kutan einspritzt,  oder  durch  den  Darm  resorbieren  lässt.  Hin- 
gegen ist  die  Inhalationsmethode  wohl  deshalb  die  gebräuchlichste, 
weil  die  meisten  Narkotika,  welche  bis  jetzt  Verwendimg  gefunden  haben, 
leicht  verdampfb.ar  sind,  und  somit  am  zweckmässigsten  inha- 
liert werden.  Die  anderen  Methoden,  vor  allem  die  subkutane  Ein- 
verleibung, sind  nicht  so  vorteilhaft,  da  man  die  Dosierung  nicht 
so  leicht  ändern  und  bestimmen  kann  nach  der  momentanen 
Reaktion,  und  Aveil  viele  dieser  Narkotika  auf  das  Blut,  wenn  sie 
in  grossen  Mengen   direkt  mit  demselben  in  Berührung  kommen, 

10* 


—     148     - 

zerstörend,  Erytlirocyten  vernichtend,  wirken.  Der  Vorzug  der 
Inlialationsmetliode  ist  also  der,  dass  man  den  direkten  momentanen 
Reaktionen  des  Organismus  auf  kleine  Mengen  entsprechend  die 
Dosierung  und  Darreichung  einrichten  kann.  So  kann  man  in 
jedem  Moment  die  Narkose  unterbrechen,  während  man  hei  an- 
deren Einverleibungen  derselben  Narkotika  natürlich  mehr  auf  einmal 
einführen  müsste,  und  nicht  sofort  die  Narkose  unterbrechen  könnte, 
wenn  irgend    ein  Unfall  Veranlassung  dazu  bietet. 

Es  kommt  nun  bei  der  Inhalationsmethode  nur  darauf  an, 
dass  man  dem  Organismus  das  Narkotikum  in  Dampfform  mit  Luft 
gemischt  in  einer  bestimmten  Konzentration  zuführt.  Die  Höhe 
der  Konzentration  ist  für  jedes  Narkotikum  einzeln  zu  bestimmen. 
Man  hat  ja  gefunden,  dass  eine  bestimmte  Konzentration  des  Nar- 
kotikums im  Blute  herrschen  muss,  damit  die  Narkose  eine  voll- 
ständige wird,  und  dass  diese  Konzentration  gleich  bleiben  muss, 
wenn  die  Narkose  gleich  tief  fortdauern  soll.  Wird  die  Konzen- 
tration geringer  im  Blutplasma,  so  wird  auch  die  Narkose  zu- 
rückgehen etc.  Hieraus  geht  daher  hervor,  dass  man  die  Konzen- 
tration der  Dämpfe  immer  so  gestalten  muss,  dass  die  Konzentra- 
tion im  Blutplasma  gleich  bleiben  muss.  Daher  ist  es  erforderlich, 
dass  bei  Eintritt  der  Toleranz  eine  geringere  Menge  Narkotikum- 
dampf  mit  Liift  gemengt  eingeatmet  werden  muss,  gerade  so  viel 
weniger,  als  von  dem  Blutplasma  in  bestimmter  Zeit  an  den  Körper 
abgegeben  wird.  Durch  dies  Minus  Avird  die  Konzentration  im 
Plasma  geringer,  und  es  muss  das  Minus  ausgeglichen  Averden,  um 
die  Narkose  zu  unterhalten.  Würde  man  dieselbe  Konzentration 
des  Narkotikums  in  der  Luft  Aveiter  geben,  so  Avürde  das  Blut  zu 
A'iel  erhalten,  die  Konzentration  im  Plasma  Avürde  zu  hoch 
AA^erden,  und  dadurch  könnte  der  Organismus  in  Gefahr  kommen  ev. 
der  Tod  eintreten. 

Daher  ist  es  nun  sehr  Avichtig  zu  Avissen,  Avie\'iel  gibt  denn  das 
Blutplasma  Narkotikum  in  einer  bestimmten  Zeit  ab,  denn  soA'iel 
muss  ihm  ja  AA'ieder  zugeführt  Averden.  Diese  Abgabe  des  Plasma 
ist  aber  in  jeder  Phase  der  Narkose  verschieden,  richtet  sich  auch 
nach  den  körperlichen  Verschiedenheiten  und  Verhältnissen. 
Man  muss  bedenken,  dass  das  Narkotikum  nicht  nur  von  den  Zellen 
des  Gehirns,  sondern  auch  im  ganzen  Körper  von  vielen  Zellen 
aufgenommen  und  vorläufig  gebunden  wird,  z.  B.  von  jenen  Zellen 
Avelche  viel  Fette  und  Oele  etc.  enthalten,  denn  Fette,  Oele  und 
ähnliche  Stoffe  lösen  die  indifferenten  Narkotika  sehr  gut. 
Wenn  aber  diese  Fettzellen  mit  Narkotikum  gesättigt  sind,  so  nehmen 
sie  keins  mehr  auf,  folglich  ist  die  Aufnahme  und  die  Abgabe  des 
Blutplasma  in  jedem  Moment  eine  andere.  Wir  müssen  also  von 
vornherein  verzichten,  dieses  Defizit  ermitteln  zu  können.  Allein 
Avenn  wir  auch  nicht  einen  Zahlen  wert  dafür  erhalten  können,  so 
steht  es  ims  doch  zu,  jeden  Moment  über  die  Konzentration  des 
Narkotikums  im  Blutplasma  uns  zu  orientieren.  Denn  der 
Körper  zeigt  genau  an,  Avie   hoch  sich  die  Konzentration  beläuft, 


-      14«)     — 

und  die  Werte  sind:  genügend ,  zu  viel  und  zu  wenig.  Diese  drei 
Stufen  genügen  uns  vollkommen.  Der  Messer  dieser  Werte  wird 
uns  diu-ch  die  Pupille  gegeben,  und  der  Zeiger  ist  die  verschiedene 
Weite  und  die  Reaktion  der  Pupillen  auf  Licht.  Diese  Verän- 
derungen stellen  Reflexe  dar. 

§  61.  Um  aber  auch  immer  die  Werte  verAverten  zu  können, 
welche  uns  die  Pupillenbeschaffenheit  angibt,  müssen  wir  Sorge 
tragen,  dass  die  Dosierung  momentan  eine  sehr  geringe  ist.  Es 
darf  auf  einmal  eine  sehr  geringe  Menge,  dafür  aber  öfter,  der  Luft 
beigemischt  werden.  Dadurch  erhalten  wir  annähernd  die  nötige 
Konzentration  des  Narkotikums  in  der  Atmungsluft.  Die 
Hauptmethode,  wie  wir  diese  Konzentration  erreichen,  ist  die  der 
Tropfmethode.  Es  sind  Apparate  konstruiert  worden,  Avelche 
immer  die  richtige  Konzentration  herstellen,  doch  diese  Apparate 
sind  derart  kompliziert,  da  zu  viel  Momente  dabei  bedacht  und  in 
Rechnung  gezogen  werden  müssen,  wie  Temperatur,  atmosphäri- 
scher Druck  etc.,  dass  dieselben  Avohl  zu  Avissenschaftlichen 
Untersuchungen,  zu  Narkosen  an  Tieren  verAv  endet  Averden 
können,  nicht  aber  für  die  Praxis  zu  gebrauchen  sind.  Wenn  man 
aus  einer  massigen  Höhe  einen  Tropfen  des  Narkotikums,  und  so 
weiter  jede  Sekunde  einen  neuen,  immer  in  bestimmten  Zeiträurnen, 
auf  die  Maske  fallen  lässt,  so  Avird  unter  der  letzteren  annähernd  die 
gCAvünschte  Konzentration  erreicht.  Durch  dieses  Auf  tropfen 
ist  es  nun  leicht,  in  jedem  Augenblick  die  Konzentration  zu  ändern, 
indem  man  schneller  oder  langsamer  die  Tropfen  fallen  lässt,  ausser- 
dem kann  man  durch  Lüften  der  Maske  ebenfalls  auf  die  Konzentra- 
tion eiuAvirken.  Nun  ist  ja  auch  bis  zum  Eintritt  der  Toleranz  eine 
bestimmte  Höhe  der  Konzentration  nötig,  und  solange  Avird  man 
entsprechend  der  Art  des  Narkotikums  die  Tropfen  in  einer  bestimmten 
Zeit  fallen  lassen,  bis  sie  erreicht  ist.  Von  dem  Eintritt  der  Tole- 
ranz an  kann  man  die  GescliAvindigkeit  des  Tropfens  verlang- 
samen und  man  Avird  sich  dabei  genau  nach  dem  Verhalten  der  Pu- 
pillen richten.  Diese  Methode  ist  entschieden  diejenige,  welche  dem 
Ideal  am  nächsten  kommt.  Man  hat  die  Konzentration  des  Nar- 
kotikums unter  den  verschiedenen  Masken  während  der  Narkose 
geprüft,  und  chemisch  die  Zusammensetzung  des  Luft-Narko- 
tikumgemisches unter  der  Maske  bestimmt,  und  es  hat  sich  heraus- 
gestellt, dass  die  Luft  -  Narkotikumdampfgemische  unter  der  Maske 
Avährend  der  Tropfmethode  am  meisten  der  für  das  bestimmte  Nar- 
kotikum feststehenden  Höhe  der  Konzentration  ähneln,  und  bei 
peinlicher  Dosierung  und  Handhabung  fast  gleich  sind.  Diese 
Untersuchungen  machen  dem  Wettstreit  der  verschiedenen  Methoden 
der  Inhalationsnarkose  ein  Ende,  indem  man  durch  dieselben  zum 
Verwenden  der  Tropfenmethode  gebracht  Avird.  Es  spricht  auch 
noch  die  leichte  Handhabung  und  Transportierbarkeit  der 
Apparate  mit  für  die  Tropfmethode  und  deren  Apparat.  Da 
letzterer  sehr  einfach  und  klein  ist,  so  lässt  er  sich  leicht  in  der  Tasche 
mit  über  Land  führen.      Aus   diesem  und    noch  vielen  Gründen    ist    die 


-     150     - 

Tropfmethode  für  den  praktischen  Arzt  die  beste.  Man  hat 
daher  auch  in  der  Jetztzeit  bei  den  meisten  Inhalationsnarkotika 
diese   Metiiode   als   feststehend  gewählt. 

§  62.  Es  gilt  als  Tatsache,  dass  die  Reflexe  die  letzten  un- 
willkürlichen Tätigkeitseffekte  der  Ganglienzellen  darstellen, 
welche  erlöschen  ehe  die  lebensA^ächtigen  Zentren  getroffen  werden. 
Von  den  Reflexen  sind  nun  einzig  und  allein  die  Lichtreflexe  der 
Pupillen  zu  gebrauchen,  denn  diese  widerstehen  der  Wirkung  des 
Narkotikums  am  längsten  bez.  der  totalen  Lähmung.  Dieselben  werden 
aber  auch  sofort  bei  den  ersten  Atemzügen  von  Narkotikum- 
Luft  beeinflusst,  und  in  jeder  Phase  der  Narkose  bilden  uns  die 
Pupillen  die  sichersten  Leiter.  Es  ist  ja  nicht  zu  leugnen,  dass 
wir  auch  den  Kornealreflex  in  manchen  Fällen  gebrauchen  müssen, 
wo  z.  B.  die  Augen  krankhaft  aftiziert  sind,  und  eine  Funktion  der 
Pupillen  nicht  mehr-  vorhanden  ist,  z.  B.  bei  Tabes  dorsalis, 
Paralyse.  Aber  auch  in  solchen  Fällen  fehlt  meist  der  Korneal- 
reflex. Ausserdem  ist  derselbe  so  verschieden  in  seinem  Schwinden 
und  Vorhandensein  beeinflusst  durch  individuelle  und  sonstige 
Verhältnisse,  dass  er  ein  sicheres  Mass  nicht  darstellt.  Jene 
wenigen  Fälle,  wo  die  Pupillar Verhältnisse  nicht  für  uns  verwert- 
bar sind,   stellen  grosse   Seltenheiten  dar. 

§  63.  Die  Prüfung  der  Pupillen  muss  nun  aber  in  jedem 
Falle  vor  dem  Einleiten  einer  Narkose  erfolgen,  denn  es  könnte  ja 
z.B.  eine  Tabes  dorsalis  bestehen,  und  die  Reaktion  fehlen.  Hat 
man  sich  nun  überzeugt,  dass  im  normalen  Zustande  die  Reaktion 
der  Lic  ht Verhältnisse  normal  vor  sich  geht,  so  hat  man  einen 
sicheren  Führer  in  derselben  während  der  Narkose.  Bei  Beginn  der 
Inhalationen  hat  schon  eine  genaue  Beobachtung  zu   erfolgen. 

Man  denke  nicht,  dass  jetzt  während  des  Anfangs  noch  keine 
Gefahren  eintreten  können.  Unsere  Pflicht  ist  jetzt,  zu  erkennen,  wie 
sich  der  betreffende  Organismus  gegenüber  dem  Narkotikum  ver- 
hält. Schon  die  ersten  Atemzüge  führen  eine  genügende  Menge 
des  Narkotikums  in  den  Organismus,  dass  die  Pupillen  beeinflusst 
werden  können,  und  durch  ihr  Verhalten  Gefahren  oder  eiiae  Idio- 
synkrasie anzudeuten  vermögen.  Wenn  nämlich  die  Pupille  sofort 
nach  den  ersten  Atemzügen  auffallend  starr  wird,  und  eine  beson- 
dere Neigung  zum  Erweitern  zeigt,  so  ist  dies  ein  Symptom,  dass 
der  betreffende  Organismus  eine  Idiosynkrasie  gegen  das  betreffende 
Narkotikum  besitzt,  und  es  ist  das  beste  Mittel,  um  plötzlich  ein- 
tretenden ernsten  Gefahren  wie  Herzsynkope  etc.  vorzubeugen,  das 
Narkotikum  mit  einem  anderen  zu  vertauschen.  Es  ist  dieses  Ver- 
halten der  Pupillen  vor  allem  beim  Chloroform  beobachtet,  und 
doch  sind  dieselben  Beziehungen,  wie  man  sie  bei  Chloroforminhalationen 
beobachtet  hat,  auch  auf  die  anderen  Narkotika  zu  beziehen.  Es 
ist  dieses  Symptom  im  Anfang  der  Narkose  ungeheuer  wichtig,  und 
findet  doch  noch  in  vielen  Fällen   eine  zu  geringe   Beachtung. 

Die  Pupillen  verändern  sich  im  Laufe  der  Narkose  mehrfach 
ganz    analog    der  Tiefe    der  Betäubung,    und  geben    so    ein  sicheres 


-      151     — 

Zeichen,  wie  tief  der  Patient  narkotisiert  ist.  Man  hat  bei  der 
Prüfung-  der  Pupillen  vor  allen  Dingen  zu  beachten,  ob  die  Pupille 
normal  weit  ist,  ob  sie  sehr  eng,  sehr  weit  ist.  Ferner  hat  man  zu 
])rüfen,  ob  dieselbe  auf  Lichteinfall  reagiert.  Jedermann  weiss,  dass 
das  Licht  die  Pupille  zur  Kontraktion  bringt,  und  dass  im  Dunkeln 
die  Pupille  wieder  aus  der  Kontraktionsstellung  zurückkehrt  in 
die  gewöhnliche  mittelweite  Stellung.  Durch  den  Einfluss  der  Nar- 
kotika wird  die  Pupille  durch  die  Lähmung  der  Muskeltätig- 
keit etc.  verändert.  Wenn  wir  nun  die  Pupillenverhältnisse  prüfen 
wollen,  so  haben  wir  also  zu  beachten,  wie  ist  die  Weite  der  Pupille, 
und  wie  verhält  sich  zu  gleicher  Zeit  die  Reaktion  auf  das  durch  das 
Oeffnen  des  Auges  in  dasselbe  fallende  Licht.  Wir  haben  da 
folgende   Zustände: 

I.  Mitttelweite  Pupille  und  vorhandenen  Lichtreflex, 
d.  h.  die  Pupille  wird  beim  Oeffnen  des  Auges  etwas  enger.  Dies 
ist  der  gewöhnliche  Zustand  des  Auges. 

IL  Enge  Pupille,  welche  nicht  mehr  auf  Lichteinfall  hin 
enger  wird.  Dies  ist  der  Zustand,  wo  Toleranz,  d.  h.  tiefe  Nar- 
kose, bei   der  schon   Anästhesie  besteht,  eingetreten  ist. 

III.  Enge  Pupille,  welche  beim  Oeffnen  des  zweiten  Auges 
ein  ganz  wenig  enger  wird.  Das  ist  der  Zustand,  auf  welchem  die 
Narkose  erhalten  werden  soll,  denn  der  Kranke  ist  soweit  narkotisiert, 
dass  er  anästhetisch  ist,  aber  nicht  ganz  so  tief  betäubt  ist,  wie 
in  Fall   II,   sondern   er  ist  ein  wenig  näher  dem   Erwachen. 

IV.  Weite  Pupille,  welche  nicht  auf  Lichteinfall  reagiert. 
Hier  finden  wir  die  Pupille  viel  mehr  dilatiert,  als  im  Normalzustand. 
Es  ist  dies  ein  sehr  gefährlicher  Zustand,  da  die  Betäubung  so 
tief  ist,  dass  der  Tod  nahe  ist.  Man  muss  sofort  die  Zufuhr  des 
Narkotikums  sistieren.  Wenn  nicht,  so  springt  die  Pupille  plötzlich 
in   die  maximale  Verengerung  über,   und  der  Tod  tritt  ein. 

V.  Vollkommene,  maximale  Enge  ohne  Lichtreaktion.  In 
diesem  Zustand  ist  die  Pupille  noch  enger,  als  im  Fall  III.  Dieser 
Zustand  tritt  mit  dem  Tod  ein,  und  nach  demselben  erweitert  sich  die 
Pupille  noch  ein  wenig. 

Zu  beachten  ist  noch,  dass  die  Pupille  durch  irgend  welche 
Zustände  oder  Medikamente  etc.  beeinflusst  wird,  und  dass  in 
solchen  Fällen  natürlich  Abweichungen  von  der  Norm  eintreten 
können,  welche  man  kennen  muss.  So  kommt  es  vor,  dass  bei  Ope- 
rationen an  den  Unterleibsorganen  die  Pupillen  während  der 
ganzen  Dauer   der   Operation  reflektorisch   weit  erscheinen. 

Ferner  kommt  es  vor,  namentlich  im  Beginne  der  Narkose, 
dass  eine  vorübergehende  Erweiterung  der  mittelweiten  Pupille 
eintritt.  Dies  ist  nach  Hankel  eine  Folge  der  Trigeminusreizung, 
welche  mit  der  Erregung  reflektorisch  auf  den  Sympathicus  wirkt. 
Dieselbe  Erscheinung  kann  man  durch  Hautreize,  wie  Bürsten  der 
Haut  etc.  hervorrufen. 

Die  Reaktion  der  engen  Pupille  beim  Oeffnen  des  anderen 
Auges  beruht  nach  Strassmann   auf  der  Vermehr un«:  des  direkten 


—     152     — 

Reizes  um  den  konsensuellen.  Die  Enge  der  Pupille  kann  im 
höchsten  Grade  Stecknadelkopfgrösse  betragen,  während  die  grösste 
Dilatation  einen  Durchmesser  der  Pupille  von  2  mm  hervorrufen 
kann.  Die  sprungweise  Erweiterung  der  engen  reaktionslosen 
Pupille,  oder  besser,  der  maximal  engen  Pupille,  denn  die  maxi- 
male Enge  schliesst  eine  Reaktion  auf  Licht  an  sich  aus^  bei  stetem 
Nark  otikum  verabreichen  wird  durch  Reizung  des  Sympathicus 
erklärt. 

Das  Prüfen  des  Pupillenreflexes  geschieht  so,  dass  man  mit 
dem  Daumen  das  obere  Augenlid  hebt.  Man  achte  darauf,  dass 
der  Daumen  nur  die  äussere  Haut,  nie  die  Konjunktiv a  oder 
Kornea  berühre,  denn  die  Finger  des  Narkotiseurs  können  nicht 
so  sauber  sein,  dass  nicht  Spuren  des  Narkotikums,  welche  im  Auge 
Aetz Wirkungen  erzeugen  können,  an  denselben  haften,  oder  andere 
Verunreinigungen  an  denselben  sich  befinden,  welche  im  Auge 
Krankheiten  erzeugen,  und  dem  Kranken  Schaden  zufügen  können. 
Aus  diesem  Grunde  ist  schon  das  Prüfen  des  Korne alreflex es  zu 
verwerfen. 

Wenn  Avährend  der  Narkose  Erbrechen  eintritt,  so  wird  dieses 
durch  ein  eigentümliches  Verhalten  der  Pupillen  angezeigt.  Die- 
selben befinden  sich  vor  dem  Erbrechen  in  schwankender  Be- 
wegung, bald  eng,  bald  weit,  vorübergehend  rhythmisch  ihren  Zu- 
stand ändernd.  Dieses  wechselnde  Verhalten  der  Pupillen 
nennt  Strassmann  Pupillentanzen.  Dieses  Pupillentanzen  tritt 
vor  jedem  Brechen  in  dem  Stadium  des  Anfanges  und  des  Er- 
wachens auf,  während  des  Brechens  sind  die  Pupillen  weit, 
dilatiert. 

Das  Verhalten  der  Pupillen  wird  ferner  durch  die  vorhergehende 
Darreichung  von  Morphin  beeinflusst,  und  zwar  wird  der  Sphink- 
terentonus  verstärkt,  die  Pupillen  werden  bei  grossen  Morphium- 
gaben im  ganzen  verengt.  Wenn  man  dies  weiss,  so  kann  man  die 
Pupillen  demgemäss   beurteilen. 

Durch  die  Darreichung  von  Atropin  können  die  Pupillen 
ebenfalls  eine  Aenderung  erfahren,  sie  werden  erweitert,  und  neigen 
wenig  zur  Kontraktion.  Hierdurch  können  Verwechslungen  ent- 
stehen, wenn  man  nicht  weiss,  ob  und  wieviel  Atropin  vor  der  Nar- 
kose injiziert  worden  ist. 

§  64.  Analog  den  Aenderungen  der  Pupillen,  die  man  als 
Mass  für  die  Tiefe  der  Narkose  ansehen  kann,  hat  man  mehrere 
Stadien  der  Betäubung  zu  unterscheiden,  von  denen  jedes  einzelne 
durch  ein  bestimmtes  Verhalten  der  Pupillen  gekennzeichnet  ist. 
Wir  werden  in  dem  Folgenden  die  4  Stadien  der  Narkose  betrachten, 
und  dabei  das  Verhalten  der  Pupillen  in  jedem  einzelnen  Stadium 
erörtern. 

§  64a.  Bei  Beginn  der  Narkose  müssen  die  Pupillen  noch 
je  nach  den  Lichtverhältnissen  eine  mittlere  Weite  und  eine 
prompte  Reaktion  auf  Lichteinfall  aufweisen.  Mit  dem  Weiter- 
fortschr eiten   der  Narkose  werden   die  Pupillen  immer  enger,  und 


—     153     — 

verlieren  die  Fähigkeit  zu  reagieren,  d.  li.  die  Breite,  in  der  sie  auf 
Lichteinfall  sich  zusammenziehen,  und  bei  Verdunkelung  Avieder 
ausdehnen  wird  geringer.  Jetzt  haben  wir  noch  das  Stadium  I 
der  Narkose,  das  Initialstadium  vor  uns.  Der  Patient  verhält  sich 
in  diesem  Stadium  meist  noch  ähnlich  einem  Menschen  mit  Bewusst- 
sein,  man  kann  mit  ihm  noch  reden,  denn  das  Bewusstsein  ist  ja  noch 
nicht  erloschen.  In  diesem  Anfangsstadium  gut  es  bei  vielen  Nar- 
kotika scharf  beobachten  und  aufpassen,  denn  es  ereignet  sich  in 
manchen  Fällen,  dass  jetzt  bestimmte  Symptome  auftreten,  welche  auf 
eine  Idiosynkrasie  der  betreffenden  Person  hindeuten,  und  die  Be- 
achtung verdienen,  da  eine  Fortsetzung  der  Narkose  mit  demselben 
Narkotikum  den  sofortigen  Tod  des  Kranken  hervorrufen  kann. 
Diese  Zeichen  sind  in  der  Reaktion  der  Pupillen  gegeben,  denn  bei 
vorhandener  Idiosynkrasie  werden  die  Pupillen  un verhältnis- 
mässig starr  und  reaktionslos  auf  Licht,  und  neigen  zur  Di- 
latation. 

Ferner  muss  man  gerade  im  Anfangsstadium  Puls,  Atmung, 
und  die  sonstigen  Funktionen  des  Organismus  genau  beobachten,  ivm 
zu  erfahren,  wie   der   Kranke   auf  das   Narkotikum   reagiert. 

Zugleich  muss  man  vorsichtiger  in  der  Verabreichung  sein,  als 
eventuell  später,  da  man  eben  erst  die  Verhältnisse  prüfen  und  er- 
forschen muss.  Es  können  gerade  im  Beginn  der  Inhalationen 
schwere  Gefahren  entstehen,  entweder  infolge  von  S hock,  oder  durch 
Reflexwirkung  von  den  Schleimhäuten  in  Nase  und  Rachen, 
oder  durch  zu  starke  und  tiefe  Inspirationen,  nachdem  der  Kranke 
den  Atem  angehalten  hat,  wodurch  eine  Ueberschwemmung  des 
Blutes  und  Gehirns  mit  dem  Narkotikum  entsteht,  die  bei  manchen 
Narkotika  verderblich  werden  kann.  Es  muss  der  Arzt  jetzt  genau 
beobachten,  um  die  Wirkungen  des  Narkotikums,  und  die  Reaktion 
des  Organismus  kennen  zu  lernen,  und  in  den  späteren  Stadien 
darf  er  nicht  minder  achtsam  sein,  denn  er  muss  dann  seine  Beobach- 
tungen verwerten,  und  darf  nicht  denken,  dabs  jetzt  weniger  genaue 
Beachtung  aller  Erscheinungen  nötig  sei,  denn  in  jeder  Minute  ändert 
sich  das  Bild,  und  neue  Verhältnisse  können  entstehen,  neue  Symp- 
tome  sich  zeigen,   die   er   verstehen  und  beachten  muss. 

§  64b.  Mit  den  weiteren  Gaben  des  Narkotikums  stellt  sich 
nach  und  nach  eine  Veränderung  im  Bewusstsein  ein,  die  Ge- 
danken fangen  an  wirr  und  kraus  durcheinander  zu  scliiessen.  Dabei 
fühlt  der  Patient  meist  ein  eigentümliches  Ameisenlaufen,  Krabbeln 
und  Prickeln  über  den  ganzen  Körper,  und  endlich  dumpfe 
Schwere  in  den  Gliedern.  Die  Pupillen  sind  jetzt  noch  mittel- 
weit, und  reagieren  der  Dauer  der  Narkose,  und  der  Menge  des  ver- 
brauchten Narkotikums   entsprechend  träge. 

Nunmehr  gelangt  der  Patient  in  das  IL  Stadium,  das  der  Ex- 
zidation.  Wenn  man  die  Dosierung  recht  langsam  steigernd  und 
mit  Luft  beigemengt  eingerichtet  hat,  d.  h.  wenn  nie  eine  grössere 
Menge  auf  einmal  verabfolgt  wurde,  so  wird  der  Patient  oftmals 
ganz  ruhig  h  inübersclilummern  in  die  Toleranz.      Allerdings   ist  es 


—     154     — 

bei  den  verschiedenen  Narkotika  verschieden,  das  eine  erregt  eine 
grössere  Unruhe,  als  das  andere,  doch  es  ist  als  nunmehr  feststehend 
erprobt  worden,  dass  durch  eine  langsame  Einl  e  i tun g  der  Narkose 
die  Exzidation  bedeutend  gemildert,  ja  in  manchen  Fällen  ganz  ver- 
hindert werden  kann  (Witzel,  Mikulicz  etc.).  Früher  war  man  der 
Ansicht,  der  Patient  müsste  mit  dem  Narkotikum  schnell  betäubt 
werden,  und  so  gab  man  auf  einmal  grosse  Dosen  bei  Verhinderung 
von  Luftzutritt.  Man  bezeichnet  dies  jetzt  als  Erstickungsnar- 
kosen, und  wir  finden  den  Hergang  bei  solchen  Narkosen  schon  durch 
diesen   Namen  erklärt. 

Wie  viele  Gefahren  durch  diese  Methoden  heraufbeschworen 
wurden,  kann  man  garnicht  so  schnell  übersehen,  und  ein  genaues  Er- 
wägen zeigt  deutlich,  wie  falsch  die  Methode  war.  Wir  haben  da- 
her jetzt  vollkommen  die  Narkotisierungsart  in  Güssen  aufge- 
geben, und  lassen  in  den  meisten  Fällen  die  Tropf methode  mass- 
gebend  sein. 

Die  Exzidation  des  Patienten  zeigt  sich  als  ein  hoher  Grad 
von  geistiger  wie  körperlicher  Unruhe.  Der  Kranke  schlägt  um 
sich,  wehrt  sich  heftig,  und  ist  in  hochgradiger  motori  scher  Unruhe 
begriffen,  nebenbei  heftig  schreiend,  sprechend,  singend,  weinend, 
zankend  und  scheltend  etc.  Es  ist  eine  Verschiedenheit  in  der 
Exzidation  bei  den  verschiedenen  Narkotika  wahrnehmbar,  die  einen 
rufen  eine  mehr  heitere  (manische)  Erregung,  die  anderen  eine 
melancholisch  traurige,  andere  eine  mehr  erotische,  sexuelle 
Erregung  hervor. 

Neben  den  direkten  Einflüssen  der  Narkotika  sind  es  die 
Gesichtskreise  der  Psyche  jedes  einzelnen  Menschen,  Avelche  sich 
in  der  Excidation  offenbaren,  und  man  kann  in  vielen  Fällen  aus 
dem  Charakter  der  Excidation  auf  die  Eigenschaften  psychi- 
scher Art,  auf  die  Tätigkeit,  die  sozialen  Verhältnisse,  die 
Charaktereigenschaften,  auf  die  geistige  Beschäftigung  und  die 
Gedankensphäre  des  Patienten  in  normalen  Zeiten,  die  vor  der 
Narkose  lagen,  schliessen.  Oftmals  erlangt  man  einen  gar  weiten  Ein- 
blick in  die  Tiefen  des  Geisteslebens  des  Kranken  durch  die  Nar- 
kose, oftmals  plaudert  auch  der  Kranke  Sachen  aus,  die  er  lieber  als 
Geheimnis  bewahrt  hätte.  Wir  haben  diesen  Punkt  an  anderer  Stelle 
genauer   erörtert. 

§  64c.  Wenn  sich  nun  in  dem  zweiten  Stadium  diese  Zeichen 
der  Excidation  offenbaren,  so  haben  wir  nur  nötig,  dem  Kranken 
die  bestimmte  Konzentration  des  Narkotikums  in  der  Luft  weiter 
zu  verabreichen.  Wir  sehen  dann  bald  alle  die  Erregungszustände 
sich  verringern,  und  bald  wird  der  Kranke  ruhiger  und  fängt  an 
einzuschlafen.  Während  er  bisher  immer  noch  eine  Ans]3annung 
der  Muskulatur,  eine  deutliche  Funktion  der  Reflexe  (Würgen, 
Brechen,  Husten)  gezeigt  hatte,  macht  sich  nunmehr  eine  vollkom- 
mene Parese  der  motorischen  Muskeln  und  teilweise  der  Reflexe 
bemerkbar.  Die  Augen refl exe  sind  erloschen  bis  auf  den  Pupillen - 
reflex,   welcher  nunmehr  ebenfalls  immer  mehr  beeinflusst  wird. 


—     155     - 

Wir  haben  nunmehr  das  dritte  Stadium,  das  der  Toleranz 
vor  uns.  Der  Patient  liegt  schlaff  auf  dem  Tische,  die  Extremitäten 
fallen  vollständig-  schlaff"  herab,  die  Atmung  ist  tief,  regelmässig, 
schnarcliend,  die  Augen  sind  starr,  die  Pupillen  sind  ad  maxi- 
mum  verengt,  ohne  Lichtreflexe  zu  zeigen.  Es  ist  dies  eine  sehr 
tiefe  Narkose,  die   Anaesthesie  ist  eine  vollkommene. 

Nun  fragt  es  sich ,  soll  die  Narkose  auf  diesem  Punkt  erhalten 
bleiben?  Viele  Autoren  wollen  diesen  Zustand  immer  erhalten, 
sie  geben  so  viel  Narkotikum  bis  die  maximale  Verengerung  der 
Pupillen  erreicht  wird. 

Würde  man  nunmehr  noch  weitere  Mengen  des  Narkotikums 
dem  Kranken  zuführen,  so  würden  die  Pupillen  plötzlich  maximal  er- 
weitert werden,  sie  springen  quasi  um,  ohne  aber  auf  Lichtein- 
fall wieder  zu  reagieren.  Li  diesem  Zustand  ist  die  Narkose  bedroh- 
lich, die  Gefahren  sind  höchst  nahe,  man  muss  auf  jeden  Fall  das 
Narkotisieren  unterbrechen.  Setzt  man  es  dennoch  fort,  so  werden 
die  Pupillen  plötzlich  sprungweise  maximal  eng,  nachdem  Herz- 
und  Lungentätigkeit  gelähmt  ist,  und  es  ist  der  Tod   eingetreten. 

Der  Zustand,  auf  welchem  wir  die  Narkose  erhalten  sollen, 
ist  aber  nicht  derjenige,  wie  oben  geschildert,  wo  die  Pupillen  ad 
maximum  verengt  sind,  sondern  es  ist  eine  Spanne  Zeit  früher. 
Wenn  wir  nämlich  die  Narkose  unterbrechen ,  so  gehen  mit  dem  Be- 
ginn der  Verringerung  der  Konzentration  des  Narkotikums  im 
Blutplasma  die  Pupillen  ein  wenig  aus  ihrer  maximalen  Ver- 
engerung heraus,  sie  werden  ein  wenig  weiter.  In  diesem  Zustande 
sehen  wir,  dass  eine  Pupille  beim  Oeff'nen  des  Auges  auf  Licht 
nicht  mehr  reagiert,  öfi^net  man  aber  dns  andere  Auge  und  prüft 
die  Pupille,  so  sieht  man,  wie  dieselbe  auf  Lichteinfall  ganz  ge- 
ringe Reaktion  zeigt,  sich  ein  ganz  wenig  kontrahiert.  Dieser 
Moment,  wo  die  Pupillen  ein  derartiges  Verhalten  zeigen,  ist  jener  Zu- 
stand der  Narkose,  in  welchem  sie  stets  erhalten  werden  sollte, 
und  es  dauert  bei  weiterem  Sistieren  der  Zufuhr  des  Narkotikums 
nur  eine  kurze  Zeit,  bis  die  Narkose  zum  Erwachen  führt.  Giebt 
man  nun  wieder  eine  gelinge  Dosis  mehr  von  dem  Narkotikum,  so  ist 
das  nächste  Stadium  das  der  engsten  reaktionslosen  Pupillen. 
Wenn  man  den  Kranken  immer  in  diesem  Zustande  zu  erhalten  sucht, 
so  ist  derselbe  den  wenigsten  Gefahren  ausgesetzt.  Hingegen  ist 
der  Punkt  der  engsten  reaktionslosen  Pupille  ein  gefährlicheres 
Stadium,  da  eine  geringe  Zufuhr  von  Narkotikum  genügt,  um  die 
Pupillen  ad  maximum  zu  dilatieren,  und  somit  die  Lähmung  der 
lebenswichtigen  Zentren  in  bedrohliche  Nähe  zu  rücken.  Da  verschie- 
dene Narkotika,  wie  Chloroform,  in  ihrer  Wirkung  unberechenbar 
sind,  so  neigen  gerade  diese  Stadien  zu  den  höchst  gefahrvollen* 
Momenten  der  Narkose  für  den  Kranken,  Herzsynkope  ist  sehr 
nahe,  und  bei  der  geringsten  Dosis  zu  viel,  kann  der  Tod  erfolgen,  über 
dessen  unvermutetes  Eintreten  man  event.  sehr  erstaunt  sein  kann.  Da 
nun  durch  jene  eigentümliche  Reaktion  der  Pupillen  ein  Stadium 
der  Narkose   kurz   vor  dem   des  Erwachens  angedeutet  wird,   in  welchem 


—     15(3     — 

aber  vollkommene  Anaesthesie  noch  vorhanden  ist,  ohne  eine  so 
grosse  Wahrscheinlichkeit  drohender  Gefahren,  so  ist  es  für  den 
Narkotiseur  sehr  günstig,  den  Kranken  immer  in  diesem  Stadinm 
der  Narkose  zu  erhalten,  freilich  erfordert  dasselbe  auch  viel  Geschick 
und  Beobachtungskullst,  da  bei  der  geringsten  Verzögerung  der  Zufuhr 
des  Narkotikums  der  Patient  erwachen  kann. 

§  64 d.  Die  Narkose  kann  nun  durch  Sistieren  der  Narko- 
tikumzufuhr in  das  IV.  Stadium  übergeleitet  werden,  in  das 
Stadium  des  Erwachens.  Die  Dauer  der  Zeit,  welche  vergeht,  bis 
der  Mensch  zum  Bewusstsein  zurückgekehrt  ist,  richtet  sich  ganz 
nach  dem  betreffenden  Narkotikum  und  nach  der  Dauer  der  Nar- 
kose, Quantität  des  Narkotikums  und  Disposition  des  Patienten  etc. 
Meist  geht  die  Narkose  in  einen  Schlaf  über.  Die  Pupillen  werden 
wieder  mittelweit,  die  Keaktion  derselben  auf  Licht  kehrt  zurück, 
wenn  auch  dieselbe  noch  während  einiger  Zeit  etwas  träge  auf  Licht- 
einfall statt  hat,  ein  Zeichen  der  noch  vorhandenen  Narkotikum- 
wirkung im   Organismus. 

Man  hat  bei  dem  Erwachen  darauf  zu  achten,  dass  man  den 
Kranken  nicht  plötzlich  aufrichtet,  während  er  im  postnarkotischen 
Schlafe  sich  befindet,  denn  man  kann  dadurch  leicht  Gehirnanämien 
und  Erbrechen  hervorrufen.  Jedenfalls  ist  es  vorteilhafter,  den 
Patienten  ruhig  ausschlafen   zu  lassen. 

Es  ist  nun  aber  noch  nicht  die  Zeit,  dass  wir  unsere  Hände  in 
den  Schoss  legen,  sondern  die  Behandlung  und  Beobachtungen 
des  Kranken  müssen  jetzt  noch  fortgesetzt  werden.  Wir  müssen  noch 
die  Herzaktion  und  Atemtätigkeit  kontrollieren  etc.  Darüber 
soll  weiter  unten  gesprochen  werden. 

§  65.  Man  hat  bei  den  verschiedenen  Narkotika  durch  Versuche 
und  exakte  Untersuchungen  festzustellen  gesucht  mittels  Apparaten, 
welche  den  Lungen  genau  dosierte  Mengen  des  Narkotikums  zuführen, 
wie  gross  bei  dem  einzelnen  Versu.chstiere  die  zur  Erzielung  einer  tiefen 
Narkose  nötige  Dosis  des  Narkotikums  ist.  Wenn  man  diese  Dosis 
überschreitet,  so  entstehen  Gefahren  für  das  Leben  des  Tieres.  Man 
hat  also  einen  bestimmten  Prozentgehalt  der  Luft  mit  Narkotikum- 
dampf festzuhalten,  unter  dessen  Höhe  herabgegangen  in  der  Inhala- 
tion, das  Tier  aus  der  Betäubung  erwacht,  über  dessen  Höhe  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  gegangen,  der  Tod  des  Tieres  hervorgerufen 
wird.  Wir  haben  also  eine  bestimmte  Dosis,  welche  Narkose  erzeugt, 
und  eine  solche,  welche  den  Tod  hervorruft.  Den  Unterschied  zwischen 
der  narkotisierenden  und  der  tötlichen  Dosis  bezeichnet  Paul 
Bert  als  Zone  maniable,  Kionka  als  Narkotisierungszone.  Die 
Narkotierungszone  stellt  also  den  Spielraum  dar,  innerhalb  dessen 
man  den  Prozentgehalt  der  Inspiratiois  sluft  an  Narkotikum- 
dampf schwanken  lassen  darf,  um  den  Narkotisierten  in  einer  tiefen 
Betäubung  mit  vollkommener  Anästhesie  zu  erhalten,  ohne  den- 
selben jedoch  der  Gefahr  quo  ad  vitam  auszusetzen.  Diese  Narko- 
tisierungszone ist  nun  bei  den  verschiedenen  Narkotika  verschieden, 
sie   schwankt  mit  der  verschiedenen   Grösse    des  Teilungskoeffizien- 


—     157     - 

teil  der  verscliiedeiien  Narkotika  zwischen  Wasser  und  den  Leci- 
thin-Cholesteringemischen,  und  ist  um  so  breiter,  je  geringer 
die  narkotisclie  Kraft  des  Narkotikums  oder  die  Grösse  des 
Teilung-sko effizienten  ist.  So  haben  wir  bei  Aether  sulfuricus 
eine  breitere  Nar kotisierungszone,  als  beim  Chloroform,  d.h. 
wir  können  durch  eine  geringere  Ueberschreitung  der  Höhe  der  nar- 
kotisierenden Dosis  den  Tod  bei  der  Chloroformnarkose  hervor- 
rufen, als  beim  Aether  sulfur.,  bei  welchem  wir  weit  über  die  nar- 
kotisierende Dosis  hinausgehen  können.  Von  der  Grösse  dieser 
Narkotisier  ungszone  können  wir  urteilen  auf  die  unmittelbare 
Gefährlichkeit  der  Wirkung  eines  Narkotikums.  Ebenso  können 
wir  von  der  Breite  der  Narkotisierungszone  eine  Lehre  ziehen 
für  unser  Handeln,  d.  h.  für  die  Dosierung  des  Narkotikums.  Wir 
müssen  bei  einer  geringen  Narkotisierungszone  peinlicher  do- 
sieren, und  sorgfältiger  die  Verabreichung  einrichten,  überwachen 
und  beobachten,  als  bei  einer  grösseren  Narkotisierungszone.  Dies 
bezieht  sich  aber  nur  auf  die  unmittelbare  Gefahr  der  Intoxikation 
durch  zu  hohe  Dosen  des  Narkotikums,  nicht  auf  die  Wirkungen  im 
allgemeinen.  Es  können  nebenbei  andere  Wirkungen  mit  dem  Narko- 
tikum verbunden  sein,  welche,  wenn  auch  die  Narkotisierungzone  eine 
breite  ist,  doch  eine  ebenso  genaue  Dosierung  erfordern,  als  im  anderen 
Falle.  Man  muss  hieraus  nur  die  Aufforderung  entnehmen,  dann  be- 
sonders   auf   die    Dosierung    zu  achten,    wenn   die   Zone  gering  ist. 

Die  narkotische  Kraft  des  Narkotikums  ist  der  Grösse  der 
Narkotisierungszone  umgekehrt  proportional.  Ferner  ist  der 
Verbrauch  des  Narkotikums  der  Narkotisierungszone  direkt,  der 
narkotischen  Kraft  indirekt  proportional. 

Was  nun  das  Verhältnis  zwischen  der  Narkotisierungsdosis 
und  der  letalen  Dosis  anlangt,  so  lässt  sich  folgendes  sagen. 
Wenn  man  einem  Hund  in  100  L.  Luft  8  gr.  Chloroform  verabreicht, 
so  wird  bald  vollkommene  Narkose  eintreten,  und  bei  permanenter 
Inhalation  dieses  Luft-Chloroformdampfgemisches  stirbt  das  Tier  nach 
4  Stunden.  Wird  das  Gemisch  wie  15  :  100  hergestellt,  so  wird  das 
Tier  sofort  narkotisiert,  und  stirbt  schon  nach  40  Minuten.  Bei  noch 
höherer  Konzentration  stirbt  das  Tier  nach  wenigen  Minuten.  Wir 
würden  also  hier  die  Narkotisierungsdosis  8,  und  die  letale  Dosis 
ca.  15  haben,  d.  h.  die  Narkotisierungsdosis  ist  ungefähr  halb 
so  gross  als  die  letale  Dosis  oder  besser,  die  letale  ist  doppelt  so 
gross  als  jene,  da  wir  wohl  eher  die  Narkotisierungsdosis  erfahren 
können.  Bei  Aether  sind  die  Zahlen  20  zu  50.  Folglich  ist  die  Nar- 
kotisierungszone für  Chloroform  7  und  für  Aether  30.  Es  ist 
durchweg  als  Regel  zu  beachten,  dass  die  Narkotisierungsdosis 
ungefähr  die  Hälfte  der  letalen  Dosis  darstellt.  Man  kann  daher 
bei  jedem  Narkotikum  ungefähr  die  letale  Dosis  feststellen,  wenn 
man  die  Narkotisierungsdosis  kennt.  Es  ist  ferner  noch  jene  Be- 
ziehung interessant,  nämlich  je  niedriger  in  der  Zahlenreihe  der 
Wert  für  die  Narkotisierungsdosis  liegt,  um  so  geringer  ist  die 
Narkotisierungszone,   z.  B.  8  und   16,   oder  20  und  50  etc.,  und  die 


-     158     — 

Narkotisierungszone  wird  um  so  breiter,  je  höher  der  Wert  für 
die  Narkotisierungsdosis  in  der  Zahlenreihe  gelegen  ist,  ebenso 
wird  dies  Verhältnis  der  beiden  Dosen  mehr  von  2  :  1  abweichend,  je 
höher  die  Narkotisierungsdosis  in  der  Zahlenreihe  liegt,  z.  B. 
20  als  Narkotisierungsdosis  und  50  als  letale  Dosis.  Folglich  gilt  das 
für  feststehend,  je  grösser  die  Zahl  der  Narkotisierungsdosis  ist, 
vim  so  weniger  gefährlich  wirkt  das  Narkotikum,  und  um  so 
weniger  ängstlich  braucht  man  wegen  Erreichen  der  letalen  Dosis 
zu  sein. 

§  66.  Nachdem  Avir  nun  diese  Verhältnisse  der  Narkose  behandelt 
haben,  ist  es  noch  Avichtig,  ein  Bild  einer  momentanen  Analgesie 
zu  erAvähnen,  Avelches  unter  dem  Namen  als  Aether rausch,  oder  die 
Kauschmethode  zuerst  benutzt  und  bekannt  wurde  (Sudeck  etc.).  Es  zeigte 
sich  nämlich,  dass  man  schon  im  Beginn  der  Narkose  eine  kurze  Zeit  an- 
haltende Analgesie  erreicht,  welche  man  zu  kleinen  Operationen 
verwenden  kann.  Es  müssen  diese  sogenannten  kurzen  Rauschnar- 
kosen, Avelche  man  nicht  nur  bei  der  Aetherinhalation,  sondern 
bei  allen  Inhalationsnarkosen  findet,  durch  schnelles  tiefes  Ein- 
atmen sehr  konzentrierter  Narkotikumdampfluftgemische  her- 
vorgerufen werden.  Sobald  der  betreffende  Kranke  nicht  sehr  tief  in- 
spiriert, was  bei  der  hohen  Konzentration  der  Gasgemenge  seine 
ScliAAäerigkeiten  hat,  und  sobald  man  sehr  erregte  nervöse 
Menschen  vor  sich  hat,  ist  dieser  Rauschzustand  nicht,  oder  nur  sehr 
unvollkommen  zu  erreichen. 

Man  verwandte  früher  diese  Methode  ausschliesslich  bei  Aether- 
inhalationen  (Sudeck,  Kronecker,  Terveles  etc.).  Doch  hat  man 
dieselbe  ebenfalls  bei  Chloroform  (Riedel)  empfohlen.  Es  besteht 
ja  bei  allen  Narkotika,  den  einen  mehr  oder  weniger,  die  Eigen- 
schaft, im  Beginn  der  Wirkung  eine  kurze  Zeit  dauernde  Analgesie 
zu  erzeugen.  Während  dieses  Zustandes  empfindet  der  Kranke 
ganz  deutlich,  dass  an  der  betreffenden  Stelle  des  Körpers  etwas, 
getan  Avird,  er  kann  auch  die  einzelnen  Phasen  der  kleinen  Opera- 
tion genau  feststellen,  nur  die  Schmerzempfindung  fehlt.  So  er- 
zählt Riedel,  dass  er  bei  Versuchen  an  Kollegen  von  diesen  ein 
Zeichen  erhielt,  wann  die  Analgesie  eintrat,  und  er  operieren  sollte,, 
Avobei  die  betreffenden  Avohl  die  Manipulationen  des  Operateurs  genau 
verfolgten,  und  als  dumpfes  Betasten  empfanden,  doch  ohne  Schmer- 
zen zu  erleiden.  Der  Laie  vermag  natürlich  nicht  den  Zeitpunkt 
des  Eintrittes  der  Analgesie  festzustellen,  man  muss  sich  da  selbst  klar 
sein,  wann  dieselbe  eintritt.  Es  ist  meist  der  Anfang  da,  Avenn  die 
Kranken  die  kleinste  Unordnung  im  Zählen  verraten,  Avenn  sie 
eine  uncoordinierte  Bewegung  der  Extremitäten  machen  und 
dergleichen.  Diesen  Zeitpunkt  muss  man  sofort  ausnutzen,  und  die 
Operation  beginnen. 

Die  Methode  besteht  darin,  dass  man  die  Kranken  zunächst  zählen 
lässt,  Avährend  man  ihnen  das  Narkotikum  zuführt  und  zwar  ver- 
fährt man  bei  Aether  mit  grossen  Dosen  auf  einmal,  während  man 
bei  Chloroform   dasselbe  tropfenweise  auffallen  lässt.     Die  Rausch- 


-     159     - 

analgesie  tritt  in  letzterem  Falle  meist  nach  80  bis  100  Tropfen 
Chloroform  auf.  Die  grosse  Gefährhchkeit  des  Chloroforms  na- 
mentlich gegenüber  dem  Herzen  verbietet  ein  Verabreichen  in 
grossen  Dosen.  Wenn  wir  andere  Narkotika  in  Betracht  ziehen, 
so  sehen  wir  dieselbe  Rauschnarkose  ausgenutzt  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  bei  der  Bromaethylnarkose  und  den  ähnlichen  kurzen  Narkosen, 
bei  denen  oftmals  das  Bewusstsein  nicht  schwindet.  Wenn  auch  bei 
diesen  kurzen  Narkosen  eine  volle  Betäubung  während  weniger 
]\[i  nuten  auftritt,  so  wären  dieselben  zur  Rausch  analgesie  ebenso- 
gut zu  verwenden,  da  dieselben  ebenso  bei  tropfen  weiser  Dar- 
reichung nach  30  —  40  Tropfen  wirken,  wie  Aether  und  Chloroform. 
Die  Bromaethylnarkose  ist  eigentlich  nur  eine  tiefere  Rauschnarkose, 
wenigstens  in  vielen  Fällen,  oftmals  fehlt  bei  ihr  ebenso  die  Bewusst- 
seinsstörung  und  es  besteht  nur  Analgesie.  Darüber  ist  im  speziellen 
Teil   mehr  zu  finden. 

Jedenfalls  ist  diese  Analgesie  sehr  gut  in  der  kleinen  Chi- 
rurgie zu  verwenden, .  zu  Operationen  an  Organen,  wo  wenig  sen- 
sible Nerven  vorhanden  sind,  oder  bei  Erkrankungen  wo  eventuell 
nur  ein  Hautschnitt  zu  machen  ist.  So  ist  diese  Methode  sehr  vor- 
teilhaft zu  verwenden  bei  Zahnextraktionen,  bei  Abscessspal- 
tungen,  bei  Reposition  von  Brüchen  kleinerer  Knochen,  wie 
bei  Behandlung  der  Radiusfractur  (Riedel),  und  beim  Einrichten 
von  Malleolarfrakturen  etc.  Ferner  gibt  Riedel  den  Rat,  diese 
Rauschanalgesie  bei  Verbandwechsel  zu  verwenden,  wo  man  aus 
Wunden  Tampons  entfernt,  da  dieses  Herausnehmen  von  Vor- 
bandgaze meist  ungeheuer  schmerzhaft  ist.  Zu  derartigen  chirur- 
gischen Eingriffen  ist  diese  Methode  sehr  gut  zu  verwenden  und 
kaum  zu  ersetzen.  Es  ist  aber  entschieden  zu  weit  gegangen,  wenn 
man  dieselbe  zu  grösseren  Operationen  verAvenden  will,  wie  man 
es  angeblich  mit  gutem  Erfolg  versucht  hat.  Man  muss  immer  be- 
denken, dass  dieser  Zustand  nur  ein  kurz  dauernder  und  vorüber- 
gehender ist,  und  man  muss  sich  vorher  genau  klar  sein  über  die 
Dauer  des  chirurgischen  Eingriffes.  Wenn  die  Operation  nicht 
ganz  schnell  beendet  sein  kann ,  so  werden  dem  Kranken  starke 
Schmerzen  verursacht,  und  die  Wirkung  der  ganzen  Methode  ist 
eine  illusorische,  wenn  der  Kranke  am  Ende  noch,  wenn  auch  nur 
ganz  kurze  Zeit,  heftige  Schmerzen  erleidet.  Korrekt  angewandt 
und  ausgeführt  in  Harmonie  mit  der  Operation  muss  der  Patient 
völlig  von  Schmerzen  verschont  geblieben  sein,  und  der  Operateur 
muss  fertig  sein  mit  seiner  Arbeit  bei  der  Wiederkehr  der  Schmerz- 
empfindlichkeit. 

Es  ist  nun  allerdings  diese  Methode  sehr  leicht  in  eine  Nar- 
kose überzuleiten.  Die  Analgesie  tritt  am  Ende  des  I.  Stadiums 
vor  dem  Beginn  des  II.  Stadiums,  des  der  Excidation,  ein.  Be- 
darf man  nun  aus  unvorhergesehenen  Gründen  einer  vollständigen 
Narkose,  so  ist  es  ein  leichtes,  diese  zu  erhalten,  man  braucht  nur 
die  Inhalation  fortsetzen  zu  lassen. 

So  ist  man   selbst  soweit  gegangen,   diese   Methode   als   Einleitung 


—     160     — 

zu  jeder  Narkose  zu  verwenden,  allein  es  stehen  dieser  Methode 
grosse  Bedenken  entgegen.  Vor  allem  ist  jede  schnelle  Betäu- 
bung bei  vielen  Narkotika  sehr  gefährlich,  und  es  bleibt  bei  der 
Rauschniethode ,  wenn  sie  weiter  fortgesetzt  wird,  meist  eine 
stai'ke  Excidation  nicht  aus.  Diese  Excidation  lässt  sich  hingegen 
bei  langsamer  Narkose  vermeiden.  Ferner  muss  man  bei  vielen 
Narkotika  auf  etAva  vorhandene  Idiosynkrasie  achten,  und  dies  kann 
leicht  vernachlässigt  werden  bei  solcher  Narkose.  Es  ist  auch 
im  allgemeinen  der  Rat  zu  geben,  die  Rauschmethode  nicht  zu 
überschätzen  und  vor  allem  dieselbe  auf  den  Aether  zu  beschränken, 
da  die  meisten  anderen  Narkotika  bei  einer  Verabreichung  in  solch 
hohen  Dosen,  wie  sie  zur  Rauschnarkose  nötig  sind,  viele  ernste 
Gefahren  für  den  Kranken   quoad  vitam   mit  sich  bringen  können. 

Diese  Methode  hat  allerdings  für  den  praktischen  Arzt  einen 
ganz  ungeahnten  Wert,  und  es  ist  nur  leider  zu  wenig  Kenntnis  von 
der  Rauschnarkose  in  die  Aerztewelt  gedrungen.  Der  Arzt  kann 
bei  dieser  Methode  einen  Assistenten  entbehren,  oder  kann  die  Hand- 
habung einem  Laien  überlassen.  Andernteils  verursacht  die  Methode 
dem  Kranken  keine  Beschwerden  nachträglich,  daher  ist  dieselbe 
in  der  Sprechstunde  gut  zu  verwenden,  ebenso  bei  Entbindungen, 
wo  vielleicht  nur  kurze  Zeit  arge  Schmerzen  verursacht  werden  (Zange, 
Extraktion  etc.).  So  bietet  die  Rauschnarkose  einen  weiteren 
grossen  Nutzen  in  der  Geburtshilfe.  Auch  hier  kann  der  Arzt, 
wenn  nur  eine  kleine  Operation  von  kurzer  Dauer  vorliegt,  die 
Analgesie  verwenden,  ohne  einen  Kollegen  wegen  der  Narkose  zu 
benötigen,  so  z.  B.  bei  einer  leichten  Zangen entbindung,  wo  die 
meisten  Schmerzen  ja  während  des  Durchtrittes  des  Kopfes  durch 
den  Introitus  vaginae  bestehen,  oder  bei  ähnlichen  Operationen. 
Während  der  Entbindung,  wo  die  Frau  an  sich  wenig  widerstands- 
fähig gegen  die  Wirkung  der  Narkotika  ist,  genügen  nur  wenige 
Tropfen  um   den  geeigneten  Zustand  zu  erzeugen. 

Wir  haben  jedenfalls  in  dieser  Methode  ein  Hilfsmittel,  das 
grosse  Bedeutung  für  den  Arzt  und  Kranken  besitzt,  und  verdient 
mit  Recht  eine   allgemeinere  Verwendung  zu  erlangen. 

§  67.  Wenn  wir  während  der  Narkose  noch  weiter  eine  genaue 
Beobachtung  des  Kranken  durchführen,  so  ist  es  vor  allen  Dingen 
die  Herztätigkeit  und  AtembeAvegung,  welche  vmser  Haupt- 
augenmerk beanspruchen  muss.  Die  Verhältnisse  der  Herzaktion 
und  der  Atmung  werden  bei  jeder  einzelnen  Narkose  in  so  detail- 
lierter Weise  beschrieben  werden  müssen,  dass  es  hier  nicht  eines 
genaueren  Eingehens  auf  diese  Verhältnisse  bedarf,  zumal  die  Einflüsse 
des  Narkotikums  an  sich  bei  jeder  Narkosenart  andere  sind.  Die 
Eigentümlichkeiten  in  dem  Verhalten  der  Wirkungen  der  Narkotika  zu 
diesen  beiden  Hauptfunktionen  des  Organismus  werden  bei  der 
Abhandlung  der  einzelnen  Narkotika  im  speziellen  Teile  dieses 
Buches  genau  erwähnt. 

Wir  haben  hier  nur  zu  betonen,  dass  eine  genaue  Prüfung 
dieser    beiden    Organfu.nktionen    während    einer    Narkose    in   jedem 


-     161      — 

Moment  geschehen  muss.  Der  Narkotiseur  muss  nicht  nur  eine  Hand 
am  Pulse  des  Kranken  halten,  sondern  er  muss  vor  allen  Dingen 
bei  der  Sache  sein,  und  muss  ganz  in  seiner  Tätigkeit  aufgehen, 
so  dass  er  nicht  nur  nach  dem  Pulsfühlen  urteilt,  sondern  auch  mit 
den  Augen  seinen  Narkotisierten  im  ganzen  betrachtet  und  jede 
Stelle  des  Körpers  besichtigt,  so  dass  ihm  nicht  die  geringste 
Veränderung  entgehen  kann.  Zu  diesem  Zwecke  muss  aber  auch 
der  Patient  dem  Narkotiseur  an  allen  jenen  Körp erstellen  zugänglich 
sein,  wo  Veränderungen  von  Wichtigkeit  durch  die  Narkotikumwirkung 
entstehen  können,  die  Brust  muss  vor  allem  frei  und  offen  sein,  das 
Gesicht  wenn  möglich  nicht  bedeckt,  das  Abdomen  ebenfalls  sichtbar. 
Liegen  dem  Narkotiseur  alle  diese  Regionen  des  Körpers  frei  da,  so 
kann  er  keinen  Grund  zur  Entschuldigung  anführen,  wenn  dem 
Kranken  ein  Unglück  in  der  Narkose  zustösst,  ohne  dass  es  von  ihm 
vorher  bemerkt  wurde.  Es  handelt  sich  hier  hauptsächlich  um  folgende 
Ereignisse,   die  während  der  Narkose   eintreten  können. 

§  67a.  Zunächst  betrachten  wir  die  Herzschwäche.  Es  ist 
nur  zu.  leicht  der  Fall,  dass  eine  solche  eintritt.  Es  giebt  während 
der  Narkose  im  allgemeinen  leichte  und  schwere  Herzs  chwächen. 
Die  leichten  stellen  die  aus  diversen  Gründen  entstehenden  Collapse 
dar,  welche  oftmals  nicht  in  direktem  Zusammenhange  mit  der  Narkose 
stehend  schnell  ohne  schwere  Folgen  vorübergehen.  Wir  haben 
schon  an  anderer  Stelle  die  Ursachen  kennen  gelernt,  Shock, 
Neurasthenie  und  Hysterie,  grosse  psychische  Alterationen, 
beginnende  Herzkrankheiten,  Anämie  etc.  Der  Symptomen- 
komplex ist  folgender.  Der  bisher  immer  völlig  normale  Mensch 
bekommt  plötzlich  blasses  Gesicht,  blasse  Lippen,  schwache 
Herzaktion,  unregelmässigen,  sehr  kleinen  Puls  etc.,  Zeichen, 
Avie  sie  bei  jeder  Ohnmacht  vorkommen.  Wir  müssen  diesen  Zu- 
stand sofort  erkennen  und  im  Augenblick  des  Eintretens  auch 
schon  orientiert  sein,  was  die  Ursache  dazu  ist.  Nur  dann  können 
"\\ir  sachgemäss  handeln,  denn  es  gilt  bei  allen  diesen  Accidenten 
zuerst  die  Narkose  wegzuschaffen,  dann  erst  können  wir  zu  anderen 
Mitteln  des  Bekämpfens  schreiten,  denn  besteht  die  Ursache  fort,  so 
nützen  all  unsere  etwa  eingeleiteten  Manipulationen  nichts.  Die 
Ursachen  zu  solchen  vorübergehenden  Collapse n  sind  aber  meist 
geringfügiger  Art,  denn  die  Collapse  gehen  eben  schnell  wieder 
vorüber.  Selbst  auch  dann,  wenn  sie  so  schnell  vorübergehend  auf- 
treten, dass  viele  Narkotiseure,  wie  es  oft  vorgekommen  ist,  dieselben 
garnicht  bemerkt  haben,  und  sie  sich  nur  in  schnell  wieder  schwindender 
Blässe  des  Gesichtes  dartun,  muss  man  ihnen  Beachtung  schenken 
und  den  Grund  zu  ermitteln  suchen,  jedenfalls  muss  man  sie  stets 
bemerken  und  nie  übersehen,  denn  oftmals  deuten  dieselben  auf  Idio- 
synkrasien der  Person  gegen  das  Narkotikum,  oder  auf  nicht 
bemerkbare  Herzerkrankungen  im  Beginn  etc.  hin.  So  können  sie 
doch  oftmals   den  Anlass   geben,   ein  anderes  Narkotikum  zu  wählen. 

Die  schweren  und  gefährlichen  Herzschwächen  bilden  leider 
den  weitaus  grösseren  Teil  von  allen,   während  die  eben  geschilderten 

11 


-     162     — 

in  geringerer  Zahl  auftreten.  Somit  sagt  uns  auch  schon  dieser  Um- 
stand, dass  wir  vor  allem  dem  Auftreten  gleich  im  Beginn  Beachtung 
schenken  und  den  Collaps  sofort  diagnostizieren  müssen.  Diese  Collapse 
zeigen  ganz  dasselbe  Bild  im  Beginn  wie  die  vorhererwähnten,  der 
Puls  l)eginnt  zuerst  etwas  schwach  und  unregelmässig  zu  werden. 
Daran  ist  in  allen  Fällen  eine  nahende  Herzschwäche  zu  erkennen. 
Xunmehr  treten  sehr  bald  schwerere  Symj)tome  ein,  Blässe  der 
Schleimhäute,  weite  reaktionslose  Pupille.  Die  Blutung  bei  der 
Operation  lässt  nach,  man  merkt  dies  schon  sehr  zeitig.  Nach  und 
nach  wird  der  Ptils  immer  schwächer,  bis  er  nicht  mehr  zu  fühlen 
ist.  Wenn  man  nun  auch  den  Stillstand  des  Herzens  erkennt,  so 
sind  meist  nur  noch  wenige  Atemzüge  dem  Patienten  vergönnt, 
wenn   nicht  schnell  Hilfe   kommt. 

Diese  ist  nun  tatsächlich  in  manchen  Fällen  ohne  Erfolg,  selbst, 
wenn  man  bei  dem  ersten  Zeichen  die  Schwere  des  Collapses  erkennend, 
ihm  entgegenarbeitet.  Der  Grund  zu  diesen  Collapsen  liegt  in 
zu  hohen  Dosen  der  Narkotika,  in  Herzerkrankungen  und 
Schwächezuständen,  die  vorher  schon  bestanden,  sei  es  bei  ma- 
lignen Neubildungen,  sei  es  bei  Blutungen  etc.,  sowie  in  der 
Anstrengung  durch  die  Operation,  und  heftigem  Blutverlust 
wä,hrend  der  Narkose.  Auch  hier  haben  wir  natürlich  zu  versuchen, 
die  Ursache  zu  beseitigen,  und  das  ist  leicht  getan  in  jenen  Fällen, 
wo  das  Narkotikum  die  Schuld  trägt.  In  den  anderen  Fällen  müssen 
wir  entsprechend  den  Ursachen  handeln.  Daher  können  wir  nicht  ein 
definitiv  begrenztes  Bild  des  Handelns  bei  Herzcollapsen  aufstellen, 
da  in  jedem  Falle  nach  den  obwaltenden  Verhältnissen  und  den 
individuellen  Dispositionen  die  Massnahmen  eingerichtet  werden 
müssen.  Nichtsdestoweniger  wollen  wir  hier  die  Hauptmass nahmen 
anführen. 

§  67  b.  Das  erste  Gebot  heisst  hier,  mag  die  Ursache  in  irgend 
welcher  Veränderung  bestehen  stets  die  Narkose  unterbrechen, 
die  Verabreichung  des  Narkotikums  sistieren.  Doch  damit  ist 
noch  nicht  alles  getan,  sondern  der  Narkotiseur  muss  nun  schon  die 
Ursache  erkannt  haben.  Nehmen  wir  z.  B.  an,  die  Herzschwäche 
ist  schon  beim  ersten  Andeuten  durch  Veränderung  des  Pulses  bemerkt, 
es  kommt  ja  vor  allem  darauf  an,  bei  dem  ersten  Zeichen  keine 
neuen  Dosen  von  Narkotikum  zu  verabreichen,  und  nehmen  wir 
ferner  an,  die  Ursache  sei  in  Anaemie,  durch  eine  maligne  Neu- 
bildung, vorherige  Blutungen,  sowie  starken  Blutverlust  bei 
der  Operation  bedingt,  nebenbei  sei  noch  eine  durch  die  maligne 
Neubildung  hervorgerufene  Herabsetzung  der  Kräfte  mittleren  Grades 
vorhanden,  so  haben  wir   es  mit  mehreren  Ursachen  zu  tun. 

Nachdem  die  Verabreichung  des  Narkotikums  unterbrochen 
ist,  müssen  wir  zunächst  suchen,  die  Herzkraft  zu  erhöhen,  und 
verhüten,  dass  das  Herz  aufhört  zu  schlagen.  Da  haben  wir  nun 
mit  Ruhe  und  Uebe riegung  vorgehend  unserem  Assistenten  die 
künstliche  Atmung  anzubefehlen.  Während  dieselbe  vorgenommen 
wird  in  der    richtigen  Weise,  wie  später    dargetan    werden    soll,    haben 


-     163     - 

Avir  bereits  die  beiliegenden  nötigen  Instrumente  ergriffen,  und 
machen  an  den  beiden  Oberschenkeln  und  auf  der  Brust  eine  sub- 
kutane  Kochsalzinfusion. 

Durch  die  künstliche  Atmung  wird  bewirkt,  dass  die  Oxy- 
dation des  Blutes  weiter  vor  sich  geht,  und  die  Herzaktion  infolge- 
dessen nicht  ganz  aufhört,  denn  wenn  dieses  eingetreten  wäre,  würde 
uns  auch  die  Infusion  nichts  nützen,  da  ja  die  Kochsalzlösung 
nicht  resorbiert  werden  und  in  die  Blutbahn  gelangen  kann. 
Wir  sehen,  dass  durch  die  Infusion  die  Herztätigkeit  schon  nach 
kurzer  Zeit  etAvas  steigt.  Dies  ist  ein  gutes  Zeichen,  doch  wir  haben 
noch   nicht  gesiegt. 

Würden  wir  nun  den  Herzschlag  überhaupt  nicht  mehr  gefühlt 
haben,  so  würden  wir  versuchen  müssen,  dem  Herzen  doch  noch  neben 
der  künstlichen  Atmung  wieder  Kraft  zu  geben,  indem  wir  die 
Infusion  nicht  subkutan,  sondern  in  eine  grosse  Vene  direkt, 
z.  B.  die  Vene  mediana  des  linken  Armes  machen.  Es  kommt 
vor  allen  Dingen  bei  diesen  Manipulationen  in  Betracht,  dass  man 
sich  über  Ursache  der  Syncope  klar  ist.  Denn  in  unserem  Falle, 
wo  das  Herz  durch  vorherige  Schwächezustände  sehr  matt  und 
schwach  ist,  und  wo  nun  die  noch  hinzugekommenen  Anstrengungen, 
(Narkose,  Blutung,  Operation)  genügt  haben,  um  dies  Erliegen 
herbeizuführen,  würde  es  ein  grosser  Fehler  sein,  wollte  man  z.  B. 
mit  Massage  gegen  das  Herz  vorgehen.  Die  Massage  ist  zweifellos 
ein  sehr  gutes  Unterstützvmgsmittel  der  Herztätigkeit,  allein 
nur  in  solchen  Fällen  wo  ein  sonst  gesundes  Herz  vorliegt,  und  die 
Herzschwäche  durch  eine  Lähmung  der  Centren  infolge  zu  grosser 
Dosen  des  Narkotikums,  öder  infolge  spezifischer  Wirkung  der- 
selben hervorgerufen  worden  ist.  Wir  haben  es  in  unserem  Falle  hin- 
gegen mit  einem  sehr  scliAvachen,  matten,  überanstrengten  in 
der  Ernährung  her  ab  gekommenen  Organ  zu  tun,  und  somit  Aväre 
es  ein  grosser  Fehler,  dem  Herzen  eine  neue  Arbeit  zu  zumuten. 
Durch  Massage  würde  dasselbe  noch  mehr  geschwächt.  Die  Herz- 
massage ist  nur  dann  anwendbar,  und  das  ist  sehr  wichtig,  dass  nicht 
durch  falsche  Handlung  eher  die  Schwäche  gefördert  wird,  an- 
statt aufgehoben  und  beseitigt  zu  werden,  wenn  der  Reiz,  welcher 
das  Herz  zum  Schlagen  veranlasst,  und  der  von  dem  Zentrum 
der  Herzaktion  ausgeht,  fehlt,  infolge  Lähmung  des  Zentrums 
durch  vielleicht  zu  hohe  Dosen  oder  spezifische  toxische  Wirkung  des 
Narkotikums  bei  entsprechender  Disposition  des  Organismus.  Dann 
muss  man  versuchen,  durch  Kraft einwirkung  von  aussen,  den  Reiz 
zu  ersetzen,  man  mu.ss  versuchen,  das  Herz  zu  erregen,  ja  zur  Kon- 
traktion zu  bringen.  Allein  in  unserem  obigen  Falle  ist  der  Reiz 
zur  Kontraktion  vorhanden,  nur  fehlt  die  Kraft,  diesem  Reiz  zu 
entsprechen.  In  jenen  Fällen,  wo,  wie  bei  Chloroform  eine  kumu- 
lierende Wirkung  der  Mengen  im  Blute  zu  bemerken  ist,  und  sei 
es  durch  übergrosse  Dosen,  oder  die  spezifische  toxische  Wirkung  eine 
Parese  des  Herzzentrums  stattgefunden  hat,  ist  Herzmassage 
am  Platze. 

11* 


—     164     — 

Weiterhin  kann  man  die  Herzschwäche  auch  noch  durch 
Medikamente  zu  heben  suchen,  indem  man  subcutan  Kamp  her 
oder  Aether  einspritzt.  Alle  die  subcutanen  Injektionen  können 
natürlich  nur  dann  wirken,  wenn  noch  eine  Spur  von  HerzbeAvegung 
bestellt,  sonst  wird  ja  eine  Aufnahme  der  durch  die  subcutane  In- 
jektion einverleibten  Medikamente  in  das  Blut  nicht  erfolgen 
können,  und  dieselben  gelangen  nicht  zum  Herzen.  Deshalb  soll  man 
diese  Injektionen  auch  nicht  an  einer  Stelle  des  Körpers  vornehmen, 
welche  sehr  weit  vom  Herzen  entfernt  ist,  sondern  in  der  Nähe,  damit 
eventuell  die  Bahn  im  Blutwege  nicht  so  gross  ist,  dass  die  Herzkraft 
das  Blut  nicht  mehr  hindurch  zu  treiben  vermag. 

Man  hat  neuerdings  in  dem  Nebennierenextrakte  resp.  dem  Supra- 
renin und  Adrenalin  Mittel,  die,  in  Fällen  höchster  Gefahr  in  das 
Myocard  selbst  durch  die  Thoraxwand  injiciert,  (Reichert)  das  Herz 
wieder  zum  Schlagen  anregen,  gefunden.  Wir  haben  selbst  Versuche 
mit  Suprarenin  und  Adrenalin  in  Lösungen  1:10  000  und  1  :  5  000 
angestellt,  und  sahen  nach  Injektion  von  1  cbcm  in  die  Wand  des  linken 
Ventrikels  die  Herzkraft  wiederkehren,  nachdem  alle  andren  Mittel  ver- 
sagt hatten,  und  die  Versuchstiere  erholten  sich  wieder  und  lebten  weiter. 
Diese  Injektionen  können  als  völlig  gefahrlos  als  ultimum  refugium 
empfohlen  werden.      Ueber  die  Technik  siehe   später. 

Ferner  muss  beim  Aether  in  Betracht  gezogen  werden,  dass 
derselbe  bei  Ae  thernarkosen  nicht  als  herzerregendes  Mittel 
wirkt,  sondern  im  Sinne  der  Narkose  an  sich,  also  lähmend.  Da- 
her muss  man  bei  einer  Aethernarkose  Kampher  injizieren. 
Ausser  diesen  Mitteln  hat  man  auch  noch  den  Sauerstoff  zur  Ver- 
fügung, den  man  teils  durch  die  Lu.ngen,  teils  durch  das  Blut  dem 
Organismus   einzuverleiben  versucht. 

Wenn  wir  also  unsere  Handlungsweise  bei  Herzschwäche  zu- 
ständen kurz  zusammenfassen,  so  haben  wir  bei  allen,  zunächst 
Unterbrechen  der  Verabreichung  des  Narkotikums  und  dann 
erst  in  jedem  Falle  Einleiten  von  künstlicher  Atmung,  nach 
dieser  erst  die  andern  Hilfeleistungen  zu  bewerkstelligen.  Unter  jeder 
Bedingung  muss  die  künstliche  Atmung  vorgenommen  werden,  und 
man  darf  in  diesem  Falle  nicht  die  Zeit,  in  der  sie  noch  hilft,  die 
Anfangszeit  der  Schwächezustände  vorübergehen  lassen  vielleicht 
mit  Inszenierung  der  Infusion  etc.  Es  ist  unter  allen  Umständen, 
in  allen  diesen  analogen  Fällen,  wo  die  Herzschwäche  durch  Ver- 
änderungen im  Organismus  hervorgebracht  wird,  die  Pflicht  des 
Arztes,  künstliche  Respiration  vorzunehmen,  und  alles  andere  zu 
unterlassen,  und  nur  diese  solange  auszuführen,  bis  ein  Erfolg  oder 
Misserfolg  deutlich  ist.  Andere  Hilfsmittel  kommen  erst  in  Be- 
tracht und  Verwendung,  wenn  genügend  Personal  zur  Verfügung  steht, 
sodass  durch  diese  Manipulationen  die  künstliche  Respiration  nicht 
beeinträchtigt  wird.  Fehlen  geeignete  Hilfskräfte,  so  lassen  wir  alles 
andere  Aveg,  und  machen  selbst  künstliche  Atmung.  Dieselbe  muss 
auch  kunstgerecht  ausgeführt  werden,  und  man  sollte  diejenigen 
Laien,   welche  man   ev.   zur  Hilfe  bei  der  Narkose   verwenden  will 


—     165     - 

vorher  genau  über  die  Methode  der  künstlichen  Respiration 
unterrichten,  damit  man  es  ihnen  nicht  erst  im  Falle  der  Gefahr  bei- 
bringen muss,  Avobei  sie  meist  den  Kopf  verlieren.  Erst  in  zweiter 
Linie  kommen  Infusionen  und  Kampfer- Aether-Injektion,  Sauer- 
stoffin ha  lationen  etc.  in  Betracht,  dabei  möchte  ich  nicht  die  In- 
fusion vernachlässigt  Avissen,  wenn  auch  die  künstliche  Atmung 
mehr  wert  i.st,  weil  sie  erst  die  Wirkung  der  Infusion  möglich 
macht.  Es  ist  sogar  oftmals  die  Infusion  als  Prophylaktikum  zu 
verwenden.  In  Fällen  von  starkem  Blutverluste,  wo  man  einen 
CoUaps  vermuten  kann,  wird  man  durch  Infusion  oftmals  denselben 
am  Eintritt  zu  verhindern  im  Stande  sein.  Deshalb  soll  man  sich  nicht 
scheiien,  vor  der  Narkose  eine  Kochsalz-Infusion  zu  machen,  wenn 
nur  der  geringste  Verda  cht  des  Eintretens  von  Herzkollapsen 
vorliegt,   und   wenn  namentlich   starke   Blutungen  vorausgingen. 

In  den  Fällen,  avo  eine  stark  toxisch  wirkendeDosisNarkotikum 
einen  Herzcollaps  erregt,  ist  ein  entsprechendes  Antidotum 
ebenfalls  verAvendbar,  so  ist  Atropin  gegen  Morphinintoxikation, 
andere  Exzidantien  sind  Amylium  nitrosum,  Strychnin.  nitric. 
etc.  Andere  haben  empfohlen  heisse  Kompressen,  Senfteige  oder 
Thermophore  auf  die  Herzgegend  zu  applizieren,  Eis  in  den  Mast- 
darm zu  bringen,  ebenso  sind  Alkohol-Darreichung,  Berieseln 
des  Kopfes  und  der  Brust  mit  kaltem  Wasser,  Schlagen  der 
Brust  mit  Tüchern  und  anderes  mehr  als  Aveitere  Hilfsmittel 
empfohlen  worden.  Diese  letzteren  Manipulationen  sind  nur  bei 
leichteren  Collapsen  wirksam,  bei  schweren  mu.ss  man  nicht  die 
kostbare  Zeit  mit  diesen  Kleinigkeiten  verlieren,  sondern  muss  der 
künstlichen  Respiration  seine  ganze  Kraft  Avidmen.  Für  dieselbe 
sind  zwei  geübte  Personen  nötig,  und  diese  sollten  nie  in  ihrem  Handeln 
gestört  Averden,  denn  es  ist  nicht  immer  mit  der  Arbeit  Avährend  einiger 
Minuten  getan,  sondern  es  ist  in  vielen  Fällen  stundenlange 
ununterbrochene  Tätigkeit  nötig  gCAvesen,  um  die  immer  Avieder 
collabierende  Herzkraft  aufrecht  zu  erhalten.  Man  soll  daher  in 
solchen  Fällen,  avo  nicht  schon  nach  einigen  Minuten  Restitutio  ad 
integrum  auftritt,  nicht  den  Mut  verlieren  und  mit  der  Tätigkeit 
nachlassen,  denn  es  ist  schon  gelungen  nach  2  —  3  stündigen  Be- 
mühungen doch  die  Kraft  des  Herzens  wieder  dauernd  zu  stärken, 
und  so  dem  Kranken  durch  Ausdauer  das  Leben  zu  retten.  Leider 
gibt  es  auch  so  desolate  Fälle,  und  oft  sind  es  gerade  diejenigen,  avo 
man  vom  ersten  Moment  an  den  CoUaps  bemerkt  und  ihm  entgegen- 
gearbeitet hat,  welche  endhch  doch  ad  exitum  letalem  kommen.  Wir 
sehen,  wie  nach  den  ersten  künstlichen  AtembeAvegungen  die  Herzkraft  Avieder 
steigt,  um  sofort  wieder  zu  sinken,  sobald  die  Atembewegungen  sistiert  werden. 
So  geht  es  abwechselnd  oft  stundenlang  fort,  und  es  wird  dabei  trotz 
aller  nebenbei  eingeleiteten  Hilfsmittel  keine  Besserung  erzielt,  sondern 
die  Herzkraft  schwindet  zusehends,  um  unter  unseren  Händen  endlich 
ganz  zu  erlöschen  dem  Tod  den  Sieg  zuerkennend.  Wir  haben  in 
solchen  Fällen  eben  dann  nur  das  eine  BcAvusstsein,  alles  getan  zu 
haben,    Avas  in    unserer  Macht  stand,    sind  Avir   ja  doch    schon  gCAvöhnt 


—     166     — 

zu  unterliegen,  und  unsere  Kraft  erlahmen  zu  sehen,  wo  wir  sie  so 
gern  siegreich  gesehen  hätten,  indem  wir  so  oft  unsere  teuersten, 
liebsten  Wesen  auch  müssen  gerade  zum  Trotz  unserer  Kunst  sterben 
sehen  unter  unseren   Händen,   ohne   helfen  zu  können. 

§  68.  Neben  den  Herzcollapsen  sind  es  die  Lungenläh- 
mungen, welche  die  zweite  Rubrik  der  Verhängnisse  während  der 
Narkose  bilden.  Hier  ist  der  Angriffspunkt  das  Zentrum  der 
Atmung,  welches  vom  Narkotikum  gelähmt  wird,  und  neben  diesen 
direkten  toxischen  Lähmungen  sind  es  noch  eine  Reihe  anderer 
Ursachen,  welche  einen  Atmungsstillstand  hervorrufen  können.  In 
diesen  Fällen  steht  die  Atmung  still,  während  die  Herztätigkeit 
noch  einige  Zeit  fortbesteht.  Man  hat  hier  für  eine  grosse  Gruppe 
von  Unfällen  den  Ausdruck  Asphyxie  gebraucht.  Derselbe  bedeutet 
in  der  alten  Weise  alle  Unfälle  während  der  Narkose,  die  durch 
Atembeeinflussung  entstehen.  Es  ist  ganz  verkehrt,  die  ganz  ver- 
schiedenen Ereignisse  mit  diesem  einen  noch  dazu  ganz  etwas  anderes 
bedeutenden  Au.sdruck  zu  benennen.  Das  Wort  Asphyxie  =  A, 
alpha  privativ  um  und  ogjv^eiv  =  pulsieren,  bedeutet  demnach  Puls- 
losigkeit, und  wäre  folglich  viel  besser  eine  Bezeichnung  für  die  Herz- 
synkope,  welche  wir  eben  beschrieben  haben,  als  für  einen  Zustand, 
wo  eine  Lähmung  des  Atemzentrums  vorliegt,  also  eine  Apnoe,  eine 
Atemlosigkeit.  Alle  diese  hierhergehörenden  Unfälle  sind,  wenn  man 
sie  auf  ihren  endlichen  Ausgang  hin  betrachtet,  alle  Apnoen,  denn 
es  tritt  stets  entweder  durch  das  Narkotikum  selbst,  oder  durch 
Kohlensäurevergiftung  eine  Lähmung  des  Atemzentrums  ein. 
Folglich  ist  der  passende  Ausdruck  Aj)noe. 

§  68a.  Dieser  Zustand  der  Apnoe  macht  sich  durch  folgende 
Symptome  sehr  bald  kenntlich.  Der  Kranke  zeigt  unregelmässige, 
erschwerte  Atemzüge,  bekommt  ein  dunkelrotes  bis  blaurotes 
Gesicht,  die  Atmung  hört  auf,  ev.  sieht  man  noch  krampfhafte 
Bewegungen  der  Atemmuskeln,  Das  Blut,  welches  vorher  hell- 
rot bei  der  Operation  floss,  ist  jetzt  dunkelrot  bis  schwarz,  venös, 
dies  ist   ein  sicheres  Zeichen  für   drohende    und  beginnende  Apnoe. 

Was  nuii  ein  Zeichen  der  höchsten  Gefahr  kui-z  vor  dem 
Tode  anlangt,  so  hat  man  ein  solches  in  den  athetotischen  Be- 
wegungen der  Finger,  manchmal  auch  der  Hände,  ganz  ähnlich 
wie  sie  auch  bei  Athetose  auftreten,  beobachtet.  (Strassmann).  Dieses 
Symptom  ist  mit  eines  der  ersten  einer  hohen  Gefahr.  Neben  diesen 
athetotischen  Flexionsbewegungen  der  Finger,  resp.  der  Hände 
sieht  man   auch  unkoordinierte   Bewegungen   der  Bulbi. 

Diese  unwillkürlichen  Bewegungen  sind  durch  zentrale  Reizung 
zu  erklären,  und  man  darf  dieselben  nicht  mit  den  Avillkür liehen 
Abwehrbewegungen  verwechseln.  Diese  treten  nur  im  Stadium  H, 
dem  der  Erregung  auf,  wo  noch  ein  Teil  des  Bewusstseins  vor- 
handen ist,  währeiid  jene  in  einem  Stadium  tiefster  Narkose  auf- 
treten, wo  jedes  Bewusstsein  und  alle  Reflexe  erloschen  sind. 
Der  Puls  ist  anfangs  noch  normal,  wird  nach  und  nach  schwächer 
bis  er  nicht  mehr   zu  fühlen  ist,   die  Pupillen,    die   anfangs  plötzlich 


-     167     — 

maximal  dilatiert,  reaktionslos  wurden,  springen  jetzt  plötz- 
lich in  maximale  Verengerung  über,  und  der  Tod  ist  ein- 
getreten. 

Die  Ursachen  hierzu  sind  zunächst  eine  direkte  Lähmung 
des  Atemzentrums  durch  das  Narkotikum.  Entweder  es  sind  zu 
grosse  Dosen  gegeben,  oder  es  besteht  eine  Idiosynkrasie  der 
Person  gegen  das  Narkotikum.  Was  haben  wir  in  solchen  Fällen 
zu  tim?  Wenn  wir  uns  klar  sind,  dass  kein  anderer  Grund  vorliegt 
als  direkte  Lähmung  durch  das  Narkotikum,  so  ist  die  erste 
Handlung  die  Einleitung  künstlicher  Respiration.  Es  fehlt  hier 
der  Impuls,  der  Reflex,  w^elcher  die  Lungentätigkeit  hervorruft, 
deshalb  muss  man  bemüht  sein,  die  Bewegung  der  Lungen  anzu- 
regen. Dies  erreicht  man  am  allerbesten  wieder  diu'ch  Einleiten 
künstlicher  Respiration.  Dieselbe  ist  in  jedem  Falle  dieser  Art 
die  wichtigste  Vornahme,  und  darf  nicht  vernachlässigt  werden, 
etwa  um  andere  nebensächliche  Massregeln  zu  ergreifen.  Wenn  ge- 
nügende Hilfe  zur  Hand  ist,  kann  man  noch  andere  Hilfsmittel  ver- 
wenden: Anwenden  von  Elektrizität,  Einblasen  von  Luft  in  die 
Ijungen,  oder  Einblasen  von  Sauerstoff,  oder  man  kitzelt  den 
Kehlkopf  mit  einer  Feder,  man  sucht  durch  die  bekannten  Mittel 
die  Herztätigkeit  zu  stärken  etc.  Wenn  war  uns  einmal  den  Zu- 
stand genauer  klar  machen,  den  wir  jetzt  vor  uns  haben,  so  ist  zu 
«agen:  es  besteht  eine  Ueberschwemmung  mit  Narkotikum.  Das- 
selbe kann  nicht  wegen  Stillstand  der  Atmung  und  schwacher 
Herzaktion  aus  dem  Körper  entfernt  w^erden,  in  dem  Blut  ist  zu 
hohe  Konzentration  des  Narkotikums  vorhanden.  Aus  diesen 
Erwägungen  können  wir  Schlüsse  für  unser  Handeln  ziehen.  Wir 
müssen  versuchen,  das  Narkotikum  aus  dem  Blut  zu  entfernen,  das 
erreichen  wir  erstens  dadurch,  dass  wir,  wenn  das  Herz  nicht  durch 
starke  Blutungen  und  Schw^ächezustände  vor  der  Narkose  ge- 
schwächt ist,  eine  Menge  Blut  aus  dem  Organismus  entfernen,  und 
dasselbe  durch  sterile  Kochsalzlösung  ersetzen.  Aber  diese 
Blutentziehung  darf  nur  bei  sehr  kräftigem  Herzen  vorgenommen 
werden.  In  dem  anderen  Falle,  bei  zugleich  bestehenden  Herz- 
schwächezuständen,  was  in  den  meisten  Fällen  zutrifft,  werden  wir 
nur  Kochsalzlösung  infundieren,  dadurch  ward  das  Blut  verdünnt, 
und  wir  erreichen  ungefähr  dasselbe.  Man  kann  ausserdem  eine  kon- 
stante Durchrieselung  des  Magens  mit  Kochsalzlösung  vor- 
nehmen, wodurch  ebenfalls  Narkotikum  dem  Blutplasma  ent- 
zogen wnrd.  Ausserdem  wird  gegebenenfalls  eine  Durchrieselung  der 
Bauchhöhle  mit  steriler  Kochsalzlösung  sehr  gute  Dienste  leisten, 
wenn  vielleicht  zufällig  eine  Laparatomie  vorgenommen  wdrd. 

Nun  gelangen  wir  zu  der  zw^eiten  Reihe  von  Apnoen.  Die- 
selben sind  hervorgerufen  durch  direkte  Verlegung  des  Atemweges, 
durch  Zurücksinken  der  Zunge,  Krampf  der  Kehlkopfmuskeln, 
Fremdkörper,  Schleim,  Strumen,  Tumoren,  etc.  Alle  diese 
Gegenstände  und  Verhältnisse  verursachen  eine  erschwerte  Atmung 
zunächst  mit    krampfhaften   Atembewegungen,    Stertor,    Hyper- 


—     168     — 

aemie  des  Gesichts  etc.,  weiter  zeigt  sich  ein  immer  stärkeres  Auftreten 
der  Symptome,  eine  Ueberladung  des  Blutes  mit  Kohlensäure, 
und  diese  starke  Anhäufung  der  Kohlensäure  ruft  endlich  eine 
Lähmiing  des  Zentrums  der  At  embewegungen  hervor  mit  Still- 
stand der  Atmung.  Diese  Fälle  sind  also  ebenfalls  unter  die  Rubrik 
Apnoe  zu  stellen,  und  unsere  erste  Handlung  muss  wieder  sein: 
Unterbrechen  der  Verabreichung  des  Narkotikums. 

§  68b.  Aber  ehe  Avir  die  künstliche  Respiration  einleiten, 
müssen  wir  erst  das  Hindernis  entfernen.  Dies  geschieht  entweder 
durch  direktes  Extrahieren  der  Fremdkörper,  Hervorziehen 
der  Zunge,  Entfernen  von  Schleim  oder  Blutgerinnseln  etc.  Liegt 
aber  die  Sache  so,  dass  man  entweder  von  oben  der  Ursache  nicht 
beikommen  kann,  oder  ist  ein  Krampf  im  Kehlkopf,  ein  Tumor 
vorhanden,  der  die  Trachea  komprimiert,  oder  ähnliches  mehr,  so 
lassen  wir  nicht  die  kostbare  Zeit  mit  langen  Versuchen  des 
Luftschaffens  durch  den  Mund  etc.  vergehen,  sondern  greifen  rasch 
zum  Messer  und  tracheotomieren  den  Kranken.  Wer  die  Technik 
beherrscht,  kann  in  einzelnen  Fällen  auch  Intubieren.  Nachdem  wir 
durch  die  Tracheotomie  Luft  geschaffen,  ev.  durch  Aspi- 
rieren Schleim  oder  Blut  aus  der  Trachea  oder  den  Bronchien 
entfernt  haben,  sehen  wir  in  vielen  Fällen,  wie  die  Lungentätigkeit 
wieder  einsetzt,  und  wenn  dies  nicht  geschieht,  so  ist  es  jetzt  an  der 
Zeit,  künstliche  Respiration  einzuleiten.  Die  Zeit  vom  ersten  Be- 
merken der  Atmungserschwerung  bis  zum  Luftschaffen  auf  irgend  eine 
AVeise  muss,  obgleich  sie  sehr  kurz  ist,  doch  gut  ausgenutzt  werden. 
Die  Tracheotomie  soll  man  nicht  zu  lange  hinausschieben,  da  man  doch 
dazu  ^/g  —  1  Minute  Zeit  gebrauchen  kann,  und  es  ist  besser,  früher 
zu  tracheotomieren,  damit  es  dann  nicht  zu  spät  ist.  Es  ist  aber 
wiederum  die  Geschicklichkeit  des  Narkotiseurs,  welche  ent- 
scheiden muss,  wie  derselbe  handeln  soll.  Er  muss  durch  seine  gute 
Beobachtung  von  Anfang  an  informiert  sein  über  den  ganzen  Her- 
gang. Wenn  er  das  ist,  wird  er  meist  seinen  Kranken  retten  können, 
indem  er  dann  sofort  sach gemäss  handelt,  und  nicht  die  kostbare 
Zeit  zu  nebensächlichen  Manipulationen  verschwendet. 

Die  Hauptsache  aber  ist  die,  die  Ursachen  zu  solchen  Kom- 
plikationen von  Anfang  an  zu  beseitigen.  So  kann  man  sehr  viel 
tim,  und  mit  Recht  behaupten,  dass  nur  ein  kleiner  Teil  der  zweiten 
Gruppe  von  Apnoen  übrig  bleibt,  wenn  wir  alle  geforderten  Be- 
dingungen für  eine  Narkose  der  Jetztzeit  erfüllt  haben.  Fremd- 
körper dürfen  nicht  im  Munde  sein,  der  Speichel  muss  durch  ent- 
sprechende Lagerung  entfernt  werden,  ebenso  Blut  bei  Operationen, 
so  bleiben  uns  noch  jene  Fälle  wo  ein  Krampf  im  Kehlkopf  ein- 
tritt, wo  Tumoren  die  Passage  verengern,  und  m'O  der  Zungen- 
grund nach  hinten  fällt.  Letzterer  Fall  ist  aber  so  oft  zu  sehen,  dass 
jeder  so  geübt  ist,  um  hier  nie  ernste  Gefahren  entstehen  zu  lassen, 
und  wir  kennen  ja  die  Handlungsweisen,  wie  wir  ein  Herabsinken 
des  Zungengrundes  zu  verhindern  im  Stande  sind.  Daraus  geht 
hervor,    dass  nur    wenige  Ursachen    bestehen    bleiben.      Jene   Fälle,  wo 


—     169     — 

die  dünnen  Lippen  und  Nasenflügel  sich  an  die  Knochen  an- 
legen, und  Ventilverschluss  herstellen,  braucht  man  wohl  kaum  zu 
erAvähnen,  es  ist  ja  eine  Kleinigkeit,  diese  Uebelstände  zu  beseitigen. 
Ferner  sind  jene  Fälle,  wo  Anschwellungen  und  Wucherungen 
in  Nase  und  Rachen  vorhanden  sind,  ebenfalls  bekannt  genug, 
und  leicht  zu  behandeln. 

Neben  alledem  ist  noch  ein  anderer  die  Atmungverhinderung 
und  Apnoe  erzeugender  Umstand,  Avelcher  ebenfalls  wie  der  Glottis- 
krampf unvorhergesehen  eintritt,  in  dem  Glottisoedem  gegeben. 
Dasselbe  tritt  so  plötzlich  auch  in  der  Narkose  auf,  dass  man  stets 
damit  rechnen  muss. 

Die  Ursachen  iür  ein  so  unerwartet  auftretendes  Glottisoedem 
sind  natürlich  sehr  schwer  zu  eruieren,  und  man  wird  in  vielen  Fällen 
vollkommen  im  dunkeln  tappen.  Von  manchen  wird  eine  spezifische 
Wirkung  bestimmter  Narkotika,  welche  in  sehr  konzentrierten 
Dämpfen  auf  die  Schleimhaut  des  Kehlkopfes  einwirken,  für  das 
Glottisoedem  verantwortlich  gemacht.  Es  lässt  sich  dies  aller- 
dings nicht  mit  Sicherheit  behaupten.  Dass  aber  eine  Reflexwirkung 
durch  konzentrierte  Dämpfe  des  Narkotikums,  auch  wenn  sie 
nicht  direkt  auf  die  Schleimhaut  des  Kehlkopfes  einwirken  können, 
ein  solches  Oedem  hervorrufen  kann,  ist  nicht  von  der  Hand  zu  weisen, 
und  ist  immerhin  wahrscheinlich.  Sehr  oft  trägt  aber  weniger  die 
Narkose,  als  die  Operation,  welche  vielleicht  in  der  Nähe  des 
Kehlkopfes  stattfindet,  die  Schuld.  Eine  Therapie  kann  natürlich  nur 
in  der  Tracheotomie  gegeben  sein,  und  es  ist  Pflicht  des  Nar- 
kotiseurs,  sich  sofort  bei  Eintritt  einer  Erschwerung  des  Atmens  klar 
zu  machen,  worin  letztere  besteht,  und  dass  einzig  und  allein  ein  Glottis- 
oedem  vorliegt.  Er  muss  diese  Ueberzeugung  aus  dem  ganzen  Her- 
gang der  Narkose  durch  scharfe  Beobachtung  erlangt  haben, 
und  muss  im  Beginn  der  Gefahr  schon  per  exclusionem  anderer 
Ursachen  seine  Diagnose  sichern,  und  sofort  richtig  handelnd 
einschreiten.  Eine  Untersuchung  etwa  erst  noch,  ob  Fremdkörper 
den  Weg  versperren,  mviss  unnötig,  und  zu  unterlassen  sein,  da  sich 
der  Narkotiseur  klar  sein  muss,  dass  kein  Fremdkörper  anwesend 
gewesen  ist,  und  die  Untersuchung  würde  nur  die  Zeit  rauben,  welche 
gerade  noch  ausreicht,  um  schnell  zu  tracheotomieren,  und  dadurch 
den   Menschen   zu  retten. 

In  manchen  Fällen,  wo  wir  eine  Verlegung  des  Atemtraktus 
erwarten  können,  wie  bei  sehr  blutigen  Operationen  im  Munde 
und  Rachen,  sowie  bei  Strum  ektomien,  ist  es  wohl  angebracht 
vorher  zu  tracheotomieren,  und  im  ersteren  Falle  die  Trendelen- 
burgsche  Tampon- Canüle  einzulegen,  welche  ein  Herabfliessen 
von  Blut  in  die  Trachea  verhindert.  Die  Narkosen  bei  Strumen  sind 
besonders  gefährlich,  und  es  sind  gerade  bei  diesen  Operationen  sehr 
viele  Narkosenunfälle,  sowohl  Apnoe-  als  Herzsyncope-Fälle 
zu  verzeichnen.  Inwiefern  die  Operation  infolge  nervöser  Laesioiien 
und  anderer  Verhältnisse  hier  mit  hineinspielt,  ist  nicht  der  Ort  zu  erörtern. 

§   69.      Nachdem    wir    nun   diese   Gefahren,    und  unsere  Tätig- 


-     170     — 

"keit  zur  Ueberwindung  derselben  gezeigt  haben,  wenden  wir  uns 
zu  dem  genaueren  Explizieren  der  zu  ergreifenden  Gegenmassregeln, 
und  betrachten  zuerst  die  künstliche  Respiration.  Es  ist  ganz  un- 
bedingt nötig,  dass  dieselbe  hier  erkläi-t  wird,  denn  ein  grosser  Teil 
der  Leser  wird  nicht  leicht  sich  die  Instruktion  darüber  aus  anderen 
Werken  suchen  wollen,  und  dann  wird  eine  alleinige  Schilderung 
der  Vornahme  der  künstlichen  Respiration  in  Bezug  auf  die 
Narkose  sehr  viel  Wissenswertes  für  den  Narkotiseur  zu  Tage 
fördern. 

Es  gibt  verschiedene  Arten,  eine  künstliche  Respiration  einzuleiten. 
Die  künstliche  Atmung  hat  den  Zweck,  die  Atembewegungen, 
welche  normaler  Weise  von  den  Atemmuskeln  bewirkt  wer- 
den, zu  erzeugen,  und  so  in  rhythmischer  Folge  eine  Kom- 
pression der  Brust,  also  eine  Verringerung  des  Inhaltes  der 
Lungen,  und  darauf  folgend  wieder  eine  Erweiterung  des 
Brustkorbes,  eine  Vermehrung  des  Inhaltes  der  Lungen  zu 
bewirken.  Dadurch,  dass  man  innerhalb  der  Brusthöhle  einen  luftver- 
dünnten Raum  herstellt,  werden  die  Lungen  ausgedehnt,  und  saugen 
Luft  ein,  während  bei  entgegengesetzter  Manipulation  die  Luft  aus 
der  Lunge  heraus  getrieben  wird.  Die  erstere  Art  entspricht  einer 
Inspiration,   die  letztere   einer  Exspiration. 

Als  erste  Methode  der  künstlichen  Respiration  wollen  wir 
das  Verfahren  von  Marshall  Hall  beschreiben.  Man  legt  die  betref- 
fende Person  in  Bauchlage,  bringt  ein  Kissen  oder  zusammengelegte 
Kleider  etc.  unter  die  Brust,  und  legt  einen  der  Arme  unter  das  Gesicht. 
Auf  den  Rücken  zwischen  den  Schulterblättern  übt  man  nun  mit  beiden 
Händen  Avährend  zweier  Sekunden  einen  g-leichmässigen,    inten- 


Fig.  12.     Künstliche  Respiration  nach  Marsliall  Hall. 


-     171     — 

siven  Druck  aus,  wendet  die  Person  dann  auf  die  Seite,  und  darüber 
hinaus,  um  sie  dann  wieder  nach  2  Sekunden  schnell  in  die  Bauch- 
lage zu  rollen.  Vergleiche  Figur  12.  Während  man  diese  Prozedur 
15  mal  in  der  Minute  wiederholt,  wird  der  Kopf  des  Patienten  von 
einem  Assistenten  gehalten.  Die  hier  in  der  Bauchlage  erzielte  Ver- 
engerung des  Brustkorbes,  und  die  während  der  Supinationsbe- 
Avegxuig  vermöge  der  Elastizität  des  Thorax  folgende  Erweiterung 
derselben,  sind  verhältnismässig  gering.  Denn  der  durch  die  Unterlage 
gebogene  Rumpf  ruht  in  der  Bauchlage  nur  allein  auf  Hüften  und 
Schultern  fest  auf,  während  der  von  der  elastischen  Brust  gebildete 
höchste  Punkt  des  Bogens  hohl  liegt,  sodass  der  hierselbst  ausgeübte 
Druck  keinen  festen  Widerstand  findet.  Die  Zunge  muss  von  einem 
Assistenten  hervorgezogen  werden,  da  dieselbe  sonst  zurücksinkt 
und   den  Luftzutritt  verhindert. 

Das  Sylvester'sche  Verfahren:  Man  legt  den  Patienten  in 
der  Rückenlage  auf  eine  geneigte  Fläche  mit  dem  Kopfe  nach  oben. 
Unter  den  oberen  Teil  des  Rückens  und  den  Nacken  legt  man  ein 
Kissen.  Die  Zunge  muss  von  einem  Assistenten  hervorgezogen  aus 
dem  Munde  gehalten  werden,  oder  man  muss  dieselbe  irgendwie  durch 
einem  Faden  fest  binden.  Man  ergreift  nun  hinter  dem  Kopfe  des 
Patienten  stehend  beide  Arme  des  letzteren  dicht  oberhalb 
des  Ellenbogens,  und  zieht  sie  kräftig  über  den  Kopf  des  Patienten 
zugleich  etwas  nach  unten,  und  hält  sie  so  2  Sekunden  lang  auf- 
wärts gestreckt,  um  sie  alsdann  wieder  abwärts  führend  fest  an  die 
Seitenwände   der  Brust  zu  drücken.     Vergleiche  Fig-ur   13  u.   14. 


Fig.  13.     Künstliche  Respiration  nach  Sylvester.     I.  Teil. 


Dies  Auf-  und  Abwärtsführen  der  Arme  wird  zehnmal  in  der 
Minute.rhy  thmisch  wiederholt.  Diese  Bewegungen  müssen  rhythmisch, 
intensiv,   aber  langsam   ausgeführt  werden.      Man  sei  nie  hastig. 

III.      Pacini's  Verfahren  stellt  eine  Modifikation  des  Sylvester' 


—     172     — 

sehen  dar.     Der  Arzt  umfasst  hier  beide   Schultern   des  Patienten, 
so  dass  die  geschlossenen  vier  Finger  jeder  seiner  Hände  hinten  auf  den 


Fig.  14.     Künstliche  Respiration  nach  Sylvester.     II.  Teil. 


Schulterblättern,  seine  beiden  Daumen  auf  den  entsprechenden  Ober- 
armköpfen des  Patienten  ruhen.  Alsdann  zieht  er  im  Rhythmus  einer 
langsamen  Inspiration  die  Schultern  kräftig  nach  oben  und 
rückwärts.  Hierdurch  wird  der  Brustkorb  vermittels  der  mit  ihm 
verbundenen  Knochen  des  Schultergerüstes  erweitert. 

IV.  Bains  Verfahren:  Beide  Schultern  des  Patienten  wer- 
den von  den  beiden  Händen  des  Arztes  so  umfasst,  dass  die  vier 
Finger  jeder  derselben  in  den  Achselhöhlen,  beide  Daumen  aber  auf 
den  entsprechenden  Schlüsselbeinen  des  Patienten  liegen.  Die  übrigen 
Manipulationen  sind  dieselben  wie  bei  dem  Sylvester 'sehen  Verfahren. 

V.  Howards  Verfahren.  Der  Apnoische  wird  bis  zur  Taille 
entblösst  auf  den  Bauch  gelegt.  Unter  das  Epigastrium  legt  man 
eine  Rolle  oder  Kissen,  so  dass  das  Epigastrium  den  höchsten 
Punkt  bildet,  der  Mund  aber  tiefer  gelegen  ist.  Eine  Hand  oder 
einen  Arm  legt  man  unter  das  Gesicht,  damit  derselbe  nicht  auf  dem 
Boden  aufliegt.  Der  Arzt  breitet  nun  seine  linke  Hand  auf  die  Basis 
des  Brustkorbes  des  Apnoischen  links  von  der  Wirbelsäule  aus, 
seine  rechte  Hand  legt  er  aber  auf  die  Wirbelsäule  etwas  unter- 
halb seiner  linken  Hand.  So  drückt  er  nun  mit  der  ganzen  Last  etwa 
drei  Sekunden  lang  auf  den  Körper  des  Patienten,  und  wiederholt 
diesen  Druck  noch  2  —  3  mal,  bis  die  gesamte  im  Magen,  oder  der 
Luftröhre  angesammelte  Flüssigkeit  herausgeflossen  ist.  Dies  kommt 
hauptsächlich  bei  Ertrunkenen  in  Betracht,  allein  auch  bei  den  Ap- 
noischen in  der  Narkose  ist  diese  Entfernung  von  etwa  vorhandener 
Flüssigkeit  von  W^ert,  denn  sehr  oft  sind  Schleim-,  Blut-  oder 
Speiehelmassen  im  Kehlkopf  und  der  Trachea  angesammelt. 
Dieselben  müssen  stets   entfernt  sein,    ehe  Respirationsbewegungen 


—     173     — 

gemacht  wei'dcn,  weil  durcli  dieselben  sonst  die  Flüssigkeiten  in  die  Lunge 
aspiriert  werden,  was  vom  grössten  Nachteil  für  den  Kranken  ist,  und, 
wenn  dennoch  Rettung  eintritt,  schwere  Lungenerkrankungen  zur 
Folge  haben  kann.  Nachdem  man  dies  getan  hat,  legt  man  den  Kran- 
ken in  die  Rückenlage.  Das  Rollkissen  legt  man  nun  mehr  unter 
die  Basis  des  Brustkoi'bes ,  sodass  die  Schultern  etwas  abwärts  geneigt, 
Kopf  und  Hals  stark  nach  hinten  unten  gebeugt  sind,  und  legt  die 
Hände  des  Patienten,  welche  an  ihren  Gelenken  kreuzweis  vielleicht 
zusammengebunden  sind,  über  den  Kopf.  Falls  ein  Assistent  vorhanden 
ist,  so  hält  derselbe  Avieder  die  Zunge  mittelst  einer  Zange  aus  dem 
Munde  herausgezogen.  Nunmehr  kniet  der  Arzt  rittlings  mit  ge- 
spreizten Beinen  über  den  Patienten,  sodass  die  Hüften  des  letzteren 
zwischen  seinen  Knieen  liegen,  und  setzt  die  Ballen  seiner  beiden 
Daumen  und  kleinen  Finger  derartig  auf  die  inneren  freien  Ränder 
des  knorpeligen  Rippenbogens  des  Patienten,  dass  die  Spitzen  seiner 
beiden  Daumen  nach  aufwärts  gerichtet  sind,  letztere  aber  in  der  Nähe 
des  Processus  Xiphoideus,  oder  auf  diesem  selbst,  und  die  übrigen 
Finger  seiner  Hände  in  den  beiderseitigen,  entsprechenden  Literkostal- 
räumen  des  Brustkorbes  des  Kranken  liegen.  Nun  stützt  er  fest  seine 
eigenen  Ellenbogen  unbeweglich  auf  die  eigenen  Hüftknochen  und 
Seiten,  und  drückt  dann  gegen  das  Zwerchfell  des  Patienten 
zu  nach  auf-  und  rückwärts  2  —  3  Sekunden  lang  mit  Avachsender 
Stärke,  indem  er  seine  Kniee  als  Drehpunkte  brauchend  sich  selbst 
mit  dem  Gewicht  des  eigenen  Körpers  langsam  nach  aufwärts  zieht, 
bis  sein  Gesicht  das  des  Patienten  berührt.  Hierauf  geht  er  plötz- 
Hch  in  seine  frühere  Stellung  zurück,  sodass  die  vorher  ausgedehnten 
Rippen  zurückweichen  und  die  Brusthöhle  verengern.  Man  muss 
diese  Kompressionen  ca.  10  mal  in  der  Minute  wiederholen.    Vergl.  Fig.  15. 


Fig.  15.     Künstliche  Resioiration  nach  Howard. 


Nach  Nussbaum  ist  die  künstliche  Respiration  folgendermassen 
einzurichten.  Man  komprimiert  in  Zwischenräumen  von  3 — 4  Se- 
kunden den  Unterleib  stark,  aber  langsam,  wodurch  das  Zwerchfell 
nach    oben    gedrängt,    und    somit    die    Luft    aus    den  Lungen  getrieben 


—     174     — 

wird.  Man  nimmt  dies  am  besten  mit  beiden  flachausgebreiteten  Händen 
vor,  die  eine  auf  das  Sternalende,  die  andere  auf  die  Gegend  des 
Nabels  legend.  Wenn  der  Druck  schnell  nachgelassen  wird,  dringt 
Luft  in  die  Lungen  ein.  Man  muss  dasselbe  Komprimieren  un- 
gefähr 5  —  6  mal  in  der  Minute   wiederholen. 

Schütter  greift  mit  den  Fingerspitzen  unter  die  Rippen- 
bögen, zieht  dieselben  in  die  Höhe,  und  presst  sie  dann  wieder  zu- 
sammen,  beides  rhythmisch  nacheinander  ausführend. 

Eine  sehr  brauchbare  Methode  ist  nach  unserer  Erfahrung  eine 
Kombination  von  der  Sylvesters  und  dem  zweiten  Teile  von 
Howards  Methode.  Es  geschieht  dies  folgendermassen.  Wenn  der 
Narkotiseur  ausruft  „künstliche  Respiration",  fasst  er  die  Arme  nach 
Sylvesters  Methode,  und  ein  anderer  Assistent  arbeitet,  sich  über 
den  Kranken  beugend,  ja  cv.  knieend,  nach  der  Howard'schen  Me- 
thode, hidem  er  die  Rippenbögen  zusammendrückt.  Beide  Arzte 
müssen  sich  aneinander  anpassen,  sodass  während  der  Narkotiseur 
die  Arme  nach  oben  zieht,  der  Assistent  die  Brust  auseinander 
gehen  lässt,  und  nun  zu  gleicher  Zeit  die  Rippenränder  kompri- 
miert, während  der  erstere  die  Arme  seitwärts  andrückt.  Diese 
Methode  muss  rhythmisch,  langsam,  und  einer  nach  dem  andern 
entsprechend  arbeitend  vor  sich  gehen.  Sie  ist  bei  Narkosen 
sehr  vorteilhaft,  weil  man  hier  nicht  die  Zeit  verlieren  darf  mit 
der  Lagerung  des  Patienten  entsprechend  der  Anforderungen 
der  Methoden.  Wir  lassen  ihn  ruhig  in  seiner  Lage,  und  beginnen 
sofort  die  künstlichen  Atembewegungen.  Selbstverständlich  muss 
vorher  etwaiger  Schleim  oder  dergleichen  aus  dem  Kehlkopf, 
Rachen  oder  der  Trachea  entfernt  sein. 

Eine  grosse  Hauptsache  bei  der  Einleitung  der  künstlichen 
Respiration  ist  die  Ruhe  und  Gleichmässigkeit  in  der  Me- 
thodik. Man  muss  nicht  denken,  dass  man  durch  überaus  schnelle 
Handhabung  eher  zum  Ziele  kommt.  Je  langsamer  und  ruhiger 
die  Bewegungen  gemacht  werden,  um  so  bessere  Erfolge  haben 
dieselben.  Man  muss  bei  den  Versuchen,  die  Brust  zu  vergrössern,  auch 
der  Lunge  Zeit  lassen  sich  auszudehnen,  indem  man  auf  dem 
Punkte,  wo  man  die  Arme  nach  oben  hinten  gezogen  hat,  eine  Se- 
kunde verweilt,  und  nicht  schnell  wieder  zurückkehrt,  denn  dann 
würde  der  Lunge  gar  keine  Zeit  gelassen,  zum  Ausdehnen.  In  allen 
Lagen  des  Lebens  muss  der  Arzt  Ruhe  und  Kaltblütigkeit  bewahren, 
so  auch  hier,  der  ängstliche,  hastige  und  nervöse  kommt  nicht  zum 
Ziele.  Deshalb  sollte  man  sich  vor  jeder  Narkose  mit  seinem 
Assistenten  vereinigen,  wie  man  im  Falle  der  Gefahr  zusammen  ai-beiten 
will.  Hat  man  einen  Arzt  zur  Assistenz,  so  werden  wenige  Worte  zur 
Verständigung  genügen,  hat  man  Laien  zu  Hilfe,  so  wird  es  gut  sein, 
denselben  erst  einmal  die  Prozeduren  zu  zeigen,  damit  sie  im  Punkte 
der  Gefahr  orientiert  sind,  denn  nur  durch  gegenseitiges  Ergänzen  und 
Einvernehmen  kann  man  das  höchste  leisten,  ist  dann  aber  auch 
belolmt  durch  den  herrlichen  Erfolg,  welcher  die  Mühen  lohnt.  V/er 
Momente    solcher  Gefahren    durchgemacht    hat,    der    kennt    die    bangen 


—     175     — 

Gefühle,  die  einen  beschleichen,  wenn  man  während  den  wie  Stunden 
erscheinenden  Minuten  der  Entscheidung  über  Leben  und  Tod  die  Wahl 
des  Schicksals  erwartet.  Und  Avie  stolzes  Bewusstsein  erhebt  uns, 
wenn  wir  sehen,  wie  das  gut  geschulte  Personal  Hand  in  Hand 
mit  dem  Narkotiseur  auf  ein  kurzes  Wort  desselben  stumm 
aber  zielbewusst,  mit  kalter  Ruhe  arbeitet  gewiss  des  Erfolges^ 
welcher  in  den  meisten  Fällen  nicht  ausbleibt,  und  wie  froh  und  be- 
friedigt sieht  man  die  ersten  Atemzüge  des  Kranken  wieder  ein- 
setzen. 

Aber  es  ist  in  diesen  schweren  Zeiten  nicht  die  künstliche 
Respiration    allein,    die  uns  hilft,    wir  haben   noch  mehr  Hilfsmitteh 

§  70.  Es  ist  in  vielen  Fällen  die  Tracheotomie  nötig,  jeder- 
mann kennt  den  Hergang,  und  jedermann  weiss  auch,  welche  Schwierig- 
keiten diese  Operation  bisweilen  selbst  dem  geschicktesten  Operateur 
bereitet.  Wir  dürfen  in  solchen  Fällen  keine  Zeit  verlieren,  nur 
rasches  Handeln  kann  dem  Patienten  das  Leben  retten,  daher  seien 
wir  nicht  im  Zweifel,  ev.  die  Laryngotomie  zu  machen,  wenn  die 
Verhältnisse,  wie  es  bei  kleinen  Kindern,  oder  sehr  starken  Perso- 
nen mit  kurzem  Halse,  oder  bei  Tumoren  der  Schilddrüse  etc. 
der  Fall  sein  kann,  sehr  hindernd  für  die  Traeheotomia  superior 
und  inferior  liegen.  Es  muss  hier  nur  das  Bestreben  uns  leiten, 
Luft  zu  schaffen,  allerdings  müssen  wir  immer  bedacht  sein,  den  Kran- 
ken soviel  wie  möglich  nicht  zu  schädigen.  Es  wird  aber  einem  geschickten 
Chirurgen  in  jedem  Falle  glücken,  in  wenigen  Bruchteilen  von  Minu- 
ten die  Tracheotomie  beendet  zu  haben,  und  nun  muss  sofort  die 
künstliche  Respiration  begonnen  werden.  Auch  hier  ist  es  nötig,  sein 
assistierendes  Personal  bereits  instruiert  zu  haben,  über  die  Tätigkeit 
bei  dem  Befehl  „Tracheotomie".  Jeder  muss  sofort  die  richtigen 
Massnahmen  treffen,    damit  die   Operation   schnell  vor  sich  gehen  kann. 

Nachdem  man  die  Tracheotomie  beendet  hat,  müssen  stets  die 
etwa  in  der  Trachea  angesammelten  Sekret- Schleimmassen,  Blut 
und  Blutgerinnsel  aus  derselben  entfernt  werden.  Dies  gelingt  am 
besten  dadurch,  dass  man  durch  die  Wunde  einen  weichen  elasti- 
schen Katheter  (Nelaton  etc.)  in  die  Luftröhre  einführt,  oder  eine 
dünne  weiche  Schlundsonde,  und  durch  Aspirationsversuche 
die  Schleim-  resp.  Blutmassen  heraussaugt.  In  den  meisten 
Fällen  sind  solche  Substanzen  vorhanden,  und  deren  Anwesenheit 
würde  die  Inspirationsbewegungen  verhindern,  Luft  einzusaugen. 
Sie  würden  bei  der  künstlichen  Respiration  in  die  Lungen  aspiriert 
werden,  und  entweder  die  Wirkung  der  künstlichen  Respiration  unmög- 
lich machen,  der  Kranke  würde  trotz  aller  Mühe  sterben,  oder, 
wenn  sie  in  geringeren  Mengen  vorhanden  waren,  würden  sie  wenig- 
stens  einen   Teil  der  Lunge  schwer   schädigen. 

§  71.  Ein  weiteres  Mittel,  welches  die  künstliche  Respiration 
ergänzen  kann,  ist  das  Einblasen  von  Luft  oder  Sauerstoff  in  die 
Lungen.  Man  führt  durch  den  Kehlkopf  einen  Katheter  oder  eine 
dünne  Schlundsonde  in  die  Trachea  ein,  bei  Tracheotomierten 
durch    die   Wunde,    und    versucht    erst    eventuell    in    den  Luftwegen 


—     176     — 

an2:esaramelten  Schleim  oder  Blut  zu  aspii'ieren  und  zu  besei- 
tigen. Erst  wenn  man  sich  überzeugt  bat,  dass  derartige  Substanzen 
nicht  im  Wege  stehen,  beginnt  man  mit  dem  Einblasen  von  Luft 
durch  das  Rohr.  Ich  erwähne  ausdrücklich,  dass  in  jedem  Falle  erst 
aspiriert  werden  soll,  denn  in  den  meisten  Fällen  sind  Schleim- 
massen vorhanden,  und,  wenn  man  dieselben  nicht  entfernt,  so  bläst 
man  sie  ja  direkt  in  die  Lungen.  Wenn  man  die  Vorrichtung  haben 
kann,  so  wird  die  Luft  mittelst  eines  Blasebalges,  oder  Gebläses  einge- 
führt. Man  kann  auch  aus  einem  eigens  dazu  vorhandenen  Apparat 
Sauerstoff  mit  Luft  in  die  Lungen  blasen.  Dies  ist  ein  ganz  vor- 
zügliches Mittel,  denn  durch  den  starken  Sauerstoffgehalt  der  In- 
spirationsluft wird  die  Lunge   zum   Atmen   angeregt. 

Das  Einblasen  von  Luft  mit  dem  Munde  ist  entschieden  dem 
Verfahren  mittelst  Gasometer  unterlegen,  denn,  wenn  man  auch  noch  so 
sehr  bemüht  ist,  nur  gute  Luft  einzublasen,  es  wird  doch  stets  viel 
Kohlensäure  beigemengt  sein,  und  die  Luft  ist  verschlechtert  und 
kann  dem  Kranken  wenig  oder  gar  nichts  nützen.  Ein  Gasometer, 
welcher  eine  sauerstoffreiche  Luft  enthält,  ist  in  i'edem  Falle  besser, 
und  kann  im  Operationssaal  bereit  gehalten  werden.  Der  reine  Sauer- 
stoff ist  nicht  so  wertvoll  wie  ein  Luftgemisch.  Allerdings  wirkt  der 
erhöhte  Sauers  toffgehalt  sehr  günstig,  indem  er  erstens  die  At- 
mung anregt,  schneller  vmd  leichter,  als  Luft  in  gewöhnlicher 
Zusammensetzung,  das  Blut  oxydiert,  und  dadurch  den  Menschen 
retten  kann. 

§  72.  Es  ist  nun  noch  hier  der  Ort  jene  Methode  zu  be- 
schreiben, wie  man  bei  Zurü  cksinken  des  Zungengrundes  dauernd 
denselben  gehoben  halten  kann.  Das  Zurücksinken  des  Zungen- 
grundes  stellt  sich  bei  fast  allen  Menschen  im  Stadium  der  Tole- 
ranz ein,  und  ist  bei  dem  einen  ein  grosses  Hindernis  für  den 
Luftzug  wegen  der  engen  ßachenverhältnisse ,  indem  es  in  solchen 
Fällen  schwere  Erstickungszustände  hervorruft.  In  anderen  Fällen,  wo 
weitere  räumliche  Verhältnisse  bestehen,  kommt  nur  eine  Be- 
hinderung der  Atmung  zu  stände,  durch  welche  eine  schnarchende 
Atmung  erzeugt  wird.  In  beiden  Fällen  muss  das  Hindernis  be- 
seitigt werden.  Wenn  man  meint,  im  zweiten  Falle  die  schnarchende 
Atmung  mit  in  Kauf  nehmen  zu  sollen,  so  ist  dies  ganz  falsch,  denn 
namentlich  bei  laugen  Narkosen  wird  der  Kranke  mit  der  Zeit  einen 
beträchtlichen  Mangel  an  Sauerstoff  im  Blut  aufweisen,  und 
eine  zu  grosse  Menge  Kohlensäure,  denn,  da  durch  die  Verengung 
des  Kehlkopfes  nicht  so  viel  Luft,  als  nötig,  inspiriert  werden  kann, 
so  wird  dieses  Manko  entstehen,  und  bei  langem  Anhalten  dieses  Zu- 
standes  wird  eine  Kohlensäureintoxikation  entstehen,  die  ebenfalls 
Gefahren  mit  sich  bringt.  Daher  muss  auf  jeden  Fall  dafür  gesorgt 
■werden,  dass  der  Zungen  grund  nach  vorn  oben  gelangt  Dies 
erreicht  man  durch  die  Lagerung  nach  Witzel. 

Wer  aber  diese  Lagerung  nicht  wählt,  muss  einen  Handgriff 
anwenden,  welcher  in  folgendem  besteht. 

Der    Narkotiseur    steht    hinter    dem    Kopfe    des    Patienten    und 


—     177 


fasst  mit  jeder  Hand  mit  dem  Zeige-  und  eventuell  dem  dritten 
Finger  dicht  hinter  dem  Angulus  des  Unterkiefers  den  hinteren 
Teil  des  Kiefers  und  schiebt  denselben  so  von  hinten  unten 
nach  vorn  oben.  Man  wird  sofort  bemerken,  dass  der  Unterkiefer 
in  genannter  Eichtung  geschoben  wird,  und  derselbe  steht  vollkommen 
richtig,  wenn  die  Zahnreihe  desselben  ca.  1  Fingerbreit  über  die 
Zahnreihe  des  Oberkiefers  nach  vorn  steht,  (von  Esmarch  und 
Kappeier),  Vergl.  Fig.  16  und  17.  Sobald  diese  Stellung  erreicht  ist, 
wird  auch  sofort  das  Schnar- 
chen der  Atmung  wegfallen, 
und  man  hört  jetzt  keine  Ge- 
räusche mehr,  sieht  nur,  wie- 
viel ausgiebiger  jetzt  nach  Be- 
seitigung des  Hindernisses  die 
Brust  arbeitet.  Durch  dieses 
Verschieben  des  Kiefers 
wird  der  Zungen gr und  in- 
folge des  Zuges  der  bekannten 
Muskeln  nach  vorn  oben  ge- 
zogen, und  die  Passage 
wird  frei.  Bei  dem  Handgriff 
nach  Kappeier  Fig.  17  fasst  der 
Arzt  den  Angulus  von  vorn  mit 
dem  Zeige-  und  dritten  Finger. 

Ein   anderes  Mittel,    um   dasselbe    zu    erreichen,    besteht    darin, 
dass  man  mit  zwei  Fingerspitzen  unter  das  Kinn  in  den  Winkel, 


Fiff.  16. 


Lüften  des  Kiefers  nach 
von  Esmarch. 


/^ 


Fig.  17.     Lüften  des  Kiefers  nach  Kappeier. 


den  beide  Kieferknochen  bilden,  greift,  und  den  Kiefer  nach  vorn 
zieht.  Die  Wirkung  ist  dieselbe  wie  oben,  nur  ist  es  eine  unbequemere 
Art,   den  Kiefer  nun    dauernd    so    zu  halten,    denn  man  muss  bei 

12 


—     178     — 

beiden  Methoden  natürlicli  während  der  ganzen  Dauer  der  Narkose  den 
Kiefer  unterstützen,  da  derselbe  beim  Nachlassen  des  Druckes  unserer 
Hände  sofort  nach  hinten  unten  sinkt,  und  der  alte  Zustand 
ist  wieder  vorhanden. 

Eine  andere  Methode  ist  die,  mittelst  eines  scharfen  Häk- 
chens das  Zungenbein  anzuhaken  und  nach  vorn  oben  zu 
ziehen,  ev.  es  dauernd  so  zu  halten.  (Nussbaum).  Diese  Methode 
ist  von  Wichtigkeit,  denn  es  kann  in  besonderen  Verhältnissen  auf 
andere  Art  sehr  erschwert  sein,  den  Kiefer  selbst  anzufassen.  Dieses 
Anhaken    des    Zungenbeins    ist    besser    als     die    folgende    Methode. 

Braatz  gibt  den  Kat  mit  dem  Zeigefinger  über  den  Zungen- 
rücken herabzugreifen,  und  die  Zunge  schnell  nach  vorn  zu  drücken. 

Allein  durch  diese  Methode  wird  nur  momentan  Luftdurch- 
tritt geschaffen,  während  man  nicht  die  Zunge  längere  Zeit  vorn  auf 
diese  Weise  halten  kann.  Die  Zunge  wird  sofort  wieder  zurücksinken, 
nachdem  man  den  Finger  aus  dem  Halse  entfernt  hat.  Man  muss  sich 
daher  nach  Instrumenten  umsehen,  durch  die  man  dasselbe  dauernd 
erreichen  kann. 

Man  nimmt  zu  dem  Zwecke  entweder  einen  scharfen  Haken, 
oder  eine  Hakenzange,  fasst  die  Zunge  selbst  damit,  und  zieht 
dieselbe  hervor.  Dadurch  werden  aber  Verletzungen  in  die  Zunge  ge- 
setzt, welche  unnötige  Schmerzen  nachher  bereiten  können.  Ausserdem 
kann  man  bei  unvorteilhafter  Wahl  der  Stelle  durch  Anstechen  der 
grossen  Vene  eine  massige  Blutung  erhalten,  welche  doch  ver- 
mieden werden  kann.  Man  kann  bei  dieser  Methode  auch  grössere 
Verletzungen  der  Zunge  herbeiführen,  denn  ungeübten  Händen  können 
selbst  Einreissungen  in  die  Zunge  durch  zu  forsches  Ziehen  an 
dem  scharfen  Haken  oder  der  Hakenzange  entstehen,  ev.  kann  dies 
durch  unvorhergesehene  Bewegungen  des  Kranken,  indem  er  den  Kopf 
seitlich  dreht  etc.   ohne   Schuld  des   Narkotiseurs  hervorgerufen  werden. 

Um  derartige  Verletzungen  zu  vermeiden,  sind  verschiedene  Zungen- 
zangen konstruiert  worden,  welche  an  anderer  Stelle  beschrieben,  hier 
nur  erwähnt  werden  sollen.  Fehlt  eine  solche  Zungenzange,  so  kann 
man  an  deren  Stelle  auch  eine  gewöhnliche  Peanzange  verwenden. 
Man  fasst  mit  der  Zange  die  Zunge  fest  an,  denn  durch  die  stumpfen 
Branchen  können  so  leicht  keine  Verletzungen  entstehen,  und  zieht 
die  Zunge  kräftig  aus  dem  Munde  heraus.  So  kann  dieselbe 
lange  Zeit  gehalten  werden.  Es  sind  auch  Zunge nzangen  mit  schar- 
fen Branchen  konstruiert  Avorden,  um  ein  Abgleiten  der  Zange  von 
der  Zunge  zu  verhüten.  Allein  dieselben  sind  wegen  der  Verletzungen 
nicht  vorteilhaft,  und  man  tut  dann  besser  eine  Hakenzange  zu  nehmen, 
denn  diese  setzt  nur  zwei  Wunden,  während  die  scharfen  Zungen- 
zangen mehrere  Wunden  verursachen. 

Durch  das  Hervorziehen  der  Zunge  ist  auch  eine  Unter- 
stützung der  künstlichen  Atmung  gegeben,  indem  man  systema- 
tisch die  Zunge  nach  vorn  zieht,  ebenso  den  Kiefer  nach  vorn 
schiebt.  Allein  diese  Atembewegungen  sind  nur  gering,  und  bei  ganz 
leichten  Apnoefällen  zu  verwenden. 


—     179     — 

Ein  Uebelstand  ist  meist  der,  dass  mau  niclit  in  den  Mund  des 
Kranken  gelangen  kann,  namentlich  wenn  derselbe  krampfhaft  ge- 
schlossen ist,  was  mehr  in  dem  Stadium  des  Erwachens  vorkommt, 
wo  aber  doch  ein  Hindernis,  sei  es  Schleim  oder  sonst  etwas,  die 
Atmung  verhindert.  Man  muss  in  solchen  Fällen  gewaltsam  den 
Mund  öffnen,  und  offen  halten.  Dazu  verwendet  man  die  bekannten 
Mundsperrer,  von  denen  der  Roser-König'sche  und  der  Keil  die 
gebräuchlichsten  und  besten  sind.  Die  Beschreibung  derselben  findet 
sich   an   anderer   Stelle. 

Wir  kommen  nun  zu  den  Hilfsmitteln,  welche  uns  in  der  Elek- 
trizität gegeben  sind. 

§  73.  Man  hat  durch  die  Elektrizität  versucht,  die  Zwercli- 
fellmuskulatur  zur  Kontraktion  zubringen,  und  somit  künstliche 
Atembewegungen  zu  erzeugen.  Dieses  wird  dadurch  erreicht,  dass 
man  die  Nervi  phrenici  am  Halse  elektrisch  reizt,  wodurch  der 
Zwerchfellmuskel  ebenfalls  erregt  wird,  und  ausser  ihm  auch  noch 
andere  Nerven  und  Inspirationsmuskeln,  wie  die  Muse.  Scalen  us 
anticus,  sternocleidomastoidei,  cucullares,  pectorales,  ser- 
rati  etc.  zur  Tätigkeit  angeregt  Averden.  Man  setzt  zu  dem  Zwecke 
die  beiden  Elektroden  eines  Induktionsapparates  zu  beiden  Seiten 
des  Halses  am  äusseren  Rande  des  etwas  medianwärts  gedrängten 
Musculus  sternocleidomastoideus  über  dem  unteren  Ende  des 
Musculus  scalenus  ant.  auf.  (Ziemssen,  Duchenne).  Die  Reizung 
soll  alle  zwei  Sekunden  erfolgen  und  immer  methodisch  fortgeführt 
werden.  Dies  wird  unterstützt  durch  Komprimieren  der  oberen  und 
unteren  Thoraxpartien  während  der  Exspiration,  und  Nachlassen 
des  Druckes  während  der  Inspiration. 

Andere  setzen  eine  grosse  Schwammelektrode  auf  dem  Epi- 
gastrium  auf,  und  die  andere  Elektrode  an  die  bezeichnete  Stelle  an 
einer  Seite  des  Halses,  und  schliessen  dann  den  Strom.  Durch 
rhythmisches  Oeffnen  und  Schliessen  des  Stromes  regt  man  die 
Muskeln  zur  Kontraktion  an. 

§  74.  Andere  Manipulationen  bestehen  noch  im  Komprimier  en 
des  Bauches  und  der  unteren  Thoraxpartien  während  der  Exspi- 
ration und  methodischem  Fortsetzen  desselben.  (Ziemssen). 
Die  etwa  im  Hals  und  Kehlkopf  angesammelten  Schleim-  und 
Blut  massen  versucht  man  zu  entfernen  durch  Austupfen  mit  Schwäm- 
men, durch  Auslösen  von  Brechbewegungen,  Einführen  von 
Kathetern  in  die  Luftröhre  etc.  Das  Gesicht  bespritzt  man  mit  kaltem 
Wasser,  reibt  die  Schläfen  mit  Essig,  schlägt  Brust  und  Ge- 
sicht mit  nassen  Tüchern,  hält  dem  Patienten  Salmiakgeist  unter 
die  Nase,  um  Reflexe  auszulösen   etc. 

Durch  Strychnininjektionen,  subcutan,  ruft  man  eine  starke, 
erhöhte  Erregbarkeit  des  Rückenmarkes  und  der  Medulla  oblon- 
gata  hervor,  und  regt  ebenso  das  Respirationszentrum  und  die 
motorischen  Herznerven  zur  Tätigkeit  an.  Man  injiziert  bis  eine 
Spritze  voll  =  1  cbcm.  von  einer  Lösung:  Strychn.  0.02:  Aqua  des- 
till.  10,0,   die  natürlich  stei-ilisiert  sein  muss. 

12* 


—     180     — 

§  75.  Wenden  wir  uns  nun  zu  den  Methoden,  die  Herz- 
scliwäche  zu  behandeln.  Um  die  Herzkraft  zu  erhöhen  haben  wir 
vor  allem  die  subcutane  Infusion  von  steriler  Kochsalzlösung 
als  Hilfsmittel.  (Kronecker,  v.  Ott,  v.  Ziemssen,  Breuer,  Feis  u.  a.). 
Die  Infusion  besteht  darin,  dass  man  eine  dem  Blutplasma  un- 
gefähr gleichkommende  Salzlösung  in  die  Blut  bahn  bringt. 
Diese  Lösung  ist  nach  den  bisherigen  Beobachtungen  am  geeignetsten 
in  der  physiologischen  Kochsalzlösung  von  0,6  ^/q  zu  finden, 
andere  haben  eine  Salzlösung  aus  6  gr.  Kochsalz,  1000  gr. 
Aqua  destill,  und  geringen  Mengen  Natrium  bicarbonicum  und 
2  Tropfen  Liquor  Natri  caustici  angegeben.  Die  am  meisten  benutzte 
Lösung  ist  allerdings  die  physiologische  Kochsalzlösung.  Man  muss 
von  derselben  stets  mehrere  Liter  gut  sterilisiert  in  einer  grossen  Flasche 
von-ätig  haben.  Ferner  muss  ein  sterilisierter  Irrigator  mit  Gum- 
mischlauch und  Infusionsnadel  bereit  stehen.  Die  Infusions- 
nadel wird  mit  dem  Schlauch  des  Irrigators  verbunden,  und  die 
sterile  Flüssigkeit  in  den  Irrigator  gegossen,  worauf  man  den  Schlauch 
durch  einen  Hahn  abschliesst.  Natürlich  muss  die  Flüssigkeit  Kör- 
pertemperatur besitzen  und  auf  derselben  erhalten  werden,  ca. 
38  —  3U^C  warm,  denn  dieselbe  wird  beim  Durchfliessen  durch  den 
Schlauch  um  1 — ^2^0  abgekühlt.  So  muss  der  Apparat  neben  dem 
Operationstisch  stehen.  Man  hat  verschiedene  Arten  von  Infusions- 
nadeln konstruiert,  solche,  welche  drei  Nadeln  nebeneinander  an 
einem  Ansatzrohr  besitzen,  sodass  der  Wasserstrahl  an  drei  wenige 
cm.  von  einander  entfernt  liegenden  Orten  unter  die  Haut  geführt  wird. 
Allein  es  genügt  eine  Nadel,  und  man  kann  ev.  mehrere  Schläuche 
von  dem  Irrigator,  oder  einer  grossen  Flasche  etc.  ableiten,  um  an 
drei  verschiedenen  Stellen  des  Körpers  eine  Infusion  vornehmen 
zu  können.  Dies  ist  sehr  praktisch  und  anzuraten.  Die  Stellen, 
welche  man  wählt,  sind  die  Aussenseiten  des  Oberschenkels,  die 
Brust  oberhalb  der  Mamilla,  die  Nates,  ausser  an  diesen  Stellen 
kann  man  gut  am  Rücken  in  der  Gegend  der  Scabulae  einstechen. 

Was  die  Oertlichkeit  betrifft ,  wo  man  die  Infusion  vorneh- 
men soll,  so  muss  man  bedenken,  dass  eine  Infusion  in  der  Gegend 
des  Halses  leicht  üble  Folgen  haben  kann,  so  Glottisoedem  und 
andere  Oedeme  der  Schleimhaut  im  Rachen  und  der  Kehlkopf- 
gegend, welche  die  Passage  für  die  Atmungsluft  erschweren, 
ja  verhindern  können.  Auf  der  Brust  liegt  die  Gefahr  vor,  dass  sich 
die  Flüssigkeit  in  das  Mediastinum  senkt,  und  daselbst  die  Herz- 
tätigkeit beeinträchtigt.  Das  letztere  entsteht  nur,  wenn  man  sehr 
grosse  Mengen  unter  die  Brusthaut  injiziert,  bei  massigen  Mengen 
von  ^/^  —  ^/.,  Liter  ist  nichts  nachteiliges  zu  befürchten.  Eine  sehr 
geeignete  Stelle  bilden  die  Nates. 

Es  wird  sich  ganz  nach  den  besonderen  Verhältnissen  richten, 
wieviel  man  Flüssigkeit  infundieren  muss.  Ein  Liter  wird  in 
den  meisten  Fällen  die  geringste  Menge  sein.  Nachdem  man  an  einer 
Stelle  ca.  ^/„  Liter  hat  einfliessen  lassen,  muss  daselbst  sistiert,  und 
der  Tumor  etwas  massiert  werden,    damit  die  Flüssigkeit    schneller  in 


—     181      - 

die  Bliitb;ilin  ^(ilang't.  Während  ein  Assistent  die  Vertreibung 
der  Schwellung  vornimmt,  infundiert  man  an  einer  anderen  Stelle, 
und  sofort,  ev.  an  mehreren  Stellen  zu  gleicher  Zeit.  Dadurch 
wird  Zeit  gespart  und  mehr  Flüssigkeit  in  die  Blutbahn  ge- 
langen zu  derselben  Zeit,  als  wenn  man  nur  an  einer  Stelle  in- 
fundiert. Dass  natürlich  eine  peinliche  Sterilisation,  sowohl  der 
Instrumente  und  Gefässe,  wie  der  Flüssigkeit,  vorher  stattgefunden 
haben   muss,   ist  selbstverständlich  und  muss    streng   beachtet  werden. 

^  76.  Man  hat  ferner  in  solchen  Fällen,  wo  die  Herztätigkeit 
stark  herabgesetzt  ist,  eine  intravenöse  Infusion  vorgenommen.  (Kron- 
ecker, Jul.  Sander  etc.).  Auch  hierzu  verwendet  man  am  besten  physio- 
logische Kochsalzlösung.  Man  präpariert  eine  Vene,  meist  die  Vena 
mediana  basilica  des  Armes,  und  zwar  des  linken,  frei,  und  verbindet 
dieselbe  durch  einen  entsprechend  starken  Trocart  mit  dem  Gummi- 
schlauch. Man  muss  darauf  achten,  nicht  schnell  die  Kochsalz- 
lösung ausfliessen  zu  lassen  und  nicht  unter  hohem  Druck.  Die  Lösung 
soll  sich  vielmehr  langsam  mit  dem  Blute  in  der  Vene  vermischen. 
Es  richtet  sich  die  Menge,  welche  man  infundiert  natürlich  nach  den 
Verhältnissen.  Selbstverständlich  muss  man  beachten,  dass  die  Flüs- 
sigkeit genau  die  Bluttemperatur  besitzt.  Natürlich  müssen  vor  jeder 
Infusion  Schlauch  und  Nadel  mit  Flüssigkeit  gefüllt  sein,  da- 
mit keine  Luft  in  das  Gefäss  oder  unter  die  Haut  gelangt.  Die 
speziellere  Technik  muss  als  bekannt  vorausgesetzt  werden,  wie  die 
Kenntnis   der  Eegeln  strengster  Asepsis, 

Es  sind  früher  vielfach  Versuche  gemacht  worden,  Blut  von  an- 
deren Tieren  oder  von  Menschen  bei  Anaemien  z.  B.  zu  injizieren.  (Blundell, 
Panum,  Gesellius,  Hasse,  v.  Ziemssen,  Freund,  Eulenburg,  Landois  etc.  etc.). 
Diese  Methoden  sind  vollkommen  ohne  Erfolg,  da  die  Blutkörperchen 
anderer  Individuen,  selbst  derselben  Gattung,  wie  von  Mensch  zu 
Mensch  (Blundell,  Panum  etc.),  wenn  sie  in  ein  anderes  Individuum  ge- 
langen, sämtlich  zu  Grunde  gehen.  (Landois.)  Folglich  nützt  von  dem  Blute 
nur  das  Serum  als  dünne  Salzlösung,  während  die  abgestorbenen  und 
aufgelösten  Erythrocyten  nur  erschwerend  in  Betracht  kommen, 
da  sie  wieder  ausgeschieden  Averden  müssen.  Da  man  nun  dies 
beobachtet  hat,  so  kam  man  auf  den  Gedanken,  eine  dem  Blutserum 
entsprechende  Salzlösung  zu  infundieren,  was  schneller  und  leich- 
ter möglich  ist,  und  genau  denselben,  wenn  nicht  einen  besseren 
Erfolg  hat,   als   die   Transfusion   von  Blut.      (Kronecker  etc.). 

§  77.  Man  hat  weiterhin  eine  Art  Autoinfusion  angegeben, 
welche  in  folgender  Prozedur  besteht.  Man  legt  den  Patienten  mit  dem 
Kopfe  tief,  hält  Arme  und  Beine  des  Kranken  in  die  Höhe,  so 
dass  sämtliches  Blut  aus  denselben  zurückweicht.  Nun  wickelt  man 
die  Extremitäten,  nachdem  man  das  Blut  durch  entsprechende 
Massage  noch  herausgetrieben  hat,  fest  mit  elastischen  Binden 
ein,  u.nd  beschwert  den  Unterleib.  So  führt  man  das  Blut  in  grös- 
seren Massen  zum  Gehirn  und  in  die  Medulla  oblongata  als 
im  normalen  Zustand.  Man  muss  hierbei  nur  beachten,  dass  die  Be- 
lastung   des  Unterleibes  nicht  die  Atmung  erschwert,    denn  vor 


—     182     — 

allen  Dingen  muss  die  Atmung  frei  bleiben.  Diese  Methode  Rann 
wohl  bei  Gelegenheiten  auf  dem  Lande,  wo  man  einen  Apparat 
für  die  Infusion  nicht  mitführen  kann,  an  Stelle  der  Infusion 
angewandt  werden. 

Hierbei  muss  man  noch  beachten  bei  dem  Abstellen  der  Trans- 
fusion die  Binden  nur  ganz  allmälig  zu  lösen,  da  bei  einer  plötz- 
lichen Freigabe  der  Blutbahn,  eine  grosse  Menge  Blut  sofort  in  die 
leeren  Extremitäten  schiessen  wird,  und  dadurch  werden  Gehirn- 
ana emie  und  ev.  wieder  starke  Collapse  entstehen.  Deshalb  muss 
man  ganz  langsam  und  allmälig  die  Blutbahn  freigeben. 

§  78.  Wir  kommen  nun  zu  einem  anderen  wichtigen  Verfahren, 
Avelches  in  der  Herzmassage  besteht.  Diese  wird  durch  verschiedene 
Manij)ulationen   dargestellt. 

Man  hat  nach  den  Autoren  König,  Holtz,  Maas,  ein  Verfahren 
das  König- Maas' sehe  benannt.  Dasselbe  soll  bei  Sistieren  des 
Herzschlages  durch  rasch  aufeinander  folgende  starke  Kom- 
pressionen der  Herzgegend  die  Herzaktion  anfrischen.  Man  tritt 
auf  die  linke  Seite  des  Patienten,  das  Gesicht  demselben  zugewandt, 
und  drückt  mit  raschen  kräftigen  Bewegungen  tief  in  die 
Herzgegend  ein,  indem  man  den  Daumenballen  der  geöffneten 
rechten  Hand  zwischen  die  Stelle  des  Spitzenstosses  und  der  linken 
Thoraxwand  setzt.  Man  muss  120  und  mehr  solche  Kompressio- 
nen in  der  Minute  ausführen.  Man  braixcht  nicht  zu  fürchten,  zu 
stark  zu  drücken,  sondern  muss  während  der  Tätigkeit  die  Kraft  immer 
von  neuem  anstrengen.  Man  schafft  sich  etwas  Erleichterung,  indem 
man  mit  der  linken  Hand  die  rechte  Tlioraxseite  des  Kranken 
umfasst,  um  so  einen  Gegendruck  gegen  die  Massage  auszuführen. 
Die  Erfolge  dieser  Massage  zeigen  sich  in  dem  Auftreten  von  eini- 
gen Carotispulsschlägen. 

Eine  andere  Art  von  Herzmassage  besteht  darin,  dass  man  mit 
der  Hand  unter  den  Rippenbogen  drückend  nach  oben  und  vorn 
versucht  das  Herz  an  der  Spitze  gegen  die  vordere  Brustwand 
zu  drücken.  Ferner  kann  man  durch  Reiben  der  Herzgegend, 
durch  stossweises  Drücken  gegen  Spitze  und  Ventrikel  den 
Muskel  reizen. 

Eine  sehr  empfehlenswerte  Massage  wird  durch  die  Vibrations- 
massage  erreicht.  Wenn  man  die  nötige  Vorrichtung,  welche  auf 
verschiedene  Weise  eingerichtet  werden  kann,  besitzt,  um  den  Apparat 
zu  jeder  Zeit  in  Bewegung  zu  setzen,  so  bildet  keine  andere 
Art  einen  Ersatz.  Man  setzt  einen  Vibrationsmassage- Apparat 
auf  die  Herzgegend  auf,  und  durch  die  enorme  Geschwindig- 
keit der  aufklopfenden  Metallschlägel,  oder  dergleichen,  wird 
ein  sehr  tiefgehender  Reiz  ausgeübt,  welcher  das  Herz  zum  Schla- 
gen wieder  anregt.  Vergl.  Fig.  18.  Durch  die  verschiedenen  Ajiparate, 
welche  leicht  ausgewechselt  werden  können,  vermag  man  die  Stösse  in 
jeder  Zahl  pro  Minute  regelmässig  wirkend  anzuwenden,  ausserdem 
kann  man  noch  wen  iger  intensiv  wirkende  Methoden  der  Vibra- 
tionsmassage brauchen,    welche  nur   durch   Umschalten   eines   An- 


—     183     — 

Satzes  an  den  A]) parat  erhalten  werden  können,  und  welche  man 
je  nach  dem  Zustand  des  Herzens  zu  wählen  vermag.  Den  Vorzug 
bildet    die    gleichmässige,    andauernde    Funktion    des    Apparates. 


Fig.  18.     Vibrationsmassage  des^Herzens. 
gez.     Nach  Groldscheider  und  Jacob.     Hdb.  d.  phys.  Therapie. 


§  79.  Neben  der  Massage  hat  man  noch  die  Elektro punktur 
des  Herzens  verwandt.  Man  versuchte  hierbei  mittelst  einer  mit 
einem  elektrischen  Strome  in  Verbindung  stehenden  Nadel,  welche 
in  der  Herzspitzengegend  eingestochen  wurde,  direkt  das  Herz 
durch  elektrische  Ströme  zu  reizen.  Das  Verfahren  ist  allerdings 
wegen  der  Gefährlichkeit  nicht  zu  empfehlen,  denn  Siegmund  Mayer 
hat  bewiesen,  dass  direkte  elektrische  Reizung  des  Herzens 
durch  constante,  wie  Induktionsströme,  als  Herzgift  wirkt.  Nach 
den  Versuchen  von  Watson  ist  die  Punktur  an  sich  unschädlich 
an  Tieren,  nur  wenn  die  Vena  cava  getroffen  wurde,  erfolgte  eine 
profuse  Blutung  in  die  Brusthöhle!  Allein  diese  Methode  wird  im  Mo- 
ment der  Gefahr  nicht  von  besonderem  Erfolge  sein,  zumal  auch  die 
Einleitung  derselben   eine  längere   Zeit  erfordert. 

§  80.  Andere  Mittel,  um  die  Herztätigkeit  wieder  anzuregen,  be- 
stehen in  ähnlich  der  Infusion  wirkenden  Spülungen  des  Magens, 
Darmes  etc.  wie  oben  erwähnt.  Durch  die  erhöhte  Wasserzufuhr  soll 
die  Ausscheidung  des  Narkotikums  in  höherem  Masse  eintreten. 
Man   füllt  zu  diesem   Zwecke    den  Magen    mit  Kochsalzlösung,    und 


—     184     — 

lässt  so  eine  grosse  Menge  durch  denselben  laufen.  Zu  diesem  Zwecke 
muss  man  eine  Magensonde  in  den  Magen  bringen  und  diese  in 
Verbindung  mit  einem  Irrigator  setzen.  Dass  diese  Manipulationen 
nicht  so  sehr  bei  direkter  Syncope,  als  bei  etwaigen  Collapsen 
nach  langen  Narkosen  verwandt  werden  sollen,  leuchtet  ein. 
Wir  wissen,  dass  durch  den  Magen  eine  bestimmte  Menge  des  Narko- 
tikum's   abgesondert  wird. 

Ebenso  nimmt  man  Spü Hingen  des  Rectum s  vor.  Man  macht 
dieselben  mit  einem  langen  Katheter,  den  man  ziemlich  hoch  in  den 
Darm  schiebt,  so  hoch  wie  möglich,  und  indem  man  nun  aus  einem 
Irrigator  durch  ein  Gummirohr  mit  dreiteiligem  Glasrohr  abwechselnd 
warmes  Wasser   ein-  und  auslaufen  lässt. 

Ferner  verwendet  man  bei  anhaltenden  Collapsen  Klystiere, 
welche  nach  einer  ausgiebigen  Wasserspülung  vorgenommen  werden, 
und  statt  Wasser  ^/^  bis  ^/g  Liter  Thee  mit  1  Glas  Kognak  und 
1  Glas  Rotwein  in  den  Darm  führen.  Dies  lässt  man  möglichst  lange 
im  Darm  verweilen,  damit  es  resorbiert  wird.  Man  kann  dem  Gemisch 
noch  beliebige  Medikamente  beimengen  je  nach  dem  vorliegenden 
Falle  das  nötige  wählend. 

Hat  man  im  gegebenen  Falle  gerade  eine  Operation  im  Ab- 
domen vor,  so  wird  man  sehr  gut  tun,  die  Bauchhöhle  mit  einer 
sterilen  Kochsalzlösung  zu  durchspülen,  falls  ein  Collaps  bei 
der  Operation  stattfindet.  Zu  diesem  Zwecke  muss  sterile  Koch- 
salzlösung   vorhanden  sein   und   die   nötigen  Instrumente. 

Alle  diese  letzteren  Methoden  sind  solche,  Avelche  nur  quasi  als 
nachträgliches  Hilfsmittel,  um  die  Herzkraft  intakt  zu  er- 
halten, verwandt  werden  sollen,  und  ausserdem  als  Hilfsmittel  dienen 
können,  wenn  man  sehr  lange,  2  —  3  stündige  Narkosen  überstan- 
den hat,  nach  denen  die  Patienten  noch  lange  im  Rausche  des  Nar- 
kotikum's  liegen,  und  bei  denen  sich  Zeichen  von  Herzschwäche 
kund  tun.  Hier  muss  es  unser  Bemühen  sein,  dem  Kranken  das  Nar- 
kotikum, das  sich  während  so  langer  Narkosen  in  grossen  Mengen  im 
Organismus  aufgestapelt  hat,  aus  dem  Körper  ausscheiden  zu 
helfen.  So  suchen  wir  eben  durch  Magen-  und  Darmspülungen 
die  Ausscheidung  zu  fördern,  und  auf  andere  Art  das  Herz  kräftig 
zu  erhalten,  damit  dasselbe  die  Ausscheidung  leichter  bewerkstelU- 
gen  kann.  Wenn  nach  sehr  langer  Narkose  noch  eine  grosse  Menge 
des  Narkotikums  im  Körper  vorhanden  ist,  wirkt  dasselbe  natürlich 
noch  nach,  und  dies  zeigt  sich  dadurch,  dass  der  Kranke  lange 
schläft  und  benommen  erscheint.  In  diesen  Zuständen  sind 
die  genannten  Methoden  sehr  wertvolle  Mittel,  den  Organis- 
mus in  seiner   Tätigkeit  zu  unterstützen. 

Injektionen  vom  Kampher  und  Aether  werden  ebenso  wie 
Digi  talin  -  Injektionen  die  Herzkraft  stärken.  Man  muss  bekannt- 
lich diese  Injektionen  in  die  Muskulatur,  und  nicht  subcutan  aus- 
führen. Man  wählt  am  besten  die  Aussenseite  des  Oberschenkels, 
die  Nates  etc.  dazu. 

Kobroff  warnt  vor  Aether  Injektionen,   indem   er  angibt,  dass 


—     1 85 

dieselben  zum  Beispiel  bei  Intoxikation  mit  Chloroform  die  Wirkung 
des  Narkotikums  erhöben,  und  zu  einer  Lähmung  der  lebenswich- 
tigen Zentren  fuhren.  Diese  Annahme  ist  berechtigt  bei  Acther- 
narkosen.  Dann  kann  man  durch  Actherinjektionen  nur  eine  Vcr- 
melirung  der  Narkose  erwarten,  allein  bei  anderen  Narkosen  kommt 
die  Injektion  des  Aethers  als  herzerregend  in  Betracht,  wenn  nicht 
zu  grosse  Dosen,  die  dann  narkotisierend  wirken,  injiziert  werden. 
Kleine  Dosen  werden  stets  herzanregend  wirken,  und  es  könnte  obige 
Wirkung  nur,  wie  gesagt,  bei  zu  grossen  Mengen  des  injizierten 
Aethers    oder  bei  gleichzeitiger  Aethernarkose   zutreffen. 

Ein  anderes  Mittel  ist  Amylnitrit,  Amylium  nitrosum ,  welches 
ev.  bei  Unfällen  angewandt  werden  darf.  Dasselbe  ruft  eine  Hyper- 
aemie  im  Gehirn  hervor.  Es  wird  daher  anzuwenden  sein  bei  allen 
jenen  Unfällen,  Avelche  auf  Anaemie  des  Gehirns  zurückzuführen 
sind.  Diese  anaemi sehen  Zustände  sind  aber  bei  Narkosen  sehr 
h  ä  u  f  i  g. 

Andere  Methoden  bei  Collapsen  anwendbar  sind  folgende:  Man 
schlägt  Brust,  Gesicht  und  Arme  mit  nassen  Tüchern,  man  mas- 
siert die  Extremitäten  um  die  Zirkulati  on  in  den  Hautgefässen 
durch  Reizung  der  Hautnerven  zu  befördern.  W.  Koch  hat  Fol- 
gendes empfohlen:  Man  führt  die  nicht  mit  Elektroden  versehenen 
Enden  der  Leitungsdrähte  eines  Induktionsapparates  in  die 
beiden  Nasenlöcher,  und  lässt  recht  starke  Ströme  durch  die 
Drähte  auf  die  Schleimhaut  der  Nase  wirken,  während  10  bis 
20  Sekunden,  nach  ein-  oder  mehrmaligen  solchen  Reizungen  er- 
folgen meist  Inspirationen,  und  die  Atmung  beginnt  wieder  stärker 
zu  werden. 

§  81.  Eine  weitere  Beachtung  verdient  während  der  Narkose 
die  Temperatur  sowohl  des  Patienten,  als  auch  der  ihn  um- 
gebenden Luft. 

Während  der  Narkose  erleidet  der  Patient  eine  nicht  unbedeu- 
tende Abkühlung.  Dieselbe  wii'd  erstens  hervorgerufen  durch  Herab- 
setzung des  Blutdruckes,  andererseits  durch  die  ruhige  Lage, 
durch  die  Inaktivität  der  Muskeln.  Ferner  ist  die  Abkühlung  nicht 
unbeträchtlich,  welche  die  Inspirationsluft  erfährt  durch  das  ver- 
dunstende Narkotikum. 

Man  kann  letzteres  leicht  nachweisen,  wenn  man  in  die  grosse, 
früher  vielfach  verAvandte,  jetzt  auch  noch  gebrauchte  Julliardsche 
Äthermaske  ein  Thermometer  bis  auf  die  Rosette  in  die  der  Äther 
gegossen  wird,  führt.  Es  ist  beim  Äther  garnicht  selten  zu  bemerken, 
dass  bei  langer  Narkose  die  Rosette  hart  gefriert,  wenigstens 
zeigt  sich  fast  bei  jeder  Narkose  Schnee  auf  derselben  gefroren. 
Wenn  man  schnell  einmal  während  einer  Äthernarkose  in  die  Julliard- 
sche Maske  riecht  und  deren  Luft  einatmet,  empfindet  man  deutlich, 
dass  die  Luft  sehr  kalt  ist.  Bei  weniger  leicht  verdampf- 
baren Narkotika  ist  die  Abkühlung  vielleicht  nicht  so  hochgradig, 
doch  sie  ist  vorhanden,  da  eine  Verdampfung  stattfindet,  und  sie  stellt 
einen  Faktor  dar,  mit  welchem  man  rechnen  muss. 


—     186      - 

Die  Inspirationsluft  wird  bei  verschiedenen  Narkotika  verschieden 
beeinfiusst,  bei  allen  Inhalationsanästhetika  aber  wird  dieselbe 
mehr  oder  minder  abgekühlt.  So  atmet  der  Patient  eine  kalte  Luft 
ein,  welche  ihm  natürlich  Wärme  entzieht.  Dies  ist  nicht  un- 
Avesentlich  bei  langen  Narkosen.  Deshalb  muss  man  bemüht  sein, 
der  allgemeinen  Abkühlung  des  Kranken  entgegen  zu  arbeiten. 
Zu  diesem  Zwecke  muss  man  versuchen,  die  Momente  der  Ab- 
kühlung selbst  zu  mindern.  Dies  lässt  sich  hier  nicht  tun. 
Deshalb  muss  man  den  Kranken  vor  einer  Aveiteren  Abgabe  von 
Wärme  an  seine  Umgebung  gut  schützen.  Dies  erreicht 
man  dadurch,  dass  man  den  Kranken  mit  Decken  gut  zudeckt  an 
den  Stellen  seines  Körpers,  an  denen  es  durch  die  Operation  nicht 
verhindert  wird.  Der  Kranke  wird  also  überall  mit  wollenen 
Decken,  welche  in  Leinenüberzug,  der  sterilisiert  werden  kann,  gehüllt 
sind,  gut  zugedeckt,  die  Extremitäten  werden  mit  solchen  Decken 
umwickelt. 

§  82.  Allein  in  manchen  Fällen,  wo  wir  stundenlang  zu  operieren 
haben,  wird  dies  nicht  genügen.  Deshalb  sucht  man  dem  Kranken 
Wärme  zuzuführen,  und  zwar  durch  die  Luft.  Die  Temperatur  der 
umgebenden  Luft  darf  aber  nicht  sehr  viel  höher  als  20°  C 
gesteigert  werden  aus  Rücksicht  auf  die  anderen  Personen.  Neben- 
bei muss  gut  ventiliert  werden,  wodurch  auch  kalte  Luft  wieder 
in  den  Saal  gelangt.  Da  nun  die  Luft  nicht  viel  wärmer  ge- 
macht werden  darf,  so  hat  man  den  Kranken  auf  mit  warmem 
Wasser  gefüllte  Wasserkissen  gelegt.  Dies  ist  eine  einfache 
und  überaus  wirksame  Wärmequelle  für  die  Patienten,  die  an  sich 
wenig  Körperwärme  besitzen.  Ausserdem  gibt  es  heizbare  Operations- 
tische, welche  durch  das  unter  der  Platte,  auf  welcher  der  Kranke 
liegt,  fliessende  heisse  Wasser  warmgehalten  werden,  und  so  dem  Kranken 
vom  Lager  aus  Wärme  zuzuführen  vermögen.  So  muss  man 
auf  jede  mögliche  Weise  versuchen,  das  durch  die  lange  Narkose 
entstehende  Defizit  au  Körperwärme   des  Kranken   zu   ersetzen. 

Durch  die  Abkühlung  der  Inspirationsluft  infolge  der 
Verdunstung  des  Narkotikums  können  dem  Kranken  ernste  Ge- 
fahren bereitet  werden  in  Erkältungen  der  Respirationsorgane. 
Um  diese  möglichst  zu  verhüten,  wäre  es  sehr  angebracht,  wenn  man 
heizbare  Masken  verwenden  wollte.  Dieselben  werden  durch  eine  Ther- 
mophorrosette, oder  durch  eine  um  die  Maske  in  zahlreichen 
Windungen  laufende  Rohrleitung  aus  Metall,  welche  mit  heissem 
Wasser  vor  der  Narkose  gefüllt  wird,  erwärmt.  Solche  Masken 
sind  neben  anderen  vom  Verfasser  konstruiert  und  angegeben 
worden.  Dieselben  liefern  eine  etwas  erwärmte  Luft  direkt  vor 
dem  Munde  und  der  Nase  des  Patienten,  und  verhindern  vollkommen 
eine  so  grosse  Abkühlung  der  Inspirationsluft  durch  die  Ver- 
dunstung des  Narkotikums,  dass  dem  Patienten  eine  Erkältung 
der  Respirationsorgaue  drohen  kann.  Durch  die  so  konstant  erhal- 
tene Temperatur  wird  auch  eine  gleichmässigere  Verdunstung  des 
Narkotikums,   und   somit  eine  gleichmässigere  Konzentration  des  Nai'ko- 


_     187     — 

tikumdampfluf'tgciuisclies  erzielt.  Ein  weiterer  Umstand,  der  die  Ab- 
küliluiig'  vcnnindert,  i.st  der,  dass  man  mögliclist  Avarmc  Luft  unter  die 
Maske  gelangen  lässt,  deshalb  niuss  die  Luft  im  Zimmer  eine  mög- 
lichst hohe   Temperatur  haben. 


§  83.  Für  die  LLandhabung  der  Narkose  ist  eine  grosse  Menge 
von  Instrumentarium  notwendig.  Dasselbe  wird  hauptsächlich  gebildet 
aus  den  für  die  Einverleibung  der  Nai'kotika  in  den  Organismus  nötigen 
Apparaten,  und  wir  wollen  uns  zunächst  mit  diesen  etwas  näher  be- 
schäftigen, soweit  dieselben  eine  allgemeine  Behandlung  gestatten.  Da 
wir  in  weitaus  den  meisten  Fällen  von  Narkosen  es  mit  der  sogenannten 
Lihalationsnarkose  zu  tun  haben,  Avelche  dem  Oi'ganismus  die  Narkotika 
in  Form  von  Dampf  mehr  oder  weniger  mit  Luft  vermengt  durch  die 
Limgen  einführt,  so  haben  wir  uns  zunächst  mit  den  verschiedenen 
Formen  der  sog.  Masken  zu  befassen.  Die  Maske  war  von  Anfang  an 
der  gebräuchlichste  Narkosenapparat,  und  man  hat  da  ganz  verschiedene 
Formen  konstruiert,  die  einen,  Avelche  nur  für  Chloroform,  die  anderen, 
welche  nur  für  Aether  bestimmt  waren,  dabei  von  jeder  Kathegorie 
verschiedene  Arten  mit  diesen  und  Jenen  Veränderungen.  Eine  er- 
schöpfende Behandlung  aller  Masken  kann  hier  nicht  gegeben  Averden. 
Hier  wollen  Avir  in  dem  Folgenden  nur  die  gebräuchlichsten  Masken 
kurz  behandeln,   wie  AAdr  sie  noch  teihveise  in   VerAvendung  finden. 

Zunächst  betrachten  AAär  die  JuUiard'sche  Maske,  Avie  sie  zur 
Aethernarkose  vielfach  verAvendet  Avurde.  Dieselbe  stellt,  wie  aus 
Fig.  19  und  20  ersichtlich,  ein  Drahtgestell  dar  mit  dichtem  Bill roth  oder 
Gummistoff  überzogen,  unter  welchem  eine  Lage  Mull  sich  befindet, 
auf  welchen  der  Aether  gegossen  wird.  Man  kann  vermittels  des  Draht- 
reiferis  oder  des  inneren  mit  Scharnieren  verbundenen  Korbes  in  Fig.  20 
die  Bedeckung  des  Drahtgestelles  nach  Belieben  entfernen  und  erneuern 
zum   ZAvecke   der  Sterilisation. 


Fig'.  19.     JuUiard'sche  Maske. 


Fig.  20.     JuUiard'sche  Maske 
mit  Korbeinsatz. 


Diese  JuUiard'sche  Maske  ist  in  verschiedenen  Modifikationen  vor- 
handen,   die    hier    übergangen    av erden    können.      Andere  Aethermasken 


—     188      - 

sind    die  von   Czerny    (siehe  Figur    21)    und    von    Rosenfeld    (siehe 
Figur    22). 


^=^3s 


Fig.  21.    Aethermaske  nach  Czerny.       Fig.  22.    Aethermaske  nach  Rosenfekl. 

Die  obengenannten  Masken  stellen  schon  komplizierte  Apparate 
dar.  Wir  kommen  nun  zu  den  Aethernarkoseapparaten  von  Wanscher 
(vergleiche  Fig.  23)  und  Grossmann  (vergl.  Fig.  24).  Beide  stellen 
besondere  Apparate  dar,  welche  man  nicht  allein  mit  dem  Worte  Maske 
bezeichnen  darf,  da  sie  ein  besonderes  Prinzip  für  die  Dosierung  verfolgen. 


Fig.  23.     Aethernarkoseapparat  von 
Wanscher. 


*^      r  higesreii  \ 

usnehmbop. 


Fiff.  24. 


Aethernarkoseapparat  nach 
Grossmann. 


Wenn  wir  uns  nun  zu  den  Masken  für  die  Chloroformnarkose 
wenden,  so  haben  wir  zunächst  die  gebräuchlichste  Maske  zii  nennen, 
die  von  Esmarch'sche,  Avelche  bedeutend  kleiner  als  die  Julliard'sche 


-     189     — 

Maske  ist,   aber  nach  demselben  Prinzip  gebaut,  aus  einem  Drahtgestell 
bestehciul   mit   einem  Bezu"-   aus  Trikotstoft'  ttberzoo'on   wird.     Der  Unter- 


Fig.  25. 


Chloroformmaske  nach 
V.  Esmarch. 


Fig.  26.     Esniarch'sclie  Chloroform- 
maske   im    Etui    mit    Tropfvorrich- 
tung'  und  Zungenzange. 


Fig.  27.    Chloroformmaske  Dach  Skinner. 


schied  liegt  neben  der  verschie- 
denen Grösse  darin,  dass  die  Es- 
march'sche  Maske  mit  einem  durch- 
lässigen Stoffe  überzogen  ist,  so 
dass  man  das  Chloroform  auf  die 
Aussenseite     der    Maske    tropfen 

kann,  während  die  Julliard'sche  Maske  von  einem  undurchlässigen  Stoff 
überzogen  ist.  Figur  25  zeigt  die  Esniarch'sclie  Maske  mit  Ueberzug 
und  Figur  26  zeigt  uns  dieselbe 
Maske  mit  den  dazu  nötigen  In- 
strumenten, Tropf  ei  nrichtung  und 
Zungenzange  in  einem  Etui,  eine 
Zusammenstellung,  die  für  den 
praktischen  Arzt  von  grossem 
Werte  ist. 

Eine  andere  Chloroform- 
niaske  ist  die  von  Skinner  (vergl. 
Fig.  27),  welche  ähnlich  der  vor- 
hergehenden ist,  wohl  aber  kaum  besondere  Vorzüge  vor  jener  voraus  hat. 

Weitere    Chloroformmasken  ' 

sind  von  Schinimelbusch  kon- 
struiert worden.  (Verf.  Fig.  28 
und  29.)  Dieselben  besitzen  den 
Vorteil,  dass  man  sie  nicht  von 
der  Stirn  aus  festhalten  muss, 
sondern  dass  sie  einen  seitlichen 
Griff  besitzen,  welcher  ein  beque- 
meres Festhalten  mit  der  einen 
Hand  ermöglicht,  während  man  die- 
selbe Hand  zum  Kieferlüften  etc. 
benützen  kann.  Ferner  kann  man 
das  Drahtgestell  dieser  Maske,  wie 
aus  den  Abbildungen  ersichtlich 
ist,  zusammen  legen,  wodu.rch  ein 
leichterer  Transport  der  Maske 
ermöglicht  wird. 


Fig.  28.     Chloroformmaske  nach 
Schimihelbusch. 


190     - 


Fiff.  29. 


Chloroformmaske  nach  Schimmel- 
busch. 


Neben    den  Masken,    in  welche    das    Narkotikum    direkt    gegossen 
wurde,  konstruierte  man   bald  kompliziertere  Apparate   für  die  Narkose, 

welche  dem  Kranken  ein 
Narkotikum  -  Dampfgemisch 
mit  Luft  zuführen  sollten. 
Solche  Apparate  wurden 
von  Kappeier  und  Jun- 
ker konstruiert  für  die 
Chloroformnarkose.  Der 

Junker 's  che  Apparat  ist 
in  Figur  30  dargestellt. 
Einige  Veränderungen  dieses 
Apparates  zeigen  die  Modi- 
fikationen von  Friedrich 
(Fig.  31)  und  Scböne- 
mann  in  Figur  32. 

Bei  diesem  Appa- 
rate wird  ein  Luftstrom 
durch  das  in  der  Flasche 
befindliche  Chloroform 
getrieben,  und  bei  dieser 
Gelegenheit  mischt  sich 
die  Luft  mit  Chloroform- 
dämpfen, welches  Ge- 
menge nach  der  Maske, 
die  über  Mund  und  Nase 
gehalten  wird,  getrieben 
vom  Kranken  inspiriert 
wird.  Man  kann  durch 
langsames  und  schnelles 
Drücken  des  Blasebalges 
die  Menge  des  einzuatmenden  Chloi'oforms  verringern  und  vermehren, 
und  so   nach  Bedarf  die  Dosierung  modifizieren. 

Es  sind  diese  Apparate  freilich  nicht  vollkommen  in  der  Dosierung, 


Fig.  30.     Chloroformapparat  nach  Junker. 


Fig.  31.     Chloroformapparat  nach  Friedrich. 

doch  immerhin  ganz  brauchbar  und  Avertvoll,  wo  man  Ijaien  zum 
narkotisieren  verwenden  muss,  welche  die  Tropfmethode  schwerer 
erlernen   als   den  Gebrauch   dieser  Apparate. 


—     191     - 

Für  die  wenigen  Fälle,  in  denen  man  eine  Person  durch  die 
Tracheotomiewunde  narkotisieren  muss,  sind  zwei  sehr  brauchbare  kleine 
Apparate  mit  geeigneter 
Trachealkanüle  konstru- 
iert worden,  der  eine 
in  Trendelenburgs  -  Tra- 
chealkanüle in  Figur  33 
und  der  andere  in  Hahns 
Kanüle  in  Figur  34. 

In  beiden  Appara- 
ten wird  das  Narkotikum 
auf  einen  mit  Mull  über- 
spannten Trichter  ge- 
tropft, welcher  durch 
einen  Schlauch    mit    der 

Kanüle  verbunden  ist,  sodass   der  Kranke  die  Luft  durch  den  Trichter 
atmet.      An   Stelle    des    Trichters    kann    man    auch    einen    Junkerschen 

Fifif.  34.     Hahns  Trachealkanüle. 


Fiß-.  32.     Chloroformmaske  nach  Schönemann. 


Fig.  33.     Trendelenburgs  Tamponkanüle. 


Apparat    oder  dergleichen    anfügen,    durch    welchen   man   die  Luft    mit 
Narkotikumdampf  in  die  Trachea  blässt. 


—      192     — 

Im  Anschluss  an  diese  Apparate  wollen  wir  noch  jene  sinnreiche 
Vorrichtung  erwähnen,  die,  wie  Figur  35  zeigt,  an  einem  Mundsperrer 
2  Rohre  besitzt,  durch  die  das  Narkotikumdampfgemisch  in  den  Mimd 
aus  einem  Junker'schen  Apparat  geblasen  wird.  Dieser  Apparat  wird 
dann  verwendet  werden,  Menn  man  im  Gesicht  operiert,  oder  im 
Munde  usw.,  sodass  eine  Maske  nicht  gut  Verwendung  finden  kann, 
und  wobei  der  Mund  offen  gehalten  wird  durch  den  Sperrer.  Dieselbe 
ist  von  Hewitt  konstruiert  worden. 


Fig.  35.     Narkoseapparat  nach  Hewitt. 

Ein  dem  vorigen  sehr  ähnliches  Instrument  jedoch  nur  mit  einem 
Rohr  zum  zuführen  des  Narkotikumdampf luftgemisches,  welcher  bei 
Mundoperationen  sehr  praktisch  zu  verwenden  ist,  indem  man  denselben 
geschlossen  vor  Beginn  der  Nai'kose  zwischen  die  Zahnreihen  legt  und 
so  liegen  lässt,    bis  man  ihn  zum   Öffnen    des  Mundes    braucht,    ist  der 


Fig.  36.     Doyen'scher  Mundsperrer  modifiziert  von  Probyn  "Wilhams. 

von  Probyn -Williams  modifizierte  Doyensche  Mundsperrer,  wie  wir   ihn 
in  Figur  36  sehen. 

Das  Rohr  wird  mit    einem   Junkerschen   Apparat  verbunden,    und 


# 


—     193    — 


so  erhält  der  Kranke  das  Narkotikum  durch  der  Apparat  iiii  Munde 
zug-eführt,  ohne  duss  der  Oi)erateur  in  seiner  Tätij>'keit  durch  eine  Maske 
oder   dergl.  gestört  wird. 

a  1) 


Fig.  37.     Ormsby's  Apparat  für  die  Aethernarkose. 
a)  gebrauchsfertig^er  Apparat,     b)  Durchschnitt  durch  den  Apparat  von  Ormsby. 

Auch  für  den  Äther  hat  man  kompliziertere  Apparate  ersonnen, 
so  den  Ormsbyschen  Apparat,  Figur  37,  und  den  Cloverschen 
Apparat  Figur 
38,  sowie  eine  Mo- 
difikation des  letz- 
teren in  dem  S  h  e  p  - 
pardschen  Ap- 
parat, Figur  39. 

DieserAppa- 
rat  von  Ormsby 
soll  dem  Narkoti- 
seur  ermöglichen, 
nach  Belieben  dem 
Kranken  die  reinen 
Ätherdämpfe  zu 
verabreichen,  oder 

atmosphärische 
Luft  hinzuzufügen, 
oder   nur   Luft   at- 
men zu  lassen,  ohne 

dass    der    Apparat  Yig.  38.     Aethernarkoseapparat  von  Clover. 

13 


—     194     — 

vom   Gesicht    des  Kranken,    dem   er  dicht  aufsitzt,    entfernt    zu  werden 
braucht. 

Dasselbe  Prinzip  weist  der  Clo versehe  Appju'at  auf,  welcher  noch 
ein  Bassin  besitzt,  in  welchem  Luft  imd  Ätherdämpfe  gemischt  werden 


Fig.  39.     Acthernarkosea[)parat  nach  Sheppard. 


je  nach  dem  Bedürfnis  durch  einen  Hahn  regulierbar,  und  dem  Kranken 
das   fertige  Luftäthergemenge  in  bestimmten   Verhältnis    zugeführt  wird. 

Der    Sheppardsche 
S  J^  Apparat  ist  dem  Cloverschen 

sehr  ähnlich  im  Prinzip  und 
unterscheidet  sich  von  die- 
sem dm-ch  eine  Abknickung 
des  Gasleitungsrohres ,  wo- 
durch ermöglicht  wird,  dass 
der  Apparat  auch  dann  auf 
dem  Gesicht  dicht  aufliegen 
kann,  wenn  der  Kranke  auf 
Brust  und  Bauch  liegen 
muss,  wie  aus  Figur  39  er- 
sichtlich. 

Neuerdings  hat  Lon- 
gard einen  Apparat  zur 
Athernarkose  angegeben, 
welcher  manche  Vorzüge  hat, 
und  in  Figur  40  abgebildet 
ist.  Über  das  Prinzip  soll  im 
speziellen  Teil  dieses  Buches 
Fig.  40.     Aethernarkoseapparat  von  Longard.      näher  berichtet  werden. 


-     195     — 

Wenn  niuu  aber  hierbei  die  Bestrebunt^en  liatte,  einen  Apparat 
zu  konstruieren,  welcher  eine  genaue  Dosierung  der  Narkotikuinniengen 
gestattete  und  dem  Kranken  ein  je  nach  dem  Bedürfnis  veränderbar 
konzentrirtes  Narkotikumdanijtf'luftgemenge  zuführte,  so  Avar  das  ein 
Problem,  welches  nicht  so  leicht  zu  lösen  war.  Die  genannten  Apparate 
reichten  nicht  aus,  tim  zuverlässig  zu  arbeiten.  Wir  haben  eine  Reihe 
der  besten  und  brauchbarsten  von  diesen  Apparaten  genannt,  und 
können  hier  die  anderen  übergehen,  da  dieselben  nicht  in  der  Praxis 
verwendbar  sind,  und  der  einfachsten  Narkotisierungsmethode,  der 
Tropfnarkose  nie  eine  ernste  Konkurrenz  machen  können.  Es  kommen 
eben  eine  ganze  Reihe  von  Schwierigkeiten  in  Betracht,  wenn  man 
einen  genau  dosierenden  Apparat  bauen  will,  z.  B.  die  Temperatur, 
der  Luftdruck  und  das  wechselnde  Bedürfnis  einer  hohen  und  niedrigen 
Konzentration  der  Gasgemische.  Diese  Punkte  sind  bei  obigen  Appa- 
raten nicht  alle  beachtet,  und  deshalb  können  dieselben  nicht  genau 
arbeiten.  Dabei  sollen  die  Apparate  möglichst  klein,  handlich  und  leicht 
zu  transportieren   sein. 

Allerdings  hat  man  tatsächlich  Apparate  konstruiert,  welche  eine 
vollkommen  genaue  und  exakte  Dosierung  gestatten.  Da  diese  Apparate 
für  wissenschaftliche  Untersuchungen  namentlich  für  Tierexperimente 
sehr  wertvoll  sind,  so  Avollen  wir  einige  derselben  erwähnen.  Für  die 
allgemeine  Praxis  können  dieselben  keine  Vei'Avendung  finden,  da  sie 
nicht  von  Ort  zu  Ort  transportiert  und  so  über  Land  vom  Arzte  mit- 
geführt werden  können.  Sie  sind  nur  in  einer  Klinik  zu  verwenden, 
und  stellen  in  gewisser  Hinsicht  einen  sehr  wertvollen  Apparat  dar. 
Doch,  wenn  sie  nicht  Aligemeingut  der  Arzte  Averden  können,  so  ist 
ihre  VerAvendung  für  Narkose  in  der  Klinik  ebenfalls  illusorisch,  denn 
dort  sollen  dem  Studierenden  und  Arzte  doch  die  in  der  Praxis  ver- 
wertbaren  Methoden   gezeigt  Averden. 

Da  nun  auch  noch  die  Handhabung  derselben  einige  Übung  er- 
fordert, so  kann  man  sie  auch  aus  diesem  Grunde  nicht  für  alle  Nar- 
kosen verAveuden.  So  sind  sie  eben  nur  zum  Experiment,  namentlich 
an  Tieren  für   uns  brauchbar. 

Schon  Snow  kam  zu  der  Überzeugung,  dass  man  bei  der  Narkose 
eine  bessere  Dosierung  des  Narkotikums  anwenden  müsse,  und  konstruierte 
einen  Apparat,  Avelcher  die  Darreichung  bestimmt  dosierter  Narkotikum- 
damfluftgemische   ermöglichen  sollte. 

Nach  ihm  Avar  es  P.  Bert,  welcher  in  diesem  Sinne  Aveiter  ai'bei- 
tend  zeigte,  dass  die  Schnelligkeit  des  Eintrittes  der  Narkose,  deren 
Tiefe  und  Dauer,  während  welcher  der  Tod  bei  fortgesetzter  Darreichung 
des  Narkotikums  endlich  eintrat,  einzig  und  allein  von  dem  Prozent- 
gehalt der  betäubenden  Dämpfe  an  der  Inspirationsluft  abhängig  sei. 
Bert  empfahl  gestützt  auf  seine  Untersuchungen  titrierte  Mischungen 
von  Luft  und  Narkotikumdampf  für  die  Narkosen  in  der  Praxis. 

Li  denselben  Bahnen  arbeitete  auch  Pean  Aveiter  und  fand,  dass 
z.  B.  zu  einer  Narkose  ein  Gemisch  aus  8  g  Chloroform  auf  100  Liter 
Luft  nötig  sei.  Die  Apparate,  Avelche  dazu  verwandt  Avurden,  waren  sehr 
umständlich,  und  nicht  allgemein  A^erAvendbar. 

13* 


—     196     - 

Einen  sehr  sinnreichen  und  gut  arbeitenden  Apparat  konstruieret 
Dreser,  wenn  derselbe  auch  hinlänglich  kompliziert  war.  Die  Apparate 
der  neueren  Zeit  zeigen  uns  zwar  nicht  weniger  komplizierten  Bau,  aber 
eine   exakte  Funktion,  welche  bei  vielen  der  früheren  fehlte. 

So  konstruierte  Kionka  1894  einen  Apparat,  welcher  folgender- 
massen  aussieht. 

Das  Tier  ist  tracheotomiert  und  mit  einer  T-förmigen  Trachealkanüle 
versehen,  in  dem  es  durch  Ventile  atmet,  sodass  von  der  einen  Seite  her  die 
Luft  eingeatmet,  nach  der  entgegengesetzten  ausgeatmet  wird.  Das  Zuleitungs- 
rolir  besitzt  noch  eine  andere  Leitung,  welche  die  Dämpfe  des  Narkotikums 
in  die  Inspirationsluft  mischt.  Das  Tier  atmet  also  durch  ein  in  zwei  Röhren 
sich  teilendes  Rohr.  Eine  dieser  Röhren  endet  in  die  Luft,  die  andere  führt 
zu  verschiedenen  Apparaten,  welche  die  sie  durchströmende  Luft  mit  Narkoti- 
kumdampf (Chloroform  etc.)  sättigen  sollen. 

Die  Luft  soll  nun  einen  bestimmten  Prozentgehalt  a,n  Narkotikumdampf 
erhalten.  Dies  wird  folgendermassen  erreicht:  Vor  der  Öffnung  des  Rohres, 
durch  welches  das  Tier  atmet,  befindet  sieb  eine  Gasuhr,  auf  deren  Achse 
ein  Rad  befestigt,  sich  mit  dem  Uhrwerk  dreht.  Um  das  Rad  ist  eine  Schnur 
gewickelt,  die  sieb  beim  Drehen  desselben  abwickelt,  an  deren  freiem  Ende  sich 
mit  der  Konkavität  nach  unten  gerichtet  ein  gebogenes  Röhrchen  befindet 
durch  einen  Gummischlauch  mit  dem  unteren  Ende  einer  senkrecht  stehenden 
Bürette  kommunizierend.  In  letzterer  befindet  sich  "Wasser,  das  sich  immer  in 
gleiches  Niveau  mit  der  Mündung  des  Röhrchens  einstellt.  Wenn  sich  die 
Schnur  vom  Rad  abwickelt,  fliesst  "Wasser  durch  das  gebogene  Röhrchen  aus 
der  Bürette,  und  swar  entsprechend  den  Bewegungen  der  Gasuhr,  d.  h.  eine 
Menge  "Wasser  fiiesst  ab,  welche  den  die  Uhr  passierenden  Luftmengen  entspricht. 
Das  "Wasser  fliesst  in  einen  auf  eine  "Wulffsche  Flasche  luftdicht  gefügten  Trichter, 
der  erst  am  Boden  der  Flasche  in  eine  die  Flasche  teilweise  füllende  "Wasser- 
schicht mündet,  welche  sich  entsprechend  den  Inspirationen  der  Atmung  des 
Tieres  hebend  ein  entsprechendes  Quantum  Luft  aus  der  "Wulffschen  Flasche 
durch  ein  luftdicht  aufgesetztes  Glasrohr  in  einen  Apparat  drückt,  in  welchem 
die  Luft  mit  Dampf  eines  Narkotikums  gesättigt,  und  aus  welchem  Apparat 
dieselbe  endlich  wieder  in  die  Leitung  geführt  wird,  durch  die  das  Tier  atmet, 
vgl.  Fig.  41. 


Fig.  41.     Narkotisier ungsapparat  nach  Kionka. 

Dieser  letztere  Apparat  besteht  aus  einer  in   einem  "Wasserbad  auf  ent- 
sprechende   (bei  Chloroform   60  0   C)    Temperatur    erwärmte   doppelt   tubulierte 


—     197     - 

Flasche  mit  dem  Xarkotikum  (Chloroform),  in  welcher  sich  die  Luft  mit  den 
Dämpfen  des  Narkotikums  sättigt,  und  zweitens  aus  einem  im  Wasser  von 
{gewöhnlicher  Temperatur  hängenden  M-Rohr,  in  welchem  die  erwärmte  Luft 
beim  Durchtreten  abgekühlt  wird,  und  das  überschüssige  Narkotikum  (Chloro- 
form), welches  sich  beim  Abkühlen  abscheidet,  zurücklassen  kann. 

Je  nach  der  gewählten  engeren  oder  weiteren  Bürette  kann  man 
den  Gehält  der  Inspirationsluft  am  Narkotikumdampf  ändern  und  regu- 
lieren. Uiin  kann  das  Tier  durch  diesen  Apparat  ein  bestimmt  kon- 
zentriertes Luft-Narkotikuindampfgemisch  atmen  lassen,  und  vermag  auch 
den  Gehalt  an  Naikotikumdampf  beliebig  zu  ändern.  Die  Resultate, 
welche  man  hiermit   erreicht  hat,   sind  befriedigende. 

Indessen  genügte  dieser  Apparat  nicht  bei  dem  Verwenden  meh- 
rerer Narkotika,  und  zu  diesem  Zwecke  konstruierte  Kionka  folgenden 
Apparat,  vergl.  Fig.  42,  den  er  wie  folgend  schildert: 

„Während  bei  dem  ersten  Apparat  das  Tier  selbst  durch  seine  Inspira- 
tion den  Luftstrom  im  Apparat  in  Bewegung  setzen  musste,  lasse  ich  jetzt  — 
ebenfalls  mit  einer  T-förmigen  Trachealkanüle,  sowie  Inspirations-  und  Lx- 
spirationsventil  versehen  —  aus  einem  grossen  Kautschukbeutel  atmen,  durch 
den  vermittelst  eines  Wasserstrahlgebläses  ein  permanenter  Luftstrom  streicht.. 
Die  Dosierung  wird  nun  in  diesem  Luftstrome,  der  den  Ivautschukbeutel  ven- 
tiliert, vorgenommen.  -r  ,..  i  t  •  i  •  -u 
Zum  Abmessen  der  zur  Einatmung  dienenden  Lult  bediene  ich  micü 
einer  Gasuhr.  In  derselben  Weise  wie  bei  dem  früheren  Apparat  wickelt  sich 
beim  Gehen  der  Gasuhr  von  einem  auf  ihrer  Achse  befestigten  Rade  eine  bchnur 
ab  welche  an  ihrem  freien  Ende  eine  unten  zugeschmolzene,  durch  bchrot- 
kuoeln  beschwerte,  lange  Glasröhre  trägt.  Diese  Röhre  taucht  m  ein  hohes 
zylindrisches  Gefäss,  welches  an  einer  Stelle  kurz  unterhalb  des  oberen  Randes 
mit  einem  Überlauf  versehen  ist  und  das  betreffende  Narkotikum  aufnimmt. 
Da  das  Rad  auf  der  Achse  der  Gasuhr  sich  genau  nach  dem  Gange  der  Gas- 
uhr dreht,  so  muss  sich  auch  die  an  der  Schnur  hängende  Glasruhre  m  einem 


Fio-.  42.     Narkotisierungsapparat  für  Chloroform  und  Aether  nach  Kionka. 


—     198     - 

genau  dem  Gange  der  Gasuhr  entsprechenden  Verhältnis  in  das  flüssige  Nar- 
kotikum einsenken.  Hierbei  verdrängt  sie  aber  aus  dem  Zylinder  eine  ent- 
sprechende Menge  Flüssigkeit,  die  also  in  ganz  bestimmten  Verhältnis  zu  dem 
Gange  der  Gasuhr,  d.  h.  den  durch  sie  hindurchtretenden  Luftmengen,  steht. 
Die  Grösse  dieses  Verhältnisses  kann  man  leicht  dadurch  variieren,  dass  man 
engere  oder  weitere  Röhren  eintauchen  lässt,  oder  noch  einfacher,  wie  wir  es 
gewöhnlich  taten,  dadurch,  dass  auf  die  Achse  der  Gasuhr  eine  ganze  Anzahl 
von  Rädern  verschiedenen  Durchmessers  gesetzt  sind,  sodass  man  jederzeit 
mitten  im  A-^ersuch  Avechselt,  bald  von  einem  kleineren,  bald  von  einem  grösseren 
Rade  die  Schnur  sich  abwickeln  lassen  kann. 

Das  aus  dem  Zylinder  ausfiiessende  Chloroform  gelangt  durch  einen 
mit  trichterförmigem  Mundstück  A'crsehenen  kleinen  Siphon,  der  zu  gleicher 
Zeit  als  Luftabschluss  dient,  m  die  Luftleitung  und  vsird  dort  verdampft.  Zu 
diesem  Zweck  tritt  die  vom  Wasserstrahlgebläse  getriebene  Luft  hinter  der 
Gasuhr  zunächst  in  eine  U-Röhre.  Diese  steht  in  einem  Wasserbade  von  60*^  0. 
und  ist  locker  mit  Glasperlen  angefüllt,  sodass  das  von  oben  eintropfende 
Chloroform  sofort  in  Dampfform  umgewandelt  wird.  Die  aus  der  U-Röhre 
austretende  Luft  besitzt  also,  da  ja  die  in  der  Zeiteinheit  abtropfende  Chloro- 
formmenge in  einem  bestimmten  Verhältnis  zu  der  in  derselben  Zeiteinheit 
hindurchpassierenden  Luftmeuge  steht,  stets  einen  konstantbleibenden  Chloro- 
formgehalt. Sie  streicht  jetzt  durch  einen  Schlangenkühler,  in  dem  sie  wieder 
auf  Zimmertemperatur  abgekühlt  wird,  und  gelangt  so  in  den_  Gummibeutel, 
aus  welchem  durch  eine  Seitenleitung  das  Tier  atmet.  Die  freie  Öffnung,  durch 
die  der  Ventilationsstrom  den  Gummibeutel  verlässt,  ist  gegen  etwaiges  Ein- 
dringen der  Aussenluft  durch  ein  leicht  spielendes  Ventil  verschlossen,  wodurch 
verhindert  wird,  dass  etwa  bei  einer  besonders  tiefen  Inspiration  des  Tieres 
reine,  unvermischte  Luft  in  den  Gummibeutel  eingesogen  werde." 

Mau  muss  diesen  Apparat  vor  jedem  Gebrauch  aiclieu,  indem 
man  den  Cliloroformcylinder  bis  an  den  Ueberlauf  mit  Chloroform  füllt, 
und  die  Schnur  mit  der  Glasröhre  so  einstellt,  dass  die  Glasröhre  gerade 
mit  dem  Ende  in  das  Chloroform  eintaucht.  Man  nimmt  den  Sypliou 
ab,  und  befestigt  ihn  direkt  unter  dem  Ueberlauf  mit  einem  Halter. 
Ein  graduierter  Cylinder  wird  unter  die  Ausflussöffnung  gestellt,  welcher 
in  ^Ij^q  cbcm-Teile  graduiert  ist.  Darauf  setzt  man  diirch  das  Wasser- 
strahlgebläse die  Gasuhr  in  Bewegung,  und  liest  die  abgeflossene  Chloro- 
formmenge nach  dem  Durchtritt  von  je  10  Liter  von  dem  Messcylinder 
ab.  Natürlich  muss  man  dies  mit  dem  betreffenden  zu  benützenden 
Narkotikum  und  bei  bestimmter  konstanter  Temperatur  vornehmen.  So 
kann  man  erfahren ,  wieviel  Kubikzentimeter  des  Narkotikums  bei  der 
Benutzung  jedes  Rades  in  10  Liter  Luft  verdampfen.  Die  Berechnung 
ist  folgende: 

,,Es  sei  z.B.,  wie  Kionka  anführt,  gefunden,  dass  bei  Benutzung  des 
(kleinsten)  Rades  I  in  10  Liter  je  0,25  cbcm  Choroform  zur  Verdampfung  ge- 
langen. 0,25  cbcm  entsprechen  aber  0,064  Liter  Chloroformdampf  bei  einer 
Temperatur  von  15^  C.  und  760  mm  Hg.  Stand,  d.  h.  aus  je  10  Liter  Luft, 
welche  durch  den  Apparat  gehen,  werden  0,64  Liter  chloroformhaltige  Luft 
mit  einem  Gehalt  von  0,064  Liter  Chloroformdampf.  Es  enthält  also  0,635 
Volumenprozent  Chloroformdampf." 

So  kann  man  diesen  Apparat  auch  für  andere  Narkotika  als 
Chloroform  verwenden,  luid  derselbe  entspricht  den  gestellten  Anforde- 
rungen. 

Es  lässt  sich  dieser  Apparat  auch  zu  Narkosen  an  Menschen  ver- 
wenden mit  einer  kleinen  Modifikation  in  Gestalt  einer  gut  anschliessenden 
Maske  an  Stelle   des  Gummibeutels   oder  anderen  kleinen  Veränderungen. 


-     199     - 

Ein  anderer,  sehr  genau  funktionierender  und  dosierender  Apj)arat 
für  Narkosen,  an  Menschen  sowohl  wie  zu  Tierexperimenten,  ist  von 
Geppert  konstruiert  -worden,  und  ^ir  \\ollen  denselben  hier  kurz  be- 
schreiben. 

Er  besteht  aus  einem  Gasometer,  dessen  unlerer  Kessel  mit  "Wasser  bis 
etwa  8  cm  unter  dem  oberen  Rand  gefüllt  ist.  Wenn  man  den  Apparat  an 
Gewicht  leichter  machen  will,  um  denselben  zu  transportieren,  ist  eine  Seele 
eingesetzt.  Dieselbe  stellt  ein  verjüngtes  Abbild  des  anderen  Kessels  dar.  Der 
obere  Kessel  hängt  an  einem  Drahtseil,  welches  oben  über  zwei  Räder  läuft 
und  am  andern  Ende  ein  Gegengewicht  trägt.  Das  letztere  ist  so  gewählt, 
dass  im  Kessel  ein  Druck  von  3  cm  Wasser  herrscht.  Wenn  man  den  Kessel 
aufziehen  will ,  um  ihn  mit  Luft  zu  füllen ,  so  fügt  man  noch  zwei  Gewichte 
hinzu  und  öfthet  einen  Hahn  w  am  Boden  des  Gasometers.  Nachdem  der  Kessel 
aufgestiegen  ist,  schliesst  man  den  Hahn  und  entfernt  die  beiden  Gewichte. 
Ein  anderer  Hahn  v  gestattet  der  Luft,  wenn  er  geöffnet  ist,  vom  Innern  des 
Gasometers  nach  dem  Verdampfungsapparat  f  zu  strömen.  Man  lässt  denselben 
solange  geschlossen,  bis  das  Narkotikum  in  den  Verdampfungsapparat  f  gegossen 
ist.  Damit  man  nun  bequem  und  leicht  das  Nai'kotikum  hinein  bringen  kann, 
ist  ein  Hahn  a  dicht  hinter  dem  Verdampfungsapparat  angebracht,  durch  dessen 
Öffnung  die  Luft  nach  aussen  entweichen  kann,  wodurch  der  Kessel  z  sinkt. 
Dabei  stellt  sich  das  Niveau  des  Narkotikums  auf  den  richtigen  Stand  ein. 
Man  schliesst  den  Hahn  nachdem  einige  Tropfen  des  Narkotikums  übergeflossen 
sind,  und  der  Apparat  ist  zum  Gebrauch  fertig.  Der  Hahn  a  ist  an  dem  un- 
teren Schenkel  eines  Y-iörmigen  Rohres  befestigt,  und  hat  den  Zweck,  wenn 
man  unvorsichtig  Narkotikum  in  das  Rohr  D  eingegossen  hat,  welches  nach  E 
überfliesst,  dass  es  daselbst  verdampft  wird,  und  die  Dämpfe  gelangen  in  das 
Y-förmige  Rohr,  woselbst  sie  sich  kondensieren.  Offnet  man  nun  den  Hahn  a 
zum  Einstellen,  so  fliesst  das  Narkotikum  ab.  Man  leitet  nnn  entweder  durch 
ein  Gummirohr,  wenn  man  den  Apparat  in  die  Nähe  des  Operationstisches 
stellen  kann,  oder  sonst  durch  eine  feste  Rohrleitung  das  Gas  bis  zum  Re- 
gulierhahn, indem  man  das  Leitungsrohr  mit  dem  Ansatzstück  an  dem  Y- 
förmigen  Rohr  verbindet.  Man  kann  bei  mehreren  Operationen  zu  gleicher 
Zeit  mehrere  Hähne  mit  Schlauchansätzen  anbringen,  und  so  zu  gleicher  Zeit 
mehrere  Narkosen  ausführen. 

Der  Regulierhahn  ist  an  einem  Ständer  0  befestigt,  welcher  oben  eine 
Gabel  trägt,  durch  welche  der  Schlauch  gelegt  werden  kann.  Er  führt  dann 
hoch  durch  die  Luft,  ohne  im  Saal  die  Personen  in  ihrer  Bewegungsfreiheit 
zn  stören. 

Der  Regulierhahn  ist  folgendermassen  konstruiert. 

Auf  einem  Stopfen  q  befindet  sich  eine  Platte  r,  durch  die  man  denselben 
wie  einen  gewöhnlichen  Hahn  drehen  kann.  Diese  Bewegung  wird  durch  die 
Schraube  s  getan,  wodurch  eine  sehr  feine  Einstellung  geschehen  kann.  Eine 
Skala  befindet  sich  auf  dieser  Platte,  auf  welcher  ein  Zeiger  vom  Zuleitungs- 
rolir  t  mit  seiner  Spitze  aufliegt.  Derselbe  zeigt  entsprechend  den  Drehungen 
der  Platte  auf  die  verschiedenen  Zahlen  der  Skala.  Die  letzteren  geben  nun 
an,  wieviel  Kubikzentimeter  des  Narkotikums  bei  der  betreffenden  Hahnstellung 
verdampft  werden  und  in  die  Maske  gelangen.  Dieselben  werden  bei  jedem 
Hahn  bestimmt.  Zu  diesem  Zwecke  verfährt  man  folgendermassen:  Ehe  die 
Skala  auf  der  Platte  fest  bestimmt  wird,  wird  der  Hahn  im  Apparat  befestigt 
und  bis  zu  einem  beliebigen  Punkte  gedreht.  Nun  sieht  man  zu,  wieviel  cm 
das  Schrotrohr  c  pro  Minute  in  die  Flüssigkeit  einsinkt,  und  kann  daraus  be- 
rechnen, wieviel  cbcm  des  Narkotikums  verdampft  werden.  Dies  wird  notiert, 
und  der  Punkt  wird  auf  der  Platte  markiert.  So  werden  noch  weitere  Punkte 
bestimmt,  und  man  erhält  einen  Anhalt,  wo  die  Zahlen  zu  liegen  kommen,  auf 
die  es  beim  Narkotisieren  hauptsächlich  ankommt.  Dies  ist  namentlich  die  An- 
fangsdose, mit  der  jede  Narkose  begonnen  wird.  Dieselbe  entspricht  nach 
Geppert  1,2  cbcm.  Dieser  Punkt  wird  durchprobieren  genau  bestimmt  und 
mit    einer    längeren    Linie    markiert.     Weiter   bestimmt  man    die    Stellen ,    die 


-     200     - 

2,2,  3,2  cbcra  etc.  entsprechen,  weiter  bis  ca.  6  cbcm.  An  diesen  Stellen  werden 
längere  Striche  gezogen,  deren  Zwischenräume  noch  durch  3  kleinere  Striche 
geteilt  werden.     So  erhält  man  eine  regelmässige  Skala. 

Man  muss  für  die  Leitung  sehr  weite  Rohre  verwenden,  um  die  Reibung 
möglichst  gering  zu  gestalten,  sowie  die  Leitung  durch  gleichmässig  temperierte 


Fig.  45.     Verdampfungsapparat. 


Fig.  43.     Apparat  von  Geppert. 


a  Hahn  am  Y-Rohr  links  von  der  Flamme,  b  Bügel,  an  dem  hängt  c  Schrot- 
rohr, d  Rohr  für  Chloroform,  e  Rohrleitung  ausgehend  vom  Y-Rohr.  f  Glas- 
kugel des  Verdampfungsapparates,  g  Wasserbad.  h  Leitung  an  der  Einmün- 
dungsstelle  des  Chloroformdampfes,  i  Wasserkugel  zur  Erhaltung  des  konstanten 
Niveau's.  k  Eisenrohr.  1  Luftrohr  des  Gasometers,  m  Leitungshahn  an  der 
Wand.  N  Klammer,  mit  d»  r  der  Regulierhahn  befestigt  ist  an  o  Ständer,  q 
Stopfenteil  des  Regulierhahnes,  r  Skalenplatte,  t,  t  Zu-  und  Ableitungsrohr 
des  Regulierhahnes,  v  Hahn  im  Leitungsrohr,  w  Hahn  am  Boden,  x  Contre- 
balance.     y  unterer  Kessel  des  Gasometers,     z  oberer  Kessel. 


—     201     - 

Räume  führen,  da  etwaige  Temperaturunterschiede  auf  die  Konzentration  ein- 
wirken.    Die  Hähne  müssen  0,5  cm  Durchmesser  in  der  Bohrung  haben. 

Als  Maske  wählt  mau  eine  gewöhnliche,  in  welche  das  Rohr  die  Wand 
durchbohrend  führt,  im  Inuern  der  Maske  noch  etwa  1  cm  fortgesetzt,  über 
welche  Fortsetzung  ein  kurzer  Gummischlauch  befestigt  ist,  durch  welchen  der 
Narkotikumdampf  unmittelbar  ins  Bereich  der  Atmung,  dicht  vor  den  Mund, 
gebracht  wird.  Lässt  man  das  Rohr  im  Niveau  der  Maske  enden,  so  kann  es 
passieren,  dass  beim  Verschieben  der  Maske  der  Narkotikum  dampf  gegen  den 
Nasenrücken  geblasen  wird.  Das  Rohr  selbst  ist  beweglich  in  die  Maske  ein- 
gesetzt und  hat  Knieform,  an  deren  horizontalem  Schenkel  der  Schlauch  an- 
gesetzt ist. 

Das  Grundprinzip,  nachdem  der  Apparat  gebaut  ist,  und  nach  welchem 
die  narkotikumhaltige  Luft  hergestellt  wird,  ist  das,  dass  man  auf  eine  ge- 
messene Menge  Luft  ein  gemessenes  Quantum  des  Narkotikums  verdampft. 
Der  Gasometer  wird  mit  Luft  gefüllt,  er  hat  ein  Ausflussrohr  1,  das  in  seinem 
Innern  beginnend,  die  Lutt  entweichen  lässt,  wenn  man  den  Hahn  v  geöffnet 
hat.  Dieselbe  strömt  dann  vom  Rohr  1  in  das  Rohr  h,  woselbst  der  Narkotikum- 
dampf in  abgemessener  Menge  zugeführt  wird.  Dies  geschieht,  wenn  Luft  aus 
dem  Gasometer  strömt,  sinkt  der  Kessel  z,  mit  welchem  man  eine  mit  Schrot 
gefüllte,  unten  zugeschmolzene  Glasröhre  c  verbunden  hat.  Dieselbe  ist  an 
einem  Metallbügel  b  befestigt  und  taucht  in  eine  mit  dem  Narkotikum  gefüllte 
Glasröhre  d,  welche  soweit  mit  dem  Narkotikum  gefüllt  ist,  dass  dasselbe  auch 
noch  in  dem  rechts  angesetzten  Querrohr,  das  nach  f  leitet,  steht.  Wenn  der 
obere  Kessel  sinkt,  senkt  sich  auch  das  Schrotrohr  c  in  das  Narkotikum  ein, 
wodurch  dasselbe  nach  f  überfliesst.  Von  da  an  gelangt  soviel  Narkotikum  in 
das  Rohr  t,  als  durch  das  Einsinken  des  Glasstabes  aus  dem  Rohr  D  verdrängt 
wird.  In  dem  Rohre  f  verdampft  sofort  das  Narkotikum,  da  dasselbe  in  einem 
heissen  Wasserbade  g  steht.  Das  Rohr  f  ist  unten  kugelförmig  geblasen,  damit 
eine  grössere  Fläche  zum  Verdampfen  vorhanden  ist.  Wenn  f  mit  Dampf  ge- 
füllt ist,  bewirkt  jede  neu  überfliessende  Menge  Narkotikum,  dass  eine  ent- 
sprechende Menge  Dampf  aus  der  Röhre  f  oben  entströmt,  welche  in  das  Rohr 
h  mündet,  durch  welches  die  Luit  vom  Gasometer  hergeleitet  wird,  und  so  wird 
Luft  mit  Narkotikumdampf  gemischt,  und  zwar  in  abgemessenen  Mengen.  Wenn 
nämlich  der  Kessel  um  1  cm  sinkt,  so  fliesst  ein  bestimmtes  Quantum  Luft  aus 
und  wird  ein  gemessenes  des  Narkotikums  verdampft.  Das  Verhältnis  dessen 
ist  durch  die  Querschnitte  des  oberen  Kessels  und  des  Glasrohres  c  bestimmt. 
Das  entstehende  Gemenge  entspricht  diesen  Verhältnissen  genau.  Nun  kann 
man  diese  Luft-Narkotikumdampfgemische  nach  dem  Regulierhahn  leiten,  das 
Wasserbad  ist  in  einem  verzinnten  Kupferkessel  durch  eine  Gasflamme  heizbar 
angebracht,  ev.  kann  es  auch  mit  Spiritusbrennern  geheizt  Averden.  Die  Tem- 
peratur desselben  muss  mindestens  90 '^  C  betragen,  damit  die  Verdamfung 
momentan  und  richtig  bewirkt  werden  kann.  An  Stelle  dfs  Wassers  soll  besser 
eine  Chlorkalziumlösung  500 :  1000  Verwendung  finden ,  da  dieselbe  immer  ge- 
heizt werden  kann,  ohne  dass  viel  verdunstet  und  nicht  bei  100°  C  überkocht, 
doch  lässt  sich  das  Wärmebad  auch  auf  andere  Art  leicht  regeln. 

Dieser  Apparat  ist  zweifellos  ein  gut  funktionierender  und  ent- 
spricht den  Forderungen,  die  wir  an  eine  exakte  Dosierung  stellen. 
Derselbe  hat  allerdings  den  grossen  Nachteil,  dass  die  Narkose  nur  in 
dem  Räume  vorgenommen  werden  darf,  in  w^elchem  der  Apparat  auf- 
gestellt ist.  Man  kann  höchstens  die  Gasgemenge  einige  Meter  weit  in 
ein  anderes  Zimmer  leiten.  Für  die  allgemeine  Praxis  ist  dieser  Apparat 
nicht  brauchbar.  Da  derselbe  aber  zweifellos  für  wissenschaftliche 
Untersuchungen,  für  Narkosen  an  Tieren  ete.,  sehr  geeignet  ist,  haben 
wir  denselben  hier  genauer   beschrieben. 

In  dem  Folgenden  sollen  noch  einige  Apparate  für  Narkosen  hier 
Erwähnung  linden,  welche  für  die  Praxis  -wohl  brauchbar  sind,  wenn  auch 


—     202     — 

nur    teilweise,    und  welche  vor    allem    in  Krankenhäusern  und  Khniken 
Verwendung-  finden. 

Zunächst  betrachten  wir  den  Apparat  für  die  Chloroformsauerstöff- 
narkose  von  Dr.  Roth -Drag  er  in  Lübeck.  Derselbe  bewirkt  eine 
genaue  Dosierung  des  Chloroforms  und  Sauerstoffes  und  gestattet  eine 
vorzügliche  Narkose.  Die  genaue  Beschreibiing  finden  wir  im  speziellen 
Teil  unter  der  Chlöroformsauerstoff"narkose.  Hier  seien  in  Fig.  46,  47 
und  48   die   Apparate   abgebildet.      Fig.  46    zeigt    uns    den  Apparat  auf 


Fig.  46.     Chlorol'ormsauerstoffapparat    nach    Dr.    Roth  -  Dräger    auf   fahrbarem 

Gestell. 


einem  durch|Rollen  fahrbaren  Gestell  montiert,  mit  Sauerstoffzylinder 
und  dem  Chloroformapparat,  daneben  auf  einem  Tischchen  die  nötigen 
Masken  und  Instrumente.  Fig.  47  zeigt  uns  die  wichtigsten  Teile  des 
Apparates  vergrössert,  ebenso  führt  uns  Fig.  48  den  Chloroform- 
niessapparat  noch  vergrössert  vor. 

Aus  den  Abbildungen  ersieht  man  die  Funktion  des  Apparates. 
Derselbe  verdient  entschieden  den  Vorzug  vor  manchen  anderen  der- 
gleichen. Im  Anschluss  an  die  Apparate  von  Roth-Dräger  wollen  wir 
die    Apparate     für    Sauerstoffinhalation    und    für     Sauer.stoffchloroform- 


Fig.  47.     Grössere  Abbildung  der  Ventile  und  Messapparate  des  Apparates  von 

Dr.  Roth  -  Dräger. 

M.  ist  das  Verschlussventil  auf  dem  Sauerstoffzylinder. 

X  ist  das  Fmimeter,    welches    den  Inhalt    des    Zylinders    ständig    anzeigt   zum 
Zweck  der  Kontrolle  des  vorrätigen  Sauerstoffquantums. 

0  ein  kleines  Ventil  zum  Offnen  und  Schliessen  des  Sauerstoffstromes. 

P  Instrument,  das  den  Sauerstoffverbrauch  pro  Minute  in  Litern  anzeigt.     Die 
Sauerstoffdosierung  geschieht  mit  der  Flügelschraube  Q. 

P  reagiert  auf  Q. 

R  ist  der  Hahn  zum  Dosieren  der 
Chloroformmenge  pro  Minute. 

T  ist  das  Chlorofoi'm  im  abnehmbaren 
Glase,  welches  nach  Gramm 
eingeteilt  ist,  um  am  Schlüsse 
einer  Narkose  noch  eine  Kon- 
trolle über  den  tatsächlichen 
Chloroformverbrauch  zu  er- 
möglichen. 

V  ist  der  Vergaser  im  Schauglas. 

L  ist  der  Sparapparat  mit  Beutel  I. 
Von  L  führt  ein  Metallschlauch 
zur  Gesichtsmaske. 


Chlorofonnraessapparat  des  Apparates 
von  Dr.  Roth-Dräger  vergrössert. 

R  Skala  zur  Messung  des  Chloroforms. 
S  Tropfschauglas.  T  Tropfenbilder.  G 
Chloroformglas.  H  Steigrohr,  welches 
Chloroform  ansaugt  durch  den  strö- 
menden Sauerstoff.  Durch  Drehen  am 
Chloroformhahn  kann  das  Saugen  stär- 
ker oder  schwächer  gemacht  werden.  Ficr.  48. 


204 


Arbeitsleishunq^^^ 
Jnhalh  der  Flasche 
A 


Flg.  50. 
Sauerstoff inlialationsapparat     der     Sauerstoff-  Fabrik 
Berlin  nach  Prof.  Michaelis  für  klinischen  Gebrauch. 


Fig.  53. 

Maske    ohne  BefestigungS' 

einrichtung  für  obigen 

Apparat. 


205 


Fig.  5-^. 
Chloroformsauerstoffappavat  vergrössert. 


Fig.  54. 

Maske  mit  Befestigungsein- 

richtung  für  obigen  Chloro- 

formsauerstoff- Apparat. 


—     206     — 

narkose  von  Wohlgemut  und  Prof.  Dr.  Michaelis  hier  erwähnen. 
Dieselben  werden  von  der  „Sauerstoff-Fabrik  in  Berlin'"  hergestellt 
und  bilden  sowohl  einen  Apparat  für  die  Inhalation  von  Sauerstoff 
allein,   die  wir  ebenfalls  bei   Unfällen  während   der^- Narkose   mit  grossem 


Fig.  49.     Sauerstoffinhalationsapparat    der   yauerstull- Fabrik  Berlin   nach  Prof. 
Michaelis  für  den  häuslichen  Grebrauch. 

Nutzen  für  den  Kranken  anwenden,  als  auch  Apparate  zur  Chloroform- 
sauerstoffnarkose, welche  als  erste  Instrumente  unter  der  Reihe  der 
Narkotisierungsapparate  dastehen.  Wir  haben  zunächst  in  Fig.  49  einen 
Sauerstoffinhalationsapparat  einfacher  Art  für  den  häuslichen  Gebrauch 
und  in  Fig.  50  einen  komplizierten  Sauerstoff'inhalierapparat  für  kli- 
nischen Gebrauch,   welcher    durch   seine  Ventile    und   Messapparate    eine 


~     207      - 

willkürliche  Regelung  der  Sauerstoifzufulir  in  jedem  Moment  veränderbar 
gestattet. 

Der  Sauerstoffapparat  Fig.  50   ist  nun  noch   mit  einem  Chloroform- 
apparat    verbunden    worden,     um    eine    Sauerstoffchlorof'ormnarkose    zu 


Flg.  51.     Chiorolbnusauer^loir-Narkose-Apparar  der  Sauerstoff- Fabrik  auf  einem 

Tischchen  lieoend. 


ermöglichen.  Fig.  51  zeigt  uns  diesen  Narkoseapparat  auf  einem  Tisch- 
chen liegend  zum  Gebrauche  fertig.  Dieser  Apparat  kann  infolge  seiner 
verhältnissmässig  mittleren  Grösse  auch  in  der  Praxis  verwandt  werden, 
da  man  ihn  mit  sich  über  Land  nehmen  kann,  freilich  erhöht  er 
den  Baiast  des  ärztlichen  Instrumentariums  beträchtlich.  Immerhin 
ist  es  ein  Vorteil,  dass  man  diesen  Apparat  nicht  nur  in  der  Klinik  ver- 
wenden darf,  sondern  auch  über  Land,  wenn  auch  der  komplizierte 
Mechanismus  eine  sachverständige  Bedienung  erfordert,  so  dass  der  Arzt 
selbst  die  Narkose  stetig  mit  überwachen  muss,  wenn  er  auch  die  Hand- 
habung der  Maske   einem   Laien  übertragen  muss. 

Flg.  52  zeigt  uns   denselben  Apparat  vergrössert,    sodass  man  die 
Konstruktion  und  Funktion   ersehen   kann. 


208 


Fig.  53  und  Fig.  54  zeigen  uns  2  Masken,  welche  das  Narkotikum- 
luftgemiscli  dem  Kranken  zu^füliren.  Die  eine  Maske  Fig.  53  muss  vom 
Narkotiseur  gehalten  werden,  während  die  Maske   in  Fig.  54  mit  einem 

Band  versehen  ist,  um  dieselbe 
am  Kopfe  des  Kranken  zu 
fixieren. 

Nachdem  wir  hier  eine 
Reihe  der  gebräuchlichsten  und 
besten  Apparate  für  die  Aether- 
Chloroform  und  Sauerstofi- 
Choroformnarkose  angeführt 
haben,  wollen  Avir  noch  einen 
Apparat  für  die  Stickstoffbxy- 
dulnarkose  in  Figur  55  er- 
wähnen, den  Paterson'schen 
Apparat.  Aus  der  Abbil- 
dung ist  die  Konstruktion  er- 
sichtlich. Neben  diesem  sind 
natürlich  noch  eine  Reihe  von 
Apparaten  für  diese  Narkose 
konstruiert  worden,  doch  deren 
ErAvähnung  würde  zu  weit  füh- 
ren, zumal  dieselben  von  ge- 
ringer Bedeutuns:  sind. 


Figur  55.    Patersons  Apparat  für  die 
Stickstoff-Oxydulnarkose. 


Figur  56.   ßendler's  Narkoseappa- 
rat für  Narkoseng-emische. 


Für  die  gemischten  Narkosen  sind  ebenfalls  noch  eine  Anzahl 
von  Apparaten  konstruiert  worden,  z.  B.  Rendler's  Narkoseapparat  (siehe 
Fig.  56)  und  noch  verschiedene  andere,  welche  aber  von  geringerer 
Bedeutung  sind  und  hier  übergangen  werden  können. 

Wenn  man  sich  auch  noch  soviel  Mühe  gegeben  hat,  durch  Appa- 


—     209     — 

rate  eine  genaue  Dosicrmig  zu  erzielen,  so  hat  man  ZAvar  das  Ziel  er- 
reicht, doch  mittelst  Apparaten,  welche  nie  das  Gemeingut  der  prak- 
tischen Aerzte  werden  können.  Diese  Apparate  sind  sehr  teuer,  um- 
fangreich und  schwer  an  Gewicht,  Aveshalb  der  praktische  Arzt  meist 
von  ihnen  absehen  niuss.  Er  wird  immer  wieder  zu  der  Tropfmethode 
zurückkehren,  für  die  er  nur  eine  kleine  Maske  nötig  hat,  die  er  überall 
mit  sich   führen   kann. 

Um  nun  die  Tropfmethode  zu  erleichtern,  hat  man  besondere 
Flaschen  konstruiert,  welche  ein  kontinuierliches  Tropfen  des  Narkotikums 
ermöglichen.  Am  besten  ist  dazu  eine  ganz  gewöhnliche  Tropfflasche, 
wie  man  sie  in  der  Apotheke  erhält,  zu  verwenden.  Neben  dieser  sind 
eine  ganze  Keihe  von  anderen  Tropfflaschen  konstruiert  worden,  wie: 
von  Esmarch  (Fig.  57),  von  Skinner  (Fig.  58),  nach  Lomsky 
(Fig.  59),  nach  Lomer  (Fig.  60),  nach  Loursky  (Fig.  61),  nach  Paul 
Rosenberg  (Fig.  62).    Ferner  eine  Aetherflasche  von  Kurrer  (Fig.  63), 


Tropfflasche  nach  v.  Es- 
march. 


Figur  58.     Tropfflasche  nach 
Skinner. 


welche  sich  selbst  verschliesst,  so  dass  nie  Aether  heraus  fliessen  kann, 
wenn  die  Flasche  umfällt  etc.  Die  Vorteile  einer  jeden  Flasche  ersieht 
man  leicht   aus   den  Abbildimgen. 

Wenn  wir  hiermit  die  Tropfflaschen  verlassen,  so  dürfen  wir  nicht 
unerwähnt  lassen,  dass  diese  Flaschen  selbstverständlich  jjeinlichst  sauber 
gehalten  werden  müssen,  und  dass  man  das  Narkotikum  erst  kurz  vor 
Beginn  der  Narkose  in  dieselben  giessen  darf.  Niemals  lasse  man  von 
einer  Narkose  zur  anderen  längere  Zeit  Narkotikummengen  in  den  Tropf- 
flaschen stehen.  Dabei  wäirde  das  Narkotikum  Zersetzungen  erleiden 
und  unbrauchbar  werden  zum  Schaden  der  Kranken,  die  event.  damit 
später  narkotisiert  würden. 

Zum  Schluss  unserer  Betrachtung  der  Narkosenapparate  im  all- 
gemeinen wollen  wir  nicht  die  neueste  Maske  vergessen,  welche  von 
Dr.  Sud  eck  für  die  von  ihm  ausgebildete  Methode  der  Aetherrausch- 
narkose    konstruiert  worden    ist.      Dieselbe  ist,  wie   Figur   64,   65  und 

14 


—     210     — 


Figur  59.    Tropfflasche 
nach  L  0  m  s  k  y. 


Figur  61.     Tropfflasche  nach 
Loursky. 


Figur  60.     Tropf- 
flasche nach  L  0  m  e  r. 


Figur  62.     Narlvosenapparat  nach 
Paul   Rosenberg-. 


Figur   63.      Selbsttätiger  Aetherflaschenverschluss    nach   Kurrer. 


66  zeigen,   aus  Metall  gefertigt  und  mit  2  Ventilen  versehen,   ein  Ventil, 
durcli   welches    der  Kranke    den    in    die    obere   Oeffnung    auf  Gaze  ge- 


-     211     — 

tropften  Aetlior  einatmet,  und  ein  zweites  seitliches  Ventil,  durch  welches 
die  ausgeatmete  Lxit't  des  Kranken  entweicht.  Die  für  die  Rausch- 
narkose überaus  praktische  Maske  hat  den  Vorteil,  dass  sie  in  toto 
sterilisiert  werden  kann.  Dieselbe  wird  in  2  Grössen,  eine  für  Er- 
wachsene, die   andere  für  Kinder  angefertigt. 

Was    nun    die   Anwendung    der  Narkosenapparate   im    aligemeinen 
anlangt,   so   müssen  wir  vor  allen  Dingen  unsere  Obacht  auf  denjenigen 


^^^^ 


Figur  64.     Maske  von  Sudeck  für  Aetherrauschnarkose. 

A.  Einguss   für   den  Aether.     B.  Ventil   für  die  Exspirationsluft.     C.  Einguss- 
öffnung für  Aether  bei  seitlicher  Kopfhaltung. 


Teil  richten,  welcher  mit  dem  Gesicht  des  Kranken  direkt  in  Berührung 
kommt,  um  ihm  den  Narkotikumdampf  zuzuführen,  diesen  Teil  bezeichnen 
wir  der  Einfachheit  halber  bei  jedem  Apparat  mit  dem  Namen  Maske. 
Den  übrigen  Teil  des  Apparates  haben  wir  natürlich  je  nach  der  Kon- 
struktion besonders  zu  behandeln,  event.  müssen  die  Hähne  geölt  oder 
gefettet,  Gläser  gereinigt  werden  etc.  Manipulationen,  welche  uns  als 
Arzt  nicht  besonders  interessieren,  sondern  die  ebensogut  von  einem  in 
der  Mechanik  bewanderten  Diener  besorgt  werden  können. 

§   84.      Wir   wollen    nunmehr    noch    einiges    beachtenswertes  über 
die  Masken  erwähnen.     Dieselben  sind  insofern  für  uns  von  Wichtigkeit, 

14* 


—     212     — 

als  sie  Träger  von  Infektionsstoffen  der  verschiedensten  Krankheiten 
darstellen  können.  Wenn  wir  jetzt  einen  Kranken  mit  Gesichtserysipel 
oder  mit  Diphtherie  narkotisiert  haben,  so  können  wir  mit  derselben 
Maske  den  nächsten  Kranken  infizieren,  wenn  wir  nicht  die  Maske 
sterilisieren.  Aber  nicht  nur  diese  Krankheiten  kommen  in  Betracht, 
sondern  noch  eine  grosse  Anzahl  anderer  und  vor  allem  die  Syphilis. 
Leider  können  wir  in  die  Lage  kommen,  dass  wir  gar  nicht  wissen, 
dass  unser  Kranker  auch  noch  an  infektiöser  Syphilis  leidet.  Da  ist 
es  nun  unsere  Pflicht,  den  Kranken  genau  zu  untersuchen,  um  zu 
eruieren,  ob  er  an  Syphilis  oder  einer  anderen  infektiösen  Krankheit 
leidet.     Da  wir  auch  eine  Mens-e  anderer  Krankheiten  übertrafen  können 


Figur  65.     Sudeck'sche  Maske  von  unten  gesehen. 

B.  Ventil  für  die  Exspirationsluft.    C.  Ventil  für  Inspirationsluft  (Aetherdampf). 

D.  Einkerbuno-  für  den  Nasenrücken. 


durch  die  Maske,  so  muss  die  Reinlichkeit  dieser  Instrumente  der  Gegen- 
stand unserer  Sorge  sein.  Ausser  Syphilis  kommen  auch  Tuberkulose, 
Mundkrankheiten  und  viele  andere  mehr  in  Betracht.  Aber  nicht  allein 
aus  dem  Grunde  der  Infektion,  auch  in  ästhetischer  Beziehung  ist  die 
peinlichste  Reinlichkeit  hier  erforderlich,  wenn  auch  die  Ansteckung 
einen   entscheidenden  Faktor  bildet. 

Man  darf  sich  da  nicht  zufrieden  geben,  dass  man  den  Kranken 
womöglich  noch  oberflächlich  auf  Lues  hin  geprüft  und  nichts  Ver- 
dächtiges gefunden  hat.  Es  wird  uns  in  unseren  Krankenhäusern 
bei  der  genauen  Untersuchu.ng,  welcher  sich  die  Kranken  unterziehen 
müssen,  möglich  sein,  stets  oder  in  den  allermeisten  Fällen  sicher  über 
eine  etwa  vorhandene  Lues  unterrichtet  zu  sein,  doch  in  poliklinischer 
Behandlung,   und  in   der  Tätigkeit    des  praktischen  Arztes,  wird  oftmals 


—     213 


eine  Lucs  übersehen  werden  können,  da  ja  die  Symptome  meist  gar 
nicht  so  offen  zu  Tage  liegen,  und  der  Kranke  vielleicht  wegen  einer 
kleinen  Operation  am  Finger  oder  Kopf,  nicht  in  bezug  auf  die 
Genitalien  untersucht  wurde.  Daher  müssen  Avir  prophylaktisch  vor- 
gehen, und  unsere  Instrumente  desinfizieren.  Es  ist  kein  Zweifel,  dass 
der  Arzt  in  dieser  Hinsicht 
für  die  Gesundheit  seines 
Patienten  verantwortlich  ist. 
Allerdings  ist  oftmals  einer 
Desinfektion  namentlich  bei 
einer  angestrengten  Tätig- 
keit eines  vielbeschäftigten 
Arztes  manches  grosse  Hin- 
dernis in  den  Weg  gestellt, 
und  man  ist  nur  zu  leicht 
geneigt,  sofort  mit  dem  Nar- 
kotisierapparat von  dem 
Kranken  auf  jenen  über- 
zugehen. Wenn  wir  es  uns 
aber  zum  Grundsatz  machen, 
jede  Maske  /.n  sterilisieren, 
bei  komplizierten  Apparaten 
kommt  ja  nur  das  auf  dem 
Gesicht  aufliegende  Ansatz- 
stück in  Beti'aeht,  so  wer- 
den wir  uns  bald  daran  ge- 
wöhnt haben  und  sehen, 
dass  die  Schwierigkeiten 
doch  überwunden  werden 
können.  Natürlich  müssen 
genügend  Masken  zur  Ver- 
fügung stehen,  damit  nicht 
ein  Mangel  entsteht.  Die 
Sterilisation  kann  nur  in 
einem  Aussetzen  der  Maske 
dem     strömenden     Dampfe, 

oder  kochendem  Wasser  bestehen.  Die  etwa  vorhandenen  Stoffüberzüge 
oder  Watteeinlagen  müssen  selbstverständlich  vor  jeder  Narkose  er- 
neuert werden. 

Dieser  Umstand  sollte  bei  weitem  mehr  Beachtung  finden,  und 
man  sollte  nicht  auf  Grund  der  Behauptung,  dass  man  noch  keinen 
Fall  von  Übertragung  einer  Krankheit  durch  die  Maske  gesehen  habe, 
die  Sterilisation,  wie  in  manchen  Fällen  Usus  ad  acta  legen,  oder 
so  lau  betreiben,  dass  von  einer  Sterilisation  nicht  mehr  die  Rede 
sein  kann. 

In  den  seltensten  Fällen  wird  mau  den  Tatbestand  einer  Infektion 
durch  die  Narkose  klar  legen  können,  da  erstens  die  Kranken  viel- 
leicht   bald    aus    unserer  Behandlung    scheiden,    zM-eitens    der  Ausbruch 


Figur  6<1     Sudeck'sche  Maske  von  oben 
gesehen. 
A.  Einguss  für  Aetlier.     B.  Ventil  für  die 
Exspirationsluft.     C.  Ventil    für  die  Inspi- 
rationsluft (Aetherdampf). 


—     214     — 

einer  Syphilis  eine  längere  Inkubationszeit  vorausgehend  haben  kann, 
und  aus  vielen  anderen  Umständen  mehr.  Eher  wird  man  ja  an  die 
Möglichkeit  einer  anderen  ursächlichen  Beziehung  denken,  und  so  ist 
dieser  wichtige  Punkt  oft  übersehen  worden.  So  gut  man  aber  weiss, 
dass  die  Mundinstrumente,  wie  Zahnzangen  usw.  leicht  Ühertragungs- 
objekte  bilden,  und  wir  jeden  Arzt  gewissenlos  nennen,  der  diese  In- 
strumente nicht  peinlich  desinfiziert,  ebenso  gut  muss  man  in  unserem 
Falle   eine  strikte  Desinfektion  üben. 

§  85.  Wenden  Avir  uns  nun  dem  Narkotikum  selbst  zu.  Es  sind 
nur  wenige  Worte  über  die  Narkotika  im  allgemeinen  zu  verlieren, 
und  Mär  wollen  nur  die  allen  Narkotika  gemeinsamen,  beachtenswerten 
Verhältnisse  hier  erwähnen.  Alle  Narkotika,  Avelche  für  Inhalations- 
narkosen Verwendung  finden,  haben  einen  verhältnissmässig  niedrigen 
Siedepunkt,  je  niedriger  der  Siedepunkt  gelegen  um  so  grösser  ist  die 
Verdampfbarkeit,  um  so  leichter  verdunsten  sie  bei  gewöhnlicher 
Temperatur.  Diese  leichte  Verdunstbarkeit  veranlasst  uns,  das  Nar- 
kotikum in  gut  verschlossenen  Gefässen  aufzubewahren.  Ein  anderer 
Grund  ist  der,  dass  sie  sich  sämtlich  sehr  leicht  u.nter  Anwesenheit 
von  Luft,  (bei  schlechtem  Verschluss)  und  Licht  zersetzen.  Deshalb 
muss  man  dieselben  unter  Ausschluss  von  Licht,  d.  h.  in  braunen  oder 
schwarzen  Flaschen  aufbewahren.  Da  die  Zersetzungsprodukte  meist 
dem  Organismus  schaden  können,  so  muss  man  in  jedem  Falle  das 
Narkotikum  vor  der  Narkose  untersuchen,  ob  es  rein  und  unzersetzt 
ist.  Die  schädlichen  Stoffe  können  herrühren  von  der  schlechten  Her- 
stellnngsweise  und  von  der  schlechten  Aufbewahrung.  Deshalb  sollte 
man  vor  jeder  Narkose  sich  durch  eine  schnell  vorgenommene  Unter- 
suchung von   der  Reinheit  der  Präparate   überzeugen. 

Die  Untersuchungsmethoden  werden  bei  jeder  speziellen  Abhandlung 
über  die  einzelnen  Narkotika  angegeben  werden,  und  es  ist  ein  leichtes, 
sich  die  nötigen  Chemikalien  zu  einer  Probe  bereit  zu  halten.  Man 
muss  aber  schon  durch  die  Fabrik,  von  der  man  die  Narkotika  bezieht, 
einige  Sicherheit  über  die  Güte  und  Reinheit  der  Narkotika  erhalten 
können.  Die  Fabriken  stellen  durchweg  gute  Präparate  her  und  zwar 
iu  solchen  Verpackungen,  dass  man  in  jeder  Einzelpackung  meist  für 
eine  mittellange  Zeit  dauernde  Narkose  genügende  Menge  des  Nar- 
kotikums findet.  Diese  Packung  in  Einzeldosen  ist  sehr  praktisch. 
Man  lässt  sich  eine  Anzahl  von  Flaschen  kommen,  und  kann  dieselben 
an  einem  kühlen,  dunklen  Ort  aufbewahrend  das  Narkotikum  unzersetzt 
halten.  Diese  Flaschen  bleiben  fest  verschlossen  stehen,  und  es 
werden  von  ihnen  kurz  vor  der  Narkose  nicht  mehr  als  eine  geöffnet, 
der  Inhalt  geprüft  und  wenn  rein  befunden,  verwandt.  Natürlich  darf 
"man  nicht  unterlassen,  einige  Flaschen  als  Reserve  ungeöffnet  in  die 
Nähe  zu  stellen,  denn  es  könnte  doch  passieren,  dass  entweder  die 
eine  Flasche  nicht  reicht,  oder  der  Inhalt  vergossen  wird,  kurz,  es 
können  Verhältnisse  eintreten,  w-elche  eine  grössere  Menge  erfordern. 
Durch  diese  Einzelpackung  wird  es  noch  ermöglicht,  dass  man  auf 
Reisen  leicht  einige  Dosen  mit  sich  führen  kann.  Bei  jeder  Narkose 
gelte  die  feststehende   Regel,   dass  man    nie    den  Rest  des  Narkotikums 


-     215     - 

von  einer  Narkose  für  spätere  Narkosen  aufhebt.  Stets  muss  das 
übrigbleibende  Narkotikum  vernichtet  werden,  wenn  man  es  nicht  zu 
einer  sich  direkt  anschhessenden  Narkose  verwenden  kann.  Jedenfalls 
darf  eine  geöffnete  Flasche  nicht  wieder  verschlossen  werden,  denn  in 
diesem  Falle  wird  sich  das  Narkotikum  nicht  unzersetzt  aufbewahren 
lassen.  Dui'ch  die  den  Narkosen  angemessene  Packung  wird  verhindert, 
dass  man  grosse  Mengen  übrig  behält  und  somit  kommt  der  Kostenpunkt 
nicht  in  Beti*acht. 

Eine  ganz  falsche  Methode  ist  die,  sich  aus  ein^r  Apotheke  eine 
bestimmte  Menge  des  Narkotikums  für  jede  Narkose  zu  verschreiben. 
Erstens  weiss  man  nicht,  auf  welche  Art  der  Apotheker  dasselbe 
aufbewahrt  hat,  und  ob  es  nicht  schon  Gelegenheit  hatte,  sich  in 
der  Apotheke  zu  zersetzen.  Ferner  kann  das  Narkotikum  auf  dem 
Transport  von  der  Apotheke  eine  Zersetzung  erleiden.  Die  oben  be- 
schriebene Verpackung  in  Einzeldosen  ist  die  beste  Art  des  Versandes 
und  der  AufbeAvahrung  der  Narkotika. 

Weiterhin  ist  es  besser  die  kleine  Flasche,  in  welcher  das  Nar- 
kotikum aus  der  Fabrik  bezogen  wurde,  direkt  zxi  benutzen,  man 
kann  an  ihr  eine  Tropfvorrichtung  anbringen,  denn  durch  Umgiessen 
in  ein  anderes  Gefäss  wird  eine  Zersetzung  möglich,  und  die  Dosis 
verändert.  Eine  grosse  Anzahl  von  Gefahren  können  aus  den  Verun- 
reinigungen der  Narkotika  entstehen,  und  es  ist  Pflicht  des  Narkotiseurs, 
dass   er  dieselben  nach  Möglichkeit  vermindert. 

§  86.  Wenden  wir  uns  nun  zu  den  Instrumenten  welche  der  Narko- 
tiseur  für  den  Mund  des  Kranken  usw.  braucht.  Hierzu  gehören  die  Kiefer- 
klemmen,  Zungenzangen,   Tupfer  oder  Schwammhalter,   Brechschale  usw. 

§  86a.  Was  zunächst  die  Kieferklemmen  anlangt,  so  ist  als 
gebräuchlichste  der  Mundsperrer  von  Roser -König  zu  nennen 
(Fig.  67).  Derselbe  besteht,  wie  Figur  67  zeigt,  aus  einer  Art  Zange, 
welche  zusammengeschlossen  zwischen  die  Zahnreihen  eingeschoben, 
dann  gespreizt  wird,  und  so  den  Mund  öffnet.  Man  bringt  am  besten 
um  die  auf  die  Zähne  zu  liegen  kommenden  Branchen  etwas  Gummi 
an,   um   so  besseren  Halt  zu  haben.     Dasselbe  ereschieht  am   einfachsten 


Fig.  67.     Mundsperrer  nach  Roser-König-. 


216     - 


dadurch,  dass  man  ein  kurzes  Stück  gewöhnlichen  Guramischlauches, 
wie  man  denselben  an  Irrigatoren  und  dergleichen  Apparaten  verwendet, 
über  die  Enden  der  Branchen  streift.  Es  wird  namentlich  leicht  ohne 
den  Gummi  erstens  die  Zange  von  den  Zähnen  gleiten,  zweitens  können 
bei  starkem  Zusammendrücken  der  Zange  kleine  Stückchen  vom  Schmelz 
des  Zahnes  abgesprengt  werden.  Durch  den  Gummi  wird  beides  verhütet. 
Nachdem  man  mit  demselben  den  Mund  geöfihet  hat,  legt  man 
zwischen  die  Zähne  einen  an  einem  Faden  befestigen  Giimmikeil  oder 
Holzkeil  (wie  Fig.  68)  ein,  welcher  ein  Wiederschliessen  der  Kiefer 
verhindert   (vergl.  Fig.  69). 

Ein  zweiter  ebenfalls  während  der  Narkose  sehr  brauchbarer 
Mundsperrer  ist  der  von  Heister.  Derselbe  öffnet,  wie  aus  beistehen- 
der Figur  70  ersichtlich,  den  Mund  dadurch,  dass  man,  nachdem  man 
ihn    geschlossen    zwischen    die    Zahnreihen    geschoben    hat.     durch    die 

Schraube  die  Schenkel  zum  Spreizen 
bringt,  welche  die  Kiefer  von  einander 
entfernen.  Diese  beiden  Mundsperrer 
genügen ,  und  müssen  auf  einem 
Tischchen  neben  dem  Narkotiseur  lie- 
gen. Zugleich  bei  ihnen  liegt  der 
schon  erwähnte  Gummikeil.  Andere 
Mundsperrer,  die  ebenfalls  sehr  brauch- 
bar sind,  sind  die  von  Schmidt  (vergl. 
Fig.  71),  die  ähnlich  wie  der  Roser- 
König'sche  wirken,  ferner  von  Nuss- 
baum  in  Figur  72  und  von  O'Dwyer 
Figur  73.  Der  Mundsperrer  von  Wingrave  dient  dazu,  den  Mund, 
nachdem  er  mit  einem  der  genannten  Mundsperrer  geöifnet  ist,  ofien 
zu  halten.    (Fig.  74.)    Für  Mundoperationen  sehr  praktisch  während  einer 

Narkose  zu  verAvenden 
ist  der  Mundsperrer  von 
Whitehead  (Figiu-  75). 
Weiter  finden  wir  auf  dem 
Tischchen  ein  Eiterbecken, 
welches  zum  Auffangen 
von  erbrochenen  Massen 
dient,  und  am  besten  eine 
nierenförmige  Gestalt  hat. 
Man  kann  diese  mittel- 
grossen nieren  form  igen 
Becken  dank  ihrer  Krüm- 
mung dicht  vor  den  Hals- 
oder die  Mundgegend  an- 
legen, und  so  die  aus  dem 
Mund  fliessenden  Schleim- 
massen, oder  den  erbro- 
chenen Mageninhalt  auf- 
Fig-.  70.     Mundsperrer  nach  Heister.  fangen. 


Flg.  68. 
Gummikeil . 


Fig.  69. 

Holzkeil  nach 

Pitha. 


—     217     — 

Eine    Zungenzange    darf    weiter    niclit    felilen.       Am    meisten    ist 
die  Esmarch'sclie  Zungenzange  zu  empfehlen.    (Siehe  Fig.  76.)     Die- 


Fig.  76.     Zungenzange       Fig.  77.    Zungenzange 
nach  V.  Esmai'ch.  nach  Strassmann. 


Fig.  78.    Zungenzange 
von  Houze. 


selbe  ist,  wie  aus  der  Abbildung  (Fig.  76)  ersichtlich  ist,  mit  ringför- 
migen Zwingen  versehen,  mit  welchen  man  die  Zunge  fasst.  Dadurch, 
dass  die  Zunge  in  den  Ring  hiueingepresst  wird, 
erhält  die  Zange  grösseren  Halt,  und  gleitet  nicht 
so    leicht    ab.      Dieselbe    hat    den    Vorteil,     dass 


Fig.  79.     Zungenzange 
nach  Mathieu. 


Fig.  80.     Zungenzange 
nach  Champonniere. 


Fig.  81.     Zungenzango 
nach  Könisf. 


—     218 


Fig.  71.     Mundsperrer  nach  Schmidt.       Fig.  73.    Mundsperrer  nach  O'Dwyer. 


Fig-.  72.    Mundsperrer  nach  Nussbaum.     Fig.  74.    Mundsperrer  nach  Wingrave. 


Fig.  75.     Mundspei'rer  nach  Whitehead. 


—     219     - 

sie  keine  Verletzungen  in  die  Zunge  setzt.  Aelmliche  Zangen  zum 
Hervorziehen  der  Zunge  wie  die  von  Esmarcli'sclie  sind  die  von  Strass- 
mann  (Fig.  77),  ferner  von  Houze  (Fig.  78)  und  die  von  Mathieu 
in  Figur  79,  welche  keine  Verletzungen  setzen  und  doch  möglichst  fest 
fassen.  Allerdings  gleiten  dieselben  doch  bisweilen  ab,  aber  man  kann 
bei  korrektem  Fassen  der  Zunge  dieselbe  doch  sehr  weit  und  sicher 
nach  vorn  ziehen.  Nach  den  Angaben  anderer  soll  mau  Zungenzangen 
nehmen,  welche  an  den  ringförmigen  Branchen  im  Innern  derselben 
mehrere  ineinanderfassende  lange  Spitzen  haben,  ähnlich  wie  in  Figur  80 
die  Zange  von  Chamj)onniere  zeigt.  Dieselben  dringen  beim  Fassen 
der  Zunge  tief  in  die  Muskulatur  derselben  ein  und  bewirken  aller 
dings  das,  dass  die  Zunge  festgefasst  wird.  Durch  die  Verletzungen 
aber  werden  dem  Patienten  noch  nach  der  Narkose  Schmerzen  ent- 
stehen, und  man  hat  selbst  stärkere  momentane  Blutungen  entstehen 
sehen.     Es  ist  entschieden  von   dem   Gebrauch  derselben   abzuraten. 

Als  Ersatz  für  die  Zungenzange  empfehlen  andere  eine  mit 
scharfen  Haken  versehene  Hakenzange,  z.  B.  die  König'sche  Zungen- 
zange (Fig.  81)  und  die  von  Muzeux  in  Figur  82.  Man  setzt  da 
allerdings  nur  zwei  Wunden  und  kann  die  Zunge  fest  fassen.  Doch 
wer  dabei  übersieht,  die  Zunge  in  der  Mitte,  wo  dieselbe  stark  ist,  zu 
fassen,  sondern  an  der  Spitze  oder  am  Rande  einsetzt,  dem  kann  es 
leicht  passieren ,  dass  die  Zange  das  Gewebe  durchreisst,  und  es  ent- 
stehen hässliche  schmerzhafte  Verletzungen  der  Zunge.  Auch  aus  diesem 
Grunde  ist  diese  Methode  verwerflich,  doch  man  mag  sie  im  Notfalle 
verwenden,   nur  muss  man  Vorsicht  beobachten. 

Ein  der  Esmarch'schen  Zungenzange  sehr  nahe  kommender  Ersatz 
ist  die  Köberle'sche  oder  Pean'sche  Zange  Figur  83.  Mit  der- 
selben, wenn  sie  nicht  zu  klein  ist,  lässt  sich  die  Zunge  sehr  leicht 
und  fest  fassen   und  hervorziehen. 

Eine  dieser  Zangen  muss  bei  jeder  Narkose  daneben  auf  dem  Tische 
liegen,  ausserdem  event.  noch  ein  scharfes  Häkchen  zum  Anhaken  des 
Zungenbeines. 

§  86  b.  Es  muss  auf  dem  Tische  neben  dem  Narkotiseur  eine 
Flasche  mit  Oleum  camphoratum  und  eine  Flasche  mit  Aether  pro  in- 
jectione,  eine  Flasche  mit  einer  Lösung  von  Strychnin,  Atropin,  Mor- 
phin etc.  bereitstehen. 

Die  Strychninlösung  wird  folgende  sein:  Strychnini  nitr.  0,05, 
Aqua  destill.  10,0.  Von  dieser  sterilisierten  Lösung  injiziert  man  ^/.^  bis 
'^j,2  Spritze.  Von  Atropin  hält  man  eine  Lösung  von  Atropini  tuffru".  O.Ol, 
Aqua  dest.  10,0  bereit,  von  welcher  man  ^/^  bis  1  Spritze  injiziert. 
Das  Moi-phin  ist  in  folgender  sterilisierter  Lösung  anzufertigen.  Morphin, 
muriat.  0,2,  Aqua  destill.   20,0.      Hiervon  werden   1   Spritze  injiziert. 

Daneben  liegen  in  einem  Glaskasten  mit  Glasdeckel  zugedeckt  in 
steriler  Watte  zwei  ausgekochte,  gut  funktionierende  Pravazspritzen  mit 
mehreren  mittelstarken  Nadeln,  fertig  zum  Gebrauch.  Der  ganze  Inhalt 
dieses  Glaskastens  ist  sterilisiert,  und  der  Kasten  wird,  nachdem  er  geöffnet 
und  eine  Spritze  gebraucht  ist,  weggenommen  und  durch  einen  neuen  ste- 
rilen ersetzt.    Alles  dies  muss  an  seinem  bestimmten  Platz  stehen  nach  der 


—     220 


Reihenfolge,  nicht  einmal  hier  und  morgen  dort,  sondern  so  geordnet,  wie 
es  der  Narkotiseur  gewöhnt  ist.  Dadtirch  weiss  er  sofort,  wo  er  das,  was 
er  wünscht,    zu    suchen    hat.      Dabei    muss  jede  Flasche    eine   deutliche 


Fig.  82.    Zange  nach 
Muzeux. 


Fig.  83.    Köberle-  oder 
Pean-Zange. 


Fig.  84.    Zange  zum  Halten 
der  Tupfer  u.  Schwämme. 


Signatur  des  Inhalts,  welcher  natürlich  sterilisiert 
sein  muss,  aufweisen,  damit  keine  Verwechslung 
möglich  ist.  Die  Flaschen  selbst  müssen  aus 
dunklem  Glas  mit  weitem  Hals  und  Glaspfropfen 
versehen   sein. 

§  86  c.  Der  Tisch  besitzt  noch  eine^zweite 
Abteilung,  die  unter  der  Platte  sich  befindet. 
Daselbst    steht    eine    grosse   Glasschale    von  der 


Fig.  85.     Irrigator  auf 
Gestell  und  Tisch. 


86.    Irrigator  mit  Glasdeckel  und  Flasche  als 
Irrigatorgeiäss. 


—     221     — 

Grösse  der  Tischplatte-  mit  einer  pusseudeu  Glasplatte  versclilossen.  Der 
Inhalt  der  Glasschale  stellt  die  sterilisierten  Instrumente  für  die  Tracheo- 
tomie  dar.  Man  ündet  darin  all^s,  was  für  eine  Tracheotomie  nötig 
ist,  einige  Messer,  zwei  krumme,  zwei  spitze  Scheren,  mehrere  Koberles, 
zwei  Paar  scharfe  Häkchen,  ein  Paar  doppelte  scharfe  Häkchen,  ver- 
schiedene Nadeln  mit  Seidenfäden,  zwei  Nadelhalter,  verschiedene  Ca- 
nülen,  mehrere  Katheder  und  Schlundsonden,  zwei  Paar  stumpfe  Haken, 
Kornzangen  und  Klemmen,  und  Avas  sonst  noch  nach  persönlichen  Wunsche 
des   Narkotiseurs  dazu  gehören  sollte. 

Auf  dem  Tische  auf  der  oberen  Platte  sind  noch  mehrere  lange 
Stieltupfer  und  Zangen  für  Schwämme,  wie  Figur  84  zeigt,  bereit,  mit 
denen  man   den  Schleim   aus   dem  Halse   und  Kehlkopfe   entfernen  kann. 

§  86  d.  Abseits  neben  dem  Tischchen  sehen  wir  einen  auf  einem 
verschiebbaren  Gestell  befindlichen  Irrigator  mit  langem  Guramischlauch 
Fig.  85.  An  dem  Gummischlauch  ist  ein  dreieckiges  Glasrohr  angebracht, 
dessen  einer  Schenkel  mit  einem  Gummirohr  in  Verbindung  steht, 
welches  in  einen  Schmutzeimer  führt,  dessen  drittes  Ende  mit  einer 
Schlundsonde  oder  einem  anderen  Ansatzstück,  welche  alle  in  einer 
Glasschale  nebst  einigen  Kathetern  und  Glasröhren  sterilisiert  daneben 
liegen,  verbunden  werden  kann.  Die  Gummischläuche  sind  durch 
Quetschhähne  zu  verschliessen.  In  dem  Irrigator  befindet  sich  an- 
gewärmte Kochsalzlösung,  die  vorher  sterilisiert  wurde.  Der  Irrigator, 
wie  in  Fig.  86,  ist  entweder  mit  einem  Glasdeckel  verschlossen  oder 
wird  von  einer  Flasche  gebildet.  Derselbe  muss  vor  jeder  Oj^eration 
sterilisiert  werden,  wenigstens  jeden  Morgen,  wenn  er  an  dem  Tage 
noch  nicht  gebraucht  wurde.  Dieser  Irrigator  dient  zu  Magen-  und 
Rektalspülungen. 

§  86  e.  Daneben  steht  ebenfalls  auf  einem  leicht  durch  Räder 
bewegbaren  Gestell  eine  grosse  Glasflasche,  welche  5 — 6  Liter 
wenigstens  fasst.  Dieselbe  hat  drei  Öffnungen  am  Boden,  an  welche 
Gummischläuche  angebracht  sind.  Diese  Gummischläuche  sind  sterilisiert 
mit  Quetschhähnen  verschlossen  und  haben  eine  Länge  von  3 — 3^2  ™- 
An  ihr  Ende  sind  je  eine  Nadel  zur  Infusion  angebracht,  AA^elche  in 
einem  Glasgefäss  in  steriler  Kochsalzlösung  liegen,  welches  Gefäss  am 
Ständer  angebracht  ist.  Man  braucht  nur  eine  der  Nadeln  zu  erfassen, 
unter  die  Haut  zu  stossen  und  den  Quetschhahn  zu  öffnen,  um  eine  In- 
fusion voi'zunehmen.  Durch  die  drei  Schläuche  kann  man  an  drei  Stellen 
zu  gleicher  Zeit  Kochsalzlösung  infundieren,  ein  Vorteil,  welcher  nicht 
zu  verkennen  ist.  Diese  Flasche  ist  in  ihrer  Öffnung  durch  einen 
Stopfen  vei-schlossen,  welcher  ein  zweimal  rechtwinklig  gebogenes  Glas- 
rohr trägt,  das  somit  nach  unten  offen  steht,  wodurch  keine  Bakterien 
hineingelangen  können,  wohl  aber  Luft.  Indem  man  dies  Rohr  mit 
einem  Gummischlauch  verbindet,  kann  man  frische  heis$e  Kochsalz- 
lösung in  die  Flasche  hebern  oder  durch  Druck  spritzen.  An  dem 
Gestell  ist,  unter  dem  Boden  der  Glasflasche  ein  Gasbrenner  oder 
ein  Spiritusbrenner  angebracht,  welcher  das  Wasser  in  der  Flasche, 
die  aus  Glas,  das  durch  die  Hitze  nicht  springt,  hergestellt  ist,  auf  der 
gewünschten    Temperatur    erhält.      Ein    Thermometer    führt    von    oben 


222     — 


durch  den  Stopfen  in  die  Mitte  der  Flüssigkeit  und  zeigt  die  Temperatur 
an.  Man  fertigt  den  Apparat  auch  aus  Blech  an,  ganz  ähnlich  dem  aus 
Glas,  wodurch  die  Gefahr,  dass  das  Glas  springt  usw.  vermieden  wird. 
Das  Stativ,  welches  auch  nicht  unbedingt  nötig  ist,  ist  so  gebaut,  dass 
der  Apparat  beliebig  gehoben  und  gesenkt  werden  kann,  je  nach  den 
Verhältnissen,  die  einen  bestimmten  Druck  erfordern.  Au  dem  Stativ 
sind  Behälter  mit  Deckeln  vorhanden,  in  denen  die  Nadeln  und 
Troikarts  steril  aufbewahrt  werden.  Dieser  Infusionsapparat  ist  für 
Kliniken  und  Operationssäle  sehr  praktisch.  In  der  Praxis  kann  man 
ihn  natürlich  durch  jeden  Irrigator  ersetzen.  Man  kann  mit  diesem 
Infusionsapparat  auch  eine  Druchrieselung  der  Bauchhöhle  oder  eine 
Infusion  intravenös  vornehmen.  Zu  beiden  Operationen  ist  er  gleich 
praktisch.  Die  drei  Gummirohre  ermöglichen  also  zu  gleicher  Zeit 
eine  Infusion,  Magenspülung  und  Durchrieselung  der  Bauchhöhle.  Es 
kann  jedenfalls  nicht  grössere  Bequemlichkeit  geschafft  werden,  aller- 
dings kommt  diese  Einfachheit  im  Apparat  auch  dem  Kranken  zu  gute, 
denn  es  wird  ermöglicht,  durch  einen  Apparat  dreierlei  herzstärkende 
Manipulationen  vorzunehmen.  Der  Apparat  ist  vom  Verfasser  konstruiert 
und  durch  jeden  Instrumentenhändler  von  demselben  zu  beziehen. 
Natürlich  muss  man  für  eine  peinliche  Sauberkeit  sorgen,   der  Apparat 

muss  wenigstens  teil- 
weise öfter  sterilisiert 
werden.  Die  Tempe- 
ratur der  Lösung  kann 
auch  durch  Zufuhr 
von  heissem  oder  kal- 
tem Wasser  durch  die 
U- förmig  gebogene 
Röhre  geändert  wer- 
den. An  die  Gummi- 
rohre lassen  sich  sämt- 
liche Ansätze  anbrin- 
gen. Durch  eine  Me- 
chanik kann  die  Fla- 
sche leicht  gehoben 
und  gesenkt  werden, 
je  nach  dem  Druck, 
welcher  gebraucht 
wird.  Ausserdem  lässt 
sich  der  Druck  auch 
durch  die  Hähne  än- 
dern, d.  h.  vermindern 
wenn  nötig. 

Ausser  diesem  Apparat  ist  noch  ein  Sauerstoffapparat  in  der  Nähe 
des  Narkotiseurs  vorhanden,  welcher  ihm  Sauerstoff  liefert  falls  er 
solchen  bedarf.  Derselbe  wird  zweckmässig  durch  den  Michaelischen 
Sauerstoffapparat  Fig.  34  und  35  gebildet,  aus  welchem  der  Narkotiseur 
jederzeit  Sauerstoff  dem  Kranken  zuführen  kann,  meist  durch  Inhalation. 


Fig.  87.    Vorrichtung  zum  Fixieren  des  Kopfes  in 
der  Lage  nach  "Witzel  in  Ansicht  von  oben  seitlich. 


223 


§  86 f".     Nun  sollen  zum  Schluss  noch  einige  AVovte  über  die  zur  Nar- 
kose praktischsten  Tische  gesagt  werden.      Wie  wir  bereits  aus  früheren 
Erwägungen    wissen,    ist    die    Lagerung    mit   tiefer   liegendem   Kopf  die 
beste.      Zu     diesem    Zwecke    kann 
man   jeden    Operationstisch    verwen- 
den.     Witzel    hat    eigens    zu    seiner 
Methode     einen     Tisch     konstruiert, 
welcher  nicht    ohne   grosse   Vorteile 
alle   Wünsche    des    Narkotiseurs   für 
die    Lagerung    des    Kranken    erfüllt. 
Wer    aber  den   Tisch  nicht  neu  an- 
schaffen   kann,     der    kann    ebenfalls 
an  den  bisher   üblichen   Formen   die 
richtige     Lagerung     erreichen.       Ja 
man  kann  sogar  jeden  gewöhnlichen 

vierbeinigen  Tisch  im  Privathaus  verwenden.  Um  die  Kopfhaltung 
nach  Witzel  dem  Narkotiseur  zu  erleichtern  und  zu  verhindern,  dass 
am  gewöhnlichen  Operationstische  der  Kopf  nach  hintenüber  fällt, 
habe  ich  eine  an  jedem  Tisch  anzubringende  Vorrichtung  konstruiert, 
welche  wie  die  Fig.  87  und  88  zeigt,  den  Kranken  in  der  gewünschten 
Kopfhaltung  zu  verweilen  zAvingt.  Der  Ko})f  wird  dabei  über  eine 
gepolsterte  Erhöhung  in  Nacken  gebeugt  und  durch  einen  Stirnriemen 
festgehalten.  Dadurch  wird  dem  Narkotiseur  das  Halten  des  Kopfes 
genommen  und  doch  bewirkt,  dass  erstens  der  Speichel  aus  dem  Munde 
läuft,  dass  zweitens  der  Zungengrund  durch  den  Muskelzug  nach  vorn 
gebracht  Avird. 


Dieselbe    Vorrichtung-    in 
seitlicher  Ansicht. 


IX.  Kapitel. 

Der  Narkotiseur. 


Mit  dieser  Ueberschrift  ist  ein  Thema  gegeben,  welches  wegen 
seiner  enormen  Wichtigkeit  eine  genauere  Behandlung  in  eingehender 
Weise  verdient.  Was  hängt  nicht  von  dem  Narkotiseur  alles  ab,  welche 
Verantwortung  ruht  nicht  auf  seinen  Schultern,  sowohl  in  strafrecht- 
licher als  in  rein  menschlicher  Hinsicht!  Wollen  wir  zunächst  einmal 
erörtern,  wer  die  Narkose  leiten   soll. 

§  87.  Es  war  früher  allgemein  Usus,  die  Narkose  als  ein  neben- 
sächliches Ding  zu  betrachten.  Die  Leitung  derselben  wurde  meist  als 
ein  sehr  lästiges  Amt  betrachtet  und  in  den  meisten  Fällen  dem  jüngsten 
Assistenzai'zte  übergeben.  Derselbe  bekam  den  Patienten  zum  ersten 
Male  zu  sehen,  kurz  vor  der  Narkose,  er  kannte  seine  körperlichen 
Verhältnisse  gar  nicht.  Aber  oftmals  war  es  nicht  einmal  ein  Arzt, 
welcher  die  Narkose  leitete,  sondern  man  übergab  sie  einer  Pflegerin, 
einem  Heilgehilfen  oder   einem  Studenten.     Die  ersteren  beiden  Personen 


—     224     — 

waren  sich  jedenfalls  nicht  dei  grossen  Aufgabe  bewiisst,  welche  ihnen 
zu  Teil  wurde,  sie  besassen  ja  gar  nicht  die  Fähigkeiten,  eine  Nar- 
kose zu  leiten.  Sie  können  wohl  Chloroform  aufgiessen,  oder  Aether 
in  grossen  Mengen  in  die  Maske  schütten,  aber  von  einer  Beobachtung 
des  Patienten  ist  bei  solchen  Personen  meist  gar  keine  Rede.  Das  war 
ja  etwas  anderes,  wenn  junge  Aerzte,  die  sich  praktisch  weiter  ausbilden 
wollten,  die  Narkose  in  die  Hand  bekamen.  Sie  besassen  vielleicht  die 
Fähigkeit  zu  beobachten,  doch  sie  hatten  ihre  Augen  auf  den  Händen 
des  Operateurs,  und  verfolgten  mit  Interesse  die  Operation,  ohne  viel 
der  Narkose  die  gebührende  Beobachtung  zxi  schenken.  Und  doch  ist 
in  vielen  Fällen  die  Narkose  ein  viel  schwierigeres  Unternehmen,  als 
die   Operation. 

In  England  hat  man  mehr  als  in  Deutschland  den  hohen  Wert 
einer  fachgemässen  Leitung  der  Narkose  erkannt.  Dort  legt  man  die 
Betäubung  in  die  Hände  eines  Arztes,  welcher  für  die  Ausführung  aller 
Narkosen  angestellt  ist.  Wenn  auch  derselbe  nicht  alle  Narkosen  selbst 
ausübt,  so  überwacht  er  doch  jede,  und  es  Avird  keine  solche  vor- 
genommen, ohne  dass  derselbe  sein  Urteil  abgegeben  hat.  Er  prüft 
alle  Umstände,  gibt  die  Art  der  Narkose  an,  imd  überwacht  die 
Handhabung. 

Das  ist  ein  sehr  wichtiges  Beginnen.  Wir  können  jetzt  nicht 
mehr  von  einer  Narkosenmethode  S]3rechen,  sondern  wir  müssen  eine 
Narkosenwissenschaft  anerkennen.  Es  ist  nicht  nur  eine  Technik, 
die  jedermann  erlernen,  sondern  es  ist  eine  Wissenschaft,  welche  nur 
der  medizinisch  durch  und  durch  gebildete  Arzt  verstehen  und  richtig 
ausüben  kann.  Ist  wohl  ein  Krankenpfleger  imstande  zu  entscheiden, 
ob  in  einem  Falle  von  Herzsynkope  Massage  angewandt  werden  darf, 
oder  nicht?  Wie  soll  er  denn  die  Verhältnisse  klarlegen?  Er  hat  ja 
keine  Ahnu.ng  von  den  interkun'ierenden  Krankheiten  und  deren  Ein- 
fluss  auf  das  Herz,  er  wird  probieren  und  da  ihm  in  vielen  Fällen 
Herzmassage  guten  Erfolg  gebracht  hat,  so  Avird  er  dieselbe  stets  an- 
wenden, und  auch  in  demjenigen  Falle,  in  welchem  er  sie  unter  keinen 
Umständen  auAA'enden  dürfte.  Hier  wird  natürlich,  Aveil  die  Massage 
wegen  Herzschwäche  kontraindiciert  war,  der  Patient  sterben,  allein,  wer 
kann  ihm  jetzt  noch  nacliAveisen,  dass  die  Massage  das  Herz  erst  noch 
ganz   zu  gründe  gerichtet  hat? 

Es  gibt  jetzt  eine  so  grosse  Menge  von  Spezialfächern  in  der 
Medizin,  aber  keines  wird  mehr  Berechtigung  haben  von  den  in  neuerer 
Zeit  sich  abgeschiedenen  Spezialfächern,  als  das  für  die  Narkosen- 
wissenschaft. Es  gibt  eine  Rhinologie ,  X,aryngologie ,  Balneologie 
und  so  viele  andere  mehr,  warum  soll  es  nicht  auch  eine  Narkologie 
geben?  Es  ist  nur  eine  Frage  der  Zeit,  und  auch  in  Deutschland 
Avird  sich  die  Aenderung  in  den  chirurgischen  Kliniken  einstellen,  und 
wir  werden  besondere  Aerzte  anstellen,  welche  nur  die  Leitung  der 
Narkose  übernehmen.  Die  grosse  Ausdehnung  des  wissenschaftlichen 
Materials  macht  es  auch  nötig,  dass  an  den  Universitäten  Vorlesungen 
über  Narkologie  gehalten  werden,  damit  auch  den  Studierenden  ein 
besserer  Einbhck    in    die  Tiefe    der  Narkosenwissenschaft   geboten  wird, 


-     225     — 

und  damit  die  jungen  Aerzte  dadurcli  schon  einen  besseren  Grund  ge- 
legt erhalten  zum  Verständnis  der  Narkosenleitung.  Dann  darf  es  aller- 
dings auch  nicht  vorkommen,  dass  die  Leitung  einer  Narkose  in  die 
Hände  einer  Krankenpflegerin  gelegt  wird.  Kein  Chirurg  gestattet  einer 
PHegerin  oder  einem  Heilgehilfen  ein  Panaritium  zu  inzidieren,  und 
doch  ist  dabei  nicht  soviel  wissenschaftliche  Bildung  notwendig,  als  bei 
der  Ausführung  einer  Narkose,  deren  Leitimg  er  aber  dem  Laien  ohne 
weiteres  überliess. 

§  88.  Damit  dem  Kranken  während  der  Narkose  in  jeder  Mi- 
nute eine  ungeheuer  grosse  Gefahr,  die,  wenn  sie  der  Laie  kennen 
würde,  ihn  sicher  davon  abhielte  sich  betäuben  zu  lassen,  verhütet 
werde,  muss  der  Arzt  mit  seiner  ganzen  geistigen  Kraft  den  Gegen- 
stand seiner  Tätigkeit  verarbeiten,  er  muss  denken,  muss  in  jedem 
Augenblick  denken,  sehen,  handeln.  Aber  diese  drei  Anforderungen 
sind  nicht  leicht  erfüllt.  Damit  der  Narkotiseur  denken  kann,  muss 
er  zunächst  durch  keine  äusseren  Eindrücke  in  Anspruch  genommen 
Averden,  er  muss  sich  nur  mit  seinem  Kranken  beschäftigen.  Und 
Avährend  er  denkt,  muss  er  auch  sehen.  Dies  Wort  ist  hier  mehr 
allgemein  als  Sammelbegriff  für  fühlen,  sehen,  hören,  empfinden  etc. 
aufzufassen,  denn  mit  Sehen  allein  kommt  er  nicht  aus,  und  wir 
haben  kein  Wort,  das  alle  diese  Tätigkeiten  ausdrückt  in  unserer 
Sprache.  Durch  dieses  „Sehen"  geht  er  in  seinem  Kranken  ganz  auf. 
Er  betrachtet  seine  Hautfarbe,  fühlt  nach  dem  Puls  und  hört  auf  die 
Atmung,  prüft  die  Reflexe  etc.  So  verschafft  er  sich  einen  Gesamt- 
eindruck von  dem  Zustande,  in  welchem  sich  sein  Patient  in  jeder 
Minute,  ja  Sekunde,  befindet.  Derselbe  ändert  sich  aber  in  jedem 
kleinsten  Zeitraum,  imd  deshab  muss  der  Narkotiseiir  immer  scharf  be- 
obachten und  nicht  gestört  oder  abgelenkt  werden,  um  immer  über 
seinen  Kranken  vollkommen  orientiert  zu  sein.  Aus  dem  folgt  dann 
das  Handeln  des  Narkotiseurs,  Avelches  entweder  in  Verabreichen  oder 
Sistieren  von  Narkotikumdosen  besteht,  oder  in  dem  Verhüten  etwa 
vorhandener  Gefahren,  oder  in  dem  Bekämpfen  der  eingetretenen.  Dies 
alles  ist  eine  sehr  grosse  und  schwere  Aufgabe,  die  der  Arzt  beim  Ein- 
leiten  einer  Narkose   übernimmt. 

Nur  eine  tiefe  wissenschaftliche  Bildung  kann  den  Narkotiseur  in 
den  Stand  setzen,  alles  das  in  dem  gegebenen  Moment  richtig  durch- 
zuführen. Allein,  diese  Avissenschaftliche  Bildung  sollte  nicht  so  ver- 
nachlässigt werden  in  bezug  zuf  die  Narkose,  denn  jeder,  der  ein 
wissenschaftlich  gebildeter  Nai'kotiseur  sein  will,  muss  auch  die  Wissen- 
schaft in  Rücksicht  auf  die  Narkose  studiert  haben.  Jetzt  ist  es  nur 
einigen  wenigen  Forschern  möglich,  sich  mit  der  wissenschaftlichen 
Narkose  zu  beschäftigen.  Dadurcli  aber,  dass  die  Narkose  in  die  Hand 
von  bestimmten  Aerzten  gelegt  wird,  wird  die  Wissenschaft  noch  weiter 
ausgebildet  und  auch  weiteren  ärztlichen  Kreisen  zugänglich  gemacht 
werden.  Ausserdem  können,  wenn  bestimmte  Personen  sich  ausschliess- 
lich mit  der  Kunst  zu  narkotisieren  beschäftigen,  die  wissenschaftlichen 
Beobachtungen  besser  verwertet  w^erden,  das  Material  kann  besser  zum 
Nutzen    der  Menschheit    und    zum   Erweitern    und    grösseren     Ausbauen 

15 


—     226     - 

der  Wissenschaft  verwertet  werden,  als  bisher,  wo  die  Narkose  in  vielen 
Fällen  von  ungeübten  Händen  geleitet  Avorden  war.  Denn  die  Be- 
obachtungen und  Aufzeichnungen  sind  bis  jetzt  oftmals  nicht  von  dem 
Wert,  als  Avie  sie  es  sein  könnten.  Nehmen  wir  z.  B.  den  jetzigen 
Stand  der  Todesfälle  während  der  Narkose  an.  Früher  rechnete  man 
mit  einem  Verhältnis,  das  riesig  günstig  erschien,  wo  früher  10000 
stand,  steht  jetzt  100.  Dies  ist  ein  Zeichen,  nicht  dass  jetzt  mehr 
Menschen  in  der  Narkose  sterben,  sondern  dass  man  in  der  Wissenschaft 
der  Narkose  weiter  vorgedrungen  ist,  und  jetzt  die  Einwirkungen  der 
Narkotika  auch  in  weiteren  Beziehungen  wie  früher  kennen  gelernt  hat. 
Früher  kannte  man  noch  nicht  die  Nachwirkung  nach  Chloroform  und 
Aether,  man  bezog  den  protrahierten  Chloroformtod  auf  ganz  andere 
Momente  und  ebenso  in  vielen  weitei'en  ähnlichen  Beziehungen.  Somit 
haben  wir  die  Erklärung  für  die  zu  Ungunsten  der  Narkotika  ermittelten 
Zahlen.  Da  man  nun  früher  eine  ganz  enorme  Anzahl  von  Todesfällen 
nicht  mitgerechnet  hat,  so  kann  man  auch  diese  Statistiken  in  unseren 
jetzigen  Zeiten  nicht  mit  verwerten.  Wir  müssen  jetzt  bemüht  sein, 
neue  Statistiken  zu  bilden,  wie  dies  ja  schon  in  vielen  Fällen  in  lobens- 
werter Weise  geschieht.  Aber  diese  Statistiken  können  erst  Wert  er- 
langen, wenn  die  Wissenschaft  der  Narkose  in  einheitlichere  Bahnen 
gelenkt  Avoi'den  ist.  Was  nützen  denn  die  Statistiken,  wenn  bei  den 
angeführten  Fällen  keine  einheitliche  Methode  zu  Griinde  liegt,  wenn 
der  eine  noch  100  Fälle  überliefert,  in  denen  er  nach  der  Genfer 
Methode  narkotisierte,  und  daneben  stehen  andere,  die  nach  der 
modernen  Tropfmethode  ausgeführt  Avurden.  Ferner  liegt  auch  noch 
keine  Einheit  in  den  Beurteilungen  der  Folgezustände  vor.  Der  eine 
bezieht  das  auf  die  Nai'kose,  AA^as  der  andere  durch  eine  nicht  mit  der 
Narkose  zusammenhängende  Ursache  erklären  Avill.  Es  ist  eben  noch 
zu  viel  geteilte  Meinung  in  dieser  jungen  Wissenschaft.  Das  Avird  sich 
ändern,  sobald  die  Wissenschaft  anerkannt  ist,  um,  Avie  alle  anderen, 
eine  gleich  angesehene  Stellung  im  grossen  Reiche  geistiger  Betätigung 
einzunehmen.  Damit  die  Narkologie  aber  diese  Stellung  erreicht,  muss 
jeder  Narkotiseur  voUbeAvusst  seiner  heiligen  Pflichten  gegen  die  Wissen- 
schaft, mit  ganzer  Seele  in  seiner  Disziplin  ai'beiten  und  das  wissen- 
schaftlich A'erAverten,  Avas  er  Gelegenheit  hat  täglich^  zu  beobachten. 
Mit  dem  geistigen  Auge  muss  er  sehen  und  sichten,  und  bald  wird  er 
bemei'ken,  wie  sich  so  manches  dunkle  und  ungekannte  Gebiet  ihm 
erschliesst,  mit  seinem  geistigen  Lichte  wird  er  es  erleuchten  und  ver- 
werten, indem  er  auch  seinen  Baustein  zu  dem  allgemeinen  grossen 
Werke  beiträgt. 

§  89.  Nach  diesen  abschweifenden  Betrachtungen  kehren  Avir 
Avieder  zurück  zu  dem  Narkotiseur.  Wie  oben  schon  bemerkt,  lastet 
eine  grosse  Verantwortung  auf  seinen  Schultern,  und  so  wollen  Avir  hier 
dieselbe  noch  ein  Avenig  erläutern.  Es  drohen  dem  Kranken  durch  die 
Einleitung  der  Narkose  eine  Reihe  von  Gefahren.  Dieselben  sind  erstens 
solche,  welche  von  dem  Narkotikum  direkt  herrühren,  gegen  die  wir 
nicht  angehen  können.  Allein  ein  anderer  und  bei  weitem  der  grössere 
Teil  der   Gefahren,  welche  dem  Kranken  überhaupt   während    der  Nar- 


-     227     — 

küso  drohen,  können  entweder  durch  die  Kunst  des  Narkotiscurs  ver- 
hindert werden,  oder  sie  werden  durch  direkten  Fehler  desselben  herauf- 
beschworen, oder  sie  entstehen  durch  Unkenntnis  des  Narkotiscurs  etc. 
Das  Eintreten  der  ersteren  Art  von  Gefahren,  Avelche  er  verhindern 
kann ,  werden  ihm  bei  ihrem  Auftreten  ohne  sein  Gegenhandehi  den 
Vorwurf  der  Nachlässigkeit  nicht  ersparen  können,  die  zweite  Art, 
welche  durch  Fehler  in  seinem  Handeln  entstehen,  machen  ihn  eben- 
falls für  die  Folgen  verantwortlich,  und  die  dritte  Art,  machen  ihm  den 
Vorwurf  der  Unkenntnis,  d.  h.  er  ist  in  seinem  Fach  nicht  erfahren  und 
gebildet  genug,  um  diese  Kunst  auszuüben.  Wir  sehen  aus  diesen  nur 
wenigen  Gefahren,  an  die  wir  erinnert  haben,  dass  die  Verantwortung 
eine  sehr  grosse  ist.  Es  kommt  ja  in  den  meisten  Fällen  nur  die  Ver- 
antwortlichkeit vor  dem  eigenen  Gewissen  in  Betracht,  denn  der  Straf- 
richter wird  nur  in  seltenen  Fällen  dazAvischen  zu  treten  haben.  Eine 
Menge  von  Fehlern  sind  nur  von  Sachverständigen  zu  beurteilen,  und 
dann  oftmals  auch  nur  in  dem  Moment  des  Vorganges.  Natürlich  kann 
der  Sachverständige  oftmals  auch  nach  der  Narkose  noch  entscheiden, 
ob  ein  Fehler  des  Narkotiseurs  vorgelegen  oder  nicht.  Nun,  wenn  man 
auch  in  den  seltensten  Fällen  den  Strafrichter  zu  fürchten  hat,  so  ist 
doch  das  Gewissen  ein  ebenso  strenger  Richter  im  Menschen,  vielleicht 
bei  manchen  ein  strengerer  als  der  Strafrichter.  Deshalb  wird  jeder 
Arzt  sich  eine  entspi'echende  Ausbildung  aneignen  müssen ,  wenn  er 
narkotisieren  will. 

§  90.  Wir  treten  hierbei  an  den  Punkt,  zu  entscheiden,  ob  man 
die  Narkose  in  die  Hände  eines  Laien  legen  darf  Im  Krankenhause 
und  in  der  Stadt  wird  man  entschieden  dem  entgegentreten  müssen, 
einen  Laien  mit  der  Handhabung  der  Narkose  zu  betrauen.  Es  ist  ganz 
unmöglich,  dass  ein  solcher  dieselbe  leiten  kann,  und  es  ist  der  Operateur 
ganz  entschieden  im  Falle  eines  Narkosentodes  für  den  Tod  verantwort- 
lich, man  wird  eine  Fahrlässigkeit  hier  ganz  entschieden  sehen  müssen,  und 
es  wird  eine  fahrlässige  Tötung  im  Sinne  des  Strafgesetzes  vorliegen  können 
wenn  ein  Laie  narkotisierte.  Es  ist  Bestimmung,  dass  stets  ein  Arzt  die 
Narkose  leiten  muss,  wenn  nicht  aussergewöhnliche  Fälle  vorliegen. 
Dann  muss  der   Operateur   selbst  im  Notfalle  dieselbe  überwachen. 

Anders  liegen  die  Verhältnisse  auf  dem  Lande.  Wenn  der  prak- 
tische Arzt  nachts  zu  einem  Kranken,  sagen  wir  zu  einer  Entbindung, 
gerufen  wird,  so  ist  es  in  den  meisten  Fällen  unmöglich,  einen  zweiten 
Arzt  zu  rufen.  Wenn  es  natürlich  angeht,  so  soll  man  einen  solchen 
für  die  Ausführung  der  Narkose  zuziehen.  Wenn  es  aber  nicht  mög- 
lich ist,  so  wird  man  natürlich  die  Maske  von  der  Hebeamme  halten 
lassen,  oder  von  einer  andern  Person,  immer  aber  muss  man  sich  be- 
wusst  sein,  dass  die  ganze  Verantwortung  auf  den  eigenen  Schultern 
ruht.  Deshalb  muss  der  Arzt  mit  grosser  Vorsicht  zu  Werke  gehen 
und  verschiedene  Punkte  vorher  erwägen.  Diese  sind  die,  ob  überhaupt 
Narkose  nötig,  oder  Lokalanästhesie,  welches  Narkotikum  zu  wählen, 
welche  Art  der  Dosierung  etc. 

§  91.  Die  Entscheidung,  ob  Narkose  überhaupt  nötig  ist,  muss 
Folgendes  bedenken:     Wenn  man  die  Operation   ohne  Narkose   ausführt, 

15* 


—     228     — 

trägt  dann  der  Patient  grossen  Schaden  davon?  Es  ist  ja  in  vielen 
Fällen  eine  Narkose  nicht  so  unbedingt  nötig,  dass  durch  ihr  Unter- 
lassen der  Kranke  Schaden  erleidet.  Man  wird  in  vielen  Fällen  die 
Narkose  unterlassen   können. 

Weiterhin  niuss  man,  wenn  die  Narkose  unbedingt  notwendig  ist, 
das  für  den  Kranken  am  wenigsten  Gefahren  mit  sich  bringende  Nar- 
kotikum wählen,  vor  allen  Dingen  ein  solches,  welches  nicht  kumulie- 
rend wirkt,  wie  etwa  Chloroform,  sondern  an  dessen  Stelle  lieber  Äther. 
Wenn  sich  auch  die  Gefahren  beider  die  Waage  ziemlich  halten,  so  ist 
doch  eine  gesundheitliche  Schädio-ung  oder  Lebensgefahr  bei  der  Ather- 
narkose  nicht  so  gross,  wie  bei  der  Chloroformbetäubung.  Aber  dies  ist 
natürlich  nicht  die  einzige  Hinsicht  bei  der  Wahl  des  Narkotikums.  Es 
kommen  noch  viele  andere  Momente  hinzu,  und  so  muss  der  Arzt  in 
jedem  Falle  besonders  entscheiden.  Ferner  darf  er  die  Narkose  nur 
soweit  aus  der  Hand  geben,  als  er  der  Person  das  Tropfen  des  Nar- 
kotikums und  das  Halten  der  Maske  überlässt,  während  er  in  jeder 
Hinsicht  die  Narkose  selbst  leitet.  Er  hat  bei  Operationen  ein  gutes 
Merkmal  in  der  Blutung,  Stärke  derselben  und  der  Farbe  des  Blutes 
Wird  die  Blutung  schwächer,  so  droht  Gefahr  von  Seiten  des  Herzens, 
Avird  das  Blut  dunkel  bis  sclnvarz,  so  ist  eine  Atembehinderung  im 
Anzüge,  das  Blut  ist  mit  Kohlensäure  überschwemmt  und  es  besteht 
Sauerstofimangel.  Aber  er  muss  diese  Symptome  schon  frühzeitig  ent- 
decken, damit  sein  Einschreiten  nicht  event.  zii  spät  geschieht.  Es  ist 
in  jeder  Hinsicht  eine  Riesenarbeit  für  einen  Arzt,  zu  operieren  und 
zu  gleicher  Zeit  die  Narkose  zu  leiten.  Nicht  allein  schon  wegen  der 
Asepsis  etc.  wird  ihm  grosse  Schwierigkeit  bereitet,  sondern  auch  in  dem 
Übersehen  so  wichtiger  kleiner  Anzeichen  kann  ihn  ein  grosses  Unheil 
überraschen.  Deshalb  kann  es  sich  in  solchen  Fällen  nur  um  kurz- 
dauernde kleine  Operationen  handeln,  bei  denen  nur  kurze  Narkose 
nötig  ist.  Jedenfalls  Avird  er  in  vielen  Fällen  besser  mit  einer  Methode 
der  lokalen  Betäubung  zum  Erfolg  kommen. 

Es  ist  leider  in  der  Hinsicht  der  Wahl  und  Anwendung  der  ver- 
schiedenen Narkosen  und  Anästhesierungsmethoden  noch  bei  den  Ärzten 
eine  grosse  UuAvissenheit  vorhanden.  Wenn  erst  die  lokalen  Anästhe- 
sierungsmethoden das  Allgemeingut  der  Ärzte  geworden  sein  Averden, 
dann  Avird  auch  noch  manche  Gefahr  vermieden  werden,  und  manche 
schlechte  Narkose  ohne  Assistenz  wird  durch  eine  lokale  Methode  der 
Betäubung  besser  ersetzt  Averden,  ohne  dass  der  Kranke  Schmerzen 
empfindet,  und  mehr  zu  seinem  Nutzen.  Deshalb  ist  dem  Arzt  eine  bessere 
Ausbildung,  eine  reichlichere  Gelegenheit  zum  Erlernen  der  verschiedenen 
Älethoden  zu  geben,  überaus  notwendig.  Man  liest  jetzt  oft  von  Kiirsen 
zur  Aveiteren  Ausbildung  der  Ärzte,  so  müsste  auch  ein  Kursus  zur 
Ausbildung  in  dieser  Wissenschaft  Aiel  öfters  gehalten  Averden,  denn 
gerade  unsere  Wissenschaft  schreitet  rasch  fort  in  der  EntAvickelung, 
und  die  neueren  Methoden  werden  den  praktischen  Ärzten  auf  andere 
Art  schwer  bekannt. 

Der  Narkotiseur  muss  für  die  Leitung  der  Narkose  eine  a-o11- 
kommen     sichere    Kenntnis     von     den     körperlichen    Verhältnissen     des 


—     229     — 

Kranken  erhalten  haben,  und  er  kann  dies  nur  dann,  wenn  er  die 
Kranken  an  den  Tagen  vorher  untersucht  hat.  Diese  Untersuchung 
kann  Hand  in  Hand  mit  denen  des  Stationsarztes  gehen,  der  letztere 
muss  durch  Mitteilung  seiner  Beobachtungen  den  Narkotiseur  unter- 
stützen. Es  würde  an  grossen  Anstalten  ganz  unmöglich  sein,  dass  der 
Narkotiseiu-  ohne  diese  Hilfe  auskommt,  doch  mit  derselben  wird  ihm 
die  Vervollkommnung  seiner  Kenntnisse  möglich.  Er  wird  mit  der 
Zeit  eine  grosse  Fertigkeit  erlangen  im  Beurteilen  eines  Menschen  in 
Hinsicht  einer  vorzunehmenden  Narkose.  Das  wird  ihm  sehr  zu  Gute 
kommen  in  Fällen,  wo  eine  längere  Beobachtung  ihm  nicht  gestattet 
ist,  bei  poliklinischem  Material  usw^  Dabei  wird  für  die  Narkosen  der 
am  meisten  erfahrene  Narkotiseur  die  Narkose  übernehmen  müssen 
denn  was  ein  anderer  minder  erfahrener  sich  durch  Beobachtungen  und 
öftere  Untersuchungen  erst  aneignen  muss  in  Bezug  auf  Kenntniss  der 
Kranken  nach  allen  Richtungen,  das  geAvinnt  der  andere  durch  eine 
einzige  Untersuchung    und   Betrachtung  Dank    seiner    grösseren  Übung. 

Der  Narkotiseur  wird  aber  nicht  zu  diesem  Zweck  allein  angestellt 
sein,  dass  er  alle  Narkosen  selbst  leitet,  sondern  ihm  wird  auch  die 
Pflicht  obliegen,  die  jüngeren  Assistenzärzte  in  der  Wissenschaft  des 
Narkotisierens  praktisch  auszubilden,  indem  ihm  je  nach  Bedarf  1  oder 
2  Assistenten  zugeteilt  werden,  die  er  weiter  auszubilden  hat.  Zu  dem 
Zwecke  wird  er  dem  Assistenten  die  Technik  der  Narkosen  je  nach  den 
Verhältnissen  überlassen,  während  er  nur  denselben  kontrolliert  und 
ihm,  wo  nötig,  einen  Wink  gibt,  oder  ihn  das  oder  jenes  anders  zu 
machen  lehrt.  Dadurch  werden  die  jungen  Arzte  in  der  Narkologie 
weiter  ausgebildet.  An  Universitäten  wird  es  dem  Narkotiseur  noch 
obliegen,  die  Studierenden  in  die  theoretische  Wissenschaft  einzuweihen 
durch  Vorlesungen  mit  praktischen  Übungen. 

Während  der  Narkose  hat  sich  der  Narkotiseur  ausnahmslos  mit 
der  Narkose  zu  beschäftigen,  er  darf  seine  Aufmerksamkeit  nicht  durch 
andere  Dinge  vor  allem  durch  die  Operation  ablenken  lassen;  wenn  er 
auch  durch  einen  Blick  sich  von  dem  Stand  der  Operation  überzeugt, 
damit  er  die  Narkose  darnach  einrichten  kann,  so  muss  er  doch  haupt- 
sächlich dem  Betäubten  seine  Aufmerksamkeit  schenken.  Hat  er  die 
Narkose  bis  zur  Toleranz  geleitet,  so  giebt  er  dem  Operateur  zu  wissen, 
dass  er  beginnen  darf,  und  dieser  wiederum  gibt  dem  Narkotiseur  zu 
wissen,  wann  er  die  Narkose  sistieren  darf  nach  Beendigung  der 
Operation.  So  arbeiten  beide  für  sich,  jeder  muss  ganz  mit  seiner 
Arbeit  beschäftigt  sein,  und  doch  kann  auch  jeder  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  die  Arbeit  des  andern  mit  verfolgen.  Hat  einer  der 
beiden  Ärzte  dem  anderen  etwas  mitzuteilen,  so  muss  dasselbe  laut 
und  für  alle  vernehmbar  sowie  kurz  ausgedrückt  geschehen.  Überflüssige 
Unterhaltung  ist  entschieden  zu  vermeiden.  Der  Operateur  wird  aller- 
dings oftmals  die  Narkose  ebenfalls  sehr  leicht  beobachten  können,  hat 
er  doch  in  der  Blutung  der  Wunde  einen  genauen  Messer  der  Ver* 
hältnisse  der  Betäubung,  da  eine  Herzschwäche  sich  sofort  durch  die 
nachlassende  Blutung  kund  tut,  die  dunkle  Verfärbung  des  arteriellen 
Blutes    eine    beginnende   Apnoe    anzeigt,    somit    ist    er    wohl  berechtigt. 


—     230     — 

den  Narkotiseur  von  seinen  Wahrnehnuingen  zu  benachrichtigen.  Aller- 
dings muss  letzterer  diese  Gefahren  längst  erkannt  haben,  er  darf  die 
Unfälle  nicht  erst  so  spät  erkennen,  denn  in  diesen  Fällen  hat  eine 
Herzschwäche  oder  Apnoe  sich  schon  längst  dem  geübten  beobachtenden 
Auge  eines  gewandten  Narkotiseurs  kund  getan.  Nach  Ansicht  von 
Mikulicz  ist  es  wohl  erlaubt,  die  Narkose  einer  Schwester  usw.  zu 
übergeben,  aber  er  bemerkt  dabei  ausdrücklich,  dass  dann  nur  der  rein 
mechanische  Teil  der  Narkose  von  derselben  gehandhabt  wird,  während 
ein  älterer  Assistent  oder  der  Operateur  selbst  die  Beobachtung  über- 
nimmt und  die  Vei'antwortung  trägt.  Dies  ist  natürlich  wohl  angängig, 
denn  es  bleibt  dann  immer  ein  Arzt  Narkotiseur  und  der  „mechanische 
Narkotiseur"  darf  nichts  tun,  als  auf  Anordnung  Narkotikum  auf- 
tropfen usw.  In  dieser  Weise  wird  ja  bei  uns  meist  in  den  Kranken- 
anstalten verfahren,  und  die  Arzte  werden  ja  auch  so  zu  Narkotiseuren 
ausgebildet.  Besser  wäre  es  aber  doch  wenn  nur  bestimmte  Arzte 
zur  Narkose  angestellt  würden,  es  würde  dann  eine  bessere  Ausbildung 
der  praktischen  Arzte  in  der  Narkologie  die  Folge  sein.  Es  ist  nicht 
uninteressant  hier  noch  die  Bestimmungen  anzuführen,  welche  Mikulicz 
in  seiner  Klinik  in  allen  Operationssälen  für  den  Narkotiseur  an- 
geschlagen hat. 

Dieselben  lauten: 

1.  Jeder  Narkotisierende  hat  sich  ausschliesslich  mit  der  Narkose  zu 
beschäftigen. 

2.  Der  Narkotisierende  führt  die  Narkose  ohne  Unterbrechung  von  An- 
fang bis  zu  Ende;  er  verlässt  den  Kranken  erst  dann,  wenn  derselbe 
zum  Bewusstsein  zurückgekehrt  ist,  event.  bogleitet  er  ihn  auf  die 
Station. 

3.  Die  Übertragung  der  einmal  begonnenen  Narkose  an  einen  zweiten 
Arzt  ist  unter  keiner  Bedingung  zulässig,  auch  nicht  vorübergehend. 
Die  Yerantwortung  für  die  Narkose  trägt  ausschliesslich  derjenige, 
der  sie  zu  Anfang  übernommen  hat. 

4.  Bei  jedem  Kranken  ist  nachzusehen,  ob  künstliche  Zähne  vorhanden 
sind,  und  sind  dieselben  zu  entfernen. 

5.  Der  Narkotisierende  muss  stets  bei  sich  haben:  den  Mundspiegel  und 
die  Zungenzange. 

6.  Der  Magen  muss  mit  der  Magensonde  entleert  werden 

a)  bei  allen  Kranken,  die  nicht  mindestens  6  Stunden   vor  der  Ope- 
ration gefastet  haben ; 

b)  die  an  irgend  einer  Art  des  Magen-   oder  Darniverschlusses  leiden 
(Stenosis  pylori,  incarcerierte  Hernie,    alle   Arten    von  Ileus  etc.). 

7.  In  den  Vorbereitungsräumen  sind  die  Kranken  nur  ganz  oberflächlich 
zu  narkotisieren,  eine  tiefe  Narkose  darf  nur  im  Beisein  des  verant- 
Avortlichen  Assistenzarztes  eingeleitet  werden. 

8.  Wer  gegen  die  vorangehenden  Bestimmungen  verstösst,  hat  persönlich 
alle  Konsequenzen  zu  tragen ,  die  sich  aus  einer  event.  eintretenden 
Gefahr  für  das  Leben  des  Narkotisierten  ergeben.  Für  die  Über- 
wachung und  Durchtührung  der  vorstehenden  Bestimmungen  ist  der 
Assistenzarzt,  zu  dessen  Station  der  zu  Narkotisierende  gehört  oder 
gehören  soll,  verantwortlich. 

Diese  wichtigen  Bestimmungen  enthalten  das  zunächst  notwendig- 
wissens-  u.nd  beachtenswerte  für  den  Narkotiseur  und  sind  geeignet 
für   eine  Bekanntgabe   auch  in  allen   Operationssälen. 

§    92.      Der    Narkotiseur    wird    in    den    verschiedenen    Methoden 


-     231     - 

verschiedene  Stellungen  einnehmen.  Bei  der  Methode  nach  Witze! 
wird  er  auf  einem  Stuhl  sitzend  hinter  dem  Kranken  sich  befinden. 
Sind  zwei  Ärzte  nötigj  so  sitzt  der  Assistent,  welcher  den  Kopf  hält, 
und  der  Narkotiseur  steht  daneben  seitlich  vom  Kopfe  des  Kranken 
und  tropft  das  Narkotikum  auf  die  Maske.  Ist  nur  ein  Arzt  nötig,  so 
setzt  er  sich  hinter  den  Kopf,  welcher  auf  der  Vorrichtung  fixiert  ist 
und  tropft  das  Narkotikum  auf  die  Maske  mit  der  rechten  Hand,  während 
er  mit  der  linken  die  Maske  hält.  Bei  anderen  Lagerungen  steht  der 
Narkotiseur  meist,  doch  ist  es  ihm  nicht  übel  zu  nehmen,  wenn  er  sich 
nach  Möglichksit  setzt,  denn  er  muss  oft  lange  Zeit  ruhig  stehen,  und 
dasselbe   strengt  sehr  an. 

§  93.  Was  nun  die  Kleidung  desselben  anlangt,  so  hat  er  einen 
gewöhnlichen  weissen  Operationsmantel  an,  die  Arme  bis  über  die 
Ellenbogen  entblösst.  AVitzel  empfiehlt  eine  Schutzvorrichtung  vor  den 
Mund  des  Narkotiseurs,  damit  ihm  nicht  die  ganze  Menge  von  Nar- 
kotikum, das  in  der  Luft  verdunstet,  direkt  in  den  Mund  strömt,  sondern 
von  der  Schutzhaube  abgehalten  wird.  Es  mag  dies  von  Nutzen  sein 
und  wohl  verwendbar.  Allein  unbedingt  nötig  erscheint  es  uns  nicht. 
Der  Narkotiseur  wird  trotzdem  viel  Narkotikum  mit  inspirieren  müssen 
und  folglich  dies  als  Übelstand  empfinden.  Eine  Schutzvorrichtung  vor 
dem  Munde  wird  den  Narkotiseur  nur  noch  mehr  beengen,  und  mancher 
wird  lieber  die  Narkotikummengen  mit  einatmen,  als  durch  eine  solche 
Vorrichtung  in  der  Atmung  behindert  zu  sein.  Der  Narkotiseur  muss 
vor  allem  nicht  zu  warm  und  einengend  gekleidet  sein,  denn  er  erträgt 
sonst  die  warme  Temperatur  des  Operationssaales  nur  schwer  zugleich 
mit  der  durch  Narkotikumdämpfe  verschlechterten  Luft. 

§  94.  Worauf  der  Narkotiseur  während  der  Narkose  vor  allem 
zu  achten  hat,  das  ist  uns  schon  bekannt.  Im  Falle  eines  nahenden 
Unfalles  während  der  Narkose  kommt  es  vor  allen  Dingen  darauf  an, 
dass  der  Narkotiseur  seine  Sache  ganz  versteht.  Er  muss  zunächst 
laut  und  deutlich  verkünden,  was  geschehen  und  was  zu  tun  ist.  Durch 
seine  Beobachtung  während  des  ganzen  bisherigen  Verlaufes  muss  er 
orientiert  sein  über  den  Grund  des  Unfalles,  und  er  muss  auch  schon 
die  ersten  Symptome  bemerkt  und  sofort  die  Narkose  sistiert  haben. 
Ruhe  und  Geistesgegenwart  setzen  ihn  in  den  Stand,  sofort  die  Ursache 
zu  beseitigen  und  die  richtigen  Gegenmassregeln  zu  treffen.  Er  tut 
selbst  was  unbedingt  notwendig  ist  und  erteilt  ruhig  und  präzise  die 
Befehle,  welche  die  anderen  Personen  vollführen  müssen.  Überhaupt 
muss  ihm  in  diesem  Moment  jedermann  gehorchen.  Aber  auch  das 
Personal  muss  sich  geschult  zeigen,  indem  es  nicht  in  Hast  und  Auf- 
regung verfällt,  sondern  es  muss  jeder  an  seinem  Platz  den  Befehl 
abwarten  und  nach  demselben  handeln.  Nur  der  Nai-kotiseur  weiss, 
welche  Massregel  am  Platze  ist,  deshalb  soll  kein  anderer  Arzt  Hand 
an  den  Kranken  legen,  und  tun  was  ihm  nicht  befohlen  ist.  Ein 
solcher  Vorgang  muss  sich  abspielen,  als  sei  er  vorher  verabredet,  als 
stelle  er  eine  Operation  dar,  die  man  mit  Bewusstsein  alles  Handelns 
vorgenommen  hat  und  nicht  als  sei  er  ein  unvorhergesehener  Zufall. 
Der  Laie   darf  garnicht   gewahr  werden,    dass  ein   Unfall  geschehen  ist. 


-     232     — 

so  ruhig  und  Avie  selbstverständlich  müssen  die  nötigen  Massnahmen  ge- 
troffen werden.  Dann  läuft  jeder  Riemen  über  seiner  Rolle,  dapn  greift 
ein  Rad  in  das  andere,  und  das  Resultat  wird  das  gewünschte  sein.  Ist 
der  Unfall  vorüber,  so  muss  alles  wieder  in  seinen  gewohnten  Bahnen 
weiter  laufen,  alles  aufgeregte  Reden  usav.  ist  zu  vermeiden,  die  Operation 
wird  fortgesetzt.  Der  Opei'ateur  hat  ja  nur  bei  der  letzten  Behandlung 
zugesehen,  da  der  Narkotiseur  Mann  genug  sein  musste,  um  korrekt 
zil  handeln.  So  hat  der  Operateur  auch  sterile  Hände  behalten  und 
kann  sofoi't  mit  seinem  Assistenten  die  Operation  fortsetzen,  denn  oft- 
mals liegt  gei-ade  darin  der  Wert,  dass  nunmehr  die  Operation  schnell 
beendet  werde,  und  eine  lange  Narkose  erspart  bleibe.  Der  Narkotiseur 
gibt  dem  Operateur  das  Zeichen  wenn  er  wieder  fortfahren  darf.  Für 
den  Narkotiseur  darf  es  während  der  Narkose  überhaupt  keine  Über- 
raschungen durch  Unglücksfälle  geben.  So  schnell  und  unerwartet 
sie  auch  auftreten,  so  haben  sie  doch  stets,  wenn  auch  nur  gering- 
fügige Vorläufer,  welche  Veränderungen  an  Puls,  Atmung  oder  sonstAvo 
verursachen,  die  dem  Narkotiseur  nie  entgehen  dürfen.  Überdies  Avird 
er  aus  dem  Urteil,  welches  er  sich  über  den  Kranken  vorher  gebildet 
hat,  schon  vor  der  Nai'kose  ahnen  und  vorhersehen  können,  AA^elche  Un- 
fälle etwa  auftreten  können,  und  so  hat  er  dieselben  sich  schon  vorher 
vergegeuAvärtigt  und  kennt  die  Symptome  genau  genug,  um  ihr  Eintreten 
nicht  zu  übersehen.  So  Avird  er  aber  event.  auch  schon  vorher  den- 
selben nach  Kräften  entgegen  gearbeitet  haben.  Auch  dies  ist  ihm 
möglich.  Folglich  muss  einem  gut  gebildeten  geübten  Narkotiseur  eine 
Überraschung  ein  unbekanntes  Etwas  sein. 

Wenn  AA-ir  gesehen  haben,  wie  der  Narkotiseur  den  Kranken  vom 
ersten  Tage  an  beobachtet  hat  bis  jetzt,  avo  die  Narkose  unter- 
brochen Averden  soll,  Aveil  die  Operation  beendet  ist,  so  hat  er  noch 
nicht  alles  getan,  er  trägt  noch  immer  die  Verantwortung  für  den 
Kranken.  Deshalb  darf  er  ihn  nicht  eher  aus  den  Augen  verlieren, 
als  bis  derselbe  vollkommen  munter  und  aus  der  Betäubung  erwacht 
ist.  Solange  bleibt  er  neben  dem  Lager  desselben  auAvesend,  denn  es 
können  noch  viele  wichtige  Ereignisse  eintreten.  Erst  wenn  der  Kranke 
die  Augen  aufgeschlagen  und  vernünftig  mit  dem  Arzte  gesprochen  hat, 
dann  kann  der  Narkotiseur  die  Obhut  dem  Personal  überlassen,  welchem 
er  noch  Weisungen  betreffs  der  Nachbehandlung  des  Kranken  gibt. 
Was  der  Arzt  noch  für  Pflichten  nach  der  Narkose  dem  Kranken 
gegenüber  auf  sich   genommen   hat,  AA'ollen  wir  im   folgenden  behandeln. 


-     28)i     — 
X.  Kajtitel. 

Die    Behandlung   des  Kranken    nach  der  Narkose. 

§  95.  Die  Behandlung  des  Kranken  nach  der  Narkose  richtet 
sich  immer  in  gewissem  Masse  nach  den  Vornahmen  vor  der  Narkose. 
Zunächst  müssen  wir  den  Kranken  in  einen  Raum  bringen,  wo  derselbe 
eine  gute  frische,  nicht  gerade  kühle,  aber  auch  nicht  warme  Luft  atmen 
kann.  Daselbst  darf  er  auch  nicht  Abkühlung  erleiden,  sondern  er 
muss  in  Avarme  Decken  gehüllt  sein.  Hat  derselbe  vielleicht  eine  sehr 
lange  Narkose  durchgemacht,  und  vermutet  man  eine  grosse  Abkühlung 
und  Verminderung  der  Körpertemjjeratur,  so  werden  wir  den  Kranken 
mit  Wärmflaschen  umgeben,  welche  zwischen  die  Decken  längs  des 
Körpers    gelegt    werden.      Es    darf  dies  ja  nicht  vernachlässigt  werden. 

Die  Luft  im  Krankenzimmer  muss  frisch  und  ev.  etwas  kühl  sein. 
Eine  zu  Avarme  Luft  wirkt  nicht  so  anregend  auf  die  Respiration  wie 
eine  etwas  kühlere.  Deshalb  werden  vorher  die  Fenster  geöffnet,  doch 
es  muss  immerhin  eine   Temperatur  von   18 — 20^  C.  herrschen. 

Die  Güte  der  Luft  besteht  hauptsächlich  in  einem  hohen  Sauer- 
stoffgehalt, Um  denselben  zu  erreichen,  muss  eben  für  eine  vorherge- 
gangene Lüftung  des  Krankenzimmers  gesorgt  Averden,  ehe  der  Kranke 
in  das  Zimmer  gebracht  wird.  Die  Luft  muss  aber  nun  auch  dauernd 
auf  der  richtigen  Temperatur  von  18  —  20*^  C.  und  der  hohen  Sauer- 
stoffbeimengung  erhalten  Averden.  Durch  das  VerAveilen  des  narkoti- 
sierten Kranken  in  dem  Zimmer  wird  die  Luft  verschlechtert,  besonders 
dadurch,  dass  derselbe  konstant  noch  Dämpfe  des  Narkotikums  ausatmet. 
So  mengen  sich  je  nach  der  Dauer  und  Tiefe  der  Narkose  mit  dem 
Verweilen  des  Kranken  immer  mehr  Mengen  von  Narkotikumdämpfen 
zu  der  Luft.  Damit  nun  der  Kranke  bald  erwacht,  müssen  wir  diese 
narkotikumhaltige  Luft  entfernen.  Dies  muss  bei  kleinen  Kranken- 
zimmern durch  gute  Ventilation  ev.  durch  Oeflfnen  der  Fenster  ge- 
schehen. Will  man  das  Oeffnen  der  Fenster  umgehen,  so  muss  man  den 
Kranken  in  ein  grosses  geräumiges  hohes  Zimmer  bringen,  Avoselbst 
soviel  Luft  vorhanden  ist,  dass  die  Beimengung  des  Narkotikum- 
dampfes zu  der  Exspirationsluft  keine  Bedeutung  haben  kann.  Dies 
ist  der  Fall  in   grossen  Krankensälen. 

§  96.  Die  nächste  Sorge  haben  w  ir  auf  Herz-  und  Liuigentätig- 
keit  zu  verAvenden.  Wenn  das  Herz  kräftig  und  ohne  Besonderheiten 
ist,  so  können  wir  besondere  Massnahmen  untei'lassen.  Im  entgegen- 
gesetzten Falle  müssen  wir  ev.  Kamphorinjektionen  oder  nochmals  In- 
fusionen vornehmen.  Sehr  angebracht  ist  ein  Einlauf  von  Thee  mit 
Rum  und  Rotwein,  ev.  mit  Tinct.  digitalis  oder  Strophanthuszusatz.  Diese 
die  Herzkraft  anregenden  Darmcinläufe  sind  von  grossem  Vorteil  nament- 
lich bei  Alkoholisten,   welche   an  Herzschwächezviständen  leiden. 

Was  nun  die  Ijungentätigkeit  anlangt,  so  haben  Avir  zu  befürchten, 
dass  Hypostasen  usav.  eintreten.  Diese  zu  verhüten  muss  unsere  nächste 
Sorge  sein.  Zu  diesem  Zwecke  haben  wir  den  Patienten  schon  vor 
der  Narkose    unterrichtet,    und    wir   lassen  ihn   nun  sein   Gelerntes  ver- 


-     234     — 

werten,  indem  wir  ihn  auffoi'dern,  wenn  die  Operation  es  erlaubt,  sich 
ein  wenig-  aufzusetzen.  Ist  die  Operation  hindernd,  so  lassen  wir  ihn 
im  Liegen  folgendes  ausführen.  Er  atmet  mehrere  male  10  — 15  mal 
hintereinander  tief  ein,  dann  Avieder  normal,  nach  20  Minuten  atmet 
er  wieder  ev.  unter  Aufrichten  des  Oberkörpers  langsam  und  tief  20 
mal  hintereinander,  und  so  wird  diese  Prozedur  alle  halben  Stunden 
wiederholt.  Das  erste  Mal  hat  der  Narkotiseur  es  selbst  überwacht, 
in  den  folgenden  Zeiten  ist  es  die  Pflicht  des  Pflegepersonals  dasselbe 
zu  besorgen,  und  den  Kranken  dazu  zu  veranlassen,  denn  er  wird  es 
vergessen,  weil  er  A\deder  einschläft.  Man  wird  bald  sehen,  welchen 
grossen  Einfluss  diese  Respirationstherapie  zur  Verhütung  von 
hypostatischen  Pneunomien  besitzt. 

§  97.  Sehr  oft  tritt  nun  in  dieser  Periode  Erbrechen  ein.  Man 
begegnet  demselben  dadurch,  dass  man  eine  Magenspülung  vornimmt, 
denn  das  Erbrechen  ist  ein  Zeichen,  dass  der  Kranke  Schleim  und  Nar- 
kotikummengen in  dem  Schleim  gelöst  verschluckt  hat.  Nach  einer 
Spülung  des  Magens  mit  Kochsalzlösung  lässt  meist  das  Brechen  so- 
fort nach.  Der  Kranke  erhält  weiter  reichliche  Gelegenheit  den  Mund 
mit  Wasser  zu  spülen,  mit  der  Zahnbürste  zu  reinigen  und  ev.  des- 
infizierendes MundAvasser.  Sehr  vorteilhaft  ist  es,  denselben  kleine 
Eisstückcheu  auf  die  Zunge  nehmen  zu  lassen,  ohne  dass  er  das  Wasser 
verschluckt. 

Nach  einigen  Stunden  geben  wir  dem  Kranken  eine  Tasse  schwarzen 
Kaffee  zu  trinken,  und,  wenn  er  denselben  gut  vertragen  hat,  nach  eini- 
ger Zeit  eine   entsprechende   Nahrung. 

Wenn  wir  vor  der  Narkose  dem  Kranken  Digitalis,  Strophanthus 
oder  dergleichen  gegeben  haben,  so  wird  dies  nunmehr  auch  fortgesetzt, 
so  lange  bis  man  annehmen  kann,  dass  eine  Herzschwäche  nicht  wieder 
eintreten   wird. 

§  98.  Es  ist  nun  die  Frage,  soll  man  einen  Kranken  nach  der 
Narkose  im  Bett  liegen,  oder,  wenn  es  sonst  sein  Zu.stand  erlaubt,  auf- 
stehen lassen?  Diese  Frage  ist  ja  nicht  nur  in  Hinsicht  auf  die  Narkose 
von  Wichtigkeit,  sondern  auch  hinsichtlich  der  Operation.  Wenn  man 
irgend  kann,  d.  h.  wenn  die  Operation  nicht  das  Abdomen,  oder  die  Brust 
oder  unteren  Extremitäten  etc.  in  ei'heblichem  Masse  getroffen  hat,  wodurch 
eine  ganz  ruhige  Lage  gefordert  wird,  so  wird  man  besser  tun,  den  Kranken 
so  bald  als  möglich  nach  der  Narkose,  entweder  im  Bett  aufzuiüchten, 
oder  in  einen  bequemen  Stuhl  zu  setzen.  Die  Aufrechthaltung  ist  von 
grossem  Werte  für  die  Lungen.  Und  wenn  die  Tätigkeit  der  lebens- 
wichtigen Organe  eine  vortrefi'lich  gesunde  ist,  so  wird  auch  die  Heilung 
von  Wunden  schnell  vor  sich  gehen.  Die  Kranken  sollen,  was  die 
Rücksicht  auf  die  Narkose  anlangt,  schon  sobald  als  sie  das  Bewusst- 
sein  erlangt  haben,  und  aufrecht  sitzen  können,  in  diese  Stellung  ge- 
bracht werden.  Wollen  sie  noch  schlafen,  so  können  sie  dies  in  einem 
bequemen  Stuhle  ebenso  gut  tun,  als  in  dem  Bett,  ja  wegen  der  Be- 
quemlichkeit, die  die  sitzende  Stellung  besser  unterstützt,  noch  vorteil- 
hafter. Nun  in  vielen  Fällen  wird  es  unmöglich  sein,  den  Kranken 
derart  zu  behandeln,   so  soll  man  aber  so   viel  als  möglich  bestrebt  sein. 


—     235     — 

den  Oberkörper  auch  im  Bett  höher  zu  lagern,  damit  die  Atmung  unter- 
stützt, und   ausgiebiger   wird. 

Es  -wird  ja  nach  vielen  Operationen  vor  allem  auf  eine  andauernde 
ruhige  Lage  des  Kranken  ankommen,  die  Narkose  wii'd  dieselbe  auch 
nicht  stören,  nixr  die  Forderung  für  eine  möglichst  ausgiebige  Atem- 
tätigkeit muss  erfüllt  werden.  Die  gefürchteten  postnarkotischen  Lungen - 
erkrankungen  müssen  vor  allen  Dingen  an  ihrem  Eintreten  verhindert 
werden.  Es  Avird  ja  nach  den  verschiedenen  Narkosen  eine  verschieden 
grosse  Gefahr  für  die  Lungen  bestehen.  Wir  wissen  aber,  dass  ein 
grosser  Teil  der  Lungenerkrankungen  nur  durch  die  wenig  ausgiebige 
Atmung  und  das  Vermeiden  des  Aushustens  der  Schleiriimengen  in  den 
Luftwegen  hervorgerufen  wird.  Wir  lassen  deshalb  den  Kranken  nicht 
nur  die  Lungengymnastik,  wie  oben  geschildert,  vornehmen,  sondern 
wir  halten  ihn  auch  an,  den  Schleim  auszuhusten.  Es  wird  nun  nach 
vielen  Operationen  diese  Lungengymnastik  und  das  Husten  vor  allen 
Dingen  durch  die  Schmerzen  verhindert  werden,  die  der  Kranke  beim 
Atmen  und  tiefen  Atmen  sowie  Husten  in  gesteigertem  Masse  em- 
pfindet, wie  nach  Laparatomien,  Brustoperationen  etc.,  wodiu'ch  er  be- 
strebt ist,  möglichst  wenig  tief  zu  atmen,  die  operierten  Teile  möglichst 
wenig  zu  bewegen,  da  jede  Verwendung  der  Muskeln  in  diesem  Körper- 
bezirk heftige  Schmerzen  auslöst.  Wir  können  den  Kranken  immer 
nur  dadurch  zum  tiefen  Inspirieren  und  Husten  bi'ingen,  indem  wir  ihm 
die  Schmerzen  lindern  oder  ganz  nehmen.  Dies  wird  durch  Injektionen 
CKler  Verabreichen  von  Opium,  Morphium  oder  dergleichen  Mitteln  ge- 
schehen. Man  sei  nicht  sparsam  mit  diesen  Medikamenten,  denn  der 
Nutzen  hebt  vielmals  den  geringen  Schaden  auf.  Wenn  wir  vielleicht 
in  manchen  Fällen,  wo  Herzschwäche  zu  befürchten  ist.  Bedenken 
tragen,  Morphin  anzuwenden,  können  wir  entweder  ein  weniger  stark 
wirkendes,  wie  Dionin,  Codein  etc.  Medikament  Avählen,  oder  man  gibt 
zugleich   die  Herzkraft  anregende  Mittel. 

§  99.  Man  hat  bekanntlich  oftmals  durch  die  Einwirkungen 
vieler  Narkotika  schwere  und  leichte  Erkrankungen  der  Nieren  beobachtet. 
Es  besteht  ja  die  Gefahr  der  fettigen  Degeneration  in  den  Nieren, 
welche  man  vor  allen  Dingen  häufig  nach  Chloroformnarkosen  beobachtet 
hat.  (Ungar,  Junker,  Strassmann,  Stommel,  Foerster,  Verf,  etc.)  Es 
ist  aber  nicht  nur  das  Chloroform,  Avelches  in  gewissen  Fällen  schwere 
Nierenerkrankungen  hervorrufen  kann,  es  sind  die  deletären  Einflüsse 
auf  die  parenchymatösen  Organe  im  tierischen  Organismus  allen  Nar- 
kotika, dem  einen  mehr,  dem  anderen  weniger  eigen.  Wir  ziehen 
daraus  den  Schluss,  dass  wir  nach  jeder  Narkose  der  Nierenseki*etion 
unsere  besondere  Beachtung  angedeihen  lassen  müssen.  Wir  müssen 
daher  sofort  nach  der  Narkose  zunächst  den  Harn,  welchen  der  Kranke 
zuerst  wieder  lässt,  genau  untersuchen,  und  zwar  nicht  nur  chemisch 
auf  Eiweiss  und  Zucker,  sondern  auch  mikroskopisch  auf  Cylinder, 
Epithelzellen  etc.  Allerdings  ist  mit  dieser  einen  Harmmtersuchung 
noch  nicht  genug  getan,  denn  die  Erkrankungen  der  Nieren  treten  nicht 
immer  sofort  ein,  man  hat  beobachtet,'  dass  Stunden  vergingen  nach 
den  Narkosen,   ehe   man   Symptome    der  degenerativen    Prozesse  in   Ge- 


—     236     - 

stalt  von  Harnveränderungen  finden  konnte.  (Ungar,  Junker  etc).  Wir 
wertkii  daher  nach  Verlauf  von  einigen  Stunden  eine  neue  Harnunter- 
siicliuii^  \  ornehmen  müssen.  Nur  durch  eine  mehrmalige  Untersuchung 
vou  /u  verschiedenen  Zeiten  vom  Kranken  gelassenen  Harn  können 
wir  <iiL  definitives  Urteil  üher  den  Gesundheitszustand  der  Nieren  er- 
hitltf  ir.  Die  Veränderungen  in  den  Nieren  zeigen  sich  vor  allen  Dingen 
durch  EiM eissgehalt  des  Harnes  an,  ferner  durch  Gegenwart  von  Cylindern, 
E|'ithflzellen,  zerfallenen  Zellen  und  ev.  durch  Blutkörperchen  im  Se- 
dinifiir  oder  dem  Ergebnis  des  Centrifugierens  des  Harnes.  Was  wir 
nun  zur  Therapie  solcher  Nierenerkrankungen  tun  müssen,  gehört  der 
inneren  medizinischen  Behandlung  an.  Wir  haben  vor  allem  aus  diesen 
Befunden  zu  lernen,  dass  der  betr.  Kranke  jedenfalls  einer  weiteren 
Narkose  uicht  wieder  ausgesetzt  werden  darf,  bis  nicht  die  abnormen 
Harnbestandteile  wieder  verschwunden  sind,  d,  h.  die  Nieren-Degene- 
ration zurückgegangen,  abgeheilt  ist.  Es  besteht  nach  den  Erfahrungen 
der  Grundsatz,  dass  man  bei  jeder  Nierenerkrankung  mit  einer  Narkose 
grosse  Vorsicht  beachten  soll,  vor  allen  Dingen  nicht  das  Narkotikum 
wieder  zur  Betäubung  des  Kranken  brauchen  darf,  welches  eine  Nieren- 
erkrankung bei  ihm  erzeugt  hat.  Es  besteht  ja  bei  dem  Eintreten  von 
Nieren ei'krankungen  zweifellos  eine  Disposition  des  Kranken,  denn  ein 
AxUlig  undisponiertes  Individium  wii-d  erst  nach  sehr  langen  Narkosen 
eine  Nierenschädigung  erleiden,  wobei  vielleicht  vorher  schon  andere 
Organ(j,  geschädigt  werden,  ehe  die  Nieren  ergriften  werden.  Er  wird 
daher,  wie  schon  früher  erwähnt,  vor  allem  schon  vor  der  Einleitung 
einer  Narkose  vom  Arzte  zu  eruieren  sein,  ob  der  betr.  Kranke  prädis- 
poniert ist  für  Nierenerki-ankungen.  Diese  Prophylaxe  ist  das  wich- 
tigste. Eine  Behandlung  leichter  Nierenaff'ektionen  ist  meist  nicht  nötig, 
da  dieselben  von  selbst  nach  Verlauf  von  einigen  Stunden  bis  Tagen 
wieder  zurückgehen,  schwere  Aftektionen  führen  oftmals  sehr  bald  ad 
exituni  h^talem,  oder  Averden  nach  den  Grundsätzen  der  interneii  Medizin 
behandelt.  Wir  werden  im  speciellen  Teil  dieses  Buches  bei  der  Behandlung 
der  einzelnen  Narkotika  noch  genauer  die  Nieren  äff ektionen  zu  behandeln 
haben.  Dass  dieselben  nicht  ohne  Bedeutung  sind,  zeigt  eine  Mitteilung 
vou  Rindskopf,  welcher  nach  93  Chloroformnarkosen  31  mal  Albuminurie 
und  r'vjindrurie  nachgewiesen  hat. 


XI.   Kapitel. 

Die  Statistik  der  Narkosen. 

4:  lOO.  Wenn  wir  hier  noch  einige  Betrachtungen  über  die  Statistik 
anstellen  vvollen,  so  ist  es  nur  das  Bestreben,  alle  Beziehungen  der  Nar- 
kosen ini  menschlichen  Leben  zu  erörtern.  Jedenfalls  können  wir  von 
Anfanj;'  an  nicht  das  von  der  Statistik  erwarten,  was  man  im  allgemeinen 
derselben  zu  entnehmen  geneigt  ist.  Wir  sind  der  Ueberzeugung,  dass  die 
ganzM.   Statistiken  der  Narkosen  mit  ihren  Todesfällen,   schädlichen  Ein- 


—     287     - 

Füssen  usw.  usw.  nicht  einen  so  grossen  Wert  für  unsere  Wiss,-iis.r]ia.ft 
liaben,  wie  er  allgemein  ang-enotnnien  wird.  Wenn  eine  Statistik  ein  wirklich 
massgebendes  Resultat  liefern  soll,  so  muss  jeder  Statistiker  i.iss^Ibe 
Prinzip  verfolgen,  d.  h.  er  darf  nicht  eine  Statistik  mit  2000  Narkos-^n, 
die  mit  Aether  nach  der  Genfer  Methode  vorgenommen  wurden,  'in-^r 
anderen  mit  vielleicht  3000  Narkosen  mit  Chloroform  nach  «ier  Tn.pf- 
methode,  oder  einer  mit  1000  Narkosen  der  Sauerstoffchlorofonnmetliode 
entgegenstellen.  Es  fehlt  bei  der  bisherigen  Statistik  die  Einheit  so- 
wohl im  Narkotisieren,  als  auch  die  Gleichheit  im  Beobachten,  im  Be- 
urteilen usw..  Wenn  wir  strenggenommen  alle  die  genannten  I'nter- 
schiede  der  einzelneu  Statistiken  bedenken,  so  müssen  wir  /.u  dem 
traurigen  Urteil  gelangen,  dass  uns  alle  Statistik  wenig  nutzr,  -ia.ss  sie 
uns  kein  sicheres  Resultat  liefern  kann.  Eine  Statistik  würde  allein 
für  uns  von  Wei't  sein,  wenn  ein  Narkotiseur  au  grossen  Anstalten  an- 
gestellt wäre,  welcher  bei  einem  enormen  Material,  das  nur  mehrere 
Krankenhäuser  einer  Grossstadt  liefern  können,  stets  die  Narkosen  nach 
derselben  Methode  vornehmen  Hesse,  möglichst  alle  selbst  beobachtete, 
wenigstens  von  seinen  Assistenten,  die  ja  nach  seiner  Methode  sowohl 
im  Beobachten  wie  im  Handeln  angelernt  sind  und  folgdich  wie  ei* 
arbeiten,  beobachten  oder  leiten  sowie  genaue  Berichte  jeder  Narkose 
abfassen  Hesse.  So  könnte  eine  grosse  Menge  einheitlich  geleiterer  und 
beobachteter  Narkosen  zusammengestellt  werden  und  so  allein  mit  der 
Zeit,  im  Laufe  von  5 — 10  Jahren  eine  massgebende  Statistik  geschaffen 
werden.  Es  wäre  dies  nicht  unmöglich,  wenn  endlich  die  Narkose  in 
die  Hände  von  Aerzten  gelegt  würde,  und  auch  bei  uns  Aerzte  als 
Narkotiseure  angestellt  würden. 

Wenn  wir  uns  einmal  die  alten  Statistiken  ansehen,  in  Be/.ug  auf 
die  Todesfälle  in  der  Narkose  z.  B.,  so  werden  wir  obiges  bewiesen 
finden.  Wir  haben  seit  der  Einführung  der  Narkose  gelernt  mit  der 
Zeit  der  Beobachtung  eine  Menge  Todesfälle  auf  die  Einwirkung  des 
Narkotikums  beziehen,  die  man  früher  nicht  als  Folgen  der  Nai'kose  ansah. 
So  kam  es,  dass  mit  der  weiteren  Ausbildung  der  Narkose  sowohl  in 
Bezug  auf  Technik  als  auf  Wissenschaft,  die  Todesfälle  zahlreicher 
AYurden.  anstatt  abzunehmen  an  Zahl,  was  nach  der  besseren  Kenntnis 
der  Narkosenwissenschaft  ja  anzunehmen  ist.  Es  ergibt  sich  z.  B.  aus 
der  Narkosenstatistik  von  Gurlt  1895  eine  Mortalität  bei  der  (.'hloro- 
formnarkose  von  1 :  2075.  Neve  hat  aus  einer  grossen  Sammlung  von 
Narkosen,  welche  an  grossen  Krankenhäusern  in  Indien  vorgenommen 
wurden,  für  Chloroform  ein  Verhältnis  von  1  Todesfall  aiif  8000  Chloro- 
formnarkosen, in  einer  anderen  Krankenanstalt  Indiens  hat  er  ein  Ver- 
hältnis von  1:20000  berechnet,  Grube  hat  auf  40000  ChL>rotonnnar- 
kosen  3  Todesfälle,  also  1 :  1333 ,  innerhalb  40  Jahren  angegeben, 
SklifossoAvski  rechnet  28  708  Chloroformnarkosen  mit  5  Todesfällen, 
also  1:5741.  Nach  Mikulicz  kommen  in  neuester  Zeit  sogar  auf  1683 
Chloroformnarkosen  1  Todesfall.  Gurlt  hat  für  Aethernarko.sen  ei)i  Ver- 
hältnis von  1:5112,  Riedel  ein  solches  von  1:3000  angegeben.  Die 
Narkosenstatistik  von  Gurlt  aus  den  Jahren  1890 — 93  gibr  folgende 
interessante  Verhältnisse   an: 


-     238     - 

Von   133729   Chlorotbrniiiarkosen  traten  46  Todesfälle  auf, 

also   ein  Verhältnis  von   1  :  2907 
Von   14646  Aethernarkosen  traten   1   Todesfall  auf, 

also   ein  Verhältnis    von   1  :  14646 
Von  4118  gemischte  Cloroform- u.  Aethernark.         traten   1   Todesfall  auf. 

also   ein  Verhältnis   von   1  :  4118 
Von  3440  Narkosen  mit  BiHrothscher  Mischung    traten  0  Todesfall  auf, 

also   ein  Verhältnis   von  0 :  3440 

Im  Jahre  1895  kamen  auf  1376  Chloroformnarkosen  1  Todesfall 
und  auf  3164  Aethernarkosen  ebenfalls  1  Todesfall  vor.  Ferner  sind 
von  Gurlt  für  4555  Bromaethylnarkosen  1  Todesfall,  für  591  Pental- 
narkosen 3  Todesfälle,  also  ein  Verhältnis  von  1:197,  für  11464  Nar- 
kosen mit  Stickstoffoxydoll  kein  Todesfall  angegeben  worden.  Für  Pen- 
talnarkosen sind  folgende  Zahlen  angegeben  worden,  Stallard  1 :  149, 
Gurlt  3:600  =  1:200,  Snow  2:238  =  1:119.  Nach  Mikulicz  sind 
in  den  Jahren  1896  —  00  in  der  Provinz  Schlesien  auf  87530  Chloro- 
formnarkosen 52  Todesfälle,  also  1 :  1683,  auf  6046  Bromaethylnarkosen 
1  Todesfall,  auf  223  Chloroformaethernarkosen  2  Todesfälle  also  1:111 
vorgekommen. 

Wenn  wir  nun  einmal  alle  die  hier  angeführten  Zahlen  addieren, 
um  ein  Durchschnittsverhältnis  für  die  Todesfälle  in  der  Narkose  über- 
haupt zu  erlangen  ohne  Rücksicht  auf  das  verwendete  Narkotikum,  so 
erhalten  wir  auf  373208  Narkosen  127  Todesfälle  oder  ein  Verhältnis 
von  1 :  2938.  Diese  Zahl  ergibt  immerhin  ein  recht  gutes  Verhältnis, 
wenn  sie  auch  strengenommen  nicht  massgebend  sein  kann.  Wenn  wir 
dieses  Verhältnis  einmal  mit  der  der  Unfälle  mit  tötlichem  Ausgang  bei 
den  Methoden  der  Anaesthetologie  vergleichen  wollen,  so  finden  wir  es 
immer  noch  recht  schlecht.  Mikulicz  hat  im  Jahre  1901  eine  Statistik 
über  die  Todesfälle  aufgestellt,  die  bei  einer  Methode  der  Anaestheto- 
logie eintraten  und  auf  103064  Fälle  von  lokaler  Betäubung  3  Todes- 
fälle festgestellt,  also  ein  Verhältnis  von  1:34155.  Letzteres  ist  gewiss 
ein  vorzügliches  Resultat,  nur  muss  man  bedenken,  dass  weitaus  die 
meisten  schwer  kranken  Menschen,  bei  denen  also  eine  Todesgefahr  über- 
aus gross  ist,  einer  Inhalationsnarkose  unterzogen  werden,  während  man 
meist  nur  leicht  Kranke,  leicht  Verletzte  mit  den  Methoden  der  Anaes- 
thetologie behandelt. 

Wenn  wir  uns  obige  Zahlen  etwas  genauer  betrachten,  so  finden 
wir  recht  grosse  Differenzen  zwischen  den  Verhältniszahlen  der  einzelnen 
Narkosenarten.  Wir  sehen  z.  B.  dass  die  Pentalnarkose  die  bei  weitem 
gefährlichste  Narkose  darstellt,  denn  die  Statistiken  von  3  Autoren 
zeigen  ungefähr  das  gleiche  schlechte  Resultat.  Allerdings  müssen  wir 
immerhin  vorsichtig  sein  mit  dem  Schlussfolgern,  denn  wir  sehen  aus 
den  Angaben  von  Mikulicz,  dass  auf  233  gemischte  Narkosen  2  Todes- 
fälle kommen.  Dieses  Verhältnis  stellt  jedenfalls  nur  einen  unglück- 
lichen Zufall  dar,  denn  man  hat  von  anderer  Seite  meist  sehr  gute 
Resultate  mit  den  gemischten  Narkosen  erlangt,  hat  doch  Schleich  bei 
600  Narkosen  mit  seinen   Siedegemischen    nicht    einen  Todesfall   erlebt. 


-     2H<)     — 

Ferner  können  wir  aus  der  Gurlt'schen  Statistik  entnehmen,  dass  bei 
3440  Narkosen  mit  Billrothscher  Mischung  kein  Todesfall  vorkam,  ferner 
bei  4118  gemischten  Chlorof'orm-Aethernarkosen  nur  1  Todesfall  auf- 
zuweisen war.  Die  Todesfälle,  die  Gurlt  in  5  Jahren  bei  über  200000 
reinen  Chlorofbrmnarkosen  fand,  bilden  ein  Verhältnis  von  1:2286. 
Es  ist  also  die  Verhältniszahl  der  Mischnarkosen,  die,  wenn  wir  das 
Mittel  aus  jenen  beiden  ziehen,  1  :  7558  beträgt,  bedeutend  zu  Gunsten 
der  gemischten  Narkosen  ausschlagend.  Selbst  wenn  wir  1:4118  als 
die  Verhältniszahl  ansehen,  so  ist  dieselbe  fast  noch  doppelt  so  günstig 
als   die   bei  Chloroformnarkosen. 

Wenn  wir  uns  nun  aber  einmal  überlegen,  was  uns  diese  Zahlen 
streng  genommen  positives  angeben,  so  müssen  wir  zugeben,  dass  diese 
Zahlen  doch  immerhin  sehr  relative  sind.  Erstens  ist  die  Ansicht  sehr 
geteilt  über  die  Narkosentodesfälle,  der  eine  rechnet  einen  Todesfall  zur 
Last  der  Narkose,  wähi'end  ein  anderer  denselben  einer  anderen  Ursache 
zuerkennt.  Es  ist  ja  so  oft  die  individuelle  Ansicht  massgebend,  und 
kein  Mensch,  auch  nicht  der  genaueste  Statistiker,  wird  sich  bei  der 
Aufstellung  seiner  Zahlen  ganz  von  der  Subjektivität  freimachen,  er 
wird  unwillkürlich  immer  zu  Gunsten  seiner  Statistik  fühlen  und  arbeiten, 
wenn  er  sich  auch  die  grösste  Mühe  gibt,  ganz  objektiv  zu  verfahren. 
Ferner  kommen  neben  dem  Statistiker  an  sich  die  verschiedenen  Me- 
thoden und  Narkotika  in  Betracht.  Eine  Statistik  der  Narkosen  im 
allgemeinen,  Avie  wir  oben  eine  berechnet  haben,  ist  nur  ein  willkür- 
liches Spiel,  dem  man  kein  ernstes  massgebendes  Urteil  entlocken  darf. 
Man  muss  Avenigstens  nur  Statistiken  jeder  einzelnen  Narkosenart  auf- 
stellen, ja  selbst  die  Methoden  der  Dosierung  und  Verabi-eichung  des 
Narkotikums  haben  entschieden  Einfluss,  denn  die  Persönlichkeit  des 
Narkotiseurs  mit  seinem  ihm  angeborenen  Geschick  und  den  Avechselnden 
Kenntnissen  und  Erfahrungen,  die  er  sich  auf  irgend  eine  Art  ange 
eignet  hat,  die  Beschaftenheit  des  Narkotikums  und  last  not  least  die 
Individualität  des  Kranken  selbst  mit  den  Avechselnden  Bildern  der 
Krankheit,  Operation,  Disposition  und  des  psychischen  Zustandes  sind 
gar  einflussreiche  Objekte,  die  hie  und  da  in  den  extremsten  Zu- 
ständen ihres  Einzelseins  vorhanden  den  und  jenen  Aenderungszu- 
stand  in  der  Zahlenreihe  hervor  zu  rufen  im  Stande  sein  können.  Man 
müsste  alle  diese  vielen  Punkte  genau  präzisieren,  ehe  man  eine  mass- 
gebende Statistik  verlangen  könnte.  Wer  hindert  denn  jenen  Arzt, 
dass  er  einen  fast  ausgebluteten  Verunglückten  noch  einer  Chloroform- 
narkose  unterzieht,  um  ihn  zu  operieren  und  dabei  vergisst,  erst  die 
allein  Rettung  schaffende  Infusion  vorzunehmen?  Der  Kranke  stirbt 
nach  den  ersten  Zügen,  die  er  unter  der  Maske  getan  hat,  und  der 
Chloroformtot  ist  fertig.  Natürlich  wird  dieser  Fall  dem  Chloroform 
zur  Last  gelegt,  obwohl  viel  näher  liegende  Ursachen  da  sind:  die  Ver- 
blutung, ev.  zu  rasches  Narkotisieren,  falsche  Wahl  des  Narkotikums, 
Aether  wäre  besser  gewesen,  eventuelle  Ueberdosierung  etc.  Gerade 
die  vielen  kleinen  Versehen  bei  der  Narkose,  die  zu  leichtsinnige  Vor- 
nahme der  Narkose  überhaupt,  wo  die  vielen  Methoden  der  Anaesthe- 
tologie  zur  Verfügung  stehen,  und  so  vieles    mehr,  müssten   vorerst  be- 


-     240     — 

seitigt  werden,  ehe  man  Statistiken  aufstellt.  Es  sei  aber  hiermit  nicht 
etwa  jenen  vortrefflichen  Statistikern,  wie  Gurlt,  Mikulicz  und  andern 
ein  Vorwurf  gemacht.  Wir  sind  der  Ueberzeugung,  dass  in  deren  Klinik 
solche  Fälle,  Avie  der  oben  erwähnte  und  ähnliche,  dank  der  vortreff- 
lichen Leitung  nicht  vorkommen,  allein  Mikulicz  hat  nicht  allein  bei  der 
Aufstellung  der  einen  Statistik  die  Narkosen  aus  seiner  Klinik  ge- 
sammelt, er  hat  die  Beiträge  von  praktischen  Aerzten  mit  verwendet, 
allerdings  mehr  zum  Zwecke  des  Nachweises  der  Häutigkeit  der  Nar- 
kosen etc.  Die  Methode  der  Fragebogen  ist  zweifellos  eine  sehr  gute, 
allein  jedermann  wird  erkennen,  dass  man  eine  exakte  Statistik,  welche 
das  Verhältnis  von  Todesfällen  angeben  soll,  nicht  damit  gründen  kann. 
Nun,  wie  dem  auch  sei,  die  Statistik  hat  immerhin  auch  ihr  Gutes, 
und  neuerdings  ist  man  bemüht  jene  Mängel  abzustellen.  Freilich  wäre 
es  im  Interesse  der  Wissenschaft  sehr  zu  wünschen,  dass  auch  in 
Deutschland  in  den  grossen  Krankenhäusern  mehr  die  Handhabung  der 
Narkose  etc.  in  eine  Hand  käme,  dann  könnte  der  Narkotiseur  zuver- 
lässigere Statistiken  aufstellen,  und  wir  zweifeln  nicht,  dass  dieselben 
ganz  andere  Zahlen  aufweisen  würden,  als  die  jetzigen  Statistiken  angeben. 

Wir  wollen  uns  hier  nicht  weiter  mit  dieser  allgemeinen  Statistik 
abgeben.  Ein  annähernd  genaues  Resultat  kann  nur  die  Statistik  jeder 
einzelnen  Narkosenart  geben,  deshalb  soll  bei  ilen  Abhandlungen  der 
einzelnen  Narkosen  im  spez.  Teil  noch  genauer  auf  die  Statistik  ein- 
gegangen werden. 

§  101.  Wenn  man  Statistiken  aufstellt  in  der  medizinischen 
Wissenschaft,  so  hat  man  nicht  allein  die  Todesfälle  zu  verzeichnen, 
sondern  man  hat  auch  mit  leichteren  Schädigungen  des  Organismus  zu 
rechnen.  So  haben  wir  also  auch  Statistiken  über  die  Unfälle  und 
Nacherkrankungen  ohne  direkten  tötlichen  Ausgang.  Die  Narkose 
bringt  ja  dem  Menschen,  wie  wir  gesehen  haben,  eine  Reihe  ernster 
Gefahren  auch  quoad  valitudinem  neben  denen  quoad  vitam.  Dieselben 
bestehen  ja  vor  allem  in  dem  Eintreten  von  Herz-,  Lungen-,  Nieren- 
und  Gehirnerkrankimgen,  sowie  Erkrankungen  der  Extremitäten  (Läh- 
mungen) und  anderen  mehr.  Die  Schädigungen  der  Gesundheit,  die 
nicht  sobald  ad  exitum  führen,  sind  hauptsächlich  Folgezustände  nach 
Narkosen,  während  die  tötlichen  Unfälle  hauptsächlich  und  zum  grössten 
Teile  während  der  Narkose  auftreten,  obwohl  natürlich  eine  Reihe  von 
Todesfällen  auch  erst  nach  der  Narkose  auftreten  (protrahirter  Chloro- 
formtot) und  wieder  Glieder  aus  der  ersteren  Kategorie  auch  während  der 
Narkose  sich  ereignen  können.  Die  Statistik  dieser  Unfälle  ist  nun  aber 
nicht  so  leicht  aufzustellen,  denn  eine  allgemeine  Angabe  der  Zahl  von 
Schädigungen  quoad  valetudinem  auf  eine  grössere  Zahl  Narkosen  ist 
so  wenig  bedeutend,  dass  wir  verzichten  hier  Zahlen  zu  nennen,  denn 
man  wird  sich  leicht  erklären  wie  viel  relativer  diese  Zahl  sein  muss, 
als  die  Zahl  der  wirklichen  Narkosentodesfälle,  wie  sie  ja  viel  mehr  noch 
abhängig  ist  von  der  Technik  der  Narkose,  Dosierung,  Qualität  und  Art 
des  Narkotikums,  ferner  von  der  Disposition  des  Kranken,  der  Ki-ank- 
heit,  Operation  und  endlich  nicht  weniger  abhängig  von  dem  Narkoti- 
seur   selbst,    dessen    Kenntnissen,    Hebung,    Erfahrung,    Fertigkeit    usw. 


—     241     — 

Wir  können  alle  diese  Beziehungen  hier  nicht  erörtern,  wir  können  nur 
Statistiken  aufstellen  bei  größerer  Beschränkung'  der  einzelnen  in  Betracht 
kommenden  Verhältnisse,  weshalb  wir  die  genauen  Zahlen  in  späteren  Kapiteln 
dieses  Buches  neuneu  werden,  wo  die  einzelnen  Narkosenarten  mehr  im  be- 
sonderen zu  betrachten  sind.  Um  genauere  Statistiken  zu  ermöglichen,  ist  es 
vor  allen  Dingen  nötig,  daß  genauere  Aufzeichnungen,  wie  bisher,  über  den 
Verlauf  der  Narkosen  gemacht  werden.  So  empfiehlt  M.  v.  Cackovic  ein  Nar- 
kosenbuch mit  folgenden  Rubriken,  welche  genau  ausgefüllt  wohl  eine  wert- 
volle Statistik  mit  der  Zeit  zu  liefern  imstande  sein  könnten.  Die  einzelnen 
Rubriken  sollen  folgende  Überschriften  tragen:  1.  fortlaufende  Nummer.  2. Datum. 

3.  Operation,  Nummer  des  Operationsprotokolls,  Name  und  Alter  des  Patienten, 

4.  Diagnose  und  Allgemeinzustand,  ö.  Herz.  6.  Puls.  7.  Lunge.  8.  Narko- 
tikum. 9.  Art  der  Narkose  (tief  oder  oberflächlich).  10.  Dauer  und  Verbrauch 
(Minuten,  Gramm).  11.  Eintritt  der  Anästhesie  nach  Minuten,  Gramm.  12.  Ab- 
normale Beobachtungen:  a)Excidation,  b)  Puls,  c) Pupillen,  d)  Atmung,  e)  Speichel- 
fluß, f)  Erbrechen,:  «)  im  Beginn,  ß)  während,  y)  nach.  13.  Harn:  a)  vor,  b)  nach. 
14.  Unmittelbare  Einwirkungen.  15.  Folgeerkrankungen.  16.  Bemerkungen. 
Diese  Tabelle  läßt  sich  leicht  durch  Hinzufügen  noch  einiger  wesentlicher 
Punkte  mit  wenigen  Änderungen  zu  einer  recht  brauchbaren  gestalten.  So  fehlt 
die  nähere  Bezeichnung  der  Methode,  des  Apparates  zur  Narkose,  ferner  der 
Name  des  Narkotiseurs,  ferner  müßte  noch  die  Vorbehandlung  des  Kranken 
und  die  Nachbehandlung,  die  Lage  des  Krauken  während  der  Narkose,  ferner 
muß  genau  der  Zeitpunkt  angegeben  werden,  wann  die  Lihalation  begonnen, 
wann  Anästhesie  auftrat,  wann  die  Darreichung  des  Narkotikums  sistiert  wurde, 
wann  Patient  erwachte,  wann  die  Operation  begann,  wann  beendet  war,  ferner 
müßte  noch  genau  erwähnt  sein,  ob  irgend  welche  Medikamente,  wie  Morphin, 
Atropin  etc.  gegeben  wurden.  Wenn  man  so  die  Tabelle  noch  vervollkommnet, 
wird  dieselbe  sehr  brauchbar.  Man  wird  dann  nach  Verlauf  von  mehreren 
Jahren  die  Notizen  sammeln  können,  und  wenn  möglichst  die  Beobachtungen 
immer  von  einem  Arzte  oder  nur  wenigen,  die  aus  einer  Schule  stammen,  her- 
rühren, ein  wertvolles  Material  für  eine  annähernd  genaue  Statistik  erhalten. 


XII.  Kapitel. 
Die  Mischnarkosen. 

§  102.  Nachdem  wir  nun  in  den  verschiedensten  Richtungen  die  allge- 
meine Narkose  betrachtet  haben,  indem  wir  dabei  immer  eine  Narkose  im  Sinne 
hatten,  die  durch  ein  Narkotikum  erzeugt  wurde,  so  wollen  wir  uns  nunmehr 
mit  einigen  wenigen  Worten  zu  jenen  Narkosen  wenden,  welche  mit  mehreren 
Narkotika  ausgeführt  werden. 

Man  hatte  bei  der  Anwendung  der  verschiedenen  Narkotika  gesehen, 
wie  das  eine  so,  das  andre  so  wirkte,  man  hatte  bald  das  eine  vorgezogen, 
um  es  ebenso  bald  wieder  als  schädlich  beiseite  zu  tun.  Kurz,  es  zeigten 
sich  bei  allen  Betäubungsmitteln  Nachteile,  die  schwere  Gefahren  für  den 
Organismus  mit  sich  führen  konnten.  So  kann  man  auch  noch  jetzt  kein 
einziges   Narkotikum    finden,    welches    nicht   unter    gewissen    Umständen,    als 

16 


242       — 

starkes  Gift  wirkend,  den  Tod  des  narkotisierten  Mensclien  herbeiführen  könnte. 
So  lernte  man  nun  viele  üble  Eigenschaften  auch  weniger  gefährlicher  Natur 
an  den  einzelneu  Narkotika  kennen,  und  man  sah,  daß  oftmals  das  eine  ge- 
rade die  üble  Eigenschaft  oder  Wirkung  des  anderen  kompensierte,  ersetzte. 
So  kam  man  auf  den  Gedanken,  durch  Verwendung  von  zwei  der  Narkotika, 
die  guasi  sich  gegenseitig  unterstützend  in  ihrer  Wirkung  nun  weniger  ge- 
fährlich zusammen  wirken  sollten,  indem  das  eine  die  üble  Wirkung  des  andern 
aufhob,  eine  ungefährlichere  Narkose  zu  erzeugen,  als  mit  einem  der  Stoffe 
allein  möglich  war. 

Der  erste  Schritt  zu  der  kombinierten  Narkose  war  darin  getan,  daß 
man  mit  dem  Chloroform  oder  Äther  das  Morphin  so  verband  zum  Zwecke 
der  Erreichung  einer  Narkose,  daß  man  einige  Zeit  vor  dem  Beginn  der  In- 
halationen dem  Kranken  subkutan  eine  entsprechende  Dosis  Morphin  verab- 
reichte. Die  Folge  davon  war  eine  Verminderung  der  ps3'-chischen  wie  motorischen 
Excidation,  die  geringere  Neigung  zum  Brechen,  weniger  starke  Nausea  nach 
der  Narkose.  Wenn  man  Irüher  diese  Morphiuminjektion  ca.  10  Minuten  vor 
der  Narkose  gab,  so  beging  man  damit  einen  Fehler,  wie  schon  oben  erörtert 
und  mau  ist  jetzt  zu  der  Überzeugung  gelangt,  daß  eine  erfolgreiche  Mit- 
wirkung des  Morphins  nur  dann  eintreten  könne,  wenn  die  Verabreichung 
wenigstens  ^2 — 1  Stunde  vor  Beginn  der  Inhalation  gemacht  wurde. 

Mit  diesen  Erfolgen  nicht  zufrieden  strebte  man  immer  nach  einer  völlig 
gefahrlosen  Methode  der  allgemeinen  Narkose  und  begann  einige  Inhalations- 
narkotika zusammen  zu  geben,  immer  von  dem  Gesichtspunkte  ausgehend,  bei 
der  Wahl  der  einzelueu  Narkotika  und  deren  Mengen,  daß  dieselben  sich  in 
ihren  Wirkungen  auf  den  Organismus  gegenseitig  ergänzten.  So  entstanden 
verschiedene  Mischungen,  wie  Chloroform  und  Äther,  oder  Bromäthyl  und 
Chloroform  und  verschiedene  mehr.  Ja  man  ging  sogar  noch  viel  weiter  und 
nahm  o  bis  4  Narkotika,  wie  Chloroform,  Äther,  Alkohol,  in  verschiedenen 
ihren  physikalischen  Eigenschaften  (Siedepunkt,  Verdampfbarkeit,  Lösungsver- 
hältnis in  Wasser  und  Fetten  etc.)  entsprechenden  Mengen.  So  entstanden 
die  Billroth'sche  3Iischung,  Wiener  Mischung,  ACE-Mischung  etc.  Eine  andere 
Methode  gab  Schleich  an,  die  Narkose  mit  den  Schleichschen  Siedegemischeu. 
Dieselben  bestanden  aus  Chloroform,  Aether  sulf.  oder  Aether  Petrol.  etc.  Das 
Ziel  seiner  Bestrebungen  war  das,  in  dem  Narkotikagemische  solche  zusammen- 
zustellen, welche  einen  Siedepunkt  gleich  der  Körpertemperatur  besitzen. 
Nähere  Einzelheiten  darüber  finden  sich  im  speziellen  Teile.  Hier  sei  nur  das 
erwähnt,  was  mehr  oder  weniger  allen  diesen  genannten  Mischnarkosen  ge- 
meinsam ist. 

§  103.  Es  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade  nicht  zu  leugnen,  daß 
diese  Narkosen  einen  Vorzug  vor  den  einfachen  Narkosen  besitzen,  allein 
dieser  Vorzug  ist  sehr  individuell  verschieden,  und  in  manchen  Fällen  auch 
nur  sehr  gering.  Wenn  mau  behauptet,  durch  die  kombinierte  Narkose  einen 
ruhigeren  Verlauf,  geringere  Excidation,  geringeres  Übelbefinden  nach  der 
Narkose,  geringere  Gefahren  während  der  Narkose  für  das  Leben  des  Kranken 
zu  erreichen,  so  sind  dies  alles  Postulate,  welche  bei  vielen  einfachen  Narkosen 
durch  vorsichtige  Technik  etc.  auch  erreicht  werden  können.  Immerhin  muß 
mau  bedenken,  wie  viel  komplizierter  die  kombinierte  Narkose  für  den  prak- 
tischen Arzt  ist.    Dieser  wird  kaum  dieselbe  anwenden  können,  sobald  dieselbe 


—     243     — 

wie  die  Schleichscheu  Siedegeinische  gar  viel  mehr  xlufwaud  au  Kosten, 
Instrumentarium  etc.  machen  als  die  einfache  Chloroformnarkose. 

Aber  noch  andere  Punkte  können  den  Mischnarkosen  als  mangelhafte 
und  unvorteilhafte  Eigenschaften  entgegengehalten  Averden.  So  hat  man  sehr 
bald  bemerkt,'"daß  jedes  der  gemischten  Narkotika  einzeln  verdampft  (Houigmann), 
wenn  man  die  Tropfmethode  verwendet.  So  fand  Houigmann,  daß  die  Bestand- 
teile des  Gemenges  mit  verschiedener  Schnelligkeit  verdunsten  und  annähernd 
nach  dem  Gesetze  der  fraktionierten  Destillation  einzeln  übergehen.  Der 
Kranke  steht  also  nach  jedesmaligem  Aiif träufeln  z.  B.  eines  Äther-Chloro- 
formgemeuges  anfänglich  hauptsächlich  unter  dem  Einflüsse  des  flüchtigeren 
Äthers  und  erst  nach  dem  Verdampfen  desselben  unter  der  Einwirkung  der 
Chloroformdämpfe.  Hierdurch  müssen  große  gefahrvolle  Schwankungen  in 
der  Konzentration  beider  Mittel  entstehen  und  bei  häufigerem  Aufträufeln  wird 
der  Kranke  ausschließlich  unter  einer  Äthernarkose  stehen.  So  wirkt  eine 
Mischung  von  4  Teilen  Äther  und  einem  Teile  Chloroform  lediglich  wie  eine 
reine  Ätherdarreichuug.  Zu  derartigen  Erfahrungen  sind  außer  Houigmann 
noch  eine  Reihe  von  Forschern  durch  zahlreiche  Versuche  an  Tieren  und  Beob- 
achtungen vou  Narkosen  au  Menschen  gelangt,  wie  Rodmann,  Thomson  und 
Kemp,  Zahn,  Trumaun,  Poppert,  Schmidt  etc.  Man  sieht  aus  diesen  Angaben, 
daß  mau  bei  der  Verwendung  vou  Narkotikagemischeu  auf  die  Tropfmethode 
verzichten  muß.  Denn  wenn  man  eine  bessere  Wirkung  von  Gemischen  er- 
zielen will,  muß  mau  nicht  die  Flüssigkeiten  selbst,  sondern  deren  Dämpfe 
mischen  und  das  Dampfgemisch  dem  Krauken  darreichen. 

In  dieser  Hinsicht  weiterschreiteud  hat  Braun  einen  Apparat  kon- 
struiert, welcher  derartig  eingerichtet  ist,  daß  der  Narkotiseur  dnrch  2  Hähne 
durch  den  einen  1  Vol.-Prozeut  Chloroform  und  durch  den  anderen  4  VoL- 
Prozent  Äther  dem  Kranken  verabreichen  kann.  Allein  auch  dieser  Methode 
haften  in  gewissem  Grade  die  Nachteile  der  reinen  Ätheruarkose  au. 

Eine  andere  Methode  ist  von  Geppert  angegeben  worden  mit  einem  von 
demselben  konstruierten  Apparate.  Der  letztere  ist  au  anderer  Stelle  genauer 
beschrieben  und  die  Verhältnisse  dieser  Methode  werden  im  speziellen  Teile 
noch  klarer  gelegt  werden.  Hier  wollen  wir  nur  kurz  mitteilen,  daß  es 
Geppert  gelungen  ist,  eine  genaue  Dosierung  zu  erreichen. 

Wenn  man  ein  Urteil  über  das  Verhalten  der  Mischuarkosen  fällen  will, 
so  müssen  noch  mehr  Versuche  und  Beobachtungen  der  einzelnen  Methoden 
vorausgehen.  Nur  eines  ist  bis  jetzt  zu  sagen,  das  ist,  daß  die  richtige  exakte 
Dosierung  nur  durch  Mischen  der  Dämpfe  erhalten  werden  kann,  uud  daß 
hierzu  Apparate  nötig  sind,  welche,  wenn  sie  gat  und  exakt  funktionieren 
sollen,  sehr  kompliziert  gebaut  sein  müssen  und  dadurch  so  kompendiös  uud 
schwer  transportabel  werden,  daß  der  praktische  Arzt  dieselben  nie  verwenden 
kann,  sondern  daß  dieselben  nur  in  einer  Klinik  gebraucht  werden,  wo  sie  an 
einem  Platze  feststeheukönnen.  Ferner  ist  dann  auch  die  Bedienung  eine  so 
wenig  leichte,  daß  der  praktische  Arzt,  der  Narkotiseur  uud  Operateur  zu 
gleicher  Zeit  ist,  dieselbe  nicht  ausüben  kann.  Was  nun  die  Wirkung  der 
Mischnarkose  auf  den  Organismus  anlangt,  so  hat  man  bei  einigen  Methoden 
z.  B.  den  Blutdruck  weniger  tief  sinken  seheu  als  bei  einer  einfachen  Narkose, 
wie  bei  der  Chloroformnarkose,  wo  er  fast  die  Hälfte  der  Norm  erreicht.  Allein 
bei  anderen  Mischuarkosen  war    dieser  Vorzug  nicht  zu   beobachten.      Ferner 

16* 


—     244     — 

glaubte  mau,  die  Luugeukomplikatioueu,  die  so  oft  uach  dem  Auweuden  des 
Äthers  auftreteu,  zu  verminderu  uud  doch  starheu  uach  Poppert  vou  812  Misch- 
narkosen 5  Personen  au  Pneumonie,  außerdem  beobachtete  er  eine  große  Menge 
von  Bronchitiden  und  leichteren  Pneumonien,  die  in  Genesung  übergingen. 
Wenn  man  auch  aus  diesen  Unfällen  lernte  und  andere  Gemische  herstellte, 
welche  in  dieser  Hinsicht  besser  auf  den  Organismus  wirken  sollten,  so  zeigten 
sich  dann  wieder  andere  Nachteile.  Wir  können  hier  weitere  Einzelheiten 
nicht  geben,  ohne  in  eine  spezielle  Betrachtung  der  einzelnen  Methoden  und 
Gemische  treten  zu  müssen.  Im  zweiten  Teil  dieses  Bandes  wird  jede  einzelne 
Methode  genau  erwähnt  werden  und  wir  werden  sehen,  welches  die  Vorzüge 
des  einen,  welches  die  des  anderen  Gemisches  sind.  Zweifellos  ist,  daß  die 
Akten  hierüber  noch  nicht  geschlossen  sind,  denn  der  Gedanke  ist  jedenfalls 
ein  sehr  yielversprechender,  und  es  muß  ein  stetes  Weiterforschen  ergeben,  ob 
hierin  das  Ideal  einer  Narkose  gelegen  ist. 

§  104.  Wenn  wir  hier  noch  wenige  Worte  hinzufügen  wollen,  so 
ist  es  um  eine  Methode  zu  erwähnen,  welche  vollkommen  gesondert  steht 
von  den  Mischnarkosen,  die  aber  auch  2  Narkotika  verwendet.  Dies  ist  die 
Schneiderlinsche  Scopolamin-Morphin-Narkose.  Dieselbe  unterscheidet  sich  von 
den  obigen  dadurch,  daß  die  Darreichung  durch  subkutane  Injektion  beider  Mittel 
geschieht.  Es  ist  im  allgemeinen  über  diese  Methode  nichts  zu  erwähnen, 
da  ein  näheres  Eingehen  auf  dieselbe  Sache  der  speziellen  Betrachtung  ist. 
Die  gesonderte  Stellung  dieser  Methode  ist  ihr  durch  die  besondere  Art  der 
Einverleibung  gegeben.  Meist  ist  mau  gezwungen,  noch  eine  geringe  Menge 
Äther  zu  geben,  um  die  Betäubung  vollkommen  zu  machen. 

Wir  können  hiermit  das  Kapitel  über  Mischnarkosen  verlassen.  Die  im 
vorhergehenden  über  die  einfache  Narkose  genannten  allgemeinen  Daten  finden 
ihre  Anwendung  auch  auf  diese  Methode,  die  Gesichtspunkte  beim  Einleiten, 
bei  der  Technik,  der  Vorbereitung  und  Nachbehandlung  des  Kranken  etc.  sind 
hier  ebenso  wichtig,  wie  bei  der  einfachen  Inhalationsnarkose  und  so  brauchen 
wir  weiter  nichts  hinzuzufügen,  sondern  nur  auf  die  früheren  Kapitel  dieses 
Buches  zu  verweisen. 


B.    Spezieller  Teil. 


1.   Kapitel. 
Die  Chloroformnarkose. 

§  1.  Das  Chloroform  ist  eine  wasserklare  Flüssigkeit,  stark  licht- 
brecheud  und  leicht  verdampfend,  von  dem  spezifischen  Gewichte  1,485 — 1,489, 
dessen  Siedepunkt  zwischen  60**  und  62"  gelegen  ist.  Dasselbe  hat  einen  an- 
genehm süßlichen  Geruch  und  Geschmack,  ist  nur  wenig  im  Wasser  löslich, 
leichter  in  Alkohol,  Äther,  Fetten  und  ätherischen  Ölen.  Durch  Einwirken 
von  Luft,  Licht  und  Wärme  zersetzt  sich  das  Chloroform  sehr  leicht. 

Dasselbe  ist  von  Methangas  derartig  ableitbar,  daß  3  Wasserstoifatome 
des  Methan  durch  3  Chloratome  im  Chloroform  ersetzt  werden,  daher  die 
chemische  Formel  für  Chloroform  C.  H.  CI3. 

Die  Darstellung  des  Chloroforms  erfolgt  fabrikmäßig  aus  dem  Äthyl- 
alkohol durch  Hinzufügen  von  Chlorkalk.  Weitere  Darstelhmgsmethoden  sind 
die  durch  Einwirken  von  Alkalien  auf  Chloralhydrat,  von  Aceton  auf  Chlorkalk 
und  verschiedene  mehr,  welche  in  neuerer  Zeit  soweit  vervollkommnet  sind, 
daß  die  Fabriken  ein  völlig  reines  Präparat  in  den  Handel  bringen. 

In  England  stellt  man  hauptsächlich  das  Chloroform  durch  Chlorieren 
des  sorgfältig  gereinigten  Methylalkohols  dar,  und  ist  auf  dessen  Reinheit  be- 
sonders stolz.  Auf  Veranlassung  von  Liebreich  hat  Pictet  aus  dem  im  Handel 
käuflichen  Chloroform  bei  —  70°  bis  80°  eine  Art  Chloroform  in  langen  Nadeln 
ausgeschieden  und  dies  mit  dem  Namen  Eischloroform  belegt.  Anschütz  hat 
das  reinste  Chloroform  aus  einer  Verbindung  des  Salizyl  mit  Chloroform  her- 
gestellt, das  sogenannte  Salizylidchloroform.  Die  Verbindung  des  Salizyl  mit 
Chloroform  ist  ein  kristallinischer  Körper,  aus  welchem  durch  Destillation  das 
reine  Chloroform  erhältlich  ist.  Witzel  ist  ein  eifriger  Verteidiger  dieses 
Chloroforms,  während  Hans  Schmidt  Witzeis  Erfolge  nicht  ani  die  Reinheit 
bezieht,  sondern  auf  die  Methode  des  Narkotisiereus,  die  sorgfältige  Tropf- 
methode. Schmidt  konnte  auch  mit  anderem  Chloroform  wie  dem  Eischloroform 
keine  besonderen  Erfolge  erzielen,  welches  nach  Hohenemser  das  beste  Chloro- 
form sein  sollte,  derselben  Ansicht  war  Philip.  Custing  untersuchte  auch 
Fabrikate  ausländischen  Chloroforms  und  fand  bei  ihnen  dieselben  Erfolge  wie 
mit  den  anderen  Chloroformarteu.  Reznier  rät,  Chloroform  kurz  vor  der 
Narkose  zu  destillieren,  da  es  so  keine'  Zeit  habe,  sich  zu  zersetzen. 

Die  Pharmakopoe  bestimmt  die  Eigenschaften  des  Chloroforms  wie  vorher 
geschildert.  Durch  Zusatz  von  Alkohol  wird  der  Siedepunkt  und  das  spezifische 
Gewicht  herabgesetzt.  Nach  den  Behauptungen  von  Biltz,  Lewin,  Husemann, 
Rumpf,  Liebreich,  Hirsch,  Schneider  ist  der  Zusatz  von  Alkohol  notwendig, 
tmi  der  Zersetzung  vorzubeugen.      Der  Zusatz  von    ^/.^"/o  Alkohol  soll  bis  zu 


—     248     — 

11  Monaten,  l^l^  bis  über  1  Jahr  Schutz  vor  Zersetzung-  bei  Aufbewahrung  des 
Chloroforms  im  ungedämpften  Tageslicht  gewähren. 

Biltz  hatte  über  6  Jahre  einen  Teil  solchen  Chloroforms  aufbewahrt, 
ohne  daß  dasselbe  sich  zersetzt  hatte. 

Ohne  Alkoholzusatz  ist  freilich  Vorsicht  anzuraten  iiud  nur  guter  Ver- 
schluß mit  Abschluß  von  Licht  dringend  zu  empfehlen. 

Das  Chloroform  ist  in  bezug  auf  den  menschlichen  und  tierischen  Or- 
ganismus ein  sehr  starkes  Gift  und  wir  müssen  infolgedessen  bestrebt  sein, 
bei  der  Anwendung  nur  ein  vollkommen  reines  Präparat  zu  verwenden.  Es  ist 
leicht  zu  verstehen,  daß  etwaige  Zersetzungsprodukte  des  Chloroforms  ebenso 
Beimengungen  von  anderen  chemischen  Stoffen,  wie  sie  bei  der  Darstellung 
leicht  dem  Chloroform  anhaften  bleiben  können,  für  den  Organismus  schädlich 
sein  werden.  Deshalb  ist  es  unsere  erste  Pflicht,  ein  vollkommen  chemisch 
reines  Präparat  zu  verwenden.  Die  in  dieser  Hinsicht  besten  Chloroformsorten 
sind  folgende.  Ein  vorzügliches  Chloroform  wird  von  der  Aktiengesellschaft 
für  Anilinfabrikation  in  Berlin  unter  dem  Namen  Chloroform-Anschütz  in  den 
Handel  gebracht.  Dieses  Chloroform  ist  von  uns  während  unserer  Tätigkeit 
ausschließlich  zu  Narkosen  verwandt  worden  und  wir  haben  bei  den  vielen 
Narkosen,  die  wir  mit  Chloroform-Anschütz  gemacht  und  gesehen  haben,  nie 
irgendwelchen  Schaden  für  den  Kranken  entstehen  sehen  und  keinen  Unfall 
ernster  Art,  der  auf  etwaige  Mängel  am  Chloroform  zu  beziehen  wäre,  erlebt. 
Witzel,  Schmid,  Tillmanns,  Fritsch  und  andere  rühmen  ebenfalls  die  vorzüg- 
lichen Eigenschaften  dieses  Chloroforms.  Anschütz  hat  durch  die  Herstellungs- 
weise die  größtmögliche  Reinheit  erreicht,  indem  er  Chloroform  mit  Salizylid 
verbindet  zu  einem  kristallinischen  Körper,  dem  Salizylid-Chloroform.  In  dem- 
selben spielt  das  Chloroform  dieselbe  Rolle  wie  das  Kristallwasser  in  vielen 
Salzen.  Durch  Erhitzen  des  Salizylid-Chloroform  in  einem  Destillierapparat 
spaltet  sich  das  Chloroform  ab  und  wird  als  vollkommen  chemisch  reines 
Präparat  durch  diese  Destillation  erhalten.  Es  entspricht  also  dieses  Chloro- 
form den  geforderten  Eigenschaften,  nur  muß  man  bei  demselben  ebenso  wie 
bei  allen  anderen  Sorten  vor  der  Zersetzung  bei  Anwesenheit  von  Luft,  Licht 
und  Wärme  auf  der  Hut  sein.  Es  wird  deshalb  das  Chloroform  in  Einzel- 
packungen von  25,  50  und  100  g  in  braunen  gut  verschlossenen  Flaschen  in 
den  Handel  gebracht.  Diese  Packung  ist  von  ganz  enormem  Wert,  da  der 
Arzt  die  gebräuchlichste  Menge  für  eine  Narkose  (25  g)  in  einer  Flasche  erhält, 
er  braucht  nicht  große  Quantitäten  zu  kaufen .  die  umgegossen  und  länger 
aufbewahrt  werden  müssen,  wobei  sie  Zersetzungen  erleiden.  Eine  andere 
Packung  in  Ampullen  ist  ebenfalls  sehr  brauchbar  und  praktisch.  Nur  durch 
die  Abgabe  von  festverschlossenen  Einzeldosen  von  der  Fabrik,  an  denen  der 
Apotheker  nicht  zu  öffnen  etc.  hat,  kann  eine  Gewähr  für  ein  dauernd  reines, 
vollkommen  unzersetztes  Präparat  gegeben,  werden  und  der  Arzt  kann  diese 
Flaschen  uneröffnet  mit  sich  führen  und  sofort  bei  Bedarf  verwenden,  ohne 
Sorge  zu  haben,  daß  etwa  eine  Zersetzung  eingetreten  sein  könnte,  wie  bei 
Bezug  in  abgegossenen  Mengen  aus  einer  Apotheke. 

Neben  dem  Chloroform-Anschütz  haben  wir  in  dem  Chloroform  von 
Schering  ein  ebenfalls  vorzügliches  Präparat.  Dasselbe  wird  aus  Chloralhydrat 
durch  Zersetzung  desselben  dargestellt  und  hat  nach  verschiedeutlichem  Ver- 
wenden einen  ebensolchen  Ruf  der  Reinheit  erlangt,   wie  das  vorhergehende. 


—     ^49     — 

Andere  ebenfalls  bekannte  und  vorzügliche  Präparate  sind  folgende: 

Das  Cliloruform  Ph.  G.  IV.  puriss.  ]\Iarke  Riedel, 
,,  „  pur.  Ph.  G.  IV.  E.  Merck,  Darmstadt, 

„  „  puriss.  Marke  E.  H.  Chem.  Fabrik  E.  Heuer,  Cotta  bei 

Dresden, 
„  „  Duucaus    Pure.    S.    G.    1,490    Prepared    entirely    froni 

British  Ethelic   Alcohol    by  Duncan,    Flockhard   &  Co. 
Edinburgh  and  London. 
„  „  e  chloralo,  .J.  D.  Riedel, 

„  „  e  chloralo  Ph.  Hung  II.  E.  Merck,  Darmstadt. 

Diese  hier  genannten  Sorten  sind  sämtlich  von  der  Pharmokopöe  aner- 
kannte, gute  Präparate.  Die  deutsche  Pharmakopoe  nimmt  nämlich  keine 
Rücksicht  auf  die  Darstellung  des  Chloroforms,  sondern  nur  auf  die  Eigen- 
schaften desselben.  Das  Chloroform  kann  aus  Chlorkalk  und  Alkohol,  oder 
Chloralhydrat  etc.  hergestellt  sein,  es  muß  den  gesetzlich  bestimmten  Anfor- 
derungen entsprechen.  Es  hat  sich  nun  bei  der  näheren  Untersuchung  dieser 
verschiedenen  Chloroformarten  herausgestellt,  daß  dieselben  doch  mehr  oder 
weniger  voneinander  verschieden  sind,  obwohl  sie  den  Anforderungen  der 
Pharm,  germ.  entsprechen. 

Es  folgt  in  den  nächsten  Paragraphen  eine  Tabelle  von  Lauggaard, 
welcher  mit  den  gebräuchlichsten  Chloroformarten  mit  einer  Schwefelsäure- 
Formalinprobe  Untersuchungen  anstellte.  Er  fand  bei  seinen  Untersuchungen, 
welche  später  noch  genauer  aufgezeichnet  sind,  daß  gerade  die  sich  in  der 
Praxis  am  besten  bewährten  Chloroformsorten  ein  weniger  gutes  Resultat 
bei  diesen  Untersuchungen  abgeben.  Nach  diesen  von  Lauggaard  vorgenommenen 
Proben  stellt  sich  das  Chloroform  Schering  als  das  beste  heraus.  Es  geht 
ferner  aus  dieser  Untersuchung  Lauggaards  hervor,  daß  die  Herstellung  aus 
Chloralhydrat  oder  Salizylidchloroform  keine  Garantie  für  absolute  Reinheit 
abgibt,  und  daß  die  Sorten,  die  aus  Chlorkalk  oder  Aceton  und  Chlorkalk  etc. 
hergestellt  sind,  ebenso  Beimengungen  aufweisen,  ev.  sogar  bisweilen  weniger 
als  jene.  Aber  dennoch  sollten  doch  die  Bestrebungen  dahingehen,  auch  nach 
den  Untersuchungen  jener  Tabelle  hin,  ein  möglichst  reines  Chloroform,  wie 
das  Scheringsche,  herzustellen.  Diese  Beimengungen  nämlich  haben  jedenfalls 
keinen  Einfluß  bedeutender  Art,  denn  in  praxi  hat  man  einen  Todesfall 
durch  dieselben  nicht  zu  verzeichnen,  wohl  aber  mögen  dieselben  unangenehme 
Erscheinungen  während  und  nach  der  Narkose  eventuell  hervorrufen,  wie  Kopf- 
schmerz, Übelkeit,  Erbrechen  etc.  Diese  Beimengungen  werden  nun  aber 
ganz  erheblich  dann  vermehrt,  wenn  das  Chloroform  Gelegenheit  hat,  sich  zu 
zersetzen.  Deshalb  muß  man  dies  vermeiden,  denn  bei  der  Zersetzung  bilden 
sich  durch  Einwirken  von  Licht,  Luft  und  Wärme  Chlorverbindungen,  Phosgen 
und  andere  Stoffe,  die  den  Organismus  bei  genügenden  Mengen  stark  schädigen 
können.  Aiich  die  obengenannten  Fabriken  bringen  das  Chloroform  in  kleinen 
Einzelpackungen  in  den  Handel,  wodurch  weniger  günstige  Verhältnisse  für 
die  Zersetzung  geschaffen  werden.  Der  Arzt  muß  schon  durch  den  Geruch 
reines  Chloroform  von  zersetztem,  schlechtem,  verunreinigtem  unterscheiden 
können,  deshalb  sollte  jeder  sich  darin  üben,  indem  er  bei  jeder  Gelegenheit 
das  zu  verwendende  Chloroform  vorher  auf  seinen  Geruch  hin  prüft. 


—     250     — 

Wir  wolleu  uns  uuu  in  dem  Folgenden  mit  den  anderen  Metlioden  zur 
Prüfung-  der  Bescliaffenlieit  des  Chloroforms  befassen. 

Es  sind  die  gebräuchliclisten  und  die,  welche  von  jedem  Arzt  durch 
Bereithalten  der  wenigen  notwendigen  Chemikalien  leicht  vorgenommen  werden 
können,  in  dem  Folgenden  zusammengestellt: 

I.  Die  Bestimmung  des  Weingeistgehaltes  im  Chloroform  ist  die  ein- 
fachste Methode.  Man  bestimmt  das  spezifische  Gewicht  des  betreffenden 
Chloroforms.  Hat  dasselbe  ein  geringeres  als  1,485 — 1,489,  so  deutet  dies 
einen  Gehalt  von  Weingeist  an,  welcher  um  so  größer  ist,  je  geringer  das 
spezifische  Gewicht  ist. 

II.  Läl3t  man  ca.  1  com  Chloroform  auf  einem  Uhrschälchen  verdunsten, 
so  darf  in  dem  Uhrschälchen  kein  Rückstand  bleiben.  Ist  nach  wenigen  Minuten 
in  dem  Uhrschälchen  ein  lester  oder  öliger  Rückstand,  so  sind  fremde  Bestand- 
teile in  dem  Chloroform  enthalten  gewesen. 

Diese  Rückstände  könnten  sein:  Salzsäure,  Arsenverbindungen,  Chlor- 
verbindungen etc. 

III.  Schüttelt  man  6  ccni  Chloroform  mit  3  ccm  Wasser  heftig  einige 
Sekunden  und  taucht  in  dieses  Gemisch  blaues  Lackmuspapier  ein,  so  muß 
dasselbe  bei  reinem  Chloroform  blau  bleiben.  Wird  das  Lackmuspapier  rot 
gefärbt  durch  die  Flüssigkeit,  so  deutet  dies  auf  Anwesenheit  einer  Säure, 
meist  Salzsäure  hin. 

IV.  Nimmt  man  einige  Kubikzentimeter  obiger  Mischung  von  Chloroform 
mit  Wasser  und  schichtet  dieselben  vorsichtig  auf  eine  Lösung  von  Silbernitrat, 
so  bildet  sich  bei  Gegenwart  von  Salzsäure  eine  weiße  milchige  Trübung, 
zuerst  an  der  Grenze  beider  Lösungen.  Bleiben  diese  Flüssigkeiten  beide  klar, 
so  ist  das  Chloroform  rein,  wenigstens  nicht  mit  Salzsäure  verunreinigt. 

V.  Wird  bei  obiger  Überschichtung  in  No.  IV  ein  rötlich-brauner  bis 
gelber  Ring  und  schließlich  Trübung  sichtbar,  so  ist  in  dem  Chloroform  Arsen 
enthalten. 

VI.  Schüttelt  man  Chloroform  mit  Jodzinkstärkelösang  zu  gleichen 
Teilen,  so  bleibt  bei  reinem  Chloroform  dasselbe  ungefärbt,  und  es  darf  ferner 
keine  Blaufärbung  der  Jodzinkstärkelösung  .auftreten.  Ist  freies  Chlor  im 
Chloroform  enthalten,  so  färbt  sich  die  Jodzinkstärkelösung  blau,  bei  größerer 
Menge  freien  Chlors  wird  auch  das  Chloroform  violett  gefärbt. 

VII.  Verunreinigungen  des  Chloroforms,  welche  durch  Zersetzung  des- 
selben bei  langem  Stehen  ohne  oder  bei  schlechtem  Verschluß  etc.  entstanden 
sind,  kann  man  durch  den  Geruch  wahrnehmen,  indem  man  bemerkt,  daß  dieses 
Chloroform  einen  erstickenden  Geruch  nach  Phosgengas  besitzt. 

VIII.  Nimmt  man  bestes  weißes  Filtrierpapier,  tränkt  dasselbe  mit 
Chloroform,  und  läßt  letzteres  verdunsten,  so  clarf  das  Papier,  nachdem  es 
trocken  gewurden  ist,  keinen  Geruch  mehr  aufweisen  Hat  dasselbe  noch 
irgendwelchen  (xeruch,  so  deutet  das  auf  die  Gegenwart  von  Chlorverbindungen 
des  Aethyls,  Amyls  etc.  hin. 

IX.  Nimmt  man  20  ccm  Chloroform,  versetzt  dieselben  mit  15  ccm 
Schwefelsäure  und  bringt  das  Gemisch  in  ein  vorher  durch  Schwefelsäure  aus- 
gespültes und  gereinigtes  Fläschchen  mit  Glasstöpsel,  welches  gut  verschlossen, 
während  einer  Stunde  stehen  gelassen  wird,  wobei  man  es  häufig  kräftig  um- 
schüttelt, so  darf  sich  nach  einer  Stunde  die  Schwefelsäure  nicht  färben,  wenn 
das  Chloroform  rein  ist.  Färbt  sich  die  Schwefelsäure  braun,  so  deutet  dies 
auf   Gegenwart  von  fremden  Chlorverbindungen  des  Aethylidens,    Amils    etc. 

Eine  weitere  Probe  ist  von  Lauggaard  angegeben,  welche  wohl  der  all- 
gemeinen Anerkennung  wert  erscheint  und  den  bisher  üblichen  Prüfungs- 
methoden angereilit  werden  muß.  Langgaard  hat  auf  Anregung  einer  englischen 
Firma,  welche  in  verschiedenen  Chloroformarten  Beimengungen  fremder  Art 
gefunden  zu  haben  meinte,  indem  sie  ein  Destillationsresultat  von  teils  kri- 
stallinischer, teils  schmieriger  Natur  aus  diversen  Chloroformproben  darge- 
stellt hatte.  Versuche   angestellt,  und  sicü  mit  der  Prüfung  näher  befassend 


—     251       - 

durch  seine  neue  Probe  festgestellt,  flaß  luelirere  von  der  Pharuiakopöe  als 
vorzüg-licli  rein  anerkannte  Präparate  doch  noch  Verunreinigungen  enthalten, 
wie  oben  schon  bemerkt  wurde. 

Diese  Probe  besteht  in  folgendem:  Man  bringt  das  oben  in  No.  IX  ge- 
schilderte Chloroformschwefelsäureg'emisch  in  ein  durch  Schwefelsäure  ausge- 
spültes Glasgefäi3,  welches  durch  einen  Glasstopfen  verschließbar  ist.  Diesem 
Gemisch  setzt  man  3 — 4  Tropfen  Formalin  hinzu  und  schüttelt  dieses  Gemisch 
kräftig  durch.  Direkt  nach  dem  ümschütteln  tritt  eine  mehr  oder  weniger 
intensive  Braimfärbung  der  Schwefelsäure  auf,  und  selbst  eine  braune  Ab- 
scheidung in  manchen  Fällen.  Diese  Pteaktiou  ist  nach  den  Versuchen  von 
H.  Linke  zur  Erkennung  von  Benzol  als  sicher  geschildert,  und  es  deutet 
demnach  die  positiv  e  Chloroformprobe  eine  Beimengung  von  Benzol  an.  Das 
von  Linke  verwandte  Reagens  auf  Benzol  besteht  aus  3  ccm  konzentrierter 
Schwefelsäure  mit  2  Tropfen  Furmalin  und  gibt  bei  Gegenwart  von  Benzol 
braune  bis  schwarzbraune  Färbung  resp.  Abscheidung.  Dasselbe  Reagens  wurde 
vorher  von  Marquis  zum  Nachweis  von  Morphin  verwandt,  da  es  bei  Morphin- 
gegenwart eine  rotviolette  Färbung  liefert. 

Lauggaard  hat  nun  dieser  Probe  folgende  Chloroforme  unterworfen  und 
zugleich  dieselben  auf  ihren  Verdampfungsrückstand  geprüft  und  fand  zwar  bei 
unsern  gebräuchlichsten  Chloroformsorten  keinen  wägbaren  Verdampfungsrück- 
stand,   wohl  aber    geringe  Rückstände  von  sehr  intensiv  stechendem    Geruch. 

Ich  lasse  hier  seine  Resultate  in  der  von  ihm  aufgestellten  Tabelle  folgen: 


Chloroformprobe 

Verdampfungs- 
rückstand 

Formalin-Schwefelsäurereaktion 

I.  Chloroform  Ph.  G.  IV 
puriss.  Marke  „Riedel" 

Stechender  (4eruch 
nach        gechlorten 
Produkten 

Braunfärbuug 

II.  Chloroform    pur.  Ph. 
G.  IV.  E.  Merck. 

Geruchlos 

Dunkelbraune  Färbung ,  nach 
einiger  Zeit  braune  Abscheidung 

III.    Chloroform    puriss. 
Marke  E.  H.  ehem.  Fa- 
brik Cotta.  E.Heuer 

Geruch     nach    ge- 
chlorten Produkten, 
leicht  stechend 

Ganz  leichter  Stich  ins  Bräun- 
liche, am  folgenden  Tage  Fär- 
bung stärker 

IV.  Chloroform  Duneans 
„Pure"  Sp.  G.  1,  490 

Widerlicher,    senf- 
ölartiger  Geruch 

Farblos.  Am  folgenden  Tage 
schwache  Gelbfärbung- 

V.     Scherings      Chloral- 
Chloroform 

Geruchlos 

Farblos.  Am  folgenden  Tag 
gelb,  etwas  stärker  als  bei  IV 

VI.     Chloroformium       e 
chloralo  J.  D.  Riedel 

Stechender  starker 
Geruch     nach    ge- 
chlorten Produkten 

Starke  dunkelbraune  Färbung, 
nach  einiger  Zeit  braune  Ab- 
scheidung 

VII.  Chorof orm  e  chloralo 
Ph.  Hung  II,  E.  Merck 

Geruchlos 

Starke  dunkelbraune  Färbung, 
später  braune  Abscheiduug  wie 
bei  VI 

VIII.     Chloroform  -  An- 
schütz 

Schwacher,  muffiger 
Geruch 

Starke  dunkelbraune  Färbung, 
später  braune  x4.bscheiduug  wie 
bei  VI. 

Das  Resultat  dieser  Untersuchungen  ist  ein  sehr  interessantes,  denn  es 
zeigt,  daß  gerade  das  in  ärztlichen  Kreisen  als  reinstes  Chloroform  gekannte 
Chloroform-Anschütz  die  meisten  Beimengungen  enthält  und  als  schlechtestes 
in  dieser  Reihe  dasteht.  Es  ist  ja  aus  dieser  Tabelle  nicht  ersichtlich,  was 
diese  Beimengungen  bedeuten.  Jedenfalls  kann  man  diese  Beimengungen  nicht 
für  die  wenigen  Chloroform-Todesfälle  verantwortlich  machen,   ob   sie  die  Ur- 


—      252      — 

sacbe  zu  üblen  Erscheimmgeu  während  der  Narkose  sind,  läßt  sich  bis  jetzt 
noch  nicht  sicher  entscheiden.  Auf  jeden  Fall  ist  es  nötig,  daß  in  dieser 
Richtung  noch  weitere  Versuche  angestellt  werden. 

Dieses  sind  die  Proben  auf  die  hauptsächlichsten  Verunreinigungen  des 
Chloroforms,  welche  durch  ihre  Nebenwirkungen  dem  Organismus  Schaden  zu- 
zufügen imstande  sein  können.  Dieselben  zeichnen  sich  dadurch  aus,  daß  sie 
schnell  und  ohne  große  Mühe  nicht  nur  in  einer  chirurgischen  Klinik,  wo 
ihre  Anwendung  meist  überflüssig  erscheint,  da  hier  dem  Präparat  schon  von 
Haus  aus  mehr  Aufmerksamkeit  geschenkt  wird,  sondern  auch  vom  praktischen 
Arzte  in  dessen  AVohnung  vorgenommen  werden  können,  welcher  oftmals  nicht 
die  Garantie  hat,  daß  ihm  von  der  Apotheke  ein  einwandfreies  Präparat  ge- 
sandt wird,  oder  schon  länger  aufbewahrtes  Chloroform  verwenden  will.  Da  bei 
ihm  nicht  täglich  Narkosen  gemacht  werden,  so  kann  es  passieren,  daß  er  ev. 
fern  von  einer  Apotheke  nur  auf  seinen  Vorrat  von  Chloroform  augewiesen  ist, 
und  es  ist  in  einem  solchen  Falle  für  den  Arzt  eine  große  Annehmlichkeit, 
wenn  er  eine  Probe  auf  die  Verwertbarkeit  und  Reinheit  seines  Narkotikums 
anwenden  kann,  um  ev.  verunreinigtes  auszuschalten,  ehe  ein  Unglücksfall 
durch  Unreinheiten  im  Chloroform  sich  ereignen  könnte.  Eine  dieser  Methoden 
auszuführen  wird  er  wohl  stets  imstande  sein,  denn  dieselben  sind  einfach 
und  erfordern  Mittel,  die  ihm  fast  überall  zur  Verfügung  stehen  können,  in 
seinem  Hause  aber  zur  Hand  sein  müssen. 

§  2.  Wenn  wir  uns  in  dem  Folgenden  mit  der  Chloroformwirkung 
auf  den  Organismus  beschäftigen  wollen,  so  muß  ich  vorausschicken,  daß  ich 
die  Chloroformwirkung  als  eine  physiologische,  d.  h.  physiologisch  in  bezug 
auf  die  Narkose  an  sich,  und  eine  pathologische  Einwirkung  betrachte.  Es  ist 
ja  die  Chloroformnarkose  wie  jede  Narkose  eine  Intoxikation  des  Organismus. 
Da  aber  die  Narkose  in  der  ärztlichen  Praxis  eine  so  unentbehrliche  Vornahme 
ist,  so  halte  ich  es  nicht  für  falsch,  wenn  man  die  normal  verlaufende  Chloro- 
formwirkung physiologisch  nennt,  gegenüber  den  schädigenden  Wirkungen  der 
Chloroformnarkose,  die  unter  besonderen  Verbältnissen  entstehen,  ja  aus  den 
physiologischen  Wirkungen  hervorgehen  und  sich  als  stärkere  Wirkung  äußern, 
die  eine  pathologische  Veränderung  im  Organismus  zur  Folge  hat. 

Diese  physiologische  Wirkung  des  Chloroforms,  welche  also  dem  Körper 
des  Chloroformierten  keinen  dauernden,  ja  auch  keinen  momentanen  Schaden 
verursacht,  muß  präzisiert  werden,  damit  der  Arzt  weiß,  wo  hört  dieselbe  auf 
und  wo  fängt  die  pathologische  an. 

Das  Chloroform  wirkt  ja,  wie  früher  im  allgemeinen  Teile  dieses  Buches 
genau  erörtert  wurde,  zunächst  auf  die  nervösen  Zentralorgane,  das  Gehirn 
mit  seinen  Ganglienzellen  ein,  es  bringt  in  den  Ganglienzellen  einen  anderen 
Zustand  hervor,  wodurch  diese  oder  jene  Erscheinung  am  Körper  hervor- 
gerufen wird.  Wie  diese  Veränderungen  in  den  Ganglienzellen  vor  sich  gehen, 
das  entzieht  sich  unserer  Kenntnis,  wir  haben  wohl  gewisse  Theorien,  aber  wir 
wissen  es  noch  nicht  mit  Bestimmtheit.  Das  Vehikel,  durch  welches  das 
Chloroform  in  das  Gehirn  transportiert  wird,  wird  durch  das  Blut  dargestellt. 
Wir  verabreichen  dem  Kranken  das  Chloroform  mit  Luft  mehr  oder  weniger 
stark  vermengt  als  Dampf  durch  die  Respirationsorgane,  die  Lungen  nehmen 
die  Chloroformdämpfe  auf,  und  in  demselben  werden  sie  dem  Blute  übermittelt. 
Es  ist  wohl  am  wahrscheinlichsten,  daß  das  Plasma  des  Blutes  das  eigentliche 


Vehikel  darstellt,  jedenfalls  spielt  nach  Overtou,  Meyer  etc.  dasselbe  die 
Hauptrolle,  während  das  von  den  Blutkörperchen  gebundene  Chloroform  nur 
einen  geringen  Teil  repräsentiert,  welcher,  wie  im  allgemeinen  Teil  des  ge- 
naueren erörtert,  erst  in  zweiter  Linie  in  betracht  kommt.  Aus  dem  Blutplasma 
gelangt  das  Chloroform  im  Gehirn  zunächst  in  den  Zellsaft  der  Ganglienzellen 
und  dann  in  die  Cholesterin-Lecithinverbindungen  des  Protoplasma,  woselbst 
es  die  Wirkung  als  Narkotikum  entfaltet. 

Wenn  man  einen  Menschen  mit  Chloroform  vollkommen  narkotisieren 
will,  so  muß  man  demselben  ein  Gasgemeuge  von  8  g  Chloroform  auf  einen 
Hektoliter  Luft  bei  20 o  C.  von  gleichbleibender  Konzentration  zuführen  (Overton). 
Dieses  Gasgemisch  bewirkt  bei  der  Einatmung  durch  die  Lungen  die  zur  Be- 
täubung nötige  Konzentration  der  Lösungen  von  Chloroform  im  Blutplasma 
und  Zellsaft.  Aus  dem  Zellsaft  gelangt  dann  das  Chloroform  in  die  Lecithin- 
cholesteariuhaltigen  Bestandteile  der  Ganglienzellen  des  Grehirns  und  verändert 
den  physiologischen  Zustand  dieser  Lecithin-cholestearingemische  derart,  daß 
sie  entweder  selbst  ihre  normalen  Funktionen  innerhalb  der  Zellen  nicht  mehr 
vollziehen  können  oder  störend  auf  die  Funktionen  anderer  Zellenbestandteile 
wirken.  Die  narkotische  Kraft  des  Chloroforms  ist  bestimmt  durch  die  Größe 
des  Teilungskoeffizienten  des  Chloroforms  zwischen  Wasser  resp.  den  wässe- 
rigen Säften  des  Organismus  und  den  Lecithiu-cholestearingemischen  als  Lösungs- 
mittel. Der  Teilungscoeffizient  des  Chloroforms  zwischen  Wasser  und  Olivenöl 
ist  für  verdünntere  Lösungen  ca.  30 — 33,  wie  durch  Bestimmung  des  partiellen 
Dampfdruckes  des  Chloroforms  in  Lösungen  von  Wasser  und  Öl  gefunden 
wurde  (Overton  etc.) 

Das  Chloroform  tritt  leicht  in  die  Zellen  des  lebenden  Organismus  ein, 
kann  aber  ebenso  leicht  bei  wechselnden  Konzentrationen  in  den  umgebenden 
Medien  (Blutplasma,  Zellsaft  etc.)  aus  der  Zelle  in  die  Medien  übertreten. 

Durch  Versuche  hat  man  gefunden,  daß  die  einzelnen  Tierklassen  ver- 
schieden zur  Chloroformwirkung  sich  verhalten.  Die  Widerstandsfähigkeit  der 
Tiere  gegen  das  Chloroform  ist  umgekehrt  proportional  der  Reihenfolge 
der  einzelnen  Tierklassen,  d.  h.  je  niedriger  ein  Tier  steht,  um  so  mehr 
Chloroform  ist  nötig,  um  dasselbe  zu  narkotisieren  (Overton,  Meyer)  und  die 
Menge  wird  um  so  größer,  als  das  Tier  in  die  niedrigeren  Klassen  rückt.  Hieraus 
folgt,  daß  die  Empfindlichkeit  des  Organismus  auf  die  Wirkung  des  Chloroforms 
mit  der  höheren  Stufe,  auf  der  das  Tier  steht,  wächst,  also  die  Empfindlichkeit 
der  einzelnen  Tierklassen  ist  direkt  proportional  ihrer  Stufe  der  Entwicklung, 
d.  h.  das  Säugetier  reagiert  leichter,  oder  schon  auf  eine  geringere  Menge 
Chloroform  als  die  Würmer,  diese  wieder  leichter  als  die  Protozoen. 

Als  Folgen  dieser  Einwirkung  auf  die  Ganglienzellen  des  Gehirns  sehen 
wir  am  narkotisierten  Menschen  all  die  Erscheimingen  auftreten,  wie  sie  im 
allgemeinen  Teil  als  typische  Zeichen  der  Narkose  erläutert  wurden.  Die 
Chloroformnarkose  weist  typisch  die  4  Stadien  auf,  welche  nur  die  Folgen  der 
stärkeren  und  intensiveren  Intoxikation  des  Organismus,  die  Zeichen  der 
stufenweise  progredient  einhergehendeu  Lähmung  der  Ganglienzellen  im  Gehirn 
darstellen. 

Das  Initialstadium  bei  der  Chloroformuarkose  ist  als  ein  gegenüber  dem 
der  Äthernarkose  kürzeres  anzusehen,  eine  Folge  der  stärkeren  Giftwirkung 
des  Chloroforms. 


—     254     — 

Es  ist  auch  iu  diesem  Stadium  die  Chlor oformwirkuug  ähnlich  der  des 
Äthers ,  indem  dieselbe  auch  einen  Zustand  allgemeiner  Analgesie  hervorruft, 
die  sogenannte  „Rauschnarkose",  die  am  Ende  des  Initialstadiums  eintritt 
(Riedel  etc.).  Dieser  Chloroformrausch  tritt  namentlich  dann  ein,  wenn  mau 
dem  Kranken  schnell  und  tief  Chloroformdämpfe  in  hoher  Konzentration  ein- 
atmen läßt.  Es  wird  dabei  der  Organismus  sehr  rasch  mit  viel  Chloroform 
überschwemmt  und  dabei  eine  sehr  gute  und  vollkommene  Analgesie 
des  Menschen  bei  erhaltenem  Bewußtsein  erzeugt,  so  daß  sehr  leicht  kleinere 
Operationen  vollkommen  schmerzlos  ausgeführt  werden  können.  Allerdings 
dauert  dieser  Zustand  nur  sehr  kurze  Zeit  au,  er  ist  bei  weitem  kürzer  als  bei 
der  Ätherwirkung,  eine  Folge  der  größeren  Giftigkeit  des  Chloroforms,  xiußerdeui 
ist  dieser  Chloroformrausch  auch  mit  Gefahren  für  den  Menschen  quoad  vitam 
verbunden.  Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  daß  gerade  im  Beginne  der  Chloro- 
formuarkose  bei  sehr  rascher  Intoxikation  des  Organismus  plötzliche  Todesfälle 
eingetreten  sind,  welche  man  der  Chloroformwirkuug  zur  Last  legen  mußte. 
Es  sind  diese  Unfälle  beim  Chloroform  im  ersten  Stadium,  ja  bei  den  ersten 
Zügen,  die  der  Kranke  unter  der  Maske  ataiet,  auf  einen  direkten  Reiz  der 
Nervenendigungen  in  der  Nasenschleimhaut  (Trigeminus- vagusreiz)  wodurch 
Herzstillstand  (Synkope)  hervorgerufen  werden  kann,  einerseits  zurückzuführen 
(Dastre,  Richardson,  Rutherford  etc.),  andrerseits  auf  eine  zu  schnelle  Über- 
schwemmung des  Zentralnervensystems  mit  großen  Mengen  Chloroform  im  Blut- 
plasma gelöst  (schnelle  hohe  Konzentration)  wodurch  die  lebenswichtigen  Zeutra 
in  der  Medulla  oblongata  sofort  gelähmt  werden  können,  was  den  Tod  zur  Folge 
hat.  Diese  Verhältnisse  werden  weiter  unten  genauer  erörtert  werden.  Aus 
diesen  üblen  Erfahrungen  geht  hervor,  daß  man  die  Chloroformnarkose  nur 
langsam  beginnen  darf,  jede  Überschwemmung  des  Cerebrum  mit  hohen  Kon- 
zentrationen des  Chloroforms  im  Blute  ist  zu  vermeiden.  Man  ist  daher  auch 
von  der  Rauschmethode  mittels  Chloroform  abgekommen. 

Es  wurde  oben  die  Refiexwirkuug  von  der  Nasenschleimhaut  aus  auf  den 
Herzdruck  erwähnt.  Dieser  Zusammenhang  zwischen  Reflex  und  Herztätigkeit 
ist  keineswegs  ohne  praktisches  Interesse.  Wir  sehen  z.  B.  bei  Tieren,  welche 
tracheotemiert  worden  sind  und  mit  dem  Kopf  unter  Wasser  gehalten  wurden, 
so  daß  sie  aber  noch  durch  die  Kanüle  Luft  erhalten  konnten,  wie  sie  zugrunde 
gehen,  ohne  eine  Atembewegung  zu  machen  (Fischer).  Ebenso  gehen  Kaninchen 
durch  Riechen  von  verschieden  stark  reizenden  Stoffen  durch  Anhalten  der 
Respiration  und  Stillstand  der  Zirkulation  zugrunde  (Rutherford).  Durch- 
schneidet man  den  Nervus  Vagus,  so  sterben  die  Tiere  nicht,  sondern  leben 
weiter.  Dies  beweist,  daß  von  der  Nasenschleimhaut  ein  Trigeminus-vagus- 
reiz  ausgeübt  wird,  der  sich  entweder  in  Druckschwankungen  im  Herzen  oder 
bei  stärkerem  Reiz  im  Stillstand  der  Atmung  und  Herzaktion  zeigt.  Gerade 
dieser  Umstand  ist  bei  der  Chloroformnarkose  zu  beachten,  denn  man  hat 
gerade  im  Beginn  der  Narkose  öfter  Todesfälle  ganz  plötzlich  eintreten  sehen, 
welche  einzig  und  allein  auf  die  Trigeminus-vagusreizung  von  der  Nasen- 
schleimhaut aus  zurückzuführen  sind.  Deshalb  beachte  man  stets  im  Beginn 
der  Chloroformnarkose  eine  langsame  nicht  zu  konzentrierte  Verabreichung  des 
Chloroforms,  um  eine  zu  starke  Reizung  der  Nasenschleimhaut  zu  verhüten. 
Man  hat  zur  Verhütung  dieses  Reizes  eine  Kokainisierung  der  Nasenschleim- 
haut  vor    der   Narkose    vorgeschlagen,    und    dahingehende    Versuche    (Aurep,. 


Moäso,  Roseuberg)  haben  auch  gezeigt,  daß  bei  ausgiebiger  Kokainisieruug  der 
Nasenschleimhaut  bei  der  Inhalation  des  Chloroforms  Unregelmäßigkeiten  des 
Pulses  und  Anhalten  der  Atmung  wegfallen,  und  ein  laugsames  Sinken  des 
Blutdruckes  und  Langsamerwerden  der  Atmung  auftritt.  Dastre  hat  die  Zufälle 
durch  Trigeminus-vagusreizung  durch  eine  Herzsynkoj^e,  Eichardson  in  einer 
„syncopal  apnoea"  verursacht  gehalten.  Jedenfalls  hat  es  den  Anschein,  daß 
das  Chloroform  hinsichtlich  der  Gefahren  einer  Trigeminus-vagusreizung  andere 
Narkotika  übertrifft  und  gefährlicher  erscheint. 

Es  sind  diese  Zufälle  bei  anderen  Narkotika  bei  weitem  seiteuer  beob- 
achtet worden,  obwohl  z.  B.  Äther  sulfur.  eine  viel  intensivere  Wirkung  infolge 
seines  mehr  stechenden  Geruches  haben  sollte.  Vielleicht  sind  spezifische 
Chloroforniwirkungen  hierbei  anzunehmen.  Wahrscheinlich  ist  aber  dies  bei 
weitem  zurücktretend  gegen  die  individuelle  Disposition,  die  eine  viel  größere 
Rolle  spielen  mag.  Solche  Unfälle  treten  vorwiegend  bei  sehr  nervösen  Per- 
sonen auf,  deren  Pieflexerregbarkeit  an  sich  schon  eine  enorm  gesteigerte  ist. 
Es  ist  jedenfalls  von  ganz  besonderem  Werte,  daß  man  vor  dem  Einleiten  einer 
Chloroformnarkose  auf  diese  nervöse  Belastung  achtet  und  deren  Vorhanden- 
sein zu  diagnostizieren  und  deren  Beziehungen  zum  Chloroform  zu  eruieren 
sucht.  So  kann  man  durch  die  obengenannte  Art  dem  Unfall  vorbeugen,  indem 
man  die  Schleimhäute  kokainisiert.  Ein  weit  sicheres  Vorbeugen  ist  aber  in 
einer  vorsichtigen  Verabreichung  des  Chloroforms  zu  finden,  und  man  geht  viel 
sicherer,  wenn  man  vorsichtig  narkotisiert,  indem  man  dem  Patienten  nicht 
sofort  stark  konzentrierte  Chloroformluftgemenge  atmen  läßt,  sondern  anfangs 
viel  Luft  beimengt,  um  erst  zu  sehen,  wie  das  Chloroform  vertragen  wird,  als 
daß  man  sich  auf  die  Kokainisieruug  der  Schleimhaut  verläßt.  Vielleicht  spielt 
bei  diesen  Todesfällen    auch  der  Chock  eine    nicht   zu    unterschätzende  Rolle. 

Im  Initialstadium  zeigt  der  Kranke  noch  Besinnung,  die  Refiese  am 
Auge  sowohl  wie  am  anderen  Körper  sind  noch  vorhanden.  Wenn  man  nun 
dem  Patienten  weitere  Mengen  Chloroform  verabreicht,  so  stellt  sich  bald  eine 
teilweise  Trübung  der  geistigen  Fähigkeiten  ein  und  das  erste  Stadium  geht 
in  das  zweite  über.  Man  findet  im  Anfangsstadium  der  Chloroformnarkose  die 
Pupillen  meist  etwas  mehr  erweitert  als  im  normalen  Ziistande  des  Menschen. 
Diese  größere  Weite  der  Pupille  ist  die  Folge  einer  Trigeminusreizung,  die 
reflektorisch  auf  den  Sympathikus  wirkt  (Haeckel).  Diese  selbe  Erweiterung 
kann  man  am  normalen  Menschen  auch  durch  Hautreize  (wie  Bürsten  der 
Haut)  erzeugen.  Diese  etwas  erweiterte  Pupille  verengert  sich  sofort  beim 
Offnen  des  Auges.  Mit  dem  weiteren  Verabreichen  von  Chloroform  trübt  sich 
das  Bewußtsein  des  Menschen  mehr  und  mehr,  und  es  tritt  jetzt  im  zweiten 
Stadium  meist  eine  mehr  oder  weniger  starke  Exzitation  ein.  Nur  bei  wenigen 
Älenschen  (Frauen  und  Kindern)  findet  sich  gar  keine  Exzitation.  Bekanntlich 
hängt  der  Grad  der  Erregung  im  zweiten  Stadium  vom  psychischen  Zustand, 
in  dem  sich  der  Kranke  gerade  befindet  (Angst  vor  der  Operation)  vom  Pota- 
torium,  von  Nervosität,  Temperament,  Alter  etc.  ab.  Das  Exzitationsstadium 
in  der  Chloroformnarkose  ist  geringer,  als  in  der  Äthernarkose,  es  läßt  sich 
bedeutend  mildern  durch  eine  sehr  vorsichtige  Dosierung,  durch  die  Methode 
der  Betäubung,  durch  eine  Morphiuminjektion  vor  der  Narkose.  In  früherer 
Zeit,  als  man  noch  nicht  die  Technik  der  Narkose  so  beherrschte  wie  heute, 
sah  man  meist  sehr  starke  Kämpfe  sich  abspielen  zwischen  dem  Kranken  und 


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dem  Personal  und  Narkotiseur.  Zweifellos  kann  der  Arzt  sich  als  gewandter 
Narkotiseur  dadurch  beweisen,  daß  man  bei  seinen  Chloroformnarkosen  kein 
oder  nur  ein  sehr  mäßiges  Erreguugsstadium  sieht.  Im  zweiten  Stadium 
schwinden  die  Reflexe,  der  Cornealreflex  fehlt  am  Ende  des  zweiten  Stadiums. 
Dastre  hat  einen  Zahnfleischreflex  noch  länger  bestehen,  sehen  als  den  Corneal- 
reflex. Derselbe  besteht  in  einem  Zucken  der  Oberlippe,  nachdem  man  das 
Zahnfleich  mit  einem  harten  Gegenstand  gereizt  hat.  Am  längsten  soll  der  Reflex 
der  Adduktoren  der  Oberschenkel  in  der  Chloroformnarkose  bestehen.  Das  Auge 
verhält  sich  am  Ende  des  zweiten  Stadiums  wie  schon  früher  genau  erörtert, 
es  steht  starr,  die  Pupille  ist  eng,  reaktionslos.  Es  soll  nun  die  Karkose 
so  erhalten  werden,  daß  man  am  Auge  noch  das  Straßmannsche  Phänomen 
findet.  Dasselbe  zeigt  an,  daß  der  Kranke  tief  narkotisiert  ist,  aber  beim 
Sistieren  der  Chloroformzufuhr  erwacht.  Der  Kranke  befindet  sich  jetzt  im 
dritten  Stadium,  dem  der  tiefen  Narkose.  Jetzt  findet  man  keine  Reflexe  mehr 
auslösbar,  die  Extremitäten  sind  schlaff',  der  ganze  Körper  ist  gelähmt  bis  auf 
die  Herz-  und  Atemtätigkeit.  Bei  weiterer  Chloroformzufuhr  werden  die  Pupillen 
maximal  dilatiert,  um  dann  wieder  eng  zu  werden.  Jetzt  tritt  Exitus  ein  und  nach 
dem  Tode  werden  die  Pupillen  nochmals  ein  wenig  dilatiert.  Das  Engerwerden 
nach  der  sprungweisen  Erweiterung  ist  die  Folge  einer  stärkeren  Reizung  der 
Okulomotoriuszentrums,  das  dann  kurz  vor  dem  Tode  gelähmt  wird  (Straßmann). 
Bei  dieser  letzten  Erweiterung  kann  nach  Straßmann  ein  Reiz  des  diktierenden 
Zentrums  noch  vorliegen,  nach  Joh.  Müller  kann  die  Erweiterung  auch  durch 
die  Volumenzunahme  der  Jris  nach  Lähmung  der  Vasomotoren  mit  Gefäß- 
erweiterung begründet  sein. 

Mau  sieht  also,  wie  die  Wirkung  des  Chloroforms  auf  die  Zentren  im 
Zentralnervensystem  bei  der  Narkose  sich  im  Verhalten  der  Pupillen  genau  in 
ihren  einzelnen  Phasen  widerspiegelt,  und  der  Narkotiseur  kann  sich  stets 
durch  einen  Blick  in  die  Augen  vom  Stande  der  Betäubung  überzeugen. 
Natürlich  muß  er  vor  Beginn  der  Narkose  die  Augen  auf  ihre  normale  Be- 
schaffenheit geprüft  haben  (Tabes,  Paralyse  etc.).  Die  Pupillen  können  aber 
auch  durch  das  Erbrechen  des  Krauken  beeinflußt  werden,  indem  man  beim 
Erbrechen  im  ersten  Stadium  enge  Pupillen  findet.  Es  kann  an  diesem  Ver- 
halten der  Pupillen  eine  durch  Anämie  des  Gehirns  erfolgte  Reizung  des 
Okulomotorius  oder  eine  Sympathikuslähmung  durch  Magenreizung  die  Schuld 
tragen.  Findet  man  beim  Erbrechen  maximal  dilatierte  Pupillen  ohne  Reaktion, 
so  ist  das  Erbrechen  eine  Prodromalerscheiuung  des  Todes,  hierbei  wird  das 
Erbrechen  durch  Reizung  der  Medulla  oblongata  hervorgerufen.  Ferner  können 
die  Pupillen  bei  Operationen  in  der  Bauchhöhle  während  der  ganzen  Narkose 
maximal  dilatiert  sein. 

Auf  das  dritte  Stadium  folgt  auch  bei  der  Chloroformnarkose  das  vierte 
Stadium,  das  des  Erwachens.  In  diesem  klingt  die  Lähmung  der  nervösen 
Zentren  ebenso  ab,  wie  sie  im  ersten  Stadium  begonnen  hat,  natürlich  in  um- 
gekehrter Reihenfolge,  denn  diese  nervösen  Zeutra,  welche  am  spätesten  ge- 
lähmt wurden,  erwachen  zuerst  wieder. 

Wenn  wir  uns  nun  zu  dem  Einfluß  der  Chloroformwirkung  auf  das 
Herz  wenden  wollen,  so  wollen  wir  zunächst  in  wenig  Worten  die  Verhältnisse 
zwischen  Chloroform  und  dem  Blut  erörtern,  \im  dann  auf  den  Einfluß  der 
Chloroformwirkung  auf  den  Herzdruck.  Blutdruck  etc.  näher  einzugehen. 


Das  Chloroform  wirkt  auf  die  Blutkörperchen  direkt  zerstörend,  d.  h.  weun 
man  Blut  mit  Chloroform  mischt,  so  verbindet  sich  das  letztere  mit  den  Blut- 
körperchen. Diese  Verbindung-  ist  eine  sehr  innige  und  kann  nur  durch  sehr  starke 
Luftzufuhr  wieder  getrennt  werden.  Läßt  man  das  Chloroform  längere  Zeit  auf 
die  Blutkörperchen  außerhalb  des  Organismus  einwirken,  so  werden  dieselben 
zerstört,  der  Rand  derselben  quillt  auf,  das  einzelne  Blutkörperchen  nimmt  kugel- 
förmige Gestalt  an  und  löst  sich  im  Blutplasma  auf  (Beuassi,  etc.).  Das  Hämo- 
globin wird  in  eine  kristallinische  Verbindung  übergeführt,  bindet  Sauerstoff. 

Man  hat  die  Annahme  gemacht,  dieser  Prozeß  gehe  auch  bei  der  Chloroform- 
narkose im  Körper  vor  sich,  die  Blutkörperchen  würden  aufgequollen  uudbewirkten 
so  eine  Embolie  in  den  Hirugefäßen,  wodurch  eine  venöse  Stase  entstehe  und 
so  die  Lähmung  erzeugt  würde.     Diese  Ansicht  ist  jedenfalls  nicht  die  richtige. 

Man  hat  bisher  noch  niemals  im  lebenden  Blute  eine  derartige  Ein- 
wirkung des  Chloroforms  auf  die  Blutkörperchen  konstatieren  können,  denn 
man  hätte  doch  in  dem  Blute  von  narkotisierten  Menschen  oder  Tieren  rote 
Blutkörperchen  mit  zackigen  aufgequollenen  Rändern  finden  müssen. 

Bei  der  Inhalation  von  Chloroform  in  den  zur  Narkose  gebräuchlichen 
Mengen  wird  jedenfalls  kein  deletärer  Einfluß  auf  die  Blutkörperchen  ausgeübt. 
Die  roten  Blutkörperchen  besitzen  eine  Affinität  zum  Chloroform  und  können 
viermal  soviel  Chloroform  aufnehmen,  als  das  Blutserum.  Eine  Konzentration 
des  Chloroform  im  Blute,  die  auf  die  roten  Blutkörperchen  zerstörend  ein- 
wirken könnte,  wird  bei  Narkosen  nie  erreicht  (Kappeier).  Das  Blut  nimmt  das 
Chloroform  jedenfalls  nur  auf,  um  es  nach  dem  Zentralnervensystem  zu  trans- 
portieren und  dabei  spielen  die  roten  Blutkörperchen  nur  eine  untergeordnete 
Rolle,  indem  sie  das  Chloroform  binden  xmd  dann  wieder  abgeben.  Die  Hauptrolle 
beidem  Chloroform  transportnachdenNervenzellenim  Gehirn  spielt  das  Blutplasma. 

Nach  Sabbarth  roch  das  Blutplasma  noch  24  Stunden  nach  dem  Tode  des 
Tieres  nach  Chloroform. 

Um  einen  Menschen  vollkommen  zu  narkotisieren,  muß  eine  bestimmte 
Konzentration  des  Chloroforms  im  Blutplasma  vorhanden  sein.  Bei  38 ''  C  und 
einem  Partialdruck  der  Chloroformdämpfe  von  12  mm  absorbiert  ein  Liter 
Wasser  0,275  g  Chloroform  (0  verton).  Das  Blutplasma  ist  nun  eine  Salzlösung, 
welche,  wenn  man  von  der  Beimengung  von  Fetttropfen,  Cholestearin,  Lezithin  etc. 
absieht,  ungefähr  dieselbe  Menge  Chloroform  absorbieren  wird,  etwas  weniger, 
bei  38°  C  und  demselben  Partialdruck  der  Chlorofornidämpfe  von  12  mm  wie 
das  Serum.  Diese  Konzentration  des  Chloroform  wird  natürlich  erhöht  für  das 
Blut  im  allgemeinen,  da  ja  die  Blutkörperchen  auch  noch  Chloroform  aufnehmen 
infolge  ihres  Lezithin-  und  Cholestearingehaltes.  Es  ist  nun  nachgewiesen,  daß 
den  meisten  aller  Säugetiere  eine  Konzentration  des  Chloroforms  im  Blutplasma 
von  1:6000  genügt,  um  eine  Narkose  zu  unterhalten.  Diese  Konzentration 
1:6000  ist  gleich  0,275  g  Chloroform  pro  Liter,  wenn  man  einige  Abweichungen, 
die  an  der  Grenze  der  Versuchsfehler  liegen,  außer  acht  läßt.  Nach  0  verton  s  Ver- 
suchen genügt  eine  Chloroformlösung  von  1  Teil  Chloroform  auf  6000  Teile 
Wasser,  um  3  Kaulquappen  von  9  mm  Länge  zu  narkotisieren.  Dies  ist  gleich 
dem  Lösungsverhältnisse  des  Blutplasma. 

Die  Blutverhältnisse  welche  während  der  Narkose  vor  allen  Dingen  im 
Gehirn  herrschen,  mögen  uns  in  dem  Folgenden  beschäftigen.  In  der  Mitte 
des  19.  Jahrhunderts  brach    man  mit    der  alten  Ansicht ,    daß   der  Schlaf  eine 

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Hyperämie  des  Gehirnes  als  Ursache  habe.  Durhaui  widerlegte  1860  diese 
Ansicht,  indem  er  eine  Anämie  des  Gehirns  für  den  Schlaf  verantwortlich 
machte  und  stellte  darüber  an  einem  trepanierten  Hunde  Versuche  an,  die 
zeigten,  daß  das  Volumen  des  Gehirnes  im  Schlafe  ein  geringeres  wurde  unter 
dem  Zeichen  der  Anämie,  während  er  beim  Erwachen  des  Tieres  eine  Zu- 
nahme des  Volumens  des  Gehirns  feststellte  und  die  Gefäße  sich  erweitern 
und  füllen  sah. 

Später  wurden  ähnliche  Versuche  von  M.  Hammond  veröffentlicht,  die 
diese  Ansicht  bestätigten.  Bedf  ord-Brown  beobachtete  zuerst  an  einem  narko- 
tisierten Kranken  dieselben  Erscheinungen  und  konstatierte,  daß  im  Beginn  der 
Narkose  eine  vorübergehende  Hyperämie  des  Gehirns  eintrete,  welche  bald  durch 
eine  Anämie  gefolgt  wurde,  die  während  der  ganzen  Narkose  bestand.  Nun 
folgten  Tierversuche,  welche  teils  Anämie,  teils  Hyperämie  konstatieren  ließen. 
Ol.  Bernard's  Versuche  ergaben  eine  Hyperämie  im  Beginn  der  Narkose,  die 
sich  dadurch  zeigte,  daß  die  Hirnsubstanz  über  die  Ränder  der  Schädelöffnung, 
welche  durch  Trepanation  hergestellt  worden  war,  hervorquoll.  In  Wahrheit  wird 
diese  hervorgerufen  durch  die  Aufregung  des  Tieres.  Nun  folgt  bald  eine  Blut- 
armut des  Gehirns,  die  sich  durch  ein  Zurückweichen  der  Gehirnhernie  erweist  und 
selbst  so  weit  geht,  daß  das  Gehirn  von  dem  Knochen  zurücksinkt,  indem  die 
Oberfläche  desselben  blaß  wird,  während  sie  im  normalen  Zustand  des  Tieres 
rot  gefunden  wurde.  Nach  dieser  Anschauung  mußte  das  Chloroform  zunächst 
die  Zentren  der  Vasomotoren  angreifen.  Diese  Annahme  ist  aber  eine  völlig- 
falsche.  Sie  ist  leicht  zu  widerlegen  durch  ein  Experiment  au  Amphibien.  Das 
Gehirn  derselben  bleibt  nämlich  noch  längere  Zeit  funktionsfähig,  nachdem  die 
Zirkulation  in  demselben  vollständig  unterbrochen  ist.  Demnach  lassen  sich 
die  Amphibien  ebenso  leicht  narkotisieren  wie  die  Säugetiere. 

Es  ist  eine  besondere  Einwirkung  des  Chloroforms  auf  den  Blutdruck  im 
allgemeinen  vorhanden.  Der  Blutdruck  sinktzunächst  bei  demBeginne  der  Narkose, 
um  bald  nachdem  wieder  zu  steigen  und  wechselndes  Verhalten  während  des  Ver- 
laufes der  Narkose  zu  zeigen,  indem  das  Chloroform  nicht  nur  auf  das  vasomoto- 
rische Zentrum ,  sondern  auch  auf  den  muskulomotorischen  Apparat  des  Herzeus 
direkt  wirkt  (Tillmanns).  Die  ersten  dahingehenden  Versuche  wurden  von  Leus, 
Brunner,  Gall  und  von  dem  englischen  Chloroformkomitee  ausgeführt. 
Letzteres  stellte  mitHilfe  desHämatodyuamometers  fest,  daß  die  Quecksilbersäule 
im  Anfang  verschieden  hoch  stieg,  dann  während  ^2 — 1  Minute  sank  und  mit  der 
Tiefe  der  Narkose  weiter  fiel,  um  erst  mit  dem  Sistieren  der  Narkose  wieder 
zu  steigen.  Die  Beobachtungen  über  die  Druckverhältnisse  sind  auseinander- 
gehend (Schein  es  son,  Job.  Müller).  Was  deu  Herzdruck  anlangt,  so  ist  mau 
sich  darüber  einig,  daß  derselbe  mit  der  Tiefe  der  Narkose  sinkt,  jedes  Auf- 
gießen von  Chloroform  zeigt  sich  in  einer  Verminderung  des  Herzdruckes. 
Wenn  man  Chloroform  auf  die  Nasenschleimhaut  direkt  bläst,  so  treten  starke 
Schwankungen  in  der  Herztätigkeit  auf  (Holmgreen).  Der  mittlere  Herzdruck 
ist  dann  gesteigert  (Job.  Müller,  Kretzschmer).  Atmet  ein  Tier  Chloroform- 
dämpfe durch  die  Nase  ein,  so  zeigen  sich  Differenzen  im  Herzdruck  von  bis 
70  mm  Hg.  (Müller).  Nach  Rosenberg  steigt  der  Druck  der  Systole  vou  110 
auf  190,  der  der  Diastole  fällt  von  90  auf  40  bei  Chlorofoimgabe.  Job.  Müller 
untersuchte  die  Schwankungen  im  Anfang  der  Narkose  und  fand  dieselben 
bei  17,5  •*  Lufttemperatur,  38,7  «  Körpertemperatur  69 — 130  mm,  bei  5°  (1  Stunde 


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angekühlt)  34,5"  Körpertemperatur  30— 102  mm,  bei  40°  (1  Stunde  erwärmt) 
und  40,7°  Körpertemperatur  20 — 48  mm.  Man  sieht  daraus,  wie  verschieden 
die  Druckschwankung-en  im  Herzen  sind,  da  sie  normalerweise  auf  93 — 103  mm 
angegeben  werden,  und  wie  sie  abhängen  von  Körper-  und  Lufttemperatur. 

Es  sind  noch  von  verschiedenen  Forschern  über  die  Blutdruckverhält- 
nisse Untersuchungen  angestellt  worden.  So  sind  zuerst  Tierversuche  vorge- 
nommen worden.  Cushny  stellte  durch  solche  an  Kaninchen  und  Hunden 
fest,  daß  das  Chloroform  ein  fortwährendes  ununterbrochenes  Sinken  des  Blut- 
druckes hervorrief,  dasselbe  fand  Du  Bois-Reymond.  Ganz  besonders  starke 
Erniedrigungen  fand  Remedi  durch  Messungen,  welche  er  mittels  Quecksilber- 
manometers in  der  Arteria  feraoralis  und  Carotis  von  Hunden  anstellte,  die 
bis  86  mm  Hg.  betrugen. 

Kionka  hat  bei  Verwendung  seines  Apparates,  welcher  ihm  ein-e  genaue 
Messung  der  zugeführten  Menge  des  Narkotikum  ermöglichte  und  den  Prozent- 
gehalt der  eingeatmeten  Luft  an  Cloroform  angab,  gefunden,  daß  Chloroform 
schon  von  vornherein  vor  Eintritt  der  Toleranz  ungünstig  auf  die  Zirkulation 
und  Atmung  wirke,  sowie  daß  es  rasch  zum  Stillstand  der  Atmung  und  Herz- 
tätigkeit kommen  könne. 

Rosenfeld  hatte  bei  seinen  Versuchen  mit  sehr  geringen  Mengen  Chloro- 
form gearbeitet  und  fand,  daß  der  Blutdruck  bei  Eintritt  der  Narkose  nur  um 
wenige  Millimeter  niedriger  stand  als  zu  Anfang  des  Versuches,  um  dann  sehr 
intensiv  zu  sinken.  Wenn  die  Chloroformmengen  noch  geringer  waren,  so 
blieb  der  Druck  zu  Anfang  derselbe  oder  stieg  sogar  etwas,  um  dann  aber 
auch  wieder  schnell  abzunehmen. 

Orthelder  stellte  Versuche  am  Froschherzen  an,  durch  welches  er 
Schweineblut  mit  Chloroformzusatz  leitete.  Das  Chloroform  bewirkte  schon  in 
kleinsten  Mengen  eine  sehr  erhebliche  Störung  der  Blutzirkulation ,  vor  allem 
eine  bedeutende  Herabsetzung  der  Herzleistung. 

Witte  hatte  in  der  Carotis  von  Kaninchen  Blutdruckmessungen  angestellt 
und  fand,  daß  beim  Erlöschen  des  Kornealreflexes  der  Druck  während  der 
Chloroformnarkose  bedeutend  herunterging. 

Chloroform  rief,  nach  den  Untersuchungen  vonBoitz  in  bezug  auf  das 
isolierte  Herz  von  Säugetieren,  stets  ein  bedeutendes  Sinken  des  Blutdruckes 
hervor.  Fast  unmittelbar  nach  dem  Beginn  der  Inhalationen  des  Chloroforms 
begann  das  Sinken  und  nahm  immer  mehr  zu,  je  weiter  die  Inhalation  f ort- 
schritt, sie  dauerte  auch  noch  während  der  ersten  Zeit  nach  Sistierung  der 
Chlnroformzufuhr  an. 

Simon  Dyplai  und  Louis  Hallian  hatten  außerordentlich  eingehende 
Untersuchungen  der  Blutdruckverhältnisse  gemacht  und  benutzten  dabei  tracheo- 
tomierte  Hunde,  denen  sie  durch  die  Kanüle  bestimmte  Mengen  Chloroform 
einverleibten. 

Im  Anfang  der  Chloroforminhalationen  stieg  der  Druck,  selten  erfolgte 
ein  vorübergehendes  Sinken.  Im  allgemeinen  bestand  aber  das  Hauptmerkmal 
der  Druckkurve  beim  Chloroform  im  Sinken  des  Blutdruckes,  wobei  sich  zeigte, 
daß  die  Größe  der  Schwankungen  unter  der  Normaldruckhöhe  direkt  proportional 
sei  der  Menge  des  inspirierten  Chloroforms.  Die  Respirations-  und  Pulskurven 
fielen,  auch  wenn  der  Blutdruck  sehr  tief  sank,  doch  dies  geschah  erst  so  spät, 
daß  bereits  hohe  Gefahr  quo  ad  vitam  bestand.  Sie  stellten  dann  durch  Unter- 
suchungen an  der  Niere  fest,  daß  das  erste  Ansteigen  der  Kurve  durch  Kon- 
traktion der  Gefäße  verursacht  werde,  daß  aber  beim  Abfallen  das  Nachlassen 
der  Tätigkeit  des  Herzens  die  Ursache  des  Sinkens  darstellt.  Die  Einflüsse 
auf  die  Vasomotoren  waren  bei  den  Versuchen  mit  Chloroform  und  Äther 
dieselben. 

Nun  stellten  Gaskel  und  Shore  Versuche  darüber  an,  ob  bei  der  Chloro- 
formnarkose das  Sinken  durch  Beeinflussung  des  Vasomotorenzentrums  oder  des 
Herzens  und  der  Herzbewegung  selbst  bedingt  sei.  Deshalb  ki-euzten  sie  den 
Blutkreislauf  zweier  Tiere  derart,  daß  das  Cerebrum   des  einen  von  dem  Blut 

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des  anderen  durchflössen  wurde.  Hierbei  fand  sich  ebenfalls  ein  stetiges  Sinken 
des  Blutdi'uckes  während  der  Chloroforminhalationen.  Sie  zogen  daraus  den 
Schluß,  daß  das  Sinken  des  Blutdruckes  bei  den  Chloroforminhalationen  nicht 
durch  eine  Lähmung  des  Vasomotorenzentrums  hervorgerufen  werde,  sondern 
daß  an  dem  Sinken  primär  eine  Erschlafl'ung  der  Herztätigkeit  die  Schuld  trage. 
Geza  Dieballa  hat  demgegenüber  durch  Versuche  am  Froschherzen  ge- 
zeigt, daß  erst  bei  einer  16 fachen  Konzentration  der  das  Herz  nicht  mehr 
beeinflussenden  Chloroformdosis  ein  Axifhören  der  Herztätigkeit  eintrete. 

Wenn  wir  nun  alle  diese  Tierversuche  zusammen  betrachten,  so  ergibt 
sich  das  Resultat,  daß  das  Chloroform  ein  Sinken  des  Blutdrucks  hervorruft. 
Diese  Tatsache  könnte  mau  auf  den  Menschen  in  gewisser  Hinsicht  mit  Recht 
übertragen,  doch  muß  man  die  Beschränkung  zugeben,  daß  eine  außerordentliche 
Empfindlichkeit  mancher  Tierarten,  wie  z.  B.  des  Kaninchens,  gegenüber 
Chloroform  besteht,  und  daß  für  den  Menschen  vielleicht  eine  Abweichung 
anzunehmen  sei. 

Um  diese  Unsicherheit  der  Annahme  zu  beseitigen,  sind  Versuche  an 
Menschen  während  der  Chloroformnarkose  angestellt  worden.  Kappeier  fand, 
daß  bei  Beginn  der  Narkose  eine  Pulsfrequenz  um  10 — 20  Schläge  eintrat.  Mit 
dem  Erlöschen  der  Sensibilität  und  der  Erschlaffung  der  Muskulatur  schwand 
diese  Frequenz  wieder  und  der  Puls  ward  langsamer  als  unter  normalen  Ver- 
hältnissen. Die  Pulskurve  veränderte  sich  in  diesem  Stadium  dahingehend, 
daß  der  aufsteigende  Schenkel  schräg  emporstieg,  der  Kurvengipfel  abgerundet 
war,  und  daß  der  absteigende  Schenkel  eine  bedeutend  mehr  schräge  Richtung 
erhalten  hatte.  Die  Rückstoßelevation  zeigt  sich  wenig  ausgeprägt.  Dasselbe 
erklärt  Kappeier  durch  eine  Lähmung  der  Vasomotoren,  eine  Verminderung  des 
arteriellen  Druckes  und  eine  Verlangsamung  des  Blutkreislaufes. 

Durch  Holz  wurden  zaerst  instrumentale  Untersuchungen  an  Menschen 
angestellt,  indem  er  das  von  Kriessche  Tachometer  verwandte,  durch  welches 
die  von  der  Herztätigkeit  abhängige  periodische  Schwankung  der  Stromstärke 
oder  die  Geschwindigkeit  des  Blutes  an  einem  bestimmten  Gefäßquerschnitt 
festgestellt  werden.  Er  hat  bei  34  Chloroformnarkosen  Beobachtungen  angestellt 
und  kam  zu  dem  Resultat,  daß  das  Chloroform  eine  schon  im  Beginn  oder  erst 
am  Ende  der  Narkose  auftretende  Abnahme  der  Pulsstärke  hervorrufe.  Man 
kann  aus  dem  Ausschlag  der  Flammen  des  Apparates  mittels  einer  von  Thoma 
aufgestellten  Formel  den  Zuwachs  in  Millimeter  Hg.  berechnen,  welchen  der 
mittlere  Druckwert  in  der  Arterie  durch  die  Systole  erleidet.  Von  diesem 
schloß  Holz  wieder  auf  den  mittleren  arteriellen  Druck.  Dieses  Verhältnis  der 
beiden  Größen  war  nun  aber  nur  für  Tiere  berechnet.  Man  konnte  aber  doch  bei 
einer  bedeutenden  Zunahme  des  ersteren  eine  solche  des  anderen  auch  erwarten. 

Es  wurde  nun  durch  Turicelli  mittels  sphy  gmographischer  Untersuchungen 
bei  mit  Chloroform  narkotisierten  Personen  ermittelt,  daß  konstant  ein  Steigen 
des  Blutdruckes  und  der  Pulszahl  während  der  Zeit  der  Vorbereitungen  zur 
Narkose  und  im  Anfangsstadium  derselben  sich  zeigte.  Sobald  aber  die  Toleranz 
erreicht  war,  trat  ein  kontinuierliches  Sinken  ein.  Dieser  niedrige  Druck  hielt 
selbst  noch  nach  Aussetzen  des  Chloroforms  und  nachdem  der  Kranke  bereits 
erwacht  war,  noch  eine  Zeitlang  an  und  kehrte  dann  erst  allmählich  zur  Norm 
zurück. 

Wir  haben  nun  diese  wichtigen  Daten  kennen  gelernt,  allein  man 
muß  diesen  Versuchen  den  Vorwurf  machen,  daß  sie  den  Blutdruck  nicht  direkt 


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bestimmten,  soiulem  daß  bei  densclbeu  nur  mehr  oder  weniger  genaue  und 
zutreffende  Schlüsse  aus  denselben  gezogen  wurden.  Man  hatte  eben  keine 
Apparate  zu  diesen  Versuchen,  welche  am  Menschen  ohne  große  Schwierig- 
keiten und  doch  mit  einiger  Genauigkeit  Blutdruckbestimmungen  auszuführen 
ermöglichten.  Es  wurden  nun  Apparate  zu  diesem  Zwecke  von  B  asch,  Harthle 
und  Riva-Rocci  konstruiert.  Doch  deren  Handhabung  erfordert  umständliche 
Behandlung  und  es  zeigen  sich  während  der  Narkose  große  Schwierigkeiten. 

Einen  brauchbaren  Apparat  für  diese  Zwecke  entwarf  Gärtner,  und  mit 
demselben  sind  von  Kapsammer,  Schröder,  Blauel  etc.  Untersuchungen 
gemacht  worden,  auf  deren  Resultat  wir  näher  eingehen  wollen. 

Die  mit  dem  Gärtnerschen  Tonometer  angestellten  Versuche  von  den 
ersten  beiden  Autoren  ergaben  einen  sehr  starken  Abfall  des  Blutdruckes. 
Schröder  schiebt,  abgesehen  von  Länge  und  Schwere  der  Operation  die  Schuld 
auf  die  Güte  und  Dauer  der  Narkose.  Wenn  man  die  Blutdruckverhältnisse 
bestimmen  will,  so  muß  man  die  Beeinflussung  der  Operation  und  Narkose 
bedenken.  Der  Einfluß  der  Operation  auf  den  Blutdruck  ist  nun  nach  den 
Versuchen  von  Blauel  nicht  bedeutend. 

Ein  großer  Teil  der  Blutdruckschwankungen  bei  Operationen  ohne  Narkose 
ist  für  sich  schon  psychischen  Momenten  zuzuschreiben  und  diese  fallen  während 
der  Narkose  fort.  Aber  gesetzt  den  Fall,  die  Einwirkung  der  Operation  als 
solche  wäre  eine  erhebliche  in  bezug  auf  den  Blutdruck,  so  würde  die  Brauch- 
barkeit der  Ergebnisse  nicht  leiden.  Es  würden  dieselben  sogar  dann  dem 
praktischen  Bedürfnisse  gerecht  werden,  da  sie  die  Einwirkung  des  Chloroforms 
gerade  unter  den  äußeren  Umständen  veranschaulichen,  unter  welchen  wir 
dasselbe  gebrauchen,  nämlich  während  der  Operation  (Blauel). 

Das  Gärtnersche  Tonometer  welches  Blauel  verwandte,  mißt  den 
Blutdruck  an  den  Arteriae  digitales.  Daselbst  kann  durch  einen  zirkulären  Druck 
leicht  eine  vollständige  Kompression  der  Arterien  gegen  den  Fingerknochen 
erfolgen.  Es  übt  nun  diesen  Druck  ein  pneumatischer  Ring  aus,  welcher  an 
der  Außenseite  mit  einem  Metallreif  versehen  ist.  Der  Gummi  läßt  sich  mit 
Luft  durch  entsprechende  Vorrichtung  aufblasen.  Durch  ein  Manometer  wird 
der  Druck  gemessen.  Man  legt  bei  den  Versuchen  den  Ring  um  die  2.  Pha- 
lange  eines  Fingers,  während  die  Endphalauge  mittels  einer  besonderen  Kom- 
pressionsvorrichtung nach  Möglichkeit  anämisch  gemacht  wird.  In  dem  Ring 
wild  ein  so  hoher  Druck  erzeugt,  daß  derselbe  ein  Rückströmen  des  Blutes  in 
den  vor  dem  Ringe  gelegenen  anämischen  Teil  des  Fingers  verhütet.  Bei 
langsamem  Nachlassen  des  Druckes  wird  sich  ein  Augenblick  einstellen,  in  dem 
der  arterielle  Druck  dem  auf  die  Arterie  wirkenden  Außeudrucke  gleich  ist. 
Im  nächsten  Moment  wird  bei  weitei-em  Nachlassen  das  Blut  in  die  Finger- 
spitze schießen  und  dieselbe  rot  färben.  Die  jetzt  im  Manometer  bezeichnete 
Zahl  ist  der  Blutdruck  in  der  Arteria  digitalis. 

Es  haften  natürlich  auch  diesem  Apparate  Fehler  an,  doch  dieselben 
lassen  sich  bei  einiger  Übung  und  genauer  Befolgung  der  Anwendungs- 
maßregeln Gärtners  zum  Minimum  herabdrücken,  so  daß  man  sie  gut  mit  in 
Kauf  nehmen  kann. 

Gärtner  stellt  folgende  zwei  Thesen  auf  in  bezug  auf  die  Funktionen 
seines  Apparates: 

I.  Die  Tonometerwerte  entsprechen  oder  nähern  sich  den  absoluten 
Werten  des  mittleren  Blutdruckes. 


—     262     — 

II.  Veränderungen  der  Touometerwerte  an  ein  und  demselben  Individuum 
beobachtet,  bedeuten  gleichgroße  Veränderungen  des  Blutdruckes. 

Wenden  wir  uns  nun  den  Versuchen  Blauels  zu  und  lernen  wir  sein 
Verfahren  kennen,  welches  sich  folgendermaßen  gestaltete: 

„Mehrere  Tage  vor  der  Operation,  im  Notfalle  nur  einen  Tag  vor  der- 
selben, oft  aber  auch  mehrere  Tage  nachher,  wurde  die  Normalblutdruckhöhe 
festgestellt.  Dieser  Teil  des  Versuches  erfordert  nicht  nur  wegen  seiner 
Wichtigkeit,  sondern  vor  allem  auch  seiner  Schwierigkeit  besondere  Beachtung. 

Den  nicht  unerheblichen  Einfluß  der  Tageszeit  auf  den  Stand  des  Blut- 
druckes auszuschalten,  gelingt  am  einfachsten  dadurch,  daß  die  Messungen 
regelmäßig  zu  derselben  Stunde  vorgenommen  werden.  Die  genaue  Tages- 
einteilung in  einem  Krankenhause  bringt  dabei  die  angenehme  Erleichterung 
mit  sich,  daß  zu  derselben  Tagesstunde  auch  immer  ungefähr  die  gleiche  Zeit 
seit  der  letzten  Mahlzeit  verstrichen  ist,  der  Einfluß  derselben  auf  den  Blut- 
druck, der  fraglos  vorhanden,  also  auch  für  alle  Untersuchungen  annähernd 
der  gleiche  ist.  Die  Störungen  durch  Tageszeit  und  Nahrungsaufnahme  sind 
aber  verschwindend  klein  gegenüber  denjenigen,  welche  die  Patienten  durch 
ihr  psychisches  Verhalten  bieten.  Es  erfordert  nicht  nur  große  Uebung,  sondern 
auch  gehörige  Geduld,  um  Resultate  zu  erlangen,  auf  welche  man  sich  ver- 
lassen kann.  Sicherlich  findet  man  hier  und  da  einen  Patienten,  bei  welchem 
fortgesetzte  Untersuchungen  in  schöner  Regelmäßigkeit  dieselben  Druckwerte 
ergeben.  Minder  entwickelte  Intelligenz  und  ausgesprochene  Indolenz  sind 
hier  ausnahmsweise  Verbündete  des  untersuchenden  Arztes.  In  der  Mehrzahl 
der  Fälle  bewirkt  aber  die  Angst  vor  einer  Untersuchung  mit  einem  etwas 
gefährlich  aussehenden  Apparate  eine  oftmals  sehr  beträchtliche  Steigerung 
des  Blutdruckes.  Ich  habe  solche  bis  zu  50  i'im  Hg.  gesehen.  Daß  die  größere 
Aufregung,  in  welcher  die  Mehrzahl  der  Patienten  einer  chirurgischen  Klinik 
vor  der  Operation  sich  befinden,  hierfür  von  wesentlichem  Ausschlage  ist,  ergab 
sich  aus  der  Beobachtung,  daß  Messungen  einige  Tage  nach  der  Operation 
bedeutend  weniger  durch  die  psychischen  Momente  beeinflußt  wurden. 

Ich  begnügte  mich  in  der  Regel,  wenn  in  drei  aufeinanderfolgenden 
Untersuchungen  sich  die  gleichen  Werte  ergaben;  bei  schwankenden  Zahlen 
nahm  ich  den  tiefsten  Blutdruckstand  als  die  Norm  an.  Durchschnittlich  nahm 
ich  sechs  Einzelmessungen  vor,  zwischen  welche  nach  Möglichkeit  Pausen  von 
einigen  Minuten  eingefügt  wurden.  Auf  diese  Weise  gelang  es  mir  mit  ver- 
einzelten Ausnahmen  stets  zum  Ziele  zu  gelangen"  (Blauel). 

Es  würde  ein  großer  Fehler  sein,  den  Blutdruckstand  vor  der  Operation 
als  den  normalen  Punkt  anzusehen,  dann  würden  stets  Senkungen  zu  ver- 
zeichnen sein,  denn  derselbe  pflegt  vor  der  Operation  wegen  der  Aufregung 
des  Kranken  ein  sehr  hoher  zu  sein.  Die  Messungen  hat  Blauel  nun  erst  im 
Stadium  der  Toleranz  begonnen,  denn  wie  man  sich  leicht  erklären  kann,  ist 
im  Stadium  der  Exzitation  ein  genaues  Messen  oft  unmöglich  wegen  der  Be- 
wegungen des  Kranken.  Die  Messungen  wurden  minutenweise  wiederholt. 
Dadurch  entstanden  Kurven,  die  denen  eines  registrierenden  Apparates  sehr 
nahekommen.  Die  Atmung  muß  während  der,  Messung  natürlich  ruhig 
gleichmäßig  sein,  eine  wenn  auch  ganz  geringe  Änderung  im  Atmen  erzeugt 
sofort  sehr  beträchtliche  Schwankungen  der  Hg.-Säule. 

Nach  Eintritt  des  Bewußtseins  wurden  die  Messungen  sistiert.  Die  be- 
sonders wichtigen  Ereignisse  während  der  Operation  wurden  notiert,  damit 
dieselben  bei  der  Kurve  ev.  in  Rücksicht  gezogen  werden  konnten.  Der 
Einfluß  der  Operation  an  sich  darf  allerdings  nicht  zu  hoch  gerechnet  werden, 
denn  die  durch  operative  Maßnahmen  hervorgerufenen  Schwankungen  gleichen 
sich  sehr  bald  aus,  e-inen  bedeutenden  Einfluß  besaß  aber  die  Abnahme  des 
Esmarchschen  Schlauches  bei  Blutleere,  sie  hatte  stets  eine  Abnahme  des 
Blutdruckes  zur  Folge,  aber  auch  diese  glich  sich  bald  wieder  aus. 

Messungen  bei  kleinen  Eingriffen  ohne  Narkose  ergaben  stets  im  Anfang 
ein  Steigen  des  Blutdruckes,  die  Folge  der  Erregungen  psychischer  Art,  und 
bald  sank  der  Druck  auf  die  normale  Höhe  nach  Ablauf  der  Erregung  oder 
wenn  man  die  Aufmerksamkeit  des  Kranken  von  der  Operation  ablenkte. 


—     2iu]     — 

l)ie  Prüfung-  des  Blutdruckes  wurde  nun  bei  37  Chloroformnarkosen  vor- 
genommen. Zur  Anwendung-  kam  der  Kappelersche  Apparat  der  Narkose.  Bei 
tiefer  Inspiration  wurde  das  Gebläse  in  Tätigkeit  gesetzt  bis  zur  Toleranz, 
nach  deren  Eintritt  nur  dann  wieder  Chloroform  gegeben  wurde,  wenn  der 
Kranke  Zeichen  des  Erwachens  gab.  Bei  25  Narkosen  wurde  vorher  0,01  Mor- 
phium gegeben,  12  waren  reine  Chloroformnarkosen.  Von  den  Patienten  waren 
25  Männer,  12  weiblichen  Geschlechtes. 

Das  Alter  der  Patienten  bewegte  sich  zwischen  den  Jahren  von  40  und  50 
in  der  Mehrzahl,  unter  20  Jahren  waren  nur  9  Personen  (1  weibliche  und 
8  männliche  Personen).  Das  jüngste  Kind  war  3  Jahre,  die  älteste  Person 
76  Jahre  alt.    Die  mittlere  Dauer  der  Narkose  war  60  Minuten. 

Es  waren  7  Operationen  am  Knochensystem,  14  Tumorexstirpationen. 
4  Laparatomieu ,  4  Radikaloperationen  von  Hernien,  3  Exstirpationen  von 
Strumen,  1  von  Lymphomen  und  4  andere  Operationen. 

Nach  der  Ansicht  der  meisten  Autoreu  wirkt  das  Chloroform  so  gering 
auf  den  Blutdruck  ein,  daß  eine  Mitwirkung  bei  der  Chloroformnarkose  nicht 
deutlich  zutage  tritt,  und  man  kann  annehmen,  daß  die  reinen  Chloroform- 
uarkosen  ebenso  wie  die  Äthernarkosen  verliefen  in  bezug  auf  den  Blutdruck. 
Was  nun  die  Versuche  von  Blauel  selbst  anlangt,  so  hat  sich  ergeben,  daß  die 
Blutdruckkurve  eine  ausgesprochene  Neigung  zum  Verlaufe  unter  der  Normal- 
höhe besitzt.  In  30  Kurven  ist  dies  besonders  deutlich.  3  Kurven  halten 
sich  ungefähr  auf  der  Normaldruckhöhe,  doch  gewahrt  man  auch  bei  diesen 
verschiedentlich  Remissionen,  welche  eine  Tendenz  zum  Sinken  unter  die 
Normalhöhe  andeuten.  In  4  Fällen  erhalten  sich  die  Kurven  über  der  Normal- 
höhe.    Wir  können  die  Kurven  in  4  Gruppen  teilen: 

I.  Es  verlaufen  die  Kurven  durchweg  unter  der  Normalhöhe  in  23  Fällen  =  62,2"/^ 
II.    „  „  ,,         „  „  mäßig  tief  in  7      „       =  18,9\ 

III.  „  „  „         „        durchschnittl.  m.  d.  Normalhöhe  in  3      „       =    8,1  **/o 

IV.  „  „  „         „        durchweg  unter  der  „  „  4      ,,       :=10,87o 

Das  höhere  Alter,  über  50  Jahre,  ist  hauptsächlich  in  der  Gruppe  IV  ver- 
treten, das  jugendliche  Alter  dagegen  hauptsächlich  in  Gruppe  I.  Kinder  unter 
15  Jahren  kommen  nur  in  Gruppe  I  in  Betracht.  Dies  entspricht  nicht  der 
Anschauung,  die  allgemein  herrscht,  daß  Kinder  das  Chloroform  besonders  gut 
vertragen. 

Man  muß  aus  den  Versuchen  in  Anbetracht  der  Konstitution  der  Kranken 
schließen,  daß  auch  bei  mäßig  geschädigtem  Allgemeinzustande  das  Chloroform 
nicht  unbedingt  blutdruckherabsetzend  wirken  muß.  ' 

Die  Mehrzahl  der  Fälle  betraf  durchaus  gesunde  Menschen  und  so  finden 
wir  hierdurch  den  alten  Satz  bestätigt,  daß  auch  ein  gesunder  Körper  im 
kräftigen  Alter  durchaus  nicht  einen  Schutz  gegen  die  Gefahren  der  Chloroform- 
inhalationen bietet.  Ferner  ergeben  diese  Versuche,  daß  auch  schon  eine  ganz 
geringe  Chloroformdosis,  die  kaum  das  Stadium  der  Toleranz  hervorrufen  kann, 
eine  tiefe  Depression  des  Blutdruckes  zu  erzeugen  imstande  ist.  Ferner  ist 
die  Tiefe  der  Narkose  von    keinem   geringen  Einfluß    auf  die  Blutdruckkurve, 

Es  zeigt  sich  aber  noch  eine  Eigentümlichkeit  an  der  Blutdruckkurve, 
welche  den  Gegensatz  zu  der  bei  Äthernarkosen  bildet,  und  die  in  einem 
ständigen  Sehwanken  zwischen  Hoch-  und  Tiefstand  besteht.  Die  Kurve  sinkt 
plötzlich  ganz  unvermittelt  tief  und  schroff  ab,  während  die  Abfälle  beim  Äther. 


—     264     — 

wenn  sie  einmal  vorkommen,  sich  in  allmählichem  Senken  zeigen.  Dabei  fehlt 
beim  Chloroform  jede  Möglichkeit,  ein  solches  Sinken  vorauszusehen,  es  tritt 
ganz  plötzlich  und  unvermittelt  ein,  der  Patient  atmete  ganz  ruhig  und  doch 
zeigte  sich  in  der  nächsten  Sekunde  der  Tiefstand.  Dabei  kommen  neben 
harmlosen  Senkungen,  welche  ca.  10 — 20  mm  ausmachen,  auch  solche  von  sehr 
besorgniserregender  Tiefe  vor.  Man  bekommt  dadurch  das  Gefühl,  daß  während 
der  Chloroforminhalationen  der  Zirkulatiousmechanismus  sich  in  labilem  Gleich- 
gewicht befinde,  aus  dem  er  durch  die  unbedeatendsten  Ursachen  heraus- 
gebracht werden  kann,  oftmals  ist  es  überhaupt  sehr  schwer,  eine  Ursache  für 
das  rasche  Fallen  zu  finden.  Dadurch  wird  dem  Charakter  der  Blutdruckkurve 
beim  Chloroform  eine  Unruhe  verliehen,  während  derselbe  bei  der  Äthernarkose 
ein  gleichmäßiger  ist. 

Was  das  Verhalten  der  Blutlruckkurve  vor  der  Chloroformnarkose  an- 
langt, so  ist  zu  sagen,  daß  hier  keine  Einheit  im  Verhalten  vorhanden  war, 
immerhin  ist  aber  in  59,5  %  der  Fälle  ein  Sinken  des  Blutdruckes  festzustellen 
gewesen.  In  21,6  7o  war  ein  Steigen  zu  konstatieren  und  in  18,9%  verhielt 
sie  sich  auf  dem  Niveau  der  Normaldruckkurve.  Im  Verlaufe  der  Narkose 
fand  sich  selten  bei  neuer  Zufuhr  von  Chloroform  eine  Beeinflussung  der 
Kurve,  was  wohl  auf  den  Narkoseapparat  zu  beziehen  ist,  es  zeigte  sich 
deutlicher  Einfluß  der  Chloroformzufuhr  24  mal.  In  den  meisten  übrigen  Fällen 
zeigte  sich  ein  starkes  Sinken  innerhalb  sehr  kurzer  Zeit.  In  Fig.  2  sehen 
wir  deutlich  einen  solchen  Einfluß  durch  die  Chloroformzufuhr  durch  plötzliches 
Sinken  kundgegeben.  Auf  jede  weitere  neue  Gabe  sah  man  einen  neuen  Abfall, 
und  zwar  erreichte  derselbe  einen  immer  tieferen  Stand  mit  den  fortschreitenden 
Chloroformgaben. 

Beim  Erwachen  aus  der  Narkose  finden  wir  in  27%  der  Fälle  den  Druck 
über  oder  auf  dem  Niveau  der  Normaldruckkurve,  in  46%  unter  demselben. 
Dieses  Verhalten  könnte  man  im  ersten  Augenblick  als  unerwartet  finden, 
denn  man  sollte  doch  eher  annehmen,  daß  infolge  der  kumulierenden  Wirkung 
des  Chloroforms  die  Kurve  den  maximalen  Tiefstand  zu  Ende  erreichte  und 
doch  ist  obiges  Erscheinen  erklärlich,  wenn  man  bedenkt,  daß  das  Erwachen 
eine  geraume  Zeit  nach  der  letzten  Chloroformdosis  erst  eintritt.  Der  Chloro- 
formeinfluß hat  daher  schon  beträchtlich  nachgelassen  beim  Erwachen  des 
Kranken. 

Bei  leichten  Narkosen  mit  wenig  Chloroformverbrauch  wird  die  Zeit  bis 
zum  Erwachen  genügen,  um  einen  Druckstand  gleich  dem  der  Normaldruck- 
kurve annähernd  zu  erreichen.  Der  Zeitpunkt  an  dem  die  normale  Druckhöhe 
wieder  erreicht  wird,  wird  um  so  später  eintreten,  je  länger  die  Narkose  und 
je  größer  der  Chloroformverbrauch  war.  Es  entsprechen  nun  auch  bei  den 
Versuchen  diejenigen  Fälle  mit  dem  annähernd  normalen  Stande  der  kürzeren 
Narkose,  während  wir  bei  sehr  langen  Narkosen  mit  viel  Chloroformverbrauch 
oftmals  noch  sehr  lange  Zeit  nach  der  letzten  Gabe  einen  sehr  tiefen  Stand, 
bisweilen  50  mm  unter  Normaldruck  selbst  noch  beim  Erwachen  fanden. 

Es  ist  nicht  füi-  alle  Fälle  gleichmäßig  festzustellen,  wo  der  tiefste 
Punkt  während  der  Narkose  lag.  In  der  Mehrzahl  aller  Chloroformnarkosen 
finden  wir  zwei  Punkte  des  tiefsten  Standes,  von  denen  der  erstere  Punkt  noch 
in  das  erste  Viertel,  der  andere  Punkt  etwa  gegen  das  Ende  des  dritten  Viertels 
der  Narkosendauer  zu  liegen  kommt.      Zwischen    beiden    liegt  eine  Zone  von 


265     — 


mäßiger  Erhebung  der  Kurve.  Mau  kanu  sich  das  so  erklären:  Der  erstere 
Tiefstand  ist  die  Folge  der  ersten  konzentrierten  Chloroformdämpfe.  Nimmt 
dann  während  der  Narkose  der  Prozentgehalt  an  Chloro'form  der  Atmungsluft 
wieder  ab,  so  erhält  der  Zirkulationsapparat  wieder  soviel  Kraft,  um  eine 
geringe  Steigerung  des  Blutdruckes  zu  bewirken.  Mit  der  Zeit  tritt  nun  doch 
eine  kumulierende  Wirkung  des  Chloroforms  gegen  Ende  der  Narkose  auf,, 
welche  nunmehr  den  zweiten  Tiefstand  bewirkt. 

Um  das  Gesagte  nun  nochmals  kurz  zusammenzufassen,  erhalten  wir 
nach  Blauel  als  das  Bild  der  durchschnittlichen  Chloroformdruckkurve  einen 
nach  oben  offenen  Bogen,  der  im  allgemeinen  von  Anfang  an  steil  abfallt  und 
in  seinem  Verlaufe  wenig  Gleichmäßigkeit  zeigt.  Im  ersten  und  dritten  Viertel 
der  Kurve  sehen  wir  auf  längere  Strecken  ausgedehnte  Erhebungen  und 
Senkungen  sich  markieren,  dann  aber  ist  ein  Hin-  und  Herschwanken  in 
kurzen  Zeiträumen  zu  bemerken,  wodurch  steile  Remissionen  auftreten,  welche 
der  ganzen  Kurve  einen  unruhigen  Charakter  verleihen.  Diese  Remissionen 
können  besonders  intensiv  und  direkt  bis  zum  Bedrohlichen  sich  steigernd, 
von  synkopeähnlicheu  Symptomen  begleitet  werden,  wenu  während  der  Narkose 
größere  Chloroformmengen  zugeführt  werden. 

Beim  Erwachen  des  Kranken  steht  der  Blutdruckstand  gewöhnlich  in 
direktem  Verhältnis  zur  Länge  und  Tiefe  der  Narkose,  meist  unter  der  Nornial- 
druckhöhe  sich  haltend  (Blauel). 

Folgende  beiden  Kurven  in  Figur  89  und  90  rnögen  ein  Bild^der  Blut- 
druckschwankungen geben. 

Fionr  89. 


Chloroformblutdruckkurve  nach  Blauel. 

Exstirpation  eines  Wangen sarkoms.  Narkosenlänge  52  Minuten.  Chlorolorm- 
verbrauch  15,0  ccm.  Morphin  0,01.  Die  Horizontale  N  bedeutet  die  Normal- 
blutdruckhöhe und  gibt  als  Abszisse  zugleich  die  Zeit  in  Minuten  au.  Die 
Ordinate  zeigt  in  Millimeter  Hg.  die  Blutdruckhöhe  an.  Bei  0  Beginn  der 
Narkose.     Die  PI  eile  bedeuten  verstärkte  Chloroformzufuhr. 

Ich  habe  diese  Versuche  von  Blauel  etwas  eingehend  geschildert,  weil 
dieselben  so  überaus  deutlieh  ein  Bild  von  der  Chloroformwirkung  geben 
und  für  uns  von  so  hoher  Bedeutung  sind,  denn  wir  sehen  hier  direkt 
graphisch  dargestellt,  wie  gefährlich  doch  die  großen  Dosen  Chloroform  wirken 
können  und  wie  schon  durch  verhältnismäßig  gar  nicht  übertrieben   hohe  Kon- 


—     266     — 

zentrationen  plötzlich,  wie  sie  so  leicht  bei  neuer  Zufuhr  von  Chloroform  auf- 
treten können,  sich  schon  gar  bedrohlich  erscheinende  Schwankungen  in  den 
Kurven  markieren. 

Figur  90. 


Chloroformblutdruckkurve  nach  Blauel. 

Besectio  genus.      Narkosenlänge    76  Minuten.      Chloroformverbrauch    28  ccm. 
Morphin  0,01.     Bezeichnung  sonst  wie  in  vorhergehender  Kurve. 


"Wir  sehen  aus  diesen  ebenso  wie  aus  den  früheren  Tierversuchen,  wie 
das  Chloroform  eine  beträchtliche  Herabsetzung  des  Blutdrucks  hervorruft  und 
wie  wiederum  die  kumulierende  Wirkung  ersichtlich  wird.  Ferner  ersehen  wir 
aber  auch,  wie  plötzlich  ganz  unvermittelt  starke  Senkungen  des  Blutdruckes 
auftreten ,  ohne  daß  wir  eine  Ursache  finden  könnten.  Ein  Beweis  für  die 
lieimtückische  Wirkung  des  Chloroforms. 

Es  wäre  nun  zu  wünschen,  daß  solche  Untersuchungen  auch  bei  der 
Tropfmethode  angestellt  würden,  damit  sich  nachweisen  ließe,  ob  man  durch 
•die  Methode  die  Gefahren  vielleicht  verringern  könnte. 

Die  Verhältnisse  der  Einwirkung  des  Chloroforms  auf  den  Puls  sind 
ähnlich  den  Druckverhältnissen  im  Herzen.  Man  muß  zunächst  bedenken,  daß 
der  Mensch  vor  dem  Beginn  der  Narkose  mehr  oder  weniger  aufgeregt  ist  und 
daß  dabei  auch  sein  Puls  beeinflußt  wird,  er  ist  mei.st  beschleunigter  und 
kleiner  als  in  normalem  Seelenzustande  des  Patienten.  Es  ist  deshalb  von 
großem  Wert  für  den  Narkotiseur,  daß  die  normale  Pulstätigkeit  vor  der 
Narkose  festgestellt  worden  ist.  Man  wird  dies  in  vielen  Fällen  tun  können, 
indem  man  während  2 — 3  Tagen  vor  der  Operation  den  Puls  prüft.  Bisweilen 
wird  es  aber  nicht  angehen  und  man  muß  dann  die  Aufregung  bei  der  Beur- 
teilung der  Pulstätigkeit  bedenken.  Kurz  nach  Beginn  der  Narkose  schwindet 
die  Aufregung,  der  Puls  wird  langsamer,  seine  Frequenz  nimmt  ca.  20  Schläge 
•ab,  in  seltenen  Fällen  nur  2 — 8  oder  30 — 40  Schläge.  Im  Stadium  der  tiefen 
Narkose  wird  der  Puls  weich  und  langsam  analog  der  Herabsetzung  des  Blut- 
druckes, der  Spitzenstoß  verschwindet  oft  ganz  oder  wird  weniger  deutlich 
sieht-  und  fühlbar.  Das  Gesicht  wird  blaß.  Dies  ist  das  Bild  bei  ruhiger 
Narkose. 


—     267     — 

An  den  Kapillaren  chloroformierter  Tiere  hat  man  beobachten  können, 
und  dies  Experiment  ist  leicht  mit  einem  narkotisierten  Frosch  etc.  anzustellen, 
daß  im  Beginn  der  Narkose  die  Bluthewegung  beschleunigt  wird,  die  kleinsten 
Arterien  werden  kontrahiert,  während  die  Kraft  der  Zirkulation  gleichbleibt. 
Später  fängt  die  Zirkulation  an  zu  stocken  in  den  Kapillaren,  die  BlutkrJrperchen 
beginnen  sich  zusammenzuballen  und  wälzen  sich  nur  langsam  vorwärts. 
Endlich  tritt  Erweiterung  der  kleinsten  Arterien  und  Stase  ein. 

Wenn  man  bei  einem  Tier  den  Nervus  vagus  und  Nervus  sympathicus 
durchschneidet  und  chloroformiert  dieses  Tier,  so  findet  man  denselben  Einfluß 
auf  die  Gefäße.  Folglich  ergibt  sich,  daß  die  Herabsetzung  der  Kraft  des 
Pulses  und  des  Blutdruckes  durch  Veränderung  des  Gefäßtonus  der  Arterien 
entsteht,  welche  nicht  nur  durch  die  Lähmung  der  vasomotorischen  Zentren, 
sondern  auch  durch  eine  lähmende  Beeinflussung  der  gangliösen  Zentren,  welche 
im  Herzmuskel  und  der  Gefäßwand  der  großen  Arterien  gelegen  sind,  hervor- 
gerufen wird. 

Interessante  Versuche  hierüber  wurden  vom  englischen  Chloroform- 
komitee gemacht,  indem  einem  Hunde  ein  Hämatodynamometer  in  die  Schenkel- 
arterie gebracht  wurde.  Das  Quecksilber  stieg  zuerst  plötzlich  bei  Inhalation  von 
Chloroformdämpfen,  was  auf  die  erregende  Wirkung  des  Chloroforms  auf  die 
Tiere  bezogen  werden  kann,  dann  sank  sie  plötzlich.  Wenn  die  Tiere  ganz 
ruhig  lagen,  ohne  sträubende  Bewegungen  zu  machen,  stieg  die  Quecksilber- 
säule ebenfalls  und  man  wird  diese  Steigerung  der  kumulierenden  Wirkung 
kleiner  Chloroformdosen  zuschreiben  können.  Mit  der  Wirkung  des  Chloroforms 
fiel  in  dem  weiteren  Verlauf  die  Quecksilbersäule.  Wenn  das  Tier  nicht  atmete, 
stieg  sie  sofort  wieder,  also  wenn  kein  Chloroform  aufgenommen  wurde,  oder 
wenn  man  das  Chloroform  ganz  wegließ.  Wurde  es  wieder  verabreicht,  so  sank 
die  Säule  wieder. 

Die  Hyderabad. -Kommission  hat  auf  Grund  von  100  Tierexperimenten 
folgende  Thesen  aufgestellt: 

„Chloroform  fortwährend  unter  hinreichendem  Luftzutritt  gegeben,  ver- 
ursacht ein  Sinken  des  Blutdruckes  in  ganz  allmählicher  Weise,  solange  die 
Respiration  nicht  gehindert  ist  und  das  Atmen  ruhig  vor  sich  geht.  Bei 
stärkerer  Chloroformdosis  ist  das  Sinken  des  Blutdruckes  rascher,  aber  immer 
noch  allmählich,  selbst  starke  Dosen  von  Chloroform  bedingen  keinen  Herz- 
stillstand." 

„Das  Fallen  des  Blutdruckes  wird  nur  dann  plötzlich,  wenn  unregel- 
mäßiges Atmen  eintritt,  dann  allerdings  kommt  es  vor,  daß  Tiere  rasch  bewußtlos 
werden,  die  Respiration  und  zuletzt  der  Herzschlag  authört." 

Neben  der  Verringerung  der  Pulszahl  ist  auch  ein  Herabsetzen  der 
Temperatur  während  der  Chloroformnarkose  zu  konstatieren.  Die  Temperatur 
sinkt  während  der  Narkose  um  0,2— 1°  C,  im  Mittel  um  0,59°  C.  Die  Ernie- 
drigung der  Temperatur  wird  erst  ca.  10  Minuten  nach  Beginn  der  Narkose 
bemerkt,  das  Maximum  der  Verringerung  der  Temperatur  fällt  in  das  post- 
narkotische Stadium.  Nicht  allein  die  Verminderung  des  Blutdruckes  an  sich 
erzeugt  eine  Herabsetzung  der  Temperatur,  sondern  auch  die  Ruhe  sämtlicher 
willkürlicher  Muskeln  trägt  mit  dazu  bei.  Die  wärmeerzeugenden  Funktionen 
der  lebenswichtigen  Organe  sind  in  ihrer  Intensität  bedeutend  herabgesetzt 
während  der  Chloroformnarkose,  die  Oxydation  des  Blutes  ist  eine  geringere, 
die  Tätigkeit  des  Magens  und  Darmtractus  ist  fast  ganz  aufgehoben,  die 
Leberfunktion  liegt  fast  ganz  danieder,  und  gerade  durch  diese  chemischen 
Vorgänge  wird  eine  Menge  Wärme  im  Körper  erzeugt.  Durch  das  Fehlen 
dieser  Quelle  an  Wärme  kühlt  der  Körper  ab.    Zu  gleicher  Zeit  gibt  der  Körper 


—     268     — 

viel  AVärme  ab,  er  liegt  entblößt  da,  die  Lungen  atmen  ein  kühles  Gasgemisch 
ein,  denn  bei  der  Verdunstung  des  Chloroforms  entsteht  starke  Abkühlung  der 
Gasgemenge.  Die  kühlen  Gasgemische  entziehen  der  Lunge  Wärme.  Infolge 
der  verschiedenen  Verdunstbarkeit  ist  die  Wärmeabgabe  der  Lungen  bei  der 
Ohloroformnarkose  nicht  so  groß  wie  bei  der  Äthernarkose.  Immerhin  erleidet 
aber  der  Körper  durch  alle  diese  Momente  beträchtliche  Abkühlung  auch  in 
der  Chloroformnarkose.  Man  muß  die  Abkühlung  nach  Möglichkeit  verringern. 
Hierfür  gelten  die  im  Allgemeinen  Teil  aufgestellten  Thesen. 

Der  Einfluß  des  Chloroforms  auf  die  anderen  Funktionen  des  Körpers 
in  physiologischer  Hinsicht  ist  von  geringerer  Intensität.  Die  Nierentätigkeit 
wird  durch  das  Chloroform  nur  wenig  beeinflußt  in  den  Grenzen,  die  man  als 
physiologisch  ansehen  kann.  Ein  großer  Teil  des  in  den  Körper  gelangten 
Chloroforms  wird  durch  die  Nieren  abgesondert,  und  es  ist  behauptet  worden, 
daß  die  Nierentätigkeit  durch  das  Chloroform  bedeutend  vermindert  werde. 
Daß  ein  besonderer  Einfluß  auf  die  Nierenepithelien  durch  das  Chloroform 
ausgeübt  wird  ist  zweifellos,  doch  derselbe  erzeugt  an  den  Nierenepithelien 
Veränderungen,  welche  pathologischer  Natur  sind  und  später  erörtert  werden. 
Das  Chloroform  wird  im  Harn  hauptsächlich  in  Form  von  Chloriden  abgesondert 
(Zeller).  Die  Harnsekretion  wird  während  der  Chloroformnarkose,,  wahrschein- 
lich infolge  der  Verminderung  des  Blutdruckes,  nach  den  Versuchen  von 
Dranske  sehr  stark  herabgesetzt,  er  fand  dieselbe  auf  ^/g — ^j^  der  Norm  ver- 
mindert. Nach  seiner  Ansicht  soll  man  die  Harnsekretion  durch  Darreichen 
eines  Diuretikums  vor  der  Narkose  anregen,  das  man  ca.  1  Stunde  vor  Be- 
ginn der  Chloroforminhalation  verabreichen  soll. 

Was  den  Darmtraktus  anlaugt,  so  findet  man  in  dessen  einzelnen  Teilen 
während  der  Chloroformuarkose  ebenfalls  nur  geringe  physiologische  Vorgänge 
sich  abspielen,  die  rein  durchs  Chloroform  hervorgerufen  wurden.  An  Mund 
und  Rachen  sehen  wir  die  Schleimdrüsen  stärker  in  Tätigkeit,  es  zeigt  sich 
vermehrte  Salivation  und  Schieimabsonderung,  die  sich  weiter  auch  auf  die 
Luftröhren,  den  Kehlkopf,  den  Magen  und  Darm  erstreckt.  In  den  vermehrt 
abgesonderten  Säften  findet  sich  reichlich  Chloroform,  vor  allem  im  Magen- 
saft. Die  starke  Sekretion  des  Magens  ruft  leicht  Erbrechen  hervor,  weil 
das  im  Saft  enthaltene  Chloroform  im  Magen  bei  genügenden  Mengen  einen 
solchen  Reiz  auf  die  Magennerven  ausübt,  daß  antiperistaltische  Bewegungen 
ausgelöst  werden.  Entfernt  man  nach  der  Narkose  die,  vermehrten  Magensaft- 
mengen durch  eine  Magenspülung,  so  hört  sofort  das  Erbrechen  auf.  Es  ist 
also  die  Wirkung  des  Chloroforms  hier  als  eine  Reizung  der  Drüsen  auf- 
zufassen. Dabei  wird  gleichzeitig  Chloroform  aus  dem  Körper  entfernt.  Die 
Darmtätigkeit  ist  aber  während  der  Chloroformuarkose  vermindert,  die  Be- 
wegungen der  Darmmuskulatur  sind  geschwächt. 

Eine  bedeutendere  Beeinflussung  erleiden  die  Lungen  durch  das  Chloro- 
form in  physiologischen  Grenzen.  Der  Einfluß  des  Chloroforms  auf  die 
Respiration  zeigt  sich  in  einer,  sobald  die  Chloroformwirkung  nicht  mehr  vom 
Willen  des  Kranken  beeinflußt  werden  kann,  eintretenden  Verlangsamung  der 
Atemzüge.  Im  Anfang  wird  mancher  Mensch  die  Atmung  namentlich  bei 
mangelhafter  Chloroformierung  anzuhalten  suchen. 

Es  muß  vor  allen  Dingen  gesorgt  werden,  daß  der  Patient  ruhig  atmet, 
man  kann  dies  am  ehesten  erreichen,  indem  man  ihm   genügend  Luft  neben 


—     2()9     — 

dem  Chloroform  zuströmen  läßt.  Wird  die  Narkose  tiefer,  so  werden  auch 
die  Atemzüge  langsamer  und  tiefer  und  man  muß  hierbei  wiederum  beachten, 
daß  man  nicht  gerade  bei  einer  Inspiration  zu  konzentrierte  Chloroformdämpfe 
gibt,  denn  es  kann  bei  sehr  tiefen  Atemzügen  leicht  eine  Intoxikation 
erfolgen. 

Bisweilen  werden  die  Atemzüge  aber  sehr  obei-flächlich  und  unregel- 
mäßig und  es  ist  wichtig,  daß  der  Narkotiseur  dieses  sofort  erkennt  um 
eventuell  die  Weitergabe  des  Chloroforms  zu  sistieren. 

Die  allgemeinen  Vorschriften  über  die  Atmung  während  der  Narkose 
sind  natürlich  zu  beachten.  Daß  oftmals  das  Zurücksinken  des  Zungen- 
grundes die  Atmung  übel  beeinflußt,  muß  bedacht,  und  die  allgemeinen  Vor- 
schriften zu  dessen  Verhütung  etc.  müssen  getroffen  werden.  Fremdkörper. 
Schleim  etc.  können  die  Respirationsbahnen  (Kehlkopf,  Bronchien  etc.)  verlegen 
und  verstopfen,  man  muß  dieselben  daher  vor  der  Narkose  so  weit  wie 
möglich  entfernen,  damit    die  Atmung  durch  sie  nicht  gestört  wird. 

Ein  ruhiges  Atmen  im  Anfang  der  Narkose  zu  erreichen  muß  das  Ziel 
sein,  da  sonst  auch  im  weiteren  Verlauf  der  Narkose  dieselbe  unregelmäßige 
Respiration  herrscht.  Man  erreicht  am  besten  eine  recht  ruhige  Atmung,  in- 
dem man  von  Anfang  an  den  Patienten  von  200  oder  300  abwärts  zählen  läßt. 
Dadurch  wird  er  gezwungen,  mehr  zu  denken,  als  beim  Zählen  von  1  an,  und 
infolgedessen  wird  seine  Aufmerksamkeit  von  der  Angst  um  die  Narkose  ab- 
gelenkt und  mehr  konzentriert.  Dabei  erkennt  man  zeitiger,  wenn  das  Be- 
wußtsein getrübt  wird,  da  der  Patient  bei  halbem  Bewußtsein  nicht  mehr 
rückwärts  zu  zählen  vermag,  Fehler  macht  etc.  Die  Folge  dieser  Methode  ist 
ein  regelmäßigeres  Atmen  als  beim  Zählen  von  1  aufwärts.  Man  verhütet 
ferner  dadurch  wie  durch  ruhigen  Zuspruch,  daß  der  Kranke  nicht  lange  den 
Atem  anhält,  denn  gerade  dies  kann  bei  der  Chloroformnarkose  gefährlich 
werden.  Wenn  nämlich  der  Kranke  plötzlich  krampfhaft  verweigert  zu  atmen, 
so  folgt  auf  das  Anhalten  des  Atems  eine  enorm  tiefe  Inspiration,  durch 
welche,  wenn  nicht  der  Narkotiseur  die  Maske  entfernt  Iiat,  eine  sehr  große 
Menge  Chloroform  plötzlich  in  das  Blut  gelangt.  Das  Chloroform  ist  nun  in 
dieser  Beziehung  ein  sehr  gefährliches  Gift,  denn  es  kann  auf  eine  solche 
Überschwemmung  des  Blutes  mit  Chloroform  durch  die  tiefe  Inspiration  sofort 
Herzsynkope  oder  Apnoe  folgen,  hervorgerufen  durch  die  toxische  Wirkung 
der  starken  Chloroformdosis,  die  durch  die  tiefe  Inspiration  in  das  Blut  und 
somit  in  das  Gehirn  gelangte,  indem  das  Chloroform  sofort  die  Zentra  der 
Herztätigkeit  oder  Lungenfunktion  lähmt.  Man  hat  zahlreiche  solche  Fälle 
beobachtet,  und  es  ist  zum  Teil  die  speziell  intensiv  toxische,  stark  narkotische 
Wirkung  des  Chloroforms  in  diesen  Fällen,  welche  das  Unheil  bewirkt,  zu 
dem  der  Anlaß  durch  die  unregelmäßige  Atmung  gegeben  wurde. 

Es  wird  auch  in  den  Bronchien  und  Broncheoli  durch  das  Chloroform 
die  Schleimhaut  zur  stärkeren  Absonderung  angeregt,  so  daß  sich  bei  der 
Atmung  im  Kehlkopf  reichlich  Schleim  ansammelt.  Diese  vermehrte  Schleim- 
produktion in  der  Lunge  selbst  ist  nun  beim  Chloroform  nicht  pathologisch 
gesteigert,  wenigstens  nicht  in  den  meisten  Fällen,  sie  besteht  aber  doch  in 
gesteigertem  Maße,  wie  mir  durch  eingehende  Untersuchung  der  Lungen  von 
Hunden  nach  Chloroformnarkosen  nachzuweisen  gelungen  ist. 

Ein  großer  Teil  der  im  Organismus  kreisenden  Chloroformmengen  wird 


—     270     — 

durch  die  Lungen  wieder  aus  dem  Körper  abgesondert.  Somit  gescliieht  es, 
daß  die  Respiratiousluft  des  Krauken  noch  längere  Zeit  nach  der  Chloroform- 
narkose nach  dem  Narkotikum  riecht,  daß  der  Kranke  selbst  auch  meint,  das 
Chloroform  zu  riechen. 

Neben  den  Lungen  und  Nieren  sondert  auch  die  Haut  durch  die 
Schweißdrüsen  Chloroform  ah.  Auch  in  die  Milch  der  Frau  und  in  den 
fötalen  Kreislauf  der  graviden  Frau  geht  Chloroform  über  und  ist  im  Blut  des 
Kindes  nachgewiesen  worden  (Zweifel). 

Ein  großer  Teil  des  Chloroforms  wird  auch  in  zersetztem  Zustande  aus 
dem  Körper  ausgeschieden.  Ein  Zeichen,  das  auf  sehr  starke  Stoffwechsel- 
veränderungen im  Organismus  schließen  läßt,  ist  die  Tatsache,  daß  das 
Körpergewicht  des  Kranken  nach  der  Chloroformierung  bedeutend  niedriger 
ist  als  vorher  (Malenjuk).  Aus  dem  Organismus  wird  bedeutend  mehr 
Stickstoff,  Schwefel  und  Phosphor,  ferner  werden  größere  Mengen  Chloride 
ausgeschieden  nach  und  in  der  Narkose.  Das  Chlor  der  Chloride  stammt 
aber  nicht  aus  dem  Chloroform.  Ferner  bewirkt  die  Chloroformwirkung  eine 
größere  Ausscheidung  von  nicht  volloxydiertem  Schwefel,  und  organischen 
Stoffen,  die  Chlor  enthalten,  und  welcher  Umstand  darauf  schließen  läßt,  daß 
unter  dem  Einfluß  des  Chloroformierens  die  oxydierenden  Vorgänge  im 
Organismus  bedeutend  geringer  werden.  Die  gesteigerte  Ausscheidung  von 
Phosphorsäure  und  Kali  erlauben  zu  glauben,  daß  die  Zerstörungen  durch  das 
Chloroform  in  den  an  Phosphor  und  Kali  reichen  Geweben  vor  sich  gehen, 
also  im  Muskel-  und  Nervengewebe,  in  den  morphologischen  Bestandteilen 
des  Blutes  und  überhaupt  in  dem  zellreichen  parenchymatösen  Organen  und 
Geweben  (Herz-,  Leber-,  Nieren-,  Nervenganglien-,  Fettmetamorphose  und 
Nekrose).  Die  gesteigerte  Ausscheidung  von  Chlor  muß  man  als  direkte  not- 
wendige Folge  der  gesteigerten  Zufuhr  von  phosphorsaurem  Kalk  in  die 
Zirkulation  auffassen  (Malenjuk). 

Viel  bedeutender  als  die  physiologischen  Schwankungen  der  Orgau- 
funktionen  infolge  der  Chloroformnarkose  sind  die  pathologischen  Ein- 
wirkungen, die  dem  Chloroform  zur  Last  gelegt  werden  können.  Es  ist 
schwer  eine  genaue  Grenze  zwischen  physiologischen  und  pathologischen  Ver- 
änderungen hier  zu  ziehen,  doch  ich  glaube  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
beide  gesondert  zu  haben. 

Zuerst  sollen  die  Veränderungen  im  Gehirn  Erwähnung  finden. 
Die  pathologischen  Veränderungen  im  Gehirn  bestehen  vor  allem  in  Lähmungen 
wichtiger  Zentren,  hervorgerufen  durch  entweder  zu  hohe  Dosen,  oder  durch 
Disposition  im  Gehirn,  durch  unreines  Präparat  etc.  Die  beiden  wichtigsten 
Lähmungen,  die  der  Respirations-  und  Herztätigkeitszentren,  sollen  an  anderer 
Stelle  behandelt  werden. 

Hier  soll  nur  auf  die  Lähmungen  anderer  Gehirnabschnitte  aufmerksam 
gemacht  werden,  welche  ebenfalls  schwere  Schädigungen  des  Organismus  zur 
Folge  haben  können.  Ein  Teil  der  Narkosenlähmungen  ist  auf  eine  zentrale 
Lähmung  der  Nervenzentren  durch  die  Chloroformwirkung  zurückzuführen. 
Es  hat  sich  nämlich  nach  Chloroformnarkosen  in  den  Ganglienzellen  im 
Gehirn  Fettmetamorphose  nachweisen  lassen  (Verf.).  Nach  längeren  und 
öfteren  Chloroformnarkosen  fand  man  in  dem  Protoplasma  einzelner  Ganglien- 
zellen Fetttropfen  von  verschiedener  Größe,  Zahl  und  Anordnung.  Vergleiche 
Figur  91.  Dieselbe  stellt  eine  Zeichnung  nach  einem  Präparat  aus  dem 
Gehirn  eines  mit  Chloroform  narkotisierten  Hundes  dar.  Gleiche  Bilder  und 
solche,  wo  noch  mehr  Fetttropfen   in   den    Ganglienzellen    zu   finden    waren. 


—     271      — 

wurden  stets  nach  Cbloroformuarkoseu  bei  den  vom  Verf.  angestellteu  Experi- 
menten beobachtet.  Hier  soll. nur  diese  Abbildung  ein  oberfläcblicbes  Bild 
der  Fettmetamorphose  der  Ganglienzellen  des  Gehirns  geben. 

Figur  91. 


Gauglieuzelk'ii  des  Großhirns  mit  Fetttropfeu 
im  Protophx.sma  nach  Chloroformnarkose. 


Es  ist  infolge  dieser  Befunde  zu  vermuten,  daß  in  geeigneten  Fällen 
eine  stärkere  Fettmetamorphose  in  einzelnen  Zentren  eintreten  kann,  welche,, 
sei  es  vorübergehend  oder  für  immer,  die  Ganglienzellen  schädigt,  was  eine 
Lähmung  der  von  den  Zellen  innervierten  Körperteile  zur  Folge  haben  kann. 
Das  Chloroform  besitzt  eine  besonders  starke  Tendenz,  solche  Fettmetamorphose 
im  Zerebrnm  hervorzurufen. 

Weiter  hat  man  in  den  Wandungen  der  i^apillaren  und  größeren  Ge- 
fäße der  Hirnmasse  reichlich  Fett  in  großen  Mengen  gefunden  (Verf.).  Dies 
Fett  war  in  Haufen  in  einzelnen  Zellen  der  Wand  gelegen,  bewirkt  eine  Ver- 
dünnung der  Gefäßwand  an  dieser  Stelle  und  größere  Brüchigkeit.  Somit 
können  einesteils  Aneurysmen  der  Hirngefäße  andererseits  Berstungen  der 
Wand  während  der  Narkose  und  Hämorrhagien  in  das  Gehirn  entstehen.  Die 
Aneurysmen  können  auch  gelegentlich  platzen  und  Apoplexie  erzeugen.  So- 
mit kann  man  dunkle  Fälle  von  plötzlichen  Lähmungen  vielleicht  erklären. 
Jedenfalls  können  diese  Veränderungen  in  den  Hirngefäßen  dem  Patienten 
sehr  gefährlich  werden.  Diese  Einwirkung  des  Chloroforms  auf  das  Gehirn 
ist  besonders  gefährlich  bei  Leuten  mit  Arteriosklerose,  alten  Leuten  etc.. 
Besonders  günstige  Momente  für  die  Entstehung  solcher  Apoplexien  werden 
während  der  Narkose  gegeben  durch  die  Blutdrucksteigerung  im  Anfang,  beim 
Brechen,  beim  Atemanhalten  im  Exzitationsstadium.     Die  Gehirnhämorrhagiea 


272      

können  nicht  nur  in  der  Narkose,  sondern  aucli  noch  nach  derselben  hervor- 
gerufen werden,  sie  können  besonders  gefährlich  werden  bei  Wiederholungen 
von  Narkosen. 

Immerhin  hat  man  die  zentralen  Lähmungen  nach  Chlorofoymnarkosen 
selten  beobachtet.  Es  mögen  aber  vielleicht  manche  raschen  Todesfälle,  manche 
vorübergehenden  Lähmung&n  nicht  als  zentrale  Veränderungen  (Fettmetamor- 
phose der  Ganglienzellen  und  Hämorrhagien  durch  Ruptur  der  fettmetamor- 
phosierten  Gefäßwand)  infolge  der  Chloroformwirkung  erkannt  worden  sein. 

Weit  größere  Bedeutung  hat  lür  uns  die  Lähmung  des  Zentrums  der 
Herztätigkeit.  Dieselbe  tritt  in  mehrfacher  Form  auf.  Zunächst  beobachtet 
man  die  Synkope  ganz  im  Anfang  der  Narkose.  Der  Kranke,  welcher  die 
ersten  Atemzüge  unter  der  Maske  tut,  sinkt  plötzlich  tot  nieder,  das  Herz 
steht  still.  Diese  Herzsynkope  entsteht  wahrscheinlich  entweder  infolge  einer 
Trigeminusvagusreizung  von  der  Nasenschleimhaut  aus,  oder  durch  Reizung 
der  Ausbreitungen  des  nervus  laryngeus  superior  im  Kehlkopf.  Man  hat 
gegen  diese  Reizung  von  selten  der  Nasenschleimhaut  empfohlen,  die  Schleim- 
haut vor  jeder  Narkose  zu  kokainisieren  (Gerster,  Rosenberg  etc.). 

Einen  anderen  Vorschlag,  diese  Reflexsynkope  zu  verhüten,  hat  Gräfe 
gemacht.  Er  gibt  den  Rat,  die  Nasenlöcher  während  der  ganzen  Dauer  der 
Narkose  mittels  einer  von  ihm  ersounenen  Klemmvorrichtung  zu  verschließen. 
Er  ist  mit  dem  Erfolg  dieser  Methode  recht  zufrieden  gewesen.  Der  Kranke 
ist  dabei  gezwungen,  nur  durch  den  Mund  zu  atmen.  Es  fällt  zwar  der 
Reflex  von  der  Nasenschleimhaut  aus  weg,  doch  kann  immer  noch  ein  solcher 
von  der  Kehlkopfschleimhaut  aus  erfolgen  (nervus  laryngeus  super.).  Doch 
es  ist  dieselbe  vielleicht  weniger  empfindlich,  als  die  Nasenschleimhaut. 

Eine  weitere  Ursache  für  die  plötzliche  Synkope  im  Anfang  der  Chloro- 
formuarkose  ist  in  einer  Idiosynkrasie  des  Kranken  gegen  Chloroform  gegeben, 
ferner  kann  durch  Unachtsamkeit  auch  eine  so  starke  Überschwemmung  des 
Kranken  mit  Chloroform  durch  schnelles  tiefes  Atmen  hervorgerufen  worden 
sein,  daß  die  Menge  des  Chloroforms  im  Blut  ausreichte,  um  das  Zentrum 
für  die  Herztätigkeit  zu  lähmen.  Es  gibt  noch  viele  andere  Nebenursachen, 
die  Aufgeregtheit  des  Kranken,  den  Shock  etc.,  welche  solche  plötzliche 
Lähmungen  begünstigen,  ja  selbst  herbeiführen  können,  und  im  Allgeni. 
Teil  schon  erörtert  sind,  aber  mehr  oder  weniger  bei  jeder  Narkose  in 
Betracht  kommen. 

Das  Chloroform  besitzt  als  gefährlichste  Eigenschaft  eine  ganz  be- 
sonders starke  Wirkung  direkt  auf  das  Herz.  Dieselbe  tut  sich  kund  in 
Lähmungen  der  nervösen  Zentra  im  Herzen  selbst  und  in  direkten  Ver- 
änderungen der  Herzmuskelfaser.  Die  Zentren  im  Herzen  selbst  werden 
durch  das  Chloroform  leicht  gelähmt  durch  zu  große  Dosen,  die  entweder  aus 
Unachtsamkeit  des  Narkotiseurs  verabreicht,  oder  durch  zu  konzentrierte 
Dämpfe  und  sehr  tiefe  Atmung  bewirkt  werden.  Alle  diese  Ursachen  der 
plötzlichen  Synkope  durch  direkte  Lähmung  der  Herzzentren  können  und 
müssen  vermieden  werden.  Die  dritte  Ursache  ist  in  verminderter  Wider- 
standskraft des  Herzzentrums  gegeben.  Dieselbe  wird  hervorgerufen  erstens 
durch  Erkrankungen  des  Herzens,  welche  vor  der  Narkose  bestanden,  z.  B. 
Fettherz,  Myokarditis,  Nervosität  etc.,  oder  durch  Disposition,  d.  h.  eine  ver- 
minderte Widerstandskraft  gegen  Chloroform  allein  bei  sonst  gesundem  Herzen. 


—    27:^ 


Durch  alle  solche  Ursachen  kauii  plötzlich  im  Anfang-  oder  auch  im  weiteren 
Bestehen  der  Narkose  Synkope  auftreten,  und  zwar  tritt  bei  diesen  Ursachen 
meist  der  Tod  sofort  ein.  Nur  in  den  seltensten  Fällen  kann  man  hier  die 
Synkope  durch  die  bekannten  Maßnahmen,  wie  sie  im  Allgemeinen  Teil  ge- 
schildert sind,  bekämpfend,  den  Tod  verhüten. 

Die  Wirkung  des  Chloroforms  auf  die  Herzmuskelfaser  besteht  in  der  F  e  1 1  - 
metamorphose  derselben  (Tanger,  Strafhnann,  Fränkel,  Nothnagel, 
Bastianelli  eto.  Diese  Veränderung  ist  die  Ursache  der  meisten  Todesfälle 
nach  der  Chloroformnarkose,  der  Kranke  geht  seltener  während  der  Inhalation 
als  in  den  Tagen  nach  derselben  zugrunde  (protrahierter  Chloroformtod). 
Es  sind  in  solchen  Fällen  oftmals  ganz  kurze  Narkosen  vorhergegangen 
(Vorderbrügge),  es  sind  während  derselben  keine  besonderen  Unglücks- 
fälle etc.  vorgekommen,  sondern  die  Narkosen  sind  ganz  normal  von  statten 
gegangen,  und  doch  tritt  am  Ende  der  ersten  24  Stunden  oder  später  plötzlich 
rapider  Kräfteverfall  und  Herzschwäche  auf,  die  in  kurzer  Zeit  zum  Tode  führt. 
Bei  der  Sektion  findet  man  neben  anderen  später  zu  schildernden  Verände- 
rungen anderer  Organe  im  Herz  ausgedehnte  Fettmetamorphose  der  Fasern. 

Das  Fett  findet  sich  in  zwei  Arten  der  Anordnung.  Einesteils  findet 
das  Fett  sich  in  Haufen  von  feinen  Tropfen  in  der  Längsachse  der  Faser  zu 
beiden  Polen  des  Kernes  angeordnet,  teils  in  feinen  Tropfen  über  die  ganze 
Faser  verteilt.     (Verf.) 

In  den  Abbildungen  in  Figur  92  und  93  finden  sich  die  Verhältnisse 
veranschaulicht.  Figur  92  stellt  einen  Schnitt  des  Myokards  eines  Hundes, 
der  mit  Chloroform  narkotisiert  worden  war,  dar.  Man  sieht  daselbst  das  Fett 
in  feinen  Tropfen  zu  beiden  Polen  der  Kerne  in  länglichen  Haufen  angeordnet. 

Figur  92. 


Typische  Fettmetamorphose  der  Herzmuskelfaser  nach  Chloroformnarkose. 


Die  Figur  93  bietet  ein  anderes  Bild.  Dieselbe  zeigt  einen  Schnitt  aiis 
dem  Herzen  eines  ebenfalls  mit  Chloroform  narkotisierten  Hundes,  welcher 
drei  Narkosen  innerhalb  drei  Tagen  überstanden  hatte.  Hier  sieht  man,  wie 
die  Herzmuskelfasern   dicht   mit  feinen  Fetttropfen  gleichmäßig  besetzt  sind. 

Es  scheint  die  eine  Form  ein  Stadium  des  Beginnes  der  Fettmeta- 
morphose, die  andere  ein  fortgeschritteneres  Stadium  zu  sein.  Die  Quer- 
streifung der  Muskelfasern  ist  verwaschen  und  undeutlich,  bisweilen  hat  man 
auch  Zerfall  der  Fasern  gefunden  (Straßmann,  Unger,  Fränkel,  Vorder- 
brügge,   Verf.  etc.).      Diese   schwere  Schädigung  des  Herzens  ist  als   reine 

18 


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Chloroformwirkung  aufzufassen,  das  Fett  entsteht,  nicht  wie  von  einigen  ange- 
nommen worden  ist,  durch  die  vom  Chloroform  bewirkte  Auflösung  der  roten 
Blutkörperchen,  sondern  es  entsteht  aus  den  Muskelfasern  durch  Einwirkung 
des  Chloroforms  auf  das  Protoplasma.  Die  Fettmetamorphose  der  Herzmuskel- 
fasern ist  wohl  imstande,  den  Tod  des  Individuums  zu  bewirken,  es  kommen 
aber  noch  ähnliche  Veränderungen  in  anderen  Organen  in  Betracht,  welche 
zusammenwirkend  den  Anlaß  zu  dem  protrahierten  Chloroformtod  geben. 
Die  klinischen  Symptome  der  Herzsynkope  sind  früher  des  näheren  erörtert 
worden,  ebenso  die  Behandlung,  Verhütung  etc.,  so  daß  hier  diese  Sachen  über- 
gangen werden  können,  da  das  Chloroform  in  dieser  Hinsicht  keine  Besonder' 
heiten  bietet. 

Figur  93. 


Fettmetamorphose  des  Herzeus  nach  mehrfachen  Chloroformnarkosen, 

Es  gibt  nun  oft  Bilder,  wo  man  in  demselben  Präparat  Muskelfasern  der 
ersten  und  solche  der  zweiten  geschilderten  Kategorie  der  Fettmetamorphose 
findet. 

Es  ist  nun  von  besonderer  Wichtigkeit  für  die  Entstehung  der  Fett- 
metamorphose, wie  das  Herz  vor  der  Narkose  sich  verhielt.  Ein  ganz  gesundes 
Herz  wird  nur  wenig  vom  Chloroform  durch  eine  Narkose  geschädigt.  Eine 
geringfügige  Alteration  der  Muskelfaser  muß  aber  fast  stets  stattfinden,  denn 
wenn  man  z.  B.  bei  einem  Hund  innerhalb  24  Stunden  eine  zweite  Chloroform- 
narkose der  ersten  folgen  läßt,  so  findet  man  nach  derselben  ausgeprägte 
Fettmetamorphose  (Verf.).  Dieselbe  ist  hochgradiger,  als  wie  sie  von  einer 
Narkose  hervorgerufen  werden  kann,  wie  man  aus  Vergleichen  mit  Präparaten 
nach  einer  Narkose  sieht.  Hieraus  geht  hervor,  daß  die  auch  nur  in  den  ersten 
geringsten  Anfängen  nach  der  einen  Narkose  bestehende  Fettmetamorphose 
durch  Chloroform  stark  beeinflußt,  vermehrt  wird.  Die  nach  einer  Chloroform- 
narkose bestehende  geringe  Alteration  der  Herzmuskelfaser  genügt  also,  daß 
eine  erneute  Narkose  schwere  Läsionen  aus  ihr  erzeugt.  Hinwiederum  besitzt 
die  Fettmetamorphose  auch  im  fortgeschrittenen  Zustande  große  Tendenz 
abzuheilen,  sie  ist  in  wenigen  Tagen  wieder  verschwunden  (Verf.).  Aus 
alledem  geht  hervor,  daß  die  Wiederholung  einer  Chloroformnarkose  innerhalb 
24 — 36  Stunden  Gefahren    für  das  Herz    in    sich    schließt.      Es  ist    allerdings 


—     275       - 

auch  hierin  nicht  ein  Fall  nach  dem  anderen  zu  beurteilen,  es  muß  immerhin 
eine  gewisse  Disposition  des  Menschen  bestehen,  soll  durch  wiederholte  Narkosen 
der  Tod  durch  Fettmetaraorphose  des  Herzens  hervorgerufen  werden,  wenn  man 
auch  annehmen  kann,  gestützt  auf  Erfahrungen  und  Experimente,  daß  ein 
gewisser  Grad  von  Fettmetamorphose  stets  nach  Chloroformnarkose  im  Herzen 
hervorgerufen  wird,  so  hat  man  doch  vielfach  auch  beobachtet,  daß  Personen 
viele  Male  in  kurzen  Intervallen  chloroformiert  wurden,  ohne  Schaden  zu  erleiden 
(von  Nußbaum,  Heinz  etc.).  Hierbei  kommt  in  Betracht,  daß  die  normaliter 
erzeugte  geringe  Alteration  des  gesunden  Herzens  sehr  schnell  abheilt. 

Der  Tod  durch  Synkope  in  und  nach  der  Chloroformnarkose  kann  aber 
auch  durch  manche  andere  Umstände  hervorgerufen  werden.  So  bilden  eine 
gewisse  Gefahr  für  die  Narkose  der  Status  thymicus  oder  lymphaticus,  das 
Chloroform  ist  bei  solchen  Kranken  durchaus  kontraindiziert,  da  die  infolge  des 
primären  Leidens  bestehende  Aufregung  des  Herzens  und  des  Nervensystems 
durch  die  Chloroformwirkung  gesteigert  und  leicht  Todesfälle  hervorgerufen 
werden  können  (Paltauf,  Kundrat). 

Lesser  hat  für  den  Chloroformtod  in  der  Narkose  Gasblasen,  die  er 
bei  der  Sektion  im  Blute  fand,  verantwortlich  gemacht,  indem  durch  deren 
Ansammlung  im  Herzen  die  Klappen  in  ihrer  Funktion  gestört  würden.  Diese 
Blasen  sind  aber  Stickstoffgas,  die  jedenfalls  als  Leichenerscheinung  aufzu- 
fassen sind  (Kappeier).  Dieselben  haben  demnach  keine  Beziehungen  zur 
Chloroformwirkung.  Pirogoff  hat  in  einem  Falle  im  Gefäßsystem  Gasblasen 
in  größerer  Menge  während  des  Lebens  nachgewiesen,  durch  die  der  Tod  ver- 
ursacht wurde.     Dieser  Fall  ist  aber  einzig  bis  jetzt. 

Neben  diesen  Verhältnissen  spielt  auch  der  Shock  eine  bedeutende  Eolle. 
Es  ist  z.  B.  bekannt,  daß  nervöse,  aufgeregte,  sehr  ängstliche  Personen  plötzlich 
durch  Schreck  an  Herzsynkope  zugrunde  gehen  können.  So  hat  man  auch 
Fälle  beobachtet,  wo  Personen  beim  Auflegen  einer  Maske  ohne  Chloroform 
starben  ohne  einen  Atemzug  getan  zu  haben,  wo  Kranke  bei  kleinen  Operationen 
bei  dem  ersten  größeren  Schmerz  ebenfalls  tot  zusammensanken,  man  denke 
an  jenen  Todesfall  bei  der  ersten  Chloroformnarkose  Simpsons.  Ferner  können 
Synkopetodesfälle  durch  Reflexwirkung  auftreten,  indem  der  Operateur  zu  zeitig 
beginnt,  während  das  Stadium  der  Toleranz  noch  nicht  eingetreten  ist.  Es 
wird  behauptet,  daß  selbst  im  Stadium  der  Toleranz  solche  Reflexwirkung 
zustande  kommen  könne  (Bornträger),  so  sei  z.  B.  bei  Zahnextraktionen 
und  Durchschneiden  großer  Nerven  in  tiefer  Narkose  Herzsynkope  aufgetreten 
direkt  nach  dem  Hauptinsult  auf  den  Nerven.  Solche  Fälle  sind  von  Vigouroux, 
Le  Fort,  Richardson,  Sprengel,  Vulpian  etc.  beobachtet  worden. 
J.  Müller  erklärt  diese  Fälle  dadurch,  daß  noch  ein  Teil  der  Reflexe  nicht 
gelähmt  sei,  und  er  stellt  diese  Fälle  im  Vergleich  mit  der  Erweiterung  der 
Pupille  bei  Laparatomien ,  die  auch  im  Stadium  der  Toleranz  zu  beobachten 
ist.  Jedenfalls  können  solche  Reize  bei  nicht  vollkommener  Narkose  infolge 
Shockwirkung  eine  Herzsynkope  hervorrufen,  vielleicht  begünstigt  dies  gerade 
die  Chloroformnarkose  und  es  mögen  solche  Fälle  gewesen  sein,  wo  auch  das 
Chloroform  sehr  schwere  Schädigung  der  Herzmuskelfaser  bewirkte,  so  daß  das 
Herz  dem  Shock  nicht  standhielt.  Daß  in  vollkommener  Narkose  eine  solche 
Wirkung  möglich  ist,  ist  nicht  anzunehmen.  Man  wird  aber  aus  diesen  Fällen 
die  Lehre  ziehen,  nicht  vor  Eintritt  der  Toleranz  zu  operieren. 

18* 


—     276       - 

Eine  Herzschädigung  durch  die  Chloroformwirkung  kann  auch  noch  durch 
andere  Verhältnisse  begünstigt  werden,  so  spielt  vor  allem  die  Intoxikation 
durch  Kohlensäure  und  der  Sauerstoffmangel  dabei  eine  Rolle.  Es  ist 
vor  allem  bei  den  früher  üblichen  Methoden  der  Narkose  sehr  oft  eine  direkte 
Kohlensäurenarkose  neben  der  Chloroformnarkose  geleitet  worden,  unbewußt 
natürlich,  denn  man  ließ  dem  Kranken  oft  absichtlich  wenig  Luft  neben  dem 
Chloroformdampf  zuströmen,  so  trat  zunächst  Sauerstoffmangel  und  dann 
Kohlensäureüberfluß  auf.  Mancher  plötzliche  Todesfall  an  Synkope  mag  diesem 
Übelstand  in  der  Methode  zur  Last  fallen.  Bei  unseren  jetzigen  Methoden 
trägt  man  diesen  Umständen  Rechnung  und  es  werden  bei  einer  gut  geleiteten 
Narkose  heutzutage  nie  Kohlensäureintoxikationen  eintreten. 

Es  ist  von  manchen  eine  Herzsynkope  in  der  Chloroformnarkose 
vollkommen  geleugnet  worden.  Die  Hyderabad-Kommission  schließt  aus 
ihren  an  Tieren  vorgenommenen  Versuchen,  daß  die  Respiration  vor  der  Herz- 
tätigkeit stets  sistiere,  daß  also  alle  Synkopefälle  auf  Apnoe  zurückzuführen 
seien.  Zur  Begründung  führt  sie  außer  den  zahlreichen  Tierexperimenten  die 
Angaben  des  indischen  Chirurgen  Syme  an,  welcher  bei  45000  Chloroform- 
narkosen nicht  einen  Todesfall  an  Synkope  hatte.  Derselbe  hat  aber  nur  die 
Respiration  genau  beobachtet  und  die  Herztätigkeit  vernachlässigt.  Obwohl  die 
Hyderabad-Kommission  bei  einigen  Fällen  nach  dem  Herzstillstand  noch 
Atembewegungen  beobachtete,  leugnet  sie  doch  die  Möglichkeit  eines  Herztodes 
vollkommen,  indem  sie  die  Atembewegungen  als  Zwerchfellkrämpfe  auffaßt. 
Dem  entgegen  stehen  die  Beobachtungen  des  englischen  Chloroform- 
komitees und  Schmeys,  welche  nach  ihren  Tierexperimenten  üic  Herz- 
synkope als  Todesursache  annehmen.  Kappeier  tritt  entschieden  für  den 
Herztod  ein,  da  eine  direkte  Einwirkung  des  Chloroforms  auf  den  Herzmuskel 
außer  Zweifel  nachgewiesen  ist.  Kappeier  ist  der  Ansicht,  daß  jeder 
Chloroformtod,  der  seinen  Ausgang  von  der  Respiration  nimmt,  ein  Tod  infolge 
Asphyxie  im  Sinne  Richats  ist,  nämlich  ein  Tod  infolge  Überladung  des 
Organismus  mit  Kohlensäure.  Der  Stillstand  der  Atmung  sei  hier  ein  ohne 
durch  Störungen  in  derLungentätigkeit  vorher  angezeigter  plötzlich  eingetretener 
Tod,  eine  reine  respiratorische  Synkope.  Mit  der  größeren  Zahl  der  Chloroform- 
todesfälle zeige  sich,  daß  der  gleichzeitige  Stillstand  der  Herz-  und  Respirations- 
tätigkeit oder  der  primäre  Herzstillstand  mit  bald  früher,  bald  später  nach- 
folgendem Stillstand  der  Atemtätigkeit  den  primären  Stillstand  der  Respiration 
bei  weitem  an  Zahl  übertrifft.  Man  hat  die  Lähmung  des  vasomotorischen 
Zentrums  durch  die  Chloroform  Wirkung  festgestellt,  durch  die  Experimente 
Kroneckers  und  Schmeys  ist  die  Lähmung  des  im  Herzen  selbst  sich 
befindenden  Koordinatioussystemes  für  die  Herzkammerbewegung  durch  das 
Chloroform  bewiesen  worden,  Francois  Frank  und  viele  andere  haben  die 
direkte  schädigende  Einwirkung  des  Chloroforms  auf  die  Herzmuskelfaser 
deutlich  gezeigt,  Winogradoff  hat  endlich  den  Beweis  von  der  schädlichen 
Wirkung  des  Chloroforms  auf  die  Herzganglien  erbracht.  Bei  alledem  und  noch 
bei  dem  Anspruch,  den  die  Krankheit  des  zu  operierenden  Menschen,  Blut- 
verlust etc.  an  die  Herztätigkeit  stellt,  wird  man  wohl  einsehen,  daß  ein 
gesundes  Herz,  um  vielmehr  ein  vielleicht  vorher  erkranktes,  durch  die 
Chloroformwirkung  wird  zum  Stillstand  gebracht  werden  können.  Es  wird  sich 
schwer  entscheiden  lassen,  ob  in  manchen  Fällen  die  Respiration  vor  der 
Herztätigkeit  gelähmt  war,  es  wird  oftmals  gleichgültig  sein  es  zu  wissen, 
aber  es  besteht  die  Möglichkeit  eines  primären  Herztodes  ebenso,  wie  die  der 
Eespirationslähmung. 

Aus  diesen  Betrachtungen  ersieht  man,  wie  gefährlich  das  Chloroform 
für  das  Herz  werden  kann.  Auch  die  Lungen  und  die  Respirationstätigkeit 
wird  in  vielen  Fällen  schwere  Schädigungen  erleiden  können.  Es  besteht,  wie 
im    vorigen    schon    bemerkt    ist,    in    der    Chloroformnarkose    die    Gefahr    der 


—     277     — 

Lälimuui,''  des  Kesiiirationszeutrums  in  der  MeduUa  oblongata,  die  schwerste 
Schädij^uug  bezüglich  der  Lungentätig-keit  durch  die  Chloroformwirkuiig. 

In  dem  Folgenden  sollen  zunächst  die  Beziehungen  der  Chloroform- 
'wirkung  zur  Lunge,  die  sich  meist  in  Apnoe  äußern,  des  genaueren  gewürdigt 
werden.  Die  Symptome  etc.  sind  im  Allgemeinen  Teile  eingehend  behandelt, 
hier  soll  nur  noch  einiges  hinzugefügt  werden,  das  für  das  Chloroform 
charakteristisch  ist. 

Die  Apnoe  infolge  der  Chloroformwirkung  kann  auf  mehrere  Arten  ent- 
stehen, zunächst  als  die  Folge  zu  hoher  Chloroformdosen,  wenn  entweder 
durch  Unachtsamkeit  des  Arztes  zuviel  Chloroform,  d.  h.  zu  hoch  konzentrierte 
Chloroform-Luftgemische  dem  Kranken  verabreicht  wurden,  oder  der  Ki'auke, 
sei  es,  weil  er  vorher  die  Luft  angehalten,  sei  es  aus  anderem  Grunde, 
plötzlich  tief  und  ausgiebig  inspiriert,  und  so  zuviel  Chloroform  auf  einmal 
in  die  Medulla  oblougata,  vielmehr  in  zu  hoher  Konzentration  im  Blute  ge- 
löst, gelangt,  in  Mengen  jedenfalls,  welche  genügen,  das  Kespirationszentrum 
sofort  zu  lähmen.  Andere  Ursachen  für  plötzlich  eintretende  Apnoe  sind  ge- 
geben in  einer  verminderten  Widerstandskraft  der  Ganglienzellen  im  Zentrum 
der  Lungeutätigkeit.  Infolge  irgendwelcher  uns  unbekannter  Momente  können 
die  Zellen  des  Atemzentrums  von  den  zur  Narkose  unbedingt  erforderlichen 
Mengen  des  Chloroforms,  ja  von  noch  geringeren  gelähmt  werden.  Ein 
anderer  Grund  ist  vielleicht  auch  darin  zu  finden,  daß  die  Ganglienzellen  des 
Atemzentrums  durch  das  Chloroform  während  einer  normal  und  regelmäßig 
verlaufenden  Narkose  eine  Fettmetamorphose  erleiden.  Derartige  Fettmeta- 
morphosen sind  in  den  Ganglienzellen  nachgewiesen  worden  (Verf.  etc.).  Es 
finden  sich  im  Protoplasma  der  Ganglienzellen  Fetttropfen  in  verschieden 
großen  Mengen,  Tropfen  und  größere  Ballen.  So  kann  während  einer 
Chloroformnarkose  in  den  Zellen  des  Atemzentrums  eine  derartig  starke  Fett- 
metamorphose erzeugt  werden,  die  genügt,  während  der  Dauer  der  Betäubung 
plötzlich  die  Atmung  zu  lähmen;  oder  die  Veränderung  ist  nicht  so  hoch- 
gradig, daß  noch  während  der  Narkose  der  Tod  eintritt.  Dann  heilt  die  Fett- 
metamorphose entweder  nach  der  Narkose  ab,  oder  schreitet  trotz  Sistierens 
der  Chloroformzufuhr  fort  und  führt  nach  einigen  Tagen  zum  Exitus.  Folgt 
in  solchen  Fällen  eine  zweite  Narkose  innerhalb  der  Zeit,  wo  die  Restitutio 
ad  integrum  noch  nicht  eingetreten  ist,  so  kann  bei  Beginn  oder  im  Verlauf 
derselben  der  Tod  durch  Apnoe  auftreten,  da  die  Fettmetamorphose  nun  stark 
vermehrt  wird.  Diese  Verhältnisse  sind  zweifellos  oftmals  bei  wunderbaren, 
unvorhergesehenen  Todesfällen  maßgebend  gewesen.  Ein  anderer  Grund  plötz- 
licher Apnoe  in  der  Narkose  kann  auch  in  Verunreinigungen  des  Chloroforms 
zu  finden  sein.     Darüber  wird  weiter  unteu  gesprochen  werden. 

Ein  großer  Teil  der  Apnoen  in  der  Chloroformnarkose  kommt  durch 
Kohlensäureintoxikation  zustande.  Kappe  1er  hält  jede  Apnoe  dadurch  für 
hervorgerufen.  Dies  ist  nun  nicht  der  Fall.  Doch,  namentlich  in  früheren 
Zeiten,  als  man  die  Narkosenwissenschaft  noch  nicht  so  gut  studiert  hatte, 
wie  heute,  werden  viele  Todesfälle  an  Apnoe  durch  Kohlensäureintoxikation 
bewirkt  worden  sein  (Richat).  Dieselben  entstehen  dadurch,  daß  dem 
Kranken  zu  wenig  Sauerstoff  neben  dem  Chloroform  zugeführt,  und  ihm  die 
Exspirationsluft  immer  wieder  mit  neuen  Chloroformmengen  gemischt  ver- 
abreicht   wird.     Dadurch    wird    der  Kranke    zunächst    unter  Sauerstoffmangel 


—     278     — 

und  bald  unter  Kohleusäureintoxikation  gesetzt.  Die  Kohlensäure  wird  mit 
der  Zeit  der  weiteren  Narkose  immer  stärker  in  den  Lungen  und  im  Blute 
konzentriert,  und  so  kann  sie  endlich  genügend  sein,  um  das  Atemzentrum  zu 
lähmen,  oder  sie  wird  plötzlich  so  gesteigert,  sei  es  durch  Verlegen  des  Atem-' 
traktus,  Atemanhalten  etc.,  daß  sie  ebenfalls  genügend  ist,  um  den  Tod  zu 
verursachen.  Es  kommt  zweifellos  begünstigend  für  die  Lähmung  des  Atem- 
zentrums durch  die  Kohlensäure  die  Chloroformwirkung  hinzu  und  es  ist 
schwer  abzuwägen,  welche  ausschließlich  die  Apnoe  verursachte,  jedenfalls  wird 
in  solchen  Fällen   oft   die   Kohlensäurewirkung  den  Ausschlag  gegeben  haben. 

So  sieht  man  deutlich,  wie  das  Chloroform  dem  Menschen  gefährlich 
werden  kann  auf  verschiedene  Art  wirkend  und  immer  das  gleiche  Resultat 
erzeugend.  Es  bestehen  aber  noch  andere  Einwirkungen  des  Chloroforms  auf 
die  Atmungsorgane,  die  weniger  gefährlich  quo  ad  vit\am  als  qwo  ad  valitudinem 
werden  können. 

In  den  Lungen  findet  man  nach  Chloroformnarkosen,  namentlich  nach 
wiederholten,  eine  ausgedehnte  Fettmetamorphose  der  Zellen  des  respiratorischen 
Epithels.  In  den  Zellen  der  Alveolen,  denen  der  Broncheoli  und  selbst  den 
Zylinderepithelzellen  der  großen  Bronchien  finden  sich  reichlich  feine  bis 
große  Fetttropfen,  oft  in  großer  Anzahl  die  Zellen  anfüllend  (Verf.).  Diese 
Fettmengen  sind  zweifellos  durch  die  Chloroformwirkung  erzeugt.  Die  Zellen 
sind  in  ihrer  Lebensfähigkeit  arg  geschädigt.  Diese  Schädigung  der  Zellen, 
die  für  den  Gasaustausch  besonders  wichtig  sind,  wird  zweifellos  für  den 
ganzen  Organismus  bedeutend  sein,  es  wird  zu  mangelhafter  Reinigung  des 
Blutes  kommen  können,  ein  Sauerstoffmangel  und  Kohlensäurereichtum  des 
Blutes  wird  die  Folge  sein,  der  wohl  viel  mit  zu  dem  Unbehagen,  Kopf- 
schmerz etc.  nach  der  Chloroformnarkose  beitragen  wird.  Diese  Veränderung 
der  Lungenepithelien  heilt  bald  ab,  nach  einigen  Tagen  nach  der  Narkose  ist 
kein  Fett  mehr  zu  finden.  Sie  wird  aber  auch  für  die  Entstehung  von 
Pneumonien  begünstigend  in  die  Wagschale  fallen,  eventuell  aus  den  oberen 
Luftwegen  in  die  Alveolen  gelangte  Schleimmassen  mit  Bakterien  versehen, 
werden  in  den  Alveolen  den  Anlaß  für  Lungenentzündungen  geben,  die  er- 
krankten Epithelien  werden  das  Wachsen  und  Eindringen  der  Bakterien  nicht 
verhindern  können,  wenigstens  nicht  in  dem  Maße,  wie  es  gesunde  Zellen 
vermögen.  Somit  ist  auch  die  Fettmetamorphose  in  den  Zellen  des  respi- 
ratorischen Epithels  von  großer  Bedeutung. 

Was  nun  die  vermehrte  Schleimabsonderung  anlangt,  so  ist  dieselbe 
zweifellos  durch  Chloroform  hervorgerufen  und  dieselbe  ist  vorhanden.  Aller- 
dings ist  dieselbe  nicht  sehr  hochgradig.  Die  Schleimljäute  der  Bronchien 
und  der  Trachea  sondern  zweifellos  in  der  Chloroformnarkose  mehr  Schleim 
ab  als  im  Leben.  Es  spielen  dabei  auch  hier  Disposition  und  ev.  Erkrankungen 
in  den  Aterawegen  begünstigende  Momente.  Es  läßt  sich  die  vermehrte 
Schleimabsonderung  in  den  Lungenalveolen  mikroskopisch  nachweisen.  Die- 
selbe ist  bei  Chloroform  am  geringsten  im  Vergleich  zu  anderen  Narkotika, 
vor  allem  geringer  als  bei  Aether  sulfuricus  und  Aether  bromatus. 

Wie  oben  schon  bemerkt  wurde,  hat  man  von  manchen  Seiten  den  Tod 
in  der  Narkose  nur  durch  Lähmung  des  Atemzentrums  entstehen  lassen  und 
die  Herzsynkope  vollkommen  geleugnet,  ße  vera  bestehen  beide  Todesarten 
nebeneinander,  wie  aus  den  obigen  Erörterungen  hervorgeht. 


—     279     — 

Wood  hat  versuclit,  durch  Experimeute  diese  Fraise  zu  löseu,  und 
l'aiid,  daß  bisweilen  die  Atmung-  zuerst  stillstand,  bisweilen  zuerst  die  Herz- 
tätigkeit, und  die  Atmung  dauerte  nocli  bis  zu  2  Minuten  an  nach  dem  Herz- 
stillstand. Interessant  ist  es  zu  untersuchen,  wie  oft  beide  Todesarten  ein- 
treten. Man  hat  bei  solchen  statistischen  Untersuchungen  gefunden,  daß  die 
Synkopetodesfälle  ungefähr  doppelt  so  oft  auftraten,  als  die  Apnoetodesfälle. 
Früher  war  das  Verhältnis  ein  anderes,  weil  mau  da  die  Wirkung  des  Chloro- 
forms auf  das  Herz  noch  nicht  so  gut  kannte  wie  heute,  und  eine  große  An- 
zahl Apnoefälle  für  Herztodesfälle  hielt.  Aus  folgenden  Zahlen  geht  hervor, 
wie  die  Ansichten  sich  geändert  haben. 

Es  beobachtete  z.  B. 

Sabbarth       im  .Jahre  1866  auf  1   Apuoefall  0,3  Herzsynkopetodesfälle 
Kappeier       ,,        „       1880     „     1  „  1,3  „ 

Bornträger,,        „       1890     „     1  „  3.8  „ 

Djakonow     „        „       1891     „     1  „  3,0.  „ 

Man  beobachtet  also  in  der  neueren  Zeit  bei  weitem  mehr  Herzsynkope- 
fälle. Eine  Statistik  aus  der  neuesten  Zeit  ergibt  ein  ganz  ähnliches  Ver- 
hältnis, es  kommen  auch  jetzt  wenigstens  doppelt  bis  3 mal  soviel  Synkope- 
ais Apnoefälle  vor.  Es  ist  ja  in  vielen  Fällen  nicht  möglich,  genau  fest- 
zustellen, ob  zuerst  die  Atmung  oder  die  Herztätigkeit  sistiert.  Durch  die 
neueren  Untersuchungen  über  die  Chloroformwirkuug  hat  man  gelernt,  daß 
viele  Todesfälle,  namentlich  nach  der  Narkose,  die  man  früher  nicht  zu  den 
Cbloroformtodesfällen  zählte,  der  Chloroformwirkung  zur  Last  gelegt  werden 
müssen.  Somit  zeigen  die  neueren  Statistiken  mehr  Todesfälle  im  allgemeinen 
und  mehr  Herzsynkopefälle  im  besonderen,  die  durch  Chloroform  bewirkt 
werden.  Viele  der  am  1. — 3.  Tage  und  später  an  den  Folgen  der  Narkose 
eingetretenen  Todesfälle  wurden  früher  nicht  mit  in  die  Statistik  aufgenommen. 
Daher  sind  auch  die  allgemeinen  Statistiken  des  Todes  infolge  der  Chloroform- 
wirkung mit  den  Jahren  bedeutend  anders  geworden.  Dies  soll  weiter  unten 
des  genaueren  erörtert  werden. 

Es  erübrigt  jetzt  noch  einige  Betrachtungen  in  aller  Kürze  über  die 
weiteren  Gefahren,  die  der  Lunge  durch  Chloroform  entstehen  können,  an- 
zuschließen. Es  kommt  hier  vor  allem  die  Fähigkeit  des  Chloroforms,  sich 
zu  zersetzen,  in  Betracht  und  vor  allem  die  Zersetzung  der  Chloroformdämpfe 
bei  einer  offenen  Flamme,  wie  Gas-,  Petroleum-  und  Kerzenlicht.  Man  beob- 
achtete bei  Chloroformnarkosen  längerer  Dauer  in  einem  mit  offener  Flamme 
beleuchteten  Räume,  daß  ein  starker  Hustenreiz  sowohl  der  Arzte  und  Pfleger, 
als  besonders  auch  des  Kranken  eintrat  (Fischer,  Röttschau,  Bossart, 
Zell  er  etc.).  Weiter  verspürten  die  Personen  ein  Oppressionsgefühl  im  Kopfe, 
Schwindel,  Kopfschmerzen,  Übelkeit,  Erbrechen. 

Röttschau  berichtet  unter  anderem  im  Jahre  1889  von  solchen  Beob- 
achtungen und  schildert  sehr  starke  Beschwerden,  die  er  an  sich  wahrgenommen, 
wie  heftigen  Hustenreiz,  Brechreiz,  ja  selbst  Ohnmachtsanfälle  etc.  Aehnliche 
Beobachtungen  waren  von  Stobwasser,  Meyer  und  anderen  gemacht,  welche 
der  Meinung  waren,  daß  die  Gase  der  Lampen  mit  den  Chloroformdämpfen 
Stoffe  erzeugten,  welche  die  intensivsten  Reize  auf  Lungen  und  Kehlkopf, 
Brechreiz  und  Kopfschmerzen  neben  allgemeiner  Uebelkeit  hervorriefen.  Man 
hatte  beobachtet,  daß  der  starke  Hustenreiz  wegfiel,  wenn  die  Personen  das 
Zimmer,  in  dem  die  Narkose  stattfand,  verlassen  hatten.  Aehnliche  Berichte 
wurden  auch  von  anderen  laut.  Iterson  beobachtete  in  Lej^den  schwere 
plötzliche  Asphyxie  bei  Chloroformnarkose  in  einem  Raum,  in  dem  wegen  der 
unzureichenden  Heizanlage  mehrere  Gasflammen  an  besonders  kalten  Tagen 
zur  Erwärmung  während  der  Narkose  angezündet  worden  waren.  Er  berichtet 
von  einem  Todesfall  in  der  Narkose,  für  den  er  die  aus  den  Chloroform-  und 
Gasflammengasen     entstehenden     schädlichen     Stoffe     verantwortlich     macht. 


—     280     — 

Zweifel,  Roseuberger,  Schönborn,  Hofmeier  berichten  von  Kranken, 
die  laparatomiert  wurden  in  Cliloroformnarkose  in  Gegenwart  von  Gasfiammen 
und  die  schweren  Hustenreiz,  selbst  katarrhalische  Pneumonien  bekamen, 
während  Kranke,  die  die  gleichen  Operationen  in  Chloroformnarkosen  ohne  offene 
Beleuchtung  überstanden,  keine  Lungenkrankheiten  aufwiesen. 

Man  wandte  daher  diesen  Verhältnissen  seine  besondere  Aufmerksamkeit  zu, 
imd  versuchte  die  Gase  zu  bestimmen,  die  unter  Einwirkung  von  Chloroformdämpfen 
auf  offene  Flammen  entstehen.  Benhard  fand  Phosgengas  (Chlorkohlenoxyd, 
C  CI2  0),  Salzsäuregas  (H  Ci)  und  freies  Chlor  nebst  einigen  anderen  Stoffen. 
Dasselbe  wurde  von  Stapp,  Schmiedeberg,  Ramsay,  Schumburg  u.  a. 
gefunden,  während  Rudolph  durch  eingehende  Untersuchungen  nachwies,  daß 
Chloroformdämpfe  im  glühenden  Teile  einer  Flamme  meist  in  Salzsäure  über- 
gehen, während  nur  wenig  Chlor  frei  wird,  die  anderen  Stoffe,  wie  Phosgen, 
Kohlenoxydgas ,  Essigsäure,  Ameisensäure  etc.  nur  in  ganz  geringen,  kaum 
nachweisbaren  Mengen  entstehen.  Diese  Menge  von  Salzsäuredämpfen  genügt 
nun  vollkommen,  um  derartig  schwere  Schädigungen  der  Respirationsorgane 
hervorzurufen.  Mau  hat  nachgewiesen,  daß  ein  Mensch  in  einem  Luftgemenge, 
das  0,01 — 0,05'7oo  Salzsäuredämpfe  enthält,  tätig  sein  kann,  aber  die  genannten 
üblen  Folgen  verspürt  (Matt,  Lehmann,  Rudolph  etc.),  während  man  bei 
mehr  als  0,0.5%(,  Salzsäuregehalt  nicht  existieren  kann.  Wenn  nun  in  einem  Raum 
von  100  cbm  Inhalt,  wie  es  ein  gewöhnliches  Operationszimmer  ungefähr  dar- 
stellt. 10  ccm  Chloroform  bei  Gaslicht  zersetzt  werden,  so  erhält  die  Luft 
0,059**/ 00  Salzsäuredämpfe  beigemengt  (Rudolph).  Wenn  man  nun  bedenkt,  wieviel 
mehr  Chloroform  oftmals  zersetzt  wird,  so  muß  man  sich  wundern,  daß  nicht 
öfter  solche  Schädigungen  der  Lungen  entstehen.  Dies  wird  erklärlich,  wenn 
man  erwägt,  wie  doch  in  solchen  Räumen  die  Ventilation  sehr  gut  funktioniert 
und  viel  der  Dämpfe  der  Salzsäure  entlernt,  sowie  daß  diese  Dämpfe,  die  im 
Zimmer  verbleiben,  von  der  großen  Menge  von  Wasser,  Feuchtigkeit  der 
Luft  etc.  gebunden,  wenigstens  zum  größten  Teil  gebunden  werden,  so  daß 
man  sie  nicht  oft  bemerke.  Sie  werden  sofort  lästig,  wenn  der  Raum  klein, 
schlecht  ventiliert  ist  und  wenn  sehr  trockene  Luft  und  wenig  sonstige  feuchte 
Gegenstände  darin  sind.  Diese  üblen  Gase  entstehen  nicht,  wenn  im  Zimmer 
elektrische  Glühlampen  verwandt  werden,  während  Bogenlicht  keinen  Schutz 
gewährt.  Auch  die  Nernstlampe  und  ähnliche  können  dem  Uebelstande  der 
Salzsäureproduktiou  abhelfen. 

Mit  diesen  Schädigungen  der  Lungen  und  des  Herzens  ist  aber  die  Ge- 
fahr der  Chloroformwirkung  für  den  Menschen  noch  nicht  erschöpft,  es  lassen 
sich  noch  schwere  Veränderungen  pathologischer  Natur  in  verschiedenen 
anderen  Orgauen  nachweisen.  Zunächst  ist  es  die  Leber,  der  wir  unsere  Auf- 
merksamkeit schenken  wollen.  Die  Veränderungen  die  sich  in  der  Leber 
finden,  bestehen  in  Fettmetamorphose,  Nekrose  und  Zerfall  der  Leberzellen 
(ünger,  Ostertag,  Straßmann,  Fränkel,  Bastionelli,  Bandler,  Saleu, 
Wallis,  Nachod,  Marthen,  Schenk,  Cohn,  Luther,  Wunderlich, 
Vorderbrügge,  Verf.  etc.). 

Es  findet  sich  namentlich  bei  jenen  Personen,  die  in  oder  nach  der 
Chloroformnarkose  gestorben  sind,  in  den  Leberzelleu  sehr  viel  Fett  in  feinen 
bis  großen  Tropfen  im  Protoplasma,  so  daß  der  Kern  oft  vollkommen  verdeckt 
wird.  Nebenbei  sieht  man  in  den  Interstitien  und  den  Bindegewebsmaschen 
reichlich  Fett,  oft  in  großen  Klumpen,  oftmals  liegt  hier  das  Fett  auch  in  den 
Gefäßen  oder  Gallengängen  und  füllt  stellenweis  die  Gänge  aus,  so  daß  man  in 
mit  Flemmingscher  Lösung  behandelten  Präparaten  schwarze  Ausgüsse 
von  Teilen  solcher  Gefäße  etc.  sieht.  In  Figur  94  findet  man  einen  Schnitt 
aus  der  Leber  nach  Chloroformnarkoseu ,  in  dem  die  obengeschilderten  Ver- 
hältnisse klar  zu  sehen  sind. 


Leber  nach  Chloroformiiarkosen  mit  Fett  als  scliAvarzen  Tropfen  in  den  Leber- 
Zellen  und  in  den  Interstitien,  oft  Ausgüsse  von  Gefäßen  formend. 

Die  Fettmetamorphose  ist  verschieden  stark  in  der  Leber.  In  dem  Zentrum 
der  Acini  ist  sie  geringer,  während  sie  in  den  peripheren  Teilen  weit  hoch- 
gradiger, oft  in  Nekrose  und  Zerfall  der  Leberzellen  übergehend,  sich  findet 
(siehe  Figur  95). 

Figur  95. 


Leber  nach  Chloroformnarkose.     Fett  in  schwarzen  Punkten,  mehr  in 
der  Peripherie,  weniger  im  Zentrum  der  Acini  sichtbar. 

So  sieht  man  in  den  Präparaten,  in  denen  das  Fett  aufgelöst  ist, 
Stelleu,  wo  noch  guterhaltene  Leberzellen,  solche,  wo  reichlich  Zerfall  und 
Nekrose  sich  finden,  namentlich  bei  schwacher  Vergrößerung  deuten  sich  die 
Stellen,  wo  Nekrose  besteht,  durch  hellere  Färbung  an  und  bei  stärkerer  Ver- 
größerung sieht  man  in  dem  Zentrum  der  Acini  die  Leberzellen  erhalten,  doch 
bemerkt  man  in  dem  Protoplasma  zahlreiche  rundliche  Hohlräume,  die  Stellen, 
in  denen    das  Fett  sich  befand,   das   aufgelöst  ist.     In  der    Peripherie    sieht 


—     282     — 

man  selten  noch  einzelne  LeberzeUen,  nur  Balken  von  Zellen,  deren  Konturen 
gar  nicht  mehr  zu  erkennen  sind,  liegen  in  einer  Menge  von  Detritus  mit 
Kernen,  Blutkörperchen  und  Bindegevrebe.  Auch  hier  sieht  man  große  Hohl- 
räume, wo  Fettballen  sich  befanden.     Diese  Bilder,  die  sich  in  Figur  96  u.  97 

Fiijur  'lß. 


Leber,  das  Fett  ist  aufgelöst,  es  zeigen  sich  nur  noch  Fellbalken  mit  undeut- 
lichen  Kernen,    daneben    viel    Blutkörperchen    und    Zerfall,    freie  Kerne    und 
schollig  zerfallenes  Protoplasma.     Leber  nach  zvpei  Chloroformnarkosen. 

Fiffur  97. 


Leber    mit    Nekrose    und    Zerfall    der    Leberzellen    nach    Chloroformnarkosen. 

Stellenvreis  finden  sich  noch  erhaltene  Leberzellen,  daneben  Detritis,  freie  Kerne, 

Blutkörperchen,  abgestorbene  Zellen.     Das  Fett  ist  aufgelöst. 

"wiedergegeben  finden,  habe  ich  nach  Präparaten  von  mit  Chloroform  narkotisierten 
Hunden  gezeichnet.  Sie  sind  von  anderen  Forschern  durch  deren  Beobachtungen 
am  Menschen  bestätigt  worden.  Diese  hochgradigen  Veränderungen  der  Leber, 
die  oftmals  kaum  noch  Leberstruktur  zeigen,  —  die  Zellen  sind  meist  trübe,  die 
Konturen  sind  undeutlich,  verwaschen,  nicht  zu  sehen,  das  Protoplasma  ist  von 
Fetttropfen  erfüllt,  an  vielen  Stellen  zeigt  sich  hochgradige  Nekrose,  —  müssen 
natürlich  auf  den  Organismus  sehr  schädigend  quo  ad  vitam  einwirken.     Man 


—      28:5      — 

hat  auch  am  Menschen  derart  hochgradige  Veränderungen  der  Leber  nachgewiesen, 
so  heschreibt  Bandler  einen  Fall  von  akuter  gelber  Leberatrophie  nach 
Chloroformnarkose,  andere  Fälle  sind  von  Stocker,  v.  Erlach  u.  a.  mehr 
beschrieben  worden.  Daß  auch  gelegentlich  in  der  Leber  nach  Narkosen 
Fettmetamorphose,  wenn  auch  nur  im  beginnenden  Zustand,  auftritt, 
darauf  deuten  die  vielen  Fälle,  wo  nach  Chloroform  Ikterus  in  akuter,  bald 
schwindender  Form  beobachtet  wurde  (Bastionelli,  Bandler,  Stocker, 
Ostertag  etc.). 

Es  ist  nun  von  einigen  Seiten  bezweifelt  worden,  daß  das  Fett  in  den 
Leberzellen  entstehe,  Ostertag  hielt  die  Fettansammlung  in  der  Leber  für 
Fettinfiltratiou,  andere  wollten  Fettdegeneration  und  Fettiufiltration  zugleich 
wahrnehmen.  Straßmaun  hat  durch  eingehende  Versuche  eine  Fettmeta- 
morphose nachgewiesen.  Nach  den  von  mir  angestellten  Versuchen  an  Tieren 
ist  es  zweifellos  eine  Fettmetamorphose.  Die  Bilder,  die  sich  in  sehr  hoch- 
gradigen Stadien,  wo  man  ganze  Ausgüsse  von  Gefäi3en  mit  Fett  findet,  auf- 
weisen, lassen  ja  den  Verdacht  aufkommen,  daß  eine  Fettinfiltration  bestehe, 
oder  wenigstens  zu  gleicher  Zeit  stattfinde,  doch  dies  ist  nur  eine  Täuschung, 
da  das  Fett  in  den  Interstitien,  Gefäßen  etc.  aus  den  zerfallenen  Leberzellen 
stammt.    Wo  kein  Zerfall,  findet  sich  auch  das  geschilderte  Symptom  nicht. 

Es  hat  sich  bei  meinen  Versuchen  gezeigt,  daß  nach  jeder  längeren 
Chloroformnarkose  in  den  Leherzellen  sich  eine  beginnende,  wenn  auch  noch 
ganz  geringe  Fettmetamorphose  schon  nachweisen  läßt.  Narkotisiert  man  einen 
Hund,  an  dessen  Leber  man  durch  Resektion  eines  Stückes  Leber  eine 
beginnende  Fettmetamorphose  als  Folge  der  ersten  Narkose  nachgewiesen  hat, 
nach  12 — 24  Stunden  nochmals  mit  Chloroform  und  entnimmt  nach  der  zweiten 
Narkose  wiederum  ein  Stück  Leber,  so  sieht  man  jetzt  bedeutend  fort- 
geschrittenere Fettmetamorphose.  Nach  einer  weitereu  Narkose  ist  das  Bild 
noch  hochgradiger.  Es  geht  aus  diesen  Experimenten  mit  Evidenz  hervor, 
daß  erstens  Chloroform  stets  eine  geringe  Schädigung  der  Leberzelleu  hervor- 
ruft, zweitens  die  beginnende  Fettmetamorphose  durch  eine  neue  Chloroformnarkose 
bedeutend  verschlimmert  wird.  Diese  Fettmetamorphose  besitzt  hingegen 
eine  große  Tendenz  zur  Heilung,  denn  wenige  Tage  nach  einer  Reihe  von 
Chloroformnarkoseu  findet  mau  die  Leber  wieder  normal,  es  zeigt  sich  kein 
Fett  mehr,  die  etwa  zerfallenen  Zellen  sind  ersetzt.  Dies  zeigte  sich  bei  einem 
Hund,  welcher  nach  zwei  Narkosen  eine  starke  Fettmetamorphose  mit  beginnender 
Nekrose  der  Leberzellen  erlitten  hatte*),  nach  Verlauf  von  3X24  Stunden  nach 
der  letzten  Chloroformnarkose.  Die  Leber  war  wieder  normal.  Es  gehen 
natürlich  auch  jene  Tiere,  wo  die  Veränderungen  zu  fortgeschritten,  die 
Nekrose  zu  ausgedehnt  war,  nach  der  Narkose  zugrunde.  Bei  einer  mäßigen 
Fettmetamorphose  aber,  selbst  wenn  auch  schon  Nekrose  im  Beginn  vorhanden 
war,  geuaßen  die  Tiere  wieder  schnell.  Die  Veränderungen  nach  einer  Narkose 
längerer  Dauer  sind  stets  nach  drei  Tagen  so  weit  geheilt,  daß  eine  Schädigung 
einer  weitereu  Narkose  nicht  schwerere  Veränderungen  in  der  Leber  erzeugt, 
als  eine  einmalige  Narkose  am  gesunden  Tier.  Es  besteht  also  starke  Neigung 
zur  Regeneration,  zur  Heilung.  Deshalb  erlebt  man  auch  weniger  Todesfälle 
nach  Narkosen  als  man  aus  den  anatomischen  Veränderungen  erwarten  müßte. 

Die  Experimente  an  Hunden  kann  man  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
auf  den  Menschen  direkt  übertragen.  Anders  steht  es  mit  anderen  Tieren,  es 
bestehen  unter  den  einzelnen  Tierarten  sehr  verschiedene  generelle  Unter- 
schiede hinsichtlich  dem  Verhalten  der  Organe  gegenüber  der  Chloroform- 
wirkung (Ostertag,  0 verton  etc.). 

Daß  diese  Veränderungen  in  der  Leber  schwere  schädigende  Momente 
für  das  Leben  darstellen,  muß  immerhin  anerkannt  werden.  Denn  eine  Menge 
von  Todesfällen  sind  dem  Chloroform  zur  Last  zu  legen,  und  stets  findet  man 
bei  den  Leichen  der  an  Chloroformwirkung  gestorbenen  Menschen  die  geschilderte 

*)  Es  wurde  operativ  ein  Stück  Leber  reseziert  und  untersucht. 


—     284     — 

Leberfettmetamorphose.      Ganz  analog-  den  Verhältnissen  in  der  Leber  spielen 

sich  Prozesse  in  den  Nieren  ab  (Unger,   Ostertag,   Straßniann,  Nachod, 

Bandler,  Bastionelli,  Marthen,  Schenk,  Cohn,  Luther,  Wunderlich 

> 

Rindskopf,  Eisendraht,  Rast,  Mestor,  Vorderbrügge,  Verf.  etc.). 
Es  finden  sich  ausgedehnte  Fettmetamorphose  in  den  Epithelien  der  Niereu 
bei  allen  Chloroformtodesfällen.  Die  Fettansammlung  ist  nach  den  Versuchen 
verschiedener  Autoreu  in  den  Epithelien  der  gewundenen  Harnkanälchen  stärker 
als  in  den  der  geraden  (Verf.  etc.).  An  den  Versuchen  vom  Verf.  fanden 
sich  nach  einer  Narkose  in  den  Epithelien  der  Henleschen  Schleifen  feine 
Eetttropfen  stets  vor,  während  in  den  anderen  Teilen  der  Nieren  noch  kein 
Fett  zu  finden  war.  Nach  einer  weiteren  Narkose  war  eine  weit  ausgedehntere 
Fettmetamorphose  in  den  Nierenepithelien  zu  finden,  es  zeigte  sich  beginnender 
Zerfall  der  Zellen  in  den  Harnkanälchen,  sehr  viel  Fett  im  Protoplasma  der 
Epithelien.  Die  Nekrose  war  wenig,  oftmals  gar  nicht  in  den  Pyramiden,  reichlich 
in  den  Henleschen  Schleifen.  An  den  Glomeruli  fand  sich  meist  kein  Fett, 
bisweilen  nur  wenig  feine  Tropfen.  Das  Fett  fand  sich  in  feinen  bis  großen 
Tropfen,  in  den  Epithelien  sehr  viele  der  Zellen  ganz  anfüllend.  Meist  beob- 
achtet man  an  den  Nieren,  namentlich  in  der  Rinde,  starke  Veränderungen. 
Viel  Fett  und  Nekrose  der  Epithelien.  Bei  schwacher  Vergrößerung  sieht  man 
oft  das  Fett  in  schwarzen  Streifen  und  Flecken,  welche  bei  stärkerer  Ver- 
größerung ganz  mit  großen  Fettballen  erfüllte  Harnkanälchen  repräsentieren. 
Diese  Verhältnisse  zeigt  die  Abbildung  in  Figur  98. 

Fio-ur  98. 


Niere  nach  Chloroformnarkosen  mit  schwacher  Vergrößerung  betrachtet.  Die 
schwarzen  Flecke  stellen  stark  fettmetamorphosierte  Harnkanälchen  dar.  Das  Fett 
ist  daselbst  in  großen  Mengen  und  Klumpen,  in  dem  andern  Niereugewebe  ist  das 
Fett  in  feinen   Tropfen  und  deshalb   bei  dieser  Vergrößerung  nicht  sichtbar. 


In  den  Figuren  99  und  100  zeigen  sich  die  Verhältnisse  wie  oben 
geschildert.  In  Figur  99  sieht  man  in  den  Epithelien  feine  Fetttropfen  in  teils 
geringen,  teils  großen  Zahlen.  Hier  sieht  man  noch  geringere  Einwirkung  des 
Chloroforms,  die  Zellen  sind  noch  erhalten,  die  Konturen  sind  zwar  etwas 
verwaschen,  doch  noch  sichtbar.     (Siehe  Figur  99  S.  285). 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  Präparat,  das  in  Figur  100  abgebildet 
ist.  Hier  sieht  man  ausgedehnte  Nekrose  und  Zerfall  der  Zellen,  während 
normal  erhaltene  Zellen  nicht  in  dem  Bilde  zu  sehen  sind.  Die  Zellen  sind 
größtenteils  in  homogene  Protoplasmahaufen  verwandelt,  in  denen  Kerne  und 


—     285     — 

zerfallene  Kerne  mit  Fettkltimpen  zerstreut  sind.     Zellgrenzen  sind  nur  ange- 
deutet.   (Siehe  Figur  100  S.  285.) 

Diese  Veränderungen  in  den  Nieren  sind  in  ebendemselben  Maße  auch 
nach  Narkosen  mit  Chloroform  am  Menschen  beobachtet  worden  und  tragen 
mit    zu    dem    Symptomenkomplex    der    Chloroformwirkung  bei.       Es    ist    nuu 

Fi2ur  99. 


Niere  nach  Chloroformnarkose.     Feine  Fetttropfen  in  den  Epithelien. 
Keine  Nekrose. 


Figur  100. 


Niere  nach  Chlorofornmarkosen. 

Das  Fett  ist  in  schwarzen  Tropfen  sichtbar.    Die  Epithelien  der  Harnkauälchen 

zeigen  hier  starken   Zerfall,   die  Zellgrenzeu  sind  verschwunden,    undeutlich, 

freie    Kerne.      Die  Harnkanälcheu  im   Bild    sind    stellenweis    vollkommen    in 

Nekrose,  stelleuweis  noch  erhalten. 

anzunehmen,  daß  gewisse  Läsionen  oder  Störungen  der  vitalen  Lebensverhältnisse 
an  den  Nieren  epithelien  nach  jeder  Chloroformnarkose  auftraten,  mehr  oder 
tveniger   intensiv,    wie  man  aus   den   vielfachen  Befunden   von  Eiweiß,  Blut, 


—     286     — 

Zylindern  und  Epithelieu  im  Harn  uacli  Cliloroformnarkoseu,  ferner  aus  dem 
Befunde  von  Fett  nach  langen  Chloroforinnarkosen  in  den  Nierenepithelien, 
schließen  kann.  Allein,  es  müssen  gewisse  Vorbedingungen  erfüllt  sein,  damit 
ein  solches  Bild  sich  entfalten  kann.  Dazu  rechnet  man  vor  allem  die  Disposition 
des  betreffenden  Organismus,  und  weiter  schwere  Erkrankungen,  die  Verände- 
rungen in  den  Nierenepithelien  an  sich  schon  bedingen,  schwere  langanhaltende 
Blutungen  vor  der  Narkose,  Nierenentzündungen  etc.  Diese  Zustände  bilden 
zweifellos  günstigen  Boden  für  die  Entstehung  der  Fettmetamorphose  auch  in 
den  Nieren. 

An  anderen  Organen  ist  gelegentlich  der  allgemeinen  Fettmetamorphose 
auch  Fett  gefunden  worden,  so  in  der  Milz,  in  den  Epithelieu  der  Magen» 
Schleimhaut,  in  der  Zwerchfellmuskulatur,  in  den  Bauchmuskeln,  in  der  Aorta, 
in  den  Nebennieren  etc.  Die  Fettmetamorphose  ist  aber  in  allen  diesen  Organen 
gering  und  von  geringerer  Bedeutung  für  den  Organismus. 

Alle  diese  beschriebenen  und  eingehend  geschilderten  Veränderungen  iu 
den  parenchymatösen,  inneren  Organen  bilden  zusammen  den  Sj'^mptomenkomplex 
der  Chloroformwirkung  und  meist  den  des  protrahierten  Chloroformtodes.  Dieser 
sogenannte  protrahierte  Chloroformtod  ist  die  Folge  von  einer  oder  auch  nur 
von  einer  kurzen  Narkose,  bisweilen  auch  von  mehreren  innerhalb  weniger 
Stunden  oder  Tage  wiederholten  Chloroformierungen.  Mau  hat  den  Tod  nach 
einer  kurzen  Narkose  innerhalb  weniger  Stunden  auftreten  sehen,  obwohl  die 
Narkose  keine  Unregelmäßigkeiten  in  ihrem  Verlaufe  geboten  hatte,  man  hat 
aber  auch  noch  nach  1 — 2  Tagen  dessen  Eintritt  erlebt.  Gerade  in  den 
meisten  Fällen  bemerkt  man  während  der  Narkose  keine  Unregelmäßigkeiten, 
meist  auch  hat  man  an  den  Personen  vorher  keine  begünstigenden  Momente 
oder  Krankheiten  nachweisen  können,  denn  dann  wäre  es  ja  unverantwortlich 
leichtsinnig,  eine  Chloroformnarkose  einzuleiten,  wenn  man  eine  üble  Einwirkung 
erwarten  könnte.  Worin  in  diesen  Fällen  das  begünstigende  Moment  beruht,  ist 
nicht  bekannt,  deshalb  hilft  man  sich  mit  dem  Ausdruck  Disposition.  Man 
sagt,  der  Kranke  war  für  Chloroform  zuwenig,  oder  abnorm  wenig  wider^ 
standsfähig,  d.  h.  für  üble  Chloroformnach Wirkung  disponiert. 

Wie  oben  schon  auseinandergesetzt  wurde,  unterscheidet  man  bei  dem 
Chloroformtod  im  allgemeinen  zwei  Todesarten,  Synkope  und  Apnoe.  Es 
ist  schon  im  allgemeinen  Teil  über  beide  Todesarten  geschrieben  worden, 
Dieselben  treten  während  und  nach  der  Narkose  ein.  Die  während  der  Narkose 
eintretenden  Todesfälle  können  oftmals  von  zu  großen  Chloroformgaben  hervor- 
gerufen werden.  Dies  ist  ein  Ereignis,  welches  nie  vorkommen  dürfte.  Es 
sind  früher  die  Symptome,  die  sich  vor  einer  nahenden  Apnoe  oder  Synkope 
einstellen,  genau  behandelt  worden,  diese  Symptome  haben  bei  der  Chloroform- 
narkose genau  dieselben  Grundzüge,  wie  oben  beschrieben,  deshalb  ist  es  nicht 
nötig,  hier  dieselben  zu  wiederholen,  ebenso  sind  die  Mitttel  und  Wege,  durch 
welche  man  diesen  Unfällen  erfolgreich  begegnen  kann,  genau  angegeben 
worden.  Es  ist  dem  hier  weiter  nichts  hinzuzufügen,  Es  ist  nur  immer 
wieder  anzuraten,  jede  Narkose  mit  Chloroform  genau  nach  den  gegebenen 
Vorschriften  zu  leiten,  da  das  Chloroform  ein  stärkeres  Narkotikum  als 
Äther  etc.  ist,  und  da  infolgedessen  auch  nur  geringe  Mengen  genügen,  um 
den  Organismus  schwer  zu  schädigen.  Eine  Konzentration  von  8  g  auf  100  l 
Luft  genügen,  um  Narkose  hervorzurufen.  Höhere  Konzentrationen  sind 
gefährlich.     Demzufolge    ist   auch    die  Narkosenbreite    nur  mäßig,  kleiner  als 


—     287     — 

beim  Äther  z.  B.  und  folglich  leichter  ein  Unfall  mög-lich.  Allein  ein  auf- 
merksaraer,  g-enaii  beobachtender,  geschickter  und  geübter  Narkotiseur  wird 
selten  Unfälle  erleben,  da  man  sie  in  vielen  Fällen  verhüten  kann. 

Es  ist  schon  oben  bemerkt  worden,  daß  die  Chloroformtodesfälle  in  der 
Jetztzeit  viel  häufiger  bezüglich  des  Verhältnisses  zur  Narkosenzahl  geworden 
sind.  Dies  beruht  darauf,  daß  man  durch  genaue  Erforschung  der  Chloroform- 
wirkung gefunden  hat,  daß  weitaus  mehr  Todesfälle  dem  Chloroform  zur  Last 
gelegt  werden  müssen,  als  man  früher  dachte.  Viele  Todesfälle,  die  man  jetzt 
zum  Chloroformtod  zählt,  sind  früher  auf  andere  Ursachen  und  Anlässe  bezogen 
worden.  Daher  ist  die  Prozentzahl  verändert.  Es  ist  dies  also  ein  Zeichen, 
daß  man  in  der  Wissenschaft  weiter  vorgeschritten  ist,  daß  man  besser 
beobachtet. 

Die  Statistik  der  Chloroformtodesfälle  ist  ein  sehr  schwer  zu  lösendes 
Problem,  liefert  auch  bei  den  verschiedenen  Autoren  recht  verschiedene  Resultate. 
In  dem  Folgenden  soll  kurz  darüber  das  Notwendigste  erwähnt  werden. 

Zunächst  ist  es  interessant  zu  ermitteln,  in  welchem  Verhältnis  die 
Synkope  zur  Apnoe  steht.  Die  Todesfälle  an  Synkope  sind  etwa  doppelt  so 
häufig  als  die  Apnoefälle;  so  wurden  z.  B.  206  Fälle  von  Synkope  und  117 
Todesfälle  durch  Apnoe  auf  323  Todesfälle  beobachtet.  In  der  neueren  Zeit 
hat  die  Zahl  der  Synkopefälle  gegenüber  den  Apnoefällen  zugenommen,  die 
Verhältnisse  sind  aus  folgendem  zu  ersehen: 

Sabbarth    hat  im  Jahre  1866  auf  1  Apnoe  0,3  Synkopetodesfälle  gesehen, 
Kappeier       „     „       „       1880     „     1       „        1,3  „  „ 

Bornträger,,     „       „       1890     „     1       „       3,8  „  „ 

Djakonow     „     „       „       1891     „     1       ,,       3,0  „  „ 

Somit  ersieht  man  eine  bedeutende  Vermehrung  der  Synkopefälle,  was 
wohl  ebenfalls  auf  die  genauere  Beobachtung  und  Untersuchung  der  Fälle 
zurückzuführen  ist. 

Was  nun  die  Verhältnisse  der  anderen  Todesfälle  anlangt^,  so  hat 
Hewitt  eine  kleine  Statistik  aufgestellt,  die  zwar  immerhin  etwas  unklar 
erscheint,  doch  aber  interessant  ist. 

I.  Er  beobachtete  an  Synkope  56  Todesfälle. 

IL  Er  sah  Synkopetodesfälle  in  dem  Exzitatiousstadium  in  6  Fällen. 

III.  „      „     plötzlichen  Tod  in  6       „ 

IV.  ,,      „     Tod  in  Ohnmacht  in  10       „ 
V.  ,,      „       ,,      durch    Aufhören    von    Puls    und    Atmung 

zusammen  in  9  „ 

VI.     „      ,,     Aufhören  von  Atmung  allein  in  6  „ 

VII.     „      „             „          „             „           „        bei  dem  der  Puls 

blieb  in  2  „ 

Es  ist  vielleicht  die  Trennung  der  einzelneu  Fälle  nicht  ganz  richtig 
geschehen,  denn  es  sind  die  Unfälle  Nr.  2.  3  und  4  doch  sicher  Synkope- 
todesfälle, also  zu  Nr.  1  zu  rechnen,  während  die  Fälle  in  VII  als  zweifelhaft 
zu  betrachten  sind. 

In  dem  Folgenden  werden  die  Todesfälle  nicht  nach  ihrer  Art  unter- 
schieden werden,  da  es  ja  immerhin  für  die  Statistik  belanglos  ist,  ob  Synkope 
oder  Apnoe  eintrat,  und  es  wird  nun  die  allgemeine  Statistik  der  durch  Chloro- 
form hervorgerufenen  Todesfälle  besprochen  werden. 


—     288     — 

Nach  den  verschiedenen  großen  Statistiken  hat  man  bei  allen  fast 
gleiches  Resultat  gefunden,  nämlich  auf  ca.  3000  Chloroformnarkosen  kommt 
ein  Todesfall,  der  sicher  durch  Chloroformwirkung  verursacht  ist. 

Von  Nußbaum  ist  bis  zum  Jahre  1878  auf  15000,  von  Syme  bei 
45000  Chloroformnarkosen  in  Indien  kein  Todesfall,  von  30000  Narkosen  der 
französischen  Armee  im  Krimkriege  nur  1  Todesfall  verzeichnet  worden.  Trotz 
dieser  Angaben  schätzt  Sabbarth  bis  zum  Jahre  1868  die  Chloroformnarkosen 
auf  3000000  und  stellt  1197  Todesfälle  fest,  ein  Verhältnis  von  1:2522, 
Andrews  hat  117078  Chloroformnarkosen  mit  43  Todesfällen,  das  ist  1  :  2723, 
Palliard  1:3258,  Combe  1:2733,  Ormsbey  1:2873,  Wachenholz 
1:2029,  Coles  1:2873.  Williams  Roger  1:1236  als  Verhältnis  des  Todes- 
falles zu  den  Narkosen  angegeben.  In  Skandinavien  ist  ein  Verhältnis  von 
1 :  2257  beobachtet  worden.  Nach  diesen  Angaben  sieht  man,  daß  das  Ver- 
hältnis 1  :  3000  ungefähr  richtig  ist,  denn  die  dabei  sich  zeigenden  Verschieden- 
heiten sind  immer  in  der  Grenze  des  Erlaubten. 

In  neuerer  Zeit  sind  genaue  Statistiken  von  dem  Deutschen  Chirurgen- 
kongresse in  Berlin  aufgestellt  worden,  denen  man  vielleicht  mehr  Gewicht 
beilegen  darf,  als  denen  aus  früheren  Zeiten. 

Darnach  findet  man  folgendes: 

Im  Jahre   1890/91  wurden  auf  22636  Chloroformuarkos.  6  Todesf.  beob.  =  l :  3776 
„      „       189192       „  „     72593  „  31       „  „     =1:2341 

„      „       1892/93       „  „    38499  „  9       „  „     =1:4278 

„      „       1893/94       „  „    33084  „  17       „  „     =1:1941 

„      „      1894/95       „  „    34412  „  25       „  „     =1:1876 

Das  Mittel  daraus  ergibt  201224  Narkosen  mit  88  Todesfällen  oder  ein 
Verhältnis  von  1  :  2286. 

Hieraus  sehen  wir,  daß  im  Mittel  dasselbe  Verhältnis  ungefähr  noch 
besteht.  Aus  den  einzelnen  Statistiken  geht  aber  zweifellos  hervor,  daß  die 
Todesfälle  in  Chloroformnarkosen  mit  den  Jahren  öfter  geworden  sind. 

In  den  Jahren  1895/97  wurden  27025  Narkosen  mit  29  Todesfällen 
beobachtet,  das  ist  ein  Verhältnis  von  1 :  932,  welches  ein  sehr  schlechtes 
Resultat  gibt. 

Aus  den  Statistiken  in  der  neueren  Zeit  lassen  sich  folgende  Zahlen 
zusammenstellen,  aus  denen  wir  Schlüsse  ziehen  können,  welche  vielleicht 
insofern  genauere  Resultate  liefern,  als  hier  meist  die  Tropfmethode  angewandt 
wurde  und  man  somit  einen  Faktor  ausschließen  kann,  welcher  manche  Statistik 
unklar  machte  bei  denen  man  nicht  weiß,  welcher  Chloroformapparat  und  welche 
Methoden  verwendet  wurden.  Das  Resultat  wird  anders,  wenn  in  dem  Falle 
die  Tropfmethode,  in  jenem  der  Junker  sehe  Apparat  etc.  verwandt  werden. 

Nach  V.  Bardelebeu      kamen  auf  666  Chloroformuarkosen  1  Chloroformtod. 

„  B  a  r  d  e  n  h  e  u  e  r  „  „     797  „  0  „ 

„  Braun   etc.  „  „  1365  „  1  „ 

„  Bruns  „  „     152  „  0  „ 

„  Czerny  „  „     589  „  0  „ 

„  G  ö  s  c  h  e  1  „  „     358  „  0  „ 

„  Scheve  „  „  1869  „  1 

„  Zell  er  „  „     435  „  1 

,,  Anger  er  „  „     108  „  1 


—     289 


Nach  Barth 

kamen  auf  409 

B  0  e  t  e  r  s 

11 

n 

185 

11 
Braun 

11 

n 

11 

568 
962 

C  z  e  r  11  y 

n 

17 

1361 

E  b  k  a  m 

11 

11 

43 

Ct  a  r  r  6 

11 

n 

236 

(ir  ö  s  c  h  e  1 

11 

n 

326 

J  u  n  g-  e  n  g- 

el 

11 

n 

939 

» 

K tt mm  e  1 1 

u. 

Sic 

k    1, 

n 

1371 

» 

L  au  e  n  s  t  ( 

i  i  u 

i 

71 

11 

288 

» 

Schopf 
S  a  b  b  0  t  i  c 

n 

367 
1257 

1) 

K  0  m  V  e  r 

T) 

11 

1200 

» 

L  a  w  r  i  e 

n 

11 

1236 

11 

Grube 

n 

n 

40000 

)i 

Skliiossow 

sky 

11 

.11 

28708 

In  Summa  kamen  auf  84623  Chloroformnark.        27  Chl.-Todesf. 

Also  kamen  nach  diesen  Statistiken  auf  84623  reine  Chloroformnarkosen 
27  Todesfälle,  oder  1  Todesfall  auf  3134  reine  Chloroformnarkosen.  Rechnet 
man  die  vielleicht  etwas  fraglichen  Zahlen  von  Grube,  Lawrie  und 
Sklif ossowsky  nicht  mit  dazu,  da  in  diesen  vielleicht  auch  Mischnarkosen  etc. 
enthalten  sein  können,  so  erhält  mau  14671  reine  Chloroformnarkosen  mit 
18  Todesfällen,  was  ein  Verhältnis  von  1  Todesfall  auf  815  Narkosen 
bedeutet.  Dies  ist  eine  sehr  viel  kleinere  Zahl,  bedeutet  ein  sehr  viel 
schlechteres  Verhältnis.  Das  Verhältnis  1:3134  ist  das  allgemein  bekannte, 
welches  aber  wahrscheinlich  etwas  zu  günstig  ist,  und  jedenfalls  nicht  die 
wirkliche  Verhältniszahl  bedeutet. 

Im  Jahre  1900  wurden  in  Amerika  auf  3749  Chloroformnarkosen  1  Todes- 
fall berechnet,  Gurlt  gibt  in  seiner  Statistik  aus  dem  Jahre  1897  ein  Verhältnis 
von  1  Todesfall  auf  2075  Chlorofornmarkosen  an,  Sklif  ossowsky  hat  ein 
solches  von  1  Todesfall  zu  5741  Chloroformnarkosen  gefunden.  Diese  Zahlen 
zeigen  alle  einen  bedeutenden  Unterschied.  Jedenfalls  ist  es  gar  nicht  leicht, 
eine  wirklich  zutreffende  Statistik  aufzustellen,  denn  es  kommen  zuviel  Ver- 
hältnisse in  Betracht,  die  berücksichtigt  werden  müssen,  aber  von  den  ver- 
schiedenen Statistikern  in  verschiedenem  Maße  beachtet  wurden.  Im  großen 
und  ganzen  ersieht  man  jedenfalls  aus  den  angeführten  Zahlen,  daß  die 
Gefahren  des  Chloroforms  einerseits  nicht  unterschätzt  werden  dürfen,  anderer- 
seits aber  auch  durch  den  Narkotiseur  und  die  Technik  der  Narkose  sehr  zu 
beeinflussen  sind.  So  hat  z.  B.  Grube  auf  40000  Chloroformnarkosen  innerhalb 
45  Jahren  nur  3  Todesfälle  zu  verzeichnen  und  hält  diesen  überaus  günstigen 
Prozentsatz  für  die  Folge  äußerster  Sorgfalt,  die  in  Grub  es  Klinik  der 
Chloroformierung  geschenkt  wird.  Vielleicht  sind  aber  hierbei  auch  gewisse 
günstige  Momente  noch  maßgebend. 

Ähnlich  günstige  Zahlen  nennt  Neve.  Er  hat  in  Indien  beobachtet,  daß 
dort  die  Todesfälle  in  der  Chloroformnarkose  1:8000  betragen.  In  einigen 
größeren  Hospitälern  sei  das  Verhältnis  sogar  1:20000.  Die  Ungefährlichkeit 
soll  hier  nicht  von  einer  besonderen  Konstitution  der  indischen  Rasse  oder 
ihrer  Lebensweise  abhängen,  sondern  durch  das  warme  Klima  begünstigt 
werden,  da  die  AVärme  eine  schnellere  Wirkung  des  Chloroforms,  aber  aach 
eine  schnellere  Elimination  aus  dem  Organismus  bewirkt.  Deshalb  gibt  Neve 
den  Rat,  nur  bei  70°  F  zu  operieren.  Es  ist  wohl  anzunehmen,  daß  ein  gewisser 
Einflirß  der  Wärme  in  dem  heißen  Klima  besteht.      Doch   ob  man   diese  Ver- 

19 


—     290     — 

hältnisse  durch  Erhöhung  der  Temperatur  im  Operationssaal  ebenfalls  hei  uns 
erreichen  kann,  ist  zweifelhaft. 

Wenn  man  das  Geschlecht  und  Alter  betrachtet,  in  welchem  die  ver- 
schiedenen Verstorbenen  standen,  so  haben  wir  von  207  Chloroformtodesfällen 
150  Männer  und  57  Frauen,  d.  h.  72%  sind  Männer  und  17,5  7o  Frauen. 

Von  den  207  Narkosentodesfällen  waren 

unter     5  Jahren     2  =  0,96  7^ 


on     5 — 15 

17 

21  =  107o 

„    16-30 

n 

49  =  23,6  7o 

„    31-45 

n 

53  =  25,6  7o 

„    46-60 

n 

37  =  17,8  7o 

über  60 

„ 

3  =  l,45  7o 

Hieraus  ließe  sich  entnehmen,  daß  das  kräftige  Lebensalter  die  meisten 
Opfer  25,6  7o  erfordere. 

Eine  interessante  Statistik  findet  mau  von  Hankel  aufgestellt,  in  der 
er  die  Beziehungen  der  Operationen  zum  Chloroformtod  mit  in  Rechnung 
bringt.     Dieselbe  zeigt  folgendes : 


Die  Art  der  Operation  war  in  der 
Zusammenstellung  von 

«  S  » 

Wo  ■ 

o 

TS 

CS 
CO 

<s 
'S 

Ph 

pH 

M 

03 
S 

Fisteln,  Haemorrhoidenoperat.  Kau- 
terisat 

^ 

13 

4 

6 

8 

31 

Entfernung  eines   Nagels,    Operat. 
an  Zehen,  Fingern,  Phalangen    . 

1 

9 

5 

12 

9 

36 

Zahnextraktionen 

12 

6 

4 

8 

6 

36 

Entfernung  von  Geschwülsten    .    . 

8 

7 

4 

12 

8 

39 

Resektion,  gr.  Amputationen,  Ovario- 
tomien,  Greburtshilfl.  Operationen 

17 



15 

9 

41 

Lig.  gr.  Gefäße,  kl.  Amputationen    . 

5 

4 

5 

6 

9 

26 

Augenoperationen 

4 

2 

4 

3 

12 

25 

Operat.  an  Hoden,  Anus,  Rectum, 
Katheterism 

29 

6 

3 

10 

12 

60 

Repon.  V.  L  uxat.  Forcierte  Streckung 

29 

2 

3 

4 

11 

49 

Eingeklemmter  Bruch 

1 

1 

— 

4 

2 

8 

Delir.  trem.  Manie 

1 

— 

3 

3 

— 

7 

Absz.    kl.  Operat.,    Unters.    Frakt. 
Nekrose,  Karies 

9 

. 



8 

14 

31 

Neuralgie 

2 

— 

— 

1 

— 

3 

118 

50 

35 

92 

97 

392 

Hieraus  sieht  man,  daß  etwa  ein  Viertel  der  ganzen  Chloroformtodesfälle 
bei  schweren  und  großen  Operationen  vorkommen. 

Dieser  Satz  zeigt  nun,  daß  man  vielleicht  doch  bei  manchen  Fällen  der 
Operation  mit  einen  Einfluß  beimessen  muß,  auch  wenn  der  Tod  ein  reiner 
Chloroformtod  zu  sein  scheint.    Die  schwächende  Wirkung  der  Operation  kann 


—     291     — 

doch  eine  Disposition  schaffen,  welche  ein  geeignetes  Terrain  iür  die  Gift- 
wirkung des  Chloroforms  schafft. 

Nußbaum  rechnet  auf  50  Chloroformnarkosen  eine,  welche  mit  Gefahren 
verläuft,  hat  aber  bei  15000  Narkosen  keinen  Todesfall  beobachtet,  schildert 
aber  9  Fälle,  wo  es  nur  dem  energischen  Handeln,  der  Geschicklichkeit  und 
Gewandtheit  dieses  Operateurs  zu  danken  ist,  daß  der  Tod  verhindert  wurde. 

Ich  habe  bei  ca.  100  Narkosen  ebenfalls  zweimal  schwere  plötzlich  ein- 
tretende toxische  Wirkungen  des  Chloroforms  erlebt,  und  zwar  in  beiden  Fällen 
trat  Herzschwäche  so  überaus  plötzlich  ein,  daß  kaum  eine  Sekunde  zu  ver- 
lieren war.  Es  war  dies  einmal  bei  einem  25jährigen  Mädchen,  die  völlig 
gesund  war  an  den  Zirkulationsorganen  und  bei  der  eine  Abrasio  uteri  vor- 
genommen werden  sollte.  Plötzlich  trat  Kollaps  ein,  der  Puls  fehlte,  die 
Atmung  hörte  auf  und  das  Herz  war  ebenfalls  dem  Aufhören  ganz  nahe,  kaum 
hörbarer  und  fühlbarer  Herzschlag.  Nur  dem  sofortigen  Bemerken  der  Anämie  und 
dem  sofortigen  Einleiten  von  künstlicher  Atmung  und  Herzmassage  meinerseits 
unter  gewandter  und  geschickter  Unterstützung  der  assistierenden  Kollegen 
gelang  es  mir  nach  recht  peinlichen  Minuten  die  Kranke  zu  retten.  Der  zweite 
Fall  war  ähnlich.  Eine  überreichliche  Chloroformgabe  lag  nicht  vor  und  so  war 
bei  dem  Fehlen  sämtlicher  anderer  Ursachen  dieser  Kollaps  einzig  auf  die 
Chloroformwirkung  zurückzuführen.  Interessant  ist,  daß  ich  den  zweiten  Fall, 
welcher  etwas  weniger  schwer  war,  nach  ca.  ^/j  Jahr  wieder  narkotisieren 
mußte  wegen  Laparatoraie,  und  in  diesem  Falle  wählte  ich  Aether  und  hatte 
eine  leidlich  gute  Narkose.  Nach  einigen  Jahren  wurde  die  Kranke  ohne  mein 
Wissen  von  einem  Kollegen  w^ieder  operiert  und  mit  Chloroform  narkotisiert 
und  ging  3  Tage  nach  der  Narkose  au  protrahiertem  Chloroform tod  zugrunde. 

Nach  den  Veröffentlichungen  des  Chirurgenkongresses  1891  kommen 
Apnoen  im  Verhältnis  von  1:319,  nach  Wachenholz  im  Verhältnis  von 
1:184  vor. 

Man  hat  hingegen  manche  Personen  hundert-,  ja  über  tausendmal  in 
mehreren  Jahren  narkotisiert,  ohne  daß  denselben  irgend  ein  Schaden  daraus 
entstand.  Wurm  z.  B.  hat  eine  Hysterika  innerhalb  eines  Zeitraumes  von 
6  Jahren  1305  mal  ohne  jeden  Nachteil  chloroformiert. 

Wenn  man  nun  zu  ergründen  sucht,  in  welchem  Stadium  der  Narkose 
der  Tod  am  häufigsten,  in  welchem  er  weniger  oft  auftritt,  so  finden  wir  im 
Stadium  des  Beginnes  ca.  7%  Todesfälle,  im  zweiten  Stadium,  dem  Excitations- 
stadium  ca.  15,6  °/o,  im  Stadium  der  vollsten  Anästhesie  ca.  25,5  7o  bis  35,4 7o' 
im  Stadium  des  Erwachens  und  nach  der  Operation  ca.  16  o/o-  Hiernach  ist 
das  Stadium  der  tiefen  Narkose  das  gefährlichste. 

Man  hat  auch  die  Todesfälle  berechnet  nach  den  Minuten  und  zwar  in  der 
1.  Minute  trat  der  Tod  in  10  Fällen  von  75  Todesfällen  auf 

1  q 

3.     5.       „  „       „       „ 

spater   „  „       „       „ 

Hiernach  ergibt  sich  nach  Hj 
der  gefährlichste  Moment  bestände. 

Der  Wert  der  Statistik  ist  nicht  ein  so  bedeutender  in  Wirklichkeit,  als 
er  zu  sein  scheint,  wenn  man  die  Resultate  zu  Papier  bringt.  Ganz  recht  sagt 
Schleich,  daß  die  Häufigkeit  der  Chloroformtodesfälle  eine  viel  größere  ist, 
denn  der  kleinste  Teil  ist  es  nur,  der  bekannt  wird,  ein  großer  Teil,  namentlich 
vom  protrahierten  Chloroformtod,  wird  nicht  als  solcher  erkannt  aus  verschiedenen 
Gründen  und  kommt  somit  auch  nicht  in  die  Statistiken.    In  denselben  finden 

19* 


13 

11 

» 

75 

» 

» 

12 

11 

11 

75 

„ 

» 

33 

» 

11 

75 

» 

11 

7 

75 

11 

11 

11 

11 

kel. 

daß 

in 

der  Zeit 

der  6.- 

—15.  Minute 

—     292     — 

wir  immer  nur  die  Resultate  der  Kliniken  etc.  aufgestellt,  der  praktische  Arzt 
stellt  selten  Statistiken  auf,  erstens  weil  das  ihm  zu  Gebote  stehende  Material 
ein  zu  kleines  scheint,  zweitens  weil  oftmals  von  anderen  Kollegen  nicht  gern 
das  Material  zur  Statistik  beigetragen  wird.  Es  wird  deshalb  immer  ein  gewisser 
Mangel  bestehen  bleiben,  den  zu  beseitigen  man  schwerlich  wird  imstande  sein. 

Es  ist  noch  von  Interesse,  in  kurzen  Worten  die  Verhältnisse  zu 
berechnen,  in  denen  die  Apnoen  ohne  tödlichen  Ausgang,  die  Kollapse  etc.  sich 
ereignen,  die  als  Unfälle  in  der  Narkose  auftreten,  aber  durch  die  bekannten 
Manipulationen  beseitigt  werden. 

Grrube  hat  während  der  Chloroformnarkosen  in  5 — 6°/o  der  Fälle  Apnoe- 
fälle  eintreten  sehen,  Komver  sah  bei  1200  Narkosen  sechsmal  Kollapse, 
dreimal  Apnoen.  Es  ist  wohl  zu  vermuten,  daß  auch  beim  Eintreten  von 
Apnoe  mehr  die  individuellen  Verhältnisse  in  Betracht  kommen.  Im  allgemeinen 
nimmt  mau  an ,  daß  bei  Chloroform  mehr  Kollapse  als  Apnoefälle  eintreten, 
das  Verhältnis  beider  Unfälle  ist  ungefähr  3:2. 

Grube  hat  auch  das  Auftreten  von  Erbrechen  statistisch  behandelt  und 
in  20*^/o  der  Fälle  während  der  Chloroformnarkose,  in  10 — 15%  nach  derselben 
Erbrechen  konstatieren  können. 

Eine  sehr  wichtige  Folgeerscheinung  der  Narkose  besteht  in  der  Pneu- 
monie, wie  oben  erörtert  wurde.  Diese  postoperativen  Pneumonien  sind  ja  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  abhängig  von  dem  Narkotikum,  von  der  Methode 
der  Narkose  etc.  Beim  Chloroform  ist  die  Gefahr  der  postnarkotischen  Pneu- 
monie nicht  so  groß  als  bei  anderen  Narkotika,  hingegen  ist  sie  auch  nach 
Chloroformnarkosen  bisweilen  zu  beobachten.  Von  besonderer  Bedeutung  ist 
hier  auch  die  Operation ,  so  begünstigen  z.  B.  Laparatomien  den  Eintritt  von 
Pneumonien,  da  der  Kranke  nicht  so  ausgiebig  atmet.  Sonntag  hat  nach 
Laparatomien  und  Chloroformnarkosen  5  7o  Pneumonien  beobachtet,  auf 
300  Chlorofornmarkosen  15  Pneumonien.   Von  diesen  15  Fällen  endeten  4  tödlich. 

Interessante  Statistiken  hat  v.  Mikulicz  über  die  Pneumonien  nach 
Chloroformnarkosen  und  verschiedenen  Operationen  aufgestellt.  Er  hat  gefunden: 
bei  Strumen  mit  oder  ohne  Basedow  in  Chloroformnarkose  8,1  ^o  Pneumonien 

mit  2,5%  Mortalität 
bei  Gastrostromie  und  Chloroformnarkose  12,4%  Pneumonien  und  7,4%  Mortalität 
„  Gastroenterostomie  u.  Chlorof ormnark. 

und  Pyloroplastik 9,7  7^  „  „    5,2%         „ 

„  Magenresektion  u.  Chloroformnark.  .  17,7%  „  „12,9%         „ 

„  and. Laparatomien u. Chloroformnark.     5,8%  „  „    2,0%         „ 

„  Hernien u. Rad. Op.„  „  6,5%  „  „    1,5%         „ 

„  Incarcer.  Hernien  „  „  4:,17o  „  „    2,0%         „ 

„  Gangränöse     „       „  „  30,0%  „  „     20%         „ 

Summa  bei  1007  Operat.u.  „  7,6%  „  „    3,4  «^         „ 

Diese  kleine  Statistik  gibt  interessante  Aufschlüsse  über  die  Verhältnisse 
der  Pneumonien  zu  Narkosen  mit  Chloroform,  es  sind  die  gangränösen  Hernien- 
operationen  die  gefährlichsten  nach  der  Statistik.  Die  Zahl  der  Pneumonien 
nach  Operationen  in  der  Mund-  und  Rachenhöhle  sowie  an  den  Kiefern  ist 
nach  V.  Mikulicz  noch  größer. 

Diese  statistischen  Bemerkungen  und  Beobachtungen  werden  genügen, 
am  ein  Bild  von  der  Gefährlichkeit  des  Chloroforms  auf  den  Organismus  zu 
gehen.  Eine  erschöpfende  Statistik  aufzustellen  ist  unmöglich  bei  den  ver- 
schiedenen   Methoden    und    Beobachtungen,    von    denen    das  Material  stammt. 


—     293     — 

Eine  einwandfreie  Statistik  der  Ghloroformtodesfälle  und  -uufäile  vurüber- 
gehender  Art  müßte  von  Material  gebildet  werden,  das  einerseits  sehr  groß, 
andererseits  aber  auch  von  nur  einem  Narkotiseur  beobachtet  und  zusammen- 
gestellt wäre.  Schon  diese  beiden  Postulate  sind  schwer  zu  vereinen,  dazu 
kommen  noch  eine  Menge  anderer  Anforderungen  und  Bedingungen ,  die 
schwerlich  alle  beachtet  und  erfüllt  werden  können.  Man  kann  aber  auch  aus 
diesen  au  sich  mangelhaften  Statistiken  viel  für  die  Praxis  lernen.  Und  wenn 
sie  dieser  Aufgabe,  belehrend  zu  wirken,  gerecht  werden,  so  ist  schon  ein 
großer  Zweck  dieser  Zahlen  erfüllt. 

Nachdem  bisher  so  vieles  über  die  Wirkungen  des  Chloroforms  im 
Organismus  angeführt  und  erörtert  worden  ist,  soll  in  den  folgenden  Zeilen 
der  Verbleib  des  Chloroforms  im  Organismus  und  die  Eliminierung  noch  kurz 
gestreift  werden.  Das  Chloroform  gelangt  von  den  Lungen  aus  in  das  Blut 
und  wird  von  dem  letzteren  nach  den  Ganglienzellen  im  Gehirn  transportiert, 
woselbst  die  Hauptwirkung  durch  Umgestaltung  der  Protoplasmabestandteile 
(Cholestearin-Lezithingemische)  vor  sich  geht.  Wenn  nun  die  Inspirationsluft 
eine  geringere  Konzentration  von  Chloroformdämpfen  aufweist,  als  in  dem 
Blutplasma  vorhanden  ist,  so  wird  aus  dem  letzteren  Chloroform  wieder  in 
den  Lungen  an  die  Luft  abgegeben,  es  gelangt  also  Chloroform  in  Dämpfen 
durch  die  Respiration  aus  dem  Organismus  heraus.  So  wird  im  Laufe  der 
nächsten  Stunden  nach  der  Narkose  eine  Menge  Chloroform  aus  dem  Körper 
eliminiert.  .Jedenfalls  ist  dies  weitaus  der  größte  Teil  des  im  Organismus  noch 
vorhandenen  Chloroforms,  der  durch  die  Lungen  eliminiert  wird. 

Es  sind  aber  noch  verschiedene  andere  Körperfunktionen,  die  bei  der 
Entchloroformierung  in  Betracht  kommen,  vorhanden. 

Ehe  die  Verhältnisse  der  Ausscheidung  des  Chloroforms  durch  die  Lungen 
verlassen  werden,  ist  es  noch  interessant,  folgende  Beobachtungen  kurz  zu 
erwähnen.  Der  Organismus  besitzt  bekanntlich  eine  gewisse  Kraft,  Bakterien, 
die  in  die  einzelnen  Organe  eindringen,  abzutöten.  So  besitzt  auch  die  Lunge 
eine  starke  baktericide  Kraft  unter  normalen  Verhältnissen.  Diese  Kraft  kann 
durch  verschiedene  Momente  geschwächt  werden  und  so  hat  man  gefunden, 
daß  auch  die  Narkose  mit  Chloroform  diese  baktericide  Kraft  des  Körpers 
aufhebt,  so  lange,  als  noch  Chloroformmengen  im  Blute  kreisen  (Platania, 
Klein,  Coxwell).  Weitergehende  Untersuchungen  hierüber  sind  von  Snel, 
betreffend  die  Lunge,  angestellt  worden,  und  er  hat  gefunden,  daß  die  baktericide 
Kraft  durch  Chloroform  sehr  geschwächt,  bei  langen  Narkosen  ganz  aufgehoben 
wird,  die  Kräfte  kehren  aber  schnell  wieder  zurück,  wenn  kein  Chloroform 
mehr  vorhanden  ist.  Deshalb  gibt  er  den  Rat,  Mund  und  Rachenhöhle  zu 
desinfizieren  und  frische  Luft  während  der  Narkose  zu  beschaffen. 

Die  Verminderung  der  baktericiden  Kraft  der  Lunge  wird  wohl  dadurch 
hervorgerufen  werden,  daß,  wie  oben  bemerkt,  durch  Chloroform  in  den  Epithelien 
des  respiratorischen  Epithels  (Epithelzellen  der  Alveolen  etc.)  Fettmetamorphose 
erzeugt  wird  (Verf.),  wodurch  die  Tätigkeit  der  Zellen  gestört  wird,  die  ja 
die  Quelle  der  baktericiden  Kraft  der  Lunge  ist. 

Wenn  man  bedenkt,  daß  während  der  Narkose  der  ganze  Körper  mit 
Chloroform  erfüllt  ist,  daß  durch  das  Blut  das  Narkotikum  in  die  Haut, 
Muskulatur  und  alle  Teile  und  Organe  des  Körpers  gebracht  wird,  so  wird 
mau  auch  leicht  einsehen,  daß  alle  jene  Funktionen,  die  Stoffe,  Sekrete  etc. 
aus  dem  Körper  eliminieren,  auch  das  Chloroform  mit  herausbefördern  werden. 
Infolge  dieser  Beziehungen  zu  den  verschiedensten  Funktionen  im  Organismus 
muß  das  Chloroform  auch  verschiedene  Verbindungen  eingehen  und  chemische 


—     294     — 

Umsetzungen  veranlassen.  Solche  Veränderungen  linden  vor  allem  im  Stoff- 
wechsel statt,  wofür  Zeichen  und  Andeutungen  in  dem  Sinken  des  Körper- 
gewichts nach  Chloroformnarkosen,  in  gesteigerter  Ausscheidung  von  Stickstoff, 
Schwefel  und  Phosphor,  in  erhöhter  Ausscheidung  von  Chloriden  etc.  in  und 
nach  der  Chloroformwirkung  gegeben  sind. 

Malenjuk  glaubt,  daß  die  Ausscheidung  von  nicht  volloxydiertem 
Schwefel  und  organischen  Stoffen,  die  Chlor  enthalten,  mit  dem  Harn  zu 
der  Annahme  berechtigen,  daß  unter  dem  Einfluß  des  Chloroformierens  die 
oxydierenden  Vorgänge  im  Organismus  bedeutend  verringert  werden,  ferner 
die  gesteigerte  Ausscheidung  von  Phosphorsäure  und  Kali  zu  der  Vermutung 
berechtigen,  daß  die  Zerstörungen  durch  das  Chloroform  in  den  an  Phosphor 
und  Kali  reichen  Geweben  vor  sich  gehen;  der  pathologisch  anatomische  Ausdruck 
dieser  Vorgänge  ist  die  Veränderung  in  den  parenchymatösen  Organen,  wie 
sie  oben  geschildert  ist.  Die  gesteigerte  Ausscheidung  von  Chlor  rühre  von 
der  gesteigerten  Zufuhr  von  phosphorsaurem  Kalk  in  die  Zirkulation  her. 

Es  wird  wohl  kaum  möglich  sein,  die  im  Organismus  vor  sich  gehenden 
chemischen  Vorgänge  während  der  Chloroformwirkung  genau  zu  eruieren. 
Immerhin  bieten  die  Versuche,    das  Dunkel  zu  lichten,    manches  Interessante. 

Man  hat  nun,  gestützt  auf  Beobachtungen,  den  im  Organismus  befindlichen 
Chloroforramengen  und  Verbindungen  verschiedene  Wirkungen  zugeschrieben. 
So  hat  Baccarani  Solimei  dem  im  Blute  befindlichen  Chloroform  eine 
baktericide  Kraft  zugeschrieben,  ferner  die  Eigenschaft,  die  Erythrozyten  zu 
vermindern  und  die  Leukozyten  zu  vermehren.  Benasis  beobachtete  eine 
Verminderung  der  roten  und  weißen  Blutkörperchen,  sowie  Formveränderungen 
der  Blutkörperchen,  die  um  so  langsamer  abheilen,  je  länger  Chloroform  ein- 
gewirkt habe.  Spieß  will  beobachtet  haben,  daß  Entzündungen  und  Krank- 
heitszustände  entzündlicher  Natur  nach  Chloroform  schneller  abheilen  und  erklärt 
den  entzündungswidrigen  Einfluß  des  Chloroforms  und  anderer  Stoffe  dadurch, 
daß  wahrscheinlich  die  Wirkung  des  Narkotikums  die  Vasomotoren  beeinflußt 
und  zur  Blutstauung  in  dem  betreffenden  Gebiete,  sicher  wenigstens  zur 
Abnahme  der  Hyperämie  führt.  Es  mögen  wohl  diese  Beobachtungen  eher 
durch  andere  Momente  als  das  im  Organismus  befindliche  Chloroform  bewirkt 
werden,  immerhin  kann  man  bis  jetzt  noch  den  Beweis,  daß  Chloroform  hierbei 
nicht  beteiligt  sei,  nicht  erbringen,  so  muß  man  auch  diese  Eigenschaften  des 
Chloroforms  berücksichtigen. 

Die  im  Organismus  frei  oder  in  Verbindungen  befindlichen  Mengen  von 
Chloroform  werden  zum  größten  Teil  durch  die  Nieren  abgeschieden 
(Rydygier  etc.).  Die  Nierentätigkeit  wird  nun  durch  die  Narkotikumwirkung 
vermindert,  somit  wird  weniger  Harn  abgesondert.  Das  Chloroform  wird  im 
Harn  gelöst  und  in  Verbindungen  abgesondert.  Man  tut  gut,  durch  geeignete 
Medikation  vor  der  Narkose  die  Harnsekretion  anzuregen  (Dranske). 
Der  Harn  weist  noch  lange  Zeit  nach  der  Narkose  Chloroform  beigemengt 
auf.  Weiter  wird  Chloroform  durch  die  Schweißdrüsen,  Speicheldrüsen  etc. 
abgesondert. 

Eine  bedeutende  Menge  Chloroform  geht  durch  den  Magen  aus  dem 
Blute  in  den  Magensaft  über.  Das  in  dem  Magensaft  enthaltene  Chloroform 
regt  den  Magen  zum  Brechen  an,  dies  ist  auch  der  Anlaß  zu  dem  oftmals 
recht  hartnäckigen  und  unangenehmen  Erbrechen  nach  der  Narkose.  Bei 
besonders  zum  Brechen  disponierten  Personen,  sowie  bei  solchen,  deren  Magen 
besonders  empfindlich  und  schwach  ist  oder  im  Zustande  chronischen  Katarrhes 
sich  befindet,  tritt  das  Erbrechen  so  stark  auf,  daß  man  versuchen  maß, 
Linderung  zu  schaffen.  Dieselbe  wird  bewirkt  durch  Entfernen  des  sich  immer 
bildenden  und  einen  Reiz  ausübenden  Magensaftes  durch  öfteres  Magenspüleu. 


-       295     — 

Ist  es  uicht  uiögiich,  öftere  Mag-euspülungeii  vorzuuehmen,  so  leisten  Kokain, 
Morphintropfen  gute  Wirkung.  Man  gibt  den  Kranken  15 — 20  Tropfen  einer 
Kokainlösung  0,1 :  10,0,  ev.  mit  0,05  Morphin  verbunden.  Bei  stündlichem 
Verabreichen  dieser  Tropfen  habe  ich  meist  erfolgreich  überstarkes  Brechen 
bekämpft.  Auch  während  der  Narkose  verursacht  das  Chloroformerbrechen, 
einerseits  im  Beginn  der  Narkose,  wo  der  Reflex  noch  nicht  gelähmt  ist,  oder 
im  Zustande  des  Erwachens,  wenn  der  Narkotiseur  zu  wenig  Chloroform 
gegeben  hat,  oder,  als  ominöses  Zeichen  kurz  vor  dem  drohenden  Exitus, 
infolge  zu  großer  Chloroformdosen,  Herzschwäche  etc.  Ein  großer  Teil  dieser 
Übelstände  kann  am  Auftreten  verhindert  werden,  indem  man  einerseits  recht 
langsam  die  Narkose  einschleicht,  denn  das  Erbrechen  im  Anfang  tritt  oft  nur 
dann  ein,  wenn  schnell  große  Dosen  Chloroform  gegeben  werden,  andererseits, 
indem  man  den  Kranken  nicht  zur  ungeeigneten  Zeit  erwachen  läßt,  anderer- 
seits, indem  man  vorsichtig  dosiert.  Die  Beziehungen  des  Erbrechens  zur 
Pupillenreaktion  sind  früher  erörtert  worden,  ebenso  die  verschiedenen  Mittel 
und  Methoden  zur  Verhütung.  Das  Chloroform  besitzt  eine  besonders  starke 
Einwirkung  auf  den  Magen  hinsichtlich  des  Brechreizes. 

Aus  allen  diesen  Erörterungen  über  die  Chloroformwirkung  in  Hinsicht 
auf  die  Organe  und  Funktionen  des  menschlichen  Organismus  lassen  sich  eine 
Reihe  von  Kontraindikationen  gegen  die  Verwendung  des  Chloroforms  ableiten. 
Im  großen  und  ganzen  gelten  die  Regeln,  die  im  Allgemeinen  Teil  aufgestellt 
sind,  hinsichtlich  der  Wahl  der  Narkose.  Es  sollen  hier  kurz  die  haupt- 
sächlichsten und  striktesten  Kontraindikationeu  aufgeführt  werden,  während 
die  feineren  Fragen  für  oder  wider  die  einzelnen  Narkotika  später  in  einem 
besonderen  Kapitel  verhandelt  werden  sollen,  nachdem  alle  die  einzelnen 
Narkotika  und  Methoden  der  Narkose  des  genaueren  besprochen  sind. 

Es  lassen  sich  gegen  die  Chloroformnarkose  als  Kontraindikationen  vor 
allem  schwere  Herzleiden  anführen.  Die  Herzkrankheiten  chronischer  Art 
bilden  keine  strikte  Indikation,  namentlich  nicht  die  kompensierten  Herzfehler 
(ausgenommen  die  Aortenfehler,  sowie  Hypertrophie  und  Dilatation  mäßigen 
Grades).  Alle  stark  ausgeprägten  Herzleiden,  alle  akuten  Herzkrankheiten, 
Aortenfehler  und  dekompensierte  Herzfehler  verbieten  stets  die  Chloroform- 
narkose. Dur  et  hält  die  Fettmetamorphose  des  Herzens  für  gefährlicher  als 
die  Klappenfehler  für  die  Chloroformnarkose. 

Die  Ansichten  über  die  Herzkrankheiten  als  Kontraindikationen  der 
Chloroformnarkose  sind  allerdings  oft  widersprechend.  Bucquoy  nennt  die 
Aortenfehler  als  strikte  Kontraindikation,  weil  dieselben  zur  Synkope  prädis- 
ponieren, Le  Dentu  hält  Herzfehler  und  Myokarditis  für  Chloroformnarkosen 
für  gefährlich,  Huchard  hält  alle  infektiösen  frischen  Herzleiden  für 
Kontraindikationen,  während  er  bei  anderen  Herzleiden  Chloroform  zuläßt, 
wenn  recht  vorsichtig  narkotisiert  wird,  derselben  Ansicht  ist  Richelot, 
Le  Dentu,  Delorme,  Poncet,  Gruinard,Guyon,Bronardel,  Panasu.  a. 
Champonniere  erlaubt  das  Chloroform  bei  Herzleiden.  Es  zeigen  diese 
Ansichten  eine  Differenz  in  der  Ueberzengung,  im  allgemeinen  gilt  aber  die 
Regel,  daß  man  bei  Herzleiden  Chloroform  vermeidet  (Kapp  1er  etc.).  Es  läßt 
sich  ja  anführen,  daß  die  Erfahrung  lehrt,  daß  viele  Herzieidende  Chloroform- 
narkosen gut  überstanden  haben,  doch  die  Erfahrung  lehrt  auch,  daß  man 
einem  Herzkranken  nie  den  nächsten  Tag  garantieren  kann  zu  erleben.  Es  ist 
daher  besser,  bei  solchen  Leiden  Chloroform  nicht  zu  verwenden. 

Andere  strikte  Kontraindikation  bilden  Basedowsche  Krankheit, 
Strumen,  Hypertrophie  der  Thymus  (Broca,  Mignon,  Laqueur  etc.).    Es  ist 


—     296     — 

natürlich  auch  bei  diesen  Leiden  zu  individualisieren,  bei  geringfügigen,  nicht 
ausgesprochenen  Krankheiten  dieser  Gruppe  kann  wohl  eine  Narkose  mit 
Chloroform  ausgeführt  werden,  hingegen  sind  Fälle  angegeben,  wo  man  erst  bei 
der  Sektion  die  vergrößerte  Thymus  fand  und  so  die  Ursache  zum  Chloroformtod 
feststellte.  Broca  und  Mignon  haben  Todesfälle  an  Thymushypertrophie  bei 
Chloroformnarkose  beschrieben,  Laqueur  gibt  den  Rat,  stets  vor  der  Narkose, 
namentlich  bei  Kindern,  auf  vergrößerte  Thymus  zu  fahnden,  er  hat  gefunden, 
daß  bei  Thymushypertrophie  auch  stets  die  Balgdrüsen  des  Zungeugrundes 
und  der  hinteren  Rachenwand  vergrößert  seien,  wodurch  man  sicher  die 
Krankheit  erkennen  könne.  Deshalb  solle  mau  vor  jeder  Chlorofonnnarkose 
nach  diesen  Drüsenschwellungeu  suchen. 

Die  Strumen  bilden  auch  eine  große  Gefahr  für  die  Chjoroformuarkose 
wie  für  jede  Narkose  im  allgemeinen  (Rosenfeld  etc.). 

Weitere  Kontraiudikationen  bilden  alle  die  Zustände,  welche  eine  Fett- 
metamorphose innerer  Organe  hervorrufen,  begünstigen  oder  anzeigen  können. 
Hierzu  gehören  neben  der  Fettleber,  Fettherz,  Nierenleiden  a\ich  schwere, 
lauganhaltende  Blutungen,  Inanitiouszustände,  Kachexie  etc.  Last  not  least 
ist  die  Disposition  zu  erwähnen  (Lengemanu,  Bazy  etc.).  Es  gibt  Personen, 
welche  vermöge  noch  nicht  bekannter  Eigenschaften  ihres  Organismus  trotz 
Gesundheit  aller  ihrer  Organe  der  kürzesten  Chloroformnarkose  erliegen  oder 
nach  einer  ganz  normal  verlaufeneu  Narkose  zugrunde  gehen.  Man  erklärt 
dies  damit,  indem  man  annimmt,  diese  Personen  besitzen  so  wenig  Widerstands- 
kraft gegen  die  Chlorofonnwirkung,  daß  sie  derselben  unterliegen.  Lengemann 
hat  Untersuchungen  über  die  zur  Narkose  nötigen  Mengen  von  Cloroform  au- 
gestellt und  auch  dabei  die  große  Verschiedenheit  der  Menschen  gegenüber  der 
Chloroformwirkung  gefunden.  Er  meint,  weder  Technik,  noch  Alkoholismus  noch 
Kachexie,  noch  Geschlecht,  Alter  etc.  vermögen  den  Unterschied  in  der 
Empfindlichkeit  der  Menschen  gegenüber  Chloroform  zu  erklären.  Man  drückt 
dieses  verschiedene  Verhalten  mit  dem  Worte  Disposition  aus. 

Neben  all  diesen  Kontraindikationen,  die  hier  genannt  sind,  wären  noch 
eine  Reihe  weniger  wichtige  zu  erwähnen,  die  nur  dann  eine  strikte  Kontra- 
indikation bilden,  wenn  man  sie  nicht  genügend  beachtet,  wie  Shock,  Angst, 
Nervenleiden  etc.     Diese  Verhältnisse  sind  früher  genauer  erörtert  worden. 

§  4.  Nachdem  ich  glaube,  in  dem  Vorhergehenden  ein  genügend 
gezeichnetes  Bild  der  Chloroform  Wirkung ,  wie  sie  der  Chloroformnarkose 
typisch  ist,  entworfen  zu  haben,  soll  in  den  folgenden  Abschnitten  die  Technik 
und  Methodik  der  Chloroformnarkose  des  genaueren  betrachtet  werden. 

Die  Vorbereitung  des  Kranken  an  den  Tagen  vorher  oder  auch  kurz 
vor  der  Narkose  selbst  ist  im  Allgemeinen  Teil  genau  beschrieben  und  es 
gelten  hier  die  dort  festgelegten  Tatsachen.  Es  soll  hiermit  gleich  mit 
den  yerschiedenen  Methoden  der  Chloroformnarkose  begonnen  werden. 

Die  für  jede  Chloroformnarkose  geeignetste  Lagerung  des  Kranken  ist 
die  horizontale,  mit  dem  Kopfe  etwas  mehr  geneigte  Lage  auf  einem  eigens  für 
die  Operation  konstruierten  Tische.  Man  kann  entweder,  je  nach  der  Art  der 
vorzunehmenden  Operation,  den  Krauken  horizontal  lagern,  und  tut  am  besten, 
den  Kopf  etwas  tiefer  zu  posieren,  so  daß  der  Speichel  aus  dem  Kehlkopf  nach 
dem  Munde  läuft.  Man  erreicht  dies  einmal  dadurch,  daß  man  die  forcierte 
dorsale  Reklination  des  Kopfes  nach  Witzel  anwendet,  wie  sie  im  Allgemeinen 


—     297     — 

Teil  beschrieben  ist,  oder  indein  mau  den  Kupf  über  eine  Rolle  uder  die  vom 
Verf.  angegebene  Vorrichtung  mit  fixierender  Stirnbinde  lagert,  oder  indem 
der  Narkotiseur  den  Kopf  über  das  obere  Ende  des  Tisches  herabhängen  läßt, 
indem  er  ihn  dabei  mit  einer  Hand  stützt.  Eventuell  kann  dies  auch  eine 
Pflegerin  tun.  Bei  dieser  Lagerung  befindet  sich  also  der  Körper  horizontal 
und  nur  der  Kopf  ist  tiefer  gerichtet,  nach  hinten  unten  gebeugt.  Die  andere 
Lagerung  erübrigt  die  dorsale  Kekliuatiou  des  Kopfes,  es  ist  dies  die  Becken- 
hochlagerung. Hierbei  kommt  der  Kopf  sowieso  sehr  viel  tiefer  zu  liegen  als  der 
Körper.  Bei  beiden  Lagerungen  ist  das  Prinzip  in  Hinsicht  auf  die  Narkose  das,  die 
im  Rachen,  Kehlkopf,  Trachea  vermehrt  sezernierten  Schleimmassen  nicht  nach 
der  Lunge,  in  die  Bronchien  fließen  zu  lassen  und  auch  den  Speichel  aus  dem 
Munde  am  Zurückfließen  in  den  Rachen  zu  verhindern,  und  die  Schleimmengen  im 
Munde  zu  sammeln,  wo  sie  vomNarkotiseur  entweder  weggetupft  werden,  oder  von 
wo  sie  bei  der  Witzel  sehen  Lagerung  durch  die  Nase  und  Mundwinkel  nach 
außen  fließen.  Auch  schon  bei  der  horizontalen  Lagerung  mit  tieferliegendem 
Kopfe  kann  man  durch  Seitlichdrehen  des  Kopfes  die  Speichelmassen  aus 
dem  einen  Mundwinkel  in  ein  bereitstehendes  Becken  fließen  lassen. 

Es  werden  durch  diese  Lagerung  Infektionen  der  Lungen  verhindert, 
bei  der  Beckenhochlagerung  fließen  sogar  die  in  den  Bronchien  vermehrt 
abgesonderten  Schleimmeugeu  nach  außen  durch  den  Kehlkopf. 

Durch  die  Witzeische  und  die  Lagerung  auf  der  Vorrichtung  vom 
Verf.  wird  auch  das  Lüften  des  Kiefers  unnötig,  der  Kiefer  und  Zungeugrund 
kann  nicht  nach  hinten  auf  den  Kehlkopf  fallen. 

Es  ist  nötig,  noch  einige  Worte  über  die  Beekenhochlagerung  hier  einzu- 
schalten. Man  hat  derselben  Drucklähmuugen  des  nervus  tibialis  und  Emphysem 
der  Bauchdeckeu  zur  Last  gelegt  (Kraske).  Auch  schwere  Zirkulations- 
störungen, die  nach  der  Narkose  aufgetreten,  sind  als  Folgen  der  Beekenhoch- 
lagerung aufgefaßt  worden  (Kraske,Schautaetc.).Treudelenburg. Rieht  er, 
Dührssen  etc.  haben  durch  diese  Lagerung  Aspiration  von  Mageninhalt 
erlebt,  während  Kümmell  bei  1000  Beckenhochlagerungen  keinen  Nachteil 
gesehen  hat.  Ein  großer  Teil  dieser  Nachteile  läßt  sich  verhindern,  während 
die  Zirkulationsstörungen  nicht  so  ohne  weiteres  zu  verhüten  sind. 

Franz  hat  nun  bei  15  Frauen  dahingehende  Untersuchungen  angestellt. 
Die  Resultate  der  Atmuugsmessungen  waren  folgende:  Es  ergab  sich  bei  allen 
Versuchen  eine  starke  Verminderung  der  abdominalen  Atmung  in  Beckenhoch- 
lagerung, daneben  fand  sich  eine  Erschwerung  der  Exspiration  und  Inspiration. 
Die  thorakale  Atmung  verhielt  sich  etwas  anders.  Hier  konnte  in  Becken- 
hochlagerung bei  den  12  nichtuarkotisierten  Frauen  festgestellt  werden,  daß 
zweimal  die  thorakale  Atmung  flacher  war  als  in  Rückenlage,  daß  sie  dreimal 
ziemlich  gleichblieb,  und  daß  sie  siebenmal  etwas  tiefer  wurde.  Bei  den 
3  chloroformierten  Frauen  zeigte  sich  jedesmal  eine  sehr  starke  Minderung  der 
abdominalen  Atmung,  dagegen  eine  ausgesprochene  Vertiefung  der  thorakalen 
Atmung.  Man  kann  also  sagen,  daß  in  Beckenhochlagerung  die  abdominale 
Atmung  konstant  bedeutend  schwächer  wird,  die  thorakale  sich  gar  nicht  oder 
nur  wenig  kompensatorisch  verstärkt.  In  der  Narkose  scheint  eine  stärkere 
Kompensation  der  abgeschwächten  abdominalen  Atmung  durch  eine  vertiefte 
thorakale  stattzufinden.  Es  steht  fest,  daß  die  Beckenhochlagerung  die 
Ventilation  der  Lunge  in  einer  nicht  geringen  Anzahl  von  Fällen  herabsetzt. 

Werden  die  Personen  aus  der  Hochlagerung  in  die  normale  überführt,  so 
zeigt  sich  bei  den  ersten  Atemzügen  eine  starke  Verminderung  der  abdominalen 
und  thorakalen  Atmung.     Allmählich  bessert  sich  dann  dieser  Zustand  wieder. 


_     298     — 

Die  folgenden  Kurven  geben  ein  deutliches  Bild  der  Einwirkung  der 
Beckenhochlagerung  ohne  und  bei  Chloroformnarkose ,  sowie  den  Unterschied 
gegenüber  der  horizontalen  Lagerung. 

Figur  101. 


Untersuchung  ohne  Narkose  nach  Franz. 
I.  Abdominale  i    »  ,  •     tj-  i      i 

II.  thorakale       /  ^*"""^§"  ^^  Rückenlage, 

III.  abdominale  i    a,  ■     t>     i      u     i  i  «co 

IV.  thorakalel     )  Atmung  m  Beckenhochlage  von  45». 

J  =:  Inspiration.     E  =  Exspiration. 
Figur  102. 


/(f 


(\ 


mm 


Untersuchung  in  Chloroformnarkose  nach  Franz. 
Yv   thorSale^*^    }  ^^^^^^^  ^^  Beckenhochlagerung  von  45". 


Diese  Veränderung  der  Atmung  beim  Lagewechsel  aus  normaler  Lage 
in  Beckenhochlagerung  ist  in  Figur  102  zu  sehen.  Wo  die  Kurve  unregel- 
mäßig sich  gestaltet,  ist  die  horizontale  Lage  mit  der  Beckenhochlagerung 
vertauscht. 


—     299     — 

Es  haben  sich  uuu  nach  den  Beobachtungen  von  Franz  bei  150  Chloro- 
formnarkosen  in  Rückenlage  4  Bronchitiden  =  2,7*^/0,  bei  233  Chloroform narkosen 
in  Beckenhochlagerung  0  Bronchitiden  =  3,0 "/,,  gezeigt.  Ein  bedeutender 
Unterschied  besteht  demnach  niclit  bezüglich  der  Chloroformnarkose.  Anders 
verhält  sich  dies  mit  der  Ätbernarkose.  Hierüber  wird  später  gesprochen 
werden.  .Jedenfalls  besteht  bei  der  Chloroformnarkose  keine  besondere  Schädigung 
der  Kranken  durch  die  Beckenhochlage.  Da  mag  wohl  die  Ursache  für  üble 
Folgen  in  anderen  Verhältnissen  liegen.  Jedenfalls  hat  die  Lage  auf  den 
Organismus  einen  Einfluß,  doch  ist  derselbe  nicht  so  bedeutend  und  schädigend, 
als  daß  er  den  Nutzen,  den  die  Beckenhochlageruug  bringt,  aufheben  könnte. 
Nur  das  muß  beachtet  werden,  der  Wechsel  aus  der  einen  in  die  andere  Lage 
muß  langsam  vor  sich  gehen. 

Die  Arme  des  Kranken  werden  am  besten  entweder  auf  der  Brust 
gekreuzt,  oder  der  eine  seitlich  au  den  Körper  des  Patienten  gelegt,  der 
andere  wird  vom  Narkotiseur  leicht  nach  hinten  oben  gebeugt,  resp.  von  einem 
Pfleger  seitlich  gerade  abgebogen  gehalten.  Mau  hat  zur  Erleichterung  Hand- 
fesseln konstruiert,  welche  die  Hände  über  dem  Kopf  des  Kranken  üxieren 
(von  Holst  etc.). 

Diese  Fesseln  haben  aber  verschiedene  Nachteile.  Einerseits  erschweren 
sie  die  Lösung  der  Arme,  falls  ein  Unfall  entsteht  und  künstliche  Respiration 
vorgenommen  werden  muß.  Es  gehen  dann  sehr  kostbare  Sekunden  mit  dem 
Lösen  der  Hände  verloren.  Im  Eifer  und  der  Angst  gelingt  es  womöglich 
dem  Pfleger  nicht  schnell,  die  Fessel  zu  lösen,  so  kann  viel  Unheil  entstehen. 
Andererseits  prädisponiert  diese  Lagerung  gerade  zur  Drucklähmung  der 
Armnerven  (Roth,  Glitzsch,  Hofmeister,  Steiuthal  etc.).  Wenn  man 
auch  noch  nicht  einig  ist,  wie  die  Drucklähmungeu  des  Plaxus  brachialis  etc. 
Bntstehen,  so  scheint  mir  doch  nach  den  anatomischen  Verhältnissen  gerade 
diese  Lagerung  der  Arme  über  dem  Kopfe  die  gefährlichste  zu  sein.  Man  ist 
in  neuerer  Zeit  auch  allgemein  zu  der  Ansicht  gekommen,  daß  die  genannte 
Lagerung  neben  der  Lagerung  der  Hände  und  Unterarme  über  der  Brust 
gekreuzt  die  besten  Formen  der  Lagerung  sind,  je  nachdem  die  Operation  es 
erfordert,  wählt  man  die  eine  oder  die  andere.  Jedenfalls  vermeidet  man  so 
am  ehesten  die  unangenehmen  Narkoseulähmungeu. 

Puschnig  gibt  den  Rat,  die  Hände  gekreuzt  auf  dem  Brustkorbe  zu 
lagern,  so  daß  jede  Hand  an  den  gegenüberliegenden  Ellenbogen  zu  liegen 
kommt  und  dieselben  in  dieser  Stellung  dadurch  zu  befestigen,  daß  man  das 
Vorderblatt  des  Hemdes  hinaufschlägt  und  ziemlich  straff  über  die  gekreuzten 
Arme  legt  indem  man  es  unter  denselben  feststeckt,  so  daß  die  Innenseite 
des  Hemdes  nach  außen  gekehrt  erscheint.  Die  Hände  sind  so  leicht  zu 
lösen,  und  daß  die  Atmung  nicht  beeinflußt  wird,  beweist  Puschnig  durch 
eine  kleine  Statistik  der  Narkosen  in  Beziehung  auf  die  Apnoen,  die  sich 
während  derselben  ereignet  haben. 

Eine  weitere  Gefahr  für  etwaige  Narkoseulähmungeu  ist  in  dem  Lagern 
der  Beine  gegeben.  Wenn  man  per  Vaginam  oder  im  Rectum  operiert,  legt 
man  meist  die  Beine  über  Beinhalter.  Hierbei  muß  man  ebenfalls  jeden 
scharfen  laugen  Driick  in  der  Kniekehle  vermeiden.  Man  wähle  die  geeigneten 
Beinhalter,  die  den  Fuß  stützen,  oder  lasse  die  Beine  von  zwei  Pflegerinnen 
halten.  Diese  Bemerkungen  sollen  nur  kurz  an  die  Daten  im  Allgemeinen 
Teil  erinnern. 


—     300     — 

Es  ist  in  neuerer  Zeit  ein  Fall  von  Narkosenlähmung  vor  Gericht  wegen 
Anspruch  auf  Entschädigung  behandelt  worden  und  es  sind  dabei  die  ver- 
schiedensten Ansichten  zutage  getieten.  Nach  genauer  Abwägung  aller 
Momente  muß  man  in  dieser  Frage  zur  Freisprechung  aller  Schuld  des  Arztes 
gelangen,  wenn  derselbe  nicht  die  elementarsten  Vorsichtsmaßregeln  außer  acht 
gelassen  hat.  Es  gibt,  wie  oben  bemerkt,  doch  Fälle,  die  man  auf  zerebrale 
Störungen  durch  das  Narkotikum  (Fettmetamorphose  der  (ranglienzellen  und 
HämoiThagien  nach  fettmetamorphosierten  Gehirngefäßen)  zurückführen  kann 
(Bü  ding  er).  Wenn  nicht  dann  ganz  klar  auf  der  Hand  liegt,  daß  die  Lähmung 
durch  Druck  entstanden  ist,  so  ist  die  Ursache  immer  fraglich.  Chloroform 
wirkt  stärker  auf  die  zerebralen  Elemente  als  andere  Narkotika. 

Alle  die  Umstände  verlangen  genaue  Beachtung  von  selten  des  Nar- 
kotiseurs  besonders  auch  deshalb,  weil  die  zahlreichen  Untersuchungen  ergeben 
haben,  daß  sehr  viele  Umstände  und  Momente  beim  Entstehen  der  Narkosen- 
lähmungen mitspielen  (Littauer,  Windscheid,  Braun,  Bardenheuer, 
Gaupp,  van  Hoedenmaker,  Nonne,  Bernhard,  Büdiuger,  Krumm, 
Krön,  Madiener,  Bucht,  Skutsch,  Glitsch  etc.).  Daß  man  aber  auch  noch 
immer  nicht  alle  Fälle  definitiv  erklären  kann,  beweisen  die  Aeußerungen  von 
Littauer,  der  sagt:  „Es  ist  anzunehmen,  daß  in  den  unglückseligen  zu  Nerven- 
schädigungen führenden  Ausnahmefällen  irgendwelche  anatomische  Anomalien 
vorliegen  (Fettarmut,  oberflächliche  Lage  des  Plexus  etc.),"  und  Wind  seh  eids, 
der  sich  lolgendermaßen  äußert:  „Wahrscheinlich  ist  es  nicht  allein  der  auf  die 
Nerveustämme  ausgeübte  Druck,  sondern  es  spielt  auch  die  Zerrung  eine 
gewisse  Rolle.  Ferner  muß  wohl  noch  irgendeine  äußere  Veranlassung  dazu- 
kommen, sonst  wäre  nicht  zu  erklären,  warum  nicht  häufiger  Narkosenlähmungen 
vorkommen."  Deshalb  muß  der  Narkotiseur  jeden  xlnlaß  vermeiden  und  der 
Lagerung  der  Extremitäten  seine  Sorge  wohl  angedeihen  lassen. 

Was  nun  den  Ort  etc.,  wo  die  Narkose  stattfinden  soll,  anlangt,  so  gelten 
die  im  Allgemeinen  Teil  aufgestellten  Thesen. 

Bei  der  t'hloroformnarkose  hat  mau  noch  zu  bedenken,  daß  offene  Flammen 
im  Zimmer  leicht  Zersetzungen  des  Chloroforms  hervorrufen,  die  schwere 
Lungenschädigungen  bedingen.  Deshalb  wähle  man  Zentralheizung  und  Glüh- 
lampen oder  Nernstlicht,  sowie  gute  Ventilation  (Zweifel,  Ramsay, 
Schumburg,  Rudolf  etc.). 

Der  Operationstisch  wird  eventuell  zu  heizen  sein.  Es  geschieht  dies 
sehr  leicht  durch  Glühlampen,  die  unter  der  Platte  angebracht  sind,  so  daß 
über  der  Birne  eine  runde  Öffnung  in  der  Platte  sich  befindet,  durch  welche 
die  Wärme  au  den  Kranken  gelangt.  Diese  Modifikation  ist  anderen  vorzu- 
ziehen, da  eine  Verbrennung  des  Kranken  ausgeschlossen  ist. 

Nachdem  allen  Anforderungen,  wie  sie  für  jede  Narkose  erfüllt  werden 
müssen,  gerecht  geworden  ist,  wird  die  Narkose  begonnen. 

Die  Methoden  des  Ghloroformierens  sind  verschiedener  Art,  und  lassen 
sich  hauptsächlich  in  zwei  große  Gruppen  scheiden,  die  einen,  in  denen  dem 
Kranken  das  Chloroform  direkt  in  Form  von  Tropfen  oder  flüssigen  Mengen 
auf  einer  Maske  gereicht  wird,  und  die  andern,  in  denen  in  einem  Apparat  die 
Dämpfe  des  Chloroforms  mit  Luft  in  einem  bestimmten  Verhältnis  gemischt 
werden  und  dieses  Luft-Chloroformdampfgemisch  dem  Patienten  zugeführt  wird. 

Bei  der  Chloroforinnarkose  gilt  es  vor  allem  zu  bedenken,  eine  Methode 
zu  wählen,  welche  dem  Kranken  die  denkbar  geringste  Gefahr  quo  ad  vitam 
et  valitudinem  bietet  und  dabei  dem  Arzte  auch  die  Handhabung  der  Narkose 
so  viel  als  möglich  erleichtert.  Die  Gefahr  für  den  Kranken  liegt  nun  meistens 
in  der  Überschwemmung  mit  Chloroform,  in  der  Verabreichung  zu  großer 
Dosen.      Es    geht   aus    den    früher   geschilderten   Befunden  an   Herz,    Leber, 


—     301     — 

Niere.  Gehirn  der  au  Chloroformwirkung  verstorbenen  Menschen  und  Tiere 
mit  Evidenz  hervor,  daß  große  Dosen  des  Chloroforms,  auf  einmal  in  den 
Organismus  gelangt,  schwere  Schädigungen  hervorrufen  und  daß  das  Chloro- 
form ein  Gift  ist,  dessen  Eigenschaften  so  überaus  verschieden  und  abhängig 
sind  von  so  vielen  Nebenumständen  in  ihrer  Einwirkung  auf  den  Organismus, 
daß  man  die  größte  Vorsicht  in  der  Verabreichung  obwalten  lassen  muß.  Eine 
sehr  üble  Eigenschaft  des  Chloroforms  liegt  auch  noch  darin,  daß  es  kumu- 
lierend wirkt,  worin  die  Forderung  feinster  Dosierung  gegeben  ist.  Die 
kumulierende  Wirkung  ist  die  Folge  der  schwereren  Löslichkeit  im  Blut- 
plasma und  somit  auch  der  weniger  schnellen  Abgabe  des  Chloroforms  von 
selten  des  Protoplasmas  der  Zellen  des  Zellsaftes,  und  endlich  des  Blutes. 

Die  erste  Methode  der  Chloroformnarkose,  wie  sie  von  Simpson  etc. 
augewendet  wurde,  bestand  darin,  daß  man  auf  eine  Maske  oder  auf  eine 
zusammengefaltete  Kompresse  Chloroform  aufgoß  und  diese  mit  Chloroform 
getränkte  Maske  etc.  dem  Kranken  vor  Mund  und  Nase  hielt  unter  möglichstem 
Abschluß  von  Luft,  Man  glaubte  damals,  je  dichter  man  die  atmosphärische 
Luft  vom  Kranken  fernhielt,  um  so  schneller  und  tiefer  würde  derselbe  narko- 
tisiert. So  verwandte  man  die  Skinnersche,  Esmarchsche  und  andere 
Masken  zur  Narkose,  welche  Masken  aus  einem  ürahtgestell  bestanden,  über 
welches  ein  Trikotüberzug  gespannt  war.  Man  legte  die  Maske  auf  das 
Gesicht  des  Kranken  und  goß  von  außen  Chloroform  auf  den  Überzug.  Durch 
die  Atmung  des  Kranken  wurde  Luft  durch  den  Trikotüberzug  gesaugt,  der 
das  verdunstende  Chloroform  sich  beimischte.  Es  entstand  somit  unter  der 
Maske  zunächst  ein  Gemisch  aus  atmosphärischer  Luft  und  Chloroformdämpfen. 
Beim  weiteren  Atmen  des  Kranken  gelangte  aber  auch  die  Exspirationsluft, 
die  reich  an  Kohlensäure  ist,  mit  unter  die  Maske  und  so  bildete  sich  nach 
wenigen  Minuten,  wenn  die  Maske  der  Vorschrift  entsprechend  nicht  auf- 
genommen wurde,  unter  derselben  ein  Gasgemisch,  das  hauptsächlich  ans 
Chloroformdampf  und  Kohlensäure,  sowie  Stickstoff  und  Wasserdampf  bestand, 
während  Sauerstoff'  nur  sehr  wenig  dabei  war,  da  ja  die  Exspirationsluft  immer 
wieder  aus- und  eingeatmet  und  so  immer  ärmer  an  Sauerstoff  wurde,  während 
vom  Überzug  der  Maske  nur  immer  neue  Chloroformdämpfe  entstanden. 
Natürlich  kann  durch  den  porösen  Überzug  der  Maske  Luft  hindurch  treten, 
doch  diese  Menge  von  Sauerstoff  wird  sehr  gering  sein,  da  ja  dieser  Überzug 
mit  Chloroform  getränkt  ist.  Es  ist  also  zweifellos,  daß  die  Geraische  von 
Dämpfen  und  Gasen  unter  der  Maske  bei  dieser  Methode  sehr  viel  Chloroform, 
Kohlensäure  und  wenig  Sauerstoff'  aufweisen.  Der  Kranke  atmet  neben  deu 
Chloroformdämpfen  wieder  die  exspirierte  Kohlensäure  ein,  und  steht  so  unter 
Chloroform-Kohlensäurenarkose.  Im  Blut  bildet  sich  Sauerstoffinangel  und 
Kohlensäurereichtum.     Dies  zeigt  sich  äußerlich  durch  Cynose  im  Gesicht  an. 

Die  Verhältnisse  der  Gasgemische,  welche  unter  der  Esmarchschen 
Maske  während  der  Chloroformnarkose  herrschen,  sind  von  Witte  des 
genaueren  studiert  worden.  Er  stellte  vohimetrische  Messungen  der  unter 
einer  Esmarchschen  Maske  während  der  Chloroformuarkose  befindlichen 
Luft  an  und  verglich  die  gewonnenen  Zahlen  seiner  34  Versuche  mit  den 
Zahlen,  welche  Paul  Bert  bei  der  Aufstellung  seiner  dose  mortelle,  anaesthesique 
et  mauiable  gewonnen  hatte.  Bei  der  Umrechnung  der  nach  Gewichtsmengen 
angegebenen  Konzentrationen  (dose  mortelle  ist  gleich  dem  Verhältnis  von 
20,0  g  Chloroform   zu   100  1  atmosphärischer  Luft,    die   dose  anaesthesique  ist 


—     302     — 

gleich  dem  Verhältnis  von  10,0  g  Chloroform  zu  100  1  Luft)  in  Volumprozente 
ergab  sich  für  die  dose  mortelle  1,87 7o,  für  die  dose  anaesthesique  3,74 %• 
Eine  nach  drei  Minuten  tötende  Konzentration  war  30  g  Chloroform  auf 
100  1  Luft,  das  einem  Volumprozent  von  5,61^0  entspricht.  Die  Gasgemenge 
unter  der  Esmarchschen  Maske  entsprachen  nun  meist  der  dose  anaesthesique 
bei  einer  vorsichtigen,  tropfenweis  verabreichenden  Methode,  nur  selten  näherten 
sich  die  Werte  der  dose  mortelle.  Gab  mau  aber  versuchsweise  größere  Mengen 
Chloroform  auf  die  Maske,  so  erreichte  das  Gasgemenge  sofort  einen  Prozent- 
gehalt von  6,63  7o,  was  also  die  in  drei  Minuten  tötende  Konzentration  (5,61  7o) 
bedeutend  überstieg. 

Dies  ist  also  ein  Beweis,  daß  man  durch  Aufgießen  von  Chloroform  in 
Strömen  auf  die  Maske  so  hohe  Konzentrationen  des  Chloroformdampfluft- 
gemisches  unter  der  Maske  erreicht,  daß  ein  Mensch  bei  unausgesetzter  In- 
spiration binnen  wenigen  Minuten  zugrunde  gehen  muß.  Durch  Analysen  der 
Luftchloroformdampfgemische  hat  man  dann  auch  den  hohen  Gehalt  an 
Kohlensäure  und  den  geringen  Sauerstoifgehalt  gefunden.  Es  ist  leicht  ver- 
ständlich, daß  diese  beiden  Umstände  eine  große  Gefahr  für  den  Narkoti- 
sierten bilden.  Man  ist  daher  aucli  von  jener  alten  Methode,  der  Verab- 
reichung in  Güssen,  abgekommen  und  hat  den  Grundsatz  für  eine  gutgeleitete 
Narkose  aufgestellt,  das  Narkotikum  nur  in  kleinen  Mengen,  gleichmäßig 
dosiert,  zu  verabreichen. 

Durch  die  Versuche  von  Paul  Bert,  Overton,  Meyer  u.  a.  ist  nach- 
gewiesen, daß  eine  Konzentration  von  8,0  g  Chloroform  auf  100  1  Luft  gemischt 
in  Gasgemengen  gerade  genügend  ist,  um  eine  vollständige  Narkose  zu  erzeugen. 
Wenn  dem  Kranken  ein  Gasgemisch  dieser  Konzentration  oder  wie  oben 
bemerkt  von  ca.  1,87 "/o  Chloroformgehalt  in  die  Lungen  gebracht  wird,  so 
wird  im  Blute  sehr  bald  eine  gleiche  Konzentration  der  Chloroformdämpfe 
sich  zu  bilden  suchen  und  wenn  diese  Konzentration  im  Blutplasma  erreicht 
ist,  wird  tiefe  Narkose  eintreten.  Es  liegt  demnach  daran,  dem  Kranken  immer 
ein  Luftchloroformgemisch  von  1,87%  oder  8 — 10  g  pro  100  1  Luft  zuzuführen. 
Die  zahlreichen  Versuche  haben  nun  ergeben,  daß  man  diese  immer  gleich 
konzentrierten  Chloroformluftgemische  auf  verschiedene  Arten  erreichen  kann. 
Als  einfachste  Methode  hat  sich  die  Tropfmethode  bewährt  (Witzel  etc.). 
Man  hat  nämlich  gefunden,  daß  unter  einer  Esmarchschen  Maske,  wenn 
man  immer  nur  tropfeuweis  Chloroform  auf  tropfen  läßt,  ungefähr  40 — 60  Tropfen 
in  der  Minute,  ein  Gasgemisch  der  gewünschten  Konzentration  entsteht,  welches 
immer  ungefähr  gleichbleibt,  wenn  man  die  Tropfen  in  der  gleichen  Weise 
auffallen  läßt.  Sobald  man  aber  in  Strömen  Chloroform  aufgießt,  wird  eine 
viel  zu  hohe  Konzentration  erreicht. 

Die  Tropfmethode  hat  ihren  eigentlichen  Meister  in  Witzel, 
wenigstens  ist  von  Witzel  zuerst  eine  systematische  Methode  in  Form  der 
sog.  Tropfmethode  angegeben  und  wissenschaftlich  begründet  und  ausgebaut 
worden.  Es  ist  dies  ein  nicht  zu  unterschätzendes  Verdienst,  denn  wenn  man 
bedenkt,  welche  enorme  toxische  Einwirkung  das  Chloroform  auf  alle  inneren 
parenchymatösen  Organe  des  tierischen  Körpers  hat,  und  besonders  noch 
gesteigert  in  etwaigen  krankhaften  Zuständen  etc.  haben  kann,  wird  man 
abwägen  können,  was  es  bedeutet,  eine  möglichst  gefahrlose  und  doch  überall 
und  unter  allen  Umständen  anwendbare  Methode  der  Chloroformierung  zu  haben. 
Und  daß  die  Tropfmethode  das  leistet,  was  man  von  einer  guten  Narkosen- 
methode  fordert,    das  hat    die  Erfahrung    hinreichend    bewiesen    und    gezeigt. 


—     303     — 

Es  hat  sich  diese  Methode ,  die  im  Anfang  nur  für  die  f'hloroforinnarkose 
angegeben  worden  war,  auch  als  überaus  geeignet  für  alle  anderen  zu  längeren 
Narkosen  zu  verwendenden  Narkotika  erwiesen  und  ist  deshalb  als  beste  Methode 
für  jede  Narkose  schon  im  Allgemeinen  Teil  genau  erörtert  worden.  Somit  ist 
es  hier  nicht  nötig,  die  Technik  genau  zu  wiederholen.  Tch  will  nur  bemerken, 
daß  man  auch  in  der  Tropfmethode  imstande  ist,  in  jedem  Moment  die  Kon- 
zentration der  Chloroformdampfluftgemische  in  ihrer  Konzentration  zu  ändern. 
Dies  ist  ja  natürlich  unbedingt  nötig,  denn  man  wird  bei  dem  Beginn  der 
Narkose  höhere  Konzentrationen  brauchen,  als  im  Stadium  der  Toleranz. 
Natürlich  soll  man  auch  im  Anfang  nur  langsam  den  Kranken  in  die  Betäubung 
einschleichen,  er  soll  nicht  mit  Gewalt  narkotisiert  werden,  sondern  soll 
langsam  einschlafen,  als  würde  ein  ruhiger  Schlaf  ihn  in  seine  Träume  ein- 
wiegen. Deshalb  soll  man  im  Anfang  dem  Kranken  noch  reichlich  Luft  neben 
der  Maske  zuströmen  lassen. 

Es  gilt  dies  für  alle  Methoden,  daß  im  Beginn  der  Narkose  der  Kranke 
nicht  sofort  die  höchste  Konzentration  8:100  1  Luft  erhalten  soll,  denn  diese 
hohe  Konzentration  würde  ihm  das  Atmen  erschweren,  es  würden  Reize  aus- 
geübt werden,  die  schwere  Folgen  haben  könnten  (Reflexsynkope).  Es  ist 
also  die  Hauptforderung,  daß  der  Kranke  erst  einige  Atemzüge  unter  der 
Maske  tut,  ohne  Chloroform  zu  erhalten,  er  atmet  ijuasi  Probe.  Dies  hat  den 
Zweck,  den  Kranken  zu  beruhigen  und  an  das  Atmen  unter  der  Maske  zu 
gewöhnen,  damit  er  sieht,  er  kann  auch  iinter  der  Maske  Luft  in  genügenden 
Mengen  erhalten.  Nach  einigen  Atemzügen  läßt  man  langsam  einige  Tropfen 
Chloroform  in  Zwischenräumen  von  je  3 — 4  Sekunden  auffallen.  Atmet  der 
Kranke  ungestört  weiter,  so  läßt  man  die  Tropfen  immer  öfter  fallen. 

Es  muß  natürlich  noch  so  manches  nebenbei  beachtet  werden,  der 
Kranke  muß  vorbereitet  sein,  es  muß  Ruhe  im  Zimmer  herrschen  etc.,  alles  das 
muß  erfüllt  sein,  was  im  Allgemeinen  Teil  des  genaueren  augeführt  und 
aufgezählt    ist.      Nur  dann  kann  man  eine  gute  und  ruhige  Narkose  erhalten. 

Man  wird  nun  auch  bei  der  Tropfmethode  den  Kranken  von  200  zurück- 
zählen lassen  (Lengemann).  Früher  ließ  man  von  1  an  zählen,  doch  das 
Abwärtszählen  läßt  den  Kranken  mehr  denken,  er  wird  im  Geist  von  der 
Operation  abgelenkt,  wird  ruhiger  und  der  Narkotiseur  bemerkt  am  ehesten, 
wenn  der  Kranke  in  das  Stadium  II  übergeht,  denn  die  ersten  Trübungen 
der  Assoziationen  zeigen  sich  hierbei  im  falschen  Zählen.  Der  Kranke  macht 
Fehler,  überschlägt  Zahlen,  sagt  einzelne  doppelt,  immer  noch  merkt  man  aber 
das  Bemühen,  abwärts  zu  zählen,  bis  er  endlich  aufhört.  Das  Bewußtsein  ist 
dann  erloschen.  Allerdings  kann  es  sich  ereignen,  daß  der  Arzt  froh  sein 
wird,  wenn  die  Kranken  von  1  an  zählen  können  (Kinder,  wenig  intelligente 
Personen).     Dann  soll  man  sie  nach  ihrer  gewohnten  Weise  zählen  lassen. 

Es  hängt  sehr  viel  davon  ab,  daß  der  Anfang  der  Narkose  nach  den 
Vorschriften  eingeleitet  ist,  denn  danach  richtet  sich  der  ganze  weitere 
Verlauf.  Man  hat  beobachtet,  daß  die  ganze  weitere  Narkose  unruhig,  von 
Unfällen,  Erbrechen,  starker  Excitation  gestört  war,  wenn  der  Kranke  hei  den 
ersten  Atemzügen  zu  hochkonzentrierte  Chloroformluftgemenge  erhielt,  so  daß 
er  sofort  die  Atmung  anhielt  und  so  nicht  respirieren  zu  können  angab ,  die 
Maske  vom  Gesicht  entfernen  wollte,    sich  sträubte  etc.     Dadurch    kommt    es 


—     304     — 

zu  einem  wahren  Kampf  zwischen  Patient  und  Arzt  resp.  Personal,  und  der 
Kranke  verliert  das  Vertrauen  und  die  Ruhe.  Wer  öfter  Narkosen  geleitet 
hat,  wird  wissen,  daß  sich  nun  in  den  Träumen  des  Kranken  während  der 
nächsten  Minuten  immer  diese  Szenen  weiter  fortspielen,  der  Kranke  träumt 
dadurch  aufgeregt  und  selbst  im  Stadium  der  Toleranz  treten  Störungen  auf, 
weil  der  Kranke  sofort  unruhig  wird,  wenn  er  einmal  dem  Erwachen  nahe 
kommt.  Es  ist  also  jeder  die  psychische  Piuhe  des  Krauken  störende  Einfluß 
und  umstand  fernzuhalten.  Alle  die  für  die  Chloroformnarkose  sonst  erforder- 
lichen Verhältnisse  der  Umgebung  etc.  erfordern  dieselben  Maßnahmen,  wie 
jede  andere  Narkose  auch,  und  es  sind  daher  die  Angaben  des  Allgemeinen 
Teiles  zu  berücksichtigen. 

Das  Lastrumentarium  für  die  Tropfmethode  besteht  in  einer  Maske,  wie 
sie  von  Esmarch,  Skinner  etc.  angegeben  ist.  Die  Hauptbedingung  hei 
den  Masken  ist  die,  daß  sie  mit  durchlässigem  Stoff'  überspannt  sind,  mit  Trikot 
und  nicht  mit  Billrothbattist.  Mau  tropft  ja  bei  der  Tropfmethode  das  Chloro- 
form auf  die  Außenseite  der  Maske,  dann  verteilt  sich  das  Chloroform  in  dem 
Trikotstoff,  und  die  durch  die  Atmung  in  Bewegung  gesetzte  Luft  streicht 
durch  den  Trikotstoff,  indem  sie  den  verdunstenden  Chloroformmengen  sich 
beimischt.  Dies  ist  das  Prinzip  der  Methode,  daß  der  Kranke  von  überallher 
durch  die  Maske  Luft  erhalten  kann. 

Die  Maske  ist  nun  nicht  unbedingt  notwendig  für  eine  Chloroformnarkose, 
man  wird  sich  auch  mit  einer  Kompresse  begnügen  können,  die  man  dem 
Kranken,  mit  Chloroform  getränkt,  vor  Mund  und  Nase  halten  kann.  Auch 
auf  diese  Art  ist  Narkose  auszuführen  und  diese  Methode  ist  bei  kleinen 
Kindern  sogar  besser  und  praktischer  als  die  Verwendung  einer  Maske.  Wenn 
man  Kinder  von  2 — 4  Jahreu  chloroformieren  will,  sei  es  nun  lange  oder  nur 
vorübergehend,  so  bedient  man  sich  am  besten  eines  Handtuches  oder  einer 
dünnen  Kompresse,  die  mau  in  einer  Lage  über  das  Gesicht  legt.  Auf  die  Gegend 
der  Nase  tropft  man  einen  Tropfen  Chloroform  auf.  Je  nach  Bedarf  wiederholt 
man  dies,  und  das  Kind  wird  sehr  bald  einschlafen.  Da  Kinder  schon  von 
ganz  geringen  Mengen  betäubt  werden,  so  muß  man  mit  Chloroform  sehr 
vorsichtig  sein  und  der  leichte  Luftzutritt  bei  dieser  Methode  verhindert  eine 
Intoxikation  mit  Apnoe  oder  Sj^nkope,  die  bei  Kindern  schneller  und  schwerer 
auftreten  als  bei  erwachsenen  Personen.  Kappeier  empfiehlt  ein  Tuch 
tütenförmig  zusammenzurollen,  so  daß  ein  Kegelmantel  entsteht,  dessen  weite 
runde  Basis  auf  das  Gesicht  aufgehalten  wird  und  durch  dessen  Spitze  Luft 
und  Chloroform  Zutritt  erlangt,  nebenbei  kann  auch  durch  den  Mautel  selbst 
Luft  zutreten.  Diese  einfachen  Methoden  will  ich  hier  erwähnen,  da  sie  noch 
immer  Verwendung  finden  können,  wenn  der  Arzt  in  Verhältnisse  kommt,  wo 
er  keine  Maske  zur  Hand  hat.  Bei  Gelegenheiten  in  fernen  Ortschaften  auf  dem 
Lande  kann  er  dann  doch  chloroformieren,  wenn  er  auch  die  Maske  gerade 
nicht  bei  der  Hand  hat,  sofern  er  Chloroform  bei  sich  führt,  oder  aus  der 
Apotheke  holen  lassen  kann.  Einzig  in  solchen  Verhältnissen  wird  man  zu 
solchen  einfachen  Mitteln  greifen,  und  es  ist  dann  immerhin  gut,  wenn  man 
sich  zu  helfen  weiß. 

Wenn  man  nun  auch  in  der  Esmarch  sehen  Maske  eine  für  die 
Chloroform tropfnarkose  vollkommen  genügende  Maske  besaß,  so  wurden 
doch  im  Laufe  der  Zeit  eine  Anzahl  neuer  Masken  konstruiert,  die  im  Grunde 
von  der  Esmarchschen  ausgingen  und  das  Prinzip  behielten,  nur  hier  und 
da  Besserungen  und  Veränderungen  der  Konstruktion  zeigten; 

Die  Skiunersche  Maske  ist  der  Esmarchschen  vollkommen  gleich 
bezüglich  der  Funktion,  nur  ist  sie  etwas  anders  geformt.  Man  findet  die 
beiden  Masken  in  nachstehenden  Abbildungen  in  Figur  103  und  101  aufgeführt. 


:j()5 


Fl'j-m  lo;;. 


Fiöur  104. 


Ohloroluniiuiaske  nach  Skiinier. 


(.'lilüi'ofonnmaske 
nach  V.  Esmarcb. 


Schimmelbusch  hat  eine  Veränderung-  insofern  angegeben,  als  er  eine 
zerlegbare  Maske  konstruierte,  die  man  besser  mit  sich  über  Land  führen  kann, 
man  findet  sie  in  Figur  105  und  106  abgebildet. 

Fiffur  105. 


Chloroformmaske 

nach  Schimmelbusch  mit 

seitlichem  Halter. 


Chloroformmaske 
nach  Schimmelbuscb  mit  Stirnhalter. 


Es  besteht  bei  allen  diesen  Masken  ein  kleiner  Uebelstand,  der  nur  dann 
als  solcher  bemerkbar  wird,  wenn  mau  recht  viel  Chloroform  auf  die  Maske 
tropfen  muß,  und  der  namentlich  früher  sehr  unangenehm  fühlbar  wurde,  als 
man  noch  in  Strömen  Chloroform  aufgoß,  nämlich  der,  daß  das  Chloroform 
vom  Stoff  der  Maske  herunter  auf  die  Gesichtshaut  floß  und  daselbst  die 
Haut  infolge  der  Kältewirkung  schädigte.  Kirchhoff  hat  diesem  Uebel- 
stande  abgeholfen,  indem  er  um  die  Maske,  da  wo  sie  auf  dem  Gesicht  aufliegt, 
eine  l'etallrinne  anbrachte,  in  der  sich  das  abfließende  Chloroform  sammeln 
sollte.  Diese  Maske  besitzt  für  uns  keinen  Torteil,  da  jetzt  ein  Abfließen 
von  Chloroform  bei  der  Tropfmethode  nicht  vorkommen,  und  die  alte 
Methode,  in  Güssen  zu  chloroformieren,  nicht  mehr  angewendet  werden  darf. 
Eine  Maske,  welche  mit  ihrem  Trikot  nicht  auf  das  Gesicht  reicht,  sondern 
unten  einen  freien  Kaum  läßt,  wodurch  erstens  Herabfließen  von  Chloroform 
verhindert,  zweitens  eiu  erleichterter  Luftzutritt  geschaffen  wird,  ist  von 
Girard,  und  eine  nach  derselben  Methode,  welche  noch  zwei  Ringe  zu  ihren 
beiden  Seiten  besitzt,  in  denen  eiu  Finger  der  das  Gesicht  resp.  den  Kiefer 
haltenden  Hände  einfassen  und  die  Maske  halten  kann,  ist  von  Kocher 
konstruiert  worden.  Vajnas  gab  eine  Maske  aus  Glas  an.  Dieselbe  besteht 
aus  einem  ovalen  Glaszylinder ,  der  nach  der  Gesichtsform  an  der  Basis 
ausgeschnitten,  an  der  anderen  der  Basis  gegenüberliegenden  Fläche  gerade 
abgetrennt  ist,  worüber  ein  Trikotstoff  gespannt  wird,  auf  den  mau  das 
Chloroform  auftropft.  Die  Maske  hat  den  Vorzug,  daß  man  das  Gesicht 
betrachten  kann.      Allerdings  ist  auch  dies  nicht  leicht  und  meist  unmöglich, 

20 


—     306     — 

da  sich  das  Glas  innen  mit  Wasserdampf  beschlägt.  Der  Nachteil  der  Maske 
ist  der,  daß  sie  leicht  zerschlagen  werden  kann.  Ferner  hat  man  Masken 
konstruiert,  welche  durch  ein  Band  an  der  Stirn  des  Kranken  befestigt  werden, 
somit  auf  dem  Gesicht  fixiert  sind,  der  Arzt  kann  dieselben  beiseite  schieben, 
braucht  sie  aber  nicht  zuhalten  (Stobwasser).  Cheatle  hat  einen  Apparat 
konstruiert,  der  aus  einem  Fischbeinstab  und  einem  Griff  mit  Schrauben- 
vorrichtung besteht.  Der  Fischbeinstab  wird  gebogen  und  beide  Enden  in  den 
Griff  geschoben  und  über  die  Fischbeinbiegung  irgendein  Stoff  gespannt,  so  daß 
man  sich  schnell  eine  Maske  bereiten  kann.  Ein  Bügel  aus  Fischbein  hält  den 
Stoff  gehoben.  Ich  habe  hier  eine  Eeihe  solcher  verschiedenen  Masken  kurz 
angeführt,  es  gibt  noch  eine  große  Menge  andere,  welche  hier  anzuführen  zu 
weitschweifig  wäre,  denn  die  Esmarchsche  und  Skinnersche  Maske  sind 
für  die  Tropfmethode  yollkommen  genügend  und  am  praktischsten. 

Es  ist  jetzt  die  Tropfmethode  diejenige  Art  der  Chloroformierung,  welche 
am  meisten  angewendet  wird  und  wegen  des  geringen  und  kleinen  Apparates, 
den  der  Arzt  nötig  hat,  in  allen  Lagen  und  Verhältnissen  anzuwenden  ist.  In 
Kliniken  und  Krankenhäusern  kann  man  sich  umständlichere  Apparate  leisten, 
allein  der  praktische  Arzt  müßte  immer  einen  kleinen  Möbelwagen  mit  sich 
führen,  wenn  er  solche  komplizierte,  allerdings  auch  sehr  gut  funktionierende 
Apparate  verwenden  wollte.  Es  wird  eben  so  lange  als  der  Arzt  äußere  Praxis 
treibt,  solange  nicht  alle  Patienten  ins  Krankenhaus  gehen,  oder  in  jedem  kleinen 
Neste  ein  Krankenhaus  besteht,  was  ja  bei  der  Sucht  in  neuerer  Zeit,  überall 
Krankenhäuser  zu  errichten  und  der  Überfüllung  des  ärztlichen  Standes  vielleicht 
einstmals  möglich  sein  wird,  immer  die  Tropfmethode  die  Methode  der  Praxis 
sein.     Deshalb  habe  ich  dieselbe  auch  zuerst  betrachtet  uiTd  erörtet. 

Bei  dem  Bemühen,  eine  möglichst  bestimmte  Konzentration  der  Chloro- 
formluftgemische in  jeder  Sekunde  variabel  durch  einen  Apparat  zu  erreichen, 
hat  man  eine  Reihe  von  komplizierten  Apparaten  konstruiert.  Der  erste,  der 
einen  derartigen  Apparat  baute,  war  Junker.  Dieser  Junkersche  Chloro- 
formapparat, wie  ihn  Figur  107  zeigt,  besteht  aus  einem  Fläschchen,  in  welches 
das  Chloroform  geschüttet  wird  und  in  dessen  Verschluß  zwei  Öffnungen  mit 
Rohren  angebracht  sind.  Das  eine  Rohr  führt  bis  auf  den  Boden  des 
Fläschchens,  das  andere  ist  kurz  unter  dem  Verschluß  abgeschnitten. 

Fig.  107. 


Chloroformapparat  nach  Junker. 


—     307     — 


An  das  auf  den  Boden  reichende  Kohr  wird  ein  Gebläse  angesetzt  und  an 
das  andere  Rohr  ein  Gummischlauch  der  nach  einer  Metallmaske  führt,  die 
luftdicht  auf  das  Gesicht  paßt  und  an  welcher  noch  ein  Ventil  für  den  Eintritt 
von  Luft  und  ein  solches  für  den  Austritt  der  Exspirationsluft  sich  befindet. 
Es  wird  durch  das  Gebläse  Luft  durch  das  in  dem  Fläschchen  befindliche 
Chloroform  getrieben,  welche  sich  mit  ChJoroformdämpfen  sättigt  und  nach  der 
Maske  gelangt.  Wenn  man  nun  das  Luftventil  der  Maske  schließt,  so  atmet 
der  Kranke  nur  die  ihm  durch  den  Blasebalg  zugetriebene  Luft  mit  Chloro- 
form. Je  nach  der  Geschwindigkeit,  mit  der  man  die  Luft  durch  den  Apparat 
treibt,  richtet  sich  die  Menge  des  Chloroforms,  die  der  Kranke  atmet.  Öffnet 
man  das  Luftrentil  der  Maske,  so  atmet  der  Kranke  noch  mehr  Luft,  und 
setzt  man  den  Blasebalg  nicht  in  Bewegung,  so  atmet  der  Kranke  reine  Luft. 
Dies  ist  der  ursprüngliche  Junkersche  Apparat  und  dessen  Prinzip. 

Es  sind  nun  eine  Reihe  von  Modifikationen  dieses  Apparates  geschaffen 
worden.     Friedrich  hat  denselben  verbessert. 


Einen  ähnlichen  Apparat  hat  Kapp eler  konstruiert, 
nur  besitzt  derselbe  einen  wesentlichen  Unterschied,  der 
darin  gelegen  ist,  daß  das  in  das  Chloroformgefäß  vom 
Gebläse  aus  führende  Rohr  nicht  bis  auf  den  Boden  des 
Gefäßes  reicht,  sondern  nur  so  tief,  daß  es  1  mm  über  der 
Chloroformfläche  endet,  wenn  50  ccm  Chloroform  in  die 
Flasche  geschüttet  sind.  Die  übrige  Bauart  ist  dieselbe 
wie  der  Junkersche  Apparat.  Es  ist  nun  sehr  wesentlich, 
daß  das  zuführende  Rohr  nie  in  das  Chloroform  taucht. 
Bei  der  Funktion  des  Junkers  eben  Apparates  werden  leicht 
durch  den  durch  das  Chloroform  getriebenen  Luftstrom  f" 
feine  Chloroformtropfen  mit  fortgerissen  und  gelangen  in 
der  Luft  in  die  Lungen  etc.  des  Kranken.  Jedenfalls  wird 
beim  Junkerschen  Apparat  sehr  leicht  eine  überaus  hohe 
Konzentration  erreicht,  was  beim  Kappelerschen  System 
vermieden  wird.  Das  Gefäß  beim  Kappelerschen 
Apparat  enthält  eine  Skala  von  5 — .^0,  die  die  Chloroform- 
menge angibt.  Neben  dieser  Skala  sind  noch  2  andere, 
wie  aus  Figur  108  ersichtlich. 

Das  Doppelgebläse  des  Kappelerschen  Apparates 
muß  entsprechend  den  beiden  Skalen  E  und  F,  welche  die 
Chloroformverdunstuug  angeben,  einen  Rauminhalt  von 
110  ccm  haben.  Die  drei  Skalen  sind  der  besseren  Unter- 
scheidung halber  im  Apparat  rot,  weiß  und  blau  gefärbt. 
Wenn  mau  das  Gebläse  des  Apparates  30  mal  in  der 
Minute  funktionieren  läßt,  so  wird  ein  genau  bestimmtes 
Chloroformdampfluftgemisch  erzeugt,  dessen  Konzentration 
auf  den  Skalen  abgelesen  werden  kann  und  zwar  gibt  die 
Skala  D  den  Chloroforminhalt  des  Gefäßes  in  Kubik- 
zentimetern an.  Die  Skalen  E  und  F  zeigen  Gehalt  des 
Chluroformdampfluftgemisches  an  Chloroform  auf  100  1 
Luft  in  Grammen  an.  Auf  der  Skala  E  liest  man  die 
Konzentration  des  eingeatmeten  Luftcbloroformdampf- 
gemisches  auf  100  1  Luft  in  Grammen  ab,  wenn  von 
50  ccm    an   weiter   verdunstet   wird.      Hat  man  das  Glas 


Figur  108. 


11^ 


ä? 


SO,i— i''*.«! 

1—1—17,^ 
P 


S.S 


6.8-35 


^■30 


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10 


■S- 


■ü_l 


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mit  50  ccm    Chloroform    gefüllt    und    ohne    Unterbrechung 


Die  drei  Skalen  in 


die  Narkose  durch  stetiges  Bewegen  des  Gebläses  bis  auf     Kannelerschen 
eine   Chloroformmenge  von   25  ccm  im  Glas  weitergeführt,  Annarates 

so   erhält  der  Patient  bei  50  ccm  Füllung  mit  Chloroform  ^^ 

ein   Chloroformdampfluftgemisch  von   14,8  g  Chloroform   auf  ICO  1  Luft.     Hat 
man  aber  beim  Weiterchloroformieren  eine  Chloroformhöhe  von  45  ccm  erreicht, 

20* 


—     308     — 

so  erhält  der  Kranke  jetzt  ein  Grasgeniiscli  von  7,5  g  Chloroform  auf  100  1 
Luft.  So  ändert  sich  die  Konzentration  des  Gasgemisches  mit  dem  Sinken 
des  Niveaus  des  Chloroforms  in  der  Flasche  und  wenn  ein  Niveau  von  25  ccm 
Chloroform  erreicht  ist,  erhält  der  Kranke  ein  Gasgemisch  von  2,8  g  Chloro- 
form auf  100  1  Luft.  Dieses  von  14,8  g  auf  2,8  g  abwärts  schreitende  Gas- 
gemisch ist  für  Männer  ausreichend,  um  eine  tiefe  Narkose  zu  erreichen.  Die 
Skala  F  gibt  die  Konzentration  des  Gasgemisches  in  Grammen  auf  100 1 
Luft  berechnet  an,  wenn  die  Narkose  bei  einer  Höhe  des  Chloroforms  von 
50,45,  40,  35,  30  ccm  begonnen  wird. 

Wenn  man  Frauen  oder  Kinder  mit  dem  Apparat  narkotisieren  will, 
muß  man  ein  weniger  hoch  konzentriertes  Gasgemisch  verwenden,  als  14,8, 
und  man  wählt  dann  die  Skala  F.  Will  man  Frauen  mit  dem  Apparat 
narkotisieren,  so  füllt  man  das  Gefäß  nur  bis  45  ccm  mit  Chloroform,  und  für 
Narkose  an  Kindern  nur  bis  40  ccm  oder  35  ccm,  und  von  diesem  Chloroform- 
stand beginnt  man  die  Narkose.  Es  ist  klar  ersichtlich,  daß  der  Chloroform- 
gehalt des  beim  Betrieb  des  Apparates  entstehenden  Cloroformdampfluft- 
gemenges  ein  anderer  ist,  wenn  das  Chloroform  bis  40  reicht,  als  wenn  es  bis 
50  reicht,  und  so  in  jedem  Moment  anders,  wenn  durch  den  durchströmenden 
Lufthauch  das  Chloroform  nach  und  nach  verdunstend  einen  immer  niedrigeren 
Chloroformstand  annehmen  wird. 

Es  wird  durch  diese  Einrichtung  erreicht,  daß  man  sehr  wenig  Chloro- 
form für  eine  tiefe  Narkose  braucht,  daß  der  Kranke  nie  einen  höher  konzen- 
trierten Chloroformluftstrom  erhalten  kann  als  der  höchste  Punkt  der  Skala 
anzeigt,  daß  man  das  Chloroform  annähernd  genau  dosieren  und  so  dem 
Alter,  Geschlecht,  Konstitution  und  Krankheit  des  Kranken  anpassen  sowie 
die  Konzentration  des  dem  Kranken  zugeführteu  Chloroformdampfluftgemenges 
in  jedem  Augenblick  von  der  Skala  ablesen  kann.  Daß  mm  die  auf  der  Skala 
angegebenen  Zahlen  nicht  ganz  mathematisch  genau  stimmen,  kommt  bei  der 
geringen  Fehlerzahl  nicht  in  Betracht,  es  werden  ja  verschiedene  Momente, 
wie  die  verschiedene  Temperatur  etc.  einwirken,  doch  die  Abweichungen  sind 
so  gering,  daß  man  die  Zahlen  als  richtig  annehmen  kann. 

Eine  Modifikation  dieses  Kappelerschen  Apparates  ist  der  von 
Schöuemann  konstruierte,  in  Figur  109  abgebildete  Chloroformuniversalapparat, 


Chloroformapparat  von  Schönemann. 


den  man  als  Kappelerschen  Apparat  oder  als  Maske  mit  Tropfflasche  ver- 
wenden kann,  je  nachdem  es  der  Narkotiseur  wünscht.  Es  ist  dies  ein  Vor- 
teil des  Apparates.  Die  Konstruktion  ist  aus  der  Figur  deutlich  zu  erkennen. 
Er  ist  im  Prinzip  dem  Kappelerschen  gleich,  nur  ist  er  leicht  zu  zerlegen. 
Diese  je  nach  der  Narkose  verschieden  beanspruchte  Chloroforramenge 
hat  man  versucht  auf  andere  Art  zu  modifizieren,  als   es  Kappeier  in  der 


309 


verschieden  bolien  Füllxiug'  erreicht  hat.  Krohue  und  Sesemaun  haben  den 
ursprüng'lichen  Junker  sehen  Apparat  gewählt  und  das  Gebläse  verändert, 
während  sie  sonst  den  Apparat  genau  wie  den  Junkers  eben  (mit  auf  den 
Boden  des  Glases  reichendem  zuführenden  Rohr)  konstruierten.  Man  bat  das 
Gehläse  mit  4  Ringen  versehen  und  diese  Druckbirne  mit  den  Ringen  so 
konstruiert,  das  ein  Druck  in  der  Gegend  je  eines  Ringes  eine  bestimmte 
Konzentration  des  Cbloroformgemisches  hervorruft.  Figur  110  zeigt  diese 
Birne,  die  mit  dem  Schlauch  an  die  Flasche  des  Junkerschen  Apparates 
angefügt  wird. 

Wenn   man   den  obersten  Ring  komprimiert,   so  wird  am       Figur  110. 
wenigsten,  wenn  man  den  untersten  komprimiert,  am  meisten 
Chloroform  dem  Kranken  zugeführt.     Kr  ohne  und  Sesemanu 
gingen  hierbei  von  den  Angaben  von  Snow  aus,  daß  man  zur 
Erzielung    einer    ruhigen    Narkose  4 — 5  Minuten  brauche,    in 
Ausnahmefällen  6 — 7  Minuten,  bei  Kindern  und  schwächlichen 
Erwachseneu  nur  2 — 3  Minuten,    und  daß   dazu   nötig  wären 
1,17  ccm  =  1,75.5  g  Chloroform.     Sie  bezweckten  nun  mit  dem 
Apparat,    dem   Kranken   in  der   bestimmten  Zeit  diese  Menge 
Chloroform  zuzuführen  und  zwar  in  allmählich  zu  steigernden 
Quantitäten.     So  gaben  sie  für  die  erste  Minute  bei  20  Inspi- 
rationen 20  Achtelkompressionen,   d.  h.  20  Kompressionen  des 
obersten   Ringes,    sodann    für    die  zweite  Minute   20  Viertel- 
(zweiteu  Ringes),  für  die  dritte  Minute  20  Halbe-  (dritten  Ringes)     Gebläse  des 
und    für  die   vierte  Minute    20  Dreiviertelkompressionen    (des  Apparates  von 
vierten  Ringes)  an.     Wenn  dies  so  ausgeführt  wird,  so  erhält  Krohne- 
der  Kranke    wahrscheinlich  während    der   vierten   Älinute   die         Sesemann. 
nötige   Chloroformmenge    für  die   Narkose  zugeführt.      Wenn 
noch   nicht  tiefe  Narkose  eingetreten  ist,   so  soll  während  der  fünften  Minute 
mit  jeder  Inspiration  des  Krauken  eine  volle  Kompression  des  ganzen  Gebläses 
gegeben  werden,  bis  die  Narkose  vollkommen  ist.    Sobald  Toleranz  eingetreten 
ist,  genügen  kleine  mit  jeder  Inspiration  zu  verabreichende  Dosen.     Man  soll 
nun  immer  nur  so  viel  Chloroform  durch  Kompression  des  Gebläses  geben,  daß 
der  Kranke  eben  in  tiefer  Narkose  liegt,  nur  so  viel  Chloroform, 
als    der  Organismus    wieder    ausgeschieden  hat.     Das  Prinzip  ist    Figur  111. 
also ,  bei  Beginn  nur  einen  kleinen  Teil   des   Gebläses   in  Tätig- 
keit   zu    setzen    und    nach    und    nach    mehr   zu    tun,    immer    in 
Harmonie   mit  der  Atmung,  die  natürlich  nicht  stocken  darf  und 
genau    kontrolliert    werden    muß.     Dieser  Apparat    ist    nun   noch 
einmal  modifiziert  worden  von  Krohue  und  Sesemann.    Derselbe 
hat  an  dem  Gebläse  3  Abteilungen  in  Form  von  3  Kugeln,  von 
denen  die  oberste  10  ccm,  die  zweite  30  ccm  und  die  dritte  60  ccm 
groß  ist  und  welche  bei  der  Einleitung  der  Narkose  nacheinander 
in  Tätigkeit  gesetzt  werden,    wie   oben   beschrieben.     Es  werden 
durch    diese    Modifikation,     deren    Gebläse    in    Figur    111    ver- 
anschaulicht ist,   ziemlich   genaue  Konzentrationen  dem  Kranken 
zugeführt. 

Diese  Apparate  werden  von  vielen  gelobt,  weil  sie  einerseits 
sehr  wenig  Chloroform  verbrauchen,  annähernd  genau  dosierte 
Chloroformmengen  dem  Kranken  zuführen  und  andererseits  eine 
ruhige  Narkose  bewirken  ohne  starke  Exzitatiou,  ohne  Erbrechen  und 
postnarkotischem  Übelsein.  So  haben  sich  diese  Apparate  vielfach 
Anhänger  erworben.  Natürlich  gehört  zur  Narkose  mit  diesen 
Apparaten  eine  gewisse  Übung,  die  sich  ja  ein  Arzt  schnell  Gebläse  des 
aneignet  und  eine  genaue  Beobachtung  des  Kranken,  die  ja  bei  Apparates 
allen  Methoden  absolute  Notwendigkeit  ist.  Ob  aber  diese  Appa-'^onKrohne - 
rate  einen  großen  Vorteil  vor  der  Tropfmethode  voraushaben,  will  '  ^semann. 
ich  nicht  entscheiden,    jedenfalls    ist    ein  Urteil   nicht   leicht    zu   fällen,   und 


—     310     — 

es  haften  jeder  Methode  Mängel  au,  deshalb  wird  sich  Jeder  Narkotiseur  seine 
spezielle  Methode  wählen.  Ans  dem  Grunde,  'jedem  eine  große  Auswahl 
für  seine  ganz  individuellen  Eigenheiten  zu  geben,  führe  ich  alle  diese 
Apparate  an. 

Neuerdings  ist  von  Pflüg  er  eine  Methode,  welche  früher  rein  Methode 
der  physiologischen  Laboratorien  war,  auch  in  die  klinische  Tätigkeit  ein- 
geführt worden.  Dieselbe  hat  den  Grundsatz,  dem  Kranken  möglichst  genau 
dosierte  und  doch  jederzeit  wechselbare  Mengen  von  Luft  und  Chloroform  zu- 
zuführen. Der  Apparat  ist  von  Kronecker  konstruiert  und  besteht  in  Vor- 
richtungen, welche  unter  dem  Drucke  einer  Hochdruckwasserleitung  dem 
Kranken  ein  genau  titriertes  Gemenge  von  durch  Wasser  getriebener  Luft  und 
durch  Chloroform  getriebener  Luft  in  leicht  veränderbarem  Rhythmus  zuführt. 
Man  kann  die  Konzentration  der  Gemische  leicht  ändern,  ev.  sofort  Chloroform 
vollkommen  ausscheiden.  Die  Narkose  wird  mit  einem  Gemisch  aus  20  Teilen 
Chloroform  und  80  Teilen  Luft  eingeleitet  und  später  mit  40 — 50**/o  Chloroform 
fortgeführt  bis  Toleranz  erreicht  ist,  dann  wird  nur  ein  10  prozentiges  Gemisch 
gegeben,  um  die  Narkose  weiter  zu  erhalten.  Der  Vorzug  dieser  Methode  ist 
nach  Pflüger  in  der  leichten  Änderung  der  Konzentration  und  genauen 
Konzentration  während  der  Narkose,  ferner  darin,  daß  der  Kranke  zum  Atmen 
angeregt  wird,  weil  ihm  durch  den  Apparat  Luft  und  Chloroform  in  die 
Nase  etc.  gepumpt  wird,  ferner  in  dem  geringen  Konsum  von  Chloroform  und 
in  der  ruhigen  exzitationslosen  Narkose  gelegen. 

Es  sind  nun  aber  nicht  immer  die  Verhältnisse  so,  daß  man  derartige 
Apparate  für  Narkosen  verwenden  kann,  wie  ich  sie  bisher  angeführt  habe. 
Es  können  Verhältnisse  obwalten,  wo  es  dem  Arzte  unmöglich  ist,  die  Maske 
auf  das  Gesicht  des  Kranken  zu  legen,  weil  gerade  das  Operationsfeld  im 
Gesicht  liegt  und  somit  eine  Berührung  die  Wunden  verunreinigen  würde,  und 
ferner  kommen  Gelegenheiten  und  Verhältnisse  vor,  wo  der  Mensch  nicht 
durch  den  Mund  atmet,  sondern  durch  Tracheotomiewunden  und  Kanülen,  da 
entweder  die  Krankheit  eine  Tracheotomie  erfordert  hat,  oder  die  Narkose 
oder  die  ungünstigen  Verhältnisse  bei  der  Operation  die  Tracheotomie  ver- 
langten. In  solchen  Verhältnissen  kommt  man  schwer  mit  der  Maske  von 
Esmarch  oder  dem  Junkerschen  Apparat  etc.  aus.  Zu  solchen  Gelegen- 
heiten hat  man  eine  Reihe  von  Methoden  und  Apparaten  ersonnen.  Es  ist  im 
Allgemeinen  Teil  darüber  schon  das  meiste  angeführt  und  es  ist  hier  nur  noch 
kurz  zu  erwähnen,  daß  man  bei  Operationen  die  im  Munde  oder  Rachen  vor 
sich  gehen,  zweierlei  Methoden  der  Narkose  verwenden  kann.  Entweder  mau 
narkotisiert  hier  in  Etappen,  indem  man  erst  den  Kranken  tief  betäubt  und 
nun  den  Operateur  so  lange  arbeiten  läßt,  bis  der  Kranke  wieder  zu  erwachen 
beginnt  und  nun  wieder  narkotisiert  bis  zur  Toleranz  und  so  fort,  bis  die 
Operation  beendet  ist.  Dazu  muß  man  natürlich  die  Masken  peinlich  steri- 
lisieren und  verwendet  am  besten  den  Junkerschen  Apparat,  da  man  mit 
demselben  dem  Kranken  ein  Luftgemisch  höchstzulässiger  Konzentration 
direkt  in  Mund  und  Nase  blasen  kann,  ohne  daß  man  die  Maske  fest  auf  das 
Gesicht  legt,  sondern  sie  nur  soweit  demselben  nähert,  daß  sie  nicht  die 
Wundflächen  berührt.  Wenn  auch  die  Maske  steril  ist,  so  wird  doch  die 
Asepsis  gestört,  wenn  man  die  Maske  auflegt.  Die  andere  Art,  bei  solchen 
Operationen  zu  narkotisieren,  besteht  darin,  daß  man  mit  dem  Junkerschen 


—    an    — 

Apparat  nicht  eine  Maske  verbindet,  sondern  eigens  dazu  konstruierte 
Kiefersperrer,  die  neben  den  Branchen  ein  Rohr  führen,  durch  welches  der 
Junker  sehe  Apparat  das  ('hloroform  in  den  Rachen  bläst.  So  kann  operiert 
und  zugleich  narkotisiert  werden,  ohne  daß  beide  Ärzte  sich  gegenseitig  stören. 
Solche  Apparate  sind  von  Hewitt  und  Probyn  Williams  konstruiert  worden. 
Sie  sind  früher  erwähnt  und  abgebildet.  Vgl.  S.  192  Figur  35  und  36.  Diese 
Apparate  lassen  sich  bei  allen  Operationen  im  Gesicht,  Rachen,  Hals  und  am 
Kopf,  wenn  der  Kranke  seitlich  oder  auf  dem  Bauche  liegen  muß,  gut  ver- 
wenden und  stellen  sehr  praktische  Hilfsmittel  dar.  Denn  in  allen  jenen  Fällen, 
wo  nicht  der  Operateur  wünscht,  daß  der  Kranke  nur  in  einer  Halbnarkose 
gehalten  wird,  damit  er  noch  Blut  und  Schleim  aus  dem  Rachen  und  Kehlkopf 
aushustet,  ist  die  Narkose  durch  diese  Apparate  vorzuziehen  der  Narkose  in 
Etappen,  während  man  letztere  besser  verwendet,  wenn  der  Kranke  noch  auf 
Reflexe  reagieren  soll. 

Die  Narkose  durch  die  Tracheotomiekanüle  wird  nur  in  seltenen  Fällen 
angewendet.  Wenn  man  dieselbe  brauchen  muß,  so  ist  vor  allem  zu  beachten, 
daß  die  Luft,  welche  durch  den  Junkerschen  etc.  Apparat  in  die  Trachea 
eingeblasen  wird,  eine  der  Körperwärme  nahekommende  Temperatur  besitzt, 
denn  die  Luft  von  gewöhnlicher  Temperatur  12 — 15'^  R  wird  durch  den  Chloro- 
formdampf stark  abgekühlt,  und  wenn  dem  Kranken  solche  kalte  Luft  direkt 
in  die  Lunge  gebracht  wird,  sind  Lungen erkrankungen  eine  sichere  Folge.  Es 
ist  daher  auch  nicht  geraten,  den  durch  die  Kanüle  atmenden  Menschen  mit 
der  Tropf methode  zu  narkotisieren,  indem  man  die  Esmarchsche  Maske 
über  die  Kanüle  hält.  Die  Luft  unter  dieser  Maske  ist  nämlich  sehr  kalt. 
Eine  andere  Methode  ist  die,  die  Kanüle  mit  einem  Trichter  durch  einen  Gummi- 
schlauch zu  verbinden,  über  die  weite  Öffnung  des  Trichters  Gaze  zu  spannen 
und  auf  diesen  Gazeüberzug  Chloroform  aufzutropfen.  Der  Kranke  muß  die 
Luft  durch  den  Trichter  saugen  und  atmet  das  Cloroform  mit  ein.  Auch 
dieser  Methode  haftet  bis  zu  einem  gewissen  Grade  der  Übelstand  der  zu  starken 
Abkühlung  der  Luft  durch  das  Verdunsten  des  Chloroforms  an.  Verwendet 
man  diesen  Trichter,  so  muß  die  Luft  eine  sehr  hohe  Temperatur  haben.  Es 
ist  aber  doch  viel  ratsamer,  der  Kranke  wird  durch  einen  Junker'schen 
Apparat  oder  einen  ähnlichen  narkotisiert,  in  dem  statt  der  Maske  die  Kanüle 
mit  dem  abführenden  Schlauch  verbunden  ist.  Man  wird  dann  entweder  die 
Luft  im  Zimmer  sehr  warm,  20 — 21^  R,  temperieren,  oder  man  wird  die  Luft 
durch  eine  Wärmevorrichtung  erwärmen,  indem  man  den  Schlauch  in  heißes 
Wasser  legt,  der  zwischen  Apparat  und  Kanüle  in  genügender  Länge  vorhanden 
sein  muß,  oder  indem  man  auf  sonst  eine  passende  Art  nur  sehr  warme  Luft 
in  den  Apparat  gelangen  läßt.  Dieser  Umstand  ist  überaus  wichtig.  Zur  Er- 
leichterung der  Narkose  per  Tracheotomiam  verwendet  man  die  Trendelen- 
burgsche  Tamponkanüle  oder  die  Hahn  sehe  Trachealkanüle.  Beide  Kanülen 
sind  so  konstruiert,  daß  sie  das  Herablaufen  des  Blutes  und  Schleimes  neben 
Kanüle  und  Traehealwand  verhindern,  die  erstere  durch  eine  von  außen  mit 
Luft  aufzublasende  Gummiwandung,  die  andere  diu'ch  Schwamm,  welcher  das 
Blut  etc.  ansaugt  und  so  taniponiert.  Die  erstere  Kanüle  ist  entschieden 
der  anderen  vorzuziehen.  Dieselben  sind  auf  Seite  191  abgebildet.  Es  wird 
natürlich  eine  seltene  Methode  sein,  die  oben  behandelt  worden  ist,  doch  sie 
ist  immerhin   gelegentlich  die  einzig  mögliche  Narkose,  und  es  muß  der  Arzt 


—     312     — 

wissen,  wie  er  für  den  Kranken  am  günstigsten  verfährt  und  was  vor  allem 
dabei  berücksichtigt  werden  muß. 

Wenn  ich  bisher  Apparate  und  Methoden  genannt  habe,  so  sind  es 
solche  gewesen,  die  in  der  Praxis  meist  verwendbar,  mit  Ausnahme  des 
Pflügerschen  Apparates,  und  gut  für  die  Chloroformnarkose  zu  brauchen 
sind,  indem  sie  eine  Narkose  von  geeigneter  Tiefe  und  leichter  Methodik 
gestatten,  und  die  auch  meist  in  den  Kliniken  und  Krankenhäusern  für  die 
Chloroformnarkose  verwendet  werden. 

Ehe  ich  die  Narkose  mittels  dieser  Apparate  verlasse,  ist  es  nötig, 
noch    einiger    hierhergehörender  Apparate    und  Methoden    kurz    zu    erwähnen. 

Kuhn  empfiehlt,  gestützt  auf  Beobachtungen  bei  Narkosen  mittels  dei 
Trendelenburgschen  Tamponkanüle  eine  Narkose  ohne  Maske,  eine  so- 
genannte perorale  und  nasale  Narkose,  bei  der  das  Chloroform  durch  Tiibage 
direkt  in  die  Lunge  geleitet  wird.  Er  beobachtete,  dai3  der  Vorteil  der 
Narkose  mittels  der  Tracheotomiekanüle  in  einem  geringen  Chloroformver- 
brauch und  einem  überaus  ruhigen  Verlauf  der  Narkose  besteht,  in  dem 
schnellen  Erwachen  des  Kranken  nach  derselben,  in  der  geringen  Gefahr  der 
Überdosierung,  im  Wegfallen  von  Würgen,  Erbrechen,  Spasmus  glottidis, 
Aspiration  von  Schleim  etc.  sich  zeigt. 

Es  ist  übrigens  diese  Methode  schon  früher  angewandt  worden. 
O'Dwyer  konstruierte  1894  ein  Instrument  aus  einem  abgebogenen  Metall- 
rohr, an  welches  zweckentsprechende  Tuben  angeschraubt  werden  konnten, 
und  einem  an  dem  Rohr  befestigten  Gummischlauch  bestehend,  der  mit  einem 
Gebläse  in  Verbindung  stand.  Dieses  Instrument  wurde  ursprünglich  zur 
Unterhaltung  künstlicher  Respiration  bei  Asphyxie-,  Opium-  etc.  Vergiftungen 
verwendet,  dann  aber  als  Ersatz  für  Trendelenburgs  Trachealkanüle  bei 
größeren  Operationen  im  Rachen,  Nase  etc.  zur  Narkose  gebraucht.  Nur  für 
Narkosen  wurde  1898  von  W.  A.  van  Slockum  ein  Apparat  konstruiert, 
ebenfalls  aus  Tube  und  Zuleitungsrohr  bestehend,  der  aber  dabei  eine  voll- 
ständige Tamponade  des  Aditus  laryngis  und  der  Trachea  bewirkte.  Weiter 
haben  dann  Trump p,  Schlechtendahl  und  andere  die  Intubation  zui 
Narkose  angeraten.  Schlechtendahl  stellte  Tierversuche  mit  der  Narkose 
mittels  Intubation  an,  und  gibt  den  Rat,  den  Kranken  erst  ein  wenig  anzu- 
narkotisieren  mit  gewöhnlicher  Maske  und  beim  Eintritt  der  Toleranz  das  von 
ihm  angegebene  Instrument  in  den  Kehlkopf  einzuführen  und  durch  diese 
Tube  weiter  zu  narkotisieren.  Das  Instrument  besteht  aus  Tuben,  welche  je 
nach  dem  Alter  und  der  Größe  des  Patienten  gewählt  werden  und  der  Form 
des  Kehlkopfes  genau  entsprechen.  Diese  Tuben  haben  einen  Fortsatz,  an 
dem  ein  elastisches  Spiralrohr  angefügt  wird.  Mittels  einer  bestimmten  Zange 
wird  die  Tube  in  den  Kehlkopf  gebracht.  Die  Kanülen  schließen  den  Kehl- 
kopf genau  ab,  so  daß  Blut  etc.  nicht  in  die  Trachea  gelangen  kann. 
Schlechtendahl  gibt  selbst  zu,  daß  er  bei  seinen  Tieren  sehr  oft  Verletzungen 
des  Kehlkopfes  durch  die  Tube  gesehen  hat,  die  jedenfalls  beim  Menschen 
ebenfalls  bewirkt  werden  können  und  eine  sehr  unangenehme  Beigabe  sind. 
Es  ist  demnach  diese  Methode  immer  noch  sehr  im  Beginn  der  Technik  und 
ist  bis  jetzt  noch  nicht  als  vollkommen  anzusehen.  Zweifellos  hat  dieselbe 
viel  Vorteile  bei  Operationen  im  Hals,  doch  es  ist  die  Gelegenheit  zur  Ver- 
wendung immerhin  beschränkt,  da  man  ja  jetzt  durch  die  Methoden  der  lokalen 


—    :5i:}    — 

Anästhesie  sehr  viel  derartio'er  Operationen  ohne  Narkose  ausführen  kann. 
Außerdem  gibt  auch  Schlechtendahl  als  Kontraindikation  der  Intubation ' 
Katarrhe  der  Lung-en  an.  die  wegen  des  Schleimes  liinderlich  sind.  Immerhin 
wird  es  Fälle  geben,  in  denen  auch  diese  Methode  der  Chloroformnarkose  wird 
verwendet  werden  können  zum  Wohle  des  Kranken.  Vor  allem  ist  dabei  zu 
beachten,  daß  eine  gut  passende  Kanüle  gewählt  wird,  die  keine  Verletzungen 
im  Kehlkopf  setzt.  Es  ist  von  allen  Autoren  angegeben,  daß  diese  Narkosen 
ruhiger  verlaufen  als  die  gewöhnlichen,  was  wohl  seinen  Grund  im  Ausschalten 
des  Reflexes  von  der  Nasen-  und  Rachenschleimhaut  aus  haben  mag. 

Diese  Methoden  und  Apparate  sind  nun  aber  nicht  imstande,  eine  wirklich 
wissenschaftliche  Narkose  zu  liefern,  indem  sie  ein  vollkommen  genau  dosiertes,, 
jederzeit  zubestimmendes  und  zu  veränderndes  Chloroformdampfluftgemisch 
liefern.  Es  muß  ja  die  Sehnsucht  des  Narkotiseurs  sein,  einen  Apparat  zu  kon- 
struieren, der  klein,  handlich  und  leicht  überallhin  transportabel  ist,  und  dabei 
ein  vollkommen  genau  dosiertes  und  jederzeit  veränderbares  Chloroformdampf- 
luftgemisch liefert.  Leider  ist  ein  solcher  Apparat  bis  jetzt  noch  nicht  erfunden, 
die  Apparate  sind  entweder  enorm  umfangreich  und  feststehend,  wenn  sie 
genau  dosieren,  oder  sie  sind  transportabel  und  dosieren  uicht  genau.  Für 
klinische  Zwecke  hat  man  Apparate  konstruiert,  die  allen  Anforderungen  der 
genauen  Dosierung  entsprechen. 

Es  ist  nun  gerade  bei  der  Chloroformnarkose  von  ganz  besonderem  Wert, 
jederzeit  genau  zu  wissen,  ein  wie  hoch  konzentriertes  Chloroformdampfluft- 
gemiscli  mau  dem  Kranken  verabreicht,  weil  das  Chloroform  eine  nur  geringe 
Narkotisierungsbreite  besitzt  und  ein  kumulierendes  Narkotikum  darstellt. 
Dabei  ist  die  Einwirkung  des  Chloroforms  auf  Herz  und  Blutdruck  sehr  stark 
und  intensiv  und  eine  Synkope  ist  nur  zu  schnell  und  leicht  eingetreten,  wenn 
nicht  genau  die  entsprechende  Dosis  gegeben  wird.  Somit  wäre  es  sehr  zu 
wünschen,  einen  Apparat  zu  besitzen,  der  vollständig  genau  dosiert.  Aber  es 
ist  auch  mit  dem  bestdosierenden  Apparat  möglieh,  daß  eine  schwere  Herz- 
schwäche oder  Intoxikation  des  Kranken  eintritt,  wenn  nicht  die  Narkose  von 
einem  tüchtigen  Arzte  geleitet  wird,  der  genau  beobachtet.  Der  Narkotiseur 
muß  trotz  allerbester  Apparate  genau  berechnen  in  jedem  Augenblick,  wieviel 
Chloroform  dem  Kranken  jetzt  noch  zugeführt  werden  muß.  Denn  auch  der 
bestdosierende  Apparat  arbeitet  maschinenmäßig,  er  gibt,  auf  eine  Dosis  ein- 
gestellt, immer  dieselbe  weiter  oder  er  steigt  oder  fällt  in  der  Dosis,  je  nach 
der  Einstellung,  also  kommt  es  auch  wiederum  darauf  an,  den  Apparat  richtig 
zu  stellen  und  in  jeder  Sekunde  nach  dem  Stand  der  Betäubung  zu  regulieren. 
Ich  will  nun  nicht  entscheiden,  ob  es  leichter  ist,  bei  der  Tropfmethode  zu 
regulieren  oder  einen  genau  dosierenden  Apparat  zu  lenken.  Das  ist  eine 
individuell  wechselnde  Ansicht.  Aber  es  wird  auch  aus  diesem  Grunde  stets 
die  Tropfmethode  jede  Konkurrenz  bestehen.  Man  wird  deshalb  die  genau 
arbeitenden  Apparate  auch  in  den  meisten  Fällen  nur  zu  wissenschaftlichen 
Narkosen  verwenden,  in  Laboratorien  und  Kliniken  werden  sie  sehr  gute 
Dienste  leisten,  da  man  mit  ihnen  mit  Zahlen  rechnen  kann,  was  bei  der 
Tropfmethode  unmöglich  ist. 

Schon  früh  hat  man  sich  mit  dem  Problem  der  Konstruktion  solcher 
Apparate  und  Ausführung  exakter  Narkosen  beschäftigt,  viele  Apparate  sind 
angegeben    worden,    doch    sie    leisteten    nicht    genügendes.       Wirklich     gut 


—     314     — 

arbeitende  sind  konstruiert  worden  von  Snow,  P.  Bert,  Pean  und  Dreser. 
Kionka  hat  ebenfalls  zwei  Apparate  konstruiert,  die  für  wissenschaftliche 
Narkosen  von  Wert  sind.  Dieselben  liefern  genau  dosierte  Chloroformdampf- 
luftgemische und  können  auch  für  andere  Narkotika  verwendet  werden. 
Sie  sind  auf  S.  196  ff.  genau  beschrieben  worden.  Einen  anderen  ebenfalls 
sehr  genau  arbeitenden  Apparat  hat  Geppert  angegeben,  der  auch  früher  be- 
schrieben wurde,  vgl.  S.  199  ff.,  und  der  hier  nur  erwähnt  werden  soll. 
Diese  Apparate  können  nur  in  Kliniken  oder  Krankenhäusern  Verwendung 
finden  und  es  ist  deshalb  hier  unnötig,  dieselben  genau  anzuführen. 

Es  ist  aus  dem  hier  über  die  Technik  der  Chloroformnarkose  Gesagten  zu 
ersehen,  daß  man  verschiedene  Wege  zur  Einleitung  einer  guten  Narkose  ein- 
geschlagen hat.  Es  ist  nun  zweifellos  mit  diesen  Apparaten  und  Methoden 
möglich,  eine  gute  Chloroformnarkose  mit  der  denkbar  geringsten  Gefahr  für 
den  Kranken  auszuführen,  aber  es  gehört,  wie  schon  gesagt,  zu  dem  besten 
Apparat  wie  zur  einfachen  Maske  ein  genau  beobachtender,  durch  und  durch 
geschulter  Arzt.  Es  gehört  zur  Technik  der  Chloroformnarkose  eben  noch 
viel  mehr  als  ein  Apparat  und  Chloroform,  wenn  dies  auch  die  ersten  Er- 
fordernisse sind. 

Es  ist  hier  noch  zu  erwähnen,  daß  man  für  die  Ausführung  der  Tropf- 
methode noch  eines  Tropffläschchens  bedarf,  und  man  hat  deren  eine  ganze 
Menge.  Sie  sind  im  Allgemeinen  Teil  genau  beschrieben.  Das  Chloroform 
besitzt  eine  große  Neigung  sich  zu  zersetzen,  deshalb  gieße  man  kurz  vor 
dem  Beginn  der  Narkose  erst  das  Chloroform  in  die  Tropfflasche  oder  in  das 
Gefäß  der  anderen  Apparate,  in  dem  es  zur  Verdunstung  gelangt.  Was  die 
weiteren  Utensilien  für  die  Chloroformnarkose  und  deren  Verwendung  und 
Technik  anlangt,  so  verweise  ich  auf  das  über  die  Apparate  der  Narkose  Gesagte 
im  Allgemeinen  Teil. 

Hier  müssen  noch  einige  Worte  über  die  verschiedenen  Maßnahmen 
während  der  Chloroformnarkose  gesprochen  werden,  denn  es  bestehen  be- 
stimmte Besonderheiten  in  der  Chloroformwirkung,  die  zu  kennen  nötig  sind. 

Zunächst  muß  man  sich  klar  sein,  in  welchem  Zustand  die  Narkose 
zu  erhalten  ist.  Es  ist  nicht  damit  genügend  gesagt,  man  soll  sie  im  Stadium 
der  Toleranz  erhalten.  Dieses  Stadium  ist  immerhin  ein  weiter  Begriff.  Man 
war  sich  bisher  nicht  einig.  Es  gelten  für  die  Chloroformnarkose  die  Gesetze 
der  Pupillenreaktion  und  ßeflexveränderungen  genau  wie  es  in  dem  All- 
gemeinen Teil  erklärt  ist. 

Schleich  will  die  Chloroformnarkose  in  dem  Stadium  mittlerer 
Pupillenweite  gehalten  haben,  ohne  Reaktion  auf  Licht,  er  meint,  man  müsse 
sich  fortwährend  in  der  Narkose  von  der  Beeinflußbarkeit  der  Pupillenweite, 
sei  es  durch  Aufschütten  von  Chloroform  sie  zu  erweitern,  sei  es  durch  Ent- 
fernen der  Maske  sie  zu  verengern,  überzeugen.  Joh.  Müller  will  die 
Pupille  an  der  Grenze  der  Enge  und  Erweiterung  im  Toleranzstadium  ge- 
halten haben,  nach  Kappeier  soll  für  den  Chirurgen  ein  Stadium  paralyticum 
(das  der  erweiterten  Pupille)  nicht  existieren,  da  es  der  Lähmung  der 
Zirkulations-  und  Atemzentren  unmittelbar  vorausgeht  und  somit  die  größte 
Lebensgefahr  involviert.  Es  soll  also  die  Narkose  kurz  vor  diesem  Stadium 
gehalten  werden.  Kionka  verlangt  mäßig  verengte  Pupillen,  ein  Erweitern 
derselben  kann  durch  Erbrechen  oder  Erwachen  bewirkt  werden,  tritt  es  aber 


—     315     — 

nicht  aus  einer  dieser  beiden  Ursachen  ein,  so  bedeutet  es  sehr  hohe  Gefahr. 
Hankel  schreibt:  „Tritt  an  Stelle  der  Hirnreizung-  Hirnlähmung  ein,  so  müssen 
die  Pupillen  sich  natürlich  erweitern.  Eine  Lähmung  kann  aber  nur  im  Augen- 
blick gToßer  Gefahr  eintreten.  Wenn  in  tiefer  Narkose  sich  die  Pupillen,  sei  es 
auch  nur  vorübergehend,  erweitern,  so  ist  ein  Lähmungszustand  vorhanden, 
und  die  Narkose  ist  stets  eine  unangenehme,  in  der  asphyktische  Erscheinungen 
selten  fehlen."  Flocke  manu  weist  auf  eine  Eigentümlichkeit  der  Pupillen 
in  der  Chloroformuarkose  hin,  welche  darin  besteht,  daß,  wenn  der  Kranke  im 
Toleranzstadium  sich  beiludet,  die  Pupille  des  geöffneten  einen  Auges  eng  ist 
und  beim  Öffnen  nicht  reagiert,  die  Pupillen  doch  noch  reagieren,  wenn  man 
beide  Augen  zugleich  öffnet.  Er  nennt  dies  Phänomen  die  Grenze  der 
Pupillenreaktion  auf  Licht  in  der  Ghloroformnarkose.  Es  ist  dies  ein  Stadium 
in  der  Narkose,  wo  der  Kranke  eben  in  die  Toleranz  tritt,  und  in  diesem 
Zustand  soll  man  den  Kranken  erhalten.  Gibt  man  mehr  Chloroform,  so  folgt 
das  Stadium  der  völlig  starren  Pupillen  auch  beim  Öffnen  beider  Augen,  läßt  man 
Chloroform  weg,  so  erwacht  der  Kranke.  Dies  Phänomen  beschreibt  vor  Flocke- 
mann schon  Straßmann  und  man  bezeichnet  es  auch  als  Straßmaunsches 
Phänomen.  Ich  habe  dasselbe  übrigens  auch  bei  anderen  Narkotika  beob- 
achtet und  deshalb  schon  im  Allgemeinen  Teil  für  jede  Narkose  als  das 
Stadium,  auf  dem  dieselbe  unterhalten  werden  soll,  bezeichnet. 

Es  ist  für  den  Kranken  zweifellos  dieses  Stadium  der  Narkose  das  wenigst 
gefährliche  und  deshalb  soll  man  ihn  immer  darin  zu  erhalten  suchen.  Mau  wird 
die  Narkose  beenden,  wenn  der  Operateur  das  Zeichen  gibt,  und  braucht  dann 
nicht  lange  zu  warten,  bis  der  Kranke  erwacht.  Außerdem  spart  man  viel 
Chloroform,  wenn  der  Kranke  immer  in  diesem  Stadium  gehalten  wird. 

Was  nun  die  Menge  des  Chloroforms,  die  man  für  eine  Narkose  brauchen 
darf,  anlangt,  so  kann  man  schwer  Zahlen  nennen,  denn  es  hängt  von  so 
vielen  Umständen,  vom  Apparat,  Kranken,  Narkotiseur  etc.  ab,  wieviel  Chloro- 
form gebraucht  wird.  Vor  allem  zeigt  sich  die  Kunst  des  Narkotiseurs  darin, 
möglichst  wenig  Chloroform  für  eine  tiefe  Narkose  zu  brauchen.  Meist  kann 
man  mit  5- — 7  g  Chloroform  einen  erwachsenen  Mann  bis  zur  Toleranz  bringen, 
der  weitere  Verbrauch  ist  dann  gering  \ind  hängt  von  der  Dauer  der  Operation  ab. 
Jedenfalls  kann  man  mit  30 — 50  g  schon  eine  Narkose  von  langer  Dauer,  bis  zu 
einer  Stunde  und  länger,  leiten.  Natürlich  braucht  man  bei  der  Tropfmethode 
mehr  Chloroform  als  beim  [Kappelerschen  Apparat.  Es  lassen  sich  bestimmte 
Zahlen  nicht  geben,    auch   ist  es  vollkommen  belanglos,  solche  zu  kennen. 

Es  ist  versucht  worden,  durch  statistische  Zusammenstellungen  ungefähr 
zu  ermitteln,  wieviel  Chloroform  zu  einer  Narkose  notwendig  ist.  Da  diese 
Zahlen  manches  Interessante  bieten,  will  ich  folgende  anführen: 

1.  V.  B  ardeleb  en        brauchte  bei     924Nark.  22       ocm    Chlorof.rpro  Nark.u. 0,57  ccm  pro  Minute 

2.  Bardenheuer  „  ,       797      „      —  „  „        '„         „       „0,58     „       „ 

.        „      .0,87    „      „ 
„        «      „0,50    „      „ 

„      „0,99    „      „ 
„        „      „0,9      „      „ 

"  l        l  „0,61  l  l 

„  „0,53  „  „ 

„  „  0,542  „  „ 

„  „  0,46  „  „ 

„       .„  „1,0  „  „ 

„  „        „  „0,72  „  „ 

„    ■    „  „0,50  „  „ 

„        „  „0,77  „ 


3.  B  r  a  u  n                                  „ 

„     1.365 

,     37,6 

4.  Bruns                                   „ 

„      162 

,■   20 

5.  Gösohel                           „ 

„      358 

20,8 

6.  Schede 

„    1869 

39 

7.  Zeller                                 „ 

.,      4:35     , 

22,9 

8.  Angerer                          „ 

„    1108     , 

30 

9.  Barth                                 „ 

„      409     , 

18 

10.  Boeters                            „ 

„      568 

26,1 

11.  Braun                                  ., 

V      962 

,     22,0 

12.  Göschel                           ,„ 

„      326     „     19,32 

13.  Jungengel                       „ 

„      939 

,     29,50 

14.  Kümmellu-Sick        „ 

„    1371 

,     31 

15.  Lauenatein                     „ 

„      288 

,      11,75 

16.  Subbotic                         „ 

„    1257 

,     .37,0 

—     316     — 

xius  diesen  Zahlen  geht  hervor,  daß  im  Durchschnitt  ca.  0,5  ccm  ChlorO' 
form  pro  Minute  verbraucht  wurde,  es  würde  also  in  einer  Stunde  ca.  30  ccm 
Chloroform  nötig  sein.  Es  ist  natürlich  klar,  daß  man  aus  diesen  Zahlen  keine 
Thesen  aufstellen  kann,  aber  man  kann  ungefähr  aus  denselben  entnehmen,  welche 
Zahlen  viel  und  welche  wenig  bedeuten  und  ich  habe  deshalb  diese  kleine 
Tabelle  angeführt,  denn  es  könnte  vorkommen,  daß  man  bei  einer  Gerichts- 
verhandlung z.  B.  gefragt  würde,  ob  ein  Xarkotiseur  zuviel  Chloroform  ver- 
braucht hätte.  Deshalb  ist  es  immerhin  wünschenswert,  zu  wissen,  welche 
Mengen  bei  gewöhnlichen  Narkosen  nötig  sind.  Natürlich  richten  sich  die 
Mengen  vor  allem  nach  dem  Chloroformapparat,  den  man  verwendet  hat. 

Im  Anschluß  hieran  soll  eine  Statistik  von  Hanke!  angeführt  werden, 
welche  angibt,  welche  Apparate  bei  151  Chloroformtodesfällen  gebraucht  wurden. 
Es  starben  von  diesen  151  Fällen 

87  bei  Bemitzung  eines  Tuches  oder  Lint 

5  „  „              „       Lint  mit  Schwamm 

11  „  ,,             „       Schwammes 

3  „  „  einer  Papiertüte  oder  Tuchkonus 

2  „  „             „       Maske  nach  Skinner 

5  „  „             „           „          „      Esmarch 

1  „  „  „  „       ohne  Angabe 

30    „  „  von  Inhalationsapparaten  ohne  genauere  Angabe 

2  ,,  „  „    Inhalationsapparaten,  die  freien  Luftzutritt  gestatteten 
5    „             „          mit  geschlossenem  Apparat. 

Es  ist  ja  natürlich  immerhin  ein  unsicheres  Urteil,  das  diese  Zahlen 
reden,  sie  lassen  aber  doch  ersehen,  daß  die  Apparate  mit  der  besseren 
Dosierung  auch  geringere  Zahlen  an  Todesfällen  liefern.  Ebensowenig  wie 
mau  genaue  Folgerungen  aus  obiger  Statistik  ziehen  darf,  so  kann  man  auch 
hier  nur  gewisse  Schlüsse  ziehen,  die  mit  einer  bestimmten  Reserve  aufzunehmen 
sind.     Es  hängen  ja  die  Unfälle  noch  von  vielen  anderen  Momenten  ab. 

Allerdings  besteht  ein  großer  Unterschied  in  den  Beziehungen  der  ver- 
schiedenen Personen  zum  Chloroform.  Es  ist  bekannt,  daß  Männer  schwerer 
zu  chloroformieren  sind  als  Frauen  und  solche  wieder  als  Kinder.  Der  Mann 
ist  widerstandsfähiger  gegen  die  Chloroformwirkung  als  die  Frau,  und  der 
Erwachsene  ist  widerstandsfähiger  als  ein  Kind. 

Es  spielen  hierbei  die  Lebensgewohnheiten  eine  große  Eolle  und  es  ist 
allgemein  bekannt,  daß  man  in  der  Größe  der  Exzitation  in  der  Narkose  einen 
Messer  der  Widerstandskraft  des  betreffenden  Individuums  gegenüber  Chloro- 
form besitzt. 

Natürlich  hängt  das  Auftreten  von  starker  Exzitation  auch  noch  von 
anderen  Verhältnissen  ab,  vor  allem  von  der  Methode  und  dem  Apparat,  von 
der  Tüchtigkeit  des  Narkotiseurs  etc.  Doch  alles  dies  soll  hier  nicht  in  JBetracht 
kommen,  es  soll  jetzt  eine  mustergültige  Chloroformnarkose  angenommen 
werden,  bei  der  das  Auftreten  von  Erregung  in  der  Narkose  lediglich  von  den 
Eigenschaften  des  Kranken  abhängt. 

Der  gesunde  kräftige  Mann  setzt  entschieden  der  Chloroformwirkung 
einen  größeren  Widerstand  entgegen  als  das  Weib  und  es  äußert  sich  dies 
auch  in  einer  größeren  Menge  von  Chloroform,  welche  nötig  ist,  um  das 
Stadium  der  Toleranz  zu  erreichen,  so  berechnet  Kappeier  für  seinen  Apparat 
zur  Einleitung  einer  Narkose  für  einen  Mann  14,8  g  Chloroform  auf  100  1 
Luft,  während  er  für  eine  Frau  nur  9,7  g  Chloroform  auf  100  1  Luft  fest- 
setzt. Es  liegt  schon  in  der  Natur,  in  der  Fähigkeit,  größeren  Anstrengungen 
jeglicher    Art    stärker   zu  widerstehen,    beim  Manne    und   überträgt    sich    die 


I 


—     317     — 

größere  Widerstandskraft  auch  auf  die  Chloroformwirkung.  Natürlich  bestehen 
bedeutende  Unterschiede  in  Alter.  Konstitution,  Charakter  etc.  Diese  Ver- 
hältnisse haben  aber  keine  Besonderheiten  voraus  vor  der  allgemeinen  Narkose 
und  sind  im  Allgemeinen  Teil  dieses  Buches  erörtert.  So  ist  auch  ein  nervös 
aufgeregter  Mann  unruhiger  in  der  Narkose  wie  ein  Phlegmatiker,  ein  Greis 
ist  weniger  erregt  xind  widerstandsfähig  als  ein  Jüngling.  So  wie  der  Greis 
in  allgemeiner  Hinsicht  sich  immer  mehr  der  Kindheit  wieder  näherbringt, 
wie  er  in  vielen  Beziehungen  dem  Kinde  ähnelt,  so  auch  gegenüber  der 
Chloroformnarkose,  sehr  alte  Leute  sind  wie  ganz  junge  Kinder  besonders 
empfindlich  gegen  Chloroform. 

Die  Haupteiuwirkung  auf  die  Chlornformnarkose  des  Mannes  übt  aber 
der  Alkoholisraus  aus.  Der  Manu,  der  gewohnheitsmäßig  auch  nur  geringe 
Mengen  Alkohol  zu  sich  nimmt,  weist  ein  stärkeres  Exzitationsstadium  auf 
als  ein  völlig  abstinenter.  Besonders  aber  der  Trinker,  der  starke  Potator, 
hat  ein  schweres  Exzitationsstadium  und  ist  überaus  widerstandsfähig  gegen 
die  Chloroformwirkung,  so  daß  man  für  eine  Narkose  bis  zur  Toleranz  oft  die 
doppelte  Menge  Chloroforms  braucht,  wie  für  einen  abstinenten  oder  einen 
nur  mäßig  Alkohol  zu  sich  nehmenden  Mann.  Der  Alkoholismus  unterscheidet 
sich,  wie  früher  auseinandergesetzt  wurde,  in  drei  Arten,  nach  der  Form,  in 
welcher  der  Alkohol,  sei  es  als  Bier,  Wein  oder  Schnaps,  aufgenommen  wird, 
bezüglich  auch  der  Chloroformnarkose.  Diese  Beziehungen  sind  im  Allgemeinen 
Teil  erörtert  und  es  kann  hier  darauf  verwiesen  werden.  Nur  das  ist  zu 
beachten,  daß  für  den  Alkoholisten  schwererer  Art  in  der  Chloroformnarkose 
eine  große  Gefahr  liegen  kann,  denn  das  Chloroform  übt,  infolge  seiner  Ein- 
wirkung auf  das  Herz  und  den  Blutdruck,  einen  schwer  schädigenden  Einfluß 
auf  das  durch  den  Alkohol  krankhaft  veränderte  Herz  und  Gefäßsystem  in 
besonderem  Maße  aus.  Deshalb  muß  der  Narkotiseur  gegenüber  solchen 
Personen  vor  allem  folgendes  beachten:  Findet  sich  bereits  eine  schwere 
Schädigung  des  Herzmuskels,  Myocarditis  oder  Fettmetamorphose  stärkeren 
Grades,  so  ist  eine  reine  Chloroformnarkose  in  allen  Fällen  sehr  gefährlich 
und  am  besten  zu  vermeiden.  Die  hochgradigsten  Trinker,  namentlich  Schnaps- 
trinker, sind  unter  diese  Kategorie  zu  rechnen.  Bei  weniger  stark  krankhaft 
affizierten  Herzen  ist  eine  Chloroformuarkose  wohl  möglich,  doch  der  Narkoti- 
seur muß  sehr  vorsichtig  dosieren  und  genau  die  Herztätigkeit  überwachen, 
mit  besonderem  Verdacht  auf  etwa  eintretende  Synkope.  In  anderen  Fällen 
bietet  beim  Trinker  die  Arteriosklerose  Gefahren  wegen  Apoplexien,  Blutungen 
im  Gehirn  infolge  fettigdegenerierter  Gefäßwand.  Hierbei  ist  die  Gefahr  teils 
während  der  Narkose  groß,  deshalb  muß  der  Narkotiseur  durch  langsames 
vorsichtig  dosiertes  Einleiten  der  Chlorotormierung  jede  starke  Exzitation 
wegen  der  Erhöhung  des  Blutdruckes  vermeiden  und  verhüten,  teils  liegt  sie 
in  der  Zeit  nach  der  Narkose,  denn  die  infolge  Arteriosklerose  zur  Fettmetamor- 
phose disponierte  Gefäßwand  wird  während  der  Chlorformierung  erkranken 
und  jede  später  eintretende  plötzliche  Blutdrucksteigerung  kann  zu  einer 
Apoplexie  führen.  Es  ist  also  bei  Potatoren  vor  allem  das  Exzitationsstadium 
abzukürzen  und  zu  verhüten,  dabei  neigen  diese  Kranken  stark  zur  Exzitation. 

Es  sind  aber  nicht  nur  die  typischen  Alkoholisten,  die  eine  stärkere 
Exzitation  in  der  Chloroformnarkose  und  größere  Resistenz  gegenüber  derselben 
zeigen,    es    sind    auch    alle    jene  Männer,    die    wir   nicht  zu  den  Alkoholisten 


—     318     — 

rechnen,  die  nur  mäßig-  und  wenig  Alkohol  zu  sich  nehmen,  schwerer  zu 
chloroformieren  und  neigen  zur  Exzitation.  Es  besteht  ein  großer  Unterschied 
zwischen  einer  Narkose  an  einem  abstinenten  und  einem  mäßig  Alkohol  zu 
sich  nehmenden  Manne. 

Aber  auch  Frauen  sind  nicht  ganz  aus  der  Gruppe  der  Alkoholisten 
zu  streichen,  mau  findet  auch  unter  ihnen  solche,  die  infolge  starken 
Alkoholgenusses  schwere  Exzitationsstadien  aufweisen  und  dadurch  als 
Alkoholisten  zu  erkennen  sind.] 

Sonst  zeigt  die  Frau  und  das  Kind  eine  sehr  geringe  Widerstandskraft 
gegen  Chloroform.  Namentlich  die  Frau  in  der  Entbindung  ist  leicht  zu 
chloroformieren.  Im  allgemeinen  findet  man  bei  Frauen  nie  ein  Exzitations- 
stadiirm,  wenn  die  Narkose  gut  geleitet  und  Alkoholismus  nicht  vorliegt. 
Allerdings  kommt  der  Charakter  etwas  mit  in  Betracht  und  die  nervösen 
Veranlagungen,  Hysterie  und  Neurasthenie.  Die  Neurasthenischen  und 
Hysterischen  sind  etwas  widerstandsfähiger  gegen  die  Chloroformwirkuug. 
Im  großen  und  ganzen  darf  bei  einer  normalen,  quo  ad  alcohol  normalen 
Frau  in  der  Chloroformnarkose  stärkere  Exzitation  nicht  eintreten,  der 
Narkotiseur  muß  dieselbe  vermeiden  können.  Näheres  hierüber  ist  früher 
gesagt.  Bei  den  Kindern  wird  es  bisweilen  nicht  ganz  ohne  Exzitation  ab' 
gehen,  da  dieselben  leicht  die  Luft  anhalten  und  sich  sträuben.  Allein 
man  kann  auch  durch  vorsichtiges  Einschleichen  ein  Kind  chloroformieren, 
ohne  daß  es  etwas  merkt,  wenn  es  nur  auf  Zuspruch  sich  beruhigen 
läßt.  So  sieht  man  einen  bedeutenden  Unterschied  im  Alter  und  dem 
Geschlecht  gegenüber  der  Chloroformwirkung.  Es  ist  aber  noch  eine 
kurze  Betrachtung  über  die  Verhältnisse  der  Frauen  in  der  Geburt  gegenüber 
der  Chloroformwirkung  hier  anzuschließen. 

Es  ist  in  diesen  Fällen  das  Chloroform  sicher  das  am  meisten  ver- 
wandte Narkotikum,  erstens  weil  dasselbe  nicht  feuergefährlich  ist  und  weil 
die  meisten  Entbindungen  nachts  unsere  Hilfe  fordern.  In  der  Geburt  besteht 
eine  so  geringe  Resistenz  der  Frauen  gegen  Chloroform,  daß  sie  schon  nach 
wenigen  Tropfen  narkotisiert  sind.  Dies  hat  seinen  Grund  darin,  daß  die 
Frau  ermattet  und  oftmals  schon  stark  verblutet  ist,  was  beides  dazu  bei- 
trägt, der  Chloroformwirkung  wenig  Widerstand  entgegenzusetzen,  zweitens 
wünschen  die  Frauen  so  sehnlichst  eine  Erleichterung,  denn  meist  haben  sie 
schon  längere  Zeit  leiden  müssen,  ehe  die  Hebamme  das  Feld  räumt  und  den 
Arzt  ruft,  daß  sie  mit  Freuden  die  Chloroformdämpfe  einatmen,  und  so  wegen 
der  regelmäßigen  tiefen  Inspirationen  schnell  in  Narkose  verfallen.  Beob- 
achtungen haben  nun  gezeigt,  daß  man  in  der  Tat  bei  Frauen  während  der 
Entbindung  die  Toleranz  schon  sehr  zeitig  erreicht  und  oftmals  sind  sie  noch 
lange  nicht  tief  narkotisiert  und  man  kann  schon  die  betr.  Operation  be- 
ginnen, ohne  daß  sie  eine  Empfindung  haben.  Bei  keiner  sonstigen  Narkose 
braucht  man  in  derselben  Zeit  so  wenig  Chloroform,  als  bei  geburtshilflichen 
Operationen. 

Man  hat  nun  früher  das  Chloroform  dazu  verwandt,  um  Frauen  die 
Schmerzen  der  Entbindung  zu  lindern,  indem  man  dieselben  nur  so  weit 
narkotisierte,  daß  sie  die  Wehen  nur  ganz  wenig  oder  eben  nicht  mehr 
empfanden,  und  daß  dabei  die  Kontraktionen  des  Uterus  nicht  gelähmt  wurden. 
So  hat  man  die  Puerpera  stundenlang   in  Halbnarkose  erhalten  und  die  Ent-- 


—     319     — 

brndung  vor  sich  gehen  lassen.  Man  ist  jetzt  mit  Recht  von  diesem  Ver- 
fahren ganz  abgekommen,  bestehen  doch  zu  viel  Gefahren  bei  einer  so  langen. 
Narkose,  daß  der  Nutzen  nicht  die  Gefahren  aufwiegt.  Es  ist  ja  natürlich, 
daß  die  lange  Narkose  auf  die  parenchymatösen  Organe  deletär  einwirken 
kann  und  dann  besteht  noch  die  Gefahr,  daß  das  Kind  ebenfalls  narkotisiert 
wird  und  ev.  tot  oder  schwer  apnöisch  zur  Welt  kommt.  Einen  solchen  Fall 
habe  ich  selbst  erlebt,  wo  eine  Halbnarkose  über  2  Stunden  lang  zur  Er- 
leichterung der  Kranken  bis  zu  meinem  Eintreffen  gemacht  wurde  und  das. 
Kind,  ein  großer  kräftiger  Knabe,  tot  zur  Welt  kam.  Es  war  in  diesem  Falle 
für  den  Tod  des  Kindes  nach  meiner  Überzeugung  die  Hauptursache  in  der 
langen  Narkose  zu  suchen. 

Aus  diesem  Grunde  muß  entschieden  von  langen  Chloroformnarkosen 
während  der  Entbindung  abgeraten  werden.  Außerdem  liegt  eine  Gefahr  für 
die  Frau  auch  in  der  oftmals  starken  Blutung,  die  eine  Anämie  hervorgebracht 
haben  kann.  Da  man  nun  die  Beobachtung  gemacht  hat,  daß  gerade  Chloroform  bei 
Anämie  durch  Blutung  besonders  gefährlich  auf  das  Herz  wirkt,  und  da  hierbei 
noch  die  allgemeine  Schwäche  der  Gravida  und  ihre  geringe  Widerstandskraft 
hinzukommt,  so  soll  man  lange  dauernde  Chloroformnarkosen  vermeiden,  hin- 
gegen ist  kein  Bedenken  gegen  eine  kurze  Narkose  für  die  Ausführung  der 
Operation  zu  hegen.  Zweifel  ist  derselben  Ansicht  und  sieht  Gefahr  in  dem 
Übergang  des  Chloroforms  auf  das  Kind,  dem  stehen  Duterre  und  Dobro- 
wolsky  entgegen. 

Was  den  Einfluß  des  Chloroforms  auf  die  Wehentätigkeit  anlangt,  so 
ist  derselbe  nach  Dönhoff,  welcher  genaue  Untersuchungen  mit  dem 
Takodynamometer,  ein  in  den  Uterus  eingeführtes  Manometer,  angestellt 
hat,  der,  daß  die  Wehen  durch  die  leichteste  Narkose  etwas  gelähmt  werden. 
Die  Summe  des  Wehendruckes  sinkt  in  gleicher  Zeit  in  der  Narkose  fast  bis 
auf  die  Hälfte,  auf  '/is  des  vor  der  Narkose  bestehenden  Druckes.  Nach  der 
Narkose  tritt  bald  wieder  eine  geringe  Steigerung  der  Wehentätigkeit  auf.. 
Die  Summe  des  AVehendruckes  in  der  gleichen  Zeit  nach  der  Narkose  verhält 
sich  zu  dem  unmittelbar  vor  der  Narkose  vorhandenen  Drucke  wie  2:3.  Die 
Wehentätigkeit  bleibt  nach  der  Narkose  noch  lange  Zeit  geringer  als  sie  vor 
der  Narkose  war.  In  2  Fällen  war  die  ursprüngliche  Wehentätigkeit  erst 
2  Stunden  nach  Beendigung  der  Narkose  vorhanden.  Die  Bauchpresse  wird 
schon  durch  leichte  Narkose  in  ihrer  Tätigkeit  geschwächt  und  ganz  aufgehoben. 
nur  wenn  sie  vor  der  Narkose  sehr  angestrengt  war,  funktioniert  sie  auch  in 
der  Halbnarkose  weiter.  Die  Wehenpausen  werden  selbst  bei  einer  leichten 
Narkose  länger,  die  Wehenzahl  verringert  sich  um  20 — 25%  sogar.  Es  ist 
also  auch  hierdurch  einleuchtend,  daß  man  besser  die  langen  Halbnarkosen, 
nicht  anwendet. 

Bei  Krampfwehen  ist  die  einzige  Gelegenheit,  wo  die  Narkose  angebracht 
ist.  Durch  die  Eigenschaft,  die  Wehen  zu  verringern,  trägt  die  Narkose  in 
solchen  Fällen  dazu  bei,  die  Geburt  zu  beschleunigen.  Dazu  genügt  meist 
eine  kleine  Menge  Chloroform.  Bei  eklamptischen  Anfällen  ist  eine  Narkose 
mit  Chloroform  auf  alle  Fälle  zu  verbieten,  wenn  dieselbe  zur  Linderung 
der  Krämpfe  dienen  soll. 

In  neuerer  Zeit  wird  Chloroform  bei  Eklampsie  strikte  verboten,  da  man 
bereits   eine   Intoxikation  des  Organismus   vor  sich    hat  und  nicht  noch  eine 


—      320-     — 

zweite  ohne  Schaden  des  Kranken  hinzufügen  darf.  Das  Chloroform  ist  hier 
besonders  schädlich,  deshalb  soll  man  Aether  snlf.  wählen,  wenn  wegen  eines 
operativen  Eingriffes  bei  Eklampsie  Narkose  nötig-  wird. 

Bei  schweren  puerperalen  Septicaemien  ist  Chloroform  ebenfalls  kontra- 
indiziert, Dührssen  erwähnt  einen  Todesfall  infolge  der  Chloroform  Wirkung 
"bei  einer  septischen  Gebärenden.  Der  Grund  liegt  in  der  schweren  Schädigung 
und  Affektion  von  Herz  und  Nieren  durch  die  Toxine  bei  der  Septicaemie  und 
der  Vorliebe  des  Chloroforms,    solche  Prozesse  zu  fördern  und  zu  verstärken. 

Nach  langen  Chloroformuarkosen  während  der  Gravidität  der  Frauen 
sind  Aborte  beobachtet  worden  (Rüge,  Meli  seh  er),  die  auf  die  Chloroform- 
wirkung ätiologisch  zurückgeführt  wurden.  Ferner  hat  man  bei  stillenden 
Frauen  längere  Chloroformnarkosen  verboten,  weil  das  Chloroform  in  die  Milch 
übergehe  und  das  Kind  dadurch  Schaden  erleide. 

Aus  all  diesen  Umständen  ersieht  man,  wie  schwer  schädigend  das 
Chloroform  in  verschiedeneu  Zuständen  des  Menschen  wirken  kann  und  es 
müssen  alle  diese  Verhältnisse  genau  beachtet  werden.  Immerhin  kommt  es 
vor,  daß  ein  Arzt  auch  in  Fällen,  wo  man  Chloroform  verbietet,  dasselbe  not- 
gedrungen anwenden  muß,  dann  wird  er  von  Fall  zu  Fall  entscheiden  müssen, 
ob  er  die  Verantwortung  der  Narkose  tragen  kann  oder  nicht.  Immer  muß 
man  auch  bedenken,  daß  man  durch  vorsichtige,  genau  alle  Umstände  beachtende 
€hloroformieruug  viel  Nachteile  verhüten  oder  vermindern  und  dem 
Kranken  auch  in  den  schwersten  Fällen  doch  die  Vorteile  der  Chloroform- 
uarkose  unter  möglichster  Einschränkung  der  Gefahren  zuteil  werden 
lassen  kann. 

Es  sind  hier  nicht  alle  Kontraiudikationen  angeführt,  dies  wird  in  einem 
besonderen  Kapitel  erörtert  werden,  wo  über  die  Wahl  zwischen  Chloroform 
und  Aether  sulfur.  gesprochen  werden  soll.  Es  kommen  bei  der  Chloroform- 
uarkose  auch  die  im  Allgemeinen  Teil  als  Kontraindikationen  für  die  Narkose 
überhaupt  angeführten  Momente  in  Betracht. 

Ehe  dies  Kapitel  verlassen  werden  soll,  mögen  noch  in  kurzen  Worten 
die  Mittel  und  Wege  erörtert  werden,  die  für  die  Chloroformnarkose  zur  Hand 
sind,  um  die  Gefahren  zu  mindern.  Es  gehören  hierher  neben  der  exakten 
Technik  und  Ausführung  der  Narkose  all  die  früher  erörterten  Verhältnisse. 
Es  muß  natürlich  der  Kranke  so  für  die  Chloroformnarkose  vorbereitet  sein, 
wie  dies  im  Allgemeinen  Teil  bestimmt  ist.  Es  kommen  hierbei  noch  zwei 
Maßnahmen  in  Betracht,  das  ist  die  vorherige  Verabreichung  von  Digitalis- 
Strophanthus  und  Morphin.  Es  ist  gerade  für  die  Chloroformnarkose  von 
besonderer  Bedeutung,  die  Herztätigkeit  in  bester  Ordnung  und  Funktion  für 
die  Narkose  zu  erhalten.  Deshalb  ist  von  Witzel  u.  a.  geraten  worden,  dem 
Kranken  vor  der  Narkose  Digitalis  und  Strophanthus  zu  verabreichen  und 
auch  nach  der  Narkose  dies  zur  Verhütung  etwa  eintretender  Herzschwäche 
zu  geben.  Es  ist  entschieden  anzuraten,  dies  auch  bei  der  Chloroformnarkose 
zu  tun,  wenigstens  sollte  es  bei  allen  jenen  Kranken,  welche  auch  nur  die 
geringste  Herzaffektion  aufweisen,  bei  Alkoholisten,  Arteriosklerotikern,  älteren 
Leuten  etc.  nicht  unterlassen  werden. 

Wie  früher  schon  erwähnt,  kann  mau  etwaiger  Synkope  bei  Potatoren 
dadurch  vorbeugen,  daß  man  dem  Kranken  am  Morgen  des  Operationtages  ein 
halbes  Glas  Wein  oder  etwas  Tee  mit  Rum  oder  Kognak  verabreicht  (AVitzel). 


—     321     — 

Ist  es  unmöglich,  dies  per  Os  zu, geben,  so  wird  dem  Kranken  ein  Einlauf  in 
den  Darm  mit  entsprechenden  Flüssigkeiten  verabreicht  (s.  Allgemeinen  Teil). 
Dies  ist  auch  bei  der  Ghloroformnarkose  sehr  wichtig  und  es  kann  durch 
solche  kleine  Alkoholgaben  schweren  Unfällen  vorgebeugt  werden. 

Was  nun  die  Morphiunigabe  anlangt,  so  will  ich  hier  nicht  die 
kombinierte  Morphium-Chloroformnarkose  besprechen,  das  soll  in  einem 
anderen  Kapitel  getan  werden,  sondern  es  soll  hier  nur  die  Verwendung  von 
Morphin  behandelt  werden  wie  es  durch  besondere  Verhältnisse  gefordert  wird. 
Vor  allem  die  Alkoholiker,  nervös  aufgeregten  Personen,  welche  voraussichtlich 
eine  sehr  starke  Exzitation  in  der  Chloroformnarkose  werden  zu  überstehen 
haben,  werden  durch  eine  geringe  Gabe  von  Morphin  subcutan  vor  der  Narkose 
vor  allzustarker  Exzitation  bewahrt.  Es  ist  daher  zu  raten,  solchen  Patienten 
vor  der  Narkose  eine  Morphiuinjektion  von  0,001 — 0,01  zu  verabreichen,  die 
Größe  der  Dosis  hat  zu  wechseln  nach  den  verschiedenen  körperlichen  und 
krankhaften  Zuständen,  Alter,  Geschlecht  etc.  Die  Injektion  hat  am  besten 
^2  Stunde  vor  Beginn  der  Narkose  zu  erfolgen.  Es  wird  auf  diese  Weise  er- 
reicht, daß  der  Kranke  schneller  in  die  Toleranz  verfällt. 

Aus  diesem  gelegentlichen  Verwenden  des  Morphins  ist  die  kombinierte  Mor- 
phin-Chloroformnarkose geschaffen  worden,  worüber  später  geschrieben  werden  hoU. 

Ein  weiterer  Vorteil  der  vorhergegangenen  Morphininjektion  ist  das 
Verschwinden  des  Brechens  in  und  nach  der  Narkose.  Man  hat  auch  bei 
Personen,  welche  sehr  viel  und  stark  nach  der  Chloroformierung  brechen,  noch 
nach  der  Narkose  eine  schwache  Morphininjektion  gemacht,  die  in  vielen 
Fällen  das  Brechen  lindert.  Über  die  Zeit  der  Morphininjektiou  vor  der 
Narkose  ist  man  geteilter  Ansicht,  später  werden  einzelne  Ansichten  erörtert 
werden,  hier  ist  zu  beachten,  daß  für  den  Zweck  der  Verhütung  starker 
Exzitation  ^/^  Stunde  vor  der  Narkose  am  besten  die  Morphininjektion  geschieht. 

Gegen  das  nach  der  Chloroformnarkose  oftmals  je  nach  der  individuellen 
Beschaffenheit  des  Kranken  sehr  stark  auftretende  Erbrechen  ist  von  Seh ü Her 
Orexin  empfohlen  worden.  Derselbe  gibt  Orexinbasen  oder  Orexiuum  tannicum 
in  mehrfach  wiederholten  Dosen  von  0,3 — 0,4  in  Oblaten  und  hat  guten  Er- 
folg damit  gehabt.  Weljaminow  hat  mit  Erfolg  gegen  das  Erbrechen 
Injektionen  von  Spermin  angewandt.  Chorwath  hat  gefunden,  daß  ältere 
Personen,  Hysteriker,  Alkoholiker  etc.  unter  dem  Einfluß  des  Sperminum-Poehl 
viel  größere  Chloformmeugen  und  längere  Narkosen  mit  Chloroform  als  sonst 
vertragen  und  daß  die  Narkosen  besser  verlaufen,  Erbrechen,  Synkope  und 
Apnoe  sollen  nur  sehr  viel  seltener  auftreten. 

Dies  sind  Mittel  und  Methoden,  welche  noch  der  Nachprüfung  und 
Erfahrung  bedürfen,  ehe  man  über  sie  urteilt.  Ich  möchte  noch  bemerken, 
daß  gerade  beim  Erbrechen  nach  Chloroformuarkosen  die  Magenspülung  ein 
glänzend  erfolgreiches  Mittel  ist,  das  nie  versagen  wird.  Ist  das  Erbrechen 
sehr  stark,  so  ist  es  das  sicherste  Mittel,  da  der  chloroformhaltige  Magensaft 
einen  Reiz  auf  die  Magenuerven  ausübt.  Derselbe  wird  durch  die  Spülung  ent- 
fernt und  vor  allem  werden  Schleimmengen  herausbefördert,  die  selbst  beim  Er- 
brechen noch  an  der  Magenschleimhaut  haften  bleiben. 

Büdinger  hat  nämlich  nachgewiesen,  daß  der  Speichel,  das  Sputiim,  und 
der  Schleim  besonders  lange  Zeit  noch  nach  der  Narkose  Chloroformmengen 
enthalten.  Dieses  Sputum  wird  ja  eben  in  den  meisten  Fällen  verschluckt  und 

21 


—     322     — 

gelangt  in  den  Magen,  wo  es  wegen  des  in  ihm  enthaltenen  Chloroforms  Erhrechen 
bewirkt.  Nach  den  Untersuchungen  von  B.  fand  sich  noch  bis  vier  Tage  nach 
langen  Narkosen  Chloroform  in  der  Expiratiousluft,  während  nach  16 — 18  Stunden 
nach  verschwinden  des  Chloroforms  aus  der  Atmungsluft  solches  im  Sputum 
noch  immer  zu  finden  war.  Es  ist  kein  Zweifel,  daß  der  mit  Chloroformmengen 
vermischte  Schleim  noch  nach  der  Narkose  zu  Schädigungen  des  Wohlbefindens 
Anlaß  gibt,  und  daß  man  dafür  sorgen  muß,  denselben  nach  Möglichkeit  aus 
dem  Magen  zu  entfernen. 

Weber  gibt  als  Vorbeugemittel  für  das  Erbrechen  in  der  Chloroform- 
narkose an,  man  solle  den  Kranken,  wenn  möglich,  tage-  ja  wochenlang  vor 
der  Narkose  eine  mit  Chloroformwasser  versetzte  Pepsin-Salzsäurelösung  ver- 
ordnen zum  dreimaligen  täglichen  Einnehmen.  Er  beobachtete  nämlich,  daß 
Kranke,  denen  er  diese  Lösung  dyspeptischer  Zustände  wegen  verordnet  hatte, 
eine  Chloroformuarkose  sehr  gut  überstanden,  ohne  in  oder  nach  der  Narkose 
zum  Erbrechen  zu  kommen.  Es  ist  ja  die  Wirkung  dieses  Mittels  leicht  er- 
klärlich, nur  kann  man  es  nicht  allgemein  brauchen,  da  man  selten  Patienten 
wochenlang  für  eine  Chloroformnarkose  durch  langsames  Gewöhnen  an  die 
Chloroformwirkung  vorbereiten  kann. 

Es  ist  nun  alles  hier  angeführt  worden,  was  für  die  Chloroformuarkose 
typisch  und  wissenswert  ist.  Die  besonderen  Details,  die  hier  vermißt  werden, 
sind    im    Allgemeinen  Teil    erörtert,    da    sie    für    alle  Narkosen  wichtig  sind. 

Die  reine  Chloroformnarkose,  wie  sie  hier  beschrieben  ist,  stellt  immer 
noch  die  meist  angewandte  Narkose  dar,  und  sie  ist,  wenn  korrekt  von  einem 
Arzte  ausgeführt,  auch  die  beste  Narkose,  die  wir  bis  jetzt  besitzen,  da  sie 
leicht  überall  und  unter  allen  Verhältnissen  ausführbar  ist.  Ich  will  das 
Kapitel  nicht  schließen,  ohne  noch  mit  einigen  Worten  der  von  Riedel  an- 
gegebenen Chloroformrauschmethode  Erwähnung  zu  tun.  Diese  Methode  ist 
eine  Analgesie,  wie  sie  in  jeder  Narkose  am  Anfang  derselben  zwischen 
dem  1.  und  2.  Stadium  eintritt.  Der  Kranke  ist  vollkommen  bei  sich  und 
fühlt  keinen  Schmerz.  Zuerst  wurde  diese  Methode  beim  Äther  entdeckt  und 
angeraten  zu  Operationen  (Sud eck).  Diese  Rauschnarkose  tritt  ein,  wenn 
man  den  Kranken  recht  schnell  tiefe  Atemzüge  unter  der  Maske  tun  läßt. 
Da  nun  diese  rasche  Intoxikation  mit  Chloroform  große  Gefahren  in  sich 
birgt  (Reflexsynkope  etc.)  und  sehr  leicht  eine  starke  Überschwemmung  des 
Blutes  mit  Chloroform  eintreten  kann  (Synkope),  so  ist  von  der  Methode  ent- 
schieden abzuraten.  Die  Dauer  des  Chloroformrausches  ist  auch  bedeutend 
kürzer  als  die  des  Ätherrausches,  da  Chloroform  eine  kürzere  Narkosenbreite 
besitzt.  Auch  dieser  Umstand  macht  die  Methode  nur  selten  anwendbar,  da 
sie  für  die  meisten  Operationen  zu  kurz  ist.  Man  ist  in  neuerer  Zeit  ganz 
von  dieser  Methode  abgekommen,  sie  ist  auch  tatsächlich  nur  von  wenigen 
Operateuren  probiert  (Lawrie,  etc.)  und  bald  wieder  verlassen  worden.  So- 
mit ist  ihrer  nur  als  historische  Tatsache  zu  gedenken.  Man  ersetzt  sie  in 
geeigneten  Fällen  durch  die  Halbnarkose,  indem  man  den  Kranken  nicht  bis 
zur  tiefen  Toleranz  betäubt,  sondern  ihn  im  ersten  Anfange  der  Toleranz,  im 
Übergang  vom  2.  zum  3,  Stadium  erhält,  wobei  noch  Reflexe  vorhanden,  aber 
das  Schmerzgefühl  und  die  Besinnung  geschwunden  sind.  Dies  ist  auch  eine 
wenig  gefährliche    und   leichte  Narkose,    die    den  Rausch  vollkommen  ersetzt. 


—     323     — 

IL  Kapitel. 
Die  Äthernarkose. 

§  5.  Nachdem  iu  dem  Vorigen  das  Chloroform  in  seiner  schwerwiegenden 
Bedeutung  für  den  menschlichen  Organismus  behandelt  worden  ist,  wird  nun- 
mehr ein  anderer  chemischer  Körper  unsere  Aufmerksamkeit  in  Anspruch 
nehmen,  ein  Körper,  der  eigentlich  in  der  Geschichte  der  Narkosenwissenschaft 
ältere  Anrechte  auf  Erwähnung  als  Narkotikum  hat,  der  denn  auch  seit  dem 
Bestehen  einer  Narkologie  im  Kampfe  mit  dem  Chloroform  sich  befunden,  der 
Äther,  kurzweg  so  genannt;  obwohl  dieses  Wort  eine  Gruppe  von  Verbindungen 
bezeichnet,  erkennt  aber  doch  jeder  Arzt  sofort  unter  dieser  Bezeichnung  den 
Äthyläther,  den  er  zu  Narkosen  jeglicher  Art  verwendet.  Es  soll  hier  nicht 
chronologisch  verfahren  werden,  denn  sonst  wäre  die  Äthernarkose  vor  der 
Chloroformnarkose  zu  behandeln,  sondern  ich  habe  erst  jene  erörtert,  weil 
dieselbe  als  erste  und  wichtigste  dasteht  unter  allen  Narkosen,  weil  sie  vor 
allen  dem  praktischen  Arzte  die  Narkose  der  Praxis  bedeutet  und  somit  die 
erste  Stelle  verdient.  Ich  bin  mir  indessen  wohl  bewußt,  daß  man  wohl  kaum 
mit  vollem  Recht  die  eine  der  anderen  Narkose  wird  vorziehen  können,  der 
Äther  ist  ebenso  wertvoll  wie  das  Chloroform,  und  es  soll  deshalb  nicht  das 
Gemüt  des  Ätherfreundes  beleidigen,  wenn  sein  Liebling  an  zweiter  Stelle  steht. 
Einer  muß  eben  zuerst  kommen. 

Der  Äther,  welcher  zur  Narkose  Verwendung  findet,  ist  der  früher  so- 
genannte Schwefeläther  Aether  sulfuricus.  Derselbe  ist  seiner  chemischen  Zu- 
sammensetzung nach  Äthyläther,  (C2H5)20  oder  C4H10O. 

Derselbe  stellt  eine  wasserhelle,  stark  lichtbrechende  Flüssigkeit  dar  von 
der  Fähigkeit,  leicht  zu  verdunsten.  Der  Siedepunkt  liegt  bei  35°,  das  spezi- 
fische Gewicht  ist  0,720.  Der  Geruch  des  Äthers  ist  stechend,  dabei  erfrischend, 
säuerlich;  infolge  des  niederen  Siedepunktes  ruft  der  Äther  auf  die  Haut  ge- 
gossen Kältegefühl  hervor.  Der  Äther  läßt  sich  aus  gewöhnlichem  Alkohol 
dadurch  ableiten,  daß  ein  Atom  Wasserstoff  im  Äthylalkohol  durch  die  Gruppe 
CjHr,  substituiert  ist,  also  Äthylalkohol  =  CgH^OH,  folglich  Äthyläther  = 
C2H5O  C^H-  =--  (C2H5) , .  0  =  C^HioO.  Der  Äther  besitzt  eine  sehr  leichte  Ent- 
zündbarkeit, seine  Dämpfe  mit  Luft  gemischt  stellen  ein  Gasgemenge  von 
hoher  Explosionskraft  dar.  was  eine  große  Gefahr  bei  der  Verwendung  des 
Äthers  repräsentiert.  Man  unterscheidet  zweierlei  Äthersorten.  Den  gewöhn- 
lichen Aether  sulfur.,  welchen  wir  zum  Waschen  etc.  verwenden,  sowie  den 
Aether  pro  narcosi.  Dies  Attribut  pro  narcosi  unterscheidet  den  reinen  Äther 
von  dem  gewöhnlichen,  welcher  nicht  chemisch  rein  ist. 

Der  Äther  ist  ein  weniger  starkes  Narkotikum,  was  aus  der  leichteren 
Verdampfbarkeit,  dem  niedrigen  Siedepunkt  resultiert.  Es  ist  infolgedessen 
zu  einer  Narkose  mit  Äther  eine  bedeutend  größere  Quantität  nötig  als  z.  B. 
von  Chloroform.  Während  man  beim  Chloroform  mit  30 — 50  ccm  eine  nicht 
zu  lange  Narkose  ausführen  kann,  so  braucht  man  vom  Äther  wenigstens  100  cbm. 
Deshalb  sind  die  von  den  Fabriken  unter  Garantie  der  Reinheit  in  den  Handel 
gebrachten  Flaschen  solche  von  100  g  Inhalt.  Es  muß  dieser  Umstand  der 
geringeren  narkotischen  Kraft  wohl  beachtet  werden,  denn  es  kann  sonst  dem 
Arzt  in  praxi  leicht  passieren,  daß  der  Vorrat  an  Äther  nicht  zu  einer  Nar- 
kose   ausreicht.     Analog    der  geringeren  narkotischen  Kraft  besitzt  der  Äther 

21* 


—     324     — 

eine  größere  Narkosenbreite.  Zu  einer  Narkose  braucht  man  vom  Äther  nach 
Overton  ein  Luftätherdampfgemisch  von  20  g  Äther  auf  100  1  Luft. 

Der  Äther  besitzt  eine  starke  Eigenschaft,  sich  zu  zersetzen,  und  zwar 
tragen  dazu  bei,  das  Licht  und  die  Luft,  ebenso  die  Temperatur.  Lassen  wir 
Äther  an  der  Luft  und  bei  Zutritt  von  Licht  stehen,  so  finden  wir  schon  an 
dem  Geruch,  daß  mit  dem  Äther  eine  Veränderung  vor  sich  gegangen  ist. 
Der  Geruch  ist  ein  wesentlich  anderer  geworden,  derselbe  ist  säuerlicher 
und  stark  von  dem  stechenden  Geruch  des  reinen  Äthers  verschieden,  und  es 
sind  diese  Dämpfe  nicht  mehr  Äther-,  sondern  Azetondämpfe  sowie  andere 
Zersetzungsprodukte.  Daher  muß  man  beim  Aufbewahren  peinlich  darauf 
achten,  daß  die  Flasche  luftdicht  abgeschlossen  ist  und  daß  die  Einwirkung 
des  Lichtes  verhindert  wird.  Das  letztere  geschieht  durch  dunkles  Glas. 
Wenn  eine  Flasche  mit  braunem  Glas  gentigt,  um  andere  Stoffe  ganz  vor  Zer- 
setzung durch  Licht  zu  schützen,  so  ist  beim  Äther  nicht  ganz  vollkommene 
Sicherheit  damit  gegeben,  sondern  man  muß  darauf  achten,  die  Ätherflaschen, 
auch  wenn  sie  aus  farbigem  Glas  hergestellt  sind,  nicht  dem  Licht  auszusetzen, 
sondern  im  Dunkeln  aufzubewahren.  Selbst  in  farbigen  Flaschen  zersetzt  sich 
Äther,  wenn  er  im  Licht,  womöglich  Sonnenlicht,  dasteht. 

Der  Äther  ist  in  Alkohol  löslich,  mit  Ölen  und  Fetten  mischbar,  in 
Wasser  wenig  löslich. 

Mit  Chloroform  ist  derselbe  ebenfalls  leicht  zu  mischen.  Der  Äther  besitzt 
eine  weitaus  größere  Neigung  zu  verdunsten  als  das  Chloroform.  Die  Wirkungen 
für  die  Narkose  können  nur  dann  eine  für  den  Organismus  völlig  gleichbleibende 
und  in  der  Schädlichkeit  am  beschränktesten  sein,  wenn  der  Äther  völlig  rein 
und  absolut  ist.  Es  ist  nun  die  Art  der  Darstellung,  wie  wir  es  schon  beim 
Chloroform  sahen,  ein  Umstand,  welcher  für  die  absolute  Reinheit  eine  an- 
nähernde Sicherheit  gewährt.  Man  hat  verschiedene  Arten  der  Darstellung  er- 
funden und  es  besteht  ein  Wettstreit  der  Fabriken,  möglichst  ein  gutes,  ein- 
'  wandfreies  Präparat  zu  liefern. 

Man  gewinnt  Aether  sulfur.,  indem  man  Weingeist  mit  Schwefelsäure 
vermischt.  Daher  ist  der  Name  Schwefeläther  entstanden,  zum  Unterschied 
gegen  andere  Äther.  Richtiger  als  die  alte  Bezeichnung  Schwefeläther  ist  der 
Ausdruck:  Äthyläther.  Es  ist  diese  Benennung  analog  der  Alkoholreihe,  wir  haben 
Äthylalkohol,  Methylalkohol,  Propylalkohol  etc.  und  so  haben  wir  Äthyläther, 
Methyläther,  Propyläther  etc.,  je  nachdem  man  Äthyl-,  Methyl-,  Propylalkohol  zur 
Darstellung  nimmt.  Aus  dem  Gemisch  von  Äthylalkohol  mitH2S04  entsteht  zuerst 
Äthylschwefelsäure,  dann  regeneriert  sich  beim  Erhitzen  Schwefelsäure  und 
Äthyläther  bildet  sich  rCaHg.OH+HsSOi^CaHs  •  H2SO4+  H2O.HSO  +  C2H5  .  0H  = 
C2H5  •  OCjHg-j-HjSOi.  Fehlt  es  der  HoSO^  an  Weingeist,  auf  den  sie  einwirken 
kann,  so  zersetzt  sie  sich  in  Äthylen  und  H2SO4,  also  C2H5HS04  =  C2H4-)-H2S04. 

In  diesem  Äther  ist  aber  sowohl  Wasser  wie  Weingeist  in  unzersetztem 
Zustande  vorhanden,  sowie  bisweilen  schweflige  Säure  und  anderej  Stoffe. 
Durch  wiederholtes  Schütteln,  Abhebern  und  Wiederdestillieren  erhält  man 
von  122,15  g  rohen  Äthers  55,3  g  reinen  Äther. 

Es  ist  von  verschiedenen  Fabriken  Aether  puriss.  dargestellt  worden 
und  man  kann  denselben  in  den  meisten  Fällen  als  ein  recht  gutes  Präparat 
bezeichnen,  so  z.  B.  den  Aether  pro  narcosi  von  Schering,  welcher  ein  vor- 
zügliches Präparat  darstellt  und  andere  mehr.     Es  ist    wichtig,  reinen  Äther 


—     325     — 

von  ruheiu  unterscheiden  zu  können,  und  es  gibt  zu  diesem  Zwecke  chemische 
Reag-entien ,  die  Verunreinigungen  in  dem  Äther  anzeigen  j  und  diese  ünter- 
suchungsmethoden  auf  etwa  besonders  oft  vorkommende  und  dem  Organismas 
nachteilige  Beimengungen  kennen  zu  lernen,  soll  in  den  nächsten  Abschnitten 
Gelegenheit  gegeben  werden. 

Man  hat  hier  sich  zunächst  zu  fragen,  welches  sind  die  Beimengungen 
im  Äther,  die  wir  zu  ermitteln  haben  und  welche  Eigenschaften  überhaupt 
muß  der  Äther  pro  narcosi  besitzen  und  wie  erkennen  wir  diese  Eigen- 
schaften. Gehen  wir  zunächst  auf  die  Eigenschaften  näher  ein,  so  müssen  wir 
von  dem  Äther  verlangen: 

1.  derselbe  muß  ein  spezifisches  Gewicht  haben  von  0,720, 

2.  derselbe    muß    auf    festes    Kaliumhydroxyd    und    Kaliumjodidlösung 
innerhalb  einer  bestimmten  Zeit  in  keiner  sichtbaren  Weise  einwirken. 

Man  hat  in  dem  Äther  als  Beimengungen  Vinylalkohol,  Wasserstoff- 
superoxyd in  geringen  Mengen,  Acetaldehyd  etc.  gefunden.  Zur  Prüfung  des 
Äthers  auf  Vinylalkohol  und  Wasserstoffsuperoxyd  sind  folgende  Reaktionen 
vorhanden : 

Scheidet  ein  Äther,  besonders  bei  Gegenwart  von  Essigsäure,  Jod  aus 
einer  Jodkaliumlösung  ab,  so  ist  diese  Reaktion  auf  Wasserstoffsuperoxyd 
zurückzuführen,  während  der  Vinylalkohol  eine  Bräunung  von  Kaliurahydroxyd 
veranlaßt. 

Die  Entstehung  von  Vinylalkohol  und  Wasserstoffsuperoxyd  sind  durch 
die  Einwirkung  des  Lichts  auf  Äther  bedingt. 

Man  hat  nun  dem  Äther,  um  ihn  haltbarer  zu  machen,  ca.  2  %  Alkohol 
zugefügt.  Es  ist  dies  nach  den  Erfahrungen,  welche  man  mit  Chloroform 
und  Alkoholzusatz  machte,  geraten  worden,  weil  man  annahm,  der  Alkohol 
habe  ebenso  wie  auf  Chloroform  auch  auf  Äther  eine  schützende  Kraft. 

Man  hat  nun  gefunden,  daß  der  reinste  Äther  durch  Sonnenlicht  zer- 
setzt wird  und  daß  Wasserstoffsuperoxyd  und  Vinylverbindungen  durch 
Lichteinwirkung  und  die  des  Sauerstoffes  auch  bei  völlig  rein  befundenem 
Äther  erzeugt  werden.  Man  fand,  daß  Wasserstoffsuperoxyd  auch 
dann  entsteht,  wenn  Äther  mit  sauerstoffhaltigem  Wasser  in  einem  ge- 
schlossenen Gefäß  unter  völligem  Abschluß  des  Lichtes  mehrere  Tage  lang 
einer  Temperatur  von  60 — 80°  C  ausgesetzt  wird  (Richard sou).  Ferner 
wurde  unter  dem  Einfluß  von  Licht  und  Luft  im  Äther  nicht  nur  Äthyl- 
peroxyd, sondern  auch  Salpetersäure  gefunden  (Berthelot).  Thoms  fand 
ferner,  daß  man  bei  einem  ursprünglich  reinen  Äther,  welcher  längere  Zeit  in 
nicht  ganz  gefüllter  Flasche  aufbewahrt  war,  beobachten  konnte,  wie  sich  nach 
Hineinwerfen  eines  feuchten  porösen  Papierstreifens  lebhaft  Gas  in  dem  Äther 
entwickelte.  Dieselbe  Eigenschaft  zeigte  Äther,  welcher  in  einem  Blechgefäß 
mit  verzinnten  Wänden,  vor  Licht  geschützt,  aufbewahrt  war;  die  Gasentwick- 
lung hat  oft  mehrere  Stunden  angehalten.  Dieser  Äther  reagierte  neutral  auf 
feuchtes  Lackmuspapier,  dasselbe  wurde  jedoch  bei  langsamem  Abdunsten  des 
Äthers  vollkommen  weiß  gebleicht.  Der  Rückstand  nach  dem  Verdunsten  war 
ölig  und  roch  stechend,  rettigähnlich,  seine  Reaktion  war  sauer,  angefeuchtetes 
Lackmuspapier  wurde  gebleicht. 

Wenn  man  frisch  gefälltes  breiförmiges  Eisenhydroxydul  mit  diesem 
Äther  in  einem  ührschälchen  übergießt,  so  wird  dasselbe  sogleich  zu  braunem 


—      326      — 

Eiseiioxyd  oxydiert,  während  die  grünliche  Farbe  des  Eisenhydroxyduls  durch 
reinen  Äther  bei  längerer  Zeit  der  Einwirkung  nicht  verändert  wird.  Wenn 
man  nun  diesen  Äther  mit  alkalischer  Lösung  von  Quecksilbermonoxychlorid 
mengt,  so  erhält  mau  in  reichlicher  Menge  die  Vinylverbindung  abgeschieden. 

Das  Gas,  welches  sich  aus  dem  Äther  entwickelt,  ist  ein  Gemenge  von 
84,4  Volumprozent  Stickstoff  uud  15,6  Volumprozent  Sauerstoff. 

Man  fand  ferner,  daß  der  sorgfältigst  gereinigte  Äther  angefeuchtetes, 
empfindliches,  rotes  Lackmuspapier  bläut.  Auch  die  Dämpfe  reiuen  Äthers 
wirken  in  derselben  Art.  Auf  andere  Reagentien  für  alkalische  Reaktion 
wirkt  Äther  allerdings  nicht  positiv.  Es  bleibt  zurzeit  noch  ein  Rätsel,  wie  die 
bläuende  Eigenschaft  des  Äthers  auf  rotes  Lackmuspapier  zu  erklären  ist.  Auf 
Fuchsinschwefligsäure  reagiert  der  Aether  purissinius  auch  positiv.  Man  hat 
nun  ganz  verschiedene  gereinigte  Äthersorten  daraufhin  geprüft  und  hat 
gefuuden,  daß  der  Äther  stets  rotes  Lackmuspapier  bläut  und  Fuchsiu- 
schwefligsäure  innerhalb  ^'4  Std.  rot  färbt  (T  h  0  m  s).  Daher  muß  man  anneh- 
men,   daß  diese  Eig'enschaften  dem  reinsten  Äther  spezifisch  sind. 

Es  hat  sich  nun  auch  gezeigt,  daß  das  Hinzusetzen  von  2*^/^  Alkohol 
nicht  die  Zersetzung  des  Äthers  verhindern  kann  und  somit  ist  es  unnötig, 
den  Äther  mit  Alkohol  zu  versetzen. 

Es  gibt  noch  andere  Proben  auf  die  Reinheit  des  Äthers,  die  wohl  Be- 
achtung verdienen.     Dieselben  sind: 

1.  Man  läßt  ca.  20  ccni  Äther  in  einer  Glasschale  verdunsten.  Der  sich 
nach  der  Verdunstung  zeigende  feuchte  Beschlag  muß  vollkommen  geruchlos 
sein  und  derselbe  darf  angefeuchtetes  blaues  Lackmuspapier  nicht  röten 
noch  bleichen.  Ist  der  Rückstand  nicht  geruchlos,  so  deutet  der  Geruch  auf 
Anwesenheit  von  Fuselölen,  Weinöl  etc.  in  dem  Äther. 

2.  Überschüttet  mau  in  einem  Uhrschälchen  einige  Tropfen  einer 
10% igen  Ferrosulfatlösung  mit  Äther  und  läßt  einige  Tropfen  Natronlauge 
hinzufließen,  so  darf  innerhalb  einer  Minute  eine  Braunfärbuug  der  Flüssigkeit 
nicht  erfolgen. 

Einige  andere  Proben  auf  verschiedene  Beimengungen  sollen  noch  auf- 
geführt werden,  durch  welche  man  im  Narsokenäther  andere  Bestandteile 
finden  kann. 

Durch  eine  rote  Verfärbung  des  Lackinuspapieres  im  Verfahren  I  ersehen 
wir,  daß  in  dem  Äther  Säuren  vorhanden  sind,  dieselben  können  sein  Schwefel- 
säure und  Essigsäure.  Aus  der  Bleichung  des  blauen  Papieres  schließen  wir 
auf  Gegenwart  von  Wasserstoffsuperoxyd.  Aus  dem  Verfahren  in  Nr.  II  er- 
sehen wir  die  Gegenwart  von  Vinylalkohol  und  Aldehyd  an  der  gelben 
Verfärbung. 

Wasserstoffsuperoxyd  kann  man  nachweisen,  indem  man  10  ccm  Äther 
mit  1  ccm  Kaliumjodidlösung  in  einem  völlig  gefüllten  geschlossenen  Glas- 
stöpselglase 3  Stunden  lang  vor  Licht  geschützt  stehen  läßt.  Bei  Anwesenheit 
von  Hydroxyd  färbt  sich  der  Äther  gelb,  ein  Farblosbleiben  desselben  zeigt  seine 
Reinheit  an. 

Eine  Probe  auf  den  Gehalt  des  Äthers  an  Aldehyd  wurde  von  Schön- 
h  eim  er  angegeben.  Derselbe  stellte  die  Behauptung  auf,  daß  aldehydfreier  Äther 
lange  nicht  die  üblen  Eigenschaften  habe,  als  der  bis  dahin  von  ihm  ver- 
wandte Aldehydäther.     Mau  löst  1  g  Fuchsin  in  1  1  Wasser  und  fügt  eine  Lö- 


—     327     — 

nuug  vou  7  g-  Natriunibisulrit  iu  18  g  H,/»  hinzu.  Nach  1  Stuude  wird  dieses 
Gemenge  mit  10  ccm  Salzsäure  versetzt  und  muß  nun  einige  Tage  stehen. 
Dann  ist  es  verwendbar  und  zeigt  bei  Aldehydgehalt  des  mit  der  Lösung 
geschüttelten  Äthers  eine  nach  wenigen  Minuten  eintretende  rote  Verfärbung, 
welche  mit  der  Zeit  tiefer  rot  wird.  Fehlt  Aldehyd,  so  bleibt  die  Lösung  klar 
und  farblos. 

R  ehn  hat  zuerst  gezeigt,  daß  der  Ätherdampf  in  Gegenwart  von  brennenden 
Gasflammen  Azetylen  bilde.  Dasselbe  ist  für  die  Umgebung  erstens  wegen  der 
starken  explosiven  Eigenschaft  und  wegen  der  die  Schleimhaut  reizenden 
Wirkung  schädlich.  Dasselbe  entsteht  durch  unvollständige  Verbrennung  der 
Ätherdämpfe.  Die  Gegenwart  des  Azetylens  in  den  Ätherdämpfen  oder  der 
Luft  läßt  sich  nachweisen,  indem  man  das  Gasgemenge  in  eine  Lösung  von 
Kupfersulfat  oder  Silbernitrat  leitet.  Es  bildet  sich  dabei  Azetylenkupfer  als 
brauner  Niederschlag  und  Azetylensilber  als  weißer  Niederschlag  (Job.  Müller). 
Den  Gehalt  des  Äthers  an  Wasser  kann  man  dadurch  nachweisen,  daß  man 
in  den  Äther  weißes  entwässertes  (geglühtes)  Kupfersulfat  bringt.  Bei  Gegen- 
wart von  Wasser  wird  das  weiße  Kupfersulfat  geblaut  (Bin z).  Ist  Alkohol  im 
Äther  enthalten,  so  löst  sich  Fuchsin,  bei  Fehlen  von  Alkohol  löst  es  sich  nicht 
im  Äther. 

Schüttelt  man  Äther  mit  Quecksilber,  so  wird  letzteres  bei  Anwesenheit 
von  H2O2  (Wasserstoffsuperoxyd)  schwarz  gefärbt. 

Weingeistgehalt  des  Äthers  weist  man  dadurch  nach,  indem  mau  zu 
dem  xither  etwas  Kaliumacetat  und  nachher  H,S04  bringt.  Der  charakte- 
ristische Geruch  von  Essigäther  zeigt,  daß  Weingeist  enthalten  ist. 

Dieses  mag  genügen,  um  uns  kurz  über  die  chemischen  Verhältnisse  des 
Äthers  zu  orientieren.  Wir  ziehen  daraus  die  Folgerungen,  daß  wir  den  Äther 
wegen  seiner  leichten  Brennbarkeit  und  der  leichten  Zersetzungsfähigkeit  seiner 
Dämpfe  in  explosive  Gase  und  Gasgemische  bei  ol^l'enen  Flammen  im  Zimmer 
nicht  verwenden  dürfen.  Es  ist  ja  in  einem  großen  Operationssaale  mit  sehr 
guter  Ventilation  keine  Gefahr,  namentlich  bei  einer  kurzen  Narkose.  Doch 
wie  leicht  vergißt  man  nicht  die  Explosionsgefahr,  wenn  man  in  anderer  Um- 
gebung narkotisieren  muß  und  hat  sich  nicht  gewöhnt,  abends  Äther  zu  ver- 
meiden, und  kann  dann  gerade  in  einem  kleinen  Baume  eine  gefährliche  Ex- 
plosion erleben.  Freilich  kann  man  bei  großer  Vorsicht  eine  Explosion  ver- 
meiden, indem  mau  die  offenen  Flammen  sehr  hoch  über  dem  Kranken  anbringt. 
Der  Äther  sinkt  infolge  seiner  größereu  Schwere  aiif  den  Fußboden  des  Zimmers, 
und  die  explosiblen  Gasgemenge  sind  nur  unterhalb  der  Gesichtsebene  des 
Kranken  zu  finden.  Wenn  die  Flammen  also  höher  angebracht  sind,  bringen 
sie  erst  bei  sehr  großen  Mengen  vou  Äther  oder  sehr  kleinem  Baum  Gefahr.  Be- 
dient man  sich  aber  des  Paqxielin,  so  ist  bei  Äthernarkosen  immer  eine  Explosion 
zu  fürchten,  da  die  Flamme  des  Paquelin  in  dem  Bereiche  der  Ätherdampfluft- 
gemische brennt  und  diese  sehr  leicht  entzünden  kann.  Dies  muß  besonders 
beachtet  werden.  Andernteils  beachten  wir  die  große  Tendenz  des  Äthers  zur 
Zersetzung  in  Gegenwart  von  Luft,  Licht  etc.  und  verwenden  nur  Äther,  der 
im  Dunkeln  aufbewahrt  wurde  und  in  gut  verschlossenem  Gefäß,  überhaupt 
ist  es  bei  Äther  unsere  Pflicht,  denselben  nicht  lange  Zeit  aufzubewahren,  da 
er,  wie  wir  sahen,  selbst  im  Dunkeln  bei  Gegenwart  von  wenig  Licht 
Zersetzung  erleidet.    Deshalb  machen  wir  es  uns  zur  Gewohnheit,  den  Äther  für 


—     328     — 

Narkosen  frisch  vor  jeder  Operation  zu  beziehen.  Die  Flaschen,  welche  ein- 
mal eröifnet  waren,  werden  nicht  wieder  zu  einer  zweiten  Narkose  verwendet, 
es  sei  denn,  daß  dieselben  einander  ohne  Zwischenzeit  folgen. 

§  5.  Die  Wirkung  des  Äthers  auf  den  Organismus  des  Menschen  iind 
des  Warmblütlers  ist  im  großen  und  ganzen  der  Wirkung  des  Chloroforms 
ähnlich,  der  Äther  ist  dem  Chloroform  verwandt,  er  ist  ein  Narkoticum  und 
unterscheidet  sich  in  seiner  narkotischen  Wirkung  gegenüber  dem  Chloro- 
form durch  seine  weniger  starke  narkotische  Kraft.  Die  Verwendung  des 
Äthers  zur  Narkose  geschieht  durch  Einverleiben  der  Dämpfe  des  Äthers  durch 
die  Lungen  in  das  Blut,  und  von  diesem  wird  der  Äther  nach  dem  Zentral- 
nervensystem transportiert,  wo  er  die  Wirkung  ganz  ähnlich  dem  Chloroform 
entfaltet,  er  wirkt  auf  die  Ganglienzellen  so  ein,  daß  eine  Lähmung  derselben 
erreicht  wird,  je  nach  der  Widerstandskraft  der  betreffenden  Zentra  und  Gang- 
lienzellen bei  verschiedenen  Konzentrationen  der  Lösung  des  Äthers  im  Blut- 
plasma und  Zellsaft.  Bei  immer  steigender  Konzentration  der  Ätherdampf- 
lösung im  Blutplasma  wird  endlich  einmal  die  Lähmung  der  Herz-  und 
Lungentätigkeitszentra  erfolgen  und  der  Tod  ist  die  Folge.  Die  Narkose  mit 
Äther  ist  also  ebenfalls  nur  bei  einer  gewissen  Konzentration  der  Lösung  der 
Ätherdämpfe  im  Blutplasma  möglich  und  nur  infolge  der  verschieden  starken 
Widerstandskraft  der  Ganglienzellen  zu  erreichen. 

Was  die  Konzentration  der  Ätherdampflösung  im  Blutplasma  anlangt, 
die  nötig  ist,  um  Narkose  zu  erreichen,  so  hat  0 verton  durch  Versuche  an 
Hunden  gefunden,  daß  ein  Hund,  welcher  ein  Gemisch  von  20  g  Äther  auf  100  1 
Luft  einzuatmen  bekam,  gegen  Ende  einer  halben  Stunde  in  tiefe  Narkose  ver- 
fiel, es  narkotisiert  also  ein  solches  Ätherdampfluftgemisch  auch  einen  Menschen 
innerhalb  kurzer  Zeit.  Das  Molekulargewicht  des  Äthers  ist  74.  Wenn  nun 
ein  Liter  Wasserstoff  bei  O^C  und  gewöhnlichem  Druck  0,0896  g  wiegt,  so 
wiegt  ein  Liter  Ätherdampf  bei  760  mm  atmosphärischem  Druck  und  0°C  nach 
dem  Henry-Daltonschen  Gesetz,  nach  welchem  die  Menge  des  absorbierten 
Gases  bei  einer  bestimmten  Temperatur  dem  Gasdruck  (Dampfdruck)  direkt 
proportional  ist,  37  •  0,0896  =  3,32  g,  der  partielle  Dampfdruck  des  Äthers 
bei    einem  Gehalt   von   26  g    auf    100  1  Luft    oder   0,2  g  auf  ein  1  Luft  würde 

20 
bei  0°  C  ^g-- 760  =  46  mm  oder   bei  20**C,    die    als    die  Versuchstemperatur 

„   46.293      ,^  , 

angenommen  sein  soll,         „ — =  50  mm  betragen.     Da  man  nun  den  gesamten 

Partialdruck  der  Gase  in  der  Lunge  ungefähr  gleich  dem  der  Luft  setzen 
kann,  so  wird  nur  die  Temperatur  in  der  Lunge  neue  Veränderungen  hervor- 
rufen, indem  sie  die  Gase  entsprechend  erwärmt,  wodurch  eine  größere  Aus- 
dehnung der  Volumina  stattfindet.  Eine  Vergrößerung  des  partiellen  Druckes 
der  Ätherdämpfe  findet  nicht  statt  bei  der  Erwärmung,  eher  könnte  derselbe 
bei  38*'C  durch  die  Sättigung  des  Luftäthergemisches  mit  Wasserdampf  eine 
Veränderung  in  geringem  Grade  erleiden.  Dies  ist  aber  so  gering,  daß  man 
es  übersehen  kann.  In  1001  Wasser  lösen  sich  bei  38°  5  g  Äther.  Die  Spannung 
des  Dampfes  des  reinen  Äthers  ist  bei  38  «C  840— 850  mm.  Es  zeigt  sich  nun, 
daß  in  einer  bei  38 °C  gesättigten  Lösung  Äther  in  Wasser  das  Gemisch  in 
zwei  Teile  sondert,  von  denen  der  eine  eine  gesättigte  Lösung  von  Äther  in 
Wasser,  der  andere  eine  gesättigte  Lösung  von  Wasser  in  Äther  darstellt,  der 


—     829      — 

partielle    Dampfdruck    des  Ätherdainpt'es    ist    iu    beiden    gleich.     Da  sich  nun 

Wasser  in  Äther  so  löst,  daß  nur  eine  dreiprozentige  Lösung  entsteht,  so  beträgt 

die  Erniedrigung    nur  wenige  Prozente   des  Dampfdrackes   des  reinen  Äthers, 

so  daß  man  den  partiellen  Dampfdruck  des  Äthers  in  einer  gesättigten  Lösung 

Wasser  in  Äther    und   somit  auch   in   einer  solchen   von  Äther  in  Wasser  bei 

38°C    ca.  810mm    setzen    kann.      Lösen    nun    bei    38^0  100  ccm   Wasser   bei 

einem  Drucke   der  Ätherdämpfe  von  810  mm  5  g  Äther,    so  müssen  bei  einem 

partiellen  Dampfdrucke  der  Ätherdämpfe  von  50  mm  und  derselben  Temperatur 

50  ■  5 
von  100  ccm  Wasser  '  =  0,31  g  Äther  lösen.     Somit  kann  man  sagen,  daß 

bei  50  mm  ^partiellem  Dampfdruck  der  Ätherdämpfe  und  38  °C  vom  Wasser  etwa 
'/4%  Äther  absorbiert  wird  (0 verton). 

Man  begeht  keinen  großen  Fehler,  wenn  man  gleich  Wasser  eine  dünne 
Salzlösung  oder  das  Blutplasma  setzt.  Dasselbe  würde  unter  denselben  Ver- 
hältnissen nur  ein  geringes  weniger  als  0,31%  Äther  lösen;  der  Fehler  wird 
etwa  dadurch  ausgeglichen,  daß  der  Teilungskoeffizient  des  Äthers  zwischen 
dem  Blutplasma  und  den  Lecithincholestearinverbindungen  im  Gehirn  in  dem- 
selben Verhältnis  stärker  zu  Gunsten  des  letzteren  ausfällt,  als  wenn  die 
Teilung  zwischen  reinem  Wasser  und  demselben  stattfinden  würde. 

Es  ist  aus  diesen  Erörterungen  zu  entnehmen,  daß  Narkose  des  Menschen 
dann  eintritt,  wenn  im  Blutplasma  eine  solche  Konzentration  des  Äthers  be- 
steht, wie  das  Verhältnis  von  20  g  Äther  auf  100  1  Lwtt  angibt.  Die  Narkose 
wird  nun  bei  allen  Tieren,  die  die  gleiche  Körpertemperatur  wie  der  Mensch  haben, 
durch  die  gleiche  Konzentration  hervorgerufen.  Die  Säugetiere,  Vögel,  Amphibien, 
Insekten  und  Entomostraken  erfordern  nach  0 verton  dieselbe  Konzentration 
des  Äthers  gelöst  im  Blutplasma,  während  die  Würmer  mindestens  die  doppelte 
Konzentration  verlangen.  Bei  den  Protozoen  und  Pflanzen  sind  etwa  sechsmal 
höhere  Konzentrationen  nötig,  um  Narkose  zu  erreichen. 

Die  Wirkung  des  Äthers  hat  ihren  eigentlichen  Schauplatz  im  Gehirn, 
in  den  Zentren  der  verschiedenen  Funktionen,  und  der  Äther  steht  in  bestimmtem 
Verhältnis  zu  den  Cholestearin-Lecithinverbindungen  in  den  Ganglienzellen. 
Durch  das  Blutplasma  wird  der  Äther  an  die  Ganglienzelle  gebracht,  geht  in 
die  interzelluläre  Lymphe  über,  von  dieser  gelangt  er  durch  die  äußere  Plasma- 
haut der  Ganglienzelle  in  das  Protoplasma,  auch  die  innere  Plasmahaut  oder 
Vacuolenhaut  durchdringt  derselbe  und  gelangt  in  den  Zellsaft.  So  wird  die 
Konzentration  der  Ätherdämpfe  in  diesen  Flüssigkeiten  gleich  der  in  dem  Blut- 
plasma. Durch  die  Verbindung  des  Äthers  mit  den  Lecithincholestearinbestand- 
teilen  des  Protoplasmas  wird  die  Narkose  erzeugt.  So  bat  der  Äther  genau 
die  Eigenschaften  wie  jedes  Narkoticum,  die  narkotische  Kraft.  Die  Ver- 
hältnisse sind  im  allgemeinen  Teile  genau  geschildert  und  nur  hier  kurz  an- 
gedeutet worden,  um  darzutun,  wie  die  Wirkung  des  Äthers  sich  vollzieht. 
Sie  ist  im  Wesen  genau  gleich  der  des  Chloroforms,  nur  unterscheidet  sich 
der  Äther  durch  seine  verschiedenen  Lösungsverhältnisse. 

Das  Chloroform  bewirkt  in  einer  Konzentration  von  8  g  auf  100 1  Luft 
Narkose,  der  Äther  in  einer  solchen  von  20  g  auf  100 1  Luft.  Man  ersieht 
also,  der  Äther  ist  ein  schwächeres  Narkoticum,  er  ist  nach  diesen  Zahlen 
ungefähr  zweieinhalbmal  schwächer  als  Chloroform.  Dafür  besitzt  der  Äther 
aber  eine  größere  Narkotisierungsbreite  (Kionka)  oder  Zone  maniable  (Bert). 


—     ;530     — 

Dieser  Vurzug  der  größeren  Narkotisierungsbreite  macht  den  Äther 
weniger  gefährlich,  da  während  der  Narkose  die  tötliche  Dosis  nicht  so  leicht 
verabreicht,  die  tötliche  Konzentration  des  Äthers  im  Blutplasma  nicht  so  leicht 
erreicht  werden  kann.  Der  niedrig  gelegene  Siedepunkt  des  Äthers  bringt  es 
mit  sich,  daß  der  Äther  schneller  vom  Blut  aufgenommen  und  ebenfalls  von  den 
Ganglienzellen  schneller  absorbiert,  wie  auch  schneller  wieder  von  beiden  Medien 
abgegeben  wird  als  Chloroform.  Es  ist  daher  die  Wirkung  des  Äthers  weniger 
anhaltend,  und  da  nun  auch  eine  höhere  Konzentration  im  Blutplasma  nötig 
ist,  um  Narkose  zu  erreichen,  so  wird  die  Narkose  schnell  wieder  verschwinden, 
weniger  tief  werden  als  bei  Chloroform,  der  Kranke  erwacht  schneller  aus  der 
Betäubung. 

Das  Verhältnis  des  Äthers  zu  den  Lecithiu-cholesteariugemischen  in  der 
Clangiienzelle  besteht  darin,  daß  diese  Gemische  den  Äther  aufnehmen  und 
einen  physikalischen  Änderungszustau d  unter  dem  Einfluß  des  Äthers  eingehen, 
sofort  aber  in  ihre  früheren  physikalischen  Zustände  zurückkehren,  wenn  der 
Äther  die  Ganglienzelle  wieder  verläßt.  Es  besteht  keine  chemische  Umsetzung 
wahrscheinlich,  sondern  nur  eine  physikalische  Umwandlung.  Diese  Wirkung 
des  Äthers  auf  die  Ganglienzellen  äußert  sich  am  Körper  in  der  Lähmung  der 
Funktionen.  Bei  einer  zu  starken  Zufuhr  von  Äther  wird  auch  eine  Lähmung 
der  Herz-  und  Respirationszentren  hervorgerufen,  welche  den  Tod  des  indivi- 
duums  bewirkt.  Der  Tod  durch  Äther  kann  sowohl  eine  Synkophe  als  Apnoe 
sein.  Daß  die  Zentren  nicht  alle  auf  einmal  gelähmt  werden,  beruht  auf  den 
im  allgemeinen  Teil  erörterten  Umständen,  die  für  alle  Narkotica  die 
gleichen  sind. 

Durch  die  narkotische  Wirkung  des  Äthers  wird  eine  Narkose  hervor- 
gerufen, die  die  vier  Stadien  wie  alle  Narkosen  aufweist,  nur  sind  diese  Stadien 
entgegen  denen  bei  Chloroform  zeitlich  etwas  verschieden.  Das  erste  Stadium 
des  Anfanges  ist  länger,  das  zweite  ebenfalls  länger  und  etwas  stärker  in  der 
Excidation,  das  dritte  Stadium,  der  Toleranz,  ist  im  ganzen  gleich,  doch  nicht 
so  anhaltend,  da  der  Kranke  leicht  erwacht,  das  vierte  des  Erwachens  ist 
kürzer  als  beim  Chloroform.  Natürlich  sind  je  nach  der  Menge  des  verbrauchten 
Äthers  etc.  Unterschiede  vorhanden.  Der  Äther  bewirkt  bei  Beginn  seiner  Ein- 
wirkung auf  die  Ganglienzellen  eine  Erregung  der  Reflexe,  stärker  als  andere 
Narkotica,  die  sich  bisweilen  in  starkem  Tremor  aller  Extremitäten  des  Patienten 
äußert.  Im  zweiten  Stadium  tritt  bei  manchen  Personen  ein  eigentüm- 
liches Zittern  aller  Muskeln  auf.  Es  kann  diese  allgemeine  Steigerung  der 
Reflexe  leicht  ein  Bild  zeigen,  das  dem,  der  die  Ursache  etc.  nicht  kennt, 
ominös  erscheint.  Meist  beginnt  der  Zustand  mit  Zittern  aller  Muskeln,  das 
immer  stärker  wird,  die  Beine  schlagen  auf  den  Tisch  in  rythmischer  Weise, 
die  Reflexe  zeigen  sich  stark  erhöht  (Fußklonus).  Der  ganze  Körper  zittert 
wird  erschüttert,  die  Atmung  ist  frequeut,  auch  die  Arme  zittern  und  schlagen 
auf  und  ab.  Dieses  Bild  sieht  sehr  häßlich  aus,  und  man  kann  den  Zustand 
nur  beenden  durch  starke  Dosen  von  Äther,  er  schwindet  dann  bald,  sofort 
nach  Eintritt  der  Toleranz.  Potatoren  zeigen  oft  das  Bild  (Fueter).  Diese 
Erregung  der  Reflexe  ist  eine  typische  Ätherwirkuug  und  vollkommen  harmlos. 
Der  Äther  wirkt  stärker  erregend  als  andere  Narkotica. 

Das  Gehirn  zeigt  während  der  Äthernarkose  eine  Hyperaemie.  Dieselbe 
ist   vor  allem    im    ersten    und  zweiten  Stadium  vorhanden;  da  die  Excidation 


—    :-{3i    — 

bei  der  Ätheruarkose  stärker  ist,  wird  auch  die  Hyperaemie  des  Gehirns  stärker. 
Sie  schwindet  in  der  Toleranz  mehr  und  mehr. 

Im  Anfang-  der  Athernarkose  tritt  ein  Stadium  der  allgemeinen  Anal- 
gesie auf,  der  Ätherrausch,  wie  er  auch  dem  Chloroform  in  geringem  (rrade 
eigen  ist.  Dieser  Atherrausch  ist  infolge  der  weniger  starken  narkotischen 
Wirkung,  der  größeren  Narkosenbreite  des  Äthers  länger  dauernd  als  bei 
anderen  Narkotica,  und  man  kann  denselben  sehr  gut  zu  Operationen  kurzer 
Dauer  verwenden.  (Sudeck,  Küttner  etc.)  Derselbe  beruht  auf  der  Lähmung 
der  Schmerzempfindlichkeit  ehe  eine  Lähmung  der  weiteren  Funktionen  ein- 
getreten ist. 

Die  bei  der  Chloroformuarkose  so  gefürchtete  Einwirkung  auf  die  Nerven- 
endigungen des  Trigeminns  und  Vagus  in  der  Nasen-  und  Rachenschleimhaut 
ist  beim  Äther  nicht  oder  nur  sehr  gering  vorhanden,  jedenfalls  wirkt  der 
Äther  nicht  so  stark,  daß  Reflexsynkope  eintritt.  Es  ist  dies  zu  bewundern,  da 
der  Äther  doch  einen  viel  stechender  unangenehmeren  Geruch  besitzt  als  das 
Chloroform.  Wenn  er  auch  im  Anfang  der  Narkose  keine  Reflexsynkope  erzeugt, 
so  wirkt  er  doch  unangenehm  für  den  Kranken,  derselbe  hält  oft  den  Atem 
krampfhaft  an,  da  er  sich  vor  dem  stechenden  Geruch  scheut.  Deshalb  muß 
der  Narkotiseur  reichlich  Luft  zugleich  geben,  da  starke  Äthergemische  von 
vielen  Kranken  nicht  eingeatmet  werden  können. 

Auf  das  Herz  wirkt  der  Äther  hingegen  anregend,  die  Aktion  ver- 
stärkend im  Anfang  jeder  Äthernarkose,  vor  allem  in  kleinen  Dosen  verabreicht 
(Holz,  Blauel,  Kappeier,  Duplay  und  Hallion  etc.).  In  späteren  Stadien 
der  Narkose  wirkt  der  Äther  nicht  mehr  so  stark  anregend  auf  das  Herz, 
immerhin  noch  in  gewissem  Grade  verstärkend,  jedenfalls  nicht  schwächend 
wie  Chloroform  (Blauel  etc.). 

Nach  der  Ansicht  von  Hankel  und  Wood  allerdings  wirkt  der  Äther 
im  Anfang  der  Narkose  anregend  auf  die  Herzaktion,  während  er  in  großen 
Dosen  immer  eine  Depression  herbeiführt. 

Der  Blutdruck  wird  durch  Äther  physiologischer  Weise  gesteigert  und 
der  Puls  wird  verstärkt  durch  die  Aetherwirkuug  (Blauel,  Holz).  Stärkere 
Veränderungen  sind  pathologischer  Natur  und  werden  weiter  iinten  besprochen. 
Auf  die  roten  Blutkörperchen  wirkt  der  Aether  zerstörend  ein.  Er  war  der- 
jenige Stoff,  an  dem  von  W  ittich  zuerst  beobachtete,  daß  sich  der  rote  Farb- 
stoff von  den  Blutkörperchen  trennen  lasse  und  sich  im  Blutplasma  löse,  indem 
er  dieses  rot  färbt.  Das  Blut  wird  dadurch,  daß  mau  es  mit  Aether  mischt 
und  stark  durcheinander  schüttelt,  in  dünnen  Schichten  durchsichtig  lackfarben, 
aber  es  wird  dunkler.  Hierzu  sind  aber  größere  Mengen  Aether  nötig,  als  man 
sie  bei  der  Narkose  in  das  Blut  bringt.  Die  während  der  Narkose  im  Blute 
kreisenden  Mengen  Aether  haben  auf  den  Haemoglobingehalt  der  Erythrocyten 
keinen  Einfluß  (Tillmanns). 

Außerdem  hat  man  nach  Aethernarkosen  Pcdycythaemie  beobachtet,  die 
nach  Costa  und  Kalteyer  einesteils  von  den  vorangegangenen  Vorbereitungen, 
andernteils  von  der  Narkose  selbst  und  dem  postoperativen  Stadium  ab- 
hängen soll.  Das  Blut  wird  durch  Wasserverlust  konzentriert,  was  sich 
besonders  sofort  nach  der  Narkose  bemerkbar  mache,  die  absolute  Haemoglobin- 
menge  sei  stes  vermindert.  Der  Aether  bewirke  vermehrte  Haemolyse.  Der 
Körper  ersetze  die  zu  Grunde  gegangenen  Blutkörperchen  bald  wieder,  doch 
seien  dieselben  mit  einer  unter  der  Norm  stehenden  Haemoglobinmenge  aus- 
gestattet. Es  sei  nicht  mit  Sicherheit  festzustellen,  ob  die  Dauer  der  Narkose 
oder  die  Menge  des  verbrauchten  Aethers  die  Blutbeschaffenheit  beeinflusse. 
Sie  stellen   nun  den  Satz  auf,  man  solle  vor  jeder  Narkose  den  Haemoglobiu- 


—     332     — 

gehalt  prüfen.  Finde  mau  einen  sehr  niedrigen  Haemog-lobingehalt,  so  sei  dies 
eine  Kontraindikation  für  die  Narkose  im  allgemeinen,  Aether  dürfe  nie  ge- 
geben werden  bei  einem  unter  50%  herabgesunkenen  Haemoglobingehalt,  auch 
Chloroform  sei  dann  verboten. 

Bei  solchen  Verhältnissen  wird  man  stets  eine  Narkose  zu  vermeiden 
bestrebt  sein.  Daß  Veränderungen  im  Blut  vor  sich  gehen  während  der  Nar- 
kose ist  sicher,  ob  aber  der  Aether  so  stark  auf  die  Blutkörperchen  wirkt, 
ist  fraglich. 

Der  Puls  wird  bei  der  Aethernarkose  um  20 — 30  Schläge  in  der  Minute 
vermehrt  (Dieff enbach)  und  zwar  im  Anfang,  während  er  mit  der  längeren 
Dauer  der  Narkose  wieder  normal  wird.  Beim  Erwachen  zeigt  sich  wieder 
eine  geringe  Beschleunigung. 

V.  Gräfe  hat  an  sich  selbst  bis  180  Schläge  in  der  Minute  bei  Beginn 
der  Aethernarkose  beobachtet,  was  ihn  von  der  weiteren  Verwendung  abhielt. 
Andere  wollen  Venenpuls  beobachtet  haben  im  Beginn  und  auch  der  späteren 
Aethernarkose  (Fueter,  Noel,  Neeb)).  Neeb  und  Kappeier  haben  auch 
eine  Zunnahme  des  Pulses  an  Kraft  und  Zahl  im  Anfang  gefunden,  die  gegen 
Ende  der  Aethernarkose  wieder  abnahm.  Die  Klärung  der  Verhältnisse  des 
Pulses  und  der  Herzaktion  ist  von  besonderer  Bedeutung  und  es  ist  wichtig, 
zu  ermitteln,  wieweit  der  Aether  den  Blutdruck  verändert. 

Wenn  man  sich  nun  mit  der  Messung  der  Funktion  des  Herzens  während 
der  Aethernarkose  beschäftigen  wollte,  so  konnte  mau  zwei  Wege  einschlagen, 
erstens  die  vergleichende  Prüfung  des  Pulses  und  die  Messung  des  Blutdruckes. 
Beim  Menschen  mußte  man.  so  lange  man  nicht  Methoden  geschaffen  hatte, 
mittels  denen  man  ohne  direkte  Eingriffe  den  Blutdruck  bestimmen  konnte, 
den  ersteren  Weg  betreten,  bei  Tierversuchen  wählte  man  die  Messung  des 
arteriellen  Blutdruckes. 

So  stellte  Cushny  durch  Versuche  an  Tieren  (Hunden  und  Kaninchen) 
solche  Untersuchungen  an  und  fand,  daß  Aether  ein  geringes  Sinken  des  Blut- 
druckes verursachte,  und  Kionka  fand,  daß  derselbe  Respiration  und  Zirkulation 
völlig  unbeeinflußt  lasse. 

Osthelder  stellte  Versuche  am  Froschkörper  au,  durch  welchen  er 
Schweineblut  mit  Aetherzusatz  leitete  und  fand  eine  deutliche  Abnahme  der 
Herzleistung,  doch  wurde  niemals  ein  Herabsinken  unter  die  Hälfte  der  Norm 
gefunden.  Bei  kleinen  Aethermengen  fand  er  sogar  mitunter  eine  Erhöhung 
der  Herzleistung. 

Bock  untersuchte  an  isolierten  Säugetierherzen  die  Aethereinwirkung 
und  fand,  daß  der  Aether  trotz  bedeutender  Mengen  und  langer  Zeit  fort- 
gesetzter Gaben  kein  oder  doch  nur  ein  geringes  Sinken  des  Blutdruckes  be- 
wirkte. Der  Blutdruck  stieg  nach  dem  Aufhören  der  Zufuhr  sehr  schnell  bis  zu 
seiner  ursprünglichen  Höhe  wieder  an. 

Csikj  stellte  an  Hunden  fest,  daß  Aether  den  Blutdruck  erhöhe  und 
zwar  dadurch,  daß  er  das  Herz  reize. 

Simon  Duplay  und  Louis  Hallion  ließen  Hunde,  welche  tracheo- 
tomiert  worden  waren,  durch  die  Canule  bestimmte  Mengen  Aether  einatmen 
und  fanden  bei  der  Aethernarkose  nach  Einführen  auch  sehr  großer  Mengen 
des  Narkoticums  und  während  langer  Zeit  einen  dem  normalen  nahen  oder 
denselben  übersteigenden  Druck.  Die  Puls-  und  Atmungskurve  zeigte  keine 
genaue  Uebereinstimmung  mit  der  Blutdruckkurve,  indem  ein  deutlicher  Ab- 
fall derselben  trotz  vollständiger  Gleichmäßigkeit  der  Druckkurve  zu  beobachten 
war.  Das  Resultat  wird  daraus  gezogen,  daß  Puls  und  Atmung  keinen  Auf- 
schluß über  die  Verhältnisse  des  Blutdruckes  geben,  derselbe  vielmehr  direkt 
gemessen  werden  muß. 

Dieselben  machten  nun  den  Versuch  festzustellen,  worin  das  Fallen  und 
Steigen  des  Blutdruckes  seine  Ursache  habe.  Sie  nahmen  Messungen  der 
Volumenzunahme  oder  Abnahme  der  isolierten  Niere  vor  und  schlössen  von 
denselben  auf  den  Kontraktionszustand  der  Gefäße.  Durch  Berücksichtigung 
derselben  war  nun  der  Anteil  des  anderen  Faktors  an  der  Regulierung  des 
Blutdruckes,   der  Energie  des  Herzens  zu  berechnen.     Es  wurde   durch  diese 


—    83:i    — 

Art  festgestellt,  daß  beim  ersten  Anstiege  der  Kurve  die  Gefäßkontraktion  die 
Ursache  der  Erhöhung  des  Druckes  bildet,  während  beim  Abfall  das  Nachlassen 
der  Herztätigkeit  wirkt.  Die  vasomotorischen  Einflüsse  waren  bei  Chloroform 
und  Aether  fast  die  gleichen.  Nur  bestand  der  große  Unterschied,  daß  beim 
Aether  die  Herzaktion  sich  viel  höher  erhielt  und  die  vasomotorische  Reaktion 
intensiver  und  dauernder  war.  Daraus  resultiert  der  andauernd  hohe  Blutdruck 
(ßlauel). 

Diese  Versuche  ergeben  alle, —  und  es  stehen  nur  die  geringen  Abweichungen 
der  Versuche  Geza  Dieballas  entgegen,  welche  ergeben,  daß  die  46 fache 
Konzentration  der  das  Froschherz  eben  nicht  mehr  beeinflussenden  Chloroform- 
dosis ein  Aufhören  der  Herztätigkeit  bewirkt,  während  der  Äther  das  schon 
bei  einer  12  fachen  Konzentration  bewirkt  —  daß  der  Äther  ein  Gleichbleiben 
oder  gar  ein  Steigern  des  Blutdruckes  hervorruft.  Es  ist  nun  nicht  so  ganz 
ohne  Einwand,  wenn  man  diese  Versuche  an  Tieren  einfach  auf  den  Menschen 
übertragen  will.  Denn  es  bestehen  ja  doch  bei  den  verschiedenen  Tieren 
verschiedene  Grade  von  Empfindlichkeit  gegen  die  Narkotica. 

Da  lag  also  das  Bedürfnis  vor,  am  Menschen  selbst  nach  diesen  Ver- 
hältnissen zu  forschen. 

Es  ist  nun  Kappeier  der  erste  gewesen,  welcher  eingehend  den  Arterien- 
puls während  der  Narkose  prüfte.  Derselbe  fand  beim  Äther,  daß  die 
Pulskurve  in  einigen  Fällen  gar  nicht  beeinflußt  wurde,  in  anderen  hingegen 
zeigt  dieselbe  eine  Veränderung,  so  daß  der  aufsteigende  Schenkel  schräg 
emporsteigt,  der  Kurvengipfel  abgerundet  ist  und  der  absteigende  Schenkel  eine 
bedeutend  schrägere  Richtung  annimmt. 

Die  Rückstoßelevation  ist  deiitlich  ausgeprägt,  während  dieselbe  beim 
Chloroform  nur  sehr  wenig  deutlich  war. 

Bei  den  150  Ätheruarkosen.  welche  Kaefer  daraufhin  untersuchte, 
stellte  sich  heraus,  daß  niemals  ein  Sinken  der  Heizaktion  zu  bemerken  war. 
Der  Puls  wurde  sogar  in  verschiedenen  Fällen  kräftiger  während  der  Äther- 
inhalationen. Auch  bei  Herzfehlern  fand  er  eine  durchwegs  gute  und  nicht 
ad  malam  partem  beeinflußte  Herzaktion. 

Instrumentelle  Untersuchungen  am  Menschen  wurden  zuerst  von  Holz 
in  Bezug  auf  die  Verhältnisse  zwischen  Äther  und  Herzaktion  angestellt. 
Derselbe  verwandte  zu  seinen  Versuchen  das  von  Kries'sche  Tachometer, 
welches  an  einem  bestimmten  Gefäßquerschuitt  die  Geschwindigkeit  des  Blutes 
anzeigt.  Aus  seinen  Beobachtungen  von  37  Äthernarkosen  ergab  sich  folgendes 
Verhalten.  Der  Äther  bewirkte  fast  in  allen  Fällen  eine  große  Zunahme  der 
periodischen  Geschwindigkeitsschwankuug  des  Blutes,  d.  h.  der  Pulsstärke. 

Bei  allen  diesen  Methoden  sind  aber  große  Nachteile  vorhanden,  vor 
allem  der,  daß  sie  den  Blutdruck  nicht  direkt  bestimmen,  sondern  nur  mehr 
oder  weniger  genaue  Schlüsse  auf  denselben  zu  ziehen  gestatten.  Da  hat  nun, 
nachdem  v.  Buch,  Hürthle,  Riva-Rocci  etc.  schon  solche  konstruiert 
hatten,  die  aber  wenig  brauchbar  waren,  Gärtner  einen  Apparat,  Tonometer, 
konstruiert,  mit  welchem  genaue  Messungen  des  Blutdruckes  am  Menschen  vor- 
genommen werden  können.  Es  sind  Untersuchungen  mit  diesem  von  Kaps- 
ammer  angestellt,  welche  mit  Schleichschem  Gemische  narkotisierte 
Personen  betrafen,  ferner  hat  Schröder,  wie  oben  bei  Chloroform  erwähnt, 
das  Tonometer  angewandt.  Genaue  Untersuchungen  mit  diesem  Tonometer  sind 
von    Blauel    angestellt    worden,    deren    Details    beim    Chloroform    behandelt 


—     334     — 

wurden,  und  ich  will  uur  hier  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen  während 
der  Äthernarkose  mitteilen. 

Er  untersuchte  das  Verhalten  des  Blutdruckes  bei  100  Äthernarkosen. 
Bei  der  Narkose  wurde  die  JuUiardsche  Maske  benutzt.  Nachdem  anfangs 
eine  kleine  Dosis  Äther  gegeben  war,  um  den  Kranken  an  die  Einatmung  des 
Äther  zu  gewöhnen,  wurde  ca.  10 — 20  cbcm  Äther  in  die  Maske  geschüttet  und, 
wenn  nötig,  dieselbe  Dosis  noch  einmal  nach  weniger  Zeit  verabreicht.  Die 
Maske  wurde  dabei  vollständig  luftdicht  auf  das  Gesicht  gelegt.  Nach  3  bis 
4  Minuten  hatte  Blauel  eine  ruhige  tiefe  Narkose  meist  erzielt.  Nach  Eintritt 
der  Toleranz  wird  die  Narkose  durch  kleinere  Ätherdosen  unterhalten.  Der 
Verlauf  der  Narkose  war  stets  ein  guter  und  ruhiger,  niemals  ist  es  passiert, 
daß  die  Narkose  schwer  oder  gar  nicht  eingetreten  wäre.  Es  waren  von  den 
100  Narkotisierten  53  Männer  und  47  Frauen,  30  derselben  waren  unter  20  Jahren 
(18  männliche,  12  weibliche),  es  waren  die  Altersstufen  von  2  —  79  Jahren 
vertreten. 

Die  Dauer  der  Narkosen  schwankte  zwischen  16  und  125  Minuten,  die 
meisten  waren  von  50 — 60  Minuten  Dauer. 

Von  den  Operationen  waren  Operationen  am  Knochensystem  28,  Ampii- 
tationen  4,  Thoracoplastiken  4,  Tumorexstirpationen  16,  Laparatomien  8,  Radikal- 
operationen von  Hernien  22,  Castration  3,  Exstirpation  von  Strumen  2,  von 
Lymphonen  2.     Andere  Operationen  11. 

Da  hat  sich  nun  gezeigt,  daß  von  diesen  100  Narkosen  bei  den  meisten 
die  Blutdruckkurve  über  der  Normaldruckhöhe  sich  bewegt. 

Nur  bei  12  Personen  war  dies  nicht  der  Fall. 

Blauel  hat  nun  aus  100  Kurven  4  Gruppen  ziisammengestellt. 

Dieselben  sind  folgende: 

Gruppe  I  umfaßt  alle  die,  welche  durchweg  über  der  Normaldruckhöhe  verlaufen, 

42  an  Zahl. 
Grupe  II  umfaßt  alle  die,  welche  durchschnittlich  über  der  Normaldruckhöhe  ver- 
laufen. 37  an  Zahl. 
Gruppe  III  umfaßt  alle  die.  welche  auf  oder  wenig  imter  der  Normaldruckhöhe 

verlaufen,  9  an  Zahl. 
Gruppe  IV  faßt  alle  die.  welche  ausgesprochen  unter  der  Normaldruckhöhe  ver- 
laufen, 12  an  Zahl. 

Kinder  unter  10  Jahren  waren  niu'  in  Gruppe  I  und  II  vertreten. 

Personen  im  zweiten  Dezennium  gehören  auch  vorwiegend  nach  I  und  II. 

Das  mittlere  Alter  bis  50  Jahre  ist  gleichmäßig  auf  alle  verteilt  und  das 
höhere  Alter  bewegt  sich  meist  in  den  drei  letzten  Gruppen  (II,  III,  IV),  vor 
allem  aber  in  No.  III.  Es  hat  mehr  den  Anschein,  als  habe  das  jugendliche 
Alter  mehr  Neigung  zu  Blutdrucksteigerung,  als  die  späteren  Stufen,  das  hohe 
Alter  ist  dagegen  weniger  dem  Blutdruck  steigernden  Einfluß  des  Äthers  unter- 
worfen. 

Was  nun  den  konstitutionellen  Zustand  der  Kranken  anlangt,  so  waren 
in  Gruppe  III  keine  besonders  an  Körperkräften  heruntergekommenen  Personen 
dabei,  bei  der  II.  und  I.  Gruppe  finden  sich  16<"o  von  heruntergekommenen 
Leuten.  Wir  sehen  also,  daß  auch  Patienten  im  schlechten  Allgemeinzustande 
eine  Äthernarkose  durchmachen  können,  ohne  daß  ein  Nachlassen  in  der  Energie 


—     335     — 

ihres  Zii'kiilatioiisiiiecliaiiisnnis  (iiiitritt.  daß  ahiT  andererseits  ein  größer(!r  Pro- 
zentsatz in  ilu'eiii  All^enieiuliefinden  gestöi'ter  Patienten  in  der  Athernarkose 
eine  Herabsetzimg  ihres  Blutdi-iickes  erfahren  können.  Die  Gnippe  IV,  welche 
12  Nummern  umfaßt,  enthält  alle  diejenigen  Kurven,  hei  denen  der  Blutdruck 
eine  ausgesprochene  Tendenz  zeigt,  unter  der  Norraalhöhe  sich  zu  halten.  Es 
sind  also  die  Fälle,  welche,  soweit  es  den  Blutdruck  anljctrifft,  von  der  Ather- 
narkose schlecht  beeinflußt  wurden. 

Fassen  wir  also  zunächst  die  allgemeinen  Ergebnisse  dieser  Blutdruck- 
untersuchungen während  der  Athernarkose  zusammen,  so  läßt  sich  sagen,  daß 
der  Äther  in  der  großen  Mehrzahl  der  Fälle  (79%)  eine  Steigerung  des  Blut- 
druckes bewirkt,  bei  weiteren  9'7o  ein  Gleichbleiben  oder  geringes  Sinken  hervor- 
ruft. Einen  tiefen  Manometerstand  kann  mau  erwarten  bei  durch  Ki-ankheit 
sehr  geschwächten  Personen,  sowie  bei  starken  Blutungen  und  profusen  Schweiß - 
ausbrüchen.  Neben  diesem  Allgemeinbilde  der  Ätherdruckkurve  erfordert  jetzt 
aber  auch  die  Einzelkurve  mit  ihrem  mehr  oder  weniger  wechselnden  Verlaufe 
unsere  Betrachtung  (Blauel). 

Bei  dem  Beginne  der  Narkose  bewirken  die  Atherdosen  sofort  eine  Druck- 
steigerung, wobei  es  auf  die  gegebene  Menge  Äther  ankommt,  d.  h.  große  An- 
faugsdosen  steigern  den  Blutdruck  sofort  beim  Beginne  der  Inhalation,  bei 
langsamer  Darreichung  tritt  diese  Steigerung  laugsamer  ein. 

Wenn  nun  das  Stadium  der  Toleranz  erreicht  ist,  so  wird  bei  einer  neuen 
Ätherzufuhr  in  den  meisten  Fällen  eine  Steigerung  des  Blutdruckes  eintreten, 
bisweilen  bleiben  diese  Gaben  ohne  Einfluß.  Es  ist  niemals  ein  Sinken  des 
Bhitdi'uckes  ohne  Grund,  welcher  in  zu  der  Narkose  nicht  direkt  gehörenden 
Einflüssen  wie  plötzlichem  Blutverlust  etc.  zu  finden  war,  beobachtet  worden. 
Trat  dennoch  eine  Herzschwäche  ein,  so  war  sie  nur  in  langsamem  Sinken  zu 
beobachten  und  man  konnte  sehen,  wie  dieselbe  nach  Beseitigung  des  Grundes 
sofort  nachließ. 

Dies  ist  ein  sehr  wichtiges  Moment,  es  zeigt,  daß  man  bei  guter  Be- 
obachtung eine  Herzschwäche  immer  zeitig  genug  erkennen  kann,  um  noch 
rechtzeitig  einzugreifen,  daß  aber  nie  beim  Äther  ein  plötzliches  Sinken  eintritt, 
wodurch  man  die  Herzschwäche  erst  im  Höhepunkt  gewahrt. 

Was  nun  das  Verhalten  des  Blutdruckes  im  Stadium  IV  der  Narkose, 
dem  des  Erwachens,  anlangt,  so  hat  sich  folgendes  Resultat  ergeben : 

Natürlich  ist  ja,  daß  die  Blutdruckhöhe  hier  große  Verschiedenheiten 
zeigt,  denn  es  kommen  ja  meist  die  Einflüße  der  Operationen,  starke  Blutver- 
luste etc.  mit  in  Betracht.  Die  Blutdruckhöhe  stand  nun  bei  Blaueis  Ver- 
suche zur  Zeit  des  Erwachens  33  mal  annähernd  auf  dem  Niveau  der  Normal- 
druckhöhe und  35  mal  über  derselben,  32  mal  unter  ihr.  Es  war  also  immer 
ein  günstiger  Stand  vorhanden,  wenn  man  die  Einflüsse  der  Operationen  mit 
in  Betracht  zieht.  Die  Länge  der  Narkose  hat  keinen  Einfluß  auf  die  Druck- 
höhe, denn  gerade  bei  den  längsten  Narkosen  war  beim  Erwachen  ein  hoher 
BlutdiTick  zu  verzeichnen.  Blauel  schreibt  weiter  über  die  Verhältnisse  der  Kurve: 

„Berücksichtigen  wir  jetzt  noch,  daß  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  der 
höchste  Gipfel  der  Kurve  etwa  an  der  Grenze  zwischen  erstem  und  zweitem 
Drittel  zu  liegen  pflegt,  so  ergibt  sich  für  den  Durchschnitt  der  Ätherblutdnick- 
kurveu  etwa  folgendes  Schema: 


—      336 


Fignr  112. 
Ätherblutdruckkurve.     Cholecystostomie,  Narkosenlänge  104  Min. 
Ätherverbranch  125  cbcm.    Die  Horizontale  N  bedeutet  die  Nornialbhitdruckhöhe 
und  gibt  als  Abszisse  zugleich  die  Zeit  in  Minuten  an;    die  Ordinate  zeigt  in 
Millimeter  Hg    die  Blutdruckböhe.     Bei  0  Beginn  der  Narkose,  die  Pfeile  be- 
deuten Ätherzufuhreu. 

Die  Kurve  stellt  einen  nach  unten  offenen  Bogen  dar,  dessen  Höhe- 
punkt zwischen  erstem  und  zweitem  Drittel  liegt.  Zu  dieser  Höhe  steigt  die 
Linie  gleichmäßig  an  und  zwar  beginnt  dieser  Anstieg  entweder  unmittelbar 
nach  der  ersten  Äthergabe,  oder  erst,  nachdem  eine  Zeitlang  ein  Stand  auf  der 
Normalhöhe  oder  etwas  unter  derselben  innegehalten  wurde. 

Kl.eine  Ätherzufuhren  im  Verlaufe  der  Narkose  haben  entweder  blutdrack- 
steigernde  Wirkung  oder  beeinflussen  den  Lauf  der  Kurve  gar  nicht.  Ernie- 
drigungen des  Druckes  gehören  zu  den  größten  Seltenheiten,  ebenso  plötz- 
liche Remissioneu  im  Verlaufe  der  Narkose.  Wo  solche  stattfindeu,  sind  sie 
durch  operative  EingTiff'e  bedingt.  Am  Schlüsse  der  Narkose  zeigt  der  Blut- 
druck ein  unregelmäßiges  Verhalten,  ein  Sinken  iinter  die  Normalhöhe  findet 
jedoch  nui'  in  einem  Drittel  der  Fälle  statt." 

Die  beiden  Abbildungen  in  Figur  112  und  113  stellen  zwei  Kurven  von 
Blauel  dar  und  gebeu  die  geschilderten  Verhältnisse  wieder. 


Figur  113. 

Ätherblutdruckkurve.    Amputatio  humeri  et  cruris.    Narkosenläuge  54  Minuten. 

Ätherverbrauch  100  cbcm.     Bezeichnung  wie  in  voriger  Figur. 

Was    wir   nun    aus    i;nseren  Betrachtungen    für  einen  Schluß  zu  ziehen 
haben,  ist  der,  daß  in  der  Äthernarkose  plötzliche  Druckschwankung  in  Gestalt 


—     887     — 

von  rascbciu  Sinken  imt(!r  die  Norm  infolge^  der  Ätherwirkung-  nicht  vorkommen, 
treten  sie  vm,  so  liegt  die  Veranlassung  in  einem  Umstände  der  Operation  und 
mit  der  Ui-sache  wird  auch  das  Sinken  der  Druckhöhe  beseitigt.  Sinkt  aber 
d(n'  Blutdruck  stark  unter  die  Norm  infolge  der  Ätherwirkung,  so  geschieht 
dies  langsam  und  zeigt  sich  rechtzeitig  dem  Narkotiseur  an.  Deshalb  ist 
stetes  Beobachten  des  Pulses  die  Pflicht  desselben. 

Es  ist  natürlich  auch  der  Eintritt  schwerer  Herzkollapse  durch  Äther- 
wirkung ]nöglich,  doch  diese  Kollapse  treten  nicht  so  rasch  ein,  sie  zeigen  sich 
sehr  früh  in  Störungen  der  Herztätigkeit.  Immerhin  können  sie  auch  gelegent- 
lieh zu  Synkope  führen  (Schneider  etc.). 

Es  ist  eine  von  Dieff enbach  erkannte  Erscheinung,  daij  während  einer 
Äthernarkose  eine  stärkere  Blutung  bei  der  Operation  aus  den  Geweben  des 
Organismus  erfolge  als  in  Chloroformnarkose  oder  im  normalen  Zustand  des 
Kranken.  Der  Grund  für  diese  stärkere  Blutung  kann  in  der  spät  eintretenden 
Gefäßparalyse  (Job.  Müller)  oder  nach  anderen  in  der  erhöhten  Zirkulation 
liegen.  Dies  geht  auch  aus  den  Resultaten  von  Blaueis  Blutdi'uckversuchen 
hervor,  daß  der  stärkere  Druck  im  Gefäßsystem  die  stärkere  Blutung  hervorrufe. 

Die  Temperaturverhältnisse  im  Organismus  werden  durch  den  Äther 
bedeutend  verändert.  Es  tritt  in  den  meisten  Fällen  eine  bedeutende  Erniedi'i- 
gimg  der  Temperatiir  in  der  Äthernarkose  auf,  nach  Kappeier  im  Mittel 
um  0,52  *'.  Die  Temperatiu*  sank  nach  seinen  Versuchen  nach  10 — 20  Minuten 
nach  Beginn  der  Ätherinhalationen,  der  niedrigste  Stand  der  Temperatur  wurde 
20  Minuten  bis  20  Stunden  nach  Beginn  der  Narkose  beobachtet,  Demme  fand 
denselben  drei  Stunden  nach  dem  Beginn.  Man  sah  die  Temperatur  eines  drei 
Monate  alten  Kindes  von  37,8°  sait  35,6°  sinken  während  einer  Äthernarkose, 
(Alien). 

Im  Anfang  der  Äthernarkose  sind  hin  und  wieder  Temperatursteigerungen 
beobachtet  worden,  eine  Erscheinung,  die  wohl  mit  der  angeregten  Herztätig- 
keit zusammenhängen  kann.  Nach  den  Untersuchungen  von  Neeb  beträgt  das 
Mittel  der  Erniedrigung  der  Temperatur  0,8°,  er  fand,  daß  in  der  Äthernarkose 
0,1°  mehr  Erniedrigung  als  bei  der  Chloroformnarkose  eintrat.  Die  größten 
Differenzen  in  der  Äthernarkose  betrugen  6°  C.  (Harless,  Müller). 

Allen  gibt  den  Rat,  zur  Verminderung  der  Abkühlung  den  Kranken  in 
warme  Decken  soweit  als  angängig  zu  hüllen  und  für  Zufuhr  von  Wärme 
zu  sorgen.  Seitdem  er  dies  streng  befolgt,  hat  er  nur  mehr  Abkühlung  von 
0,6° — 2°  nach  langen  Narkosen  beobachtet. 

Es  ist  die  Erniedrigung  der  Köpertemperatur  durch  die  starke  Kälte- 
wirkung des  Äthers  bedingt  und  zweifellos  erleidet  der  Organismus  durch  die 
kalten  Ätherdampfluftgemische,  die  oftmals  bei  einer  hartgefrorenen  Maske  ein- 
geatmet werden,  eine  starke  Abkühlung  in  der  Lunge.  Diese  Abkühlung  be- 
wirkt in  gewissen  Verhältnissen  eine  Abkühlung  des  ganzen  Organismus,  vor 
allem  auch  bei  sehr  langer  Narkose  (Whiteford,  Allen  etc.).  Deshalb  soll 
man  Ätherdampfgemische  nicht  so  kalt  in  die  Lungen  gelangen  lassen. 

Die  physiologische  Einwirkung  des  Äthers  auf  Leber  und  Nieren  ist  nur 
gering,  denn  meist  werden  dieselben  pathologischer  Art  sein.  Die  Funktion 
dieser  Organe  wird  während  der  Narkose  herabgesetzt,  die  Harnmenge  wird 
nach  der  Äthernarkose  vermindert  gefunden,  (Couche)  namentlich  am  ersten 
Tage,  weniger  am  zweiten,  der  Harnstoff  im  Urin  ist  vermindert,  die  Phosphor- 

22 


•--     338     — 

säure  ist  wechselnd,  bald  yermindei't,  bald  erhöht  gefunden  worden.  Die  Oalle 
ist  ebenfalls  weniger  an  dem  Tage  nach  der  Narkose,  wenn  auch  nur  geringe 
Diiferenzen  bestehen.  Ein  großer  Teil  des  Äthers  wird  durch  die  Nieren  im 
Harn  aus  dem  Organismus  ausgeschieden,  allerdings  nicht  als  reiner  Äther, 
sondern  in  Verbindungen. 

Untersuchungen  über  die  Nierenfunktion  in  der  Äthernarkose  sind  von 
Popoff  angestellt  worden.  Erfand,  daß  Äther  Albuminurie  hervorrufen  könne, 
die  aber  nicht  als  Symptom  einer  Nephritis  aufzufassen  sei,  sondern  die,  auch 
nach  Wunderlich,  infolge  der  durch  die  Äthernarkose  erzeugte  Blutdruck- 
steigerung hervorgerufen  werde ,  namentlich  infolge  der  Drucksteigerung  in 
den  kleinen  Nierenarterien.  Auch  Cylindrurie  tritt  nach  Ätheruarkosen  auf, 
die  Pop  off  ebenfalls  für  eine  physiologische  auffaßt.  Er  hält  eine  toxische 
Einwirkung  des  Äthers  auf  die  Nieren  zur  Erklärung  dieser  Harnauomalien 
deshalb  für  unerwiesen  und  unwahrscheinlich,  weil  es  ihm  trotz  sorgfältigster 
Untersuchungen  niemals  gelang,  Äther  im  Urin,  sei  es  durch  den  Gerach,  sei 
es  durch  chemische  Reaktion,  nachzuweisen. 

Die  Magendarmfunktion  ist  ebenfalls  während  der  Äthernarkose  vermindert, 
die  Bewegungen  sind  geringer  und  träger  als  im  normalen  Zustand.  Durch 
die  Magendrüsen  wird  Äther  im  Magensaft  abgesondert,  wodurch  beim  Anhäufen 
von  Magensaft  im  Magen  Erbrechen  hervorgerufen  werden  kann  (Erbrechen 
während  und  nach  der  Äthernarkose).  Allerdings  ist  das  Erbrechen  geringer 
als  bei  der  Chloroformnarkose,  der  Äther  reizt  jedenfalls  die  Magenreflexe  nicht 
so  stark.  Vielleicht  ist  der  Grund  auch  darin  gelegen,  daß  der  Äther  schneller 
aus  dem  Magensaft  in  die  Luft  übergeht  und  als  Gas  aus  dem  Magen  entfernt 
wird  (Aufstoßen  der  Ki-anken  nach  Narkosen,  wobei  die  Luft  aus  dem  Munde 
nach  Äther  riecht).  Nach  Äthernarkosen  ist  Obstipation  während  zwei  bis  di'ei 
Tagen  beobachtet  (Comte)  worden,  bei  Kindern  dagegen  Diarrhoe  und  Ikterus 
(Demme). 

Die  Speicheldrüsen  des  Mundes  und  Rachens  werden  durch  den  Äther 
stark  zur  Seki-etion  angeregt,  vermehrte  Salivation.  Auf  diese  Drüsen  wirkt 
Äther  stärker  als  Chloroform.  Durch  die  vermehrte  Speichel-  und  Schleim- 
absonderung erklärt  sich  das  Röcheln  des  ätherisierten  Xi-anken,  man  findet 
im  Rachen  während  der  Narkose  stets  viel  Schleim  und  Speichel.  Derselbe 
muß  am  Zurückfließen  in  die  Lunge  verhindert  werden.  In  vielen  Fällen  ist 
die  vermehrte  Salivation  als  pathologische  Wirkung  anzusehen  und  soll  später 
noch  erwähnt  werden. 

Auf  die  Lungen  und  deren  Funktion  wirkt  der  Äther  in  physiologischer 
Hinsicht  insofern,  als  bei  Beginn  der  Narkose  die  Atmung  unruhig  und  meist 
beschleunigt  sowie  flacher  wird.  Der  Äther  wirkt  reizend  auf  die  Lungen, 
die  Kranken  husten  oft.  Auch  auf  die  Drüsen  und  Schleimhäute  in  den 
Bronchien  wirkt  der  Äther  reizend  und  somit  auch  die  Schleimabsonderung 
anregend.  Diese  Eigenschaft  ist  nachzuweisen,  indem  man  Tiere  mit  herab- 
hängendem Kopfe  ätherisiert,  so  daß  aus  dem  Rachen  Speichel  nicht  in  den 
Kehlkopf  fließen  kann.  Man  findet  dann  in  den  Lungen  reichlich  Schleim,  die 
Alveolen  sind  teilweise  oder  ganz  in  manchen  Bezirken  mit  Schleim  angefüllt. 
(Verf.)  Diese  Eigenschaft  des  Äthers  ist  teils  physiologisch,  in  manchen 
Fällen  auch  pathologisch,  deshalb  soll  sie  weiter  unten  erörtert  werden. 

Im   Anfang    der    Äthernarkose    veranlaßt    die    stark   reizend    wirkende 


—    8:}  9    — 

Eigenschaft  der  Atherdämpfe  reflektorisch  eine  krampfhafte  Verengerung  des 
Kehlkopfeinganges,  wodurch  ein  Atemhindernis  geschaffen  werden  kann,  welches 
aber  beim  weiteren  Narkotisieren  nach  und  nach  wieder  verschwindet  und 
deshalb  harmlos  ist.  Man  hat  auch  bei  mageren  Personen  das  sog.  Yentil- 
atnien  beobachtet,  welches  darin  besteht,  daß  bei  der  Inspiration  die  Nasen- 
flügel, Lijjpeu  und  Wangen  eingezogen,  bei  der  Expiration  stark  aufgebläht 
werden,  wodurch  bei  der  Inspiration  ein  Hindernis  der  Respiration  geschaffen 
werden  kann.     Dasselbe  kann  leicht  verhütet  werden. 

Sehr  oft  beobachtet  mau  bei  Ätheruarkosen  eine  sehr  ausgiebige  Zwerch- 
fellatmung, die  bei  Laparatomien  sehr  unangenehm  werden  kann,  da  die 
Darmschlingen  dann  in  die  Wunde  oder  das  Operationsgebiet  getrieben  werden. 
Diese  Zwerchfellrespiration  besteht  in  krampfhaften  beschleunigten  Kontraktionen 
der  Muskulatur  des  Zwerchfells,  wobei  die  anderen  Atemmuskelu  untätig  sind 
und  das  Zwerchfell  fast  allein  arbeitet.  Diese  Zwerchfellrespiration  kann  in 
drei  Stadien  vorkommen.  Im  Anfangsstadium  tritt  sie  auf  als  Reiz  oder  Re- 
flexerscheinung bei  sehr  konzentrierten  Aetherdämpfen.  Der  Kranke  hat  dabei 
noch  sein  Bewußtsein  ungetrübt.  In  diesem  Zustande  beseitigt  man  die 
forcierte  Zwerchfellatmung  durch  Entfernen  der  Maske  während  einiger  Se- 
kunden, denn  der  Kranke  leidet  an  Mangel  von  Sauerstoff  wegen  Ueberfluß 
von  Aetherdämpfen.  Im  zweiten  Stadium  tritt  die  Zwerchfellatmung  beim 
Schwund  des  Bewußtseins  ein  und  bildet  einen  Teil  des  Exzidationsstadiums. 
Es  ist  überhaupt  beim  Aether  eine  häufige  Erscheinung,  daß  die  Exzidation 
hauptsächlich  durch  Veränderung  in  der  Respiration  dargestellt  wird.  Mau 
bekämpft  die  forcierte  Zwerchfeilatmung  hier  durch  Zufuhr  von  Aether.  Das 
Eintreten  derselben  im  dritten  Stadium,  dem  der  Toleranz,  ist  das  wichtigste 
und  auch  gefährlichste,  da  es  in  diesem  Falle  ein  Zeichen  von  Mangel  an 
Sauerstoff  ist.  Man  findet  dann  alle  Zeichen  einer  drohenden  Apnoe  und  muß 
deshalb  sofort  die  Maske  entfernen  und  dem  Kranken  reine  Luft  und  Sauer- 
stoff' zuführen,  dann  schwindet  dies  Symptom  bald.  Hieraus  ersieht  man,  daß 
dieser  Erscheinung  immerhin  einige  Wichtigkeit  beigelegt  werden  muß  und 
man  es  nicht  nach  den  Angaben  Großmanns  als  ganz  belanglos  betrachten 
darf.  Die  Gefahr,  welche  mit  diesem  Zustande  verbunden  sein  kann,  liegt 
nicht  in  dem  Znstand  selbst,  sondern  in  den  Maßnahmen,  die  der  Narkotiseur 
zur  Beseitigung  der  ausgiebigen  Zwerchfellatmung  anwendet,  denn  man  ersieht 
aus  dem  Gesagten,  daß  die  Gegenmaßregeln  je  nach  dem  Stadium  der  Narkose, 
in  welchem  die  Zwerchfellatmung  auftritt,  ergriffen  werden  müssen,  einmal 
muß  mehr  Aether  in  verstärkter  Dosis  gegeben,  das  andre  Mal  Sauerstoff' 
den  Lungen  in  erhöhtem  Maße  verabreicht  werden.  Somit  kann  es  für  den 
Kranken  höchst  gefährlich  werden,  wenn  der  Narkotiseur  das  Stadium  der 
Betäubung  nicht  beachtet,  denn  die  erhöhte  Dosis  Aether,  zu  falscher  Zeit 
verabreicht,  kann  den  Narkotisierten  in  schwere  Lebensgefahr  versetzen,  es 
kann  schwere  Apnoe  auftreten.  Der  ganze  Zustand  aber  kann  durch  die  vor- 
sichtige Leitung  der  Betäubung  leicht  vermieden  werden,  namentlich  bei  der 
modernen  Aethernarkose  beobachtet  man  denselben  sehr  selten.  Bei  richtigem 
Erkennen  der  Verhältnisse  ist  derselbe  allerdings  ohne  Gefahr. 

Weitere  Einflüsse  des  Äthers  auf  die  Respiration  und  Lungen  in 
physiologischer  Hinsicht  sind  nur  wenige  vorhanden.  Der  Äther  wird  in  der 
Lunge  sowohl  in  das  Blut  durch  die  Tätigkeit  der  Zellen  des  respiratorischen 
Epithels  aufgenommen,  als  auch  aus  demselben  wieder  an  die  Luft,  nachdem 
er  den  Kreislauf  passiert  hat,  abgegeben.  Somit  erfährt  die  Narkose  durch 
die  Respiration  eine  gewisse  Steuerung,  und  es  wird  bei  der  Atmung,  wenn 
die  Maske  z.  B.  fest  auf  dem  Gesichte  aufliegt,  nicht  nur  der  Äther  von  der 
Maske  aus  eingeatmet,  sondern  es  werden  auch  die  mit  der  Expiratiousluft 
aus  der  Lunge  resp.  dem  Blut  entfernten  Ätherdämpfe  wieder  inspiriert 
werden.     Man  muß  dies  berücksichtigen,  ein  Sympton.  das  bei  jeder  Inhalatious- 

22* 


—     340     — 

iiarkose  in  Betracht  kommt.  Infolge  des  niedrigen  Siedepunktes  resp.  der 
leichten  Verdampfbarkeit  des  Äthers  hat  derselbe  bekanntlich  die  Eigenschaft, 
aus  seiner  Umgebung  yiel  Wärme  aufzunehmen,  wodurch  er  starke  Abkühlung 
der  umgebenden  Medien  bewirkt  während  er  verdunstet.  Man  verwendet  ja 
diese  Eigenschaft  zur  Erzeugung  künstlicher  Kälte.  Auch  in  der  Lunge  wird 
diese  Abkühlung  von  Wichtigkeit,  denn  meist  bewirkt  der  Äther  unter  der 
Maske  eine  starke  Abkühlung  der  Ätherdampfluftgemenge,  man  beobachtet 
sehr  oft,  daß  die  Rosette  in  der  Äthermaske  mit  Schnee  bedeckt  oder  fest- 
gefroren ist.  Durch  die  Einatmung  der  kalten  Gemische  erleidet  die  Luft 
in  der  Lunge  eine  bedeutende  Abkühlung,  und  bei  langer  Narkose  überträgt 
sich  die  Abkühlung  auf  den  ganzen  Organismus,  die  Temperatur  fällt  nicht  unbe- 
trächtlich während  der  Äthernarkose  (Allen,  Whitef  ord  etc.).  Ist  die  Narkose 
nicht  sehr  lang,  oder  wird  für  sehr  warme  Luft  der  Umgebung  gesorgt,  so  daß  die 
Ätherluftgemenge  unter  der  Maske  nicht  zu  sehr  abgekühlt  werden,  so  wird  die 
Lunge  durch  die  kühle  Luft  nicht  sehr  belästigt.  Allerdings  entsteht  eine  Ernied- 
rigung der  Temperatur  in  der  Lunge,  doch  wenn  diese  in  geringem  Grade 
stattfindet,  schadet  sie  nicht,  ist  sie  aber  sehr  stark,  so  erleidet  die  Lunge 
Erkältungen  etc.  und  der  Patient  nimmt  Schaden,  dann  entstehen  pathologische 
Folgen.  Für  gewöhnlich  halten  sich  die  Veränderungen  in  physiologischen 
Grenzen. 

Beim  Eintritt  der  tiefen  Narkose  wird  die  Atmung  oft  stertorös,  ein 
sehr  häufiges  Zeichen  der  Äthernarkose,  das  Atemgeräusch  ist  dann  rasselnd, 
fauchend  und  schnaubend.  Das  Rasseln  wird  durch  den  vermehrt  abge- 
sonderten Schleim  erzeugt,  das  Schnaufen  und  Fauchen  ist  durch  Raum- 
beengung in  Kehlkopf,  Nase  und  Hals  hervorgerufen  und  ist  mehr  oder  weniger 
bei  jeder  Äthernarkose  zu  finden.  Das  Schnarchen  entsteht  dadurch,  daß  der 
Zungeugrund  in  der  Ätheruarkose  in  vielen  Fällen  nicht  ganz  zurücksinkt, 
also  den  Raum  beengt,  während  er  bei  Chloroform  ganz  auf  den  Kehlkopf 
zurücksinkt.  Dies  ist  durch  die  verschieden  starke  Lähmung  der  Muskeln 
zu  erklären. 

In  der  Äthernarkose  ist  im  Anfang  die  Kohlensäureabsonderung  in  der 
Lunge  vermehrt,  später  vermindert.  Der  Grund  soll  in  der  starken  Muskel- 
anstrengung während  der  Exzidation  und  in  der  Ruhe  während  der  Toleranz 
für  die  Vermehrung  einerseits  und  die  Verminderung  der  Kohlensäure  in  der 
Toleranz  andererseits  zu  finden  sein. 

Ehe  die  physiologischen  Einwirkungen  des  Äthers  auf  den  Organismus 
verlassen  werden,  muß  auch  mit  wenig  Worten  eine  eigentümliche  Beziehung 
der  Ätherwirkung  zur  Haut  und  deren  Blutgefäßen  der  narkotisierten  Person 
erwähnt  werden.  Es  ereignet  sich  nämlich  sehr  häufig  bei  Äthernarkosen, 
daß  eine  Turgeszens  und  Cyanose  der  Haut  auftritt,  die  sich  beim  Beginn 
der  Inhalation  zeigt  und  mit  der  Dauer  der  Narkose  wieder  verschwindet. 
Nur  im  Gesicht  bleibt  die  Cyanose  bestehen  und  tritt  auch  dort  in  jeder 
Äthernarkose  auf.  Dieses  Phänomen  ist  auf  Erschlaffung  der  Gefäßnerven 
der  Haut  zurückzuführen.  Außer  diesen  Erscheinungen  hat  man  während  der 
Athernarkosen  auf  der  ganzen  Haut  des  Körpers  des  Narkotisierten  ein  eigen- 
tümliches Erythem  beobachten  können,  manchmal  bevorzugt  dasselbe  die  Haut 
des  Halses  und  der  Brust;  dasselbe  verschwindet  aber  sehr  bald  nach  der 
Narkose  wieder  und  ist  daher  als  harmlos  zu  betrachten.     Auch  die  Cyanose 


-^-      341      — 

mäßigen  Grades  braucht  den  Narkotiseur  nicht  zu  schrecken,  da  sie  ohne 
ernste  Störungen  verläuft. 

Nachdem  hiermit  die  hauptsächlichsten  physiologischen  Einflüsse  des 
Äthers  auf  die  verschiedenen  Organe  des  menschlichen  Körpers  erörtert 
worden  sind,  sollen  nunmehr  die  bei  weitem  wichtigeren  pathologischen  Ein- 
flüsse und  Veränderungen,  die  durch  die  Atherwirkung  entstehen  und  auftreten 
können,  betrachtet  werden.  Ein  großer  Teil  derselben  geht  aus  den  physio- 
logischen Einflüssen  hervor,  deshalb  muß  ich  bisweilen  auf  das  obengesagte 
zurückkommen. 

Zunächst  sollen  die  Einflüsse  des  Äthers  auf  das  Gehirn  betrachtet 
werden.  Neben  den  in  physiologischen  Grenzen  erzeugten  Veränderungen  im 
Cerebrum  finden  sich  bedeutend  schwerere  Affektionen  pathologischer  Natur, 
welche  je  nach  der  Dauer  der  Äthereinwirkung  und  dei  Disposition  des  betr. 
Individuums  auftreten.  Zunächst  dokumentiert  sich  die  Ätherwirkung  in  einer 
starken  Veränderung  der  Zellen  der  Blutgefäßwandung,  welche  genau  wie  es 
beim  Chloroform  schon  erwähnt  wurde,  durch  die  Ätherwirkung  ebenfalls  derart 
geschädigt  werden,  daß  sie  eine  Fettmetamorphose  zeigen.  Es  werden  vor 
allem  die  Zellen  der  Intima  und  Media  größerer  und  kleinster  Hirngefäße 
und  die  Zellen  der  Wandung  der  Capillaren  affiziert  und  man  findet,  nament- 
lich nach  langen  oder  häufigen  Narkosen  stellenweis  starke  Anhäufung  von 
Fetttropfeu  in  den  Wandungen,  so  daß  daselbst  die  Wand  verdickt  wird  und 
später  eine  Narbe  mit  Verdünnung  der  Wand  entstehen  kann. 

Diese  Einwirkung  des  Äthers  ist  von  mir  im  Experiment  geprüft  worden, 
und  es  fand  sich  folgendes: 

Wenn  man  längere  Äthernarkosen  1 — 2  Stunden  lang  z.  B.  an  Hunden 
vornimmt,  oder  wenn  man  Hunde  ^2  Stunde  lang  mit  Äther  mehrmals  in 
zwölfstündigen  Intervallen  narkotisiert,  so  zeigen  sich  stets  in  den  Gefäß- 
wandungen, sowohl  des  Groß-  als  auch  des  Kleinhirns,  reichlich  Fettansamm- 
lungen, die  je  größer,  häufiger  und  ausgedehnter  sind,  je  länger  die  Narkosen 
waren  und  je  häufiger  sie  wiederholt  wurden.  Diese  Veränderung  in  den 
Gefäßwandungen  ist  ähnlich  der  wie  sie  bei  Chloroform  beschrieben  ist.  Die 
Zellen  der  Intima  und  Media,  der  größeren  Blutgefäße,  sowie  die  Zellen  der 
Capillaren  erleiden  durch  den  Äther  eine  Fettmetamorphose,  und  man  findet 
in  den  mit  Osmium  behandelten  Präparaten  große  Mengen  Fetttropfen,  welche 
einen  Teil  der  Zellen  vollkommen  anfüllen  und  die  Zellen  zerstören.  Man 
sieht  an  Querschnitten  dann  an  der  Stelle,  wo  die  Fettmetamorphose  stattfindet, 
eine  deutliche  Verdickung  der  Gefäßwand,  die  durch  die  Fettmengen  hervor- 
gerufen wird.  Wenn  nun  aber  die  Zellen  zugrunde  gehen,  so  entsteht  dann 
eine  Verdünnung  an  dieser  Stelle  der  Gefäßwand.  In  nicht  so  hochgradigen 
Fällen  zeigen  sich  geringere  Mengen  von  Fett,  nur  wenige  mittelgroße  Tropfen, 
die  meist  in  Haufen  liegen.  In  den  Schnitten  solcher  Gehirnpräparate  waren 
bei  meinen  Versuchen  stets  sehr  zahlreiche  Stellen  mit  fettmetamorphosierter 
Gefäßwanduug  zu  finden,  man  nahm  dieselben  oftmals  schon  mit  schwachen 
Vergrößerungen  oder  auch  mit  bloßem  Auge  als  schwarze  Punkte  in  dem  gelben 
Präparate  wahr  und  sah  dann  eine  Menge  solcher  Punkte.  Bei  näherer  Unter- 
suchung der  Schnitte  bei  stärkerer  Vergrößerang  stellte  sich  heraus,  daß  die 
schwarzen  Punkte  Gefäßquerschnitte  mit  sehr  großen  Mengen  von  Fett  waren, 


—      342     — 

während  sich  in  der  übrigen  Gehirumasse  noch  viele  Gefäßquerschnitte  zeigten, 
in  denen  weniger  oder  gar  kein  Fett  vorhanden  war. 

Jedenfalls  ist  dieses  Fett  in  den  Zellen  der  Gefäßwandungen  dui'ch  den 
Äther  hervorgerufen,  denn  normaliter  findet  es  sich  nicht  im  Gehirn  und  es  hat 
sich  bei  den  vielen  Versuchen  mit  Äther,  die  ich  augestellt  habe,  stets  gezeigt. 
Beistehende  Figur  114  zeigt  einen  Schnitt  aus  dem  Gehirn  eines  Hundes,  der  nach 


Figui'  114.     Gehirn  von  einem  Hund  nach  vier  Äthernarkoseu. 
In  Ganglienzellen  und  Blutgefäßwandungeu  reichlich  Fett. 


vier  Äthernarkosen  getötet  wurde.  Man  sieht  darin  deutlich  die  fettmetamor- 
phosierten  Gefäßwandstellen.  Die  Fettmetamorphose  in  den  Gefäß  Wandungen 
findet  sich  ebenso  in  den  Gefäßen  des  Kleinhirnes,  wie  des  Großhirnes.  In 
Figur  115  ist  ein  Bild  der  Veränderungen  im  Gerebellum  dargestellt.  Man  sieht 
auch  hier,  wie  die  Fettmetamorphose  haufenweise  auftritt  und  dann  die  Gefäß- 
wand vorbuchtet.  Natürlich  finden  sich  nicht  immer  so  hochgradige  Verände- 
rungen, bei  weniger  Narkosen,  bei  kürzere  Zeit  dauernden  Einwirkungen  des 
Äthers  sind  die  Fettmengen  geringer,  mau  findet  bisweilen  nur  wenige  Tropfen. 
Immerhin  habe  ich  auch  nach  50 — 70  Minuten  langen  Äthernarkosen  schon 
Fettmetamorphose  in  den  Gefäßwandungen  des  Kleinhii-ns  und  Cerebmms 
gefunden,  wenn  auch  die  Fetttropfen  nicht  so  groß  und  zahlreich  waren. 
Es  ist  nun  natürlich  auch  auf  Längsschnitten  der  Gefäße  das  Fett  zu 
finden.  Die  Frage  ist  nur,  wie  kommt  es,  daß  so  viele  Zellen  der  Gefäß- 
wandungen diese  Veränderang  erleiden,  während  andere  gesund  bleiben.  Es  ist 
mii-  noch  nicht  gelungen,  eine  Antwort  auf  diese  Frage  zu  finden,  die  mir  eiu 
klares  Bild  der  Entstehung  gibt,  es  bleibt  nichts  anderes  übrig  bis  jetzt,  als 
anzunehmen,  daß  diese  Zellen  disponiert  sind,  daß  sie  gerade  aus  irgend- 
welchen Gründen  und  Verhältnissen  weniger  widerstandsfähig  gegen  die  Äther- 
wirkung sind. 


—     843     — 

Dieses  Veruiögen,  die  Gefäliwauduiineu  zu  alterieren,  ist  allen  Narkoticis, 
die  mau  gewöhnlich  zur  Inhalatiousuarkose  verwendet,  eigen.  Der  Äther  wii'kt 
ziemlich  stark,  es  scheint  mir  aus  den  Beobachtungen  meiner  Versuche  nicht, 
als  ob  der  Äther  in  dieser  Hinsicht  schwächer  wirke  als  Chloroform. 

Die  Fettmetamorphose  in  den  Blutgefäßen  ist  nun  schon  nach  einer 
langen  Narkose  mit  Äther,  1  — IV2  Stunden  laug,  zu  finden,  es  zeigen  sich  dann 
vereinzelt  Fetttropfen  in  den  Zellen  der  lutima  xmd  Media.  Nach  zwei  solchen 
Äthernarkoseu,  zwischen  denen  zehn  bis  zwölf  Stunden  Intervall  gelegen  hat, 
zeigt  sich  schon  bedeiitend  mehr  Fett,  wo  ein  oder  zAvei  Tropfen  in  dem 
Präparat  nach  einer  Narkose  zu  sehen  waren,  finden  sich  jetzt  Haufen  von 
drei  bis  sechs  Fetttropfen,  nach  drei  und  vier  Narkosen  sind  die  Fettmassen 
noch  größer,  vor  allem  sind  die  Tropfen  viel  größer,  die  kleineren  sind  konfluiert. 
Es  zeigt  sich  also,  daß  schon  eine  lange  Narkose  Fettmetamorphose  erzeugt, 
daher  ist  anzunehmen,  daß  in  bestimmten  Fällen  beim  Menschen,  wenn  Dis- 
position vorhanden  ist,  die  Fettmetamorphose  auch  in  stärkerem  Maße  auftiitt. 
Aber  auch  die  in  mäßigen  Grenzen  sich  bildende  Veränderung  kann  an  einzelnen 
Stelleu  in  der  Gefäßwand  sich  stärker  bilden,  es  kann  daselbst  zu  ausgedehntem 
Zerfall  der  Zellen  kommen,  ixnd  die  Folge  davon  kann  in  Ruptur  der  Gefäß- 
wand, HämoiThagie  oder  in  einer  Narbe  in  der  Gefäßwand  bestehen,  welch 
letztere  dui-ch  den  Blutdruck  zu  einem  Aneurysma  ausarten  oder  ruptui-ieren 
kann,  uameutlich  gelegentlich  starker  Blutdrucksteigerungeu.  So  kann  auch 
schon  während  der  Atheruarkose,  uameutlich  währeud  einer  sehr  langen,  oder 
einer  solchen,  der  am  Tage  vorher  schon  eine  Narkose  vorhergegangen  ist,  bei 
Blutdrucksteigerungeu  (Exzitation,  Apnoe  etc.)  eine  Gehirnhämorrhagie  entstehen, 
deren  Folgen  ja  bekannt  sind. 

Es  ist  aus  diesen  anatomischen  Befunden  die  Lehre  zu  ziehen,  nicht 
eine  Narkose  innerhalb  ein  oder  zwei  Tagen  zu  wiederholen,  und  alle  starken 
En-egungen  zu  vermeiden.  Die  Fettmetamorphose  ist  jedenfalls  in  besonderen 
Fällen  der  Grund  schwerer  Gehirnstörungen,  es  ist  möglich,  daß  mancher  Todesfall, 
der  äußerlich  Zeichen,  die  auf  einen  Zusammenhang  mit  der  Narkose  hindeuten 
nicht  erkennen  ließ,  auf  diese  Verhältnisse  zu  beziehen  ist.  Es  können  auch 
vorübergehende  Lähmungen,  Schwächegefühle  in  Extremitäten,  starke  Kopf- 
schmerzen etc.,  die  nach  der  Narkose  auftreten,  in  Blutungen  aus  kleinen  fett- 
metamorphosierten  Gehirngefäßen,  die  einen  größeren  Umfang  nicht  angenommen 
haben,  ihre  Ursache  haben.  Vielleicht  wird  die  weitere  Beobachtung  mit  den 
Jahren  solche  Fälle  entdecken.  Man  kann  jedenfalls  auch  manche  Apoplexie, 
manchen  Fall  von  Aneurysmata  der  Gehirngefäße  in  seinen  ersten  Anfängen  auf  eine 
Narkose  zurückführen  und  deshalb  muß  man  sein  Augenmerk  auch  auf  diese 
Verhältnisse  richten.  Allerdings  muß  man  auch  bedenken,  daß  die  Fettmetamor- 
phose mäßiger  Art  und  Ausdehnung,  wie  sie  meist  in  normalen  Fällen  nach  einer 
langen  Äthernarkose  zu  finden  ist,  sehr  schnell  abheilt.  Nm*  in  schweren 
Fällen,  wie  iu  obigem  Präparat  veranschaulicht  wird,  bilden  sich  nach  der  Narkose 
an  den  Stellen  der  Fettmetamoi-phose  Narben  mit  Verdünnung  der  Gefäßwand. 
Besonders  prädisponierend  für  diese  Verhältnisse  ist  jedenfalls  die  Arterio- 
sklerose und  der  Alkoholismus. 

Auch  schon  andere  Forscher  haben  auf  die  besondere  Gefahr  der  Apoplexie 
in  der  Äthernarkose  aufmerksam  gemacht  (Sänger,  de  Quervain  etc.),  welche 
namentlich    für    alte  Leute  größer    sei    als  bei    anderen  Narkotica,    wegen    der 


—     344     — 

Blutdrucksteigenmg.  Es  ist  ja  zuzugeben,  daß  der  Äther  nicht  so  schwer 
schädigend  auf  Herz,  Blutgefäße  etc.  wirkt,  wie  Chloroform,  man  muß  auch  die 
Gefahr  gerade  der  Apoplexie  bei  alten  Leuten,  die  ohne  Narkose  operiert  werden, 
als  gToß  erkennen  (Kapsammer),  aber  man  muß  auch  in  Betracht  ziehen,  daß 
der  Äther  in  der  Narkose  vielerlei  Gelegenheiten  zu  sehr  starken  vorüber- 
gehenden Blutdrucksteigenxngen  gibt,  namentlich  wenn  der  Narkotiseui"  ungeübt 
oder  unerfahren  ist,  und  daß  unter  diesen  Verhältnissen  die  Gefahr  der  Apoplexie, 


Figur  115.     Kleinhirnrinde  vom  Hund  nach  Äthernarkosen. 
Fett  in  Ganglienzellen  und  Gefäßquerschnitten. 


namentlich  bei  älteren  Leuten,  größer  ist,  als  bei  der  Narkose  mit  Chloroform. 
Es  ist  daher  vor  allem  die  Pflicht  des  Narkotiseurs,  vorsichtig  zu  betäuben  und 
jede  plötzliche  Blutdi-ucksteigerung  zu  vermeiden.  Gerade  die  vorsichtige 
Leitung  der  Narkose  ist  auch  beim  Äther  unerläßliches  Postulat. 

Die  andere  Verändening  des  Gehirns  besteht  in  Fettmetamorphose  der 
Ganglienzellen.  Ich  habe  bei  meinen  Versuchen  gefunden,  daß  Äther  ebenso  wie 
Chloroform  eine  Fettmetamorphose  in  den  Ganglienzellen  hervorrufen  kann.  Es 
fand  sich  Fett  in  den  Ganglienzellen  stets  nach  langen  oder  öfteren  Narkosen, 
allerdings  war  das  Fett  nur  in  mäßigen  Mengen  vorhanden.  Bisweilen  fanden 
sich  in  einzelnen  Ganglienzellen  nur  zwei  bis  vier  mittelgroße  Fetttropfen,  bis- 
weilen hingegen  waren  einzelne  Ganglienzellen  mit  Fettti'opfen  übersät,  feine  Fett- 
tropfen füllten  das  ganze  Protoplasma  der  Ganglienzellen  aus.  In  Figur  114 
sieht  man  Ganglienzellen  des  Großhii-ns  mit  Fetttropfen,  während  in  Figur  115 
auch  einige  Ganglienzellen  des  Kleinhirns  mit  Fetttropfen  abgebildet  sind.  Es 
ist  diese  Figui*  nach  einem  Schnitt  aus  dem  Kleinhirn  eines  mit  Äther  narkoti- 
sierten Hundes  gezeichnet.  Diese  Versuche  sind  äußerst  schwierig  anzustellen 
und  ich  habe  deshalb  noch  nicht  können  mehr  Klarheit  hierüber  erlangen. 
Jedenfalls  ist  aus  den  Untersuchungen  ersichtlich,  daß  nicht  alle  Ganglienzellen 
ergTiffen  werden.  Es  finden  sich  stets  bestimmte  Zellen  ergriffen,  wähi'end 
andere  gesund  sind.     Es  waren    ebenso   die  Ganglienzellen   des  Großhirns,    wie 


—     Uh     — 

die  der  Kleiuliiruriiidc,  welclie  Fettmetaiiioii)hose  zeigten.  Stärkere  Läsionen  habe 
ich  nicht  beobachten  können.  Jedenfalls  läßt  sich  bis  jetzt  noch  nicht  erkennen, 
welchem  roli;'en  diesen  Veränderuuo-en  zuzuschreiben  sind.  Es  wäre  ja  denkbar, 
daß  geleg'entlich  auch  die  Lähmungen  bestimmter  Nerven  durch  Veränderungen 
dieser  Art  hervorgerufen  würden.  (Waller,  Braatz,  Mally,  Garrigues  etc.). 
Darüber  müssen  jedenfalls  noch  weitere  Untersuchungen  angestellt  werden. 

Wenn  ich  hier  noch  kurz  einige  Worte  über  die  etwa  in  oder  nach 
Äthernarkosen  auftretenden  Lähmungen  peripherer  Nerven  hinzufüge,  so  ge- 
schieht es  deshalb,  weil  auch  in  der  Äthernarkose  diese  Verhältnisse  nicht  ohne 
Belang  sind.  Der  weitaus  größte  Teil  der  sogenannten  Narkosenlähmungen  steht 
in  keiner  direkten  Beziehung  zu  dem  Narkoticum,  da  er  durch  äußere  mechanische 
Einwirkungen  auf  den  peripheren  Verlauf  der  Nei*ven  entsteht.  Nur  wenige 
Fälle  wird  es  geben,  welche  auf  zerebrale  Entstehiing  zurückzuführen  sind,  und 
für  diese  waren  die  genannten  Veränderungen  des  Gehirns  durch  die  Äther- 
wirkung maßgebend  (Fettmetamorphose  in  den  Ganglienzellen,  Hämorrhagien 
nach  Ruptur  fettmetamorphosierter  Gehinigefäße).  Diese  Fälle  sind  allerdings 
sehr  selten.  Der  Narkotiseur  hat  aber  vor  allem  die  Pflicht,  die  erstere  Art 
von  Lähmungen  zu  vermeiden,  und  wird  für  deren  Eintritt  haftbar  zu  machen 
sein  in  Fällen,  wo  ihm  ein  Außerachtlassen  der  Vorsichtsmaßregeln  nach- 
gewiesen werden  kann.  Es  ist  dies  des  genaueren  früher  bei  Chloroform  und 
im  allgemeinen  Teil  besprochen. 

Auch  in  den  Gehii'nhäuten,  in  den  Meningen  und  der  Dura  finden  sich 
Fettmetamorphose  der  Gefäßwandungen  und  der  Zellen  der  Haut,  namentlich 
der  Entothelzellen.  Diese  Veränderungen  haben  aber  auf  den  Gesundheits- 
zustand des  Menschen  wohl  kaum  einen  Einfluß. 

Nachdem  ich  hier  die  Einflüsse  der  Äthernarkose  auf  das  Gehirn  erörtert 
habe,  will  ich  noch  den  von  manchen  Seiten  angegebenen  Zusammenhang  der 
Narkose  mit  Geisteskrankheiten  kurz  erwähnen.  Man  will  nämlich  Fälle 
beobachtet  haben,  wo  Personen  auch  nach  Aethernarkoseu  Geisteskrank- 
heiten bekamen  (Tyrell,  Scharlieb,  Bakewell,  Davis,  Crouch,  Silk, 
Savage  etc.).  So  wird  von  Savage  angegeben,  daß  nach  den  Narkosen  zwar 
Melancholie  und  Wahnideen  nicht  sicher  nachgewiesen  seien,  daß  er  aber  häufiger 
Stumpfsinn  (Stupor)  von  mehreren  Wochen  Dauer  beobachtet  habe.  Dem  ent- 
gegen glaubt  Silk  einen  Zusammenhang  zwischen  dem  Ausbleiben  von  Er- 
brechen und  dem  Auftreten  von  Delirien  nach  Aethernarkoseu  annehmen  zu 
dürfen.  Low  berichtet  über  einen  Fall,  wo  eine  Patientin  in  der  Aethernarkose 
einen  typischen  epileptischen  Anfall  bekam,  obwohl  sie  vorher  nie  daran  gelitten 
hatte.  Auch  nach  der  Narkose  trat  nie  wieder  ein  epileptischer  Anfall  auf. 
Es  ist  zu  bemerken,  daß  die  Patientin  allerdings  Alkoholistin  war.  Peterson 
hält  es  für  möglich,  daß  der  Sauerstoff  im  Übermaß  zu  Convnlsiouen  führe.  Es 
sind  diese  Ansichten  wohl  nicht  als  ganz  richtig  anzusehen,  da  man  wenn  wirklich 
nach  einer  Narkose,  namentlich  einer  solchen  mit  Aether,  eine  Psychose  auf- 
träte, dieselbe  wohl  mehr  durch  die  Operation  bedingt  sei  (Savage).  Savage 
hält  es  für  gefährlich,  wegen  eines  Recidives  Leute,  die  an  einer  Geisteskrank- 
heit gelitten  hätten,  zu  narkotisieren,  während  man  dies  bei  Geisteskranken 
selbst  ohne  Schaden  tun  kann.  Diese  letztere  Ansicht  mag  eine  gewisse  Be- 
rechtigung haben.  Immerhin  wird  man  eine  vorsichtige  Aethernarkose  ohne 
Schaden  vornehmen  können.  .Jedenfalls  wird  man  kaum  annehmen  können,  daß 
der  Aether  so  schwere  Einwirkung  auf  das  Cerebrum  haben  kann,  daß  er 
Psychosen  erzeugt.  Natürlich  muß  man  den  psychischen  Shock  bedenken,  doch 
ist  derselbe  nur  bei  prädisponierten  oder  psychopathischen  Individuen  vielleicht 
geeignet,  eine  vorübergehende  Psychose  (Hysterie)  hervorzurufen,  bei  gesunden 
Menschen  kann  man  einen  solchen  starken  Einfluß  nicht  anerkennen, 


—     346     — 

Auch  das  Herz  ei'leiclet  durch  den  Äther  pathologische  Veränderungen. 
In  kleinen  Teilen  wirkt  der  Äther  ja  günstig  auf  das  Herz,  indem  er  die  Herz- 
tätigkeit am-egt.  Anders  steht  es  bei  langer  Einwirkung,  namentlich  bei  langen 
Narkosen.  Es  ist  früher  allgemein  angenommen  worden,  der  Äther  wirke 
gerade  entgegen  dem  Chloroforai  nur  günstig,  wenigstens  nicht  schädigend,  auf 
das  Herz. 

Diese  Annahme  ist  als  vollkommen  irrig  zu  betrachten,  denn  dem  Äther 
ist  auch  eine  schwer  schädigende  Einwirkung  auf  die  Herzmuskelfaser  eigen. 
Diese  Herzwirkung  besteht  in  Störungen  der  normalen  Zellfunktion  in  der 
Muskelfaser,  die  sich  in  Fettmetamorphose  äußert.  Es  ist  nun  eigentlich  wunder- 
bar, daß  man  diese  Eigenschaft  des  Äthers  noch  nicht  entdeckt  hat,  da  man 
doch  die  Wirkung  des  Chloroforms  in  dieser  Hinsicht  genau  studiert  hat.  Es 
scheint  wohl  der  Grund  darin  zu  liegen,  daß  die  Einwirkung  des  Äthers  auf 
das  Herz  nicht  so  stark  wie  die  des  Chloroforms  ist,  und  daß  weit  eher 
schwere  andere  Veränderungen  in  den  lebenswichtigen  Organen,  namentlich  den 
Limgen,  auftreten  und  den  Tod  des  Individuums  hervoiTufen,  ehe  die  Herz- 
fettmetamorphose so  stark  ist,  daß  sie  tödlich  wirken  könnte. 

Es  ist  also  dies  Vermögen  des  Äthers,  Fettmetamorphose  im  Herzfleisch 
zu  erzeugen,  geringer  als  beim  Chloroform.  Äther  wirkt  schwächer  in  dieser 
Hinsicht,  aber  dessen  ungeachtet  findet  mau  nach  langen  Äthernarkosen  oder 
nach  öfteren  Betäubungen  deutliche  Fettmetamorphose  in  den  Herzmuskelfasern. 
Bei  meinen  Versuchen  zeigte  sich  nach  mehreren  Äthernarkosen  mit  12 — 24  stünd- 
lichen Intervallen  stets  deutliche  Fettmetamorphose  des  Herzens,  in  den 
Muskelfasern  war  die  Querstreifung  undeutlich  geworden,  verwaschen,  oft  ganz 
fehlend,  dabei  zeigte  sich  in  den  Fasern  zii  beiden  Polen  des  Kernes  reichlich  Fett 
in  feinen  Tropfen,  bisweilen  war  das  Fett  auch  über  die  ganzen  Fasern  gleich- 
mäßig in  feineu  Tröpfchen  verteilt.  Die  Kerne  waren  erhalten.  In  den  hoch- 
gradigsten Fällen  fand  sich  die  Fettmetamorphose  im  Herzen  nur  in  niedrigem 
Grade,  und  sie  war  geringer  wie  in  den  gleichen  Fällen  bei  Chloroform. 
Es  ist  aber  immerhin  aus  den  Versuchen  ersichtlich,  daß  Aether  snlfur.  Fett- 
metamoi-phose  im  Herzen  erzeugen  kann.  Übrigens  haben  meine  Versuche  er- 
geben, daß  alle  Narkotika  die  gleichen  Eigenschaften,  die  Fähigkeit  Fett- 
metamoi-phose  im  Herzen  zn  erzeugen,  haben,  nur  daß  Unterschiede  in  der 
Stärke  dieser  Fähigkeit  bestehen,  und  da  hat  sich  ergeben,  daß  Aether  sulfur. 
am  schwächsten  wirkt. 

Es  hat  sich  nun  aber  auch  ergeben,  daß  nach  jeder  längeren  Äthernarkose 
eine  Alteration  der  Herzmuskelfaser  entsteht,  die  sich  in  trüber  Schwellung  und 
beginnender  Fettmetamorphose  dartut.  Nach  Äthernarkosen  von  1 — 1^2  Stunden 
Dauer  fand  sich  hier  und  da  wenig  Fett  in  feinen  Tropfen  zu  beiden  Polen  des 
Kernes  in  den  Muskelfasern,  doch  nur  sehr  selten,  viel  weniger  als  nach  gleicher 
Chl^roformnarkose.  Nach  zwei  laugen  Narkosen  mit  Äther  war  die  Fettmeta- 
morphose schon  ganz  deutlich. 

Es  geht  daraus  hervor,  daß  man  auch  bei  der  Äthernarkose  das  Herz 
beachten  muß,  und  daß  Herzkranken  auch  die  Äthernarkose  gefährlich 
werden  kann.  Die  Veränderungen  in  den  Herzmuskelfasern  nach  einer  Narkose 
heilen  allerdings  sehr  schnell  ab,  und  es  ist  infolgedessen  die  Gefahr  bei  sonst 
gesundem  Herzen  geringer  als  bei  anderen  Narkotika. 

Diese  meine  Beobachtungen  bei  Äthernarkosen  an  Tieren  haben  mich  zu 


—     347      — 

der  Überzeugiiug  gebracht,  daß  der  Tod  auch  iu  geeigneten  Fällen  durch  Hei-z- 
synkope  eintreten  kann,  und  es  haben  auch  schon  früher  andere  Forscher  Kollaps- 
zustände in  der  Äthernarkose  beobachtet,  so  hat  Lewin  bei  Äthernarkosen  eine 
plötzlich  eintretende  Herzschwäche  gesehen,  die  immer  stärker  wurde,  bis  das 
Herz  stillstand  und  exitus  letalis  eintrat.  Derselbe  hat  neben  diesem  zum  Tode 
führenden  Falle  auch  leichtere  Herzkollapse  gesehen,  welche  wieder  vorüber- 
gingen, nachdem  der  Arzt  Gegenmaßregeln  angewendet  hatte,  daß  aber  in  manchen 
Fällen  auch  die  Herzschwäche  so  stark  war,  daß  noch  an  den  Tagen  nach  der 
Narkose  Gefahr  für  das  Leben  des  Kranken  bestand,  indem  die  Herzkraft  zu 
erlahmen  drohte. 

Es  ist  also  in  diesen  Fällen  anzunehmen,  daß  eine  mäßige  Fettmetamor- 
phose  der  Herzmuskelfasern  bestanden  habe,  die  bisweilen  abheilte,  in  anderen 
Fällen  aber  zum  Tode  führte. 

Es  wurde  bisher  von  vielen  Forschern  bestritten,  daß  beim  Äther  Syn- 
kope eintreten  könne,  sondern  man  nahm  nur  den  Tod  durch  Apnoe  an.  Zweifel- 
los kommen  Apnoefälle  ungleich  häufiger  vor  als  Synkopetodesfälle  (Kappeier). 
Doch  wird  man  letztere  nicht  ganz  leugnen  können  (Lewin,  Spellissy). 

Die  Beobachtungen  bei  Äthernarkosen  an  Tieren,  die  man  zur  Feststellung 
der  Todesart  vornahm,  haben  gezeigt,  daß  in  allen  Fällen  zuerst  die  Atmung 
stillstand  und  das  Herz  noch  weiter  schlug  (Garre  etc.).  Man  hat  sich  nun 
den  Vorgang  beim  Äthertod  folgendermaßen  gedacht.  Wenn  man  ein  Tier 
ätherisiert  und  zwar  so  lauge,  bis  die  toxische  Wirkung  zutage  tritt,  so  sieht 
mau  zunächst  Cyanose  auftreten,  die  engen  Pupillen  werden  sprungweise  weit, 
die  Augen  erstarren,  und  die  Atmung  sistiert.  Währenddessen  schlägt  das  Herz 
noch  weiter  und  zwar  in  der  nächsten  Zeit  nach  dem  Stillstand  der  Atmung 
ungestört.  Der  Puls  ist  dabei  frequenter  als  normal,  regelmäßig,  kräftig.  AVenu 
man  jetzt  gleich  künstliche  Respiration  anwendet,  so  kann  man  das  Tier  noch 
am  Leben  erhalten,  die  Atmung  setzt  bald  wieder  ein.  Gibt  man  aber  weiter 
Äther,  so  wird  das  Atmungszentrum  vollständig  gelähmt,  der  Puls  wird  irregulär, 
äußerst  frequent  und  steht  nach  wenigen  Minuten  still,  die  Herztätigkeit 
ist  jetzt  ebenfalls  gelähmt.  Wenn  man  mit  dem  Beginne  der  Jrregularität  des 
Pulses  Wiederbelebungsversuche  anstellte,  so  ist  in  vielen  Fällen  keine  Rettung 
mehr  möglich,  die  Herztätigkeit  versiegt  trotz  aller  Mittel,  die  Atmung  tritt 
nicht  wieder  auf.  Es  handelt  sich  also  hier  um  eine  primäre  Lähmung  des 
Respirationszentrums  und  eine  sekundäre  Herzlähmung.  Es  fragt  sich  nun, 
worin  besteht  die  Ursache  der  sekundären  Herzlähmuüg.  Dieselbe  ist  nach 
den  Versuchen  so  stark,  daß  bei  Irregularität  in  der  Aktion  das  Leben  nicht 
mehr  erhalten  werden  kann  in  den  Fällen,  wo  man  mit  Gegenmitteln  nicht  so- 
fort nach  Eintritt  der  Irregularität  einzuwirken  beginnt.  Es  kommen  hier 
zweierlei  Gifte  in  Betracht,  einmal  der  Äther,  das  andere  Mal  die  Kohlensäure. 
Wenn  die  Atmung  stillsteht,  tritt  zunächst  Sauerstoffmangel  auf,  dann  Kohlen- 
säureintoxikation. Nebenbei  besteht  im  Blute  die  Konzentration  der  Äther- 
dämpfe, welche  Narkose  bewirkte.  Wenn  nun  die  Konzentration  der  Äther- 
dämpfe im  Blut  genügend  war,  um  eine  Lähmung  des  Respirationszentrums 
hervorzurufen,  so  sollte  man  annehmen,  daß  dieselbe  auch  das  Herzzentrum 
stark  schädige.  Dasselbe  ist  aber  zweifellos  widerstandsfähiger  gegenüber  der 
Ätherwirkung  als  das  Respiratiouszentrum.  Es  wird  die  Herzlähmung  nunmehr 
lediglich    durch  die  Kohlensäureintoxikation  und  den  Sauerstoffmaugel  hervor- 


—     348     — 

gerufen.  Das  geht  auch  daraus  hervor,  daß  mau  kurz  nach  Eintritt  der  Apnoe 
noch  lehensrettend  eingreifen  kann,  und  zwar  nur  so  lange,  als  noch  nicht  zu 
starke  Kohlensäureintoxikation  aufgetreten  ist.  Bis  dieselbe  auftritt,  können 
einige  Minuten  vergehen,  denn  der  Mensch  kann  bekanntlich  ca.  zwei  Minuten, 
ohne  Sauerstoff  zu  atmen,  leben.  Die  Gefahr  dieser  Apnoen  wird  entschieden 
herabgesetzt  durch  die  Sauerstoftatherinhalationeu. 

Es  geht  demnach  aus  den  Beobachtungen  hervor,  daß  beim  Äther  in  den 
meisten  Fällen  die  Atmung  vor  der  Herztätigkeit  stillsteht.  Es  ist  damit  aber 
nicht  ausgeschlossen,  daß  namentlich  bei  Herzfehlern  eine  Herzsynkope  trotz- 
dem auftreten  könne,  dies  wird  bewiesen  durch  die  Fettmetamorphose  in  den 
Herzmuskelfasern  nach  Ätheruarkosen.  Es  ist  ja  natürlich  auch  möglich,  daß 
eine  Synkope  bei  unveränderten  Herzmuskelfasern  auftritt,  eine  Lähmung  resp. 
Zerstörung  der  Ganglienzellen  des  Zentrums  der  Herztätigkeit  in  der  Medulla 
oblongata  infolge  der  Ätherwirkung.  Es  ist  aber  auch  durch  die  Beobachtung 
und  Erfahrung  feststehend,  daß  ein  protrahierter  Äthertod,  der  infolge  Fett- 
metamorphose im  Herzmuskel  analog  dem  Chloroformtod  entsteht,  sehr  selten 
beobachtet  ist  und  von  manchen  Seiten  ganz  geleugnet  wird.  Daß  derselbe 
möglich  ist,  beweisen  die  Tierversuche,  daß  er  aber  in  der  Praxis  sehr  selten 
resp.  gar  nicht  beobachtet  wird,  das  wird  bei  den  Erörterungen  der  Lungen- 
krankheiten nach  Äthernarkosen  behandelt  Averden.  Es  ist  jedenfalls  feststehend, 
daß  der  Äther  nicht  ein  ausschließliches  Herzgift  ist,  sondern  daß  er  das  Herz 
und  dessen  Tätigkeit  in  vielen  F'ällen  nicht  nachteilig,  in  anderen  wenigstens 
nicht  so  schwer  schädigend  wie  Chloroform  beeinflußt. 

Bedeutend  größerer  Einfluß  wird  dem  Aether  sulfuricus  auf  die  Nieren 
und  die  Leber  zugeschrieben.  Man  hat  vor  allem  dem  Äther  den  Vorwurf  ge- 
macht, daß  er  die  Nieren  direkt  schädige,  daß  er  Nierenentzündungen  hervor- 
rufe etc. 

Die  Einwirkung  des  Äthers  auf  die  Nieren  äußert  sich  nach  Comte  in 
einer  Verminderung  der  Harnmenge  namentlich  am  ersten  Tage  nach  der 
Narkose,  das  spezifische  Gewicht  des  Harnes  wird  erhöht,  die  Harnstoff'menge 
ist  vermindert,  der  Gehalt  des  Harns  an  Phosphorsäure  ist  schwankend,  bald 
erhöht,  bald  vermindert. 

Emmet,  Gester,  Miliard  etc.  haben  behauptet,  daß  der  Äther  wegen  des 
auf  die  Nieren  ausgeübten  Reizes  bei  Erkrankungen  der  Nieren  vor  allen  Dingen 
konti'ainziert  sei.  Fueter,  Roux,  Wunderlich,  Garre,  Eisendraht  u.  a. 
wiesen  dem  gegenüber  nach,  daß  der  Äther  nicht  einen  Reiz  auf  die  Nieren  ausübe, 
sondern  daß  z.  B.  bei  Albumen,  welches  vor  der  Äthernarkose  im  Harn  vor- 
handen war,  eine  Vermindenmg  desselben  nach  der  Narkose  zu  finden  sei,  daß 
dasselbe  sogar  nach  der  Narkose  in  manchen  Fällen  verschwimden  gewesen  sei. 

Leppmann,  d'Angelesco,  Buxton,  v.  Lerber,  Dudley  etc.  haben 
axxf  Tierexperimente  gestützt  das  Resultat  erlangt,  daß  der  Aether  bedeutend 
weniger  schädlich  als  das  Chloroform  auf  die  Nieren  einwirke.  Man  hat  nun 
aber  dennoch  bisweilen  Eiweiß  im  Harn  nach  Aethernarkosen  gefunden,  Rovix 
fand  bei  115  Aethernai'kosen  4mal  Albuminurie.  Angelesco  bei  128  Aether- 
narkosen 16  mal  leichte  Albuminurie,  aber  man  fand  auch,  daß  diese  Albuminiirie, 
wenn  sie  auftrat,  nur  vorübergehehend  war  und  nur  wenige  Tage  bestand,  daß 
die  Albuminmie,  die  schon  vor  der  Narkose  bestand,  keine  Steigerung  erfuhr 
(Angelesco)  durch  die  Aetherwirkung.  Ferner  beobachtete  man  auch  Cy linderurie 
nach  Aethernarkose,  die  ebenfalls  selten  imd  nur  vorübergehend  auftrat.  Garre 
beobachtete  einen  Fall,  wo  Albumen  vor  der  Aethernarkose  bestand  und  nach  der- 
selbe]! verschwunden  war.    Babacci  und  Bebi  sahen  nach  Aethernarkosen  eine 


—     349     — 

Nierenentzündimg;  entstehen,  die  sie  als  hämorrhagische  Nephritis  bezeichnen, 
wobei  die  EiitzüiuhTns-  nur  in  den  Gloraeruli  verlaufe,  die  aber  große  Tendenz 
abzuheilen  habe. 

Pop  off  liält  die  nach  Aethernarkoscn  gelegentlich  auftretende  Albuminurie 
und  Cylindrurie  nicht  für  Zeichen  pathologischer  Veränderungen  in  den  Nieren, 
denn  er  konnte  niemals  im  Harn  den  Aether  nachweisen 

Nach  den  Angaben  dieser  Forscher  sind  die  Schädigungen  der  Nieren 
nicht  erheblich,  immerhin  deuten  die  Befunde  von  Eiweiß  und  Zylindern  ge- 
legentlich nach  Äthernarkosen  darauf,  daß  in  geeigneten  Fällen  doch  eine 
schädigende  Einwirkung  des  Äthers  auf  die  Nierenepithelien  anzunehmen  ist. 
Es  ist  nun  auch  tatsächlich  gelungen,  durch  Äthernarkosen  an  Hunden  schwere 
Läsionen  der  Nieren  zu  erzeugen,  die  denen  nach  langen  und  häufigen  Chloro- 
formnarkosen sehr  ähnelten,  indem  sie  ebenfalls  in  ausgedehnter  Fettmeta- 
morphose der  Nierenepithelien,  die  stellenweis  auch  in  Nekrose  und  Zerfall  der 
Zellelemente  übergeht,  auftrat  (Verf.).  Diese  Befunde  sind  folgendermaßen 
erlangt  worden. 

Es  wurden  von  mir  analog  den  Versuchen  mit  Chloroform  Hunde  auch 
mit  Aether  sulfur.  narkotisiert  und  zwar  25—50  Minuten  lang.  Diese  Narkose 
wurde  nach  Verlauf  von  12 — 24  Stunden  wiederholt  und  so  fort,  bis  das  Tier 
4 — 5  mal  innerhalb  einiger  Tage  betäubt  worden  war.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  der  Organe  ergab  dann  in  den  Nieren  das  Bild  der  ausgedehnten 
Fettmetamorphose.  In  den  gewundenen  Harnkanälchen  waren  die  Epithelien 
am  stärksten  affiziert,  es  fand  sich  hier  sehr  viel  Fett  in  feinen  bis  großen 
Tropfen,  stellenweise  fand  sich  hier  auch  Nekrose  und  Zerfall  der  Epithelien. 
In  den  übrigen  Bezirken  der  Niere  war  ebenfalls  Fettmetamorphose  stark  vor- 
handen, namentlich  in  der  Rinde,  auch  in  geringerem  Maße  in  den  Mark- 
substanzcD.  Die  Zellen  der  Harnkanälchen  im  allgemeinen  w^aren  trübe  ge- 
schwellt, das  Protoplasma  wolkig  und  ungleichmäßig  färbbar,  die  ZellgTenzen 
waren  undeutlich  verwaschen,  im  Protoplasma  w^aren  stellenweis  große  zahl- 
reiche Hohlräume.  Außerdem  bestand  starke  Hyperämie  der  Niere,  die  Gefäße 
waren  strotzend  mit  Blut  gefüllt.  In  den  Glomeruli  fand  sich  kein  Fett,  wohl 
aber  Hyperämie  und  anscheinend  ein  Exsudat  zwischen  dem  Glomei'ulus  und  der 
Wandung.  Der  Glomerulus  zeig-t  einen  ziemlich  großen  Hohlraum  zwischen 
Wandung  und  Glomerulus.  Ferner  ist  an  gewissen  Stellen,  namentlich  in  den  Tubuli 
contorti,  reichlich  Zerfall  der  Zellen  mit  Untergang  der  Kerne  vorhanden.  Doch 
ist  dieser  Zerfall  und  diese  Nekrose  der  Epithelien  nicht  so  ausgedehnt  und  hoch- 
gradig zu  finden  wie  bei  Chloroform.  Durch  entsprechende  Versuche  habe  ich 
nach  1,  2,  3  und  mehr  Narkosen  die  Veränderung  der  Nieren  in  verschiedenen 
Stadien  gefunden  und  schon  nach  einer  langen  Äthernarkose  fand  sich 
stets  trübe  Schwellung  der  Nierenepithelien,  bisweilen  auch  in  den  Zellen  der 
Tubuli  contorti  Fett  in  feinen  Tropfen,  doch  nur  wenig  und  selten. 

Es  ist  ersichtlich,  daß  diese  Veränderung  durch  eine  zweite  Narkose  be- 
deutend vermehrt  und  verschlimmert  wird,  wenn  die  zweite  Narkose  innerhalb 
der  Zeit  vorgenommen  wird,  innerhalb  deren  die  trübe  Schwellung  und  be- 
ginnende Fettmetamorphose  der  Nierenepithelien  noch  nicht  abgeheilt  ist.  Es 
ist  aus  diesen  Befunden  wohl  erklärlich,  daß  gelegentlich  beim  Menschen  auch 
eine  solche  starke  Fettmetamorphose  entsteht,  die  sich  dui-ch  Eiweiß  im  Harn 
anzeigt.     Es  entsteht  wahrscheinlich  nach  jeder  längeren  Äthernarkose  (45  bis 


—     350     — 

120  Minuten)  eine  mehr  oder  weniger  starke  Veränderung  in  den  Nieren,  die 
in  trüber  Scliwellung  und  aucli  schon  in  beginnender  Fettmetamorphose  sich 
dai'tut.  Dieselbe  heilt  aber  bald  nach  der  Narkose  ab  und  ist  verschwunden, 
wenn  die  letzten  Äthermengen  den  Organismus  verlassen  haben.  Deshalb  soll 
für  die  Praxis  die  Regel  gelten,  eine  Narkose  mit  Äther  nach  Möglichkeit  erst 
zu  wiederholen,  wenn  keine  Äthermengen  mehr  im  Organismus  kreisen.  Man 
ersieht  hieraus,  daß  eine  gewisse  Ähnlichkeit  in  der  Einwirkung  des  Äthers  auf 
den  Organismus  mit  dem  Chloroform  besteht,  niu*  daß  Äther  weniger  stark  auf  die 
Nieren  schädigend  wirkt  als  Chloroform.  Von  einer  gut  geleiteten,  nicht  zu 
langen  Äthernarkose  kann  man  erwarten,  daß  die  Nieren  nur  wenig  oder  gar 
nicht  geschädigt  werden.  Allerdings  muß  auch  hierbei  die  Disposition  beachtet 
werden,  bei  dem  einen  Menschen  wird  eine  Narkose  nicht  schaden,  während  sie 
bei  einem  anderen  schon  schwere  Störungen  hervorrufen  kann. 

Die  Nieren  haben  nun  die  Aufgabe,  den  Äther  zum  Teil  wieder  ax\a  dem 
Organismus  zu  eliminieren.  Ein  Teil  des  im  Blute  ki-eisenden  Äthers  wird  in 
den  Harn  übergehen  und  durch  die  Nieren  den  Körper  verlassen. 

Was  nun  die  Tätigkeit  der  Leber  in  der  Äthernarkose  anlangt,  so  ist 
eine  verminderte  Tätigkeit  der  Gallenproduktion  zu  finden.  Mau  hat  auch  durch 
Tierversuche  die  Verhältnisse  geprüft  und  es  stellte  Bau  dl  er  fest,  daß  der 
Äther  die  Leber  nicht  schädige,  und  so  nahm  man  bisher  an,  daß  die  Äther- 
narkose gegenüber  der  mit  Chloroform  hierin  einen  Vorteil  besitze.  Nach  meinen 
Experimenten  kann  ich  diese  Annahme  nicht  gelten  lassen,  denn  es  hat  sich 
herausgestellt,  daß  der  Äther  zwar  Dicht  so  stark  wie  Chloroform  wirkt,  daß 
aber  doch  auch  hinsichtlich  der  Leber  eine  in  den  Crundzügen  gleiche  Ein- 
wirkung wie  bei  Chloroform  besteht. 

Es  sind  in  dieser  Hinsicht  von  verschiedenen  Seiten  Untersuchungen  über 
die  Verhältnisse  bei  der  Äthernarkose  angestellt  worden  (Ostertag,  Straß- 
mann, Seibach,  Bandler,  Schenk,  Lengemann  u.  a.),  doch  meist  mit  dem 
Erfolg,  daß  man  Äther  die  Fähigkeit,  Fettmetamorphose  zu  erzeugen,  absprach. 
Schenk  und  Lengemann  fanden  aber  doch  bei  ihren  Versuchen  einen  ver- 
mehrten Fettgehalt  der  Leber  bei  den  Tieren,  die  sie  Äthernarkosen  unterzogen 
hatten. 

Aus  meinen  zahlreichen  Tierexperimenten  geht  mit  Sicherheit  hervor, 
daß  auch  die  Leber  in  der  Äthernarkose  gewisse  Veränderungen  erleidet.  Es 
ist  nm-  dadurch  erklärlich,  daß  man  bisher  annahm,  der  Äther  bewirke  nicht 
eine  Fettmetamorphose  in  der  Leber,  daß  man  bei  den  Tierexperimenten,  wie 
sie  Bandler  vornahm,  der  an  4  Hunden  und  4  Kaninchen  mit  Äther  voll- 
ständigen IVlißerfolg  zu  verzeichnen  hatte  hinsichtlich  der  Erzeugung  einer 
Fettmetamorphose  in  der  Leber,  nur  zu  kurze  Äthernarkosen  ausführte, 
deren  in  der  Leber  bewirkte  Verändeningen  allerdings  leicht  übersehen  werden 
können.  Will  man  solche  Wü-kungen  prüfen,  so  muß  man  die  Tiere  unter  eine 
lange  und  öftere  Äthereinwirkung  stellen,  so  habe  ich,  wie  oben  bemerkt,  die 
Tiere  4  langen  Äthernarkosen  ausgesetzt  und  gerade  in  der  Leber  sehr  aus- 
gedehnte Fettmetamorphose  erzielen  können.  Es  fand  sich  stets  in  der  Leber 
hochgradige  Fettmetamorphose,  die  in  der  Peripherie  der  Acini  in  Nekrose  und 
Zerfall  der  Leberzellen  überging  —  ein  Bild,  das  dem  der  Chloroformeinwirkung 
sehr  ähnlich  ist.  Es  besteht  wohl  ein  Unterschied  in  der  Intensität  der  Wirkung 
auf    die  Leber,    nicht    aber  in  der  Art  derselben.     Es  war  vor  allem  der  Über- 


—     351     — 

gang  in  Nekrose  und  Zerfall  bei  den  Äthemarkosen  nicht  so  hochgradig  und 
ausgebreitet  wie  bei  der  Chloroformwirkung.  Die  Befunde  allei'diugs  in  der 
Leber  nach  einer  langen  (60 — 120  Minuten)  Äthernarkose  sind  nicht  hochgradig 
und  können  ev.  leicht  übersehen  werden,  denn  es  findet  sich  trübe  Schwellung 
der  Leberzellen  und  stellenweis  wenig  feine  Fetttropfen  in  den  Zellen.  Da  nun 
auch  im  normalen  Zustande  bisweilen  hier  und  da  Fett  in  den  Leberzellen  zu 
finden  ist,  so  kann  man  namentlich  bei  der  Untersuchung  der  Leber  nach  einer 
kurzen  Äthernarkose  leicht  die  geringe  Verändening  für  noi'mal  halten.  Die 
Beobachtungen  aber  nach  2  oder  3  Narkosen  an  der  Leber  lehren  eine  ent- 
schieden starke  Einwirkung  des  Äthers.  Somit  hat  sich  eine  gewisse  Verwandt- 
schaft des  Äthers  mit  dem  Chloroform  ergeben. 

Die  Stärke  der  Fähigkeit  eines  Narkotikums,  Fettmetamorphose  in  den 
inneren  pareuchj^matösen  Organen  und  dem  Herzen  zu  erzeugen,  ist  direkt 
proportional  der  narkotischen  Kraft  oder  umgekehrt  proportional  der  Narkosen- 
breite.   Demzufolge  ist  diese  Fähigkeit  des  Äthers  kleiner  als  die  des  Chloroforms. 

Wenn  man  nun  die  Einwirkung  des  Äthers  auf  die  Leber  erkannt  hat, 
so  findet  man  auch  eine  Erklärung  für  die  Fälle  von  Ikterus,  die  bisweilen 
auch  oft  nach  Äthernarkosen  auftreten  (Demme,  Comte  etc.).  Es  besteht  jeden- 
falls in  diesen  Kranken  eine  größere  Neigung  zu  Lebererkrankung  und  deshalb 
bildet  bei  ihnen  die  Leber  einen  locus  minoris  resistentiae  für  die  toxische 
Wirkung  des  Äthers. 

Es  ist  mir  ganz  unbegreiflich,  warum  man  bisher  so  fest  au  der  Annahme 
hielt,  der  Äther  wirke  nicht  in  der  toxischen  Art  des  Chloroforms.  Da  derselbe 
ebenfalls  ein  Narkotikum  darstellt  und  die  narkotische  Wirkung  eine  toxische 
gewisse  zentrale  Nervenelemente  lähmende,  schließlich  zerstörende  Funktion  dar- 
stellt, so  liegt  es  nach  meiner  Ansicht  sehr  nahe,  anzunehmen,  die  hinsichtlich 
anderer  Organe  toxischen  Eigenschaften  und  EinAvirkungen  des  einen  Narkotikums 
seien  in  gewissen  Grundzügen  allen  Narkotika  eigen,  vor  allem  da  die  Ki-aft, 
Fettmetamorphose  zu  erzeugen,  mit  der  narkotischen  Kraft  eng  zusammen  zu 
hängen  scheint,  wenn  überhaupt  nicht  beide  identisch  sind.  Hierüber  müssen 
erst  noch  weitere  Untersuchungen  angestellt  werden,  ehe  man  Bestimmtes  be- 
haupten kann. 

Was  nun  den  Magen-Darmkanal  mit  seinen  Nebenorganen  anlangt,  so 
finden  sich  pathologische  Veränderungen  nur  in  geringem  Grade  durch  die 
Ätherwirkung  erzeugt.  Die  Magentätigkeit  ist  gelähmt  und  geschwächt,  ebenso 
die  Darmperistaltik.  Bringt  man  Äther  in  kleinen  Teilen  in  den  Magen,  so  regt 
er  dessen  Tätigkeit  an,  in  großen  Mengen  aber  bewirkt  er  Meteorismus.  Nach 
Job.  Müller  soll  er  wegen  seiner  leichten  Verdampfbarke.it,  wenn  in  größeren 
Mengen  in  den  Magen  gelangt,  diu'ch  Empordrängen  des  Zwerchfelles  zur  Er- 
stickung führen.  Diese  Annahme  ist  wohl  etwas  übertrieben.  Nach  Demme 
folgen  den  Äthernarkosen  bei  Kindern  besonders  leicht  katarrhalischer  Ikterus  sowie 
Diarrhöen.  Auch  der  Darm  erleidet  nach  Äthernarkosen  oft  starke  Gasan- 
sammlung, da  sich  im  Magensaft  und  auch  teilweise  im  Darmsaft  Äther  aus 
dem  Organismus  absondert,  verdunstet  derselbe  in  dem  Darmraum  und  treibt 
den  Darm  auf,  während  er  dabei  namentlich  nach  langen  Nai'kosen,  wo  viel 
Äther  noch  nach  der  Narkose  im  Organismus  sich  befindet,  auch  die  Darmtätig- 
keit beeinflußt,  indem  er  dieselbe  anregt  und  reizt.  Es  entstehen  dann  zunächst 
Diarrhöen  und  später,  wenn  der  Äther  entfernt  ist,  Obstipation. 


—     352     — 

Der  Magen  wird  diu'ch  den  Äther  noch  in  anderer  Hinsicht  beeinflußt,  nämlich 
indem  er  gereizt  wird  und  Brechbewegungeu  entstehen.  Bei  sehr  langen  Nar- 
kosen, wenn  sehr  viel  Äther  im  Blut  gelöst  ist,  wird  das  Erbrechen  eventuell 
sehr  stark  und  anhaltend  sein,  es  wird  dann  hervorgerufen  durch  die  im  Magen- 
saft enthaltenen  Äthermengen  (Stoß  etc.)  Die  beste  Gegenmaßregel  gegen  dieses 
Erbrechen  nach  der  Narkose  besteht  in  Magenspülungen.  Dieses  Erbrechen  wird 
namentlich  bei  Personen  mit  schwachem  Magen  sehr  stark  auftreten  und  lästig 
sein.  Man  hat  beim  Äther  mehr  Neigung  zu  solchem  Brechen  gefunden  als 
bei  Chloroform.  Es  kann  aber  durch  sparsames  Verabreichen  von  Äther  an 
den  Kranken  dem  Erbrechen  entgegengearbeitet  werden.  Neben  diesem  post- 
narkotischen Erbrechen,  das  bei  Äther  ebenso  oft  wie  bei  Chloroform  auftritt, 
tritt  noch  Erbrechen  während  der  Narkose  auf,  erstens  im  Anfang  der  Äther- 
gaben, beim  Erwachen  und  eventuell  kurz  vor  dem  Tode.  Im  Anfang  kann  es 
verhindert  werden  durch  vorsichtiges  Dosieren,  das  beim  Erwachen  in  der  Narkose 
darf  nicht  eintreten,  da  der  Narkotiseur  den  Kranken  nicht  unnötig  während  der  Be- 
täubung erwachen  lassen  soll,  und  das  kurz  ante  exitum  darf  ebenfalls  nie  auftreten, 
da  es  die  Folge  starker  Überdosierung  darstellt  und  ein  sehr  ominöses  Symptom 
bedeutet.  Man  erkennt  das  letztere  Erbrechen  an  den  weiten  reaktiouslosen  Pu- 
pillen. Es  ist  beim  Äther  nicht  so  leicht  möglich,  daß  diese  Art  des  Erbrechens 
auftritt,  wie  bei  Chloroform,  weil  beim  Äther  eine  solch  hochgradige  Über- 
dosierung nicht  so  leicht  möglich  ist,  immerhin  nuiß  der  Narkotiseur  dieses 
Symptom  höchster  Gefahr  kennen. 

Durch  den  Magen  wird,  wie  schon  gesagt,  ein  großer  Teil  des  Äthers 
abgeschieden.  Dies  geschieht  in  den  Magendrüsen  vor  allen  Dingen,  dann  auch 
in  der  Schleimhaut.  Auch  bei  Äthernarkosen  findet  sich  in  den  Zellen  der 
Magendrüsen  und  Schleimhaut  Fettmetamorphose,  genau  wie  bei  Chloroform- 
narkosen. Es  ist  aber  diese  Veränderung  in  den  Zellen  nur  mäßig  und  tritt 
nur  noch  nach  sehr  langen  oder  oft  wiederholten  Narkosen  auf.  Nach  meinen 
Versuchen  war  der  Fettgehalt  in  den  Zellen  der  Magendrüseu  oft  sehr  stark, 
es  fanden  sich  reichlich  Fetttropfen  im  Protoplasma,  in  den  Zellen  der  Schleim- 
haut war  die  Fettmenge  geringer.  Jedenfalls  ist  auch  der  Einfluß  des  Äthers 
auf  die  Magendrüsen  geringer  als  der  des  Chloroforms,  hingegen  ist  er  doch 
vorhanden  und  muß  beachtet  werden.  Gewisse,  wenn  auch  geringe  pathologisch 
vermehrte  Fettmengen  finden  sich  in  den  Magendrüsenzellen  stets  nach  längeren 
Äthernarkosen,  doch  habe  ich  nie  Neki'ose  und  Zerfall  wie  in  Leber  und  Nieren 
gesehen.  Dieser  Einfluß  auf  die  Magendrüsen  ist  nun  keinesfalls  ohne  Belang, 
denn  von  ihm  wii-d  zweifellos  das  Übelsein  nach  der  Narkose  mit  hervorgerufen 
werden.  Die  Magendrüsen  werden  nicht  normal  funktionieren  können,  wenn  die 
Zellen  pathologisch  verändert  sind,  d.  h.  wenn  sie  eine  Fettmetamorphose  ei'- 
litten  haben,  und  die  Folge  wird  Übelkeit,  Appetitlosigkeit,  Erbrechen  etc.  sein. 
Es  ist  also  anzunehmen,  daß  eine  Veränderung  der  Drüsen  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  vorliegt,  wenn  sehr  starke  Magenstönmgen  nach  der  Narkose 
auftreten.  Auch  hierbei  spielt  die  Disposition  eine  gewichtige  Rolle.  Diese  Ver- 
änderung in  den  Drüsenzellen  heilt  bald  nach  der  Narkose  ab,  jedenfalls  spätestens 
dann,  wenn  die  letzten  Äthermengen  den  Organismus  verlassen  haben. 

Sind  die  Magensymptome  sehr  unangenehm  und  stark,  so  wird  dem  Kranken 
am  besten  dm-ch  eine  Magenspülung  geholfen,  die  man  eventuell  nach  einiger 
Zeit  wiederholt. 


Bei  unvorsichtigem  Ätherisiereu  und  vor  allem  bei  der  Methode,  in  Güssen 
zu  narkotisieren,  kann  es  leicht  vorkommen,  daß  Äther  von  der  Maske  auf  Mund, 
ISTase  und  Wangen  fließt,  woselbst  er  die  Haut  zerstört  und  die  Folge  sind  Ver- 
ätzungen, die  dem  Krauken  Schmerzen  nach  der  Narkose  bereiten.  Dies  muß 
vermieden  werden.  Der  Äther  wirkt  da  vor  allem  durch  die  dauernde  Kälte- 
wirkung schädlich  auf  die  Haut. 

Aber  es  ist  fi-üher  sogar  beobachtet  worden,  daß  der  Äther  in  den  Mund 
fldß  und  die  Schleimhaut  des  Mundes,  Rachens  und  Kehlkopfes  verätzte.  Man 
faud  dann  am  Tage  nach  der  Narkose  sehr  schmerzhafte  Ulcerationen  im  Rachen, 
die  dem  Kranken  sehr  lästig  waren.  Gelangt  der  Äther  in  den  Mund  in  größeren 
Mengen,  kann  er  entweder  in  den  Magen  durch  die  Speiseröhre  fließen,  oder  er 
gelangt  in  den  Kehlkopf,  über  die  Veränderungen  des  Kehlkopfes  wird  später 
gesprochen.  Ist  bei  diesen  Verhältnissen  der  Kranke  tief  narkotisieit,  so  fließt 
der  Äther  iu  den  Magen,  ist  der  Patient  aber  noch  im  Stadium  II  bei  vor- 
handenen Reflexen,  so  hiistet  er  und  erbleicht  eventuell.  Sehr  gefährlich  kann  das 
Herabfließeu  des  Äthers  in  den  Magen  werden.  Es  wird  auch  schon  schaden, 
wenn  der  Äther  nicht  rein,  sondern  mit  Speichel  vermischt  in  den  Magen  gelangt. 
Er  verätzt  die  Speiseröhre  und  den  Magen,  so  entstehen  (jeschwüre  in  der  Speise- 
röhre und  dem  Magen.  Die  ersteren  w'erden  bald  nach  der  Narkose  bemerkt, 
der  Kranke  klagt  über  Schmerzen  im  Hals  und  vor  allem,  wenn  er  Speisen 
verschlingt.  Der  Oesophagus  ist  bisweilen  schwer  geschädig-t  worden  und  es 
haben  sich  narbige  Stenosen  nach  Abheilen  der  ülcera  gebildet,  und  im  Magen 
sind  ülcera  beobachtet  worden,  deren  Dasein  man  meist  erst  einige  Tage  nach 
der  Narkose  beobachtet.  Es  ist  mancher  Kranke  dui'ch  diese  Umstände  schwer 
geschädigt  worden  und  manches  Ulcus  ventriculi  hat  früher  seine  erste  Ursache 
in  diesen  Unfällen  während  der  Narkose  gehabt.  Der  Äther  wirkt  sehr  stark 
ätzend,  stärker  als  Chloroform  und  ist  insofern  gefährlicher.  Es  ist  auch  beim 
Äther  leichter  möglich,  daß  solche  Verätzungen  entstehen,  weil  der  Äther  als 
schwächeres  Narkotikum  iu  größeren  Mengeu,  d.  h.  in  höher  konzeutiierten  Luft- 
gemischen gebraucht  wird,  weshalb  der  Narkotiseur  leicht  geneigt  ist,  den  Äther 
nicht  auf  die  Maske  zu  tropfen,  sondern  zu  gießen.  Bei  einer  modernen,  gut 
geleiteten  Äthernarkose  dürfen  solche  Verätzungen  nicht  entstehen.  Natüi'lich 
verursachen  die  in  den  Magen  gelaugten  Ätherspeichelmengen  Erbrechen.  Schon 
die  im  Speichel  gelösten  Äthermengen  nach  der  Narkose  verui'sachen  im  Magen 
Brechreiz,  deshalb  soll  der  Kranke  den  Speichel  ausspucken,  nicht  verschluckeu, 
tut  er  es  doch  und  erbricht  der  Kranke  viel,  soll  man  den  Magen  spülen. 

Auch  iu  den  Kehlkopf  und  auf  die  Stimmbänder  kann  unter  diesen  Uni- 
stäudeu  Äther  gelangen  und  daselbst  Verätzungen,  Geschwüre  und  Ödem, 
Glottisödem,  hervorrufen,  wodurch  der  Kranke  nach  der  Narkose  heisere  Sprache 
zeigt  und  während  der  Narkose  durch  Glottisödem  schwere  Apnoe  mit  Er- 
stickuugsgefahr  entsteht.  Es  darf  dies  bei  einer  modernen  Äthernarkose  nie 
vorkommen. 

Wenn  man  durch  die  bisherigen  Betrachtungen  den  Eindruck  erhalten 
hat.  daß  der  Äther  hinsichtlich  der  behandelten  Organe  nicht  so  schwer 
schädigend  wiikt,  als  das  Chloroform  und  deshalb  als  ein  weniger  gefährliches 
Narkotikum  zu  betrachten  sei,  so  wird  dieser  Eindruck  bedeutend  abgeschwächt, 
wenn  man  sich  die  Beziehungen  des  Äthers  zur  Lunge  und  deren  Funktion 
vor  Augen  führt.     Allerdings  muß  gleich  bei  Beginn  der  Erörterung  der  Ein- 

23 


flüsse  pathologischer  Natur  auf  die  Lmigen  hervorgehoben  werdeu,  daß  der 
Äther  zweifellos  in  dieser  Hinsicht  gefährlicher  als  andere  Narkotika  ist,  daß 
aber  dieser  Einfluß  nicht  zu  hoch  eingeschätzt  werden  darf,  da  er  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  jedem  Narkotikum  eigen  und  daß  des  Äthers  besonders  ge- 
fährliche Wirkung  bedeutend  durch  eine  vorsichtige  Dosierung  und  Hand- 
habung der  Narkose  abgeschwächt  werden  kann. 

Was  zunächst  den  Einfluß  des  Äthers  auf  die  Respiration  anlangt,  so 
ist  beobachtet  worden,  daß  oftmals  im  Laufe  der  Narkose  stertoröses  Atmen, 
Schnarchen  und  Rasseln  im  Kehlkopf  auftritt.  Es  ist  dieses  stertoröse  Atmen 
absolut  nicht,  wie  vielfach  augenominen  wird,  eine  Eigentümlichkeit  der 
Atmung  in  der  Äthernarkose,  sondern  sie  ist  ein  Zeichen,  daß  Sauerstoff- 
mangel, daß  Schleimansammlung  etc.  besteht.  Man  wird  sofort  ruhiges  Atmen 
erhalten,  wenn  man  dem  Kranken  in  diesen  Momenten  frische  Luft  in  ge- 
nügenden Mengen  zuströmen  läßt,  ferner  wenn  man  den  Schleim  aus  dem  Kehl- 
kopf wischt  etc.  Das  Atmen  muß  in  der  Äthernarkose  genau  so  ruhig  und 
leise  vor  sich  gehen,  wie  im  normalen  Zustande  des  Menschen,  und  es  ist  Sache 
des  Narkotiseurs,  dafür  zu  sorgen;  wie  und  wodurch  er  dies  vermag,  wird  sich 
weiter  unten  ergeben. 

Es  ist  schon  erwähnt,  daß  Äther  eine  starke  Salivation  der  Mund-  und 
Rachendrüseu  erzeuge.  Diese  Vermehrung  der  Absonderung  der  Drüsen  ist 
tatsächlich  vorhanden  und  auch  die  Drüsen  des  Kehlkopfes,  der  Trachea  und 
Bronchien,  die  Schleimhaut  dieser  Organe  selbst  werden  zur  vermehrten  Ab- 
sonderung von  Schleim  angereizt,  durch  Äther  stärker  als  durch  Chloroform. 
Man  hat  allgemein  früher  angenommen,  die  Lungenerkrankungen  nach  Äther- 
narkosen entstehen  duixh  Reizung  der  Schleimhaut  durch  den  Äther.  Dieser 
Theorie  stehen  andere  entgegen  (Nauwerck,  Großmann  etc.)  und  mit  Recht, 
wenn  auch  die  Reizung  nicht  ganz  geleugnet  werden  kann.  Es  gibt  für  die 
nach  Äthernarkosen  häufig  auftretenden  Lungenerkrankungen  verschiedene  Ur- 
sachen, auf  die  in  dem  folgenden  des  genaueren  eingegangen  werden  soll. 

Die  vermehrte  Absonderung  der  Drüsen  und  Schleimhaut  in  den  Bronchien, 
Trachea  und  Larynx  kann  maii  direkt  nachweisen,  indem  man  ein  Experiment 
ausführt.  Wenn  man  einen  Hund  ätherisiert,  mit  dem  Kopfe  tiefer  liegend 
oder  den  Kopf  nach  unten  hängend,  während  der  Thorax  horizontal  und  höher 
lieg-t,  so  ist  vollkommen  ausgeschlossen,  daß  Speichel  aus  dem  Rachen  in  die 
Luftwege  gelangt,  sondern  man  sieht  sehr  große  Mengen  Speichel  und  Schleim  aus 
dem  Maule  fließen.  Tötet  man  nun  den  Hund  nach  einer  langen  Narkose 
(50 — 60  Minuten)  und  untersucht  die  Lunge  näher  mit  dem  Mikroskop,  so  findet 
mau  verschiedentlich  in  den  Lungenalveolen  Schleimmassen,  welche  die  Alveolen 
stellenweis  ganz  oder  nur  teilweise  anfüllen.  Diese  Schleimmassen  müssen  aus 
den  Luftwegen  vom  Kehlkopf  abwärts  stammen,  denn  wo  sollten  sie  sonst  her- 
kommen. Dieselben  sind  reichlicher  in  den  unteren,  d.  h.  bei  der  Lage  des 
Tieres  gerechnet,  Partien  zu  finden,  als  in  den  oberen,  ein  Zeichen,  daß  sie 
sich  in  den  Bronchien  gesammelt  haben  und  durch  die  Inspirationen  in  die 
Alveolen  aspii-iert  worden  sind.  Ich  habe  bei  allen  Äthernarkosen  diese  Schleim- 
mengen gefunden,  und  zwar  habe  ich  auch  bemerkt,  daß  sie  in  größeren 
•  Mengen  vorhanden  waren,  als  bei  Chloroformnarkosen.  Diese  vermehrte  Sekretion 
ist  allen  Narkotika  eigen,  doch  in  verschiedenem  Grade,  es  ist  zweifellos  die 
Stärke  der  Anregung  der  Salivation    umgekehrt  proportional    der  narkotischen 


—     855     — 

Kraft.  Es  ist  uim  aber  bei  der  Athernarkose  am  Menschen  dieser  Umstand  von 
großer  Bedeutung,  und  an  können  aus  demselben  Krankheiten  der  Lunge 
entstehen. 

Man  hat  zweifellos  verschiedene  Erkrankungen  nach  Äthernarkosen  in 
den  Lungen  zu  unterscheiden,  man  hat  einmal  leichte,  schnell  zurückgehende 
Bronchitiden  und  mau  hat  schwere,  sich  weitiM-  ausbreitende  Pneumonien.  Unter 
den  Bronchitiden  hat  man  entschieden  zwei  Arten  ,  die  einen,  die  ohne 
bakterielle  Lifektion  entstehen,  dieselben  werden  hervorgerufen  nur  durch  die 
vermehrte  Schleimabsonderung  und  die  Reize,  die  der  Äther  auf  die  Bronchiai- 
schleimhaut  ausübt,  und  gehen  sehr  bald  wieder  zurück  nach  der  Narkose. 
Sie  äußern  sich  nur  in  wenig  Husten  von  selten  des  Kranken.  Die  anderen 
Bronchitiden  entstehen  durch  Infektion.  Hierbei  müssen  folgende  Verhältnisse 
bestehen:  Während  der  Äthernarkose  können,  wenn  der  Narkotiseur  nicht 
ganz  geschickt  und  nach  den  neuesten  Vorschriften  narkotisiert,  Sehleimmassen 
aus  dem  Rachen  in  den  Kehlkopf  gelangen  und  werden  entweder  bei  noch 
bestehenden  Reflexen  ausgehustet  oder  aspiriert.  Sind  nun  diese  Schleimmassen 
nur  gering  oder  bestehen  dieselben  nur  aus  Speichelbläschen,  die  bei  nicht 
aus  dem  Rachen  entfernten  Schleimmassen  während  der  Narkose  bei  schnar- 
chendem, rasselndem  Atmen  durch  die  Atmung  in  die  Trachea  und  Bronchien 
gelangen,  so  werden  dieselben  in  den  Bronchien  sich  ablagern,  sie  werden 
zunächst  noch  nicht  in  die  Alveolen  gebracht  werden.  Durch  die  Ätherwirkung 
wird  nun  aber  auf  die  Schleimhaut  der  Bronchien,  der  Trachea,  der  Broncheoli  eine 
Schädigung-  der  vitalen  Vorgänge  und  Tätigkeit  des  Protoplasmas  der  einzelnen 
Epithelzellen  ausgeübt,  welche  sich  darin  pathologisch-anatomisch  dokumentiert, 
daß  eine  Fettmetaraorphose  in  den  Zellen  entsteht.  Diese  Fettmetaniorphose 
ist  bei  kurzen  Narkosen  noch  im  Anfang,  es  ist  vielleicht  nur  erst  trübe 
Schwellung  vorhanden,  oder  diese  erst  im  Beginn,  allein  es  ist  durch  diese 
Einwirkung  die  Lebenskraft  der  Zelle  geschwächt.  Die  Zelle  kann  äußeren 
schädigenden  Einflüssen  nicht  mehr  so  wie  in  gesunden  Verhältnissen  wider- 
stehen, imd  sie  vermag  daher  auch  nicht  die  auf  sie  gelangenden  Bakterien 
zu  töten  oder  sie  mittels  ihrer  Flimmerbewegung  nach  außen  zu  befördern. 
Wenn  nun  die  Speichelbläschen  oder  kleinen  Speichelmassen,  welche  durch  den 
Atmungsluftstrom  in  die  Bronchien  gelangt  sind,  Bakterien  enthalten,  wie 
Strepto  -  Staphylo  -  Pneumokokken  etc.,  so  werden  diese  Krankheitserreger 
günstigen  Boden  für  ihre  Weiterentwicklung  finden,  sie  wuchern  und  rufen 
eine  Entzündung  der  betreffenden  Gegend  hervor,  die  sich  in  den  Bronchien 
als  Brx)nchitis  d?rtut.  Diese  Form  des  Bronchialkatarrhs  ist  bedeutend 
schwerer,  anhaltender  und  gefährlicher.  Während  der  Katarrh,  der  nur  durch 
die  auf  die  Zellen  wirkenden  Äthereinflüsse  entsteht,  harmlos  ist,  schnell  ver- 
läuft, weil  er  nicht  durch  Bakterien  hervorgerufen  wird  und  beim  Aufhören 
der  Äthernarkose  auch  sofort  das  den  Katarrh  hervorrufende  Agens  wegfällt 
ist  der  bakterielle  Katarrh  länger  dauernd  und  kann  sich  noch  weiter  aus- 
breiten. Immerhin  ist  auch  der  bakterielle  Bronchialkatarrh  eine  der  leichteren 
Erkrankungen  nach  der  Äthernarkose,  die  sehr  oft  auftreten.  Unter  denselben 
Verhältnissen  können  auch  Pneumonien  entstehen,  von  denen  ebenfalls  zwei 
Hauptarten,  die  harmlosen,  schnell  heilenden  und  die  schweren  Pneumonien  zu 
unterscheiden  sind.  Die  ersteren  entstehen  nach  sehr  langen  Äthernarkosen. 
auch  nach  wiederholten  Betäubungen  und  zwar  nur   durch   die  Schleimmengen, 

23* 


—      356     — 

die  sich  durch  die  Atherwirkung  angeregt  und  A^eimehrt  abgesondert,  in  deu 
Alveolen  sammeln  lesp.  in  die  Alveolen  aspiriert  werden.  Bei  langen  oder 
öfteren  Narkosen  werden  größere  Bezii'ke  der  Lunge  mit  Schleim  erfüllt  und 
bieten  dann  das  Bild  einer  Pneumonie,  die  aher,  da  sie  nicht  durch  Bakterien 
hervorgerufen  ist,  sofort  nach  der  Narkose  zurückgeht,  wenig  Symptome  macht 
und  selten  ist.  Überhaupt  haben  diese  Pneumonien  und  Bronchitiden  ohne 
Bakterienanwesenheit  die  Tendenz,  sehr  schnell  abzuheilen  und  zu  verschwinden 
(Poppert,  Lindemauii  etc.),  während  die  bakteriellen  Erkrankungen  längere 
Zeit  nach  der  Narkose  bestehen  bleiben  können.  Weit  häufiger  sind  die  in- 
fektiösen Formen,  die  dui'ch  Schleimbläschen  mit  Bakterien  aus  Mund  und 
Rachen  aspiriert  in  die  Lungenalveolen  schließlich  gelangt  sind.  An  den  Stellen, 
wo  Schleim  die  Alveolen  teilweise  oder  ganz  erfüllt,  finden  die  Bakterien  ge- 
eigneten Boden  zum  Wachstum,  sie  vei-mehren  sich  und  rufen  Pneumonien 
hervor.  Es  gelangen  ja  auch  normaliter  Bakterien  in  die  Alveolen,  doch  [sie 
werden  durch  die  gesunden  Zellen  des  respiratorischen  Epithels  getötet,  wenn 
sie  nicht  zu  zahlreich  oder  viralent  sind.  Sind  aher  die  Zellen  des  respiratorischen 
Epithels  gesch-w'ächt  etc.,  so  wuchern  die  Bakterien  und  die  Bedingungen  zur 
Entstehung  der  Pneumonie  sind  erfüllt.  Bei  der  Narkose  sind  die  Zellen  dui-ch 
die  Ätherwii'kung  in  ihi-en  Lebensbedingungen  gestört,  sie  sind  krank,  weniger 
widerstandsfähig.  Nach  langen  Narkosen  findet  man  dann  in  deu  Zellen  des  respi- 
ratorischen Epithels,  in  den  Zellen  der  Alveolen  Fettmetamorphose.  Somit 
finden  die  Bakterien  einen  geeigneten  Ort  für  ihr  Wachstum  und  gar  bald  ist 
eine  Pneumonie  entstanden.  Es  ist  klar,  daß  man  sehr  oft  Bronchitiden  und 
Pneumonien  zusammen  findet.  Meist  treten  die  Pneumonien  lobulär  auf,  bis- 
weilen allerdings  auch  als  croupöse  Formen.j  Es  ist  die  Prognose  der 
Pneumonien  oftmals  infaust  zu  stellen,  man  muß  nach  genauer  Untersuchung 
der  Lungen  feststellen,  wie  große  Bezirke  erkrankt  sind.  Daraus  wird  man 
auf  den  weiteren  Verlauf  schließen  können.  Natürlich  ist  auch  der  Erreger 
von  Bedeutung,  es  können  Pneumokokken,  Streptokokken,  Diplokokken  etc.  die 
Krankheit  erregen.  Einen  schädigenden  Einfluß  auf  die  Schleimhaut  der  Bronchien 
übt  der  Äther  auch  durch  die  Abkühlung  aus.  (Hof mann,  Allen  etc.) 
Die  starke  Abkühlung,  die  durch  die  Verdunstung  des  Äthers  unter  der  Maske 
entsteht,  die  Rosette  der  Maske  ist  oftmals  hart  gefroren,  ist  für  die  Lunge 
natürlich  sehr  geiährlich  und  es  ist  nötig,  daß  der  Narkotiseur  eine  Erkältung 
verhindert.  Dies  geschieht  durch  hohe  Temperatur  der  umgebenden  Luft, 
ev.  durch  Erwärmen  der  Maske  (Thermophormaske).  (Wagner,  Longard  etc.). 
Es  kommen  neben  den  Pneiinionien,  die  durch  Bakterien  aus  den 
aspirierten  Schleimbläschen  entstehen,  auch  solche  vor,  welche  durch  direkt 
aspiririerte  größere  Schleimmengen  aus  Rachen,  Mund  und  Kehlkopf  in  den 
Lungen  sich  direkt  nach  der  Narkose  bilden.  Diese  sogenannten  Aspirations- 
pneumonieu  sind  natürlich  sehr  schwere  Erkrankungen,  die  eigentlich  nie  vor- 
kommen dürften.  Immerhin  sind  früher  bei  weniger  aufmerksamer  Technik  der 
Narkose  solche  Fälle  aufgetreten,  die  wohl  in  jeder  Narkose  hervorgerufen 
werden  können,  beim  Äther  aber  häufiger  waren,  weil  hier  mehr  Speichel  imd 
Schleim  sezerniert  wird.  Wenn  der  Narkotiseur,  wie  es  früher  viel  Usus  war, 
die  durch  den  Kehlkopf  verlegende  Schleimmassen  hervorgerufene  röchelnde,  sterto- 
röse  Atmung  lange  Zeit  bestehen  läßt,  ohne  den  Schleim  aus  dem  Rachen  zu  ent- 
fernen, so  werden  diese  Massen  beim  Fehlen  der  Reflexe  in  der  Toleranz  aspiriert,  die 


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Atmuiiii'  wird  wieder  frei,  bis  ueue  Schleimmasseu  sich  aug-esaiamelt  liabea,  und 
so  gelaugeu  während  der  Narkose  reichliche  Meu^eu  Schleim  direkt  in  die  Laui^e , 
■wo  sie  in  den  unteren  Partien  Infiltrationen  verursachen.  Man  hat  auch  Magen- 
inhalt, der  beim  Erbrechen  aspiriert  wurde,  in  den  Lungen  gefunden.  Es  ist 
über  diese  Lungenentzündungen  weiter  kein  Wort  zu  verlieren,  als  daß  sie  nie 
vorkommen  dürfen.     Die  jetzige  Technik  kann  sie  gut  vermeiden. 

Nach  diesen  Erörterungen  über  die  Entstehung  der  Lungenkrankheiten 
Bach  der  Äthernarkose  ist  es  leicht  erklärlich,  wie  man  dem  Eintreten  von 
postnarkotischen  Lungenkrankheiten  vorbeugen  kann.  Einmal  kann  man  vor- 
beugen, indem  man  eine  Aspiration  von  größeren  Schleimmassen  aus  Mund  und 
Rachen  verhindert,  was  man  dadurch  bewirken  kann,  indem  die  Lagerung  de  3 
Kranken  nach  Witzel  verwandt  wird,  oder  indem  man  den  Kopf  tiefer  als 
den  Thorax  lagei't,  oder  indem  man  oft  den  Schleim  aus  Mund  und  Rachen  wischt. 
Durch  diese  Maßnahmen  kann  man  viel  dazu  beitragen,  um  Bronchitiden  und 
Pneumonien  zu  verhüten,  doch  noch  mehr  läßt  sich  dies  tun  durch  eine  peinliche 
Desinfektion  des  Mundes  des  Kranken.  Es  ist  schon  im  allgemeinen  Teil  über 
dies  Thema  geschrieben  worden,  denn  es  ist  nicht  nur  bei  der  Äthernarkose 
eine  peinliche  Desinfektion  des  Mundes  vor  der  Narkose  zu  beachten,  sondern 
mehr  oder  weniger  bei  allen  Narkosen.  Die  Desinfektion  des  Mundes  ist  nun 
freilich  genau  genommen  ein  Ding  der  Unmöglichkeit,  denn  daß  man  alle 
Bakterien  in  den  zahlreichen  Ecken  etc.  des  Mundes  und  Rachens  entfernen 
oder  abtöten  könnte  ist  nicht  ausfuhrbar,  das  sieht  jederman  von  vornherein 
ein,  doch  dies  bezweckt  man  auch  nicht,  denn  die  in  normalem  Zustand  im 
Munde  befindlichen  Bakterien!  sind',  ziemlich  harmlos,  da  sie  einesteils 
nicht  schwere  pathogene,  anderenteils  nicht  stark  virulente  Mikroorganismen 
darstellen.  Allein  sobald  die  Pflege  des  Mundes  vernachlässigt  wird,  stellen 
sich  beim  Menschen  sofort  eine  große  Menge  von  gefährlichen  Bakterien  im  Munde 
ein,  sie  wachsen  daselbst  und  sind  meist  hochvirulent.  Darin  liegt  für  die 
Narkose  die  Gefahr.  Der  Speichel  für  gewöhnlich  bei  gesunden  Schleimhäuten 
des  Mundes  ist  antiseptisch,  er  tötet  oder  schwächt  die  in  den  Mund  von  außen 
gelangenden  Bakterien  in  ihrer  Viralenz  bedeutend,  und  man  will  nur  durch 
die  Desinfektion  des  Mundes  erreichen,  daß  dieser  Zustand  besteht  und  gefähr- 
liche Bakterien  aus  dem  Munde  etc.  entfernt  werden. 

Diese  Eigenschaft  verliert  er  aber  in  Fällen  von  Erkrankungen,  wenn  auch 
leichterer  Art  der  Schleimhaut,  wie  bei  Stomatitis,  Gingivitis  etc.  Da  nun  ein 
großer  Teil  der  Menschen,  die  man  in  der  Praxis  zu  narkotisieren  hat,  mit 
solchen  Krankheiten  des  Mundes  behaftet  ist,  denn  gerade  die  ärmeren  Klassen 
unseres  Publikums  kennen  keine  Mundpflege  und  leiden  alle  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  an  Stomatitis,  so  ist  ziemlich  oft  zu  Infektionen  der  Lungen  Gelegen- 
heit gegeben.  Der  Speichel  aber  aus  einem  solchen  Munde  enthält  eine  Menge 
gefährlicher  Bakterien,  wie  Streptokokken  und  Pneumokokken  etc.,  welche, 
wenn  sie  in ''die  Lunge  oder  Bronchien  gelangen,  infolge  ihrer  hohen  Virulenz 
sofort  wachsen  und  wuchern  und  '^dadurch  Krankheiten  hervorrufen. 

Dies  mag  genügen,  um  die  Behauptung,  ein  großer  Teil  der  Lungen- 
erki-ankungen  nach  Äthernarkosen  entstehe  durch  Bakterien  aus  dem  schlecht 
gepflegten  Munde  des  Kranken,  zu  rechtfertigen.  Man  wird  daher  Sorge  tragen 
müssen,  den  Mund  an  den  Tagen  vor  der  Narkose  mit  Bürste  und  Thymol  zu 
reinigen.     Ist  es  nicht  möglich,  den  Mund  vor  der  Narkose  zu  reinigen,  so  muß 


—     358     — 

man  eben  doppelt  vorsichtig-  sein,  um  zu  verhüten,  daß  Schleim  und  Speichel 
aus  Mund  und  Rachen  in  die  Lungen  aspiriert  werden.  Wie  man  dies  erreicht, 
wird  später  erörtert.  Da  aber  oftmals  nicht  jede  Vorschriit  für  die  Narkose 
in  allen  Fällen  ausgeführt  werden  kann,  so  muß  man  peinlich  die  beachten, 
die  auszuüben  man  imstande  ist. 

Es  ist  namentlich  in  früherer  Zeit,  als  man  noch  nicht  die  Wichtigkeit 
der  exakten  Dosierung  des  Äthers  kannte,  als  man  in  Güssen  narkotisierte, 
vorgekommen,  daß  dem  Kranken  Äther  direkt  in  den  Mund  floß  und  daß  dabei 
sehr  stark  konzentrierte  Speichelätheimischungen  entstanden.  Es  war  nun  in 
der  Narkose  auch  möglich,  daß  diese  Speicheiäthergemische  in  den  Kehlkopf 
flössen,  teilweise  aspiriert  wurden,  ja  auch,  daß  reiner  Äther  in  den  Kehlkopf 
gelangte  oder  aspiriert  wurde.  Die  Folgen  solcher  Verhältnisse  waren  schwere 
Lungenkrankheiten  und  man  sah  sogar  Verätzungen  des  Kehlkopfes,  der  Trachea 
und  Bronchien  auftreten;  daß  natürlich  solche  Beschädigungen  durch  den  Äther 
nicht  vorkommen  dürfen,  ist  augenscheinlich,  und  sie  werden  auch  in  der  Gegen- 
wart nie  heobachtet  werden,  deshalb  brauchen  weitere  Worte  hierüber  nicht 
verloren  zu  werden.  Der  Äther  wird  natürlich  in  solchen  Konzentrationen  oder 
rein  auf  die  Schleimhaut  gelangt,  die  Zellen  zerstören,  und  der  Boden  für  Bakterien- 
wachstum ist  geschaffen.  Weiter  kann  der  Äther  im  Kehlkopf  Glottisödem 
hervorrufen,  wenn  es  in  größeren  Mengen  in  den  Bachen  fließt.  Hierdurch 
kann  höchste  Lebensgefahr  für  den  Kranken  entstehen.  Wenn  schon  die  Dämpfe 
des  Äthers  und  die  geringen  Mengen,  die  in  den  kleinen  Speichelbläschen,  die  durch 
die  Luft  in  die  Lungen  gelangen,  oder  doch  trotz  größter  Vorsicht  aus  dem  Bachen 
in  den  Kehlkopf  gelangend  aspiriert  werden  können,  die  Zellen  der  Schleimhaut 
schädigen,  wie  oben  beschrieben,  um  so  mehr  werden  reine  Äthermengen  oder 
Mischungen  von  Äther  und  Speichel,  die  bei  der  Methode,  in  Güssen  zu 
ätherisieren,  in  den  Kehlkopf  bei  der  früher  üblichen  Lagerung  der  Kranken 
leicht  gelangen  können,  die  Zellen  vernichten,  so  daß  selbst  Defekte  der  Schleim- 
haut entstehen  werden.  Man  beobachtete  auch  früher  oft  Heiserkeit  der  Kranken 
nach  Äthernarkosen,  was  auf  Verätzungen  der  Stimmbänder  usw.  des  Kehlkopfes 
zurückgeführt  werden  muß.     Natürlich  darf  dies  nie  vorkommen. 

Es  ist  namentlich  früher  behauptet  worden,  der  Aether  sulfur.  prä- 
disponiere zu  Lungenleiden.  Dies  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade  widerlegt  durch 
die  Erfahrungen  der  modernen  Methodik,  allein  man  kann  nicht  leugnen,  daß 
Äther  mehr  als  andere  Narkotika  reizend  auf  die  Eespirationsorgane  wirkt  und 
man  kann  diesen  Beiz  wohl  ansehen  als  einen  schädigenden  Einfluß  auf  die 
Zellen  und  als  einen  erregenden  auf  die  Nervenendigungen  in  der  Schleim- 
haut. Letzterer  ist  wohl  gleich  bei  allen  Narkotika,  aber  ersterer  mag  beim 
Äther  stärker  sein,  wodurch  die  Zellen  der  Schleimhaut  des  respiratorischen 
Epithels  weniger  widerstandsfähig  werden  gegenüber  den  Bakterien  während 
der  Äthernarkose,  und  so  leichter  Lungenerkrankungen  entstehen  können  als 
nach  anderen  Narkotika.  Wenn  nun  aber  schon  im  normalen  Lebenszustande 
des  Menschen  die  Gefahr  des  Eintrittes  von  Lungenerkrankungen  nach  Äther- 
narkosen so  groß  ist,  so  hat  man  zweifellos  auch  eine  noch  viel  größere  Ge- 
fahr anzunehmen,  wenn  ein  Mensch  mit  Äther  betäubt  wird,  der  schon  lungen- 
krank ist.     Über  diese  Verhältnisse  soll  weiter  unten  gesprochen  werden. 

Es  kann  auch  eine  andere  schwere  Lungenerkrankung  durch  die  Äther- 
wirkung  entstehen,   das  ist  das  Lungenödem.     Man  hat  nach  Äthemarkosen  ein 


akutes  Luugx'iiiidt'iii  Ix'obachtet,  "weaii  iuicli  nur  selten,  so  ist  es  doch  eiu  reeht 
wichtiges  Ereignis,  das  wohl  der  Erwägung  wert  erscheint  (Poppert  etc.). 

Es  ist  l)iswei]en  das  Lungi^nödem  aufgetreten  bei  Kranken,  w^elche,  so 
quasi  y.ai  i'iy.oyj]v  dem  Tode  verfaileu,  nicht  auf  ein  neubeginneudes  Leben  post- 
narcosin  rechnen  sollten,  und  man  kann  in  diesen  Fällen  das  eingetretene  Lungen- 
ödem nur  als  agonale  Erscheinung  auffassen,  welches  aber  kaum  der  toxischen 
Atherwirkung  zuzuschreiben  ist.  Diese  Fälle  von  Lungenödem  sind,  nicht  ganz 
selten,  und  es  sind  eine  Reihe  in  der  Literatur  zu  finden.  Aber  noch  bis  vor 
kurzer  Zeit  dachte  man  der  Todesfälle  nicht,  welche  durch  ein  Lungenödem  als 
toxische  Erscheinung  des  Äthers  hervorgerufen  wurden.  Es  war  nur  zu  er- 
klärlich, daß  dieselben  im  großen  und  ganzen  nicht  dem  Äther  zur  Last  gelegt 
wurden,  da  oftmals  der  Tod  einige  Tage  nach  der  Narkose  auftrat,  nachdem  der 
Kranke  sich  leidlich  wohlgefühlt  hatte.  Zweifellos  sind  eine  Reihe  von  solchen 
Fällen  auch  früher  vorgekommen,  man  hat  sie  aber  nicht  in  die  Narkosen- 
Statistik  hineingezogen,  aus  Mangel  an  Kenntnis  derselben.  Nun  hat  man  aber 
durch  Tierexperimente  nachgewiesen  (Löwitt),  daß  ein  Lungenödem  durch  Äther- 
wirkung erzeugt  werden  kann.  Wenn  man  bei  einem  Kaninchen,  welches  ku- 
rarisiert  ist,  oder  einer  Katze  u.  dgL,  auch  beim  Hund  habe  ich  es 
nachgewiesen,  einige  Tropfen  Essigäther  in  die  Ingularvene  injiziert,  so  sistiert 
die  Herztätigkeit  sehr  bald.  Vorher  sieht  man  eine  blutigrote  schaumige  Flüssig- 
keit in  der  Trachealkanäle  als  Zeichen  eines  hochgradigen  Lungenödems  auf- 
treten.    Bei  der  Sektion  findet  man  das  ausgeprägteste  Lungenödem. 

Es  läßt  sich  au  Stelle  des  Essigäther  ebenso  Äthyläther  zum  Erzeugen 
dieser  Erkrankuug  verwenden  und  es  haben  die  Versuche  damit  ergeben,  daß  das 
Lungenödem,  wenn  auch  nicht  ganz  so  hochgradig  erscheint,  doch  durch  intra- 
venöse Injektion  von  Äther  erzengt  werden  kann.  Auifallenderweise  entsteht  ausge- 
sprochenes Lungenödem  ebenso,  wenn  man  den  Äther,  Essigäther  oder  Buttersäure- 
äther, in  die  Luftröhre  von  Tieren  träufelt.  Löwitt  beweist  in  seiner  Abhandlung,  daß 
es  sich  hier  nicht  um  ein  Stauungsödem,  sondei'n  um  ein  wirkliches  toxisches  Ödem, 
vom  Äther  erzeugt,  handelt.  Wahrscheinlich  wird  dieses  Lungenödem  durch 
eine  erhöhte  Durchlässigkeit  der  Gefäßwand,  ev.  durch  geänderte  sekretorische 
Verhältnisse  in  diesem  Falle  hervorgerufen. 

Nach  diesen  Versuchen,  welche ,  da  man  vom  Hund  so  manche  Er- 
scheinungen auf  den  Menschen  überträgt,  auch  auf  den  Menschen  als  zu  Recht 
bestehend  bezogen  werden  können,  ist  es  keinem  Zweifel  unterworfen,  daß  auch 
bei  der  Äthernarkose  derartige  Todesfälle  sowohl  während  als  nach  der  Nar- 
kose vorkommen  können.  Einen  überaus  typischen  Fall  hat  Poppert  beobachtet, 
welcher  sich  an  einem  46  jährigen  Landarbeiter  ereignete,  der  wegen  eines  irre- 
poniblen  rechtsseitigen  Leistenbruches  mit  peritonitischer  Reizung  etc.  operiert 
wurde.  Die  Äthernarkose  dauerte  30  Minuten  und  es  wurden  130  ccm  Äther 
verbraucht.  Eiu  Fehler  in  der  Technik  und  Dosierung  des  Äthers  während 
der  Narkose  kam  nicht  vor.  Die  Betäubung  war  keine  ganz  tiefe,  der  Kranke 
machte  von  Zeit  zu  Zeit  Abwehrbewegungen.  Die  Narkose  verlief  mit  geringer 
Cyanose,  die  Atmung  war  tief  und  regelmäßig,  einmal  trat  Erbrechen  von  wenig 
Schleim  ein,  gegen  Schluß  der  Narkose  zeigte  sich  nur  ganz  geringes  Schleim- 
rasseln. Der  Kranke  erwachte  bald  nachher  und  war  sehr  zufrieden  mit  seiner 
Lage.  Von  selten  der  Lungen  zeigten  sich  keine  Andeutungen  auf  pathologische 
Prozesse.     Nachdem  er  aber  eine  Stunde  sich  wohl  befunden  hatte,   stellte  sich 


—     360     — 

plötzlich  rasch  zunehmende  Atemnot  ein,  lautes  Schleimi-asseln  wurde  hörbar, 
der  Kranke  mußte  viel  husten,  wobei  er  schaumiges,  schleimiges  Sputum  ent- 
leerte. Der  Puls  war  dabei  noch  kräftig,  das  Sensorium  war  völlig  frei.  Der 
Zustand  verschlimmerte  sich  zusehends,  das  Herz  wurde  trotz  Darreichung  von 
Exzitantien  schwächer,  es  trat  Cyanose  ein,  aus  Mund  und  Nase  quoll  rötlich  ge- 
färbter kleinblasiger  Schleim  in  großen  Massen  heraus.  Der  Tod  erfolgte  unter 
diesen  Symptomen  des  akuten  Lungenödems  2  Stunden  nach  der  Narkose.  Die 
noch  an  demselben  Tage  vollstreckte  Autopsie  ergab  das  Vorhandensein  einer 
diffusen  Bauchfellentzündung  etc.  Doch  war  dies  viel  zu  g-ering  und  im  Anfangs - 
Stadium,  als  daß  es  hätte  ad  exitum  führen  können.  Das  Herz  war  von  normaler 
Größe,  die  rechte  Höhle  stark  mit  Blut  gefüllt.  Das  Myocard  war  dunkelbraun  t 
rot,  gut  entwickelt.  Die  Klappen  waren  überall  intakt.  Die  Lungen,  welche 
hochgradig  emphysematös  waren,  zeigten  sich  besonders  in  ihrem  unteren  Abschnitt 
enorm  ödematös,  beim  Durchschnitt  quoll  eine  Menge  dünner,  rötlich  gefärbter 
mit  Schaum  untermischter  Flüssigkeit  aus  dem  Gewebe  hervor.  Auch  die  Trachea 
und  die  Bronchien  waren  mit  dieser  schaumigen  Flüssigkeit  angefüllt.  Die 
übrigen  Orgaue  waren  ohne  Besonderheiten. 

Dieser  Fall  stellt  einen  typischen  Lungeuödemtod  infolge  der  Äther - 
Wirkung  dar,  da  keine  weiteren  Todesursachen  zu  linden  waren. 

Was  nun  bei  Tierexperimenten  künstlich  erzeugt  wurde,  ist  hier  am 
Mengchen  bewiesen.  Es  sind  noch  einige  weitere  Fälle  von  toxischem  Lungenödem 
bei  Ätherinhalationen  beschrieben  worden  (Hankel,  Trendelenburg  etc.),  bei 
den  meisten  sehen  wü-  den  Tod  einige  Stunden  bis  zu  32  Stunden  (Trendelen- 
burg) nach  der  Narkose  auftreten. 

Es  muß  ja  zugegeben  werden,  daß  das  Odem,  namentlich  wenn  die 
Diagnose  erst  durch  die  Sektion  gestellt  wird,  leicht  auch  während  der 
Agone  aufgetreten  sein  und  mit  dem  agonalen  Lungenödem  verwechselt  werden 
könnte.  In  manchen  Fällen  mag  es  zweifelhaft  sein,  wenn  aber  der  Symptomen- 
komplex so  deutlich  wie  oben  schon  inti'a  vitam  eintritt,  ist  an  dem  Auftreten 
des  Lungenödems  infolge  der  Ätherwirkung  nicht  zu  zweifeln. 

Es  ist  nun  kemeswegs  unmöglich,  daß  das  Lungenödem  in  vielen  Fällen 
in  der  Literatur,  namentlich  zu  jenen  Zeiten,  wo  die  Genfer-Methode  noch 
herrschte,  durch  jenen  Tierversuchen  analog  direktes  Eindringenvon  Äther  in  die 
Trachea  hervorgerufen  sein  könnte.  Wahrscheinlich  genügen  schon  Schleim - 
massen  mit  Äther  gemischt  in  jener  Konzentration,  die  bei  den  großen  Äthergaben 
jedenfalls  eine  sehr  hohe  war,  um  dieselbe  Wirkung  hervorzubringen.  Daß  es 
bei  der  Äther erstickungsmetho de  leicht  möglich  ist,  daß  Äther  mit  Muudspeichel 
vermischt  aspiriert  werden  kann,  beweisen  jene  Fälle  von  Verätzungen  der 
Mund-  und  Rachenschleimhaut,  der  Speiseröhre  und  des  Magens,  wie  sie  im 
Anschluß  an  Äthernarkosen  beobachtet  wurden.  Wenn  so  konzentrierte 
Speichel -Äthergemische  verschluckt  werden  können,  daß  im  Magen  Ge- 
schwüre entstehen,  so  können  auch  gleiche  Mengen  durch  den  Kehlkopf  in  die 
Trachea  einmal  gelangt  sein  und  können  gleich  einigen  Tropfen  Äther  ihre 
Wirkungen  entfalten.  Nun  es  mögen  solche  Fälle  vorgekommen,  sie  mögen 
wohl  in  der  Annahme  einer  anderen  Todesursache  gar  nicht  in  die  Statistiken 
der  Äthertodesfälle  aufgenommen  worden  sein,  für  die  Gegenwart  kann  es  in 
mancher  Hinsicht  gleichgültig  sein,  denn  man  hat  jetzt  längst  erkannt,  welche 
Gefahren  die  unvorsichtige,  schlecht  dosierende  Methode  der  Äthernarkose  bietet, 


—     3fil      — 

und  in  der  mo(leru(!U  Äni  darf  ein  solcher  Fall  von  Luiigonödeiu.  durcli  Aspii'afioii 
von  Äther  erzeugt,  nicht  jiiclir  vorkommen. 

Wenn  nun  auch  das  Lungenödem  in  vielen  Fällen  durch  di(;  geschickte 
Methoile  der  Nai-kose  verhütet  werden  kann,  so  ist  doch  nicht  zu  leugnen,  daß 
es  axich  einige  weaige  Fälle  gibt,  wo  es  ti-otz  aller  Vorsicht  entsteht.  Dies 
betrifft  dann  disjjonierte  Personen. 

Die  Entstehung  des  Lungenödems  erklärt  P  o  p  p  e  r  t  durch  eine  Schädigung, 
eine  Alteration  der  Gefäßwand,  welche  sich  durch  eine  vermehrte  Durchlässig- 
keit derselben  für  Blutkörperchen  und  Blutflüssigkeit  kundgibt.  Wie  Lövvitt 
eingehend  nachgewiesen  hat,  ist  diese  Durchlässigkeit  der  Gefäße  als  eine 
toxische  Wirkung  des  Äthers  aufzufassen  und  nicht  etwa  als  eine  Folge  einer 
Blutstauung  in  der  Lunge,  was  oben  erörtert  wurde. 

Neben  den  genannten  pathologischen  Veränderungen  in  den  Lungen  ruft 
die  Ätherwü'kung  auch  meist  eine  starke  Hyperämie  in  dem  Lungengewebe  und 
Blutungen  in  dasselbe  hervor.  Die  Veränderungen  sind  in  den  abhängigen 
Teilen  der  Lungen  am  deutlichsten  ausgesprochen.  Meist  findet  man  die  Blutungen 
in  der  Lunge  derjenigen  Seite  am  häufigsten,  auf  der  das  betreffende  Indivi- 
duum gelegen  hat,  wie  bei  Tierversuchen  beobachtet  wurde  (Popp er tj.  Mög- 
licherweise hängt  diese  Erscheinung  mit  der  Ansammlung  des  Schleimes  in  den 
abhängigen  Stellen  zusammen,  wodurch  das  Zustandekommen  der  Hyperämie 
und  der  Blutungen  begünstigt  wird.  Die  Hyperämie  und  Blutaustritte  finden 
sich  sehr  häufig  nach  Äthernarkosen  und  hängen  zweifellos  von  der  Methode 
der  Ätherisation  ab,  denn  nach  Narkosen  mit  der  Genfer  Methode  fand  ich  sie 
bei  Tieren  häufiger  als  bei  vorsichtigen  Tropfnarkosen.  Jedenfalls  kann  man 
die  Blutungen  hierdurch  vermeiden,  wenn  auch  Hyperämie  stets  entstehen  wird. 

Es  ist  schon  oben  gelegentlich  der  Erörterung  der  Entstehung  der  Bron- 
chitiden und  Pneumonien  der  Einfluß  des  Äthers  auf  die  Lebenserscheinungen 
der  Zellen  des  respiratorischen  Epithels  geschildert  worden.  Auch  der  Äther 
besitzt  die  Eigenschaft,  in  hohem  Maße  sogar,  in  den  Epithelzellen  der  Lungen 
Fettmetamorphose  zu  erzeugen.  Es  ist  natürlich  bei  kurzen  Narkosen  diese 
schädigende  Eigenschaft  nicht  sehr  ins  Gewicht  fallend,  eine  nur  zwanzig  Mi- 
nuten dauernde  Ätherisierung  ruft  noch  nicht  Fettdegeneratiou  hervor,  aber  die 
Zellen  erleiden  doch  schon  eine  Veränderung  geringerer  Art,  die  sich  noch  nicht 
in  Fettansammluug  im  Protoplasma  zeigt,  die  aber  den  Beginn  derselben,  ein 
frühes  Anfangsstadium  (trübe  Schwellung),  darstellt,  das,  wenn  die  Narkose 
weiter  dauert  oder  wiederholt  wird,  zur  typischen  Fettmetamorphose  führt. 
Nach  langen  Äthernarkosen,  nach  innerhalb  12 — 24  Stunden  wiederholten  Be- 
täubungen, fand  ich  stets  reichlich  Fetttropfen  im  Protoplasma  der  Zellen  der 
Alveolen,  (der  Epithelzellen  der  Broucheoli  und  der  Bronchialschleimhaut. 
Das  ist  auch  ein  Zeichen  der  toxischen  Eigenschaft  des  Äthers.  Auch  in  den 
Knorpelzellen  war  viel  Fett  zu  finden.  Es  ist  auch  hierbei  die  Disposition 
maßgebend,  aber  |man  kann  behaupten,  daß  die  Epithelzellen  einen  geringen 
Grad  der  Schädigung  bei  jeder  Betäubung  erleiden,  der  aber  bald  wieder  abheilt, 
wenn  der  Äther  aus  dem  Organismus  verschwunden  ist. 

Besondere  Bedeutung  haben  diese  Verhältnisse  dann,  wenn  vor  der  Äther- 
narkose  schon  Lungenerkrankungen  bestanden.  Es  ist  aus  theoretischen  Erwägungen 
leicht  zu  erklären,  daß  eine  Äthernarkose  bei  schon  erkrankten  Bronchien  und  bei 


—     362     — 

etwa  bestehenden  tuberkulösen  Infiltrationen  des  Lungengewebes  eine  Yer- 
sclilimmeiTing  der  Prozesse  hervorrufen  wird.  Es  ist  deshalb  allgemeine  Über- 
zeugung, daß  Lungenki-anke  nicht  mit  Äther  betäubt  werden  dürfen.  Namentlich 
wichtig  ist  es  bei  Tuberkulose  und  Emphysem,  daß  man  nach  Möglichkeit 
die  Äthernarkosen  yermeidet,  denn  es  kann  mir  zu  leicht  sich  ereignen,  daß 
der  Arzt  eine  beginnende  Phthise  übersieht,  ist  doch  oftmals  die  Diagnose  von 
tuberkulösen  Herden  in  den  Lungenspitzen  sehr  schwierig,  manchmal  unmög- 
lich. Gerade  die  tuberkulösen  Herde  können  durch  die  Ätherwirkung  zum 
Aufflackern  und  rapiden  Umsichgreifen  angeregt  werden  und  aus  der  vorher 
geringen  Spitzeninflltration  kann  eine  floride,  schnell  tötlich  verlaufende 
Phthise  werden.  Natürlich  ist  nicht  jeder  Fall  ein  solcher,  aber  man  muß  mit 
der  Möglichkeit  rechnen. 

Auch  f ür  Emphysematiker  ist  Äther  gefährlich  (Julliard,  White  etc.);  da 
sich  beim  Emphysem  meist  auch  chronische  Bronchitis  und  Atheriosklerose  findet,  so 
hat  man  mehrere  Gründe,  um  den  Äther  zu  fürchten,  denn  es  können  die  Katarrhe 
verschlimmert  werden  und  Pneumonien  leicht  auftreten,  da  die  Lunge  sich  nicht 
normal  ausdehnen  und  zusammenziehen  kann,  und  Pneumonien  sind  in  solchen 
Stadien  höchst  gefährlich.  Es  ist  daher  am  besten,  die  Äthernarkose  zu  ver- 
meiden. Ob  man  in  solchen  Fällen  überhaupt  die  Narkose  vermeiden  soll,  muß 
von  Fall  zu  Fall  entschieden  werden.  Es  ist  allerdings  auch  zu  bedenken,  daß 
man  bei  der  modernen  kunstgerechten  Äthernarkose  alle  die  Ursachen  für  die 
Entstehung  von  Lungenkrankheiten  bis  zu  einem  gewissen  Grade  verhüten  kann, 
außer  der  direkten  Eeizuug  auf  die  Epithelzellen,  allein  auch  diese  kann  auf 
ein  Minimum  beschränkt  werden  durch  eine  vorsichtige  Dosierung  und  Mischung 
der  Dämpfe. 

Wenn  man  sich  nun  die  Gefahren  der  Äthernarkose  hinsichtlich  der 
Lungen  vor  Augen  führt,  so  bemerkt  man,  daß  die  bisher  genannten  alle 
solche  darstellen,  die  hauptsächlich  erst  nach  der  Narkose  entstehen  ihre  Ur- 
sache in  den  Verhältnissen  der  Ätherwirkung  bis  zu  einem  gewissen  Grade  findend. 
Es  sind  nun  noch  diewährend  der  Narkose  auftretenden  direktenLungen  Schädigungen, 
die  durch  den  Äther  bedingt  werden,  zu  betrachten.  Unter  diesen  ist  vor  allem  die 
Apnoe  hervorzuheben.  Die  Ursachen  der  Apnoe  in  der  Äthernarkose  sind  zum 
großen  Teil  solche,  wie  sie  im  allgemeinen  Teil  als  wichtig  für  alle  Narkosen 
genannt  sind,  Aspiration  von  Schleim,  Erbrochenem,  Glottisödem  etc.  und  die 
bei  allen  Narkotika  vorkommen.  Nur  die  durch  die  Ätherwirknng  an  sich  be- 
wirkten Apnoefälle  sollen  hier  erörtert  werden. 

Der  für  die  Ätherwirkung  typische  Tod  besteht  in  einer  Lähmung  des 
Atemzentrums  entgegen  dem  Chloroform,  welches  vorwiegend  Synkopetodes- 
fälle aufwies.  Man  hat  beobachtet,  daß  Tiere,  die  man  durch  Äther  tötete, 
noch  Herztätigkeit  zeigten,  während  die  Atmung  bereits  stillestand.  Somit 
hat  man  allgemein  angenommen,  daß  der  Äther  das  Zentrum  der  Atembewegung 
in  der  Medulla  oblongata  lähmt,  was  zur  Folge  hat,  daß  die  Atmung  sistiert, 
während  das  Herz  noch  arbeitet.  Da  nun  jetzt  das  Blut  in  den  Lungen  nicht 
mehr  mit  neuen  Mengen  Sauerstoff  vei'sehen  wird,  so  tritt  Kohlensäureüberfluß 
auf,  und  nach  einiger  Zeit  versiecht  auch  die  Herztätigkeit,  der  Tod  ist  ein- 
getreten. Diesen  Vorgang  bezeichnet  man  sehr  richtig  mit  Apnoe.  Oh  man 
mit  Recht  behauptet,  der  Tod   durch  Ätherintoxikation  stelle  einen  Lungentod 


—     36;5     — 

Tor,  ist  selir  Irniilidi,  dtiiii  e?  Avird  doch  iuiuiei'  zuletzt  noch  das  Herz 
durch  die  K.ohlensäiuevergiftuiig-  und  den  Sauerstofi'mangel  zum  Still- 
stand gebracht.  Es  ließe  sich  ja  für  die  Annahme  eines  Lungentodes  der 
Umstand  anführen,  daß  die  Anwendung  künstlicher  Respiration  kurze  Zeit  nach 
dem  völligen  Stillstand  der  Atmung  infolge  der  Ätherwirkung  ohne  Erfolg 
ist,  wie  oben  des  näheren  expliziert  wurde.  Allein  dieses  kann  auch  ein 
Zeichen  sein,  daß  die  Herzkraft  schon  gebrochen  ist.  Es  handelt  sich  nach 
meiner  Überzeugung  schließlich  doch  um  einen  Herztod,  wenn  auch  der 
Äther  die  Eigenschaft  besitzt,  die  Respiration  eher  als  die  Tätigkeit  des 
Herzens  zu  lähmen.  Daß  es  neben  den  Apnoen  auch  Synkopefälle  in  der 
Athernarkose  geben  kann,  ist  oben  schon  gesagt. 

Wenn  mau  nun  auch  aus  den  Befunden  annehmen  kann,  daß  Äther  eine 
Synkope  heiTorrufe,  so  ist  doch  in  der  Praxis  nie  eine  solche  beobachtet  worden, 
die  wenigen  bekannten  Eälle  sind  nicht  einwandfrei,  weshalb  man  sie  nicht 
rechnen  kann,  was  weiter  unten  erörtert  wird.  Das  Chloroform  kann  Apnoe 
oder  Synkope  heryoriufeu.  doch  in  der  Äthernarkose  beobachtet  man  nur 
Apnoen.  Es  besteht  scheinbar  eine  geringere  Widerstandskraft  des  Atmungs- 
zentrums gegen  die  Ätherwirkung,  denn  wenn  die  Konzentration  von  über  40  g 
Äther  auf  100 1  Luft  erreicht  ist,  im  Blute  also  dieselbe  Konzentration  der 
Ätherdämpfe  auftritt,  hört  die  Atmungstätigkeit  auf  zu  funktionieren.  Während 
dieses  Sistierens  der  Respiration  werden  dem  Blute  keine  neuen  Äthermengen 
zugeführt,  es  wird  sogar  Äther  durch  die  Sekretion  der  Drüsen  (Nieren,  Schweiß, 
Magen  etc.)  abgesondert  und  die  Konzentration  der  Ätherdämpfe  im  Blute  muß 
etwas,  wenn  nur  um  weniges,  geringer  werden.  Das  Herz  schlägt  anfangs 
weiter.  Daß  nun  die  im  Blute  befindliche  Äthermenge  nicht  den  Stillstand  des 
Herzens  bewirkt,  ist  naheliegend,  denn  sie  ist  ja  geringer  geworden  als  beim 
Eintritt  der  Apnoe,  kann  also  auch  nicht  schädigend  auf  das  Herz  wirken^ 
denn  noch  stärkere  Konzentrationen  schadeten  dem  Herzen  nicht.  Es  ist  daher 
mit  Sicherheit  anzunehmen,  daß  die  Lähmung  des  Herzens  durch  Kohlensäui'e- 
iutoxikation  eintritt.  Mau  kann  diesen  gefährlichen  Apnoen  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  begegnen,  indem  man  Sauerstoff'  gibt,  allein  man  kann  dadurch 
dem  Sauerstoffmangel  abhelfen  und  in  vielen  Fällen  wird  dies  genügen,  um  die 
Eespiration  wieder  anzuregen,  aber  in  schweren  Fällen  wird  auch  dies  versagen, 
da  durch  das  Verabreichen  von  Sauerstoff  der  Kohlensäureüberfluß  im  Blut  nicht 
entfernt  werden  kann,  weil  die  Lungen  nicht  arbeiten  und  so  wird  bei  hohen 
Kohlensäuremengen  doch  der  Tod  eintreten. 

Es  gibt  während  der  Äthernarkose  verschiedene  Arten  von  Apnoen,  solche, 
die  ohne  anderen  Grund  nur  durch  zu  hohe  Konzentration  der  Ätherdämpfe 
plötzlich  auftreten  und  durch  künstliche  Eespiration  bei  sofortigem  Bemerken 
der  ersten  Symptome  erfolgreich  bekämpft  werden,  andere,  die  aus  eben  derselben 
Ursache  eintreten,  aber  wegen  gewissen  Verhältnissen  allen  Gegenmaßregeln 
trotzen.  Dieselben  sind  sehr  selten  und  wohl  auf  eine  Disposition  des  Atem- 
zentrums zurückzuführen. 

Neben  der  Disposition  im  allgemeinen  sind  wohl  auch  noch  andere  Um- 
stände vorhanden,  welche  gegebenenfalls  eine  Apnoe  begünstigen,  so  rechne  ich 
vor  allem  die  häufige  Wiederholung  von  Äthernarkosen  innerhalb  12 — 24  Stunden 
zu  prädisponierenden  Momenten.  Ich  habe  bei  häufigen  Äthernarkosen  an 
Tieren  zwecks  Experimenten  die  Beobachtung  gemacht,  daß  die  Tiere  ziemlich 


—     364     — 

oft  in  der  3.  oder  4.  Ätherüarkose  au  Apaoe  zagraade  sfeheu,  öftei"  jedeufalls 
als  in  der  1.  oder  2.  Narkose.  Einen  Fall  dieser  Art  am  Menschen  hat  Sonnen  ' 
bürg  beobachtet.  Der  Fall  betraf  einen  Mann,  der  innerhalb  5  Tagen  5  mal 
ätherisiert  werden  mußte  imd  in  der  letzten  Narkose  plötzlich  an  Apnoe 
starb  (Tschmarke).  Die  ersten  Narkosen  waren  sehr  gut  vertragen  worden, 
während  er  in  der  5.  Narkose  cyanotisch  aussah  und  röchelte.  Es  trat  plötz- 
lich Apnoe  und  Erbrechen  ein.  Wiederbelebungsversuche  waren  erfolglos. 
Allerdings  ist  damals  noch  die  Äthererstickungsmefchode  ausgeübt  worden,  was 
wohl  viel  zu  dem  Eintritt  der  Apnoe  beigetragen  hat.  Tschmarke  erklärt 
sich  in  der  Beschreibung  dieses  Falles  als  Anhänger  der  Genfer  Methode,  doch 
geht  aus  seinen  Ausführungen  hervor,  daß  er  mit  vielen  unangenehmen  Er- 
scheinungen während  der  Narkose  rechnet,  die  während  der  modernen  Äther- 
narkose nicht  mehr  auftreten,  wie  starke  Excidation,  Singaltus  etc.  In  diesem 
Falle  von  Apnoe  ist  nach  meiner  Überzeugung  der  xAnlaß  zn  der  R3spiration3- 
lähmung  in  der  häufigen  Ätherisation  zu  finden,  da  die  ersten  Narkosen  auch 
ziemlich  lange  Zeit  gedauert  hatten.  .Jedenfalls  ist  das  Respirationszentriim 
durch  die  häufige  Ätherwirkung  so  geschwächt  worden,  daß  es  der  letzten  nicht 
mehr  widerstehen  konnte,  und  die  hohen  Konzentrationen  der  Ätherdämpfe, 
für  die  Apnoe  genügend,  sind  erreicht  worden,  da  nach  der  Genfer 
Methode  narkotisiert  wurde.  Es  geht  dai'aus  hervor,  daß  man  auch  beim  Äther 
gehäuftes  Narkotisieren  möglichst  vermeiden   soll. 

Andere  leichte  Fälle  gibt  es  noch,  die  durch  mechanische  Behindernng 
der  Atmung  auftreten  und  schon  im  allgemeinen  Teil  beschrieben  sind.  Die 
ersten  Andeutungen  der  Apnoe,  die  Gegenmaßregeln  und  die  Technik  der  letzteren 
sind  ebenfalls  früher  genau  besprochen  und  können  hier  übergangen  werden. 
Es  ist  hier  nur  noch  hinzuzufügen,  daß  eine  Apnoe  den  Arzt  nicht  überraschen 
darf,  er  muß  sie  sofort  erkennen,  muß  schon  die  erste  Veränderung  der  Atmung 
bemerken,  und  es  dürfen  auch  nur  jene  Fälle  auftreten,  welche  durch  die 
Disposition  hervorgerufen  werden,  alle  anderen  Ursachen  für  die  Apnoe  müssen 
durch  eine  vorzügliche  Technik  der  Narkose,  Beobachtung  und  Kenntnis  der 
Theorie  vom  Narkotiseur  vermieden   werden. 

Es  gibt  bei  der  Äthernarkose  viel  weniger  ernste  Unfälle  während  der 
Betäubung  als  bei  Chloroform,  die  Synkopefälle  durch  Reflex  von  selten  der 
Nasen-Rachenschleimhaut  fallen  weg,  andere  Synkopefälle  sind  höchst  selten  und 
nur  bei  krankem jHerzen  zu  fürchten,  dafür  kann  aber  Apnoe  auftreten.  Dieselbe 
tritt  auch  nicht  leicht  ein,  da  die  Narkosenbreite  bei  Äther  sehr  groß  ist,  die 
Dose  anaesthetique  ist  20,  die  mortelle  über  40.  Außerdem  besitzt  der  Äther 
nicht  kumulierende  Wirkung,  wie  allgemein  angenommen  wird.  Dies  ist  nun 
allerdings  ein  großer  Irrtum,  wenn  man  behauptet,  Äther  habe  nicht  kumu- 
lierende Wirkung.  Dieselbe  ist  allen  Narkotika  eigen,  nur  ist  sie  beim  Äther 
geringer  als  beim  Chloroform,  dieselbe  ist  proportional  der  narkotischen  Kraft, 
xmd  folglich  beim  Äther  viel  geringer  als  bei  Chloroform,  ferner  hängt  sie  auch 
von  den  Lösungsverhältnisseu,  Siedepunkt,  Spez.  Gewicht  etc.  ab.  Die  Gefahren 
während  der  Äthernarkose  für  den  Narkotisierten  sind  geringer  als  bei  Chloroform, 
aber  dieselben,  welche  nach  der  Narkose  auftreten,  sind  bei  beiden  wohl  gleich. 
Auch  die  Annahme  eines  protrahierten  Äthertodes  analog  dem  des  protrahierten 
Chloroformtodes,  kann  nicht  g-anz  geleugnet  werden,  denn  man  hat  gefunden, 
daßj  der  Äther    ebenso  wie  Chloroform  Fettmetamorphose  der  inneren  Organe 


—      HGf)     — 

erzeugen  kann,  nur  wirkt  auch  hier  der  Äther  sehr  schwach.  Der  (iruud  aber, 
warum  mau  nicht  einen  protrahierten  Athertdd  öfter  tindet,  liegt  darin,  daß  viel 
eher  schwere  Lungeuerkrankungen  auftreten  nach  der  Äthernarkose,  die  zum 
Tode  führen,  als  Fettmetaniorphose  fortschreitenden  Charakters.  ~  Die  post- 
narkotischen Lungenerkrankungen  sind  aber  nach  Äthemarkosen  so  wichtig, 
gefährlich  und  häufig,  wi^  der  protrahierte  Chloroiormtod.  Wie  sich  die 
statistischen  Verhältnisse  bei  der  Äthemarkose  verhalten,  das  soll  nunmehr  be- 
handelt werden. 

Die  Todesfälle,  welche  man  dem  Äther  zur  Last  legt,  sind  recht  ver- 
schieden berechnet  worden.  Garre  fand  bei  3.50.500  Äthemarkosen  25  Todesfälle, 
also  auf  14000  Äthemarkosen  1  Todesfall,  Ollier  hat  bei  10500  Äthernarkosen 
keinen  Todesfall,  Poncet  bei  15000  nur  2  Todesfälle,  also  auf  7500  Narkosen 
einen  Todesfall  gefunden.  Weiter  sind  folgende  Zahlen  angegeben  worden: 
Andrews  hat  bei  92815  Äthernarkosen  -t  Todesfälle  beobachtet,  also  1:23204 
Julliard      „       „314738  .,  21  „  „  „     1:14987 

Wilh.  Roger     ,.     14581  „  3  „  „  „1:    4860 

Chir.  Kongr.     ,;    42091  „  7  „      _  „  „     1  :    6013 

Aus  diesen  Zahlen  ergeben  sich  auf  464225  Äthemarkosen  35  Todesfälle 
oder  ein  Verhältnis  von  1  :  13264. 

Gurlt  hat  aus  den  .Jahren  1890 — 95  42141  Äthemarkosen  mit  7  Todes- 
fällen gesammelt,  was  ein  Verhältnis  von  1 :  6020  ergibt. 

Im  Hotel  Dieu  in  Lyon  sind  40000  Äthernarkoseu  ohne  einen  Todesfall 
beobachtet  worden.  (Gebhardt).  Easter  hat  beim  Äther  eine  Mortalität  von 
0,065  7o  gefunden. 

Miektilicz  hat  in  seiner  Statistik  für  den  Äther  ein  Verhältnis  der 
Todesfälle  von  1:5112  berechnet.  Ein  ähnliches  Verhältnis  gibt  Roger 
W'illiams  an.  Derselbe  hat  im  St.  Bartholomeus-Hospital  in  London  eine  sehi' 
große  Anzahl  von  Äthernarkosen  beobachtet  und  die  Zahlen  der  Narkosen  auch 
von  anderen  Narkotiseuren  gesammelt.  So  hat  er  innerhalb  10  Jahren  auf 
14  581  Äthemarkosen  3  Todesfälle,  also  1:4860,  gefunden.  Hieraus  sieht  man, 
daß  die  Zahlen  sich  ungefähr  gleichen,  welche  in  der  neueren  Zeit  gesammelt  sind. 

Das  Middlesex-Hospital  hat  ein  Verhältnis  von  1  :  1050,  berechnet,  ferner 
hat  man  nach  den  Statistiken  des  Chirurg.  Kongresses  von 

1890/91       470  Äthernarkosen  mit  keinem  Todesfall 

91/92     7968 

92/93     6213 

93/94  11619  „  ,.  2  Todesfällen 

94/95   15821  „  „'  5  ,. 

beobachtet,  was  ein  Verhältnis  von  1  :  6013  ergibt. 

Hankel  hat  bei  genau.er  Berechnung  aller  Todesfälle,  die  durch  Äther 
hervorgerufen  w'urden,  im  Jahre  1894  anf  11619  Narkosen  5  Todesfälle,  also 
1 :  2324  imd  1895  auf  15821  Narkosen  22  Todesfälle,  also  1  :  719  gefimdeu.  Man 
ersieht-  also  aus  diesen  Zahlen,  daß  doch  recht  verschiedene  Werte  entstehen 
können.  Im  aligemeinen  nimmt  man  beim  Äther  ein  Verhältnis  von  1  :  3000  an, 
allein  es  ist  in  neuerer  Zeit,  wo  man  gelernt  hat,  alle  Wirkimgen  imd  Be- 
ziehungen des  Äthers  zum  Organismus  in  und  nach  der  Narkose  zu  würdigen 
imd  zu  erforschen,  eine  andere  Überzeugung  entstanden  und  man  hat  erkannt, 
daß  früher  viel  Todesfälle  auf  andere  Ursachen  bezogen  wurden,  während  sie 
durch  die  Ätherwirkung  entstanden.  Aber  trotz  alledem  kann  man  auch  jetzt 
ein  Verhältnis  von  J  :  3— 4000  annehmen,  da  man  zugleich  gelernt  hat,  durch 
geeignete  Maßnahmen  die  schwer  schädigenden  Einflüsse  des  Äthers  zu 
kompensieren    und    Todesfälle    zu    verhindern.      Diese    allgemeinen    Statistiken 


—     366      — 

geben  ein  zu  unklares  Resultat,  es  ist  daher  viel  interessanter,  die  Verhältnisse 
der  einzelnen  Arten  der  Unfälle  während  und  nach  der  Ätherwirkung'  in  ihren 
Verhältaiszahlen  zu  den  Narkosen  zu  berechnen. 

Es  mag  hier  zunächst  die  Synkope  erörtert  werden,  da  man  doch  deren 
Vorhandensein  nicht  leugnen  kann.  Man  hat  gegen  25  Fälle  als  reine  toxische 
Äthersynkopefälle  gesammelt.  Es  ist  wohl  möglich,  daß  solche  auftreten  und  es 
mag  wohl  schon  vor  der  Narkose  eine  Erkrankung  des  Herzens  bestanden 
haben,  so  daß  der  Äther  eine  Herzsjmkope  bewirken  konnte,  ehe  die  Apnoe 
eintrat.  Hankel  hat  bis  zum  .Jahre  1898  nur  85  Todesfälle  gesammelt,  welche 
er  als  dui'ch  Ätherwirkung  verursacht  ansieht;  daß  diese  Zahl  viel  zu  klein  ist, 
wird  man  sich  leicht  denken  können,  wenn  man  überlegt,  wieviel  Äthernarkosen 
von  der  Entdeckung  bis  1898  geleitet  wurden  und  dabei  sollten  nur  85  Todes- 
fälle vorgekommen  sein.  Unter  denselben  führt  Hankel  10  Synkopefälle  an.  Da 
dieselben  nicht  ohne  Interesse  sind,  will  ich  sie  zur  genaueren  Kritik  in  dem 
Fol2:enden  aufführen: 


Vorhandene 

Erscheinungen, 

Alter  etc. 

Konstitution 

Krankheiten  und 

unter  denen  der  Tod 

Obduktions- 

Operationen 

eintrat 

beweise 

I.  Rayner, 

Frau,   44  J. 

Krebskrank, 

Krebs 

Puls  hörte  auf. 

Brit   med. 

Herz  gesund 

Journ.  1891 

II.   WannetB 

Manu,  45  J. 

Sch.wächlicli, 

Abszess  in  der 

Der  Puls  wurde  sehr 



Herz  hypertro- 

Haut  des 

schlecht,   die  Lippen 

pMscli,  blasende 

Skrotums   u.    d. 

blass   und   der  Atem 

Geräusche   am 

Umgeb.,    die  mit 

schnappend,  die  Pu- 

Herzen   and   der 

Urin  durchtränkt 

pillen  waren  normal 

Aorta,  Puls 

war 

und  die  Konjunkt. 

Bchwaoh,  un- 

empfindlich. 

regelmässig, 

Cyanose  v.  d.  0. 

in.  Brit. 

Frau,  41  J. 

Anämisch,  Herz, 

Operation  eines 

Nach  25  Min.  dauern- 



med.  Jom-n. 

Lungen,  Nieren 
normal 

Uterus    fibroides 

der  Einatmung  wurde 
das  Herz    schwächer 
und  blieb  nach  weite- 
ren 5  Min.  stehen. 

IV.  Brit. 

Mann,  56  J. 

_ 

Larynsverenge- 

Puls  gut,  nach 

Herz  blass,   ver- 

med. Journ. 

rung 

4 — 5  Minuten  welker, 
schlaffer,  Anästhesie 
unterbrochen,  doch 
hörte    die  Herztätig- 
keit,   die  sich  ge- 
bessert,  von    neuem 
auf.      Starke    Blässe. 

längert,  ziemlich 
bedi;  fettig.     Er- 
weiterung und 
ätheromatöse 
Entartung   der 
Aorta,  Larynx 
ödematös. 

V.  Lancet 

Frau 

— 

Vesicovaginal- 

Der  Puls  wurde 

Herzklappen 

89 

fistel 

klein,     Schleimhäute 
und  Lippen  blau, 

Kesp.  unregelmässig. 

Endlich  hörte  die 

Atmung  auf. 

nicht  normal; 
Nieren    granu- 
liert. 

VI.  W^erold. 

Frau,  41  J. 

Aorteninsnä.     \  Eingeklemmte 

Verschlechterung 

L.  Ventr.  hart. 

D.  med.  W.' 

Diastol.  Ger.     I    linkss.  Femor 

des  Pulses,  Weg- 

kontrahiert. 

1894. 

Herz    4  cm   über!           Hernie 

nahme  der  Maske, 

rechter  schlaff. 

361 

der  1.  Mamillarl. 

Wiedererholung. 
Neue  Narkose.    Auf- 
hören der  Atmung 
und  des  Pulses. 

Aorteninsuff. 

Lungen  blut- 
reich, Leber  und 
Nieren  blutreich. 

Vn.  Kehn- 

Frau 



Gallenblasen- 

Puls während  der 

Ohne  besond. 

gurlt, 

resektion  wegen 

Operation  schlecht. 

Befund. 

Arch.  f.  kUn. 

Carcinomes 

die  Kr.  ist  nach- 

Chir. 

träglich     sehr  kolla- 

Bd. XLVIU 

biert.  Tod  im  Kollaps. 

367 


vm.  Schopf 


IX.  ßai-de- 
leben 


X.  Brit. 
med.  Journ. 


Alter  etc. 


Frau,  35  J. 


Konstitution 


Abmagerung  der 
sehr   fetten  Per- 
son, Puls  kaum 
fühlbar 


Insuffic.  der 
Aortenklappen 


Vorhandene  Erscheinungen, 

Krankheiten  und  unter  denen  der  Tod 
Operationen  eintrat 


Obduktion» 
beweise 


Fibroid  des 
Uterus  Exstirpat. 
Vergrösserte 
Herzdämpf  uug, 
Bronchial- 
katarrh 


Herniotomie 


Langes  Sifcch- 

tum.     Rascher 

Verfall  n.  der 

Narkose 


Rektumkrebs 
Operation 


15  Min.  Excidation 
dann  Ruhe,  plötzlich 

■wird  die  Kranke 
livide.    Pup.  miximal 
erweitert,    reaktions- 
loB.  Kein  Herzschlag. 

Noch  einige 
schwache  Atemzüge. 
Nach  48  Min.  wurde 

der  Puls  schlecht, 
die    Maske    entfernt, 

da  sich  der  Puls 
wieder  hob,  wurde 
die  Maske  wieder 
aufgelegt.     Nach 
weiteren  3  Min.  Aus- 
setzen des  Pulses. 
Stockung  d.  Atmung. 
Nach  der    ersten  In- 

zision  wurde  der 
Puls  fast  unfühlbxir, 
der  Atem  matt.  Trotz- 
dem der  Aether  so- 
fort weggelassen 
wurde,  hob  sich  der 
Puls  nicht  und  der 
Kr.  starb  nach  5  Min. 
nach  "Weglassen  des 
Aethers. 


Fettherz. 
Chi'on.  Arthritis 
Nephritis  chron. 

))arenchymat. 

Tumor  lienis, 

chron.  Degen. 

hepat  adipos. 

Herz,  linker 
Vent.  hart,  recht, 
schlaff.     Insuff. 

der  Aorten- 
klappen. Liuigeii 

blutreich  etc. 


Wenn  mau  iiuu  diese  hier  angeführteu  Todesfälle  angeblich  durch  Synkope 
hervorgerufen,  näher  betrachtet,  so  findet  man  bei  Fall  I  als  Diagnose  der  Ki'auk- 
heit,  an  welcher  die  Patientin  vor  der  Narkose  litt,  Careinom.  Es  ist  weiter  nichts 
über  die  Kranke  erwähnt,  als  daß  in  vivo  das  Herz  gesund  befunden  worden 
sei.  Wird  nun  in  diesem  Falle  jemand  eine  Fettdegeneration  des  Herzens 
haben  erkennen  können,  wenn  sie  nicht  gerade  im  höchsten  jede  Narkose  kon- 
traindizierenden Stadium  vorhanden  gewesen  wäre?  Man  kann  hier  mit  Fug 
und  Recht  den  Verdacht  äußern,  daß  das  Herz  bereits  von  der  Krebskachexie 
in  einem  gewissen  Grade  beeinflußt  worden  ist,  daß  vielleicht  jede  andere 
starke  Erregung  ausgereicht  hätte,  um  den  Tod  herbeizuführen,  und  daß  die 
Atherwirkung  hier  nicht  als  spezifisch  toxische,  sondern  nur  in  allgemein 
schwächender  Hinsicht  als  Narkosenwirkung  aufzufassen  ist.  Dieser  Fall  kann 
also  nicht  als  Beweis  für  eine  die  Synkope  hervorrufende  Wirkung  des  Aethers 
aufgefaßt  werden. 

In  Fall  II  findet  man  sogar  ein  Herz,  welches  hypertrophisch  ist,  welches 
Geräusche  aufweist,  einen  unregelmäßigen  Puls,  kurz  ein  krankes  Herz.  Daß 
hier  auch  allein  eine  Irritation  ausreicht,  um  Herzsynkope  zu  erzeugen,  weiß 
jeder.     Daß  auch  der  Fall  nichts  Sicheres  beweist,  ist  ebenso  klar. 

In  Fall  III  findet  man  die  Diagnose  „Anämisch",  wobei  eine  Neubildung 
des  Uterus  operiert  werden  sollte.  Auch  hier  ist  dasselbe  gegen  die  Aether- 
syukope  ins  Feld  zu  führen,  denn  wenn  die  Konstitution  als  anämisch  be- 
zeichnet wird,  so  ist  auch  hier  eine  primäre  Herzafiektion  sehr  wahrscheinlich. 
Es  sind  vielleicht  starke  Blutungen  vorausgegangen  und  so  handelt  es  sich  hier 
wiederum  um  ein  Herz,  das  in  vivo  als  gesund  anzusehen  war,  das  aber  wohl 
schon  als  wenig  risistent  anerkannt  werden  muß,  denn  bei  einer  anämischen 
Person  wird  -jedermann  Verdacht  auf  Herzschwächezustände  infolge  Fettmeta- 
morphose hegen. 

Fall  IV.  Hier  besteht  eine  Verengerung  des  Laryux.  Vielleicht  ist 
auch  hier  irgendwelche  stark  schwächende  Hauptkrankheit  vorhanden  gewesen, 
denn  die  Sektion  gibt  an.  daß  bedeutende  fettige  Degeneration  des  Herz- 
fleisches  bestand.  Außerdem  Atheromatose  der  Aorta.  Daß  nun  der  Aether 
in  einer  Narkose  von  kaum  10  Minuten  so  hochgradige  fettige  Degeneration  des 


—     368     — 

Herzens  heiTonufen  kiiuL,  ist  unwahrscheiniith.  Hier  ist  der  Beweis  er- 
bracht, daß  schon  vor  der  Narkose  Fettdegeneration  bestand,  die  auch  ohne 
Aethervergiftnng  znni  Tode  führen  konnte.  Jedenfalls  kommt  auch  hier  nicht 
die  direkte  Aethergiftigkeit,  sondern  die  die  Fettmetamorphose  vermehrende 
Wirkung  des  Aethers  als  Todesursache  in  Betracht. 

Fall  V.  Hier  erfahren  wir  nichts  über  den  Zustand  der  Person,  nur  daß 
eine  Vesicovaginalfistel  bestand.  Jedenfalls  ist  auch  hier  eine  andere  schwere 
Erkrankung  vorausgegangen.  Die  Sektion  sagt,  daß  die  Herzklappen  nicht 
normal  waren.  Jsach  dieser  ungenauen  Leichendiagnose  zu  urteilen  bestand 
ein  Herzfehler  und  auch  dieser  Fall  kann  nicht  viel  beweisen. 

Fall  VI.  In  diesem  Falle  bestand  in  vivo  ein  Herzfehler  mit  Vergrößerung 
des  Herzens.     Es  gilt  dasselbe  wie  in  Fall  V. 

Fall  VII.  Hier  ist  wieder  Carcinom  vorhanden  und  dann  starb  die 
Kranke  30  Stunden  post  narcosin,  also  ein  Spättod,  aber  auch  hier  ist  eine 
andere  Ursache  für  den  Tod  viel  wahrscheinlicher  als  die  toxische  Aether- 
wirkung. 

Fall  VIII.  In  diesem  Falle  ist  starke  Abmagerung  vorhergegangen.  Die 
Sektion  ergibt  Fettherz.  Chronische  Nephritis,  Fettdegeneration  der  Leber. 
Gründe  genug,  die  einen  Tod  herbeiführen  mußten,  wenn  eine  Narkose  unter- 
nommen wurde.  Es  wird  hier  der  Aether  die  Fettmetamorphose  zweifellos 
enorm  vermehrt  haben,  so  daß  der  Tod  eintrat. 

Fall  IX.     Herzfehler,  ebenfalls  nicht  einwandfrei. 

Fall  X.  Hier  bestand  vor  der  Narkose  langes  Siechtum  und  rascher 
Verfall  der  Kräfte.  Die  Diagnose  lautete  auf  Carcinoma  recti.  Es  wui'de  um- 
wenig  Aether  gegeben,  der  Tod  trat  5  Minuten  nach  Eintritt  der  Narkose  em. 
Es  ist  auch  hierbei  anzunehmen,  daß  eine  beginnende  Fettmetamorphose 
im  Herzen  bestanden  habe,  welche  durch  die  Aetherwirkung  verschlimmert 
wurde,  oder  M-elche  das  Herz  so  geschwächt  hatte,  daß  es  dem  Aether  unter- 
liegen mußte. 

Aus  einem  Teile  dieser  Fälle  geht  mit  Evidenz  hervor,  daß  der  Äther 
auch  auf  das  Herz  schwer  schädigend  einzuwirken  vermag,  denn  im  Vergleich 
zu  den  Resultaten  meiner  Versuche  mit  Äther  an  Tieren  findet  sich  eine  große 
Ähnlichkeit  mit  diesen  Fällen.  Es  fand  sich  bei  den  gesunden  Tieren  stets 
Fett  im  Herzen,  somit  ist  auch  anzunehmen,  daß  in  diesen  Fällen  die  Fettmeta- 
morphose im  Herzen  verschlimmert  wurde.  Allerdings  kann  man  diese  Fälle  nicht 
als  typische  Äthersynkopetodesfälle  hinstellen.  Jedes  Narkotikum  wird  in  solchen 
Fällen  eine  Fettmetamorphose  verschlimmem  und  zum  Tod  als  Synkope  fühieu, 
deshalb  ist  dies  nicht  als  speziell  toxische  Ätherwirkung  anzusehen.  Es  ist 
aber  bewiesen,  daß  der  Äther  bei  Herzkrankheiten  auch  Synkope  hervorrufen 
kann,  es  genügt  dann  eine  geringere  Konzentration  der  Ätherdämpfe  im  Blut 
zur  Synkope  als  zui'  Erzeugung  der  Apnoe  nötig  ist.  Wenn  nun  auch  von 
diesen  Fällen  keiner  so  einwandsfrei  ist,  daß  man  ihn  für  eine  Synkope,  durch  die 
Ätherwirkung  allein  hervorgerufen,  betrachten  könnte,  so  lehren  sie  doch,  daß 
der  Narkotiseur  auch  bei  der  Äthernarkose  einerseits  auf  Synkope  gefaßt  sein 
muß,  andererseits  aber  eine  genaue  Untersuchung  des  Herzens  vor  der  Narkose 
vornehmen  und  alle  Umstände  und  Veränderungen  des  Organismus  genau  er- 
wägen muß,  damit  eine  durch  vorherige  Herzerkrankung  begünstigte  Synkope 
vermieden  wird.  Es  wird  das  Eintreten  der  Synkope  aber  doch  sehr  selten 
während  der  Äthernarkose  sein.  Neben  den  schweren  tödlich  endenden  Syn- 
kopefällen, wie  sie  hier  ei'wähnt  waren,  kommen  auch  leichte,  schnell  vorüber- 
gehende Kollapse  in  der  Äthernarkose  vor.  Dieselben  sind  einzig  und  allein 
auf  Kohlensäureintoxikation  zunickzuführen  und  werden  bei  korrekter  Technik 
der  Narkose    nie    sich   zeigen,    weshalb  man  sie  auch  bei  der  modernen  Äthei'- 


—    :5fi9    — 

iiarkose  iiiclit  keimt.  Bei  der  tViüu-r  iililicheii  (ienfernietliotli'  trutcn  öfters 
solche  vnrülierijelu'iKle  Kdllnpse  ein. 

Wie  man  die  HerzsjMikope  zu  bekämpfen  hat,  ist  im  Allgemeinen  Teil 
>»eschrieb(!n.  Dem  möchte  ich  durch  neuere  Experimente  von  De  necke*)  am 
Herzen  einer  hingerichteten  Person  kurz  nach  dem  Tode  derselben  vorgenommen 
vernnlaBt,  hier  nur  noch  kurz  einiges  liinznt'ügen,  das  wohl  für  die  Narkosenkollapse 
ernster  Art  wertvoll  werden  könnte.  Denecke  sah  das  Herz  einer  eben  hiu- 
g-erichtetcn  Frau  '20  Minuten  nach  dem  Tode,  nachdem  es  aus  dem  Organismus 
herausgenommen  war.  wieder  zu  Kontraktionen  zurückkehren,  wenn  er  es  mit  dem 
Blute  der  Person  zur  Hälfte  mit  Pin  gerscher  Flüssigkeit  verdünnt,  bei  einer 
Temperatur  von  .'is^'C.  durchspülte.  i)ie  Flüssigkeit  wurde  durch  die  Aorta  in 
die  Coronargefäße  getrieben  zugleich  mit  Sauerstoif'  unter  dem  Dnick  der  Sauer- 
stoffbombe im  Laugen  dorff  scheu  Apparat,  und  gelangte  so  durch  das  rechte 
Atrium  M'ieder  heraus.  Das  Herz  schlug  nun  83mal  in  der  Minute  bis  zu 
drei  Stunden  ])auer.  Hieraus  läßt  sich  annehmen,  daß  man  bei  schweren  Syn- 
kopezufällen in  dei'  Narkose,  sei  es  Aether  oder  Chloroformnarkose,  namentlich 
aber  bei  letzterer,  mit  dem  Verfahren  von  Prus  Erfolg  haben  könnte.  Dieses 
Verfahren  der  direkten  Herzmassage  von  Prus  besteht  darin,  daß  man  sofort, 
zwei  flippen  reseziert,  das  Herz  bioslegt  und  nun  dasselbe  mit  der  Hand  rliythmisch 
komprimiert.  Nebenbei  soll  man  tracheotomieren  und  mit  der  Canule  einen 
Plasebalg  in  Verbindung  setzen.  Prus  konnte  auf  diese  Weise  Tiere,  die  er 
durch  Chloroform  getötet,  noch  nach  einerStunde  wiederbeleben.  K  jer-Pelissen 
hat  bei  einem  NarkosenunfaU  die  Methode  an  einem  Mann  probiert,  hat  das 
Herz  bei  uneröffnetem  Perikard  komprimiert.  Nachdem  der  Mann  eine  Zeit- 
lang ohne  Atmung  und  Herzaktion  gelegen,  beginnt  jetzt  das  Herz  hurtig  zu 
schlagen,  die  Atmung  beginnt  nach  oO  Minuten  schnappend  wieder  um  nach 
zwei  Stunden  dieser  Bemühungen  regelmäßig  und  selbständig  zu  erfolgen.  Das 
Bewußtsein  war  aber  nicht  wieder  gekehrt  und  nach  einer  halben  Stunde  wird 
die  Atmung  wieder  schlecht,  hört  auf  und  der  Kranke  stirbt.  Einen  andern 
Fall  beschreibt  Mang,  doch  war  es  auch  hier  nicht  möglich,  den  Kranken  zu 
retten.  Man  nennt  das  Verfahren  das  Prus-Maagsche  Wiederbelebungs- 
verfahren. Aglinzeff  hat  ebenfalls  bei  einem  Knaben  die  j\Iethode  erfolglos 
erprobt.  Nach  dem  neuesten  Versuch  von  Denecke  habe  ich  ähnliche  Ver- 
suche begonnen  und  versucht,  die  Kombination  des  eben  genannten  Verfahrens 
mit  intravenösen  Infusionen  bei  Tieren  anzuwenden.  Freilich  kann  ich  hier 
noch  keine  Pesultate  angeben,  da  die  Versuche  noch  nicht  beendet  sind,  nur 
scheint  das  Vei-fahren  der  direkten  Herzinassage  mit  der  Infusion  gute  Resultate 
zu  liefei'n.  die  man  gelegentlich  am  Menschen  ausprobieren  muß.  In  Fällen  wo 
höchste  Gefahr  vorhanden,  wird  ja  ein  solcher  Eingriff  berechtigt  sein,  wenn 
er  auch  immerhin  bei  den  modernen  Narkosen  zu  den  größten  Seltenheiten 
gehört,  denn  Erfolg  wird  man  nur  dann  haben,  wenn  das  Herz  nur  durch  das 
Narkotikum  geschädigt,  sonst  aber  nicht  schwer  erkrankt  ist,  denn  wenn  hoch- 
gradige Fettmetamorphose  oder  dergleichen  den  Herzkollaps  verursacht  hat, 
wird  der  Erfolg  ausbleiben.  Dies  ist  der  Grund,  weshalb  diese  Versuche  bei 
Tieren  Erfolg  haben,  weil  man  daselbst  ein  an  sich  gesundes  Herz  vor  sich 
hat.  Ich  bemerke  dies  hier,  weil  mich  die  vor  wenigen  Tagen  von  Denecke 
angestellten  Versuche  am  Herzen  zu  der  Ansicht  gebracht  haben,  daß  ein  nicht 
ganz  krankes  Herz  vielleicht  doch  wieder  dauernd  gekräftigt  werden  kann. 

Weit  häufiger  sind  die  Apnoetodesfälle  in  der  Äthernarkose.  Die  weit- 
aus größte  Zahl  der  statistisch  gesammelten  Fälle  von  Tod  in  der  Äthernarkose 
repräsentieren  Apnoefälle,  und  man  hat  demnach  ein  Verhältnis  von  1  :  3000 
als  richtig  anzunehmen.  Es  ist  hierbei  natürlich  nur  die  infolge  der  Ather- 
wirkung  auftreteude  tödlich  endende  Apnoe  gemeint,  nicht  jene  plötzlich  mit 
Cyanose  etc.  -während  der  Betäubung  infolge  irgendeines  Versehens  vor- 
kommende.      Wenn    man    nun    auch    eine    gewisse    Anzahl     von    Todesfällen 


■')  Mitteilungen  im  ärztl.  Verein  zu  Hamburg.     Sitzung  am  21.  Febr.  1905. 

24 


—    :570    — 

als  die  Folge  toxisehei'  Ätlierwirkung-  gelten  lassen  muß,  so  ist  doch  immerliiu 
der  Eintritt  einer  tödlich  endenden  Apnoe  sehr  abhängig  von  der  Methode  und 
Ausführung  der  Narkose,  da  man  bei  sehr  vorsichtigem  Narkotisieren  nur  sehr 
selten  Todesfälle  erlebt.  Dies  ersieht  man  daraus,  daß  man  auch  auf  ca- 
6000  Äthernarkosen  nui'  einen  Todesfall  durch  Apnoe,  ja  nach  Gurlt  sogar 
auf  13160  Äthernarkosen  nur  einen  Apnöefall  beobachtet  hat. 

Viel  häutiger  ereignen  sich  die  leichteren  Apnoefälle  während  der  Nar- 
kose, Fälle,  die  aus  äußeren  Anlässen  oder  auch  aus  Überdosierung  und  der- 
gleichen mehr  Ursachen  entstehen  können  und  auch  dem  besten  Narkotiseur 
doch  gelegentlich  passieren,  die  aber  bei  geeigneten  Gegenmaßregeln 
wieder  ohne  Nachteil  für  den  Kranken  gehoben  werden  können.  So  berichtet 
Schultz  von  .5  Apnoen  bei  -463  reinen  Äthernarkosen,  welche  aber  alle  ohne 
Nachteil  bekämpft  werden  konnten.  Diese  Unfälle  während  der  Äthernarkose 
sind  aber  nur  zu  abhängig  vom  Narkotiseur  (Kroemer,  Pfannenstiel),  als  daß 
man  allgemeingültige  Zahlen  nennen  könnte.  Der  eine  Narkotiseur  wird  ab 
und  zu  solche  Fälle  erleben,  während  sie  bei  anderen  nur  zu  den  allergrößten 
Seltenheiten  gehören. 

Von  weit  größerem  Interesse  ist  die  Statistik  der  nach  der  Äthernarkose 
auftretenden  Lungenkrankheiten,  wie  Pneumonien  und  Bronchitiden.  Natürlich 
ist  auch  bei  diesen  Folgen  der  Narkose  die  Technik  von  Bedeutung  (Bushmore), 
so  daß  man  in  neuerer  Zeit  diese  Lungen erkrankungen  auch  tatsächlich  be- 
deutend seltener  auftreten  sieht.  Immerhin  gibt  es  Fälle,  wo  trotz  größter 
Vorsicht  des  Narkotiseurs  eine  Pneumonie  sich  zeigt.  Neben  diesen  Umständen 
hat  auch  die  Operation  einen  Einfluß  auf  das  Entstehen  einer  Pneumonie  nach 
der  Ätherwirkung.  Schultz  hat  bei  463  Äthernarkosen  33  Bronchitiden  oder 
Püeumonien  beobachtet,  von  denen  19  leichtei'e  Erkrankungen  waren  und 
schnell  abheilten,  während  die  übrigen  schwerere  Formen  darstellten,  dem 
gegenüber  hat  Tillmanns  bei  4000  Äthernarkosen  nie  Lungenkrankheiten 
ernster  Art  beobachtet,  was  er  der  Lagerung  und  Methode  der  Narkose  zu- 
schiebt. Es  erhellt  also  schon  aus  diesen  beiden  Angaben,  wie  ungeheuer 
Anchtig  die  gute  Technik  der  Narkose  ist.  Der  Verlauf  der  Lungenerkrankungen 
ist  verschieden,  von  30  Pneumonien  der  Statistik  des  Chirurg.  Kongr.  1897 
endeten  15  tödlich.  Krön  lein  gibt  an,  daß  während  einer  Zeit  von  77  Jahren 
Beobachtung  an  seiner  Klinik  nur  1  Mann  an  Pneumonie  nach  Äthernarkosen 
gestorben  sei,  was  ein  riesig  günstiges  Resultat  bei  der  großen  Anzahl  der 
Narkosen  bedeutet. 

Blake  hat  unter  1250  Äthernarkosen  drei  schwere  Lungenerkrankungeu 
beobachtet,  RiimboU  unter  1500  Äthernarkosen  eine  Bronchitis,  eine  Pneumonie 
und  vier  Bronchialreizungen,  also  leichte  Bronchitiden  erlebt,  Stanly-Boyd 
hat  während  fünfjähriger  Praxis  sechs  Fälle  von  Lungenleiden,  von  denen  eine 
Lobärpneumonie,  eine  Bronchopneumonie  und  vier  Bronchitiden  waren,  auftreten 
gesehen,  Gunning  sah  unter  2068  Äthernarkosen  eine  schwere  Pneumonie, 
öfterer  leichte  Lungenleiden  auftreten.  Macnaughton-.Tones  hat  in  dreißig- 
jähriger Tätigkeit  keinen  Fall  schwerer  Lungenleiden  nach  Äthernarkosen 
gesehen. 

Sonntag  hat  bei  38  Äthernarkosen  6  Pneumonien  mit  4  Todesfällen 
beobachtet,  ein  Prozentsatz,  der  recht  schlecht  zu  nennen  ist.  Es  ist  zweifel- 
los   in    diesen  Fällen    entweder  ein  ung'lücklicher  Zufall,  der  eine  solche  Höhe 


—     371      — 

von  Püeumoiiieü  erregte  oder  die  Technik  der  Narkose  hat  j?rnße  Mäugel  s:e- 
litten.  Namentlich  die  Mortalität  ist  eine  enorm  hohe,  als  allgemeingiiltii;' 
kann  man  diese  Zahlen  nicht  ansehen. 

Einen  besonders  bcgünstig-enden  Einfluli  auf  den  Eintritt  der  Pneumonie 
hat  die  Laparatomie,  so  fand  Kümmel  bei  1070  Laparatomicn  40  Pneumonien 
mit  1 1  Todesfällen. 

Es  ist  ja  zweifellos,  daß  die  Laparatomie  das  Atmen  nach  der  Narkose 
wenigstens  an  Tiefe  beschränkt  und  gerade  das  tiefe  In-  und  Exspirieren  ist 
nach  der  Äthernarkose  enomi  wichtig  (Witzel,  Hofmanu,  Starling. 
Gunning-  etc.). 

Es  ist  aus  diesen  wenigen  statistischen  Angaben  zu  ersehen,  daß  die 
Lungenerkrankungen  nach  der  Äthernarkose  recht  häufig  auftreten,  daß  aber  auch 
die  Zahlen  klar  beweisen,  wie  eine  gute  Beobachtung  und  Ausführimg  der 
Narkose  die  Gefahr  sehr  vermindern  können. 

Was  die  Operation  im  Verhältnis  zu  den  Todesfällen  in  und  nach  Aether- 
uarkosen  anlangt,  so  ersieht  man  aus  den  vouHankel  gesammelten  Statistiken 
folgendes: 

Es  finden  sich  Todesfälle  verzeichnet  bei  folgenden  Operationen: 
bei  Herniotomieu  13  Todesfälle  infolge  der  Aetherwirkung 

„    Laparatomieu  11  „  „  „  „ 

„    Gallensteinoperationen  2  „  „  ,^  ,^ 

„    Krebsoperationeu  '"  9  „  „  ,,  „ 

„    Tumorexstirpationen  1  „  ,^  ^^  ^ 

„    Colotomie  6  „  ,,  „  ,^ 

„    Gynäkologische  Operationen        .3  ,,  ,,  ,^  ^^ 

„    Erakturen  und  Streckungen        4  ,,  ^,  „  ^^ 

„    Einrichtungen  von  Luxationen     2  „  „  „  „ 

„    Sectuestrotomien  1  ',  ,,  ,,  ,^ 

„    Amputationen  3 

„    Empyemoperationen  1  „  »  „  „ 

„    Resektionen  1 

„    Tracheotomieu  2  „  „  „  „ 

„    Operationen  im  Abdomen  5  „  „  „  „ 

„    Wunden  1  „  „  „  „ 

„    Augeuoperationen  1  „  „  „  „ 

,,    Zahuextraktionen  1  „  ^,  ,,  ^^ 

„    sonstigen  Operationen  11  „  „  „  „ 

„    geburtshilflichen  Operationen      2  „  „  „  „ 

Aus  diesen  Zahlen  geht  hervor,  daß  Todesfälle  am  häufigsten  bei  schweren 
Operationen  infolge  der  Ätherwirkung  vorkommen. 

Beim  Chloroform  hingegen  zeigten  sich  die  meisten  Todesfälle  bei  den 
leichteren  Operationen.  Man  ersieht  daraus,  daß  das  Chloroform  giftiger  ist 
als  der  Äther,  denn  wenn  mehr  Todesfälle  bei  schweren  Operationen  vor- 
kommen, so  ist  das  ein  Zeichen,  daß  der  Äther  nicht  sehr  giftig  wirkt,  weil  bei 
schweren  Operationen  schon  die  Anstrengung  durch  die  Operation  den  Tod 
hervorrufen  wird  ohne  daß  der  Äther  hierbei  sehr  toxisch  wirken  muß,  beim 
Tod  nach  leichten  Operationen  aber  muß  das  Narkotikum  sehr  stark  toxisch 
gewirkt  haben  (Chloroform)  und  eine  geringe  Anzahl  von  Todesfällen  nach 
leichten  Operationen  beweist,  daß  auch  das  verwendete  Narkotikum  wenig 
toxisch  wirkt. 

Es  ist  noch  von  Interesse,  einen  Blick  auf  die  Verteilung  der  Todesfälle 
in  der  Äthernarkose  auf  das  Geschlecht  und  Lebensalter  zu  werfen.     So   findet 

24* 


—     372     — 

man  uuter  75  Todesfällen  45  Personen  mänulichen  und  30  weiblichen  Ge- 
schlechtes. Kappeier  hat  hei  Chlorofoi-mtodesf allen  78%  Männer  und  22% 
Frauen,  bei  Äthertodesfällen  60%  Männer  und  40%  Frauen  angegeben.  Es  ist 
also  das  weibliche  Geschlecht  beim  Äther  mit  mehr  Todesfällen  vertreten.  Es 
mag  der  Unterschied  wohl  darauf  beruhen,  daß  die  Männer,  welche  in  den 
meisten  Fällen  Alkoholisten  sind,  öfter  mit  Chloroform  narkotisiert  werden,  da 
der  Äther  bei  Alkoholisten  oftmals  nicht  so  schnell  und  leicht  tiefe  Narkose 
herTorruft  wie  Chloroform,  während  hingegen  Frauen  mehr  mit  Äther  betäubt 
werden.  So  wird  sich  der  Unterschied  aus  der  verschiedeneu  ^'erwendung 
erklären. 

Das  Alter,  in  welchem  die  Todesfälle  bei  Äthernarkosen  eintreten,  zeigt 
sich  in  folgenden  Zahlen  vertreten. 

in  der  Ätheruarkose  vorgekommen. 


In  den  Jahren 

von 

1—10     war 

1 

Todesfall 

10—20  waren 

5 

Todesfälle 

20—30       „ 

o 

ji 

30—40       „ 

10 

11 

40-50 

20 

)i 

50—60       „ 

11 

n 

60^70       „ 

7 

11 

70—80     war 

1 

Todesfall 

über  80  waren     2  Todesfälle     „     ,,  „  „ 

Daraus  geht  hervor,  daß  in  den  Jahren  40 — 50  die  meisten  Todesfälle 
auftreten. 

Aus  diesen  wenigen  statistischen  Aufzeichnungen  läßt  sich  ersehen,  daß 
die  Gefahr  eines  plötzlichen  Todes  in  der  Äthernarkose  nicht  so  groß  ist  wie 
bei  der  Chloroformuarkose,  denn  mau  hat  bei  den  modernen  Äthernarkosen 
ein  Verhältnis  von  1  :  5000  aufgestellt  und  manche  Autoren  haben  noch  bessere 
Resultate  zu  verzeichnen,  wie  im  Hotel  Dieu  in  Lyon  bei  40000  Äthernarkosen 
nicht  ein  Todesfall  beobachtet  worden  ist.  Dieser  Umstand  hat  auch  schon 
in  früheren  Zeiten,  als  man  nur  ein  Verhältnis  von  1  :  3000  annahm,  dem  Äther 
und  ebenso  auch  jetzt  viele  Freunde  und  Anbänger  gewonnen,  welche  den- 
selben ohne  Konzessionen  dem  Chloroform  vorziehen  (Julliard,  Garre, 
Wanscher,  Großmann  etc.).  Was  aber  die  Folgen  der  Äthernaikose  an- 
langt, so  ist  nur  schwer  ein  Unterschied  zugunsten  des  Äthers  gegenüber 
dem  Chloroform  zu  finden,  denn  die  doch  immerhin  noch  recht  oft  auftretenden 
Lungenerkrankungen  nach  der  Ätheruarkose  bilden  eine  ebenso  schwere  Gefahr 
für  den  Krauken  wie  der  ev.  eintretende  protrahierte  Chloroformtod.  Darüber 
soll  weiter  unten  des  genaueren  gesprochen,  und  hier  nur  dieser  Umstand  er- 
wähnt werden. 

Die  Ätherwirkung  kommt  genau  so  zustande,  wie  die  Chloroform- 
narkose, der  Äther  wird  durch  die  Lungen  in  das  Blut  aufgenommen  und  nach 
dem  Gehirn  transportiert.  Auch  die  Ausscheidung  des  Äthers  geht  genau  so 
vor  sich  wie  bei  Chloroformnarkosen.  Ein  großer  Teil  des  Äthers  wird  durch 
die  Lungen  wieder  ausgeschieden.  Noch  Stunden  und  Tage  nach  der  Äther- 
narkose kann  man  m  der  Exspirationsluft  des  narkotisierten  Menschen  Äther 
nachweisen,  selbst  der  betr.  Kranke  riecht  und  schmeckt  noch  in  den  Stunden 
nach  der  Narkose  die  exspirierten  Äthermengen,  und  diese  Ausscheiduug  dauert 


—     373      — 

je  nach  der  Liinye  der  Xarkose  Stuudeii  bis  zu  drei  und  vier  Tagen  nacli  der 
Betäubung'  an,  bis  die  letzten  Mengen  den  Organismus  verlassen  haben.  Auch 
in  den  Sekreten  der  Drüsen  finden  sich  nach  der  Narkose  kleine  Äthermengen, 
die  aber  genügend  sind,  um  gelegentlich  Beschwerden  zu  verursachen,  so  raft 
im  Magen  der  ätherhaltige  Magensaft  Erbrechen  hervor  und  dieses  Erbrechen 
kann  sehr  hartnäckig  sein.  Da  ja  in  den  verschluckten  Speichelmassen  in 
allen  neu  sezernierten  Mageusaftmengen  Äther  enthalten  ist,  so  wird  immer 
nacli  dem  Erbrechen  innerhalb  kurzer  Zeit  wieder  derselbe  Reiz  auf  die  Magen- 
nerveu  ausgeübt,  wodurch  lange  Zeit  anhaltendes  lästiges  Erbrechen  entstehen 
iann.  Man  begegnet  diesem  Erbrechen  auf  zweierlei  Art  am  besten.  Erstens 
spült  man  den  Magen  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  aus,  welche 
Magenspülung  ev.  noch  mehrere  Male  wiederholt  werden  muß.  Immerhin  ge- 
nügt in  vielen  Fällen  eine  Magenspülung,  um  das  Erbrechen  zu  heben.  Ein 
anderes  Mittel  besteht  darin,  daß  man  die  Magennerven  weniger  empfindlich 
macht,  so  daß  sie  auf  den  Reiz  des  Äthers  nicht  so  leicht  reagieren.  Mau  gibt 
zu  diesem  Zwecke  Kokain  und  Morphin  zusammen  in  Tropfenform.  Die  Tropfen 
helfen  in  diesen  hartnäckigen  Fällen  sehr  gut,  denn  hier  besteht  meist  eine 
Überempfindiichkeit  der  Magennerven,  und  diese  wird  durch  die  Tropfen  be- 
seitigt. In  vielen  Fällen  vs^ird  aber  das  Erbrechen  nur  durch  die  im  Magen 
angesammelten  sehr  stark  ätherhaltigen  Saftmengen  hervorgerufen  und  sistiert 
sofort  nach  der  ersten  Magenspülung.  Einen  großen  Teil  des  Äthers  entfernen 
die  Nieren  aus  dem  ( »rganismus,  im  Harn  gelöst  und  auch  chemisch  gebunden. 
Der  Äther  hat  neben  seinem  niederen  spezifischen  Gewichte  und  seinem  niedrigen 
Siedepunkte  auch  die  Eigenschaft,  sich  sehr  leicht  in  Wasser  und  Ölen  zu  lösen 
und  ebenso  leicht  diese  Lösung  wieder  zu  trennen.  Dieser  Umstand  ver- 
leiht dem  Äther  den  Vorzug  vor  Chloroform,  daß  er  nicht  kumulierend 
wirkt,  wenigstens  nicht  so  stark  kumulierend  wie  Chloroform.  Die  kumu- 
lierende Eigenschaft  entsteht  dadurch,  daß  infolge  der  Löslichkeit  des 
Narkotikums  in  den  Cholestearin-Lecithingemischen  immer  mehr  Mengen  hin- 
zukommen, während  noch  früher  in  den  Körper  gelangte  Mengen  in  den- 
selben enthalten  sind,  so  daß  in  diesen  Gemischen  eine  nach  dem  Lösungsver- 
mögen höchst  konzentrierte  Lösung  entstehen  kann,  wenn  immer  mehr  des 
Narkotikums  dem  Organismus  zugeführt  wird.  Bei  Chloroform,  welches 
schwerer  wieder  aus  den  Gemischen  abgegeben  wird,  kann  auf  diese  Weise 
eine  zu  hohe  Konzentration  leicht  eintreten,  eine  Lähmung  der  Zentren.  Bei 
Äther  hingegen  sind  die  Lösungsverhältnisse  sehr  locker,  es  wird  während  der 
Inspirationen  immer  Avieder  viel  Äther  abgegeben,  und  zwar  kommt  dabei  vor 
allem  der  Harn,  Schweiß  und  die  Sekrete  der  Drüsen  in  Betracht,  daß  die 
anfangs  inspirierten  Äthermengen  den  Organismus  schon  wieder  verlassen, 
wenn  wenige  Sekunden  verflossen  sind.  Somit  kann,  wenn  immer  die  gleiche 
Konzentration  der  Ätherdampfluftgemenge  inspiriert  wird,  so  leicht  nicht  eine 
höhere  Konzentration  als  erlaubt  ist  in  den  Cholestearin-Lecithingemischen 
entstehen.  Es  muß  natürlich  stets  die  gleiche  Konzentration  des  Narkotikum- 
luftgemenges zur  Atmung  verabreicht  werden,  denn  sonst  kann  natürlich  eine 
Überdosierung  sofort  eintreten,  wenn  man  stärker  konzentrierte  Gemenge  ver- 
abreichen wollte.  Die  kumulierende  Eigenschaft  besteht  nur  dann,  wenn  bei 
gleicher  Konzentration  die  Lösungsverhältnisse  sich ..  vergrößern  infolge  der 
größeren  Lösungsfähigkeit  des  Narkotikums.  Infolge  der  Eigenschaft,  sich  schneller 


—      374     — 

Tiud  leichter  ans  den  Lösungen  abzutrennen,  ist  der  Äther  Tiel  weniger  ge- 
fährlich, als  Chloroform,  denn  die  kumulierende  Eigenschaft  verursacht  leicht 
Lähmungen  der  lebenswichtigen  Zentren.  Diese  Steuerung  im  Organismus  wird 
nun  besonders  durch  die  Nieren  bewirkt.  Während  der  Narkotisierte  in 
der  Exspirationsluft  Äther  aufnimmt,  und  sich  je  nach  der  Konzentration 
der  Ätherdampfluftgemische  eine  entsprechende  Konzentration  der  Ätherdämpfe 
im  Blut  zu  bilden  sucht,  führen  die  Nieren  gewisse  Mengen  von  Äther  wieder 
aus  dem  Blut  fort,  auch  die  Drüsen  und  die  Haut  entfernen  Äthermengen.  So- 
mit kann  mau  nie  ganz  genau  die  Konzentration  der  Ätherdampflösungen  im 
Blute  bestimmen.  Immerhin  sind  aber  während  der  Narkose  die  durch  die 
Nieren  abgesonderten  Äthermengen  nur  gering,  auch  die  auf  anderen  Wegen 
■den  Organismus  verlassenden  Ätherdärapfe  repräsentieren  nicht  viel.  Be- 
sondere Wichtigkeit  erhalten  diese  Prozesse  der  Eliminierung  aus  dem  Organis- 
mus erst,  wenn  Äther  nicht  mehr  durch  die  Lungen  zugeführt  wird.  Dann  ist 
vor  allem  die  Zeit  angebrochen,  wo  die  eliminierenden  Funktionen  in  Tätig- 
keit zu  treten  haben. 

Bei  der  Eliminierung  des  Äthers  aus  dem  Organismus  muß  mau  auch 
<las  Blut  beachten,  welches  bei  der  Operation  verloren  gelit,  denn  durch  das- 
selbe werden  ebenfalls  Mengen  von  Äther  aus  dem  Organismus  entfernt,  je 
nach  der  Menge  des  Blutes.  Es  kommt  dies  vor  allem  in  Betracht,  wenn  bei 
■Operationen,  in  der  Entbindung  etc.,  plötzlich  einmal  eine  große  Menge  Blut 
aus  dem  Gefäßsystem  fließt.  Dann  kann  der  Kranke  ganz  plötzlich  erwachen, 
weil  die  Konzentration  des  Äthers  im  Blute  schnell  geringer  wurde.  Der 
Narkotiseur  muß  mit  solchen  Umständen  rechnen. 

Die  Dauer  der  Äthernarkose  ist  insofern,  als  man  die  Dauer  bis  zum 
Erwachen  des  Kranken  aus  der  Narkose  versteht,  eine  kürzere,  als  bei  Chloro- 
form, was  wiederum  in  Zusammenhang  mit  der  narkotischen  Kraft,  resp.  der 
leichteren  Trenmmg  der  Lösungsverhältnisse  des  Äthers  mit  den  Cholestearin- 
Lecithingemischen  der  Ganglienzellen  oder  mit  dem  Blutplasma  steht.  Der 
mit  Äther  narkotisierte  Mensch  erwacht  viel  schneller  aus  der  tiefen  Narkose 
als  bei  Chloroform.  Die  Mengen  des  Äthers,  welche  zur  Narkose  gebraucht 
werden,  sind  ja  hohe  und  da  nun  die  Lösungsverhältnisse  leicht  getrennt 
werden,  also  auch  viel  Äther  aus  dem  Organismus  eliminiei't  wird,  so  genügen 
nach  Sistieren  der  Ätherzufuhr  die  im  Organismus  noch  kreisenden  Äther- 
mengen nicht  mehr,  um  Toleranz  zu  erzeugen,  nach  wenigen  Minuten  erwacht 
•der  Kranke.  Die  Zeit  von  der  letzten  Dosis,  die  verabreicht  wurde,  bis  zum 
Erwachen  des  Narkotisierten  ist  bei  Äther  viel  kürzer,  \.,mal  so  kurz,  als  bei 
Chloroform. 

Was  nun  die  Dauer  der  Äthernarkose  in  bezug  auf  die  Möglichkeit  der 
Toleranzerhaltuug  anlangt,  so  kann  man  keine  bestimmten  Zahlen  nennen, 
man  kann  die  Narkose  stundenlang  führen,  man  hat  Patienten  zwei  Stunden 
und  noch  länger  ätherisiert.  Für  die  meisten  Fälle  wird  ja  eine  ^/.^ — ^/^ stündige 
tiefe  Narkose  genügen,  doch  es  gibt  auch  Operationen,  welche  längere  Nar- 
kosen erfordern,  bis  2  und  2^/.,  Stunden  hat  wohl  schon  jeder  Chirurg  Kranke 
narkotisiert.  Es  hängt  ja  ganz  von  den  körperlichen  Verhältnissen  ab,  wie 
lange  man  die  Narkose  ausdehnen  darf,  es  werden  nur  zu  oft  während  der 
Betäubung  Umstände  auftreten,  die  einem  längeren  Narkotisieren  eine  Grenze 
.setzen.     Somit   muß  jeder  Arzt    vorher   den  Krauken    genau    untersuchen  und 


—    :57ö    — 

nach  dem  (iesuu(llieitsz\istiiii(lc  die  L»auei'  der  Narkose  abschätzen,  resp.  ein 
rrteil  fällen,  ob  der  Kranke  die  geplante  voraussichtlich  so  und  so  lange  Zeit 
liir  die  Narkose  erfordernde  Operation  aushalten  wird. 

Die  Zeit,  welche  von  der  ersten  Athergabe  bis  zum  Eintritt  der  Toleranz 
verläuft,  ist  angegeben  worden.  Dieselbe  ist  aber  auch  ein  recht  relativer 
Begriff,  denn  sie  ist  von  zu  vielen  Umständen,  vom  Kranken  selbst  (Alkoholiker, 
Neurastheniker  etc.),  vom  Arzt  und  dessen  ^Methode  der  Betäubung  abhängig. 
Immerhin  kann  man  für  gesunde,  normale  Personen  bei  vorsichtiger  Technik 
der  Narkose  Zahlen  ermitteln,  so  hat  Körte  7,5  Minuten  als  Mittel  vom  ersten 
Atemzug  unter  der  Maske  bis  zum  Eintritt  der  Toleranz  berechnet  und  zwar 
waren  bei  seinen  Fällen  bei  156  Narkosen  7  Minuten,  bei  104  10  Minuten  und 
in  40  10 — 20  Minuten  vergangen.  Nach  anderen  Autoren  sind  3  Minuten 
(Butter),  4,8  Minuten  (Fueter),  13  Minuten  (Vallas)  etc.,  als  Zeitdauer  bis 
zur  Toleranz  gefunden  worden.  Garre  gibt  als  Mittel  4  Minuten  an,  doch  setzt 
er  hinzu,  daß  dies  nach  den  verschiedeneu  Methoden  der  Darreichung  natür- 
lich verschieden  ist.  so  beobachtete  man  bei  Anwendung  der  Genfer  Methode 
als  kürzeste  Zeit  bis  zum  Eintritt  der  Toleranz  1  Minute,  als  längste 
12 — 16  Minuten.  Nach  anderen  Methoden  ist  die  Durchschnittszeit  auf  14  Minuten 
berechnet  worden.  Genauere  Untersuchungen  über  diesen  Punkt  haben  ergeben, 
daß  ein  Hund,  wenn  man  ihm  ein  Atherluftgemisch  von  20  g  Äther  auf  100  1 
Luft  verabreicht,  nach  Einatmung  dieses  Gemisches  von  der  Dauer  einer 
halben  Stunde,  also  30  Minuten  narkotisiert  ist,  der  Tod  tritt  nach  2  Stunden 
der  konstanten  Einatmung  bei  dieser  Konzentration  der  Gasgemenge  ein,  läßt 
man  aber  ein  Gemisch  von  50  g  Äther  auf  100  1  Luft  dem  Hunde  einatmen. 
so  wird  er  nach  1 — 2  Minuten  in  die  tiefe  Narkose  verfallen  und  nach  30  Minuten 
sterben  (Overton).  Da  man  nun  den  Hund  in  dieser  Hinsicht  direkt  mit  dem 
Menschen  gleichstellen  kann,  so  sieht  man,  daß  der  Mensch  einer  bedeutenden 
Gefahr  ausgesetzt  ist,  wenn  er  ein  Luftäthergemisch  von  50  g  :  100  1  Luit  einzu- 
atmen erhält,  er  wird  nach  30 — 40  Minuten  sterben,  wenn  die  Konzentration  nicht 
herabgesetzt  wird.  Man  wird  nun,  wenn  man  einen  Menschen  ätherisiert,  die 
Konzentration  der  Dampfgemische  ändern  je  nach  Bedarf.  Aber  man  wird 
bei  vorsichtiger  Methode,  namentlich  bei  der  Tropfmethode,  10  bis  event. 
15  Minuten  Zeit  bedürfen,  um  die  Toieiauz  zu  erreichen.  Es  ist  auch 
beim  Äther  die  Beobachtung  vor  allem  auf  die  Augen  des  Kranken  zu  richten, 
da  die  Pupillen  den  Grad  der  Ätherwirkung  genau,  wie  früher  schon  erörtert, 
angeben.  Es  ist  aber  auch  behauptet  worden,  die  Pupillen  geben  bei  der 
Äthernarkose  keinen  Aufschluß  über  die  Tiefe  der  Narkose  (Hankel, 
Bergson  etc.).  Kappeier  hat  bei  150  Fällen  im  Anfang  der  Äthernarkose 
eine  Erweiterung  der  Pupille  gefunden,  gewöhnlich  schon  nach  den  ersten 
Atemzügen.  Eine  Verengerung  will  er  nur  in  37  Fällen  gesehen  haben.  Bis- 
weilen will  er  auch  die  im  weiteren  Verlauf  in  der  Toleranz  auftretende  Ver- 
engerung der  Pupille  noch  nach  dem  Erwachen  weiterbestehen  gesehen  haben.. 
Neeb  hat  die  Pupillen  nach  Abnahme  der  Maske  meist  eng  gefunden,  oder 
wenigstens  etwas  verengert,  doch  mit  Reaktion  auf  Lichteinfall.  Wenn  man 
diese  verschiedenen  Angaben  übersieht,  so  wundert  mau  sich  ob  ihrer  unge- 
wöhnlichen Angaben,  man  muß  aber  bedenken,  daß  der  Äther  namentlich  bei 
Verwendung  der  Genfer  Methode  mit  der  J  uUiard sehen  Maske  die  Augen 
sehr  beeinflussen  konnte,  er  übte  starke  Beize  auf  dieselben  aus  und  so  mögen 


—     376     — 

die  auormaleu  Befunde  zu  erkläreu  sein.  Die  Bulbi  finden  sich  meist  nach 
innen  oben  gestellt  (Bergson,  Dieffenbach  etc.),  auch  hat  mau  das  soge- 
nannte Wandern  der  Bulbi  bisweilen  beobachtet.  Was  nun  das  Verhalten  der 
Pupillen  anlangt,  so  ist  dasselbe  genau  so,  wie  es  im  allgemeinen  Teile  beschrieben 
und  erörtert  wurde,  für  alle  Narkotika  typisch.  Auch  in  der  Athernarkose 
beobachtet  mau  das  Straßmanusch  e  Phänomen  und  soll  die  Narkose  indem 
Stadium,  wo  dieses  Phänomen  vorhanden  ist,  erhalten  (Flockmaun,  Witzel, 
Mikulicz  etc.). 

Wenn  man  nun  das  Alter  des  zu  narkotisierenden  Patienten  prüft,  so  hat 
mau  im  allgemeinen  die  Regel  aufgestellt,  zu  Juuge  und  zu  alte  Individuen 
sollen  nicht  mit  Äther  betäubt  werden. 

Zieht  man  zunächst  einmal  das  kindliche  Alter  in  Betracht,  so  kann 
man  wohl  zugeben,  daß  man  ein  Kind  unter  ü  Monaten  nicht  gern  narkotisiert, 
allerdings  ebensowenig  mit  Äther  wie  mit  Chloroform.  ]\lan  hat  augegehen, 
bei  Kindern  frühen  Alters  häufig  Atemstillstand  in  der  Athernarkose  beobachtet 
zu  haben.  Es  kommt  nun  allerdings,  wie  man  auch  au  jungen  Katzen  etc. 
nachwies,  in  der  Äthernarkose  leicht  zu  Apnoen  auch  bei  jungen  Kindern, 
aber  diese  Apnoen  lassen  sich  stets  durch  die  bekannten  Mittel  wieder  be- 
seitigen (Arloing  etc.). 

Rowell  hat  genaue  Untersuchungen  bei  Kindern  angestellt  und  hebt 
zunächst  hervor,  daß  Kinder  im  allgemeiuen  die  Narkose  weit  besser  vertragen 
als  Erwachsene  und  Todesfälle  in  der  Narkose  seltener  vorkommen  als  bei 
Erwachsenen,  weil  wegen  der  größereu  Elastizität  des  kindlichen  Tborax  und 
der  größeren  Widerstandskraft  des  Herzens  üble  Zufälle  durch  die  gewöhn- 
lichen Mittel  leichter  abzuwenden  seien.  Todesfälle  beruhen  in  der  Narkose 
fast  stets  auf  üeberdosierung.  Der  Aether  ist  zur  Einleitung  der  Narkose 
wegen  seiner  Reizwii'kung  auf  die  Schleimhäute  des  Respirationstraktus  nicbt 
g:ut  verwendbar.  Mau  kann  die  Narkose  mit  Stickstoffoxydul  beginnen,  und 
dann  ist  der  Aether  nach  Rowell  ein  vortreffliches  Mittel,  um  die  Narkose 
weiter  zu  erhalten.  Er  hat  mit  seiner  Methode  sehr  gute  Resultate  bei 
800  Kindern  erzielt  und  sogar  ein  erst  wenige  Stunden  altes  Kind  wegen 
Atresia  aui  mit  Erfolg  operiert.  Er  erkennt  das  Stadium  tiefer  Narkose  bei 
Kindern,  da  sich  die  Symptome  der  Pupillen,  Augeu  etc.  oft  schlecht  prüfen 
lassen,  auf  andere  Art.  Er  hat  gefunden,  daß  eiu  Kind,  wenn  es  dem  Er- 
wachen nahe  ist.  von  selten  der  Respiratiousorgaue  sofort  reagiert,  wenn  man 
ihm  plötzlich  stärkere  Aetherdämpfe  zu  atmen  gibt.  Ist  es  tief  narkotisiert, 
so  tritt  eine  Reaktion  seitens  der  Respirationsschleimhäute  nicht  auf. 

Dem  entgegen  glaubt  Stoß,  daß  sich  bei  Kindern  die  Salivation  weniger 
bemerkbar  und  gelteud  mache  als  bei  Erwachsenen. 

Dumont  hat  Kinder  vom  vierten  Tage  an  ohne  Schaden  ätherisiert.  Er 
hat  von  271  Kindern  162  ohne  jede  Nachwirkung  ätherisiert,  und  hält  ein 
Lungenleiden  als  Kontraiudikatiou  bei  Kindern  für  den  Aether.  Fueter 
hält  die  Dentitionsperiode  nicht  für  eine  Kontraindikation  der  Narkose  und 
will  die  vermehrte  Salivation  durch  kleine  Aetherdosen  vermeiden. 

Das  Chloroform  wirkt  bei  lündern  gefährlicher,  indem  es  Synkope  hervor- 
ruft, der  man  meist  machtlos  gegenübersteht.  Deshalb  wird  man  Äther  vorziehen. 
C  0  m  t  e  hat  bei  sehr  vielen  Fällen  nachgewiesen,  daß  bei  eintretender  Apnoe  schon 
das  einfache  AVegnehmen  der  Maske,  Bespritzen  des  Gesichtes  mit  Wasser  ge- 
nügen, um  die  Atmung  wieder  anzuregen.  Stoß  hat  bei  200  Äthernarkosen  au 
Kindern  nie  unangenehme  Nebenwirkungen  und  Erscheinungen  während  und  nach 
der  Narkose  gesehen.  Rosenfeld  erwähnt  dem  entgegen  zwei  Fälle,  bei  denen  er 
die  Kinder  von  unter  6  ]\lonaten  nicht  mit  Äther  betäuben  konnte,  selbst  Dosen 
von  Äther,  die  für  einen  Erwachsenen  vollkommen  zur  Erzeugung  von  Narkose 


—    :}77     — 

genügt  hätten,  seien  niclit  iui.stande  gewesen,  Narkose  bei  den  Kindern  zu 
erzeugen.  Dies  ist  wnlil  aber  nur  als  eine  Ausnahme  zu  betrachten  und  man 
kann  sagen,  das  eine  gut  geleitete  Atbernarkose  auch  bei  sehr  kleinen  Kindern 
angewandt  werden  darf,  wenn  es  eben  unumgänglich  ist,  zu  narkotisieren. 
Jedenfalls  ist  Äther  dem  Chloroform  nach  Ansicht  der  meisten  Autoi-en  vor- 
zuziehen (Tavel,  Stoß,  Dumont  etc.). 

Es  ist  natürlich  bei  Kindern  die  größte  Vorsicht  zu  üben  und  man 
braucht  nur  ganz  geringe  Mengen  Äther,  um  das  lüiid  zu  betäuben.  "Wie 
wenig  Äther  schon  eine  Narkose  bei  einem  kleineu  Kinde  hervorrufen  kann, 
zeigt  der  von  mir  beobachtete  Fall,  wo  ein  1  Jahr  altes  kräftigem  Kind,  das 
an  einem  Nabelbruch  litt  und  zur  Heilung  einen  Heftpflasterverband  erhalten 
hatte,  in  Narkose  verfiel,  weil  es  ein  klein  wenig  des  Äthers,  den  ich  zum  Ab- 
lösen des  Heftpflasters  verwandte,  eingeatmet  hatte.  Es  wurde  sofort  voll- 
kommen tief  narkotisiert,  zum  Schreck  der  Mutter,  erholte  sich  aber  bald. 
Obwohl  ich  mich  vorgesehen,  und  nur  ganz  wenig  Äther  verwendet  hatte,  so 
war  doch  eine  genügende  Menge  in  den  Organismus  gelangt.  Es  ist  bei  der 
Narkose  bei  Kindern  am  besten,  wenn  mau  sie  nur  halb  narkotisiert,  so  daß  sie 
nur  eben  betäubt  sind.  Ein  wenig  Schreien  oder  Bewegungen  schadet  nichts, 
wenn  es  nicht  gerade  die  Operation  stört.  Es  ist  mir  bei  einer  großen  Zahl 
von  Kindern,  die  ich  mit  Äther  narkotisiert  habe,  nie  ein  Unfall  passiert. 

Bei  sehr  alten  Personen  hingegen  ist  eine  größere  Gefahr  vorhanden, 
und  es  kommen  verschiedene  krankhafte  Zustände  in  Betracht,  die  ev.  eine 
Atheruarkose  verbieten  werden.  So  beschreibt  Schneider  einen  plötzlichen 
Todesfall  in  einer  Äthernarkose  bei  einem  Manne  von  ca.  60  .fahren,  der,  nach- 
dem er  50  ccm  Äther  erhalten  hatte,  starb,  indem  Herzschlag  und  Respiration 
zugleich  sistierten.  Die  Sektion  ergab,  daß  ein  allgemeiner  geschwächter  Ge- 
sundheitszustand bestanden  hatte,  hervorgerufen  durch  Emphysem,  Hypertrophie 
und  Dilatation  des  Herzens,  Stauungshyperämie  der  Lungen,  Cirrhosis 
hepatis  etc.  Aus  diesem  Befunde  geht  hervor,  daß  die  Äthernarkose  genügte, 
um  die  Kraft  des  Organismus  noch  gaoz  zu  vernichten,  es  bestand  eben  in- 
folge der  organischen  Veränderungen  nur  eine  so  geringe  Widerstandskraft 
des  Organismus,  daß  eine  Atheruarkose  nicht  mehr  ausgehalteu  werden  konnte. 
Es  hätte  vielleicht  hier  jede  andere  Anforderung  an  besondere  Kraftleistung 
des  Organismus  ebenso  wie  die  Äthernarkose  genügt,  um  Exitus  hervorzurufen. 
Die  Arteriosklerose  ist  schon  weiter  oben  erwähnt  worden.  Dieselbe  bietet 
in  sehr  ausgeprägtem,  fortgeschrittenem  Zustande  ein  günstiges  Feld  einerseits 
für  die  Fettmetamorphose  in  den  Gefäß wandungeu  des  (iehirns,  andererseits 
wegen  der  Entstehung  von  Apoplexien  infolge  Ruptur  der  sklerotisch  ver- 
änderten event.  noch  fettmetamorphosierten  Gehirnarterien  (Kapsammer, 
de  Querrain,  Sänger  etc.).  Natürlich  muß  man  auch  hierbei  individuali- 
sieren, denn  es  wird  nur  selten  eine  so  hochgradige  Arteriosklerose  vorhanden 
sein,  daß  sie  eine  kurze  Narkose  mit  Äther  verbietet.  Ist  die  Arteriosklerose 
hochgradig,  so  muß  man  die  Narkose  nach  Möglichkeit  abkürzen,  vorsichtig 
dosieren,  jede  Excidation  vermeiden  etc.,  dann  wird  man  in  den  meisten  Fällen 
noch  alte  Leute  mit  Äther  betäuben  können.  Haben  doch  Versuche  von 
Käpsammer  gezeigt,  daß  auch  eine  Operation  ohne  Narkose  für  alte  Leute 
sehr  gefährlich  ist,  auch  wegen  Apoplexie,  da  eine  starke  Blutdrucksteigerung 
entsteht. 


—     878     — 

Auch  Empbj^sem  und  sonstige  Luiigenleiden  sind  bei  alten  Leuten 
Kontvaindikationen  tür  die  Äthernarkose,  wie  sie  es  überhaupt  sind,  go  mui] 
man  bei  jedem  Falle  die  Verhältnisse  prüfen  und  beurteilen,  ob  der  Kranke 
noch  eine  Narkose  mit  Äther  aushält.  Doch  hat  man  auch  Leute  über  80  Jahre 
alt  mit  Äther  ohne  Nachteil  narkotisiert. 

Ganz  abgesehen  von  dem  Lebensalter  gibt  es  gewisse  Zustände,  welche 
die  Äthernarkose  verbieten,  wenigstens  in  gewissen  Fällen  und  Verhältnissen 
Tinmöglich  machen,  es  gehören  hierzu  die  verschiedenen  Konstitutiousanomalien., 
wie  die  tuberkulöse,  ski-ofulöse,  anämische,  alkoholische,  nervöse  und  lymphatische 
Konstitution.  Je  nach  Stärke  der  jen'eiligen  pathologischen  Zustände  bilden 
diese  Konstitutionen  an  sich  Kontraindikationen,  freilich  meist  nur  in  den 
höchsten  fortgeschrittenen  Zuständen,  und  dann  verbieten  sie  meist  jede  Narkose. 
Aber  der  Arzt  muß  die  Gegenwart  solcher  in  diese  Kategorie  gehörender 
pathologischer  Zustände  erkennen,  um  in  der  Narkose  dieselben  zu  berück- 
sichtiger und  so  Gefahren  vorzubeugen.  In  den  meisten  Fällen  wird  man 
eine  Äthernarkose  hierbei  noch  mit  geringerer  Gefahr  vornehmen  können,  als 
andere  Narkosen,  wie  vor  allem  solche  mit  Chloroform.  Der  Äther  ist  bei 
diesen  Zuständen  weniger  gefährlich,  weil  er  nicht  so  schAver  schädigend  auf 
das  Herz  einwirkt,  wie  die  meisten  anderen  Narkotika,  und  Aveil  gerade  diese 
pathologischen  Verhältnisse  meist  mit  geschwächten,  affizierteu  Herzen  einher- 
gehen. Nur  bei  jenen  Konstitutionsauomalien.  wo  schwere  Luugenleiden  (Tuber- 
kulöse, skrofulöse  Konstitution)  bestehen  oder  vorhanden  zu  sein  scheinen,  ist 
Äther  absolut  zu  vermeiden  und  ein  anderes  Mittel  zu  wählen.  Im  übrigen 
kann  eine  vorsichtige  Technik  viel  Gefahr  verhüten. 

Das  Geschlecht  bietet  gegenüber  der  Äthernarkose  wenig  Unterschiede 
bezüglich  dein  weiblichen  und  männlichen.  Es  ist  nur  festzustellen,  daß 
Männer  meist  \iel  schwerer  zu  ätherisieren  sind  als  Frauen,  und  dies  beruht 
einmal  auf  der  größeren  Widerstandskraft  des  Mannes  gegenüber  diesen 
Körpern  im  allgemeinen,  andererseits  aber  auf  den  Gewohnheiten  der  meisten 
31äuner,  viel  oder  nur  regelmäßig  Alkohol  zu  sich  zu  nehmen  und  zu  rauchen. 
So  ist  es  bisAveilen  unmöglich,  einen  Alkoholisten  mit  Äther  zu  betäiiben,  er 
bekommt  sehr  starke  Excidation  und  verfällt  bisweilen  sehr  schwer  in  die 
Toleranz.  Dann  muß  man  andere  Mittel  zu  Hilfe  nehmen.  Die  Frau  ist  be- 
deutend leichter  zu  betäuben,  sie  braucht  Aveniger  Äther,  weniger  Zeit  bis 
zum  Eintritt  der  Toleranz  etc.  Bei  guter  moderner  Äthernarkose  darf  bei 
einer  Frau  keine  Excidation  auttreten  und  l)ei  einem  Nichtalkoholiker  (Mann) 
nur  eine  sehr  geringe.  Auch  in  der  Geburt  sind  die  Frauen  sehr  leicht  zu 
narkotisieren  und  ist  der  Äther  dabei  sehr  brauchbar.  Daß  der  Äther  bei 
langer  Narkose  einer  Schwangeren  auch  in  den  Kreislauf  des  Kindes  in  utero 
übergeht,  ist  nachgewiesen  Avorden.  Man  darf  daher  scliAvangere  Frauen  nicht 
lange  ätheresieren.  Auch  in  die  Milch  der  stillenden  Frauen  geht  der  Äther 
über.  Allerdings  ist  der  Äther,  hinsichtlich  dieser  beiden  Umstände,  nicht 
so  gefährlich  AAde  das  Chloroform,  da  der  Äther  ja  nicht  ein  so  starkes  Nar- 
kotikum darstellt,  es  wird  daher  das  Kind  in  utero  nicht  so  leicht  getötet, 
das  Kind  durch  die  Milch  nicht  so  leicht  geschädigt  werden,  Avenn  die  Illutter 
mit  Äther  narkotisiert  AA'ürde.  Eine  kurze  Narkose  wird  auch  hier  nur  in  den 
seltensten  Fällen  Schaden  bringen.  Daß  gerade  bei  dem  weiblichen  Individuum 
die  Äthernarkose  eine  sehr  brauchbare  und  für  die  Kranken  angenehme  Methode 


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(larstclll.  scliiklert  Pf annen stie  1 ,  tU-v  die  Uetäubuug  mit  Äther  stetb  uei  den 
von  ihm  operierten  Frauen  angewendet  liat  und  nie  über  zu  mangelhafte 
Toleranz  zu  khigen  hatte.  Daß  natürlich  bei  31änneru  die  Verhältnisse  nicht 
so  einfach  liegen,  das  ist  leicht  erklärlich,  immerhin  kann  man  dci:.  Li  teil  von 
Pfannenstiel,  Knoblauck  u.  a.  nur  beistimmen,  welohe  behaupten,  daß  der 
Mangel  an  dieser  Narkose  durch  Äther  nicht  in  allen  Fällen  und  Beziehungen 
dem  Äther  zur  Last  zu  legen  ist,  sondern  der  Methode  der  Verabreichung,  da 
mau  durch  entsprechende  Dosierung  und  Technik  der  Äthernarkose  sehr  viel 
zur  Erreichung  einer  für  alle  Operationen,  selbst  auch  Laparatomien  geeigneter 
Betäubung  beitragen  kann.  Nur  wenige  Fälle  gibt  es,  wo  infolge  Alkoholismus 
oder  anderer  Umstände  die  Ätherwirkung  erschwert  und  vermindert  wird,  wo- 
durch die  Toleranz  bisweilen  nicht  zu  erreichen  ist.  So  kann  mau  z.  B.  Ärzte, 
die  bei  Narkosen  oft  und  viel  Äther  einatmen,  ev.  nicht  oder  nur  schwer 
narkotisieren,  da  sie  zu  sehr  infolge  der  Gewöhmmg  an  den  Äther  wider- 
standsfähig geworden  sind.  Dies  sind  aber  nur  Ausnahmefälle  und  man  hat 
Mittel  und  AVege,  um  auch  danu  die  Äthernarkose  genügend  tief  zu  ge- 
stalten, vor  allem  durch  die  vorher  vorzunehmende  Morphininjektion.  Im 
Anschluß  an  diese  Betrachtungen  sollen  noch  kurz  einige  Worte  über  die 
Kontrain dikationeu  der  Äthernarkose  augefügt  werden.  Wenn  man  für  die 
Chloroformnarkose  eine  Reihe  von  Fällen  und  Krankheiten  anführen  konnte, 
w'elche  mehr  oder  minder  strikte  die  Vornahme  der  Narkose  verbieten,  so  kann 
man  für  die  Äthernarko.se  nur  bedeutend  weniger  pathologische  Zustände, 
Veränderungen  im  Organismus  oder  dergleichen  Krankheiten  als  kontraindiziert 
anführen.  Man  kann  wohl  sagen,  daß  der  Äther  auch  Gefahren  für  das  Leben 
des  Ki'ankeu  mit  sich  bringt  während  der  Betäubung,  allein  dieselben  sind 
nicht  so  häufig  und  nicht  so  sehr  zu  fühlen,  da  dem  Äther  nicht  die  schwer 
schädigende  Einwirkung  auf  das  Herz  in  dem  Maße  zuteil  wird,  wie  dem 
Chloroform  und  da  der  Äther  eine  größere  Narkosenbreite  besitzt  Hingegen 
sind  die  indirekten  Lebensgefahren,  die,  welche  zunächst  nur  eine  Schädigung 
der  Gesundheit  des  Kranken  bedingen,  also  Gefahren  quoad  valitudinem,  beim 
Äther  nicht  zu  unterschätzen.  Zu  den  erstereu  gehören  bekanntlich  die 
Apnoen  und  Synkopetodesfälle  Avährend  der  Narkose,  z\i  den  letzteren  die 
Pneumonien  nach  derselben. 

Hieraus  geht  hervor,  daß  mau  als  Kontraindikationen  der  Äthtrnarkose 
weniger  die  Herz-  als  die  Lungeuleiden  anzusehen  hat.  Ja  man  kann  sagen, 
daß  man  eine  leichte  und  kurze  Äthernarkose  bei  manchen  Herzkranken,  die 
eine  Chlorofornmarkose  nicht  überstehen  würden,  ohne  Nachteil  für  den  Kranken 
vornehmen  kann.  Hierher  sind  vor  allem  Klappenfehler,  Pericarditische  Ver- 
wachsungen, Myocarditiden  etc.  zu  rechnen.  Lauge  Äthernarkosen  bieten  natür- 
lich dabei  auch  Gefahren  und  man  soll  bei  Fettmetamorphose  des  Herzens,  sei 
die  Ursache  derselben  welche  sie  wolle,  und  sei  die  Fettmetamorphose  nicht  ganz 
geringen  Grades  vorhanden,  eine  lange  Äthernarkose  vermeiden,  hierher  gehören 
eben  alle  die  schweren  Zustände,  die  überhaupt  keine  Narkose  mehr  erlauben, 
und  wo  das  Herz  Veränderungen  erlitten  hat,  die  auch  durch  die  Ätherwirkung 
vermehrt  werden  können.  Der  Äther  kann  ja  bei  langer  Einwirkung  ebenfalls 
Fettmetamorphose  in  Herz,  Leber  und  Nieren  etc  erzeugen.  Kurze,  nur  ober- 
flächliche Narkosen  wird  man  aber  in  vielen  Fällen  mit  Äther  ohne  Gefahr  vor- 
nehmen dürfen,  auch  wo  solche  Ziistände  bestehen.     Man  muß  nur  streng  indi- 


—     :]8()     — 

vidualisieren,  und  muß  geuau  erforschen,  wie  der  Org-anisinus  beschaffen  ist,  und 
ob  die  Atherwirkung  noch  ertrag'eu  werden  wird. 

Sehr  große  Gefahren  bieten  die  Luug-enleiden  (Gunuiug,  Stanley', 
Bord,  Starling-,  Blake  etc.).  E'^  ist  das  schon  oben  erörtert.  Schwere 
Tuberkulose,  Bronchitis  chronica,  Pneumonien,  Phthise  etc.  sind  strikte  Kontra- 
indikatioueu.  Leichte  Tuberkulose  kann  auch  schwere  Gefahren  bringen,  doch 
kann  man  bei  Beachtung  aller  Vorsichtsmaßregeln    eine  kurze  Narkose  wagen. 

Leber-  und  Xierenleiden  sind  nur  in  dem  höchsten  Grade  und  letzten, 
s  chwersten  Stadium  der  Krankheit  Kontraindikationen,  bei  leichteren  Fällen 
wird  meist  eine  kurze  Narkose  mit  Äther  gut  A^ertrageu  (Leppmanu,  Käst, 
Mester  etc.).  Natürlich  muß  man  die  Krankheit  kennen  und  berücksichtigen, 
damit  man  die  Narkose  darnach  einrichtet. 

Alle  diese  Ka-ankheiten  sind  mehr  oder  weniger  als  Kontraindikationen 
zu  betrachten,  viel  kann  man  die  Gefahr  vermindern,  indem  man  die  Narkose 
nach  Möglichkeit  kürzt,  beschränkt,  oberflächlich  leitet  und  vorsichtig  dosiert. 
Die  Technik  kann  viel  die  Gefahren  vermindern  und  so  ist  es  gekommen,  daß 
es  Chirurgen  gibt,  die  für  Äther  nur  wenig  Kontraindikationen  kennen,  die  auch 
bei  schweren  Fällen  der  genannten  Leiden  mit  Glück  ätherisiert  haben,  die  im 
Vertrauen  auf  ihre  gute  Technik  dennoch  Narkosen  mit  Äther  wagen,  wo  mancher 
andere  die  Narkose  vermeiden  Avürde.  Jeder  muß  eben  wissen,  wieviel  er  sich 
zuti-auen  darf,  er  muß  aber  dabei  auch  ganz  die  Technik  beherrschen,  dann  wird 
er  auch  von  Fall  zu  Fall  entscheiden,  ob  noch  eine  Äthernarkose  möglich  ist 
oder  nicht  und  er  wird  oft  noch  eine  leichte,  kurze  Betäubiing  ausführen  können, 
wo  ohne  die  beste  Technik  dies  nicht  möglich  gewesen  wäre.  So  hat  man  sogar 
die  Meinung  gefunden,  der  Äther  sei  völlig  gefahrlos  und  man  hat  dem- 
selben zugunsten  gerechnet,  was  ihm  nicht  gebührt.  Auch  er  hat  üble 
Wirkungen,  auch  die  Äthernarkose  bringt  Gefahren  mit  sich.  Gefahren,  die  nicht 
zu  unterschätzen  sind,  wenn  sie  auch  geringer  sind,  als  vielleicht  bei  der  Chloro- 
formnarkose. Aber  auch  dies  ist  nicht  so  ohne  weiteres  zu  behaupten,  denn  auch 
beim  Chloroform  läßt  sich  viel  Unheil  durch  die  gute  Technik  vermeiden,  wie 
früher  erörtert  wurde.  So  ist  aus  dem  Gesagten  zu  ersehen,  daß  die  Technik 
der  Äthernarkose  von  sehr  großer  Bedeutung  ist  und  dieselbe  soll  in  den  nächsten 
Abschnitten  behandelt  werden. 

§  6.  Zu  einer  guten  und  einwandfreien  Technik  gehört  eine  sachgemäße 
Vorbereitung  des  Kranken  in  den  Tagen,  welche  der  Narkose  vorausgehen.  Es 
ist  schon  früher  des  genaueren  im  Allgemeinen  Teil  die  Vorbereitung  des  Kranken 
für  eine  Narkose  besprochen  worden  und  die  dort  angeführten  Daten  und  Vor- 
schi'iften  sind  in  jedem  Falle  vor  einer  Äthernarkose  strikte  zu  befolgen.  Was 
aber  aus  allen  diesen  Vorschriften  besonders  hervorgehoben  werden  muß,  das 
ist  die  Pflege  des  Mundes  und  der  Nase  an  den  Tagen  vor  der  Narkose.  Es 
ist  beim  Besprechen  der  postätherischen  Lungenleiden  des  genaueren  auseinander- 
gesetzt worden,  weshalb  man  den  Mund  peinlich  reinigen  muß.  Dies  hat  zu  ge- 
schehen mit  Zahnbürste  und  Mentholwasser,  oder  mit  Sol.  Kali  chlorici  oder,  Kali 
hypermang.  etc.  Ferner  muß  die  Atemgymnastik  dem  Ki-anken  eingeübt  werden, 
damit  er  nach  der  Narkose  dieselbe  schon  kennt.  Diese  beiden  Vorbereitungs- 
methoden in  Rücksicht  auf  etwaige  später  eintretende  Lungenleiden  sind  gerade 
bei  der  Äthernarkose  von  ganz  besonderer  Bedeutung,   da  ja   bekanntlich   die 


—    :581     — 

Hauptgefalir  in  di'ii  iiostnai  kotischen  JAiii<i(.'ulci(lon  Lieschen  werden  niiil).  Daher 
ist  besondere  Ohacht  auf  die.selb(!n  zu  nehmen. 

I)aneben  wird  natVirlicIi  der  Rest  der  Vorbereitungsvorsdiriften  eben- 
falls zu  licachteu  sein,  auch  die  Digita1is-Stroph;iiithus-Medikation  ist  A'or  der 
Athornarkose  sehr  anzuraten,  damit  die  Niereniuuktion  uiul  H(^rztätigkeit  kräftig 
erhalten  wird. 

Was  di<^  Beschaffenheit  des  Magens  und  Darmes  anlangt,  so  soll  der- 
selbe nicht  ganz  leer  sein,  eine  Tasse  Tee  mit  Rotwein  darf  noch  1 — 2  Stunden 
Yor  der  Narkose  genossen  werden.  Wenn  nicht  die  Operationen  andere  ^'or- 
schriften  verlangen,  wird  man  kurz  vor  einer  laugen  Narkose  eine  Magensplilung 
vornehmen.  Dieselbe  vei-hindert  das  Erbrechen  und  es  werden  dadurch  noch 
et.Avaige  Speisereste  aus  dem  Magen  entfernt,  die  bei  häufigem  Erbrechen  in  der 
Narkose  im  Falle,  daß  eine  ülagcnspülung  versäumt  wurde,  unangenehme  Er- 
scheinungen bewirken  können,  wie  durch  Aspiration  derselben  in  die  Lunge  etc. 
(Gant,  Witzel.  Hofmann,  Kuoblanck  etc.).  Der  Darm  wird  am  besten 
durch  Abführmitt(il  und  P^inläufe  entleert,  was  wegen  Operationen  im  Abdomen 
meist  erfoi'derlich  ist. 

Weiter  wird  man  gerad(i  bei  der  Ath{n-narkose  in  vielen  Fällen  gut  tun, 
wenn  man  '/^  Stunde  vor  derselben  in  jenen  Fällen,  wo  besondere  Wider- 
standskraft gegen  dieselbe  von  selten  des  Patienten  erwartet  wird,  z.  B.  bei 
Männern,  bei  Alkoholikern  etc.,  eine  Morphininjektion  vornimmt.  Es  ist  auch 
angeraten  worden,  Atropiu  dem  Morphin  beizugeben  (Eeinhard,  Hof  mann  etc.). 
Reinhard  gibt  den  Rat,  ^'4 — 1  Stunde  vor  der  Athernarkose  von  der  Lösung, 
Morphin  mur.  0,2,  Atropin  sulf.  O.Ol,  Aqua  dest  10,0,  je  V» — 1  fem  zu  injizieren. 
Diese  Lösung  soll  vor  allen  Dingen  die  vom  Äther  hervorgerufene  starke  Sali- 
vation  vermindern.  Er  gibt  au,  seit  der  Verwendung  dieses  Jlittels  keineLungen 
erkrankungcu  nach  Narkosen  mehr  gesehen  zu  haben.  Über  die  Kombination 
des  Äthers  mit  Morphin  und  Atropin  wird  auf  ein  besonderes  Kapitel  des 
späteren  Teiles  dieses  Buches  verwdesen.  Hier  sei  nur  bemerkt,  daß  eine 
schablonenhafte  Anwendung  dieser  Injektion  nicht  anzuraten  ist,  sondern  daß 
mau  nur  in  den  F'ällen  von  derselben  Gebrauch  machen  soll,  wo  man  einerseits 
stärkere  Exzitatiou,  andererseits  vermehrte  Salivation  resp.  besonderen  Neigung  des 
Kranken  zur  lebhaften  Speichelabsonderung  erw^arten  muß.  Eine  Morphin- 
injektion geringen  Grades,  also  0,002^ — 0,008,  w4rd  ohne  jeden  Schaden  und  nur 
zum  Nutzen  vorgenommen  werden  können. 

Weitere  Vorbereitung  des  Kranken  ist  nicht  in  besonderem  Maße  zu  treffen, 
und  man  beachte  nur  noch  die  früher  angeführten  allgemeinen  Ratschläge  für 
jede  Narkose. 

Ehe  die  Technik  der  Narkose  an  sich  behandelt  w^erden  kann,  muß  noch 
in  dem  Folgenden  die  Lagerung  des  Kranken  erörtert  werden.  Es  ist  von 
ganz  besonderer  Bedeutung  für  die  Äthernarkose,  wie  der  Kranke  liegt,  und  mau 
wird  in  den  Fällen,  wo  die  Operation  an  sich  nicht  besondere  Forderungen 
bezüglich  der  Lagerung  des  Kranken  stellt,  eine  für  die  Narkose  günstigste 
Lagerung  durchführen  müssen.  Früher  war  es  allgemeiner  Brauch,  den  Kranken 
in  jeder  Narkose  auf  den  Rücken  platt  auf  einen  Tisch  mit  ein  wenig  erhöhtem 
Oberkörper  zu  lagern. 

Diese  Art  der  Lage  des  Körpers  ist  entschieden  für  die  Narkose  un- 
günstig.    Man   muß   hier   die  Eigenschaft  des  Äthers,   die  Salivation   besonders 


—     382     — 

stark  anzuregen,  im  Ange  haben  und  muß  bedenken,  daß  während  der  Betäubung 
der  diu'ch  den  Eeiz  des  Äthers  besonders  stark  und  vermehrt  abgesonderte 
Speichel  im  Mund  und  Rachen  bei  leicht  erhöhter  Lage  des  Oberkörpers  aus 
dem  Rachen  in  die  Gegend  des  Kehlkopfs  fließen  wird.  Solange  der  Kranke 
noch  im  ersten  oder  zweiten  Stadium  der  Narkose  sich  befindet,  wii-d  der  noch 
nicht  erloschene  Reflex  den  Patienten  veranlassen  zu  husten  und  den  Schleim 
zu  verschlucken.  Tritt  aber  Toleranz  und  mit  ihr  Lähmung  aller  Reflexe  auf, 
soweit  dieselben  hier  in  Betracht  kommen,  so  wird  der  Speichel  in  dem  Eingang 
zum  Kehlkopf  liegen  bleiben  und  durch  die  Atmung  hin-  und  hergeschleudert 
werden,  wodurch  die  rasselnde  Atmung  (Stertor)  entsteht.  Dabei  werden  aber 
einerseits  Schleimbläschen  in  großer  Anzahl  mit  der  durch  die  Schleim-  und 
Speichelmassen  streichenden  Luft  in  die  Lunge  mit  fortgeiissen  werden,  die 
daselbst  Infektionen  erzeugen  können,  andererseits  selbst  größere  Schleimmengen 
in  den  Larynx  gelangen  und  aspiriert  werden.  Dadurch  entstanden  die  früher 
so  gefürchteten  Aspirationspneumonieu.  Man  war  genötigt,  von  Zeit  zu  Zeit 
diese  Schleimmassen  aus  dem  Kehlkopfeiugaug  mit  Schwämmen  oder  Stieltupferu 
auszuwischen  und  zu  entfernen.  Die  starke  Salivation  anregende  Kraft  und 
Eigenschaft  des  Äthers  bewirkt  eine  so  große  Menge  solchen  Schleimes, 
daß  man  ernstlich  an  dessen  Beseitigung  denken  mußte.  Dabei  ist  in  dem 
Speichel  oder  Schleim  Äther  gelöst,  der  bei  Aspiration  desselben  in  die  Lungen 
daselbst  die  Schleimhaut  schädigte  und  reizte.  Neben  der  Aspiration  gelangt 
ein  großer  Teil  dieses  Schleimes  in  den  Magen,  woselbst  er  bei  genügender 
Menge  die  Magennerven  durch  den  in  ihm  enthaltenen  Äther  reizte  und  dadurch 
Erbrechen  bewirkte.  Um  nun  all  diese  Mißstände  der  vermehrten  Schleim- 
absonderung und  -ansammlung  im  Kehlkopfeiugang  zu  beseitigen,  hat  Witzel 
eine  andere  Lagerung  des  Kranken  angegeben,  die  früher  schon  genau  beschriebene 
auf  einem  besonders  von  Witzel  angegebenen  und  dazu  konstruierten  Tische 
leicht  zu  erreichende  Lagerung  mit  tiefliegendem  Kopf  und  erhöhter  Brust, 
sowie  mit  forcierter  dorsaler  Reklination  des  Kopfes  des  Kranken  (Witzeische 
Lagerung).  Durch  dieselbe  wird  bewirkt,  daß  der  Schleim  aus  dem  Munde 
des  Krankau  oder  auch  aus  der  Nase  herausfließt.  Es  ist  gar  kein  Zweifel, 
daß  diese  Lagerung  eine  der  besten  darstellt  und  daß  man  dieselbe  entschieden 
verwenden  sollte.  Freilich  muß  eine  Person  den  Kopf  halten,  welcher  vom  Tisch 
herabhängt  und  von  zwei  Händen  gestützt  werden  muß  und  zwar  so,  daß  die- 
jenige Person,  welche  hierzu  bestimmt  ist,  sich  auf  einen  niedrigen  Schemel 
setzt,  den  Kopf  so  faßt,  daß  die  Daumen  beider  Hände  auf  der  Stirn,  die  übrigen 
Finger  im  Nacken  als  Hypomochlion  liegen,  und  nun  durch  entsprechenden 
Druck  den  Kopf  stark  nach  hinten  überbeugt,  wodurch  noch  erreicht  wird,  daß 
der  Unterkiefer  mit  dem  Zungeng)  unde  in  der  Toleranz  nicht  nach  hinten  sinken 
und,  den  Kehlkopf eingang  verlegend,  ein  Atemhindernis  abgeben  kann.  Bei- 
stehende Figur  116  zeigt  die  Witzeische  Lagerung  nach  einem  von  Witzel 
selbst  gezeichneten  Bilde  und  man  kann  aus  der  Abbildung  noch  das  Gesagte 
deutlich  erkennen.  Diese  Lagerung  hat  die  großen  Vorzüge,  daß  keine  Schleim-, 
Äther-  und  Speichelmengen  vom  Mund  aus  in  den  Kehlkopf,  die  Trachea  und 
Lungen  gelangen  können,  somit  auch  eine  Infektion  der  Lungen  erschwert 
wii'd,  denn  die  Bakterien  können  nunmehr  nur  noch  in  der  Inspirationsluft  in  die 
Lungen  gebracht  werden.  Auch  die  Möglichkeit, daß  Speichel  oderSchleimbläschen, 
Bakterien  enthaltend,  in  den  Luftstrom  gelangen  und  in  die  Lungen  transportiert 


—     ;5s:5    — 

werden,  ist  sehi'  g-i'riiii;-,  denn  die  luspirationsliift  streiclif  jetzt,  uiciitniclir  durcii 
größere  Mengen  von  Speichel  oder  Schleim,  da  die  geriug.steu  3Ienoeu  von  ver- 
mehrt abgesondertem  Schleim  und  Speichel  nach  außen  Hießen.  Aber  auch  der 
im  Kehlkopf,  Aov  Trachea  und  größeren  Bronchien  vermehrt  abgesonderte  Schleim 
Hießt  nicht  in  die  Lungen  zurück,  sondern  durch  den  Kehlkopf  in  den  Rachen 


Fig.  llt>.     Lagerung  nach  Witzel  zur  Athertropfuarkosc  mit 
forcierter  dorsaler  Reklination  des  Kopfes. 

und  von  da  nach  außen.  Es  ist  aber  möglich,  daß  der  im  Kehlkopf  vermehrt 
abgesonderte  Schleim  Bakterien  beigemengt  erhalten  könnte.  Somit  kann  auch 
dieser  die  Lungen  nicht  infizieren,  da  er  ja  nach  außen  fließt.  Durch  diese 
Lagerung  wird  nun  allerdings  nicht  verhindert  werden  können,  daß  der  in  den 
kleineren  Bronchien,  Broncheoli  und  Alveolen  ev.  vermehrt  von  der  Schleimhaut 
abgesonderte  Schleim  in  den  Alveolen  sich  ansammelt,  doch  dieser  ist  weniger 
gefährlich . 

Bei  sehr  lange  dauernden  Äthernarkosen  kann  dieser  Schleim  eine  be- 
trächtliche Menge  bilden  und  zu  lokalen  Pneumonien  ohne  Bakterien  führen. 
Meine  Versuche  und  Untersuchungen  der  Lungen  von  lange  ätherisierten 
Hunden  haben  solche  Mengen  von  Schleim  stets  nachgewiesen.  Aber  derselbe 
verursacht  keine  ernsten  Lungenerkrankungen.  Man  ersieht  also,  welch  enormen 
Nutzen  diese  Witzeische  Lagerung  gewährt.  Allerdings  besitzt  dieselbe  auck 
große  Nachteile,  z.  B.  es  wird  eine  Person  zum  Halten  des  Kopfes  nötig,  die 
Lagerung  ist  den  Kranken  beim  Einleiten  der  Narkose  sehr  lästig,  weshalb  man 
sie  erst  beim  Schwinden  des  Bewußtseins  in  diese  Lagerung  bringen  sollte.  Den 
ersteren  Nachteil  beseitigt  die  von  mir  früher  beschriebene  Einrichtung  zur  Lage- 
rung und  Fixierung  des  Kopfes  des  Kranken.  Ein  Hauptnachteil  ist  der,  daß 
man  einen  besonderen  Tisch  nötig  hat.  Allerdings  kann  man  dieselben  Vorteile 
'durch  die  Lagerung  des  Kranken  auf  jedem  Operationstische  oder  sonstigem 
Tische  mit  einem  hohen  Kissen  unter  der  Lendenwirbelsäule  bis  zu  den  Schulter- 
blättern und  Herabhängen  des  Kopfes  erreichen.  So  liegt  der  Kranke  quasi  auf  einer 
schiefen  Ebene  und  der  Rachen  bildet  den  tiefsten  Punkt.     Man  dreht  dann  den 


—     384     — 

Kopf  auf  eine  Seite  und  so  fiieJ.5t  der  iSpeichel  aus  dem  betreffenden  Mundwinkel 
in  ein  bereitstehendes  Becken.  Diese  Lagerung  des  Kranken  läßt  sich  bei  Jedem 
Tisch  und  in  jedem  Zimmer  einrichten.  Hat  man  einen  gewöhnlichen  Tisch  im 
Privathause.  so  hilft  man  sich  dadurch  noch  besonders,  indem  man  unter  die 
Tischbeine  gegenüber  dem  Kopfende  des  Tisches  einen  Fußtritt  etc.  stellt,  der 
ca.  10 — 15  cm  hoch  ist,  so  daß  der  Tisch  dann  eine  schiefe  Ebene  bildet.  Wenn 
man  nun  noch  unter  den  Rücken  ein  kleines  Kissen  legt,  so  ist  die  Lagerung 
die  denkbar  günstigste. 

Unterstützt  wird  diese  Lagerung  durch  die  Beckenhochlag(^nmg,  die  man 
ja  bei  Operationen  im  Abdomen  fast  stets  verwendet.  Dieselbe  hat  allerdings 
besondere  Beziehiingeu,  sowohl  zur  Xarkose  wie  zu  manchen  Krankheiten,  wde 
der  hochgradigen  Arteriosklerose  etc.,  doch  ist  das  letztere  hier  nicht  zu  erörtern. 
Au  sich  hat  die  Beekenhochlagerung  keinen  ungünstigen  Einfluß  auf  die  Ather- 
narkose  (Pfanne nstiel).  Knoblanck  will  allerdings  eine  Beeinträchtigung 
der  Narkose  durch  die  Beekenhochlagerung  beobachtet  haben.  Es  hat  sich 
herausgestellt,  daß  nach  Äthernarkoseu  bei  Beekenhochlagerung  besonders  häufig 
Bronchitiden  einstellten.  Das  widerspricht  unseren  obigen  Angaben  scheinbar.^ 
Allerdings  kann  man  die  von  Witzel  etc.  angegebene  Lagerung  des  Kranken 
mit  tiefliegendem  Kopf  nicht  ohne  w^eiteres  mit  der  Beckenhochlagerimg  identi- 
fizieren, denn  die  letztere  stidlt  eine  bei  weitem  hochgradigere  Lagerung  nach 
obigen  Angaben  dar.  Franz  fand  nun,  daß  bei  825  Äthernarkosen  in  Rücken- 
lage 19  Bronchitiden,  bei  49o  Äthernarkoseu  in  Beekenhochlagerung  44  ein- 
traten, also  bei  der  Rückenlage  2,8 "/o  i^iufl  lj<'i  d^'i"  Beekenhochlagerung  B,0*>/g 
Bronchitiden.  Zweifellos  wird  durch  die  Beckeuhochlagiuuug  die  Ventilation 
der  Lunge  herabgesetzt,  doch  ist  dieselbe  nicht  allein  flu'  die  Bronchitiden  ver- 
antwortlich zu  machen.  Franz  erklärt  die  Bronchitis  folgendermaßen:  Bei 
Beckenliochlageruug  sammelt  sich  der  Schleim ,  der  bei  der  Rückenlage  in  der 
Mundhöhle  sich  sammelt  und  von  da  leicht  aus  dem  Hund  ausfiießen  kann,  im 
Nasenrachenraum.  Wird  nun  die  narkotisierte  Person  aus  der  Beekenhoch- 
lagerung in  die  liückeulage  gebracht,  so  kann  sehr  leicht  der  mit  Bakterien 
durchsetzte  Schleim  aus  der  Nase  in  die  Trachea  und  Bronchien  gelangen  und 
Bronchitis  hervorrufen.  Man  wird  also  gut  tun,  bei  allen  in  Beekenhochlagerung 
ätherisierten  und  operierten  Patienten  den  Mund  gründlich  auszuwischen,  bevor 
die  Beekenhochlagerung  aufgegeben  wird.  Dies  ist  die  Erklärung  von  Franz. 
Allerdings  kann  man  dieselbe  nicht  vollkommen  von  der  Hand  weisen  und  es 
ist  der  Rat,  den  Schleim  axis  dem  jMunde  vor  dem  Wechsel  der  Lagerung  zu 
entfernen,  ein  sehr  guter,  und  diese  Entfernung  des  Schelmes  wird  jeder  ge- 
wissenhafte Narkotiseur  vornehmen.  Aber  ich  kann  nicht  darin  die  einzige 
Ursache  für  die  Bronchitiden  finden,  denn  ich  meine  nach  allem,  was  ich  über 
die  Schleimverhältnisse  gesagt  habe,  ist  zu  ersehen,  daß  einerseits  der  Schleim 
durch  die  Nase  und  den  Mund  auch  bei  der  Beekenhochlagerung  abfließen  wird 
und  daß  der  Narkotiseur  ein  Abfließen  veranlassen  muß,  kurz,  daß  er  bemüht 
ist,  den  Speichel  nicht  in  die  Lunge  resp.  den  Kehlkopf  zurückfließen  zu  lassen, 
andererseits  der  Mund  und  die  Nase  vor  der  Operation  und  Narkose  desinfiziert 
werden,  und  gerade  durch  die  tiefere  Lage  des  Kopfes  Bedingungen  geschaffen 
werden,  vermöge  deren  die  Lungenleiden  verhütet  werden.  Es  kommen  nach 
meiner  Ansicht  vielmehr  hier  vor  allem  als  prädisponierende  Umstände  bei  der 
Beekenhochlagerung  diejenigen  in  Betracht,  welche  einerseits  Folgen  der  Äther- 


w  ifkuiii;'  (Inrsrt'llcu,  iiiüulicli  die  vcniirlirtc  So'ki'otiou  iu  dci-  Liiuge  selbst  und 
die  ÖcliädiiiTini>-  der  Epithelzidlcn  des  respiratorischeu  Epithels,  uiidererseits  in  der 
durch  die  Becken liochlaiici'un«»'  veriuinderten  tiefen  Atmuny  und  in  den  Foloeu  der 
Laparatomiewuude  g-eg'eben  sind.  Infolge  der  oberflächlichen  Respiration  weg-en 
der  Schmerzen  im  Abdomen  werden  die  Lungen  nicht  so  ausgedehnt  und  es  ent- 
stehen Hypostasen  und  die  Schleimmassen  in  den  Alveolen  werden  nicht  entfernt. 
Es  geht  also  aus  all  diesen  Verhältnissen  und  Erörterungen  hervor,  daß  man 
bei  der  Athernarkose  die  Beckenhochlagerung  ohne  Sorge  ausführen  kann,  wenn 
mau  vor  allem  bearht(^t,  den  Wechsel  aus  Hochlagerung  in  normale  Lage  recht 
langsam  vorzunehmen  und  zwar  erst  dann,  Avenn  die  Reflexe  wieder  erwacht 
sind,  damit  der  Patient  den  ev.  zurückfließenden  Schleim  aushustet.  Natürlich 
wird  mau  nur,  wenn  möglich,  so  lange  mit  dem  Lagewechsel  warten,  erfordert 
die  Operation  eine  andere  Lage,  so  muß  sie  natürlich  sofort  aber  langsam  vor 
sich  gehen  und  geschaffen  werden.  Weiter  muß  man  stets,  ehe  man  aus  der 
Beckeuhochlagerung  die  normale  Rückenlage  herstellt,  allen  Schleim  aus  der 
Nase  uud  dem  Rachen  entfernen,  ferner  soll  man  den  Kranken  nach  der  Nar- 
kose die  angegebene  Respirationstätigkeit  vornehmen  lassen,  damit  die  Lungen 
ordentlich  gelüftet  werden. 

Bei  der  Beckeuhochlagerung  macht  es  sich  sehr  oft^  unangenehm  bemerk- 
bar, daß  der  Ivi-anke  leicht  nach  dem  Kopfende  des  Tisches  zu  gleitet,  was 
bisweilen  iTuangenehm  werden  kann.  Um  dies  zu  verhindern,  hat  Hartog  eine 
Vorrichtung  in  Form  von  Schiilterstützen  konstruiert,  welche  auf  dem  Operations- 
tisch beweglich  und  au  jeder  beliebigen  Stelle  fixierbar  angebracht  sind,  und 
welche  die  Schultern  am  Herabgleiten  verhindern  Ähnliche  Schuiterstützen 
sind  auch  an  anderen  Operationstischen  angebracht  worden  und  stellen  ein  sehr 
praktisches  Mittel  zur  besseren  Lagerung  des  Kranken  dar. 

Wenn  man  nun  gelegentlich  dieser  Erörterungen  noch  die  Lagerung  der 
Arme  kurz  behandelt,  so  ist  hier  dem  schon  in  der  Abhandlung  über  Chloroform 
Gesagten  weiter  nichts  von  wesentlicher  Bedeutung  hinzuzufügen.  Die  Arme  werden 
am  besten  gekreuzt  auf  der  Brust  gelagert,  und,  wenn  dies  durch  die  Operation  un- 
möglich gemacht  ist,  von  einem  Gehilfen  jeder  Arm  mäßig  abduziert  vom 
Körper  gehalten.  Puschnig  gibt  den  Rat,  die  Arme  bei  Laparatomien  und 
solchen  Operationen,  die  ein  über  der  Brust  gekreuztes  Lagern  verhindern, 
unter  den  Rücken  geki-euzt  zu  legen,  so  daß  sie  von  der  Belastung  durch  den 
Körper  fixiert  werden.  Andere  geben  den  Rat,  die  Hände  und  Unterarme  über 
den  Kopf  gekreuzt  zu  fixieren,  ev.  durch  Handfesseln.  Diese  letztere  Lagerung 
ist  entschieden  zu  widerraten,  denn  es  können  diu'ch  die  Hyperextension  im 
Schultergelenk  leicht  Lähmungen  des  Plexus  brachialis  verursacht  werden,  die 
recht  unangenehme  Folgen  der  Narkose  darstellen.  Auch  ist  es  viel  Brauch, 
den  einen  Ai'm  zur  Seite  des  Patienten  auf  den  Tisch  zu  legen,  während  der 
andere  Ann  von  einem  Pfleger  leicht  vom  Körper  abduziert  gehalten  und  dem 
Narkotiseur  gereicht  wird,  wenn  derselbe  den  Puls  kontrollieren  will. 

Die  Lagerung  der  Arme  bildet  während  der  Äthernarkose,  genau  wie  bei 
der  Chloroformbetäubung,  einen  Gegenstand  höchster  Bedeutung,  denn  durch 
Druck,  Hyperextension  etc.  können  ebensogut  wie  beim  Chloroform  Lähmungen 
entstehen,  die  entschieden  verhindert  werden  müssen.  Es  ist  im  Allgemeinen 
Teil  das  Wichtigste  über  die  Narkosenlähmungen  geschrieben  und  dort  nachzu- 
sehen. Es  kann  hier  nur  das  wiederholt  werden,  daß  der  Narkotiseur  besondere 
Obacht  auf  die  Lage  der  Extremitäten  haben  muß,  es  kommen  die  Arme  wie 
die  Beine  in  Betracht,  und  daß  die  meisten  Fälle  von  Lähmungen  nach  Narkosen 
auf  eine  falsche,  ungeeignete  Lage  der  Extremitäten  zui'ückzuführen  sind.  Ist 
eine  dahingehende  Unterlassung  der  Vorsichtsmaßregeln  des  Narkotiseurs  nach- 
zuweisen,   so  kann   der  Arzt  für  die  Folgen  haftbar  gemacht  werden.     Wenn 

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auch  eine  Entstelinug  dureli  zentrale  Veränderungen  uiögiich  ist,  so  ist  doch  in 
den  meisten  Fällen  eine  i^eriphere  von  einer  zentralen  Lähmixng  genau  zu 
unterscheiden.  Es  ist  nun  auch  heim  Äther  möglich,  daß  bei  bestehender  Dis- 
position oder  Erkrankung  des  G-efäßsystems  eine  zentrale  Hämorrhagie  eintreten 
xind  eine  Lähmung  hervorrufen  kann.  Doch  es  sind  diese  Fälle  sehr  selten 
und  es  werden  Fälle,  die  wahrscheinlich  zentrale  Lähmungen  darstellen,  von 
Schwarfcz  und  anderen  beschrieben,  doch  sind  es  immerhin  nur  sehr  wenige 
und  auch  ätiologisch  umstrittene  Fälle.  Jedenfalls  ist  eine  zentrale  Entstehung 
der  Lähmung  möglich,  aber  doch  recht  selten.  Es  sind  in  der  Literatur  vor 
allem  Hemiplegien  und  Lähmungen  einzelner  Muskeln  nach  Chloroform  be- 
schrieben worden,  die  als  zentral  sicher  anzunehmen  waren  (Sehwartz,  Chipault, 
Reboul  etc.),  doch  sind  solche  Beobachtungen  nach  Äthernarkosen  imgleich 
seltener,  was  wohl  mit  der  häufigeren  Verwendung  des  Chloroforms  zu  langen 
Operationen  und  der  größeren  Neigung  desselben  zu  Veränderungen  im  Gehirn 
zu  erklären  ist.  Der  Äther  wird  meist  für  kürzere  Narkosen  verwendet,  weil 
bei  langen  Narkosen  mit  schweren  Operationen  stets  sehr  tiefe  Narkose  und 
völlige  Erschlaffung  der  Muskeln  gefordert  Avird,  die  man  oft  mit  Äther  schwer 
erreicht,  oder  auch  gar  nicht  genügend,  was  früher  die  Operateure  vielfach  be- 
weg, das  Chloroform  vorzviziehen.  ■  Es  ist  oben  erklärt  worden,  daß  Äther  eben- 
falls imstande  ist,  die  Hirngefäße  zu  alterieren,  wodurch  Buptm-en  der  Gefäß- 
wand und  Blutungen  in  das  Cerebrum  entstehen  können.  Wenn  man  einen 
Operationstisch  auswählt,  muß  man  jedenfalls  berücksichtigen,  daß  derselbe  gut 
gepolsterte  Beinstützen  hat,  und  möglichst  alle  Kanten  etc.,  auf  welche  die 
Annen  und  Beine  drücken  könnten,  vermieden  sind. 

Bei  der  Wahl  des  Operationstisches  sei  noch  erwähnt,  daß  mau  bei  der 
Äthernarkose  besonders  darauf  achten  soll,  wenn  möglich  einen  heizbaren  Ope- 
rationstisch zu  wählen.  Solche  Operationstische  können  durch  Zuführen  von 
heißem  Wasser  unter  die  Tischplatte  erwärmt  werden  (Whiteford),  auch  hat 
man,  wie  beim  Chloroform  erwähnt  wurde,  die  Tische  durch  elektrische  Glüh- 
birnen erwärmt.  Weiter  wird  man  den  Kranken  nach  Möglichkeit  in  warme 
Decken  hüllen  (Allen),  damit  er  möglichst  vor  zu  großer  Abkühlung  bewahrt  bleibe. 

Im  Operationssaal  muß  man  dafür  sorgen,  daß  die  Temperatur  eine  an- 
gemessene ist.  Über  die  Höhe  der  Lufttemperatur  hat  Allen  Versuche  be- 
treffs der  Wirkung  der  verschiedenen  Wärmegrade  angestellt,  und  er  fand, 
daß  ein  Hund,  welcher  in  einem  überhitzten  Zimmer  narkotisiert  wurde,  eine 
Temperatursteigerung  von  4,6  ^  C  während  der  Narkose  aufwies,  während  der 
Blutdruck  auf  32  mm  Hg  sank.  Nach  der  Narkose  war  das  Tier  auffallend 
erschöpft.  Daraus  schließt  Allen,  daß  das  Operieren  in  überhitzten  Räumen 
die  Kranken  ebenso  erschöpfe  wie  den  Operateur,  und  es  deshalb  besser  ist,  in 
kühlen  Räumen  zu  operieren,  und  den  Kranken  durch  Einhüllen  in  Decken  vor 
Abkühlung  von  aixßen  zu  schützen.  Es  ist  zweifellos  hierin  ein  Teil  Wahrheit 
zu  finden,  doch  darf  immerhin  die  Temperatur  nicht  gerade  kühl  sein,  sondern 
sie  muß  wenigstens  20°  C  aufweisen.  Zu  hohe  Temperatur  soll  man  vermeiden, 
doch  darf  dieselbe  auch  nicht  zu  niedrig  sein,  da  der  Kranke  bei  den  meisten 
Operationen  eben  nackend  oder  nur  von  einem  dünnen  Tuch  bedeckt  auf  dem 
Tische  liegen  muß,  und  ein  Einhüllen  in  Decken  nicht  angängig  ist. 

Die  Luft  muß  sauerstoffreich  sein,  muß  durch  Ventilation  immer  erneut 
werden  können.   Ferner  soll  natürlich  für  genügende  Beleuchtung  gesorgt  sein. 


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l>er  Kranke  wird  (;v.  voi'  der  Narkose  eine  Inj(3ktiou  von  Ergotin  oder 
Atropiu  ci-haltcu,  da  durch  diese  ]uj(>ktiouen  der  Wärmeverlust  durch  die  Narkose 
venuindert  werdeu  soll  (Allen).  Mau  kann  ja  diese  Medikation  versuchen, 
di»cli  bezweifle  ich  eine  besondere  Wirkung,  die  Umgehung-  muß  ruhig  sein, 
während  die  Nai'kose  eingeleitet  wird.  Am  besten  narkotisiert  man  den  Kranken 
in  einem  besonderen  Zimmer  und  transportiert  ihn  erst  nach  Eintritt  der  Toleranz 
in  den  Ojjerationssaal  und  auf  den  Operationstisch.  Durch  diese  Maßnahme 
wird  verhindert,  daß  der  Kranke  all  die  Vorbereitungen.  Instrumente  etc.,  die 
für  die  Operation  nötig  sind,  sieht  und  sich  aufregt.  Je  ruhiger  der  Kranke 
ist,  um  so  besser  verläuft  die  Narkose,  um  so  schneller  verfallt  er  in  die 
Toleranz  und  um  so  geringer  ist  die  Exzitation.  Vieles  Sprechen,  Umherlaufen  etc. 
soll  ebenfalls  vermieden  werden,  bis  der  Kranke  in  tiefe  Narkose  verfallen  ist. 

Es  ist  von  E.  v.  Rodt  auf  einen  originellen  Einfluß  der  Musik  auf  die 
Narkose  aufmerksam  gemacht  worden.  Auf  Veranlassung  von  Girard  wurden 
von  Rodt  eine  große  Anzahl  von  Narkosen  während  einer  musikalischen  Pro- 
duktion durch  einen  Phonographen,  dessen  Hörschläuche  mit  den  Ohren  des 
Kranken  verbunden  wurden,  ausgeführt,  und  es  soll  sich  ergeben  haben,  daß  die 
Narkosen  günstig  von  der  Musik  beeinflußt  w^urdeu.  Neben  den  P>eobachtungen 
des  Verlaufes  der  Narkose  wurden  auch  Blutdruckuntersuchungeu  mit  dem 
Gärtnerschen  Tonometer  ausgeführt.  Das  Resultat  war  folgendes:  Erstens 
wird  die  Narkose  durch  Kombination  mit  Musik  günstig  beeinflußt,  was  da- 
diu'ch  erwiesen  wird,  daß  mit  dem  Einsetzen  der  Musik  der  Blutdruck  steigt. 
Zweitens  war  der  Verlauf  ein  viel  ruhigerer  und  gleichmäßigerer  als  ohne  Musik. 
Weiter  war  das  Exzitationsstadium  bedeutend  reduziert,  das  Erbrechen  war 
meist  vollkommen  fortgeblieben,  die  Nausea  nach  dem  Erwachen  war  geringer  und 
seltener  vorhanden.  Alle  Patienten,  die  früher  schon  einmal  narkotisiert 
worden  waren,  gaben  an,  daß  die  Narkose  mit  Musik  viel  angenehmer  gewesen 
sei  als  die  früheren  Narkosen. 

Gewiß  ist  es  ein  origineller  Gedanke,  die  Kombination  der  Narkose  mit 
Musik  zu  leiten,  es  wird  die  Wirkung  nur  darauf  beruhen,  daß  der  Kranke 
von  seinen  ängstlichen  Gedanken  an  die  Narkose  und  Operation  abgelenkt  und 
somit  beruhigt  wird,  allein  man  kann  unmöglich  im  allgemeinen  diesen  Ein- 
fluß der  Musik  ausnützen. 

Alle  die  weiteren  Vorbereitungen,  welche  noch  von  einer  Narkose  gefordert 
werden,  müssen  auch  bei  der  Äthernarkose  getroffen  werden  und  es  sind  die- 
selben im  Allgemeinen  Teil  erörtert  worden,  weshalb  ich  hier  nur  darauf  zu 
verweisen  brauche. 

Die  Beleuchtung  in  dem  Operationssaale  und  vor  allem  in  dem  Zimmer, 
in  welchem  man  in  der  allgemeinen  Praxis  operiert,  hat  bei  der  Ather- 
narkose  in  einer  geschlossenen  Lampe  zu  bestehen.  Eine  oiiiene  Flamme 
muß  ganz  entschieden  verboten  werden.  Der  Äther  bildet  mit  der  atmo- 
sphärischen Luft  ein  Gasgemisch,  das  eine  große  Explosionskraft  besitzt.  Da 
aber  der  Ätherdampf  schwerer  als  die  Luft  ist,  so  sinkt  derselbe  auf  den 
Boden  des  Zimmers  und  es  befinden  sich  denn  auch  tatsächlich  daselbst  die 
explosiven  Gase.  Man  kann  sich  ev.  in  einen  Raum,  in  welchem  eine  bestimmte 
Menge  Äther  verdunstet  worden  ist,  mit  einem  offenen  brennenden  Lichte 
begeben,  wenn  man  das  Licht  in  solcher  Höhe  hält,  daß  es  über  den  Explosions- 
gasen brennt,  bringt  man  es  aber  auf  den  Boden  des  Zimmers,  oder  wirft  man 
ein  brennendes  Streichholz  weg,  so  entsteht  sofort  eine  heftige  Explosion.  Es 
ist  auch  meist  bei  Äthernarkosen  keine  Gefahr,  wenn  das  Licht  über  dem 
Kranken  brennt,  da  die  Ätherdampfluftgemische  unterhalb  der  Ebene,  in  welcher 
sich  das  Gesicht  des  Kranken  befindet,  am  Boden  lagern.  So  kann  man,  wenn 
das  Zimmer  groß  genug  ist,  bei  offenen  Lampen  mit  Äther  narkotisieren.  Ist 
aber  das  Zimmer  sehr  klein,  niedrig,  oder  hängen  die  Lampen  sehr  niedrig  und 

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dauert  die  Narkose  sehr  lauge  Zeit,  so  daß  große  Mengen  Äther  in  die  Luft 
verdampfen,  so  kann  eine  große  Gefahr  entstehen  und  eine  Explosion  eintreten. 
Man  hat  schon  öfters  solche  Explosionen  mit  schweren  Verbrennungen  des 
Kranken  und  der  anderen  Personen  erlebt,  und  es  ist  deshalb  allgemein  Regel, 
abends  und  bei  offenen  Flammen  nicht  zu  ätherisieren.  Vor  allem  gilt  diese 
Regel  für  die  allgemeine  Praxis,  wo  der  Arzt  oft  in  sehr  kleinem  Raum 
lange  Zeit  ätherisieren  muß.  Weiter  muß  man  beachten,  nie  bei  einer 
Äthernarkose  den  Pacquelin  zu  brauchen ,  da  derselbe  die  um  den  Kopf  des 
Kranken  stets  sich  bildenden  explosiblen  Ätherdämpfe  entzünden  kann.  Wenn 
man  elektrisches  Licht  zur  Verfügung  hat  und  einen  großen,  gut  ventilierten 
Operationssaal,  braucht  man  die  Explosionsfähigkeit  der  Ätherluftgemische 
nicht  zu  fürchten.  Da  man  aber,  wenn  man  sich  gewöhnt,  auch  abends  bei 
Licht  zu  ätherisieren,  dann  in  der  Praxis  gelegentlich  vergessen  kann, 
daß  man  nicht  im  Operationssaal  operiert,  so  wird  man  Gefahr  laufen,  durch 
Explosionen  überrascht  zu  werden.  Es  ist  deshalb  besser,  man  macht  sich 
zur  Gewohnheit,  stets  bei  Nachtoperationen  den  Äther  nach  Möglichkeit  zu 
vermeiden.  Habe  ich  doch  in  einer  großen  Klinik  in  großem  Operationssaal 
eine  Explosion  der  Ätherdämpfe  beobachtet,  die  zum  Glück  gut  ablief,  da  nur 
wenig  Äther  verdunstet  war.  Es  war  dabei  eben  das  Abdomen  intensiv  ab- 
geäthert  worden,  als  auch  schon  die  Kranke  und  der  Assistent  in  Flammen 
standen,  die  aber  leicht  und  schnell  gelöscht  wurden.  Die  Menge  des  Äthers, 
welche  bei  dem  Waschen  mit  Äther  schnell  verdunstet  war,  hatte  sich  an  den 
über  dem  Operationstische  brennenden  Gaslampen,  die  ca.  50  cm  vom  Abdomen 
entfernt  waren,  entzündet.  Wenn  man  aber  bedenkt,  wie  unangenehm  und 
gefährlich  solche  Explosionen  im  Privathaus ,  wo  man  nicht  soviel  Personal 
um  sich  versammelt  hat,  das  gleich  rettend  und  helfend  eingreifen  kann,  sein 
können,  wird  man  den  Entschluß,  nie  abends  bei  offenen  Flammen  Äther  zu 
verwenden,  wohl  für  berechtigt  halten. 

Nach  diesen  Vorbemerkimgen  gehen  wir  nun  zu  der  Äthernarkose  und 
deren  Technik  selbst  über.  So,  wie  man  in  den  letzten  Jahrzehnten  in  der 
ganzen  medizinischen  Wissenschaft  eine  Unmenge  Neuerungen  und  Erfindungen 
zu  verzeichnen  hat,  so  hat  man  auch  eine  große  Anzahl  von  verschiedenen 
Methoden  und  Arten  der  Ätheruarkose  geschaffen,  immer  bestrebt,  Besseres  und 
für  den  Ki'anken  Günstigeres  damit  zu  erzielen. 

So  sind  eine  große  Zahl  von  Methoden  und  Apparaten  zu  nennen  und 
wenn  man  dieselben  numerisch  überschlägt,  muß  man  gesteheu,  daß  deren 
Zahl  die  der  Methoden  und  Apparate  der  Chloroformuarkose  bei  weitem  über- 
trifft. Viele  sind  geschaffen  worden,  die  nicht  verschieden  voneinander  iu 
wesentlichen  Punkten  sind  und  wenn  ich  hier  alle  anführen  wollte,  so  würden 
nur  unnötig  Raum  und  Zeit  vergeudet,  ich  werde  deshalb  nur  die  wichtigen 
und  besten  Methoden  und  Apparate  der  Äthernarkose  beschreiben  und  erörtern. 

Die  erste  Art  der  Verabreichung  des  Äthers  bestand  darin,  daß  man 
denselben  auf  einen  Schwamm,  ein  Tuch  od.  dgi.  goß  und  dem  Kranken 
unter  die  Nase  hielt.  Man  merkte  aber  sehr  bald,  daß  diese  Methode  recht 
schwer  eine  tiefe  Narkose  erzeugte,  so  daß  man  zur  Konstruktion  einer  Maske 
schritt,  welche  eine  Beschränkung  des  Luftzutrittes  bewirken  sollte,  denn  man 
hatte  gefunden,  daß  die  Narkose  schneller  eintrat  und  tiefer  sich  gestaltete, 
wenn  man  die  Ätherdämpfe  mit  möglichster  Beschränkung  der  atmosphärischen 


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Luft  verabreichte.  S«  eutstaiKT  die  Julliardsche  Maske,  uud  die  Methode 
der  Verabreichung'  mit  dersellieu  gestaltete  sich  so,  daß  man  die  Maske,  wodche 
von  impermeablen  Stoif  (Gummi  oder  Bill  roth-Batistj  überzogen  war,  dicht  auf 
das  Gesicht  des  Kranken  legte,  so  daß  zwischen  Maskenwaud  und  Haut  des 
Gesichtes  kein  Zwischenraum  und  die  Luft  völlig  abgeschlossen  war.  Zur 
Erreichung  des  völligen  Luftabschlusses  schlang  man  noch  ein  in  einen  Streifen 
zusammengelegtes  Handtuch  um  den  Rand  der  Maske,  da  wo  letztere  auf  dem 
Gesicht  auflag.  In  den  inneren  Teil  der  Maske  wurde  von  Zeit  zu  Zeit  15  bis 
20  ccm  Äther  gegossen,  nachdem  man  die  Maske  aufgehoben  hatte.  Diese 
Methode  ist  die  sogenannte  Genfer  Methode,  oder  die  Ätherisation  in  Güssen, 
oder  die  sogenannte  Erstickungsmethode.  Den  ersteren  Namen  erlangte  sie, 
weil  der  Hauptverteidiger  der  Athernarkose  zu  damaliger  Zeit,  als  der  Äther 
erst  anüng,  dem  Chloroform  den  Rang  ablaufen  zu  wollen,  der  Genfer  Chirurg 
Julliard  und  dessen  Schule  diese  Methode  vor  allem  anwendeten  und  ver- 
teidigten gegenüber  den  Anhängern  der  Chloroformnarkose.  Es  war  ja  zweifel- 
los diese  Genfer  Methode  nicht  eine  sehr  gute  und  gefahrlose  Art  der  Narkose, 
doch  sie  war  eben  für  die  damalige  Zeit  mit  der  derzeitigen  Kenntnis  der 
Narkosenwissenschaft  das  Beste,  was  man  auf  dem  Gebiet  leisten  konnte.  Der 
itbelstand  lag  in  der  Beschränkung  der  Sauerstofizufuhr.  Da  man  eine  Maske 
mit  undurchdringlichem  Überzug  verwendete  und  dieselbe  fest  auf  dem  Gesicht 
liegen  ließ,  so  bildete  sich  unter  der  Maske  ein  Gasgemenge  aus  Äther- 
dämpfen, Kohlensäure,  Wasserstoff,  Stickstoff  und  wenig  Sauerstoff,  welch 
letzterer,  je  länger  die  Maske  ruhig  liegen  bliel>,  immer  weniger  wurde,  da 
der  Kranke  nur  immer  Kohlensäure  ausatmete,  die  unter  der  Maske  verblieb. 
Die  Folge  der  Inhalation  dieser  kohlensäurereichen  Ätherdämpfe  war  eine 
Kohlensäureintoxikation  des  Organismus  neben  der  Äthernarkose,  und  da  die 
Kohlensäure  auch  narkotisch  wirkt,  so  trat  bald  Toleranz  ein,  jedenfalls 
zeitiger  und  schneller  als  bei  einer  Methode,  wo  man  reichlich  Luft  zutreten 
ließ.  Die  Genfer  Schule  nahm  aber  dessenungeachtet  an,  der  Äther  wirke,  auf 
diese  Art  verabreicht  besser. 

Wenn  man  eine  solche  Äthernarkose  früher  beobachtete,  so  sah  man 
einen  ziemlich  hochgradig  cyanotischen  Kranken,  mau  hörte  fauchendes, 
rasselndes,  schnaufendes  Atemgeräusch,  und  dabei  zeigte  sieh  stets  starke 
Exzitation.  Man  hat  nun  erkannt,  daß  die  Cyanose,  die  rasselnde  Atmung 
und  Exzitation  fast  ausschließlich  durch  die  Kohlensäure  verursacht  werden, 
und  das  Experiment  ist  geglückt,  welches  den  Beweis  erbringen  sollte,  daß 
die  Äthernarkose  bei  reichlichem  Luftzutritt  ohne  Cyanose  und  fauchender 
Atmung  verlaufe  sowie  eine  bedeutend  geringere  Exzitation  zeige.  Ein  weiterer 
wichtiger  Umstand  bei  dieser  Genfer  Methode  ist  der  durch  die  dichtabge- 
schlossene Maske  hervorgerufene  Sauerstoffmangel,  und  dieser  ist  wohl  zur 
Hauptsache  für  die  fauchende  und  rasselnde  Atmung  und  die  Cyanose  in  der 
Äthernarkose  verantwortlich  zu  machen'. 

Es  hat  sich  nämlich  durch  Experimente  erwiesen,  daß  die  Kohlensäure 
einen  nicht  so  schwer  schädigenden  Einfluß  bei  der  Narkose  ausübt,  als  man 
angenommen  hat.  So  hat  Waller  neben  Versuchen  anderer  Narkotika  auch 
die  Kohlensäure  in  ihrer  Wirkung  auf  die  isolierten  Nerven  untersucht,  und  er 
fand,  daß  Kohlensäure  die  elektrische  Erregbarkeit  der  Nerven,  in  geringen 
Mengen  verabreicht,  steigert,  während  sie  in  größeren  Mengen  anfangs  lähmend 
später  erregend  -wärkt.     Ferner  fand  er,    daß  Chlorofonndämpfe    viel  intensiver 


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unter  Beimengung  von  Kohlensäure  wirken,  als  ohne  solche,  jedoch  erholt  sich 
der  Kranke  schneller  wieder,  als  wenn  das  Chloroform  nur  mit  atmosphärischer 
Luft  gemischt  verabreicht  wurde.  Gestützt  anf  diese  Versuche  hat  nun 
Powell  an  einer  großen  Anzahl  von  Krauken  bewiesen,  daß  die  Nervenerreg- 
barkeit schneller  wiederkehrt,  wenn  man  Aether  mit  Kohlensäure  vermischt  ver- 
abreicht. Er  ließ  also  seinen  Kranken  neben  den  Aetherdämpfen  zugleich 
Kohlensäure  einatmen.  Unter  1372  Narkosen  kam  es  nur  in  einem  Falle  zu 
alarmierenden  Erscheinungen,  im  ganzen  aber  verlaufen  die  Narkosen  auf- 
fallend gut. 

Nach  diesen  Versuchen  ließe  sich  eine  günstige  Wirkung  von  der  Kohleu- 
säui'e  erwarten,  allerdings  ist  man  im  ganzen  anderer  Ansicht  und  ist  bestrebt, 
bei  den  Narkosen  stets  die  Überschwemmung  des  Organismus  mit  Kohlensäure 
zu  vermeiden.  Jedenfalls  liegt  aber  der  Hauptnachteil  der  Genfer  Methode  in 
dem  Mangel  an  Sauerstoff,  unter  welchem  der  Kranke  von  Anfang  an  stand 
und  in  den  häufigen  großen  Dosen,  die  dem  Patienten  verabreicht  woirden.  All- 
genieia  bekannt  ist  bei  denen,  die  noch  Narkosen  nach  der  Genfer  Methode 
gesehen  haben,  wie  stark  stets  die  Exzitation  war,  namentlich  bei  Alkoholisten, 
die  oft  mit  Äther  gar  nicht  in  Toleranz  versetzt  werden  konnten,  wie  aber  auch 
bei  Frauen  stets  eine  gewisse  Exzitation  zu  finden  war,  ohne  daß  die  Ki-ankeu 
Alkoholistinnen  waren.  Wenn  man  diese  Erinnerungsbilder  der  Äthei'narkoseu 
mit  der  modernen  Äthernarkose  vergleicht,  glaubt  man  kaum,  daß  diese  beiden 
Methoden  einer  Narkosenart  angehören.  Gerade  die  großen  Dosen  im  Anfang, 
verbunden  mit  dem  Sauerstoffmangel,  bewirken  die  Exzitation.  Nachdem  dann 
der  Kampf  des  Narkotiseurs  und  seiner  Assistenten  mit  dem  Kranken  beendet 
war,  verfiel  letzterer  in  Toleranz.  Es  soll  hier  nur  der  historischen  Bedeutung 
wegen  die  Genfer  Methode  erwähnt  werden,  für  die  Praxis  kommt  sie  heute 
nicht  mehr  in  Betracht  und  sie  gibt  ein  Bild  einer  Narkose,  wie  es  gerade 
nicht  sein  darf,  weshalb  sie  auch  eine  gewisse  Bedeutung  hat. 

Die  Maske,  welche  Julliard  konstruiert  hat,  ist  aber,  wenn  auch  die 
Genfer  Methode  ad  acta  gelegt  werden  muß,  deshalb  doch  noch  nicht  ganz  im- 
brauchbar, denn  es  gibt  auch  eine  Methode,  wo  man  diese  Maske  doch  noch 
verwenden  kann.     Deshalb  soll  die  Maske  hier  kurz  beschrieben  werden. 

Die  Julliardsche  Maske  besteht  aus  einem  Drahtgeflecht,  welches  eine 
Größe  des  Umfanges  eines  Gesichtes  von  mittlerer  Größe  hat,  so  daß  die 
Oeffnung  der  Maske  ein  Oval  darstellt,  das  beim  Gebrauch  das  Gesicht  von 
der  Stü-n  bis  unter  das  Kinn  bedeckt.  Die  Höhe  der  Maske  beträgt  ungefähr 
10  cm.  Diese  Maske  hat  an  dem  einen  Pol  der  Basis  einen  Griff,  über  das 
Drahtgeflecht  ist  ein  impermeabler  Stoff,  meist  Billrothbatist,  gespannt,  an  der 
Innenseite  des  Drahtgestelles  findet  sich  unter  dem  Billroth  eine  Lage  Flanell 
oder  eiaige  Mullagen,  und  im  höchsten  Teile  des  Gestelles  eine  Flanellrosette, 
die  dem  Mund  und  der  Nase  des  Kranken  sich  ungefähr  gegenüber  befindet, 
wenn  die  Maske  auf  dem  Gesicht  aufliegt.  Dies  ist  die  einfachste  Form  der 
Maske.  Damit  man  den  Flanellüberzug  wechseln  und  die  Maske  sterilisieren 
kann,  hat  man  die  .Julliardsche  Maske  so  modifiziert,  daß  man  den  Flaue  1- 
Billi-othüberzug  jederzeit  abnehmen  und  neu  anbringen  kann,  was  durch  einen 
Drahtreifen,  welcher  die  Form  der  Basis  der  Maske  hat,  ermöglicht  wird.  Der 
Beifen  preßt  den  üeberzug  auf  das  Gestell,  ohne  daß  man  den  Billrothbatist 
annähen  etc.  müßte.  So  kann  er  jederzeit  nach  Bedarf  gewechselt  werden. 
Diese  Maske  ist  in  Figui-  117  veranschaulicht.  Dieses  Auswechseln  der  Ueber- 
züge  wu'd  noch  erleichtert  durch  eine  Modifikation  der  Art,  wie  sie  die  Ab- 
bildimg in  Figur  118  darstellt.  Es  besteht  da  die  Maske  aus  zwei  Gestellen, 
die  von  einem  Scharnier  verbunden  und  von  denen  das  eine  ein  verkleinertes 
Abbild  des  anderen  darstellt,  so  daß  beide  übereinander  liegen  und  auseinander- 


—     ^591     — 

geklappt  werden  köniieu.  Man  legt  den  Ueberzug  üljer  di(!  kleinere  Maske  und 
klappt  die  größere  auf  die  kleine.  Dies  ist  eine  sehr  brauchbare  Maske.  Hier- 
mit sind  die  wichtigsten  Arten  der  Julliardschen  Maske  erAvähnt  worden. 

Die  Verwendung  der  Julliardschen  Maske  geschieht  nun  nach  der 
neueren  Methode  auf  folgende  Art.  Während  man  fi'üher  bemüht  war,  die 
Athernarkose  unter  möglichstem  Abschluß  von  Sauerstoff  auszuführen,  hat  mau 
den  Nachteil  des  Sauerstoffmangels  im  Klute  des  Ej-anken  würdigend  die  Ver- 
abreichung des  Äthers  unter  möglichst  reichlichem  Zutritt  von  Luft  vorge- 
nommen. Man  gießt  auf  die  iimere  Mull-  oder  Flanellschicht  zunächst  ca.  15  ccm 
Äther  und  hält  die  Maske  dem  Kranken  im  Anfang  ca.  10  cm  vom  Gesicht  entfernt, 
vor  Mund  vind  Nase,  indem  man  den  Kranken  anhält,  möglichst  tief  und  schnell  zu 
atmen.  Wenn  der  Äther  den  Kranken  nicht  mehr  am  Atmen  verhindert,  also 
der  Kranke  sich  an  die  Dämpfe  gewöhnt  hat,   nähert  man  die  Maske  dem  Ge- 


Figur 117. 
Maske  nach  Julliard  mit  abnehm- 
barem Überzug. 


Figur  118. 

.Julliard' sehe  Maske  mit  Korb= 

einsatz. 


sieht  immer  mehr  und  gießt  von  neuem  10 — 15  ccm  Äther  in  die  Maske.  Jetzt 
bringt  man  die  Maske  ganz  nahe  vor  das  Gesicht,  läßt  aber  doch  noch  zwischen 
Maske  und  Gesicht  reichlich  Luft  zutreten.  Der  Kranke  atmet  natürlich  direkt 
nach  dem  Aufschütten  von  Äther  ein  höher  konzentriertes  Ätherdampflutt- 
gemisch,  das  sich  mit  der  Zeit  immer  mehr  an  Äthergehalt  natürlich  vermindert. 
Daraus  ist  ersichtlich,  daß  eine  besonders  gleichmäßige  Narkose  nicht  erreicht 
werden  wird.  Immerhin  muß  der  Narkotiseur  bei  dieser  Methode  bemüht  sein, 
möglichst  geringe  Mengen  auf  einmal  in  die  Maske  zu  gießen,  denn  je  kleiner 
dieselben  sind  imd  je  öfter  sie  erneuert  werden,  eine  um  so  gleichmäßigere 
Konzentration  von  Ätherdampfluftgemischen  wird  der  Kranke  erhalten.  So  führt 
der  Narkotiseur  die  Narkose,  bis  er  den  Kranken  in  das  Stadium  der  Toleranz 
gebracht  hat.  Vom  Moment  an,  wo  dies  ^erreicht  ist,  genügen  ganz  geringe 
Mengen  von  Äther,  um  die  Narkose  zu  erhalten.  Man  nennt  diese  Methode 
der  Äthernarkose   die   Ätherisierung    in  Güssen.      Die   Nachteile    der  Methode 


—     392     — 

sind  leicht  ersieh tlicli :  Maa  wird  stets  bei  derselben  eiue  mehr  oder  minder 
starke  Exzitation  beobachten,  ebenso  wird  leicht  Erbrechen  auftreten  und  die 
Tiefe  der  Narkose  wird  leicht  wechseln,  weil  die  Dosen  zu  sehr  verschieden 
in  ihrer  Höhe  sind.  Um  noch  mehr  die  Konzentration  im  Beginn  der  Narkose 
zu  erhöhen,  wird  nach  JuUiard  ein  in  einen  Streifen  gelegtes  Handtuch  um 
die  Basis  der  Maske  gelegt,  während  sie  auf  dem  Gesicht  aufliegt.  Dieser 
Handtuchstreifen  verhindert  noch  mehr  den  Luftzutritt  und  somit  wird  die 
Konzentration  erhöht.  Das  Handtuch  kann  bei  Eintritt  der  Toleranz  weg- 
gelassen werden.  Diese  Methode  ist  von  Julliard  selbst  angegeben  und  wird 
von  ihm  und  vor  allem  noch  den  Schweizer  Chirurgen  verwendet  (Dumont  etc.). 
Wenn  man  auch  diese  Methode  nicht  als  die  vielfach  in  Verruf  gekommene 
Erstickungsmethode  (Mikulicz)  bezeichnen  kann,  so  ist  doch  immerhin  nicht 
gerade  die  idealste  Dosierung  durch  dieselbe  erreicht.  Jedenfalls  kann  man, 
natürlich  bei  geeigneter  Beachtung  aller  Umstände  und  Verabreichen  von 
kleinen  Dosen  von  Äther  unter  genügendem  Zutritt  von  Luft  neben  der  Maske 
eine  leidlich  gute  Narkose  auch  auf  diese  Art  erreichen ,  es  hängt  dies  eben 
von  den  Eigenschaften  des  Narkotiseurs  ab.  Daß  aber  sehr  leicht  aus  dieser 
Methode  die  frühere  Erstickuugsmethode  entstehen  kann,  Avenn  die  Narkose 
von  ungeübter  Hand  und  wenig  geschultem  Arzte  geleitet  Avird,  ist  leicht 
ersichtlich.  Wenn  nun  auch  nach  den  Experimenten  von  Dreser  der  Kohleu- 
säuregehalt  der  Gasgemische  unter  der  Julliardschen  Maske  von  1,2 7o — lJ7o 
gefunden  wurde  und  ein  Sauerstoffgehalt  von  16,6 — 18,7%  daselbst  bestand, 
was  also  nicht  gerade  als  schlechtes  Verhältnis  anzusehen  ist,  so  ist  doch 
immerhin  dieses  Gasgemisch  von  dem  genannten  Gasgehalt  und  Prozentsatz 
gefunden,  wenn  die  Maske  des  öfteren  gelüftet  wui'de ,  wie  es  von  Julliard 
ja  auch  für  die  Methode  vorgeschrieben  Avurde.  Wenn  nun  aber  die  Maske, 
wie  man  es  oft  gesehen  hat,  mit  30 — 40  ccm  Äther  beschickt,  lange  Zeit  fest  mit 
einem  Tuche  umschlossen  liegen  gelassen  und  nur  ein  Lüften  derselben  vorgenommen 
wii'd,  wenn  es  nötig  Avird  neue  Ätherzufuhr  vorzunehmen,  so  ist  es  leicht  denkbar, 
daß  die  Gasgemische  in  diesen  Verhältnissen  eiue  bedeutend  andere  Zusammen- 
setzung zeigen,  und  daß  dann  unter  der  Maske  höhere  Prozentzahlen  von  Kohlen- 
säure und  geringere  von  Sauerstoff  sich  finden.  So  ist  es  mir  bei  einigen  Fällen 
gelungen,  die  Gasgemische  zu  analysieren  und  zwar  hatte  ich  ungefähr  nach 
der  alten  Genfer  Methode  die  Dosierung  vorgenommen,  ich  gab  30  ccm  Äther 
auf  die  Maske  und  ließ  den  tief  narkotisierten  Patienten  bei  Umschließen  der 
Maske  mit  einem  Handtuch  während  einiger  Minuten  atmen.  Nach  2  Minuten 
trat  bereits  Cyanose  der  Haut  auf  und  der  Ki'anke  atmete  schnarchend.  Nach- 
dem 3  Minuten  die  Maske  dicht  auf  dem  Gesicht  gelegen,  nahm  ich  eine  Unter- 
suchung der  Luft,  die  ich  unter  der  Maske  entnommen  hatte,  vor. 

Es  sind  diese  Versuche  ja  sehr  schwer  ausführbar.  Immerhin  gelang  es 
mii-  ganz  gut,  den  Gasgehalt  zu  bestimmen  und  es  fand  sich  in  allen  Fällen,  die 
so  untersucht  Avurden,  ein  Gehalt  von  Kohlensäure  von  2,5  7o,  2,75%  und  2,6%  und 
ein  Gehalt  an  Sauerstoff  von  10  %,  9,2  %  und  9,8  ^1^.  Diese  Zahlen  zeigen  einen  be- 
deutenden Unterschied  gegenüber  den  Zahlen,  die  Dreser  gefunden,  und  geben  ein 
Beispiel  davon,  wie  verschieden  eben  die  Verhältnisse  beim  Narkotisieren  liegen. 
Jedenfalls  kann  man  durch  seinen  Willen  die  Gasgemische  wesentlich  beeinflussen, 
denn  die  von  mü-  untersuchten  Luftmengen  sind  jedenfalls  dadurch  zu  solcher 
Zusammensetzxmg    gelangt,    daß  ich   eben   die  Maske  dicht  abschloß  und  lauge 


—    :J93    — 

Zeit  liegen  ließ.  Es  yibt  Ja  doch  ui<!maud  eine  Garantie,  daß  bei  Verwendung- 
der  JuUiardscheu  Methode  ein  Arzt  auch  die  3Iask('  länger  liegenläßt.  T^ud 
gerade  dadurch  kommt  der  Kranke  in  große  Gefahren.  Jedenfalls  kann  man 
nicht  diese  Methode  als  eine  weniger  gefährliche  hinstellen  und  für  die  Praxis 
(empfehlen,  ist  doch  noch  so  mancher  Übelstaud  mit  der  Julliardschen  Maske 
verknüiift,  last  not  least  die  Größe  derselben,  die  das  ganze  Gesicht  vehüllt, 
die  Augen  bedeckt,  welche  vom  Äther  belästigt  und  sogar  beschädigt  werden  können, 
imd  wichtige  Beobachtungsgebiete  ausschaltet  (Knoblanck,  Pf  anuenstiel  etc.). 
Jedenfalls  gibt  es  andere  Methoden  der  Narkose,  welche  bei  weitem  weniger 
Gefahren  mit  sich  bringen. 

Auch  hei  der  Athernarkose  hat  man  vor  allem  zu  beachten,  daß  die 
Menge  des  Äthers,  die  dem  Kranken  zugeführt  wird,  eine  bestimmte  Höhe  hat, 
und  daß  vor  allem  Gleichmaß  im  Dosieren  angewandt  wird.  Die  Dose 
anaesthetique  für  den  Äther  ist  in  einem  Gemisch  von  20  Teilen  Äther  mit  100  1 
Luft  gefunden  worden  (Bert,  Kionka,  0 verton  etc.),  während  die  Dose 
mortelle  50  ccm  Äther  auf  100  1  Luft  bedeutet.  Es  muß  daher  während  der 
Äthernarkose  stets  eine  Konzentration  der  Atherdämpfe  in  der  Luft  von  höchstens 
20 :  100  dem  Kranken  zugeführt  werden.  Wenn  man  einen  Kranken  anfängt 
zu  betäuben,  muß  man  ihm  im  Anfang  ein  niedrig  dosiertes  Gemenge  aus  wenig 
Äther  und  viel  Luft  zuführen,  und  erst  wenn  sich  der  Kranke  au  die  Ätherdämpfe 
gewöhnt  hat,  und  dieselben  ruhig  einatmet,  erhöht  man  langsam  die  Konzentration, 
bis  man  dem  Kranken  ein  Gemisch  von  ca.  20 :  100  zuführt.  Wenn  der  Patient 
an  den  Äthergeruch  gewöhnt  ist,  atmet  er  auch  konzentriertere  Gemische 
ohne  Widerstreben  ein.  Es  wäre  zu  wünschen,  einen  Apparat  oder  eine 
Methode  zu  besitzen,  welche  uns  in  den  Stand  setzen,  die  Konzentration  der 
Ätherluftgemische  nach  Bedürfnis  einzurichten  und  zu  ändern.  Di(^ses  Ziel  kann 
auf  verschiedenen  Wegen  erreicht  werden,  einerseits  durch  ganz  laugsames 
Verabreichen  von  kleinen  Mengen  Äthers  immer  häufiger  und  schneller  hinter- 
einander, bis  der  Kranke  die  Symptome  eines  Narkotisierten  zeigt,  man  beobachtet 
also  den  Kranken  genau  und  schließt  von  dessen  Verhalten  auf  die  Höhe  der 
verabreichten  Konzentration.  Damit  dabei  aber  keine  Gefahren  entstehen,  muß 
man  nur  sehr  kleiue  Dosen  (Tropfen)  verabreichen  und  genau  beobachten.  Man 
wird  dann,  wenn  der  Kranke  im  Anfang  das  Gemisch  ruhig  einatmet,  nur  sehr 
geringen  Prozentgehalt  an  Äther  verabreichen  und  denselben  ganz  laugsam  um 
geringe  Mengen  steigern  bis  der  Kranke  in  Toleranz  verfällt,  dann  hat  man 
die  Konzentration  von  20  :  100  erreicht.  Diese  Methode  ist  nicht  leicht  und  muß 
erlernt  sein,  hängt  ab  von  der  Intelligenz,  Tüchtigkeit  und  Übung  des  Narkotiseurs, 
ist  aber  die  einfachste  und  beste  Methode.  Andererseits  erreicht  mau  das  Ziel 
durch  Apparate  Avelche  die  Gasgemische  jederzeit  geuau  analysiert  nach  Prozent- 
gehalt angeben. 

Diese  hier  eben  geschilderte  Methode  ist  die  Tropf methode,  welche  Witzel 
für  die  Äthernarkose  zuerst  angegeben  hat.  Als  Maske  verwendet  man  die 
kleine  Esmarchsche  Maske,  welche  einen  Trikotüberzug  besitzt.  Man  legt 
bei  Beginn  der  Tropfnarkose  zunächst  die  Maske  dem  Kranken  auf  die  Nasen- 
uud  Mundöffnung  und  veranlaßt  ihn,  ruhig,  tief  iiud  ausgiebig  zu  atmen,  indem 
er  von  200  zurückzählt.  Nachdem  der  Kranke  einige  Atemzüge  unter  der  lose 
auf  dem  Gesicht  liegenden  Maske  getan  hat,  beginnt  man  mit  dem  Auftropfeu 
des  Äthers  und  zwar  läßt  mau  im  Anfang  langsam  einen  Tropfen  in  gleichmäßigem 


—     394     — 

lutervall  nacli  dem  auclern  auf  den  Überzug  der  Maske  falleu.  Der  Kranke 
atmet  dabei  ruhig  weiter,  und  man  beschleunigt  nach  und  nach  den  Tropfen- 
fall, immer  genau  beachtend  daß  der  Patient  noch  gleichmäßig  atmet.  Be- 
kommt er  Husten  oder  sträubt  er  sich,  so  läßt  man  kurze  Zeit  die  Tropfen 
etwas  langsamer  auffallen.  Bei  diesem  regelmäßigen  Tropfenauffall  wird  der 
Kranke  bald  in  einen  berauschten  Zustand  und  nach  einigen  Minuten  in  die 
Toleranz  verfallen,  ohne  daß  ein  Zeichen  der  Erregung  zu  spüren  gewesen  wäre. 
Sobald  der  Kranke  die  Toleranz  erreicht  hat,  was  man  am  Reflexziistand  der 
Augen  erkennt,  die  Pupillen  sind  maximal  verengt  und  reagieren  nicht  mehr 
auf  Lichteinfall,  unterbricht  mau  den  raschen  Tropfenfall  und  läßt  nur  einige 
Tropfen  während  einei'  Minute  auf  die  Maske  fallen,  bis  die  Augen  das 
Straßmannsche  Phänomen  (minimale  Reaktion  der  engen  Pupillen  beim 
Öffnen  beider  Augen  zu  gleicher  Zeit)  zeigen.  Nun  läßt  man  die  Tropfen  wieder 
ein  wenig  schneller  fallen,  denn  der  Patient  steht  jetzt  eben  vor  dem  Erwachen, 
gibt  aber  doch  nicht  soviel  Äther,  daß  das  Straßmannsche  Phänomen  wieder 
verschwindet,  sondern  nur  soviel,  als  nötig  ist,  damit  das  Stadium  der  Narkose 
bestehen  bleibt.  Es  muß  das  Phänomen  immer  positiv  sein.  Um  die  Narkose 
so  in  der  Toleranz  zu  erhalten,  bedarf  es  nur  sehr  geringer  Mengen  von  Äther, 
und  man  verbraucht  jetzt  ni;r  noch  sehr  wenig.  Bei  einiger  Übung  lernt  mau 
sehr  bald,  wieviel  Tropfen  man  auffallen  lassen  muß,  es  richtet  sich  dies  ja 
ganz  nach  den  individuellen  Eigenheiten  des  Kranken,  der  eine  bedarf  größerer 
Mengen  als  der  andere.  Immerhin  aber  weiß  es  jeder  geübte  Narkotiseur  sehr 
bald  nach  Beginn  der  Narkose,  wie  sein  Patient  sich  zum  Äther  verhält.  Danach 
richtet  er  seine  Dosen  ein.  Man  kann  deshalb  auch  nicht  bestimmen,  wieviel 
Tropfen  in  der  Minute  verabreicht  werden  müssen.  Die  meisten  Patienten  sind 
auf  diese  AVeise  sehr  schnell  und  leicht  zu  narkotisieren,  allerdings  erfordert 
die  Tropfmethode  mehr  Zeit,  als  die  Genfer,  denn  bei  letzterer  kann  der  Patient 
innerhalb  tou  2  Minuten  narkotisiert  sein,  während  bei  der  Tropfmathode 
6 — 10  Minuten  vergehen,  bis  der  Patient  in  die  Toleranz  versetzt  ist.  Auch 
ist  ein  störendes  Moment  der  Alkoholismus  der  Kranken,  denn  bei  einem  starken 
Potator  kann  mau  bisweilen  nur  mit  großer  Mühe  ein  starkes  Exzitationsstadium 
umgehen  und  es  gibt  Fälle,  wo  der  Trinker  durch  Äther  überhaupt  nicht  in  die 
Toleranz  gebracht  werden  kann.  Für  diese  Fälle  gibt  nun  die  Äthertropfnarkose 
immer  noch  die  besten  Chancen  von  allen  Äthernarkosen,  denn  gerade  durch 
die  langsame  Betäubung  wird  der  Patient  noch  am  leichtesten  über  die  Exzitatiou 
gebracht.  Ist  es  aber  doch  nicht  möglich,  eine  tiefe  Betäubung  des  Säufers 
zu  erzielen,  so  soll  man  nach  Angabe  Witzeis  einige  Tropfen  Chloroform  zwischen 
den  Äthertropfen  auf  die  Maske  fallen  lassen.  Durch  einige  wenige  Tropfen 
Chloroform  ist  dann  sofort  tiefe  Narkose  zu  erreichen.  Es  gibt  eben  Kranke, 
welche  wegen  der  durch  Alkoholismus  vermehrten  Widerstandsfähigkeit  gegen 
die  Ätherwirkung  nicht  für  die  Äthernarkose  geeignet  sind.  In  jeder  Hinsicht 
repräsentiert  aber  die  Äthertropfmethode  die  Methode,  welche  am  wenigsten  Gefahren 
für  den  Kranken,  am  wenigsten  Unannehmlichkeiten  für  den  Narkotisierten  und 
doch  tiefe  Narkose  neben  dei'  Einfachheit  der  Methode  und  Appai'ate  aufweist.  Sie 
stellt  eine  Narkose  dar,  die  der  Arzt  bei  jeder  Gelegenheit,  im  Krankenhaus  wie  im 
Privathaus,  bei  viel  Personal  und  ohne  solches  ausführen  kann.  Es  ist  sogar 
möglich,  die  Esmarchsche  Maske  zu  entbehren  und  den  Äther  auf  eine  Kompresse 
zu  tropfen,  oder  sich  aus  einem  Handtuch  oder  ähnlichem  Tücherstoff  eine  tüten- 


—     H9Ö     — 

förmige  Maske  herzustellen,  iu  ^^■elche  mau  den  Äther  tropfeuweis  fallen  läßt,  so 
läßt  sich  im  Notfall  die  Tropfnarkose  stets  anwenden.  Dieser  Punkt  ist  sehr  wichtig, 
denn  es  werden  längst  nicht  die  Hälfte  der  Narkosen  in  einem  Krankenhause  vor- 
genommen weixlen  können.  .\uch  der  Umstand,  daß  die  Narkose  mit  den  denkbar 
kleinsten  Instrumentarien  ausgeführt  werden  kann,  ist  ein  überaus  großer  Vorteil, 
denn  dei'  praktische  x^rzt  muß  in  jeder  Weise  mit  dem  Raum  in  seinem  Kofüer 
sparen  und  kann  nicht  noch  große  Narkosenapparate  auf  dem  Zweirad  oder  dem 
Rücken  des  Pferdes  mit  über  Land  nehmen  und  wird  somit  stets  die  Methode  der 
Narkose  wählen,  die  ihm  am  wenigsten  Ballast  für  seinen  Koffer  verursacht.  Wenn 
man  neben  diesen  Vorteilen  noch  genauer  auf  die  Ätherwirkung  bei  der  Tropf- 
methode eingeht,  so  kommt  man  zu  der  überraschenden  Erkenntnis,  daß  der 
Äther,  in  Tropfenform  verabreicht,  stärker  wirkt  als  in  Güssen  (Hofmann). 
Wenn  man  z.  B.  ein  Glas  Wein  rasch  austrinkt,  so  bemerkt  man  davon  so  gut 
wie  keine  Wirkung,  tx'inkt  man  aber  dasselbe  Glas  voll  Wein  langsam  dui"ch 
einen  Strohhalm,  so  wird  man  fast  berauscht,  als  hätte  mau  wenigstens  eine 
Flasche  getrunken.  Jeder,  der  früher  den  Schläger  geschwungen,  wird  dies 
praktisch  schon  erfahren  haben,  als  er,  mit  tiefem  Durchzieher  abgestochen, 
beschaulich  des  Abends  sein  Bier  durch  ein  Glasrohr  trinken  mußte.  Der  Bruder 
Studio  kennt  den  Rausch,  der  einem  so  verbrachten  Kneipabend  folgt:  genau  so 
wirkt  der  Äther.  Hof  manu  hat  z.B.  ein  Meerschweinchen  durch  Auftropfen 
narkotisiert  und  brauchte  dazu  2  Min.  und  5  ccm  Äther  und  das  Tier  erwachte 
nach  1^/.^  Minuten,  ein  gleiches  in  Güssen  narkotisiertes  brauchte  3^/^  Minuten, 
29  ccm  Äther  und  zeigte  starke  Exzitation,  es  erwachte  nach  3^j^  Minuten  das 
erstere  zeigte  keine  Exzitation.  Dieser  Versuch  ist  sehr  typisch  und  zeigt, 
wieviel  intensiver  der  Äther  in  Tropfenform  wirkt.  Hof  mann  gibt  nun  den 
Rat,  bei  starker  Widerstandsfähigkeit  des  betr.  Kranken  vor  der  Narkose  eine 
Morphininjektion  zu  verabreichen.  Die  Kombination  des  Äthers  mit  Morphiu 
wird  später  erörtert  werden.  Es  ist  daher  der  Vorzug  der  Äthertropfmethode 
neben  den  schon  genannten  in  der  geringeren  Exzitation,  dem  schnellei'en  Eintritt 
der  Toleranz  und  schnellerem  Erwachen,  ferner  in  dem  Fehlen  von  Erbrechen 
in  und  nach  der  Narkose,  und  sonstigen  Störungen  gelegen,  wärend  bekanntlich 
der  Methode  in  Güssen  diese  Vorzüge  nicht  zuteil  werden.  Man  kann  daher 
mit  Recht  sagen,  daß  die  Tropfmethode  auch  für  die  Äthernarkose  die  beste 
Art  der  Betäubung  darstellt. 

Das  Bestreben,  eine  genauere  Dosierung  und  leichtere  Verabreichung 
des  Äthers  zu  erzielen,  zeitigte  eine  große  Anzahl  von  komplizierteren  Apparaten. 
Ein  großer  Teil  dieser  Apparate  ist  für  den  Arzt  in  der  Praxis  nicht  verwend- 
bar, ein  anderer  ist  es  wohl,  aber  erfordert  stets  eine  kundige  Hand  und  erfahrene 
Person,  die  dem  Arzte  in  der  allgemeinen  Praxis  nicht  immer  zur  Verfügung 
steht.  Immerhin  sind  einige  doch  auch  für  die  Praxis  brauchbar,  wähi'end  ein 
großer  Teil  nur  für  die  Hospitalpraxis  verwendbar  ist.  Ehe  ich  auf  die  komplizierten 
Apparate  übergehe,  will  ich  noch  einige  Masken  und  einfachere  Apparate  zur 
Äthernarkose  beschreiben. 

Eine  Äthermaske  ist  von  Thöle  1901  konstruiert,  und  besteht  in  folgender 
Konstruktion.  Sie  besteht  aus  einem  einzigen  Drahtkorb,  mit  welchem  durch  ein 
Scharnier  ein  federnder  Reif  verbunden  ist.  Der  Drahtkorb  hat  als  Umrandung 
eine  Metallrinne,  wie  die  Schimmelbusch' sehe  Chloroformmaske.  Diese  ist 
nicht  deshalb  gewählt,  um  den  überflüssigen  Äther  aufzunehmen,  sondern  damit  die 


—     396     — 

ümbieg'uugs-  imd  Lötstelleu  des  Drahtkorbes  au  dem  uutereu  Reif,  wie  sie 
bei  der  Julliard scheu  Maske  vorhaudeu  siud,  wegfallen.  Diese  drückeu  das 
Gesicht  uud  dasselbe  soll  verhindert  werden  durch  die  glatte  luneufläche  dieser 
Rinne.  Der  von  beiden  Seiten  zusammeufedernde,  den  Überzug  des  Korbes 
festklemmende  Reif  drückt  sich  fester  in  die  Rinne  ein.  Er  wird  hinter  einem 
Haken,  welcher  über  der  Stelle  des  Handgriffes  an  der  Rinne  augebracht  ist, 
festgehalten.  Der  Reif  ist  gewissermaßen  zu  schmal  und  zu  laug,  er  muß  beim 
Aufklemmen  in  der  Richtung  der  Längsachse  der  Maske  zusammengedrückt 
werden,  um  hinter  den  Haken  zu  kommen.  Seine  Elastizität  drückt  alsdann 
den  Überzug  fest  an  den  Korb.  Der  Überzug  besteht  aus  einer  sechsfachen 
Gazeschicht,  welche  unter  dem  gleich  zu  beschreibenden  Einguß  durch  eine  etwa 
12  cm  im  Quadrat  messende,  24 fache,  lose  aufgelegte  oder  mit  einigen  Stichen 
befestigte  Gazekompresse  verstärkt  ist.     Darüber    liegt  der  impermeable  Stoff. 

Der  Eingußapparat  besteht  aus  zwei  runden  und  der  Wölbung  des  Korbes 
entsprechend  leicht  gebogenen  Platten,  welche  etwa  •'/4  cm  voneinander  entfernt 
in  ihrer  Mitte  an  einem  senkrecht  zu  ihrer  Fläche  stehenden  fast  2  cm  weiten 
Röhrchen  befestigt  sind.  Letzteres  durchbohrt  die  obere  Platte  und  überragt 
sie  um  1  cm.  Der  Abschnitt  zwischen  beiden  Platten  ist  durchlöchert.  Ebenso 
ist  die  untere  Platte  bis  auf  ihre  Mitte  durchlöchert.  Gießt  man  in  das  Röhrchen 
von  oben  Flüssigkeit,  so  fließt  diese  durch  die  Löcher  des  Verbindungsstückes  der 
beiden  Platten  über  die  untere  Platte  und  durch  die  in  ihr  vorhandenen  Löcher 
sowie  über  ihren  Rand  ab,  auf  die  untergelegte  dicke  Gazekompresse.  Eine 
dritte  kleinere  Platte  hat  den  Zweck,  den  impermeablen  Stoff'  auf  die  obere 
jener  beiden  Platten  festaufgedrückt  zu  halten.  Der  Stoff'  hat  hier  einen  runden 
Ausschnitt,  um  über  das  Eingußrohr  gelegt  werden  zu  können.  Um  die  kleinere 
dritte  Platte  abnehmen  zu  können,  ist  ihr  ein  geriefter  Ring  aufgesetzt,  welcher 
das  Eingußrohr  fest  umfaßt.  Letzteres  wird  mit  einem  Kork  verschlossen.  Die 
Wölbung  der  Platten  gestattet,  daß  der  Eingußapparat  auf  jeder  Seite  des 
Korbes  fest  aufliegt.  Will  man  also  mit  rechter  Seitenlage  des  Kopfes  narkotisiereu, 
so  liegt  der  Einguß  auf  der  liukeu  Seite  des  Korbes,  der  impermeable  Stoff 
hat  sein  Loch  nicht  in  der  Mitte,  sondern  seitlich.  War  eine  andre  Lage  des 
Kopfes  erforderlich,  so  war  der  Einguß  dem  Korbe  an  anderer  Stelle  aufgelegt, 
immer  so,  daß  das  Rohr  etwa  senkrecht  steht,  so  daß  man  bequem  eingießen 
kann.  Der  Überzug  kann  nach  jeder  Narkose,  besonders  wenn  er  von  Schleim 
etc.  beschmutzt  ist,  leicht  und  rasch  gewechselt  werden  etc.  (Thöle). 

Hierdurch  ersieht  man  den  Zweck  der  Maske,  sie  ermöglicht  das  Aufgießen 
von  Äther  ohne  Entfernen  der  Maske.  Nun  muß  ich  aber  gleich  bemerken,  daß 
es  dem  Narkotiseur  völlig  unmöglich  ist,  ohne  Aufnehmen  der  Maske  die  Pupilleu- 
reaktioü  zu  prüfen,  und  es  wird  nun  wohl  gleich  der  Übelstaud  klar,  denn 
wenn  man  die  Maske  entfernen  muß,  um  die  Augen  zu  prüfen,  so  kann  man 
auch  Äther  aufgießen  während  dieser  Zeit  uud  verzichtet  man  auf  das  Prüfen  der 
Pupillenreaktion  zugunsten  des  Aufgießens  durch  die  Öffnung,  so  verlieren 
wir  das  wichtigste  Merkmal,  welches  uns  eine  nahende  Gefahr  in  der  Narkoe 
etwa  andeuten  könnte.  Man  sieht  also,  in  jeder  Beziehung  ist  auch  diese 
Maske  nicht  dem  Ideale  nähergekommen,  im  Gegenteil,  man  muß  diese  Methode 
gegen  die  von  AVitzel  entschieden  für  keine  bessere  Methode  erachten,  denn 
Thöle  sagt  in  der  Beschreibung  der  Methode  seiner  Äthernarkose,  daß  er  die 
Maske  nach  und  nach  mit  je  5 — 8  ccm  Äther  beschickt  und  dieselbe  von  Anfang 
bis  Ende  auf  dem  Gesicht  festliegen  läßt. 


—     397     — 

Es  sind  imu  in  dcv  luniei'eu  Zeit  eine  j^'auze  Reihe  von  modifizierten 
Methoden  und  Maslcen  auch  für  die  Äthevnarkose  aufgetauclit.  ]\[au  hat  in  allen 
den  einzelnen  Arten  hier  und  da  einen  Vorteil  enungen,  um  einen  Nachteil 
mehr  womög-lich  mit  in  den  Kauf  zu  nehmen.  Es  ist  die  Tropfmethode  schon 
von  Riedel  angegeben,  und  zwar  ließ  derselbe  die  Tropfen  durch  eine  Öffnung  in 
der  mit  impermeablen  Stoff  überzogenen  Maske  fallen,  eine  Art  der  Ätherisierung-, 
welche  bei  vorsichtiger  Zufuhr  von  Äther  eine  ganz  brauchbare  Blethode  dar- 
stellt. Mau  kann  dazu  eine  kleine  Maske  (die  Esmarchsche  etc.)  mit  Biil- 
roth-Batist  überzogen  und  im  oberen  Teil  mit  einem  talergroßen  Loch  versehen 
brauchen,  wobei  nnter  dem  Billroth-Batist  einige  Lagen  Mull  sich  befinden. 
Durch  die  kleine  Maske  ermöglicht  mau  das  Beobachten  der  Augenreflexe 
während  die  Maske  fest  auf  dem  Gesicht  lieg-en  bleibt. 


Figur  119.     Narkoseapparat  nach  Ormsby. 


Eine  weitere  Maske,  resp.  ein  Atherisierungsapparat,  der  zugleich  eine 
besondere  Methode  mit  sich  verknüpft,  soll  nunmehr  betrachtet  werden.  Der- 
selbe ist  zuerst  in  England  konstruiert  worden,  und  man  hat  an  ihn  anschließend 
eine  Menge  anderer  Apparate  erfunden,  die  mehr  oder  weniger  Verbesserungen 
zeigen.  [^In  England  war  von  Ormsby  ein  Apparat  für  die  Athernarkose 
konstruiert  worden,  der  in  beistehender  Abbildung  dargestellt  ist,  (Figur  119) 
und  welcher  eine  neue  Methode  darin  anregt,  daß  der  Äther  in  einen  Gummi- 
beutel gegossen  und  daselbst  je  nach  der  ruhigen  Lage  oder  durch  Schütteln 
mehr  oder  weniger  schnell  zur  Verdunstung  gebracht  wird.  Aus  dem  Beutel 
führt  ein  kurzes  Halsstück  in  eine  Maske,  welche  ähnlich  der  beim  Junker- 
scheu  Chloroformapparat  nur  Nase  und  Mund  bedeckt  und  ein  Ventil  für  Luft- 
zutritt besitzt.  Man  gießt  in  den  Beutel  150  ccm  Äther  und  läßt  den  Kranken 
zunächst  nur  die  Luft  durch  die  Maske  atmen,  während  der  Beutel  mit  Äther 


—     398     — 

ruhig  liegt.  Während  dieser  Zeit  bekommt  der  Kranke  hauptsächlich  atmo- 
sphärische Luft  durch  das  Ventil  zu  atmen  mit  nur  wenig  Ätherdämpfen,  die 
aus  dem  Beutel  strömen.  Will  man  nun  dem  Kranken  mehr  Atherdämpfe  zu- 
führen, so  setzt  man  die  Maske  fest  auf  das  Gesicht  auf,  um  Luftzutritt  neben 
dem  Mundstück  zu  verhüten  und  macht  von  Zeit  zu  Zeit  mit  dem  Beutel 
schüttelnde  Bewegungen,  wodurch  schneller  und  mehr  Äther  verdampft.  Auch 
schon  durch  die  Wärme  der  den  Beutel  umfassenden  Hand  wird  eine  erhöhte 
Verdunstung  von  Äther  veranlaßt.  Je  mehr  Äther  dem  Krauken  zuströmen 
soll,  um  so  häufiger  und  intensiver  schüttelt  man  den  Beutel,  bis  die  ganze 
Menge  des  darin  befindlichen  Äthers  schließlich  verdampft  ist.  Es  wird  bei 
dieser  Methode  dem  Kranken  nur  Ätherdampf  mit  Luftgemisch  zugeführt  und 
das  Verdunsten  des  Äthers  dicht  vor  dem  Mund  verhütet,  so  daß  auch  die 
Abkühlung  geringer  ist.     Dieser  Apparat  ist   von  W  an  seh  er    zimächst   ver- 


ilngestell  \ 

iu;nehnibn:'. 


Figur  120. 
Ätherapparat  von  W  an  seh  er. 


Figur  121. 
Äth  erapp  arat  von  W  a  n  s  c  h  e  r  -  G  r  o  ß  m  a  n  u. 


ändert  worden,  und  zwar  insofern,  als  derselbe  den  Hals  des  Beutels  recht- 
winklig abbog,  um  ein  besseres  Zm'ückhalten  des  flüssigen  Äthers  im  Beutel 
hervorzurufen  (Figur  120).  Dann  verbesserte  diesen  Apparat  Großmann  durch 
ein  herausnehmbares  Drahtgestell,  welches  den  Beutel  am  Zusammenfallen 
verhindert  und  somit  einen  größeren  Raum  für  das  Verdunsten  des  Äthers  er- 
zeugt. Man  nennt  diesen  Apparat  den  Wanscher-Großmannschen;  der- 
selbe ist  in  beistehender  Figur  121  abgebildet,  aber  ohne  die  Maske,  welche 
man  sich  noch  an  den  Hals  angefügt  denken  muß. 

Damit  der  Äther  nicht  in  das  Mundstück  fließen  kann,  bringt  Ormsby  in 
den  Hals  des  Beutels  ein  wenig  Gaze,  ebenso  Wan  scher,  während  dies  bei  der 
Wanscher-Großmannschen  Maske  nicht  nötig  ist.  Dieser  Apparat  wird 
von  manchen  Seiten  warm  empfohlen  (Pfannenstiel,  Krömer  etc.). 
Ein  Ubelstand  dieses  Apparates  besteht  vor  allem  darin,  daß  der  Speichel  des 
Kranken  in  das  Mundstück  desselben  fließt.  Um  diesen  Speichel  besser  ent- 
fernen und  die  Maske  leichter  reinigen  zu  können,   hat  Mikulicz  einen  Korb 


—     399 


koustnüert,  doi'  mit  Mull  ülierzo^-en  in  die  31aske  g'est(;llt  wii'd  und  den 
Speichel  iu  dein  3lull  sammelt.  Nach  jeder  Narkose  wird  der  Korb  entfernt 
lind  durch  einen  neuen,  saubereu,  ersetzt.  Ein  Nachteil  der  Wausch  er-Groß- 
nianu  sehen  Maske  ist  ferner  der,  daß  ihr  ein  Ventil  für  die  Inspirationsluft 
fehlt,  wie  es  bei  dem  Apparat  von  Ormsby  vorhanden  ist.  Durch  dieses 
Ventil  erhält  der  Kranke  auch  frische  Luft,  wenn  man  die  Maske  fest  auf  das 
Uesicht  auflegt,  hingegen  wird  bei  dem  Apparat  von  Wauscher-Großmaun 
ein  Mangel  an  Sauerstoff  und  Überfluß  von  Kohlensäure  auftreten  müssen, 
wenn  man  den  Apparat  luftdicht  auf  das  Gesicht  aufdrückt.  Krömer  gibt 
noch  den  Rat,  die  Maske  fest  auf  die  Haut  des  Gesichtes  zu  drücken  und  bei 
undichtem  Rand  die  Offuungeu  zwischen  Haiit  und  Maske,  welche  Luft  ein- 
dringen lassen  durch  Wattebäiische  zu  verschließen.  Ich  kann  mir  nicht 
anderes  denken,  als  daß  hier- 
bei ein  Vorteil  nicht  vorhanden 
ist,  denn  die  Luft  wird  in  dem 
Beutel  immer  reicher  an  Koh- 
lensäui'e  und  immer  ärmer  an 
Sauerstoff  werden,  ein  Um- 
stand, den  man  der  Genfer 
Methode  vorwirft  als  großer 
Übelstand  und  der  hierbei  ent- 
schieden wieder  einen  großen 
Nachteil  bildet.  Jedenfalls  ist 
hier  nur  ein  kleiner  Vorteil, 
daß  in  dem  Apparat  mehr 
Sauerstoff  als  in  dem  der 
Julliardscheu  Maske  vor- 
handen ist,  aber  derselbe  wird 
nicht  sehr  lange  Zeit  vorhalten 
und  es  werden  uugeeignete 
Gasgemische  entstehen,  was 
auch  Dr  e  s  er  gefunden  hat.  Es 
ist  dieser  Apparat  also  nur 
dann  ohne  Nachteile  zu  ver- 
wenden,   wenn    man    das  von 

Ormsb}^  augebrachte  Ventil  im  Mimdstück  anbringt,  oder  den  Apparat  nicht 
luftdicht  aufsetzt.  Immerhin  ist  dieser  vielumstritteue  Apparat  nicht  imstande, 
der  Tropfmethode  ernstlich  Konkurrenz  zu  machen. 

Einen  eigentlich  einer  Maske  sehr  ähnelnden  Apparat  haben  W  agner - 
Longard  angegeben.  Derselbe  besteht,  wie  Figur  122  zeigt,  aus  einem  Zylinder- 
förmigen Rohr,  dessen  Basis,  mit  entsprechenden  Ausschnitten  für  Nase  und 
Kinn  versehen,  dicht  auf  das  Gesicht  paßt  und  Nase  und  Mund  bedeckt.  Der 
Raum  des  Zylinders  ist  durch  2  Böden  iu  3  Etagen  geschieden,  imd  der  dritte 
Raum  ist  nach  oben  durch  eine  trichterförmige  Bedeckung  bis  auf  eine  kleine 
Stelle  geschlossen.  Diese  offene  Stelle  ist  durch  ein  Spiralfederventil  nach  innen 
so  abgeschlossen,  daß  Luft  einströmen,  aber  nicht  entströmen  kann.  Dieses 
Inspirationsveutil  ist  mit  B  bezeichnet.  D  und  G  sind  die  beiden  Böden,  welche 
von  Sieben  oder  Gittern  gebildet  werden.  Der  obere  Boden  D  ist  herausnehm- 
bar und  man  legt  für  den  Gebrauch  zwischen  die  beiden  Böden  etwas  gekrüllte 
Gaze.     Bei  H  ist    ein   Exspirationsventil    angebracht.      Wenn    man    die    Maske 


Figur  122. 
Ätheiapparat   nach  Wagner-Longard. 


—     400     — 

brauchen  will,  wird  dieselbe  zunächst  dicht  auf  das  Gesicht  des  Patienten  auf- 
gelegt, und  ev.  durch  den  mit  Luft  aufzublasenden  Gummischlauch  luftdicht 
adaptiert.  Ein  vollkommen  luftdichter  Abschluß  zwischen  Maskenwand  und 
Gesicht  des  Patienten  ist  zur  richtigen  Funktion  des  ganzen  Apparates  nötig. 
Nachdem  der  Kranke  einige  Züge  durch  die  Maske  geatmet  hat,  läßt  man 
durch  das  Inspiratiousventil  einen  Tropfen  Aether  einfließen.  Allerdings  ist 
die  Maske  nur  gut  brauchbar,  wenn  der  Kopf  in  horizontaler  Lage  sich 
befindet,  ein  Umstand,  der  die  A'erwendung  des  Apparates  für  die  meisten 
Fälle  illusorisch  macht,  oder  doch  die  Anwendung  der  Maske  erschwert, 
wenn  man  auch  bei  seitlicher  Kopflage  dieselbe  verwenden  kann,  so  ist 
es  doch  immer  mit  mehr  Schwierigkeiten  verbunden  als  bei  normaler  Lage. 
Der  Aethertropfen  fällt  durch  das  Ventil  auf  den  Mull  resp.  die  Gaze  und  ver- 
dunstet daselbst.  Der  Kranke  atmet  den  Sauerstoff  in  der  Luft  durch  das  In- 
spirationsventil ebenfalls  und  die  Luft  mischt  sich  mit  Aetherdämpfen  in  einer 
Konzentration,  welche  abhängig  ist  von  der  Menge  des  Aethers,  den  man  in  die 
Oeffnung  gegossen  hat.  I>ie  Exspirationsluft  soll  durch  Exspirationsventil  H 
ausgestoßen  werden.  Danach  müßte  also  immer  gute  Luft  einströmen,  sich  mit 
Aether  mischen,  in  die  Lunge  gelangen,  wieder  exspiriert  werden  und  durch 
Ventil  H  aus  der  Maske  ausströmen.  Daß  das  nicht  der  Fall  ist,  sieht  jeder- 
mann sofort  ein,  denn  die  Kohlensäure  der  Exspirationsluft  des  Kranken  wird 
sich  mit  der  im  Apparat  befindlichen  Luft  mischen  und  es  wird  immer  wieder 
möglich  sein,  daß  mehr  Kohlensäure  sieh  ansammelt,  als  sich  ansammeln  sollte. 
Das  ist  hierbei  eben  nicht  zu  umgehen.  Immerhin  ist  der  Apparat  nicht  ohne 
Nutzen,  denn  er  veranlaßt  einerseits  den  Patienten  zu  starkem  Atmen  und 
er  ermöglicht  eine  annähernd  genaue  Konzentration  je  nach  dem  Wunsche  des 
Narkotiseurs,  da  der  Aether  nur  im  Apparat  verdunsten  und  nicht  nach  außen 
entweichen  kann.  Ein  Vorteil  der  Maske  ist  die  Zufuhr  von  sauerstoffhaltiger 
Luft.  Aber  bei  dem  Gebrauch  namentlich  in  Räumen  mit  sehr  feuchter  Luft, 
was  ja  in  Operationssälen  meist  der  Fall  ist,  wird  bei  längerer  Dauer  der 
Narkose  in  den  Sieben  resp.  den  Böden  1)  und  G  sich  Koudenswasser  ab- 
setzen, das  infolge  der  Aetherkältewirkung  gefriert  und  nach  und  nach  die 
Siebe  völlig  verstopft.  Man  hat  hierbei  noch  den  Nachteil,  daß  man  dem 
Kranken  sehr  kalte  Gasgemische  zuführt,  welche  die  Lunge  erkälten  und 
schädigen  können.  Vor  allem  ist  dies  wichtig,  weil  der  Kranke  gerade  bei 
dieser  Maske  vom  Anfang  an  gewöhnt  durch  die  ganze  Narkose  sehr  tief  und 
ausgiebig  inspiriert,  wobei  die  kalte  Luft  sehr  stark  mit  der  Lunge  in 
Berührung  kommt  und  besonders  stark  abkühlend  wirken  kann.  Longard  hat 
diesem  üebelstand  durch  das  Anbringen  eines  Thermophor  zwischen  Sieb  und 
Deckel  abgeholfen.  Dieser  Thermophor  ist  ringförmig,  läßt  also  in  der  Mitte  Raum 
für  den  durchtropfenden  Aether.  Er  wird  vor  der  Narkose  einige  Minuten  in 
kochendes  Wasser  gelegt  und  dann  in  die  Maske  gebracht.  Dadurch  hat 
Longard  die  Abkühlung  etc.  völlig  verhütet.  Bei  den  Narkosen  mit  dieser 
Maske  fehlen  jede  Cyanose,  Exzitation  bei  Frauen  und  Kindern  vollkommen, 
auch  Potatoren  werden  mit  wenig  Exzitation  betäubt.  Die  Dauer  der  Einleitung 
der  Narkose  ist  bei  Frauen  und  Nichtalkoholisten  3 — 5,  bei  Alkoholisten  5—8 
Minuten.  Jedenfalls  verläuft  die  Narkose  sehr  gut,  leicht  und  ohne  Zwischen- 
fälle, der  Aetherverbrauch  ist  sehr  gering.  Man  kann  stets  Toleranz  mit  nur 
25 — 40  com  Aether  erreichen,  indem  man  denselben  tropfenweise  in  die  Maske 
fließen  läßt. 

Ein  dieser  Maske  sehr  ähnlicher  Apparat  ist  der  Aetherinhaler  von 
Dr.  Jos.  W.  Hearn,  welcher  in  Philadelphia  als  Chirurg  am  Jefferson  Med. 
Hospital  denselben  für  die  Aethernarkosen  verwendete.  Dieser  Inhaler  verdient 
noch  eher  den  Namen  einer  Maske,  weil  er  kleiner  und  weniger  kompliziert  ist. 
Er  besteht  aus  einem  auf  das  Gesicht  genau  passenden  Zylinder,  in  welchem 
auf  einem  Sieb  eine  Muilkompresse  liegt.  Nach  dem  anderen  Ende  ist  der 
Zylinder  durch  einen  Deckel  mit  zentraler  kleiner  Öeff'nung  verschlossen,  durch 
welche  der  Aether  auf  die  unter  der  Oeffnung  liegende  Mullkompresse  getropft 
wird.  Der  Kranke  atmet  durch  die  Oeffnung  die  Luft  ein,  die  durch  die 
Kompresse  streicht  und  den  Aether  mit  sich  in  Dämpfen  mischt.  Der  ganze 
Apparat   ist    viel   primitiver    und   bietet    alle    Nachteile,    die    der    Wagner- 


401 


J.oug-ardsclie     Apparat    olmc    TlicniKiphni-    ebenfalls    besitzt.       Ein    Vorzus' 
dieses  Inlialers  ist  nicbt  vorliaiiden. 

Solch  ähnliclie  Masken  sind  necli  verscliiedentlich  angegeben  nnd  kon- 
struiert worden,  die  alle  hier  zu  nennen  nicht  augängio-  ist.  Ich  werde  nur  die 
bekanntesten  Apparate  beschreiben,  die  am  meisten  Verwendung  finden  und  am 
besten  funktionieren. 

Ein  Apparat,  welcher  besonders  genau  dosierte  Gemische  liefern  und  auch 
dem  Krauk(>n  verabreichen  soll,  ist  von  Clover  konstruiert  worden.  Derselbe 
stellt  allerdings  einen  recht  brauchbaren  Apparat  dar,  der  in  Prinzip  und  Bauart 
mit  dem  Ormsby sehen  Tnhaler  viel  Ähnlichkeit  aufweist,  aber  eben  wegen 
der  genauen  Dosierung  auch  einen  recht  komplizierten  Apparat  darstellt,  der, 
wenn  er  auch  nicht  gerade  voluminös  und  schwer  transportabel  ist,  so  doch 
immerhin  einen  größeren  Bal- 
last als  eine  E  s  m  a  r  c  h  s  c  h  e 
]\[aske  darstellt  und  vor  allem 
in  der  Handhabung  geübte 
Hand  und  erfahrenen  Narkoti- 
seur  verlangt,  der  dem  prak- 
tischen Ai'zte  nicht  immer  zur 
Verfügung  steht.  .Somit  wird 
derselbe  mehr  ein  Apparat 
für  Hospitaltätigkeit  sein. 
Der  C 1  0  V  e r s  c h  e  App ar at 
wird  vor  allen  Dingen  in 
Frankreich  und  England  ver- 
wendet und  hat  sich  dort 
viele  Anhänger  erworben. 


Derselbe  besteht,  wie  aus  Figur  123  ersichtlich, 
aus  einem  Metallkessel  für  die  Aufnahme  des  Aethers, 
in  welchen  man  durch  eine  verschließbare  ( )effnung  den 
Aether  eingießen  kann.  Die  untere  Hälfte  des  Kessels 
ist  von  einer  durch  eine  Schraube  verschließbaren  Wasser- 
kammer umgeben,  in  welche  man  heißes  Wasser  gießen 
kann,  um  die  zu  starke  Abkühlung  der  Aetherdämpfe 
zu  verhüten.  Mit  dem  Kessel  ist  durch  ein  rechtwinklig- 
gebogenes  Rohr  ein  Gummibeutel  verbunden  und  an  der 
entgegengesetzten  Seite  des  Metallkessels  ist  die  für 
das  Gesicht  bestimmte  Maske  angefügt,  welche  ähnlich 

wie  die  Maske  beim  (iroßmannschen  Inhaler  mit  einem  durch  Luft  aufblas- 
baren Gunimirohre  versehen  ist  und  für  Nase  und  Kinn  passsende  Einkerbungen 
aufweist. 

Der  Metallkessel  ist  der  Hauptbestandteil  des  ganzen  Apparates  und  im 
Innern  ziemlich  kompliziert  gebaut.  Der  Aetherraum  ist  in  seiner  ganzen  Höhe 
von  einem  runden  Kanal  durchsetzt,  mit  welchem  der  Innenraum  durch  vier 
Löcher  verbunden  ist.  An  diesen  Kanal  setzt  sich  das  in  den  Gummibeutel 
führende  Eohr  an,  welches  nach  wenig  Zentimeter  Verlauf-  rechtwinklig  ab- 
gebogen ist.  Entgegen  dem  Ansatz  dieses  Rohres  an  den  Kanal  setzt  sich  da, 
wo  der  Kanal  die  Wand  des  Kessels  durchbohrt,  eine  Pfeife  an,  welche  die 
Verbindung  mit  dem  Mundstück,  der  Maske,  herstellt,  und  die  im  Innern  gelegen, 
von  außen  nicht  sichtbar  ist.  Diese  Pfeife  ist  durch  einen  außen  am  Apparat 
sichtbaren  Hebel  zu  drehen  und  zu  verstellen.  Dieselbe  kann  mit  einer 
zweiten  im  Kanal  selbst  angebrachten  Pfeife  in  Verbindung  gebracht  werden 
und  durch  die  verschiedene  Stellung  dieser  Pfeifen  zueinander  wird  der 
Aethergehalt  der  inspirierten  Luft  geregelt,  verändert  und  genau  dosiert.    Wenn 

26 


Figur  123. 

Äth  ern  arko  s  eapp  ar at 

von  C  1  0  V  e  r. 


—     402     — 

nämlich  die  erste  Pfeife  so  steht,  daß  der  mit  ihr  verbundene  Hebel  auf  einem 
am  Apparat  mit  0  markierten  Punkte  steht,  so  ist  durch  die  beiden  Pfeifen  die 
Kommunikation  des  Mundstückes  oder  der  Maske  mit  dem  Gummibeutel  her- 
gestellt, und  die  tou  dem  Kranken  ausgeatmete  Luft  wird  in  dem  Gummibeutel 
geblasen  und  von  da  wieder  inspiriert,  so  daß  also  der  Narkotisierte  immer  seine 
Exspirationsluft  wieder  inspiriert.  Es  sind  nun  an  der  Außenseite  des  Kessels 
die  Ziffern  1,  2,  3,  4  aufgeschrieben,  und  dieselben  markieren  Punkte,  auf  welche 
man  den  Hebel  stellen  muß,  um  bestimmte  Aetherbeimengungen  zu  der  Luft  im 
Apparat  hinzufügen  zu  können.  Wenn  man  den  Hebel  auf  Punkt  4  stellt,  so 
muß  all  die  Luft,  welche  der  Kranke  ein-  und  ausatmet,  durch  den  Aetherkessel 
hindurchströmen,  wobei  sie  natürlich  eiue  greße  Menge  von  Aetherdämpfen 
aufnimmt  und  sich  beimengen  muß,  so  daß  nun  der  Kranke  nicht  mehr  reine 
Luft  atmet,  sondern  die  von  ihm  selbst  expirierte  Luft  mit  viel  Aetherdämpfen 
inspiriert  und  so  fort.  Während  er  nun  so  weiter  atmet  wird  er  immer  mehr 
Aetherdämpfe  erhalten,  das  Gasgemenge  im  Apparat  wird  immer  reicher  an 
Aetherdämpfen,  reicher  an  Kohlensäure  und  ärmer  an  Sauerstoff  werden.  Wenn 
man  daher  den  Hebel  auf  der  4  stehen  läßt,  wird  der  Kranke  sehr  bald  tief 
narkotisiert  werden.  Wenn  man  nun  den  Hebel  auf  Nummer  3  stellt,  so  wird 
nicht  die  ganze  Luft  durch  den  Aetherkessel  getiieben  werden,  sondern  es 
wird  nur  ca.  '•^j^  der  Luft  durch  den  Aether  strömen  und  1/4  wird  an  der  Aether- 
kammer  vorbei  in  den  Beutel  streichen,  stellt  man  den  Hebel  auf  Nummer  2, 
so  wird  nur  die  Hälfte,  stellt  man  ihn  auf  Nummer  1,  so  wird  nur  1/4  der  Luft 
in  die  Aetherkammer  streichen  und  sich  Aether  beimengen,  während  der  Piest, 
jetzt  also  ^li  Teile  der  Luft,  neben  dem  Aetherraum  vorbei  in  den  Gummibeutel 
strömt.  Es  wird  also  je  nach  den  Zahlen  die  Luft  mit  viel  oder  mit  wenig- 
Aetherdämpfen  vermischt  werden  und  somit  erhält  der  Kranke  bei  0  keinen 
Aether,  bei  1  nur  wenig,  bei  2  etwas  mehi',  bei  3  noch  mehr  und  bei  4  sehr 
viel  xietherdämpfe. 

Wenn  man  also  einen  Kranken  mit  dem.  Clover sehen  Apparat,  der  in 
Figiu-  123  abgebildet  ist,  narkotisieren  will,  so  beschickt  man  zunächst  den 
Aetherkessel  mit  75 — 100  ccm  Aether,  dann  stellt  man  den  Hebel  auf  den  Null- 
punkt ein  und  läßt  einige  Atemzüge  von  dem  Kranken  tun.  Dann  stellt  man 
den  Hebel  auf  Nummer  1  und  läßt  den  Kranken  ruhig  weiter  atmen,  indem 
man  beobachtet,  ob  der  Aether  auch  schon  gut  vex'tragen  wird.  Man  kann  ja 
auch  erst  den  Hebel  auf  die  Hälfte  der  Entfernung  von  0 — 1  stellen,  dann 
erhält  der  Kranke  noch  weniger  Aetherdämpfe.  Atmet  der  Patient  ruhig  ohne 
Störung,  so  stellt  man  den  Hebel  nach  und  nach  auf  Marke  2  und  3,  bis  man 
auf  4  angelaugt  ist.  Dabei  wird  der  Kranke  sehr  bald  betäubt  sein.  Clover 
rühmt  neben  der  prompten  ruhigen  Narkose,  die  man  mit  seinem  Apparate 
erzielt,  als  besondere  Vorteile  einen  sehr  geringen  Konsum  an  Aether,  die  Dämpfe 
können  langsam,  stufenweise  höher  konzentriert  werden,  man  brauche  keinen 
Aether  nachzugießen  u.  dgl.  m. 

Der  Clover  sehe  Apparat  besitzt  den  geringen  Vorteil,  daß  er  während  der 
ersten  Minuten  langsam  bestimmte  Dosen  aiü'steigend  verabreicht,  aber  diese  Dosie- 
rung wird  bald  ganz  illusorisch,  denn  der  Kranke  atmet  ja  immer  wieder  Aether- 
dämpfe mit  der  Luft  aus,  es  entstehen  also  in  dem  Beutel  höhere  Konzentrationen^ 
als  man  annimmt,  der  Patient  erhält  zweitens  während  der  ganzen  Narkose 
keinen  Sauerstoff,  sondern  er  muß  mit  der  geringen  Menge,  welche  in  dem 
Apparat  vorhanden  war,  auskommen,  also  entsteht  im  Organismus  ein  starker 
Mangel  an  Sauerstoff,  weiter  bildet  sich  im  Cloverschen  Apparat  eine  große 
Menge  Kohlensäure,  die  der  Kranke  stets  wieder  in-  und  exspiriert,  also  wird 
neben  der  Aether-  hierbei  eine  Kohlensäurenarkose  bestehen,  weiter  vermag 
man  wohl  den  Aethergehalt  zu  steigern  bei  Beginn  der  Narkose,  doch  wenn  der 
Kranke  tief  betäubt  ist  und  man  stellt  den  Hebel  auf  0,  so  atmet  der  Kranke 
immer  weiter  die  ätherreiche  Luft  im  Gummibeutel,  bis  der  darin  enthaltene 
Aether  verbraucht  ist,  was,  wenn  der  Aether  nicht  eine  so  große  Narkosenbreite 
besitzen  würde,  dem  Kranken  große  Gefahren  bringen  könnte,  so  wäre  z.  B. 
für  die  Chloroformnarkose  dieser  Apparat  ein  höchst  gefährliches  Instrument. 
Wenn  der  Apparat  geuaii  dosieren  sollte,  so  müßte  der  Kranke  nicht  die  Luft 
aus  dem  Beutel,  sondern  reine  atmosphärische  Luft  zugeführt  erhalten.     Wenn 


403 


stets  saiierstoffi'eiche  Luft  durch  die  Pfeifen  sti-ömeu  würde,  könnte  man  eine 
annälicrnd  genaue  Dosierung  annelimeu.  An  diesem  Apparat  aber,  wie  ilin 
Clover  angegeben  hat,  ist  nie  eine  angemessene  Konzentration  der  Aether- 
diimpfe  in  dem  Gasgemisch  enthalten,  angemessen  den  Zahlen,  die  die  Marken 
für  den  Hebel  angeben.  Es  ist  demnach  auch  der  Clover  sehe  Apparat  nicht 
für  eine  reine  Aethernarkose,  wie  man  sie  sich  jetzt  als  Idealnarkose  vorstellt» 
bei  welcher  der  Kranke  reichlich  Sauerstoff  atmet  und  nicht  unter  Kohlensäure- 
iutoxikation  steht,  zu  brauchen,  denn  der  Clover  sehe  Apparat  bewirkt  nicht 
eine  Aethernarkose,  sondern  eine  Aetherkohlensäurenarkose.  Es  ist  aber  nun 
gerade  in  der  neueren  Zeit  erkannt  worden,  wieviel  bei  jeder  Narkose  die  reich- 
liche Zufuhr  von  Sauerstoff  zu  den  Lungen  wert  ist,  so  daß  man  bereits  den 
Aetherdämpfen  Sauerstoffgas  beimischt,  und  man  hat,  gestützt  auf  diesen  Gedanken- 
gang und  zahllose  Beobachtungen  und  Versuche,  die  Aethererstickungsuarkose 
der  Genfer  Methode  als  nicht  ungefährlich  hingestellt.  Man  kann  nun  da 
unmöglich  die  Narkose  nach  Clover  als  einen  Fortschritt  bezeichnen  und  muß 
nach  unserer  heutigen  Ueberzeugung  die  Clover  sehe  Maske  entschieden 
als  wenig  geeignet  für  eine  Narkose  erachten. 

Der  ebenbeschriebene  Clo- 
ver sehe  Apparat  ist  nun  modi- 
fiziert   worden,     und    zwar    ^on 
Sheppard     dadurch,     daß     da-. 
Verbindungsrohr  zwischen  Ma-.ke 
oder  Mundstück  und  dem  Metall - 
kessel     eine     rechtwinklige     Ab- 
knickung    er- 
hielt, so   daß 
es  dadurch  er- 
möglichtwird. 
daß  man  einen 
Kranken,  der 
den  Kopf  auf 
der  Seite  lie- 
gen  hat,   be- 
quem narkoti- 
sieren    kann. 
Es  ist  die  Ver- 
wendung die- 
ses Sheppardschen  Apparats  in  beistehender  Figur  124  abgebildet. 

Weiter  ist  der  Apparat  von  Silk  anstatt  mit  dem  mit  einem  aufblähbareii 
Gummischlauch  versehenen  Metallmundstück  mit  einem  aus  Zelluloid  bestehenden 
Mundstück  versehen  w'orden.  Auch  dieses  durchsichtige  Zelluloidmundstück  ist 
in  der  Figur  124  zu  sehen. 

Von  Wilson  Smith  ist  eine  Modifikation  dieses  Apparates  angegeben 
worden,  Avelche  den  Ätherkessel  aus  Glas  angefertigt  zeigt,  so  daß  mau  imstande 
ist  zu  kontrollieren,  ob  der  Äther  verbraucht  oder  ob  noch  genügend  in  dem 
Kessel  vorhanden  ist.     Diese  Verbesserungen  bedeuten  nur  geringe  Fortschritte. 

Weiter  ist  von  Barth  ein  Gummiballon  angegeben  worden,  der  vom 
Apparat  abnehmbar  und  umzustülpen  ist,  so  daß  man  die  Innenfläche  des  Äther- 
ballons besser  und  bequemer,  auch  intensiver  reinigen  und  lüften  kann,  wodurch 
die  sonst  in  dem  Ballon  zurückbleibenden  Ätherreste  entfernt  werden.  Dadurch 
hat  der  Apparat  im  Anfang  der  Narkose  noch  keinen  Geruch  nach  Äther,  was 

26* 


Figur  124.     Äthernarkoseapparat  von  Sheppard. 


—     404 


den  Kranken  bisweilen  sonst  absclireckt.  Ferner  hat  man  eleu  Ballon  resistenter 
angefertigt,  so  daß  er  nickt  so  leicht  zusammenfällt,  sondern  elastischer  bleibt. 
In  Deutschland  sind  noch  zwei  andere  Apparate  für  die  Aethernarkose 
in  Gebrauch,  welche  besondere  Aehnlichkeit  mit  dem  obeng-enannten  Wagner- 
Longardschen  Apparat  haben.  Der  eine  dieser  Apparate  ist  von  Czerny 
angegeben  und  besteht,  wie  aus  beistehender  Figur  125  ersichtlich  ist,  aus 
einem  Zylinder  mit  einem  denselben  quer  durchsetzenden  Sieb,  auf  welches  man 
Mull  in  einer  dünnen  Schicht  legt.  Die  Maske  ist  durch  einen  Deckel  ver- 
schlossen, welcher  ebenfalls  Löcher  hat.  Man  gießt  den  Aether  auf  den  Mull. 
Der  Kranke  respiriert  die  Luft  durch  die  Maske  und  erhält  dabei  die  Aether- 
dämpfe  beigemengt.  Einen  besonderen  Vorteil  bietet  dieser  Apparat  gegenüber 
den  anderen  nicht. 

Rosenfeld  hat  einen  komplizierteren  Apparat  angegeben,  weicher  dem 
Prinzip  nach  ebenso  gebaut  ist,  der  nur  aus  zwei  ineinandersitzenden  zylinder- 
förmigen   Gebilden     besteht.      Aus    beistehender 
Figur  126  ist  ersichtlich,  daß  in  dem  großen  Zylin- 
der (du  kleinerer  mit  SIull   od.    dgl.   überzogener 
Zylinder  angebracht  ist.    In  der  Decke  des  Appa- 
.  rats    ist   eine   Oeffuung,    durch    welche   man    deu 
Aether  in  den  Apparat  gießt.     Der  Aether  fließt 
auf  den  inneren   Zylinder  und  wird  daselbst  ver- 
teilt über  eine  größere 
Fläche,  so  daß  eine  in- 
tensivere   Verdunstung 
entsteht.       Der     ganze 
Apparat    gestattet    in- 
folge seiner  Bauart  einen 
reichlicheren  Sauerstoff- 
zutritt als   die   anderen 
Apparate  und  bietet  in- 
folgedessen  einen  Vor- 
teil, indem  er  dem  Kran- 
ken ein  sauerstoffreiche- 
res  Aetherdampfluftge- 
misch    verabreicht    mit 
geriugerem   Prozentge- 
halt an  Kohlensäure  wie 
die  englischen  Apparate. 
Alle  diese  eben  hier 
angeführten     Apparate 
verfolgen  das  Prinzip  liei  der  Äthernarkose,    eine 
zu  bewirken  und  dabei  soviel   als   angängig  den 
war    diese    Ausicht,    die   Ätherwirkung    sei   eine 


Figur   125.     Atherpparat 
von  Czerny. 


Figur  126.     Ätherapparat 
von  Rosenfeld. 


möglichst  genaue  Dosierung 
Luftzutritt  zu  hindern.  Es 
stärkere  bei  völligem  Luft- 
abschluß, hervorgegangen  aus  der  Beobachtung  bei  der  Genfer  Methode,  daß 
die  Narkose  um  so  schneller  eintrete,  je  intensiver  man  die  Luft  fern  halte, 
was  man  ja  bekanntlich  dabei  durch  das  Umwickeln  des  Maskenrandes  mit  einem 
Handtuch  z\i  erreichen  suchte  und  auch  erreichte.  Diese  Annahme  war 
aber  eine  irrige,  denn  man  schadete  nur  dem  Kranken.  So  haben  sich  die 
Narkotiseure  in  zwei  Lager  geteilt,  die  einen,  welche  die  Narkose  unter  Luft- 
abschluß und  die  anderen,  die  sie  unter  Luftzutritt  erreichen  wollen. 

Ein  für  die  Äthernarkose  noch  angegebener  praktischer  Apparat,  welcher 
die  Narkose  ähnlich  wie  die  von  Wagner-Longard  konstruierte  Maske  er- 
möglicht, ist  der  von  Pendler  angegebene  Apparat.  Derselbe  besteht,  wie 
Figur  127  zeigt,  aus  einem  zylinderförmigen  Metallgefäß,  welches  mit  der  Basis 
genau  auf  das  Gesicht  des  Kranken  paßt  und  am   entgegengesetzten  Teil  eine 


—     405      - 


abgerundete  mit  zahlreichen  Ivüchcru  versehene  Decke  besitzt,  welche  man 
abnehmen  kann.  Im  Inneren  des  Apparats  befindet  sich  ein  Zwischenbüdeu, 
der  ebenfalls  durchbrochen  ist  und  auf  welchen  man  Watte  oder  Mullkompressen 
legt.  Durch  die  durchlochte  Decke  wird  der  Äther  getropft  oder  in  kleinen 
Mengen  gegossen  und  fließt  von  da  in  die  Mull-  oder  Wattelagen.  Der  Kranke 
atmet  die  Luft  durch  den  Apparat,  da  seitlich  keine  solche  zudringen  kann  und 
erhält  so  die  mit  Äther  gemengte  Luft  je  nachdem  man  viel  oder  wenig  Äther 
a\ifgießt.  Natürlich  darf  der  Äther  nur  in  kleinen  Mengen  aufgetropft  oder 
gegossen  werden,  damit  er  nicht  auf  das  Gesicht  des  Patienten  fließt.  Der 
Apparat  ist  auskochbar  und  insofern  von  Vorteil.  Auch  ist  die  Narkose  da- 
durch sehr  angenehm  zu  Ijewirken,  da  man  leicht  und  sicher  die  Dämpfe 
konzentrieren  kann. 

Wenn  man  nun  diese  genannten  Apparate  kri- 
tisch betrachtet,  so  lassen  sie  sich  in  die  zwei 
Gruppen  trennen,  in  die,  welche  dem  Kranken  atmo- 
sphärische Luft  zuführen  und  in  die,  welche  nur  die 
eigene  Luft  und  die  im  Apparat  befindliche  atmen 
lassen.  Es  ist  leicht  erklärlich,  daß  die  Apparate  und 
Methoden  ersterer  Gruppe  bei  weitem  vorzuziehen 
sind  gegenüber  den  letzteren,  denn  innerhalb  der  Ap- 
parate, welche  atmosphärische  Luft  nicht  zutreten 
lassen,  wird  sich  sehr  bald  der  wenige  Sauerstoff 
aufbrauchen,  ohne  daß  solcher  regeneriert  wird.  Da- 
durch entsteht  mit  der  Zeit  ein  Mangel  an  Sauer- 
stoff, der  sich  auch  im  Blute  des  Menschen  bemerk- 
bar macht  und  die  natürliche  Folge  ist  eine  Kohlen- 
säureintoxikation. Bei  allen  diesen  Apparaten  findet,  Figur  127.  Ätherapparat 
wenn   der  Narkotiseur   nicht  neben   dem   Mundstück  nach  Ben  dl  er. 

und  Gesicht  Luft  zutreten  läßt,  sondern  den  Apparat 

fest  auf  das  Gesicht  aufsetzt,  neben  der  Äthernarkose  auch  eine  Kohlensäure- 
narkose statt.  Diese  Kombination  ermöglicht  eine  schnellere  Betäubung,  das 
Stadium  1  und  2  der  Narkose  ist  kürzer,  aber  es  bestehen  daneben  Gefahren 
durch  die  Kohlensäurewirkung.  Die  Abkürzung  des  ersten  und  zweiten  Stadiums 
Avird  dabei  vor  allen  Dingen  dadurch  erzielt,  daß  der  Äther  unter  weuigei'  Luft- 
beimengung, also  konzentrierter  eingeatmet  wird,  als  bei  den  offenen  Apparaten. 
Es  wird  aber  durch  die  geschlossene  Methode  der  Äther  stärker  in  seinen  üblen 
Eigenschaften  zur  Geltung  kommen,  denn  die  Dämpfe  sind  konzentrierter,  und 
diese  üblen  Eigenschaften  bestehen  vor  allem  in  Eeizung  der  Lungen  etc. 
Man  hat  beobachtet,  daß  bei  langsamer  Steigerung  der  Konzentration  der  Äther- 
luftgemische unter  reichlichem  Luftbeitritt  die  Reize,  welche  auf  die  Schleim- 
haut der  Bronchien  ausgeübt  werden,  viel  geringer  sind,  man  sieht  diese  geringere 
Reizwirkung  sofort  auch  an  der  Schleimabsonderung  und  Speichelsekretion  im 
Munde,  welche  bei  der  langsamen  Dosierung  viel  geringer  ist,  als  bei  den 
geschlossenen  Apparaten.  Die  Folgen  dieser  Reizung  durch  den  Äther  sind  ja 
bekannt  und  man  hat  es  in  der  Hand,  die  Gefahren  der  Äthernarkose  stark  zu 
vermindern.  Deshalb  ist  die  Tropfmethode  eben  die  beste  Darreichungsart. 
Natürlich  läßt  sich  auch  mit  den  übrigen  Methoden  eine  exakte  Dosierung  und 
vorsichtige   Verabreichung    erzielen,    und    dies    muß    auch   bei    den   bestfunk- 


—     406 


tiouiereudeu  Apparaten  das  Bestreben  des  Xarkotiseurs  sein,  denn  er  kann 
dnrcli  korrekte  Leitung  der  Betäubung  den  Apparat  in  seiner  Wirkung  be- 
deutend unterstützen. 

Es  ist  bei  allen  diesen  Apparaten  und  Methoden  der  Darreichung  des 
Äthers  das  Operieren  im  Gesicht  bedeutend  erschwert,  denn  die  Maske 
oder  das  Mundstück  der  Apparate  nimmt  stets  einen  großen  Teil  des  Gesichts  in 
Anspruch  und  verdeckt  meist  Mund  und  Nase.  Daher  kann  man  all  diese 
Apparate  bei  Operationen  im  Mund,  Rachen  oder  der  Nase  nicht  gut  brauchen, 
es  sei  denn,  man  verwendet  die  abwechselnde  Betäubung,  wobei  man  durch 
festes  Auflegen  der  Maske  erst  den  Ki-auken  tief  betäubt,  bis  er  in  der  tiefsten 
Toleranz  angelangt  ist,  nimmt  nun  die  Maske  weg  und  läßt  den  Operateur 
arbeiten,  bis  der  Kranke  zu  erwachen  beginnt.  Da  unterbricht  der  Operatem- 
die  Operation  und  der  Narkotiseur  betäubt  wieder  bis  zur  Toleranz.  So  wechselt 
man  ab.  Dies  hat  aber  viel  Nachteile,  die  sich  jeder  leicht  vorstellen  kann. 
Deshalb  hat  man  versucht,  auf  andere  Art  die  Ätherdarreichung    auszuführen. 

Die  Methode,  wie  sie  bei  Chloroform  er- 
wähnt wurde  und  die  in  Tracheotoraie  mit 
Auftropfen  des  Narkotikums  auf  den  mit 
Mull  überspannten  Trichter  besteht,  kann 
bei  Aether  sulf.  deshalb  nicht  ausgeführt 
werden,  weil  der  Äther,  durch  die  Tracheo- 
tomiekanüle  inspiriert,  eine  zu  starke 
Kältewirkung  auf  die  Schleimhaut  der 
Bronchien  ausübt.  Man  soll  dazu  nie  Äther 
verwenden,  sondern  Chloroform.  Ist  dies 
nicht  möglich,  muß  man  die  Ätherdämpfe 
aus  einem  langen  Schlauch,  der  durch 
warmes  Wasser  läuft,  in  die  Trachealkanüle 
eindringen  lassen. 

Mau  hat  zum  Zwecke  der  Narkose  bei  Operationen  im  Gesicht,  Hals  etc. 
einen  Apparat  angegeben,  der  entweder  direkt  mit  der  Tracheotomiekanüle 
verbunden  werden  kann,  oder  welcher  mit  einem  Glasrohr  endet,  das  recht- 
winklig abgebogen  ist  und  in  einen  Mundwinkel  des  Patienten  gelegt  wird. 
Der  Apparat  ist  von  Arndt  angegeben  worden  und  besteht  aus  einer  Glasflasche 
von  200 — 300  ccm  Inhalt,  die  einen  Stopfen  aus  Gummi  besitzt,  welcher  doppelt 
durchbohrt  mit  zwei  Glasröhren  versehen  ist,  von  denen  das  eine  Rohr  kurz 
unterhalb  der  unteren  Korkfläche  abgeschnitten  und  mit  einem  langen  Gummi- 
schlauch verbunden  ist,  der  ca.  1  m  laug  an  dem  anderen  Ende  das  eben  be- 
schriebene Mundstück  besitzt.  Das  andere  Rohr  des  Gummistopfens  führt  bis 
ziemlich  auf  den  Boden  des  Gefäßes,  und  ist  mit  einem  Gummischlauch  an  dem 
äußeren  Ende  versehen,  welcher  mit  einem  Gebläse  verbunden  ist.  Das  Gebläse 
ist  so  konstruiert,  daß  der  zu  komprimierende  Gummiball  am  Erdboden  liegen 
kann,  während  der  Luftsammeiball  auf  dem  Tisch  liegt  neben  der  Flasche. 
Der  Apparat  ist  in  Figur  128  in  schematischer  Darstellung  abgebildet,  und  die 
Konstruktion  desselben  zu  ersehen.  So  kann  man  den  ersteren  Ball  mit  dem 
Fuße  komprimieren,  natürlich  kann  er  auch  mit  der  Hand  in  Bewegung  gesetzt 
werden.  In  die  Glasflasche  füllt  mau  Aether  hinein  und  treibt  durch  das  Gebläse 
Luft  durch  den  Aether,  welche  sich  mit  dessen  Dämpfen  sättigt  und  dieses 
Luftäthergemisch  dem  Patienten  in  den  Mund  bläst,  so  daß  er  dadurch  narkotisiert 
werden  kannj  je  nach  Bedarf  kann  man  dem  Kranken  durch  schnelles  Kom- 
primieren des  Gebläses  viel  Aether  zuführen,  oder  auch  langsamer  komprimieren 
und  somit  weniger  Aether  verabreichen.  Dieser  Apparat  hat  viel  Aehnlichkeit 
mit  dem  Junkers  eben  Chloroformapparat.    Man  kann,  wenn  eine  Tracheotomie 


Figur  128.     Narkoseapparat  von 
Arndt  füi'  Narkosen  bei  Operationen 

im  Gesicht,  Mund  etc. 
A  =  Gummiball ,  B  =  SammelDallon, 

C  =  Äthergefäß,  D  =  Mundstück. 


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unuiugäuglich  ist,  auch  den  Guminischlauch  anstatt  mit  dem  Mundstück  mit 
der  Trachealkanüle  verbinden,  und  man  kann  auch  den  Gummischlauch  ev.  dui'ch 
ein  Gefäß  mit  lieißem  ^^'asser  leiten,  um  eine  Erwärmung-  der  Gase  zu  erzielen. 
Beides  läßt  sich  mit  Leichtigkeit  erreiclien.  Es  ist  dieser  Apparat  für  solche 
Fälle  ein  sehr  brauchbarer  und  am  einfachsten  in  der  Anwendung.  Wenn  der 
Apparat  in  Tätigkeit  ist,  so  kann  man  bei  konstantem  Durchblasen  eines  Luft- 
stromes 1  1  Luft  in  einer  Minute  durch  den  Apparat  treiben,  iind  diese 
Luft  sättigt  sich  mit  Aetherdämpfen,  und  zwar  bei  16"  C  enthält  dieselbe  ca. 
46  Volumprozent  Aetherdämpfe.  Dies  ist  ein  enorm  hoher  Gehalt  und  man 
kann  denselben  nur  dann  verwenden,  wenn  der  Apparat  in  den  Mund  leitet, 
woselbst  sich  das  Gemenge  verdünnt.  Die  Mischung  welche  sich  im  Munde 
bildet,  enthält  dann  höchstens  4 — 5%  Aether,  was  sich  leicht  berechnen  läßt. 
Man  hat  im  Wanscherscheu  Apparat  bis  34 "/o  Aethergehalt,  unter  der 
Julliardschen  2 — 5%,  und  es  ist  von  Kionka  berechnet,  daß  4 — 8 *'/p  Aether- 
gehalt zur  Narkose  vollkommen  genügen.  Es  wären  also  46*"^  viel  zu  hoch. 
Man  darf  daher  den  Luftstrom  nur  langsam  diu'ch  den  Apparat  treiben,  und  muß 
vor  allen  Dingen  bei  der  Narkose  durch  die  Trachealkanüle  sehr  vorsichtig' 
sein  und  langsam  den  Luftstrom  hindurchblasen,  denn  in  diesem  Falle  kommt 
ja  der  ganze  Aethergehalt  des  Luftstromes  unverdünnt  in  die  Lungen.  Aber 
der  Apparat  gestattet  ja  auch  eine  sehr  leichte  Modifikation,  indem  man  nur 
langsam  und  wenig  stark  den  Gummibali  komprimiert.  Wenn  Narkose  ein- 
getreten, braucht  man  nur  wenig  Aether  und  selten  zu  komprimieren.  Aber  der 
Apparat  wird  am  besten  nur  zur  Fortsetzung  der  Narkose  verwendet,  denn  im 
Beginn  der  Inhalationen  belästigen  die  stark  konzentrierten  Aetherdämpfe  den 
Patienten  sehr  stark:  so  wird  man  am  besten  erst  den  Kranken  mit  einer 
anderen  Maske  bis  zur  Toleranz  betäuben  und  dann  mit  dem  Apparat  von 
Arndt  die  Narkose  unterhalten.  Zum  allgemeinen  Gebrauch  eignet  er  sich 
deshalb  nicht. 

Von  all  den  bisher  genannten  Apparaten  und  Methoden  der  Äther- 
narkose ist  entschieden  die  Tropfmethode  die  brauchbarste  und  einfachste, 
man  braucht  für  dieselbe  nur  die  Esmarchsche  oder  Schimmelbus ch- 
sche  Maske  und  eine  Tropfflasche.  Infolge  dieses  wenigen  und  kleinen 
Instrumentariums  ist  diese  Methode  für  die  Praxis  am  meisten  geeignet. 

Es  sind  noch  verschiedene  Tropfflaschen  dazu  angegeben  worden,  so  ist 
die  Flasche  mit  dem  Verschluß  nach  Kurrer  eine  ganz  brauchbare,  da  der 
Verschluß,  der  im  Allgemeinen  Teil  in  Figur  63  abgebildet  ist,  automatisch 
funktioniert  und  somit  eine  Erleichterung  für  den  Narkotiseur  darstellt.  In 
neuerer  Zeit  ist  noch  eine  Vorrichtung  zum  bequemeren  Ausgießen  des  Aethers 
angegeben  worden,  welche  ebenfalls  auf  jeder  Flasche  anzubringen  ist  und 
durch  den  Druck  der  Finger  das  Ausfließen  ermöglicht.  Dieselbe  ist  von 
V.  Bayer  konstruiert  und  bildet  eine  Erleichterung  bei  der  Narkose,  hat  aber 
weniger  Vorteile  wie  der  Kurrersche  Verschluß.  Immerhin  sind  dies  Ein- 
richtungen, die  man  entbehren  kann.  Der  Arzt  in  der  Praxis  verwendet  auch 
meist  eine  gewöhnliche  Tropfflasche,  wie  man  sie  in  der  Apotheke  erhält,  oder 
mangels  einer  solchen  eine  selbstgefertigte,  welche  er  darstellt,  indem  er  in 
den  Kork  der  Aetherflasche  an  zwei  auf  der  Circumferens  des  Korkes  sich 
gegenüberliegenden  Punkten  in  der  Längsachse  verlaufende  Rinnen,  die  er 
mit  dem  Messer  einschneidet,  anbringt.  Setzt  man  den  so  modifizierten  Kork 
auf  die  Flasche,  verschließt  die  eine  der  Kinnen,  welche  nun  Offnungen  bilden, 
mit  dem  Finger  und  neigt  die  Flasche  über  die  Maske,  so  kann  man  durch 
Lüften  und  Aufdrücken  des  Fingers  abwechselnd  ein  beliebig  zu  modifi- 
zierendes tropfen  des  Aethers  leicht  ermöglichen.  Dies  ist  die  einfachste 
Tropfflasche. 

Neben  der  durch  die  verschiedenen  Methoden  erzeugten  Äthernarkose  hat 
man  noch  zwei  Methoden,  die  ich  im  folgenden  kurz  beschreiben  will.  Die  eine 
ist  die  coupierte  Äthernarkose  von  Kronach  er.  Dieselbe  soll  vor  allen 
Dingen    das   Eintreten    postnarkotischer    Luugenleiden    verhüten    und    besteht 


—     408     — 

darin,  daß  man  auf  eine  der  üblichen  Masken  5  bis  10  ccm  Äther  giel3t  und 
läßt  den  Kranken  unter  der  Maske  unter  abwechselndem  Lüften  der  Maske 
einige  tiefe  Atemzüge  ausführen.  Nach  einiger  Zeit  gießt  man  10 — 20  ccm 
Äther  wieder  in  die  Maske  und  narkotisiert  so  den  Kranken  bis  zum  Eintreten 
der  Exzitation.  Wenn  die  Exzitation  eingetreten  ist,  läßt  mau  den  Kranken 
noch  5 — 10  Atemzüge  unter  der  Maske  ausführen,  wobei  mau  ev.  nochmals 
10^ — 20  ccm  Äther  in  die  Maske  gießt.  Meist  ist  jetzt  vollkommene  Anästhesie 
eingetreten,  wenn  nicht,  so  läßt  man  den  Kranken  noch  so  lange  Äther  ein- 
atmen, bis  dieselbe  erfolgt.  Xun  entfernt  man  die  Maske  und  operiert.  Mau 
kann  jetzt  bis  10  Minuten  lang  operieren,  ohne  daß  der  Kranke  auch  nur  die 
geringsten  Schmerzen  empfindet.  Ist  die  Operation  noch  nicht  beendet  und 
äußert  der  Kranke  wieder  Schmerzen,  so  narkotisiert  man  wieder  bis  zum  Ein- 
tritt der  Exzitation.  Natürlich  ist  diese  Methode  am  besten  bei  kleineu 
Operationen  zu  verwenden,  und  die  Erfolge  hängen  auch  von  dem  Kranken 
ab,  ein  Alkoholist  ist  schwerer  zu  betäuben,  oft  gar  nicht,  und  bei  Frauen 
oder  Nichtalkoholisten  ist  die  Narkose  sehr  brauchbar.  Bedarf  man  bei  der 
Operation  aber  völlige  Muskelerschlaftung,  so  ist  die  Methode  nicht  geeignet, 
denn  eine  völlige  Lähmung  der  Muskeln  tritt  meist  nicht  während  der  ganzen 
Dauer  der  Narkose  auf.  Sie  ist  daher  nur  zu  kleinen  Eingriffen  zu  verwenden 
und  bietet  eben  den  Vorteil,  daß  nicht  alle  Keflexe  erloschen  sind  und  der 
Kranke  nicht  Schleim  u.  dgl.  aspirieren  kann.  Es  ist  vor  allem  bei 
Mund-  und  Halsoperationen  diese  coupierte  Narkose  zu  verwenden,  wobei  der 
Kranke  das  in  den  Rachen  fließende  Blut  uoch  auszuspucken  und  auszuhusten 
oder  zu  verschlucken  vermag.  Insofern  und  wegen  der  wenigen  in  die  Lungen 
gelangenden  Ätherdämpfe  ist  die  Lunge  auch  nicht  so  großen  (jefahren  aus- 
gesetzt wie  bei  der  langen  Äthernarkose. 

Sehr  ähnlich  dieser  Methode  ist  der  Ätherrausch  (Sudeck,  Kuttner  etc.). 
Derselbe  ist  eine  Analgesie,  welche  bei  jeder  Narkose  kurz  vor  dem  Übergang 
in  die  Exzitation  eintritt.  Es  wird  dabei  nur  die  Schmerzempfindung  gelähmt, 
während  alle  anderen  Reflexe  und  das  Bewußtsein  nicht  erlöschen.  Der  Rausch 
dauert  aber  auch  nur  kurze  Zeit,  3  bis  höchstens  10  Minuten,  an.  Man  kann 
daher  kleine  chirurgische  Eingriffe  völlig  schmerzlos  ausführen,  ohne  daß  der 
Patient  tief  narkotisiert  ist.  Er  braucht  zu  der  Rauschmethode  nicht  vor- 
bereitet zu  sein,  ebenso  hat  er  nach  der  Narkose  keine  Beschwerden,  es  fehlen 
Übelsein,  Erbrechen,  Schwindel,  Kopfschmerz,  der  Kranke  steigt  vom  Operations- 
tisch und  kann  sofort  nach  Hause  gehen,  ohne  sich  übel  zu  fühlen.  Der  Äther- 
rausch ist  eben  nur  eine  durch  schnell  eingeatmete  konzentrierte  Äthermengen 
erzeugte  Analgesie  und  dieser  Rausch  ist  um  so  ausgeprägter,  je  weniger 
stark  narkotisch  ein  Mittel  wirkt.  Da  nun  der  Äther  schwächer  wirkt  als 
Chloroform,  so  hat  er  auch  ein  längeres  Rauschstadium.  Man  kann  diese  kurze 
Analgesie  auch  zu  größeren  Operationen  verwenden.  So  ist  von  verschiedenen 
Chirurgen  die  Methode  zur  Ausführung  von  Amputationen,  Knochenresektionen  etc. 
verwendet  worden  (Sudeck  etc.),  doch  es  macht  sich  bei  größeren  Operationen 
der  Umstand  unangenehm  bemerkbar,  daß  das  Bewußtsein  des  Kranken  vor- 
handen und  die  Tastempfindung  nicht  gelähmt  ist.  Der  Kranke  empfindet 
zwar  keinen  Schmerz,  doch  er  merkt  deutlich,  daß  an  dem  betreffenden  Gliede 
etwas  vorgenommen  wird,  er  merkt  das  Sägen  und  Meißeln  am  Knochen  etc., 
und  diese  Tastempfludung  ist  bei  nervösen  Leuten  sehr  lästig,  zudem  kommt 


—     409     — 

die  Shokwirknny  hierbei  iu  Betracht,  welche  bei  emptindlicheu  Patienten  ja  so^ar 
den  'i'od  herbeiführen  kann.  Somit  ist  die  ^Vlethode  eben  nnr  für  kleine 
Operationen  geeignet. 

Man  verfährt  am  besten  folgendermaßen,  um  den  Ätherrausch  hervor- 
zurufen. Der  Kranke  muß  schnell  hintereinander  tiefe  Atemzüge  ausüben  und 
dabei  zählen.  Meist  beginnt  die  Analgesie,  wenn  der  Kranke  unregelmäßig 
zählt  und  abwehrende  Bewegungen  zu  machen  beginnt.  Man  läßt  dann  den 
Kranken  weiter  zählen,  ohne  neue  Mengen  von  Äther  zu  verabreichen.  Der 
Arzt  selbst,  wenn  an  ihm  die  Rauschmethode  ausgeführt  wird,  kann  augeben 
und  dem  Kollegen  sagen,  wann  die  Analgesie  beginnt,  denn  er  fühlt  den  Ein- 
tritt der  Analgesie,  während  er  noch  vollkommenes  Bewußtsein  besitzt.  Bei 
dem  Kranken  als  Laien  muß  man  warten,  bis  die  ersten  Trübungen  des  Be- 
wußtseins sich  zeigen.  Wenn  mau  operiert  und  der  Kranke  fängt  wieder  an, 
über  Schmerzen  zu  klagen,  man  merkt  den  Eintritt  der  Sensibilität  am  Zu- 
sammenzucken des  Patienten,  so  kann  man  durch  neues  Verabreichen  von 
Äther  den  Rausch  erneuern,  und  dies  mehrmals  hintereinander  vornehmen.  So 
kann  man  im  Rausch,  der  2— o  mal  erneuert  wurde,  Ins  zu  20  Minuten  lang 
operieren.  Wenn  man  das  Spiel  aber  weiter  fortsetzt,  so  verfällt  der  Kranke 
in  tiefe  Narkose.  Übrigens  ist  es  sehr  leicht,  aus  dem  Rausch  eine  längere 
Äthernarkose  einzuleiten,  der  Übergang  vom  Rausch  in  Toleranz  geht  schnell 
und  ohne  wesentliche  Exzitation  vor  sich.  Es  kommt  der  Mangel  wesentlicher 
Exzitation  daher,  daß  im  Organismus  durch  das  Inspirieren  des  Äthers  füi' 
den  Rausch  schon  eine  größere  Menge  von  Äther  enthalten  ist  und  der  Kranke 
sich  an  das  Einatmen  der  Dämpfe  in  konzentrierter  Form  gewöhnt  hat,  so  daß 
die  weiteren  Äthergaben  nicht  mehr  unangenehm  empfunden  und  in  großen 
Dosen  eingeatmet  werden,  so  daß  rasch  die  Toleranz  erreicht  wird.  So  hat 
man  auch  den  Ätherrausch  zur  Einleitung  der  längeren  Äther-  oder  Chloroform- 
uarkose  zu  verwenden  angeraten,  doch  bestehen  Gründe  dagegen,  da  mau  eine 
längere  Zeit  dauernde  Äthernarkose  nicht  mit  so  konzentrierten  Ätherluft- 
gemischen einleiten  soll,  weil  dabei  der  Äther  einen  sehr  starken  Reiz  auf  die 
Bronchialschleimhaut  etc.  ausübt  und  Lungenerkrankungen  begünstigt  werden. 
Für  den  kurzen  Ätherrausch  schaden  die  großen  Dosen  wenig  oder  nicht,  aber 
auch  wegen  der  Reizung  der  Bronchialschleimhaut  darf  der  Ätherrausch  nicht 
über  längere  Zeit  ausgedehnt  werden.     Er  eignet  sich  nur  für  kurze  Narkosen. 

Die  Technik  wird  am  besten  mit  der  von  Sudeck  angegebenen  Maske 
ausgeführt.  Dieselbe  ist  in  Figur  129  abgebildet.  Sie  besteht  aus  dem  Mund- 
stück, das  fest  auf  das  Gesicht  paßt  und  gelegt  wird  und  welches  ein  Exspirations- 
ventil,  durch  das  die  Exspirationsluft  in  die  Umgebung  ausgestoßen  wird,  und 
ein  luspirationsventil  besitzt.  Letzteres  führt  iu  die  obere  Abteilung  der  3'aske, 
woselbst  eine  geringe  Menge  Watte  etc.  liegt,  auf  welche  man  den  Äther 
tropfenweis  auftropft.  Der  Luftstrom,  welchen  der  Kranke  iuspiratorisch  er- 
zeugt, streicht  durch  diese  Watte  und  vermischt  sich  mit  dem  dort  ver- 
dampfenden Äther,  so  daß  der,  Kranke  stets  sauerstotfreiche  Luft  mit  Äther- 
dämpfen gemischt  einatmet.  Die  Maske  veranlaßt,  wegen  der  Ventile  und  des 
luftdichten  Abschlusses  am  Gesicht,  den  Kranken  kr-äftig  zu  atmen.  Je  nach 
der  Zahl  der  auffallenden  Tropfen  kann  man  die  Konzentration  der  Luftäther- 
gemische erhöhen  oder  vermindern,  wie  es  der  Zustand  des  Kranken  gerade 
erfordert.     Lu  Anfang  läßt  man  den  Äther  in  ca.  60  Tropfen  pro  Minute  in  die 


—     410 


Watte  fallen,  so  daß  der  Kranke  eine  hohe  Konzentration  des  Ätherdampfes 
inspiriert. 

Nachdem  der  Rausch  eingetreten  ist,  läßt  man  nur  noch  wenig  Tropfen 
oder  wenn  die  Operation  bald  beendet  ist,  gar  keine  mehr  in  die  Maske  fallen. 
Kurz  nachdem  man  die  Ätherzufuhr  sistiert,  schwindet  auch  nach  einigen 
Miniiten  die  Analgesie  und  der  Kranke  kann  ohne  Nachwirkung  bei  völligem 
Wohlbefinden  nach  Hause  gehen. 

Die  ebengesehilderte  Maske  von  Sud  eck  stellt  auch  eine  sehr  brauch- 
bare Maske  für  die  lange  Äthernarkose  dar,  sie  ist  im  großen  und  ganzen  der 

Wagner  -  L  o  n  g  a  r  d  s  c  h  e  n 
Maske  sehr  ähnlich.  Letztere  hat 
vielleicht  die  Vorzüge,  daß  sie  die 
Gase  ev.  erwärmen  läßt  und  fester 
auf  dem  Gesicht  aufsitzt  etc.  Doch 
hat  sie  den  Nachteil,  daß  sie  uicht 
auskochbar  ist  und  ein  größeres 
lustruinent  darstellt,  während  die 
Sud  eck  sehe  Maske,  ganz  aus 
Metall  gefertigt,  auskochbar  ist  und 
eine  Größe  aufweist,  die  einen 
leichteu  Transport,  selbst  in  der 
Tasche,  ermöglicht.  Allerdings 
sind  die  ÄtherMtgemische  sehr 
kalt,  die  der  Kranke  durch  diese 
Maske  atmet.  Es  ist  dies  bei 
langen  Narkosen  ein  großer  Übel- 
stand und  mau  sollte  die  Kälte- 
wirkung auch  bei  anderen  Appa- 
raten mehr  zu  vermeiden  suchen. 
In  dieser  Hinsicht  ist  die  heizbare 
Wagner-Longardsche  Maske 
die  beste. 

Die  Ausführung  des  Äther- 
rausches ist  natürlich   mit   jeder 
Figar  129.  anderen  Maske  ebensogut  möglich, 

Äthermaske  nach  Sudeck.  ^an    kann    eine    Julliardsche 

Maske  ebensogut  verwenden,  als  eine  der  anderen  Masken.  Man  hat  auch 
empfohlen,  in  die  Julliardsche  Maske  zunächst  20  ccm  Äther  zu  gießen,  die 
Maske  fest  auf  das  Gesicht  zu  legen  und  den  Rand  mit  einem  Handtuch  zu 
umwickeln,  indem  man  den  Kranken  tief  und  schnell  inspirieren  läßt.  Diese 
Methode  ist  entschieden  zu  verwerfen,  da  der  Kranke  nicht  Sauerstoff  in  ge- 
nügenden Quanten  atmen  kann.  Die  beste  Methode  ist  neben  der  Verwendung 
der  Sudeckschen  Maske  die  Verwendung  einer  Esmarchschen  Maske,  auf  die 
man  rasch  Äther  tropft  und  den  Kranken  tief  und  ausgiebig  atmen  läßt.  Man 
tropft  den  Äther  so  lange  auf,  bis  die  Analgesie  eintritt,  was  innerhalb  weniger 
Sekunden,   30 — 50  Sekunden,  geschieht. 

Am  besten  wird  der  Kranke  nach  Möglichkeit  von  dem  Gedanken  au  die 
Operation   abgelenkt,  man   soll  ihm  gar  nicht  sagen,   daß  man  operieren  will, 


—     411     — 

während  er  iiiub  nicht  ganz  betäuht  ist,  sondern  der  Kranke  soll  im  Glauben 
sein,  er  werde  erst  tief  betäubt.  Bei  ruhig-eu,  vernünftigen  Leuten  kann  man 
dann  die  Operation  ausüben,  ohne  daß  der  Kranke  etwas  merkt  und  er  wundert 
sich,  wenn  alles  schon  vorüber  ist,  während  er  glaubt,  es  solle  erst  die  Narkose 
beginnen.  Bei  sehr  nervösen  und  ängstlichen  Leuten  soll  man  aber  lieber  eine 
tiefe  Narkose  ausführen. 

Nach  diesen  Betrachtungen  über  die  Technik  der  Atheruarkose  müssen 
noch  einige  Bemerkungen  über  eine  Methode  angefügt  werden,  welche  wohl 
kaum  noch  jetzt  verwendet  wird,  die  aber  doch  wichtig  ist  und  wenigstens  als 
historisches  Faktum  erwähnt  werden  muß.  Pirogoff  und  Roux  haben  im 
Jahre  1847  die  Einleitung  und  Ausführung  der  Äthernarkose  per  rectum  an- 
gewendet und  Pirogoff  hielt  dieselbe  für  sehr  brauchbar.  Es  hat  nämlich  der 
Darm  die  Eigenschaft,  den  Ätherdampf  sehr  schnell  zu  resorbieren  und  man 
kann  somit  durch  Einleiten  von  Ätherdämpfen  in  das  Rektum  eine  Narkose 
hervorrufen.  Der  Vorteil  dieser  Methode  liegt  darin,  daß  sie  ermöglicht, 
Operationen  im  Hals,  Kehlkopf  etc.  auszuführen,  ohne  daß  mau  eine  Maske 
vor  dem  Gesicht  etc.  nötig  hat.  Dudley  Buxton  hat  die  Methode  bei 
solchen  Operationen  in  der  Neuzeit  noch  sehr  oft  angewendet  und  er  hat  als 
Vorteile  angegeben,  daß  man  wenig  Äther  brauche,  der  Kranke  sich  schneller 
nach  der  Betäubung  erholt,  die  Nachwirkungen  geringer  sind,  die  Exzitation 
sehr  wenig  oder  gar  nicht  vorhanden  sei.  Ein  Nachteil  ist  der,  daß  es  längere 
Zeit  dauert,  bis  der  Patient  zur  Operation  fertig  ist,  was  man  dadurch  ver- 
bessern wollte,  daß  man  die  Narkose  per  Os  als  Inhalationsuarkose  anfing  und 
dann  nach  Beginn  der  Operation  per  rectum  unterhielt  (Buxton).  In  neuerer 
Zeit  ist  diese  Methode  von  Iversen,  Wanscher,  Moliere,  Bull,  Weir, 
Stedmann  etc.  angewendet  worden  und  letzterer  hat  angeblich  sehr  gute  Re- 
sultate damit  erzielt.  Die  Methode  hat  den  Vorteil,  daß  Lungenleiden  ver- 
mindert werden,  ganz  beseitigt  können  die  Beschädigungen  der  Lungen  nicht 
werden,  denn  das  Äther  wird  zum  größten  Teil  durch  die  Lungen  aus  dem 
Organismus  eliminiert.  Dadurch,  daß  die  Lungen  Äther  abscheiden,  Averden  die 
Epithelien  und  die  Schleimhaut  immerhin  in  gewissem  Grade  affiziert  und  die 
Sekretion  von  Schleim  vermehrt.  Ich  habe  bei  Hunden,  welche  ich  per  rectum 
narkotisierte,  in  den  Lungen,  auch  vermehrte  Schleimmengen  in  den  Alveolen 
gefunden,  wenn  auch  nicht  in  dem  Maße,  wie  nach  Inhalationsnarkosen,  so  doch 
in  beträchtlichen  Mengen.  Die  Alveolen  waren  stellenweis  mit  Schleim  an- 
gefüllt, und  in  den  Epithelien  des  respiratorischen  Epithels  fand  sich  auch  Fett- 
metamorphose, wenn  auch  in  geringerem  Grade  wie  bei  der  gewöhnlichen  Äther- 
narkose. Es  geht  also  aus  diesen  Befunden  hervor,  daß  die  Gefahren  post- 
narkotischer Lungenerkrankungen  nicht  ganz  beseitigt  werden  können.  Weitere 
Nachteile  der  Methode  sind  schwerer  Meteorismus,  Diarrhoen  und  sogar  Me- 
laena,  welche  man  in  einigen  Fällen  nach  dieser  Methode  auftreten  sah.  Diese 
Nebenwirkungen  lassen  sich  vermeiden  durch  eine  recht  vorsichtige  und  exakte 
Dosierung  und  der  Obacht,  daß  man  die  Ätherdämpfe  nicht  zu  rasch  und  kon- 
densiert in  den  Darm  einströmen  läßt.  Bei  sehr  hochkonzentrierten  Gasgemischen 
treten  sehr  unangenehme  Schmerzen  im  Darm  auf,  die  man  auch  vermeiden  muß. 

Kinder  werden  schneller  betäubt  als  Erwachsene,  doch  ist  die  Zeit  bis 
zum  Eintritt  der  Toleranz  sehr  wechselnd.  Buxton  sah  schon  nach  3  Minuten, 
aber    auch    erst   nach    15 — 30  Minuten  Toleranz    eintreten.     Es  sind  aber  aucli 


412     — 


Todesfälle  bei  dieser  Methode  beobachtet  worden  (Simpson).  Nach  der  Narkose 
treten  leicht  Koliken  im  Darm,  starker  Tenesmns,  Diarrhoe  mit  ruhrartigem  Verlauf, 
Schmerzen  beim  Stuhl  (Ulcera  der  Darmwand),  selbst  Kollapse  auf.  Man  be- 
kämpft die  Symptome  nach  den  bekannten  Methoden  und  hat  besonders  gute  Erfolge 
mit  Opium  bei  den  Darmaffektionen  gesehen.  Natürlich  sind  Personen  mit  schon  vor 
der  Narkose  erkranktem  Darmkaual  nicht  für  diese  Methode  geeignet. 

Die  Technik  der  Methode  besteht  darin,  daß  man  in  das  Rektum,  nach- 
dem man  durch  hohe  und  öftere  Einlaufe  dasselbe  ganz  entleert  hat,  Luft- 
und  Ätherdämpfe  gemischt  einleitet.  Vor  allem  muß  man  sich  hüten,  flüssigen 
Äther  in  den  Darm  zu  bringen. 

Man  kann  den  oben  beschriebenen  Apparat  von  Arndt,  der  dem  Junker- 
schen  Chloroformapparat    sehr    ähnlich  ist,    dazu  verwenden.     Ein  besonderer 

Apparat  ist  von  Buxton  für  diese  Methode  kon- 
struiert worden. 

Derselbe  besteht  aus  einem  Glasgefäß.  in 
welches  man  ca.  90  —  100  ccm  Äther  schüttet, 
und  welches  in  ein  zweites  Glasgefäß  taiicht, 
welches  mit  Wasser  von  48,9°  C  (=39,10  ß 
=  120°  F)  gefüllt  ist.  Das  Äthergefäß  ist  von 
einem  Gummipfropfen  verschlossen,  welcher  durch- 
bohrt und  mit  einem  Glasrohre,  das  an  der 
unteren  Fläche  des  Korkes  kurz  abgeschnitten 
ist,  versehen  ist.  An  das  äußere  Ende  dieses  Rohres 
ist  ein  Gummischlauch  angebracht,  welcher  ca. 
25  cm  lang  ist  und  zu  einem  Glaskolben  führt, 
Fio-ur.  130.  ii  ^^^  ^^  ^i*  einem  Rohr  mündet.    Der  Glas- 

Narkoseapparat  von  Buxton    kolben  führt  entgegengesetzt  des  einmündenden 
für  die  rechale  Athernarkose.     Rohres  in  ein  anderes  Rohr  mit  Gummischlauch, 
"^"^ ^Glaskolben;  D  =  aSrÄ'''    derwiedcrum ca.25-50cmlangineinDarmansatz- 
E  =  Darmrohr.  stück   endet.     Man  führt  das  Darmstück  in  den 

Anus  ein  und  läßt  die  Ätherdämpfe  je  nach  Bedarf  rasch  oder  langsam  in  den  Darm 
strömen.  Das  Wasser  im  großen  Glasgefäß  darf  nicht  wärmer  sein,  da  sonst  die 
Verdampfung  zu  schnell  vor  sich  geht.  Aus  beistehender  Figur  130  ist  die 
Konstruktion  des  Apparates  zu  ersehen. 

Die  Narkosen,  welche  man  auf  diese  Weise  ausführt,  sind  ja  immerhin 
nur  in  seltenen  Fällen  verwendbar  und  nötig,  da  man  der  besseren  Dosierung 
und  einfacheren  Technik  halber  die  Tropfmethode  bei  allen  anderen  Gelegen- 
heiten vorziehen  wird.  Jedenfalls  ist  aber  die  Methode  bei  schweren  Operationen 
am  Hals  oft  von  Wert  und  bietet  sie  verhältnismäßig  wenig  Gefahren. 

Mit  diesen  Betrachtungen  schließe  ich  das  Kapitel  über  die  Äthernarkose, 
da  alle  Punkte,  welche  hier  nicht  erwähnt  worden  sind,  im  Allgemeinen  Teile 
besprochen  worden  und  beim  Äther  wie  bei  allen  Narkosen  gleich  anwend- 
bar sind.  Ehe  ich  aber  mich  zu  anderen  Narkotika  und  zu  den  kombinierten 
Äther-  oder  Chloroformnarkosen  wenden  werde,  soll  in  dem  nächsten  Kapitel  noch 
kurz  die  Frage,  ob  Chloroform  oder  Äther  für  die  Narkose  vorgezogen  werden 
soll  und  wie  beide  Stoffe  zueinander  stehen,  erörtert  werden.  Ich  habe  bei  der 
Behandlung  der  einzelnen  Narkosen  diese  Frage  nicht  berührt,  und  will  sie 
nun  im  Anschluß  an  diese  Darlegungen  erörtern. 


—     41:5     — 

JH.   Ivai)itcl. 
Die  Chloroform-  oder  Äthernarkose. 

15  7.  In  hcutiiieu  cliirurgisckeu  Kreisen  ist  es  von  größter  Becleutuug', 
welches  Narkotikum  mau  zu  der  Betäubung  des  Krauken  verwendet,  denn  es 
hat  sich  ja  bei  jedem  der  bisher  zu  Narkosen  emptohhi'ueu  chemischen  Körperu 
gar  manche  üble  Wirkung  auf  den  menschlichen  resp.  auf  den  tierischen 
Organismus,  wenn  man  den  umfassenderen  Begriff:  Tier  im  Gegensatz  zu  Pflanzen 
und  als  den  des  großen  Naturreiches,  das  Mensch  und  Tier  umfaßt,  hier  brauchen 
darf,  gezeigt  uud  man  hat  bei  Beginn  einer  Narkose  zu  viel  zu  berücksichtigen, 
als  daß  man  so  ohne  weiteres  die  Wahl  des  Narkotikums  dem  momentanen 
Gutdünken,  den  Gewohnheiten  des  Operateurs  oder  dem  Zufall,  der  den  oder 
jenen  chemischen  Körper  dem  Narkotiseur  gerade  in  die  Hand  spielt,  überlassen 
könute.  Mit  dem  tieferen  Eindringen  der  Physiologie  und  Pathologie  in  die 
Geheimnisse  des  tierischen  Lebens  hat  der  Arzt  immer  mehr  erkennen  gelernt, 
ein  wie  labiles  Gleichgewicht  im  menschlichen  Leben  besteht  und  wie  leicht  durch 
die  geringsten  Anlässe  dasselbe  gestört  den  Menschen  erkranken  oder  sterben 
läßt.  Bei  dieser  Erkenntnis  findet  er  auch  die  richtige  Schätzung  der  Einflüsse 
der  Narkose  auf  den  ganzen  Organismiis  und  er  weiß,  wie  in  seiner  Hand  des 
Patienten  Leben  liegt,  und  daß  er  durch  das  geringste  Versehen  den  Kranken  iu 
die  höchste  Gefahr  versetzen  kann.  Man  hat  alles  dies  erkannt  und  hat  ver- 
sucht, die  Wirkungen  der  Narkosemittel  genauer  zu  studiereu,  um  durch  diese 
Kenntnis  aller  Beziehungen  der  Narkotika  zu  den  Organen  und  Funktionen  die 
Gefahren  vermindern  zu  können,  welche  jede  Narkose  dem  Narkotisierten  bringt. 
Trotz  der  großen  Anzahl  der  Narkotika  sind  doch  immer  Äther  und  Chloroform 
diejenigen  beiden  Stoffe  gewesen,  die,  am  meisten  verwendet,  zeither  in 
einem  Wettstreit  um  die  Vorherrschaft  gelegen  haben,  ein  Kampf,  der  noch 
immer  besteht,  und  es  ist  noch  keine  Aussicht,  daß  er  so  bald  entschieden 
werden  könnte.  Da  nun  die  Chloroform-  und  Äthernarkose  iu  all  ihren  Einzel- 
heiten in  den  vorhergehenden  Paragrapheu  erörtert  worden  ist,  so  ist  es  gerecht- 
fertigt, wenn  ich  hier  noch  in  wenig  Worten  über  das  Verhältnis  der  beiden 
Stoffe  zueinander  Erörterungen  anschließe,  aus  denen  man  wird  ersehen  können, 
ob  dem  einen  der  Vorzug  zuerkannt  werden  kann,  und  wann,  wie  und  wo  der 
eine  oder  der  andere  Körper  zur  Narkose  verwendet  w-erden  darf. 

Für  eine  lange  Narkose  kommt  allerdings  bis  jetzt  noch  immer  nur  Äther 
oder  Chloroform  in  Betracht  und  man  hat  außer  diesen  beiden  Stoffen  nur  die 
Mischungen  und  Kombinationen  dieser  beiden  Körper  mit  Sauerstoff  oder 
anderen  Narkotika  verwendet.  Diese  sogenannten  Mischnarkosen  soUen  hier 
nicht  mit  in  Betracht  gezogen  werden,  denn  für  die  Narkose  der  Praxis  wird  immer 
nur  Äther  oder  Chloroform  Verwendung  finden  können,  da  ja  die  Mischnarkoseu 
und  die  Sauerstoff-Chloroform-  oder  Sauerstoff-Äthernarkosen  zu  komplizierte 
Apparate  erfordern,  als  daß  der  praktische  Arzt  dieselben  zu  Narkosen  verwenden 
könnte.  Gerade  dieser  Umstand  ist  ungeheuer  wichtig,  denn  die  meisten  Nar- 
kosen werden  heute  doch  in  der  allgemeinen  Praxis  fern  von  den  Operations- 
sälen der  Ki-ankenhäuser  vorgenommen  und  oftmals  muß  der  Arzt  mit  den 
vielen  Instrumenten  und  Verbandsstoffen,  die  er  zur  Operation  nötig  hat,  stunden- 


—     414     — 

lang  iu  seinem  Wagen  fahren,  ehe  er  das  Haus  des  Kranken  erreicht,  wo  er  die 
Operation  vornehmen  will.  Im  günstigsten  Falle  hat  er  dann  noch  die  Hebamme 
füi"  Assistenz  nnd  diese  muß  die  Narkose  übernehmen.  Wenn  auch  sie  fehlt, 
so  muß  der  Arzt  die  Narkose  eben  selbst  ausführen  und  das  Halten  der  Maske 
einem  Laien  überlassen,  Avelcher  nur  nach  den  Direktiven  des  Arztes  zu  handeln 
hat.  Daß  in  diesen  Verhältnissen  der  Arzt  nur  diejenige  Narkose  wählt,  welche 
am  leichtesten  auszuführen,  am  wenigsten  Instrumentarium,  und  vor  allen  Dingen 
einfache  Instrumente  verlangt,  ist  wohl  von  selbst  verständlich.  Wenn  man  nun 
bedenkt,  wie  ungeheuer  häufig  in  unserer  Zeit  wegen  jeder  Kleinigkeit  narkotisiert 
wird,  und  wie  oft  auch  der  Landarzt  zu  operieren  hat,  da  versteht  man  wohl 
leicht,  daß  immer  das  Wichtigste  bei  der  Wahl  einer  Methode  ist,  diejenige  zu 
finden,  welche  für  die  Praxis  am  vorteilhaftesten,  einfachsten  und  leichtesten 
ist.  Somit  ist  auch  erklärlich,  daß  der  praktische  Arzt  noch  immer  nur  die 
beiden  Narkotika  Chloroform  und  Äther  kennt.  Ehe  aber  ein  definitives  Urteil 
gefällt  werden  kann,  sollen  erst  hier  noch  kurz  die  hauptsächlichsten  Wirkungen 
der  beiden  Stoffe  miteinander  verglichen  werden. 

Das  Chloroform  ist  bekanntlich  ein  bedeutend  stärkeres  Narkotikum,  es 
besitzt  eine  größere  narkotische  Kraft,  kleinere  Narkosenbreite  und  größere 
Giftigkeit  als  der  Äther,  welcher  weniger  toxisch  wirkt,  eine  größere  Narkosen- 
breite besitzt,  aber  dafür  auch  ein  bedeutend  schwächeres  Narkotikum  dar- 
stellt. Wie  verhält  es  sich  nun  mit  den  Kontraindikationen  der  beiden  Stoffe? 
Das  Chloroform  und  der  Äther  haben  beide  strikte  Kontraindikationen  in  jenen 
Fällen,  wo  man  überhaupt  eine  Narkose  nicht  wagen  kann,  das  sind  alle  die 
schwer  kachektischen,  entbluteten  Patienten,  deren  Lebenskraft  den  An- 
forderungen der  Narkose  im  allgemeinen  nicht  gewachsen  ist,  das  sind  jene 
Kranken,  welche  eine  ausgesprochene  lymphatische,  anämische  und  tuber- 
kulöse Konstitution  haben,  wobei  man  eigentlich  nicht  nur  den  Zustand  als 
Konstitutionsanomalie  auffassen  darf,  sondern  schon  mehr  als  Krankheit  bezeichnen 
muß,  einen  Zustand  höchster  Schwäche,  der  hervorgegangen  ist  aus  den 
pathologischen  Veranlagungen  des  Organismus,  wozu  auch  noch  die  alkoholische 
und  nervöse  Konstitution  gerechnet  werden  muß.  Während  die  lymphatische 
Konstitution,  sobald  man  sie  als  solche  deutlich  feststellen  kann,  eine  strikte 
Kontraindikation  gegen  jede  Narkose  darstellt,  so  kann  man  die  anderen 
Konstitutionsanomalien  nur  in  ihrer  höchsten  Ausbildung,  wenn  sie  die  Kräfte 
derart  in  Anspruch  genommen  und  so  stark  verzehrt  haben,  daß  eben  das 
Lebenslicht  nur  noch  ein  flackernd  Flämmleiu  ohne  genügend  Öl  darstellt,  als 
Kontraindikationen  auffassen.  Diese  seltenen  Fälle  müssen  also  von  vorn- 
herein ausgeschlossen  werden. 

Es  sind  nunmehr  noch  die  Verhältnisse  zu  erörtern,  welche  eine  Kontra- 
indikation des  einen  oder  anderen  Narkotikums  bilden  und  es  entsteht  dann 
die  Frage,  ist  in  den  Fällen,  wo  man  das  eine  Narkotikum  verbietet,  das 
andere  anzuwenden?  Diese  Frage  kann  nicht  so  ohne  weiteres  bejahend  ent- 
schieden werden,  denn  die  A^erhältnisse  liegen  nicht  so  einfach.  Man  kann 
wohl  mit  Recht  sagen,  daß  es  für  die  unter  allen  Kautelen  vorgenommenen 
Chloroformnarkoseu  nur  wenige  Kontraindikationen  gibt,  bei  denen  man  be- 
haupten darf,  eine  Chloroformnarkose  sei  in  diesem  Fall  dem  Kranken  sehr 
gefährlich  und  man  müsse  in  Hinsicht  auf  die  direkte  Lebensgefahr  durch  die 
Chloroformnarkose  dieselbe  verbieten,  hingegen  sei  in  diesem  Falle  eine  Äther- 


—     415     — 

narkose  zu  gestatten  und  ohne  Gefahr  auszuführen!  Mau  muß  entschieden 
zugeben,  daß  solche  Krankheiten  niir  sehr  selten  zu  finden  sind.  Rekapituliert 
man  sich  einmal  die  Koutraiudikationen  der  Chhjroformnarkose,  so  hat  mau 
da  vor  allem  die  Erkrankungen  akuter  infektiöser  Natur  des  Herzens,  die 
chronische  Fettmetamorphose  von  Herz,  Leber,  Nieren  etc.  in  nachweisbarem 
Zustande  und  die  schweren  allgemeinen  marastischen  Erkrankungen,  bei  denen 
der  Patient  nur  einen  geringen  Überschuß  au  Kraft  noch  aufweist,  der  ge- 
nügend ist,  sein  Leben  noch  zu  erhalten,  aber  doch  größeren  Ansprüchen,  wie 
einer  Chloroformnarkose,  nicht  gewachsen  ist.  Erklärt  man  sich  hierbei  die 
Wirkung  des  Chloroforms,  so  muß  man  einesteils  die  üble  deprimierende  Ein- 
wirkung, die  schwächenden  Einflüsse  des  Chloroforms  auf  die  Herzleistung, 
Herzkraft  und  den  Blutdruck  in  Betracht  ziehen,  andererseits  muß  man  die 
Tendenz  des  Chloroforms,  eine  beginnende  Fettmetamorphose  innerer  paren- 
chymatöser Organe  und  des  Herzens,  der  Hirngefäße  und  Ganglienzellen  etc. 
zu  erzeugen  beachten  —  alles  Einwirkungen  schwerster  Art,  welche  vor  allen 
Dingen  zutage  treten  nach  Chloroformnarkosen  längerer  Dauer,  häufiger 
Wiederholung,  und  selbst  mittellanger,  ja  kurzer  Narkosen  bei  bestehender 
Disposition  zu  diesen  Leiden,  ja  bei  schon  bestehenden  Veränderungen,  wenn 
auch  nur  im  Beginn,  dieser  Art  im  Herz  und  in  den  inneren  parenchymatösen 
Organen,  im  Cerebrum,  in  den  Gefäßwandungen  etc.  Aus  allen  diesen 
theoretischen  Erwägungen  zieht  man  sehr  leicht  das  Eesultat,  welches  mit 
den  Beobachtungen  im  praktischen  Leben  übereinstimmt  und  dadurch  bedeutend 
gefestigt  und  erwiesen  wird,  nämlich  daß  man  eine  Chloroformnarkose  bei 
diesen  Erkrankimgen  vermeiden  soll.  (Mikulicz,  Witzel,  Hofmaun,  Straß- 
mann etc.  etc.)  Man  hat  die  allgemeine  Überzeugung  erlangt,  daß  die  Ge- 
fahren der  Chloroformnarkose  bei  diesen  Krankheiten  große  sind,  jedenfalls 
groß  genug,  um  den  Arzt  zu  veranlassen,  hierbei  ein  anderes  Narkotikum  zu 
wählen.  Allerdings  bestehen  hier  keine  feststehenden  Grenzen,  man  kann  nicht 
genau  sagen  und  entscheiden,  hier  ist  Chloroform  verboten,  hier  darf  man  die 
Chloroformnarkose  nicht  anwenden,  denn  es  sind  zu  viel  Bedingungen  vor- 
handen, unter  denen  mau  doch  noch  selbst  bei  derartigen  Erkrankungen  eine 
Chloroformnarkose  wagen  darf,  die  man  in  gewissen  Verhältnissen  des  täg- 
lichen Lebens  nicht  immer  wählen  kann,  da  die  Krankheit  oftmals  nur  sehr 
gering  ist,  und  da  auch  die  Technik  und  Ausführung  der  Chloroformnarkose 
die  Gefahren  der  Chloroformwirkung  selbst  auf  disponierte  Orgaue  und  krank- 
hafte Veränderungen  beginnender  Art  der  oben  bezeichneten  Leiden  bedeutend 
müdern,  verringern  und  abschwächen  kann,  so  daß  man  eine  Menge  von  Mit- 
teilungen findet  und  liest,  welche  von  der  geringen  toxischen  Wirkung  des 
Chloroforms  in  diesen  Verhältnissen  berichten,  während  andere  von  den  großen 
Gefahren  der  Narkose  bei  den  sogar  nur  in  den  ersten  Anfängen  vorhandenen 
pathologischen  Zuständen  obiger  Art  erzählen  und  nicht  genug  vor  der  Ver- 
wendung des  Chloroforms  warnen  können.  Es  bestehen  eben  zu  viel  Be- 
dingungen und  Wechselbeziehungen  zwischen  Narkose  und  Krankheit,  zwischen 
Narkotiseur  und  der  Narkose,  zwischen  dem  Chloroform  und  der  Technik  der 
Narkose,  der  Operation,  den  äußeren  Verhältnissen  etc.,  welche  alle  mitwirken, 
je  nach  dem  gerade  obwaltenden  Zustande,  in  dem  jeder  einzelne  Punkt  sich 
befindet,  zugunsten  oder  Ungunsten  der  Chloroformnarkose  und  des  Kranken. 
Man    hat    also    aar   mancherlei  zu  bedenken,  ehe  man  eine  Chloroform- 


— .     416     — 

narkose  verbietet.  Wenn  man  mm  die  Koutraindikationen  gegen  die  Chloroform- 
narkose etwas  mehr  präzisieren  will,  so  muß  man  Chloroform  dann  verbieten, 
wenn  eine  Affektion  des  Herzens  mehr  oder  weniger  fortgeschritten  oder  aus- 
gebildet, ja  nur  in  den  ersten  Anfängen  besteht.  Man  soll  daher  bei  allen 
Herzkranken,  bei  allen  Personen,  welche  infolge  ihrer  Erkrankung,  Konstitution, 
Lebensart  oder  Heredität  ein  erkranktes  Herz  vermuten  lassen,  wobei  man 
unter  der  Herzerkrankung  Debilitas,  Fettmetamorphose,  akute  entzündliche 
Veränderungen  in  iind  am  Herzen,  C)bliteration  der  Perikardblätter,  Sclerose 
der  Gefäße  verstehen  muß,  und  seien  diese  Zustände  auch  nur  im  Beginn  vor- 
handen, oder  seien  nur  Zeichen  da,  daß  man  auf  das  Vorhandensein  dieser 
Veränderungen  oder  nur  auf  die  ersten  Anfänge  derselben  schließen  muß,  die 
Chloroformnarkose  vermeiden.  (Blauel,  Whiteford,  Duplay,  Hallion, 
Knoblanck,  Holz,  Czempin.  Smith,  Luria,  Mikulicz,  Pasini,  Wohl- 
gemut etc.)  Man  hat  natürlich  auch  Fälle  gesehen,  wo  die  Chloroforinnarkose 
trotz  bestehender  Herzaffektion  vertragen  wurde,  doch  das  sind  Ausnahmen 
und  man  darf  nicht  mit  denselben  rechnen.  Neben  den  Herzveränderungen 
dieser  Art  sind  nur  wenige  andere  Zustände  zu  nennen,  welche  die  Chloro- 
formnarkose verbieten,  weil  alle  die  hier  in  Betracht  kommenden  Krankheiten 
dann  auch  eine  oder  die  andere  der  genannten  Herzveränderungen  bewirken 
und  somit  schon  die  Chloroformnarkose  verbieten,  denn  diese  genannten  Herz- 
leiden sind  in  den  meisten  Fällen  sekundäre  Erscheinungen,  Folgen  von  anderen 
den  Organismus  stark  alterierenden  Ki'ankheiten.  Es  kommen  noch  schwere 
Nieren-  und  Leberleiden  hierbei  in  Betracht,  ferner  Eklampsie  und  schließlich 
die  Arteriosklerose.  Natürlich  werden  hier  all  die  vielen  akuten  Infektions- 
krankheiten übergangen,  denn  dieselben  sind  ja  selbstverständlich  bis  zii  einem 
gewissen  Grade  Kontraindikationen  jeder  Narkose. 

Es  wäre  nun  zu  erörtern,  welche  Narkose  man  bei  den  hier  genannten 
Kontraindikationen  für  Chloroform  anwenden  soll  und  ob  der  Äther  eine  un- 
gefährlichere Narkose  erzeugt.  Es  ist  diese  Frage  nicht  so  ohne  weiteres  zu 
entscheiden,  man  kann  nicht  in  allen  Fällen  der  genannten  Herzleiden  die 
Chloroformnarkose  durch  die  Ätherbetäubung  ersetzen.  Der  Äther  kommt  ja 
natürlich  lediglich  zunächst  als  Narkotikum  in  Betracht,  allein  man  muß  da 
auch  die  Verhältnisse  in  Betracht  ziehen.  Im  allgemeinen  kann  man  aber  sagen, 
daß  der  Aether  sulfur.  bei  Herzleiden  besser  vertragen  wird  als  das  Chloroform 
Mau  soll  daher  stets  bei  Verdacht  von  Herzleiden  der  genannten  Art  den  Äther 
wählen.  Die  Vorzüge  des  Äthers  liegen  darin,  daß  er  einerseits  die  Herzkraft 
anregt  entgegen  dem  Chloroform,  welches  dieselbe  schwächt,  andererseits  den 
Blutdruck  erhöht.  Nur  sehr  lange  Äthernarkosen  bewirken  auch  eine  gering- 
fügige Schwächung  .der  Herzkraft.  Also  wird  man  in  allen  jenen  Fällen,  wo 
man  das  Chloroform  wegen  seiner  deprimierenden,  schwächenden,  das  Herz 
direkt  toxisch  beeinflussenden  Eigenschaft  vermeiden  soll,  den  Äther  wählen. 
Vorausgesetzt  muß  auch  dies  bei  den  Herzleiden  werden,  daß  noch  die  genügende 
Widerstandskraft  des  Organismus  im  allgemeinen  und  des  Herzens  im  besonderen 
vorhanden  sein  muß,  um  einer  Äthernarkose  widerstehen  zu  können,  denn  auch 
diese  stellt  an  die  Kraft  des  Organismus  Anforderungen,  welche  natürlich  mit 
der  Dauer  der  Narkose  schwanken.  Man  kann  daher  sagen,  daß  bei  den  Herz- 
leiden, wie  Arteriosklerose,  Endocarditis,  Myocarditis,  Pericarditis,  wenn  Narkose 
unbedingt  nötig  ist,  eine  kui-ze,  leichte  Äthernarkose  erlaubt  ist,  ebenso  bei  den 


—     4l7     — 

verschiedenen  Klappenfehlern.  lunuer  soll  mau  auch  bei  kompensierten  Klappen- 
fehlern die  Ätliernarkose  vorziehen.  Nun  ist  die  Fettmetamorphose  des  Myo- 
cards  noch  nicht  in  ihrem  Verhältnis  zur  Äthernarkose  erörtert  worden.  Es  ist 
hei  allen  Leiden,  welche  einen  Verdacht  auf  bestehende  oder  beginnende  Fett- 
metamorphose aulkommen  lassen,  nicht  so  ohne  weiteres  die  Äthernarkose  für 
weniger  gefährlich  als  die  Chloroformnarkose  anzusehen  und  daher  anzuwenden. 
Man  hat  früher  angenommen,  die  Fettmetamorphose,  welche  man  bei  Chloro- 
form oftmals  in  dem  Herzen,  der  Leber,  der  Niere  findet,  sei  eine  nur  für  dieses 
Narkotikum  typische  toxische  Wirknng.  Diese  Ansicht  ist  durch  neuere  Unter- 
suchungen widerlegt  wordeu  (Verfasser).  Es  ist  durch  eingehende  Experimente 
nachgewiesen  wordeu,  daß  die  Fettmetamorphose  in  den  inneren  Organen  von 
allen  Narkotika  erzeugt  wird,  daß  also  auch  Äther  bei  langer  Dauer  der  Ein- 
wirkung Fettmetamorphose  erzeugen  kann  und  man  hat  daher  auch  die  Erklärung 
gefunden  für  so  manche  Erscheinungen  nach  langen  Äthernarkosen  (Ikterus, 
Albuminurie,  Cylindrurie  etc.).  Es  besteht  daher  auch  die  Grefahr,  daß  Äther  die 
Fettmetamorphose  im  Herzen,  ebenso  in  Leber  und  Nieren,  beeinflusse,  vermehre 
und  dadurch  dem  Kranken  gefährlich  werde.  In  Rücksicht  auf  diese  Eigen- 
schaft des  Äthers  kann  mau  daher  bei  all  den  Leiden,  welche  Fettmetamorphose 
im  Herzen  und  anderen  inneren  Organen  wahrscheinlich  machen,  auch  nicht  so 
ohne  weiteres  den  Äther  als  günstiger  für  die  Narkose  hinstellen  gegenüber  dem 
Chloroform.  Wenn  man  nun  auch  zugeben  muß,  daß  auch  die  Äthernarkose  bei 
diesen  Leiden  eine  Gefahr  bedeutet,  so  kann  man  doch  dem  entgegenhalten,  daß 
der  Äther  ein  bedeutend  schwächeres  Narkotikum  mit  bedeutend  geringerer  nar- 
kotischer Kraft  darstellt  als  das  Chloroform  und  deshalb  bei  diesen  Leiden  dem 
Chloroform  vorzuziehen  ist,  da  er  bedeutend  weniger  Gefahr  bietet,  die  Fett- 
metamorphose zu  verschlimmern,  als  Chloroform.  Man  hat  zudem  noch  zu  be- 
rücksichtigen, daß  der  Äther  nur  hei  sehr  langer  Dauer  der  Narkose  Gefahren 
verursacht,  man  wird  daher  die  Narkose  möglichst  abkürzen.  Jedenfalls  stellt 
der  Äther  auch  in  dieser  Hinsicht  ein  weniger  gefährliches  Narkotikum  dar. 
Das  Resümee  also  dieser  Betrachtungen  lautet  so,  daß  Chloroform  bei  den 
Herzleiden  und  den  Herzleiden  hervorruf  enden  und  begünstigenden, 
die  allgemeine  Körperkraft  schwer  beeinträchtigenden  Krank- 
heiten kontraindiziert  und  daß  ihm  dann  Aether  sulfuricus  vorzu- 
ziehen ist,  da  derselbe  hinsichtlich  dieser  pathologischen  Zu- 
stände weniger  Gefahren  mit  sich  bringt,  daß  aber  Gefahren  auch 
bei  der  Äthernarkose  nicht  auszuschließen  sind,  weshalb  man  die 
Narkose  möglichst  beschränken  und  abkürzen  soll. 

§  8.  Wendet  man  sich  nun  zu  den  Kontraindikationen  der  Äthernarkose,  so 
kann  man  folgendes  anführen.  Die  Äthernarkose  übt  besonders  nachteilige 
Einwirkungen  auf  die  Lunge  und  deren  Tätigkeit  aus,  indem  einerseits  durch 
eine  Äthernarkose  eine  starke  Vermehrung  der  Schleimabsonderung  in  der 
Lunge  selbst  hervorgerufen  wird,  wodurch  Pneumonien  und  Bronchitiden  ver- 
anlaßt werden  können,  und  andererseits  die  Lunge  seihst  durch  den  Äther  in 
ihrem  physiologischen  Zustande  geschädigt  werden  kann,  was  wiederum  zu 
Lungenleideu  und  außerdem  noch  zu  plötzlichen  Todesfällen  während  der  Nar- 
kose zu  führen  vermag.  Wenn  man  nun  eine  Person  zu  narkotisieren  hat,  welche 
eine  mehr  oder  minder  hochgradige  Lungenkrankheit  aufweist,  so  läuft  man 
Gefahr,    daß    diese  Lungenerkrankung    durch    die  Ätherwirkuug    so    stark  ver- 

27 


—     418     — 

scUimmert  wird,  daß  das  Leben  des  Krauken  bedroht,  und  daß  auch  während 
der  Narkose  eine  Apnoe,  eine  Atemlähmung,  erzeugt  werden  kann.  Man  hat 
infolge  dieser  Verhältnisse  die  Äthernarkose  bei  Lungenkranken  nicht  au- 
gewendet und  betrachtet  alle  Lungenleiden  als  Kontraindikationen.  Dies  ist 
natürlich  wiederum  nur  unter  gewissen  Voraussetzungen  und  Bedingungen  als 
Regel  anzusehen.  Man  wird  natürlich  bei  allen  akuten  Entzündungen  der 
Lungen,  bei  Pneumonien  etc.,  eine  Äthernarkose  unterlassen,  allerdings  bilden 
Pneumonien  auch  gegen  jede  Narkose  Kontraiudikationen.  Vor  allem  aber  die 
Bronchitiden  akuter  und  chronischer  Art  werden  durch  eine  Äthernarkose  ent- 
schieden übel  beeinflußt,  sie  werden  verschlimmert  und  können  zu  schweren 
Pneumonien  führen.  Besonders  wichtig  hierbei  sind  zwei  Krankheiten,  die 
Lungentuberkulose  und  das  Emphysem  mit  chronischer  Bronchitis.  Diese 
beiden  pathologischen  Zustände  werden  durch  eine  Äthernarkose  sehr  schwer 
verändert,  können  zu  schweren,  lebensgefährlichen  Krankheiten  verschlimmert 
werden  und  dem  Kranken  das  Leben  bedi'ohen.  Es  ist  daher  die  Äthernarkose 
stets  kontraindiziert  bei  jeder  nachweisbaren  Tuberkulose,  bei  Verdacht  auf 
Lungentuberkulose,  bei  Emphysem  und  Bronchitis. 

Das  Chloroform  wirkt  entschieden  günstiger  auf  diese  Lungenleiden,  wenu 
man  auch  nicht  sageu  kann,  daß  die  Chloroformnarkose  vollkommen  \xngefahr- 
lich  ist,  so  wirkt  das  Chloroform  doch  nicht  so  schwer  und  intensiv  auf  die 
Lungen  ein.  Man  hat  nun  aber  auch  hier  einen  allen  Narkotika  mehr  oder 
weniger  anhaftenden  Einfluß  auf  die  Lungen  gefunden,  welcher  darin  besteht, 
die  Schleimabsonderung  der  Bronchialschleimhaut  in  der  Lunge  zu  vermehren 
und  eine  Fettmetamorphose  in  den  Epithelien  des  respiratorischen  Epithels 
hervorzui'ufeu,  durch  welche  letztere  der  Lunge  vor  allem  die  baktericide  Kraft 
geraubt  wird,  so  daß  Pneumonien  etc.  entstehen  können.  Diese  Einwirkung- 
Ist  entsprechend  der  narkotischen  Kraft  in  umgekehrter  Proportionalität  vor- 
handen, so  daß  Aether  sulfuricus  stärker  auf  die  Lungen  einwirkt  als  Chloro- 
form. Es  geht  also  daraus  hervor,  daß  auch  das  Chloroform  auf  schwere  Lungen- 
leiden verschlimmernd  einwirken  muß.  Man  wird  daher  mir  bei  solchen  Lungen- 
leiden, welche  noch  nicht  sehr  hochgradig  vorhanden  sind,  eine  Chloroform- 
narkose ohne  wesentlichen  Schaden  vornehmen  können,  während  man  bei  hoch- 
gradigem Emphysem,  bei  fortgeschrittener  Phthise  eine  Chloroformnarkose  nicht 
ohne  Gefahr  ixnd  Schaden  ausführen  wird.  Immerhin  hat  man  auch  sehr  aus- 
■  gedehnte  Phthisen  durch  eine  nicht  zu  lauge,  vorsichtig  geleitete  Chloroform- 
narkose nicht  wesentlich  schlecht  beeinflussen  sehen,  ich  habe  z.  B.  einen  Phthi- 
siker  mit  beiderseitiger  Cavernenbilduug  innerhalb  4  Wochen  dreimal  chloro- 
formieren müssen,  wobei  die  erste  Narkose  30  Minuten,  die  zweite  15  und  die 
dritte  25  Minuten  dauerte,  und  eine  Schädigung  der  Lunge  nicht  eintrat.  Ge- 
fährlicher ist  die  Narkose  bei  Emphysematikern,  bei  diesen  gibt  es  entschiedene 
Grenzen  je  nach  dem  objektiven  Befund.  Das  Resümee  dieser  Betrachtung 
lautet  folgendermaßen:  Bei  Luugenleiden  chronischer  Art  soll  mau 
die  Äthernarkose  vermeiden  und  an  deren  Stelle  eine  Chloroform- 
narkose verwenden.  Die  Chloroformnarkose  bietet  weniger  Ge- 
fahren als  die  Narkose  mit  Äther  bei  Phthisen  und  Bronchitiden, 
während  sie  bei  Emphysem  gefährlich  ist. 

§  9.    Aus  diesen  Erörterungen  gehen  die  Wirkungen  der  beiden  Narkosen 
hervor  iind  dieselben  zeigen  schon  an  sich  recht  deutlich,  daß  mau  nicht  einer 


—     419     — 

Methode  vor  der  anderen  ohne  weiteres  den  Vorzug  geben  kann.  Es  wird 
immer  Fälle  geben,  wo  man  Äther  anwenden  und  solche,  wo  man  Chlorofonn 
brauchen  muß. 

Man  hat  dem  Chloroform  vielfach  eine  größere  Giftwirkung  beigemessen 
und  dasselbe  infolgedessen  dem  Äther  nachgestellt.  Dieser  Punkt  der  Toxizität 
der  beiden  Narkotika  ist  dahin  zu  entscheiden,  daß  das  Chloroform  allerdings 
giftiger  wirkt,  daß  es  kumulierende  Eigenschaften  in  viel  höherem  Maße  hat, 
als  der  Äfher.  Diese  beiden  Eigenschaften  der  Narkotika  hängen  aber  direkt 
ab  von  der  narkotischen  Kraft,  und  indem  das  Chloroform  giftiger  und  kumu- 
lierender wirkt,  ist  es  ein  stärkeres  Narkotikum,  während  der  Äther  schwächer 
wirkt  und  daher  auch  in  manchen  Fällen  schwerer  Narkose  herbeiführt.  Die 
narkotische  Kraft  bringt  verschiedene  Nachteile  mit  sich,  denn  bei  dem  stärker 


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Figur  131.     Durchschnittskui'ven  links  für  Aether  sulfr.  berechnet  aus  25,  rechts 

für  Chloroform   berechnet  aus   18  Einzelkurven   von  gesunden    Menschen    über 

20  Jahre  bei  einer  Narkosenlänge  von  mindestens  50  Minuten.     Die  Horizontale 

N  bedeutet  die  Normalblutdruckhöhe  (nach  Blauel). 


wirkenden  Chloroform  bewirkt  dieselbe  Nebenwirkungen  auf  Herz  und  Puls  (Holz, 
Blauel,  Hölscher  etc.)  und  bei  dem  schwächer  wirkenden  Äther  sind  auch 
Fälle  genannt,  wo  die  narkotische  Kraft  nicht  ausreichte,  um  eine  genügende 
Betäubung  zu  bewirken.  Dies  letztere  tritt  bekanntlich  bei  hochgradigen 
Alkoholisten  ein,  und  man  muß  dann  ein  anderes  Narkotikum  zu  Hilfe  nehmen, 
welches,  neben  dem  Äther  verwendet,  die  tiefe  Narkose  erzeugt,  und  einer- 
seits im  Morphin  andererseits  im  Chloroform  gegeben  ist. 

Die  Wirkungen  der  beiden  Körper  auf  das  normale,  gesunde,  nicht  von 
Krankheiten  veränderte  Herz  schildern  so  recht  die  Unterschiede  und  Vorteile 
des  einen  vor  dem  anderen.  Das  Chloroform  bewirkt  eine  hochgradige  Depression, 
ein  Sinken  des  Blutdruckes,  und  während  einer  langen  Narkose  ruft  die  Chloroform- 
wirkung neben  einem  beträchtlichen  Sinken  unter  die  Normalblutdruckhöhe  noch 
tiefe,    enorm    schroff   eintretende  und    abfallende    Remissionen    hervor,     welche 

27* 


—     420     — 

einen  Beweis  für  die  toxische  Wirkung-  des  Chloroforms  darstellen.  Entgegen 
diesem  starken  Sinken  der  Blutdruckkurve  unter  die  Normaldruckhöhe  durch 
die  Chloroformwirkung  besitzt  der  Äther  die  Eigenschaft,  den  Blutdruck  während 
der  ganzen  Dauer  der  Narkose  zu  erhöhen,  stets  bleibt  die  Kurve  in  der  Äther- 
narkose über  der  Normaldruckhöhe  und  derselben  fehlen  die  Remissionen  (Blauel). 
Diese  Verhältnisse  sind  am  besten  ersichtlich  aus  den  Blutdruckkurven,  wie  sie  in 
Figur  131  und  den  Figuren  132  und  133  wiedergegeben  sind.  Diese  Kurven  stellen 
die  Einflüsse  von  Chloroform  und  Äther  auf  den  Blutdruck  dar  und  sind  von 
Blauel  aus  den  bei  seinen  Untersuchungen  gewonnenen  Resultaten  zusammen- 
gestellt worden.  In  diesen  drei  Abbildungen  sind  rechts  die  Chloroformkurven, 
links  die  Ätherkurven  veranschaulicht  und  man  kann  deutlich  den  Unterschied 
in  den  Wirkungen  der  beiden  Narkotika  auf  den  Blutdruck  gewahren.  Die 
Blutdruckkurve  bei  Chloroform  zeigt  von  Anfang  an  ein  rasches  Sinken  unter 
die    Normalblutdrnckhöhe,    und    dieser   niedrige   Stand    des  Blutdruckes    bleibt 


Figur  132.     Diirchschnittskurve  bei  Amputatio  maiiimae,  liuks  für  Aether  sulf., 
rechts  für  Chloroform  berechnet  aus  je  3  Eiuzelkurven.     (Blauel.) 


während  der  ganzen  Narkose  bestehen,  daneben  sind  Remissionen  deutlich, 
während  die  nebenstehenden  Ätherkurven  zunächst  einen  raschen  Anstieg  des 
Blutdruckes  über  die  Normalblutdruckhöhe  zeigen,  nach  welchem  der  Blutdruck 
langsam  aber  stetig  ohne  wesentliche  Unterbrechungen  sinkt,  bis  er  beim  Er- 
wachen des  Kranken  auf  der  Normalblutdruckhöhe  wieder  angelangt  ist.  Bei 
der  Kurve  in  Figur  131  ist  eine  wesentlich  einflußreiche  Operation  nicht  vor- 
handen gewesen,  die  Personen  sind  ganz  normale,  gesunde  Personen  gewesen. 
Bei  den  anderen  Kurven  in  Figuren  132  und  133  wurden  schwere  Operationen 
nebenbei  ausgeführt,  wie  die  Amputatio  mammae  oder  Laparotomien,  welche  aber 
einen  wesentlichen  Einfluß  auf  die  Kurven  nicht  ausgeübt  haben.  Was  man  nun 
aus  diesen  Betrachtungen,  Bildern  und  Resultaten  der  Versuche  von  Blauel  ent- 
nimmt, ist  die  Tatsache,  daß  die  Chloroformnarkose  einen  schwer  schädigenden 
Einfluß  auf  die  Herztätigkeit  ausübt,  während  der  Äther  das  Herz  nicht  nach- 
teilig beeinflußt.  Man  muß  also  aus  diesen  Befunden  bei  den  Narkosen  den 
Schluß  ziehen,  daß  die  Chloroformnarkose  auch  für  den  gesunden  Menschen 
immer  die  Gefahr  des  Eintrittes  einer  Herzsynkope  mit  sich  bringt  und  daß 
man,  wenn  weitere  Gegengründe   nicht   vorliegen,    den  Äther   für  die  Narkose 


—     421     — 

vorziehen  muß.  Man  hat  also  hier  ganz  entschieden  einen  Punkt,  der  in  der 
allgemeinen  Praxis  gegen  die  Verwendung  des  Chloroforms  und  für  die  des 
Äthers  spricht.  Dieselben  Untersuchungen,  die  Blauel  angestellt  und  bei  denen 
er  diese  ebengenannten  Resultate  erhalten  hat,  sind  von  verschiedenen  Forschern 
ebenfalls  bearbeitet  vforden,  und  man  hat  dieselben  Resultate  gefunden  (Holz, 
Kapsammer,  Tillmanns,  P.  Bruns,  Osthelder,  Gumprecht  etc.). 

Diese  Einwirkung  des  Chloroforms  auf  das  normale  und  die  obengenannte 
Einwirkung  auf  das  erkrankte  Herz  lehren  eine  große  Vorsicht,  die  man  bei 
der  Wahl  des  Chloroforms  als  Narkotikum  beachten  muß  und  sie  zeigen,  daß 
das  C!hloroform  gar  manche  schweren  Gefahren  mit  sich  bringt.  Wenn  man  nun 
noch  die  Möglichkeit  der  Reflexsynkope  im  Anfang  der  Chloroformnarkose,  die 
aus  verschiedenerlei  Ursachen  schnell  und  unerwartet  eintretenden  Synkope-  und 
Apnoefälle  während  der  Narkose,  wenn  man  die  Gefahr  der  Fettmetamorphose 
der  inneren  parenchymatösen  Organe,  diese  schwer  unter  dem  Bilde  des  protrahierten 


Figur  133.     Durch schnittskurve  bei  Laparotomien,  links  für  Aether  sulf.,  rechts 
für  Cloroform.    Für  Aether  berechnet  aus  8  für  Chloroform  aus  4  Einzelkurven. 

(Blauel). 


Chloroformtodes  nach  der  Narkose  auftreten,  in  Betracht  zieht  und  bedenkt  man 
auch  noch,  daß  das  Chloroform  auch  auf  die  Lungen  schädigend  wirken,  Apnoe, 
Pneumonien  und  Bronchitiden  erzeugen  kann,  so  erkennt  man,  welch  einen 
gefährlichen  Körper  doch  das  Chloroform  darstellt.  Noch  ein  kurzes  Wort  soll 
hier  über  die  Lungenleiden  nach  Chloroformnarkosen  hinzugefügt  werden,  ehe 
diese  Betrachtung  beendet  werden  soll.  Das  Chloroform  besitzt  bekanntlich 
nicht  die  starke  Wirkung  auf  die  Lunge,  wie  der  Äther,  doch  es  erzeugt  auch 
in  der  Lunge  nach  langen  Narkosen,  in  geringem  Maße  zwar,  aber  immer  eine 
mehr  oder  weniger  ausgebreitete  Fettmetamorphose  der  Zellen  des  respiratorischen 
Epithels  und  eine  Schleimvermehrung,  wodurch  eine  Disposition  zur  Pneumonie 
geschaffen  wird.  Allerdings  kann  man  durch  die  gute  Technik  den  Eintritt  der 
Lungenleiden  stark  vermindern,  doch  ist  immerhin  die  Gefahr  da  und  muß 
beachtet  werden. 

Was  die  weiteren  Verhältnisse  der  beiden  Narkotika  anlangt,  so  ist  ein 
wesentlicher  einflußreicher  Umstand,  der  für  eine  Methode  besonders  spricht, 
nicht  vorhanden.     Nach   Chloroform-  und  nach  Äthernarkosen  treten  periphere 


422      

und  zentrale  Lähmungen,  Apoplexien  etc.  auf,  auch  vorübergehende  Geistes- 
störungen sind  nach  heiden  gesehen  worden  (Sa  vage,  Silk,  Davis,  Tyrell  etc.), 
auch  epileptische  Anfälle  sind  nach  den  Narkosen  aufgetreten  (Low  etc.).  Man 
kann  aher  hier  nicht  einem  _ Narkotikum  eine  besondere  üble  Wirkung  zu- 
schreiben, jedoch  ist  man  zur  Überzeugung  gekommen,  Leute,  die  eine  Geistes- 
krankheit überstanden  haben,  nicht  ohne  Gefahr  einer  Narkose  aussetzen  zu 
dürfen,  es  kann  ein  neuer  Ausbruch  der  Psychose  erfolgen,  während  man 
Geisteskranke  seihst  ohne  Nachteil  narkotisieren  darf.  Das  Narkotikum  kann 
dabei  sowohl  in  Chloroform  oder  Äther  bestehen  (Savage),  eine  besondere  Be- 
ziehung zu  den  Psychosen  kommt  einem  der  beiden  nicht  zu,  obwohl  Silk 
einen  Zusammenhang  zwischen  dem  Ausbleiben  von  Erbrechen  und  dem  Aus- 
bruch von  Delirien  nach  Athernarkosen  finden  will.  Es  ist  aber  in  Wirklichkeit 
in  dieser  Hinsicht  zwischen  Chloroform  und  Aether  snlf.  kein  Unterschied  vor- 
handen. 

§  10.  Einige  kleine  statistische  Bemerkungen  werden  noch  das  Bild  der 
beiden  Narkosenarten  im  Vergleich  vervollkommnen. 

Betrachtet  man  die  Zahl  der  Todesfälle,  welche  man  in  der  Chloroform- 
narkose beobachtet  hat,  so  sind  dies  meist  Syukopefälle.  Schwartz  hat  in 
der  neuesten  Zeit  auf  10000  Chloroformnarkosen  einen  Todesfall  beobachtet. 
Dur  et  hat  eine  große  Zahl  von  Chloroformtodesf allen  gesammelt  und  fand 
dabei,  daß  unter  den  135  Todesfällen  8  mal  der  Tod  bei  Klappenfehlern,  20  mal 
bei  Fettdegeneration  des  Herzens  eintrat.  Unter  60  anderen  Todesfällen  war 
11  mal  Eettmetamorphose  vorher  vorhanden  gewesen.  Brouardel  fand  unter 
25  Todesfällen  nach  Chloroform  11  mal  pathologisch  veränderte  Nieren.  Evelt 
hat  auf  500  Chloroformnarkosen  keinen  Todesfall  beobachtet.  Fuchs  hat  auf 
3000  Narkosen  2  |Todesfälle,  Monprofit  5000  mit  1  Todesfall,  Laub  auf 
4000  Narkosen  2  Todesfälle  gefunden.  Man  ersieht  also  aus  diesen  wenigen 
Zahlen,  daß  man  eine  einheitliche  Statistik  der  Todesfälle  schwer  aufstellen 
kann,  es  kommen  dabei  eben  zuviel  Nebenumstände  in  Betracht.  Immerhin 
kann  man,  wenn  man  die  früheren  Statistiken  von  Gurlt  und  dem  Chirurgeu- 
kougreß  etc.  in  Betracht  zieht,  behaupten,  daß  auf  2000 — 5000  Chloroform- 
narkosen 1  Todesfall  sich  ereignet.  In  den  meisten  Fällen  sind  diese  Todesfälle 
Synkopefälle.  Was  die  Lungenaffektionen  nach  Chloroform  anlangt,  so  kann 
mau  schwer  Zahlen  aufstellen,  immerhin  sind  2 — 3°/o  Pneumonien  und  Bronchi- 
tiden nach  Chloroformnarkosen  zu  berechnen. 

Die  Ätherstatistik  zeigt  anscheinend,  viel  günstigere  Verhältnisse  so  hat 
Poncet  29000  Äthernarkosen  mit  nur  einem  Todesfall,  Villi ar  hat  4050 
Äthernarkosen  ohne  Todesfall  erlebt. 

Crouch  und  Corner  haben  auf  600  Chloroformnarkosen  einen  Patienten 
an  Pneumonie  verloren,  und  es  erkrankten  von  2400  Äthernarkotisierten  10  au 
Lungenleiden  post  narcosin.  Sonntag  hat  aber  bei  300  Cloroformuarkosen 
15  Pneumonien  erlebt,  also  5  °/o  während  er  bei  38  Äthernarkosen  6  Pneumonien 
also  12,13  7o  fand.  Nach  Roux  sind  die  Lungenleiden  nach  Äthernarkosen 
nicht  häufiger  als  nach  Chloroform.  Wenn  man  nun  bedenkt,  daß  bei 
Äther  zwar  eine  geringere  Mortalität  1  :  5000  bis  1  :  10000  ungefähr  be- 
steht, so  hat  man  aber  zu  bedenken,  daß  auf  240  Narkosen  eine  Pneumonie 
beobachtet  wurde,  und  daß  dieselben  gelegentlich  noch  häufiger  aiiftreten. 
Gunning  hat  unter  2068  Äthernarkosen  4  Todesfälle  nach  der  Narkose  an 
Pneumonien  und  1  an  Herzschwäche  infolge  der  Ätherwirkung  beobachtet, 
Freemann  hat  unter  1600  Äthernarkosen  nur  1  leichte  Bronchitis  post  narcosin 


—     423      — 

gefunden,  die  bald  abheilte.  Die  direkte  Lebensgefahr  in  der  Narkose  ist 
jedenfalls  geringer,  aber  es  sind  die  Nachwirkungen  nicht  wesentlich  günstiger, 
denn  von  30  Pneumonien  nach  Äther  endeten  15  tödlich  (Ghir.  Kongx.). 
Schultz  hat  bei  463  Athernarkosen  33  Lungenkraukheiten  auftreten  sehen, 
während  Blake  auf  1250  Äthernarkosen  nur  3,  Euniboll  auf  1500  solcher 
6  Lungenleiden  beobachtet  hat.  Rossa  hat  unter  100  Äthernarkosen  1  Todes- 
fall an  Ätherwirkung  auf  die  Lungen  bei  ganz  gesunden  Personen  beobachtet, 
sowie  15  schwerere  Lungenleiden,  9  Bronchitis  und  6  Pneumonien  nach  den 
Narkosen  erlebt.  Der  Tod  trat  bei  diesem  Fall  1  Va  Stunden  nach  der  Narkose 
im  Collaps  ein,  während  Hyperaemie  und  Haemorrhagien  in  den  Lungen  als 
Todesursache  gefunden  wurden.  Man  ersieht  also  aus  diesen  kurzen  Angaben, 
die  nicht  näher  erläutert  werden  brauchen,  daß  recht  große  Gefahren  immerhin 
als  Folgen  der  Äthernarkose  auftreten  können.  Aber  die  Zahlen  der  Statistiken 
sind  recht  verschieden  und  es  läßt  sich  aiis  denselben  nicht  ein  einheitliches 
Urteil  erlangen.  Tatsache  aber  ist,  daß  die  Luugeuleiden  durch  eine  gute 
Technik  der  Narkose  stark  yermindert  werden  können,  das  ersieht  man  eben 
auch  aus  den  Statistiken  von  früheren  Jahren  und  den  heutigen.  Aber  auch 
die  Nachwirkungen  des  Chloroforms  lassen  sich  durch  gute  Technik  sehr  ver- 
ringern. Im  allgemeinen  kann  man  die  Zahlen  von  Clurlt,  welcher  die  Todes- 
fälle infolge  der  Narkotikumwirkung  für  Cloroform  wie  2075  : 1  und  für  Aether 
sulfur.  wie  5112 : 1  berechnet  hat,  als  richtig  anerkennen  und  hätte  dabei 
einen  Vorteil  im  Äther,  der  aber  durch  die  zahlreicheren  Todesfälle  an  Pneumonien 
nach  Äther  ausgeglichen  wird.  Wenn  auch  nach  Chloroformnarkosen  Pneumonien 
oft  auftraten,  so  sind  die  nach  Äthernarkosen  doch  gefährlicher.  Allein  auch 
das  Chloroform  hat  den  protrahirten  Chloroformtod  zur  Folge,  eine  Folgeer- 
scheinung, die  dem  Aether  sulf.  viel  seltener  eigen  ist.  So  gleichen  sich  die 
Nachteile  vielfach  aus,  und  man  muß  auch  noch  in  vielen  Fällen  bei  den  Todes- 
und  Unfällen  die  Einflüsse  der  Operation  und  Krankheit  bedenken.  Ich  habe  denn 
aus  dem  genauen  Studium  der  Literatur  aller  Zeiten  der  Narkosenwissenschaft, 
aus  der  praktischen  Tätigkeit  und  zahlreichen  Versuchen  und  Experimenten 
folgendes  Urteil  erlaugt:  Man  kann  nicht  dem  einen  von  beiden 
Narkotika  den  Vorzug  geben,  denn  sie  stellen  zwei  Stoffe 
dar,  weiche  nebenein  an  der  zur  Na  rkoseverwendetwer  den 
müssen,  der  Wert  der  beiden  Narkosen  für  den  Arzt  ist 
gleich,  denn  mau  kann  weder  Chloroform  noch  Äther  in 
allen  Fällen  entbehren,  und  es  ist  gerade  darin  der  Vor- 
teil für  den  Chirurgen  gelegen,  daß  er  in  vielen  Fällen, 
wo  das  eine  Narkotikum  kontraindiziert  ist,  das  andere 
verwenden  kann,  und,  um  so  die  günstigen  Wirkungen 
jedes  einzelnen  Narkotikums  richtig  ausnützen  und  ver- 
wenden, sowie  die  schädlichenEinflüsse  auf  denOrganis- 
mus  eines  jeden  vermeiden  zu  können,  muß  d  erArzt  jeden 
Fall  genau  hinsichtlich  der  Narkose  prüfen.  Bei  rich- 
tiger, vollkommener  Kenntnis  der  Technik,  tadelloser 
und  genauer  Dosierung  sowie  scharfer  Beobachtung  des 
Kranken  in  der  Narkose  kann  man  die  Gefahren  sehr  ver- 
mindern, so  daß  man  Resultate  findet,  wo  Todesfälle  nur 
höchst  selten,   schädliche  Folgen  fast  gar  nicht  nach  den 


—     424-     — 

Narkosen  auftreten.  Aber  es  ist  eiu  vollkommen  falscher 
Standpunkt,  den  der  einnimmt,  welcher  behauptet,  die 
eine  oder  andere  Narkose  sei  vollkommen  gefahrlos,  und 
die  oder  jene  sei  die  beste.  Jede  Narkose  ist  eine  In- 
toxikation des  Organismus  und  somit  kann  eine  Gefahr 
nie  ganz  ausgeschlossen  werden,  und  deshalb  kann  man 
auch  nicht  für  alle  Fälle  eine  Methode  empfehlen,  denn 
man  muß  die  Narkose  stets  im  Verhältnis  zum  Organismus 
und  dessen  vitalen,  physiologischen  und  pathologischen 
Beziehungen  und  Zuständen  betrachten,  beurteilen  und 
wählen.  Dann  wird  man  für  jeden  Fall  entscheiden,  ob 
Äther  oder  Chloroform  anzuwenden  ist.  Ist  an  einen  ganz 
gesunden  Menschen,  d.  h.  hinsichtlich  der  inneren  Organe 
gesunden,  eine  Narkose  vorzunehmen,  und  sind  sowohl 
Chloroform  wie  Äther  gestattet,  so  wähle  ich  Äther,  da 
ich  denselben  dann  für  das  weniger  gefährliche  Narko- 
tikum halte,  aber  dies  geschieht  nur  in  dem  Fall,  wo  kein 
Punkt  vorhanden  ist,  der  für  eine  der  beiden  Methoden 
entscheidend  ist.  Diese  Fälle  sind  verhältnismäßig- 
selten. 


IV.  Kapitel. 
Die  Bromäthylnarkose. 

§  11.  Mau  hat  neben  Chloroform  und  Äther  eine  Menge  anderer 
Narkotika  angegeben  und  vielfach  zu  Narkosen  verwendet.  Sehr  oft,  nament- 
lich zu  kurzen  Narkosen  besonders  in  der  zahnärtzlichen  Tätigkeit  ver- 
wendet man  das  Bromäthyl,  einen  dem  Äther  verwandten  chemischen 
Körper,  welcher  die  Zusammensetzung  C,  II5  Br  hat,  wobei  also  an  Stelle  der 
Gruppe  OH  im  Alkohol  Brom  getreten  ist.  Man  bezeichnet  diesen  in  ge- 
wöhnlicher Temperatur  eine  wasserklare  Flüssigkeit  darstellenden  Körper  auch 
noch  mit  den  Namen  Aether  bromatus,  Bromäther,  oder  Aethylbromid.  Der 
Geruch  ist  ein  bedeutend  angenehmerer  als  der  von  Äther;  denn  das  Bromäthyl 
hat  einen  mehr  süßlichen  knoblauchartigen  phosphorähnlichen  Geruch,  nicht  so 
stechend,  aber  doch  dem  Äther  sehr  ähnlich.    Der  Geschmack  ist  süßlich-brennend. 

Das  spez.  Gevncht  des  Bromäthyl  beträgt  1,473.  Der  Siedepunkt  ist 
sehr  niedrig,  bei  38 — 40°  C  gelegen,  infolgedessen  verdunstet  und  verdampft 
dasselbe  sehr  leicht.  Diese  Eigenschaft  ermöglicht  ja  die  Verwendung  als 
Inhalationsanästhetikum  und  ruft  auch  die  leichte  Applikation  des  Stoffes  zur 
Narkose  hervor.  In  Wasser  ist  Bromaethyl  wenig  löslich,  während  es  in 
Weingeist  und  Äther  in  allen  Verhältnissen  löslich  ist.  Der  Umstand,  daß 
dasselbe  in  Wasser  nur  wenig  löslich  ist,  und  der  überaus  niedrig  gelegene 
Siedepunkt  haben  einen  besonderen  Einfluß  auf  die  Verwendbarkeit  zur  Narkose, 
worüber  weiter  unten  noch  gesprochen  werden  soll.  Ein  großer  Vorteil  des 
Bromäthyls  ist  der  Mangel  der  Brennbarkeit.  Das  Bromäthyl  selbst  wie  auch 
die  Dämpfe   und   die   Mischungen   der  Dämpfe   mit  Luft   entzünden  sich  nicht 


—     425     — 

leicht  au  J^'laiiniieu,  verbrenmin  üIxm-  mit  gTÜnlicher  Flamme.  Das  Bromäthyl  wird 
aber  wie  alle  die  ihm  ähnlichen  und  in  dieselbe  Gruppe  gehörenden  Stoffe  durch 
Luft,  Licht  und  Wärme  sehr  leicht  zersetzt,  weshalb  man  dasselbe  nicht  in 
unverschlossenen  oder  schlecht  verkorkten  Flaschen  unter  der  Einwirkung-  des 
Tageslichtes  aufbewahren  darf.  Dieser  Umstand  ist  ungeheuer  wichtig  und 
von  großer  Bedeutung.  Durch  Umgießen  von  einer  Flasche  in  die  andere, 
durch  langes  Stehen,  wenn  auch  in  verschlossenen  Gefäßen  und  unter  Licht- 
abschhiß,  zersetzt  sieb  das  Bromäthyl  sehr  stark,  so  daß  es  mit  der  Zeit 
und  nach  längerer  Aufbewahrung  vollkommen  unbrauchbar  wird,  denn  es  ver- 
liert dabei  einerseits  die  narkotische  Ki-aft,  andererseits  entstehen  fremde  Ver- 
bindungen und  Umsetzungen  von  giftigen  Eigenschaften  und  schädlichen 
Nebenwirkungen  auf  den  Organismus.  Man  erkennt  schon  durch  den  Geruch 
das  zersetzte  und  verdorbene  Präparat  gegenüber  dem  normalen,  denn  derselbe 
entbehrt  des  knoblauchartigen  Timbre's.  Der  normale  Geruch  nämlich  weist 
einen  deutlichen  knoblauchartigen  oder  phosphorähnlichen  Beigeruch  auf.  Man 
kann  an  dem  Fehleu  desselben  sehr  leicht  das  verdorbene  Präparat  erkennen. 
Dieser  phosphorähnliche  Geruch  ergibt  sich  daher,  daß  man  bei  der  Herstellung 
des  Bromäthyls  amorphen  Phosphor  mit  Alkohol  übergießt,  Brom  hinzusetzt 
und  hiernach  destillieit.  Das  Destillat  stellt  dann  das  Bromäthyl  dar.  Es 
wurde  zuerst  im  Jahre  184:9  von  Nunnely  zu  Narkosen  verwendet.  Die  in 
Frankreich  hergestellten  Präparate  stellen  reines  Bromäthyl  dar,  während  man 
in  Deiitschlaud  und  der  Schweiz  eine  geringe  Menge  Alkohol  dem  Bromäthyl 
zusetzt  in  der  Anualime  und  der  Absicht,  durch  den  Alkoholzusatz  der  leichten 
Zersetzung  vorl)eugcn  zu  köuncn.  Wenn  man  die  Dämpfe  des  Bromäthyls, 
welche  sich  schwer  entzünden,  verbrennt,  so  zeigen  sie  eine  grünliche  Flamme 
und  es  entsteht  während  der  Verbrennung  Bromwasserstofi.  Die  ganz  reinen 
Sorten  von  Bromäthyl  haben  einen  Siedepunkt  von  38 — 39*^0  und  ein  spez. 
Gew.  von  1,4735  bei  15 °C.  Die  Pharmacopoea  germanica  schreibt  für  das 
Präparat  ein  spez.  Gew.  von  1,453 — 1,457  und  einen  Siedepunkt  von  38 — 40  °0, 
die  Pharmacopoea  gallica  ein  spez.  Gew.  von  1,473  und  einen  Siedepunkt 
von  38,5*'C,  und  die  Pharmacopoea  helvetica  ein  spez.  Gew.  von  1,445 — 1,450 
und  einen  Siedepunkt  von  38 — 40 °0  vor.  Dabei  erlaubt  die  Pharmacopoea  ger- 
manica 1%,  die  gallica  eine  Spur  und  die  helvetica  1 — l,5  7o  Alkoholzusatz. 
Natürlich  ist,  wie  bei  allen  Narkotika  die  Reinheit  des  Präparates  eine  unerläß- 
liche Bedingung  (Haffter).  Um  sich  von  der  Pteinheit  überzeugen  zu  können, 
hat  man  folgende  Proben  augegeben,  welche  leicht  ausführbar  sind: 

1.  Eine  kleine  Menge  von  Bromäthyl  in  ein  Uhrschälchen  gegossen  und 
darin  zur  Verdunstung  einige  Zeit  stehen  gelassen,  muß  derart  ver- 
dunsten, daß  auf  dem  Glas  kein  Rückstand  bleibt.  Die  Verdunstung 
muß  rasch  vor  sich  gehen.  Gießt  man  einige  Tropfen  von  Bromäthyl 
auf  die  Haut,  so  muß  ein  Gefühl  der  Kälte  entstehen. 

2.  Wenn  man  Bromäthyl  mit  destilliertem  Wasser  zu  gleichen  Teilen 
mischt  und  mehrmals  durcheinander  beide  Flüssigkeiten  schüttelt,  so 
muß,  wenn  man  diese  Mischung  filtriert  hat,  das  wässerige  Filtrat 
neutral  reagieren.  Fügt  man  diesem  Filtrat  eine  Argentum  nitricum- 
lösuug  bei,  so  darf  eine  Veränderung  nicht  entstehen. 

3.  Fügt  man  zu  reinem  Bromäthyl  konzentrierte  Schwefelsäure,  so  darf 


—     426     — 

keine  Braiinfärbuug  entstehen.  Wenn  mau  eine  gelbliche  bis  braune 
Färbung  erhält,  so  deutet  dies  eine  Zersetzung  des  Präparates  an. 

§  12.  Die  Narkose  mit  Bromäthyi  ist  eine  Inhalationsnarkose  genau  wie  die 
Chloroformnarkose  und  mau  verabreicht  das  Bromäthyl  in  Dampfform,  indem 
man  die  Dämpfe  der  Luft  beimengt.  Es  besteht  aber  zweifellos  ein  bedeutender 
Unterschied  zwischen  diesem  Narkotikum  und  dem  Chloroform  oder  Äther, 
welcher  darin  besteht,  daß  das  Bromäthyl  zu  einer  langen  Narkose  absolut  un- 
geeignet ist.  Die  Verwendung  besteht  also  entgegen  der  allgemeinen  Narkose 
nur  in  einer  kurze  Zeit  dauernden  Einwirkung  des  Bromäthyls  auf  den 
Organismus.  Es  hat  nämlich  dasselbe  eine  ziemlich  bedeutende  narkotische 
Kraft,  denn  es  genügen  nur  wenige  Kubikzentimeter  von  Bromäthyl,  um  sofort 
eine  tiefe  Narkose  zu  erzeugen,  welche  allerdings  nur  wenige  Mim^ten,  2 — 3, 
anhält.  Man  hat  daher  die  Indikation  zur  Anwendung  des  Bromäthyls  nur  in 
kurzdauernden  Operationen  gefunden,  denn  man  fand,  daß  die  Betäubung  unter 
Bromäthyldämpfen  viel  schneller  auftrat,  als  z.  B.  unter  Chloroform,  (Haffter, 
Rabuteau  etc.).  Man  hat  daher  dem  zu  narkotisierenden  Menschen  sehr  rasch 
10 — 15  ccm  Bromäthjd  einzuatmen  gegeben,  und  nach  kaum  1  Minute  der  Ein- 
atmung verfällt  der  Mensch  in  eine  tiefe  Narkose.  Der  Vorgang  bei  dieser 
Narkose  ist  genau  derselbe  wie  bei  jeder  anderen,  denn  das  Bromäthyl  wird  in 
Dampfform  in  die  Limgen  gebracht,  und  wird  dort  vom  Blute  aufgenommen. 
Da  sich  nun  Bromäthyl  im  Wasser  nur  sehr  schwer  löst,  etwas  mehr  in  Fetten 
und  Ölen,  so  wird  nicht  sehr  viel  vom  Blute  gelöst,  sondern  nur  ein  Teil,  der 
aber  genügt,  um  eine  sofortige  Betäubung  hervorzurufen.  Es  bildet  sich  in  dem 
Blute  eine  bestimmte  Konzentration  der  Bromäthyldämpfe,  und  diese  ist  geringer 
als  die  des  Chloroforms,  sie  beträgt  ungefähr  sov^iel,  wie  ein  Gasgemenge  von 
4 — 5  g  Bromäthyl  auf  100  1  Luft.  Es  wird  also  eine  entsprechende  Konzentration 
der  Dämpfe  auch  im  Blute  gebildet,  und  das  Blut  transportiert  das  Bromäthyl 
in  das  Gehirn,  wo  es  von  den  Cholestearin-Lecithingemischeu  der  Ganglienzellen 
aufgenommen  wird  und  in  das  Protoplasma  der  Zellen  gelangt.  So  wird  eine 
Betäubung  des  Menschen  hervorgerufen,  indem  das  Bromäthyl  narkotisch  wirkt, 
und  erst  eine  Reizung  geringen  Grades  und  dann  eine  Lähmung  der  Zellen 
bewirkt.  Die  Theorie  ist  dieselbe,  wie  schon  früher  für  jede  Narkose  beschrieben. 
Die  narkotische  Kraft  ist  aber  eine  ziemlich  starke.  Es  zeigen  sich  in  der 
Bromäthylnarkose  geuaii  die  drei  Stadien,  wie  in  jeder  anderen  Narkose,  nur 
sind  das  erste  und  zweite  Stadium  überaus  kurz,  die  Exzitation  ist  vorhanden, 
aber  nur  sehr  kurz  dauernd.  Der  Kranke  verfällt  sehr  schnell  in  die  Toleranz. 
Das  4,  Stadium,  das  des  Erwachens  ist  sehr  kurz,  der  Kranke  erwacht  inner- 
halb weniger  Sekunden,  während  die  Toleranz  an  sich  nur  wenige  Minuten 
dauert. 

Wenn  die  Bromäthyldämpfe  in  den  Ganglienzellen  ihre  Wirkung  entfaltet 
haben,  wenn  dem  Menschen  nicht  mehr  neue  Mengen  von  Bromätbyl-Luftgemischen 
zugeführt  werden,  so  eliminieren  die  Lungen,  Nieren  etc.  wieder  die  Bromäthyl- 
dämpfe, und  es  wird  dabei  die  Konzentration  der  Bromätbyldampflösung  im 
Blutplasma  geringer,  folglich  verlieren  auch  die  zentralen  Elemente,  die  Ganglien- 
zellen, die  Bromäthyldämpfe,  was  zur  Folge  hat,  daß  der  Kranke  erwacht.  Es  ist 
dieser  Kreislauf  derselbe  wie  bei  allen  Narkosen. 

Eine  vollständige  Lähmung  aller  Reflexe  wird  aber  bei  der  kurzen 
gewöhnlich    angewendeten   Narkose   nicht   erreicht,    sondern   das    Bewußtsein 


—     427     — 

erlöscht  uud  eiu  Teil  der  willkürlicheu  Muskeln  uud  teilweise  auch  die  Reflexe. 
Führt  man  eine  längere  Narkose  aus,  so  werden  genau  wie  bei  jeder  Narkose 
die  Reflexe  verschwinden,  auch  die  Augenverhältnisse  sind  analog  denen  bei 
(Jhloroforin.  Die  Muskeln  sind  vollkommen  schlaft'.  Die  Pupillen  sind  dann 
eng  und  reaktionslos  in  tiefer  Narkose  und  zeigen  auch  das  Straßmannsche 
Phänomen.  Kurz  vor  dem  Exitus  erweitern  sie  sich  sprungweise.  In  der 
gewöhnlichen  kurzen  Bromäthylnarkose  kommt  es  nicht  immer  zu  einer  tiefen 
Narkose,  zur  Toleranz.  Es  schwindet  zuerst  das  Schmerzgefühl  (Rausch), 
welche  Insensibilität  2—3  Minuten  dauert,  und  dieselbe  besteht  oft  noch,  wenn 
die  Kranken  bereits  erwacht  sind.  Hingegen  tritt  eine  vollkommene  Erschlaffung 
der  Muskeln  meist  nicht  ein.  Das  Bewußtsein  kann  vollkommen  aufgehoben 
sein,  wie  in  jeder  Narkose,  es  kann  aber  auch  nur  eine  Trübung  des  Bewußt- 
seins hervorgerufen  werden,  während  aber  vollkommene  Analgesie  trotz  des 
teilweise  erhaltenen  Bewußtseins  besteht  und  die  Operation  schmerzlos  aus- 
geführt wird.  Meist  erreicht  man  aber  völlige  Bewußtlosigkeit  für  wenige 
Minuten. 

Während  Szumann  in  der  kurzen  Bromäthernarkose  die  Besinnung 
leidlich  erhalten  hat  und  nur  leichte  Benommenheit  und  Betäubung  beobachtete , 
fanden  Hankel,  Adrian  etc.  vollständigen  Schwund  des  Bewußtseins  während 
1 — 1  Vo  Minuten.  Es  schwindet  meist  auch  die  Tastempfindung,  während  die 
Reflexe  meist  bestehen  bleiben,  natürlich  nm-  bei  der  kurzen  Narkose.  Aber  in 
allen  Fällen  wird  die  Schmerzempfinduug  nicht  vollkommen  aufgehoben,  das 
Bromäthyl  wirkt  bei  manchen  Menschen  nur  unvollkommen  in  den  erlaubten 
Dosen.  Es  entsteht  oft  nur  eine  Herabsetzung  der  Schmerzempfindung  (Szumann). 
Exzitation  findet  sich  in  vielen  Fällen,  oftmals  sehr  stark,  bisweilen  fehlt  sie, 
immer  ist  sie  kurz,  doch  kommt  es  vor,  das  manche  Personen  (Alkoholiker) 
gar  nicht  mit  Bromäthyl  betäubt  werden  können. 

Die  physiologischen  Einwirkungen  des  Bromäthyls  auf  das  Cerebrum 
des  Menschen  bestehen  also  in  der  Lähmung  der  zentralen  Elemente,  und  diese 
Einwirkung  ist  als  eine  physiologische  anzusehen,  solange  sie  die  lebens- 
wichtigen Zentren,  die  der  Herz-  und  Lungentätigkeit  nicht  lähmt.  Sobald  eine 
Lähmung  dieser  Zentren  eintritt,  hat  man  es  mit  einer  pathologischen  Wirkung 
zu  tun.  Dieselbe  tritt  ein,  wenn  man  die  Verabreichung  der  Luft-Bromäthyl- 
dampfgemische über  die  zulässige  Höhe  steigert,  einerseits  zu  lauge  verabreicht, 
andererseits  die  Konzentration  der  Gemische  zu  stark  erhöht. 

Die  Einwirkung  auf  den  Organismus  in  physiologischer  Hinsicht  zeigt  sich 
ferner  in  einem  Sinken  des  Blutdruckes  während  der  Narkose,  welcher  20 — 30  mm 
beträgt,  auf  das  Herz  wirkt  es  im  Anfang  anregend,  auf  die  Lungen  nicht 
wesentlich  ein  (AbonjM  etc.),  Avenn  man  es  in  kleineu  Dosen  verabreicht.  Die 
narkotische  Wirkimg  ist  entschieden  stärker,  als  die  des  Chloroforms  (Bonome, 
Mezza  etc.),  aber  es  kann  nur  zu  kurzen  Narkosen  verwendet  werden,  da  in 
längerer  Verabreichung  schwere  pathologische  Einwirkungen  zu  finden  sind. 
Infolge  der  raschen  Wirkung  und  der  Verabreichung  in  einer  Dosis  zu  nur  kurz- 
dauernder Narkose  erwacht  der  Kranke  sehr  rasch  aus  der  Narkose  und  er  ver- 
spürt meist  nach  derselben  keine  Beschwerden,  kein  Übelsein,  keinen  Kopfschmerz, 
es  tritt  kein  Erbrechen  ein  (Turnbell,  Givel,  Montgomery,  Pauschinger  etc.). 
Die  Eliminierung  der  im  Organismus  kreisenden  Brom  äthermengen  geht  nach 
der  Narkose  sehr  rasch  vor  sich,  ein  Umstand,  der  mit  der  schweren  Löslichkeit 
des  Bromäthyls  im  Wasser  und  Blute  zusammenhängt.  Infolge  dieses  Umstandes 
sind  auch  üble  Nachwirkungen  gering  oder  gar  nicht  vorhanden.  Wollte  man 
aber  das  Bromäthyl  zu  langen  Narkosen  verwenden,  so  würden  ebenfalls  \\u- 
angenehme  Nachwirkungen  entstehen.  Bei  den  kurzen  Narkosen,  zu  denen  man 
das  Narkotikum  verwendet,  gelangen  ja  nur  geringe  Mengen  von  Bromäthyl  iu 


—     428     — 

den  Organismus,  und  da  die  Eliniinierung  durch  Lungen,  Nieren  etc.  sehr  schnell 
vor  sich  geht,  so  kommen  tihle  Nachwirkungen  nicht  oder  nur  in  ganz  geringem 
Maße  zustande.  Eine  eigentümliche  Einwirkung  besitzt  das  Bromäthyl  auf  die 
Genitalien  und  die  Genitalfunktion,  denn  man  kann  bei  allen  im  Geschlechts- 
leben stehenden  Personen  beobachten,  daß  dieselben  in  der  Narkose,  namentlich 
im  Anfangsstadium,  zu  sexuellen  Verrichtungen  augeregt  werden,  wobei  die 
Kranken  eine  aufregende  Empfindung,  Libido,  haben,  sie  träumen  von  sexuellem 
Verkehr  oder  von  anderen  anregenden  mit  dem  Liebesleben  eng  verknüpften 
Verhältnissen,  und  man  gewahrt  meist,  daß  Personen,  welche  des  öfteren  in 
sexuellen  Verkehr  treten,  die  gewohnte  Stellung  auf  dem  Operationstisch 
einnehmen,  man  beobachtet  Erektionen  des  Penis,  Abgang  von  Sperma,  Frauen  zeigen 
ebenfalls  sexuelle  Erregung,  sie  greifen  nach  den  Genitalien,  machen  Coitus- 
bew'egungen  etc.,  und  beim  Erwachen  aus  der  Narkose  wollen  die  Kranken  meist  die 
nächststehenden  Personen  mit  Liebesbezeugungen  überschütten,  sie  lachen  heftig 
und  sind  in  angeregtester  Stimmung.  Ich  habe  bei  allen  Bromäthylnarkosen,  die  ich 
gesehen  und  ausgeführt  habe,  diese  anregende  Wirkung  desselben  beobachtet. 
Nur  ganz  selten  findet  man  Personen,  welche  in  das  andere  Extrem  der  Stimmung, 
in  Trauer  verfallen.  Diese  Wirkung  des  Bromäthyls  könnte  uns  Ärzten  ja 
ziemlich  gleichgültig  sein,  wenn  nicht  unangenehme  Folgen  entstehen  könnten, 
denn  die  Kranken,  namentlich  Frauen  und  Mädchen,  glauben,  wenn  sie  aus  der 
Narkose  erwachen,  oftmals,  ihre  Träume  waren  Wahrheit  und  behaupten,  der 
Arzt  habe  während  der  Narkose  ein  Sittlichkeitsverbrechen  an  ihnen  begangen. 
Wenn  man  dann  nicht  dritte  Personen  zugegen  gehabt  hat,  so  können  für  den 
Arzt  sehr  unangenehme  Folgen  daraus  entstehen.  Oftmals  wird  das  Bromäthyl 
bei  Zahn  Operationen  verwendet,  und  es  geschieht  oft,  daß  der  Arzt  vergißt,  noch 
eine  Person  hinzuzuziehen.  Die  Frauen  und  Damen  namentlich,  welche 
mit  Chene  an  sexuelle  Dinge  denken,  meinen  dann  stets,  es  sei  ihnen  ein 
solcher  Gedanke  nie  in  den  Sinn  gekommen  und  der  Traum  könne  nur  durch 
das  Sittlichkeits vergehen  hervorgerufen  worden  sein.  Wie  schwer  es  ist,  Laien 
von  der  Tatsache  zu  überzeugen,  daß  Bromäthyl  eine  solche  Wirkung  besitzt, 
das  hat  man  ja  schon  genug  erfahren.  Es  ist  daher  entschieden  anzuraten, 
eine  Bromäthylnarkose  nie  ohne  Gegenwart  von  dritten  Personen,  welche  die 
Unschuld  des  Arztes  beweisen  können,  vorzunehmen,  namentlich  nicht  an  Frauen 
oder  Mädchen.  Das  Exzitationsstadiuin  trägt  eben  fast  stets  einen  erotischen 
Charakter  bei  Bromäthylnarkosen. 

Die  Eliminieruug  des  Bromäthers  geschieht  hauptsächlich  durch  die 
Lungen,  denn  infolge  der  schweren  Löslichkeit  ist  die  Verbindung  der  Brom- 
ätherdämpfe mit  dem  Blutserum  nur  locker,  und  nach  Sistieren  der  Zufuhr 
von  Bromäthyldämpfen  gibt  das  Blut  sofort  große  Mengen  an  die  Luft  ab. 
R  ab  Ute  au  nimmt  an,  daß  die  Ausscheidung  fast  nur  durch  die  Lungen  erfolge, 
denn  er  fand  im  Harn  keine  Brommengen  und  glaubt,  daß  die  Nieren  nicht  mit 
beteiligt  sind.  Nach  ßegli  wird  ein  Teil  des  Bromäthers  durch  die  Nieren 
abgeschieden,  doch  sei  die  Absonderung  der  Nieren  nur  gering.  Li  den  Lungen 
wird  jedenfalls  die  größte  Menge  wieder  eliminiert  und  man  bemerkt  nach  der 
Narkose  beim  Ausatmen  des  Kranken  den  Knoblauchgeruch.  Cohn  glaubt, 
daß  der  Knoblauchgeruch  durch  Zersetzung  des  Broms  infolge  der  Einwirkung 
des  Schwefelwasserstoffes  der  Mundhöhle  entsteht,  und  daß  das  Resultat  dieser 
chemischen  Umsetzung,  nämlich  das  Äthylsulfid,  die  wirksame  Substanz  sei.  Es  ist  dies 


—     429     — 

aber  ein  sicherer  Beweis,  daß  die  Lungen  die  meisten  Mengen  des  Narkotikum 
aus  dem  Organismus  eliminieren. 

Bedeutend  wichtiger  sind  die  pathologischen  Einflüsse  des  Bromäthyls 
auf  den  Organismus  und  es  sind  da  eine  solche  bedeutende  Anzahl  vor- 
handen, daß  man  den  Wert  des  Körpers  als  Narkotikum  sehr  stark  be- 
zweifelt. Betrachtet  man  zunächst  den  Einfluß  des  Bromäthyls  auf  das 
Zentralnervensystem,  so  findet  man  eine  sehr  ähnliche  Einwirkung,  wie 
man  das  vom  Chloroform  kennt.  Es  sind  über  diese  und  ähnliche  Beziehungen 
des  Bromäthyls  zum  Gehirn  bisher  noch  keine  Versuche  angestellt  worden,  so 
daß  man  bisher  nur  wenig  darüber  erfahren  konnte.  Ich  habe  eine  eingehende 
Prüfung  aller  für  die  Narkose  in  Betracht  kommenden  chemischen  Körper  vor- 
genommen und  habe  gefunden,  daß  die  Wirkungen  des  Bromäthyls  sehr 
gefährlich  sind.  Wenn  man  einen  Hund  mit  Bromäthyl  betäubt,  und  zwar  eine 
längere  Narkose  ausführt,  so  zeigt  sich  im  Groß-  und  Kleinhirn  eine  Ein- 
wirkung, die  sich  einerseits  in  einer  Fettmetamorphose  der  Ganglienzellen, 
andererseits  in  einer  solchen  der  Zellen  der  Hirngefäßwanduugen  offenbart. 
Schon  nach  einer  längeren  Bromäthylnarkose  findet  sich  dies  sehr  deutlich,  wendet 
man  aber  des  öfteren  Bromäthyi  an,  d.  h.  narkotisiert  man  den  Hund  in  Zwischen- 
räumen von  12  Stunden  drei-  bis  viermal,  so  ist  die  bezeichnete  Veränderung- 
ganz  enorm  ausgebreitet  und  stai'k.  Man  findet  dann  sehr  viel  Fett  in  Form 
von  großen  Tropfen  an  einzelnen  Stellen  der  Wanduug  der  Blutgefäße,  und  zwar 
liegt  das  Fett  an  einem  ca.  ^/^ — ^4  ^^^  ganzen  Gefäßciuerschnittes  einnehmenden 
Bezirk  in  Haufen  von  feinen  bis  großen  Tropfen.  Dieselben  liegen  in  den 
Zellen  der  Media  und  Intima  bei  größeren  Gefäßen,  in  den  Zellen  der  Kapillar- 
wand, und  finden  sich  an  vielen  Stellen,  so  daß  mau  im  gefärbten  Präparat  die 
Fetthaufen  als  schwarze  Punkte  erkennt,  namentlich  bei  schwacher  Vergrößerung 
oder  schon  bei  makroskopischer  Betrachtung.  Die  Gefäßwandung  wird  natür- 
lich an  dieser  Stelle  verdickt,  sie  wölbt  sich  nach  außen  vor  und  man  findet, 
nachdem  das  Fett  aufgelöst  ist,  einen  Haufen  von  untergegangenen  Zellen,  die 
Wandung  wird  daselbst  verdünnt,  und  wenn  die  Veränderung  abheilt,  bildet 
sich  eine  Narbe,  die  zu  einer  Verdünnung  der  Gefäßwand  an  dieser  Stelle  führt, 
namentlich  bei  größeren  Gefäßen,  die  einem  starken  Blutdruck  ausgesetzt  sind, 
wird  die  Wand  an  der  verdünnten  Stelle  aneurysmaartig  vorgewölbt.  Es  können 
dadurch  Rupturen  der  Arterien  und  Hämorrhagien  in  das  Gehirn  erfolgen. 
Diese  Veränderungen  der  Gehii-ngefäße  sind  bei  Bromäthyl  überaus  stark  und 
ausgebreitet,  dieselben  erscheinen  fast  stärker  und  ausgebreiteter,  als  man  sie 
beim  Chloroform  findet.  Es  haben  alle  meine  Tierversuche  eine  sehr  starke 
Fettmetamorphose  der  Gehirnarterien  sowohl  im  Cerebrum  wie  im  Cerebellum 
aufgewiesen,  und  ich  konnte  schon  nach  einer  50  Minuten  dauernden  Bromäthyl- 
narkose die  Fettmetamorphose  in  den  Hirnarterien  finden,  wenn  auch  nur  in 
Form  von  2 — 3  Tropfen  an  einzelnen  Stellen  in  den  Zellen  der  Wandung,  vor 
allem  fand  sich  die  Veränderung  auch  an  den  Kapillaren.  Nach  2 — 3  Narkosen 
fand  sich  die  Veränderung  sehr  stark  und  ausgebreitet. 

Was  nun  die  Fettmetamorphose  in  den  Ganglienzellen  anlangt,  so  ist 
dieselbe  ebenfalls  sehr  stark  und  ausgedehnt  zu  finden  nach  Bromäthylnarkosen 
längerer  Dauer,  es  fanden  sich  in  einzelnen  Ganglienzellen  des  Groß-  und 
Kleinhirns  eine  große  Anzahl  feiner  Fetttropfen,  welche  das  Protoplasma  der 
Zellen  ganz  ausfüllten,  in  anderen  sah  man  nur  G — 8  größere  Fetttropfen.     Es 


—     430     -^ 

war  diese  Einwirkung-  auf  die  zentralen  Elemente  ebenfalls  sehr  deutlich  und 
intensiv,  und  steht  der  Wirkung  von  Chloroform  nicht  nach.  Es  geht  aus 
diesen  Befunden  hervor,  daß  das  Bromäthyl  eine  sehr  schwere  und  starke  Ein- 
wirkung auf  das  Gehirn  ausübt,  und  daß  in  Fällen,  wo  eine  Disposition 
des  Kranken  besteht,  z.  B.  Arteriosklerose  etc.,  eine  Bromäthylnarkose  große 
Gefahren  bringen  kann,  einerseits  in  Form  der  Hirnhämorrhagien,  andererseits 
in  Lähmungen  der  Zentren.  Denn  die  Eettmetamorphose  der  Ganglienzellen 
muß  als  eine  Erkrankung  derselben,  ein  pathologischer  Zustand  aufgefaßt  werden. 
Die  Veränderung  heilt  allerdings  nach  der  Narkose  schnell  ab,  wird  aber  auch 
durch  eine  folgende  Narkose,  wenn  sie  noch  nicht  ganz  verschwunden  war,  sehr 
stark  vermehrt  und  verschlimmert. 

Betrachtet  man  nun  die  pathologische  Einwirkung  des  Bromäthyls  auf 
das  Herz,  so  findet  man  schon  von  verschiedenen  Autoren  Angaben  über  sehr 
üble  Wirkungen.  (Wood,  Kappeier,  Pomeranzew,  Semazki  etc.). 
Während  man  im  Anfang  nach  der  Entdeckung  der  Bromäthylnarkose  des 
Lobes  voll  war  und  kein  ungefährlicheres  Narkotikum  kannte,  so  war  sehr  bald 
nach  einigen  Jahren  hier  und  da  die  Beobachtung  gemacht  worden,  daß  das 
Bromäthyl  sehr  schwere  Einwirkungen  auf  das  Herz  vor  allen  Dingen  ausübe, 
und  daß  man  öfters  Herzsynkopefälle  beobachtete,  die  bei  ganz  gesunden 
Personen  nach  einer  kurzen  Bromätheruarkose  auftraten.  Man  schob  diesen 
Umstand  auf  die  Beimengungen,  welche  man  im  Anfang  infolge  der  mangel- 
haften Darstellung  im  Bromäthyl  fand.  Doch  es  waren  dieselben  entschieden 
von  großer  Bedeutung,  und  die  Reinheit  des  Präparates  ist  noch  heute  das 
erste  Erfordernis,  allein  auch  die  reinsten  Sorten  haben  doch  eine  sehr  toxische 
Wirkung  auf  das  Herz,  die  sich  in  Lähmung  des  Herzens  äußert  (Marion  Sims), 
und  man  hat  plötzliche  Synkopetodesfälle  auch  bei  und  nach  Verwendung  der 
besten  und  reinsten  Bromäthylsorten  gesehen.  So  habe  ich  selbst  einen  sehr 
unglücklichen  Fall  erlebt,  wo  ein  19jähriges  Mädchen,  dessen  Herz  vor  der 
Narkose  untersucht  und  als  ganz  gesund  befunden  wurde,  nachdem  ihm  in  einer 
mit  10  g  Bromäthyl  ausgeführten  Narkose  ein  Zahn  extrahiert  worden  war, 
wenige  Minuten  nach  dem  Erwachen  tot  umfiel  und  nicht  wieder  zum  Leben  zurück- 
zubringen war.  Solche  Fälle  sind  in  großer  Zahl  beobachtet  worden  und  es 
zeigen  alle  diese  Unfälle  die  schwere  Einwirkung  des  Bromäthers  an. 

Wood  fand  auch  durch  genaue  Blutdruckbestimmungen,  daß  das  Brom- 
äthyl den  Blutdruck  in  gewissem  Grade  herabsetzt,  und  daß  der  Blutdruck  um 
20 — 30  mm  während  der  Narkose  sinkt,  wenn  auch  in  manchen  Fällen  eine 
geringere  Differenz  vorhanden  ist,  so  besteht  doch  für  gewöhnlich  eine  stark 
lähmende  Einwirkung  des  Bromäthyls  auf  das  Herz. 

Bei  seinen  interessanten  Versuchen  mit  Bromäthyl  stellte  Löhers  fest, 
daß  dasselbe  einerseits  gleich  Chloroform  einen  starken  Reiz  auf  die  Vagus- 
endigungen  in  der  Nase  erzeugt  und  Reflexsynkope  hervorrufen  kann,  anderer- 
seits starke  Arythmie  des  Herzschlages  hervorruft,  weiter  eine  starke  Vermehrung 
der  Pulszahl,  um  9 — 30  Schläge  pro  Minute,  ein  stetes,  außergewöhnlich  schnelles 
Sinken  des  Blutdruckes.  Wenn  sich  bei  seinen  Versuchen  Synkope  oder  Apnoe 
einstellte,  so  war  das  Tier  nicht  wieder  in  das  Leben  zurückzurufen,  wenn 
nicht  sofort  energische  Gegenmaßregeln  angewendet  wurden,  welche  das  im 
Herzen  befindliche  stark  bromäthylhaltige  Blut  herausbeförderten  und  durch 
anderes  ersetzten.  Es  mußte  daher  sofort  Herzmassage  eingeleitet  werden,  die 
durch  Druck  auf  den  Thorax  bewirkt  wurde.  Wurde  dies  nicht  sofort  energisch 
ausgeführt,  so  war  das  Tier  nicht  zum  Leben  zurückzubringen. 

Um   ein   genaues  Bild  von  der  Bromäthylnarkose  und  deren  Verhältnis 


—     431     — 

zum  Orgauisinus  zu  erhalteu,  habe  ich  das  Bromäthyl  zu  Narkosen  an  Hunden 
verwendet  und  habe  gefunden,  daß  in  laug-er  Narkose  eine  starke  Fettmetamorphose 
im  Herzmuskel  erzeugt  wird,  die  der  nach  Chloroform  nicht  nachsteht.  Es 
fand  sich  ausgedehnte  Fettansamnilung  im  Myocard,  nach  einer  30 — 40  Minuten 
dauernden  Bromäthylnarkose  war  in  dem  Herzfieisch  eines  gesunden  Hundes 
schon  deutlich  Fett  in  feinen  Tropfen  zu  finden.  Nach  zwei  Narkosen  an  zwei 
Tagen  war  das  Fett  sehr  reichlich,  nach  drei  und  vier  Narkosen  war  hochgradige 
Fettmetamorphose  zu  finden.  Es  fand  sich  in  den  Muskelfasern  das  Fett  schon 
nach  zwei  Narkosen  in  typischer  Anordnung  in  Haufen  bipolar  zu  dem  Kern  an- 
geordnet und  auch  über  die  ganze  ]\Iuskelfaser  gleichmäßig  verteilt  in  feinen 
Tropfen.  Es  ist  also  durch  diesen  Befund,  der  regelmäßig  vorhanden  war,  dar- 
getan.  daß  das  Bromäthyl  dem  Herzen  sehr  gefährlich  werden  kann,  denn  schon 
nach  einer  kurzen  Narkose  kann  bei  bestehender  Disposition  des  Herzens  eine 
so  hochgradige  Fettmetamorphose,  vor  allem,  wenn  dieselbe  im  Beginn  schon 
vorher  bestanden  hatte,  erzeugt  werden,  daß  Exitus  letalis  eintritt.  Es  ist  das 
Bromäthyl  nach  den  Resultaten  dieser  Versuche,  denen  anderer  Forscher, 
und  den  Beobachtungen  aus  der  Praxis  als  ein  schweres  Herzgift  zu  betrachten, 
dessen  Verwendung  nur  mit  höchster  Vorsicht  geschehen  darf.  Die  Hauptgefahr 
in  der  Bromäthylnarkose  besteht  in  der  während  oder  kurz  nach  der  Betäubung 
auftretenden  Synkope,  und  dieselbe  wird  hauptsächlich  durch  die  direkte  das 
Hei'z  lähmende  Einwirkung  des  Bromäthyls  erzeugt,  während  die  toxische 
Wirkung  auf  die  Herzmuskelfaser  nur  bei  längeren  Narkosen  und  bei  krankem 
Herzen  eine  Synkope  in  der  Narkose  erzeugen  kann.  Jede  längere  Narkose  mit 
Bromäthyl  bildet  eine  so  große  Gefahr  für  das  Herz,  daß  man  dieselbe  ent- 
schieden vermeiden  muß. 

Weiter  soll  iu  dem  Folgenden  der  Einfluß  des  Bromäthyls  auf  die 
übrigen  inneren  Organe  betrachtet  werden.  Es  kommen  da  vor  allem  die  Leber 
und  die  Nieren  in  Betracht,  welche  einem  sehr  starken  Einfluß  unterworfen  sind. 
Die  Experimente  haben  ergeben,  daß  die  Leber  bei  längerer  Narkose  durch 
Bromäthyl  sehr  stark  geschädigt  wird,  und  zwar  findet  man  ausschließlich  eine 
sehr  starke  Fettmetamorphose  der  Leberzellen  nach  der  Bromäthylnarkose.  Es 
hat  sich  ergeben,  daß  die  Leber  schon  nach  einer  ca.  40  Minuten  langen 
Bromäthylnarkose  eine  starke  Fettmetamorphose  zeigte,  die  durch  eine  folgende 
Narkose  bedeutend  verschlimmert  wurde.  Hauptsächlich  trat  in  der  Peripherie  der 
Acini  eine  starke  Fettmetamorphose  mit  Nekrose  und  Zerfall  der  Leberzellen 
auf,  so  hochgradig,  wie  man  sie  kaum  bei  gieichlangen  Chloroformnarkosen  findet. 
Die  Nekrose  war  besonders  stark.  Ln  Zentrum  der  Acini  war  weniger  Nekrose 
als  Fettmetamorphose  vorhanden.  Die  Bilder  in  den  Präparaten  der  Leber 
glichen  vollkommen  denen  von  Lebern  der  mit  Chloroform  betäubten  Tiere. 
Diese  Leberveränderung  tritt  nach  einer  längeren  Narkose  in  geringem  Grade 
auf,  wird  aber  von  einer  weiteren  Narkose  innerhalb  der  Zeit,  wo  sie  noch 
nicht  abgeheilt  ist,  stark  vermehrt.  Es  wird  also  auch  jede  vorher  bestehende 
Disposition  zu  Leberleiden  oder  jede  im  Anfang  vorhandene  Fettleber  durch 
eine  Bromäthylnarkose  stark  verschlimmert  werden.  Daneben  bestehen  starke 
Hyperämie  und  Hämorrhagien  im  Parenchym.  Was  die  Nieren  anlangt,  so 
werden  dieselben  analog  der  Leber  verändert,  starke  Fettmetamorphose  entsteht 
nach  langem  und  öfteren  Betäuben  und  am  meisten  in  den  Tubuli  contorti,  wo- 
selbst man  neben  viel  Fett  auch  Zerfall  der  Epithelien  und  Neki'ose  findet. 
Die  Glomeruli  zeigen  keiu  Fett,  haben  aber  stark  gefüllte  Gefäße  und  einen 
großen  Hohlraum  zwischen  Glomerulus  und  Bowmanscher  Kapsel  (Exsudat). 
In  den  Tubuli  recti  ist  weniger  Nekrose  und  Zerfall  der  Zellen,  doch  noch  viel 
Fett,  während  in  den  Zellen  der  Pyramiden  weniger  Fett  vorhanden  ist.  Die 
Fettmetamorphose  ist  nach  einer  langen  Narkose  im  Beginn  mit  feinen  Tropfen 


—     432     — 

zu  üuden,  nach  2 — 3  Betäubungen  aber  stark  ausgeprägt  mit  großen  Fettballen 
und  Nekrose.     Jede  folgende  Narkose  vermehrt  die  Fettmetamorphose  enorm. 

Die  Nieren  sind  sonst  stark  hyperämisch,  Häraorrhagien  sind  oft  zu  finden, 
namentlich  unter  der  Kapsel. 

Die  Nieren  spielen  bei  der  Eliminierung  der  Narkotika  eine  ganz  be- 
deutende Rolle,  denn  es  werden  nicht  geringe  Mengen  bei  der  Chloroform- 
narkose aus  dem  Blute  abgesondert,  und  so  geschieht  auch  bei  der  Bromäthyl- 
narkose eine  Absonderung  von  Bromäthyl  durch  die  Nieren.  Rabuteau  meint, 
daß  die  Nieren  nicht  an  der  Ausscheidung  des  Bromäthyls  aus  dem  Organismus 
beteiligt  seien,  weil  er  keine  Bromverbinduugen  im  Harn  fand.  Regli  glaubt, 
daß  nur  wenig  Bromäthyl  durch  die  Nieren  eliminiert  wird.  Die  Verhältnisse 
liegen  so,  daß  bei  der  kurzen  in  praxi  ausgeführten  zwei  Minuten  dauernden 
Bromäthylnarkose  nur  wenig  Bromäther  die  Nieren  passiert,  denn  es  wird  ja 
auch  nur  eine  geringe  Menge  von  Bromäthyl  in  den  Organismus  gelangen,  da 
man  dem  Kranken  nur  einmal  eine  kleine  Menge  zu  inspirieren  gibt,  die  zum 
größten  Teil  durch  die  Lungen  eliminiert  wird.  Allein  ein  kleiner  Teil  passiert 
auch  die  Nieren.  Narkotisiert  mau  aber  ein  Tier  30  Minuten,  so  findet  man 
sehr  bald  nach  Beginn,  sicher  nach  der  Narkose,  Bromverbindungen  und  Brom- 
äthyl im  Harn.  Ich  habe  dies  durch  chemische  Reaktien  nachweisen  können. 
Immerhin  ist  nur  sehr  wenig  Bromäthyl  in  dem  Harn  frei  oder  in  Verbindungen 
enthalten.  Dies  beruht  darauf,  daß  Bromäthj^l  sehr  schwer  im  Wasser  löslich 
ist,  es  wird  daher  überhaupt  nur  wenig  in  das  Blut  aufgenommen  und  die 
Lösung  ist  nur  sehr  locker,  so  daß  das  Bromäthyl  sehr  schnell  und  leicht 
wieder  aus  der  Lösung  ausscheidet.  Daher  werden  die  größten  Mengen  durch 
die  Lungen  aus  dem  Organismus  eliminiert.  IiuiuerLin  werden  die  Nieren  doch 
von  dem  Bromäthyl  passiert. 

Die  Resultate  der  Bromäthyleiuwirkuug  auf  die  Nieren  in  Hinsicht 
der  Fettmetamorphose  stellen  eine  große  Gefahr  für  den  Kranken  bei 
längeren  Narkosen  dar.  Klinisch  hat  man  auch  Schädigungen  der  Niereu  nach 
Bromäthylnarkosen  beobachtet,  so  fand  Regli,  daß  größere  Dosen  von  Brom- 
äthyl regelmäßig  xllbuminurie  hervorriefen,  Haslebacher  fand  Albuminurie 
öfters,  seltener  Zylinderurie,  dagegen  hat  derselbe  auch  Fettablagerung  in  den 
Nieren  beobachtet.  Haslebacher  fand  auch  im  Herzen  Fett  sowie  Ver- 
schmälenmg  der  Muskelfasern  und  Schwinden  der  Querstreifuug.  Diese 
klinischen  Beobachtungen  deuten  darauf  hin,  daß  in  den  Nieren  schwere 
Schädignngeu  durch  das  Bromäthyl  erzeugt  werden. 

Diese  Veränderungen  in  den  Nieren  sind  sehr  ähnlich  denen,  wie  man 
sie  bei  Chloroform  findet,  und  es  steht  die  Bromäthylwirkung  der  des  Chloroforms 
nicht  nach.  Was  nun  den  Magen-Darmkanal  anlangt,  so  sind  weniger  schwere 
Veränderungen  darin  zu  finden.  Eine  kurze  Narkose  bringt  da  keine  pathologischen 
Wirkungen  hervor,  nur  findet  sich  eine  vermehrte  Absonderung  von  Schleim 
sowohl  in  den  Speicheldrüsen  des  Mundes,  Rachens  und  Kehlkopfes,  während 
der  Magen  und  Darm  nicht  wesentlich  beeinflußt  Averden.  Auch  in  den 
Magensaft  gehen  wesentliche  Mengen  von  Bromäthyl  bei  kurzer  Narkose  nicht 
über,  und  die  Folge  davon  ist  die,  daß  jedes  Erbrechen  und  Übelkeit  vom 
Magen  aus  nach  der  Narkose  fehlt.  Der  Umstand,  daß  das  Bromäthyl  nur 
sehr  schwer  löslich  ist,  bringt  auch  mit  sich,  daß  im  Magensaft  solches  nicht 
abgesondert  wird.  Nach  langen  Narkosen  mit  Bromäthyl  aber,  schon  nach 
solchen  von  10  Minuten  Toleranzdauer,  finden  sich  geringe  Mengen  von  solchem 
im  Magensaft  und  rufen  im  Magen  starke  Übelkeit  und  Erbrechen  hervor. 
Immerhin  gelangen  nur  wenig  Bromäthylmengen  in  den  Magensaft,  doch  dieselben 
genügen  aber,  da  Bromäthyl  stark  reizend  auf  die  Magennerven  wirkt,  um 
Erbrechen  zu  erzeugen.  Bei  längereu  Narkosen  findet  sich  in  den  Epithel- 
zellen der  Magenschleimhaut  und  der  Magendrüsen  sehr  reichlich  Fett  in  feinen 


—     433     — 

bis  iiiitt(!lteinen  'J'ropfeu.  Auch  diese  Fettdegeueration  der  Mageuepithelieu 
zeigt  die  starke  Wirkung  des  Bromätbyls  auf  die  Zelle,  denn  die  Fettmetamorphose 
ist  verhältnismäßig-  stark.  Die  Darmtätigkeit  wird  bei  langen  Narkosen  ge- 
schwächt, auch  die  Magensekretion  wird  vermindert. 

Sehr  viel  wichtiger  als  diese  Wirkungsweise  des  Aether  bromatus  ist  die 
auf  die  Lungen.  Es  besteht  bei  den  kurzen  Narkosen  meist  zunächst  eine 
beträchtliche  Beschleunigung  der  Respirationstätigkeit,  die  erst  kurz  vor  dem 
Erwachen  nachläßt  und  einer  Verlangsamung  der  Atemtätigkeit  weicht.  Weiter 
übt  das  Bromäthyl  einen  sehr  stark  reizenden  Einfluß  auf  die  Schleimhaut  und 
die  Drüsen  des  Kehlkopfes,  der  Bronchien  und  Broncheoli  aus.  Man  beobachtet 
schon  bei  kurzen  Narkosen  eine  Vermehrung  des  Schleimes.  Besonders  stark 
ist  dieselbe  aber  bei  längeren  Narkosen.  Ich  habe  eingehende  Versuche  angestellt 
und  gefunden,  daß  unter  längerer  Einwirkung  in  der  Lunge  selbst  bedeutende 
Mengen  von  Schleim  produziert  wurden,  welche  dann  in  den  Alveolen  zu  finden 
waren.  Vom  Rachen  und  Mund  konnten  diese  Mengen  von  Schleim  nicht  in 
die  Lunge  aspiriert  worden  sein,  denn  dies  verhinderte  ich  durch  entsprechende 
Maßnahmen.  Auch  schon  während  der  Narkosen  bemerkte  man  bei  den  Hunden 
einen  großen  Überschuß  von  Speichel  und  Schleim,  der  aus  dem  Maule  heraus- 
floß. Die  Lungen  aber,  welche  von  außen  nicht  mit  Schleim  erfüllt  werden 
konnten,  zeigten  in  großen  Bezirken  die  Alveolen  mit  Schleim  erfüllt,  und  zwar 
waren  diese  Bezirke  groß  und  ausgedehnt,  dabei  reichlich  in  den  Lungen  vor- 
handen, und  zAvar  in  den  bei  der  Lage  des  Tieres  abwärtigen  Gebieten  am 
stärksten,  so  daß  man  also  annehmen  muß,  der  Schleim  sei  von  den  Bronchien 
in  die  Alveolen  herabgeflossen.  Diese  Schleimmassen  waren  entsprechend  den 
Narkosen  ebenso  groß  und  ausgedehnt,  wie  bei  Athernarkosen.  Jedenfalls  wirkt 
Bromäthyl  viel  stärker  anregend  auf  die  Schleimsekretion  als  Chloroform  und 
steht  in  dieser  Hinsicht  dem  Aether  salfur.  gleich.  Weiter  fand  sich  bei  der 
genauen  Untersuchung  der  Lungen  auch  eine  sehr  starke  Fettmetamorphose  in 
den  Zellen  des  respiratorischen  Epithels.  In  den  Zellen  der  Alveolen,  der 
Broncheoli  und  der  Schleimhaut  der  Bronchien  waren  reichlich  Fetttropfen  zu 
finden.  Dies  ist  ein  Zeichen  der  reizenden  Wirkung  des  Bromäthyls  auf  die 
lebende  Zelle.  Die  Folgen  der  Fettmetamorphose  der  Zellen  des  respiratorischen 
Epithels  sind  darin  zu  finden,  daß  durch  die  Fettmetamorphose  eine  Schädigung 
der  Lebensfähigkeit  der  Epithelzelle  erzeugt  wird,  wodurch  die  bakterizide 
Kraft  der  Zelle  geschwächt,  aufgehoben  wird,  was  zur  Folge  hat,  daß  Bakterien, 
welche  in  dem  Luftstrom  auf  die  Schleimbaut  gelangen,  einen  für  ihre  Weiter- 
entwicklung günstigen  Boden  finden,  sie  werden  sich  auf  der  erki-ankten  Zelle 
ansiedeln  und  wuchern,  anstatt  von  der  Zelle  getötet  zu  werden.  Auch  fallen 
durch  die  Erkrankung  der  Zellen  die  Flimmerbewegungen  weg,  so  daß  die 
Bakterien  nicht  wegtransportiert  werden.  Die  Folge  ist  die  Entwickelung  von 
Bronchitiden  und  Pneumonien.  Diese  Erkrankungen  werden  begünstigt  durch 
die  vermehrte  Schleimansammlimg  in  den  Alveolen  und  die  Fettmetamorphose. 
Es  ist  also  in  dieser  Hinsicht  das  Bromäthyl  ein  sehr  gefährliches  Narkotikum, 
welches  hierin  dem  Aether  sulfur.  gleichkommt,  vielleicht  denselben  noch  über- 
trifft. Ich  habe  bei  allen  Tieren,  welche  ich  mit  Bromäthyl  länger  narkotisierte, 
diese  Verhältnisse  feststellen  können.  Je  länger  die  Narkose,  um  so  mehr 
Gefahr  ist  für  den  Eintritt  postnarkotischer  Pneumonien  vorhanden.  Bei 
kurzen  Narkosen    kommen    diese  Verhältnisse    weniger  in  Betracht,   immerhin 

28 


—     434     — 

muß  man  sie  beachten  bei  Leuten,  welche  lungenleidend  sind.  Bei  ihnen 
kann  durch  die  Narkose  eine  starke  Verschlimmerung  der  Lungenkrankheit 
entstehen.  Man  muß  dies  aber  auch  kennen  für  Narkosen  mit  Gemischen  aus 
ßromäthyl  und  anderen,  solche  sind  von  Otis  angegeben  worden,  weil  man 
dabei  ja  eine  längere  Einwirkung  des  Bromäthyls  auf  den  Organismus  vor  sich  hat. 

Der  Einfluß  des  Bromäthyls  auf  die  Atmung  besteht  darin,  daß  dasselbe, 
um  mich  teleologisch  auszudrücken,  wie  Löhers  in  seinen  Untersuchungen  fand, 
einen  Zustand  der  Lungen  erzeugt,  der  ein  Fernhalten  der  giftigen  Gase  bezweckt. 
Bei  Nasenatmung  sistiert  sie  ganz,  um  erst  nach  30  Sekunden  in  beschränkter 
Weise  wiederzukehren,  bei  Trachealatmuug  tritt  eine  Verflachung  ein.  Der 
exspiratorische  Atmuugs  still  stand  ist  eine  Folge  der  Reizung  des  Trigeminus- 
vagus  in  der  Nase  und  dem  Larynx.  Die  Atmung  wird  beschleunigt  und  ver- 
flacht, was  als  Reflexerscheinung  vom  Nervus  vagus  aufgefaßt  werden  muß. 
Das  Bromäthyl  wirkt  nicht  lähmend  auf  das  Respirationszentrum.  Niemals 
beobachtet  man  in  der  Narkose  die  ominöse  synkoptische  Atmung,  wo  zwischen 
einzelne  tiefe  Atemzüge  sich  exsph'atorische  Pausen  einschieben  und  der  Thorax 
die  Kadaverstellung  einnimmt.  (Löhers.)  Es  hat  dies  große  Bedeutung,  da 
dadurch  die  Restituierung  der  erloschenen  und  die  Überführung  der  gestörten 
in  die  normalen  Atembewegungen  erheblich  mehr  garantiert  ist. 

Weitere  Einflüsse  auf  die  Lungen  kommen  nicht  vor,  man  muß  natürlich 
ebenso  wie  bei  allen  Narkosen  den  Eintritt  einer  Apnoe  verhüten,  denn  auch 
beim  Bromäthyl  können  die  verschiedenen  Apnoefälle  vorkommen,  die  man  ja 
aber  leicht  verhüten  kann. 

Aus  allen  diesen  hier  angeführten  Verhältnissen  und  Beziehungen  der 
Bromäthylwirkung  zum  Organismus  muß  man  entnehmen,  daß  man  es  mit 
einem  schwer  toxischen  Körper  zu  tun  hat  und,  daß  die  Bromäthylnarkose 
absolut  nicht  eine  besonders  harmlose  Betäubung  darstellt.  Dieselbe  ist  im 
Gegenteil  sehr  gefährlich,  und  man  darf  Bromäthyl  nur  in  bestimmten  Fällen 
und  gewissen  Beschränkungen  verwenden.  Vor  allem  sind  nur  kurze,  schnell 
vorübergehende  Betäubungen  mit  Bromäthyl  vorzunehmen.  (Härdy,  Blumm, 
Schneider,  Abonyi,  Leo  Szumann,  Gilles  Pauschinger,  Challand, 
Montgommery  etc.) 

Allein  auch  kurzdauernde  Narkosen  haben  bedeutende  Gefahren  für  das 
Leben  des  Kranken  und  es  werden  oft  Bromäthernarkosen  wegen  Operationen 
ausgeführt,  wo  man  sehr  leicht  eine  weniger  gefährliche  Methode  finden  konnte, 
so  ist  z.  B.  der  Atherrausch  viel  angenehmer  und  weniger  gefährlich,  als  die 
Bromäthylnarkose.  Vielfach  hat  man  Zahnextraktionen  mit  Bromäther  ausgeführt. 
Es  sind  selbst  bei  ganz  gesunden  Personen  Synkopetodesfälle  eingetreten,  und 
es  liegt  eine  große  Gefahr  in  der  Anwendungsweise  des  Bromäthyls,  denn  um 
eine  Narkose  zu  erzeugen,  muß  man  dem  Menschen  schnell  große  Dosen  inspirieren 
lassen,  und  man  gibt  für  einen  erwachsenen  Menschen  15 — 20  g  auf  einmal. 
Es  ist  leicht  erklärlich,  daß  hei  sehr  ausgiebiger  Inspiration  große  Mengen  in 
den  Organismus  gelangen  können,  größere  als  zulässig  sind,  und  es  kann  zur 
Herzsynkope  kommen.  Ein  glücklicher  Umstand  ist  die  schwere  Löslichkeit  des 
Bromäthyls  in  Wasser,  und  somit  auch  im  Blutplasma,  wodurch  eine  Über- 
dosierung erschwert  wird.  Wenn  in  die  Lunge  sehr  viel  Dämpfe  gelangt  sind 
und  eine  hohe  Konzentration  im  Blute  entsteht,  so  kann  leicht  Synkope  eintreten. 
Man  darf  nie  mehr  als  20  g  auf  einmal  verabreichen. 


—     435     — 

Der  Kranke  atmet  schnell  die  Dämpfe  ein  und  verfällt  dabei  sehr  rasch 
in  ein  kurzes  Exzitationsstadium,  welchem  dann  nach  20  Sekunden  eine  Betäubung 
mit  vollkommener  Lähmung  aller  willkürlichen  Muskeln  und  der  meisten  Reflexe 
folgt.  Diese  Toleranz  dauert  2 — 2^j\j^  Minuten.  Danach  erwacht  der  Patient, 
und  es  besteht  noch  ca.  1 — 2  Minuten  vollkommene  Analgesie,  während  der 
Patient  vollkommen  bei  sich  ist.  Wenn  man  ihm  zuzureden  vermag,  so  kann 
man  jetzt  noch  ohne  Schmerzen  für  den  Patienten  operieren.  Dieses  Stadium 
der  Analgesie  ist  gut  zu  verwerten.  Die  ganze  Narkose  macht  mehr  den  Ein- 
druck einer  Rauschnarkose,  doch  ist  sie  nicht  eigentlich  gleich  dem  Äther-  und 
Chloroformrausch,  sondern  es  besteht  für  ganz  kurze  Zeit  vollkommene  Toleranz. 
Wenn  man  in  derselben  Äther  oder  Chloroform  verabreicht,  kann  man  leicht 
die  Bromäthernarkose  in  eine  solche  mit  diesen  Stoffen  überleiten.  Die  Augen 
verhalten  sich  genau,  wie  früher  erörtert,  sie  zeigen  enge  reaktionslose 
Pupillen  in  der  Toleranz.  Das  Erwachen  geht  sehr  schnell  vor  sich  und  es 
fehlen  meist  jede  Nausea  und  Übelkeit,  der  Kranke  fühlt  sich  äußerst  wohl  und 
ist  in  gehobener  Stimmung. 

Infolge  dieser  kurzen  Dauer  tiefer  Narkose,  Fehleu  aller  Nausea  nach 
der  Narkose  etc.  hat  mau  die  Bromäthylnarkose  für  alle  kleinereu  chirurgischen 
Eingriffe  angeraten,  und  man  hat  vielfach  sehr  gute  Resultate  gehabt.  (Bonome, 
Haffter,  Abonyi  etc.)  Vielfach  ist  das  Mittel  bei  Zahuoperationeu  in  Gebrauch. 
(Schneider,  Härdy,  Blumm  etc.)  Auch  für  die  Frau  in  der  Geburt  hat  man 
die  Bromäthylnarkose  empfohlen.  (Montgommery ,  Givel  etc.)  Es  ist  von 
Givel  bei  20  Kreißenden  verwendet  worden,  doch  mit  wenig  gutem  Erfolg, 
während  M  o  n t g  o  ra  m  e  r  y  in  29  Geburten  diese  Narkose  verwandte.  Er  verfuhr  auf 
diese  Weise,  daß  er  beim  Herannahen  einer  Wehe  einige  Tropfen  Bromäthyl  der 
Frau  zu  inspirieren  gab,  nach  der  Wehe  ließ  er  die  Maske  weg.  Er  hat  damit 
leidlich  gute  Erfolge  gehabt.  Ich  möchte  hingegen  entschieden  warnen,  bei 
Kreißenden  das  Bromäthyl  zu  verwenden,  da  in  größeren  Dosen  oder  längerem 
Gebrauch  schwere  Gefahren  entstehen  können.  Vor  allem  soll  man  bei  vorher- 
gegangenen abundanten  und  während  starker  Blutungen  das  Mittel  meiden  wegen 
Gefahr  der  Synkope. 

Die  Frauen  vertragen  Bromäthyl  am  besten,  während  Männer  oft  mit 
demselben  in  Dosen  von  20  g  nicht  zu  narkotisieren  sind,  namentlich  wenn  der 
Mann  Alkoholist  ist.  Ich  habe  meist  Männer  nur  unvollkommen  in  Narkose 
fallen  sehen  oder  gar  nicht.  Auch  Frauen  werden  manchmal  nicht  tief  betäubt. 
Es  müßte  dann  eine  größere  Dosis  verwendet  werden,  was  entschieden  zu  ver- 
bieten ist,  da  dadurch  schwere  Gefahren  drohen. 

Bei  Frauen,  die  schwach  sind,  soll  man  nur  10  g  geben,  da  sie  dann 
weniger  widerstandsfähig  sind.  Kinder  mit  Bromäthyl  zu  betäuben,  ist  ent- 
schieden zu  widerraten.  5  g  genügen  bei  solchen  von  10—12  Jahren.  Bei 
kleinen  Kindern  ist  Bromäther  nicht  anzuwenden.  Man  berechnet  für  Kinder 
pro  Jahr  lg.  (Härdy,  Wieland,  Demme  etc.)  Wieland  hat  200  Narkosen 
an  Kindern  ohne  Unfall  und  Nachteil  ausgeführt  und  ist  sehr  zufrieden  mit  der 
Narkose.  Demme  fand  häufiges  Erbrechen  nach  der  Narkose  bei  Kindern, 
doch  hat  Wieland  dasselbe  nie  gesehen,  nur  Cyanose  im  Gesicht  am  Schluß 
der  Narkose,  die  sehr  bald  verschwand,  wenn  das  Kind  reine  Luft  zu  atmen 
erhielt.  Er  hat  aber  den  Knoblauchgeruch  übel  bemerkt,  der  tagelang  bei  den 
Kindern  nach  der  Narkose  anhielt,  und  wegen  dessen  sich  manche  Kinder  nicht 
zum  zweitenmal  betäuben  lassen  wollten.  Diesen  Autoren  entgegen  stehen 
viele,    welche    bei    der  Verabreichung    von    großen  Dosen    auf  einmal  Unfälle 


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beobachtet  haben,  da  ja  leicht  eine  zu  hohe  Konzentration  der  Bromäthyldämpfe 
im  Blute  entstehen  kann.  So  hat  Mikulicz  von  zwei  Todesfällen  berichtet.  Es 
muß  vor  allem  die  Verabreichung  des  Mittels  beachtet  werden. 

Bisher  war  man  der  Ansicht,  die  Narkose  werde  am  besten  eingeleitet, 
wenn  man  große  Dosen  auf  einmal  gebe.  (Haffter.)  So  hat  man  bis  20 — 30  g 
auf  einmal  in  eine  Maske  gegossen  und  dem  Kranken  schnell  einatmen  lassen. 
Bei  dieser  Methode  kann  aber  zu  leicht  eine  Überdosierung  eintreten  und  mau 
sollte  dieselbe  nie  anwenden,  denn  die  meisten  Todesfälle,  die  bisher  in  der 
Bromäthylnarkose  vorkamen,  müssen  dieser  Methode  zur  Last  gelegt  werden. 
Man  hat  daher  auch  für  diese  Narkose  als  beste  Darreichung  die  Tropfmethode 
erkannt.     (Partsch,  Mikulicz,  Larisch  etc.)     Darüber  weiter  unten. 

Für  die  kurze  Bromäthylnarkose  kann  man  eine  weite  Grenze  ziehen, 
solange  man  die  Dosierung  in  Tropfen  ausführt.  Immerhin  sind  Kontra- 
indikationen vorhanden  und  in  folgenden  Krankheiten  gegeben.  Vor  allem 
sind  Herzleiden,  akute  Mj^ocarditis,  Endocarditis  und  dekompensierte  Klappen- 
fehler, Fettmetamorphose,  alle  hochgradigen  Schwächezustände  und  Kachexien, 
Lungenleiden  ausgedehnter  Art,  schwere  anhaltende  Blutungen  etc.  Kontra- 
indikationen der  Narkose.  Weiter  soll  man  Potatoren,  Arteriosklerotiker,  Em- 
physematiker,  sehr  alte  Leute  und  Kinder  der  ersten  Jahre  nicht  mit  Bromäthyl 
narkotisieren.  Man  soll  ebenfalls  dasselbe  nie  zu  längeren  Narkosen  verwenden, 
auch  nie  gemischt  mit  anderen  Narkotika.  Überhaupt  sollte  man  die  Bromäthyl- 
narkose nur  bei  kräftigen,  ganz  gesunden  Individuen  verwenden,  bei  denen  nur 
kurze  Narkose  nötig  und  eine  andere  Methode  unmöglich  ist.  Seitdem  ich  aber 
qei  einem  ganz  gesunden  Mädchen,  bei  dem  wegen  Zahnextraktion  eine  Brom- 
äthernarkose mit  vorsichtiger  Dosierung  in  Tropfen  vorgenommen  worden  war, 
kurz  nach  dem  Erwachen  Synkope  mit  Tod  eintreten  sah,  habe  ich  Bromäthyl 
nie  mehr  angewendet,  und  habe  stets  Methoden  der  lokalen  Anästhesie  oder 
andere  Narkose,  vor  allem  den  Atherrausch  gefunden,  die  eine  Bromäthylnarkose 
besser  ersetzten,  ohne  den  Kranken  so  hoher  Lebensgefahr  wegen  einer  so 
kleinen  Operation  auszusetzen.  Vor  allem  der  Ätherrausch  vermag  der 
Bromäthernarkose  ernste  Konkurrenz  zu  machen.  Die  Behauptung,  eine  kurze 
Bromäthylnarkose  sei  ganz  ungefähi'lich,  ist  entschieden  nicht  aufrecht  zu  erhalten. 

Was  die  Statistik  anlangt,  so  läßt  sich  folgendes  feststellen.  Rubzow 
hat  in  150  Fällen  Bromäthyl  angewendet,  und  hat  15mal  starke  Exzitation 
gesehen,  nie  aber  üble  Folgen  beobachtet.  Larisch  hat  1263  Bromäthyl- 
narkosen mit  keinem  Todesfall  gesammelt.  In  1,5— 2 "/q  der  Fälle  hat  er  Er- 
brechen beobachtet,  in  8,11%  Exzitation. 

Aus  dem  Jahre  95/96  hat  Gurlt  auf  1826  Bromäthylnarkosen  keinen,  aus 
früheren  Jahren  auf  5396  einen  Todesfall  angegeben.  Reboul  hat  übe.i  100 
Narkosen  mit  gutem  Erfolg,  doch  oft  Erbrechen,  zweimal  starke  cerebrale  Ex- 
zitation und  mehrfach  Ikterus  nach  denselben  beobachtet.  Guinard  hat  einen 
Kranken  durch  primäre  Synkope  in  der  Bromäthernarkose  verloren.  Brower- 
Kelly  hat  1300  Bromäthernarkosen  ohne  Todesfall  ausgeführt. 

Wieland  hat  200  Narkosen  ohne  Todesfall  und  schwere  Nebenwirkungen 
ausgeführt,  Gurlt  hat  auf  4555  Bromäthylnarkosen  einen  Todesfall  gesehen. 
Dieses  Verhältnis  ist  immerhin  noch  zu  günstig,  denn  es  traten  bedeutend  mehr 
Todesfälle  auf,  wenn  auch  deren  Zahlen  in  den  Statistiken  noch  nicht  registriert 
sind.     (Löhers,    Haslebacher,  Rabuteau,  Bonome,    v.    Openchowsky, 


—     437     — 

Sims  Marion  etc.)  Nach  diesen  Statistikern  hätte  man  anf  ca.  17000  Xarlvoseu 
3  Todesfälle.  Dies  wäre  1:5330,  ein  Verhältnis,  das  in  anbetracht,  daß  alles 
nur  ganz  kurze  Narkosen  waren,  ein  schlechtes  zu  nenjien  ist.  Die  Gefahr  steht 
da  nicht  im  Verhältnis  zur  Bedeutung  der  Operation.  Es  werden  aber  auch  nicht 
alle  Todesfälle  gemeldet.  Man  muß  nach  den  von  mir,  Löhers,  Haslebacher  und 
anderen  vorgenommenen  Untersuchungen  über  die  Wirkung  des  Bromäthyls 
dasselbe  als  ebenso  gefährlich  wie  Chloroform  ansehen,  wenn  man  es  in  kurzen 
Betäubungen  verwendet,  als  viel  gefährlicher  aber,  wenn  man  es  wollte  zu 
längeren  Narkosen  verwenden,  wozu  es  absolut  ungeeignet  ist.  Die  üblen 
Wirkungen  auf  Herz  und  Lunge  bilden  eine  große  Gefahr  für  den  Narkotisierten. 
(Löhers,  Haslebacher.)  In  Anbetracht  der  gefährlichen  Wirkung  ist  das 
Bromäthyl  nur  für  kurzdauernde  Operationen  zu  verwenden,  und  dann  auch  nur 
bei  ganz  gesunden  Leuten.  Eine  bedeutende  Rolle  spielt  nun  wie  bei  allen 
Narkosen  so   auch  bei  der  Bromäthylnarkose   die  Technik  und  Verabreichung. 

§  13.  Was  die  Technik  der  Bromäthylnarkose  anlangt,  so  wird  man  natürlich 
hierbei  alle  Vorschriften,  die  man  bei  Chloroform  oder  Äthernarkosen  verwendet, 
beachten  müssen.  Der  Kranke  wird  ja  bei  dieser  rasch  vorzunehmenden  Narkose 
nicht  so  vorbereitet  werden  können,  doch  soweit  es  möglich  ist,  soll  mau  auch 
hierbei  die  allgemeinen  Maßnahmen  bedenken.  Die  Hauptaufgabe,  welche  aber 
dem  Arzte  vor  dem  Einleiten  der  Bromäthyinarkose  zufällt,  besteht  in  einer 
genauen  körperlichen  Untersuchung,  damit  der  Ai'zt  erfährt,  ob  ein  gesundes 
Herz  und  eine  gesunde  Lunge  vorliegen.  Bei  jeder  krankhaften  Veränderung 
an  diesen  beiden  Organen  ist  eine  kurze  Bromäthylnarkose  höchst  gefährlich, 
wegen  einer  ev.  eintretenden  Synkope  oder  Apnoe. 

Der  Ki'anke  wird  zur  Ausführung  der  Narkose  am  besten  in  Rückenlage 
oder  in  sitzende  Stellung  gebracht  und  so  betäubt.  Als  einzige  Indikation  für 
die  Bromäthylnarkose  ist  vielleicht  die  Operation  der  adenoiden  Wucherungen  im 
Nasenrachenraum  anzusehen  und  man  kann  sagen,  daß  bei  dieser  Operation  die 
Bromäthylnarkose  wegen  der  nicht  totalen  Lähmung  der  Reflexe  mit  die  beste 
Betäubung  darstellt  und  von  keiner  anderen  besser  ersetzt  werden  kann,  während 
in  allen  anderen  Fällen  mau  eine  weniger  gefährliche  Methode  finden  wird,  als 
die  Bromäthylnarkose. 

Was  die  Technik  der  Narkose  an  sich  betrifft,  so  ist  eben  nur  eine 
kurze  Narkose  in  der  Praxis  auszuführen,  für  längere  Narkosen  ist  dieselbe 
nicht  zu  verwenden.  Wollte  man  längere  Narkosen  ausführen,  müßte  die 
Lagerung  genau  wie  bei  der  Chloroformnarkose  zu  wählen  sein. 

Es  gibt  mehrere  Methoden  der  Bromäthylbetäubung,  von  denen  aber  nur 
eine  zu  empfehlen  ist,  das  ist  die  Tropfmethode.  Dieselbe  ist  von  Kölliker 
angegeben  worden  und  besteht  darin,  daß  man  dem  Ivi'anken  in  einer  dicht 
abgeschlossenen  Maske  das  Bromäthyl  tropfenweis  verabreicht,  während  er  normal 
respiriert,  und  wenn  er  sich  an  die  Einatmung  und  an  den  Geruch  der  Dämpfe 
gewöhnt  hat,  wird  der  ganze  Rest  des  Narkotikums  in  die  Maske  gegossen  und 
dem  Kranken  verabreicht.     Die  Dosis  ist  die  genannte,  5 — 25  g. 

Eine  andere  Methode  ist  die  von  Haff ter,  welcher  die  Narkose  so  aus- 
führt, daß  er  die  ganze  Menge  des  zu  verwendenden  Bromäthyls  in  die  Maske 
schüttet  und  diese  dicht  auf  das  Gesicht  des  Kranken,  Mund  und  Nase  be- 
deckend, legt,  wobei  jeder  Luftzutritt  nach  Möglichkeit  abgehalten  wird.  Der 
Ki-anke  atmet  dabei  anfangs  erschwert,  läßt  aber  bald  die  Verweigerung  des 


—     438     — 

Atmens  weg-  imd  respiriert  tief  und  ausgiebig.  Haffter  gibt  5 — 20  g  und 
gibt  an,  daß  man  bei  tropfenweiser  Darreichung  Xarkose  nicht  erreichen  könne. 
Bei  seiner  Methode  tritt  nach  wenigen  Atemzügen  tiefe  Betäubung  auf,  die  dann 
bis  5  Minuten  anhalten  kann.  Diese  Methode  war  die  früher  aligemein  übliche 
und  es  haben  sich  dabei  yiele  Todesfälle  ereignet.  Als  Kriterium  für  einge- 
tretene Narkose  kann  das  Fallenlassen  eines  oder  beider  zu  Beginn  ausge- 
streckter Arme  angesehen  werden.  Nachdem  die  Narkose  einige  Zeit  gedauert 
hat,  erwacht  der  Kranke  und  fühlt  sich  in  den  meisten  Fällen  wohl,  ohne  Er- 
brechen, Kopfschmerzen  etc.  zu  zeigen.  Diese  Methode  ist  aber  wegen  der  mit 
ihr  verbundenen  Gefahr  der  Überdosierung  entschieden  zu  vermeiden,  und  man 
soll  auch  bei  der  Bromäthjdnarkose  die  Tropfmethode  wählen  (v.  Mikulicz, 
V.  Eiseisberg,  Partsch,  Larisch,  Terrier,  Peraire  etc.).  Man  hat  in 
den  letzten  Jahren  in  vielen  Fällen  die  Tropfmethode  verwendet  und  mit  der- 
selben bessere  Kesultate  erzielt  als  mit  der  früheren  Narkose.  (Terrier, 
Peraire  etc.)  Zur  Ausführung  der  Bromäthj'lnarkose  verwendet  man  am  besten 
eine  Esmarchsche  Maske,  welche  mit  Gummistoff  oder  Billrothbatist  überzogen 
ist.  (Haffter.)  Auch  die  Girardsche  Maske  läßt  sich  mit  impermeablem 
Stoff  überzogen  sehr  gut  verwenden.  Gilles  hat  eine  Maske  angegeben,  welche 
sich  recht  gut  eingeführt  hat.  Diese  Maske  ist  von  der  Größe  und  Form  der 
Esmarch sehen,  besteht  aber  aus  zwei  Drahtkörben,  von  denen  der  eine  eine 
Verjüng-ung  des  anderen  darstellt,  und  welche  mit  einem  Scharnier  verbunden 
sind,  so  daß  der  eine  in  den  anderen  hineingebogen  werden  kann.  Man  legt  nun 
zwischen  die  Körbe  eine  Lage  Gummistoff  und  Flanell,  der  die  untere  Lage 
darstellt,  wodurch  man  eine  mit  impermeablem  Stoff'  überzogene  Maske  erhält 
und  den  Vorteil  hat,  diese  Maske  schnell  durch  eine  neue  ersetzen  zu  können, 
nachdem  man  eine  Narkose  ausgeführt  hat.  Man  kann  auch  den  äußeren  Korb 
mit  dem  Gummistoff  fest  überziehen  und  zwischen  die  beiden  Drahtgestelle 
nur  den  Flanell  legen.  Dann  braucht  man  beim  Zugießen  während  der  Nar- 
kose nur  den  mit  Gummistoff'  überkleideten  Korb  zu  öffnen,  um  die  Bromäthyl- 
tropfen auf  den  Flanell  gießen  zu  können.  Eine  andere  Maske  ist  die  von 
Hägler.  Diese  Maske  besteht  ganz  aus  vernickeltem  Metall  und  ist  ähnlich 
der  eben  beschriebenen,  indem  der  äußere  Korb  aus  Blech  geformt  ist,  in 
welchen  der  untere  Korb  paßt.  Zwischen  die  Metallglocke  und  den  Korb 
legt  man  Flanell  oder  Gaze  und  tropft  auf  diese  das  Bromäthyl. 

Eine  weitere  Maske  ist  von  Rosenthal  angegeben,  welche  aus  einem 
Gummibeutel  besteht,  an  welchem  ein  Mundstück  ähnlich  dem  am  Junkerschen 
Apparat  befestigt  ist.  In  den  Beutel  gießt  man  das  Bromäthyl  und  läßt  den 
Kranken  die  in  dem  Beutel  sich  bildenden  Dämpfe  inspirieren.  Dieser  Apparat 
ist  nicht  so  brauchbar  wie  die  mit  impermeablem  Stoff  überzogenen  Masken, 
da  man  die  Tropfmethode  nicht  bei  diesem  verwenden  kann. 

Dies  ist  das  Wichtigste,  was  über  die  Technik  zu  sagen  ist.  Es  ist  aus 
all  dem  zu  ersehen,  daß  die  Bromäthylnarkose  eine  zu  gefährliche  Betäubung 
darstellt,  als  daß  man  sie  bei  so  kleinen,  wenig  wichtigen  Operationen  ver-» 
wenden  könnte,  ohne  eine  große  Verantwortung  zu  übernehmen.  Es  steht  der 
Nutzen  bei  den  kleinen  Operationen  nicht  im  Einklang  mit  der  Größe  der 
Gefahr.  Nachdem  man  in  neuerer  Zeit  den  ganz  ungefährlichen  Ätherrausch 
für  kleine  Narkosen  zu  verwenden  gelernt  hat,  hat  man  einen  Ersatz  für 
die  Bromäthylnarkose  in  jeder  Hinsicht  gefunden.     Man  hat  nun  die  Bromäthyl- 


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narkose  zur  Einleitung'  größerer  Narkosen  mit  Chloroform  oder  Äther  ver- 
wendet, um  die  Betäubung  zu  beschleunigen.  Über  den  Wert  dieser  Methode 
werde  ich  weiter  unten  sprechen.  Es  ist  nur  hier  zu  bemerken,  daß  man  ent- 
schieden vor  diesen  Kombinationen  warnen  muß.  Es  ist  nun  auch  die  Be- 
geisterung für  Bromäthyl,  welche  die  Narkose  im  Anfang  hervorrief,  nicht 
bestehen  geblieben,  und  man  wendet  jetzt  nui-  ausnahmsweise  diese  Narkose 
an.  Es  muß  aber  gerechterweise  anerkannt  werden,  daß  die  Bromäthj'lnarkose 
auch  Vorzüge  besitzt,  und  daß  man  sie,  wenn  man  peinlich  auf  ein  ganz  reines, 
unzersetztes  Präparat  hält,  bei  kleinen  Operationen,  nur  an  ganz  gesunden 
Menschen  und  nur  für  ganz  kurze  Betäubung  mit  der  Tropfmethode  verwenden 
darf,  ohne  sich  eines  Leichtsinnes  schuldig  zu  machen.  Freilich  darf  man  nicht 
annehmen,  daß  die  Methode  ungefährlicher  als  eine  kurze  oberflächliche  Chloro- 
formnarkose oder  der  Ätherrausch  ist,  denn  Bromäthyl  ist  viel  toxischer 
wirkend  als  Äther  und  Chloroform.  Folglich  wird  ein  gewissenhafter  Arzt  den 
Ätherrausch  oder  eine  leichte  Äthernarkose  vorziehen,  ganz  abgesehen  von  den 
vielen  ungefährlichen  Methoden  der  Anästhetologie,  welche  die  Bromäthyl- 
narkose vollkommen  ersetzen.  Man  kann  also  mit  Fug  und  Recht  das  Brom- 
äthyl ad  acta  legen. 

Ehe  ich  dies  Kapitel  schließe,  muß  noch  auf  einen  Umstand  aufmerksam 
gemacht  werden.  Man  hat  nämlich  Bromaethyl  bisweilen  mit  dem  enorm 
giftigen  Bromäthj'len,  Aethylenum  bromatum,  C2H4Br2,  verwechselt,  wodurch 
man  Todesfälle  erlebte.  (Dumont.)  Dieser  Körper  sieht  dem  Bromäthyl  sehr 
ähnlich,  ist  aber  infolge  seines  hohen  Bromgehaltes  enorm  giftig,  besonders 
für  das  Herz,  weshalb  vor  dem  Körper  als  Narkotikum  verwendet  dringend 
gewarnt  werden  muß.     Näheres  vide  sub  Bromäthylen. 


Y.  Kapitel. 
Die  Stickstoffoxydulnarkose. 

§  14.  Mau  hat  neben  dem  Chloroform  und  Äther  schon  seit  langen  Zeiten 
das  Stickstoffoxydul  als  Narkotikum  verwendet  und  es  hat  sich  dieser  Körper 
namentlich  bei  kurzdauernden  Operationen  als  überaus  brauchbar  erwiesen. 
Allerdings  bestehen  gewisse  Momente,  welche  eine  allgemeine  Anwendung  des 
Stickstoffoxyduls  in  der  allgemeinen  Praxis  erschweren.  Das  Stickstoff'oxydul 
wurde  im  Jahre  1776  von  Priestley  entdeckt.  Im  .Jahre  1844  wurde  dasselbe 
zuerst  von  Horace  Wells  verwendet  und  gelangte  damals  zu  einer  allge- 
meinen Verwendimg,  indem  man  meist  zu  kleineren  Operationen,  wie  in  der 
Zahnpraxis,  die  Stickstoffoxydulnarkose  verwendete.  Nachdem  aber  in  den 
nächsten  Jahrzehnten  die  Chloroformnarkose  zur  Geltung  und  Verwendung 
in  der  Chirurgie  kam,  geriet  das  Stickstoff'oxydul  mehr  und  mehr  in  Vergessen- 
heit und  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  war  eine  Zeit,  wo  man  nur  noch 
dieser  Narkose  als  einer  historischen  Tatsache  in  der  Geschichte  der  Chirurgie 
gedachte.  Man  verwendete  es  damals  fast  gar  nicht  mehr  und  erst  in  der 
neuesten  Zeit  hat  man  die  Bedeutung  dieser  Narkose  verstanden  und  wieder 
seine  Aufmerksamkeit  dem  Stickstoffoxydul  zugewendet.  Namentlich  in  England 
wird  jetzt  ein  reichlicher  Gebrauch  von  derselben  gemacht,  und  man  schildert  all- 


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gemein  die  günstigen  Resultate,  die  man  mit  diesem  Narkotikum  erzielte.  Das 
Stickstoä'oxydul  wird  aber  erst  noch  einer  Zeit  der  noch  ausgedehnteren  Ver- 
wendung entgegengehen  und  es  bedarf  nur  noch  der  allgemeinen  Kenntnis  der 
vorzüglichen  Eigenschaften  desselben,  daß  auch  der  praktische  Arzt  sich  dieser 
Narkose  mehr  und  mehr  bedienen  wird,  indem  er  mit  derselben  die  viel  ge- 
fährlichere Bromäthylnarkose  und  ähnliche  ersetzen  lernt. 

Die  Bezeichnung  für  diesen  Körper  ist  noch  durch  die  Namen:  Stickoxydul, 
Stickstoffmonoxyd,  Lachgas  und  Lustgas  gegeben,  in  der  Chemie  hat  man  die 
Formel  NgO  aufgestellt.  Es  stellt  ein  Gas  dar,  welches  schwach  süßlich 
schmeckt  und  riecht,  ein  spezifisches  Gewicht  von  1,52  hat  und  die  Ver- 
brennung fast  genau  so  wie  Sauerstoff  unterhält.  Wenn  man  das  Gas  auf  0  ** 
abkühlt  und  unter  einen  Druck  von  30  Atmosphären  stellt,  so  wird  dasselbe  zu 
einer  farblosen,  wasserklaren,  leicht  beweglichen  Flüssigkeit  kondensiert,  die 
das  spezifische  Gewicht  0,9004  besitzt  und  bei  —  88  °  C  siedet,  sowie  bei 
— 115  °  C  erstarrt.  Das  Gas  ist  für  den  tierischen  Organismus  irrespirabel, 
wenn  man  es  rein  einatmet,  denn  dasselbe  führt  binnen  kurzer  Zeit  Apnoe 
herbei,  so  daß  ein  Mensch  binnen  2 — 4  Minuten  der  Einatmung  des  reinen 
Gases  stirbt,  Vögel  schon  nach  30 — 40  Sekunden,  Kaninchen  innerhalb  2  Mi- 
nuten, Hunde  innerhalb  3  Minuten  ad  exitum  kommen.  Somit  stellt  das  Stick- 
stoffoxydul ein  Gift  dar,  mit  dessen  Verwendung  man  eben  wie  mit  allen  gif- 
tigen Körpern  eine  gewisse  Vorsicht  üben  muß.  Man  stellt  das  Gas  dar,  indem 
mau  salpetersaures  Ammoniak  vorsichtig  erhitzt  und  das  Gas  mit  Eisenvitriol- 
lösuug  und  Kalilauge  wäscht.  Das  salpetersaure  Ammoniak  wird  folgender- 
maßen umgesetzt:  NO3  NH4  =  N2O  -)-  2  H2O,  es  entsteht  also  bei  der  Zersetzung 
neben  Stickstoffoxydul  noch  Wasser,  das  von  dem  Gas  durch  Eisenvitriol  und 
Kalilauge  getrennt  wird.  1  kg  salpetersaures  Ammoniak  liefert  278  1  Stickstoff- 
oxydulgas, welches  sowohl  flüssig  wie  fest  unter  bestimmtenVoraussetzungen  er- 
halten werden  kann,  somit  kommt  das  Stickstoffoxydul  in  allen  drei  Aggregats- 
zuständen  vor.  Man  verwendet  dasselbe  für  die  Narkose  am  besten  als  Gas.  Um  aber 
die  für  eine  Narkose  nötige  M.<5nge  Stickstoffoxydul  am  einfachsten  und  leichtesten 
mit  sich  führen  und  transportieren  zu  können,  hat  man  das  Lachgas  in  eiserne 
Flaschen  unter  hohem  Druck  gepreßt,  so  daß  es  darin  flüssig  geworden  ist.  Im 
flüssigen  Zustande  ist  das  Gas  am  besten  zu  transportieren,  kann  es  am  besten 
verkauft  und  versandt  werden,  da  es  so  den  geringsten  Raum  beansprucht 
und  doch  sofort  verwendet  werden  kann,  denn  wenn  man  die  Flasche 
öffnet,  strömt  das  Gas  aus  derselben  heraus.  Die  Darstellung  im  großen 
geschieht  in  großen  eisernen  Eetorten  und  liefert  ein  vollkommen  reines,  un- 
zersetztes  Präparat. 

§  15.  Das  Stickstoffoxydul  ist  ein  Narkotikum  und  als  solches  ein  weniger 
starkes  als  Chloroform,  denn  es  wirkt  nicht  so  stark,  wie  dieses,  doch  immer- 
hin stärker  als  Aether  sulfuricus.  Ein  großer  Vorteil  der  Wirkung  des  Stick- 
stoffoxyduls liegt  darin,  das  es  sehr  rasch  Narkose  erzeugt,  es  wird  dem 
Menschen  durch  die  Lungen  zugeführt  und  bewirkt  innerhalb  weniger  Sekunden 
eine  Betäubung.  Die  Wirkung  ist  neben  der  narkotischen  eine  angenehm 
euphorische,  der  Betäubte  kommt  in  sehr  gute  Stimmung  und  lacht  und  ist 
äußerst  vergnügt,  eine  Nachwii-kung  übler  Art,  wie  Erbrechen,  Übelkeit  etc. 
fehlt  meist  nach  der  Narkose.  Die  Einführung  in  die  ärztliche  Praxis  geschah 
durch   Wells.     Nach    ihm    haben    besonders    Lea  Rymer    in    England    und 


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in  New-York  Hasbrouck  und  ('olton,  in  Frankreich  Ev aus  uud  iu  Deutsch- 
land Krieshab  er,  Hermann  u.  a.  m.  die  Narkose  mit  Lachgas  in  die 
ärztliche  Praxis  eingeführt  und  die  Bedeutung  dieser  Narkose  hervorgehoben. 
Später  verwendete  man  es  dann  auch  namentlich  in  England  zur  Einleitung  der 
Äther-  oder  Chloroformnarkose  (Clover).  Meist  fehlt  bei  der  Stickstoft'oxydul- 
narkose  jede  Exzitation,  der  Kranke  verfällt  rasch  in  Betäubung  und  dieselbe 
kann  nun  längere  oder  kürzere  Zeit  fortgeführt  werden.  Meist  verwendet  man 
allerdings  die  Betäubung  nur  für  kurze  Eingriffe,  für  kleine  Operationen,  denn 
bei  längeren  Betäubungen  stellen  sich  doch  Übelstände  heraus,  die  eine  ausge- 
dehnte Narkose  verbieten.  Die  Aufnahme  des  Gases  geschieht  durch  die 
Liingen,  in  denen  das  Blut  das  Gas  iu  sich  aufnimmt  und  nach  dem  Zentral- 
nervensystem transportiert,  wo  die  Wirkung  ausgeübt  wird.  Die  Ganglienzellen 
nehmen  das  Lachgas  auf  und  es  wird  hier  eine  physikalische  Veränderung  in 
den  Cholestearin-Lecithingemischeu  hervorgerufen,  welche  die  narkotische 
Wii'kung  darstellt  und  sich  in  Lähmung  der  Zentren,  der  Zellen  repräsentiert. 
Wenn  den  Lungen  kein  Gas  mehr  zugeführt  wird,  so  wird  die  Konzentration 
im  Blut  geringer,  die  Lungen  geben  wieder  Gas  nach  außen  ab  und  der  Mensch 
erw^acht.  Führt  man  so  viel  Gas  in  das  Blut,  daß  die  erlaubte  Konzentration 
überstiegen  wird,  so  wird  die  Lähmung  der  Ganglienzellen,  auch  der  lebens- 
wichtigen Zentren  hervorgerufen,  was  den  Tod  des  Individuums  bedeutet.  Es 
darf  die  Konzentration  von  2  7o  nicht  überstiegen  werden,  denn  eine  höher 
konzentrierte  Lösung  von  Stickstoffoxydulgas  im  Blutserum  bewirkt  schwere 
Gefahren,  die  sich  stets  in  Lähmung  des  Eespirationszentrums  dartun,  es  entsteht 
Apnoe.  Man  vermag  oft  noch  die  Apnoe  zu  beseitigen,  indem  man  künstliche 
Respiration  einleitet,  doch  bei  stärkerer  Konzentration  ist  eine  Rettung  un- 
möglich. Man  muß  also  auch  bei  diesem  Mittel  vorsichtig  sein,  denn  die  An- 
gabe, ein  Narkotikum  sei  vollkommen  ungefährlich,  ist  eine  ganz  sinnlose  Be- 
hauptung, da  die  narkotische  Wirkung  nur  durch  eine  lähmende  Beeinflussung 
der  Ganglienzellen  hervorgerufen  werden  kann  und  diese  lähmenden  Einflüsse 
Giftwirkungen  darstellen.  Nur  Gifte  wirken  narkotisch,  folglich  ist  jedes 
Narkotikum  ein  Gift  und  ist  für  den  Organismus  gefährlich,  da  die  höhere 
Potenz  jeder  narkotischen  Wirkung  Lähmung  der  Zentren  der  Herz-  und 
Lungenfunktion ,  den  Tod,  darstellen.  Es  hat  also  auch  das  Lachgas  schwere 
gefahrbringende  Eigenschaften  und  Einflüsse  und  es  darf  daher  nur  in  be- 
stimmten Mengen  dem  Organismus  zugeführt  werden.  Vor  allen  Dingen  darf 
man  dasselbe  nie  rein  längere  Zeit  inspirieren  lassen.  Für  eine  kurze  Narkose 
darf  man  eine  kleine  Menge  nur  mit  wenig  Luft  beigemengt  dem  Kranken  ver- 
abreichen, doch  für  längere  Zeit  dauernde  Narkosen  darf  nie  reines  Stickstoff-- 
oxydul  länger  als  einige  Sekunden  verabreicht  werden,  denn  schon  nach 
2 — 4  Minuten  tötet  reines  Stickstoffoxydulgas  einen  Menschen.  Vögel  werden 
schon  nach  ^/.^  Minute  getötet.  Es  ist  die  Einwirkung  des  Gases  verschieden 
auf  die  verschiedenen  Tierarten,  und  auch  auf  die  verschiedenen  Menschen- 
rassen wii'kt  es  verschieden,  so  werden  die  farbigen  Rassen  der  Menschen 
schneller  betäubt  und  sind  weniger  widerstandsfähig  wie  die  Europäer,  die 
Weißen  (Neudörfer).  Männer  sind  widerstandsfähiger  wie  Frauen  gegen 
das  Gas,  ebenso  wie  bei  allen  Narkotika.  In  den  Ländern,  welche  unter  höherer 
Breite  liegen,  wirkt  das  Stickstoffoxydul  weniger  schnell  tödlich,  als  in  den 
unter  dem  Äquator  liegenden  Ländern   oder  den   tropischen   Gebieten.     Wenn 


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mau  bei  einem  durch  Stickstoffoxydul  getöteten  Menschen  die  Gasmeugen  aus 
der  Lunge  entfernt,  Sauerstoff  einbläst,  während  man  künstliche  Respiration 
ausführt,  gelingt  es  in  den  meisten  Fällen,  die  Person  ins  Leben  zurückzurufen, 
doch  ist  es  auch  möglich,  daß  die  Konzentration  der  Gaslösung  im  Blute  eine 
zu  hoch  konzentrierte  war,  als  daß  es  noch  möglich  ist,  den  Tod  zu  hemmen. 
Man  gibt  am  besten  eine  Mischung  von  Luft  und  Gas,  indem  man  je  nach 
Bedarf  die  Konzentration  der  Mischung  ändert,  außerdem  verwendet  man  auch 
eine  Mischung  von  Sauerstoff  und  Stickstoffoxydul  oder  letzteres  allein.  Diese 
drei  Verwendungen  kommen  in  Betracht.  Die  Luftmischung  nennt  man  auch 
Lachgas,  weil  dieselbe  eine  euphorische  Stimmung  des  Betäubten  hervorruft 
und  denselben  meist  zum  Lachen  und  zur  Fröhlichkeit  anregt.  Das  Gas  hat 
auch  in  anderen  Mischungen  diese  Wirkung,  weiter  erzeugt  es  auch  oft  eine 
sexuelle  Euphorie  und  erregt  die  Betäubten.  Doch  tritt  dieselbe  mehr  gegen 
die  allgemeine  frohe  Stimmung  zurück.  Übelkeit,  Erbrechen,  Kopfschmerz,  Be- 
nommensein etc.  fehlen  nach  kurzen  Narkosen  vollkommen,  während  sie  nach 
langen  Betäubungen  in  geringem  Grade  hervorgerufen  werden.  Natürlich  ist 
dies  individuellen  Schwankungen  unterworfen. 

Bei  der  Einatmung  des  Stickstoffoxydulgases  mit  Sauerstoff  zu  4 : 1 
gemischt  treten  Brausen  und  Trommeln  in  den  Ohren,  Undeutlichwerden  der 
Gefühlswahrnehmungen,  erhöhtes  Wärmegefühl,  ein  Eieseln  und  Gefühl  großer 
Leichtigkeit  im  ganzen  Körper  etc.  auf,  die  Empfindlichkeit  gegen  Schmerz  ist 
herabgesetzt,  das  Tastvermögen  ist  erhalten,  das  Bewußtsein  schwindet  nie 
vollkommen.  (Hermann.)  Nur  bei  Einatmen  reinen  Gases  werden  die  Patienten 
vollkommen  bewußtlos,  während  Dyspnoe,  Cyanose  des  Gesichts  und  der  Schleim- 
häute auftreten.  (Hermann.)  Im  Stadium  der  Insensibilität  tritt  Dilatation  der 
Pupillen,  stockende  Respiration,  Verlangsamung  und  Intermittens  des  Pulses 
und  Blässe  sowie  Lividität  des  Gesichtes  auf.  (Evans.)  Manche  Menschen 
klagen  aber  entgegen  den  meisten  Narkotisierten  über  ein  zusammenschnürendes 
und  beängstigendes  Gefühl  auf  der  Brust,  Träume  beängstigender  Natur, 
konvulsivisches  Zittern  _  vor  Eintritt  der  Narkose,  ferner  empfinden  dieselben 
dann  nach  der  Narkose  Übelkeit  und  leichte  Eingenommenheit  im  Kopf,  während 
Erbrechen  nicht  beobachtet  wurde.     (Kappeier.) 

In  den  inneren  Organen  tritt  während  der  kurzen  Narkose  eine  Hyperämie 
auf,  die  Funktionen  von  Magen,  Darm  und  Leber  sind  vermindert. 

Die  pathologischen  Einwirkungen  des  Stickstoffoxyduls  sind  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  ebenso  vorhanden  wie  bei  allen  anderen  Narkotika,  nur 
in  weit  geringerem  Grade,  denn  man  muß  gestehen,  daß  die  kurze  Narkose 
nur  sehr  wenig  pathologische  Veränderungen  im  Organismus  hervorzurufen 
imstande  ist. 

Auf  das  Gehirn  wirkt  das  Stickstoff'oxydiil  in  verschiedener  Hinsicht 
wenn  auch  nur  vorübergehend  pathologisch  ein.  Eine  Einwirkung  während  der 
kurzen,  nur  wenige  Minuten  dauernden  Narkose  kann  in  pathologischer  Hinsicht 
in  dem  Cerebrum  nur  wenig  Veränderungen  bewirken,  man  hat  daher  auch 
fast  keine  Nachteile  beobachtet.  Morgan  gibt  an,  daß  ein  Kranker  während 
der  kurzen  Narkose  einen  epileptiformen  Anfall  bekam,  obwohl  er  vor  und  nach 
der  Betäubung  nie  solche  Anfälle  gehabt  hatte  und  wieder  zeigte,  es  war  wohl 
durch  einen  geeigneten  Umstand  vom  Stickstoffoxydul  ein  starker  Reiz  auf  die 
Hirnrinde  ausgeübt  worden,  welcher  die  Krämpfe  hervorrief.  Es  werden  ja 
neben  solchen  seltenen  Erscheinungen  auch  Krämpfe  berichtet,  welche  mehr 
duixh  die  erstickende  Wirkung  des  reinen  Gases  erzeugt  werden  und  die  ein 
Zeichen    der    Erstickung,    ein    sehr    ominöses,    sind.       (Petter,    Coleman. 


—     443     — 

V.  Nußbaum.)  Bei  längerer  Einwirkung-  zeigt  das  Gas  viel  stärkere  Ein- 
wirkung-, worüber  ich,  um  den  wahren  Wert  des  Narkotikums  feststellen  zu 
können,  eingehende  Tierexperimente  an  Hunden  und  Meerschweinchen  vorg-e- 
nommen  habe.  Wenn  man  nun  auch  nicht  in  praxi  lange  Narkose  gewöhnlich 
ausführt,  so  ist  dies  doch  von  manchen  getan  worden,  und  deshalb  haben  die 
Versuche  einen  gewissen  Wert.  Weiter  haben  sie  noch  den  Vorteil,  daß  sie 
eben  die  Wirkung  deutlicher  zeigen  als  nach  kurzen  Narkosen,  denn  nur  erst 
diu'ch  die  längere  Einwirkung  des  Gases  auf  den  Organismus  kann  man  ein 
Bild  der  Veränderungen  erhalten,  welches  deutlich  die  Wirkung  zeigt,  welche 
der  Körper  auch  bei  kurzen  Narkosen  und  bestehender  Disposition  des  Patienten 
hat.  Diese  Versuche  wurden  so  ausgeführt,  wie  ich  sie  schon  bei  den  Unter- 
suchungen über  Chloroform  oder  Äther  beschrieben  habe,  daß  das  Tier  mehr- 
mals längere  Zeit,  30  Minuten  und  länger,  betäubt  wurde,  so  daß  zwischen 
2  Narkosen  immer  12 — 20  Stunden  dazwischen  lagen.  So  wurden  nach  1  bis 
4  Narkosen  die  Organe  untersucht  und  es  fand  sich  folgendes,  betreffend  das 
Gehirn.  Es  konnte  in  den  Ganglienzellen  nach  mehreren  Narkosen  deutlich 
Fett  in  feinen  Tropfen  sowohl  in  den  Ganglienzellen  des  Cerebrum  wie  des 
Cerebellum  nachgewiesen  werden,  doch  war  dies  nur  wenig  Fett,  in  einer  Zelle 
meist  nicht  mehr  als  5 — 8  Fetttropfen  von  feinem  bis  mittelgroßem  Korn. 
Inwiefern  diese  bei  allen  Narkotika  gefundene  mehr  oder  minder  starke  Fett- 
metamorphose der  Ganglienzellen  zu  erklären  ist,  kann  ich  hier  nicht  ent- 
scheiden, jedenfalls  hat  man  es  mit  einem  pathologischen  Zustand  zu  tun,  der 
bald  nach  der  Narkose  abheilt,  durch  eine  folgende  Betäubung  aber  ver- 
schlimmert wird,  und  welcher  entschieden  durch  das  Narkotikum  bewu-kt  wird. 
Ob  die  narkotische  Wirkung  auf  die  Ganglienzelle  sich  in  einer  Fettmetamor- 
phose äußert,  kann  ich  nicht  von  der  Hand  weisen,  denn  ich  habe  bei  allen 
Narkotika  Fett  in  den  Zellen  gefunden,  immerhin  kann  ich  diese  Frage  jetzt 
noch  nicht  entscheiden.  Weiter  finden  sich  auch  in  den  Zellen  der  Blutgefäß- 
wandungen  der  Hirnkapillaren  bis  zu  den  größeren  Gefäßen  Fettklumpen  und 
Anhäufungen,  welche  stellenweise  zu  finden  sind  und  daselbst  die  Wandung 
verdünnen.  Man  findet  das  Fett  in  den  Zellen  der  Intima  und  Media  und 
zwar  in  Haufen  von  feinen  bis  größeren  Tropfen,  bisweilen  sind  große  Klumpen 
von  Fett  zu  finden,  welche  die  Gefäßwandung  vorwölben  und  verdicken,  aber, 
wenn  sie  rückgebildet  werden,  durch  Untergang  der  Zellen  eine  Narbe  mit 
Verdünnung  der  Gefäßwand  hervorrufen,  welche  den  Anlaß  zu  Aneuiysma- 
bildung  und  Hirnhämorrhagien  geben  können.  Diese  Veränderungen  finden 
sich  nach  langen  Stickstoffoxydulnarkosen  vor,  doch  nur  in  einem  geringen 
Grade,  jedenfalls  nicht  so  hochgradig,  wie  man  es  bei  Chloroform,  Brom- 
äthyl etc.  findet.  Das  Stickstoffoxydul  wirkt  selbst  bei  langen  und  häufigen 
Narkosen  nicht  besonders  stark,  die  Stellen  mit  Fettmetamorphose  sind  nicht 
so  häufig-  vorhanden  wie  bei  Chloroform,  während  die  Stärke  der  Fettmeta- 
morphose, d.  h.  die  Fettmenge,  nicht  wesentlich  geringer  ist.  Es  zeigt  also 
das  Lachgas  hierin  eine  günstigere  Wirkung  als  Chloroform  etc.  und  man  muß 
noch  bedenken,  daß  bei  kurzen  Narkosen  die  Gefahr  bedeutend  verringert  wird. 
Hewitt  läßt  die  Lachgasnarkose  auf  andere  Art  entstehen,  denn  er  meint,  daß 
im  Gehirn  die  Oxydationsprozesse  gehemmt  und  gestört  werden  durch  die 
Wirkung  des  Stickstoffoxyduls,  und  daß  allein  diese  Störung  der  Oxydations- 
vorgänge im  Zentralnervensystem  die  Anästhesie  hervorrufe. 


—     444     — 

Betrachten  wir  uun  die  Einwirkungen  des  Stickstoffoxyduls  auf  das 
Herz,  so  kann  mau  sagen,  daß  eine  schädigende  Wirkung  nur  in  sehr  ge- 
ringem Grade  vorhanden  ist.  Kemp  hat  gefunden,  daß  während  der  Narkose 
eine  erhebliche  Steigerung  des  Blutdruckes  bewirkt,  während  eine  depressive 
Wirkung  nicht  ausgeübt  wird. 

Man  hat  früher  auch  behauptet,  daß  das  Lachgas  die  Erj'throzyten  des 
Blutes  zerstöre  (Hermann),  dem  entgegen  haben  Dudley,  Buxton,  Turn- 
bull u.  a.  m.  nachgewiesen,  daß  dasselbe  das  Blut  nicht  schädige,  sondern  sich 
mit  dem  Hämoglobin  des  Blutes  verbindet,  ohne  daß  mau  nach  den  Narkosen 
auch  nur  die  geringsten  Veränderungen  an  den  Blutkörperchen  finden  kann. 

Was  nun  das  Gas  selbst  anlangt,  so  wird  es  im  Blute  nicht  verändert, 
sondern  wird  unzersetzt  wieder  ausgeschieden  (Frankland,  Colemanj,  und 
die  A.usscheidung  geht  hauptsächlich  durch  die  Lungen  vor  sich.    (Hermann.) 

Das  Herz  selbst  Avird  nur  wenig  vom  Lachgas  verändert.  Crouch  gibt 
an,  daß  nach  einer  Narkose  eine  Dilatation,  welche  sich  zusehends  verschlim- 
merte, eintrat,  ähnliche  Fälle  schildert  Granville,  Silk,  Buxton  etc. 
Immerhin  sind  diese  Beobachtungen  als  sehr  selten  anzusehen,  und  es  kommen 
dabei  gewisse  prädisponierende  Momente  in  Betracht.  Es  ist  aber  kein  Zweifel, 
daß  solche  Fälle  namentlich  bei  längerer  Narkose  vorkommen  können. 

Bei  meinen  Versuchen  fand  sich  nur  eine  geringe  Schädigung  des  Herz- 
muskels durch  das  Gas.  Nach  sehr  langen  und  häufigen  Narkosen  war  in  dem 
Herzmuskel  die  Querstreifung  verschwunden,  die  Fasern  waren  trübe  und 
zeigten  mäßige  Fettmetamorphose,  denn  es  fanden  sich  in  den  Fasern  bipolar  zum 
Kern  angeordnet  Haufen  von  Fetttropfen,  während  nur  selten  über  der  ganzen 
Muskelfaser  Fett  in  feinen  Tropfen  sich  zeigte.  Die  Fettmetamorphose  zeigte 
sich  nach  mehreren  Narkosen  von  25 — 30  Minuten  Dauer  nur  mäßig  und  gering, 
jedenfalls  viel  weniger  als  bei  Chloroform.  Dies  ist  ein  Zeichen,  daß  das 
Lachgas  nur  wenig  pathologisch  auf  das  Herz  im  normalen  Zustande  wirkt. 
Vor  allem  ist  bei  kurzer  Narkose  keine  Gefahr  vorhanden,  anders  ist  es  aber 
bei  langen  Narkosen  und  bei  pathologisch  verändertem  Herz.  Wenn  schon  vor 
der  Narkose  schwere  Herzerkrankungen  bestehen,  dann  kann  auch  eine  kurze 
Narkose  zur  Synkope  führen.  Immerhin  tritt  dies  sehr  selten  auf  und  man 
braucht  für  das  Herz  von  einer  kurzen  Narkose  keine  Gefahr  zu  fürchten, 
wenn  dasselbe  nicht  hochgradig  erkrankt  ist,  wobei  jede  Narkose  eben  enorm 
gefährlich  ist. 

Was  nun  die  Organe  der  Bauchhöhle  anlangt,  so  hat  man  die  Funktion 
des  Magen-  und  Darmtraktus  vermindert,  während  eine  Anregung  der  Salivation 
nicht  zu  leugnen  ist.  Was  die  Nieren  anlangt,  so  wird  durch  die  Wirkung 
des  Stickstoffoxyduls  die  Harnmenge  nach  der  Narkose  vermindert,  das  Volumen 
der  Nieren  ist  wechselnd,  in  tiefer,  langer  Narkose  kommt  es  zu  Albuminurie. 
(Kemp.)  Die  Nieren  sondern  nach  der  Narkose  Albumen  ab,  was  auf  Störungen 
in  den  Epithelien  schließen  läßt.  Bei  meinen  Untersuchungen  fand  ich  stets 
stärkere  Veränderungen  in  den  Nieren  als  im  Herzen.  In  den  Epithelien  der 
Tubuli  contorti  fand  sich  stets  nach  langen  Narkosen  Fett  in  beträchtlichen 
Mengen,  dabei  Nekrose  der  Zellen,  auch  in  den  Tubuli  recti  war  viel  Fett- 
metamorphose zu  finden.  Nur  in  den  Glomeruli  war  kein  Fett.  Weiter  fand 
sich  stets  starke  Hyperämie  im  Nierengewebe,  ebenso  in  den  Glomeruli,  welche 
zwischen  Kapsel  und  Glomerulus   einen   großen  leeren  Zwischenraum  zeigten, 


—     445     — 

der  durch  Exsudat  hervorgerufen  wird.  Die  Läsioueu  der  Nieren  waren  stets 
stark,  doch  nicht  so  hochgradig  wie  bei  der  häufigen  oder  langen  Chloroform- 
narkose, aber  sie  waren  doch  deutlich,  die  Fettmetamorphose  ging  stellenweise 
in  Nekrose  der  Nierenepithelien  über,  namentlich  in  den  Tubuli  contorti.  Man 
bemerkte  auch  eine  Veränderung  schon  nach  einer  langen  Narkose  ron 
ca.  30 — 15  Minuten.  Danach  war  bereits  Fett  in  den  Epithelzellen  der  Tubuli 
contorti  deutlich  nachzuweisen.  Jede  folgende  Narkose  verschlimmerte  dieselbe 
bedeutend.  Es  ist  also  daraus  zu  ersehen,  daß  das  Lachgas  in  langer  Ein- 
wirkung den  Nieren  schweren  Schaden  bringt. 

Durch  die  Nieren  wird  bei  langen  Narkosen  das  Gas  teilweise  abgesondert 
und  läßt  sich  im  Harn  nachweisen. 

Auch  Hämorrhagien  unter  die  Kapsel  und  in  das  Nierengewebe  fanden 
sich,  nebenbei  starke  Hyperämie. 

Die  Leber  erleidet  sehr  ähnliche  Veränderungen,  wenn  dieselben  auch 
nicht  so  hochgradig  sind.  Ich  fand  nach  langen  und  häufigen  Narkosen  in  den 
Leberzellen  reichlich  Fett  in  feinen  bis  großen  Tropfen,  namentlich  viel  Fett  in 
der  Peripherie  der  Acini,  weniger  in  dem  Zentrum.  In  den  Leberzellen  der 
Peripherie  der  Acini  war  das  Fett  in  großen  Mengen,  stellenweise  war  auch 
Nekrose  und  Zerfall  dieser  Zellen  zu  bemerken.  Die  Fettmetamorphose  der 
Leber  war  weit  geringer  als  nach  Chloroformuarkosen,  doch  war  sie  schon  nach 
einer  langen  Narkose  zu  finden  und  wurde  durch  folgende  Narkosen  stark  ver- 
schlimmert. Sie  heilte  aber  bald  wieder  ab.  Weiter  fanden  sich  in  der  Leber 
starke  Hyperämie  und  Hämorrhagien  in  das  Lebergewebe  und  unter  die  Kapsel 
der  Leber.  Nach  einer  kurzen  Narkose  ist  aber  eine  Schädigung  der  Leber 
nicht  zu  erwarten,  sie  könnte  aber  eintreten,  wenn  eine  Lebererkrankung  resp. 
Disposition  für  dieselbe  besteht. 

Die  Einwirkungen  des  Stickstoffbxyduls  auf  Herz,  Leber  und  Nieren  sind 
nur  wenig  schwer,  sind  viel  geringer  als  die  von  Chloroform,  Immerhin  ge- 
nügen dieselben,  um  bei  langen  Narkosen  Gefahren  erzeugen  zu  können. 

Weit  schwereren  Einflüssen  als  diese  Organe  sind  die  Lungen  ausge- 
setzt. Dieselben  bilden  schon  seit  je  das  gefürchtetste  Organ  betr.  die  Narkose, 
und  es  tritt  auch  der  Tod  infolge  Intoxikation  mit  Stickstoffoxydul  durch 
Apnoe,  durch  Lähmung  des  Zentrums  der  Respirationstätigkeit  ein.  Die  Atmung 
erleidet  schon  in  der  kurzen  Narkose  große  Veränderungen,  welche  von  dem 
Lachgas  erzeugt  werden,  so  hat  man  allgemein  ein  stertoröses  Atmen  in  der 
Narkose  bemerkt.  Dieses  Symptom  wird  aber  nicht  durch  die  Lunge  oder 
durch  Verhältnisse  und  Veränderungen  im  Larynx  hervorgerufen,  sondern  es 
besteht  darin,  daß  der  Kehlkopf  durch  Muskelspasmus  in  die  Höhe  gezogen 
wird,  etwa  wie  während  der  ersten  Phase  des  Schluckaktes,  infolgedessen 
wird  die  obere  Öffnung  des  Larynx  durch  die  Epiglottis  und  die  Zungenbasis 
geschlossen  und  die  Respiration  hört  auf  (Hewitt).  Unter  Umständen  tritt 
diese  Obstruktion  der  Luftwege  geräuschlos  ein  und  es  werden  noch  Atem- 
bewegungen gemacht,  obwohl  die  Luftwege  bereits  völlig  verschlossen  sind 
(D  e  n  t ,  Hewitt).  Diese  Verhältnisse  werden  rein  durch  das  Lachgas  er- 
zeugt und  führen  zu  Cyanose,  Konvulsionen  und  schließlich  Apnoe.  In  manchen 
Fällen  sind  sie  stärker,  und  in  manchen  schwächer,  wodurch  die  verschiedenen 
Symptome  hervorgerufen  werden.  Man  kann  diese  Zustände  verhüten,  indem 
man  dem  Lachgas  genügend  Sauerstoff  zusetzt  (Hewitt).     Es  können  durch 


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diese  Behiiidenxng  der  Atmung-  sehr  schwere  Gefahren  entstehen,  denn  das  Blut 
wird  dabei  immer  ärmer  an  Sauerstoff,  wenn  man  reines  Stickstoff'oxydul  gibt, 
es  treten  dadurch  im  ganzen  Organismus  Störungen  auf,  welche  eigentlich  nicht 
direkt  Folgen  der  Lachgaswirkung,  sondern  des  Sauerstoffmangels  und  des 
Kohlensäureüberflusses  im  Blut  sind,  also  sekundäre  Folgen  der  Lachgaswirkung. 
Die  durch  das  Stickstoff oxydul  hervorgerufene  Apnoe  ist  also  mehr  eine  Folge 
mechanischer  Behinderung  normaler  Respirationstätigkeit,  als  der  toxischen 
Einflüsse  des  Gases  selbst.  Nur  in  seltensten  Fällen  tritt  eine  solche  ein,  die 
dann  durch  zu  hohe  Konzentration  der  Gasmengen  im  Blute  erzeugt  wird. 
Immerhin  treten  während  der  Narkose  öfter  Zustände  auf,  wo  vorübergehende 
Asphyxien  resp.  apnoische  Anfälle  sich  zeigen,  welche  auf  eine  dieser  Arten 
entstehen,  und  die  dann  eine  Steigerung  des  Blutdruckes  bewirken  (K  e  m  p). 
Neben  der  Beschleunigung  der  Herzaktion  erzeugt  das  reine  Stickstoffoxydul 
noch  eine  starke  Erweiterung  der  Pupille  und  Schwellung  der  Zunge  (Hewitt, 
Flux,  Nobel,  Dent  etc.).  Die  Schwellung  der  Zunge  beschränkt  sich 
mehr  auf  den  Zungengrund  und  führt  dabei  neben  den  oben  erläuterten  Ver- 
hältnissen zu  Behinderung  der  Luftpassage,  Verengerung  des  Kehlkopfeinganges. 
Kommen  nun  noch  Schleimmassen  oder  dergleichen  dazu,  so  kann  eine  völlige 
Verlegung  des  Kehlkopfs,  namentlich  bei  engen  Verhältnissen,  entstehen.  Diese 
Wirkung  des  Gases  muß  beachtet  werden,  da  man  sonst  leicht  Todesfälle  durch 
Apnoe  erleben  kann,  und  man  kann  sie  so  leicht  vermeiden,  indem  mau  das 
Gas  nicht  rein  verabreicht. 

Weiter  besitzt  das  Lachgas  auch  in  anderen  Hinsichten  üble  Einwirkungen, 
wenn  auch  dieselben  gegenüber  anderen  Narkotika  nur  sehr  gering  sind.  Was 
Sekretion  von  Schleim,  Speichel  etc.  anlangt,  so  ist  dieselbe  in  gewissem 
Grade  vorhanden.  Auch  durch  Lachgas  werden  die  Speicheldrüsen  zu  ver- 
mehrter Sekretion  veranlaßt,  und  diese  Schleim-  oder  Speichelmasseu  sammeln 
sich  bei  langen  Narkosen  im  Kehlkopf,  im  Rachen  und  Nasenrachenraum  an, 
können  auch  in  die  Lungen  etc.  gelangen.  Es  ist  aber  diese  Fähigkeit  der 
Schleimsekretionsanregung  nur  gering  gegenüber  anderen  Narkotika.  Es  läßt 
sich  bei  längeren  Narkosen  deutlich  die  vermehrte  Sekretion  nachweisen  und 
dieselbe  erstreckt  sich  auch  auf  die  Bronchien  und  die  Schleimhaut  dieser  Teile. 
Es  ist  dies  nach  langen  Narkosen  in  den  Lungen  direkt  nachzuweisen,  indem 
man  Bezirke  der  Lungen  mit  Schleimmassen  angefüllt  findet.  Ich  habe  an 
Tieren  die  Lunge  daraufhin  untersucht  und  habe  diese  Verhältnisse  deutlich 
nachgewiesen.  Es  entsteht  bei  den  Narkosen  eine  starke  Hyperämie  der  Lungen, 
Hämorrhagien  subpleural  wie  auch  in  das  Lungengewebe  selbst  finden  sich  eben- 
falls und  neben  diesen  zeigten  sich  die  Alveolen  stellenweis  mit  Schleim  teilweise 
oder  auch  ganz  erfüllt.  Es  war  bei  meinen  Experimenten  infolge  der  Lagerung  der 
Tiere  während  der  Narkose  nicht  möglich  gewesen,  daß  aus  dem  Rachen  Schleim 
aspiriert  wurde,  somit  kann  der  Schleim  in  den  Alveolen  nur  aus  den  Bronchien 
und  Broncheoli  herabgeflossen  sein.  Dies  wurde  auch  noch  bevsdesen  dadurch 
daß  die  Bezirke  der  mit  Schleim  erfüllten  Alveolen  hauptsächlich  und  in  größerer 
Menge  in  den  abhängigen  Partien  der  Lungen  zu  finden  waren,  namentlich  in 
denjenigen  Teilen,  welche  bei  der  jeweiligen  Lagerung  des  Tieres  die  tieferen 
gewesen  waren.  Es  ist  also  ganz  augenscheinlich,  daß  der  Schleim  in  ver- 
mehrtem Maße  von  der  Bronchialschleimhaut  abgesondert  wird  und  aus  den 
Bronchien  in  die  Alveolen  fließt,  dui'ch  den  Luftstrom  unterstützt.    Es  ist  aber 


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gauz  eutscbiedeu  bervorznliebeu,  daß  die  Mengen  des  Schleimes  bedeutend  ge- 
ringer sind  als  bei  Chloroform,  man  findet  selbst  nach  laugen  und  häufigen 
Narkosen  die  Alveolen  nur  teilweise  mit  Schleim  erfüllt,  nur  selten  sind  die 
Alveolen  ganz  ausgefüllt,  was  bei  Chloroform  meist  zu  finden  ist.  Es  ist  also 
diese  Einwirkung  entschieden  gering  und  kommt  bei  kurzen  Narkosen  nicht  in 
Betracht.  Der  Grund  zu  der  geringeren  Kraft  der  Sekretionsvermehrung  liegt 
einerseits  in  der  weniger  reizenden  Einwirkung  des  Gases  auf  die  Epithelzellen 
der  Schleimhaut,  weiter  aber  auch  zu  einem  großen  Teil  in  der  geringeren 
Kältewirkimg  des  Gases.  Das  Stickstoff oxydul  ist,  wenn  es  auch,  vom  flüssigen 
in  den  gasförmigen  Zustand  übergehend,  verwendet  wird,  doch  nicht  so  kalt 
und  wirkt  nicht  so  stark  wärmeentziehend  auf  seine  Umgebung,  wie  die 
anderen  Narkotika.  Die  Temperatur  der  Luft-Stickstoifoxydulgemische  ist  viel 
höher  als  die  der  Chloroformdampfluftgemische.  Dies  ist  ein  wesentlicher  Punkt, 
denn  beim  Lachgas  wird  die  Hauptkältewirkung  in  der  eisernen  Flasche  er- 
zeugt und  das  Gas  ist  bereits  bedeutend  wärmer,  wenn  es  in  den  Mund  resp. 
die  Lungen  gelangt,  da  es  ja  auch  durch  die  beigemengte  Luft  erwärmt  wird. 
Trotzalledeni  besteht  aber  die  Erzeugung  vermehrter  Schleimabsonderung,  doch 
ist  dieselbe  nur  bei  längeren  Narkosen  vorhanden  und  wird  weniger,  wenn  man 
das  Gas  nicht  rein,  sondern  mit  Luft  oder  Sauerstoff  gemengt,  verabreicht.  Es 
ist  aber  trotzdem  möglich,  daß  bei  langen  Narkosen  Bronchitiden  oder  selbst 
Pneumonien  dadurch  entstehen. 

Weiter  findet  mau  auch  noch  die  Einwirkung  des  Gases  auf  die  Epithel- 
zellen der  Bronchialschleimhaut,  welche  dem  Chloroform  ebenfalls  eigen  ist  und 
in  einer  Fettmetamorphose  der  Epithelzellen  besteht.  Nach  langen  oder  häufigen 
Narkosen  mit  reinem  Stickstoffoxydul  fand  sich  stets  in  den  Zellen  der  Schleim- 
haut der  Bronchien  und  Alveolen,  in  den  Zellen  des  respiratorischen  Epithels 
eine  ziemlich  ausgedehnte  Fettmetamorphose,  die  darin  bestand,  daß  in  den 
Zellen  Fett  in  feinen  bis  großen  Tropfen  auftrat,  welches  bisweilen  sehr  reich- 
lich, bisweilen  nur  wenig  und  gering  war.  Namentlich  in  den  Zellen  der 
Alveolen  fand  sich  in  allen  Fällen  sehr  viel  Fett  in  großen  Mengen.  In  diesen 
Zellen  ist  die  Fettmetamorphose  auch  schon  nach  einer  mäßig  langen  Narkose, 
20  Minuten  laugen,  zu  finden,  wenn  auch  dann  nur  in  geringem  Grade.  Diese 
Fettmetamorphose  verschwändet  sehr  bald  nach  der  Narkose  wieder  und  hätte 
nur  wenig  Bedeutung,  wenn  durch  dieselbe  nicht  eine  Schädigung  der  vitalen 
Eigenschaften  dieser  Zellen  auftreten  und  bewirkt  würde.  Die  Epithelzellen, 
welche  eine  starke  Fettmetamorphose  erlitten  haben,  können  ihre  ihnen  von  der 
Natur  aufgegebenen  Pflichten  nicht  mehr  in  normaler  Weise  erfüllen.  Sie  können 
also  einesteils  die  Invasion  imd  Ansiedelung  von  Bakterien,  welche  im  Luft- 
strom in  die  Lungen  gelangen,  nicht  mehr  verhindern,  andererseits  verlieren 
sie,  wenn  es  Flimmerepithelien  betrifft,  ihre  Flimmertätigkeit,  eine  solche  er- 
krankte Zelle  stellt  dann  eine  Lücke  in  der  Überkleidung  der  Schleimhaiit  dar 
und  durch  diese  Lücke  können  Bakterien  in  den  Lymph-  resp.  Blutstrom 
eindringen,  außerdem  können  Bakterien  auf  diesen  erki'ankten  Zellen  haften 
bleiben  und  wuchern,  da  die  Zellen  ihre  baktericide  Ki-aft  einbüßen.  Die 
Lungen  haben  infolge  dieser  bakterienvernichtenden  Eigenschaft  ihrer  Schleim- 
haut die  Kraft  den  Infektionen  zu  widerstehen,  und  nur  in  Lungen,  welche 
diese  Kraft  ganz  oder  teilweise  eingebüßt  haben,  können  sich  Pneumonien  und 
Bronchitiden  entwickeln,   und  somit   ist  auch  die  Gefahr  vorhanden,    daß  nach 


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langen  Narkosen  mit  Stickstoffoxydnl  postnarkotische  Lnngenerkrauknngen  ent- 
stehen (Silk,  Snel  etc.).  Man  hat  solche  Krankheiten  wenig  oder  fast  gar  nicht 
beobachtet,  was  dadurch  erklärt  wird,  daß  man  in  den  allermeisten  Fällen  nur  kurze 
Narkosen  mit  diesem  Narkotikum  ausführt,  kurze  Narkosen,  welche  eben  die  Lunge 
noch  nicht  so  stark  schädigen,  daß  Pneumonien  und  Bronchitiden  sich  entwickeln 
können.  Immerhin  muß  mau  bei  Verwendung  des  Lachgases  zu  längeren  Be- 
täubungen mit  diesen  Gefahren  rechnen  und  muß  bedenken,  daß  die  Ver- 
änderungen in  den  Lungen  immerhin  schwerwiegend  sind,  wenn  sie  auch  nicht 
so  hochgradig  erscheinen,  wie  nach  Äther  oder  Chloroform,  so  sind  sie  doch 
von  hoher  Bedeutung,  namentlich  im  Verein  mit  den  anderen  die  Lunge  schädigenden 
Einflüssen  des  Lachgases,  wie  der  Laryuxvereugung  und  der  toxischen  Apnoe. 
Weiter  haben  sie  Bedeutung  bei  Kranken,  welche  zu  Lungenleiden  disponiert 
sind,  welche  schon  an  Lungenaffektionen  leiden,  wie  beginnende  Tuberkulose, 
Emphysem,  Bronchitis  chronica  etc.  All  diese  Krankheiten  werden  durch  eine 
längere  Narkose  mit  reinem  Stickstoffoxydulgas  schwer  beeinflußt,  verschlimmert 
und  können  Anlaß  zu  schweren  tödlich  verlaufenden  Nachkrankheiten  geben. 
Lungenleiden  sind  daher  als  eine  strikte  Kontraindikation  für  die  lange  und 
reine  Narkose  anzusehen,  aber  auch  mit  kurzen  Narkosen  soll  man  bei 
bestehenden  Lungeuleiden  sehr  vorsichtig  sein  und  nie  reines  Lachgas, 
sondern  stets  eine  Mischung  von  Luft  oder  Sauerstoff  und  Stickstoffoxydnl 
verwenden. 

Rein  angewendet  bewirkt  das  Gas  Erstickung,  da  dem  Organismus  der 
Sauerstoff  fehlt  und  es  kommt  dann  zu  der  Wirkung  des  Lachgases  noch  die 
der  Kohlensäure  hinzu,  sodaß  der  Organismus  unter  zwei  Giften  steht,  welche 
zu  großen  Gefahren  Anlaß  geben,  die  sowohl  in  Synkope  als  besonders  in 
Apnoe  bestehen.  Letztere  ist  entschieden  die  häufigere  Todesart.  Das  Atem- 
zentrum wird  vor  dem  der  Herzaktion  gelähmt,  ein  umstand,  welcher  dem 
Stickstoffoxydnl  eigen  ist  und  noch  bei  schon  bestehender  Apnoe  eine  Bettung 
des  Kranken  erlaubt,  wenn  man  sofort  die  bekannten  Gegenmaßregeln  ergreift. 
So  kann  man  in  vielen  Fällen  die  Apnoe  erfolgreich  bekämpfen. 

Man  hat  verschiedene  Todesfälle  in  der  Narkose  erlebt  und  wenn  die- 
selben auch  sehr  selten  sind,  so  sind  sie  doch  möglich  und  können  auch  bei 
ganz  kurzer  Narkose  auftreten,  und  so  sind  verschiedene  Todesfälle  gerade  bei 
Zahnextraktionen  vorgekommen. 

H  e  ]  e  berichtet  von  einem  Fall,  wo  Dyspnoe  und  Lividität  plötzlich 
während  kurzer  Narkose  eintraten,  die  man  durch  Einleiten  künstlicher  Re- 
spii'ation  erfolgreich  bekämpfte.  Morgan,  Fetter,  Coleman  sahen  epilepti- 
forme  Anfälle  nach  der  Narkose  auftreten,  Flux  narkotisierte  ein  19jähriges 
Mädchen,  das  sonst  gesund  war,  aber  aus  der  Narkose  nicht  wieder  erwachte 
bis  eine  Zeit  von  1  Stunde  und  20  Minuten  verflossen  war,  welchen  Zustand 
er  als  Hysterie,  Hystero-Epilepsie  oder  einen  hypnotischen  deutet,  v.  Nuß- 
baum hat  in  37  Fällen  starke  Aufregung  und  Cyanose  beobachtet,  ohne  daß 
Anästhesie  eintrat,  so  daß  er  noch  Chloroform  anwenden  mußte.  Holden  gibt 
an,  daß  durch  Stickstoäoxydul  eine  besonders  hohe  Tendenz  zur  Blutung  er- 
zeugt werde,  er  sah  stets  starke  Lungenhyperämie  und  hält  alle  Lungenkranken, 
namentlich  die  zu  Hämoptoe  neigenden  oder  Kranke  mit  hämorrhagischer  Diathese 
für  nicht  geeignet  für  die  Lachgasnarkose.  Todesfälle  in  kurzen  Narkosen  werden 
von  B  e  r  g  h  a  m  e  r  ,  v.  Nußbaum  u.  a.  beschrieben,  bei  denen  stets  der  Tod 
unter  Lividität  und  Gedunsenheit  des  Gesichtes.  Cyanose  und  Dyspnoe  eintrat. 
Bei  einem  Todesfall  von  Nußbaum  fand  Voit  im  Herzblut  alle  Blut- 
körperchen zerstört  und  in  eine  schmierige  lackfarbige  Masse  verwandelt. 


--     449     — 

iMan  lial  das  Lacligas  meist  zu  Narkosen  bei  kloinen,  kurzdauernden 
Operationen,  wie  Zahnextraktionen,  Abszeßspaltnngen  etc.  verwendet  und  da 
meist  sehr  gute  Resultate  erzielt.  Aber  auch  zu  großen  Operationen  wurde  es 
verwendet,  so  operierte  C  a  r  u  o  c  h  a  n  längere  Zeit  unter  dieser  Narkose,  \md 
iührte  Auiputatio  maramae,  und  Extremitätenamputationeu  aus.  Morton 
machte  eine  Kastration,  Amputationen  etc.,  Marion  8ims  operierte  16  Minuten 
laug  an  einer  Amputatio  niammae,  20  Minuten  an  einer  Laparotomie  wegen 
eines  abdominalen  Tumors,  Blanchet  narkotisierte  25  Minuten  lang  mit 
Stickstoft'oxydul  und  Luft  abwechselnd.  In  neuerer  Zeit  hat  mau  das  Lachgas 
nicht  mehr  zu  längerer  Narkose  verwendet,  sondern  man  kombiniert  es  mit 
Ohloroform  oder  Äther,  worüber  später  des  genaueren  geschrieben  werden  wird. 

Was  nun  die  Statistik  anlangt,  so  hat  man  sehr  gute  Resultate  ge- 
funden, so  haben  Smith  3929,  Colton  27  217  Narkosen  ohne  Todesfall  aus- 
geführt. Ferner  hat  Hasbrouck  69  000,  Golzon  150000  Lachgasnarkosen 
ohne  Todesfall  ausgeführt,  Thomas  über  14000  ohne  Nachteile  und  Unfälle 
geleitet,  und  es  werden  in  den  Vereinigten  Staaten  jährlich  gegen  750000  Lach- 
gasnarkosen ausgeführt  (W  o  o  d),  bei  denen  nie  mehr  als  3  Todesfälle  sich 
ereignen,  was  also  nach  den  Angaben  von  Wood  ein  Verhältnis  von  1 :  250000  dar- 
stellt. Jedenfalls  ist  dies  ein  überaus  günstiges  Resultat,  doch  muß  man  auch 
bedenken,  daß  all  die  Narkosen  nur  wegen  Zahnextraktioneu  und  ähnlichen 
kleinen  Operationen  vorgenommen  werden.  Man  hat  nun  ungefähr  sechs  Todes- 
fälle nach  Lachgasnarkosen  beschrieben,  welche  sicher  vom  Stickstoffoxydul 
hervorgerufen  wurden,  welche  Zahl  ja  unendlich  klein  ist.  R  u  m  b  o  1 1  hat  be- 
rechnet, daß  in  England  diu'chschnittlich  in  den  letzten  10  Jahren  4  Millionen 
Lachgasnarkosen  ausgeführt  wiirden,  und  daß  davon  nur  fünf  Todesfälle  bekannt 
geworden  seien.  Man  ersieht  also  aus  diesen  Zahlen,  daß  das  Lachgas  bei 
kurzen  Narkosen  das  gefahrloseste  Mittel  darstellt. 

§  16.  Der  Grund  für  die  große  Ciefahrlosigkeit  liegt  in  der  Methode  der 
Darreichung.  Wenn  man  die  alten  Mitteilungen  über  die  Lachgasnarkose  liest, 
so  hört  man  von  vielerlei  Nachteilen,  selbst  von  Todesfällen  (Hermann, 
Dent,  Hewitt,  Noble,  Silk,  Crouch,  Flux,  Gardner,  Grauville  etc.). 
In  der  neueren  Zeit  berichtet  man  nur  von  harmlosen  Wirkungen,  und  es  hat 
dies  seinen  Grund  in  der  besseren  Art  der  Narkose  und  der  Verabreichung  mit 
Luft  (Hewitt,  H  a  1  d  a  u  e  ,  N  o  g  u  i ,  Bert,  Nußbaum  etc.).  Man  ver- 
wendet zur  Narkose  am  besten  das  Gas  mit  Luit  gemischt  und  zwar  so,  daß 
man  je  nach  Bedarf  Luft  zuströmen  läßt  (Flux).  Flux  verfährt  mit  dieser  Art 
der  Lachgasmethode  folgendermaßen.  Das  Gesicht  des  Kranken  wird  mit  einem 
geräumigen,  nach  oben  offenen,  dem  Gesicht  sich  selbst  mittels  eines  ring- 
förmigen Luftkissens  eng  anschließenden  Zelluloidgefäß  bedeckt,  und  das  Gas, 
welches  spezifisch  schwerer  als  Luft  ist,  wird  durch  die  freie  Öffnung  des 
Gefäßes  einströmen  gelassen.  Der  Patient  atmet  mithin  das  Gas  mit  einem 
relativ  reichlichen  Luftquantum  gemischt  ein.  So  hat  Flux  über  250  Patienten 
ohne  Nachteile  betäubt.  Paul  Bert  gibt  das  Lachgas  unter  zwei  Atmo- 
sphären Druck  mit  gleichen  Teilen  Luft  gemischt.  Diese  Methode  ermöglicht 
auch  eine  längere  Narkose. 

Andere  empfehlen  die  Mischimg  mit  Sauerstoff  (G  a  r  d  n  e  r  ,  W  e  t  z  e  1 , 
Hewitt  etc.).  G  a  r  d  n  e  r  gibt  an ,  daß  die  Mischung  für  Kinder  bis 
10 — 15  Jahren  nicht  geeignet  ist,  weil  bei  diesen  Erbrechen  und  Übelkeit  auf- 
treten, und  für  kräftige  Männer  sowie  Alkoholisten  ebenfalls  ungeeignet  sei. 
Hewitt    hat    einen  Apparat   zur    genaueren  Dosierung    konstruiert  und    hält 

29 


-     450 


Saiierstoff  und  Stickstoff oxydul  für  die  beste  Mischung,  wobei  aber  von  der  richtigen 
Konzentration,    Dosierung  und  Verabreichung    der    gute  Erfolg    abhängt.     Zur 


Einleitung  der  Narkose  gibt  man  nur  2% 


Fig.  13-t.    Narkose  Apparat  von  Pattersou  iüi 

die  Stickstoffoxyduluarkose. 
A.  Halter  zum   Anhängen   des  Apparates   an  nebenstehender  Figur  134  ersieht 


Sauerstoff  und  steigt  allmählich  auf 
7,  8,  9  und  lO^o,  indem  man  um 
so  mehr  Sauerstoff  gibt,  je  länger 
die  Narkose  dauert.  Die  nächst- 
besten Resultate  liefert  die  An- 
wendung konstanter  Mischungen, 
für  Erwachsene  von  6 — 7%  Sauer- 
stoff, für  Frauen  und  Kinder 
von  7 — 9%  Sauerstoffgehalt.  Ver- 
wendet man  Liift  und  Lachgas, 
so  hat  man  14— 18%resp.  18—22% 
Luft  dem  Gas  beizumischen. 

Eine    einfache    Art    der    An- 
wendung   des    reinen    Gases    hat 
Dudlej^  Buxton  angegeben,  iu- 
I  m  er  einen  Apparat  konstruierte, 
1  r    leicht  transportabel  und  an- 
mdbar  ist.    Er  besteht  aus  einer 
ahlflasche  mit  200  1  Gas,  welche 
it  einem  Ausführrohr  verseben 
;,  au  dem  ein  sog.  Silencer,  d.  b. 
1  Rohr,    welches    das    Zischen 
,mpft,  angebracht  ist.    Von  dem- 
Iben  führt  ein  Schlauch  das  (Tas 
einen    Ballon,     von    dem    ein 
.._derer  Schlauch  nach  einer  Metall- 
kammer führt,  die  einen  Hahn  be- 
sitzt, der  entweder  Luft  oder  Gas 
eintreten  läßt;  diese  Kammer  wird 
durch  ein  Rohr  mit  einem  Mund- 
stück verbunden.  Durch  den  Hahn 
kann  man   die  Zusammensetzung 
des  Gasgemisches   ändern. 

Eine  Modifikation  des  Appa- 
rates von  H  e  witt  ist  der  Apparat 
von  Patterson,  welcher  eine 
sehr  leichte  Anwendung  ermög- 
licht.    Die  Konstruktion  ist  aus 


die  Kleider  des  Narkotiseurs.  B.  Ventil  für 
die  Menge  des  Gases.  H.  Hahn  zur  Regulie- 
rung des  Ventils.  C.  Ballon.  E,  E'  Schläuche, 
welche  das  Gas  und  Luft  oder  Sauerstoff  in 
die  Maske  führen.  D.  Maske.  G.  Maske  ver- 
größert. 


lieh. 


Man  fügt  an  den  Apparat  eine 
Stahlflasche  mit  dem  flüssigen 
Gas  und  kann  dazu  durch  eine 
leichte  Änderung  auch  eine  Flasche 

mit  Sauerstoff    an  fügen,    so    daß    man    beide  Gase  zugleich  verwenden  kann. 

Durch  einen  Hahn  kann  man  die  zuströmenden  Gasgemenge,  und  somit  die  Nar- 


—    45i    — 

kose  o-euan  naoli  den  inoiueiitaiien  Verliältuissen  reg'ulieren.  Man  muß  nur  genau 
beachten,  daß  auf  eine  Inspiration  aucli  eine  Exspiration  folgt,  und  dies  erst 
abwarten,  ehe  man  neue  Gasdosen  verabreicht.  Ist  der  Patient  betäubt,  so  gibt 
man  Luft  und  läßt  erst  einige  Zeit  das  Gas  weg.  So  kann  man  abwechselnd 
Luft  und  Gas  verabreichen  und  auch  längere  Narkosen  einleiten.  Mit  diesen 
Apparaten  und  unter  Beitritt  von  Luft  oder  Sauerstoff  ausgeführt  stellt  die 
Stickstoffoxydulnai-kose  eine  sehr  wenig  gefährliche  Methode  dar,  die  aber  nur 
fiir  kui'ze  Zeit  dauernde  Operationen  verwendet  werden  soll.  Man  kann  eine 
längere  Narkose  sehr  gut  ausführen,  indem  mau  den  Kranken  mit  dieser  Methode 
betäubt  und  demselben  dann  Äther  verabreicht,  wobei  er  leicht  in  die  Äther- 
narkose überführt  wird.  Ein  anderer  Apparat  für  die  reine  Stickstoffoxyduls 
narkose  ist  der  von  Gesell   konstruierte,    der,    wie    Fig.  13ü    zeigt,    aus   einem 


Fig.  135.    Narkose  Apparat  für  die  Stickstoffoxydulnarkose  von  Gesell. 


Gasometer  von  der  Form  eines  Blasebalges  besteht,  in  welchen  das  Gas  aus 
einer  eisernen  Flasche  geleitet  wird,  und  von  dem  ein  Rohr  das  Gas  in  die 
Maske  leitet,  welche  ein  Exspiratiousventil  besitzt  und  luftdicht  auf  dem  Gesicht 
aufsitzt.  Dieser  Apparat  ist  zwar  etwas  groß,  aber  sonst  ganz  brauchbar 
und  viel  verwendet  worden. 

Die  Kombination  von  Sauerstoff  und  Stickstoffoxydul  wird  später  noch 
genauer  behandelt. 

Der  Stickstoffoxydulnarkose  geht  eine  geringe  Exzitation  vorauf,  aber 
es  ist  dies  Stadium  nur  sehr  kurz,  es  verfließen  nur  30  Sekunden,  bis  die  tiefe 
Betäubung  auftritt,  welche  aber  noch  nicht  eine  wirkliche  Toleranz  mit  Lähnnmg 
sämtlicher  Reflexe  darstellt.  Dies  Stadium  der  kompleten  Lähmung  und  voll- 
kommenen Toleranz  und  Muskelerschlaffung  soll  bei  der  Lachgasnarkose  nie  er- 
reicht werden,  denn  dann  wird  die  Narkose  höchst  gefährlich.  Mau  findet  auch 
die  Augenreflexe  in  diesem  Rausch  nicht  aufgehoben,  doch  ist  die  Pupille  meist 
weit.  Dies  ist  aber  schon  ein  Zeichen,  daß  man  die  Narkose  sistieren  muß.  Die 
kurze  Rauschmethode  ist  eine  der  brauchbarsten  Methoden  für  kurze  Operationen 
und  dürfte  auch  ohne  jede  Sorge  augeAvendet  w^erden,  doch  soll  man  sich 
hüten,   eine   längere    Betäubung  auszuführen.     Die  Gefahren,  welche   dem  Gas 

29* 


—     452     — 

anhaften,  treten  erst-auf,  wenn  die  Narkose  verlängert  wird,  und  man  soll 
daher  nur  für  kurze,  1 — 2  Minuten  dauernde  Eingriffe,  die  Narkose  wählen. 
Dann  ist  das  Lachgas  der  geeignetste  Körper  für  die  Anästhesie  und  bringt 
keine  Gefahren  mit  sich,  wenn  die  Anwendung  nach  den  angeführten  Methoden 
geschieht.  Auch  hier  ist  die  erste  Anfordeiung  die  genaue  Dosierung  und 
vorsichtige  Verabreichung  bei  genauer  Beobachtung  des  Kranken. 


VI.  Kapitel. 
Die  Äthylchloridnarkose. 

§  17.  Das  Aethylchlorid  wird  noch  mit  den  Namen:  Chloräthyl,  Aethyluni 
chloratum,  Aether  chloratus,  Aether  muriaticus,  Aethylchlorür,  leichter  Salzäther, 
Monochloräther  benannt.  Die  chemische  Formel  ist  C0H5CI.  Dieser  chemische 
Stoff  war  schon  vor  mehreren  .Jahrhunderten  den  Chemikern  bekannt,  wie 
Glauber,  Basilius,  Valentiuus  uud  anderen,  und  die  Zusammensetzung 
desselben  wiarde  von  Robiquet  und  Colin  erkannt  und  augegeben.  Das  Chlor- 
äthyl stellt  eine  klare,  wasserhelle,  leicht  bewegliche  Flüssigkeit  dar,  welche 
schwach  ätherisch  riecht  und  einen  süßlichen  aber  brennenden  Geschmack  besitzt. 
Es  verdampft  äußerst  schnell  und  leicht  bei  unserer  gewöhnlichen  Temperatur  und 
erzeugt  bei  der  Verdunstung  auf  der  Haut  ein  starkes  Kältegefühl.  Der  Siede- 
punkt liegt  zwischen  12**  C  und  13°  C,  und  es  erstarrt  bei  — 29°  C,  das  spezi- 
fische Gewicht  beträgt  bei  0  °  0,921.  Die  Dämpfe  des  Chloräthj'ls  haben  eine 
narkotische  Wirkung  auf  den  tierischen  Organismus.  Diese  Wii-kung  als  Nar- 
kotikum wurde  schon  von  Flourens,  Bibra,  Harleß  uud  Tracy  gekannt, 
und  das  Cloräthyi  wurde  von  Heyfelder  für  Operationen  als  Narkosemittel  ver- 
wendet. Flourens  hat  im  Jahre  1847  die  anästhesierenden  Eigenschaften  zuerst 
bekannt  gegeben  und  schilderte  die  durch  die  Chloräthyl  Wirkung  entstehende 
Narkose  als  eine  sehr  schnell  eintretende,  welche  vollkommene  Anästhesie  und 
Bewußtlosigkeit  hervorruft  und  weder  Hustenreiz  noch  unangenehme  Nach- 
wirkungen nach  der  Narkose  erzeugte.  Im  Jahre  1890  wurde  das  Chloräthyl 
von  Redard  zur  Erzeugung  einer  lokalen  Anästhesie  zuerst  verwendet.  Die 
Narkose  war  bald  nach  der  Entdeckung  der  narkotischen  Kraft  des  Chloräthyls 
wieder  verlassen  worden,  da  man  den  Körper  wegen  der  großen  Tendenz  zui' 
Verdampfung  nicht  leicht  herstellen  und  in  geeigneten  Gefäßen  transportieren 
und  anwenden  konnte.  So  kam  man  erst  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
wieder  durch  Zufall  gelegentlich  der  Verwendung  als  lokales  Anästhetikum 
bei  Zahnextraktionen  auf  die  allgemeine  Narkose  zurück,  uud  in  neuerer  Zeit 
erst  ist  die  Chloräthyluarkose  namentlich  in  England  und  Amerika  zur  richtigen 
Geltuug  gekommen. 

Das  Chloräthyl  ist  sehr  leicht  brennbar  und  entzündet  sich  an  jeder 
oüenen  Flamme  sehr  leicht,  indem  es  mit  grünlicher  Flamme  brennt.  Im  Wasser 
löst  es  sich  sehr  schwer  und  nur  wenig,  leicht  in  Äther  und  Alkohol,  Die 
Herstellung  geschieht  durch  Erhitzen  von  Äthylalkohol  mit  Salzsäure  unter 
einem  Druck  von  40  Atmosphären  bis  auf  150°  C.  Das  Äthylchlorid  geht 
dabei  über  uud  muß  entwässert  werden,  woraiif  man  es  nochmals  destilliert 
und    in    Vorlagen     unter     niedriger   Temperatur   sich   absetzen  läßt.     Das  Gas 


—      453     — 

wird  zur  Narkose  verwendet,  indem  man  dasselbe  mit  Luft  gemischt  dem 
Kranken  dui'oli  die  Lungen  zuführt.  Das  fiüssig'e  Cliloräthy]  verdunstet  un- 
geheuer hMcht  und  Avird  am  besten  in  zugeschniolzeuen  (ilasampullen  versandt, 
von  Avelcheu  man  die  Spitze  abbricht,  oder  welche  mit  einem  Metallverschluß  ver- 
sehen sind,  de)'  durch  Schrauben  oder  Hehelvorrichtung  geöffnet  werden  kann, 
wobei  ein  feiner  Strahl  des  Cloräthyls  aus  der  Flasche  entweicht.  Man  muß  die 
Ampullen  im  dunklen  und  kühlen  Raum  aufbewahren,  da  sich  das  ("hloräthyl 
bei  Licht,  Wärme  und  Luftzutritt  zersetzt.  Das  zersetzte  oder  unrein  herge- 
stellte Präparat  ist  für  die  Inhalation  vollkommen  unl)rauchbar,  da  infolge  der 
Zersetzungsprodukte  schwere  Nebenwirkungen  auf  das  Herz  ausgeübt  werden, 
welche  dem  reinen  ('hloräthyl  nicht  eigen  sind.  Die  ^'erpackung  wird  am 
besten  in  zugeschmolzenen  Flakons  geschehen,  weil  ja  nur  unter  einem  be- 
stinunten  Druck  das  Chloräthyl  Üüssig  bleibt,  falls  nicht  die  Temperatur  unter 
12"!'  herabgegangen  ist,  was  Ja  selten  in  den  zu  Operationen  nötigen  Räumen 
geschehen  kann.  Die  Darstellung  im  großen  ist  zuerst  von  der  Societe  chimique 
des  Ilsines  du  Rhone  in  Lyon  und  La  Plaiue  erfolgt,  welche  das  von  ihr  dar- 
gestellte Präparat  unter  dem  Namen  Kelene  in  den  Handel  brachte.  In  Deutsch- 
land werden  die  besten  Präparate  von  Henning  &  Speier  in  Berlin,  Dr.  Thilo 
&  Co.  in  Mainz  etc.  geliefert. 

Man  muß  besondere  Sorge  tragen,  zur  Inhalationsuarkose  nur  ein  voll- 
kommen chemisch  reines  Präparat  zu  verwenden,  und  deshalb  stets  ein  neues 
Flakon  für  jede  Operation  beziehen.  Längere  Zeit  aufbewahrte  Flakons  sind 
meist  nicht  mehr  ganz  rein  und  sollten  dann  nicht  für  Narkose,  sondei'u  für 
die  lokale  Betäubung  verwendet  werden.  Über  die  Verwendung  des  Chlor- 
äthyls zur  lokalen  Anästhesie  wird  im  zweiten  Band  geschrieben  werden,  hier 
soll  nur  die  Erzeugung  der  Narkose  durch  dasselbe  Erwähnung  finden.  Wenn 
man  unreines  von  reinem  Chloräthyl  unterscheiden  will,  so  hat  man  folgende 
Methoden  der  Prüfung.  Eine  größere  Anzahl  von  Untersuchungsmethoden  kom- 
plizierterer Art  hier  anzuführen  ist  nicht  nötig,  da  der  Arzt  dieselben  doch 
nicht  ausführen  kann,  weil  er  größere  Mengen  flüssigen  Chloräthyls  eben  nicht 
frei  in  Flaschen  behandeln  kann.  Deshalb  sollen  nur  folgende  einfache  Ver- 
suche geschildert  werden. 

I.  Verdunstet  man  einen  Teil  des  Chloräthyls  auf  der  Haut  oder  einem  Uhr- 
schälchen,  so  darf  ein  Rückstand  nicht  vorhanden  sein,  wenn  das  Präparat 
rein  und  unzersetzt  ist. 
II.  Wenn  man  das   Gas  von  Chloräthyl  in  Wasser  leitet,  so  darf  das  Wasser, 
in  dem  solches  gelöst  ist,  nicht  blaues  Lackmuspapier  rot  färben,  also  das 
Wasser  darf  nicht  sauer  reagieren. 
III.  Säuert  man    das  Wasser,  in    dem  Chloräthyl    gelöst  ist,    mit  Salpetersäure 
an,  und  setzt  dieser  Mischung  eine  Lösung  von  xArgentum  nitricum  zu,  so 
darf  eine  Färbung  nicht  sofort  auftreten.     Natürlich  muß    das  verwendete 
Wasser  aqua  destiliata  sein. 
Diese  drei  Prüfungsmethoden  genügen,    um    das  unreine    und    zersetzte 
Präparat  zu  erkennen  und  sind  auch  leicht  ausführbar. 

Die  ersten  Narkosen  mit  dem  Chloräthyl  wurden,  nachdem  es  seit  seiner 
Entdeckung  fast  vergessen  oder  nur  für  lokale  Kältewirkung  verwendet  worden 
war,  1894:  von  C  a  r  1  s  o  n  in  Gothenburg  an  zwei  Patienten  wegen  Zahn- 
extraktionen vorgenommen,  nachdem  man  vorher  gelegentlich  der  Erzeugung  der 


—     454     — 

lukaleu  Auästliesie  im  j\luude  mittels  Cbloräthyl  zufällig  durch  sehr  lauge 
Applikatiou  mehrfach  Narkoseu  erhalten  hatte,  ohue  daß  mau  dies  wollte.  Der 
Patient,  welchen  Carls  on  so  hetäubte,  erklärte,  daß  diese  Narkose,  nachdem  er 
schon  zweimal  mit  Bromäthyl  und  Chloroform  narkotisiert  worden  war,  hei 
weitem  angenehmer  sei,  da  das  Ei'sticlmngsgefühl  vollkommen  fehlte  und  auch 
Uebelkeit  nach  der  Narkose  nicht  eintrat.  Ein  Jahr  später  empfahl  Thiesing 
das  Chloräthyl  als  besonders  geeignet  für  Narkose  bei  Zahnexti-aktionen,  und  es 
folgten  dann  Billeter,  Ruegg,  Respinger,  Seitz,  Brodtbeck  u. 
a.  m.,  welche  alle  sehr  günstige  Erfahrungen  bei  Zahn  Operationen  mit 
dem  Chloräthyl  gemacht  hatten.  Nun  wurden  auch  die  Chii'urgen  für  dasselbe 
angeregt,  und  in  der  Klinik  von  v.  Hackei'  machte  man  Vei'suche  mit  dieser 
Narkose,  welche  in  der  Zahl  von  16  von  Ludwig  beschrieben  wurden,  der  die 
Vorzüge  des  Chloräthyls  feststellte  und  gute  Narkosen  erreicht  hatte.  Die 
Atmung  und  Herzaktion  war  während  der  Narkose  ruhig  gewesen,  imd  die 
Analgesie  trat  bei  Frauen  imd  Kindern  1  Minute  nach  Beginn  der  Inhalationen 
auf,  bei  Männern  vergingen  1^/4 — P/2  Minvxten.  Um  eine  Narkose  von  4  Minuten 
Dai;er  zu  erzielen,  genügen  3 — 5  g  Kelen.  Wenn  man  andere  Sorten  des 
Chloräthyls  verwendete,  so  dauerte  es  bedeutend  längere  Zeit,  bis  Narkose  ein- 
trat. Exzitation  fehlte  meist  vollkommen,  und  wenn  sie  auftrat,  war  sie  mir 
recht  gering  und  unbedeutend,  wobei  oft  die  Exzitation  in  geringerem  Grade 
ei'st  nach  dem  Eintreten  der  Anästhesie  sich  zeigte,  und  nur  1 — IV2  Minuten 
dauerte,  indem  sie  nur  aus  Abwehrbewegungen  ähnlichen  Muskelkontraktionen 
der  Exiremitäten  bestand.  Die  Augenreflexe  waren  meist  vollkommen  erhalten 
geblieben,  mid  es  erfolgte  auch  nicht  eine  vollkommene  Lähmung  der  will- 
kürlichen Muskeln.  Immerhin  konnte  man  die  Muskeln  so  weit  entspannen  und 
ei'schlaffen,  daß  man  selbst  veraltete  Luxationen  mit  Erfolg  reponiei'en  konnte. 
Mau  hatte  auch  keine  schädlichen  Einwirkungen  des  Chloräthyls  auf  Herz  mid 
Lungen  beobachtet  imd  gab  an,  selbst  bei  Phthise,  Pneumonie  und  anderen  hoch- 
gradigen Lungenleiden,  ohne  eine  Verschlimmerung  dieser  Lungenaffektionen 
hervorzurufen,  die  Narkose  verwendet  zu  haben.  Auch  auf  die  Nieren  soll  ein 
schädlicher  Einfluß  trotz  genauer  Kontrolle  des  Harns  nie  gesehen  worden  sein. 
Mit  dem  Entfernen  der  Maske  trat  auch  sofort  das  Erwachen  des  Kranken  ein 
und  derselbe  äiißeite  keine  Beschwerden,  kein  Uebelsein,  Erbrechen,  Kopf- 
schmei'z  etc.,  der  Appetit  Avar  sofort  nach  der  Narkose  normal  vorhanden. 

So  war  man  des  Lobes  voll  über  die  gute  Narkose  mit  Kelen.  Es  wurden 
nun  in  der  folgenden  Zeit  sehr  viele  Nachuntei'suchungen  vorgenommen, 
Lotheisen  berichtet  über  70  Narkosen,  Wiesner  über  400  und  beide  waren 
vollkommen  zufiieden  mit  den  Narkosen.  So  hat  man  denn  in  den  folgenden 
Jahren  vielfach  das  Aethylchlorid  verwendet  und  noch  manche  genauere  Beo- 
bachtung gemacht. 

§  18.  Die  Narkose  mit  diesem  Körpei'  stellt  eine  Inhalationsnarkose  dar,  das 
Gas  wird  mit  Luft  gemischt  dem  Kranken  in  die  Lungen  zugeführt.  Die  nar- 
kotische Kraft  ist  nicht  gering,  ähnlich  der  des  Äther  und  etwas  schwächer 
als  die  des  Chloroforms.  Die  Löslichkeit  in  Wasser  ist  nur  geling  und 
die  Lösung  ist  sehr  locker.  Infolgedessen  nimmt  das  Blutserum  auch  nur 
eine  geringe  Menge  auf,  es  löst  sich  im  Blutserum  nicht  viel  mehr  als  im 
reinen  Wasser.  Daneben  nehmen  einen  kleinen  Teil  die  Blutkörperchen  auf. 
Infolge  der  schweren  Löslichkeit  im  Blutserum  muß  man  möglichst  hoch  konzentrierte 
Luftchloräthylgemische  den  Limgen  zuführen,  da  wegen  der  lockeren  Lösung 
sofort  wieder  Dämpfe  aus  dem  Blute  abgegeben  werden.  Sobald  nicht  hoch- 
konzentrierte Luftchloräthylgemenge  dem  Kranken  zugeführt  werden,  erwacht 
er  schnell,  eben  weil  die  Lösung  im  Blut  nur  sehr  locker  ist.  Die  Dämpfe 
bleiben  nicht  lange  im  Blute  gelöst,  sondern  werden  sofort  wieder  abgegeben. 
Das  Blut  transportiert  das  Gas  in  das  Cerebrum  und  zu  den  Ganglienzellen,  in 
deren  Saft  das  Chloiiithyl  ebenfalls  übei'geht  und  von  den  Cholestearin-Lecithin- 
gemischeu  aufgenommen  wird.     Dadurch  wird  die  Lähmung  der  Zellen  erzeugt. 


—     455     — 

ihi  nun  aber  flie  riösiuii;'  im  Zcllsaff  clicii  mir  eine  si'erinji'c  ist,  so  vvirrl  nur 
ein«  kh'iue  Menge  lüiloräthyl  in  die  Zelle  geltrucht,  welche  bei  kurzen  Narkosen 
gar  nicht  ausreicht  alle  die  Zellen  zu  lähmen,  es  würden  wohl  die  Zentren  der 
.'~^chnler/.(•ln])findlult^•  gelähmt,  um  aber  die  gegen  die  Xai'kotika  widerstands- 
fähigei'cn  Zentra  zu  lähmen,  reichen  die  Mengen  nicht  immer  aus,  weshalb  in  dei' 
Narkose  dann  auch  nicht  die  Reflexe,  die  Muskeln  etc.  vollkommen  gelähmt, 
aufgehoben,  erschlafft  sind.  Erst  wenn  man  die  Chloräthyldämpfe  längere  Zeit 
inspirieren  läßt,  werden  größere  Mengen  dei-selben  in  den  zentralen  Elementen, 
den  Ganglienzellen  in  den  C'holestearin-Lecithingemischen,  welche  größere 
Mengen  von  Chloräthyl  lösen  als  das  Wasser  resp.  Blutsei'um,  aufgehäuft,  welche 
dann  eine  vollkommene  Lähmung  dieser  Zeuti'a  herljeifühi-eu.  Die  narkotische 
Kraft  des  Chloräthyls  ist  kleine]"  als  die  des  Chloroforms,  aber  größer  als  die 
des  Äthers.  Die  Ausscheidung  des  Chloi'äthyls  geschieht  am  meisten  dui'ch  die 
Lungen,  namentlich  bei  kurzen  Narkosen  wei'den  fast  alle  Dämi)fe  wieder  von  dej' 
Lunge  eliminiert,  was  verhältnismäßig  schnell  geht,  da  die  Lösung  im  Blut  sehr  locker 
ist.  Die  Nieren  rmd  andei'en  Drüsen  kommen  bei  dei'  kurzen  Narkose  nur  sehr  Avenig 
in  Betracht,  dieselben  eliminieren  nur  bei  längeren  Narkosen  wesentliche  Mengen 
von  Chloräthyl.  Der  Umstand,  daß  die  Löslichkeit  im  Blutserum  nui'  sehr 
gering  ist,  bewii'kt  auch  das  vollkommene  Fehlen  von  Magenaffektionen,  Un- 
wohlsein, Einbrechen  etc.  nach  kurzen  Narkosen,  denn  die  geriiigen  Mengen  im 
Blut  werden  sofort  elimiuiei't  und  gehen  nicht  in  den  Magensaft  oder  nur  in 
ganz  geringen,  unwirksamen  Dosen  über.  Bei  längeren  Nai-kosen  kommen  eben 
größere  Mengen  in  das  Blut  und  werden  auch  in  den  Magensaft  abgesondert, 
wodurch  dann  auch  Übelkeit,  ja  selbst  Erbrechen  nach  dem  Erwachen  des  Kranken 
entstehen.  Auch  die  Löslichkeit  in  den  Cholestearin-Lecithiugemischen,  welche 
sich  im  Protoplasma  der  Zellen  finden,  ist  geringer,  als  z.  B.  bei  Chloroform 
oder  Äther,  so  daß  auch  nicht  so  hohe  Mengen  in  den  Zellen  angehäuft  werden 
können.  Wenn  die  Lihalation  neuer  Dämpfe  in  der  Narkose  sistiert,  so  werden 
auch  den  Zellen  nicht  mehr  neue  Mengen  zugeführt,  sondern  die  darin  enthalteneu 
werden  wiedei*  eliminiert.  Diese  Eliminierung  kann  aber  nur  in  den  Mengen 
vor  sich  gehen,  welche  das  Bhitserum  lösen  kann.  Da  die  Cholestearin-Lecithin- 
gemische  der  Ganglienzellen  aber  bedeutend  mehr  Chloräthyl  lösen  und  somit 
auch  wähi'end  der  Narkose  aufhäiifen,  als  das  Blutserum  zu  lösen  imstande  ist, 
so  wird  es  längere  Zeit  dauern,  ehe  die  letzten  Mengen  von  Chloräthyl  aus  den 
Ganglienzellen  eliminiert  sind.  Bei  einer  kurzen  Narkose  sind  diese  aufge- 
speicherten Mengen  nur  sehr  gering.  Hat  die  Nai'kose  aber  längere  Zeit  ge- 
dauert, so  werden  diese  Mengen  eine  bestimmte  Gi'öße  erhalten,  über  die 
natürlich  .nicht  hinausgegangen  werden  darf,  da  sonst  der  Mensch  stirbt.  Da 
nun  das  Chloräthyl  in  den  Cholestearin-Lecithingemischen  nur  wenig  löslich, 
weniger  als  Chloroform  z.  B.  ist,  so  ist  diese  Menge  geringer,  als  in  den  Gang- 
lienzellen aufgespeichert  wird.  Es  wird  aber  doch  diese  Menge  Chloräthyl  nach 
langen  Narkosen  noch  genügend  sein,  um  nachziiwirken  und  Schwindel,  Kopf- 
schmerz etc.  zii  erzeugen.  Allein,  da  diese  Menge  geringer  als  bei  Chloroform 
ist,  so  ist  aiich  diese  Übelkeit  etc.  geringer.  Wegen  der  schweren  Löslichkeit 
des  Chloräthyls  in  Wasser,  Blutserum  etc.  ist  dasselbe  auch  nicht  so  brauchbar 
für  eine  lange,  eine  Dauernarkose,  als  für  eine  kurze,  nur  2 — 3  Minuten  an- 
haltende Scbmerzbetäubung.  Und  hierzu  ist  das  Chloräthyl  auch  meist  nur  ver- 
wendet worden.     Da  infolo-e  der  schweren  Löslichkeit  auch  die  Narkose  schnell 


—     456     — 

schwindet,  der  Kranke  rasch  erwacht,  so  ist  die  Narkose  für  lauge  Operatioueu, 
namentlich  für  solche,  bei  denen  man  tiefe  Narkose  mit  vollkommener  Muskel- 
erschlaffiing  braucht,  nicht  brauchbar,  weil  bei  der  geringsten  verminderten  Zu- 
fuhr dei'  Kranke  sofort  erwacht.  Es  stellt  die  k\irze  Narkose  eigentlich  nicht 
eine  volle  Narkose  dar,  denn  oft  tritt  eben  keine  völlige  Ei'schlaffung,  völlige 
Lähmung  der  Muskeln,  der  Reflexe  auf,  sondern  oft  nur  eineu  Rausch  ähnlichen 
Zustand. 

In  dei'  langen  Chloi'äthj'lnai'kose  unterscheidet  man  die  vier  Stadien  wie 
bei  jeder  Nai'kose,  und  es  ist  nur  das  erste  und  zweite  Stadium  sehr  kurz.  Aber 
die  Reflexe  sind  erloschen,  die  Pupillen  zeigen  genau  die  Verhältnisse  wie  bei 
den  anderen  Narkosen  und  wie  früher  geschildert.  Aber  bei  der  kurzen  Nar- 
kose sind  die  Pupillen  nicht  reaktionslos,  auch  die  anderen  Reflexe  sind  nicht 
aufgehoben. 

Um  eine  kurze  Narkose  hervorzurufe]i,  braucht  man  nur  wenige  CTramm; 
2 — 5  g  rufen  innerhalb  25 — 40  Sekunden  die  Anästhesie  hervor  (Malherbe, 
Stepinski,  Brodtbeck,  Clirard,  Seitz,  Fromaget  etc.). 

Zw  diesen  kurzen  Narkosen  für  eine  nui"  wenige  Minuten  in  Anspruch 
nehmende  Operation  ist  das  Chloräthyl  überaus  brauchbar,  allein  mau  kann  es 
auch  für  eine  längere  Narkose  verwenden,  es  hat  dasselbe  hierin  entschieden 
einen  Vorzug  vor  dem  ebenfalls  vielfach  empfohlenen  Bromäthyl,  wenn  mau 
auch  nicht  gerade  das  Chloräthyl  zu  stiindenlangen  Narkosen  brauchen  soll,  denn 
in  diesen  Fällen  gibt  es  ja  die  vorzüglichen  Narkosen  mit  Chloroform  oder 
Äther,  aber  es  ist  doch  infolge  der  Wirkungen  des  Chloräthyls  möglich,  eine 
Narkose  von  10 — 20  Minuten  Dauer  ohne  große  und  schwere  Gefahren  für  den 
Narkotisierten  auszuführen.  Das  Bromäthyl  ist  ja  entschieden  füi-  lange  Nar- 
kosen unbrauchbar,  aber  für  das  Chloräthyl  braucht  mau  die  Indikatiousgrenze 
nicht  so  eng  iiud  strikte  zu  ziehen.  Es  sind  auch  in  neuerer  Zeit  von  ver- 
schiedenen Seiten  die  günstigen  Resultate  bei  solchen  mäßig  langen  Opei'ationeu 
angegeben  worden.  Immerhin  muß  man  bedenken,  daß  diese  Nai'kosen  m\v  bei 
leichten  Opei-ationen  voi'genommen  wei'den  dürfen,  weil  eben  der  Kranke  sehr 
leicht  erwacht  und  oftmals  eine  vollkommene  Muskelerschlaffung,  wie  man  sie 
bei  größeren  Operationen  unbedingt  fordern  muß,  nicht  eintritt.  Deshalb  darf 
das  Chloräthyl  nur  füi-  kleinere  Operationen  reserviert  wei-den,  und  es  wird 
immer  am  besten  bei  ganz  kurz  dauernden  Eingi'iffen  am  Platze  sein. 

Die  physiologischen  Einwirkungen  des  Äthylchlorids  sind  für  das  Cerebrum 
bereits  geschildert  und  bestehen  in  der  Lähmung  der  Ganglienzellen.  Die 
Wirkung  auf  das  Nervengewebe  hat  Cantelupe  genauei'  studiert  und  hat  ge- 
funden, daß  das  Äthylchlorid  eine  doppelte  Wirkung  ausübt,  einerseits  eine 
direkte  chemische,  andererseits  eine  indirekte,  durch  Gehirnanämie  infolge 
Lähmung  des  Vasomotorenzentrums  bedingte.  An  den  Fasei-n  der  weißen 
Substanz  fand  er  sowohl  im  Groß-  wie  im  Kleinhirn  leichte  degenerative  Ver- 
änderungen, jedoch  waren  dieselben  nur  mit  der  Marchischen  Methode  nach- 
weisbar. Er  betrachtet  sie  als  den  Ausdruck  der  in  der  Periode  des  Erwachens 
noch  anhaltenden  nutritiven  Veränderungen  der  Nervenzelle  und  mithin  auch 
der  nervösen  Fortsätze  derselben.  Vielleicht  handelt  es  sich  hier  um  rein 
funktionelle  und  demgemäß  heilbare  Veränderungen. 

Das  Chloräthyl  wirkt  nur  wenig  reizend  auf  die  lebende  Zelle  ein,  wenigstens 
nicht  stark,  und  infolgedessen  fehlen  auch  manche  unangenehmen  Nebenwirkungen, 


—     457      — 

wie  man  sie  lici  iuidcrcii  Narkdtika  ^iclcii'ciitlicli  liiidct.  Die  IlcrztäHo-kfif  wird 
nur  wenig  vpränfh^rt,  l)ei  läiigciTr  Xai'kose  ündct  ein  Fallen  des  Blutdruckes 
geringer  Intensifät  statt.  AiU'h  der  Puls  wii'd  dann  verlangsamt.  Die  Lungeu- 
t.ätigkeit  wii'd  melii-  pathologischer  Art  heonuflußt.  Die  I\[ageu  und  J)arm- 
funktioiien  werden  wenii;-  beeinflußt.  Leber  und  Nieren  w^ei'den  in  ihrer  Sekretion 
geschwächt. 

Bei  langen  Narkosen  wird  ein  Teil  des  Chloräthyis  dui'ch  die  Nieren  ab- 
gesondert, und  wild  im  Harn  in  Verbindungen  gefunden,  bei  kurzen  Narkosen 
wii'd  nur  si-hr  wenig  Ohloräthyl  durch  die  Nieren  eliminiert. 

Viel  bedeutender  sind  die  pathologischen  Einwirkungen  des  Chloräthyls. 
Natürlich  sind  dieselben  bei  einei-  kurzen,  wenige  Minuten  dauernden Narkosenursehr 
gering,  ja  fast  gar  nicht  vorhanden,  weshalb  man,  da  die  Hauptindikation  in 
Narkosen  für  ganz  kurze  Eingriffe  bestand  und  nur  ganz  selten  längere  Betäubimgen 
mit  demselben  ausgeführt  wurden,  auch  nur  sehr  wenige  Todesfälle  beobachtet 
hat.  Es  ist  daher  dasselbe  als  ganz  harmlos  bezeichnet  worden,  und  man  hielt 
es  fü]'  das  M^enigst  gefährliche  Narkotikum,  was  aber  durch  einzelne  Todesfälle, 
die  trotzdem  auftraten,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  als  zu  optimistische  Ansicht 
betrachtet  werden  muß.  Wenn  auch  der  Organismus  bei  einer  kurzen  Narkose 
weniger  Gefahren  vom  Narkotilmm  ausgesetzt  ist,  als  bei  langen,  so  kann  doch 
immerhin  auch  bei  ganz  kurze  Zeit  nur  dauernden  Einwirkungen  des  Chloräthyls 
eine  schädliche  Beeinflussung  des  Organismus  entstehen,  und  lun  die  Gefahren 
gei\au  zu  kennen  und  beurteilen  zu  können,  muß  man  das  Chloräthyl  bei  längerer 
Einwirkung  auf  den   Orgaiiismus  studiei'en. 

Es  fehlt  dem  Äthylchlorid  entschieden  einerseits  die  stai-ke  Exzitation, 
andererseits  die  starke  Reizwirkung  und  somit  auch  die  Gefahr  des  Eintrittes 
einer  Reflexsynkope  infolge  Trigenimus-Vagus-Reizung  von  der  Nasen-Pharynx- 
schleimhaut  aus.  Diese  beim  Chloroform  so  gefürchtete  Reflexsynkope  fehlt  hier 
vollkommen. 

Die  pathologischen  Wirkungen  des  ('hloräthyls  sind  von  mir  eingehend 
an  Tieren  gepi'üft  worden,  und  es  hat  sich  da  als  Gesamtbild  ei'geben,  daß  die 
Einflüsse  des  Chloräthyls  auf  die  innei'en  Organe  bei  weitem  geringer  sind,  als 
die  beim  Chloroform.  Es  besteht  aber  eine  entschieden  ähnliche  Wirkung 
zwischen  diesen  beiden  Körpei-n,  vor  allem  die  Tendenz,  Fettmetamorphose  zu 
erzeugen,  besteht  bei  beiden,  nur  ist  die  Intensität  der  Wirkung  sehr  verschieden. 
Chloräthyl  wirkt  bedeutend  schwächer  als  das  Chloroform. 

Im  einzelnen  verhält  sich  das  Chloräthyl  vor  allem  zum  Gehirn  nicht 
w^enig  pathologisch  wirksam.  In  den  Ganglienzellen  ei'zeugt  dasselbe  während 
der  längeren  Narkose  eine  Fettmetamorphose,  welche  nur  wenig  von  der  Chloroform- 
wirkung verschieden,  wenig  schwächer  ist.  In  den  Gefäßen  des  Cerebrams  fand 
sich  auch  nach  langen  Narkosen  und  häutigen  Betäubungen  ziemlich  ausgedehnte 
Fettmetamorphose  der  Zellen  der  Intima  und  Media  der  Wandung,  welche  aber 
nur  stellenweis  auftrat,  so  daß  man  an  einzelnen  Gefäßquer-  oder  -längsschnitteji 
Haufen  von  Fetttropfen  an  einer  Stelle  fand,  welche  eine  Vorwölbung  und  mit 
der  Zeit  eine  Verdünnung  der  Wand  mit  Aneurysmabildung  hervorrufen  kann. 
Diese  Fettmetamorphose  der  Gefäßwandungen  ist  sowohl  in  den  Kapillaren  wie 
in  den  größeren  Gefäßen  deutlich  zu  finden  und  dieselbe  ist  geringer,  weniger  aus- 
gebreitet, als  sie  beim  Chloroform  zu  finden  ist,  doch  ist  sie  vorhanden  und  zwar 
in    einem  Grade   und    einer  Intensität,    daß  sie  eine  schwere  pathologische  Ein^ 


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Wirkung  davstellt,  die  dein  für  Erkrankung-  der  Gefäße  disponierten  Kranken 
schwere  Gefahren  heraufbeschwören  kann,  denn  hei  bestehender  Sklerose  etc. 
der  (iefäßwandungen  kajin  es  zu  Kuptur  luid  Hämori'hagien  in  das  Cerebrum 
führen,  woraus  Lähmungen  und  Exitus  letalis  hervorgehen  können.  Diese  Ein- 
wirkung auf  das  Gefäßsystem  kommt  aber  besonders  bei  längere  Zeit  dauernden 
Narkosen  in  Betracht,  deim  bei  einer  kurzen  Narkose  von  1 — 2  Minuten  Dauer 
ist  eine  solche  Veränderung  nicht  möglich.  Ebenso  spricht  diese  pathologische 
Einwirkung  gegen  häufige  Narkosen,  innerhalb  einer  Zeit  ausgeführt,  wo  die 
Vei'änderungen  der  ersten  Narkose  noch  nicht  wieder  verschwunden  sind. 

Die  Einwirkimg  des  Chloräthyls  auf  das  Herz  ist  bedeutend  günstiger,  als 
die  des  Chloroforms.  Der  Blutdi'uck  wird  nur  mäßig  und  weniger  herabgesetzt  bei 
langen  Narkosen,  bei  kurzen  Nai-kosen  tritt  meist  eine  Steigerung  desselben  ein. 
Was  das  Myocai'd  selbst  anlangt,  so  wii'd  bei  langen  Narkosen  eine  deutliche 
Fettmetamorphose  dei'  Herzmuskelfasern  hervorgerufen.  Dieselbe  ist  entschieden 
gei'inger  als  bei  Chloroform,  doch  sie  ist  vorhanden  imd  kann  bei  häufigen 
Narkosen  hochgradig  gesteigert  werden. 

In  den  Fasern  des  Herzmuskels  faiid  sich  nach  längeren  und  häufigen 
Narkosen  das  Fett  in  feinen  Tropfen  über  die  ganze  Muskelfaser  gleichmäßig 
verteilt,  und  in  anderen  in  Haufen  von  mittelgroßen  l)is  großen  Tropfen  bipolai' 
des  Kernes  in  der  Eichtung  der  Achse.  Die  Querstreifung  der  Faser  war  stets 
geschwunden  oder  stark  verwaschen,  meist  sah  man  die  Querstreifung  überhaiipt 
nicht  mehr,  auch  in  den  Fällen,  wo  die  Fettmetamorphose  nur  sehr  gering  noch 
wav.  weil  das  Chloi'äthyl  noch  nicht  lange  genug  eingewirkt  hatte,  war  die 
Querstreifung  stark  verwaschen,  undeutlich,  die  Fasern  waren  auch  ungleichmäßig 
gefärbt,  das  Protoplasma  war  ti'übe,  wolkig.  Die  Fettmetamorphose  fand  sich 
in  den  Anfangsstadien  bei'eits  nach  einer  ca.  40  Minuten  langen  Cbloräthyl- 
nai'kose,  eine  folgende  Narkose  verschlimmerte  die  Fettmetamorphose  stark. 

Weitere  Einflüsse  pathologischer  Art  auf  das  Herz  sind  nicht  vorhanden, 
es  wird  in  der  Chloräthylnarkose  das  Herz  überhaupt  nicht  sehr  schwer  be- 
einti'ächtigt.  Immerhin  beobachtet  man  in  der  langen  Narkose  doch  leicht 
l'ollapse  uiul  di'ohende  Schwächezustände,  welche  alier  doch  verhältnismäßig 
selten  sind.  Bei  der  kiirzen  Narkose  sind  Schädigungen  des  Herzens  überhaupt 
nicht  beobachtet  worden,  da  dabei  ja  das  Herz  auch  weniger  affizieit.  wei'den  kann. 

Man  hat  bei  allen  kurzen  Narkosen,  vor  allem  infolge  der  zu  solchen  aus- 
schließlich verwendbaren  Mittel  eine  stärkere  pathologische  Beeinflussung  dei' 
Lunge  zu  fürchten,  als  des  Herzens. 

Was  nun  die  anderen  inneren  Oi'gane  anlangt,  so  ergibt  sich  die  Leber  als 
ein  bei  der  langen  Einwirkung  stark  geschädigtes  Organ.  Ich  habe  bei  meinen 
Experimenten  stets  in  der  Leber  eine  außerordentlich  stai'ke  Fettmetamorphose 
gefunden,  welche  der  nach  Chloroform  nur  wenig  nachsteht.  Es  findet  sich  nach 
Narkosen  von  längerer  Darier  und  öfterer  Wiederholung  eine  sehr  starke  Fett- 
metamorphose der  Leberzellen,  welche  sogar  in  ausgebreitete  Nekrose  und  Zej'- 
fall  derselben  übergeht.  Voi-  allen  Dingen  in  der  Peripherie  dei'  Acini  findet 
sich  die  Nekrose  und  der  Zei'fall  der  Leberzellen,  während  im  Zentrum  der 
Acini  die  Leberzellen  noch  erhalten  sind,  aber  sehr  starke  Fettmetamorphose 
zeigen.  Daneben  findet  man  in  dem  Leberparenchym  starke  Hyperämie  und  auch 
stellenweis  Hämon'hagien  in  das  Parenchym  und  besonders  unter  die  Kapsel. 
Die  Fettmetamorphose    der  Leber   ist   bedeutend  nach  längeren  Narkosen,  auch 


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nach  riiicr  40  Aliimti'n  (liiiicriKlcii  Xarkdsc  l'aiid  «icli  hci'cits  dciitlicliH  FeM.- 
iiu'taiiioi'plioso  der  Lcberzcllen,  das  rrotoplasma  zeigt  sich  trülje,  wolkij^-,  nug-leicli 
färbljar,  die  Kerne  sind  stellenweis  schwach  färbhai',  und  im  Pi'otoplasma  findet 
sich  das  Fett  in  vermehrtei'  Men^'e  als  i)hysiolog'isch.  Diese  Fettmetamorphose 
der  Leber  ist  uur  weniy  geringer,  wie  nach  •»■leichen  Chloroformuarkoseii,  es  ist 
vor  allem  die  Nekrose  noch  nicht  so  hochg'radisj;',  wie  nach  Chloroform.  Immerhin 
ist  dieselbe  reichlich  vorhanden  und  ist  ein  Zeichen  der  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  schwer  toxischen  Wirkung  des  Ohloräthyls. 

Sehr  ähnliche  Verhältnisse  finden  sich  nach  den  Chloräthylnai'koseu  in 
den  Niereu.  Hiei"  hat  mau  dasselbe  Bild,  hochgradige  Fettmetamorphose  in  deu 
Tubuli  contorti,  weniger  in  den  recti.  daneben  in  den  Tubuli  contorti  sehr 
reichlich  Nekrose  und  Zerfall  der  Epithelien.  In  den  Tubuli  i'ecti  ist  die  Neki-ose 
bedeutend  weniger  ausgebi'eitet,  in  den  Zellen  der  Pyramiden  ist  die  Fett- 
nietamorphose  weniger.  In  den  (Uomeruli  ist  kein  Fett  zu  finden,  oder  doch 
nur  sehr  wenig,  dieselben  sind  hyperämisch,  zwischen  Kapsel  und  Glomerulus 
ist  stets  ein  Zwischenraum  zu  sehen,  der  größer  als  noi'malitei'  und  durch  ein 
Exsudat  entstanden  ist.  In  dem  Niei'enparenchym  ist  Hyperämie  vorhanden,  es 
linden  sich  Hämorrhagien  in  das  Pareuchym,  und  Blutungen  unter  die  Kapsel.  So 
ist  das  Bild  nach  mehreren  langen  Narkosen  mit  Ghloräthyl.  Die  Veränderungen  in 
den  Nieren  sind  beträchtlich,  aber  im  Wesen  geringer  als  bei  Chloroform.  Nach 
kurzen  Narkosen  ist  die  Niei'e  weniger  geschädigt.  Immerhin  fand  sich  nach 
einer  Narkose  von  -10  Minuten  Dauer  in  den  Epithelzelleu  der  Tubuli  contorti 
beginnende  Fettmetamorphose.  Die  Epithelien  waren  übei'all  in  der  Niere  trübe, 
ungleich  gefärbt,  das  Protoplasma  wolkig,  die  Konturen  undeutlich.  Auch  in 
den  übrigen  Harukanälchen  war  Fett  vei"niehrt  zu  finden.  Nekrose  imd  Zerfall 
war  noch  nicht  vorhanden. 

Man  ersieht  aus  diesen  Veränderungen,  daß  hei  langen  Narkosen  eiue 
schwere  Läsion  der  Niei'en  entsteht,  und  daß  die  längere  Nai'kose  deshalb  ver- 
mieden werden  muß.  Bei  kixrzdauerndeu  Inhalationen  kommen  natürlich  solche 
schwere  Veränderungen  nicht  vor,  allein  man  muß  die  Wi}-kuug  kennen,  um  bei 
geeigneten,  disponierten  Kranken  ev.  die  Narkose  zu  vermeiden.  Allein  bei  den 
besonderen  Lösrmgsverhältnissen  des  Chloräthyjs  kommen  bei  kurzen  Narkosen 
nur  so  geringe  Mengen  in  die  Niei'en  und  zui'  Eliminierung  durch  dieselben, 
daß  schwere  Läsionen  der  Nierenepithelien  nicht  erzeugt  werden  können,  so  daß 
selbst  bei  disponierten  Kranken  während  einer  ganz  kurzen  Narkose  die  Gefahr 
gering  ist.  Bei  längeren  protrahierten  Narkosen  kommt  natürlich  das  Chloräthyl 
intensiver  mit  den  Nieren  in  Berührung,  weil  größere  Mengen  des  Gases  in  den 
Organismus  aufgenommen  werden.  Dann  werden  auch  bestimmte  Mengen  von 
Chloräthyl  durch  die  Nieren  aus  dem  Orgaiiismus  eliminiei't.  Diese  Eliminierung 
duix'h  die  Nieren  geht  ganz  entschieden  vor  sich,  da  man  das  Chloräthyl  im 
Hara  direkt,  wenn  aiich  nur  in  kleinen  Mengen  rein,  in  bedeutenderen  aber  als 
Chlorverbindungen  nachweise]!  kann. 

Einen  sehr  bedeutenden  Einfluß  des  Chloräthyls  kann  man  in  den  Lungen 
nach  längeren  Betäubungen  konstatieren.  Was  die  Atmung  anlangt,  so  bemerkt 
man  mit  der  Dauer  der  Narkose  eine  Verflachung  der  Atmung,  eine  Ver- 
minderung, der  Zahl  der  Atemzüge  in  der  Minute.  Weitere  Einflüsse  der  Atem- 
tätigkeit sind  als  reine  Folge  der  Chloräthylnarkose  nicht  zu  konstatieren.  Die  aus 
äußeren  Anlässen,   durch  Fremdkörper,    Raumbeengungen,  Glottisödem  etc,  ent- 


—     460     — 

stehenrleii  Apnoen  sind  nicht  besondere  Eigentüiulichkeiteu  dieser  Narkose. 
Es  sind  Ereignisse,  wie  sie  bei  Narkosen  vorkommen,  und  aixf  die  bekannte  Art 
bekämjift  werden  können. 

Die  Drüsensekretioii  wird  durch  die  Chloräthylwirkung  ebenso  beeinflußt, 
wie  von  den  anderen  Narkotika  auch.  Man  findet  bei  dieser  Narkose  ebenfalls 
die  Speicheldrüsen  des  Mvandes  und  Rachens  vermehrten  Speichel  absondern,  und 
diese  Menge  des  Speichels  ist  immerhiji  beträchtlich,  sie  ist  ungefähr  gleich  der, 
welche  das  Chloroform  veranlaßt.  Bei  kurzen  Narkosen  bemerkt  man  diese  vermehrte 
Speichelproduktion  gar  nicht  oder  doch  nur  in  sehr  geringem  Maße.  Bedeuten- 
der ist  sie  allerdings  bei  jeder  längeren  Narkose,  und  schon  nach  einer  solchen 
von  15 — 25  Minuten  kann  man  deutlich  die  Speichelmassen  aus  dem  Munde 
fließen  sehen.  Neben  den  größeren  Drüsen  werden  auch  die  Schleimhäute  zur 
vermehrten  Absonderung  des  Schleimes  angeregt,  und  diese  Absonderung  von 
Schleim  ist  besonders  wichtig,  soweit  sie  sich  auf  die  Schleimhäute  in  den 
Bronchien,  der  Trachea  und  dem  Kehlkopf  ersti-eckt.  Ich  habe  durch  die  Unter- 
suchung der  Lungen  der  mit  Chloräthyl  mehrfach  narkotisierten  Tiere  feststellen 
können,  daß  während  der  Narkose  eine  beträchtlich  vermehrte  Schleimsekretion 
in  den  Bronchien  und  der  Trachea  stattfindet.  In  allen  Präparaten  fand  mau 
in  deji  bei  der  Lagerung  des  Tieres  zur  Zeit  der  Narkose  abhängigen  Partien 
der  Lungen  die  Alveolen  stellenweis  total  oder  teilweise  mit  Schleimmassen  er- 
füllt. Der  Schleim  war  in  den  Bronchien  abgesondert  und  dabei  in  die  Alveolen 
geflossen  oder  aspiriert  worden.  Daß  aus  dem  Rachen  Speichel  in  die  Lungen 
geflossen  wäre,  war  nicht  möglich,  denn  infolge  der  tieferen  Lagerung  des 
Kopfes  des  Tieres  als  der  Brust  mußte  aus  dem  Rachen  aller  Speichel  und 
Schleim  zum  Maule  des  Tieres  herausfließen.  Somit  war  erwiesen,  daß  in  den 
Bronchien  mehi-  Schleim  als  gewöhnlich  sezeniert  wird. 

In  der  Lunge  fanden  sich  neben  diesen  Schleimansammlungen  starke 
Hyperämie  und  stellenweise  Hämorrhagien,  besonders  unter  der  Pleura. 

Weiter  zeigte  auch  das  respiratorische  Epithel  die  Wirkung,  wie  sie 
allen  Narkotika  mehr  oder  weniger  zukommt,  und  es  bestand  dieselbe  in  dem 
Hervorrufen  einer  Fettmetamorphose  in  diesen  Zellen.  Es  fanden  sieh  in  den 
Zellen  der  Alveolen  stellenweis  sehr  viel  Fetttropfen  von  feinem  bis  mittelgroßem 
Koi'n,  stellenweis  weniger,  während  in  den  Epithelzellen  der  Schleimhaut  der 
Bronchien  und  Broncheoli  ebenfalls  Fett  zu  finden  wai",  aber  in  manchen  Zellen 
viel,  in  anderen  wiedei-  weniger  und  oft  zeigten  sich  einige  Zellen  noch  normal. 
So  findet  man  die  Schleimhaut  der  Bronchien  durch  die  Narkotikumwirkung  ge- 
schädigt und  die  Zellen  erki'ankt.  Die  Fettmetamorphose  der  Zellen  des  re- 
spiratorischen Epithels  ist  nach  alleii  Narkosen  gefunden  worden  und  es  zeigte 
sich  ein  wesentlicher  Unterschied  gegenüber  der  Chloroformwirkung  nicht,  nur 
ist  vielleicht  eine  etwas  geringere  Ausdehnung  und  Ausbreitung  der  Fettmeta- 
morphose zu  konstatieren,  während  sie  im  wesentlichen  gleich  erscheint.  Es  ist 
diese  Einwirkung  auf  die  Lunge  entschieden  die  intensivste  gegenüber  den  Be- 
funden am  Herzen  und  den  anderen  Organen.  Die  Fettmetamoi-phose  in  diesen 
Zellen  der  Lunge  ist  die  Folge  der  Einwirkung  des  Chloräthyls  und  gibt  Anlaß 
zu  ev.  nach  der  Narkose  auftretenden  Lungenleiden.  Die  Eigenschaft,  Fett- 
metamorphose in  diesen  Zellen  zu  erzeugen,  geht  wahrscheinlich  hervor  aus  der 
anfänglichen  Reizwirk\\ng,  welche  das  Chloräthyl  iii  mäßigen  Mengen  ausübt 
upd  dadurch  die  Zellen  zur  vermehrten  Sekretion  anregt,  während  dieser    Reiz 


—     401     — 

mit  der  Dimci'  der  Einwirkung  zu  ciii(;r  dclatiircn  Wirkung  auf  die  lebenden 
Z(;ll('n  wird,  Avelchc  die  Zelle  zur  Fettmetamorpliose  und  bei  weiterer  EinAvirkuiig 
scbließlich  zu  Neki-ose  und  Zei'fall,  wie  in  Niere  und  Lebei',  bi'ingt,  so  daß  die 
nnfäniiTicb(;  Heizwirkung  mit  dei-  Zeit  zui'  dclatären,  zerstörenden,  das  Leben 
vciiiiclitcnden  Kraft  wird.  31an  findet  die  Fettmetamorphose  in  der  Lunge  schon 
in  i;<'\\isscni  Anfangsstadiuni  nach  einer  langen  Narkose,  wäh]-end  sie  nach  zwei 
innei'lialb  24  Stunden  wiederholten  Narkosen  schon  sehr  deutlich  und  fortge- 
schi'itten  erscheint.  Daß  infolge  der  Fettmetamorphose  die  Epithelzellen  ihre 
normale  bakterizide  Kraft  und  ihre  sonstigen  vitalen  Eigenschaften  ganz  oder 
zum  Teil  einbüßen,  das  ist  leicht  zu  erklären.  Die  gesimde  Lunge  hat  die 
Eigenschaft,  von  außen  in  dieselbe  gelangende  Bakterien  zu  töten,  weshalb  die 
Lunge  bei  der  vielfachen  Gelegenheit,  zu  erkranken,  gesund  bleibt.  Diese  Kraft 
ist  der  Schleimhaut  eigen  und  somit  auch  jeder  einzelnen  Epithelzelle.  Wenn 
nun  in  der  Schleimhaut  einige  Zellen  ei'ki'anken,  indem  sie  Fettmetamorphose 
ei'leiden,  so  sind  neben  den  gesunden  Zellen  solche  vorhanden,  welche  die 
Bakterien  nicht  töten,  sondern  ihnen  sogar  einen  geeigneten  Ort  fiii-  ihre  weitere 
Entwicklung  bieten.  Durch  diese  Verhältnisse  verliert  die  Lunge  ihre 
bakterizide  Kraft  und  es  können  infektiöse  Lungenleiden  entstehen.  Somit  er- 
sieht mau,  daß  auch  das  Chloi-äthyl  bei  langen  Narkosen  Lungenleiden  zur  Folge 
liaben  kann,  und  daß  die  längere  Narkose  nicht  zu  empfehlen  ist.  Snel  hat 
Versuche  angestellt  und  nachgewiesen,  daß  die  Lunge  durch  jede  Narkose  ihi-e 
bakterizide  Kraft  einbüßt.  Dieser  Verlust  der  bakteriziden  Kraft  erfolgt  auch 
liei  der  Chloräthj'Lnai'kose  und  wii'd  durch  diese  Fettmetamorphose  erzeugt. 

Nach  kurzen  Narkosen  sind  natürlich  die  Einflüsse  ai\f  die  Lungen 
entsprechend  geringer,  und  man  kann  bei  Narkosen  von  nur  wenigen  Minuten 
annehmen,  daß  die  Lunge  wesentliche  Nachteile  nicht  erleidet,  wenn  sonst  alle 
Vorsichtsmaßregeln  beobachtet  werden.  Allerdings  kann  man  schon  nach  Nar- 
kosen von  25  Minuten  stärkere  Schleimvermehrung  und  beginnende  Fett- 
metamorphose in  den  Zellen  des  respiratorischen  Epithels  bemerken.  Es  ist 
daher  voi'  allen  Dingen  zu  beachten,  daß  Kranke  mit  Lungenleiden  von  jeder 
Narkose  irgendwelcher  längerer  Dauer  verschont  bleiben  müssen.  Ja  selbst 
bei  kurzen  Narkosen  muß  man  die  Lungenleiden  beachten  und  ev.  eine  andere 
Art  der  Schmerzbetäubung  bei  Lungenki'anken  wählen. 

In  den  früheren  Berichten  über  die  Wirkungsweise  des  Chloräthyls  finden 
sich  nur  sehr  wenig  pathologische  Beobachtungen.  Ruegg  fand  weder  eine 
Veränderung  an  der  Atmung  noch  am  Puls  in  der  Narkose,  ferner  daß  im 
Gehirn  zuerst  eine  Erweiterung  und  im  weiteren  Vei'lauf  der  Aetbylchlorid- 
narkose  eine  Verengerung  der  Gefäße  stattfindet.  König  fand  bei  Affen  imd 
Kaninchen  weder  das  Herz,  noch  den  Gefäßtonus,  auch  die  Atmung  nicht 
schädlich  beeinflußt.  An  Menschen  setzte  er  dann  seine  Studien  fort,  und 
konnte  gute  Resultate  erzielen,  er  beobachtete  sehr  schnell  eintretende  Anästhesie, 
geringe  Exzitation,  meist  Erschlaffung  der  Muskulatur  und  sehr  schnelles  Er- 
wachen, Herz,  Lungen  und  Nieren  wurden  nicht  schädlich  beeinflußt,  und  es 
fehlte  nach  den  Narkosen  Uebelkeit,  Erbrechen,  Kopfschmerzen.  Aber  er  hat, 
da  der  Kranke  sehr  leicht  erwacht,  das  Aethylchlorid  nicht  für  lange  Narkosen  ver- 
wendet. Wenn  man  dauei'ude  Narkose  ausführen  will,  so  stört  das  rasche  Erwachen 
sehr,  und  es  passiert  leicht,  daß  der  Kranke  während  dei'  Operation  einmal  erwacht. 
Allerdings  tritt  bei  längeren  Narkosen  auch  Erbrechen  auf,  wie  ich  beobachtet  habe, 
Uebelsein  etc.  Für  die  kurze  Narkose  ist  es  eben  auch  wegen  des  schnellen  Ein- 
tretens der  Narkose,  Fehlens  starker  Exzitation  und  Nausea  nach  der  Narkose  sehr 
geeignet  (König,  Pircher,  Fr  o  mag  et  etc.).  Das  rasche  Erwachen  ist  bei  kurzen 
Narkosen  ein  Vorteil,  während    es    bei    den  protrahierten  Narkosen    ein    großer 


—     4Ö2     ^ 

Nachteil  ist,  denn  es  kann  dann  bei  empfindlichen  Personen,  wenn  sie  in  der 
Narkose  erwachen,  der  Shock  derart  heftig  wirken,  daß  selbst  Synkope  ein- 
treten kann,  wenigstens  aber  die  weitere  Narkose  sehr  erschwert,  fast  unmöglich 
wird.  Nausea  und  Erbrechen  nach  der  Narkose  treten  nach  längeren  Be- 
täubungen auch  auf,  immerhin  sind  sie  geringer  als  beim  Chloroform  nach 
gleichlangen  Narkosen.  Die  Uebelkeit  und  das  Erbrechen  bei  dem  Narkosen- 
kater kommen  durch  den  Beiz  des  auf  die  Magennerven  durch  das  im  Magen- 
saft abgesonderte  Narkotikiim  zustande.  Da  nun  das  Chloräthj-l  in  Wasser  nur 
sehr  wenig  löslich  ist,  so  wird  auch  nach  längeren  Narkosen  nur  wenig  Ohlor- 
äthyl  im  Magensaft  erscheinen,  und  diese  Mengen  sind  sehr  gering,  dabei  ist  der 
Reiz  des  Chloräthyls  auf  die  Nerven  nicht  sehr  groß,  weshalb  Erbrechen  selten, 
Uebelkeit  nur  gering  ist.  Nach  kurzen  Narkosen  reichen  die  im  Magensaft  ab- 
geschiedenen Spuren  von  Chloräthyl  noch  nicht  hin,  um  einen  solchen  Eeiz  auf 
die  Magennerven  auszuüben.  Man  findet  auch  in  den  Epithelzellen  der  Magen- 
schleimhaut nur  sehr  wenig  Fettmetamorphose,  sehr  gering  gegenüber  den  Be- 
fimden  bei  Chloroform. 

Bei  Männern  hat  das  Chloräthyl  eine  weniger  starke  Wirkung,  als  bei 
Fi'auen,  letztere  eignen  sich  entschieden  besser  zur  Chloräthylnai'kose,  als  der 
Mann,  denn  derselbe  ist  von  Natur  aus  widerstandsfähiger  gegenüber  den 
Narkotika.  Dann  kommt  beim  Manne  noch  der  Alkoholgcnuß  in  Belraclit, 
welcher  entschieden  die  Narkose  erschwert,  denn  hochgradige  Alkoholiker 
können  überhaupt  nicht  durch  Chloräthyl  in  eine  brauchbare  Narkose  versetzt 
wei-den,  während  man  mäßige  Alkoholisten  betäuben  kann.  Frauen  und  Kinder 
sind  leichter  zu  betäuben. 

Die  Dauei'  bis  zum  Eintritt  der  Narkose  ist  nur  sehi'  kurze  Zeit,  2")  bis 
40  Sekunden,  bisweilen  schon  15  Sekunden,  und  man  braucht  hierzu  nur 
2 — 4  g.  (Malherbe,  Stepinski,  Mc.  Cardie  etc.).  Gießt  man  nun  wieder 
2  ;5  g.  auf  die  Maske,  so  kann  man  die  Betäubung  fortsetzen.  Von  manchen 
Autoren  ist  bisweilen  Erbrechen  und  Uebelseiii,  wenn  auch  weniger,  wie  nach 
(.Chloroform,  beobachtet  worden  (Mc.  ('ardie,  Lotheisen,  Piohn  etc.).  Lebet 
gibt  an,  daß  l)ei  einem  Kaninchen  bei  Zufuhr  vou  \'^  Aetbylchlorid  mit  ■'/.,  -Luft 
ein  Exzitationsstadium  von  3  Minuten  und  Anästhesie  von  6  Minuten  eintraten,  und 
daß  ein  Tier,  dem  er  oOÜ  ccm  physiol.  Kochsalzlösung  mit  7  ccm  Aethyl- 
chloi'id  in  die  Bauchhöhle  spritzte,  40  Minuten  lang  narkotisiert  war,  uutei' 
Schüttelfrost  und  Temperatur  von  32''  C,  doch  bei  Erwärmung  sich  wieder  erholte. 

Es  sind  verschiedentlich  längere  Operationen  in  Aethylchloridnarkose  aus- 
geführt worden,  doch  hat  man  wieder  davon  Abstand  genommen  und  fühi't 
nur  kurzdauernde  Betäubungen  aus  (Malherbe,  Ware,  Stockum,  Seitz, 
Severeaun,  Leonte,  Gerota,  Uristoderescu,  Bardescu,  Mc.  Cardie  etc.). 
Man  beobachtet  in  der  längeren  Narkose  vollkommene  Lähmung  der  Reflexe, 
wie  in  jeder  Narkose,  doch  ist  eben  das  Erwachen  sehr  nahe,  und  man 
hat  dadurch  Hindernisse  im  langen  Erhalten  der  Toleranz.  Nach  (Ilirai'd  be- 
steht die  Gefahr  der  Eespirationslähmuug  (Spätsj'ukope),  während  Reflexsynkope 
nicht  auftritt.  Deshalb  ist  es  weniger  gefährlich  als  Chloroform,  und  man  vei'- 
wendet  es  sehr  gut  zum  Einleiten  der  Narkose,  indem  man  mit  Aethylchlorid 
betäubt  und  nach  Eintritt  der  Toleranz  mit  Chloroform  oder  Aethei-  fortfährt, 
woduix-h  man  die  Exzitation  umgeht.     Darüber  wii'd  später  berichtet. 

Aus  alledem  geht  hervor,  daß  Äthylchlorid  für  kurze  Narkosen  sehr 
brauchbar,  aber  für  dauernde  Narkosen  vollkommen  unbrauchbar  ist.  Die  oben 
auseinande]'gesetzten  pathologischen  Einwirkungen  auf  die  inneren  Organe  vei'- 
bieten  die  längeren  Narkosen,  ebenso  soll  man  bei  schwei-en  Lungenleiden  mit 
der  kurzen  Narkose  vorsichtig  sein,  während  bei  anderen  Krankheiten  üble 
Einflüsse  nicht  zu  erwarten  sind,  sofern  die  Krankheiten  nicht  a  prioi'i  jede 
Narkose  verbieten.  Man  kann  auch  entschieden  die  kurze  Chloräthylnarkose 
der  Bromäthylnarkose  vorziehen,  denn  letztere  bietet  viel  mehr  Gefahi-en  selbst 
hei  kurzen  Eingriffen.     Es    muß    aber   bei   aller  Anerkennung  der  Vorzüge    des 


—     403     — 

Chloi-iithyls  iUU'h  immci'  Ijcdaeht  wei'dim,  daß  man  es  mit  einer  Tutoxikation 
zu  tun  hat,  die  eben  unter  gewissen  Verliältnisseu  dem  Organismus  gefährlich 
werden  kann,  denn  ohne  jede  Gefahr  ist  keine  Narkose. 

Xunmchr  soHen  die  statistischen  Verhältnisse  der  C!hloräthylnarkose  er- 
örtert wei-den.  Mau  hat  auch  von  vei-schiedenen  Seiten  auf  Todesfälle  aufmei'k- 
sam  gemacht  und  hat  (Telegenheit  gehabt,  solche  zu  beobachten.  So  hat 
Lotheisen  allei'dings  bei  einem  Potator  einen  Todesfall  erlebt,  dei'  Mann  stai'b 
nach  2  Minuten  dauernder  Kelennarkose  unter  Aussetzen  des  Pulses.  Es  wai- 
dei-  Tod  so  schnell  eingeti'cten,  daß  vom  Beginn  der  Inhalation  nur  3  Minuten 
vei'strichen  waren,  verabreicht  wurden  .5  g  Chloräthyl.  Es  fand  sich  bei  der 
Autopsie  eine  exzentrische  Hypeitroj^hie  des  Herzens  sowie  Fettdegeneration 
d(M'  Herzmuskelfasei'n,  Aiteiiosklerose  der  arteria  coronaria  etc.  Ekchymosen 
fehlten  vollkommen.  Es  haiulelt  sich  also  hierbei  um  einen  Herztod,  und  be- 
weist dieser  Fall  doch  recht  deutlich,  wie  gefährlich  die  Narkose  bei  schon 
bestehender  Fettmetamorphose  des  Herzens  werden  kann.  ICinen  anderen,  eben- 
falls dem  Athylchloi'id  zur  Last  zu  legenden  Todesfall  berichtet  Mc.  Cardie, 
welcher  einen  sehi-  schwachen  Alkoholiker  7  Minuten  lang  mit  20  g  Äthyl- 
chlorid betäubte.  Ei'  starb  l'/j  Stunde  nach  dem  Erwachen  aus  der  Narkose. 
Es  fand  sich  liei  der  Sektion  die  Striktur  der  ITrethra,  wegen  der  er  narkotisieit. 
woi-den  war,  mit  konsekutiver  Nephiitis,  ferner  chi'on.  adhäs.  Peiitonitis,  Peri- 
karditis. IMeuritis  und  Fettleber  etc.  Es  ist  also  auch  dieser  Fall  sicher  durch 
die  Wirkung  des  Äthylchlorids  zugi'unde  gegangen,  da  einerseits  die  Nephiitis, 
anderei'seits  die  Fettleber  schwer  von  dem  Chloiüthyl  verschlimmert  werden 
können,  luid  bei  denen  eine  Narkose  eben  nicht  mehr  vorgenommen  werden 
sollte.  Weitere  Todesfälle  sind  von  Bossart,  Seitz,  König  u.  a.  beschrieben 
worden,  und  mau  ersieht,  daß  eben  auch  eine  gewisse  Gefahr  bei  dieser  Narkose 
besteht,  wenn  auch  gewisse  Einwände  gegen  diese  Todeslälle  gemacht  werden 
können,  so  ist  doch  das  Äthj^lchlorid  zweifellos  mit  die  Ursache  des  Einti'ittes 
der  Todesfälle  gewesen. 

Todesfälle  sind  durch  die  Verwendung  des  Chloräthyleu  anstatt  des  Chlor- 
äthyl hervorgerufen  worden  (Kocher,  So  ulier,  Brian  etc.).  Dieser  Körper 
ist  dem  Ghlorätbyl  sehr  ähnlich  und  hat  ebenfalls  narkotische  Kraft,  doch  Avii'kt 
er  sehi-  schwer  toxisch,  und  man  muß  entschieden  wai-nen,  beide  Körpei-  nicht 
zu  verwechseln.  Soulier  und  Brian  haben  das  Chloräthylen  zu  Narkosen  ver- 
wendet und  geprüft,  doch  sind  die  Resultate  sehr  schlechte  gewesen,  und  man 
hat  dasselbe  nicht  weiter  verwendet. 

Was  nun  die  Zahl  der  Narkosen  mit  den  Todesfällen  anlangt,  so  hat  man 
folgende  Statistiken  zusammengestellt.  Seitz  hat  16  000  Narkosenberichte  ge- 
sammelt und  unter  diesen  nur  einen  Fall  genannt,  in  welchem  bei  einem 
Mädchen  nach  der  9  Minuten  dauernden  Narkose  Erbrechen  und  Übelkeit  ein- 
setzte, welches  30  Stunden  anhielt,  während  sonst  nie  Erbrechen  auftrat.  Die 
russischen  Autoren  Saweliew  und  Blank  berichten  von  überaus  häufig 
beobachteter  sehr  starker  Exzitation.  Diese  Exzitation  ist  wahrscheinlich  dui'ch 
den  starken  Alkoholgenuß,  der  bei  der  i'ussischen  Bevölkerung  Usus  ist,  be- 
gründet. Alkoholisteu  vertragen  eben  die  Narkose  mit  Äthylchlorid  wie  jede 
andere  viel  schlechter.  Wie  verschieden  die  Resultate  sind,  zeigen  die  An- 
gaben von  Brodtbeck,  welcher  die  Narkose  mit  Suggestion  verbindet  und  so 
Hunderte  von  Narkosen  ausgeführt  hat,  wobei  er  nur  sehr  wenig  Chloräthyl,  bis 


—    464     — 

0,!)  g  heniiiter,  verabreicht  für  die  ganze  Xarkose,  und  dabei  sehr  gute  Resultate 
erzielt  hat,  daiieben  hat  er  307  reine  Athj'lchloriduarkosen  verwendet,  ohne 
Nachteile  zu  gewahren. 

Lotheisen  hat  auf  17000  Narkosen  1  Todesfall  berechnet,  Mc. 
Cardie  giebt  350  Narkosen  ohne  Todesfall,  Nove-Josserand  hat  auf 
2000  Äthylchloridnarkosen  nur  einen  üblen  Zufall  von  Oyanose,  der  bald  vorübei'- 
giug,  Hanimes  hat  200  ohne  Tod,  Malherbe  170  Narkosen,  Bossai-t  157, 
Stockuni  200,  Nanu  80,  Gerota  100,  Pircher  140,  Ware  400  Narkosen  mit 
Äthylchlorid  ohne  Todesfälle  und  Nachteil  ausgeführt.  Pircher  hat  sogar 
Narkosen  von  ^4  bis  IV2  Stunden  Länge  mit  einem  Verbrauch  bis  höchstens 
45  g  Äthylchlorid  angewendet  und  hat  Kinder  von  1^2  Jahren  an  bis  Er- 
wachsene zu  72  Jahren  betäubt.  Man  ersieht  also  aus  all  diesen  Angaben  daß  die 
Moitalität  sehr  gering  konstatiert  werden  kann.  Man  muß  aber  dabei  auch  be- 
denken, daß  die  allermeisten  Narkosen  von  sehr  kurzer  Dauer  nur  wareu,  und 
daß  man  aus  so  kurzen  Narkosen  nicht  mit  völliger  Sicherheit  auf  die  wii'kliche 
Beschaffenheit  der  Einflüsse  des  Narkotikum  auf  den  Organismus  schließen  darf. 
Würde  man  z.  B.  den  Äther  nur  zu  solch  kurzen  Narkosen  verwenden,  würde 
man  also  an  Stelle  der  Äthylchloridnarkosen  den  Ätherraiisch  setzen,  so  würde 
man  jedenfalls  gar  keine  Todesfälle  zu  beklagen  haben.  Immerhin  hat  der 
Äther  bei  langen  Narkosen  eine  Mortalität  von  1:  3000 — 5000.  Man  darf  da- 
her nicht  so  ohne  weiteres  die  Chlorofoi-m-  oder  Äthernarkose  mit  dei'  Äthyl- 
chloridnarkose kurzer  Dauer  vergleichen.  Will  man  die  längere  Narkose,  die 
pi'otrahierte  Chloräthylnarkose  mit  der  Chloroformnarkose  hinsichtlich  der 
Moitalität  vergleichen,  so  würde  jedenfalls  ein  wesentlicher  Unterschied  nicht 
zu  erkennen  sein,  denn  nach  den  pathologischen  Befunden  nach  meinen  Ver- 
suchen gelangt  man  zu  der  Überzeugung,  daß  das  Chloräthyl  für  die  lange 
Narkose  kaum  eine  günstigere  Statistik  liefern  würde.  Hinsichtlich  der  kurzen 
Betäubungen  hat  man  im  Äthylchlorid  ein  Mittel,  das  sehr  wenig  Gefahren 
mit  seiner  Verwendung  verbindet. 

§  19.  Nunmehr  muß  die  Technik  der  Narkose  betrachtet  werden.  Man 
kann  zu  der  Chloräthylnarkose  jede  beliebige  Maske  nehmen  und  das  Narkotikum 
auf  den  Überzug  tropfen;  so  verAvendet  man  die  Schimmelbusch'sche  und 
Esmarch'sche  Maske.  Allein  das  Chloi-äthyl  verdampft  sehr  schnell  und  es  geht 
dabei  viel  Gas  in  die  umgebende  Luft  verloren,  das  der  Kranke  nicht  inspiriert. 
Deshalb  hat  man  geschlossene  Apparate  konstruiert,  über  die  weitei'  unten  ge- 
spi-ochen  werden  soll.  Eine  Vorbereitung  des  Kranken  ist  bei  den  kurzen 
Narkosen  nicht  nötig,  nur  bei  langen  Narkosen  muß  man  dasselbe  beachten, 
was  über  Vorbereitung  und  Lagerung  des  Kranken  im  allgemeinen  Teil  erörtert 
wurde.  Man  verwendet  das  Äthylchlorid  am  besten  unter  reichlichem  Luftzutritt. 
Die  einfachste  Methode  ist  die  mittels  einer  Kompresse,  auf  welche  man  2—4  g 
Chloi-äthyl  gießt  und  dem  Kranken  dicht  vor  Nase  und  Mimd  hält  (Mal herbe). 

Mau  kann  im  großen  und  ganzen  zwei  Arten  der  Narkose  unterscheiden,  die 
eine,  bei  der  man  das  Chloräthyl  auf  die  offene  Maske  gießt  oder  in  das  Innere 
einer  Maske,  wie  bei  der  Esmarchschen  Maske,  dies  ist  die  offene  Methode, 
während  man  weiter  wegen  der  enorm  leichten  Verdampfbarkeit  des  Äthyl- 
chloi'ids  eine  Anzahl  Apparate  koustruieit.  hat,  in  die  man  das  Chloi'äthyl  gießt, 
und  welche  durch  ihre  Bauart  das  Verdunsten  außerhalb  des  Apparates  oder  in 
die    Umgebimg     mehr     oder    weniger    verhindern.      Die    Vei'wendung    solcher 


465 


Ai)])arate  eniiöy-liL'ht  die  geschlossene  Methode.  Natürlich  kauu  man  diese  Be- 
zeichnungen nicht  wörtlich  nehmen,  es  gibt  aber  in  dieser  Hinsicht  viel  Kon- 
zessionen, die  man  ohne  weiteres  machen  muß,  und  Übergänge  sowie  Ver- 
änderungen, daß  man  nur  schwer  eine  exakte  Trennung  dieser  beiden  Gnippen 
aufrecht  erhalten  kann.  Bei  der  Behandhmg  der  Apparate  ersieht  man  auch 
die  Methoden,  weshalb  ich  nun  sofort  mit  den  Apparaten  beginnnen  und  deren 
verschiedene  Arten  schildern  werde. 

Nierikers  elastische  Maske  besteht  aus  10  Lagen  i'echtwinkelig  oder 
quadi-atisch  zugeschnittenen  Flanells,  die,  an  den  Rändern  vereinigt,  zwischen 
2.  und  3.  Lage  einen  nach  der  Nasenwurzel  sich  öffnenden  Spalt  bilden,  in  welchen 
das  Chloräthyl  eingegossen  wird.  Die  Maske  ist  durch  ein  winkeliges,  auf  den 
Wangen  und  seinen  Enden  ruhendes  Gestell  versteift,  und  wird  dui'ch  eine,  die 
oberen  Ränder  einandernähernde  Sicherheitsnadel  zu  einer  sich  der  Nase  an- 
schmiegenden Hohlkehle  formiert.  Beim  Gebrauch  wird  die  zweifache  Flanell- 
lage dem  Gesicht  aufgelegt.  Man  läßt  dabei  aus  einer  besonders  kalibrierten 
Tube  das  Chloräthyl  in  den  Lmenraum  der  Maske  fließen.  Mit  einem 
Gummiband  fixiert  man  die  Maske  an  der  Stirn  imd  kann  sie  so  leicht  nach 
oben  zurückschlagen. 

Heisted  verwendet  die  Schimmelbuschsche  Maske,  welche  er  mit 
Gummistoff  überzieht  oben  ein  Giimmirohr  in  denselben  einpassend  durch 
welches  das  Chloräthyl  eingegossen  wird.  Lotheisen  gibt  aber  den  Rat,  die 
geschlossenen  Masken  zu  vermeiden,  da  sie  zu  leicht  eine  zu  hohe  Konzentration 
der  Dämpfe  bewirken. 

Luka  empfiehlt  den  Cloverschen  Apparat  auch  für  die  Äthylchlorid- 
narkose. 

Der  meist  verwendete  Apparat  ist  der  Breuer 'sehe 
Korb.  Derselbe  besteht  aus  einem  Metallhelm,  welcher 
mittels  Gummirandes  luftdicht  auf  dem  Gesicht 
aufliegt,  und  ein  In-  und  Exspii'ationsventil  besitzt. 
Auf  dem  letzteren  sitzt  eine  Hohlkugel,  welche  einen 
schmalen  Spalt  aufweist,  durch  den  man  das  Athyl- 
chlorid  eingießt,  und  durch  welchen  auch  die  Re- 
spirationsluft eindringt.  Beistehende  Abbildung  ver- 
anschaulicht in  Figur  13(5  die  Konstruktion. 

Eine    andere  Maske  ist  die  üniversalmaske  von 
Schönemann,    die   von    dem   Chloroformapparat    ab- 
genommen ist,  und  in  welche  man  das  Drahtgestell 
mit  Gaze  oder  Mull  umwickelt  eingesetzt  hat.    Oben 
hat  die  Maske  eine  Öffnung,  durch  welche  die  Luft 
einstreicht   und    man    das  Chloräthyl  eingießt,    das   pjo-.  iSQ,  Der  Breuersche 
dann  auf  das  Drahtgestell  imd  dessen  Mullkompresse   Korb,  ein  Apparat  zur  Chlor- 
fließt.     Die    Maske    ist   von    Brodtbeck    modifiziert  äthylnarkose. 
worden,  indem  derselbe  die  Öffnung  durch  eine  Iris- 
blende verschloß,  durch  welche  man  den  Luftstrom  regulieren  kann.    In  Figur  137 
ist  die  Maske  mit  der  Irisbleu  de  abgebildet. 

Ein  größerer  Apparat  ist  von  Respinger  und  Ruegg  konstruiert  worden. 
Derselbe  besteht  aus  einer  Maske,  die  luftdicht  auf  dem  Gesicht  aufsitzt  und 
ein  Exspirationsventil  hat  neben  dem  sich  fortsetzenden  Inspirationsrohr,  das  durch 

30 


—     466     — 


137.    Maske  von  Brodtbeck,  modi- 
fizierte Schöuemannsche  Maske. 


dar. 


ein  längeres  verschiebbares  Teleskoprohr  mit  einem  Reservoir  verbunden  ist. 
An  dem  letzteren  ist  ein  Schraubenhahn,  welcher  bestimmte  Quanten  Athyl- 
chlorid  je  nach  der  Drehiing  austreten  läßt,  die  dann  in  dem  Rohr  weiter- 
strömen und  in  die  Maske  gelangen.     Weiter  befindet  sich  zwischen  Maske  und 

dem  Hahn  an  dem  Rohr  ein  In- 
spirationsluftventil. Atmet  der  Kranke, 
so  inspiriert  er  durch  das  Ventil  Luft, 
die  sich  mit  dem  Athylchlorid  aus 
dem  Reservoir  mischt  und  von  ihm 
inspiriert  wird.  Der  Hahn  läßt  pro 
^[inute  je  nach  der  Stellung  1,  2,  3  g 
Chloräthyl  entströmen.  Protrahierte 
Narkosen  kann  man  mit  dem  Apparat 
nicht  ausführen  und  für  kurze  ist  er 
reichlich  komplizi  rt. 

Weiter  hat  man  noch  den  Apparat 
der  Societe  des  Usines  du  Rhone 
zur  Ghloräthylnarkose  empfohlen,  wel- 
cher sich  aber  nur  wenig  durch  kleine 
Modifikationen  vom  Breuers  eben 
Apparat  imterscheidet.  Während  der 
Breuersche  Korb  nur  Mund  und 
Nase  bedeckt,  schließt  diese  Maske  das 
ganze  Gesicht  ein  und  stellt  insofern 
einen  weniger  vorteilhaften  Apparat 
Das  Aethylchlorid  wird  ebenfalls  durch  eine  Hohlkugel  zugeführt,  und  die 
Exspirationsluft  entweicht  diu-ch  ein  zweites  Ventil. 

Erdmann  hat  einen  von  Thiemann  in  New-York  konstruierten  Apparat  auch 
für  die  Aethylchloridnarkose  verwendet,  der  aus  Figur  138  in  seiner  Konstruktion 
zu  erkennen  ist.  Derselbe  hat  große  Aehnlichkeit  mit  dem  Apparat  von  Gl over 
und  ist  auch  nach  ähnlichem  Prinzip  gebaut.  Er  hat  den  Vorteil  ein  Exspiratious- 
ventil  am  Gesichtsteil  des  Appa- 
rates zu  besitzen  imd  erlaubt 
genaue  Regelung  der  Zufuhr  von 
Chloräthyl  mit  Luft  in  ver- 
schiedenen Konzentrationen  ge- 
mengt. Man  kann  den  Apparat 
auch  zur  Aethernarkose  verwen- 
den. 

Einen  anderen  Apparat  hat 
Ware  angegeben,  welcher  nur 
für  Chloräthyl  zu  verwenden  ist 
und  in  Figur  139  abgebildet  ist. 
Dieser  Apparat  b  steht  aus  einem 
aus  Hartgummi  gefertigten  Mund- 
stück, das  dem  Gesicht  glocken- 
förmig aufliegt  und  fest  auf  das- 
selbe paßt.  Dieser  Ha\iptteil  des 
Apparates  ist  in  der  Figur  139 
mit  A  bezeichnet  und  endet  in 
ein  Rohr,  in  das  ein  kleineres 
Rohr  B  eingefügt  werden  kann. 
Über    das    Rohr    B    fügt    man 


138.  Apparat  zur  Athylnarkose  von 
Erdmann-Tiemann. 
A  Exspirationsventil.  B  Skala  mit  Hahn  zum 
Dosieren  des  Gasgemisches.  C  Ventil  zum 
Luftzutritt.  Das  Aethylchlorid  wird  in  die 
Kammer,  an  welcher  der  Hahn  und  die  Skala 
B  angebracht  sind,  vorher  gegossen. 


467 


mittels  einer  Drahthaube,    wie  sie  in  C    dieser  Abbildung  angedeutet  ist,    etwas 
M\ill  und  steckt  das  Rohr  B  mit    dem  Mull    und    der  Drahthaube  armiert   in:  A 


ein.     So  ist  der  Apparat  zur  Narkose  fertig 
auf  das  Gesicht  und  läßt 
in  das  offene  Ende   des 
Rohres     B     das    Äthyl 
Chlorid  eintropfen. 

Zur  Äthylchloridnar- 
kose ist  auch  sehr  viel 
der  Apparat  von  Allis, 
der  Ailis-Inhaler,  ver- 
wendet worden,  welcher 
ebenfalls  zur  Ätheruar- 
kose  Verwendung  ge- 
funden hat.  Dieser  AUis- 
Inhaler  ist  in  Figur  140 
abgebildet,  luid  ist  dessen 
Konstruktion  aus  der  Abbildung  zu  erkennen. 


Man  setzt  ihn  min  dem  Kranken 


Fig.  139. 


Apparat  von  Ware 
narkose. 


für  die  Äthylchlorid- 


Man  setzt  ihn  mit  der  offenen  Seite 
auf  das  Gesicht  und  hebt  den  Deckel  D  vom  Apparat,  um  das  Athylchlorid' hinein- 
zutropfen oder  zu  gießen,  dann  schließt  man  den  Deckel  wieder.     Das  Äthylchlorid 

fließt  dann  im  Apparat  in  die  Metallfranzen  bei 
A,  welche  den  Apparat  ausfüllen,  und  verteilt 
sich  in  denselben  dabei  sehr  leicht  verdampfend. 
Durch  die  seitliche  Öffnung  D,  welche  man  je 
nach  Bedarf  wechselnd  schließen  oder  öffnen, 
oder  auch  nur  wenig  öffnen  kann,  strömt  atmo- 
sphärische Luft  in  den  Apparat.  Dieser  Apparat 
ermöglicht  eine  ganz  vorzügliche  Narkose. 

Seitz  hat  einen  Apparat  angegeben,  den 
er  nur  für  die  Chloräthylnarkose  empfiehlt.  Der- 
selbe ist  in  Figur  141  abgebildet,  von  oben 
gesehen.  Man  hat  diese  Maske  später  modi- 
fiziert, um  sie  auch  für  Chloroform  und  Brom- 
äthyl verwenden  zu  können.  Der  iipparat  be- 
steht aus  einem  Gummiüberzug  mit  Luftkissen 
für  das  Gesicht,  ein  Exspirationsventil  und  einer 
Oeffnung  für  das  Eingießen  des  ChloräThyls. 
Man  sieht  in  der  Figur  141  bei  A  den  Deckel 
der  Eingußöffnung  C,  welcher  aiif  dieselbe  ge- 
dreht werden  kann  und  Oeffnungen  enthält, 
durch  welche  die  Luft  eindringt.  B  ist  das 
Exspirationsventil  und  D  das  Rohr,  mit  welchem 
das  Luftkissen  aufgeblasen  werden  kann.  Im 
Innern  dieser  im  Bilde  von  außen  gesehenen 
Maske  befindet  sich  ein  Drahtgestell,  welches 
aus  einem  Rahmen  mit  drei  Drahtbügeln  besteht, 
die  ausgewechselt  werden  können.  Der  eine 
Bügel  paßt  in  das  Gestell  der  Eingußöffnung 
und  bewirkt  so  eine  Spanmmg  des  Gummi- 
mantels, so  daß  eine  Maskenform  entsteht.  Ein 
anderer  Bügel  stützt  das  Exspirationsventil,  die 
beiden  noch  vorhandenen  Bügel  tragen  den  Rezipienten,  welcher  direkt  unter  der 
Eingußöffnung  gelegen  ist,  sowie  eine  Gummiplatte,  welche  zwischen  dem  Rezipienten, 

30* 


Fig.  140.    .Der  AlJis-Inhaler, 
Apparat  für  Äthylchloridnarkose. 


4G8     — 


Fig.  141. 


den  man  in  der  Figur  bei  C  durchscheinen  sieht,  bedeckt  mit  einer  Gazekompresse, 
auf  welche  das  Chloräthyl  tropft,  und  dem  Gesicht  des  Kranken  angebracht  ist  und 
verhindern  soll,  daß  das  Chloräthyl  vom  Rezipienten  auf  das  Gesicht  tropft,  sowie 

daß  die  Kältewirkung  zu  stark  auf  das 
Gesicht  einwirken  kann.  Wenn  man  also 
den  Apparat  in  Tätigkeit  setzt,  wobei 
man  ebensogut  Chloroform  wie  Aethyl- 
chlorid  verwenden  kann,  nur  Aether  sulfur. 
ist  nicht  für  diese  Maske  geeignet,  so 
gießt  oder  tropft  man  das  Chloräthyl 
in  die  Oeffnung.  Dasselbe  fließt  da  auf 
die  Gaze  des  Rezipienten  und  verdunstet; 
ev.  kann  es  noch  auf  die  darunter  befind- 
liche Platte  fließen,  woselbst  es  sich 
verbreiten  und  schneller  verdampfen  kann. 
Der  Kranke  atmet  nun,  nachdem  man 
i  ,  A  die  Eingußöffmmg  geschlossen  hat,  das 
\-""  Gas  mit  mehr  oder  weniger  Luft  beige- 
mengt, je  nachdem,  wie  man  die  Platte 
A  stellt,  ein,  und  die  von  ihm  exspirierten 
Gase  verlassen  die  Maske  durch  das  Ex- 
spirationsventil  B.  Man  vermag  durch 
diesen  Apparat  eine  gutregulierbare  Kon- 
zentrierung der  Gasluft- 
gemenge zu  erreichen. 
Derselbe  ist  zusammen- 
legbar und  leicht  zu 
transportieren,  was  einen 
großen  Vorteil  bedeutet. 
Das  Chloräthyl  kann 
also,  wie  man  gesehen 
hat,  durch  sehr  verschiedene  Apparate  zur  Narkose  verwendet 
werden,  imd  man  könnte  noch  mehr  Masken  und  Apparate 
nennen,  die  filr  diese  Narkose  bestimmt  worden  sind,  aber 
es  ist  dies  zu  weitgehend,  da  alle  die  genannten  Apparate 
solche  darstellen,  welche  die  besten  sind,  und  alle  anderen  ent- 
weder nur  ]\Iodifikationen  dieser  darstellen  oder  zu  komplizierte 
und  in  der  Praxis  nicht  verwendbare  Apparate  sind.  Es  erübrigt 
noch,  einige  Blicke  auf  die  Tuben  und  Gefäße  zu  werfen,  in  denen 
man  das  Äthylchlorid  aus  der  Fabrik  erhält.  Diese  Gefäße 
werden  meist  in  Form-  von  Glastuben  hergestellt,  doch  hat 
man  auch  Metalltuben  angefertigt.  Dieselben  haben  alle  eine 
längere,  zylinderförmige  Gestalt,  so  daß  man  sie  bequem  in  der 
Hand  halten  kann.  Die  Gefäße  enden  in  einem  Hals,  welcher 
entweder  zugeschmolzen  ist,  und  für  Entnahme  des  Äthyl 
Chlorids  abgebrochen  werden  muß,  wobei  das  Äthylchlorid  so- 
fort entströmt,  durch  die  Wärme  der  die  Tube  haltenden  Hand 
wird  die  Verdunstung  noch  bedeutend  vermehrt.  Beistehende 
Figur  142  zeigt  eine  solche  Tube.  Meist  hat  man  aber  den 
Verschluß  dieser  Tuben  durch  einen  Metallansatz  ermöglicht, 
der  abschraubbar  hergestellt  ist,  und  das  Chloräthyl  durch  eine  Yig.  142.  Glas- 
ganz kleine  Öffnung  in  feinstem  Strahl  entströmen  läßt.  Die  tube  mit  zuge- 
Figur  143  zeigt  eine  Tube  mit  dem  Schraubenverschluß.  Um  schmolzenem 
nun  aber  ein  bequemeres  Öffnen  und  Schließen    der  Tuben  zu 


Maske  von  Seitz  zur  Äthyl- 
chloriduarkose. 


X>-'  n 


Hals. 


—    4r,9 


Chloraethyl  „Henning" 


Lokale  ^naesthesie-NarKose 
D-"".  G. F.  Henning  Berlin. 


Fig.  143.     Tube  mit  Schraubeuverschluß. 


erino glichen,  so  daß  mau  beinahe  eiu  tropfenweise^  Ausfließen,  ein  kleiner 
Strahl  strömt  stets  aus,  erhalten  kann,  hat  man  verschiedene  Verschlüsse  der 
Tuben  herge.stellt,  welche  durch  Hebelvorrichtungen  und  Federwirkung  ein  so- 
fortiges Öffnen  und  Schließen  der  , 
Tuben  gestatten.  So  hat  mau  den 
automatischen  Verschluß  der  Me- 
tallflasche von  Henning  in  Figur 
144.  Weiter  hat  Henning  einen 
Verschluß  konstruiert ,  wodurch 
man  durch  einen  Biomentverschlnß 
ein  leichtes  Öffnen  und  Schließen 
erreichen  kann.  Dies  zeigt  Fig445. 
Die  Flasche  in  Figur  145  ist  außer  dem  sehr  leicht  zu  brauchenden  Verschluß 
noch  durch  die  (Traduieruug  in  der  Flasche  wertvoll,  wodurch  man  erfährt, 
wieviel  Chloräthyl  man  veibraucht  hat.  Von  Thilo  &  Cie.  ist  ferner  eine  Glas- 
flasche mit  einfachem  Verschluß 
in  den  Handel  gebracht,  die  in 
Figur  146  abgebildet  und  für  die 
Narkose  sehr  brauchbar  ist,  man 
braucht  dieselbe  nicht  zu  stürzen 
und  kann  sie  auf  den  Tisch  stellen. 
Die  Funktion  ist  aus  der  Figur 
zu  ersehen.  Ein  anderer  sehr  ein- 
facher Verschluß  von  Thilo  ist 
der  in  Figur  147  abgebildete,  wel- 
cher bequeme  Verwendung  des 
Chloräthyls  gestattet.  Der  Ver- 
schluß der  Tuben  des  Kelene  der 
Societe  chimique  des  Usines  in  Lyon  ist  dem  Verschluß,  wie  er  in  Figur  148 
abgebildet  ist,  sehr  ähnlich,  fast  gleich  und  kann  hier  übergangen  werden. 
Ein  sehr  brauchbarer  Verschluß  ist  der  in  Figur  148 
abgebildete,  der  auf  jeden  Schraubenverschluß  auf- 
geschraubt werden  kann,  und  welcher  an  den  Glas- 
tuben der  Firma  Thilo  &  Cie.  in  Mainz  augebracht 
ist.  Diese  Fabrik  bringt  eines  der  besten  Prä- 
parate in  den  Handel.  Der  Verschluß  wird  durch 
einen  Hebel  mit  Feder  bewirkt  und  ist  leicht  zu 
handhaben.  Den  neuesten  und  einfachsten  Ver- 
schluß, welcher  sehr  viele  Vorteile  vor  allen  anderen, 
namentlich  dem  Schraubenverschluß  hat,  ist  der 
von  Thilo  &  Cie.  ebenfalls  verfertigte  Federkappen- 
verschluß Futura,  welcher  aus  Figur  149  zu  er- 
sehen ist.  Der  Vorleil  liegt  darin,  daß  an  der 
Tube  keinerlei  Metallvorrichtung  befestigt  ist, 
sondern  daß  der  Verschluß  durch  die  Spirale, 
welche  sich  an  den  Glasknopf  anschließt,  nach 
der  Schraubenwirkung  festgedrückt  wird.  Die 
Vorzüge    dieser  Vorrichtung    sind    leicht  ersicht- 


Fig.   144.    Ath^l^hloridfla><che  aus  Metall  mit 
automatischem  Verschluß  von  Henning. 


Fig.  145.  Äthylchloridflasche 

von  Henning  mit  Skala  und 

automatischem  Verschluß. 


470 


lieh,    man    kann  beide  Teile  leicht  reinigen,  Undichtigkeit  ist  unmöglich,  dem 
Verstopftseiu  kann  leicht  abgeholfen  werden  etc. 

Ich  habe  hier  die  gebräuchlichsten  Verschlüsse  der  Tuben  angeführt, 
weil  es  wichtig  ist,  dieselben  zu  kennen,  denn  man  wird  dieselben  einesteils 
sehr  gut  für  die  Narkose  verwenden  können,  andererseits  sind  sie  bei  der 
Verwendung  des  Äthylchlorids  zur  Erzeugung  lokaler  Kältewirkung  in  der 
Anästhetologie  wichtig.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  darauf  näher  einzugehen, 
sondern  es  werden  diese  Verhältnisse  später  erörtert 
werden,  und  ich  werde  im  zweiten  Band  hierauf  Be- 
zug nehmen.  Da  man  in  der  Praxis  oft  den  Ver- 
schluß der  Flaschen  nicht  wählen  kann,  so  muß  man 
auch  bei  der  Narkose   mit  jedem  umzugehen  wissen. 


VII.  Kapitel. 
Die  Pentalnarkose. 

§  20.  Neben  dem  Bromäthyl  und  Chloräthyl 
hat  man  zur  allgemeinen  Narkose  auch  das  Pental 
verwendet,  welches  auch  Amylen,  B-Isoamylen,  Trime- 
thyläthylen  genannt  wird  und  die  chemische  Formel 
C5  Hjo  besitzt. 

Das  Pental  wurde  1844  von  Baiard  entdeckt, 
während  Snow  im  Jahre  1856  zuerst  die  anästhe- 
sierenden Eigenschaften  des  Mittels  erkannte  und  ver- 
wertete. Nach  diesem  günstigen  Verwenden  des 
Pentals  zur  Narkose  kurze^-  Dauer  bei  Zahnextrak- 
tionen berichteten  bald  auch  andere  über  die  Brauch- 
barkeit des  Pentals  sowohl  zu  kurzen  wie  zu  längere 
Zeit  dauernden  Narkosen  (Lohmeyer,  Spiegel- 
berg, Lallemand,  Schech,  Robert,  Dittal, 
Perrin,  Duroy,  Purdes  etc.).  Snow  wendete  das 
Pental  bei  längeren  und  kürzeren  Narkosen  an  Tieren 
und  Menschen  in  ca.  100  Fällen  an,  erlebte  aber 
2  Todesfälle,  die  ihn  dann  veranlaßten,  das  Mittel 
wieder  zu  verlassen.  Dann  hat  Holländer  das 
Pental  genauer  studiert  und  vielfach  verwendet,  bis 
man  in  neuerer  Zeit  mehr  und  mehr  von  der  Gefahr 
dieser  Narkose  und  den  vielen  Nachteilen,  welche  die 
Vorteile  bedeutend  überwiegen,  überzeugt,  wieder  von 
der  Verwendung  zurückkam.  (Sick,  Kleindienst, 
Culalb,  Mercuse,  Herz-Fränkl,  Schirmer  etc.) 

\^ M — -f— —.^  y  I^^s  Pental  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  sehr 

^^-^ unangenehmem  Geruch,  leicht  beweglich  und  äußerst 

Fig.  146.  Chloräthylflasche  flüchtig,  entzündet  sich  sehr  leicht  am  Feuer  und 
von  Thilo  aus  Glas,  ste- ^j^^jg^^.  -^  ^^^  Geruch  etwas  dem  Benzin.  Das  spä- 
hend verwendbar  mit  auto-     .^      ,        ^        .   ,        .        ^  „„„       ,        r,-    -.  ,       ,•  1     • 

matischem  Verschluß  zinsche  Gewicht  ist  0,679,  der  Siedepunkt  liegt  bei 
37 — 38  oC.  Das  Pental  ist  in  Wasser  fast  gar  nicht 
löslich,  hingegen  leicht  in  Äther,  Alkohol  und  Chloroform.  Beim  Verdampfen 
des  Pentals  entsteht  Kälte,  und  so  findet  man  in  den  Masken  bei  der  Narkose 
oft  Eiskristalle  gefroren.  Ein  Vorteil  des  Präparates  liegt  darin,  daß  es  sich 
fast  gar  nicht  zersetzt,  man  kann  es  an  der  Luft  und  am  Sonnenlicht  stehen 
lassen,  ohne  eine  Zersetzung  fürchten  zu  müssen. 


-      471     — 

§  21.  Die  Wirkung:  des  Pentals  auf  den  Organismus  ist  eine  narkotische 
gleich  dem  Chloroform,  und  es  kann  mit  demselben  eine  kurzdauernde,  aber 
auch  eine  protrahierte  Narkose  erzeugt  werden.  Die  Aufnahme  in  den  Organismus 
geschieht  durch  die  Lungen,  indem  man  dem  Kranken  die  Dämpfe  mit  Luft 
gemengt  einatmen  läßt.  Infolge  seiner  geringen  Löslichkeit  in  Wasser  werden 
nur    sehr  kleine  Mengen  von  Pental  im  Blutserum  gelöst,  ein  Teil  wird  durch 


Fig.  147.    Chloräthylflasche  aus  Metall  mit  automatischem  Verschluß. 


die  roten  Blutkörperchen  aufgenommen,  so  wird  es  vom  Blut  in  das  Cerebrum 
transportiert,  wo  es  gleich  Chloroform  auf  die  nervösen  Zentren  wirkt.  Die 
narkotische  Kraft  des  Pentals  ist  ziemlich  groß,  da  die  geringen  Mengen,  welche 
im  Blute  gelöst  sind,  die  Zentren  lähmen  und  Narkose  erzeugen  können.  Das 
Pental  ist  während  der  Narkose  nur  durch  den  häßlichen  Geruch  lästig,  sonst 
hat  es  aber  die  guten  Eigenschaften,  daß  es  sehr  schnell  tiefe  Narkose  erzeugt, 
denn  es  tritt  die  Narkose  schon  nach  50 — 90  Sekunden  ein,  und  nach  der  Nar- 


472      — 


kose  fehlen  unaugeuehme  Empfindungen,  der  Kranke  fühlt  sich  ganz  wohl.  Dies 
ist  ein  Vorzug,  welcher  durch  die  geringe  Löslichkeit  im  Blute  hervor- 
gerufen wird. 

Allerdings  sollen  bisweilen  nur  unvollständige  Anästhesie  und  üble 
Nachwirkungen  auf  innere  Organe  auftreten.  Die  Reflexe  werden  bei  der  kurzen 
Narkose  meist  nicht  vollkommen  gelähmt,  es  ist  die  Willenstätigkeit  und  das 
Bewußtsein  oft  noch  erhalten,  während  Anästhesie  bestellt,  das  Auge  ist  starr, 
die  Pupille    ist    erweitert,   der'  Cornealreflex  schwindet  nicht  vollkommen.     Bei 

längerer  Narkose  werden  auch  die  Reflexe 
bis  auf  die  bekannten  wenigen,  wie  bei  jeder 
anderen  Narkose,  gelähmt.  Die  Narkose  tritt 
langsam  ein  ohne  eine  Exzitation  zu  zeigen, 
wenn  auch  Personen,  wie  Alkoholisten  etc., 
die  den  Narkotika  sehr  stark  widerstehen, 
stärkere  Exzitation  zeigen  und  oft  überhaupt 
nicht  völlig  betäubt  werden  können.  Wenn 
der  Kranke  erwacht,  so  dauert  die  Anästhesie 
noch  eine  Zeitlang  fort,  man  kann  noch 
operieren,  während  der  Patient  schon  munter 
ist,  ohne  daß  er  Schmerzen  erleidet.  Das  Er- 
wachen geht  allmählich  vor  sich,  nicht  so 
schnell  und  plötzlich  wie  bei  Bromäthyl  z.  B.; 
aber  immerhin  dauert  die  Zeit  bis  zum  völ- 
ligen Erwachen  nicht  lange. 

Die  Einwirkung  des  Pentals  auf  die 
inneren  Organe  ist  nur  wenig  studiert  worden, 
aber  man  hat  doch  sehr  bald  erkannt,  daß  das 
Rühmen  der  Ungefährlichkeit  des  Pentals, 
welches  anfangs  namentlich  von  vielen  Seiten 
eifrig  besorgt  wurde,  doch  gewisse  Ein- 
schränkungen erleiden  müsse.  Pourdes  hat 
bei  seinen  Versuchen  an  Kaninchen  Intoxi- 
kationssj'mptome  und  ein  Stadium  des  frei- 
willigen Widerstandes  gefunden,  ferner  ein 
Stadium  der  konvulsivischen  Starrheit  und 
des  Zitterns.  Nach  diesen  Erscheinungen  trat 
Anästhesie  auf,  die  2 — 3  Minuten  dauerte, 
aber  bei  fortgesetztem  Verabreichen  des 
Pentals  zur  längeren  Narkose  wie  bei  Chloro- 
form führte.  Man  hat  auch  tonische  und 
klonische  Muskelkrämpfe  häufig  auftreten 
sehen,  welche  Störungen  in  der  Respiration 
hervorriefen,  und  es  trat  in  manchen  Fällen 
sogar  der  Tod  ein.  Derselbe  erfolgt  durch 
Atemstillstand,  während  das  Herz  noch 
weiter  fortschlägt,  bis  es,  wenn  nicht  Hilfe 
kommt,  ebenfalls  sistiert  (Lalleiuand,  Perrin,  Duroy,  Spiegelberg, 
Lohmeyer  etc.).  Während  der  Inhalationen  namentlich  bei  kurze  Zeit  dauernden 
Narkosen  tritt  sehr  oft  erotische  und  fröhliche  Stimmung  auf,  die  Patienten 
lachen  und  singen  etc.  (Snow,  Egger,  Petry  etc.),  während  man  Erbrechen 
während  und  nach  der  Narkose  nur  sehr  selten  findet,  ebenso  fehlt  jeder  Kater 
nach  der  Narkose  (Snow,  Rigand,  Luton,  Debout,  Espagne,  Robert  etc.). 
Viele  Autoren  nennen  aber  vor  allem  als  große  Nachteile  den  sehr  unangenehmen 
Geruch,    der   tagelang   nach  Narkosen  die  Kranken  noch  belästigt,  und  oft  un- 


Fig.    148.      Automatischer  ..  Ver- 
schluß  der   Glastuben   für  Athyl- 
chlorid  von  Thilo  &  Co. 


—     -173 


geiiüii-eude    Auiisthesie.      (Lohmeyer,    Schuh,    Dittel,    Brauu,    Berend, 
V.  Dinureicher.  Spieg^elherg  etc.) 

Es  ist  das  Pental  zweifellos  ein  sehr  gefährliches  Mittel,  welches  die  inneren 
Organe  sehr  schwer  schädigt  und  namentlich  bei  langen  Narkosen  den  Patienten 
in  große  Gefahren  bringen  kann.  Man  hat  zwar  angegeben,  daß  Herz-  und 
Atemtätigkeit  nicht  übel  beeinflußt  wurden  (Holländer,  Hägler  etc.),  doch 
haben  andere  durch  Experimente  nachgewiesen,  daß  Herz  und  Blutzirkulation  sehr 
deprimiert  werden  (Calalle,  Mercuse  etc.). 
Um  ein  klares  Bild  von  der  Wirkung  des 
Pentals  zu  erhalten,  habe  ich  genaue  Unter- 
suchungen an  Tieren  angestellt  iind  ge- 
funden, daß  neben  den  guten  Eigenschaften 
dem  Pental  schwer  toxische  Wirkungen  an- 
haften. Bei  der  längeren  Narkose  wird 
stets  der  Blutdruck  bedeutend  herabgesetzt, 
die  Blutdruckkurve  sinkt  ganz  bedeutend  unter  die 
Normalblutdruckhöhe.  Es  weiden  aber  noch  andere 
Einwirkungen  ersichtlich,  so  daß  man  aus  allem  den 
Eindruck  erlangt,  daß  das  Pental  ein  sehr  toxisches 
Narkotikum  darstellt.  Ich  habe  auch  mit  dem  Pental 
dieselben  Untersuchungen,  wie  ich  sie  mit  Chloro- 
form etc.  angestellt  habe,  vorgenommen  und  habe 
eine  günstige  Ein\\irkung  auf  die  inneren  Organe 
nicht  gefunden.  Ich  brauche  hier  die  Versuche  nicht 
näher  zu  schildern,  da  ich  dies  schon  bei  der  Behand- 
lung der  anderen  gebräuchlichen  Narkotika  getan 
habe.  Somit  will  ich  nur  die  Resultate  hier  an- 
führen. Es  fand  sich  eine  hochgradige  zerstörende 
Einwirkung  des  Pentals  auf  die  lebenden  Zellen. 
Diese  das  Leben  vernichtenden  Einwirkungen  be- 
stehen in  der  Erzeugung  von  Fettmetamorphose, 
ausgehend  in  Nekrose  und  Zerfall  der  Zellen.  Man 
fand  diese  Fettmetamorphose  auch  stark  in  den  Blut- 
gefäßwandungen des  Cerebrum  und  in  den  Ganglien- 
zellen. Natürlich  sind  diese  Veränderungen  so  hoch- 
gradig nur  nach  längeren  Narkosen  oder  öfter  wieder- 
holten gefunden  worden.  In  dem  Herzen  fand  sich 
ebenfalls  eine  ausgedehnte  Fettmetamorpbose  der 
Herzmuskelfaser,  die  Querstreifung  war  untergegangen 
und  die  Fettmetamorphose  im  Herzen  trat  nicht 
zurück  hinter  der  Chloroformwirkung.  In  den  Lungen 
fanden  sich  ganz  besonders  hochgradige  Verände- 
rungen, die  einerseits  in  der  Schädigung  der  Zellen 
des  respiratorischen  Epithels,  andererseits  in  einer 
vermehrten  Schleimabsonderung  infolge  Reizung  der 

Bronchialschleimhaut  bestanden.  Sehr  stark  war  die  Fettmetamorphose  in 
Leber  und  Nieren  zu  finden.  Daselbst  konnte  man  neben  der  reichlichen  Fett- 
ansammluug  auch  ausgedehnte  Nekrose  und  Zerfall  der  Leberzellen,  nament- 
lich  in   der  Peripherie  der  Acini,  finden.     In  den  Nieren  war  die  Nekrose  und 


Fig.  149.     Federkappen- 
verschluß   Futura     von 
Thilo  &  Co.  lür  Chlor- 
äthyltuben. 


—     474     — 

der  Zerfall  der  Epithelien  besonders  in  den  Tubuli  contorti,  nicht  so  stark  in 
den  recti,  während  in  den  Zellen  der  Pja-amiden  weniger  Fettmetamorphose, 
Zerfall  und  Nekrose  anzutreffen  waren,  sowie  in  den  Glomeruli  selbst  voll- 
kommen fehlten.  Die  Glomeruli  waren  aber  verkleinert,  sie  zeigten  einen 
großen  leeren  Raum  zwischen  Kapsel  und  Glomerulus,  was  als  Folge  eines 
Exsudates  anzusehen  ist,  daneben  war  in  den  Glomeruli  wie  in  der  ganzen 
sonstigen  Niere  sehr  starke  Hyperämie  vorhanden,  und  man  fand  im  Nieren- 
gewebe sowie  unter  der  Kapsel  oft  Hämorrhagien.  Auch  in  der  Leber  fand 
sich  starke  Hyperämie  und  reichliche  Hämorrhagien  in  das  Gewebe  und  unter 
die  Kapsel.  Diese  Veränderungen  an  den  inneren  Organen  sind  beim  Pental 
sehr  hochgradig,  ja  man  kann  sagen,  sie  fanden  sich  fast  stäi'ker  als  nach 
Chloroform,  wenigstens  waren  sie  den  Bildern  der  Veränderungen  nach  ent- 
sprechenden Chloroformnarkosen  vollkommen  gleich.  Man  kann  aus  diesen 
Veränderungen  entnehmen,  daß  Pental  viel  schwerer  toxisch  wirkt,  als  Chloroform, 
denn  bei  der  Pentalnarkose  kommen  infolge  der  schweren  Löslichkeit  des 
Pentals  im  Wasser  nur  sehr  geringe  Mengen  in  das  Blut,  also  muß  die  Wirkung 
eine  viel  intensivere  sein,  wenn  diese  geringen  Mengen  schon  genügende  Nar- 
kose und  so  starke  Veränderungen  wie  Chloroform  erzeugen.  Es  geht  daraus 
hervor,  daß  man  das  Pental  vor  allem  nicht  zur  protrahierten  Narkose  verwenden 
darf,  denn  je  länger  die  Einwirkung  dauert,  um  so  größer  ist  die  Gefahr,  um 
so  schwerer  wirkt  das  Pental  auf  die  inneren  Organe  ein,  um  so  größer  ist  die 
Gefahr,  daß  schwere  Störungen  in  den  physiologischen  Funktionen  der  Organe 
entstehen,  welche  durch  die  Fettmetamorphose  etc.  hervorgerufen  werden.  Des- 
halb ist  Pental  nicht  zu  langen  Narkosen  geeignet. 

Ähnliche  Beobachtungen  sind  auch  von  anderen  Autoren  gemacht  worden, 
so  hat  Natalie  Kleindienst  nach  den  Pentalnarkosen  schädliche  Einflüsse 
auf  die  Nieren  beobachtet.  So  fand  sich  nach  12  Narkosen  achtmal  Eiweiß  im 
Harn,  und  zwar  bis  zu  6*'/q,  zweimal  Blut.  Auch  von  anderen  Seiten  ist  über 
unangenehme  Eigenschaften  des  Pentals  berichtet  worden  (Herz-Fränkl, 
Mercuse,  Schirmer  etc.),  und  man  hat  auch  eineReihe  von  Todesfällen  beobachtet. 
Snow  hat  zwei  Todesfälle  erlebt,  Sick  ebenfalls  2,  Gurlt  hat  in  seiner 
Narkosenstatistik  eine  Sterblichkeit  des  Pentals  von  1  :  213  berechnet,  ein  Ver- 
hältnis, das  recht  schlecht  erscheint  gegenüber  dem  der  anderen  Narkotika,  in 
einer  anderen  Statistik  hat  er  auf  600  Narkosen  3  Todesfälle,  Snow  auf 
238  Pentalnarkosen  2,  Stellard  auf  149  Narkosen  1  Todesfall  berechnet.  Alle 
diese  Zahlen  zeigen  recht  schlechte  Verhältnisse  an  und  man  erkennt  daraus 
die  große  Gefahr,  welche  in  der  Pentalnarkose  gelegen  ist.  Holländer  erlebte 
hingegen  bei  seinen  vielen  Narkosen  keinen  Todesfall.  Immerhin  stellt  die 
Pentalnarkose  eine  sehr  gefährliche  Methode  dar,  welche  man  nicht  wählen  soll, 
da  man  weniger  gefährliche  Mittel  zur  Verfügung  hat.  Namentlich  bieten  lange 
Narkosen  große  Gefahren,  weshalb  man  nur  zu  kurzen  Betäubungen  Pental  im 
Notfall  anwenden  soll. 

§  22.  Die  Technik  der  Narkose  ist  einfach,  mau  verwendet  eine 
Esmarchsche  Maske  und  tropft  das  Pental  auf  dieselbe.  Holländer  bediente 
sich  des  Junkerschen  Apparates,  da  das  Pental  sehr  leicht  verdunstet.  Auch 
andere  Masken  und  Apparate  sind  brauchbar.  Es  genügen  schon  8 — 10  ccm 
des  Mittels,  um  Narkose  zu  erzeugen.  Natürlich  muß  eine  vorsichtige  Auswahl 
der  Patienten  für  diese  Narkose  stattfinden.     Alle  Herz-  und  Lungenleiden  sind 


—     475     — 

Kontraiudikationeu  für  die  Narkose.  Mau  soll  dieselbe  nur  bei  gauz  gesuudeu 
Menschen  für  ganz  kurzdauernde  Operationen  verwenden  und  soll  alle  Vorsichts- 
maßregeln b(!acliten,  welche  für  jede  Narkose  beachtet  werden  müssen,  sowie 
Sorge  tragen,  neben  dem  Pental  reichlich  Luft  dem  Kranken  zu  verabfolgen. 
Man  muß  natürlich  darauf  achten,  nur  ein  reines,  gut  hergestelltes  Präparat  zu 
verwenden,  da  die  Verunreinigungen  natürlich  schwere  Gefahren  bringen  können. 
Cook  gibt  den  Rat,  längere  Narkosen  mit  Pental  nur  in  Rückenlage  des  Kranken 
auszuführen,  da  die  depressive  Einwirkung  des  Peutals  auf  das  Herz  in  dieser 
Lage  besser  bekämpft  wird. 


VIII.  Kapitel. 
Die  Chloralhydratnarkose. 

§  23.  Das  Chloralhydrat  ist  in  der  Medizin  in  verschiedener  Hinsicht 
zu  therapeutischen  Zwecken  verwendet  worden,  wobei  man  immer  die  narkotische 
Eigenschaft  des  Chloralhj^drats  verwendete  imd  bei  den  Erfahrungen,  die  man 
dabei  machte  hat  sich  herausgestellt,  daß  die  Wirkung  des  Chloralhydrates  sich 
sehr  gut  in  der  Chirurgie  zur  Erzeugung  allgemeiner  Narkose  verwenden  läßt. 
Das  Chloralhydrat  stellt  ein  Narkotikum  dar,  und  hat  in  dieser  Hinsicht  manche 
Ähnlichkeit  mit  dem  Chloroform.  Die  chemische  Zusammensetzung  desselben 
ist  durch  die  Formel  C.^  Hj  CI3  0.^  ausgedrückt,  es  ist  ein  fester,  kristallinischer 
Körper,  welcher  in  Wasser  leicht  löslich,  ist,  an  der  Luft  verdunstet  und  einen 
stechenden,  scharfen  Geruch  hat,  durch  Luft,  Licht  und  Wärme  zersetz 
wird.  Man  muß  diese  Eigenschaften  kennen,  denn  man  darf  das  Chloralhydrat 
nicht  in  Form  von  Pulvern  in  den  üblichen  Papierbeuteln  aufbewahren,  sondern 
man  darf  dasselbe  nur  in  gut  verschlossenen  Glasgefäßen  von  braunem  Glase 
aufheben. 

Das  Chloralhydrat  wurde  1832  von  Liebig  entdeckt,  und  von  Dumas 
und  Städeler,  sowie  besonders  von  Liebreich  hinsichtlich  seiner  nar- 
kotischen Kraft  empfohlen.  Das  Chloralhydrat  wirkt  sehr  stai-k  reizend  in 
reinem  Zustande  und  hat  einen  überaus  scharfen,  imangeuehmen  Geschmack. 
Von  Lambert  wurde  dasselbe  in  England  vor  allen  Dingen  zur  Schmerz- 
betäubung in  der  Geburt  verwendet  und  empfohlen.  Es  soll  für  Mutter  und  Kind 
vollkommen  ungefährlich  sein  und  die  Kontraktionen  des  Uterus  nicht  schädigen 
(Pelissier,  Bourdon  etc.).  Saint  Germain  empfahl  dasselbe  1869  gegen 
Eklampsie.  Wenn  man  auch  hier  und  da  das  Chloralhydrat  verwendete,  allge- 
meine Anwendung  fand  es  nicht  in  der  Chirurgie,  erst  1872  wandte  Ore  zuerst 
das  Chloralhydrat  intravenös  an,  indem  er  eine  Lösung  von  Chloralhydrat  als 
Antidot  gegen  Strychninvergiftung  empfahl,  und  1874  erzeugte  er  auf  diese 
Weise  eine  längere  Narkose  für  größere  chirurgische  Operationen  (Krebsoperationen, 
Ovariotomien,  Knochenoperationen  etc).  Er  injizierte  4 — 10  ccni  einer  0,25  °/oigen 
Lösung  des  Chloralhydrats  in  die  Armveneu.  Er  empfiehlt  die  Lösung  mit 
einigen  Tropfen  einer  Lösung  von  Natron  carbonicum  zu  neutralisieren,  lang- 
sam in  die  Vene  zu  injizieren.  Er  erhielt  bei  dem  ersten  Versuch  eine  tiefe 
Narkose  von  3  Stunden  Dauer,  welcher  ein  mehrstündiger  tiefer  Schlaf  folgte. 
Die  Gefahr  liegt  hierbei  in  Gerinnselbildung  und  Embolien.  Die  Injektion  mixß 
sehr  langsam  vor  sich  gehen.  Allein  man  erlebte  auch  Todesfälle  an  Synkope. 
Vulpian  fand  bei  Hunden  nach  den  intravenösen  Injektionen  Hämaturie, 
Colin  Synkope,  Tillaux  uud  Cruveilhier  sahen  Gerinnselbildung  und  Embolien. 
Glückliche  Narkosen  ohne  Exzitation  und  ohne  Nachteile  bei  vollkommener 
Anästhesie  werden  von  Deneffe  und  Wetter  berichtet.  Lanelougue  aber  sah 
nach  einer  solchen  Narkose  48stündige  Anurie  und  Gerinnsel  in  der  Vene,  in  einem 


—      47fi      — 

anderen  Falle  heftige  Exzitation  und  Auf regnug-  vor  Eintritt  der  Toleranz,  nach  dem 
Erwachen  Thronibeubildung  und  starke  Exzitation,  ferner  einen  Todesfall  an 
Sj'ukope,  nachdem  er  6  g  Chloralhydrat  injiziert  hatte.  Es  war  dieser  Todesfall 
auf  65  Narkosen  berechnet,  also  ein  Verhältnis  von  1 :  65,  das  sehr  schlecht  ist. 

Man  erklärte  die  bei  der  venösen  Injektion  auftretenden  Synkopefälle  als 
durch  die  direkte  Berührung  des  Chlorais  mit  dem  Endokard.  Daraufhin  wurde 
von  Eichet  empfohlen,  das  Chloral  intraperitoneal  zii  injizieren.  Er  verwendete 
dies  bei  Tieren  und  injizierte  0,5  g  Chloral  pro  kg  des  Tieres.  Bei  dieser 
Methode  ei-reichte  er  vollkommene  Anästhesie,  ohne  je  Gefahren  und  unangenehme 
Nebenwirkungen  zu  finden. 

Die  Narkose  mit  Chloralhydrat  ist  keine  eigentliche  Inhalationsnarkose, 
wie  die  Chloroformnarkose  es  ist,  sondern  man  muß,  um  eine  Betäubung  über- 
haupt erreichen  zu  können,  das  Choralhydrat  auf  andere  Ai't,  als  die  übliche, 
in  die  Blutbahn  bringen,  da  das  Chloral  nur  so  schwer  verdampft,  daß  man  die 
Dämpfe  normaliter  nicht  verwerten  kann.  Man  wird  aber  noch  weiter  unten 
ersehen,  daß  bei  der  Chloralnarkose  gewisse  Ähnlichkeiten  mit  den  Inhalations- 
narkoseu  bestehen.  Man  hat  neben  den  obengenannten  Methoden,  das  Chloral 
auch  per  rectum  dem  Organismus  einverleibt. 

§  24.  Man  erreicht  durch  die  Chloralwirkung  eine  vollkommene  Narkose,  in  der 
man  alle  4  Stadien  findet,  wobei  das  2.  Stadium  meist  nur  gering  ist,  während 
die  Zeit  bis  zum  Eintritt  der  Toleranz  ziemlich  lang  ist.  Das  Chloral  lähmt 
die  Keflexe,  es  erlöscht  aber  die  Sensibilität  der  Cornea  eher  als  die  der  Haut 
des  Organismus,  ein  Umstand,  der  gerade  entgegen  den  Verhältnissen  bei  der 
allgemeinen  Narkose  sich  zeigt.  Die  Temperatur  des  Kranken  wird  während 
der  Narkose  stark  vermindert,  sie  wird  sogar  bisweilen  stärker  herabgesetzt, 
als  in  der  Chloroform-  oder  Athernarkose. 

Das  Chloralhydrat  wirkt  auf  das  Herz  sehi'  nachteilig  ein,  man  hat 
plötzliche  Todesfälle  als  Synkope  in  der  Narkose  beobachtet  und  hat  gefunden, 
daß  das  Choral  stark  depressiv  auf  das  Herz  wirkt,  der  Blutdruck  wird  in  der 
Narkose  sehr  stark  herabgesetzt  und  fällt  tief  unter  die  Normaldruckhöhe,  wo- 
bei man  deutlich  ziemlich  hohe  Remissionen  beobachten  kann,  so  daß  die  Blut- 
dnickkurve  große  Ähnlichkeit  mit  der  des  Chloroform  zeigt.  Ich  habe  darüber 
einige  Versuche  angestellt  und  fand  die  Verhältnisse  genau  so.  Aus  der  Kurve 
in  Eigur  150  ersieht  man  die  Ähnlichkeit  der  Einwirkung  des  Chlorais  mit  der 
des  Chloroforms.  Die  Kurve  ist  während  einer  2  Stunden  dauernden  Chloral- 
hydratnarkose  aufgenommen  worden,  man  sieht  an  ihr  vor  allem  das  starke 
Sinken  des  Blutdruckes  und  die  starken  Remissionen. 

Dieser  Einfluß  auf  den  Blutdruck  macht  sich  auch  in  der  Pulsbeschaffen- 
heit bemerkbar,  derselbe  wird  klein,  schwach  und  langsam,  bisweilen  irregulär. 
Neben  dieser  Beeinflussung  des  Blutdruckes  wird  auch  die  Atmung  stark  ver- 
flacht, unregelmäßig,  der  Kranke  atmet  nur  sehr  oberflächlich. 

Die  Narkose  mit  Chloralhydrat  entsteht  genau  wie  die  Chloroform- 
narkose, mit  der  sie  große  Ähnlichkeiten  aufweist,  indem  das  Chloral  vom  Blut 
nach  dem  Cerebrum  transportiert  wird  und  dort  Veränderungen  in  den  Chole- 
stearin-Lezithingemischen  der  Ganglienzellen  erzeugt,  wodurch  die  Narkose 
entsteht.  Es  ist  der  Mechanismus  der  Chloralnarkose  so  zu  denken,  daß  das 
in  das  Blut  aufgenommene  Chloralhydrat  in  andere  chemische  Verbindungen 
umgesetzt  wird,  wobei  aus  dem  Chloral  Chloroform  entsteht.  Man  hat  dem- 
nach   bei    dieser  Narkose   nicht    eigentlich   eine  Chloral-    als    eine    Chloroform- 


—     477     — 

narkose.  Es  ist  nach  ineiueu  UntersiKhuugeu  «j-aiiz  sicher,  daß  aus  dem  Chloral- 
hj'drat  im  Orgaiiismns  Chloroform  entsteht,  und  daß  die  Wirkung  des  Chlorals 
nur  auf  den  im  Blut  entstandenen  Chloroforniniengen  beruht.  Ich  habe  diese 
Ansicht  aus  den  nachher  zu  erläuternden  Befunden  erhalten.  Auf  diese  Art 
kann  man  sich  manche  Erscheinungen  in  der  Chloralnarkose  erklären.  Es 
kommen  also  in  die  cerebralen  Zentren  Chloroformmengen,  welche  daselbst 
wirken  und  von  dort  wieder  weitergeführt  werden,  um  in  den  Lungen,  Nieren 
und  Drüsen  wieder  eliminiert  zu  werden.  Es  erklärt  sich  hieraus  der  Umstand, 
daß  die  Chloralnarkose  nur  sehr  langsam  auftritt,  und  daß  es  am  besten  wirkt, 
wenn  man  es  direkt  ins  Blut  odei-  die  Bauchhöhle  bringt,  während  durch 
Applikation  durch  den  Magen  odei'  Darm  Narkose  nicht  erreicht  werden  kann. 
De  geschieht  deshalb,  weil  vcm  Magen  und  Daim  aus  nur  wenig  Chloral  ins 
gelangt,    also    zu    wenig,    um    genügend    Chloroform    zu  bilden,  welches 


Fla".  1'"'0      Blutdruckkurve  während  der  Chloralhj^dratuarkose. 


bei  dem  fortwährenden  Eliminieren  von  Chloroform  durch  die  Lungen  etc.  ge- 
nügt, um  Narkose  zu  erhalten.  Man  müßte  zu  diesem  Zweck  zu  große  Mengen 
von  Chloral  in  den  Magen  bringen,  welche  daselbst  Schaden  anrichten  würden, 
wollte  man  Narkose  erreichen.  Somit  ist  es  nur  möglich,  das  Chloral  intravenös 
oder  peritoneal  zu  injizieren.  Wenn  man  die  Exspirationsluft  der  Tiere  genau 
sammelt  und  untersucht,  kann  man  die  darin  enthaltenen  geringen  Mengen  von 
Chloroform  nachweisen.  Die  Umsetzung  des  Chlorals  im  Blute  geht  uicht  schnell 
vor  sich,  sondern  braucht  längere  Zeit,  weshalb  auch  die  Narkose  langsam  beginnt 
und  lange  Zeit  anhält.  Man  hat  diese  Theorie  verworfen,  Aveil  es  nicht  geglückt  war, 
in  der  Eespirationsluft  Chloroform  nachzuweisen.  Dem  entgegen  ist  es  mir  ge- 
lungen, Chloroform  einwandfrei  zu  finden,  allerdings  sind  die  Mengen  Chloro- 
form in  der  Respirationsluft  so  gering,  daß  man  nur  schwer  nachweisbare 
Spuren  findet.  Man  kann  sich  aber  auch  vorstellen,  daß  diese  exspirierten 
Chloroformmengen  nur  sehr  gering  sind,  denn  zur  Narkose  auf  diese  Art  sind 
im  Blute  nur  so  geringe  Mengen  von  Chloroform  erforderlich,  daß  man  den 
geringen  Teil,  der  durch  die  Lungen  exspiriert  wird,  nur  selten  und  schwer 
nachAveisen  kann. 


—     478     — 

Meine  Versuche  haben  erwiesen,  daß  Chloral  genau  wie  Chloroform 
wirkt,  und  daß  man  die  Befunde  nach  Chloralnarkosen  g-enau  mit  denen 
nach  Chloroform  identifizieren  kann.  Die  Veränderungen  im  Gehirn  waren 
nach  Chloralnarkosen  sehr  deutlich  zu  finden,  ich  konnte  sowohl  in  den 
Wandungen  der  Blutgefäße,  Kapillaren  wie  größeren  Gefäßen,  reichlich  Fett- 
metamorphose stellenweise  finden,  als  auch  in  den  Ganglienzellen  deutliche  Fett- 
tropfen nachweisen,  die  auf  die  Chloralwirkung  deuteten.  Es  waren  diese  Befunde 
so  hochgradig  nach  Chloralnarkosen  gleicher  Dauer,  wie  die  nach  Chloroform- 
narkosen, so  daß  eine  Ähnlichkeit  der  Wirkung  nicht  zu  verkennen  war.  Das 
Fett  in  den  Wandungen  der  Blutgefäße  war  in  Haufen  vorhanden,  fand  sich 
stellenweise  in  den  Gefäßwandungen  und  verdickte  daselbst  die  letztere,  so  daß 
eine  Verwölbung  der  Wandung  entstand.  Die  Gefäßwand  war  an  diesen  Stellen 
dadurch  verändert,  daß  diese  Zellen,  in  denen  die  Fettmetamorphose  vor  sich 
gegangen  war,  zugrunde  gingen  und  somit  eine  Verdünnung  der  Wand  be- 
vdrkten,  welche  zu  Aneuiysmabildung,  ev.  zu  Eiipturen  und  Hämorrhagien  Anlaß 
geben  konnte.  Diese  Fettmetamorphose  ist  auch  in  den  Zellen  der  Kapillaren 
zu  finden,  bei  größeren  Gefäßen  in  den  Zellen  der  Intima  und  Media.  Auf  den 
Querschnitten  sieht  man  das  Fett  einen  Teil  der  Gefäßwand,  ^4  tiis  Vs  des 
Kreises,  einnehmen,  auf  Längschnitten  sieht  man  Haufen  schwarzen  Fettes  in 
der  Wand  stellenweis  liegen. 

In  dem  Herzen  fanden  sich  ebenfalls  schwere  Veränderungen  an  den 
Herzmuskelfasern.  Man  fand  nach  langen  und  häufigen  Narkosen  die  Quer- 
streifimg  verwaschen  oder  ganz  aufgehoben,  undeutlich,  daneben  in  den  einzelnen 
Fasern  feine  Fetttropfen,  welche  hier  in  feinstem  Korn  gleichmäßig  über  die 
ganze  Muskelfaser  verteilt  war,  dort  in  Haufen  von  Tropfen  feinen  bis  mittel- 
feinen Kornes  in  länglichen  Haufen  bipolar  der  Kerne  der  Muskelfasern  ange- 
ordnet. Diese  letztere  tj'pische  Anordnung  des  Fettes  war  in  fast  allen  Muskel- 
fasern mehr  oder  wenigeV  deutlich  zu  finden,  man  sah  aber  auch  daneben  Fasern, 
welche  ganz  und  gar  mit  feinen  Fetttropfen  durchsetzt  waren.  Es  war  im 
Herzen  sehr  starke  Fettmetamorphose  der  Muskelfasern  zu  finden,  welche  in 
Ausdehnung  und  Charakter  ganz  der  nach  Chloroformnarkosen  entsprach. 

Sehr  starke  Veränderungen  fanden  sich  in  der  Leber  und  den  Nieren. 
Die  Fettmetamorphose  der  Leber  war  äußerst  hochgradig,  es  war  eine  so  aus- 
gedehnte, intensive  Veränderung  der  Leberzellen  zu  finden,  daß  man  erstaunt 
ist,  wenn  man  diese  Befunde  mit  denen  nach  Chloroform  vergleicht,  über  die 
Ähnlichkeit.  Die  Leberveränderung  zeigt  das  bekannte  Bild,  sehr  viel  Fett 
in  feineu  Tropfen  bis  zu  großen  in  und  neben  den  Leberzellen.  In  der  Peripherie 
der  Acini  ist  sehr  ausgedehnte  Nekrose  und  Zerfall  der  Leberzellen  zu  sehen, 
Bilder,  wie  sie  nach  langen  und  häufigen  Chloroformnarkosen  auch  gefunden 
wurden.  Im  Zentrum  der  Acini  sind  die  Leberzellen  meist  noch  besser  erhalten, 
zeigen  aber  viel  Fett.  Schon  nach  einei-  P/'a— 2  Stunden  langen  Chloralhydrat- 
narkose  war  in  der  Leber  viel  Fett  zu  finden,  das  natürlich  durch  eine 
folgende  Narkose  bedeutend  vermehrt  wird.  In  den  Nieren  war  ebenfalls  das 
Bild  der  Chloroformwirkung  deutlich,  denn  es  fand  sich  nach  mehreren  Narkosen 
in  den  Zellen  der  Tubuli  contorti  reichlich  Fettmetamorphose  und  Nekrose  mit 
Zerfall  der  Epithelien.  In  den  Tubuli  recti  findet  sich  nur  starke  Fettmeta- 
morphose, während  hier  die  Nekrose  noch  wenig  oder  doch  gar  nicht  vor- 
handen ist.  In  den  Glomeruli  ist  kein  Fett  oder  nur  sehr  wenig,  hier  und  da 
ein  Tropfen,  zu  finden.  Dagegen  ist  um  den  Glomerulus  ein  großer  freier 
Hof,  welcher  das  Resultat  eines  Exsudates  in  dem  Raum  zwischen  Glomerulus 
und  Kapsel  darstellt.  In  den  anderen  Bezirken  der  Nieren  findet  sich  nur 
wenig  Nekrose  der  Epithelien,  während  Fettmetamorphose  auch  dort  zu  finden 
ist.  Weiter  habe  ich  in  den  Nieren  wie  in  der  Leber  starke  Hyperämie  und 
reichlich    Hämon-hagien    in    das    Leber-    und    Nierengewebe,    sowie   unter    die 


—     479     — 

Kapsel  gefuudcu.  ^fan  Jiudet  die  Fettmetamorphose  natürlich  nach  einer  langen 
Narkose  weniger  stark,  als  nach  2,  8  oder  mehreren  Narkosen  in  Zwischeii- 
räninen  von  12 — 24  Stunden  ausgeführt,  so  daß  die  Veränderungen  von  der 
einen  Narkose  noch  nicht  abgeheilt  waren,  als  schon  die  zweite  Narkose 
folgte  etc.  Die  Vergleiche  der  Bilder  mit  denen  nach  Chloroformnarkosen 
haben  ergeben,  daß  eine  auffallende  Ähnlichkeit  besteht. 

Die  Untersuchung  des  Magens  dieser  mit  Chloralhydrat  narkotisierten 
Tiere  ergab  die  sehr  reichliche  Anwesenheit  von  Fett  in  den  Zellen  der  Magen- 
drüsen sowie  der  Schleimhaut.  Es  faud  sich  das  Fett,  welches  man  normaliter 
ja  in  diesen  Zellen  landet,  bedeutend  vermehrt,  so  daß  man  annehmen  mußte,  dieses 
Fett  sei  von  dem  Chloral  erzeugt.  Es  ist  kein  Zweifel,  daß  diese  Annahme  richtig 
ist,  und  den  Vorgängen  entspricht,  und  man  kann  daraus  schließen,  daß  das  Chloral 
im  Magen  Chloroform  absondert,  welches  diese  Veränderung  der  Magendrüseu- 
epithelien  erzeugt.  Weiter  ist  auch  ein  Zeichen  für  die  Richtigkeit  dieser  Be- 
hauptung das  in  und  nach  der  Chloralnarkose  auftretende  Erbrechen,  Es  werden 
durch  die  Magendrüsen  Chloroformmengen  in  den  Magensaft  abgesondert  und 
dieselben  erregen  daselbst  Erbrechen  und  Übelkeit.  Diese  Mengen  von  Chloro- 
form sind  gering,  aber  immerhin  genügend,  um  einerseits  Fettmetamorphose  in 
den  Zellen,  andererseits  eine  Reizung  der  Nervenendigungen  in  der  Magen- 
schleimhaiit,  welche  das  Erbrechen  etc.  erzeugt,  hervorzurafen.  Diese  Befunde 
am  Magen  und  den  Magendrüsen  zeigen  wiederum  eine  deutliche  Ähnlichkeit 
mit    den    Veränderungen   im  Magen   nach    und    bei    der  Chloroformnarkose. 

Viel  intensiver  ist  die  Einwirkimg  des  Choralhydrats  auf  die  Lunge  und 
den  Atmungstraktus.  Im  Anschluß  an  die  Befunde  im  Magen  ist  es  der  Ort, 
auch  die  Verhältnisse  im  Mund  und  Rachen  zu  erörtern.  Da  dieselben  aber 
sehr  viel  Bedeutung  für  die  Lungentätigkeit  besitzen,  so  erwähne  ich  diese 
Einflüsse  des  Chlorals  hier.  Es  sind  die  Einflüsse  des  Chlorals  hier  vor  allem 
in  der  Anregung  der  Speichelsekretion  zu  finden.  Man  bemerkt  die  eigentlich 
nicht  erwartete  Tatsache,  daß  die  Speicheldrüsen  im  Munde  zu  vermehrter 
Speichel-  und  Schleimproduktion  angeregt  werden.  Man  kann  dies  leicht  beob- 
obachten,  wenn  man  ein  Tier  mit  Chloral  narkotisiert  und  wähi^end  der  Narkose 
so  lagert,  daß  der  Speichel  aus  dem  Maule  herausfließt,  also  mit  schräg  herab- 
hängendem oder  tiefer  als  die  Brust  liegendem  Kopfe.  Nachdem  die  Narkose 
einige  Zeit  gedauert  hat,  bemerkt  man  eine  große  Menge  von  Speichel  aus  dem 
Maule  herausfließen,  dieser  Speichel  ist  entschieden  sehr  stark  vermehrt. 

Was  nun  die  Lunge  selbst  anlangt,  so  habe  ich  bei  meinen  Versuchen 
Sorge  getragen,  daß  dieser  Speichel  und  Schleim  nicht  in  den  Kehlkopf  und 
in  die  Bronchien  fließen  konnte,  und  es  fand  sich  doch  bei  allen  Narkosen  eine 
sehr  starke  Schleimvermehrung  in  der  Lunge  selbst,  und  zwar  war  in  der  Limge 
eine  große  Menge  von  Schleim  vorhanden,  welcher  die  Alveolen  stellenweis 
total,  stellenweis  zum  Teil  anfüllte.  Dieser  Schleim  ist  in  sehr  großen  Mengen 
zu  finden,  sogar  mehr  als  ich  ihn  stets  nach  Chloroform  gefunden  habe  und 
rührt  her  von  den  Schleimhäuten  der  Bronchien.  Es  ist  also  dieser  Umstand, 
daß  man  bei  der  Narkose,  bei  welcher  das  Nai'kotikum  nicht  als  Gas  durch  die 
Lungen  dem  Blute  zugeführt  wird,  doch  in  der  Lunge  selbst  vermehrte  Ab- 
sonderung der  Schleimhäute  findet,  ein  Zeichen  und  Beweis,  daß  in  der  Lunge 
Chloroform  abgesondert  wird.  Dies  geht  noch  besonders  daraus  hervor,  daß 
man  in  den  Zellen  des  respiratorischen  Epithels  starke  Fettmetamorphose  findet. 


—     480      — 

Es  zeigen  sich  in  den  Zellen  der  Alveolenwand  reichlich  Fetttropfen  von  feinem 
bis  großem  Korn,  sie  sind  in  Hänfen  vorhanden,  indem  sie  die  Zellen  ganz  aus- 
füllen und  in  den  Präparaten  schwarz  färben.  Auch  in  deu  Epithelzellen  der 
Schleimhaut  der  Broncheoli  finden  sich  Fetttropfen  in  großen  Mengen,  ebenso  in 
denen  der  großen  Bronchien.  Mau  ersieht  hieraus,  daß  in  der  Chloralnarkose  ein 
Reiz  auf  die  Schleimhäute  der  Bronchien  vom  Kehlkopf  bis  zu  den  Alveolen  aus- 
geübt wird,  welcher  einerseits  die  Zellen  zu  vermehrter  Tätigkeit,  Sekretion,  an- 
regt, andererseits  noch  weiter  auf  das  lebende  Protoplasma  der  Zellen  einwirkt 
und  somit  einen  zerstörenden  Einfluß  ausübt,  vermöge  dessen  die  Zellen  vernichtet 
werden,  was  mit  der  Erreg^^ng  einer  Fettiuetamorphose  beginnt.  Diese  Fett- 
metamorphose wird  zunächst  nur  in  wenigen  Zellen,  welche  eine  geringere 
Widerstandskraft  besitzen,  begin.\]en  und  nach  und  nach  immer  mehr  Zellen 
befallen,  wodurch  die  Schleimhaut  weniger  widerstandsfähig  gegen  Bakterien 
wird,  so  daß  Pneumonien  entstehen,  ja  begünstigt  werden  können.  Der  Reiz 
beginnt  mit  der  stärkeren  Sekretion  und  endet  mit  der  Fettmetamorphose. 
Diese  Befunde  an  den  Lungen  entsprechen  vollkommen  denen  nach  Chloroform, 
es  findet  sich  sogar  noch  eine  stärkere  Schleiinproduktion,  als  man  sie  bei 
Chloroform  zu  sehen  gewohnt  ist.  Daher  ist  anzunehmen,  daß  das  Chloral  im 
Blute  in  Chloroform  umgesetzt  wird,  und  letzteres  durch  die  Lungen  zum  Teil 
eliminiert  wird.  Wenn  man  nämlich  eine  Narkose  durch  einen  chemischen 
Körper  erzeugt,  welcher  weder  durch  die  Lungen  in  das  Blut  aufgenommen, 
noch  durch  die  Lungen  wieder  aus  dem  Organismus  eliminiert  wird,  so  kann 
man  annehmen,  daß  die  Lunge  während  dieser  Narkose  keine  wesentlichen 
schädlichen  Einwirkungen  dieses  Narkotikums  zeigen  wiid,  denn  das  Narkotikum 
kommt  ja  dabei  gar  nicht  direkt  in  die  Epithelzellen  des  respiratorischen 
Epithels.  Es  muß  dabei  also  die  Lunge  gesund  bleiben.  Findet  man  aber  in 
den  Zellen  der  Limgen  die  Veränderungen,  welche  das  Narkotium  in  den 
Zellen  der  anderen  inneren  Organe  ebenfalls  erzeugt,  so  erkennt  man  daraus, 
daß  das  Narkotikum  in  den  Lungen  abgesondert  wird.  Da  nun  nicht  anzunehmen 
ist,  daß  Chloralhydrat  selbst  durch  die  Lungen  eliminiert  wird,  so  ist  anzu- 
nehmen, daß  während  der  Chloralnaikose  Chloroform  durch  die  Lungen 
eliminiert  wird.  Es  ist  der  Prozeß  folgender:  Das  Blut  erthält  aus  dem  zer- 
setzten Chloral  so  viel  Chloroform,  als  zur  Narkose  notwendig  ist  und  bringt 
dieses  Chloroform  auch  in  die  Lungen,  woselbst  es  aus  dem  Blut  in  die 
Epithelzellen  des  respiratorischen  Epithels  übergeht,  um  von  diesen  Zellen 
wieder  der  Luft  weitergegeben  zu  werden.  So  passieren  die  Choroformmengen 
die  Epithelzellen  der  Lungen  und  üben  dabei  ihre  Einflüsse  auf  die  Zellen  aus. 
Es  ist  dies  ein  sehr  gewichtiger  Befund,  welcher  für  die  Umsetzung  des  Chlorals 
in  Chloroform  im  Organismus  spricht.  Diese  Befunde  in  den  Lungen  sind  teilweise 
gleich  denen  bei  Chloroformnarkosen,  teilweise  übertreffen  sie  dieselben  noch, 
z.  B.  die  Schleimvermehrung  und  die  in  den  Alveolen  angesammelten  Schleim- 
massen sind  stärker  vorhanden  wie  bei  Chloroform.  Ich  habe  daher  in  allen 
Lungen  der  mit  Chloral  narkotisierten  Tiere  beginnende  Pneumonien  gefunden, 
welche  nur  durch  die  starke  Schleimsekretion  hervorgerufen  worden  waren. 
Daneben  bemerkt  man  in  den  Lungen  Hyperämie  und  Hämorrhagien,  die 
subpleural  aber  auch  im  Lungengewebe  zu  finden  sind.  Alle  diese  Lungenver- 
änderungen haben  ein  Bild,  das  nach  einer  gleichlangen  oder  nach  gleich- 
häufigen Chloroformnarkosen    in  demselben  Maße  gefunden  wird,    es  sind  diese 


—     481     — 

Verän(lcrnn<>eii  in  ihrer  Art  eben  s'leifh.  Die  Expeiimcnte  au  Himdini  imd  Meer- 
schweincbeu,  welche  ich  zur  Entscbeiduny  diesci'  Frage  vorgenoiuuieu  habe, 
habeu  stets  dasselbe  Bild  der  Verimdei'uuiieu  g-egeben.  Wenn  luau  nuu  aus  all 
diesen  Befuudeu  das  Fazit  zieht,  so  findet  mau  eine  deutliclie  Übereinstimmung' 
der  Veräudcrungeu  bei  beiden  Nai'kotika,  und  mau  kanu  noch  gestützt  auf  den 
gelungene}!  Nachweis  von  kbMuen  Chloi'ofoi-mmengen  in  dei'  Exspii-ationsluft 
der  chloi'alisierten  Tiere  behaupten,  daß  man  es  mit  eiuei'  Chloroformnarkose 
während  der  (_!hloi'alhydi'atuarkose  zu  tun  hat,  daß  das  Ghloralhydrat  sich  im 
tierischen  resp.  menschlichen  Blut  in  Chloroform  umsetzt,  welches  die  narkotische 
Wirkung  des  Chlorals  ei'zeugt.  Was  also  die  Verwendung  des  Chloralhydrats 
in  der  Chirai'gie  anlangt,  so  kann  man  sagen,  daß  dieselbe  mit  großer  Voi'sicht 
nur  zu  geschehen  hat,  und  daß  das  Chloi-alhydrat  sehr  große  Gefahi-en  für  den 
Organismus,  besoiiders  für  Herz  und  Lungen,  mit  sich  bringt.  Es  hat  das 
Chloralhydrat  also  als  Narkotikum  nur  eine  geringei'e  Bedeutung,  vor  allen 
Dingen  zum  Zwecke  längerer  Betäubimgen  ist  dasselbe  unbi-auchbar,  da  man 
wegen  der  Vei'abi'eichuug  in  die  Blutbahn  direkt  odei-  in  die  Bauchhöhle  keine 
Möglichkeit  hat,  die  Zufuhr  zu  vermindern  und  je  nach  den  obwaltenden  Ver- 
hältnissen zu  verändern.  Wenn  man  auch  von  manchen  Seiten,  namentlich  von 
Physiologen,  die  die  Chloralnarkose  an  Tieren  anwenden,  günstige  Belichte  liest 
(Arloing,  Daske,  Morat  etc.),  so  ist  doch  vor  einer  Verwendung  des  Chlorals 
als  Narkotikum  in  der  Chirurgie  zu  warnen.  Trotzdem  wird  natürlicli,  das 
Chloralhydi'at  in  der  inneren  Medizin  weiter  seine  Verwendung  linden  und  ein 
vortrettliches  Mittel  darstellen,  doch  auch  dem  inneren  Mediziner  wird  es  von 
Wert  sein,  diese  Beziehungen  des  Chloralhydrats  zu  kenneu.  Man  hat  das 
Chloralhydrat  mit  anderen  Narkotika  kombiniei't  zu  Nai'kosen  verwandt,  wor- 
übei'  hier  nicht  weitei-  gespi'ochen  werden  kanu,  da  dies  später  ei'örtert  wird, 
doch  das  kann  man  schon  bemerken,  daß  bis  jetzt  auf  diese  Art  keine  bessere 
Narkose  erzeugt  wird,  als  man    sie  mit  Chloroform   oder  Äther    allein  erreicht. 


IX.  Kapitel. 
Die  Alkoholnarkose. 

§  25.  Auch  dei'  Alkohol  ist  zur  allgemeinen  Nai'kose  verwendet  woi'den. 
Wenn  mau  auch  diesen  Gedanken  als  naheliegend  bezeichnen  muß,  so  kann  man 
doch  nicht  sagen,  daß  die  Alkoholnarkose  eine  besonders  brauchbai'e  Nai'kose 
darstellt.  Jedermann  weiß,  daß  die  Trunkenheit  eine  Narkose  darstellt,  man 
weiß  auch,  daß  der  Mensch  im  Alkoholrausch  gefühllos  wird,  daß  er  schließlich 
in  einen  Zustand  totaler  Lähmung  verfällt.  Es  ist  an  jedem  Menschen,  der 
betrunken  ist  oder  an  den  Personen,  die  im  Begriffe  stehen,  dem  Rausche  zu 
verfallen,  zu  beobachten,  wie  dieselben  alle  vier  Stadien  der  Narkose  durchlaufen. 
Der  Student,  der  oft  einmal  zu  tief  in  Bacchus  erlösenden  Becher  geblickt 
hat,  kennt  diese  Zustände  nur  zu  gut.  Man  sieht  z.  B.  bei  einem  Zechgelage  im 
Anfang  desselben  das  erste  Stadium  der  Narkose,  wo  mit  der  längereu  Dauer 
immer  lustigere  aufgeregte  Stimmung  entsteht,  die  nach  gewisser  Zeit  in  heftige 
Aufregung,  das  zweite  Stadium,  die  Exzitation,  übergeht,  in  welcher  der  be- 
treffende Mensch  lacht,  singt,  weint  oder  zankt  und  streitet,  je  nach  Charakter- 
stimmung und  Umgebung.     Danach  folgt  das  Stadium  der  Toleranz,  in  welches 

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—     482     — 

nur  selten  ein  Mensch  verfällt,  weil  er  frühei'  zu  trinken  aufhört,  aber  bisweilen 
findet  man  doch  auch  Menschen,  welche  in  voller  Narkose  vom  Stuhl  fallen  und 
nach  Hause  transportiert  werden  müssen.  Danach  folgt  das  vierte  Stadium, 
das  des  Erwachens  mit  dem  Kater.  Der  Mensch  benutzt  also  hier  ein 
Narkotikum,  um  sich  in  das  Stadium  der  Exzitatiou  zu  versetzen  und  somit  die 
Zeit  angenehm  zu  vertreiben.  Man  muß  sagen,  obwohl  man  selbst  als  ehe. 
maliger  flotter  Bruder  Studio  der  mit  Cerevis  und  Schläger  des  Lebens  schönste 
Stunden  im  trauten  Kreise  der  lustigen  Gesellen  verlebte,  nur  zu  oft  des 
Alkohols  belebende  und  auch  narkotische  Wii'kuug  erprobte,  daß  diese  Sitte  des 
Deutschen  doch  eine  recht  wenig  ästhetische  ist,  und  doch  möchte  man  dieselbe 
in  gewissen  Grenzen  nicht  missen.  Nach  solchen  Beobachtungen  hat  man  dann 
den  Alkohol  auch  der  Chirurgie  mit  seiner  narkotischen  Kraft  dienstbar  machen 
wollen  mid  hat  auch  vielfach  Narkosen  erzeugt.  Der  Alkohol  ist  ein  flüssiger 
Körper,  der  nicht  so  leicht  wie  andere  Narkotika  verdampft  und  deshalb  auch 
nicht  so  leicht  als  Inhalationsanästhetikuni  verwendet  werden  kann.  Die  all- 
gemeinen Eigenschaften  des  Alkohols  zu  erörtern  kann  ich  mir  sparen,  denn 
jeder  Arzt  kennt  denselben  genau,  und  die  Narkose  wird  kaum  zur  häufigen  Ver- 
wendung kommen,  weshalb  nur  die  historischen  Tatsachen  und  wissenswerten 
Verhältnisse  hiei'  niedergelegt  werden  sollen. 

Die  Anregimg,  den  Alkohol  zur  Narkose  zu  verwenden,  ist  von  Mathäi 
ausgegangen,  welcher  den  Rat  gab,  nachdem  er  an  Kaninchen  festgestellt  hatte, 
daß  mit  Alkohol  eine  Nai'kose  zu  erzeugen  möglich  sei,  auch  an  Menschen 
vor  allem  bei  Potatoren,  die  Narkose  durch  Alkohol  zu  erzeugen,  da  ja  bei 
dem  chronischen  Säufer  der  Alkohol  das  weniger  gefährliche  Na)-kotikum  dar- 
stellen wird,  als  Chlorofoi-m.  Mathäi  hat  an  Kaninchen  innerhalb  2  Minuten 
tiefe  Narkose  ei'zeugen  können,  und  es  ist  gelungen,  dabei  gi'ößere  Eingriffe 
schmerzlos  auszuführen.  Der  Alkohol  bewirkt  nach  meinen  Experimenten  an 
Tieren  eine  vollkommen  tiefe  Narkose  mit  Lähmung  aller  Reflexe,  wobei  ie- 
selben  in  der  üblichen  Reihenfolge  nach  und  nach  gelähmt  werden  Auch  die 
inneren  Organe  werden  vom  Alkohol  geschädigt  und  verändert,  man  findet  nach 
sehr  langen  Alkoholnai'kosen  im  Herzmuskel  Fett  in  feinen  Tropfen,  die  Quer- 
streifung dei'  Muskelfasern  ist  verschwunden,  die  Fettmengen  sind  mäßig. 
Weiter  findet  sich  sehr  viel  Fett  in  der  Lebei-  und  den  Nieren,  in  denen  die 
Zellen  stellenweis  in  Nekrose  verfallen  und  zugrunde  gehen.  Tj'pisch  ist  dies 
stets  in  erhöhtem  Maße  in  der  Peiipheiie  der  Leberacini  zu  sehen,  woselbst  auch 
das  Fett  zuerst  und  am  stäi'ksteu  auftritt,  in  den  Nieren  in  den  Tubuli  contoi-ti. 
Man  findet  in  den  Lungen  bei  Alkoholnai'kosen  stets  starke  Schleimvermehrung 
und  beginnende  Pneumonien,  daneben  in  den  Zellen  des  respii'atorischen  Epithels 
Fett  in  mäßigen  Mengen.  Im  Cerebrum  tritt  Fett  in  Haufen  auf  und  in  einzelnen 
Tropfen  in  den  Zellen  der  Wandung  der  Kapillaren  und  größeren  Gefäße.  Bei 
den  größeren  Gefäßen  werden  die  Zellen  der  Intima  und  Media  ergriffen. 
Diese  Befunde  sind  nach  laugen  Narkosen  schon  im  Beginn  zw  finden,  sie  sind 
hochgradig  nach  2 — 3  Narkosen.  Diese  Wirkung  steht  der  Chloroformwirkung 
allerdings  bedeutend  nach,  ist  aber  von  derselben  Art.  Man  ersieht  daraus,  daß 
der  Alkohol  von  dem  Blute  in  das  Cerebrum  transportiert  wird  und  dort  mit 
den  Ganglienzellen  eine  Verbindung  eingeht,  ganz  so,  wie  es  auch  Chloroform 
tut.  Der  Alkohol  wird  dann  durch  die  Lungen  zum  Teil,  ferner  diirch  die 
Nieren  und  den  Schweiß  ausgeschieden. 


—    48:{    — 

Tn  den  Narkosen  tritt  Erln'ccheii  Iciclit  anf,  fei'ncr  folo-t  nach  denselben 
starkes  Übelsein,  Erbrechen,  Kopfsehmei'z  etc. 

§  26.  Die  Technik  ist  von  Mathäi  so  angegeben,  daß  man  den  Alkohol 
in  einem  zu  diesem  Zwecke  modifizierten  Junkei'schen  oder  Kappelerscben 
Apparat  gießt,  ihn  auf  50 — 60  "C  erwärmt  und  dem  Ki'anken  verabi-eicht.  Die 
Narkose  tritt  nur  sehr  schwer  auf,  es  dauert  wenigstens  20-  30  Miiiuten.  Dabei 
ist  sie  sehr  oberflächlich.  Man  kann  sie  aber  bedeutend  erleichtern  und  ver- 
tiefen, indem  man  dem  Patienten  vor  der  Einleitung  ein  Alkoholklysma  vei-- 
abreicht.  Man  hat  nämlich  die  Beobachtung  gemacht,  daß  die  Narkose  besser 
eri'eicht  wird,  wenn  der  Alkohol  durch  den  Darm  resorbiert  wii'd,  während  es 
nicht  von  Voi-teil  ist,  resp.  ganz  wirkungslos  sich  erweist,  wenn  man  den 
Alkohol  durch  den  Magen  dem  Kranken  zufühit.  Man  verfährt  also  am  besten, 
einem  erwachsenen  Menschen  vor  der  Narkose  ein  Klysma  aus  Vs  Alkohol  imd 
^.j  Wasser  zu  verabreichen.  Mathäi  gibt  den  Rat,  diese  Methode  bei  Säufei-n 
anzuwenden,  welche  wegen  einer  Verletzung  in  oder  nach  dei'  Trunkenheit  zur 
Narkose  kommen.  Bei  ihnen  kann  das  Alkoholklysma  wegfallen,  da  im 
Organismus  schon  genügend  Alkohol  vorhanden  sei.  Bei  Frauen,  Kindern  und 
von  .Jugend  auf  abstinenten  Männern  wird  am  besten  ein  Weiuklysma  ver- 
abreicht. 

Die  ganze  Alkoholnarkose,  wie  mau  sie  bishei'  angewendet  wnä  an  Tieren 
erpi'obt  hat,  ist  noch  nicht  imstande,  dem  Äther  oder  Chloroform  erfolgreich 
Konkurrenz  zu  machen.  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  daß  der  Gedanke,  den  Saufe]' 
dui'ch  Alkohol  zu  betäuben,  nicht  ohne  guten  Grund  gefaßt  und  auch  ausge- 
führt Avoi'den  ist,,  aber  es  fehlen  dem  iVlkohol  vor  allem  die  Eigenschaften, 
schnell  zu  wirken,  denn,  da  er  sehr  leicht  löslich  im  Blutserum  ist,  so  wird  er 
nur  sehr  langsam  wiedei'  aus  dem  Organismus  eliminiert,  was  zur  Folge  hat, 
daß  die  Nachwirkungen  sehr  unangenehme  sind.  Weiter  wirkt  er  nur  schwach 
narkotisch,  er  vermag  dabei-  nur  in  sehi-  hohen  Konzentrationen  erst  Narkose 
zu  erzeugen.  Da  man  nun  viel  besser  wirkende  und  ungefährlichere  Methoden 
und  Narkotika  besitzt,  so  ist  die  Alkoholnarkose  bisher  noch  nicht  aufgekommen 
und  wird  sich  auch  nicht  so  bald  Eingang  in  die  Praxis  der  Narkologie  ver- 
schaffen. Man  kann  daher  mit  Eecht  sagen,  daß  die  Alkoholnarkose  nicht  an- 
zuraten ist,  sondern  daß  man  statt  ihi-er  die  kombinierte  Äthernarkose  ver- 
wenden soll. 


X.  Kapitel. 
Die  Kohlensäurenarkose. 

§  27.  Man  hat  in  der  Kohlensäiire  einen  Körper,  welcher  in  der  Narkologie 
eine  große  Rolle  spielt,  dann  ganz  abgesehen  davon,  daß  man  dieselbe  zur 
Narkose  allein  verwendet  hat,  ist  sie  bei  einem  großen  Teile  der  Narkose- 
methoden und  Apparate  ein  nicht  beachteter  und  oft  unbekannter  Faktor  gewesen, 
mit  dessen  Hilfe  die  Narkose  schnell  erreicht  und  zur  nötigen  Tiefe  gebracht 
wurde.  So  hat  man  früher  bei  der  Chloroformnarkose  und  Äthernarkose  den 
Kranken  das  Narkotikum  nur  unter  möglichstem  Abschluß  der  Luft  zugeführt, 
wobei  in  dem  Blute  des  Narkotisierten  ein  Reichtum  au  Kohlensäure  entstand, 
weil  die  Exspirationsluft  immer  wieder  inspiriert  wurde,  und  so  neben  dem 
Narkotikum  Kohlensäure  zuführte.  Man  beobachtete  dabei  Cyanose  des  Patienten, 

31* 


—     484     — 

die  man  vor  allem  bei  der  Äthernarkose  als  ganz  normal  erachtete,  die  aber 
nur  durch  diesen  Überschui3  au  Kohlensäure  und  den  Sauerstoffmaugel  entstand. 
Auch  in  den  geschlossenen  Narkoseapparaten  von  Wauscher,  Großmann  etc. 
ist  die  Kohlensäure  in  dem  Beutel  sehr  reichlich  vorhanden  und  trägt  viel  mit 
bei  zur  schnellen  Erzielung  der  tiefen  Narkose.  Weiterhin  hat  man  die  Er- 
fahrung gemacht,  daß  Patienten,  welche  an  einer  Verlegung  des  Atemweges 
leiden  und  dem  Ersticken  nahe  sind,  wie  z.  B.  bei  der  Larjmxdiphtherie,  dem 
Glottisödem  etc.,  vollständig  gefühllos  sind,  daß  man  an  ihnen  eine  Operation 
ohne  Schmerzempfindung  ausführen  kann,  so  die  Tracheotomie,  welche  ja  in 
solchen  Fällen  meist  noch  gemacht  wird.  Jeder  Arzt,  der  öfter  diphtherie- 
krauke  Kinder  tracheotomiert  hat,  weiß,  daß  im  höchsten  Zustand  der  Dyspnoe 
die  Operati(tn  ohne  Narkose  sehr  leicht  ausführbar  ist  und  der  kleine  Patient 
keine  Empfindung  von  Schmerzen  hat.  Wenn  die  Atemnot  sehr  hochgradig 
wird,  verlieren  bekanntlich  diese  Kranken  auch  das  Bewußtsein  xind  verfallen 
in  eine  tiefe  Narkose,  die  Kohlensäureuarkose  oder  besser  Kohlensäureintoxikation. 
Kothschild  hat  nun  diese  Tatsache  praktisch  zii  verwerten  gesucht,  indem  er 
an  Tieren  Versuche  mit  der  Kohlensäiu-enarkose  machte,  indem  er  dieselben 
ein  Gemisch  von  Kohlensäure  und  Sauerstoff  inspirieren  ließ.  Friedländei' 
und  Herten  haben  1870  zuerst  Versuche  mit  der  Kohlensäure  angestellt,  doch 
recht  schlechte  Resultate  gefunden,  welche  denen  von  Rothschild,  der  die- 
selben nachprüfte  vollkommen  gleichen.  Er  konnte  mit  40 — TO^oig'eu  Kohlen- 
säure-Sauerstoffgemischen tiefe  Narkose  erzielen,  aber  die  Folgen  derselben  waren 
doch  so  schlechte,  daß  mau  von  weiteren  Versuchen  absehen  mußte.  Es  stellten 
sich  Atemstörungen  ein,  welche  zum  Tode  führten,  wenn  man  nicht  schnell  im 
richtigen  Moment  GegenmaLiregeln  ergriff  und  die  Narkose  imterbrach.  Neben 
der  Atmung  erleidet  der  Blutdruck  eine  sehr  schAvere  Depression  durch  die 
Kohlensäure  und  es  resultieren  daraus  ernste  Gefahren.  Außerdem  verursachte 
schon  eine  nur  kurze  Zeit  dauernde  Einatmung  eines  Gemisches  von  20  "/o  Kohlen- 
säure sehr  schwere  Nephritis,  Hämorrhagien  in  Lungen  und  unter  die  Pleura 
und  sonstige  Störungen,  weshalb  man  von  den  Versuchen  zurückkam. 

§  28.  Es  sind  aber  Versuche  angestellt  worden,  welche  eine  Ver- 
wendung der  nicht  zu  leugnenden  narkotischen  Kraft  der  Kohlensäure  mit  den 
anderen  Narkotika  prüften,  und  so  kam  Waller  zu  dem  Resultat,  daß 
Chloroformdämpfe  intensiver  unter  Kohlensäurebeimengung  wirken,  als  reine 
Chloroformdämpfe,  und  die  Erholung  des  Kranken  tritt  nach  solcher  Narkose 
schneller  ein.  Powell  hat  dies  durch  klinische  Beobachtimg  bestätigt  gefunden 
und  hat  erkannt,  daß  die  Nervenerregbarkeit  nach  der  Einwirkung  eines 
Anästhetikums  um  so  schneller  wiederkehrt,  wenn  man  demselben  Kohlensäure 
beimischt.  Es  erwies  sich  sowohl  bei  Chloroform,  wie  Äther,  als  auch  Lachgas 
als  vorteilhaft,  den  Kranken  gleichzeitig  Kohlensäure  einatmen  zu  lassen. 
Deshalb  hat  man  schon  seit  1887  am  Königl.  Hospital  zu  Belfast  den  Ormsbyschen 
Narkoseapparat  geschlossen  verwendet.  Von  1372  Narkosen,  welche  auf  diese 
Art  geleitet  wurden,  sind  nur  einnml  gefährliche  Unfälle  aufgetreten,  während 
die  anderen  Narkosen  sehr  gut  verliefen.  Diese  Angaben  könnten  ja  sehr 
günstig  erscheinen,  wenn  man  nicht  immer  bei  solchen  Nai'kosen  die  schwer 
toxischen  Einwirkungen  der  Kohlensäure  auf  die  Nieren  etc.  bedenken  müßte, 
welche  hei  langen  Narkosen  eintreten  können.  Da  man  nun  nie  so  genau  wissen 
kann,    ob    die  Kohlensäure    bei    dem    betreffenden  Kranken    schon  nach  kurzer 


—     585     — 

oder  laug'cr  Dauer  der  Kiuwirkiiuo-  scliädiyend,  toxisch  wirken  wird,  so  ist  b(;i 
jeder  läiii^-eren  Nai-kose  eiue  größere  (iefalir  für  den  Krankem  voi'handen,  als 
bei  der  reinen  Narkose  ohne  Kohlensäure,  und  man  wird  den  Vorteil  des  schnelleren 
Erwachens  lieber  eintauschen  gegen  die  Sicherheit  dei'  weniger  gefährlichen 
reinen  Chloroform-  oder  Athernarkose.  Die  Beobachtung  hat  gelehrt,  dal.}  die 
geschlossenen  Apparate  nicht  so  gute  und  gefahrlose  Narkosen  ermöglichen, 
eben  wegen  der  im  Organismus  aufgehäuften  Kohlensäure,  als  die  offenen 
Apparate.  Deshalb  wird  man  auch  die  Kohlejisäureuarkose  besser  nicht  ver- 
wenden. 


XI.  Kapitel. 

Einige  weitere  zur  allgemeinen  Narkose  verwendete 

Narkotika. 

Es  ist  außer  den  bisher  hier  angeführten  Narkosearten  noch  eine  große 
Zahl  von  Narkosen  mit  den  verschiedensten  chemischen  Köi"pern  ausgeführt 
und  gelegentlich  erprobt  worden.  Obwohl  man  mit  den  bisher  hier  be- 
schriebenen Mitteln  sehr  brauchbare  Narkosen  ausführen  konnte,  so  hat  man 
doch  noch  immer  gestrebt,  weniger  gefährliche  Narkosenmittel  zu  finden. 
Es  soll  der  Vollkommenheit  und  historischen  Eakta  halber  alles  das  hiei"  noch 
in  einem  Kapitel  zusammengefaßt  werden,  was  über  die  bisher  noch  nicht 
genannten  Narkotika  bekannt  ist.  Es  wird  vielleicht  aus  manchen  jetzt  noch 
nicht  genügend  erprobten  und  bekannten  Stoffen  sich  eine  brauchbare  Methode 
finden  lassen,  doch  ist  es  bisher  noch  nicht  gelungen  die  alten  klassischen 
Narkosen  zu  ersetzen. 

§  29.  Mau  hat  auch  die  kurzdauernden  Narkosen  aus  Äthylnitrat 
empfohlen  (Simpson).  Dasselbe  stellt  eine  farblose,  durchsichtige,  wasserhelle 
Flüssigkeit  dar,  vom  spezif.  Gewicht  1,132,  dem  Siedepunkt  von  85°C.,  ist  un- 
löslich im  Wasser,  und  brennt  mit  weißer  Flamme,  während  sich  der  über 
85"  erhitzte  Dampf  unter  heftiger  Explosion  zersetzt.  Man  stellt  dasselbe 
durch  Destillation  von  absolutem  Alkohol  mit  Salpetersäure  unter  Zusatz  von 
Harnstoff  dar,  es  hat  die  chemische  Formel  C.^  Hg  NO3  und  wird  noch  mit 
dem  Namen  Salpetersaurer  Athyläther,  Salpetersaueres  Äthyloxyd  etc.  be- 
zeichnet. Man  kann  durch  diesen  Köi'per  eiue  kurze  Zeit  dauernde  Anästhesie 
erzeugen,  indem  man  dem  Kranken  dasselbe  einatmen  läßt.  Nach  Simpson 
kann  man  schon  mit  50—60  Tropfen,  die  man  auf  eine  Maske  oder  in  das 
Taschentuch  gießt,  und  dem  Kranken  einatmen  läßt,  Narkose  erzengen. 
Ehe  die  Narkose  eintritt,  empfindet  aber  der  Patient  Schwindel,  Sausen  und 
allerlei  Geräusche  im  Kopf,  in  den  Ohren,  auf  die  Betäubung  folgt  ebenfalls 
heftiger  Kopfschmerz  und  Schwindel,  sowie  Benommenheit  und  Übelsein.  Man 
kann  zwar  eine  kurzdauernde  Narkose  erzeugen,  doch  ist  das  Mittel  nicht 
geeignet  zur  Narkose,  da  die  Nachwirkungen  sehr  schlechte  sind  und  auch 
die  sonstigen  Eigenschaften  sehr  toxische  sind. 

§  30.  Das  Äthylencblorid  ist  ein  dem  Chloräthyl  verwandter  Körper 
und  wirkt  ebenfalls  als  Narkotikum.  Es  wird  noch  mit  folgenden  Namen 
belegt:  Äthylenum  chloratum,  Dutchoil,  Ol  der  holländischen  Chemiker. 
Es  wurde  1795  von  Deimann,  Troostwyk,  Bondt    und  Lauwerenburgh 


—     486     — 

entdeckt,  hat  die  chemische  Formel  O2H4CI2  und  entsteht,  wenn  mau 
Chlorgas  auf  Äthylen  einwirken  läßt,  ist  eine  farblose,  leicht  bewegliche  wasser- 
helle Flüssigkeit,  hat  einen  dem  Chloroform  ähnlichen  Geruch,  einen  süßlichen 
Geschmack,  das  spezif.  Gewicht  1,25,  löst  sich  fast  gar  nicht  im  Wasser, 
hingegen  in  allen  Verhältnissen  mit  Alkohol,  Chloroform  und  Äther,  verdampft 
sehr  leicht,  ist  leicht  entzündlich  und  brennt  mit  grünlicher  Flamme,  wobei 
es  stark  rußt  und  Chlorwasserstoff  entwickelt.  Das  Äthylenchlorid  wurde  im 
Jahre  1847  von  S  n  0  w  zu  Narkosen  verwendet,  neben  diesem  haben  noch 
Simpson  und  N  u  n  n  e  1  e  y  unabhängig  voneinander  dasselbe  zur  Be- 
täubung gebraucht.  N  u  n  u  e  1  e  y  hat  dasselbe  vielfach  zu  Narkosen  verwendet 
und  empfiehlt  es  sehr.  Es  hat  sich  aber  dieser  Körper  als  sehr  gefährlich  er- 
wiesen, und  ist  nicht  als  brauchbares  Narkoticum  zu  betrachten.  Wenn  mau  dem 
Kranken  kontiuuirlich  neue  Mengen  verabreicht,  kann  man  eine  protrahierte 
Narkose  erzeugen,  wenn  nicht,  so  erwacht  derselbe  bald.  In  dem  ersten  Stadium 
und  auch  nach  dem  Erwachen  tritt  oft  Erbrechen  aiif,  weiter  wirken  die  Dämpfe 
sehr  stark  reizend  auf  die  Schleimhäute,  es  entsteht  eine  starke  vermehrte 
Salivation,  auf  das  Herz  wirkt  es  sehr  stark  depressiv  und  erzeugt  leicht 
Synkope.  Die  Narkose  ist  oft  unsicher  und  fehlt  manchmal  ganz.  Es  ist  für 
die  Narkose  nicht  anzuraten,  da  es  toxischer  als  Chloroform  und  Äther  wirkt. 
§  31.  Das  Äthylideuclilorid  ist  bereits  bei  der  Behandlung  der  Chlor- 
äthylnarkose erwähnt  worden,  da  man  dasselbe  mit  dem  Chloräthyl  ver- 
wechselt hat.  Es  wird  auch  Äthylidenum  chloratum  genannt,  hat  die  Formel 
C.,H.jCl.,,  ist  isomer  mit  dem  vorhergehenden  Präparat.  Es  entsteht,  wenn 
Chlor  auf  Chloräthyl  wirkt,  ferner  wenn  Phosphorpeutachlorür  auf  Äthyl- 
aldehyd wirkt,  wurde  1839  von  R  e  g  n  a  u  1 1  entdeckt,  ist  eine  helle,  wasser- 
klare Flüssigkeit,  in  Wasser  unlöslich,  in  Äther,  Chloroform,  Alhohol  leicht 
löslich,  hat  das  spezif.  Gewicht  von  1,182.  Es  wurde  1852  von  Snow  zuerst 
als  Narkotikum  verwendet,  indem  er  es  mehrfach  am  Menschen  brauchte  und 
dadurch  sehr  gute  Narkosen  erzeugte.  Man  konnte  es  damals  schwer  rein 
darstellen  und  hatte  deshalb  viel  Schwierigkeiten  zu  überwinden,  bis  es  von 
Liebreich  wiederum  zur  Gellung  gebracht  wurde,  welcher  es  durch  zahl- 
reiche Tierversuche  prüfte  und  die  guten  Eigenschaften  erkannte.  Langen- 
b  e  c  k  verwendete  es  ebenfalls  zu  Narkosen.  Die  Betäubung  tritt  sehr  bald 
ein,  es  vergehen  1 — Vj.^  Minuten  bis  zum  Eintritt  der  Toleranz,  in  manchen 
Fällen  auch  3  Minuten.  Auf  die  Lungen  wirkt  es  nicht  reizend,  die  Narkose 
ist  gleichmäßig,  tief,  ist  aber  nicht  von  langer  Dauer,  da  der  Kranke  sehr 
schnell  erwacht,  weil  das  Mittel  sehr  flüchtig  ist,  leicht  verdampft  und  im 
Wasser  unlöslich  ist,  das  Herz  soll  nicht  übel  beeinflußt  werden,  unangenehme 
Nachwirkungen  nach  dem  Erwachen  fehlen  (Steffen,  Sauer  etc.).  Am 
besten  ist  das  Mittel  zu  kurzen  Narkosen  geeignet,  man  braucht  4 — 15  g 
für  eine  kurze  Narkose.  Durch  neues  Verabreicheii  kann  man  eine  protrahierte 
Narkose  erhalten,  doch  gibt  es  Leute,  bei  denen  man  Toleranz  nicht  erreichen 
kann.  Der  Puls  soll  nicht  übel  beeinflußt  werden.  Man  hat  aber  Todesfälle 
vereinzelt  beobachtet,  es  sind  wohl  zwei  bis  jetzt  bekannt.  Es  soll  nach 
anderen  Synkope  hervorrufen  und  gefährlicher  als  Chloräthyl  sein.  Jedenfalls 
soll  man  mit  Narkosen  mit  diesem  Körper  vorsichtig  sein.  Die  angeblichen 
guten  Wirkungen  haben  sich  nicht  sicher  erwiesen  und  man  hat  diesen  Körper 
als  schwer  toxisches  Narkoticum  erkannt,  weshalb  man  es  nicht  mehr  verwendet, 


—     487     — 

5;  32.  Iias  Aldühjd,  Ätliylaldcliyd,  Äf-hyleiioxyd,  Azetaldohyrt,  r^H/), 
isi  vdii  Döbereiuer  entdeckt,  von  Liel)ig  beschrieben  und  von  ver- 
schiedenen Seiten  als  Anästhetikum  verv^-endet  worden  (Simpson, 
Pog'giale  etc.).  Es  stellt  eine  helle,  klare,  loMcht  bewegliche,  verdampfende 
Flüssigkeit  von  erstickendem  (leruch  dar,  die  ein  spez.  Gew.  von  0,807  hat  und 
in  AVasser,  Aether  sulfur.  und  Alkohol  leicht  löslich  ist,  mit  weißer  Flamme 
brennt  und  sehr  flüchtig  ist.  Die  Narkose  mit  Aldehyd  tritt  l)ald  ein,  dauert 
kurze  Zeit  und  schwindet  ebenfalls  bald,  nachdem  eine  vollkommene  Anästhesie 
während  einiger  Minuten  gedauert  hat.  Manche  Personen  konnten  nicht  damit 
betäubt  werden.  Das  Aldehyd  hat  bei  der  Verwendung  zur  luhalationsnarkose 
sehr  unaugeiu^hme  Nebenwirkungen,  es  erzeugt  bei  dem  Kranken  sofoi't  nach  den 
ersten  Atemzügen  Husten  und  Hustenreiz  sowie  ein  einschnürendes,  beklemmendes 
(iefühl  auf  der  Brust,  während  der  Narkose  wird  der  Puls  klein,  weich,  freyueut 
und  nach  dem  Erwachen  ti'itt  sofort  lästiger  Husten  auf,  sowie  starkes 
Oppressionsgefühl  und  Angstgefühle,  welche  oft  längere  Zeit  noch  anhalten. 
Man  hat  wohl  Narkosen  mit  diesem  Körper  erreicht,  doch  ist  derselbe  zur  all- 
gemeinen Narkose  nicht  zu  empfehlen. 

§  33.  Auch  das  Aceton,  eine  leicht  bewegliche,  rasch  verdunstende, 
angenehm  erfrischend  riechende  Flüssigkeit  von  der  Zusammensetzung  CgHgO, 
wurde  zu  Narkosen  verwendet.  Das  Aceton  oder  Dimethylketon  brennt  mit 
weißer  Flamme  und  ist  leicht  entzündbar,  auch  die  Dämpfe  explodieren  leicht, 
es  hat  ein  spez.  Gewicht  von  0,800  und  ist  in  Wasser,  Alkohol,  Aether  siüfm\ 
und  Chloroform  leicht  löslich.  Simpson  hat  dasselbe  zu  Narkosen  verwendet, 
doch  sind  dieselben  teils  nicht  tief  genug,  teils  von  üblen  Folgen  begleitet. 
Man  hat  das  Aceton  des  öfteren  versucht,  doch  immer  ohne  wesentlichen  Erfolg, 
da  dasselbe  die  Schleimhäute  sehr  stark  reizt,  Dyspnoe  und  Pneumonien  erzeugt, 
weshalb  man  zu  dessen  Verwendung  nicht  raten  darf. 

§  34.  Das  Beuzin,  Benzol,  Phenylwasserstoff,  C^Hß,  ist  eine  leicht  be- 
wegliche, verdampfende,  helle,  leicht  entzündliche,  mit  rußender  Flamme 
brennende  Flüssigkeit  vom  spez.  Gewicht  von  0.89,  angenehm  ätherischem  Geruch 
in  Wasser  unlöslich,  in  Alkohol,  Aether  sulfur.  leicht  löslich.  Dasselbe  erzeugt 
Narkose,  doch  verursacht  es  nach  Simpson  Sausen  und  Geräusche  im  Kopf,  Be- 
nommenheit etc.,  während  Snow  dasselbe  für  ein  brauchbares  Narkotikum  hält, 
das  abei'  nach  seineu  Erfahrungen  Zittern  und  Konvulsionen  erzeugt,  so  daß 
man  es  zu  längeren  und  tiefen  Narkosen  gar  nicht,  auch  für  kurze  Narkosen 
am  besten  nicht  verwenden  soll  (Richardson  etc.). 

§  35.  Der  Essigsäure-Äthyläther,  essigsaures  Äthyloxyd  oder  Essig- 
äther, C4HSO2,  entsteht  durch  Einwirken  der  Essigsäure  auf  Alkohol,  und 
wird  dargestellt,  indem  man  eine  Mischung  von  Alkohol,  konzentrierter  Schwefel- 
säure und  entwässertem  Natriumacetat  destilliert.  Der  Essigäther  stellt  eine 
wasserhelle  Flüssigkeit  von  angenehm  erfiischeudem  Geruch  und  Geschmack 
dar,  welche  neutral  reagiert,  sich  leicht  entzündet,  ein  spez.  Gewicht  von 
0,904  bei  IT"  C  hat,  im  Wasser  fast  unlöslich,  leicht  aber  in  Alkohol,  Aether 
sulfur.  und  Chloroform  löslich  ist,  zersetzt  sich  an  der  Luft  sehr  leicht  unter 
Bildung  von  Essigsäure  und  hat  auf  den  Organismus  narkotische  Einwirkung. 
Da  der  Essigäther  sehr  leicht  verdampft  und  schwer  in  Wasser  löslich  ist,  so 
wird  er  nur  sehr  locker  an  das  Blut  gefesselt,  die  Narkose  beginnt  bald,  ver- 
schwindet aber  auch  wieder  sehr  schnell.     Man  hat  diesen  Körper  verschiedent- 


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lieh  zu  Narkosen  verwendet,  (Tracy,  Sigmund,  Bouisson  etc.),  doch  siud 
die  Erfolge  wenig  ermutigend  zur  weiteren  Verwendung  des  Stoffes  als  Narko- 
tikum, die  Narkose  ist  in  manchen  Fällen  gar  nicht  oder  nur  sehr  spät  zu  er- 
reichen gewesen.  Bouisson  hat  eine  Tumorexstirpation  in  Essigäthernarkose  aus- 
geführt, doch  trat  die  Narkose  erst  nach  20  Minuten  ein,  war  abei-  vollkommen  ge- 
nügend zur  schmerzlosen  Operation,  und  er  will  beobachtet  haben,  daß  durch 
Essigäther  weniger  Husten  und  Suffokationsgefühl  erzeugt  wird,  als  durch 
Aether  sulfur.  Diese  Angabe  ist  irrig,  denn  der  Essigäthei'  wirkt  sehr  stark 
reizend  auf  die  Lungenschleimhäute,  er  erzeugt,  wie  ich  selbst  beobachtet  habe, 
starke  Salivation  und  Keizung  der  Zellen,  ferner  kann  man  mit  demselben 
Lungenödem  (toxisches  Lungenödem)  erzengen  (Poppert),  und  ich  habe  beob- 
achtet, daß  in  dieser  Hinsicht  der  Essigäther  viel  toxischer  auf  die  Luugen 
wirkt  als  der  Aether  sulfur.  A  1  b  e  r  t  o  n  i  und  L  u  s  s  a  n  a  stellten  an  Tieren 
Versuche  mit  dem  Essigäther  an,  indem  sie  denselben  in  die  Jugularvene  ein- 
spritzten, fanden  aber  keine  AUgemeinwirkung,  während  K  r  a  u  t  w  i  g  tödliche 
Wirlamg  nach  der  Injektion  von  1  ccm  in  die  Jugularvene  eines  Kaninchens 
sah,  wobei  an  den  Lungen  Hämorrhagien  zu  finden  waren,  nachdem  er  6  ccm 
in  kurzen  Zwischenräumen  subkutan  angewendet,  verfiel  das  Tier  in  tiefe  Be- 
täubung. Die  Atmung  wird  verlangsamt,  die  Tätigkeit  des  Herzens  wird  weniger 
als  die  der  Lungen  beeinflußt.  Der  Tod  erfolgt  unter  Krämpfen.  In  kleinen 
Dosen  verlangsamt  der  Essigäther  die  Atmung  ebenfalls.  Er  wirkt  rascher 
als  der  Äther  sulfur.  anästhetisch,  doch  ist  er  den  Lungen  sehr  gefährlich. 
In  ganz  kleinen  Dosen  intern  gegeben  oder  inspiriert  wirkt  er  als  Exzitans. 
Eine  allgemeine  protrahierte  Narkose  ist  daher  bis  jetzt  mit  diesem  Körper  ge- 
fährlich, und  man  kann  nicht  zur  Anwendung  des  Essigäthers  raten. 

§  36.  Ein  dem  Chloräthyl  sehr  ähnliches  Narkotikum  ist  der  Aransche 
Äther,  oder  Aether  anästheticns,  welcher  ein  Gemisch  verschiedener  Chlor- 
substitutionsprodukte des  Chloräthyls  darstellt,  von  denen  der  wichtigste  Be- 
standteil das  Tetrachloräthylchlorid  ist.  Der  Aransche  Äther  ist  eine  farblose,  leicht 
bewegliche  Flüssigkeit,  die  bei  130°  C  siedet,  ein  spezifisches  Gewicht  von 
1,5 — 1,6  besitzt  und  zuerst  von  M  i  a  1  h  e,  dann  von  A  r  a  n,  H  e  i  f  e  1  d  e  r  und 
Schott  dargestellt  und  zur  Erzeugung  einer  allgemeinen  Narkose  verwendet 
wurde.  Derselbe  zersetzt  sich  aber  leicht,  ist  wechselnd  in  der  Zusammensetzung 
und  deshalb  für  die  Narkose  nicht  zu  empfehlen,  vor  allem,  da  er  Vorzüge  vor 
anderen  Narkotika  nicht  im  geringsten  besitzt. 

§  37.  Das  Terpentinöl,  CioHjg,  ist  eine  ölige,  helle,  leicht  bewegliche, 
verdampfende,  brennbare,  mit  rußender  Flamme  brennende  Flüssigkeit,  spezif. 
Gewicht  0,89,  in  Wasser  unlöslich,  aber  in  Alkohol  und  Aether  sulfur.  löslich, 
verwandelt  Sauerstoff  in  Ozon.  Dasselbe  wurde  in  Ermangelung  von  Chloro- 
form auf  einem  Auswandererschiff  mit  Erfolg  zur  Nai-kose  an  einem  Seemann 
verwendet  (K  a  p  p  e  1  e  r).  N  u  n  n  e  1  e  y  imd  R  i  c  h  a  r  d  s  o  n  haben  dasselbe  zu 
Narkosen  ebenfalls  gebraucht  und  bei  Tieren  langsam  eintretende,  aber  doch 
vollkommen  tiefe  Narkose  erreicht.  Nach  Richards on  haften  demselben  keine 
üblen  Nachwirkungen  an,  während  N  u  n  n  e  1  e  y  dasselbe  für  die  Schleimhäute 
der  Lungen  reizend  hält.  Bekanntlich  erzeugt  Terpentinöl  eine  vermehrte 
Salivation  und  regt  die  Schleimhäute  zur  Sekretion  an.  Zur  allgemeinen  Narkose 
kann  man  dasselbe  aber  nicht  verwenden. 

§  38.     Kerosolen   oder  Petroläther,   ein   Gemisch    aus   Aniyl-,  Capryl-, 


—     489     — 

Ouautliyl-,  r>auryl-  de.  Wasscrstdft'cii  wui'dc  aus  aiiicrikaiusibcui  ['ctrolimm  gc- 
woiiuen,  nud  von  E  i  g'  e  1  o  w  zu  Nai'koseu  verweudet.  Dasselbe  erreet  aber 
sehr  b(;drohliche  Nebeuwirkuug'en  nud  Beschwerdeu  und  ist  als  Narkotikum 
uiilirauchbar.    Es  wird  von  Schleicb  in  den  Gemischen  der  Narkotika  verweudet. 

i^  39.  Capryhvasserstoff  ist  ein  ähnlicher  Körpei-,  der  von  Richardson 
an  Tieren  versucht  wurde,  aber  sehr  starke  Exzitatiou  und  Erbrechen  hervoi'rief, 
während  das  Erwacheu  sehr  schnell  g'ing  und  scheinbar  ohne  Beschwerde  sich 
zeigte.  Es  ist  als  Narkotikum  jedenfalls  noch  nicht  genau  erforscht  und  bis 
jetzt  noch  nicht  verwendbar. 

§  40.  Äjnylwasserstoff  G^JI^^,  Hydramyl,  Isoamylwasserstoff  wird  aus 
dem  amerikanischen  reti-oleum  gewonnen,  ist  eine  farblose,  fast  geruchlose 
Flüssigkeit  von  dem  spezif.  CTCwicht  von  0,626.  R  i  c  h  a  r  d  s  o  n  hat  dasselbe 
au  Tieren  verweudet,  es  tritt  innerhalb  2  Minuten  vollkommene  Narkose  ein, 
ruhiger  Schlaf  ohne  Aufregung,  rasches  Erwachen  folgt.  Der  Tod  durch  das- 
selbe wird  bei  Tieren  unter  stetem  Abfall  der  Temperatur,  Dilatation  der  Pupillen 
u)id  gleichzeitiger  Ivähmuug  der  Herz-  und  Atemzenti-en  und  Atem -Funktion 
bewirkt.  E  i  c  h  ar  d  s  o  n  fand  in  den  getöteten  Tieren  negative  Sektiousbefunde 
und  betäubte  sich  selbst  mit  diesem  Mittel.  Er  fand  die  Dämpfe  angenehm  ein- 
zuatmen, keine  Beklemmungen,  Oppression  und  Reizung  der  Bronchialschleim- 
haut. Nach  wenig  Sekiuiden  der  Inhalation  trat  die  Toleranz  ohne  Exzitatiou 
ein.  Die  Toleranz  dauerte  einige  Minuten  unter  vollkommener  Anästhesie  und 
nach  dem  Erwachen  fehlten  alle  imaugenehmen  Folgen.  Er  hat  dasselbe  öfter 
angewendet  und  lobt   es  sehr. 

Die  Kombination  von  Hydramyl  mit  Äther,  wodurch  sich  Narkose  ebenso 
erzengen  läßt,  welche  aber  langsamer  eintritt  und  Oppression  und  Snffokations- 
symptome  aufweist,  die  bei  der  Narkose  mit  reinem  Hydramyl  fehlten,  wurde 
von  Richardson  an  Stelle  der  einfachen  Hydramylnarkose  empfohlen.  Es  eignet 
sich  das  Hydramyl  am  besten  zu  kurzen  Nai'kosen.  Man  hat  es  aber  weiter 
]iicht  mehr  verwendet. 

§  41.  Das  Äthylenum  bromatum,  Bromäthylen,  CoH^Brg,  ist  ein  sehr 
giftiger  Körper,  welcher  gegen  Epilepsie  verwendet  wird  und  auch  zur 
Narkose  gebraucht  wurde.  Man  hat  denselben  mit  Bromäthyl  verwechselt 
und  dabei  einen  Todesfall  erlebt.  Kollmar  hat  einem  Arbeiter  aus  solcher 
Verwechslung  40  g  Bromäthylen  auf  die  Maske  gegossen,  worauf  sofort  Un- 
ruhe, Kehlkopfreiz,  aber  keine  Narkose  eintrat.  Es  wurde  mit  Chloroform 
weiter  betäubt.  Der  Mann  g'ing,  nachdem  er  am  ganzen  Tag  nach  dem  Er- 
wachen an  unstillbarem  Erbrechen  gelitten  hatte,  zugrunde  unter  dem  Zeichen 
der  Herzschwäche  bei  vollem  Bewußtsein.  Die  Sektion  erwies  starke  Ent- 
zündungen der  Schleimhaut  der  Bronchien,  die  Magenschleimhaut  war  gelblich 
verfärbt  etc.  Es  ist  also  dieser  Körper  als  ein  sehr  gefährliches  Narkotikum 
zu  betrachten,  welches  man  nicht  mit  Bromäthyl  verwechseln  und  zur  Narkose 
verwenden  soll. 

§  42.  Chloramyl,  C5H11CI  ist  ebenfalls  zu  Narkosen  verwendet  w^orden. 
Snow  hat  dasselbe  an  Tieren  verwendet  und  eine  langsam  eintretende  aber 
lange  dauernde  Anästhesie  erzeugt.  Er  hat  es  dann  selbst  eingeatmet  und 
empfand  eine  langsam  eintretende  Betäubung  und  einen  Rauschzustand,  beim 
Erwachen  empfand  er  keine  Beschwerden.  Darauf  hat  Richardson  dasselbe 
mehrfach  zu  kurzen  Narkosen  verwendet. 


—     490     — 

§43.  Jodaniyl,  OßHjj.I  wirkt  nach  Richardsou  ebenfalls  aiiästhesiereud. 
Weitere  Erfahrungen  hat  man  über  diesen  Stoft  nicht  gesammelt. 

§  44.  Der  Stickstoff,  N,  ist  ebenfalls  zur  allgemeinen  Anästhesie 
verwendet  worden.  (S ander son,  Turner,  Murray).  Bei  der  Einatmung 
des  Gases  beobachtete  man  Beschleunigung  des  Pulses  und  der  Atmung 
in  der  ersten  Zeit,  während  sehr  bald  die  Respiiatiou  langamer  wurde  und 
einen  anstrengenden  Charakter  annahm,  sowie  unregelmäßig  wurde.  Die 
Pupillen  sind  im  Anfang  weit  und  werden  dann  enger,  je  langsamer  der 
Puls  wird.  Das  Gesicht  wird  blaß.  Es  tritt  jetzt  vollkommene  Anästhesie 
ein,  welche,  wenn  man  jetzt  die  Inhalation  iiuterbricht,  noch  eine  Zeitlang 
anhält.  Wird  in  diesem  Stadium  die  Inhalation  unterbrochen,  so  wird  der  Puls 
bald  wieder  normal.  In  der  Anästhesie  kann  mau  kurze  Zeit  dauernde 
Operationen  vollkommen  schmerzlos  ausführen,  doch  ist  die  Narkose  nicht  an- 
zuraten. 

§  45.  Das  liohlenoxydg'as,  CO,  ist  ebenfalls  ein  Anästhetikum,  dessen 
Eigenschaften  man  im  praktischen  Leben  des  öfteren  bei  Vergiftungen  kennen 
gelernt  hat.  Es  ist  eines  der  wirksamen  Produkte  des  Leuchtgases,  welches  die 
Betäubung  des  Kranken  bei  Leuchtgasvergiftungen  bewirkt.  Es  erfolgt  beim 
Einatmen  des  Gases  nach  kurzer  Zeit  Müdigkeit  und  völlige  Bewiißtlosigkeit, 
welche,  wenn  die  Inhalation  rechtzeitig  unterbrochen  und  künstliche  Respiration 
eingeleitet  wird,  wieder  verschwinden  kann,  der  Kranke  erwacht  allerdings 
unter  heftigem  Übelbefinden,  welches  noch  längere  Zeit  nachhält.  Sehr 
schwere  Läsiouen  der  inneren  Organe  bewirken  in  vielen  Fällen  den  Tot 
noch  nachträglich,  vor  allem  häufig  tritt  schwere  Nephritis  auf.  Zur  arti- 
fiziellen  Narkose  ist  das  Kohlenoxydgas  nicht  geeignet. 

§  46.  Der  Schwefelkohlenstoff,  C.S.^,  ist  des  öfteren  zur  Erzeugung 
der  Narkose  verwendet  worden.  Derselbe  ist  bekanntlich  eine  helle,  leicht 
bewegliche,  stark  lichtbrechende  Flüssigkeit,  welche  leicht  verdampft,  einen 
häßlichen  Geruch  besitzt,  mit  blauer  Flamme  brennt,  leicht  entzündlich  ist. 
Spez.  Gew.  1,270  hei  15°  C,  ist  in  Wasser  unlöslich,  wohl  aber  in  Äther, 
Alkohol,  Chloroform  und  Ölen.  Die  narkotischen  Eigenschaften  haben  Hermann, 
Clöez,  Hirt,  Delpech.  Levy  etc.  nachgewiesen.  Die  Atmung  wird  bei 
der  Narkose  zuerst  stark  beschleunigt  und  dann  verlangsamt,  bis  sie  endlich 
zum  Stillstand  gebracht  wird,  wenn  man  die  Verabreichung  nicht  sistiert.  Der 
Blutdruck  wird  zuerst  einige  Sekunden  gesteigert,  dann  vermindert.  Die 
Anästhesie  tritt  zunächst  au  der  Cornea  auf,  dann  erst  am  andern  Körper 
(Levy,  Bergeron),  so  daß  man  bei  Arbeitern,  welche  mit  Schwefelkohleustoff 
viel  zu  tun  haben,  eine  völlige  Unempfindlichkeit  als  erstes  Zeichen  der 
Intoxikation  findet.  Serre  beobachtete  nur  unvollkommene  Anästhesie.  Es  wurde 
der  Schwefelkohlenstoff  verschiedentlich  zu  langen  Narkosen  verwendet,  doch 
klagt  man  allgemein  über  üble  Nachwirkungen,  Kopfschmerz,  Übelkeit,  Erbrechen, 
Benommenheit  etc.  (Miller,  Simpson.  Harold  Thaulow,  Serre-  etc,) 
Miller  amputirte  eine  Brust  in  Schwefelkohlenstoffnarkose,  doch  zeigte  sich  am 
Ende  der  Narkose  große  Unruhe,  und  nach  derselben  starker  Kopfschmerz 
und  Pulsfrequenz.  Es  ist  der  Schwefelkohlenstoff'  zur  Narkose  wenig  zu 
empfehlen. 

§  47.  Richar  dson  empfahl  den  Rauch  von  Lykoperdon  proteus  (g-ig-an- 
teum)  zur  Narkose.    Derselbe    wurde  zur  Betäubung  der  Bienen  benutzt  und 


—     491     — 

vuu  R.  auch  am  ]\l(^iisclieii  uud  größeren  Tieren  verwendet.  Er  konnte  längere 
Anästhesie  aiu  Menschen  erzeugen,  Respiration  und  Herzaktiou  wui'deu  dabei 
verlangsamt,  die  Atmung  bis  auf  6  Atemzüge  pro  Minute.  Wurde  die  Inhalation 
aiisgesetzt,  so  kehrte  das  Bewußtsein  rasch  wieder,  selbst  wenn  die  Pupille 
starr  uud  der  Herzschlag  kaum  noch  zu  fühlen  war.  H  e  r  a  p  a  t  h  fand,  daß 
in  dem  Rauch  vor  allen  Dingen  das  Kohlenoxydgas  die  Narkose  erzeuge. 
Von  Wert  ist  dieses  Narkotikum  nicht. 

§  48.  Das  Heroin  ist  ein  Ersatz  des  Morphins  und  an  Stelle  desselben 
zur  Narkose  verwendet  worden.  Es  ist  ein  Diessigsäureester  des  Morphins 
und  wirkt  gleich  dem  ]\Iorphin,  nur  fehlen  die  üblen  Nachwirkungen,  wie 
Kopfschmerz,  Erbrechen,  Öhrensausen  etc.  nach  Heroindarreichung  vollkommen, 
es  ist  nur  einmal  ein  leichtes  Schwindelgefühl  nach  dem  Gebrauch  des  Heroin 
beobachtet  worden.  Wiesner  empfiehlt  0,01  zu  injizieren  bei  Alkoholikern 
zur  Vorbereitung  für  die  Narkose.  Eine  Gewöhnung  an  dasselbe  tritt  weniger 
ein.  Man  verwendet  dasselbe  nicht  allein  zur  Narkose,  sondern  stets  mit 
anderen  kombiniert,  weshalb  später  über  dasselbe  noch  genauer  geschrieben 
wii-d.  Ebenso  wird  das  Morphin  als  Narkotikum  später  behandelt  werden. 
Die  Dosis  des  Heroin  in  0,01 — 0,03   in  sukuntaner  Injektion. 

§  49.  Man  hat  auch  in  neuerer  Zeit  die  Hypnose  und  Elekti'izitiit  zur 
Erzeuzung  allgemeiner  Anästhesie  uud  Narkose  herangezogen  und  es  wird 
von  Dona  über  drei  Fälle  berichtet,  in  denen  es  ihm  gelungen  ist,  eine  Operation 
iinter  Hypnose  auszuführen.  Es  wurden  die  Kranken  durch  Vorhalten  einer 
Maske  mit  nur  wenigen  Tropfen  Chloroform  oder  Chloräthyl  oder  eines  sonstigen 
Mittels  von  intensivem  Geruch  unter  dem  nötigen  Zureden  in  einen  Zustand 
der  Hypnose  versetzt,  der  eine  Operation  ohne  Schmerzen  gestattete.  So  hat 
Dona  eine  Adenitis  iuguinalis  tuberculosa  operiert,  eine  Trepanation  des 
Prozessus  mastoideus  bei  einem  14jährigen  Mädchen  ausgeführt  unter 
Hypnose,  ebenso  einen  Arbeiter  der  im  Delirium  während  einer  Tnfluenza- 
Pneumonie  sich  mehrere  Bauch-  und  Leberwunden  beigebracht  hatte,  unter 
Hypnose  die  Wunden  besorgt.  L  e  D  u  c  s  hat  auch  die  Elektrizität  heran- 
gezogen, doch  kann  man  diese  Narkosen  noch  nicht  als  genügende  für  den  all- 
gemeinen Gebrauch  ansehen.  Es  wird  allerdings  kaum  möglich  sein,  daß  man 
die  hypnotische  Narkose  allgemein  verwendet,  denn  es  sind  immer  nur  gewisse 
Personen,  Leute  mit  psychopathischer  Anlage,  für  die  Hypnose  so  geeignet, 
daß  eine  wirkliche  Anästhesie  erreicht  wird.  Man  wird  wohl  Bedenken  tragen 
müssen,  ob  man  bei  jedem  Menschen  die  Anästhesie  durch  Hypnose  uud 
Elektrizität  wird  erzeiigeu  können.  Man  muß  also  die  Resultate  der  dahin- 
gehenden Forschungen  noch  mit  Interesse  erwarten  und  vorerst  noch  mit  dem 
endgültigen  Urteil  zurückhalten. 


XII.  Kapitel 
Die  Mischnarkosen. 

§  50.  Unter  der  Bezeichnung  Mischnarkose  versteht  man,  wie  schon  früher 
erörtert,  eine  Narkose,  welche  hervorgebracht  wii'd  durch  ein  Gemisch  von  zwei  oder 
mehreren  Narkotika.  Der  Gedankengang,  der  zur  Mischuarkose  führte,  war  der, 
daß  man  mit  den  Resultaten  der  einfachen  Chloroform-  oder  Äthernarkose  nicht 
zufrieden  und  in  der  Erkenntnis,  das  eine  Narkotikum  habe  oft  entgegengesetzte 


—     492     — 

Wii'kuugeu  wie  das  andere,  und  es  würden  mauchmal  die  Wirliimgeu  des  einen 
durch  das  andere  paralysiert,  mehrere  Narkotilva  mischte  und  sie  verabreichte 
in  der  Ansicht,  daß  die  schlechten  oder  üblen  Wirkungen  des  einen  durch  die 
guten  des  anderen,  und  umgekehrt,  unschädlich  gemacht  würden,  während  sich 
die  narkotische  Kraft  summiere.  Dieser  Gedanke  war  sehr  naheliegend,  aber 
er  erwies  sich  sehr  bald  als  nicht  zutreffend,  wenigstens  nicht  so  bhne  weiteres 
als  lichtig,  indem  nämlich  die  entgegep gesetzte  Wirkung  der  einen  Narkotika 
nicht  die  der  anderen  aufhob  und  auch  die  narkotische  Kraft  nicht  summiert 
wurde.  Immerhin  kann  man  nicht  von  vornherein  diese  Annahme  als  vollkommen 
falsch  erklären,  denn  es  bestehen  ganz  entschieden  Vorzüge  der  Mischnarkose 
vor  der  einfachen,  wenn  auch  gewisse  Nachteile  vorhanden  sind.  Es  kann  ein 
Urteil  nicht  so  ohne  weiteres  abgegeben  werden,  man  muß  die  einzelnen  Ver- 
hältnisse dazu  genau  erw'ägen. 

Die  ersten  Mischungen  der  Narkotika  betrafen  nur  Chloroform  und  Äther. 
Man  mischte  diese  beiden  Stoffe  in  verschiedenen  Verhältnissen  \md  fügte  dann 
noch  den  Alkohol  in  geringen  Prozentsätzen  hinzu,  weil  man  sich  von  demselben 
gewisse  Vorzüge  versprach.  Es  gibt  ganz  enorm  viel  solcher  Mischungen,  und  man 
kann  sich  leicht  denken,  daß  sich  schon  aus  diesen  dreiNarkotika  eine  große  Zahl  von 
Mischungen  herstellen  ließen.  Schon  bald  nahm  man  statt  Alkohol  noch  ein 
drittes  Narkotikum,  meist  Bromäthyl  oder  Chloräthyl,  indem  man  sich  von  diesen 
Geinischen  Vorzüge  versprach. 

Mau  hat  also  vor  allen  Dingen  folgende  Mischungen,  die  man  be- 
rücksichtigen muß,  angegeben. 

Die  Mischung,  welche  am  meisten  in  früheren  Zeiten  verwendet  wurde, 
war  die  Wiener  Mischung,  welche  aus  6  Teilen  Chloroform  und  Ü  Teilen 
Aether  sulfur.  besteht.  Dieselbe  wurde  zuerst  in  Wien  angewendet  und  dort 
auch  am  meisten  verwendet.  Man  schrieb  ihr  besondere  Vorzüge  zu  und  hielt 
sie  lange  Zeit  für  völlig  ungefährlich.  Es  wurden  angeblich  8000  Narkosen 
mit  dieser  Mischung  ausgeführt,  unter  denen  nicht  ein  Todesfall  sich  ereignet 
haben  soll. 

Eine  andere  Mischung  ist  die  von  L inhart,  welcher  1  Teil  Chloroform 
und  4  Teile  Aether  sulfur.  mischte  und  diese  Mischung  für  sehr  gefahrlos  hielt. 

Billroth  hat  eine  Mischung  angegeben,  welche  aus  3  Teilen  Chloroform' 
1  Teil  Aether  sulfur.  und  1  Teil  Alkohol  zusammengesetzt  ist.  Billroth  lobt 
diese  Mischung  sehr,  während  andere  dieselbe  nicht  bewährt  fanden  (Pawlik, 
Dudley,  Buxton,  Gauvard  etc.)  und  man  sogar  einzelne  Todesfälle  auf 
Kosten  derselben  schrieb. 

Otis  gab  eine  Mischung  an,  welche  aus  3  Chloroform -|- 4  Alkohol -)- 
1  Bromäthyl  zusammengesetzt  ist. 

Das  englische  Chloroformkomitee  gab  drei  Mischungen  au,  welche  als 
Mischung  A,  Mischung  B,  Mischimg  C  bezeichnet  wurden.  Die  Mischung  A 
wird  auch  als  ACE-Mischung  (Alkohol-Chloroform-Ether  mixture)  bezeichnet,  sie 
besteht  nämlich  aus  1  Alkohol  -j-  2  Chloroform  -|-  3  Aether  sulfur.  Die  ACE- 
Mischung  ist  eigentlich  von  Harley  erfunden  und  vom  englischen  Chloroform- 
Komitee  empfohlen  worden.  Die  Mischung  B  besteht  aus  1  Chloroform  -)- 
4  Aether  sulfur.,  die  Mischung  C  aus  1  Chloroform  -{-  2  Aether  sulfur. 

Richardson  gab  eine  Mischung  von  2  Chloroform  -j-  2  Alkohol  -j- 
3  Aether  sulfur.  an. 


—     493     — 

Ferner  verwendete  mau  eine  Miscbung  von  Chloroform  -|-  Aether  snlfur.  ää, 
Radestock  empfiehlt  2  Chloroform  +  <^  Aether  sulfur. 

Stephens  gab  eine  Mischung  aus  Chloroform  und  Alkohol  aa  an,  welcher 
er  noch  einige  Tropfen  Aqua  Colon,  zusetzte. 

Wachsmuth  hat  *j-,  Chloroform  +  Vr,  Oleum  therebinth.  (Terpentinöl) 
angegeben,  welche  besonders  Synkope  verhüten  soll. 

V.  Meriug  hat  eine  Mischung  von  1  Chloroform  -|-  2  Dimethylacetat 
angegeben  und  verwendet. 

Ferner  hat  mau  3  Chloroform  -|-  4  Alkohol  -|-  1  Chloräthyl  verwendet, 
außerdem  3  Äther  -\-  1  Chloroform,  2  Aether  sulf.  -f-  1  Chloroform,  4  Aether  sulf.  -j- 
1  Chloroform  etc. 

Natürlich  lassen  sich  eine  sehr  große  Menge  solcher  Mischungen  nennen. 
Von  allen  diesen  Mischungen  hat  die  ACE-Mischung  sehr  viel  Verwendung  ge- 
funden. So  hält  Eowell  dieselbe  für  sehr  vorteilhaft,  er  hat  sie  in  800  Fällen 
als  ganz  ungefährlich  erprobt,  vor  allem  auch  bei  Kindern.  White  und  Owen 
halten  dieselbe  für  unzuverlässig  und  sogar  gefährlich,  gefährlicher  als  Chloroform. 

Silk  hingegen  hält  die  ACE -Mixtur  geeignet  für  Kinder  von  3-12  .Jahren, 
und  ebenfalls  für  ältere  Leute  über  60  Jahren,  ebenso  hält  er  in  allen  Alters- 
stufen dieselbe  für  angebracht  bei  fetten  und  plethorischen  Kranken,  bei 
chronischen  Luugenleiden,  während  man  sie  bei  Nierenkranken  und  ( )perationen 
au  Hals  und  Kopf  nicht  verwenden  soll.  Braine  verwendet  die  xlCE-Mixtur  bei 
Kindern  unter  6  Jahren,  ferner  bei  Ileus  nach  vorhergegangener  Magenspülung. 
Whiteford  hat  ebenfalls  diese  Mischung  viel  verwendet.  Man  kann  aus  den 
Angaben  entnehmen,  daß  diese  Mischung  gegen  andere  sehr  gut  wirkt. 

Die  Billroths  che  Mischung  ist  nächst  dieser  am  meisten  verwendet 
worden.  Alessandri  hat  bei  106  Narkosen  keine  Uebelstände  gefunden,  dem 
entgegen  hält  Radestock  die  Mischung  für  ebenso  gefährlich  wie  Chloroform 
und  verwirft  dieselbe  deshalb.  Aus  den  Statistiken  von  Gurlt  entnimmt  man 
eine  Sterblichkeit  für  die  Billrothsche  Mischung  von  1  :  3370,  in  einer  anderen 
Statistik  kommt  auf  996  Narkosen  von  Billroths  Mischung  1  Todesfall.  Die 
Mortalität  für  Chloroform  -j-  Aether  ää  -Narkosen  stellt  sich  auf  1  :  5064. 

H  e  w  i  1 1  empfiehlt  für  fettleibige  Leute  eine  Mischung  aus  3  Teilen  Aether  sulf. 
und  2  Teilen  Chloroform,  für  Herzkranke  wählt  er  Mischungen  aus  Chloroform 
und  Aether  ää  oder  Alkohol-}- Aether-)- Chloroform.  Tait  empfiehlt  eine  Mischimg 
aus  2  Aether  sulf.  -J-  1  Chloroform  (Taits  Mixtur),  namentlich  für  Frauen,  doch 
hat  er  einen  Todesfall  mit  dieser  Narkose  erlebt. 

Das  englische  Chloroformkomitee  hat  bei  der  Angabe  seiner  Gemische 
vor  allen  Dingen  den  Zweck  verfolgt,  durch  das  Hinzufügen  von  Alkohol  und 
Äther  oder  Äther  allein  die  Herzkraft  mehr  anzuregen  und  durch  dieses  An- 
regen die  Wirkung  des  Chloroforms,  welches  depressiv  wirkt,  zu  paralysieren. 
Diese  Ansicht  konnte  zunächst  als  recht  plausibel  erscheinen  und  man  konnte 
annehmen,  daß  durch  diese  Kombination  dem  Chloroform  die  gefürchteten  üblen 
Eigenschaften  genommen  würden.  Allein  es  ergab  sich  ein  ganz  anderes  Ver- 
hältnis während  der  Narkose  mit  den  Mischungen,  welche  ja  alle  mehr  oder 
weniger  dasselbe  Ziel  in  jedem  einzelnen  Falle  verfolgen,  indem  nämlich  durch 
Ellis  zuerst  nachgewiesen  wiirde,  daß  bei  den  Mischungen  die  einzelnen 
Narkotika  ganz  anders  zur  Wirkung  kommen,  als  man  allgemein  annahm.  Man 
führte  ja  die  Mischnarkose  genau  wie  die  gewöhnliche  Narkose  aus,  indem  man 
die  Mischung  in  eine  Maske  goß.  Dabei  verdunsten  aber  die  drei  oder  zwei  Narkotika 
infolge  ihrer  verschiedenen  Siedepunkte  ganz  verschieden,  denn  zuerst  verdampft 
der  Äther,  dann  das  Chloroform  und  zuletzt  der  Alkohol,  so  daß  also  der 
Kranke,  wenn  man  eben  eine  größere  Menge  der  Mischung  in  die  Maske  gegossen 


-     494     — 

hat,  in  den  ersten  Sekunden  fast  ausschließlich  unter  der  Atherwirkung  und 
später  wieder  ausschließlich  unter  der  Chloroforniwirkung-  steht. 

Wenn  nun  aher  nach  der  Absicht  des  Narkotiseurs  der  Aether  sulfur.  das 
Herz  kräftigen  soll  nach  der  deprimierenden  Wirkung  des  Chloroforms,  so  ge- 
schieht dies  in  Wirklichkeit  gar  nicht,  denn  es  kommt  überhaupt  zuerst  der 
Äthei'  zur  Wirkung,  kann  also  nicht  die  Schäden  des  Chloroforms  ausgleichen. 
E  1 1  i  s  hat  genaue  Versuche  darüber  angestellt  und  hat  gefunden,  daß  z.  B. 
von  2  g  der  ACE  Mischung,  welche  ca.  6 — 10  Minuten  Zeit  zur  Verdunstung 
brauchen,  in  der  ersten  Minute  fast  nur  Aether  sulfur.  verdampft,  in  den 
folgenden  3  Minuten  das  Chloroform  und  in  den  letzten  Minuten  der  Alkohol 
in  die  Inspirationsluft  übergeht.  Wenn  also  ein  Kranker  2  g  solcher  Mischung 
einatmet,  so  erhält  er  zuerst  Aether  sulfur.,  nach  kurzer  Zeit  nur  noch  Chloroform 
und  steht  unter  Chloroformnai'kose  bis  neue  Mengen  aufgegossen  werden.  Es 
ist  nun  abei'  hierbei  gerade  in  der  Zeit,  wo  mau  bei  der  Chloroformnarkose  die 
Refiexsynkope  fürchtet,  die  Narkose  ausschließlich  eine  Chlo'ofornmarkose,  folg- 
lich ist  die  Gefahr  der  Reflexsynkope  hier  ebensogroß  wie  bei  dei-  reinen 
Chloroformnarkose.  Man  erkennt  also  hieraus  deutlich,  daß  ein  Voiteil  der 
Mischnarkose  gegenüber  der  reinen  Narkose  nicht  besteht,  und  es  sind  auch  tat- 
sächlich Todesfälle  in  der  Mischnarkose  vorgekommen,  die  der  Chloi'oformwii'kung 
zuzuschreiben  sind  (K  a  p  p  e  1  e  r  etc.). 

Da  man  nun  also  erkannte,  daß  durch  die  Mischung  der  Narkotika  selbst 
ein  Voiteil  infolge  geringerer  Lebensgefahr  für  den  Kranken  nicht  voi'handen 
sei,  versuchte  man  auf  andere  Art  die  Mischimgen  herzustellen,  und  zwar 
war  es  E  1 1  i  s,  welcher  die  Dämpfe  der  Nai'kotika  sich  mischen  ließ,  indem  er 
einen  Apparat  konstruierte,  in  welchem  3  Kammern  vorhanden  waren,  dei'en 
jede  mit  einem  Narkotikum  beschickt  wurde,  so  daß  in  der  einen  Alkohol,  in 
der  anderen  Chloi'oform  und  in  der  dritten  Aether  sulfuricuswar.  In  diesen  Kammern 
befinden  sich  Baumwollfäden  ausgespannt,  an  denen  das  Narkotikum  verdampft, 
wodurch  eine  schnellere  und  intensivere  Verdunstung  der  Narkotika  gewähr- 
leistet wird.  Durch  diese  Einrichtung  und  die  Größe  der  Kammern  ist  es 
ermöglicht,  daß  die  Inhalationsluft,  welche  dem  Kranken  durch  den  Apparat 
zugefühlt  wird,  nie  mehr  als  2%  Alkoholdämpfe,  B^o  Äther-  und  Chloroform- 
dämpfe beigemischt  erhält.  Diese  Dämpfe  werden  in  einem  Rezeptakuluin  ge- 
sammelt und  von  dort  als  Mischung  der  Gase  dem  Kranken  verabreicht.  An 
dem  Apparat  ist  eine  Vorrichtung  angebracht,  durch  welche  mau  die  Zusammen- 
setzung der  Gasgemische  ändern  kann,  je  nach  dem  Zustand  des  Kranken,  in- 
dem man  entweder  nur  das  Gasgemisch,  oder  nur  Chloroformdämpfe,  odei'  reine 
Äther  oder  Alkoholdämpfe  verabreichen  kann.  So  kann  man  durch  diesen 
Appai'at  jederzeit  genau  die  Zusammensetzung  bestimmen,  ändern  und  den  Ver- 
hältnissen anpassen.  Der  Nachteil  dieser  Methode  liegt  nun  aber  darin,  daß  man 
zui'  Narkose  einen  sehr  komplizierten  Apparat  bi'aucht,  welcher  zu  umfangreich 
und  kompliziert  ist,  als  daß  man  ihn  in  der  Praxis  verwenden  könnte. 

Diese  Anregungen  gingen  zunächst  wieder  unter  im  Meere  der  Vergessen- 
heit, da  es  jetzt  Schleich  war,  welcher  die  Narkose  mit  mehreren  Narkotika 
in  andere  Bahnen  lenkte.  Schleich  stellte  Mischungen  der  Narkotika  dar, 
welche  einen  Siedepunkt  gleich  der  Körpertemperatur  hatten,  und  nannte  diese 
seine  Gemische  S  i  e  d  e  g  e  m  i  s  c  h  e.  Es  ist  nämlich  Tatsache,  daß  ein  Nar- 
kotikum um  so    eher  von    dem  Blute  durch    die  Lungen  aufgenommen  wird,  je 


—     495     — 

niedrig-ev  sein  Siedepunkt  g-elegcn  sei,  und  daß  auch  das  Narkotikum  wieder  um 
Hü  schneller  aus  dem  Organismus  eliminiert  wird,  je  niedriger  der  Siedepimkt 
liegt,  hingegen  wird  ein  schwer  verdunstendes,  also  einen  hohem  Siedepunkt 
besitzendes  Nai'kotikum  schwerer  in  das  Blut  aitfgenommeu  und  schwer  wieder 
ahgegehen.  Es  wii'd  dahei'  ein  Narkotikum  mit  hohem  Siedepunkt  auch  länger 
im  Olganismus  verbleiben,  es  wird  im  Blut  und  Organismus  aufgespeichert 
werden  und  dadurch  üble  Einwirkungen  ausüben,  während  ein  solches  mit 
niedi-igem  Siedepunkt  im  Körper  nicht  festgehalten  wird,  sondern  sehi-  leicht 
(eliminiert  wii'd.  Somit  wird  nun  nach  Schleich  ein  Narkotikum  mit  einem  Siede- 
punkt, der  imter  der  Körpertempei'atur  liegt,  die  Lungen  in  gespannter  Dampf- 
foi'ui  verlassen  müssen,  während  ein  Narkotiki;m,  welches  einen  der  Küi'per- 
tempei-atui'  gleichen  Siedepunkt  besitzt,  äußerst  leicht  durch  die  Lungen 
elimiuiei't  wird,  hingegen  könne  ein  Narkotikum  von  höherem  Siedepunkt,  als 
die  Köi-pei'wäi'uie  beträgt,  nur  in  bestimmten  Mengen  den  Organismus  durch 
die  Lungen  verlass  n.  Diese  Mengen  werden  durch  den  Verdunstungs(j[Uotienten 
bestimmt,  welcher  nach  Schleich  durch  die  Zahl  repräsentiert  wird,  welche  an- 
gibt, wieviel  von  einer  Flüssigkeit  bei  bestimmter  Temperatur  und  atmo- 
sphärischem Druck  sich  in  der  Zeiteinheit  in  das  verwandelt.  Schleich  nimmt 
nun  an,  daß  sich  die  Narkotika  nicht  mischen,  sondern  ineinander  auflösen,  und  daß 
durch  die  Lösung  eines  Körpei's  in  dem  anderen  der  Siedepunkt  verändert  wii'd, 
so  hat  Wasser  einen  anderen  Siedepunkt,  wenn  Salz  in  ihm  gelöst  ist,  und  es 
wird  auch  der  Siedepunkt  des  Chloroforms  verschoben,  wenn  in  ihm  Chloräthj^  etc. 
gelöst  ist.  Ebenso  behauptet  Schleich,  daß  eine  Lösung  nicht  fi'aktioniert 
destilliert,  während  nur  Mischungen  fraktioniert  verdampfen.  Er  nimmt  also 
an,  daß  die  Mischungen  der  Narkotika  als  Lösungen  verdampfen  imd  einen 
gemeinsamen  Siedepunkt  erhalten.  Schleich  nimmt  daher  an,  daß  „bei  der 
Inhalation  der  Gemische  jedes  dem  Gemenge  angehörige  Gas  gleichzeitig  unter 
gleichem  Verdunstungsquotienten  in  die  Lungen  eintritt".  Es  hat  daher  Schleich 
Gemische  konstruiert,  welche  zusammen  einen  Siedepunkt  haben,  der  gleich  der 
Köi'pertemperatur  ist  und  er  gibt  au,  daß  es  dabei  nicht  gleichgültig  sei,  wenn 
annähernd  der  Siedepunkt  gleich  der  Köi'pertemperatur  sei,  sondern  dersell)e 
müsse  bei  kurzen  Narkosen  der  Körpertem])eratur  vollkommen  gleichen,  während 
bei  laugen  Narkosen  der  Siedepunkt  2°  höher  gelegen  sein  müsse,  wenn 
man  tiefe  Narkose  von  langer  Dauer  wünsche.  Es  sei  für  die  Narkose  das 
das  beste  Narkotikum,  welches  einen  Siedepunkt  von  der  Höhe  der  Körper- 
temperatur besitzt,  lind  diese  Narkotika  kann  man  nur  durch  Mischung  von 
mehreren  anderen  erhalten.  So  hat  Schleich  seine  Siedegemische  angegeben, 
welche  folgendermaßen  zusammengesetzt  siud.  Zuerst  hat  Schleich  die  Gemische 
aus  Chloroform  -|-  Aether  sulfiir.  -(-  Petroläther,  welch  letzterer  einen  Siedepunkt 
von  65  haben  muß,  gebildet,  es  waren  also: 

das  I.  Siedegemisch:  Chloroform  15  ccm  -{-  Aether  Petrol.  5  cem  -\-  Aether  siilfur.  00  ccm, 

„     n.  „  „  15       „      +  „  „         5       „     +         „  „         50       „ 

"„     ni.         „  „  10      „     +         „  „        5      „     +         „  „        27,0    „ 

In    der   neuereu  Zeit    hat  Schleich    an  Stelle  des  Petroläthers  Chloräthj^ 
verwendet  und  nun  lauten  seine  Gemische  folgendermaßen : 

I.  Siedegemisch:  16  ccm  Chloroform    -(-  8  ccm    AthyJchlorid    -|-  48  ccm  Aether  sulfiir., 
II-  „  IC      „  „  +  G      »  „  +  48      „ 

III-  „  16       „  „  +2      „  „  +  48      „  „  „ 


_     496     — 
Die  einfachen  Verhältniszahlen  sind  folgende  : 

Siedegemisch  I:  Chloroform  4,  Chloräthyl  2,  Aether  sulfur.  12  =  38  "C  Siedepunkt 

„  n  .,  4,  „  1,5,      ,,  ,,        12  =  40  "C  „ 

,,  ni  ,,  4,  „  0,5,      ,.  ,.        12  =  42«  C  „ 

Es  entspricht  also  das  Siedegemisch  I  mit  dem  Siedepunkt  bei  38 ''C 
einer  Körpertemperatur   von  38*'C,   das  II  einer  von  40  "C,    das  III  von  42°  C. 

Schleich  schi-eibt  über  diese  Gemische  folgendermaßen,  woraus  man 
die  Verwendung  erkennt:  „Auf  diese  Weise  bin  ich  in  der  Lage,  Patienten, 
welche  einei'  kurzen  Narkose  bedürfen,  immittelbar  nach  Beendigung  der 
Operation  schon  wieder  wach  zu  haben;  denn  narkotisiert  man  bei  Siedepunkt- 
temperatur, also  mit  Siedegemisch  I,  so  genügen  einige  Atemzüge  und  der 
Patient  erwacht,  so  leicht  wird  das  bei  Körpertemperatur  siedende  Gemisch 
wieder  evakuiert.  Bedarf  ich  aber  einer  längerdauernden  und  tieferen  Narkose, 
so  wird  der  Siedepunkt  höher  gewählt,  Siedegemisch  II  und  III,  weil  alsdann 
dei-  geringe  Überschuß,  welcher  mit  der  Atmungsluft  auf  dem  Wege  der  lang- 
sameren Verdunstung  nicht  sofort  eliminiert  werden  kann,  den  tiefen  Schlaf 
mit  mögligst  kleiner  Dosis  erzeugt.  In  keinem  der  Fälle  hat  uns  dieses 
individualisierende  Verfahren  der  angepaßten  Narkose  im  Stich  gelassen.  Ferner 
geht  aus  den  genau  geführten  Protokollen  hervor,  daß  man  auf  diese  Weise 
allein  durch  den  Atmungsmodus  die  Narkose  regulieren  kann.  Bei  großen  Dosen 
wii'd  die  Atmung  schneller  und  tiefer  nach  eingetretener  Narkose,  weil  die 
Limgen  größere  Anstrengung  machen,  die'  aufgehäufte  Menge  des  Gasgemisches 
zu  evakuieren  und  bei  Fortfall  der  Neuzufuhr  kehrt  die  Atmung  wieder  zui' 
Norm  zurück.  Damit  kongruent  ge'it  die  COg-Pupille  mit  Dilatationszuuahmc 
und  die  Schlafinipille  mit  Dilatationsabnahme  (resp.  Enge).  Der  Puls,  der 
immerhin  kontrolliert  wird,  wurde  durchgehends  voller  gespannt,  selten 
frequenter,  einige  Male  verlangsamt  befunden.  Nach  dieser  Richtung  waren  die 
Verhältnisse  genau  wie  bei  den  Äthernarkoseu.  Die  Dauer  des  Eintiittes  der 
Narkosen  ist  ebenfalls  abhängig  von  den  gewählten  Siedepunkten.  Bei  S=T 
dauert  es  weniger  lange,  als  bei  den  von  mir  beobachteten  Aethernarkosen,  aber 
länger  als  beim  Chloi-oform.  Bei  S>T  waren  die  verbrauchten  Mengen  geringe]' 
als  bei  S=;T.  Die  höchste  von  mir  verwandte  Menge  betrug  180  g  des  Ge- 
misches III  bei  einer  fast  l'/o  stündigen  Narkose  wegen  komplizierter  Uterus- 
exstirpation.  Das  Exzitationsstadium  war  selbst  bei  Potatoren  sehr  wenig  aus- 
geprägt, es  fehlte  sonst  fast  ganz.  Die  Narkose  Avar  stets  tief  genug,  um 
völlige  Analgesie  zu  erzielen.  Bei  Kindern  oder  Greisen  zeigten  sich  keine  Ab- 
weichungen von  der  Art  der  Narkose.  Bei  gynäkologischen  Operationen  wurde  stets 
eine  volle  Erschlaffung  der  Bauchdecken  erreicht.  Cyanose  trat  niemals  ein." 
Weitei-  gibt  Schleich  an,  daß  sich  die  Patienten  nach  Narkosen  mit  seinen  Ge- 
mischen frischei-  und  wohler  fühlten,  als  nach  reinen  Chloroform-  oder  Aether- 
narkosen. Erbrechen  und  Uebelkeit  tritt  ebenso  häufig  wie  nach  jenen  Narkosen 
auf.  Die  Nachwirkungen  dauerten  nie  länger  als  5 — 6  Stunden.  Auch  Reizungen 
von  Seiten  der  Respirationsorgane  will  Schleich  nicht  beobachtet  haben. 
Schleich  hat  über  600  Narkosen  damit  ausgefühi't,  ohne  einen  Mißerfolg  zu 
gewahren  und  ohne  auch  nur  üble  Zufälle  erlebt  zu  haben.  Es  besteht  kein 
Zweifel,  daß  ein  gewisse]'  Vorteil  in  den  Gemischen  analog  den  Schleichschen 
Angaben  besteht,  aber  es  wird  weiter  unten  gezeigt  wei'den,  daß  derselbe  nicht 
so  groß  ist,  wie  man  erwartet  hat. 

Wenn  man  mm  noch  statt  Aethei'  -\-  Chloroform-Mischungen  solche  aus  3 
odei'  gar  4  Narkotika  bedenkt,  so  wei'den  die  Verhältnisse  noch  komplizierter,  abei' 
bei  weitem  nicht  besser,  denn  immei'  wird  der  Narkotisiei'te  nicht  das  Gemisch 
so  inspii'ieren,  wie  mau  es  als  Mischung  der  Narkotika  wünscht,  sondei'n  ei' 
wii'd  im  Anfang  mehr  Aether  inspii'ieren  und  später  mehi'  Chloroform,  wenn  das 
Gemisch  aus  Chloi'oform  und  Aethei'  bestand,  wähi'end  er  bei  einem  Gemisch  aus 
Aether  -|-  Chloroform  -\-  Chloi'äthyl  zuerst  Chloi'äthyl  und  wenig  Aether  ,dann  viel 
Aether  mid  wenig  Chloroform  und  zuletzt  reichlich  Chloi'ofoi'ui  inspii'iei-en  muß. 
Diese  Vei'hältnisse  bestehen  bei  allen  Mischungen  und  lassen  sich  nicht  beseitigen, 
Avenu  man  nicht  komplizierte  Appai'ate  zu  Hilfe  nimmt. 

Honigmann  äußei't  sich  in  seiner  Arbeit  über  die  Mischnarkose  folgende]'- 
maßen:  „Wenn  die  Gesamtmenge  des  Gemisches  in  einem  Rezipienten  verdunstet,  — 


—     497     — 

et\v:i8  Aehnlichos  tritt  hei  schubwcdseiu  Anfoi(iß(!n  auf  die  Maske  uud  hei  dciu 
Schlciehschcii  Vei'faliveu  ein  —  und  der  Patient  aus  diesem  den  Dampf  d(;s 
ganzen  Flüssi<;,'keitsi4'emenffes  einatmet,  so  Avird  der  V(M'lauf  d(!r  ganzen  Nai'kose 
'6  Pliasen  unterscheiden  lassen.  Im  Anfang  wird  größtenteils  Aether  und  sehr 
wenig  C'hlorofoi'm  verdampfen,  dann  wii'd  ein  Stadium  kommen,  wo  Chloroform 
und  Aether  annähei-nd  gleichmäßig  zur  Verwendung  gelangen,  und  am  Ende 
der  Narkose  wird  reines  Chloroform  allein  übergehen.  Bei  ti'opfenweiser  Ver- 
dunstung des  Gemisches  wird  die  im  ersten  Fall  geschilderte  aus  '6  Phasen  be- 
stehende Periode  sich  so  oft  wiederholen,  als  ein  Tropfen  auf  die  Maske  fällt, 
vorausgesetzt,  daß  erst  dann  ein  neuer  Tropfen  auffällt,  wenn  der  vorige  ver- 
dampft ist,  und  daß  die  Dämpfe  jedes  Tropfens  auch  in  die  Einatmungsluft  des 
Patienten  gleichmäßig  gelangen.  Dann  wird  die  Narkose  während  ihres  ganzen 
Verlaufes  einen  gleichmäßigen  Charakter  behalten,  indem  fortwährend  und  rasch 
hintereinander  die  einzelnen  Verdunstungsphasen  abwechseln  und  daher  die 
Einatmimgsluft  in  jedem  Zeitabschnitt,  welcher  de]-  Verdunstung  eines  Tropfens 
entspricht,   zugleich   mit   Aether  und  mit  Chloroform  dampf  sich  mischen  kann." 

AVas  die  Mischungen  von  Narkotika  anlangt,  so  hat  man  diese  hier  ge- 
nannten Arten  zu  berücksichtigen,  während  bei  dem  andern  Teil  der  Misch- 
narkosen, wie  schon  angedeutet,  nicht  die  Narkotika,  sondern  die  Dämpfe  der- 
selben gemischt  werden.  Ehe  aber  die  letzteren  erörtert  werden,  sollen  die 
näheren  A-'erhältnisse  und  Wirkungen  dieser  Narkotikamischungen  betrachtet 
werden. 

§  51.  Die  physikalischen  Eigenschaften  der  Narkotikagemische  haben 
eine  große  Ähnlichkeit  mit  denen  der  einzelneu  Narkotika  und  sollen  im  folgenden 
des  näheren  behandelt  werden. 

Wenu  man  2  Narkotika,  nehmen  wir  au  Chloroform  und  Aether  sulfuricus, 
mischt,  so  erhält  man  eine  Flüssigkeit,  welche  zwar  ein  anderes  spezifisches 
Gewicht  erhält,  ebenfalls  einen  anderen  Siedepunkt,  welche  aber  nicht  gleich- 
mäßig verdunstet,  wie  man  annahm,  also  nicht  z.  B.  bei  Mischung  von  3  : 1  auch 
3  Teile  von  Chloroform  und  1  Teil  Äther  verdunsten,  sondern  stets  in  anderen 
Verhältnissen,  die  je  nach  der  Temperatur  wechseln.  Immerhin  aber  wird  Äther 
in  größeren  Mengen  verdampfen.     (Honigmann,  Braun  etc.) 

Es  sind  über  diese  Verhältnisse  genaue  Untersuchungen  augestellt  worden, 
und  so  sind  verschiedene  Forscher  zu  denselben  Resultaten  gelangt.  Die  Ver- 
suche von  Braun  haben  ergeben,  daß,  wenn  mau  Aether  und  Chloroform 
mischt,  ebenso  bei  der  Mischung  anderer  Narkotika,  eine  Erwärmung  der 
Flüssigkeit  mit  Kontraktion  stattfindet,  so  daß  das  Volumen  von  Alkohol  und 
Aether  größer  ist,  als  das  Volumen  der  Mischung  Alkohol-Aether.  Braun  hat 
folgende  Tabelle  aufgestellt  und  berechnet: 

Verhältnis  des  Gemisches.     Spezif.  Gew.  bei  15°  C.     Volumen  von  100  ccm.  AC. 

AC  =  6  :  1  0,837  98.5  ccm 

AC  ==  3  :  1  0,925  98,0  „ 

AC--=2:1  0,990  97,7  „ 

AC  =  3:2  1,044  97,6  ,. 

AC  =  1:1  1,120  97,5  ,. 

AC  =  2:3  1.2025  97,0  „ 

AC  =  1  :  2  1,2475  96,5  „ 

Wenn  man  eine  Mischung  von  Aether-Chloroform  (AC)  in  ein  anderes 
Gefäß  gießt,  so  wird  dabei  schon  das  spez  Gewicht  verändert,  es  steigt,  ebenso, 
wenn  man  nur  kurze  Zeit  die  Flasche  offen  stehen  läßt,  in  welcher  sich  die 
Mischung  befindet,  es  ändert  sich  also  fortwährend  die  Ziisammensetzung  des, 
Gemisches,  indem  mehr  Aether  als  Chloroform  verdunstet.  Durch  Versuche 
mit  einem  eigens  hierzu  konstruierten  Apparat  hat  Braun  gefunden,  daß.  wenn 
man  bei  15 ^  ein  Quantum  AC  in  6  :  1  gemischt,  etwa  bis  zur  Hälfte  verdampft, 
eine  Mischung  von  durchschnittlich  25,5  Teilen  Aether  und   1  Teil  Chlorofoi'm 

32 


—     498     — 

verdunstet,  während  der  Rückstand  eine  AC-Mischung  von  3  : 1  darstellt.  Ver- 
dampft mau  ein  Quantum  AC  von  3:1  bis  zur  Hälfte,  so  geht  eine  Mischung" 
von  durchschnittlich  8  Teilen  Aether  und  1  Teil  Chloroform  in  Dampf  über, 
w^ährend  der  Rückstand  eine  Mischung  von  AC  :=  3  :  2  darstellt.  Der  relative 
Chloroformgehalt  des  Rückstandes  nimmt  fortdauernd  zu  und  der  Aethergehalt 
der  Dampf mischung  nimmt  ununterbrochen  ab,  und  es  verdampft  selbst  aus 
einer  Mischung  von  AC  =  2:3  noch  mehr  Aether  als  Chloroform. 

Die  Temperatur  hat  auf  die  Gemische  eine  sehr  starke  Einwirkung,  und 
es  ändert  sich  die  Zusammensetzung  der  Gemische  mit  jedem  Wechsel  der 
Temperatur.  Braun  hat  ferner  nachgewiesen,  daß  die  Verdunstung  der  Gemische 
von  Chloroform  und  Aether  um  so  gleichmäßiger  ist,  je  höher  die 
Temperatui"  ist,  imd  daß  gerade  bei  der  Temperatur,  welche  während  der  Nar- 
kose in  Frage  kommt,  die  Verdampfung  am  ungleichmäßigsten  vor  sich  geht. 
Honig  mann,  Nernst  etc.  haben  dargetau,  daß  eine  Aether-Chloroformmischung 
von  ganz  bestimmter  Zusammensetzung  bei  einer  Temperatur  und  einem 
Barometerstand  allerdings  verdampfen  muß,  ohne  daß  sich  ihre  Zusammen- 
setzung verändert,  was  aber  bei  der  Narkose  nicht  in  Betracht  gezogen  werden 
kann,  da  die  Zusammensetzung  derselben  relativ  so  große  Mengen  Aether  mit 
so  kleinen  Mengen  Chloroform  aufweist,  daß  man  eine  für  die  Narkose  am 
Menschen  wesentliche  Beeinflussung  diesen  geringen  Chloroformmengen  nicht 
zuschreiben  kann. 

Nach  diesen  Erörterungen  muß  die  Tropfmethode  als  beste  Art  derVei'- 
abreichung  erscheinen,  doch  dies  ist  nicht  in  dem  Maße  der  Fall,  wie  es  ersc  heint, 
denn  es  ist  nicht  immer  möglich,  so  ideale  Verhältnisse  zu  schaffen,  daß  ein 
Tropfen  immer  erst  auffällt,  nachdem  der  andere  verdunstet  ist  etc. 

Kochmann  hat  z.B.  nachgewiesen,  daß  schon  die  Zusammensetzung- 
sich  ändert,  während  das  Gemisch  den  Weg  von  der  Tropfflasche  bis  zum  Meß- 
glas etc.  zurücklegt.  Er  fand  auch,  daß  an  der  Luft  viel  weniger  des  Gemisches 
verdampft,  als  man  denken  sollte  nach  den  einzelnen  Bestandteilen,  und  es 
erklärt  dies  Kochmann  dadurch,  daß  sich  um  jeden  Tropfen  gewissermaßen  eine 
Gashülle  der  im  Gemisch  enthaltenen  Substanzen  gebildet  hat,  welche  die  Ver- 
dimstung  verhindert,  indem  sie  den  Tropfen  von  der  atmosphärischen  Luft  ab- 
schließt. Bei  dem  am  schwersten  verdunstenden  Alkohol  ist  die  Gashülle  be- 
sonders dicht  und  undiirchdringlich.  Allein  es  sind  dies  nur  geringe  Ver- 
änderungen, die  in  der  Praxis  einen  Einfluß  nicht  ausüben  können. 

Wenn  man  Chloroform  und  Äther  mischt  und  verabreicht,  so  soll  der 
Äther  als  Antidot  des  Chloroforms  wirken.  Honigmann  hat  nun  nach- 
gewiesen, daß  der  Äther  nicht  als  Antidot  des  Chloroforms  auftritt  und  wirkt 
und  die  schädlichen  Einflüsse  des  Chloroforms  auf  den  Organismus  paralysiert, 
sondern  er  hat  gefunden,  daß  bei  gleichzeitiger  Inhalation  vom  Chloroform- 
und  Ätherdämpfen  schon  sehr  geringe  prozentische  Mengen  beider  Narkotika 
genügen  könnten,  um  eine  vollkommene  Betäubung  herbeizuführen.  Diese 
Volumprozente  schwanken  zwischen  0.11  Volumprozent  Chloroform,  0,29  Volum- 
prozent Äther  einerseits  und  0,8  Volumprozent  Chloroform,  4,9  Volumprozent 
Äther  andererseits.  Man  ersieht  aus  diesen  Angaben  von  Honig  mann  die 
Verhältniszahlen,  in  welchen  die  Dampfvolumina  von  Chloroform  und  Äther 
der  Luft  beigemengt  sein  müssen,  damit  dieselbe  die  höchste  Potenz  ihrer 
narkotischen  Kraft  erlangt.  Es  stehen  also  die  Volumprozente  von  Chlorofoi'm 
\mä.  Äther  im  Verhältnis  von  0,11:0,29  oder  1:2,65,  im  anderen  Falle  im 
Verhältnis  von  0,8 :  4,9  oder  1 : 4,87.  Wenn  man  nun  untersucht,  welche 
Narkotikamischungen  diesen  Verhältniszahlen  entsprechen,  so  sind  nach 
Kochmann  folgende  Gemische  zu  nennen : 

I.     Das  mittlere  Schleichsche  Gemisch,  welches  Chloroform  und  Äther 
im  Verhältnis  von  1  :  2,66  enthält ; 


—     499     — 

II.    die    Mischung  B    des   Chlorofoi-mkomitees,   Chloroform-Äther  wie 

1  :  3,06  ; 
TU.  eventuell    noch     die    Wiener    Mischling-,    Chloroform -Äther    wie 
1  :  2,29. 

Es  kommen  nun  aber,  wie  Kochmann  ausführt,  bei  Verwendung-  der 
Tropfmethode  nur  die  Verhältnisse  nach  dem  Tropfen  in  Betracht.  Nach  dieser 
würde  nun  nur  die  W  e  i  g-  e  r  t  s  c  h  e  Mischung,  in  welcher  man  Chloroform 
und  Äther  im  Verhältnis  von  1 : 4,28  gemischt  hat,  allenfalls  noch  die  Mischung 
B  des  Chloroformkomitees  für  die  Narkose  zu  empfehlen  sein,  denn  alle  anderen 
Mischungen  enthalten  Chloroform  und  Äther  in  anderen  Verhältnissen  gemischt, 
weshalb  Narkosen  mit  ihnen  schwierig  einzuleiten  sind  und  keinen  Vorzug  vor 
den  einfachen  Narkosen  mit  Chloroform  oder  Äther  haben.  Es  ist  also  nach 
Kochmann  nur  dies  eine  Gemisch  für  die  Tropfmethode  brauchbar,  und 
doch  haben  auch  dabei  noch  viele  Verhältnisse  Beachtung  zu  finden,  man 
müßte  die  Tropf methode  in  ganz  idealer  Weise  durchführen,  wollte  man  eine 
wirklich  richtige  und  bessere  Narkose  erhalten. 

Man  hat  für  alle  die  Mischungen  der  Narkotika  von  der  Wiener 
Mischung  an  bis  zu  den  Schleichschen  Siedegemischen  zu  bedenken, 
daß  die  Verdunstung  der  Narkotika  nicht  als  Mischung  geschieht,  sondern  daß 
die  einzelnen  Bestandteile  verschieden  verdampfen,  von  welcher  Regel  auch  die 
Mischungen  von  drei  Narkotika  keine  Ausnahme  bilden,  auch  nicht  die  Schleich- 
schen Gemische.  Und  gerade  dieser  Umstand,  der  bei  drei  und  mehr  Bestand- 
teilen der  Mischung  sehr  komplizierte  Verhältnisse  schafft,  gibt  dem  Wert  der 
Mischungen  den  Todesstoß.  Die  Verwendung-  derselben  ist  ja  die  einfachste  in 
Form  der  Tropfmethode,  doch  es  ist  eben  bewiesen,  daß  auch  dabei  nur  eine 
Mischung  halbwegs  gutes  und  brauchbares  Verhalten  zeigt,  während  alle  anderen 
Mischungen  ganz  anders  verdunsten  als  man  wünscht.  Somit  lag  es  nahe, 
Apparate  zu  konstruieren,  welche  eine  bessere  Verdampfung  gewährleisten 
sollen,  darüber  wird  weiter  unten  geschrieben  werden.  Auch  die  Vorzüge, 
welche  Schleich  seinen  Gemischen  zuschreibt,  sind  nicht  wirklich  vorhanden, 
denn  es  kann  schon  dann,  wenn  die  Verdampfung  nicht  einheitlich  geschieht 
vom  gleichen  Siedepunkt  nicht  die  Rede  sein.  Und  man  kann  somit  einen 
Vorteil  in  den  Gemischen  nicht  erblicken. 

§  52.  Die  physiologischen  Einwirkungen  der  Gemische  verhalten  sich  im 
großen  und  ganzen  nur  wenig  verschieden  von  dem  Bilde  bei  einfacher  Narkose. 
Die  Einwirkung-  auf  den  Organismus  besteht  genau  wie  bei  den  einfachen  Narkosen 
in  einer  Lähmung  der  zentralen  Elemente,  der  Ganglienzellen,  und  es  treten  diese 
Lähmungen  cm  infolge  der  Wirkung  der  narkotischen  Kraft  der  einzelnen  Be- 
standteile, welche,  je  nachdem  in  welchen  Mengen  sie  in  die  Inspirationsluft  ge- 
langen, auf  das  Cerebrum  einwirken.  Honigmann  hat  an  Tierversuchen  gezeigt, 
daß  zur  Herbeiführung  der  Narkose  bei  gleichzeitiger  Anwendung  von  Äther 
lind  Chloroform  in  vielen  Fällen  eine  außerordentlich  geringe  Konzentration 
der  narkotischen  Dämpfe  in  der  Atmungsluft  erforderlich  ist,  und  daß  fast 
immer  die  zur  Narkose  nötigen  Konzentrationen  erheblich  niedriger  sind  als 
bei  Anwendung  reiner  Chloroform-  oder  Ätherdämpfe.  Die  kleinste  Menge, 
mit  der  Honigmann  eine  tiefe  Narkose  erzeugen  konnte,  bestand  in  0,11 
Volumprozent  Chloroform  und  20  Volumprozent  Äther,  während  die  größte  Menge 
0,8  Volumprozent  Chloreform  und  4,2  Volumprozent  Äther  betrug.  Bei  reiner  Chloro- 

32* 


—     500     — 

formnarkose  siucl  die  Zalileu  für  die  durchschnittliclie  anästliesierende  Dosis 
1,2  Volumprozent  uud  für  Atlier  5,1  Volumprozent.  Es  erhöhen  sich  also 
durch  die  Mischung  der  Narkotika  gegenseitig  bei  gleichzeitiger  Anwendung 
die  narkotisierenden  Eigenschaften  der  einzelnen  Narkotika  (H  o  n  i  g  m  a  n  n  , 
Braun  etc.).  Der  Äther  wirkt  also,  wenn  er  dem  Chloroform  beigemengt 
wird,  verstärkend  auf  die  narkotische  Kraft  des  Chloroforms.  Der  Vorzug  der 
Gemische  gegenüber  der  reinen  Narkose  liegt  also  darin,  daß  man  geringere 
Mengen,  zur  Narkose  braixcht,  um  Toleranz  zu  erreichen,  als  mit  Chloroform 
oder  Äther  allein. 

Wenn  man  nun  die  Mischungen,  in  denen  hauptsächlich  Chloroform  und 
Aether  sulfur.  enthalten  ist,  imtersucht,  so  findet  man,  daß  dieselben  auf  die  Herz- 
tätigkeit gar  nicht  einwirken,  der  Blutdruck  wird  während  der  Narkose  nicht 
herabgesetzt  und  vermindert  (H  o  n  i  g  m  a  n  n ,  G  e  p  p  e  r  t ,  Brau  n).  Der 
Äther  wirkt  in  den  Mischungen  sowohl  als  Narkotikum  die  narkotische  Kraft 
verstärkend  als  aiich  die  Herztätigkeit  anregend.  Die  günstigsten  Mischungen 
sind  solche,  in  denen  zwei  Volum  Chloroform  und  ein  Volum  Aether  sulf.  ent- 
halten sind.  Bei  diesen  Mischungen  braucht  man  weniger  Narkotikum  als  bei 
reinen  Narkosen  zui-  Erreichung  der  Toleranz  und  es  wirkt  hier  der  Äther 
die  Herztätigkeit  anregend  und  hat  dabei  doch  keine  wesentlich  üblen  Ein- 
wirkungen auf  die  Lungen.  Verwendet  man  hingegen  Gemische,  in  denen 
weniger  Chloroform  imd  mehr  Äther  enthalten  ist,  wie  drei  Volum  Aether  sulf. 
und  ein  Volum  Chlorofoim,  so  findet  man  die  schädlichen  Lungenaftektiouen 
der  Ätherwirkung.  (G  e  p  p  e  r  t ,  H  o  n  i  g  m  a  n  n  ,  Braun  etc.)  Ein  weiterer 
Vorteil  der  Gemische  soll  in  einer  geringeren  Exzitation,  weniger  Übelkeit  nach 
der  Narkose,  selteueremErbrechen  während  und  nach  derselben  bestehen.  Es  hängen 
diese  Erscheinungen  ganz  ab  von  der  Dauer  der  Narkose,  denn  nach  sehr  langen 
Narkosen  sieht  man  auch  die  üblen  Folgen  auftreten.  Die  Sekretion  der  Schleim- 
häute wird  durch  die  Mischungen  mehr  als  durch  die  reine  Chloroformnar- 
kose angeregt,  aber  weniger  als  durch  Äthernarkosen.  Die  verschiedenen  Tier- 
klasseu  zeigen  sich  auch  verschieden  empfindlich  gegenüber  der  Mischnarkose, 
denn  es  werden  die  einen  Tiere  von  der  Mischung  narkotisiert,  wähi'end  die- 
selbe bei  anderen  Tieren  keine  Narkose  zu  erzeugen  vermag,  oder  wieder  andere 
Tiere  schnell  tötet,  schon  im  Beginn  dei'  Inhalationen.  Es  wurden  leichte  und 
schwere  Asphyxien  bei  den  Tieren  beobachtet. 

§  58.  Was  nun  die  pathologischen  Wirkungen  der  Narkotikamischuugen 
aiif  den  Organismus  anlangt,  so  kann  man  folgendes  feststellen.  Es  sind  die 
Einwirkungen  der  Mischnarkosen  in  verschiedenen  Hinsichten  geprüft  worden, 
und  man  hat  so  manchen  Einblick  in  deren  Wirkungsweise  erlangt,  doch  es  hat 
bisher  noch  niemand  die  Einwirkung  der  Mischnarkoseu  auf  die  inneren  Organe 
erforscht.  Deshalb  habe  ich  dahingehende  Versuche  angestellt,  da  nach  meiner 
Ansicht  die  Wirkung  und  der  Wert  eines  Narkotikums  am  besten  erkannt  und 
geschätzt  werden  kann  nach  den  Ergebnissen  der  Einwirkungen  bei  längeren 
Narkosen  auf  die  inneren  parenchymatösen  Organe.  Das  Resultat  meiner 
Experimente  an  Hunden  ist  folgendes. 

Die  längeren  Narkosen  mit  den  verschiedenen  Mischungen  der  Narkotika 
haben  ergeben,  daß  eine  große  Ähnlichkeit  der  pathologisch-anatomischen  Ver- 
änderungen mit  denen  nach  den  einfachen  Chloroform-  ;ind  Äthernarkosen 
besteht.    Ich  prüfte  die  verschiedensten  Mischimgen,  welche  je  aufgestellt  worden 


—     501     — 

sinfl,  A'on  den  Mischuiig'ou  von  Cliloroform  nnd  Aether  sulfnr.  in  allen  Verhältnissen 
bis  zu  den  Mischungen  aus  3-4  Narkotika  und  den  Schi  eich  scheu  Siedegemischen. 
Es  hat  sich  dann  ergeben,  daß  in  allen  Mischungen,  in  denen  Chloroform  in 
wesentlichen  Mengen  vorhanden  ist,  auch  die  Veränderungen  dei-  Organe  denen 
nach  Chloroformnarkosen  sehr  ähneln,  und  zwar  noch  vermehrt  sind  durch  die 
spezitischen  Vei-ändei'uiigen  der  beigemengten  Narkotika.  Es  ist  also  eine  ver- 
mehrte schädliche  Wirkung  vorhanden.  Natürlich  ist  dies  Bild  der  Veränderungen 
bei  Narkosen  mit  emem  Gemisch  aus  3  Narkotika  nicht  gleich  der  Summe  der 
Veränderungen  dieser  3  Narkotika,  sondern  man  findet  in  den  Veränderungen 
die  Gruudzüge  der  Wirkungen  auf  die  Organe  jedes  Narkotikums  verzeichnet. 
So  ist  z.  B.  das  Bild  der  Veränderungen  nach  4  langen  Narkosen  mit  einem 
Geraisch  aus  3  Chloroform  und  l  Aether  sulfui".  fast  gleich  dem  Bilde  nach 
reinen  Chloroformnarkosen,  die  Veränderungen  sind  in  Herz,  Leber,  Niere  und 
Gehirn  gleich  denen  bei  Chloroform,  in  der  Lunge  sind  sie  etwas  hochgradiger, 
aber  nicht  viel  schlimmer.  Hat  man  aber  mit  3  Aether  sulf.  und  1  Chloroform 
narkotisiert,  so  ist  ein  Bild  der  pathologischen  Veränderungen  vorhanden,  das 
dem  nach  reinen  Äthernarkosen  fast  gleicht.  Mau  findet  dxselbst  starke  Ver- 
änderungen in  den  Lungen,  Gehii'u,  Leber  und  Nieren,  die  gleich  denen  nach 
Äthernarkosen  sind,  im  Herzen  aber  ist  die  Fettmetamorphose  stärker  als  nach 
reiner  Äthernarkose.  Hat  man  nun  eine  Mischung  von  Chloroform  -\-  Aether  ää, 
so  sind  die  Veränderungen  sehr  schwere,  nebsn  den  Veräaderangen  in  Herz, 
Gehii'n,  Leber  und  Niere,  die  denen  nach  reinen  Chloroformnarkosen  vollko:nmen 
gleichen,  bisweilen,  namentlich  in  den  Nieren  und  Leber,  oft  auch  Gehirn 
und  Herz,  dieselben  noch  übertreffen  an  Ausdehnung  und  Intensität,  findet 
man  in  den  Lungen  die  schwersten  pneumonischen  Infiltrationen,  die  denen 
nach  reinen  Äthernarkosen  nicht  nachstehen.  Wenn  man  nun  3  Narkotika 
gemischt,  so  wird]  au  diesen  Bildern  gar  nichts  geändert,  denn  bei  diesen 
Mischungen  sind  immer  Chloroform  und  Aether  sulfur.  die  Hauptbestandteile, 
während  das  dritte  Narkotikum  nur  in  geringen  Mengen  vorhanden  ist.  Ist 
der  dritte  Körper  Bromäthyl,  so  sind  die  Organläsionen  sehr  schwere,  völlig 
gleich  denen  nach  reinen  Chloroformnarkosen  und  dazu  gesellen  sich  noch  die 
schweren  Lungenaffektionen.  Weniger  schädlich  ist  Chloräthyl,  dasselbe  wirkt 
im  Sinne  von  Chloroform  und  schädigt  weniger  die  Lungen,  mau  hat  dann 
meist  ein  Bild  wie  nach  vielen  Chloroformnarkosen,  wozu  noch  die  Wirkung* 
des  Äthers  kommt,  wenn  derselbe  in  größeren  Mengen  beigegeben  ist.  Am 
wenigsten  schadet  der  Alkohol.  Derselbe  vermehrt  die  Organläsionen  nicht 
oder  nur  ganz  wenig,  verursacht  aber  nach  meinen  Beobachtungen  sehr  unan- 
genehme Nachwirkungen  und  Übelbefinden,  Kopfsehmerz  und  Erbrechen  nach 
den  Narkosen  beim  Menschen.  Nur  wenn  er  in  ganz  geringen  Mengen  beige- 
geben ist,  übt  er  keine  wesentlichen  Einwirkungen  aiis.  Es  geht  also  aus 
diesem  hervor,  daß  sich  die  schädlichen  Einwirkungen  auf  die  inneren  Organe 
nicht  durch  die  Mischnarkose  vermindern  lassen,  so?idern,  daß  der  Organismus 
einer  größeren  Gefahr  ausgesetzt  wird  durch  die  Mischnarkose,  als  durch  die 
reine  Narkose.  Es  wird  durch  die  Mischung  die  narkotische  Kraft  erhöht, 
zugleich  aber  auch  die  Läsion  der  Organe.  Es  scheint,  als  sei  die  Ver- 
änderung in  den  inneren  Organen,  die  in  Fettmetamorphose  besteht,  eng  ver- 
knüpft mit  der  narkotischen  Kraft.  Je  größer  die  narkotische  Kraft  eines 
Narkotikums  ist,  um  so  schwerer  wirkt  dasselbe  auf    die    inneren  Organe    ein, 


—     502     — 

um  so  leichter  bewirkt  dasselbe  Fettmetamorphose.  Dies  gilt  auch  für  die 
Mischungen.  Je  größer  die  narkotische  Kraft  eines  Narkotikumgemisches  ist, 
um  so  leichter  ruft  dasselbe  Fettmetamorphose  hervor.  Es  wird  ja  nun 
zweifellos  die  Narkose  durch  die  Mischungen  schneller  erreicht,  weil  eben  bei 
manchen  Mischungen  die  narkotische  Kj'aft  gesteigert  ist.  Ein  geringer 
Vorteil  könnte  dann  darin  liegen,  daß  mau  dabei  weniger  von  der  Mischung  zui' 
Narkose  braucht.  Allein  man  muß  eben  auch  mit  den  Mischungen  um  so  vor- 
richtiger in  der  Verabreichung  sein,  je  höher  die  narkotische  Kraft  ist.  Neben- 
bei muß  man  noch  die  Wirkung  des  Aethers  sulfur.  auf  die  Lungen  berück- 
sichtigen. Wenn  in  einer  Mischung  der  Äther  in  wesentlichen  Mengen  vor- 
handen ist,  so  übt  derselbe  schädliche  Einflüsse  auf  die  Lungen  aus. 
Da  auch  das  Cbloroform  die  Salivation  in  gewissem  Grade  anregt  und  Fett- 
metamorphose in  den  Lungenepithelien  erzeugt,  so  wird  die  Ätherwii-kung 
noch  vermehrt  werden.  Es  fanden  sich  in  allen  Versuchen  mit  Gemischen, 
in  denen  Aether  sulf.  in  wirksamen  Mengen  vorhanden  war,  schwere  Lungen- 
affektionen. 

Was  nun  die  Einwirkungen  im  besonderen  anlangt,  so  ist  das  Bild  bei 
der  Behandlung  der  Äther-  und  Chloroformnarkose  des  genaueren  beschrieben 
worden,  und  es  kann  dasselbe  in  den  früheren  Kapiteln  dieses  Buches  nach- 
gelesen werden.  Ich  will  hier  nur  erwähnen,  daß  sich  im  Gehirn  stets  reich- 
lich Fett  in  den  Wandungen  der  Blutgefäße  und  den  Ganglienzellen  fand, 
ebenso  im  Groß-  wie  im  Kleinhirn,  namentlich  in  den  Gefäßwandungen  war 
sehr  viel  Fett  zu  finden.  Das  Herz  war  am  wenigsten  von  allen  Organen  ver- 
ändert. In  demselben  war  wohl  Fettmetamorphose  vorhanden,  doch  war  die- 
selbe nie  stärker  als  nach  reinen  Chloroformnarkosen,  und  es  war  nie  Nekrose 
und  Zerfall  der  Muskelfasern  zu  finden,  wohl  aber  war  stets  die  Querstreifung  voll- 
kommen verschwunden,  und  in  den  Muskelfasern  war  Fett  in  feinen  Tropfen 
gleichmäßig  über  die  ganze  Faser  verteilt  oder  in  Havifen  bipolar  in  der  Achse 
des  Kernes  vorhanden.  In  Leber  und  Nieren  waren  die  Veränderungen  sehr 
stark,  von  der  hochgradigen  Fettmetamorphose  bis  zur  Nekrose  und  Zerfall 
war  die  Veränderung  überall  zu  finden,  am  meisten  in  der  Peripherie  der  Acini 
der  Leber  und  in  den  Tubuli  contorti  der  Nieren.  In  den  Lungen  war  meist 
viel  Fettmetamorphose  der  Epithelzellen  des  respiratorischen  Epithels  vor- 
handen, daneben  mehr  oder  weniger  starke  pneumonische  Infiltration  und 
Schleimansammlung  in  den  Alveolen.  Diese  Bilder  waren  stets  vorhanden,  bei 
den  einen  mehr,  den  anderen  weniger  ausgeprägt. 

Was  nun  die  pathologischen  Einwirkungen  während  der  Narkosen  selbst 
anlangt,  so  ist  zu  bemerken,  daß  Herzschwächezustände,  Kollapse,  Synkope 
bei  meinen  Versuchen  weniger  häufig  beobachtet  wurden,  als  bei  den  reinen 
Chloroformnarkosen,  und  es  erscheint  mir  entschieden  sicher,  als  habe  die  Misch- 
narkose einen  günstigeren  Einfluß  auf  das  Herz  als  die  reine  Chloroformnarkose. 
Dies  istj  auch  von  Honigmann,  Braun,  Geppert  etc.  schon  nach- 
^gewiesen  worden  und  entschieden  ein  Vorteil,  der  nicht  zu  unterschätzen  ist. 
Allein  er  wird  aufgewogen  durch  die  bei  weitem  häufigeren  Lungenaffektionen 
nach  den  Narkosen.  Natürlich  muß  auch  bei  der  Mischnarkose  für  reichlichen 
Luftzutritt  zu  den  Lungen  gesorgt  werden,  denn  der  Kranke  bedarf  ebensogut 
wie  bei  den  reinen  Narkosen  so  auch  hier  des  Sauerstoffes.  Es  erübrigt  hier 
nicht  mehr  die  einzelnen  Wirkungen  der  Gemische  zu  präzisieren.  Meine 
Versuche  sind  in  anderer  Richtung  und  anderer  Hinsicht  angestellt,  und  die 
Resultate  decken  sich  vollkommen  mit  den  Resultaten  Honig manns  und 
anderer,  die  Experimente  wieder  in  anderer  Hinsicht  anstellten.  Somit  ist  es 
eine    Genugtuimg,  zu    erfahren,    daß    diese  Beobachtungen    durch  verschiedene 


—     503     — 

Forscher  auf  verschiedenen  Wegen  erlangt  M^urdeu.  Aus  alledem  geht  hervor, 
daß  von  den  Mischungen  nur  wenige  brauchbar  sind,  und  daß  auch  diese 
wenigen  keine  Vorzüge  vor  den  einfachen  Narkotika  in  ihrer  Wirkung  auf  den 
Organismus  haben. 

§  54.  Nach  diesen  Betrachtungen  sollen  noch  kairz  einige  statistische 
Fragen  erörtert  werden. 

Wenn  man  die  Todesfälle  berechnet,  so  ergibt  sich  folgendes: 
Schleich    fand   bei    600    seiner    Narkosen    keinen    Todesfall 
Gurlt  „        „     3370  Narkosen  mit  Billrothscher  Mischung   1  Todesfall 

„  „        „     207.5  „  ,,     reinem  Chloroform  1  ,, 

„  „        „     5112  „  „  „        Aether  sulf.         1  ,, 

V.  W  i  n  c  k  e  l  hat  unter  100  Narkosen  mit  Schleichschem  Siedegemisch  I 
häufig  bedrohliche  Erscheinungen  gefunden  und  mußte  zehnmal  wegen  derselben 
ein  anderes  Narkotikum  wählen.  Poppert  berichtet  über  812  mit  einem 
Äthei'-Chloroformgemisch  von  5  : 1.  Eine  vollkommen  ruhige  Narkose  konnte 
nur  in  767  Fällen  erzielt  werden.  Dreimal  traten  äußerst  bedrohliche  Er- 
scheinungen von  selten  des  Herzens  ein;  32mal  waren  Störimgen  wie  Würgen, 
Erbrechen,  kurze  Asphyxien  etc.  vorhanden,  imd  fünf  Patienten  starben  nach- 
träglich an  Pneumonien.  Diese  Resultate  sind  sehr  schlechte,  und  Poppert 
äußert  sich  auch'  sonst  noch  recht  unzufrieden  über  diese  Narkosen  mit  Ge- 
mischen, denn  bei  zwei  Patienten  war  überhaupt  kein  Schlaf  zu  erzielen,  und  in 
neun  Fällen  trat  ein  überaus  starkes,  protrahiertes  und  ausgeprägtes  Exzitations- 
stadium  ein. 

Gurlt  hat  in  anderen  Statistiken  auf  996  Narkosen  mit  Billrothscher 
Mischung  einen  Todesfall,  ferner  auf  7613  Narkosen  mit  Chloroform  und  Aether 
einen  Todesfall  gesammelt.  R  o  w  e  1 1  hat  800  Narkosen  mit  der  ACE-Mischung 
ohne  Todesfall  und  sonstige  üble  Erscheinungen  gesammelt,  Alessand  ri 
hat  315  Narkosen  mit  Chloroform  und  Äther  ohne  Todesfall  und  106  mit  Bill- 
rothscher Mischung  ohne  Tod,  während  er  auf  4153  Chloroformnarkosen  einen 
Todesfall  erlebte.  M  a  d  u  r  o  hat  5000  Narkosen  mit  den  Schleichschen 
Gemischen  gesammelt  und  unter  denselben  nicht  einmal  üble  Erscheinungen 
zu  verzeichnen,  auch  keinen  Todesfall  zu  melden,  Rodmann  hat  an  700 
Narkosen  mit  den  Schleichschen  Siede  gemischen  Erfahrungen  ge- 
sammelt und  warnt  vor  diesen  Gemischen,  da  sie  in  seinen  Fällen  nie  die 
ihnen  zugeschriebenen  Vorteile  gezeigt  haben,  und  da  er  selbst  des  öfteren 
Atemstillstand  und  ein  unerwartet  frühzeitiges  Erlöschen  der  Reflexe,  also  die 
Symptome  der  Überdosierung,  beobachtete.  1 1  j  i  n  hat  bei  165  Narkosen  mit  den 
Schleichschen  Gemischen  oft  bedenkliche  Erscheinungen,  zweimal  be- 
drohlichen Stillstand  der  Atmung  gesehen;  hingegen  hat  Stone  441  Narkosen 
mit  den  Schleichschen  Siedegemischen  ausgeführt  und  einen  Todesfall  an 
Synkope  erlebt.  Die  betreffende  Patientin  war  nicht  herzkrank  und  auch  sonst 
nicht  schwer  leidend  und  wurde  wegen  chronischer  Perityphlitis  operiert.  Die 
Operation  war  beinahe  beendet,  als  der  Puls  anfing  schlecht  zu  werden,  die 
Herzkraft  zu  erlahmen,  und  die  Patientin  bald  starb.  Neben  diesem  Todesfalle 
wurden  unter  den  441  Narkosen  13mal  ernstere  Symptome  beobachtet,  welche 
aber  wieder  beseitigt  werden  konnten.  David  Lamb  hat  unter  4000  Nar- 
kosen mit  Chloroform  und  Aether  sulf.  ää  zwei  Todesfälle  erlebt.  Weber  hat 
unter  300  Chloroform — |-  Aethernarkosen  keinen  Todesfall  aber  mehrere  Herz- 
schwächeanfälle und  vorübergehende  Asphyxien  sowie  2  mal  Bronchitiden  und 
einmal  Pneumonie  nach  den  Narkosen  gefunden,  v/ährend  Kuhn  unter  200 
gleichen  Narkosen  keine  üblen  Nebenwirkungen  beobachtete.  K  r  ö  u  i  g  hat 
1000  Aether-  -)-  Chloroformnarkosen  ausgeführt  ohne  Todesfall  und  wesent- 
liche Nachteile  zu  erleben.  Bernd  t  hat  120  Aether-Chloroformnarkoseu 
ohne  üble  Nebenwirkungen  geleitet.     F  a  r  r  i  e  s  berichtet  über  einen  Todesfall 


—     504     — 

in  Narkose  mit  Schleichschen  Siedegemisch  Nr.  1,  der  auf  100  Nar- 
kosen mit  diesen  Gemischen  kommt,  Alessandri  hat  weiter  307  Narkosen 
mit  Aether  -|-  Chloroform  äa  und  166  mit  Billrothscher  Mischung  ohne  Todes- 
fall gesammelt. 

Aus  diesen  Angaben  kann  man  folgendes  berechnen:  Es  sind  13  Todes- 
fälle auf  29835  Mischnarkosen,  was  ein  Verhältnis  von  1:  2295  darstellt.  Dieses 
Verhältnis  der  Todesfälle  ist  kein  gutes  zu  nennen,  denn  es  ist  bedeutend 
schlechter  als  das  der  Chloroformtodesfälle.  Auch  aus  den  einzelnen  Zahlen 
der  verschiedenen  Mitteilungen  ersieht  man  ein  wenig  günstiges  Verhältnis. 
Jedenfalls  sagt  das  Gesamtverhältnis  wie  die  einzelnen  Verhältniszahl dn  dem 
Beobachter,  daß  die  Todesfälle  nicht  seltener  bei  und  kurz  nach  den  Misch- 
narkosen vorkommen,  Wären  die  Mischnarkosen  so  ungefährlich,  wie  man  sie 
hingestellt  hat,  so  müßte  man  wenigstens  ein  Verhältnis  der  Todesfälle  gleich 
dem  des  Aether  sulfur.  erhalten,  also  1:  5000.  Dem  entgegen  ist  das  Verhältnis 
noch  ein  schlechteres  als  das  der  Chloroformwirkung.  Durch  die  Resultate 
der  Statistik  werden  also  die  Ergebnisse  meiner  Untersuchungen  au  Tieren 
vollauf  bestätigt,  welche  besagen,  daß  die  Gefahren  eher  vermehrt  als  ver- 
mindert werden.  Mischt  man  zwei  Narkotika,  so  erhält  man  in  gewissem  Grade 
eine  vermehrte  narkotische  Kraft,  man  vermehrt  aber  damit  auch  die  schäd- 
lichen Einflüsse  der  Nai'kotikagemische  auf  die  inneren  lebenswichtigen  Organe. 
Überlegt  man  nach  diesen  Berichten  die  Verhältnisse  der  Herzkollapse,  so  hat 
man  eine  Synkope  auf  141  Narkosen,  ferner  zwei  schwere  Lungenleiden  auf  300  Nar- 
kosen, beobachtet.  Es  geht  auch  aus  diesen  Zahlen  hervor,  daß  ein  Vorteil 
in  dieser  Hinsicht  den  Mischnarkosen  nicht  anhaftet.  Es  ist  daher  aus  all 
diesen  wenigen  Angaben  schon  zu  entnehmen,  daß  auch  die  Statistik  die  Misch- 
narkose nicht  günstig  beurteilen  läßt.  Mau  hat  entschieden  bei  diesen 
Arten  der  Mischnarkosen  eine  gefährliche  Intoxikation  des  Organismus  vor 
sich,  welche  insofern  besonders  gefährlich  ist,  als  die  Narkotika  nicht  in  den 
gewünschten  Verhältnissen  dem  Organismus  zugeführt  werden,  sondern 
wechselnd  in  verschiedenen  Konzentrationen  in  die  Lungen  gelangen. 

§  55.  Nach  diesen  Erörterungen  über  die  Mischuarkosen  sollen  nun- 
mehr die  Technik  und  Arten  der  Ausführung  derselben  besprochen  werden. 
Die  einfachste  und  an  sich  beste  Art  der  Verabreichung  der  Narkotikagemische 
ist  die  Tropfmethode  und  neben  derselben  hat  man  eine  Reihe  von  Apparaten 
konstruiert,  welche  eine  exaktere  Dosierung  ermöglichen  sollten.  Was  nun 
die  nähere  Ausführung  der  Narkose  mit  gemischten  Narkotika  anlangt,  so  hat 
man  zuerst  natürlich  die  Vorbereitung  der  Kranken  für  die  Narkose  in  pein- 
licher Weise  zu  treffen.  Es  sind  da  natürlich  alle  die  schon  früher  im  all- 
gemeinen Teil  als  Vorschriften  für  die  Vorbereitung  für  jede  Art  der  Narkose 
aufgestellten  Thesen  geltend,  und  die  Vorbereitung  des  Kranken,  Narkotiseurs, 
des  Zimmers  etc.  muß  genau  so  geschehen,  wie  für  jede  Chloroform-  oder 
Athernarkose.  Das  ist  also  als  bekannt  vorauszusetzeen.  Auch  die  Lagerung 
des  Ej.'anken  in  der  Narkose  etc.  ist  dieselbe  wie  bei  den  reinen  Narkosen. 
Da  all  diese  Dinge  früher  erörtert  sind,  genügt  es  hier  nur  darauf  zu  ver- 
weisen, weshalb  wir  uns  jetzt  sofort  zur  Ausführung  der  Narkose  selbst  wenden 
wollen. 

Genau  wie  bei  der  reinen  Chloroform-  oder  Athernarkose  spielt  auch  hier 
die    Tropfmethode    die    Hauptrolle,    denn    wenn    mau    die    Mischnarkose    dem 


—     505     — 

Praktischen  Arzte  in  die  Ilaud  geben  will,  muß  die  Technik  an  sich  die  denk- 
bar einfachste,  dazu  das  Instrumentarium  nach  Möglichkeit  klein  und  beschränkt 
sein.  Allen  diesen  Postulaten  entspricht  die  Tropfmethode,  denn  man  bedarf 
zu  derselben  nur  einer  Tropfflasche  und  einer  Esmarchschen  Maske.  Wie 
schon  oben  erwähnt  wurde  ist  die  Tropfmethode  aber  auch  diejenige  Art  der 
Darreichung,  welche  annähernd  eine  Mischung  der  Dämpfe  der  in  der  Maske 
verdunstenden  Narkotika  gleich  den  geforderten  Verhältnissen,  in  denen  man  die 
Mischungen  hergestellt  hat,  ermöglicht.  Wenn  die  Dämpfe  in  den  gleichen  Ver- 
hältnissen unter  der  Maske  sich  mischen  sollen,  so  dürfte  man  nur  einen  Tropfen 
in  die  Maske  tropfen  nachdem  der  vorhergehende  vollkommen  verdampft  ist, 
denn  dann  erst  wäre  der  Fehler  der  entstehenden  Mischungen  der  Dämpfe 
gegenüber  denen  der  Narkotika  im  Tropfen  gering.  .Je  kleinei-  die  momentan 
verabreichten  Mengen  sind,  desto  kleiner  ist  auch  der  Fehler.  Nun,  man  kann 
aber  nie  in  praxi  diese  Verhältnisse  erreichen,  denn  Avollte  mau  in  die  Maske 
nw  einen  Tropfen  nach  der  vollkommenen  Verdampfung  des  ersten  und  vorher- 
gehenden hineinfallen  lassen  und  so  weiter,  so  würde  man  nie  einen  Menschen 
betäuben.  Man  ist  also  genötigt,  die  Tropfen,  sehr  rasch  in  die  Maske  oder 
auf  dieselbe  fallen  zu  lassen,  und  man  verliert  dabei  wieder  vollkommen  die 
Möglichkeit  einer  auch  nur  annähernd  gleichen  Konzentration  der  Gase.  Unter 
der  Maske  werden  sich  Mischungen  bilden,  welche  vollkommen  andere 
Zusammensetzung  haben  als  die  Verhältnisse  der  Mischungen.  Somit  ist  eigent- 
lich die  Verwendung  der  Tropfmethode  bei  der  Mischnarkose  vollkommen 
illusorisch,  denn  man  wird  nie  wissen,  welche  Mengen  des  einen  oder  anderen 
Narkotikums  der  Ki-anke  in  dem  oder  jenem  Moment  inspiriert.  Und  gerade 
das  ist  ja  der  ideale  Wert  der  Mischnarkose,  daß  man  weiß,  jetzt  erhält  der 
Kranke  diese  Mengen  der  Narkotika,  so  daß  man  je  nach  den  Verhältnissen  des 
Kranken  eine  geeignete  Mischung  wählen  kann.  Immerhin  ist  die  Misch- 
narkose dmxh  die  Tropfmethode  noch  am  besten  auszuführen,  denn  alle 
Apparate,  die  für  diese  Narkose  konstruiert  wurden,  sind  in  praxi  nicht  brauch- 
bar. Man  wird  aber  auch  nach  den  bis  jetzt  gemachten  Erfahrungen  diese 
Art  von  Mischnarkosen  kaum  noch  verwenden,  da  eben  so  ein  Vorteil  vor  der 
reinen  Narkose  nicht  vorhanden  ist. 

Da  man  erkannte,  daß  mit  der  Tropfmethode  eine  wissenschaftlich  exakte 
Mischnarkose  nicht  ausgeführt  werden  konnte,  geschweige  denn  mit  der  Auf- 
gußmethode, welch'  letztere  darin  besteht,  daß  man  in  eine  J  u  1 1  i  a  r  d  s  c  h  e 
oder  auch  Schimmmelbuschsche  Maske  das  Gemisch  5 — 10  ccm-weis 
aufgoß,  schritt  man  dazu,  Apparate  zu  erfinden,  mit  denen  eine  genaue  Dosierung 
der  Gemische  und  genaue  Zusammensetzung  zu  ei'reichen  war.  Ehe  ich  auf 
diese  eingehe,  müssen  noch  einige  andere  Methoden  und  Apparate  erwähnt 
werden,  welche  zur  Narkose  mit  Gemischen  dienen.  Zuerst  will  ich  die  Maske 
erwähnen,  mit  welcher  Schleich  empfiehlt,  seine  Siedegemische  zu  ver- 
wenden. 

Diese  Maske  hat  den  Vorzug,  daß  man  sie  überall  und  jederzeit  selbst 
herstellen  kann,  denn  man  braucht  dazu  nur  ein  Stück  Pappe  iiud  ein  frisch 
gewaschenes  Handtuch.  Diese  nun  gleich  zu  beschreibende  Maske  ist  in 
Amerika  für  die  Aethernarkose  vielfach  in  Verwendung.  Man  nimmt  ein  Stück 
Pappe  oder  mangels  derselben  einige  Lagen  dicken  Packpapieres  und  schneidet 
einen  Streifen  von  etwa  90  cm  Länge  und  15  cm  Breite  zurecht  und  legt  diesen 
Streifen  auf  ein    flach  ausa-ebreitetes    Handtuch    von  106  cm  Länge  und  40  cm 


—     506     — 

Breite  so  auf,  daß  links  nur  ein  schmaler  Streifen,  rechts  etwa  20  cm  vom 
Handtuch  unbedeckt  bleiben.  Vom  unteren  Eande  bleibt  so  viel  vom 
Handtuch  unbedeckt,  daß  die  über  die  Pappe  geschlagene  Kante  des  Handtuchs 
gerade  den  oberen  Rand  des  Pappstreifens  erreicht.  An  der  entgegengesetzten 
Seite  reichen  etwa  9  cm  vom  Handtuch  beim  Ueberfalten  des  unteren  Teiles 
über  die  Pappe  hinaus.  Hierauf  wird  der  linke  freie  Handtuchstreifen  fest 
über  die  Pappe  gefaltet  und  man  knickt  nun,  indem  man  alles  in  gleicher  Lage 
beläßt,  das  Handtuch  mit  der  Pappe  von  links  her  um  15  cm,  so  daß  man  ein 
ziemlich  quadratisches  Stück  nach  rechts  umbiegen  kann,  darauf  steht  eine 
doppelte  Lage  vom  oberen  freien  Handtuchrande  über  die  quadratisch  gefaltete 
Pappe  ab.  Nun  knickt  man  die  Pappe  wiederum  zur  Hälfte  in  einen  Winkel 
von  45°  ein  so  daß  der  linke  Rand  den  oberen  Rand  des  nun  bedeckten  Papp- 
streifens berührt.  Darauf  folgt  die  zweite  und  etwa  6  malige  Knickung  der 
Pappe,  so  daß  von  linksher  gleichsam  die  Pappe  aufgerollt  wird,  wobei  jedes- 
mal eine  Umbiegung  von  15  zu  15  cm  ihrer  Länge  stattfindet.  Wenn  man  auf 
diese  Weise  die  Pappe  zu  einem  Zylinder  aufgerollt  hat,  so  wird  der  oben 
frei  überstehende  Teil  der  Handtuchlagen  von  oben  über  das  quadratisch- 
zjdindrische  Pappstück  eingeschlagen  und  mit  einigen  Sicherheitsnadeln  be- 
festigt. Nunmehr  legt  man  den  rechtsseitigen  freien  Handtuchrand  über  die 
Papplagen  um  und  befestigt  ihn  mit  ebenso  vielen  Sicherheitsnadeln.  Somit  ist 
die  Maske  fertiggestellt.  Wenn  man  sie  in  die  Hand  nimmt,  so  stellt  sie 
einen  nach  unten  offenen  Hohlraum  dar,  welchen  man  wie  eine  viereckige 
Düte  zu  einem  kleinen  Zylinderhut  ausweiten  kann.  In  die  Höhlung  derselben 
wii'd  etwas  Watte  gelegt.  So  beschreibt  Schleich  selbst  die  Herstellung  der 
Maske,  und  man  ersieht  daraus  wie  einfach  eigentlich  eine  solche  Maske  zu 
fertigen  ist.  Allerdings  haften  derselben  auch  große  Mängel  an.  Wenn  man 
nun  die  Maske  verwendet,  so  gibt  Schleich  den  Rat,  vorher  stets  das  Gesicht 
zum  Schutz  gegen  die  Narkotikumätzung,  falls  dasselbe  auf  das  Gesicht  fließen 
sollte,  mit  Vaseline  dick  einzufetten.  Die  Narkose  wird  dann  derart  vorge- 
nommen, daß  man  in  die  Maske  die  erste  Dosis  der  zu  verwendenden  Mischung 
gießt  und  darauf  die  Maske  fest  auf  das  Gesicht  des  Kranken  aufsetzt.  Die 
Maske  schließt  nicht  vollkommen  ab,  sondern  sie  ermöglicht  einen  Luftdurch- 
tritt von  der  Außenluft  in  die  innere  Maske,  so  daß  also  der  Kranke  nicht 
unter  der  Maske  die  Dämpfe  unter  vollkommenem  Luftabschluß  atmet.  Die 
Augen  werden  von  dieser  Maske  freigelassen,  die  Maske  selbst  ist  stets  sauber 
und  zu  sterilisieren,  dies  sind  Vorteile  dieser  Maske.  Um  die  Narkose  zur 
nötigen  Tiefe  zu  bringen,  gießt  man  von  Zeit  zu  Zeit  20  g  der  Mischung  in 
die  Maske  hinein  und  bringt  so  nach  und  nach  den  Kranken  zur  Toleranz. 

Dies  ist  die  Methode  Schleichs,  welche  aber  vor  der  Verwendung 
einer  der  bekannten  anderen  Masken  keinen  Vorzug  hat.  Man  kann  natürlich 
die  Schleichs  chen  Siedegemische  ebensogut  durch  andere  Masken  ver- 
abreichen. Daß  aber  ein  besonderer  Vorteil  durch  diese  Methode  gegeben  ist, 
ist  ausgeschlossen,  denn  es  erfolgt  eben  nie  eine  Verdunstung  der  Gemische  in  den 
Mengen,  welche  durch  die  Zahlen  der  Mischungsverhältnisse  angegeben  werden, 
sondern  es  gehen  die  einzelnen  Narkotika  fraktioniert  über,  wie  oben  schon 
erklärt  wurde.  Man  hat  ja  bisweilen  die  Gemische  Schleichs  sehr  gelobt, 
man  hat  aber  auch  schlechte  Erfahrungen  mit  ihnen  gemacht,  ein  Vorteil  ist 
in  diesen  Mischungen  eben  nicht  gegeben.  Die  Vorzüge  der  Schleichschen 
Gemische  sind  gering,  und  es  bestehen  sogar  Nachteile  und  gefährliche  Neben- 
wirkungen, was  von  verschiedenen  Seiten  durch  Beobachtungen  größerer  Reihen 
von  Narkosen  bestätigt  wurde.  (Noack,  Rüge,  Rodman  etc.) 
W  e  r  t  h  e  i  m  hat  eine  Änderung  der  Schleichschen  Siedegemische  vor- 
genommen, indem  er  ein  Gemisch  konstruierte  aus  1  l'eil  Chloroform  und 
Aether  petroli  ää  und  2  Teilen  Aether  sulf.  Dieses  Gemisch  ist  dem  dritten 
Schleichschen  sehr  ähnlich.     Er  hat  2500  Narkosen    mit    diesem  Gemisch    aus- 


—     507     — 

geführt,  und  es  soUeu  rubigo  Narkosen  damit  erzeugt  werden,  die  aber  weseut- 
licbe  Vorzüge  vor  den  reinen  Äther-  oder  Cbloroformnarkosen  nicht  haben. 
W  e  r  t  h  e  i  m  verwendete  zu  seinen  Narkosen  den  Xarkosenkorb  von 
Rosthor n,  welcher  in  einer  gewöhnlichen  kleinen  Maske  aus  Drahtgestell 
besteht,  an  dessen  Basis  sich  eine  breite  Rinne  um  den  untersten  Drahtreifen 
befindet,  welche  in  ein  Abflußrohr  ausläuft.  Die  Maske  wird  mit  Trikotstoff 
überzogen.  Die  Rinne  dient  dazu,  das  herabfließende  Gemisch  aufzufangen 
und  durch  das  Rohr  abzuleiten.  Durch  das  Anbringen  der  Rinne  wird  das 
überaus  lästige  Verbrennen  der  Gesichtshaut  durch  das  von  der  Maske  fließende 
Narkotikumgeraisch  vermieden,  was  z.  B.  bei  der  Schleichschen  Maske  einen 
großen  Nachteil  darstellt. 

Die  Wertheimsche  Mischung  ist  in  England  viel  angewendet 
worden,  und  man  hat  mit  ihr  teils  gute,  teils  auch  schlechte  Erfahrungen 
gemacht,  jedenfalls  bietet  die  Mischung  keine  Vorzüge  vor  den  anderen 
Gemischen  und  den  einfachen  Narkosen,  was  aus  den  Mitteilungen  über  die 
Erfahrungen  mit  diesen  Narkosen  hervorgeht.  (Rüssel, Howard,  Harold, 
Bernard,  Probyn-Williams  etc.) 

Eine  in  neuerer  Zeit  vielfach  zu  kiirzen  Narkosen  namentlich  empfohlene 
Mischung  kommt  unter  dem  Namen  Somnoform  in  den  Handel.  Durch  diesen 
Namen  erscheint  ev.  manchem  der  Körper  als  einheitliches  Narkotikum, 
während  derselbe  eine  Mischung  aus  mehreren  Narkotica  darstellt.  Das 
Somnoform  besteht  aus  Äthylchlorid  60,0  Methylchlorid  35,0,  Äthylbromid  5,0 
(Rolland).  Das  Somnoform  ist  hervorgegangen  aus  dem  Corjd,  eine  Mischung 
von  Bromäthyl  und  Ghloräthyl,  welches  zur  lokalen  Anästhesie  verwendet 
wurde.  Fouvet-Fanton  hatte  schon  gelegentlich  entdeckt,  daß  mit  Coryl 
leicht  Narkose  zu  erreichen  sei.  Rolland  machte  dieselbe  Bemerkung 
und  konstruierte  aus  dem  Coryl  das  Somnoform  und  führte  es  in  die  Praxis 
ein.  Er  hatte  es  anfangs  bei  700  Fällen  erprobt  und  war  sehr  zufrieden,  und 
fand  die  Vorzüge  vor  allem  im  schnellen  Eintritt  der  Narkose  und  darin,  daß 
die  Kranken  nicht  vorbereitet  zu  sein  brauchen  sowie  nach  der  Narkose  nicht 
unwohl  sind.  Er  hielt  auch  jede  schädliche  Wirkung  für  ausgeschlossen,  die 
ja  auch  bei  kurzen  Narkosen  sehr  gering  ist.  Rolland  wandte  nun  das 
Somnoform  nicht  allein  bei  Zahnoperationen,  sondern  auch  bei  langen  Operationen 
in  der  Geburtshilfe,  hei  anderen  kleinen  chirurgischen  Eingriffen  an.  S  a  u  v  e  z  , 
H  0  d  0  n  ,  Mähe,  V  i  a  u  etc.  haben  ebenfalls  sehr  gute  Resultate  mit 
kurzen  Narkosen  erzielt.  Rolland  berichtete  vor  der  Societe  de  Medicine 
et  de  Chirurgie  de  Bordeaux  über  1500  Narkosen  bei  kurzen  Eingriffen  und 
rühmte  das  Somnoform  sehr.  C  1  e  r  c  hat  an  sich  selbst  die  Wirkung  geprüft 
und  sich  und  seinen  Assistenten  über  lOOmal  somnoformiert  und  rühmt  die 
angenehme  Narkose.  Er  hat  dasselbe  auch  in  der  Geburtshilfe  viel  ver- 
wendet, um  zu  große  Wehen  schmerzen  zu  lindern  und  Dammrisse  zu  nähen. 
L  0  u  m  e  a  u  hat  auch  bei  langen  Narkosen,  z.  B.  für  eine  Nephrektomie, 
Urethrotomie,  Lithrotomie  etc.  das  Somnoform  zu  seiner  vollsten  Zufriedenheit 
verwendet.  L  e  g  r  o  u  g  e  hat  dasselbe  auch  bei  Augenoperationen  vielfach  ver- 
wendet. Rolland  hat  mit  der  Zeit  15  000  Narkosen  ausgeführt  ohne  jeden 
Unfall. 

Die  Wirkungen  dieses  Gemisches  sind  wie  bei  allen  Mischnarkosen  die 
Summe  der  Wirkungen  der  einzelnen  Bestandteile.  Man  kann  mit  dem  Somnoform 
eine  schnell  vorübergehende  Narkose  erzeugen,  die  man  sehr  gut  zu  kurzdauernden 
Operationen  verwenden  kann,  doch  man  hat  gewisse  Nachteile  zu  beachten, 
denn  es  kommt  bei  der  Narkose  mit  diesem  Gemisch  die  Bromäthylwirkung 
auf   das  Herz    in  Betracht,  außerdem    die    reizende  Wirkung    auf    die  Lungen- 


—     508 


epithelien.  Versuche,  die  ich  mit  Somnoform  austeilte,  haben  ergeben,  daß  das 
Gemisch  vor  der  reinen  Äthj^lchloridnarkose  keinen  Vorzug  hat,  sondern  daß 
dem  Somnoform  mehr  nachteilige  Wirkungen  anhaften.  Man  muß  mit 
diesem  Gemisch  ganz  besonders  vorsichtig  sein,  und  darf  es  nur  zu  kurz- 
dauernden Narkosen  verwenden,  und  selbst  bei  denselben  ist  noch  Gefahr  für 
Herz  und  Lungen  vorhanden,  namentlich  bei  Personen,  die  au  chronischen 
Herz-  und  Lungenkrankheiten  leiden.  Ich  will  dabei  natürlich  nicht  gewisse 
Vorzüge  leugnen,  die  dem  Gemisch  anhaften.  Auch  C  o  1  e  weist  auf  die  üble 
Wirkung  des  Bromäthyls  im  Somnoform  hin,  während  von  Robinson, 
Kirkpatrick  etc.  gute  Resultate  gemeldet  werden,  doch  hält  M  c.  C  a  r  d  i  e 
die  Mischung  nicht  für  besser,  als  die  reine  Äthj4chloridnarkose.  Alle  Autoren 
haben  es  nur  für  kui-ze  Narkosen  verwendet.  Die  Narkose  tritt  nach  einer  Minute 
ein  und  dauert  15  Sekunden  bis  2  Minuten  an.  Kirkpatrick  verwendete 
es  bei  207  Fällen  mittels  des  Ormsbyschen  Apparates.  Erbrechen  trat 
selten  auf.  Ein  besonderer  Apparat  ist  von  V  e  r  n  o  n  Kn  o  av  1  e  s  für  die 
Somnoformnarkose  konstruiert  worden,  der  in  Figur  151  abgebildet  ist. 

Der  Apparat,  „Ideal"  genannt,  ist  aus  der  Figur  151  in  seiner  Konstruktion 
zu  ersehen.  Er  besteht  im  ganzen  aus  Mundstück,  Sammelballon  und  Ver- 
bindungsro'hr  beider,  in  welchem    ein  Luftventil  C    angebracht    ist,  welches    in 

eine  Röhre  D  führt.  Das  Luftventil  C 
kann  durch  den  Hebel  B  geöffnet 
und  geschlossen  werden.  Durch  das 
Rohr  D  kann  man,  nachdem  das 
Ventil  C  geöffnet  ist,  Somnoform 
eingießen.  Der  Guramibeutel  kann 
leicht  vom  ganzen  Apparat  abge- 
nommen und  umgestülpt  werden.  Er 
kann  ebenso  wie  die  Gesichtsmaske 
ausgekocht  werden.  In  die  Maske 
wird  ein  Stückchen  Mull  gelegt, 
welches  rund  geschnitten  und  als 
Kegel  zusammengelegt  in  die  Maske 
geschoben  und  von  den  federnden 
Armen  an  der  Maskenwand  fest  an- 
gedrückt gehalten  wird.  Um  den 
Apparat  zu  benutzen,  muß  man 
stets  ein  solches  Stückchen  Mull  in 
die  Maske  einlegen.  Man  schließt 
dann  das  Luftventil  und  gießt  auf 
das  Stück  Mull  in  der  Maske 
2 — 5  ccm  Somnoform  auf,  drückt  die 
Maske  fest  auf  das  Gesicht  und  läßt  den  Kranken  atmen,  indem  er  die  Luft 
aus  dem  Gummiballon  inspiriert  mit  den  Somnoformdämpfen  and  die ..  Ex- 
spirationsluft  wieder  in  den  Gummiball  ausstößt,  um  sie  daraus  wieder  zu  in- 
spirieren. Reicht  die  Menge  Somnoform  nicht  aus,  oder  will  man  die  Narkose 
verlängern,  so  gießt  mau  entweder  wieder  einige  ccm  Somnoform  auf  den 
Mull  in  der  Maske,  nachdem  man  dieselbe  vom  Gesicht  gehoben  hat,  oder  öffnet 
das  Luftventil  und  gießt  durch  dasselbe  das  Somnoform  in  den  Beutel.  Letztere 
Methode  ist  besser.  Die  Methode  mit  diesem  Apparat  kann  wohl  unbeschadet 
in  manchen  Fällen  für  kurze  Narkosen  verwendet  werden,  docli  darf  man  sie 
nie  zu  längeren  Narkosen  verwenden,  da  der  Patient  in  dem  Apparat  zu  gleicher 
Zeit  unter  Sauerstoffmangel  und  Kohlensäureintoxikation  gesetzt  wii'd.  Beides 
wirkt  gefahrvoll.  Das  Somnoform  wird  von  der  Firma  C.  de  Trey  in  Berlin-London 
fabriziert  und  in  Flaschen,  wie  sie  beistehende  Abbildimg  zeigt,  in  den  Handel 
gebracht.  Die  Flasche  ist  graduiert,  damit  man  ablesen  kann,  wieviel  Somno- 
form man  vei-wendet   hat.      Figur  152  zeigt    diese  Flasche,    außerdem    kommt 


Fig.  151.    Narkoseapparat  „Ideal" 
für  die  Somnoformnarkose. 


509 


Somnoforni  auch  in  zugeschmolzenen  Glastubeu  in  den  Handel.  Xatürlicli  muß 
man  für  ein  reines,  untersetztes  Präparat  sorgen,  alle  Zersetzungen,  die  leicht 
(>ntstehen,  und  Verunreinigungen  sind  sehr  gefährlich  für  die  Narkose.  Man  hat 
wohl  mit  dem  Somnoforni  gute  Narkosen  erzielt,  doch  besteht  ein  wesent- 
licher Vorzug  VC)'  den  reinen  Narkosen  in  dieser  Methode  nicht. 

Was  nun  die  weiteren  Apparate  anlangt,  welche  man  für  die  Narkosen- 
gemische verwendet  hat,  so  sind  der  Clo  versehe  Apparat,  der  Ormsbysche, 
der  R  e  n  d  1  e  r  s  c  h  e  u.  dgi.  m.  zu  nennen,  die  man  für  die  reine 
Äthernarkose  auch  verwendet.  Im  übrigen  kann  man  jede  Maske  und  jeden 
Apparat,  den  man  für  Chloroform-  oder  Athernarkosen    braucht,  auch    für    die 

Gemische  verwenden. 

Eine  andere  Art,  das  Somnoforni  zur  Narkose  dem 
Kranken  zu  verabreichen,  ist  folgende,  welche  wohl  vom 
Anfang  an  Verwendung  gefunden  hat.  Man  nimmt  ein  vier- 
eckiges Tuch,  Taschentuch  oder  Serviette,  und  schneidet 
sich  einen  ca.  50  cm  langen  und  15  cm  breiten  Pappstreifen 
oder  Streifen  dicken  Papiers.  Der  Pappstreifen  muß  die 
Länge  einer  Seite  des  Tuches  haben  und  die  Breite  ^4  dieser 
Länge.  Man  legt  ihn  dann  anf  die  Serviette  und  faltet 
dieselbe  in  Streifenform  über  die  Pappe,  so  daß  letztere  mit 
Leinen  überzogen  ist.  Nun  hat  man  einen  langen  Streifen, 
welchen  man  zu  einem  Kegel  zusammenlegen  und  mittels 
Sicherheitsnadeln  fixieren  kann.  Dieser  Kegel  ist  die  Maske, 
in  dessen  Innenraum  ein  kleiner  Wattebausch  mit  einer  Nadel 
in  der  Spitze  befestigt  wird.  Auf  diesen  Wattebausch  gießt 
man  das  Somnoform  und  setzt  die  Maske  mit  der  Grund- 
fläche des  Kegelmantels,  den  dieselbe  repräsentiert,  auf  das 
Gesicht  des  Kranken  fest  auf.  Man  muß  darauf  achten,  daß 
der  Rand  der  Maske  luftdicht  auf  dem  Gesicht  aufliegt.  Die 
Augen  bleiben  frei.  Nachdem  man  5  g  Somnoform  in  die 
Maske  gegossen,  läßt  man  den  Kranken  tief  atmen  und  ver- 
anlaßt ihn,  die  Augen  offen  zu  behalten.  Sobald  die  Narkose 
eintritt,  fallen  die  Augen  zu,  und  der  Blick  wird  starr. 
Jetzt  kann  man  die  Operation  beginnen.  Bei  5  g  Somnoform 
dauert  es  mit  dieser  Maske  50  Sekunden,  bis  die  Betäubung 
eintritt.  Man  soll  aber  die  Methode  nur  zu  kui'zen  Narkosen 
verwenden.  Dazu  ist  es  ebenso  geeignet,  wie  das  Chloräthyl, 
Lachgas  etc. 

Dies  sind  die  haupsächlichsten  und  wichtigsten  Appa- 
rate und  Methoden  der  Darreichung,  und  man  kann  mit  der 
einfachsten  Methode,  der  Tropfnarkose,  die  besten  Narkosen 
auch  mit  den  Gemischen  herbeiführen.  Es  ist  wunderbar, 
daß  man  in  dieser  Methode  eine  für  alle  Narkosenarten 
und  alle  Narkotika,  die  in  Üüssigem  Zustande  verabreicht 
werden,  gleich  brauchbare  Darreichungsform  hat,  denn  wie 
oben  des  genaueren  erörtert  wui'de,  kann  man  einzig  und  Somnolormfiasche. 
allein  ein  annähernd  richtiges  Verhältnis  der  Dampf mischungen  durch  das 
Tropfen  erreichen.  Allein  auch  völlig  genau  arbeitet  die  Tropfmethode  hier 
nicht,  man  kann  mit  ihren  Piesultaten  bei  den  Gemischen  nicht  zufrieden  sein, 
weil  eben  die  physikalischen  Verhältnisse  in  den  Narkotikamischungen  andere 
sind,  als  man  angenommen  hätte. 

Eine  andere  Mischung  von  Narkotika  ist  das  Narkotil,  welches  von 
Eastham  für  Narkosen  verwendet  worden  ist.  Man  gewinnt  das  Narkotil, 
wenn  man  eine  Mischung  von  Äthyl-  und    Methylalkohol    mit    Salz- 


—     510     — 

säure  behandelt  und  destilliert.  Die  aus  dieser  Mischung  entstehenden  Dämpfe 
werden  gereinigt  und  unter  erhöhtem  Druck  kondensiert.  Das  Narkotil  stellt 
ein  konstantes  vom  Licht  nicht  beeinflußbares,  gut  haltbares  Produkt  von 
großer  Flüchtigkeit  und  angenehmem  Geruch  dar.  Dasselbe  ist  gleich  dem 
Aether  sulfuricus  sehr  leicht  entzündlich.  Um  das  Narkotil  als  Narkotikum 
zu  verwenden,  muß  man  einen  geschlossenen  Apparat  brauchen.  Die  Wirkungen 
des  Narkotils  gleichen  am  meisten  denen  des  Aether  sulfur.,  vor  allen  Dingen 
wirkt  das  Narkotil  anregend  auf  die  Herzaktion,  während  man  eine  vermehrte 
Salivation  bei  den  Narkosen  nicht  beobachtet  haben  will.  Die  Narkose  ist  eine 
vollkommen  tiefe,  die  Muskulatur  wird  total  erschlafft,  gelähmt,  während 
die  Pupillen  im  Anfang  der  Narkose  erweitert  später  verengt  werden.  Die 
Toleranz  wird  wie  bei  andern  Narkotika  auch  durch  eine  maximale  Verengerung 
der  Pupillen  angedeutet.  Man  kann  an  den  Augen  auch  das  Straß- 
m  a  n  n  s  c  h  e  Phänomen  beobachten  (Verf.).  Die  Narkose  tritt  rasch  ein  und 
das  Erwachen  erfolgt  ebenso  schnell.  Da  das  Mittel  sehr  leicht  verdampfbar  ist 
und  sich  nur  wenig  in  Wasser  löst,  ist  die  Lösung  im  Blutserum  nur  eine  sehr 
lockere.  Nach  denNarkosen  fehlen  meistKopfschmerzen  vollkommen,  ebenso  treten 
Erbrechen,  Übelsein  etc.  sehr  selten  auf.  Nach  kurzen  Narkosen  werden  fast 
gar  keine  Beschwerden  nach  der  Narkose  gefunden,  während  nach  langen  Be- 
täubungen auch  Erbrechen  und  Übelkeit,  Kopfschmerzen  und  Schwindel  zu 
finden  sind,  die  nach  einigen  Stunden  bis  Tagen  verschwinden  (Verf.). 
E  a  s  t  h  a  m  hat  üble  Nebenwirkungen  nicht  gesehen,  meint  aber,  daß  durch 
Üherdosierung  solche  entstehen  können  und  meint,  daß  bei  der  großen  Flüchtig- 
keit des  Narkotils  künstliche  Respiration,  zur  rechten  Zeit  eingeleitet,  stets  den 
Kranken  vor  Exitus  bewahren  kann.  Das  Narkotil  erzeugt  sehr  starke  Kälte- 
wirkung beim  Verdampfen,  weshalb  auch  die  Dämpfe  sehr  kalt  sind,  und  dadurch 
leicht  die  Lungen  reizen  können  sowie  Erkältungen  herbeiführen  werden. 
Nach  E  a  s  t  h  a  m  eignet  sich  das  Narkotil  sowohl  für  lange,  als  auch  kurze 
Narkosen.  Er  hat  20  solcher  Narkosen  ausgeführt  und  ist  recht  zufrieden  damit 
gewesen.  Er  verwendet  einen  Apparat  von  L  o  b  j  o  i  s,  welcher  einen  Gebläse- 
apparat mit  Exspirationsventil  darstellt.  E  a  s  t  h  a  m  gibt  den  Rat,  um  die 
Wirkung  der  sehr  kalten  Gasgemische  auf  die  Lungen  günstiger  zu  machen, 
die  Flasche  des  Gebläseapparates  in  ein  mit  warmem  W^asser  gefülltes  Glas 
zu  stellen,  um  so  die  Gase  anzuwärmen.  Dies  wird  aber  nach  meiner  Ansicht 
unvorteilhaft  sein,  weil  durch  die  höhere  Temperatur  mehr  Narkotil  verdampft, 
als  man  zu  dem  durchgetriebenen  Luftstrom  beigemengt  wünscht.  Wenn  die 
kalten  Gase  eine  so  stark  schädliche  Wirkung  besitzen,  also  die  Abkühlung  eine 
sehr  hohe  ist,  so  wird  man  besser  die  Luft-Narkotilgasgemische  durch  einen 
langen  Gummischlauch,  welcher  zwischen  dem  Gefäß  des  Apparates  und  der 
Maske  angebracht  ist  und  durch  ein  Gefäß,  das  mit  heißem  Wasser  gefüllt  ist, 
führt,  treiben,  so  daß  sich  nur  die  Gasgemische  erwärmen.  Es  ließe  sich  diese 
Vorrichtung  an  jedem  .J  u  n  k  e  r  s  c  h  e  n  Apparat  anbringen.  Der  Junker  sehe 
Apparat  ist  ebenfalls  gut  für  das  Narkotil  brauchbar.  Ich  habe  nur  wenig 
Narkosen  mit  Narkotil  ausgeführt,  und  habe  kein  definitives  Urteil,  es  scheint 
für  kürzere  Narkosen  ganz  vorteilhaft  zu  sein.  Immerhin  scheinen  Gefahren 
nicht  ausgeschlossen,  und  man  muß  mit  der  Verwendimg  noch  vorsichtig  sein, 
ehe  man  nicht  an  Tierversuchen  die  Wirkungen  des  Narkotiles  auf  den 
Organismus  in  jeder  Hinsicht  geprüft  hat. 


—     511     — 

In  Italien  wird  von  Dr.  Zambeletti-Milano  der  Liquor  Somniferus 
Zambeletti  für  kurze  Narkosen  empfohlen.  Dei'selbe  ist  ein  Gemisch,  das  sich 
für  kurze.  Betäubungen  sehr  gut  eignet  und  dem  Somnoform  sehr  ähnlich  ist. 
Die  Narkose  tritt  rasch  ein  und  hält  bis  2  Ja  5  Minuten  an. 

§  56.  Eine  weit  größere  Bedeutung  haben  die  Mischnarkosen  erlang-t 
durch  den  Fortschritt,  welcher  durch  E 1 11  s  zuerst  geschaffen  wurde,  indem 
man  eine  Änderung  der  Mischungen  bewirkte,  indem  man  nicht  mehr  vor  der 
Verabreichung  die  Narkotika  selbst  mischte,  sondern  erst  die  Dämpfe  derselben 
gemischt  dem  Kranken  verabreichte. 

E 1 1  i  s  war  der  erste,  welcher  diesen  Gedanken  verwirklichte  und  zu 
diesem  Zwecke  einen  Apparat  konstruierte,  der  drei  Kammern  enthält,  eine  für 
Alkohol,  eine  für  Aether  sulfur.  und  eine  füi"  Chloroform,  und  in  denen  jedes 
der  drei  Narkotika  verdampfte,  indem  es  an  Baumwollfäden  zur-  Verdunstung 
kam,  und  zwar  waren  diese  Kammern  in  Größe  und  sonstigen  Verhältnissen  so 
eingerichtet,  daß  die  durch  sie  durchstreichende  Luft  immer  2^0  Alkoholdämpfe 
und  nie  mehr  als  S^/,,  Äther  und  Ghloroformdämpfe  beigemengt  erhielt,  und 
somit  ein  Gemenge  von  Gasen  entstand,  dessen  Zusammensetzung  man  genau 
kannte.  Es  ist  diese  Änderung  in  der  Narkosenform  eine  so  bedeutende,  daß 
ich  es  nicht  für  richtig  halte,  wenn  man  die  Resultate  der  Mischnarkosen,  bei 
denen  man  die  Narkotika  selbst  mischt,  im  gleichen  Rahmen  abhandelt  mit  den 
Resultaten  dieser  Narkosen.  Der  Unterschied  beider  Arten  von  Mischnarkosen 
mag  dem  Laien  nicht  so  groß  erscheinen,  dem  Sachverständigen  aber  ist  es 
von  vornherein  klar,  daß  ein  ganz  gewaltiger  LTuterschied  zwischen  beiden 
Methoden  besteht.  Es  ist  kein  Zweifel,  daß  die  Narkose  mit  Dampfgemischen 
die  beste  Narkose  darstellt,  und  daß  man  von  derselben  die  schönsten  Erfolge 
auf  dem  Gebiete  der  Narkosenwissenschaft  erwarten  kann.  Der  Anlaß,  der  zu 
der  Dampfmischung  führte,  war  darin  gelegen,  daß  man  erkannte,  daß  selbst 
in  den  genauesten  Mischungen  der  Narkotika  eine  andere  Verdunstung  und 
andere  Mischungen  der  Dämpfe  entstehen  mußten,  und  daß  man  doch  bestrebt 
sein  mußte,  dem  Kranken  bestimmte  Gasgemische  von  bestimmter,  feststehen- 
der Konzentration  zu  verabreichen,  deren  Zusammensetzung  man  aber 
während  der  Narkose  in  jedem  Augenblicke  ändern  könnte.  Nicht  in  der 
Narkotikumflasche  liegt  der  Hauptschwerpunkt  der  Narkose,  sondern  in  dem 
sich  dicht  vor  den  Respirationswegen  des  Kranken  unter  der  Maske  bildenden 
Gasgemische.  So  konnte  man  nur  durch  die  Mischung  der  Dämpfe  der  einzeln 
verdunstenden  Narkotika  eine  Besserung  schaffen. 

Die  Mischung  der  Dämpfe  der  Narkotika  hat  nun  natürlich  eine  sehr 
große  Ausdehnung  erlangt,  denn  es  werden  ja  sehr  viele  Variationen  möglich 
sein,  welche  dm*ch  die  Kombination  der  verschiedenen  Narkotika  entstehen. 
Wenn  man  also  diese  Dampfgemische  im  allgemeinen  betrachten  W'Ollte,  so 
würde  man  nicht  ein  Bild  entwerfen  können,  man  kann  nicht  diese  Mischungen 
so  beurteilen,  wie  die  Mischungen  der  Narkotika  selbst,  denn  bei  letzteren 
handelte  es  sich  immer  nur  um  die  Mischung  der  Narkotika  Chloroform  und 
Äther  unter  Beifügen  eines  dritten  eventuell.  Diese  Mischungen  konnten  ein 
einheitliches  Bild  in  ihrer  Wirkung  auf  den  Organismus  eher  ergeben  als 
diese  Dampfmischungen,  welche  eine  zu  große  Variation  erlitten  haben,  da 
man  die  Narkotika  selbst  meist  nur  in  bestimmten  Mengen  gemischt  verwenden 
konnte,  während  hier  neben  den  beiden  gebräuchlichsten  Narkotika  Chloroform 


—     512     — 

und  Aether  sulfur.  noch  verschiedeue  an  sich  gasförmige  Narkotilva  hinzu- 
kommen, und  man  hier  auch  nicht  immer  Chloroform  und  Aether  sulfur.  zu- 
sammen verwendet,  Avie  es  in  den  allermeisten  Mischungen  der  Narkotika 
selbst  geschah,  wodurch  dort  ein  mehr  einheitlicher  Charakter  geschaffen 
wurde.  Bei  den  Dampfmischungen  geschieht  es  sogar  sehr  oft,  daß  man 
Chloroform  allein  mit  Sauerstoff  gemischt  verwendet,  ebenso  Aether  sulfur. 
allein  mit  diesem.  Daß  diese  Verhältnisse  nicht  einheitliche  Bilder  der  Wirkungs- 
weise der  Mischungen  auf  den  Organismus  zu  entwerfen  gestatten,  ist  leicht 
erklärlich.  Wenn  man  diese  Arten  der  Mischnarkosen  als  Dampfgemische  be- 
zeichnet, so  ist  dies  weniger  zutreffend  für  alle  die  jetzt  unter  diese  Rubrik 
zu  rechnenden  Narkosen,  denn  man  kann  den  Sauerstoff  schwerlich  als  Dampf 
betrachten,  obwohl  dies  in  einer  gewissen  Hinsicht  richtig  sein  könnte,  denn 
der  Sauerstoff  stellt  unter  anderen  Verhältnissen  eben  auch  eine  Flüssigkeit 
dar,  doch  wir  betrachten  ihn  nun  einmal  als  ein  Gas,  und  man  würde  auch  nicht 
fehlgehen,  wenn  man  die  Chloroformdämpfe  als  Gas  ansehen  würde,  und  diese 
Narkosen  als  Gasmischnarkosen  bezeichnen  würde.  ISIun,  es  ist  dieser  Vorschlag 
nur  deshalb  gestellt,  weil  er  meiner  Ansicht  nach  berechtigter  ist,  weil  ja  die 
gemischten  Narkotika  in  toto  Gase  darstellen,  weil  eben  Gas  der  weitere  Be- 
griff ist  als  Dampf.  Dampf  erinnert  an  das  eben  aus  dem  flüssigen  in  den 
gasförmigen  Zustand  übergegangene  Narkotikum,  und  da  diese  Dämpfe  Gase 
darstellen  und  mit  anderen  Gasen  gemischt  werden,  so  ist  es  wohl  ein 
logischerer  Ausdruck,  Gasmischnarkose  zu  sagen,  als  Dampfgemischnarkose,  oder 
Narkose  mit  Gasmischungen  oder  Gasgemischen  entgegen  Narkose  mit  Dampf- 
gemischen. Unter  Dampfgemische  wären  streng  genommen  nur  die  Chloro- 
form-Ätherdampfgemische etc.  zu  rechnen,  während  die  Sauerstoflgemische 
nicht  dahin  gehören  dürften,  da  man  den  Sauerstoff  nicht  immer  als  Dampf 
verwendet,  denn  derselbe  ist  oft  als  Gas  im  Gasometer  vorhanden,  und  selbst 
wenn  man  komprimierten  Sauerstoff  verwendet,  so  ist  man  mehr  gewöhnt  den- 
selben als  Gas  zu  betrachten,  da  er  eben  unter  den  bei  uns  üblichen  Ver- 
hältnissen gasförmig  ist  und  nur  erst  durch  unsere  Kunst  flüssig  gemacht 
wird.  Es  soll  daher  hier  von  Narkosen  mit  Gasgemischen  gesprochen  werden. 
Diese  Methode  der  Gasgemische  ist  von  E  1 1  i  s  angegeben,  und  ist  dann 
weiter  ausgebaut  worden  von  T  y  r  e  1 1,  Braun,  Kionka,  Geppert, 
Roth,  u.  a.  m.  Die  Methoden  der  Gasgemischnarkosen  hängen  eng 
zusammen  mit  den  Apparaten,  denn  man  wird  leicht  einsehen,  daß  nur  durch 
den  betreffenden  Apparat  die  jeweilige  Verwendung  mehrerer  Gase  möglich 
wird.  Wenn  mau  bei  der  Verwendung  der  Gasgemische  einen  Vorteil  für  die 
Narkose  erwarten  kann,  so  hat  man  diese  einzig  in  der  genauen  Dosierung 
der  einzelnen  zur  Mischung  verwendeten  Narkotika  zu  linden.  Es  besteht 
aber  kein  Zweifel,  daß  man  mit  der  genau  berechneten  Konzentration  der 
Dämpfe  einen  günstigeren  Einfluß  auf  die  Vorgänge  im  Organismus  erwarten 
kann,  denn  bei  der  Mischung  der  Gase  wird  man  vielleicht  die  schwere, 
deprimierende  Wirkung  des  Chloroforms  auf  das  Herz  durch  Aether  sulfuricus 
mildern  können,  um  ein  Beispiel  anzuführen,  welches  sehr  oft  in  der  Praxis 
gerade  gefimden  wird.  Wenn  man  nun  die  Einwirkung  dieser  Gasgemische 
auf  den  Organismus  näher  studieren  will,  so  muß  man  die  Narkose  und  deren 
Wirkungen  mit  jeder  einzelnen  Mischung  betrachten,  und  es  soll  deshalb  nun- 
mehr jede  einzelne  Art  der  Narkosen  mit  Gasgemischen  erörteit  werden. 


—    5i:5    — 

§  57.  Die  erste  Mischung,  welche  hier  betrachtet  werden  soll,  stellt 
diejenige,  in  welcher  Chloroform  +  Aether  sulfur.  zusammen  Verwendung 
finden,  dar.  Im  AnschhUi  an  die  Be(jl)achtuiigen  von  E  1 1  i  s  haben  sich  noch 
andere  Forscher  mit  der  Lösung  des  Problemes  der  Mischung  der  Chloroform- 
Ätherdämpfe  beschäftigt,  und  mau  konstruierte  zu  diesem  Zwecke  Apparate, 
welche  eine  genaue  in  jedem  Moment  veränderbare  Dosierung  jedes  dieser 
Gase  ermöglichten,  so  daß  man  also  je  nach  dem  jeweiligen  Bedürfnis  mehr 
Chloroform  oder  Äther  oder  beide  in  gleichen  Mengen  etc.  verabreichen  konnte 
(Kionka,  Bert,  Geppert  etc.).  Man  glaubte  durch  Verwendung  genau 
dosierter  Gasgemische  dem  Narkotiseur  die  Verantwortlichkeit  verringern, 
die  Aufmerksamkeit  auf  den  Kranken  liedeutend  ersparen  und  somit 
die  Narkose  mehr  zu  einem  mechanischen  Vorgang  gestalten  zu  können. 
Allein  es  zeigte  sich  sehr  bald,  daß  dies  ein  gewaltiger  Irrtum  war,  und  daß 
vielmehr  stets  die  individuell  so  außerordentlich  wechselnde  Reaktion  des 
Organismus  gegen  das  Narkotikum  das  einzige  Kriterium  sei,  welches  dem 
Narkotiseur  den  jeweiligen  Stand  der  Narkose  angeben  und  ihm  sagen  konnte, 
wann  er  die  Dosierung  vergrößern  oder  verringern  sollte.  Es  ist  daher  der 
bestdosierende  Apparat  in  der  Praxis  nicht  imstande,  den  Arzt  von  aller 
Verantwortung  und  peinlichem  Beachten  aller  Funktioueu  im  Organismus  des 
Ej-anken  zu  entbinden,  und  dieselben  können  nie  die  einfachen  Tropfnarkoseu 
übertreffen. 

Wenn  man  dem  Kranken  die  beiden  Narkotika  Chloroform  und  Äther 
in  Dämpfen  oder  gasförmigem  Zustande  gemischt  verabreicht,  so  hat  man  eine 
Einwirkung  auf  den  Organismus  während  dieser  Narkose  zu  vermuten,  die 
eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  dem  Bilde  der  reinen  Narkosen  hat.  Führt 
man  dem  Organismus  ein  Gasgemisch  von  mehr  Chloroform  als  Aether  sulfur. 
zu,  so  kann  das  Bild  der  Veränderungen  in  den  inneren  Organen  dem  der 
reinen  Chloroformnarkose  ähneln,  und  hat  man  eine  Inhalation  von  hauptsäch- 
lich Ätherdämpfen,  so  ist  das  Bild  dem  nach  reinen  Äthernarkosen  ähnlich. 
Die  Wirkung  der  Mischnarkose  mit  den  beiden  Gasen  ist  in  physiologischer 
Hinsicht  in  gewissem  Sinne  eine  bessere  als  bei  den  reinen  Narkosen,  Man 
beobachtete  im  allgemeinen  bei  diesen  Mischuarkosen  natürlich  hinsichtlich  der 
Narkose,  den  Reflexen  etc.  dasselbe  Bild,  wie  bei  der  reinen  Narkose,  uiu* 
zeigt  sich  hier  ein  schnellerer  Eintritt  der  Toleranz,  ein  geringeres  Exzitatious- 
stadium,  iind  ein  selteneres  Auftreten  von  Erbrechen  während  und  nach  der 
Narkose,  auch  der  Narkosenkater  ist  weniger  stark,  und  das  Erwachen  tritt 
sehr  bald  ein,  (Brau  n).  So  sah  Braun  bei  seinen  Chloroform-Äthernar- 
kosen, wie  sie  weiter  unten  noch  beschrieben  werden,  die  Toleranz  meist  nach 
6 — 8  Minuten  auftreten,  beobachtete  nur  sehr  selten  Störungen  der  Herz-  und 
Atemtätigkeit,  Erbrechen  bei  nur  Vs  der  Kranken  und  fand,  daß  je  kürzer  die 
Mischnarkose  ist,  um  so  geringer  die  Nachwirkungen  sind,  so  daß  bei  nur 
wenige  Minuten  Toleranz  verlangenden  Operationen  nach  der  Narkose  gar  kein 
Übelbefinden  bestand,  und  die  Kranken  sofort  weggehen  konnten.  Dabei 
ist  der  Verbrauch  des  Narkotikums  ein  sehr  geringer,  denn  auch  bei  diesen 
Mischungen  zeigt  sich,  daß  die  narkotische  Kraft  wenn  auch  nicht  doppelt  so 
groß  —  denn  das  ist  unmöglich  —  so  doch  bedeutend  vermehrt  ist.  Die 
Salivation  ist  natürlich  vermehrt,  wenn  sie  auch  nicht  sehr  stark  ist.  Ich 
habe    auch    bei    meinen    vielen    Versuchen    eine    sehr    gute    Einwirkung    der 

33 


—     514     — 

Mischungen  der  Gase  feststellen  können,  und  es  ist  dem  Arzte  in  dieser 
Narkose  eine  Methode  gegeben,  welche  ihm  für  jeden  Fall  eine  Narkose  er- 
möglichen läßt,  ausgeuouimen  da,  wo  überhaupt  jede  Narkose  kontraiudiziert 
ist.  Es  besteht  gar  kein  Zweifel,  daß  bei  diesen  Mischungen  die  Herztätig- 
keit bedeutend  gebessert  werden  kann,  wenn  einmal  das  Chloroform  stark 
depressiv  wirkt.  Durch  den  Äther  kann  man  das  Herz  erregen.  Der  auf- 
merksame Narkotiseur  gibt  dem  Kranken  je  nach  dem  Zustande  mehr  Äther 
oder  Chloroform  und  es  ist  diese  Methode  die  denkbar  vollkommenste,  wo  man 
je  nach  dem  momentanen  Zustande  die  Konzentration  der  Gemische  ändern 
kann.  Darin  liegt  der  Vorteil  gegenüber  den  Mischungen  der  Narkotika  selbst. 
Man  spart  Narkotikum  und  somit  Gift  für  den  Organismus  und  erreicht 
dennoch  eine  tiefe  für  alle  Operationen  gut  brauchbare  Narkose.  Man  kann 
fast  alle  Menschen  mit  diesen  Gemischen  tief  narkotisieren  mit  Ausnahme 
hochgradiger  Alkoholisten,  denen  mau  Morphin  voraus  verabreichen  muß. 
Sonst  ist  bei  allen  Personen  ein  günstiger  Einfluß  der  Narkose  zu  sehen. 
Bei  richtiger  Technik  wird  die  Narkose  ohne  wesentliche  Exzitation  verlaufen, 
natürlich  ist  dies  wechselnd,  wie  bei  allen  Narkosen. 

Was  nun  die  pathologischen  Wirkungen  anlangt,  so  darf  man  natürlich 
nicht  in  einem  zu  optimistischen  Glauben  an  die  Gefahrlosigkeit  schweben. 
Die  Mischuarkose  bietet  natürlich  bei  den  Gemischen  aus  Chloroform  und 
Aether  sulf.  die  Gefahren  beider  Narkotika.  Wenn  man  Tiere  sehr  lauge 
betäubt  mit  einer  Mischung  von  drei  Teilen  Chloroformdampf  auf  einen  Teil 
Ätherdampf,  so  zeigt  das  Tier  die  Einwirkungen  der  reinen  Chloroformnarkose 
in  Gehirn,  Herz,  Leber,  Nieren,  aber  in  den  Lungen  eine  stärkere  Veränderung, 
die  auf  die  Ätherbeimengungen  zu  beziehen  ist,  denn  man  findet  beginnende 
Pneumonien.  Gibt  man  drei  Äther  auf  ein  Chloroform,^  so  hat  man  das  Bild 
der  reinen  Äthernarkose  ev.  mit  einer  vermehrten  Fettmetamorphose  im 
Herzen.  Man  ersieht  also,  daß  bei  Vorwiegen  des  einen  Narkotikums  haupt- 
sächlich das  Bild  der  Einwirkung  dieses  Narkotikums  zu  finden  ist,  mit 
geringer  Andeutung  der  Hauptwirkung  des  anderen.  Gibt  man  dem  Tiere 
beide  Gase  zu  gleichen  Teilen,  so  findet  man  sehr  schwere  Veränderungen 
in  den  Organen;  neben  der  starken  Fettmetamorphose  wie  bei  Chloroform 
allein  findet  sich  noch  die  Ätherwirkung,  so  daß  in  Lunge,  Nieren  und 
Leber  stärkere  Veränderungen  zu  finden  sind,  als  nach  reinen  Narkosen. 
Man  hat  in  diesen  Fällen  imgefähr  die  Siimme  der  üblen  Wirkungen  bei- 
der Narkotika,  wobei  aber  das  Bild  der  Wirkungen  jedes  einzelnen  Narkotikums 
nicht  dem  Bilde  nach  reinen  Narkosen  gleicher  Länge  wie  die  Dauer  der 
Mischnarkose,  sondern  der  halben  Dauer  entspricht.  Hat  man  z.  B.  ein  Tier 
zwei  Stunden  mit  der  Mischung  betäubt,  so  entspricht  das  Bild  der  Chloro- 
formveränderungen ungefähr  einer  Chloroformnarkose  von  einer  Stunde  Dauer,. 
ebenso  die  Ätherwirkimg;  natürlich  kann  man  das  nur  annähernd  schätzen. 
Dieses  Ergebnis  habe  ich  aus  einer  Reihe  von  Versuchen  mit  Narkosen  mit 
Mischungen  an  Tieren  gewonnen,  und  es  ist  daher  immerhin  ein  gewisser 
Vorteil  in  den  Mischnarkosen  der  Gasgemische  gelegen,  denn  wenn  auch  bei 
der  ungeschicktesten  Ausführung  der  Narkose,  wobei  gar  nicht  eine  Beachtung 
der  Verhältnisse,  Wirkungen  und  Veränderungen  im  Organismus  des  Kranken 
stattfindet,  sondern  ohne  jede  Änderung  der  Konzentration  dem  betreffenden; 
Kranken  das  Gemisch  zu    gleichen  Teilen    vei'abreicht    wird,  die    pathologisch 


—     515     — 

auatoiuiscbeu  Bilder  der  Veräudenmi^-eu  liochgradig-e  sind,  so  ist  doch  eine 
geAvisse  günstigere  Einwirkung  nicht  zu  verkennen,  welche  eben  darin  besteht 
daß  durch  die  Summe  der  Nai'kotikadämpfe  auch  die  narkotische  Kraft  ver- 
mehrt wird.  Die  Veränderungen  in  den  inneren  Organen  bestehen  natürlich 
je  nach  den  verwendeten  Mischungen  entweder  in  starker  Fettmetamorphose 
oder  hochgradigen  Pneumonien  und  Bronchitiden.  Die  Bilder  der  Fett- 
metamorphose  sind  dieselben,  wie  sie  beim  Chlorofoi-m,  die  der  Lungenleiden, 
wie  sie  beim  Aether  sulfur.  geschildert  worden  sind.  Natüiiich  treten  große 
Veränderungen  durch  die  verschiedenen  Mischungen  und  die  Veränderungen 
während  der  Narkose  auf. 

Was  nun  die  Narkose  mit  den  Gasgemischen  im  Verhältnis  zur  Herz- 
aktion anlangt,  so  kann  man  auch  hier  nur  annähernd  ein  Bild  entwei'fen. 
Bei  vorwiegend  Chloroforminhalationen  wird  das  Herz  schwer  beeinflußt 
werden,  die  Reflexsynkope  im  Anfang  der  Narkose  ist  nicht  sicher  auszu- 
schließen und  bei  langer  Dauer  wird  auch  die  Gefahr  der  Synkope  und  Fett- 
nietamorphose  mit  protrahiertem  Chloroformtod  möglich  sein.  Der  Blutdruck 
wird  stark  sinken,  Remissionen  sich  zeigen  und  der  Druck  unter  die  Normal- 
blutdriTckhöhe  fallen.  Wenn  man  aber  Äther  in  wirksamen  Mengen  beigibt, 
so  kann  man  das  Sinken  des  Blutdruckes  vollkommen  verhindern,  und  gerade 
darin  besteht  ein  großer  Vorteil  der  Gemischnarkose.  In  der  Narkosenpraxis 
kann  mau  dies  leicht  nachweisen.  Wenn  man  im  Anfang  einer  Narkose  vor- 
wiegend Chloroform  mit  niu'  ganz  geringen  Spuren  Äther  gibt,  kann  man  bald  ein 
Sinken  des  Blutdruckes  gewahren,  auch  der  Puls  wird  kleiner.  Sobald  man 
jetzt  mehr  Aether  sulf.  verabreicht,  so  steigt  der  Blutdruck  sofort  wieder  über 
die  Normalblutdruckhöhe  und  bleibt  über  derselben,  sofern  man  nicht  den  Äther 
sofort  wieder  wegläßt  (Verf.),  man  merkt  auch  am  Puls  sofort  ein  kräftigeres 
Schlagen  desselben,  und  man  wird  bei  jedem  drohenden  Kollaps  mehr  Äther 
geben  als  vorher,  dadurch  den  Puls  bessern  und  ernste  Kollapse  ver- 
hüten. Anders  steht  es  aber  in  Fällen,  wo  viel  Aether  sulfur.  und  wenig 
Chloroform,  oder  beide  Gase  in  gleichen  Mengen  verabreicht  werden, 
und  doch  Kollapszustände  eintreten.  In  diesen  Fällen  nützt  ein  neues 
Zufügen  von  Äther  gar  nichts,  sondern  verschlimmert  nur  die  Verhältnisse. 
Der  Äther  wirkt  ja,  wie  oben  erörtert  wurde,  herzanregend,  aber  auch  bei 
langer  Narkose  im  Sinne  des  Chloroforms  auf  den  Herzmuskel,  indem  er  daselbst, 
zwar  schwächer  als  Chloroform,  aber  viel  Fettmetamorphose  erzeugt.  Deshalb  er- 
eignen sich  auch  in  der  Äthernarkose  manchmal  Kollapse.  Wenn  Chloroform 
zugleich  wirkt,  so  kann  Äther  die  fettmetamorphotische  Wirkung  verstärken 
lind  das  Chloroform  sogar  unterstützen,  so  daß  man  dann  ernste  Kollapse  an- 
trifft, welche  nur  durch  Fortlassen  der  Narkose  gebessert  werden  können.  Es 
muß  eben  immer  das  Herz  beachtet  werden  und  man  kann  ja  durch  die 
Anpassung  der  Konzentrationen  der  Mischung  der  Gase  viel  für  die  günstige 
Wirkung  auf  das  Herz  tun,  denn  wenn  man  z.  B.  Verdacht  auf  Herzschwäche- 
zustände hat,  so  wird  man  für  die  Narkose  mehr  Äther  als  Chloroformgas 
verwenden. 

Aut  die  Lungen  wirkt  die  Mischnarkose  in  gewisser  Hinsicht  nicht  viel 
günstiger,  als  die  reine  Äthernarkose.  In  den  meisten  Fällen,  wenn  nicht  ganz 
wenig  Äther  verwendet  wird,  muß  man  mit  stark  vermehrter  Salivation  rechnen, 
und    es    bestehen    alle    Gefahren    der   Äthernarkosen.       Aber    auch    hier    läßt 

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sich  durch  eiue  vorsichtige  Narkose  viel  verhüten,  und  man  hat  die  Lungen- 
leiden  nach  den  Mischuarkosen  aiich  nicht  häufiger  gefunden.  Schon  das 
Chloroform  bewirkt  ja  eine  vermehrte  Schleimsekretion,  die  nun  dui'ch  beide 
Narkotika  natürlich  vermehrt  wird.  Auch  die  Schädigung  der  Lungenepithelien 
findet  sich  stets  nach  Mischnarkosen  sehr  ausgeprägt.  Die  Lungen  stehen 
natürlich  in  großer  Gefahr,  und  deshalb  muß  genau  beobachtet  vrerden. 

Bei  all  diesen  pathologischen  Einvi^irkungen  der  Mischnarkose  ist  es 
von  ungeheurem  Wert,  daß  die  narkotische  Ki-aft  durch  beide  Narkotika  ver- 
mehrt w^ird,  und  man  hat  darin  einen  großen  Vorzug  zu  sehen,  daß  man 
nur  viel  weniger  Narkotikagase  braucht  für  eiue  Mischnarkose  mit  Chloroform 
und  Aether  sulfur.,  als  für  die  gleich  langen  Narkosen  mit  nur  einem 
Narkotikum.  Der  Äther  ist  von  beiden  Narkotika  der  schwächer  wirkende 
Körper,  und  derselbe  ist  daher  auch  mit  seinen  pathologischen  Wirkungen  auf 
den  Organismus  mit  Ausnahme  auf  die  Lungen  weniger  gefährlich  als  Chloro- 
form. Braun  schreibt  zwar,  man  soll  den  Äther  als  Grundlage  für  die  Misch- 
narkose, und  Chloroform  nur  zur  Verstärkung  verwenden,  weil  der  Äther 
keine  Fettmetamorphose  erzeuge.  Darin  geht  nun  aber  Braun  fehl,  denn 
Aether  sulfur.  bewirkt,  wie  ich  nachgewiesen  habe,  ebenso  Fettmetamorphose 
in  Gehirn,  Herz,  Leber  und  Nieren  etc.,  wie  Chloroform,  nur  in  viel  geringerem 
Maße.  Wenn  aber  der  Grund,  den  Braun  anführt,  nicht  völlig  richtig 
ist,  so  hat  doch  sein  Rat  sehr  viel  Gutes.  Für  die  meisten  Fälle  wird  es 
angebracht  sein,  wenn  man  bei  der  Mischnarkose  mit  diesen  beiden  Dämpfen 
den  Äther  als  Hauptnarkotikum  wählt,  und  die  Chloroformgase  nur  in  den 
Mengen  beigibt,  welche  nötig  sind,  um  die  Wirkung  des  Äthers  zu  erhöhen. 
Dies  gilt  für  alle  Fälle,  für  welche  eine  Äthernarkose  an  sich  erlaubt  wäre. 
Allein,  man  muß  in  gewissen  Fällen,  wo  man  die  Ätherwirkung  auf  die  Lungen 
zu  fürchten  hat,  anders  verfahren.  In  allen  jenen  Fällen  wird  man  das 
Chloroform  zur  Grundlage  der  Narkose  machen  und  Aether  sulfur.  nur  in 
Mengen  beigeben,  welche  genügen,  um  die  narkotische  Kraft  zu  erhöhen  und 
die  Herztätigkeit  anzuregen,  ohne  wesentlich  Schädlich  auf  die  Lungen  zu 
wirken.  Man  wird  im  praktischen  Leben  manchen  Krauken  treffen,  der  so 
sehr  vorteilhaft  narkotisiert  werden  kann.  Man  wird  in  schweren  Fällen  z.  B. 
die  Narkose  mit  Äther  beginnen  und  so  viel  Chloroform  beigeben,  bis  Toleranz 
erreicht  ist,  während  man  nun  mit  fast  reinen  Ätherdämpfen  die  Narkose  lange 
unterhalten  kann,  ohne  wesentlich  oder  überhaupt  Chloroform  beizugeben,  im 
anderen  Falle  hingegen  vsdrd  man  mit  Chloroform  imd  wenig  Äther  beginnen, 
und  den  Äther  nur  in  ganz  geringen  Mengen  nebenbei  geben,  so  daß  ein  übler 
Einfluß  auf  die  Lungen  nicht  wird  ausgeübt  werden  können.  Es  ist  nun  aller- 
dings Tatsache,  daß  man  in  den  meisten  Fällen  mit  den  Narkosen  ersterer 
Art  auskommt,  und  nur  selten  zu  letzteren  zu  greifen  gezwungen  ist. 

Der  Einfluß  der  Gasmischnarkose  auf  die  inneren  Organe  ist  nun  zwar 
nicht  ein  besserer  als  der  der  reinen  Chloroform-  oder  Äthernarkose,  wenn 
man  die  Gemische  nur  als  Gemische  verabreicht  ohne  sie  zu  wechseln,  denn 
nur  dadurch  kann  man  die  pathologischen  Veränderungen  der  verschieden 
konzentrierten  Gemische  erforschen.  Experimente  aber,  an  Tieren  mit  den 
genau  funktionierenden  Apparaten  ausgeführt,  wobei  man  je  nach  den  Ver- 
hältnissen das  eine  Narkotikum  nur  gering  verabreichte  und  beimengte,  jeden- 
falls nur  nach  Bedarf,  haben  ergeben,  daß  die  Fettmetamorphose  in  den  inneren 


—     517     — 

Organen  sehr  gering  war.  Es  ist  natürlich  möglich,  die  Veränderungen  her- 
vorzurufen, doch  ich  habe  beobachtet,  daß  die  Narkose  viel  längere  Zeit  aus- 
geführt werden  kann,  als  die  entsprechende  Äther-  oder  Chloroformnarkose, 
ehe  ich  die  Fettmetamorphose  in  dem  Grade  erzeugen  konnte,  wie  nach  reiner 
Narkose;  das  zeigt  deutlich  den  Vorteil  der  Mischnarkose,  denn  die  Mischixng 
der  Gase  erhöht  die  narkotische  Kraft  und  läßt  dadurch  weniger  Narkotikum- 
menge verbrauchen,  wodurch  die  Veränderungen  in  den  Organen  natürlich 
schwächer  und  geringer  werden.  Eine  vorsichtig  geleitete  Chloroformäther- 
narkose mit  dem  Chloroform  als  Grundlage  ließ  sieb  3  Stunden  lang  ausdehnen, 
ehe  die  Fettmetamorphose  so  stark  in  den  inneren  parenchymatösen  Organen 
war,  als  nach  einer  zwei  Stunden  langen  Narkose  nur  mit  Chloroform.  Nach 
einer  2  Stunden  langen  Narkose  mit  reinem  Aether  sulfur.  fand  sich  Fettmeta- 
morphose und  Schleimansammlung  mit  beginnender  Pneumonie  in  der  Lunge 
in  demselben  Maße,  wie  nach  zwei  Äther-Chloroformmischnarkosen  von  je  1  bis 
2  Stunden  Dauer  und  innerhalb  12  Stunden  Zeit  wiederholt.  Man  ersieht  also, 
daß  die  Narkose,  welche  mit  Äther  als  Grundlage  ausgeführt,  durch  Chloroform 
verstärkt,  viel  bessere  Resultate  liefert,  als  die,  welche  Chloroform  zur  Grund- 
lage hat.  Allerdings  besteht  die  Gefahr  der  Pneumonie,  und  deshalb  kann  diese 
Narkose  nicht  bei  allen  Kranken  verwendet  werden. 

Wenn  man  nun  also  diese  Verhältnisse  beachtet,  so  muß  man  allerdings 
einen  gewissen  Vorzug  dieser  Art  der  Mischnarkose  zuerkennen,  doch  der- 
selbe darf  auch  nicht  überschätzt  werden,  denn  all  die  günstigen  Erfahrungen, 
wie  sie  Braun  an  seinen  250  Fällen  beschrieben  hat,  wie  sie  von  anderen 
beobachtet  sind,  und  wie  ich  sie  ebenfalls  gefunden  habe,  können  nur  erlangt 
werden,  wenn  man  den  Kranken  während  der  Narkose  sehr  genau  beobachtet, 
und  wenn  man  einen  guten  Apparat  zur  Narkose  verwendet.  Die  genaue  sach- 
verständige durch  große  Übung  erlangte  Beobachtung  ist  erstes  Erfordernis 
für  diese  Mischnarkose,  denn  bei  derselben  muß  genau  individualisiert  und 
beobachtet  werden,  sonst  wird  der  Vorteil  ein  illusorischer.  Dieser  Umstand 
ist  aber  wiederum  ein  Grund,  weshalb  diese  Narkose  nie  Gemeingut  der 
praktischen  Ärzte  werden  kann  so  lange  jedenfalls,  wie  der  praktische  Arzt  noch 
die  Narkosen  im  entlegenen  Orte  der  Hebamme  etc.  übergeben  muß,  und 
vielleicht  selbst  nicht  die  nötige  Übung  für  die  Mischnarkose  besitzen  kann. 
Es  ist  kein  Zweifel,  daß  ein  Laie  die  Narkose  nicht  ausführen,  und  der  Arzt 
sie  nicht  von  der  Operation  aus  kommandieren  kann,  so  wie  es  jetzt  oft  in 
praxi  geschieht,  wo  der  Arzt  die  Narkose  beginnt  und  dann  von  einer  Person 
weiter  leiten  läßt,  indem  er  dieselbe  instruiert,  wann  und  wieviel  Äther  nach- 
getropft werden  soll.  Das  ist  aber  ein  Nachteil  dieser  Methode,  den  man 
bisher  noch  nicht  hat  entfernen  können.  Die  Mischnarkose  will  von 
kundiger  Hand  ausgeführt  sein,  und  solange  man  eben  noch  in  unseren  jetzigen 
Verhältnissen  lebt,  wo  der  Landarzt  nicht  immer  einen  Kollegen  zur  Narkose 
herbeiziehen  kann,  wo  auch  die  meisten  Ärzte  noch  wenig  die  Misch- 
narkose ausgeführt  haben,  solange  wird  dieselbe  schwer  in  der  allgemeinen 
Praxis  Eingang  finden.  Es  geht  das  noch  eher  in  der  Stadt,  doch  auf  dem 
Land  ist  der  Arzt  meist  auf  sich  selbst  angewiesen.  Dieser  Umstand  ist  nicht  ohne 
Bedeutung  und  verschließt  manche  Gebiete  der  Mischnarkose. 

Die  Eliminierung  der  Gase  geschieht  wie  bei  allen  Narkosen  dieser  Art 
durch  die  Lungen,  Nieren,  Magensaft  und  Schweißdrüsen.     Es  eignen    sich  für 


—     518     — 

diese  Mischnarkose,  wie  aus  obigem  hervorgeht,  alle  Personen  mit  Krankheiten 
außer  denen,  die  au  sich  jede  Narkose  verbieten.  Man  hat  aber  genau  den 
Kranken  vorher  zu  untersuchen,  wie  Herz  und  Lungen,  das  G-efäßsystein,  Leber, 
Nieren  etc.  beschaffen  sind,  denn  danach  hat  man  die  Mischung  einzurichten. 
Der  große  Wert  liegt  eben  darin,  daß  man  die  Mischung  den  Verhältnissen  des 
einzelnen  Kranken  in  jeder  Minute  resp.  Sekunde  anpassen  kann,  ferner  in  dem 
geringen  Verbrauch  von  Narkotikum  und  den  verhältnismäßig  geringen  Neben- 
und  Nachwirkungen. 

Betrachtet  man  nun  die  Statistik  dieser  Narkose,  so  muß  mau  allerdings 
sagen,  daß  die  Fälle  noch  sehr  gering  an  Zahl  sind,  die  bisher  mit  dieser  Narkose 
ausgeführt  Avurden.  P  o  p  p  e  r  t  hat  schlechte  Resultate  gefunden,  von  812 
Narkosen  von  1  Chloroform-  sowie  5  Äthergemischeu  hat  er  45  mal  Störungen 
allerlei  Art  gesehen,  sowie  5  Pneumonien  mit  tödlichem  Ausgang.  Deshalb  be- 
gegnet nach  diesen  Resultaten  P  o  p  p  e  r  t  auch  den  Braunschen  Misch- 
narkosen mit  Mißtrauen.  Bei  2500  Narkosen  mit  dem  Gepp  ertschen 
Apparat  hat  P  o  p  p  e  r  t  viel  bessere  Resultate  gesehen,  sie  verliefen  ohne 
jeden  Nachteil  und  ohne  schlechte  Wirkungen.  Auch  T  r  e  i  b  e  r  rühmt  diese 
Gemische  der  Gase  für  Narkosen.  Adams  rühmt  ebenfalls  die  Chloroform- 
Äthernarkose  und  hat  bei  300  Fällen  keine  Nachteile  und  Unfälle  gesehen. 
G  u  r  1 1  stellte  für  die  gemischte  Chloroform-Athernarkose  eine  Mortalität  von 
1:7613  aiif,  allerdings  sind  das  nicht  alle  diese  Narkosen  gewesen,  sondern 
es  sind  auch  Mischungen  der  beiden  Narkotika  selbst  dabei    verwandt   worden. 

Webe  r  hat  300  Narkosen  mit  den  Braunschen  Gemischen  aus- 
geführt und  beobachtete  einige  Herzkomplikationen  und  auch  einige  Asphyxien, 
die  aber  erfolgreich  bekämpft  werden  konnten,  ferner  2  Bronchitiden  und 
1  Pneumonie  post  operationem,  ist  aber  mit  den  Narkosen  sehr  zufrieden,  ein 
Todesfall  trat  nicht  auf.  Kuhn  hat  200  Narkosen  dieser  Art  ohne  Störungen, 
Krönig  1000  Braunsche  Narkosen,  die  sich  aber,  alle  an  Frauen  ausgeführt, 
gut  bewährten,  B  e  r  n  d  t  hat  150  Narkosen  mit  gesteigerter  Schleimsekretion 
ausgeführt,  doch  fast  keine  üblen  Nebenwirkungen  beobachtet. 

Aus  diesen  Angaben  ersieht  man  trotz  der  verhältnismäßig  geringen 
Zahlen,  daß  die  Narkosen  einen  günstigen  Einfluß  ausüben  und  gute  Resultate 
liefern ;  ob  sie  in  allen  Fällen  einen  Vorzug  vor  den  reinen  Chloroform-  oder 
Äthernarkosen  haben,  muß  man  noch  dahingestellt  sein  lassen,  die  weitereu 
Beobachtungen  werden  ergeben,  wie  die  Verhältnisse  der  Todesfälle  bei  den- 
selben sind.  Bis  jetzt  hat  man  meist  sehr  gute  Resultate  gefimdeu,  und  die 
Narkosen  werden  in  vielen  Fällen  einen  Vorzug  vor  den  einfachen  Narkosen 
bedeuten. 

Die  Technik  der  Mischnarkosen  von  Äther-  und  Chloroformgasen  ist  eng 
mit  dem  Apparat  verknüpft,  und  die  einzelnen  Methoden  unterscheiden  sich 
nur  durch  die  verschiedenen  Apparate.  Es  bestehen  natürlich  für  die  Misch- 
narkose ebenso  wie  für  alle  anderen  Inhalationsnarkosen  dieselben  Vorschriften 
hinsichtlich  der  Vorbereitungen  des  Kranken  und  der  Lagerung  während  der 
Narkose,  sowie  der  Nachbehandlung  nach  derselben.  Dies  ist  früher  des 
genaueren  erörtert  Avorden  und  kann  hier  übergangen  werden,  indem  ich  mu' 
darauf  verweise. 

Die  Ausführung  der  Mischuarkose  ist  ebensogut  für  kurze  Operationen^ 
wie  für  lange  geeignet.     Die  Beobachtung  des  Kranken  ist,    wie  schon  gesagt, 


—     519     — 

die  Hauptsache,  mau  kontrolliert  die  Xarkotikuiuwii'kung  au  dem  Verhalten 
der  Augeureflexe,  vor  allem  der  Pupillen,  welche  genau  dieselben  Verhältnisse 
zeigen,  wie  oben  beschrieben,  und  die  man  am  besten  immer  so  zu  finden  hat, 
wie  das  StraUmannsche  Phänomen  es  andeutet.  Wenn  die  Narkose  immer  in 
diesem  Stadium  erhalten  wird,  daß  das  Straßmaunsche  Phänomen  positiv  aus- 
fällt, so  hat  man  die  günstigste  Narkose  vor  sich,  die  am  wenigsten  Gefahren  ver- 
ursacht. Auch  diese  Narkose  durch  Gasgemische  zeigt  die  bekannten  viev  Stadien. 
Es  braucht  hier  nichts  mehr  erwähnt  zu  werden,  die  Angaben  über  die 
Narkose  im  allgemeinen  Teil  dieses  Buches  bestehen  hier  ebenfalls  zu  Recht. 
Ich  wende  mich  also  sofort  zu  den  einzelnen  Apparaten  und  Methoden,  mit 
denen  man  die  Äther-  Chloroformmischnarkose  ausführt. 

Nach  dem  oben  beschriebenen  Apparat  von  E 1 1  i  s  haben  vor  allen 
Paul  Bert,  K  i  o  n  k  a  und  G  e  p  p  e  r  t  weitergearbeitet,  um  das  Problem 
der  exakten  Dosierung  zu  lösen,  und  es  entstanden  die  verschiedensten  Apparate. 
Bert  hat  einen  Apparat  konstruiert,  der  aber,  sehr  kompliziert,  sich  für  Nar- 
kosen in  Praxis  wenig  eignete.  Die  Apparate  von  Iv  i  o  n  k  a  ermöglichen 
eine  exakte  Dosierung  und  recht  gute  Narkose.  Doch  diese  Apparate  sind  für 
die  allgemeine  Praxis  gar  nicht  und  nur  für  wissenschaftliche  Untersuchungen 
brauchbar.  Das  Nähere  über  dieselben  ist  im  allgemeinen  Teil  Seite  196  ff. 
gesagt  worden,  und  es  finden  sich  beide  Apparate  daselbst  in  Figur  tl  und  42 
dieses  Buches  abgebildet.  Ich  verweise  auf  diese  Kapitel,  und  erwähne  diese 
Apparate  hier  nur  flüchtig,  weil  dieselben  jetzt  nui*  noch  historischen  "Wert 
haben  und  nur  für  wissenschaftliche  Experimente,  allerdings  für  diese  sehr  gut 
brauchbar  sind.     Für  die  Praxis  sind  sie  nicht  konstruiert. 

Ein  anderer  Apparat  ist  der  von  G  e  p  p  e  r  t,  welcher  eine  sehr  gute 
Narkose  ermöglicht  aber,  sehr  voluminös  gebaut,  ebenfalls  nur  für  Hospital- 
tätigkeit in  Betracht  kommt  und  daselbst  soAvohl  für  Experimente,  wie  für 
Narkosen  an  Kranken  gebraucht  werden  kann.  Wie  oben  mitgeteilt,  sind  über 
1000  Narkosen  mit  diesem  Apparat  zur  vollsten  Zufriedenheit  ausgeführt 
worden.  Der  Apparat  ist  auf  Seite  200  ff.  genau  beschrieben  und  in  Figur 
43 — 45  abgebildet.  Allerdings  hat  derselbe  neben  den  großen  Vorzügen  auch 
ganz  enorme  Nachteile,  welche  vor  allen  Dingen  darin  bestehen,  daß  er  zu 
groß  und  kompliziert  ist,  als  daß  er  in  der  Praxis  eingeführt  und  verwendet 
werden  könnte.  Der  G  e  p  p  e  r  t  s  c  h  e  Apparat  ist  nur  für  Krankenhäuser 
brauchbar  und  auch  da  nicht  für  alle  Fälle,  denn  er  kann  nicht  von  einem 
Zimmer  in  das  andere  transportiert  werden,  sondern  man  kann  höchstens  eine 
Leitung  mit  Gummirohr  vom  Apparat  in  ein  benachbartes  Zimmer  legen,  doch 
für  größere  Entfernungen  ist  dies  unmöglich.  Dieser  Umstand  ist  ebenfalls 
sehr  wichtig,  denn  man  wird  sehr  oft  auch  in  einem  großen  Krankenhaus  die 
Narkose  nicht  immer  im  Operationssaal  ausführen  wollen,  sondern  einen 
Kranken  bisweilen  auch  in  einer  vom  Operationssaal  weit  entfernten  Baracke 
oder  einem  Krankenzimmer  im  dritten  Stock  narkotisieren  wollen,  während  das 
Operations-  resp.  Narkosenzimmer  im  Parterre  z.  B.  gelegen  ist.  Wenn  nun  schon 
für  große  Krankenhäuser  Schwierigkeiten  in  der  VerAvendung  des  Geppertschen 
Apparates  bestehen,  so  wird  er  für  kleinere  Hospitale  und  die  Praxis  in  Stadt  und 
Land  gar  nicht  brauchbar  sein.  Da  der  Apparat  aber  wissenschaftlichen  AVert  besitzt, 
indem  er  eine  vorzügliche  Narkose,  in  jeder  Hinsicht  gut  dosierte  Gemische, 
die  stets  verwandelbar  sind,  liefert,  so  habe  ich  ihn  im  allgemeinen  Teil  dieses 


—     520     — 

Buches  genau  beschrieben,  während  ich  ihn  hier,  wo  ich  hauptsächlich 
Methoden  etc.  für  die  Praxis  nennen  will,  übergehen  kann. 

Eine  der  wichtigsten  Methoden  der  Chloroform-Äthergasnarkosen  ist  die 
von  Braun  angegebene,  und  dieselbe  stellt  eine  Narkose  dar,  die  sowohl  für 
die  Praxis  wie  für  die  wissenschaftliche  Tätigkeit  gleich  wertvoll  ist. 

Ehe  ich  aber  auf  den  Apparat  von  Braun  näher  eingehe,  muß  der  Vor- 
läufer von  demselben  erwähnt  werden,  welcher  in  dem  Apparat  von  Tyrell 
besteht.  Der  Gedanke,  die  Mischnarkose  diu'ch  Mischung  der  Gase  zu  erzeugen, 
ließ  Tyrell  dazu  gelangen,  zwei  Junkersche  Apparate  zu  verwenden,  in  denen 
Aether  in  dem  einen,  Chloroform  im  anderen  sich  befand  und  durch  den  durch 
die  Apparate  getriebenen  Luftsü'om  verdampft  wurde.  Das  Gebläse  teilte 
sich  wie  man  aus  Fig.  152a ersieht,  in  zwei  Rohre,  die  nach  jedem  Junkerschen 
Apparat  liefen. 


Gummiball  im  Netz. 


Ge])läse  ohne  Netz. 


Fig.  152.a.  Apparat  für  die  Chloroform-Aetheruarkose  von  Tyrell. 
A  =  Chloroformglas,  B  =  Aetherglas,  C  =  Gebläse,  M  =  Maske. 


Die  von  den  beiden  Apparaten  laufenden  Gummirohre  vereinigten  sich 
in  einem  Rohr,  welches  nun  Aether-Chloroformdampf  gemischt  in  die  Maske 
führte.  Es  waren  nun  vor  der  Vereinigung  der  beiden  Rohre  Hähne  angebracht, 
so  daß  man  je  nach  Bedarf  die  Gase  von  einem  Apparat  ausschalten  kann.  So 
konnte  man  mit  diesem  Apparat  eine  Mischung  von  in  gleichen  Teilen  ge- 
mischten Gasen  verabreichen,  oder  nur  eines  allein.  Man  ersieht,  daß  mit  diesem 
Apparat  aber  nicht  eine  wechselnde  Konzentration  der  Dämpfe,  so  daß  man  bald 
1:2,  1  :  3,  1  :  4  oder  4:1,  3:1,  2:1  der  Gase  verwendet,  erzielt  werden 
konnte,  so  feine  Variationen  waren  nicht  möglich,  aber  man  wünschte  dieselben 
doch   sehr  und  so  versuchte  Braun  das  Problem  zu  lösen. 

Der  Apparat  von  Braun  wurde  1898  konstruiert  imd  ermöglicht  eine 
wechselnde,  je  nach  den  obwaltenden  Verhältnissen  veränderte  Konzentration 
der  Gasgemenge.  Der  erste  Apparat  ist  der  in  Fig.  153  abgebildete,  der 
folgendermaßen  konstruiert  ist. 

„In  einem  aus  Gips  und  Holz  bestehenden  und  mit  passenden  Ver- 
tiefungen versehenen  Klotz  a  stehen  zwei  weithalsige  Flaschen,  eine  größere  b, 
etwa  200  ccm  fassend,  eine  kleinere  c,  etwa  100  ccm  fassend.     Beide    sind   mit 


521     — 


Kubikzeutimeter-Maßemteihing  versehen,  die  eine  bis  löO,  die  andere  bis  50  ccm. 
Jede  der  Flaschen  ist  mit  einem  doppeltdurchbohrteu,  luftdicht  abschließenden 
Kork  versehen.  In  jede  i'eicht  ein  mit  Hahn  d  und  dj  versehenes  Glasrohr 
bis  auf  ihren  Boden,  ein  zweites  kurzes  c  nnd  Cj  endet  dicht  unter  dem  Kork. 
Jedes  der  beiden  Röhrenpaare  wird  mit  einem  gläsernen  T-rohr  f  und  g  durch 
Giimmischläuche  verbunden,  an  f  wird  ein  Doppelgebläse  mit  etwa  90  ccm 
Förderung  befestigt,  mit  g  eine  geeignete  Maske  verbunden.  Das  Gefäß  a  wird 
mit  120-150  ccm  Aether,  das  Gefäß  c  mit  30 — 40  ccm  Chloroform  gefüllt. 
Schickt  man  einen  Luftstrom  durch  das  Rohr  f,  so  geht  derselbe  allein  diu'ch 
den  Aether  wenn  der  Hahn  dj  geschlossen  ist  —  allein  durch  das  Chloroform, 
wenn  der  Hahn  d  geschlossen  ist  —  durch  beide,  wenn  beide  Hähne  geöffnet 
sind,  durch  teilweises  Schließen  des  einen  oder  anderen  Hahnes  lassen  sich 
noch  andere  Variationen  erzielen."     (Braun.) 


Fig.  153.     Der  erste  Apparat  von  Brau  n. 

a  =  Schutzgefäß,  b  =  Aetherflasche,  c  =  Chloroformflasche,  e  u.  e^  =  abführende 

Rohre,    d  u.  dj  =  zuführende  Rohre,    d  =  Hahn  für  Aether,    dj  =  Hahn  für 

Chloroform. 

Dieser  selbe  Apparat  ist  in  eine  mehr  handliche  Form  gebracht  worden, 
wie  man  aus  Fig.  154  ersieht. 

Derselbe  zeigt  die  Flaschen  in  einem  Metallgefäß,  so  daß  mau  den  ganzen 
Apparat  leicht  transportieren  und  umhängen  kann.  Diese  3Ietallhülle  ist  hier 
mit  A  bezeichnet  und  die  Rohre,  welche  die  Luft  aus  dem  Gebläse  in  die  Flaschen 
treiben,  sind  ebenfalls  in  eine  Metallhülse  D  gebracht,  an  der  man  die  beiden 
Hähne  E  und  F  sieht,  welche  sowohl  die  zuführenden  wie  abführenden  Rohre 
verschließen  und  öffnen,  so  daß,  wenn  mau  beide  Hähne  geschlossen  hat,  Äther 
und  Chloroform  weder  heraus  noch  ineinander  überfließen  können.  Durch  das 
Öffnen  und  Schließen,  teilweise  Offnen  der  Hähne  und  jedes  einzelneu,  mehr  oder 
weniger  Offnen  derselben  kann  man  ganz  verschiedene  Mischungen  erreichen,  je 
nach  dem  Bedarf.    Dem  Apparat  ist  eine  Maske  aus  Metall  mit  einem  Luftloch  bei- 

3n.     Dieselbe   ist   klein   und    niedrig,    damit    sie    nicht    die    Ansammlung 


—     522     — 


größerer  Mengen  konzentrierter  narkotischer  Dämpfe,  welche  ja  erst  durch  die 
Atmungslnft  des  Kranken  verdünnt  werden  müssen,  herbeiführt.  Es  sollen 
duixh  die  Maske  die  Dämpfe  aus  dem  Apparat  der  luspirationsluft  beigefügt 
werden,  weshalb  man  möglichst  nur  während  der  Inspiration  das  G-ebläse  in 
Tätigkeit  versetzt,  also  rhythmisch,  nicht  konstanten  Strom  liefernd.  Braun  ver- 
wendet oft  zu  seinen  Narkosen  eine  ganz  offene  Maske  ähnlich  der  von  Geppert, 
bei  welcher  das  die  Äther-Chloroformdämpfe  zuleitende  Rohr  bis  dicht  vor  die 
Nasenlöcher  des  Kranken  verlängert  ist.  Der  Gebrauch  dieser  Maske  erfordert 
aber  große  Aufmerksamkeit,  denn  wenn  der  Gebläseball  nicht  ganz  genau 
konform  mit  jeder  Inspiration  gedrückt  wird,  so  kann  man  keine  Narkose  er- 
halten, oder  der  Kranke  erwacht,  wenn  er  schon  narkotisiert  war.  Diese  Maske 
ist  deshalb  nicht  jedem  Apparat  beigegeben,  sondern  wird  nur  auf  Wunsch  des 
Bestellers  geliefert.  Man  kann  auch  an  Stelle  der  Maske  ein  Glasrohr  mit 
rechtwinkliger  Umbiegung  verwenden,  wie  es  in  der  Figur  angedeutet  ist,  wenn 
man  im  Gesicht  operiert  und  die  Maske  im  Wege  ist.  Dann  führt  man  das 
Rohr  in  den  Mund  des  Kranken. 

Der  Braun  sc  he 
Apparat  ist  nun  sokon- 
sti'uiert,     daß    er    im 

Durchschnitt  eine 
Mischung  von  unge- 
fähr 1  Vol.  -  Prozent 
Chloroformdampf  mit 
4  Vol.-Proz.  Aether- 
dampf  gemischt  liefert, 
wenn  seine  beiden 
Hähne  geöffnet  sind. 
AVenn  man,  wie  es 
beim  praktischen  Ge- 
brauch vorkommt, 
längere  Zeit  hindurch 
Aether  sulfur.  allein 
verdunstet  und  dann 
wieder  das    nicht  ab- 

Gebläse  kommend,  C  =  abführendes  Rohr  zu  der  Maske,  S'^^l^^^j^lte  ,  Cliloroform 
E  ^  Hahn  für  Aether,  F  =  Hahn  für  Chloroform.  ^,S^^^t'rhäl?nis  ^er 
Chloroform-  zu  den  Aetherdämpfen  vorübergehend  auf  1  :  2.  Wenn  man  den 
vorschriftsmäßigen  Gebläseball  benutzt,  welcher  bei  nicht  besonders  intensivem 
Komprimieren  90  ccm  Luft  durch  den  Apparat  treibt,  und  denselben  ferner  bei 
jeder  Inspiration  einmal  komprimiert,  und  mau  die  Menge  der  Inspirationsluft 
auf  500  ccm  annimmt,  so  kann  mau  berechnen,  daß  die  vom  Kranken  eingeatmete 
Luft  im  Anfang  der  Narkose  etwa  6  Vol.-Proz.  Aetherdampf  und  1,7  Vol.-Proz. 
Chloroformdampf,  später  ungefähr  halb  soviel  enthält.  Ein  erheblicher  Teil  der 
Dämpfe  geht  aber  auch  bei  geschickteste  Handhabung  des  Apparates  verloren. 
(Braun.)  Man  ei'sieht  also  aus  diesen  Angaben,  wie  der  Apparat  arbeitet  und 
daß  derselbe  recht  gute  annähernd  genaue  Dosierung  bewirkt. 

Man  kann  nun  ja,  wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  auch  zuzeiten  den 
einen  Hahn  schließen  und  nur  ein  Narkotikum  verwenden,  eine  Methode,  auf  die 
ich  später  noch  einmal  zu  sprechen  komme. 

Man  muß  nur  bei  dem  Apparat  beachten,  nach  jeder  Narkose  die  Ather- 
flasche  wieder  mit  Äther  neu  zu  füllen,  damit  bei  Beginn  der  neuen  Narkose 
wieder  150  ccm  Äther  vorhanden  sind,  ebenso  natürlich  das  Chloroform,  wenn 
beträchtliche  Mengen  von  demselben  verbraucht  worden  sind.    Es  läßt  sich  mit 


Fig.    154.     Der  zweite  Apparat  von  Braun. 
A  =  Schutzgefäß  aus  Blech,  B  =  zuführendes  Rohr  vom 


—     523     — 

diesem  Apparat  natürlich  ebeusog'Ut  eine  Nai'kose  mit  dem  Atliei'  als  Grundlage 
nud  geringen  Chloi'oformbeigaben,  als  auch  umgekehrt  eine  Narkose  mit  Chloro- 
form als  Grundlage  und  Äther  als  Hilfsnarkotikum  verwenden,  für  die  lichtige 
Gasmischuai'kose  wird  mau  aber  immer  Gemische  finden,  die  allerdings  mehr 
Chloroform  oder  Äther  enthalten  könueu  je  nach  Wunsch  und  Bedürfnis. 


§  58.  Die  Chloroform  +  Sauerstoffnarkose  ist  die  nächst  wichtige 
Narkose  neben  der  eben  besprochenen,  und  dieselbe  stellt  einen  großen  Fort- 
schritt in  der  Narkosenwissenschaft  dar.  Entgegen  dem  "^'ersuch,  durch 
Kombinatiou  der  Narkotika  mit  der  Kohlensäure  eine  schnellere  Narkose  zu 
erreichen,  hat  man  den  Sauerstoff  mit  den  Narkotika  kombiniert,  indem  mau 
der  Ansicht  war,  durch  die  Kombination  der  Chloroformnarkose  mit  Sauerstoff 
die  üblen  Nebenwirkungen  der  einfachen  Chloroformnarkose  zu  beseitigen,  da 
man  annahm,  ein  großer  Teil  der  schädlichen  und  gefährlichen  Nebenwirkungen 
des  Chloroforms  rühre  daher,  daß  im  Organismus  ein  Sauerstoffmangel  entstehe, 
und  daß  dadurch  oft  schwere  Störungen  der  vitalen  Vorgänge  im  Organismus 
bedingt  würden.  Man  ging  so  gar  soweit,  daß  man  annahm,  der  Sauerstoff 
wirke  als  Gegenmittel  des  Chloroforms.  Der  erste,  welcher  diese  Mischnarkose 
vorschlug  und  anführte,  war  Neudörffer  in  Wien  und  Kreutzmann 
in  San  Franzisko,  doch  war  deren  Verfahren  ein  sehr  umständliches,  obwohl 
ihre  Resultate  vorzügliche  waren.  Nachdem  man  technisch  lernte  den  Sauer- 
stoff in  handliche  Form  zu  bringen,  war  es  Wohlgemuth,  welcher  bei 
uns  die  erste  Chloroformsauerstoffnarkose  ausführte.  Derselbe  begründete  seine 
Applikation  des  Sauerstoffs  auf  die  vorzüglichen  E]-f  abrangen ,  welche 
Prochownik  mit  den  Sauerstoffiuhalationen  nach  Chloroformuarkosen  machte. 
Derselbe  ließ  seinen  Chloroformierten  nach  der  Narkose  Sauerstoff  inhalieren 
und  fand,  daß  die  Gesichtsfarbe  eine  frischere,  rosige  wurde,  der  Glanz  der 
Konjunktiven  sich  vermehrte,  die  Horuhautreflexe  rasch  zum  Vorschein  kamen, 
die  Lippen  und  Schleimhäute  eine  rosarote  Farbe  annahmen,  entgegen  der 
tui'geszenten  Blaufärbung,  daß  der  Puls  kräftig  wurde,  die  Atmung  schneller 
und  regelmäßig  tiefer,  und  das  Erbrechen  sich  ganz  bedeutend  verminderte. 
Diese  Beobachtungen  ließen  W  o  h  I  g  e  m  u  t  h  zu  der  Überzeugung  kommen,  daß, 
wenn  man  den  Kranken  schon  während  der  Chloroforminhalationen  Sauerstoff 
verabreichte,  die  schwächenden  Einflüsse  des  Chloroforms  auf  Herzaktion  und 
Atemtätigkeit  verhindert  würden,  und  der  Kranke  kräftig  und  ohue  Nachteile  selbst 
lauge  Narkosen  überstehen  würde.  Man  hat  nun  diese  Kombination  des  Sauerstoffs 
mit  dem  Chloroform  vielfach  verwendet  und  hat  eine  große  Anzahl  von  Narkosen  mit 
diesen  Gemischen  geleitet.  Die  Einwii'kung  dieser  Narkose  auf  den  menschlichen 
Orgaiiismus  besteht  in  derselben  Wirkung  wie  beim  Chloroform  beschrieben 
wurde;  es  ist  das  Chloroform  das  wirksame  Narkotikum  und  seine  Einwirkungen 
auf  den  Organismus  werden  alle  ausgeübt,  so  daß  man  eine  Narkose  erhält  mit 
all  den  verschiedenen  Eigentümlichkeiten,  wie  sie  dem  Chloroform  allein  auch 
zukommen.  Es  brauchen  also  die  Einflüsse  des  Chloroforms  hier  nicht  wieder- 
holt zu  werden,  denn  es  gilt  das,  was  für  die  einfache  Chloroformwirkung  gilt, 
hier  auch  hinsichtlich  der  Entstehung  und  Art  der  Narkose,  der  Eliminierung 
des  Chloroforms,  der  Wirkung  auf  das  Zerebrum  etc.,  und  ich  werde  nur  hier 
das   anführen,    Avas   diese  Narkose  von   der  einfachen  Chloroformnarkose  unter- 


—     524     — 

scheidet  und  welche  Wirkungen  anders  sind.  Der  Sauerstoff  wirkt  nach  Roth, 
Wohlgemuth  etc.  als  Antidot  des  Chloroforms.  Wenn  ich  nun  hier  an- 
führe, daß  bei  der  Narkose  von  Anfang  an  Sauerstoff  beigegeben  wird,  so  tue 
ich  dies  vorwegnehmend  der  Technikabhandlung.  Wenn  man  nun  aber  den 
Sauerstoff  als  Antidot  des  Chloroforms  ansehen  muß,  so  ist  es  eigentlich 
wunderbar,  warum  man  denselben  von  Anfang  an  beigemischt  gibt  und  nicht  erst 
dann,  wenn  derselbe  nötig  wird,  denn,  er  muß  doch  als  Antidot  von  Anfang  an 
die  Wirkung  des  Chloroforms  abschwächen.  Auf  diese  Beziehungen  weist 
n  neuerer  Zeit  Rothfuchs  hin,  indem  er  nach  seinen  Erfahrimgeu  angibt, 
daß  der  Eintritt  der  Toleranz  durch  den  Sauerstoff  verspätet,  erschwert  wird. 
Er  gibt  den  sehr  richtigen  Rat,  im  Anfang  nur  Chloroform  mit  Luft  gemengt 
zu  verabreichen  und  erst  nach  Eintritt  der  Toleranz  den  Sauerstoff  beizugeben. 
Dieser  Rat  ist  nach  meinen  Erfahrungen  vollkommen  berechtigt  doch  schwer 
durchführbar.  Der  Vorzug  der  Sauerstoffchloroformnarkose  liegt  darin,  daß 
eine  genaue  Dosierung  der  Gemische  durch  die  Methode  erreicht  wird,  daß 
Erbrechen  seltener  nach  der  Narkose  auftritt,  daß  die  Exzitation  geringer  ist, 
daß  man  seltener  Herzschwächezustände  und  Apnoen  beobachtet,  und  daß  der 
Kranke  schneller  erwacht,  selbst  bei  langen  Narkosen. 

Wenn  man  nun  die  physiologischen  Einwirkungen  der  Sauerstoffchloro- 
formgemenge auf  den  Organismus  näher  betrachtet,  so  hat  man  bei  diesen 
Narkosen  das  zu  nennen,  daß  die  Kranken  immer  im  Sauerstoffüberfluß  sich 
befinden,  es  treten  daher  nie  die  Symptome  des  Sauerstoffmangels  auf,  so 
beobachtet  man  z.  B.  schon  nach  wenigen  Minuten,  nach  den  ersten  Inhalationen, 
der  Gasgemische,  daß  die  Haut  und  sichtbaren  Schleimhäute  eine  hellrote  Farbe 
annehmen,  so  daß  hochgradig  anämische  und  matte  Patienten  eine  gesunde, 
normal  aussehende  Farbe  zeigen,  und  daß  in  einem  Falle  ein  ziemlich  starker 
Ikterus,  der  infolge  Okklusion  des  Choledochus  durch  Steine  bei  einem  Kranken 
bestand,  durch  die  rote  Farbe  der  Haut  verdrängt  und  fast  unsichtbar  wurde. 
Die  Einwirkung  auf  das  Herz  zeigt  sich  darin,  daß  der  Puls  voller,  langsamer, 
kräftiger  wird,  eine  Veränderung  gegenüber  dem  Normalzustande  des  Herz- 
schlages, die  ungefähr  so  deutlich  zu  empfinden  ist,  wie  die  Veränderung  des 
Pulses  nach  Digitalismedikation,  aber  in  dem  Moment,  wo  die  Toleranz  eintritt, 
sinkt  der  Blutdruck  konstant,  so  daß  die  Zahl  der  Pulsschläge  bis  auf  60  gelangt. 
Man  hat  in  manchen  Fällen  56 — 41  Pulsschläge  in  der  Minute  während  der 
tiefen  Narkose  beobachtet.  (Wohlgemuth),  und  der  Puls  behält  dann  diese 
Frequenz  während  der  Dauer  der  Toleranz  und  wird  sofort  wieder  schneller 
und  frequenter,  sobald  der  Patient  zu  erwachen  beginnt.  Die  Atemzüge  sind 
während  der  Narkose  ruhig,  tief,  gleichmäßig,  ohne  Schnarchen  und  Rasseln. 
Die  Pupillen  zeigen  das  Verhältnis,  wie  es  im  allgemeinen  Teil  erläutert  ist.  Die 
Narkose  zeigt  in  den  meisten  Fällen  kein  Exzitationsstadium,  nur  bei  starken 
Potatoren  tritt  solches  natürlich  ein.  Bei  Frauen,  Kindern  und  abstinenten 
Männern  findet  man  keine  besondere  Erregung.  Freilich  tritt  die  Narkose  nicht 
so  schnell  ein,  bei  Frauen  und  Kindern  innerhalb  3 — 7  Minuten,  bei  Männern 
innerhalb  12 — 15  Minuten.  Rothfuchs  bemerkt,  daß  das  Exzitationsstadium 
bei  allen  schweren  Alkoholisten  erheblich  länger  dauert,  so  daß  er  solche  Personen 
nicht  mit  dieser  Methode  betäubt.  Während  und  nach  der  Narkose  tritt  Erbrechen 
bisweilen  ein,  doch  man  findet  dasselbe  erheblich  seltener  als  nach  reinen  Narkosen. 
Auch  die   Reizerscheinungen  von  selten  des  Organismus  sind  sehr  gering.     Es 


—     525     — 

besteht  eiue  geiliiiie  Vennchi'uiig-  der  Schleim-  und  Speichelsekretiou,  doch 
dieselbe  ist  um-  wenig'  und  gering.  Im  großen  und  ganzen  macht  die  Narkose 
den  Eindruck  einer  äußei'st  ruhigen  Betäubung,  Herz-  und  Atemfunktionen 
sind  normal  und  kräftig  und  man  glaubt,  daß  eine  Synkope  und  Apnoe  gar 
nicht  auftreten  könnten. 

Diese  hier  augeführten  Einwirkungen  stellen  sehr  große  Vorteile  der 
Narkose  dar,  und  man  kann  annehmen,  daß  diese  Narkose  eine  der  besten  ist, 
die  mau  bisher  ei'funden  hat.  Das  Erwachen  des  Kranken  geht  verhältnis- 
mäßig schnell  vor  sich,  denn  innerhalb  5 — 10  Minuten  erwacht  derselbe  und 
wird  meist  nicht  oder  nur  sehr  wenig  durch  Übelbefinden  belästigt. 
Natürlich  tritt  nach  sehr  langen  Narkosen  eine  mäßige  Übelkeit  auf,  doch 
ist  dieselbe  sehr  gering,  so  daß  sie  nach  kurzen  Inhalationen  vollkommen  fehlt. 
Infolge  der  Sauerstofiljeigabe  wird  die  Narkose  der  üblen  Wirkungen  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  beraubt,  die  Herzkraft  wird  erhalten,  man  spart 
Chloroform,  ein  sehr  wichtiger  Umstand,  denn  man  kann  leicht  beobachten, 
daß  man  sehr  lange  Narkosen  mit  nur  wenig  ccm  Chloroform  ausführen 
kann,  so  daß  also  in  den  Organismus  nur  wenig  Chloroform  gelangt,  wodurch 
auch  die  üblen  Wirkungen  geringer  werden  müssen.  Dieses  Sparen  von 
Chloroform  ist  ein  großer  Vorteil,  denn  es  kann  dadurch  die  schädliche  Wirkung 
des  Chloroforms  auf  die  inneren  Organe  bedeutend  vermindert  werden,  wozu 
noch  kommt,  daß  der  Sauerstoff  als  Antidot  .wirkt  und  gerade  die  Erzeugung 
der  Fettmetamorphose  bis  zu  einem  gewissen  Grade  verhindert. 

Inwiefern  die  Chloroformsauerstoffnarkose  üble  Einwirkungen  auf  den 
Organismus  zeigt,  soll  in  dem  Folgenden  erörtert  werden,  denn  wenn  auch 
diese  Narkose  große  Vorzüge  vor  der  einfachen  Chloroformnarkose  hat,  so  besteht 
doch  immer  noch  trotz  der  Sauerstoffzufuhr  die  Tatsache,  daß  der  Organismus  eine 
Intoxikation  erleidet,  welche  schwere  Organläsionen  hervorrufen  kann.  Wenn 
man  dies  bedenkt,  so  wird  man  sich  nicht  wundern,  daß  auch  Todesfälle 
infolge  der  Chloroformsauerstoffnarkose  vorgekommen  sind.  Was  nun  die 
Einwirkung  des  Chloroforms  auf  die  inneren  parenchymatösen  Organe  anlangt, 
so  habe  ich  früher  genau  das  Bild  der  reinen  Chloroformwirkung  gezeichnet. 
Hier  kann  ich  nun  die  Resultate  meiner  Untersuchungen  über  die  Chloroform- 
sauerstoffnarkose hinzufügen  und  ich  kann  allerdings  im  allgemeinen  hier 
erklären,  daß  die  Veränderungen  bedeutend  geringer  sind  als  nach  den  reinen 
Narkosen.  Während  ich  in  meiner  Arbeit  über  die  Einwirkung  der  Narkotika 
auf  die  inneren  parenchymatösen  Organe  bei  einfachen  und  Mischnarkosen 
(Gemische  der  Narkotika  selbst)  nachgewiesen  habe,  daß  die  Narkosen  mit  den 
Gemischen  keinen  Vorzug  vor  den  einfachen  Narkosen  besitzen,  haben  meine 
weiteren  Untersuchungen  über  die  Narkose  mit  Gasgemischen  ergeben,  daß  in 
denselben  viel  günstigere  Narkosen  gegeben  sind,  denn  wenn  man  die  Organe 
von  Tieren  nach  sehr  langen  oder  häufigen  Narkosen  mit  Gasgemischen  unter- 
sucht, findet  man  die  Fettmetamorphose  viel  geringer  als  bei  den  einfachen 
Narkosen.  Das  mit  Sauerstoff  gemischte  Chloroformgas  hat  lange  nicht  die 
toxischen  Einwirkungen  auf  Herz,  Leber,  Nieren,  Gehirn  und  Lunge,  wie  das 
reine  Chloroform.  Die  Fettmetamorphose,  welche  man  nach  solchen  Narkosen 
in  den  Organen  findet,  ist  zwar  als  solche  deutlich,  doch  es  fehlt  derselben  meist 
am  Übergang  in  Nekrose  und  Zerfall  der  Zellen  und  auch  an  Größe  der 
Fettmengen.    Die  Fettmetamorphose  ist  im  allgemeinen  viel  geringer.    Woran 


—     526     — 

(lies  liegt,  läßt  sich  nicht  so  ohne  weiteres  entscheiden.  Ein  Grund  ist 
sicher  der,  daß  man  in  der  Chloroformsauerstofinarkose  nur  sehr  wenig- 
Chloroform,  die  denkbar  geringste  Menge,  welche  unbedingt  nötig  ist  zur 
Erzeugung  der  Narkose,  verwendet,  wodurch  also  eine  viel  geringere  Menge 
Chloroform  während  der  gleichen  Dauer  in  den  Organismus  gelangt,  als  nach 
einfachen  Narkosen.  Dies  ist  ja  natürlich.  Ein  anderer  Gi'und  ist  in  dem  Mangel 
an  einer  Kohlensäureintoxikatiou  gegeben,  denn  es  wird  bei  diesen  Narkosen 
das  Blut  stets  mit  genügend  Sauerstoff  versehen  und  es  verschwindet  der 
Überfluß  an  Kohlensäure  im  Blut,  der  bei  den  einfachen  Narkosen  oft  eintritt. 
Die  Kohlensäure  wirkt  als  Narkotikum  und  begünstigt  die  Fettmetamorphose 
in  ihrer  Entstehung.  Wenn  nun  Chloroform  und  Kohlensäure  zusammen  in  hohen 
Mengen  auf  die  inneren  Organe  einwirken,  so  muß  natürlich  mehr  und 
stärkere  Fettmetamorphose  erzeugt  werden,  als  in  jenem  Falle,  wo  die  Kohlen- 
säure überhaupt  fehlt  und  Chloroform  in  viel  geringeren  Mengen  in  den 
Organismus  überhaupt  hineingebracht  wird.  Schon  diese  beiden  Gründe  können 
genügen,  um  den  Umstand  zu  erklären,  daß  die  Fettmetamorphose  nach 
den  Chloroformsauerstoffnarkosen  geringer  ist,  als  nach  den  einfachen  Narkosen, 
mit  Chloroform.  Wenn  man  nun  noch  die  Gegenwart  des  Sauerstoffes  bedenkt, 
welcher  entschieden  auf  die  lebende  Zelle  in  den  Organen  kräftigend  und 
stärkend  einwirkt,  so  hat  man  einen  dritten  Grund  für  die  geringere  Fett- 
metamoi-phose.  Es  ist  entschieden,  daß  die  Chloroformsauerstoffnarkose  weniger 
schwere  Fettmetamorphose  in  Herz,  Nieren,  Leber  und  Gehirn  erzeugt,  wenn 
auch  die  Gefahr  derselben  bei  bestehender  Disposition  und  auch  bei  gesunden 
Organen  nicht  geleugnet  werden  kann,  so  ist  sie  doch  geringer  als  bei  der 
reinen  Chloroformnarkose.  Man  kann  sehr  lange  Narkosen  ohne  Schaden  des 
Kranken  mit  der  Sauerstoffnarkose  ausführen,  und  wenn  man  nach  einer  1  Stunde 
langen  Chloroformnarkose  in  Herz,  Leber,  Gehirn  und  Nieren  Fettmetamorphose 
im  Beginn  schon  fand,  so  ist  solche  nach  einer  einstündigen  Sauerstoffchloroform- 
narkose nicht  zu  finden,  sondern  man  findet  dasselbe  Bild  erst  nach  2 — 27.2  stün- 
diger Narkose.  Dies  zeigt  also,  daß  ein  Vorzug  in  dieser  Art  der  Narkose  ge- 
legen ist.  Was  nun  die  Veränderungen  in  den  inneren  Organen  nach  öfteren, 
längeren  Chloroformsauerstoffharkosen  anlangt,  so  sind  dieselben  ebenfalls  nicht 
so  hochgradige,  wie  nach  reinen  Chloroformnarkosen,  doch  sie  sind  natürlich 
mehr  oder  minder  stark  vorhanden,  und  wenn  man  einen  Hiind  jeden  Tag 
2  Stunden  laug  mit  diesem  Gemisch  narkotisiert  und  zwar  4  Tage  bis  5  Tage 
hintereinander,  so  geht  das  Tier  in  der  letzten  Narkose  oder  bald*nach  der- 
selben zugrunde,  und  man  findet  in  den  Organen  das  Bild  wie  beim  protra- 
hierten Chloroformtod,  starke  Fettmetamorphose  in  Herz,  in  Leber  und  Nieren, 
stellenweis  in  Nekrose  übergehend,  und  ebenso  im  Cerebram  die  bekannten  Ver- 
änderungen in  den  Gefäßwandungen  und  Ganglienzellen.  Allerdings  ist  auch 
hier  zu  bemerken,  daß  diese  Veränderungen  bei  den  reinen  Chloroformnarkosen 
schon  früher  so  stark  auftreten.  Man  kann  also  wohl  eine  Besserung  in  der 
Chloroformwirkung  sehen,  doch  aufgehoben  wird  diese  Toxinwirkung  nicht,  dies 
beweisen  die  gelegentlich  auch  in  der  Sauerstoffchloroformnarkose  auf- 
tretenden Todesfälle.  Was  nun  die  Lungen  anlangt,  so  habe  ich  auch  da  die 
Wii'kung  geprüft  imd  habe  gefunden,  daß  eine  bedeutende  Besserung  hier  nicht 
vorhanden  ist,  wohl  aber  eine  geringe.  Die  Schleimvermehrnng  ist  beim 
Chloroform   an  sich  nicht  sehr  stark,   aber  dieselbe  kana  durch  die  Saiierstoff- 


—     527     — 

beiinischuug  nicht  aufgehoben  werden.  Mau  liiulet  in  der  Lunge  der  narkoti- 
sierten Tiere,  wobei  uatin-lich  durch  die  Lagerang  derselben  verhindert  wurde, 
daß  die  Schleimniassen  aus  dem  Rachen  in  den  Kehlliopf  vand  die  Bronchien 
fließen  konnten,  eine  gelinge  Menge  von  Schleim  stets  in  den  Alveolen,  nament- 
lich nach  langen  Narkosen.  Es  kommt  eben  auf  die  Dauer  der  Narkose  an, 
wie  groß  die  in  den  Alveolen  sich  anhäufenden  Schleimmassen  sind.  Bei  1^/2  bis 
2  stündigen  Narkosen  ist  deutlich  vermehrte  Salivation  sowohl  im  Maul  und 
Rachen  des  Tieres  als  auch  in  den  Lungenalveolen  zu  finden,  man  kann  in 
den  abhängigen  Gebieten  der  Lunge  herdweise  Schleiminfiltrationen  mäßiger  Aus- 
dehnung gewahren.  In  diesen  Bezii'ken  sind  die  Alveolen  mit  Schleim  teilweise 
oder  ganz  erfüllt.  Freilich  sind  keine  Rundzelleninfiltrationen  um  die  Herde  zu  finden, 
und  die  Herde  sind  auch  nur  klein  und  nicht  zahlreich.  Man  kann  sagen,  daß 
die  vermehrte  Schleimabsonderung  in  den  Bronchien  nur  gering,  aber  doch  vor- 
handen und  derart  zu  finden  ist,  daß  in  bestimmten  Verhältnissen  immerhin 
genau  wie  bei  den  einfachen  Chloroformnarkosen  Erkrankungen  der  Lungen 
resultieren  und  dadurch  begünstigt  werden  können.  Was  nun  die  Verän- 
derungen in  den  Epitkelien  der  Luftwege  anlangt,  so  waren  dieselben  in  ge- 
ringem Grade  ebenfalls  vorhanden,  man  findet  aiich  nach  langen  Sauerstoff- 
chloroformnarkosen in  den  Zellen  des  respiratorischen  Epithels  Fettmetamorphose, 
und  zwar  sowohl  in  den  Zellen  der  Alveolen  wie  der  Schleimhaut  der  Broncheoli 
und  Bronchien.  Es  ist  daraus  also  zu  ersehen,  daß  die  Epithelien  des  respira- 
torischen Epithels  in  ihren  vitalen  Funktionen  gestört  werden,  daß  sie  hier 
und  da  Veränderungen  erleiden,  welche  sie  verhindern,  ihre  normalerweise  aus- 
geführten Schutzmaßregelu  vor  Infektion  der  Lungen  jetzt  noch  zu  vollbringen, 
wobei  die  Gefahr  entsteht,  daß  die  Bakterien,  welche  in  die  Lungen  und 
Bronchien  gelangen,  nicht  getötet  werden,  sondern  sich  lebhaft  weiter  ent- 
wickeln können,  und  daß  die  schon  in  der  Lunge  vorhandenen  Bakterien,  wie 
die  Tuberkelbazillen  und  die  Bakterien  der  chronischen  Bronchitiden,  veranlaßt 
werden,  in  anderen  Lungenpartien,  welche  bisher  von  ihnen  verschont  worden 
waren  infolge  der  Widerstandskraft  des  respiratorischen  Epithels,  sich  anzu- 
siedeln und  daselbst  krankhafte  Prozesse  hervorzurufen.  Diese  beiden  Arten 
der  Veränderungen  in  den  Lungen  sind  zweifellos  nach  den  Sauerstoffnarkosen 
geringer,  und  der  Anlaß  zu  der  geringeren  Schädigung  der  Lunge  liegt  einmal 
darin,  daß  die  Chloroformmenge,  welche  in  den  Organismus  gelangt,  bei  dieser 
Narkose  sehr  gering  ist,  so  daß  längere  Narkosen  weniger  starke  Verän- 
derungen erzeugen  als  bei  der  gewöhnlichen  Chloroformnarkose,  bei  der  viel  mehr 
Chloroform  in  den  Organismus  in  derselben  Zeit  gelangt.  Weiter  mag  wohl 
der  Sauerstoff  eine  geringe  Besserung  hervorrufen,  aber  es  erscheint  mir  sehr 
fraglich,  ob  die  geringere  Veränderung  der  Lungen  durch  den  Sauerstoff  her- 
vorgerufen wird.  Die  Veränderungen  in  den  Lungen  sind  nämlich  derart  aus- 
gedehnt und  stark,  wie  es  wohl  der  in  den  Organismus  gelaugten  Chloroform- 
menge entspricht.  Es  ist  dies  schwer  zu  entscheiden.  .Jedenfalls  hat  man  aber 
geringere  Salivation  und  Fettmetamorphose  der  Epithelzellen,  als  bei  reinen 
Chloroformnarkosen,  und  man  beobachtet  bei  kurzen  Sauerstoff'chloroformnarkosen 
am  Menschen  auch  fast  keine  Salivation  im  Mund  und  Rachen,  nur  bei  langen 
und  ausgedehnten  Narkosen  zeigt  sich  deutlich  etwas  vermehrter  Speichelfluß. 
Aus  alledem  geht  also  hervor,  daß  die  Sauerstol^ichloroformnarkose  etwas 
weniger  toxisch  auf  die  Lunge  wirkt,  als  die  reine  Chloroformnarkose. 


—     528     — 

Daß  dem  Chloroform  die  toxische  Wirkung  nicht  vollkommen  g  nommen 
werden  kann  durch  die  Kombination  mit  Sauerstoif  geht  auch  aus  den  Beob- 
achtungen der  Herzaktion  während  dieser  Narkose  hervor.  Im  allgemeinen  hat 
man  beobachtet,  daß  der  Puls  langsamer  und  weniger  frequent  wird,  sobald  die 
Narkose  in  die  Toleranz  übergegangen  ist.  Man  hat,  wie  oben  schon  bemerkt, 
den  Pulsschlag  auf  bis  44  Schläge  herabgehen  sehen,  in  anderen  Fällen  auf 
56  und  60  Schläge  pro  Minute  (Wohlgemuth).  Es  wird  also  eine  depressive 
Wirkung  auf  den  Blutdruck  ausgeübt.  Um  die  Verhältnisse  des  Blutdruckes 
in    der    Sauerstoffchloroformnarkose   analog  den    Untersuchungen    Blau  eis    bei 

Kurve  A. 


Kurve  B. 


Kurve  C. 

Fiff.  155. 


Blutdruckkurven  in  der  Chlorofoi'msauei'stoffuarkose. 
N  =^  Normalblutdruckhöhe. 


Aether-  und  Chloroformnarkosen  feststellen  zu  können,  habe  ich  bei  mehreren 
Kranken  mit  dem  Gärtnerschen  Tonometer  Versuche  angestellt,  welche  das 
Resultat  geliefert  haben,  daß  der  Blutdruck  allerdings  eine  Depression  in  der 
Toleranz  erfährt,  so  daß  er  während  der  Narkose  mit  Chloroformsauerstoff  kon- 
stant sinkt  und  zwar  unter  die  Norraalblutdruckhöhe,  daß  aber  die  Kurve  be- 
stimmte Unterschiede  gegenüber  der  Kurve  bei  reiner  Chloroformnarkose  zeigt. 


—     529     — 

der  reiueu  Chloroformuarkose,  und  daß  vor  allen  Dingen  die  starken  Remissionen, 
welche  Blaue  1  als  besondere  Zeichen  der  toxischen  Chloroformwirkung  anführt, 
nicht  so  intensiv  und  hochgradig  vorhanden  sind,  wie  hei  der  einfachen  Chloro- 
formnarkose, so  daß  man  mehr  den  Eindruck  der  Gleichmäßigkeit  dieser  Kurven 
erhält.  In  Fig.  156  sind  drei  Kurven  von  Chloroformsauerstoö'narkosen  angeführt, 
welche  diese  Verhältnisse  deutlich  zeigen  und  veranschaulichen.  Diese  Befunde 
am  Blutdruck  zeigen  also  einen  bedeutenden  Vorteil  der  SauerstofEnarkose  und 
es  sind  diese  Narkosen  bei  schwei-en  Operationen  ausgeführt  worden,  wobei  die 
Dauer  der  Narkose  meist  1  Stunde  und  bisweilen  1^4  Stunde  betrug. 

Man  ersieht  aus  diesen  Kurven,  wenn  man  dieselben  mit  den  Kurven 
von  Blauel  in  Figur  89  und  90  vergleicht,  daß  in  allen  diesen  Narkosen  der 
Blutdruck  nur  wenig  unter  die  Nonnalblutdruckhöhe  sank,  und  daß  Remissionen 
fast  gar  nicht  zu  sehen  waren.  Da,  wie  Blauel  angibt,  die  Remissionen  be- 
drohlicher Art  hauptsächlich  immer  direkt  nach  dem  Zuführen  neuer  Chloro- 
formmengen auftraten,  so  kann  man  bei  dieser  Methode  schon  von  vornherein 
erwarten,  daß  solche  Remissionen  nicht  zu  finden  sein  würden,  da  die  Chloro- 
formzufuhr mit  dem  Roth-D  rag  er  sehen  Apparat  nur  sehr  allmählich  vor- 
genommen wird.  Somit  erkennt  man  recht  deutlich  die  günstige  Wirkung 
dieser  Narkose  besonders  auf  das  Herz,  denn  besonders  starker  Abfall  des  Blut- 
druckes war  selbst  bei  den  sehr  langen  Narkosen  nicht  zu  beobachten  und  zu 
plötzlichen  Steigerungen  wurde  kein  Anlaß  gegeben.  Es  war  auch  in  den 
anderen  siel)en  von  mir  aufgenommenen  Kurven  gelegentlicher  Narkosen  dasselbe 
Bild  zu  finden,  nie  war  ein  stärkeres  Sinken  des  Blutdruckes  zu  beobachten. 

Wenn  man  nun  noch  die  Harnsekretion  während  dieser  Narkosen  be- 
trachtet, so  ist  zu  bemerken,  daß  man  bisher  noch  keine  Harmmtersuchungen  be- 
schrieben hat.  Ich  habe  bei  15  Narkosen  mit  Sauerstoffchloroformgemischen  ein- 
mal eine  geringe  Menge  Albumen  im  Harn  nach  der  Narkose  gefunden  bei  einem 
vorher  sehr  schwachen  Mann,  wo  aber  Albuminurie  vor  der  Operation  nicht 
bestanden  hatte  und  der  Mann  wegen  Cholelithiasis  operiert  wurde.  Die 
Albuminurie  war  am  dritten  Tage  post  narkosin  verschwunden,  und  es  trat  völlige 
Genesung  des  Kranken  auf.  Die  Nieren  sondern  Chloroform  ab  und  können 
Schädigimgen  erleiden,  wie  aus  den  Tierversuchen  nachgewiesen  wurde,  aller- 
dings erst  nach  sehr  langen  Narkosen  oder  bei  besonderer  Disposition. 

Die  Hauptmasse  des  Chloroforms  wird  durch  die  Lungen  eliminiert. 

Das  Resümee,  welches  man  aus  den  jetzt  gemachten  Erfahrungen  ziehen 
kann,  ist  das,  daß  trotz  der  Sauerstofibeimengung  natürlich  eine  Intoxikation 
des  Organismus  herbeigeführt  wird,  welche  schwere  Störungen  und  selbst  den 
Tod  zur  Folge  haben  kann.  Allerdings  wird  durch  diese  Methode  und  Apparate 
eine  höchstmögliche  Beschränkung  der  Chloroformmenge  bewirkt  und  daneben 
übt  der  Sauerstoff  kräftigende  Einflüsse  aus  und  verringert  die  toxische  Wirkung 
des  Chloroforms,  so  daß  die  Gefahren  bei  dieser  Methode  geringer  sind,  als  bei 
der  einfachen  Chloroformnarkose.  Es  wird  daher  auch  die  Indikationsgrenze 
dieser  Narkose  weiter  gezogen  werden  können,  als  die  der  reinen  Chloroform- 
narkose. Allerdings  muß  man  immer  bedenken,  daß  bei  bestehender  Disposition 
zu  Herz-,  Leber-,  Nierenkrankheiten,  zu  Pettmetamorphose  etc.  die  Chloro- 
formwirkung in  Betracht  kommt,  iind  daß  man  bei  der  Auswahl  der  Kranken 
vorsichtig  sein  muß  und  eine  genaue  körperliche  Untersuchung  unumgänglich 
ist.  Vor  allen  Dingen  sind  auch  hier  wieder  die  starken  chronischen  Alko- 
holisten nicht  sehr  geeignet,  denn  bei  ihnen  tritt  die  Narkose  schwer  ein,  und 
man  beobachtet  ev.  Kollapse.  Wenn  auch  alle  Gefahren  nicht  auszuschließen 
sind,  so  ist  diese  Narkose  doch  eine  sehr  viel  weniger  gefährliche  als  die 
einfache  Chloroformnarkose. 

34 


—     530     — 

Ein  Umstand  kommt  allerdings  in  Betracht,  nämlich  der,  daß  die  Narkose 
immer  nur  für  Ärzte  in  der  Stadt  nnd  für  Hosi^itale  möglich  sein  wird,  denn 
für  den  Arzt  auf  dem  Lande  ist  es  zu  umständlich,  Sauerstoff  zu  erlangen, 
und  für  ihn  ist  auch  das  Instrumentarium  reichlich  großj  wenn  auch  dasselbe 
jetzt  so  konstruiert  ist,  daß  man  es  leicht  transportieren  kann,  so  ist  es  doch 
derart  umfangreich,  daß  ein  Arzt  in  ländlichen  Verhältnissen  seine  Koffer  etc. 
zu  sehr  belasten  und  füllen  würde,  wenn  er  diese  Apparate  verwenden  wollte. 
Weiter  erfordern  die  Apparate  auch  ziemliche  Übung,  die  nur  der  Arzt  erlaDgt, 
so  daß  man  also  einem  Laien  die  Narkose  nitiht  in  die  Hand  geben  kann,  wes- 
halb für  den  Landarzt  diese  Narkose  ebenfalls  nicht  geeignet  ist. 

Michaelis,  Falk  und  Lauenstein  haben  die  Befürchtung  aus- 
gedrückt, daß  das  Chloroform  bei  der  Mischung  mit  Sauerstoff  im  Roth-Dräger- 
Apparat  sich  zersetze.  Doch  dahingehende  Untersuchungen  haben  ergeben, 
daß  dies  absolut  nicht  der  Fall  ist  und  das  Chloroform  vollkommen  unzersetzt 
in  die  Lungen  gelangt.     (Roth.) 

Was  nun  die  bisherigen  Erfahrungen  mit  diesen  Narkosen  anlangt,  so 
hat  Wohlgemuth  181  Fälle  beschrieben,  in  denen  er  nachteilige  Neben- 
wirkungen nicht  beobachtete,  ebenso  keinen  Todesfall.  Große  Statistiken  sind 
natürlich  noch  nicht  vorhanden,  weil  die  Praxis  in  dieser  Narkosenmethode 
erst  wenige  Jahre  umfaßt.  Wi  n  d  r  o  t  h  hat  100  Narkosen  ohne  Todesfall  uad 
ohne  üble  Folgen  gesehen,  Hahn  77  Narkosen,  Lauenstein  120, 
Roth  300,  Engelmann  hat  2-40  Narkosen  ohne  Todesfall  ausgeführt  und 
sehr  gute  Resultate  mit  dieser  Narkose  erzielt,  nur  in  3  7o  war  Exzitation 
vorhanden,  doch  waren  Kallapse  nicht  ganz  zu  vermeiden.  Auch  Jayle  berichtet 
von  vorzüglichen  Resultaten.  Im  Hamburger  neuen  allgemeinen  Krankenhaus 
werden  diese  Narkosen  seit  Jahi-en  ausgeführt,  und  man  hat  nach  allen  Publi- 
kationen gute  Resultate  damit  erzielt.  Es  werden  daselbst  täglich  ca.  10  Nar- 
kosen ausgeführt,  also  eine  Zahl  im  Jahre,  die  schon  ein  Urteil  erlaubt.  In 
neuester  Zeit  berichtet  Rothfuchs  einen  Todesfall  in  dieser  Narkose,  der  sich 
in  einem  hiesigen  Krankenhaus  ereignet  hat  und  er  teilt  mit,  daß  auch  in  einem 
anderen  Krankenhaus  ein  solcher  Todesfall  vorgekommen  ist.  Der  von  Roth- 
fuchs mitgeteille  Todesfall  ist  folgender. 

Ein  20  jähriger  Arbeiter  wird  wegen  Durchschneidung  mehrerer  Sehnen 
der  linken  Hand  in  der  Nacht  in  das  Krankenhaus  gebracht.  Die  Sehnen 
werden  in  Chloroformsauerstoffnarkose  genäht.  4  Tage  später  mußte  eine 
beginnende  Phlegmone  in  Narkose  gespalten  werden.  Die  Eiterung  ging 
weiter,  so  daß  wieder  8  Tage  später  in  Narkose  4  Handwurzelknochen  entfernt 
werden  mußten.  Als  nun  nach  ca.26  Tagen  der  Defekt  durch  Transplantation 
gedeckt  werden  sollte,  wurde  wieder  dieselbe  Narkose  ausgeführt,  der  Kranke 
hatte  4,5  g  Chloroform  erhalten,  da  blieb  plötzlich,  obgleich  er  noch  im  Exzi- 
tationsstadium  sich  befand,  die  Atmung  und  Herztätigkeit  stehen,  und  der  Tod 
trat  trotz  aller  Gegenmaßregeln  ein.  Das  Herz  war  vorher  als  gesund  be- 
fi;nden  worden,  und  es  ergab  die  Autopsie:  alte  perikarditische  Narben  am 
Herzen,  Fettbewachsung  und  leichte  fettige  Degeneration  des  Herzmuskels. 

Dieser  Fall  ist  sehr  typisch  und  zeigt  das,  was  ich  eben  bei  meinen 
Tierexperimenten  nachgewiesen  habe,  daß  das  Chloroform  mit  Sauerstoff  doch 
Fettmetamorphose  erzeugen  kann.  Dieser  Kranke  ist  durch  das  Potatorium 
disponiert,  durch  drei  Narkosen  und  eine  eitrige  Erkrankung  ist  das  Herz  ge- 
schwächt worden,  so  daß  die  Narkose  doch  genügte,  um  tödliche  Verände- 
rungen   hervorzurufen.     Dieser  Fall    ist   also    sehr   wertvoll    und  typisch  und 


—     531     — 

zeigt,  daß  trotz  aller  Güte  der  Narkose  doch  eine  gewisse  Gefahr  besteht,  und 
mau  uicht  glauben  darf,  man  könne  jeden  Krankeu  ohne  Auswahl  chlorofor- 
mieren. Vielleicht  wäre  in  diesem  Fall  eine  Athernarkose  mit  wenig  Chloroform 
günstiger  gewesen.  Man  sieht  aber  auch  hieraus,  daß  trotz  normalem  Unter- 
suchimgsbefunde  der  Tod  eintreten  kann.  Bei  dem  geringsten  Verdacht  auf 
Disposition  zur  Fettmetamorphose  und  Alkoholismus  sowie  langen,  eitrigen, 
fieberhaften  Prozessen  ist  Äther  mit  Chloroform,  nur  zum  Erreichen  der 
Toleranz  beigefügt,  entschieden  vorzuziehen. 

Rothfuchs  gibt  an,  daß  dieser  Todesfall  auf  600  Narkosen  zu  rechnen 
ist.  Wenn  man  den  von  ihm  noch  genannten  Todesfall  mitrechnet,  so  sind 
bis  jetzt  2  Todesfälle  bekannt.  Es  sind  1628  Narkosen  hier  zusammenzuzählen, 
und  nimmt  man  vielleicht  noch  ca.  2000  Narkosen  auf  den  anderen  Todesfall 
an,  den  Rothfuchs  angab,  so  ist  ungefähr  das  Verhältnis  von  1  :  1628  und 
2  :  3628,  welches  also  im  großen  und  ganzen  einem  Verhältnis  von  1  :  2000  bis 
3000  wohl  entsprechen  wird.  Diese  Zahlen  werden  sich  mit  der  Zeit  vielleicht 
als  zu  ungünstig  erweisen,  denn  ich  glaube  annehmen  zu  dürfen,  wenn  das 
Resultat  der  Sammelstatistik  von  Roth  wird  bekannt  werden,  ein  günstigeres 
Verhältnis  sich  ergeben  wird.  Jedenfalls  hat  diese  Narkose  ungefähr  feine 
Mortalität  wie  der  Äther.  , 

Nachdem  ich  nun  diese  Einwirkungsart  der  Sauerstoffchlorofoi'mnarkose 
etwas  genauer  erörtert  habe,  wende  ich  mich  nun  zu  der  Technik  derselben, 
welche  mit  den  Hauptfaktor  der  ganzen  Narkose  bildet,  denn  es  ist  leicht  er- 
klärlich, daß  man  hier  sehr  viel  durch  die  Beobachtung  leisten  kann,  und  daß 
hierbei  der  Apparat  eine  besondere  Bedeutung  hat.  Was  nun  die  Ausführung 
dieser  Narkose  anlangt,  so  kann  ich,  was  die  Vorbereitung,  Umgebung  und 
Lagerung  des  Kranken  für  die  Narkose  anbetriift,  auf  die  Kapitel  der  Chloro- 
formnarkose und  die  im  allgemeinen  Teil  verweisen.  Alles  dies  kann  hier  über- 
gangen werden.  Nur  das  will  ich  bemerken,  daß  gerade  die  gute  Vorbereitimg 
des  Kranken  von  ungeheurer  Bedeutung  ist,  und  daß  man  da  genau  alle  früher 
gegebenen  Vorschriften  beachten  muß.  Ferner  muß  auch  die  Lagerung  des 
Kranken  so  sein,  wie  es  früher  erörtert  wurde,  auf  gutem  Tisch  mit  tiefliegen- 
dem Kopf,  die  Abkühlung  ist  zu  vermeiden  etc.  Nach  diesen  kurzen  Be- 
merkungen wende  ich  mich  zu  den  Apparaten  für  die  Narkose,  da  mit  den- 
selben die  Technik  eng  zusammenhängt,  so  daß  man  beides  nicht  gilt  trennen  kann. 

Zu  der  einfachen  Methode,  bei  welcher  man  den  Sauerstoff,  wie  es  zuerst 
von  Prochownik  getan  wurde,  nach  der  Chloroformnarkose  verabreichte, 
kann  man  den  Apparat  vonWohlgemuth  verwenden,  welcher  aus  einem  Zylinder 
mit  komprimiertem  Sauerstoff  besteht,  der  mittels  einer  Maske  dem  Kranken 
zugeführt  wird.  Man  kann  zu  gleicher  Zeit  durch  einen  Junkerschen  Apparat 
Chloroform  beimengen  oder  in  die  Maske  tropfen.  Dieser  einfache  Sauerstoff- 
apparat von  Michaelis  ist  im  allgemeinen  Teil  in  Fig.  49  und  50  abgebildet  und 
dort  nachzusehen.  Dieser  Apparat  ist  zur  einfachen  Sauerstoffinhalation  ebenso 
geeignet  wie  zur  Kombination  mit  der  Chloroformnarkose.  Durch  die  Ver- 
wendung der  Maske,  welche  an  diesem  Apparat  angebracht  ist,  kann  man  sehr 
leicht  auch  Chloroform  durch  das  Luftventil  eintropfen  in  ein  an  demselben  be- 
festigtes Gazestückchen.  Diese  Maske  ist  als  eine  sehr  vorteilhafte  auch  ohne 
diese  Art  der  Verwendung  bei  dem  Gebrauch  des  gleich  zu  beschreibenden 
Apparates,  den  die  Sauerstofffabrik  in  Berlin  für  die  Chloroformnarkose  kon- 
struiert hat,  anzusehen,  und  ich  füge  daher  die  Abbildung  derselben  in  den  bei- 
stehenden Figuren  156  und  157  hier  an,  da  man  aus  den  Abbildungen  besser 
die  Konstruktion  ersieht.    Man  hat  zwei  Masken,  die  eine  mit  einem  Stirnband, 

34* 


—     532     — 


Fig.  156.  Maske  des  Sauerstofichloroformapparats 
der  Saiierstoffabrik  Berlin  mit  Stirnbinde. 


damit  sie  auf  dem  Gesicht  fixiert  werden  kann,  so  daß  der  Arzt  dieselbe  nicht 
zu  halten  braucht,  was  bei  der  Bedienung  des  Apparates  von  großem  Vorteil  ist. 
Bei  dieser  Maske  tritt  das  das  Gasgemenge  zuführende  Eohr  direkt  gegenüber 
der  Nasenöffnung  an  der  seitlichen  Maskenwand  in  dieselbe  ein,  so  daß  das 
Gasgemisch  somit  dem  Kranken  direkt  vor  die  Nasenöffnung  geblasen  wird. 
Nebenbei  besitzt  die  Maske  ein  Luftventil,  durch  welches  der  Kranke  die  atmo- 
sphärische Luft  erlangt.  Diese  Maske  muß  natürlich  so  auf  das  Gesicht  gelegt 
werden,  daß  das  zuführende  Rohr  nach  dem  Kinn  resp.  Hals  des  Kranken  zu 
weist.  Die  andere  Maske  ist  ans  Zelluloid,  also  durchsichtig,  und  unterscheidet 
sich  von  ersterer  dadurch,  daß  das  das  Gasgemisch  zuführende  Rohr  den  oberen 
Teil  der  Maske  durchbohrt  und  senkrecht  noch  ein  Stück  in  die  Maske  ragt, 
und  zwar  ist  es  so  eingerichtet,  daß  bei  richtiger  Lage  der  Maske  auf  dem 
Gesicht  des  Krankon  das  Rohr  bis  dicht  vor  die  Nasen-  und  Mundappertur  des 

Kranken  reicht,  also  die  Gas- 
gemische auch  direkt  in  die 
Nase  führt.  An  der  Maske 
sind  außen  zwei  hakenför- 
mige Griffe  angebracht,  an 
denen  man  sie  festhalten, 
oder  durch  welche  man 
einen  Stirnriemen  zur  Be- 
festigung auf  dem  Gesicht 
anbringen  kann.  Beide  Mas- 
ken schließen  auf  dem  Ge- 
sicht luftdicht  ab  und  lassen 
Luft  nur  durch  das  Luft- 
ventil eintreten. 

Nunmehr  soll  der  Appa- 
rat der  Berliner  Sauerstoff- 
fabrik Erwähnung  finden , 
da  derselbe  einen  sehr  guten  und  brauchbaren  Apparat  zur  Narkose  mit  Chloro- 
formsauerstoff abgibt.  Dieser  Apparat  ist  von  Wohlgemuth  konstruiert 
worden,  er  besitzt  die  eben  beschriebene 
Maske  als  Mundstück.  Die  beistehende 
Figur  lö8  gibt  den  Apparat  hier  wieder. 
Der  Apparat  besteht  aus  einem 
großen  schmiedeeisernen  Zylinder,  in 
welchem  der  Sauerstoff  vorhanden  ist. 
Von  demselben  führt  ein  Rohr  in  ein 
Manometer,  in  welchem  man  den  Ver- 
brauch von  Sauerstoff  angezeigt  findet. 
Neben  dem  Manometer  M  ist  der  Chloro- 
formapparat angebracht,  welcher  in  der 
Figur  1.58  mit  C  bezeichnet  ist.  Man 
kann  an  dem  Gefäß  den  Chloroform- 
verbrauch jederzeit  ablesen.  Das  Chloro- 
form fließt  aus  dem  Apparat  ah  durch 
einen  Hahn,  den  man  je  nach  Bedarf 
so  stellen  kann,  daß  die  Tropfen  lang- 
sam oder  schnell  fallen,  dieser  Hahn 
ist  mit  D  bezeichnet.  In  dem  unter 
demselben  befindlichen  Gefäß  E  ver- 
dampft das  Chloroform,  und  der  Chloro- 
formdampf mischt  sich  mit  dem  Sauer- 
stoff in  dem  Hahn  F  und  gelangt  nun 
in  den  Gummibeutel  G,  woselbst  eine 
ausgiebige  Mischung  der  Gase  vor 
sich   geht.     Aus   diesem  Beutel   führt 


Fig.  157.    Maske  des  Sauerstoff-Chloro- 
formapparates der  Sauerstoffabrik 
Berlin  aus  Zelluloid. 


538 


ein  Hahn  H  in  den  Schlauch,  welcher  zur  Maske  führt.  Die  genauere  Kon- 
struktion ist  aus  der  Abbildung  zu  ersehen.  Dieser  Apparat  stellt  ein  sehr 
großes  und  umfangreiches,  schwer  transportables  Instrument  dar.  Damit  man 
aber  diesen  Apparat  auch  mit  nach  einem  dritten  Ort  transportieren  und  leicht 
im  Koifer  oder  im  Wagen  etc.  mit    sich  führen   kann,    hat  die  Berliner  Sauer- 


Fig.  158.    Sauerstoff-Chloroformapparat  vju 
Wohlgemuth. 

Stoff abrik  diesen  Apparat  in  viel  kleineren  Dimensionen  her^'estellt,  so  daß  der 
ganze  Apparat  mit  Sauerstoffzylinder  in  einem  mäßig  großen  Holzkasten,  vom 
Umfang  eines  kleinen  Koffers,  leicht  verpackt,  und  somit  überaus  einfach  von 
einem  Ort  zum  andern  befördert  werden  kann,  wodurch  dem  Arzte  in  praxi  er- 
möglicht werden  soll,  die  Sauerstoffchloroformnarkose  auch  in  seiner  Tätigkeit  über 


—     534 


jjand  verwenden  zu  können.  Es  ist  zweifellos  von  enormer  Bedeutung,  daß 
man  diesen  Apparat  mit  geringer  Mühe  schnell  transportieren  kann,  und  wenn 
auch  der  Arzt  auf  dem  Lande  diese  Narkose  nicht  anwendet,  da  sie  für  ihn  so 
mancherlei  andere  Unbequemlichkeiten  und  Hindernisse  besitzt,  so  ist  der 
Apparat  doch  für  den  Arzt  in  der  Stadt  und  an  größeren  Orten,  wo  man  Sauer- 
stoff leicht  erhalten  kann,  ein  überaus  wertvolles  Instrument,  das  in  vielen  Ge- 
legenheiten großen  Nutzen  stiften  kann. 

Die  Verwendung  des  Apparates  ist  einerseits  die  als  Sauerstoffapparat 
allein,  andererseits  als  Narkosenapparat  mit  Chloroform.  Durch  die  Konstruktion 
wird  es  ermöglicht,  die  Chloroformmenge  nicht  nur  auf  ein  Minimum  zu  be- 
schränken, sondern  die  Do- 
sen auch  genau  abzumessen 
und  zu  bestimmen,  so  daß 
man  stets  weiß ,  wieviel 
Chloroform  und  Sauerstoff 
der  Kranke  zur  Inspiration 
erhält.  Außerdem  kann 
man  jederzeit  äußerst  leicht 
die  Chloroformmenge  ver- 
mehren und  vermindern,  je 
nach  den  obwaltenden  Ver- 
hältnissen. Auch  kann  für 
bestimmte  Zeiten  das  Chlo- 
roform ganz  weggelassen 
und  allein  Sauerstoff  ver- 
abreicht werden ,  ebenso 
umgekehrt.  Der  kleine 
Apparat  von  Wohlge- 
muth  ist  äußerst  brauch- 
bar. Er  ist  in  beistehender 
Fig.  159  auf  einem  Tisch- 
chen liegend  abgebildet, 
imd  man  ersieht  die  geringe 
Ausdehnung  desselben.  Na- 
türlich ist  er  ziemlich 
schwer,  doch  ist  dieser 
Nachteil  nur  gering. 

Um  mit  dem  Sauerstoff- 
apparat von  Michaelis 
eine  Chloroformnarkose  ver- 
binden zu  können ,  hat 
Wohlgemuth  folgenden 
Chloroformapparat  kon- 
struiert, welcher  direkt  an 
das  Manometer  des  Sauer- 
Fig.  159.     Sauerstoffchloroformapparat  stoffzylinders  angeschlossen 

von  Wohlgemuth,  mit  kleinem  Zylinder,  leicht   werden  kann.  Dieser  Appa- 
tränsportierbar,  auf  einem  Tisch  zu  liegend.         rat   besteht,    wie  Fig.  160 

zeigt,  aus  einem  50  ccm 
fassenden  Glasgefäß  G,  in  welches  man  von  oben  durch  einen  mit  Glasstopfen 
verschlossenen  Hals  das  Chloroform  einschütten  kann. 

Dieses  Gefäß  G  hat  unten  einen  Hahn  J,  welcher  in  ein  spitz  endendes 
Glasrohr  sich  fortsetzt.  Dieses  Glasrohr  führt  luftdicht  verbunden  in  ein 
U-f örmig  gebogenes,  ungefähr  von  dreifachem  Durchmesser  als  das  Glasrohr  ge- 
bildetes Kohr.  Dieses  U-förmige  Kehr  setzt  sich  nach  beiden  Seiten  in  schmälere 
Glasrohransatzstücke  fort.  Am  Boden  des  U-förmigen  Rohres  liegt  ein  Gaze- 
tupfer bei  B,  in  welchen,  wenn  man  den  Hahn  J  öffnet,  das  Chloroform  tropft 
und  daselbst  sehr  schnell  verdunstet.  Dieser  Apparat  wird  nun  mit  dem  Sauer- 
stoffapparat so  verbunden,  daß  das  linke  Ansatzrohr  durch  einen  Gummischlauch 
mit    dem  Manometer   des    Sauerstoffzylinders    zusammenzuhängen   kommt.     Ev. 


4 


—      535     — 


m — >  C 


A 


kann  man  zwischeu  beide  hier  noch  einen  Filtrierapparat  einschalten,  doch  ist 
das  nicht  nötig-.  Das  rechte  Ansatzrohr  der  U-förmig  gebogenen  Röhre  wird 
mit  der  Maske  durch  ein  langes  Gummirohr  verbunden.  Wenn  der  Apparat  in 
Tätigkeit  ist,  so  strömt  der  Sauerstoff  durch  die  U-förmige  Röhre  von  links 
nach  rechts.  Oeffnet  man  nun  den  Hahn  J,  so  tropft  auf  ^den  Gazetupfer 
Chloroform,  und  zwar  je  nach  der  Oeffnung  des  Hahnes  ensteht  ein  rascher  oder 
langsamer  Tropfenfall,  ganz  wie  es  der  Narkotiseur  braucht.  Das  Chloroform 
verdunstet  rasch  in  der  Gaze,  wird  von  dem  durch  das  Rohr  streichenden 
Sauerstoff  mit  fortgerissen  und  beide  Gase  mischen  sich  in  dem  »Verhältnis, 
welches  durch  die  Frequenz  des  Tropfenfalls  und  der  Geschwindigkeit  des  Sauer- 
stoffstromes, der  im  Manometer  ablesbar  ist,  bestimmt  wird.  Auf  einem  Stativ 
wird  dieser  Chloroformapparat  am  Sauerstofi'zylinder,  der  in  Figur  49  und  50 
abgebildet  ist,  befestigt,  und 
man  hat  den  von  Wohlge- 
muth  angegebenen  Narkose- 
apparat vor  sich.  Dieser 
Apparat  ist  auch  sehr  brauch- 
bar. Der  Chloroformapparat 
ist  leicht  zu  reinigen  und 
arbeitet  sehr  gut,  wenn  er 
gut  und  richtig  gebaut  ist. 
Wenn  man  diesen  Apparat 
mit  dem  Sauerstoffapparat 
verbindet,  so  muß  das  Sauer- 
stoffgas, wie  in  Fig.  50  auf 
Seite  204  ersichtlich  ist,  erst 
durch  zwei  Manometer  strö- 
men. Das  eine  Manometer 
zeigt  den  Inhalt  des  Zylin- 
ders au  Gas  in  Atmosphären- 
druck an,  z.  B.  bei  halbge- 
fülltem Zylinder  liest  man  50 
Atmosphären  ab  etc.,  das 
andere  3Ianometer  dient  als 
Reduzierventil,  und  läßt  einen 
Druck  bis  zu  einer  Atmos- 
phäre zu,  welchen  man  durch 
eine  kleine  vor  oder  unter 
dem  Manometer  angebrachte 
Schraube  durch  Lockern  der- 
selben verstärken  kann. 
Zwischen  diesem  Reduzier- 
ventil und  dem  Chloroform- 
apparat ist  noch  ein  Hahn 
angebracht ,  durch  welchen 
man  auch  bei  geöffnetem  Zy- 
linder den  Sauerstoffstrom 
abstellen,  und  verhindern 
kann,  durch  den  Chloro- 
formapparat zu  strömen.  Der  Apparat  funktioniert  folgendermaßen:  Ehe 
man  die  Narkose  beginnt,  muß  man  den  Glasstopfen,  welcher  das  Chloroform- 
gefäß verschließt,  so  einstellen,  daß  das  denselben  durchsetzende  Rohr  offen  ist, 
also  ein  Abtropfen  des  Chloroforms  erfolgen  kann.  Wenn  nämlich  der  Stopfen 
das  Gefäß  luftdicht  abschließt,  kann  kein  Chloroform  abfließen,  weil  dann  keine 
Luft  nachströmen  kann.  Man  darf  also  nicht  vergessen,  den  Stopfen  entsprechend 
umzustellen. 

Früher  wurde  vor  den  Chloroformapparat  ein  Wassergefäß  vorgestellt,  so 
daß  der  Sauerstoff  durch  Wasser  strömen  und  sich  dadurch  anfeuchten  sollte 
(Kobert).  Wohlgemuth  ist  aber  wieder  von  dieser  Vorrichtung  abgekommen, 
und  man  läßt  jetzt    den  Sauerstoff  trocken  in  das  Chloroform  strömen. 


Fig  160.     Chloroformapparat  von  Wohlgemuth 

zur  Verbindung  mit  dem  Sauerstoffapparat. 
A  =  Ansatzstück  zur  Verbindung  mit  dem  Sauer- 
stoffmanometer,  C  =  Ansatzstück  zur  Verbindung 
mit  der  Maske,  B  =  Gaze  oder  Watte,  I  =  Hahn, 
G  =  Chloroformgefäß  mit  Einteilung. 


—     536     — 

Weuu  man  mm  den  Apparat  brauchen  will,  öffnet  man  zuerst  die  am 
Kopf  des  Sauerstoffzylinders  angebrachte  Schraube.  Wenn  diese  Schraube  ge- 
schlossen war,  so  stand  das  Manometer  auf  100  Atmosphären  und  1  Atmosphäre. 
Nun  wird  die  vor  dem  kleinen  Manometer  befindliche  Schraube  gelockert, 
der  Hahn  geöffnet  und  geschlossen,  und  man  dreht  nun  dieselbe  Schraube 
wieder  so  viel  hinein,  bis  der  Zeiger  des  kleinen  Manometers  '/lo — ^/lo  Atmo- 
sphären anzeigt.  Nunmehr  stellt  man  den  Chloroformapparat  so  ein,  daß  unge- 
fähr 100  bis  200  Tropfen  Chloroform  pro  Minute  demselben  entströmen  und 
auf  den  Gazetupfer  im  U-förmigen  Rohr  fallen,  und  öffnet  den  Hahn,  welcher 
zväschen  Manometer  und  Chloroformapparat  sich  befindet,  damit  das  Chloroform 
vom  Sauerstoff  durchströmt  wird,  und  sich  beide  Gase  mischen  können.  Nachdem 
man  diesen  Hahn  geöffnet  hat,  fällt  schnell  der  Zeiger  des  kleineu  Manometers 
auf  0  und  der  Sauerstoff  strömt  kontinuierlich  durch  den  Chloroformapparat 
nach  dem  Mundstück.  Der  Sauerstoff  hat  jetzt  einen  Druck  von  Vio — ^/lo  Atmo- 
sphären. Durch  den  vermehrten  Luftdruck  im  U-förmigeu  Rohr  wird  jetzt 
bewirkt,  daß  das  Chloroform  langsamer  tropft,  was  man  aber  leicht  regulieren 
kann.  Man  befestigt  jetzt  dauernd  die  Maske  auf  dem  Gesicht  des  Kranken 
und  veranlaßt  den  Kranken,  regelmäßig  tief  zu  atmen  und  den  Mund  dabei  offen 
zu  halten.  Von  Zeit  zu  Zeit  muß  der  Narkotiseur  die  Maske  öffnen  und  sich 
überzeugen,  daß  reichliche  Chloroformdämpfe  ausströmen  und  nicht  etwa  der 
Druck  des  Sauerstoffs  zu  hoch  oder  gar  zu  klein,  gleich  Null  ist,  was  natürlich 
ein  Verdampfen  des  Chloroforms  verhindert.  Wenn  man  dies  findet,  so  muß  man 
die  Regulierschraube  unterhalb  des  kleineu  Manometers  ein  wenig,  ^^ — 1/2  Um- 
drehung, hüieinschrauben  und  sich  nun  überzeugen,  daß  die  Chloroformdämfe 
immer  intensiver  in  die  Maske  strömen.  Wenn  nach  Verlauf  von  drei  bis 
zehn  Minuten  Toleranz  eingetreten  ist,  so  wird  jetzt  nicht  mehr  soviel  Chloroform 
dem  Kranken  zugeführt,  sondern  man  läßt  jetzt  nur  noch  30 — 40  Tropfen  pro 
Minute  aus  der  Chloroformflasche  tropfen,  ev.  noch  weniger,  je  nach  dem 
Zustand  des  Kranken.  Man  kann  auch  bei  Eintritt  tiefer  Betäubung  für  einige 
Zeit  den  Tropfenfall  ganz  unterbrechen,  da  in  dem  Gazetupfer  jetzt  genügend 
Chloroform  vorhanden  sein  wird,  um  für  einige  Minuten  die  Narkose  zu 
iinterhalten.  Man  muß  eben  den  Kranken  genau  beobachten  und  je  nach  dem 
Zustande  der  Reflexe  die  Chloroformgabe  einrichten.  AVenn  man  einige  Uebung 
mit  dem  Apparat  erlangt  hat,  kann  man  den  Verbrauch  von  Chloroform  auf 
ein  erstaunlich  geringes  Maß  reduzieren,  und  es  muß  auch  bei  dieser  Methode 
der  Narkotiseur  eine  Ehre  darin  finden,  den  Kranken  mit  der  möglichst  ge- 
ringen Menge  von  Chloroform  zu  betäuben.  Da  hierbei  das  üebergehen  und 
Verdunsten  von  Chloroform  in  die  uiu gebende  Luft  auf  ein  Minimum  beschränkt 
ist  und  fast  alles  im  Apparat  verdampfende  Chloroform  dem  Kranken  in  die 
Lunge  zugeführt  wird,  so  wirkt  die  geringste  Menge  von  Chlorofurm  schon  sehr 
stark,  und  während  man  bei  der  Tropfmethode  mit  Esmarchscher  Maske 
für  eine  Narkose  mittlerer  Länge  40 — 50  g  braucht ,  kann  man  eine  ebenso 
lange  Narkose  mit  diesem  Apparat  unter  einem  Verbrauch  von  nur  12 — 20  g  aus- 
führen. Die  Kranken  erwachen  allerdings  auch  sehr  schnell  aus  der  Narkose,  so 
daß  man  während  der  Operation  immer  genau  auf  den  Kranken  achten  muß, 
denn  er  erwacht  oft  sehr  schnell,  ehe  man  es  ahnt.  Je  besser  die  Narkose  ge- 
leitet wird,  je  geringere  Dosen  für  die  Narkose  verwendet  werden,  um  so  leichter 
erwacht  der  Ki'anke,  da  ja  dann  im  Blute  nur  die  zur  Narkose  eben  nötigen 
Massen  Chloroform  kreisen,  und  deren  geringste  Verminderung  muß  das  Erwachen 
bewirken.  Man  kann  aber  durch  gute  Beobachtung  zu  frühes  Ei  wachen  ver- 
hüten, und  wenn  die  Narkose  beendet  ist,  so  ist  es  von  Vorteil,  wenn  der  Kranke 
bald  erwacht. 

Die  Technik  der  Narkose  mit  diesem  Apparat  ist  dieselbe  wie  mit  dem 
Sauerstoff  Chloroformapparat  der  Sauerstoffabrik,  wie  er  in  Fig.  158  abgebildet 
ist.  Es  wird  daselbst  nur  das  Gasgemisch  noch  in  einem  Gummibeutel  ge- 
sammelt, um  eine  intensive  Mischung  der  beiden  Gase  hervorzurufen.  Von  dem 
Beutel  G  wird  das  Gasgemisch  in  die  Maske  geleitet. 

Ein  anderer  Apparat  für  diese  Narkose,  welcher  ebenfalls  eine  bedeutende 


—     537     — 

Verwendung  zur  Narkose  namentlich  in  Krankenhäusern  erlangt  hat,  ist  der 
von  Roth  konstruierte  Apparat,  welcher  der  Roth-D räger-Ap parat  heißt, 
weil  ihn  das  Drägerwerk  in  Lübeck  fabriziert,  während  Dr.  Roth  in  Lübeck 
am  Krankenhaus  denselben  konstruierte  und  zuerst  verwendete.  Dieser  Apparat 
mit  seiner  Methode  ist  auch  in  den  Hamburger  Krankenanstalten  meist  in 
Brauch  und  hat  seit  Jahren  recht  gute  Dienste  geleistet.  Während,  wie  schon 
gesagt,  die  Sauerstoffabrik  in  Berlin  den  Apparat  in  eine  handliche,  kleine 
Form  gebracht  hat,  um  denselben  auch  in  der  allgemeinen  Praxis  verwenden 
zu  lassen,  und  so  die  Sauerstoffnarkose  auch  weiteren  Kreisen  von  Ärzten  in  der 
Stadt  und  auf  dem  Lande  ev.  sogar  zu  ermöglichen,  denn  den  Sauerstoff  kann  man 


Fig.  161.     Sauei'stoffchloroformapparat  von  Roth-Dräger. 


sich  ja  per  Post  senden  lassen,  ist  der  Roth-Dräger -Apparat  wohl  von 
Zimmer  zu  Zimmer  leicht  transportierbar,  doch  er  ist  nicht  so  gebaut,  daß  man 
ihn  mit  über  Land  nehmen  könnte.  Dies  ist  entschieden  ein  Nachteil  gegen- 
über dem  Wohlgemuthschen  Apparat. 

Dieser  Roth-Dräger-Apparat  ist  auf  einem  eisernen  Gestell  aufgestellt 
und  durch  Rollen  leicht  beweglich,  während  ein  langer  Schlauch  zu  der  Maske 
auf  dem  Gesicht  des  Kranken  führt.  Dieser  Apparat  ist  in  Figur  46  Seite  202 
abgebildet,  ebenfalls  mit  allem  ev.  notwendigen  Zubehör.  Derselbe  ist  ent- 
schieden für  Kliniken  und  Krankenhäuser  sehr  brauchbar.  Der  Apparat,  welcher 
die  neuesten  Verbesserungen  zeigt,  ist  in  Figur  161  hier  beistehend  abgebildet. 
Er  besteht  aus  einem  großen  Sauerstoffzylinder,  auf  welchem  zunächst  ein 
Ventil  aufsitzt,  welches  durch  die  Schraube  M  geöffnet  werden  kann,  darauf 
folgt  das  Manometer  oder  Finimeter,  N  genannt,  welches  durch  ein  kleines 
Ventil  0  bedient  wird.  Um  den  Apparat  in  Tätigkeit  zu  setzen,  öffnet  man  das 
Ventil  bei  M,  aus  welchem  der  Sauerstoff  in  das  Manometer  N  strömt  und 
daselbst  anzeigt,    wieviel  Sauerstoff  in  dem  Zylinder  enthalten  ist.     Wenn  man 


—     538     — 

nun  den  Hahn  bei  0  öifnet,  so  strömt  der  Sauerstoff  durch  den  Schlauch, 
welcher  zu  den  anderen  Teilen  des  Apparates  führt,  durch  die  unter  dem 
Manometer  angebrachte  Fitigelschraube  Q,  durch  welche  man  den  Verbrauch 
des  Sauerstoffes  regulieren  kann.  Die  durchströmende  Menge  Sauerstoff  soll 
nämlich  in  der  Minute  3  1  betragen.  Wenn  man  nun  den  Druck  ändern 
will,  so  dreht  man  die  Flügelschraube  Q,  doch  ist  dieselbe  so  konstruiert,  daß 
der    höchstanstellbare    Druck    5  1    pro    Minute    nicht    übersteigen     darf.      An 


Fig.  162.    Chloroformapparat 

zum  ersten  Eoth-Dräger- 

apparat. 


Fig.  163.    Der  zweite  zum  Roth-Dräger- 
apparat  gehörende  Chloroformapparat. 


dem  weiteren  Apparat  sieht  man  nun  ein  anderes  Manometer  P,  welches  anzeigt, 
wieviel  Sauerstoff  jeweilig  verbraucht  wird,  und  zwar  zeigt  P  den  Verbrauch 
in  Litern  pro  Minute  an.  Durch  die  Stellung  der  Flügelschraube  Q  wird  P  so- 
fort andere  Werte  anzeigen. 

Nunmehr  kommt  der  zweitwichtigste  Teil  des  Apparates,  der  Chloroform- 
meßapparat. Dieser  Apparat  wurde  in  den  früheren  Apparaten  von  ß  o  t  h  - 
Drag  er  durch  die  Vorrichtung  gebildet,  welche  in  Figur  162  wiederge- 
geben ist. 

Diese  Vorrichtung  besteht,  wie  man  sieht,  aus  einem  Glasgefäß,  in  welchem 
Chloroform  enthalten  ist,  und  zwar  ist  dieses  Gefäß  graduiert  von  0 — 100,  man 
kann  also  immer  sehen,  wieviel  Chloroform  verdunstet  ist.  Das  in  dieser  Ab- 
bildung gezeichnete  Manometer  ist  das  P  aus  obiger  Abbildung  und  zeigt  an, 
wieviel  Liter  Sauerstoff  pro  Minute  verbraucht  werden.    Von  diesem  Manometer 


—      539     — 

striimt  der  Sauerstoff  durch  ein  Ventil,  welches  durch  einen  Zeiger,  der  auf  einer 
Skala  drehbar  ist,  reguliert  wird,  und  zwar  Avird  durch  dieses  Ventil  ein  Teil 
des  Sauei'stoffstronies  abgezweigt  und  in  das  Chlorofornigefäß  geführt,  woselbst 
er  durch  das  Chloroform  sti'ömt  und  ein  gewisses  Quantum  des  Chloroforms 
aufwirbelt,  welches  vermöge  einer  sinnreichen  Einrichtung  immer  annähernd 
auch  bei  foitschreitender  Verdunstung  des  Chloroforms  dasselbe  bleibt,  und 
mit  Chlorofoi'mgas  gemischt  weiterströmt  iind  sich  mit  dem  vorher  ab- 
gezweigten Hauptstrom  des  Sauerstoffs  wieder  vermischt.  Je  nach  der  Stellung 
des  Zeigers  auf  der  Skala  kann  man  nun  viel  oder  wenig  Sauerstoff  durch  das 
Chloroform  strömen  lassen,  wodurch  eben  die  Menge  des  beigemengten  Chloro- 
formgases wechselt.  Es  wird  nun  das  Gemisch  weitergeleitet  zum  Kranken. 
Allerdings  bleibt  die  Verdunstung  des  Chloroforms  infolge  der  Abkühlung, 
welche  dasselbe  beim  längeren  Durchströmen  des  Sauerstoffes  erleidet,  nicht 
dieselbe,  sondern  sie  wird  mit  der  vorschreitenden  Narkose  etwas  geringer  als 
sie  es  im  Anfang  war.  Wenn  nun  dieser  Fehler  praktisch  auch  wenig  oder 
gar  keine  Bedeutung  hat,  so  hat  Roth  es  doch  für  besser  gehalten,  den 
Chloroformapparat  durch  einen  anderen  zu  ersetzen,  welcher  diese  Mängel  nicht 
besitzt.  Um  dies  abzustellen,  durfte  der  Sauerstoff  nicht  mehr  durch  das 
Chloroform  strömen.  Nach  langen  Mühen  hat  Roth  nun  folgenden  Apparat 
erfunden. 

Der  zweite,  jetzt  ausschließlich  an  den  Apparaten  verwendete  Chloroform- 
apparat ist  in  beistehender  Figur  163  abgebildet.  Es  ist  Roth  in  diesem 
Apparat  gelungen,  das  Chloroform  durch  die  Saugwirkxmg  des  Saxierstoffstromes 
aus  einem  besonders  konstruierten  Gefäß  tropfenweis  sichtbar  fallen  zu  lassen. 
Es  werden  durch  eine  besondere  Konstruktion  stets  gleich  große  Tropfen  ge- 
bildet, so  daß  "0  Tropfen  immer  1  g  ausmachen.  Ein  drehbarer  Hahn  R 
reguliert  die  Tropfenzahl  und  gestattet  also  je  nach  Bedarf  kleine  oder  große 
Chloroformmengen  in  den  unter  dem  Tropfapparate  in  bekanntem  Verhältnis 
fließenden  Sauerstoffstrom  hineinfallen  und  so  zur  Verdunstung  kommen  zu 
lassen.  Der  an  dem  Hahn  über  einer  Skala  angebrachte  Zeiger  orientiert  über 
die  jeweilige  Tropfenzahl,  also  auch  Chloroformgabe  in  Grammen,  da  50  Tropfen 
=  1  g  Chloroform  sind,  welche  in  der  Minute  zur  Verdunstung  kommt.  In 
dem  Gefäß  G  wird  das  Chloroform  aufgenommen  und  steigt  in  dem  Rohr  H  in 
die  Höhe,  um  durch  T  im  Glasgefäß  S  herabzutropfen.  Das  Prinzip  ist  in  diesem 
Apparat  ebenfalls  wie  in  dem  ersteren,  nämlich  daß  der  Chloroformverbrauch 
unter  allen  Umständen  in  dem  Augenblicke  von  selbst  aufhört,  in  welchem  der 
Sauerstoffstrom  abgestellt  wird.  Wenn  das  nicht  der  Fall  wäre,  so  würde  der 
Tropfapparat  nach  Abschluß  des  Sauerstoffstromes  weiterarbeiten,  und  man  müßte 
einen  besonderen  Hahn  anbringen,  um  den  Apparat  abzustellen.  Daß  während 
der  Benutzimg  mm  leicht  einmal  vergessen  werden  könnte,  diesen  Hahn  ab- 
zuschließen, wobei  wäh]-end  der  Narkose  Ueberdosiemngen  entstehen  könnten, 
ist  leicht  denkbar.  Deshalb  ist  dieses  automatische  Arbeiten  am  vorteilhaftesten. 
Dieser  Chloroformapparat  ist  auch  auf  dem  allgemeinen  Bilde  des  R  o  t  h  - 
D  r  ä  g  e  r- Apparates  angebracht  und  hat  sich  sehr  bewährt.  Der  Sauerstoff, 
der  sich  nun  also  mit  Chloroformgas  gemischt  hat ,  wird  nun  in  einen 
Gummibeutel  I  geleitet,  aus  welchem  ein  Schlanch  bei  L  abführt  und  das  Gas- 
gemisch nach  der  Maske  transportiert. 

Dieser  Beutel  hat  die  Bezeichnung  Sparapparat  und  hat  den  Zweck,  zu 
verhindern,  daß  das  Gasgemisch,  welches  ja  kontinuierlich  strömt,  während  der 
Exspiration  verloren  geht,  sondern  zu  bewirken,  daß  es  im  Beutel  als  Resei-voir  sich 
sammelt.  Es  sammeln  sich  in  dem  Beutel  die  während  der  Exspiration  des  Kranken 
neu  herzuströmenden  Sauerstoffchloroformgasgemenge,  um  dann  während  der 
folgenden  Inspiration  wieder  aus  dem  Beutel  entnommen  zu  werden.  Ein  sehr 
leichtes,  dicht  schließendes  Rückschlagventil  gänzlich  ohne  Feder  im  Kopfe  der 
Beutelverschraubung  bei  L  angebracht,  verhindert  das  Eindringen  von  Gasen  aiis 
der  Lunge  des  Kranken  während  der  Exspiration,  welche  ungehindert  aus 
dem  Exspirationsventil  der  Maske  resp.  der  Oefi'nung  in  der  Maske  in  die  um- 
gebende Luft  entweichen.  Dieser  Beutel  ist  gleichzeitig  ein  Indikator  für  die 
Lungenfunktion,  denn  derselbe  fällt  mit  jeder  Inspiration  zusammen  imd  er- 
weitert sich  bei  jeder  Exspiration.    Ein  langes  Rohr  führt  zu  der  Maske,  welche 


—     540     — 

sehr  klein  ist,  axis  Metall  konstruiert  durch  Einschnitte  am  Rande  dicht  auf 
dem  Gesicht  aufliegt  und  eine  Oeffuung  zum  Eintritt  der  Luft  besitzt.  Das 
Rohr  für  das  Gasgemisch  führt  ein  Stück  in  die  Maske  hinein  und  endet  so,  daß 
es  gerade  vor  die  Nasen-  und  Mundöffnung  des  Kranken  zu  liegen  kommt,  und 
die  Gasgemische  dem  Patienten  direkt  in  die  Nase  und  Rachenhöhle  geblasen 
werden.  Dies  ist  die  Konstruktion  des  R  o  t  h  -  D  r  ä  g  e  r- Apparates.  Die 
Narkose  wird  folgendermaßen  ausgeführt:  Man  läßt  den  Kranken  zunächst 
einige  Züge  unter  der  Maske  atmen,  ohne  daß  man  den  Apparat  in  Tätigkeit 
setzt.  Wenn  der  Kranke  ruhig  atmet,  öffnet  man  den  Zylinder  M  und  läßt  den 
Sauerstoff  durchströmen,  indem  man  ihn  durch  die  Flügelschraube  reguliert, 
nachdem  man  die  Schraube  0  geöffnet  hat.  Jetzt  strömt  Sauerstoff  in  die 
Maske,  und  zwar  durchschnittlich  -3  l  pro  Minute.  Um  nun  dem  Sauerstoff- 
strom Chloroform  beizumischen  verstellt  man  den  Zeiger  bei  R,  und  von  dem 
Moment  an  wird  Chloroform  in  Tropfen  herabfallen.  Man  kann  sich  sofort 
davon  überzeugen.  Je  nach  dem  Verhalten  des  Kranken  wird  man  mehr  oder 
weniger  Chloroform  brauchen  und  je  nachdem  verstellt  man  den  Zeiger.  Durch 
diesen  Zeiger  kann  man  den  Tropfenfall  regulieren,  denn  man  liest  auf  der 
Tafel  die  Zahl  der  Tropfen  ab,  welche  bei  der  betreffenden  Stellung  des  Zeigers 
auf  die  Zahl  pro  Minute  ans  dem  Chloroform gefäß  fallen,  und  deren  Gas  dem 
Sauerstoff  sich  beimengt.  Es  beginnt  der  Tropfenfall  mit  5,  15,  30,  45  und 
gelangt  so  bis  90  pro  Minute.  Unrer  diesen  Zahlen  auf  der  Scheibe  sind  Zahlen 
geschrieben,  welche  angeben,  wieviel  Kubikzentimeter  Chloroform  diese 
Tropfenzahl  repräsentiert.  So  steht  bei  30  Tropfen  0,5,  bei  45  Tropfen  1  cbcm  usw. 
Während  man  im  Anfang  der  Narkose  die  Tropfen  schneller  fallen  läßt,  ver- 
mindert man  nach  Eintiitt  der  Toleranz  die  Tropfenzahl  oder  läßt  für  einige 
Zeit  das  Chloroform  ganz  weg.  So  kann  man  leicht  durch  einen  Griff'  am 
Apparat  die  Gasgemische  ändern  und  den  Kranken  vor  Ueberdosierung  be- 
wahren. Wenn  der  Kranke  atmet,  füllt  sich  bei  jeder  Exspiration  der  Beutel. 
Dies  rührt  daher,  weil  der  Kranke  während  der  Exspiration  den  kontinuier- 
lich strömenden  Gasstrom  nicht  in  sich  aufnimmt,  und  sich  das  während  der 
Exspii'ation  also  übeT'flüssige  Gasgemisch  in  den  Beutel  ergießt,  aus  dem  es 
während  der  Inspiration  wieder  heraustritt.  So  kann  man  an  dem  Bewegen 
des  Beutels  erkennen  ob  die  Atmung  noch  normal  vor  sich  geht.  Dieser  R  o  t  h- 
D  r  ä  g  e  r  -Apparat  ist  ein  sehr  beliebtes  Instrument  für  die  Sauerstoffchloroform- 
uarkose  und  ist  viel  in  Verwendung.  Von  verschiedenen  Seiten  hat  man  recht 
gute  Resultate  mit  demselben  erzielt  (Roth,  E  u  g  e  1  m  a  n  n,  Wacüs  etc.).  In 
neuerer  Zeit  hat  Rothfuchs  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  Narkose 
späte]'  eintritt  und  vor  allem  bei  Potatoren  oft  mißlingt,  so  daß  derselbe 
bei  Potatoren  die  Tropfmethode  vorzieht.  Er  hält  es  für  unpraktisch,  von 
Anfang  an  Sauerstoff  dem  Chloroform  beigemischt  zu  geben,  da  Sauerstoff  als 
Antidot  des  Chlorolorms  wirkt,  so  hebt  er  im  Anfang  die  Chloroformwirkung 
teilweise  auf,  und  es  tritt  deshalb  namentlich  bei  Potatoren  die  Narkose  schwerer 
imd  später  ein  Es  ließe  sich  ja  durch  eine  Modifikation  des  Apparates  leicht 
einrichten,  daß  man  im  Anfang  nur  Chloroform  gibt  und  erst  später  nach  Ein- 
tritt der  Tole]-anz  das  Sauerstoffchloroformgasgemisch  verabreicht.  Diese 
Methode  würde  ja  am  besten  so  zu  erreichen  sein,  daß  man  bis  zur  Toleranz 
mit  der  Tropfmethode  narkotisiert  und  nach  Eintritt  derselben  den  Roth^- 
D  r  ä  g  er-Apparat  verwendet.  Da  man  bei  den  meisten  Patienten  recht  gute 
Narkosen  erreicht,  so  würde  es  nicht  nötig  sein,  den  Apparat  umzubauen,  was 
viel  Muhe  kosten  würde.  Und  da  man  diese  Modifikation  hauptsächlich  bei 
Potatoren  braucht,  so  wäre  es  nicht  nötig,  für  die  wenigeren  Fälle  den  Apparat 
zu  ändern,  sondern  man  verfährt  am  besten,  indem  man  Potatoren  erst  mit  der 
Tropfmethode  annarkotisiert  und  dann  weiter  mit  diesem  Apparat  betäubt,  oder 
eine  andere  Kombination,  wie  die  Morphinchloroform  -f-  Aethersauerstoffnarkose, 
welche  bei  Potatoren  am  besten  wirkt  und  später  beschrieben  werden  wii'd, 
verwendet. 

Mit  diesem  habe  ich  die  Hauptpunkte  der  Sauerstoff  Chloroformnarkose 
erwähnt,  imd  es  ist  wohl  ersichtlich,  daß  diese  Methode  eine  der  besten  Narkosen 
ermöglicht,    mu-   bestehen    zwei  Mängel,    die    noch    abgestellt   werden    müssen. 


—     541     — 

Ersteus  siud  die  Ai)parate  sehr  teuer,  so  daß  jeder  praktische  Arzt  auf  dem  Lande 
sie  nicht  kaufen  kann,  und  ei'fordern  Übung  und  sachgemäße  Leitimg.  Allein 
der  praktische  Arzt  kann  ja  die  Narkose  selbst  überwachen  und  den  Apparat 
von  einem  Gehilfen  nach  seineu  Vorschriften  bedienen  lassen,  doch  auch  der 
Sauerstoff  macht  die  Methode  teurer  und  komplizierter,  da  der  Sauerstoifzj'linder 
aus  der  Stadt  bezogen  werden  muß.  Zweitens  kann  der  Apparat  auf  große 
Entfernungen  nicht  transportiert  werden,  und  wenn  man  auch  den  kleinen 
Apparat  von  W  o  h  1  g  e  m  u  t  h  verwendet,  so  belastet  derselbe  den  Arzt  zu 
sehr.  Der  R  o  t  h  -  D  r  äg  e  r  -  A  p  p  a  r  a  t  ist  überhaupt  nicht  so  leicht  zu 
transportieren.  Es  ist  eben  sehr  schwer,  den  Sauerstoff  in  so  kleinem  Eauui 
imterzubringen,  daß  der  Apparat  handlicher,  kleiner  und  leichter  sowie  besser 
zu  transportieren  würde.  AVenn  man  nun  sehr  kleine  Sauerstoffzylinder  ver- 
wenden will,  so  hat  man  wieder  die  Gefahr,  daß  der  Sauerstoff  zu  schnell  ver- 
braucht wird,  da  in  dem  Zylinder  eben  zu  wenig  Sauerstoff  aufgenommen 
werden  kann.  Es  ist  zweifellos,  daß  unter  diesen  Umständen  die  Sauerstoff- 
chloroformnarkose nicht  Gemeingut  aller  Arzte  werden  kann.  Vielleicht  gelingt 
es  noch,  die  Apparate  zu  vervollkommnen. 

§  59.  Die  Äther  +  Sanerstofifnarkose  ist  eine  Narkosenart,  welche 
bei  weitem  weniger  und  seltener  verwendet  wird,  als  die  Sauerstoffchloroform- 
narkose.  Es  war  sehr  naheliegend,  daß  man  nach  den  guten  Erfahrungen,  Avelch« 
man  mit  der  Sauerstoffchloroformnarkose  machte,  versuchte  eine  ähnliche  Kom- 
bination mit  Aether  sulfuricus  zu  benützen,  um  vielleicht  die  Gefahren  der 
Aether-sulfur.-Narkose  zu  vermindern.  (Markoe,  Abbe,  Bryant,  Curtis, 
Hare  etc.)  Die  Methode  dieser  Narkose  ist  derart,  daß  man  entweder  von 
Anfang  an  Sauerstoff  mit  Ätherdämpfeu  gemischt  verabreicht,  oder  anfangs  nur 
Aether  sulf.-Dämpfe  allein  und  nach  Eintritt  der  Toleranz  die  Mischung  der 
Gase  für  weitere  Fortsetzung  der  Narkose.  Es  kann  diese  Narkose  ganz 
ähnlich  der  Sauerstoffchloroformnarkose  verwendet  werden. 

Was  nun  die  physiologischen  Einwirkungen  dieser  Narkose  auf  den  Or- 
ganismus anlangt,  so  ist  dasselbe  hier  zu  beachten,  was  bei  der  einfachen  Äther- 
narkose  erörtert  wurde.  Die  Mechanik  der  Narkose,  die  Aufnahme  der  Gase 
durch  die  Lungen,  und  der  Transport  derselben  durch  das  Blut  in  das  Zentral- 
nervensystem, wo  die  Wirkung  auf  die  Ganglienzellen  ausgeübt  wird,  sowie 
die  Eliminierung  gehen  genau  so  vor  sich,  wie  bei  jeder  Inhalationsnarkose. 
Die  Herz-  und  Lungentätigkeit  ward  in  physiologischer  Hinsicht  in  dieser  Narkose 
genau  so  beeinflußt,  wie  in  der  einfachen  Äthernarkose.  Sauerstoff  und  Äthergas 
gemischt  wirken  auf  Herz  und  Lungen  anregend,  die  Herzkraft  wird  verstärkt, 
der  Blutdruck  erhöht.  Es  ist  in  dieser  Hinsicht  hier  auf  alles  das  beim  Äther 
früher  Gesagte  zu  verweisen. 

Man  hat  aber  vor  allen  Dingen  dui"ch  die  Kombination  der  Äthernarkose 
mit  Sauerstoff  die  schwerschädlichen  Einflüsse  des  Äthers  auf  die  inneren  Organe 
günstig  beeinflussen  wollen.  Inwieweit  dies  durch  den  Sauerstoff'  gelingt, 
wollen  wir  jetzt  erörtern. 

Die  narkotische  Kraft  des  Äthers  ist  an  sich  nicht  sehr  stark,  und  es 
wird  dieselbe  durch  die  Mischung  mit  Sauerstoff  nicht  erhöht.  Es  wird  daher 
Menschen  geben,  die  man  mit  dieser  Narkose  nicht  betäuben  kann,  so  kauu 
man   einen    Potator   mit  Äthersauerstoff   nicht  betäuben,    wenn  er  nicht  vorher 


542     — 


m 


Fig.  164. 
Blutdruckkurven  in  der  Äther- 
sauerstoffnarkose. 


eine  starke  Dosis  Morphin  erhalten  hat.  Es 
ist  daher  die  Sauerstoffäthernarkose  vor  allem 
für  Frauen  und  Kinder  sowie  abstinente  Männer 
geeignet.  Die  Einwirkung  auf  das  Zerehrum 
wird  nicht  verändert.  Man  braucht  zwar  bei 
dieser  Methode  nicht  soviel  Äther,  wie  bei  der 
Tropfmethode,  doch  man  muß  die  Ersparnis 
des  Äthers  hauptsächlich  dem  geschlossenen 
Apparat  und  der  genauen  Dosierung  zu- 
schreiben. Immerhin  liegt  in  der  Beschrän- 
kung des  Äthers  ein  großer  Vorteil  für  den 
Kranken;  denn  der  Organismus  wird  hier 
nicht  mit  unnötig  großen  Äthermengen  über- 
schwemmt. Wenn  man  allerdings  Tiere  sehr 
lange  mit  Äthersauerstoff  betäubt,  so  findet 
man  in  den  Gehirngefäßen  ebenso  Fettmetamor- 
phose geringen  Grades,  wie  nach  einfachen 
Äthernarkosen.  Der  Einfluß  auf  das  Herz  ist 
ein  durchaus  günstiger.  Die  Sauerstoffäther- 
narkose wirkt  als  anregendes  Mittel  auf  das 
Herz,  dasselbe  wird  gestärkt,  angeregt  und  der 
Blutdruck  wird  gesteigert.  Die  Blutdruck- 
verhältnisse in  der  Sauerstoffäthernarkose  sind 
von  mir  selbst  an  Kranken  studiert  worden, 
und  ich  habe  bei  den  von  mir  ausgeführten 
Narkosen  nie  Kollapse  gesehen.  Der  Blutdruck 
wird  bis  zum  Eintritt  der  Toleranz  über  die 
Normalblutdruckhöhe  gesteigert,  während  in  der 
Toleranz  eine  langsame  Verminderung  des 
Druckes  eintritt,  doch  sinkt  derselbe  nie,  auch 
bei  sehr  laugen  Narkosen  nicht,  unter  die 
Normalblutdruckhöhe.  Es  ist  also  ein  zweifel- 
los guter  Einfluß  zu  sehen,  und  man  erkennt 
aus  den  Kurven  einen  stetigen,  ruhigen  Einfluß 
der  Ätherwirkung,  und  zwar  sinkt  die  Kurve 
bis  zum  Ende  der  Narkose  konstant,  ohne 
wesentliche  Störungen,  wenn  nicht  Apnoen  etc. 
eintreten.  Aus  beistehender  Figur  164  ersieht 
man  die  Wirkung  der  Sauerstoäathemarkose, 
man  sieht,  wie  die  Kurve  langsam  sinkt,  aber 
während  der  ganzen  Dauer  der  Narkose  über 
der  Normalblutdruckhöhe  sich  hält. 

Das  Herz  an  sich  kann  durch  sehr  lange 
und  namentlich  häufige  Äthersauerstoffnarkosen 
auch  affiziert  werden.  Ich  habe  auch  nach  solchen 
Narkosen  von  sehr  langer  Dauer  typische 
Fettmetamorphose  in  den  Herzmuskelfasern  an 
Hunden    nachweisen    können,    doch    war    das 


—     543     — 

Fett  entschieden  nur  sehr  gering  und  wenig,  es  war  jedenfalls  ungefähr  das- 
selbe Bild  wie  nach  einfachen  Äthernarkosen.  Vielleicht  war  die  Fettmeta- 
morphose noch  etwas  geringer,  als  bei  der  einfachen  Äthernarkose.  Man  er- 
sieht aber  daraus,  daß  auch  in  dieser  Narkose  bei  geeigneten  Kranken  Kollapse 
und  SynkopefäUe  auftreten  können,  wenn  dieselben  auch  sehr  selten  sein 
werden.  Jedenfalls  ist  der  Einfluß  der  Äthersauerstoffnarkose  auf  das  Herz 
ungefähr  gleich  dem  der  einfachen  Äthernarkose. 

Die  anderen  inneren  Organe,  Leber  und  Nieren,  werden  allerdings  be- 
deutend weniger  geschädigt  durch  lange  Sauerstoffäthernarkosen,  als  durch  die 
einfachen  Narkosen.  Man  findet  nach  sehr  langen  zweistündigen  Sauerstoffather- 
narkosen  bei  Hunden  reichlich  Fettmetamorphose  mit  Nekrose  und  Zerfall  der 
Zellen  in  Niere  und  Leber.  Ich  habe  diese  Einwirkung  genau  geprüft  und  ge- 
funden, daß  bei  der  Sauerstoffäthernarkose  die  Leberzellen  und  Nierenepithelien 
zwar  bei  langen  und  häufig  wiederholten  Narkosen  Fettmetamorphose  erleiden, 
daß  aber  die  Nekrose  und  der  Zerfall  derselben  viel  weniger  und  geringer  ist, 
als  nach  einfachen  Äthernarkosen.  Es  ist  hierin  zweifellos  eine  günstigere 
Wirkung  der  Sauerstoffnarkose  zu  sehen,  iind  es  kommt  dies  nicht  nur  von  der 
geringeren  Ätherraenge,  sondern  es  scheint  der  Sauerstoff  direkt  die  Zellen  zu 
schützen  und  zu  kräftigen,  damit  sie  der  toxischen  Ätherwirkung  besser  Wider- 
stand leisten  können.  Diese  Einwirkung  ist  zweifellos  ein  großer  Vorzug  der 
S  auerstoff'narko  s  e . 

Viel  wichtiger  ist  der  Einfluß  der  Narkose  auf  die  Lungen.  Man  hat  all- 
gemein bezweckt,  die  Cj^anose  in  der  Äthernarkose  durch  die  Mischung  mit 
Sauerstoff  zu  beseitigen. 

Dieser  Gedanke  war  der  nächstliegende,  da  man  ja  schon  die  Beobachtung 
machte,  daß  die  Beimengung  von  reichlich  atmosphärischer  Luft  die  Cyanose 
verminderte,  man  kann  z.  B.  bei  den  geschlossenen  Apparaten  für  die  Ätbernar- 
kose  stets  eine  ziemlich  hochgradige  Cyanose  der  Patienten  beobachten,  während 
bei  der  Tropfmethode  fast  gar  keine  Cyanose  vorhanden  ist.  So  hat  auch  Markoe, 
Abbe,  Bryant  etc.  bei  der  Verbindung  der  Sauerstoffinhalation  mit  der  Äther- 
narkose nie  Cyanose  beobachtet.  Man  kann  diese  Beobachtung  ja  sofort 
bei  jeder  Sauerstoffäthernarkose  machen.  Immerhin  hat  man  auch  Berichte 
gefunden,  in  denen  doch  Cyanose  beobachtet  wurde  (Curtis),  doch  mag  wohl 
die  Cyanose  durch  andere  Momente  hervorgerufen  worden  sein,  jedenfalls  wird 
durch  den  Sauerstoff  die  Cyanose,  welche  die  Ätherdämpfe  an  sich  erzeugen, 
beseitigt,  während  natürlich  Raumbeengungen  in  den  Atemwegen  etc.  nicht  durch 
den  Sauerstoff  gehoben  werden  können.  Was  nun  die  vermehrte  Salivation  an- 
langt, welche  ja  der  Hauptnachteil  der  einfachen  Ätheruarkose  ist,  so  kann  man 
dieselbe  nicht  vollkommen  aufgehoben  finden.  Der  Äther  übt  auf  die  Epithelieu 
der  Bronchialschleimhaut,  auf  die  Zellen  der  Drüsen  Reize  aus,  welche  die  Zellen 
zu  vermehrter  Tätigkeit  anregen,  und  dieser  Reiz  wird  bei  der  Sauerstoffäther- 
narkose stark  vermindert,  doch  ist  derselbe  nicht  aufgehoben.  Ich  habe  an  Hunden 
beobachtet,  daß  bei  völligem  Verhindern  der  Aspiration  irgendwelcher  Schleim- 
massen aus  dem  Rachen  und  Mund  in  die  Bronchien  doch  nach  langen  Narkosen 
in  den  Bronchien  viel  Schleimmassen  zu  finden  waren,  daß  in  einzelnen  Be- 
zirken sogar  pneumonische  Infiltration  der  Luuge  vorhanden  war,  und  dieser 
Schleim  war  lediglich  das  Produkt  des  Reizes,  den  der  Äther  auf  die  Schleim- 
haut der   größeren  Bronchien   bis    zu    den  Alveolen    ausübt.     Dieser  Reiz  wird 


—     544     — 

vermindert,  aber  er  ist  nicht  aufgehoben  durch  die  Mischung'  mit  Sauerstoff. 
Die  Verminderung  des  Reizes  des  Äthers  auf  die  Epithelien  und  Schleimhäute 
der  Bronchien  wird  bewirkt  einesteils  durch  die  geringere  Menge  von  Äther, 
welche  zur  Narkose  nötig  ist,  andernteils  durch  die  kräftigende  Wirkung  des 
Sauerstoffes.  Immerhin  ist  letztere  nicht  sehr  groß,  und  man  darf  nicht  zu 
viel  verlangen.  Auch  die  Zellen  des  respiratorischen  Epithels  erleiden  eine 
mäßige  Fettmetamorphose,  welche  aber  nur  nach  sehr  langen  Narkosen  vor- 
handen und  stark  ist,  während  sie  nach  kurzen  Betäubungen  unwesentlich  ist. 
Es  wird  aber  durch  diese  Einwirkung  des  Äthers  immerhin  die  baktericide  Kraft 
der  Lunge  herabgesetzt  und  besonders  nach  langen  Narkosen.  Es  ergibt  sich 
also  als  Resultat,  daß  die  Möglichkeit  einer  postnarkotischen  Bronchitis  und 
Pneumonie  nicht  unbedingt  durch  die  Mischung  der  Gase  beseitigt  ist,  sondern 
es  besteht  immer  noch  die  Gefahr  der  Lungenaffektionen.  Es  ist  dieselbe  aber 
entschieden  geringer  als  nach  einfachen  Äthernarkosen.  Doch  sie  ist  so 
vorhanden,  daß  man  mit  ihr  rechnen  muß.  Curtis  hat  diese  günstige  Wirkung 
an  einem  Falle  gesehen,  wo  vor  der  Narkose  eine  Bronchitis  bestanden  hatte, 
die  aber  durch  die  Äthersauerstofi'narkose  nicht  verschlimmert  wurde.  Tyrell 
hat  bei  sehr  langen  Narkosen  nie  Cyauose  beobachtet.  Morton  macht  auch 
darauf  aufmerksam,  daß  durch  die  Äthersauerstoffnarkose  die  Atmung  und  Herz- 
aktion nie  übel  beeinflußt  Avurden,  daß  die  Schleimsekretion  bedeutend  ver- 
mindert war,  als  bei  einfacher  Äthernarkose.  Es  ist  zweifellos  ein  Vorteil  der 
Mischung,  daß  die  Lunge  weniger  geschädigt  wird;  immerhin  muß  man  aber 
bei  Lungenkranken  vorsichtig  sein  und  lieber  die  Narkose  vermeiden,  denn  die 
Lungenleiden  können  sehr  schwer  verschlimmert  werden. 

Was  nun  aber  als  Vorzug  der  Narkose  erscheint,  ist  nicht  so  groß,  daß 
es  die  Nachteile  aufwiegt.  Zu  den  Nachteilen  der  Sauerstoffäthernarkose  ge- 
hören folgende  Punkte.  Erstens  ist  das  Gemisch  aus  Äther  und  Sauerstoff  ein 
höchst  explosibles  Gas,  und  man  darf  dasselbe  nie  bei  offenem  Licht  anwenden 
(Morton).  Weiter  wird  die  narkotische  Kraft  des  Äthers  nicht  wesentlich 
vermehrt,  sondern  es  ist  oft  beobachtet  worden,  daß  manche  Personen  nicht 
betäubt  werden  konnten.  So  beobachtete  Morton,  daß  Kinder  und  nervöse 
Personen  schwer  betäubt  werden  konnten,  Potatoren  kann  man  gar  nicht  be- 
täuben. Ferner  wird  der  Eintritt  der  Toleranz  verzögert,  das  Exzitationsstadium 
ist  oft  verlängert  (Curtis),  ferner  hatBryant  einen  Patienten  überhaupt  nicht 
völlig  tief  narkotisieren  können,  und  es  dauerte  bisweilen  17 — 20  Minuten,  ehe 
Toleranz  eintrat.  Auch  Abbe  beobachtete  geringe  Schleimvermehrung,  während 
aber  die  sonstigen  Nachteile  nicht  vorhanden  waren.  Als  besondere  Vorteile 
hebt  er  hervor,  daß  die  Kranken  sich  meist  nicht  übel  fühlten,  daß  sie  schnell 
und  rasch  erwachten  (Morton,  Curtis  etc.),  daß  das  Blut  arteriell  und  die  Ge- 
sichtsfarbe normal  war. 

Aus  allen  diesen  Angaben  erkennt  man,  daß  die  Äthersauerstoffnarkose 
nicht  eine  sehr  geeignete  Methode  zur  Narkose  in  allen  Fällen  ist,  man  würde 
dieselbe  entschieden  besser  verwerten  können,  wenn  man  sie  mit  der  Chloroform- 
narkose verbinden  würde,  indem  man  den  Kranken  mit  Chloroform  betäubte, 
und  nach  Eintritt  der  Toleranz  mit  Äthersauerstoff,  dem  je  nach  Bedarf  Chloro- 
form beigemengt  werden  kann,  die  Betäubung  unterhalten  würde.  Jedenfalls  ist 
man  allgemein  von  der  Äthersauerstoffnarkose  wieder  abgekommen,  weil  eben 
viele  Kranke  nicht  damit  zu  betäuben  sind.     Immerhin  ist  die  Verbindung  mit 


—     545     — 

Sauerstoff  sehr  güustig',  und  man  kauu  der  Atheruarkose  viel  (lefahreu  uehmeu 
durch  die  Mischung  der  Gase,  und  wird,  wenn  man  mit  der  einfachen  Äther- 
narkose schon  (!ine  Mortalität  von  1:29000,  1:10000  etc.  —  Julliard  hat  auf 
9289  Ätheruarkosen  einen  Todesfall,  Villar  auf  4050  keinen,  Ponget  auf  29000 
einen  heobachtet  -  erreichte,  vielleicht  noch  bessere  Kesultate  erzielen.  Die 
Lungenleiden  sind  ja  nach  einfachen  Äthernarkosen  sehr  häufig,  aber  sie  werden 
sich  durch  diese  Narkose  vielleicht  auch  noch  vermindern  lassen.  Moi'ton  hat 
ca.  300  solcher  Narkosen  mit  Sauerstoffäthei-  ausgeführt  ohne  Todesfall,  ohne 
Lungenleiden  zu  beobachten.  Man  hat  größere  Statistiken  mit  dieser  Narkose 
noch  nicht  aufgestellt,  und  die  anderen  Autoren  berichten  nur  über  geringe  An- 
zahlen von  Fällen. 

Was  nun  die  Technik  der  Narkose  anlangt,  so  soll  man  alle  Vorschriften 
beachten,  welche  für  die  einfache  Äthernarkose  gegeben  sind.  Es  ist  vor  allem 
auf  die  Desinfektion  des  Mundes,  auf  die  gute  Vorbereitung  des  Ki'anken,  die 
Umgebung,  Lagerung  etc.  zu  achten,  und  sind  sonst  alle  früher  gegebenen  Vor- 
schriften zu  beobachten.  Man  leitet  die  Narkose  am  besten  in  liegender  Stellung 
mit  tiefer  liegendem  Kopfe  ein  und  zwar  muß  man  einen  Apparat  verwenden, 
welcher  die  Gase  mischt,  ähnlich  den  Apparaten,  wie  sie  bei  der  Chloroform- 
sauerstoffnarkose beschrieben  worden  sind.  Ein  solcher  Apparat  ist  von  Morton 
für  die  Narkose  verwendet  worden,  und  hat  er  sehr  gute  Resultate  mit  dem 
Apparat  erzielt.  Derselbe  wird  von  Lentz&Sons  in  Philadelphia  fabriziert. 
Der  Apparat  mischt  die  Gase  miteinander  und  gestattet  durch  eine  einfache 
Handhabe,  die  Zusammensetzung  der  Gase  schnell  und  leicht  zu  ändern,  und 
auch,  den  Äther  allein  zu  verwenden  und  den  Sauerstoff  nur  nach  Be- 
lieben beizufügen,  auch  kann  man  den  Sauerstoff'  allein  oder  in  beliebig  kon- 
zentriertem Gemisch  mit  Äther  verabreichen.  Morton  gibt  auch  den  Rat,  um 
die  lange  Verzögerung  des  Eintrittes  der  Toleranz  zu  vermeiden,  im  Anfang 
Äther  allein  zu  geben,  und  erst  nach  Eintritt  der  Toleranz  die  Narkose  mit  dem 
Gemisch  der  Gase  zu  unterhalten.  Natürlich  kann  man  jederzeit  die  Dosis  des 
Äthers  modifizieren.  Es  ist  auch  in  vielen  Fällen  anzuraten,  den  Kranken  vor 
der  Narkose  eine  Dosis  Morphin,  mur.  subkutan  zu  verabreichen. 

Eine  sehr  einfache  Sauerstoffäthernarkose  kann  man  auf  folgende  Art 
erreichen.  Man  nimmt  einen  Sauerstoffapparat,  wie  ihn  die  Sauerstoffabrik 
Berlin  liefert  und  verbindet  diesen  Apparat  mit  einem  nach  Art  des  Junkerschen 
Chloroformapparates  gebauten  Ätherapparat.  Man  verbindet  dann  den  zur  Maske 
führenden  Sauerstoffschlauch  kurz  vor  der  Mündung  in  dieselbe  mit  dem  Rohr, 
welches  aus  dem  Sauerstoffapparat  kommt.  Diesen  letzteren  setzt  man  durch 
ein  Gebläse  in  Tätigkeit  und  gibt  zu  diesem  Ätherstrom  je  nach.  Bedarf  Sauer- 
stoff, dessen  Menge  man  durch  das  Manometer  (vgl.  Fig.  50)  regulieren  kann. 
Die  Maske  muß  dann  aber  eine  geschlossene  sein.  Auf  diese  Weise  hat  man 
einen  sehr  einfachen  Apparat.  Der  Ätherapparat  muß  nur  etwas  größer  imd 
geräumiger  als  ein  Junkerscher  Apparat  sein,  die  Flasche  zu  150  cbcm  und 
das  Gebläse  etwa  doppelt  soviel  fassend.  Dann  kann  man  eine  sehr  gute  und 
gefahrlose  Narkose  erzielen. 

Auch  die  im  vorherigen  Kapitel  beschriebenen  Apparate  für  die  Sauer- 
stoffchloroformnarkose können  mit  geringen  Abänderungen  für  die  Sauerstoffäther- 
narkose verwendet  werden.  Es  ist  kein  ZAveifel,  daß  die  Kombination  der  Chloro- 
formsauerstoffnarkose mit  der  Äthernarkose  noch  bessere  Resultate  liefern  würde, 

35 


—     546     — 

nnd  zwar  kann  man  durch  Hinzufügen  eines  Äthertropfapparates  zu  den 
Apparaten  für  die  Chloroformnai-kose  einen  Apparat  erhalten,  mit  welchem  man 
je  nach  Bedarf  Äther,  Chloroform  oder  beide  gemischt,  und  stets  mit  Sauerstoff 
dem  Kranken  zuführen  könnte.  Somit  ist  das  wichtigste  der  Sauerstoff- 
äthernarkose erwähnt,  eine  Methode,  die  leider  wieder  zu  bald  verlassen 
worden  ist. 

§  60.  Die  Chloroform  +  ÄtUer  +  Sanerstoffnarkose  ist  eine  Kom- 
bination, welche  ganz  besondere  Vorteile  für  den  Kranken  besitzt.  Dieselbe  ist 
hervorgegangen  aus  der  Sauerstofi'chloroformnarkose,  deren  Nachteile  man  durch 
das  Hinzufügen  des  Äthers  verhüten  will.  Diese  Narkose  ist  von  Krönig  zuerst 
verwendet  worden,  und  auf  dessen  Veranlassung  hat  das  Drägerwerk  in  Lübeck 
einen  Apparat  konstruieit,  welcher  wie  unten  des  näheren  auseinandergesetzt 
wird,  gleich  dem  Prinzip  des  Chloroformapparates  gebaut  ist,  nur  noch  eine 
Vorrichtung  besitzt,  durch  welche  man  gleich  dem  Chloroform  auch  Aether 
sulfur.  verabreichen  kann.  Diese  Methode  erscheint  als  die  denkbar  beste 
Narkose,  und  steht  ätiologisch  der  Äther  -|-  Chloroformmischnarkose  sehr  nahe, 
denn  wenn  man  die  Vorzüge  der  Braunschen  Narkose  bedenkt  und  zu  dieser 
Narkose  noch  den  Sauerstoff  hinzufügt,  so  hat  man  diese  Narkose. 

Ich  habe  mich  unabhängig  von  Krönig  schon  seit  Jahren  mit  diesen 
Narkosen  beschäftigt  iind  genaue  Untersuchungen  angestellt,  welche  im  folgenden 
in  kurzen  Worten  erörtert  werden  sollen.  Man  muß  hier  entschieden  zwei 
Hauptnarkosenarten  unterscheiden,  die  Chlor  oform-(-  Äther  -\-  Sauer- 
stoffnarkose, bei  der  als  Girrundlage  Chloroform  gegeben  und  zur  Ver- 
besserung Äther  verabreicht  wird,  und  die  Äther  -f-  Chloroform  -|- 
Sauer  Stoffnarkose,  die  Äther  als  Grundlage  und  zui-  Ergänzung  Chloro- 
form aufweist.  Diese  beiden  Arten  gehen  natürlich  in  der  Praxis  ineinander 
über,  aber  man  kann  sie  immer  genau  erkennen,  und  die  Indikationen  richten 
sich  nach  den  für  Äther  nnd  Chloroform  früher  festgestellten  Thesen. 

Ich  werde  nun  die  Einflüsse  dieser  Narkosenarten  auf  den  Organismus 
so  weit  als  nötig  erörtern  und  dabei  vor  allem  den  Einfluß  aixf  den  Blutdruck 
und  auf  die  inneren  Organe  beschreiben. 

Der  Blutdruck  wird,  wie  wir  früher  gesehen  haben,  durch  die  Chloroform- 
sauerstofi'narkose  bedeutend  herabgesetzt,  es  besteht  also  immer  die  Gefahr  auch 
in  der  Sauerstoff'kombination  mit  Chloroform,  daß  der  Blutdruck  bei  dazu 
disponierten  Individuen  derart  herabgesetzt  wird,  daß  eine  ernste  Gefahr  quoad 
vitam  für  den  Patienten  daraus  resultiert.  Deshalb  habe  ich  versucht,  diese 
üble  NebenAvirkung  des  Chloroforms  durch  Beimischung  von  Aether  sulfur.  auch 
in  der  Sauerstoffchloroformnarkose  verbessern  zu  können.  Die  Versuche  sind 
nun  folgendermaßen  angestellt  worden.  Bei  einem  Kranken,  welcher  mit  der 
Chloroformsauerstoffnarkose  betäubt  werden  sollte,  wurde  während  der  Narkose 
die  Messung  des  Blutdruckes  genau  so  vorgenommen  wie  gewöhnlich,  und  der 
Stand  des  Blutdruckes  jederzeit  bestimmt.  Wenn  nun  der  Blutdruck  unter  die  vor- 
her von  dem  Kranken  bestimmte  Normalblutdruckhöhe  sank,  wurde  eine  geringe 
Menge  Aether  in  Tropfenform  dem  Ki-anken  gegeben.  Es  läßt  sich  die  Aetherzufuhr 
ja  jederzeit  sehr  leicht  regulieren  und  ausführen,  wenn  man  den  Apparat  von 
Roth-Dräger  verwendet,  aber  auch  auf  andere  Weise  kann  man  das  tun.  Das 
erste  Experiment  war  also  dieses,  festzustellen,  ob  man  die  ersten  Schwankungen 
im  Blutdruck  durch  die  Pulskontrolle  feststellen  könnte,  und  ob  die  sofortige 
Aetherzufuhr  eine  Besserung  des  Blutdruckes  bewirken  könnte.  Man  ersieht 
schon  ans  den  Blutdruckkurven  bei  der  Chloroformsauerstoflhiarkose,  daß  schon 
nach  Eintritt  der  Toleranz  ein  Sinken  unter  die  Normalblutdruckhöhe  in  den 
allermeisten  Fällen  eintiitt.     Wenn  man  den  Puls  des  Patienten  fühlt  und  sich 


I 


—      547     — 

darin  einige  Uebung-  verschafft  hat,  so  lernt  man  auch  aus  dem  Puls  des  Kranken 
annähernd  erkennen,  oh  der  Blutdruck  wesentlich  gesunken  sei.  Es  ist  natürlich 
nicht  mögiich,  festzustellen,  ob  der  Blutdruck  über,  oder  auf,  oder  dicht  unter 
der  Xormalblutdruckhöhe  sich  befindet,  wenn  diese  Schwankungen  in  geringen 
Grenzen  vor  sich  gehen.  Wenn  diesodben  aber  so  ausgesproch(!n  sind,  wie  bei 
der  Chloroforuiiiarkose,  kann  man  schon  aus  dem  Puls  die  dei)rimierende  Ein- 
wirkung erkennen,  und  es  wird  dem  gewissenhaften  Narkotiseur  nicht  schwer 
fallen,  sich  diese  Uebung  und  Fertigkeit  zu  verschaffen.  Ich  habe  nun  die  Be- 
obachtung gemacht,  daß  man  in  der  Chloroformsauerstoff'narkose  sehr  leicht 
diese  Verminderung  der  Pulsstärke  erkennen  kann,  und  dann  auch  sofort  fühlt, 
wie  der  Blutdruck  wenige  Sekunden  nach  dem  Verabreichen  einiger  Tropfen 
Aether  sulfur.  zu  dem  Chloroform  wieder  steigt. 

Es  ist  vor  allen  Dingen  die  Stärke  des  Blutdruckes  dadurch  sofort  nach- 
zuweisen, daß  man  die  Komprimierbarkeit  der  Arterie  prüft.  Man  kann  sehr 
leicht  fühlen,  wie  die  Arterie  vor  Beginn  der  Toleranz,  also  im  Stadium  II, 
stark  gefüllt  und  gespannt  ist,  und  kann  dann  sehr  bald  nach  Eintritt  der 
Toleranz  bemerken,  wie  diese  Spannung  des  Pulses  geringer  wird.  Man  kann 
also  sehr  bald  nach  Eintritt  dei'  Toleranz  etwas  Aether  verabreichen.  Nun  ist 
es  aber  notwendig,  weiter  den  Puls  zu  beobachten,  um  wieder  feststellen  zu 
können,  wann  die  Aetherwirkung  wieder  nachläßt  und  der  Blutdruck  sinkt, 
denn  wenn  man  auch  den  Blutdruck  zunächst  durch  die  Aethergabe  steigert,  so 
wird  sehr  bald  nach  Sistieren  der  Aetherzufuhr  auch  der  Blutdruck  Avieder 
sinken.  Wann  dies  eintritt,  kann  mau  nicht  anders  erfahren  als  durch  Pals- 
kontrolle.  Wenn  man  den  Aether  ohne  Indikation  wegen  Depression  des  Blut- 
druckes geben  wollte,  so  wäre  dies  ein  großer  Schematismus,  der  wohl  zu 
wenig  guten  Resultaten  führen  würde.  Man  kann  aber  am  Puls  die  Steigerung- 
durch  Aether  und  die  Verminderung  des  Blutdruckes  nach  Abklingen  der  Aether- 
wirkung sehr  gut  feststellen.  Die  Experimente  dieser  Art  haben  nun  zunächst 
ergeben,  daß  man  in  der  Kiuwe  des  Blutdruckes  sofort  die  Einwirkung  des 
Aethers  konstatieren  kann,  das  Quecksilbermanometer  steigt  sofort  um  ein  Be- 
trächtliches. Es  dauerte  je  nach  der  Dosis  von  Aether  die  Wirkung  2  bis 
5  Minuten  an.  Um  die  Verhältnisse  hier  genauer  ermitteln  zu  können,  habe 
ich  die  Messungen  öfter  als  jede  Minute  vorgenommen  und  meist  alle  '/g  Minuten 
den  ewig  schwankenden  Stand  notiert.  Man  muß  nun  natürlich  bemüht  sein,  die 
großen  Unterschiede  in  der  Druckhöhe  zu  vermeiden,  denn  die  korrekte  Chloro- 
formäthersauerstoffnarkose muß  sich  dadui'ch  auszeichnen,  daß  der  Blut- 
druck dauernd  wenigstens  auf  oder  etwas  über  der  Normalblutdruckhöhe  sich 
findet.  Wenn  man  solche  Kurven  mit  Chloroform  und  Aether  erreicht,  so  kann 
man  sagen,  daß  man  die  Narkose  richtig  kombiniert  hat,  denn  man  hat  da  den 
Aether  in  richtigen  Mengen  und  zur  richtigen  Zeit  angewendet.  Gerade  darin 
liegen  die  Schwierigkeiten,  indem  man  nur  durch  die  Beobachtung  des  Kranken 
und  die  Pulskontrolle  die  richtigen  Augenblicke  für  die  Aetherzufuhr  und  die 
richtigen  Dosen  wählt,  ohne  zu  große  Dosen  zu  verabreichen,  welche  dann  üble 
Aetherwirkungen  verui'sachen  können.  Ich  habe  in  dieser  Narkose  mit  Absicht 
die  Dosen  so  gegeben,  daß  der  Blutdruck  sichtbar  beeinflußt  wurde.  Daß  es 
nun  aber  möglich  ist,  auch  die  Narkosen  so  zu  ai'rangieren,  daß  der  Blutdruck 
dauernd  ein  normaler  ist  und  die  Kurve  immer  über  der  Normalblutdruckhöhe 
sich  bewegt,  zeigen  die  anderen  Kurven*),  welche  ich  nun  während  der  korrekten 
Chloroformäthersauerstoffnarkose  aufgenommen  habe.  In  Fig.  165  sind  einige 
Kurven  abgebildet,  aus  denen  man  die  Einflüsse  des  Aether  erkennen  kann, 
ebenso  kann  man  aus  denselben  ersehen,  daß  man  die  Narkose  leiten  kann  ohne 
daß  die  Aethergabeu  im  Blutdruck  wesentlich  bemerkt  werden.  Ebenso  sind 
die  Chloroformgaben  zu  bemerken,  oder  bei  guter  Narkose  nur  wenig  ange- 
deutet. Diese  weiteren  Kurven  zeigen,  daß  man  dieses  Ideal  sehr  leicht  er- 
reichen kann.  Immerhin  sieht  mau  bei  einigen  Kurven,  daß  hier  und  da  ein 
tieferes  Sinken  stattgefunden  hat,  worauf  dann  ein  dauernder  Anstieg  wieder 
erfolgte.      Aber   diese  Zeichen  der  Punkte,    wo  Aether  neu  verabreicht  wurde. 


*)  Die  einzelnen  Kurven    sind  in  meiner  Abhandlung    über  den  Einfluß  der  Gasgemisch- 
narkose   auf  die  inneren  Organe,    Langenbeoks  Arch.  f.  klin.  Chirurgie,    Bd.  77,    abgebildet. 

35* 


—     548     — 

sind  in  manchen  Kurvten  ganz  weg-g'ef allen.  Dieselben  verlaufen  ganz  glatt 
und  durchweg  auf  oder  über  der  Normalblutdruckhöhe,  ein  Zeichen  also,  daß 
eine  hohe  und  ausreichende  Anregung  auf  das  Herz  und  den  Blutdruck  ausgeübt 
wurde,  so  daß  eine  zu  tiefe  Depression  des  Blutdruckes  durch  das  Chloroform 
nicht  ausgeübt  werden  konnte. 


iplMJLiijäjJ^umUyM 


„ ■jMi^vmmmsiäMm'jimMmmm'mL 

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■■■■■■■■■DHaHBHI 
«■■■■■■■■■■■■■■■I 


Figur  165.     Blutdruckkurven  in  der  kombinierten  Chloroforraäther- 
sauerstoffnarkose. 

A.  Blutdruckkurve  in  der  Äther-phloroform-Sauerstoffuarkose  unter  schema- 
tischer  Darreichung  des  Äthers  bei  A  und  Chloroform  bei  C. 
Blutdruckkurveu  in  der  Äther-Chloroform-Sauerstoft'narkose  bei  exakter 
Leitung. 

C.  Blutdruckkurven  in  der  Chloroform-Äther-Sauerstoffnarkose  bei  exakter 
Leitung.     N  =  Normalblutdruckhöhe. 

Wenn  man  nun  diese  Narkose  näher  betrachtet,  so  ist  dieselbe  derart 
vorgenommen  worden,  daß  den  Patienten  zunächst  nur  Chloroform  und  Sauer- 
stoff verabreicht  wurde,  bis  derselbe  in  Toleranz  gebracht  war.  Von  dem  Moment 
an,  wo  die  Toleranz  eintrat,  wurde  dem  Patienten  neben  dem  Chloroform  noch 
Äther   gegeben   und    zwar   in    ganz    geringen    Mengen.      Die   Chloroformdosen 


—      549     — 

konnten  jetzt  eine  Zeitlang  weggelassen  werden,  und  der  Kranke  atmete  einige 
Minuten  imi-  Sauerstoff -f- Äther,  dann  erhielt  er  wieder  einige  Tropfen  Chloro- 
form, und  so  weiter  in  stetem  Wechsel,  wobei  es  abhängig  gemacht  wurde,  ob 
und  wieviel  und  welches  Narkotikum  gegeben  werden  sollte,  von  der  Reaktion 
der  Pupillen,  dem  Verhalten  des  Pulses  und  den  sonstigen  Verhältnissen. 
Diese  Narkose  stellt  ja  entschieden  die  beste  Art  der  Kombination  bei  Vor- 
herrschen des  Chloroforms  dar.  Wenn  man  also  eine  nach  Möglichkeit  be- 
schränkte toxische  Wirkung  der  Narkose  auf  den  Organismus  erreichen  will, 
so  muß  man  derart  verfahren,  wobei  das  Grundprinzip  immer  das  ist,  jedes 
Narkotikum  nach  Möglichkeit  zu  beschränken.  Darin  liegt  der  Wert  der  Narkose; 
die  Kunst  des  Narkotiseurs  besteht  darin,  die  Narkotika  weitmöglichst  auszu. 
nützen,  ihre  narkotische  Kraft  soviel  als  möglich  wirksam  zu  machen  und  dabei  die 
toxischen  Nebenwirkungen  weitmöglichst  zu  beschränken.  Man  erreicht  dabei 
eine  Narkose,  in  der  allerdings  das  Chloroform  im  großen  und  ganzen  vor- 
herrscht, in  der  aber  weder  das  Choroform  noch  der  Äther  zu  schwer  toxischen 
Einwirkungen  gelangen  können. 

Betrachten  wir  nimmehr  die  Verhältnisse  bei  der  anderen  Art  der  Narkose, 
bei  welcher  man  den  Aether  sulfuricus  als  Grundlage,  als  Hauptnarkotikum 
verwendet,  und  hier  vor  allem  die  Einflüsse  dieser  Narkose  auf  den  Blutdruck. 
Wenn  man  die  Atbernarkose  mit  dem  Chloroform  verbindet,  so  muß  vor  allem 
darauf  geachtet  werden,  daß  das  Chloroform  nur  in  minimalsten  Mengen  ge- 
geben wird,  denn  in  größeren  Mengen  verabreicht,  verursacht  dasselbe  Depression 
des  Blutdruckes,  derselbe  ist  ja  in  der  Äthernarkose  ein  dauernd  hoher,  und 
man  darf  unter  Benutzen  der  stärkeren  narkotischen  Kraft  des  Chloroforms 
nicht  den  Vorteil,  den  besten  Einfluß  des  Äthers,  die  Steigerung  des  Blut- 
druckes, durch  die  üble  Wirkung  des  Chloroforms  vernichten.  Es  ist  daher  vor 
allen  Dingen  darauf  zu  achten,  daß  man  das  Chloroform  zui'  Vertiefung  der 
Narkose  nur  in  den  geringst  wirksamen  Mengen,  der  Zahl  von  wenigen  Tropfen 
braucht  und  verabreicht.  Hat  man  doch  verschiedentlich  beobachtet,  daß  selbst 
bei  dei"  offenen  Tropfmethode  wenige  Tropfen  von  Chloroform  genügen,  um 
die  Toleranz  in  der  Äthernarkose  zu  erreichen  (W  itzel,  Hofmann  etc.). 
Schon  5 — 10  Tropfen  Chloroform  haben  eine  starke  narkotische  Wirkung,  wenn 
der  betreffende  Kranke  schon  mit  anderen  Narkotika  halb  betäubt  ist.  Wenn 
man  nun  dazu  noch  einen  geschlossenen  Apparat,  wie  den  von  R  o  t  h-D  r  ä  g  e  r , 
verwendet,  kommen  die  Chloroformtropfen  noch  stärker  zur  Wirkung,  hier  kann 
man  mit  fünf  Tropfen  so  viel  erreichen,  wie  bei  der  offenen  Methode  mit  zehn 
Tropfen.  Einen  wie  bedeutenden  Einfluß  die  Chloroformgaben  auf  den  Blut- 
druck in  der  Äthersauerstoffnarkose  haben  und  ausüben  können,  zeigt  folgender 
Versuch. 

Ich  habe  eine  Person  mit  Äthersauerstoff  bis  zum  Beginn  des 
Stadiums  11  der  Narkose  betäubt  und,  um  die  Toleranz  schneller  und  leichter  zu 
erreichen,  werden  einige  Tropfen  Chloroform  dazugegeben,  und  mit  Hilfe  von 
zehn  Tropfen  ist  die  Toleranz  innerhalb  weniger  Minuten  eri-eicht.  Der  Blut- 
druck war  vor  Eintritt  der  Toleranz  bedeutend  über  der  Normalblutdruckhöhe, 
und  es  wurden  nun  folgende  Experimente  ausgeführt.  Der  Blutdruck  wird  alle 
^/.2  Minuten  aufgezeichnet  und  gemessen,  wobei  sich  immer  jetzt,  da  der  Kranke 
nur  mit  Aether  weiter  betäubt  wird,  derselbe  über  der  Normalblutdruckhöhe  hält. 
Nach  einigen  Minuten  wird  au  Stelle  des  Aethers  Chlorofoi-m  gegeben  in  Tropfen, 
und  zwar  so  viel,  daß  der  Kranke  mit  demselben  in  der  Toleranz  erhalten  wird. 
Die  Tropfen  werden  in  langsamem  Tropfenfall  gegeben,  und  es  zeigt  sich  nach 


—     550     — 

wenigen  Sekunden  bereits  ein  langsames  Sinken  des  Blutdruckes,  und  zwar 
sinkt  derselbe  bei  fortgesetzter  Cbloroformzufuhr  langsam  unter  die  Normal- 
blutdruckböhe,  bisweilen  auch  einmal  plötzlich  einige  Millimeter  fallend  und  so 
einen  plötzlichen  Tiefstand  einnehmend.  Diese  Einflüsse  des  Chloroforms  auf 
den  Blutdruck  findet  man  ja  nicht  bei  allen  Kranken  so  deutlich,  denn  es 
kommen  oft  andere  Einflüsse  dazu,  welche  den  Blutdruck  an  sich  beeinflussen. 
Wenn  man  aber  eine  ganz  gesunde  Person  mit  ruhigem  Herzschlag  und  ohne 
psychische  Alteration  zu  diesem  Experiment  verwendet,  gelingt  es  zweifellos, 
diese  Wirkung  des  Chloroforms  durch  den  Blutdruck  festzustellen.  Man  darf 
aber  nicht  vergessen,  daß  hier  absichtlich  die  Dosen  des  Chloroforms  so  gewählt 
und  verabreicht  wurden,  daß  man  diesen  Einfluß  erhielt.  In  der  gut  geleiteten 
Aetherchloroformsauerstoffuarkose  düi-fen  derartige  Remissionen  nicht  vorkommen, 
es  muß  eine  dauernd  normale  Höhe  des  Blutdruckes  vorhanden  sein.  Es  ist 
auch  sehr  leicht  möglich,  diesen  Anforderungen  gerecht  zu  werden,  denn  mau 
muß  dabei  nur  das  beachten,  daß  man  die  Chloroformgaben  in  kleinsten  Mengen, 
in  feinsten  Dosen,  Terabreicht,  Dabei  ist  es  geraten,  den  Aether  nicht  in  vollen 
Dosen  nebenbei  zu  verabreichen.  Dies  ist  nur  erlaubt  in  der  Zeit  vor  Eintritt 
der  Toleranz,  Avährend  nach  Eintritt  tiefer  Narkose  dieselbe  nur-  weiter  erhalten 
werden  soll,  und  dazu  genügen  in  den  meisten  Fällen  schon  geringe  Aether- 
dosen.  Doch  man  wird  auch  während  dieser  Zeit  den  Aether  zeitweise  durch 
wenige  Tropfen  Chloroform  ersetzen,  da  man  dadurch  Aether  spart  und  den 
Kranken  sehr  tief  betäubt,  damit  alle  Muskeln  schlaff,  alle  Reflexe  aufgehoben 
sind,  falls  dies,  wie  es  in  den  allermeisten  Fällen  langer  Xarkosen  das  Haupt- 
erfordernis ist,  von  dem  Operateur  verlangt  wird.  Der  Grund,  weshalb  man 
den  Aether  mit  Chloroform  kombiniert,  ist  ja  überhaupt  darin  gelegen,  daß 
man  einerseits  die  Narkose  vertieft,  was  bei  Leuten,  die  schwer  zu  betäuben 
sind,  unbedingt  notwendig  ist,  andererseits  eine  Ersparnis  an  Aether  bewirkt, 
wodurch  auch  dem  Aether  eine  geringere  Gelegenheit  gegeben  ist,  seine  üblen 
Wirkungen  auf  den  Organismus  zu  entfalten.  Wenn  man  nun  das  Chloroform 
nur  in  kleinen  Mengen  und  abwechselnd  mit  Aether,  hier  und  da  auch  wenn 
nötig  mit  Aether  gemischt,  verabreicht  und  dabei  den  Puls  der  Kranken  genau 
beobachtet,  ebenso  die  übrigen  Fiuiktionen  des  Organismus  genau  im  Auge 
behält  und  die  Dosen  in  kleinen  Zwischenräumen  ändert,  kann  man  eine  Narkose 
erzielen,  bei  welcher  der  Blutdruck  nur  wenig  Verschiedenheiten  von  dem  im 
normalen  Leben  hat,  xmd  dessen  Kurve  einen  ruhigen  Charakter  zeigt,  so  daß 
man  bei  oberflächlichem  Betrachten  gar  keine  Unregelmäßigkeiten  bemerkt, 
sondern  nur  erst  bei  genauerem  Studium  der  Kujve  geringe  Einflüsse  der  ver- 
schiedenen Narkotika  finden  kann.     Vgl.  Fig.  165. 

Gewisse  Schwankungen  im  Blutdruck  treten  natürlich  ein,  und  man  kann 
dieselben  nicht  immer  auf  die  Narkotikumwirkung  beziehen,  namentlich  bei 
vorübergehenden  mäßigen  Unregelmäßigkeiten  sind  oft  andere  Ursachen  vor- 
handen. Jedenfalls  sind  die  bei  diesen  Narkosen  aufgenommenen  Kurven  von 
überaus  regelmäßiger  Form  und  Verlauf,  so  daß  man  die  Narkose,  welche  diese 
regelmäßige  Kurve  erzeugt,  als  eine  hinsichtlich  des  Blutdrucks  sehr  günstige 
Betäubung  ansehen  muß.  Man  kann  also  mit  vollem  Recht  behaupten,  daß  die 
Kombination  der  Äthernarkose  mit  der  Chloroformwirkung  zu  ganz  vor- 
züglichen Betäubungen  führt,  denn  auch  der  Verlauf  dieser  Narkosen  in 
klinischer  Hinsicht  ist  ein  vorzüglicher  ohne  jede  üblen  Nebenwirkungen. 
Jedenfalls  ist  die  gefährliche  Chloroformwtrkung  durch  den  Äther  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  aufgehoben,  nämlich  die  deprimierende  Wirkung  auf  das  Herz. 
Wenn  schon  durch  den  Sauerstoff  allein  diese  üble  Chloroformwirkuug  bis  zu  • 
einem  gewissen  Grade  gebessert  wird,  so  kann  man  mit  der  Kombination  dieser 
Narkose  mit  Äther  eine  noch  viel  intensiver  anregende  Einwirkung  auf  das 
Herz,  und  damit  eine  Steigerung  des  Blutdruckes  bewirken. 

Natürlich   ist    es    auch   möglich,    die  Chloroformnarkose  ohne  Sauerstoff 
nur  mit  Äther  kombiniert  dahin   zu   beeinflussen,    daß    der  Blutdruck  ebenfalls 


—     551     — 

uoi'iiial  bleibt  und  nicht  Depressionen  gefährlicher  Art  durch  die  Chloroform- 
wirkung' entstehen.  Allein  man  braucht  dazu  viel  mehr  Äther,  und  es  liegt 
dann  immer  die  Gefahr  nahe,  daß  der  Äther  an  sich  den  Organismus  übel  l)e- 
einflusse.  Der  Sauerstoff  ist  in  der  Kombination  mit  den  Narkotika  ein  vor- 
zügliches Mittel  zur  Unterstützung  der  narkotischen  Kraft,  und  somit  zur  Ver- 
tiefung der  Narkose  und  Ersparnis  von  Narkotikummengen.  Darin  liegt  der 
große  Wert  der  Sauerstoffgegenwart,  daß  man  mit  den  geringsten  Mengen  des 
zugefügten  Äthers  oder  Chloroforms  schon  intensive  Einwirkungen  erzielt  und 
das  zweite  Narkotikum  in  so  geringen  Mengen  nur  zu  verabreichen  braucht,  daß 
eine  üble  Wirkung  desselben  ausgeschlossen  ist. 

Nach  diesen  Untersuchungen  wollen  wir  nunmehr  diese  Kombination  der 
beiden  Narkotika  auch  auf  ihre  Einflüsse  auf  die  inneren  lebenswichtigen  Organe 
untersuchen.  Es  ist  dafür  zuerst  die  Narkose  mit  der  Grundlage  von  Chloro- 
form und  der  Ergänzung  durch  Äther  zu  betrachten,  und  zwar  ganz  analog 
den  bei  der  einfachen  Chloroformsauerstoffnarkose  vorgenommenen  Experimenten 
soll  auch  diese  Methode  behandelt  werden.  —  Die  mit  dieser  Kombination  an 
Hunden  vorgenommene  Narkose  wurde  genau  so  ausgeführt,  und  zwar  wurde 
dabei  durch  direkte  Messung  des  Blutdruckes  derart  verfahren,  daß  durch  die 
Kombination  des  Äthers  die  Blutdruckhöhe  immer  dicht  über  der  Normalblut- 
druckhöhe sich  befand.  Diese  Narkose,  welche  den  Blutdruck  immer  normal 
erhält,  ist  die  denkbar  beste  Narkose,  und  da  bei  den  Tieren  die  Pulskontrolle 
bedeutend  erschwert  ist,  so  habe  ich  den  Blutdruck  direkt  durch  Messung 
mittels  Manometers  bestimmt  und  die  Äthergaben  nach  dem  Blutdruck  ein- 
gerichtet. So  wurde  das  Tier  viermal  in  Zwischenräumen  von  je  12 — 20  Stunden 
narkotisiert,  und  zwar  dauerte  jede  Narkose  1 — 1^/4  Stimde.  Nach  diesen 
Narkosen  wurde  das  Tier  getötet  und  die  inneren  Organe  wurden  untersucht. 
Was  nun  zuerst  den  Verlauf  dieser  Narkosen  anlangt,  so  war  der  Verbrauch 
an  Chloroform  und  Äther  auffallend  gering,  es  war  zwar  die  Narkose  haupt- 
sächlich eine  Chloroformnarkose,  doch  auch  der  Äther  wirkte  mit,  aber  in 
jeweiligen  Mengen,  die  üble  Wirkungen  auf  den  Organismus  nicht  ausüben 
konnten.  Weiter  war  die  Exzitation  eine  sehr  geringe,  die  Toleranz  trat  sehr 
rasch  ein  und  die  Narkose  war  tief  und  ruhig.  Die  Untersuchung  der  Organe 
der  Tiere  nach  den  Narkosen  ergab  folgendes  Bild.  Die  Narkosen  waren  im 
allgemeinen  genau  so  ausgeführt,  wie  die  Experimente  mit  den  Chloroform- 
sauerstoffnarkosen. 

Die  Befunde  waren  also  direkt  mit  denen  nach  den  Narkosen  mit 
Chloroformsauerstoff  oder  mit  Aethersauerstoff  zu  vergleichen.  Das  Befinden 
der  Tiere  war  nach  diesen  vier  langen  Narkosen  immer  ein  gutes,  jedenfalls 
bedeutend  besseres,  als  nach  vier  einfachen  Chloroformnarkosen.  Von  denselben 
starb  nur  ein  Tier  am  Ende  der  vierten  Narkose,  die  anderen  hätten  noch 
weiter  gelebt,  wenn  sie  nicht  für  die  Sektion  hätten  getötet  werden  müssen. 
Die  Veränderungen  im  Zentralnervensystem  waren  im  ganzen  bedeutend  weniger 
ausgebreitet,  als  nach  den  Chloroformsauerstoffnarkosen.  Die  Veränderungen, 
welche  sich  im  Zerebrum  fanden,  bestanden  hauptsächlich  in  Fettmetamorphose 
der  Gefäßwandungen,  und  zwar  fand  sich  die  Fettmetamorpbose  spärlicher  als 
nach  Chloroformsauerstoffnarkosen,  es  waren  entschieden  weniger  Gefäße  er- 
griffen. Vielleicht  sind  aber  die  ersten  Anfänge  der  Affektion  in  manchen 
Gefäßwandzellen  übersehen  worden.  Wenn  man  vielleicht  bei  noch  genauerer 
Untersuchung  der  Präparate  und  Beachten  auch  der  geringsten  Fettanhäufungen 
in  den  Gefäßwandungen  eine  gleiche  Anzahl  von  erkrankten  Gefäßen  findet, 
so  muß  man  doch  entschieden  die  Veränderung  als  bedeutend  geringer  ansehen, 


—     552     — 

als  uach  den  Chloroformsauerstoffuarkoseu.  Die  Fetttropfeu,  welche  ich  in  dem 
Zerebrum  analog  den  früheren  Angaben  fand,  waren  nur  klein,  von  feinem  und 
mittelfeinem  Korn  und  in  viel  geringerer  Zahl  vorhanden,  meist  nur  2 — 3, 
selten  5 — 6  Tropfen  in  einem  Gefäßquerschnitt.  Mau  kann  sagen,  daß  die 
Affektion  bedeutend  geringer  war  als  uach  den  Chloroformsauerstoffnarkosen, 
doch  war  sie  deutlich  nachweisbar  und  erkennbar.  In  den  Ganglienzellen  war 
bisweilen  wenig  Fett  zu  linden,  hier  und  da  einige  feine  Fetttropfen  im  Proto- 
plasma derselben.  Die  Fettmetamorphose  der  Gefäße  war  sowohl  im  Groß-  wie 
Kleinhirn  gleich  stark  vorhanden. 

Die  weitereu  pathologischen  Einwirkungen  der  Narkose  auf  das  Herz 
waren  nur  sehr  gering  und  wenig  deutlich,  wenn  auch  Fett  hier  und  da  in 
den  üblichen  Mengen  zu  finden  war,  so  war  dasselbe  doch  in  viel  geringeren 
Mengen  vorhanden,  man  findet  in  den  Muskelfasern  die  Querstreifung  ver- 
waschen und  nicht  deutlich,  und  in  der  Gegend  der  Kerne  sind  Haufen  von 
Fetttropfen  vorhanden,  welche  in  tjqjischer  Weise  angeordnet,  aber  viel  weniger 
groß  sind  als  bei  der  Chloroformsauerstoffwirkung.  Die  Fetttropfen  sind  kleiner 
und  weniger  zahlreich,  und  es  gibt  hier  und  da  auch  Stellen  im  Myocard,  wo 
in  den  Fasern  kein  Fett  zu  finden  ist.  Wenn  auch  diese  noch  von  der  Fett- 
metamorphose weniger  ergriffeneu  Stellen,  in  denen,  Avenn  auch  Fett  fehlt,  so 
doch  die  Struktur  verwaschen  und  undeutlich  ist,  selten  und  klein  sind,  so 
zeigen  sie  doch,  daß  das  Chloroform  in  diesen  Narkosen  bei  weitem  weniger 
toxisch  eingewirkt  hat.  Nirgends  finden  sich  im  Myocard  Fasern,  welche  voll- 
kommen mit  feinen  Fetttropfen  durchsetzt  sind,  immer  findet  man  nur  kleine 
Haufen  neben  den  Kernen. 

Die  Befunde  in  der  Leber  sind  allerdings  bei  weitem  hochgradiger  als 
im  Herzen.  Die  Leber  bietet  in  toto  das  Bild  der  trüben  Schwellung  und  zeigt 
mäßige  Hyperämie.  Die  Zellen  sind  trübe,  wolkig  und  ungleichmäßig  gefärbt, 
die  Konturen  sind  verAvaschen,  man  erkennt  aber  noch  meist  die  Begrenzungen 
der  einzelnen  Zellen.  In  den  nach  F  1  e  m  m  i  n  g  behandelten  Schnitten  sieht 
man  reichlich  Fett  in  den  Leberzellen.  Meist  findet  mau  die  Zellen  mit  einigen 
feinen  bis  stellenweis  mittelgroßen  Fetttropfen  erfüllt,  es  lassen  sich  2 — 5  Tropfen 
im  Protoplasma  zählen.  Man  erkennt  deutlich  beim  Vergleich  mit  den  Ver- 
änderungen nach  Chloroformsauerstoftnarkosen  eine  bedeutend  geringere  Äff  ektion 
der  Zellen.  Die  Fettansammlung  ist  in  dem  Zentrum  der  Acini  bedeutend 
weniger  und  geringer  als  in  der  Peripherie  der  Acini;  während  in  den  Zellen 
der  zentralen  Partien  1 — 3  Fetttropfen  meist  feinen  Kornes  zu  finden  sind, 
gewahrt  man  in  den  Zellen  der  peripheren  Gewebsteile  3 — 5  Tropfen,  uud  zwar 
sind  dieselben  bisAveilen  von  mittelgroßem  Korn.  Durch  diese  verschieden 
starke  Äffektion  der  Leber  erhält  man  bei  der  Betrachtung  der  Präparate  mit 
schwacher  Vergrößerung  ein  fleckiges  Aussehen  der  Leberstruktur,  Aveil  die 
schwarz  gefärbten  Fetttropfen  in  den  peripheren  Zellen  dunklere  Färbung 
hervorbringen,  als  die  viel  spärlicheren  und  feineren  Tröpfchen  in  den  Zentren 
der  Acini.  Es  ist  diese  Verteilung  der  Fettmetamorphose  stets  vorhanden. 
Entgegen  den  Veränderungen  nach  vier  Chloroformsauerstoffuarkoseu  fehlt  hier 
die  Nekrose  und  der  Zerfall  der  Lebex'zellen  A^ollkommen.  Findet  sich  Nekrose 
und  Zerfall  in  den  peripheren  Teilen,  so  erhält  man  bei  der  Färbung  mit 
Hämatoxylin-Eosin  der  Präparate  gerade  das  entgegengesetzte  Aussehen,  weil 
die  nekrotischen  Protoplasmaschollen  wenig  oder  gar  keine  Farbe  annehmen, 
so  daß  das  Lebergewebe  daselbst  heller  gefärbt  erscheint.  Die  Bilder  der 
Leberpräparate  nach  den  vier  Chloroformäthersauerstoffuarkosen  zeigen  also 
eine  viel  geringere  Veränderung  in  der  Leber  als  die  Chloroformsauerstoff- 
uarkoseu hervorzurufen  vermögen.  Immerhin  sind  aber  die  Leberaffektionen 
doch  recht  beträchtlich,  stärker  verhältnismäßig  als  die  Veränderungen  im 
Herzen.  Wenn  man  nun  die  Leber  nach  ein  oder  zwei  solchen  Chloroform- 
äthersauerstoffnarkosen untersucht,  so  gewahrt  man  allerdings  noch  recht 
geringe  Affektion  der  Zellen,  nach  einer  60  Minuten  dauernden  Narkose  fand 
sich  in  dem  resezierten  Leberstück  noch  keine  nennenswerte  Fettmetamorphose, 
während  nach  zwei  Narkosen  dieselbe  schon  deutlich  nachweisbar  war.  Man 
erkennt  also  doch  aus  dieseu  Befunden,  daß  die  Gefahr  der  Fettmetamorphose 
in  diesen  Narkosen  eine  geringere  ist  als  nach  allen  bisher  üblichen  Narkosen. 


—      553     — 

In  deu  Nieren  waren  die  Veränderungen  nach  vier  Narkosen  verhältnis- 
mäßig' ähulicli  denen  in  der  Leber.  Es  fand  sich  hier  deutliche  Fettmeta- 
morphose in  den  Tubuli  contorti,  hier  war  in  den  Zellen  das  Fett  in  feinen 
und  mittelgroßen  Tropfen  zu  linden,  meist  4 — 6  Tropfen,  während  Neki'ose  und 
Zerfall  der  Epithelien  hier  nicht  vorhanden  war.  In  den  Tubuli  recti  war  das 
Fett  bedeutend  spärlicher  voi'handen,  man  sieht  hier  oft  nur  einige  feine  Fett- 
tröpfcheu  im  Protoplasma,  stellenweise  sind  die  Zellen  ganz  ohne  Fett,  ebenso 
ist  in  den  Zellen  dei-  Harnkanälchen  der  Pyramiden  nur  selten  Fett  zu  finden. 
Hauptsächlich  sind  die  Nierenepithelien  der  Tubuli  contorti  affiziert.  In  den 
Glomeruli  ist  kein  Fett  vorhanden,  es  findet  sich  mäßige  Hyperämie,  auch  in 
der  übrigen  Niei-e  ist  Hyperämie  mäßigen  Grades  vorhanden,  doch  sind 
Hämoi-rhagien  auch  subkapsulär  nicht  zu  finden.  Die  Nierenepithelien  zeigen 
durchweg  trübe  Schwellung  und  die  Konturen,  die  Niereustruktur,  die  Zell- 
grenzen sind  undeutlich,  verwaschen.  Diese  Affektion  der  Niere  ist  entschieden 
weniger  und  geringer,  als  ich  sie  nach  vier  Chloroformsauerstoffuarkosen  ge- 
funden habe.  Wenn  man  die  Niere  nach  zwei  solchen  Chloroformäthersauerstoff- 
narkosen untersucht,  so  läßt  sich  jetzt  eine  eben  beginnende  Fettmetamorphose 
finden.  Fett  ist  nur  in  feinen  Tropfen  in  den  Zellen  der  Tubuli  contorti  zu 
finden,  während  in  deu  Zellen  der  übrigen  Niere  noch  keine  Fetttropfen 
auftreten. 

Die  Befunde  in  den  Lungen  sind  folgende  gewesen.  Während  dieser 
Narkosen  bemerkte  man  nur  eine  ganz  mäßige  Vermehrung  der  Schleim-  und 
Speichelsekretion  im  Mund  und  Rachen.  Die  Untersuchung  der  Lungen  der 
viermal  narkotisierten  Tiere  ergibt  folgenden  Befund.  In  den  Alveolen  der 
Lungen  finden  sich  nur  an  wenigen  Stellen  geringe  Mengen  von  augesammelten 
Schleimmassen,  nirgends  werden  die  Alveolen  von  diesen  Schleimmengen  erfüllt, 
auch  in  den  Alveolen  der  während  der  Narkosen  bei  der  Lagerung  abhängigen 
Partien  der  Lungen  ist  nicht  mehr  Schleim  zu  finden,  man  sieht  daselbst  nur 
ab  und  zu  einige  Alveolen  bis  zur  Hälfte  von  Schleim  angefüllt.  Im  Lungen- 
gewebe ist  eine  bedeutende  Hyperämie  nicht  zu  finden,  Hämorrhagien,  paren- 
chymatöse wie  subpleurale,  sind  nicht  zu  sehen.  Wenn  man  nun  die  Unter- 
suchung der  Lungen  nach  der  Flemming  sehen  Methode  vornimmt  und  die 
Präparate  betrachtet,  so  gewahrt  man  in  den  Zellen  des  respiratorischen 
Epithels  eine  mäßige  Fettmetamorphose.  Man  findet  in  den  Zellen  der  Alveolen, 
in  den  Zellen  der  Bronchialschleimhaut  feine  Fetttropfen,  deren  Zahl  wechselnd 
von  einigen  wenigen  bis  zu  5 — 6  Tropfen  festgestellt  wird,  und  es  zeigen  sich 
nicht  alle  Zellen  des  respiratorischen  Epithels  gleichmäßig  ergriffen,  sondern 
nur  hier  und  da  kann  man  die  affizierten  Zellen  nachweisen.  Es  ist  zweifellos 
diese  Affektion  der  Lunge  geringer  als  bei  den  Chloroformsauerstoffnarkosen, 
doch  ist  der  Unterschied  nicht  sehr  stark.  Während  die  Fettmetamorphose 
nicht  viel  geringer  zu  finden  ist,  kann  man  die  Salivation  besonders  reduziert 
nennen,  die  Schleimabsoudei'ung  ist  viel  geringer  als  nach  den  Chloroform- 
sauerstoffnarkosen. Dieser  letztere  Befund  ist  sehr  wichtig,  denn  er  zeigt,  daß 
der  nebenbei  verwendete  Aether  in  solch  geringen  Mengen  nur  angewendet 
worden  ist,  daß  er  eine  vermehrte  Salivation  nicht  bewirken  konnte.  Es  ist 
dies  auch  das  erste  Erfordernis  bei  der  Kombination  der  beiden  Narkotika, 
daß  das  zweite  nur  zur  Hilfe,  nicht  als  selbständig  wirkender  Körper  ver- 
wendet wird. 

Die  Veränderungen  nach  der  Chloroformäthersauerstoffnarkose  zeigen  im 
großen  und  ganzen  in  den  Veränderungen  in  den  Orgauen  die  Chloroforni- 
wirkungen  an  sich.  Es  soll  nun  das  Resultat  der  Einwirkungen  der  Äther- 
chloroformsauerstoff'narkose  besprochen  werden,  bei  welcher  das  Chloroform, 
wie  oben  schon  erörtert  wurde,  nur  in  minimalen  Mengen  verabreicht  wird. 
Die  Experimente  wurden  in  genau  derselben  Art  vorgenommen  und  es  fand 
sich  hei  den  Tieren  nach  vier  Narkosen  in  dem  Zentralnervensystem  eine  Fett- 
metaraorphose  sehr  geringen  Grades,  wie  sie  der  einfachen  Äthernarkose  bei 
gleicher  Dauer  der  Einwirkung  noch  lange  nicht  eigen  ist.  Das  Fett  in  den 
Wandungen  der  Blutgefäße  ist  zwar  deutlich  vorhanden,  doch  ist  dasselbe  nur 


—     554     — 

in  kleinen  Mengen  zn  finden,  die  Tropfen  sind  fein  und  mittelgroß  und  es  sind 
nur  4 — 6  an  einem  Haufen  beteiligt.  Vielfach  findet  man  diese  Fetthaufen  in 
den  Kapillaren,  und  es  erfüllt  das  Fett  dann  eine  Zelle  der  Wandung  voll- 
kommen. Jedenfalls  ist  diese  Affektion  bedeutend  weniger,  aber  doch  deutlich 
zu  finden.  In  den  Cxanglienzellen  ist  nur  selten  wenig  Fett  in  feinen  Tropfen 
zu  sehen. 

Die  Veränderungen  im  Herzen  sind  ebenfalls  nur  sehr  gering,  das 
Mj'ocard  zeigt  trübe  Schwellung  und  in  den  Muskelfasern  findet  sich  ab  und 
zu  Fett  in  kleinen  Haufen  neben  den  Kernen,  nicht  alle  Fasern  sind  befallen, 
doch  findet  man  immerhin  das  Fett  so  oft,  daß  jede  zweite  Faser  solches  zeigt, 
aber  die  Haufen  sind  klein.  Die  Querstreifung  ist  stellenweis  erhalten,  stellen- 
weis vollkommen  verschwunden. 

In  der  Leber  ist  bedeutend  stärkere  Fettmetamorphose  zu  finden.  Die 
Leberzellen  sind  trübe  geschwollen,  das  Protoplasma  ist  wolkig,  die  Zellgrenzen 
sind  verwaschen  und  undeutlich.  In  den  Zellen  im  Zentrum  der  Aciui  ist 
wenig  Fett,  1 — 3  Tropfen  feinen  Kornes  sind  hier  und  da  zu  finden,  daneben 
sind  Zellen,  in  denen  kein  Fett  vorhanden  ist,  es  sind  hier  die  Hälfte  der 
Zellen  nicht  von  Fett  erfüllt.  In  den  Zellen  der  Peripherie  ist  viel  Fett  vor- 
handen, alle  Zellen  sind  befallen,  es  finden  sich  3 — 6  Tropfen  in  den  Zellen. 
Nekrose  ist  nicht  vorhanden.  Die  Leber  ist  wenig  hyperämisch,  Hämorrhagien 
sind  nicht  nachweisbar.  Diese  Affektion  der  Leber  ist  entschieden  geringer 
als  nach  Aethersauerstoffnarkosen.  Nach  einer  Narkose  findet  sich  in  der  Leber 
noch  sehr  wenig  Fett,  nur  hier  und  da  sieht  man  in  den  peripheren  Partien 
die  Zellen  von  einigen  feinen  Fetttropfen  erfüllt,  sonst  sieht  man  nur  trübe 
Schwellung  der  Zellen.  Nach  zwei  Narkosen  ist  die  Fettmetamorphose  schon 
deutlich,  man  sieht  deutliche  Fettmassen  in  den  Zellen  der  Peripherie  der 
Aciui. 

Die  Nieren  zeigen  ein  ähnliches  Bild.  In  den  Zellen  der  Tubuli  contorti 
findet  sich  reichlich  Fett  in  feinen  bis  mittelgroßen  Tropfen  von  2 — 6  Stück, 
Nekrose  ist  nicht  vorhanden.  In  den  Nierenepithelieu  der  Tubuli  recti  ist  nicht 
immer  Fett  nachweisbar.  Allerdings  findet  sich  in  den  meisten  Zellen  etwas 
Fett,  1 — 3  Tropfen,  doch  sind  auch  zahlreiche  Zellen  ohne  Fett  deutlich  zu  sehen, 
in  den  Pyramiden  ist  wenig  Fett  zu  finden.  In  allen  Zellen  aber  sieht  man 
deutlich  die  trübe  Schwellung,  das  Protoplasma  ist  körnig,  wolkig  und  färbt 
sich  ungleichmäßig.  Wenn  man  auch  nicht  überall  Fett  findet,  so  ist  doch  der 
Beginn  der  Fettmetamorphose  deutlich  überall  vorhanden. 

Diese  Fettmetamorphose  in  den  Nieren  ist  bedeudent  geringer  als  bei 
der  einfachen  Aethernarkose.  sie  ist  auch  etwas  weniger  wie  bei  der  Aether- 
saiierstoffnarkose,  aber  sie  ist  immerhin  stark  vorhanden.  Daneben  findet  sich 
mäßige  Hyperämie  der  Niereu,  keine  Hämorrhagien,  in  den  Glomeruli  ist  kein 
Fett,  doch  sind  dieselben  hyperämisch. 

Bedeutender  als  all  diese  Affektionen  sind  die  Veränderungen  in  den 
Lungen.  Hier  findet  man  nur  eine  sehr  mäßige  Salivation.  Es  zeigen  sich  in 
den  abhängigen  Partien  der  Lungen  Stellen,  wo  die  Alveolen  mit  Schleim  erfüllt 
sind,  doch  es  sind  diese  Bezirke  klein  aber  häufig,  und  es  ist  keine  Ruudzellen- 
infilti'ation  in  der  Umgebung.  Die  Alveolen  sind  total  oder  zur  Hälfte  in  diesem 
Bezirke  mit  Schleim  erfüllt.  Diese  infiltrierten  Bezirke  waren  nur  in  den  ab- 
hängigen Bezirken  zu  finden  und  nicht  sehr  zahlreich  und  groß.  Es  ist  also 
noch  eine  geringe  Salivation  vorhanden. 

Was  die  Epithelzellen  anlangt,  so  fand  sich  eine  mäßige  Fettmetamorphose, 
die  etwas  geringer  ist,  als  nach  Äthersauerstoffnarkosen.  Es  war  in  den  Zellen 
der  Alveolen  und  den  Epithelzellen  der  Bronchialschleimhaut  Fett  in  feinen 
Tropfen  zu  finden,  doch  nicht  in  allen  Zellen,  es  waren  nur  hie  und  da  einige 
Zellen  erkrankt,  die  anderen  waren  gesund.  Diese  Fettmetamorphose  war  stärker 
in  den  Alveolen  als  in  den  Bronchien.  In  der  Lunge  Avar  deutliche  geringe 
Hyperämie  vorhanden,  doch  waren  keine  Hämorrhagien  im  Pai'enchym  wie 
subpleural  vorhanden.  Diese  Affektion  der  Lungen  ist  wenig  verschieden  von  der 
bei  der  Aethersauerstoffnarkose,  doch  etwas  geringer. 


—      oOo      

Die  Respii'atioii  wird  iu  dieser  Narkose  nur  wenig'  beeinflußt,  bei  den 
Narkosen  an  Ki-aiiken  findet  man  weder  Cj^anose  im  Gesicht,  noch  röchelnde 
Atmung,  der  Stertor  der  Aetkernarkose  fehlt  vollkommen.  Auch  die  im  Rachen 
veiTnehrt  abgesonderten  Speicheiniengen  sind  auffallend  gering.  Es  ist  nur  wenig 
Speichel,  dei'  bei  der  dorsalen  Reklination  des  Kopfes  aus  Mund  und  Nase  fließt. 
Es  wird  daher  auch  kein  Rasseln  und  stertoröses  Atmen  ei'zeugt,  weil  der 
Speichel  fehlt,  der  den  Kehlkopfeingang  verlegt.  Die  Atemtätigkeit  wird  in 
dieser  Narkose  ebenfalls  wenig  beeinflußt,  die  Zahl  der  Atemzüge  war  immer 
über  der  normalen  Atniungszahl,  auch  die  Intensität  und  Tiefe  der  einzelnen 
Atemzüge  wird  nicht  deprimiert,  sondern  die  Atmung  bleibt  fast  normal.  Die 
Kontrolle  der  Atemzüge  in  der  Minute  während  der  Narkose  ergab  vollkommen 
normale  Zahlen. 

Es  sind  somit  die  Einwirkungen  dieser  Narkosen  auf  die  inneren  Organe 
erörtert  worden,  und  wir  werden  nun  diese  Befunde  kurz  kritisch  betrachten 
und  miteinander  vergleichen.  Man  hat  hier  zwei  an  sich  verschiedene  Narkosen 
vor  sich,  die  eine,  welche  Chloroform  in  vermehrten  Dosen  verabreicht  und 
hauptsächlich  als  Chloroformnarkose  aufzufassen  ist,  und  welcher  Äther  nur  in 
ganz  geringem  Maße  beigegeben  wird,  und  die  andere,  welche  den  Äther  als 
Grundlage  hat  und  Chloroform  zur  Aushilfe  in  geringen  Dosen  verwendet.  Der 
Hauptvorteil  dieser  Narkosen  liegt  eben  darin,  daß  man  den  Kranken  je  nach 
den  obwaltenden  somatischen  Verhältnissen  unter  die  eine  oder  andere  Narkose 
versetzt,  und  das  zweite  Narkotikum  nebenbei  verabreicht,  aber  nur  in  Dosen, 
daß  es  allein  narkotisch  wirkt,  also  das  Hauptnarkotikum  unterstützt,  und  nui" 
noch  in  seinen  günstigen  Wirkungen  auftreten  kann,  während  es  aber  nicht 
vermag,  die  ihm  eigenen  toxischen  Einwirkungen  in  wesentlicher  Art  zu  ent- 
falten. Es  war  von  vornherein  fraglich,  ob  man  in  der  Praxis  dies  erreichen 
konnte.  Die  Experimente  sind  deshalb  von  mir  herangezogen  worden,  und  es 
waren  von  Anfang  an  zwei  Möglichkeiten  vorhanden,  nämlich  die  eine,  welche 
darin  bestand,  daß  die  Experimente  mit  diesen  kombinierten  Narkosen  eine 
w^esentlich  stärkere  toxische  Wirkung  des  Narkotikums,  das  als  Grundlage  ge- 
wählt worden  war,  ergaben,  die  sich  einerseits  in  einer  stärkeren  Fettmeta- 
morphose, andererseits  in  einer  hochgradigeren  Salivation  und  Schleimabsonderung 
sowie  Beeinflussung  des  Blutdruckes,  als  man  diese  pathologischen  Zustände 
bei  den  einfachen  Chloroform-  oder  Äther-Sauerstoffnarkosen  nachgewiesen 
hatte,  dartun  mußte,  und  die  zweite  Möglichkeit,  welche  eine  Veränderung  iu 
den  inneren  Orgauen,  also  eine  toxische  Wirkung  der  Narkose  zeigte,  die  der 
nach  der  einfachen  Chloroform-  oder  Äthersauerstoffnarkose  entweder  gleich 
war,  oder  sich  sogar  geringer  als  diese  erwies.  Es  ist  die  zweite  Möglichkeit 
eingetroffen,  und  es  haben  die  Resultate  bewiesen,  daß  man  durch  die  Kom- 
bination eine  geringere  toxische  Wirkung  erlangen  kann.  Es  muß  aber  ganz 
besonders  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  daß  es  in  der  Hand  des  Nar- 
kotiseurs  stets  gelegen  ist,  ob  er  dies  erreicht  oder  nicht.  Er  kann  es  sehr 
leicht  erreichen,  ^  wenn  er  einen  entsprechenden  Narkoseapparat  zur  Verfügung 
hat  und  dabei  die  Vorschriften  der  Beobachtung  und  Dosierung  genau  innehält. 
Man  hat  ein  sehr  einfaches  Mittel,  um  zu  prüfen,  ob  eine  ausgeführte  Narkose 
günstig  für  den  Kranken  geleitet  worden  ist,  und  dieses  Mittel  ist  in  der  zur 
Narkose  verwendeten  Menge  beider  Narkotika  und  der  Zeitdauer  der  Narkose 
gegeben.  Je  kleiner  die  Menge  des  Gesamtverbrauchs  an  Narkotikum  ist,  um 
so  günstiger  ist  die  Narkose  für  den  Kranken  gewesen.  Man  kann  da  nicht 
Zahlen  angeben,  denn  dieselben  schwanken  zu  erheblich,  und  es  kommt  auf  zu 


—     556      — 

viel  Verhältnisse  au,  welche  den  Narkotikum verhrauch  beeinflussen;  es  muß  daher 
jeder  Narkotiseur  mit  der  Zeit  der  Übung  und  Praxis  in  dieser  Narkose  sich 
selbst  eine  Skala  bilden,  welche  ihn  die  Zahlen  beurteilen  lehrt.  Er  wird  mit 
der  Zeit  bei  größerer  Übung  mit  der  Hälfte  der  Dosis  auskommen  lernen, 
welche  Dosis  er  im  Anfange  seiner  Tätigkeit  brauchte.  Da  man  in  jedem 
Falle  das  zweite  Narkotikum  je  nach  dem  Bedarf,  nach  den  Forderungen,  die 
durch  den  Verlauf  der  Narkose  augezeigt  werden,  und  nach  den  somatischen 
Verhältnissen  sowie  pathologischen  Zuständen  des  Kranken  verabreichen  muß, 
immer  bestrebt,  das  Grundnarkotikum  zu  unterstützen,  aber  an  beiden  so  viel, 
als  nur  irgend  angängig  ist,  zu  sparen,  so  wird  man  erkennen,  daß  man  nicht 
angeben  kann,  wieviel  Chloroform  und  wieviel  Äther  verabreicht  werden  darf. 
Dies  hängt  vor  allen  Dingen  von  der  Beobachtungsgabe  und  Übung  des  Nar- 
kotiseurs  ab,  denn  er  muß  quasi  fühlen,  wieviel,  wann  und  warum  er  das  eine 
verabreichen,  das  andere  weglassen  oder  beide  zugleich  geben  soll.  Man  er- 
kennt unschwer,  daß  die  ideale  Narkose  nicht  von  jedem  Arzte  geleitet  werden 
kann,  sondern  daß  er  erst  eine  gewisse  Übung  erlangen  muß.  Aber  diese  Übung 
kann  er  bald  erlangen,  wenn  er  öfter  auf  diese  Art  narkotisiert  und  überhaupt 
Interesse  für  die  Narkose  besitzt.  Es  ist  ja  bekanntlich  gar  nicht  schwer,  eine 
Narkose  derart  zu  leiten,  sobald  man  nur  den  Kranken  beobachtet  und  alle 
Zeichen  und  Veränderungen  in  der  Herzaktion  und  Atemtätigkeit  kennt,  ver- 
steht und  ausnützen  gelernt  hat,  so  daß  man  Aveiß,  was  gegen  diese  xmd  jene 
zu  tun  ist.  Es  hat  sich  nach  den  Experimenten  mit  den  kombinierten  Narkosen 
sogar  ergeben,  daß  die  Einwirkungen  auf  die  Tiere  und  deren  interne  Organe 
geringer  waren,  als  man  die  Veränderungen  in  den  Organen  nach  gleich  langen 
einfachen  Sauerstoffnarkosen  fand.  Wenn  auch  diese  Verminderung  der  Fett- 
metamorphose nicht  nach  Zahlen  ausdrückbar,  sondern  nur  verhältnismäßig 
gering  war,  so  war  doch  ein  deutlicher  Unterschied  vorhanden,  welcher  zum 
Vorteil  der  kombinierten  Sauerstoffnarkosen  entschied.  Man  ersieht  also  daraus, 
daß  die  Kombination  des  Chloroforms  mit  dem  Äther  eine  bedeutend  günstigere 
Narkose  bewirkt.  Es  fragt  sich  nun,  wodurch  erreicht  man  eine  geringere  Fett- 
metamorphose bei  der  Kombination  zweier  Narkotika,  wo  doch  früher  nachge- 
wiesen wurde,  daß  durch  gleichzeitige  Verwendung  zweier  Narkotika  ebensogut 
die  üblen  wie  die  günstigen  Einwirkungen  addiert  werden.  Man  versetzt  be- 
kanntlich einen  Kranken  unter  eine  größere  Gefahr,  wenn  man  ihn  mit  der 
Mischung  von  Chloroform  -\-  Äther  ää  narkotisiert,  als  wenn  man  ihn  nur  mit 
einem  Narkotikum  betäubt.  Es  ist  dies  ja  der  größte  Nachteil  der  Misch- 
narkose, und  es  liegt  gerade  darin  der  Vorzug  der  kombiniertan  Narkose  vor 
der  Mischnarkose,  daß  die  erstere  betrebt  ist,  die  günstigen  Einwirkungen 
der  verwendeten  Narkotika  nur  zu  addieren,  während  sie  die  üblen  Einflüsse 
zu  vermindern  sucht,  aber  nicht  auch  diese  sich  addieren  läßt.  Wo  letzteres 
vor  sich  geht,  hat  man  es  mit  einer  ganz  unbrauchbaren  Methode  zu  tun, 
welche  nicht  verwendbar  ist.  Es  ist  schon  oben  gesagt,  daß  man  durch  die 
feinste  Dosierung  und  durch  die  Verabreichung  der  minimalsten  eben  nur  wirk- 
samen Menge  des  zweiten,  sekundären  Narkotikums  erreicht,  daß  nur  die  günstigen 
Eigenschaften  der  Narkotika  sich  addieren  und  die  üblen  des  sekundären  noch  nicht 
zur  Wirkung  gelangen  können.  Ganz  wie  es  oben  bei  der  Betrachtung  der 
Chloroformsauerstoff-  und  der  Äthersai;erstofi:narkose  erörtert  wurde,  so  ist  auch 
hier  die  Hauptbesserung  der  toxischen  Wirkung  nicht  nur  auf  den  Sauerstoff  direkt. 


—     557     — 

sondern  auch  auf  die  Ersparnis  an  Narkotikummeugen  und  die  für  Narkose  kleinere 
verwendete  Dosis  zu  beziehen.  Man  hat  bei  dieser  Kombination  von  Äther  und 
Chloroform  mit  Sauerstott'  die  günstigere  Einwii-kung  hauptsächlich  auf  die  ge- 
ringere Menge  Chloroform  und  Äther,  welche  zur  Chloroform- Athersauerstoffnarkose 
und  zur  Äther-Chloroformsauerstofi'narkose  nötig  ist.  zu  beziehen,  und  bei  genauer 
Prüfung  und  Vergleichen  zwischen  den  einfachen  und  kombinierten  Sauerstof?- 
narkosen  findet  man,  daß  das  Manko  an  Fettmetamorphose  nach  der  kombinierten 
Narkose  der  geringeren  Menge  Chloroform  entspricht.  Es  ist  immerhin  eine 
Differenz  unter  den  Mengen  der  Narkotika  vorhanden.  Einige  Beispiele  werden 
dies  dartun.  Für  viei-  Narkosen  an  einem  Tiere,  wie  sie  für  die  Experimente 
verwendet  wurden,  brauchte  man: 

bei  Tier         I  zu  4  Narkosen  ä  1 — 1^4  Std.  105  g  Chloroform  -|-  Sauerstoff 

300  g  Aether -|- Sauerstoff' 


I 

zu 

4 

N; 

arkos 

ien 

ä 

1- 

-IV. 

IIT 

11 

4 

« 

h 

1- 

-IV. 

IV 

): 

4 

11 

k 

1- 

-IV, 

80  g  Chloroform -)- 125  g  Aether -|- 
Sauerstoff  (Chloroformäther- 
s  aiierstoff  narko  se) 

„       „       VII    „4         „  ä  1 — IVi     „     l'i'5  g  Aether  +  50  g  Chloroform -f- 

S.   (Aether-Chloroformsauer- 
stoffnarkose.) 

„       „     VIII    „    4         „  ä  1—1  Vi     „       76  g  Chlorof.  + 100g  Aether -i-S. 

„       „       XII    „4         „  ä  1—1 V4     „     180  g  Aether  -f  35  g  Chiorof.  +  S. 

„       „  X    „    4         „  ä  1—1  Vi     1,     200  g  Aether  +  30  g  Chiorof.  +  S. 

„       „       XV    ,.4         „  ä  l—lVi     „       78  g  Chiorof.  + 104  g  Aether  +  S. 

„       „         II    ,;    4         „  ä  1—1 V4     „     120  g  Chloroform  +  S. 

„       „     XIV    „4  „  ä  1—1  Vi     „     100  g  Chloroform  +  S. 

„       „        VI    „4         „  ä  1-1  Vi     „     350  g  Aether  +  S. 

„     XVI    „4         „  ä  1— IV4     „     325  g  Aether -fS. 

■V^^enn  man  nun  diese  Zahlen  vergleicht,  so  findet  man  einen  bedeutenden 
Unterschied  an  Narkotikummengeu,  wenn  man  die  beiden  kombinierte.  Man 
muß  ja  für  den  Durchschnitt  die  Zahlen  durch  4  teilen,  um  die  ungefähren 
Zahlen  für  eine  Narkose  zu  erhalten,  allerdings  erhält  man  da  nur  ungefähre 
Zahlen;  denn  die  Mengen  differieren  gewaltig.  Man  braucht  für  die  erste  Nar- 
kose mehr  Narkotikum  als  für  die  zweite,  und  für  die  zweite  mehr  als  für  die 
dritte  etc..    denn  die  Tiere    sind  nach  einer  Narkose,    sobald  dieselbe  innerhalb 

24  Stunden  wenigstens  wiederholt  wird,  viel  weniger  widerstandsfähig,  als 
gegen  die  erste  Narkose,  ebenso  werden  sie  mit  jeder  weiteren  Narkose  leichter 
zu  betäuben.  Infolgedessen  hat  man  für  die  erste  Narkose  am  meisten  Nar- 
kotikum nötig,  während  man  für  die  vierte  Narkose  z.  B.  bedeutend  weniger 
braucht.  Aus  den  Zahlen  der  wenigen  hier  angeführten  Narkosen  geht  hervor, 
daß  man  für  die  kombinierten  Sauerstoffnarkosen  verhältnismäßig  weniger 
Narkotikum  braucht  als  für  die  einfachen  Narkosen,  Es  sind  die  Unterschiede 
beträchtlich  und  man  erkennt  bei  genauerer  Beurteilung  und  Prüfung  der  Zahlen, 
daß  die  Differenzen  viel  ausmachen.  Nimmt  man  z.  B.  Chloroform  in  der 
Chloroformäthersauerstoff'narkose  an,  so  beträgt  die  Diff'erenz  für  vier  Narkosen 
25 — 30  g,  also  pro  Narkose  6 — 8  g  Chloroform,  dafür  hat  man  100  g  Aether 
hinzugefügt,  also  durchschnittlich  pro  Narkose  25  g  Aether  mehr.  Wenn  man 
nun  bedenkt,  was  bedeuten  für  den  Organismus  6  g  Chloroform,  so  muß  man 
zugeben,  daß  diese  Menge  nicht  unwesentlich  ist  und  wohl  in  Betracht  kommt, 
denn  6  g  Chloroform  können  den  Organismus  ganz  gewaltig  schädigen,  vor 
allen  Dingen,  wenn  man  diese  6 — 8  g  als  Summand  zu  der  für  die  Narkose 
schon  verwendeten  Chloroformmenge  betrachtet,  dann  ist  es  absolut  bedeutungs- 
voll, wenn  jemand  mit  6 — 8  g  weniger  betäubt  werden  kann.  Im  Verhältnis 
zu  dem  schon  unter  Chloroformwirkung  stehenden  Organismus  sind  diese  6 — 8  g 
von  ganz  enormer  Bedeutung.     Diese  6 — 8  g  Chloroform  werden  ersetzt  durch 

25  g  Aether  sulfur.  Wenn  man  nun  im  Gegensatz  zu  den  8  g  Chloroform  die 
25  g  Aether  in  ihrer  Bedeutung  für  den  Organismus  an  sich  und  auch  für  den 


—     558     — 

schon  unter  Ckloroformwirkuug  stehenden  Organismus  beurteilt,  so  muß  man 
zu  der  Ueberzeugung  kommen,  daß  eine  solche  kleine  Menge  Aether,  die  mau 
bei  der  Genfer  Aethernarkose  auf  einmal  als  Anfangsdosis  verabreicht,  keine 
hohe  Bedeutung  für  den  Organismus  hinsichtlich  der  schädlichen  Wirkung, 
hinsichtlich  toxischer  Einflüsse  haben  kann,  denn  25  g  Aether  können  während 
der  Chloroformnarkose  weder  die  Fettmetamorphose  verschlimmern,  noch  Sali- 
vation  erzeugen,  vor  allen  Dingen  in  den  kleinen  Dosen,  in  denen  diese  25  g 
dem  Organismus  einverleibt  werden,  denn  man  gibt  dieselben  ja  in  wenigen 
Tropfen.  Wohl  aber  haben  diese  25  g  Aether  günstige  Einwirkungen  auf  den 
Blutdruck,  auf  die  Chloroformwirkung  und  auf  die  narkotische  Ki-aft.  Man 
kann  durch  diese  Aetherwirkung  die  Chloroform  Wirkung  unterstützen,  zu- 
gleich die  Herztätigkeit  anregen,  und  dadurch  der  depressiven  Chloroform- 
wirkung erfolgreich  steuern.  In  dieser  Hinsicht  hat  man  entschieden  eine 
deutliche  Verminderung  der  Narkotikumdosis,  die  für  die  Narkosen  nötig  ist. 
Aehnlich  liegen  die  Verhältnisse  bei  der  Aetherchloroformsauerstoffnarkose.  Bei 
derselben  hat  man  eine  Verminderung  des  Aethers  um  100 — 130  g  pro  4  Nar- 
kosen. Also  ist  pro  Narkose  25 — 30  g  Aether  weniger,  dazu  kommen  nun 
ca.  30  g  Chloroform,  also  8  g  pro  Narkose,  eine  Menge,  welche  natürlich  he- 
deutenden  Schwankungen  unterworfen  ist.  Immerhin  haben  die  Narkosen  ergeben, 
daß  man  für  eine  60 — 80  Minuten  daixernde  Aetherchloroformsauerstoffnarkose 
nicht  mehr  als  6 — 8  g  Chloroform  braucht.  Es  sind  also  hier  die  Verhältnisse 
derartige,  daß  man  die  Differenz  des  Aethers  durch  Chloroform  ersetzt,  wobei 
aber  natürlich  den  8  g  Chloroform  eine  größere  Bedeutung  zukommt  als  den 
30  g  Aether.  Immerhin  haben  die  8  g  Chloroform  keine  üblen  Wirkungen 
auf  die  inneren  Organe,  sie  wirken  nur  verstärkend  narkotisch  und  nicht  deletär. 
Die  momentan  in  der  Narkose  verabreichten  Dosen  von  Chloroform  haben  auf 
den  Blutdruck  keinen  depressiven  Einfluß,  sie  schädigen  auch  die  inneren 
parenchymatösen  Organe  nicht,  sondern  haben  nur  einen  stärkeren  narkotischen 
Einfluß  auf  die  Aetherwirkung.  Man  gibt  ja  im  Verlauf  der  langen  Narkose 
die  Chloroformdosen  nur  selten  zu  wenigen  Tropfen,  so  daß  im  Organismus  eine 
größere  Menge  Chloroform  während  der  Narkose  nicht  aufgespeichert  werden 
kann,  denn,  wenn  man  die  erste  Chloroformdosis  in  Form  von  ca.  10  Tropfen 
gibt  und  damit  Toleranz  erzielt,  so  hahen  diese  geringen  Mengen  den  Or- 
ganismus längst  wieder  verlassen,  wenn  man  nach  Verlauf  von  5 — 10  Minuten 
wieder  einige  Tropfen  Chloroform  braucht.  Somit  ist  es  unmöglich,  daß  das 
Chloroform  in  Dosen  im  Organismus  aufgehäuft  wird,  welche  schädlich  auf 
die  inneren  parenchymatösen  Organe  wirken  können.  Aus  diesen  wenigen 
Zahlen,  welche  aber  nur  sehr  relative  Mengen  angeben,  denn  diese  Narkosen 
sind  meist  am  Tiere  ausgeführt,  welches  widerstandsfähiger  ist  als  der  Mensch,  er- 
sieht man  immerhin  die  Hauptgrundgesetze  der  Narkosen.  Die  Zahlen  für 
diese  Tierexperimente  sind  übrigens  genau  entsprechend  den  Verhältnissen  beim 
Menschen.  Einige  Zahlen  von  Sauerstoffnarkosen  werden  diese  Verhältnisse 
erläutern.  Für  eine  Narkose 
1.  von  60  Min.  Dauer  wurde  verwendet  30  g  Chloroform  -f-  Sauerstoff 

35  g 

32  e 

55  55  55  _      S  55  55 

55  55  55  ^^      §"  55  55 

„  „  „         108  g  Aether  +  Sauerstoff 

„  „  „         120  g  Aether  -\-  Sauerstoff 

„  „  „  20  g  Chlorof.-|- 35  g  Aether -[-Säuerst. 

18  g-        5,  30  §•        „ 

16  g'         5,  26  g        „ 

„  „  „  75  g  Aether  -|- 10  g  Chlorof .  -)-  Säuerst. 

„  90  g        ..  8  g 

85  g        „         11g 

Aus  diesen  Zahlen  ersieht  man  recht  deutlich,  wie  wenig  Narkotikummengen 
doch  für  die  komhinierte  Narkose  notwendig  sind,  und  wie  stets  die  Dosis  des 
sekundären  Narkotikums  verschwindend  klein  ist  für  die  lange  Zeit  der 
Narkose.  Aber  auch  das  primäre  Narkotikum  wird  in  geringerer  Menge  ver- 
braucht. 


2. 

5,  60 

3. 

„  60 

4. 

„  60 

5. 

„  60 

6. 

„  60 

7. 

„  60 

8. 

,.  60 

9. 

,;  60 

10. 

,.  60 

11. 

5,  60 

12. 

„  60 

—     559     — 

AVeun  man  uuu  all  diese  Zahlen  erwägt,  so  erkennt  man  recht  deutlich, 
daß  die  Verminderung  der  toxischen  Wirkung  dieser  kombinierten  Narkosen 
nur  durch  eine  geringere  Menge  des  in  den  Organismus  gelangten  Narkotikums 
hervorgerufen  wird.  Ein  anderer  Grund  wäre  ja  auch  wenig  wahrscheinlich. 
Immerhin  zeigen  die  Befunde  doch  deutlich,  daß  es  möglich  ist,  die  Mengen 
von  Chloroform  und  Aoither  auf  eine  Dosis  zu  beschränken,  welche  für  eine 
andere  Narkose  nach  der  offenen  Methode  kaum  die  Hälfte  der  Zeit  ausreicht. 
Dieser  Umstand  wird  noch  begünstigt  durch  die  gegenseitigen  Beziehungen 
von  Chloroform  und  Aether,  denn  dieselben  haben  in  den  Kombinationen  dieser 
Art  die  Fähigkeit,  in  kleinen  Mengen  sich  gegenseitig  zu  unterstützen,  in  der 
narkotischen  Kraft  und  in  den  üblen  Einwirkungen  sich  zu  ergänzen,  indem 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  der  Aether  die  üblen  Wirkungen  des  Chloroforms, 
und  dieses  wiederum  die  des  Aethers  vermindert  oder  ganz  aufhebt.  Natürlich 
nur  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  und  derselbe  wird  dadurch  bestimmt,  daß  die 
Dosis  des  sekundären  Narkotikums  immer  nur  in  solchen  geringen  Mengen 
verwendet  wird,  in  denen  es  selbst  toxisch  nicht  zu  wirken  imstande  ist. 

Man  hat,  wie  aus  dem  Gesagten  hervorgeht,  im  großen  und  ganzen  zwei 
Arten  von  diesen  kombinierten  Narkosen  zu  unterscheiden,  je  nach  dem  primären 
Narkotikum.  Es  erhellt  ja  auch  aus  den  Ergebnissen  der  Experimente,  daß 
diese  bei  den  Narkosen  zu  unterscheiden  sind.  Es  kann  ja  gegen  die  einfache 
Chloroform-  oder  Äthersauerstoffnarkose  immerhin  manche  Kontraindikation 
aufgestellt  werden.  Die  Untersuchungen  mit  diesen  Gasgemischen  haben  er- 
geben, daß  der  Narkose  mit  der  Sauerstoffkombination  immerhin  noch  gewisse 
Gefahren  anhaften,  und  man  hat  ja  auch  zahlreiche  Fälle  in  der  Praxis 
beobachtet,  wo  die  Narkose  ad  exitum  führte,  genau  wie  die  einfache  Chloroform- 
narkose. Es  ist  ja  auch  in  der  Sauerstoffnarkose  an  sich  noch  kein  Grund 
gegeben,  der  die  toxische  Wirkung  des  Chloroforms  verhindern  könnte.  Die 
Vorzüge  der  Chloroformsauerstoffnarkose,  wie  sie  seit  Jahren  bekannt  gegeben 
werden,  und  wie  sie  auch  ganz  unumstößlich  sicher  der  Methode  anhaften, 
werden  nur  indirekt  vom  Sauerstoff  bewirkt,  während  die  direkte  Ursache  der 
besseren  Narkose  in  der  geringeren  zur  Betäubung  nötigen  Menge  von  Chloro- 
form gelegen  ist.  Wenn  aber  ein  Mensch  für  Herz-,  Leber-,  Nieren-  etc.  Leiden 
disponiert  ist,  so  kann  auch  in  der  Chloroformsauerstoffnarkose  eine  Gefahr 
für  ihn  liegen,  indem  das  zur  Narkose  verwendete  Chloroform  trotz  aller 
Vorsicht  hinreichen  kann,  schwere,  lebensgefährliche  Veränderungen  in  diesen 
Organen  hervorzurufen  und  so  den  Menschen  ad  exitum  zu  bringen,  wenn 
auch  solche  Fälle  bis  jetzt  sehr  selten  sind;  es  sind  solche  in  der  Literatur  nur 
sehr  spärlich  verzeichnet.  Rothfuchs  hat  kürzlich  auf  zwei  Todesfälle 
hingewiesen,  in  oder  nach  der  Chloroformsauerstoffnarkose  entstanden,  die  aber 
durch  die  Chloroformwirkung  zweifellos  hervorgerufen  wurden,  von  denen  er 
einen  Fall  näher  beschreibt,  welcher  bei  einem  Alkoholiker  eintrat,  der  mehrfach 
hatte  müssen  narkotisiert  werden.  Es  war  also  darin  die  Disposition  in  dem 
Einfluß  des  Alkoholismus  gelegen.  Solche  Fälle  sind  bisher  wenig  gemeldet, 
vielleicht  werden  mit  der  Zeit  darüber  Publikationen  erscheinen,  denn  mit  der 
größeren  Verwendung  der  Sauerstoffnarkosen  werden  auch  diese  reichlicher 
werden.  Es  ist  also  nicht  ausgeschlossen,  daß  bei  bestehender  Disposition,  vor 
allen  Dingen  bei  sehr  schwachen,  kachektischen  und  entbluteten  Patienten,  die 
Chloroformsauerstoffnarkose  schwere  Gefahren  bringt.  Man  muß  deshalb  die 
Grenzen  der  Verwendbarkeit  auch  für  diese  Narkose  ungefähr  so  ziehen,  wie 
für  Chloroform  allein.  Dies  ist  ein  Nachteil,  welcher  jeder  Narkose  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  anhaftet,   der  aber  bei  der  Chloroforinnarkose  besonders 


-      560     — 

groß  ist.  Anders  liegen  aber  die  Verhältnisse  für  die  kombinierten  Sauerstoff- 
narkosen, denn  dieselben  schränken  diesen  Nachteil  besonders  ein,  da  die 
Gefahr  der  Fettmetaniorphose  dabei  sehr  gering  ist.  Wenn  man  also  Menschen 
zn  betäuben  hat,  welche  in  diesem  Sinne  disponiert  sind,  und  welche  an  langen 
parenchymatösen  Hämorrhagien  gelitten  haben,  welche  schwer  kachektisch  etc. 
sind,  so  wird  man  die  Atherchloroformsauerstoffnarkose  mit  weniger  Gefahr  für 
den  Krauken  ausführen  können,  als  die  Chloroformsauerstoffuarkose.  Somit  hat 
man  durch  diese  Kombination  eine  Erweiterung  der  Indikationsgrenze  ermöglicht, 
denn  man  kann  Leute,  welche  mit  der  einfachen  Chloroformnarkose  nicht  mehr 
narkotisiert  werden  können,  mit  der  Ätherchloroforrasauerstoffnarkose  noch  ohne 
Schaden  betäuben.  Wenn  man  die  Größe  der  Gefahr  bei  diesen  Narkosen  er- 
mitteln will,  so  muß  man  auch  bedenken,  daß  die  Narkosen  oft  nur  ''■j^  Stunde 
und  noch  kürzere  Zeit  dauern,  und  daß  die  Gefahr  in  gewissem  Sinne  geringer 
ist,  je  kürzer  die  Narkose  ist.  Dies  gilt  aber  nicht  für  alle  Narkosengefahren, 
denn  gerade  das  Chloroform  wirkt  oft  schon  nach  den  ersten  Inhalationen 
tödlich  (Trigeminus-Vagus-Reiz  mit  folgender  Synkope).  Allein  diese  Fälle  sind 
bei  der  kombinierten  Sauerstoffnarkose  nicht  zu  erwarten,  denn  es  wird  ja  das 
Chloroform  nur  in  den  geringst  wirksamen  Dosen  gegeben,  außerdem  kann 
man  ja  als  primäres  Narkotikum  Äther  wählen.  Dadurch,  daß  man  die  Narkose 
zwischen  den  beiden  Extremen  Chloroform  Sauerstoff  und  Äthersauerstoff  variieren 
kann,  ist  eine  große  Menge  von  einzelnen  Narkosen  möglich,  welche  dem 
Kranken  angepaßt  werden  können.  Gerade  darin  liegt  der  Wert  der  Narkose, 
daß  man  die  Äther-  und  Chloroformgabeu  ganz  den  in  jedem  Moment  der 
Narkose  bestehenden  Verhältnissen  angepaßt  verabreichen  kann.  Dies  ist  aber 
nur  möglich  durch  eine  genaue  Beobachtung  des  Kranken.  Man  wird  nach 
dem  Resultat  der  Untersuchung  des  Kranken  vor  der  Narkose  entscheiden, 
welches  Narkotikum  primär,  und  welches  sekundär  zu  geben  ist.  Aber  man 
wird  vorher  nicht  genau  bestimmen  können,  wie  man  dann  während  der  Narkose 
weiter  verfährt.  Es  steht  ja  dem  Arzte  das  sekundäre  Narkotikum  zur 
Kombination  zur  Verfügung,  und  man  muß  dasselbe  dann  benützen,  wann  es  not- 
wendig erscheint.  Dabei  muß  der  Narkotiseur  genau  Puls  und  Respiration 
kontrollieren,  außerdem  auch  den  Kranken  in  toto  beobachten,  alle  Symptome 
benützen  und  aus  ihnen  entnehmen,  wie  die  Vorgänge  im  Innern  des  Organis- 
mus sich  abspielen,  und  was  durch  dieselben  gefordert  wird.  Wenn  man  so 
verfährt,  so  wird  man  die  Narkotika  individuell  verwenden,  und  man  wird  am 
Schluß  der  Narkose  ersehen,  wieviel  von  jedem  verbraucht  wurde.  Freilich 
wird  man  da  nicht  immer  solche  Zahlen  erhalten,  wie  sie  oben  angegeben  sind, 
das  sind  nur  Repräsentanten  der  Typen  der  Narkose,  der  beiden  Grundtypen, 
die  Chloroform  oder  Äther  zur  Grundlage  und  in  größten  Mengen  verwendet 
zeigen.  In  den  meisten  Fällen  wird  mau  mit  einer  dieser  Typen  auch  aus- 
kommen, doch  es  kann  auch  Fälle  geben,  wo  das  primäre  Narkotikiim  später 
fast  ganz  durch  das  sekundäre  ersetzt  wird.  Das  ergibt  sich  dann  aus  der 
Reaktion  des  Organismus  auf  die  Narkose.  Immer  aber  muß  das  Verhältnis 
der  Narkotika  so  sein,  daß  die  Mengen  der  Narkotika  möglichst  gering  sind, 
und  es  muß  das  eine  das  andere  in  der  Menge  ergänzen,  so  daß  in  der 
narkotischen  Kraft  nie  die  Summe  der  beiden  Narkotika  die  Menge,  welche 
für  eine  einfache  entsprechende  Sauerstoffnarkose  verbraucht  wird,  wesentlich 
übertrifft.     Man  erkennt,   ob  ein  richtiges  Verhältnis  besteht,   aus   den  Mengen 


—     561     — 

der  Narkotika  auf  die  Länge  der  Narkose  berechnet,  wobei  natürlich  dem 
Narkotiseur  die  Erfahrung  sehr  zugute  kommt. 

Das  Bestreben  des  Narkotiseurs  muß  es  stets  während  der  Narkose  sein, 
den  Kranken  mit  den  geringst  nötigen  Dosen  des  Narkotikums  zu  betäuben, 
und  er  kann  dies  sehr  leicht  ermöglichen,  indem  er  den  Kranken  immer  in 
dem  Stadium  der  Narkose  erhält,  welches  durch  den  positiven  Ausfall  des 
S  tr  a  ß  m  a  n  n  s  c  h  e  n  Phänomens  angedeutet  wird.  Das  Straßmannsche 
Phänomen  besteht  bekanntlich  in  der  Reaktion  der  engen  Pupille  bei  gleich- 
zeitigem Offnen  beider  Augen,  während  die  Pupille  beim  Offnen  nur  einen 
Auges  eng  erscheint  und  sich  nicht  mehr  kontrahiert.  Dieses  Symptom  zeig-t 
an,  daß  der  Kranke  sich  am  Ende  des  Stadiums  in,  dem  der  Toleranz,  befindet, 
wobei  er  aber  schon  dem  Erwachen  nahe  ist,  also  der  Übergang  in  Stadium  IV 
nahe  bevorsteht.  Wenn  man  nun  immer  durch  kleine  Mengen  Narkotikum 
dafür  sorgt,  daß  dieses  Phänomen,  nachdem  man  es  eben  beobachtete,  infolge 
neuer  Dosis  verschwindet,  um  nach  wenigen  Minuten  zurückzukehren,  so  erhält 
man  den  Kranken  in  dem  meist  gefahrlosen  Stadium  der  Narkose.  Wenn  man 
aber  das  Phänomen  bestehen  läßt,  ohne  neue  Dosen  Narkotikum  zu  geben,  so 
verschwindet  es  bald  und  der  Kranke  erwacht.  Da  dies  bei  guter  Narkose 
nicht  vorkommen  darf,  muß  man  immer  kleine  Dosen  verabreichen,  um  die 
Narkose  wenig  zu  vertiefen.  Das  Phänomen  kann  man  nur  positiv  erhalten, 
wenn  man  in  kleinen  Dosen  Narkotika  verabreicht,  denn  bei  großen  Dosen 
kommt  der  Kranke  gleich  in  tiefere  Toleranz  und  bleibt  längere  Zeit  in  der- 
selben als  bei  kleinen  Dosen.  Gerade  das  nicht  gewünschte  Erwachen  muß  der 
Narkotiseur  stets  verhüten,  denn  wenn  der  Kranke  erwacht,  so  muß  man  zur 
abermaligen  Betäubung,  die  ja  von  der  Operation  gefordert  wird,  größere 
Mengen  des  Narkotikums  verwenden,  während  beim  Vermeiden  solcher  Unter- 
brechungen der  Kranke  mit  ganz  geringen  Mengen  in  der  Narkose  erhalten 
werden  kann.  Wenn  solche  Störungen  im  gleichmäßigen  Verlauf  der  Narkose 
vorkommen,  ist  es  nicht  möglich,  die  Menge  des  Narkotikums  auf  das  größte 
Mindestmaß  zu  beschränken,  dann  braucht  man  viel  mehr  Narkotikum,  als  bei 
ruhigem,  gleichmäßigem  Verlauf  der  Narkose  gewöhnlich  verwendet  wird. 
Darin  liegt  eben  der  Beweis  der  Tüchtigkeit  des  Narkotiseurs,  daß  er  solche 
unbeabsichtigte  Unterbrechungen  vermeidet  und  verhütet,  und  dieselben  können 
auch  bei  guter  Beobachtung  des  Kranken  nicht  vorkommen,  weshalb  stets  den 
Narkotiseur  der  Vorwurf  eines  Verseheus  treffen  muß,  wenn  der  Kranke,  ohne 
daß  es  vom  Narkotiseur  beabsichtigt  wurde,  erwacht  Freilich  muß  man  be- 
merken, daß  es  in  den  Narkosen  verschieden  ist,  wie  tief  die  Toleranz  verläuft, 
so  ist  z.  B.  die  Toleranz  in  der  Chloroformsauerstoffnarkose  tiefer  als  in  der 
Äthersauerstoffnarkose,  und  es  kommt  demnach  in  der  Athernarkose  leichter 
vor,  daß  der  Kranke  plötzlich  erwacht,  als  in  der  Chloroformsauerstoifnarkose. 
Es  ist  dies  so  zu  verstehen,  daß  die  Wirkung  einer  Dosis  Chloroform  längere 
Zeit  anhält  als  die  Dosis  Äther.  Um  nun  die  Äthersauerstoffnarkose  noch  be- 
sonders zu  vertiefen,  gibt  man  ab  und  zu  auch  während  der  Toleranz  Chloroform 
und  verwendet  besser  an  Stelle  der  Äthersaiierstoffnarkose  die  Äther-Chloroform- 
Sauerstoffnarkose.  So  hat  der  Narkotiseur  im  Chloroform  ein  Mittel,  die  Äther- 
sauerstoffnarkose zn  vertiefen. 

Weitere  Vorteile  der  kombinierten  Sauerstoffnarkosen  bestehen  in  dem 
ebenmäßigeren    klinischen  Verlauf    der   Narkose.     Die  Exzitation,    welche    bis- 

36 


—     562     — 


■weilen  in  der  einfachen  Chloroformsauerstoflnarkose  namentlich  bei  Alkoholisten 
stark  ist,  läßt  sich  durch  die  Kombination  mit  Äther  bedeutend  mindern,  oft 
ganz  beseitigen,  und  umgekehrt  wird  die  Athersauerstoffnarkose,  welche  oft 
einen  etwas  widerstandsfähigeren  Kranken  gar  nicht  vermag  in  vollkommene 
Toleranz  zu  versetzen,  durch  die  Chloroformdosen  bedeutend  vertieft,  erleichtert 
und  tritt  schneller  ein.  Diese  Umstände  sind  ganz  besonders  zu  beachten,  denn 
man  unterschätzt  zu  leicht  diese  Symptome.  Weiter  habe  ich  bemerkt,  daß 
Erbrechen  sehr  selten  ist,  fast  gar  nicht  auftritt,  wenn  der  Kranke  angemessen, 
wie  es  für  jede  Inhalationsnarkose  vorgeschrieben  ist,  vorbereitet  worden  ist, 
ferner,  daß  das  Erwachen  nach  Beendigung  der  Operation  rasch  eintritt;  es  ist 
ja  die  Zeit,  welche  vergeht,    bis  der  Kranke  erwacht,  verschieden    und   richtet 

Alfier  Chloroform 


DRAGERWERK 
LÜBECK 


Fig.  166.     Krönig-Roth-Diager-Naikoseapparat  für  die  kombinierte  Chloroform- 

Aether-Sauerstoff-Narkose.   (Modifikation  des  Roth-Dräger- Apparates  von  Krönig 

für  die  kombinierte  Sauerstoffnarkose.) 

sich  ganz  nach  der  Dauer  der  Narkose,  doch  auch  nach  sehr  langen  Narkosen 
erwachten  die  Kranken  sehr  rasch  ohne  in  dem  postnarkotischen  Stadium  be- 
deutende Beschwerden  zu  haben,  Kopfschmerz,  Erbrechen,  Übelkeit  etc.  waren 
nur  gering  nach  sehr  langen  Narkosen  vorhanden,  während  sie  nach  kurzen 
fast  ganz  fehlten.  Alle  diese  klinischen  Beschwerden  der  Narkose  sind  in  und 
nach  der  Sauerstoffnarkose  und  namentlich  nach  der  kombinierten  Sauerstoff- 
narkose gering,  viel  geringer  als  nach  den  einfachen  Chloroform-  oder  Äther- 
narkosen. Natürlich  sind  diese  Behauptungen  nur  relative,  da  die  Zahl  der 
von  mir  vorgenommenen  Narkosen,  die  im  Laufe  der  letzten  Jahre  nur  einige 
dreißig  betragen,  ja  sehr  gering  ist  und  ein  definitives  statistisches  Urteil  auf 
diese  kleine  Zahl  nicht  begründet  werden  kann,  so  daß  ich  Statistikern,  die  über 
größeres  Material  verfügen,  es  überlasse,  diese  klinischen  Symptome  festzustellen. 


—     563     — 

Immerhin  stimmen  meine  Beobachtungen  mit  denen  der  bis  jetzt  beschriebenen 
Chloroformsauerntoffnarkosen  überein.  Der  Narkotiseur  kann  sich  das  korrekte 
Leiten  dieser  kombinierten  Sauerstoffnarkosen  sehr  erleichtern,  indem  er  während 
der  Narkose  den  Blutdruck  fortwährend  bestimmt,  und  das  sekundäre  Narkotikum 
verabreicht,  wie  es  der  Blutdruck  erfordert.  Man  braucht  da  nur  um  einen 
Finger  eines  Kranken  ein  Tonometer,  ähnlich  dem  von  Gärtner,  anziibriugen, 
an  welchem  man  immer  die  Höhe  des  Blutdruckes  ablesen  kann.  Ich  habe  das 
Tonometer  zum  allgemeinen  Gebrauch  für  die  Narkose  modifiziert  und  dieser 
Apparat  erleichtert  die  kombinierte  Narkose  sehr.  Das  Ablesen  des  Blutdruckes 
ist  einfach,  schnell  und  leicht  möglich  und  der  Narkotiseur  kann  erfahren,  wenn 
der  Blutdruck  Äther  oder  Chloroform  erfordert.  Aus  dem  Puls  kann  man  das 
natürlich  auch  feststellen,  doch  ist  dies  viel  schwerer  und  erfordert  viel  Übung 
vom  Narkotiseur.  Man  kann  mit  dem  Tonometer  vorher  die  Normalblutdruck- 
höhe feststellen,  doch  ist  dies  in  eiligen  Fällen  nicht  notwendig,  denn  man  er- 
kennt schon  aas  dem  Fallen  des  Druckes  die  Chloroformwirkung.  Auf  diese 
Weise  kann  man  leicht  eine  vorzügliche  Narkose  erzielen. 

Was  nun  die  Technik  der  kombinierten  Chloroform-Äther-Sauerstoff- 
narkosen  anlangt,  so  hat  das  Drägerwerk  in  Lübeck  einen  Apparat  nach 
K  r  ö  n  i  g  konstruiert,  der  einen  der  besten  Apparate  darstellt  und  eine  klassische 
Narkose  ermöglicht.     Der  Apparat  ist    ganz    ähnlich   dem    für    die  Chloroform- 


DRAGERWERK  LÜBECK. 

Fig.  167.     Masken  mit  Drahtbügel  für  den  Roth-Drägerapparat. 

sauerstoffnarkose  gebaut,  nur  besitzt  er  zwei  Narkotikumgefäße  und  Tropf- 
vorrichtungen, von  denen  das  eine  für  Äther,  das  andere  für  Chloroform  bestimmt 
ist.  Dieselben  sind  durch  Ventile  und  Hähne  so  an  den  Sauerstoffapparat  an- 
gefügt, daß  man  den  Sauerstoffstrom  entweder  mit  Chloroform  allein,  oder 
mit  Äther  allein,  oder  mit  beiden  gemischt  verwenden  kann  und  dabei  doch  die 
Prozentgehalte  regeln  und  stets  genau  ablesen  kann  In  der  beistehenden 
Figur  166  ist  dieser  Apparat  abgebildet. 

Man  ersieht  deutlich  aus  der  Abbildung  die  Konstruktion  dieses  Apparates, 
und  es  ist  die  Funktion  desselben  genau  so,  wie  sie  früher  bei  der  Chloroform- 
sauerstoffnarkose mit  dem  Roth-Dräger-Apparat  erörtert  wui'de.  Es 
sind  hier  eben  zwei  Narkotikumgefäße  vorhanden,  welche  je  nach  dem  Bedarf 
durch  die  entsprechenden  Hähne  geöffnet  und  geschlossen  werden  müssen.  Man 
kann  dann  alle  die  Modifikationen  dieser  Narkose  erreichen  und  alle  Kombinationen 
erzeugen,  so  daß  man  für  jede  Person,  für  jede  Krankheit  und  für  alle  Fälle, 
wo  eine  allgemeine  Narkose  überhaupt  möglich  ist,  eine  passende  und  die 
gefahrloseste  Narkose  finden  kann.     In  der  Figur  167  findet  man  die  zu  diesen 

36* 


—     564 


Apparaten  gebräuchlichen  Masken  abgebildet,  welche  mit  einem  Drahtbügel 
versehen  sind,  der  die  Maske  am  Kopfe  fixiert.  Diese  Masken  sind  für  Kinder 
und  Erwachsene  zu  haben  und  je  nachdem  auch  der  Drahtbügel. 

Die  Konstruktion  der  Masken  ist  aus  der  Figur  167  zu  ersehen. 
Für  die  Technik    der  Narkose    kommen    sonst   alle  Vorschriften,  wie  sie 
im  allgemeinen  Teil  gegeben  sind,  in  Betracht,  vmd  es  ist  dem  hier  nichts  hin- 
zuzufügen.    Die   Art  der  Verabreichung  und   die  Konzentration  der  Gemische 
geht  aus  den  Erörterungen  der  Wirkungen  etc.  hervor. 

§  61.  Das  Stickstoffoxj^dulgas  ist  mit  Sauerstoff  ver- 
mischt zur  Stickstoffoxydulsanerstoffnarkose  verwendet  worden,  und  zwar 
war  Paul  Bert  der  erste,  welcher  diese  Grasgemenge  verwendete.  Bert 
versuchte  1875  das  Gemisch  von  Sauerstoff  und  Lachgas  durch  einen  erhöhten 
Druck  auf  das  ursprüngliche  Volumen  des  in  dem  Gemisch  enthaltenen  Lach- 
gases zu  bringen  und  zur  Kompensierung  besondere  Kammern  zu  konstruieren, 
in  denen  ein  erhöhter  Luftdruck  vorhanden  war  und  in  denen  nun  die  Narkose 
ausgeführt  werden  sollte.  Es  wurde  zu  diesem  Zwecke  eine  kleine  Metall- 
kammer mit  völliger  luftdichtverschließender  Wandung  konstruiert,  die  so- 
genannte Narkosenkammer,    wie    man    sie  im  Hospital  Beaujou  noch  heute  als 

Rarität  und  Altertum  aufgehoben  hat, 
in  welche  mir  der  Operationstisch, 
Narkotiseui"  und  die  nötigsten  Per- 
sonen zur  Operation  hineinkonnten 
und  darin  unter  erhöhtem  Druck  ar- 
beiteten, glaubte  man  doch  dieses 
Gemisch  nicht  anders  anwenden  zu 
können,  als  unter  erhöhtem  Luftdruck. 
Der  Originalität  halber  soll  in  bei- 
stehender Figur  168  eine  solche  Nar- 
kosenkammer abgebildet  sein,  welche 
von  Fontaine  angegeben  wurde, 
und  welche  demselben  Prinzip  unter- 
steht. Man  ersieht  aus  derselben  die 
Konstruktion  der  Kammer  und  wie 
deren  Verwendung  stattfinden  sollte.  Eine  neben  der  Kammer  aufgestellte  Luft- 
pumpe versorgte  die  Kammer  mit  erhöhtem  Luftdruck,  nachdem  sämtliche  für  die 
Operation  nötigen  Personen  in  derselben  untergebracht  worden  waren.  Das 
Narkotikumgemisch  wurde  aus  einem  Gasometer,  der  unterhalb  des  Operations- 
tisches angebracht  worden  war,  durch  einen  Schlauch  in  eine  Maske  geführt, 
welche  dem  Kranken  auf  das  Gesicht  aufgesetzt  wui'de.  Der  ganze  Apparat 
konnte  auf  Rollen  bewegt  werden. 

Man  ersieht  auf  den  ersten  Blick,  daß  dieser  Gedanke  recht  phantastisch 
anmutet.  Immerhin  könnte  ja  ein  solcher  kleiner  Operationssal  für  die  Asepsis 
recht  günstig  sein,  doch  hat  derselbe  recht  wichtige  andere  Nachteile,  die  ich 
nicht  zu  erörtern  brauche  und  es  hat  sich  mit  der  Zeit  ergeben,  daß  diese 
Bauten  nur  einen  historischen  Wert  haben,  daß  aber  die  nicht  unbeträchtlichen 
Kosten,  die  man  zur  Konstruktion  dieser  Narkosenkammern  aufgewendet  hat, 
vollkommen  nutzlos  vergeudet  wurden,  denn  die  ganze  Sache  war  eine  phan- 
tastische   Methode,    die    noch    dazu    schlechte    Resultate    lieferte    (Terrier, 


Fig.  168.     Narkosenkammer  für  die  Stick 

stoffoxydul-Sauerstoffnarkose  von 

Fontaine. 


—     565     — 

P  e  r  a  i  r  e),  und  die  g-aiiz  ohne  zwiug'enden  Grund  so  kostspielig  ausgebaut 
worden  war,  denn  Klikowitsch  erbrachte  sehr  bald  den  Beweis,  daß  man 
zur  Verwendung  dieses  Gemisches  absolut  nicht  eines  erhöhten  Luftdruckes 
bedürfe.  Derselbe  verwendete  das  Gemisch  vor  allen  Dingen  bei  Frauen  sub 
paitu  und  erzielte  recht  gute  Resultate.  Er  fand,  daß  das  Gemisch  weder 
für  Mutter  noch  Kind  irgendwelchen  Nachteil  ausübe  und  auch  den  Geburts- 
mechanismus nicht  nachteilig  beeinflusse,  wobei  das  Gemisch  die  Schmerzen 
sehr  stark  vermindere,  auch  während  aller  Geburtsperioden,  daß  das  Gemisch 
neben  der  Anästhesie  weder  Erbrechen  noch  Kopfschmerzen  hervorrufe,  daß 
Exzitatiou  vollkommen  fehle  und  nach  der  Narkose  auch  Erbrechen  und  Übel- 
sein völlig  ausblieben.  Man  kann  nach  Klikowitsch  die  Narkose  während  der 
ganzen  Geburt  fortsetzen,  ohne  kumulierende  AVirkung  zu  sehen,  da  man 
in  der  Wehenpause  die  Inhalation  unterbrach.  Tittel,  Döderlein, 
Zweifel,  W  i  n  c  k  e  1  etc.  haben  das  Gemisch  ebenfalls  in  der  Geburtshilfe 
sehr  oft  verwendet  und  für  sehr  brauchbar  gefunden.  Wenn  man  aber  die 
Narkose  trotzdem  nicht  allgemein  einführen  konnte,  so  lag  es  an  dem  hohen 
Kostenpunkt,  der  schwierigen  Transportfähigkeit,  der  umständlichen  Herstellung 
des  Gasgemisches  und  dem  Umfange  des  ganzen  Apparates,  den  man  schwer 
transportieren  konnte.  S  w  i  e  c  i  c  k  i  hat  das  Gemisch  zuerst  in  eine  handliche 
Form  gebracht  und  die  Verwendbarkeit  erleichtert,  so  daß  man  dasselbe  jetzt 
überall  anwenden,  überallhin  transportieren  und  jedem  den  Vorteil  dieser  Nar- 
kose zuteil  werden  lassen  kann. 

Auf  Veranlassung  von  S  w  i  e  c  i  c  k  i  wurde  von  der  Fabrik  Ash&Sons 
das  Gasgemisch  aus  ^/g  Stickstoffoxydul  und  ^  ^  Sauerstoff  in  einem  eisernen 
Zylinder  kondensiert  und  zur  Verwendung  dieses  kondensierten  Gasgemisches 
ein  besonderer  Apparat  konstruiert,  der  weiter  unten  näher  beschrieben 
werden  soll. 

Unabhängig  von  Klikowitsch  hat  H  i  1 1  i  s  c  h  e  r  das  Gasgemisch 
verwendet,  und  er  hat  mit  einem  Gemisch  im  Verhältnis  von  4  Stickstoftbxydul 
und  1  Sauerstoff  sehr  gute  Erfahrungen  gemacht. 

Das  Gasgemisch  hat  im  wesentlichen  dieselben  Eigenschaften  wie  das 
Stickstoffoxydul  und  ich  kann  hier  auf  das  frühere  Kapitel  über  Stickstoff- 
oxydul verweisen.  Die  Narkose  ist  wie  jede  Inhalationsnarkose  mit  einer  ge- 
wissen Gefahr  verbunden,  doch  wird  dieselbe  durch  den  Sauerstoff  auf  ein 
Minimum  beschränkt,  wenigstens  gegenüber  der  einfachen  Narkose  stark  ver- 
mindert. Die  Narkose  mit  diesem  Gemisch  ist  nicht  nur  für  ganz  kiirze 
operative  Eingriffe  geeignet,  sondern  man  kann  auch  längere  Operationen  unter 
dieser  Betäubung  ausführen.  Immerhin  ist  die  Narkose  in  vielen  Fällen  nicht 
tief  genug,  daß  man  größere  Operationen  darin  ausführen  könnte,  sondern  man 
begegnet  Personen,  welche  durch  das  Gemisch  nicht  in  tiefe  Narkose  versetzt 
werden  können,  sondern  nur  eine  Analgesie  erleiden.  Die  narkotische  Kraft 
dieses  Gemisches  ist  nicht  für  alle  Fälle  ausreichend,  immerhin  kann  man  bei 
Frauen  und  Kindern  sehr  gute  Narkosen  damit  ausführen.  Hillischer  hat 
daher  geraten,  den  Sauersoff  nach  Möglichkeit  zu  vermindern  und  zu  dem  Stick- 
stoffoxydul nur  10  ^0  bis  höchstens  15%  Sauerstoff  zuzufügen,  denn  nach 
Pettenkofer  genügen  zum  Unterhalt  des  Lebens  über  7  %  Sauerstoff,  d.  h. 
bei  7%  Sauerstoff  erlischt  das  Leben.  Es  genügt  also  10%  Sauerstoff  bei 
langen  Narkosen    und  Personen,    die    schwer    zu    betäuben    sind.      Niir   in  be- 


—     566     — 

stimmten  Verliältnissen  bei  Personen  in  der  Entbindung,  bei  Dyspnoe,  Herz- 
affektionen, apoplektischem  Habitus  etc.  soll  man  bis  15  %  Sauerstoff  dem  Lach- 
gas beimischen.  Dieses  Gemisch  nennt  Hillischer  Schlafgas.  Diese  Nar- 
kose mit  dem  Schlafgas  kann  nach  Hillischer  für  stundenlange  Betäubungen 
verwendet  werden  und  bewirkt  keine  üblen  Erscheinungen,  Dyspnoe,  Er- 
brechen etc.  Allerdings  hat  Hammerschlag  nachgewiesen,  daß  das  Ge- 
misch bei  längerem  Aufbewahren  aus  einem  Gasgemisch  in  eine  chemische 
Verbindung  übergeht,  welche  höhere  Oxydationsverbindungen  des  Stickstoffes 
darstellt,  und  er  fand  nach  neuntägigem  Aufbewahren  eines  Gemisches  in  dem- 
selben Spuren  von  Salpetersäure  und  Salpetriger  Säure,  welche  sich  erst  gebildet 
hatten.  Hieraus  geht  hervor,  daß  man  ältere  Gemische  nicht  verwenden  darf, 
und  es  ist  noch  nicht  die  Grenze  gezogen,  wie  alt  das  Gemisch  sein  darf. 
Daher  muß  man  sehr  vorsichtig  mit  demselben  sein. 

Die  Wirkung  auf  den  Organismus  ist  eine  derartige,  daß  die  Narkose  eben 
nur  für  kurze  Betäubungen  in  Betracht  kommt,  und  es  bleibt  eine  Einschränkung 
bestehen,  denn  es  gibt  Personen,  welche  mit  dem  Mittel  nicht  betäubt  werden 
können.  Bei  langen  Narkosen  bleiben  auch  gewisse  üble  Wirkungen  nicht  aus, 
die  nur  wenig  von  den  oben  bei  Behandlung  der  einfachen  Stickstoff oxydul- 
narkose  beschriebenen  verschieden  sind.  Für  kurz  dauernde  Narkosen  ist 
aber  diese  Methode  entschieden  der  einfachen  überlegen,  und  man  erzielt  sehr 
nihige  Betäubungen,  namentlich  bei  leicht  zu  narkotisierenden  Frauen  etc.,  ohne 
Erregung,  Nachwehen,  Übelsein,  Erbrechen,  und  kann  ohne  Nachteil  die  Narkose 
auf  mehrere  Minuten  ausdehnen.  Die  Narkose  hält  bis  zwei  Minuten  noch  an 
nachdem  man  aufgehört  hat,  das  Gasgemisch  zu  verabreichen.  Bei  kurzen 
Narkosen  hat  man  üble  Folgen  nicht  zu  fürchten.  Bei  sehr  nervösen  Frauen, 
tritt  kurz  vor  Eintritt  der  Betäubung  geringe  Erregung  auf,  und  zwar  tränen 
meist  die  Augen.  Alkoholisten  sind  nicht  zu  betäuben  und  zeigen  starke 
Exzitation.  Bei  längeren  Narkosen  hat  man  dieselben  Nachteile  zu  befürchten, 
wie  bei  einfachen  Stickstoffoxydulnarkosen,  welche  oben  geschildert  wurden. 
Es  erübrigt  hier,  darauf  hinzuweisen,  und  ich  brauche  weiter  keine  Erörterungen 
hier  anzuschließen,  da  das  Gemisch  doch  nur  für  kurze  Narkosen  in  Betracht 
kommt.     Für  protrahierte  Narkosen  hat  man  geeignetere  Narkotika. 

Was  die  Statistik  anlangt,  so  hat  Hillischer  15000  Narkosen  von 
kiu-zer  Dauer  ohne  Unfall  und  nachteilige  Nebenwirkungen  ausgeführt.  Nogue 
hat  nur  40  Narkosen  ausgeführt,  allerdings  mit  sehr  gutem  Erfolg. 

Die  Technik  der  Narkosen  ist  eng  verknüpft  mit  den  Apparaten.  Der 
Kranke  muß  für  lange  Narkosen'  natürlich  nach  den  allgemeinen  Vorschriften 
vorbereitet  sein,  und  es  muß  dabei  alles  beachtet  werden,  was  früher  erwähnt 
wurde.  Für  kurze  Narkosen  ist  eine  Vorbereitung  nicht  nötig,  es  soll  da  nur  da- 
rauf geachtet  werden,  daß  der  Kranke  nicht  direkt  nach  dem  letzten  Essen  nar- 
kotisiert wird,  sondern  daß  wenigstens  drei  Stunden  seit  der  letzten  Mahlzeit  ver- 
strichen sind.  Man  kann  den  Kranken  bei  kurzen  Narkosen  in  sitzender  oder 
liegender  Stellung  betäuben.  Lange  Narkosen  können  nur  in  liegender  Stellung 
ausgeführt  werden.  Es  ist  die  kurze  Narkose  vor  allen  Dingen  angezeigt  bei 
Operationen  in  Mund,  Rachen  und  Nase,  weil  die  Anästhesie  noch  längere 
Zeit  bis  zwei  Minuten  nach  der  letzten  Dosis  anhält  und  die  Reflexe  oft  noch 
vorhanden  sind,  so  daß  der  Kranke  das  Blut,  welches  bei  Mundoperationen  etc. 


1 


—     567     — 

in  den  Rachen  fließt,   nicht  aspiriert,  sondern  verschluckt  oder  ausspuckt.     Bei 
kurzen  Narkosen  erlöschen  meist  nie  alle  Reflexe. 

Der  Apparat  von  Swiecicki  ist  folgendermaßen  konstruiert: 
In  einem  schmiedeeisernen  Zylinder  ist  das  Gasgemisch  aus  ''/g  Stickstoff- 
oxydul und  '/5  Sauerstoff  kondensiert  und  komprimiert  enthalten.  Dieser  Zy- 
linder faßt  220  1  des  Gasgemisches  und  ist  in  einem  Holzkasten  untergebracht. 
Wie  aus  beistehender  Figur  169  ersichtlich  ist,  kann  der  ganze  Apparat  in  einem 
mäßig  großen  Kasten  leicht  transportiert  werden.  Der  Zylinder  ist  mit  einem 
Ventil  verschlossen,  vv^elches  durch  den  Hahn  G  geöffnet  und  geschlossen  werden 
kann.  Von  diesem  Ventil  führt  ein  Schlauch  nach  einem  Gummiballon  und  von 
demselben  zu  dem  Mundstück.  Das  Mundstück  stellt  eine  kleine  Metallmaske 
dar,  welche  mittels  pneumatischem  Gummischlauch  luftdicht  auf  dem  Gesicht 
des  Kranken  aufliegt  und  ein  Exspirationsventil  A  besitzt.  Durch  einen  Hahn  H 
wird  das  Gas  der  Maske  zugeführt,  und  man  kann  durch  diesen  Hahn  den 
Gasstrom  verringern  und  unterbrechen.  An  den  Hahn  H  kann  man  an  Stelle 
der  Maske    auch    ein  gebogenes  oder  gerades  Rohr  ansetzen,    welches  man  bei 


s\     ^ 


Fig.  169. 


Apparat  von  Swiecicki  für  die  Stickstoff oxydul- 
Sauerstoffnarkose. 


Operationen  in  Mund  und  Rachen  verwendet  und  direkt  in  den  Mund  führen 
kann.  Aus  der  Figur  169  ist  das  Nähere  zu  ersehen.  Die  Verwendung  des 
Apparates  ist  derart,  daß  man  dem  Kranken  die  Maske  fest  auf  das  Gesicht 
aufsetzt  und  denselben  erst  einige  Atemzüge  atmen  läßt.  Dann  öffnet  man  die 
Hähne  G  und  H,  und  läßt  dem  Kranken  das  Gasgemisch  in  der  jeweilig  nötigen 
Menge  zuströmen.  Der  Apparat  ist  wenig  umfangreich  und  leicht  verwend- 
bar. Er  eignet  sich  aber  nur  für  kurze  Narkosen,  da  die  Dosierung  un- 
genau ist.  Jedenfalls  liefert  der  Apparat  für  kurze  Operationen  eine  recht 
brauchbare  Narkose. 

In  neuerer  Zeit  ist  die  Narkose  mit  dem  Sauerstoff-Stickstoffoxydul- 
gemisch vielfach,  namentlich  in  England,  verwendet  worden  und  H  e  w  i  1 1  hat 
einen  Apparat  konstruiert,  welcher  ganz  vorzügliche  Narkosen  liefert. 


—     568 


Dieser  Apparat  ist  in  Figur  170  abgebildet  und  besteht  aus  drei  Stahl- 
zylindern, in  denen  das  Gas  enthalten  ist,  und  zwar  enthalten  zwei  Stickstoff- 
oxydul und  einer  Sauerstoff.  Aus  diesen  drei  Zylindern  wird  das  Gas  durch 
Hähne  in  zwei  Schläuchen  nach  zwei  Guinmiballons  geführt,  von  denen  der  eine 
für  Sauerstoff,  der  andere  für  das  Stickstoffoxydul  bestimmt  ist  uud  aus  diesen 
Gummiballons  führen  zwei  Rohre  nach  einem  Saniraelventil,  in  welchem  die 
Gase  in  einer  Kammer  nach  bestimmten  Verhältnissen  gemischt  werden.  Außen 
auf  dem  Ventil  ist  eine  Skala  und  Zeiger  angebracht,  mittels  welchem  man  die 
Mischung  der  Gase  ändern  kann,  je  nachdem  man  den  Zeiger  auf  diese  oder 
jene  Zahl  stellt.  Man  kann  dadurch  in  jedem  Moment  je  nach  Bedarf  die  Zu- 
sammensetzung- des  Gasgemisches  ändern.  Von  diesem  Ventil  führt  ein  Rohr 
das  Gasgemisch  in  die  Maske,  welche  dem  Gesicht  des  Kranken  luftdicht  auf- 
sitzt imd  ein  Exspirationsveutil  besitzt. 
Man  kann  bei  der  Verwendung  dieses  Ap- 
parates den  Kranken  sowohl  sitzend,  wie 
liegend  narkotisieren.  Nachdem  man  das 
Mundstück  luftdicht  auf  das  Gesicht  des 
Kranken  aufgepaßt  und  gelegt  hat,  wird 
zunächst  mit  dem  Fuße  der  Hahn  des  am 
Boden  liegenden  dreifachen  Zylinders  ge- 
öffnet, durch  welchen  derSauerstoffzylinder 
mit  dem  Apparat  verbunden  ist;  nachdem 
dies  geschehen,  öffnet  man  den  Hahn  des 
Stickstoffoxydulzylinders.  Der  Kranke  muß 
jetzt  ruhig  atmen.  Nun  verstellt  man  den 
Zeiger  am  Apparat.  Wenn  derselbe  auf 
der  Mai'ke  „Air"  steht,  so  erhält  der  Kranke 
atmosphärische  Luft,  nun  stellt  man  den 
Zeiger  auf  Marke  2.  wobei  der  Kranke  ein 
Gemisch  von  2  Teilen  Sauerstoff  auf  100 
Teile  Stickstoffoxydul  erhält.  Nun  wird, 
nachdem  der  Kranke  drei  bis  vier  Inspira- 
tionen ausgeführt  hat,  der  Zeiger  auf  Mar- 
ke 3,  dann  nach  weiteren  drei  bis  vier  In- 
spirationen auf  Marke  4-  gestellt,  wobei  man 
beachten  muß,  daß  beide  Ballons  gleich 
stark  gespannt  sind.  Die  weitere  Be- 
dienung des  Apparates  muß  nach  den  Ver- 
kältnissen  geschehen;  man  wird  entweder 
den  Sauerstoff  einschränken,  oder  vermeh- 
ren müssen.  Gibt  man  zuviel  Sauerstoff, 
so  tritt  leicht  Exzitation,  gibt  man  zuwenig, 
tritt  Cj^anose  ein.  Zwischen  diesen  beiden 
Extremen  muß  man  die  Narkose  leiten. 
Die  Tolei'anz  tritt  meist  nach  zwei  bis  drei 
Minuten  auf. 


Fig.  170.     Apparat  von   H  e  w  i  1 1 

für  die  Stickstoffoxydul -Sauerstoff- 

narkose. 


In  Deutschland  hat  die  Firma  Gesell  in  Berlin  einige  brauchbare 
Apparate  konstruiert,  welche  noch  kurz  erwähnt  werden  sollen.  Der  Apparat 
dieser  Fabrik  ist  in  Figur  171  abgebildet,  aber  wegen  seines  voluminösen 
Baues  wenig  vorteilhaft.  Er  besteht  aus  zwei  Zylindern,  welche  zu  beiden  Seiten 
des  Tisches  angebracht  sind.  Aus  diesen  Zylindern,  von  denen  der  eine  Sauer- 
stoff, der  andere  Stickstoffoxydul  enthält,  tührt  je  ein  Schlauch  nach  einem 
blasebalgähnlichen  Gummiballon,  von  denen  der  für  das  Stickstoffoxydulgas 
bestimmte  größere  Ballon  48  1,  der  andere  kleinere  für  den  Sauerstoff  bestimmte 
30  1  faßt.  Dieser  Apparat  besitzt  außerdem  die  sogenannte  prozentuale  Misch- 
vorrichtung, welche  folgendermaßen  konstruiert  ist.  Sie  ist  in  der  Figur  172 
abgebildet,  und  man  kann  aus  deren  Abbildung  leicht  die  Konstruktion  ersehen. 
Von  jedem  Ballon  führt  ein  Gummischlauch  nach  der  Mischvorrichtung,  welche 
quasi   als  Ventil    dient   und    das  Gas    nach    der  Maske    leitet.     Die  Mischvor- 


—     569     — 

richtune^  zeigt  auf  einer  rmuleu  Scheibe  mit  Skala  einen  Zeiger.  Je  nachdem, 
wie  man  den  Zeiger  stellt,  erhält  der  Kranke  eine  verschieden  zusammengesetzte 
Gasmischuug.  Auf  der  einen  Seite  der  Skala  steht  Stickstoffoxydul,  und  es 
beginnt    die  Skala   mit  0    und    geht   weiter    bis   zum  Ende  von  100.     Dort  ist 


Fig.  171.     Apparat  von  Gesell  für  die  Stickstoffosydul-Sauerstoffnarkose. 

Sauerstoff  angegeben.  Wenn  man  den  Zeiger  also  auf  50  stellt,  so  hat  man  ein 
Gemisch  aus  50  Teilen  Sauerstoff  und  50  Teilen  Stickstoffoxydul,  stellt  man  ihn 
auf  30,  so  hat  man  70  Teile  Sauerstoff  und  30  Teile  Stickstoff.  Der  Kranke 
kann  also  je  nach  Bedarf  eine  Mischung  von  beliebiger  Zusammensetzung  erhalten, 
oder  reinen  Sauerstoff  oder  reinen  Stickstoff.    An  die  Mischvorrichtung  ist  eine 


Fig.  172.     Die  prozentuale  Mischvorrichtung. 


kleine  Metallmaske  angefügt,  welche  ein  Exspirationsventil  besitzt,  und  welche 
fest  und  luftdicht  auf  dem  Gesicht  aufsitzt.  Wenn  man  den  Kranken  narko- 
tisiert, so  öffnet  man,  nachdem  die  Maske  aufgesetzt  ist,  die  Zylinder  und  läßt 
die  Gase  in  ihre  Gasometer  strömen.  Dann  stellt  man  den  Weiser  zunächst 
so,  daß  der  Kranke  nur  wenig  Sauerstoff,  ca.  10 — 15  7o,  erhält  und  mehr  Stick- 


570 


Stoffoxydul   und    ändert    die  Zusammensetzung    der  Gase  je    nach  dem  Bedarf 
und  dem  Verhalten  des  Kranken. 

Ein  anderer  Apparat  von  Ge- 
sell ist  noch  konstruiert  worden  für 
diese  Narkose  und  in  Figur  173  ah- 
gebildet.  Derselbe  besteht  aus  einem 
großen  Gasometer,  welcher  die  Mi- 
schung enthält  und  der  in  dem  Zimmer 
stehen  muß,  wo  man  narkotisieren 
will.  Dieser  Apparat  ist  für  die  Nar- 
kose gebraucht  worden,  aber  nur  noch 
als  historischer  Apparat  zu  betrach- 
ten, denn  er  kann  nicht  leicht  von  Ort 
zu  Ort  transportiert  werden  und  ist 
deshalb  nur  für  Zahnärzte  brauchbar, 
welche  nur  Narkosen  in  ihrem  Hause 
ausführen.  Dazu  ist  er  viel  verwendet 
worden  und  hat  gute  Dienste  getan. 
Für  den  Arzt  ist  er  aber  nicht  brauch- 
bar. Dieser  Apparat  hat  mit  dem 
von  K  a  p  p  e  1  viel  Ähnlichkeit.  Die 
Konstruktion  ersieht  man  aus  der 
Figur. 

Dieser  Apparat  ist  so  umständ- 
lich gebaut,  so  schwer  transportabel 
und  auch  sehr  voluuainös,  daß  man 
ihn  für  die  Praxis  nicht  verwenden 
kann.  Ein  anderer  Apparat  ist  von 
E.  Kappel  konstruiert  worden. 
Derselbe  ist  aber  nur  für  sehr  großen 
Verbrauch  zu  verwenden,  und  auch 
nur  für  größere  Institute  geeignet, 
denn  der  Apparat  ist  feststehend  und 
kann  nicht  transportiert  werden.  Er 
kann  nur  auf  EoUen  im  Zimmer  hin 
und  her  geschoben  werden,  doch  ist 
derselbe  für  die  Praxis  völlig  un- 
geeignet. Derselbe  braucht  hier  nicht 
weiter  beschrieben  zu  werden,  da  er 
vor  den  anderen  keine  Vorzüge  vor- 
aus hat. 
Am    brauchbarsten    für    die  Narkose  ist  der  Apparat  von  H  e  w  i  1 1  und 

der  von  S  w  i  e  c  i  c  k  i ,  mit  denen  man  sehr  gute  Narkosen  erzeugen  kann,  und 

die  leicht  transportabel  und  verwendbar  sind. 


Fig.  173.    Narkoseapparat  von  Gesell 
für  die  Stickstoff oxydul-Sauerstoffnarkose. 


—     571     — 

XIII.  Kapitel. 
Die  kombinierte  Narkose. 

§  62.  Nachdem  in  den  vorhergehenden  Kapiteln  die  Narkosen  mit  den 
Narkotiknmgemischen  und  Gasgemischen  erörtert  worden  sind,  bleibt  nunmehr 
noch  übrig,  eine  andere  Art  der  Narkose  zu  erwähnen,  welche  man  die 
kombinierte  Narkose  im  Gegensatz  zur  Mischnarkose  nennt.  Während  man 
bei  der  Mischnarkose  die  Narkotika  in  irgendeiner  Art,  sei  es  als  Flüssigkeit 
oder  als  Dampf,  gemischt  verabreicht,  wird  bei  der  kombinierten  Narkose  ein 
Narkotikum  nicht  zugleich  mit  dem  anderen  oder  gar  gemischt  verabreicht, 
sondern  man  verabreicht  eines  nach  dem  anderen.  Es  kommt  hierbei  lediglich 
auf  die  Art  der  Verabreichung  an,  denn  die  Wirkung  auf  den  Organismus 
geschieht  meist  auch  zu  gleicher  Zeit.  Es  wäre  diese  Narkose,  wenn  man  hin- 
sichtlich der  wirkenden  Narkotika  sie  beurteilt,  auch  eine  Mischnarkose,  denn 
der  Organismus  steht  oft  hierbei  auch  unter  der  Wirkung  mehrerer  Narkotika 
zu  gleicher  Zeit,  nur  daß  man  dieselben  nicht  zusammen  gibt,  sondern  erst  das 
eine  und  nach  demselben  das  andere  je  nach  den  Verhältnissen  innerhalb  einer 
längeren  oder  kürzeren  Zeit  verabreicht.  Man  hat  eine  große  Anzahl  verschiedener 
Arten  der  kombinierten  Narkosen,  welche  man  einzeln  betrachten  muß,  da  sie 
zu  große  Verschiedenheiten  voreinander  besitzen,  um  allgemeine  Beurteilung 
zuzulassen.  Es  soll  daher  sogleich  mit  der  speziellen  Behandlung  der  einzelnen 
Methoden  begonnen  werden. 

§  63.  Die  erste  Methode,  welche  hier  erörtert  werden  soll,  ist  die 
kombinierte  Chloroformäthernarkose.  Diese  Methode  ist  zuerst  von 
Bourguignon  eingeführt  und  angegeben  worden.  Die  Methode  besteht 
darin,  daß  man  den  Kranken  zunächst  mit  Chloroform  bis  zur  Toleranz 
narkotisiert  und  die  weitere  Narkose  mit  Aether  sulfur.  unterhält.  Es  liegt 
ganz  entschieden  etwas  sehr  Gutes  in  der  Kombination  dieser  Methoden,  denn 
man  kann  dem  Kranken  durch  das  andere  Narkotikum  nützen,  indem  man  die 
Gefahren  der  einen  Methode  vermindert.  Allerdings  darf  man  hierbei  nicht  so 
strikte  verfahren,  wie  es  angegeben  wird,  daß  man  nur  bis  zur  Toleranz 
chloroformiert,  sondern  man  soll  nur  dann  Chloroform  geben,  wenn  es  nötig 
wird.  Dann  wird  aber  eine  andere  Methode  daraus,  als  sie  unter  dieser  Be- 
zeichnung bekannt  ist.  Man  hat  dieser  Methode  von  Bourguignon  nicht 
viel  Sympathie  entgegengebracht,  obgleich  die  Kombination  eigentlich  eine  recht 
vorteilhafte  Methode  darstellt.  Julliard  hat  ein  sehr  drastisches  Urteil  über 
dieselbe  gefällt,  indem  er  sie  mit  „Methode  combinee  des  dangers  du  chloro- 
forme  aux  inconvenients  de  l'Ether"  bezeichnete.  Ehe  ich  etwas  näher  auf 
die  Kombination  von  Chloroform  und  Äther  eingehe,  will  ich  zugleich  noch 
eine  andere  Methode  erwähnen,  welche  man  die  Ätherchloroformnarkose 
genannt  hat,  und  welche  zuerst  in  Amerika  aufgetaucht  ist,  von  W  y  c  h  an- 
gegeben und  verschiedentlich  verwendet.  Diese  Methode  besteht  darin,  daß 
man  dem  Kranken  von  Anfang  an  Aether  sulfur.  verabreicht,  und  nur  zur  Er- 
reichung einer  tieferen  Narkose  oder  schnelleren  Eintrittes  der  Toleranz 
Chloroform  nebenbei  gibt.  Diese  Methode  hat  C  h  a  p  u  t  in  Paris  sehr  viel 
verwendet,  und  damit  sehr  gute  Resultate  erzielt,  indem  er  dabei  die 
Reflexsynkope    des    Chloroforms     vermeidet    und    die    Ätherwirkung    auf    die 


-      572     — 

Luugen  durch  Beifügen  von  Chloroform  vermindert.  Diese  letztere  Methode 
ist  in  neuerer  Zeit  wieder  aufgetaucht,  indem  W  i  t  z  e  1  bei  seiner  modernen 
Äthernarkose  die  Wirkung  durch  kleine  Gaben  von  Chloroform  verstärkt.  Es 
ist  absolut  ein  großer  Fehler,  wenn  man  diese  Kombination,  wie  es  in  den 
modernen  Lehrbüchern  der  Narkosen  meist  geschieht,  nur  oberflächlich  erwähnt, 
ohne  näher  auf  die  Wirkungen  dieser  vorzüglichen  Narkosen  einzugehen.  Wenn 
man  die  moderne  Narkose  von  Braun  bedenkt,  welche  die  Gase  von  Äther 
und  Chloroform  gemischt  verabreicht  und  je  nach  Bedarf  erst  Chloroform 
oder  Äther  etc.  gibt,  so  hat  man  darin  nur  eine  Vervollkommnung  dieser  ein- 
fachen Methoden.  Man  kann  das.  was  Braun  in  seinem  Apparat  erreicht, 
auch  mittels  der  Tropfmethode  erreichen,  indem  man  die  Tropfen  bald  von 
dem  einen,  bald  von  dem  anderen  Narkotikum  gibt.  Es  lassen  sich  aber  bei 
dieser  Verwendung  nicht  zwei  Methoden  genau  auseinandei'  halten,  wie 
Chloroformäther-  oder  Ätherchloroformnarkose.  Es  müssen  sich  vielmehr  diese 
beiden  Methoden  unter  eine  vereinen  lassen.  Der  praktische  Arzt  wird  nie 
über  die  Tropfmethode  hinauskommen,  denn  die  Vorteile  dieser  Methode  sind 
so  große,  daß  man  dieselbe  nicht  einfach  in  den  Hintergrund  stellen  und  durch 
komplizierte  Apparate  ersetzen  kann.  Es  ist  nicht  möglich,  daß  der  Arzt  auf 
dem  Lande  große  komplizierte  Apparate  für  die  Narkose  mit  über  Land  transportiert, 
er  wird  iür  alle  Fälle  eine  kleine  Esmarchsche  Maske  in  seinem  Koffer  haben 
und  eine  Flasche  mit  Chloroform  sowie  eine  mit  Äther,  aber  er  wird  nicht  Raum 
für  die  komplizierten  Narkosenapparate  haben,  und  selbst  wenn  er  solche  ver- 
wendet, so  kann  er  sie  nicht  immer  bei  sich  haben,  denn  es  geschieht  oft,  daß 
der  Arzt  auf  einer  Tour,  wenn  er  durch  einen  Ort  fährt,  angerufen  wird  und 
operieren  muß.  Für  solche  Fälle  hat  jeder  vielbeschäftigte  Landarzt  seinen 
großen  Koffer  auf  dem  Wagen,  in  welchem  alles  zur  Hand  ist,  was  er  brauchen 
kann.  Daß  darin  nicht  ein  großer  Narkosenapparat  Platz  haben  kann,  läßt  sich 
denken. 

Wenn  man  nun  aber  bedenkt,  wie  oft  doch  für  den  oder  jenen  Kranken 
die  Chloroformnarkose  nicht  geeignet  ist,  sondern  Ätheruarkose  und  umgekehrt, 
auch  wie  man  oft  den  Äther  durch  Chloroform  verstärken  will  etc.,  so  gelangt 
man  zu  der  Überzeugung,  daß  die  kombinierte  Ätherchloroformnarkose  für  die 
Praxis  die  brauchbarste  und  beste  ist.  WeEn  ich  hier  weiter  von  dieser 
Methode  spreche,  so  handelt  es  sich  um  die  Methode,  in  welcher  der  Äther  die 
Grundlage  bildet,  während  man  Chloroform  nur  zur  Hilfe  gibt,  während  nur  in 
seltenen  Fällen  bei  Patienten,  welche  gegen  Äther  Kontraindikationen  abgeben, 
das  Chloroform  die  Grundlage  bildet  mid  der  Äther  nur  nebenbei  als  anregendes 
Mittel  zum  Stärken  der  Herztätigkeit  gegeben  wii'd.  Wenn  man  der  Chloroform- 
narkose nämlich  einige  Tropfen  Äther  beigibt,  so  gewahrt  man  sofort  eine  be- 
deutende Besserung  des  Pulses,  derselbe  wird  sofort  kräftiger.  Es  ist  daher 
sehr  vorteilhaft,  bei  langen  Chloroformnarkosen,  in  denen  eine  sehr  starke 
Depression  des  Blutdruckes  entsteht  als  Folge  der  Chloroformwirkung,  ab  und 
zu  die  Narkose  während  einiger  Minuten  mit  Äther  zu  leiten,  oder,  falls  man 
die  Ätherwirkung  auf  die  Lungen  fürchtet,  nur  wenige  Tropfen  Äther  ab  und 
zu  an  Stelle  des  Chloroforms  zu  verabreichen.  Es  ist  kein  Zweifel,  daß  durch 
diese  Kombination  der  beiden  Narkotika  die  üblen  Wirkungen  des  einen  durch 
die  guten  Einflüsse  des  anderen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  paralysiert 
werden  können.    Natürlich  darf  man  dies  nicht  überschätzen  und  muß  auch  die 


—     571}     — 

Avichtigen  Grenzen  innehalten,  denn  bei  ungeeigneter  Kombination  kann  man 
leicht  mehr  Schaden  als  Nutzen  stiften.  Immer  muß  man  beachten,  daß  man 
nie  beide  Narkotika  zu  gleichen  Mengen  geben  soll,  sondern  das  eine  soll  als 
Grundlage  dienen  und  das  andere  darf  nur  in  geringen  Mengen  zur  Verstärkung 
gegeben  werden.  Nie  darf  man  soviel  des  anderen  geben,  daß  die  Wirkungen 
summiert  werden,  denn  dann  summieren  sich  vor  allem  die  üblen  Einwirkungen 
auf  die  inneren  Organe. 

Was  nun  die  Verhältnisse  der  Einwirkungen  dieser  kombinierten  Narkosen 
anlangt,  so  hat  man  folgendes  gefunden.  Narkosen,  in  denen  Chloroform  vor- 
herrscht und  Äther  nur  in  unwesentlichen  Mengen  beigegeben  ist,  wirken  auf 
den  Organismus  wie  reine  Chloroformwirkungen,  nur  mit  dem  Unterschied,  daß 
der  Blutdruck  und  die  Herzkraft  nicht  so  sehr  geschädigt  werden,  wie  bei  der 
einfachen  Chloroformnarkose,  während  Narkosen,  in  denen  hauptsächlich  Aether 
sulfur.  gegeben  und  Chloroform  nur  in  minimalen  Mengen  beigefügt  wird, 
wie  reine  Athernarkosen  wii'ken  mit  dem  unterschied,  daß  man  weniger 
Äther  zur  Narkose  braucht  und  die  Toleranz  leichter  eintritt.  Gibt  man  dabei 
von  beiden  Narkotika  größere  Mengen,  so  summieren  sich  die  üblen  Ein- 
wirkungen beider  Narkotika  und  der  Kranke  ist  größeren  Gefahren  ausgesetzt, 
als  bei  der  einfachen  Narkose,  während  besondere  Vorteile  von  der  Narkose 
nicht  zu  sehen  sind.  Die  pathologischen  Einwirkungen  auf  die  inneren  paren- 
chymatösen Organe  sind  bei  diesen  Narkosen  sehr  leicht  auf  ein  Minimum  zu 
beschränken,  während  man  sie  auch  leicht  bedeutend  steigern  kann.  Mau  muß 
als  feststehende  Regel  bei  der  kombinierten  Narkose  betrachten,  daß  man  nie 
beide  Körper  in  für  die  Narkose  wirksamen  Mengen  geben  darf,  sondern  es 
darf  das  eine  nur  als  Narkotikum  ausschließlich  verwendet  werden,  während 
das  andere  einzig  als  Korrigens  des  ersteren  verwendet  werden  darf.  In  diesen 
Fällen  wird  die  narkotische  Kraft  gesteigert,  und  man  spart  dabei  Narkotikum- 
mengen, während  man  dadurch  die  pathologischen  Einwirkungen  mit  verringert, 
und  es  werden  ruhigere,  gleichmäßigere  Narkosen  von  geringeren  Beschwerden 
und  Nachwirkungen  itnd  schnellem  Erwachen  erzielt. 

Es  sind  von  mir  eingehende  Untersuchungen  über  diese  Narkosen  an- 
gestellt worden,  und  ich  habe  gefunden,  daß  die  Narkosen,  bei  denen  man 
sowohl  Äther  wie  Chloroform  in  großen  Dosen  halb  und  halb  etc.  verwendet, 
in  den  inneren  Organen  des  narkotisierten  Tieres  schwerere  Veränderungen 
erzeugten,  als  man  sie  nach  den  einfachen  Narkosen  fand.  Es  fand  sich  nach 
solchen  Narkosen  sowohl  eine  ausgedehnte  Fettmetamorphose  in  den  inneren 
parenchymatösen  Organen,  als  auch  ausgedehnte  pneumonische  Infiltrationen  in 
den  Lungen.  Also  wäre  die  Summe  der  schädlichen  Wirkungen  vorhanden, 
und  dies  ist  entschieden  ein  schwerer  Nachteil,  denn  diese  Gefahr,  in  welche 
man  da  den  Kranken  versetzt,  steht  nicht  im  Verhältnis  zu  dem  Nutzen, 
welchen  die  Mischung  für  den  Verlauf  der  Narkose  bringt.  Anders  aber  sind 
die  Einwirkungen  jeuer  Narkosen,  wo  das  zweite  Mittel  nur  in  minimalen 
Mengen  verabreicht  wird.  Bei  diesen  Narkosen  fand  sich  in  den  Tieren  nach 
dem  Verwenden  der  Ghlorofomäthernarkose  wohl  auch  die  Fettmetamorphose 
angedeutet,  doch  nicht  so  hochgradig,  wie  nach  gleichen  einfachen  Chloroform- 
narkosen, während  in  den  Lungen  keine  Pneumonien  zu  entdecken  waren.  Es 
kommt  diese  Verminderung  geringen  Grades  der  Fettmetamorphose  dadurch  zu 
Stande,  daß  man  zu  diesen  Narkosen  bedeutend  weniger  Chloroform  verwendet 


—     574     — 

und  dasselbe  zeitweise  durch  Äther  ersetzt.  Hiugegen  ist  der  Äther  nicht  in 
dem  Maße  verwendet  worden,  daß  er  schädliche  Wirkungen  ausüben  kann.  Der 
Vorteil  dieser  Narkose  liegt  neben  der  Verminderung  des  Chloroforms 
auch  noch  in  der  Steigerung  der  Herzkraft  und  somit  auch  des  ganzen 
Wohlbefindens  nach  der  Narkose.  Die  Narkose  mit  hauptsächlich  Äther  und 
wenig  Chloroform  rief  in  den  inneren  Organen  die  Veränderungen  der  einfachen 
Äthernarkose  in  weit  geringerem  Grade  hervor.  Man  fand  nach  solchen 
Narkosen  in  den  Lungen  viel  weniger  Schleimmassen,  viel  weniger  und  kleinere 
pneumonische  Infiltrationen  nach  vier  Narkosen  als  nach  vier  einfachen  Äther- 
narkosen. Auch  in  den  anderen  Organen  war  die  Fettmetamorphose  nicht  stäker  als 
nach  der  einfachen  Äthernarkose.  Weiter  brauchte  ich  zu  den  Narkosen  bedeutend 
weniger  Äther,  und  dieselben  verliefen  ohne  jede  Exzitation  und  Erbrechen,  die 
Toleranz  trat  bald  ein,  nach  der  Narkose  war  nur  wenig  Übelsein,  Erbrechen  etc. 
vorhanden.  Ich  habe  diese  letztere  Art  der  Narkose  sehr  oft  ausgeführt  und  bin 
damit  sehr  zufrieden  gewesen.  Man  kann  diese  Narkosen  durch  geschickte  Ver- 
wendung der  einzelnen  Narkotika  zu  den  denkbar  besten  Betäubungen  und 
wenigst  gefahrvollen  Narkosen  machen.  Der  Hauptvorteil  bei  denselben  liegt 
in  der  Ersparnis  an  Narkotikum. 

Was  nun  die  Verwendung  dieser  Narkosen  anlangt,  so  muß  man 
natürlich  bei  der  Auswahl  der  Methoden  streng  individualisieren,  und  es  kommen 
hier  alle  die  Indikationen  und  Kontraindikationen  in  Betracht,  welche  früher 
für  die  einfache  Äther-  und  einfache  Chloroformnarkose  erörtert  worden  sind. 
Somit  wird  man  also  aus  der  Beschaffenheit  des  Kranken  bestimmen  können, 
welches  Nai-kotikum  man  als  Grundlage  der  Betäubung  wählt.  Die  meisten 
Fälle  werden  mit  der  Ätherchloroformuarkose  betäubt  werden  können,  nur  bei 
Lungenleidenden  wird  man  die  Chloroformäthernarkose  verwenden.  Die 
Einzelheiten  sind  früher  bei  der  Besprechung  der  einfachen  Narkosen  behandelt 
worden. 

Was  nun  die  Technik  dieser  Narkosen  anlangt,  so  muß  zunächst  erwähnt 
werden,  daß  alle  Bestimmungen,  die  für  die  einfachen  Narkosen  getroffen 
worden  sind,  hier  ebenfalls  beachtet  werden  müssen.  Die  Verabreichung  der 
Narkotika  geschieht  am  besten  durch  die  Tropfmethode.  Man  verwendet  eine 
kleine  mit  Trikotstoff  überzogene  Esmarchsche  Maske.  Die  Maske  wird 
auf  das  Gesicht  des  Kranken  gelegt  und  nun  bei  der  Chloroformäther- 
narkose zunächst  Chloroform  in  Tropfen  auf  die  Maske  getropft.  Dies  wird  so 
lange  fortgesetzt,  bis  der  Kranke  einige  Minuten  inspiriert  hat,  dann  gibt 
man  schon  inzwischen  einmal  während  einer  Minute  Äthertropfen  an  Stelle 
des  Chloroforms,  bis  der  Kranke  zur  Toleranz  gelangt  ist.  Wenn  er  tief 
betäubt  ist,  wird  die  Narkose  zunächst  mit  einigen  Tropfen  Äther  unterhalten 
und  nach  zwei  Minuten  wieder  etwas  Chloroform  gegeben  u.  s.  f.  Wenn  man 
bemerkt,  daß  der  Puls  schwach  wird,  so  muß  man  einige  Tropfen  Äther  ver- 
abreichen. Während  dieser  Narkosen  muß  der  Kranke  peinlich  beobachtet 
werden,  denn  jede  Veränderung  muß  Beachtung  finden.  Der  Narkotiseur  kann 
hier  sehr  viel  an  Narkotikum  sparen,  denn  mit  einiger  Übung  kann  man  mit 
wenigen  Tropfen  Chloroform  oder  Äther  die  Narkose  lange  Zeit  erhalten.  Die 
Ätherchloroformnarkose  wird  zunächst  mit  Äther  begonnen,  und  zwar  verwendet 
man  ebenfalls  eine  Esmarchsche  Maske  und  tropft  auf  dieselbe  zunächst 
Äther  und,  nachdem  der  Kranke  zu  atmen  gelernt  hat,  fügt  man  dem  Äther  einige 


I 


OtiJ        — 

Tropfen  Chloroform  bei.  Namentlich  dann,  wenn  der  Kranke  in  das  Stadium  II 
verfällt,  muß  man  für  einige  Minuten  Chloroform  auftropfen  lassen,  dann  wird 
die  Exzitation  vollkommen  vermieden  und  der  Kranke  wird  leicht  und  schnell 
zur  Toleranz  gebracht.  Wenn  letztere  eingetreten  ist,  gibt  man  nur  noch 
Äther  in  Tropfen  und  erst  dann  wieder,  wenn  der  Kranke  zu  erwachen  droht, 
läßt  man  5 — 6  Tropfen  Chloroform  auf  die  Maske  fallen.  Man  kann  bei  solchen 
Tropfnarkosen  durch  wenige  Tropfen  Chloroform  die  Toleranz  sofort  erreichen. 
Gerade  die  Kombination  beider  Narkotika  bewirkt  den  raschen  Eintritt  der 
tiefen  Narkose.  In  dem  weiteren  Verlaufe  der  Narkose  wird  nur  ab  und  zu 
einmal  ein  wenig  Chloroform,  zwei  bis  drei  Tropfen,  beigegeben. 

Diese  Methoden  sind  für  jeden  Arzt  verwendbar  und  liefern  bei  einiger 
Übung,  Geschick  und  guter  Beobachtung  sehr  gute  Narkosen.  Diese  Methoden 
sind  vor  allem  die  Methoden  der  Praxis.  Sie  können,  wie  weiter  unten  noch 
erklärt  werden  wird,  noch  mit  Morphin  kombiniert  werden,  wodurch  man  noch 
mehr  an  Narkotikum  sparen  kann.  Jede  Ersparnis  an  Narkotikummenge  ist 
für  den  Kranken  eine  Ersparnis  an  schädlichen  Wirkungen  und  ein  Schutz  vor 
Gefahren.  Man  hat  diese  Narkosen  in  vielen  Fällen  erprobt  und  sehr  gute 
Resultate  damit  erzielt  (W  itzel,  Hewitt,  Fuchs  etc.).  B  e  r  n  d  t  hat 
120  solcher  Narkosen  ohne  jede  Nachteile  und  üble  Wirkungen  ausgeführt,  er 
verwendete  meist  nur  3  g  Chloroform  neben  dem  Äther  und  hat  nie  Lungen- 
leiden nach  den  Narkosen  gesehen,  sondern  oft  Lungenkranke  ohne  Schaden 
betäubt.  Köllicker  hat  mit  der  Ätherchloroformnarkose  sehr  gute  Erfolge 
erzielt,  Adams  hat  300  Fälle  mit  Chloroformäthernarkosen  ohne  Unfall,  Neben- 
wirkungen und  Exzitation  etc.  ausgeführt.  Eine  genauere  Statistik  läßt  sich 
bis  jetzt  noch  nicht  feststellen.  Immerhin  kann  man  behaupten,  daß  eine  solche 
Narkose,  wenn  sie  recht  vorsichtig  und  exakt  geleitet  wird,  die  denkbar  beste 
und  ungefährlichste  ist,  aber  nur,  wenn  das  zweite  Narkotikum  in  kleinsten 
Dosen,  nur  zur  Unterstützung,  verwendet  wird  und  nur  in  der  Tropfmethode  bei 
strengster  Beobachtung  des  Kranken  und  Beachtung  aller  Vorschriften. 

§  64.  Eine  der  wichtigsten  Kombinationen  ist  die  Verbindung  der  Mor- 
phinwirkung mit  Chloroform,  welche  zu  der  sogenannten  Morphium  Chloroform- 
narkose geführt  hat,  eine  Methode,  welche  selbst  noch  häuflger  fast  angewendet 
wü"d,  als  die  einfache  Chloroformnarkose. 

Der  Gedanke,  die  Chloroformnarkose  durch  Verbindung  mit  anderen  be- 
ruhigenden, narkotisch  wirkenden  Mitteln  zu  vertiefen  und  zu  erleichtern,  ist 
schon  ein  sehr  alter  in  der  Narkosiologie,  und  man  kann  zurückgreifen  auf  die 
ersten  Versuche  der  Verwendung  der  ISfarkotika,  denn  schon  P  i  t  h  a  1871  hat 
das  Chloroform  mit  anderen  narkotischen  Mitteln  verbunden  verabreicht.  Er 
hatte  einen  Kranken  wegen  einer  Herniotomie  zu  narkotisieren,  und  zwar  gelang 
es  ihm  nicht,  denselben  mit  Aether  und  Chloroform  zu  betäuben,  und  nachdem 
er  zwei  Stunden  lang,  zuletzt  mit  Chloroform  allein,  die  Narkose  vergeblich  ver- 
sucht hatte,  ließ  er  dem  Kranken  perRecti;m  20  g  Extractum  Belladonuae  ver- 
abreichen, worauf  sehr  bald  tiefe  Narkose  eintrat,  welche  zwölf  Stunden  auhielt. 
Als  der  Kranke  nach  zwölf  Stunden  erwachte,  fühlte  er  sich  zwar  ganz  wohl,  doch 
hatte  er  zunächst  das  Augenlicht  verloren,  doch  kehrte  nach  wenigen  Stunden 
das  Sehvermögen  wieder.  Das  Befinden  des  Kranken  war  sonst  nach  dem  Er- 
wachen aus  der  Betäubung  ein  recht  gutes.  Der  erste,  welcher  das  Morphin 
zur  Narkose  zu  verwenden  riet,  war  Claude  Bernard,  welcher  sich  schon 
im  Jahre  1869  damit  beschäftigte,  Chloroform  und  Morphin  zur  Narkose  zu 
verwenden.  Erst  im  Jahre  1873  aber  kam  v.  Nußbaum  zu  einer  ähnlichen 
Verwendung.     Während  aber  Claude  Bernard  versuchte,    durch  Morphin, 


—      576     — 

vor  der  Narkose  gegeben,  die  Menge  der  zur  Narkose  notwendigen  Chloroform- 
dosis verringern  zu  können,  machte  v.  N  u  ß  h  a  i;  m  bei  einem  Krauken  die 
Morphininjektion  zuerst  nach  der  Narkose,  um  dem  Krauken  die  Schmerzen 
zu  nehmen.  So  verwendete  v.  Nußbaum  bei  vielen  Kranken  das  Morphin 
erst  nach  der  Narkose,  oder  er  injizierte  dasselbe  während  des  Exzitations- 
stadiums  und  während  der  Toleranz,  indem  er  dadurch  erreichte,  die  Narkose 
länger  auszudehnen,  als  gewöhnlich,  denn  er  konnte  die  Narkose  zwei  bis  zwölf 
Stunden  lang  unterhalten,  wenn  er  während  der  Toleranz  0,03 — 0,06  Morphini 
acetici  injizierte.  Die  Kranken  verfielen  nach  der  Narkose  in  tiefen  Schlaf, 
aus  welchem  man  sie  während  mehrerer  Stunden  auf  keine  Weise  und  durch 
kein  Mittel  erwecken  konnte,  während  sie  endlich  spontan  erwachten,  ohne 
Uebelkeit  und  Erbrechen  zu  zeigen.  Diese  Methode  wurde  sehr  bald  von  R  a  b  o  t 
in  Frankreich  weiter  ausgebaut  und  verwendet. 

Schon  vor  Claude  B  e  r  n  a  v  d  hat  U  t  e  r  h  a  r  t  durch  Zufall  die 
günstige  Wirkung  der  Morphin-Chloroformnarkose  gesehen.  Er  wollte  nämlich 
bei  einem  Potator  eine  Schulterluxation  einrichten  und  hatte  dem  Kranken  eine 
große  Dosis  Morphin  verabreicht,  doch  gelang  es  ihm  nicht,  und  er  mußte  nach 
ca.  Vi  Stunde  noch  chloroformieren,  wobei  er  merkte,  daß  die  Narkose  äußerst 
rasch  und  leicht  eintrat,  und  er  bedeutend  weniger  Chloroform  als  bei  gewöhn- 
lichen Narkosen  brauchte.  Daraufhin  machte  er  weitere  Versuche  und  fand 
schließlich,  daß  eine  zehn  Minuten  vor  dem  Beginn  der  Chloroformnarkose 
ausgeführte  Morphininjektion  die  Narkose  bedeutend  erleichtere,  und  gab  den 
Rat,  daß  man  diese  Methode  verwenden  solle. 

C  1  a  u  d  e  B  e  r  u  a  r  d  ,  welcher  weitgehende  physiologische  Versuche  noch 
mit  dieser  Methode  angestellt  hatte,  fand,  daß  die  Morphininjektion  insofern 
wirkt,  als  das  Morphin  die  Nerven  in  einer  Weise  abstumpft,  daß  die  Nerven 
schon  durch  Blut,  das  eine  für  die  Aufhebung  der  Sensibilität  normaler,  gesunder 
Nerven  lange  nicht  genügende  Bienge  Chloroform  gelöst  enthält,  vollkommen 
anästhetisch  gemacht  werden.  Chloroform  und  Morphin  wirken  in  gleichem 
Sinne  und  ergänzen  sich  hinsichtlich  der  narkotischen  Wij'kung,  obwohl  Mor- 
phium nicht  ein  Narkotikum  wie  Chloroform  ist  und  nur  das  mit  dem  Chloro- 
form gemein  hat,  daß  es  auf  das  gleiche  organische  Element,  den  Nerven, 
wirkt  und  seine  physiologischen  Eigenschaften  zu  zerstören  bemüht  ist.  Dies 
ist  die  Ansicht  der  Wirkung  des  Morphium  von  Claude  B  e  r  n  a  r  d. 

M  0  1 1  0  w  erklärt  die  Vorzüge  der  Morphium-Chloi'oformnarkose,  indem 
er  annimmt,  daß  das  Morphin  die  Ii-ritabilität  der  Respiratiousschleimhaut  be- 
deutend vermindert  und  so  die  Reflexe  auf  die  Respirationsorgane  und  das  Herz 
durch  das  Chloroform  verhindert.  Es  wirkt  daher  die  Morphininjektion  genau 
wie  die  Durchschneiduug  der  Nervi  vagi.  Ferner  erhöht  das  in  kleinen  Dosen 
verabreichte  Morphin  den  Blutdruck  infolge  Reizung  der  exzitomotorischen  Herz- 
ganglieu  und  Kontraktion  der  peripheren  Gefäße,  während  das  später  wirkende 
Chloroform  uur  diesen  Ueberdruck  zu  beseitigen  vermag,  ohne  den  Blutdruck 
selbst  unter  die  Nomialblutdruckhöhe  herabdrücken  zu  können.  Er  bemerkte 
bei  der  Chloroformnarkose  ohne  Morphin  eine  rasche  Erschlaffung  des  vaso- 
motorischen Zentrums  bei  der  reflektorischen  Reizung  vom  Nervus  ischiadicus 
aus,  während  bei  der  Morphininjektion  vor  der  Narkose  das  Zentrum  seine 
Irritabilität  noch  lange  ungestört  besaß.  Weiter  wird  die  zur  Narkose  nötige 
Menge  des  Chloroforms  bedeutend  herabgesetzt,  so  daß  dieselbe,  welch  eine 
Menge  Chloroform  auch  immer  verabreicht  werde,  nicht  genügt,  die  gefürchtete 
Herzsynkope,  Lähmung  der  Zirkulations-  und  Respirationszentren  hervorzurufen ; 
eine  Behauptung,  die  allerdings  zu  optimistisch  ist! 

Es  ist  kein  Zweifel,  daß  die  Kombination  der  Chloroformnarkose  mit 
vorhergehender  Morphininjektion  voi'  allen  Dingen  eine  ruhigere  Narkose  her- 
beiführt, die  Toleranz  schneller  eintreten  läßt,  die  Chloroformmenge  vermindert 
und  somit  gewissermaßen  die  Gefahr,  und  die  Narkose  länger  dauernd  und 
ruhiger  macht.  (Labbe.Goujon,  Guibert, Demarquay, Kappeier. 
V.  Nußbaum  etc.) 


—      5/V      — 

Die  Wirkung-  des  Jllorphins  ist  derart,  daß  dasselbe  eiueu  lähiiiendeu  Eiii- 
rtnÜ  auf  das  Zei-eljruiu  und  die  Medulla  oblong-ata  ausübt,  so  daß  die  Nerven- 
zeutren  schon  gewissermaßen  etwas  depriniiei't  sind  und  bei  den  ersten  Einflüssen 
des  Chloi'oforms  niclit  die  stai'ke,  namentlich  bei  Alkoholikern  oft  hochgradige 
Exzitation  auslösen,  so  daß  der  Kranke  meist  ohne  jede  Erregung  betäubt 
wird.  Neben  diesem  Vorteil  wird  auch  die  Gefahr  der  Reflexsynkope  im  Anfang 
der  ('hloroformuarkose  infolge  Trigeminus-vagus-Reizung  von  der  Xasenrachen- 
schleimhaut  aus  durch  die  Morphinwirkung  verringert,  während  sie  aber  nie  ganz 
verhütet  werden  kann,  ja  sogar  auch  bei  diesen  Narkosen  beobachtet  worden  ist. 
Weiter  wird  auch  durch  das  Morphin  die  Empfindlichkeit  der  Schleimhäute  in 
den  Bronchien  herabgesetzt,  was  einerseits  eben  die  Synkope  vermindert  und  auch 
die  Hypersekretion  bedeutend  verringert. 

Ein  weiterer  Vorzug  der  Morphinwirkung  liegt  darin,  daß  sehr  leicht  nur 
eine  Analgesie  erzielt  werden  kann,  während  noch  das  Bewußtsein  vorhanden  ist 
(G  u  i  b  e  r  t).  Während  bei  der  einfachen  Chloroformnarkose  die  Intelligenz,  die 
Sensibilität  und  das  Perzeptionsvermögen  auf  einmal  gelähmt  werden,  kann  man 
bei  der  Morphinchloroformnarkose,  wenn  man  das  Chloroform  in  recht  kleinen 
Dosen  verabreicht,  eine  Disassoziation  erreichen,  so  daß  nämlich  die  Sensibilität 
völlig  erloschen,  das  Bewußtsein  aber  noch  zum  größten  Teil  erhalten  ist.  Man 
kann  daher  einen  Kranken  z.  B.  bei  Hals  Operationen  so  weit  betäuben,  daß  er 
zu  schlafen  scheint  und  nichts  fühlt,  doch  wenn  man  ihn  anruft  und  auffordert, 
a,uszuspucken,  dies  tut,  wobei  auch  der  Reflex  im  Kehlkopf  noch  vorhanden  ist, 
so  daß  der  Kranke  schluckt  oder  ausspuckt,  aber  die  Blut-  oder  Scheimmassen 
nicht  aspiriert.  Bei  derart  betäubten  Personen  ist  noch  ein  Teil  Tast-,  Geruch- 
und  Gehörvermögen  vorhanden,  während  die  allgemeine  Sensibilität  erloschen, 
das  Bewußtsein  noch  vorhanden,  aber  etwas  benommen  ist,  so  daß  der  Patient 
angerufen  werden  muß,  wenn  er  etwas  tun  soll,  sonst  schläft  ei'  oder  ist 
berauscht.  Man  kann  diesen  Zustand  leicht  erreichen,  doch  darf  man  nicht 
zuviel  Chloroform  geben,  sonst  wird  der  Kranke  leicht  ganz  narkotisiert. 
Während  schon  G  u  i  b  e  r  t  diese  Methode  empfiehlt,  hat  sie  K  a  p  p  e  1  e  r  nicht 
gekannt.  Ersterer  empfiehlt  diese  Halbnarkose  vor  allem  für  die  Geburtshilfe, 
während  ei'  sie  für  Operationen  weniger  geeignet  hält.  In  neuerer  Zeit  hat 
Riedel  dieselbe  im  „Chloroformrausch"  wieder  empfohlen.  Man  hat  aber  zu 
dieser  kurzen  Narkose  besser  den  Äther  verwendet,  da  Chloroform  zuviel 
Gefahren  mit  sich  bringen  kann. 

Die  protrahierte  Morphin-Chloroformnarkose  hat  im  allgemeinen  einen 
ruhigeren  Charakter  (K  a  p  p  e  1  e  r),  man  braucht  weniger  Chloroform,  es  fehlen 
Respirationsstörungen  fast  ganz,  sind  aber  sicher  seltener  als  bei  reinen  Chloro- 
formnarkosen. Nur  tritt  eine  Abnahme  der  Pulsfrequenz  auf,  während  Erbrechen 
häufiger  vorkommt  als  bei  einfacher  Narkose.  (Dudley-Buxton  Demar- 
q  u  a  y  etc.)  Auch  die  tiefe  Morphin-Chloroformnarkose  ist  für  Geburten  und 
geburtshilfliche  schwere  Operationen  empfohlen  und  mit  besten  Resultaten  in 
solchen  Fällen  angewendet  worden.     (G  u  i  b  e  r  t ,  v.  Nußbaum  etc.) 

E  m  b  1  e  y  hat  interessante  Versuche  über  Chloroform  in  seiner  Wirkung 
auf  das  Herz  gemacht  und  fand  folgendes:  Wenn  ein  Herz  durch  Einatmung 
von  zwei  oder  mehr  "/o  Chloroformluft  vorgiftet  ist,  so  kann  es  in  allen  Fällen 
sofort  zum  Stillstand  gebracht  werden,  wenn  man  die  Nervi  vagi  faradisiert, 
vorausgesetzt,  daß  der  Blutdruck  auf  40 — 50  mmHg  gesunken  ist.  Chloroform 
erhöht    die  Reizbarkeit    der  Vagi  besonders    in  den  ersten  Stadien  der  Narkose. 

37 


—     578     — 

Diese  erhöhte  Reizbarkeit  wird  bedingt  durch  die  Wirkung  des  Chloroforms 
auf  das  Vaguszentrum.  Die  hemmende  Wirkung  ist  um  so  bedeutender  und 
gefährlicher,  je  mehr  die  spontane  Erregbarkeit  des  Herzens  durch  das  Chlo- 
roform vermindert  ist.  Bei  morphinisierten  Hunden  setzt  das  Chloroform,  wenn 
der  Gehalt  der  Inspirationsluft  1,5  7o  nicht  überschreitet,  die  Reizbarkeit  des 
Vagus  langsam  herab.  Die  Reizbarkeit  des  Vagus  kann  sich  wieder  heben 
durch  VermehiTiug  der  Chloroformzufuhr  oder  durch  Asphyxie. 

Schwär tz  verwendet  Morphin  mir  bei  Alkoholikern,  Hysterischen,  so- 
wie bei  Schädel-  und  Gehirnoperationen  vor  der  Narkose  und  hat  so  gute  Re- 
sultate, indem  er  auf  10000  Narkosen  nur  einen  Todesfall  erlebte. 

Richelot,  Tuffier  und  andere  verwerfen  die  Kombination,  denn  sie 
erlebten  oft  lange,  dem  Coma  gleichende  schlaf  artigen  Zustände  nach  Morphin- 
injektionen vor  der  Narkose. 

E  V  e  1 1  hat  die  Morphin-Chloroformnarkose  in  500  Fällen  mit  sehr  gutem 
Erfolg  verwendet,  doch  läßt  er  das  Morphin  V-a  Stunde  vor  der  Narkose  verab- 
reichen, und  zwar  0,01.  Ein  Todesfall  trat  nie  ein.  Doch  hat  E  v  e  1 1  nur 
Frauen  so  betäubt. 

Soloweitschik  hat  bei  der  Morphin-Chloroformnarkose  sehr  gute 
Resultate,  nur  trat  auf  lOOO  Narkosen  zehnmal  Erbrechen  auf. 

Potherat  meint,  daß  das  Morphin  die  Gefahren  in  der  Chloroformuarkose 
vermehre  und  ungünstig  wirke  nach  seinen  Erfahrungen. 

Man  hat  in  der  Chloroformnarkose  das  Erbrechen  recht  oft  beobachtet 
und  zu  dessen  Verhüten  verschiedene  Hilfsmittel  angegeben,  welche  wohl  hier 
und  da  helfen.  Am  vorteilhaftesten  sind  gegen  lästiges  anhaltendes  Erbrechen 
nach  der  Narkose  Magenspülungen  vorzunehmen. 

Weber  riet,  eine  mit  Chloroformwasser  versetzte  Pepsin-Salzsäuremixtur 
längere  Zeit  vor  der  Narkose  dem  Kranken  zu  verabreichen.  Er  gibt  den  Rat» 
in  Fällen,  wo  man  warten  kann,  den  Kranken  wochenlang  damit  vorzubereiten.  (!) 
Für  Patienten,  denen  der  Geschmack  des  Chloroformwassers  unangenehm  ist, 
soll  man  einen  Zusatz  von  je  vier  Tropfen  Pfefferminz-  oder  Anisessenz  zu 
200  g  Aqua  chlorofoi-m.  verwenden. 

L  e  w  i  n  will  die  Reizung  der  Magennerven  durch  folgende  Methoden  ver- 
hüten :  erstens  soll  man  die  Magennerven  durch  eine  Kokainlösung  lähmen,  indem 
man  dem  Kranken  300 — 500  ccm  einer  Solution  von  0,05 — 0,1  Kokain  :  500 
Aqua  dest.  verabreicht;  zweitens  soll  man  die  Magenschleimhaut  mit  einem  indiffe- 
renten für  das  Chloroform  undurchdringlichen  Schutzmittel  überziehen,  welches 
z.  B.  Mucilago  gummi  arabici  1,0  :  42  Aqua  oder  Tragacantha  1 — 2  :  100—200 
Aqua  oder  Slucilago,  Salep.  Carrageen,  Rad.  Althae.  etc.  darstellen  könnte. 
Dies  soll  dem  Kranken  drei  bis  vier  Stunden  vor  der  Narkose  verabreicht  werden. 
Hierbei  bedenkt  Lewin  nicht,  daß  das  Chloroform  doch  in  den  Magendrüsen 
und  der  Schleimhaut  selbst  abgesondert  wird,  also  doch  mit  den  Magennerven 
trotzdem  in  Berührung  kommen  muß.  Tatsächlich  ist  das  Kokain  ein  sehr  gutes 
Mittel  und  ich  gebe  dasselbe  in  Tropfen  mit  Morphin  oder  ohne  dieses  bei 
heftigem  Erbrechen  nach  der  Magenspülung,  denn  es  wird  ja  immer  wieder 
Chloroform  abgesondert,  weshalb  diese  Medikation  günstig  wirken  kann.     (Verf.) 

Was  die  Gefahren  der  Narkosen  mit  Morphin  anlangt,  so  kann  man  kaum 
sagen,  daß  dieselben  bedeutend  geringer  seien,  als  bei  der  einfachen  Narkose. 
Sklifossowski  hat  auf  28708  Narkosen  5  Todesfälle,  also  1:5741  erzielt, 
und  die  Angaben  anderer  Forscher  sind  ähnliche.  K  ü  m  m  e  1 1  gibt  an,  daß. 
mit  Morphininjektionen  kombinierte  Chloroformnarkose  die  respiratorische  Syn- 
kope begünstige  in  den  späteren  Stadien  der  Narkose.  Auch  D  a  s  t  r  e  hat 
diesen  Nachteil  konstatieren  können.  Es  tritt  nämlich  bisweilen,  nachdem  das 
Chloroform  schon  weggelassen  ist,  allmähliche  Verlangsamung  der  Atembewe- 
gungen  und  endlich  ein  plötzliches  Sistieren  derselben  auf,  wobei  das  Herz  zu- 
nächst  noch    weiter    schlägt,    dann    aber    auch   plötzlich    zu  schlagen  aufhört. 


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AUei'dmgs  kann  mau  stets  den  Kranken  noch  vor  dem  Tode  retten,  wenn  man  noch 
rechtzeitig-  bei  Beginn  der  Atemlähmung-  künstliche  Respiration  etc.  einleitet, 
dann  ist  die  regelmäßige  Atmung  uach  wenigen  Minuten  wieder  zu  erreichen. 
Es  ist  dies  also  ein  Unfall,  der  sehr  schwere  Folgen  haben  kann,  wenn  er  ein- 
tritt, w'enn  der  Arzt  nicht  mehr  bei  dem  Kranken,  und  das  Personal  nicht 
instruiert  ist.  Man  wird  daher  den  Rat  geben  müssen,  die  Chloroformmorphin- 
narkose nie  auf  dem  Lande  oder  dort  vorzunehmen,  wo  der  Kranke  den 
ersten  Tag  nach  der  Narkose  nicht  unter  ärztlicher  stetiger  Kontrolle  sich  be- 
findet oder  das  Personal  entsprechend  geschult  ist  und  der  Arzt  stets  sofort  erreicht 
werden  kann.  Dieser  Umstand  ist  sehr  wichtig  und  er  ist  eine  Veranlassung  für 
den  Arzt  jeden  so  narkotisierten  Patienten  noch  nach  der  Betäubung  längere  Zeit 
selbst  zu  beobachten.  Diese  Respirationssynkope  kann  leicht  bekämpft  werden  und 
tritt  ja  nicht  nur  bei  der  Morphinnarkose,  sondern  auch  bei  der  einfachen 
Chloroform-  oder  Äthernarkose  auf,  nur  ist  sie  bei  der  Chloroformmorphinnar- 
kose viel  häufiger.  Ein  weiterer  Nachteil  dieser  Narkose  ist  die  starke  Tem- 
peraturverminderung (Poncet  etc.),  welche  durch  die  Morphinwirkung  bedingt 
wird.  Diese  Nachteile  wiegen  den  Vorteil  der  Verminderung  der  Sjmkope  im 
Initialstadium  auf  und  auch  die  anderen  Vorteile.  Trotzdem  hat  die  Narkose 
in  gewissen  Fällen  aber  große  Vorzüge  (Potatoren,  Hysterische,  Nem-asthe- 
niker  etc.).  Was  die  Einwirkung  des  Chloroforms  auf  die  inneren  Organe  an- 
langt, so  ist  ein  wesentlicher  Unterschied  nicht  zu  bemerken.  Es  bestehen  die- 
selben Gefahren  genau  wie  bei  der  Chloroformnarkose,  und  es  ist  auch  dem 
hier  weiter  nichts  hinzuzufügen;  alles,  was  sonst  früher  über  das  Chloroform 
gesagt  worden  ist,  das  gilt  auch  für  die  Morphinnarkose.  Eine  günstigere 
Wirkung  ist  nur  insofern  zu  bemerken,  als  man  durch  die  Morphininjektion 
vor  der  Narkose  eine  bedeutende  Ersparnis  an  Chloroform  hervorruft  und  jede 
Ersparnis  an  demselben  ist  ein  Gewinn  für  den  Kranken,  denn  auch  die  Ein- 
wii'kung  des  Chloroforms  auf  die  inneren  Organe  ist  eine  günstigere,  wenn 
weniger  Chloroform  in  den  Organismus  gebracht  wird.  Es  wird  nun  aller- 
dings die  üble  Wirkung  des  Chloroforms  dazuzurechnen  sein,  doch  dieselbe 
ist  nicht  so  groß,   daß   sie  den  durch  die  Ersparnis  bedingten  Vorteil  aufwöge. 

Was  nun  die  Verwendung  des  Morphins  anlangt,  so  kann  man  natürlich 
ebenso  eine  Morphininjektion  der  Sauerstoffchlorformnarkose  voraufschicken, 
dieselbe  wird  da  eine  ebenso  gute  Wirkung  tun.  Man  soll  aber  auch  diese 
Methode  nicht  verallgemeinern.  Nur  in  Fällen,  wo  es  dem  Arzt  notwendig  er- 
scheinen wird,  soll  er  Morphin  vor  der  Narkose  verwenden.  Personen,  welche 
ebensoleicht  ohne  dasselbe  betäubt  werden  können,  sollen  kein  Morphin  erhalten. 
Es  sind  immer  zwei  Toxine,  unter  deren  Wirkung  der  Organismus  steht,  und 
wenn  auch  die  Narkose  mit  Morphin  Vorteile  hat,  so  ist  doch  eine  doppelte 
Giftwirkung  vorhanden,  der  man  nicht  einen  Menschen  ohne  zwingenden  Grund 
aussetzen  soll. 

Was  die  Technik  der  Narkose  anlangt,  so  ist  nur  die  Art  der  Verab- 
reichung des  Morphins  hier  zu  erörtern.  Alles  andere  ist  bei  der  Chloroform- 
narkose erörtert  u.nd  soll  dort  nachgeschlagen  werden.  Die  einen  haben  an- 
gegeben, das  Morphin  ca.  10 — 15  Minuten  vor  der  Narkose  zu  verabreichen,  an- 
dere hingegen  haben  wenigstens  30  Minuten  bis  eine  Stunde  Zeit  für  die  Morphin- 
wirkung gewünscht.  Q  u  e  n  u  machte  die  Injektion  ^2 — Vi  Stunde  vor  der 
Narkose.     Es  ist  richtig,  daß  das  Morphin  erst  nach  längerer  Zeit  wirklich  und 

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am  stärksten  beniMgend  wirkt,  und  daß  man  dalier  die  Injektion  nicht  zu  kurz 
vorher  ausführen  soll.  Es  ist  daher  am  besten,  die  Morphininjektion  ca.  dreißig 
Minuten  vor  dem  Beginn  der  Inhalationen  auszuführen  (E  v  e  1 1  etc.).  Die 
Morphinwirkung  hält  lange  Zeit  an  und  es  ist  daher  der  Kranke  in  der  Zeit 
von  30  Minuten  bis  eine  Stunde  nach  der  Injektion  gerade  unter  der  stärksten 
Morphinwirkung.  Man  kann  die  Beobachtung  leicht  an  jedem  Menschen,  dem  man 
Morphin  zwecks  Linderung  der  Schmerzen  injiziert,  machen.  Derselbe  fühlt  sich 
^2 — 1  Stunde  nach  der  Injektion  am  wohlsten.  Wenn  man  10  Minuten  bis 
■1/4  Stunde  vor  der  Narkose  das  Morj^hin  verabreicht,  wü'kt  es  mit  dem  Chloro- 
form noch  nicht  so  stark  beruhigend,  wie  es  sollte,  und  man  beobachtet  an 
Potatoren,  daß  dieselben  noch  ein  starkes  Exzitationsstadium  durchzumachen 
haben,  wenn  die  Injektion  10 — 15  Minuten  vor  der  Narkose  vorgenommen  wurde, 
während  sie  fast  ohne  jede  Exzitation  einschliefen,  wenn  die  Morphininjektion 
30 — 60  Minuten  vorher  ausgeführt  wurde. 

Man  soll  0,01 — 0,03  Morphin  injizieren  bei  Erwachsenen,  während  bei 
Kindern  Morphin  überhaupt  nicht  verwendet  werden  soll.  Bei  Frauen  genügen 
auch  schon  0,005  g  Morphin.  Weitere  Vorschriften  sind  für  die  Technik  nicht 
zu  geben,  denn  die  Asepsis,  Art  der  Injektion  etc.  müssen  als  bekannt  voraus- 
gesetzt werden,  und  alles  andere  ist  imter  dem  Kapitel  der  Chloroformnarkose 
nachzulesen.  Nur  eines  muß  noch  erwähnt  werden,  daß  der  Arzt  den  Kranken 
nach  der  Narkose  stets  noch  beobachten  muß  und  ihn  nicht  ohne  sachgemäße 
Aufsicht  lassen  darf  (Respirationssynkope).  Die  Art  der  Verabreichung  des 
Chloroforms  ist  ohne  Belang,  nur  muß  auch  in  der  Narkose  Herz-  und  Atem- 
tätigkeit gut  beobachtet  werden. 

§  65.  An  Stelle  des  Morphins  hat  man  das  Chloralhydrat  verwendet  und 
eine  Cliloralhydrat-Chloroformnarkose  oder  Chloralchloroformnarkose  ge- 
bildet (ferne,  Hartwig,  Lee.  Dubois  etc.).  Das  Chloralhydrat  bildet,  wie 
man  früher  gesehen  hat.  ein  Narkotikum,  welches,  schon  allein  verwendet, 
Narkosen  erzeugen  kann,  und  es  liegt  der  Gedanke  nicht  so  weit,  auch  dieses 
Mittel  mit  dem  Chloroform  zu  verbinden. 

Ferne  gab  Kranken  vor  der  Narkose  2—4  g  Chloralhydrat  und  fand  bei 
der  folgenden  Chloroformnarkose  bedeutende  Ersparnis  an  Chloroform  imd 
leichtere  Narkose,  kurz  alle  Vorteile  der  Morphinnarkose.  Dolbeau  und 
Demarquay  halten  die  Kombination  beider  Narkotika  für  gefährlich,  ebenso  Lee, 
während  Perrin  sehr  gute  Erfolge  erzielte,  wenn  er  3  g  Chloralhydrat  vor  der 
Narkose  gab.  Hartwig  gibt  3  g  Chloralhydrat  bei  Erwachsenen,  1,5  bei 
Kindern  per  os.  Man  hat  das  Chloralhydrat  teilweise  per  os,  teilweise  per  Rectum 
eine  Stunde  vor  der  Narkose  gegeben  und  dann,  wenn  die  Kranken  schliefen, 
die  Chloroformnarkose  begonnen  (Dolbeau,  Guyon,  Cusco,  Perrin  etc.). 

Wenn  man  diese  Methode  und  die  Resiiltate  meiner  Versuche  über 
die  Chloralhydratwü'kimg  bedenkt,  so  kommt  man  zu  der  Überzeugung,  daß 
dieselbe  nicht  eine  vorteilhafte  seia  kann,  denn  es  geht  das  Chloralhydrat  im 
Organismus  in  Chloroform  über  und  wirkt  daher  genau  wie  Chloroform. 
Es  ist  nun  bei  der  internen  Verabreichung  des  Chloralhydrats  nie  möglich, 
die  Dosis  zu  ändern,  und  so  kann  man  sehr  leicht  durch  das  Zufügen  der  In- 
halationsnarkose eine  Überdosierung  erreichen  und  den  Kranken  unter  schwere 
Gefahren  bringen.  Was  nun  die  Wirkung  dieser  Narkosenart  anlangt,  so 
braucht  man  keine  großen  Erörterungen  hier  anzuschließen,  denn  es  werden  die 
Chloroformwirkungen    nur    durch    das  Chloral   verstärkt,    natürlich    wird    mau 


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weniger  Chlontform  zur  luhalationsuarkose  brauchen,  doch  nur  deshalb,  weil 
schon  Chloroform  im  Organismus  enthalten  ist  und  es  werden  daher  die 
AMi-kungeu,  sowohl  die  üblen  wie  die  guten,  summiert.  Während  man  bei  der 
Morphin-Chlorofoi-mnarkose  ein  Mittel  dem  Chloroform  beigibt,  welches  andere 
Wirkungen  hat  und  teilweise  üble  Wirkungen  des  anderen  paralysieren  kann, 
ist  dies  hier  nicht  der  Fall,  sondern  es  werden  beide  Wirkungen  summiert.  Es 
ist  diese  Nai-kose  gefährlicher  als  die  einfache  Chloroformnarkose,  da  man  nie 
genau  weiß,  wieviel  Chloi'oform  im  Organismus  schon  gebildet  ist.  Diese 
Methode  ist  daher  vollkommen  aus  der  praktischen  Narkosiologie  zu  streichen 
und  nur  noch  als  historisches  Faktum  zu  erwähnen. 

§  66.  Eine  andere,  in  gewisser  Hinsicht  brauchbare  Methode  ist  die 
Chloralhydrat  -  Morphium  -  Chloroformnarkose  oder  die  Chloralhydrat  - 
Morphinnarkose  allein.  Als  ei'ster  hatte  Jastrowitz  die  beiden  Narkotika, 
Chloralhydrat  und  Morphin,  kombiniert,  während  Trelat  dieselbe  Methode  zuerst 
in  seiner  chirurgischen  Abteilung  der  Pariser  Charite  zu  Operationen  verwendete. 
Er  verfuhr  da  so,  daß  er  für  längere  Narkosen  bei  größeren  Operationen 
Chloroformnarkose  nach  vorhergehender  Morphin-Chloralhydratmedikation  an- 
wendete, während  er  kleinere  operative  Eingriffe  nur  unter  der  Betäubung  von 
Chloralhydrat  -|-  Morphin  ausführte.  Wenn  letztere  Methode  verwendet  werden 
sollte,  erhielt  der  Kranke ,  je  nach  dem  Alter,  4 — 9  g  Chloralhydrat  auf 
20 — 40  g  Syrupus  Morphin,  in  120  g  Wasser  gelöst,  verabreicht,  und  mußte  diese 
Mixtur  innerhalb  ^j^  Stunde  einnehmen.  Manche  Patienten  bekamen  nach  dem 
Einnehmen  Übelkeit,  starke  Speichelsekretion,  Speichelfluß,  Pills  und  Atmung 
wurden  stark  beschleunigt,  das  Gesicht  gerötet,  die  Pupillen  diktiert.  Nach 
30 — 40  Minuten  verfiel  der  Kranke  in  Somnolenz  und  Benommenheit  trat  ein, 
die  Sensibilität  wurde  geringer,  der  Cornealreflex  verschwand.  Nach  Verlauf 
weiterer  15 — 20  Minuten  wird  der  Kranke  komatös  und  bleibt  dies  meist 
P/o  Stunden  lang,  während  welcher  Zeit  man  leicht  operative  Eingriffe  voll- 
führen kann,  die  eine  gewisse  Mithilfe  des  Kranken  erheischen,  wie  z.  B.  Aus- 
spucken etc.  Der  Kranke  kann  durch  Anrufen  zu  solchen  Aktionen  veranlaßt 
werden  und  da  die  Reflexe  im  Hals  noch  bestehen,  so  aspiriert  er  auch  das 
Blut  aus  Mund  und  Nase  nicht,  sondern  verschlingt  es.  Deshalb  hat  man  diese 
Methode  sehr  eindringlich  für  die  Operation  des  Zungencarcinoms  empfohlen. 
Wenn  man  hingegen  tiefe  Narkose  braucht,  wenn  man  Muskelerschlaff'ung 
wünscht,  so  reicht  diese  Methode  nicht  aus.  Immerhin  ist  dieselbe  nicht 
so  gefährlich,  wie  die  Chloroform-Chloral-Morphinnarkose,  aber  man  besitzt  in 
der  Neuzeit  viele  weniger  gefährliche  Methoden  für  die  Betäubung  bei  solchen 
Operationen.  Immerhin  haften  auch  dieser  Methode  Gefahren  an,  welche  man 
um  so  weniger  ermessen  kann,  als  man  die  Dosis  des  im  Organismus  sich 
bildenden  Chloroforms  nicht  vermindern  kann.  Solche  Methoden  sind  ein  zu 
großes  Tappen  im  Dunkeln. 

Wenn  aber  schon  diese  Methode  nicht  empfehlenswert  ist,  so  ist  es 
noch  weniger  die  Kombination  derselben  mit  Chloroform,  denn  man  hat  die  so 
berauschten  Kranken  durch  Chloroforminhalationen  weiter  betäubt.  Es  wäre 
entschieden  mehr  angebracht  gewesen,  die  Methode  mit  Aether  sulfur.  weiter  zu 
vervollkommnen,  anstatt  mit  Chloroform.  Gibt  man  nun  einem  solchen  Kranken 
einige  Tropfen  Chloroform  zu  inhalieren,  so  ist  er  ohne  Exzitation  sofort  tief 
betäubt.     Man  braucht  nur  sehr  wenig  Chloroform,    doch   dauert  das  Erwachen 


—     582     — 

aus  der  Narkose  sehr  lange  Zeit,  denn  das  Chloralhydrat  und  Morphin  wirken 
noch  lange  Zeit  schlaferregend.  Oft  liegt  ein  solcher  Kranker  noch  36 — 48  Stunden 
nach  der  Narkose  in  komatösem  Znstande.  Daß  dies  nicht  erwünscht  •  ist,  weiß 
jeder,  denn  wir  streben  ja  jetzt  ein  sehr  rasches  Erwachen  des  Kranken  an, 
damit  er  recht  intensiv  atmet  und  so  die  Lungen  ventiliert.  Diese  Narkose  ist 
bei  allen  schweren  Leiden,  Depressionszuständen,  Herzaffektionen  etc.  streng 
zu  verbieten. 

Diese  Narkose  ist  von  Perrier  näher  studiert  worden,  und  er  hat  ver- 
sucht, die  Dosis  des  Chlorals  genauer  zu  bestimmen  und  hat  deshalb  dasselbe 
allmählich  an  den  Tagen  vor  der  Operation  gegeben,  doch  ohne  wesentlichen 
Erfolg  zu  erzielen.  Trelat  hat  die  Chloroform-Chloralhydrat-Morphinnarkose 
verschiedentlich  verwendet,  doch  es  hat  sich  diese  Methode  nie  einbürgern 
können,  vor  allen  Dingen  ist  sie  in  unserer  modernen  Narkosiologie  nicht  mehr 
offiziell  und  gebräuchlich,  da  wir  jetzt  viel  weniger  gefährliche  Methoden  haben. 
Es  wird  auch  diese  Methode  entschieden  von  der  Chlorform-Morphinnarkose 
übertroffen.  Was  die  Technik  anlangt,  so  brauche  ich  hier  nichts  mehr  hinzu- 
zufügen.    Es  geht  alles  aus  dem  eben  Gesagten  hervor. 

§  67.  Auch  den  Alkohol  hat  man  direkt  zur  Verbesserung  der  Chloro- 
formuarkose  verwendet  und  eine  Chloroform  -  Alkoholnarkose  geschaffen 
(Stefani,  Vachetta  etc.).  In  England  war  man  zuerst  dazu  geschritten, 
den  Kranken  vor  der  Narkose  Brandy  zu  verabreichen,  und  es  wurde  dadurch 
in  manchen  Fällen  ein  gewisser  Vorteil  erreicht.  Obwohl  die  Methode,  dem 
Kranken  vor  der  Chloroformierung  größere  Mengen  Alkohol  zu  verabreichen,  in 
Perrin  und  Lallemand,  Dumont  etc.  entschiedene  Gegner  fand,  welche  die- 
selbe energisch  bekämpften,  kam  sie  doch  zuerst  durch  Stefani  und  Vachetta, 
welche  rieten,  dem  Kranken,  nachdem  sie  die  Methode  an  Hunden  ausprobiert 
hatten,  vor  der  Narkose  größere  Mengen  starken  Weines  zu  geben,  wieder  auf. 
Dieselben  meinen  durch  den  Alkohol  die  SjTikope,  Apnoe,  Erbrechen,  Kollapse  etc. 
zu  verhüten,  was  allerdings  nicht  in  allen  Fällen  möglich  ist.  Da  nun  in  der 
Chloroformnarkose  bei  sehr  aufgeregten  Personen  z.  B.,  und  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  bei  allen  Leuten,  die  Magenfunktion  völlig  damiederliegt,  so  ver- 
dauen diese  Personen  den  verabreichten  Alkohol  gar  nicht,  er  bleibt  im  Magen 
und  erregt  schon  sehr  bald  nach  den  ersten  Chloroforminhalationen  Erbrechen. 
Somit  wird  derselbe  wieder  aus  dem  Körper  entfernt  und  kann  seine  wirklich 
guten  Einwirkungen  gar  nicht  entfalten.  Deshalb  nützt  er  meist  nichts.  In- 
folgedessen empfahl  Julliard,  den  Alkohol  dem  Kranken  vor  der  Narkose  per 
intravenöser  Infusion  zu  verabreichen,  was  ja  zweifellos  eine  sichere  Resorption 
zur  Folge  haben  wird,  aber  doch  ein  ziemlich  gefährliches  Unternehmen  dar- 
stellt. In  neuerer  Zeit  hat  man  aber  die  guten  Einwirkungen  des  Alkohols 
doch  wieder  versucht,  der  Narkose  dienstbar  zu  machen,  und  man  verabreicht 
entweder  eine  mäßige  Menge,  ein  Glas  Rotwein  mit  Tee,  ca.  Vj^  Stunden  vor 
der  Narkose  od*er  gibt  dem  Kranken  ein  großes  Glas  Kognak  mit  Tee  oder 
Milch  per  Rektum,  nachdem  ein  Reinigungsklysma  verabreicht  wurde  (Witze  1). 
Diese  Methode  ist  zweifellos  ganz  unschuldig  und  liefert  doch  recht  gute  Re- 
sultate, da  bei  den  meisten  Patienten  nach  17-2  Stunden  die  geringe  Menge 
resorbiert  ist,  und  wenn  Magenleiden  etc.  vorhanden  sind,  vermeidet  man  eben 
die  Magenresorption,  und  es  ward  dann  der  Alkohol  im  Rektum  sehr  gut  und 
schnell  resorbiert.     Namentlich   bei  Alkoholisten   und   zu  Kollapsen  neigenden 


—     583     — 

Personen  unterstützt  diese  Methode  die  Herzkraft  sehr  stark  und  verhütet  die 
Kollapse.  Dabei  wird  Chloroform  gespart,  der  Kranke  hat  leichtere  Narkose, 
Synkope,  Apnoe  nnd  ähnliche  schwere  Unfälle  treten  seltener  auf. 

Verbindet  man  diese  Methode  noch  mit  einer  Morphininjektiou  vor  der 
Narkose,  so  erreicht  man  eine  sehr  angenehme,  leichte,  wenig  gefährliche 
Narkose,  bei  geringem  Verbrauch  von  Chloroform,  Fehlen  von  Erbrechen  und 
geringem  Kater.  Natürlich  muß  man  den  Kranken  dazu  genau  auswählen,  und 
vor  allem  ist  der  Alkoholist  dadurch  günstig  zu  beeinflussen. 

§  68.  Die  Kombination  des  Chloroforms  mit  Kokain  zui'  Chloroform- 
Kokainnarkose  ist  ebenfalls  angegeben  worden,  und  zwar  bezwekt  diese  Kom- 
bination vor  allen  Dingen  die  Bekämpfung  der  Synkope  im  Anfangsstadium 
der  Narkose  infolge  Reizung  der  Vagus-Trigeminus-Endigungen  in  der  Nasen- 
Rachenschleimhaut.  Frank  empfahl  zu  diesem  Zwecke,  in  die  Nasenlöcher 
je  1  ccm  einer  2 °/oigen  Kokainlösung  zu  spritzen,  und  eine  solche  Lösung  in  dem 
Pharynx  zu  zerstäuben.  Durch  diese  Kokainlösung  wird  die  Schleimhaixt  an- 
ästhetisch und  man  hat  somit  eigentlich  in  dieser  Narkose  eine  Kombination 
einer  ]\Iethode  der  Anästheologie  und  Inhalationsnarkose.  Rosenberg  läßt 
die  Nasenschleimhaut  mit  einer  Kokainlösung  bepinseln. 

Neben  dieser  Methode,  die  man  auch  mit  Eukain  ß,  Tropakokain  etc.  aus- 
führen kann,  hat  man  noch  eine  andere  Art  der  Kokain  -  Chloroform- 
narkose angegeben,  welche  darin  besteht,  daß  man  den  Kranken  zunächst  mit 
Chloroform  betäubt  und  ihm  nun  eine  Injektion  von  0,02—0,05  Kokain  mur. 
subkutan  verabreicht  (Obalinsky).  Ahnliche  Verfahren  sind  von  Drausart, 
Terrier,  Tschaikowsky  etc.  angegeben  worden,  die  aber  in  der  Theorie 
dieselbe  Methode  darstellen.  Man  war  der  Ansicht,  durch  die  Wirkung  des 
Kokains  die  Menge  des  zur  Narkose  nötigen  Chloroforms  verringern  zu  können, 
sowie  das  Erbrechen  zu  vermeiden  und  die  üblen  Nachwirkungen  nach  der 
Narkose  zu  verhüten.  Allerdings  lehrt  die  Praxis,  daß  sehr  leicht  schwere 
Erregungszustände  auftreten,  daß  die  nervösen  Patienten  noch  viel  aufgeregter 
durch  die  Kokainwirkung  werden  und  daß  die  Chloroformwirkung  durch  das 
Kokain  eher  gestört,  beeinträchtigt  und  vermindert,  als  verbessert  wird 
(D  u  b  0  i  s  etc.)  Es  ist  daher  diese  letztere  Methode  nicht  anzuwenden.  Die 
Kokainisierung  der  Nasen-Rachenschleimhaut  ist  schon  oben  erwähnt  bei  der 
Chloroformnarkose  und  kann  bei  sehr  empfindlichen  Patienten  sehr  gute  Dienste 
tun.  Da  sie  bei  Verwendung  nicht  starker  Lösung  keine  üblen  Nebenwirkungen 
hat,  sondern  eine  unschuldige  Hilfsmethode  darstellt,  die  aber  oft  schwere  Ge- 
fahren verhüten  kann,  so  soll  man  dieselbe  bei  passenden  Personen  anwenden. 
Die  Technik  ist  sehr  einfach.  Man  kann  mit  Pinsel  die  Schleimhaut  betupfen 
oder  mit  Spray  beschicken.  Es  wird  ebensogut  eine  2 — 5^0  ige  Kokain-,  wie 
Eukain  ß-,  wie  Tropakokainlösung  dazu  verwendet. 

§  69.  Die  Morphin-Chloroformnarkose  ist  noch  mit  Atropin  zur  Chloro- 
form-Atropin-Morphinnarkose  kombiniert  worden  (Dastre,  Mo  rat).  Das 
Atropin.  sulfur.  hat  nämlich  die  Eigenschaft,  die  Irritabilität  der  Herzfasem 
des  Nervus  vagus  aufzuheben,  wodurch  dasselbe  bei  der  Kombination  mit  der 
Chloroformnarkose  die  Gefahren,  welche  durch  die  Wirkung  des  Chloroforms 
auf  den  Vagus  entstehen,  vermindern  oder  ganz  aufheben  kann.  Wenn  man 
Atropin  allein  injiziert,  so  entstehen  leicht  sehr  bedrohliche  und  gefährlich 
aussehende  Zustände,  welche  man  sehr  leicht  durch  die  Morphinwirkung  paraly- 


—     584     — 

sieren  kann,  D  a  s  t  r  e  versuchte  uiui  zuerst  die  Methode,  vor  der  Chloroform- 
narkose  Atropiu-Morphin  zu  verwenden,  an  Hunden  und  erzielte  sehr  gute 
Resultate.  Wenn  auch  im  Anfang  jeder  dritte  Hund  starb  und  auch  die  anderen 
beiden  Hunde  schwere  toxische  Erscheinungen  zeigten,  so  konnte  er  doch  mit 
der  Zeit  eine  Methode  erreichen,  bei  der  er  einerseits  das  Chloroform  auf  ein 
Minimum  beschränken  konnte,  andererseits  keine  bedrohlichen  Erscheinungen 
mehr  fand.  Auch  M  o  r  a  t  erzielte  sehr  gute  Resultate  und  verbrauchte  bei 
seinen  Narkosen  den  zwanzigsten  bis  dreißigsten  Teil  des  sonst  nötigen  Chloro- 
forms für  die  Narkose.  Dies  war  ein  sehr  gutes  Resultat,  doch  war  die  Methode 
bisher  nur  an  Tieren  ausgeführt  worden.  Am  Menschen  machte  zuerst  Aubert 
später  Tripier  solche  Narkosen.  Es  wurde  den  Patienten  ^j^ — 1/2  Stunde 
vor  Beginn  der  Inhalation  des  Chloroforms  VI2  ccm  einer  Lösung  subkutan 
injiziert,  die  aas  folgendem  zusammengesetzt  war: 

Morphin,  mur.        0,1 
Atropin.  sulfur.      0,005 
Aqua  dest.  10,0 

Die  Resultate  mit  diesen  Injektionen  waren  ganz  gute.  G  a  y  e  t  verwendete 
eine  andere  Lösung,  welche  folgendermaßen  zusammengesetzt  ist: 

Morphin,  mur.        0,2 
Atropin.  sulfur.      0,02 
Aqua  dest.  20,0 

Von  dieser  Lösung  gibt  er  20  Minuten  vor  der  Inhalation  1  ccm. 

L  a  b  0  r  d  e  hat  sich  mit  der  Narkose  Herzkranker  beschäftigt  und  ver- 
sucht Mittel  und  Wege  zu  finden,  um  die  Synkope  zu  verhüten.  Er  weist 
darauf  hin,  daß  es  weniger  organische  Veränderungen  am  Herzen,  spez.  Klappen- 
fehler etc.  sind,  welche  Zufälle  in  der  Nai-kose  herbeiführen,  als  vielmehr  der 
Zustand  des  Nervensystems.  Unter  den  HerzafEektionen,  welche  in  erster  Linie 
Unfälle  begünstigen,  sind  Fettmetamorphose ,  Myokarditis ,  Aortenklappen- 
Insuffizienz  und  asystolische  Zustände  vor  allem  zu  nennen.  Die  Sj^nkope  auf 
dem  Operationstisch  kann  sich  ereignen,  ehe  der  Kranke  Inhalationen  erhält 
und  bei  den  ersten  Zügen;  in  beiden  Fällen  ist  der  Mechanismus  der  gleiche. 
Die  Gi'undiu'sache  besteht  in  der  individuellen  auf  nervöser  Überempfindlich- 
keit  beruhenden  Prädisposition,  dort  ist  es  die  nervöse  Erregbarkeit  der 
Kranken  an  sich,  hier  die  Erregung  der  sensiblen  Nervenendigungen  durch  die 
Chloroformdämpfe,  welche  reflektorisch  zum  Herzstillstand  führen.  Es  ist 
jedenfalls  nicht  gleichgültig,  ob  das  Herz  intakt  oder  krank  ist.  Die  Beruhi- 
gung des  Kranken  erreicht  nun  L  a  b  0  r  d  e  bei  diesem  Leiden  am  besten  durch 
eine  subkiitane  Injektion  von  1  ccm  folgender  Mixtur: 

Morphin,  mur.        0,1 

Atropin.  sulfur.      0,005 

Sp  artein  sulfur.      1,0 

Aqua  dest.  10,0 

Labor  de  hat  damit  gute  Erfahrungen  gemacht,  und  hält  es  für  sehr  wichtig, 

das  Atropin    dem  Morphin   und  Spartein  hinzuzufügen,    da   man  an  Stelle  des 

Morphin  auch  Spartein  verwenden  kann,  während   L  e    D  e  n  t  u  und  L  u  c  u  s  - 

Championniere    den  Wert  des  Morphins  bestreiten    und  H  u  c  h  a  r  d  das 

Atropin  entbehren  will. 


—     585     — 

Miiu  hat  verscliiedeutlifh  diese  Kombination  der  drei  Körper  verwendet, 
und  es  wurden  recht  g'Ute  Erfahruui>-eu  gemacht.  So  belichtete  Aubert  über 
eine  große  Reihe  vorzüglich  ausgeführter  Nai'kosen.  Die  Vorteile  derselben 
liegen  vor  allen  Dingen  darin,  daß  die  Narkose  rasch  und  sicher  eintritt,  ruhig 
verläuft,  das  Erwachen  rasch  \mä  leicht  erfolgt  und  Übelkeit,  Erbrechen  und 
Kopfschmerz  nach  der  Narkose  vollkommen  fehlen.  Aubert  hat  mehrere 
tausend  Narkosen  ohne  jeden  Unfall  und  Nebenwirkungen  ausgeführt.  Während 
bei  diesen  Narkosen  Morphin  an  sich  das  Erbrechen  vermehrt  und  begünstigt, 
wirkt  das  Atropin  dem  entgegen  und  verhütet  das  Erbrechen.  Deshalb  sind 
diese  Narkosen  wenigei-  von  Erbrechen  begleitet  als  die  Chloroformmorphin- 
narkosen. Außerdem  wirkt  das  Atropin  auch  auf  die  Speichelsekretion  ver- 
mindernd ein  und  paralysiert  bis  zu  einem  gewissen  Grad  die  Salivation  des 
Chloroform.  Bei  kurzen  Narkosen  gewahrt  man  keine  üblen  Wirkungen,  Er- 
brechen, Salivation,  während  bei  sehr  langen  Narkosen  diese  üblen  Neben- 
wirkungen der  Chloroformnarkose  nicht  vollkommen  beseitigt  werden  können 
durch  die  Atropinwirkung.  Deshalb  beobachtet  man  nach  langen  Betäubungen 
oft  diese  Beschwerden,  doch  sind  dieselben  meist  nicht  sehr  stark  und 
hochgradig. 

Schon  H  a  r  1  e  y  hatte  vor  D  a  s  t  r  e  Atropin  subkutan  zur  Narkose  ver- 
wendet, und  war  mit  solchen  Narkosen  sehr  zufrieden,  ebenso  hatte  P  i  t  h  a 
1861  in  Wien  bei  einem  Kranken,  welcher  durch  Chloroform  nicht  betäubt 
werden  konnte,  durch  Darreichen  eines  Klysmas  mit  1  g  Extr.  Belladonnae 
schnell  tiefe  Narkose  erreichen  können.  Es  ist  auch  gelungen,  Atropinintoxi- 
kationen,  welche  mit  Delirien  einhergingen,  durch  Chloroforrainhalationen  günstig 
zu  beeinflussen  (B  r  o  w  n  -  S  e  q  u  a  r  d  ,  Aubert). 

Es  ist  kein  Zweifel,  daß  diese  Narkose  eine  sehr  günstige  ist,  vmd  man 
wird  die  geeigneten  Personen  dazu  leicht  auswählen  können,  denn  solche 
Kranken,  welche  geringfügige  Lungenleiden  haben,  werden  durch  die  Atropin- 
wirkung Gutes  empfinden,  ebenso  manche  Herzleideude.  Im  übrigen  sind  diese 
Methoden  nicht  ohne  Gefahren,  die  Chloroformwirkung  ist  genau  wie  bei  der 
einfachen  Narkose  so  gefährlich  für  den  Organismus,  und  so  sind  auch  Todes- 
fälle beobachtet  worden.  (Quenu,  Terrier,  Poirier,  Reclus  etc.) 
Immerhin  sind  die  Gefahren  nicht  größer  als  bei  der  einfachen  Narkose. 

Die  Technik  ist  nicht  besonders  zu  beschreiben,  man  muß  die  Injektion 
V4 — ^ii  Stunde  vor  der  Narkose  machen  und  sonst  alles  genau  beachten,  was 
für  die  Chloroformnarkose  früher  vorgeschrieben  ist. 

§  70.  Die  Chloroform-Broniäthylnarkose  ist  eine  Kombination  der 
Narkose,  welche  darin  besteht,  daß  man  die  Betäubung  des  Kranken  mit  Brom- 
äthyl vornimmt  und,  nachdem  derselbe  betäubt  ist,  die  Toleranz  durch  Chloro- 
form weiter  führt.  Die  Narkose  tritt  infolge  der  Bromäthylwirkung  sehr 
rasch  ein,  und  man  hat  bezwecken  wollen,  die  Initialsynkope  der  Chloroform- 
narkose zu  vermeiden. 

Poitou-Duplessy  hat  diese  Methode  1890  eingeführt  und  er  gibt 
den  Rat,  daß  man,  wenn  man  bei  einem  Alkoholiker  z.  B.  in  der  Bromäthyl- 
narkose heftiges  Exzitationsstadinm  findet,  dem  Kranken  kein  Chloroform  geben 
soll,  sondern  sofort  wieder  Bromäthyl  Aveiter,  und  so  den  Kranken  mit  Brom- 
äthyl betäuben  soll.  Dieser  Rat  dürfte  sehr  gefährlich  sein  (Verf.).  Nach 
Poitou-Duplessy  ist  die  Methode  vielfach  angewendet  worden,  und  man 


—     586     — 

hat  ang-eblich  sehr  gute  Resultate  damit  erzielt.  (P  e  r  i  e  r  ,  E  i  c  h  e  1  o  t , 
Berg'er,  Championniere  etc.)  Terrier  und  Peraire  behaupten, 
die  Initialsynkope  durch  diese  Methode  oft  verhütet  zu  haben. 

Die  Methode  ist  von  Hartmann  insofern  abgeändert  Avorden,  indem 
er  das  Bromäthyl  nur  sehr  kurze  Zeit,  während  30 — 50  Sekunden,  gab  und  dann 
sofort  Chloroform  nachgab.  Dabei  soll  bei  eintretendem  Ersatz  des  Bromäthyls 
durch  Chloroform  die  Rötung  des  Gesichtes  allmählich  abnehmen,  ohne  ganz 
zu  verschwinden,  und  die  Pupillen  verengen  sich.  Dieser  Zustand  der  Pupillen 
soll  während  der  ganzen  Xarkose  so  ierhalten  werden.  Diese  Methode  soll  sich 
sehr  gut  bewährt  haben  (Hartmann,  Bourbon  etc.). 

Man  wird  diese  Narkose  jedenfalls  nicht  empfehlen  können,  denn  die 
Wirkung  des  Bromäthyls  ist  eine  zu  gefährliche,  als  daß  man  dasselbe  noch 
mit  dem  sehr  ähnlich  wirkenden  Chloroform  verbinden  dürfte.  Die  üblen 
Wirkungen  des  Bromäthyls  auf  Herz  und  innere  Organe  sind  denen  des  Chlo- 
roforms vollkommen  gleich,  und  da  sich,  wie  ich  durch  Tierexperimente  nach- 
gewiesen habe,  die  Wirkungen  der  Narkotika  summieren,  und,  wenn  eines  dem 
anderen  folgt,  in  gleichem  Sinne  wirken,  so  daß  die  durch  Bromäthyl  etwa  er- 
zeugte Fettmetamorphose  im  Herzen  durch  das  folgende  Chloroform  arg  ver- 
schlimmert wird,  so  kann  man  leicht  ersehen,  daß  eine  solche  Kombination 
keinen  Vorteil  bringt.  Wenn  man  Narkotika  kombiniert,  die  sich  gegenseitig 
ergänzen  oder  ihre  üblen  Wirkungen  kompensieren,  so  ist  dies  gerechtfertigt, 
doch  diese  Narkose  läßt  sich  nie  rechtfertigen,  da  Bromäthyl  ein  zu  starkes 
Crift  für  Herz,  Lunge,  Niere  und  Leber  darstellt  (Verf.). 

Meist  findet  sich  in  solchen  Narkosen  starke  Exzitation.  R  u  b  z  o  1  d  sah 
dieselbe  unter  15  Fällen  zehnmal.  Pomeranzew  erwähnt  einen  Todesfall 
in  dieser  Narkose.  Ein  ganz  gesunder  22 jähriger  Mann  starb  nach  5  ccm 
Bromäthyl  und  6  ccm  Chloroform  an  Synkope.  D  u  b  r  o  w  i  n  beschreibt 
einen  gleichen  Fall.  S  e  m  a  z  k  i  hat  8000  solcher  Narkosen  ohne  Todesfall  aus- 
geführt und  empfiehlt  die  Methode  sehr.  R  e  b  o  u  1  hat  teilweise  gute  Nar- 
kosen ausgeführt,  doch  erlebte  er  sehr  oft  heftiges  Erbrechen  und  mehr- 
fach auch  Ikterus  nach  den  Narkosen.  R  i  c  h  e  1  o  t  hat  gute  Erfolge  erzielt. 
Dem  entgegen  hat  G  u  i  n  a  r  d  zwei  Patienten  durch  die  Bromäthylnarkose  ver- 
loren, der  eine  starb  kurz  nach  den  ersten  Bromäthylgaben,  der  andere,  als  er 
Chloroform  erhielt.  D  e  1  b  e  t  hat  bei  solchen  Narkosen  sehr  oft  Ikterus  ge- 
sehen und  wendet  die  Methode  nicht  mehr  an. 

R  i  c  h  e  1  0  t  meint,  daß  die  vielen  Mißerfolge  imd  Unfälle  durch  schlechtes 
zersetztes  Bromäthyl  erzeugt  seien  und  daß  mangelhafte  Technik  vorgelegen 
habe.  Nach  ihm  soll  das  Bromäthyl  in  mittleren  Dosen,  ohne  den  Ki-anken 
asphyktisch  machen  zu  können,  gegeben  werden,  und  es  soll  völlige  Anästhesie 
durch  Bromäthyl  nicht  erzeugt  werden.  Potherat  glaubt,  daß  das  Brom- 
äthyl die  Chloroformnarkose  ungünstig  beeinflusse. 

Man  ersieht  jedenfalls  aus  diesen  kurzen  statistischen  Angaben,  daß  diese 
Methode  in  der  Prayis  sich  so  bewährt  hat,  wie  ich  es  dui'ch  meine  Tierversuche 
erkannt  habe,  nämlich  sehr  schlecht,  und  daß  man  entschieden  von  der 
Methode  abraten  muß.  Die  Bromäthylnarkose  vermehrt  die  Gefahren  der 
Chloroformnarkose  bedeutend. 

§  71.  Entgegen  dem  Bromäthyl  hat  man  das  C'hloräthyl  mit  dem 
Chloroform  kombiniert  und  die  Chloroform-Chlorätliylnarkose  angegeben. 
Malherbe  macht  darauf  aufmerksam,  daß  man  die  Narkose  mit  Chloräthyl 
einleiten  und  bis  zur  tiefen  Betäubung  leiten  soll  und  dann,  sobald  Toleranz 
eintritt,  Chloroform  weitergeben.  Man  vermeidet  dadurch  vor  allem  die 
Initialsynkope    des  Chlorofonns,    starke  Exzitation  und  erreicht  schnell,    inner- 


—     587     — 

halb  30  Sekunden  bis  eine  Minute,  tiefe  Narkose,  und  der  Kranke  erbricht  nicht 
und  hat  eine  ruhii>-e  Narkose.  Dabei  spart  man  Chloroform.  Die  Kranken  er- 
wachen sehr  schnell,  ohne  an  Benommenheit  zu  leiden  und  ohne  zu  erbrechen 
und  sich  schlecht  zu  fühlen,  wenn  nicht  die  Narkose  sehr  lange  gedauert 
hat.  M  a  1  h  e  r  b  e  hat  zur  Einleitung  der  Narkose  2 — 4  g  Chloräthyl  ge- 
braucht. Man  erspart  für  die  weitere  Narkose  bedeutend  an  Chloi-oform. 
Auch  Ware  hat  mit  dieser  Methode  recht  gute  Erfolge  erzielt.  Die  Exzitatiou 
war  vollkommen  ausgeblieben  und  die  Narkosen  waren  alle  recht  ruhig  und 
sehr  günstig  verlaufen.  Auch  G  u  i  n  a  r  d  empfiehlt  diese  Methode  und  em- 
pfiehlt dieselbe  vor  allen  Dingen  auch  bei  manchen  Herzleiden.  Er  zieht  Chlor- 
äthyl entschieden  dem  Bromäthyl  vor.  Alle  diese  Autoren  haben  günstige  Er- 
fahrungen zu  melden  und  ich  kann  dasselbe  nur  bestärken,  denn  ich  verwende 
diese  Methode  sehr  oft  und  habe  nur  gute  Resultate  erzielt.  Namentlich  in 
der  Greburtshilfe  ist  dieselbe  sehr  angebracht.  Man  erzielt  schnell  tiefe  Nar- 
kose ohne  Exzitation,  Erbrechen  und  Unruhe,  die  Kranke  erw^acht  sehr  rasch 
und  fühlt  sich  auch  nach  langen  Narkosen  viel  wohler,  als  nach  einfachen 
Chloroformnarkosen.  Girard,  Reboul  etc.  haben  ebenfalls  mit  dieser 
Methode  diese  Vorteile  erkannt.  Bossart,  Helstedt,  Nieriker  be- 
richten über  vorzügliche  Erfolge  mit  dieser  Narkose. 

Die  Wirkungen  auf  die  inneren  Organe  werden  natürlich  durch  das  Chlor- 
äthyl vermehrt,  doch  wirkt  dieses  entgegen  Bromäthyl  weniger  toxisch. 
Die  wenigen  Gramm,  1 — 2  g  genügten  bei  mir  stets  zur  Einleitung  der  Nar- 
kose, haben  keine  wesentlichen  schweren,  schädlichen  Einwirkungen.  Da 
Chloräthyl  im  Organismus  genau  wie  Chloroform  wirkt,  so  verbinden  sich 
die  Wtrkimgen  besser,  denn  beide  Stoffe  wirken  in  gleichem  Sinne,  und  auch 
die  toxischen  Einwirkungen  des  einen  sind  nicht  viel  schlimmer  als  die  des 
anderen.  Wenn  Chloräthyl  nur  in  solchen  kleinen  Dosen  verwendet  wird  hat 
es  keine  Nachteile,  sondern  nur  Vorteile,  indem  es  Chloroform  spart,  die  Initial- 
synkope verhütet,  Exzitation  verhütet,  Erbrechen,  Kollapse  und  sonstige  üble 
Zustände  vermindert.  Nur  nach  sehr  langen  Chloroformnarkosen  tritt  Er- 
brechen auf.  Weiter  bewirkt  Chloräthyl  schnelles  Erwachen  ohne  Übelkeit. 
Durch  das  Ersparen  von  Chloroform  werden  ebenfalls  die  Gefahren  der  Narkose 
vermindert  (Lotheisen,  Guinard  etc.j. 

Die  Technik  ist  folgende:  Man  tropft  nach  und  nach  in  eine  Esmarch- 
sche  Maske  1 — 2  g  Chloräthyl,  bis  der  Kranke  anfängt  unklar  zu  zählen 
und  fügt  schon  vordem  ab  und  zu  einige  Tropfen  Chloroform  auf  die  3Iaske, 
ungefähr  20  in  der  Minute.  Nach  40  Sekunden  zählt  der  Kranke  ganz  verwirrt. 
Nun  läßt  man  Chloroform  etwas  mehr  geben  bis  der  Kranke  tief  betäubt  ist. 
Dann  wird  die  Narkose  mit  wenigen  Tropfen  Chloroform  unterhalten.  In 
den  seltensten  Fällen  habe  ich  3 — 4  g  Chloräthyl  gebraucht.  Es  ist  auf- 
fallend, wie  wenig  Chloroform  man  dann  zum  Unterhalten  der  Narkose  braucht. 
Die  Methode  ist  vor  allen  Dingen  für  den  Arzt  auf  dem  Lande  zu  empfehlen. 
Bei  Entbindungen  leistet  sie  vorzügliche  Dienste.  (Burnet,  Girard,  Le 
Den  tu.  Riebet,  Verf.  etc.) 

§  72.  Die  Chloroform-Hedonalnarkose  ist  eine  Kombination  der  Chlo- 
roformnarkose mit  Hedonal.  Hedonal  ist  ein  Körper,  welcher  infolge  der  in 
ihm  enthaltenen  Amidogruppe  den  Blutdruck  zu  steigern  vermag.  Sonst  wirkt 
dasselbe     beruhigend     und    schlafbringend,     ganz    entsprechend    dem    Morphin. 


—     588     — 

Durch  das  Vermögen  aber,  den  Blutdruck  zu  steigern,  ist  das  Hedoiial  dem 
Morphin  entschieden  üherlegen.  K  r  a  w  k  o  w  hat  diese  Kombination  em- 
pfohlen und  dieselbe  zuerst  an  Tieren  ausprobiert.  Er  gibt  beim  Menschen 
3,0  g  Hedonal  eine  Stunde  vor  Beginn  der  Narkose.  Der  Kranke  schläft  sehr 
bald  ruhig  ein,  und  eine  Stunde,  nachdem  man  das  Hedonal  gegeben,  beginnt 
man  mit  der  Chloroforminhalation.  Die  Vorzüge  der  Methode  bestehen  vor 
allem  darin,  daß  man  enorm  an  Chloroform  spart,  es  wird  die  Exzitation  voll- 
kommen vermieden,  die  Narkose  tritt  schnell  ein,  es  fehlen  Erbrechen,  und  nach 
dem  Brw^achen  fühlt  sich  der  Kranke  meist  recht  wohl.  Das  Erwachen  tritt 
rasch  ein,  Erbrechen  und  Übelkeit  fehlen  meist,  nur  nach  langen  Narkosen  sind 
sie  in  geringem  Grade  vorhanden,  Kopfschmerz  besteht  nicht.  Die  Methode 
hat  große  Vorzüge  vor  der  Morphinnarkose  und  bringt  eben  dieselben  Vor- 
teile wie  diese  mit  sich.  Man  hat  verschiedentlich  sehr  gute  Resultate  da- 
mit erzielt. 

§  73.  Die  Chloroform-StickstoflFoxydiilnarkose  ist  eine  Narkose,  bei 
welcher  man  den  Kranken  mit  Stickstoffoxydul  bis  zur  tiefen  Narkose  betäubt, 
^^nd  ihn  dann  mit  Chloroform  weiter  narkotisiert  (Hewitt,  Boyd,  Ma- 
duro  etc.).  Diese  Methode  hat  ebenfalls  den  Zweck,  die  Initialsynkope  zu 
verhüten,  die  Narkose  schneller  zu  erreichen,  die  Exzitation  zu  vermindern  und 
Chloroform  zu  sparen;  Erbrechen  tritt  weniger  auf.  Alle  diese  Vorteile  besitzt 
die  Methode  bis  zu  einem  gewissen  Grade.  Jedenfalls  wird  durch  die  Stickstoff- 
oxydulwirkung keine  üble  Wirkung  auf  den  Organismus  ausgeübt,  und  es  ist 
daher  ein  großer  Vorteil,  daß  man  bis  zur  Toleranz  kein  Chloroform  braucht. 
Man  kann  dann  mit  sehr  wenig  Chloroform  die  Narkose  unterhalten.  Die 
Kranken  erwachen  bald  aus  der  Betäubung  und  fühlen  sich  meist  wohl.  Wenn 
die  Narkose  sehr  lange  Zeit  gedauert  hat,  tritt  bisweilen  Übelkeit  und  Erbrechen 
nach  der  Narkose  auf,  doch  fehlt  dies  nach  nicht  zu  langen  Narkosen  voll- 
kommen. Allerdings  muß  man  zu  dieser  Narkose  einen  komplizierteren  Apparat 
haben  als  zu  einfachen  Chloroformnarkosen,  weshalb  diese  Methode  für  die  Praxis 
nicht  brauchbar  ist.  Wenn  man  aber  einen  Apparat  für  die  Lachgasnarkose 
besitzt,  so  läßt  sich  die  Methode  leicht  ausführen.  Ein  Vorteil  liegt  auch  in 
der  den  Blutdruck  steigernden  Wirkung  des  Stickstoffoxyduls.  Dasselbe  kom- 
pensiert daher  bis  zu  einem  gewissen  Grade  die  Chloroformwirkung.  Man  braucht 
nur  sehr  wenig  Chloroform  für  die  Narkose.  Die  Narkose  tritt  nach  20 — 40  Se- 
kunden auf,  und  man  soll  die  Narkose  unterbrechen,  sobald  sich  die  Pupillen 
erweitern  und  die  Augen  tränen  (M  a  d  u  r  o).  Wenn  der  Kranke  betäubt  ist, 
wird  Chloroform  in  Tropfen  gegeben.  Man  kann  diese  Methode  auch  mit 
Lachgas  und  Sauerstoff  ausführen  und  mit  Chloi-oform  weiter  narkotisieren, 
oder  nach  Ettinger  mit  Stickstoffoxydul  oder  Stickstoffoxydul-Sauerstoff 
den  Patienten  bis  zur  Narkose  betäuben  imd  dann  dui'ch  ACE-3Iixtiir  weiter 
betäuben. 

Die  Technik  ist  so,  daß  mau  mit  einem  Hewittschen  oder  dergleichen 
Apparat  für  die  Stickstoffoxyduluarkose  oder  Stickstoffoxydul  -\-  Sauerstoffnarkose 
den  Patienten  bis  zum  Eintritt  der  Betäubung  narkotisiert  und  nach  diesem  den 
Kranken  mit  der  Esmarchschen  Maske  nach  der  Tropfmethode  mit  Chlo- 
roform weiter  betäubt.  Diese  Methode  ist  für  die  Praxis  zu  umständlüch  und 
wird  sich  nie  bei  den  Ärzten  einbürgern,  obwohl  sie  sehr  gute  Resultate  liefert 
und   große  Vorzüge   besitzt.     Es    ist   ja    schon    für  die  kurze  Stickstoffoxydul- 


—     589     — 

narkose  ein  zu  großer  und  schwerer  Apparat  uotwendig,  den  der  praktische 
Arzt  auf  dem  Laude  schwer  mit  sich  führen  kann.  Die  Narkose  ist  daher  nur 
für  Krankenhäuser  und  Arzte  in  Städten  geeignet. 

§  74.  Die  Chloroformnarkose  ist  auch  noch  mitNarcein  zur  Chloroform- 
narceinnarkose  kombiniert  worden.  An  Stelle  des  Morjohin  gab  R  a  b  u  t  e  a  u 
an,  Narcein  zu  verwenden,  ein  Mittel,  welches  dem  Morphin  verwandt  ist  und 
auch  aus  dem  Mohn  gewonnen  wird,  und  einen  Bestandteil  des  Opiums  bildet. 
Es  ist  ein  Alkaloid,  welches  genau  wie  Morphin  wirkt,  nur  weniger  toxische 
Eigenschaften  haben  soll.  Vor  allem  soll  dasselbe  stark  schlaferregend  Avirken, 
während  es  auch  die  Schmerzen  stillt.  C  1  a  u  d  e  -  B  e  r  n  a  r  d  hat  das  Narcein 
als  das  wenigst  toxische  Alkaloid  des  Opiums  erklärt.  Dasselbe  soll  vor  allen 
Dingen  dem  Ohloroform  in  gewissen  Beziehungen  entgegenwirken,  es  soll  Übel- 
keit, Erbrechen  beseitigen  und  die  Nerven  für  die  Chloroformwirkung  günstig 
beeinflussen,  das  ganze  Nervensystem  beruhigen,  so  daß  die  Exzitation  ver- 
mieden und  Synkope  im  Anfangstadium  der  Narkose  verhütet  wird.  In  gewisser 
Hinsicht  ersetzt  das  Narcein  das  Morphin,  doch  ist  es  nicht  imstande,  dies  voll- 
ständig zu  tun.  Jedenfalls  hat  es  keinen  Vorteil  vor  dem  Morphin  voraus. 
Man  verfährt  mit  dem  Narcein  genau  so  wie  mit  dem  Morphin,  man  verabreicht 
dasselbe  1/2 — ^j^  Stimde  vor  der  Narkose  in  einer  Dosis  von  0,01 — 0,03  und  er- 
spart dadurch  bedeutende  Mengen  von  Chloroform.  Die  Salivation  wird  nicht 
wesentlich  verringert  in  dieser  Kombination. 

§  75.  Eine  dieser  Methode  sehr  ähnliche  ist  die  Chloroform-Heroin- 
narkose,  welche  darin  besteht,  daß  man  dem  Kranken  vor  der  Narkose  Heroin 
verabreicht  (W  i  e  s  n  e  r).  Das  Heroin  ist  ein  Alkaloid  des  Opiums  und  hat 
verschiedene  Vorzüge  vor  Morphin.  Man  hat  behauptet,  daß  eine  Gewöhnung 
an  dasselbe  nicht  eintritt  (W  i  e  s  n  e  r),  doch  ist  dies  ein  großer  Irrtum,  denn 
man  kannte  den  Heroinismus  bereits.  Das  Heroin  bewirkt  weder  Ohrensausen, 
noch  Kopfschmerz,  noch  Erbrechen,  doch  bekommen  manche  Kranken  nach  der 
Injektion  profuse  Schweißausbrüche  und  ein  geringes  Schwindelgefühl.  Es  be- 
ruhigt die  Patienten  sehr  leicht  und  wirkt  daher  für  die  Narkose  sehr  günstig. 
Namentlich  empfieht  W  i  e  s  u  e  r  ,  das  Heroin  bei  Alkoholikern  vor  der  Narkose 
anzuwenden,  und  zwar  gibt  er  vor  der  Narkose  0,03  g  subkutan.  Es  muß 
^/a — ^,'4  Stunde  vor  der  Narkose  injiziert  werden.  Die  Wirkungen  und  Vorzüge 
der  Chloroform-Heroinnarkose  sollen  denen  der  Morphinkombination  völlig  gleichen, 
ja  denselben  sogar  bedeutend  überlegen  sein,  da  Heroin  weniger  toxisch  wirkt. 

§  76.  Eine  andere  Methode  ist  die  Anestol-Morphiumnarkose,  welche 
Meyer  angegeben  hat.  Das  Anestol  ist  ein  Gemisch  aus  35,89 •'/q  Chloroform 
-f  47,11 7(,  Aether  sulfur.  +  17  7^  Äthylchlorid.  Diese  Mischung  hat  den  Siede- 
pimkt  von  40°  und  verdampft,  ohne  Chloroform  zurückzulassen.  Wenn  man 
dieses  Gemisch  verwenden  will,  so  muß  vorher  eine  Morphininjektion  von 
0,01—0,03  gemacht  worden  sein  (M  e  y  e  r).  Ohne  Morphin  kann  man  eine  tiefe 
^  Narkose  nicht  erreichen.  Das  Gemisch  hat  große  Anlichkeit  mit  den  Schleich- 
schen  Siedegemischen,  doch  soll  es  besser  und  weniger  gefährlich  wirken,  als  diese. 
Wirkliche  Vorteile  haften  der  Methode  nicht  an.  .  Der  Organismiis  wird  unter 
vier  Gifte  gesetzt  und  es  kann  eine  sehr  schwere  Schädigung  desselben  erfolgen, 
wollte  man  lange  Narkosen  damit  ausführen.  Jedenfalls  hat  es,  selbst  wenn 
die  guten  Erfolge  Meyers  immer  zutreffen,  keinen  Vorzug  vor  Chloroform 
voraus.     Die  Verhältnisse    liegen    sonst   ganz   so,    wie  sie  früher  über  die  Ge- 


—     590     — 

mische  erörtert  wurden,  weshalb  mau  in  dieser  Methode  einen  Vorteil  nicht  er- 
blicken kann. 

§  77.  Eine  sehr  brauchbare  Narkose  ist  die  Chloroform-Ätliei-MorphlTiiii. 
narkose  nach  Witzel,  Hof  mann,  etc.  Dieselbe  besteht  in  der  bekannten 
Äthertropfmethode  von  W  i  t  z  e  1 ,  wobei  man  je  nach  den  Verhältnissen  Chloro- 
form in  kleinen  Mengen  beigibt.  Diese  vorzügliche  Narkose  wurde  schon 
früher  beschrieben.  Hier  wird  derselben  noch  eine  Morphininjektion  voraus- 
geschickt, wodurch  ein  großer  Vorteil  erreicht  wird,  indem  die  Narkose 
schneller  und  leichter  eintritt,  Exzitatiou  fast  vollkommen  fehlt  und  die  Menge 
des  Äthers  eine  ganz  geringe  ist.  Während  Witzel  0,01 — 0,02  Morphin 
"'/a — ^li  Stunde  vor  der  Narkose  gibt,  hat  Fuchs  bei  Laparotomien  durch  das 
Morphin  mehrfach  unangenehme  Störungen  der  Darmperistaltik  beobachtet,  und 
er  gibt  daher  den  Rat,  bei  Laparotomien  0,15  Codein  phosphor.  subkutan  vor 
der  Narkose  an  Stelle  des  Morphins  zu  geben.  Es  sind  300  Narkosen  mit  dieser 
Methode  von  Fuchs  zur  vollsten  Zufriedenheit  ausgeführt  worden.  Es  ist  ja 
diese  Methode  auch  eine  sehr  variationsreiche  Narkose,  welche  allen  Even- 
tualitäten gerecht  werden  und  allen  an  sie  gestellten  Anforderungen  entsprechen 
kann.  Üble  Nachwirkungen  sind  höchst  selten,  und  es  ist  diese  Kombination 
jedenfalls  die  denkbar  beste. 

§  78.  H  a  r  1 0  g  hat  die  Äthermorphin-Skopolaminuarkose  empfohlen, 
indem  er  der  Äthernarkose  eine  Injektion  von  0,01  Morphin  -(-  0,0005  Skopo- 
lamin  ^/j — 1  Stunde  vor  der  Narkose  vorherschickte.  Die  Kranken  haben  darauf 
eine  ruhige  Narkose  gehabt,  das  Erbrechen  hat  vollkommen  gefehlt,  Exzitation 
war  ebenfalls  nie  vorhanden,  und  als  die  Kranken  aus  der  Narkose  erwachten, 
empfanden  sie  weder  Übelkeit,  noch  zeigte  sich  Kopfschmerz,  noch  Erbrechen. 
Stärkere  Salivation  wurde  fast  nie  beobachtet.  Es  wird  auf  diese  Art  der 
Nai'kose  später  nochmals  zurückgekommen  werden,  wenn  die  Skopolamin-Mor- 
phinnai'kose  behandelt  werden  wird.  Was  die  einzelnen  Wirkungen  anlangt,  so 
schlage  man  dort  nach. 

§  79.  Man  hat  auch  die  Morphinwirkung  zur  Verbesserung  der  Äther- 
wirkung zu  der  Xtbermorphiumnarkose  und  ebenso  das  Atropin  mit  und  ohne 
Morphin  mit  Äther  kombiniert  und  so  die  Äther-Morphium-Atropinnarkose 
geschaffen.  (Riedel,  Julliard,  Hofmann  etc.)  Die  vor  der  Äther- 
uarkose  vorgenommene  Morphininjektion  bewirkt  einen  schnelleren  Eintritt 
der  Narkose,  verstärkt  die  narkotische  Kraft  des  Äthers,  verkürzt  und  ver- 
mindert die  Exzitation.  Durch  die  Morphinwirkung  wird  die  Ätkernarkose  ganz 
bedeutend  vertieft  und  erleichtert.  Man  kann  dadurch  erreichen,  einen  Al- 
koholisten, der  durch  Äther  allein  nicht  betäubt  werden  kann,  ohne  wesentliche 
Exzitation  zu  betäuben.  Man  muß  abei"  die  Morphininjektion  ^a — V4  Stunde  vor 
der  Äthernarkose  ausführen  ( W  i  t  z  e  1 ,  H  0  f  m  a  n  n).  Auch  die  Menge  des  zur 
Narkose  notwendigen  Äthers  wird  durch  das  Morphin  ganz  bedeutend  vermindert, 
und  somit  werden  der  Narkose  auch  weniger  schädliche  Ätherwirkimgen  an- 
haften. Riedel  gibt  bei  Männern  0,01  Morphin  und  bei  Frauen  0,005  g  ^/^  Stunde 
bis  20  Minuten  vor  dei*  Narkose.  Namentlich  bei  Leuten  mit  Emphysem,  Tuber- 
kulose, chronischen  Bronchitiden  kann  man  sehr  gute  Narkosen  damit  erreichen. 
Auf  das  Herz  hat  die  Äthermorphiumnarkose  einen  sehr  günstigen  Einfluß. 
Der  Blutdruck  wird  nicht  übel  beeinflußt,  sondern  im  Gegenteil  gestärkt,  die 
Kraft  des  Herzens  angeregt. 


—     591     — 

Dui'c'h  die  Kombination  von  jMoqjhin  imd  Atropin  mit  Äthei'  erreicht  mau 
in  der  Äthermorpliium-Atropinnarkose  eine  sehi'  gute  Betäubung,  deren  Ge-. 
fahren  ganz  besonders  gemildei't  sind  (H  o  f  m  a  n  n  ,  J  u  1 1  i  a  r  d  ,  Reinhard, 
D  a  s  t  r  e  etc.).  Durch  die  Wirkung  des  Atropins  wird  vor  allen  Dingen  dem 
Äther  der  Reiz,  welchen  er  in  einfachen  Äthernarkosen  auf  die  Schleimhäute  der 
Bronchien  ausübt,  genommen,  oder  derselbe  wird  doch  stark  gemildert.  Die 
Folge  davon  ist  die.  daß  die  Sekretion  der  Drüsen  und  Schleimhäute  sowohl 
in  der  Lunge,  wie  im  Rachen  und  Mund  vei'mindert  wird.  Es  ist  ein  großer 
Vorteil,  wenn  hei  der  Äthernarkose  die  enorme  Salivation  vermindert  wird,  odei' 
ganz  wegfällt.  Wenn  nun  auch  bei  langen  Äthernarkosen  eine  vollkommene 
Beseitigung  der  Salivation  nicht  erreicht  werden  kann,  so  ist  doch  bei  Narkosen 
von  15  bis  30  Minuten  meist  eine  beträchtliche  Sekretion  von  Schleim  und 
Speichel  nicht  vorhanden.  Natürlich  ist  es  nicht  ganz  indifferent,  ob  man  den 
Organismus  außer  dem  Äther  noch  zwei  weitere  Gilfte  einverleibt,  und  man 
hat  verschiedentlich  auf  die  Gefahren  der  Atropinwirkung  hingewiesen  (B  r  a  u  n, 
Becher  etc.).  Wenn  nun  auch  nicht  geleugnet  werden  kann,  daß  Atropin 
als  starkes  Gift  gelegentlich  einmal  schaden  kann,  so  muß  man  aber  doch  be- 
denken, daß  die  injizierten  Mengen  nur  sehr  gering  sind.  In  diesen  Dosen 
wirkt  das  Atropin  nur  günstig  für  die  Narkose  und  man  hat  nie  von  Unfällen 
gehört,  die  dem  Atropin  zur  Last  gelegt  werden  könnten.  Entgegen  den  Ver- 
mutungen über  toxische  Wirkungen  des  Atropins  hat  man  von  der  Morphin- 
Atropinkombination  mit  Äther  nur  Gutes  gehört  (Reinhard,  .J  u  1 1  i  a  r  d  , 
Kroemer,  Pfannen  stiel,  Lun  d  ström, Hof  mann,Witzel  etc.), 
Reinhard  empfiehlt  für  die  Kombination  folgende  Lösung : 

Atropin.  sulfur.       0,01 

Morph,  muriat.        0,02 

Aqua  dest.  10,0 

M.D.S.  zur  subkutanen  Injektion 
^2 — 1  Stunde  voi"  der  Narkose  eine  Spritze  zu  injizieren.  Er  empfiehlt  auch  ent- 
gegen dem  üblichen  Brauch,  die  Injektion  ^/^  Stunde  vorher  zu  machen,  wenigstens 
^/a  bis  1  Stunde  vorher  schon  die  Injektion  vorzimehmen,  ila  erst  nach 
V2  Stunde  und  länger  das  Morphin  eine  beruhigende  Wjrkung  ausübt  und  auch 
das  Atropin  dann  erst  richtig  zur  Geltung  kommen  kann.  Die  Resultate  sind 
jedenfalls  vorzügliche,  und  man  kann  diese  Kombination  nur  empfehlen,  wobei 
man  aber  wohl  beachten  muß,  daß  eine  schablonenhafte  Ausführung,  wie  in 
allen  Disziplinen  der  Medizin  so  auch  hier  verboten  ist,  denn  man  kann  nicht 
jedem  Kranken  durch  die  Injektion  nützen.  Es  kommt  eben  auf  die  inneren 
Organe,  die  Krankheit  etc.  an.  Immerhin  wird  es  nur  wenige  Fälle  geben, 
wo  diese  Kombination  wirklich  kontraindiziert  ist.  In  Fällen,  wo  man  starke 
Salivation  erwarten  muß,  soll  man  die  Injektionen  stets  ausführen.  Es  werden 
der  Aethernarkose  viele  Gefahren  dadurch  genommen  und  mau  kann  manchen 
Kranken  vor  Lungenleiden  bewahren,  wenn  man  diese  Narkose  wählt.  Freilich 
muß  man  hier  auch  erwähnen,  daß  eine  gute  Technik  viel  Gefahren  auch  in 
dieser  Hinsicht  verhüten  kann.  Denn  je  mehr  die  Menge  des  für  die  Nai'kose  nötigen 
Äthers  eingeschränkt  wird,  um  so  leichter  werden  Lungenleiden  verhütet  werden 
können.  Aber  es  wird  nicht  immer  für  den  Arzt  möglich  sein,  das  dm-ch  die 
Technik  zu  erreichen,  was  er  hier  durch  die  Methode  ei'reichen  kann.  Es  ist 
deshalb  diese  Kombination  eine  Narkose  der  Praxis.  Der  Arzt  auf  dem  Lande 
kann  nicht  die  üebung,  die  guten  Apparate  und  alle  Vervollkommmmgen  haben, 
wie  der  Arzt  in  der  Stadt  und  am  Krankenhaus,  und  er  kann  daher  viele 
Mängel  seiner  Narkosen  durch  solche  Hilfsmittel  ersetzen.  Diese  Methode  ist 
sehr  geeignet  für  den  Arzt  in  der  allgemeinen  Praxis,  doch  er  muß  individua-. 
lisieren  und  nicht  schablonenhaft  verfahren. 


—     592     — 

Becker  hat  die  sekretionsbescliränkeiide,  sowie  fäulnis-  und  gäruug-s- 
widrigeu  Eigenschaften  des  Terpentin-  und  Latschenöls,  Ol.  Pini  Pumilionis, 
für  die  Aethernarkose  nvrtzbar  zu  machen  versucht,  um  dadurch  die  Lungenleiden 
verhüten  und  somit  der  Aethernarkose  Gefahren  nehmen  zu  können.  Er  hat 
500  Narkosen  damit  ausgeführt  imd  ist  sehr  zufrieden.  Selbst  bei  bestehender 
Bronchitis,  Tuberkulose,  Empyem,  Emphysem  etc.,  auch  bei  Emphysem  alter 
Leute  hat  er  neben  der  Aethernarkose  Latschenöl  inhalieren  lassen  und  dadurch 
nie  eine  Verschlimmerung  gesehen.  Das  Gel  wird  kurz  vor  der  Narkose  dem 
Aether  zugesetzt,  und  zwar  werden  20  Tropfen  =  1  g  auf  200  g  Aether  ge- 
geben. Der  stechende  Geruch  des  Aethers  wird  durch  den  angenehm  harzigen 
Duft  des  Oeles  verbessert.  Auch  Terpentinöl  wird  so  gegeben.  Diese  Methode 
hat  zweifellos  einen  gewissen  Nutzen,  doch  kann  sie  mit  der  Atropinuarkose 
nicht  konkurieiTen. 

Landström  hat  vielfach  den  Ätherrausch  verwendet  und  er  fand, 
derselbe  wirke  bei  Potatoren  nicht  genügend.  Daher  verwendete  er  bei  solchen 
Kranken  vor  Einleiten  des  Ätherrausches  eine  Morphininjektion  und  empfiehlt 
diese  Methode.  Es  wäre  dies  als  Morpliinätlierrauscli  zu  bezeichnen  und  ist 
entschieden  sehr  brauchbar. 

Die  Technik  der  Äther-Morphin-Atropinnarkose  ist  sehr  einfach  und  aus 
obigem  zu  ersehen.  Man  muß  beachten,  die  Injektion  '/, — 1  Stunde  vor  der 
Narkose  zu  machen  und  natürlich  sonst  alle  Kautelen  der  Äthernarkose  zu  ver- 
wenden, denn  von  der  guten  Technik  hängt  viel  der  gute  Erfolg  mit  ab.  Bei 
Kindern  soll  die  Methode  nicht  angewendet  werden,  wenn  sie  unter  zwölf  Jahren 
sind,  denn  es  ist  bei  denen  eine  vorzügliche  Narkose  mit  Äther  allein  zu  erreichen. 

§  80.  Die  Ätherbromäthylnarkose  ist  eine  Kombination  derart,  daß 
mau  die  Narkose  mit  Bromäthyl  einleitet  iind  nach  Eintritt  der  Betäubung  die 
Narkose  mit  Aether  siüfur.  weiterführt.  Es  ist  dieses  Verfahren  verschiedent- 
lich angewendet  wordeu  und  soll  einesteils  den  Eintritt  der  Narkose  beschleu- 
nigen, die  Exzitatioü  vermindern,  Äther  sparen  und  audernteils  dem  Kranken 
Übelkeit,  Erbrechen  etc.  ersparen.  (Perrier,  Kocher,  Reboul,  Cham- 
pion n  i  e  r  e  etc.)  Kocher  gibt  an,  den  Erwachsenen  20 — 30  g  Bromäthyl  bis  zum 
Eintritt  der  Narkose  zu  geben,  Kindern  10 — 20  g,  und  erreicht  auf  diese  Weise 
in  20 — 50  Sekunden  Narkose.  Er  braucht  danach  wenig  Äther,  die  Narkose 
tritt  schnell  ein,  und  es  wird  diese  Methode  von  Kocher  sehr  gelobt.  Jeden- 
falls ersieht  man  aber,  daß  ziemlich  große  Dosen  von  Bromäthyl  genommen 
werden  und  es  ist  bekannt,  daß  Bromäthyl  überaus  toxisch  wirkt.  (P  o  m  e  r  a  n  , 
Eubzow,  Reboul,  ßichelot,  Potherat  etc.)  Es  ist  also  ebenso  die 
Gefahr  der  Synkope,  der  Apnoe,  des  Ikterus  etc.  vorhanden,  wie  sie 
nach  der  Kombination  mit  Chloroform  auftreten.  Jedenfalls  ist  der  Vprzug 
dieser  Methode  der,  daß  die  Narkose  schnell  und  leicht  eintritt,  doch  nach  den 
in  andern  Kapiteln  auseinandergesetzten  Verhältnissen  des  Bromäthyls  zu  dem 
menschlichen  Organismus  sind  die  Gefahren  dieser  Methode  größer  als  der 
Nutzen.  Die  Lunge  wird  jedenfalls  dabei  schwer  gefährdet,  ebenso  Herz,  Leber 
und  Nieren.  Diese  Narkose  ist  gar  nicht  zu  empfehlen,  da  sie  mehr  Gefahren 
mit  sich  bringt,  als  die  einfache  Ätheruarkose. 

Kocher  gibt  an,  zu  der  Narkose  eine  mittelgroße  mit  impermeablem 
Stoff  überzogene  Maske  zu  verwenden,  weiter  soll  man  neben  der  Maske  reich- 
lich Luft  zutreten  lassen. 

§  81.  Weniger  gefährlich  ist  die  Ither-ithylcliloridnarkose,  welche 
dariu    besteht,    daß   man  den  Kranken  mit  Äthylchlorid  betäubt  und  nach  Ein- 


—     593     — 

tritt  der  Toleranz  mit  Aether  sulfur.  weiter  narkotisiert.  Man  erreicht  dabei 
schnellen  Eintritt  der  Narkose,  vermeidet  die  Exzitation,  braucht  weniger  Äther 
und  der  Kranke  hat  weniger  Erbrechen,  Übelsein  und  Kopfschmerz  nach  der 
Narkose,  wenn  dieselbe  nicht  zulange  gedauert  hat.  Das  Verfahren  ist  von 
K  ö  n  i  g  angegeben.  Mau  kann  diese  Methode  als  sehr  brauchbar  bezeichnen, 
da  der  Kranke  hier  nicht  mehr  Gefahren  ausgesetzt  ist,  als  bei  der  einfachen 
Äthernarkose.  Das  Chloräthyl  ist  weniger  gefährlich  als  das  Bromäthyl  und 
insofern  ein  Vorzug  in  dieser  Kombination  gelegen.  Man  braucht  nur  weuig 
Chloräthyl  zu  geben,  2 — 5  g  genügen.  Ich  habe  stets  mit  2 — 3  g  Narkose 
so  viel  erreicht,  daß  der  Kranke  tief  betäubt  war.  Die  Patienten  empfinden  die 
Narkose  sehr  angenehm.  Der  stechende  Geruch  des  Äthers  kommt  den  Patienten 
nicht  zur  Empfindung,  selbst  wenn  man  im  Anfang  schon  wenig  Äther  nebenbei 
gibt.  Der  Verlauf  ist  i\beraus  glatt,  ohne  Exzitation,  und  man  braucht  sehr 
wenig  Äther  etc.  Nach  dem  Erwachen  fühlen  sich  die  Kranken  meist  sehr  wohl, 
wenn  nicht  die  Narkose  zu  lange  Zeit  gedauert  hat.  Nach  sehr  langen  Nar- 
kosen ist  etwas  Übelsein  vorhanden,  doch  sehr  wenig.  Alkoholisten  sind  sehr 
schwer  damit  zu  betäuben.  Man  tut  gut,  denselben  eine  Morphininjektion  vor- 
her zu  verabreichen,  denn  dadurch  gelingt  es,  den  Kranken  ohne  jede  Auf- 
regung zu  betäuben.  Erbrechen  während  der  Narkose  fehlt  vollkommen. 
Dieses  Verfahren  eignet  sich  vor  allen  Dingen  für  Entbindungen,  für  geburts- 
hilfliche Operationen  etc. 

Die  Technik  ist  die  denkbar  einfachste,  weshalb  diese  Methode  dem 
praktischen  Arzte  sehr  zu  empfehlen  ist.  Man  nimmt  eine  gewöhnliche  E  s  - 
marchsche  Maske  und  läßt  aus  dem  Chloräthylglas  den  Strahl  in  das  Innere 
der  Maske  fließen,  während  dieselbe  auf  dem  Gesicht  des  Kranken  aufliegt. 
Dabei  läßt  man  von  außen  schon  hier  und  da  einige  Tropfen  Aether  sulfur. 
auftropfen.  Wenn  der  Kranke  betäubt  ist.  gibt  man  nur  Äther  weiter.  Nach 
30  Sekunden  ist  der  Kranke  betäubt.  Für  die  Äthernarkose  gilt  das  früher 
Erörterte.     Man  kann  auch  eine  beliebige  Maske  anderer  Art  wählen. 

§  82.  Die  Äther-StickstoflFoxydulnarkose  ist  eine  der  brauchbarsten 
Narkosen,  wenn  sie  auch  für  den  praktischen  Arzt  nicht  so  brauchbar  ist,  wie 
die  Äthylchloridkombinatiou,  bei  der  die  Technik  sehr  einfach  ist,  weil  für  die 
Stickstoffoxydulkombination  die  Technik  durch  den  besonders  notwendigen  Stick- 
stoffoxydulapparat bedeutend  komplizierter  wird,  als  für  die  eben  genannte  Narkose. 
Diese  Methode  besteht  darin,  daß  man  den  Kranken  bis  zur  Toleranz  mit  Stick- 
stoffoxydul narkotisiert  und  darauf  die  Narkose  durch  Äther  unterhält.  Diese 
Narkose  ist  von  C  1  o  v  e  r  angegeben  und  zuerst  empfohlen  worden,  nachdem 
er  dieselbe  vielfach  verwendet  hatte.  C  1  o  v  e  r  hat  sich  zu  diesem  Zwecke 
einen  Apparat  konstruiert,  der  in  Fig-ur  174  abgebildet  ist,  und  dessen  Funktion 
und  Konstruktion  man  leicht  aus  der  Abbildung  ersehen  kann.  Die  Vorzüge 
dieser  Narkose  liegen  in  der  geringen  Gefährlichkeit  derselben,  die  Narkose 
tritt  rasch  ein,  es  fehlt  jede  Exzitation,  Übelkeit,  Erbrechen,  Aufregung, 
Unruhe  und  Kopfs  chmerz  nach  der  Narkose  (Arsdale,  Clover, 
Dudley,  Buxton  etc.).  Wenn  auch  natürlich  gewisse  Gefahren  und 
Mängel  der  Narkose  anhaften,  so  kann  man  doch  das  nicht  anders  erwarten, 
aber  man  hat  hier  die  beiden  wenigst  gefährlichen  und  toxischen  Narkotika 
kombiniert.  Die  Methode  spart  Äther  imd  es  werden  dadurch  auch  postnarko- 
tische Lungenleiden  vermindert,  wenn  auch  die  Gefahr  deren  Eintrittes  stets  vor- 

38 


594 


banden  ist.  Doch  ist  diese  Gefahr  nicht  größer  als  nach  einfachen  Narkosen, 
sondern  sogar  weniger,  da  man  weniger  Äther  zur  Narkose  braucht.  Eine  vor- 
sichtige Technik  und  gute  Beobachtung  kann  diese  Methode  zu  einer  sehr  wenig 
gefährlichen  machen,  und  man  kann  diese  Kombination  nur  empfehlen.  Alko- 
holisten sind  damit  allerdings  schwer  zu  betäuben,  man  muß  vorher  eine 
Morphininjektion  in  solchen  Fällen  anwenden.  Sonst  gelten  alle  Regeln,  wie 
für  die  einfache  Äthernarkose. 

Diese  Methode  wird,  so  empfehlenswert  sie  ist,  dem  praktischen  Arzt 
erschwert  durch  den  notwendigen  großen  Apparat. 

Miller  hat  die  Äther-Lachgasnarkose  vielfach  verwendet  und  empfiehlt 
dieselbe  deshalb,  weil  sie  in  zwei  bis  drei  Minuten  ohne  Belästigung  des  Kranken 
eintritt.  Die  Mortalität  ist  eine  sehr  geringe  in  dieser  Narkose.  So  hat  er  auf 
12941  Narkosen  mit  Äther-Stickstoffosydulnarkosen  am  St.  Bartholomews  Hos- 
pital einen  Todesfall  beobachtet,  während  der  auf  2830  reine  Aethernarkosen  einen 
solchen  statistisch  berechnete.  TJebelkeit  und  Erbrechen  nach  der  Narkose  sind 
vermindert.     Miller   verwendet    den  Ormsbyschen  Apparat    nicht  mehr, 

sondern  die  offene  Methode  zur  Dar- 
reichung des  Aethers.  Er  stellt  sich 
eine  Maske  her  aus  einem  Bogen  Papier, 
den  er  in  Tütenform  faltet  mit  einer 
Oeffnung  an  der  Spitze.  Ueber  diese 
Tüte  schlägt  er  ein  Handtuch  und  be- 
festigt in  dem  inneren  Teile  einen 
Wattebausch,  auf  welchen  er  den  Aether 
durch  die  Oeffnung  in  der  Spitze  tropft, 
worauf  er  den  Trichter  dem  Patienten 
mit  der  Basis  auf  das  Gesicht  setzt.  Die 
Lachgasnarkose  muß  vorher  mit  einem 
anderen  Apparat,  wie  man  ihn  für  die 
Methode  kennt,  eingeleitet  werden. 
Cyanose  und  Asphyxie  hat  er  durch 
diese  Narkose  und  die  offene  Methode 
vollkommen  vermieden. 

Die  Technik  ist  derart,  daß  man 
dem  Kranken  erst  das  Gas  allein  zu 
inhalieren  gibt  und  nach  Eintritt  der 
Toleranz  Äether  verabreicht.  Der 
Cloversche  Apparat  ist  sehr  brauch- 
bar für  diese  Narkose.  Der  Apparat, 
wie  er  in  Figur  174  abgebildet  ist,  be- 
steht aus  einer  eisernen  Flasche,  in  wel- 
cher das  Stickstoffoxydulgas  enthalten 
ist.  Dieselbe  ist  vom  Hahn  F  ver- 
schlossen, welcher  ein  Rohr  besorgt,  das  mit  H  bezeichnet  und  bei  G  an  die  Flasche 
angefügt  ist.  Das  Rohr  H  führt  bei  M  in  ein  Gefäß,  in  welchem  ein  Hahn  K 
angebracht  ist  Die  Aetherkammer  G  ist  in  diesem  Gefäß  enthalten,  und  wenn 
man  den  Hahn  K  dreht,  kann  man  einrichten,  daß  das  Gas  von  der  Flasche 
entweder  durch  die  Aetherkammer  streicht  und  sich  mit  Aether  mischt,  oder 
er  kann  anders  gestellt  werden,  so  daß  das  Gas  nicht  durch  die  Aetherkammer 
strömt,  so  erhält  der  Kranke  nur  Gas.  Ein  Rohr  N  führt  von  dem  Gefäß  nach 
einem  Ventil  0,  in  welchem  man  durch  einen  Hahn  die  Konzentration  re- 
gulieren kann.  Von  hier  wird  das  Gemisch  oder  Gas  in  die  Maske  geleitet. 
Slan  kann  mit  dem  Apparat  allein  Stickstoffoxydul  geben  oder  dasselbe  mit 
Aether  gemischt,  und  schließlich  nur  Aether  allein.  Der  Apparat  funktioniert 
sehr  schön  und  der  Narkotiseur  kann  alle  Mischungen  je  nach  Bedarf  erhalten. 
Dieser  Apparat  ist  das  Modell  zu  dem  von  Dudley-Buxton  an- 
gegebenen Apparat,    welcher   in  Figur  175    dai-gestellt  ist.     Derselbe  wird  von 


Fig,  174.     Narkoseapparat  von 

Clover  für  die  Stickstoff-Aether-sulf. 

Narkose. 


—     595     — 

der  Firma  M  e  y  e  r  &  M  e  1 1  z  e  r  in  London  fabriziert  und  besteht  aus  zwei 
Stahlzylindern  mit  Stickstoffoxydulgas.  Von  denselben  führt  ein  Eohr  nach  der 
Aetherkammer. 

Die  Aetherkammer  ist  aus  der  Figui"  176  ersichtlich  und  ist  sehr  ein- 
fach konstruiert. 

Man  ersieht  aus  der  Richtung  der  Pfeile  den  Weg,  welchen  das  Gas 
geht,  wenn  es  durch  Aether  streicht  und  wenn  es  allein  gegeben  wird.  Der 
Apparat  kann  so,  wie  er  abgebildet  ist,  in  den  einzelnen  Teilen  auseinander- 
genommen und  leicht  wieder  zusammengesetzt  werden.  Dadurch  kann  er  in- 
tensiv nach  jedem  Gebrauch  gereinigt  werden.  In  dem  Ballon  kann  sich  das 
überschüssige  Narkotikum  bis  zur  nächsten  Inspiration  aufspeichern.  So  kann 
man  auch  mit  diesem  Apparat,  der  im  Prinzip  dem  obigen  vollkommen  gleicht, 
den  Kranken  erst  mit  Stickstoffoxydul  narkotisieren  nnA  dann  mit  Aether  lang- 
sam das  Gemisch  verstärkend  übergehen  zur  Aethernarkose. 

Die  Erfolge,  welche  man  mit  dieser  Narkose  erzielt  hat,  sind  recht  gute 
gewesen,  doch  es  ist  immer  ein  ziemlich  komplizierter  Apparat  nötig.  Man  hat 
als  Nachteil  die  Explosionsgefahr  der  Gasgemische  angeführt  (Auvard, 
C  a  u  b  e  t),    doch    ist    diese  Gefahr   nicht    sehr    groß,    da    der   Apparat   ja    ge- 


^ 


Fig.  175.     Narkoseapparat  von  Dudley- 

Buxtou   für    die    Stickstoff -Aether-sulf.- 

Narkose. 


^3 


Fig.  176. 

Aetherkammer  des  Apparates 

von  Dudley -Buxton. 


schlössen  ist.  Immerhin  muß  man  dieselbe  beachten,  wenn  auch  die  Entzünd- 
barkeit in  der  Praxis  nicht  als  Gefahr  in  Betracht  kommen  soll  (Dudley- 
Buxton).  Man  kann  natürlich  für  eine  solche  Narkose  auch  jeden  anderen 
Apparat  verwenden,  der  für  Stickstoffoxydul  angegeben  worden  ist,  wie  der  von 
Hewitt  etc.  Man  wird  dabei  erst  den  Krauken  mit  dem  Stickstoffoxydul  tief 
betäuben  und  darauf  mit  der  Tropfnarkose  mit  Äther  fortfahren.  Man  kann 
auch  die  Methode  mit  der  Sauerstoff-Stickstoffoxydulnarkose  zuerst  beginnen 
und  dann  mit  Äther  oder  mit  Äther  und  Sauerstoff  weiterführen.  Auch  diese 
Kombinationen  liefern  gute  Narkosen. 

§  83.  Eine  Kombination  des  Lachgases  mit  der  Ätherchloroformnarkose 
nach  Braun  ist  von  K  r  ö  n  i  g  angegeben  worden,  die  Äther-Cbloroform- 
Stickstoffoxydulnarkose.  K  r  ö  n  i  g'  verwendete  die  B  r  a  u  n  s  c  h  e  Narkose 
und  fand,  daß  die  Toleranz  15 — 30  Minuten  dauerte,  ehe  sie  eintrat.  Um  diesem 
Übelstand  abzuhelfen,  betäubte  er  die  Kranken  mit  Lachgas  bis  zui- tiefen  Narkose 

38* 


—     596     — 


und  fuhr  dann  mit  dem  Brauns  chen  Gemisch  fort.  Um  diese  Narkosen  ausführen 
zu  können,  hat  K  r  ö  n  i  g  den  Inhaler  von  B  e  n  n  e  t ,  welcher  in  Amerika  viel- 
fach für  Narkosen  mit  Stickstoifoxydul  verwendet  wird,  mit  dem  Braunschen 
Apparat  kombiniert.  Bei  dieser  Kombination  ist  der  Kranke  innerhalb  40  bis 
60  Sekunden  tief  narkotisiert,  so  daß  jetzt  der  Braunsche  Apparat  ein- 
geschaltet wird,  und  nachdem  nun  das  Gemisch  vier  bis  fünf  Minuten  eingewirkt 
hat,  kann  die  Operation  beginnen.  An  500  solchen  Narkosen  hat  er  die  Methode 
erprobt,  und  es  sind  nur  die  besten  Resultate  erhalten  worden.  Freilich  ist  die 
Narkose  reichlich  umständlich  und  für  den  Arzt  auf  dem  Lande  z.  B.  gar  nicht 
brauchbar.  Immerhin  kann  man  in  Kliniken  und  Krankenhäusern  diese  Nar- 
kose verwenden  und  unter  solchen  Bedingungen  gibt  dieselbe  vorzügliche  Resul- 
tate. Die  Figur  177  zeigt  den  Apparat  abgebildet,  und  man  kann  aus  derselben 
die  Konstruktion  genau  erkennen. 

Man  ersieht  aus  der  Abbil- 
dung, daß  der  Apparat  reichlich 
kompliziert  ist.  Es  sind  zwar 
sehr  gute  Narkosen  dadurch  zu 
erhalten,  doch  wird  man  mit  der 
Chloroform -Ather-Sauerstoifnar- 
kose  eine  ebenso  gute  Narkose 
erzielen,  und  der  Apparat  ist 
entgegen  diesem  entschieden 
handlicher  und  einfacher.  Im- 
merhin hat  diese  Narkose  Vor- 
züge und  ist  vor  allem  wegen 
des  raschen  Eintrittes  angenehm. 
Der  Apparat  wird  von  Heine- 
mann-  Leipzig ,  Thomasring, 
fabriziert. 
§  84.  Die  Scopolamiu-Morphium-Narkose  ist  eine  der  in  der  Neuzeit 
wichtigsten  Arten  der  Betäubung  geworden  und  man  hat  in  dieser  Kombination 
eine  Narkose,  welche  ganz  im  Gegensatz  zur  Inhalationsnarkose  steht,  denn 
man  kann  diese  Narkose  nur  durch  Injektion  von  Morphin  und  Scopolamin 
unter  die  Haut  eri'eichen.  Diese  Methode  ist  von  Schneide  rlin  angegeben 
worden.  Derselbe  war  bestrebt,  eine  Methode  für  die  Narkose  zu  finden,  welche 
weder  schwer  gefahrbringend  für  den  Kranken,  noch  von  komplizierter  Technik 
sei,  so  daß  der  Kranke  nicht  durch  viele  Manipulationen  während  der  Narkose 
belästigt  werde,  noch  darf  ein  Kater  nach  dem  Erwachen  bestehen,  und 
die  Narkose  muß  eine  kontinuierliche  sein,  welche  weder  durch  Erbrechen, 
noch  durch  Husten  etc.  gestört  wird.  Allen  diesen  Anforderungen  glaubte 
S  chneiderlin  durch  die  Kombination  von  Morphium  mit  Scopolamin 
zu  genügen. 

Schmidt  hat  nachgewiesen,  daß  die  im  Handel  vorkommenden  und  bisher 
zu  therapeutischen  Zwecken  gebrauchten  Hyoscinpräparate  nicht  dem  Laden- 
burgschen  Hyoscin  entsprechen,  sondern  nur  aus  Scopolamin  bestehen.  Man  hat 
daher  in  dem  für  verschiedene  Methoden  verwendeten  Hyoscin  Scopolamin  zu 
erblicken.  Es  ist  daher  auch  von  der  Pharmacopoekommission  das  Hyoscinum 
hydrobromicum  mit  dem  Namen  Scopolaminum  hydrobromicum  bezeichnet  worden. 
Das  Scopolaminum  hydrobromicum,  welches  zu  der  Gruppe  der  Tropeine  gehört, 


Fig.  177.     Apparat  von  Krönig  für-  die 
Aether  -  Chloroform  -  Stickstoffoxydulnai-kose. 


—     597     — 

ist  (las  Alkaloid  verschiedener  Scopoliaarten  und  von  Hyoscyamus  niger, 
hat  die  Formel  0,^  H.^,  N()4  H  .  Br  und  ist  dem  Kokaiu  isomer.  Es  stellt  farb- 
lose rhombische  Kristalle  dar,  ist  optisch  links  drehend  und  löst  sich  in  Wasser 
und  Weingeist  leicht  zu  einer  farblosen,  blaues  Lackmuspapier  schwach  rot 
färbenden  Flüssigkeit  von  bitterem  uud  zugleich  kratzendem  Geschmack.  Das- 
selbe ist  in  Aethei'  und  Chlorofoi-m  nur  schwer  löslich.  Im  Auge  kann  man 
durch  Einträufeln  einigei-  Tropfen  einer  dünnen  Lösung  Pupillenerweitenmg  be- 
wirken. Dasselbe  wirkt  etwa  fünfmal  so  stark  als  Atropin,  jedoch  ist  die  Dauer 
der  Wirkung  selbst  bei  den  stärkstzulässigen  Konzentrationen  wesentlich  kürzer 
als  die  des  Atropins  (R  ü  h  1  m  a  n  n  ,  Illig).  Das  Scopolamin  ist  auch  da- 
durch vom  Atropin  verschieden,  daß  es  keine  Steigerung  des  intraokulären 
Druckes  heiTori'uft  (Uli  g).  Vor  allen  Dingen  wird  das  Scopolamin  in  der 
Neurologie  und  Psychiatrie  verwendet,  denn  es  wirkt  sehr  stark  benihigend, 
selbst  schon  in  sehr  kleinen  Dosen,  ohne  unangenehme  Nebenwirkungen  zu 
zeigen.  Das  Scopolamin  wirkt  aber  absolut  nicht  gleichmäßig,  sondern  es  ist 
die  Toleranz  gegen  dasselbe  oft  bei  demselben  Menschen  eine  wechselnde. 
Kunkel  hat  genauere  Untersuchungen  über  die  Wirkungen  augestellt  und 
gefunden,  daß  nach  einer  subkutanen  Injektion  von  ^/.^ — 1  mg  Scopolamin  am 
gesiinden  Menschen  folgende  Erscheinungen  auftreten:  Schon  nach  acht  Minuten 
nach  der  Injektion  werden  die  Lider  schwer,  die  Pupillen  werden  nach  zehn 
Minuten  weit,  der  Kopf  sinkt  herab.  Der  betreffende  Mensch  fühlt  Müdigkeit 
in  allen  Gliedern,  Trockenheit  im  Munde,  Abgeschlagenheit,  Durstgefühl,  der 
Gang  wird  schwankend,  der  Puls  wird  verlangsamt.  Darauf  tritt  fester  Schlaf  ein, 
der  weder  von  Träumen  noch  von  Delirien  gestört  wird,  während  welchem  die 
Respiration  tief  und  gleichmäßig  ist.  Andere  haben  Schwindelgefühl,  hochgradige 
motorische   Unruhe,  Verwirrung  etc.  beobachtet. 

Auch  ich  habe  nach  ganz  geringer  Dosis  von  0,5  mg  bei  einem  Kranken 
schwere  Intoxikationserscheinungen,  starke  aufgeregte  verwirrte  Zustände  nach 
einem  mehrstündigen  Schlafe  eintreten  sehen.  0  s  t  e  r  m  a  y  e  r  hat  nach  1  mg 
Scopolamin  den  Tod  eintreten  sehen.  Man  hat  mehrfach  Intoxikationen  beobachtet. 
Die  Symptome  sind  Benommenheit,  Coma,  Trismus,  klonische  Zuckungen  der 
Exti'emitäten,  des  Unterkiefers,  blasses  Gesicht,  maximale  Dilatation  der  Pupillen, 
Pulsfrequenz  etc.  Nachdem  man  durch  Morphin  die  Krämpfe  beseitigt,  trat 
Körperstarre  und  Sopor  ein,  und  endlich  klang  der  Zustand  bald  ab  (A  d  1  e  r).  Es 
sind  auch  noch  eine  Reihe  anderer  Symptome  beobachtet.  Uebrigens  tritt  auch  die 
Intoxikation  verschieden  auf  (Kochmann,  Ernst,  Sohrt,  Githgens  etc.). 
Die  pharmakodynamischen  Wirkungen  des  Scopolamius  sind  von  verschiedenen 
experimentell  festgesetzt  und  erforscht  worden  (Koch  mann,  Koberts, 
Ernst,  Sohrt  etc.).  Kochmann  stellt  dieselben  folgendermaßen  zu- 
sammen : 

I.  Der  Blutdruck  wird  diirch  kleine  Gaben  von  Scopolamin  hydrobrom. 
infolge   Reizung    des    vasomotorischen  Zentrums  gesteigert,    durch 
große  Gaben  dagegen  stark  erniedrigt.     Letzteres  beruht  nicht  auf 
einer  Lähmung    des  vasomotorischen  Zentrums,    sondern    auf  einer 
Schädigung  des  exzitomotorischen  Apparates  des  Herzens. 
II.  Der  Puls  ist  bei  kleinen  Dosen  des  Alkaloids  nicht  wesentlich  gegen 
die  Norm  verändert,  auf  große  Dosen  tritt  durch  Vagusreizung  Ver- 
ringerung der  Pulsfrequenz  und  Größerwerden  der  Pulselevationen 
ein  (Vaguspuls). 
m.  Der  N.  vagus  wird  selbst  durch  große  Dosen  bei  Hunden  nicht  ge- 
lähmt,   bei  Kaninchen    dagegen   ist  schon  auf  mittlere  Gaben  eine 
Lähmung  des  Nervus  vagus  zu  finden. 
IV.  Die  Erregbarkeit    der  Großhirnrinde  für  farad.  Sti-öme  wird  durch 
Scopolamin  herabgesetzt. 
V.  Scopolamin  ruft  selbst  in  kleinen  Dosen  beim  Menschen  und  Hunde 
Schlaf  hervor,  dem  motorische  Unruhe,  wahrscheinlich  auf  Halluzi- 
nationen  beruhend,    vorausgeht.     Analgesie    besteht  während    des 
Schlafes    nicht.     Bei    Kaninchen   kommt    diese    sedative    Wirkung 
nicht   zum  Vorschein,    beim  Frosch    ist    auf  Scopolamin    hin    eine 


—     598     — 

zentrale  Lähmung  und  Reflexunerregbarkeit  nach  vorhergehender 
Irradiation  der  Reflexe  zu  bemerken. 
VI.  Die  Respiration  wird  beim  Menschen  und  Hunde  durch  therapeutisch 
schon  wirksame  Dosen  nicht  geschädigt.  Bei  großen  Dosen  ist 
eine  Schädigung  der  Atmung  immer  zu  konstatieren.  Bei  Kaninchen 
tritt  sogar  primärer  A.temstillstand  ein. 
VII.  Die  Speichel-,   Schweiß-    und  Schleimsekretion    wird  durch  Scopo- 

lamin  aufgehoben. 
VIII.  Sowohl    bei  lokaler  Installation  ins  Auge  als  auch  resorptiv  treten 
Mydriasis  und  Akkomodationslähmung    ein,    welche  aber  schneller 
vorübergehen  als  beim  Atropin. 

IX.   Scopolamin   lähmt    die  motorischen  Endapparate  des  N.  vagus  im 
Darm,  hebt  aber  den  Splanchnicustonus  auf. 

X.  Scopolamin  wird  durch  die  Nieren  ausgeschieden. 

Wenn  man  nun  diese  Einwirkungen  des  Scopolamins  auf  die  Funktionen 
im  Organismus  mit  denen  des  Moii^hins  vergleicht,  so  kann  man  konstatieren, 
daß  beiden  eine  hj^pnotische  und  anästhesierende  Eigenschaft  zuteil  wird, 
während  sie  in  allen  ihren  andern  Eigenschaften  und  Einwirkungen  auf  den 
Organismus  als  Antagonisten  zu  betrachten  sind  (Bio  s). 

Man  kann  aber  nicht  einen  vollen  Antagonismus  annehmen,  denn  dies  ist 
ja  überhaupt  nicht  wörtlich  zu  verstehen,  da  es  einen  Antagonismus  re  vera  gar 
nicht  gibt,  aber  es  bestehen  zwischen  den  beiden  Stoffen  Wirkungen  auf  be- 
stimmte Organe,  welche  durch  ihre  verschiedenen  Resultate  in  günstigem  Sinne 
den  Gesamtorganismus  beeinflussen.  Man  kann  daher  durch  die  Kombination 
dieser  beiden  Stoffe  Wirkungen  erzielen,  welche  dem  einen  und  andern  allein 
nicht  im  mindesten  innewohnen.  So  fand  Kochmann,  daß  0,01  Morphin  bei 
zwei  gleich  schweren  Hunden  außer  einer  gewissen  Benommenheit  keine  anderen 
Erscheinungen  hervorrufe,  und  daß  0,0005  Scopolamin,  allein  injiziert,  nur  kurz- 
dauernden Schlaf  ohne  Analgesie  erzeugt.  Wenn  er  aber  diese  beiden  Dosen 
vereinigt  injizierte,  so  konnte  er  bei  einem  Hunde  tiefen  Schlaf  mit  vollkom- 
mener Analgesie  erzeugen.  Bei  einem  anderen  Hunde  konnte  er  mit  der  gleichen 
Dosis  tiefen  Schlaf  mit  nur  bedeutender  Herabsetzung  der  Schmerzempfindlichkeit 
erreichen.  Man  muß  dies  auf  die  verschiedene  Wirkung  des  Scopolamins  be- 
ziehen. Dieser  Zustand  hielt  aber  bei  den  Tieren  fünf  Stunden  lang  an. 
Kochmann  weist  darauf  hin,  daß  hier  ähnliche  Beziehungen  bestehen  werden, 
wie  sie  H  o  n  i  g  m  a  n  n  für  die  Kombination  von  Chloroform  und  Aether 
sulf .  zahlenmäßig  feststellte.  Honigmann  fand,  daß,  wenn  m 7o  Chloro- 
formdämpfe der  Inspirationsluft  des  Kranken  beigegeben  werden  müssen, 
oder  n7o  Atherdämpfe,  um  Narkose  zu  erzielen,  bei  einer  Mischung  von  Chloro- 
form und  Äther  nicht  -^7o  Chloroform  -|-  ^7o  Äther  in  der  Inspirationsluft  ent- 
halten sein  müssen,  sondern  -^^o  Chloroform  -|-  ~7o  Äther   genügen,    um  eine 

Narkose  zu  erzeugen.  Diesen  Verhältnissen  entsprechen  auch  die  Beobachtungen 
der  Wirkungen  der  Scopolaminmorphinnarkose.  Schneiderlin  hat  durch 
die  höchsten  Dosen  von  Morphin  oder  Scopolamin  allein  nicht  die  Anästhesie, 
überhaupt  nicht  Anästhesie  erreichen  können,  die  er  durch  Kombination  beider 
Mittel  leicht  erzielte.  Es  ist  allerdings  auch  hier  die  Wirkung  verschieden; 
die  individuelle  Anlage  spielt  eine  sehr  große  Rolle,  denn  eine  Person  ist  leicht 
mit  dieser  Methode  zu  betäuben,  während  eine  andere  nicht  in  Narkose  verfällt. 


—     599     — 

Es  ist  auch  die  Wirkvmn'  des  Scopolaminmorphiusjemisclies  auf  das  Herz 
untersuclit  Avorden  und  de  Caspero  konnte  Ijei  Herzleidenden  keine  un- 
g'ünstigen  Nebenwirkungen  beobachten.  Der  Blutdruck  blieb  auch  in  diesen 
Fällen  ganz  unverändert,  wenn  er  Hei'zkranke  damit  betäubte.  Es  mag  dies 
darin  liegen,  daß  in  der  Narkose  die  Spannung  der  Gefäße  geringer,  die  Füllung 
aber  erhöht  wird. 

Schneiderlin  hat  nun  zur  Verwendung  dieser  Methode  zwecks  Nar- 
kose bei  chirurgischen  Eingriifen  die  Art  der  Einleitung  der  Narkose  näher 
bestimmt.  Vor  allen  Dingen  gibt  er  folgende  Punkte  zur  Beachtung  an:  I.  Vor- 
sichtiges Ausprobieren  der  Dosis.  II.  Injektion  der  Lösung  au  verschiedenen 
Stellen.  III.  Man  warte  nach  der  Injektion  1^2 — ^  Stunden.  IV.  Verwendung 
stets  ft'ischer  Lösungen.  —  Zur  Einleitung  einer  Narkose  verfährt  Schneiderlin 
so,  daß  er  mit  0,0003  Scopolamin  -)-  0,01  Morphin  anfängt  und  diese  Dosis 
nach  ein  bis  zwei  Stunden  wiederholt,  oder  er  gibt  die  Dosis  probeweise 
am  Abend  vor  der  Operation  und  am  nächsten  Tage  eine  höhere  Dosis.  Auf 
diese  Weise  konnte  er  nach  zwei-  bis  viermaligem  Ausprobieren  die  für  die 
Operation  nötige  Narkose  erreichen,  indem  er  auch  auf  die  Dauer  der  vor- 
zunehmenden Operation  Rücksicht  nimmt.  Wenn  man  aber  nicht  soviel  Zeit 
zum  Warten  hat,  so  werden  0,005—0.0008—0,001  Scopolamin  +  0,02—0,03  Mor- 
phin gegeben.  Dieses  Ausprobieren  war  aber  absolut  kein  Vorzug  dieser  neuen 
Narkose  gegenüber  der  Atherinhalationsnarkose,  und  um  dies  abzuändern,  hat 
K  0  r  f  f  verschiedentliche  Versuche  angestellt.  Zuerst  machte  K  o  r  f  f  innerhalb 
einiger  Stunden  mehrere  Injektionen  der  Lösung  und  vervollkommnete  dann 
die  Narkose  durch  Chloroform.  Obwohl  die  Eesultute  recht  gute  waren,  so 
war  er  doch  besti-ebt,  das  Chloroform  oder  ein  anderes  Narkotikum  ganz  zu 
entbehren,  und  so  stellte  er  folgendes  Verfahren  zusammen:  Vier  Stunden  vor 
der  Operation  wurde,  nachdem  der  Kranke  ^'3  Stunde  vorher  ein  Frühstück  aus 
flüssigen  Speisen  erhalten  hatte,  die  erste  Injektion  von  0,01  Morphin  -j-  0,0012 
Scopolamin  gegeben.  Nach  zwei  Stunden  folgte  eine  zweite  Injektion,  und  ^/g  Stunde 
vor  der  Operation  wurde  noch  eine  dritte  Injektion  von  derselben  Dosis  verab- 
reicht. Wenn  man  nur  kurze  Operationen,  wie  Herniotomien  etc.,  von  der  Dauer 
von  fünf  bis  zehn  Minuten,  vornehmen  wollte,  konnte  man  schon  mit  zwei  In- 
jektionen eine  genügende  Narkose  erreichen,  oder  man  machte  kurz  vor  der 
Operation  noch  eine  Injektion  von  der  halben  Dosis.  So  erreichte  K  0  r  f  f  voll- 
kommene Narkose,  bei  der  nur  manchmal  durch  das  Zurücksinken  des  Zuugen- 
grundes  ein  Atemhindernis  entstand,  sonst  aber  keine  Nachteile  bestanden. 
130  Fälle  hat  so  er  ohne  üble  Zwischenfälle  narkotisiert.  Eine  sehr  herunter- 
gekommene Frau  collabierte,  konnte  aber  durch  Kamphor  wieder  gerettet  werden, 
K  0  V  f  f  beobachtete  bei  sonst  ruhiger  Herzaktion  eine  starke  Gefäßerweitemng 
im  Carotidengebiet  und  gibt  den  Rat,  diese  Narkose  deshalb  bei  Strumaoperationen 
zu  vermeiden.  Sonst  ist  die  Narkose  ganz  ruhig,  ohne  Exzitation,  einfach  zu 
erreichen,  ohne  üble  Nebenerscheinungen  und  ohne  Gefahr  (Korff,  Bios  etc.). 
Bios  gibt  am  Abend  vor  der  Operation  eine  Probeinjektion  von  ^2 — 1  Maximai- 
dosis der  Lösung,  um  zu  sehen,  wie  der  Kranke  die  Wirkung  verträgt.  Wird 
diese  Dosis  schlecht  vertragen,  so  wendet  er  die  Methode  dann  nicht  an.  Er 
verwendete  am  häufigsten  die  Mischimgen  pro  Dosis: 

I.  0,001  Scopolamin  +  0,06  Morphin, 

II.  0,001    Scopol.  +  0,06  Morphin  und  später  0,0005   Scopol.  +  0,03  Morphin, 

III.  0,00075  Scopolamin  +  0,045  Morphin. 


—     600     — 

Bios  gibt  den  Rat  nach  seinen  Erfahrungen  mit  diesen  großen  Dosen, 
dieselben  in  zwei  bis  drei  Zeiten  zn  verabreichen,  und  so  gibt  er  lieber 
kleine  Dosen  öfter.  Er  hat  meist  1 — 1^2  Stunden  warten  müssen,  bis  die  Nar- 
kose eintrat,  während  die  Narkosen  selbst  mindestens  eine  Stunde  bis  zu  drei 
Stunden  anhielten.  Allerdings  gibt  es  öfter  Kranke,  welche  nicht  in  vollkom- 
mene Narkose  verfallen,  er  hat  dann  mit  Äther  die  Narkose  ergänzt.  Aber 
sonst  sind  seine  Resultate  sehr  gute  gewesen. 

W  i  t  z  e  1  hingegen  hat  gar  keine  guten  Resultate  erzielt  und  deshalb 
die  Methode  wieder  verlassen.  Schicklberger  hat  meist  sehr  starke  moto- 
rische Unruhe  und  dabei  so  ungenügende  Entspannung  der  Muskeln  beobachtet, 
daß  er  ziim  Chloroform  griff.  Er  hat  aber  sonst  sehr  gute  Resultate  erzielt 
und  meint  nur,  daß  das  Scopolamin  ein  nicht  ganz  zuverlässiges  Narkotikum 
ist  und  vor  allem  nicht  immer  alle  Muskeln  entspannt,  was  bei  manchen  Ope- 
rationen störend  ist.  Deshalb  wird  in  solchen  Fällen,  wo  man  Entspannung- 
aller  Muskeln  fordert,  die  Chloroform-  oder  Athernarkose  verwendet  wei'den 
müssen.  Er  will  die  Scopolaminmorphinnarkose  für  jene  Fälle  angewendet  wissen, 
wo  die  Inhalationsnarkose  kontraindiziert  ist.  Wild  hat  die  Methode  ebenfalls 
öfter  angewendet  und  bei  einem  18  jährigen  gesunden  Mädchen,  die  au  Empyem 
der  Kieferhöhlen  litt,  einen  sehr  schweren  Herzkollaps  in  der  Narkose  gesehen, 
der  beinahe  zum  Tode  führte,  und  wobei  das  Mädchen  erst  nach  stundenlangem 
(zwölf  Stunden)  Bemühen  vom  Tode  gerettet  werden  konnte.  Er  empfiehlt 
daher  große  Vorsicht. 

Bios  hat  auf  70  Narkosen  ueuii  Atemstörungen  bei  guter  Herzaktion 
und  einen  Todesfall  beobachtet.  Der  Mann,  der  sehr  schwer  krank  war 
(Phthisis  pulmon.,  Caries  etc.),  starb  sechs  Stunden  nach  der  Operation  durch 
Atmungsstillstand.  W  i  t  z  e  1  hat  einen  Todesfall  erlebt  und  zweimal  Mißerfolge 
der  Narkose,  einen  Kollaps  und  zu  frühes  Erwachen,  ohne  daß  der  Kranke  sich 
aber  später  an  die  Operation  erinnern  konnte.  H  e  i  n  a  t  z  hat  38  Narkosen 
gemacht.  Er  machte  vier-,  zwei-  imd  ^  g  stündig  vor  der  Operation  Injektionen 
von  0,0012  Scopolamin  -J-  0,015  Morphin.  In  18  Fällen  trat  genügende  Narkose 
ein,  bei  den  übrigen  nicht,  er  mußte  Chloroform  zu  Hilfe  nehmen.  Er  brauchte 
12 — 20  g  Chloroform,  einmal  erlebte  er  Apnoe,  öfter  Erbrechen. 

Schneiderlin  fand  bei  seinen  weiteren  Untersuchungen  gute  Resul- 
tate, er  gibt  den  Rat,  auf  das  Zurücksinken  des  Zungeugrundes  zu  achten. 
Ebenso  müsse  bei  Operationen  im  Mund  peinlichste  Blutstillung  vorgenommen 
werden.  Nach  Schneiderlin  liegen  die  Nachteile  der  Methode  darin,  daß 
man  die  Wirkung  erst  ausprobieren  muß  und  damit  Zeit  verliert,  ferner  daß 
man  nach  dem  Erwachen  die  Respiration  genau  beachten  muß,  wofür  als  Vor- 
teil die  Gefahrlosigkeit  bei  richtigem  Anwenden,  Wegfallen  des  psychischen 
Shocks  auf  den  Patienten  u.  a.  m.  zu  betrachten  sind.  Die  Methode  ist  von 
Bloch  bei  otologischen,  von  F  1  a  t  a  u  bei  gynäkologischen  Operationen  aus- 
geführt worden,  imd  zwar  haben  dieselben  sehr  gute  Resultate  gefunden.  Doch 
hatte  Flatau  trotz  sorgfältiger  Auswahl  einen  Todesfall  auf  77  Fälle  beobachtet. 
Es  war  dieser  Fall  eine  Frau  mit  Myom  und  vorhergehenden  Blutungen,  die 
nachdem  die  Narkose  vorzüglich  verlaufen  war,  41/2  Stunden  nach  derselben 
coUabierte  und  nach  IV2  stündigem  fruchtlosen  Bemühen  der  Wiederbelebung  an 
fortschreitender  Herzschwäche  zugrunde  ging.  Flatau  meint,  daß  in  diesem 
Falle  für  die  Kranke  zu  hohe  Dosen  gegeben  seien,  was  man  aber  natürlich  nicht 


—     601     — 

vorbei*  so  geuau  wissen  kann,  luul  daß  die  Ki-anke  uiir  infolge  dei"  Narkose 
gestorben  sei.  G  r  e  v  s  e  n  hat  69  Narkosen  ausgeführt,  von  denen  in  15  Fällen 
starke  Unruhe  auftrat,  bei  einem  ISjäbrigen  Knaben  war  die  Unruhe  so  stark,  daß 
die  Operation  unterlassen  werden  mußte.  Erbrechen  trat  zweimal  auf,  Puls  und 
Atemtätigkeit  waren  nie  übel  beeinflußt.  Bei  älteren  Leuten  bestand  noch 
tagelang  nach  dei-  Narkose  Beeinträchtigung  des  Denkvermögens.  Stolz  hat 
fünf  Fälle  narkotisiert  und  ebenfalls  oft  Unruhe  der  Kranken  beobachtet,  ein- 
mal so  stark  noch  nach  der  Operation,  daß  Patientin  im  Bett  festgehalten  werden 
mußte.  Die  Pupillen  waren  in  der  Narkose  weit,  i-eaktionslos,  die  Atmung  ver- 
langsamt, röchelnd,  der  Puls  beschleunigt.  Nach  seiner  Ansicht  ist  die  Narkose 
so  ganz  unzureichend,  wie  sie  jetzt  vorgenommen  wird.  Man  hat  auch  von 
anderer  Seite  diese  Beobachtung  gemacht  und  den  Rat  gegeben,  die  Narkose 
mit  Äther  zu  vervollkommnen  (Kor  ff,  Bios,  Hartog,  Volk  mann  etc.). 
Wenn  man  die  Berichte  über  die  Scopolamiu-Morphinnarkose  allein  ge- 
nauer prüft,  so  kommt  man  allerdings  zu  der  Überzeugung,  daß  diese  Narkose 
nicht  eine  genügende  Betäubung  hervorruft.  Natürlich  könnte  man  eine  tiefe 
Narkose  erreichen,  doch  dann  müßte  man  eine  Dosis  Scopolamin  und  Morphin 
geben,  welche  sehr  viel  Gefahren  bi'ingt.  Man  hat  aus  den  angeführten  Todes- 
fällen gesehen,  daß  das  Scopolamin  die  schwersten  Herzkollapse  hervorrufen 
kann.  Gerade  darin  liegt  der  Nachteil  dieser  Narkose,  daß  die  Wirkung  des 
Scopolamin  eine  sehr  unsichere  ist,  und  man  nie  vorher  genau  wissen  kann, 
wie  der  Kranke  darauf  reagiert.  Es  ist  das  Skopolamiu  eben  ein  schweres  Gift 
und  ist  als  solches  gar  nicht  indifferent.  Man  darf  auch  nicht  sagen,  daß  die 
Scopolamin-Morphinnarkose  weniger  Gefahren  bringe,  als  die  einfache  Chloro- 
form- oder  Athernarkose.  Dies  geht  schon  daraus  hervor,  daß  bei  den  wenigen 
tausend  Narkosen,  welche  bisher  auf  diese  Methode  überhaupt  ausgeführt  worden 
sind,  schon  mehrere  Todesfälle  bekannt  gegeben  sind.  Immerhin  aber  hat  die 
Methode  große  Vorzüge.  Ein  besonderer  Vorzug  ist  der,  daß  die  Scopolamin- 
Morp hinwirkung  die  Sekretion  der  Schleimhäute  vermindert,  daß  der  Blutdruck 
nicht  herabgesetzt  wird,  wenigstens  nicht  wesentlich,  daß  der  Kranke  durch  die 
Ausführung  der  Narkose  nicht  so  stark  belästigt  wird  wie  bei  der  Inhalationsnar- 
kose, und  noch  verschiedene  Vorzüge  mehr  sind  vorhanden.  Es  sind  aber  die 
Vorzüge  der  Narkose  bei  weitem  nicht  so  einwandfrei,  wie  man  anfangs  glaubte, 
das  Herz  und  die  Atmung  können,  wie  wir  gesehen  haben,  schwer  geschädigt 
werden  (Flatau,  Wild,  Witzel,  Bios,  Kochmann  etc.),  und  es 
kommt  hierzu  noch  der  Umstand,  daß  mau  solche  schwere  Störungen  dieser 
lebensvpichtigen  Funktionen  bei  ganz  gesunden  Menschen  gesehen  hat.  Ein 
weiterer  Ubelstand  ist  der,  daß  man  während  der  Narkose  es  nicht  in  der 
Hand  hat,  die  Dosis  des  Narkotikums  zu  ändern.  Man  hat  nach  Gutdünken 
eine  bestimmte  Menge  der  Mischung  injiziert  und  muß  es  nun  dem  Organismus 
überlassen,  wie  er  sich  dazu  stellt.  Natürlich  kann  man  vorher  ausprobieren, 
doch  auch  das  ist  ein  Übelstand,  und  beseitigt  die  Gefahren  nicht  ganz.  Das 
Verhalten  der  Pupille  ist  für  den  Narkotisem*  nicht  wesentlich  wichtig,  denn 
es  tritt  sofort  nach  der  ersten  Injektion  Mydriasis  ein,  manchmal  tritt  dieselbe 
erst  nach  mehreren  Dosen  auf,  auch  dies  wechselt.  Die  Weite  der  Pupille 
bleibt  aber  immer  gleich.  Man  muß  während  der  Narkose  stets  auf  Unfälle 
und  toxische  Wirkung  gefaßt  sein,  und  man  kann  bei  Eintritt  derselben  die 
Dosis    im    Organismus    nicht    ändern,    und   kann    nur    symptomatisch    die    In- 


—     602     — 

toxikation  bekämpfen.  Erbrechen  tritt  bisweilen  ebenfalls  in  der  Narkose  auf. 
Das  Unangenehme  ist  die  häufige  starke  Unruhe.  Grevser,  Rosenfeld  etc. 
geben  den  Rat,  nie  alte  Lösungen  zu  verwenden,  denn  die  Unruhe  tritt  nach 
ihnen  öfter  auf.  Natürlich  wäre  es  höchst  leichtsinnig,  wenn  ein  Arzt  von 
diesem  sich  leicht  zersetzenden  Präparat,  das  an  sich  schon  sehr  unsicher  wirkt, 
alte  Lösungen  verwenden  wollte. 

Durch  die  Kombination  dieser  Narkose  mit  Chloroform  oder  Äther  ist 
allerdings  eine  bedeutend  brauchbarere  Methode  entstanden  (Bios,  Kor  ff, 
Schneiderlin  etc.).  Man  spart  ganz  bedeutend  an  dem  Inhalationsanästhetikum 
und  kann  in  allen  Fällen  sicher  Narkose  erreichen.  Man  verfährt  da  am  besten 
so,  daß  man  den  Kranken  zunächst  0,0012  Scopolamin  -{-  0,01  Morphin  sub- 
kutan verabreicht.  Daraufhin  schläft  der  Kranke  nach  ^4 — 1  Stunde  ein,  nach- 
dem er  zuvor  Müdigkeit,  Trockenheit  im  Munde,  erschwertes  Sprechen  und 
Blutandrang  nach  dem  Kopfe  empfunden  hatte.  Nach  1^2 — 2  Stunden  nach 
der  ersten  Injektion  folgt  die  zweite  Injektion,  und  ^2  Stunde  vor  der 
Operation  die  dritte.  Es  wird  also  die  erste  Injektion  4  Stunden,  die 
zweite  2  Stunden ,  die  dritte  V2  Stunde  vor  der  Operation  gegeben ,  und 
jedesmal  die  genannte  Dosis.  Wenn  man  sicher  ist ,  daß  man  Äther 
oder  Chloroform  noch  nebenbei  verwenden  muß,  so  genügen  ein  oder  zwei 
Injektionen  in  entsprechenden  Zwischenräumen.  Wenn  man  aber  einen 
gesunden  Menschen  vor  sich  hat ,  kann  man  drei  Injektionen  ausführen 
und  versuchen,  ob  derselbe  völlig  betäubt  wird.  Gelingt  dies,  so  führt  man 
die  Operation  aus,    wenn  nicht,    so    nimmt  man    noch  Äther    oder  Chloroform. 

Die  Wahl,  ob  man  Äther  oder  Chloroform  verwenden  soll,  hängt  vom 
Kranken  und  dessen  Verhalten  etc.  ab.  In  den  meisten  Fällen  kommt  man 
mit  wenig  Äther  zum  Ziele  und  erreicht  eine  sehr  gute  Narkose.  Man  gibt 
den  Äther  in  der  Tropfform  und  kann  auch  je  nach  Bedarf  einige  Tropfen 
Chloroform  beifügen.  Die  Indikationen  füi"  Äther  oder  Chloroform  sind  hier 
genau  dieselben  wie  bei  der  einfachen  Chloroform-  oder  Äthernarkose,  was 
früher  erörtert  wurde. 

Kor  ff  hat  als  zu  verwendende  Lösimg  folgende  angegeben: 
Scopolamin.  hydrobrom.  0,001 

Morphin,  mur.  0,25 

Aqua  dest.  coct.  10,0 

von  welcher  er  2^/2,  bzw.  1^2,  bzw.  ^/a  Stunde  vor  der  Operation  ^3  Pravaz- 
spritze,  also  insgesamt  0,001  Scopolamin  und  0,025  Morphin  gibt.  v.  Stein- 
büchel  injiziert  0,0003 — 0,0004  Scopolamin  -|-  0,01  Morphin,  und  erreicht  mit 
1 — 2  solchen  Dosen  eine  sehr  gute  Ergänzung  der  Inhalationsnarkose.  Die 
Vorbereitung  des  Kranken  ist  nur  gering,  denn  es  genügt,  wenn  derselbe  ein 
flüssiges  Frühstück  1^ — 2  Stunden  vor  der  Injektion  erhalten  hat. 

Marmetschke  hat  füi'  die  ergänzende  Inhalationsnarkose  wenige 
Tropfen,  bis  20  g  Chloroform,  letztere  Dosis  für  eine  21/2  Stunden  dauernde 
Operation,  und  bis  zu  100  g  Äther  gebraucht,  in  einem  Falle  genügten  zehn 
Tropfen  Chloroform  und  30  Tropfen  Äther  für  l''/4  Stunden  lange  Narkose,  und 
mit  100  g  Äther  wurde  über  eine  Stunde  lang  betäubt,  die  Pupillendilatation 
hält  nach  der  Narkose  oft  noch  tagelang  an,  die  Cornealreflexe  erlöschen  nie. 
Marmetschke  hat  von  17  Fällen  zweimal  Erbrechen,  zweimal  Asphyxie  mit 
starker  Cyanose    beobachtet,    die    Schleimabsonderung   war   auffallend    gering, 


—     6U3     — 

auch  weuii  Äther  noch  gegeben  wurde.  Die  Hautgefäße  von  Hals  und  Gesicht 
waren  überall  stark  injiziert,  die  oberflächlichen  größeren  Venen  waren  überall 
prall  gefüllt,  der  Puls  beschleunigt,  bisweilen  auf  130  pro  Minute,  sowie  leicht 
komprimierbar  und  arhythmisch.  In  einem  Falle  war  der  Puls  schon  nach 
einer  Injektion  so  schwach  und  unregelmäßig  geworden,  daß  eine  Kampfer- 
injektion gemacht  werden  mußte.  Die  Vermehrung  der  Pulsfrequenz  dauerte 
meist  noch  tagelang  nach  der  Narkose  an,  in  vier  Fällen  war  der  Puls  noch 
wochenlang  stark  beschleunigt  und  unregelmäßig.  Unruhe  stärkeren  Grades 
bestand  stets.  In  einem  Falle  trat  am  dritten  Tage  nach  der  Narkose  (xly- 
kosurie  auf,  welche  schon  monatelang  völlig  sistiert  hatte.  Das  Erwachen  aus 
der  Betäubung  erfolgt  1 — 3  Stunden  nach  Beendigung  der  Operation,  in  einem 
Falle  sogar  erst  nach  sieben  Stunden.  In  allen  Fällen  bestand  vollkommene  Am- 
nesie bezüglich  der  Vorgänge  unmittelbar  vor  der  Narkose  in  der  Operation. 
Diese  Amnesie,  verbunden  mit  starken  Aufregungszuständen  und  Ver^^irrtheit 
nach  der  Narkose  erfordert  sorgfältigste  Überwachung  des  Patienten  nach  den  Be- 
täubungen. Alle  Kranken  sind  beim  Erwachen  desorientiert,  manche  wollen  aus 
dem  Bett  springen  etc.,  oft  besteht  tagelang  Unbesinnlichkeit  und  Gedächtnis- 
schwäche, die  nur  langsam  schwinden. 

Die  schweren  unbei'echenbaren  Wirkungen  dieser  Narkose,  die  Gefahr 
für  Herz  und  Lungen  und  viele  unangenehme  Nebenerscheinungen  lassen  diese 
Narkose  sehr  weit  hinter  der  Chloroform-,  Äther-  oder  jeder  anderen  Narkose, 
namentlich  unserer  gemischten  Sauerstoffnarkose,  zurückstehen.  Bios  hält 
Hysterie  und  Neurasthenie  als  Koutraindikationen  der  Narkose,  weil  diese 
Kranken  auf  die  kleinsten  Mengen  Scopolamin  geradezu  spezifisch  mit  höchster 
Um'uhe,  Herzklopfen,  Halluzinationen,  Erbrechen  etc.  reagieren.  Wenn  auch 
Volkmann  und  Heiuatz  ohne  Schaden  und  Nebenwirkungen  diese  Narkose 
bei  schweren  Herz-  und  Nierenkranken  angewendet  haben,  so  bestehen  doch 
Erfahrungen,  die  schon  Leute  mit  gesundem  Herzen  an  Kollaps  sterben  ließen 
(Flatau,  Witzel  etc.),  so  daß  man  wohl  diese  Narkose  bei  solchen  Kranken 
unterlassen  dürfte.  Man  muß  Scopolamin  als  direktes  Herzgift  ansehen 
(Witzel,  Kochmann,  Grevsen,  Flatau,  Hartog,  Bios  etc.),  was  aus 
zahlreichen  Beobachtungen  hervorgeht.  Es  ist  daher  größte  Vorsicht  mit  dieser 
Narkose  zu  üben.  Es  ist  zweifellos,  daß  der  Methode  große  Vorzüge  anhaften. 
Nach  den  Angaben  von  Kümmell  auf  dem  Chirui'genkongreß  1905  sind  bei 
ihm  seit  der  Einführung  der  Scopolamin-Morphinnarkose  die  Pneumonien  und 
postoperativen  Lungenleiden  bedeutend  zurückgegangen.  Während  er  1904 
43  postoperative  Pneumonien  hatte,  von  denen  15  starben,  wurden  die  Resultate 
nach  der  Sauerstoff'-Chloroformnarkose  besser,  wesentlich  aber  erst  durch  diese 
Narkose,  was  er  der  austrocknenden  Wirkung  des  Scopolamins  zuschreibt.  Es 
ist  gar  kein  Zweifel,  daß  diese  Verhältnisse  auch  mit  der  Zeit  noch  von 
anderen  Operateuren  beobachtet  werden,  denn  dieser  Umstand  ist  wohl  der 
größte  Nutzen  der  Scopolamin-Morphinnarkose. 

Obwohl  ich  bei  Einleiten  einer  Scopolaminnarkose  sehr  schwere  Er- 
scheinungen beobachtete  und  von  der  reinen  Scopolamin-Morphinnarkose  wenig 
erwarte,  so  halte  ich  die  Kombination  der  Scopolamin-Morphinnarkose  mit  der 
Ätheruarkose  für  die  Methode  der  Zukunft  in  dieser  Hinsicht.  Natürlich  wird 
in  Fällen,  wo  Äther  direkt  kontraindiziert  ist,  auch  Chloroform  verwendet 
werden  können,    doch  wird  in  den    meisten  Fällen    der  Äther    gewählt  werden 


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können,  denn  seine  übelste  Nebenwirkung  anf  die  Lungen  wird  stark  gemildert, 
die  Sekretionsvermehrung  hängt  natürlich  ganz  ab  von  der  Menge  des  verab- 
reichten Äthers,  aber  schon  dadurch,  daß  man  nur  sehr  wenig  Äther  braucht, 
wird  die  Sekretion  nicht  vermehrt,  und  wenn  reichlich  100  ccm  nötig  sind,  so 
vermögen  dieselben  die  Sekretion  gar  nicht  anzuregen.  Es  ist  daher  bei  allen 
Narkosen  mit  Scopolamin  keine  Salivation  vorhanden.  Eine  noch  geeignetere 
Kombination  dieser  Methode  ist  die  mit  der  Sauerstoff-Chloroformäthernarkose, 
worüber  ich  weiter  unten  noch  des  näheren  belichten  werde. 

Wenn  man  nun  aber  die  Narkose  doch  mit  einem  Inhalationsanästhetikum 
kombiniert,  so  ist  es  auch  nicht  nötig,  den  Kranken  der  Gefahr  größerer  Dosen 
Scopolamins  auszusetzen,  sondern  man  kann  die  geringst  wirksame  Dosis  ver- 
wenden. Man  wird  daher  mit  einer  Injektion  von  0,0003  bis  0,00075  Scopolamin 
auskommen,  und  mit  0,01  bis  0,02  Moi'phin,  oder,  falls  dies  nicht  genügend 
wirken  sollte,  eine  zweite  Injektion  kurz  vor  der  Narkose  machen.  Dann  wird 
man  den  Kranken  mit  Äther  weiter  betäuben.  Dies  entspricht  der  von  Hartog 
angegebenen  Methode,  die  früher  schon  erwähnt  wurde. 

Die  nähere  Einwirkxxng  der  Morphin-Scopolaminnarkose  auf  die  inneren 
Organe  ist  uoch  nicht  genauer  untersucht  worden.  Es  ist  daher  auch  nicht 
bekannt,  ob  die  Intoxikation  mit  Scopolamin,  mit  der  man  es  hier  zweifellos 
zu  tun  hat,  schwerere  Veränderungen  im  Organismus  erzeugt.  Die  Symptome 
der  Narkose  lassen  erwarten,  daß  die  Einwirkung  auch  auf  die  inneren  Organe 
nicht  ganz  so  harmlos  ist,  als  man  sie  allgemein  hinstellt.  Es  sind  vor  allen 
Dingen  die  lange  vorhaltende  Gedächtnisschwäche,  die  motorische  Unruhe 
und  die  oft  nach  der  Narkose  auftretenden  anderen  noch  lange  Zeit  anhaltenden 
und  nur  langsam  nach  der  Narkose  abklingenden  Anzeichen,  welche  eine  ziemlich 
intensive  Wirkung  des  Scopolamins  auf  das  Zerebrum  verraten  ätiologisch  noch 
unbekannt.  Es  müssen  erst  noch  genauere  Untersuchungen,  Tierexperimente  und 
Beobachtungen  an  größerem  Material  ausgeführt  werden  und  man  muß  daraus  ein 
Urteil  zu  erreichen  suchen.  Es  ist  allerdings  oft  der  Fall,  daß  man  durch  anfäng- 
liche Mißerfolge  abgeschreckt  wird,  iind  so  habe  ich  auch  lange  nicht  ver- 
mocht, weitere  Versuche  an  Patienten  zu  machen,  nachdem  ich  bei  einigen 
Narkosen  sehr  starke  Nebenwirkungen,  Unruhe,  hochgradigste  Erregungszu- 
stände und  Halluzinationen  erleben  mußte,  die  bei  einem  Fall  die  ganze  Nacht 
von  abends  6  Uhr  anhielten,  so  daß  natürlich  die  Lust  zu  weiterem  Probieren 
mir  gründlich  genommen  wurde.  Da  nun  solche  Zufälle  in  der  Privatpraxis 
für  den  Arzt  sehr  unangenehm  sind,  so  kann  man  zur  allgemeinen  Verwendung 
dieser  Narkose  nicht  raten.  Anders  ist  allerdings  die  Kombination  mit  Äther, 
denn  bei  dieser  kann  man  den  Kranken  weniger  unter  die  Scopolaminwirkung 
stellen,  als  dieselbe  nur  zur  Verstärkung  der  Äthernarkose  benutzen  und  da- 
durch vor  allen  Dingen  dem  Äther  die  gefährlichste  Nebenwirkung,  die  der 
Anregimg  der  Salivation,  fast  ganz  rauben.  Ob  der  Äther  auch  die  Reize  auf 
die  Schleimhaut  der  Bronchien  durch  die  Scopolaminwirkung  einbüßt,  ist  noch 
nicht  erforscht,  aber  es  ist  schon  durch  die  Verminderung  der  Salivation  viel 
gewonnen. 

§  85.  Aus  den  Ausführungen  über  die  Scopolamin-Morphinnarkose  er- 
sieht man,  daß  eine  allgemeine  Verwendung  dieser  Narkose  noch  nicht  möglich 
ist,  da  die  Wirkung  des  Scopolamins  in  den  nötigen  Dosen  doch  größere  Ge- 
fahren mit  sich  bringt,  als  die  einfache  Narkose  mit  Chloroform  etc.,  daß  ferner 


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auch  uicht  alle  rersoiien  mit  Scopolamin-Morphhi  narkotisiert  werden  könneu. 
Man  hat  nun  zur  Vermeidung  der  üblen  Wirkungen  nur  eine  Scopolamin- 
Morphininjektion  mit  der  Äther-  oder  Chlorofonnnarkose  kombiniert.  In  An- 
betracht der  günstigen  Wirkung  des  Scopolamins  zni-  Verhütung  der  Salivation, 
und  derselben  des  Morphins  zui'  Vertiefung  der  Xarkose,  habe  ich  die  Scopolamin- 
Morphii\injektionen  vor  der  Sauerstoffnarkose  angewendet.  Es  ergibt  dies  die 
Scopolamin-Morphin-C'hloroform-Äther-SaTierstoffnarkose  und  die  Scopo- 
lamin-Morphin-Äther-Chloroform-Sauerstoffttarkose. 

Wenn  auch  diese  Narkosen  noch  wenig  verwendet  worden  sind,  so  kann 
man  doch  erwarten,  daß  sie  eine  größere  Verbreitung  finden  werden,  denn  man 
vermag  durch  diese  Kombinationen  vorzügliche  Narkosen  zu  erzielen,  welche 
die  denkbar  angenehmsten  Betäubungen  für  den  Kranken  darstellen.  Infolge 
der  Scopolamin-Morphininjektion  eine  Stunde  vor  Beginn  der  Inhalationsnarkose 
wird  der  Kranke  langsam  schon  betäubt  und  merkt  es  gar  nicht,  wenn  die 
Inhalation  beginnt,  so  daß  all  die  Unannehmlichkeiten  bei  der  Narkose,  wie 
Atemnot,  Exzitation  etc.,  wegfallen.  Dieser  Vorteil  eines  ruhigeren  Eintrittes 
und  Verlaufes  dieser  Narkosen  hat  eine  große  Bedeutung.  Ein  weiterer  Um- 
stand, der  vorteilhaft  ist,  liegt  in  der  Verminderung  der  Salivation,  eine  ver- 
mehrte, überhaupt  nur  nachweisbare  Absonderung  von  Schleim  ist  gar  nicht 
vorhanden,  imd  somit  wird  der  Inhalationsnarkose  eine  große  Gefahr  genommen, 
indem  postnarkotische  Lungenleiden  verhütet  werden.  Das  Scopolamin  wirkt 
derart  austrocknend,  daß  selbst  die  die  Salivation  anregende  Wirkung  des 
Äthers,  Chloroforms  etc.  durch  die  Scopolamin  Wirkung  paralj^siert  wird.  Diese 
Narkosen  werden  entschieden  sehr  gute  Eesultate  erzielen.  Ich  verwende  bei 
Frauen  eine  einmalige  Injektion  eine  Stunde  vor  Beginn  der  Narkose  von 
0,00015  Scopolamin.  hydrochlor.  -|~  0,005  Morphin,  mur.  Während  ich  bei 
Männern,  die  nicht  Potatoren  sind,  mit  derselben  Dosis  auskomme,  injiziere 
ich  Potatoren  0,0003  Scopolamin  -|-  0,01  Morphin.  Auf  diese  Weise  kann  man 
starke  Potatoren  leicht  und  ohne  eine  Gefahr  bedeutender  Art  betäuben.  Diese 
Dosen  sind  sehr  gering  und  schaden  nie,  rufen  nie  Intoxikationssymptome  oder 
unangenehme  Nebenwirkungen  hervor.  Welche  Narkose  man  dazu  verwendet, 
muß  aus  dem  jeweiligen  Zustand  des  Kranken  entschieden  werden.  Am  besten 
wird  man  da  die  Äther-Chloroform-Sauerstoff'narkose  verwenden,  während  man 
nur  in  selteneren  Fällen  die  Chloroform-Äther-Sauerstoffnarkose  braucht.  Wenn 
auch  diese  Narkosen  noch  nicht  vielfach  verwendet  und  erprobt  worden  sind, 
so  haben  doch  die  bisher  angestellten  Experimente  sehr  befriedigende  Resultate 
geliefert,  und  es  wird  die  weitere  Verwendung  den  Wert  der  Methode  lehren. 
Diese  Methode  muß  überall  da  Anwendung  finden,  wo  man  es  mit  Kranken  zu 
tun  hat,  welche  zu  Salivation  und  Lungenleiden  prädisponiert  sind,  und  bei 
denen  man  Verdacht  auf  etwa  gar  bestehende  Lungenleiden  hat.  Der  Mangel 
jeder  Salivation  ist  der  größte  Vorteil. 

Noch  ehe  ich  diese  Zeilen  zur  Publikation  bringe,  erhalte  ich  eine  Mit- 
teilung von  Professor  Krönig  in  Freiburg,  worin  derselbe  mich  auf  die  Vor- 
züge dieser  Methode  hinweist  und  bemerkt,  daß  er  mit  der  Kombination  von 
Scopolamin-Morphin  mit  der  Äthernarkose  und  ebenfalls  mit  der  Sauerstoffnarkose 
recht  gute  Resultate  erzielt  hat.  Der  Umstand,  daß  von  uns  unbewußt  diese 
Methode  verwendet  und  als  gut  befunden  wurde,  zeigt,  daß  diese  Narkose  eine 


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vorzügliche  ist  und  jedenfalls  verdient,  vi^eiter  untersucht  und  verwendet  zu 
werden. 

Es  wird  zweifellos  auch  die  Kombination  der  Scopolamin-Morphiniujektion 
mit  der  Chloroformsauerstoff-  oder  der  Äthersauerstoffnarkose  vorzügliche  Re- 
sultate liefern.  Man  kann  daher  eine  Menge  von  einzelnen  Variationen  erhalten 
und  dieselben  ganz  nach  den  somatischen  Verhältnissen  des  Kranken  einrichten, 
so  daß  man  für  jeden  Zustand  oder  jeden  Kranken  die  günstigste  Narkose  so 
darstellen  kann.  Immer  muß  man  aber  dessen  eingedenk  sein,  daß  man  nie 
zu  große  Dosen  verwenden  soll,  denn  Scopolamin  und  Morphin  sollen  nur  in 
Dosen  verwendet  werden,  in  denen  sie  nicht  toxisch,  sondern  nur  in  der  ge- 
wünschten Art  und  Weise  (austrocknend  und  narkotisch)  den  Organismus 
beeinflussen.  Somit  muß  nur  die  kleinste  eben  wirksame  Dosis  injiziert 
werden,  denn  im  Verein  und  mit  anderen  Narkotika  kombiniert  erhöhen  sich 
die  Wirkungen  jedes  einzelnen  Narkotikums  auf  den  Organismus.  Ebenso  soll 
die  Injektion  eine  Stunde  vor  Beginn  der  Operation  ausgeführt  werden,  denn 
nur  innerhalb  dieser  Zeit  kann  die  Injektion  im  Organismus  erst  zur  richtigen 
Wirkimg  kommen. 

§  86.  Ehe  ich  den  Band  der  Narkosiologie  beschließe,  möchte  ich  nicht 
vergessen,  noch  auf  eine  eigentümliche  Form  der  allgemeinen  Narkose  aufmerk- 
sam zu  machen,  welche  man  mit  dem  Namen  „physiologische  Narkose" 
(Kleinsorgen)  bezeichnet,  und  welche  eine  Art  Hypnose  darstellt.  Mit  diesem 
Namen  bezeichnet  Kleinsorgen  einen  Betäubungszustand,  der  im  Gegensatz 
zu  dem  durch  chemische  Stoffe  (Narkotika)  hervorgerufenen  Schlafzustand  auf 
rein  natürlichem  Wege  uuter  einziger  Verwendung  jener  natürlichen  Verhältnisse, 
welche  für  den  normalen  Schlaf  auch  unbedingt  erforderlich  sind,  zustande 
gebracht  wird.  Die  Hauptbedingungen  zu  solcher  Narkose  sind  Ruhe  und 
Dunkelheit.  Wenn  diese  beiden  Faktoren  vorhanden  sind,  oder  wo  man  sie  künst- 
lich erzeugen  kann,  kann  sehr  bald  jener  geistige  Dämmerzustand  eintreten, 
in  welchem  nur  noch  die  vegetativen  und  reflektiven  Organe  an  Stelle  des 
wahrnehmenden  Verstandes  tätig  sind.  Ruhe  und  Dunkelheit  sind  schon  Vor- 
bedingungen des  natürlichen  Schlafes,  um  so  mehr  müssen  sie  gefordert  werden 
und  vorhanden  sein  bei  diesem  künstlichen  Schlafe,  wo  schon  an  sich  eine 
größere  Erregtheit  des  Patienten,  Unruhe  und  Aufregung  vorhanden  sind.  .Jedes, 
auch  das  geringste  Geräusch  stört  die  Narkose.  Auch  das  Licht  wirkt 
störend  auf  diese  Narkose.  Durch  Anlegen  eines  Schalldämpfers  und  einer 
Diinkelbrille  werden  die  den  Patienten  störenden  Momente  beseitigt.  Neben 
diesen  hat  man  noch  Fuß-  und  Handbinden  angegeben,  und  so  einen  „Nerven- 
bindungsapparat"  konstruiert,  welcher  jede  Bewegung  verhindern  soll.  Dadurch 
will  man  eine  vollkommene  geistige  wie  körperliche  Ruhe  erzielen.  Die  Ein- 
leitung der  physiologischen  Narkose  geschieht  nun  folgendermaßen:  In  einem 
ruhig  gelegenen,  abgeschlossenen  Zimmer  wird  der  Kranke  auf  einem  Ruhebett 
gelagert,  und  zwar  in  Rückenlage.  Nun  wird  ihm  der  Schalldämpfer  um  die 
Ohren,  die  Dunkelbrille  auf  die  Augen  gelegt.  Dadurch  ist  die  geistige  Ruhe 
gesichert.  Wenn  man  sehr  unruhige,  nervöse  Kranke  vor  sich  hat,  so  legt 
man  ihnen  die  Hand  und  Fußbinden  an,  um  eine  körperliche  Ruhe  zu  sichern. 
Wenn  der  Kranke  so  daliegt,  soll  er  das  Gefühl  haben,  der  Außenwelt  ent- 
rückt zu  sein.  Er  hört  keinen  Ton  und  er  erleidet  keine  unangenehmen  oder 
aufregenden  Vorstellungen.      Der  Mensch    soll    so  nur   noch  vegetativ  und  re- 


—      (i07     — 

tlektiv  leben,  der  wahrnehiueude  Verstand  soll  außer  Tätigkeit  gesetzt  seiu. 
Um  nun  noch  die  reflektive  Geistestätigkeit  auszuschalten,  läßt  man  den  Kranken 
zählen,  und  zwar  seine  eigenen  Atemzüge,  jedoch  ohne  zu  sprechen,  nur  in 
(Tedanken,  und  zwar  von  100  abwärts.  Nach  diesen  Vorbereitungen  und  dieser 
Einleitung  soll  Patient  sehr  bald  in  einen  lange  Zeit  andauernden  erquickenden, 
nervenberuhigenden  Schlaf  verfallen.  Ob  man  aber  in  diesem  Zustande 
Operationen  ausführen  kann,  ist  nicht  ei'wieseu.  Immerhin  ist  es  möglich, 
denn  man  muß  diesen  Zustand  als  eine  Hypnose  auffassen,  und  man  hat  be- 
obachtet, daß  Menschen  in  der  Hypnose  vollkommen  unempfindlich  sind.  Ich 
habe  Gelegenheit  gehabt,  hier  eine  Dame  zu  untersuchen,  welche  sich  als  so- 
genannte Schlaftänzerin  produzierte,  und  die  in  der  Hypnose  vollkommen  gefühl- 
los war.  Es  besteht  kein  Zweifel,  daß  man  an  ihr  ohne  Empfindung  derselben 
eine  Operation  in  hypnotischem  Zustande  ausführen  kann.  Allerdings  muß  man 
bedenken,  daß  man  nicht  jeden  Menschen  in  einen  derartigen  hypnotischen 
Zustand  versetzen  kann.  Nicht  jeder  Mensch  kann  derart  hypnotisiert  werden, 
daß  die  Sensibilität  erlischt,  ich  zweifle  nicht,  daß  man  die  meisten  Menschen 
mit  der  Zeit  hypnotisieren  kann,  doch  bei  Vornahme  einer  Operation  würden 
dieselben  zweifellos  erwachen.  Jedenfalls  muß  man  aber  auch  diese  sogenannte 
„physiologische  Narkose"  beachten,  und  wenn  dieselbe  auch  noch  nicht  für 
chirurgische  Zwecke  verwendbar  ist,  so  wird  sie  vielleicht  für  die  innere 
Medizin  und  Nervenheilkunde  zu  verwenden  sein.  Zu  operativen  Eingriffen 
größerer  Art  kann  man  sie  nicht  verwenden,  aber  man  kann  dieselbe  mit  der 
Inhalationsnarkose  kombinieren,  indem  man  die  Kranken  erst  hypnotisiert  und 
dann  in  diesem  willenlosen  Zustand  leichter  narkotisieren  kann,  als  im  normalen. 
Dadurch  wird  entschieden  der  Eintritt  der  Toleranz  erleichtert,  weil  die  Ex- 
zitation  wegfällt  und  der  Kranke  besser  die  Narkotikagemische  inspiriert.  Nur 
so  kann  diese  Methode  praktisch  in  der  Chirurgie  verwendet  werden,  aber 
immer  müssen  die  betr.  Kranken  auch  geeignete  Medien  sein,  die  sich  leicht 
hypnotisieren  lassen.  Ebenso  wird  vielleicht  diese  Methode  mit  der  Scopolamin- 
Morphinnarkose  kombiniert  werden  können.  Man  wird  aber  erst  Versuche  an- 
stellen müssen,  ehe  man  die  Methode  empfehlen  kann,  so  ctoUt  sie  nur  eine 
Orginalität  dar.  ,■  >   \,      '-^  y/     '^''^';  35','%  , 

Weiter  hat  man  auch  versucht,  durch  ^arweiideii  des  blauen  Liclit'es'.earif5 • 
allgemeine  Narkose  zu  erzeugen  (Redardy  Nach  Redard  erzeugt  das  rote 
Licht  einen  Zustand  von  Erregung  una  narv^öser  Unruhe,  das  gelbe  Licht  ruft 
Schwermütigkeit  und  Traurigkeit  nervör,  während  das  blaue  , Lieht  ein,e  lie- , 
ruhigende  Wirkung  ausübt,  und  daneben  das  Sefjil^l^des  "V^ohjlbfiljnd^ensiÄl'ac'^gt;, 
Daneben  erzeugt  blau  auch  eine  allgemeine  Anästhesie,  die  zur  Alisführung '  einer 
kleinen  Operation,  wie  Zahnextraktion,  etc.  genügt.  R  e  d  a  r  d  verfährt  beim 
Erzeugen  seiner  Narkose  durch  blaues  Licht  so,  daß  er  eine  elektrische  Birne 
aus  blauem  Glas,  oder  ein  Licht,  das  mit  blauem  Glas  oder  Schleier  umgeben 
ist,  in  einer  Entfernung  von  15  cm  von  den  Augen  des  Kranken  aufstellt,  so 
daß  die  Augen  im  Brennpunkt  eines  das  blaue  Licht  von  der  Lampe  reflek- 
tierenden Reflektors  stehen,  und  den  Kopf  des  Patienten  und  das  Licht  mit 
einem  blauen  Schleier  aus  Satin  umhüllt,  so  daß  das  Tageslicht  abgeschlossen 
ist.  Der  Kranke  wird  beruhigt,  man  suggeriert  ihm,  daß  er  keinen  Schmerz 
empfinde  und  er  muß  das  Licht  fixieren.  Nach  2 — 3  Minuten  tritt  Anästhesie 
ein,  die  sich  durch  Erweitern  der  Pupillen  ankündigt.     .Jetzt  kann  die  Operation 


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schmerzlos  ausgeführt  werden.  Wenn  man  das  Licht  entfernt,  erwacht  der 
Patient  \ind  gibt  an,  nichts  empfunden  zu  haben.  Nach  R  e  d  a  r  d  erzeugen 
andere  Lichtarten  diese  Narkose  nicht.  Trotzdem  glaube  ich  aber,  daß  der 
Hauptmoment  die  Hypnose  darstellt,  welche  vielleicht  durch  das  blaue  Lichts 
eben  weil  es  beruhigend  wirkt,  leichter  hervorgerufen  wird  als  durch  anderes 
Licht.  Es  sollen  sich  in  dieser  Narkose  eine  große  Anzahl  von  Operationen  ohne 
jeden  Schmerz  ausführen  lassen.  Jedenfalls  handelt  es  sich  hier  um  eine 
Narkose  infolge  hj^pnotischer  Wirkung,  was  aber  nicht  ausschließt,  daß  das  Ver- 
fahren noch  mit  OTtem  Erfolg-  kann  verwendet  werden. 


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