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Full text of "Jahrbuch für Kinderheilkunde"

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Iland  XXXVm. 


Hefdl 


JAHRBUCH 


KINDERHEILKUNDE 


UND 


PHYSISCHE  ERZIEHUNG. 


Neue  Folge. 


Hemasgegeben  yon 


I  J 


*     ,« 


Dr.  Biedert  in  Hagenau  i.  E.,  Prof.  Binx  in  Bonn,  Prof.  fiökai  in  Pest,  Dr.  BisenBohits 
in  Wien,  Prof.  A.  Bptt^A  in  Pra«,  Prof.  Ssoherioli  in  Orax,  Dr.  K.  Fitohl  in  Pragr, 
Dr.  K.  Foltanek  in  Wien,  Dr.  B.  Vönter  in  Dresden,  Prof.  Gsaghofiur  in  Frag, 
Prof.  eerhurdt  in  Berlin,  Dr.  H.  Gn&ndiogtr  in  Wien,  Prof.  E.  Hagenbmeh-Bnrokhardt 
in  Basel,  Prof.  Hennig  in  Leipzig,  Prof.  Henooh  in  Berün,  Prof.  Henbner  in  Berlin, 
Dr.  ▼.  HüttonltrenBer  in  Wien,  Prof.  A.  Jacobi  in  New-Tork,  Prof.  ▼.  Jaksob  in  Prag, 
Prof,  SAisowito  in  Wien,  Prot  Xohta  in  Straesburg,  Dr.  Emil  Pfeifter  in  Wiesbaden, 
Prof.  Pott  in  Balle,  Prof.  H.  ▼.  Bänke  in  München,  Dr.  C.  Banchfoas  in  St.  Petersburg, 
Dr.  H.  Bahn  in  Frankfort  a.  M.,  Prof,  A.  SeeUgmueller  in  Halle,  Dr.  Seibert  in 
New-Tork,  Dr.  Silbermann  in  Brealau,  ProC  Boltmatin  in  Breslau,  Dr.  A.  Steffen 
in  Stettin,  Prof.  Tboinaa  in  Preiburg  i.  Br.,  Dr.  Umnh  in  Dresden,  Dr.  TTnterhoimer 
in  Wien,  Dr.  B.  Wagner  in  Leipzig,  Dr.  Wertheimber  in  Manchen,  Prof.  ▼.  Widerhof  er 

in  Wien  und  Prof.  Wyss  in  Zürich 

nnter  Eedaction  von 

0.  Heubner^  A.  Steffen,  H.  t.  Widerhofer. 


?.  (/ 


XXXVIII.  Band.     1.  Heft. 


Ausgegeben  6.  Juni  18^4. 


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LEIPZIG, 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  B,  G.  TEUBNKK. 

1894. 


MattonPa  GlesshQbler  reinster  alkaliecher  Sauerbrunn  ist  nacli  den 
übereinstimmenden  Anssprdcben  ärztlicher  Autoritäten  als  ein 
kräftig  alkaligirendes  Mittel  vorzQglich  beivährt  bei  Bildung  Ober- 
aobüasioer  S&ore  Im  Körper,  bei  allen  katarrhalischen  Erkranluingen 
der  Athmengs-  nnd  Yerdauungsorgane  (Magenkatarrh,  Sodbrennen, 
Appetitlosigkeit);  bei  Husten,  Heiserkeit,  in  letzteren  Fällen  mit 
Mi£:h  vermischt.  Für  Beconyalescenten,  sowie  in  der  Kinderpraxis 
ist  das  Wasser  besonders  empfohlen. 

Der  besondere  Vorzug  der  Giesshübler  Wässer  liegt  in  der 
unvergleichlich  günstigen  Zusammensetzting  ihrer  mineralischen 
Bestandtheile ,  in  dem  geringen  Vorhandensein  von  erdigen  und 
schwefelsauren  Salzen,  bei  vorwiegend  grossem  Gehalt  an  Na- 
triumbioarbonat,  sowie  darin,  daes  das  Wasser  von  Natur  aus  mit 
Kohlensäure  vollstibidig  gesättigt  Ist  Letzteres  verdient  aus- 
drOokllch  hervorgehoben  zu  werden,  denn  es  ist  einleuchtend,  dass 
kOnstlioh  mit  Koniensäure  nnd  anderen  Zuthaten  versetzte  Wäsaer, 
welohe  Jetzt  In  den  Handel  kommen »  einen  solehea  rein  natOrllcben 
Sanerbrunn  niemals  ersetzen  können. 

Mattoni's  GiesshQblsr  Sauerbrunnen  sind  die  Hauptrepräsan- 
tauten  Jener  Quellen,  die  bei  ausgesprochen  kräftiger  HelMrkuag 
eine  solche  Reinheit  des  Geschmackes  und  einen  derartigen  Gehalt 
an  freier  Kohlensäure  besitzen,  dass  sie  als  diätetisches  Tiaeli- 
Getränk  die  ausgedehnteste  Verwendung  finden. 

Vermöge  seines  grossen  Gehaltes  an  fi-eier  und  gebundener 
Kohlensäure  übt  dieser  Sauerbrunn  eine  geradezu  belebende 
Wirkung  auf  den  menschlichen  Organismus  und  ist  daher  ein 
Erfrischunqs- und  Tisch-Getränk  ersten  Ranges,  an  Wohlgeschmack 
und  diätetischer  Wirksamkeit  von  keinem  anderen  Mineralwasser 
übertrofFeu.  Zur  Mischung  mit  Wein,  Cognac  oder  Fruchtsä.fte°. 
ist  derselbe  vorzüglich  geeignet. 

Vorrätbigist  Mattoni's  Giesshübler  in  allenMineralwasserhand- 
lungen  und  Apotheken,  ferner  direct  zu  beziehen  durch  den  Besitzö'^ 

HEINRICH  UnOII,  HoÜiel^rU  ÜIESSHOBL^UCHSTEIN 

FRANZENSBAD.    WIEN.    BUDAPEST. 


bei 
Karistoad. 


Mattoni's  Kur-  und  Wasserhell-AiisUilt 

GIESSHÜBL-PUCHSTEIN 

bei  KABLSBAD  in  Böhmen. 

Für  Brost-  und  Nervenkranke,  Gesohw&chte,  BlelohsBohtige, 

Magenleidende,  Asthmatiker  und  ReconvalesoenUin 

Kurselt  Tom  1.  Mai  bis  80.  September 

Trink-  nnd  Badoknr,  pnenmaüsehe  Kur,  Inhalatiins-Kun 

Prospecte  gratis  und  ffrunoo. 


JAHRBUCH 

f6r 


KINDERHEIL  KUNDE 

ÜMD 

PHYSISCHE  ERZIEHUNG. 


Neue  Folge. 


Herausgegeben  von 

Dr.  Biedert  in  HAgeiiAa  i.  E.,  Prof.  Bim  in  Bonn,  Prof.  Bdkai  in  Pest,  Prof.  Csemy  in 
Pra;,  Dr.  Xiiensohiti  in  Wien,  Prof.  A«  Bpiteia  in  Prtg,  Prot  Bteherieli  in  Orai, 
Dr.  B.  Fisehl  in  Prag,  Dr.  K.  Foltanek  in  Wien,  Dr.  B.  Vönter  in  Dresden,  Prof. 
Gmagbefiiar  in  Prag,  Prof.  Gerhardt  in  Berlin,  Dr.  H.  Gn&ndinger  in  Wien,  Prof. 
E.  Hageabeeh-Biarokhardt  in  Basel,  Prot  Hennig  in  Leipzig,  Prof.  Heaooh  in  Meran, 
Prot  Henbner  in  Berlin,  Dr.  ▼•  Hüttenbrenner  in  Wien,  Prof.  A.  Jaoobi  in  New-Tork, 
Prot  ▼.  JaJcieh  in  Png,  Prot  Kessowiti  in  Wien,  Prot  KohU  in  Strassburg,  Dr.  Emil 
PMffsr  in  Wiesbaden,  Prot  Pott  in  Halle,  Prot  H.  ▼.  Hanke  in  München,  Dr.  0.  Hanch- 
ftus  in  St.  Petersburg,  Dr.  H.  Behn  in  Frankftirt  a.  M.,  Prot  A.  Seeligmneller  in  Halle, 
Dr.  Beibert  in  New-York,  Dr.  Bilbermann  in  Broslau,  Prot  Boltmann  in  Breslaa, 
Dr.  A.  Steifen  m  Stettin,  Prot  Thomas  in  Froibnrg  i.  Br.,  Dr.  Unrah  in  Dresden, 
Dr.  Unterholsner  in  Wien,  Dr.  B.  Wagner  in  Leipzig,  Dr.  Wertheimber  in  München, 
Prot  ▼.  Widerhofer  in  Wien  und  Prot  Wyss  io  Zürich 

unter  Bedaction  Ton 

O.  Henbner,  A.  Steffen,  H.  y.  Widerhofer. 

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LEIPZIG, 

DRUCK  UND   VEBLAG   VON   B.  G.  TBUBNER. 

1894. 


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Inhalt. 

Saite 

I.  Anorexia  cerebralis  xmd  centrale  Nutritionsneurosen.    Von 
0.  Soltmann  in  Breslau 1 

IL  Casuistischer  Beitrag  zar  Frage  vom  „Drüsenfieber**  (Emil 
Pfeiffer).    Von  Dr.  Ernst  Hoerschelmann 14 

UL  Eine  Masern-  und  Röthelnepidemie.  Beobachtungen  aus  dem 
Hospitale  der  Kinderheüanstalt  zu  Dresden.  Von  Dr.  Claus, 
ehem.  Assistent 87 

lY.  Die  centrale  Innervation  der  Saugbewegungen.  Von  Dr.  Karl 

Basch  in  Prag 68 

Y.  In  welchem  Verhältnisse  findet  bei  der  ö'Dwyer'schen 
Intubation  die  Hinabstossung  der  Pseudomembranen  und  die 
Verstopfung  des  Tubus  statt  und  welche  Bedeutung  haben 
diese Gomplicationen ?  VonDr.  JohannBökai,a.o. Professor 
an  der  Universität  und  dirigirendem  Primararzt  des  Stefanie- 
Einderspitals  zu  Budapest 82 

VL  Zur  bacteriologischen  und  klinischen  Diagnose  und  Therapie 
der  Diphtherie.  Mittheilungen  aus  der  bacteriologischen 
Abtheilung  des  Laboratoriums  der  Strassburger  medic.  Klinik 
und  der  Kinderklinik.     Von  Dr.  Karl  Roth,  prakt.  Arzt      96 

Vn.  Bericht    der    Kinderspitäler    über    das    Jahr    1892.      Von 

Dr.  Eisenschitz  in  Wien 136 

Vlll.  Ueber  die  Diazoreaction  und  ihre  diagnostische  und  pro- 
gnostische Bedeutung  am  Krankenbette  des  Kindes.  Aus 
dem  klinischen  Elisabethhospital  zu  St.  Petersburg.  Von 
Dr.  Wilhelm  Nissen 146 

IX.  Zur  Frage  über  die  'Anwendung  hoher  Clysmen  bei  Kindern. 
Von  Dimitry  Ssokolow,  Priyatdocent  der  kaiserl.  med. 
Akademie  in  St.  Petersburg 186 

X.  Arbeiten  aus  der  pädiatrischen  Klinik  zu  Leipzig: 

1.  üeber  die  Anwendung  des  Heilserums  bei  der  Diphtherie. 
Vortrag  gehalten  auf  dem  XI.  internationalen  Gongress 
zu   Bom  iu   der   Section   für   Sinderheilkunde.     Von 

0.  Heubner 221 

2.  Bacteriologische  Untersuchungen  über  die  sogenannte 
septische  Diphtherie.  Von  Dr.  Gustav  Genersich, 
Assistenten  der  medic.  Klinik  der  üniversitöt  Kolozsvär 
(Klausenburg),  s.  Z.  Volontärarzt  der  Leipziger  Kinder- 
klinik    288 


IV 

Seit« 

X.  Arbeiten  aus  der  pädiatrischen  Klinik  zn  Leipzig: 

3.  Ueber  das  Verfahren  der  Intubation  bei  der  diphthe> 
rischen  Kehlkopfstenose.  Von  Dr.  CaretenSf^nterim. 
Oberarzt  der  innem  Abtheilung  am  Leipziger  Kinder- 
krankenhanse 269 

4.  Beobachtongen  über  Indicanausscheidang  bei  Kindern, 
speciell  bei  der  kindlichen  Tnbercalose.  Von  Dr.  med. 
Gehlig,  früherem  Volontärarzt  der  jAdiatr.  Klinik  zn 
Leipzig,  jetzt  prakt.  Arzt  in  Neisse 286 

6.  Weitere  Mittheilongen  zur  Kenntniss  der  cy kuschen 
Albuminurie.  Von  Dr.  Carl  Beckmann,  aus  Bner  in 
Westphalen  (gewesenem  Volontärarzt  der  Kinderklinik 
zu  Leipzig) 318 

6.  Ueber  den  Verlauf  der  Schutzpockenimpfung  bei  einer 
Reihe  abnorm  schwächlicher  Säuglinge  und  Kinder. 
Von  Dr.  med.  J.  H.  Friede  mann  in  Erfurt,  firfiberem 
Assistenzarzt  der  Klinik 324 

7.  Ein  Fall  yon  Vergiftung  mit  Stechapfelsamen.    Von 

Dr.  med.  J.  H.  Friedemann 354 

8.  Ein  Fall  von  Tumor  cerebelli.  Von  Dr.  med.  Max 
Brückner  in  Dresden,  früherem  Assistenzarzt  der 
pädiatrischen  Klinik  in  Leipzig 359 

9.  Ein  neues  Messer  zur  Erüffiiung  retropharyngealer 
Abscesse.  Von  Dr.  Carstens,  interim.  Oberarzt  am 
Kinderkrankenhaus  zu  Leipzig 373 

XL  Kleinere  Mittheilungen: 

1.  Ein  weiterer  Fall  Ton  Barlow'scher  Krankheit.     Von 

Dr.  T.  Starck,  Kiel •  ,    .     376 

2.  Aus  dem  Kinderspital  zu  Stettin.  Von  Dr.  Wilhelm 
Steffen 377 

Recensionen 391 

XII.  Zur  Frage  der  Kinderernährung:  „Üeber  die  Verdaulichkeit 
der  steriHsirten  und  nichtsterilisirten  Milch."  (Aus  dem 
thierphjsiologischen  Laboratorium  der  königL  landwirth- 
schaRlichen  Hochschule.)     Von  Dr.  Bernhard  Bendix- 

Berlin 393 

Xni.  Klinische  Beobachtungen  an  magendarmkranken  Kindern 
iin  Säuglingsalter.  Aus  Professor  Epstein's  Kinderklinik 
in  Prag.  Von  Docent  Dr.  Ad  albert  Czernj  und  Dr. 
Paul  Moser 430 

Analecten 490 


I. 

Anorexia  cerebralis 
und  centrale  Nntritionsnenrosen. 

Von 

0.   SOLTHANN 
in  Brotlaa. 

Wiewohl  die  Anomalien  in  Starke  und  Qualität  des  £m- 
pfindungsapparates  im  Kindesalter  den  Motilitätsstörangen 
gegenüber  bedeutend  in  den  Hintergrund  treten,  so  hat  dies 
doch  nur  im  Allgemeinen  Giltigkeit  für  die  cutauen  Sensi- 
bilitaisstorungen,  für  die  eigentlichen  Neuralgien  in  der  ersten 
Kindheit,  nicht  aber  auch  für  die  visceralen  Neurosen  der 
Sensibilität.  Ja  wir  wissen  im  Gegen theil,  dass  eine  Reihe 
derselben  mit  besonderer  Vorliebe  auch  schon  im  frühesten 
Lebensalter  in  die  Erscheinung  tritt,  vornehmlich  die  des 
Magen-  und  Darmtractus.  Ich  erinnere  an  die  Gastralgie 
(Cardialgie),  Enteralgie  (Kolik)  etc. 

Mit  dem  Abschluss  der  Gehirnentwickelung  aber  (um  das 
7.  Lebensjahr)  bis  zur  Zeit  der  Pubertätsentwickelung  treten 
auch  die  übrigen  Neurosen  des  Empfindungsapparates,  wenig- 
stens einige  bestimmte  Neuralgien,  insbesondere  bei  anämischen, 
chlorotischen,  scrophulösen  Individuen  in  grösserer  Häufigkeit 
und  Harbiäckigkeit  auf,  wenn  auch  die  visceralen  Neurosen 
nicht  nur  wegen  ihrer  Häufigkeit,  sondern  namentlich  wegen 
ihrer  Intensität  und  folgeschweren  Bedeutung  für  den  Gesammt- 
organismus  unsere  ärztliche  Thätigkeit  besonders  in  Anspruch 
nehmen. 

In  erster  Linie  sind  es  die  Störungen  der  gewöhnlichen 
Magensensibilität  (Anästhesie,  Parästhesie  und  Hyperästhesie), 
die  wir  im  Auge  haben,  neben  ihnen  aber  müssen  uns  die 
Störungen  der  speci fischen  Magensensibilität  bei  der  heran- 
wachsenden Jugepd  um  so  mehr  interessiren,  als  sie  gewöhn- 
lich den  seelischen  Zustand  des  Kindes  ebenso  gewaltig  beein- 
flussen als  den  der  Ernährung.  Es  sind  dies  also  Störungen 
des  Ernährungsgefühls,    des    Gemeingefühls,   Anomalien   des 

jAbxbaeh  t  KiBdarbailkonde.    K.  F.  XXXVUI.  1 


^  0.  Solimann: 

Uuu^rs  und  Durstes,  die  uns  mahnend  die  Nothwendigkeit 
«spunden  lassen  sollen,  neues  Ersatzmaterial  zur  Erhaltung 
d^  Körpers  durch  die  Nahrung  aufzunehmen. 

Diese  Sensibilitatsstörungen  des  Magens,  in  so  weit  sie 
sich  auf  den  fiunger  beziehen,  werden  gemeinhin  als  Par- 
orexie,  Hyperorexie,  Anorexie  bezeichnet.  Die  häufigste 
und  bekannteste  Form  unter  ihnen  ist  die  erste.  Sie  wird 
gewöhnlich  unter  dem  wunderlichen  Namen  Pica  beschrieben, 
vielleicht  deshalb,  weil  die  Elster  (pica)  in  ihr  Nest  die 
wunderbarsten  und  zum  Nestbau  unzweckmässigsten  Dinge 
zusammentragt  und  sich  die  mit  Pica  behafteten  jugendlichen 
Individuen  infolge  einer  perversen  Geschmacksribhtung 
zu  ihrer  Nahrung  die  abenteuerlichsten,  nicht  selten  wider- 
wärtigsten und  unverdaulichsten,  zur  Nahrung  untauglichen 
Stoffe  aussuchen.  Die  Neurose  wurde  von  Volpato^)  unter 
dem  Namen  Allotriophagia  beschrieben  und  durch  mehr  als 
200  Fälle  illustrirt.  In  Westindien  kommt  sie  endemisch  vor 
und  wird  nach  der  Art  der  perversen  Geschmacksrichtung 
Dieteating,  Clay-eating  (Koth -Erde-Essen)  genannt. 

Meist  verfahren  die  mit  dem  perversen  Appetit  behaf- 
teten Kinder  mit  ausgesuchtem  Raffinement,  um  ihren  sonder- 
baren Gelüsten  zu  fröhnen.  Die  Stoffe  ihres  pathologischen 
LustgefQhls  sind  gewöhnlich  Kalk,  Kreide,  Lehm,  Sand,  Asche, 
Holz,  Essig,  Talg,  Stearin,  Kaffeebohnen,  Reiskörner,  Siegel- 
lack, Wolle,  Haare.  Die  Literatur  ist  reich  an  den  sonder- 
lichsten Beispielen.  So  verzehrte  Bohn's^)  Mädchen  ihr 
eigenes  blondes  Haupthaar,  nachdem  sie  es  sich  vorher  vor- 
sichtig in  lange  einzelne  Strähnen  zusammengelegt  und  aus- 
gerissen hatte.  Die  Dejectionen  wiesen  die  verzehrten,  zu 
dicken  Knäueln  verfilzten  Haarbüschel  auf;  sie  ging  atrophisch 
zu  Grunde.  De  Bilgny')  erzählt  von  einem  Mädchen  mit 
trübsinnigem  Naturell,  das  mit  grossem  Behagen  in  Zurück- 
gezogenheit Kleiderfetzen,  Lumpen,  Zwirnsföden  u.  dgl.  mehr 
verschlang,  die  man  nachträglich  im  Stuhlgang  wieder  fand. 
Moreau^)  berichtet  von  einem  14jährigen  chlorotischen  Mäd- 
chen, das  mit  Gier  nach  jeder  Gelegenheit,  Menschen blut  zu 
trinken,  haschte;  ,,sie  sog  gern  vom  Blute,  das  aus  frischen 
Wunden    quoll".     Virchow*)    erwähnt    in    seinen    ärztlichen 


1)  Volpato,  Hirsch*  geographiscLe  Pathologie.  —  Fost,  DubL 
qnaterl.  Journ.  of  med.  so.  May  1867.  Joam.  f.  Kinderkr.  XLIX.  S.  243. 
—  Eowatsch,  Memorabilien  XXIV.  1879.  8. 

2)  Bohn,  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  1870.   UI.     S.  46. 

3)  De  Bügny,  Journ.  de  m^d.  I.    p.  262. 

4)  Moreau,  Der  Irrsinn  im  Eindesalter  (Gallatti  1889).  S.  107. 
nach  Legrand  du  SauUe  1864.    p.  320. 

5)  Realencyklopädie  Bd.  VI.     S.  18  (Wernich). 


Anorexia  cerebralia  und  centrale  Nutritionsneiirosen.  3 

Erlebnissen  in  der  Troas  einen  siebenjährigen  Jungen^  der 
mit  besonderer  Vorliebe  die  aus  'kalkhaltigem  Thon  bestehende 
Erde  zu  essen  pflegte,  trotzdem  ihm  reichlich  vorzügliche 
Milch  gereicht  wurde.  Ich^)  selbst  habe  einen  sehr  merkwür- 
digen Fall  im  Jahre  1882  beschrieben ,  er  betraf  einen  vier- 
jährigen, hochgradig  abgemagerten,  mit  fungoser  Eniegelenks- 
entzündung  behafteten  Knaben,  dem  das  Kniegelenk  resecirt 
werden  musste.  Bald  nach  der  Operation  wurde  beobachtet, 
dass  derselbe,  der  schon  vorher  eine  eigene  Idiosynkrasie 
gegen  die  Spitalskost  gezeigt  hatte,  seine  eigenen  Excremente 
verzehrte.  Dabei  ertappt,  hatte  er  nach  dem  ersten  Verband- 
wechsel die  harten  Scybala  in  raffinirter  Weise  unter  den 
Verband  zu  schieben  gewusst,  um  sie  sich  als  Leckerbissen 
zu  bewahren.  Eiue  colossale  Verjauchung  der  Wunde  war 
die  Folge.  Trotz  der  geringen  Aussicht  auf  Erhaltung  des 
Lebens  machte  ich  die  hohe  Oberschenkel -Amputation  und 
trug  Sorge,  dass  der  Verband  für  die  Hände  des  Patienten 
unerreichbar  war.  Die  Wunde  heilte  und  der  Knabe  war 
gleichzeitig  von  seiner  Pica  befreit  Er  kam  nach  einem 
halben  Jahr  wieder  ins  Hospital  und  ging  an  Phthise  zu 
Grunde. 

Trotzdem  wir  über  die  Pathogenese  jener  eigenthümlichen 
Natritionsneurose  nichts  Sicheres  wissen,  so  spricht  doch  der 
Umstand,  dass  der  professionsartige  Consum  jener  wunder- 
lichen Stoffe  gerade  bei  anämisch -chlorotischen,  neurasthe- 
uischen  und  hysterischen  Individuen  mit  besonderer  Häufig- 
keit vorkommt,  und  dass  der  Ausbruch  derselben  nicht  selten 
direct  unter  dem  Einfluss  stark  deprimirender  Gemüthseindrücke 
stattfindet,  nach  Angst,  Kummer,  Sorge,  Entbehrung,  Heim* 
weh  etc.,  für  die  Annahme,  dass  es  sich  hierbei  ätiologisch 
um  abnorme,  centrale,  vielleicht  corticale  Erregungen  der 
Geschmacksnerven  handelt. 

Nicht  selten  finden  wir  die  Parorexie  mit  Hyperorexie 
oder  Anorexie  gepaart.  Das  Wehgefühl  im  Magen  (Pyrotis, 
Sodbrennen),  das  fast  wie  eine  echte  Neuralgie  in  Paroxysmen, 
mit  Exacerbationen  und  Remissionen  auftritt,  die  nagende 
Empfindung  von  Leere  des  Magens,  die  uns  plötzlich,  un- 
motivirt  und  unwiderstehUch  zum  Essen  reizt  (Bulimie, 
Heisshunger)  und  bei  denen  man  gewöhnlich  annahm,  dass 
die  centripetal  leitenden  Nerven  sich  im  Zustand  excessiver 
Erregbarkeit  befinden,  sie  sind  die  häufigsten  Begleiter  der 
Parorexie. 

Aber  man  muss  bei  der  Hyperorexie  wohl  unterscheiden 


1)  Soltmann,   Brealaner   ärztliche  Zeitung  1888.   Bd.  V.    Nr.  6. 
S.  55. 


4         .      >  O.  Soltmann: 

zwischen  Steigerang  des  Hungergefühls  und  des  Appetits. 
Bei  der  Bulimie  werden  wir  gewaltsam  zum  Essen  ge- 
zwangen,  kleine  Quantitäten  genügen^  den  Hunger  zu  stilleD, 
aber  bald  kommt  die  Hungerempfindung  mit  ungestümer  Ge- 
walt von  Neuem.  Bei  der  Polyphagie  hingegen  werden 
oft  und  jedesmal  ganz  enorme  Massen  verzehrt^  ohne  dass 
das  Gefühl  der  Sättigung  einträte.  Rosenthal  betrachtet  die 
Bulimie  als  eine  Hyperästhesie  der  gastrischen  Vagusceniren 
und  die  Polyphagie  nicht  wie  Romberg  als  abgestumpfte 
Erregbarkeit  der  peripheren  gastrischen  VagusfaserU;  sondern 
als  eine  Anästhesie  der  die  Sättigung  yermittelnden  Yagas- 
centren.  Die  ControTcrsen  hierüber  werden  noch  lange  be- 
stehen bleiben,  da  die  Physiologie  bisher  uns  überhaupt  noch 
nicht  Aufschluss  gegeben  hat,  ob  der  Vagus  oder  derSym* 
pathicus  (plexus  coeliacus,  solaris)  die  Hungerempfindung  ver- 
mittelt Immerhin  müssen  wir  festhalten,  dass  das  Sättigungs- 
gefühl erst  eintritt,  wenn  der  Magen  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  gefüllt  ist  d.  h.  durch  die  Nahrungsaufnahme  eine  er- 
hebliche Ausdehnung  erfahren  hat  Damit  hängt  es  denn 
auch  zusammen,  dass  die  mit  chronischem  Darmkatarrh  be- 
hafteten anämischen  und  rachitischen  Kinder,  die  gewohnlich 
stark  abgemagert,  mit  Oedemen  an  den  Extremitäten,  mit 
greisenhaftem  und  faltenreichem  Gesicht  in  die  ärztliche  Be* 
handlung  kommen,  deren  Magen  durch  verkehrte,  meist  amylum- 
haltige  Stoffe  zum  Nachtheil  des  erkrankten  Yerdauungsorgans 
weit  über  Gebühr  ausgedehnt  ist,  wenn  sie  nun  eine  ratio- 
nelle mehr  eiweisshaltige  Kost,  namentlich  Milch,  be- 
kommen, fast  nie  das  Gefühl  der  Fülle  ihres  Magens  haben, 
unaufhörlich  nach  Nahrung  verlangen  und  gar  nicht  zu  sät- 
tigen sind.  Andrerseits  aber  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass 
wiederum  auch  ohne  Füllung  des  Magens,  wenn  die 
Nährstofflosungen  direct  in  die  Venen  injicirt  werden,  that- 
sächlich  das  Sättigungsgefühl  eintritt,  also  trotz  leeren  Magens 
das  Hungergefühl  verschwindet  Wenn  wir  endlich  bedenken, 
dass  der  Hunger  d.  h.  die  Esslust  wenigstens  durch  bestimmte 
Sinnesvorstellungen  (Gesicht,  Geruch,  Geschmack)  sehr  erheb- 
lich angeregt  wird  und  dass  unter  dem  Eindruck  gewisser 
psychischer  Affecte  das  Hungergefühl  sehr  rege  sein  und  um- 
gekehrt gänzlich  verschwinden  kann,  so  ist  es  ganz  zweifellos, 
dass  im  Magen  allein  die  Ursache  des  Hungergefühls  nicht 
liegen  kann,  dass  vielmehr  das  Centralorgan  die  wichtigste  Rolle 
hierbei  spielt  und  die  Magennerven  nur  als  Vermittler  der 
Hungerempfindung  fungiren.  Das  müssen  wir  sicher  bei  der 
rein  neurotischen  Hyperorexie  annehmen,  wie  wir  sie  nicht 
selten  bei  exaltirten  hysterischen  und  chlorotischen  jungen 
Mädchen  finden.     Die  Mädchenpensionate  liefern  uns   hierfür 


ADorezia  cerebralis  und  centrale  Nutritioiisnearosen.  5 

eine  reiche  Ausbeate.  Eine  Anzahl  dieser  jungen  Damen 
pflegt  nie  das  Bett  aufzusuchen^  ,,ohne  heimlich  Essbares  mit- 
zonefamen^  und  ich  kannte  eine  junge  Schneiderin,  die  jeden 
Tag  in  der  Woche  bei  einer  andern  Familie  im  Hause  arbei- 
tete, und  eigentlich  den  ganzen  Tag  über,  trotz  reichlicher 
Mahlzeiten,  die  sie  zu  sich  nahm,  an  einer  Brotrinde  oder 
einem  Cakes  herumknabberte.  Es  war  ihr  dies,  wie  sie  selbst 
äusserte,  ein  dringendes  Bedürfniss,  es  überfiel  sie  sonst  eine 
solche  Schwäche,  dass  sie  nicht  arbeiten  konnte.  Im  yer- 
gangenen  Jahre  beobachtete  ich  einen,  wiederholt  von  Malaria 
(Intermittens  tertiana)  heimgesuchten  jungen  anämischen,  sehr 
reizbaren  Secundaner,  bei  dem  der  Essensdrang,  namentlich 
wenn  er  aus  der  Schule  heimkehrte,  mit  so  elementarer  Ge- 
walt sich  einstellte,  dass  er  zu  den  heftigsten  Wuthausbrüchen 
führte,  wenn  er  nicht  alsbald  befriedigt  wurde,  und  bei  dem 
gleichzeitig  die  Massenhaftigkeit  der  aufgenommenen  Nahrungs- 
mittel jeder  Beschreibung  spottete.  Er  hatte  schliesslich  da- 
durch eine  hochgradige  Magendilatation  bekommen,  litt  an 
chronischem  Magenkatarrh  und  Obstructio  alvi.  Magenaus- 
spulungen  und  eine  Carlsbader  Cur  brachten  ihm  Heilung. 

Yiel  häufiger  und  von  viel  einschneidenderer  Bedeutung 
ist  die  Anorexia.  Auch  hier  finden  wir  dieselben  Contro- 
versen.  Stiller^)  z.  B.  hält  sie  für  eine  Anästhesie  der 
fraglichen  Hungemerven,  BosenthaP)  dagegen  für  eine 
Hyperästhesie  der  peripheren  Magennerven.  Ohne  auf  die 
widerstreitenden  Ansichten  näher  eingehen  zu  wollen,  müssen 
wir  auch  hier  wohl  unterscheiden,  ob  wir  es  mit  einer  wirk- 
lichen Verminderung  des  Hungergefühls  zu  thun  haben  oder 
mit  einem  Mangel  an  Esslust  (want  of  appetite),  und  ob 
diese  mit  oder  ohne  Abscheu  von  den  Speisen,  mit  Ueblich- 
keit,  Erbrechen  oder  Ekel  verbunden  sind  oder  nicht.  Die 
dyspeptische  Anorexie,  die  als  Symptom  und  Folge  eines 
kranken  visceralen  Organs  auftritt,  ist  im  Kindesalter  nament- 
'  lieh  zwischen  dem  zweiten  und  siebenten  Lebensjahr  bei  fehler- 
haft ernährten,  verzogenen,  verzärtelten  Kindern  gerade  der 
besseren  Gesellschaftclassen  enorm  häufig.  Selten  dagegen, 
wenigstens  bei  uns,  ist  die  Anorexia  nervosa,  wie  sie  als 
eine  reine  Neurose,  bei  Abwesenheit  jedweder  nachweisbaren 
Orgauerkrankung  bei  neuropathisch  hereditär  belasteten  Knaben 
und  Mädchen  in  die  Erscheinung  tritt.  Bei  dieser  kommt 
es  nicht  selten  im  weiteren  Verlauf  fast  zu  völliger  Nahrungs- 
abstinenz, sie  führt  zuweilen  zu  den  höchsten  Graden  der 
Inanition  und  selbst  zum  Tode,  wenn  nicht,  wie  allerdings  in 


1)  Stiller,  Die  nervösen  Magenkrankheiten  1884.     S.  62. 

2)  Rosentbal,  Magenneurosen  und  Magenkatarrh  1886.    S.  13. 


6  0.  Soltmann: 

der  Mehrzahl  der  Fälle  schliesslich  und  endlich,  eine  lang- 
same Besserung  unter  allmählicher  Nahrungsaufiiahme  Ton 
Seiten  der  Kranken  eintritt  und  dann  auch  eine  vollkommene 
Heilung  statthahen  kann.  FQr  diese  Form  der  Anorexia  müssen 
wir  gewiss  im  Centralorgan,  im  Gehirn  selbst  den  Quell 
des  Leidens  suchen.  Welcher  Art  die  Veränderungen  im  Ge- 
hirn sind,  lässt  sich  nicht  bestimmen,  und  mQssen  wir  uns 
auch  hier,  wie  bei  vielen  anderen  cerebralen  Neurosen,  mit 
der  Annahme  von  „inpalpablen  Ernährungsstörungen^  des  Ge- 
hirns begnügen,  wahrscheinlich  auf  der  Basis  von  functioneller 
Hyperämie,  Anämie  und  Stase  der  Blutbahn  in  gewissen 
Rindenbezirken  und  deren  Folgen.  — 

Daher  denn  auch  unter  der  Wirkung  stark  deprimirender 
psychischer  Einflüsse,  in  Folge  mehr  oder  weniger  ausgepräg- 
ter Verlangsamung  des  Blutstroms,  vasomotorischer  Blutsperre 
in  den  Geßssterritoricn  der  Rinde  und  deren  Einwirkung  auf 
den  Stoffwechsel  der  Ganglienzellen,  die  Gemeingefühle  von 
Hunger  und  Durst  so  merklich*  abgeschwächt  werden.  Die 
Sorge,  die  am  Korper  nagt,  der  Kummer,  der  uns  den  Magen 
zusammenschnürt,  der  Aerger,  der  wie  ein  Centner  auf  den 
Magen  drückt  etc.,  sie  werden  um  so  mehr  uns  den  Appetit 
benehmen,  den  Hunger  unterdrücken,  je  intensiver  und 
nachhaltiger  sie  auf  uns  wirken.  Ganz  Aehnliches  beob- 
achten wir.  bei  geistiger  und  körperlicher  Ueberanstrengung. 
Die  Verfolgung  eines  wichtigen  Planes,  das  Vertiefen  in  eine 
fixe  Idee  kann  die  Magennerven  plötzlich  anästhetisch  machen 
(Stiller).  Bekannt  sind  jedem  Praktiker  die  anämischen,  ab- 
magernden, übereifrigen  Schulknaben,  die  ,,über  dem  Schul- 
gedanken und  aus  überspanntem  Pflichtgefühl*^  notorisch  das 
Essen  verlernen,  niemals  Hunger  haben,  stets  zum  Essen 
ermahnt  und  selbst  gezwungen  werden  nnd  endlich  von  der 
Schule  ganz  entfernt  gehalten  werden  müssen. 

Wenn  nun  derartige  Einflüsse  schon  unter  physiologischen 
Verhältnissen  innerhalb  der  Breite  der  Gesundheit  sich  gel- 
tend machen,  um  wie  viel  mehr  muss  dies  der  Fall  sein  und 
folgeschwer  fOr  den  Gesammtorganismus,  wenn  derartige  Ver- 
anlassungen an  ein  neuropathisch  belastetes  neurasthenisches 
Individuum  herantreten,  wo  wir  doch  gezwungen  sind,  ge- 
wisse, wenn  uns  auch  unbekannte  perennirende  VeiiLnderungen 
in  dem  Centralorgan  anzunehmen  und  wo  vasomotorische  Ein- 
flüsse die  Ernährung,  den  Stoffwechsel  der  Ganglienzellen  und 
Gewebselemente  nachhaltig  verändern  und  dem  entsprechend 
die  specifische  functionelle  Energie  derselben  gewaltig  schä- 
digen müssen.  So  dürfen  wir  es  wohl  bei  der  schweren 
Form  der  nervösen  Anorexie  annehmen,  über  die  ans  die 
Franzosen     und     Engländer     berichtet     haben,     namentlich 


Anorexia  cerebralia  und  centrale  Nutritionsneurosen.  7 

Lasegne'),  Gull*),  Fenwick'),  Charcot,  Huchard  a.  A., 
wahrend  dieselbe  in  den  deutschen  Handbüchern  mit  Still- 
schweigen übergangen  wird.  Nur  schüchtern  finden  wir  die 
Anorexia  nervosa,  gravis,  mentalis  hie  und  da  in  den  Schriften 
über  Hysterie  und  Neurasthenie  erwähnt.  Eine  dankenswerthe 
Ausnahme  machen  Stiller^)  (Budapest)  und  Rosenthal^) 
(Wien).  Ersterer  theilt  uns  gleichzeitig  drei  eigene  Beobach- 
tungen mit  (weibliche  Individuen  im  Alter  von  25^  19  und 
15  Jaliren),  die  in  schwerer  Weise  Inanition  als  Folge  der 
Nahrungsabstinenz  darboten,  und  Rosenthal  erzählt  von  einem 
17jährigen  Mädchen,  das  bei  fast  vollständiger  Nahrungs- 
verweigerung bis  zum  Skelett  abgemagert,  endlich  „unter  den 
Erscheinungen  von  Kurzathmigkeit,  Dysphagie  und  Atelie 
als  Zeichen  von  Anämie  der  bulbären  Gentren''  dem  Inanitions- 
tode  erlag.  Lasegne  hatte  übrigens  unter  mehr  als  240 
Kranken  keinen  einzigen  Todesfall  zu  verzeichnen. 

Bei  der  Seltenheit  der  Beobachtungen  hierorts,  will  ich 
einen  kürzlich  von  mir  genau  verfolgten  Fall  ausführlich  mit- 
theilen ^  der  durch  das  jugendliche  Alter  des  Patienten,  die 
Art  seines  Auftretens  und  Verlaufs  und  die  wahrscheinliche 
Heilung  mancherlei  Interesse  darbietet: 

Es  handelt  sich  um  einen  12  jährigen  israelitiBchen  Knaben,  der 
seit  3  Jahren  eine  stetig  zanehmende  Nahmngsabstinent  beobachtet 
und  dabei  erheblich  abgemagert  ist.  Er  stammt  aus  einer  stark  nenro- 
pathisch  belasteten  Familie.  Die  Mutter  ist  hysterisch,  religiös  über- 
Bpannt,  liegt  öfter  Nachts  stundenlang  betend  wach  und  leidet  an  hef- 
tiger Eifersucht,  mit  der  sie  den  äusserst  verstiludigen  Mann  auf  das 
EotsetBlichte  peinigt  und  su  den  nnglanblichsten  Familienscenen  Ver- 
anlassung giebt  Unser  Knabe  war,  ohne  dass  die  Eltern  es  wussten, 
Zeuge  einer  solchen  Scene,  nnd  die  stürmischen  und  leidenschaftlichen 
Eifersnchtsergüsse  machten  anf  den  bis  dahin  „ganz  ffesnnden"  Knaben 
einen  so  tiefen  deprimirenden  Eindruck,  dass  derselbe  von  da  ab  in 
seinem  ganzen  Wesen,  in  Haltnng,  Sprache,  Verkehr  mit  den  Eltern 
und  der  Umgebung  gänzlich  verändert  war,  und  vor  AUem  —  die 
Nabmng  verweigert.  Qefragt,  warum  er  nicht  essen  wolle,  ^ebt  er  an, 
er  habe  keinen  Hnnger  und  brauche  nicht  zu  essen.  Wird  er  zum 
Essen  gezwungen,  ist  er  sehr  aufgeregt,  später  wird  er  gleichgiltig,  ge- 
niestt  zweimal  etwas  Brot  und  Käse  am  Tage,  auch  wohl  etwas  Choko- 
lade  and  Caviar  nnd  dergleichen,  nicht  weil  ihm  das  schmeckt,  sondern 
weil  er  davon  nnr  wenig  zu  essen  braucht  und  sich  ohnehin  noch  unter 
vorherigen  Versprechungen  ein  Geldstück  verdient.  Alles  weitere  Zu- 
reden ist  vergeblich,  „er  habe  keinen  Hunger,  sei  satt,  wolle  auch  nicht 
essen,  fühle  sich  wohl,  man  solle  ihn  zufrieden  lassen,  er  sei  nun  mal 
ein  Sonderling".    Von  Hause  treibt  es  ihn  fort,  er  benatzt  die  gesam- 

1)  Las^^ne,  Archives  g^n^rales  de  m^d.  1878. 
8)  Fenwick,  On  atrophy  of  the  stomacs  and  on  the  nervous  affec- 
tions  of  the  digestive  organs.    London  1880. 
3}  Gull,  Medic.  Times  et  Gazette  1878. 

4)  Stiller  a.  a.  0.    S.  69. 

5)  Bosenthal  a.  a.  0.    8.  16. 


8  0.  Soltmann: 

melten  Geldgeschenke,  um  auf  der  Eisenbahn  sn  fahren.  Als  er  polisei- 
lieh  daran  gehindert  wird,  ist  es  ihm  auch  recht,  er  bleibt  zu  Hause, 
thut  seine  Schuldigkeit,  spielt  fleissig  ClaTier  und  Violine,  ist  aber  ein- 
silbig und  zieht  sich  von  Eltern  und  Gescbwistern  zurück.  Unter  der 
Bchwachen  und  nachsichtigen,  verkehrten  Erziehung  von  Seiten  der 
Mutter  ninunt  seine  „fixe  Idee'*,  nicht  essen  zu  wollen,  weil  er  keinen 
Hunger  habe,  mehr  und  mehr  zu,  er  magert  sichtlich  ab,  wird  schwach 
und  hinfallig,  und  der  Vater  entschliesst  sich,  mit  ihm  zum  Zweck 
seiner  Heilung  nach  Berlin  zu  fahren.  Vergeblich,  mit  Mähe  gelingt 
es,  dem  Knaben  ein  geringes  Quantum  von  Nahrung  beizubringen.  Mit 
demselben  negativen  Erfolg  verlässt  er  hier  zwei  Krankenhäuser  nach 
kurzer  Zeit.  Auch  die  Hypnose  wird  vergeblich  in  Anwendung  ge- 
bracht 

Anfangs  November  bringt  der  Vater  den  Knaben  zu  mir.  Auf 
meine  Fragen  antwortet  er  mir  ganz  so,  wie  oben  angegeben.  Als  ich 
ihm  sage,  dass  er  sterben  mässe,  wenn  er  keine  Nahrung  zu  sich  nehmest 
sagte  er:  „0  nein,  ich  esse  ja  etwas!'*  Ja  damit  kannst  du  aber  nicht 
leben.  „0  ja,  ich  brauche  nicht  mehr  zu  essen,  wenn  ich  keinen  Hanger 
habe!'*  Schmeckt  dir  das  Essen  nicht?  „Es  ist  mir  gleichgiltig I**  Hast 
du  Schmerzen  beim  Essen?  „Nein!"  Empfindest  du  Widerwillen,  Ekel 
vor  den  Speisen?  „Nein!**  Ist  dir  übel  oder  musst  du  brechen  da- 
nach? „Nein!  Ich  habe  nur  keinen  Hunger,  fühle  mich  wohl  und  bin 
nun  mal  solch  Sonderling!** 

Wenige  Tage  darauf  (am  16.  XI.)  bringt  mir  der  Vater  auf  mein 
Zureden  den  Knaben,  gegen  den  Willen  der  Mutter,  in  das  Hospital. 
Er  ist  seinem  Alter  entsprechend  gross,  schlank,  sein  Schädel  normal, 
G  esichtsausdmck  missmuthig,  von  blasser  Farbe.  Thorax  schmal  mid 
flach,  Muskulatur  schlaflf,  Abmagerung  bedeutend.  Organe  geaond, 
gastrische  Erscheinungen  fehlen;  Zunge,  Stuhl,  Urin  normal.  Helminthen 
ausgeschlossen.  Halcnng,  Bewegung,  Gang  sind  schlaff  und  träge, 
Sprache  langsam,  leise  in  gedrückter  Stimmung  und  bei  geneigtem 
Kopf  Sensibilität  normal,  Patcllarreflcxe  erhöht,  Achillessehnenreflex 
schwach  ,•  Muskelkraft  gering,  elektrische  Erregbarkeit  normal.  Die 
Geschmacksprüfung  zeigt  nichts  Abnormes.  Chinin,  Essigsäure,  Salz, 
Zucker  werden  normal  empfunden,  auch  bei  der  elektrischen  Prüfung 
—  wenn  man  den  Strom  quer  durch  die  Mundhöhle  gehen  Hess  — 
wird  auf  der  Wange  die  Anode  richtig  mit  säuerlich,  die  Kathode  mit 
salzig  angegeben.  Das  Einzige,  was  auffällt,  ist  eine  gewisse  Verlang- 
samung  der  Geschmacksempfindung,  sie  wird  stets  richtig  angegeben, 
aber  es  vergeht  eine  Zeit,  ehe  er  sich  äussert.  Doch  ist  bei  der  Tt&g- 
heit  seiner  Antworten  überhaupt  darauf  kein  Gewicht  zu  legen.  Uebrigens 
ist  der  Knabe  sonst  geistig  geweckt  und  hat  ein  gutes  Auffassungs- 
vermögen, schreibt  und  rechnet  gut,  spielt  hübsch  Ciavier  und  Geige. 

Vom  ersten  Tage  seines  Sxntalaufenthaltes  an  nimmt  er  nur  zwei- 
mal am  Tage  minimale  Mengen  von  Milch  und  Semmel  zu  sich.  Alles 
Zureden  ist  TOrgeblich,  er  schluckt  nicht  und  kaut  nicht,  wenn  man 
ihm  den  Bissen  in  den  Mund  schiebt  und  zum  Essen  zwingt.  Als  man 
ihn  mit  Gewalt  füttert,  schlägt  er  Tablett  mit  Tasse  und  Teller  in  die 
Luft;  er  sei  satt  und  brauche  nichts  zu  essen.  Am  20.  November  wird 
ihm  ohne  jede  Schwierigkeit,  ohne  Brechreiz  die  Nahrung  mit  der 
Schlundsonde  eingeflösst.  Von  dem  Tage  an  verweigert  er  jedwedes 
selbständige  Essen  überhaupt,  „er  habe  das  nicht  nöthig,  da  er  es  ja 
doch  mit  der  Sonde  erhalte**.     Er  erhält  einen  ganzen  Tag  daraufhin 

1)  Charcot  heilte  eine  Kranke  dadturch,  dass  er  derselben,  wenn 
ttie  nicht  anfi&nge  zu  essen,  einen  sicheren  Tod  unter  den  fürchterlich- 
sten Qualen  in  Aussicht  stellte. 


Anorexia  cerebralis  und  centrale  Nutritionsneurosen.  9 

überhaupt  keine  Nahrang,  verlangt  aber  auch  gamiohts.  Da  aber 
die  Schwäche  und  Abmagerung  erheblich  zunimmt  —  er  hat  in  wenigen 
Tagen  um  mehr  als  ein  Pfand  abgenommen  —  wird  wieder  die  Schlnnd- 
Bonde  genommen,  diese  verstopft  er  einige  Tage  darauf  und  i&eint  am 
3.  XII.,  wie  er  es  schon  oft  gethan,  wenn  er  eine  Aenderung  seiner 
Sitnaiion  wünscht,  er  werde  zweimal  etwas  essen.  Von  dem  Tage  ab 
wird  er  töglich  elektrisirt  and  zwar  mit  dem  faradischen  Strom,  die 
eine  Elektrode  wird  auf  Hinterhaupt  und  Nackengegeod  aufgeeetzt,  die 
andere  vom  auf  Schl&fen-  oder  Scheitelbein,  um  durch  Beschlennigung 
der  (^culation  die  Blutzafahr  zam  Gehirn  za  erhöhen.  Von  welcher 
Bedeutung  dies  gerade  bei  neurasthenischen  und  anämischen,  hereditär 
belasteten  Individuen  sein  kann,  ist  bekannt.  Ich  verweise  darüber 
auf  die  von  Erb^  gemachten  Mittheilungen,  der  ausdrücklich  hervor- 
hebt, dass  unter  solchen  Umstunden,  ebenso  wie  mit  der  von  feard 
und  Rockwell*)  eingeführten  „allgemeinen  Faradisation*'  schnell,  oft 
überraschend  schnell,  Schlaf,  Appetit,  Körpergewicht,  Verminderung 
der  gemüthlichen  Depression,  regere  Muskulatur  erzielt  wurde. 

Der  Erfolg  war  hier  ein  ül^rraschender.-  Der  Strom  wurde  nicht 
nur  gut  vertngen,  sondern  der  Knabe  fing  von  dem  Tage  an  seine 
Mahlzeiten  zu  sich  zu  nehmen  und  zwar  reichlich  und  in  steigendem 
Maasse.  Er  trank  Milch,  Cacao,  nahm  Mehl-  und  Beissuppe  mit  und 
ohne  Brot,  ass  Bindfleisch,  Braten,  Wurst,  Schinken,  Nudeln,  Kartoffeln, 
kurz  Alles,  was  im  Speiseprogramm  der  Spital sküche  vorgesehen;  auch 
wurde  er  gesprächiger^  theilnehmender  und  war  guter  Lanne.  Als  ich 
ihn  Abends  in  der  Klinik  den  Studirenden  zum  zweiten  Male  vorstellte, 
▼ersehrte  er  mit  grosser  Schnelligkeit  und  ohne  jede  Widerrede  eine 
grosse  Doppelsemmel  mit  Braunschw'eiger  Wurst  und  trank  dazu  ein 
ganzes  Glas  Milch  (%  1). 

Die  Eltern,  über  den  Erfolg  hoch  beglückt,  verlangten  den  Knaben 
nun  heraus.  Die  Mutter  konnte  ihn  in  ihrer  üeberschwenglichkeit  nicht 
mehr  missen  und  der  Knabe  sehnte  sich  natürlich  nach  den  schwachen 
Zngeln  der  nachsichtigen  mütterlichen  Erziehung.  So  gab  der  Vater 
Dach.  Ich  warnte  ihn,  denn  als  er  am  13.  XII.  kam ,  um  den  Knaben 
abzuholen,  ass  dieser  zwar  die  gewünschte  und  vorgeschriebene  Portion, 
aber  die  Gegenwart  des  Vaters  beeinflusste  ihn  schon  so,  dass  er  nur 
langsam  und  zögernd  den  Löffel  zum  Munde  führte  und  in  Haltung, 
Miene  und  Blick  dieselbe  gedrückte  Stimmung  bekundete,  wie  dereinst. 
Der  Vater  nahm  den  Knaben  heraus  mit  dem  ausdrücklichen  Bemerken 
ihm  gegenüber,  dass  er  sofort  wieder  ins  Hospital  müsse,  sobald  das 
alte  Leiden  von  Neuem  begönne.  Wie  zu  erwarten,  geschah.  All- 
mählich, unter  dem  Einfluss  des  für  seine  Erziehung  verderblichen 
socialen  Mediums,  das  ihn  mehr  zu  Widersprach  als  Gehorsam  reizte, 
fing  er  bald  von  Neuem  an  die  Nahrung  zu  verweigern,  und  wenn  er 
diese  annahm,  wusste  er  sich  dadurch  neue  Concessionen  zu  erzwingen. 
Er  nahm  aber  immerhin  zweimal  Nahrung  am  Tage  zu  sich,  verklei- 
nerte jedoch  die  Nahrungsmenge  so,  dass  der  Vater  ihn  von  Neuem 
in  meine  Behandlung  brachte.  Bei  der  nunmehr  erfolgten  Aufnahme 
müssen  wir  aber  constatiren,  dass  sein  Ausgehen  viel  frischer  und  besser 
ist  als  ehedem,  und  dass  sein  Körpergewicht  sogar  noch  um  etwa  100  g 
seit  der  Entlassung  aus  dem  Hospital  zugenommen  hatte.  Auch  ist  er 
theilnehmender  und  freundlicher  zu  den  gleichaltrigen  Kindern  und  hat 


1)  Erb,  Handbuch  der  Elektrotherapie  1882  (Ziemssen  III). 
S.  268. 

2)  Board  and  Bockwell,  A  practical  treatise  on  the  medical 
and  surgical  nser  of  electricity  including  localised  and  g^neral  electri- 
zation.    New-Tork  1871. 


10  0.  Soltmann: 

bei  seiDem  ersten  Debnt  gestern  Yerh&ltnissmässig  gut  die  ihm  gebotene 
Nabrang  angenommen  nnd  hat  sich  anf  einem  Spaziergang  in  der  Stadt 
in  Begleitung  einer  der  Diaconissen  mit  dieser  gans  mnnter  unterhalten, 
Somit  sind  wir  sicher  auf  dem  Wege  der  Besserung  und  darf  die 
völlige  Heilung  erwartet  werden,  wenn  er  nipht  der  consequenten 
diätetischen  und  medicameniOsen  Behandlung  und  unseren  strengen  i^da- 
gogischen  Händen  durch  die  häusliche  Intenrention  entzogen  wird. 

Der  Fall  bietet  nach  rielen  Beziehungen  Interessantes. 
Erstlich  kann  es  keinem  Zweifel  unterworfen  sein,  dass  wir 
es  mit  einer  im  Sinne  der  Engländer  und  Franzosen  beschrie- 
benen Form  von  Anorexia  neurotica^  nervosa,  gravis, 
mentalis  etc.  zu  tbun  haben.  Mit  Rücksicht  auf  das  oben 
Mitgetheilte  mochte  ich  dieselbe  lieber  als  Anorexia  cere- 
braus  und  zwar  corticalis  bezeichnet  wissen.  Wir  haben 
CS  mit  einem  jungen '  mannlichen  Individuum  zu  thun,  das 
anämisch  und  von  nervöser  Constitution  ist,  bei  dessen  An- 
gehörigen in  aufsteigender  Linie  Nervenkrankheiten  familiär 
sind.  Scheinbar  gesund,  verweigert  er  unter  der  Einwirkung 
fehlerhafter  Erziehung  plötzlich  unter  dem  Einfluss  eines 
intensiven  deprimirenden  Gemüthseindrucks  bei  melancholischer 
Gemüthsstimmung  die  Nahrungsaufnahme  unter  Abwesenheit 
jeder  gastrischen  oder  anderweitigen  Organerkrankung.  Aber 
die  Anorexia  zeichnet  sich  femer  durch  die  Besonderheit  aus, 
dass  sie  als  einzige  krankhafte  Erscheinung  unveränder- 
lich fortbesteht,  ohne  Ueblichkeiten,  ohne  Widerwillen  und 
Ekel  vor  den  Speisen,  ohne  Erbrechen  und  Meteorismus,  bei 
normaler  Verdauung,  ohne  Globus,  Ructus,  Singultus  oder 
irgend  eine  andere  nervöse  Erscheinung,  die  sie  uns  als 
ein  Symptom  der  Hysterie  erscheinen  lassen  könnte.  Die 
vorübergehende  Neigung,  das  Elternhaus  zu  verlassen,  findet 
seine  Erklärung  in  den  häuslichen  Scenen,  die  sich  dort  ab- 
spielen,  in  den  verkehrten  Versuchen,  die  mit  ihm  angestellt 
werden,  um  ihm  Nahrung  beizubringen.  Er  giebt  diese  Nei- 
gung  sofort  auf,  ohne  je  wieder  darauf  zurückzukommen,  als 
er  sich  polizeilich  controUirt  sieht  Die  Anorexie  besteht  aber 
weiter  und  führt  unter  mehr  und  mehr  zunehmender  Nahrungs- 
abstinenz zu  einem  nicht  unbedenklichen  Zustand  von  Ab- 
magerung, Schwäche  und  Inanition.  Die  versuchten  Heilungen 
sind  vergebliche,  zum  Theil  wohl,  weil  man  ihn  unter  er- 
wachsene psychische  Kranke  unterbrachte,  die  ihn  verspotten 
und  necken;  auch  die  Hypnose  erweist  sich  als  wirkungslos, 
und  ein  Versuch,  bei  uns  im  Hospital  mit  der  Schlundsonde 
schlägt  fehl,  weil  er  nun  meint,  er  brauche  nicht  mehr 
zu  essen,  da  ihm  die  Nahrung  eingeflösst  werde,  und  die 
^Nahrungsaufnahme  gänzlich  verweigert;  dann  verstopft  er  die 
Sonde,  um  auch   so  die  Nahrungszufuhr  zu  verhindern.     Da 


Anorexia  cerebral is  und  centrale  Nutritionsnearosen.  H 

wird  er  elektrisirt  und  von  dem  Moment  an  tritt  dann  Besse- 
rung ein,  die  wohl  zu  dauernder  Heilung  geführt  hätte,  wenn 
der  Knabe  nicht  der  Behandlung  entzogen  wäre. 

Eine  solche  Anorexie,  wie  sie  geschildert,  kann  nach  ihrer 
{]^zen  Entstehung,  ihrer  hartnäckigen  Beständigkeit,  ihrer 
Selbständigkeit,  mit  der  sie  die  ganze  Situation  beherrscht, 
als  einzige  Krankheitserscheinung  nur  als  eine  cerebrale  und 
zwar  corticale  angesehen  wetden,  da  das  GemeingefGLhl ,  die 
Huugerempfindung  in  der  Gehirnrinde  als  dem  Bewusstseins- 
centrum  yertreten  sein  muss.  Wo  dasselbe  liegt,  ist  noch 
nicht  mit  Sicherheit  anzugeben.  Ferrier^)  behauptete  zwar 
bekanntlich,  dass  Thieren,  denen  er  die  Hinterhauptlappen 
entfetnt  hatte,  das  Verlangen  nach  Nahrung  vollständig  yer> 
leren  gegangen  sei,  während  die  Begierde  zum  Trank  erhalten 
blieb,  und  Ferrier  hebt  heryor,  dass  diese  Thiere  unter 
dieser  Nahrungsverweigerung  in  einem  Zustande  grosser  De- 
pression  und  Apathie  bald  an  Inanition  zu  Grunde  gingen. 
Er  localisirte  die  Gentren  der  Geruchs-  und  Geschmacks- 
empfindung, sowie  des  Hungers  im  Hypocampus  major  und 
Gyrus  hypocampii  resp.  in  der  Rinde  des  Occipitallappens. 
Und  wenn  auch  die  Untersuchungen  Ferrier's  von  Luciani, 
Sepilli')y  Tamburini'),  Munck^)  u.  A.  stark  angezweifelt 
und  zum  Theil  als  „Phantasiegebilde''  bezeichnet  wurden,  so 
glauben  doch  Alle  heute,  dass  die  Binde  der.  unteren  (basalen) 
Fläche  des  Gehirns  das  Centrum  des  GemeingefQhls,  des 
Hangers  enthalte. 

Von  allen  diesen  Erwägungen  geleitet,  versuchte  ich  bei 
nnserm  Knaben  die  Anwendung  des  elektrischen  Stromes  auf 
den  Schädel.  Erb  hatte  ja  gezeigt,  dass  dabei  weder  eine 
Gefahr  f&r  das  Gehirn  noch  f&r  die  Sinnesorgane  vorliege, 
und  ich  kann  es  aus  einer  Anzahl  von  Fällen,  wo  ich  bei 
Kindern  den  elektrischen  Strom  vorsichtig  benutzte,  bestätigen, 
.dass  es  fast  ausnahmslos  gut  vertragen  und  auch  von  den- 
selben —  wenigstens  der  faradische  Strom  —  nicht  sehr  un- 
angenehm empfinden  wird.  Aber  Erb  hatte  auch  weiterhin 
gezeigt,  dass  der  elektrische  Strom  vom  Schädel  aus  das  Ge- 
hirn sehr  wohl  erreicht  und  die  Circulation  in  demselben  ge- 
waltig beeinflussen  kann,  nicht  blos  im  Sinne  einer  Beschleu- 
nigung oder  Yerlaiigsamung  der  Blutbahn,   sondern  dadurch 


1)  Ferrier,   Die  Functionen  des   QebirnB   (Obersteiner)    1879. 
ö.  200—214. 

2)  Lnciani  und  Sepilli,  Fanctionslocalisation  (Fränkel)   1886. 
S.  137  seq.  (HE)  166. 

3)  Tambarini,  Biv.  d.  Freniatr.  1880. 

4)  Manck,  üeber  die  FuDctionen  der  Orosshirnrinde.  1881.  (Berlin, 
Hirschwald)  Nr.  7.    S.  121  seq. 


12  0.  Soltmanii: 

wieder  darch  Modification  der  Emährangsverhäitnisse  und 
Stoffwechselvorgänge  im  Gehirn.  Und  so  ist  es  denn  begreif- 
lich, warum  gerade  bei  cerebralen  Neurosen  die  functionelle 
Störung  der  betreffenden  Ganglienzellen  nicht  selten  in  kurzer 
Frist  verschwindet,  zuweilen  nach  wenigen  Sitzungen  und  in 
wenigen  Tagen,  wovon  wir  eine  Reihe  zuverlässiger  Beobach- 
tungen bei  Erb,  Arndt,  Remack,  Jelly  u.  A.  finden  können. 
Bei  der  Anorexie  ist  die  cerebale  Elektricitat  meines  Wissens 
noch  nicht  in  Anwendung  gezogen. 

In  unserem  Fall  hatte  ich  die  Sitzung  taglich  nicht  über 
zwei  Minuten  ausgedehnt,  und  um  die  hintere  Schädelgrnbe, 
d.  h.  das  Occipitalhirn  zu  treffen,  habe  ich  abwechselnd  den 
Strom  quer  durch  die  hintere  Ohrgegend  geleitet^  oder  wie*  oben 
augegeben  schräg  durch  den  Kopf,  die  Anode  des  secundäreu 
Stroms  hinten,  die  Kathode  vorn,  um  die  Blutzufuhr  zum  Ge- 
hirn zu  erhöhen.  So  durfte  ich  hoffen,  durch  die  Beeinflussung 
der  cortialen  Girculation  und  Besserung  der  loealen  Ernährungs- 
verhältnisse auch  eine  Anregung  des  Hungergefähls  herbei- 
zufQhren.  Mit  welch'  günstigem  Erfolg,  habe  ich  ausfÜhrUch 
mitgetheilt. 

Zum  Schluss  noch  einige  Worte  über  die  Behandlung  der 
nervörsen  Anorexie  überhaupt  Die  Ansichten  darüber  sind 
sehr  getheilt.  Darüber  sind  freilich  alle  einig,  daas,  wenn 
irgend  möglich,  die  Entfernung  des  Patienten  aus  dem  socialen 
Medium  möglichst  schnell  zu  veranlassen  ist  Dies  ist  schon 
deshalb  nöthig,  weil  die  Angehörigen  selbst  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  zumal  bei  dem  jugendlichen  Alter  der  Patienten 
etwaigen  strengen  Vorschritten  des  Arztes  den  grössten  Wider- 
stand euts:regeuiu$etzen  pflegen  und  den  Verbündeten  g^en- 
über  Macht  und  Thätigkeit  des  Arztes  scheitern  winL  Die 
frühzeitige  Intervention  eines  energischen  in  der  Diirehfuhrung 
seiner  einmal  gemachten  diätetischen  und  medieamentösen 
Verordnungen  consequenten  Arztes  ist  eine  conditio  sine  qua 
non.  Bezüglich  der  Diät  bcechrinke  man  sich  Anfangs  auf 
eine  eiwe)$:$ureiche  blande  Nahrung.  Milch  in  kleinen  Qoan* 
titäten  (^Weinglas  voll)  aber  häufig,  unter  Zasals  einiger 
Tropfen  Oognac  oder  Rum,  Fleischpeptone  anf  kleine  ge- 
röstete Semmelschnittchen  gestrichen  geniigen.  Eier  vermeide 
man  gan«^  die  meisten  Kranken  verweigern  sie  um  jeden  Preis. 
Weingelee  vrird  gewöhnlich  willig  angenommen.  Erst  all- 
mählich wihle  man  consisteutere  Nahrung  1 — 2  Mal  am  Tage, 
bestehe  aber  darauf«  dass  die  vorge$eae  Kc^i  genommen  wird, 
und  vertaosche  sie  nicht  mit  einer  anderen:  jede  Concession  dem 
Kranken  ge$s«ndbef  ist  gefährlich.  Von  Fletsch^eisen  em- 
pfiehlt sich  aoGüiglioh  P^kelrin^ierbrust^  ganz  {ein  mit  Butter 
gerieb<aDi,  auf  Brv>t  gestrichen»  dann  er^t  wihle  man  Flusch- 


Anorexia  cerebralia  nnd  centrale  Nntritionsneurosen.  13 

pureesnppen  und  gehe  allmählicli  zu  Braten  über,  weisses 
Fleisch,  Taube,  Huhn,  Kalbfleisch,  Fasan.  £ndlich  nehme  man 
die  gewöhnliche  Hausmannskost  mit  Gemüse  und  Kartoffeln. 
Als  Getränk  vermeide  man  Bier.  Weine  sind  gestattet,  doch 
nicht  die  schweren  südlichen  süssen  alkoholreichen,  sondern 
leichte  Mosel-  und  Rheinweine  und  Bordeaux.  Fenwick  will 
die  Alkoholica  und  speciell  Wein  ganz,  aus  dem  Speiseprogramm 
gestrichen  wissen.  Stiller  hält  sie  im  Gegentheil  für  er- 
wünscht und  führt  einen  Fall  von  Quain  an,  der  —  ein 
Knabe  von  11  Jahren  —  durch  Fleischbrühe  und  Alkohol, 
die  er  parfümirt  aus  der  Apotheke  holen  Hess,  geheilt  wurde. 
Unwillkürlich  wurde  ich  hier  an  das  Experiment  Ferrier's 
erinnert.  Ein  einziges  Thier  von  allen,  denen  er  die  Hinter- 
hauptslappen entfernt  hatte  und  die  dauernd  die  Nahrung 
verweigerten,  nahm  wieder  Nahrung  zu  sich,  nachdem  ihm 
eine  Orange  angeboten  war  und  so  auf  dem  Wege  der  Asso- 
ciation durch  Anregung  von  Geruch  und  Geschmack  das 
Hungergefühl  wieder  erwachte.  Abgesehen  von  dem  zweifel- 
haften Werth,  den  das  Ferrier'sche  Experiment  für  die 
Localisationslehre  in  der  Rinde  beanspruchen  sollte,  kann  es 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dafs  gewisse  Functionen  bestimmter 
üimtheile  nach  deren  Ausschaltung  von  anderen,  die  zu  diesen 
in  enger  Beziehung  stehen,  übernommen  werden  können.  So 
könnte  vielleicht  die  Erhaltung  der  Rinde  des  Gyrus  hypo- 
campi,  die  nach  einer  exacten  Beobachtung  Munck's  das 
Riechcentrum  enthält,  hierfür  in  Anspruch  genommen  werden. 

Mit  der  hydriatischen  Behandlung  empfiehlt  sich  bei 
jagendlichen  Individuum  jedenfalls  grosse  Vorsicht.  Kalt- 
wasserkuren sind  nicht  zu  empfehlen,  wohl  aber  können 
warme  Bäder  (28  Grad)  mit  warmer  Regeudouche  wohlthätig 
wirken. 

Zur  Magensonde  wüi^de  ich  mich  nur  entschliessen,  wenn 
die  Einflössung  der  Nahrung  zur  Erhaltung  des  Lebens  nothig 
ist^  zum  Zweck  der  Heilung  aber,  weil  sie  die  örtliche  üeber- 
empfindlichkeit  der  Magenschleimhaut  abstumpfen  solle,  kann 
ich  mich  nicht  entschliessen,  da  ich  an  eine  solche,  wie 
es  Rosenthal  meint,  nicht  glaube.  Unser  Versuch  schlug 
gänzlich  fehl. 

Von  Medicamenten  ist  nichts  zu  erhoffen.  Der  Elektri- 
cität  aber  kann  auch  hier  nach  dem  vortrefflichen  Erfolge  in 
vorliegendem  Fall,  ebenso  wie  bei  gewissen  Psychosen,  die 
auf  functionellen  und  nutritiven  Störungen  im  Gehirn  beruhen, 
gewiss  eine  segensreiche  Prognose  verhiessen  werden. 

Breslau,  20.  Februar  1894. 


IL 

Casaistiscber  Beitrag  zw  Frage  vom  „Drosenfleber"' 

(Emil  PfeilTer). 

Von 

Dr.  Ernst  Hoerschelmann. 

Bei  der  Pfeif  fernsehen  Abhandlang  über  DrQsenfieber*) 
sind  bestätigende Mittheiiungen  gemacht  worden  Ton  Heubner  ^)y 
V.  Starck^),  Kanchfass^)  und  Protassow^).  Weitere  Aeusse- 
rangen  in  dieser  Frage,  sei  es  Bestatigaugen  oder  Wider- 
legungen der  Pfeiffer'schen  Ansicht,   habe  ich   nicht   finden 

können. 

Es  liegen  somit  die  Beobachtangen  von  nnr  5  Autoren 
Tor  und  ist  das  Ton  ihnen  gelieferte  Material  selbstTerstand- 
lieh  noch  xu  gering,  um  die  Frage  zu  entscheiden,  „ob'V^i^ 
Pfeiffer  sagt,  ,ywir  es  mit  einem  besonderen  Krankheits- 
instand,  einer  Krankheit  sui  generis,  zu  thun  haben,  oder  ob 
das  Drüsentieber  nur  der  Abortiv  zustand  aaderer  Krankheits- 
processe  ist**. 

Seine  Mittheilun^  hat  tunaehst  nur  den  Zweck  gehabt, 
die  Colle^^n  auf  das  an^etuhrte  Krank  hei  tsbild  anfmerksam 
7U  macheu«  uud  erscV.eiut  es  infolge  dessen  wunschenswerth, 
da^s  alle  einschlairivren  Beobachtungen  zur  alUremeinen  Kennt- 
niss  gebracht  wurden.  Dieser  Umstand  hat  mich  Teranlasst, 
der  iudirecten  Auffordenuiij  Pfeiffers  FoLze  zu  leisten  und 
in  Nachstehcndim  eiuige  Krankheit^^schichten  mitzutheilen, 
die,  wie  e*  mir  scheint,  wohl  in  die  Kategorie  der  von  ihm 
be<schriebonen  Falle  eiuiurvThen  w^ren. 

In  den  seit  Vervt^ent!:ch,:rg  der  Pfr^iftVr 'sehen  Arbeit 
Terdosseneu  *V^  Jahren  sind  uiir  derart! ire  l^Ie  in  der  Praxis 
luvht  aufi»estossen,  wenigstens  nicht  bewu>5t,  diher  ist  es 
mir  av.t*Ä^*uIlen,  am  Eiuie  des  rori^eu  Jjihres  •^l'^'V^'i  einer 
verhihui:v^xis>:geu  Hi-ifur.^  solcher,  wie  es  rcix  scliemt,  un- 
«weifelhAft  als  Druser*r.:fber  tu  Wieictr.-c:-.ir;r  Falle  zn  be- 
gti::iett.     Ich  mus:$  gv^:eieu,  cas*  mir  i::  crr;  IrUten  Jakren 

tu.  XXXll    ;^  «X 


E.  Hoenchelmauti :  CunütiBcher  Beitrag  etc.  ]5 

seit  dem  Auftreten  der  lufluenza  wohl  9ft«ra  ErkriuikuDgeQ 
bei  Kindern  vorgekommen  sind,  über  die  ich  mir  nicht  ganz 
klar  geworden  bin,  fieberhafte  Erkrankungen,  die  nur  wenige 
Tage  dauerten  und  in  denen  sieb  eigentlich  keine  rechte  Er- 
klärung für  das  Fieber  und  die  Erkrankung  Gnden  liesa.  Es 
fragt  sich ,  ob  nicht  wenigstens  ein  Theil  dieser  Fälle  bei 
genügender  Beriicksichtigung  der  Haladrasen,  die  wohl  nur 
EU  häufig  Tersäumt  worden  ist,  als  DrDBeDfieher  aufzufassen 
gewesen  und  mithin  nicht  unklar  geblieben  wäre. 

Was  nun  die  mitzutheilendeo  Krankheitageschichten  be- 
trifft, so  handelt  es  sich  um  16  Fälle,  von  denen  die  7  ersten*) 
fast  in  denselben  T^en,  die  9  folgenden  später  zu  meiner 
Beobachtung  gelangten. 

F»ll  1    betrifft  meine   6jahrige   Tochter,   die   gasi  plOtiUch   am 
1.   Dec.   1892    nach    guter   Nacht    mit   Kopfach merzen,    KBJte    und    all- 
gemeiner Abgeschlagen heit  erkrankte. 
Temp.  Morgens  nicht  gemessen.    Keine  Fall  1.' 

Schmenen  beim  Schlucken,  wohl  aber  December  1892. 

Klagen  über  Schmerxen  rechte  am 
Qalse,  namentlich  bei  Bewegungen 
des  Kopfes.  Im  Bachen  bis  aaf  kanm 
erwUuenBwerthe  EUlthe  der  Oanmen- 
bOgen  nichts  Abnormes.  Rechts  unter 
der  oberen  Partie  des  Eopfnickers 
Endet  sich  eine  ca.  kleinwallnoss- 
gtoMe,  harte ,  empfindliche  Drüse, 
ebenso  sind  die  Drüsen  am  hinteren 
Kande  des  MnskeU  geschwellt  und 
drackempfindlich.  Links  die  Drüsen 
kaum  geschwellt,  aber  auch  leicht 
empEDillich.  Zunge  etwas  belegt, 
Leib  leicht  dtuckerapfindlich,  aber  an 
keiner  bestimmten  Stellej  Leber  leicht 
TergcOsaert.  Nach  Lavement  guter 
Stahl,  am  Abend  eiumal  ErbrecbeD. 
Temp,  37,8—39,9. 

a.  Dec.  Temp.  38,6  —  37,7—36,2. 
Stad  idem. 

3.  Dec.  Temp.  normal ,  Drüsen 
immer  noch  geschwellt  und  em- 
pfindlich. 

4.  Dec.  In  der  Nacht  h&nfige  blntig- 
scbleimi^e  Stühle  mit Tenesmen.  Bechta 
Drüsen  im  Abschwellen,   links  nutei 

and  Tor  dem   oberen    %  des   st,  d.        k  Antipytin  0,!6.  ' 
mastoid.   eine    ziemlich    grosse,    etwa 

mandelgrosse,  harte  empfindliche  Drüse,  dann  noch  kleinere  am  vor- 
deren und  hinteren  Rande  des  Muskels.     Temp.  3e,2~SB,6— 3S,7. 

6.  Dec.  Temp.  normal,  Zunge  noch  belegt,  Drüsen  wie  gestern, 
enteritiscbe  Erscheinungen  im  Schwinden. 


1)  Ueber  diese  7  FUfe  bähe  ich  im  December  1892  kurz  im  Vere 
St.  Petersburger  Aerzte  berichtet. 


16 


E.  Hoenehelmami: 


7.  Dec.  Kind  mimier.  Drüsen  alle  im  AbechweUen,  weniger  em- 
pfindlich; Stnhl  normal  Temp.  Morgens  normal«  dann  37,8 — 37,9.  Die 
Verdaaung  blieb  normal,  die  geschwellten  Drosen  verMhwanden  in  den 
lAchsten  IVigen,  womit  anch  die  Temp.  rar  Norm  inrfickkehrte.  Die 
Kleine  eiholte  sich  bald  gans. 


Fall  8.  Mittwoch,  den  2.  Dec  Abends  klagte  die  kleinere  4j&h- 
rige  Schwe&ter  Aber  Sehmenen  im  Halse.    Bei  der  Untersnchnng  des 

Bachen«  war  nichts  an  sehen,  we- 
Fall  2.  der  an  B5the  noch  Sehwellnng. 

December  1892.  '*  ^^^^  ^^  redite  Tordere  Gaa- 

menbogen  leicht  gerOthet,  keine 
SdiweUongdes  Rachens  y  Schlncken 
schmenlos.  Beiderseits  Druck  aof 
den  Hals  empfindlich,  nnter  dem 
oberen  V,  ^^  ™-  stemocL  m.  eine 
geschwellte  empfindliche  Drüse.  An 
sonstigen  Organen  nichts  Abnormes 
nachsnweiien.   Temp.  37,8—38,3. 

4.  Dec  Röthe  im  Bachen  wie 
gestern,  Tonsillen  nicht  ge- 
schwellt, nicht  geröthet,  wohl 
aber  finden  sich  aof  der  rechten 
Tonsille  einselne  kleine  weisse  Flecke 
Ton  der  Grösse  eines  kleinen 
Stecknadelkopfes.  -  Keine  Schluck- 
beschwerden.  Links  Bachen  normal. 
Die  Drüsen  beiderseits  unter  und 
vor  dem  Kopfnicker  geschwellt  und 
sehr  empfindlich,  mehr  rechts  als 
links.   Temp.  37,8—38,3—37,6. 

6.  Dec  Drüsen  links  mehr  ge- 
schwellt, sehr  empfindlich,  auf 
beiden  Seiten  anch  submaxillare 
Drüse  geschwellt  und  empfindlich. 
Hente  anch  der  linke  Ganmenbogen 
leicht  geröthet,  auf  der  absolut  nicht  geschwellten  und  ge- 
r5theten  linken  Tonsille  eben  solche  weiese  Flecke,  wie  sie 
gestern  rechts  waren,  welche  letatere  heute  kanm  mehr  an  sehen  sind. 
Temp.  38,5—38,7—38,9. 

6.  Dec.  Röthe  und  weisse  Fleckchen  rechts  im  Bachen  fiut  ganz 
geschwunden,  links  wie  gestern.  Beiderseits  die  Drüsen  namentlich 
unter  dem  oberen  * ,  des  Kop&iickers  und  rechts  hinter  demselben  oben 
sehr  bedeutend  geschwellt  und  empfindlich;  ebenso  beiderseits  eine 
Drüse  im  Winkel  swischen  Kopfnicker  und  Kieferraad  geschwellt  und 
empfindlich.  Sonst  Alles  gut,  Stuhl  spontan,  aber  tiftge.  Temp.  39,2 
—39,9—39,3. 

7.  Dec  Bechts  Bachen  gans  normal,  links  Ganmenbogen  kaum 
geröthet,  aof  der  nicht  geschwellten  und  nicht  gerütheten  Ton- 
sille noch  9  kleine  weisse  Pünktchen.  Drüsen  wie  gestern,  hinza- 
gekommen  eine  Beihe  kleinerer  empfindlicher  Drüsen  am  hinteren  Band 
des  rechten  Kopfnickers.  Mils  und  Leber  etwas  TergrÜssert  Temp. 
88,4—37,6-39,1. 

8.  Dec  Nacht,  wie  stets  bisher,  ausgeseichnet  geschlafen.  Kind 
munter,  jedoch  etwas  blass.  Bechts  Drüsen  weniger  geschwellt  und 
weniger  empfindlich,  links  Drüse  Tor  dem  st.  d.  m.  bedeutend  grOsser, 
etwa  Ton  der  GrCsse  einer  grossen  Mandel,  aber  heute  auch  die  Drüsen 


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CutÜBtUcher  Beitrag  sar  Frage  t.  DrSeeofieber  (Emil  Pfeiffer).     17 

am  hinteren  Riude  des  Maskele  in  einer  Reihe  seachwellt  nad  em- 
pfindlieh. Bachen  kaum  mehr  gerOtbet,  beide  Toasülen,  auch  die  linke, 
nicht geechwelli,  nicht  gerDtb et 'J,  veiase Fleckchen  verschwanden. 
Leber  überragt  um  ca.  1  Qaerfiuger  den  Bippenrand,  iit  bei  Drack 
leicht  empfindlich,  Hilz  bei  tiefer  Inapiratioii  palpabel.  Im  Urin  kein 
Eiwebi.     Temp.  Morgens  38,0,  dann  38,2—40,2. 

9.  Dee.  Bachen  leicht  gerOtbet,  die  rechte  ToDsiUe  etwas  ge- 
schwellt, jedoch  sehr  nnbedeatend  —  mm  ersten  Hai  wahrend  der 
KmnkheiL  DrQsen  im  ÄbgcbwelleD  nnd  weniger  empfindlich.  Milc 
nicht  palpabel,  Leber  wie  gestern.    Temp.  88,5—39,3—89,2. 

10.  Dec.  Temp.  normal,  Bachen  nicht  gerOthet,  Tonsille  kaum  mehr 
geschwellt,  Leber  kleiner.  Drfieen  nehmen  an  Scbwellang  nnd  Em- 
pfindlichkeit ab.  Von  jetst  ab  blieb  die  Temp.  normal,  die  Schwellnng 
nud  Empfindlichkeit  der  Drfisen  nahm  langsam,  aber  stetig  ab  nnd  es 
trat  Töllise  Oeneanng  ein,  wenn  anch  die  Kleine  noch  einige  Zeit 
blase  blieb. 

Anfallend  war  ganz  besondere  in  diesenl  Fall  bei  den  doch  recht 
hohen  Temperatnreu  das  suttJectiTe  Wohlbefinden  der  Kleinen  mid  die  gu- 
ten, ungeatCrtenN&ch- 

t*.  Die  Kleine  machte  Fill  8.   December  1392. 

flberhaupt  nicht  den 
Eindmck  eines  kran- 
ken Eindea,  war  wo- 
möglich noch  lebhaf- 
ter nnd  ansgelaasener 
als  sonst  nnd  nahm  die 
ganze  Zeit  von  ihrem 
Beliehen  ans  an  den 
Spielen  der  Geschwi- 
ster lebhaften  Antbeil. 

In  den  folgenden 
Tagen  erkrankten  anch 
der  kleine  2%  j&hrige 
Bruder,  sowie  die  Äl- 
teste tOj.  Schweet«ri 
bei  beiden  handelte 
ea  sich  allerdings  nm 
gani  leichte  F&Ue,  in 
denen  die  Tp.  nicht 
Über  38,0  anstieg  und 
die  Sohwellnng  und 
Empfindlichkeit  der 
Drfisen  eine  verh&It- 
nisam&ssig  geringe, 
wenn  auch  sicher  nach- 
weisbare war  bei  Feh- 
len sonstiger  ki&nk- 
hafter  Erscheinungen. 

Fall   8.     A.  W., 
etwas    blasser  Knabe 
*«a  I  Jahr  9  Hon.  Er- 
krankte am  30.  Not.  ,  AnUnvrln  ni9 
Cremp.Ab.39,2).  Auch  "  A°*'Py"°  »■'2- 

1)  Ich  habe  absichtlich  immer  wieder  die  Abwesenheit  von  BOthe 
nad  Schwellung  der  Tonsillen  betont,  nm  damit  zu  constatiren,  dass 
jegliche  cbaraIrtBristitche  Erscheinung  far  eine  Angina  im  gewöhnlichen 
Sinne  fehlte. 


|«<  E.  Hoerschelmann : 

ui  ai«fKi>iu  >*»U  war  die  wesentlichste  Krankheitserscheinuog  das  Aja- 
v^ii^va^  MHi  die  grosse  Empfindlichkeit  der  Cemcaldrüsen.  Es  ist 
Uir  <>tuA»^  Fall  unter  meinen  16,  in  welchem  die  Schwellang  der 
l'laa*^tt  $0  »tark  war,  dass  die  obere  Partie  des  Eopfnickers  wie  abge- 
O^^be«  und  die  gante  Gegend  auch  für  das  Auge  als  arg  geschwellt  er- 
»cbi^u.  Hie  Leoer  war  sehr  bedeutend  (bis  zur  Nabellmie  reichend) 
\e();v^«^rt,  ^^^  ^^^  druckempfindlich,  aber  nicht  an  einer  bestimmt-en 
^wll«^.  Kntsprechend  dem  sehr  hohen  Fieber  waren  auch  die  DrüBen- 
«^^hw«»llungen  sehr  stark ;  so  waren  beispielsweise  am  4.  Dec.  links 
hinter  der  oberen  Partie  des  Kopfnickers  deutlich  2  etwa  bohnengrosae 
Drüsen  nachiuweisen;  am  6.  Dec.  waren  sie  noch  grösser,  etwa  wie 
Mandeln,  sehr  hart  und  empfindlich.  Die  obere  befand  sich  dicht  unter 
dem  proc.  mast.,  die  sweite  nach  abwärts  von  ihr.  Am  6.  Dec.  fand 
sich  hinter  dieser  zweiten  noch  eine  dritte,  fast  ebenso  grosse  Drüse, 
die  gleichfalls  sehr  druckempfindlich  war.  Rechts  nahmen  die  Drüsen 
nicht  so  grosse  Dimensionen  an.  Sonstige  Krankheitserscheinungen 
fanden  sich  keine. 

Bis  sum  9.  Dec.  hatten  die  Drüsen  an  Schwellung  und  Empfindlich- 
keit abgenommen,  die  Temp.  war  zur  Norm  zurückgekehrt,  die  Leber 
finff  an  sich  zu  verkleinem  —  und  das  Kind  wurde  wieder  munter 
nnd   kräftig.    Seit   dem  Tage  habe  ich  Patienten  nicht  mehr  gesehen. 


Temp.: 

1.  Dec.  88,2 

40,1 

41,2. 

40,2. 

2.  Dec.  36,7 

40,0* 

39,0. 

8.  Dec.  37,2     37,0 

38,4* 

37,8 

38,1 

39,6*. 

4.  Dec.  88,7*  37,2 

88,7 

38,0 

38,2* 

38,7*. 

6.  Dec.  38,0 

38,3 

88,2, 

6.  Dec.  37,7 

38,1 

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37,8. 

7.  Dec.  87,5 

87,7. 

8.  Dec.  86,7 

37,0. 

9.  Dec.  86,7 

86,7. 

(Die  *  bedeuten  Gaben  von  Antipyrin  0,12.) 

Fall  4.  E.  S.,  kräftiger  gesunder  Knabe  von  7  Jahren,  bishei 
stets  gesund  gewesen. 

Mittwoch,  den  2.  Dec.  kehrten  die  Eltern  spät  Abends  nach  Hause 
und  fanden  das  Kind,  das  den  Tag  über  gesund  gewesen  und  noch  zur 
Schule]  gegangen  war,  stark  fiebernd,  schlafend  vor.  2 mal  hatte  es 
Erbrechen,  einige  Tage  schon  leichter  Husten.  Nacht  unruhig,  Kind 
phantasirte  viel. 

8.  Dec.  Kind  munter,  Temp.  scheinbar  normal,  leider  nicht  ge- 
messen. Klagen  über  Kopfschmerzen  und  Schmerzen  ausser  lieh  am 
Halse,  namentlich  bei  Bewegungen  des  Kopfes.  Schlucken  schmerzlos. 
Rechts  unter  dem  oberen  Theil  des  Kopfnickers  eine  geschwellte,  druck- 
empfindliche Drüse;  sonst  keine  vergrösserten  Dräsen  nachzuweisen, 
sowie  nichts  Krankhaftes.    Temp.  Abends  88,0. 

4.  Dec.  Nacht  gut,  Temp.  Morgens  87,0.  Kind  munter,  Drüsen 
kleiner  und  weniger  empfindlich.  Uachen  ziemlich  stark  geröthet, 
Husten  stark,  trocken.  Li  der  rechten  Lunge  hinten  unten  seltenes, 
grobblasiges  Rasseln.    Kein  Schnupfen.    Abends  Temp.  37,0. 

6.  Dec.    Husten  leichter,  Rasseln  R.  H.  U.  geschwunden,  Kaohen 
kaum  geröthet.    Die  Drüse  unter  dem  st.  d.  m.  kaum  mehr  zu  fühlen 
dafflr  vor  dem  Muskel  im  Winkel  zwischen  ihm   und  dem  Kieferrand 
eine  etwa  erbsengrosse ,  recht  empfindliche  Drüse,  eben  solche  Drüsen 
am  hinteren  Rande  des  Kopfnickers.    Temp.  normal. 


Caanistiacher  Beitrag  zdt  Frage  t.  Dragenfieber  (Emil  Pfeiffer).     19 

Im  Laafe  der  oiVchBten  Tage  hOtte  der  Hapten  ganz  anf,  die  Temp. 
blieb  norm&l,  die  Rdtbe  im  Bachen  gab  aicb  Bcboell  nnd  die  DrOgen 
kehrUn  b«ld  wieder  xor  Norm  zurück. 


tnnd  geweien,  erkrankte  gleichzeilig  mit  dem  Brader  am  Abend  i 
t  Dec  mit  Fieber  nnd  Erbrechen. 

3.  Dec.  Temp.  89,1.  Klagen  Ober  Schmerzen  rechts  am  Halse. 
ZiiDge  belegt,  Rachen  ncbedeutend  gerOthet,  ziemlich  starker  Hasten, 
hangen  frei,  ünterleibsorgane  normal.  Bechta  unter  dem  oberen  '/>  ^^' 
it  cl.  mast  eine  liemUcb  stark  geschwellte,  recht  empfindliche  harte 
DriUe,  desgleichen  am  hinteren  Rande  des  Muskels  viele  kleine  ge- 
Kbvellte,  empfindliche  Drüsen.  Linbs  nur  unter  dem  Hnskel  eine 
wtnig  geschwellte  und  leicht  empfindliche  DrOse.     Temp.  Abends  38,6. 

*.  Dee.    Temp.  87,3—37,0. 

6.  Dee.  Temp.  normal,  Allgemeinbefinden  gat,  Bachen  nicht  mehr 
gerOthet.    Die   bisherigen   ge- 

icbwellten    Drüsen    fast    ganz  pall  &.      December  1898. 

geechwonden,  aber  beiderseits 
im  Wbkel  zwischen  Eieferrand  1 
imd  Unskel  eine  etwa  basel-  I 
Dusgroste  Drüse,  leicht  em-  ' 
pfindlicb,  nemlich  hart.  Temp.  ' 
S7,0. 

Dil  mm  9.  Dec.  Pat.  naa 
nicht  gesehen.  Nach  Ansaage 
der  Elt«m  klagt«  Pat.  am 
6.  Dec.  über  Schmerzen  im 
Unken  Ohr,  die  auf  Einträufe- 
Ibde  von  warmem  Oel  sich 
bald  gaben.  Temp.  37,0  ~ 
Abeodi  87,8. 

Am  7.  Dec.  Temp.  37,S, 
Schmerten  im  Ohr  geringer; 
Abenda  Temp.  88,4. 

8.  Dec.  Keinerlei  Klagen, 
d^nTagabetPat-monter.  Stnhl 
iTit.  Qegen  Abend  Kind  matt. 
Temperatnr   Morgens   37,6,    Abends   38,4. 

9.  Dee.  Temp.  37,8.  Zum  giouen  Schreck  der  Eltern  auf  Brnst, 
Leib  and  RQcken  ein  feiner  AnsBchlag,  dabei  Klagen  flbei  Frösteln  und 
Schmenen  beim  Schlucken,  sodass  rat.  nichts  zu  sich  nehmen  wollte. 
Am  Tage  Temp.  39,4.  Bei  der  UnterBDChune  fand  ich  die  Drüsen 
beiderseits  am  Halse  noch  etwas  geschwellt,  kaum  mehr  empfindlich. 
Beide  Tonsillen  stark  KeechwoUen,  geröthet,  rechts  mehr  als  links. 
Auf  der  rechten  Tonsille  mehrere  leichte  Beläge,  lum  Theil  rundlich, 
«Dm  Theit  streifig,  ganz  weiu.  Bis  hinunter  auf  die  obere  innere 
Partie  der  Oberschenkel,  am  Rücken  bis  zu  den  Nates  eiu*'klein- 
fleckiges,  etwa«  erhabenes  blassrothes  Exanthem;  dasselbe  ähnelt,  flüch- 
tig gesehen,  Scarlatina,  erscheint  bei  genauerer  Ansicht  jedoch  mehr 
wie  Bobeola.     Kein  Husten,  in  Lungen  nichts.     Abend-Temp.  38,0. 

10.  Dec.  Nacht  gut,  Temp.  37,7.  Zunge  etwas  belegt.  Becbte 
ToDiille  noch  stark  geschweUt,  Oberfl&che  sehr  zerklüftet,  keine  Be- 
l^i  linke  Tonsille  weniger  geschwellt.  Stuhl  normal.  Exanthem 
«ollitändig  Terschwnnden,  nur  ist  die  Haut  noch  grütsig,  rauh.  Schlucken 
kaum  mehr  achmerzbaft;  Ensten  sehr  gering;  lieber,  Milz  normal;  im 
Urin  kein  Biweies.     Temp.  87,6. 


20 


B.  Hoerachelmann : 


December  l8Sa. 


11.  Dec.  Temp.  87  0.  Keine  EUgen,  Kind  mDnter,  Tonsillen  weni^r 
geschwellt,  Rachen  kaam  gerOthet,  Drßsen  noch  leicht  empfindlich, 
namentlich  2  kleine  hinter  dem  rechten  Kopfnicter.  Vom  AusechUg 
oichta  >n  sehen.  Haut  glatter.     Temp.  Abends  ST,9. 

Die  Temp.  war  von  nun  an  normal.  Die  DtOaen  eracbienen  ini 
Laufe  der  nSchiten  Tage  tnm  Theil  wieder  etwa»  mehr  geschwellt 
und  empfindlicher,  RCthe  und  Schwellung  im  Bachen  gaben  sich  bald 
ganz,  das  Allgemeinbefinden  war  ein  gutes.  Nni  sehr  langsam  aind 
dann,  wie  ich  spS.tet  hOrte,  die  DrOsen  gaoi  cur  Norm  EurOckgekehrt, 
Abichuppung  hat  sich  nirgends  geieigt. 

Im  FaU  6  handelt  es  sich  um  einen  ktfiftigen,  gesunden,  ISj&h- 
rigen  Knaben  St.  J. ,  der  in  der  Nacht  Tom  5.  inm  6.  Dec.  mit  Kopf- 
schmerzen, Frost  und  Hitze  erkrankt«. 

6.  Dec  Heftige  Kopfschmerzen,  scheinbar  hohe»  Fieber  (leider 
nicht  geroesHen),  Schmerlen  in  der  rechten  Halsseite  bei  Bewegungen 
des  Kopfe«;  Uebelkeit,  Schlucken 
frei.  Bechts  unter  dem  Kopfnicker 
und  vor  ihm  die  Drüsen  stark  ge- 
schwellt, seht  empfindlich.  Links 
nar  eine  geschwellte,  empfindliche 
SabmazillaTdrfise.  Die  inneren  Or- 
gane alle  normal. 

Am  folgenden  Tage  waren  rechU 
c  wischen  Kiefer  wiukel  nnd  Kopf- 
uicker  8  grosse,  sehr  schmershafte 
Drflsen  nachzuweisen,  eine  A.  unter 
dem  st.  cl.  most.  Temp.  niedriger, 
Kopfechmenen  geringer.  Dann  tra- 
ten am  8.  Dec  lukerseits  eine  grosse 
Drase  vor  dem  Eopfnicker,  mehrere 
erhsengrosse  an  seinem  hinteren 
Bande  auf;  Temp.  hSher,  sonst  All- 
gemeinbefinden ausgezeichnet. 

Da  der  Knabe  so  munter,  hatten 

die  Eltern  ihn   am   9.  Dec.  aufstehen 

lassen;    er   fQhlte   sich   wohl    bis    auf 

die  NächUi,   in   denen   er   über   Kopf- 

schmerieu     klagte.      In    der    Nacht 

vom  10.  auf  den  11.  December  waren 

die  Sehmerzen  sehr  arg,  wieder  Hitze  und  Frosti  am  11.  Dec.  Temp. 

37,7,  Abends  37,0;   Schnupfen,  kein  Hugten.    DrQsen  links  kanm  mehr 

empfindlich,  noch  wenig  geschwellti   rechts  Drüsen  TOr   und  unter  dem 

Kopfhicker    im   AbBchwellen    begriETen;    nen    geschwellte,    schmerzhafte 

Drüsen  au  aeiuem  hinteren  Rande.     Nachdem  nun  noch  am  IK.  Deo. 

vorübergehend  die  Drüsen  am  hinteren  Rande  des  linken  st.  cl.  mast. 

wieder  mehr   geschwellt   und    empfindlicher  waren,   hatte  der  Process 

'  1  Ende  gefunden  und  kehrten  ohne  Unterbrechung  die  DrSsen  nun 

"    "'  '"'       r  Norm  inrück. 


alle  allm&hljch 
Temperatur 


6.  Dec  38,8  88,7. 

7.  Dec.  8S,B  ST,1  38,3. 

8.  Dec  37,S  38,1  S9,l. 

9.  Dec.  ST,6  37,0. 

11.  Dec  87,5  37,7  87,0.    Normal. 


P.  A.,    blasser,    maisig  genährter,    leicht   ecrophulSaer 
(  Jahren,  leidet  au  leichter  Prurigo. 


Caauistischer  Beiti&g  eui  Frage  v.  DrSBeofieber  (Emil  Preiffar).     21 

HanUg,  30.  Nov.  Klagen  ge- 
gen Abraid  dber  Koprachmenen, 
Scbmenen  in  der  rechten  Halt- 
tdto,  Fieber,  HnUigkeit.  T.  38,6. 

i.  Dec      Am    Abend     vorher  %, 

Taiiip.39,0,  heaU  Morgens  S8,g.  ■* 

Bechta  anter  dem  oberen  '/,  des  g 

m.  st.   ol.  m.   eine   geiobvellte,  ^ 

etwabaMtnnMgToueempfindlicbe  '^ 

Dnüe,  detgleicben  wn  hinteren  9 

Bande  de»    UuBkela    eine   Reihe  O 

kleinerer    empfindlicher   DrQten. 

Anchbeim  Kieferwinkel  eine  Snb-  ^ 

tna.il  lanlriirm  geecfawellt.    Links  g 

keine  Drüsen  nachinweieen.  Mili  m 

reicbt  bis  lam  R.-Band,  bei  tie-  ä 

fer    Inspiration    palpabul;    sonst  a 

sm  Pstnichte  Krankhaftes  nach-  'S 

nweisen,  Trots  Anwendang  von    .  « 

Anüpyrin   (»ergl.    Temp.-CQfve),  g  ,g 

Nstr.    salicjl.    und     Compresaen   «  g 

Tollte    das   Fieber  nicht    nach-  ^  bi 

lassen.   W&hrend  in  den  folgen-   g  ■ 

den  Tagen  die  DrSsen  rechts  in-    3  ^ 

nickgingen,  traten  neue  Drüsen  "^ 
links  anf,  die  GaninenbOgen  wa-  "^ 
ren  leicht  gerOthet,  Pat  hustete  -S 
etwas,  Longen  gans  frei.  Stnbl 
trlge.  Am  6.  Dec.  trat  einmal  a 
Erbiecheu  ein,  vielleicht  infolge  S 
tu  reichlicher  Nohrnngaanfiiahme.  u 
Die  folgenden  S  Tage  war  das  .o 
Fieber  etwas  niedriger,  Allge-  ^ 
ineinbefiDden  gnt,  die  Drüsen  g 
bald  mehr,  Md  weniger  ge-  Q 
■chwellt  und  empfindlich.  Hosten  , 
sehr  gering.  Im  Urin  kein  Bi  weiss.  ^^ 

Wahrend  am  3.  Dec.  der  Hosten  S 
etwas  ftrger  wnrde  nnd  die  Temp.  ^ 
mehr  anstieg,  klagte  Fat  am 
Abend  über  Schmenen  im  lin- 
ken Ohr,  weniger  über  das 
tecbta.  Trotz  Anwendnng  TOn 
TqL  opii  mit  Oel  und  Tct  Jodi 
(lästerlich  hinter  dem  Obi)  hiel- 
ten die  Scbmenen  in  den  Ohren 
an.  Beiderseits,  namentlich  links, 
wu  «ne  verbreitete  Bronchitis, 

riel   Bosseln,    jedoch    nirgenda  ^ 

Djmpfong.  — 

Am  11.  Dec.  Hasten   leichter,  '§ 

Bosieln  geringer,   fencht.    Con-  S 

■ulUtion  wegen  der  Ohren:  beide  ^ 

TTammelfclIe  stark  gerOthet,  her-  ^ 

TO^wdUit,  mehr  links  als  rechts ;  " 

Ordb.:  Atropin  0,1  :  Cocaini  0,3 
~  A(].  deat.  10,0  —  in  die  Ofaten. 


22  £<•  Hoerschelmann: 

18.  Dec.  Temp.  m&ssig,  seit  gestern  wieder  Tct  opii  mit  Oel  in 
die  Obren;  heute  mehr  Klacren  über  das  rechte  Ohr.  Hasten  gering, 
leicht;  Lungen  fast  frei.  Mils  und  Leber  Yergrössert,  Drüsen  noch 
dmckempfindlich. 

18.  Dec.  Während  der  Hasten  gans  aufhörte,  die  Langen  ganz 
frei  waren,  steigerte  sich  das  Fieber,  die  Schmerzen  in  den  Ohren,  nun 
wieder  mehr  im  linken,  nahmen  zu;  die  Drüsen,  namentlich  links,  wsjren 
wieder  mehr  druckempfindlich  und  am  17.  Abends  trat  eitriger  Aos- 
fluss  aus  dem  linken  Ohr  ein,  worauf  Nachlassen  der  Schmerzen.  Die 
Temperatur  fiel  nun  ein  wenig,  um  dann  aber  in  den  nächsten  Tagen 
ihr  höchstes  Maximum  während  der  ganzen  Krankheit  mit  40,8  am 
20.  Dec.  zu  erreichen;  denn  schon  am  19.  Dec.  hatten  sich  die  ersten 
Symptome  einer  beginnenden  Nephritis  gezeigt:  Schmerzen  im  Penis 
beim  Uriniren;  dunkler,  blutig  tingirter  Urin  mit  braunem,  flockigem 
Niederschlag  —  Quantum  vermindert.  Mikroskopisch:  viel  rothe  Blut- 
körperchen, sehr  viel  Blutcy linder^  keine  hyalinen.  Beim  Kochen,  nach 
Filtriren  nur  leichte  Trübung. 

Fat.  transpirirt  viel,  kla^  über  nichts  Besonderes.  Leber  überragt 
den  B.-Band,  Milz  immer  leicht  yeigrössert,  bald  palpabel,  bald  nicht. 
Drüsen  immer  noch  leicht  geschwellt  und  druckempfindlich.  Herz 
noimal,  nicht  yergrössert,  Töne  rein.  Beide  Ohren,  namentlich  aber 
das  rechte,  noch  empfindlich  bei  Druck,  aus  dem  linken  reichlicher 
Ausfluss  (Ausspritzen  mit  warmer  Borlösung).  Puls  ca.  120,  regel- 
mässig.    ^ 

Am  22.  Dec.  Urin  400,  gestern  hat  Fat.  nach  Ol.  Bicini  4  Aus- 
leerungen gehabt.  Urin  auch  nach  dem  Filtriren  intensiv  roth  gefärbt 
(Hämoglobinurie),  Bodensatz  und  mikroskopischer  Befund  wie  früher; 
seit  gestern  infolge  einer  Consultation  eines  CoUegen  allgemeine  feuchte 
Einwickelangen.  Schmerzen  in  den  Ohren  gering,  Ausfluss  links  vor- 
handen, aber  weniger. 

26.  Dec.  Gestern  warmes  Bad  von  29  ^  darauf  stark  transpirirt. 
Urin  heute  nur  250  ccm,  immer  noch  blutig  tingirt,  Bodensatz  geringer, 
Blutkörperchen  und  Gylinder  weniger,  Ohren  kaum  schmerzhaft,  Di&en 
heute  wieder  links  mehr  empfindlich.  Extract.  secal.  com.  fluid!  c. 
Extr.  chin. 

28.  Dec.  Stat.  idem.  Urin  400  ccm,  ziemlich  unverändert.  Puls  im 
Schlaf  96,  gut,  regelmässig,  Herz  nicht  vergrössert,  Spitzenstoss  im 
4.Intercostalraum  in  der  linken  Linea  mammillaris.  Keine  Oedeme,  kein 
Ascites.  Secal.  com.  fortgelassen,  statt  dessen  Sol.  acid.  nitric.  dil. 
Bäder. 

29.  Dec.  Urin  600  ccm,  weniger  rothbraun,  sondern  mehr  dunkel- 
gelb gefärbt.  Linkes  Ohr  wieder  mehr  schmerzhaft,  Ausfluss  hat  nicht 
sistirt 

Urinuntersuchung,  ausgeführt  am  29.  December  1892 

im  analytischen  Laboratorium  von  Chemiker 

Dr.  phil.  J.  Biehl: 

Farbe roth,  1000  =  32. 

Klarheit trübe. 

Reaction sauer. 

Specifisches  Gewicht    ...  1,016. 

Albumin 0,146  in  100  Theilen. 

Zucker,  Gallenfarbstofie.    .  nicht  vorhanden. 

Hämoglobin vorhanden. 

Indican-Urobilin nicht  vermehrt. 


CasoisÜBcher  Beitrag  mr  Frage  y.  Drüsenfieber  (Emil  Pfeiffer).    23 


Mikroskopische  üntersachung: 

Sediment reichlich. 

Hyaline  Cylinder nicht  vorhanden. 

Grannlirte  nnd  Epithelcy linder.    .  ziemlich  reichlich. 

Cylindroide nicht  vorhanden. 

Platten -Epithelien vereinzelt. 

Rnnde  una  elliptische  Epitbelien .  nicht  vorhanden. 

Eckige  Epithelien vereinzelt. 

Lenkocyten zahlreich. 

Rothe  Blntkörpercben äusserst  zahlreich. 

Ausserdem  enthält  der  Bodensatz  sehr  zahlreiche  Eiterkörperchen 
und  Blutkörperchen  einschliessende  Cylinder. 

In  den  folgenden  Tagen  steigerten  sich  die  Klagen  über  das  linke 
Ohr,  Ausfloss  reichlicher,  besonders  empfindlich  der  Drnck  auf  den 
proc.  mast.  Haut  hinter  der  Ohrmuschel  nicht  verändert,  erst  am 
1.  Jan.  1893  ödematöse  Schwellung  hinter  dem  Ohr,  am  Tage  darauf 
Hdthe.  Die  Erscheinungen  von  Seiten  der  Nieren  waren  besser,  der 
Urin  nach  dem  Filtriren  nicht  mehr  roth,  sondern  hellgelb,  Bodensatz 
bedeutend  geringer,  Quantum  am  30.  Dec.  450  ccm;  deutlicher,  aber 
geringer  Niederschlag  von  Eiweiss.  Keine  Oedeme  der  Knöchel.  Pat. 
ist  fast  beständig  in  leichter  Transpiration. 

2.  Jan.  1893.  Nacht  unruhig.  Urin  700  ccm,  bedeutend  heller, 
beim  Kochen  kaum  Trübung,  Blutkörperchen  und  Cylinder  bedeutend 
geringer.  Um  2  Uhr  wird  unter  Chlor oformnarcose  Trepanation  des 
proc.  mast.  sin.  vorgenommen.  Beim  Schnitt  bis  auf  den  Knochen, 
parallel  und  etwa  1  cm  hinter  dem  Ansatz  der  abgezogenen  Ohrmuschel 
entleerte  sich  ca.  ein  TheelÖffel  guten  dicken,  nicht  übelriechenden 
Eiters.  Nach  Abhebelong  des  Periost  erweist  es  sich^  dass  die  Corticalis 
ad  maximum  verdünnt  und  siebförmig  durchlöchert  ist,  sodass  es  leicht 
gelingt,  mit  dem  scharfen  Löffel  alles  Krankhafte  zu  entfernen.  Das 
Tegmen  tympani  ist  zerstört  und  stösst  man  mit  dem  scharfen  Löffel 
nach  oben  innen  auf  die  Dura  mater.  Nur  an  einzelnen  Stellen  kommt 
der  Meissel  in  Anwendung,  um  die  Ränder  des  Knochendefects  abzu- 
glätten. Nach  dem  Beinigen  der  Wunde  zeigt  sich  nirgends  ein  Hervor- 
quellen von  Eiter.  Die  Wunde  wird  sorgfältig  desinficirt,  ziemlich  fest 
mit  trockener  Jodoform- Watte  tamponirt  und  verbunden;  in  den  äusseren 
Gehörgang  wird  leicht  Jodoform -Watte  eingeführt.  Die  Narcose  war 
gat    Dauer  der  Operation  vom  Beginn  der  Narcose  25  Minuten. 

Abends  Temp.  88,2.  Kind  sehr  verdriesslich ,  Puls  etwas  klein, 
ca.  120,  regelmäosig;  weder  Uebelkeit  noch  Erbrechen  gewesen. 

3.  Jan.  Nacht  gut  geschlafen,  keine  Klagen  über  Schmerzen.  Temp. 
Morgens  37,2.  Mittogs  37,6.  Watte  im  Ohr  trocken.  Marlybinden  des 
Verbandes  trocken,  die  untere  Partie  des  Verbandes  etwas  blutig 
getränkt,  jedoch  schon  trocken.  Keine  Empfindlichkeit  bei  Druck 
auf  den  Verband.  Da  kein  Stuhl  gewesen,  Calomel  0,06.  Abends 
Temp.  38,8. 

4.  Jan.  Nacht  unruhig,  ab  und  zu  über  Kopfschmerzen  geklagt 
Temp.  37,8.  Puls  120,  gut,  regelmässig.  Kind  verdriesslich.  Um  12  Uhr 
Temp.  37,6.  Urin  600  ccm,  ziemlich  hell,  jedoch  noch  leicht  blut- 
haltig. 

Um  3^^  Uhr  nach  einstündigem  ruhigen  Schlaf  heftiger  eklamp- 
tiacher  Anfall.  Wie  die  Eltern  sagton,  sind  die  Zuckungen  besonders 
stark  in  der  rechten  Gesichtshälfte  und  im  rechten  Arm  gewesen, 
weniger  im  linken  Arm  und  in  den  unteren  Extremitäten. 


1 


E.  Hoerschelmann: 


.  ,  l  &^  lüiMBd  ich  Fat  ToUkommen  bewosstios,  Btarke  Zaeknngen 

\  V  .c«  4*^^  r^^ts  ond  des  rechten  Anne«,  nur  ab  und  zu  Zuckun^n 

i.^^M*  ActtfeM  und   der  beiden  unteren  Extremitäten.    Papillen  ad 

vv^^^  Jl.Uüti,  ToUkommen  reactionaloe,  Strabismns  convergens,  ster- 

v.s>««.»  A^^vMtB.  Pols  nicht  zn  bestimmen  wegen  der  Zuckungen.  So- 
« . «  \  ^^«adwechBel.  Die  Marlybinden  des  Verbandes  leicht  mit  Blut 
^u.\4tHUkt,  trocken,  der  Tampon  in  der  Wunde  festsitzend,  ganz 
«vkIv«.  LOeung  desselben  ohne  Blutung,  die  obere  zur  mittleren 
X'^d^lgTube  gerichtete  Kuppe  des,  wie  gesagt,  trockenen  und  harten 
VVM»pons  mit  einer  einige  Millimeter  dicken  Schicht  guten  Eiters,  wie 
MÜ  einer  Mfltze  bedeckt.  Die  Wunde  rein,  Umgebung  kaum  geschwellt, 
nicht  gerOthet  Neuer  Verband,  Wunde  ganz  leicht  mit  Jodoform-Marly 
hunponirt.    Auf  der  Marly  im  meat.  audit.  ein  wenig  Eiter. 

Bald  nach  dem  Verbandwechsel,  kaum  10  Minuten,  hören  die 
Zuckungen  auf,  Bewusstlosigkeit  dauert  fort.  Nach  kurzer  Ruhe  treten 
wieder  leichte  Zuckunsen,  nun  fast  ausschliesslich  des  linken  Armes 
ein,  die  aber  sehr  bald  nachlassen.  Eis  auf  den  Kopf,  Calomel  zwei- 
stündlich 0,016,  Ghlorallavement  (0,5). 

Abends  9  Uhr.  Ruhiger  Schlaf,  keine  Zuckungen  gewesen.  Puls 
182,  ziemlich  klein,  aber  regelmftssig.  Respiration  40,  gleiohm&asig. 
Temp.  89,4. 

Abends  11  Uhr.    Alles  gut,  ruhiger  Schlaf. 

6.  Jan.  Zweite  Hlklfte  der  Nacht  gut  geschlafen.  Temp.  87,1.  Be- 
wusstsein  ganz  klar,  Pat.  zeigt  Theilnahme.  Urin  bis  12  Uhr  Mittags 
260  ccm;  während  des  Anfalls  hatte  Pat.  jedoch  reichlich  Urin  unter 
sich  gelassen«  Urin  hell,  ziemlich  klar,  Bodensatz  hell,  schleimig, 
Eiweiss  sehr  wenig.  Verbandwechsel,  Wunde  rein,  sehr  wenig  Eiter, 
Ohr  trocken.  Puls  regelmftssig  120,  Pupillen  von  mittlerer  Weite,  gleich, 
reagiren  prftcise.  Blase  geffillt.  Oleich  nach  dem  Verband  reichliche 
Urinentleemng.    Medicatio:    Calomel,  Kali  Jodati,  Sol.  acid.  nitric.  dil. 

6.  Jan.  Temp.  normal,  Nacht  gut,  aind  munter.  Wunde  rein, 
wenig  Eiter.    Urin  660  ccm. 

Urinuntersuchung  Tom  6.  Januar  1803: 

Farbe dunkelgelb,  1000  —  8. 

Klarheit trflbe. 

Reaction sauer. 

Specifisches  Gewicht 1,016. 

Albumin 0,0218  in  100  Theilen. 

Zucker,  Gallenfarbstoffe,  Indican.  nicht  vorhanden. 

Urobilin nicht  vermehrt. 

Hftmoglobin nicht  vorhanden. 

Reaction  auf  Jodsalze sehr  deutlich. 

Mikroskopische  Untersuchung: 

Sediment ziemlich  reichlich. 

Hyaline,  granul.  Epithelcy linder  .  nicht  vorhanden. 

Cylindroide nicht  vorhanden. 

Pflaster- Epithel ien wenig  zahlreich. 

Runde  Epithelien vereinzelt. 

Elliptische,  eckige  Epithelien  .    .  nicht  vorhanden. 

Leokoc^ten ziemlich  zahlreich. 

Rothe  JBlutkörperchen vereinzelt. 

Bacterien äusserst  zahlreich. 

Von  nun   an  blieb  die  Temp.  normal.    Die  Urinmenffe  stieg  con- 
sequent  auf  860  ccm  (7.  Jan.),  1200  ccm  (8.  Jan.)  und  hielt  sich  nun 


Casnistischer  Beitrag  zur  Frage  ▼.  Drasenfieber  (Emil  Pfeiffer).    25 

in  diewr  normalen  Höhe.  Wunde  füllte  sich  mit  Granulationen  ans, 
Eiter  ziemlich  viel.  Das  Allgemeinbefinden  des  kleinen  Pat  war  aus- 
gezeichnet, es  stellte  sich  Appetit  ein,  nur  war  die  Verdauung  sehr 
trSge,  die  Stahle  ganz  acholisch,  Leber  vergrössert,  etwas  druckempfind- 
lich, was  auf  Anwendung  von  Gompressen  und  Massage  der  Leber  sich 
aUm&hlich  gab.  Der  Process  in  den  Drflsen  hatte  ganz  ausgespielt. 
Die  Wunde  zeigte  starke  Tendenz  zum  Heilen,  wurde  jedoch  am  Ver- 
heilen verhindert.  Der  Urin  zeigte  am  16.  Jan.  bei  der  Untersuchung 
folgenden,  so  gut  wie  normalen  Befund: 

Farbe sattgelb. 

Klarheit .' trübe. 

Reaction schwach  sauer. 

Specifisches  Gewicht 1,018. 

Albumin,  Zocker nicht  vorhanden. 

Hämoglobin,  Gallenfarbstoffe    .   .  nicht  vorhanden. 

Indican stark  venkiehrt. 

ürobilin nicht  vermehrt. 

Mikroskopische  Untersuchung: 

Sediment nicht  wahrnehmbar. 

Qylinder,  Cjlindroide nicht  vorhanden. 

Platten -Epithelien vereinzelt. 

Runde,  ellipt.,  eckige  Epithelien  .  nicht  vorhanden. 

Leukocyten,  Schleimkdrperchen  .  sehr  wenig  zahlreich. 

Rothe  Blutkörperchen nicht  vorhanden. 

Bacterien zahlreich. 

Die  Wunde  schloss  sich  definitiv  Anfang  April  und  Hess  am  Knaben 
bis  auf  die  Narbe  hinter  dem  linken  Ohr  nichts  mehr  auf  die  über- 
standene  schwere  Krankheit  sohliessen. 

Fall  8.  H.  J.,  9  Jahre  alte  Schwester  des  Knaben  in  Fall  VI; 
war  am  7.  Jan.  ganz  gesund. 

8.  Jan.  In  der  Nacht  Kopfschmerzen,  Fieber,  8  mal  Erbrechen. 
Temp.  Morgens  38,0,  Schmerzen  bei  Bewegungen  des  Kopfes  rechts  am 
Halse.  Hier  hinter  dem  st  cl.  mast.  2  Drüsen  von  der  Grösse  einer 
Mandel,  hart,  sehr  empfindlich  bei  Druck.  Am  hinteren  Bande  des 
linken  Kopfhickers  mehrere  kleinere,  geschwellte,  aber  nicht  empfind- 
liche Drüsen.  Mitti^^  Temp.  88,8,  dann  38,2.  Abends  37,0.  Sonst 
Alles  normal. 

10.  Jan.  Temp.  normal,  Allgemeinbefinden  gut,  Drüsen  ziemlich 
onvei&ndert.    Sonst  nichts  Krankhaftes  nachzuweisen« 

Patientin  nicht  weiter  gesehen. 

Fall  9.  M.  V„  8y.  jähriges  Mädchen,  erkrankte  am  8.  März  1893 
ohne  Vorboten  mit  Fieoer  und  heftigen  Kopfschmerzen.  Temp.  Mit- 
taj^  38,6,  Abends  39,4.  Bis  auf  leichte  Röthe  der  chronisch  hypertro- 
phischen Tonsillen  und  leicht  belegte  Znnge  war  nichts  Besonderes  nach- 
saweisen.  Am  nächsten  Tage  Klagen  über  Schmerzen  im  Halse  äusserlich 
Hei  Bewegungen  des  Kop^s  und  Berührung;  beiderseits  am  hinteren 
Bande  des  mute.  st.  cL  m.  geschwellte,  druckempfindliche  Drüsen.  Die 
heftigen  Kopfschmerzen  hielten  an.  Die  Schmerzen  der  rechten  Hals- 
seite waren  ärger  als  linkerseits,  zugleich  bildete  sich  rechter  Torti- 
collis  aus.  Die  geringsten  Versuche,  den  Kopf  nach  links  zu  wenden, 
waren  sehr  schmerzhaft.    Innere  Organe  normal. 

Unter  Antipyringebrauch   (0,4   mehrere  Male   am   Tag)   ging   die 


26 


K.  HoerschelioanD: 


Temp.  herunter;  jedoch  halten  Kopfschmerzen  nnd  TorticoUifi  noch 
an,  ehenso  sind  die  Drüsen  am  hinteren  Bande  der  mnacali  si  d.  m. 
noch  recht  empfindlich« 

Seit  dem  14.  Man  keine  KopfschmerseD,  Temp.  so  gnt  wie  normal, 
TorticoUis  gerineer,  Bewegungen  des  Kopfes  freier.  Jeisä,  deutlich  nach- 
zuweisen eine  bedeutend  geschwellte,  sehr  empfindliche  Drüse  unter 
und  Tor  dem  oberen  y,  des  rechten  st.  cl.  m.,  sowie  kleinere  Drüsen 
an  seinem  hinteren  Rande. 

Bis  zum  18.  März  hatten  die  Drüsen  bedeutend  an  GrOsse  und  Em- 
pfindlichkeit abgenommen,   der  Kopf  wird   frei  bewegt,  jedoch  noch 


Fall  9.   März  1898. 


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etwas  nach  rechts  gebeugt  gehalten.  Temp.  Morgens  normal  87,0,  Vor- 
mittags Klagen  über  heftige  Schmerzen  im  rechten  Ohr;  zugleich  Auf- 
treten von  einer  Keihe  geschwellter,  sehr  empfindlicher  Drüsen  am  hin- 
teren Bande  des  linken  st.  cl.  m.     Temp.  89,0—39,0. 

19.  März.  In  der  Nacht  Eiterausfluss  aus  dem  rechten  Ohr,  worauf 
Schmerzen  nachlassen.    Temp.  87,1—87,8—38,7. 

Während  die  Temperatur  noch  am  folgenden  Tage  bis  auf  38,6 
stieg,  war  das  Ohr  bei  Druck  nur  sehr  wenig  empfindlich,  wohl  aber 
hielt  die  Schwellung  und  Empfindlichkeit  der  linken  Drüsen  noch  an. 
In  den  nächsten  Tagen  Hessen  alle  Erscheinungen  nach,  die  Tem- 
peratur war  normal,  Ausfluss  aus  dem  Ohr  gering,  Druckempfindlich- 
keit des  Ohres  und  der  Drüsen  schwand,  leUtere  kehrten  langsam  zur 
Norm  zurück,  während  der  eitrige  Ausfluss  aus  dem  Ohr  unter  Bor- 
säureausspritzungen Terhältnissmässig  schnell  sich  gab.  Allgemein- 
befinden gut. 


Cunistiicher  Beitrag  inr  Frage  v.  Drttseiifieber  (Emil  Pfeiffer).    27 


TeiDp.  8.  Man               38,6     39,4. 

16.  Uän 

37,1 

37,3 

37,8. 

9.       „      39,1       39,4      40,0. 

16.     „ 

86,8 

37,6 

87.7. 

10.       „      38,7*     38,4      S8,6*. 

17.     „ 

36,8 

36,5 

36,9. 

11.       „      37,8*     87.6      37,0*. 

18.    „ 

37,0 

39,0 

39.0. 

12.       „      38,3«     37,6*   37,8. 

19.     „ 

37,1 

87,8 

38,7. 

18.       „      37,5       81,6      37,8. 

20.     „ 

37,4 

88,0 

38,6. 

H.       „                    87,3      87,7. 

21.     „ 

37,0 

37,0 

normal 

Die  •  bedeoten  Gaben  Tot 

AotipyriD 

0,12. 

Fall  10.  H.  V.,  7  Jalire  alter  Brader  der  Torigeo,  erkrankte  am 
15.  Hän  Morgens  mit  befligen  Kopfs cbmeraen ,  Froat  nnd  Hitse,  «in- 
■nal  Erbrecben.  Klagen  Qber  Schmerzen  des  Haltes  änsseilich  bei  Be- 
wegodgen,  nicbt  beim  ScbluckeD.  Beiderseits  die  Drüseu  im  Winkel 
tviscben  it.  cl.  m.  and  Kiefer  geschwellt  nnd  recht  dmckempfindlich. 
ÜoDit  nichts  Dachsn weisen.    Rainen  nicht  gerOthet,  kein  Schnupfen. 

Die  heftigen  Kopfschmenien  hielten  an,  es  trat  fQr  kurze  Zeit 
trockener  Hosten  nad  etwas  nabelnde  Sprache  auf.     Die  Drfiaen  hielten 

*ii  FkU  10.    Mära  1893.  Fall  11.    März  1893. 


■ich  einige  Tage  wie  am  Anfang,  Husten  war  nicht  Torhanden,  dagegen 
tinmal  Klage  Qber  Dmckempflndlicblieit  des  Leibes  iwischen  Nabel 
um]  Symphyse.  Bald  liessen  die  Kopfachmenen  nach,  die  Temp.  kehrte 
im  Norm  Earflck,  Schwellung  nnd  Empfindlichkeit  der  DrOsen  gab  sich 
and  in  knrser  Zeit  war  Fat.  gesnnd. 

Temp.  IS.  Hüte  38,7     88,9     38,6         18.  M&rz    37,8     38        88,2. 

16.  „      39,1     39,1     39,6         1».      „        37,3     37,4     37,3. 

17.  „      88,8     87,6     87,8         SO.      „       87,0     37,3     36,5. 

Fall  11.  R.  T.,  4  Jahre  alt,  Bruder  des  vorigen,  erkrankte  in 
der  Nacht  vom  14.  aof  den  15.  März.  Bei  ihm  Hessen  sieb  bei  einer 
froheren  Untersuchung  die  Cervicaldrüseu  als  etwas  vergrOesert,  jedoch 
■bwlot  schmerzlos  nachweisen. 


28  E-  HoencbelmanD: 

Heftige  KopfichmeneD ,  Dmckempfindlichkeit  de«  Leibe»  iwiichen 
Sympbjie  and  Nabel,  tot  Allem  aber  beidersaita  un  binteren  Rande 
dei  iL  cl.  m.  Die  DrQecn  geicbwellt,  bit  baBeluDMgroaa,  lehr  empfind- 
lich.   Stahl  tTfiffe. 

El  trat  nocb  am  folgeoden  Tage  leichte  BOthe  dei  BacbenB,  lebr 
unbedentender  trockener  Scbnapfen  aa£  Klagen  Aber  Leibachmenen 
■poutau.     Die  Eopfachmenen  hielten  an. 

Am  dritten  Tage  lieuen  die  DrSseu  am  hinteren  Rande  dea  m.  et. 
cl.  m.  dentlichea  AbBchwellen  and  geringer«  EmpSndlichkeit  erkennen, 
w&hrend  nun  aoch  die  Drüwn  anter  und  Tor  dem  oberen  '/■  der  mnscali 
lt.  cl.  m.  beiderseib  stark  getchwetlt  and  empfindlich  waren.  Leib  auf- 
getrieben, Bchmenhaft,  Tiel  Gaae.    Kein  Sohnapfen  und  Hosten. 

Nun  lieuen  alle  Encheinnngen  nacb,  die  Temp.  war  and  blieb 
normal,  die  DrOsen  schwollen  ab,  waren  kanm  mehr  empGadlieh;  daa 
Allgemeinbefinden  war  gut  and  der  Knabe  bald  ToUkommen  geneeen. 

Temp.  16.  H&n  S9,0    39,4    39,6. 

16.  „      38.0     9B.7     39,4. 

17.  „      88,6     38,0     87,0. 

Fall  IS.  A.  L.,  ISj&hrigea  anUmischee,  etwaa  nerrftaes  HUcben; 
erkrankte  mit  Eopfschmersen,  Froat  und  Uitie. 

11.  Härx.  Horgeui  Temp.  38,1.  Schinenen  bei  Bewegongen  dea 
Eopres,  Uebelkeit,  doch  kein  Erbrechen.    Abends  Temp.  89,1. 

Aach  hier  waren   es   hanptaächlich   die  Drflaen   vor  and   nnter  dem 

Kopfnicker,  iowio  die  am  binteren  Hände  des  rechten  Muakela,  die  an- 

achwollen  und  druckempfindlich  waren  bei  Fehlen 

Fall  12>  eonatiger   krankhafter   Erscheinungen.     Temp.   am 

Man  1893  ^^-  ^^^  3^>^>    ^^'^'   ^^•*>  ^^fi-     ^'''   '''emp.  fiel 

schon  am  uilchBten  Tag  bia  rar  Norm,  die  Drfisen 

nahinen    an    Schwellang    und   Kmpfindlichkeit   ab, 

bis  Eum  86.  H&ra  war  an  Fat.  noeh   eine   gewioae 

Mattigkeit  und  Appetitlosigkeit  la  bemerken,  dann 

kam  die  Erholung  achneller. 

Am  29.  HKrx  wieder  in  die  Familie  gebeten, 
fand  ich  die  Drüaen  wohl  noch  etwas  geacbwellt, 
jedoch  gani  achmenloa. 

Am  19.  Hart  hatte  die  kleine  4  jUir.  Schwester 
D.  aber  Schmerzen  im  linken  Ohr  geklagt.  Die 
Hutter  hatte  anch  bei  ihr  geacbwellte  and  em- 
pfindliche Drfiaen  am  Holae  nachweiaen  kOnnen, 
das  Fieber  hielt  sich  einige  Tace  nm  S8,B.  In 
wenigen  Tagen  trat  Tfitligea  Wohlbefinden  ein. 

Am  84.  Man  fühlte  die  Hutter  der  Kinder 
aioh  aehr  unwohl;  Kopfacbmeraen,  Fieber,  Nacken- 
lohmerzen,  deasleicben  Schmenen  bei  Bewegungen 
dea   Kopfes    mit   in   das   linke   Ohr  anastrahlenden 

Schmenen.    Die  Fr»a  ist  sehr  corpalent,  hat  einen 

karten,  fleischigen  Hala,  eodaaa  ich  am  89.  Harr 
keine  Drfiaen  nachweiaen,  wohl  aber  noch  leichte  Druckempfindlichkeit 
vor  and  hinter  den  moacnli  at.  cl.  m.  conatatiren  konnte. 

In  der  Nacht  vom  36.  M&n  auf  den  S6.  erkrankte  die  9j&hrige 
Tochter  M.  L.  mit  Koprachmerseo  und  starkem  Fieber.  Die  Temp.  Im- 
trog  am  Se.  M&n  SSfi  ,  in  welcher  Hohe  aie  sich  den  Tag  über  hielt; 
die  Fat.  klagte  über  Schmerzen  bei  Bewegongen  dea  Kopfes,  aowie  bei 
Druck  aaf  die  &uaaeren  Halspartien.  Da  ich  am  89.  H&ra  noch  ge- 
acbwellte und  empfindliche  Drüsen  beiderseits  unter  dem  m.  st  cl.  m. 
und  am  hinteren  Bande  dea  rechten  Uuakela  nachweisen  konnte,  han- 


CuiÜBtücher  Beitrag  zur  Frage  r.  Drüsenfieber  (Emil  Pfeiffer). 


Fall  IS.  April  1808.  Fall  15.    April— Mai  1893. 


Fall  14.    April  1893.  FaU  16.    Um  189S. 


tn  den   FülleD  13,    14,   16  and   IB   handelte   es   ucb   am   ner 
Gacbwirter,  von  denen  der  ISjlbrige  A.  F.  am  Abend  des  16.  Mira 


30  £.  HoerschelmanD : 

erkrankte,  E.  P.,  10  Jahre  alt,  in  der  Nacht  vom  26.  anf  den  27.  M&rz, 
die  Schwester  E.  P.,  7  Jahre  alt,  in  der  Nacht  vom  27.  anf  den  28.  M&rz, 
der  14  jährige  Brnder  A.  P.  am  1.  Mai.  Die  drei  ersten  Fälle  haben 
nichts  Besonderes  aufzuweisen,  es  handelte  sich  wieder  nm  die  um  den 
m.  st.  cl.  m.  gelegenen  Drflsen,  indem  es  bald  die  vor  und  nnter  ihm, 
bald  die  am  hinteren  Rande  waren,  die  anschwollen  und  empfindlich 
wurden.  Die  Temp.  hielt  sich  2 — 3  Tage  auf  verschiedener  Hohe,  beim 
10  jährigen  Knaben  stieg  sie  auf  40,5.  Das  Madchen  hatte  einige  Male 
starkes  Nasenbluten.  In  dem  letzten  Fall  handelte  es  sich  neben  der 
Drasenaffection  um  doppelseitige  Parotitis.  Obgleich  von  Anfang  an 
die  Gegend  der  Parotis  linkerseits  leicht  empfindlich  und  geschwellt 
war,  trat  die  stärki<te  Schwellung  erst  am  6.  Mai  auf,  nachdem  die 
Temp.  am  2.  Mai  39,2,  39,2,  39,8,  39,8  betragen  hatte,  am  3.  Mai  37,8, 
37,5,  37,5,  37,7  und  von  da  ab  normal  war  und  der  Process  in  den 
DrQsen  schon  am  4.  Mai  anfing  abzuklingen,  indem  hier  die  Empfind- 
lichkeit schon  geringer  war.  In  den  drei  ersten  Fällen  trat  in  wenigen 
Tagen,  im  letzteren  Falle  in  etwas  längerer  Zeit  Genesung  ein« 

Abgesehen  von  besonderen  therapeutischen  Maassnahmen  bestand 
in  allen,  so  zu  sagen  schnlgerechten  Fällen  die  Behandlung  in  inner- 
licher Darreichung  von  Natr.  salicyl.  und  äusserer  Anwendung  von 
Compr.  echauff.  oder  Massage,  Bettruhe.  Nach  Nothwendigkeit  wurden 
Abfflnrmittel  verabfolgt,  Diät  beobachtet;  in  drei  Fällen  Antipyrin  ver- 
sucht. 


Gehe  ich  nun  zur  Besprechung  der  einzelnen  Erankeits- 
geschichten  über^  so  mochte  ich  mit  Fall  2  anfangen. 

Bei  der  Erkrankung  des  vierjährigen  Kindes  sticht  als 
Hauptsymptom  das  ca.  achttägige  Fieber  mit  gleichzeitiger 
Schwellung  und  Empfindlichkeit  der  Halsdrüsen  hervor.  Diese 
beiden  Symptome,  die  in  innigem  Zusammenhang  mit  ein- 
ander stehen,  vrie  er  sich  bei  Ergriffen  werden  einer  neuen 
Gruppe  von  Drüsen  in  gleichzeitiger  Temperatursteigerang 
ausspricht,  so  z.  B.  am  7.  und  8.  December,  beherrschen  so 
sehr  das  Bild  der  Krankheit,  dass  wir  sie  als  das  Wesent- 
liche derselben  auffassen  müssen.  Die  Erscheinungen  yon 
Seiten  des  Rachens  waren  die  ganze  Zeit  über  so  geringe, 
dass  sie  wohl  kaum  das  Fieber  hervorrufen  und  nicht  ein- 
mal als  Angina  aufgefasst  werden  konnten^).  Herz  und  Lungen 
waren  die  ganze  Zeit  normal,  die  Verdauung  nicht  wesent- 
lich gestört  Vergrösserung  von  Leber  und  Milz  gehören 
zum  Bild  der  uns  beschäftigenden  Krankheitsform,  die  Func- 
tion der  Nieren  war  normal. 
» 

Ein  leichtes  typhöses  Leiden,  sowie  Angina,  Diphtheritis, 
Influenza  lassen  sich  wohl  ohne  Weiteres  ausschliessen.  Da 
ich  aber  den  Fall  in  keinem  der  uns  bekannten  Krankheits- 


1)  Ob  und  welch  eine  Bedeutung  den  kleinen,  auf  den  im  Uebrigen 
normalen  Tonsillen  sitzenden  weissen  Fleckchen  zuzusprechen  ist,  ist 
schwer  zu  entscheiden  und  lasse  ich  dahingestellt. 


Casaistischer  Beitrag  znr  Frage  y.  Drosenfieber  (Emil  Pfeiffer).    31 

bilder   nnterbriDgen    kann^    mochte    ich    ihn    wohl    den    von 
Pfeiffer  mitgeläeilten  Fällen  anreihen. 

In  Fall  1  hatte  die  acute  Enteritis  wohl  kaum  einen 
direcien  Zusammenhang  mit  der  Drüsenaffection,  Fall  3  u.  4 
weisen  nichts  Besonderes  auf.  Ob  in  Fall  5  das  Exanthem, 
dessen  Charakter  schwer  zu  bestimmen  war^  mit  dem  Drüsen- 
leiden in  Zusammenhang  stand  oder  nicht,  ist  schwer  zu 
sagen.  Auch  Heubner^  erwähnt  eines  Falles,  in  dem  am 
dritten  Tag  der  Erkrankung  ein  Exanthem  auftrat,  das  mit 
Unterbrechungen  vier  Tage  anhielt  und  das  mehr  Urticaria 
als  Scarlatina^  Morbillen  oder  Rubeola  ähnelte. 

Am  complicirtesten  und  schwersten  war  der  Verlauf  in 
Fall  7. 

Die  Berechtigung,  auch  diesen  Fall  den  Pfeifferschen 
zurechnen  zu  dürfen,  glaube  ich  in  dem  Umstände  zu  finden, 
dass  die  ersten  acht  Tage  der  Erkrankung  ausser  der  charak- 
teristischen Drüsenaffection  mit  dem  begleitenden  Fieber  an 
dem  Fat.  kaum  etwas  Abnormes  nachzuweisen  war,  femer, 
dass  dieser  Process  in  den  Drüsen  auch  noch  weiterhin,  nach- 
dem die  Complicationen  zum  Theil  schon  abgelaufen,  zum 
Theil  neue  aufgetreten  waren,  immer  fortspielte«  Die  voll- 
ständige Abwesenheit  einer  irgendwie  wesentlichen  Erkran- 
kmig  des  Rachens  schliesst  eine  secundäre  Erkrankung  der 
Drasen  aus.  Für  ein  tiefer  greifendes,  primäres  Ergriffensein 
des  Nasenrachenraums  fanden  sich  absolut  keine  Anhalts- 
punkte; Scarlatina  konnte,  trotz  der  folgenden  Nephritis,  mit 
Sicherheit  ausgeschlossen  werden,  da  nichts  zur  Annahme  des- 
selben berechtigte-,  endlich  findet  der  vorliegende  Fall  eine 
Analogie  in  den  als  Drüsenfieber  beschriebenen  Fällen  von 
Heubner,  v.  Star&k  und  Rauchfuss. 

In  Fall  9  sind  erwähnenswerth  die  sehr  heftigen  Kopf- 
schmerzen, die  Otitis  med*  suppur.  und  der  TorticoUis.  Ob 
die  Temperatursteigerung  am  18.  März,  sowie  die  noch  er- 
höhte Temperatur  am  19.  und  20.  März  auf  die  Otitis  oder 
auf  die  neue  Anschwellung  der  Drüsen  auf  der  linken  Seite 
zu  beziehen  sind,  lässt  sich  schwer  entscheiden.  Bei  dem 
starken  Anstieg  der  Temperatur  am  18.  März  von  37,0  auf 
39,0  spielt  wohl  die  Otitis  die  Hauptrolle,  jedoch  möchte  ich 
die  erhöhte  Temperatur  an  den  zwei  folgenden  Tagen  mehr 
auf  die  Drüsenschwellung  beziehen,  da  der  eitrige  Ausfluss 
ans  dem  Ohre  bereits  in  der  Nacht  vom  18.  auf  den  19.  März 
sich  eingestellt  hatte. 

Fall  10  und  11  waren  die  einzigen,  in  welchen  präcise 


1)  1.  c.  S.  267. 


32  £•  Hoenchelmann : 

Druckempfiüdlichkeit  des  Leibes  zwischen  Nabel  und  Sym- 
physe angegeben  wurde^  wie  Pfeiffer  es  betont. 

In  Fall  16  ist  die  complicirende  Parotitis  zu  erwähnen. 

Aus  meinen  ausführlichen,  an  den  Krankenbetten  ge- 
machten Notizen  ergiebt  sich,  dass,  abgesehen  Yon  der  allen 
Fällen  zukommenden  Anschwellung  uad  Schmerzhaffcigkeit  der 
Drüsen,  sowie  dem  Fieber,  am  häufigsten  Constipation^) 
(13  Fälle),  belegte  Zunge  (13  Fälle)  und  Klagen  über  schmerz- 
hafte Bewegungen  des  Kopfes  (13  Fälle)  vorkamen;  in  zweiter 
Linie  standen  leichte  ßachenaffectionen  (11  Falle),  sowie  Kopf- 
schmerzen (10  Fälle),  dann  folgen  Erbrechen  (7  Fälle),  Husten 
(7  Fälle),  Leibschmerzen  (5  Fälle)  und  Uebelkeit  (4  FäUe); 
gleichfalls  in  nur  4  Fällen  waren  Leber  und  Milz  vergrossert. 

Fasse  ich  nun  zum  Schluss  die  von  mir  mitgetheilten 
Krankheitsgeschichten  zusammen,  so  handelt  es  sich  in  allen 
als  erstes  und  überhaupt  als  Hauptsymptom,  wie  Pfeiffer 
es  angiebt,  um  eine  mit  mehr  oder  weniger  hoher  Temperatur 
einhergehende  Schwellung  und  Empfindlichkeit  der  Halsdrüsen, 
vornehmlich  der  vor,  unter  und  hinter  den  Kopfnickern  ge- 
legenen. In  den  leichten  Fällen  der  Erkrankung  bleibt  es, 
abgesehen  von  unwesentlichen  Nebenerscheinungen,  wie  Kopf- 
schmerz, Uebelkeit  mit  oder  ohne  Erbrechen  und  träger  Ver- 
dauung, bei  diesen  hervorstechenden  Symptomen.  Das  Fieber 
währt  nur  wenige  Stunden  oder  Tage,  die  Empfindlichkeit 
der  Drüsen  lässt  bald  nach  und  mit  dem  schnelleren  oder 
langsameren  Abschwellen  der  vergrosserten  Drüsen  ist  der 
Krankheitsprocess  abgelaufen.  Zu  dieser  Kategorie  der  Krank- 
heit möchte  ich  rechnen  Fall  1,  4,  6,  8,  10,  11,  12,  13, 
14,  15. 

In  einer  zweiten  Reihe  von  Fällen,  die  ich  als  mittel- 
schwere bezeichnen  mochte,  handelt  es  sich  nm  längere 
Zeitdauer  der  Krankheit,  innerhalb  welcher  die  betreffenden 
Drüsen  in  verschiedenen  Gruppen  anschwellen,  empfindlich 
bleiben  und  im  Zusammenhang  damit  das  Fieber  auch  länger 
anhält.  Letzteres  nimmt  hier  einen  mehr  remittirenden  Cha- 
rakter an,  entsprechend  dem  Abspielen  des  Processes  in  den 
zuerst  ergriffenen  Drüsen  fällt  die  Temperatur  ab,  um  dann 
mit  dem  Ergriffenwerden  von  anderen  Drüsen  wieder  anzu- 
steigen (die  von  Pfeiffer  angeführten  Nachschübe).  Dabei 
ist  es  nicht  ausgeschlossen,  dass  Drüsen,  die  bereits  abge- 
schwollen und  weniger  oder  garnicht  empfindlich  geworden 
waren,  aufs  Neue  wieder  anschwellen  und  empfindlicher  werden. 


1)  In  allen  v.  Starck'Bchen  Füllen  litten  die  Kinder  an  chronischer 
Obstipation  cf.  1.  c. 


IT 


Caetiisiischer  Beitrag  zur  Frage  v.  Drüsenfieber  (Emil  Pfeiffer).    33 

Auch  mit  leichteren  Complicationen  combinirte  Fälle  würde 
ich  hierher  rechneD.  Von  meinen  Fällen  könnte  man  zu 
dieser  Kategorie  zählen  Fall  2,  d,  5,  9  und  16. 

Zur  dritten  Gruppe  endlich,  zu  den  schweren  Fällen, 
gehört  Fall  7. 

Der  Beginn  der  Krankheit  scheint  meist  ein  plötzlicher, 
ohne  Vorhoten,  zu  sein,  desgleichen  scheint  die  Temperatur 
in  den  uncomplicirten  Fällen  meist  steil  abzufallen,  öfters 
unter  die  Norm. 

Auffallend  ist  das  subjective  Wohlbefinden  der  kleinen 
Patienten  selbst  bei  anhaltend  und  länger  dauernder  hoher 
Temperatur^  wie  es  besonders  deutlich  hervorgeht  aus  Fall  2. 

Auch  ich  möchte,  übereinstimmend  mit  Bauchfuss,  auf- 
merksam machen  auf  die  geringe  Affection  der  Nasen-  und 
Rachenorgane,  die  in  gar  keinem  Verhältniss  vteht  zur  ver- 
breiteten und  intensiven  Erkrankung  der  Drüsen. 

Ich  habe  es  leider  bisher  versäumt  hei  den  verschiedenen 
Formen  von  Angina,  sowie  bei  Diphtheritis  speciell  auf  die, 
wie  es  scheint,  in  unseren  Fällen  eine  besondere  Bolle  spie- 
lenden glandulae  cervicales  superficiales  meine  Aufmerksam- 
keit zu  richten.  In  dieser  Beziehung  habe  ich  wenig  in  der 
Literatur  finden  können.  Bauchfuss  negirt  in  seiner  oben 
angeführten  Mittheilung  das  Ergriffenwerden  dieser  Drüsen 
bei  Anginen  und  Diptheritis.  Nach  Kohts^)  sind  bei  An- 
schwellung der  Mandeln  die  subma:xillaren  Lymphdrüsen  meist 
in  Mitleidenschaft  gezogen;  dieselben  sind  schmerzhaft  und 
mehr  oder  weniger  geschwellt.  Die  Lymphdrüsen  des  Cer- 
vicalstranges  sind  oft  geschwellt  und  auf  Druck  schmerzhaft 
(Cap.:  Pharyngitis  acuta  und  Tonsillitis).  Bei  Betropharyn- 
gealabscess  wird  der  Cervicaldrüsen  nicht  erwähnt,  obwohl 
ja  die  Vaaa  eCTerentia  der  Glandulae  retrophar.  zu  den  Glan- 
dulae cervicales  führen. 

Bei  Bouchut^)  heisst  es  im  Capitel  Angina  pharyngea: 
„Dabei  sind  die  Drüsen  des  Halses  und  am  Winkel  des  Unter- 
kiefers meist  geschwollen  und  schmerzhaft  bei  Druck."  Nach 
d'Espine  und  Picot^)  sind  die  Cervicaldrüsen  bei  Pharyn- 
gitis und  Tonsillitis  acuta  oft  angeschwollen.  Uffelmann'^) 
sagt  bei  der  Entzündung  der  Mandeln:  „Auch  die  Berührung 
der  Mandelgegend  von  aussen  macht  Schmerzen,  man  trifft 
hier  die  etwas  geschwellten  Lymphdrüsen^.  Henoch^),  Vogel ^), 

1)  Gerhardt,   Handbach  der  Einderkrankheiten  1880,  Bd.  IV. 

2)  Handbuch  der  Kinderkrankheiten,  II.  Aufl. 

3)  Grundriss  der  Einderkrankheiten. 

4)  Kurz  gefasstes  Handbach  der  Einderheilkunde  1893. 
6)  Einderkrankheiten. 

6)  Lehrbuch  der  Einderkrankheiten,  IV.  Aufl. 

Jahrbuch  £  Kinderhoükimde.   K.  F.  XXXYIII  3 


34  S>  HoerschelmanD: 

* 

Gerhardt^),  Steiner*)  und  Baginsky')  erwähnen  die  Cer- 
vicaldrüsen  überhaupt  nicht;  auch  bei  jenen  ersten  Autoren 
handelt  es  sich  ja  immer  um  intensive  entzündliche  Processe 
im  Rachen  in  erster  Linie  und  werden  die  Drüsen  nur  bei- 
läufig erwähnt 

Wo  man  die  Eingangspforte  für  den  Infectionserreger  zu 
suchen  hat,  ist  schwer  zu  sagen,  da  die  gland.  cervical.  superf. 
ihre  vasa  afferentia  aus  den  gland.  auricul.  ant.  et  post,  den 
gland.  faciales  profund.,  den  gland.  submax.  und  den  gland. 
retrophar.  beziehen.  Für  die  Mundhohle  neben  vielleicht  noch 
anderen  Stellen  spricht  das  öftere  Ergriffensein  der  gland. 
submax.,  welche  ja  die  Saugadern  des  Bodens  der  Mundhohle, 
der  Zunge  und  der  Weichtheile  des  Gesichts  aufnehmen.  Gegen 
den  Nasenrachenraum  als  Eingangspforte  konnte  vielleicht*  die 
Abwesenheit  von  nachweislich  stärkerem  Ergriffensein  des- 
selben sprechen:  dem  entsprechend  finde  ich  in  meinen  Notizen 
auch  nur  in  vier  Fällen  Schnupfen  erwähnt. 

In  keinem  Fall  habe  ich  Periadenitis  oder  Vereiterung 
der  Drüsen  beobachtet,  stets  waren  die  vergrosserten  Drüsen 
leicht  beweglich  und  scharf  abzugrenzen. 

Was  den  Schmerz  im  Leibe  betrifft,  wie  Pfeiffer  ihn 
in  die  Mitte  zwischen  Nabel  und  Symphyse  verlegt,  wie  er 
auch  von  Rauahfuss  und  Protassow  in  einem  der  ange- 
führten Fälle  angegeben  wird,  so  mochte  ich  ihm  keine  Be- 
deutung beilegen,  da  ich  ihn  nur  in  zwei  Fällen  beobachtet 
habe  und  es  sich  zudem  in  dem  zweiten  Falle  um  einen 
kleinen  sehr  geföhrlichen  Pat.  handelte. 

Da  es  sich  in  fast  allen  Fällen  um  Hausepidemien  han- 
delte, lassen  sich  aus  den  Erkrankungen  auch  Schlüsse  auf 
die  Incubationsdauer  der  Krankheit  ziehen.  Es  stellt  sich 
nun  heraus,  dass  diese  Zeit  in  ziemlich  bedeutenden  Grenzen 
schwankt.  Zwischen  der  Erkrankung  meiner  beiden  ersten 
Kinder  (Fall  1  u.  2)  und  der  der  Geschwister  mögen  10 
bis  12  Tage  vergangen  sein.  Bei  den  Geschwistern  J.  (Fall  6 
u.  8)  lag  ein  Monat  zwischen  den  Erkrankungen,  bei  den 
Geschwistern  V.  zwischen  Erkrankung  der  Schwester  (Fall  9) 
und  der  der  Brüder  (Fall  10  u.  11)  8  Tage;  in  der  Familie  L. 
(Fall  12)  betrug  die  Zeit  5—10  Tage,  endlich  in  der  Familie  P. 
zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Fall  10,  zwischen  dem  ersten 
und  letzten  Fall  15  Tage.  Da  die  Möglichkeit  nicht  von  der 
Hand  zu  weisen  ist,  dass  in  Fall  8  es  sich  um  eine  ganz 
neue  Infection,  unabhängig  von  der  Erkrankung  des  Bruders, 


1)  Lehrbuch  der  Kinderkrankheiten  in.  Anfl. 

2)  Compendium  der  Einderkrankheiten,  III.  Aufl. 

3)  Lehrbuch  der  Kinderkrankheiten  ISSS. 


d 


Casuistischer  Beitrag  zar  Frage  v.  Drüsenfieber  (Emil  Pfeiffer).    35 

bandelte^  duss  ferner  der  Knabe  in  Fall  IG  sich  yielleicht 
nicht  gleich  in  den  ersten  Tagen  der  Erkrankung  des  Bruders 
(Fall  13)  von  diesem  inficirt  hat,  so  würde  ich  die  In- 
cobationsdauer  der  Krankheit  auf  8 — 10  Tage  festsetzen  mit 
etwaigen  Grenzen  von  5 — 15  Tagen.  ^) 

Endlich  muss  ich  noch  anführen,  dass  auch  in  den  leich- 
ten Fällen  fast  immer  nach  Schwinden  des  Fiebers  und  der 
Empfindlichkeit  der  Drüsen  —  die  Schwellung  derselben  geht 
Tiel  langsamer  zurück  — y  eine  gewisse  Mattigkeit  und  Anämie 
zurückzubleiben  scheinen,  wie  ich  es  wenigstens  bei  meinen 
Kindern  gesehen  habe  und  es  auch  von  den  anderen  Autoren 
angegeben  wird. 

Dass  es  sich  nm  eine  Infectionskrankheit  yerhältniss- 
mässig  leichten  Grades  handelt,  dafür  scheint  mir,  abgesehen 
Yom  Verlauf,  ganz  besonders  der  Umstand  zu  sprechen,  dass 
es  sich  in  meinen  16  Fällen,  mit  Ausnahme  von  nur  zweien 
(Fall  3  und  7),  wie  gesagt,  um  Hausepidemien  handelt. 
Bei  der,  wie  es  scheint,  im  Ganzen  leichten  Erkrankungsform 
muss  doch  das  Vorkommen  derartiger  Fälle,  wie  Fall  7, 
zur  Vorsicht  mahnen. 

Was  nun  die  Behandlung  betrifft,  so  scheinen  Arzneien 
nicht  yiel  Einfluss  auf  den  Krankheitsprocess  in  Betreff  der 
Dauer  und  Intensität  auszuüben,  ebenso  wenig  Compressen 
nnd  Oeleinreibungen  (Massage).  Es  hat  auf  mich  den  Ein- 
druck gemacht,  als  ob  Compressen  (compr.  echauff.)  doch  noch 
am  besten  wirken,  indem  sie  den  kleinen  Patienten  angenehm 
sind  und,  wie  es  scheint,  die  Schmerzhaftigkeit  der  Drüsen 
herabsetzen. 

Sieht  man  die  Temperatur-Cunren  an,  so  konnte  es  bei- 
nahe scheinen,  als  ob  der  Verlauf  durch  Antipyrin  abgekürzt 
würde;  jedenfalls  würde  es  sich  empfehlen,  in  ähnlichen  Fällen 
dasselbe  in  Anwendung  zu  bringen.  Im  Uebrigen  aber  will 
es  mir  scheinen,  dass  die  Krankheit  eine  gewisse  Zeit  er- 
fordert, um  dann,  entsprechend  der  schwächeren  oder  stär- 
keren Infection,  in  kürzerer  oder  längerer  Zeit  von  selbst  in 
Genesung  überzugehen. 

Das  bisher  noch  so  geringe  Beobachtungsmaterial  reicht 
noch  nicht  aus  und  ist  noch  zu  lückenhaft,  um  daraufhin  die 
Eigenartigkeit  der  Krankheit  sicher  zu  stellen;  jedoch  dürf- 
ten die  von  mir  mitgetheilten  Fälle  im  Verein  mit  den  früher 
bekannt  gegebenen  dieser  Ansicht  zur  Stütze  dienen,  wobei 


1)  In  den  von  Pfeiffer  mitgetheilten  Fällen  lagen  zwischen  Er* 
krankong  des  ersten  nnd  des  andern  Kindes  10  resp.  16  Tage.  In  den 
Rauch fnss^schen  Fällen  erkraokte  die  Schwester  am  4.  Fiebertage  des 
Bruders. 


36  £•  Hoerschelmann:  CasniBtiBcher  Beitrag  etc. 

ich  die  Aufmerksamkeit  ganz  besonders  auf  die  mit  Nephritis 
complicirten  Fälle  lenken  mochte ,  deren  mit  meinem  Fall  7 
bis  jetzt  5  Fälle  beschrieben  worden  sind:  von  Heubner  2, 
y.  Starcky  Ranchfuss  nnd  mir  je  1  Fall. 

Erwiese  sich  in  der  Znkmift ,  vielleicht  gestützt  auf  bac-* 
teriologische  Untersuchungen,  die  ich  zu  machen  nicht  in  der 
Lage  war,  diese  Annahme  über  das  Drüsenfieber  als  Erkran- 
kung sui  generis  als  richtig,  so  würden  die  Fälle  gewiss  ge- 
ringer werden,  in  denen  wir  uns  über  das  Wesen  einer  Krank- 
heit nicht  ganz  klar  geworden  sind  und  die,  um  das  Gewissen 
zu  beruhigen,  als  Influenza,  Febricula  etc.  bezeichnet  wurden. 


IIL 

Eine  Masern-  nnd  RKtlielnepideniie. 

Beobachtungen  aus  dem  Hospitale  der  Einderheilanstalt 

zu  Dresden. 

Von 

Dr.  Claus, 

ehem.  Asiiitent. 

Masern  und  Rothein  —  beide  Krankheiten  sind  für  den 
Beobachter  oft  genug  die  Veranlassung  gewesen,  die  Feder 
zum  Entwurf  ihres  klinischen  Bildes  in  die  Hand  zu  nehmen. 
Und  doch  kann  bis  jetzt  nur  dasjenige  der  Masern  als  im  Allge- 
meinen fertig  angesehen  werden,  während  das  Bild  der  Böthein 
noch  manches  an  Deutlichkeit  und  Klarheit  zu  wünschen 
übrig  lässt  Deshalb  dürfte  es  sich  trotz  der  früheren  reichen 
Arbeit  auch  jetzt  noch  empfehlen,  zum  Schaffen  eine^  vorwurfs- 
freien Gemäldes  y  zur  Fertigstellung  eines  abgeschlossenen 
Ganzen  Hilfe  zu  leisten. 

Diese  Ueberlegung,  vor  Allem  aber  die  Aufforderung  und 
Unterstützung  meines  hochverehrten  Lehrers  und  Chefs,  des 
Herrn  Hofrath  Dr.  Unruh,  sind  für  mich  die  Veranlassung 
gewesen,  die  während  der  vom  Winter  1892  bis  Sommer  1893 
anhaltenden  Dresdner  Masemepidemie  im  Hospitale  der  Kinder- 
heilanstalt  zu  Dresden-Altst.  gemachten  Erfahrungen  und  Be- 
obachtungen der  Oeffentlichkeit  zu  übergeben. 

L 

I.  Fall  1.  Am  26.  Januar  d.  J.  warde  der  dreijährige  Knabe  Otto 
Föcäter  aus  einer  Einderbewahranstalt,  in  der  bereits  Fälle  von  Masern 
Torgekommen  sein  sollten,  wegen  schwerer  Scrophulose  ins  Hospital, 
ond  zwar  wegen  gleichzeitig  bestehender  undentlicher  Angina  in  die 
Quarantainestatjon  aufgenommen.  Noch  am  27.  and  28.  Jan.  bestand  ge- 
nnges  Fieber  nnd  nndentliche  Angina,  da  aber  am  30.  Jan.  eine  An- 
steckangsgefabr  für  die  übrigen  Kinder  nicht  mehr  befi^rohtet  wurde, 
kam  Patient  zu  den  in  Station  IIa  (mittleres  Krankenzimmer  des  ersten 
Stockwerkes)   untergebrachten  chirurgischen  oder  nicht  infectiOsen  in- 


38 


Dr.  Claas: 


Deren  Kranken.  Hier  trat  nun  am  8.  Febr.  Abends  plötzlich  hofaeB 
Fieber  ein  und  die  Untersuchung  ergab  geringe  Angina,  aber  kein 
Gzanthem.  Fat.  wurde  wieder  nach  der  Quarantaine  gebracht  und  hier 
zeigte  flieh  am  10.  Febr.  ein  aus  kleineren  und  grösseren,  weniger  runden 
als  gezackten,  für  Masern  als  charakteristisch  beschriebenen  Flecken 
bestehendes  Exanthem,  das  sich  in  kurzer  Zeit  nicht  so  sehr  am  Ge- 
sicht als  auf  Brust  und  Nacken  verbreitete  und  hier  theil weise   con- 

T.   Fall  1. 

Februar  1893. 


fluirte.  Dazu  kam  stark  beschleunigter  Puls,  schwere  Conjunctivitis 
und  Bronchitis,  benommenes  Sensorinm.  Während  der  nächsten  drei 
Tage  bestanden  die  katarrhalischen  Erscheinungen  und  das  Exanthem 
fort,  am  14.  Febr.  aber  begann  das  letitere  abzablasseu.  In  den  fol- 
genden Tagen  zeigte  sich  eine  geringe  Abschuppnng,  in  den  nächsten 
Wochen  aber  stellten  sich  die  Symptome  einer  Miliartuberculose  ein, 
welche  nach  dem  am  20.  Mai  erfolgten  Tod  durch  die  Autopsie  be- 
stätigt wurde. 

Die  mindestens  IStägige  Incubationszeit  —  eine  Ansteckung  im 
Hause  war, 'da  keine  Masern-  oder  Rötheinkranken  vorhanden,  aus- 
geschlossen — ,  das  bereits  am  Ende  des  zweiten  Fiebertages  voll  ent- 
wickelte Exanthem  legte  die  Vermuthung  nahe,  dass  es  sich  um  einen 
durch  die  schwere  Scrophulose  veränderten  Fall  von  BOtheln  handeln 
könnte,  und  es  wurde  diese  Annahme  noch  bestärkt,  als  ohne  jedes 
vorhergegangene  Unwohlsein  die  Oberschwester  G.  (I.  Fall  2),  welche 
im  11.  Jahre  Masern  durchgemacht  und  in  der  Quarantaine  das  Kind 
Förster  gepflegt  hatte,  am  22.  Febr.  frflh  mit  einem  masemähnlichen 
bereits  Gesicht,  Rumpf  und  Extremitäten  einnehmenden,  während  der 
Nacht  entstandenen  Exanthem  erwachte,  welches  unter  massig  hohem 
Fieber  und  allmählichem  Erblassen  bis  26.  Februar  bestand. 

I.  Fall  3.  Schon  Tags  vorher,  am  21.  Febr.,  war  Schwester  U., 
welche  den  Knaben  Förster  auf  Station  IIa  bis  zum  Ausbruche  des 
hohen  Fiebers  und  der  verdächtigen  Angina  gepflegt  hatte,  wegen  eines 
masemähnlichen  Ausschlages  bettlägerig  geworden.  Dieselbe, '  welche 
als  Kind  ebenfalls  bereits  Masern  überstanden  hatte,  war  schon  einige 
Tage  vorher  nicht  ganz  wohl  gewesen.  Das  Exanthem  selbst,  das  ein 
massig  hohes  Fieber  bedingte,  begann  am  23.  Febr.  zu  erblassen  und 
war  am  25.  Febr.  bereits  vollkommen  verschwunden. 

Sprach  nun  bei  der  Annahme^  dass  eine  zweitmalige  Er- 
krankung an  Masern  etwas  sehr  Seltenes  sei,  in  beiden  Fällen 


Eine  MMSrn-  nud  ROthelaepidemle.  39 

die  Anamoese,  dazn  bei  der  Oberschwester  G.  das  plötzliche 
Erscheinen  des  Ausschlages  ftir  „Röthein",  so  war  doch 
aufßltig,  daas  sich  direct  an  das  Abblassen  des  Exanthems 
der  Schwester  G.  eine  zweitägige  starke  Urticaria  und  an  die 
Erkrankong  der  Schwester  U.  eine  langsame  ReconTalescenz 
und  eiae  unter  theilweise  hohem  Fieber  verlaufende  und  circa 
S  Tage  anhaltende  scorbntische  Affection  des  Zahnfleisches, 
bei  beides  aber  eine  nicht  unbeträchtliche  Abschuppnng  an- 
schloss.  Nicht  mehr  aufrecht  zu  erhalten  aber  war  die  erste 
Diagnose,  als  auf  die  drei  erwähnten  Fälle  noch  weitere  und 
theils  ziemlich  schwere  folgten,  deren  Krankengeschichte  ich 
zum  Theil  kurz  berichten  möchte. 

Zunächst  erkrankten  alle  fdnf  Kinder,  welche  mit  dem 
Knaben  Förster  zusammen  auf  Station  IIa  gelegen  hatten, 
und  zwar  zwei,  welche  Morbillen  noch  nicht  durch- 
t;emacht  hatten,  und  drei,  welche  laut  Anamnese 
bereits  darcbmasert  waren. 

I.  Fall  i.  Budoir  Hiehscb,  2  Jahre  alt,  anfgenommen  w^en 
Ftact  fem.  dextr.,  hat  mit  l'/^  Jabr  Keachhuaten  darchgemacbt  und 
ist  jetit  ein  hrUtiges,  woblentwickeltes  Eind.  Am  19.  Febr.  Deginn 
der  Prodrome.  Am  28.  Febr.  masemäbnlicbea  Ezaetbem  im  GeBicht, 
du  lieb  am  23.  Febr.  über  Brust,  Bauch  und  iieture  Eitremit&leD  aaa- 

1.    Fall  4. 

17.  Febraar  bü  9.  M&rz  1S93. 


breitet  Am  24.  Febr.  EzanUiem  im  Gesicht  schw&cher,  aoort  unver- 
ftndert  Am  Nachmittag  werden  anf  den  Banchdeohen  in  der  Gegend 
des  Nabele  mehrere  qner  verlanfende,  dem  Fingerdroek  nicht  weichende 
blanrothe  Hämorrbagien  sichtbar,  deren  Zahl  sieb  Abendi  noch  ver- 
mehrt Am  26.  Febr.  frtlh  ist  die  gante  Baacbgegend  nnd  die  Imien- 
leite  der  OberBcheukel  in  ein  groueB,  blanroth  gefUrbtAs  Feld  ver- 
wandelt, daa  durch  dicbt^drKDgte  Sagillate  dargestellt  wird.  Daneben 
beiteht  starke  Trockenheit  der  Lippen  und  der  Zunge,  starke  Corunnc- 
tivitii,  diffnae  Bronchitis,  rubrähnliche  Diarrhoe,  sehr  beschleunigter 
Pnli  (170 — IBO),  groue  Unrahe.  In  den  nächsten  Tagen  bessern  sich 
die  aobweren  BegleitevBcheinnngen  liemlich  rasch,  dagegen  verschwinden 
die  Hämorrhagien  nur  sehr  langsam.  Dieselben  machen  aber  scheinbar 
nicht  die  Farbennnancen  eines  sich  in  charakteiisti scher  Weise  resor- 
birenden  Blateivuases  durch,  sondern  werden  von  Tag  EU  Tag  etwas 
undentlicher  nnd  sind  erst  am  i.  März  nicht  mehr  tn  erkennen. 


40 


Dt.  ClAua: 


1.  Fall  6.  LoiuBe  Pilz,  S%  Jahre,  aafgenommeii  am  8.  Febr.  1893 
wagen  Ekiema  capit.  chron.  Am  22.  nad  S3.  Febr.  lUtthnog  dee  weichen 
Gaameiu,  der  hiutereD  Rochenwand  and  der  wenig  ^echwollenen  Ton- 
■illen,  anf  deuea  veieinielte  gelbe  P&Opfcheu  sichtbar  sind.  Da- 
neben dick  belegte  Znnge,  Diarrhoe.  Am  S4.  Febr.  leigt  rieh  im  Ge- 
richt, am  HaU  nnd  Rücken  ein  aoa  ttecknadelkopf-  bia  linsen^aaen 
Effloreacenten  beatehendee  Eiauthem,  daa  am  S6.  and  S6.  Febr.  im  Ge- 
richt und  an  den  gedrückten  Partien  des  BSckeug  dnrch  VergrUsseniDg, 
yermehrong  und  theilweise  Conflacni  der  nnumehr  erhaben  and  nn- 
T^elmftuiger  eracheinenden  Flecken  deutlicher  wird.  Am  !7.  Febr.  ist 
die  Augina  bedentead  gebesiert,  doa  ExanUiem  im  Oeiioht  gan«  ver- 
acbwanden  nnd  am  KOrper  uar  noch  nndentlich  sichtbar.    Zugleich  ist 

I.  Fall  K. 

90.  Febraar  bis  6.  Uän  1893. 


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der  vom  Beginne  der  Krankheit  ao  bestehende  HnstenreiE  fast  toU- 
kommen  beseitigt.  Am  1,  H&rz  ist  vom  Exanthem  niehte  mehr  lu 
aehen,  daa  AUgemeiahefinden  gut. 

In   beiden  eben   erwähnten   Fällen    ergab   die   Anamnese, 

dass    eine  Erkrankung   an  Masern  oder  Kdtheln   frQher   noch 

nicht    stattgefnnden    hatte ,    während    bei    den    übrigen    drei 

Eindem   der  Station  IIa   das   frühere   Ueberstehen    der   Mor- 

billen  nachgewiesen  war.   Die  Krankengeschichten  der  letzteren 

stimmeD   nun    insofern   ToUkommen    Uberein,    als    ohne   jede 

deutliche   katarrhalische   Begleiterscheinung,   vor  Allem    aach 

ohne  Fieber   ziemlich    plötzlich    ein   ans   etwa   linsen  grossen, 

meist  rnnden  und  ziemlich  isolirt  stfihenden,  wenig  erhabeoen 

und  rosa  gefärbten  Efflorezcenzen  bestehendes  Exanthem  im 

Gesicht,  anf  Brust  und  Rficken  sichtbar  wurde,  das,  ohne  sich 

u  verdichten   oder  intensiver  zu   werden,   1—2  Tage 

ind   zuerst  wieder  im  Gesicht  erblassend  in   einem 

is  ganzen  Tage  vollkommen  verschwand. 

,11  6,  Lonise  Pietscb,  7  Jahre  alt,  machte  am  Ende  ihres 
Masern  nnd  Keuchhusten  durch,  war  aber  aonat  bis  anf  ihr 
Biden  —  Empyems  prooest.  mastoid.  sin.  —  im  Wesentlichen 


Eine  Haseni-  nud  RoUieloepidemie.  41 

getond.  Aufgenommen  am  S.  Febinar  und  operirt  un  4.  Febniar.  Fut 
fieberloMr  Vorlauf. 

Am  Sl.  Febr.  Exanthem  im  Oencbt  nnd  am  Bumpre,  am  22.  Febr. 
auch   au    der  Innenseite   der 

Obenchenkel  deotUch.  Seine  I.    Fall  6. 

Angina,  keine   sonstigen  kn-  Februar  1893. 

tarrhaliechen  Erscheinunj^cii. 
Am  S3.  Febr.  ist  das  Kian- 
Üiem  vollkommen  verschwun- 
den, daaAllgcmeiubefindi'c  Lin- 
iert dert  gnt. 

I.  Fall  7.  Bernhard 
Rdltier,  13  Jahre  alt.  Aaf- 
genommen  wegen  Osteom  7»- 
litii;    hatte    Maaem    mit    6 

Jshrso.  Am  21.  Febr.  frQh  plfltilich  Exanthem  —  sehr  sp&rlich  —  im 
Gesicht,  etwas  dichter  auf  Brost  und  Nacken.  Am  26.  Febr.  Exan- 
them noch  beatehend.  Am  26.  Febr.  Beginn  des  Erblaasens.  Am 
ST.  Febr.  Haotbedeckung  normal.    Verlauf  vollkommen  Geberlos. 

I.  Fall  8.  Dasselbe  Bild  bot  als  Dritter  der  wegen  Coxitii  ainiatr. 
ufgenommene  und  operiite  Enabe  Arthur  Wachtel,  12  Jahre  alt,  der 
ebenfalls  in  seinem  6.  Jahre  Uasem  überstandaa  hatte.  Anob  bei  ihm 
eiscbien  der  Ausschlag  ohne  jede  Steigerung  seines  leichten,  remit- 
tiieaden  Fiebers  nnd  ohne  begleitende  Hatarrhalische  Affectioneu,  be- 
stand vom  6.  bis  7.  Man  nnd  war  am  8.  Mära  wieder  vollkommen  ver- 
tdi  wunden. 

Im  Anscblass  an  diese  sechs  Fälle  der  Station  IIa  er- 
folgten 13  weitere  Erkrankangen  in  den  übrigen  noch  im 
ersten  Stockwerk  gelegenen  Stationen  I  (11 — 12  Betten)  und 
Üb  (6 — 7  Betten),  welche  zur  Zeit  zueammen  mit  17  Eindem 
belegt  waren,  während  ein  Uebergreifen  auf  die  im  zweiten 
Stockwerk  gelegene  gewShnlicli  mit  9 — 10  Kindern  belegte 
Station  lY  nicht  etattraud.  Es  blieben  demnach  in  den  in- 
ficirtes  Krankensinben  fHnf  Kinder  verschont,  die  —  im 
Alter  Ton  10 — 14  Jahren  —  frtiher  »ämmtlich  die  Masern 
schon  fiberatandeo  hatten. 

Unter  den  13  auf  Station  I  und  IIb  erkrankten  Kindern 
waren  nan  noch  zwei,  bei  denen  die  Anamnese  die  frQhere 
Erkrankniig  an  Morbillen  ergab,  und  ich  m&chte  die  Kranken- 
geschichte derselben  im  Anschlusa  an  obige  drei  Fälle  an 
dieser  Stelle  berichten: 

I,  Fall  9.  Hannchen  Erfurt,  5'/,  Jahre  alt,  erkrankte  im  Februar 
189!  an  Masern,  nach  welchen  sich  eine  schon  vorher  coustatirtc  links- 
seitige Colitis  80  verachlimmerte ,  dana  die  Resection  nOthig  wurde. 
Am  26.  Febmar  anohieneii  nun  ohne  Fieberateigerucg  varicellenähii- 
hebe  BiAschen  auf  dem  Rumpf  nnd  der  loneneeite  der  Überschenkel 
nnd  am  it.  Febmar  frOh  worden,  ohne  dasa  deutliche  katarrhalische 
Encheinongen  nebenbei  sich  eingestellt  hUtten,  linsengrosse  oder  etwas 
kleinete  hellrothe,  in  einem  gewissen  AMande  voa  einander  stehende 
Hecken  im  Gesiebt,  auf  dem  Bunipf  uod  den   Extremitäten   sichtbar. 


sodau  neben  diesem  EiontfaeiD  dei  theilweUe  schon  in  Borkenbüdon^ 
abergegancene  variceltenlLbnlicbe  Auucblag  beetaod.  Fieber  wat  dabei 
am  S7.  Februai  nur  in  geringem  Grade  torbanden.    Sobon  am  nUcbsten 

I.   Fall  9. 

10.  Februar  bin  8.  U&n  1892. 


Tage  war  kanm  noch  etwai  TOm  F.xanthem  %a  leben  und  am  1.  Mära 
war  es  Tollkommen  versch wanden.  Das  Wohlbefinden  des  Kindes  wurde 
in  keiner  Weise  alterirL 

Der  zweite  Fall  war  maofern  noch  tod  Wichtigkeit,  als 
sich  bei  ihm  die  IncubationRzeit  fast  mit  absoluter  Sicherheit 
feststellen  Hess,  da  eiue  Infectiou  vor  der  Aufnahme  ins 
Hospital  bei  dem  TollHtändigeu  EVhlen  von  Masernerkraokungeii 
ia  dem  Ueimathaort  des  Patienten  als  ganz  unwahrscheinlich 
anzusehen  war. 

1.  Fall  10.  Bruno  Hfibler,  6  Jahre  alt,  war  bis  zum  2.  Jahre,  in 
welchem  er  mit  Geschwiatem  Masern  nnd  Keuchhusten  darchmachtc, 
und  von  da  an  wieder  vollstfindig  gesnnd  bis  October  1898,  in  welcher 
Zeit  sieb  sein  Kniuleideu  —  FuDf^ua  gen.  dextr.  —  entwickelte.  Fat. 
wurde  am  21.  Febr.  behufs  Vornahme  der  ResectiOD  aufgenommen  nod 
in  der  damals  noch  nicht  inficirlen  Station  I  nntergebracht.  Vor  der 
am  n^bsten  Tage  lorgenommeneu  Operation  kam  er  nun  wahcscheiu- 
lieb  infolge  eines  Veraehena  mit  einem  der  oben  erwähnten  Eum  Ver- 
binden in  das  Terbandzimmer  gebrachten  Kinder  lusammen.  Ubne  daas 
nun  vorher  irgend  welche  Fieberateigerung 
I.    Fall  10.  Q^e,.    katarrbalische    Erscheinungen    hatten 

März  1 B93.  beobachtet  werden  kOnnen,  erschienen  plOb*. 

lieh  mit  einer  abendlichen  Steigerung  bis 
30,2"  am  9.  MKn  Eahlreiche  ca.  Unaengroeae, 
Bcharf  abgegrenite,  hellrothe  Flecken  im 
Geeicht  und  auf  dem  llumpfe ,  weniger  an 
den  £xtremiULten.  Dieses  Exanthem  er- 
blaaate  allmählich  am  niU^hBlen  und  über- 
nächsten Tage  und  war  am  12.  Mära  voll- 
ständig verschwunden.  Er  waren  demnach 
bis  zum  Äuabruche  des  Ausschlags  16  Tage 
vergangen,  während  dieser  seibat  nur  drei 
Tage  bestand. 

Von  den  restirenden  10  Fällen  sei  uns  gestattet,  nur  noch 
fünf,  denen  ein  gewisses  Interesse  nicht  abgesprochen  werden 
kann,  anzuführen,  und  zwar  möchte  ich  gleich  an  dieser  Stelle 
eines  Falles  gedenken,  der  zwar  erst  am  Schlüsse  der  Eaus- 
epidemie  zur  Beobachtung  kam,  sich  aber,   weil  er  ebenfalls 


Eine  Hueni-  und  BOtbetnepidemie.  43 

hinsichtlich  der  Dauer  der  Incubation  von  Bedeutung  ist,  leicht 
an  den  zuletzt  citirten  Fall  aoreihen  läest 

T.  Fall  11.  Karl  Ganbe,  1  Jahre  alt,  worde  am  14.  UHte  znr 
Atbtodeie  (partielle  Lähmung  nach  PolioiDjel.  ac.  ant.)  anrgenoimnen 
ocd  während  der  Daaer  des  Eotkleidens  durch  das  Teraeben  der  pfle- 
genden Schwester  in  die.  Nähe  des  während  der  HauBepidemie  tuletst 
erkrankten  Eiades  Qertrad  Gross  (Fall  16)  gebracht.  Während  nnn 
der  Verlauf  nach  der  am  15.  Häir  volkogenen  OperatioQ  —  hie  anf 
«ine  geringe  Fieh  erste!  gern  Dg  am  IG.  und  17.  Marx  —  absolut  fieberloa 
war.  kam  es  ptotilfch  am  2S.  März  in  einer  abendlichen  ErhShnng  bis 
anf  98,4*.  Pat.  fShlte  sich  dabei  wohl  und  es  liess  sich  auch  ohjec- 
tiT  nicht  Abnormes,  besonder«  anch  keine  Angina  oachweisen.  Am 
39.  IKtz  Mittags  war  die  Temp.  auf  38,3  gestiegen  nnd  jetzt  wurde 
SDcfa  eine  Btlthang  im  Rachen  und  an  den  QaumenbOgen  sichtbar.  Da 
die  Eltern  da»  Kind  gern  nach  Hause  nehmen  wollten,  wurde  es  noch 
an  diesem  Tage  entlassen.  Nach  Beriebt  des  intelligenten  nnd  glnnb- 
«ördigen  Vaters  worden  nun  am  1.  April  die  ersten  punktrCrmigen 
Flecken  im  Gesicht  bemerkt  und  am  2.  April  war  der  ganze  Körper 
mit  einem  starken,  vom  Arat  für  Masern  erklärten  Ausschlag  über- 
logen,  der  bis  zum  7.  April  allmählich  verschwand.  Es  siiid  demnach 
in  diesem  Falle  bis  Enm  Beginn  des  hier  viertügigen  Prodrom  alstediums 
Kenan  14  Tage,  bis  zum  Sichtbarwerden  des  Exanthem*  aber  17  bis 
18  Tage  Terstriehen. 

I.  Fall  13.  Hans  Weise,  6  Jahre  alt,  aufgenommen  und  operirt 
*^en  Palat.  fiesum.  Fast  vollkommen  fieberloaer  Verlauf.  Am  3,  Härx 
plötzlich  Fiebersteigemng  ohne  nachweisbare  Ursache.  Am  4.  März  ge- 
rillt Angina.  Am  B.  Hän  grosse  Apathie,  ConjunctiTitia ,  Ktainitis, 
«plriiahM  kleinfleckiges  Exanthem  im  Gesicht.  Am  6.  März  ist  das 
Ezantiiew  im  Gesicht  etwas  dichter  geworden,  hat  sich  aber  noch  nicht 
weiter  rat  breitet.  Starke  Apathie,  schwere  katarrhalische  Erscbei' 
Bongfln.  Am  7.  Hän  hat  sieh  das  Exanthem,  jetzt  groesfleckig,  dicht 
nnd  tbeilweiBe  conflnirend,  Aber  den  ganzen  Körper  ausgedehnt.     Am 

I.  Fall  13. 

Se.  Februar  bis  12.'H&ra  1899. 


S.  lOn  beginnt  der  Ausschlag  abzublassen  nnd  ist  am  10.  Märe  nicht 
mehr  zu  sehen.  Gleichzeitig  haben  sich  die  schweren  Begleiterschei- 
nungen gebessert  und  Patient  befindet  sich  am  12.  Harz  wieder  voll- 
kommen wohl. 


44 


Dr.  Claus: 


I.  Fall  18.  Curt  Blechschmidt,  ly,  Jahr  alt,  aufgenommen  am 
23.  Febr.  wegen  Rachitis  und  Bronchitis.  Am  5.  März  plötzlich  Tem- 
peratursteigerung  bis  40,0  ^  Am  6.  bis  7.  März  Diarrhöe,  die  bestehende 
Bronchitis  stärker.    Am  7.  März  Abends  werden  vereinzelte  hirsekom- 

grosse  und  etwas 
I.   FaU  18.  grössere  rothe  Ef- 

\rn      4o<^o  florescenzen  im 

März  1898.  Gesicht    bemerkt 

und  am  8.  und 
9.  März  hat  sich 
das  Exanthem  mit 
nunmehr  betracht- 
licheren und  ge- 
zackten Flecken 
über  den  ganzen 
Körper  ausgebrei- 
tet. Am  10.  März 
beginnt  das  Exan- 
them abzublassen 
und  dabei  treten 
an  beiden  Ober- 
und  Unterschen- 
keln dunkelblaue  Hämorrhagien  auf,  die  den  am  13.  März  wieder 
vollkommen  verschwindenden  Ausschlag  überdauern  und  erst  am  18.  März 
nicht  mehr  zu  erkennen  sind. 


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I.  FaU  U. 

März  1893. 


I.  Fall  14.  Dora  Breitfeld,  iV^Jahr  alt,  aufgenommen  am  11.  Febr. 
1893  wegen  Lymphadenitis  ingum.  sin.  purul.,  ist  ein  sonst  ge- 
sundes, kräftiges  und  mit  einem  guten  Fettpolster  ausgestattetes  Kind. 
Am  16.  März  gei-inge  CoDJunct.,  Rhinitis,  Bronchitis,  geringe  Röthnng 
im  Rachen.    Am  17.  Märii  werden  einzelne  dunkelrothe,  unregelmässige, 

Zweimarkstück- 
grosse  nrtica- 
riaähnliche 
Flecken  im  Ge- 
sicht neben  diffu^ 
ser     heller,     mit 
einzelnen  dunk- 
leren, etwa  linsen- 
grossen     Flecken 
durchsetzter    Bö- 
thung  sichtbar. 
Der  Puls  ist  stark 
beschleunigt.  Am 
18.   März    breitet 
sich     ein     schon 
ausserordentlich 
i^iich  tes,  aus  grosse  - 
ren   und   unregel- 
mässigen Flecken 
bestehendes  Exan- 
them über  den  ganzen  Körper  aus,  erscheint  am  19.  März  noch  deutlicher, 
dichter,  confluirt   besonders  an  den   abhängigen   und  gedrückten    Par- 
tien (Schulter-    und  Glutäalgegend ,  Beugeseiten  der  unteren  Extremi- 
täten)  zu   dunkelrothen,   handtellergrossen  Flächen   und   ruft   an   den- 
selben Stellen  ein  gewisses  starres  Oedem  der  Haut  hervor.   Am  20.  März 
ist  das  Exanthem  nur  wenig  blässer  geworden,  in  der  Glutäalgegend 


Eine  Masern-  uad  Bothelaepidemie.  45 

ftber  nnd  an  den  Beagaaeiten  der  Ober-  nnd  Unterechenkel  aiod  jetzt 
deaUicbe  grosse  ürticariatjnaddela  zn  bemerken,  w&brend  am 
Baoche  und  besonders  an  denjenigen  Stellen,  an  welchen  der  Verbaod 
gesessen  bat,  sowie  an  beiden  Ober-  und  ünterartneD  zahlreiche,  theil- 
weUe  ineinander  tibergebende  Sagillationen  sichtbar  sind.  Am 
ig.  Min  ist  das  Exanthem,  wenn  auch  noch  deutlich  erkennbar,  doch 
im  Zorflckgeben  begrifien,  die  Drticariaquaddeln  aber  und  die  Hämor- 
rfaagien  sind  nnrer^ndert.  Am  SS.  Harz  ist  das  dnrcb  Ecbwcre  Begleit- 
encbeinnngen  geatCrte  Allgemeinbofiaden  fast  vollkommen  wieder  nor- 
m»l.  Tm  Gesiebt  nnd  am  Bnmpfe  ist  starke  Abschappnng  za  bemerken, 
die  Urtic&riaqaaddeln  sind  verHchwiiadeD.  Die  B&morrbogien  bekleben 
noch,  ihre  Farbe  wird  aber  ganz  allmählich  schwächer  und  erat  aui 
10.  April  ist  jede  Spnr  derselben  Terwiacht. 

I  Fall  16.  Badolf  WeiM,  11  Monate  alt.  Anbeuommen  den 
17.  April  wegen  Fractnra  femor.  sin.  Fast  vollkommen  fieberloser  Ver- 
luif.  Am  S6.  April  geringe  FieberBteigerung,  Bronchitis  diffusa,  die 
wUrend  der  n&chaten  Tage  anhält  und  am  29.  April  in  eine  Paeoni. 
cataiih.   flbei^eht.      (Dämpfung    rechts    hinten    unten .)     Am    30.   April 

leigen    sich    neben 
leichter  Angina  vorein-  I. ,  P«ll  15. 

lelte   ca.   hii«ekom-  25.  April  bia  6.  Mai  1893. 

greise  Flecke  im  Ge- 
liebt, die  sich  am 
1.  Mai  noch  aber  Bmat 
QDd  Backen  ansbreiten, 
hier  grOsaer  eracheinen 
und  eine  roehnackige 
Geitalt  annehmen.  Jetzt 
aach  Dämpfung  links 
hinten  nnten-  Athmung 
und  Pols  stark  beecbleu- 

aigt,  Cyatkoae.  Am 
i.  Mai  beginnt  das 
Exanthem  abzub lasse o, 
die  Dämpfong  Ober  den 
Lnngeo   wird   geringer, 

die  CTanose  verschwindet,  nnr  der  Pols  ist  noch  stark  besohlen d igt. 
Am  3.  Mm  ist  das  Exaathem  fogt  gani  verschwanden ,  das  Allgemein- 
befinden besaer.  Am  6.  Mai  ist  vom  Ausschlag  nichts  mehr  sichtbar, 
uch  ist  eine  Dämpfong  nicht  mehr  nachEUweisen ;  ea  beateht  nur  noch 
leichte  Bronchitis  bei  vollkommenem  Wohlbefinden. 

Während  bei  dieBem  Einde  trotz  der  Jageod  nnd  der 
schweren  Begleiterscheinungen  doch  noch  dauernde  Heilung 
eiatrat,  erfolgte  in  dem  nächsten  Falle,  welcher  wegen  der 
wohl  selten  beobachteten  Ursache  zar  Aufnahme  ins  Hospital 
allein  schon  erwähnt  zu  werden  verdient,  der  Tod  noch 
während  dea  Abblassens  des  Ssanthems. 

L  Fall  16.  Oertmd  Gross,  1  Jahr  alt  Am  14.  oder  15.  Februar 
benotite  die  Mutter  doaaelbe  Wasser,  in  welchem  TOrber  die  am  7.  Febr. 
geimpfte  kleine  Schwester  mit  ihren  gut  entwickelten  Impfpusteln  ge- 
badet worden  war,  anch  zum  Reinigen  unserer  Patientin,  welche  da- 
msli  an  einem  nicht  nnbeträchÜichen  Ekzem  der  rechten  Gesichtahälfte 
nnd  des  rechten  Ohres  litt  Die  Folge  davon  war,  daaa  am  31.  Febr. 
liemlicb  plStxlicb  an  der  Stelle  dea  Ekzems  nnd  besonders  an  seiner  ' 
Rtadzone  anter  Fiebereracheiouogen  und  intentiver  Bdthung  and  Schwel- 


46 


Dr.  Claus: 


lang  dor  Umgebung  wässerige  ßläschen  sich  bildeten,  deren  Inhalt  unter 
stärkerer  Infiltration  der  ganzen  erkrankten  Gegend  allmählich  eitrige 
wurde.  Am  26.  Febr.  wurde  «das  Kind  in  die  Poliklinik  gebracht  und 
während  der  nächsten  Tagen  daselbst  bebandelt.  Da  aber  Besserung 
nicht  eintrat,  wurde  es  am  28.  Febr.  in  das  Hospital  aufgenommen  und 
bot  folgenden  Befund  dar:  Pai  ist  ein  massig  kräftiges  Kind  mit  ge- 
ringer Bronchitis.  Die  rechte  Gesichtshälfte  ist  durch  Confluiren  der 
Pusteln  in  ein  eitriges,  zum  Theil  noch  mit  Haut  und  Borken  bedecktes 
Feld  verwandelt.  Auch  in  der  Umgebung,  welche  selbst  intensiT  ge- 
röthet  und  geschwollen  ist,  finden  sich  vereinzelte,  mit  Eiter  gefiUlte 
Bläschen.    Temp.  38,6.    Puls  beschleunigt. 

Während  der  nächsten  Tage  gehen  die  EntsündungserscheinuDgen 
und  mit  ihnen  das  Fieber  zurück.  Am  10.  März  plötzlich  eine  Fieber- 
steigerung (39,0^,  doch  ist  ausser  geringer  Diarrhöe,  welche  auch  wäh- 
rend  der   nächsten  Tage   anhält,   nichts  Abnormes   nachweisbar.    Am 

13.  M&rz    neben 
I.   Fall  16.                                      Diarrhoe  auch 

März  1898.  Bronclütis.       Am 

14.  und  16.  März 
Angina  catarrh., 
Durchfall  stärker. 
Am  16.  März  end- 
lich punktförmi- 
ges blassrothea 
Exanthem  im  Ge- 
sicht   und    am 

Halse.  Am  17.Marz 
Exanthem  auch 
auf  dem  Rumpfe 
sichtbar,    wo    es 
sich  theils   aus 
rundlichen,  iheiU 
aus  gezackten, 
hier  und  dort  con- 
fluirenden     Ef- 
florescenzen    zu- 
sammensetztw    Di- 
arrhöe geriüger.    Athmung  und  Puls  stark  beschleunigt    Neben    fiber 
beiden  Lungen  hörbarem   feinblasigen   Rasseln  Dämpfung  links  hinten 
oben,  welche  am  18.  März  auch  nach  unten  hin  zunimmt.     Am  19.  März 
Dämpfung  auch  rechts  hinten  unten.     Während  der  nächsten   Tage  der 
selbe  Lungenbefund  neben   eklamptischen    Anfällen    und   zunehmender 
Cyanose.    Am  22.  März  Exitus  letalis. 

Es  würde  zu  weit  fuhren,  über  die  noch  fehlenden  fönf 
Falle,  welche  nichts  Besonderes  bieten  und  in  ihrem  Verlaufe 
dem  Fall  11  und  12  am  meisten  ähnelten,  Bericht  zu  er- 
statten, auch  glaube  ich,  sind  die  citirten  Krankengeschichten 
vollkommen  genügend,  um  den  Beweis,  dass  es  sich  in  der 
That  um  Masernerkraukungen  handelt,  zu  bringen  und  um 
ein  klares  Bild  von  der  Art  der  Epidemie,  von  ihrem  Genius 
epidemicus  zu  geben.  Aber  nicht  darin  allein  mochte  ich  den 
Werth  der  erwähnten  Fälle  suchen,  sondern  vielmehr  darin, 
dass  sie  uns  zum  Nachdenken  Veranlassung  geben,  und  dass 
sie,  weil  vom  ersten  Tage  an  im  Hospital  und  von  mehreren 


Eine  Masern-  nnd  Bötheinepidemie.  47 

Aerzten  gleichzeitig  beobachtet^  auch  eine    demeutsprechende 
genaue  Beurtheilung  gestatten. 

Wie  oben  bereits  mitgetheilt,  wurde  das  Masemgift  von 
dem  zuerst  erkrankten  En.  Förster  (Fall  1)  auf  die  beiden  pfle- 
genden, mit  ihm  in  directe  Berührung  gekommenen  Schwesterq 
und  auf  die  in  Station  IIa  mit  untergebrachten  Kinder  über- 
tragen. Aber  mit  diesen  erkrankte  auch  schon  auf  Sta- 
tion U  b ,  die  von  der  Station  II  a  nur  durch  ein  einfen- 
striges  für  die  beiden  Pflegerinnen  bestimmtes  Zimmer  getrennt 
ist,  Hannchen  Erfurt  (Fall  9). 

Diese  Infection  zu  erklären,  liegen  drei  Möglichkeiten 
vor:  entweder  war  das  betr.  Mädchen  mit  dem  Knaben  F. 
zusammengebracht  oder  das  Gift  war  durch  eine  pflegende 
Schwester  übertragen  worden,  oder  endlich  das  flüchtige 
Masern  virus  hatte  sehr  schnell  durch  den  nach  Station  IIa  und 
IIb  fast  stets  offenen  Zwischenraum  den  Weg  gefunden.  Da 
die  ersterwähnte  Art  der  Ansteckung  absolut  auszuschliessen 
war,  so  bleiben  nur  die  anderen  Möglichkeiten  übrig.  Welcher 
aber  Ton  beiden  die  Schuld  beizumessen  war  oder  ob  beide 
zugleich  sich  gegenseitig  unterstützend  die  Infection  ermöglicht 
hatten,  wird  sich  hier  ebensowenig  entscheiden  lassen  wie  im 
Falle  12,  wo  das  betreffende  Kind  nach  Station  IIb  aufge- 
nommen wurde,  als  zwar  dieses  Zimmer  noch  frei,  aber  die 
Station  II  a  bereits  durchseucht  war.  Erwähnen  aber  möchte 
ich  gleich  an  dieser  Stelle,  dass  während  der  ganzen  Be- 
obachtungsreihe sowohl  der  Hausepidemie  als  der  zahlreichen 
später  dem  Hospitale  aus  der  Stadt  überbrachten  Fälle  nie 
eine  Uebertragung  durch  eine  Mittelsperson  oder  durch  Gegen- 
stände sich  nachweisen  Hess,  obwohl  von  Seiten  der  seine 
Instructionen  nicht  immer  so  genau  einhaltenden  Personales 
als  yon  Seiten  der  zum  Verkehr  auf  allen  Stationen  ge- 
zwungenen Aerzte  oft  genug  die  Gelegenheit  hierzu  gegeben 
worden  war.  Und  so  durfte  wohl  auch  bei  der  Ansteckung 
der  auf  Station  IIb  untergebrachten  Kinder  in  der  Flüchtig- 
keit des  Maserngiftes  die  Ursache  zu  suchen  sein.  Interessant 
aber  ist  es,  dass  von  den  fünf  Kindern  der  Station  IIa  zu- 
nächst nur  vier  erkrankten  und  wahrscheinlich  erst  durch 
diese  wieder  inficirt  nach  ca.  15  Tagen  als  letzter  der  Knabe 
Wachtel  (Fall  8)  vom  Exanthem  befallen  wurde.  Will  man 
hierzu  eine  Erklärung,  so  dürfte  dieselbe  wohl  dahin  abzu- 
geben sein,  dass  das  Gift  im  Anfang  nicht  dicht  genug  war, 
um  auch  bei  diesem  Knaben  inficirend  zu  wirken,  dass  es 
hierzu  vielmehr  erst  mehrerer  ziemlich  zu  gleicher  Zeit  er- 
folgender Neuerkrankungen  und  einer  hierdurch  bedingten 
stärkeren  Anhäufung  des  Masernvirus  bedurfte.  Als  ganz 
besonders  wichtig  aber  erscheint  mir  die  Beobachtung,  dass 


50 


Dr.  Clans; 


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Wahrscheinlichkeit  am 
nächsten,  und  zwar  er- 
giebt  derselbe  für  die 
erste  Frist  15,  fQr 
die  zweite  Frist  16, 
und  für  die  Incn- 
bationszeit  12Tage, 
wobei  zu  beachten  ist, 

dass     letztere     Zahl 
grosseren    Schwankun- 
gen untworfen  zu  sein 
scheint,    während    die 

beiden    anderen 
scheinend     mehr 

stante    und    für 
Berechnung     des 
steckungstages  wichtige 
Grossen    sind.   —   Die 

Prodrome,    soweit 
solche     zur     Beobach- 
tung   kamen,    nahmen 

fast    ausschliesslich 
Zeitraum   Ton  2 


an- 
con- 
die 
An- 


eioen 


bis  3  Tagen  ein,  und 
nur  einmal  wurden  4 
(Fall  11)  und  einmal 
sogar  6  Tage  (Fall  16) 
gezählt.  Hierbei  kommt 
fireilich  in  Betracht^  dass 
im  ersteren  Fall  der 
Vater  die  Angaben  ge- 
macht hatte,  und  dass 
im  letzteren  (Falle  16) 
das  Kind  bereits  er- 
krankt und  die  bei  ihm 

einsetzende  Diarrhoe 
vielleicht  noch  nicht  auf 
Rechnung  der  Masern- 
erkrankung zu  setzen 
war.  Es  dürfte  deshalb 
diesen  beiden  Fällen 
kein  zu  grosses  Gewicht 
beigelegt  werden  kön- 
nen. Die  Symptome, 
welche  den  Beginn 
der  Krankheit    mel- 


Eine  Masern-  und  Bötheinepidemie.  51 

deten^  waren  meist  recht  deutlieh  ausgesprochen:  Mehr  oder 
minder  hohes  bisweilen  plötzlich  einsetzendes  Fieber  und  ein 
beschleunigter  Puls,  meist  Katarrh  sämmtlicher  Schleimhäute, 
so  dass  neben  dem  gewöhnlich  starken  Hustenreiz  eine  —  in 
mehreren  Fällen  sogar  recht  beträchtliche  —  Diarrhöe  nicht« 
Seltenes  war.  Die  katarrhalische  Affection  des  Gaumens  und 
Rachens  fehlte  nie,  auch  konnte  man  meist  ein  gewisses 
fleckiges  Aussehen  besonders  des  weichen  Gaumens,  das  sog. 
Schleimhautexanthem,  constatdren,  doch  war  dasselbe  in 
manchen  Fällen  nur  sehr  wenig  ausgesprochen  oder  als  solches 
nicht  zu  erkennen. 

Diesen  mit  deutlichen  Prodromalerscheinungen  einher- 
gehenden Fällen  stehen  nun  einmal  fünf  gegenüber,  bei 
denen  ein  Vorläuferstadium  vollkommen  fehlte  (Fall  2, 
6,  7,  8,  10),  und  dann  zwei  (Fall  3  und  9),  bei  welchen  es 
als  zweifelhaft  angesehen  werden  muss,  ob  die  einige  Tage 
vor  dem  Ausbruche  des  Exanthems  bestehenden  Beschwerden, 
resp.  ob  der  spärliche  yaricellenähnliche  Ausschlag  mit  der 
Krankheit  selbst  in  Zusammenhang  zu  bringen  sind.  Konnte 
also  im  Allgemeinen  yon  einem  vollständigen  Fehlen  des 
Prodromalstadiums  und  von  einem  plötzlichen  Erscheinen  des 
Exanthems  die  Rede  sein,  so  zeichnete  sich  das  letztere  noch 
weiter  dadurch  aus,  dass  es  entweder  nur  geringes  oder,  wie 
es  meist  geschah,  gar  kein  Fieber  bedingte,  dass  es  meist 
ohne  jede  katarrhalische  Begleiterscheinung  verlief,  und  dass 
es,  gewissermaassen  in  seinem  Beginne  stehen  bleibend 
und  aus  wenig  zahlreichen,  scharf  abgegrenzten,  massig  er- 
habenen blassrothen  Effiorescenzen  sich  zusammensetzend,  in 
kurzer  Zeit  wieder  verschwand,  so  dass  sich  dem  Beschauer 
das  Gefühl,  als  habe  das  Gift  nicht  Kraft  genug,  um  einen 
stärkeren  Katarrh  und  ein  typisches  Exanthem  hervorzubringen, 
unwillkürlich  aufdrängen  musste.  Grosse  Bedeutung  nun  ge- 
wann diese  Beobachtung,  als  bei  jedem  derartigen  Patienten 
die  Anamnese  das  frühere  U  eberstehen  der  Masern  ergab  und 
es  sich  demnach  um  eine  zweitmalige  Masernerkrankung, 
die  ich  der  Kürze  wegen  als  Masernrecidiv  bezeichnen 
möchte,  handeln  musste.  Freilich  gilt  obige  Beschreibung 
des  Exanthems  nur  für  die  zum  zweiten  Male  erkrankten 
Kinder,  nicht  aber  für  die  beiden  Schwestern,  deren  Ausschlag 
sich  aus  grösseren,  unregelmässiger  gestalteten,  dunkleren 
Flecken  zusammensetzte,  mit  leichtem  remittirenden  Fieber 
verlief  und  so  den  Charakter  eines  Masernexanthems  trug. 
Sollte  hier  vielleicht  ähnlich  wie  hei  den  Pocken  durch  die 
Lauge  der  Zeit  der  Schutz,  der  durch  das  einmalige  Ueber- 
stehen  der  Masern  geboten  wird,  allmählich  schwächer  werden 
und  sollten  die  zur  Neuerkrankuug  Neigenden  um  so  stärker 

4* 


52  Dr.  Claofl: 

befallen  werden,  je  weiter  die  erste  Erkrankung  zeitlich  zurück- 
liegt? Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  sicher  ist,  dass  eine 
absolute  Immunität  durch  das  frühere  Ueberstehen 
der  Masern  nicht  geschaffen  wird,  und  dass  sowohl  vor 
ganz  kurzer  Frist  oder  vor  sehr  langer  Zeit  Durchmaserte  vor 
dem  Recidiv  nicht  geschützt  sind.  (Fall  9  —  2,  3.)  Ja,  es 
ist  bei  Berücksichtigung  der  Hausepidemie,  in  der  yon 
22  Patienten  sieben  zum  zweiten  Male  erkrankten,  sogar  wahr- 
scheinlich, dass  eine  zweitmalige  Erkrankung  an  Morbillen 
viel  häufiger  vorkommen  mag,  als  man  anzunehmen  gewohnt 
ist,  und  dass  mancher  solche  Fall  wegen  des  leichten  Ver- 
laufes kurzweg  den  Röthein  zugezählt  worden  sein  dürfte,  so- 
bald nur  durch  die  Anamnese  die  frühere  Masernerkrankung 
festgestellt  war.  Und  es  darf  uns  dies  nicht  Wunder  nehmen, 
da  wohl  nur  unter  Umständen,  wie  sie  uns  das  Hospital  zu 
bieten  vermag,  nicht  aber  in  den  wechselnden  Verhältnissen 
der  Stadt-  und  Landpraxis  der  sicherste  Beweis,  dass  es  sich 
in  der  That  nur  um  eine  Maserninfection  handelt,  gebracht 
werden  kann.  Ob  es  trotzdem  möglich  ist,  allein  aus  der 
Beurtheilung  der  Symptome  die  richtige  Diagnose:  Masern- 
recidiv  oder  Röthein  zu  stellen,  auf  diese  Frage  möchte  ich 
nach  Besprechung  der  letzteren  noch  einmal  zurückkommen. 

Der  Verlauf  der  im  Hospitale  selbst  aufgetretenen 
Masernerkrankungen  war  im  Allgemeinen  nicht  ungünstig  zu 
nennen,  wenn  auch  das  Fieber  im  Eruptions-  wie  Prodromal- 
stadium bisweilen  eine  beträchtliche  Höhe  erreichte  und 
Anomalien  nicht  fehlten.  Unter  letztere  möchte  ich  be- 
sonders die  Fälle  4,  13,  14  rechnen,  die  sich  durch  die  reich- 
lichen Hämorrhagien ,  resp.  durch  die  einmal  auftretende 
ruhrähnliche  Diarrhöe  auszeichneten.  Von  Complicationem 
aber  müssen  die  zweimal  beobachtete  Urticaria  (Fall  2  und  14), 
ferner  die  bereits  im  Prodromalstadium  aufgetretene  und  in 
Heilung  übergegangene  Pneumonie  des  Falles  15,  sowie  die- 
jenige, aber  tödtlich  verlaufene  des  Falles  16  genannt  werden. 
Als  Folge  der  Erkrankung  endlich  bedarf  der  Erwähnung 
die  starke  Stomatitis  der  Schwester  U.  (Fall  3),  sowie  die 
Miliartuberculose  des  Knaben  Förster  (Fall  1)  und  eines 
anderen  oben  nicht  mit  erwähnten  an  doppelseitigem  Fang, 
pedis  leidenden  Kindes  Willy  Rupprecht. 

Bei  den  übrigen  aus  der  Stadt  in  das  Hospital  aufge- 
nommenen Kindern  wurden  von  Nachkrankheiten  nur  eine 
geringe  iSahl  beobachtet,  doch  häuften  sich  dieselben  in  der 
Poliklinik.  Und  hier  waren  es  vor  Allem  stärkere  Bronchitiden, 
katarrhalische  Pneumonien,  Keuchhusten  und  acut  oder  chronisch 
verlaufende  Lymphdrüsenaffectionen ,  welche  ärztliche  Hilfe 
erforderten,  doch  kamen  auch  mehrere  Fälle  von  acuter  eitriger 


Eine  Masern-  und  Bdtheluepidemie.  53 

Gelenkentzündang    (Ellbogen-    und    Hüftgelenk)     und    Yer- 
schlimmerangen  von  Knochentuberculose  vor. 

'  Hiermit  erschöpft  sich  freilich  das  Heer  der  die  Masern 
complicirenden^  Verlauf  und  Beconvalescenz  beeinträchtigenden 
und  gefährdenden  Erkrankungen  nicht,  und  wie  in  jeder 
grosseren  Masemepidemie  andere  acute  Exantheme^  vor  allen 
aber  als  schlimmste  Feinde  Diphtherie  und  Group  sich  dem 
Masemgift  zum  Streite  gegen  den  zarten  und  jugendlichen 
menschlichen  Organismus  anschliessen  können,  so  geschah 
dies  auch  wahrend  der  Zeit  der  von  uns  angestellten  Be- 
trachtungen« Und  da  der  Fälle,  in  denen  dieser  Kampf  ge- 
fuhrt wurde^  nicht  wenige  waren  und  da  leider  nur  zu  oft 
die  kleinen  Patienten  dem  mächtigeren  Gegner  unterliegen 
mussten,  so  mochte  ich  die  dabei  gemachten  Beobachtungen 
etwas  ausführlicher  zur  Sprache  bringen. 

Vom  September  1892  bis  einschliesslich  Mai  1893  wurden 
wegen  Diphtherie  und  Croup  auf  der  Isolirstation  des  Hospitales 
270  Kinder  verpflegt,  und  unter  diesen  waren  es  20,  bei  denen 
eine  der  beiden  genannten  Erkrankungen  im  Gefolge  der 
Morbillen  sieh  eingefunden  hatte.  Und  zwar  liessen  sich  bei 
drei  derselben  deutliche  diphtheritische  Beläge  im  Rachen 
nachweisen,  während  die  übrigen  17  —  bis  auf  eine  geringe 
Zahl,  bei  denen  ausser  der  immer  vorhandenen  Hyperämie 
des  Gaumens  und  der  Bachenorgane  nur  noch  geringe  Reste 
eines  seiner  Natur  nach  nicht  mehr  sicher  zu  erkennenden, 
aaf  einer  oder  beiden  Tonsillen  haftenden  Belages  nachweis- 
bar waren  —  ausschliesslich  durch  die  mehr  oder  minder 
starke  Stenose  sich  auszeichneten. 

Die  .  drei  durch  die  deutliche  diphtherische  Rachen- 
affeciion  charakterisirten  Fälle  theilten  sich  wiederum  in  zwei, 
bei  denen  ein  Fortschreiten  nach  dem  Kehlkopfe  nicht  ^stattfand, 
während  in  dem  dritten  eine  nicht  unbeträchtliche  Stenose  sich 
einstellte.  Die  ersteren  Beiden,  Mädchen  und  Geschwister  im 
Alter  von  fünf  und  sechs  Jahren,  bei  denen  während  des  Er- 
blas^tas  des  Exanthems  die  Diphtherie  nachgewiesen  und  die 
sofortige  Ueberfbhmng  ins  Hospital  angeordnet  worden  war, 
wurden  nach  zwolftägigem  Aufenthalte  hierselbst  auf  speciellen 
Wunsch  der  Mutter  ungeheilt  entlassen  und  starben  kurze 
Zeit  darauf  ausserhalb  der  Anstalt,  während  die  Erkrankung 
des  dritten  Kindes  unter  spontaner  Besserung  der  Stenose 
und  unter  allmählichem  Schwinden  der  Beläge  nach  Verlauf 
von  drei  Wochen  in  vollständige  Genesung  überging.' 

Von  den  übrigen  wegen  Stenose  aufgenommenen  Kindern 
mnssten  11  wegen  bedrohlicher  Athemnoth  tracheotomirt 
werden;  sie  gingen  aber  sämmtlich  nach  kürzerer  oder  längerer 
Frist  zu  Grnnde.    Yon  den  restirenden  nicht  tracheotomirten 


54  I  Dr.  Claus: 

sechs  Kindern  endlich  starb  eines  noch  am  Tage  der  Auf- 
nahme plötzlich  ohne  nachweisbare  Ursache,  ein  anderes  nach 
Vorübergehen  der  Stenose  noch  am  10.  Tage  nach  der  Auf- 
nahme an  absteigendem  Croup ,  während  die  letzten  vier 
Patienten  nach  spontaner  Besserung  der  durch  den  Kehl- 
kopf-Croup  bedingten  Athemnoth  geheilt  entlassen  werden 
konnten: 

20 
Masern  -^  Diphtherie  oder  Croup 


3  17 

Masern- Diphtherie  Masem-Croup  (Stenosen) 


2  1  11  e 

ohne  Stenose  mit  Stenose  tracheotomirt         nicht  trach. 

2  1  U  2  4 

gestorben  geheilt  gestorben  gest  geh. 

(nicht  tracheotomirt)  ^ 

Schon  die  obigen  Ausführungen,  noch  deutlicher  aber  das 
der  besseren  Uebersicht  wegen  beigefügte  Schema  zeigen  uns 
die  grosse  Mortalität  der  mit  Diphtherie  oder  Croup  compli- 
cirten  Masernerkrankungen,  vor  Allem  aber  die  absolute  Sterb- 
lichkeit der  wegen  bedrohlicher  Stenose  tracheotomirten 
Kinder,  eine  Wahrnehmung,  die  um  so  mehr  ins  Gewicht  fallt, 
als  die  übfigen  in  der  entsprechenden  gerade  noch  die  für 
die  'Prognose  ungünstigsten  Monate  einschliessenden  Zeit  Yor- 
genommenen  Tracheotomien  35%  'Heilungsfalle  ergaben. 

Bei  der  Frage  nach  der  Todesursache  mussten  Sepsis  und 
sonstige  Complicationen  vollkommen  ausgeschlossen  werden 
und  da  ab-,  resp.  aufsteigender  Croup  nur  dreimal  beobachtet 
wurde,  so  konnte  nur  noch  die  durch  das  doppelte  Gift  herbei- 
geführte allmähliche  Erlahmung  dei  Herzens  in  Frage  kommen. 
Und  dass  hierin  die  Hauptursache  zu  suchen  war,  darauf 
deutete  die  meist  schon  bei  der  Aufnahme  des  Kindes  be- 
obachtete schlechte  Beschaffenheit  des  Pulses.  Derselbe«  war 
fast  immer  sehr  irequent  und  klein,  bisweilen  auch  unregel- 
mässig und  ungleich.  Und  wenn  sich  auch  sein  Zustand 
nach  der  gewohnlich  bald  nothig  gewordenen  Tracheotomie 
und  der  hierdurch  bedingten  stärkeren  Sauerstoffzufuhr  für 
einige  Zeit  besserte,  so  kehrte  doch  die  mangelhafte  Herzaction 
und  mit  ihr  die  abnorme  Frequenz  und  Kleinheit  des  Pulses 
zurück.  Dud  so  war  es  nicht  zu  yerwundern,  dass  dem  ent- 
sprechend der  ganze  Krankheitszustand  sich  verschlimmerte, 
die  Athmung  oberflächlicher  und  beschleunigter  wurde,  Appetit- 
losigkeit, mhrungsverweigerung,  rasche  Abmagerung  und* 
Apathie  sich  einstellte,  und  der  Tod  meist  schon  nach  2,  3, 


Eioe  Maaern*  und  Böthelnepidemie.  5ö 

5  Tagen,  seltener  (in  drei  Fällen)  erst  nach  3 — 4  Wochen 
wegen  Herzschwäche  nnd  Entkräftung  trotz  aller  Analeptica 
eintrat 

Wenn  nun  auch  während  des  Sommers,  d.  h.  nach  der 
hier  in  Betracht  kommenden  Zeit,  die  Resultate  günstiger 
und  die  Aussichten  bei  dem  wegen  Maserncronp  ausgeführten 
Luftröhrenschnitt  nicht  mehr  so  trostlos  waren,  so  sehen  wir 
doch,  welche  Gefahren  bei  eii^er  Masernerkrankung  Diphtherie 
und  Croup  als  Gomplicationen  bringen  können  und  wie 
ausserordentlich  ungünstig  sich  besonders  dis  Lage  der  Tracheo- 
tomirten  den  Nichtoperirten  gegenüber  gestaltet,  und  ist  es 
gewiss  angezeigt,  —  im  Gegen s atze  zn  den  nicht  durch 
Masern  complicirten  Stenosen  —  hier  mit  der  Tra- 
cheotomie  so  lange  als  möglich  zu  warten  und  nach 
erfolgter  Operation  auch  dann  noch,  wenn  der  Ver- 
lauf scheinbar  günstig  ist  und  sich  in  die  Länge 
zieht,  eine  mindestens  zweifelhafte  Prognose  zu 
stellen. 

Ausser  diesen  eben  erwähnten  Fällen,  in  denen  Group 
und  Diphtherie  secundär  auftraten,  bedürfen  der  Vollständig- 
keit halber  noch  fünf  wegen  diphtherischer  Stenose 
tracheotomirte  Kinder  der  Erwähnung,  welche  im 
Laufe  der  Nachbehandlung  an  Ma.sern  erkrankten. 
Hier  war  das  Verhältniss  ein  viel  günstigeres.  Von  den  be- 
treflPenden  Patienten  wurden  drei  vollständig  geheilt  entlassen, 
während  einer  ungeheilt  abgeholt  wurde  und  im  Eltern- 
hause genas  und  der  letzte,  nachdem  er  die  Masern  bereits 
überstanden,  an  einem  Diphtherierecidiv  verstarb.  Freilich 
kommt  dabei  in  Betracht,  dass  alle  Kinder  bereits  in  der 
Reconvalescenz  begriffen,  fieberlos  oder  fast  fieberlos  und 
ohne  Canüle  waren,  und  es  dürfte  wohl  mit  Recht  anzu- 
nehmen sein,  dass  die  Prognose  sich  um  so  ungünstiger 
gestalten  wird,  ja  schneller  auf  den  Beginn  der  Diphtherie 
oder  des   Croups  die  Masernerkrankung  folgt. 

Aus  drei  Beobachtungen  von  Scharlach  und  Masern 
einen  Schluas  zu  ziehen,  wäre  gewagt,  doch  scheint  hier  die 
Prognose  ebenfalls  nicht  ungünstig  zu  sein,  da  sowohl  in 
den  zwei  Fälleh,  in  denen  kurz  nach  dem'  Verschwinden  des 
Scharlachexanthems  und  Fiebers,  als  auch  in  dem  dritten 
Falle,  in  dem  während  des  Abblassens  des  Ausschlages  unter 
erneutem  Aufflackern  desselben  die  Masernefflorescenzen  sich 
ausbreiteten,  Heilung  erfolgte. 


56  I>r.  ClaoB: 

IL 

Wie  schon  Anfangs  erwähnt  wurde,  bot  die  Diagnose  bei 
der  langen  Incubationszeit  des  zuerst  erkrankten  Kindes,  bei 
den  die  frühere  Masemerkrankung  bezeugenden  anamnestischen 
Angaben  der  beiden  miterkrankteu  Schwestern  und  endlich 
bei  den  darauf  zunächst  folgenden  so  sehr  leicht  verlaufenden, 
erst  später  als  Masemrecidi?  angesehenen  Fällen,  mannigfache 
Schwierigkeiten  dar.  Allein  nicht  nur  hier,  sondern  auch  bei 
den  aus  der  Stadt  aufgenommenen  Kindern,  die  bald  als 
Maseru-,  bald  als  Rötheinkranke  dem  Hospital  übergeben 
wurden,  war  oft  die  momentane  Entscheidung,  ob  es  sich  um 
Morbillen  oder  Rubeolen  oder  vielleicht  um  Morbillenreeidiv 
handelte,  nicht  möglich,  und  erst  der  weitere  Verlanf  und 
die  spätere  Sichtung  der  einzelnen  Fälle  konnte  genauen  Auf- 
schluss  darüber  bringen. 

Die  Zahl  der  hier  in  Frage  kommenden  aus  der  Stadt 
aufgenommenen  Kinder  betrug  61.  Für  genaue  und  frühe 
Beobachtung  war  aber  hierbei  von  ganz  besonderem  WerÜi, 
dass  das  infectios  erkrankte  Kinder  sehr  rasch  isolirende  und 
zur  Behandlung  dem  Hospitale  übergebende  Findelhaus  zwei 
Drittel  der  Fälle  (41)  stellte.  Und  gerade  diese  Patienten 
waren  es,  die  infolge  der  Art  des  Exanthems  und  des  so  ver- 
schiedenen Verlaufes,  vor  Allem  aber  infolge -der  in  einigen 
Fällen  bald  nach  der  Entlassung  von  Neuem  sich  einstellenden 
Erkrankung  besonderes  Interesse  beanspruchten.  Deshalb 
habe  ich  auch  aus  ihnen  allein  die  folgenden  Beispiele  aus- 
gewählt. Und  so  sei  es  mir  gestattet,  zunächst  einige  theils 
leichte  theils  schwere  F^le  zu  citiren,  ohne  denselben  vor- 
läufig einen  Namen  beilegen  zu  müssen. 

A.  Leichte  KnmklieitHfom. 

IL  Fall  1.  Otto  HOphier,  4  Jahre  alt,  wurde  am  18.  Mai  auf- 
genommen, nachdem  er  Tags  vorher  unt^r  einer  Temperatareihöhung 
von  8S,6  einen  kleinfleckigen  Anttchlag  im  Gesicht  und  am  Bampfe 
dargeboten  hatte.  Bei  der  Aufnahme  ist  derselbe  dentjlich  nur  noch 
an  aen  Beinen,  weniger  scharf  am  Rumpfe  sichtbar,  nnd  twar  sind  es 
kaum  linsengrosse,  meist  runde  Efflorescenien.  Daneben  besteht  ge- 
rinf^r  Schnupfen  und  Hnstenreit,  mlUsige  Rötfaung  des  harten  nnd 
weichen  Gaumens.  SO,  HaL  Exanthem  vollkoaiimen  venchwnnden,  Reste 
der  Angiaa  noch  sichtbar.  St.  Mai.  Angina  ebenfalls  beseitigt  S4.  Mai. 
Befinden  w&hrend  der  gansen  Zeit  &st  nnveriuidert  gut,  kein  Fieber, 
keine  Abschuppung,  Sntlassnng. 

11.  Fall  %.  £ma  Dieti,  5  Jahre  alt.  Pat.  wurde,  nachdem  er  am 
Abend  vorher  mit  Fieber  vS^6'"'  erkrankt  war,  am  9.  Juni  angenommen 
und  swar  fisnd  sich  ausser  einer  Temp.  ron  SS,l*,  geringer  Lichtscheu 
and  m&ssig^m  Schnupfen  eine  nwhx  uubctrru  utliche  KOthung  der  Schleim- 
haut des  Gaumens  und  Kachens,     D^  Exanihem,  hier  snch  besonders 


Eine  Mawra-  and  BOthelnepidemie.  57 

d«nUic1i  im  Gesicht,  wftr  aocb  schon  Ober  Rnmpf  und  GitTemitäten  aus- 
gebreitet und  bestand  am  blaBerotheu,  ieolirt  stebeoden,  regelroäuig 
lieformteD ,  c».  binekorugiotaen  oder  etwas  f^rOsseren  Efflorescenzen. 
Am  lO.Jnni  begann  bei  Tolltt&ndifrem  Wohlbefinden  —  mit  dem  Eiaken 
der  Temperatur  cur  Norm  —  das  Exanthem  zd  erblassen  und  der  Ea- 
tatrh  xQTJlokznfreheit.  Am  11. Juni  war  der  Anaachlag  nicht  mehr  sicht- 
bar.    13.  Juni  EnUasgung. 

B.  Soliwere  Srankheitsform. 

II.  Fall  3.  Arthur  Heine,  4  Jahre  alt,  aufgenommen  ).  April. 
Anamnese  fehlt.  Status:  Pat.  itit  ein  massig  kräftiger,  einen  siemltch 
acbweren  Erankheitseindmck  machender  Knabe.  Es  besteht  Lichtscben, 
Schnupfen  und  trockener  Hosten.  Die  Zunge  ist  stark  beleift,  der  harte 
Gaumen  blass,  der  weiche  Gaumen  daf;e(;en  zeigt  ponktfBrmige,  in- 
ceinen  hinteren  Partien  diffuse  Rflthuug.  Gesicht,  H'iU,  Racken,  weniger 
Bnist   nnd  Bauchdecken   sind 

mit  einem  am-  kleinen  hine-  II.    Fall  S, 

kora-    bis    linsen  grossen,  April  1893. 

■cbon  ziemlich  dicht  steheu- 
deo,  wenig  erhabenen  Efflo- 
rescenzen  bestehenden  Eian- 
tbem  bedeckt,  das  in  den 
nftcbsf'>D  beiden  Tagen  neben 
dem  Fortbestehen  der  Angina 
schon  etwas  absablassen  be- 
ginnt, am  4.  April  aber  nach 
einer  sehr  unruhigen  Nacht 
noch  einmal,  besondere  im  Ge- 
sicht sehr  dentlich  aufflackert. 
Am  5.  und  6.  April  blaast  der 

Anaichlaff  ab,  auch  besgem  sich  die  anfänglich  vorhandenen  katarrha- 
lischen Erscheinungen.  Am  7.  April  wird  eine  ziemlich  starke  Absehup- 
pnng  im  Gegicht  und  den  Streckseiten  der  oberen  and  unteren  Extremi- 
täten bemerkt  nnd  eine  rechtsseitige  Otitis  media  nachgewiesen.  Beide« 
hält  sich  noch  mehrere  Tage,  am  17.  April  aber  kann  Fat  geBi&d  nach 
dem  Findelltanse  entlassen  werden.  '  ' 

n.  F»n  4.  Martha  Naumann,  3  Jahre  alt,  aufgenommen  den 
S.  April.  Status:  Krftftiges,  gut  genUhites  Eind,  ist  apathisch  nnd 
weinerlich  gestimmt.     Geringe  Con-  n  n  j 

iunctiTitia  n,  BhinitiB.  Znnge  mäasig  "•    ''^  *• 

be)^  Schleimhaut  des  harten  Gau-  April  1893. 

mens  ist  blase,  diejenige  des  weichen 
Ganmens  aber  zeigt  erweiterte  nnd 
itfifker  durchscheinende  Blntge^se, 
während  ihr  dem  Isthmiis  zugewen- 
deter Rand  diflus  gerGthet  isL  Ge- 
ringer Hustenreiz.  Im  Gesicht,  Bru'' 
nnd  Backen  rereinzelte  rotho  K. 
florescenzen  sichtbar,  die  am  1.  April 
besonders  am  Rumpfe  mehr  poly- 
gonale nnd  zackige  Gestalt  ange- 
nommen und  nun  auch  die  ßitretni- 
Uten  ergriffen  haben.  Gleichieitig 
ist  eine  Bronchitis  sicca  nachweisbar.  Tn  den  nUchsten  beiden  Tagen 
wird  das  Allgemeinhe&nden  bodeatend  besser,  das  Exanthem  blaast  ab 


58 


Dr.  ClauB: 


IL   Fall  5a. 

April  1998. 


uod  ist  am  9.  April  mit  Hinterlassung  einer  massigen  Abechuppung  yer- 
Bcbwnnden.  Es  bestand  nur  noch  eine  siemlich  starke  und  hartnackige 
Stnhlyerstopfnng,  die  wahrscheinlich  das  noch  bestehende  Fieber  bedingte, 
in  kurzer  Zeit  aber  beseitigt  war.  Am  16.  April  konnte  das  Kind  ge- 
heilt entlassen  werden. 

Dieser  yerschiedenartige  Verlauf,  den  wir  hier  bei  ver- 
schiedenen Individuen  beobachten  konnten,  kehrte  nun  in 
einer  Reihe  von  Fällen  bei  ein  und  demselben  Kinde  wieder. 
Und  ich  fQge  deshalb  die  hierüber  gemachten  Beobachtungen 
obigen  Krankengeschichten  an: 

C.  Doppelerkrankungen. 

n.  Fall  5a.  Woldemar  Trautmann,  4  Jahre  alt,  aufgenommen 
den  8.  April.  Massig  krfiftiffes  Kind.  Im  Gesicht  (Wangen  und  Stirn) 
nur  undeutliches,  am  Halse  dentiiches  punktförmiges  Exanthem.  Keine 
Co^jancti?itis,  stärkere  Rhinitis,  Hustenreiz.  Zunge  wenig  belegt.  Ge- 
ringe ROtbunR  des  Rachens  und  weichen  Gaumens.  Massige  Apathie 
und  Schlafsn<mt   Puls  regelmässig,  140.    Am  4.  April  ist  das  Exanthem 

im  Gesieht  deutlicher,   die  Zunge  stärker  belegt. 

Harter,  besonders  aber  weicher  Gaumen  zeigt  eine 

Eunktfbrmige  Röthung,  die  sich  nach  den  Gaumen- 
ogenrändem  und  nach  der  Uvula  hin  su  diffuser 
Röthung  Terdichtet.  Daneben  starker  Schnupfen 
und  Husten.  Das  Exanthem,  aus  hirsekomgrossen 
und  noch  grösseren,  unregelmässig  geformten,  wenig 
confloirenden  Flecken  bestehend,  hat  sich  jetzt 
Ober  den  ganzen  Körper  ausgebreitet.  Am  5.  und 
6.  April  blasst  der  Ausschlag  allmählich  ab;  es- 
besteht  nur  noch  geringer  Schnupfen  und  ein 
massiger  Hnstenieis.  Gaumen  und  Rachen  sind 
weniger  geröthet  Am  7.  April  ist  vom  Exanthem 
nichU  mehr  zu  sehen.  Zunge  ohne  Belag,  feucht. 
9.  April  Schnupfen  und  Husten  verschwunden, 
Rachen  i>las8.  Es  besteht  nur  noch  massige  Diarrhöe,  die  während  der 
nächsten  Tage  noch  anhält,  aber  allmählich  sich  bessert  und  die  Ent- 
lassung am  17.  April  gestattet 

IL  Fal  I  6  b.  Derselbe  Patient  wird  wieder  aufgenommen  am 
17.  Mai,  nachdem  derselbe  am  16.  Mai  Abends  leicht  gefiebert  (8S,5) 
und  einen  kleinfleckiffen  undeutlichen  Ausschlag  im  Gesicht  dargeboten 
hatte.  Am  Morgen  des  Aufhahmetages  ist  das  Exanthem,  das  sich  aus 
kleinen  und  kleinsten  blassrothen,  punktförmigen,  wenig  erhabenen 
Fleckchen  zusammensetzt,  fiber  den  ganzen  Körper  ausgebreitet.  Der 
weiche  Gaumen  ist  weni^  geröthet.  Daneben  besteht  geringer  Husten- 
reiz, gerin£[e  Corgunctivitis  und  Rhinitis.  Temp.  88,0  ^  Schon  am  Nach- 
mittag be^nt  der  Ausschlag  vom  Gesicht  aus  abzublassen,  sodass  er 
am  ll.  Mai  nur  noch  an  den  unteren  Extremitäten  schwach  zu  erkennen 
ist.  Kein  Fieber.  Am  19.  Mai  ist  vom  Exanthem  keine  Spur  mehr  vor- 
handen. Pai  befindet  sich  wohl  und  geht  bereits  am  80.  Mai  geheilt  ab. 

II.  Fall  6a.  Anna  Hirschmann,  4  Jahre  alt,  aufgenommen  den 
4.  April,  nachdem  dieselbe  schon  am  Abend  yorher  hoch  gefiebert  haben 
soll.  Der  Bef^ind  ist  folgender:  Neben  gleich  massiger  Röthun|^  dea 
Rachens  und  der  Gaumenbögen,  massiger  Bronchitis  und  genngem 
Schnupfen  lässt  sich  ein  über  Gesicht,  Rumpf  und  Extremitäten  ans- 


IT 


Eine  Maaern-  und  RCtbebepidemie.  59 

f^breitete«,  &iie  ca.  binekom-  bü  linsengroaseu,  bräuulich-rotben,  wcni;; 
conBoireadeD  Flecken  tueammengeaetitea  EzanUieiii  erkenDen.    Dmselbe 
hält  aicb  nnter  Fortbestehen  der  katarrbalischeo  Er- 
echeiDDDgen   bis    sum  nächsteD  Nochraittag,  an  wul*       II-   Fall  6a. 
Aem  es  bereits  im  Gesiebt  abzablBssen  beginnt.     Am  April  1893. 

7.  April  ist  die  Angin»  hat  gons  Teiscbwnnden  nnd 
der  Ansscblag  ist  nnr  noch  an  einzelnen  Stellen  des 
Rampfea  ondeDtlich  sichtbar.  Geringer  Schnopfen  and 
LaftrChrenkatairb  besteht  noch.  9,  April  Eatanh  ge- 
hoben.   Woblbefindeo.     10.  April  Entlassnng. 

n.    Fall  6b.     PatientJD  wird  wieder   aargenom- 
men  am   14.  Hai  N.     Dieselbe  befindet  aich  anschei- 
nend gana  wohl ,  obgleich  weicher  tind  hinterer  Theil 
des  hart«n  '  Gaomens ,    sowie    Bachen    gerSthet    und 
Geiieht,    Rnmpf  und   Extremisten    mit    einem   klein- 
Beckigen   Eianthem   fiberiagen    sind,    dessen    einielne 
blauTothe   Emptianen   fast   dnrcbgängig  isolirt  8t«hen   nnd   nur   im   Oe- 
■icht,  beaondeis  am  Mund  und  Nase ,  zu  einer  mehr  gleichmB^sigen  ROthung 
Anlan  geben.  Temp.  37,5  Am  15,  Jnni  früh  hat  sich  der  Ausschlag,  nach- 
dem er  im  Geeicht  schon  ondeutUcher  geworden,  anch  aber  den  ganien 
KSrper  aasgebreitet  nnd  ^gt  am  Nachmittag  auch  am  Rumpfe  an  ab- 
rablaesen.    Daneben  besteht  leichter  Bindebautkatarrh  und  Eustenreis. 
Temp.  DonnaL    Appetit  nnd  Allgemeinbefinden  gut.    Am  16.  Mai  ist  nnr 
SD  den    nnteren  EztremitStcn  ein  Rest    des  Ausschlages  sichtbar,  am 
n.  Hai  aber  ist  gar  nicbta  mehr  davon  m  sehen.    16.  Mai  Entlassung. 

H.  Fall  7a.  Martha  Bunte),  6  Jahre  alt,  aufgenommen  den 
H.  April,  ist  ein  kräftigee,  gut  genährtes  Kind.  Im  Qesioht,  das  selbst 
etwH  gerOthet  erscheint,  und  zwar  besonders  am  Einu  und  Wangen, 
iioliit  stehende,  dnnkelroth  gefärbte,  rundliche  Fleckchen  Ton  verschie- 
deaeiGrCase.  Ilachen  und  weicher  Gaumen  gleichmUssig  gerOthet.  Binde- 
hactkatarrh.  26.  April  Exanthem  auch  auf  Hals  nnd  RQcken  an- 
gedeutet. Lippen  nnd  Zunge  trocken,  dazu,  letztere  belegt.  Hustenreis, 
itaike  Diarrhoe.  In  der  Nacht  rom  36.  zum  86.  April  grosse  Unruhe, 
leichte  Delirien.  Am  S6.  April  ist  das  Exanthem  über  Rumpf  uad  obere 
Extremitäten  ausgebreitet.  Mehrmals  Erbrechen,  Diarrhoe  geringer. 
Am  !7.  April  steht  der  Ausschlag ,  dessen  einzelne  EfBoresceozen  noch 
tagsvorher  isolirt  waren,  jetst  aber  nnregelmässig  geformt  sind  und  be- 
■onders  am  Rumpf  con&niren,  in  voller  BlQlhe.  Am  33.  April  im  Ge- 
sicht neben  den  Resten  des  verschwindenden  Ausschlages  geringe 
Schnppung.   Katarrh  gebessert.   Am  39.  April 

ist  der  Ausschlag  fast  ganz  erblasst.    Wohl-  II.    Fall  7  a. 

befinden.     Am  1.  Mai   starke  kleienfOrmige  April  1S93 

Abtchappong    am    ganzen    KOrper,      b.   Mai 
EnUaesnng. 

II.  Fall  7b.  PatientiD,  welche  sich  in 
der  Zwischenzeit  vollkommen  wohl  befand, 
erkrankt  am  14.  Mai  wieder  mit  einem  Ans- 
scblag nnd  wird  deshalb  noch  am  selben 
Mittag  dem  Hospital  abergeben.  Der  AIl- 
Kemeinxustand  ist  fcaam  gestOrt.  Leichte 
Conjunotivitia  und  Angina.  Im  Qeaichtf,  am 
^se  und  an  den  obersten  Partien  der  Brost 
ist  ein  kleinfleckigee  blasses  Exanthem  sicht- 

liar,  dos  aich  am  folgenden  Tage   unter   Steigerung  der  katarrhalischen 
Encbeioongen   nnd  der  aonst  normalen  Temperatnr  bis  eu  38,4*  Aber 


62 


Dr.  Claas: 


tivitis,  RhiniÜB  and  Bronchitis.  Am  22.  Mai  ist  das  Exanthem  über 
den  ganten  Körper  ausgebreitet,  die  katarrhalischen.  Affectionen  sind 
st&rker  geworden.  Am  23.  Mai  beginnt  mit  der  Besserung  des  Ka- 
tarrhes  das  Abblassen  des  Exanthems,  aber  erst  am  26.  Mai  ist  es 
ganz  verschwunden.  Abschuppung  wird  nicht  beobachtet.  29.  Mai 
Entlassung. 

IL   Fall  IIa.    Kurt  Henke,  3  Jahre  alt,    aufgenommen  den  6.  Mai, 


ist   ein    grosser   kräftiger  Knabe. 

II.   Fall  IIa. 

Mai  1893. 


Im  Gesicht  desselben  bemerkt  man 
ein  kleinfleckiges,  nur  auf  Stirn 
und  Wangen  mehrfach  zusammen- 
fliessendes  Exanthem  von  lebhaf- 
ter Färbung.  Dasselbe  ist  am 
Rumpf  durch  zerstreute,  ganzblass 
aussehende,  kleine  runde  Flecke 
nur  angedeutet.  Starke  Lichtscheu, 
beträchtliche  katarrhalische  An- 
gina, geringe  Bronchitis.  Am  7.  Mai 
ist  der  Ausschlag  am  Rumpf  und 
an  den  Armen  deutlicher^  während 
die  Beine  noch  frei  sind.  Am 
8.  Mai  ist  das  Exanthem  am  Ge- 
sicht schon  etwas  abgeblasst,  auch 
am  Rumpf  hat  die  lebhafte  rothe 
Färbung  einem  helleren  Bräunlich- 
roth Platz  gemacht,  doch  stehen 
die  einzelnen,  ca.  linsengrossen ,  meist  runden  Flecke  viel  dichter  und 
confluiren  auf  den  oberen  Partien  der  Brnst,  auf  dem  Röcken  und  den 
abhängigen  Theilen  des  Bauches.  Die  katarrhalischen  Erscheinungen 
bestehen  unvermindert  fort.  Am  9.  Mai  breitet  sich  das  Exanthem 
auch  über  die  bis  dahin  frei  gebliebenen  unteren  ExtremiUlten  aus. 
Am  10.  Mai  nehmen  die  katarrhalischen  Erscheinungen  zu,  ohne  dass 
ein  Symptom  auf  ein  hervorragend  betheiligtes  Organ  hinweist,  und 
gleichzeitig  tritt  am  Nachmittag  der  schon  erblasste  Ausschlag  im  Ge- 
sicht und  auf  der  Brust  wieder  deutlicher  hervor.  In  den  nächsten  zwei 
Tagen  verschwindet  das  Exanthem  wieder  vollständig,  auch  der  Ka- 
tarrh geht  zurück,  und  am  16.  Mai  kann  die  Entlassung  des  Pat.  er- 
folgen. 

II.  Fall  IIb.  Aber  schon  14  Tage  später,  am  19.  Mai,  wird  Pat. 
wieder  ins  Hospital  gebracht  und  es  findet  sich  bei  der  Aufnahme 
neben  einer  Temp.  von  39^,  leichtem  Schnupfen,  geringer  Lichtschea 
und  massiger  Angina  ein  über  Hals  nnd  Brust,  besonders  aber  ^t^r 
Rücken  und  Beugeseiten  der  Arme  und  Beine  ausgebreitetes,  aus  kleinen 
und  kleinsten  rundlichen,  isolirt  und  mehr  oder  weniger  dicht  ste- 
henden, blassrothen  Fleckchen  sich  zusammensetzendes  Exanthem,  das 
bereits  am  30.  Mai  unter  Sinken  der -Temp.  zur  Norm  und  unter  Nach- 
lassen der  geringen,  durch  den  Katarrh  bedingten  Beschwerden  zu  er- 
blassen  beginnt  und  am  1.  Juni  nicht  mehr  sichtbar  ist.  Entlassung 
am  2.  Juni. 

IL  Fall  12  a.  Hannchen  Henke,  2  Jahre  alt,  aufgenommen  den 
6.  Mai,  ist  ein  mittelkräftiges  Kind,  das  neben  geringer  Fieberatei- 
gerung  (38,2),  Conjunctivitis,  Angina  catarrhalis  und  leichtem  Husten- 
reiz im  Gesicht  und  auf  der  Brust  ein  deutliches,  aus  punktförmigen 
oder  etwas  grösseren  isolirten  rothen  Flecken  bestehendes  Exanthem 
aufweist.  Das  letztere  breitet  sich  am  nächsten  Tage  unter  einer  Tem- 
peratnr  von  38,0  auch  über  den  übrigen  Körper  ans,  beginnt  am  8.  Mai 
im  Gesicht  abzublassen  und  ist  am  9.  Mai  nicht  mehr  zu  sehen,  i^h- 


Eine  Huern-  nnd  RCthebepideinie.  63 

itoi  der  Rachen  noch  getOthet  iat.  Am  12.  Hai  ist  auch  die  Angina 
(«rgebinuden  und  Pkt  wird  am  12.  Mai  geheilt  entlasBen. 

II,  Fall  ISb.  Aber  schon  am  83.  Mai  wird  daaoelbe  Kind  wieder 
dem  Hotpital  flbergeben,  nachdem  et  bereite  am  Abend  Torhei  mit 
einem  an  der  Brnst  tnerst  eracheinendec  Auaschlag  erkrankt  war.  Bei' 
der  am  S2.  Hai  frQh  erfolgten  Anftiabme  zeigt  das  Exanthem,  im  ge- 
daBieoen  Gesicht  am  mnden  Effloreacenzen  bestehend,  am  Kampf 
und  an  den  oberen  Extremitäten  mehr  gezackte,  anregetmSaüg  ge- 
tormte  und  theilweiee  Eneammen&ieBaende  Flecken ,  wird  Abends  noch 
deaUidier  und  lebhafter  gefärbt  nnd  greift  auch  anf  die  anteren  Es- 
tremitUen  Ober.  Besondera  auffällig  aber  ist  die  starke  Ujperfimie'  des 
Oanmen*  und  Bacheoa  und  die  beden- 

leode  BOthong    nnd    nicht    nnbeträcbt-  [f,    i^^H  12b. 

liihs  Sehwelloug    der    Handeln,    ■owie  w  ■  -.„, 

die  mit  einem  iwar  tonlosen,  aber  doch 
necb  nicht  ausgesprochenen  cronpSsen 
Balten  einbergebende  Heiserkeit.  Die 
am  Tage  beobachtete  Unruhe  macht 
Abends  einer  gewissen  Somnoleni  Ptati. 
Am  28.  Hai  fiQh  ist  das  Exanthem 
im  Gesicht  etwaa  undeutlicher ,  am 
Sbiigeo  KOrper  im  selben  Zuatande  wie 
tagiTOrher.  Der  Befimd  im  Rochen,  in 
dem  lieh  nirgends  ein  Belag  sehen 
lirat,  ist  onverilndert;  aber  die  vorher 
beslebeade,  in  Heiserkeit  sich  documen- 

tiiende  Kehlkopfaffection  hat  jetzt  zu  einer  sich  rasch  TerschUmmem- 
deo  Slenose  geführt,  welche  wegen  mehrmals  sich  wiederholender  Stiok- 
uifStle  bereits  Hittag  1  Uhr  die  Tracheotomie  nOthig  macht.  Wäh- 
rend der  nächsten  Tage  bleibt  das  Fieber  mit  geringen  Romissionen 
hoch  nnd  es  erfolgt  mit  innebmender  Schwäche  des  immer  sehr  be- 
Kbleanigten  Pnlses  der  Tod  am  27.  Hai,  ohne  dasa  absteigender  Croup 
oder  Sepsis  «ingetreten  war. 

Gilt  es  jetzig  die  letzterTr  ahnten  Fälle  (Fall  II,  1—12)  zu 
Bichten  und  die  Art  der  Erbranknag  festzustellen,  so  kann  es 
meiner  Ansicht  nach  keinem  Zweifel  unterliegen,  dasg  es  sich 
hier  um  zwei  verschiedene  Frocease,  um  zwei  ael  batständige 
nnd  eigenartige  Erankheitsformen  handelt.  Deuten  darauf 
schon  die  als  leichte  und  schwere  Formen  beschriebenen  Fälle, 
so  sprechen  doch  noch  vielmehr  dafür  die  ganze  Reihe  der 
dtirten  Doppelerkrankungen.  Aber  auch  diese  könnten  ja  für 
manchm  Skeptiker  noch  nicht  überzeugend  sein,  sofern  immer 
erst  eine  schwere  und  dann  eine  leichte  Erkrankung  —  viel- 
leicht Masern  nnd  Masemrecidiv  —  dasselbe  Eind  befallen  hätte. 
Da  aber  ebenso  die  umgekehrte  Reihenfolge  beobachtet  wurde, 
da  man  sehen  konnte,  wie  erst  ein  Eind  an  einem  äOchtigen 
mit  leichten  katarrhalischen  Begleiterscheinungen  und  geringem 
Fieber  ein  hergehen  den  Exanthem  erkrankte,  um  nach  kurzer 
Zeit  einen  neuen  Ausschlag  mit  einem  für  Masern  als  typisch 
beschrietwnen  Verlaufe  durchzumachen,  so  musste  sich  auch 
dem  vollständig  neutralen  Beschaner  die  Ueberzeugung   auf- 


G4  Dr.  Claus: 

dräugen,  dass  hier  neben  einander  Masern  und  die  viel- 
nmstrittenen  Böthein  das  Feld  behaupteten.  Eine  Ver- 
wechselung der  letzteren  mit  Scharlach^  die  bei  Beurtheilung 
des  Exanthems  an  sich  einige  Male  vielleicht  hätte  vorkommen 
können^  war  deshalb  nicht  möglich,  da  bei  allen  Kranken 
das  Gesicht  mit  ergriffen  und  meist  zuerst,  oft  sogar  nicht 
unbeträchlich  befallen  war,  da  ferner  katarrhalische  Affec- 
tionen  der  Luftwege,  mochten  sie  auch  noch  so  geringen 
Grades  sein,  nie  ganz  fehlten  und  endlich  eine  für  Scarlatina 
charakteristische  Angina  und  Abscbuppung  nie  beobachtet 
wurde. 

Stand  somit  die  Diagnose  Rubeolen  fest,  so  hatten  wir 
an  den  hier  angeführten  und  an  den  übrigen  während  der 
Epidemie  beobachteten  Fällen  genügende  Gelegenheit,  über 
das  Wesen  dieser  Krankheit  Erfahrungen  zu  sammeln,  deren 
Resultat  ich  in  Kürze  berichten  möchte: 

1.  Die  Röthein,  die  als  eine  selbständige  neben  Masern 
und  Scharlach  vorkommende  Krankheit  angesehen  werden 
mussten,  zeigten  nicht  die  grosse  Contagiosität  der  Morbillen, 
auch  wurde  eine  zweitmalige  Rubeolenerkrankubg  nicht  beob- 
achtet. 

2.  Die  Incubationszeit  liess  sich  in  unseren  Fällen  nie 
mit  absoluter  Genauigkeit  berechnen,  doch  schien  sie  zwischen 
2—3  Wochen  zu  schwanken. 

3.  Der  Verlauf  war  ein  ausnahmslos  leichter.  Das  be- 
fallene Kind  erkrankte  fast  immer  ohne  jedes  kurze  vorher- 
gegangene Unwohlsein  mit  einem  plötzlich  einsetzenden  und 
zwar  meist  sofort  seine  höchste  Steigerung,  aber  selten  einen 
sehr  hohen  Grad  erreichenden  Fieberanfall.  Gleichzeitig  wurde 
im  Gesicht  (besonders  Stirn,  Wangen,  Kinn)  sowie  am  Hals 
(hier  bisweilen  undeutlicher)  das  Exanthem  sichtbar.  Während 
nun  die  Temperatur  meist  in  einem  halben  oder  ganzen  Tage, 
seltner  in  30 — 48  Stunden  zur  Norm  sank,  überzog  der  Aus- 
schlag den  übrigen  Körper.  Derselbe  war  aber  selten  ganz 
und  in  gleicher  Weise  befallen ;  denn  meist  war  das  Exantnem 
im  Gesicht  schon  verschwunden  oder  im  Abblassen  begriffen, 
wenn  es  die  unteren  Extremitäten  einnahm. 

4.  Gewöhnlich  liess  sich  mit  dem  Beginne  der  Krankheit 
auch  schon  eine  Angina  nachweisen,  und  zwar  waren  fast 
immer  zuerst  der  weiche  Gaumen  und  die  Tonsillen  geröthet, 
und  erst  dann  nahm  auch  die  Schleimhaut  des  harten  Gaumens 
an  dieser  Röthung  theil.  Diese  selbst  wurde  bedingt  durch 
bald  mehr  bald  weniger  dichte  unregelmässige  erweiterte 
Schleimhautgefässchen,  seltener  durch  als  Exanthem  anzu- 
sehende    punktförmige    Fleckchen     und    Spriesseln.      Diese 


Eine  Masern-  und  Rötheinepidemie.  65 

Rothong  nahm  nun  fast  immer  von  Torn  nach  hinten  an 
Intensität  zu,  um  an  der  hinteren  Randzone  des  weichen 
Gaumens  zu  einer  mehr  gleichmässigen  Röthung  Anlass  zu 
geben.  Dieser  Katarrh  der  Rachenorgane  hielt  sich  meist  in 
sehr  engen  Grenzen,  so  dass  eine  Angina  lacunaris  nie  zur 
Beobachtung  kam.  In  der  Art  der  Angina  selbst  etwas  für 
die  Röthein  Charakteristisches  zu  finden,  haben  wir  uns  yiel, 
aber  vergeblich  bemüht,  auch  konnten  wir  in  den  von  manchen 
Autoren  für  Röthein  als  typisch  beschriebenen  Lymphdrüsen- 
schwellungen kein  sicheres  Symptom  sehen,  da  sie  hier  ebenso 
gut  Yermisst  wie  bei  Masern  nachgewiesen  werden  konnten. 

5.  Leichte  Conjunctivitis  war  häufig,  nie  aber  fehlten 
die  katarrhalischen  Affectionen  der  Luftwege,  mochten  die- 
selben  auch  nur  unbeträchlich  sein  und  sich  durch  einen 
massigen  Schnupfen,  geringe  Heiserkeit,  oder  durch  einen, 
ohne  objectiv  nachweisbare  Ursache  bestehenden  Hustenreiz 
auszeichnen. 

6.  Die  Zunge  war  fast  in  jedem  Falle  am  ersten  Tage 
trocken  und  stark  belegt,  der  Belag  selbst  in  fast  charakte- 
ristischer Weise  von  wenigen  stark  gerötheten  Papillen  über- 
ragt. Mit  dem  Nachlassen  des  Fiebers  und  mit  dem  Er- 
blassen des  Exanthems  wich  auch  allmählich  meist  von  den 
Bandern  aus  der  Belag  der  immer  mehr  sichtbar  werdenden 
feuchten  Zungenschleimhaut.  Eine  stärkere  Affection  des  Ver- 
dauungstractus  aber  oder  eine  Nierenerkrankung  kam  nicht 
vor,  auch  wurden  Complicationen  und  Anomalien  wie  Urticaria, 
Hämorrhagie  etc.  und  vor  Allem  auch  Nachkrankheiten  nicht 

beobachtet,  alles  Zeichen  für  die  leichte  Natur  der  Erkrankung. 

• 

7.  Das  Exanthem  selbst  zeichnete  sich,  mochte  auch  ein 
gewisser  kleinfieckiger  Typus  vorherrschen,  durch  seine  Ver- 
schiedenheit aus.  Die  einzelnen  in  einem  gewissen  Abstände 
von  einander  stehenden  meist  blassrosa  geförbten  Ef&ores- 
cenzen  waren  gewöhnlich  hirsekorn-  bis  linsengross.  Es 
kamen  aber  auch  Fälle  zur  Beobachtung,  in  denen  die  einzelnen 
Fleckchen  kaum  Stecknadelkopfgrösse  überstiegen  oder  sich 
durch  ihre  Grösse  und  unregelmässig  zackige  Gestalt  aus- 
zeichneten. Gesellte  sich  nun  hierzu  noch  eine  gewisse  Nei- 
gung zur  Confluenz  und  eine  von  dem  gewöhnlichen  blassen 
Roth  abweichende  mehr  intensive  oder  dunklere  Färbung,  so 
kam  die  schon  bestehende  Aehnlichkeit  mit  einem  Scharlach- 
oder Masemausschlag  noch  mehr  zur  Geltung. 

Steht  somit  fest,  dass  ein  für  alle  Rötheinerkrankungen 
gleiches  und  charakteristisches  Bild  des  Exanthems  nicht 
existurt   und    dass    das   proteusähnliche    Auftreten    der 

JahrlMioh  t  Kinderh^üknnde.  N.  F.    XXXVIII.  ^ 


IV. 

Bie  centrale  Innerration  der  Saog^bewegniigen. 

Von 

Dr.  Karl  Basch  in  Prag. 

Unter  den  coordinirten  Bewegungen  des  Neugeborenen 
ist  wohl  keine  so  vollkommen  wie  die  des  Saugens.  Be- 
trachten wir  den  Mechanismus  desselben,  sowie  das  zu  diesem 
Zwecke  so  genau  ineinander  greifende  Spiel  der  verschieden- 
fachen  Muskel gruppen,  so  drängt  sich  uns  die  Anschauung  auf^ 
dass  diese  complicirte  motorische  Leistung  von  einem  beson- 
deren nervösen  Apparate  aus  geleitet  wird^  und  es  ergiebt 
sich  hieraus  weiter  das  Problem^  an  welcher  Stelle  des  Nerven- 
systems dieses  Centrum  zu  verzeichnen  wäre. 

Bis  in  die  jüngere  Zeit  war  dem  Mechanismus  des  Sau- 
gens von  Seiten  der  Physiologen  nur  wenig  Beachtung  ge- 
schenkt worden.  Nachdem  sich  durch  Jahrhunderte  die  Vor- 
stellung erhalten  hatte,  dass  die  Wangen  infolge  einer  activen 
Function  des  Buccinator  besondere  Saugorgane  seien,  war  mau 
seit  der  Zeit  Haller's^),  welcher  eine  derartige  Thätigkeit 
dieses  Muskels  widerlegte,  wohl  darüber  einig,  dass  das  physi- 
kalische Princip  beim  Saugacte  in  einer  Verdünnung  der 
Mundhöhlenluft  und  der  Gegenwirkung  des  äusseren  Druckes 
bestehen  müsse,  bezüglich  der  Form  Veränderung  und  der 
Muskelaction  aber,  durch  welche  diese  Luftverdünnung  in  der 
Mundhöhle  hergestellt  werden  sollte,  sind  im  Laufe  der  Zeit 
verschiedene  Anschauungen  hervorgetreten. 

Eine  Reihe  von  Autoren,  denen  Burdach*),  Funke ^) 
angehören,  begnügte  sich  damit,  die  Saugbewegung  einfach 
als  eine  modificirte  Form  der  Inspiration  aufzufassen. 

1)  F.  Haller,  Elementa  pbysiologiae  t. IV,  p.  37.  Git.  n.  Auerbacb. 

2)  Burdach,  Die  Physiologie  als  ErfahrnngswiBseDSchaft.   Leipzig 
1840. 

S)  Funke,  Lehrbach  der  Physiologie. 


E.  Basch:  Die  centrale  Innervation  der  Saugbewegnngen.        69 

Eine  andere  Reihe  yon  Autoren,  wie  Meissner^),  Ali- 
son*),  Herz^)y  Allix^)  yerglicli  wiederum  beim  Saugacte  die 
Wandungen  der  Mundhöhle  mit  dem  Stiefel  einer  Saugpumpe, 
während  die  Zunge  den  Dienst  eines  Saugkolbens  versehen 
sollte. 

Auch   in  der  Theorie   des   Saugens,   welche  Donders^) 
im  Jahre  1875  entwickelte,  bildet  die  active  Rückwärtsbewegung 
der  Zunge  noch  einen  hervorragenden  Bestandtheil.     Donders 
geht  bei  der  Entwicklung  seiner  Theorie  von  der  Beobach- 
tung aus,  dass  bei  geschlossenem  Mund  die  obere  Fläche  der 
Zunge  dem  harten  Gaumen  dicht  anliegt,  während  das  Gaumen- 
segel dem  Zungengrunde   angeschmiegt  sei.    Es  bliebe  dann 
nur  zwischen   dem   hintern  Theil   der  Zunge  und   dem  wei- 
chen Gaumen  ein  Spaltraum   frei    —    der  hintere  Saugraum 
Donders'   — ,   dessen   Erweiterung,    durch   eine   Rückwärts- 
bewegung  der   Zunge   vermittelt,    beim   Saugacte    das   wirk- 
same Moment  darstellen  sollte.    Donders  unterscheidet  noch 
noch  einen  zweiten  Saugraum  zwischen  der  Unterfläche    der 
Zunge  und   dem  Boden   der  Mundhöhle,   den    sog.   vorderen 
Saugraum,   der   beim  Saugact   in  gleichem  Sinne    aspirirend 
wie  der  vorige  wirken  soll. 

In  der  Folge  wies  aber  Biedert^)  für  den  Erwaclisenen, 
Vierordt^)  für  das  kindliche  Alter  darauf  hin,  dass  die  zum 
Saugen  nothwendige  Luftverdünnung  in  der  Mundhöhle  nicht 
durch  eine  Action  der  Zunge,  sondern  ausscliliesslicli   durch 
die  Abwärtsbewegung  des  Unterkiefers  herbeigeführt  werde, 
wodurch  die   Mundhöhle   in   ihrem    senkrechten  vDurchmesser 
ausgiebig  vergrössert  wird,  während   ihr    wagrecMer  Durch- 
messer durch  Einsenken  der  Wangen  etwas  abnimmt. 

Nach  der  Darstellung  Vier ordt's),  welche  sodann  in  der 
pädiatrischen  Literatur  am  meisten  Ausbreitung  gewann,  um- 
fassen die  Lippen  des  Säuglings  mittelst  der  Thatigkeit  ihres 
Ringmuskels   den   Grund   der   Brustwarze;     die     Zunge   bildet 
eine  nach  oben  ausgehöhlte  Rinne  zum   Ablaufen  der  Müch, 
während  die  nöthige  Luftverdünnung   allein    durch   Abwarts- 
senken  des   Unterkiefers   hergestellt   wird.        Auf  jedes    aspi- 
ratorische  Abwartssenken  desselben  erfolgt  alsbald  eine  Schling- 
bewegung,  bei   welcher   das    Gaumensegel    erhoben   und   das 
Athmen  unterbrochen  wird. 

1)  Meissner,  Lehrbuch  der  Kinderkrankheiten   1838. 

2)  Alison,  Outlines  of  human  phyBiologie  1839. 

8)  Hers,  Das  Sangen  der  Kinder.     Jahrbncb   1  Kinderhlkde.  1865. 

4)  Allix,  Etüde  sur  la  physiologie.     Paris  1867. 

5)  Donders,  üeber  den  MechaniBmua  des  Sangens.    füüger  a  Archiv 
f.  Phjsiolojfie  Bd.  X.  .        .__^ 

6)  P.  Biedert,  Arch.  f.  kliniBcho  Medicin.  >®J,®- ,      ,.,    _.     ^ 

7)  Vierordt,  Physiologie  des  KindeealterB  in  Gerhardt  b  Handbxxcl^ 


70  K.  Basch: 

Erst  Auerbach^)  hat  im  Jabre  1888  darch  seine  gand- 
legende  Arbeit:  „Zur  Mechanik  des  Saugens  und  der  Inspi- 
ration^'  den  Mechanismus  des  Saugens ,  vorwiegend  beim  Er- 
wachsenen klargestellt;  indem  er  Yorerst  die  beiden  Haupt- 
arten  des  Sangens,  die  bisher  vielfach  miteinander  vermengt 
wurden y  charakterisirte,  und  eine  Methode  angab,  welche  es 
ermöglicht,  die  Vorgänge  in  der  Mundhohle  direct  zxx  in- 
spiciren.  Die  beiden  Hauptarten  des  Saugens  sind:  Das  in- 
spiratorische Saugen  und  das  sogenannte  Mund-  oder  Zungen- 
saugen. 

Das  inspiratorische  Saugen,  welchem  Burdach  und  Funke 
das  kindliche  Saugen  zuzählten,  ist  eine  erworbene  Fähigkeit 
und  wird  nur  vom  Erwachsenen,  z.  B.  beim  Ansaugen  einer 
Pipette,  eines  Stechhebers  geübt  Es  geht  bei  offener  Com- 
munication  der  Mundhohlenlufb  mit  der  Lufb  der  Bronchien 
vor  sich,  indem  durch  eine  vertiefte  Inspiration,  durch  eine 
Erweiterung  des  Brustraumes,  die  Luft  in  der  Mundhohle 
verdünnt  und  so  die  Flüssigkeit  angesaugt  wird; 

Beim  Trinken  und  Rauchen  des  Erwachsenen,  beim  Saugen 
des  Kindes  kommt  ausschliesslich  das  sog.  Mund-  oder  Zungen- 
saugen  in  Betracht.  Bei  diesem  wird  unabhängig  von  der 
Einathmung  in  der  nach  rückwärts  abgeschlossenen  Mund- 
höhle die  Luftverdünnung  erzeugt  durch  eine  Erweiterung 
ihres  Innenraums  und  diese  wiederum  bewerkstelligt  durch 
das  Zusammenspiel  eines  combinirten  Muskelapparates,  der 
sich  zusammensetzt:  aus  der  Muskulatur  der  Lippen,  der  Zunge 
und  der  gesammten  Muskulatur,  welche  sich  von  der  Zunge 
bis  zum  Brust-  und  Schlüsselbein  heraberstreckt.  Die  Zunge 
wird  beim  Saugen  des  Erwachsenen  nicht  zurückgezogen,  wie 
man  es  sich  oft  vorgestellt,  es  bleibt  vielmehr  die  Spitze 
derselben  ruhig  an  den  Schneidezähnen  liegen,  während  die 
Zunge  als  Ganzes  eine  Herabziehung  und  Abplattung  erfährt, 
sodass  ein  Theil  des  Zungenfleisches  formlich  aus  dem  Be- 
reiche der  Mundhohle,  nach  Abwärts,  heraustritt,  und  des- 
halb kann  der  sog.  vordere,  richtiger  untere  Saugraum  Don- 
ders'  beim  Saugacte  überhaupt  nicht  in  Betracht  kommen. 

Der  auffalligste  Unterschied  zwischen  der  Saugbewegung 
des  Erwachsenen  und  der  des  Kindes  besteht  darin,  dass  das 
Kind  beim  Saugen  den  Unterkiefer  stetig  mitbewegt.  Der  Er- 
wachsene bedient  sich  nur  ausnahmsweise  der  Mitbewegung 
des  Unterkiefers,  wenn  mit  einem  Zuge  möglichst  viel  in  den 
Mund  gezogen  werden  soll,  sonst  ist  er  im  Stande,  an  jeder 
Stelle  des  Mundes,  z.  B.  einer  Zahnlücke,  zu  saugen.     Das  Plus 


1)  L.  Aaerbaoh,   Zur  Mechanik  des  Saugena  und  der  Inspiration. 
Da  Bois'  Archiv  f.  Physiologie  188S. 


Die  centrale  Innervation  der  Sangbewegungen.  71 

der  durch  Mitbenutzung  des  Unterkiefers   erzielten  Leistung 
bestimmte  Auerbach  auf  %  der  Gesammtleistung. 

Gleichgiltig  aber,  ob  bei  bewegtem  oder  bei  festgestell- 
tem Unterkiefer  gesaugt  wird,  immer  entsteht  der  wahre  Ort 
des  Saugraums  im  vorderen  Teil  der  Mundhohle,  zwischen 
Zangenoberfläche  und  hartem  Gaumen,  nicht,  wie  D  o  n  d  e  r  s  es 
annahm ;  zwischen  dem  hintern  Theil  der  Zunge  und  dem 
weichen  Gaumen.  Die  Binnenbildung  der  Zunge,  welche 
Vierordt  beim  kindlichen  Saugen  beschreibt,  hält  Auer- 
bach für  eine  Erscheinung  von  ganz  passiver  Natur,  in- 
dto  beim  angestrengten,  vergeblichen  Saugen  alle  weichen, 
beweglichen  Organe  soweit  wie  möglich  in  den  Saugraum 
hineingedrängt  werden. 

Angesichts  der  Controverse  der  Zungenbewegung  beim 
^ugling  unternahm  ich  es,  den  Mechanismus  des  Saugens 
bei  demselben  vergleichsweise  mit  dem  des  Erwachsenen  zu 
prüfen.  Es  hat  nämlich  Escherich^)  in  Anknüpfung  an 
einen  Bericht  über  die  Auerbach'sche  Arbeit  von  Neuem  be- 
tont, dass  das  kindliche  Saugen  abweichend  von  dem  des 
Erwachsenen  nur  durch  die  Eaumuskulatur  bewirkt  werde,  und 
dass  hiernach  die  Mitwirkung  der  Zungenmuskulatur  für  den 
Effect  des  Saugens  von  untergeordneter  Bedeutung  sei. 

Ich  bediente  mich  zur  Prüfung  des  kindlichen  Saug- 
mechanismus des  gleichen  Mittels,  welches  Auerbach  für 
den  Erwachsenen  empfahl,  indem  ich  aus  einem  grösseren 
Ohrentrichter,  der  nach  vorn  mit  einer  Glasplatte  verschlossen 
war,  einen  Saugspiegel  improvisirte,  dem  ich  durch  Armirung 
mit  einem  Kautschukschlauch  die  beiläufige  Dicke  einer  Brust- 
warze gab.  Zwischen  Trichter  und  Kautschukrohr  brachte 
ich  ein  dünnes  Metallröhrchen,  das  zu  einem  kleinen  Ballon 
führte,  um  während  des  Saugens  auch  Flüssigkeit  eintreten  zu 
lassen.  Durch  Vor-  und  Zurückschieben  dieses  kleinen  Appa- 
rats konnten  verschiedene  Partien  der  Mundhöhle  eingestellt 
werden,  die   mittelst  eines  Reflectors  beleuchtet  wurden. 

Es  gelang  nun,  besonders  bei  engerem  Trichter,  den- 
selben behutsam  zwischen  die  normaler  Weise  etwas  von  ein- 
ander abstehenden  Kiefer  des  Kindes  einzuführen,  ohne  vorläufig 
Saugbewegung  zu  veranlassen.  Dabei  konnte  man  unter- 
scheiden, dass  in  der  Ruhelage  die  vordere  Hälfte  der  Zunge 
mit  ihrer  stark  convexen  Oberfläche  etwa  im  Niveau  des 
Unterkiefers  steht,  während  die  hintere  Hälfte  derselben 
dem  harten  Gaumen  dicht  anlag.  Löste  man  jetzt  durch 
eine   kräftigere   Berührung  der   Zunge   mit   dem  Saugspiegel 


1)  Edcherich,  üeber  die  Saugbewegung  beim  Neugeborenen.   Ver- 
hAodlungen  der  GesellBchaft  f.  Morphologie  u.  Physiologie.  München  1888. 


74  K.  BASch: 

als  reine  Reflexerscheinung  macht  Frey  er  vorwiegend  gel- 
tend, das8  nur  der  hungrige  oder  nicht  völlig  gesättigte 
Säugling  anhaltend  saugt ,  während  der  satte  die  Brustwarze 
gewaltsam  ausstosst.  Dieses  Verhalten  entspricht  aber  nur 
der  Erscheinung y  dass  der  Saugreflex  im.  Hungerzustande 
schon  auf  minimale  Reize  prompt  und  lebhaft  eintritty  wäh- 
rend die  Auslosung  desselben  beim  Gesättigten  stärkerer  Reize 
bedarf.  Es  kommt  dem  Hungergefühle  und  der  Sättigung 
als  den  elementarsten  Gemeingefühlen,  welche  schon  in  der 
ersten  Lebenszeit  vorhanden  sind,  das  eine  Mal  ein  bah- 
nender (beschleunigender),  das  andere  Mal  ein  hemmender 
Einfluss  zu,  sowie  wir  auch  bei  den  übrigen  Reflexmecha- 
nismen in  den  subcorticalen  Gentren  und  in  der  Hirnrinde 
solche  die  Reflexbewegung  beeinflussende  Stätten  anzunehmen 
genothigt  sind.  Der  Auffassung  der  Saugbewegung  als  Instinct- 
beweguug  stehen  die  Versuche  am  enthirnteu  Thiere  unver- 
mittelt gegenüber. 

Der  streng  harmonische  Charakter  der  Bewegung  beim 
Saugen  lässt  einen  präformirten  bilateralen  Nervenmechanis- 
mus voraussetzen,  welcher  derselben  vorsteht  und  dessen  Sitz 
von  vornherein  in  der  Medulla  oblongata  vermuthet  werden 
kann,  da  die  bei  der  Saugbewegung  zur  Thätigkeit  gelan- 
genden Nerven  dort  ihren  Ursprung  nehmen  und  die  Medulla 
oblong,  vermöge  ihrer  zahlreichen  Quercommissul^n  ganz  be- 
sonders im  Stande  ist,  eine  grosse  Reihe  von  Muskeln  auf 
beiden  Seiten  des  Körpers  gleichmässig  und  gleichzeitig  zu 
innerviren. 

Betrachten  wir,  um  einen  weiteren  Gesichtspunkt  für  die 
Localisation  dieses  Apparats  innerhalb  des  Centralorgans  zu 
gewinnen,  jene  Nerven,  welche  beim  Saugen,  sofern  wir  von 
der  Schlingbewegung  gänzlich  absehen,  zur  Action  gelangen, 
so  sind  dies:  der  motorische  Ast  des  N.  trigeminus,  der  N. 
facialis  und  der  N.  hypoglossus.  Als  Empfindnngsnerv  kommt 
der  sensible  Ast  des  Trigeminus  hinzu.. 

Auf  dem  Gebiete  der  bei  der  Saugbewegung  zur  Thätig- 
keit gelangenden  Muskeln  innervirt  der  motorische  Ast  des 
Trigeminus  hauptsächlich  die  Kaumösknlatur,  dann  noch  den 
M.  mylohyoideus,  den  vorderen  Antheil  des  Biventer  und  den 
Tensor  palati.  Der  N.  facialis  versorgt  die  Muskulatur  der 
Lippen,  den  hinteren  Antheil  des  Digastricus  und  den  Stylo- 
hyoideus,  der  N.  hypoglossus  steht  den  Bewegungen  der  Zunge 
vor  und  innervirt  im  Verein  mit  den  in  die  Ansa  hypoglossi 
eintretenden  Cervicalnerven  die  Muskulatur  zwischen  Zungen- 
bein und  Kehlkopf  bis  hinab  zum  Schlüsselbein. 

Orientiren  wir  uns  über  den  Ursprung  dieser  Nerven 
und  ihr  Verhalten   innerhalb  der  Medulla  oblongata,  so  be- 


Die  centrale  Innervation  der  Sangbewegongen. 


75 


steht  der  Trigeminns  ans  einer  hinteren  sensiblen  nnd  einer 
vorderen  motorischen  Wurzel,  deren  Kern  (Vm)  am  äusseren 
Winkel  des  4.  Ventrikels  liegt  und  bis  zum  Eingang  des 
Aquaeductus  Sylyii  zu  yerfolgen  ist.  Die  sensible  Wurzel 
bietet  3  Abtheilangen  dar.  Die  obere  cerebrale  Abtheilung  (Yi ) 
erstreckt  sich  bis  ins  vordere  Vierhügelpaar;  der  Kern  der 
mittleren  Abtheilong  (Vii)  liegt  im  Pons  an  der  Theilungs- 
stelle  des  Trigeminns  und  die  untere  spinale  Abtheilung  (Vm) 
steigt  durch  die  Brücke  und  das  verlängerte  Mark  bis  zur 
Hohe  des  2.  Cervicalnerven  herab  und  geht  fast  mit  allen 
Nerven  des  Sinus  quartus  Verbindungen  ein,  wodurch  der 
Trigeminns  als  ein  Reflexnerv  ersten  Ranges  erscheint.  Die 
Kerne  des  N.  facialis  und  hypoglossus  liegen  beide  dicht 
neben  der  Raphe  der  Rautengrube^  der  Hypoglossus  mehr  in 
ihrer  hinteren  Spitze. 

So  lehrt  schon  eine  Betrachtung  der  Topographie  der 
hier  in  BerQcksicbtigung  kommenden  Nerven,  wie  sie  das  bei- 
gegebene Schema  (nach 


Zcwftion . 


Tniffe 


lofspl 


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V(tg 


US. 


nvj^9M: 


T, 


Erb)  veranschaulicht, 
dass  dieselben  zu  ein- 
ander in  naher  Be- 
ziehung stehen  und 
recht  wohl  geeignet 
sind,  ein  in  sich  ge- 
schlossenes System  zu 
formiren,  das  den  Saug- 
bewegungen vorsteht. 
Die  fonctionelle  Zu- 
sammengehörigkeit die- 
ser Nervengruppe  und 
ihre  Geschlossenheit  in 
Bezog  auf  den  Saug- 
act  geht  aus  Versuchen 
hervor,  welche  über  den 
Weg  der  zuleitenden  Er- 
regung belehren  sollten 
und  welche  weiter  zeig- 
ten,  dass  dieser  Nervenmechanismus  bereits  soweit  consolidirt 
ist,  dass  auch  bei  Ausschaltung  des  einen  oder  anderen  peri- 
pheren motorischen  Antheils  die  rhythmische  Thätigkeit  un- 
beirrt weiter  geht  und  das  Oesammtbild  der  centro motorischen 
Bewegung  nicht  wesentlich  verändert  ist. 

Ebenso  wie  beim  Kinde  durch  Einführen  des  Fingers  in 
den  Mund  Saugbewegung  ausgelöst  werden  kann,  gelingt  dies 
beim  neugeborenien  Thiere,  oder  vielmehr  noch  sicherer.  Bei 
jungen  Kaninchen  kann  durch  eine  umschriebene,  punktför- 


76  K.  Basch: 

mige  Berührung  jeder  Stelle  der  Mandschleimhaat  im  Yor- 
deren  Äntheil  der  Mundhohle  Saugbewegung  ausgelöst  werden, 
während  yorsichtige  Berührung  der  Lippen  allein  nur  Be- 
wegung in  diesen,  aber  keine  Yollkommene  Saugbewegung  rer- 
anlassi 

Am  raschesten  und  kräftigsten  stellt  sich  der  Sangreflex 
ein  auf  Berührung  der  Zangenoberfläche,  hiernach  auf  Be- 
rührung der  Schleimhaut  des  harten  Gaumens,  und  relativ 
am  spätesten  erscheint  er  bei  gleicher  Reizstärke  auf  Berüh- 
rung der  übrigen  Mundhöhlenschleimhaut.  Es  erfolgt  auf  eine 
einzelne  Reizung  meist  eine  Reihe  Ton  4,  5,  oft  noch  mehr 
Saugbewegungen,  deren  sichtbares  Zeichen  im  Auf-  und  Ab- 
gehen des  Unterkiefers  und  jener  Bewegung  der  Zunge  besteht^ 
die  an  früherer  Stelle  beschrieben  wurde.  Es  wäre  möglich, 
dass  der  zunächst  ausgelöste  Saugreflex  für  die  noch  fol- 
genden Saugbewegungen  dadurch  eine  Reizerneuerung  darstellt, 
dass  bei  der  Lageveränderung  der  Zunge  und  der  damit  yer- 
bundenen  Berührung  anderer  Stellen  der  Mundschleimhaut  dem 
Reflexapparat  des  Saugens  neue  Tasteindrücke  zugeführt  werden, 
die  als  weiterer  Reiz  wirken  und  so  den  Eindruck  einer  auto- 
matischen Bewegung  entstehen  lassen. 

Ich  suchte  mich  zunächst  darüber  zu  informiren,  ob  der 
Trigeminus  die  zuleitende  Bahn  zum  Reflexapparat  des  Saugens 
darstellt,  und  bediente  mich  zu  diesem  Zwecke  der  Ausschaltung 
dieses  Nerven.  Da  es  experimentell  nicht  möglich  ist,  den 
sensiblen  Ast  des  Trigeminus  allein  zu  zerstören,  ohne  die 
motorische  Wurzel  mit  zu  verletzen,  so  half  ich  mir  in  der 
Art,  dass  ich  diesen  Nerven  durch  Gocainisirung  der  Mund- 
höhle zeitweise  unempfindlich  machte  und  dann  das  Verhalten 
des    Saugreflexes   prüfte. 

Man  könnte  aber  noch  daran  denken,  dass  beim  Saugen 
ausser  vom  sensiblen  Aste  des  Trigeminus,  der  den  Tastreiz 
der  Zunge  und  Mundhöhlenschleimhaut  vermittelt,  vielleicht 
von  anderen  Sinnesorganen  herzuleitende  Bahnen  bestehen, 
welche  die  Erregung  auf  die  gleiche  Gruppe  motorischer  Nerven 
übertragen,  oder  es  wäre  möglich,  dass  erst  durch  eine  Ver- 
knüpfung mehrerer  Sinnesgebiete,  durch  die  Mitthätigkeit  der- 
selben als  Hilfsorgane  die  Saugbewegung  zu  Stande  käme. 

Es  würde  in  dieser  Richtung  insbesondere  zu  berück- 
sichtigen sein:  der  Geruch  und  der  Geschmack,  während  das 
Gesicht  hier  nicht  besonders  in  Frage  kommt,  weil  blinde 
Thiere  ja  ebenso  kräftig  saugen  als  sehende. 

Ich  glaube  aber  nach  den  einschlägigen  Thierversuchen 
sagen  zu  können,  dass  der  sensible  Ast  des  Trigeminus  aus- 
schliesslich den  Reiz  zum  Reflexapparate  des  Saugens  zuträgt 
und   dass  der  Saugreflex  auch  nicht  in  irgend  welcher  Ab- 


Die  centrale  Innervation  der  Sangbewegnngen.  77 

häogigkeit  von  diesen  Sinnesorganen  zu  stehen  scheint  So 
gedieh  ein  Kaninchen,  dem  in  der  ersten  Lebenswoche  der 
Bulbus  olfactor.  zerstört  worden  war,  in  gleicher,  zufällig  so- 
gar noch  besererer  Weise  als  die  übrigen  Thiere  des  gleichen 
Wurfs,  und  bei  einem  zweiten  Thiere,  dem  ebenfalls  zu  einer 
Zeit,  wo  es  noch  nicht  sehen  konnte,  neben  dem  Olfactorius 
aach  beide  N.  glossopharyngei  durchschnitten  worden  waren, 
war  der  Saugreflex  auf  jegliche  Berührung  der  Zunge  mit  der 
gleichen  Intensität  auslösbar  wie  bei  den  unoperirten  Thieren, 
nnd  er  blieb  erst  weg,  wenn  ebenso  wie  bei  den  letzteren 
der  sensible  Ast  des  Trigeminus  durch  Coca'inisirung  der 
Mundhöhle  leitungsunßihig  gemacht  wurde. 

Bei  der  Cocainisirung  der  Zunge  und  der  Mundhöhlen- 
schleimhaut (2 — 3  maliger  Auspinselung  mit  3 — 5 %iger  Lösung) 
erlosch  der  Saugreflex  bei  jeder  Yersuchsanordnung  für  kurze 
Zeit  und  zwar  anscheinend  am  spätesten  über  der  Zungen- 
spitze, und  wurde  dort  am  raschesten  wieder  wach  im  Ver- 
gleiche mit  den  übrigen  Stellen  der  Mundschleimhaut.  Von 
der  Menge  des  aufgewendeten  Cocains  und  der  durch  das- 
selbe bewirkten  Anästhesie  der  Mundschleimhaut  hiiig  auch 
die  Dauer  des  Wegfalls  des  Saugreflexes  ab.  Als  ich  bei 
einem  Thiere  durch  fortgesetzte  Einpinselung,  im  Ganzen 
waren  etwa  0,01  g  Cocain  verbraucht  worden,  für  längere 
Zeit  Stillstand  des  Saugreflexes  herbeigeführt  hatte,  ging  dieser 
Zustand  unter  allgemeinen  tonischen  Krämpfen  jäh  in  das 
Stadium  der  Intoxication  über,  in  welchem  dann  bei  leisester 
Berührung  der  Mundschleimhaut  stürmische  Bewegungen  in 
der  Zunge  auftraten.^) 

Ich  habe  mich  bemüht,  ausser  der  Feststellung  der  zu- 
leitenden Bahn  im  Reflexbogen  des  Saugens  zu  erheben,  ob 
etwa  durch  Ausschaltung  eines  oder  mehrerer  motorischer 
Antheile  der  Rhythmus  der  übrigen  noch  innervirten  Bewe-' 
guogen  irgendwie  gestört  würde.  Da  sich  die  motorische 
Action.  der  Saugbewegungen  aus  der  Wirkung  des  Facialis, 
Hjpoglossus  und  motorischen  Astes  des  Trigeminus  zusammen- 
setzt, ordnete  ich  meine  Versuche  so  an,  dass  ich  je  einen 
oder  mehere  dieser  Nerven  (die  Ausschaltung  des  Trigeminus 
ersetzte  ich  durch  Ausschneiden  von  ihm  versorgter  Muskeln: 
Masseter,  Digastricus)  ein  -  oder  beiderseitig  resecirte ;  so 
lange  aber  der  sensible  Ast  des  Trigeminus  erhalten  blieb, 
trat  auf  Reizung  desselben  stets  dieselbe  Reaction  ein,  es  er- 
folgte beim  Saugen,  abgesehen  von  dem  durch  die  Resection 

1)  Später  überzeugte  ich  mich  an  juDgen  saugenden  Meerschwein- 
chen, dass  von  denselben  bei  gleichem  Effect  aar  den  Stillstand  des 
Sangreflexes^  ohne  Schaden  viel  grossere  Gaben  von  Cocain  vertragen 
werden  als  von  jungen  Kaninchen. 


80  K.  Basch: 

Innerhalb  dieses  Systems  wären  die  Leitongswege  der- 
artig zu  denken,  dass  der  sensible  Ast  des  Trigeminns  einer- 
seits durch  seine  obere  und  mittlere  Abtheilung  die  Anregung 
zur  Bewegung  auf  die  mit  ihm  organisch  verbundene  moto- 
rische Trigeminuswurzel  übermittelt,  während  durch  die  untere, 
bis  in  das  Cervicalmark  absteigende  Abtheilung  der  mit  der- 
selben verbundene  Facialis  -  und  Hypoglossuskeru,  sowie  jene 
Gervicaläste  erregt  werden,  welche  durch  die  Ansa  hypo- 
glossi  die  motorischen  Fasern  zu  den  Muskeln  am  Hals  esenden, 
welche  bei  der  Saugbewegung  mit  zur  Action  gelangen.  Die 
an  den  Saugact  sich  anschliessende  Schlingbewegung  wird 
durch  Miterregung  des  Schluckcentrums  ausgelöst,  welches, 
da  es  ebenfalls  vom  sensiblen  Äste  des  Trigeminus  seine  Zu- 
leitung erhält,  formlich  in  der  Bahn  des  Saugcentrums  ge- 
legen ist 

Die  vorgetragene  Anschauung  wird  nun  weiterhin  darch 
einen  Versuch  unterstützt,  in  welchem  der  gesammte  peri- 
'phere  Apparat  des  Saugens  intact  belassen  und  nur  an  dem 
vorausgesetzten  Centrum  eine  kleine  Läsion  gesetzt  wurde. 
Ich  habe  diesen  Versuch  in  der  Ferienzeit  in  Gemeinschaft 
mit  Herrn  Docent  Dr.  Münzer  beobachtet^  dem  ich  auch  für 
die  freundlich  gewährte  Mitbenutzung  der  einschlägigen  ana- 
tomischen Präparate  zu  danken  habe.  Ich  beabsichtige ,  bei 
sich  darbietender  Gelegenheit  die  in  dieser  Richtung  begon- 
nenen Versuche  wieder  aufzunehmen. 

Bei  einem  3  Wochen  alten  Kaninchen,  das  bisher  lebhaft 
gesaugt  hatte  und  vorzüglich  gedieh,  war  nach  Abtragung  des 
linken  Kleinhirns  in  der  Med. oblong,  neben  dem  Corpus  resti- 
forme  dieser  Seite  mit  einem  kleinen  Loffelchen  an  der  Stelle 
der  Trigeminuskerne  eine  kleine  Läsion  gesetzt  worden.  Das 
Thier  überstand  den  Eingriff  und  wurde  noch  weitere  3  Wochen 
am  Leben  erhalten,  in  deren  Verlaufe  sich  am  linken  Auge 
eine  eitrige  Keratitis  einstellte.  Zunächst  hörte  das  spontane 
Saugen  bei  dem  Thiere  ganz  auf  und  es  musste  fortab  künst* 
lieh  ernährt  werden.  Der  Saugreflex  war  nun  auf  der  Seite 
der  Läsion  vollkommen  erloschen,  während  er  auf  der  rechten 
Seite,  wo  das  Gebiet  des  Saugcentmms  nicht  verletzt  wurde, 
erhalten  blieb,  und  die  Begrenzungslinie  dieser  beiden  Ge- 
biete lag  in  der  Mittellinie  des  Korpers. 

Bei  der  genaueren  anatomischen  Untersuchung,  welche 
au  Schnittserien  durch  die  ganze  —  nach  Marchi  behan- 
delte —  Medttlia  oblongata  vorgenommen  wurde,  ergab  sich, 
dass  die  Läsionsstelle  dem  Boden  der  Rautengrube  in  ihrer 
linken  oberen  Hälfte  entsprach  oberhalb  der  Austrittssielle 
dos  Trigeminus  und  Facialis,  welch  letzterer  durch  eine  Ver- 
letzung in  seinem  Kuiestüeke  periphere  Degeneration  zeigte. 


Die  centrale  Innervation  der  Sangbewegungen.  81 

Weder  der  motorische  noch  der  sensible  Ast  des  Trigeminus 
waren  degenerirt;  der  Hypoglossuskern  der  linken  Seite,  so- 
wie die  ganze  Gruppe  der  Nervenkerne  des  rechten  Saug- 
centrums  waren  intact.  Die  Läsion  erstreckte  sich  von  der 
Hohe  des  linken  Äcusticus  vorwiegend  in  das  Gebiet  des 
Trigeminus  und  zwar  in  den  Abschnitt  zwischen  seinem  moto- 
rischen und  seinem  sensiblen  Kern,  etwa  in  der  Weise^  wie 
ich  es  in  dem  früher  abgebildeten  Schema  in  der  fein  aus- 
gezogenen Linie  einzuzeichnen  versuchte.  Accidentell  waren 
nochy  was  aber  für  die  uns  interessirende  Frage  iiicht  in  Be- 
tracht kommt,  der  linke  Acusticuskern^  sowie  die  Abducens- 
kerne  verletzt. 

Der  hier  geschilderte  Befund  legt  «nun  die  Annahme  nahe, 
dass  der  den  Saugbewegungen  vorstehende  Nervenapparat  sich 
in  der  Medulla  oblongata  aus  zwei  symmetrischen,  .an  der 
Innenseite  des  Corpus  restiforme  und  des  Bindearms  gelegenen 
sjnergisch  wirkenden  Nervenstrecken  zusammensetzt,  welche 
die  früher  genannten  Nervengruppen  des  Trigeminus,  Facialis 
und  Hypoglossus  umfassen  uud  deren  Knotenpunkt,  deren 
engeres  Centrum,  wahrscheinlich  in  der  Substanz  zwischen 
dem  sensiblen  und  motorischen  Kern  des  Trigeminus  gelegen 
isty  da  von  dort  die  Saugbewegung  ausgeschaltet  werden  konnte. 

Ich  habe  meine  Versuche  über  die  Saugbewegung  vor- 
wiegend auf  das  Gebiet  des  Saugreflexes  eingeschränkt,  da 
der  Einblick  in  diese  Thätigkeit  ein  einfacher  und  klarer  ist, 
Fasst  mau  das  Saugen  im  weiteren  Sinne  als  eine  Theil- 
erscheinung  der  gesammten  psychomotorischen  Thätigkeit  des 
Kindes  in  der  ersten  Lebenszeit,  dann  treten  bei  der  Auslosung 
desselben  eine  Reihe  neuer  Momente  hinzu,  welche  den  ursprüng- 
lich rein  reflectorischen  Charakter  des  Saugens  verwischen  und 
dasselbe  allmählich  zu  den  gewollten  Bewegungen  hinüberleiten. 


Es  ist  mir  eine  angenehme  Pflicht,  Herrn  Prof.  Knoll 
als  Vorstand  des  Instituts  für  experimentelle  Pathologie  für 
das  liebenswürdige  Entgegenkommen  zu  danken,  mit  welchem 
er  mir  gestattete,  diese  Versuche  in  seinem  Laboratorium 
ausführen  zu  dürfen. 


Jahrbuch  f.  KiDderheilkande.   N.  F.   XXXVIII. 


6 


V. 

In  welchem  Verhältnisse  findet  hei  der  O'Dwyer'schen 
Intobation  die  Hinabstossnng  der  Psendomembranen  nnd  die 
Verstoffnng  des  Tnbns  statt  nnd  welche  Bedeutung  haben 

diese  Coniplicationen?0 

Von 

Dr.  Johann  Bökai, 

a.  u.  Profeitor  »u  dar  UnlToraitAt  uod  dirifflrimdem  Primanni  doa  Stofanie-Kinder- 

spitaU  SU  Badapett. 

Meine  Herren!  So  oft  zwischen  Tracheotomie  und  In- 
tubation eine  Parallele  gezogen  wird,  pflegen  die  Anhänger 
der  Tracheotomie  die  Möglichkeit  der  Membranenhinabstossung 
und  der  Tubusverstopfiing  als  einen  grossen  Nachtheil  der 
Intubation  besonders  hervorzuheben.  Ich  habe  mir  diesmal 
die  Behandlung  dieser  aus  praktischen  Gesichtspunkteo  wich- 
tigen Frage  zur  Aufgabe  gestellt  und  glaube  keine  nutzlose 
Arbeit  zu  vollbringen,  indem  ich  diese  Frage  zu  beleuchten 
trachte. 


Seitdem  man  sich  in  der  Literatur  mit  der  O'Dwy er- 
sehen Operation  befasst^  finden  wir  in  fast  allen  Mittheilongen 
der  Anhänger  der  Intubation  die  Bemerkung,  dass  während 
der  Intubation  Pseudomembranen  hinabgestossen  und  der 
O'D  wy  er'sche  Tubus  durch  Pseudomembranen  verstopft  werden 
könne.  Schon  die  ersten  Forscher,  so  J.  O'Dwyer  und 
Francis  Huber,  ebenso  Dillon  Brown,  lenkten  im  Jahre 
1887,  gelegentlich  ihrer  Vorträge  in  der  „Akademie  of 
Medicine^  in  New-York*),  als  sie  das  Intubations-Verfahren 
bekannt  gaben,   die  Aufmerksamkeit  der  amerikanischen  Col- 

1)  Vorgetragen  in  der  königl.  Gaselbchaft  der  Aente  in  Budapest 
am  t\,  October  1893. 

%)  The  Medical  Reeord,  Jnne  18,  %6  and  Jaly  SS,  1887. 


J.  B6kai:  HiuabsioMung  der  Pseadomembranea  etc.  83 

legen  aaf  diesen  Umstand  hin,  ja  gerade  die  Beobachtung  dieser 
Möglichkeit  veranlasste  O'Dwyer,  die  Aerzte  schon  bei  dieser 
Gelegenheit  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  sie  bei  Vor- 
nahme der  Intubation  auch  zur  Tracheotomie  Tollständig  bereit 
sein  mögen.  Und  der  gewissenhafte  Rath  O'Dwyer's  wird  von 
den  Intubirenden  stets  getreulich  befolgt,  obschon,  wie  wir 
sehen  werden,  eine  Nothwendigkeit  der  Tracheotomie  unmittel- 
bar nach  der  Intubation  selten  eintritt.  Ich  selbst  habe  in 
meiner  Spitalsprazis  schon  während  der  ersten  Intubationen 
solche  Verfügungen  getroffen,  dass  im  Diphtherie-Parillon  die 
Tracheotomie  zu  jeder  Zeit  ausgeführt  werden  kann,  und  so 
oft  ich  in  meiner  Privatpraxis  zur  Intubation  aufgefordert 
werde,  nehme  ich  alle  zur  Tracheotomie  nothigen  Instrumente 
mit  und  werde  dies  auch  in  der  Zukunft  vor  Augen  halten. 
Da  es  also  den  Intubatoren  nie  eingefallen  ist,  die  Mög- 
lichkeit des  Membranen -Hinabstossens  —  während  der  In- 
tubation —  und  der  Tubus -Obturirung  zu  bestreiten,  kann 
nur  das  die  Frage  sein,  wie  oft  diese  Complication  eintrete 
und  von  welcher  Bedeutung  sie  sei,  ob  sie  wirklich  so 
häufig  vorkomme  und  so  gefährlicher  Natur  sei,  dass 
aus  diesem  Grunde  der  Tracheotomie  gegenüber  der 
Intubation  Üer  Vorzug  gebühre? 


O'Dwyer*),  Fr.  Huber«),  Dillon  Brown»),  Waxham*), 
V.  Banke^),  Ganghofner^,  Baer^),  Naughton^>  betonen 
Alle,  dass  ihnen  Fälle  von  Pseudomembranen -Hinaostossung 
nur  ausnahmsweise  vorgekommen  sind.  Die  Tubus-Verstopfung 
durch  Pseudomembranen  wird  von  den  Intubatoren  ebenfalls 
nur  selten  erwähnt;  so  äussert  sich  v.  Ranke,  der  Bahn- 
brecher   der    Intubation    in    Deutschland,    folgendermaassen: 

„Während  ....  ohne  Zweifel  bei  liegender  Tube 
sich  plötzlich  eine  Erstickungsgefahr  einstellen  kann, 
muss  ich  doch  die  auffallende  oeltenheit  dieses  Vor- 
kommnisses nach  unseren  Münchener  Beobachtungen 
hervorheben,  und  stimmt  dies  auch  mit  den  in  Amerika 
gesammelten  Erfahrungen  überein.'' 

Die  auf  theoretischer  Grundlage  gemachten  Einwendungen 
wurdeo  demnach  durch  die  Praxis  nicht  gerechtfertigt;  ja  die 


1)  The  Medical  Record  1887.        S)  Ibid.        8)  Ibid. 

4)  The  Joarnol  of  the  American  Medical  Association  1892. 

5)  Verhandlungen   der  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde  in  Heidel- 
berg 1889.        6)  Ibid. 

7)  Deutsche  Zeitschrift  f.  Chirargie  1892. 
8;  The  Brooklyn  Medical  Joamal  1898. 

«♦ 


84  J.  Bökait 

Erfahrung  hat  unzweifelhaft  erwiesen,  dass  wir  den  in  Rede 
stehenden  Complicationen  nur  sporadisch  begegnen. 

Und  warum  ist  das  Hinabstossen  der  rseudomembranen 
während  der  Einführung  der  O'Owyer'schen  Tube  so  selten, 
wo  doch  dies,  aus  rein  theoretischem  Standpunkte  betrachtet, 
als  eine  häufig  vorkommende  Complication  gedacht  werden 
müsste?  Selten  ist  diese  Complication:  a)  weil  das  untere 
Ende  der  Tube  abgerundete  Ränder  hat  und,  wenn 
die  Tube  mit  dem  Obturator  richtig  montirt  durch 
die  Stimmritze  gebracht  und  nicht  zu  frQh  Yom  Obtu- 
rator befreit  wird,  die  Möglichkeit  des  Abreissens 
der  Pseudomembranen  infolge  des  ganz  abgerundeten 
unteren  Endes  sehr  gering  ist;  b)  weil  starke  Pseudo- 
membranen in  grosser  Ausdehnung  selbst  bei  den 
bösartigsten  Epidemien  sich  nur  äusserst  selten 
bilden,  dünnere  Pseudomembranen  aber  selbst  in 
grosserer  Ausdehnung  verhältnissmässig  leicht  den 
Tubus  passiren,  demnach  die  Mobilmachung  dieser 
als  Complication  kaum  in  Betracht  kommen  kann; 
c)  wenn  auch  starke  Membranen  sich  in  den  oberen 
Luftwegen  befinden,  so  nehmen  diese  zumeist  unter* 
halb  der  Stimmbänder  ihren  Ursprung  und  der  Tubus 
dringt  in  diesem  Falle  leicht  in  das  Lumen  der  Pseudo- 
membran ein;  wenn  aber  dieselben  an  den  Stimm- 
bändern haften,  so  sind  sie  an  dieser  Stelle  besser 
fixirt  (Birch-Hirschfeld^)),  sodass  der  Tubus  bei  ge- 
hörig vorsichtiger  Einführung  kaum  zwischen  die 
Pseudomembran  und  die  Tracheawandung  gelangen 
kann;  d)  weil  die  besorgnisserregenden  Athem- 
beschwerden  —  selbst  bei  den  schwersten  Croup- 
fällen  —  nicht  blos  durch  das  Fibrinexsudat  bedingt 
sind,  sondern  der  in  der  Regel  vorhandenen  subglot- 
tischen Schwellung  zuzuschreiben  sind  (Rauchfuss)'). 

Und  warum  ist  die  Obturation  der  Tube  mittelst  Pseudo- 
membranen eine  seltene  Erscheinung? 

Weil  1.  stärkere  Pseudomembranen,  wie  oben  er- 
wähnt, sich  nur  selten  in  grösserer  Ausdehnung  bil- 
den und  losgerissene  dünne  Fibrinhäutchen,  beson- 
ders in  Abrissen,  verhältnissmässig  leicht  durch  die 
Tube  dringen,  und  weil  2.,  wenn  der  Groupprocess 
nicht  rasch  descendirt  oder,  besser  gesagt,  auf  die 
Luftröhre  localisirt  bleibt,  das  fibrinöse  Exsudat  bei 

1)  Birch-Hirschfeld,  Lehrbach  der  paih.  Anatomie. 

2)  Compte  rendu  des  iravaaz  de  la  Section  de  Pädiatrie,  Copen- 
hagae  1886. 


Hinab  stotsong  der  Pgeadomembranen  and  Verstopf ang  deg  Tubus.    85 

rationeller  Behandlung  (Einathmen  warmer  Wasser- 
dampfe, Qaecksilbertherapie)  zerfällt  und  vom  Kran- 
ken als  zähflössiges  Secret  expectorirt  wird  und  dieses 
Beeret  die  Tube  nie  obturiri 


Wir  wollen  nun  aus  den  uns  zur  Verfügung  stehenden 
Mittheilungen  untersuchen,  wie  viel  es  solcher  Fälle  giebt, 
wo  durch  infolge  Hinabstossung  der  Pseudomembran  eingetre- 
tene. Lebensgefahr  eine  nachträgliche  Tracheotomie  nothig  ge- 
worden ist. 

Solche  Fälle  kamen  folgenden  Beobachtern  Yor: 

1887:  Fergusson*)  (New-York) 1  Fall. 

1888:  Th ier sc h*^  (Leipzig)  unter  31  Beobachtungen  1     ,, 

1888:  Gräser^  (München)       ,,  4  ,,  2  Fälle. 

1889:  Guyer*)  (Zürich)  „  27  „  1  Fall. 

1889:  Ganghofner*)  (Prag)     „  41  „  6  Fälle. 

1889:  Ranke^)  (München)        ,,  6ö  „  2     „ 

1890:  Widerhofer^  (Wien)    „  42  „  1  Fall. 

1892:  ^-  ^'^^^^l^^^  „     74  „  1     „ 

1892:  Naughton»)  (Kew-York)  „   143  „  1     „ 

unter  498  Beobachtungen  18  Fälle. 

Unter  498  Intubationsfallen  wurde  demnach  bei  3Vi  % 
eine  sofortige  Tracheotomie  nothwendig.  ^^)  Unter  diesen 
Fällen  wurde  —  meines  Wissens  —  durch  die  Tracheotomie 
nur  zweimal  die  Asphyxie  nicht  behoben  und  die  Kranken 
gingen  infolge  der  Pseudomembran-Hinabstossung  zu  Grunde. 
Einer  dieser  Fälle  kam  in  der  Praxis  des  Dr.  v.  Muralt  vor, 
der  andere  bei  Naughton.  Bei  v.  Muralt  (mitgetheilt  von 
Baer)  wurde  die  Intubation  in  der  Agonie  vollzogen  und  die 


1)  New-Tork  Med.  Journal  1887. 

5)  Verhahdl.  der  dentBchen  Geaellachaft  f.  Chirnr^e  1888. 
a)  Mfinchener  Med.  Wochenschrift  1888. 

4)  Correspondensblatt  f.  Schweizer  Aerzte  1889. 

5}  Verfaandl.  d.  Gesellscbaft  f.  Kinderheilkunde.    Heidelberg  1889. 

6)  1.  c. 

7)  Pädiatrische  Arbeiten.    Henoch- Festschrift. 

8)  Deutsche  Zeitschrift  f  Chirurgie  1892.         9)  1.  c. 

10)  Jahrbach  f.  Kinderheilkande  1898. 

11)  In  diesem  Aufsätze  konnte  ich  nur  jene  Mittheilungen  ver- 
werthen,  in  welchen  die  F&lle  von  Pseudomembran -Verschiebungen 
direct  erwfthnt  sind. 


86  J'  B6kai: 

Section  eonsiatirte  nebst  Pseudomembran-HinabstosBung:  Bron- 
chitis crouposa  und  ausgedehnte  Lungenentzündung.  Dass 
übrigens  trotz  der  Hinabstossung  dicker  Pseudomembranen 
eine  Tracheotomie  nicht  in  allen  Fällen  unbedingt  nothweudig 
erscheint^  wird  durch  die  von  den  Intubatoren  verofifentlichte 
ausgedehnte  Gasuistik  zur  Genüge  erwiesen.  Die  sofortige 
Extubation  führt,  wie  dies  O'Dwyer*),.  Dillon  Brown*) 
und  Waxham')  betonen,  in  den  meisten  Fällen  zum  Ziele, 
indem  gleichzeitig  mit  dem  Tubus  oder  unmittelbar  danach 
die  abgestossene  Pseudomembran  unter  heftigem  Husten  jent- 
femt  wird.  In  einigen  Fällen  wurde  die  Herausbeförderung 
der  abgestosseuen  Pseudomembranen  durch  künstliches  Ath- 
men  ermöglicht.  In  anderen  Fällen  wurde  die  Expectoration 
der  Pseudomembran  durch  rasche  Verabreichung  starker  Spiri- 
tuosen (Brandy)  und  dadurch  erregten  heftigen  Husten  er- 
leichtert. (Die  Spirituosen  werden  nämlich  Ton  dem  schwer 
athmenden  Kranken  aspirirt,  wodurch  derselbe  zu  heftigem 
Husten  gereizt  wird.) 

Denjenigen,  die  sich  Tor  dem  Hinabstossen  der  Pseudo- 
membranen in  der  Intubationspraxis  so  sehr  ängstigen,  möge 
zur  Beruhigung  dienen,  dass  (VDwyer  und  Dillon  Brown^) 
unter  ihren  mehr  als  600  Intubationsfällen  bis  1891 
keinem  einzigen  Todesfall,  verursacht  durch  Er- 
stickung in  Folge  Pseudomembranen-Hinabstosseus, 
begegnet  sind,  und  dass  O'Dwyer^)  unter  seinen  ersten 
200  Fällen  nur  zweimal  Pseudomembranen  hinabgestosseu 
hat  mit  darauffolgender  Asphyxie,  welche  jedoch  durch  die 
nach  sofortiger  Extubation  erfolgte  Expectoration  der  Pseudo- 
membran schleunigst  behoben  wurde. 

Dass  selbst  im  Falle  Pseudomembranen-Hiuabstossens  ein 
brillantes  Resultat  erzielt  werden  kann,  beweist  O'Dwyer's^) 
folgender  classischer  Fall,  welchen  wir  in  Kürze  mittheilen: 

O'Dwyer  Tollsog  bei  eioem  3%  j&hrigen  Kinde  lotobaiioa  und 
zwar  wegen  einer  sehr  schweren,  durch  diphtheritischen  Cioup  be- 
dingten Stenose.  Durch  Pseudomembran -Hinabstossung  tritt  Asphyxie 
ein.  Unmittelbar  nach  sofortiger  Extubation  wird  eine  umfangreiche, 
den  Abdruck  der  Luftröhre  seigende  Pseudomembran  ezpectorirt,  worauf, 
da  das  Athmen  kaum  leichter  wurde,  eine  Relntubation  Ton^enommen 
wird.  Nach  der  Intubation  wird  die  Athmung  Tollkommen  frei.  Nach 
26  Stunden  wird  die  Tube  vom  Kranken  expectorirt,  eine  s weite  In- 
tubation ist  nicht  mehr  noth wendig. 


1)  1.  c.        a)  1.  c. 

8)  The  Journal  of  the  American  Medical  Association  1898. 
4)  Transaction  of  the  American  Pediatric  Society  1891.    p.  24. 
6)  J.  Bull,  Intubation  of  the  Larynz,    London  1891.    p.  24. 
6)  N.  T.  Medical  Journal  1888. 


HioabstoBsoog  der  PseadomembraneD  und  Verstopfang  des  Tubus.    87 

Das  Psettdomembranen-Hmabstossen  als  häufige  Gom- 
plication  wird  nur  von  Denjenigen  erwähnt,  die  sich 
mit  der  Intubation  nur  selten  beschäftigen,  daher  in  der 
Operation  nicht  gehörig  eingeübt  sind,  und  Dillon  Brown^) 
hält  es  für  wahrscheinlich,  dass  die  angeblichen  Pseudo- 
membranen-Hinabstossungen  eigentlich  keine  Hinabstossungeu, 
sondern  in  Folge  prolongirter,  daher  ungeschickter 
Tubnseinführungen  entstandene  Asphyxien  sind,  („I  ven- 
ture to  State,  that  the  great  majority  of  deaths^  which  have 
been  reported  as  due  to  pushing  down  membran,  was  the 
result  of  unskilled  efforts  and  due  either  to  apnoea  from 
proloDged  attempts  at  introduction,  or  to  asphyxia  forcing 
the  tube  through  a  false  passage/') 

Ueber  die  Tubusobturirung  durch  Pseudomembranen  kanu 
ungefähr  das  Gleiche  gesagt  werden,  was  wir  soeben  über 
die  Pseudomembranen-Hinabstossung  ausgeführt  haben.  Hie 
und  da  wird  sie  beobachtet,  jedoch  nicht  häufig.  Eine 
Gefahr  kann  hieraus  nur  bei  ungenügender  Controle  d.  h.  bei 
jenen  Kranken  entstehen,  wo  die  sofortige  Extubation  ver> 
säumt  wird.  Uebrigens  entsteht  in  solchen  Fällen  häufig 
eine  spontane  Extubation.  Der  Kranke  stosst  mittelst  hef- 
tigen Hustens  den  Tubus  und  mit  ihm  gleichzeitig  die  obtu- 
rirende  Membran  heraus.  Es  ist  unzweifelhaft,  dass  die 
O'Dwy er' sehen  Tuben  verhältnissmässig  eng  sind  (enger  als 
die  Trachealcanülen),  dass  aber  trotzdem  Pseudomembranen 
von  bedeutendem  Dmfange  durch  diese  Tuben  herausbefordert 
werden,  wird  von  den  hervorragendsten  Intubatoren  bestätigt. 
So  —  um  nur  aus  der  deutschen  Literatur  zu  citiren  — 
theilt  Baer*)  (v.  Muralt,  Züricher  Kinderklinik)  mehrere 
Fälle  mit,  wo  der  Kranke  einige  umfangreiche  Pseudomem- 
branen durch  den  Tubus  expectorirte. 

Ein  neanj&hriges  Kind  z.  B.  bat  in  9  Tagen  Pseudomembranen 
von  ey,,  d,  5,  3  cm  Länge  grösstentheils  durch  den  Tubus  czpectorirt. 
Der  Tabns  lag  insgesammt  18  Tage  und  4  Stunden.  Zahl  der  In- 
tubationen 34;  16  mal  hustete  es  seinen  Tubus  aus.    Genesen. 

In  einem  anderen  Falle  expectorirte  ein  vierjähriges  Kind  8  Pseudo- 
membranen von  bedeutendem  Umfange,  zumeist  durch  den  Tubus.  Zahl 
der  Intubationen  9.  Insgesammt  lag  der  Tubus  146y,  Stunden.  Ge- 
oesang. 

Wir  betonen,  dass  eine  secundäre  Tracheotomie  iu  keinem 
dieser  Falle  vorgenommen  wurde.  Wenn  Escherich')  be- 
hauptet, der  grosste  Nachtheil  der  Intubation  wäre  die  hoch- 


1)  Transaction  of  the  American  Pediatric  Society  1891.         2)  1.  c. 
3)  Wiener  klinische  Wochenschrift  1891. 


90  J-  BöUh 

meinbnui  (■.  Fig.  8)  iat  13  cm  lang,  leigt  den  Abdruck  dar  LufttOhie, 
die  BifiircKtioD  und  die  BronchieoiBte  2.,  8.  und  4.  Bao^c*.  Nach 
HerauibeiOrderung  der  PBendomembraD  ist  die  Athmang  frei,  der  Tubna 
jedoch  wird  nenerdiuga  eingeführt.  Am  Morgen  de«  37.  Febnur  — 
da  troU  der  liegenden  Tobe  Atbembeicb «erden  eintreteii  —  wird  eine 
•eenodBre  Tracheotonie  vorgenommen,  jedoch  ohne  Erfolg;  am  28  Febr. 
Irah  tritt  —  Symptome  einer  BronchiUi 
Pi(.  I,  cronpoaa  und  Lnn^eaeDtzQadiuig  waren  vor- 

handen —  exitoi  letal)«  ein.  Sectiona- 
befnnd:  Dipbtheiitii  inperficialia 
faaciam,  Larjrngo-tracheitie  et  bron- 
ohiti«  fibrinoia,  Fneumonia  ctod- 
poBK  lob.  Bnp.  et  medii  pnlmonis 
dettri  cum  plearitide  fibrin.  ejntdem 
laterii. 

ErwähneoBwerth  isfc,  dass  in  dcii 
Luftwegen  die  vollstÄndige  Copie  der 
ausgehusteten  Pseudomembrati  gefan- 
den wurde,  was  unzweifelhaft  darauf 
hinweist,  dass  bei  so  besonders  schwe- 
ren Fällen  eine  Neubildung  der  Pseudo- 
membranen sehr  rasch  eintreten 
kann. 

8,    Serena    B.,    Kjährigfli    UBdchen 
am  S4.  Au^nit  IBBS    ins  SpitÄl    aufgenom- 
men, itt  aeit  Tier  Tagen  krank,  klagt  über 
HalMchmenen.    Tor  drei  Wochen  QberitMid 
es    Maiern.       Neben     hochgradiger    BleooBe 
mftssige  RAchendiphtherie.     Pnt.  wird  kurx 
nach    der   Aufnahme   intubirt,    wonach    dio 
Respiration  nur  tbeilweise  befreit  erscheint. 
Am    2&.  Augnit    früh    nm    7   Dbr    wird    aio 
wegen    aufgetretener  Cvanose   extubirt,  wo- 
rauf Fat.  eine  dicke   Piendomembran   ani- 
bnatet  (i.  Fig.  3.  S.  91),  die  9  cm  lan^  iit 
nnd  den  Abdruck  der  LnftrOhre,  die  Bifnr- 
catioo  und  BronchienUtta   S.  and   8    Ranges 
seigt.     Darauf  wird  sie  relntobirt,    wonach 
die  Athmnng    g&oilich   frei    wird.     lu    der 
Nacht   vom   K.   auf  den   Se.  Angnit    wird 
dai  Kind  in  Folge  neuerdings  eingetretener 
Cjanoie  abermals  extubirt,  doch  erfolgloi, 
daher  wieder  intubirt.    Der  Intubation  folgt 
Aaphjxie,  daher  abermali  Eitabation,  doch 
ohne  Erfolg,  die  Aipbjxie  wird  endlich  dorch 
kOnatlichei  Atbmen  beseitigt.     Pitt,  beginnt 
alsbald  in  hurten  nnd  befördert  eine  dioke 
Pseudomembran  heraus,  worauf  die  Athmans  frei  wird.    Die  Lftnge  der 
Membran  {s.  Fig.  8,  S.  91)  ist  IS  cm,  dieselbe  seigt  den  Abdrnck  der 
Luftröhre    bis  la   den  Bronchien  ästen  8.,  4.,  ja  sogar  6.  Grade*.     Am 
86.  August  wird  der  ZuitAod,  trott  neuerlicher   Intubation,  ein  ftuiierst 
kritäscher,  nud   am  Nachmittag   desselben  Tages   tritt  unter  Symptomen 
einer  Bronchilii  oroaposa  und  Langeneotxliadaug  der  Tod  ein. 


BiiulMtOMiing  der  PMadomembraueu  und  Verstopf ong  d«B  Tobna.    91 

In  diesem  Falle  hatten  wir  wieder  Gelegenheit  gehabt, 
die  rasche  Neubildung  der  Paendomembran  zn  sehen. 

S.  Marie  S.,  lOjährigeB  Hädcheo,  am  1.  October  189S  aufge- 
aommen,  8eit  Tter  Tagen  EaUschmenen.  Id  Bachen  und  Naae  ein 
ttark  Basgebreiteter  dipbtberitiecher  Pioceaa  nebat  bochgradlKerPharfos- 
*tenoM.  Uebler  Gerach  ans  dem  Monde,  Stimme  verscDleiert.  Am 
1.  October  Heiserkeit  auffallender.    Am  8.  October  eine  sich  raschjent- 


viekelnde  LarjautenoM,  am  4  Uhr  Naohmittags  noter  heftigem  Hneten 
Aaawnrr  einer  Paendomembran  (a.  Fig.  4,  erat«  Hembran,  8.  92),  worauf 
die  Athmnog  frei  wird;  Intubation  lat  nicht  nöthig.  Die  Membran  ist 
S  cm  lang,  stammt  aua  der  Luftröhre.  Am  Morgen  des  4.  October 
tritt  nenerdinga  Stenose  ein,  ireahalb  Fat.  intubirt  wird;  darwif  lol^t 
Aspfaysie;  nach  der  sofort  vorgenommenen  Extabaüon  hattet  Fatientin 
eine  Paendomembran  ana,  worauf  die  Athmung  frei  mrd.  Dieselbe 
(».  Fig.  4 ,  tireite  Membran ,  S.  6S)  atammt  aui  der  Lnftröhre ,  lat 
10  cm  lang.     £a   tritt  alsbald   wieder   stenotiaohea    Athmen   em,   Be- 


94  J.  B6kai: 

in  der  Regel  die  schleunige  Eztubation;  wenn  bei  rascher 
Entfernung  der  Tube  das  Membrangebilde  nichtzugleich  heraus- 
befördert  wurde,  hustete  der  Patient  es  fast  unmittelbar  dar- 
auf aus.  Einen  todtlichen  Ausgang  in  Folge  Obturirung  der 
Tube  habe  ich  selbst  nie  beobachtet. 

Da  in  dem  unter  meiner  Leitung  stehenden  Spitale  die 
Extubation  Ton  Anfang  her  mittelst  des  im  Tubus  belassenen 
Fadens  vollsogen  wird,  so  wurde  dieselbe  bei  momentaner  Ge- 
fahr nicht  selten  Ton  der  inspectionirenden  f^flegeschwester 
▼ollzogen  und  der  Inspectionsarzt  ist  erst  nach  erfolgter  Extu- 
bation wegen  eventuell  nöthiger  Reintubation  davon  verstan- 
digt worden. 

Meinerseits  bin  ich  der  festen  Ueberzeugung,  dass  bei 
continuirlicfaer  Aufsicht  und  Belassen  des  Fadens  eine  Obtu- 
rirung der  Tube  mit  fatalem  Ausgange  kaum  vorkommen 
kann.  Die  Extubation  mittelst  des  im  Tubus  belassenen 
Fadens  wurde  zuerst  von  Guyer^)  in  ZQrich  angewandt,  ihm 
folgte  Qanghofner;  auf  ihren  Rath  wandte  auch  ich  es  an. 
Es  gereicht  mir  zur  Freude,  dass  auch  schon  die  Amerikaner 
die  systematische  Anwendung  des  Extubators  vermeiden. 


Nach  all'  diesem  kann  ich  mich,  gestützt  auf  meine 
Erfahrungen,  bezüglich  der  vorliegenden  Fragen  folgender- 
massen  äussern: 

1.  Die  Hinabstossung  der  Pseudomembranen  — 
wahrend  der  Intubation  —  ist  verhaltnissmässig  sel- 
ten zu  beobachten  und  verhängnissvoll  wird  sie  nur 
in  den  seltensten  Fällen.  Die  eingetretene  Asphyxie 
kann  durch  schleunige  Extubation  meistens  besei- 
tigt werden,  indem  die  mobil  gemachte  Pseudo- 
membran nach  Entfernung  der  Tube  sozusagen  so- 
fort expectorirt  wird.  Wenn  dies  aber  nicht  der  Fall 
wäre,  so  ist  die  künstliche  Athmung  einzuleiten  respec- 
tive  die  secundäre  Tracheotomie  auszuführen. 

2.  Die  Obturirung  der  Tube  durch  Pseudomem- 
branen ist  keine  häufige  Erscheinung  und  wird,  im 
Falle  sich  dieselbe  ereignet,  meist  durch  Expecto- 
ration  des  Tubus  unschädlich.  Damit  die  even- 
tuelle Obturation  nicht  verhängnissvoll  werde,  ist 
continuirliche  Aufsicht  respective  die  ununterbro- 
chene Aufmerksamkeit  eines  geschulten. Pflegers  un- 
umgänglich nothwendig. 

Die  Belassung   des  Fadens   und  dessen   Fixirung 

1)  Corretpondensblatt  f.  Schweiier  Aente  1889. 


HiiiabBt088iiDg  der  Pseudomembranen  und  VerstopfaDg  des  Tubna.     95 

am  Halse  ermöglicht  es,  im  Falle  einer  Obturirong, 
die  schleunige  Extubation  eventuell  auch  durch  einen 
Laien  Torzunehmen. 

Meine  Herren!  Das  Hinabstossen  der  Pseudomembranen 
und  die  Tubnsobtnrirung  durch  Pseudomembranen  bildet 
zweifellos  eine  Schattenseite  des  O'Dwyer'schen  Verfahrens, 
doch  müssen  diese  verhältnissmässig  seltenen  Complicationen, 
im  Vergleich  zu  den  durch  die  Intubation  erreichten  brillanten 
Erfolgen,  bei  Beurtheilung  der  Operation  in  den  EUntergrund 
treten;  kann  ja  doch  die  einfachste  chirurgische  Operation  in 
ihren  Folgen  für  den  Kranken  gefährlich  werden  . . .  Und 
wenn  wir  die  Intubation  der  Tracheotomie  gegenüberstellen 
und  die  durch  4ie  beiden  Operationsmethoden  erreichten  Er- 
folge vor  Augen  halten,  so  müssen  wir  einsehen,  dass  die 
Tracheotomie  als  operatives  Verfahren  viel  mehr  Gefahr  in 
sich  birgt  als  die  Intubation. 

Wie  Ferdinando  Massei,  der  italienische  Laryngolog, 
bemerkt,  „ist  die  Möglichkeit  der  Pseudomembranen- Hinab- 
stossung  ein  unzweifelhafter  Beweis  dafür,  dass  die  O'Dwy  er- 
sehe Operation,  wiewohl  ein  unblutiges  Verfahren,  nicht  ganz 
nngeßfarlich  ist'';^)  diese  Schattenseite  aber  darf  uns  —  meiner 
Ansicht  nach  —  nicht  abhalten,  diese  geniale  und  segens- 
reiche Operation  in  je  weiteren  Kreisen  auszuüben. 

1)  ^Guesto  pericolo  rappresenta  la  larva  oho  ogni  operatore  si  trova 
daTftnti  ed  ä  la  dimostrazione  irrefragabile  che  la  intubazione,  ben  cbö 
incmenta,  non  h  Bcevra  di  pericoli/*  L'intabazione  della  laringe. 
Napoli. 


VI. 

Zar  baeteriologischen  and  klinischen  Diagnose 
and  Tlierapie  der  Diphtherie. 

MiitheiluDgen  aus  der  bacteriologischen  Abtheilung  des  Labo- 
ratoriums der  Strassburger  medic.  Klinik  und  der  Kinderklinik. 

Von 

Dr.  Eakl  Roth, 

prakt.  Ant. 

Soweit  bekannt,  ist  die  Diphtherie  im  frohen  Alterthum 
von  Aegypten  durch  Colonisten  oder  durch  Gegenstande,  die 
mit  dem  contagiosen  Virus  behaftet  waren,  in  Griechenland 
eingeschleppt  worden.  Genaue  Daten  hierQber  besitzen  wir 
nicht,  wie  denn  Oberhaupt  die  ersten  Aufzeichnungen  über 
die  betreffende,  damals  noch  als  ^ägyptische*'  bezeichnete 
Krankheit  erst  aus  dem  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  von 
jenem  berQhmten  Arzte  Aretäus  aus  Cappadocien,  einem 
Zeitgenossen  von  Galen,  auf  uns  überkommen  sind.  Auch 
Galen  selbst  scheint  diese  Krankheit  nicht  unbekannt  ge- 
wesen zu  sein,  wenn  er  die  Expectorationen  von  Pseudo- 
membranen durch  Räuspern  und  Husten  beschreibt.  Weitere 
Aufzeichnungen  ähnlichen  Inhalts  sind  auf  uns  Qberkommen 
aus  dem  vierten  und  fünften  Jahrhundert,  indem  Aetius  vor 
dem  Abreissen  von  Membranen  warnt.  Spärlich  sind  dagegen 
die  literarischen  Ueberlieferuugen  Ober  das  Vorkommen  dieser 
Krankheit  im  Mittelalter.  Alayma,  ein  palermitanischer 
Arzt,  schreibt  im  sechszehnten  Jahrhundert  von  ägyptischen 
Geschwüren  und  will  darunter  die  verschiedenen  Formen  von 
Diphtherie  verstanden  wissen.  In  Deutschland  beschrieb  am 
Anfange  des  achtzehnten  Jahrhunderts  Wendel  dieselbe 
Krankheit  Fast  um  dieselbe  Zeit  kommen  auch  Mittheilungen 
über  das  Vorkommen  der  Diphtherie  aus  England.     Home^), 

1)  Ueber  die  Natur,  Ursache  und  Heilung  des  Croup.     1766. 


K,  Roth:  Zar  bact.  etc.  Diagnose  u.  Therapie  der  Diphtherie      97 

einem  schottischen  Ärzte^  verdanken  wir  es^  dass  eine  be- 
stimmte Krankheitsform  bis  auf  den  heutigen  Tag  als  Croup 
bezeichnet  wird.  Im  Anfange  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
ist  Yon  einem  italienischen  und  zu  gleicher  Zeit  von  einem 
spanischen  Arzte  über  grosse  Diphtherieepidemien  berichtet 
worden,  die  das  südliche  Europa  im  Anfange  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  heimsuchten. 

Der  Name  Diphtheritis  stammt  erst  von  Bretonneau, 
Chefarzt*  des  Hospitals  zu  Tours,  der  vor  ungefähr  70  Jahren 
seine  berühmte  und  mustergiltige  Schilderung  über  diese 
Krankheit  lieferte.  Er  war  es,  der  in  seiner  Schrift  „Traite 
de  la  diphth^rite'^^)  über  das  Zustandekommen  der  Krank- 
heit, ihre  Uebertragung  von  einem  Individuum  auf  das  an- 
dere, ihre  Entstehung  bei  vielen  Individuen  gleichzeitig  aus 
gemeinsamer  Infectionsquelle,  die  Ursache  des  Aufhorens  und 
Wiederkehrens  der  Epidemien,  über  die  vermehrte  oder  ver- 
minderte Empfänglichkeit,  über  Heilung  und  Immunisirung 
genaue  Angaben  gemacht  hat.  Er  kam  auf  Grund  seiner 
epidemiologischen  Studien  über  die  Natur  der  Diphtherie  zu 
der  richtigen  Anschauung,  dass  wir  es  bei  ihr  mit  einer  con- 
tagiosen  Infectionskrankheit  zu  thun  hätten;  die  classische 
Schilderung,  welche  Bretonneau  von  der  Diphtherie  gab, 
ist  eine  auch  heute  noch  unbedingt  in  allen  Punkten  geltende. 
Hierdurch  angeregt,  haben  seit  jener  Zeit  viele  Forscher  mit 
Energie  sich  damit  beschäftigt,  die  Aetiologie  dieser  Krank- 
heit klar  zu  stellen,  aber  trotz  alledem  war  es  ihnen  nicht 
vergönnt,  dass  ihre  Untersuchungsergebnisse  sich  allgemeiner 
Zustimmung  erfreuen  durften.  Aus  diesem  edlen  Wettstreite, 
an  dem  sich  Männer  fast  aller  europäischen  Länder  bethei- 
ligteu,  ist  als  Resultat  ihrer  fast  sechzigjährigen  Thätigkeit 
nur  Folgendes  zu  verzeichnen:  Alle  haben  in  den  diphthe- 
ritischen  Membranen  Bacterien  gesehen,  ob  constant  oder  nicht, 
darüber  wurde  keine  Einigkeit  erzielt,  ebensowenig  über  die 
Art  derselben.  Vorherrschend  war  das  Auffinden  von  Mikro- 
kokken.  Der  Nachweis  von  Bacterien  in  inneren  Organen 
war  ein  sehr  unsicherer.  Reinculturen  von  den  gefundenen 
Bacterien  konnten  nicht  erzielt  werden  und  sind  also  dem- 
zufolge die  mit  solchen  Organismen  angestellten  Impfversuche 
nicht  beweiskräftig.  Das  ganze  Forschungsgebiet  über  unsere 
Mikroorganismen  befand  sich  in  der  damaligen  Zeit  nocH  zu 
sehr  in  den  Anfangsstadien,   sodass   mit  Recht  diesen  Ergeb- 


1)  Des  inflammations  speciales  du  tissu  muqueux  et  en  particulier 
de  la  diphthörite,  on  inflammation  pelliculaire,  comme  boub  le  npm  de 
Croup  d angine  maligne,  d'angine  gangr^neuse  etc.  Par  P.  Breton- 
oeaii,  m^decio  en  chef  de  Thöpital  de  TourB. 

Jfthrbneb  f.  Kifld«rheUkiuide.    H.  V.    XXXVin.  7 


98  K.  Roth: 

nissen  die  Bedeutang  eines  befriedigenden  Abschlasses  nicht 
zuerkannt  werden  kann. 

Löffler  gebührt  das  Verdienst,  in  der  Erforschung  der 
Aetiologie  der  Diphtherie  in  seinem  Bacillus  den  specifischen 
Erreger  dieser  Krankheit  erkannt  zu  haben.  Zwar  hat  schon 
Klebs,  damals  in  Zürich,  bereits  ein  Jahr  vor  jenem  einen 
Diphtheriebacillus  richtig  gesehen  und  beschrieben,  der  wahr- 
scheinlich mit  dem  Loffler'schen  identisch  ist,  aber  Elebs 
ist  es  nicht  gelungen,  Reinculturen  von  ihm  anzulegen,  noch 
bei  Uebertragungsversuchen  diesen  Bacillus  als  Erreger  der 
gleichen  oder  einer  ahnlichen  Krankheit  bei  Thieren  sicher 
nachzuweisen.^) 

Bevor  wir  auf  die  von  Löffler  gemachten  Funde  ein- 
gehen, wollen  wir  noch  kurz  jener  Untersuchungen  Erwäh- 
nung thun,  welche  über  die  pathologisch-physiologischen  Be- 
dingungen der  Entstehung  von  Schleimhautveränderungen,  wie 
sie  ja  bei  der  Diphtherie  vorkommen,  Licht  verbreitet  haben. 
Die  Eingangspforten  und  die  Hauptentwickelungsstätten  für 
den  diphtheritischen  Infectionsstoff  bilden  ja  nach  Henoch 
die  localerkrankten  Schleimhautstellen  der  Mundhohle,  Con- 
junctiva,  der  Genitalien,  daneben  sind  Gesicht  und  Ohren, 
besonders  bei  vorhandenen  Ekzemen,  ferner  die  übrige  Haut 
und  endlich  Zunge  und  Oesophagus  als  solche  zu  nennen. 

Yirchow  war  es,  der  die  verschiedenen  Formen  der 
Schleimhautveränderungen  zuerst  scharf  präcisirte  und  in  ka- 
tarrhalische, fibrinöse  und  diphtheritische  unterschied.  Weigert, 
der  die  fibrinöse  Schleimhautentzündung  Virchow's  noch  in 
eine  croupöse  und  pseudodiphtheritische  unterscheidet^  hat  das 
Verdienst,  die  Bedingungen  für  die  Entstehung  der  verschie- 
denen Formen  der  Schleimhautveränderungen  experimentell 
festgestellt  zu  haben.*)  Er  sagt:  „Eine  katarrhalische  Erkran- 
kung entsteht,  wenn  die  Schleimhaut  ein  Reiz  trifiFt,  der  zwar 
die  Epithelschicht  krankhaft  modificirt,  aber  nicht  vollständig 
zerstört  Ist  das  Epithel  zerstört,  die  Schleimhaut  aber  in- 
tact,  so  entsteht  die  croupöse  oder  pseudodiphtheritische  Form. 
Bei  der  eigentlichen  Diphtheritis,  dem  specifischen  Absterben 
von  Gewebstheilen  der  Schleimhaut  selbst,  wird  das  unter- 
gehende Gewebe  in  eine  derbe,  dem  geronnenen  Fibrin  ähn- 
liche Substanz  umgewandelt  Neben  der  Nekrose  hat  also 
hier  noch  eine  Durchtränkung  dieser  nekrotischen  Theile  durch 
fibrinogenhaltige  Lymphe  stattgefunden.  Die  Wirkung  des 
Diphtheritisvirus  an  diesen  Stellen  stellt  er  sich  als  von  aussen 
nach  innen  vorschreitend  vor« 


1)  Verhandlungen  für  innere  Medicin   II.  Abtheilang.'    Wiesbaden 
1883,  S.  148.  2)  Virchow'a  Archiv  Bd.  70  u.  72. 


r 


Zar  bacteriol.  and  klin.  Diagnose  and  Therapie  der  Diphtherie.      99 

Versuche  der  künstliclien  Erzeugung  von  diphtheritischen 
SchleimhautveräDderungen  sind  von  verschiedenen  Forschern 
mit  Erfolg  ausgeführt  worden.  Schon  Bretonneau  gelang 
es  durch  Injection  von  Cantharidentinctur  in  die  Trachea 
eines  Hundes  .eine  pseudomembranöse  Entzündung  zu  erzeugen, 
und  späteren  Autoren,  wie  Delafond,  Beitz  und  Oerte], 
ist  es  gelungen^  ähnliche  Erfolge  mit  Chlor,  Schwefelsäure 
und  Ammoniak  zu  erzielen. 

Die  Diphtherie,  zunächst  also  eine  locale  Erkrankung, 
wie  auch  0er tel  in  seinen  Untersuchungen^)  treffend  nach- 
gewiesen hat,  verbreitet  sich  dann  in  kürzerer  oder  längerer 
Zeit  über  den  inficirten  Korper,  zerstört  immer  grössere  Par- 
tien seiner  Gewebe,  bis  sie  als  allgemeine  Infectionskrankheit 
durch  Blutvergiftung  die  Lebensfähigkeit  des  Organismus  auf- 
hebt und  den  Tod  herbeiführt.  Trendelenburg')  machte  zum 
Beweise,  dass  es  sich  bei  der  Diphtherie  zunächst  um  eine 
locale  Erkrankung  handle,  Experimente,  indem  er  Kaninchen 
und  Tauben  Theile  von  diphtheritischen  Membranen  in  die 
Trachea  brachte,  und  er  hatte  hierbei  unter  68  Versuchen  bei 
11  den  positiven  Erfolg,  bei  diesen  Thieren  in  der  Luftröhre 
pseudomembranöse  Entzündungen  hervorgerufen  zu  haben. 

Dass  man  es  bei  der  Diphtherie  mit  einer  Localerkran- 
kung  zu  thun  hat^  wird  auch  durch  diejenigen  Fälle  bewiesen, 
in  welchen  an  anderen  Körperstellen  eine  Infection  statt- 
gefunden hat,  in  deren  Gefolge  die  charakteristischen  Lähmungs- 
erscheinungen sich  einstellen,  ohne  dass  zu  irgend  einer  Zeit 
eine  Betheiligung  der  Rachenorgane  sich  nachweisen  lässi 
Durch  diese  Untersuchungen  von  Trendelenburg  und  Oertel, 
denen  beiden  unbedingt  das  Verdienst  zugesprochen  werden 
muss^  den  experimentellen  Beweis  für  die  Uebertragbarkeit 
der  Diphtherie  erbracht  zu  haben,  war  es  jedoch  nicht  ge- 
lungen den  lebenden  Erreger  der  Krankheit  aufzufinden. 

Löffler  war,  wie  schon  erwähnt,  der  erste,  der  aus  Mem- 
branen den  richtigen  Bacillus  züchtete.  lü  seinen  anfänglichen 
Untersuchungen,  die  er  im  Jahre  1884  zum  Abschluss  brachte, 
gelang  es  ihm  zwar,  in  den  meisten  typischen  Diphtheriefallen 
Stäbchen  nachzuweisen,  in  manchen  jedoch  musste  er  sie  ver- 
missen. Mit  Rücksicht  auf  letzteren  Umstand,  sowie  darauf, 
dass  er  mit  den  gefundenen  Bacillen  Thierversuche  anstellte, 
die  am  Orte  der  Injection  keine  Einlagerungen,  sondern  nur 
Auflagerungen  zur  Folge  hatten,  drückte  er  sich  sehr  reservirt 


1)  Zar  Aetiologie  der  Infectionskrankheiten  etc.  Vorträge  gehalten 
in  den  Sitzungen  des  ärztUchen  Vereins  zu  München  im  Jahre  ibbO. 
München  1881. 

2)  Archiv  f.   klinische  Chirurgie  X.  720.    1869. 


7* 


100  •  K.  Roth: 

aus  und  schloss  daraus^  dass  sein  gefundener  Bacillus  nicht 
mit  absoluter  Sicherheit  als  der  eigentliche  Erreger  der  Diph- 
therie zu  betrachten  sei.  Bei  seinen  Thierexperimenten,  bei 
denen  er  sich  seiner  gewonnenen  Bouillon- Beinculturen  be- 
diente, fand  er,  dass  gewisse  Thierspecies,  wie  Batten  und 
Mäuse,  sich  völlig  refractär  erwiesen,  wähirend  Meerschwein- 
chen und  kleinere  Vögel  sehr  empfanglich  bei  Impfungen 
waren.  Er  machte  die  betreffenden  Einspritzungen  subcutan 
und  fand  hierbei,  dass  die  Thiere  nach  kurzer  Zeit  starben 
und  dass  sich  an  der  Impfstelle  Exsudate  mit  weit  sich  aus- 
breitenden Oedemen  des  Unterhautzellgewebes  einstellten«  In 
die  eröffnete  Trachea  gebracht,  riefen  sie  hier  Pseudomembra- 
nen hervor,  ebenso  auf  der  scarificirten  Augenbindehaut  und 
am  Eingange  der  Vulva.  Daneben  kamen  noch  blutige  Oe- 
deme,  Hämorrhagien  in  dem  Lymphdrüsengewebe  vor  und 
Ergüsse  in  die  Pleurahöhlen,  Wirkungen,  die  auf  Gefäss- 
Verletzungen  zurückzuführen  sind.  Beim  Suchen  nach  Bacillen 
fand  Löffler  dieselben  nur  an  dem  Orte  der  Inoculation  in 
den  daselbst  hervorgerufenen  Veränderungen  und  Neubildungen, 
die  inneren  Organe  waren  stets  frei  davon,  wie  denn  auch  die 
Untersuchungen  beim  Menschen,  post  mortem  vorgenommen, 
im  Blute  und  in  der  Lunge,  Milz  und  Lymphdrüsen,  stets 
einen  negativen  Erfolg  aufweisen  konnten,  während  an  der 
Stelle  der  localen  Infection  immer  Bacillen  gefunden  werden. 
Wenn  nun  auch  durch  neuere  Untersuchungen  von  Frosch^) 
im  bacteriologischen  Institut  von  Koch  in  10  von  15  zur 
Section  gekommenen  Fällen  das  Vorhandensein  von  Bacillen 
in  inneren  Organen  als  gesichert  gelten  könnte,  so  ist  daraus 
noch  nicht  ein  constanter  Befund  abzuleiten,  da  ja  diese  sich 
vielleicht  erst  in  der  Agone  dort  entwickelt  haben  dürften. 
Die  von  Löffler  fast  regelmässig  bei  seinen  Untersuchungen 
neben  den  Bacillen  in  den  Membranen  gefundenen  Strepto- 
kokken hatten  für  ihn  absolut  keine  ätiologische  Bedeutung, 
da  Impfversuche  mit  Reinculturen,  welche  er  an  Thieren 
machte,  keine  Veränderungen  hervorzurufen  im  Stande  waren, 
welche  Aehnlichkeit  hatten  mit  denen,  wie  sie  beim  Menschen 
in  Folge  der  Diphtherie  zur  Beobachtung  kommen.  3ei  man- 
chen Thieren  traten,  mochten  die  Einspritzungen  mit  diesen 
Kokken  nun  subcutan,  oder  in  die  Augenbindehaut,  oder  direet 
in  die  Trachea  gemacht  werden,  absolut  keine  Wirkungen 
auf,  andere  starben  allerdings  bei  Verabreichung  grosser 
Mengen,  bei  manchen  riefen  sie,  in  die  Bauchhöhle  einge- 
spritzt, Peritonitis  hervor,  andere  bekamen  erysipelasähnliche 
Processe  an  der  Haut,  und  in  die  Blutbahn  direet  eingebracht 

1)  Zeitschrift  f.  Hygiene  Bd.  13.    1892. 


Zur  bacteriol.  und  klin.  Diagnose  und  Therapie  der  Diphtherie.     101 

verorsachteu  sie  mitunter  Gelenkaffectionen.     Das  Vorbanden- 
sein dieser  Streptokokken  neben  den  specifischeu  Dipbtberie- 
bacillen  fasste  nun  L off  1er  als  eine  Complication  auf.    Diesen 
ßesultaten  stimmt  auch  Escberich  bei,  indem  er  sagt,  dass 
die  bei  epidemischer  Diphtherie  gefundenen  Streptokokken  fQr 
den  Verlauf^   yielleicht  auch  für  die  Disposition  zur  Erkran- 
kung Yon  hervorragender  Bedeutung  seien ,   aber  als  Erreger 
des  diphtheritischen  Processes  nicht  angesehen  werden  könnten. 
Derselbe  hat  in  Fällen,  die  später  an  Diphtherie  erkrankten^ 
auf  der  Rachenscbleimhaut  in  grosser  Menge  Streptokokken 
nachweisen  können,  so  dass  nach  seiner  Ansicht  vielleicht  die 
Anwesenheit    derselben    die    Ansiedelung    der    Löffler'schen 
Stäbchen  begünstigte  oder  überhaupt  ermöglichte.   Umgekehrt 
hat  er  nach  Schwund  der  Diphtheriemembranjen   sogar  noch 
nach  Wochen  diese  Kokken  finden  können.   Aehnliche  Befunde 
hatten  die  Untersuchungen  von  Netter,^)  Black')  und  Bi- 
ondi'),    welche   schon   in   normalen   und   fast   constant    bei 
katarrhalischen  Zuständen  der  Rachenschleimhaut  die  Strepto- 
kokken gefunden  haben,  während  bei  Scharlach  dieselben  auch 
von  Löffler,  Heubner  und  Barth*),   Fränkel  und  Freu- 
denberg ^),    ßaskin^),    Babes ')    und    Klein®)    und    bei 
katarrhalischen  Anginen  von  Fränkel,  Kurt  und  Prudden^) 
nachgewiesen  worden  sind.     Löffler  fand  bei  seinen  Unter- 
suchungen in  einem  Falle  in  der  Mundhöhle  eines  gesunden 
Kindes  dieselbe  Bacillenart,  welche,  in  Reinculturen  auf  Meer- 
schweinchen verimpft,  dieselben  Erscheinungen  hervorrief,  wie 
seine  aus  den  Diphtheriemembranen  gezüchteten  Stäbchen.   Ein 
Beweis,  dass  dessen  Untersuchungen  sich  grösster  Objectivität 
und  Genauigkeit  erfreuen  dürfen,  möchten  wir  doch  eine  gleiche 
Erscheinung  in  Zeiten  von  herrschenden  Diphtherieepidemien, 
ohne  dass  Krankheitserscheinungen  irgend  welcher  Art  an  den 
Tag  traten,  vielleicht  nicht  als  vereinzelt  vorkommend  bezeichnen, 
indem  wahrscheinlich  die  Bacillen  bei  unverletzter  Schleimhaut 
ganz  wirkungslos  bleiben,  während  sie  auf  günstigem  Boden 
ihre  Virulenz  erlangen,  ihr  Gift  entwickeln  und  somit  den  Or- 
ganismus durchdringen  können.    Auf  diese  Weise  werden  sich 
die  sogenannten  autochthonen  Infectionen  erklären  lassen,  die 

1)  Balletin  medic.    Annäe  IL    IBBS. 

2}  Citirt  nach  Müller,  Die  MikroorgaDismen  der  Mondhöhle  1889. 

3)  Breslauer  ärztliche  Zeitschrift  1887.    Nr.  18. 

4)  Berliner  klin.  Wochenschrift  1884.    Nr.  44, 

5)  Centralblatt  fOr  klin..  Medicia  1885.    Nr.  46. 

6)  Centralblatt  für  Baoteriologie  1889.    Bd.  V.     S.  433. 

7)  Die  septischen  Processe  des  Eindesalters  1889. 

8)  On  Scarlatina.    Proceedings  of  the  R.  Society.     Tom  XII. 

9)  On  the  Etiologie  of  Diphtheria.     Amereric.  Journ.  of  the  Med. 
Sciences  1889. 


104  K.  Roth: 

nen  Arbeit  „Contribution  ä  Fetude  de  la  diphtherite'^  nicht 
nur  sämmtliche  von  L off  1er  zu  Tage  geforderten  Befunde 
bestätigten,  sondern  ihnen  gelang  es  durch  die  Isolirung  und 
durch  das  Studium  der  yon  den  Bacillen  producirten  6ift> 
Stoffe  das  Wesen  und  die  klinischen  Symptome  der  Krankheit 
in  überraschender  Weise  zu  klären  und  unserm  Verständnisse 
näher  zn  rücken.  Dieselben  erzeugten  nämlich  beim  Thier- 
experimente  neben  den  von  L off  1er  her?orgerufenen  Wir- 
kungen ausserdem  wirkliche  Lähmungen. 

Diphtheritische  Lähmungen  waren  ja  ärztlicherseits  schon 
in  früheren  Zeiten  beobachtet  worden.  So  finden  wir  solche 
schon  erwähnt  um  die  Mitte  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
von  einem  italienischen  Arzte  Ghisi.  Dieser  schreibt  in 
seinem  berühmten  Briefe  aus  dem  Jahre  1749,  dass  sein 
eigner  Sohn,  nachdem  derselbe  von  der  häutigen  Bräune  fast 
vollständig  geheilt  war,  von  einer  Gaumenlähmung  befallen 
wurde,  und  fügt  hinzu,  dass  die  Heilung  dieser  merkwürdigen 
Nachkrankheit,  welche  man  bei  Personen  so  oft  zu  beobachten 
Gelegenheit  hat,  gewohnlich  dann  erst  eintritt,  wenn  solche 
▼on  der  ursprünglichen  Krankheit  wieder  hergestellt  sind. 
Auch  gab  Chomel  in  demselben  Jahre  in  seiner  Dissertation 
„Sur  le  mal  de  gorge  gangreneux'^  eine  naturgetreue  Schil- 
derung solcher  Gaumenlähmungen.  Ferner  werden  Lähmungs- 
erscheinungen fast  zu  gleicher  Zeit  von  amerikanischen  Aerz- 
ten,  so  von  Samuel  Bard  erwähnt.  Maingault  bringt  in 
seiner  umfangreichen  Monographie  über  diphtheritische  Läh- 
mungen Auszüge  von  Krankenbeobachtungen  verschiedener 
französischer  Zeitgenossen,  von  welchen  ausser  Gaumenläh- 
mungen  auch  Taubheit  und  Sehstörungen,  ferner  Muskel- 
schwäche und  Zittern  der  Extremitäten,  sowie  sogar  tabische 
Erscheinungen  bemerkt  wurden.  Auch  Bretonneau  hat  seine 
reichen  Erfahrungen  in  diesem  Specialgebiete  der  Diphtherie 
in  seiner  Arbeit  „Memoire  sur  les  moyens  de  prevenir  le  de- 
veloppement  et  les  progr^s  de  la  diphtherie^'  1855  ausführ- 
lich niedergelegt.  Henoch  in  seinem  Lehrbuche  über  Kinder- 
krankheiten sagt  darüber:  „Die  diphtheritische  Lähmung  ist 
eine  so  häufige  Nachkrankheit  der  Diphtherie,  dass  man  in 
jedem  Falle  auf  dieselbe  gefasst  sein  muss.  Ich  selbst  sah 
die  Lähmungen  immer  nur  im  Gefolge  der  Rachendiphtherie 
auftreten.  Andere  wollen  sie  auch  nach  der  Diphtherie  der 
Haut  beobachtet  haben.'' 

Roux  und  Tersin  waren  die  ersten,  welche  beim  Thier- 
versuche  paralytische  Symptome  hervorbringen  konnten,  die 
mit  den  beim  Menschen  vorkommenden  grosse  Aehnlichkeit 
haben.  Ihre  Inoculationen,  welche  sie  mit  Reinculturen  in 
Bouillon  in  die  Trachea  oder  subcutan  bei  Thieren  machten^ 


Zor  bacteriol.  und  klin.  Diagnose  and  Therapie  der  Diphtherie.     105 

hatten  zunächst  bei  einer  Taube  den  Erfolg,  dass  das  Thier 
zuerst  Erscheinungen  der  Dyspnoe  und  drei  Wochen  nach  der 
Impfang  nach  erfolgter  Heilung  Lähmung  des  einen  Flügels 
darboi  Das  Thier  wurde  nach  dieser  Zeit  schwach^  hielt 
sich  kaum  aufrecht  und  starb  fünf  Wochen  nach  der  In- 
jection.  Ein  Kaninchen,  dem  es  nach  der  Impfung  anfangs 
ganz  gut  ging,  wurde  am  sechsten  Tage  gelähmt  und  starb 
bald  nachher;  die  Lähmungen,  die  bei  letzterem  eintraten, 
machten  sich  zuerst  am  Hinterkörper  bemerkbar  und  er- 
streckten sich  nachher  über  den  ganzen  Körper.  Intravenöse 
Impfungen  bei  Kaninchen  hatten  den  Erfolg,  dass  die  Thiere 
nach  Ablauf  von  einigen  Tagen  starben.  Vor  dem  Tode 
zeigten  dieselben  alle  Lähmungen.  Konnten  sie  die  Thiere 
länger  am  Leben  erhalten,  so  stellten  sich  die  Lähmungen 
langsamer  ein;  bei  Tauben  wurden  sogar  mitunter  Heilungen 
solcher  Lähmungen  beobachtet,  während  sie  bei  Kaninchen 
immer  tödtlich  verliefen. 

Fragen  wir  nun,  wodurch  diese  Lähmungen  hervorgerufen 
werden,  so  müssen  wir  nach  den  hierüber  gemachten  Unter- 
snchungen  von  Roux  und  Yersin    annehmen,    dass   es   sich 
dabei  um   eine  Wirkung   der   durch   die  Bacillen   producirten 
toxischen  Stoffe  auf  das  Nerven-  und  Muskelsystem  handelt. 
Genannte  Autoren  charakterisiren   diese   Stoffwechselproducte 
in  üebereinstimmung  mit  Löffler  als  ferment-  oder  enzym- 
haltige  Substanzen.    Brieger  und  Fränkel  rechnen  dieselben 
nach  neueren  Untersuchungen  zu  der  Classe  der  Toxalbumine. 
Ueber  die  chemische  Natur  dieses  Giftes,   das  nach   neueren 
Untersuchungen  von  Guinochet*)   auch  bei  der  Cultiviruug 
des    Diphtheriebacillus    in    sterilisirtem    Urin    gebildet    wird, 
wobei  die   resultirende  giftige  Gulturfiüssigkeit  absolut  keine 
Eiweissreaction   zeigt,    sind   bis   jetzt   die  Acten    noch    nicht 
geschlossen. 

Besser  steht  es  dagegen   mit  der  Kenntniss  der  functio- 
ncllen  Eigenschaften    des    Diphtheriegiftes,    indem    ja    nicht 
allein   bei  der  Diphtherie,    sondern  bei   den   Infectionskrank- 
heiten  überhaupt  durch   die  Erkenntniss   der   Specificität   der 
Giflwirkung   ein   vollkommener    Umschwung    in    den    Studien 
ober  die  Entstehung  der  Krankheitserscheinungen   zu  Stande 
gekommen  ist    Specifisch  nennen  wir  das  Gift  der  Diphtherie 
deswegen,   weil   es  im  ThierkQrper  ganz  besondere  locale  und 
allgemeine  Veränderungen    hervorruft    und    weil    es    manche 
Thierarten   giebt,   die   auf   sehr  geringe  Mengen    gifthaltiger 
Diphtherie- Bacillen -Culturen  entweder  mit  Krankheit  oder  mit 


1)  Arch.  de  med.  ezper.  t.  4.    1892.   S.  494. 


108  K.  Roth: 

die  betreffenden  Culturen  gewachsen  sind.  Diesen  Unter- 
schieden, die  sowohl  die  Form  der  Bacillen  als  das  ver- 
schiedenartige Verhalten  gegenüber  ihrer  Färbung  betreffen, 
misst  der  Verfasser  nach  seinen  eigenen  Angaben  nur  die 
Bedeutung  bei,  dass  wir  es  im  ersten  Falle  bei  den  von  der 
normalen  Form  abweichenden  lediglich  mit  Inoculationsformen 
zu  thun  haben,  während  bei  üngleichmässigkeiten  in  Bezug 
auf  die  Färbung  der  Bacillen  es  sich  nur  um  eine  ungleiche 
Vertheilung  des  Protoplasmas  innerhalb  der  Zelle  handeln  dürfte. 

In  biologischer  Hinsicht  fand  er  bei  seinen  angelegten 
Culturen  ein  gutes  Wachsthum  derselben  auf  Agar  bei  Tem- 
peraturen von  35^  C,  ebenso  auf  Gelatine  bei  24^  C;  auf  der 
gekochten  Kartoffel,  die  ja  sauer  reagirt,  ist  das  Wachsthum 
bei  35^  ein  langsameres  als  auf  der  alkalisch  gemachten;  in 
der  Bouillon  bildet  der  Bacillus  bei  35^  G.  kleine  weisse 
Klümpchen,  die  theils  in  der  Kuppe  liegen,  theils  an  der 
Wand  des  Glases  hängen.  Die  Cultur  wird  schon  am  zweiten 
Tage  sauer. 

In  der  Milch  vermehren  sich  die  Bacillen  sehr  stark  und 
bleiben  daselbst  lange  lebensfähig.  Wichtig  bei  dem  Wachs- 
thum der  Bacillen  ist  die  Reaction  der  Nährboden.  Am 
besten  gedeihen  sie  bei  alkalischen,  wenigen  gut  bei  säuern. 

Escherich's  Ergebnisse  schliessen  sich  dem  Befunde 
von  Löffler,  Kolisko,  Paltauf  und  Zarniko  direct  an, 
indem  er  in  15  Fällen  echter  Diphtherie  den  Loffler'schen  Ba- 
cillus durch  Culturen  stets  nachweisen  konnte,  und  bei  seinen 
Thierversuchen  wurde  auch  die  Identität  der  aus  den  Mem- 
branen isolirten  Stäbchen  mit  dem  Löffler'schen  sicher  fest- 
gestellt 

Sind  nun  auch  die  bis  in  die  Jetztzeit  erschienenen  Ar- 
beiten über  die  Frage  nach  der  Aetiologie  der  Diphtherie, 
ihre  Verbreitung  und  Heilung  sehr  zahlreiche  und  ist  die 
Literatur  hierüber  zu  einem  solch'  grossen  Umfange  ange- 
schwollen, dass  sie  wahrscheinlich  von  der  keiner  anderen 
Infectionskraukheit  erreicht  werden  dürfte,  wobei  einzelne  der 
Autoren  dieser  Forschungen  noch  in  schroffen  Gegensatz  zu 
den  bisherigen  Resultaten  in  diesen  Fragen  getreten  sind,  so 
ist  doch  zur  Zeit  die  herrschende  Ansicht  eine  solche,  dass 
speciell  die  Frage  nach  der  Aetiologie  fraglicher  Krankheit 
im  Sinne  von  Löffler,  Boux  und  Yersin  als  gelost  zu  be- 
trachten sein  dürfte,  d.  h.  die  von  diesen  Autoren  gefundenen 
und  gezüchteten  Bacillen  sind  als  die  Urheber  der  Diphtherie 
zu  betrachten,  während  Jahreszeit,  Klima,  Temperatur  für 
ihre  Entstehung  nur  eine  untergeordnete  Rolle  zu  spielen  ge- 
eignet sind.  Dieses  Resultat  kann  für  den  Bacteriologen  und 
pathologischen   Anatomen   nicht    mehr  sein  Interesse   in  An* 


Zur  bacteriol.  und  klin.  Diagnose  uod  Therapie  der  Diphtherie.     109 

Spruch  nehmen,  als  es  dies  naturgemäss  auch  für  den  Kliniker 
nnd  praktischen  Arzt  thut,  denn  gerade  für  letztere  wird  ja 
die  ausschlaggebende  Entscheidung  über  Begriff,  Wesen, 
Diagnose,  Verbreitung,  Therapie  und  Prophylaxe  dieser  mör- 
derischen Krankheit  in  vielen  Fällen  schliesslich  doch  von 
dem  Resultate  der  diesbezüglichen  bacteriologischen  Unter- 
suchung abhängig  gemacht  werden  müssen.  Von  diesem  Ge- 
sichtspunkte geleitet,  nahm  ich  nachfolgende  Untersuchungen 
in  Angriff,  welche  mir,  trotz  vorhandener  Ueberzeugung  von 
der  ätiologischen  Bedeutung  des  Loffl er' sehen  Bacillus,  doch 
gerade  mit  Büchsicht  auf  gegentheilige  Ansichten  lehrreich 
genug  und  nicht  überflüssig  erschienen.  Je  grösser  ja  die 
Reihe  der  Untersuchungen  ist,  die,  an  verschiedenen  Orten 
und  mit  verschiedenartigem  Material  epidemischer  Diphtherie 
angestellt,  das  constante  Vorkommen  des  Löffler'schen  Ba- 
cillus bestätigen,  desto  wichtiger  ist  der  Beweis  für  seine 
ätiologische  Bedeutung,  gar  nicht  zu  erwähnen  der  Vortheile, 
die  ein  solcher  Nachweis  für  die  Diagnose,  das  wissenschaft- 
liche Verständnis,  Verhütung  und  Therapie  dieser  hervor- 
ragendsten und  schrecklichsten  Seuche  unseres  Zeitalters  ge- 
währen muss. 

Bei  meinen  Untersuchungen  Hess  ich  mich  von  den 
Gesichtspunkten  leiten:  Ist  die  Diphtherie  eine  durch  Mikro- 
organismen bedingte  Krankheit,  so  müssen  sich  für  sie  auch 
diejenigen  Postulate  erfüllen,  die  zum  stricten  Beweise  der 
parasitären  Natur  einer  solchen  Krankheit  absolut  nothwendig 
sind,  d.  h.  es  müssen  in  den  local  erkrankten  Theilen  Orga- 
nismen constant  nachgewiesen  werden  können,  denen  für  die 
Entstehung  und  Veränderung  dieser  Theile  eine  Bedeutung 
beizulegen  ist,  diese  müssen  isolirt  und  rein  gezüchtet  werden 
und  dann  müssen  mit  diesen  Reinculturen  experimentell  die- 
selben oder  ähnliche  Krankheiten  wieder  erzeugt  werden  können. 
Diesen  Postulaten  gerecht  zu  werden,  ist  die  Aufgabe  meiner 
Untersuchungen,  deren  Resultat,  sowie  eine  dementsprechende 
rationelle  Behandlungsweise  in  nachfolgenden  Zeilen  einer 
kurzen  Besprechung  unterzogen  werden  soll. 

Die  Untersuchungen  wurden  im  Laufe  des  letzten  Som- 
mers in  der  unter  Leitung  des  Privatdocenten  Dr.  Levy  ste- 
henden bacteriologischen  Abtheilung  des  Laboratoriums  der 
medicinischen  Klinik  mit  Krankenmaterial  der  medicinischen 
Kinderklinik,  in  der  ich  zur  Zeit  als  Assistent  beschäftigt 
war,  ausgeführt.  Den  Directoren  der  beiden  Kliniken,  Herrn 
Geheimrath  Professor  Dr.  Naunyn,  als  meinem  früheren 
hochverehrten  Lehrer,  und  Herrn  Professor  Dr.  Kohts,  als 
meinem  dermaligen  hochverehrten  Chef,  spreche  ich  hiermit, 
sowohl  einerseits  für  die  ertheilte  Erlaubniss,  m  dem  betret- 


110  K.  Roth: 

fenden  Laboratorium  die  Untersuchungen  ausführen  zu  können, 
als  auch  andererseits  für  die  Ueberlassung  des  Erankenmaterials, 
nochmals  meinen  verbindlichsten  Dank  aus.  Herrn  Privat- 
docenten  Dr.  Leyj,  der  mir  in  Anleitung  und  Förderung  der 
Arbeiten  in  bereitwilligster  Weise  stets  zur  Verfügung  stand, 
bin  ich  zu  ganz  besonderem  Danke  yerpflichtet,  den  er  hier- 
durch gütigst  entgegennehmen  wolle. 

Bevor  wir  mit  der  Besprechung  der  untersuchten  Fälle 
beginnen,  wollen  wir  auf  diejenigen  Punkte  eingehen,  welche 
für  die  Diagnose  der  Diphtherie  im  pathologisch-anatomischen 
und  im  klinischen  Sinne  maassgebend  sind,  daneben  kurz  die- 
jenigen A£fectionen  erwähnen,  die  difPerential- diagnostisch  in 
letzterer  Beziehung  mit  der  Diphtherie  in  Betracht  kommen 
können. 

Sitz  der  Diphtherie  ist  ja,  wie  bereits  oben  erwähnt,  vor- 
zugsweise die  Schleimhaut  des  Respirationstractus.  v.  Reck- 
linghausen unterscheidet  bei  den  Entzündungen  der  Schleim- 
häute drei  Formen: 

a)  die  katarrhalische  <=  Katarrh. 

b)  die  fibrinöse  oder  croupöse  »^  Croup. 

c)  die  diphtheritische  «=  Diphtherie. 

Bei  der  katarrhalischen  Entzündung  handelt  es  sich  um 
eine  Schwellung,  Röthung,  Hyperämie  und  stärkere  Secretion. 
Das  gelieferte  Secret  kann  von  verschiedener  Beschaffenheit 
sein.  Eine  Veränderung  der  Gewebe  tritt  bei  dieser  Form 
der  Entzündung  nicht  ein  und  erfolgt  die  Heilung  hierbei 
derart,  dass  nur  in  den  seltensten  Fällen  Defecte  zurück- 
bleiben. 

Bei  der  croupösen  Entzündung  werden  Membranen  ge- 
bildet und  diese  bestehen  aus  Fibrin.  Das  Fibrin  wird  ge- 
bildet aus  dem  Protoplasma  der  Zellen.  Die  Croupmembran 
sitzt  also  nie  auf  der  unverletzten  Schleimhaut,  sondern  an 
der  Stelle  des  ganz  oder  zum  Theil  zu  Grunde  gegangenen 
Epithels.  Dieses  Epithel  wird  bei  der  Heilung  wieder  her- 
gestellt, sodass  ein  Defect  nicht  entsteht. 

Bei  der  diphtheritischen  Entzündung  bilden  sich  auch 
Pseudomembranen,  dabei  findet  aber  nicht  allein  ein  Epithel- 
verlust, sondern  auch  ein  Substanzverlust  des  darunter  lie- 
genden Bindegewebes  statt.  Die  diphtheritische  Pseudomembran 
ist  nicht  frei  abgelöst  oder  gelockert,  sondern  sie  ist  stets 
in  Verbindung  mit  dem  Bindegewebe.  Erst  wenn  die  demar- 
kirende  Eiterung  auftritt,  löst  sich  dieselbe  ab  und  es  bleiben 
alsdann  Buchten  und  Defecte  zurück  und  findet  die  Heilung 
hier  nur  durch  narbiges  Bindegewebe  statt.     Treten  bei  der 


Zur  baoteriol.  and  klin.  Diagnose  und  Therapie  der  Diphtherie.     111 

diphtheritischen  Entzfindang  tief  eingreifende  Zerklüftungen 
der  in  Betracht  kommenden  Gewebe  auf,  so  nennen  wir  diese 
alsdann  Diphtheritis  gangraenosa. 

Wir  verstehen  also  vom  pathologisch-anatomischen  Stand- 
punkt aus  anter  Diphtherie  einen  KrankheitsprocesSi  der  sich 
meistens  an  den  Schleimhäuten  und  zwar  wiederum  vorzugs- 
weise denen  der  Bachenhohle  abspielt,  bei  der  ein  echtes 
diphtheritisches  Exsudat  in  der  Schleimhaut  entsteht,  bei  der 
in  der  Beconvalescenz  die  nekrotischen  Theile  alsdann  durch 
demarkirende  Eiterung  abgelost  werden  und  bei  der  die  Hei- 
lung durch  Narbenbüdung  erfolgt  Man  unterscheidet  bei 
derselben  zwischen  einer  reinen  diphtheritischen  und  einer 
gangränösen  Form. 

Klinisch  verstehen  wir  unter  Diphtherie  etwas  ganz  An- 
deres, denn  hierbei  sind  nicht  die  anatomischen  Veränderungen 
der  Schleimhaut,  sondern  die  ätiologischen  Momente  entschei- 
dend. Es  ist  hiernach  die  Diphtherie  eine  contagiose,  durch 
Einwirkung  des  Diphtheriegiftes  hervorgerufene,  meist  mit 
Fieber  verbundene  Krankheit,  welche  am  Häufigsten  den  Rachen 
und  den  obersten  Abschnitt  des  Bespirationstractus  befallt, 
mit  Bildung  von  grauweissen,  gelbgrauen  oder  graubraunen 
in  die  Schleimhaut  eingelagerten  Membranen  einhergeht  und 
durch  Infection  des  Gesammtorganismus  allgemeine  deletäro 
Wirkungen  zur  Folge  haben  kann. 

Tritt  der  Process  primär  im  Larynx  auf,  wobei  es  meist 
zu  den  Erscheinungen  der  Larynxstenose  kommt,  so  sprechen 
wir  von  Croup.  Diese  primäre  Larynxdiphtherie  wird  zwar 
von  manchen  Autoren  in  Abrede  gestellt;  so  sagt  beispielsweise 
Henoch  in  seinem  Lehrbuche  der  Kinderkrankheiten,  dass 
wahrscheinlich  in  denjenigen  Fällen,  in  denen  es  sich  um 
primäre  Diphtherie  des  Larynx  handeln  soll,  das  Nichtvor- 
handensein von  diphtheritischen  Membranen  in  der  Bachen- 
hohle entweder  darauf  zurückgeführt  werden  kann,  dass  der 
betreffende  Process  hier  schon  abgeheilt  ist,  oder  dass  in  sol- 
chen Fällen  meist  in  Folge  der  Ungunst  der  zu  besichtigen- 
den afficirten  Bachentheile  die  daselbst  befindlichen  Membranen 
leicht  übersehen  werden.  Henoch,  der  eher  glaubt,  dass  der 
Infectionsstoff  in  den  Falten  der  Pharynxschleimhaut  einen 
sehr  günstigen  Boden  für  seine  Existenz  findet,  hier  den 
Krankheitsprocess  hervorruft,  welcher  alsdann  auf  den  Larynx 
fortschreitet,  giebt  aber  trotedem  die  Möglichkeit  zu,  dass  der 
Infectionsstoff  ohne  Effect  den  Bachen  zu  passiren  und  erst 
im  Larynx  seine  Wirkungen  zu  entfalten  vermag. 

Nach  unserer  Ansicht  können  wir  einen  echten,  einen 
diphtheritischen  und  einen  Pseudocroup  unterscheiden. 

Unter  echtem  Group  verstehen  wir  eine  acute,  mit  Bit- 


112  K.  Roüi: 

duug  einer  der  Schleimhaut  aufliegenden  Membran  einher- 
gehende^  nicht  contagiose  Entzündung  des  JLiarynx  (Uffel- 
mann).  Entscheidend  für  die  betreffende  Diagnose  sind  der 
plötzliche  Beginn  und  besonders  das  frühzeitige  Auftreten  von 
Athembeschwerden,  der  klanglose,  trockene  Husten,  die  klang- 
lose Stimme,  das  fast  oder  gänzliche  Fehlen  des  Fiebers,  das 
Fehlen  von  schmerzhafter  Lymphdrüsenschwellung  der  Nach- 
barschaft des  Larynx,  das  nicht  epidemische  Auftreten  und 
endlich  die  Nichtcontagiosität. 

Für  die  Diagnose  des  diphtheritischen  Group  ist  ent- 
scheidend: erhebliches  Fieber,  sowohl  im  Beginn  als  Verlaufe 
der  Krankheit,  das  Auftreten  harter  schmerzhafter  Anschwel- 
lung der  Lymphdrüsen  in  der  Regio  submaxillaris,  das  Fehlen 
des  croupösen  Hustens  und  der  Beengung  des  Athmens  im 
Beginne  der  Krankheit,  das  epidemische  Auftreten  und  end- 
lich die  Contagiosität  (Uf  fei  mann). 

Unter  Pseudocroup  yersteht  man  eiue  acut  auftretende 
Entzündung  der  Schleimhaut  des  Larynx,  bei  der  Membranen 
nicht  gebildet  werden. 

Nach  Uf  feimann  sind  charakteristisch  hierfür  der  Be- 
ginn mit  Niesen,  Schnupfen  und  Katarrhhusten,  der  geringere 
Grad  der  Beengung,  der  raschere  Verlauf  und  das  Fehlen  von 
Membranen. 

Das  klinische  Bild  der  acuten  Larynxstenose  wird  also 
bedingt  entweder  durch  eine  rasch  zunehmende  katarrhalische 
Schwellung  der  Schleimhaut,  oder  sie  beruht  auf  einer  fibri- 
nösen Auf-  oder  Einlagerung  der  entzündeten  Schleimhaut 
oder  endlich  auf  einer  serös-purulenten  Infiltration  der  Ligam. 
ary  -  epiglottica  und  ihrer  Umgebung.  In  letzterem  Falle 
sprechen  wir  dann  klinisch  von  Oedema  glottidis,  für  welches 
charakteristisch  sein  soll  neben  den  anderen  Erscheinungen, 
dass  die  Beengung  des  Athmens  nur  beim  Inspiriren,  nicht 
auch  beim  Exspiriren  stattfindet. 

Haben  wir  den  klinischen  Symptomencomplex,  wie  er 
uns  für  gewohnlich  entgegentritt  und  sich  documentirt  in 
Heiserkeit,  rauhem  Husten,  Empfindlichkeit  des  Larynx  und 
der  Trachea  gegen  Druck,  geräuschvoller  In-  und  Exspiration, 
Cyanose  der  Lippen  und  des  Gesichts,  Bewegung  der  Nasen- 
flügel, Mitbewegen  des  Kopfes  beim  Athmen,  Einziehung  des 
Jugulum,  Epigastrium  oder  der  ganzen  unteren  Thoraxpartie, 
dabei  ergiebt  die  Untersuchung  der  Rachenhohle  nichts  Charak- 
teristisches, was  auf  eine  bestimmte  Diagnosenstellung  be- 
rechtigen Hesse,  und  auch  eine  sorgfältig  angestellte  Anamnese 
lässt  in  dieser  Beziehung  völlig  im  Stich,  so  wird  als  ein- 
ziges zuverlässiges  diagnostisches  Kriterium  entweder  eine 
auszuführende  laryngoskopische  Untersuchung   oder  die  beim 


Zar  bacteriol.  und  klin.  Diagnose  und  Therapie  der  Diphtherie.     113 

Husten  herausbeforderten  Pseudomembranen  und  deren  bacte- 
riologische  Untersuchung  betrachtet  werden  müssen. 

Die  Symptome  der  Diphtherie  lassen  sich  eintheilen  in 
allgemeine  und  locale.  Zu  den  erster en  sind  zu  zählen:  all- 
gemeines Unwohlsein,  Mattigkeit  und  Abgeschlagenheit  in  den 
Gliedern^  Theilnahmlosigkeit ,  mfirrisches  Wesen,  Frost  und 
Hitze,  Appetitlosigkeit y  vermehrtes  Durstgefühl  und  Fieber. 
Was  das  Fieber  anbetri£Ft;  so  ist  die  Hohe  desselben  kein 
sicherer  Gradmesser  für  die  Schwere  der  LocalafiPection.  Wich- 
tiger ist  das  Yerhältniss  des  Fiebers  zum  Pulse,  d.h.  die  Har- 
monie oder  Disharmonie  des  letzteren  mit  ersterem.  Ist  die 
Temperatur  massig  oder  niedrig,  der  Puls  sehr  frequent  und 
klein,  so  stellt  sich  die  Prognose  schlecht,  ist  dagegen  die 
Temperatur  hoch,  der  Puls  aber  nicht  sehr  frequent  und 
kraftig,  so  braucht  man  die  Prognose  noch  nicht  schlecht  zu 
stellen. 

Die  ortlichen  Erscheinungen  sind:  Schmerzhaftigkeit  im 
Halse,  sowohl  beim  Schluckacte  als  auch  bei  äusserem  Drucke, 
Terschiedengradige  Rothe  der  Rachenschleimhaut,  Schwellung 
der  Tonsillen,  membranose  Beläge,  die  von  verschiedener  Farbe 
and  verschiedener  Ausdehnung  sein  können,  Drüsenschwellung 
and  meist  auch  Foetor  ex  ore.  Dass  die  Drüsenschwellung 
bei  der  Diphtherie  als  ein  constanter  Begleiter,  wie  dies  von 
manchen  Autoren  zu  geschehen  pflegt,  hinzustellen  sei,  dürfte 
mindestens  gewagt  erscheinen,  ebenso  muss  das  Vorhanden- 
sein von  Membranen  als  nothwendiges  Erforderniss  angesehen 
werden,  da  beispielsweise  eine  Rachendiphtherie  ohne  Beläge 
in  der  Form  einer  einfachen  Angina,  wie  dies  zu  geschehen 
pflegt,  nicht  angenommen  werden  kann. 

Je  nach  Yerschiedenheit  der  Localisation  der  Diphtherie 
werden  noch  entsprechende  andere  Symptome  hierfür  in  Be- 
tracht kommen.  So  wird  als  wichtiges  Symptom  beginnender 
Nasendiphtherie  stets  ein  mehrtägig  bestehender  Schnupfen 
sehr  in  die  Wagschale  fallen  müssen.  Ist  das  dabei  entleerte 
Secret  ein  dünnes  eitriges,  mitunter  von  Blut  untermischtes, 
schnarcht  der  Patient  beim  Schlafe  und  athmet  er  durch  den 
Mund,  auch  im  wachenden  Zustande,  sind  Oberlippe  und 
Nasengänge  geröthet  oder  erodirt  und  erhält  man  aus  der 
Nase  Fetzen  vom  Membranen,  so  ist  die  Diagnose  gesichert. 

Die  Diphtherie  im  klinischen  Sinne  wird  eingetheilt  von 
Henoch:  in  eine  leichte,  mittelschwere  und  schwere  Form. 
Eine  Eintheilung,  die  der  Autor  selbst  nicht  als  genügend 
bezeichnet,  da  ja  jederzeit  die  eine  Form  in  die  andere  über- 
gehen könne. 

Baginsky  unterscheidet: 

1)  die  localisirte  diphtheritische  Aflfecfcion, 

Jahrbneh  f.  XSiid«rhemraiid6.  K.  F.    XXXVIU.  8 


114  K.  Roth: 


2)  die  diphtheritische  AUgemeininfection, 

(3  " 


3)  die  septicamisclie  Diphtherie. 

Diese  Eintheilong  charakterisirt  im  Wesentiichen  die  hervor- 
stechenden  Eigenschaften  der  Einzelfölle. 

Nil  Filatow  unterscheidet  je  nach  dem  Grade  der  localen 
und  Allgemeinsymptome  die  drei  Formen: 

1.  die  punktirte      \ 

2.  die  membranSse  [Diphtherie. 

3.  die  septische      f 

Kohts  unterscheidet  mit  Bücksicht  auf  die  Form  der 
diphtheritischen  Membranen,  d.  h.  ob  dieselben  in  dicken 
speckartigen  Auflagerungen  oder  in  einer  mehr  infiltrirten 
Form  uns  zu  Gesicht  kommen:  eine  Plattenform  gegenüber 
einer  mehr  infiltrirten  schleierartigen  Form.  Daneben  nimmt 
er  noch  die  sogenannte  septische  Form  an. 

Die  letztere  Eintheilung  ist  bei  der  Besprechung  der  zur 
Untersuchung  gekommenen  Fälle  als  Bichtschnur  genommen 
worden. 

Differential -diagnostisch  kommen  bei  der  gewöhnlichen 
Bachendiphtherie  folgende  Affectionen  in  Betracht: 

1.  Die  Angina  follicularis.  Wichtig  ist  zwischen  beiden 
Affectionen  das  Fieber,  denn  während  die  Angina  meist  mit 
hohem  Fieber  einsetzt,  haben  wir  bei  der  Diphtherie  Schwan- 
kungen zwischen  38,0  und  39^  mit  abendlichen  Steigerungen. 
Dann  kommt  in  Betracht  die  Follikeleruption  selbst,  bei  denen 
die  Flecken  eine  stets  regelmässige  Form  mit  fast  stets 
gleicher  Grosse  haben  ^  wobei  dieselben  nie  über  den  Bereich 
der  Tonsillen  hinausgehen,  Symptome,  die  wir  bei  der  Di- 
phtherie ia  solch  ausgesprochener  Form  nicht  finden. 

2.  Die  Angina  lacunaris.  Hier  ist  maassgebend,  dass  bei 
der  Diphtherie  das  Exsudat  auf  den  conyexen  Stellen  der 
Tonsillen,  während  es  bei  der  lacunären  Angina,  wie  ja  schon 
der  Name  besagt,  in  den  Vertiefungen  der  hypertrophischen 
Tonsillen  sitzt.  Das  diphtheritische  Exsudat  hat  Neigung, 
sich  in  die  Fläche  auszudehnen,  wodurch  alsdann  mehrere 
vorhanden  gewesene  kleinere  Plaques  zu  einem  einzigen  grosse- 
ren confluiren  können.  Bretonneau  sagt  schon,  die  Ver- 
breitungsweise  der  diphtheritischen  Entzündung  schreitet  in 
ähnlicher  Weise  vor  wie  ein  Flüssigkeitstropfen,  der  in  die 
Umgebung  sich  imbibirt  und  an  abhängiger  Stelle  herunter - 
gleitet.  Wichtig  ist  ferner  noch  die  Anzahl  der  Flecken  und 
hierfür  giebt  auch  Bretonneau  schon  Anhaltspunkte,  indem 
er  sagt:  „Sieht  man  mehr  als  drei  gesondert  neben  einander 
liegende  hautähnliche  Flecken,  so  wird  die  Diagnose  auf  Di- 
phtherie ausgeschlossen  werden  können/' 


Zar  bacteriol.  und  klin.  Diagnose  nnd  Therapie  der  Diphtherie.    115 

In  Betracht  zu  ziehen  ist  endlich  noch  das  Fieber,  das 
bei  der  Angina  lacunaris  meist  ein  sehr  hohes  ist,  wobei 
Temperaturen  von  40^  vorkommen  können. 

3.  Die  Angina  parenchymatöse  Bei  der  Entscheidung, 
die  oft  zweifelhaft  sein  kann,  kommt  in  Betracht  die  Farbe 
des  Belages,  hier  ist  er  weiss,  während  bei  der  Diphtherie 
der  Belag  grau,  gelb  oder  mehr  graubraun  ist  Die  Con- 
iouren  bei  letzterer  sind  selten  regelmässig  und  gehen  auch 
über  die  Mandeln  hinaus.  Endlich  ist  noch  Rücksicht  zu 
nehmen    auf  das  gleichzeitige  Bestehen   einer  Hausepidemie. 

4.  Die  Angina  fibrinosa.  Als  Stützpunkte,  die  klinische  Dia- 
gnose der  sehr  seltenen,  von  Elebs  als  locale,  nicht  contagiöse 
Erkrankung  der  Rachenmukosa  beschriebenen  Affection  auszu- 
schliessen,  sind  zu  nennen  das  Vorhandensein  von  Diphtherie- 
fallen in  der  Familie,  Verlauf  der  Krankheit  ohne  oder  mit 
nur  geringem  Fieber,  die  Art  der  Ausbreitung  über  die  Ton- 
sillen hinaus,  das  Vorhandensein  von  Albumen  imd  später 
eintretende  Lähmungen. 

Was  endlich  die  Diphtherie  bei  Scharlach  und  Masern 
anbetrifft,  so  ist  es  jedenfalls  rathsamer,  die  bei  diesen  Krank- 
heiten Yorkommenden,  fast  als  gewöhnlich  zu  bezeichnenden 
Erscheinungen  nach  dem  Vorbilde  massgebender  Autoren  besser 
als  diphtheritische  Nekrosen  und  als  echten  Croup  zu  bezeich- 
nen. Damit  wird  nicht  bestritten,  dass  das  Vorkommen  von 
Scarlatina  und  Masern  complicirt  mit  echter  Diphtherie  gerade 
zu  den  grossten  Seltenheiten  gehöre,  denn  die  klinische  Be- 
handlung hat  ja,  vielfach  schon  durch  die  Ungunst  der  Räum- 
lichkeiten hervorgerufen,  Beispiele  jederzeit  hiervon  aufzuweisen, 
dass  das  gleichzeitige  Bestehen  von  Infectionskrankheiten  bei 
einem  Individuum  vorkommen  kann.  Ebenso  wie  aber  nun 
die  nekrotisirende  Entzündung  nicht  allein  bei  obigen  Krank- 
heiten, sondern  auch  bei  Dysenterie,  Pyämie,  Typhus  vor- 
kommen kann  und  wie  die  Pseudomembranen,  wie  wir  sie  in 
ihrem  anatomischen  Bilde  vor  uns  haben,  ausser  durch  den 
Diphtheriebacillus  auch,  wie  wir  bereits  oben  gesehen,  durch 
Aetzmittel,  dann  durch  Hitze  und  Kälte  erzeugt  werden 
können,  bei  denen  die  Aehnlichkeiten  dieser  anatomischen 
Producte  noch  nicht  die  Identität  der  Krankheitsprocesse  be- 
weisen, ebenso  kann  ja  auch  das  Exsudat,  was  die  Anatomen 
als  diphtheritisch  beschreiben,  durch  verschiedene  Ursachen 
hervorgerufen  werden.  Will  man  also  klinisch  bei  solch  vor- 
kommenden Fällen  eine  absolut  sichere  Diagnose  stellen,  so 
wird  man  für  gewöhnlich  mit  der  einfachen  Inspection  un* 
möglich  auskommen  und  nothwendiger  Weise  doch  stets  die 
bacteriologische  Untersuchung  zu  Hilfe  nehmen  müssen.  Die 
Frage  bleibt  alsdann  die:  Können  wir  mit  Hilfe  der  anzustel- 

8* 


116  K.  Roth: 

lenden  bacteriologischen  Untersuchung  die  Diagnose  frühzeitig 
genug  stellen?  Dieselbe  muss  entschieden  bejaht  werden,  denn 
bei  dem  heutigen  Stande  der  bacteriologischen  und  mikrosko- 
pischen Untersnchungsmethoden  und  deren  Ergebnissen  wird 
dasselbe  stets  und  zwar  spätestens  nach  Verlauf  von  24  Stunden 
möglich  gemacht  werden  können. 

Hierzu  wird  natürlich  vorausgesetzt,  dass  die  nothigen 
Isolirräume  zur  Verfügung  stehen,  in  welchen  die  Patienten 
bis  zur  Beendigung  der  bacteriologischen  Untersuchung  unter* 
gebracht  werden.  Leider  ist  allerdings  dieses  Bedüifniss  in 
manchen  Krankenhäusern  bis  jetzt  noch  stets  ein  frommer 
Wunsch  geblieben.  Wird  auch  diese  Isolirung  sowie  die 
bacteriologische  Untersuchung  sämmtlicher  aufzunehmender 
Patienten  von  Manchen  als  überflüssig  und  nicht  nothwendig 
bezeichnet,  indem  die  Anzahl  der  mit  Diphtherie  inficirten 
Patienten,  welche  auf  Grund  einer  falsch  gestellten  Diagnose 
in  der  Diphtherieabtheilung  Aufnahme  finden,  eine  verschwin* 
dend  kleine  sei,  so  wird,  selbst  letzteres  vorausgesetzt,  doch 
für  jeden  Fall,  in  dem  klinisch  eine  absolut  sichere  Diagnose 
auf  Diphtherie  nicht  gestellt  werden  kann,  diese  Isolirmass- 
regel  und  die  sich  daran  anknüpfende  bacteriologische  Unter- 
suchung stets  ein  nothwendiges  Erforderniss  bleiben  müssen. 
Zweifelhafte  Fälle  von  Diphtherie,  bei  denen  eine  sichere 
Diagnose  makroskopisch  nicht  zu  stellen  ist,  werden  dem- 
genigen  viel  mehr  zu  Gebote  stehen,  der  in  diesem  Gebiete 
berade  eine  reichere  Erfahrung  hat  und  dem  es  nicht  erspart 
bleiben  dürfte,  dass  die  für  jeden  Diphtheriefall  ausgeführte 
jacteriologische  Untersuchung  seine  gestellte  Diagnose  häufig 
hinfällig  machen  wird.  Die  hiesige  Kinderklinik  hat  im  Laafe 
des  letzten  Winters  die  traurige  Erfahrung  machen  müssen, 
dass  gerade  wegen  Mangels  solcher  Isolirränme  in  Fällen  von 
Larynxstenose  vor  dem  Masem-Exanthem- Ausbruche  die  Masern 
in  die  Diphtherieabtheilung  eingeschleppt  wurden,  welche  als- 
dann unter  den  zur  Zeit  in  sehr  grosser  Anzahl  vorhandenen 
und  durchweg  doppelt  gebetteten  Patienten  eine  reiche  Beute 
von  todtlich  verlaufenden  Opfern  forderten.  Die  Gefahr  eines 
mit  einer  zweifelhaften  Diagnose  auf  Diphtherie  belasteten 
Patienten  wird  durch  die  Aufnahme  in  solche  Isolirräume 
jedenfalls  nicht  in  Vergleich  gezogen  werden  können  gegen- 
über der  Gefahr,  welche  die  Verbringung  eines  Patienten,  der 
in  einem  Masern-  oder  Scharlachprodromalstadium  sich  be- 
findet, auf  die  Diphtherieabtheilung  für  die  hier  Befindlichen 
in  sich  birgt. 


Zar  bacieriol.  und  klin.  Diagnoae  und  Therapie  der  Diphtherie.     117 

üntersnohte  Fälle  d.  h.  baoteriologiBoh  nntersuclite. 

Von  einer  Wiedergabe  der  Erankengeschiebten  in  toto 
ist  Abstand  genommen  worden^  weil  sonst  wegen  der  vielfach 
vorhandenen  Uebereinstimmung  des  klinischen  Verlaufs  Wieder- 
holungen unvermeidlich  gewesen  wären.  Nur  zwei  Fälle  sollen 
mit  BQcksicht  auf  den  langandauemden  und  hartnäckigen  Ver- 
lauf der  Krankheit,  sowie  wegen  ihrer  Becidive,  die  bald  nach 
ihrer  Entlassung  aus  der  Klinik  auftraten,  wodurch  eine  noch- 
malige Verbringung  beider  Patienten  in  die  Kinderklinik  iiothig 
wurde,  in  toto  beigefugt  werden.  Eine  tabellarische  Zusammen- 
stellung ist  zur  Gewinnung  einer  raschen  üebersicht  noch  bei- 
gefögt. 

Zur  Untersuchung  kamen  25  Fälle,  die  theils  aus  Strass- 
bürg,  theils  aus  benachbarten  Orten  kommend,  in  hiesiger 
Kinderklinik  Aufnahme  fanden.  Das  Alter  dieser  Patienten 
schwankte  zwischen  1  und  12  Jahren,  die  Krankheitsdauer 
vor  Aufnahme  in's  Spital,  soweit  es  anamnestisch  festgestellt 
werden  konnte,  zwischen  1  und  10  Tagen.  Verschiedene  von 
ihnen  waren  schon  zu  Hause  in  ärztlicher  Behandlung  ge- 
wesen. Fast  allen  Patienten  gemeinsam  waren  Beläge,  die 
sich  teils  auf  den  Tonsillen  allein,  theils  in  Gemeinschaft  mit 
solchen  auf  dem  weichen  Gaumen  und  der  hinteren  Pharynx- 
wand  vorfanden.  Einmal  war  der  Belag  bis  auf  den  harten 
Gaumen  ausgedehnt.  In  zwei  Fällen  konnte,  trotz  genauester 
Untersuchung,  in  der  Mundhöhle  kein  Belag  constatirt  werden. 
Vorherrschend  unter  diesen  waren  die  prognostisch  nicht  so 
günstigen,  infiltrirten,  schleierartigen  Formen,  während  die 
speckflürtigen  dicken  Formen  mit  gelbgrauen  Membranen  sei* 
teuer  und  solche  mit  ausgesprochen  schmutziggrauer  FarVe 
nor  zweimal  vertreten  waren.  Bei  neun  war  der  Krankheits- 
process  schon  bei  ihrer  Aufnahme  in  die  Klinik  auf  den  La- 
rynx  und  eventuell  auch  die  Trachea  ausgedehnt,  wie  die  bei 
ihnen  vorhandenen  Erscheinungen  deutlich  erkennen  Hessen. 
Diphtherie  der  Nase  war  in  fdnf  Fällen  mit  der  Rachen- 
Affection  complicirt,  bei  drei  von  diesen  war  die  Nasen- 
Affection  das  primäre  Leiden.  —  Die  älteren  Patienten  machten 
ihre  Angehörigen  fast  durchweg  durch  Klagen  über  Schmerzen 
im  Halse,  besonders  beim  Schlucken,  auf  ihr  Leiden  aufmerk- 
sam, bei  anderen  bestand  nur  Husten,  der  vorzugsweise  bei 
jflngeren  die  Scene  eröffnete;  bei  anderen  wurde  die  Krank- 
heit durch  allgemeines  Unwohlsein,  Apathie,  Anorexie  und 
einige  Male  auch  durch  Erbrechen  eingeleitet.  Schwellung  der 
Lymphdrüsen  und  des  Halses  konnte  bei  den  Meisten  nach- 
gewiesen werden.  Fieber  war  bei  der  Aufnahme  bei  Allen 
vorhanden.    Die  Fiebercurven  schwankten  zwischen  37,9  und 


120  K.  Roth: 

28.  YIII.    Belaff  Yergchwundeii. 
6.  IX.    Patientin  verlässt  das  Bett,   sie  klagt  über  Bchwäche   in 
den  unteren  Extremitäten  und  Schmerzen  in  den  beiden  Fussgelenken, 
sodass  das  Gehen  sehr  beschwerlich  ist. 

Ord.:   Ruhe  und  roborirende  Diät 

9.  IX.    Geheilt  entlassen. 

Wiedereintritt  am  21.  IX.  1893.  Erkrankt  am  18.  IX.  1898  mit  Er- 
brechen, hohem  Fieber  und  Halsschmerzen.  Die  Behandlung  bestand 
in  GurgeluDgen  mit  Salzwasser.  Priessnitz  um  den  Hals,  Temperatur 
39,9.  Beim  Eintritt  in  die  Klinik  besteht  geringe  Heiserkeit,  rauher 
Husten,  starke  Lymphdrüsenschwellung  in  der  Regio  submaxillaria,  rechts 
ist  der  Hals  stark  infiltrirt  und  bei  leichtem  Drock  sehr  schmerzhaft 
Der  l^aseneingang  und  die  Oberlippe  stark  gerOthet,  aus  der  Nase  ent- 
leert sich  reichlich  seröses  Secret.  Leichte  Cyanose  der  Lippen.  Die 
Tonsillen  stark  geröthet  und  geschwollen,  zwischen  ihren  medialen 
Flächen  ist  kaum  noch  ein  fingerbreiter  Spalt  vorhanden;  tief  dunkel- 
rothe  Färbung  der  Rachensohleimhaut;  die  ganze  Rachenhöhle  ist,  so- 
weit dieselbe  bei  vorhandener  Schwellung  sichtbar  ist,  mit  dicken  gelb- 
grauen Belägen  bedeckt.  Starker  Foetor  ex  ore.  üeber  den  Lungen 
reichliches  rfeifen  und  Giemen.  Geringe  Apathie.  Temperatur  38,8, 
Puls  108.    Arterienwand  ^nt  gespannt    Kein  Albumen. 

Ord.:  Eiscravatte,  Pnessnitz  um  die  Brust,  Einpinseln  mit  Carbol- 
Papayotin  und  Glyoerininhalationen. 

24.  IX.  Belag  nur  noch  auf  der  rechten  Tonsille  und  Uvula  vor- 
handen. Die  linke  Tonsille  zeigt  sehr  stark  zerkldfbete  lacnnäre  Ver- 
tiefungen, die  Schwellung  ist  zurückgegangen;  Röthe  der  Rachenschleim- 
haut  und  Tonsillen,  Temperatur  87,1. 

2.  X.  Geringer  Belag  der  rechten  Tonsille,  die  im  unteren  Theile 
sitzt     Temperatur  36,8. 

16.  X.  Belag  verschwunden.  Die  rechte  Tonsille  ist  noch  ver* 
grössert. 

28.  X.    Geheilt  entlassen. 

Dauer  der  ersten  Aufnahme  90  und  der  zweiten  39  Tage. 

Hermann  Z.,  10  Jahre  alt,  erkrankt  am  27.yn.  1893  mit  Halsschmerzen. 
Eintritt  ins  Spital  am  31.  VIL  1893.  Eine  j  fingere  Schwester  liegt  da- 
selbst krank  an  Diphtherie.  Gut  entwickelter  Knabe.  Die  Rachen- 
Bchleimhaut  tief  dunkelroth  und  stark  geschwollen,  die  linke  Tonsille 
stark  vergrösser t,  sie  ragt  wallnnssgross  in  die  Rachenhöhle  hinein. 
Auf  beiden  Tonsillen  sind  schleierförmige  Beläge,  links  stärker  als  rechts 
vorhanden,  diese  lassen  sich  schwer  von  ihrer  Unterlage  abheben. 
Starke  Lymphdrüsenschwellangen  am  Halse.  Die  inneren  Organe  er- 
geben nichts  Anormales. 

Temperatur  37,9.    Puls  104.    Kein  Albumen. 

Ord.:  Eiscravatte,  Glyoerininhalationen ,  Gnrgelung  mit  Kali  chlor. 
Einpinselung  mit  Carbol  -  Papayotin   und   zwar  in  den    ersten   beiden 
Stunden  alle  10  Minuten,  und  nachher  zweistündlich  zu  pinseln.    Eis- 
schlucken. 

3.  YIII  Der  Belag  Unks  erstreckt  sich  Über  beide  Gaumenbögen 
hinaus,  rechts  geht  er  jetzt  bis  an  die  hintere  Pharyuxwand  und  er- 
streckt sich  hier  tief  nach  unten.  Gegen  die  Umgebung  sind  die  Mem- 
branen nicht  scharf  abgegrenzt,  sondern  sie  schicken  kleine,  fetzen- 
förmige  Ausläufer  in  dieselbe  hinein.  Die  Schleimhaut,  bei  der  leisesten 
Berührung  mit  dem  Pinsel  sehr  schmerzhaft,  blutet  leicht  Lymph- 
drüsenschwellung stark.    Kein  Albumen.    Temperatur  37,4. 

10.  Vni.  Der  Belag  auf  der  rechten  Seite  ist  jetzt  nur  auf  der 
Tousille  zu  sehen,  links  hat  er  eine  mehr  graugelbe  Farbe,  lässt  sich 


Zar  bacteriol.  und  klin.  Diagnose  und  Therapie  der  Diphtherie.     121 

hier  bei  jedesmaliger  Pinselung  leicht  wegwischen.  Die  Schleimhaut 
ist  stark  Ödematös  geschwollen.    Kein  Albumen. 

25.  YIII.  Rechts  kein  Belag  mehr  vorhanden,  links  bedeckt  er 
noch  den  ganzen  hinteren  Bachenbogen.  Schleimhaut  noch  stark  ge- 
röthet,  die  linke  Tonsille  ist  yergrössert.  Die  Lymphdrüsen  in  der 
Sobmazillargegend  gut  fühlbar.    Temperatur  87,2. 

5.  IX.  Die  Bel&ge  sind  geschwunden,  die  Schleimhaut  der  Rachen* 
hohle  noch  stark  geröthet. 

8.  IX.  Auf  der  linken  Tonsille,  in  dem  hinteren  Gaumenbogen  ist 
wieder  ein  dünner,  schleierförmiger  Belag  yorhanden.  Die  linke  Ton- 
sille hypertrophisch,  die  Schleimhaut  stark  geröthet.  Keine  Temperatur- 
erhöhung, kein  Albumen. 

15.  IX.  Der  Belag  ist  geschwunden,  die  Rachenschleimhaut  noch 
geröthet. 

25.  IX.  Leichte  Röthe  der  Nasenschleimhant  und  der  hinteren 
Pharynxwand.    Temperatur  86,5. 

8.  X.    Geheilt  entlassen. 

Wiedereintritt  am  4.  X.  1898.    Patient  erkrankte  in  der  Nacht  vom 
3.  X.  cum  4.  X.  mit  Fieber  von  40^1  \  sehr  starken  Schmerzen  im  Halse, 
dabei  war  er   über   den   ganzen  Körper  stark   geröthet.     Der  Eintritt 
in  die  Klinik  erfolgte  am  4.  X.     Starke  erythematöse  Röthe  der  Haut, 
starker  schmieriger   Belag   auf  der  Zunge.     Die  Rachenhöhle   ist  init 
einem  gelbgrauen  Belag  überzogen,  der  l^ide  Tonsillen,  die  beiden  hin- 
teren mumenbögen  mit  Uvula  und  die  hintere  Rachenwand  derart  be- 
deckt, dasB  die  darunter  liegende  Schleimhaut  in  der  ganzen  Ausdeh- 
nung nicht  zu  sehen  ist.    Der  Belag  setzt  sich   scharf  gegen  die  üm- 
gebong  ab.     Beide  Tonsillen   sind   vergrössert,   die   Lymphdrüsen    des 
Halses  geschwollen  und  schmerzhaft.     Keine  Milzvergrösserung ,  Herz- 
töne  rein.    Ueber  den  Lungen  ^normale  Athmungsgeräusche.    Das  Ab- 
domen leicht  aufgetrieben   und   bei   der  Betastung   empfindlich.    Kein 
Albumen,  Temperatur  39,3,  Puls  124,  Respiration  36. 

Ord.:  Die  n&mliche  Therapie  wie  oben,  nur  wird  nach  Ablauf  von 
zwei  Stunden  alle  Stunden  gepinselt. 

7.  X.    Bel^  auf  der  linken  Tonsille  noch  sichtbar.     Starke  Rötbe 
der  Bachenschleimhaut. 

10.  X.    Status  idem.    Temperatur  87,9. 

16.  X.    Ungeföhr  linsengrosser  Belag  auf  der  linken  Tonsille,  der  in 
einer  stark  lacun&ren  Vertiefung  sitzt    Keine  Temperaturerhöhung. 

28.  X.    Der  Belag  ist  verschwunden,  die  Rachenscbleimbaut  leicht 
geröthet 

5.  XL     Geheilt  entlassen. 
Zum  ersten  Male  im  Spital  66  Tage,  zum  zweiten  Male  43  Tage. 

Von  allen  Patienten  wurden  bei  Lebzeiten  kleine  Stücke 
von  Pseudomembranen^  theils  aus  der  Mundhöhle,  theils  nach 
Tracheotomien  aus  der  Trachea  genommen.      Zur   Entnahme 
bedienten  wir  uns  einer  gut  geglühten  Pincette,  brachten  unter 
den  nothigen  Cautelen  die  sich  meist  leicht  und  ohne  Schmerz- 
äusaerüng  der  Patienten  von  ihrer  Unterlage  ablosenden  Mem- 
branstücke  in   gut  sterilisirte,   luftdicht    abschliessende   Was- 
achaalen.     Zurück  blieb   eine   stark   gerötliete,   bei  Manchen 
sogar  leicht  blutende  Schleimhautfläche.     Von  dem  aul  üiese 
Weise  gewonnenen  Material  wurde    ein    Theilchen   vermittels 
eines  geglühten  Platindrahtes  abgelöst    und   mit  jenem  jeüea^ 


124  K.  Eoth: 

membranen  gehandelt  haben,  in  denen  nach  Beobachtungen 
von  Oertel  sehr  häufig  die  specifischen  Erreger  überhaupt 
nicht  gefunden  werden. 

Fassen  wir  nochmals  das  Resultat  des  oben  Mitgetheilten 
und  der  beigefügten  tabellarischen  üebersicht  zusammen ,  so 
ergiebt  sich,  dass  von  22  Fällen  echter  epidemischer  Diphtherie 
mit  zwei  ßecidiven,  Ton  denen  der  eine  am  18.  Tage  nach 
geschwundenem  Belage  wieder  mit  Prodromal -Erscheinungen 
erkrankte  und  am  21.  Tage  mit  ausgesprochenen  Symptomen 
echter  Diphtherie  uns  wieder  zugeführt  wurde;  der  zweite 
auch  am  18.  Tage  begann,  aber  schon  am  19.  Tage  starke 
Diphtherie  der  Rachenhöhle  darbot,  in  21  Fällen  von  primärer 
Diphtherie  und  in  den  beiden  Recidivfällen  der  LSffler'sche 
Diphtheriebacillus  durch  die  Culturmethoden  und  das  Mi- 
kroskop nachgewiesen  worden  ist.  Das  Resultat  dieses  Be- 
fundes könnte  vielleicht  im  Stande  sein,  Zweifel  an  den  Con- 
stanz  und  der  Bedeutung  des  Elebs-Löffler'schen  Bacillus 
zu  erwecken,  wenn  man  nicht  das  Fehlschlagen  dieser  einen 
Cultur  auf  Kosten  oben  angeführter  Zufälligkeiten  zurückführen 
dürfte  und  somit  auch  unsere  Untersuchungen  nur  einen  wei- 
teren positiven  Beweis  f&r  die  Behauptung  von  der  Constanz 
des  Diptheriebacillus  bei  der  epidemischen  Diphtherie  be- 
gründet haben  können. 

Sind  wir  somit  durch  diesen  Befund  den  beiden  ersten 
zum  Beweise  der  uns  gestellten  Aufgabe  nothwendigen  Postn- 
laten  gerecht  geworden,  so  bleibt  uns  als  drittes  Requisit  des 
vollen  Beweises  noch  das  Thierexperiment  übrig.  Hierzu  be- 
dienten wir  uns  der  von  Löffler  als  bequemste  und  beste 
Objecte  bezeichneten  Meerschweinchen,  bei  denen  wir  nur  intra- 
peritoneale  Impfungen  mit  Bouillonculturen  vornahmen.  Die 
letzteren  stellten  wir  derart  her,  dass  wir  von  unseren  ge- 
wonnenen Glycerin-Agar-Strichculturen  Ueberimpfungen  auf 
Bouillon  vornahmen,  dieselben  alsdann  in  den  Brütofen  brachten 
und  sie  hier  mindestens  zehn  Tage  bei  einer  Temperatur  von 
37^  erhielten.  Schon  am  zweiten  Tage  zeigte  sich  die  Bouillon 
getrübt^  und  in  derselben  konnten  reichliche  krümelige  Massen, 
die  sich  sowohl  an  den  Wänden  als  auch  an  der  Kuppe  des 
Reagenzröhrchens  ansetzten,  beobachtet  werden.  Beim  leichten 
Umschütteln  wurde  die  Bouillon  jetzt  iu  eine  molkig  aus- 
sehende, mit  Flocken  und  Fäden  durchsetzte  Flüssigkeit  ver- 
wandelt, deren  Trübung  taglich  stärker  wurde.  Die  Reaction 
der  Bouillon  wurde  schon  mit  dem  dritten  Tage  nach  der 
Ueberimpfung  eine  saure.  Für  jedes  unserer  21  Yersuchsthiere 
injicirten  wir  1  ccm  Culturflüssigkeit  in  das  Peritoneum.  Nach 
Ablauf  von  15  Stunden  zeigten  sich  schon  bei  neun  Krank- 
heitserscheinungen, die  sich  erkennbar  machten  durch  trauriges 


Zur  bacteriol.  und  klin.  Diagnose  nnd  Therapie  der  Diphtherie.    125 

Aussehen,  Geradstehen  der  Haare,  geringe  Esslust  und  geringen 
BewegQDgstrieb.  Die  Tbiere  sassen  meist  zusammengekauert 
da  and  machten  von  Zeit  zu  Zeit  zuckende  Bewegungen.  Nach 
Ablauf  von  24  Stunden  waren  diese  neun  bereits  gestorben, 
sechs  weitere  erkrankten  unter  denselben  Symptomen,  wie  die 
ersten,  nach  24  Stunden  und  starben  nach  30  Stunden,  drei 
weitere  erkrankten  nach  36  und  starben  nach  43  Stunden; 
die  drei  letzten  erkrankten  nach  ungefähr  40  Stunden,  blieben 
in  diesem  Sjrankheitsstadium  zwei  Tage  und  waren  nach  dieser 
Zeit  wieder  anscheinend  gesund.  Nur  war  die  geringe  £ss- 
losi  der  Thiere  etwas  auffallend.  Am  elften  Tage  zeigten 
sich  bei  dem  einen  von  den  dreien  wieder  heftigere  Erank- 
heitssymptome,  denen  dasselbe  auch  an  demselben  Tage  erlag. 
Das  eine  der  beiden  noch  lebenden  Thiere  zeigte  ebenfalls  am 
elften  Tage  wieder  Verschlechterung  seines  Zustandes.  Am 
zwölften  Tage  konnte  man  bei  demselben  deutliche  Athemnoth 
ond  geräuschvolles  In-  und  Exspiriren  beobachten.  Sämmt- 
liehe  Athmungsmuskeln  wurden  in  Thätigkeit  gesetzt,  und 
wurden  bei  der  Athmung  recht  ergiebige  Bewegungen  mit 
dem  Kopfe  ausgeführt.  Das  Thier  war  stark  abgemagert  und 
beim  Laufen  wurden  die  hinteren  Extremitäten  nur  wenig  be- 
wegt Dieselben  befanden  sich  in  starker  Contractionsstellung 
ond  war  die  linke  Extremität  ausserdem  noch  deutlich  abducirt. 
Da  Erstickung  drohte,  wurde  die  Tracheotomie  bei  ihm  aus- 
geführt. Dasselbe  starb  aber  zwei  Stunden  nach  der  Operation. 
Das  letzte  der  geimpften  Thiere  befindet  sich  zwar  noch  am 
Leben,  ist  aber  stets  sehr  traurig,  nimmt  wenig  Nahrung  zu 
sich  und  ist  demzufolge  auch  stark  abgemagert.  An  den  hin- 
teren Extremitäten  kann  man  leichte  Paresen  beobachten. 

Bei  den  Sectionen  war  das  Bild  derjenigen  Thiere,  die 
imierhalb  zweier  Tage  nach  der  Injection  starben,  ein  fast 
gleiches:  Wir  fanden  in  der  Bauchhöhle  stets  eine  Yermeh- 
mng  der  Flüssigkeit,  dieselbe  war  serös  bis  blutig  geförbt. 
Das  Peritoneum,  meist  glatt  und  glänzend,  zeigte  in  allen 
Fallen  zahllose  Ecchymosen  von  yerschiedener  Grösse.  Die 
Blu^efasse  des  Darmes  stets  gut  bis  stark  injicirt.  Die 
Meaenterialdrüsen  nur  bei  einzelnen  geschwellt.  Zahllose 
ausgedehnte  Ecchymosen  waren  durchweg  in  der  Serosa  des 
Zwerchfells  zu  sehen. 

Die  Flüssigkeitsmengen  in  den  Pleuren,  mitunter  farblos 
bis  blutig  gefärbt,  waren  meist  vermehrt.  Im  Pericardium 
Würde  bei  einzelnen  ebenfalls  deutliche  Vermehrung  der  Flüssig- 
keit beobachtet,  bei  anderen  war  dieselbe  jedoch  normal.  Das 
rechte  Herz  vielfach  durch  leichtflüssiges  Blut  mit  einigen 
Blutgerinseln  stark  ausgedehnt,  ebenso  der  linke  Vorhof;  der 
linke  Ventrikel  war  fest  contrahirt.    Die  Lungen,  blutreich, 


128  K.  Roth: 

Ideal  eines  Heilmittels  in  Händen.  Leider  besitzen  wir  ein 
solches  Mittel  bis  jetzt  noch  nicht,  welches  diesen  Anforde- 
rungen genügen  könnte.  Wohl  in  Betracht  zu  ziehen  und 
nicht  hoch  genug  anzuschlagen  sind  bei  der  Auswahl  unserer 
Mittel  neben  ihren  guten  Eigenschaften  ihre  sich  entweder 
auf  den  ganzen  Organismus  oder  nur  auf  einen  localen  Korper- 
theil  geltend  machenden  schädlichen  Nebenwirkungen^  und 
gerade  diese  bedingten  es  vielfach ,  dass  eine  grosse  Anzahl 
der  von  ihren  Autoren  sehr  gepriesenen  und  mit  einem  ge- 
wissen Nimbus  umgebenen  Mittel  sich  keines  allgemeinen 
Ansehens,  aber  einer  kurzen  Dauer  erfreuen  durften.  Soll  die 
Heilkraft  eines  Mittels  beim  erkrankten  Menschen  erprobt 
werden,  so  muss  nothgedrungen  dessen  Wirksamkeit  auch 
schon  vorher  auf  den  isolirten  Krankheitserreger  sichergestellt 
sein.  Anscheinend  dürften  ja  in  dieser  Beziehung  die  Ver- 
hältnisse anderswo  kaum  günstiger  liegen,  als  gerade  bei  der 
Diphtherie,  wo  wir  ja  in  der  Lage  sind,  ein  Heilmittel  direct 
auf  die  isolirten  Erreger  der  Krankheit  einwirken  lassen  zu 
können,  wodurch  alsdann  die  durch  das  Experiment  gewon- 
nenen Erfahrungen  auf  den  menschlichen  Organismus  über- 
tragen werden  könnten. 

Dieser  letzteren  Möglichkeit  stehen  jedoch  so  mancherlei 
Hindernisse  im  Wege,  die  den  gehofften  Erfolg  sehr  beein- 
trächtigen. Vor  Allem  ist  es  das  bei  der  Diphtherie  am 
häufigsten  erkrankte  Organ,  welches  der  regelrechten  localen 
Application  eines  anzuwendenden  Mittels  Schwierigkeiten  ent- 
gegensetzt, wodurch  alsdann  der  Krankheitserreger  gar  nicht 
beeinflusst  wird.  Die  Brutstätten  der  specifischen  Bacillen 
sind  ja  die  oberflächlichen  Schichten  der  Membranen,  in  denen 
die  Stoffwechselproducte  gebildet  und  von  hier  aus  in  den 
Körper  gebracht  werden. 

Soll  der  Zweck,  den  Diphtheriebacillus  uuschädlich  zu 
machen,  erreicht  weden,  so  kann  dies  ja  auf  yerschiedene 
Weise  geschehen,  entweder  man  beseitigt  mechanisch  die  Mem- 
branen oder  man  wendet  starke  kaustische  Mittel  und  unter 
diesen  auch  das  Glüheisen  an,  oder  man  geht  antiseptisch 
l  gegen  diese  Krankheitserreger  vor.    Dem  Gebrauche  des  ersten 

I  Verfahrens  steht  die  Erfahrung  entgegen,  dass  jeder  gewaltsame 

I  Eingriff  so  viel  als  möglich  vermieden  werden  soll,  da  durch 

I  das  Abreissen  der  Membranen  stetz  neue  Eingangspforten  für 

die  Bacillen  geschaffen  werden.     Ueber  die  kaustischen  Mittel 

kann    schliesslich   fast  nur   dasselbe   gesagt  werden.      Wenn 

I  auch   die   von  Bloebaum^)   veranlasste   warme  Empfehlung 

zum  Gebrauche  der  Galvanokaustik  und  in  neuerer  Zeit  wieder 


1)  Deatsche  med.  Zeitang  1885  Nr.  88.    1886  Nr.  89. 


Zur  bacterioL  und  klin.  Diagnose  und  Therapie  der  Diphtherie.     129 

die  von  Hagedorn^)  damit  erzielten  Erfolge  zu  weiteren 
Versuchen  aufmunterten^  so  werden  doch  gerade  die  Schwierig- 
keiten, die  sich  der  Ausführung  eines  solchen  Verfahrens, 
das  doch  immerhin  schon  als  ein  recht  energischer  Eingriff 
angesehen  werden  muss,  entgegenstellten,  die  Bedenken  recht- 
fertigen, gemäss  deren  zu  grosser  Vorsicht  gemahnt  wird, 
und  die  auch  eine  Erklärung  dafür  abgeben  dürften,  dass  sich 
eine  solche  Therapie  allgemeine  Anerkennung  bis  jetzt  noch 
nicht  erwerben  konnte. 

Einer  grosseren  Beliebtheit  dürften  sich  die  antiseptischen 
Mittel  er&eaen,  für  deren  Anwendung  ja  auch  schon  Löffler 
eintrat  Ein  gewisses  Hinderniss  für  sie  besteht  zwar  in  der 
Gefahr  des  Eintritts  schädlicher  Nebenwirkungen,  sowie  darin, 
dass  dieselben  nur  schwer  unverändert  bis  zum  Orte  ihrer 
Wirksamkeit  hingelangen  können.  Eingeschränkt  in  ihren 
g^stigen  Wirkungen  werden  sie  ja  schon  durch  den  vorhan- 
denen Mundspeichel,  und  durch  Versuche  ist  ausserdem  fest- 
gestellt worden,  dass  die  in  den  diphtheritischen  Membranen 
vorhandenen  Eiweissstoffe  die  Desinfectionskraft  der  Antisep- 
tica  sehr  abschwächen.  Demzufolge  wurde  nach  Heilmitteln 
gesucht,  welchen  eine  die  Membranen  auflösende  Wirkung  zu- 
kommt. Bossbach  war  der  Erste,  welcher  im  Papayotin  ein 
Mittel  fand,  welches  in  kurzer  Zeit  Croupmembranen  au&u- 
lösen  im  Stande  war,  und  Eohts')  gebührt  das  Verdienst, 
durch  die  mit  diesem  Mittel  angestellten  Versuche  dasselbe 
in  die  Therapie  eingeführt  und  ihm  bis  jetzt  einen  dauernden 
Erfolg  gesichert  zu  haben.  In  der  von  Eohts  als  zweckmässig 
gefundenen  5%igen  Lösung  wurde  es  in  den  letzten  Jahren 
stets,  wenn  auch  nicht  ausschliesslich,  auf  der  Diphtherie- 
abtheilung der  hiesigen  Einderklinik  zur  Anwendung  gebracht 

Auf  Vorschlag  des  Privatdocenten  Dr.  Levy  wurde  nun 
seit  October  1892  in  der  betreffenden  Abtheilung'  ein,  com- 
binirtes  Mittel  in  Gebrauch  genommen.  Die  experimentellen 
Prüfungen  über  die  Einwirkung  dieses  combinirten  Mittels  auf 
das  Diphtheriegift  sind  von  dem  Privatdocenten  Dr.  Levy*)  und 
Assistenzarzt  Knopf  vorgenommen  und  auch  des  Näheren 
behandelt  worden.  Ueber  seine  Wirksamkeit  am  Kranken- 
bette wurden  mit  Einwilligung  des  Directors  der  Kinderklinik 
Versuche  gemacht.  Auf  dessen  Anordnung  wurden  die  Pa- 
tienten mit  Lösungen  beifolgender  Zusammensetzung: 

Papayotin  10,0 

Add.  carbol.  liqnef.  pur.  6,0 

Aq.  deatill.  100,0. 

1)  Deutsche  med.  Wochenschrift  1891  Nr.  28,  29. 

2)  Zeitschrift  für  klinische  Medicin  Bd.  V.    H.  4. 
8)  Berliner  klinische  Wochenschrift. 

Jahrlmeh  f.  Kinderhoilkimde.   N.  F.  XXXYIII.  ^ 


1 


130  K.  Roth: 

derart  behandelt,  dass  in  den  ersten  2  Stunden  des  Beginns 
der  Behandlung  alle  10  Minuten  und  später  alle  2  Stunden 
Einpinselungen  vorgenommen  wurden.    Die  Membranen  wurden 
mit  grossen  Rachenpinseln  durchschnittlich  vier-  bis  fünfmal 
hintereinander  leicht  bestrichen  und  jede  Schleimhautyerletzung, 
soweit  es  thunlich  war,  vermieden.    Da  ja  das  Bild  des  Einzel- 
falles verschieden  ist,  je  nach  dem  Stadium,  in  dem  er  zu  un- 
serer Beobachtung  gelangt,  oder  je  nach  der  Bösartigkeit  der 
Epidemie  und  nach  dem  Alter  der  Patienten,  so  hat  sich  der 
Erfolg   unserer  Einpinselungen  auch   wesentlich  nach    diesen 
drei  Gesichtspunkten  bemessen.    Mitunter  war  er  ein  solcher, 
dass    die    Membranen    schon    nach    einigen    Wiederholungen 
kleiner  wurden  und  dass  nach  zwei  bis  drei  Tagen  dieselben 
derart  beeinflusst  waren,  dass  sie  mit  einer  jedesmaligen  Ein- 
pinseluug  verschwanden,  um  jedoch  in  der  Zwischenzeit  sich 
meist  wieder  zu  bilden,  bis  sie  schliesslich  nach  Verlauf  von 
einer  Woche  nicht  mehr  sichtbar  waren.    In  anderen  Fällen 
war  die  Wirkung  eine  solche,  dass  die  Beläge  zwar  am  ersten 
Tage    sich    nicht    merkbar   veränderten,    dagegen    meist    ein 
Zurückgehen  von  Allgemein-   und  Localsjmptomen,  wie  Ab- 
nahme des  Fiebers,  Zunahme  des  Appetits,  Abschwellen  der 
Lymphdrüsen,  Nachlassen  der  Schluckbeschwerden,  deutlich  zur 
Beobachtung  kam.     Völlig   unbeeinflusst   von   dem    eingelei- 
teten Verfahren  blieb  kein  Fall,  selbst  diejenigen  nicht,  die 
als  schwere  zu  bezeichnen  waren;  die  von  ihnen  tödtlich  ge- 
endeten Fälle  lieferten  bei  den  Sectionen  hiervon   die   über- 
zeugendsten Beispiele.     Dass  durch  die  günstigen  Heilerfolge 
der  Erankheitsprocess  in  den  meisten  Fällen  doch  rasch  zum 
Stillstande  gebracht   und   selbst   die  Ausführung   nothwendig 
erschienener   Tracheotomien    sogar    zu    verschiedenen    Malen 
nicht  mehr  nöthig  wurde,  spricht  schon  genug  für  die  Wirk- 
samkeit dieses  Mittels.     Hartnäckig  erwiesen  sich  gegenüber 
dieser  Behandlung   besonders  diejenigen   Fälle,  die  wir  nach 
dem  Vorbilde  von  Eohts  oben  bereits   als  infiltrirte  Formen 
bezeichnet  haben,  während   die  Platteuformen  weniger  wider- 
standsfähig waren.     Bemerkt  wird  noch,  dass  die  Fälle  nicht 
ausgesucht  wurden,  sondern   dass  sämmtliche  Patienten,   bei 
denen  Membranen  zu  sehen  waren,  mit  diesen  Einpinselungen 
behandelt  wurden.     Die  Dauer  der  Krankheit  bis  zur  erfolg- 
ten Heilung  war  sehr  verschieden,  sie  schwankte,  wie  wir  ja 
bei  unseren  bacteriologisch  untersuchten  Fällen  auch  gesehen 
haben,  innerhalb  weiter  Grenzen.    Die  Resultate  werden  weiter 
unten  bei  Besprechung  der  Tracheotomien  folgen. 

Legten  wir  Membranstücke  direct  in  die  betreffenden 
Lösungen,  so  wurden  dieselben  aufgelöst,  hierzu  war  jedoch 
meist  eine  Zeit  von  mindestens  24  Stunden  nöthig. 


Zur  bacteriol.  nnd  IcUd.  Diagnose  und  Therapie  der  Diphtherie.    131 

Ausser  seinem  Vorzüge^  direct  auf  die  Membranen  günstig 
einzuwirken,  hat  das  Mittel  auch  noch  den  Vorzug,  nicht 
schlecht  zu  schmecken,  wodurch  die  entsprechenden  Einpinse- 
lungen von  den  Kindern  nicht  gefürchtet  wurden,  ferner  ist 
bei  längerem  Gebrauch  eine  schädliche  Nebenwirkung  niemals 
zur  Beobachtung  gekommen. 

Für  seine  Verbreitung  und  Anwendung  entschieden  nach- 
theilig ist  aber  sein  hoher  Preis,  welcher  es  demzufolge  leider 
zunächst  noch  zu  einer  Domäne  gut  situirter  Krankenanstalten 
und  bemittelter  Patienten  stempelt. 

Neben  der  localen  Behandlung  durch  Einpinselung  ist 
aber  der  Werth  der  Inhalationen  nie  zu  unterschätzen  und 
gerade  bei  widerspenstigen  und  der  Einpinselung  wenig  ge- 
neigten Kindern  kann  diese  Therapie  nicht  hoch  genug  in 
Anschlag  gebracht  werden.  Inhalirt  wird  am  Besten  mit 
einer  Losung  von  Glycerin  mit  Wasser  im  Verhältniss  von 
1:4  mit  Zusatz  von  0,5%  Natrium  chloratum,  wie  dieselbe 
in  hiesiger  Klinik  schon  seit  langer  Zeit  im  Gebrauch  ist. 
Man  sieht  dabei  die  Membranen  sich  lockern  und  leichter 
abstossen,  welches  nach  Tracheotomien  fdr  die  tief  in  der 
Trachea  sitzenden  mitunter  sehr  wichtig  ist. 

Um  die  meist  vorhandenen  starken  Schwellungen  und 
Bothungen  der  Pharynxschleimhaut  zu  bekämpfen,  genügt  es, 
ohne  Unterbrechungen  Eiscravattan  um  den  Hals  tragen  zu 
lassen,  daneben  kann  noch  Schlucken  von  Eisstücken  ver- 
ordnet werden.  In  späteren  Stadien  des  Krankheitsprocesses, 
wo  keine  Membranen  mehr  sichtbar  und  die  Entzündungs- 
erscheinungen  im  Schwinden  sind,  können  an  Stelle  der  Eis- 
cravatte  die  Priessnitz'schen  Umschläge  treten.  Grossere 
Kinder  lasse  man  ausserdem  noch  gurgeln  in  zwei-  bis  drei- 
stündigen Pausen  mit  Lösungen  von  cali  chloric.  30/1000. 

Von  der  Verabreichung  innerer  Mittel,  welche  die  Krank- 
heit beeinflussen  sollen,  ist  nur  abzurathen,  da  ein  Erfolg 
dadurch  nicht  zu  verzeichnen  ist,  es  sei  denn,  dass  eine  vor- 
handene Complication,  wie  Nephritis,  Pneumonie  etc.,  eine 
entsprechende  Indication  hierzu  giebt.  Diese  werden  alsdann 
nach  den  allgemeinen  Regeln  der  Therapie  zu  behandeln  sein. 
£Sin  grosser  Werth  wird  auf  die  Ernährung  der  Patienten 
gelegt  werden  müssen,  welche  stets  eine  roborirende  sei  und 
der  Hauptsache  nach  sich  aus  Bouillon,  Milch,  Eiern,  Fleisch 
nnd  Wein  zusammensetze. 

Die  bei  der  Rachendiphtherie  so  häufig  vorhandene,  pro- 
gnostisch meist  ungünstige  Diphtherie  der  Nase  wird  am 
zweckmässigsten  durch  häufiges  Reinigen  und  mittels  Aus- 
spülungen indifferenter  Flüssigkeiten,  wie  lauwarmen  Wassers, 
behandelt      Bei    letzterer    Manipulation    ist    allerdings    stets 

9* 


132  K.  Roth: 

grosse  Vorsicht  am  Platze  wegen  der  Gefahr  der  Yerachlep- 
pung  des  Erankheitsprocesses  in  die  Tuba  Eastachii  und  folge- 
weise einer  Krankheit  des  Ohres.  Sollen  differente  Flüssig- 
keiten zu  Ausspülungen  genommen  werden,  so  sind  sehr  ver- 
dünnte Losungen  von  Sublimat  oder  Carbol  zu  nehmen.  Soweit 
sich  die  Innenflächen  der  Nase  erreichen  lassen,  können  natür- 
lich auch  hier  Einpinselungen  mit  Carbol -Papayotin  vorge- 
nommen werden. 

Dass  nach  der  Natur  der  Krankheit  strengste  Isolirong 
der  Patienten  y  energische  Desinfection  ihres  AuswurCs  und 
ihrer  etwa  ausgehusteten  Membranen  erfolgen  muss,  daneben 
aber  auch  für  gründliche  Reinhaltung  sämmtlicher  mit  den 
Kranken  in  Berührung  gekommener  Gegenstände  und  für  gute 
Lüftung  der  Krankenzimmer  Sorge  zu  tragen  ist,  bedarf  wohl 
keiner  weiteren  Begründung. 

Neben  der  localen  Behandlung  der  Rachendiphtherie  mit 
Garbolpapayotin  verdienen  nach  unserer  Ansicht  das  Ghinolin 
und  Liquor  ferri  sesquichlorati  die  grosste  Beachtung.  Mit 
ersterem,  einem  Bestandtheile  des  Steinkohlentheers,  hat 
Seifert  in  WQrzburg  ausgedehnte  Versuche  angestellt,  bei 
denen  er  zu  folgenden  Resultaten  gekommen  ist:  ,,Die  an 
und  ftir  sich  leichten  Fälle  von  Diphtherie  werden  in  kür- 
zester Zeit  zur  Heilung  gebracht  und  bei  schweren  wurde 
zum  mindesten  eine  drohende  Steigerung  der  Krankheits- 
erscheinungen verhindert.« 

Das  Mittel  wurde  von  uns  in  einer  5%igen  alkoholischen 
Lösung  derart  zur  Anwendung  gebracht,  dass  täglich  dreimal 
die  mit  Membranen  bedeckten  Theile  leicht  gepinselt  wurden. 
Daneben  blieben  die  oben  erwähnten  anderen  therapeutischen 
Anordnungen,  wie  Eiscfavatte,  Gurgelungen,  gute  Diät,  auch 
noch  im  Gebrauch. 

Liquor  ferri  sesquichlorati  wurde  in  der  von  Rehn  em- 
pfohlenen Weise  zur  localen  Application  verwendet  Die  Ein- 
pinselungen wurden  damit  täglich  dreimal  und  zwar  drei  Tage 
lang  mit  unverdünntem  Liquor  ferri,  nachher  aber  mit  Ver- 
dünnungen im  Verhältniss  von   1:1   bis  1  :  5  vorgenommen. 

Die  Erfolge  der  mit  beiden  Mitteln  behandelten,  aller- 
dings nicht  sehr  grossen  Anzahl  von  Patienten  waren  zu- 
friedenstellende, und  fordern  dieselben  zu  weiteren  Ver- 
suchen auf. 

Ueber  die  Frage  der  Behandlung  der  Fälle  mit  Larynx- 
Stenose  ist  nach  unseren  Beobachtungen  Folgendes  zu  sagen: 
Dem  Verfahren,  durch  Brechmittel  die  Membranen  aus  dem 
Kehlkopfe  zu  entfernen,  ist  ein  nennenswerther  Erfolg  nicht 
beizumessen,  im  günstigsten  Falle  kann  wohl  eine  momentane 
Erleichterung  damit  erzielt  werden,   während  für   gewöhnlich 


Zor  bacteriol.  und  klin.  Diagnose  und  Therapie  der  Diphtherie.     133 

die  betreffende  Cur  eine  erfolglose  und  für  den  Patienten 
äusserst  quälende  ist.  Mehr  Erfolg  hatten  wir  dagegen  mit 
einer  regelrecht  eingeleiteten  symptomatischen  Behandlung, 
und  leisteten  hierbei  die  Inhalationen  mit  Papayotin-  oder 
Glycerinlösungen  mit  Zusatz  von  Kochsalz  entschieden  gute 
Dienste.  In  yielen  Fällen  sahen  wir  hierbei  die  Heiserkeit 
rasch  abnehmen  und  sogar  Membranen  wurden  beim  Husten 
leichter  herausbefördert.  Machtlos  standen  wir  jedoch  in 
vielen  Fällen  auch  hier  der  Weiterverbreitung  des  Krankheits- 
processes  in  die  Respirationswege  gegenüber  bei  welchen 
durch  die  Erscheinungen  drohender  Erstickung  wir  schliess- 
lich als  letzte  Hilfe  doch  zur  Vornahme  der  Tracheotomie 
ansere  Zuflucht  nehmen  mussten.  An  die  Ausführung  der 
Tracheotomie  schliessen  sich  eine  Reihe  von  Fragen,  die  stets 
noch  discutirt  werden.  Eine  der  wichtigsten  ist  die:  Wann 
soll  operirt  werden?  Im  Allgemeinen  wird  man  nicht  fehl 
gehen,  wenn  man  anhaltenden  Stridor  beim  Athmen,  crou- 
posen  Husten,  Einziehung  des  Jugulum  und  der  unteren 
Kippen  als  das  wichtigste  Zeichen  der  beginnenden  Er- 
stickimgsgefahr  und  den  Zeitpunkt  ihres  Erscheinens  zur  Vor- 
nahme der  Operation  für  geeignet  ansieht.  Eon  ig  nennt 
dieses  Stadium  das  active,  in  dem  noch  Sauerstoff  genug  und 
noch  keine  Eohlensäureüberladung  im  Blute  vorhanden  sei. 
Ist  starke  Cyanose,  Orthopnoe  vorhanden,  fühlen  sich  die 
Extremitäten  schon  kühl  an,  so  soll  man  auch  hier  von  der 
Operation  nicht  abstehen.  Ist  prognostisch  das  Bild  auch 
schon  sehr  getrübt,  wenn  man  bereits  vor  der  Operation  eine 
Complication,  wie  Pneumonie,  Nephritis  etc.,  sicher  nachweisen 
kann,  so  darf  auch  dieses  trotzdem  kein  Grund  sein,  auf  die 
Operation  zu  verzichten,  da  dieselbe  auch  hier  noch  erfolg- 
reich verlaufen  kann.  Das  Alter  der  Patienten  betreffend, 
machten  wir  keinen  Unterschied,  nun  war  uns  keine  Gelegen- 
heit gegeben,  Operationen  vorzunehmen  bei  Patienten  unter 
einem  Jahre,  die  auszuführen  wir  auch  kein  Bedenken  ge- 
tragen hätten. 

Sind  ja  allerdings  die  Aussichten  auf  Heilung  vom  dritten 
Jahre  an  bessere  zu  nennen,  so  verfügen  wir  doch  auch  über 
solche  bei  Kindern  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Jahre. 
Dem  Beispiele  von  König  folgend,  der  in  seinem  Lehrbuche 
S.  547  ff.  sagt,  dass  der  Chirurg  nicht  nur  die  Berechtigung, 
sondern  auch  die  Verpflichtung  habe,  dem  durch  diphtheri- 
tische  Stenose  erstickenden  Kranken  zu  helfen,  so  lange  er 
noch  kann,  hielten  wir  es  stets  für  unsere  Pflicht,  den  An- 
gehörigen die  Operation  vorzuschlagen,  selbst  in  denjenigen 
Fällen,  in  welchen  der  Exitus  letalis  fast  mit  unumstösslicher 
Sicherheit  vorausgesagt  werden  kann,  einfach  von  dem  Ge- 


134  K.  Roth: 

danken    geleitet,   dass  das  Sterben   nach   der  Operation   fast 
stets  leichter  ist,  als  die  Erstickung  bei  unerö&eter  Trachea. 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  die  Nachbehandlung  bei  der 
Tracheotomie.  Hierbei  leisteten  uns  die  Inhalationen  mit 
Glycerinlösungen  und  bei  schlechter  Expectoration  das  zeit- 
weise Einträufeln  von  je  einigen  Tropfen  einer  5%  igen  Pa- 
payotinlosnng  gute  Dienste.  Machten  sich  die  mit  Recht  so 
gefürchteten  Schlucklähmungen  geltend,  so  wurde  der  Ernäh- 
rung mit  festen  Nahrungsmitteln  vor  der  mit  flüssigen  stets 
der  Vorzug  gegeben,  im  ungünstigsten  Falle  ernährten  wir 
unsere  Patienten  mittelst  Schlundsonden  oder  Nährclystiere. 

Waren  die  Patienten  nicht  schon  durch  die  Kohlensäure- 
intoxication  betäubt,  so  wurden  unsere  Operationen  stets  in 
der  Chloroformnarcose  gemacht,  da  ja  eine  gut  geleitete  Nar- 
cose  weniger  gefahrlich,  aber  für  die  Operation  sehr  nützlich 
ist.  Die  Heilungen  bei  den  Tracheotomirten  sind  wesentlich 
abhängig  vom  Alter  der  Patienten,  von  den  vorhandenen  Com- 
plicationen  und  von  dem  Charakter  der  Epidemien.  So  wurden 
beispielsweise  auf  der  hiesigen  Abtheilung  für  Diphtherie  vom 
1.  October  1892  bis  dahin  1893  an  Diphtherie  und  Larynx- 
Croup  insgesammt  behandelt  233  Patienten.  Davon  musste 
bei  112  die  Tracheotomie  vorgenommen  werden.  Dieselben 
befanden  sich  im  Alter  von  1  bis  11  Jahren,  und  erzielten 
wir  von  Letzteren  59  Heilungen,  also  53%  der  Operirten, 
während  von  der  Gesammtzahl  149,  also  60%  geheilt  wurden. 
Von  den  Nichtoperirten  wurden  mit  Carbolpapayotin  behan- 
delt 87.  Davon  wurden  72,  also  83%  geheilt.  Im  Ganzen 
entliessen  wir  von  den  Nichtoperirten  90  als  geheilt  «»74% 
von  121  Patienten,  üeber  die  Behandlung  der  Larynxstenose 
durch  die  0.  Dwyer'sche  Intubation  kann  ein  Urtheil  aus 
eigner  Beobachtung  nicht  gegeben  werden.  Die  B.esultate, 
welche  uns  aus  Deutschland  darüber  zur  Verfügung  stehen, 
sind  immerhin  noch  recht  verschieden  und  ermuthigen  gerade 
nicht  sehr,  dieselbe  als  normale  Behandlungsmethode  bei  der 
primären  Larynystenose  einzuführen.  So  lange  ihre  eifrigsten 
Verfechter  noch  zugestehen  müssen,  dass  die  Erfolge,  welche 
damit  erzielt  werden,  die  der  Tracheotomie  noch  nicht  er- 
reichen und  deren  spätere  Vornahme  stets  noch  in  Aussicht 
stellen,  ist  ein  Bedürfniss  in  hiesiger  Diphtherieabtheilung  bis 
jetzt  noch  nicht  danach  empfunden  worden,  zumal  mit  der 
daselbst  im  Gebrauche  stehenden  Therapie  noch  stets  be- 
friedigende Resultate  erzielt  worden  sind.  Nach  unserem  Er- 
messen ist  das  Verfahren  jedoch  geeignet^  grössere  Dienste  zu 
leisten  bei  Larynxstenosen,  die  bei  erschwertem  D^canulement 
sich  einstellen. 

Was  schliesslich  die  Behandlung  der  Lähmungen  anbe- 


Zur  bacterioL  und  klin.  Diagnose  und  Therapie  der  Diphtherie.    135 

trifft,  so  müssen  wir  ja  unterscheiden  zwischen  Früh-  uud 
Spätlähmungen.  In  Bezug  auf  die  ersteren  wird  fast  stets 
eine  sorgfaltig  geleitete  Ernährung  die  besten  Dienste  zu 
leisten  im  Stande  sein.  Handelt  es  si^h  um  drohende  Herz- 
erscheinungen,  so  kann  man  es  versuchen  mit  subcutanen 
Injectionen  von  Campherol  und  Aether,  und  zwar  täglich 
mehrere  Injectionen.  Bei  Spätlähmungen  wird  das  Haupt- 
augenmerk auf  eine  roborirende  Diät  gerichtet  sein  müssen. 
Bei  Lähmungen  der  Extremitäten  ist  jede  Ueberanstrengung 
fern  zu  halten,  dagegen  kann  eine  vorsichtige  Massage  und 
Elektricität  gute  Dienste  leisten.  Will  man  hierbei  innerlich 
etwas  verabreichen,  so  empfehlen  sich  die  Eisenpräparate 
hierzu  am  besten. 

Am  Schlüsse  unserer  Betrachtungen  stehen  wir  bei  der 
Frage:  Besitzen  wir  ein  wirklich  specifisches  Heilmittel  bei 
der  Diphtherie?  vorerst  noch  vor  der  traurigen  Noth wendig- 
keit, dieses  entschieden  verneinen  zu  müssen.  Der  zeitige  Stand 
der  Behring- Diphtherie -Heilserumstherapie  scheint  jedoch 
der  Hoffnung  Baum  zu  lassen,  dass  vielleicht  in  dem  Blut- 
serum von  Thieren,  die  gegen  sehr  grosse  Dosen  von  Diphtherie- 
gift immonisirt  sind,  in  nicht  allzuferner  Zeit  ein  derartiges 
Heilmittel,  für  die  reinen  uncomplicirten  Fälle  wenigstens 
gewonnen  wird. 


Literatur. 

Einführang  in  das  Stadiam  der  Bacteriologie  von  Dr.  Günther. 

Yorlesongen  über  Kinderkrankheiten  von  Dr.  Eduard  Henooh. 

Lehrbuch  der  Einderkrankheiten  von  Dr.  Adolf  Baginsky. 

Handbuch  der  Kinderkrankheiten  von  Dr.  J.  üf  fei  mann. 

Mitiheilnngen  ans  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte  IT.  Bd    1884. 

üntersnchnngen  über  die  Bedeutong  der  Mikroorganismen  für  die  Ent- 
stehung der  Diphtherie  von  Dr.  Friedrich  Löffler. 

Semiotik  und  Diagnostik  der  Kinderkrankheiten  von  Nil-Filatow. 

Ceniralblatt  fflr  Bacteriologie  und  Parasitenkonde,  Bd.  YII.  1890.   Nr.  1. 

— ,  Bd.  II.    1887.    Nr.  4. 

— ,  Bd.  VI.    1889.    Nr.  6-8. 

AnnaleB  de  Tinstitat  Pasteur  1888. 

Contribntion  ä  Tätude  de  la  diphtbörie.    Par  E.  Roux  et  A.  Yersin. 

Die  Geschichte  der  Diphtherie  von  Professor  Dr.  Behring. 

ArchiT  für  Kinderb  eilknnde  Bd.  XIII. 

Lehrbuch  der  speciellen  Pathologie  und  Therapie  von  Dr.  Adoli 
Strümpell. 


140  Di**  Eisenechitz: 

An  Diphtherie  warden  behandelt  409,  daron  gestorben  187. 
Tracheotomirt  wurden  192,  davon  geheilt  81. 
Die  mittlere  Yerpflogsseit  betrag  27,2  Tage,  ein  Yerpflegstag  kostete 
ca.  3  Mark. 

18.   Abtheilung  für  kranke  Kinder  an  der  Charit^  zxx  Berlin. 

Vom  81.  IIL  1891  bis  81.  lU.  1892. 

Behandelt  1282  Kinder:  612  Kn.,  670  M.,  geheilt  oder  gebessert  ent- 
lassen 488,  angeheilt  89,  verlegt  12,  gestorben  691  (66,4%),  verblieben  57. 

Aufgenommen  warden  21  gesunde  Kinder,  die  von  ihren  kranken 
Müttern  nicht  gepflegt  werden  Konnten,  von  diesen  starben  0. 

An  Diphtherie  und  Croup  behandelt  106,  gestorben  61. 

14.  Elisabeth-Kinderhospital  Berlin. 
1.  IV.  1892  bis  81.  IIL  1893. 

Behandelt  wurden  368  Kinder;  173  Kn.,  196  M.  Entlassen  wurden: 
als  creheilt  211,  als  ungeheilt  36,  gestorben  39  (13,7%),  verblieben  82. 

Tracheotomirt  warden  8,  gestorben  2. 

Die  mittlere  Yerpflegsdauer  betrag  77  Tage,  ein  Yerpflegstag  kostete 
ca.  1,7  Mark. 

16.  Kaiser-  und  Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhans 

in  Berlin  (Reinickendorferstr.  32). 

l.YIII.  1891  bis  31.  XII.  1892. 

a)  1.  YIIL  1891  bis  31.  XII.  1891. 

Aufgenommen  warden  416  Kinder:  219  Kn.^  196  M.,  geheilt  ent- 
lassen warden  200,  gebessert  29,  angeheilt  12,  gestorben  86  (26%),  ver- 
blieben 89. 

12  starben  in  den  ersten  24  Stunden  des  Spitalaufeuthaltes. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu    1  Jahre  64,  davon  gestorben  30, 

von   1—4  Jahren  166,      „              „         82, 

4—10      „  160,      „              „          21. 

10-14      „  36,      „              „            2. 

An  Diphtherie  warden  behandelt  76,  davon  gestorben  27,  tracheo- 
tomirt wurden  23,  intubirt  4. 

Die  mittlere  Yerpflegsdauer  betrag  24,4  Tage,  ein  Yerpflegstag  kostete 
3,43  Mark. 

b)  1.  I.  bis  31.  XII.  1892. 

Aufgenommen  wurden  1436  Kinder:  769  Kn.,  666  M.,  geheilt  ent- 
lassen wurden  866,  gebessert  99,  angeheilt  66,  unbekannt  4,  gestorben 
812  (28,6%),  darunter  60  in  den  ersten  24  Stunden,  verblieben  109. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu    1  Jahre    131,  davon  gestorben  84, 

von    1—4  Jahren  287,      „  „        167, 

4-10      „      240,       „  „  68, 

10-14      „         96,       „  „  8. 

An  Diphtherie  wurden  behandelt  241,  davon  gestorben  121,  tracheo- 
tomirt 108,  intubirt  19;  ausserdem  wurden  noch  11  von  191  Scharlach- 
kranken tracheotomirt. 


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Bericht  der  Kinderspit&ler  über  das  Jahr  1892.  141 

Die  mittlere  Verpflegsdaner  betrog  26,6  Tage,  ein  Yerpflegstag  kostete 
2,87  Mark. 

16.  Neues  Kinderkrankenhaus  zn  Leipzig. 
1.  X.  1891  bis  81.  XII.  1892. 

Aufgenommen  wurden  767  Kinder:  878  Kn.,  889  M.  Entlassen  wurden: 
geheilt  836,  gebessert  84,  ungeheilt  66,  gestorben  248  (84,1%),  6  Kinder 
wurden  sterbend  flberbracht,  verblieben  49. 

Es  standen  im  Alter  unter      1  Jahre   223, 

i  327, 

164, 

68. 

An  Diphtheritis  wurden  behandelt  164,  davon  gestorben  89. 

An  Scharlach  und  Diphtherie        „  20,      „  „  7. 

Tracheotomirt  wurden  89,  davon  geheilt  4. 
Intubirt  wurden  41,       „  „        9  (6  noch  in  Behandlung). 

Die  wAinzahl  der  factisch  aufgenommenen  Kinder  betrug  702,  im 
Krankenberichte  erscheint  dasselbe  Individuum  2—8  mal,  wenn  es  gleich- 
zeitig oder  nacheinander  an  2 — 8  von  einander  unabhängigen  Krank- 
heiten litt. 

Die  mittlere  Verpflegsdaner  betrug  28,4  Tage. 

Ein  Yerpflegstag  kostete  4,61  Mark. 


17.  Kaiserliches  Kinderheim  zu  Graebschen-Breslau. 

Im  Jahre  1892  kamen  98  Matter  und  100  Kinder,  46  Kn.,  64  M.,  zur 
Aufnahme,  von  den  letzteren  erhielten  98  die  Brust^  2  die  Flasche,  die 
mittlere  Dauer  des  Aufenthaltes  fflr  Mntter  und  Kind  betrug  6—6  Wochen 
und  die  Verpflegung  kostete  per  Tag  und  Kopf  64  Ff. 

W&hrend  des  11jährigen  Bestandes  des  Kinderheimes  kamen  679 
Mfitter  und  666  Kinder  zur  Aufnahme,  von  den  letzteren  wurden  684 
an  der  Brast  und  89  künstlich  ernährt,  und  starben  im  Ganzen  21, 
davon  in  den  ersten  2  Jahren  des  Bestondes  11  (künstlich  Ernährte). 

64  Mütter  wurden  am  8.— 11.  Tage,  23  am  11.— 16.  Tage,  13  am 
16. — 2 I.Tage  und  4  in  der  4. — 14.  Woche  und  darüber  nach  der  Entbin- 
dung mit  ihren  Kindern  aufgenommen.  68  Kinder  standen  im.Alter  bis 
KU  10  Tagen,  es  starben  von  allen  Kindern  in  der  Anstalt  2,  die  krank 
aufgenommen  worden  waren,  und  9%  ausserhalb  der  Anstalt,  gegen 
12—18%  in  früheren  Jahren. 

Die  Kinder  hatten  bei  der  Aufnahme  ein  durchschnittliches  Gewicht 
von  weniger  als  3000  g,  sind  also  schwache  Kinder  und  nahmen,  ent- 
sprechend den  dürftigen  Ernährungsverhältnissen  der  Mütter,  wöchent- 
lich nur  140  g  zu. 

Die  Ans€dt  ist  bestrebt,  auch  die  Mütter  vor  ihrer  Entlassung  aus 
der  Anstalt  möglichst  zu  versorgen,  durch  Verdingung  als  Ammen  (42) 
oder  Dienstmädchen  (14)  und  die  Kinder  bei  bekannten  Kostfrauen  unter- 
zubringen. 

18.  Wilhelm-Augusta-Hospital  in  Breslau. 

Verpflegt  wurden  438  Kinder:   211  Kn.,  227  M.,  geheilt  entlassen 
wurden  349,  gebessert  64,  gestorben  22  (5,2%),  im  Spital  verblieben  13. 
Infectionskranke  werden  nicht  aufgenommen. 


142  I^r.  EisenschitE: 

Es  standen  im  Alter  bis  sn    1  Jahre    19, 
„        „  „       „      Ton  1 — 8  Jahren  82, 

f»  fi  I»         11  n     •'      "  fi        •  •» 

«I         «I  11         f«         if     6—14       n     260. 

An  Groap  behandelt  3,  davon  gestorben  1. 

Die  mitUere  Verpflegsdauer  betrag  16,2  Tage,  die  Kosten  eines 
Verpflegstages  2,0  Mark. 

19.   Dr.  Christas  Kinder-Krankenhaus  nnd  Entbindnngsgstalt 

zu  Frankfurt  a/M. 

Verpflegt  wurden  446  Kinder:  218  Kn.,  228  M.,  geheilt  entlassen 
247,  gestorben  165  (40%),  verblieben  34. 

Es  standen  im  Alter  bis  eu   1  Jahre      42, 
„        „         „       „    von  1—6  Jahren  298, 

If        »         i>       >,      »,      5-10    „       122. 
„        „         „       „    über         10    „        64. 

An  Diphtheritis  wurden  behandelt  301,  davon  gestorben  102. 
Tracheotomirt  wurden  78 ,  davon  gestorben  67. 
Die  mittlere  Verpflegsdauer  betrug  86,0  Tage. 

20.  Olga-Heilanstalt  in  Stuttgart 

Verpflegt  wurden  774  Lehrlinge,  1168  Kinder  (674  Kn.,  684  M.). 
Entlassen  wurden  752  Lehrlinge,  798  Kinder,  gestorben  sind  282  (16%), 
9  Lehrlinge,  273  Kinder  (25,4%).  Verblieben  waren  84  Kinder  und 
21  Lehrlinge. 

Von  den  Verpflegten  standen  237  im  Alter  bis  zu  1  Jahr,  266  im 
Alter  von  1 — 4  Jahren,  212  im  Alter  von  6—8  Jahren,  168  im  Alter 
von  8 — 12  Jahren,  994  im  Alter  von  12—18  Jahren. 

An  Diphtherie  und  Groap  behandelt  wurden  876,  davon  starben  182. 

Tracheotomirt  wurden  196,  davon  120  gestorben. 

Mittlere  Verpflegsdauer  21,6  Tage.  Kosten  eines  Verpflegstages  ca. 
1  Mk.  87  Pf. 

21.  Nürnberger  Kinderspital. 

Im  Jahre  1892  verpflegt  819  Kinder;  176  Kn.  und  144  M.,  geheilt 
wurden  174,  gebessert  27,  ungeheilt  entlassen  12,  gestorben  83  (21,1%), 
verblieben  28. 

Das  Alter  der  im  Spitale  Verpflegten  ist  nicht  ersichtlich  gemacht. 

An  Croup  und  Diphtheritis  behandelt  wurden  67,  davon  genesen  85. 

Tracheotomirt  wurden  25,  davon  genesen  1. 

Die  mittlere  Verpflegsdauer  betrug  83,1  Tage. 

Ein  Verpflegstag  kostete  ca.  2  Mark. 

22.  Anna-Hospital  zu  Schwerin. 

Verpflegt  wurden  84  Kinder  (39  Kn.,'  46  M.),  entlassen  wurden 
67,  gestorben  7  (8,7%),  verblieben  27. 

Das  Alter  der  im  Spitale  Verpflegten  ist  nicht  ersichtlich  gemacht. 
An  Diphtheritis  und  Croup  wurden  behandelt  0. 
Die  mittlere  Verpflegsdauer  betrug  83  Tage. 
Ein  Verpflegstag  kostete  ca.  1,60  mk. 

23.  Kinderhospital  zu  Lübeck. 

Verpflegt  wurden  140  Kinder  (72  Kn.,  68  M.),  entlassen  wurden: 
geheilt  86,  gebessert  6;  es  starben  26  (22,4%),  verblieben  24. 


Bericht  der  Einderspit&ler  über  das  Jahr  1892.  143 

Eb  standen  im  Alter  unter     1  Jahre     11,  gestorben    6, 
„        „         „       „    von  1 — 4  Jahren    97,        „  18, 

n  n  >f  i>         it      •*      °        19  *"•  II  4| 

tt  if  n  n         ti      8 — 12      „  28,  „  2, 

I»  II  W  »I  9^  *^*        *^       II  **>  II  — • 

An  Diphtherie  nnd  Cronp  behandelt  worden  SS,  davon  gestorben  10. 
Tracheotomirt  wurden  19,  davon  geheilt  0. 
Die  mittlere  Yerpflegsdaner  betrug  63,9  Tage. 
Ein  Yerpflegstag  kostete  ca.  1,3  Mk. 

24.  Einderspital  (Eleonoren-Stiftung)  in  Hottingen 

bei  Zürich. 

Behandelt  wurden  881  Kinder,  neu  aufgenommen  341:  190  En.,  161  M. 
Geheilt  entlassen  140,  gebessert  107,  ungeheilt  32,  gestorben  60  (16,6%). 
verblieben  38. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu    1  Jahre      61,  gesi  17, 
„        „  „      „    von     1—4  Jahren     99,     „      17, 

I»  II  II        II        II        4     o        „  97,      „        14, 

II  »I  11        II        II        "     1*     it  "^'i       11  !• 

„        „  „      „  Über  12  Jahre  „  26,     „        1. 

An  Diphtheritis  behandelt  wurden  48,  davon  starben  20. 
Tracheotomirt  1,  gestorben  1,  intubirt  20,  gestorben  17. 
Die  mittlere  Verpflegsdauer  betrog  60,6  Tage.  Ein  Yerpflegstag  kostete 
2,78  Fr. 

26.  Einderspital  in  Basel. 

Yerpflegt  wurden  882  Einder:  211  En.,  171  M.,  geheilt  wurden 
262,  gebessert  83,  ungeheilt  entlassen  12,  gestorben  46  (13,4%),  ver- 
blieben 39. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu    1  Jahre     62, 

von  1—6  Jahren  166, 

„    6-10      „        99, 

über      10      „        66. 

An  Croup  nnd  Diphtheritis  wurden  behandelt  82,  davon  gestorben  13. 

Tracheotomirt  wurden  24,  mit  Erfolg  11.  2  Fälle  iutubirt  und 
tracheotomirt,  1  geheilt. 

Die  mittlere  Yerpflegsdaner:  89,8  Tage.  Eosten  eines  Yerpflegs- 
tages  3,63  Fr. 

26.  Luisenheilanstalt  für  kranke  Einder  in  Heidelberg. 

Yerpflegt  wurden  1892  608  Einder:  228  En.,  280  M.,  entlassen 
wurden  geheilt  846,  gebessert  68,  ungeheilt  24,  gestorben  61  (11,9%), 
verblieben  80. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu    1  Jahre     80, 

„  von  1 — 4  Jahren  146, 
„  „  6-8  „  90, 
„  „  9-12  „  110, 
„    über        12       „        82. 

An  Croup  und  Diphtherie  wurden  behandelt  80,  gestorben  16. 

Tracheotomirt  wurde  16  mal. 

Die  mittlere  Yerpflegsdaner  betrug  26,8  Tage. 

Ein  Yerpflegstag  kostete  ca.  1,60  Mark. 


II 

II 

II 

• 

II 

II 

II 

II 

ll 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

II 

144    Dr.  Eisenschitz:  Bericht  der  Kindempii&ler  über  das  Jahr  1892. 

87.  Kinderklinik  des  BürgerhospitalB  in  Strasabnrg. 

1889—1892. 

Die  Kinderklinik  besteht  ans  68  Betten:  48  auf  der  mediciniachen 
and  10  auf  der  Hautabtheilnng.  ^ 

Aufgen.  wnrden  1889  1890  1891  1892 

470  Kd.  476  Kd.  694  Kd.  668  Rd. 

226KD.246M.  288Kn.843M.  298Kn.296M.  310Kd.258M. 

Entlassen  wurden  1889  828,  transf.  20,  gest  84  (26,6%),  verblieben  88. 

„         1890  869,      „        11,  „     67  (13,4%),  „          39, 

„         1891  467,       „        17,  „     77  (14.4%),  „          43, 

„         1892  446,       „        -,  „   122  (21,6%),  „          -. 

An  Diphtheritis  behandelt  1889  146,  operirt  76  (gest,  80),  geheilt  106, 

1891  120,         „       66   (     „     21),  „         92. 

1892  148.         „       91  (     „     41),  „         94. 


^ 


vm. 

lieber  die  Diazoreaction  und  ihre  diagnostische  nnd 
prognostische  Bedentnng  am  Krankenbette  des  Kindes. 

Aus  dem  klinischen  Elisabetbhospital  zu  St.  Petereborg. 

Von 

* 

Dr.  Wilhelm  Nissen. 

Ehrlich^)  hat  im  Jahre  1882  nach  Analogie  der  in  der 
Technik  üblichen  Gewinnung  von   gelben ,  orangerothen   und 
braunen    Farbstoffen    durch    Vereinigung    von    Diazoverbin- 
dungen  mit  zahlreichen  Körpern   der  Phenolgruppe  und  ver- 
schiedenen Mono-  und  Diaminen  der  aromatischen  Reihe  diese 
Reaction  auch  einer  medicinischen  Anwendung  zugänglich  ge- 
macht und  durch  Vereinigung  der  Diazobenzolsulfosäure  mit 
menschlichem  Harn   eine  Farbenreaction  gefunden ,  die  durch 
ihre   Schärfe  für   klinische  und  diagnostische   Zwecke   durch- 
aus verwerthbar  erschien.    Dabei  ergab  sich,  wie  bekannt^  die 
Thatsache,  dass  normaler  Harn  nach  Zusatz   seines  Reactivs 
entweder  gar  nicht  verändert  oder  gelb  und  zuweilen  orange 
wird,   während  gewisse   pathologische  Harne   eine  Roth-  bis 
Purpurfärbung  zeigen.    Hinsichtlich  dieser  Rothfarbung  —  der 
sog.  Diazoreaction  —  stellt  Ehrlich   folgende   Sätze   auf: 
1.   Bei  gesunden  Leuten   findet  sich  nie   diese    Reaction   und 
ist    mithin    das   Vorhandensein    derselben    stets    ein    Zeichen 
einer  Erkrankung.     2.   Fieberlose  Krankheiten  rufen  dieselbe 
nur  ganz  selten  und  dann  auch  nur  in  scliwaelier  Weise  hervor 
(wie  vorgeschrittene  Herzfehler,  spätere  Stadien  der  Leukämie, 
kalte  Abscesse  etc.).     3.  Fälle  fieberhafter  Erkrankungen  zer- 
fallen in  ihrem  Verhalten  zu  dieser  Reaction  in   3  Gruppen: 
a)  in   solche,   in   denen  sie  fast  regelmässig  zu  fehlen  pflegt, 
wie  Rheumatismus,  Meningitis,  Erysipelas;   b)  in  solche,  in 

1)  Ehrlich,  üeber  eine  neue  Harnprobe.     Zeitschr.  f.klin.  Med.  V, 
S.  285.    1882. 

jAhrbnoh  f.  Kinderhoilkond«.    N.  F.  XXXVHT.  ^^ 


148  W.  Niseen: 

ersehe,  über  die  Diazoreaction  keine  Untersachungen  yor, 
die  sich  speciell  auf  das  Eindesalter  mit  seinen  mannigfachen 
Erkrankungen  beziehen.  Und  doch  scheint,  wie  meine  Unter- 
suchungen gezeigt  haben,  die  Ehrlich'sche  Beaction  gerade 
bei  der  Diagnostik  der  Einderkrankheiten  eine  brauchbarere 
und  dankbarere  Yerwerthung  finden  zu  können  als  am  Kranken- 
bette Erwachsener.  Die  Vornahme  einer  Prüfung  der  Diazo- 
reaction bei  Krankheiten  der  Kinder  schien  mir  aber  schon 
aus  dem  Grunde  lohnend  genug,  als  die  grosse  Mortalität 
im  Kindesalter  und  dementsprechend  häufig  vorkommende 
Sectionen  der  untersuchten  Kranken  eine  sichere  objec- 
tiye  Controle  in  Relation  zur  gefundenen  Reaction  gewähr- 
leisteten. 

Meine  Beobachtungen  umfassen  einen  Zeitraum  von  über 
2  Jahren.  Im  Ganzen  wurde  in  dieser  Zeit  auf  der  internen 
Abtheilung  des  klinischen  Elisabethhospitals  der  Urin  von 
462  stationären  kranken  Kindern  mit  dem  genau  nach  Ehr- 
liches Vorschrift  frisch  angefertigten,  d.  h.  höchfitens  zwei, 
drei  Tage  alten  Beagens  untersucht.  Die  Schwierigkeit  des 
Hamsammelns  namei^tlich  bei  kleinen  Kindern  erklärt  es,  dass 
ich  natürlich  nicht  über  ganze  Beihen  fortlaufender,  täglicher 
Harnprüfungen  bei  den  einzelnen  Kranken  verfüge,  wie  sich 
das  bei  Erwachsenen  ja  leicht  ausführen  lässt,  zumal  ich 
vom  Catheterisiren  nur  äusserst  selten  und  nur  hei  coma-^ 
tosen  und  moribunden  Eand6m  Gebrauch  machte.  Der  Harn 
wurde  meist  Morgens  bei  kleinen  Kindern  vermittelst  Harn- 
recipienten  gesammelt,  bei  grösseren  dagegen  durch  Aufforde- 
rung zu  uriniren  erhalten.  Die  Gesammtzahl  der  von  mir 
angestellten  Einzeluntersuchungen  beträgt  über  2500. 

Zu  bemerken  habe  ich  noch,  dass  ich  bei  der  charakte- 
ristischen Bothfärbung,  wenn  sie  vorhanden  war,  nur  zwei 
Stufen  unterschied,  starke  Bothfärbung  bis  zu  Burgunder- 
roth BB  und  deutliche  Bothfärbung  bis  himbeerensaft- 
f  arbig  B.  Schwache  Bothförbung,  wie  sie  noch  Ehrlich  u.  A. 
unterscheiden,  habe  ich  nicht  als  zum  Begriff  der  eigentlichen 
Beaction  gehörig  angesehen,  weil  sich  ein  gewisser,  schwer 
differenzirbarer  Stich  ins  Bothe  dann  und  wann  auch  bei  ver- 
muthlich  nicht  pathologischen  Urinen  einstellt  —  zugleich 
mit  dem  Gelb  resp.  Orange  dieser  Harne.  Ausschlaggebend 
war  für  mich  immer  der  nach  Zusatz  des  Beactivs-]- Ammoniak 
durch  Schütteln  des  Harns  über  demselben  entstandene  Schaum, 
welcher  auch  selbst  nach  2 — 3  minutenlangem  Stehen  noch 
deutliche  Both-  resp.  Bosafärbung  aufweisen  musste.  Harne, 
die  als  vorübergehenden  Befund  nur  jenen  offenbar  nicht 
charakteristischen  Stich  ins  Böthliche  zeigen,  färben  zwar 
auch   häufig   den  Schaum   mit   einem  Anflug  von  Bosa,  das 


üeber  die  Diazoreaction  etc.  149 

aber^  sobald  der  Schaum  sich  etwas  gesetzt  hat,  sofort  einem 
reinen  Weiss  oder  Gelb  das  Feld  räumt. 

Ehrlich  hatte  noch  hervorgehoben,  dass  die  erhaltene 
rothe  Farbe  des  Urins  beim  längeren  Stehen  schwindet  und 
einer  grünen  Verfärbung  der  oberen  Schichten  des  im  Reagens- 
glase sich  bildendisn  Niederschlages  Platz  macht.  Spiethoff^) 
ging  sogar  soweit,  diesen  grünen,  nach  24  Stunden  entstan- 
denen Niederschlag,  der  stets  da  ausfalle,  wo  wahre  Reaction 
vorhanden  ist,  einzig  und  allein  für  die  Diagnostik  zu  ver- 
werthen.  Auch  Escherich^)  und  Mehlenfeldt^)  haben  ihre 
Schlüsse  blos  auf  diesen  grünen  Niederschlag  basirt.  Doch 
scheint  mir  das  unbedingt  zu  Irrthümern  führen  zu  müssen 
insofern,  als  die  Bildung  des  mit  dem  veränderten  Farbstoff 
gewissermassen  durchsättigten  Niederschlages  ganz  und  gar 
abhängig  ist  von  der  jeweiligen  Quantität  und  Qualität  der 
Salze  in  einem  Urin,  femer  von  der  Reaction  dieses  letzteren 
sowohl  vor  als  nach  Zusatz  des  Reactivs  -)-  mehr  oder  weniger 
Ammoniak  etc.  Bei  Einderharn  mit  seinem  hohen  specifischen 
Gewicht  resp.  geringem  Salzgehalt  kommt  überdies  nur  sel- 
ten, trotz  schon  ausgesprochener  Reaction,  ein  Absetzen  von 
Salzen  im  Reagensglase  vor.  Ich  habe  daher  diesem  Factor 
selbstredend  keinerlei  entscheidende  Bedeutung  zugemessen. 

Das  Alter  der  von  mir  untersuchten  Patienten  (Knaben 
und  Mädchen)  umfasst  sämmtliche  Altefsclassen  der  Kindheit 
von  yk  Jahr  bis  hinauf  zu  16  Jahren: 

Anzahl  der 
Alter  der  Kinder:    untersachten  Kinder: 


1^  1  Jahr 

11 

1—2  Jahre 

66 

2—8 

69 

3-4 

56 

4—6 

87 

6—8 

62 

8— io 

44 

10-12 

34 

12-14 

18 

14—16 

16 

462 

Von  462  untersuchten  Kindern  sind  165  im  Hospital  ge- 
storben und  in  113  Fällen  von  diesen  hat  die  Diagnose  durch 
stattgehabte  Obduction  verificirt  werden  können. 

Ich  gebe  nun  im  Folgenden  tabellarisch  zunächst  diejenigen 
Krankheiten  an,  bei  denen  unter  Ausschluss  anderweitiger 
ASectionen  keine  Diazoreaction  beobachtet  wurde  (Tab.  I): 

1)  Spiethoff  1.  0.       2)  Esoherich  1.  c.      3)  Mehlenfeldt  1.  c. 


150 


W.  Nusen: 


Tabelle  I.    Keine  Diasoreaction  vorhanden. 


Krankheitafotm 


Anzftlü  der 
untenuch-  i  Gestorben 
ten  Kranken! 


Dyspepsia.  Catarrhas  inte- 
stinaliB.  Catarrbaa  gastroin- 
teetinalis  acntne.  ColitiM.  Ca- 
tarrbua   yentriculi.   Typhlitis 

Bronchitis 

Pertnasis 

Pnenmonia  catarrh.  uni  et  bilat. 

Rachitis 

Angina  follicul.  .    ...    .    . 

Vitium  cordis.    Endo-  et  Pericarditis 

Meningitis  supporativa 

Meningitis  cerebrospinalis   .... 

Yaricellae 

Keratitis  pblyct.  et  ulcer 

Eczema  univers 

Psoriasis  Tulg.  Urticaria 

Nephritis  ac 

Pelioais  rheumatica 

Polyarthritis  rheam.  ac 

Polyarthritis  suppur 

Morbus  maculosas  Werlhofii    .    .    . 

ScorbutuB 

Anaemia 

Malaria 

Icterus 

Chorea   •    •     ; 

Tumor  abdominis  (Sarcoma)     .     .     . 

Ambustura 

Gangraena  polm 

Gangraena  scroti 

Coxitia 

Gonitis  tub 

Septicaemia.    Pyaemia    .    .    . 


26 

9 

24 

49 

14 

6 

9 

3 

3 

4 

5 

4 

ö 
1 
1 
1 
3 
1 
4 
1 
1 
3 
2 
2 
1 
1 
3 
6 
4 


4 

20 

5 

4 

3 
2 


1 
1 


Bection 


2 


2 

14 

2 

4 

3 
o 


1 
1 


1 
1 


Zu  bemerken  habe  ich,  dass  in  vier  von  diesen  Fällen 
Reactiou  zum  Theil  wohl  vorhanden  war.  Drei  von  ihnen 
betreffen  die  Erankheitsform  Pneumonia  catarrhalis  und  einer 
fallt  auf  die  Rubrik  Vitium  cordis. 


Ea  zeigte  nämlich  ein  6 jähriges,  schwächliches  Mädchen  (Prot.-Nr.lOS), 
das  fiebernd  unter  der  Diagnose  Pnenmonia  cat.  aufgenommen  wurde, 
an  den  beiden  ersten,  der  Aufnahme  folgenden  Tagen  starke  Reactiou, 
die  sodann  völlig  schwand  bis  zu  dem  schon  nach  10  Tagen  auf  Wunach 
des  Vaterd  erfolgten  Austritt  dea  Eindea  aua  dem  Hospital.  Anamne- 
stiach  war  erhoben  worden,  dasa  die  Mutter  der  Pat.  an  Tuberculose 
gestorben  aei,  und  daaa  daa  Kind  achon  längere  Zeit  kränkele  und  huate. 
Dieser  Umatand,  aowie  irregulärea  Fieber  und  daa  Auaaehen  dea  Kindes 
legten  den  Verdacht  der  Phthiaia  nahe,  wenn  auch  die  Eracheinungen 
im  oberen  Lungenlappen  aich  nicht  unmerklich  gebeasert  hatten 


üeber  die  Diazoreaction  etc.  151 

Der  2.  Fall  betrifft  ein  10  monatlichea  Kind  (Prot.-Nr.  388),  auf- 
irenommen  mit  doppelseitiger  cat  Pneumonie,  das  in  den  ersten  zwölf 
Tagen  wiederholt  (5  mal)  keine  Reaction  aufgewiesen  hatte  und  alsdann 
die  nächsten  10  Tage  bis  zum  Tode  starke  Reaction  (RR)  zeigte.  Die 
Section  ergab  doppelseitige  kat.  Pneumonie,  keinerlei  Miliartuberkel, 
wohl  aber  geschwollene  und  käsig  zerfallene  Bronchialdrüsen. 

Der  3.  Fall,  ein  dreijähriger  Knabe  (Prot.-Nr.  167),  wies  bei  den 
Erscheinungen  dissem.  katarrh.  Pneumonie  während  des  ganzen  nur 
7  t&gigen  Verbleibens  im  Hospital  die  Reaction  R  auf,  Abends  bestand 
an  einigen  Tagen  nur  geringes  Fieber.  Durch  Entfernung  des  Kindes 
aus  dem  Hospital  seitens  der  Eltern  entzog  es  sich  einer  weiteren  ge- 
nauen Beobachtung. 

Es  sind  also  diese  drei  Fälle  des  Verdachtes  der  Taber- 
culose  nicht  bar  und  ist  das  Vorhandensein  von  Reaction 
Yielleicht  aus  diesem  Grunde  bei  ihnen  zu  erklären.  Ich  werde 
noch  des  Genaueren  auf  die  Diazoreaction  bei  Lungenaffec- 
üonen  zurückzukommen  haben. 

Der  4.  Fall  betrifft  einen  zweijährigen  Knaben  (Prot.-Nr.  230)  mit 
diagnosticirter  Apertura  septi  ventriculorum,  der  suffocatorisch  zu  Grunde 
ging  und  bei  dem  sich  1  Tag  vor  dem  Tode  deutliche  Reaction  ein- 
stellte, während  dieselbe  früher  gefehlt  hatte.  Die  Section  ergab: 
Apertura  septi  yentriculorum,  Anomalia  yasorum,  Haemorrhagia  cerebri. 

Auf  den  Umstand,  dass  Herzfehler  gegen  das  Ende  hin 
Diazoreaction  aufweisen  können^  haben  einige  Autoren,  wie 
auch  Ehrlich  selbst  aufmerksam  gemacht. 

Ich  gehe  nun  zu  den  Krankheiten  über,  bei  denen  Diazo-- 
reaction  vorkam.  Wir  können  hier  analog  dem,  wie  es  bei 
Erwachsenen  gemacht  worden  ist,  2  Gruppen  unterscheiden: 

1.  solche  Krankheiten,  bei  denen  Diazorection  nur  bei 
einer  grösseren  oder  geringeren  Anzahl  von  Patienten  beob- 
achtet wurde,  während  dieselbe  bei  den  übrigen  mit  gleichem 
Leiden  behafteten  Kranken  fehlte  (Tab.  II,  S.  152),  und  2.  solche 
Krankheiten,  bei  denen  während  einer  gewissen  Zeitdauer  fast 
constant  die  Diazoreaction  beobachtet  wurde  (Tab.  III,  S.  152). 

Zur  Erläuterung  dieser  beiden  Tabellen  habe  ich  zu  er- 
wähnen, dass  die  Diazoreaction,  wo  sie  vorhanden  war,  nur 
eine  gewisse,  späterhin  näher  zu  erörternde  Zeitdauer  bestand, 
oder  von  einem  gewissen  Zeitpunkte  ab  einsetzte  und  bis 
zum  Tode  hin  anhielt  —  wie  z.  B.  bei  der  dissemin.  Miliar- 
tuberculose  (Tab.  III). 

Bei  der  chronischen  Pneumonie  (Tab.  II)  ist  die  Reaction 
eher  nicht  als  wohl  vorhanden.  Bei  der  croupösen  Pneumonie 
habe  ich  die  Reaction  fast  ebenso  häufig  angetroffen  wie  sie 
dabei  auch  zu  fehlen  pflegte.  Entsprechend  dem  Verhalten 
dieser  beiden  Krankheiten   reihen  sich  auch  die  Pleuropneu- 


152 


W.  Nissen: 


moniO;  Pleuritis  und  Laryngitis  ihnen  an^  die,  soweit  sie  nicht 
auf  nachweisbar  tuberculoser  Basis  oder  auch  auf  Grundlage 
einer  croupösen  Pneumonie  bestehen ,  meist  keine  Reaction 
zeigen,  während  im  entgegengesetzten  Fall  bei  gleichzeitig  be- 
stehender crouposer  Pneumonie  oder  Phthisis  Reaction  eher 
vorhanden  sein  wird.  So  waren  jene  5  Falle  von  Pleuro- 
pneumonie, die  Diazoreaction  zeigten,  offenbar  mit  crouposer 
Pneumonie  vergesellschaftet,  bei  zum  Theil  ausgesprochen 
kritischem  Verlauf  und  glatter  Heilung;  einer  derselben  kam 
zur  Section.     Die  übrigen  7  Fälle  ohne  Reaction  machten  in 


Tabelle  II.    DiaBoreaoÜon  theils  vorhanden,  theils  nicht. 


KranklieitsfoTm 


Pneumonia  chronica.  Hypertrophia  et  de- 
generatio  glandulär,  bronch 

Pneumonia  cronposa 

Pleuropneumonia 

Pleuritis  (sicca,  serosa,  pnmlenta)      .     .     . 

Laryngitis 

Meningitis  tnberc 

Diphtheritis 

Erysipelas 

Caries  costar 

Scarlatina  (in  allen  Fällen  von  Scarlatina 
nur  während  der  ersten  2  Tage  des 
Bestehens  der  Erkrankung   untersucht) 


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16 

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10 

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11 

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1 

21 
14 
7 
14 
7 
6 
4 
1 
2 


12 


m 

o 
o 


8    7 

TT 

7    6 


6    6 


Tabelle  IIL    Diazoreaotion  fast  oonstant  vorhanden. 


Krankheltflfonn 


Aniahl  der  unter- 
sachten Kinder 


Geetorben 


Typhus  abdominalis 

Morbilli 

Tuberculosis  miliaris 


24 
36 
42 


1 

10 
41 


Sedrt 


3 
33 


ihrem  Verlauf   eher   den   Eindruck,    dass    sie    mit   katarrha- 
lischer oder  chronischer  Pneumonie  einhergingen. 

Unter  den  in  Tab.  II  angeführten  16  Fällen  von  reiner 
Pleuritis  (sicca  5,  serosa  4,  purulenta  7)  zeigten  jene  2  Pleuri- 
tiden  mit  vorhandener  Diazoreaction,  die  auch  zur  Section 
kamen,  in  dem  einen  Fall  (Empyem  mit  Resection)  käsige 
Degeneration  und  Erweichung  einer  Bronchialdrüse,  sowie 
eitrige  Peribronchitis,  in  dem  anderen  Falle  bei  doppelseitigem, 
fibrinösem  Exsudat  eitrige  Bronchitis  und  Bronchiolitis.  Von 
den  übrigen  14  nicht  mit  Diazoreaction  einhergegangenen  Pleuri- 


Ueber  die  Diazoreaction  etc.  153 

tiden  entbehrten  6  zur  Section  gekommene  Fälle  jeglichen 
Verdachtes  der  Tubercnlose;  2  von  ihnen  waren  übrigens 
Theilerscheinung  einer  Pyämie. 

Unter  9  Fällen  von  Laryngitis  finden  sich,  wie  Tab.  II 
zeigt;  2  mit  Diazoreaction.  Beide  verliefen  letal.  Die  Sec- 
tion ergab  in  dem  einen  Fall  Laryngotracheobronchitis  fibri- 
nosa  et  Pleuropneamonia  duplex,  in  dem  anderen,  der  nicht 
zur  Section  kam,  hatte  sich  die  Laryngitis  zu  einer  post  mor- 
biliös  bestehenden  Pneumonie  hinzugesellt;  die  ihren  etwas 
protrahirten  Ausgang  offenbar  in  disseminirter  Miliartuber- 
cnlose  fand. 

Ich  erlaube  mir  nun  auf  die  einzelnen  Krankheitsgruppen; 
bei  denen  die  Ehrlich'sche  Reaction  in  Betracht  kommt;  des 
Näheren  einzugehen  zur  Veranschaulichung  dessen;  wieweit 
das  Auftreten  resp.  Verhalten  der  Diazoreaction  bei  diesen 
Erankheitsformen  im  Kindesalter  diagnostisch  und  prognostisch 
rerwerthbar  ist. 

In  den  Kreis  dieser  Erörterung  ziehe  ich  folgende  Krank- 
heiten: Morbilli;  Scarlatina,  Typhus  abdominalis;  Lungen- 
affectionen  und  Meningitis. 

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In  der  einschlägigen  Literatur;  die  ja  hinsichtlich  der 
Diazoreaction  ausschliesslich  nur  Erkrankungen  Erwachsener 
zum  Gegenstand  hat;  finden  sich  im  Allgemeinen  nur  mehr 
oder  weniger  beiläufige  Angaben  über  das  Verhalten  der 
Reaction  bei  Masern  und  Scarlatina.  So  führt  Goldschmidt ^) 
an;  ;;dass  die  Reaction  bei  Masern  zuweilen  nachweisbar  isf'. 
Fischer*)  erwähnt;  dass  er  in  9  Masernfallen  constant  die 
Reaction  fand.  Ebenso  Taylor^).  Brewing^)  beobachtete; 
dass  unter  4  Fällen  2  die  Reaction  boten;  die  bei  diesen 
Kranken  jedesmal  von  kürzerer  Dauer  wie  bei  Scarlatina  war 
und  in  der  Acme  des  Exanthems  yerschwand.  Unter  6  Fällen 
von  Scarlatina  wurde  3  mal  die  Reaction  beobachtet.  Ueber- 
all;  wo  die  Reaction  sich  fand,  war  die  stärkste  Intensität 
bei  Eintritt  der  Eruption  des  Exanthems  vorhanden  und  es 
yerschwand  dieselbe  mit  Beginn  der  Desquamation.  Ehrlich 
selbst  zählt  die  Masern  zu  der  Kategorie  von  Krankheiten; 
welche  die  Reaction  fast  constant  aufweisen;  während  sie  bei 
Scharlach  bald  vorkommt;  bald  nicht  etc. 

Ich  habe  im  Ganzen   den   Harn  von  36  masemkranken 


1)  Goldschmidt  1.  c.  8)  Brnno  Fischer  1.  c.  3)  Howard 

Taylor  1.  c.        4)  Brewing  1.  c. 


154  W.  Nissen: 

Kindern  im  Alter  von  1  — 16  Jahren,  vielfach  den  ganzen 
Erankheitsverlauf  hindurch  untersucht  und,  um  es  gleich  voraus 
zu  nehmen,  in  allen  Fällen  die  Ehrlich'sche  Reaction  in  scharf 
ausgesprochenem  Maasse  angetroffen.  Nur  ein  Mädchen  von 
14  Jahren,  welches  im  Anschluss  an  Nephritis  Masern  zum 
zweiten  Mal  in  leichter  Form  acquirirte,  bot  in  ihrem  Harn 
keine  oder  nur  andeutungsweise  Reaction  dar.  Da  auf  unserer 
ziemlich  stark  frequentirten  internen  Abtheilung  des  Hospi- 
tals, die  zwar  räumlich  getrennt,  aber  dennoch  in  demselben 
Gebäude  mit  der  Masernabtheilung  befindlich  ist,  sporadische 
und  epidemische  Masemerkrankungen  nicht  selten  vorkommen, 
so  war  mir  durch  fortlaufende  Harnprüfungen  der  stationären 
Kranken  ebenso,  wie  auch  namentlich  der  Reconvalescenten, 
deren  Temperatur  gleichwohl  täglich  gemessen  wird,  die  Mög- 
lichkeit geboten,  in  einer  ganzen  Reihe  von  Fällen  das  Ver- 
halten der  Reaction  theils  bis  zum  Auftreten  des  Exanthems, 
als  auch  nach  Ausbruch  desselben  bei  erfolgter  Ueberführung 
der  Kranken  auf  die  Masemabtheilung  eingehender  zu  beob- 
achten. 25  solcher  „intern''  entstandener  Masemfalle  habe 
ich  tabellarisch  zusammengestellt  unter  Berücksichtigung  ver- 
schiedener einschlägigen  Fragen.  (S.  Tafel  A  auf  Seite  155, 
Tabelle  IV  auf  Seite  156—157.) 

Bei  Einsicht  in  diese  Tabelle  IV  ergiebt  sich  als  Pro- 
dromalstadium —  also  jene  Periode  vom  Eintritt  des  Fiebers 
bis  zum  Auftreten  des  Exanthems  —  ein  Zeitraum  von  2  bis 
5  Tagen,  im  Mittel  3  Tage.  Während  dieser  Zeit  ist  die 
Diazoreaction  manchmal  schon  1 — 2  Tage  vor  dem  Exanthem- 
ausbruch  vorhanden,  am  häufigsten  tritt  sie  zugleich,  d.  h.  an 
demselben  Tage  wie  das  Exanthem  auf,  seltener  1  Tag  oder 
gar  2 — 3  Tage  später,  wie  letzteres  nur  in  2  Fällen  vorkam, 
die  sich  durch  auffallend  protrahirten  Beginn  oder  vielmehr 
Ausbruch  des  Exanthems  auszeichneten  (cf.  Tab.  IV,  Fall  2 
u.  15).  Die  Diazoreaction  pflegte  stets  recht  intensiv  zu  sein 
gleich  von  Anfang  an  und  nur  in  ganz  besonders  leicht  ver- 
laufenden Fällen  erreichte  sie  nicht  ihren  Maximalausdruck  RR. 
Die  vorhandene  Reaction   hielt   sich  3  —  8,   durchschnittlich 

5  Tage.  Sie  überdauerte  dabei  stets  um  einige  Tage  das 
Maximum  des  Ausschlags  und  das  Fastigium  der  Temperatur, 
welche  beide  auf  den  1.  bis  3.  Tag  fielen,  und  verschwand 
meist  kurz  vor  der  vollständigen  Entfieberung  des  Kranken: 
die  Reaction  hielt  im  Durchschnitt,  wie  erwähnt,  5  Tage  an, 
das  Fieber  dagegen,  vom  Prodromalstadium  abgesehen,  5  bis 

6  Tage.  Da  die  Diazoreaction  bei  Masern  dem  Lauf  des  Fie- 
bers durchaus  die  Parallele  hält,  so  ist  sie  im  Allgemeinen 
auch   prognostisch   für   den   Masernverlauf   selbst   nicht   von 


Ueber  die  Diazoreaction  etc. 


155 


T&fel  A. 

/.  Felitgeja    O,  4f.  a.  n.  Morbilli JJi  1892, 


Fe b T wa r 


2:  Boris  W  ^^  an:  Morbilli  *     iS93, 


3.  Karl  R.  6a,n.  Nephritis  MbrbiUi    ^4 
Jan  u  a  T 


1693, 


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Ueber  die  Diazoreaction  etc. 


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158  W.  Nisaen: 

wesentlicher  Bedeutung:  die  Beaction  steht  und  fallt  gewisser- 
maassen  mit  dem  Fieber.  In  einem  Falle,  wo  das  Fieber  bei 
einer  geschwächten  Typhusreconvalescentin  (Tab.  IV,  12)  ganze 
13  Tage  nach  dem  Ausbruch  des  Masernexanthems  fortbestand, 
dauerte  auch  die  Diazoreaction  14  Tage. 

In  gewissen  Fällen  könnte  unter  Umständen  bei  lange 
Zeit  fortbestehender  Reaction  mit  oder  ohne  Fieber  der  Ver- 
dacht einer  beginnenden  Tuberculose  im  Anschluss  an  Masern 
nahe  gelegt  sein. 

Nicht  ohne  Bedeutung  jedoch  ist  die  Beaction  jeden- 
falls in  diagnostischer  Hinsicht.  Bei  Kindern  bekommt 
man  ja  so  häufig  verschiedenerlei  Exantheme  zu  Gesicht^ 
die,  ich  erinnere  an  Bubeola,  Miliaria,  leicht  eine  Ver- 
wechselung mit  Masern  aufkommen  lassen  können.  In 
solchen  Fällen  oder  wo  es  sich  um  Erhärtung  der  Diagnose 
„Masern"  handelt,  z.  B.  behufs  üeberführung  eines  frag- 
lichen Kranken  in  die  Masernabtheilung,  dürfte  die  Ehrlich- 
sche  Beaction  nicht  unbeachtet  bleiben.  Bubeola  sowohl 
wie  Miliaria  geben,  wie  ich  mich  des  Häufigen  anf  der 
Abtheilung  überzeugen  konnte,  keine  Diazoreaction. 

*  2.  Soarlatina. 

An  Scarlatina  kamen  23  Fälle  zur  Beobachtung,  die  fast 
durchweg  auf  der  Station  entstanden  waren.  Die  Dauer  des 
Initialstadiums,  das  sich  durch  das  plötzlich  einsetzende  hohe 
Fieber  in  einer  Beihe  von  Fällen  genau  bestimmen  Hess,  be- 
trug hier  1 — 3,  im  Durchschnitt  2  Tage.  Von  sämmtlichen 
23  Fällen  war  die  Beaction  am  1.  Tage  des  auftretenden 
Exanthems  nur  8  mal  vorhanden  —  und  zwar  in  massiger 
Intensität,  15  mal  dagegen  fehlte  sie.  In  3  von  diesen  letzt- 
genannten Fällen  trat  die  Beaction  am  2.  Tage  auf,  während 
sie  in  4  Fällen  auch  am  2.  Tage  nicht  angetroffen  wurde. 
Ueber  das  sonstige  weitere  Verhalten  der  Beaction  im  Ver- 
lauf des  Scharlachs  habe  ich  keine  Erfahrung  sammeln  können, 
weil  die  Kranken  jedesmal  sofort  auf  die  isolirte  Scharlach- 
abtheilung übergeführt  wurden  und  sich  meiner  weiteren  Beob- 
achtung entzogen.  Doch  scheint  mir,  dass,  wenn  die  Diazo- 
reaction für  den  Scharlach  einige  Bedeutung  hat^  der  Haupt- 
werth  gerade  in  dem  Verhalten  der  Beaction  während  des 
Beginnes  der  Erkrankung  liegt,  wo  ja  nicht  selten  differenzial- 
diagnostische  Zweifel  hinsichtlich  des  Charakters  des  Exan- 
thems bestehen  —  namentlich,  ob  dieses  scarlatinöser  oder 
morbillöser  Natur  ist. 

VPährend  nun  bei  Morbilli,  wie  wir  gesehen  haben,  die 
Beaction  meist  am  ersten  Tage  des  bestehenden  Ausschlages, 


üeber  die  Diazoreactdon  etc.  159 

zuweilen  auch  schon  gegen  Ende  des  Prodromalstadiums 
vorhanden  ist^  haben  wir  im  Beginn  des  Scharlachs,  d.  h. 
während  des  ersten  und  zweiten  Tages  des  bestehenden 
Exanthems  die  Diazoreaction  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
nicht  zu  erwarten y  und  wenn  sie  vorhanden  ist,  so  ist 
sie  in  der  Regel  weniger  intensiv  ausgesprochen  als  man 
es  bei  Masern  zu  sehen  gewohnt  ist.  Ein  Fehlen  oder 
nur  schwaches  Ausgesprochensein  der  Reaction  dürfte  dem- 
nach bei  vorhandenem  Exanthem  ceteris  juvantibus  eher 
fQr  Scharlach  als  für  Masern  sprechen. 

Eine  Erklärung,  warum  bei  Masern  schon  frühzeitig  und 
intensiv  die  Diazoreaction  im  Harn  auftritt  und  beim  Schar- 
lach das  weniger  der  Fall  ist,  liesse  sich  vielleicht  in  der 
Thatsache  finden,  dass  die  Nieren,  wie  Thomas^)  u.  A.  dar- 
auf hinweisen,  „schon  im  Initialstadium  der  Scarlatina,  wenn 
auch  nur  in  Form  des  Hamcanälchenkatarrhs  krankhaft  affi- 
cirt  sind,  da  der  spärlich  und  concentrirt  gelassene  Harn  in 
dieser  Zeit  mitunter  ganz  leicht  blut-,  öfters  etwas  eiweiss- 
haltig  ist^'.  Dieses  Moment  dürfte  meiner  Ansicht  nach  wegen 
der  in  der  Niere  acut  veranlassten  Störungen  der  Ausschei- 
dung des  SchUrlachgiftes,  denn  auf  dieses  müssen  wir  ja  wohl 
die  Diazoreaction  im  Harn  zurückführen,  der  Reaction  im 
Anfang  des  Scharlachs  nur  eher  hinderlich  als  förderlich  sein. 

Andrerseits  aber  kann  ich  nicht  verschweigen,  dass  ich 
in  vielen  Fällen,  z.  B.  bei  Tuberculose,  öfters  neben  vorhan- 
denem Eiweissgehalt  im  Urin  die  Ehrlich'sche  Reaction  in- 
tensiv genug  auftreten  gesehen  habe.  Von  2  Masernerkran- 
kungen, die  sich  an  bereits  bestehende  acute  Nephritis,  einmal 
an  eine  leichte  Form,  ein  anderes  Mal  an  eine  schwere  Form 
anschlössen,  ergab  der  erste  Fall  (cf.  Tab.  IV,  13  u.  Taf.  A,  3) 
in  keinerlei  abweichender  Weise  die  gewohnte  Diazoreaction, 
während  der  andere  bei  schwerer  Nephritis  keine  Reaction 
aufwies.  Es  ist  dies  jenes  14jährige  Mädchen,  dessen  ich 
oben  als  einzigen  Ausnahmefalls  'für  Masern  ohne  Reaction 
bereits  erwähnt  habe. 

8.  Typhus  abdominalis. 

Hinsichtlich  des  Verhaltens  der  Diazoreaction  beim  Typhus 
ist  die  einschlägige  Literatur  ziemlich  reichhaltig.  Alle  Autoren 
geben  einstimmig  mit  Ehrlich  ihr  Urtheil  dahin  ab,  dass 
die  Reaction  bei  Typhus  constant  vorkommt  und  nur  in  ganz 
leicht  verlaufenden  Fällen  zu  fehlen  pflegt.    Ehrlich  äusserte 


1)  Thomas,  Uandb.  der  spec.  Path.  u.  Therap.  v.  Ziemssen  1874. 
II.  Theil:  Acute  Infectionskrankheiten. 


162 


W.  Nissen: 


Tabelle  V.  Typhus 


Tag  der  Erkrankung: 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

13. 

14. 

15. 

1)      2.  Mädchen 
10  a.  n.  13. 1.— 26.  II.  92 

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5  a.  n.  3.  VI.— 30.  VI  92 

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3)  111.  Mädchen 
10  a.  n.  9.  m.     19.  IV.  92 

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4)  444.  Knabe 

5.  a.  n.  26.  III.— 30.  IV.  93 

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5)  101.  Mädchen 
11  a.n.  28.  IL— 19.  III.  92 

— 

— 

Irr 

RR 

Pneumonia  sin. 
RR    R                 10 

6)  287.  Mädchen 
9  a.  n.   12. 1.— l.HI.  93 

1 

" 

1 

7)  14.  Mädchen 
11  a.n.  3.  XII.  91— 17.1.92 

RR 

RR 

RR 

R 

8)  123.  Mädchen 
3  a.  n.  80.  IV.  91— 12.  V.  92 

RR 

RR 

1 

1 

1 

9)  77.  Mädchen 
13  a.  n.  8.  IL— 16.  IIL  92 

4 

0 

0 

0 

0 

1 
0 

0 

0      0 

0 

0 

10)  160.  Mädchen 

4  a.n.  28.  IV.— 16.  V.  92 

RR 

RR 

1 

rr'rr 

RR 

RR 

RR    R 

1 

11)  431.  Mädchen 

11  a.n.  5.VI.— 1.VIL93 

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RR  RR  RR 

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1 

RR  RR  RR 

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RR  RR 

rr; 

12)  386.  Mädchen 

11  a.n.  19.IV.— 6.  V.  93 

R 

RR 

RR 

1     ! 

RR   RR , RR  RR 

R 

R     R 

18)  119.  Knabe 

10a.n.lO.V.91— 15.VL92 

RR 

RR 

RR  RR 

1 
RR  RR  1  R 

0 

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14)  408.  Mädchen 

7  a.n.  7.V.-3.VL  92 

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RR 

RR 

0 

0  ! 

R 

R 
R 

0 

0 

R 
R 

0 
0 

15)  162.  Knabe 

6  a.n.  I.V.— 21. V.  92 

RR 

RR  RR 

RR 

16)  136.  Mädchen 

12  a.  n.  14.  IV.— 26.  V.  92 

1 

RR 

RR 

RR  RR 

R 

0    X 

17)  7.  Mädchen 

10  a.n.  22. L— 9. II.  92 

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RR 

RR 

rr! 

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0 

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18)  15.  Mädchen 

7  a.  n.  5.  L— 18.  L  92 

0 

R 

RR 

Rift  RR 

RR 

R| 



19)  316.  Mädchen 

6  a.  n.  1.  IIL— 9.  IL  93 

RR 

RR 

RR 

RR 

') 

20)  394.  Mädchen 

6  a.n.  21. IV.— I.V.  93 

1 
RR  RRjRRiRRiRR 

RR 

R 

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1 

BJß 


die  t^  reicht  bis  zu  39^  oder  darüber  hinaus, 
die  t®  ißt  unter  39<*. 
Aufhören  des  Fiebers, 
starke  Reaction. 


R    deutliche  Reaction. 
0    keine  Reaction. 


Ueber  die  Diazoreaction  eta 


163 


abdominalis. 


j  16. 1 17. 118. 


19. 


20.1 2 1.1 22. 


23. 


24. 


25.  26.|27.  28.  29.  30.31.  Ausgang 


PnenmoD 
0     0  1 

.sin. 

Piie 
0 

1. 

x_ 

Verlauf  oomplicirt  m. 
Pemphigus  n.  Pneu- 
monie; genesen. 

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Genesen. 

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0 

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0 

1.  dextra 
0     0 

Verlauf  oomplio.  mit 
Pnoumonia ;  genesen. 

1 

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Genesen. 

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t  Exitus  letalis. 

1 
RR  RR  RR 

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Genesen. 

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Genesen. 

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Genesen. 

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Genesen. 

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Genesen. 

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Genesen. 





Genesen. 

Entlassen. 

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achwankungen  bis  zum  21.  Tage  an,  fast  ebenso  lange  un- 
gefähr bestand  auch  die  Ehrlich'sche  Reaction.  2  Fälle  (3  u.  5), 
allerdings  mit  Pneumonie  complicirt,  reichen  mit  ihrem  höheren 
Fieber   noch   länger   hinaus  —   bis   zum   25.  und   26.  Tage. 

Einer  endete  letal.    Die  Reaction  hatte  in  diesen  Fällen  schon 

11* 


164  W.  NisBen: 

frQher  aufgehört  und  scheint  überhaupt,  auch  bei  den  schwer- 
sten Typhen,  die  dritte  Woche  nicht  zu  überschreiten.  In 
6  Fällen  (1,  9,  11,  12,  13  u.  20)  reichen  die  höheren  Tem- 
peraturen bis  zum  14.  und  15.  Tage,  in  4  Fällen  (15,  16, 
17  u.  18)  bis  zum  11.  und  12.,  in  2  Fällen  (14,  19)  nur  bis 
zum  10.  Tage.  Die  Reaction  hielt  in  all'  diesen  Fällen  meist 
ebenso  lange  an  als  die  höheren  Temperaturschwankungen 
überhaupt,  seltener  überdauerte  sie  dieselben  um  1 — 2  Tage 
oder  hörte  auch  um  1 — 2  Tage  früher  auf. 

Der  Schwerpunkt  der  Diazoreaction  beim  Typhus  der 
Kinder  liegt  nun  keineswegs  darin,  dass  uns  aus  der  Dauer 
und  dem  Verhalten  der  Reaction  prognostische  Schlussfolge- 
rungen gestattet  würden  auf  die  Schwere  der  Erkrankung 
oder  den  zu  erwartenden  Ablauf  des  Fiebers,  als  vielmehr 
darin,  dass  uns  durch  die  Diazoreaction  gerade  im  Beginne 
des  Typhus  der  Kinder  ein  zuverlässiges  diagnostisches  Hilfs- 
mittel geboten  ist.  Aus  der  Tabelle  V  geht  hervor,  dass  die 
Reaction  manchmal  schon  am  4.,  jedenfalls  aber  am  6.  bis 
8.  Fiebertage  beim  Typhus  der  Kinder  intensiv  ausgesprochen 
vorhanden  ist  Wenn  nun  auch  zu  dieser  Zeit  oftmals  die 
Diagnose  Typhus  abdominalis  unter  der  Berücksichtigung  des 
gesammten  Symptomencomplexes  gewiss  gestellt  werden  kann, 
so  entbehren  wir  doch  häufig  jener  objpctiven  Symptome:  der 
Roseola  und  des  nachweisbaren  Milztumors  beim  Kinder- 
typhus, sodass  uns  jeder  anderweitige  objective  Hinweis,  wie 
die  Diazoreaction,  von  nicht  zu  unterschätzendem  Werth 
sein  muss.  Dieselbe  tritt  so  constant  beim  Typhus  mittleren 
oder  schweren  Grades  auf,  dass  ich  sie  unter  sämmtlichen 
24  Fällen  mit  4 — 2  wöchentlichem  Gesammtfieberverlauf  nur 
einmal  nicht  beobachtet  habe. 

Ganz  leichte  Typhusformen  —  abortive  Typhen  —  geben 
ebensowenig  wie  fieberhafte  Intestinalkatarrhe  die  Ehrlich- 
sche  Reaction.  Ist  daher  in  einer  scheinbar  typhösen 
Krankheit  zu  Ende  der  ersten  bis  Anfang  der  zweiten 
Fieberwoche  die  Diazoreaction  nicht  vorhanden,  so  geht 
daraus  so  gut  wie  sicher  hervor,  dass  im  gegebenen  Falle 
überhaupt  kein  oder  nur  ein  sehr  leichter  Typhus  besteht. 
Durch  medicamentöse  Behandlung  wird  die  Ehrlich'sche 
Reaction,  wie  überhaupt,  so  auch  beim  Typhus  keineswegs 
behindert.  Die  Reaction  hält  gewöhnlich  so  lange  an,  als 
die  hohen  Temperaturen  oder  Temperaturschwankungen 
bestehen,  ihre  Gesammtdauer  kann  demnach,  je  nach  der 
Schwere  des  Falles,  bis  zum  9.  Tage,  ja  bis  zum  Ende 
der  3.  Woche  hinausreichen,  ohne  jedoch  diese  äusserste 
Grenze  zu  überschreiten. 


r 


Ueber  die  Diazoreactioa  etc.  165 


4.  Lungenaffeotionen. 

Die  Diazoreaction  hat  für  das  grosse  Gebiet  der  Luugen- 
erkrankungen  des  Kindesalters  ein  besonderes  Interesse.  Das- 
selbe liegt  schon  darin  begründet,  dass  wir  mit  Hilfe  der 
Diazoreaction  einen  grossen  Theil  aller  tuberculösen  Processe 
durch  Vorhandensein  der  Reaction  von  nicht  tuberculösen 
unterscheiden  können.  Ich  werde  unten  des  Näheren  darauf 
einzugehen  haben.  Nebenbei  mochte  ich  jedoch  erwähnen, 
dass,  wenn  mir  auch  zu  Anfang  meiner  Untersuchungen  das 
Auftreten  der  Diazoreaction  bei  Lungenkrankheiten  einer  ge- 
gewissen Willkür  unterworfen  zu  sein  schien,  sich  doch  all- 
mählich durch  Ansammeln  von  Material  und  häafige  Auf- 
klärungen durch  Sectionsbefunde  eine  gewisse  Gesetzmässig- 
keit in  grosseren  Zügen  wohl  eruiren  liess. 

Mir  stehen  im  Ganzen  bei  228  auf  die  Ehrlich'sche  Reaction 
hin  beobachteten  lungenkranken  Kindern  77  Sectionen  zur 
Seite.  Die  Mehrzahl  der  untersuchten  Patienten  fällt  auf 
chronische  Pneumonie  und  Miliartuberculose,  ferner  auf  rein 
katarrhalische  Pneumonien,  croupose  Lungenentzündung,  Keuch- 
husten u.  s.  w.  —  Affectionen,  wie  sie  bereits  weiter  oben  in 
Tabelle  I,  II  u.  III  je  nach  ihrem  Verhalten  zur  Diazoreaction 
summarisch  zusammengestellt  sind.  Indem  ich  hier  nur  der 
Uebersicht  wegen  recapitulire,  dass  die  Reaction  bei  Bron- 
chitis (9  Fälle),  Pertussis  (24  Fälle),  Pneumonia  catarrhalis 
simplex  und  duplex  (49  Fälle  mit  14  Sectionen)  garnicht  auf- 
zutreten pflegte  (Tab.  I),  bedingungsweise  dagegen,  wie  oben 
des  Näheren  erörtert,  bei  Pleuropneumonie,  Pleuritis  und 
Laryngitis  (Tab.  11),  möchte  ich  nun  in  Kürze  auf  die  crou- 
pose Pneumonie  eingehen  und  sodann  auf  das  Verhalten  der 
Diazoreaction  bei  der  Phthisis  pulmonum. 

a.  Pneumonia  crouposa. 

Ehrlich  zählte  in  seiner  ersten  Veröffentlichung  die  crou- 
pose Pneumonie  zu  denjenigan  Krankheiten,  bei  denen  die 
Diazoreaction  im  Allgemeinen  nicht  vorzukommen  pflege.  Sein 
Schüler  Brecht^)  fand  dagegen  unter  68  Pneumonien  in 
16  Fällen  die  Reaction,  Fischer^)  unter  49  Fällen  9  mal. 
Beide  vertreten  die  Ansicht,  dass  die  Reaction  bei  Pneumonia 
crouposa,  wenn  sie  auftritt,  auf  Complication  hindeutet,  und 
behaupten,  dass  solche  Fälle  ihrer  Erfahrung  nach  eine  grössere 
Sterblichkeitszahl  liefern.     Ehrlich   schloss    sich  dieser  An- 


1)   Brecht  1.  c.        2)  Bruno  Fischer  1.  c. 


166  W.  Niaeen: 

Sicht  an.  Penzoldt*)  pflichtete  dem  nicht  bei.  Er  sah  unter 
7  Fällen  die  Reaction  3  mal  auftreten,  ohne  dass  diese  Fälle 
einen  besonders  schweren  Verlauf  nahmen.  Georgiewsky*) 
beobachtete  acht  croup5se  Peumonien,  von  denen  nur  eine 
Reaction  zeigte;  der  Verlauf  ging  ohne  Complication  von 
Statten.  Brewing*)  endlich  führt  14  Fälle  an.  Die  Reaction 
fehlte  während  des  ganzen  Verlaufs  bei  9.  Die  5  Fälle  mit 
Reaction  wichen  in  ihrem  Verlauf  aber  nicht  von  der  Norm 
ab  etc. 

Ich  verfüge  über  30  Fälle  crouposer  Pneumonie,  die  so- 
wohl ihrem  typischen  Fieberverlauf  nach  als  auch  entsprechend 
dem  objectiven  Lungenbefund  als  croupöse  Lungenentzündung 
anzusehen  waren.  22  von  ihnen  verliefen  mit  typischer  Krisis 
am  7. — 9.  Tage,  2  Fälle  endigten  lytisch  und  zu  6  gesellten 
sich,  theils  nach  erfolgter  Krisis,  zum  Theil  aber  schon,  ehe 
es  zu  dieser  kam,  pleuritische  Erscheinungen  hinzu,  die  den 
Temperaturablauf  mehr  oder  weniger  modificirten. 

Unter  meinen  30  Pneumonien  fand  sich  auf  der  Hohe 
des  Fiebers  die  Reaction  in  16  Fällen,  in  14  dagegen  war 
sie  während  des  ganzen  Verlaufs  der  Erkrankung  nicht  an- 
getroffen. Früher  als  am  dritten  Fiebertage  hatte  ich  nicht 
Gelegenheit  die  Diazoreaction  bei  Pneumoniekranken  anzu- 
stellen. Die  Reaction  fand  sich  aber,  wo  sie  überhaupt  vor- 
kam, um  diese  Zeit  schon  ausgesprochen.  Sie  hielt  sich  dann 
durchschnittlich  fast  genau  bis  zur  Erisis,  meist  horte  sie 
ziemlich  scharf  mit  derselben  auf,  seltener  überdauerte  sie  die 
Erisis  um  1 — 2  Tage  in  schwächer  ausgesprochener  Form. 
Zu  den  mit  Reaction  einhergegangenen  Fällen  zählen  5  Pneu- 
monien, die  mit  pleuritischen  Erscheinungen  complicirt  waren^ 
ebenso  gehorten  auch  die  einzigen  2  letal  verlaufenen  Fälle 
zu  denjenigen,  die  Diazoreaction  aufwiesen.  Daraus  mochte 
ich  jedoch  noch  nicht  den  Schluss  ziehen,  dass  croupöse  Pneu- 
monien, die  die  Ehrlich'sche  Reaction  zeigen,  durchweg  einen 
schweren  Verlauf  erwarten  lassen,  da  ebenso  auch  leichtere, 
durchaus  normal  von  Statten  gegangene  Pneumonien  die  Reaction 
ergaben,  und  andrerseits  wiederum  einige  jener  Pneumonien, 
die  keine  Diazoreaction  darboten,  auch  von  relativ  schwerem 
Verlauf  waren  mit  hohem  Fieber  und  stärkerer  Inanspruch- 
nahme des  Sensorium  oder  auch  mit  pleuritischen  Erschei- 
nungen complicirt  wie  in  einem  Falle. 

Immerhin  ist  aber  die  Thatsache  auffallend,  dass  bei  ein 
und  derselben  klinisch  gekennzeichneten  Affection  die  Diazo- 
reaction im  Harn  bald  vorkommt,  bald  nichi  Und  es  drängt 
sich  einem  unwillkürlich  dabei  die  Frage  auf,  ob  nicht  zwei 

1)  Penzoldt  1.  c.        2)  Georgiewsky  1.  c.        8)  Brewing  1.  c. 


Ueber  die  Diazoreaction  etc.  167 

Falle,  deren  Gleichartigkeit  klinisch  durch  Percussion  und 
Auscultation^  sowie  durch  den  Fieberverlauf  festgestellt  ist, 
trotzdem  von  einander  verschieden  sind  hinsichtlich  des  in- 
fectiosen  Agens  der  Erkrankung,  dessen  Anwesenheit  im  Or- 
ganismas in  dem  einen  Fall  im  Harn  die  Diazoreaction  be- 
dingt, in  dem  anderen  aber  nicht. 

Für  die  Diagnose  einer  croupösen  Pneumonie  im  kli- 
nischen Sinn  hat  die  Diazoreaction ,  die  bald  angetroffen 
wird,  bald  nicht,  demnach  keinen  besonderen  Werth.  Ist 
die  Reaction  vorhanden  in  einem  Fall,  der  uns  als  crou- 
pose  Pneumonie  imponirt,  so  kann  unsere  Diagnose  da- 
durch wohl  erhärtet  werden  und  die  Reaction  uns  even- 
tuell sogar  einen  schwereren  Verlauf  prognosticiren,  fehlt 
sie  aber,  so  wird  unsere  Diagnose  dadurch  keineswegs  um- 
gestossen. 

b.  Phthisis  pulmonum. 

Ueber  das  Auftreten  der  Diazoreaction  bei  der  Phthisis 
pulmonum  herrscht  in  der  einschlägigen  Literatur  ziemlich 
übereinstimmend  die  Angabe,  dass  die  Reaction  im  Verlauf 
dieser  Erkrankung  sehr  häufig  vorzukommen  pflegt,  wenn  auch 
nicht  in  so  regelmässiger  Weise  wie  etwa  beim  Typhus  oder 
bei  Morbillen. 

Ich  will  hier  aus  der  Reihe  der  Autoren  einige  mir 
wichtig  erscheinende  Angaben  speciell  hervorheben. 

Escherich^)  fand  unter  89  auf  der  medicin.  Station 
überhaupt  untersuchten  Kranken  12,  welche  positiven  Befund 
hinsichtlich  der  Diazoreaction  ergaben.  Sämmtlich  gehörten 
sie  vorgeschrittenen  Fällen  von  Phthisis  pulmonum  mit  Com- 
plicationen  an.  6  andere  Phthisiker  zeigten  während  eines 
kurzen  Zeitraumes  der  Untersuchung  keine  Reaction.  In  wei- 
teren 20  Fällen  von  Phthisis  wurde  der  Harn  einige  Wochen 
hindurch  untersucht^  wobei  nur  4  Kranke  die  Reaction  nie- 
mals aufwiesen. 

Brewing^)  führt  an,  dass  unter  8  Phthisikern  6  Patienten 
Reaction  zeigten.  4  dieser  Phthisen  mit  Reaction  befanden 
sich  in  extremis  und  verliefen  letal;  die  beiden  anderen  mit 
Reaction  betrafen  Phthisis  incipiens  und  ,;War  die  Diazo- 
reaction dem  Anfangsstadium  entsprechend  bei  diesen  In- 
dividuen nur  schwach  entwickelt'^ 

Grundies^),  der  das  Hauptgewicht  bei  Bestimmung  der 
Intensität  der  Reaction  auf  den  innerhalb  24  Stunden  ent- 
standenen Niederschlag  legte,  untersuchte  64  Lungenschwiud- 


1)  Escherich  1.  c.        2)  Brewing  1.  c.        3)  Grandios  1.  c. 


168  W.  Nissen: 

sfichtige,  Yon  denen  34  ihrer  Lungenaffection  während  der 
Beobachtungszeit  erlagen,  lieber  Sectionsbefunde  finden  sich 
jedoch  ebenso  wie  bei  den  meisten  anderen  Autoren  keine 
näheren  Angaben.  Escherich's  64  Kranke  hatten  zuneh- 
mende und  starke  Diazoreaction  gegen  den  tödtlichen  Aus- 
gang hin,  mindestens  4 — 5  Tage  vorher.  6  Fälle  waren  mit 
überwiegend  starker  Reaction,  von  denen  nur  einer  wahrend 
der  ganzen  Zeit  kein  Fieber  hatte.  12  Phthisiker  hatten  nie 
Reaction  (trotz  50— 73  maliger  Untersuchung)  und  befanden 
sich  relativ  ganz  wohl  während  dieser  Zeit,  darunter  waren 
auch  Kranke  mit  Höhlenbildung.  Tuberkel bacillen  waren  fast 
durchweg  in  allen  Fällen  wiederholt  nachgewiesen.  Die  Stärke 
der  Reaction  stand  aber  in  keiner  ersichtlichen  Beziehung 
weder  zur  gefundenen  Bacillenmenge  noch  zu  der  Hohe  der 
Temperatur. 

Gold  Schmidt^)  führt  an,  dass  die  Reaction  constant 
bei  der  Miliartuberculose  auftritt,  während  sie  zuweilen  nach- 
weisbar ist  bei  der  Tuberculose.  Hier  scheine  ihr  Auftreten 
ein  prognostisch  ungünstiges  Zeichen  zu  sein. 

Ehrlich*)  hatte  schon  gleich  in  seiner  ersten  Veröffent- 
lichung darauf  hingewiesen,  dass  1.  das  Auftreten  von  Reaction 
bei  Phthisis  pulmonum  von  übler  Vorbedeutung  sei  und  dass 
2.  lauge  andauernde  Reaction  ohne  Fieber  auf  Lungenschwind- 
sucht hindeute.  Später^  führte  er  des  Weiteren  an,  die  Re- 
action pflege  bei  Phthisis  pulmonum  rrnd  zwar  gerade  in 
schwereren  Fällen  ein  ausserordentlich  häufiges  Vorkommniss 
zu  sein  und  bieten  die  Fälle,  die  anhaltend  lange  Reaction 
zeigen,  eine  schlechte  Prognose.  Ehrlich^)  hat  sich  auch 
die  Frage  vorgelegt,  von  welchen  Factoren  das  Auftreten  der 
Reaction  bei  Phthisis  pulmonum  abhänge?  Vom  Fieber  ist 
sie  nicht  abhängig,  da  auch  schwere,  afebril  verlaufende 
Phthisen  wochenlang  ausgeprägte  Reaction  zeigen  können. 
Ebenso  wenig  stehe  die  Reaction  in  Zusammenhang  mit  der 
Entwickelung  von  Miliartuberkeln. 

Auch  Georgiewsky*)  erwähnt,  dass  es  ihm  „trotz  ca.  100 
vorgenommener  Harnproben  leider  nicht  gelang,  die  Bedin- 
gungen des  Auftretens  der  Reaction  aufzuklären'^*  y,die  Reaction 
tritt  bei  den  chronischen  Erkrankungen  des  Lungengewebes 
in  den  einen  Fällen  ein,  in  den  anderen  nicht.  Bei  ein  und 
demselben  Kranken  ist  die  Reaction  bald  vorhanden,  bald 
schwindet  sie.    Zwischen  Gegenwart  von  Bacillen  im  Sputum 

1)  Goldschmidt  ].  c. 

2)  Ehrlich,  Ueber  eine  neae  Harnprobe.    Oharitö-ADnalen  VIII.  Bd. 

issa. 

3^  Ehrlich,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1884.  S.  419.     4)  Ibid. 
6)  Georgiewsky  1.  c. 


Ueber  die  Diazoreaction  etc.  169 

und  Auftreten   der  Reaction   stellte   sich   auch   kein   directer 
Zusammenhang  heraus. 

„In  einem  Fall;  der  an  Miliartubercülose  zu  Grunde  ging 
mit  relativ  geringfügigem  Lungenbefund,  aber  mit  einer  Menge 
von  Bacillen  im  Sputum,  war  die  Reaction  purpurfarbig. 

„Ein  Kranker  mit  käsiger  Pneumonie,  der  bei  der  Auf- 
nahme erhöhte  Temperatur  hatte,  im  Sputum  viele  Bacillen 
aufwies,  ergab  im  Harn  einfach  rothe  Reaction.  Nach  drei 
Wochen,  als  Pat.  entlassen  wurde,  verschwand  die  Reaction 
im  Harn. '  Bacillen  im  Sputum  vermochte  man  nicht  mehr 
zu  finden.  Ein  Zusammenhang  zwischen  Anwesenheit  der 
Reaction  und  dem  Fieberzustand  Hess  sich  nicht  constatiren, 
denn  mehrere  phthisische  Kranke,  welche  fieberten,  ergaben 
keine  Reaction,  andrerseits  bestand  Reaction  bei  solchen,  die 
wiederum  nicht  fieberten/' 

Diese  Aeusserungen  Georgiewsky^s  schildern  gewisser- 
maassen  treffend  jene  Willkür,  mit  der,  wie  ich  oben  hervor- 
hob, auch  mir  anfangs  das  Auftreten  der  Diazoreaction  bei 
Phthisis  pulmonum  verknüpft  zu  sein  schien.  Und  doch  lässt 
sich  trotz  alledem,  wie  ich  gleichzeitig  erwähnte,  eine  ge- 
wisse Gesetzmässigkeit,  ein  bis  zu  gewissem  Grade  typisches 
Verhalten  der  Reaction  im  Grossen  und  Ganzen  bei  den  ver- 
schiedenen Formen  der  Phthisis  durchaus  wohl  eruiren. 

Das  geeignetste  Material,  an  dem  sich  nach  dieser  Rich- 
tung passende  Beobachtungen  anstellen  lassen,  ist  aber  das 
Krankenmaterial  des  kindlichen  Alters,  wo  man  den  ganzen 
Ablauf  phthisischer  Lungenprocesse  gewissermaassen  vom  ersten 
Anbeginn  bis  zum  tödtlicben  Ausgang  oft  in  rascher  Folge 
an  demselben  Individuum  beobachten  kann  —  anders,  als 
einem  das  bei  erwachsenen  Hospitalkranken 'geboten  ist.  Von 
wesentlichem  Werth  ist  dann  natürlich  noch  die  sich  so  häufig 
darbietende  Section. 

Meine  Harnuntersuchungen  beziehen  sich  im  Ganzen  auf 
78  Falle  von  „Phthisis",  worunter  47  zur  Section  kamen.  Die 
bei  Weitem  grössere  Mehrzahl  der  untersuchten  Kranken  fallt 
auf  das  1.  bis  6.  Lebensjahr  —  die  übrigen  bis  zum  14. 
36  Kranke  mit  14  Sectionen  hatten  chronische  Pneumonie, 
42,  die  sämmtlich  letal  endeten,  wiesen  bei  33  Sectionen 
Miliartubercülose  auf. 

Ich  muss  nun  hier  gleich  hervorheben,  dass  der  Begriff 
„Phthisis  pulmonum''  hinsichtlich  der  Diazoreaction  ein  zu 
weit  gefasster  ist.     Wenigstens  gilt  das  für  Kinder. 

Will  man  hier  das  verschiedenartige  Verhalten  der  Re- 
action im  Yerhältniss  zum  klinischen  oder  besser  zum  patho- 
logisch-anatomischen Befund  analysiren,  so  hat  man  im  Wesent* 


170  W.  Nissen: 

liehen,  wie  ich  das  auf  Grund  meiner  Beobachtungen  anführen 
kann,  drei  yerschiedene  Gruppen  auseinander  zu  .halten: 

I.  Die  Reaction  wird  während  einer  längeren  Beob- 
achtungszeit garnicht  oder  nur  hin  und  wieder  vorüber- 
gehend angetroffen  und  meist  nicht  in  sehr  starker  Inten- 
sität. 

Das  ist  der  Fall  bei  der  chronischen  käsigen  Pneu- 
monie, soweit  sie  als  solche  unter  Bildung  Ton  käsigen 
Herden  und  Cavernen  ohne  Tuberkeleruption  allmählich 
ihren  letalen  Abschluss  findet  Dieses  Verhalten  -trifft 
man  mehr  bei  grosseren  als  bei  kleinen  Kindern. 

IL    Die   Reaction    tritt    zeitweilig    auf,    bleibt    sodann 
•    wiederholt  aus,  stellt  sich  wieder  ein,  um  endlich  einige 
Tage  bis  Wochen  vor  dem  letalen  Ausgang  ziemlich  in- 
tensiv ausgesprochen  zu  persistiren. 

Das  ist  der  Fall  bei  chronischen  käsigen  Pneumonien, 
die  mit  Tuberkelbildung,  Miliartuberculose,  vergesellschaftet 
einhergehen.  Diese  Form,  die  Orth^)  nicht  mit  Unrecht 
pathologisch-anatomisch  als  „tuberculöse  käsige  Pneumonie'' 
bezeichnet  wissen  will,  kommt  überaus  häufig  vor. 

III.  Die  Reaction  ist  anfangs  bei  etwa  klinisch  kaum 
nachweisbaren  bronchitischen  oder  pneumo-katarrhalischen 
Erscheinungen  nicht  vorhanden,  tritt  dann  aber  plötzlich 
und  sehr  intensiv  auf  und  verharrt  so  bis  zu  dem  oftmals 
in  kurzer  Zeit  erfolgenden  Exitus  letalis. 

Dieses  Vorkommen  findet  sich  in  denjenigen  Fällen,  die 
sich  uns  pathologisch -anatomisch  als  typische  allgemeine 
Miliartuberculose  zu  erkennen  geben.  Es  tritt  diese  Form 
namentlich  bei  kleinen  Kindern  sehr  häufig  auf,  da  ja 
Kinder,  wie  s.  Z.  bereits  Michael,  Weigert  u.  Biedert 
darauf  hingewiesen  haben,  beim  Vorhandensein  irgend 
welcher  localtuberculoser  Herde  für  eine  acute  allgemeine 
Eruption  mehr  disponirt  sind  als  Erwachsene. 

Ich  habe  meinen  Protokollen  eine  Anzahl  von  Kranken- 
geschichten entnommen  und  sie  tabellarisch  zusammengestellt. 
Ein  Einblick  in  die  Tabellen  VI,  VII,  VIII  wird  den  Versuch 
jenes  von  mir  aufgestellten  Schemas  der  Gruppirung  von 
tuberculösen  Kranken  je  nach  dem  Verhalten  der  Diazoreaction 
rechtfertigen:^ 


1)   Orth,   Lehrb.   d.    speciellen   Pathologie   u.   Anatomie   2.   Lief. 
S.  426  u.  f. 


Ueber  die  Diazoreaction  etc. 


171 


Tabelle  VI.    L  Fneumonia  chronica  caseosa. 

1}  Anna  Schamachin  13  a.  n.  No.  91.  17.11.  —  10.  V.  1892. 


17.  II. 


3.  III. 

4.  III. 

5.  iir. 

8.  III. 
17.  III. 
20.  III. 

29.  III. 

30.  III. 

12.  IV. 

13.  IV. 
24.  IV. 

3.V. 


4.V. 
10.  V. 


2  Monate  krank.  Starker  Hnaten,  Fieber.  — 
Rechts  Tom  iofraclaviculär  und  in  fossa 
snpraspin.  dextra  Dämpfung,  bronch. 
Athmen  und  conson.  Bassein. 


In  fossa  suprasp.  d.  hat  das  Bassein  metall. 
Charakter  angenommen. 


Im  Sputum  Bacillen. 


Sichtlich  zunehmende  Schwäche.  In  beiden 
Lungenspitzen  hinten  und  vom  Dämpfuog 
abwechselnd  mit  tjmpan.  Schall,  cons. 
Rasseln,  bronch.  Athmen  und  öfters  am- 
phor.  Athmen. 

Exitus  letalis. 


0 


0 

0 
R 
0 
0 
0 
R 
R 
0 
0 
0 
0 


0 


38,7 


Temp. 
bis  z. 

normal 
2.  III. 

39,5 

40,0 

38,0 
38,8 

38,0 
39,4 

38,4 
38,6 
38,6 

40,1 
38,8 
38,7 

Abendtemp. 

schwanken 

zwischen 

38,7     40,6 


Section:   Pneumonia  chronica  cas.  Cavernae  in  apicibus.    Pleuritis 
adhaeaiva  dextra.    (Sämmtliche  Organe  frei  von  Tuberkeln.) 


2)  Marie  Waninen  15  a.  n.  No.  17.  6.  XL  1890 —  24.  IL  1891. 


22.  L 


25.1. 
4.  IL 

11.  IL 

14.  n. 

23.  II. 

24.  n. 


Seit  langer  Zeit  schon  krank.  Stark  re- 
ducirter  Eörperzust.  In  beiden  Lungen- 
spitzen die  Erscheinungen  von  Gavemen- 
bildung. 

Im  Sputum  reichl.  Bacillen. 

Rapide  Abmagerung  und  Verfall  derEörper- 
kräfte. 


Exitus  letalis. 


BR 


37,4       37,8 


R 

37,2 

39,9 

R 

38,0 

39,0 

R 

39,5 

39,5 

0 

38,7 

39,0 

0 

39,0 

— 

0 

Section:  Pneum.  chron.  (Cavernae  in  apicibus).  Ulcera  ilei  et 
colonis.  Perihepatitis  et  Perisplenitis.  Degeneratio  caseosa  glandul. 
bronchial,  et  mesent. 


172 


W.  Niasen: 


S)  Iwan  Moloahawsky  6  a.  n.    No.  139.  17.  IL  —  6.  V.  1892. 


19.  II. 


Exquisite  Atrophie.  Lymphdrüsen  des 
Halses  nod  der  Inguinalgegend  stark  ge- 
schwellt. Unter  der  r.  Scapnla  Dämpfung 
und  verschärftes  Athmen.  Trockene 
Rasselgeräusche. 


0   '  37,3      37,3 


20.  IL 
24.  IL 
6.  IIL 
13.IIL 

14.  III.     Am  23.  IIL  wird  Patient  in  ziemlich  decre- 
pidem,  wenn  auch  etwas  gebess.  Zustand 
ausgeschrieben.    Am  4.  Y.  wird  er  mori- 
I     bnnd  ins  Hospital  gebracht. 
6.  V.      I  Exitus  letalis. 
Section:    Enteritis   foUic.  intestini    crassi.       D 
gland.  bronch.  et  mesenter.    Pneum.  cat.  pulmonum. 


0 

37,8      37,4 

0 

37,6       38,8 

0 

37,0        — 

0 

fieberfrei 

0 

fieberfrei 

0 

fieberfrei 

3ffene 

ratio   caseosa 

4)  Pelageja  Parfirjew   3a.n.    No.  362.    2.IV.  — 8.IV.1893. 

4.  IV.      Schwaches,  atroph.  Kind  mit  ödematösen  '    0   |- 38,3      38,9 

Hantdecken.    Unter  der  rechten  Scapula 

tympanitisch  -  gedämpfter     Percussions- 

schall,  bronch.  Athmen,  metall.  klingen- 

des  Rasseln. 

Starke  Dyspnoe  und  Cyanose.    Ueber  der 

ganzen  r.  Lunge  tymp.  Schall.  Athmungs- 

geräusch  hier  abgeschwächt  mit  amphor. 

Beiklang  etc. 

Exitus  letalis. 

Section:  Pneumothorax  d.  Pneum.  chron.  caseosa.  Caverna  lobi  inf. 

pulm.  dextrae.    Hypertrophia  et  deg.  caseosa  gland.  bronch.  et  mesent. 

Tubercula  caseosa  hepatis,  splenis  et  rennm.    Enteritis  follic.  chronica. 


6.  IV. 


7.  IV. 


0 


37,8      39,5 


0  J  36,0       — 


6)  Darja  Schipowalow  14a.n.    No.  171.     16. IX.  1892  —  8. L  1893. 

37,0      88,0 


18.  IX. 


R 


In  beiden  Lungenspitzen  besonders  rechts 
supra-  und  infraclaviculär  gedämpfter 
Percussionsschall,  bronchiales  Exspirium 
und  cons.  Rasseln.  Patient  ist  sehr  anä- 
misch aussehend  und  abgemagert.  Kör- 
pergewicht 33,6  Kilo. 

21.  IX.      Im  Sputum  reichl.  Bacillen.  R 

22.  X.      Allgemeinzustand    bessert    sich    wesentl.      0 
Körpergew.  36,6  Kilo.  Zunahme  3,0  Kilo. 

4.  Xn.      Zunehmende ,   auffallende   Besserung.     In  t   O 
beiden  Lungenspitzen  Dämpfung  und  ver> 
schärfbes    Athmen,    aber    kein  Rasseln. 
Körpergewicht  42,0  Kilo. 

4.  J.  Körperffew. 44,0  Kilo.  Zunahme  um  10  Kilo ! !  0 
8.1.  In  beiden  Lungenspitzen  neben  gedämpf-  0 
tem  Percussionsschall  verschärftes  Athmen. 
Kein  Rasseln. 
Entlassen  mit  wesentL  Besserung.  Körpergewichtszunahme  um 
10  Kilo.  Nach  4  Monaten,  im  Mai  1893,  stellte  Pat.  sich  ambulatorisch 
vor:  Ernährungszustand  wieder  stark  reducirt.  In  beiden  Lungenspitzen 
vorn  und  suprascapulär  Dämpfung  u.  reichl.  conson.  Rasselgerilusche. 


37,1      38,2 

Begelm&uig 
Abends  Fiebet 
Torbanden  bis 
sum  1.  Not.  9i. 


FieberfreL 


Ueber  die  Diazoreaction  etc. 


173 


6)  Alexander  Kubjakow  4a.D.    No.  193.    20. X. 92  —  7. III. 93. 


6.x. 


12.x. 
16.x. 
17.x. 
22.x. 


17.  XI. 
9.  XII. 


3.1. 
18.1. 


Knabe  yon  mittl.  ErDährnngszustand  mit 
starker  Drüsenscbwellung  am  Halse  nebst 
Narbenbildnng.  Eitriger  Obrenflass.  Ueber 
der  recbten  Lunge  zerstreutes  trockenes 
und  feuchtes  Rasseln.  Im  Gebiet  der 
rechten  und  linken  Scapula  und  intra- 
scapulär  Broncbialathmen.  Unter  der 
1.  Scapula  feuchtes  Rasseln. 

ECrperge wicht  13  Kilo. 


Unterhalb  der  rechten  Clavicnla  bruit  de 
pot  fäl^  und  bronch.  Athmen. 


16.11. 


i.m. 
7.m. 


Lautes  Broncbialathmen  hinten  intrasca- 
pulär  und  vorn  auf  dem  Stemum.  Starke 
•Schmerzen  im  r.  Hüftgelenk.    Coxitis  d. 

• 

Ueber  der  r.  Clavicnla,  im  Gebiet  der  r. 
Scapula  sowie  intrascapulär  gedämpfter 
Percussionsschall  und  bronch.  Athmen. 
Starker  Husten. 

Schmerzen  und  Schwellung  des  r.  Hüft- 
gelenks geschwunden.  AlTgemeinzustand 
bessert  sich  unter  zieml.  gleicbbleibcnder 
Persistenz  der  Lungenerscheinungen. 

Körpergewicht  12,6  Kilo. 

Wird  nach  Hause  genommen. 


0 


38,0      37,4 


0 
0 
0 
0 


0 

0 


0 
0 


0 


0 


37,5 
37,8 
37,3 
37,7 


37,0 
36,2 


37,0 
37,8 


38,0 
37,6 
37,2 
39,0 


38,0 
37,4 


37,9 


Fieberfrei. 


Entlassen  ohne  wesentliche  Besserung. 


Tabelle  YII.    IL  Pnenmonia  oaseosa  -f-  TnberculoBis  miliaria 

(,^neumonia  caseosa  tuberculosa'^). 

1)  Wera  Bulanow  6a.n.    No.  311.    6.in.  —  1.  VIL  1893. 


6.  m. 


8.ni. 

20.  UI. 

21.  lU. 

22.  UI. 
25.  IIL 
30.  III. 

l.IV. 

6.  IV. 

8.  IV. 
10.  IV. 
15.  IV. 


Abgemagertes  M.  Ueber  der  ganzen  rechten 
Lunge  vom  und  hinten  Dämpfung.  Stark 
abgeschwächtes  Athmen  in  den  unteren 
Partien,  in  der  Gegend  der  Spina  scap. 
Broncbialathmen.  Hier  sowie  vorn  links 
supraclaviculär  conson.  Rasseln. 


RR 


Probepunktion:    serös 
exsndat  rechtsseitig. 


fibrinöses    Pleura- 


In   der  linken   Lungenspitze    hinten   und 
vom  knisternde  trockene  Rasselgeräusche. 


0 
RR 

0 

0 

0 
RR 

R 
RR 

0 

R 

R 


37,ö 


38,0 


36,5 
36,3 
38,4 
38,8 
38,8 
38,6 
39,4 
39,5 
38,1 


38,8 
37,7 

37,4 
37,0 
38,2 
37,5 
38,3 
37,8 
39,0 
39,0 
38,8 


174 


W.  Nissen: 


24.  IV. 
8.V. 

24.  V. 

8.  VI. 

9.  VI. 
16.  VI. 


16.  Vf. 
19.  VI. 
1.  VII. 


Fast  über  der  ganzen  linken  Lunge  ge- 
dämpfter Schall  mit  conson.  Bassein. 
Drüsen  Schwellung  des  Halses.  Zunebm. 
Schwäche. 


Exitus  letalis. 


RR 
R 

0 

0 

0 

RR 


RR 
R 


38,6 
38,6 

38,8 
38,0 
38,0 
87,7 


39,3 
39,2 

38,0 
38,6 
38,0 
39,3 


36,0 
38,8 


38,3 
38,1 


Section:  Pneum.  -caseosa  duplex.  Pleurit.  haemorrh.  sin.  Tuber> 
cula  miliaria  et  caseosa  disseminata  hepatis  et  lienis.  Degenerat.  et 
Hypertroph,  gland.  bronch.  et  mesent. 


21.1.92 


24.1. 
8.  II. 


2)  Sergej  Efimow  6  a.  n.    No.  13.    20.  X.  91  —  24.  IV.  92. 

I  Patient  hat  im  Hospital  die  Masern  durch- 
I     gemacht  und  wird  unter  der  Diagnose 

Pneumon.  cat.  post  morbillos  der  internen 

Abtheilung  übergeben.  Starke  Schwellung 

der  Lymphdrüsen  am  Halse. 
In   beiden   unteren  Lungenpartien   hinten 

Dämpfung,  klingendes  Rasseln  und  am- 

phonsch.  Athmen. 


20.  II. 

7.  m. 

14.  III. 
16.  III. 
16.  III. 

29.  m. 

30.  III. 
8.  IV. 
11.  IV. 
22.  IV. 


23.  IV. 

24.  IV. 


Amphor.  klingendes  Athmen  geschwunden, 
blos  cons.  Rasseln  in  massiger  Quan- 
tität hinten  in  beiden  Lungen  neben 
bronch.  Athmen. 


Fortdauernde  Lymphdrüsenschwellnng.   In 
den  Lungen  stat.  idem. 


Seit  heute  Coma,  Gheyne- St. -Athmen, 
Pupillenerweiterung.  Irreg.  Puls.  Me- 
ningitis. 

Exitus  letalis. 


R 


R 
0 


0 
0 
R 
0 
0 

R 

R 

RR 

RR 

RR 


RR 


38»0      38,6 


39,1 
37,6 

37,2 
38,7 

39,3 
39,9 
39,1 
39,2 
89,7 

40,4 
88,5 
88,2 
38,6 
88,0 

37,9 
37,0 
38,6 
40,1 

38,6 
38,0 
39,0 
39,0 

38,3 

37,1 

37,8      37,0 


Section:  Pneumonia  chronica  caseosa  sin.  et  dextra.  Meningitis 
tuberculosa.  Tuberculosis  miliaria  universalis  (pulmonum,  hepatis, 
cordis,  lienis). 


y 


3)    Ai 

18.  V. 


8.  VI. 
3.  VI. 

9.  VI. 


12.  VI, 
18.  VI. 
16.  VI. 
18.  VI. 


26.  vm. 
28.  vm. 

2.  IX. 
*.IX. 
5.  IX. 


Geber  die  Diazoreaction  etc. 

la  MadialewBkj    l2a.D.    No.  4SI.     10.' 

Mädchen   gracilea   KOrperbaneB  —  aafge- 

DommeD    mit    deo   ErBcheiaatigen    Ton 

Scoibnt.  Milzach wel lang.  IndeDLau^eu 

normaler  Befand.    EOrpergew.  26  Kilo. 

ErBcbeiDUDgeti  v.  Scorbnt  zmtickgegaDgeD. 

Beginnen  der  Husten. 

In  beiden  Longen  trockenes  Bassein.  Hin- 
ten rechts  sabscapulSr  abgeschwächtes 
Athmen.    EOrpergew.  S6  Kilo. 


In  der  linken  Lange  supraclavicnlüre  und 
in  foBsa  ■apraspin.  am.  sonore  Rassel- 
gerSnsche.  Hinten  rechts  in  der  Oegend 
des  n.~IV.  Bnutwirbels  recht  verschärf- 
tes Athmen.  FercnSBionsschall  nirgends 
wesentlich  verändert. 

Patientin  wird  zur  Erholung  aufs  Ltfnd 
geschickt.     Eflrpergew,  8&,G  Kilo. 

Patientin  ist  in  recht  schw&chl.jZustand  vom 
Lande  snrQckgekehrt  —  mit  redncirtem 
Körpergew.  24,6  Kilo. 

Fm  Gebiet  der  linken  Scapnla  Dämpfung 
nnd  snbcrepitirendeB  Rasseln.  Ebenso 
vom  in  beiden  fossoe  aubclaviculares. 

Haemoptoe. 

Starke,  znnehmende  Schwäche. 


ComatOaer  Znstand. 

Eiitns  letalis. 
Section:  Poenmonia  caseosa.    Peribronohitis 
tabercnloBa  basilaris.  Perihepatitis j  Tobercnla  miliaris 
caseosa  lienis.  Degen,  glanoolanim  broncb.  caseosa. 


Iril 


39,0  39,7 

39,4  40,0 

39,2  40,0 

39,0  39,C 


Meningitis 
hepatis.  Tubercula 


i)  Nadeshda  Ensmin  2  a.  3  m.  No.822.  21.XI.S 
23.  XI.  Seit  6  Monaten  krank  —  nach  Masern. 
Es  besteht  Hnsten  nnd  Durchfall. 
Ueber  der  rechten  Lnnge  besteht  ge- 
dämpfter Schall;  hinten  sind  leichl. 
COnson.BasselgeränBchhOrbar,  zamTheil 
auch  links  hinten. 


8.XIL 
16.  XII. 
20.  XH. 
30.XIL 


RR 
RR 


S8,I 


Exitus  letalis. 

ction:  Pleuropneomonia  caseosa  tnbercolosa  deitra  omninm 
1  et  sinistra  loci  inf.  Deg.  cas.  gland.  bronch.  Caverna  pntm. 
ercnlosis  miliaris  hepatis,  lienis,  rennm. 


178 


W.  Nissen: 


7)  Wladimir  Shirokow  8a. n.    No.8.    8. XII.  91  -  17.1.92. 


8.1. 


4.1. 

6.1. 

7.11. 
10.  II. 
12.  II. 


13.  IL 
17.  II. 


Ziemlich  wohlgenährter  Knabe  —  idiotisch. 

In  den  Lungen  die  Erscheinung  von  difiP. 

Bronchitis.    Otitis  m.  d. 
Ausschlag  Ton  Varicellen. 

Abtrocknen  der  Pusteln. 

In  Anbetracht  der  Persistenz  des  Fiebers 
(keine  palpable  Milz)  wird  an  Typhus 
gedacht  Der  Longenbefnnd  ziemlich 
negativ. 


0 

RR 
RR 
RR 


RK 


89,1      89,2 


38,7 
40,2 
40,0 
39,6 
39,6 


39,4 
89,6 
88,7 
40,0 
40,2 


39,0      39,8 


Exitus  letalis. 

Section:  Tuberculosis  miliaris  uniTersalis  (pulm.,  hepatis,  splenis, 
pancreatis,  intestinorum).    Oedema  meningum. 


8)  Katharine  Zink  2  a.  n.    No.26L     7.  L  — 8.  IL  93. 


7.L 


8.  L 
16.  L 
19.  L 

22.  L 

26.  L 

27.  L 
3.  IL 


Schwächl.  gebautea  und  ernährtes  Mädchen. 
In  beiden  Lungen  hinten  massiges  mittel- 
grossblas.  Rasseln. 


Stärkerer  Husten.  In  beiden  Lungen  hinten 
subcrep.  Rass.  Percussion  unTeränderi 


Zunehmende  Schwäche.  In  der  rechten 
Lunge  Percussionsschall  gedämpft  — 
cons.  Rasseln. 


RR 


RR 

R 

R 

R 
RR 
RR 
RR 


37,2 
38,0 
89,0 

37,8 
37,8 
38,8 
38,2 


37,4 


87,4 
38,2 
40,3 

38,4 
88,1 
88,3 
88,0 


6.  IL  RR    88,3      39,6 

8.  IL  Exitus  letalis. 
Section:  Tuberculosis  miliaris  univers.  (hepatis,  lienum,  rennm). 
Pneum.  cas.  lobi  inf.,  pulm.  dextr.  Pleuritis  adbaesiva  dextra.  Deg, 
cas.  gland.  bronch. 


Ich  kann  noch  hinzufügen,  dass  es  ans  öfters  gelang, 
geradezu  nur  auf  Grund  der  mit  der  Diazoreaction  gesam- 
melten Erfahrung  durchaus  latent  verlaufende  und  jedenfalls 
als  Tuberculose  nicht  direct  erkennbare  Processe  zeitig  als 
solche  zu  diagnosticiren.  —  Einige  Beispiele  dafür  in  aller 
Kürze  mögen  hier  genügen: 

261.  Katharine  Zink,  2  a.  n.  (cf.  Tabelle  VIII,  8)  wird  am  7.  Jan. 
1893  bei  schwächlichem  Ernährungszustand  unter  den  Erscheinungen 
der  Bronchitis  aufgenommen.  Es  besteht  kein  starker  Husten,  hinten 
sind  in  beiden  Lungen  mittelgrossblasige  Rasselgeräusche  in  nicht  be- 
deutender Menge  hörbar.  Der  Harn,  der  am  ersten  und  zweiten  Tage 
der  Aufnahme  geprüft  wird,  zeigte  starke  Diazoreaction.  Temp.  in  den 
ersten  paar  Tagen  normal,  nicht  über  37,4.  Bald  erhebt  sich  sodann 
die  Temp.  bis  zu  38,4,  der  Husten   nimmt  zu.    Um  ca.  1  Woche,  am 


Ueber  die  Diasoreaction  etc.  179 

19.  Jan.,  sind  in  beiden  Lungen  hinten  snbcrepitirende  Rasselgeräusche 
hörbar,  der  Percnssionsschali  ist  dagegen  unverändert,  die  Temp.  ist 
am  19.  Jan.  Abends  auf  40,8  gestiegen.  Der  Harn  ergiebt  deutliche 
Beaction  (R).  Diagnose:  Tubercnlosis  miliaris.  Von  da  ab  bleibt 
die  Temp.  ziemlich  constant  auf  38—89,6  mit  Morgenremissionen  bis 
zu  87,8.  Reaction  im  Harn  dauert  fort,  indem  sie  vom  26. 1.  ab  wieder 
ntikx  intensiv  (RR)  wird.  Am  8.  Februar  ist  der  Percnssionsschali  über 
der  rechten  Lunge  gedämpft,  consonirendes  Rasseln.  Zunehmende 
Schwäche.  Die  Reaction  hält  sich  in  intensiver  Weise  bis  zu  dem  am 
8.  Febr.  —  also  um  1  Monat  nach  der  Aufnahme  —  erfolgten  Exitus 
letalis.  Die  Section  ergab:  Tuberculosis  miliaris  universalis  (pulm. 
hepatis,  lienit  et  renum).  Pneumonia  cat.  lobi  inf.  pulmonis  deztr. 
Pleuritis  adhaesiva  deztra.  Hypertrophia  et  degeneratio  glandnl.  bronch. 
caseosa. 

338.  Michael  Wassiljeff,  2%a.n.,  von  schwächlicher  Constitution 
und  Ernährung  —  aufgenommen  am  16.  März  1898  unter  der  Diagnose 
Pertussis  et  Pneum.  cat.  dupl.  In  der  rechten  Scapulargegend  deut- 
liches Bronchialathmen,  links  unterhalb  der  Scapula  subcrepitirendes 
Rasseln.  Das  Athmen  ist  sehr  erschwert  und  frequent,  Temp.  89,2. 
Der  Husten  tritt  in  typischen  Keuchhustenanfällen  auf.  Unter  der  Zunge 
ein  kleines  Geschwürchen,  Der  sofort  nach  der  Aufnahme  untersuchte 
Harn  ergiebt  starke  Ehrlich'sche  Reaction.  Dieselbe  hält  sich  in  gleicher 
Weise  bis  zu  dem  nach  drei  Tagen  erfolgten  Exitus  letalis.  Temp. 
am  Morgen  des  20.  März  37,8.  Section:  Tuberculosis  miliaris  pul- 
monum, hepatis  et  splenis.  Pneumonia  lobularis  deztra  et  pneumonia 
lobi  medii  pulmonis  sin.    Degeneratio  caseosa  gland.  bronch. 

369.  Semjen  Brewnoff,  2  a.  n.,  aufgenommen  am  6.  April  1898'  mit 
den  Erscheinungen  einer  linksseitigen  katarrhalischen  Pneumonie.  Links 
in  Fossa  supraspinata  gedämpfter  Percnssionsschali,  verschärftes  Athmen 
und  subcrepitirendes  Rasseln.  Der  am  10.  April  zum  ersten  Mal  unter- 
suchte Harn  ergiebt  starke  Diazoreaction  RR.  Temp.  Morgens  87,6, 
Abends  39,0.  Am  12.  April  Reaction  R.  Am  14.  April  treten  epilepti- 
forme  Krämpfe  mit  Zuckungen  in  der  rechten  Körperhälfte  auf.  Am 
16.  April  Reaction  RR,  Temp.  38,6 ,  Abends  87,7.  vollständiges  Coma, 
irreguJärer  irequenter  Puls.  Ungleichheit  der  Pupillen  etc.  —  Menin- 
gitis. Am  16.  und  17.  April  Reaction  immer  RR.  Das  Sensorium  ist 
n-eier.  Fortbestehendes  irreguläres  Fieber.  Am  18.  April  wird  Pat. 
wegen  scarlatinOsen  Ausschlages  in  die  Scharlachabtheilung  übergeführt 
—  Reaction  RR.  Am  20.  April  wiederholen  sich  die  Krämpfe  und  es 
erfolgt  der  Exitus  letalis.  Section:  Tuberculosis  miliaris  universalis. 
Meningitis  cerebri  tuberculosa. 

421.  Anna  Madzalewsky  (cf.  Tab.  VII,  3),  12  a.  n.  Gracil  ge- 
bautes Mädchen  von  schwachem  Ernährungszustand,  aufgenommen  den 
10.  Mai  1893  unter  der  Diagnose  Scorbutus.  In  den  Lungen  wird  nichts 
von  der  Norm  Abweichendes  gefunden.  Milz  ziemlich  stark  vergröesert. 
Massige  Halsdrüsenschwellung.  Körpergewicht  26  Kilo.  Am  18.  Mai, 
wo  die  Erscheinungen  des  Scorbnts  schon  bedeutende  Besserung  auf- 
weisen, ergiebt  der  Harn  die  Reaction  R,  ebenso  am  22.  Mai.  Am 
*  24.  Mai  wird  keine  Reaction  angetroffen.  Seit  der  Aufnahme  bis  jetzt 
hat  leichtes  Fieber  bestanden  mit  Abenderhebungen  bis  zu  88,8.  Vom 
24.  Mai  ab  setzt  ein  besonderer  Fiebertypus  ein:  Morgens  und  Abends 
ist  die  Temperatur  normal,  während  von  2  Uhr  Nachmittags  ab  bis  4 
und  6  Uhr  N^achmittags  ziemlich  hohes  Fieber  besteht  zwischen  88,4 
bis  39,4.    So  Tags  aus,  Tags  ein.     Es  wird  anfänglich  an  Latermittens 

12* 


180  W.  NiBsen: 

gedacht.  Vom  2.  Juni  ab  beginnt  das  Mädcben  etwas  zn  hnsten.  Im 
Uebrigen  bessert  sich  ein  wenig  ihr  Allgemeinsnstand.  Der  Harn  er- 
giebt  aber  sehr  starke  Diazoreaction  (RR).  Am  9.  Juni  sind  in  beiden 
Lungen  zahlreichere,  zerstreute  trockene  Rasselgeräusche  zu  hören  und 
rechts  subscapulär  abgeschwächtes  Athmen.  Starke,  andauernde  Diazo- 
reaction  RR  bis  zum  16.  Juni,  wo  die  Reaction  wieder  verschwindet. 
Inzwischen  ist  der  Husten  stärker  geworden,  der  intermittirende  Fieber- 
typus  hält  immerfort  an  und  muss  Fat.  täglich  von  2  bis  6  J.  A.  die 
Bettlage  einnehmen.  Diagnose:  Tuberculosis  pulmonum.  Fat  erhält 
Kreosot.  Am  16.  und  18.  Juni  ergiebt  der  Harn  keine  Diazoreaction. 
Die  Untersuchung  der  Lungen  weist  dagegen  in  der  linken  Fossa  supra- 
«pinata,  sowie  links  vom  snbclaviculär  zahlreiche  feuchte,  etwas  con- 
sonirende  Rasselgeräusche  auf.  Der  Fercussionsschall  beider  Lungen 
ergiebt  keine  merkbaren  Differenzen. 

Am  8.  Juli  zeigt  der  Harn  wieder  die  Reaction  R.  Am^  1.  August 
wird  Fat.  mit  einem  Körpergewicht  von  25,4  Kilo,  also  bei  Zunahme 
von  im  Ganzen  0,i  Kilo  aufs  Land  geschickt. 

Am  23.  August  kommt  Fat.  in  ziemlich  entkräftetem  Zustand  ine 
Hospital  zurück.  Der  intermittirende  Fiebertypus  ist  einem  constanten 
Fieber  von  37,9 — 40^  gewichen.  Fat.  ist  sehr  schwach.  Der  Harn  er- 
giebt starke  Diazoreaction  (RR).  In  der  linken  Lungenspitze  hat  sich 
nunmehr  deutliche  Dämpfung  etablirt  mit  reichlichem,  kleinblaaigem 
Rasseln.  Ebenso  rechts  vorn  snbclaviculär.  Es  tritt  Hämoptoe  ein. 
Diazoreaction  RR  hält  dauernd  an  bis  zu  dem  unter  zunehmender 
Schwäche  am  6.  September  erfolgenden  Exitus  letalis.  Sectio n:  Fnen- 
monia  caseosa.  Feribronchitis  caseosa.  Meningitis  basilaris  tubercul. 
Ferihepatitis.  Tubercula  miliaris  hepatis.  Tnbercula  caseosa  lienis. 
Degeneratio  gland.  bronch. 

Ich  will  mich  hier  auf  die  Anführung  dieser  wenigen 
Krankengeschichten,  die  die  Verwerthbarkeit  der  Diazoreaction 
diagnostisch  und  prognostisch  genügend  darlegen,  beschränken, 
umsomehr,  als  auch  die  beigefögten  Tabellen  VI,  VII  u.  VIII 
in  Kürze  gleiches  Material  aufzuweisen  im  Stande  sind. 

Wichtig  für  uns  ist  jedenfalls  die  Thatsache,  dass  uns 
mit  dem  positiven  Ausfall  der  Diazoreaction  ein  wesentlicher 
objectiver  Factor  an  die  Hand  gegeben  ist,  durch  wieder- 
holte Prüfung  des  Harns  tuberculose  Lungenprocesse  zu 
unterscheiden,  was  namentlich  werthvoU  ist  bei  kleinen  Kin- 
dern —  bei  Fehlen  der  Sputa,  bei  Fehlen  des  Hustens ^  ja 
oftmals  auch  des  Fiebers  und  bei  nur  geringem  oder  gar 
negativem  Lungenbefund. 

Während  die  Diagnose  der  chronischen  käsigen  Pneu- 
monie, bei  der  gerade  die  Diazoreaction  uns  mehr  im  Stiche 
lässt,  schon  aus  der  hartnäckigen  Persistenz  der  nachgewie- 
senen Infiltrate,  aus  der  zunehmenden  Abmagerung,  dem 
atypischen  Fieber  und  auf  Grund  des  eventuellen  Nachweises 
von  Cavernenbildung  sich  uns  leichter  ergiebt,  sind  es  ge- 
rade jene  latent  verlaufenden  miliartuberculösen  Processe 
ohne  nachweisbare  localtuberculösen  Herde,  höchstens  unter 
den  Erscheinungen  einer  Bronchitis  oder  auch  katarrhalischen 
Pneumonie  acut  ablaufend,  welche  uns  besondere  Schwierig- 


Ueber  die  Diazoreaction  etc.  181 

keiten  in  der  Diagnose  bereiten ,  ja  dieselbe  überhaupt  nur 
erst  durch  den  letalen  Ausgang  sicher  stellen.  Hier  leistet 
die  Ebrlich'sche  Reaction  entschieden  Ersatz  für  das  Fehlen 
greifbarer  Symptome  in  diagnostischer  und  dadurch  auch  in 
prognostischer  Hinsicht. 

Mir  scheint  es  nun  unzweifelhaft,  dass  das  vorüber- 
gehende oder  das  persistirende  Vorhandensein  der  Reaction 
im  Harn  weitaus  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  mit  der  Bil- 
dung einer  localisirten  oder  auch  einer  allgemeinen  disse- 
mimrten  Miliartuberculose  im  Zusammenhang  steht.  Es 
entspricht  gewissermaassen  das  Auftreten  der  Reaction 
mit  darauffolgenden  reactionslosen  Intervallen  den  wieder- 
holten Nachschüben  der  Tuberkel eruption  bei  subacutem 
Verlauf  der  Miliartuberculose,  während  plötzliches,  persi- 
stirendes  Auftreten  bei  zunehmendem  Eräfteverfall  der 
acuten  Miliartuberculose  correspondirt. 

Dass  aber  Eruption  von  Tuberkeln  und  Reaction  im  Harn 
zu  gleicher  Zeit  zusammenfallen,  scheint  durchaus  nicht  wahr- 
scheinlich zu  sein,  da  nicht  alle  Fälle,  die  etwa  unter  dem 
Bilde  einer  katarrhalischen  Pneumonie  zu  Grunde  gingen  und 
bei  der  Section  ganz  frische  graue  Knotehen  in  nicht  sehr 
zahlreicher  Form  aufwiesen,  die  Diazoreaction  vor  dem  Tode 
ergeben  hatten  (cf.  Tab.  VIH,  4).  Ist  auf  dem  Wege  der  Blutbahn 
ein  Import  von  Bacillen  erfolgt,  die  etwa  bronchialen  Lymph- 
drüsen oder  einem  sonstigen  tuber culosen Herde  entstammen  „und 
durch  acute  Entzündungsprocesse  mobil  gemacht  worden  sind'' 
(Orth),  ist  durch  einen  solchen  Bacillenimport  in  diesem  oder 
jenem  Organ  die  Entstehung  miliarer  Knötchen  veranlasst 
worden,  so  muss  wohl  erst  eine  gewisse  Spanne  Zeit  ver- 
streichen, bis  dieselben  sich  genügend  entwickeln,  ihre  Ba- 
cillencolonien  anwachsen  und  nun  erst  die  StofFwechselproducte 
letzterer  in  reichlicher  und  vermehrter  Weise  in  den  Säfte- 
strom und  von  hier  in  den  Harn  gelangen.  Hat  das  eine 
Zeitlang  angedauert,  so  hört  wahrscheinlich  unter  fortwäh- 
render Umbildung  der  Knotehen  bei  fortdauernder  genügender 
Resistenz  des  Organismus  der  rege  Austausch  zwischen  er- 
kranktem und  gesundem  Gewebe  auf  —  und  der  Harn  zeigt, 
soweit  nicht  neue  Nachschübe  Platz  finden,  keine  Reaction. 

So  sah  ich  z.  B.  ein  dreijähriges  Mädchen  (Nr.  862,  cf.  Tab.  VI,  4), 
das  in  äusserst  decrepidem  Znstand  unter  den  Erscheinungen  der  chro- 
nischen Pneumonie  mit  Cavemenbildung  im  rechten  Unterlappen  auf 
die  Abtheilung  aufgenommen  wurde.  Der  Tod  erfolgte  nach  6  Tagen 
infolge  hinzugetretenen  rechtsseitigen  Pneumothorax.  Der  Harn  batte 
diese  wenigen  Tage  hindurch  kerne  Reaction  ergeben,  während  die 
Section  den  angerahrten  klinischen  Befund  bestätigte  und  ausserdem 
eine  Masse  in  yerschiedenen  Organen  (Lunge,  Leber,  Milz,  Niere)  zer- 


182  W.  NiBsen: 

streuter,  veralteter  Tnberkel  aufwies  von  gelbgraaer  Farbe,  hirsekom- 
bis  erbsengroBB  (wie  s.  B.  in  der  Leber). 

Ein  ähnliches  Verhalten  zeigte  auch  ein  anderer  Fall. 
In  den  übrigen  31  Fällen,  die  als  Miliartuberculose  zur  Section 
kamen,  hatte  fast  constant  die  Reaction  sowohl  bei  subacutem 
wie  acutem  Verlauf  2 — 30  Tage  und  darüber  vor  dem  Tode 
ununterbrochen  und  recht  intensiv  ausgesprochen  bestanden« 


5,  Meningitis. 

Ueber  die  Meningitis  tuberculosa  kann  ich  mich^kurz 
fassen.  Aus  dem  Gesagten  lässt  sich  a  priori  erwarten,  dass 
die  tuberculöse  Meningitis,  sofern  sie  als  Theilerscheinung 
einer,  gewisse  Zeit  bestehenden,  allgemeinen  Miliartuberculose 
auftritt^  Diasoreaction  im  Harn  ergeben  wird. 

Anders  verhält  es  sich,  wenn  sie  als  rasch  ablaufender 
Endeffect  zu  einer  chronischen  käsigen  Pneumonie  hinzutritt 
oder  wenn  sie  ihren  primären  Ausgangspunkt  einzig  und 
allein  käsig  degenerirten  Bronchialdrüsen  entnimmt  Hier 
wird,  wenn  namentlich  die  Eruption  von  Tuberkeln  eine  be- 
schränkte ist,  bei  relativ  raschem  Fortschritt  und  bei  Prä- 
valiren  von  entzündlichen  Erscheinungen  im  Allgemeinen  auch 
keine  Reaction  im  Harn  zu  erwarten  sein. 

Ich  verfüge  über  15  Fälle  von  Meningitis  tuberculosa 
cerebri.  Die  Patienten  standen  im  Alter  von  1  Jahr  2  Mo- 
naten bis  zu  13  Jahren.  Sämmtlich  bis  auf  1  Fall  kamen 
sie  zur  Section.  Ihr  Verhalten  zur  Diazoreaction  war  fol- 
gendes: 

zam  Theil  schon  längere  Zeit  vor  dem  Aasbruch 
ausgesprochener  meningitischer  Reie-  oder 
L&hmungBerscheinangen 2  Fälle 

zum  Theil  4,  6  und  8  Tage  vor  dem  Ausbruch 
ausgesprochener  meningitischer  Reiz  -  oder 
Lähmangsersoheinangen 7  Fälle 

1  Patient  zeigte  Diazoreaction  erst  4  Tage  nach 
d.  Ausbrach  ausgesprochener  meningitischer 
Beizerscheinungen 1  Fall. 

6  Fälle  (bei  8,  in  1  Falle  sogar  bei  IStägiger  Erankheitsdauer  nach 
Verl,  oh ne<  Auftreten  der  ersten  ausgesprochenen  meningitisohen  £r- 
Diazoreact.  l  scheinungen. 


10  Fälle 
verliefen 
mit  Diazo 
reaction 


Die  10  Fälle,  welche  mit  Diazoreaction  einhergingen, 
wiesen,  abgesehen  von  demjenigen,  der  nicht  zur  Section  kam, 
durchweg  ausgebreitete  Miliartuberculose  mehrerer  Organe 
auf.  Es  bestand  also  die  Meningitis  hier  als  Theilerscheinung 
einer  Tuberculosis  miliaris  universalis.  Von  den  übrigen 
5  Fällen   ohne   Reaction    waren   3   mit   frischer,   zum  Theil 


Ueber  die  Diazoreaction  etc.  183 

grau  darchscbimmemder  Enötchenbildung  auch  anderer  Or- 
gane vergesellschaftet,  einer  mit  oberflächlichen,  circumscripten 
käsigen  Infiltraten  der  Lunge  und  einer  mit  exquisit  chro- 
nischen verkästen  Miliartuberkeln  anderer  Organe. 

Ich  habe  das  Verhalten  der  Diazoreaction  ferner  noch 
geprOft  in  3  Fällen  von  eitriger  Gehirnentzündung ,  Menin- 
gitis Simplex,  sowie  in  3  Fällen  von  Meningitis  cere- 
brospinalis epidemica,  von  welch  letzteren  ein  öjähriges 
Mädchen  mit  Zurückbleiben  von  Harthörigkeit  genas.  Die 
5  anderen  Fälle  kamen  zur  Section. 

Die  Diazoreaction  hatte  ich  weder  im  Verlauf  der  Menin- 
gitis Simplex  noch  der  Meningitis  cerebrospinalis  beobachtet. 
Es  war  der  Harn  bei  der  eitrigen  Gehirnentzündung  in  2  Fällen 
gelbrothlich  verfärbt,  beim  Schütteln  aber  bildete  sich  nur 
ein  tief  gelbgesättigter  Schaum. 

fVagen  wir  uns*  nun  nach  dem  diagnostischen  und 
prognostischenWerthder Diazoreaction  bei  derMenin- 
gitis,  so  haben  wir  negatives  und  positives  Verhalten  der 
Reaction  auseinander  zu  halten: 

Negatives  Verhalten  der  Reaction  spricht  bei  Schwierig- 
keit der  Differentialdiagnose  zwischen  Meningitis  und 
Typhus  vor  allen  Dingen  gegen  letztere  Affection,  die  ja 
so  gut  wie  stets  mit  Reaction  einhergeht. 

Besteht  im  Verlauf  einer  cerebralen  Affection  positive 
Reaction,  so  spricht  dieselbe  bei  Ausschluss  von  Typhus 
und  etwaigen  exanthematischen  Erkrankungen  für  die  tuber- 
culose  Form  der  Meningitis,  und  die  Prognose  kann  un- 
bedenklich letal  gestellt  werden. 

Negatives  Verhalten  der  Reaction  im  Verlauf  einer  menin- 
gitisartigen Erkrankung  schliesst  weder  tuberculöse,  eitrige, 
cerebrospinale  Meningitis  noch  sonstige  cerebrale  Affectionen 
leichteren  Charakters  aus  und  lässt  bis  auf  Weiteres  in 
prognostischer  Hinsicht  wenigstens  die  Möglichkeit  einer 
Heilung  den  Angehörigen  gegenüber  offen. 

Zum  Schluss  noch  ein  Wort  darüber,  worauf  das  Auf- 
treten der  Diazoreaction  im  Harn  zurückzuführen 
ist?  Wohl  jeder  der  Autoren  hat  sich  diese  Frage  zur  Be- 
antwortung vorgelegt.  Ehrlich  war  ihr  sogar  auf  mühe- 
voll cliemischem  Wege  nachgegangen,  ohne  jedoch  mit  un- 
seren vorläufig  nicht  ausreichenden  Hilfsmitteln  ein  erwünschtes 
Resultat  zu  finden.  Es  ist  daher  verständlich,  dass  dort,  wo 
uns  der  Boden  objectiven  Nachweises  fehlt,  die  Hypothese 
ihren  freien  Lauf  nimmt  Im  Allgemeinen  sind  sich  die  Autoren 
darüber  einig,  dass  die  Reaction  vom  Fieber  an  und  für  sich 


184  W.  NiBsen: 

jedenfalls  nicht  abhängt ^  da  sie  ja,  wenn  auch  an  acut  ver- 
laufende Krankheiten  zumeist  gebunden^  hier  auch  öfters  ohne 
das  bestehende  Fieber  vorhanden  ist.  Escherich*)  nimmt 
an,  es  handle  sich  gewiss  um  einen  nur  unter  veränderter 
Stoffwechselbedingung  zur  Ausscheidung  kommenden  Körper. 
Brewing')  fuhrt  die  Beaction,  speciell  bei  Phthisis  pul- 
monum, auf  die  Resorption  zerfallener  Stoffe  aus  den  Lungen 
zurück.  Ehrlich  hatte  sich  schon  früher  in  Bezug  auf  die 
Phthisis  pulmonum  dahin  ausgesprochen,  dass  der  die  Beaction 
bedingende  Körper  oder  eine  Vorstufe  desselben  innerhalb  der 
Lungen  in  den  käsig  infiltrirten  Partien  sich  bilde  und  durch 
Resorption  in  die  Blutbahn  gelange.  Indem  Ehrlich^)  die 
Beaction  als  von  der  Entwicklung  der  Miliartuberkel  ab- 
hängig negirt,  nimmt  er  an,  dass  bei  der  Phthisis  aus  zer- 
fallenen Elementen,  z.  B.  Eiterkörperchen,  sich  der  Stoff  bildet, 
der  bei  günstigen  Diffusionsbedingungen'  zwischen  Zerfall  und 
normalem  Lungengewebe  in  die  Blutbahn  gelangt.  Zum  Zu- 
standekommen der  Beaction  müssen  also  die  ergriffenen  Par- 
tien mit  der  Umgebung  in  engem  Stoffwechsel  stehen  und 
nicht,  wie  etwa  bei  ausgedehnten  Cavernen  (wo  vielfach  keine 
Beaction  im  Harn  vorhanden),  durch  festes  Bindegewebe  ge- 
schieden  sein.  So  richtig  dieser  letztere  Hinweis  ist,  so  wenig 
scheint  mir  aber  ein  aus  dem  Zerfall  von  Eiterkörperchen 
gebildeter  Stoff  die  eigentliche  Ursache  des  Auftretens  der 
Beaction  bei  Phthisis  zu  sein.  Und  wie  wollte  man  sich  dann 
die  Beaction  bei  den  anderen  Infectionskrankheiten  erklären, 
z.  B,  bei  Masern,  Typhus  etc.?  Mit  grösserer  Wahr- 
scheinlichkeit scheint  mir,  wie  ich  schon  oben  ge- 
legentlich dessen  erwähnte,  das  Eintreten  der  Be- 
action auf  die  Ausscheidung  von  bacteriellen  Stoff- 
wechselproducten  im  Harn  zurückgeführt  werden  zu 
müssen.  Der  nämliche  Factor  also,  auf  dessen  Anwesenheit 
im  Säftestrom  des  Organismus  wir  ja  all'  die  sonst  charak- 
teristischen Erscheinungen  der  acuten  Infectionskrankheiten 
in  neuerer  Zeit  zurückzuführen  gewohnt  sind,  kann  uns  ebenso 
gut  und  einheitlich  auch  die  vorläufige  Erklärung  abgeben 
flir  das  Zustandekommen  der  Diazoreaction  im  Harn.  Eine 
Beobachtung  von  Feer^)  scheint  mir  diese  Annahme  zu  be- 
stätigen. Fe  er  prüfte  das  Verhalten  des  Harns  bei  tuber- 
culösen  Kindern,  welche  mit  Koch'scher  Lymphe  behandelt 
wurden  und  vorher  keine  Beaction  zeigten.  Er  fand,  dass  in 
einer  Anzahl  von  Fällen  fast  nach  jeder  Injection  des  Tuber- 

1)  Escherich  1.  c.  2)  Brewing  1.  c.  8)  Ehrlich  1.  c.  D. 
med.  Wochenschr.  1884. 

4)  Emil  Feer,  Auftreten  der  Diazoreaction  im  Harn  etc.  Jahrbuch 
f.  Kinderheük.  Bd.  XXXIII,  H.  3. 


Ueber  die  Diazoreaction  etc.  185 

culins  Diazoreaction  im  Urin  auftrat,  in  anderen  nur  verein- 
zelt und  dann  meist  nach  den  ersten  Injectionen.  Der  Höhe- 
punkt der  Reaction  trat  gewohnlich  in  den  ersten  24  Stunden 
nach  der  Injection  ein.  Die  Reaction  dauerte  nur  1 — 2  Tage 
und  schwand  dann  bis  zur  nächsten  Reaction.  -Diese  Beob- 
achtung, die  Fe  er  zu  anderem  Zwecke  herstellte,  kann  sehr 
wohl  für  die  Annahme  verwerthet  werden,  dass  die  im  er- 
krankten Organismus  vorhandenen  bacteriellen  Stoffwechsel- 
producte  bei  ihrer  Ausscheidung  durch  den  Harn  die  Diazo- 
reaction veranlassen. 


IX. 

Zar  Frage  Ober  die  Anwendang  hoher  Clysmen 

bei  Kindern. 

Von 

DlMlTBY   SsOKOLOWy 

PrivAtdooent  der  kalMrl.  med.  Akademie  In  St  Petonbnrg. 

Meine  Herren  I  Za  einer  Zeit^  wo  wir  eben  eine  Cholera- 
epidemie durchgemacht  haben  und  uns  von  Neuem  zur  Be- 
gegnung dieses  unheimlichen  Gastes  rüsten,  dürfte  Alles,  was 
irgend  welche  Beziehungen  zur  Therapie  der  Cholera  hal^  von 
grossem  Interesse  sein. 

Bekanntlich  haben  sich  in  letzter  Zeit  bei  der  Behand- 
lung der  Cholera  die  hohen  Eingiessungen ,  die  sog.  Entero- 
clysmen  nach  Cantani  eingebürgert.  Der  Zweck  dieser  Ein- 
giessungen  besteht  darin,  dass  die  betreffenden  Medicamente 
durch  den  Dick-  in  den  Dünndarm  gerathen  und  hier  ihre 
Wirkungen  auf  die  Darmwand  oder  den  Darminhalt  entfalten 
können.  Das  ist  nun  ein  weiter  Weg,  den  die  Infusions- 
fiüssigkeit  zurückzulegen  hat,  bevor  sie  an  den  Ort  ihrer 
eigentlichen  Wirksamkeit,  in  den  Dünndarm  gelangt  Irgend 
welche  Hindemisse  zur  Fortbewegung  findet  die  Flüssigkeit 
im  normal  entwickelten  Dickdarm  nicht  vor;  erst  an  der 
Grenze  zwischen  Dick-  und  Dünndarm  findet  sich  ein  natür- 
liches Hemmniss  —  die  sog.  Bauhin'sche  Klappe,  die  Valvula 
ileo  colica,  ileo-coecalis.  Noch  bis  jetzt  herrscht  eine  grosse 
Meinungsverschiedenheit  in  der  Frage,  ob  die  erwähnte  Klappe 
ein  unüberwindliches  Hinderniss  für  den  Durchgang  von  festen, 
flüssigen  und  gasförmigen  Stoffen  darstelle,  oder  ob  sie  so 
mangelhaft  sei,  dass  dieser  Durchgang  frei  von  Statten  gehen 
kann.  Für  das  kindliche  Alter  ist  diese  Frage  noch  weniger 
entschieden  als  für  Erwachsene,  es  wird  deshalb  Ihnen  viel- 
leicht nicht  uninteressant  sein,  wenn  ich  meine  diesbezüg- 
lichen Untersuchungen  und  Ergebnisse  mittheile.  Dabei  soll 
picht  nur  der  Endpunkt  des  Dickdarms,  also  die  Bauhin'sche 


D.  Ssokolow:  Anwendang  hoher  Clyemen  bei  Kindern.        187 

Klappe  berücksichtigt  werden ,  sondern  ich  werde  den  ganzen 
Weg  vom  Anus  bis  zam  Ooecum  verfolgen  und  dabei  die  Be- 
sonderheiten im  anatomischen  Bau  des  kindlichen  Dickdarms 
gegenüber  dem  der  Erwachsenen  hervorheben. 

Meine  Untersuchungen  stellte  ich  hauptsächlich  an  Leichen 
an  und  zwar  an  Einderleichen  unter  einem  Jahre  im  St.  Peters- 
burger Findelhause  (200  Leichen)  und  an  den  Leichen  älterer 
Kinder  im  Elisabeth-Kinderspital  (76).  Bei  ganz  kleinen  Kin- 
dern (unter  einem  Jahre)  notirte  ich  mir  nach  Eröffnung  der 
Bauchhohle  den  Situs  des  Dickdarms  ^  insbesondere  des  Rec- 
tums  und  S  romanum,  sodann  nahm  ich  die  Därme  heraus, 
brachte  sie  mit  dem  Krahn  der  Wasserleitung  in  Verbindung 
und  fällte  dieselben  mit  Wasser,  endlich  versuchte  ich  noch 
den  ganzen  Darm  vom  Dickdarmende  aus  aufzublähen.  Bei 
älteren  Kindern  liess  ich  zunächst  die  Bauchdecken  intact, 
setzte  ein  gewohnliches  Clysma,  wobei  ich  das  Schlauchende 
möglichst  weit  in  den  Darm  einzuführen  bestrebt  war,  und 
brachte  das  Wasser  unter  verschiedener  Druckhohe  hinein. 
Das  Schlauchende  war  aus  gewöhnlichem  rothen  Kautschuk, 
sein  Lumen  5  mm  im  Durchmesser,  seine  Wände  2^  mm 
dicky  sodass  es  nicht  leicht  einknickte  und  sogar  bei  einer 
Knickung  noch  Wasser  hindurchlassen  konnte.  Der  Schlauch 
wurde  mit  der  Wasserleitung  in  Verbindung  gesetzt,  in  den 
Darm  (dabei  mit  Vaselin  beölt)  eingeführt  und  nun  öffnete 
ich  allmählich  den  Krahn,  füllte  auf  diese  Weise  den"*^ Dick- 
darm mit  Wasser.  Am  leichtesten  floss  das  Wasser  in  den 
Darm  hinein,  wenn  die  Leiche  auf  dem  Rücken  mit  erhobe- 
nen Kreuz  und  Hinterbacken  lag.  In  anderen  Fällen,  wo 
ich  die  ursprüngliche  Lage  der  Därme  und  die  unter  dem 
Einflüsse  der  Wasserinfusion  auftretenden  Lageveränderungen 
beobachten  wollte,  trennte  ich  die  Bauchdecken  in  der  Linea 
alba;  nach  Aufnahme  des  Status  vereinigte  ich  die  Schnitt- 
ränder mittelst  Klemmpincetten  und  führte  erst  dann  die 
weitere  Infusion  aus.  Damit  das  Wasser  nicht  wieder  aus 
dem  Anus  herausfliesse,  drückte  ich  die  Hinterbacken  fest 
aneinander  oder  führte  in  den  Anus  gleichzeitig,  je 
nach  der  Weite  der  Oeffhung,  mit  dem  Schlauch  den  Zeige- 
oder Mittelfinger  ein,  die  sehr  gut  die  zu  diesem  Zwecke  em- 
pfohlenen Obturatoren  ersetzten. 

Ins  Rectum  gleitet  der  Schlauch  ziemlich  leicht  hinein, 
weiter  aber  stösst  er  auf  Hindernisse,  die  er  nicht  immer 
zu  überwinden  vermag,  er  bleibt  dann  stehen  und  bei  Ver* 
suchen,  ihn  weiter  zu  schieben,  rollt  er  sich  zu  einem  Knäuel 
auf  und  dilatirt  das  Rectum  im  hohen  Grade.  Die  Ursache 
hierfür  ist  in  den  Besonderheiten  der  anatomischen  Lage  des 
Rectums    und    des    S  romanum   im   Kindesalter    zu    suchen. 


188  D.  Ssokolow: 

Diese  Besonderheiten  sind  von  vielen  Autoren  bereits  hervor- 
gehoben worden,  haben  auch  specielle  Bearbeitung  in  Disser- 
tationen gefunden  (Bourcart,  De  la  Situation  de  S'iliaque 
chez  le  nouveau  -  ne  dans  ses  rapports  avec  l'etablissement 
d'un  anus  artificiel.    These  de  Paris  1863). 

Was  das  Rectum  anlangt,  so  ist  hervorzuheben,  dass  bei 
Kindern  seine  Lage  im  kleinen  Becken  sehr  unbestimmt  ist^ 
bald  liegt  es  mehr  auf  der  rechten  Seite,  bald  mehr  auf  der 
linken,  zuweilen  auch  ganz  in  der  Mitte.  Steffen^)  behauptet, 
dass  das  Rectum  ebenso  häufig  auf  der  rechten  wie  auf  der 
linken  Seite  liegt,  am  seltensten  in  der  Mitte;  da  es  bei  Er- 
wachsenen in  der  linken  Seite  des  kleinen  Beckens  liegt,  so 
wäre  es,  wie  Steffen  ausführt,  interessant,  zu  erfahren,  in 
welchem  Alter  die  linksseitige  Lage  zur  Regel  werde.  Nach 
Jacobi')  findet  sich  das  Rectum  sehr  häufig  in  der  Mitte 
oder  in  der  rechten  Beckenhälffce.  Indem  ich  in  jedem  Falle 
die  Lage  des  Rectums  feststellte,  kam  ich  zu  denselben  Resul- 
taten wie  Steffen',  nämlich  bei  Kindern  bis  zu  einem  Jahre 
fand  ich  den  erwähnten  Darmtheil  in  37,5%  der  Fälle  in 
der  rechten  Korperhälfte,  und  in  ebenso  viel  Fällen  in  der 
linken;  in  22,5%  lag  er  in  der  Mitte  und  endlich  in  2,5% 
befand  sich  das  Rectum  theilweise  in  der  rechten,  theil weise 
in  der  linken  Beckenhälfte.  —  Viel  häufigere  Lageverände- 
rungen hat  die  Flexura  sigmoidea  aufzuweisen.  Im  All- 
gemeinen zeichnet  sich  der  kindliche  Dickdarm  durch  seine 
bedeutende  Länge  im  Yerhältniss  zur  Korperlänge  aus.  Nach 
Jacobi^)  übertrifft  die  Länge  des  Colon  der  Neugeborenen 
die  Kdrperlänge  um  2%  mal,  während  bei  Erwachsenen  das 
Colon  nur  die  doppelte  Länge  des  Korpers  besitzt;  nicht  im 
Einklänge  damit  stehen  die  späteren  Messungen  von  Severi^), 
welcher  folgendes  Yerhältniss  der  Korperlänge  zur  Dickdarm- 
länge feststellte: 

Im  dritten  Monat  0,5:1,  im  vierten  Monat  0,7:1,  im 
fünften  Monat  0,9  :  1,  im  sechsten  Monat  0,9  : 1,  im  siebenten 
Monat  1  :  1,  im  achten  Monat  1 : 1,  im  neunten  Monat  1,1 : 1, 
zu  einem  Jahre  1,1 :  1,  zu  zwei  Jahren  1,1 : 1. 

Dank  der  Länge  des  Dickdarms,  namentlich  des  abstei- 

1)  Steffen,  Beiträge  znr  Physiologie  und  Pathologie  des  Mast- 
darms.   Jahrbuch  f.  Einderheilkunde  V,  1872.     S.  126—162. 

2)  Jacobi,  Tho  american  Journal  of  ostetrics  and  diseases  of 
women  and  children.  Mai  1869,  ref.  Journ.  f.  Einderheilk.  LIII,  1869. 
S.  189. 

3)  Jacobi  1.  c.  S.  189  und  Jung,  üeber  die  Ursachen  der  Stuhl- 
verstopfaDg  bei  Kindern.    Wiener  med.  Blätter  1888.    21.  Juni. 

4)  Severi,  Lo  sperimental.  Maggie  1884,  S.  482  citirt  nach 
Jahresbericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  in  der  gesammten 
Medicin  1884.   XIX,  1.    S.  447. 


Zor  Frage  über  die  Anwendang  hober  Glysmen  bei  Kindern.     189 

genden  Theiles^  welcher  eigentlich  den  Unterschied  in  der 
relativen  Länge  des  ganzen  Dickdarms  bedingt^  entstehen  statt 
der  einen  S-formigen  Flexur  viele  Windungen,  und  diese  Krüm- 
mangen  nehmen  eine  ganz  verschiedenartige  Lage  ein.  Jacobi 
findet,  dass  die  Flexara  sigmoidea,  ebenso  wie  das  Rectum, 
häufig  in  der  Mittellinie  oder  in  der  rechten  Beckenhälfte 
liegt,  er  räth  auch  deshalb  einen  künstlichen  After  bei  Kin- 
dern statt  linkerseits  auf  der  rechten  Seite  anzulegen. 

Schon  1858  hat  Hnguier^)  auf  diese  Besonderheit  auf- 
merksam gemacht  und  zuerst  die  Anlegung  eines  Anus  praeter- 
naturalis auf  der  rechten  Seite  empfohlen,  solch  eine  Lage 
des  S  romanum  erklärt  dieser  Autor  dadurch,  dass  während 
des  intrauterinen  Lebens  der  Dickdarm  und  namentlich  dessen 
unterer  Abschnitt  als  Reservoir  für  das  Meconium  dienen, 
daher  werden  sie  dilatirt  und  erlangen  dabei  eine  so  grosse 
Länge  und  Breite,  dass  sie  in  der  linken  Fossa  iliaca  keinen 
Platz  mehr  finden,  daher  nach  der  rechten  Seite  gedrängt 
werden.  Dem  gegenüber  betont  jedoch  Bourcart  in  seiner 
oben  erwähnten  Dissertation,  dass  die  quere  Lage  des  S  romanum 
nur  in  Ausnahmefallen  beobachtet  werde,  gewohnlich  finde  es 
sich  in  directem  Contact  mit  den  Bauchdecken,  etwas  ober- 
halb der  Spina  superior  anterior  sinistra  (unter  150  Fällen 
144  mal)').  Steffen  erklärt  sich  mit  diesen  Schlussfolge- 
rungen nicht  einverstanden;  sie  stehen  auch  mit  meinen  Unter- 
suchungen in  Widerspruch.  Unter  200  Leichen  im  Alter  von 
einigen  Stunden  bis  zu  einen^  Jahre  fand  ich  in  110  Fällen, 
also  in  55%,  das  S  romanum  auf  der  rechten  Seite,  in 
48  Fällen  (24%)  auf  der  linken,  in  36  Fällen  (18%)  in  der 
Mitte  und  in  6  Fällen  (3%)  theilweise  in  der  rechten,  theil- 
weise  in  der  linken  Seite.  Bei  Kindern  über  einem  Jahre 
ändert  sich  dieses  Yerhältniss,  bei  ihnen  fand  ich  die  Flexura 
sigmoidea  rechterseits  nur  in  27%  der  Fälle,  während  linker- 
seits und  in  der  Mittellinie  sie  in  36,5%  zu  finden  war. 

Dieser  eben  erwähnte  Dickdarmtheil,  der  sich  durch  seine 
bedeutende  Länge  und  durch  ein  ebenso  langes  Mesenterium 
auszeichnet,  erweist  sich  recht  beweglich  und  seine  verschie- 
dene Lage  im  Leibe  hängt  wohl  ausser  von  der  Länge  seines 
Mesenteriums  auch  von  der  Quanti-  und  Qualität  des  Darm- 
inhalts ab,   und  zwar  sowohl  des  S  romanum  als   auch  des 


1)  Huguier,  Discüssions  bot  TanaB  artificiel.    Bulletin  de  TAca» 
demie  imperiale  de  m^decine  1868—1859.    24.   S.  445. 

2)  Ciürt  nach   der   früher  erwähnten  Arbeit  von   Steffen.    Ba- 

ginskj  giebt  in  seiner  Arbeit  („Zur  localen  Behandlung  der  unteren 
armabechnitte  im  kindlichen  Alter**.  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  IX, 
S.  395)  an,  dass  Bourcart  an  140  Leichen  111  mal  das  S  romanum 
links  fand,  6 mal  im  kleinen  Becken  und  38 mal  in  Querlage. 


190  D.  Ssokolow: 

übrigen  Dickdarms  und  besond^s  des  Dünndarms.  Ist  die 
Flexara  sigmoidea  leer  oder  schwach  gefällt  mit  einem  dünn- 
flüssigen oder  dickflüssigen  Inhalte^  besteht  deshalb  keine 
Spannung  ihrer  Wand,  so  stellt  sie  mehrere  Schlingen  dar, 
die  entweder  nebeneinander  liegen  oder  aber  die  eine  Krüm- 
mung liegt  mehr  rechts,  die  andere  mehr  links ;  solcher  Win- 
dungen können  drei  oder  vier  existiren.  In  anderen  Fällen 
sinkt  das  S  romanum  als  Schlinge  in  das  kleine  Becken 
herab,  kommt  neben  dem  Rectum  zu  liegen,  zuweilen  auch 
nach  rechts  oder  links  von  letzterem,  und  steigt  als  zweite 
Schlinge  nach  oben,  um  in  der  rechten  oder  linken  Fossa 
iliaca  Platz  zu  finden.  Besonders  häufig  fand  ich  bei  ganz 
kleinen  Kindern  das  S  romanum  in  der  rechten  Fossa  iliaca 
unter  dem  Ooecum,  wobei  bei  linksseitiger  Lage  des  Rectums 
nur  eine  Schlinge  gebildet  wurde,  bei  rechtsseitiger  Lage 
jedoch  fanden  sich  zwei  bogenförmige  Abschnitte,  die  eine 
mit  der  Convexität  nach  links,  die  andere,  etwas  höher  ge- 
legene, mit  der  Convexität  nach  rechts,  sodass  die  Mittellinie 
dreimal  durchkreuzt  wurde.  Wird  nun  das  S  romanum  mit 
Luft  gefüllt,  so  ändert  sich  sofort  seine  Lage,  die  Schlingen 
und  Krümmungen  nehmen  an  Zahl  ab,  es  steigt  höher  neben 
dem  Becken  hinauf  und  legt  sich  entweder  nach  rechts  ober- 
halb des  Coecum  oder  erstreckt  sich  bis  zum  Nabel;  in  Fällen 
hochgradiger  Ausdehnung  reicht  es  bis  an  den  Magen  heran, 
legt  sich  an  dessen  vordere  Fläche  oder  aber  unter  die  Leber, 
ja  sogar  auf  deren  vordere  obere  Fläche.  So  fand  ich  in 
6  Fällen  das  S  romanum  auf  der  vorderen  Fläche  der  Leber, 
in  5  Fällen  unterhalb  derselben  und  3  mal  unterhalb  des 
Magens.  Jedoch  ist  zu  solchen  bedeutenden  Verschiebungen 
des  S  romanum  nothwendig,  dass  die  übrigen  Darmabschnitte 
nicht  besonders  ausgedehnt  und  gespannt  seien;  denn  sind 
diese  schon  vor  dem  S  romanum  durch  Luft  gebläht^  so  kann 
letzteres  nicht  nach  oben  steigen  und  bleibt  entweder  im 
unteren  Abschnitte  des  Leibes  über  der  Symphyse  oberhalb 
oder  vor  der  Harnblase  liegen,  oder  aber  es  bildet  durch 
Kreuzung  des  Anfangs-  und  Endtheiles  einen  geschlossenen, 
nach  rechts  gerichteten  Ring,  oder  endlich,  wie  ich  es  in 
einem  Falle  beobachtet  habe,  legt  es  sich  hinter  dem  Coecum 
auf  die  vordere  Fläche  der  rechten  Niere.  — -  Ebensolche  Lage- 
veränderungen erleidet  das  S  romanum,  wenn  es  mit  Wasser 
gefüllt  wird,  was  für  uns  insofern  von  Wichtigkeit  ist,  weil 
dieser  umstand  in  •  der  Frage,  wie  weit  man  den  Clystier- 
schlanch  in  den  Dickdarm  hineinführen  kann,  maassgebend  ist. 
Schon  1871  berührt  Fleischmann^)  diese  Frage  in  seiner 

1)  Fleischmaniif  Zur  Anwendung  des  Glysmas  bei  Kindern.   Jahr-- 
buch  f.  Kinderheilkunde  IV.    S.  276. 


Zar  Frage  über  die  Anwendnng  hoher  Clysmen  bei  Eindera.     191 

Abhandlung:  ^^Znr  Anwendung  des  Clysmas  bei  Kindern^.  Er 
brachte  einen  der  Erenzbeinkrümmung  entsprechend  ange- 
passten  Schlauch  ins  Rectum  und  dieser  Schlauclk  erreichte 
nur  den  Anfangstheil  der  S- formigen  Flezur,  über  deren 
unterste  Schlinge  hinaus  der  Schlauch  sogar  bei  den  aller- 
günstigsten  Momenten,  bei  eröffneter  Bauchhöhle,  nicht  hinaus- 
kam. In  die  unterste  Schlinge  (bei  Kindern  von  2—3  Jahren 
2V^  Zoll  lang)  gelangte  der  Schlauch  nur  in  denjenigen  Fällen, 
wo  das  S  romanum  nicht  genügend  ausgebildet,  unter  stumpfem 
Winkel  zum  Rectum  geneigt  war,  oder  aber,  wo  es  sich  nach 
oben  mit  geringer  seitlicher  Abweichung  erstreckte.  In  den 
meisten  Fällen  wurde  aber  bei  weiterer  Verschiebung  des 
Schlauches  die  gegenüberliegende  Wand  der  Darmschlinge 
divertikelartig  vorgetrieben  und  bildete  auf  diese  Weise  ein 
Hinderniss  für  die  zu  infundirende  Flüssigkeit  Dieser  Um- 
stand in  Verbindung  mit  der  geringen  physiologischen  Breite 
des  kindlichen  Darms  und  der  Kürze  des  Beckens  kann, 
nach  Fleischmann,  den  Nutzen  des  Clysmas  vereiteln. 

Weitere  Angaben  über  diese  Frage  (Erwachsene  betref- 
fend) finden  wir  in  dem  Vortrage  von  Simon^):  „lieber  die 
Einfiihrung  langer  elastischer  Röhren  und  über  forcirte  Wasser- 
injectionen  in  den  Darmcanal'';  dieser  Autor  gebrauchte  einen 
mit  der  Mayer'schen  Clysopompe  in  Verbindung  gesetzten 
ScUauch  von  5  Fuss  Länge  und  Kleinfingerdicke.  Aus  allen 
seinen  Beobachtungen,  sowohl  an  Lebenden  als  auch  an 
Leichen,  schliesst  8.,  dass  der  Schlauch  nie  bis  zum  Colon 
transversnm  gelange,  ja  sogar  häufig  nicht  bis  zum  Colon 
descendens  vorgeschoben  werden  könne;  hiermit  widerspricht 
der  Autor  der  von  Wachsmuth^)  ausgesprochenen  Ansicht, 
dass  man  bei  Lebenden  einen  5  Fuss  langen  Schlauch  wohl 
bis  zur  Valvula  Bauhini  vorschieben  könne,  weil  das  ganze 
Colon,  nach  den  Untersuchungen  der  Anatomen,  nicht  länger 
als  5  Fuss  ist. 

Nach  Simon  gelingt  es  wohl,  einen  5  Fuss  langen 
Schlauch  in  den  Darm  einzuführen,  doch  nicht  über  das  S  ro- 
manum hinaus,  da  der  Schlauch  in  diesem  langen  Dickdarm- 
abschnitte (2—3  Fuss  lang)  sich  je  nach  der  Lage  und  Form 
desselben  einknickt  und  einrollt.  Bei  bogenförmiger  Windung 
des  S  roms^um  gelangt  der  Schlauch  bis  in  das  Colon  descen- 
dens, bei  einer  achtförmigen  bleibt  er  jedoch  in  der  Flexura. 

Besonders  interessant  sind  für  uns  die  Resultate  der  Ba- 


1)  Simon,  Ueber  die  Einfahning  langer,  elastischer  Röhren  und 
aber  forcirte  Wasserinjectionen  in  den  Darmcanal.  Yerhandlnngen  der 
dentschen  Gesellschaft  für  Ghimrgie.    I.  Congress  13.  April  1882. 

8)  Wachsmnth,  Yirchow's  Archiv  XXIil.    S.  184. 


192  D.  Saokolow: 

ginsky 'sehen  Untersachungen.^)  In  seiner  Abhandlung:  ^,Zar 
localen  Behandlung  der  unteren  Darmabschnitte  im  kindlichen 
Alter''  tritt  Baginskj  entschieden  für  die  Anwendung  von 
Clysmen  im  Eindesalter  ein  und  wundert  sich  sehr  über  den 
Widerspruch  y  den  seine  Erfahrungen  gegenüber  denen  von 
Fleischmann  und  Steffen  in  der  Frage  über  den  Efifect 
der  hohen  Wassereingiessungen  bei  Kindern  bieten.  Ba- 
ginskj bediente  sich  eines  elastischen  Katheters,  den  er 
schon  bei  6 — 7  wöchentlichen  Kindern  in  den  Darm  15  cm 
und  noch  hoher  einzuführen  vermochte,  wenn  er  den  Katheter 
langsam  vorschob  und  den  Darm  nur  ganz  allmählich  mit 
Wasser  füllte.  Die  Experimente  an  Leichen  können  nach 
Baginsky  für  die  Entscheidung  der  Frage  nach  der  Anwend- 
barkeit und  dem  eventuellen  Effect  seiner  Methode  nicht 
maassgebend  sein,  da  die  Schlussföhigkeit  des  Sphinkters  eine 
grosse  Rolle  spielt^);  die  Versuche,  die  B.  dennoch  an  vier 
Leichen  ausführte,  ergaben,  dass  in  zwei  Fällen  der  Katheter 
bei  eröffneter  Bauchhohle  auf  14 — 17  cm  vorgeschoben  werden 
konnte,  in  zwei  anderen  Fällen  nur  auf  4—5  cm. 

Monti')  stimmt  auf  Grund  seiner  langjährigen  Erfah- 
rung vollständig  Baginsky  bei,  dass  man  bei  Anwendung 
der  von  Letzterem  empfohlenen  Methode  ziemlich  weit  den 
Schlauch  einführen  könne;  wenngleich  der  gut  beölte  Katheter 
nur  4— 5  cm  weit  ins  Rectum  anstandslos  vorgeschoben  werden 
kann,  so  überwindet  er  doch  leicht  die  Hindernisse  bis  auf 
15  cm  und  noch  weiter,  wenn  gleichzeitig  Wasser  langsam 
in  den  Darm  hineinfliesst.  Auch  Pollak^)  führte  bei  seinen 
Leichenexperimenten  den  Schlauch  auf  gleicher  Höhe  (15  cm) 
bis  zur  Flexura  sigmoidea  ein. 

Während  ich  ähnliche  Experimente  an  Kinderleichen  aus- 
führte, fand  ich,  dass  man  in  verschiedenen  Fällen  den 
Kautschukschlauch  auf  verschiedene  Höhe  einführen  kann;  es 
kommen  dabei  verschiedene  Momente  in  Betracht,  namentlich 
der  physikalische  Zustand  des  Dick-  und  Dünndarms,  ja  auch 
des  Magens.  Natürlich  bieten  die  Fäcalmassen  dem  Vorrücken 
des  Schlauches  schon  an  und  für  sich  ein  Hinderniss,  doch 
auch  bei  leerem  Darm  geht  das  Schlauchende  leicht  nur  4 
bis  5  cm  weit  bis  zur  ersten  Biegung  des  Rectums,  hier  wird 


1)  A.  Baginsky,  Zur  localen  Behandlang  der  unteren  Darm- 
abschnitte  im  kindlichen  Alter.    Jahrbach  f.  Einderheilk.  IX.    S.  395. 

2)  Meiner  Meinung  nach  ist  dieses  Argument  nicht  stichhaltig,  da 
man  an  den  Leichen  die  Thätigkeit  des  Sphinkters  leicht  durch  Obtu- 
ratoren  oder  durch  Andrücken  der  Hinterbacken  oder  endlich  durch 
Einführung  eines  Fingers  in  den  Anus  ersetzen  kann. 

3)  Monti,  Archiv  f.  Einderheilk.  1886.    VII.    S.  161. 

4)  PoUak,  Wiener  medic.  Presse  1870.    S.  781. 


Znr  Frage  über  die  Anwendang  hoher  Clysmen  bei  Kindern.     193 

es  häufig  aufgehalten.  Zieht  man  es  nun  etwas  zurück  und 
schiebt  aufs  Neue  vor^  bringt  man  jetzt  noch  ein  wenig 
Wasser  hinein,  so  geht  gewöhnlich  der  Schlauch  weiter  10 
bis  15  cm  hoch,  wo  er  wieder  aufgehalten  wird.  Dieses 
zweite  Hinderniss  ist  viel  schwerer  zu  überwinden;  es  ist 
nämlich  der  Uebergang  des  Rectums  in  die  S-förmige  Plexur. 
Wie  ich  bereits  erwähnt  habe,  ist  dieser  Dickdarmabschnitt 
bei  Kindern  besonders  lang  und  gewunden,  namentlich  wenn 
er  leer  oder  schwach  gefüllt  ist.  An  die  Einbiegung  des 
Bectums  in  das  S  romanum  angelangt,  stösst  das  Schlauch- 
ende an  die  obere  Wand  des  letzteren  an,  bei  weiterem  Vor- 
schieben biegt  sich  der  Schlauch,  legt  sich  in  2 — 3  Reihen, 
indem  er  dabei  das  Rectum  stark  ausdehnt  Wird  nun  Wasser 
in  dasselbe  infundirt  und  dadurch  dessen  Wände  gedehnt,  so 
können  die  Biegungen  ausgeglichen  werden,  was  für  das  wei- 
tere Vorschieben  des  Schlauches  sehr  wesentlich  ist.  Wir 
müssen  also,  nachdem  der  Schlauch  10  — 15  cm  weit  ein- 
geführt worden  ist,  den  Wasserzufluss  und  den  Druck  steigern, 
gleichzeitig  durch  Aneinanderdrücken  der  Hinterbacken  oder 
durch  Verstopfen  des  Anus  mit  dem  Finger  den  Rückflnss 
des  Wassers  verhindern.  Das  S  romanum  wird  allmählich 
stark  aufgebläht,  verändert  dabei  seine  Lage  und  seine  Form 
und  erst  dann  gelingt  es,  den  Schlauch  in  diesen  Darm- 
abschnitt einzuführen.  Doch  nicht  immer  treten  diese  Form- 
und Lageveränderungen  ein,  denn  sind  die  anderen  Dickdarm- 
partieen  und  besonders  auch  der  Dünndarm  gefüllt,  die 
Bauchwand  also  gespannt,  so  verhindert  letztere  die  freie 
Bewegung  des  S  romanum  und  dieses  muss  dann  die  frü- 
heren Biegungen  beibehalten.  In  einzelnen  Fällen  macht  sich 
ein  kurzes  Mesenterium  des  S  romanum  als  Hinderniss  gel- 
tend, oder,  wie  ich  es  au  zwei  Leichen  beobachtet  habe,  ziem- 
lich dünne,  aber  doch  genügend  feste,  kürzere  und  längere 
Stränge,  die  von  irgend  einem  Theil  des  S  romanum  zur 
seitlichen  Beckenwand  ziehen  und  die  freie  Beweglichkeit 
dieses  Darmtheils  hemmen.  In  einem  dieser  Fälle  ging  der 
Schlauch  zunächst  18  cm  weit  hinein,  verblieb  aber  dann 
in  dem  Abschnitte  des  S  romanum,  wo  es  in  Folge  solch' 
einer  bandförmigen  Adhäsion,  trotz  Wasseranfüllung,  sich  nicht 
strecken  konnte;  erst  bei  noch  stärkerer  Anfüllung  des  Darms 
und  gleichzeitiger  Massage  der  Bauchwand  konnte  der  Schlauch 
weiter  vorgeschoben  werden,  aber  nur  auf  35  cm,  bis  zur 
Uebergangsstelle  des  S  romanum  in  das  Colon  descendens. 
Im  zweiten  Falle,  wo  das  S  romanum  sehr  geringe  Beweg- 
lichkeit besass,  weil  auf  seiner  ganzen  Strecke  viele  Stränge 
existirten,  welche  den  ganzen  Darmabschnitt  in  zwei  unbeweg- 
liche, mit   der  Convexität  nach  links  gerichtete  und  eine  be- 

Jahrbach  f.  KinderheUknnde.    K.  V.   XXX VIII.  13 


194  D.  Ssokolow: 

wegliche,  mit  der  Convexitat  nach  rechts  gerichtete  bogen- 
förmige Partie  theilten,  ging  der  Schlauch  nur  11  cm  weit 
hinein;  bei  ferneren  Versuchen,  ihn  vorzuschieben,  rollte  er 
sich  im  Rectum  auf.  Auch  in  vielen  anderen  Fällen  fand 
ich,  nachdem  der  Schlauch  bei  intacten  Bauchdecken  40 — 50  cm 
weit  eingef&hrt  worden  war,  nach  Erofihung  der  Bauchhöhle 
das  Schlauchende  an  der  Uebergangsstelle  des  Rectums  in 
das  S  romanum  eingeklemmt,  wobei  der  Schlauch  in  meh- 
reren Reihen  eingerollt  im  stark  ausgedehntem  Rectum  Platz 
fand.  Dessen  ungeachtet  floss  das  Wasser  allmählich  weiter 
in  den  Darm  hinein;  das  Schlauchende  hatte  nämlich  noch 
eine  seitliche  Oeffnung  und  das  Umknicken  des  Endtheiles 
hielt  Dank  der  bedeutenden  Dicke  der  Schlauchwandung  den 
Wasserstrom  nicht  auf,  namentlich  wenn  der  Druck  ein  star- 
ker war.  Wir  können  somit  nach  der  Länge  des  in  den 
Anus  eingeführten  Schlauches  (bei  Lebenden)  nicht  den  Punkt 
bestimmen,  bis  zu  welchem  der  Schlauch  vorgerückt  ist,  um 
so  weniger,  als  auch  die  Betastung  durch  die  Bauchdecken 
irgend  welche  sichere  Hinweisung  nicht  giebt,  namentlich  in 
zweifelhaften  Fällen,  wo  der  DQnndarm  aufgebläht  oder  mit 
Fäcalmassen  gefüllt  ist  und  wo  die  Bauchdecken  stark  ge- 
spannt sind  —  wo  wir  somit  eine  Knickung  des  Schlauch- 
endes vermuthen  können.  Andrerseits  können  wir  uns  auch 
nicht  durch  Verringerung  der  Elasticität  des  Schlauches, 
z.  B.  durch  Einführung  eines  Mandrins  in  denselben  helfen, 
im  Gegentheil,  wir  würden  dann  bei  den  starken  Windungen 
des  Darms  den  Schlauch  noch  weniger  tief  einführen  können. 
Den  von  mir  angewandten  Schlauch  mit  dem  vorhin  erwähn- 
ten Elasticitätsgrade  und  ohne  Mandrin  konnte  ich  sehr  weit 
in  den  Darm  vorschieben,  besonders  in  Fällen,  wo  die  Bauch- 
decken weich  und  nachgiebig  waren,  wo  man  durch  dieselben 
den  Schlauch  durchfühlen  und  sogar  ihn  leiten  konnte.  So 
z.  B.  ging  der  Schlauch  bei  einem  zweijährigen,  an  Masern 
verstorbenen  Knaben  (Körperlänge  81  cm)  bei  eingefallenen 
Bauchdecken  103  cm  tief  hinein.  Die  ursprüngliche  Form 
des  S  romanum  stellte  zwei  mit  der  Convexitat  nach  rechts 
gerichtete  bogenförmige  Abschnitte  dar,  die  in  der  rechten 
Seite  lagen.  An  der  Uebergangsstelle  des  Rectums  in  das 
S  romanum  blieb  der  Schlauch  zunächst  stehen,  jedoch  bei 
allmählichem  Zufiuss  von  Wasser  konnte  er  leicht  weiter 
dirigirt  werden,  blieb  abermals  bei  der  Wendung  des  ersten 
bogenförmigen  Theiles  stecken,  bei  weiterer  Wasserinfusion 
wurde  er  noch  auf  31  cm  vorgeschoben  bis  zur  Uebergangs- 
stelle des  S  romanum  in  das  Colon  descendens,  sodann  aber 
gelangte  der  Schlauch  bei  leichter  Massage  des  Leibes  in  der 
Gegend    der  Fossa   iliaca   sinistra   in   das  Colon   descendens, 


Zar  Frage  über  die  Anwendung  hoher  Clysmen  bei  Kindern.     195 

hier  gleitete  er  ganz  ohne  Hindemisse  vorwärts  in  das  Colon 
transversum  und  endlich  in  das  Colon  ascendens  bis  zum 
Coecnm;  auf  diese  Weise  durchzog  der  Schlauch  den  ganzen 
Dickdarm,  eine  Länge,  die  1,25  mal  grösser  ist  als  die  Körper- 
lange  (103  :  81).  In  anderen  Fällen  gelang  es  nicht,  den 
Schlauch  so  weit  einzuführen,  er  blieb  gewöhnlich  an  der 
Uebergangsstelle  des  S  romanum  in  das  Colon  descendens 
stecken ,  glitt  auf  diese  Weise  nur  30 — 40  cm  tief  hinein. 
Jedenfalls  ist  das  zu  betonen,  dass,  wenn  der  Schlauch  erst 
in  das  Colon  descendens  hineingeglitten  war,  er  sehr  leicht 
vorwärts  in  das  Colon  transversum  und  ascendens  geschoben 
werden  konnte,  da  eben  diese  Dickdarmpartieen  genügend 
weit  sind  nnd  keine  Hindemisse  an  den  üebergangsstellen 
des  absteigenden  Schenkels  in  den  horizontalen  und  dieses 
letzteren  in  den  aufsteigenden  Schenkel  vorhanden  sind.  Der 
Uebergang'  des  einen  Theiles  in  den  anderen  geschieht  ge- 
wöhnlich unter  stumpfem  oder  geradem  Winkel,  obgleich  zu- 
weilen Abweichungen  vorkommen,  so  z.  B.  in  Fällen,  wo  das 
Colon  transversum  ein  langes  (9 — 10  cm)  Mesenterium  be- 
sitzt, dann  gleitet  dieser  Darmtheil  nach  unten  und  kann  so- 
gar in  der  unteren  Hälfte  des  Leibes  Platz  finden;  er  stellt 
dann  einen  mit  der  Convexität  nach  unten  gerichteten  Bogen 
dar.  Nicht  immer  kann*  auch  der  Schlauch  aus  dem  Colon 
transversum  in  den  aufsteigenden  Schenkel  hineingleiten,  so 
z.  B.  in  Fällen,  wo  in  Folge  einer  Anomalie  des  Mesenteriums 
Coecum  und  Colon  ascendens  ihre  Lage  gegenüber  dem  Colon 
transversum  verändert  haben.  Der  aufsteigende  Colonschenkel 
ist  bei  Kindern  fast  immer  mehr  oder  weniger  fixirt  und  un- 
beweglich, das  Coecum  aber  meistentheils  frei  und  beweglich, 
seine  grössere  oder  geringere  Beweglichkeit  hängt  davon  ab, 
in  welch  grossem  Abstände  vom  Boden  des  Blinddarms  der 
aufsteigende  Schenkel  an  der  hinteren  Bauchwand  befestigt 
ist  Das  Coecum  ist  fast  immer  allseitig  vom  Peritoneum 
bedeckt,  und  nicht  nur  das  eigentliche  Coecum,  also  der 
unterhalb  der  Einmündung  des  Dünndarms  in  den  Dickdarm 
gelegene  Theil,  sondern  auch  ein  Theil  des  Colon  ascendens 
ist  in  grösserem  oder  geringerem  Umfange  allseitig  vom  Peri- 
toneum überzogen;  dieser  Bauchfellabschnitt  ist  in  Form  eines 
Mesenteriums  an  der  hinteren  Bauchwand  befestigt,  oder  an 
der  vorderen  Fläche  der  rechten  Niere,  oder  sogar  an  der 
Porta  hepatis  genau  im  Winkel,  der  durch  den  Uebergang 
des  Colon  ascendens  in  das  Colon  transversum  gebildet  wird. 
Dank  dieser  Eigenthümlichkeit  ist  das  Coecum  zuweilen  so 
beweglich,  dass  es  nicht  an  seinem  gewöhnlichen  Orte  —  in 
der  rechten  Fossa  iliaca  —  vorgefunden  wird,  sondern  irgend 
wo   an    einem    ganz   anderen  Theil    der  Leibeshöhle.     Häufig 

13* 


196  D.  Ssokolow: 

biegt  die  untere  Hälfte  des  aufsteigenden  Colonscbenkels  nach 
innen  zur  Mittellinie  uro,  sodass  das  Coecum  quer  über  der 
Harnblase  zu  liegen  kommt,  sogar  über  die  Linea  mediana 
hinaus  bis  zur  linken  Fossa  iliaca,  wobei  der  Dünndarm  nicht 
von  innen,  sondern  von  oben  in  den  Dickdarm  einmündet. 
Eine  solche  Lage  des  Coecum  verhindert  durchaus  nicht  das 
Eintreten  des  Schlauches  aus  dem  Colon  ascendens,  zuweilen 
aber  kann  ein  langes  Mesenterium  die  Lage  des  Coecum  yer- 
ändern,  wenn  ein  Hindemiss  für  das  Durchtreten  des  Schlauches 
aus  dem  Colon  ascendens  in  den  Blinddarm  bereits  vorhanden 
ist.  In  Fällen,  wo  der  stark  gefüllte  oder  geblähte  Darm 
das  Hinüberrücken  des  Blinddarms  nach  links  verhindert, 
bleibt  derselbe  zwar  rechts,  doch  erfährt  er  verschiedene  Bie- 
gungen und  Krümmungen  und  legt  sich  mit  der  vorderen 
Fläche  auf  die  vordere  Fläche  des  aufsteigenden  Colons,  in- 
dem er  seine  hintere  Fläche  nach  vorn  wendet.  Je  hoher 
das  Colon  ascendens  befestigt  ist,  um  so  höher  liegt  auch 
der  Blinddarm;  wir  finden  auf  diese  Weise  zuweilen  das 
Coecum  mit  seinem  Boden  nach  vorn  gewandt  und  dabei 
doch  in  der  Fossa  iliaca  dextra  liegend,  zuweilen  aber  finden 
wir  an  dieser  Stelle  Dünndarmschlingen,  etwas  hoher  die  Bie- 
gung des  absteigenden  Schenkels,  und  endlich  noch  höher, 
dicht  unter  der  Leber,  den  mit  seinem  Boden  nach  oben  ge- 
wandten Blinddarm.  Bei  noch  längerem  oder,  was  richtiger 
wäre,  bei  noch  höherem  Mesenterium,  wo  nur  die  Ueber- 
gangsstelle  des  Colon  ascendens  in  das  Colon  transversum 
befestigt  ist,  finden  wir  das  Coecum  weder  in  der  rechten 
Lendengegend,  noch  im  rechten  Hypochondrium,  vielmehr  er- 
weist es  sich  links  unter  dem  Rippenbogen,  mit  seinem  Boden 
nach  links  zur  Milz  gerichtet,  sodass  das  Colon  ascendens, 
mit  seiner  hinteren  Fläche  nach  vom  gerichtet,  quer,  von 
rechts  nach  links,  und  parallel  dem  Colon  transversum  ver- 
läuft, gleichsam  ein  zweites  Colon  transversum  darstellend. 
In  einem  Falle  endlich  fand  ich  den  ganzen  Dickdarm  in  der 
linken  Hälfte  des  Leibes,  den  Dünndarm  in  der  rechten;  das 
Coecum  lag  links  mit  seinem  Boden  nach  links  und  unten 
gerichtet,  in  der  Mittellinie  zwischen  dem  Rande  der  falschen 
Rippen  und  der  Spina  anterior  inferior  und  zwar  in  der  Höhe 
der  Spina  anterior  superior;  das  Colon  ascendens  zieht  nach 
oben  und  wendet  sich,  am  Rippenbogen  angelangt,  zunächst 
nach  rechts,  dann  aber  biegt  es,  ohne  die  Mittellinie  zu  er- 
reichen, wieder  nach  links  und  unten  um  und  steigt  in  die 
linke  Fossa  iliaca  herab,  wo  es  in  das  S  romanum  übergeht, 
dessen  eine  Schlinge  in  der  Fossa  iliaca  dextra  zu  liegen 
kommt;  von  hier  aus  geht  der  Darm  in  das  nach  links  ge- 
legene Rectum  über.     Es   sei    hier  erwähnt,   dass  in  diesem 


Zur  Frage  über  die  Anwendung  hoher  Glysmen  bei  Kindern.     197 

Falle  auch  der  Magen  verlagert  war;  seine  obere  Curvatur 
war  nach  links  oben  gerichtet,  seine  untere  nach  rechts  unten, 
sodass  der  Pylorus  links  lag  und  auch  der  Anfangstheil  dos 
Duodenum  nach  links  gerichtet  war.  Freilich  stellt  dieser 
Fall  eine  Anomalie,  vielleicht  auch  eine  seltene,  dar;  hierher 
gehört  auch  ein  Fall  von  sehr  langem  und  beweglichem  Colon 
ascendens.  Bei  einem  vierjährigen,  an  eitriger  Cerebrospinal- 
Meningitis  verstorbenen  Knaben  verlief  dieser  Darmabschnitt 
zunächst  parallel  dem  Colon  transversum  bis  zur  Mittellinie, 
wo  er  nach  unten  aussen  bog,  sich  an  der  unteren  Hälfte  der 
Yorderfläche  der  rechten  Niere  anheftete  und  endlich  wieder 
nach  oben  bog,  sodass  das  Coecum,  mit  seiner  hinteren 
Fläche  nach  vorn  gewandt,  unter  der  Leber  zu  liegen  kam. 
Im  Ganzen  fand  ich  Lageveränderungen  des  Blinddarms  in 
Folge  von  Einbiegungen  des  aufsteigenden  Colons  unter 
76  Fällen  13  mal ;  doch  im  Allgemeinen  erwies  sich  das 
Coecum  sehr  häufig  beweglich,  weil  das  Colon  ascendens  7 — 
8 — 10  cm  hoher  als  der  Boden  des  Blinddarms  befestigt  war. 

Turner^)  erwähnt  auch  in  seiner  Dissertation  diese  ano- 
male Lage  des  Coecum;  bei  7  Neugeborenen  fand  er  eben- 
falls eine  Umbiegung  des  aufsteigenden  Colonschenkels,  'so- 
dass der  Blinddarm  nach  vorn  und  oben  gewandt  war. 

Auch  bei  Erwachsenen  kommen  solche  Lageveränderungen 
des  Dickdarms  vor.  Poljakow^  fand  in  21  Fällen  folgende 
Verhältnisse:  1.  Das  Colon  transversum  bildete  eine  nach 
unten  gerichtete  Schlinge;  2.  die  Flexura  sigmoidea  ist  ver- 
längert, bildet  eine  von  der  linken  Fossa  iliaca  nach  oben 
zum  Mesogastrium  gerichtete  Schlinge,  die  auf  der  vorderen 
Fläche  der  Dünndarmschlingen  verläuft,  oder  aber  die  Schlingen 
des  S  romanum  ziehen  nach  unten  ins  kleine  Becken;  3.  das 
Colon  descendens  ist  verlängert,  verläuft  über  der  Harnblase 
nach  der  rechten  Lendengegend  und  kehrt  wieder  nach  links 
zurück;  4.  oder  aber  es  zieht  nach  der  rechten  Lendengegend, 
bildet  dort  eine  S-förmige  Krümmung  und  geht  ebenfalls 
rechts  in  das  Rectum  über;  5.  der  absteigende  Schenkel  zieht 
direct  aus  dem  linken  Hypochondrium  in  die  rechte  Fossa 
iliaca  und  verhält  sich  weiter  analog  4;  6.  der  Dickdarm 
zieht,  nachdem  er  im  rechten  Hypochondrium  die  Flexura 
hepatica  gebildet  hat,  in  einer  Diagonale  nach  unten  direct 
in  die  linke  Fossa  iliaca  und  endigt  normal;  7.  der  Blind- 
darm liegt  im  kleinen  Becken  oder  im  rechten  Hypochon- 
drium. 


1)  Turner,  Zar  Anatomie  des  Blinddarms  and  des  Warmforfcsatzes 
in  Hinsicht  der  Pathologie  der  Perityphlitis.    Disseri  1892  (rassisch). 

2)  Poljakow,  Medicinischcr  Bericht  der  kaakasischen  medicinischen 
GeselUchaft  1891  (rassisch). 


198  D-  Ssokolow: 

Aus  diesen  verschiedenen  Anomalien  bei  firwachsenen, 
die  ich  absichtlich  hier  angeführt  habe,  können  wir  den 
Schluss  ziehen,  dass  die  oben  angeführten  Lageveränderungen 
des  Dickdarms  bei  Kindern^)  viel  häufiger  anzutreffen  sind 
als  bei  Erwachsenen.  Dies  wird  auch  durch  die  Arbeit  des 
Dr.  Turner  bestätigt,  der  Lageanomalien  des  Blinddarms  nur 
in  5  Fällen  beobachtet  hat:  bei  3  Männern  fand  er  die  Fossa 
iliaca  dextra  vom  Dünndarm  eingenommen,  das  Colon  ascen- 
dens  biegt  auf  der  Höhe  der  Crista  ilei  quer  nach  links,  so- 
dass der  Blinddarm  bis  zur  Mittellinie  reicht;  ferner  war  in 
einem  Falle  das  Colon  ascendens  nach  hinten  gewandt,  so- 
dass das  Coecum  hinter  dem  Colon  .ascendens  zu  liegen  kam, 
und  endlich  in  einem  Falle  lag  dieser  Darmabschnitt  vor  der 
Flexura  sigmoidea,  die  die  Fossa  iliaca  dextra  eingenommen 
hatte.  Diese  Anomalien  wurden  unter  104  Leichen  gefunden, 
während  bei  Neugeborenen  und  Kindern  unter  einem  Jahre 
unter  28  Leichen  9  mal  Lageanomalien  des  Coecums  beob- 
achtet wurden:  in  7  Fällen  war  das  Colon  ascendens  nach 
vorn  hinübergebogen,  in  2  Fällen  lag  es  quer  nach  links  zur 
Mittellinie  verlaufend.  „Auf  Grund  dieses  Befundes'',  sagt  der 
Autor,  „kann  man  annehmen,  dass  mit  der  Vergrösserung  der 
Leibeshohle  eine  Streckung  des  Colon  ascendens  Hand  in 
Hand  geht  und  das  Coecum  nimmt  dann  seine  gewohnliche 
Lage  mit  nach  unten  gerichtetem  Boden  ein''  (1.  c.  S.  69). 

Wir  wissen  somit  jetzt,  welche  Lagebedingungen  des  Dick- 
darms dem  hohen  Einführen  des  Schlauches  förderlich  und 
welche  hinderlich  sind.  Wir  haben  gesehen,  dass  ich  in  Aus- 
uahmsfallen  den  Schlauch  sogar  bis  in  den  Blinddarm  vor- 
schieben konnte;  es  ist  aber  nun  die  Frage,  ob  wir  wirklich 
immer  bestrebt  sein  müssen  den  Schlauch  womöglich  tiefer 
einzuführen,  oder  aber  ist  dies  gar  nicht  nothwendig? 
Dnser  Endziel  ist:  die  Flüssigkeit  in  den  Dünndarm  zu  bringen, 
deshalb  wäre  es  interessant,  zu  wissen,  ob  die  Flüssigkeit 
wenigstens  bis  ans  Coecum  gelangt,  wenn  wir  den  Schlauch 
nicht  tief  einführen,  und  das  ist  in  der  That  der  Fall;  in 
dieser  Hinsicht  ist  die  Tiefe,  bis  auf  welche  wir  den  Schlauch 
einführen,  von  geringerer  Bedeutung  als  die  Druckhöhe,  unter 
welcher  die  Flüssigkeit  in  den  Darm  fliesst,  und  hauptsäch- 
lich auch  die  Möglichkeit,  dieselbe  im  Darm  zu  behalten,  sei  es 
dadurch,  dass  der  Patient  selbst  den  Sphinkter  anstrengt,  sei 
es,  dass  die  Hinterbacken  aneinander  gepresst  werden,  oder 
endlich  ein  Obturator  oder  der  Fingerdruck  angewandt  werden. 
Schon  bei  den  Leichen,  wo  ja  die  Anspannung   der  Bauch- 


1)  Natürlick  sind  alle  diese  verschiedenartigen  Lagen  des  Darms 
in  der  Frage  über  die  Massage  des  Leibes  zu  berücksichtigen. 


Zur  Frage  über  die  Anwendnog  hoher  ClyBinea  bei  Eindera.      199 

presse  und  die  in  Folge  der  Beizung  auftretende  verstärkte 
Dickdarmperistaltik  wegfallen,  fliesst  die  Flüssigkeit  wieder 
heraus,  wenn  die  Analöffnung  nicht  irgendwie  verschlossen 
wird;  bei  Lebenden,  und  namentlich  bei  Kindern,  geschieht 
dies  noch  viel  schneller.  Ist  es  nun  doch  möglich,  das 
ZurQckfliessen  zu  verhindern,  so  füllt  die  Flüssigkeit  allmäh- 
lich, wenn  auch  der  Schlauch  nicht  tief  eingeführt  worden 
ist,  den  ganzen  Dickdarm  und  gelangt  bis  ins  Goecum  (natür- 
lich, wenn  keine  Darmobturation  oder  ringförmige  Contractur 
besteht).  Die  Tiefe,  bis  zu  welcher  der  Schlauch  eingeführt 
ist,  ist  nur  in  dem  Sinne  von  Bedeutung,  als  die  Flüssigkeit, 
wenn  der  Schlauch  nicht  tief,  z.  B.  bis  zur  Biegung  des  Rec- 
tums  vorgeschoben  worden  ist,  zunächst  das  Rectum  füllt, 
und  erst,  wenn  das  letztere  stark  ausgedehnt  worden  ist  und 
der  Flüssigkeitsdruck  grösser  als  der  intraabdominale  Druck 
wird,  weiter  fliesst.  Dazu  ist  aber  oft  eine  sehr  starke  An- 
füllung  des  Rectums  noth wendig;  die  dadurch  bedingte  Rei- 
zung ruft  eine  Verstärkung  der  Bauchpresse  und  der  Darm- 
peristaltik hervor,  weshalb  die  Flüssigkeit  die  Tendenz  zurück- 
zufiiessen  erhält.  Daher  ist  eine  womöglich  tiefere  Einfüh- 
rung des  Schlauches  erwünscht,  um  nicht  den  unteren  Ab- 
schnitt des  Dickdarms  zu  stark  auszudehnen,  (Bei  Erkran- 
kungen des  Dickdarms  ist  die  tiefe  Einführung  des  Schlauches 
nicht  nöthig,  da  die  Flüssigkeit  leicht  in  den  Dickdarm  hinein- 
gelangt, selbst  wenn  der  Schlauch  nicht  tief  eingeführt  worden 
ist,  andrerseits  könnte  der  Versuch,  denselben  weiter  vorzu- 
schieben, eine  stärkere  Reizung  der  lädirten  Schleimhaut  be- 
dingen.) 

Dabei  tritt  nun  eine  weitere  Frage  an  uns  heran,  welche 
Lage  der  Patient  bei  der  Operation  einzunehmen  hat.  Hegar^) 
empfiehlt  die  Knie-Ellenbogenlage,  bei  der  die  Flüssigkeit  am 
leichtesten  in  cfen  Darm  gelange,  oder  die  Lage  bei  erhöhtem 
Becken.  Wir  berühren  hier  somit  die  Frage  über  den  intra^ 
abdominellen  Druck,  die  erst  in  jüngster  Zeit  durch  Arbeiten 
rassischer  Autoren  aufgeklärt  worden  ist  ( Wa  g  n  e  r  *),  R  e  p  r  e  w  ^  j) ; 
die  bereits  vor  diesen  erschienenen  Arbeiten  ausländischer  For- 
scher widersprechen  sich,  theil weise  sind  sie  auch  unvoll- 
kommen, weil  die  Experimente  nicht  ganz  richtig  angestellt 
worden  sind.  So  hält  Hamernich^)  den  intraabdominellen 
Druck  für  negativ,  Braune^)  setzt  ihn  gleich  Null,  nur  dann 

1)  Hegar,  Ueber  Einführung  von  Flfissigkeiten  in  Harnblase   and 
Darm.    Deutsche  Klinik  XXV.    1873.    Nr.  8. 

2)  Wagner,  Wratach  1888.    12—14. 

3)  Reprew,  Wratach  1890.    18—22. 

4)  Citirt  nach  Beprew. 

5)  Braune,  Centralblatt  für  die  medic.  Wissenchaften  1866. 


200  I>.  Saokolow: 

werde  er  positiv,  wenn  die  Bauchdecken  bei  ihrer  Oontraction 
als  Presse  wirken;  Schatz^),  Quincke'),  Leyden*)  halten 
den  Druck  för  positiv.  Reprew,  der  seine  Beobachtungen 
an  lebendigen  und  todten  Hunden  angestellt  hat,  gelangt 
zum  Resultate,  dass  der  allgemeine  Druck  im  Abdomen  dem 
atmosphärischen  nahe  kommt,  Schwankungen  nach  der  posi- 
tiven Seite  gingen  bis  zu  3,  nach  der  negativen  bis  4  cm 
einer  Wassersäule;  der  Druck  im  Rectum  bei  horizontaler 
Rückenlage  erwies  sich  entweder  gleich  dem  atmosphärischen 
oder  häufiger  positiv,  seltener  negativ.  Constanter  sind  die 
Resultate  von  Wagner,  welcher  bei  gesunden  Leuten  den 
Druck  im  Rectum  vermittelst  eines  mit  einem  Manometer 
verbundenen  Gummiballons  zu  bestimmen  sucdte.  Er  fand 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  einen  positiven  Druck  (-[-  10  und 
mehr),  nur  in  2  Fällen  war  der  Druck  =  0,  dabei  wächst  der 
Druck  mit  der  AnfQllung  des  Abdomens.  Wagner  nahm 
als  Druckeinheit  den  Druck  bei  Lage  des  Patienten  auf  dem 
Rücken  mit  angezogenen  Knien  an;  bei  Aenderung  der  Lage 
Consta tivte  er  folgendes  Verhalten:  am  geringsten  war  der 
Druck  bei  der  Lage  ä  la  vache  (6 — 26),  dann  bei  Lage  auf 
der  rechten  Seite  (4 — 16)  und  endlich  auf  der  linken  Seite 
(0-14). 

Also  bei  Lebenden  entspricht  die  von  Hegar  empfohlene 
Lage  ä  la  vache  am  meisten  dem  zu  erzielenden  Effect;  bei 
Kindern  aber  kann  nur  die  Kückenlage  mit  erhöhtem  Becken 
angewandt  werden,  da  die  Knieellenbogenlage  unbequem  ist, 
um  so  mehr,  als  nach  Mosler^)  bei  der  Rückenlage  ebenso 
viel  Flüssigkeit  und  ebenso  weit  hineinfliesst  als  bei  der 
Knieellenbogenlage.  Fleischmann ^)  zieht  die  Lage  auf  der 
rechten  Seite  vor,  die  Rückenlage  sei  weniger  günstig  und 
ganz  ungünstig  sei  die  linksseitige  Lage.  M^nti  (1.  c.)  hat 
mit  Erfolg  die  Rückenlage  mit  stark  an  den  Leib  heran- 
gezogenen Beinen  und  erhöhtem  Becken  bei  Kindern  ange- 
wandt. Bei  dieser  Lage  floss  auch  bei  meinen  Leichenexperi- 
menten das  Walser  ziemlich  leicht  durch  den  ganzen  Dick- 
darm bis  ins  Coecum,  selbst  bei  verhältnissmässig  geringem 
Druck  (1 — 1V4  m  der  Wassersäule)*). 

1)  Schatz,  Archiv  f.  üyn&kologie  1872.  IV. 

2)  Quincke,  Dentsches  Archiv  f.  klinische  Medicin  1878.  XXI.  S.459. 

5)  Leyden,  Charitd-Annalen  1878.    III. 

4)  Mo  sie  r,  Dentsches  Archiv  f.  klinische  Medicin  XV.  1876.  S.  223 
bis  243. 

6)  Fleisohmann,  Jahrbuch  f.  Einderheilkunde  1871,  IV. 

6)  Bei  lebenden  Kindern  scheint  mir  am  günstigsten  die  Lage  auf 
der  rechten  Seite,  da  derjenige,  die  die  Infusion  ausführt,  auf  der 
rechten  Seite  des  Kindes  steht  und,  mit  seiner  linken  Hand  die  Hinter- 
backen anpressend,  den  Schlauch  mit  der  rechten  Hand  einführt. 


Zar  Frage  über  die  Anwendang  hoher  Clysmen  bei  Kindern.    201 

Wir  sehen  also,  dass  die  Flüssigkeit  ziemlich  leicht  bis 
ans  Coecnm  gelangt,  weiter  aber,  d.  h.  in  den  Dünndarm, 
fliesst  sie  durchaus  nicht  immer,  und  zwar  nur  unter  einigen 
besonderen  Bedingungen.  —  Bekanntlich  findet  sich  an  der 
Einmündungsstelle  des  Dickdarms  in  den  Dünndarm  eine  eigen- 
thümliche  Bildung,  die  sog.  Valvula  ileo-coecalis  oder  Bau- 
hinii.  Wie  Debierre^)  uns  mittheilt,  führt  diese  Klappe  den 
Namen  des  Anatomen,  der  die  Entdeckung  derselben  sich  im 
Jahre  1579  zugeschrieben  hat^),  obgleich  sie  eigentlich  schon 
von  Varole')  gesehen  wurde,  der  die  Klappe  als  Operculum 
ilei  bezeichnete.  Fabricius  ab  Aquapendente^)  hat  zu- 
erst darauf  hingewiesen,  dass  die  Klappe  das  Hinüberströmen 
Ton  Luft  aus  dem  Dickdarm  in  den  Dünndarm  verhindert, 
nach  einigen  Jahren  fand  Riolan^)  dasselbe  auch  für  Wasser; 
nach  diesen  haben  sehr  viele  Autoren  diese  Fähigkeit  der 
Klappe  hervorgehoben,  obgleich  andere  an  der  Richtigkeit 
dieser  Thatsache  zweifelten.  So  z.  B.  weisen  Cloquet^), 
Lauth^,  B^clard»),  Faulet^),  Sappey^«)  die  Möglichkeit 
des  Uebertretens  flüssiger,  gasförmiger  und  fester  Stoffe  aus 
dem  Dickdarm  in  den  Dünndarm  absolut  von  der  Hand. 
„Merito  dubitatur'',  sagt  Lieberkühn"),  ,yan  uuquam  ex 
crassis  in  tenuia  aliquid  redire  possit,  nisi  destructa  sit  val- 
vula", während  Cruveilkier^*)  dies  nur  für  feste  Körper 
gelten  lässt,  für  flüssige  und  gasförmige  Stofie  hält  er  die 
Klappe  insufficient.  Richet^^)  meint,  dass  die  Klappe  nur 
für  Gase  durchlässig  ist,  Luschka^*)  und  Hyrtl^*)  erklären  das 
facale  Erbrechen  durch  die  Fähigkeit  der  Klappe,  auch  feste 
Stoffe  durchzulassen. 

In  Anbetracht  solcher  Widersprüche  hat  Prof.T  r  a  u  t  v  e  tt  e  r^^) 

1)  Debierre,  Lyon  mddicale  1885.   46.    S.  800. 

2)  Bauchin^  Theat.  anat.  Francfurti  p.  121,   tab.  XX.    1606. 

3)  Varole,  Anat.  hnm.  1673.    Citirt  bei  Debierre. 

4]  Hieronymi  Fabricii  ab   Aquapendente  opera   omnia  anato- 
mica  et  physiologica.    Lngdnni  Batavonim  1738. 

6)  Riolan,  Enchirid.  anat.  Lugd.  1649.  p.  106.    Citirt  bei  Debierre. 

6)  Gloqnet,  Anatomie  de  Tbomme.    Paria  1831.  V.   p.  681. 

7)  Lanth,  Manuel  de  Tanatomiste  Paris.    Strasbourg  1836.   p.  306. 

8)  B^clard,  Dictiounaire  en  30  v.  XVII,  Paris  1837.   p.  461. 

9)  Panlet,  Anatomie  topographique  Paris  1867—1870.    p.  451. 

10)  Sappey,  Anatomie  descriptive  3  ^d.  1877.   IV.   p.  263. 

11)  Lieberkühn,  De  valvula  coli  et  usu  processus  vermicularis 
1782.     Citirt  nach  Dissertation  Turner  S.  69. 

12)  Crnveilbier,  Anatomie  descriptive  2.  ^d.  Paris  1843.  III.  p.  332. 

13)  Riebet,  Anatomie  cbirurgicale  4.  ^d.   Paris  1878.  8.  419. 

14)  Luschka,  Die  Anatomie  des  menschlicheD  Bauches.  Tübingen 
1863.    S.  202. 

16)  Hyrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie  (russische  Üebersetzung). 

16)  Trautvetter,  Wie  weit  können  Flüssigkeiten  in  den  Darm- 
canal  per  anum  hinaufgespritzt  werden?  Deutsches  Archiv  f.  klinische 
Medicin  1868.   S.  476. 


202  D.  Seokolow: 

1868  Untersuchungen  in  dieser  Richtung  angestellt.  Er  in- 
jicirte  an  Lebenden  Ferricyankali- Lösung,  und  nachdem  die 
Betreffenden  gestorben  waren,  schnitt  er  den  Darm  auf,  brachte 
eine  Losung  von  Ferrum  sesquichloratum  hinein  und  be- 
stimmte nach  der  bekannten  Verfärbung,  wie  hoch  die  Flüssig- 
keit in  den  Darm  hineingelangt  war.  Im  Ganzen  wurden 
19  Leichen  untersucht,  nur  zweimal  gelangte  die  Flüssigkeit 
bis  ans  Coecum,  in  den  anderen  Fällen  war  sie  durchaus  nicht 
so  tief  hineingeflossen,  bei  Hunden  dagegen  gelangte  sie  zu- 
weilen doch  in  den  Dünndarm,  ja  sie  kam  sogar  bis  in  den 
Magen  und  in  den  Mund.  Weitere  Untersuchungen  in  dieser 
Richtung  enthält  die  Arbeit  von  Pollak^),  der  nur  an  Einder- 
leichen experimentirte.  Er  brachte  Amylumkleister  hinein  und 
bestimmte  mittelst  Jodtinctur,  wie  hoch  der  Kleister  in  den 
Darm  gelangte.  Gewöhnlich  ging  die  Masse  bis  zum  Coecum 
und  nur  bei  sehr  starkem  Druck  und  bei  maximaler  Füllung 
des  Blinddarms  gelangte  sie  in  den  Dünndarm.  Die  Passive 
der  Flüssigkeit  aus  dem  Coecum  in  den  Dünndarm  ist  nach 
PoUak  entweder  sehr  erschwert  oder  ganz  versperrt:  die 
Lippen  der  Yalyula  Bauhinii  bilden  ein  Dreieck,  dessen  Basis 
dem  Dünndarm,  dessen  Spitze  dem  Coecum  zugekehrt  sind; 
bei  starker  Spannung  des  Coecums  stellen  sich  die  Lippen 
vertikal  oder  so,  dass  das  Dreieck  mit  seiner  Spitze  sich  dem 
Ileum  zuwendet  und  daher  Flüssigkeit  durchlässt. 

Etwas  andere  Resultate  bekam  Fleischmann  (1.  c.),  der 
sowohl  lebende  als  auch  todte  Kinder  daraufhin  untersuchte. 
Um  die  Höhe  der  Flüssigkeitsäule,  die  in  den  Darm  bei 
Lebenden  hineingelangt,  zu  bestimmen,  wandte  F.  Tannin- 
clysmen  an,  als  Reagens  gebrauchte  er  Ferrum  sesquichlo- 
ratum; Amylumkleister  soll  deshalb  nicht  anwendbar  sein, 
weil  das  Amylum  sich  mit  den  unverdauten  Stärkeresten 
mischen  könnte,  namentlich  in  Fällen,  wo  die  Substanz  durch 
die  Klappe  hindurch  in  das  Ileum  gelangt.  Die  Injectionen 
wurden  mittelst  einer  Clystierspritze  (von  140  ccm)  ausgeführt, 
wobei  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  die  Hälfte  des  Clysmas  bis 
zum  Colon  ascendens  vordrang,  das  ganze  Clysma  bis  zur 
Klappe,  und  zwar  um  so  häufiger,  je  jünger  das  Kind  war; 
bei  6  Kindern  drang  die  Flüssigkeit  in  das  Ileum  ein:  1.  bei 
einem  9  monatlichen  36  Zoll  über  die  Klappe  hinaus,  2.  bei 
einem  9  monatlichen  12  Zoll,  3.  bei  einem  13  Monate  alten 
Kinde  30  Zoll,  4.  bei  einem  2Vijährigen  12  Zoll  und  5.  bei 
einem  5^  jährigen  6  Zoll  weit.  Weitere  Untersuchungen  in 
dieser  Richtung  sind  nur  an  Erwachsenen  angestellt  worden. 
Simon  (1.  c.)  hält  das   Uebertreten  von  Fäcalien   aus   dem 

1)  Po  Hak,  Wiener  med.  Presse  1870.    S.  781—784. 


Zur  Frage  über  die  Anwendung  hoher  Clysmen  bei  Kindern.    203 

Dickdarm  in  den  D&nndarm  in  den  meisten  Fällen  für  mög- 
lieb, da  bei  seinen  neun  Leichenexperimenten  das  Wasser 
leicht  durch  die  Valvula  Bauhinii  in  den  Dünndarm  gelangte. 
Mo sl er  jedoch  gelang  es  nicht,  bei  Leichen  die  in  den  Darm 
hineingebrachte  Flüssigkeit  über  die  Yalvula  hinaus  in  das 
Ileum  zu  schaffen,  was  seiner  Meinung  nach  damit  zusammen- 
hängt, dass  man  bei  Leichen  nicht  so  viel  Flüssigkeit  in  den 
Darm  hineinbringen  kann  wie  bei  Lebenden;  bei  Hunden  ge- 
langte  die  PlüsBigkeit  sehr  leicht  ins  Ileum,  etwas  schwie- 
riger  schon  bei  Meerschweinchen. 

1878  empfahl  Prof.  Cantani^)  die  Clysmen  mit  hohem 
Druck,  die  sogenannten  Enteroclysmen.  Leider  finden  wir 
in  dieser  Arbeit  keine  Beweise  dafür,  dass  Flüssigkeiten  durch 
die  Klappe  hindurchdringen  können;  diesen  Beweis  führen 
die  späteren  Arbeiten  des  Professors  und  seiner  Schüler,  so 
z.  B.  beschreibt  Cantani^)  zwei  Fälle,  wo  1^/^  1  Oel  ins 
Rectum  hineingebracht  worden  waren  und  nach  einer  Stunde 
erbrochen  wurden;  einen  ähnlichen  Fall  publicirte  Bianchi') 
und  noch  zwei  Fälle  Muselli^).  In  einem  Referate  über 
diese  Fälle  (im  Wratsch  1883,  p.  649)  sagt  Prof.  Manassein: 
„Beim  Menschen  können  weder  gewohnliche  Clystiere  (mitr 
telst  Eautschukballons,  Spritzen  und  Elysopompe),  noch  die 
Hegar'schen  die  Bauhin 'sehe  Klappe  überwinden;  es  ist 
dies  festgestellt  durch  die  Experimente  von  Moschkow  an 
Leichen  und  von  Krusenstern  und  Bubnow  durch  kli- 
nische  Beobachtungen;    letztere   Autoren   brachten    Schwind- 


1)  Cantani,  Le  indicazioni  deir  enteroclismo  nelle  malattie  io- 
testioali.    U  Morgagni  1878.    20.   p.  273. 

2)  Cantaui,  Dao  case  di  Yomito  d'olio  dopo  Tapplica  zione  deir 
olio  per  l'ano  mediante  renterocliamo  II  Morgagni  1879.    4.    p.  241. 

3)  Bianchi  citirt  bei  Maselli. 

4)  Muselli,  L'enteroclisme  et  ses  indications.  Journal  de  m^de- 
eine  de  Bordeaux  1883.  p.  73.  Septembre.  —  Muselli  sagt,  dass  die 
Enteroclysmen  1878  von  Gantani  empfohlen  wurden,  während  Frat- 
tini  das  Jahr  1869  angiebt;  Cantaui  selbst  weist  in  seiner  „Vor- 
lanfigen  Mittheilung"  im  „Geniralblatt  für  die  medicinischen  Wissen- 
schanen**  1884,  44  auf  das  Jahr  1870  hin.  Leider  konnte  ich  nicht  die 
Arbeit,  in  welcher  C.  zuerst  die  Anwendung  der  Enteroclysmen  em- 
pfohlen hatte,  eruiren.  Auch  die  Arbeit  von  Frattini  ^Gazzetta  degli 
Ospitali  1890)  1^  mir  nicht  im  Original  vor,  sondern  m  einem  Re- 
ferat aus  dem  Wratsch  1890,  Nr.  8,  in  welchem  erwähnt  wird,  dass 
yermittelst  des  von  Gantani  angegebenen  sehr  einfachen  Instruments 
man  Flüssigkeiten  leicht  durch  die  Bauhini'sche  Klappe  in  den  Dünn- 
darm bringen  kann.  Für  Kinder  von  12 — 15  Jahren  sollen  1—1  Vi  ^ 
nOthig  sein,  yon  6—12  Jahren  V|— 1  1;  für  Neugeborene  200—300  ccm. 
In  seiner  Abhandlung  über  die  Therapie  der  Cholera  sagt  Gantani: 
^,Man  kann  annehmen,  dass  die  Bauhinrsche  Klappe  kein  besonderes 
Hindemiss  bietet,  und  es  ist  jetzt  bereits  experimentoll  erwiesen,  dass 
das  Hindemiss  leicht  überwunden  werden  kann." 


204  D.  Ssokolow: 

süchtigen  einige  Stunden  vor  ihrem  Tode  Milch  in  den  Darm 
hinein  und  constatirten  bei  der  Section,  dass  die  Milchcoagula 
nur  bis  zur  Klappe  gefunden  werden  konnten/'  —  Aber  schon 
1885  giebt  Manasseiu^)  im  Anlass  der  Olivieri'schen') 
Arbeit  kund,  dass  in  seiner  Klinik  yon  Dr.  Sigrist  eine  Reihe 
von  Eingiessungen  verschiedener  farbiger  und  färbender  Lö- 
sungen an  Verstorbenen  ausgeführt  worden  ist.  Diese  Flüssig- 
keiten drangen  unbedingt  bis  in  den  Magen  hinein,  ohne  den 
Darm,  der  mit  tuberculösen  Geschwüren  besäet  war,  zu 
lädiren. 

V.  Ziemssen')  berührt  ebenfalls  in  seiner  Abhandlung 
„Ueber  die  artificielle  Füllung  des  Dickdarms  zu  diagnostischen 
und  therapeutischen  Zwecken''  die  Frage  nach  der  Möglich- 
keit des  Uebertretens  von  Gasen  aus  dem  Dickdarm  in  das 
Ileum.  Er  führte  einen  Schlauch  15  cm  weit  in  den  Darm 
ein  und  injicirte  zunächst  eine  Sodalösung  und  darauf  eine 
Weinsäuresolution.  Die  dadurch  entstehende  Kohlensäure  wurde 
bei  den  experimentellen  Untersuchungen  an  Hunden  und  Ka- 
ninchen im  Magen  und  sogar  über  denselben  hinaus  con- 
statirt.  Dieselben  Untersuchungen  stellte  v.  Z.  an  lebenden 
Menschen  und  an  Leichen  an,  wobei  es  sich  ergab,  dass  bei 
frischen  Leichen  die  Bauhini'sche  Klappe  hermetisch  schliesst, 
selbst  bei  sehr  starkem  Gasdruck,  nur  in  seltenen  Fällen  ge- 
langte der  gasförmige  Körper  in  den  Dünndarm.  Bei  lebenden 
gesunden  Leuten  fand  v.  Z.  dieselben  Verhältnisse  vor:  das 
feste  Schliessen  der  Klappe  war  die  Regel,  nur  in  Ausnahme- 
fallen lag,  wenn  auch  keine  freie  Passage,  so  doch  die  Mög- 
lichkeit des  Uebertretens  von  Gasen  in  den  Dünndarm  vor. 
„Es  ist  klar,"  sagt  der  Autor,  „dass  bei  solchen  Individuen  die 
Klappe  bei  sehr  starker  Spannung  insufficient  werden  kann, 
doch  sobald  etwas  Gas  in  den  Dünndarm  hineingelangt,  wird 
die  Klappe  wieder  schlussfahig.'^  v.  Ziemssen  hat  ferner 
den  Einfluss  der  Chloroformnarcose  auf  die  Function  der 
Klappe  zu  eruiren  gesucht;  es  hat  sich  feststellen  lassen,  dass 
unter  diesen  Umständen  die  Klappe  insufficient  wird,  und  der 
Dünndarm  leicht  mit  Gasen  gefüllt  werden  kann;  daraufhin 
empfiehlt  v.  Z.  in  Fällen,  wo  man  in  den  Dünndarm  irgend 
einen  gasförmigen  Stoff  einführen  will,  vorher  die  Narcose 
einzuleiten.  Auch  Debierre  (1.  c)  weist  auf  den  Einfluss  des 
Chloroforms  hin.  Die  Ergebnisse  seiner  experimentellen  For- 
schungen  veranlassen    ihn   zu   folgenden   Schlussfolgerungen: 

1.  in   einigen  Fällen  gehen  gasförmige  Stoffe  durch,  Wasser 
'  * 

1)  8.  Wratsch  1885.   p.  632.   Anmerkung. 

2)  Oli Vieri,  La  eemaine  mädicale  1886,  23.     September. 

3)  Y.  Ziemssen,  Deatsches  Archiv  für  klin.  Med.  XXXIII.    1883. 
S.  235. 


Zur  Frage  über  die  Anwendung  hoher  Clysmen  bei  Eindem.    205 

aber  nicht;  2.  in  anderen  Fällen  passiren  sowohl  Gase  als 
aach  Wasser  die  Klappe  und  endlich  kommen  Fälle  vor, 
wo  weder  Gase  noch  Wasser  hindurchtreten  können  und  die 
Klappe  einem  Druck  von  3 — 4  m  widersteht.  Dabei  ist  die 
Yaivula  häufiger  sufficient,  wenn  der  Darm  auf  seinem  Platze, 
also  im  Abdomen  liegt;  viel  seltner  ist  sie  schlussfähig,  wenn 
der  Darm  herausgenommen  worden  ist  (2:3);  überhaupt  sind 
die  Schlussfähigkeit  und  die  Insufficienz  der  Klappe  von  der 
anatomischen  Lage  der  letzteren  abhängig. 

Wir  sehen  also^  dass  die  Meinungen  der  verschiedenen 
Autoren  über  diesen  Gegenstand  sich  sehr  widersprechen,  des- 
halb dürften  auch  meine  Forschungsresultate  von  Interesse 
sein.  Wie  ich  bereits  früher  erwähnt  habe,  können  alle  meine 
Untersuchungen  in  zwei  Gruppen  getheilt  werden:  Zur  ersten 
Gruppe  gehören  diejenigen  Experimente,  wo  ich  die  Schluss- 
fähigkeit der  Valvula  ileo-coecalis  in  loco  zu  eruiren  suchte, 
d.  h.  ohne  das  Coecum  herauszunehmen;  zur  zweiten  Gruppe 
diejenigen,  wo  ich  den  Darm  herausnahm  und  dann  vom  Dick- 
darm aus  das  Coecum  mit  Wasser  füllte.  Nachdem  ich  auf 
die  eine  oder  andere  Weise  die  Schlussfahigkeit  der  Klappe 
gegenüber  dem  Wasser  festgestellt  hatte,  wusch  ich  den 
Darm  gründlich  mit  Wasser  aus,  schnitt  das  Coecum  mit  dem 
Colon  ascendens  und  einem  Theil  des  Dünndarms  aus,  brachte 
eine  Ligatur  an  dem  abgeschnittenen  Ende  des  Ileums  an, 
nachdem  ich  zuvor  es  an  diesem  Ende  leicht  aufgebläht  hatte, 
dann  blies  ich  Luft  in  das  Colon  von  dem  abgelösten  Ende 
hinein  und  beobachtete,  ob  die  Luft  durch  die  Klappe  hindurch- 
ging; endlich  Hess  ich  dann  den  mit  Luft  aufgeblähten  Darm 
austrocknen,  um  die  Beschaffenheit  der  Klappe  später  näher 
zu  bestimmen.  Die  vorhergehende  Aufblähung  des  Dünn- 
darms war  deshalb  nöthig,  weil  in  Fällen,  wo  die  Klappe 
absolut  sufficient  war,  die  Luft  aus  dem  Dickdarm  in  das 
Ileum  nicht  hineingelangen  konnte,  letzterer  Darmabschnitt 
blieb  deshalb  unaufgefaltet,  trocknete  ein,  schrumpfte  zu- 
sammen, sodass  später  das  Verhalten  der  Valvula  Bauhinii 
von  der  Dünndarmseite  aus  nicht  festgestellt  werden  konnte. 
Auf  Trockenpräparaten  gelingt  es,  wenn  man  auf  der  der 
Klappe  gegenüberliegende  Wand  des  Coecums  eine  Oeffnung 
anbringt,  die  Lage  der  Klappe  bei  geblähtem  Coecum  zu 
bestimmen;  man  kann  ferner  feststellen,  ob  sie  sufficient  ist 
oder  nicht,  und  in  letzterem  Falle,  wie  stark  die  Insufficienz 
ist  und  worauf  sie  beruht. 

Auf  diese  Weise  habe  ich  200  Präparate  aus  Kinder- 
leichen getrocknet  und  untersucht,  130  entstammen  Kindern, 
die  jünger  als  ein  Jahr  waren,  und  70  entsprachen  einem 
Alter   von    1  — 12  Jahren.     Wie   ich    bereits   erwähnt  habe, 


206  D.  Ssokolow: 

füllte  ich  den  Dickdarm,  bevor  ich  ihn  eintrocknen  liess,  mit 
Wasser,  welches  zunächst  unter  schwachem  Druck  einlief, 
dann  aber  steigerte  ich  allmählich  den  Druck,  indem  ich  den 
Erahn  der  Wasserleitung  mehr  öffnete.  Es  erwies  sich,  dass 
zu  Anfang  das  Wasser  unter  einem  Druck  yon  1—1  Vi  m  in 
den  Darm  hineinfloss,  dann  aber,  wenn  die  Flüssigkeit  bis  an 
das  Coecum  gelangt  war,  steigerte  ich  den  Druck  bis  zu 
3  m,  was  die  Darmwand  ziemlich  gut  vertrug,  sie  riss  nie  ein, 
obgleich  gewohnlich  bei  solch  einem  Druck  durch  Zerreissung 
verschiedener  Bauchfellbrücken  an  der  Oberfläche  des  Blind- 
darms und  des  aufsteigenden  Colonschenkels  ein  Knistern  zu 
hören  war.  Sogar  in  Fällen,  wo  tuberculöse  Geschwüre  im 
Dickdarm  vorhanden  waren,  hielt  die  Darmwand  den  hohen 
Druck  aus,  worauf  bereits  Professor  Manassein  auf  Grund 
der  Sigrist'schen  Untersuchungen  aufmerksam  machte.  Ge- 
wöhnlich aber  fanden  sich  auch  in  solchen  Fällen  auf  der 
Yalvula  Bauhinii  Geschwüre  mit  ausgenagten  Rändern;  wahr- 
scheinlicherweise beruhte  darauf  die  Insufficienz  der  Klappe, 
die  ihrerseits  dazu  beigetragen  hat,  dass  der  Druck  auf  die 
Dickdarmwand  kein  zu  grosser  wurde,  da  die  Flüssigkeit 
ohne  Hindemisse  in  den  Dünndarm  fliessen  konnte. '  So  z.  B. 
war  bei  einem  dreijährigen  Mädchen  die  Klappe  durch  ein 
tuberculöses  Geschwür,  das  an  der  Grenze  zvrischen  Dickdarm 
und  Ileum  lag,  völlig  zerstört.  Das  Geschwür  nahm  den 
ganzen  Umkreis  des  Dünndarmendes  ein  (4^  cm),  seine  Länge 
war  3^  cm.  In  diesem  Falle  floss  das  Wasser  per  rectum 
bis  in  den  Magen. 

Wir  finden  also,  dass  bei  Anf&llung  des  Dickdarms  mit 
Wasser  oder  bei  Aufblähung  desselben  mit  Luft  das  Wasser 
in  einer  Reihe  von  Fällen  den  Dickdarm  stark  ausdehnt  und 
dann  in  den  Dünndarm  hinübertritt  —  und  in  diesen  Fällen 
hängt  es  natürlich  von  dem  Inhalt  des  Dünndarms  und  von 
der  Menge  der  infundirten  Flüssigkeit  ab,  wie  weit  das  Wasser 
in  den  Dünndarm  hineinfliessen  wird,  denn  ist  einmal  die 
Klappe  insufficient,  so  kann  das  Wasser  bei  leerem  Dünn- 
darm und  bei  grosser  Menge  der  eingeführten  Flüssigkeit  bis 
in  den  Magen  gelangen  und  sogar  weiter  bis  in  den  Mund 
—  was  ich  in  einigen  Fällen  beobachtet  habe.  Das  waren 
aber  vielleicht  pathologische  Zustände,  wo  die  Yalvula  ileo- 
coecalis  nicht  normal,  pathologisch  verändert  war,  und  viel- 
leicht ist  dieser  Umstand  allein  för  das  Uebertreten  von  Flüssig- 
keiten aus  dem  Dickdarm  in  den  Dünndarm  verantwortlich 
zu  machen?  Möglicherweise  haben  auch  die  anderen  Autoren, 
die  ähnliche  Beobachtungen  gemacht  haben,  mit  pathologischen 
Zuständen  zu  thun  gehabt  Das  ist  nun  durchaus  nicht  der 
Fall,  denn  es  erweist  sich,   dass  die  Yalvula  ileo-colica  nicht 


Zur  Frage  über  die  Anwendung  hoher  Clysmen  bei  Einderzi.    207 

nur  in  pathologischen^  sondern  aach  in  ganz  normalen  Fällen 
insufficient  sein  kann ;  ja  ich  kann  auf  Grund  der  200  Unter- 
suchungen behaupten,  dass  bei  Kindern  die  Insufficienz  der 
Klappe  ebenso  häufig  wie  die  völlige  Schlussfähigkeit  vor- 
kommt, und  im  frühesten  Kindesalter  ist  sogar  die  Durch- 
lässigkeit häufiger  als  die  vollko^nmene  Undurchlässigkeit. 
Um  wieder  auf  meine  Beobachtungen  zurückzukommen:  von 
200  Leichen,  die  ich  daraufhin  untersucht  habe,  gehorten  130 
dem  frühesten  Kindesalter  (unter  einem  Jahre)  an  und  bei 
ihnen  wurde  die  Yalvula  Bauhinii  vollkommen  schlussfähig 
nur  in  27  Fällen  gefunden,  in  103  Fällen  ging  das  Wasser 
in  den  Dünndarm  frei  hinein,  also  die  Klappe  war  in  20,8% 
vollkommen  sufficient,  in  79,2%  aber  insufficient.  Bei  Kin- 
dern von  1 — 12  Jahren  finden  wir  nicht  mehr  ein  solches 
Ueberwiegen  der  Insufficienz,  von  70  Fällen  bestand  letztere 
nur  37  mal,  in  33  Fällen  schloss  die  Klappe  hermetisch.  Wenn 
wir  noch  jene  4  pathologischen  Fälle  hinzurechnen,  so  er- 
giebt  es  sich,  dass  die  Klappe  ebenso  häufig  schlussfähig  wie 
insufficient  war.  Dabei  findet  man,  dass  in  einigen  Fällen 
die  Flüssigkeit  leicht  in  den  Dünndarm  gelangt,  ohne  be- 
sonders starke  Ausdehnung  des  Goecums;  in  anderen  Fällen 
gelangt  sie  nicht  in  das  Ileum,  wenn  die  Wände  des  Blind- 
darms schwach  gespannt  sind,  erst  bei  stärkerem  Druck  fliesst 
sie  in  den  Dünndarm  hinein.  Ist  aber  die  Klappe  vollkom- 
men schlussfähig,  so  füllt  sich  der  Dickdarm  immer  mehr 
und  mehr,  ohne  dass  auch  ein  Tropfen  der  Flüssigkeit  über 
die  Klappe  hinauskommt;  steigert  man  nun  noch  den  Druck 
(über  3  m),  so  beobachJtet  man  entweder  ein  Platzen  der 
Darmwand  oder  aber  eine  Zerreissung  der  Klappe.  Nach 
Morgagni^),  Winslow*),  Albinus*)  entsteht  die  Klappe 
durch  Hineinzwängung  des  Ileums  in  das  Goecum  und  zwar 
der  Schleimhaut  und  der  Bingmuskulatur.  Nach  Luschka 
stellt  die  Yalvula  ileo-coecalis  die  Darmwandduplicatur  vor, 
welche  in  das  Lumen  des  Dickdarms  hineinführt;  die  Klappe 
ist  dabei  nicht  kreisförmig,  wie  der  Pylorus,  sondern  stellt 
zwei  nebeneinander  gelegene  Zipfel  dar.  Wenn  wir  auf  frischen 
Präparaten  die  Klappe  von  der  Goecalseite  betrachten,  so 
finden  wir,  dass  sie  einen  Reifen  darstellt,  der  den  kreis- 
förmigen Rand  des  Dünndarmendes  einnimmt  und  nach  dem 
Lumen  des  Goecums  gerichtet  ist.  Bei  Anfüllung  des  Blind- 
darms mit  Wasser  oder  bei  Aufblähung  desselben   mit  Luft 

1)  Morgagni,  Advenaria  anatomica.  III.  1719.   Citirt  bei  Debierre. 

2)  Winslo"^,    Ezpositio    anatomica    stmctarae   corporis    hnmani. 
Francfurti  1763.    IV.    p.  48. 

3)  Albini,  Aeademicarum  annotationum  liber  tertius.   Leidae  1754. 
Cap.  II.    p.  14—28. 


208  D.  Ssokolow: 

wird  dieser  reifenförmige  VorsproDg  alimählich  gedehnt,  und 
in  Fällen  von  vollkommener  Schlassfahigkeit  der  Klappe  kann 
man  sie  in  der  stark  gedehnten,  gestreckten  Lage  sehen, 
natürlich  nur  von  der  Dünndarmseite.  Die  Klappe  stellt  dann 
zwei  mit  den  convexen  Flächen  nebeneinander  liegende  Halb- 
kugeln vor,  sodass  man  von  einer  oberen  und  unteren  Halb- 
kugel sprechen  kann,  dabei  sind  sie  nicht  immer  ganz  sym- 
metrisch, bald  springt  die  obere,  bald  die  untere  Halbkugel 
mehr  vor.  Wird  der  Druck  in  dem  Dickdarm  noch  gestei- 
gert, so  spannen  sich  die  Wände  der  Halbkugeln  immer 
stärker  an,  verdünnen  sich  und  legen  sich  noch  fester  neben- 
einander; und  wird  endlich  der  Druck  sehr  hoch,  so  hört 
man  ein  Knistern,  das  von  der  Zerreissung  der  Darmserosa, 
die  in  Form  eines  dicken  und  kräftigen  Ringes  die  Grenze 
zwischen  Dünndarm  und  Dickdarm  umgiebt,  herrührt,  dabei 
wird  die  Einmündungsstelle  des  Dünndarms  weiter;  dasselbe 
geschieht  auch  mit  der  Serosa  des  Coecums  und  des  auf- 
steigenden Colonschenkels.  Die  Klappe  erweist  sich  dann  als 
insufficient,  zwischen  beiden  Halbkugeln  entsteht  eine  OeS- 
nung,  die  flüssigen  und  gasförmigen  Stoffe  treten  alsdann 
unbehindert  in  den  Dünndarm,  der  Dickdarm  fällt  zusammen. 
Es  ist  mir  dabei  nie  gelungen,  die  von  Pollak  erwähnte 
Möglichkeit  des  Umwendens  der  Klappe  von  dem  Dick-  nach 
dem  Dünndarm  zu  sehen.  Die  Klappenwandungen  bestehen 
bekanntlich  aus  Schleimhaut  und  Ringmuskelfasern,  deshalb 
sind  sie  ziemlich  stark  und  können  länger  Widerstand  leisten; 
viel  früher  reisst  die  Serosa  des  Dickdarms,  bedingt  dadurch 
die  Klappeninsufficienz,  und  damit  fällt  sofort  der  Druck  im 
Dickdarm,  bevor  noch  eine  Zerreissung  oder  eine  Umwendung 
der  Klappe  stattfinden  kann.  Wir  sehen  also,  von  welch' 
grosser  Wichtigkeit  die  Serosa  für  das  vollkommene  Schliessen 
der  Klappe  ist.  Femer  kann  dieselbe  Valvula  Bauhinii,  welche 
bei  normaler  Lage  des  Darms  im  Abdomen  und  bei  un- 
versehrten Bauchdecken  hermetisch  den  Eingang  in  den  Dünn- 
darm verschliesst,  insufficient  werden,  sobald  wir  den  Darm 
herausnehmen.  Weiterhin  kann  die  sogar  nach  Herausnahme 
des  Darms  sufficiente  Klappe  schlussunfähig  werden,  wenn  die 
Serosa  entfernt  wird.  Jedoch  kommt  es  vor,  dass  die  Klappe 
ungeachtet  aller  dieser  Manipulationen  häufig  noch  hermetisch 
schliesst  und  eher  platzt,  als  irgend  welche  Substanz  aus  dem 
Dick-  in  den  Dünndarm  hindurchtreten  lässt  oder  gar  sich  in 
das  Lumen  des  Dünndarms  umstülpt. 

Welche  Form  die  Valvula  Bauhinii  auf  frischen  Präpa- 
raten bei  aufgetriebenem  Darm  und  in  Fällen  von  Insufficienz 
besitzt,  ist  natürlich  unmöglich  zu  sagen,  wir  können  nur 
nach  den  getrockneten  Därmen  unsere  Vermuthung  aussprechen. 


Zur  Frage  aber  die  Anwendang  hoher  Clysmen  bei  Kindern.    209 

Wird  an  solchen  Präparaten  eine  Oeffnung  in  der  Dickdarm- 
wand gegenüber  der  Klappe  angelegt,  so  sieht  man,  dass 
letztere  nicht  in  dem  ganzen  Umkreise  der  Dünndarmmündung 
angeordnet  ist,  sondern  nur  oben  und  unten  in  Form  zweier 
Zipfel,  eines  oberen  und  unteren,  die  mit  ihren  Enden  vorn 
und  hinten  aneinanderstossen.  Jeder  Zipfel  besitzt  am  häu- 
figsten die  Form  eines  gleichschenkligen  Dreieckes,  dessen 
Grundlinie  nach  dem  Lumen  der  Klappe,  dessen  Spitze  nach 
dem  oberen  resp.  unteren  Winkel,  die  durch  die  Einmündung 
des  Dünndarms  in  den  Dickdarm  gebildet  werden,  gerichtet 
sind.  Alle  Schenkel  dieser  Dreiecke  sind  etwas  gebogen.  In 
einer  Reihe  Ton  Fällen  liegen  diese  Dreiecke  mehr  horizontal, 
in  einer  anderen  Reihe  mehr  vertical.  Das  obere  Dreieck  ist 
am  häufigsten  horizontal  gelagert  und  stellt  nach  seiner  Ls^e 
und  Form  gleichsam  eine  stärker  ausgeprägte  Duplicatur 
der  Dickdarmschleimhaut  —  frenulum  Morgagni  —  vor.  In 
Wahrheit  ist  es  bekanntlich  keine  einfache  Schleimhaut- 
dnplicatur,  denn  im  oberen  KlappenzipfeH)  findet  sich  ausser 
Schleimhaut  noch  Muskelfaser;  nur  der  vordere  und  hintere 
Winkel  des  oberen  Dreiecks  gehen  in  eine  reine  Schleimhaut- 
falte über;  daher  nimmt  der  obere  Zipfel  einen  viel  grösseren 
Umkreis  des  Darms  ein  als  der  untere.  Die  Grundlinie  des 
oberen  Dreiecks  ist,  wie  ich  bereits  erwähnt  habe,  gekrümmt, 
und  zwar  mit  der  Concavität  nach  dem  Lumen  der  Klappe, 
doch  ist  gewohnlich  diese  Krümmung  nicht  stark  ausgesprochen. 
Das  untere  Dreieck  liegt  häufig  mehr  vertical  als  horizontal, 
weil  der  Dünndarm  nicht  perpendiculär  in  den  Dickdarm  ein- 
mündet, sondern  unter  einem  scharfen  Winkel  in  der  Rich- 
tung von  unten  nach  oben.  Der  Boden  des  unteren  Dreiecks 
ist  kürzer  als  der  des  oberen,  seine  Endpunkte  sind  häufig 
nicht  an  den  Endpunkten  des  oberen,  sondern  an  seiner 
unteren  Fläche  befestigt.  Der  Ausschnitt  am  freien  Ende  des 
unteren  Zipfels  ist  gewöhnlich  viel  grosser  als  am  oberen 
Zipfel,  sodass  in  Fällen  von  Klappeninsufficienz  als  Ursache 
hierfür  hauptsächlich  dieser  grosse  Ausschnitt  am  Boden  des 


1)  In  der  Bildung  beider  Zipfel  nehmen  in  gleichem  Maasse  so- 
wohl der  Dünndarm  als  auch  der  Dickdarm  Theil  and  zw^ar  deren 
Schleimhaut-  und  RingmuBkelfaserschicht  (Luschka),  obgleich  andere 
Autoren  der  Meinung  sind,  dass  der  obere  Zipfel  nur  vom  Dickdarm, 
der  untere  nur  vom  Dünndarm  gebildet  werde;  noch  andere  meinen, 
bei  der  Bildung  der  Klappe  bet heilige  sich  ausschliesslich  der  Dünn- 
darm. Nach  der  Formbildung  der  Klappe  zu  schliessen,  muss  man 
wohl  Luschka  Recht  geben:  die  Fläche,  die  nach  dem  Lumen  des 
Dickdarms  schaut,  ist  mit  dessen  Schleimhaut  ausgekleidet,  dagegen 
ist  die  nach  dem  Ileum  gerichtete  mit  Dünndarmschleimhaut  bedeckt, 
am  freien  Rande  der  Klappe  gehen  diese  Schleimhautflächen  inein- 
ander über. 

Jahrbuch  f.  Kitiderheilknnde.    N.  F.    XX.XYIII.  14 


210  D.  Ssokolow: 

unteren  Dreiecks  zu  beschuldigen  ist.  In  Fällen  von  Durch- 
lässigkeit der  Klappe  sehen  wir  zwischen  ihren  beiden  Zipfeln 
ein  Lumen  entweder  in  Form  einer  kleinen  schlitzförmigen 
Oeffnung  oder  eines  mit  dem  breiten  Theil  nach  vorn  ge- 
richteten Eies.  Dagegen  sieht  man,  wenn  die  Klappe  voll- 
kommen undurchlässig  ist,  kein  Lumen;  der  untere  Zipfel 
liegt  dem  oberen  fest  an,  sodass  beide  an  Trockenpräparaten 
miteinander  verwachsen  erscheinen;  dabei  liegt  nicht  der 
obere  Zipfel  dem  unteren  an,  sondern  im  Gegentheil,  der 
untere  drückt  sich  an  den  oberen  an:  der  obere  bleibt  wie 
zuvor,  in  horizontaler  Lage,  der  untere  jedoch  geht  aus  der 
geneigten  in  die  horizontale  Lage.  über.  Es  erweist  sich  so- 
mit, dass  die  Insufficienz  hauptsächlich  auf  das  Verhalten  des 
unteren  Zipfels  beruht,  wobei  nicht  nur  die  Grosse  seines 
Randausschnittes  in  Frage  kommt,  sondern  auch  die  Länge 
der  Dünndarm  wand,  die  in  den  Dickdarm  hineingestülpt  ist. 
In  der  That  sehen  wir  in  einigen  Fällen,  dass  die  Klappe 
dank  der  bedeutenden  Länge  des  unteren  Zipfels  schluss- 
fähig ist,  trotzdem  ein  grosser  Randausschnitt  vorhanden  ist. 
Debierre  sagt,  dass  die  Ansicht  verschiedener  Autoren 
über  die  Grösse  der  beiden  Zipfel  verschieden  ist.  Sappey 
(1.  c.  S.  262)  hält  den  unteren  Zipfel  für  länger,  Adelon^) 
für  breiter,  dagegen  halten  ihn  Oruveillier,  Morel  und 
Mathias  Duval^)  für  kürzer.  Debierre  fand  die  Klappe 
sufficient  in  Fällen,  wo  beide  Zipfel  gleich  lang  waren  oder 
der  untere  länger,  insufficient  dagegen,  wo  der  untere  Zipfel 
kurz  war  oder  einen  grossen  Ausschnitt  besass. 

Ich  habe  bereits  der  Bedeutung  der  bandförmigen  Bauchfell- 
ligamente am  Dickdarm,  besonders  in  der  Gegend  der  Ein- 
mündungssteile des  Dünndarms  Erwähnung  gethan.  An  dieser 
stelle  geht  vom  Dünndarm  auf  den  Dickdarm  ausser  Peri- 
toneum noch  eine  Längsmuskelfaserschicht  über,  die  sich  nicht 
bei  der  Bildung  der  Klappe  betheiligt.  Dank  diesem  Um- 
stände wird  die  Befestigungsstelle  beider  Zipfel  besonders 
resistent,  weniger  dehnbar,  deshalb  auch  die  Klappe  schluss- 
fähig. Auf  Grund  dessen  ist  die  Erklärung,  die  Pollak  für 
die  Insufficienz  der  Klappe  bei  starkem  Druck  im  Coecum 
gegeben  hat,  nicht  stichhaltig.  Auf  welche  Weise  kann  denn 
die  Valvula  sich  in  das  Lumen  des  Dünndarms  umstülpen? 
Der  obere  Zipfel  ist,  wie  wir  gesehen  haben,  genügend  be-' 
festigt  und  bei  starkem  Druck,  also  auch  stärkerer  Span- 
nung der  Colonwände,  wird  er  sich  mehr  in  seiner  horizon- 
talen Lage  dehnen,  um  so  mehr,  als  zuweilen  verticale  Falten 


1)  AdeloD  citirt  bei  Debierre. 

2)  Mathiae  Dnval,  Manael  de  ranatomiste  188S.   Paria,    p.  1034. 


Zur  Frage  über  die  Anwendimg  hoher  Clysmen  bei  Kindern.    211 

vorhanden  sind,  die  jedes  Ausbiegen  des  freien  Randes  nach 
unten  verhindern;  der  untere  Zipfel  liegt,  wenn  er  genügend 
lang  ist,  fest  dem  oberen  an  und  wird  sich  natürlich  bei 
stärkerem  Coecaldruck  noch^fester  an  den  oberen  anschmiegen. 

Jetzt  verstehen  wir  auch,  weshalb  die  Ansichten  der  ver- 
schiedenen   Autoren    über    die   Möglichkeit    des   Uebertreteus 
von  Dickdarminhalt  in  das  Ueum  so  Verschieden  sind.     Alles 
beruht  hier,  wie  wir  sehen,  auf  individueller  Verschiedenheit 
der   Entwickelung    beider   Elappenzipfel,   oder   richtiger,   nur 
des  unteren,  am  häufigsten    die   Insufficienz   bedingen   kann. 
Wir  können  nie  mit  Bestimmtheit  aussagen,  ob  in  dem  ge- 
gebenen Falle  die  per  Rectum  eingeführte  Flüssigkeit  in  den 
Dünndarm  hinübertreten  werde.     Nehmen  wir   meine  Zahlen 
zu  Hilfe,  so   können   wir  sagen,   dass  bei  Kindern,  die  älter 
als   1  Jahr  sind,  wir   in    der  Hälfte    der  Fälle  Flüssigkeiten 
in  den  Dünndarm  per  Rectum  hineinbringen  können,  bei  jün- 
geren Sandern  (also  bis  zu  1  Jahr)  in  %  aller  Fälle.     Diese 
Resultate  müssten  uns  veranlassen,  in  jedem  Falle  einen  Ver- 
such, die  Flüssigkeit  in  den  Dünndarm  hineinzubringen,  zu 
machen,  um  so  mehr,  als  diese  Versuche  den  Kindern  keinen 
Schaden  verursachen  können.     Nur  muss  man  im  Auge  be- 
halten,  dass  der  Druck  nicht  zu  hoch  sein  darf),  denn  ist 
die  Klappe   insufficient,   so   ist   gar   kein    hoher   Druck   zum 
Hineingelangen  der  Flüssigkeit  in  den  Dünndarm  nothwendig; 
schliesst  aber  im  Gegentheil  die  Klappe  hermetisch,  so  wird 
ein  Steigern  des  Druckes  eher  den  Verschluss  noch  fester  ge- 
stalten.    Ich   habe   gewöhnlich   einen   Druck   von  1% — 2  m 
einer  Wasseräule  angewandt-,    ein   stärkerer  Druck  (3—4  m) 
führte    in   Fällen    von   hermetischem   Verschluss   der   Klappe 
eine  Ruptur   des   serösen  üeberzuges   des  Dickdarms   herbei. 
Ausserdem  muss  noch  in  Betracht  gezogen  werden,  dass  bei 
Vorhandensein   irgend   eines   ulcerösen  Processes   im   Darme 
ein  zu  hoher  Druck  die  Ruptur   der   ganzen  iDickdarmwand 
zu   Folge   haben   kann.      Ich    habe    bereits    die   Arbeit    von 
Sigrist  erwähnt,  der  die  Beobachtung  machte,  dass  Flüssig- 
keiten  aus   dem  Dickdarm   in   den  Dünndarm,  sogar  in  den 
Magen   hineingelangen   können,   ohne   den   mit  tiefen   tuber- 
culösen  Geschwüren  besäten  Darm  zu  lädiren.      Diese  Beob- 
achtungen   sind    an    Leichen   Erwachsener    gemacht   worden, 
leider  fehlen  Angaben  über  die  Höhe  des  angewandten  Druckes 
und  über  das  Verhalten  der  Klappe.    So  viel  ich  bei  Kindern 
beobachtet  habe,  kommt  sehr  häufig  bei  Darmtuberculose  eine 
Affection  der  Klappe  vor,  in  manchen  Fällen  findet  man  so- 


1)   Natürlich   nicht  einen  Druck  von  7  m,   wie  ihn  Frattini  bei 
Invagination  und  Torsion  empfiehlt. 

14* 


212  D.  Ssokolow: 

gar  beide  Zipfel  durch  Ulcera  völlig  zerstört;  bei  solch  einer 
Insufficienz  der  VaWula  Bauhinii  ist  der  Durchgang  in  den 
Dünndarm  vollkommen  frei,  deshalb  ist  ein  starker  Druck 
gar  nicht  nothig.  Dennoch  bekam  ich  in  einem  ähnlichen 
Falle  eine  Ruptur  des  Darms,  und  zwar  des  Dünndarms,  wo- 
bei die  Flüssigkeit  leicht  in  den  letzteren  eindrang  und  an 
der  Stelle  eines  kleincB  tuberculösen  Geschwüres  den  Darm 
perforirte.  Ich  erwähne  diesen  Fall  deshalb,  weil  man  meiner 
Meinung  nach,  bei  Vermuthung  eines  ulcerosen  Processes  im 
Darm,  besonders  vorsichtig  mit  der  Anwendung  eines  hohen 
Druckes  sein  muss,  namentlich,  wenn  noch  ein  Obturator  ver- 
wendet wird. 

Die  von  Baginsky  empfohlene  locale  Behandlung  der 
Erkrankungen  des  kindlichen  Darms  ist  überhaupt  von  grosser 
Bedeutung,  worauf  auch  namentlich  Prof.  Monti^)  aufmerk- 
sam gemacht  hat  Er  wendet  die  Clysmenbehandlung  bei 
Dyspepsie,  Koprostase,  bei  Katarrhen  des  Dick-  und  Dünn- 
darms, bei  Cholera  infantum,  bei  der  Magen -Darmatrophie, 
Dysenterie,  Typhus  abdominalis,  bei  beginnender  Typhlitis 
und  Perityphlitis,  Darminvagination  und  endlich  noch  bei 
Helminthiasis  (Taenia  und  Ozyuris)  an.  Auf  diese  Weise 
wurde  also  fast  bei  allen  Darmerkrankungen,  die  ja  im  kind- 
lichen Alter  so  häufig  sind,  die  Clysmenbehandlung  mit  Er- 
folg durchgeführt;  ausserdem  aber  kann  diese  Therapie  auch 
bei  Affectionen  anderer  Organe  von  Nutzen  sein,  wie  es  Mu- 
selli  bei  Erwachsenen  beobachtet  hat.  Er  empfiehlt  die 
Enterociysmen  bei  entzündlichen  und  nervösen  Erkrankungen 
des  Darms,  bei  Verschluss  desselben,  ausserdem  aber  noch 
zur  Ernährung  der  Kinder:  bei  Trismus,  bei  Erkrankungen 
des  Kehlkopfes  (Läsionen  des  Kehldeckels,  Paralyse  der  Kehlkopf- 
muskulatur), bei  Dysphagie  (Ulcera  und  Narben  des  Magens, 
Stenose  der  Speiseröhre  durch  einen  Tumor,  geschwürige  und 
narbige  Stricturen,  Divertikelbildung),  endlich  in  Fällen  von 
Erkrankungen  des  Magens,  wo  Buhigstellung  des  Magens  er- 
wünscht ist.*) 

Wir  sehen  also,  wie  häufig  die  Glysmen  bei  Kindern 
Anwendung  finden  können,  und  deshalb  muss  auch  die  Ent- 
scheidung der  Frage  von  dem  Durchgang  verschiedener  Flüssig- 
keiten durch  die  Bauhini'sche  Klappe  von  grosser  Wichtig- 
keit sein. 


1)  Monti,  Ueber  Darmirriffationen  und  ihren  therapeutiflchen  Werth 
bei  BehandluD^  von  Darmkrankheiten  im  Kindeaalter.   Wien. 

2)  Frattini  empfiehlt  die  Clysmenbehandlung  bei  allen  fieber> 
haften  Erkrankungen  (Eiady stiere),  bei  Einklemmung  von  Hernien,  bei 
Blutwallungen  mm  Gehirn  und  anderen  Organen. 


1 


Zar  Frage  über  die  Anwecdnog  hoher  Clyemen  bei  Eindem.    213 

Nachdem  ich  nun  diese  Frage  erledigt  habe,  möchte  ich 
Einiges  über  das  Coecum  und  den  Wurmfortsatz,  die  gerade 
in  der  Pathologie  des  Eindesalters  eine  grosse  Rolle  spielen, 
hiusufügen. 

Tschernow^)  hat  im  vorigen  Jahre  eine  Arbeit  publi* 
cirt,  die  fQr  jeden  Einderarzt  von  Interesse  sein  dürfte.  Nach- 
dem dieser  Autor  einen  historischen  Ueberblick  über  die  Ent- 
Wickelung  der  verschiedenen  Ansichten  betreffend  die  Patho« 
genese  der  Perityphlitiden  gegeben  hat,  gelangt  er  zum 
Resultate,  dass  man  jetzt  die  Frage  nach  der  negativen  Rolle 
des  Dünndarms  in  der  Aetiologie  der  Perityphlitis  als  ent- 
schieden betrachten  könne,  worauf  auch  die  Statistik  von 
Barney  und  Weyr')  hindeute«  Der  erste  Autor  fand  auf 
einen  Fall  von  primärem  Durchbruch  im  Coecum  100  Fälle 
von  Perforation  des  Wurmfortsatzes,  der  letztere  fand  unter 
300  Fällen  von  Perityphlitis  nur  3  Fälle  von  Perforation  des 
Blinddarms,  sodass  die  Hauptrolle  bei  der  Entstehung  dieser 
Erkrankung  dem  Processus  vermiformis  zukommt.  Ueberhaupt 
kommt  die  Perityphlitis  im  Eindesalter  nicht  seltener  als  bei 
Erwachsenen  vor.  Tschernow  giebt  folgende  Zahlen  an: 
Nach  Volz  (1846)  kamen  von  38  Fällen  12  auf  das  kind- 
liche Alter  (1  Fall:  7  Jahre,  11  Fälle:  8—14  Jahre),  nach 
Vollert  (1891)  waren  von  63  Eranken  27  jünger  als  20  Jahre 
(1  Fall:  10  Jahre,  26  Fälle:  11—20  Jahre).  Balzer»)  weist 
auf  21  Beobachtungen  von  Gerhardt  hin,  auf  19  Fälle 
(von  38)  von  Meigs  und  Pepper,  auf  6  Fälle  (von  47)  von 
Lewis,  auf  2  Fälle  (von  73)  von  Bamberger,  auf  6  Fälle 
von  Paulier,  auf  1  Fall  von  Barthez  (Perforation  des  Wurm- 
fortsatzes bei  einem  7  Monate  alten  Kinde).  Balzer  selbst 
fand  in  2  Fällen  (bei  Enaben  von  10  und  13  Jahren)  Per- 
foration des  Processus  vermiformis.  Auf  Grund  dieser  That- 
sachen  müssen  wir  Tschernow  und  Balzer  beipflichten,  dass 
die  Perityphlitis  durchaus  keine  seltene  Erkrankung  des  kind- 
lichen Alters  darstellte,  deshalb  werden  wohl  auch  meine  ana- 
tomischen Befunde  von  Interesse  und  Bedeutung  sein,  nament- 
lich* weil  die  neuerdings  erschienene  umfangreiche  Arbeit  von 
Dr.  Turner  sich  auf  ganz  jugendliche  Einder  (28  Leichen 
von  8 — 348  Tagen)  und  dann  auf  das  Alter  von  14 — 80  Jahren 
(104  Leichen)  bezieht ;  das  uns  am  meisten  interessirende 
Alter  von  1 — 14  Jahren  ist  somit  nicht  berücksichtigt  worden. 


1)  Tschernow,  Perityphlitis  und  Paratypblitis  bei  Kindern  (rus- 
sisch).   Kiew  1892. 

2)  Citirt  nach  Tschernow  p.  12. 

8)  Balzer,  ObserrationB  et  recherches  pour  servir  rhistoire  des 
inflammations  da  coecum  chez  Tenfant.  GazettB  mMicale  de  Paris  1879, 
16.  19.  26. 


214  ^'  Ssokolow: 

Besonders  wichtig  ist  die  Frage,  wie  sich  das  Bauchfell  zum 
Blinddarm    und  zum  Wurmfortsatz  verhalte;    diese  Frage  ist 
ganz  verschieden  beantwortet  worden.     DupuytenyVelpeau, 
Roser,   Malgaigne,   Quain,   Hyrtl,   Tillaux   und   andere 
Autoren  behaupten,  dass   der  Blinddarm  auf  seiner  hinteren 
Fläche   kein   Peritoneum   besitze,    sondern    direct    dem   Zell- 
gewebe der  Fossa  iliaca  anliege,  dagegen  stellen  Luschka, 
Langer,  Treves,  Tuffier,  Bardeleben   und  Tarenetzki 
als  Regel  hin,   dass  sowohl  beim  Kinde  als  auch  beim  Er- 
wachsenen   der   ganze   Blinddarm    und    der  Anfangstheil   des 
Colon  ascendens  bis  zur  Einmündung  des  Ileums  allseitig  vom 
Peritoneum   überzogen   und    frei   beweglich   sind.     Turner 
selbst  fand,  dass  unter  94  Fällen  bei  Erwachsenen  in  91  Fällen 
(also  96%)    der   Blinddarm   allseitig   vom   Bauchfell   bedeckt 
war;   unter  28  Einderleichen  fand  er  nur  in  einem  einzigen 
Falle  den  oberen  Abschnitt  des  Coecum  und  des  Colon  ascen- 
dens fixirt,  in  den  übrigen  27  Fällen  erwiesen  sich  der  Blind- 
darm und   ein  grösserer  oder   geringerer  Abschnitt  des  auf- 
steigenden Colonschenkels  völlig  frei.     Meine  Beobachtungen 
stimmen  mit  diesen  fast  überein.     Mich  interessirte  besonders 
dieses  Verhalten  des  Darms  bei  Kindern  von  1 — 14  Jahren; 
in  76  Fällen  untersuchte  ich  sorgfältig  die  Lage  des  Coecum 
und  sein  Verhalten  zum  Peritoneum,  wobei,  wie  ich  bereits 
erwähnt  habe,  das  Coecum  und  ein  Theil  des  Colon   ascen- 
dens fast  immer  ausserordentlich  beweglich  waren,  was  da- 
mit zusammenhängt,  dass  diese  Darmabschnitte  allseitig  vom 
Peritoneum  überzogen  sind.     Die  Stelle,  an  welcher  der  auf- 
steigende Schenkel  an  der  hinteren   Bauchwand   befestigt  ist, 
ist  sehr  variabel;  häufig  fand  ich  sie  an  der  Uebergangsstelle 
des  Colon  ascendens  in  das  Colon  transversum;  Dank  diesem 
Umstände  waren  der  Blinddarm   und  der  ganze  aufsteigende 
Colonschenkel  frei  beweglich,  und  deshalb  konnten  auch  solche 
Lageveränderungen   zu  Stande  kommen,  wie  z.  B.  unter   der 
Leber,  in  der  linken  Fossa  iliaca,  im  linken  Hypochondrium  etc. 
Von   den  76  Fällen  erwies  sich  in   6  Fällen  der  Blinddarm 
mit  seiner  hinteren  Fläche  an  der  rechten  Fossa  iliaca  völlig 
fixirt  und  erforderte  zu  seiner  Trennung  eine  Kraftanwendung, 
was  Prof.  Tarenetzki  nie  beobachtet  hat    Was  das  jüngere 
Alter  anlangt,    so  kann   ich  aus  meinen  Beobachtungen  am 
Findelhause  (200  Leichen)  schliessen,  dass  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  der  Blinddarm    und  das  Colon  ascendens   allseitig 
vom  Peritoneum  überzogen  sind,  obgleich  Fälle  vorkamen,  wo 
das  Coecum  ziemlich  fest  in  der  Fossa  iliaca  fixirt  war.    Auf 
Grund  meiner  Beobachtungen  muss  ich  mich  somit  der  Mei- 
nung derjenigen  Autoren    anschliessen,   die    die  völlige    peri- 
toneale Auskleidung  des  Blinddarms  als  Regel  hinstellen. 


Zur  Frage  über  die  Anwendung  hoher  Glysmen  bei  Kindern.      215 

Auch  über  den  Wurmfortsatz«  gehen  die  Meinungen  der 
Autoren  auseinander:  die  einen  (Tillaux,  Roser,  Albrecht, 
Dautel,  Sonnenburg,  Krafft)  sind  der  Ansicht,  dass  der 
Processus  vermicularis  zur  Hälfte  oder  zum  Drittel  kein  Peri- 
toneum besitzt,  während  Ejorte  und  Roux  das  Gegentheil 
behaupten.  Ich  muss  mich  der  Meinung  letzterer  Autoren 
anschliessen,  da  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  der  Wurmfortsatz 
allseitig  mit  Peritoneum  ausgekleidet  war;  im  Alter  von  1 
bis  14  Jahren  (76  Leichen)  fand  ich  ihn  nicht  ein  einziges 
Mal  frei  vom  Peritoneum,  in  jüngerem  Alter  unbedeckt  nur 
in  einzelnen  Fällen  und  zwar  an  seiner  Spitze.  Gewöhnlich 
befand  sich  der  Anfangstheil  des  Wurmfortsatzes  an  der 
inneren  Fläche  des  Goecums,  etwas  unterhalb  der  Einmündungs- 
stelle  des  Ileums,  von  hier  aus  erstreckte  er  sich  nach  oben 
und  aussen  hinter  dem  Dünndarm  und  legte  sich  an  die  hin- 
tere Fläche  des  Colon  ascendens^);  unter  76  Fällen  wurde 
diese  Lage  in  56  Leichen  gefunden,  wobei  in  einem  Falle 
der  Processes  vermicularis  gestreckt  und  fest  an  der  hin- 
teren Wand  des  allseitig  mit  Peritoneum  ausgekleideten  Colon 
ascendens  fixirt  war.  In  den  übrigen  Fällen  verlief  der  Wurm- 
fortsatz dreimal  nach  innen  unten  hinter  der  Harnblase  ins 
grosse  und  sogar  ins  kleine  Becken;  viermal  1^  er  auf  der 
Vorderfläche  des  Blinddarms,  nach  oben  und  aussen  verlau- 
fend, und  endlich  in  13  Fällen  (wobei  die  oben  erwähnten 
anomalen  Lagen  des  Goecums  und  Colon  ascendens  beob- 
achtet wurden)  befand  sich  der  Wurmfortsatz  entsprechend 
den  Lageveränderungen  des  Colons:  in  Fällen  von  einfacher 
Umbiegung  des  aufsteigenden  Schenkels  verlief  er  entweder 
auf  der  hinteren  Fläche  des  Goecums  nach  unten  und  aussen 
oder,  wie  ich  es  in  einem  Falle  beobachtet  habe,  nach  oben 
und  aussen  zum  rechten  Hypochondrium;  war  das  Coecum 
nach  dem  linken  Hypochondrium  verlagert,  so  zeigte  der 
Wurmfortsatz  solch  eine  Lage,  dass  er  bei  Zurücklagerung 
des  Goecums  in  die  Fossa  iliaca  dextra  die  gewöhnliche 
Richtung  nach  oben,  hinten  und  aussen  hinter  dem  Dünn- 
darm auf  der  Hinterfläche  des  Colon  ascendens  einnehmen 
würde. 


1)  Professor  Tarenetzki  fand  unter  100  Leichen  verschiedenen 
Alters  in  7,  aller  Fälle  den  Wurmfortsatz  statt  mit  seinem  Ende  frei 
nach  unten  hängend,  mit  seinem  ganzen  Körper  nach  oben  verlaufend, 
wobei  er  mit  der  hintern  Wand  des  Goecums  und  Colon  ascendens 
mehr  oder  weniger  verwächst  (Wratsoh  1883  p.  364).  Auch  Turner 
schliesst  sich  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  der  Ansicht  von  Yel- 
peau,  Luschka,  Gruveillier,  Henle  und  Tarenetzki  an,  dass 
die  Lage  des  Wurmfortsatzes  im  kleinen  Becken  die  typische  sei.  Da- 
gegen hält  Steiner  solch  eine  Lage  nur  bei  Erwachsenen  für  typisch, 
bei  Kindern  liege  der  Wurmfortsa^  normal  in  der  Fossa  iliaca. 


216  D-  Saokolow: 

Noch  einige  Worte  über  den  Anfang  des  Processus  yermi- 
cularis.  Bei  älteren  Kindern  (d.  b.  älter  als  1  Jahr)  beginnt 
er  fast  immer  seitlich ,  von  der  inneren  Fläche  des  Blind* 
darms,  was  jedoch  bei  Kindern  unter  einem  Jahre  nicht  zn- 
trifft;  hier  beginnt  er  sehr  häufig  am  Boden  des  Coecums, 
und  je  jünger  das  Kind  ist,  um  so  häufiger  wird  dies  beob- 
achtet. Von  120  Coecumpräparaten,  die  ich  im  Findelhause 
gesammelt  habe,  befand  sich  der  Anfang  des  Wurmfortsatzes 
38 mal  am  Boden,  4 mal  an  der  hinteren  Fläche  des  Blind- 
darms. Bei  näherer  Betrachtung  des  Wurmfortsatzes  auf 
frischen  und  getrockneten  Präparaten  gelangte  ich  zu  der- 
selben Ueberzeugung,  welche  schon  von  Steiner,  Tarenetzki 
und  Turner  ausgesprochen  worden  war,  dass  eine  Gerlach- 
sehe  Klappe  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  nicht  existire. 
An  Trockenpräparaten  sehen  wir  freilich  meist  eine  Erhebung 
am  oberen  Halbkreise  der  Mündung,  jedoch  ist  dies  haupt- 
sächlich durch  den  schrägen  Verlauf  des  Wurmfortsatzes  nach 
oben  bedingt,  werden  jedoch  der  Blinddarm  und  der  Wurm- 
fortsatz vom  Peritoneum  getrennt,  darauf  mit  Luft  aufgebläht 
und  erst  dann  getrocknet,  so  findet  man  keine  Falte  an  der 
Mündung  des  Wurmfortsatzes,  dieselbe  ist  ganz  offen.  In 
einigen  wenigen  Fällen  bleibt  doch  noch  eine  kleine  Falte 
am  Rande  der  Mündung  bestehen,  doch  nimmt  diese  Falte 
durchaus  nicht  den  ganzen  Umkreis  ein,  vielmehr  nur  einen 
kleinen  Theil  desselben,  dabei  ist  ihre  Lage  so  beschaffen, 
dass  sie  durchaus  nicht  irgend  ein  Hinderniss  für  den  Aus- 
tritt aus  dem  Processus  yermicularis  bieten  kann,  dagegen 
kann  sie  wohl  den  Eintritt  in  den  Fortsatz  verhindern,  was 
noch  unterstützt  wird  dadurch,  dass  der  Wurmfortsatz  häufig 
unter  einem  Winkel  nach  oben  verläuft:  bei  Erhöhung  des 
Druckes  im  Coecum  kann  dessen  Wand  den  Wurmfortsatz 
platt  drücken,  sodass  er  sein  Lumen  einbüsst.  Dieser  Schluss 
widerspricht  der  Meinung  von  Tarenetzki,  welcher  Fol- 
gendes behauptet  (1.  c):  „Wird  das  Coecum  bei  gewöhn- 
licher hängender  Lage  des  Wurmfortsatzes  mit  Wasser  oder 
Luft  gefüllt,  so  ist  ein  beträchtlicher  Druck  zum  Uebertreten 
des  Coecalinhaltes  in  den  Fortsatz  nothwendig.  Verläuft 
jedoch  der  Wurmfortsatz  nach  oben,  hinter  dem  Coecum,  so 
kann  schon  bei  ganz  geringem  Druck  der  Inhalt  in  den  Pro- 
cessus vermicularis  eintreten,  da  bei  solch  einer  Lage  des 
letzteren  der  Blinddarm  gewöhnlich  mangelhaft  entwickelt  ist 
und  häufig  nur  ein  trichterförmiges  Ansatzstück  des  Fort- 
satzes darstellt  Solch  einen  trichterförmigen  Abschnitt  des 
Wurmfortsatzes  fand  ich  gewöhnlich  in  denjenigen  Fällen,  wo 
der  Processus  vermicularis  am  Boden  des  Coecums  entsprang; 
sonst  aber  fand  ich  ihn  nur  sehr  selten,  trotz  der  früher  er- 


Zur  Frage  über  die  Anwendung  hoher  Clyamen  bei  Kindern.    217 

wähnten  Häufigkeit  des  Verlaufes  des  Processus  yermicularis 
nach  oben  hinter  dem  Coecum. 

Nun  noch  Einiges  über  die  Messungen  des  Processus 
▼ermicularis.  Im  Ganzen  wurden  von  mir  255  Messungen 
ausgeführt,  von  diesen  kommen  200  auf  das  erste  Lebens- 
jahr (113  bis  zu  einem  Monat,  36  yon  1 — 2  Monaten^  51 
Ton  2  Monaten  bis  zu  einem  Jahre),  die  übrigen  betrafen 
Kinder  von  1 — 14  Jahren.  Bei  den  kleinen  Kindern  betrug 
das  Minimum  der  Länge  2,2  cm,  das  Maximum  9,4  cm,  im 
Durchschnitte  5,44  cm  *bei  einer  mittleren  Körperlänge  von 
46,5  cm.  Bei  den  älteren  Kindern  war  das  Minimum  4,8  cm, 
Maximum  13  cm,  im  Durchschnitte  7,95  cm  bei  einer  mitt- 
leren KSrperlänge  von  82  cm.  Wie  wir  sehen,  nimmt  die 
absolute  Grosse  des  Wurmfortsatzes  mit  dem  Alter  zu,  je- 
doch nicht  im  Verhältnisse  zum  Körperwachsthum,  denn  im 
ersten  Lebensjahre  nimmt  der  Wurmfortsatz  %  der  Körper- 
länge ein,  während  er  in  späteren  Jahren  nur  etwa  V,o  der 
Korperlänge  betrifiFt.  Im  weiteren  Wachsthum  des  Körpers 
nimmt,  wie  wir  aus  den  Zahlen  von  Tarenetzki  (8,6  cm) 
und  Turner  (9  cm)  ersehen,  das  Yerhältniss  der  Länge  des 
Wurmfortsatzes  zur  Körperlänge  noch  mehr  ab  —  1 :  18  bis 
1  :  20.  Fast  dasselbe  ist  über  die  Breite  des  Fortsatzes  aus- 
zusagen: bei  Kindern  bis  zu  einem  Jahre  fand  ich  das 
Maximum  0,6  cm,  das  Minimum  0,2  cm,  im  Durchschnitte 
0,36  cm;  bei  älteren  Kindern  das  Maximum  0,6  cm,  das 
Minimum  0,15  cm,  im  Durchschnitte  0,43  cm;  bei  ganz  kleinen 
Kindern  betragt  somit  das  Yerhältniss  der  Breite  zur  Länge 
des  Wurmfortsatzes  1  :  15,  bei  älteren  Sandern  1  :  18  (nach 
Turner  betrifft  bei  Kindern  bis  zu  einem  Jahre  die  Breite 
[0,2—0,5]  ViQ  der  Länge  des  Wurmfortsatzes).  Vergleichen 
wir  diese  Zahlen  mit  den  von  Tarenetzky  und  Turner 
fttr  Erwachsene  eruirten,  so  müssen  wir  uns  der  Ansicht 
dieser  Autoren  von  der  progressiven  Atrophie  des  Wurm- 
fortsatzes anschliessen:  diese  beginnt  zu  20  Jahren,  wo  die 
Breite  0,7  cm  betrifll,  zu  50  Jahren  ist  dann  die  Breite  des 
Processus  vermicularis  zuweilen  noch  geringer  als  bei  Neu- 
geborenen, darauf  beruht  auch  wahrscheinlich  die  Thatsache, 
dass  im  reiferen  Alter  Perityphlitis  seltener  auftritt.  Nach 
Tarenetzki  fällt  das  Maximum  der  Länge  des  Wurmfort- 
satzes auf  das  13.  Jahr,  von  dieser  Zeit  an  vermindert  sich 
die  Länge  im  Verhältnisse  zur  Körperlänge.  Das  Gegentheil 
beobachten  wir  beim  Coecum.  Sein  Umfang  und  seine 
Länge  nehmen  bis  ins  hohe  Alter  zu,  zuweilen  sogar  so, 
dass  der  ganze  Blinddarm  aus  der  Fossa  iliaca  ins  kleine 
Becken   tritt.     Schon  Herlin  betonte  1768   dieses  verschie- 


f'/rt***j5^j*  t-r.d  a/-f  GiTiJid  dewen  er^lirt  «r  ösa  Warmfort' 
i^U  u.k\.\  i^if  *i'/*rH!'^BiIg,  %or.c*tTi  iaa  G€««2ii*£l  for  emen 
^  .f<.r.:ii'^«  D/>fr,wi(rrj':ig#rDy  merkw^rdigfA  Mech&idfsi^is^  Die  im 
(,^/*rfMfn  ii^eod^m  l^Malien  mausen,  cm  ins  Ccl:ii  zn  gelangen, 
'J'ff  r^hfrer*  ^mt^egen  nach  oben  steigen,  wobei  die  moto* 
nH4.\tH  Kraft  auf  «ie  tettlicb  einwirkt:  hieraus  folge,  dass  ein 
7>j«il  d^r  Faealien  auf  den  Boden  des  Blinddmnns  zorQck- 
fall^  tniUne,  wo  sie  den  Cnterstutzongspunkt  finden.  Offen* 
(/ar  m^Utui  der  Boden  des  Coecums  dadurch  Terlängert  ond 
arißttuUiri  werden ,  er  wQrde  aaeh  bald  Terdünnt^  ond  endlich 
durchbohrt  werden,  wenn  die  Natur  nicht  dadurch  Abhilfe 
K<;M^:haffen  hätte,  dass  sie  ein  Anhängsel  schuf,  das  dem 
drucke  nai;hgiebt,  selbst  yersch windet  und  dadurch  den  Blind- 
darm y«;rgr5ssert.  Wenn  der  Wurmfortsatz  nicht  am  Boden 
di$s  (UmcutUH  entspringt,  so  ist  er  gewöhnlich  länger,  als 
Wf*nn  er  dircct  rom  Boden  ausgeht,  und  je  länger  er  ist,  um 
HO  dünner  sind  die  Wände  des  Coecums.^)  Eine  solche  Er- 
klilrung  int  natürlich  schon  deshalb  probabel,  weil  dadurch 
die  Meinung  von  der  völligen  Nutzlosigkeit  des  Wurmfort- 
satzes wegilillt;  jedoch  muss  man  dagegen  einwenden,  dass 
dor  Wurmfortsatz  nur  eine  relative  Abnahme  mit  dem  Alter 
xoigt;  keine  absolute«  Ausserdem  konnte  ich  in  meinen  Präpa- 
raten keinen  solchen  Einfiuss  der  Lage  des  Wurmfortsatzes 
auf  seine  Länge  und  auf  die  Länge  des  Blinddarms  Con- 
sta tiren. 

Ich  will  hier  nicht  näher  die  Pathologie  des  Wurmfort- 
Hai'/os  berühren,  die  von  Turner  und  Tschernow  sorgfältig 
bearbeitet  worden  ist,  möchte  nur  zum  Schluss  die  von  mir 
im  vorigen  Jahre  beobachteten  Fälle  erwähnen.  Balz  er  sagt 
in  seiner  oben  citirten  Arbeit,  dass  die  Erkrankungen  an 
Perityphlitis  gewöhnlich  serienweise  zur  Beobachtung  gelangen, 
einige  Fülle  hintereinander,  dann  kommen  wieder  Jahre  lang 
keine  Fälle  vor.  Das  ist  natürlich  nur  ein  Zufall;  aber  auch 
während  meiner  vierjährigen  Thätigkeit  am  Elisabeth -Kinder- 
hospitale  und  auch  früher  im  Findelhause,  kam  mir  nicht 
ein  eiu&iger  Fall  von  acuter  Perityphlitis  zur  Beobachtung.^) 
Hei  Sectiouen  fand  ich  zuweilen  pathologische  Veränderungen 
im  Wurmfortsatz,  doch   waren   dieselben   tuberculoser  Natur, 

O  Horlin,  Jounial  de  m^eoine,  Chirurgie,  pharmacie  etc.  1786, 
\\l\,   iVu^Vrw   p.  Säl. 

^^  hu  K>.«abetb*Kinderho»piUl  kamen  frah«'r  in  den  Jakren  1868 
In*  lS5>i^  T  KiUle  Yv^n  IVritvphUtis  rur  Hooba^htunp,  von  diesen  ging 
ovuor  an  IVriorAtion  dv^i  \V-.iruit'ori*At;es  i;i  i*nirUt\  ein  anderer  Faß 
tAhrto  ^um  AS-c<**^.  *;or  Jurxh  don  Nalvl  n^ch  *r.<*en  perforirte  und 
vm4  d.4naK'h  Au>UoiUe. 


Zur  Frage  über  die  Anwendung  hoher  GIjsmen  bei  Kindern.    219 

entweder  waren  beginnende  Ulcerationen  nachweisbar  oder  es 
war  schon  zu  umgrenzter  Peritonitis  und  localen  Adhäsionen 
gekommen  y  oder  aber  es  bestand  bereits  allgemeine  tuber* 
culoce  Peritonitis.  Dagegen  sind  mir  im  vorigen  Jahre  in 
der  Priyatpraxis  2  Falle  von  Perityphlitis  zur  Beobachtung 
gelangt,  von  denen  einer  radch  zum  Tode  führte,  der  andere 
ausheilte.  Leider  wurde  im  ersten  Falle  die  Section  ver- 
weigert, die  wohl  sehr  interessant  gewesen  wäre,  da  der 
Exitus  letalis  ausserordentlich  rasch  eintrat  (zunächst  locale 
Peritonitis  in  der  Fossa  iliaca  und  dann  allgemeine). 

Ein  fün^ähriger  Knabe,  Sohn  intelligenter  and  reicher  Eltern,  er- 
krankt plötzlich  an  heftigen  Schmerzen  in  der  rechten  Lendengegend; 
trotz  anfönglich  angewandter  Abführmittel  und  späterer  Narcotica  brei- 
teten sich  die  Schmerzen  aaf  den  ganzen  Leib  aus;  schon  am  dritten 
Krankheitstage  starb  der  Knabe.  Nach  Angaben  der  Matter  fnnc- 
tionirte  der  Darm  bis  zum  Tage  der  Erkrankung  ganz  normal,  auch 
soll  die  Nahnmg  eine  leichte  gewesen  sein.  Einige  Tage  vor  der  Er- 
krankung bemerkte  die  Mutter,  dass  der  Knabe  einige  kleine  Steinchen 
im  Munde  hielt,  dieselben  wurden  sofort  entfernt;  es  ist  nun  doch  sehr 
möglich,  dass  em  Steinchen  verschluckt  worden  war,  möglicherweise 
gelangte  es  in  den  Wurmfortsatz  und  führte  zur  Perforation. 

In  dem  anderen  Falle,  einem  achtjährigen  Knaben,  begann  die  Er- 
krankung mit  leichter  Stuhlverstopfung ;  nach  leichten  Abführmitteln 
trat  Stuhlgang  ein;  doch  stellten  »ich  bald  Schmerzen  und  Spannung 
in  der  rechten  Lendengegend  ein.  Die  Schmerzen  verstärkten  sich  bald, 
nachdem  einige  Löffel  einer  Mandelemulsion  mit  Belladonnaeztract 
verabreicht  worden  waren,  sie  verbreiteten  sich  auch  nach  links;  es 
traten  Auftreibung  des  Leibes  und  Erbrechen  ein,  Pulsverlangsamnng, 
Temperatursteigerung  etc.  Die  Schmerzen  wurden  so  arg,  dass  der 
Knabe  unaufhörlich  Tag  und  Nacht  schrie,  trotzdem,  dass  eine  Eis- 
blase auf  den  Leib  gelegt  und  Opiumtinctur  (6  Tropfen  vierstündlich) 
verabreicht  worden  war  Am  dritten  Krankheitstage  wurde  ein  hohes 
Clysma  applicirt,  es  wurden  grosse  Mengen  stark  stinkender  Fäcalien 
entleert,  wonach  die  Schmerzen  sofort  nachliessen  und  der  Junge  sich 
bald  erholte. 

Wir  müssen  nun  annehmen,  dass  es  sich  im  ersten  Falle 
um  Perforation  oder  Nekrose  des  Wurmfortsatzes  gehandelt 
habe,  im  anderen  Falle  gelangten  wohl  Fäcalien  in  den  Pro- 
cessus vermicularis  hinein  und  führten  eine  starke  Reizung 
herbei;  durch  das  hohe  Cly stier  wurden  dieselben  entfernt, 
wonach  der  entzündliche  Process  rückgängig  wurde.  In  diesem 
Falle  hat  die  Wassereingiessung  einen  eclatanten  Erfolg  ge- 
habt, und  ich  glaube,  dass  man  diese  Therapie  bei  solchen 
Erkrankungen  besonders  empfehlen  kann.  Natürlich  muss  die 
Wassereingiessung  sehr  vorsichtig  ausgeführt  werden,  es  darf 
kein  hoher  Druck  angewandt  werden,  auch  muss  zuvor  der 
Darm  durch  Narcotica  ruhig  gestellt  werden.  Ist  der  Darm 
atonisch,  sind  keine  Hindernisse  für  das  Einfliessen  der  Flüssig- 
keit im  Wege,  etwa  in  Folge  häufiger  Darmcontractionen,  so 


220        ^'  Ssokolow:  Anwendang  hoher  Clysmen  bm  Kindern. 

wird  die  Flüssigkeit  bei  geringem  Druck  viel  weiter  eia- 
fliessen  und  Yiel  langer  im  Darm  zurückgehalten  werden 
k&nnen;  sie  kann  dann  sowohl  auf  die  ^ankheitsursacBe, 
als  auch  auf  die  Folgen  einwirken,  d.  h.  sie  erweicht  die 
Fäcalien  und  wirkt  gleichzeitig  auf  die  entzündete  Wand  des 
Darms  und  des  Wurmfortsatzes  ein. 

Wir  gelangen  somit  zum  Resultate,  dass  die  Clysmen 
im  Eindesalter  eine  äusserst  zweckmassige  Behandlungsmethode 
darstellen;  sie  sollen  nicht  nur  bei  allen  Erkrankungen  des 
Dickdarms  Verwendung  finden,  sondern  auch  bei  Affectionen 
des  Dünndarms,  namentlich  bei  der  Cholera  infantum,  die  ja 
für  das  kindliche  Alter  äusserst  deletär  ist 


r 


X. 

Arbeiten  aas  der  pädiatriscben  Klinik  zn  Leipzig. 


I,  ITeber  die  iLiwendimg  des  HeüBenimB  bei  der  Diphtherie. 

Vortrag  gebalten  auf  dem  XI.  interDationalen  Congress  za  Born 

in  der  Section  für  Kinderheilkunde.    ^ 

Von 

0.  Heü^ner. 

Es  ist  Ihnen  bekannt,  meine  Herren,  dass  seit  drei  Jahren 
ein  neuer  therapeutischer  Gedanke  zur  Bekämpfung  einiger 
Infectionskrankheiten  aufgetaucht  ist.  Derselbe  stammt  von 
Behring  und  erwuchs  auf  dem  nämlichen  Boden,  welchen 
Pasten r  und  Koch  durch  ihre  grossen  Entdeckungen  und 
ihre  neuen  Heilversuche  bereits  erschlossen  hatten.  Er  be- 
ruhte auf  der  von  dem  erstgenannten  Forscher  entdeckten 
Thatsache,  dass  das  Blutserum  von  Thieren,  welche  gegen 
ein  bestimmtes  Krankheitsgift  künstlich  unempfänglich  ge- 
macht worden  waren,  eine  ganz  specifische  Heilkraft  besass. 
Dasselbe  vermochte  nämlich ,  anderen  Thieren  einverleibt, 
diese  nicht  nur  auch  unempfänglich  gegen  die  nämliche  In^ 
fection  zu  machen,  sondern  sogar  die  schon  ausgebrochene 
Krankheit  zu  heilen. 


Anmerkung.  Obwohl  die  in  der  obigen  Abhandlung  nieder- 
gelegten  Beobachtungen  mit  einem  weit  weniger  krSjftigen  Heüsemm 
angesteUt  worden  sind,  als  jetzt  (im  Frühjahr  1894)  von  den  Herren 
Professor  Behring  nnd  Professor  Ehrlich  gewonnen  wird,  nnd  ob- 
wohl die  von  mir  erhaltenen  Resultate  von  den  mit  dem  wirksameren 
Semm  ersielten  erbeblich  übertroffen  zu  werden  scheinen,  mOchte 
doch  die  Mittheilnng  meiner  Erfahrungen  nicht  ganz  überflüssig  sein, 
insofern,  als  sie  zn  einem  Vergleiche  mit  den  folgenden  Veröffent- 
lichnngen  über  die  Frage  benntäar  sind  und  als  die  zur  Elarlegung 
der  Tnatsachen  benutzte  Methode  wohl  als  einwurfsfrei  betrachtet 
werden  darf. 


222  O.  Heubner: 

Insbesondere  gelang  es  Behring,  ein  solches  Heilserum 
gegen  die  Diphtherie  der  Thiere  zu  gewinnen,  d.h.  gegen 
diejenige  todtliche  Krankheit,  welche  z.  B.  bei  Meerschwein- 
chen durch  das  Einimpfen  von  Reinculturen  der  Diphtherie- 
bacillen  hervorgerufen  werden  konnte.  Die  von  ihm  gelie- 
ferten experimentellen  Unterlagen  für  die  eben  behauptete 
Thatsache  sind  so  einwurfsfrei,  dass  man  diese  als  feststehend 
bezeichnen  kann.  Die  Diphtheriebacillenkrankheit  der  Meer- 
schweinchen wird  selbst  in  ziemlich  vorgeschrittenem  Stadium 
durch  das  Behring'sche  Heilserum  geheilt,  während  sie  ohne 
therapeutisehen  Eingriff  unfehlbar  todtlich  verläuft.  Die  6r5sse 
der  Dosis  Heilserum,  welche  zur  Erzielung  des  Heilerfolges 
nothig  ist,  richtet  sich  nach  dem  Grade  der  Immunität,  welche 
dem  das  Heilserum  liefernden  grösseren  Thiere  (Schafe  z.  B.) 
durch  Einimpfung  immer  stärker  virulenter  Diphtheriebacillen- 
culturen  beigebracht  worden  ist. 

Diese  Versuche  erweckten  die  Hoffnung,  dass  es  viel- 
leicht möglich  werden  würde,  auf  gleichem  Wege  auch  die 
Diphtherie  des  Menschen  in  ihrem  Verlaufe  zu  beeinflussen, 
wenn  nicht  gar  zu  heilen.  Um  zu  einem  solchen  Schlüsse 
zu  gelangen,  war  freilich  vor  Allem  der  Vordersatz  anzu- 
erkennen, dass  die  Diphtheriebacillenkrankheit  des  Thieres 
im  Wesen  mit  der  Krankheit  des  Menschen,  insbesondere 
der  Kinderwelt,  die  wir  Diphtherie  nennen,  identisch  ist. 
Es  mag  wohl  noch  Äerzte  geben,  denen  dieser  Satz  noch 
nicht  genügend  bewiesen  erscheint.  Aber  auch  dieses  zu- 
gegeben, war  noch  immer  fraglich,  ob  der  menschliche  Or- 
ganismus, nachdem  er  der  Diphtherieinfection  verfallen,  in  der 
gleichen  Weise  würde  zu  beeinflussen  sein,  wie  derjenige 
eines  kleinen  Säugethieres.  Hierüber  konnte  nur  der  thera- 
peutische Versuch  entscheiden.  Ehe  aber  zu  einem  solchen 
geschritten  werden  durfte,  war  vorher  mindestens  die  Frage 
zu  erledigen,  ob  die  Einverleibung  von  B  e  h  r  i  n  g'schem 
Diphtherieheilserum  beim  Menschen  in  keiner  Weise  eine 
schädliche  Nebenwirkung  haben  könnte.  Diese  Frage  war 
von  Behring^),  dem  sich  später  Henoch')  anschloss,  in  be- 
jahendem Sinne  entschieden.  Nunmehr  hielt  ich  es  nicht  nur 
für  erlaubt,  sondern  sogar  für  meine  Pflicht,  einer  Krank- 
heit gegenüber,  welche  in  meiner  Heimath  Leipzig  mit  be- 
sonderer Bösartigkeit  aufzutreten  pflegt  und  gegen  welche 
alle  unsere  sonstigen  Maassnahmen  als  erfolglos  oder  min- 
destens von  höchst  zweifelhaftem  Werthe  sich  erwiesen  haben, 


1)  Die  praktischen  Ziele  der  Blutserumtherapie  I.   Leipng.   Thieme 
1892.    S.  7  u.  8. 

2)  Deutsche  med.  Wochenschrifb  1898.     Nr.  2.     S.  41. 


üeber  die  Anwendnng  des  HeilBernms  bei  der  Diphtherie.     223 

versuchsweise  eise  Heilmethode  anzuwesden^  welche  jedenfalls 
aus  dem  Boden  gewissenhafter^  ernster  wissenschaftlicher  For- 
schung herausgewachsen  war. 

Ich  wandte  mich  zu  diesem  Zwecke  im  Juli  1892  mit 
der  Bitte  an  Herrn  Professor  Behring,  mir,  wenn  möglich, 
Proben  seines  Heilserums  zur  Anwendung  bei  diphtheriekranken 
Kindern  zu  überlassen.  Herr  Behring  war  so  gütig,  mir 
vom  November  1892  an  bis  Anfang  Juni  1893  von  Zeit  zu 
Zeit  grossere  Quantitäten  seines  Heilserums  zu  übersenden, 
wofür  ich  ihm  auch  an  dieser  Stelle  meinen  aufrichtigsten 
Dank  ausspreche. 

Die  anfänglich  gesendeten  Sorten  des  Serums  waren  nach 
dem  von  Behring  für  jede  Probe  angestellten  Thierexperi- 
mente  noch  nicht  von  der  gleichen  Heilkraft  wie  die  späteren. 
Zu  der  Zeit,  in  welche  meine  Beobachtungen  fallen,  drückte 
der  genannte  Forscher  den  Heilwerth  eines  Serums  in  Zahlen 
ans,  welche  dadurch  gewonnen  wurden,  dass  an  einzelnen 
der  todtlichen  Diphtheriebacilleninfection,  später  der  gleich- 
namigen Intoxication  ausgesetzten  Thieren  experimen- 
tell festgestellt  wird,  wie  gross  im  Yerhältniss  zum  Ge- 
wicht des  Thieres  die  Menge  Serum  sein  muss,  um  jene 
todtliche  Erkrankung  zu  heilen.  Also  der  Heilwerth  1 :  1000 
eines  Serums  bedeutete,  dass,  um  eine  (möglichst  frische) 
Diphtherieinfection  zu  heilen,  man  soviel  Bruchtheile  oder 
Vielfache  eines  Gramme s  des  Heilserums  einverleiben  musste, 
als  der  betreffende  Organismus  Bruchtheile  oder  Vielfache  eines 
Kilos  wog. 

Der  Heilwerth  des  anfänglich  gesendeten  Serums  betrug 
nach  Behring  1 :  500,  war  also  relativ  niedrig.  Die  Ein- 
verleibung musste  in  nicht  langem  Zeiträume  (binnen  24  bis 
36  Stunden)  geschehen;  es  waren  also  innerhalb  dieses  Zeit- 
raumes bei  einem  10  Kilo  wiegenden  Kinde  20  Gramm,  bei 
einem  20  Kilo  schweren  40  Gramm  (oder  Cubikcentimeter) 
des  gedachten  Serums  einzuverleiben.  Später,  vom  Januar 
ab,  bekamen  wir  Serum  vom  doppelten  Werthe  und  zeit- 
weilig auch  von  noch  höherem. 

Trotzdem,  dass  wir  so  sparsam  wie  möglich  mit  dem 
Serum  umgingen  und  auch  die  kleinsten  Reste  zu  verwerthen 
suchten,  gelang  es  doch  nicht,  alle  während  der  Periode 
der  Serumsendungen  aufgenommenen  Kranken  der  specifischen 
Behandlung  theilhaft  zu  machen,  weil  eben  die  verfügbaren 
Quantitäten  nicht  ausreichten.  Es  wurden  aber  natürlich 
immer  diejenigen  Fälle  zur  Behandlung  ausgesucht,  die  uns 
die  schlechtere  Prognose  zu  geben  schienen,  während  die 
leichteren  Fälle  ausgelassen  wurden.  Auch  kam  es  öfter 
während  der  Monate  November  1892  bis  Juni  1893  vor,  dass 


224  0.  Henbner: 

eine  oder  auch  mehrere  Wochen  dazwischen  fielen,  wo  kein 
Serum  vorhanden  war,  wir  also  die  Fälle  wie  frQher  behan- 
deln mussten.  —  *Je  nachdem  man  nun  blos  die  Serumfalle 
oder  alle  während  der  Perioden,  wo  uns  Heilserum  zur  Ver- 
fügung stand,  beobachteten  Fälle  oder  endlich  die  Gesammt- 
zahl  aller  vom  November  1892  bis  Juni  1893  aufgenommenen 
Diphtheriekranken  stiitistisch  zu  analjsiren  sucht,  wird  das 
Resultat  verschieden  aussehen. 

Die  klarste  Antwort  auf  die  Frage,  ob  in  meinem  Wir- 
kungskreis das  Behring'sche  Heilserum  einen  wesentlichen 
Einfluss  auf  den  Verlauf  der  Krankheit  gehabt  habe,  würde 
wohl  aus  einer  genauen  Analyse  jedes  einzelnen  Falles  sich 
ergeben.  Es  würde  dann  jeder  Fall  auf  Grund  von  sorg- 
faltigst aufgenommener  Anamnese  und  Status  praesens  mit 
Berücksichtigung  des  Alters,  der  Krankheitsdauer  u.  s.  w.  in 
dem  Momente  zu  schildern  sein,  in  welchem  er  sich  .bei  Be- 
ginn der  Heilserumbehandlung  befand;  es  würde  aus  allen  zu 
dieser  Zeit  vorhandenen  Merkmalen  eine  Prognose  zu  formu- 
liren  sein,  wie  sie  auf  Grund  früherer  Erfahrungen  für  den 
vorliegenden  Fall  sich  ergäbe,  und  sodann  zu  fragen  sein,  ist 
die  Prognose  durch  den  Verlauf  bestätigt  oder  nicht  bestätigt 
worden.  Wir  haben  in  dieser  Weise  in  der  That  zur  Zeit 
der  Serumbehandlung  jeden  einzelnen  Fall  analysirt  und  haben 
ganz  entschieden  eine  Reihe  von  Fällen  beobachtet,  bei  denen 
wir  uns  zur  Stellung  einer  schlechten  Prognose  auf  Grund 
der  bisherigen  Erfahrungen  berechtigt  glaubten,  wo  es  aber 
unter  der  Anwendung  des  Heilserums  eutgegen  unserer  Er- 
wartung zu  einem  günstigen  Ausgange  kam. 

Abgesehen  aber  davon,  dass  diese  Art  der  Betrachtung 
sich  zum  Mindesten  nicht  für  einen  kürzeren  Vortrag  eignen 
würde,  steht  ihr  noch  besonders  der  umstand  hinderlich  im 
Wege,  dass  auch  der  erfahrenste  Arzt  gerade  in  Beziehung 
auf  die  Prognose  der  diphtherischen  Einzelerkrankung  durch- 
aus nicht  unfehlbar  ist,  mit  anderen  Worten,  dass  ein  auch 
aus  der  sorgfältigsten  Analyse  hervorgehendos  Urtheil  über 
den  muthmaasslichen  Ablauf  der  Krankheit  keinen  sicheren 
Maassstab  für  den  Werth  einer  Heilmethode  darbietet  Ich 
muss  also  auf  diese  Form  der  Einzelbetrachtung  verzichten, 
werde  Ihnen  aber  nachher  wenigstens  für  die  Serumperiode 
einen  Ueberblick  über  unsere  Beurtheilung  der  Einzelfälle 
im  Vergleich  zu  den  erlangten  Resultaten  geben. 

Somit  bin  ich  also  in  der  Hauptsache  auf  die  einfache 
statistische  Methode  angewiesen.  Diese  aber  hat^  wie  ich  gar 
nicht  verkennen  will,  immer  ihr  Missliches,  so  lange  es  sich 
nicht  um  sehr  grosse  Zahlen  handelt.  •  Und  so  möchte  ich 
denn  überhaupt  meine  Mittheilung  keineswegs  als  eine  solche 


Ueber  die  Anwendung  des  Heilsemma  bei  der  Diphtherie      225 

betrachten,  die  ein  entscheidendes  Urtheil  über  den  Werth 
des  bisher  dargestellten  Diphtherieheilserums  sprechen  dürfte. 
Vielmehr  wünsche  ich  lediglich ,  Ihnen  über  unsere  Erfolge 
in  Zahlen  zu  referiren,  meine  persönlich  gewonnene  Meinung 
darüber  auszusprechen  und  Material  zu  liefern,  welches  mit 
dem  von  Behring  u.  Ä.  gewonnenen  zusammen  zu  einer 
grosseren  Statistik  sich  verwerthen  lässt. 

Wie  schon  oben  hervorgehoben,  war  die  Heilserumbehand- 
lang  der  Diphtherie  in  unserem  Erankenhause  nur  eine  epi- 
sodische, weil  wir  nur  bis  zum  Juni  1893  durch  die  Güte 
des  Herrn  Professors  Behring  mit  dem  Mittel  versorgt 
werden  konnten.  Von  da  an  brauchte  Behring  das  von  ihm 
bereitete  Serum  selbst  vollständig  zu  anderen  Zwecken  und 
wir  mussten  wieder  zur  früheren  Behandlungsweise  zurück- 
kehren. Für  eine  vergleichende  Beurtheilung  gerade 
dieser  Episode  war  aber  dieser  Umstand  von  Werth.  Da 
ich  nämlich  in  dem  Ende  1891  eröffneten  Einderkraukenhaus 
schon  vor  der  genannten  Periode  eine  grosse  Zahl  von 
diphtheriekranken  Kindern  behandelt  hatte  und  nach  der- 
selben wieder  (von  Juni  bis  Ende  December  1893)  ungefähr  die 
gleiche  Zahl  wie  in  dem  ersten  Jahre  zugeführt  wurden,  so 
ergeben  sich  drei  hintereinander  liegende  Beobach- 
tangszeiten,  deren  mittlere  durch  die  Anwendung  des 
Heilserums  charakterisirt  war. 

Es  wurden  nämlich  behandelt: 

vom  6.  Xn.  1891  bis  Mitte  XI.  1892  =  113  Fälle  ohne, 

von  Mitte  XL  1892  bis  Anfang  VI.  1893  =  129  Fälle 
(davon  79  mit  Heilserum), 

von  Anfang  VI.  1893  bis  Ende  XII.  1893  =  118  Fälle 
ohne  Heilserum. 

Wir  wollen  nun  diese  drei  Perioden  mit  den  Ziffern  I, 
II,  UI  bezeichnen  und  unter  verschiedenen  Gesichtspunkten 
mit  einander  vergleichen.  Die  Zahl  II  bedeutet  hier  also  stets 
die  Heilserumsperiode. 

Stellen  wir  zunächst  einmal  die  Zahlen  der  drei  Perioden 
ganz  roh,  in  Bezug  auf  ihre  Mortalität  nebeneinander,  so  er- 
giebt  sich  folgendes  Resultat: 

Tabelle  I. 

Periode         aufgenommen        gestorben        MoriAÜtät 

I  113  73  6M% 

II  129  55  48,6% 

III  118  54  4ß,7%. 

Diese  Zahlen  besagen  zunächst  ganz  allgemein,  dass  die 
Heilserumperiode  in  Bezug  auf  ihren  Charakter  die  mildeste 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.  XXXVTn.  1 5 


226  0.  Heubner: 

and  günstigste  der  gesammten  Beobachtungszeit  war.  Wie 
ich  schon  früher  mehrfach  hervorhob,  besitzt  die  Diphtherie 
in  Leipzig  einen  durchschnittlich  bösartigeren  Charakter,  als 
an  vielen  anderen  Orten,  was  ja  schon  aus  der  absoluten 
Höhe  der  obigen  Mortalitäten  hervorgeht.  Ein  ganz  gewal- 
tiger Abfall  findet  aber  hier  zwischen  den  Perioden  I  und  II 
statt,  während  in  der  dritten  die  MortaliiSt  annähernd  nicht 
wieder  zu  der  früheren  Hohe  emporschnellt. 

Ehe  wir  hierauf  weiter  eingehen,  ist  es  aber  doch  nothig, 
die  drei  Perioden  noch  etwas  detaillirter  zu  betrachten. 

Wir  hatten  nämlich  auch  während  der  Heilserum- 
periode nicht  Serum  im  Ueberfluss,  sondern  zu  wenig;  es 
kamen  wochenlange  Zeiträume  vor,  wo  uns  kein  Serum  ge- 
liefert werden  konnte.  Es  konnten  nur  79  Fälle  in  Behand- 
lung genommen  werden,  während  50  ausser  Behandlung  blieben. 
Nun  leuchtet  es  ein,  dass  —  die  Wirksamkeit  des  Heilserums 
vorausgesetzt  —  von  den  nicht  behandelten  50  Fällen  viel- 
leicht noch  eine  gewisse  Zahl  genesen,  statt  gestorben  wären, 
wenn  sie  specifisch  hätten  behandelt  werden  können. 

Also  wird  die  Mortalität  der  zweiten  Periode,  wenn  man 
alle  Fälle  mitrechnet,  möglicherweise  ungerechter  Weise 
erhöht. 

Ferner  wurde  auch  in  den  Zeiträumen,  wo  das  Heilserum 
zur  Verfügung  stand,  doch  nicht  jeder  Fall  injicirt,  sondern 
aus  Mangel  an  genügend  reichlichem  Stoffe  wurden  nur  die 
Fälle  specifisch  behandelt,  die  uns  die  schwereren  schienen. 
Es  müssen  also,  um  ein  ganz  klares  Bild  zu  erhalten,  eigent- 
lich auch  aus  Periode  I  und  III  die  leichteren  Fälle  ab- 
getrennt werden.  Letzteres  ist  aber  nicht  wohl  thunlich,  da 
es  hier  immerhin  sehr  schwer  ist  eine  genaue  Grenze  zu  ziehen. 

Jedenfalls  aber  ist  ein  Vergleich  der  eigentlichen  Heil- 
serumzeiten während  der  Periode  II  mit  den  Perioden  I  und 
III  möglich.  Es  kamen  nämlich  während  der  Zeiträume,  wo 
wir  Serum  in  den  Händen  hatten,  im  Ganzen  96  Fälle  zur 
Beobachtung  (von  welchen  17  leichte  nicht  injicirt  wurden). 
Wir  ziehen  nun  zum  Vergleiche  mit  diesen  96  Fällen  die  un- 
mittelbar vorausgegangenen  96  Fälle  der  Periode  I  und  die 
unmittelbar  folgenden  96  Fälle  der  Periode  III  heran  und 
gewinnen  folgende 

Tabelle  IL 
Periode  aufgenommen       gestorben        Mortalität 

I  (16.1.— 15.XI.92)  96  60  62,5% 

II  (16.XI.92— 6.  VI. 98)  96  37  88,5% 

III  (6.VI.-4.XII.98)  96  47  49,0%. 

Es  wird  bei  dieser  Zusammenstellung  das  Resultat  ein 
für  die  Heilserumperiode  noch  erheblich  günstigeres. 


üeber  die  Anwendung  dee  Heilserams  bei  der  Diphtherie.     227 


Vergleichen  wir  jetzt  die  drei  Perioden  zunächst,  wenn 
ich  mich  so  ausdrücken  darf,  brutto  in  Bezug  auf  die  Zahl 
der  YorgenommeDen  Operationen  und  die  Mortalität  der  letz- 
teren und  hernach  wieder  unter  Zusammenstellung  der  je 
96  Fälle,  so  ergiebt  sich  folgendes  Resultat: 


Periode 

I 

II 
III 


Periode 

1 
II 

m 


Tabelle  III. 

aa^en.      operirt         in  %  d.  Aufg. 

113       67  (Traoh.)  60,4% 

129       52  (Intnb.)  40,3% 

118      66  (Intnb.)  66,9% 


Tabelle  IV. 


aafgen. 

96 
96 
96 


operirt 

42  (Trach.) 
44  (Intnb.) 
64  (Intnb.) 


in  %  d.  Aufg. 

43,7% 
46,7% 
66,2% 


Mortalität  d.  Operirten 

-  87,7% 
=  69,2% 

«  63,7%. 


Mortalität 

=  88% 
=  68,1% 
=  63,3%. 


Man  ersieht  aus  diesen  beiden  Tabellen,  dass  die  Heil- 
serumperiode ohne  Einfluss  auf  die  Zahl  der  nothig  gewor- 
denen Operationen  gewesen  ist.  Das  ist  auch  gar  nicht  zu 
verwundern^  denn  fast  alle  Kinder,  bei  denen  die  Operation 
(Intubation  in  unserem  Erankenhause)  nothwendig  ist,  kommen 
bereits  im  Zustande  der  Kehlkopfstenose  ins  Haus,  der  Procent- 
satz der  erst  im  Hause  stenotisch  werdenden  Kinder  ist  ein 
sehr  geringer.  Bei  uns  aber  ist  die  absolute  Anzahl  der 
behufs  Operation  ins  Haus  gesendeten  Kinder  in  den  drei 
Perioden  überhaupt  gewachsen. 

Aber  auch  die  Mortalität  der  Operirten  ist,  wie  es 
scheint,  durch  das  Heilserum  nicht  beeinflusst  worden;  aller- 
dings erfolgte  von  der  ersten  Periode  zur  zweiten  eine  ganz« 
bedeutende  Besserung  derselben.  Würde  man  also  nur  diese 
beiden  Zeiträume  vor  sich  haben,  so  würde  man  sehr  geneigt 
sein,  dieses  günstige  Resultat  auf  Rechnung  des  Heilserums 
zu  schieben.  Aber  die  Periode  IH,  wo  wir  dieses  Heilmittels 
nicht  theilhaftig  waren,  belehrt  uns  eines  Besseren:  in  dieser 
wird  die  Mortalität  eine  noch  günstigere  I  Man  muss  für  diese 
letzte  Periode  —  verglichen  mit  der  ersten  —  also  einen  ent- 
schieden milderen  Charakter  der  Epidemie,  eine  Veränderung 
des  Genius  epidemicus  voraussetzen;  und  es  beweist  also  diese 
Erfahrung  wieder  einmal  recht  schlagend,  wie  äusserst  vor- 
sichtig man  in  der  Beurtheilung  von  Heilmitteln  der  Diphtherie 
verfahren  muss.  Denn  wenn  die  Periode  HI,  bei  nicht  wesent- 
lich anderer  Behandlung  als  die  Periode  I,  also  in  Folge  einer 
Aenderung  des  Krankheitscharakters  soviel  milder  sich  ge- 
staltete,  so  entsteht  nun  die  Frage,  ob  nicht  die  gleiche 
Aenderung  des  Krankheitscharakters  auch  das  günstigere  Ver- 
ls* 


228  0.  Heubner: 

halten  der  Periode  II  bedingt  hat.  In  letzterem  Falle  würde 
also  die  Heilserumbehandlang  als  irreleTant  für  den  Krankheits- 
▼erlauf  angesehen  werden  müssen. 

Um  nun  der  Losung  dieser  Frage  etwas  näher  zu  kommen, 
bieten  glücklicher  Weise  gerade  unsere  Leipziger  Verhältnisse 
eine  ffeeigneie  Handhabe.  Aus  denselben  Bevolkerungsklassen 
und  den  nämlichen  Wohnstätten  wie  in  das  Einderkranken- 
haus werden  auch  eine  grosse  Zahl  schwerer,  rasche  Operation 
erheischender  Fälle  in  die  chirurgische  Klinik  des  städtischen 
Krankenhauses  aufgenommen.  Dort  aber  war  zu  keiner  Zeit 
Heilserum  bei  der  Erankenbehandlung  der  Diphtheriekinder 
in  Anwendung  gekommen.  Es  war  nun  von  grosstem  Inter- 
eiise,  die  dortigen  Resultate  zum  Vergleiche  herbeizuziehen. 
Herr  Geheimrath  Thiersch  hat  die  grosse  Liebenswürdig- 
keit gehabt,  mir  hierüber  durch  seinen  Assistenten  Herrn 
Dr.  Meyh  die  erbetenen  Mittheilungen  zukommen  zu  lassen. 
Beiden  Herren  spreche  ich  dafür  meinen  yerbindlichsten 
Dank  aus. 

Die  Sache  stellte  sich  also  im  Jakobshospitale  folgender- 
maassen,  wobei  die  Zahlen  I,  II,  III  wieder  die  nämlichen 
Zeitperioden  wie  bei  den  früheren  Tabellen  bezeichnen  (1.  De- 
cember  1891  bis  November  1892;  Mitte  November  1892  bis 
1.  Juni  1893;   1.  Juni  bis  1.  December  1893). 


Tabelle  V. 

Tracheotomien            Mortalität 

I 

II 

111 

128                           71,09 
69                            66,22 
68                            64,16. 

Wenn  auch  die  Amplitude  der  Zahlen  im  Kinderkranken- 
hause  eine  grössere  ist^  als  auf  der  chirurgischen  Klinik,  so 
zeigt  sich  doch  in  beiden  Statistiken  insofern  eine  auf- 
fallende Uebereinstimmung^  als  der  Abfall  der  Morta- 
lität der  Diphtheriefälle  mit  Larynxstenose  von  der  Periode  I 
zur  Periode  II  ein  sehr  viel  grösserer  ist,  als  derjenige 
von  Periode  II  auf  IIL 

Dieses  sehr  interessante  Verhalten  spricht  doch  mit  mehr 
als  blosser  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  wir  hier  einen 
deutlichen  Ausdruck  einer  Aenderung  des  Erankheits- 
Charakters  vor  uns  haben.  Die  Diphtherie  in  Leipzig  ist 
ganz  offenbar  gerade  in  jener  Epoche,  wo  wir  das  Behring- 
sehe  Heilserum  zur  Verfügung  hatten,  durch  unbekannte 
Momente  eine  mildere  geworden,  als  in  der  vorhergegan- 
genen Periode.  Es  würden  also,  das  muss  unbedingt  zuge- 
geben werden,  auch  ohne  jene   neu  hinzukommende  Behand- 


üeber  die  AnwoDdung  des  Heilserums  bei  der  Diphtherie.     229 

lung  unsere  Resultate  in  der  Periode  11  unzweifelhaft  besser 
gewesen  sein,  als  in  Periode  I. 

Sehen  wir  uns  aber  nunmehr,  mit  besserem  Verständniss 
über  den  ursprünglichen  Charakter  unserer  drei  Diph- 
therieperioden ausgerüstet,  noch  einmal  die  Tabellen  I  und  II 
an,  so  fallt  doch  etwas  auf,  was  man,  gestützt  auf  die  Hei- 
lungsresultate  der  Operirten,  von  vornherein  nicht  erwartet 
hätte.  Letztere  besagen,  dass  von  I  auf  II  der  Krankheits- 
charakter sich  ganz  erheblich  zum  Besseren  verändert  hat, 
dass  aber  auch  von  II  auf  III  noch  eine  weitere  Mil- 
derung in  der  Bösartigkeit  der  Krankheit  Platz,  gegriffen 
hat,  sicherlich  keine  Verschlimmerung  aufgetreten  ist. 

Das  entspricht  auch  durchaus  dem  Gesammteindruck, 
den  der  Gang  der  Diphtherie  während  der  in  Frage  kon^men- 
den  2  Jahre  auf  Herrn  Thiersch  sowohl  (nach  dessen  güti- 
ger mündlicher  Mittheilung),  wie  auf  mich  gemacht  hat:  dass 
der  schlimme  Winter  1891/92  einem  besseren  1892/93  Platz 
gemacht  hat,  die  zweite  Hälfte  1893  aber  noch  bessere  und 
mildere  Fälle  den  Krankenhäusern  Leipzigs  zugeführt  hat. 

Wie  stellt  sich  nun  dagegen  die  Gesammtmortalität 
unserer  Perioden  im  Kinderkrankenhaus?  Danach  (vgl.  Ta- 
belle I  und  II)  ist  nicht  die  letzte,  sondern  die  mittlere 
Periode,  II,  also  die  Heilserumperiode,  die  günstigste  gewesen. 
Besonders  die  Tabelle  II,  wo  nur  die  Fälle  der  Heilserum- 
zeiten mit  gleichviel  Fällen  vor-  und  nachher  verglichen  sind, 
zeigt  eine  ganz  auffällige  Bevorzugung  der  ersteren.  Während 
eine  Curve,  die  aus  den  Heilresultaten  der  Operirten  gezogen 
würde,  einen  geradlinigen  Verlauf  mit  anfangs  steilem, 
nachher  langsamem  Abfall  besitzen  würde,  würde  die  Morta* 
litatscurve  der  drei  Perioden  im  Kinderkrankenhaus  eine  starke 
Knickung  zeigen,  entsprechend  dem  Abfall  von  24%  in 
Periode  II  und  nachherigem  Wiederanstieg  um  9,5%  in  Pe- 
riode III.  Ich  weiss  in  der  That  nicht  anzugeben,  auf  welche 
andere  Weise  dieses  eigenthümliche  Verhalten  der  Diphtherie 
im  Kinderkraukenhause  zurückgeführt  werden  konnte,  als  eben 
auf  die  angewandte  Behandlung,  und  mir  wenigstens  scheint 
es  danach  doch  recht  wahrscheinlich,  dass  die  Anwendung 
dieses  merkwürdigen  Heilmittels  einen  wenn  auch  nicht  durch- 
schlagenden, so  doch  merkbaren  Einfluss  auf  den  Krankheits- 
charakter gehabt  hat. 

Man  kann  zur  weiteren  Bekräftigung  dieser  Anschauung 
noch  folgende  Betrachtungen  anschliessen.  Wie  schon  oben 
gesagt,  hatten  wir  auch  während  der  Periode  II  nicht  immer 
Heilserum  zur  Verfügung.  Wir  hatten  es  öfters  mit  Inter* 
Valien  zu  thun,  wo  wir  die  zuwachsenden  Fälle  in  der  früher 


230  0«  Heubner: 

geübten  Weise  behandelm  mnssten.  Wenn  auch  die  Zahlen 
klein  sind,  so  lassen  sich  doch  die  während  derselben 
Zeitperiode  11,  also  bei  gleichem  allgemeinen  Krank- 
heitschar akter,  mit  und  ohne  Serum  behandelten  Fälle 
gegenüberstellen.  Diese  Fälle  haben  insofern  als  Vergleichen 
objecte  vielleicht  einen  etwas  höheren  Wierth,  als,  wie  oben 
bemerkt,  jeder  einzelne  Fall  während  dieser  Periode  gleich 
bei  der  Au&ahme  in  einer  besonderen  Erwägung  daraufhin 
beurtheilt  wurde,  ob  er  als  schwer,  mittelschwer  oder  leicht 
anzusehen  sei. 

Es  wurden  also  während  der  Periode  II  behandelt: 

schwere  FSlle     mittelschwere  leichte 

mit  HeiUeram  66  19  4  »  79 

ohne      „  24  9  17  =  50. 

Die  mittelschweren  und  leichten  Fälle  bleiben  ausser 
Betracht. 

Die  Mortalit&t  der  66  schweren  Heilsernmfölle  war  ■»■  62,5%. 

„  „  „    24  „        Nicht- Heilsernmfälle     „    »  79,1%. 

Also  auch  hier  ergiebt  sich  ein  bedeutender  Unterschied  zu 
Gunsten  der  Heilserumbehandlung.  Ja  selbst  die  absolute  Sterb- 
lichkeit der  Serumfölle  44,3%  war  noch  günstiger  als  in  III. 

Noch  interessanter  ist  aber  nachstehende  Gegenüber- 
stellung. Die  anfänglich  von  Professor  Behring  uns  über- 
sendeten Serumarten  gehorten  noch  nicht  zu  den  hervor- 
ragend kräftigen.  Sie  besassen  meist  einen  Heilwerth  Yon 
1 :  500^  d.  h.  es  war  auf  das  halbe  Kilo  Körpersubstanz  des 
Thieres  schon  1  g  Seruni  nothig,  um  eine  Heilung  des  Thieres 
zu  erzielen.  Hiervon  mussten  wir  also  grösseren  Kindern  30, 
40  und  mehr  Gramm  einspritzen.  Erst  vom  Februar  1893 
an  erhielten  wir  sogenanntes  Normalserum  im  Heilwerth  von 
1  :  1000  bis  1  :  1500.  Vergleichen  wir  nun  die  Fälle,  die  mit 
minderwerthigem  Serum  bebandelt  werden,  und  diejenigen  mit 
voUwerthigem,  so  ergiebt  sich 

Tabelle  VI. 

behanifelt     gestorben  Mortalität 

Minderwerthiges  Serum  40  21  «  &2»5%. 

Voilwerthigea  „  89  14  =35,9%. 

Somit  ergiebt  sich  die  interessante  Thatsache,  dass  das 
voUwerthige  Serum  erheblich  mehr  geleistet  zu  haben  scheint, 
als  das  minderwerthige. 


Ueber  die  Anwendung  des  HeilserumB  bei  der  Diphtherie.     231 

Der  einzige  nnd  allerdings  sehr  wichtige  Einwarf,  den 
man  der  Beweiskraft  des  hier  vorgetragenen  Materiales  machen 
kann,  ist  der,  dass  die  Zahlen,  welche  ich  zu  meiner  Statistik 
verwerthen  konnte,  noch  wesentlich  zu  kleine  sind.  Das  ist 
auch  der  Grund,  weshalb  ich  mich  immerhin  noch  vorsichtig 
aussprechen  möchte.  Diesem  Umstände  konnte  ich  leider 
nicht  abhelfen,  hielt  es  aber  trotzdem  fQr  erlaubt,  einen  Be- 
richt über  unsere  Erfahrungen  zu  erstatten. 

In  einer  Beziehung  ist  aber,  glaube  ich,  die  Zahl  meiner 
Beobachtungen  eine  bereits  vollauf  genügende;  nämlich  um  das 
ürtheil  zu  rechtfertigen,  dass  die  Einverleibung  des  Heilserums 
ohne  jeden  Schaden  für  die  Kranken  erfolgt.  Wir  waren  in 
mehreren  Fällen,  namentlich  während  der  ersten  Periode  ge- 
nothigt,  40  und  selbst  noch  mehr  Gramm  im  Verlaufe  von 
24  Stunden  zu  injiciren,  mit  Ausnahme  des  Stiches  der  Canüle 
hatten  die  Kinder  gar  keine  (localen)  Beschwerden  davon. 
Die  Resorption  des  Serums  ging  mit  Leichtigkeit  vor  sich, 
und  ohne  dass  Massage  angewendet  wurde.  Anfangs  ver- 
theilten  wir  das  eingespritzte  Serum  durch  leichte  Massage 
im  Unterhautzellgewebe,  sind  aber  bald  davon  zurückgekommen, 
weil  wir  fanden,  dass  die  massirten  Injectionsstellen  eher 
etwas  schmerzhaft  wurden,  als  die  .völlig  sich  selbst  über- 
lassenen.  Niemals  ist  bei  gegen  200  Einzelinjectionen  ein 
Abscess,  stärkere  Hämorrhagien,  Hautknoten  oder  dergleichen 
entstanden.  Als  Ort  der  Einspritzung  wählte  ich  gewöhnlich 
die  Oberbauchgegend  (linkes  oder  rechtes  Hypochondrium). 

Auch  die  gleichzeitig  mit  eingespritzte  Carbolsäure,  die 
wir  anfangs  etwas  fürchteten,  hat  in  keinem  Falle  irgend 
welche  Erscheinungen  gemacht;  nicht  einmal  Carbolurin,  ob- 
wohl die  Quantitäten,  welche  z.  B.  mit  40  g  des  Serums  ein- 
verleibt werden,  nicht  ganz  gering  sind.  Dasselbe  wird  durch 
Zusatz  von  0,5  Phenol  zu  100  Flüssigkeit  haltbar  gemacht. 
Also  in  20  g  ist  0,1  Phenol  enthalten;  mit  40  g  werden  in 
24  Stunden  0,2  einverleibt.  Für  einen  Organismus  von  20  Kilo 
ist  damit  immerhin  die  Maximaldosis  der  Pharmacopoe  erreicht. 
Je  kräftiger  aber  das  Serum  ist,  um  so  kleinere  Mengen  des- 
selben sind  nöthig,  um  so  niedriger  ist  dann  auch  der  Werth 
der  gleichzeitig  eingespritzten  Carbolsäure. 

Einer  Erscheinung  möchte  ich  aber  noch  gedenken, 
welche  namentlich  in  der  s&weiten  Hälfte  der  Serumperiode 
so  regelmässig  vorkam,  dass  ich  doch  einen  Zusammenhang 
derselben  mit  dem  angewandten  Mittel  annehmen  möchte. 

Es  trat  nämlich  ganz  regelmässig  am  8.  oder  9.  Tage 
nach  dem  Injectionstag  bei  den  behandelten  Kindern  eine 
Urticaria  auf,  die  manchmal  zuerst  in  der  Gegend  der  In- 
jectionen,  manchmal  aber  auch  zuerst  im  Gesicht  begann,  und 


232       0.  Heubner:  Ueber  die  Anwendung  des  HeilsenunB  etc. 

in  einzelnen  Fällen  eine  ganz  bedeutende  Ausdehnung  und 
Heftigkeit  erlangte.  Von  Fieber  oder  sonstigen  Störungen 
des  Allgemeinbefindens  war  dieselbe  nicht  begleitet^  auch 
/  ging  sie  stets  in  wenigen  Tagen  vorüber. 

Die  Technik  des  Verfahrens  ist  eine  sehr  einfache.  Das 
Serum  hat  eine  dunkelbräuulich  oder  gelblichrothe,  meist 
etwas  trübe y  aber  leicht  flüssige  Beschaffenheit,  wurde  bei 
mehrfachen  Züchtungsversuchen  stets  völlig  bacterienfrei  be- 
funden und  lässt  sich  sehr  leicht  in  eine  Spritze  aufziehen. 

Benutzt  wurde  eine  Eoch'sche  Ballonspritze,  wie  sie 
Ihnen  vom  Tuberculin  her  bekannt  ist,  von  10 — 12  ccm  In- 
halt; die  auf  einmal  eingespritzte  Menge  betrug  gewöhnlich 
10  ccm. 

Strengste  Asepsis  wurde  natürlich  stets  eingehalten. 

Als  Schlussresultat  meiner  Mittheilung  möchte  ich  die 
Meinung  äussern,  dass  mir  das  Heilserum  von  Behring  in 
unseren  Beobachtungen  einen  wenn  auch  nicht  durchschla- 
genden, doch  merkbaren  Einfluss  auf  den  Charakter  der  be- 
handelten Fälle  ausgeübt  zu  haben  scheint  und  dass  eine 
Fortsetzung  der  Versuche  entschieden  zu  wünschen  ist. 


2.  BaoteriologiBohe  UnterBuchnngen  über  die  sogenannte 

septiaehe  Diphtherie. 

Von 

Dr.  Gustav  Genersich, 

AtiistenUn  der  medie.  Klinik  der  UniTersit&t  Kolour&r  (Klausenbarg), 
d.  Z.  VolontärarBt  der  Leipziger  Kinderklinik. 

Es  wird  sehr  häufig  sowohl  in  der  Praxis  als  auch  in 
der  Literatur  von  septischer  Diphtherie  gesprochen  ^  werfen 
wir  aber  einen  Blick  in  die  diesbezüglichen  literarischen  Daten, 
so  ersehen  wir  aus  denselben^  dass  nicht  alle  Autoren  das- 
selbe darunter  verst-ehen. 

Um  nur  hervorragendere  Meinungen  über  dieses  Thema 
zn  berühren ,  erwähnen  wir  die  Namen  Henoch,  Heubner, 
Francotte,  Baginsky,  Vogel. 

H  e  n  o  c  h  ^)  beschreibt  neben  der  schweren  Form  von 
Diphtherie  mit  hocheinsetzendem  Fieber,  ungewöhnlicher  Puls- 
frequenz, grosser  Apathie,  Somnolenz,  vollständiger  Anorexie, 
Erbrechen,  fötidem  Ausfluss  aus  der  Nase,  Schwellung  der 
Nase  und  Augenlider,  fötidem  Geruch  aus  dem  Munde,  Speichel- 
fluss,  starker  harter  Schwellung  der  Halslymphdrüsen,  Blu- 
tungen aus  der  Nase  und  den  Rachentheilen,  Petechien,  Nephritis 
—  unter  septischer  Diphtherie  ein  Erankheitsbild,  welches  auf 
die  denkbar  schwersten  Fälle  der  Diphtherie  zustimmt. 

Es  tritt  Erbrechen  auf.  Die  Kinder  deliriren,  die  meisten 
liegen  schlaff,  in  einem  soporösen  Zustand  mit  fahlgelblichem 
Antlitz,  starren,  halb  geöffneten  Augen  und  sind  kaum  er- 
weckbar. Andere  sind .  bei  vollem  Bewusstsein.  Kühle  Ex- 
tremitäten, erloschene  Stimme,  schwacher  Herzstoss,  unter 
dem  Finger  schwindender,  manchmal  unregelmässiger  Puls, 
gesunkene  Zahl  der  Respiration,  fötider,  selbst  gangränöser 
Geruch  aus  dem  Munde,  gangränöser  Zerfall  der  Beläge  sind 
die  übrigen  Symptome. 

Ich  habe  selbst  während  meines  Berliner  Aufenthaltes 
auf  der  Henoch'schen  Klinik  einen  solchen  Kranken  gesehen, 

1)  Vorlesnngen  über  Einderkrankheiten  1890. 


234  0.  Genenich: 

horte  die  Aeasserung  H  e  n  o  c  h  's ,  dass  es  sich  um  eine 
septische  Form  handelt ^  sodass  ich  hervorheben  kann,  dass 
Henoch  nur  diese  Fälle  als  eigentlich  septische  ansieht. 

Herr  Professor  Heubner^)  legt  bei  der  Diagnose  der 
septischen  Diphtherie  das  Hauptgowicht  auf  die  Combination 
gewohnlich  schwerer  Localsymptome  mit  ausserordentlich 
schweren  Allgemeinerscheinungen.  Nach  ihm  treten  als  All- 
gemeinerscheinungen die  eigen thümlich  bleiche,  bleigraue  Ver- 
erbung des  Gesichtes,  der  ängstliche  oder  apathische  Gesichts- 
ausdruck, die  grosse  Prostration,  die  hochgradige  Herzschwäche 
mit  elendem,  kleinem  fadenförmigem  Puls,  die  Nephritis  hervor, 
als  Localsymptome:  gangränöser  oder  fade  riechender  Ge- 
ruch aus  dem  Munde ;  stinkender,  braungelber  Ausfiuss  aus 
der  Nase,  schmierige,  bröcklige,  zum  Theil  durch  Hämorrha- 
gien  verfärbte  Beläge  auf  Tonsillen  und  Gaumentheilen,  Drüsen- 
Schwellung,  Oedem  in  der  Umgebung  der  Drüsen,  in  manchen 
Fällen  Croup  im  ersten  Stadium. 

Francotte*)  versteht  unter  septischer  Diphtherie  (Forme 
toxique  d'embl^e)  eine  Erankheitsform,  bei  welcher  sofort  All- 
gemeinerscheinungen zum  Ausdruck  kommen,  und  das  ganze 
Bild  beherrschen,  bei  welcher  die  Augen  matt,  mit  blauen 
Ringen  umgeben  sind,  der  Gesichtsausdruck  verfallen  ist,  die 
Adynamie  und  Prostration  sehr  hochgradig  erscheint.  Das 
Bewusstsein  ist  meistens  erhalten,  doch  kann  auch  Somno- 
lenz  und  Coma  bestehen.  Der  Puls  ist  frequent  und  klein. 
Das  Fieber  steigt  rasch,  ein  ander  Mal  fällt  die  Temperatur  im 
Gegentheil,  um  gegen  Ende  des  Lebens  subfebril  zu  werden. 
Die  Extremitäten  sind  kühl.  Es  besteht  tiefe  Anorexie.  Immer 
ist  Albuminurie  vorhanden.  Die  Pseudomembranen  können 
ein  gutartiges  Aussehen  haben  oder  sind  gangränös  und  aus 
dem  Munde  kommt  ein  pestartiger  Geruch,  die  Drüsenschwel- 
lung ist  beträchtlich.  Ausser  der  Nase,  dem  Kehlkopf  können 
auch  andere  Körperstellen  befallen  werden.  Blutungen  kommen 
in  den  von  Diphtherie  befallenen  Gebieten,  wie  auch  in  ab- 
gelegenen Theilen  häufig  vor.  Der  Tod  kann  schon  in  24 
bis  48  Stunden  erfolgen,  bevor  der  Localprocess  noch  eine 
grössere  Ausbreitung  genommen  hat. 

Vergleichen  wir  aber  die  angegebenen  Symptome  mit 
denjenigen  seiner  zweiten,  „infectiös''  genannten  Form,  so 
sehen  wir,  dass  zwischen  den  beiden  eigentlich  nur  graduelle 
Unterschiede  bestehen  und  dass  dieselben  nur  insofern  von 
einander  unterschieden  werden,  dass  in  der  infectiösen  die  All- 


1)  Mündliche  Mittheilung. 

2)  Die   Diphtherie,   ihre    UrsacheD,   ihre   Natur    und    Behandlung. 
Deutsche  Uebersetzung  von  Dr.  Spengler.     Leipzig  1886. 


Bacteriolog.  UnterauchnDgen  über  d.  sog.  septische  Diphtherie.    235 

gemeinerscheinnngeD  Anfangs  fehlen  können,  der  Verlauf  weniger 
rapid  ist. 

Auch  bei  der  infectiösen  >  Form  kann  die  Hautfarbe  erd- 
fahl, die  Lippen  bleich ,  die  Gesichtsfarbe  verfallen  sein,  die 
Pseudomembranen  können  schmutzig,  ja  gangränös  werden, 
nach  Abstossen  derselben  bleiben  Substanzverluste  zurück. 
Der  Athem  verbreitet  einen  grässlichen  Gestank,  die  Drüsen- 
schwellung ist  beträchtlich,  das  periglanduläre  Gewebe  öde- 
matös,  die  Temperatur  hoch,  der  Puls  klein,  es  besteht  Appetit- 
losigkeit, häufig  ist  Albuminurie  und  Lungencomplication 
vorhanden. 

Nach  Baginsky^),  der  neben  einer  localisirten  diphthe- 
rischen Affection,  eine  diphtherische  Allgemeininfection  und 
eine  septicämische  Diphtherie  annimmt,  bietet  letztere  fol- 
gendes Bild:  Die  Affection  kann  einen  gangränösen  Charakter 
zeigen,  aus  der  Nase  fliesst  seröse  Jauche,  die  Lippen  sind 
blutig,  rissig,  die  Zunge  trocken,  die  submaxillaren  Lymph- 
drüsen sind  beträchtlich  geschwollen,  die  Kinder  sehen  tief 
elend,  seltsam  pastös  aus,  die  Gesichtsfarbe  ist  tiefbleich,  die 
Extremitäten  fassen  sich  kühl  an.  Der  kleine  Puls  wird 
kaum  zählbar.  Der  Stuhlgang  ist  diarrhöisch ;  das  Sensorium 
schwer  benommen,  die  Kinder  sterben  unter  tiefster  Apathie. 
In  •  manchen  Fällen  treten  auf  der  Haut  und  den  Schleim- 
häuten Blutergüsse  auf  oder  es  gesellt  sich  die  Erkrankung 
des  Larynx  mit  Stenose  hinzu. 

Während  die  bisherigen  Autoren  dennoch  nur  die  schwe- 
ren Fälle  von  Diphtherie  der  septischen  Gruppe  anreihen, 
theilt  YogeP)  die  Diphtherie  in  eine  einfache  und  eine  sep- 
tische ein  und  bezeichnet  mit  letzterer  alle  Fälle,  bei  welchen 
die  Allgemein  Vergiftung  des  Körpers  die  örtlichen  Symptome 
überwiegi 

Es  gab  Zeiten,  wo  man  den  Ausdruck  „septisch''  noch 
gar  nicht  gebrauchte,  und  es  schien  uns  von  Interesse,  die 
Frage  aufzuwerfen,  o1)  es  schon  damals  dieses  klinische  Bild, 
das  wir  heute  darunter  verstehen,  gegeben  hat? 

Wenn  man  bei  Erledigung  dieser  Frage  in  die  früheren 
Jahre  zurückgreift,  kann  man  es  nicht  unterlassen,  Bre- 
ionneau  zu  erwähnen,  den  Forscher  der  zwanziger  Jahre, 
durch  dessen  Scharfsinn  die  Diphtherie  zuerst  in  ein  klares 
Licht  gestellt  wurde. 

Aus  seinen  Schilderungen»)  geht  hervor,  dass  die  Krank- 

1)  Lehrbuch  der  Einderkrankheiten  1892.    S.  223. 

2)  Vogel-Biedert,  Lehrbuch  der  Kinderkrankheiten  1890. 

S)  Des  inflammations  speciales  du  tissu  muqueux  et  en.  partioulier 
de  la  diphth^rite,  op  inflammation  pelliculaire,  comnue  sous  le  nom  de 
Croup  d*angine  maligne.    Paris  1826. 


236  Gt'  Generaich: 

heit,  welcher  er  den  Namen  Diphth^rite  gab,  schon  damals 
und  früher  in  bösen  Formen  auftrat,  von  Anderen  aber  je 
nach  den  in  den  Vordergrund  tretenden  Localerscheinungen 
als  Angine  maligne,  Gangräne  pharyngieune  bezeichnet 
wurde.  Es  kostete  ihm  viel  Mühe,  die  Selbständigkeit  dieser 
Formen,  welche  von  anderen  Autoren  behauptet  wurde,  zu 
bestreiten.  Von  einer  selbständigen,  schwersten,  septischen 
Form  war  bei  ihm  allerdings  noch  nicht  die  Bede,  doch  ver- 
gegenwärtigte er  sich  schon  die  schweren  Allgemeinerschei- 
nungen durch  die  Wirkung  eines  ihm  unbekannten  Giftes, 
welches  er  als  das  Wesen  der  Krankheit  und  als  Ursache  so- 
wohl der  localen  als  auch  der  allgemeinen  Symptome  be- 
trachtete. 

Spater  finden  wir  Andeutungen,  welche  darauf  hinweisen, 
dass  die  Autoren  bei  Diphtherie  ähnliche  Allgemeinerschei- 
nungen beobachteten,  welche  denjenigen  der  Sepsis  ähnlich 
sind*,  doch  war  auch  hier  noch  nicht  die  septische  Diphtherie 
als  selbständige  Form,  wie  heut  zu  Tage,  aufgestellt. 

Gubler^),  der  übrigens  noch  als  Gegner  Bretonneau's 
die  Selbständigkeit  der  gangränösen  Angina  bestreitet,  erwähnt 
einen  Fall,  wo  eine  gravide  Frau  mit  Halsschmerzen  und 
Drüsenschwellungen  erkrankte.  Es  bildeten  sich  eine  grau- 
liche Haut  auf  der  rechten  Seite  des  Schlundes  und  in  der 
Nase  gelbliche  Membranen.  Sinken  der  Eräfke,  Ohrenschmerzen, 
Collaps,  kalte  Haut,  Sinken  der  Pulsfrequenz,  starker  Eiweiss- 
gehalt  des  Urins,  freie  Intelligenz,  bildeten  die  schweren  All- 
gemeinsymptome der  Krankheit  welche  auch  heute  als  schwerste 
Form  der  Diphtherie  angesehen  werden  würde.  Er  schlägt 
dennoch  dafür  den  Namen  Angina  maligna  vor,  und  sagt: 

„Auch  bei  ihr  findet  man  dieselben  Allgemeinerschei- 
nungen, die  sich  nur  auf  eine  septische  Blutmischung  wie 
bei  der  Angina  gangraenosa  beziehen  und  nur  so  den 
so  oft  eintretenden  Tod  ohne   locale  Ursachen  erklären.*' 

Andererseits  werden  die  schwersteti  Formen  auch  mit 
dem  Namen  „typhos ''  oder  „adynamisch^'  belegt. 

Ein  Referat')  aus  Schmidts  Jahrbüchern,  dessen  Anfang 
fehlt  und  deshalb  der  Titel  und  Autor  nicht  angegeben  werden 
kann,  unterscheidet  neben  der  croupösen  und  scarlatinösen 
Angina  auch  eine  diphtheritische  und  bezeichnet  als  eine  Unter- 
art derselben  die  Angina  diphtheritica  maligna,  welche  gleich 
Anfangs  mit  schweren  Allgemeinerscheinuugen  auftritt  oder 
sich  langsam  entwickelt  und  folgenden  Charakter  bietet: 


1)  Ueber  Angina  maligna  gangraenosa.  (Referat  in  Schmidt's  Jahr- 
büchern Bd.  XCV.    S.  46  [1867)1. 

2)  Schmidt 'b  Jahrbücher  Bd.  XCV. 


Bacteriolog.  üntersachnngen  über  d.  sog.  septische  Diphtherie.     237 

Grosse  Schwellung,  Eiterung  und  Brand  des  Rachens, 
der  Unterkiefer-  und  Halslymphdrüsen,  jauchiger  Schnupfen, 
unerträglicher  Kopfschmerz,  starke  Aufregung,  typhose  und 
adynamische  Erscheinungen,  Tod  ohne  Suffocation.  Der 
Autor  bemerkt  noch,  dass  bei  dieser  Angina  der  Tod  stets 
durch  Blutvergiftung  erfolgt,  die  sich  durch  völlige 
Verflüssigung  des  Blutes  (?)  charakterisirt. 

Eine  Bericht  des  Wiener  allgemeinen  Krankenhauses  vom 
Jahre  1865^)  erwähnt  furchtbare  Allgemeinstörungen  bei  Di- 
phtherie und  liefert  auch  Aufschluss  über  die  damalige  An- 
sicht von  Rilliet  und  Barthez^  die  von  einer  typhoiden 
oder  adynamen  Form  der  Pharyngitis  pseudomembranacea 
sprechen  und  die  diphtherische  Septicämie  durch  eine 
Vergiftung  erklären  wollen,  welche  infolge  von  Einführung 
fauler  Secrete  der  Schleimhaut  in  dem  Magen  entstanden  ist. 

Trousseau^)  hat  für  die  schwersten  Formen  der 
Diphtherie  die  Bezeichnungen:  „Angine  couenneuse  maligne, 
maux  de  gorge  grangr^neux'^  und  sagt  bei  der  croupösen 
Form:  „wohl  zu  unterscheiden  von  der  malignen  Form  der 
Diphtherie,  welche  den  Tod  infolge  von  Blutvergiftung,  wie 
bei  septischen  und  pc^startigen  Krankheiten  herbeiftlhrt/'  Was 
er  unter  dieser  Form  versteht  ^  zeigen  am  besten  die  ange- 
gebenen Symptome,  wie  starke  Drüsenschwellung,  erysipela- 
tose  Röthung  der  Haut,  Ausbreitung  des  Exsudats  in  die 
Nase,  Eustachische  Röhre,  auf  die  Augen,  Nasenblutungen, 
anderweitige  Hämorrhagien,  Anämie,  Appetitlosigkeit,  Erkal- 
tung der  Haut,  Aufregung,  Bangigkeit  oder  Apathie,  plötz- 
licher CoUaps. 

Oppoltzer^)  hebt  hervor,  dass  die  Diphtherie  unter  den 
Symptomen  einer  acuten  Infection  verlaufen  kann,  wobei  neben 
localer  Angina  maligna  auch  gangraenosa  typhoide  Erschei- 
nungen auftreten. 

Derjenige,  der  sich  über  die  nahe  Verwandtschaft  der 
schweren  Diphtherie  mit  den  septischen  Krankheiten  bestimmter 
äussert,  war  Billroth^),  doch  spricht  auch  er  nur  über  die 
Identität  der  Symptome,  welche  bei  Diphtherie  durch  ein 
toxisches  Gift  bedingt  sind,  das  ein  Product  der  intensiven 
Gewebszersetzung  ist  und  vom  localen  Herd  aus  ins  Blut  ge- 
langt. 

Der  Erste  jedoch,  der  die  Benennung  „septische  Diphtherie'' 

1)  Schmidt's  Jahrbücher  Bd.  CXXXVIII,  S.  124. 

2)  Cliniqne  mddicale  1861.   I.   p.  813  a.  363. 

3)  Mittheilong  nach  klin.  Vorträgen.    Wiener  med.  Wochenschrift 
Bd.  XVm.    72—89.    1868. 

4)  Die  Beziehung  der  Elachendiphtherie  zur  Septhämie  und  Pyämic. 
Wiener  med.  Wochenschrift  Bd.  XK.  7  u.  8.    1870. 


238  O.  Generfiich: 

selbständig  gebraucht  und  beschreibt,  ist  Wertheimber^)  im 
Jahre  1870. 

Seit  dieser  Zeit  wird  der  Ausdruck  weiter  gebraucht,  es 
scheint  demnach  von  Interesse  zu  sein,  hier  kurz  zu  erwähnen, 
was  Wertheimber  unter  septischer  Diphtherie  beschrieb  und 
verstand. 

Nach  ihm  bietet  die  Diphtherie  zwei  Formen:  1.  die 
einfache,  2.  die  septische  oder  typhoide.  Die  einfache 
Form  kann  umschrieben  sein  und  zeigt  ^ann  gewöhnlich 
keine  Allgemeinsymptome,  oder  sie  wird  diffus,  nimmt  nicht 
nur  an  Ausdehnung  in  der  Flache,  sondern  auch  in  der 
Tiefe  zu,  verbreitet  sich  oft  auf  den  Kehlkopf  oder  geht  in 
Sepsis  über. 

Die  septische  Diphtherie  kann  aber  auch  von  Anfang 
her  mit  dem  unverkennbaren  Gepräge  der  Blutvergiftung  auf- 
treten und  verläuft  in  solchen  Fällen  sehr  fulminant. 

Schliesst  sich  die  Sepsis  später  oder  secundär  der  diffusen 
Form  an,  so  ist  es  besonders  das  Steigen  der  Drüsenschwel- 
lung am  Halse,  was  die  Verschlimmerung  andeutet  Beschleu- 
nigung des  Pulses  mit  Kleinheit  und  Leere  verbunden,  hohes 
Fieber,  kühle  Extremitäten  sind  die  zunächst  folgenden  All- 
gemeinerscheinungen. Dann  tritt  Adynamie  auf.  Die  Gesichts- 
züge nehmen  einen  stumpfen,  gleichgiltigen  Ausdruck  an, 
die  Wangen  werden  bleich,  manchmal  wächsern  oder  livid, 
die  Lippen  bläulich,  die  Augen  hohl  einge&Uen.  Das  Be- 
wusstsein  kann  bis  zu  Ende  ungetrübt  sein,  doch  in  jedem 
Falle  ist  eine  gewisse  Indolenz  der  Kitfder,  das  Fehlen  der 
Klagen  und  ihrer  früheren  Widersetzlichkeit,  ganz  charak- 
teristisch. 

Gänzlicher  Verlust  des  Appetits,  Erbrechen,  Durchfall, 
Zeichen  von  Nephritis  entwickeln  sich  gewöhnlich,  seltener 
Hämorrhagien  der  Haut 

Dabei  spricht  sich  gewöhnlich  die  Malignität  des  Pro- 
cesses  schon  in  den  örtlichen  Erscheinungen  aus.  Die  di- 
phtherische Infiltration  wird  tiefer,  verändert  sich  und  zieht 
eine  grössere  Betheiligung  des  lymphtischen  Apparats  mit 
sich.  Erkrankung  der  Nasenhöhle,  Verjauchung  der  Pseudo- 
membranen,  saniöses  Secret,  Excoriationen,  penetranter,  aas- 
hafter Geruch,  Substanzverluste  nach  Zerfall  der  Infiltrate  im 
Rachen,  Eiterung  der  Mandeln,  oder  sogar  sphacelöse  Zer- 
störung derselben,  Blutungen  aus  den  erkrankten  Schleimhaut- 
partien, Ecchymosen  der  Schleimhaut,  entzündliche  Schwel- 
lung der  Lymphgefasse  und  Lymphdrüsen,  und  in  schwersten 


1)   Die  Schlunddiphtherie.    Manchen.    Verlag  J.   A  Finsterlin. 
1870. 


Bacteiiolog.  üntersachungeii  über  d.  sog.  aeptische  -Diphtherie.     239 

Fällen    des   periglandulären   Gewebes   sind   die   gewöhnlichen 
ernsten  Localsymptome. 

Wir  ersehen  daraus,  dass  Wertheimber  schon  im  Jahre 
1870  das  Bild  der  septischen  Diphtherie  auf  Grund  kli- 
nischer Beobachtung  derartig  umschrieb^  wie  es  noch  heute 
geschieht,  und  dass  es  sich  damals  um  einen  rein  kli- 
nischen Begriff  handelte  und  das  blieb  derselbe  noch  eine 
Reihe  von  Jahren. 

Als  aber  durch  die  zunehmenden  bacteriologischen  For- 
schungen die  Ansicht  der  älteren  Autoren  in  Bezug  auf  schlechte 
Blutmischung  und  Blutvergiftung  wesentliche  Veränderungen 
erlitt,  als  es  sich  herausstellte,  dass  die  Sepsis  eine  Era^uk- 
heit  ist,  welche  durch  das  Eindringen  lebender  Mikroorganis- 
men oder  deren  giftigen  Producte  verursacht  wird,  wurde  der 
bis  dahin  auf  klinischer  Beobachtung  beruhende  Begriff  der 
Sepsis  ein  bacteriologischer,  und  es  lag  sehr  nahe,  die  kli- 
nisch als  septisch  bezeichnete  Diphtherie  ebenfalls  auf  In- 
fection  von  Mikroorganismen  zurückzuführen,  die  auch  bei 
anderen  Krankheiten  septische  Symptome  hervorrufen. 

Ja,  man  könnte  sagen,  dass  analog  wie  vor  Jahren  der 
klinisch  begründete  Begriff  der  Diphtheritis  Breton- 
neau's  von  'Yirchow  auf  einen  anatomischen  Process 
übertragen  wurde,  so  verwandelte  sich  der  ursprünglich 
rein  klinische  Begriff  der  septischen  Diphtherie  in  einen 
rein  bacteriologischen. 

Wenn  wir  aber  in  der  Literatur  nachsehen,  wie  und 
wann  dieser  engere  bacteriologische  Begriff  der  sep- 
tischen Diphtherie  auftauchte  und  entstand,  sehen  wir, 
dass  das  nur  allmählich  geschah. 

Erst  waren  es  bacteriologische  Befunde  von  Streptokokken. 
Schon  Löffler^)  fand  in  einem  Fall  von  schwerer  Allgemein- 
infection  (Fall  23)  in  den  Lymphdrüsen  und  in  allen  inneren 
Organen  Streptokokken. 

Beck^  fand  nur  das  Blut  frei  von  Mikroorganismen, 
während  Schnitte,  von  Organen  septischer  Fälle  Streptokokken 
ergaben. 

Prudden^  sah  bei  17  Bronchopneumonie -Fällen  nach 
Diphtherie  Streptokokken,  während  bei  10  ControUfallen,  wo 


1)  ünterBuchungen  über  die  Bedeutung  der  MikroorganiBmen.  Mit- 
theilangen  .ans  d.  kais.  Gesimdheitsamte.    Bd.  IL    1884. 

2)  Bacteriologische  Untersnchnngen  über  die  Aetiologie  der  mensch- 
lichen Diphtherie.     Zeitschrift  f.  Hygiene  Bd.  YIII.    S.  484. 

8)  Stadies  of  the  etiology  of  .the  Pneamonia  compleating  diphtherie 
in  children.  American  jonmal  1889  Jnni  (Yirchow-Hirsch's  Jahres- 
berichte.) 


I 

24C  •  ö.  Generaich: 

die  Pneumonie  nicht  einer  Diphtherie  gefolgt  war,  keine 
Streptokokken  nachzuweisen  waren. 

Auch  v.Lingelsheim^),  Martin*),  Schmorl'),  Canon*), 
Frosch*)  trafen  die  Streptokokken,  seltener  die  Staphylo- 
kokken bei  schweren  Fällen  von  Diphtherie. 

Während  jedoch  Goldscheider^)  sich  darauf  beschriLnkt, 
das  Vorhandensein  von  Streptokokken  als  für  die  Wirksam- 
keit des  Diphtheriebacillus  nicht  gleichgültig  zu  erklären,  und 
C.  FränkeP)  hervorhebt,  dass  durch  die  Streptokokken  even- 
tuell nur  die  Virulenz  des  Löffler'schen  Bacillus  gehoben 
wird,  sprechen  Ändere  von  einer  Streptokokkeninfection,  welche 
auf  Grund  des  durch  Diphtherie  erkrankten  Rachens  und  der 
darauf  folgenden  schwächeren  Resistenz  des  Organismus  sich 
entwickelt  und  neben  der  toxischen  Wirkung  des  Diphtherie- 
giftes septische  Erscheinungen  hervorruft,  dass  es  sich  also 
um  eine  Mischinfection  zweier  oder  mehrerer  Bacterienarten 
handelt,  welche  auch  Secundärinfection  genannt  wird,  da  die 
Streptokokkeninfection  augenscheinlich  erst  später  erfolgt. 

Schon  V.  Lingelsheim^)  ist  der  Meinung,  dass  für  die 
schwere  Form  von  Secundärinfection  nach  Diphtherie  die 
Streptokokken  das  ätiologische  Moment  abgeben. 

Beck^)  hält  das  Eindringen  von  Streptokokken  für  die 
Ursache  der  erfolgten  septischen  Erscheinungen. 

Barbier^^)  nimmt  sogar  an,  dass,  während  die  Diphtherie- 
fälle mit  fortschreitendem  Group  durch  den  Löffler'schen 
Bacillus  entstehen,  die  andern  schweren,  septischen  Formen 
durch  die  Complication  des  Diphtheriebacillus  mit  einem  von 
ihm  gezüchteten  Streptokokkus  ß  hervorgerufen  werden,  und 
nennt  diese  Art:  „Diphtherie  Streptococci que'^  im  Gegensatz 
zur  „Diphtherie  pure'*. 

Auch  Martin ^^)  macht  einen  ähnlichen  Unterschied  zwi- 

1)  Experimentelle  Untersnchungen  über  morphologische,  cnlturelle 
and  pathogene  Eigenschaften  verschiedener  Streptokokken.  Zeitschrift 
f.  Hygiene  nnd  Infectionskrankheiten  Bd.  X.    S.  881—867. 

2)  Examen  clinique  et  bactäriologique  de  deux  cents  enfants  entr^s 
au  pavillon  de  la  diphth^rie  k  THöpital  des  enfants  malades.  Annales 
de  i'institnt  Pasteur.    Mai  1892. 

5)  Vortrajg  in  der  med.  Gesellschaft  zn  Leipzig  am  8.  Nov.  1892. 
4)  Bacteiiol.  Untersuchungen   bei  Sepsis.    Deutsche  med.  Wochen- 
schrift 1898.     Nr.  48. 

6)  Die  Verbreitung  des  Diphtheriebacillus  im  Körper  d.  Menschen. 
Zeitschrift  f.  Hygiene.    Bd.  XIII.    S.  49—64. 

6)  Bacterioskopische  Untersuchungen  bei  Angina  ton^Uaris  und 
Diphtherie.    ZeiUchrift  f.  klin.  Medicin  Bd.  XXI.    1898. 

7)Ueber  das  Vorkommen  Löffler'scher  Diphtheriebacillen.  Berliner 
klin.  Wochenschr.  1898.    Nr.  11. 

8)  1.  c.        9)  1.  0. 

10)  Archiv  de  mäd.  experimental  1891.    Nr.  8.    S.  361.  11)  L  c. 


Bacteriolog.  ÜnterBnchüDgen  über  d.  sog.  septische  Diphtherie.    241 

sehen  y^Angine  diphtherique  pure''  und  ,^ngine  diphtherique 
avec  associations  microbiennes''. 

Nach  Siebenmann^)  bedeutet  die  Einwanderung  der 
Streptokokken  im  spätem  Abschnitt  der  Krankheit  den  Beginn 
der  septischen  Infection. 

Ausser  dem  schon  erwähnten  Barbier  ist  es  neuerdings 
Behring^);  der  mit  vollster  Schärfe  die  klinische  Be- 
nennung yySeptische  Diphtherie''  mit  der  bacteriolo- 
gischen  Bedeutung  derselben  identificirt. 

Behring  unterscheidet  1.  Fälle  von  Sepsis  mit  Fäulniss 
und  Gangrän  im  Munde  und  Rachen;  2.  Complicationen  mit 
Streptokokken,  wobei  auch  ohne  Mundfäulniss  hohes  re-^  und 
intermittirendes  Fieber  auftritt,  und  sich  Zeichen  von  Blut- 
vergiftung darbieten;  3.  schwere  Fälle  von  Diphtherie  ohne 
Sepsiß  und  Pyämie.  Die  Fälle  1.  und  2.  werden  als  septische 
Form  zusammengefassi 

Wie  ausführlich  und  schön  auch  diese  Eintheilung  vom 
bacteriologischen  Standpunkte  aus  ist,  zeigt  sie  sich  dennoch 
als  lückenhaft  fQr  klinische  Zwecke.  Es  fehlt  vor  Allem  die 
klinische  Symptomatologie  der  einzelnen  Formen,  als  auch 
die  Begründung  der  einzelnen  Formen. 

und  wahrlich,  wenn  wir  auch  die  andern  angeführten 
Daten  durchblicken,  sehen  wir,  dass  dieselben  beinahe 
ausnahmslos  die  bacteriologischen  Befunde  in  Betracht 
ziehen,  auf  die  klinische  Seite  der  Frage  jedoch  gar  nicht 
oder  höchstens  im  Allgemeinen  Acht  nehmen. 

Man  hat  noch  nicht  gefragt, 

ob  in  Wahrheit  die  bisher  klinisch  als  „septisch"  be- 
zeichneten Diphtheriefälle  mit  den  bacteriologisch  als  sol- 
chen aufgefassten  congruent  sind? 

Es  blieb  bei  der  klinischen  Sepsis  und  bei  dem  bacterio- 
logischen Befund  meistens  von  Streptokokken,  so  dass  der 
Zusammenhang  der  beiden  auch  in  der  letzten  Auflage  des 
Baginsky'schen  Lehrbuches^)  eben  nur  angedeutet  wird. 

Einen  Beweis  dafür,  dass  auch  Kliniker,  die  andrerseits 
tüchtige  Bacteriologen  sind,  die  klinische  Diagnose  der  Sepsis 
bei  Diphtherie  aufstellen,  ohne  den  bacteriologischen  Beweis 
dafür  zu  liefern  und  zu  suchen,  die  klinische  und  bacteriolo- 
gische  Diagnose   in  Einklang  zu   bringen,    giebt  Escherich. 


1)  Beiträge  zar  ^Frage  d.  Betheiligung  von  Mikroorganismen  bei 
Otitis  media  diphthentica.     Zeitschrift  f.  Otologie  Bd.  XX.     3.  1. 

2)  Zar  Behandlung  der  Diphtherie  mit  Diphtheriebeilserum.  IV. 
üeber  sog.  „septische**  Fälle  von  Diphtherie.  Deutsche  med.  Wochen- 
schrift 1898.     Heft  23.     S.  543. 

3)  Lehrbach  der  Einderkrankheiten  1892. 

Jahrbneh  f.  Kinderheilkunde.  X.  F.    XXXym.  16 


242  ^-  Generaich: 

In  seiner  Arbeit  ,,Ueber  die  ortliche  Behandlung  der 
Rachendiphtherie"  ^)  erwähnt  er  auch  einen  Fall  mit  klinisch- 
septischen Symptomen y  wie:  grosse  Unruhe,  kühle  Extremi- 
täten, livide  Verfärbung  der  Haut/  Oedem  der  Halsgegend, 
starre  Infiltration  nud  nekrotischer  Zerfall  der  Rachenorgane, 
foetor  ex  ore,  Herzschwäche,  Nephritis,  Hämorrhagien  der 
Serösen  und  Schleimhäute  (8.  85—37  des  Separatabdnickes). 
Wenn  man  aber  die  bacteriologischen  Untersuchungen  in 
Anbetracht  zieht,  könnte  man  darauf  schliessen,  dass  es  sich 
nicht  um  eine  Streptokokkeninfection  handelte.  Escherich 
fand  im  Rachen  keine  Streptokokken  und  fasst  das  Entstehen 
des  nekrotischen  Zerfalls  der  Rachenorgane  derart  auf,  als 
wie  wenn  derselbe  nicht  durch  Streptokokken  bedingt  wäre, 
wie  es  allgemein  angenommen  wird,  sondern  durch  ein  tieferes 
Eindringen  der  Diphtheriebacillen. 

Der  Umstand,  dass  die  Gongruenz  der  klinisch-septischen 
Diphtherie  mit  dem  bacteriologischen  Begriff  noch  nicht  ge- 
nügend erörtert  wurde,  bestimmte  Herrn  Professor  Heubner 
diesbezüglich  Untersuchungen  machen  zu  lassen,  um  so  mehr 
als  er  schon  in  der  dem  Vortrage  Schmorl's  angeknüpften 
Discussion^)  seine  Meinung  dahin  aussprach,  dass  die  Misch- 
infection  nach  seinen  klinischen  Beobachtungen  nicht  oft  vor- 
kommt, viel  seltener  jedenfalls  als  bei  Scharlach.  Die  hygie- 
nischen Verhältnisse  des  Leipziger  Einderkrankenhauses  schie- 
nen für  die  Erledigung  der  Frage  besonders  günstig  zu  sein, 
da  es  beinahe  auszuschliessen  war,  dass  die  Krankheit  durch 
äussere  Umstände  beeinflusst  wird. 

Mein  hochverehrter  Herr  Chef  war  so  gütig,  die  Bear- 
beitung dieses  Themas  mir  zu  überlassen,  und  stellte  mir 
nicht  nur  sein  werth volles  Material  und  sein  Laboratorium 
zur  Verfügung,  sondern  unterstützte  mich  bei  meiner  Arbeit 
dermassen,  dass  ich  es  nicht  unterlassen  kann,  ihm  auch  an 
dieser  Stelle  meinen  aufrichtigsten  Dank  auszusprechen. 


Unsere  Untersuchung  bezweckte  den  Nachweis  von  Bacte- 
rien  in  den  innern  Organen,  speciell  im  Blute;  da  ferner  bei 
der  Beurtheilung  der  Mischinfection  von  den  meisten  Forschern 
die  Hauptrolle  den  Streptokokken  zugetheilt  wird,  war  es  an- 
gezeigt, besonders  dieselben  in  Anbetracht  zu  ziehen,  und 
Methoden  zu  gebrauchen,  welche  zum  Züchten  derselben  als 
günstigste  bekannt  sind. 

So  kam   eine  Reihe   an   Diphtherie   verstorbener  Kinder 

1)  Wiener  klin.  Wochenschrift  1898.    Nr.  7,  8,  9,  10. 

2)  Schmidt*8  Jahrbücher  1892.    Bd.  237. 


Bacteriolog.  UnterBuchangen  Über  d.  sog.  septische  Diphtherie. .  243 

zur  Untersuchung.  Mit  dem  25.  Fall  musste  ich  wegen  Mangels 
an  Zeit  die  Beobachtung  abschliessen. 

Das  Krankenhaus  ist  in  der  besonders  günstigen  Lage, 
die  Sectionen  möglichst  schnell  machen  zu  können.  Die  bacte- 
riologlsche  Untersuchung  konnte  desswegen  meistens  bald 
nach  dem  Tode,  oder  nur  wenige  Stunden  darnach  vorgenom- 
men werden;  dadurch  fiel  die  Verunreinigung  mit  Fäulniss- 
erregern von  selbst  weg. 

Nach  erfolgtem  Bauchschnitt  wurden  zuerst  Milz  und 
Niere  herausgenommen  und  auf  10 — 15  Minuten  in  eine 
1 — ^2^00  Sublimatlösung  gelegt.  Darauf  wurde  die  Leber 
mittels  eines  Schwammes  aus  der  Bauchhöhle  heryorgedrängt, 
ihre  Oberfläche  mit  Sublimat  und  Alkohol  abgewaschen,  der 
Alkohol  in  der  Richtung  des  zu  machenden  Schnittes  mit 
einem  glühenden  Messer  entfernt.  Dann  wurde  mit  einem 
sterilen  Messer  ein  tiefer  Schnitt  gemacht,  und  in  die  Fläche 
desselben  noch  mehrmals  eingeschnitten  und  mit  dem  Messer 
an  den  Schnittflächen  viel  Gewebe  abgekratzt.  Der  blutige 
Saft  wurde  sogleich  verimpft. 

Das  Gewinnen  von  Herzblut  geschah  meistens  bei  un- 
eröffnetem  Thorax  mittelst  einer  grossen  Koch 'sehen  Spritze, 
deren  Nadel  in  einem  Rippenzwischenraum  bis  ins  Herz  ge- 
stochen wurde.  Oft  jedoch  entfernte  ich  das  Sternum,  denn 
es  verstopft  sich  etliche  Mal  die  Nadel  beim  Durchstechen  der 
Thoraxwand.  Es  wurde  im  Minimum  1  ccm  Blut  entnommen, 
wovon  ungeföhr  %  ccm  auf  die  verschiedenen  Nährböden  ver- 
impft wurde.  ^  ccm  bekam  eine  weisse  Maus  subcutan  ein- 
gespritzt. 

Zuletzt  erfolgte  das  Verimpfen  von  Milz  und  Niere  — 
welche  Organe  bis  dahin  im  Sublimat  gelegen  hatten  —  nach 
denselben  Massregeln,  wie  bei  der  Leber.  Ich  achtete  immer 
darauf,  reichliches  Material  zu  verimpfen. 

Als  Nährboden  diente  in  den  ersten  Fällen  Gelatine,  von 
welcher  Platten  gegossen  wurden,  nachdem  die  eine  Portion 
mit  einer,  die  zweite  mit  drei  grossen  Oesen  des  Materials 
beimpft  war.  Da  aber  die  heisse  Jahreszeit  dem  Arbeiten 
mit  Gelatine  hinderlich  war^  und  auch  zur  Entwickelung  der 
Streptokokken  mehrere  Tage  erforderlich  waren,  wählte  ich 
Agar-Agar,  und  vom  Fall  VIII  an  hauptsächlich  eine  Bouillon, 
welcher  ich  1%  Traubenzucker  zufügte,  und  deren  Alcalicität 
ziemlich  stark  war,  weil  ich  nach  Angabe  v.  Lingelsheim's 
auf  1  1  Bouillon  25  ccm  einer  Normalnatronlauge  zum  Alka- 
lisiren gebrauchte.  Der  Trübung  beugte  ich  durch  Zusatz 
von  lVi%  Pepton  vor. 

Mit  Hilfe  dieses  Verfahrens  stellte  sich  das  Resultat  schon 
nach  24  Stunden  heraus^  und  war  ein  Gemisch  von  Bacterien 

16* 


244 


G.  Gtenemch: 


gewachsen^  konnten  dieselben  mittelst  PlattenTerfahren  leicht 
von  einander  isolirt  werden.  Allerdings  war  die  Gefahr  nicht 
ausgeschlossen,  dass  die  Beurtheilung  eventneller  Verunreini- 
gung erschwert  wurde,  was  aber  nicht  so  sehr  in  die  Wag- 
schale fiel,  da  es  sich  höchstens  auf  die  minder  wichtigen 
Staphylokokken  beziehen  konnte. 

Um  die  Promptheit  des  Verfahrens  zu  erproben,  wurden 
verschiedene  andere  Fälle  von  Streptokokkeninfection  abgeimpft 
und  überall,  wo  nach  klinischer  Beobachtung  grQndlicher  Ver- 
dacht auf  Streptokokken  vorlag,  wurden  dieselben  massenhaft 
gewonnen.  So  in  Fällen  von  Secundärinfection  nach  Schar- 
lach, von  Pyämie,  von  septischen  Blutungen  bei  Säuglingen  etc. 

Um  aus  der  Reihe  der  Fälle  und  Untersuchungen  eine 
Uebersicht  zu  gewinnen^  fassen  wir  dieselben  tabellarisch  zu- 


sammen: 


Fall 
II: 

III 

IV 

V 

VI 

VII 

VIII 

IX 

X 

XI 

XII 
XIll 
XIV 

XV : 
XVI 

XVII ' 

XVIIl 

XJX 

XX 

XXI 

XXII 

XXIII 


XXIV 
XXV 


Charakter  d.  KrankheitobUdet 

Group. 
Schwerste  (sept.)  Diphth. 

Schwere  genaine  Diphth. 
oach  Scharlach. 
Croap. 
Schwerste  (eept.)  D.  . 

Croup. 
Schwerste  (sept.)  D. 

Schwere  D.    Group. 

do. 
Group.     Pneumonie. 

Schwere  D.     Croup. 

Croup. 

do. 

do. 

do. 

Schwerste  (sepi.)  D. 

do. 

Croup. 

Schwerste  (sept.)  D. 

Group.     Nephritis. 

Schwere  Diphtherie. 

Schwerste  (sept.?)  D. 

Schwere  D. 


Bactoriolog.  Befund 


Impfvenaoh 
mit  weisaeu  M&asen 


Nicht  geimpft. 
Maus  t  nach  8  Tgn. 
Bact.-Befund  negat. 


Group, 
do. 


Streptococcus 

longus. 

In  d.  Leber:  St.  alb. 

Streptococcus 

longuB. 

In  d.  Milz  u.  Niere 

Staph.  alhus. 

In  d.  Niere:  St.  alb. 

Ind.  Leber:  St  alb. 


Streptococcus 

longUB. 

In  d.  Niere:  St.  alb. 

I.Niere  u.  Leb.  St.  alb. 

In  d.  Milz:  St.  alb. 
I.Niere  u.  Leb.  St.  alb. 
I.d.Leb.  St.citreus(?). 

In  allen  Organen 
Staphylococcus  alb. 
Streptococcus  1. 

u.  Staphyl.  albus. 


Ind. Niere:  St.  alb. 


Maus  tf  ii^  allen 
Organen  Streptoc.  1. 


Maus  t,  in  allen  Or- 
ganen Strept.  long. 


MauB  t,  in  allen  Or- 
ganen Str.  long. 


Maus  t»  in  allen  Or- 
ganen St.  alb. 
Maus  f.  In  Herzblut 
u.  Milz  ausser  Str.  1. 
auch  St.  a.,  in  Niere 
u.Leb.kurz.  dick.Bac. 


Bacteriolog.  üntersnchapgen  Aber  die  sog.  septische  Diphtherie.    245 

Die  Classificimng  wurde  im  Sinne  der  von  Herrn  Pro- 
fessor Heubner  vertretenen  Ansicht  durchgeführt: 

1.  Croup.  Die  Krankheit  verläuft  unter  dem  Bilde  der 
acuten  Larynxstenose  und  descendirenden  Croups.  Es  waren 
jedoch  auch  hier  Allgemeinsymptome  bis  zu  gewissen  Graden 
ausgeprägt. 

2.  Schwere  Diphtherie.  Ausgeprägte  und  schwere 
Rachensymptome ,  auch  Croupsymptome,  die  Allgemeinsymp- 
tome sind  jedoch  vorherrschend. 

3.  Schwerste  (septi-sche)  Diphtherie.  Combination 
meist  schwerer  Localsymptome  mit  ausserordentlich  schweren 
Allgemeinerscheinungen 

4.  Leichte  Diphtherie.  Leichte  Rachenaffection  schein- 
bar ohne  Allgemeinsymptome. 

Aus  der  Zusammenstellung  ist  ersichtlich,  dass  die  bacterio- 
logische  Untersuchung  entweder  ganz  negativ  ausfiel  oder  in 
einzelnen  Organen,  vorwiegend  in  der  Niere  und  Leber,  Sta- 
phylokokken gefunden  worden  sind.  Nur  in  4  Fällen  waren 
Streptokokken  vorhanden  und  zwar  waren  dieselben  nicht 
nur  in  allen  drei  .untersuchten  Organen,  sondern  auch  im 
Herzblut  der  Leiche  und  in  der  jedesmal  erlegenen  Maus  ge- 
funden. 

Was  nun  die  Staphylokokken  anbelangt,  gehörten  die- 
selben meist  der  Gruppe  des  Staphylococcus  albus  an.  Nur 
in  einem  Falle  fand  ich  den  Staphylococcus  citreus  (Fall  XXI). 

Die  Wichtigkeit  der  weissen  Staphylokokken  ist  eine  bis- 
her nicht  genügend  erörterte  Frage,  im  Allgemeinen  wird 
ihnen  keine  besondere  Giftigkeit  zugesagt.  Auf  das  allein  möchte 
ich  noch  kein  besonderes  Gewicht  legen,  würde  ich  die  Sta- 
phylokokken im  Herzblut  und  in  allen  inneren  Organen  ge- 
fdnden  haben.  Doch  war  in  einem  einzigen  Fall  (Fall  XXH) 
der  Organismus  von  Staphylokokken  übersäet,  der  l&ranke  bot 
das  klinische  Bild  einer  schweren  Rachendiphtherie  mit  Croup. 
Die  mit  Herzblut  geimpfte  Maus  erlag  und  ihr  Inneres  war 
ebenfalls  mit  denselben  Kokken  durchseucht.  Meistens  fand 
ich  nur  in  einzelnen  Organen  Haufenkokken  und  zwar  vor- 
wiegend in  der  Niere  und  Leber,  dreimal  in  der  Milz.  In 
allen  diesen  Fällen  fehlten  dieselben  im  Herzblut. 

Dieser  Befund  lässt  uns  gegen  die  Specificität  der  gefun- 
denen Kokken,  die  andererseits  auch  Verunreinigung  sein 
konnten,  gerechte  Zweifel  aufkommen,  der  Fall  XXII  drängt 
ans  aber,  die  Rolle  der  weissen  Staphylokokken  als  eine  offene 
Frage  zu  behandeln  und  es  dahin  gestellt  sein  zu  lassen,  in  wel- 
chem Zusammenhang  dieselben  mit  der  Schwere  des  Falles 
and  mit  dem  Herbeiführen  des  Todes  stehen,   und  inwiefern 


246  ö.  Genewich: 

hier  im  Allgemeinen  von  einer  Misch-  oder  Secundärinfection 
die  Rede  sein  könnte. 

Umsomehr  Gewicht  müssen  wir  auf  die  gefundenen  Strepto- 
kokken legen^  welche,  in  den  Organismus  eingedrungen,  den- 
selben nie  unbeschädigt  lassen. 

Die  Hauptaufgabe  unserer  Arbeit  richtete  sich  auch  be- 
sonders auf  den  Nachweis  von  Streptokokken,  weil  in  den 
citirten  Artikeln  der  einzelnen  Forscher  die  Frage  der  sep- 
tischen Infection  beinahe  ausschliesslich  mit  Streptokokken 
in  Zusammenhang  gebracht  wird. 

Erledigen  wir  vorerst  die  bacteriologische  Seite  der  Sache, 
so  ist  zu  erwähnen,  dass  wir  in  allen  Fällen  lange,  schon 
geschlängelte  Ketten  bekamen.  Die  Bouillon  wurde  nicht  ge- 
trübt, sondern  es  bildeten  sich  an  der  Wand  des  Reagenz- 
glases und  am  Boden  desselben  bei  Bruttemperatur  schon  in 
24  Stunden  reichliche  Flocken  oder  Bröckel,  welche  jedoch 
nie  eine  derartige  Haut  bildeten,  wie  sie  Kurth^)  bei  seinem 
Streptococcus  conglomeratus  beobachtete.  Der  gebildete  Boden- 
satz Hess  sich,  ohne  besondere  Fäden  zu  ziehen,  leicht  auf- 
wirbeln, die  Bouillon  wurde  auch  dabei  nicht  trüb. 

Mit  der  Eintheilung  der  Streptokokken  befassen  sich  die 
ausführlichen  und  gründlichen  Arbeiten  v.  Lingelsheim's 
und  Eurth's. 

V.  Lingelsheim')  unterscheidet:  1.  einen  nicht  patho- 
genenStreptococcusbrevisund2.einenpathogenenStrepto- 
coccus  longus.  Als  Unterarten  der  letzteren  sind:  a)  der 
Str.  erysipelatus,  b)  der  Str.  pyogenes  angeführt.  Nach 
dem  Umstand,  ob  die  Maus  schnell  getödtet  wird  und  ob 
auch  Eiterherde  vorhanden  sind,  sind  weitere  Abarten  des 
pyogenes:  a)  der  Str.  murisepticus  und  ß)  der  im  engeren 
Sinn  genommene  Str.  pyogenes. 

Kurth^)  berücksichtigt  das  Verhalten  in  der  Bouillon- 
cultur  und  stellt  nach  der  Form  des  Bodensatzes  und  dem 
mikroskopischen  Befund  folgende  Eintheilung  auf: 

1.  Getrennte  oder  locker  zusammenhängende  Streptokokken, 
welche  wenig -gliedrig,  nicht  geschlängelt,  nicht  verfilzt  sind. 

2.  a)  Schleimig- fadenziehende,  reichgliedrige,  massig  ge- 
schlängelte, meist  nicht  verfilzte. 

b)  Schleimig-fadenziehende,  reichgliedrige,  massig  ge- 
schlängelte, locker  verfilzte. 

3.  Haut-,  schuppen-   oder  'bröckelformige,  reichgliedrige, 

1)  Ueber  die  Unterscheidung  der  Streptokokken  und  über  das  Vor- 
kommen derselben,  insbesondere  des  Str.  conglomeratas  bei  Scharlach. 
Arbeiten  ans  d.  kais.  Gesundheitsamt  1891.     Bd.  VII. 

3)  1.  c.        3)  l.  c. 


Bacteri'olog.  Untersacbungen  über  d.  sog.  septisohe  Diphtherie.    247 

sehr  geschlängelte;  dicht  verfilzte  Streptokokken,  mit  Bildung 
fester  Haufen  bei  fast  völligem  Fehlen  freiliegender  einzelner 
Ketten. 

Nach  dem  Grade  der  Schlängelung  nimmt  er  anderer- 
seits: Streptococci  rigidi  (<=>  Gruppe  1)  und  Streptococci  flexu- 
osi  (=  Gruppe  2  a  +  b,  3)  an. 

Diese  Benennungen  decken  sich  mikroskopisch  als  auch 
culturell  mit  dem  Streptococcus  brevis  und  Streptococcus  longus 
Lingelsheim's. 

Die  von  uns  gefundenen  Streptokokken  können  zu  dem 
Str.  longus  (Lingelsbeim)   oder  Sti:.  flexuosus  (Eurth) 
•    gezählt  werden  und  würden  im  letzteren  Fall  der  Gruppe 
2  b  der  Eintheilung  Eurth's  angehören. 

Dass  es  sich  nicht  um  einen  Str.  erysipelatus  handelt, 
geht  schon  aus  dem  Fundort  hervor,  ferner  könnte  noch  als 
Beweis  dienen,  dass  der  Bodensatz  immer  sehr  stark  war, 
während  derselbe  bei  dem  Str.  erysipelatus  gering  zu  sein 
pflegt.  Ausserdem  spricht  noch  dagegen  die  Virulenz  unserer 
Streptokokken  weissen  Mäusen  gegenüber. 

Das  Herzblut  wurde  von  den  meisten  Forschern  gar  nicht 
untersucht,  nur  Beck^)  und  Oapon')  machten  davon  Ge- 
brauch. 

Beck  fand  das  Herzblut  solcher  Fälle,  bei  welchen  er  in 
den  inneren  Organen  Streptokokken  constatirte,  frei  davon. 
Canon  konnte  dieselben  aach  aus  dem  Blute  herauszüchten. 

Die  Ergebnisse  unserer  Untersuchungen  bestätigten  die 
Angaben  Canon's,  denn  so  oft  wir  in  den  inneren  Organen 
Streptokokken  fanden,  waren  dieselben  auch  im  Herzblute  vor- 
handen. ^ 

Einen  weiteren  Beweis  dafür  lieferten  uns  die  Impf- 
versuche mit  weissen  Mäussen,  denon  wir,  wie  schon  oben 
erwähnt,  ^  ccm  Herzblut  subcutan  einspritzten.  In  allen 
Fällen,  in  denen  aus  der  Leiche  Streptokokken  gezüchtet 
wurden^  ging  die  entsprechende  Maus  zu  Grunde  und  zeigte  in 
allen  inneren  Organen,  sowie  auch  im  Herzblute  ebenfalls 
Streptokokken. 

Die  Autoren,  die  sich  mit  der  Streptokokken  frage  be- 
fassten,  gebrauchten  nicht  einen  derartig  ausgeführten  Control- 
versuch  mit  Mäusen.     Wir  legten  auf  diese  Impfung  bei  der 

grossen  Ueberein Stimmung  der  Resultate  mit  denjenigen  der 
Sulturversuche  einen  grossen  Werth   und  sahen  darin   einen 
Beweis  für  die  Sicherheit  des  Verfahrens. 

Um  nun  aber  auf  unsere  Fälle  zurückzukommen  und  den 

1)  1.  c.       2)  1.  c. 


248  G'  Oenersich: 

bacteriologischen  Befund  mit  der  klinischen  Beobachtung  ver- 
gleichen zu  können,  wollen  wir  zunächst  sehen: 

ob  die  Streptokokkenfälle  alle  auch  klinisch  den  sep- 
tischen Charakter  zeigten? 

Die  Antwort  auf  diese  Frage  werden  uns  die  4  Strepto- 
kokkenfölle  unserer  Untersuchungsreihe  Fall  VII,  X,  XVI  und 
XXIII  liefern. 

1)  Fall  VII. 

L.  E.,  4  Jahre  alt,  anfgenommen  4.  IX.  1898.  f  am  6.  IX.  6  Uhr 
p.  m.    Ixnpfang  nach  1  Stande. 

Das  bieher  gesnnde,  aber  blasse  Kind  erkrankte,  von  einer  Reis« 
heimgekehrt,  plötslich  am  17.  VIII.  und  war  vom  Anfang  her  schwgr 
krank.  8  Tage  sp&ter  soll  im  Gesicht  diffuse  Röthung  aufgetreten  sein. 
Am  1.  IX.  Erbre^en  mit  Blut,  am  2.  IX.  Auftreten  von  Ecchymosen  in 
der  Haut  des  Halses  und  der  Beine.  • 

Das  fflr  sein  Alter  nur  massig  entwickelte  Kind  ist  auffallend  bleich, 
waohsähnlich ,  zeigt  am  ganzen  Körper  zerstreut,  besonders  unterhalb 
des  Nabelniveaus,  zahlreiche  oberfl&cnliche  Hautecchymosen.  Eine  ein- 
zige ist  grösser  und  sitzt  im  Unterhautzellgewebe  am  äusseren  Ende 
des  rechten  Augenbrauenbogens. 

Das  Kind  macht  einen  schwerkranken  Eindruck,  ist  sehr  matt,  liegt 
bei  vollem  Bewusstsein  gewöhnlich  auf  der  Seite  mit  offenem  Munde 
und  athmet  schnarchend,  wobei  aus  dem  Mund^  und  dem  linken  Nasen- 
loch dunkles  Blut  hervoraickert.  Aus  dem  rechten  Nasenloch  flieset 
gelbliches,  saniöses  Secret,  amSeptum  narium  ist  ein  gelblich  weisser 
Belag.  Starker  Blutgeruch  aus  dem  Munde.  Die  Mundschleimhaut  ist 
mit  blutigem  Schleim  bedeckt,  das  Zahnfleisch  ist  theilweise  aufgelockert 
und  blutet  ebenfalls.  Die  Hauptmasse  des  Blutes  kommt  jedoch  aus 
dem  Rachen.  Die  Uvula  ist  an  ihrer  Vorderfl&che  mit  Blutgerinnsel  be- 
beckt. Auf  den  Tonsillen  und  GaomenbÖgen  ist  ein  schmieriger,  undeut- 
lich begrenzter  Belag.  Die  pastös  verschwollene  Kieferwinkelgegend 
enthält  vergrÖBserte  druckempfindliche  Drüsen.  Die  Stimme  ist  schwach 
und  klingt  nasal.  Die  Herztöne  sind  schwach  und  dumpf.  Der  Puls 
ist  sehr  klein,  kaum  fühlbar;  Frequenz  nur  84.  Temperatur  subnormal. 
Milz  nicht  palpabel. 

Die  Blutung  besteht  trotz  Darreichung  von  Atropin  und  Seeale  cor- 
nutum.    Tod. 

Section:  Gangr&nescirende  Nasen-,  Baohendiphtherie.  Diphtherie 
der  Tonsillen  und  des  Larjnxeinganges.  Hochgradiges  Oedem  des  Hals- 
bindegewebes und  der  Halslymphdrüsen.  Multiple  lobuläre  Infiltration 
beider  Lungen.  Eitrige  Bronchitis.  Trübung  des  Myocards.  Septische 
Milz  und  Niere.  Trübung  und  Oedem  der  Leber.  Acuter  Magenkatarrh. 
Schwellung  der  Mesenterialdrüsen. 

Bacterio logischer  Befund:  Sowohl  auf  dem  Agar,  als  auf  den 
Gelatineplatten  wachsen  Streptokokken  in  Reiacultur.  Die  (mit  nur 
0,2  ccm  Herzblut  geimpfte)  Maus  wird  am  Morien  des  dritten  Tages 
todt  aufgefunden  in  der  typischen  zusammengekauerten  Stellung,  in 
welcher  sie  sich  schon  vorigen  Tag  hindurch  befand. 

Im  Ausstrichpräparat  der  einzelnen  Organe,  sowie  in  Schnitten  sind 
meistens  einzelne  und  höchstens  viergliedrige  Ketten,  in  Bouillon  und 
auf  dem  Agar  ausgesprochen  geschlängelte,  lange  Streptokokken. 

Epikrise:  Wir  sehen,  dass  dieser  Fall,  welcher 
baeteriologisch  septisch  war,  auch  klinisch  die  Zeichen 


Bacteriolog.  ünterBuchungen  fiber  d.  sog.  septische  Diphtherie.    249 

der  septischen  Diphtherie  bot.  Besonders  hervorragend 
waren  die  Schleimhaut  und  Hautblntungen,  die  Gangrän  des 
Rachens  und  der  Nase,  die  ödematöse  Schwellung  der  Hals- 
lymphdrüsen, Herzschwäche,  also  neben  schweren  Localerschei- 
nungen  ungemein  schwere  AUgemeininfection. 

2)  Fall  X. 

Fr.  A.,  3  Jahre  alt,  aufgenommen  am  18.  IX.  1898.  f  am  24.  IX. 
Sonntags  Nachmittag  2^^  Uhr.    Abgeimpft  nach  19  Stunden. 

Aufnahme  mit  m&ssigen  Stenosenerscheinnngen.  Die  Haut  ist  blass, 
im  (Besicht  etwas  geröthet  und  cyanotisch.  Belag  nur  auf  der  rechten 
Tonsille.  Dräsenansch wellung  ist  massig.  Die  Athmung  wird  nach  der 
Intubation  ruhiger,  bleibt  aber  noch  immer  jagend  und  deutet  auf  ein 
tieferliegendes  Hinderniss.  Einziehungen  sind  nur  im  Jugulum.  Ueber 
den  Lungen  hört  man  zahlreiche  Basseigeräusche,  besonders  B.  H.  0. 
und  in  der  rechten  Achselhöhle.  Respirationsfreqnen^.  66.  Herzd&mpfung 
normal.  Herztöne  etwas  dumpf.  Puls  frequent  (160),  noch  regelmässig 
and  kmftig.    Milz  nicht  palpabel.    Temperatur  88,9. 

Im  weitem  Verlauf  entwickelt  sich  im  rechten  überlappen  eine 
grosse  Infiltration,  am  23.  IX.  auch  links  Zeichen  von  Pneumonie.  Am 
21.  und  22.  IX.  diphtheritisohe  Beläge  der  Lippen.  Trotz  hohen  und 
schwankenden  Fiebers  sind  die  Extremitäten  kühl,  cyanotisch  und  etwas 
ödematös.  Der  Puls  wird  am  23.  IX.  klein  und  unregelmässig,  die 
Athemnoth  immer  grösser.  Patient  stirbt  wegen  zunehmender  Herz- 
schwäche. 

Section:  Diphtherie  der  Unterlippe,  der  Tonsillen,  des  Larynx, 
der  Trachea  bis  in  die  feinsten  Bronchien.  Beiderseitige  Pneumonie. 
Trübung  des  Myocards.  Hyperplasie  der  Milz.  Yenöse  Hyperämie  und 
Oedem  der  Leber  und  der  Nieren. 

Bacteriologische  Untersuchung:  Aus  dem  untersuchten  Leichen- 
material wachsen  lange  Streptokokken,  die  geimpfte  Maus  ist  gleich 
traurig,  bewegt  sich  träge^  kauert  sich  zusammen  und  wird  am  8.  Tage 
todt  aufgefunden.  Die  »tichgegend  ist  bis  nach  vorne  zu  den  Vorder- 
beinen blutig  unterlaufen,  der  Bauch  zeigt  subcutanes  Oedem.  Pleura 
frei.    Milz  gross,  etwas  weich. 

In  den  Culturen  aus  den  Organen  Streptococcus  longus. 

Epikrise:  Der  bacteriologisch  septische  Fall  bot 
klinisch  das  Bild  einer  Diphterie  mit  Croup,  welche 
descendirte  und  zu  ausgebreiteten,  beinahe  lobulären 
Pneumonien  führte.  Die  Herzschwäche  stellte  sich  nur 
mit  dem  Fortschreiten  der  Pneumonie  ein,  sonst  waren 
klinisch  keine  septischen  Symptome  vorhanden. 

8)  Fall  XVI. 

D.  H.,  6  Jahre  alt,  aufgenommen  am  11.  X.  1893.  t  &™  I^-  X' 
Abgeimpffc  nach  2  Stunden. 

Erkrankung  am  8.  X.  mit  Schlingbeschwerden,  Belägen  auf  den 
Mandeln  und  Fieber.  10.  X.  Abends  gesellte  sich  Husten  und  Heiser- 
keit hinzu. 

Der  zarte  Knabe  mit  sehr  bleicher,  lividgrauer  Gesichtsfarbe  liegt 
ganz  apathisch  darnieder.  Am  Hals  bis  zum  Obern  Theil  des  Sternums 
starkes  Oedem.  Die  Nasenöffnungen  sind  excoriirt,  lassen  ein  dünnes, 
missfarbiges   Secret  ausfliessen.     Der   Mund   wird   offen   gehalten,   die 


250  0.  Genenich: 

Lippen  sind  blaes,  trocken  und  rissig.  Die  GaomenbOgen  nnd  üynla 
sind  stark  geschwollen,  von  einem  unregeimässig  begrenzten  schmutEig- 
erauen  Bel^  bedeckt.  Ebenso  enthalten  die  geschwollenen  und  gerö- 
theten  Tonsifien  kleinere  graue  Beläge.  Der  Herzstoss  ist  kaum  fOhlbar. 
Die  Herztöne  sind  leise,  der  Puls  klein,  ungleichmässig,  unregelm&ssig. 
Im  Urin  Eiweiss. 

Der  Patient  verfällt  trotz  Wein  und*  Eampher  immer  mehr,  ver- 
breitet einen  cadaverOsen  Geruch,  der  Puls  wird  kaum  fühlbar,  das 
Fieber  steigt  von  88,2  auf  89,6,  f&Ut  dann  wieder  auf  88,4,  worauf  der 
Tod  unter  Circnlationsschw&che  eintritt. 

Section:  Derbe  Membranen  am  weichen  Gaumen,  auf  den  Ton- 
sillen, dem  Pharynx  und  Larynx.  Halslymphdrüsen  geschwollen,  Oedem 
der  Haut  des  Halses  und  der  oberen  Stemidgegend.  Im  schlaffen  Herz 
dunkles  schwarzrothes  flüssiges  Blut.  Subpleurale  und  subpericardiale 
Blutungen.  Beginnende  Degeneration  des  Henmuskels.  Stauungsleber. 
Hyperplastische  Milz.    Membranen  in  allen  Bronchien. 

Bacteriologischer  Befund:  Der  Impfversuch  aus  dem  Leichen- 
material ist  positiv.  In  allen  vier  Bouillonportionen  wachsen  schöne 
lange  Streptokokken,  die  Maus  erliegt  am  dritten  Tag  nnd  ans  den 
Organen  derselben  können  auch  Streptokokken  gezüchtet  werden.  Die 
Section  der  Maus  ergab  ausser  Milzvergrösserung  nichts  Besonderes. 

Epikrise:  Der  Fall  bot  auch  klinisch  septische 
Symptome,  besonders  ausgeprägt  war  hier  das  Oedem, 
welches  sich  auf  die  Sternalgegend  fortpflanzte.  Die  Herz- 
action  war  vom  Anfang  her  sehr  schlecht,  die  Haut  'miss- 
farbig, die  Beläge  im  Rachen  stark  ausgebreitet  und  verfärbt 

Hier  würde  also  der  bacteriologische  Befund  mit 
der  klinischen  Beobachtung  zusammenfallen. 

4)  Fall  XXÜI. 

N.  H.,  2*/«  Jahre  alt,  aufgenommen  12.  XI.  1898.  f  16.  XI.  Abgeimpft 
nach  9y,  Stunden. 

Das  Kind  erkrankte  am  6.  XI.  mit  Schnupfen,  Fieber;  am  10.  XI. 
soll  eine  neue  Fieberattaque  hinzugekommen  sein,  seit  dieser  Zeit  be- 
stehen Halsschmerzen  und  Schwellung  der  Submazillardrüsen. 

Patientin  ist  gut  entwickelt,  hat  reichliches  Fettpolster.  Zeichen 
von  Rachitis.  Die  Haut  ist  blass,  aber  nicht  missfarbig.  Foetor  ex  ore, 
Tonsillen  und  Z&pfcben  geschwollen,  auf  denselben,  wie  auch  auf  den 
Gaumenbögen  dicke,  grauweisse  Membranen.  Eiefcrwinkel-  und  Hals- 
lymphdrüsen  sind  geschwollen,  aber  nicht  ödematös.  Herzaction  be- 
schleunigt, aber  kräftig,  Puls  frequent,  regelmässig,  kräftig.  Milz  nicht 
palpabel.  Urin  eiweissfrei.  Die  Kranke  wird  dreimal  täglich  mit  Hy- 
drargyram  c^anatum  nach  Escherich  buhandelt. 

Die  Bacillen  schwinden  zwar  nicht  und  die  abgetupfben  Membranen 
bilden  sich  aufs  Neue,  erstrecken  sich  nach  vorne  bis  zum  harten  Gaumen ; 
Verschlimmerung  trat  jedoch  erst  am  15.  XI.  ein.  Der  Kehlkopf  wurde 
etwas  schmerzhaft,  beim  Schreien  trat  ab  und  zu  Verengerung  der 
Stimmritze  ein.  Der  Urin  enthält  Spuren  von  Eiweiss.  Gegen  Abend 
stellten  sich  erhebliche  Athembeschwerden  ein,  so  dass  eben  zur  Intu- 
bation vorbereitet  wurde,  als  die  Patientin  auf  einmal  collabirte. 

Nach  sofortiger  Intubation,  wobei  eine  dicke  Membran  herausgehustet 
wurde,  musste  noch  10  Minuten  lang  kfinstliche  Athmung  erhalten  werden, 
bis  die  Kranke  sich  einigermassen  erholte.  Der  Puls  blieb  aber  klein, 
die  Herzaction  wurde  trotz  Strychnin  und  Kampher  immer  schwächer 
und  4  Stunden  nach  dem  Anfall  trat  der  Tod  ein. 


Bacteriolog.  üntersncbiiDgen  über  d.  sog.  septische  Diphtherie.    251 

Section:  Dicke  Membranen  der  Uvula,  der  Tonsillen,  des  weichen 
Gaumens.  —  Die  Epiglottis  und  der  La^nzeingang  ist  zwar  stark  ge- 
schwollen, aber  ohne  Beläge,  ebenso  die  Kehlkopf-  und  Trachealschleim- 
haut.  Nekrose  in  den  geschwollenen  Lymphdrüsen.  Bronchopneumonien 
in  den  Unterlappen.  Verknöcherte  tuberculOse  Herde  in  der  Lingnla. 
Tuberculöse  Geschwüre  im  Dünn-  und  Dickdarm.  Verkäste  Bronchial- 
und  Mesenterialdrüsen.  Trübung  des  Myocards  Anämie  der  Leber 
mit  Nekrosen  in  Parenchym.  Hyperplasie  der  Milz.  Nephritis  paren- 
chymatosa. 

Bacteriologischer  Befund:  Das  Resultat  fällt  zwar  positiv  aus, 
weicht  aber  von  dem  vorigen  ab.  Die  BouillonrOhrchen  von  Leber  und 
Niere  bleiben  steril,  aus  Herzblut  und  Milzsafb  wachsen  lange  Strepto- 
kokken und  Staphylococcus  albus. 

Die  Maus  bekommt  einen  Abscess  in  der  linken  Lendengegend  und 
erliegt  erst  am  8.  Tag  nach  der  Impfung.  Sowohl  im  Abscesseiter  als 
auch  in  den  innem  Organen  sind  Streptokokken  vorhanden,  neben  wel- 
chen in  den  Culturen  von  Herzblut  und  Milz  Staphylococcus  albus 
and  in  denjenigen  von  Niere  und  Leber  kurze  dicke  Stäbchen  gezüchtet 
werden. 

Epikrise:  Wenn  wir  die  klinischen  Symptome  dieses 
Streptokokkenfalles  in  Augenschein  nehmen-,  so  erkennen 
wir  in  denselben  eine  schwerere  Bachendiphtherie, 
aber  keineswegs  eine  septische  Form.  Der  Fall  schien 
eben  deswegen  zur  Escherich'schen  Behandlung  geeignet 
zu  sein.  Der  Tod  kam  ganz  unverhofft.  Aus  der  vorhandenen 
DrGsenschwellung  allein  Hess  sich  nicht  auf  eine  Strepto- 
kokkeninfection  deuten.  Nur  nachträglich  konnte  darüber  an- 
genommen werden,  dass  die  später  eintretende  Schwellung 
des  Rachens  und  des  Kehlkopfes  eventuell  durch  Strepto- 
kokkeninvasion  erfolgte. 

Fassen  wir  nun  alle  vier  Streptokokkenfälle  zusammen, 
so  sehen  wir,  dass  nur  in  zwei  Fällen  auch  klinisch  so- 
genannte septische  Symptome  ausgeprägt  waren,  im  dritten 
beherrschte  eine  Pneumonie,  im  vierten  eine  Rachendiphtherie 
das  Erankheitsbild.  Man  kann  demnach  sagen,  dass  nicht 
alle  Streptokokkenfälle  auch  klinisch  den  septischen  Cha- 
rakter zeigten.  Es  besteht  somit  kein  Einklang  zwischen 
der  klinischen  Beobachtung  und  der  bacteriologischen  Unter- 
suchung. 

Unter  Verwerthung  unserer  übrigen  21,  keine  Strepto- 
kokken enthaltenden  Fälle  wollen  wir  jetzt  folgende  Frage 
aufstellen : 

Enthalten   nicht   die   „Nichtstreptokokkenfälle'^   kli- 
nisch als  septisch  zu  bezeichnende  Diphtherien? 

Unter  den  21  Fällen  sind  es  besonders  die  Fälle  II,  V, 
XVII,  XIX,  XXII,  welche  das  Bild  einer  schweren  Erkran- 
kung darbieten: 


252  O.  Oenersich: 

1)  Fall  II. 

K.  E.,  S  Jahre  alt.  Das  Kiod  kam  am  8.  Rrankheitstage  in  fieber- 
losem  Zustande,  mit  grosser  Prostration,  starker  Blässe  und  Oedem  des 
Gesichtes,  besonders  der  Augengegend,  nekrotisch  zerklüfteten  Tonsillen, 
schorfigen  Lippen,  starkem  Geruch  aus  dem  Munde,  erheblich  geschwol- 
lenen Halslymphdrüsen,  fliessender  Nase,  eitriger  Conjunctivitis,  sehr 
schwacher  Herzaction  und  acuter  Nephritis  ins  Krankenhaus. 

Der  Zustand  wurde  immer  trostloser,  es  trat  Nasenbluten  und  Er- 
brechen auf;  der  Puls  schwand  allmählig  dem  Gefühl. 

Section:  Diphtheriemembranen  auf  den  gangränösen  Tonsillen, 
am  Zungengrunde,  im  Nasenrachenräume  und  am  weichen  Gaumen. 
^ämorrhagien  und  Nekrosen  in  den  Halsljmphdrüsen.  Parenchym.  De- 
generation des  Myocards,  der  Leber  und  der  Nieren.  Milzschwellung. 
Bämorrhagien  in  der  geschwollenen  Magenschleimhaut. 

Epikrise:  Trotzdem  der  bacteriologische  Befund  negativ 
war,  müsste  dieser  Fall  vom  klinischen  Standpunkt  aus  ganz 
entschieden  unter  die  septischen  gerechnet  werden. 

2)  Fall  V. 

G.  L.,  13  Jahre  alt.  Fat.  macht  einen  schwerkranken  Eindruck, 
liegt  mit  offenem  Munde  laut  schnarchend  und  somnolent  darnieder. 
Die  Hantfarbe  ist  fahl,  die  trockene  Zunge  stark  belegt.  Rachen  und 
Uvula  ödemfttös  geschwollen,  auf  dpr  Uvula  und  der  rechten  Tonsille 
graugrünliche,  nur  nach  vorn  begrenzte  schmutzige  Belä^.  Aus  dem 
Munde  kommt  ein  übler,  süsslicher  Gestank.  Die  rechte  Kieferwinkel- 
gegend ist  OdematGs  angeschwollen  und  enthält  grosse,  harte  schmerz- 
hafte Drüsen.  Fat.  kann  nur  durch  den  Mund  Athem  holen.  Die 
Herzdämpfung  ist  etwas  verbreitert,  die  Herztöne  sind  dumpf,  der  Fnls 
klein  frequent,  die  Milz  vergrössert  Im  Urin  Eiweiss  und  Cylinder. 
Anorexie  und  Erbrechen.    Temperatur  88,8  ^ 

Im  weiteren  Verlauf  tritt  Heiserkeit  auf,  Fat.  hustet  mehrmals 
grosse  Traohealmembranen  aus,  ohne  dass  es  zur  Stenose  kommt.  Zu- 
letzt entwickelt  sich  noch  eine  Fneumonie  des  rechten  Unterlappens. 
Das  Fieber  steigt  bis  41,6.  Fat.  wird  sehr  unruhig,  wirft  sich  im  Bett 
herum  und  stirbt  dann  ganz  plötzlich. 

Die  Sectio i^  ergiebt  ausser  Bestätigunff  der  klinischen  Beobach- 
tung: Aspirationspnenmonie  in  beiden  Unterlappen,  rechtseitige  hämo- 
rrhagische Fleuritis,  septische  Milz  und  Nieren,  parenchymatöse  Myo- 
carditis.  [Es  war  auch  Tnbercnlose  vorhanden,  (öehirn,  Darm,  Mesen- 
terialdrüsen.)] 

Epikrise:  Dieser  Fall  gehörte  zu  den  schwersten 
Fällen,  welche  man  bei  Diphtherie  beobachtet,  und 
bot  klinisch  septische  Erscheinungen  in  ganz  exqui- 
siter Ari 

3)  Fall  XVII. 

G.  M.,  4  Jahre  alt.  Das  Kind  kam  mit  starker  Stenose  herein  und 
musste  sofort  intubirt  werden. 

Doch  anch^  nachdem  die  Athemnoth  gehoben  worden,  besiaand 
schreckliche  Leichenblässe.  Ausserdem  kleiner,  elender  Fuls,  stinkender 
Qornch  auR  dem  Munde,  grau  verförbte  Beläge  auf  beiden  Tonsillen, 
welche  nächsten  Tag  auch  die  Gaumenbögen  umfassten,  starke  Schwel- 
lang der  Halslymphdrüsen,  Blutungen  auf  den  unteren  Extremisten. 


Bacteriolog.  Untersuchungen  über  d.  sog.  septische  Diphtherie.    253 

Bei  der  Section  fand  man  noch  Blutungen  im  Subpericard  der 
Vorhöfe  und  in  der  Magenschleimhaut.  Dann  hämorrhagische  Pneu- 
monie im  linken  Unterlappen,  parenchymatöse  Degeneration  des  Herzens, 
septische  Milis,  beginnende  parenchymatöse  Nephritis. 

Epikrise:  Abgesehen  davon,  dass  in  diesem  Fall 
auch  acut  verlaufender  descendirender  Croup  vor- 
handen war  —  was  bei  septischen  Fällen  nicht  oft  vor- 
kommt —  waren  ebenfalls  ganz  ausgesprochene  sep- 
tische Erscheinungen  ausgeprägt. 

4)  Fall  XIX. 

B.  H.,  7  Jahre  alt.  Patient  kommt  in  fast  moribundem  Znstande 
ins  Hausy  mit  halb  erloschenem  Bewusstsein.  Die  Haut  ist  auffallend 
bleich,  am  Unterkiefer  und  Hals,  bis  zur  Mitte  der  vorderen  Thoraz- 
fl&che  herab,  starkes  Oedem.  Conjanctiven  cyanotisch.  Nasenöffnungen 
excoriirt  und  lassen  ein  übelriechendes,  missfarbiges  Secret  ausfliessen. 
Die  Lippen  sind  trocken  und  borkig.  Starker  Foetor  ex  ore.  Schleim- 
haut der  Mundhöhle  and  des  Rachens  stark  geröthet  und  geschwollen, 
der  weiche  Gaumen ,  die  Tonsillen  und  die  Ovula  sind  von  morschen, 
bräunlichen,  übelriechenden  Belägen  bedeckt,  in  dem  gangränösen  Ge- 
webe Hämorrhagien.  Die  Kieferwinkeldrüsen  sind  stark  geschwollen. 
Die  Stimme  ist  heiser,  die  Herzdämpfung  etwas  breiter,  die  Herztöne 
schwach,  der  Puls  sehr  klein,  kaum  fühlbar.  Erbrechen  von  missfar- 
bigen^  übelriechenden  Massen,  Entleeren  von  dunkelbraunem,  stinkendem 
Koth.  Kühles  Gesicht  und  Extremitäten  neben  Temperatur  von  38 
bis  39  ^ 

Epikrise:  Ein  Krankheitsbild,  welches  überaus 
reich  ist  an  septischen  Symptomen  und  unter  diesen 
die  odematöse  Schwellung  der  Hals-  und  Sternal- 
gegend  ganz  besonders  ausgeprägt  enthält. 

5)  Fall  XXII. 

B.  £.,  2V,  Jahre  alt.  Ausser  den  exquisiten  Groupsymptomen  mit  Aus- 
husten von  grossen,  auch  die  Bronchienverzweigung  enthaltenden  Mem- 
branen sind  noch  ^folgen  de  Erscheinungen  vorhanden: 

Die  Haut  ist  blass,  aschgrau,  im  Gesicht  um  die  stark  fliessende 
Nase  herum  zahlreiche  Excoriationen.  Aus  den  Nasenlöchern  entleert 
sich  saniöser  Eiter.  Aus  beiden  Ohren  fliesst  übelriechendes  Secret, 
beiderseits  Perforation  des  Trommelfells.  Der  Mund  wird  halb  geöfifhet 
gehalten,  die  Lippen  sind  rissig  und  mit  Membranen  belegt,  die  Gaumen- 
bögen geröthet  und  geschwollen,  die  Tonsillen  mit  übelriechenden  grauen 
Bellen  bedeckt.  Urosse  Anorexie.  Die  Herzaction  ist  sehr  schwach. 
Im  Harn  Yg  Volumen  Eiweiss. 

Später  verschlimmert  sich  besonders  die  Ohrenaflfection ,  die  rechte 
Ohrmuschel  wird  dunkelblau,  es  bilden  sich  auf  derselben  schmutzige, 
schmierige  Beläge.  Auch  der  Foetor  ex  ore  wird  beinahe  aashaft,  das 
Nasensecret  jauchig.  Das  Fieber  ist  zwar  nicht  hoch,  um  39^  herum, 
zeigt  aber  nnregelmässige  Schwankungen. 

Epikrise:  Der  Fall  konnte  auch  noch  in  die  zweite 
Gruppe  unserer  Eintheilung  gehören^  die  jauchige  Natur 
des  Ohren-  und  Nasensecrets,  die  schmutzigen,  bei- 
nahe gangränösen  Beläge  der  Ohrmuschel  hilden  je- 


254  G.  Generflich: 

doch  klinisch  septische  Erscheinungen.  Die  Section 
ergab:  Gangränöse  Diphtherie,  septische  Milz,  starke 
Nephritis. 

Alle  übrigen  Fälle  unserer  Untersuchungsreihe  können 
wir  bei  Beurtheilung  der  aufgeworfenen  Frage  ausser  Acht 
lassen,  aus  den  citirten  fünf  Fällen  jedoch  geht  hervor,  dass 
bei  genauer  Erwägung  der  klinischen  Symptome 

auch  unter  den  Nichtstreptokokkenföllen  solche  vor- 
handen waren,  welche  klinisch  einen  septischen  Charakter 
boten,  und  zwar  waren  es  5  Fälle  unter  21. 

Diese  fünf  Fälle  mit  klinisch-septischen  Symptomen,  aber 
ohne  Streptokokkenbefund,  stehen  nun  den  zwei  Streptokokken - 
fallen  gegenüber. 

Wir  bekamen  also  schon  bei  einer  so  geringen  Anzahl 
von  Fällen  vorwiegend  solche  septische  Fälle,  bei  welchen 
nur  von  klinischer  Seite  von  Sepsis  die  Rede  sein  kann, 
die  bacteriologische  Untersuchung  bestätigte  die  klinische 
Diagnose  unter  sieben  Fällen  nur  zweimal. 

Daraus  Hesse  sich  der  Schluss  ziehen, 

dass,  wenn  es  sich  auch  nicht  leugnen  lässt,  dass  bei 
schwerer  Diphtherie  Streptokokkeninfection  (d.  h.  Misch- 
oder Secundärinfection)  vorkommen  kann,  andererseits  be- 
sonders hervorgehoben  werden  muss,  dass  dieselbe  bei  der 
Mehrzahl  der  Fälle  fehlt.  Es  kann  unsererseits  behauptet 
werden,  dass  sich  der  klinische  Begriff  der  septischen 
Diphtherie  mit  demjenigen  einer  bacteriellen  Mischinfection 
absolut  nicht 'deckt. 

Denn  es  kommen  Fälle  vor  mit  exquisiten  klinisch  septi- 
schen Erscheinungen,  ohne  dass  es  sich  um  eine  Streptokokken- 
iufection,  also  um  eine  bacteriologische  Sepsis  .handeln  würde. 
Andererseits  ergab  die  bacteriologische  Untersuchung  Strepto- 
kokken, wo  am  Krankenbett  von  Sepsis  nicht  gesprochen 
werden  konnte. 

Es  muss  vielmehr  angenommen  werden,  dass  der  Di- 
phtheriebacillus  an  und  für  sich  die  ausgeprägtesten,  kli- 
nisch als  septisch  bezeichneten  Symptome  hervorrufen 
kann,  ohne  hierbei  —  wie  dies  allgemein  angenommen 
wird  —  auf  eine  Streptokokkenmischinfection  angewiesen 
zu  sein. 

Die  Streptokokken  spielen  demnach  nicht  in  allen  Fällen 
die  wichtige  Rolle,  welche  ihnen  besonders  von  bacterio- 
logischer  Seite  zugetheilt  wird; 

wir  haben  gesehen,  dass  eine  Streptokokkeninfection  erfolgt 
sein  kann,  ohne  dass  sich  klinisch  septische  Symptome  ent- 


Bacteriolog.  UnterBnchungen  über  d.  sog.  septische  Diphtherie.    255 

wickelt  hätten^  und  es  sind  solche  ausgeprägt,  ohne  dass  es 
sich  um  eine  Streptokokkeninfection  gehandelt  hätte. 

Wenn  nun  aber  das  Diphtheriegift  an  und  für  sich  die 
Ursache  der  bisher  septisch  genannten  Erscheinungen  der 
Loffler'scheu  Diphtherie  sein  kann  und  wirklich  ist,  so 
taucht  unwillkürlich  die  Frage  auf: 

Warum  gebraucht  man  zur  Bezeichnung  dieser  schwersten 
Formen  gerade  den  Namen  „septisch",  eine  Benennung, 
welche  in  der  heutigen  bacteriologischen  Äera  nicht  nur 
auf  das  Vorhandensein  von  Streptokokken  schliessen  lässt, 
sondern  zugleich  bedeutet,  dass  hier  die  Streptokokken 
auch  die  Ursache  der  Krankheit,  der  Schwere  des  Sym- 
ptomencomplexes  sind,  welchem  man  auch  in  solchen  Zeiten 
den  Namen  septisch  gab,  als  dessen  bacteriologischer  Sinn 
überhaupt  noch  nicht  vorhanden  war? 

Diese  Benennung  bringt  Zweifel  und  Irrthümer  in  die 
Praxis,  und  es. wäre  demnach  viel  zweckmässiger,  dem  ein- 
heitlichen Begriff  der  L off  1er' sehen  Diphtherie  viel  dienlicher, 

den  Namen  „septisch''  ganz  fallen  zu  lassen  und  für 
die  schwersten  Formen  der  Diphtherie  die  Benennung: 
schwerste  toxische  Diphtherie  oder  Diphtheria 
gravissima  anzunehmen. 

Der  Name  „septisch^'  würde  nur  da  an  Ort  und  Stelle 
sein,  wo  man  durch  Blutuntersuchungen  das  Vorhandensein 
einer  Streptokokkeninfection  nachzuweisen  im  Stande  ist,  und 
wenn  man  zur  Ueberzeugung  gelangt,  dass  mit  dem  Ein- 
wandern der  Streptokokken  auch  jene  Symptome  sich  ent- 
wickelten, welche  dem  klinischen  Begriff  der  Sepsis  ent- 
sprechen. 


Wenn  auch  die  Streptokokkeninvasion  bei  Diphtherie  viel 
seltener  vorkommt,  wie  es  ohne  Berücksichtigung  der  von 
uns  hervorgehobenen  Congruenz  der  klinischen  Beobachtung 
und  bacteriologischen  Untersuchung  angenommen  wird,  hat 
dieser  Umstand  dennoch  seine  praktische  Bedeutung. 

Es  handelt  sich  darum,  woraus  wir  die  Mischinfection 
am  Krankenbett  erkennen  und  was  wir  zur  Verhütung  der- 
selben thun  können  und  sollen? 

Behring^)  nimmt  vier  Stufen  der  Streptokokken- 
infection an: 

1.  AUgebieinverbreitung  und  schneller  Tod  ohne  Organ- 
Veränderungen. 

1)  1.  c. 


256  G.  Genonich: 

2.  Tod  nach  einer  Reihe  von  Tagen,  wobei  kleine  Eiter- 
herde in  den  innem  Organen  sind. 

3.  Es  bilden  sich  Bronchitiden  und  BronchopneamonieD, 
welche  prognostisch  nicht  eben  trostlos  sind. 

4.  Die  Streptokokken  vereitern  die  dein  Rachen  nächst- 
liegenden Lymphdrüsen  und  eliminiren«  sich  auf  diese  Weise. 

Unsere  Fälle  sind  zwar  nicht  zahlreich  genug,  um  die 
Berücksichtigung  aller  dieser  Formen  zu  ermöglichen,  bieten 
aber  dennoch  gewisse  Anhaltspunkte.  Es  scheint  übrigens, 
dass  obige  Eintheilung  mehr  dem  theoretischen  Thierexperi- 
mente,  als  dem  praktischen  Leben  entnommen  ist. 

Die  einzelnen  Formen  in  umgekehrter  Reihenfolge  berück- 
sichtigt, begegnen  wir  zunächst  der  Vereiterung  der  Hals- 
lymphdrüsen. Dazu  kam  es  nur  in  einem  ausserhalb  der 
Versuchsreihe  stehenden  Fall  in  der  Zeit  meines  hiesigen 
Aufenthaltes.  Im  Eiter  waren  Streptokokken  vorhanden.  Die 
Seltenheit  der  Drüseneiterung  wird  auch  von  andern  Klinikern 
bestätigt.  Die  Fälle  mit  Drüseneiterungen  und  Streptokokken- 
befund  im  Eiter  würden  aber  ganz  bestimmt  auf  eine,  wenn 
auch  nicht  weit  geschrittene  Streptokokkeninvasion  deuten. 

Was  die  Bronchitiden  und  Bronchopneumonien  anbelangt, 
so  beobachteten  wir  dieselben  auf  der  Klinik  sehr  oft  und 
fanden  sie  auch  häufig  am  Sectionstisch.  Wenn  aber  auch 
Prudden^)  bei  Pneumonien  nach  Diphtherie  in  der  Lunge 
viel  häufiger  Streptokokken  fand,  als  bei  Pneumonien  anderen 
Ursprunges,  so  kann  vom  klinischen  Standpunkte  das  Vor- 
handensein einer.  Pneumonie  noch  nicht  für  die  Diagnose  einer 
Streptokokkeninfection  verwerthet  werden,  wir  beobachteten 
hämorrhagische  Pneumonien  sehr  oft  bei  Diphtherie,  besonders 
bei  Croupfällen,  ohne  in  den  inneren  Organen  Streptokokken 
gefunden  zu  haben,  und  Barbier')  schliesst  bei  Croupfällen 
überhaupt  die  Streptokokken  aus  der  Aetiologie  aus. 

Wir  beobachteten  nur  einen  einzigen  Pneumoniefali  unter 
den  25  zur  Section  gelangten  Fällen,  bei  welchem  auch  ander- 
wärts Streptokokken  gefunden  wurden. 

Ebenfalls  selten  ist  das  Vorkommen  von  kleinen  Eiter- 
herden in  den  innem  Organen,  wir  beobachteten  es  unter  den 
25  Fällen  kein  einziges  Mal. 

Kommen  aber  eitrige  Metastasen  in  der  Lunge,  in  den 
Nieren,  eitrige  Pleuritis,  Gelenkseiterungen  zur  Beobachtung, 
so  kann  man  daraus  auf  eine  Streptokokkeninvasion  schliessen, 
wie  es  bei  Scharlach  ziemlich  häufig  gethan  wird. 

Die   am   meisten  heimtückische  Art  der  Streptokokken- 

« 

1)  1.  c.         2)  1.  c. 


Bacteriolog.  ÜnterauchuDgen  über  d.  sog.  septische  Diphtherie.     257 

infection,  die  schnelle  Allgemeinverbreitung  ohne  Organver- 
änderangen  beobachteten  wir  yiermal.  Wenn  wir  aber  auf- 
richtig sein  wollen^  müssen  wir  sagen,  dass  wir  die  Diagnose 
im  Lebenden  nar  in  zwei  Fällen  stellen  konnten,  in  den  zwei 
anderen  überraschte  uns  das  Resultat  der  bacteriologischen 
Untersuchung. 

Weiter  oben  war  erwähnt,  dass  die  Symptome  der 
schwersten  Diphtherie  auch  einzig  und  allein  die  Folgen  der 
Diphtheriebacillen  sein  können.  Dieser  Umstand  erschwert 
die  Verwerthung  der  einzelnen  schweren  Symptome  zu  Gunsten 
der  Streptokokkendiagnose. 

Betrachtet  man  die  Haut-  und  Schleimhautblutungen, 
welche  bei  schwerster  Diphtherie  vorkommen,  so  hatten  wir 
unter  unsern  Kranken  zwei  Repräsentanten  dieses  Symptoms, 
es  sind  dies  die  Fälle  VII  und  XVII.  Wir  fanden  jedoch  nur 
in  dem  einen  Fall  Streptokokken,  in  dem  andern  entstanden 
die  Blutungen  unter  der  Wirkung  des  Diphtheriegiftes. 

Die  odematose  Anschwellung  der  Lymphdrüsen  beobach- 
teten wir  einige  Mal,  am  besten  war  sie  in  den  Fällen  XVI 
und  XIX  ausgeprägt  Es  war  nicht  nur  die  Eieferwinkel- 
und  Halslymphdrüsengegand  geschwollen,  sondern  das  Oedem 
erstreckte  sich  bis  auf  die  obere  Hälfte  des  Sternums.  Kli- 
nisch war  Verdacht  auf  Streptokokken,  erwies  sich  aber  nur 
in  dem  Fall  XVI  als  gerechtfertigt. 

Starker  Fötor,  Gangrän  der  Rachentheile  scheinen  eben- 
falls ohne  Streptokokkeninfection  vorkommen  zu  können. 

Eben  so  verhält  es  sich  mit  der  Blässe,  der  misslichen 
Farbe  der  Haut,  dem  soporösen  oder  schwer  adynamischen 
Zustand,  der  Herzschwäche  und  Nephritis. 

Es  bliebe  nur  noch  die  Betrachtung  des  Fiebers  übrig. 
Im  Allgemeinen  Hess  sich  aus  keiner  unserer  Fiebercurven 
auf  eine  Streptokokkenkrankheit  schliesseu.  Nur  zweimal 
beobachteten  wir  unregelmässiges  Fieber  mit  grossen  Schwan- 
kungen. In  dem  Fall  X,  wo  allerdings  Streptokokken  ge- 
funden worden  sind,  war  auch  Pneumonie  vorhanden,  welche 
das  Krankheitsbild  complicirte,  und  in  dem  Fall  XXII,  wo 
wir  in  allen  Orsanen  Staphylokokken  fanden,  waren  ausser- 
dem  keine  anderen  positiven  Symptome  vorhanden. 

Excessiv  hohe  Fiebersteigerungen  beobachteten  wir  fünf- 
mal (Fälle  III,  V,  VI,  XII,  XXV).  Nur  der  Fall  V  bot  uns 
klinisch  septische  Symptome  und  auch  da  war  der  Strepto- 
kokkenbefund negativ. 

Man  konnte  etliche  schwere  Symptome,  wie  die  starke 
Anschwellung  der  Drüsen,  Vereiterung,  eitrige  Metastasen, 
Blutungen  für  die  Diagnose  der  Streptokokkeninvasion  ver- 
werthen,    einzig    sicher    wäre   aber    nur    der   Nachweis    von 

Jfthrbnoh  f.  Kinderheilkuud«.  N.  F.    XXXVUI.  17 


258    O.  Gener rieh:  BaH.  Unten,  ober  d.  sog.  teptk^e  Diphtherie. 

Streptokokken  in  dem  Blute,  wa«  nach  den  Ergebnissen 
Canon's  dorchf&brbar  zu  sein  scheint. 

Was  die  Verhfltüng  der  StreptokokkenioTasion  anbelangt, 
so  stimmen  wir  Behring  insofern  zn,  dass  daxa  reine,  hygie- 
nisch eingerichtete  Erankenraume  nothig  sind  nnd  in  den- 
selben eine  mit  peiDÜchster  Reinlichkeit  gepaarte  Behandlung 
erforderlich  ist 

Vor  der  Localbehandlang  ist  man  aber  heute  abgekommen 
und  zwar,  weil  man  davon  mehr  Schaden  als  Nutzen  sah. 
Unser  Fall  XXIII  liefert  ein  Beispiel,  dass  auch  die  modernste 
und  gründlichste  Desinfection  des  Rachens  (nach  Escherich) 
nutzlos  sein  kann  und  auch  in  hygienischen  Erankensälen, 
wie  die  unsrigen  sind,  der  Streptokokkeninvasion  nicht  vor- 
zubeugen mag. 


M 


3.  Ueber  das  Verfahren  der  Intubation  bei  der  diphthe- 

risohen  EehlkopfiBtenose, 

Von 

Dr.  Carstens, 

intaiim.  Obersnt  der  Innern  Abtheilang  »m  Leipiiger  KlnderkrankenhAoee. 

Im  Laufe  der  letzten  Jahre  haben  sich  die  Arbeiten  über 
die  Behandlung  der  Kehlkopfstenose  mit  der  O'Dwy er' sehen 
Intubation  und  über  die  Vorzüge  dieser  unblutigen  Methode 
gegenüber  der  Tracheotomie  derart  gehäuft,  dass  es  nunmehr 
überflüssig  ist,  über  die  Berechtigung  dieser  Behandlungs- 
weise  sich  des  Weiteren  zu  verbreiteD.  Es  ist  vielmehr  jetzt 
die  Aufgabe  derer,  die  sich  entschlossen  haben  yon  der  Intu- 
bation bei  der  in  Rede  stehenden  Erkrankung  den  ausgiebig- 
sten Gebrauch  zu  machen,  die  besonderen  Erfahrungen,  die 
bei  Anwendung  der  Intubation  gemacht  werden,  und  die  dar- 
aus  resnltirenden  praktischen  Winke  zu  Teröffentiichen,  um 
der  Intubation  immer  neue  Freunde  zuzuführen. 

Im  hiesigen  Kinderkrankenhause,  wo  seit  September  1891 
bereits  über  200  Fälle  von  durch  Diphtherie  bedingter  Kehl- 
kopfstenose intubirt  sind,  haben  wir  in  mancherlei  Hinsicht 
interessante  und  zum  grossen  Theil  auch  praktisch  wichtige 
Erfahrungen  gesammelt,  mit  deren  Veröffentlichung  mein  ver- 
ehrter früherer  Chef,  Herr  Geh.  Med.-Rath  Prof.  Dr.  Heubner 
mich  beauftragt  hat;  demselben  sage  ich  an  dieser  Stelle  für 
die  Anregung  und  Unterstützung  bei  der  Arbeit  meinen  ver- 
bindlichsten Dank. 

Diese  unsere  Erfahrungen  erstrecken  sich  einmal  auf  die 
Technik  der  In-  und  Extubation,  deren  leichtere  Ausführbar- 
keit wir  durch  geeignete  Vorübungen  und  durch  zweckent- 
sprechende Aenderungen  an  den  Instrumenten  erreicht  haben, 
dann  aber  auch  auf  die  Behandlung  und  Pflege  des  intubirten 
Kindes,  auf  die  Präcision  der  Indicationen  für  die  secundäre 
Tracheotomie,  auf  die  Stellung  der  Prognose  etc. 

Es  sind  für  die  vorliegende  Arbeit  die  ersten  100  Intu- 
bationsfölle  speciell  verwerthet,  von  denen  ich  75  Fälle  selbst 
genau  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte. 

17" 


260 


Dr.  Caratens: 


^ 


Bevor  ich  zu  dem  eigentlichen  Gegenstand  der  Abhand- 
lung komme,  sei  es  mir  gestattet,  einige  statistische  Daten 
über  das  zu  Grunde  gelegte  Material  zu  geben;  der  besseren 
Uebersicht  halber  gebe  ich  diese  Daten  in  mehreren  Tabellen 
wieder. 


Alter  in  Jahren 
Anzahl  der  Fälle 
Geheilt     .     .    . 
Gestorben      .     . 


Tabelle  L 

4  6  6 
17  11  7 

5  4  4 
12  7  3 


1 

2 

8  i 

3 

20 

32 

— 

4 

12 

8 

16 

20 

7 
6 

1 
4 

8 
4 

9V, 
1 

4 

1 

100 
30 
70. 


Das  jüngste  Kind,  das  geheilt  wurde,  war  1^  Jahr  alt. 

In  der  folgenden  Tab.  II  bedeuten  die  romischen  Ziffern 
in  der  ersten  Reihe  die  Erankheitstage,  an  welchen  die  Kinder 
aufgenommen  wurden,  in  der  vierten  Reihe,  an  welchem  Tage 
diejenigen  Kinder  intubiri  wurden,  die  nicht  am  Tage  der 
Aufnahme  intubirt  sind. 


Tabelle  IL 


Krankheitstag  .  .  .  . 
Aufgenommen  .  .  .  , 
Am  Beiben  Tag  intubirt 

Spater  intubirt       .    .     . 

Geheilt 

Gestorben 


I. 

II. 

III. 

IV. 

V. 

'   VI. 

6. 

13. 

13. 

18. 

15. 

9. 

3. 

5. 

10. 

14.      11. 

6. 

1.11. 
I.IV. 

8. III. 

2.1V. 
I.V. 

3.V.  3.  VI.  ^  -yu 

l.VI.  i.xi.^-^'^- 

— 

3. 

6. 

4. 

2. 

2.    ' 

6. 

10. 

8. 

14. 

13. 

7. 

VII. 

7. 

6. 

.VIII, 

XIV. 

4. 

3. 


Krankheitstag  .... 
Aufgenommen  .... 
Am  selben  Tage  intubirt 

Später  intubirt  .... 

Geheilt 

Gestorben 


VIII. 
8. 
7. 

l.IX. 

4. 
4. 


IX. 
1. 
1. 


1.       — 


X. 

XI. 

XII. 

XIIL  ! 

2. 

5. 

2. 

1. 

1. 

5. 

1. 

— 

l.XI. 

^— 

l.XV. 

l.XIV." 

8. 

1. 

1. 

2. 

2. 

1. 

iXV. 

1. 
1. 


—      1. 


Aus  diesen  beiden  Tabellen  geht  hervor,  dass  von  den 
100  Fällen  (54  Mädchen  und  46  Knaben)  30  geheilt  wurden, 
und  70  starben.  Mit  eingerechnet  in  diese  Zahlen  sind  so- 
wohl die  Fälle,  bei  denen  die  secundäre  Tracheotomie  gemacht 
wurde,  als  auch  diejenigen,  bei  denen  die  Intubation  die  Stenose 
nicht  behob,  sondern  nachdem  die  Canüle  nur  wenige  Secunden 
gelegen  hatte,  tracheotomirt  wurde.  Unter  den  7  Tracheo- 
tomien  1  Heilungsfall. 

Ferner  ist  von  Interesse,  wie  oft  die  einzelnen  Fälle  in- 
tubirt sind,  wie  lange  die  Canüle  im  Ganzen  lag  und  wie 
sich  in  dieser  Hinsicht  Heilung  und  Mortalität  verhielt:  hier- 
über geben  Tabellen  III  und  IV  Auskunft 


Verfahren  d.  Intubation  bei  d.  diphtherischen  Kehlkopfstenose.    261 


Wie  oft  intnbirt? 
Anzahl  der  Fälle 
Geheilt       .     .    . 
GeBtorben       .     . 


Tabelle 

m. 

1 

2 

3      4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

12 

30 

35 

14      6 

6 

3 

1 

1 

1 

1 

1 

9 

12 

4      3 

— 

— 

1 

— 

— 

1 

21 

23 

10      3 

6 

3 

— 

1 

1 

1 

— 

23  mal 
1 


—         1 


Tabelle  IV. 


Canüle  lag 

Anzahl  der  Fälle 
Geheilt  .  .  . 
Gestorben       .    . 


unter 

iTag 

28 

1—2 

2-8 

3—4 

4-6'6-6 

6—7 

7—8  9—10 

10-1111—12 

24 

21 

8 

3        4 

3 

3 

2 

1 

2 

2 

6 

8 

6 

2        4 

2 

— 

'  1 

— 

26 

19 

13 

2 

1      — 

1 

3 

1 

1 

2 

16  ^T. 
1 


Bei  den  geheilten  Fällen  lag,  abgesehen  von  dem  einen 
bereits  oben  erwähnten,  der  durch  Tracheotöiüie  geheilt  wurde, 
die  Canüle:  4;  26%;  .40;  43%;  45%;  48;  öOy,;  53%;  54; 
56Vj;  63;  66;  67%;  72;  78%;  80;  SOy^;  81%;  90;  92;  96%, 
99%;  123;  123;  125;  132;  160%;  161%  und  249  Stunden. 

In  welch  schwerem'  Zustand  zum  grossten  Theil  die  Kinder, 
die  bei  uns  starben,  in^s  Haus  gebracht  wurden,  geht  daraus 
hervor,  dass  9  noch  nicht  einmal  24  Stunden  aufgenommen 
waren,  27  waren  noch  1—2  Tage,  10  2—3  Tage,  22  länger 
als  3  Tage  verpflegt  worden. 


Die  Erlernung  der  Intubation  wurde  durch  die  Vor- 
übungen an  dem  von  Heubner  angegebenen  Phantom^)  be- 
deutend erleichtert;  wenn  auch  die  Einführung  der  Canüle 
am  Lebenden  selbstredend  mehr  Schwierigkeiten  bietet  als  am 
Phantom ;  hauptsächlich  in  Folge  der  Unruhe  des  Kindes,  so 
kann  man  doch  an  dem  in  geeigneter  Weise  befestigten  Kehl- 
kopf die  hauptsächlichsten  Handgriffe  erlernen,  vor  Allem  die 
Aufrichtung  der  Epiglottis,  die  oft  genug  grosse  Schwierig- 
keiten bietet,  femer,  wie  man  den  linken  Zeigefinger,  mit  dem 
man  die  Epiglottis  fixirt,  halten  muss,  um  entweder  zwischen 
diesem  und  der  hinteren  Fläche  der  Epiglottis  oder  seitlich 
am  Finger  entlang  (Fig.  1  S.262)  mit  der  Canüle  in  den  Kehlkopf 
zu  gelangen.  Diese  Fixation  der  Epiglottis  durch  den  mög- 
lichst tief  in  den  weit  geöffneten  Mund  des  Kindes  hinein- 
gebrachten Finger  lässt  sich  am  besten  an  einem  durch  Kopf 
und  Hals  gelegten  Medianschnitt  demonstriren.  Herr  Geh.-Rath 
His  hat  mir  mit  dankenswerther  Bereitwilligkeit  einen  der- 
artigen  Medianschnitt   zur  Verfügung   gestellt  und  Herr  Dr. 


1)  Die  genane  Beschreibung  des  Phantoms  findet  sich:  dieses  Jahr- 
buch Bd.  XXXVI.    Seite  161. 


^^ 


Terbbren  d.  Intubation  bei  d.  diphtfaeriachen  KehlkopfstenOBe.    263 

Mai  Lauge  hatte  die  Freundlichkeit,  diesen  Medianschnitt,  an 
dem  ich  die  Stellung  der  Hände  sowie  des  mit  der  CanQle 
armirteB  Intuhators  in  dem  Augenblick,  wo  man  die  auch  an 
der  Seite  des  Fingers  liegende  Canüle  mit  diesem  io  den 
Larynx  hineioBcbieben  musB,  markirte,  abzuzeichnen.*)  Fast 
noch  besser  als  die  Intubation. lassen  sich  an  dem  Heubner- 
schen  Phantom  die  für  die  Estubation  nothwendig  werdenden 
Handgriffe  erlernen. 

Eine  fernere  Erleichterung  bei  der  Ausführung  der  Intu- 
bation haben  wir  dadurch  erzielt,  das»  wir  den  Intubator  in 
verschiedener  Hinsicht  abänderten.  In  dem  O'Dwyer'schen 
Bestück  sind  die  Instrumente  bo  eingerichtet,  dass  man  den 
in  der  Canale  als  Mandrin  dienenden  Obturator  an  den  In- 
tubator anschrauben  muss  (Fig.  2  a).  Es  wird  bei  Öfterem 
Gebranch  die  kleine  Schraube  sehr  bald  rtg.  i. 

defect,  sodass  bei  der  Intubation  die 
Canüle  sehr  leicht  mittels  des  Fadens 
quer  gezogen  wird,  wodurch  die  Ein- 
fQbrnng  ganz  wesentlich  erschwert  ist. 
Einmal  ist  es  vorgekommen,  dass  der 
Obturator  im  Munde  des  Kindes  vom 
Intubator  abfiel ,  aber  hervorgeholt 
wurde,  bevor  das  Kind  denselben  ver- 
schlucken konnte.  Es  bat  ferner  diese 
Einrichtung  den  Nachtheil,  daas,  wenn 
der  Obturator,  so  lange  die  Schraube 
nicht  abgenutzt  iet,  einmal  zu  fest  an 
den  Intubator  angeschraubt  ist  und  die 
Pflegerin  ihn  schnell  abschrauben  soll, 
der  Obturator  in  dem  an  demselben 
befindlichen  Chamiergelenk  (Fig.  3  b)  in 
einen  rechten  Winkel  gebracht  und  so 
das  untere  Ende  als  Hebel  zum  Lockern 
der  Schraube  benutzt  wird.  Die  Folge 
davon  ist,  dass  das  Chamiergelenk  ver- 
bogen wird,  sodass  der  Obturator  dann  " 
nicht  mehr  in  der  CanOle  glatt  hin-  und  herbewegt  werden 
kann. 

Diesen  üebelständen  haben  wir  dadurcb  abgeholfen,  dass 
vor  den  Obturator  mit  dem  Schaft  des  Intubators  verschmolzen 
haben  (Fig.  2c).  Der  Mandrin  (Obturator  +  Schaft  des  In- 
tubators), wie  ich  diesen  Theil  des  Instrumentes  nennen  möchte, 
wird    in    einen     mit    viereckigem     Lumen    versehenen     Griff 


264  I>T-  Carstens: 

(Fig.  2d  u.  5a)  eingelassen,  in  dem  er  durcli  eine  klüftige 
schraube  mit  grossem,  bequem  anzufaesendem  Kopf  fixirt  wird. 
Die  Schiebevorricbtung  zum  Abstossen  der  Caniile  haben  wir 
bereits  zur  Zeit  unserer  ersten  Intubationsfälte  weggelassen; 
wir  stossen,  wie  das  auch  schon  von  anderer  Seite  empfohlen 
ist,  mit  dem  Finger,  unter  dessen  Führung  die  Operation  ge- 
macht wird,  die  CanOle  vom  Mandrin  ab.  Wie  aus  Fig.  3a 
zu  ersehen  ist,  ist  die  Abänderung  so  gemacht,  dass  die  CanUIe 
bia  dicht  unter  den  längeren  Theil  des  Mandrins  reicht;  ea 
wird  dadurch  der  Theil,  an  dem  die  Cantile  sitzt,  ca.  um  1  cm 
kürzer  als  beim  ODwyer'schen  Instrumeut  (Fig.  3b),  ein  Vor- 
tfaeil,  der  namentlich  bei  der  Intubation  kleinerer  Kinder  sowie 
bei  engem  Pharynx  nicht  hoch  genug  anzuschlagen  ist.  Es 
kann  auch  jetzt  die  Caniile,  wenn  an  dem  Faden  etwas  ge- 
zerrt wird,  sich  nicht  mehr  quer^tellen,  wodurch  die  Operatioo 
bedeutend  leichter  ausführbar  wird.  Ausserdem  fallen  die 
beim  O'Dwyer'schen  Intubator  resp.  Obturator  häufig  noth- 
wend ig  werdenden  Reparaturen  weg,  da  jene  minutiöse  Schraube 
eliminirt  ist  und  das  Charniergelenk  nicht  mehr  belästigt  wird. 
„,„  ,  Es    ist    natürlich    nothwcudig,    dass, 

wie  zu  jeder  Ciinüle  ein  Obturator 
gehörte,  jetzt  ein  Mandrin  angefertigt 

^ jj^      -        wird.    Man  ist  durch  die  beschriebene 

'SiiiMaaMkA  Abänderung ,     die     übrigens     ähnlich 

gleichzeitig  in  Zürich  eingeführt  wurde, 
I  in  der  Lage,  das  Instrument  schneller 

zur  Intubation  fertig  zu  machen  als 
wo  man  noch  den  Obturator  mittels 
der  kleinen  Schraube  am  Intubator 
befestigen  musste. 

Was  nun  die  Art  und  Weise  be- 
trifft, wie  das  Kind  bei  der  Intuba- 
tion gebalten  wird,  so  haben  wir  län- 
gere Zeit  hindurch  in  der  bisher  üb- 
lichen Weise  das  Kind  in  ein  Betttuch 
eingewickelt  und  dasselbe  dann  von 
einer  Pflegerin  auf  dem  Schoosse  hal- 
ten lassen,  so  dass  dieselbe  die  Beine 
des  Kindes  zwischen  ihren  Knieen  und 
den  Kopf  mit  den  Händen  fixirte. 
Später  haben  wir  die  Intubation  so- 
wohl wie  die  Extubation  stets  bei  dem  im  Bett  in  Rücken- 
lage sich  befindenden  Kinde  gemacht;  es  wird  dann  von 
einer  am  Kopfende  des  Bettes  stehenden  Pflegerin  das  Kind 
mit  seinen  eigenen  über  seinem  Kopf  emporgeschlagenen 
Armen  fixirt,    der  Arzt  kniet  mit  dem  rechten  Bein   auf  der 


T 


Yerfahren  d.  Intubation  bei  d.  diphtherischen  Eehlkopfstenose.    265 


und    kann    dann   bequem    die   Intubation 
Bei  sehr  widerspenstigen  Kindern  müssen 


Fig.  4. 


Fig.  6. 


rechten  Bettkante 
ausführen  (Fig.  4). 
dann  allerdings 
Ton  einer  dritten 
Person  die  Beine 
gehalten  werden; 
die  ganze  Proce- 
dur  dauert  in  der 
Regel  kaum  eine 
halbe  Minute. 

Für  den  Fall, 
dass  die  Kinder 
die  Zahnreiheu 
fest  aufeinander 
beissen^  ist  eine 
kleine  Sperrzange 

(Fig.  5b)  nothwendig,  da  man  mit  der  O'Dwyer'schen  sonst 
so  vorzüglichen  Mundsperre  nicht  zwischen  die  Zahnreihen 
gelangt.  Die  Kon  ig 'sehe  Mundsperre 
thut  denselben  Dienst,  lässt  sich  aber 
wegen  ihrer  Grösse  und  Form  nur 
schwer  in  einem  Besteck  unterbringen. 
Beim  Gebrauche  nimmt  man  die 
kleine  Sperrzange  in  die  rechte,  die 
O'Dwyer'sche  in  die  linke  Hand;  so- 
bald man  mit  der  ersteren  den  Mund 
geöffnet  hat,  schiebt  man  die  letztere 
in  den  rechten  Mundwinkel,  und  öff- 
net weit. 

Was  die  Indication  zur  Intu- 
bation betrifft,  so  haben  wir  uns 
genau  an  die  für  die  sogenannte 
Spättracheotomie  allgemein  bekann- 
ten Symptome  gehalten;  nicht  bei 
den  ersten  Zeichen  der  Stenose  wurde 
intubirt,  sondern  mit  einer  Ein- 
schränkung, auf  die  ich  unten  zurück- 
komme, stets  so  lange  gewartet,  bis 
das  stenotische  Stadium  seinen  Höhe- 
punkt erreicht  hatte  und  die  Ein- 
ziehungen tief  und  anhaltend  waren,  damit  der  Vorwurf,  wir 
hätten  frühzeitig  intubirt  und  dadurch  vielleicht  bessere  Resul- 
tate erzielt,  uns  nicht  gemacht  werden  könnte.  In  16  Kranken- 
geschichten ist  es  besonders  hervorgehoben,  dass  „zwar  er- 
hebliche Gene  bei  der  Respiration,  exquisiter  Crouphusten  und 
leichte  Einziehungen   im  Epigastrium    bestehen,   aber  wegen 


266  Dr*  Carstens: 

Mangels  jeglicher  schwererer  Stenosenerscheinnng  und  weil 
der  Pals  kräftig  ist,  zunächst  nicht  intubirt  wird'^  In  der 
That  haben  wir  des  Oefteren  erlebt,  dass,  wo  der  Zustand 
des  Herzens  diese  Maassnahme  gestattete,  durch  energische 
Schwitzcuren  der  Croup  zurückging,  ohne  dass  es  zur  In- 
tubation kam.  Ob  es  richtig  ist,  mit  dem  gegenüber  der 
Tracheotomie  ungleich  harmloseren  Eingriff,  der  Intubation, 
so  lange  zu  warten,  möchte  ich  dahingestellt  sein  lassen; 
denn  schon  bei  beginnender  Stenose,  beim  Uebergang  des 
ersten  in's  zweite  Stadium  des  Croup,  leidet  das  Kind  oft 
so  erheblich,  dass  die  Intubation  yor  Eintritt  hochgradiger 
Stenose  geboten  scheint.  Es  ist  unruhig,  ängstlich  und  kann 
nicht  schlafen,  aber  sobald  die  Canüle  eingelegt  ist,  tritt  Ruhe 
und  erquickender  Schlaf  ein.  Oft  beobachtet  man  auch  schon 
im  stenotischen  Stadium  den  Puls  klein  und  ungleichmässig 
werden;  alsdann  ist  es  ebenfalls  rathsam,  nicht  erst  den  Ein- 
tritt schwererer  Stenosenerscheinungen  abzuwarten,  sondern 
sofort  zu  intubiren;  bleibt  der  Puls  nach  der  Intubation  un- 
gleichmässig oder  unregelmässig,  so  haben  wir  darin  ein  pro- 
gnostisch ungünstiges  Symptom  zu  erblicken. 

Ist  die  Intubation  ausgeführt,  dann  ist  es  zunächst  wich- 
tig, sich  über  die  Lage  der  Epiglottis  zu  orientiren,  da  bei 
dem  Hineingleiten  der  Canüle  in  den  Larynx  die  Epiglottis  sich 
sehr  leicht  zwischen  Canüle  und  vorderer  Kehlkopfwand  ein- 
klemmt; sie  ist,  wenn  das  der  Fall  ist,  durch  leichten  seit- 
lichen Druck  auf  dieselbe,  ohne  grosse  Schwierigkeit  aufzu- 
richten. 

Gleich  hier  will  ich  bemerken,  dass  in  drei  Fällen  die 
Intubation  zur  Hebung  der  Stenose  nicht  genügte.  In  dem 
ersten  Falle  handelte  es  sich  um  ein  Sjähriges  Mädchen,  bei 
dem  mit  Anwendung  von  etwas  Druck  die  Canüle  durch  die 
Glottis  gebracht  war;  als  2Vi  Tage  später  nach  einer  probe- 
weisen Entfernung  der  Canüle  wieder  Stenose  eintrat,  war  die 
Intubation  überhaupt  nicht  ausführbar;  man  fühlte  deutlich, 
wie  das  untere  Ende  auf  die  vermuthlich  im  Erampfzustand 
sich  befindende  Glottis  aufstiess;  da  bei  der  ersten  Intubation 
eine  nicht  ganz  unerhebliche  Blutung  eingetreten  war,  wurde, 
wie  das  überhaupt  bei  der  Intubation  dringend  zu  fordern 
ist,  von  Anwendung  jeglicher  Gewalt  abgestanden  und  sofort 
tracheotomirt.  Das  Kind  lebte  noch  5  Tage;  bei  der  Section 
war  kein  Grund  für  die  Unausführbarkeit  der  Intubation, 
speciell  auch  kein  Oedem  zu  finden;  es  bleibt  wohl  nichts 
Anderes  übrig,  als  dieses  Vorkommen  auf  einen  plötzlich  ent- 
stehenden Stimmritzenkrampf  zu  beziehen.  Bei  dem  zweiten 
Fall  handelte  es  sich  um  einen  2jährigen  Knaben,  der  voll- 
ständig collabirt,   apnoisch   und   pulslos   in's  Haus   gebracht 


Yerfahren  d.  Intnbaiion  bei  d.  diphtherisohen  Eehlkopfstenose.    267 

Würde;  die  Intubation  gelang  nicht  und  die  Tracheotomie 
wurde  sofort  ausgeführt.  Nachdem  längere  Zeit  künstliche 
Athmung  gemacht  war,  kehrten  Puls  und  spontane  Respiration 
wieder;  das  Kind  erholte  sich,  schluckte  mit  seiner  Tracheal- 
canüle  ganz  gut^  aber  schon  am  folgenden  Tage  stellten  sich 
Drüsenschwellungen  an  den  Eieferwinkeln  ein,  der  Puls  wurde 
klein,  unregelmässig,  das  Aussehn  schlechter  und  am  dritten 
Tag  post  operationem  starb  Patient.  Der  dritte  Fall  kam  in 
ähnlichem  Zustand  in's  Haus,  die  Intubation  gelang  zwar, 
aber  die  Stenose  verschwand  nicht,  deshalb  Tracheotomie, 
Heilung. 

Bei  der  Obduction  des  zweiten  Falles  zeigte  sich  ein 
recht  seltsamer  Befund;  im  Sectionsbericht  heisst  es:  „Tra- 
cheotomiewunde  unterhalb  des  Ringknorpels.  2  mm  dicke 
feste  Diphtheriemembranen  auf  sämmtlichen  Rachenorganen. 
Epiglottis  durch  derartige  ;Massen  fast  völlig  über  dem  Kehl- 
kopfeingang  fixirt,  so  dass  zwischen  den  den  Kehlkopf  und 
die  Epiglottis  bedeckenden  Membranen  nur  für  eine  Sonde 
von  1 — 2  mm  Durchmesser  ein  Durchgang  bleibt.  In  der 
Hohe  der  Stimmbänder  ist  die  Trachea  völlig  verschlossen , 
feste  Membranen  in  der  Trachea,  zum  Theil  erweichte  in  den 
Bronchien  etc.'' 

Es  leuchtet  ein,  dass  hier  die  Unmöglichkeit  vorlag,  die 
Canüle  in  den  Kehlkopf  zu  bringen.  Glücklicher  Weise  sind 
derartige  Fälle  selten ;  wären  sie  es  nicht,  dann  müssten  solche 
Kinder,  die  collabirt  in's  Krankenhaus  gebracht  werden,  besser 
gleich  tracheotomirt  werden; 

Da  aber  die  Intubation  schneller  als  die  Tracheotomie 
und  ohne  grösseren  Apparat  ausführbar  ist  —  ja,  wir  haben 
bisweilen  schon  im  Aufnahmezimmer  intubiren  müssen  —  ist 
meiner  Meinung  nach  die  Intubation  gerade  hier  besonders 
am  Platze.  Für  solche  Fälle  ist  es  allerdings  sehr  er- 
wünscht, dass  der  Operateur  die  Methode  sicher  beherrscht, 
da  einmal  eventuell  zuviel  Zeit  vergehen  könnte  bis  zur  Hebung 
der  Stenose  und  da  ferner  die  Einführung  der  Canüle  in  den 
schlaffen  Kehlkopf  eines  collabirten  Kindes  nicht  ganz  leicht 
ist.  Gleich  nach  der  Einführung  muss  natürlich  künstliche 
Athmung  eingeleitet  werden. 

Bei  dem  ältesten  Kinde,  das  wir  intubirten,  einem  Mäd- 
chen von  9V2  Jahren,  entstand  eine  Schwierigkeit  bei  der  Ein- 
führung, weil  die  Canüle  (für  Kinder  zwischen  8  und  12  Jahren) 
etwas  gross  war  und  durch  die  nächst  kleinere  die  Stenose 
nicht  gehoben  wurde.  Es  wäre  ganz  wünschenswerth,  wenn 
zwischen  den  beiden  grössten  Canülen  eine  mittlere  zur  Ver- 
fügung stände. 

Nach  Ausführung  der  Intubation  wird  gewöhnlich  Schleim 


268  Dr.  Carstens: 

oder  Membranstückchen  heraufgehustet ,  die  am  besten  mit 
einem  gestielten  Tupfer  aus  der  Mundhöhle  entfernt  werden 
(ebenso  ist  es  empfehienswerth,  wenn  man,  nachdem  vergeb- 
liche IntubatioDBversuche  gemacht  sind,  die  Schleimhaut  des 
Pharynx  und  der  Epiglottis  mit  einem  solchen  Tupfer  reinigt^ 
damit  dieselbe  ihre  Schlüpfrigkeit  verliert  und  so  das  Auf- 
rieb teu  der  Epiglottis  erleichtert  wird.  Letzteres  gehört,  be- 
sonders wenn  der  Kehlkopf  tief  liegt  und  der  Arzt  kurze 
Finger  hat,  zu  den  grössten  Schwierigkeiten  in  der  Technik 
der  Intubation). 

Die  E&ziehuDgen  im  Epigastrium,  Jugulum  etc.  ver- 
schwinden in  den  meisten  Fällen  nicht  sofort,  da  das  Eind 
sich  erst  an  die  Canülenathmung  gewöhnen  muss  und  von 
der  Intubation  her  noch  etwas  aufgeregt  ist,  aber  nach  Ver- 
lauf weniger  Minuten,  wenn  das  Eind  sich  beruhigt  hat  und 
der  Hustenreiz,  der  oft  beobachtet  wird,  vorüber  ist,  wird  die 
Athmung  ruhig  und  die  Stenosenerscheinungen  verschwinden; 
bleibt  dagegen  die  Athmung  frequent  oder  wird  sie  frequent, 
dann  muss  man  befürchten,  dass  die  Membranbildung  bereits 
tiefer  in  die  Luftwege  vorgeschritten  ist.  In  anderen  Fällen 
wurden  die  Stenosenerscheinungen  hochgradiger,  ein  Zeichen, 
dass  Membranen  losgestossen  sind  und.  die  Trachea  zum  Theil 
verlegen;  alsdann  muss  man  sofort  die  Ganüle  entfernen,  und 
wenn  dann  die  Membran  nicht  herausgehustet  wird,  kann 
man  noch  den  Versuch  machen,  die  bereitgehaltene  nächst 
grössere  Canüle  einzusetzen.     Glaubt  man  jedoch  die  Eräfte 

des  Eindes   dadurch   zu  sehr  zu  er- 
Fiff-  6.  schöpfen  oder  befürchtet  man  einen 

Collaps,  so  wird  am  besten  mit  der 
Tracheotomie  nicht  länger  gezögert. 
Selbstredend  kann  auch,  während 
die  Ganüle  liegt,  dieselbe  durch  Mem- 
branen verstopft  werden  und  so 
die  sofortige  Extubation  nothwendig 
werden,  ein  Umstand,  der  mit  Recht 
dafür  angeführt  wird,  dass  man  den 
Faden  in  der  Canüle  liegen  lassen  solle.  Allerdings  wird  die 
Canüle,  wenn  sie  sich  plötzlich  verstopft,  meistens  ausgehustet^ 
aber  darauf  kann  man  sich  namentlich  bei  der  verbesserten 
O'Dwy er' sehen  Canüle  (Fig.  6b)  nicht  verlassen.  Für  solche 
Fälle  ist  nun  eine  geübte  und  zuverlässige  Pflegerin,  wie  wir  sie 
auf  der  Diphtberieabtheilung  haben,  von  ungeheurem  Werth  (es 
sollten  zur  Pflege  intubirterEinder  überhaupt  nur  einigermaassen 
intelligente  Pflegerinnen  Verwendung  finden).  Dieselbe  ist  vor 
Allem  genau  instruirt,  auf  was  sie  bei  Intubirten  zu  achten  hat; 
so  z.  B.  kommt  es  bei  Fällen,  die  zu  starker  Membranbildung 


Yerfabren  d.  Intubation  bei  d.  diphtberiscben  Eeblkopfstenose.    269 

neigen,  nicht  ganz  selten  vor,  dass  man  unter  der  Canüle  eine 
Membran  flottiren  hört,  ein  Umstand,  der  natürlich  zur  ganz 
besonderen  Wachsamkeit  auffordert.  Bisweilen  hört  man  bei 
einem  Kind,  das  die  Canüle  trägt,  wenn  es  tief  respirirt,  einen 
hellen  pfeifenden  Ton,  alsdann  kann  man  annehmen,  dass  ein 
gelockertes  Stück  Membran  entweder  die  obere  oder  die  untere 
OeSnung  der  Canüle  yentilartig  zeitweilig  schliesst,  ja,  man 
kann  sogar,  wenn  das  Pfeifen  beim  Inspirium  beobachtet  wird, 
vermuthen,  dass  die  Membran  von  der  Epiglottis  herunterhängt 
und  beim  Einströmen  der  Luft  sich  vor  den  grösseren  Theil 
der  oberen  OefiPhnng  legt;  wird  das  Pfeifen  beim  Exspirium 
gehört,  da  liegt  das  Hinderniss  an  der  unteren  Oeffnung.  Im 
ersten  Fall  haben  wir  die  Membran  mit  dem  Finger  von  der 
Epiglottis  entfernt,  im  letzteren  Fall  darf  wiederum  die  Pflegerin 
keinen  Augenblick  das  Bett  des  Kindes  verlassen,  damit  sie 
in  dem  Moment,  wo  die  Gefahr  der  Erstickung  durch  in  die 
Canüle  hineingelangte  Membranstücke  droht,  die  Canüle  am 
Faden  herausziehen  kann. 

Das  Losstossen  der  Membranen  mit  der  Canüle  hat  man 
gegen  die  Intubation  zu  Gunsten  der  Tracheotomie  angeführt, 
wogegen  kürzlich  in  einer  Abhandlung  dieses  Jahrbuchs^) 
Bökai  aufgetreten  ist;  nach  unseren  Erfahrungen  können  wir 
uns  den  Ausführungen  des  genanuten  Autors  voll  und  ganz 
anschliessen.  Es  dürfte  doch  auch  noch  fraglich  sein,  ob  es 
wirklich  als  ein  Vortheil  anzusehen  ist,  wenn  bei  der  Tracheo- 
tomie „die  Membranen  mit  der  Taubenfeder'',  wie  ein  Fach- 
mann sich  kürzlich  mir  gegenüber  ausdrückte,  „herausgewickelt^^ 
werden.  Es  wird  doch  sicher  nicht  nur  die  Membran,  soweit 
sie  sich  spontan  losgelöst  hat,  entfernt,  sondern  auch  dort, 
wo  sie  noch  festhaftet,  losgerissen.  Und  wie  schnell  sich  be- 
sonders an  diesen  letzten  Stellen  Membranen  von  Neuem 
bilden,  das  hat  man  nur  zu  oft  erfahren.  Bei  der  Intubation 
v^ird  von  vornherein  die  Canüle  in  die  röhrenförmige  Membran 
geschoben  und  diese  eher  an  die  Wandung  angedrückt  als 
gelockert;  wir  sind  es  ganz  zufrieden,  wenn  die  Membranen 
nicht  ausgehustet  werden,  sondern  einschmelzen  und  dann  als 
Sputum  expectorirt  werden,  sind  doch  auch  die  meisten 
Aerzte  für  die  expectative  Behandlung  der  Rachendiphtherie 
oder  wenigstens  gegen  eine  mechanische  Entfernung  der  mem- 
branartigen Beläge  auf  Mandeln,  Uvula,  weichem  Gaumen 
u.  s.  w. 

Ueber  die  Ausdehnung  der  Membranbildung  in  Kehlkopf 
und  Trachea  wird  man  in  einigen  Fällen  durch  zwei  Symptome 


1)  Bd.  XXXyill.    S.  82. 


270  ^r.  Carstens: 

unterrichtet;  einmal  durch  die  Starke  des  Hustenreizes  un- 
mittelbar nach  der  Intubation;  fehlt  derselbe  oder  ist  er  ge- 
ring, so  kaun  man  mit  ziemlicher  Sicherheit  annehmen,  dass 
die  Canüle  in  der  Hauptsache  nicht  der  Trachealschleimhaut 
anliegt  sondern  einer  Membran,  hierfOr  spricht  auch  der  lang- 
anhaltende Husten  bei  intubirten  Masemcroup-Kindem;  dann 
aber  auch  durch  die  Länge  der  Zeit,  welche  bei  der  Auf- 
nahme geringer  Flüssigkeitsmengen  yom  Schlingact  bis  zur 
Auslosung  des  Hustens  vergeht.  Dieser  Zeitraum  dauert  bis- 
weilen 5  Secunden  und  länger,  so  dass  man,  ohne  dass  etwa 
abgeschwächtes  Athem  Aber  der  einen  oder  der  anderen  Stelle 
der  Lungen  dem  Untersucher  yom  Fortschreiten  der  Bronchitis 
fibrinosa  bis  in  die  feinsten  Bronchien  Kunde  giebt,  öfter 
daraus  einen  Schluss  auf  das  Ergriffensein  der  ganzen  Trachea 
und  eventuell  auch  der  grosseren  Bronchien  machen  kann. 
Es  lässt  sich  diese  Beobachtung  wohl  so  erklären,  dass  die 
kleine  Quantität  Flüssigkeit,  die  in  die  Trachea  durch  Yei^ 
schlucken  gelangt,  erst  dann  einen  Reflex  auslöst,  wenn  sie 
an  eine  Stelle  des  Bronchialbaums  gelangt  ist,  die  nicht  mit 
Pseudomembranen  ausgekleidet  ist  Hier  wird  der  Reflex  um 
so  leichter  ausgelöst,  als  doch  meistens  eine  einfache  Bron- 
chitis in  diesen  Fällen  besteht  und  die  Schleimhaut  der  Luft- 
wege sich  in  einem  hyperämischen  und  deswegen  besonders 
empfindlichen  Zustand  befindet. 

Das  Hineingelangen  von  Flüssigkeit  in  den  Kehlkopf 
beim  Trinken  ist  bei  intubirten  Kindern  leider  nichts  Sel- 
tenes; es  geht  zwar  die  Ernährung  tracheotomirter  Kinder 
nicht  immer  ohne  Schwierigkeit  vor  sich,  aber  es  hat 
doch  den  Anschein,  dass  bei  der  Tubage  das  Schlucken 
und  infolge  dessen  die  Ernährung  des  Kindes  öfter  er- 
schwert ist  Bei  unseren  Patienten  trat  dieser  Fall  häufig 
ein.  Wir  nahmen  deshalb,  sobald  beim  Schlucken  viel  ge- 
hustet wurde,  zur  Ernährung  mit  der  Schlundsonde  unsere 
Zuflucht,  bei  der  die  Kinder  durchschnittlich  nur  wenig  ab- 
nahmen, wenn  man  das  fast  stets  auch  vorhandene  Fieber 
mit  in  Betracht  zieht 

Bei  30  Fällen  habe  ich  genaue  Wägungen  der  vollständig 
entkleideten  Kinder  unmittelbar  nach  der  Intubation  und  der 
Extubation  angestellt,  um  die  Ernährungsverhältnisse  bei 
liegender  Canüle  genau  beurtheilen  zu  können.  Fehlerquellen 
in  Folge  von  Nahrungsaufnahme  sind  so  gut  wie  ausgeschlossen, 
da  beide  Operationen,  wenn  möglich,  vor  derselben  gemacht 
werden  müssen,  um  keinen  Brechact  auszulösen  und  so  die 
Aspiration  von  Speisetheilen  zu  begünstigen.  Dass  diese 
Wägungen  nicht  bei  mehr  Fällen  gemacht  wurden,  lag  zum 
Theil  daran,  dass  die  Kinder  nur  kurze  Zeit  im  Krankenhause 


Yerfalireii  d.  Tntobation  bei  d.  diphtheriscben  Kehlkopf sten ose.    271 


waren  (s.  S.  261), 
andererseits  dar- 
an, dass  nach  der 
Extubation  die 
absoluteste  Rnbe 
für  das  Eind  das 
Beste  ist  und  dass 
jede  Aufregung 
yermieden  werden 
mnss.  Die  Resul- 
tate der  Wägun- 
gen giebt  die  Ta- 
belle V  wieder. 

Aus  dieser  Ta- 
belle geht  her- 
vor, dass  unter 
den  30  Kindern 
4  an  Gewicht  zu- 
nahmen und  2 
auf  ihrem  Gewicht 
stehen  blieben, 
wahrend  24  ab- 
nahmen. Von  den 
ersten  6  starb  1 

Kind    (Nr.  3) 
6  Tage  nach  der 

Extubation  an 
Pneumonie ;  von 
den  24  starben 
9  und  15  wur- 
den geheili  Bei 
den  9  Todesfallen 

schwankte  der 
Verlust  an  Kör- 
pergewicht pro 
24  Stunden  Intu- 
bationsdauer 
zwischen  39  und 

164  ff  (also 
durchschnittliche 
Abnahme  98,2  g), 
bei  den  15  Ge- 
heilten zwischen 
22  und  237  g 
in  derselben  Zeit 
(durchschnittlich 


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272  I^r.  Carstens: 

119,8  g).  Mir  ist  zwar  nicht  bekannt,  ob  genauere  üntersuchan- 
gen  darüber  vorliegen,  wie  sich  das  Körpergewicht  bei  Kindern 
speciell  während  acuter  Infectionskrankheiten  verhält,  glaube 
aber  annehmen  zu  dürfen,  dass  eine  Abnahme  von  100—120  g 
in  24  Stunden,  auch  wenn  der  Nahrungsaufnahme  nichts  im 
Wege  steht,  nicht  etwas  Unerhörtes  ist.  Wir  brauchen  somit 
in  den  meisten  unserer  Fälle  den  Verlust  an  Körpergewicht 
nicht  auf  eine  durch  das  Liegen  der  Canüle  bedingte  schlechte 
Ernährung  zurückzuführen,  sondern  können  die  Abnahme  eher 
als  durch  die  fieberhafte  Krankheit  selbst  bedingt  erklären. 

Um  jedoch  das  immerhin  für  das  Kind  etwas  lästige 
Sondiren  möglichst  einzuschränken  und  das  häufige  Ver- 
schlucken der  Kinder  zu  beheben,  haben  wir  an  der  Canüle 
eine  Aenderung  angebracht,  die  gleichzeitig  auch  in  einem 
Züricher  Krankenhaus  erprobt  worden  ist.  Versucht  man 
nämlich  an  einem  aus  der  Leiche  herausgenommenen  Kehl- 
kopf, in  welchen  man  eine  0*Dwyer'sche  Canüle  hineingelegt 
hat,  den  Verschluss  der  oberen  Canülenöffnung,  wie  er  beim 
Schlingen  durch  die  Epiglottis  erwünscht  ist,  durch  Nieder- 
drücken derselben  auf  die  Canüle  nachzuahmen,  so  sieht  man, 
dass  zwischen  der  an  ihrer  hinteren  Fläche  mit  einer  seichten 
concaven  Rinne  versehenen  Epiglottis  und  dem  Kopf  der 
Canüle  ein  Spalt  bleibt,  gross  genug,  um  flüssige  und  auch 
kleinere  feste  Nahrungsbestandtheile  in  die  Canüle  hinein- 
gelangen zu  lassen.  Dadurch  nun,  dass  wir  auf  dem  im  Kehl- 
kopf nach  hinten  gelegenen,  an  die  Aryknorpel  anstossenden 
Theil  des  Canülenkopfes  etwas  mehr  Metall  auftragen  liessen, 
sodass  derselbe  nach  vorn  zu  stärker  abßLllt  als  bei  der 
O'D  w  y  e  r 'sehen  (Fig.  3c u.  d  und  Fig.Gb  u.c),  erreichten  wir,  dass  die 
Epiglottis,  deren  Beweglichkeit  natürlich  stark  eingeschränkt 
ist,  sich  doch  beim  Schlingact  besser  an  die  Canüle  anlegt. 
Ausserdem  ist  das  Lumen  in  der  O'Dwyer'scheu  Canüle  im 
Kopf  derselben  noch  nach  hinten  weiter  ausgebohrt,  wodurch 
die  obere  Oeffnung  grösser  als  die  untere  wird,  eine  Vor- 
richtung, die  ebenfalls  das  Verschlucken  begünstigt,  ohne  den 
Vortheil  zu  bieten,  dass  Inspirationsluft  in  grösseren  Mengen 
und  bequemer  in  die  Lungen  hineingelangen  kann.  Bei 
unserer  Canüle  ist  auch  das  vermieden.  Es  ist  allerdings 
darauf  zu  achten,  dass  die  vordere  Wand  der  CanQle  oben 
nicht  zu  dünn  ausfällt,  da  an  derselben  sonst,  wenn  öfter  die  Ex- 
tubation  vorgenommen  ist,  der  obere  vordere  Rand  der  Canülen- 
öffnung dem  Drucke  des  Extubators  nachgiebt  und  scharf 
wird.  Die  Canülen  sind  im  Gegensatz  zu  den  vergoldeten 
O'Dwyer'schen  vernickelt;  liegen  dieselben  längere  Zeit  im 
Kehlkopf,  so  werden  sie  in  Folge  einer  sich  bildenden  unschäd- 
lichen  Schwefelverbindung   schwarz,   aber   sie   werden   nicht 


Verfahren  d.  Intubation  bei  d.  diphtherischen  Kehlkopfs tenose.    273 

raahy  wie  das  bei  den  vergoldeten  O'Dwyer'schen  Canülen  öfter 
beobachtet  wird.  Die  vernickelten  Canülen  werden  gewisser- 
maassen  patinirt  und  man  könnte  diese  Patine,  glaube  ich, 
ohne  den  Kindern  zu  schaden,  an  den  Canülen  sitzen  lassen.^) 
Der  Schaft  der  Canüle  ist  vollständig  dem  der  modificirten 
O'Dwyer'schen  nachgebildet  (Fig.  6). 

Seitdem  wir  diese  Canülen  regelmässig  anwenden,  ver- 
schlucken sich  die  Kinder  nicht  mehr  so  viel  wie  früher;  am 
besten  werden  die  Speisen  in  breiiger  Consistenz  gegeben. 
Dass  das  eine  Kind  besser  schluckt  als  das  andere,  liegt  eines 
Theils  daran,  dass  die  Epiglottis  bei  den  einzelnen  Kindern 
sehr  verschieden  gebaut  ist,  namentlich  in  ihrer  Länge  sehr 
variirt;  in  einem  Falle,  wo  die  Epiglottis  stark  verdickt  war, 
schluckte  das  Kind  besser  mit  der  nächstgrosseren  Canüle.  An- 
dererseits stehen  überhaupt  noch  eine  grössere  Menge  von 
verschieden  grossen  Canülen  zur  Verfügung,  da  6  Grössen 
für  die  verschiedenen  Lebensalter  von  1 — 12  Jahren  nicht 
recht  genügen.  Es  kann  sicher  bisweilen  eine  kleine  Diffe- 
renz in  der  Grösse  ein  besseres  oder  schlechteres  Schlucken 
bedingen.  Da  die  mittleren  Canülen  viel  häufiger  gebraucht 
werden  als  die  kleinste  und  die  grössten,  haben  wir  die 
Canülen  2,  3  und  4  doppelt  anfertigen  lassen.^) 

Nehmen  die  Kinder,  trotzdem  sie  sich  weniger  ver- 
schlucken, dennoch  nicht  genug  Nahrung  zu  sich,  so  wird  ihnen 
eine  Nährlösung  ron  Milch,  Ei,  Zucker,  etwas  Butter  und 
Pepton  zugeführt,  indem  ein  kleiner  Nelatonkatheter  durch 
die  Nase  in  den  Oesophagus  eingeführt  wird.  Dadurch  dass 
wir  durch  die  Nase  sondiren,  vermeiden  wir  meistens  das 
beim  Herausziehen  der  durch  den  Mund  eingeführten  Magen- 
sonde so  oft  ausgelöste  reflectorische  Brechen.  Als  Pepton 
benutzen  wir  das  Denayer'sche  Präparat,  mit  dem  wir  im 
Ganzen  zufrieden  sind,  bisweilen  erlebten  wir,  dass  das  Brechen, 
das  längere  Zeit  nach  dem  Sondiren  eintrat,  aufhörte,  wenn 
wir  der  Lösung  kein  Pepton  ;Busetzten.  War  der  Widerstand 
von  Seiten  der  Kinder  gross  oder  brachen  die  Kinder  immer 
wieder,  wurde  aufs  Sondiren  verzichtet  und  Nährklystiere 
applicirt.  Sehr  oft  gingen  wir  —  nicht  zum  Schaden  der 
kleinen  Patienten  —  auf  die  Wünsche  derselben  in  Bezug  auf 
Essen   und  Trinken  ein;   sie  bekamen  Bier,   auch   Apfelsinen 


1)  Wir  haben  die  Canülen  stets  in  der  Weise  gereinigt,  dass  sie 
sunächst  abgeseift  wurden,  dann  wurden  sie  mit  Putzpomade  und 
Schlemmkreide  behandelt,  wieder  abgeseift,  in  Sodawasser  gekocht  und 
dann  abgetrocknet. 

2)  Das  Besteck,  das  genau  nach  unseren  Angaben  von  Alezander 
Schädel  in  Leipzig  gemacht  ist,  enthält  9  CanüTeo,  6  Mandrins,  t  Griff, 
1   Extubator,  2  Mundsperren. 

Jahrbaoh  f.  KinderheiUnuide    K.  F.   XXXym.  18 


274  Dr.  Cantens: 

und  Aepfely  nachdem  die  Kerne  aus  dem  Obst  sorgfaltigst 
entfernt  waren.  Wenn  man'  die  Kinder  trinken  lässt,  so  ist 
esy  wie  das  auch  schon  anderweitig  erfahren  wurde,  besser, 
die  Kinder  schnell  einige  Schluck  hintereinander  trinken  zu 
lassen,  da  sie  sich  dabei  nicht  stärker  verschlucken  als  beim 
langsamen  Trinken.  Die  in  Amerika  gemachte  Erfahrung, 
dass  die  Kinder  bei  tiefliegendem  Kopf  besser  trinken,  können 
wir  nicht  bestätigen.  Besser  schlucken  einige  Kinder  auch, 
wenn  die  Canüle  ohne  Faden  liegt 

Auf  die  praktisch  auch  nicht  unwichtige  Frage,  ob  nach 
Einführung  der  CanüLe  der  Faden  herausgenommen 
werden  soll  oder  nicht,  in  welch  letzterem  Fall  derselbe  an 
der  Wange  des  Kindes  mit  Heftpflaster  befestigt  werden  muss, 
sei  es  mir  gestattet,  hier  kurz  einzugehen.  Es  lässt  sich  diese 
Frage  nicht  direct  mit  ,Ja''  oder  „nein^'  beantworten.  A  priori 
leuchtet  es  ein,  dass  das  Liegenlassen  des  Fadens  zunächst 
das  Rationellste  ist  und  grosse  Vortheile  bietet,  vor  allen 
den,  dass  die  Pflegerin  im  Stande  ist,  die  Canüle  zu  ent- 
fernen für  den  Fall,  dass  sich  eine  Membran  vorlegen  sollte; 
Schleim  allein  verstopft  die  Canüle  nicht  so  schnell,  als  dass 
nicht  rechtzeitig  der  Arzt  zu  der  ohne  Faden  liegenden  Ca- 
nüle gerufen  werden  könnte.  Hat  man  sehr  widerspenstige 
Kinder  vor  sich,  die,  trotzdem  sie  eingebunden  sind,  dennoch 
mit  der  Backe,  an  der  der  Faden  befestigt  ist,  so  lange  am 
Deckbett  oder  am  Kopfkissen  reiben,  bis  die  Canüle  gelockert 
und  entfernt  ist,  so  halte  ich  es  für  besser,  den  Faden  dann 
bei  einer  wieder  nothwendig  werdenden  Intubation  heraus- 
zunehmen, wobei  die  Canüle  mit  dem  linken  Zeigefinger  im 
Kehlkopf  fixirt  wird.  Das  Kind  braucht  dann  nicht  gefesselt 
zu  werden,  und  man  spart  ihm  die  öftere  Wiederholung  der 
Intubation.  Will  man  die  Canüle  überhaupt  nicht  ohne  Faden 
liegen  lassen,  so  muss  selbstredend  auch  jedes  Mal  sofort  ex- 
tubirt  werden,  wenn  der  Faden  zernagt  ist  (vgl.  unten),  da 
durch  die  Schluckbewegungen,  die  das  Kind  unwillkürlich 
macht,  der  an  der  Canüle  hängende  Theil  des  Fadens  sehr 
schnell  in  den  hinteren  Partien  der  Mundhöhle,  resp.  in  der 
Speiseröhre,  verschwindet.  Andererseits  tritt  bisweilen,  wenn 
das  Kind  sich  selbst  die  Canüle  herausgezerrt  hat  (vgl.  unten), 
auch  sehr  schnell  eine,  die  sofortige  Intubation  erheischende 
schwere  Stenose  ein,  ein  Umstand,  der  bei  der  Anwendung 
der  Intubation  im  Privathause  doch  sehr  überlegt  sein  will. 
In  derartigen  Fällen  ist  es  auch  besser,  bei  der  eventuell 
wieder  nothwendig  werdenden  Intubation  den  Faden  von  vorn- 
herein zu  entfernen.  Bei  verständigen  Kindern,  die  weder 
am  Faden  zerren,  noch  ihn  zernagen,  ist  das  Liegenlassen 
desselben  allerdings  das  Beste. 


Verfahren  d.  Intubation  bei  d.  diphtherischen  Eehlkopfstenose.    275 

Ganz  interessant  ist  die  Untersuchung,  weshalb  bei  den 
Fällen^  die  einer  wiederholten  Intubation  unterzogen  wurden, 
die  Canüle  vorher  entfernt  war.  Im  Ganzen  wurde  283  mal 
intubirt;  zieht  man  davon  die  100  ersten  Intubationen  ab, 
so  bleiben  183  Intubationen  übrig,  welche  gemacht  werden 
mussten,  weil  die  Oanüle  aus  irgend  einem  Grunde  aus  dem 
Kehlkopf  entfernt  war  und  wieder  Stenose  eintrat: 

Probeweise  war  die  Canüle  entfernt 32  mal. 

(theils  am  Faden,  theils  mit  Extubator) 

Wegen  sofort  eintretender  schwerer  Cyanose     .     .  6maL 

Wegen  allmählich  eintretender  Stenose     ....  31  mal. 

Der  Faden  war  abgebissen  und  Extubation  vorgen.  27  mal. 

Die  Canüle  war  vom  Kinde  herausgerissen  .    .     .  26  mal. 

Die  Canüle  war  ausgehustet 51  mal. 

Kein  Grund  in  den  Krankengeschichten  angegeben  10  mal. 

183  mal. 
In  den  30  Heilungsfällen  war  ausserdem 

6  mal  die  Canüle   am  Faden  entfernt   (darunter  auch  der 

eine  Fall,   bei   dem  sofort   die  Tracheotomie   ange- 
schlossen war), 
2  mal  der  Faden  abgebissen  und  Extubation  gemacht, 

7  mal  die  Canüle  ausgehustet^ 

2  mal  die  Canüle  vom  Kinde  herausgerissen, 
13  mal  die  ohne  Faden  liegende  Canüle  extubirt. 


30  mal. 

Bei  näherer  Betrachtung  der  zuletzt  gegebenen  statisti- 
schen Daten  dürfte  es  von  Interesse  sein,  auf  drei  bei  dieser 
Gelegenheit  erwähnte  Dinge  noch  einmal  näher  zurückzukom- 
men, nämlich 

1.  ob  die  allmählich  eintretende  Stenose,  wegen  der  die 
Canüle  31  mal  entfernt  werden  musste,  vielleicht  in  einer 
mangelhaften  Expectoration  der  schleimigen  Secrete  der  Tra- 
cheal-  und  Bronchialschleimhaut  ihren  Grund  hat  und  ob 
femer  eine  eventuelle  mangelhafte  Expectoration  mit  der  Ent- 
stehung von  Pneumonie  in  einem  ursächlichen  Zusammen- 
hang steht; 

2.  das  Aushusten  der  Canüle; 

3.  die  Extubation. 

üeber  die  Expectoration  finden  wir  bei  42  Fällen  in  den 
Krankengeschichten  Notizen;  dieselben  beziehen  sich  ent- 
weder  auf  das  Vorhandensein  von  Membranstücken  in  der 
Canüle,  welche  entweder  durch  Hustenstosse  entfernt  werden 
oder  zur  Stenose  führen,  die  ihrerseits  die  Entfernung  der 
Canüle  noÜiwendig   macht,    dann   aber   auch    auf  ein   gutes 

18* 


276  Dr.  Carstens: 

oder  schlechtes  Herausbefördern  der  Tracheal-  und  Bronchial- 
secrete  aus  den  Luftwegen.  Es  geht  aus  diesen  Notizen  her- 
vor,  dasB  eine  gute  Expectoration  die  Prognose  entschieden 
günstiger  gestaltet,  denn  von  27  Fällen,  bei  denen  dieselbe 
als  schlecht  bezeichnet  ist,  sind  22  gestorben  und  nur  5  ge- 
heilt, dagegen  von  den  12  Fällen,  bei  denen  sie  als  gut  be- 
zeichnet ist,  sind  4  gestorben  und  8  geheilt,  bei  den  noch 
übrig  bleibenden  3  Fällen  heisst  es,  dass  ein-  oder  zweimal 
Membranstücke  durch  die  Canüle  ausgehustet  sind.  Dass  das 
Eintreten  einer  Stenose  mit  der  schlechten  Expectoration  zu- 
sammenhangt, geht  aus  den  Krankengeschichten  keineswegs 
hervor,  sondern  daran  war  meistens  die  Bronchitis  fibrinosa 
Schuld,  und  wo  die  Membranbildung  bis  in  die  feineren  Bron- 
chien fortgeschritten  ist,  da  tritt  Athemnoth  ein,  auch  wenn 
die  Canüle,  sei  es  nun  Laryngeal-  oder  Trachealcanüle,  die 
Luft  noch  so  gut  eintreten  lässt.  Etwas  anders  scheint  es 
sich  mit  der  Beziehung  der  schlechten  Expectoration  zur  Ent- 
stehung einer  Pneumonie  zu  verhalten:  Von  den  22  Todes- 
fällen bei  schlecht  expectorirenden  Kindern  sind  21  secirt  (ein 
mal  wurde  die  Section  verweigert). 

Es  fand  sich: 

Pneumonie  mit  Bronchitis  fibrinosa 6  mal. 

(darunter  Imal  Bronchialdrüsentub.). 

Pneumonien  allein  (meist  hämorrhag.  lobulär)     .     .  5  mal. 

Bronchitis  fibrinosa  allein 9  mal. 

(darunter  2 mal  BronchialdrQsentub.). 

Ausgedehnte  Tuberculose  (Cavernen  etc.)   ....  Imal. 

Die  Section  der  4  gut  expectorirenden  Kinder  ergab  nur 
einmal  Pneumonie,  die  aber  schon  bei  der  Aufnahme  des 
Kindes  nachgewiesen  worden  war;  zweimal  wurde  fibrinöse 
Bronchitis  constatirt,  in  beiden  Fällen  aber  daneben  auch 
Bronchialdrüsentuberculose  gefunden  und  einmal  fibrinöse 
Bronchitis  ohne  Tuberculose. 

Obwohl  die  Zahlen  viel  zu  klein  sind,  um  aus  ihnen  all- 
gemein gültige  Schlüsse  zu  ziehen,  so  kann  man  doch  Ange- 
sichts der  mitgetheilten  Thatsachen  sich  dem  Eindruck  nicht 
ganz  verschliessen,  dass  eine  schlechte  Expectoration  bei  in- 
tubirten  Kindern  die  Entstehung  einer  Pneumonie  begünstigen 
kann,  was  bei  der  Stellung  der  Prognose,  auf  welche  ich 
nachher  noch  einmal  zurückkomme,  wohl  zu  beachten  ist. 
Ob  aber  für  die  schlechte  Expectoration  die  Intubation  an- 
zuschuldigen ist,  möchte  ich  hier  nicht  entscheiden,  glaube  es 
aber  nicht,  da  auch  bei  unseren  Tracheotomirten  die  Expecto- 
ration sehr  zu  wünschen  übrig  Hess.  Immerhin  müssen  wir 
aus  diesen  Beobachtungen  die  Lehre  ziehen,  die  Expectoration 


Verfahren  d.  Intabation  bQi  d.  diphUierischen  Kehlkopfstenose.    277 

gleich  nach  der  Intubation  kräftig  zu  unterstützen.  Bei 
manchen  Kindern  lässt  sich  in  dieser  Hinsicht  durch  häufiges 
Zureden  von  Seiten  einer  verständigen  Pflegerin  etwas  er- 
reichen, bei  anderen  Sandern  wird  ein  lauwarmes  Bad  mit 
kühler  Uebergiessung  die  Ezpectoration  gut  anregen;  von  den 
sonst  üblichen  medicamentösen  Expectorantien  (rad.  Ipecac, 
Apomorphin  etc.)  sahen  wir  keinen  Nutzen. 

Das  Aushusten  der  Canüle  wurde  im  Ganzen  57 mal 
beobachtet  und  zwar  42  mal  bei  13  Fällen  zu  jener  Zeit,  wo 
wir  noch  mit  der  alten  O'Dwyer' sehen  Canüle  intubirten 
(Fig.  6  a  S.  268),  während  die  an  ihrem  unteren  Ende  modi- 
ficirte  Canüle  (Fig.  6  b  S.  268)  ebenfalls  bei  13  Fällen  nur  15  mal 
ausgehustet  wurde.  Die  Modification  besteht  darin,  dass  das 
untere  Ende  nicht  konisch  sich  verjüngt,  sondern  ausgeschweift 
ist,  sodass  gewissermaassen  ganz  unten  wieder  eine  kleine 
Anschwellung  sich  befindet,  wie  in  der  Mitte  der  Canüle.  Es 
wird  dadurch  erreicht,  dass  die  Canüle  an  zwei  Stellen  von 
der  Trachea  fixirt  wird,  während  die  alte  Canüle  nur  in  der 
Mitte  fixirt  wird.  In  der  beschriebenen  Modification  ist  des- 
halb eine  ganz  wesentliche  Verbesserung  des  Instruments 
zu  erblicken,  da  der  Arzt  früher  dem  intubirten  Kinde  kaum 
den  Rücken  kehren  konnte,  ohne  zu  befürchten,  dass  er  viel-, 
leicht  bei  der  jeden  Augenblick  eventuell  wieder  nothwendig 
werdenden  Intubation  einmal  zu  spät  kommen  könnte.  In 
dem  einen  Fall,  bei  dem  23 mal  intubirt  wurde,  war  die  Ca- 
nüle 18 mal,  in  einem  andern,  wo  12 mal  intubirt  werden 
musste,  6 mal  herausgehustet;  es  war  in  beiden  Fällen  stets 
die  alte  Canüle  eingeführt  Wird  die  modificirte  Canüle  aus- 
gehustet, dann  beobachtet  man  öfter,  dass  die  Stenose  nun- 
mehr dauernd  behoben  ist  (bei  jenen  13  Fällen  5  mal), 
andererseits  wird  man  dadurch  auf  das  Bestehen  einer  ge- 
vrissen  Schlaffheit  des  Kehlkopfs  aufmerksam  gemacht,  die 
für  den  Fall,  dass  man  an  einem  derartigen  Kehlkopf  die 
Canüle  mit  dem  Extubator  entfernen  muss,  zu  besonderer 
Vorsicht  auffordert 

Einmal  war  bei  dem  Versuch  der  Extubation  die  Ca- 
nüle in  die  Trachea  geglitten,  und  wurde  bei  der  sofort  aus- 
geführten Tracheotomie  entfernt;  in  einem  zweiten  Fall,  wo 
die  Canüle  mit  dem  Finger  nicht  mehr  zu  fühlen  war,  gelang 
es  mir  noch  durch  vorsichtiges  Eingehen  in  die  Trachea  mit 
dem  Extubator  dieselbe  hervorzuholen.  Jedenfalls  ist  es  rath- 
sam,  bei  einem  derartigen  schlaffen  Kehlkopf  den  Faden  an 
der  Canüle  zu  belassen. 

Solche  Unglücksfälle,  dass  man  die  Canüle  mit  dem  Ex- 
tubator in  die  Trachea  stösst,  können  nie  vorkommen,  wenn 
man  im  Anfang,  wo  man  die  Technik  der  Extubation  noch 


278 


Dr.  Cantens: 


nicht  ganz  beherrscht,  die,  nebenbei  bemerkt,  mir  persönlich 
leichter  ausführbar  erscheint,  als  die  Intubation,  den  Exta- 
bator  nicht  in  die  volle  Faust  nimmt,  sondern  ihn  in  der 
Weise,  wie  Fig.  7  ^)  zeigt,  zwischen  dem  Daumen  und  den 
anderen  Fingern  pendeln  lässt,  man  wird  so  nie  irgend  welche 
Gewalt  anwenden,   und   der  Extubator  fallt,   wenn  man   die 

Epiglottis     auf- 
*^  ■'•  gerichtet  hat, 

in  Folge  seiner 
eigenen  Schwere 
in  die  Ganüle 
hinein.  Wäh- 
rend man  bei 
der  Intubation 
besser  zunächst 
die  Epiglottis 
fixirt,  und  dann 
erst  das  Instru- 
ment in  die 
Mundhöhle  des 
Kindes  führt,  ist  es  bei  der  Extubation  zu  empfehlen,  das 
Instrument  gleich  unter  dem  Schutze  des  linken  Zeigefingers 
bis  an  die  Epiglottis  zu  führen,  dann  mit  dem  Finger 
die  CanQIen5£fnung  zu  palpiren  und  in  diese  den  Extu- 
bator hineingleiten  zu  lassen.  Alsdann  lockert  man  durch 
leichtes  Heben  des  Extubators  die  Canüle  in  der  Richtung 
ihrer  Längsaxe  und  erleichtert  dadurch,  dass  man  mit  dem 
Finger,  der  nicht  etwa  aus  dem  Munde  herausgezogen  werden 
darf,  wenn  man  den  Extubator  richtig  in  die  CanQle  hinein- 
geführt zu  haben  glaubt,  unter  den  Kopf  der  Canüle  fasst, 
und  mit  demselben  ebenfalls  hebende  Bewegung  macht,  das 
Herausbef3rdem  der  Canüle.  Letztere  sitzt  bisweilen  sehr 
fest,  besonders  wenn  sie  vielleicht  etwas  zu  *  gross  war  für 
den  Kehlkopf.  Unter  den  75  Extubationen,  welche  bei  39  Fällen 
gemacht  wurden,  hat,  abgesehen  von  der  bereits  oben  erwähn- 
ten, keine  eine  besondere  Schwierigkeit  gemacht.  Nur  einmal 
gelang  mir  die  Extubation  überhaupt  nicht.  Es  handelte  sich 
hier  um  ein  ^Jähriges  Mädchen,  das,  als  man  die  Sonde 
Zwecks  Zuführung  von  Nahrung  in  die  Nase  einführen  wollte, 
collabirte.  Allerdings  benutzte  ich  zunächst  einen  Extubator, 
der  für  diese  kleinste  Canüle  nicht  passte,  aber  bei  dem 
gleich  darauf  angestellten  Versuch  mit  dem  richtigen  Extu* 


1)  Herrn  Dr.  Max  Seiffert,  welcher  die  Photographien  anfertigte, 
nach  denen  die  Abbildung  2—7  gemacht  sind,  sage  ich  hier  meinen 
verbindlichiten  Dank. 


Verfahren  d.  Intubation  bei  d.  diphtherischen  Eehlkopfetenose.    279 

bator  gelang  es  nicht,  die  Canüle  zu  entfernen,  weshalb  sofort 
die  Tracheotomie  gemacht  wurde,  aber  der  Herztod  war  be- 
reits eingetreten.  Weshalb  hier  die  Extubation  nicht  gelang, 
kann  ich  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen,  glaube  aber  doch, 
dass  bei  dem  ersten  Versuch  mit  dem  falschen  Extubator  die 
Canüle  etwas  tiefer  zu  liegen  kam,  so  dass  ich  sie  nachher 
bei  der  starken  Schwellung  der  Schleimhaut  nicht  mehr  fassen 
konnte.  Dass  hier  höchst  wahrscheinlich  der  Tod  vom  Herzen 
ans  erfolgt  war,  und  nicht  durch  Erstickung,  dafür  spricht 
der  Sectionsbericht,  den  ich  der  Wichtigkeit  der  Sache^  wegen 
im  Auszug  wiedergebe:  Tracheotomie  wunde  in  der  Hohe  des 
ersten  Tracheairinges.  Diphtheriemembranen  in  Rachen,  Kehl- 
kopf, Trachea  und  Bronchien.  Bronchopneumonien  in  beiden 
Lungen  und  ausgedehnte  Atelectasen.  Hydropericard.  Fleckige 
and  streifige  parenchymatöse  Degeneration  des  Myocards.  Ne- 
crosen  in  der  Leber.  Trübe  Schwellung  der  Nieren.  Hyper- 
plastische, anämische  Milz,  Magen-Darmkatarrh.  Mesenterial- 
drüsentuberculose. 

Wenn  nach  Entfernung  der  Canüle  aus  dem  Kehlkopf 
nicht  sofort  wieder  eine  Indication  für  erneute  Einführung 
der  Canüle  vorliegt,  ist  die  Hauptsache,  dass  das  Kind  Ruhe 
hat,  ja  es  ist  sogar  erwünscht,  dass  es  schläft;  wird  der 
kleine  Patient  jedoch  aus  irgend  welchem  Grunde  unruhig, 
sei  es  aus  Furcht  vor  erneuter  Athemnoth,  sei  es  in  Folge 
starken  Hustenreizes,  so  haben  wir  zu  Narcoticis  unsere  Zu- 
flucht genommen  und  zwar  hat  Heubner  das  Natrium 
bromatum  in  ziemlich  grossen  Dosen  (bei  Kindern  von  drei 
bis  vier  Jahren:  2 — 3  g  pro  die)  in  diesen  Fällen  für  be- 
sonders geeignet  gehalten.  Seit  October  vorigen  Jahres  wird 
das  Bromnatrium  bei  uns  fast  in  jedem  Falle  systematisch 
angewendet;  es  wird  das  Kind  post  extubationem  gewisser- 
maasen  in  einem  leichten  Bromrausch  gehalten.  Diese  thera- 
peutische Maasanahme,  die  in  ähnlicher  Weise  (Chloralhy- 
drat)  auch  von  anderer  Seite  empfohlen  wird,  bekommt  dem 
Kinde  gut  und  es  erträgt  leichter  geringere  Grade  von  Ste- 
nose, die  ja  sehr  oft,  wohl  in  Folge  der  zunächst  wieder  ein- 
tretenden Schwellung  der  Schleimhaut,  nach  der  Extubation 
beobachtet  wurde. 

Es  erübrigt  jetzt  noch,  zwei  Fragen  etwas  näher  zu  er- 
örtern, die  praktisch  von  grosSer  Bedeutung  sind: 

1.  Wie  lange  soll  man  den  Tubus  liegen  lassen? 

2.  Wann  soll  man  zur  sogenannten  secundären  Tra- 
cheotomie schreiten? 

Bei   den  ersten  Intubationsfällen   haben  wir   den  Tubus 
stets    nur  kürzere  Zeit   liegen   gelassen,   fast   nie  länger   als 


280  ^'  Carstens: 

24  Stunden^  später  liessen  wir  ihn  nach  der  ersten  Intubation 
meistens  drei  Tage  liegen^  wenn  nicht  durch  irgend  welche 
Umstände  die  Extubation  geboten  schien;  einmal  lag  er  sogar 
4  Tage  und  6  Stunden;  wenn  dann  wieder  die  Intubation 
nöthig  wurde,  nahm  man  den  Tubus  schon  etwa  nach  wei- 
teren 24  Stunden  heraus.  Es  lassen  sich  hierfür  schwer  Re- 
geln aufstellen;  bald  wird  man  den  Tubns  probeweise  ent- 
fernen, wenn  das  Allgemeinbefinden  des  Kindes  sich  gebessert 
hat,  bald,  wenn  der  Puls  besser  wird,  bald,  wenn  die 
Temperatur  heruntergeht  etc.;  ich  möchte  fast  sagen,  es  ent- 
scheidet hier  oft  das  eigene  Gefühl  und  der  Eindruck,  den  das 
Kind  auf  den  Arzt  macht. 

Anfanglich  haben  wir  auch  immer  wieder  intubirt,  ohne 
darauf  Rücksicht  zu  nehmen,  wie  lange  der  Kehlkopf  im  Ganzen 
die  Canüle  getragen  hatte,  wozu  wir  uns  um  so  mehr  be- 
rechtigt glaubten,  als  unser  vierter  Intubationsfall,  der  12  mal 
intubirt  war  und  die  Canüle  im  Ganzen  10  Tage  und  9  Stunden 
gehabt  hatte,  geheilt  wurde,  als  ferner  auch  bei  solchen  Fällen, 
wenn  sie  zur  Section  kamen,  kein  oder  nur  geringer  Decubi- 
tus beobachtet  wurde;  ja  wir  haben  in  zwei  Fällen,  wo  die 
Canüle  kürzere  Zeit  gelegen  hatte  (90  und  69  Stunden),  grosseren 
Decubitus  gesehen,  als  bei  jenen  vorhin  erwähnten,  wo  der 
Tubus  länger  lag.  Bei  dem  einen  Fall  sagt  der  Sections- 
bericht:  „dem  unteren  Ende  der  Canüle  entsprechend  Decu- 
bitus bis  auf  den  Knorpel'^;  bei  dem  zweiten:  „Canülendecu- 
bitus  von  Kirschkerngrösse  am  Ringknorpel  und  drei  senkrecht 
untereinander  stehende,  an  der  vorderen  Trachealwand  liegende 
viereckige  Plaques,  welche  die  ganze  Schleimhaut  durchsetzen.^^ 
Es  handelt  sich  in  diesen  Fällen  höchstwahrscheinlich  um 
Secundärinfection  mit  Streptokokken.  Ausser  diesen  beiden 
Fällen  beobachteten  wir  bei  unserer  51.  Intubation,  bei  wel- 
cher die  Canüle  12  Tage  23  Stunden  gelegen  hatte,  einen 
schweren  Decubitus  und  einen  prälaryngealen  Abscess;  seit 
der  Zeit  entschlossen  wir  uns,  wenn  nach  5  bis  höchstens 
6  Tagen  die  Canüle  nicht  entfernt  werden  kann,  die  sogenannt« 
secundäre  Tracheotomie  zu  machen;  dieselbe  wurde  bis  zur 
100.  Intubation  5  mal  ausgeführt,  stets  mit  tödtlichem  Aus- 
gang.^) Ein  leichter  Decubitus,  der  meist  in  Erosion  be- 
stand und  höchstens  bis  in  die  Submucosa  reichte,  wurde 
9  mal    bei   Sectionen   constatirt;   die  Canüle   hatte   in   diesen 


1)  Bei  dem  zweiten  Handert  (60  Knaben  und  50  Mädchen)  wurden 
86  Heilungen  und  64  Todesfälle  beobachtet;  die  sec.  Tracheot  wurde 
7  mal  ausgeführt,  4  mal  mit  Ausgang  in  Heilung.  Aufs  Alter  vertheilen 
sich  die  7  Fälle  folgendermaassen:  1—2,  2,  2—3,  3,  3—4  (2  mal),  4—5. 
Die  Tracheotomien  wurden  stets  auf  liegender  Intubationscanüle  aus- 
geführt, was  sehr  zu  empfehlen  ist. 


Verfahren  d.  Intubation  bei  d.  diphtherischen  Eehlkopfstenose.    281 

Fällen:  4  Stunden,  löVi  Stunden,  65  Stunden,  100%  Stunden, 
6  Tage  3  Stunden,  8  Tage  1\  Stunden,  11  Tage  13%  Stunden, 
12  Tage  7  Stunden  und  15  Tage  21  Stunden  gelegen.  An 
die  Ausführung  der  secundären  Tracheotomie  hat  man  auch 
dann  zu  denken,  wenn  das  Kind  nach  längerem  Tragen  der 
Canule  entweder  spontan  oder  auf  Druck  Schmerzen  in  der 
Kehlkopfgegend  äussert^  und  diese  nicht,  wie  man  das  zwar 
oft  beobachtet,  auf  einfache  Priessnitz'sche  Umschläge  um 
den  Hals  zurückgehen. 

So  wenig,  wie  die  Länge  der  Intubationsdauer  in  jedem 
Fall  maassgebend  für  die  Entstehung  eines  Decubitus  oder 
für  die  Grösse  desselben  ist,  ebenso  wenig  ist  dieselbe  bei  den 
Heilungsfällen  maassgebend  für  die  Wiederkehr  der  Phona- 
tion. In  26  Krankengeschichten  finden  sich  ziemlich  genaue 
Angaben  über  das  Nachlassen  der  Aphonie  nach  der  Extu- 
bation;  der  besseren  Uebersicht  halber  habe  ich  auch  diese 
Angaben  wieder  in  Form  einer  Tabelle  zusammengestellt. 

Tabelle  VI. 


Laof.  Nr.     1.      2. 

3. 

4. 

5-    1 

6.! 

1 
I 

7.      8.     9. 

10.    11. 

12. 

13.      14. 

16. 

Intubations- 
daner  in  St. 

40 

99  V4 

48 

72 

96V, 

90 

80 

123 

4  ,67  V, 

132 

66 

81%     126 

123 

Wie  viele 

Tage  post 

ext.  wurde 

wieder  phon. 

10 

16 

4 

11 

4 

10 

17 

spät 

6 

1 

2 

2 

spät ») 

11 

4 

Lauf.  Nr. 

16. 

17. 

18. 

19. 

20. 

21. 

22. 

23. 

24. 

26. 

26. 

Intubations- 
d«aer  in  St. 

161% 

63 

78»A 

8iy, 

64 

66% 

50% 

43V3 

92 

66% 

63% 

Wie  viele 

T^e  poet 

ext.  wurde 

wieder  phon. 

18 

8 

4 

10 

3 

6 

4 

4 

5 

9 

14 

Wir  ersehen  aus  dieser  Zusammenstellung,  dass,  um  die 
extremen  Fälle  herauszugreifen,  in  dem  Fall,  wo  die  Canüle 
132  Stunden,  also  über  5  Tage,  lag,  schon  2  Tage  nach  der 
Extubation  das  Kind  zu  phoniren  im  Stande  war,  während 
das  Kind,  das  40  Stunden  die  Canüle  trug,  erst  10  Tage 
später  zu  phoniren  begann.  Von  ganz  besonderer  Bedeu- 
tung für  die  Wiederkehr  einer  normalen  Stimme  ist  natür- 
lich das  eventuelle  Eintreten  von  Lähmungszuständen  so- 
wohl  im  Gebiet  der  Pharynx-  wie  der  Larynx-Musculatur; 
wenn  am  7.  Tage  etwa  nach  der  Extubation  noch  Heiserkeit 
besteht,  so  kann  man  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  das  Vor- 


1)  Bei  der  EntlaesDDg  azn  7.  Tag  post  eztubationem  noch  heiser. 


282  'Dt.  Carstens: 

handensein  oder  die  EntstehuDg  einer  Lähmung  diagnostieiren, 
resp.  vorhersagen;  mehrfaches  Verschlucken^  näselnde  Sprache 
deutet  dann  bereits  auf  das  Bestehen  einer  Parese.  Durch 
einen  eigenthQmlich  kraftlosen  und  hohl  klingenden  Husten 
wird  man  auch  bisweilen  auf  die  im  Anzug  befindliche  Kehl- 
kopflähmung  (speciell  die  Posticus*Lähmung)  aufmerksam  ge- 
macht 

Es  würde  mich  hier  zu  weit  f&hren,  wenn  ich  über  die 
Complicationen  ausführlich  berichten  wollte;  der  Vollständig- 
keit halber  sei  nur  Folgendes  angeführt. 

Abgesehen  von  einer  Urticaria  mit  Quaddeln  von  über 
Handteller  Grosse,  die  bei  den  zugleich  mit  Heilserum  be- 
handelten Fällen  zur  Beobachtung  kam,  wurde  mehrere  Male 
das  meistens  bei  prognostisch  ungünstigen  Fällen  vorkom- 
mende infectiose  Erythem  gesehen;  einmal  Pemphigus. 

Pneumonien  sowohl  croup5ser  wie  katarrhalischer  Natur 
kamen  auch  bei  Heilungsfallen  mehrfach  vor. 

Die  parenchymatöse  Myocarditis  wurde  bei  den  Sectionen 
fast  stets  gefunden,  beim  Lebenden  konnte  Verbreiterung  der 
Herzdämpfung  nach  rechts,  sowie  an  den  Herztönen  Abwei- 
chungen von  der  Norm  hie  und  da  constatirt  werden.  Es 
waren  zwar  keine  deutlichen  Geräusche  zu  hören,  aber  bald 
waren  die  Töne  dumpf,  bald  gespalten  (eine  Art  Galopp- 
rhythmus), bald  langgezogen  etc. 

Auf  Nephritis  konnte  in  61  Fällen  untersucht  werden: 
es  fand  sich  schwere  Nephritis  mit  grösseren  Eiweissmengen 
(bis  zu  %  und  %  Vol.)  in  25  Fällen,  Spuren  von  Eiweiss  bei 
24,  kein  Eiweiss  bei  7  Fällen.  In  den  30  Fällen,  die  geheilt 
wurden,  hatten  zwei  kein  Eiweiss,  20  Spuren  und  8  grössere 
Mengen  von  Yg  bis  Vß  Vol.  Eiweiss. 

Zwei  Fälle  von  Ataxie  kamen  zur  Beobachtung. 

Bei  der  bekannten  Beziehung  der  Tuberculose  zur 
Diphtherie  dürfte  es  von  Interesse  sein,  was  über  den 
diesbezüglichen  Befund  die  Sectionsberichte  aussagen:  Bei 
65  Sectionen  wurde  20  mal  Tuberculose  constatirt,  und  zwar 
17  mal  Bronchialdrüsentuberculose  (darunter  3  mal  mit  schwerer 
Phthise  und  2  mal  mit  Mesenterialdrüsentuberculose  zusammen), 
2  mal  Mesenterialdrüsentuberculose  allein  und  Imal  schwerste 
Phthise  allein. 

Zum  Schlüsse  sei  es  mir  noch  gestattet,  die  überaus  wich- 
tige und  schwerwiegende  Frage  zu  streifen,  welche  subjectiven 
und  objectiven  Symptome  uns  die  besten  Anhaltepunkte  für 
die  Stellung  einer  richtigen  Prognose  beim  intubirten  Kinde 
geben. 

Für  denjenigen,  der  eine  Reihe  von  Groupfällen  beobachtet 
hat,  ist  wohl  das  Aussehen  des  Kindes  und  der  allgemeine 


Verfahren  d.  Intabation  bei  d.  diphtherischen  Eehlkopfsienose.    283 

Eindrack,  den  der  kleine  Patient  macht^  das  am  meisten  Aus- 
schlag gebende  Moment;  die  Blässe  allein  lässt  zwar  die  Pro- 
gnose, nicht  immer  ungünstig  erscheinen  ^  gesellt  sich  aber 
dazu  die  geringste  liyide  Verfärbung,  auch  wenn  die  Lippen 
noch  roth  aassehen,  dann  wird  die  Prognose  schlechter;  die 
Augen  sind  halonirt,  auf  den  weissen  Wangen  kommen  die 
kleinsten  Blutgefässe  zum  Vorschein  und  heben  sich  gegen 
die  Umgebung  ab,  der  Gesichtsausdrnck  wird  ängstlich  und 
die  Augen  scheinen  tiefer  zu  liegen.  Bei  ganz  jungen  Kindern 
(etwa  bis  zum  Alter  von  1%  Jahren)  darf  ein  gutes  Aus- 
sehen den  Arzt  nicht  gar  zu  vertrauensselig  machen;  wir 
haben  es  des  Oefteren  erlebt,  dass  derartige  Patienten  früh 
noch  vorzüglich  aussahen,  munter  waren,  ihre  Milch  aus  der 
Flasche  tranken  und  noch  am  Abend  starben;  so  junge  Kinder 
„verändern^'  sich  oft  binnen  wenigen  Stunden. 

Auf  die  Bedeutung  der  Expectoration  für  dief  Prognose 
habe  ich  bereits  oben  aufmerksam  gemacht. 

Die  Temperatur  kann  man  prognostisch  so  gut  wie  gar 
nicht  verwerthen,  da  einerseits  grade  sehr  schwere  Fälle  mit 
mittlerem  oder  auch  ohne  Fieber  verliefen,  andererseits  ge- 
ringf&gige  Gomplicationen,  so  z.  B.  eine  Otitis,  ein  Magen- 
katarrh, eine  beginnende  Nephritis  Temperatursteigerungen 
machen  können.  Auch  auf  ein  Ansteigen  der  Temperatur 
nach  der  Intubation,  die  bei  uns  fast  stets  beobachtet  wurde, 
darf  man  nicht  zu  viel  geben.  Von  viel  grosserer  Bedeutung 
ist  eine  genaueste  Beobachtung  des  Pulses,  der  uns  von  dem 
Znstande  des  Herzens  Kunde  giebt,  sowie  eventuelle  Schwan- 
kungen in  der  Qualität  der  Herztone:  eine  Unregelmässigkeit 
oder  Ungleichmässigkeit  des  Pulses  namentlich  in  der  Zeit 
bis  zum  7.  oder  9.  Krankheitstage  etwa  ist  stets  als  ein 
ernstes  Symptom  aufzufassen,  ohne  damit  gesagt  haben  zu 
wollen,  dass  ein  kleiner,  unregelraässiger  Puls  in  der  so- 
genannten Beconvalescenz  (aber  bei  noch  bestehender  Ne- 
phritis) zu  unterschätzen  ist.  Auch  der  sogenannte  Galopp- 
rhythmus ist  stets  ein  Zeichen  von  Herzschwäche.^)  Bisweilen 
fand  ich,  dass,  wenn  man  das  Kind  im  Bett  si^h  aufsetzen 
liess,  der  Puls  unregelmässig  und  frequenter  wurde. 

Fast  noch  mehr  als  auf  den  Puls  ist  auf  das  Verhalten 
der  Respiration  zu  geben;  eine  ruhige,  tiefe',  nicht  sonderlich 
frequente  Athmung,  d.  h.  nicht  über  32—36,  bei  kleinen 
Kindern  nicht  über  40 — 44  Respirationen  in  der  Minute,  ist 

1)  ÜnterBncht  man  den  Puls  eines  Kindes  znm  ersten  Male  und 
findet  ihn  klein,  so  ist  es  ratbsam,  bevor  man  sich  ein  ürtbeil  über 
die  Qualität  des  Pulses  bildet,  auch  die  Radialarterie  der  anderen  Seite 
za  palpiren,  da  doch  Varietäten  im  Verlauf  der  Art.  radialis  nicht  so 
gar  selten  zu  sein  scheinen  (bei  den  100  Fällen  2  mal). 


284  Di^*  Carstens:  Verfahren  der  Intubation  etc. 

dann  als  ein  günstiges  Symptom  anzusehen,  wenn  Aussehen 
und  Puls  nicht  einen  schlechten  Ausgang  beffirchten  lassen. 
Wenn  dagegen  die  Respirationsfrequenz  hoher  steigt^  etwa 
auf  50  und  darfiber^  dann  sinkt  mit  einem  Schlage  die  Hoff- 
nung auf  Heilung  ganz  gewaltig,  und  man  kann  behaupten, 
dass  ein  wiederholtes  Steigen  der  Athemzüge  auf  über  50  in 
der  Minute  fast  mit  Bestimmtheit  den  Ausgang  in  Tod  be- 
deutet. Es  handelt  sich  dann  in  den  meisten  Fällen  um  die 
den  Kindern  fast  stets  verderblich  werdende  Bronchitis  fibri- 
nosa,  sowie  um  ausgedehnte  lobuläre,  meist  hämorrhagische 
Pneumonien. 

Von  der  allergrössten  Bedeutung  für  die  Prognose  ist 
ferner  das  Verhalten  der  Nahrungsaufnahme,  von  der  zum 
Theil  natürlich  das  Aussehen  abhängt:  sobald  die  Kinder  die 
spontan  aufgenommene  oder  per  Sonde  beigebrachte  Nahrung 
nicht  behalten  und  ihre  ominösen  Klagen  über  den  Leib  vor- 
bringen, trübt  sich  die  Prognose  sehr. 

Weniger  wichtig  als  das  bereits  Angeführte  ist  für  die 
Stellung  der  Prognose  der  Verlauf  des  diphtheritischen  Pro- 
cesses  im  Munde;  es  kommen  todtlich  verlaufende  Croupfälle 
vor  bei  geringer  oder  fehlender  Rachendiphtherie  und  umge- 
kehrt werden  Croupfölle  mit  ausgedehnter  Rachenaffection 
geheilt. 

Ein  Herpes  labialis  wurde  des  Oefteren  bei  günstig  ver- 
laufenden Fällen  beobachtet. 

Auf  eine  Behandlang  des  diphtheritischen  Processes  im 
Rachen  haben  wir  meistens  verzichtet,  sobald  der  Tubus  lag; 
wir  haben  alsdann  unser  Hauptaugenmerk  darauf  gerichtet, 
das  Kind  möglichst  gut  zu  nähren  und  Alles  zu  vermeiden, 
was  das  Kind  aufregt  und  seine  Kräfte  aufreibt.  Wir  haben 
oft  mehrere  Tage  hintereinander  das  Kind  nicht  untersucht, 
um  es  nicht  zu  erregen;  besonders  wenn  ein  intubirtes  Kind 
schläft,  ist  es  weder  Zwecks  Untersuchung,  noch  um  ihm 
Nahrung  zuzuführen,  noch  gar  Zwecks  Darreichung  von  Medi- 
camenten etc.  zu  wecken.  Sobald  die  Herzkraft  sank,  haben 
wir  uns  nicht  gescheut,  grosse  Dosen  von  Campher,  sowie 
sonstige  Excitantien  zu  geben;  bei  Säuglingen  ist  in  Bezug 
auf  die  Anwendung  von  Campher  Vorsicht  geboten. 


4.  Beobachtungen  über  Xndioanansscheidnng  bei  Eindenii 
Bpeciell  bei  der  kindlichen  Tnberonlose. 

Von 
Dr.  med.  Gehlig, 

iraherem  Yolont&nirst  der  p&dlfttr.  Klinik  zu  Leipsig,  jeisi  prakt.  Aizt  in  Keine. 

Bereits  im  Jahre  1844  hatte  Heller^)  zuerst  im  Haro 
Cholerakranker,  später  aber  auch  im  ganz  normalen  Harn 
Uroxanthin  gefunden,  eine  Substanz,  die  sich  durch  Salz- 
säure in  einen  blauen  und  einen  rothen  Farbstoff  zerlegen 
liess,  die  er  Uroglaucin  und  Urorhodin  nannte.  1854  fand 
Gubler^  bei  hoch  fiebernden  Kranken,  die  an  Cholera  asia- 
tica,  profusen  Diarrhoen,  Scarlatina  und  Typhus  litten ,  dass, 
wenn  er  zu  dem  eiweisshaltigen  Urin  langsam  Salzsäure  zu- 
setzte, eine  blaue  Färbung  entstand.  Dieselbe  führte  er  auf 
die  Bildung  eines  von  Indigo  abzuleitenden  blauen  Farbstoffes 
zurück.  1857  stellte  Seh  unk  mit  Bestimmtheit  den  Satz  auf, 
dass  in  jedem  Harn  constant  eine  Substanz  vorkäme,  die  beim 
Kochen  mit  Mineralsäuren  oder  bei  gährungsartigen  Zer- 
setzungen Indigoblau  lieferte.  Er  versuchte  dieselbe  aus  dem 
Harn  zu  isoliren  und  nannte  sie  Indican.  Interessante  Unter- 
suchungen von  Baum  an  n^,  die  er  an  Hunden  vornahm,  indem 
er  sie  mit  Indol  fütterte  und  dabei  die  gepaarten  Schwefel- 
säuren auf  das  24 fache  erhöht  fand,  liessen  diesen  Forscher 
zu  der  Annahme  gelangen,  dass  Indican  eine  gepaarte  Schwefel- 
säure, ein  Oxydationsproduct  des  Indol,  Indoxyl,  sei,  und  dass 
Indicanlosungen  bei  Erwärmen  mit  verdünnter  Salzsäure  ge- 
spalten würden  in  Schwefelsäure  und  einen  in  Älcohol  mit 
rother  Farbe  sich  losenden  Farbstoff  der  Indigogruppe.  Durch 
die  Untersuchungen  von  Salkowski,  Baumann,  Brieger 
und  Jaffe  wurde  nachgewiesen,  dass  das  Indican  ein  Fäulniss- 


1)  Heileres  Archiv  f.  physiol.  u.  path.  Chemie  u,  Mikroskopie  1845. 
S.  161. 

2)  Schmidt's  Jahrbücher  1859. 

8)  Pflflger'a   Archiv  Bd.  XIII.     S.  807.   —    Zeitechrift   f.  physiol. 
Chemie  I.    S.  60. 


286  Dr.  Gehlig: 

product  sei,  .dessen  Muttersubstanz  das  Indol  ist,  welches  sich 
neben  Phenol  und  Scatol  als  Endproduct  der  Pancreasver- 
dauung  der  Albuminate  im  Darmkanal  unter  Mitwirkung  von 
Fäulnisbacterien  bildet.  Das  im  Yerdauungstractus  gebildete 
Indol  wird  nicht  vollständig  mit  den  Fäces  ausgeschieden, 
sondern  ein  Theil  gelangt  im  Dünndarm  zur  Resorption;  er 
wird  im  Körper  zu  Indoxjl  oxydirt  und  verbindet  sich  mit 
Kalium  und  Schwefelsäure  zu  indoxylschwefelsaurem  Kali, 
dem  Indican,  welches  im  Harn  durch  chemische  Reactionen 
nach  Behandlung  mit  oxydirenden  Substanzen  in  Form  eines 
blauen  Farbstoffes  nachgewiesen  werden  kann. 

Nachdem  Schunk  mit  Bestimmtheit  erklärt  hatte,  dass 
das  Indican  zu  den  normalen  Bestandtheilen  des  Harns  ge- 
hört, und  diese  Behauptung  auch  durch  die  Befunde  von 
Hoppe-Seyler  ihre  Bestätigung  erfahren  hatte,  fanden  Sal- 
kowski  und  Jaffe  einen  deutlichen  Zusammenhang  zwischen 
Indicanausschetdung  und  dem  Stickstoffgehalte  der  eingeführten 
Nahrung,  indem  der  Indicangehalt  des  Harns  bei  Verabreichung 
von  stickstoffhaltiger  Nahrung  sehr  reichlich,  bei  stickstoff- 
armer Kost  und  im  Hungerzustande  dagegen  sehr  gering  war. 
Ferner  stellte  Jaffe  fest,  dass  bei  schweren  Erkrankungen 
des  DQnndarms,  bei  Stenose  oder  experimenteller  Unterbindung 
desselben,  vor  Allem  aber  in  Krankheiten,  bei  denen  sich  ein 
schneller  und  starker  Fäuluissprocess  entwickelte,  bei  Typhus 
und  Brechdurchfall,  der  Indicangehalt  des  Urins  eine  bedeu- 
tende Zunahme  erfuhr,  während  Stenose  des  Dickdarms,  Unter- 
bindung desselben,  Dysenterie,  Dickdarmkatarrh  nicht  zu  einer 
gesteigerten  Indicanausscheidung  führten.  Nach  Ortweiler^) 
fand  sich  physiologisch  relativ  höchster  Indicangehalt  bei 
Fleischgenuss,  eine  Vermehrung  des  Indicans  bei  verschiedenen 
Verdauungstörungen,  bei  Typhus,  Ileus,  Carcihom,  Darmtuber- 
culose,  Peritonitis,  Pleuritis  putrida.  Hennige')  beobachtete 
starken  Indicangehalt  bei  Peritonitis,  Cholera,  acuten  und 
chronischen  Gastrointestinalerkrankungen;  keine  Vermehrung 
der  Indicanmenge  bei  Miliartuberculose,  Anämieen  und  hämor- 
rhagischen Erkrankungen,  Obstipation^  Icterus,  Lebercirrhose. 
Bei  Lungenschwindsucht  war  der  Indicangehalt  des  Harns 
nur  dann  vermehrt,  wenn  Durchfälle  bestanden. 

Nach  diesen  bei  Erwachsenen  gewonnenen  Resultaten 
schien  es  Hochsinger  wichtig,  schon  vom  rein  physiologi- 
schen Standpunkt  aus  zu  untersuchen,  ob  die  Verdauungs- 
und Ernährungszustände  des  Kindesalters,  die  doch  von  denen 


1)  üeber   die  physiol.  und  pathol.  Bedeaiang  des  Harn -Indicans, 
Inaug.-Disseri.     Wfirzburg  1886. 

2)  DeaUches  Archiv  f.  klin.  Medicin  XXIII. 


M 


IndicanauBBcheidaog  b.  Kindern,  apec.  b.  d.  kindl.  Tuberculose.     287 

des  höheren  Lebensalters  wesentlich  abweichen,  einen  Einfiuss 
auf  die  Indicanausscheidung  hätten.  Durch  seinen  auf  der 
Naturforscherversammlung  in  Bremen  1890  gehaltenen  Vor- 
trag: „lieber  Indicanurie  im  Säuglingsalter^'^)  gab  er  Veran- 
lassung, dass  man  sich  eingehender  mit  der  Lehre  der  Indican- 
ausscheidung bei  Kindern  zu  befassen  begann.  Und  zwar  war 
dies  um  so  nothwendiger,  als  Hochsinger  bemerkt  zu  haben 
glaubte^  y  dass  Säuglinge  mit  Lungen-Peritoneal*  und  Me- 
ningealtuberculose,  ganz  gleichgQltig,  ob  Störungen  im  In- 
testinaltraotus  bestanden  oder  nicht,  ganz  enorme  Indican- 
reactionen  im  Harn  aufwiesen,  so  wie  map  sie  bei  Erwachsenen 
nur  bei  Garcinom  und  Ileus  beobachtet  hatte.  Auch  tubercu- 
lose Kinder  höherer  Altersperioden  sollten  diesen  starken  In- 
dicangehalt  im  Urin  zeigen.  In  der  bald  darauf  erschienenen 
ausführlichen  Arbeit  von  Kahane^)  ,,Ueber  das  Verhalten 
des  Indicans  bei  der  Tuberculose  des  Kindesalters''  veröffent- 
lichte derselbe  seine  am  ambulanten  Materiale  des  I.  öffent- 
lichen Kinder-Krankeninstitutes  in  Wien  gemachten  Unter- 
suchungen. Uebereinstimmend  mit  Hochsinger  kam  er 
zu  dem  Schluss,  dass  zwischen  Indicanausscheidung  im  Harn 
und  der  Tuberculose  des  Kindesalters  eine  derartige  Beziehung 
bestände,  dass  in  diagnostisch  zweifelhaften  Fällen  die  Diagnose 
auf  Tuberculose  gestellt  werden  könnte,  wenn  der  Indican- 
gehalt  deutlich  vermehrt  wäre.  Diese  Behauptung,  fQr  die 
Diagnostik  der  kindlichen  Tuberculose  sowohl  für  den  Kli- 
niker, als  ganz  besonders  für  den  praktischen  Arzt  von  emi- 
nenter Wichtigkeit,  bedurfte  genauer  Nachprüfungen.  Denn 
da  es,  wie  ja  allgemein  bekannt,  im  Kindes-,  speciell  im  Säug- 
lingsalter ausserordentlich  schwer,  ja  bisweilen  fast  unmög- 
lich ist,  die  sichere  Diagnose  „Tuberculose'^  aus  dem  ob- 
jectiven  Befund  zu  stellen,  da  dieselbe  ja  meist  Ton  den 
Bronchialdrüsen  ihren  Ausgang  nimmt  und  von  da  in  ver- 
heerender Weise  um  sich  greift,  da  sehr  oft  percutorische 
und  auscnltatorische  Erscheinungen  vollständig  fehlen,  die 
Untersuchung  des  mühsam  gewonnenen  Sputums  auf  Tuberkel- 
bacillen  sehr  häufig  negative  Resultate  liefert  und  schwere 
anämische,  rachitische  und  atrophische  Zustände  unter  dem 
der  Tuberculose  sehr  ähnlichen  Bilde  des  Hinsiechens  ver- 
laufen, so  war  man  für  den  Fall,  dass  sich  die  Befunde 
späterer  Beobachter  mit  denen  Kahane's  decken  würden,  in 
der  Diagnose  der  Tuberculose  einen  bedeutenden  Schritt  weiter 
gekommen.    Denn  dann  konnte  man  ja,  wenn  schliesslich  alle 


1)  Wiener  med.  Presse  1890.     Nr.  40  u.  41. 

^)  Ibid.  Nr.  41.    S.  1619. 

8)  Beiträge  zur  Kinderheilkunde.    Neue  Folge  IL 


288  I>r.  Oehlig: 

diagnostischen  Hülfs mittel  im  Stich  Hessen,  aus  dem  gestei« 
gerten  Indicangehalt  des  Urins  die  Diagnose  stellen.  Auf 
Veranlassung  meines  hochverehrten  Chefs ,  des  Herrn  Pro- 
fessor Dr.  Heubner,  dem  ich  für  die  Anregung  zu  dieser 
Arbeit  und  die  Ueberlassung  des  Materials  ergebenst  danke, 
setzte  ich  die  von  meinem  Vorgänger  begonnenen  Indican- 
Untersuchungen  auf  der  Säuglings-  und  gemischten  Station 
des  Leipziger  Einderkrankenhauses  fort.  Während  ich  meine 
Untersuchungen  anstellte,  erschien  die  Arbeit  von  Momid- 
1  o  w  s  k  i  *) ,  nachdem  bereits  1891  Steffen's*)  „  Beiträge 
zu  Indicanausscheidungen  bei  Kindern''  veröffentlicht  waren. 
Bevor  ich  auf  dieselben  im  Laufe  dieser  Arbeit  zurückkomme, 
und  meine  eigenen  Beobachtungen  mittheile,  sei  es  mir  ge- 
stattet, über  die  Gewinnung  des  Harns,  sowie  über  die  ange- 
wandten Reactionen  einige  Worte  zu  bemerken. 

Die  Untersuchungen  wurden  meist  an  männlichen  Indi- 
viduen angestellt,  bei  denen  der  Urin  mit  den  in  der  Klinik 
in  Gebrauch  befindlichen  Recipienten  gesammelt  wurde.  Die 
Anwendung  des  Katheters  bei  weiblichen  Säuglingen  wurde 
absichtlich  vermieden  und  nur  auf  die  unbedingt  wichtigsten 
Fälle  beschränkt,  weil  es  doch  durch  die  öfter  wiederholte 
Katheterisation  sehr  leicht  möglich  ist,  Reizungen  der  sehr 
zarten  weiblichen  Urethralschleimhaut  oder  gar  trotz  aller 
Vorsicht  und  Antisepsis  eine  Cystitis  hervorzurufen,  welche 
für  die  ohnehin  schwächlichen  und  elenden  Kinder  sehr  leicht 
die  Ursache  einer  allgemeinen  Sepsis  abgeben  konnte.  Von 
einer  Unmöglichkeit,  weibliche  Säuglinge  zu  katheterisireo, 
von  der  Kahane  spricht,  weil  bei  ihnen  das  orificium  urethrae 
externum  zu  versteckt  liege  und  zu  klein  wäre,  kann  gar 
keine  Rede  sein;  im  Gegentheil  gelang  auch  mir  die  Ein- 
führung selbst  verhältnissmäsig  dicker,  sterilisirter  Metall- 
katheter in  die  Harnröhre  weiblicher  Säuglinge  ohne  alle 
Schwierigkeit. 

Zur  qualitativen  Indicanbestimmung  des  so  erhal- 
tenen Harns  beu utzte  ich  Anfangs  die  Jaffe'sche  und 
die  Obermayer'scho  Reaction.  Gleich  Kahane  und  Mo- 
midlowski  überzeugte  ich  mich  aber  bald  von  der  weit 
grösseren  Genauigkeit  der  Obermayer' sehen  Reaction. 
Mehrere  Male  fiel  die  Jaffe'sche  Probe  in  Säuglingsharnen 
mit  schwachem  Indicangehalt  negativ  aus,  während  die  Ober- 
mayer'sche  noch  eine  deutliche  Reaction  gab;  während  ich 
bisweilen  mit  Jaffe  nur  geringe  Mengen  Indican  nachweisen 
konnte,  wo  bei  Obermayer  ganz  intensive  Reaction  sich  zeigte. 

1)  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  Bd.  XXXVI.    S.  192.  2)  Ibid. 

Bd.  XXXIV.     S.  18. 


Indicanaosscheidung  b.  Eindem,  spec.  b.  d.  kindl.  Tubercnloae.     289 

Die  J äffe' sehe  Probe  musste  auch  sehr  genau  angestellt 
werden  y  da  der  Chlorkalk  in  sehr  starker  Weise  organische 
Farbstoffe  bleicht,  infolge  dessen  man  bei  schwachem  Indican- 
gehalt  des  Urins  sehr  oft  negative  Resultate  erhielt.  Ein 
Üeberschnss  des  Oxydationsmittels ,  wodurch  das  Indigo  sehr 
rasch  zu  einem  farblosen  Körper,  dem  Isatin  oxydirt  wird, 
beeinträchtigt  die  Probe  bis  zur  Werthlosigkeit  derselben. 
Wenn  auch  die  Obermayer'sche  Reaction  wegen  des  langen 
SchQttelns  der  Mischung  mehr  Zeit  in  Anspruch  nimmt,  und 
die  sich  entwickelnden  Dämpfe  der  rauchenden  Salzsäure  die 
Äthmungsorgane  belästigen,  so  stimme  ich  doch  vollständig 
Kahane  bei,  wenn  er  trotzdem  der  Obermayer'schen 
Reaction  den  Vorzug  giebt.  Dieselbe  wurde,  um  bei 
allen  Urinen  ein  qualitativ  vergleichbares  Resultat  zu  er- 
zielen, in  folgender  Weise  von  mir  vorgenommen. 

10  ccm  Urin  wurden  im  Reagensglase  mit  10%  Bleiessig 
zunächst  sorgfältig  ausgefällt,  und  zwar  so  lange,  als  auf 
weiteren  tropfenweisen  Zusatz  von  Bleiessig  kein  Niederschlag 
mehr  eintrat.  Sodann  wurde  durch  ein  Doppelfilter  filtrirt 
and  das  erhaltene,  vollständig  farblose  Filtrat,  6  ccm,  mit 
dem  gleichen  Volumen  Obermay er' sehen  Reagens  in  einer 
Concentration  von  1,5  Eisenchlorid  :  500  rauchende  Salzsäure 
versetzt.  Diese  Mischung  wurde  nun  1  Minute  im  Reagens- 
glase intensiv  geschüttelt,  hierauf  40  Tropfen  Chloroform  zu- 
gesetzt, einige  Secunden  geschüttelt  und  absetzen  gelassen. 

Die  sehr  schönen  Farbenreactionen,  welche  das  Indigo- 
blau  im  Chloroform  gab,  theilte  ich  in  fünf  Abstufungen,  die 
ich  auch  im  Verlauf  meiner  Beobachtungen  beibehielt,  und 
bezeichnete  dieselben  mit    ' 

Nr.    I    wobei   eben   ein   blauer  Schimmer  im  Chloroform 

sichtbar  war  (Spur). 
„    II     mattblau  (geringer  Indicangehalt). 
„  III     himmelblau  (mittelstarker  Indicangehalt). 
„  IV     dunkelblau  (starker  Indicangehalt). 
„     V     schwarzblau  (intensiver  Indicangehalt). 

Der  Unterschied  zwischen  Nr.  IV  und  V  bestand  darin, 
dass  ich  die  Bezeichnung  V  (intensiv)  nur  dann  gebrauchte, 
wenn  bei  weiterem  Zusatz  von  Chloroform  noch  eine  dunkel- 
blaue Färbung  bestehen  blieb. 

Quantitative  Bestimmungen  des  Indicangehaltes  anzu- 
stellen, hielt  ich  nicht  für  nothig,  einmal,  weil  es  nicht  auf 
die  Menge  des  im  Verlaufe  einer  bestimmten  Zeit  ausgeschie- 
denen Indicans  ankam,  dann  aber,  weil  eine  derartige  Be- 
stimmung zu  zeitraubend  und  umständlich  ist  und  zu  ihr  eine 
grossere  Menge  Harn  gehört,  als  man  gewohnlich  von  Kindern 

JaOirbnch  t  KindarIwiUnmde.    N.  F.    XXXVHL  19 


290  Dr.  Gehüg: 

erhalten  kann,  da  der  Urin  stets  möglichst  frisch  von  mir 
untersucht  wurde. 

Wahrend  unsere  Untersuchungen  ganz  in  derselben  Weise 
vorgenommen  wurden  wie  die  von  Kahane,  d.  h.  neben  Älter 
und  Geschlecht  ein  besonderes  Augenmerk  gelegt  wurde  auf 
den  Ernährungszustand y  die  Nahrung  und  das  Verhalten  des 
gesammten  Verdauungstr actus ,  unterscheiden  sich  doch  die- 
selben ganz  wesentlich  von  einander,  indem  unsere  Unter- 
suchungen an  klinischen  Kranken  ausgeführt  wurden^  der  Urin 
wiederholt  untersucht  und  genau  dabei  die  genossene  Nahrung 
und  die  Beschafifenheit  der  Stühle  controlirt  wurde.  Momid- 
lowski^)  glaubt  bei  der  Art  der  Durchführung  der  Kahane- 
schen  Untersuchungen  an  der  Berechtigung  der  erhaltenen 
Resultate  zweifeln  zu  dürfen,  wenn  er  sagt:  „Die  Schattenseite 
dieser  Untersuchungen  liegt  darin,  dass  dieselben  an  ambula* 
torischen  Kranken  ausgeführt  wurden,  dass  der  Urin  in  ge- 
wissen Fällen  nicht  wiederholt  und  durch  eine  bestimmte  Zeit, 
sondern  nur  einmal  untersucht  wurde,  weiter,  dass  unter  diesen 
Verhältnissen  von  einer  Controle  der  genossenen  Nahrung, 
wie  auch  der  Beschaffenheit  der  Stühle  keine  Rede  sein  kann. 
Aussagen  der  Mutter  sind  in  dieser  Hinsicht  nicht  ausreichend. 
Das  letztere  betrifft  besonders  die  Säuglinge  und  jeder  Arzt, 
der  diesbezüglich  Erfahrungen  gesammelt  hat,  muss  ein- 
gestehen,  dass  genaue  Daten  nur  bei  strenger  klinischer 
Beobachtung  erhältlich  sind.  Was  Kahane's  Arbeit-  an- 
langt, so  muss  man  ihr  überdies  eine  gewisse  Einseitigkeit 
vorwerfen,  und  zwar  sowohl  die  Nichtberücksichtigung  des 
Indicans  im  Harn  gesunder  Kinder,  als  auch  das  Ueber- 
gehen  der  so  sicheren  Methode,  'welche  uns  den  Nachweis 
der  Tuberkelbacillen  ermöglicht,  und  welche  als  Controle 
der  auf  Tuberculose  gestellten  Diagnose  nicht  unterlassen 
werden  darf." 

Um  mich  nun  zu  überzeugen,  ob  das  Indican  ebenso  wie 
beim  gesunden  Erwachsenen  auch  bei  Kindern  zu  den  nor- 
malen, wenn  auch  häufig  in  seiner  Menge  sehr  schwankenden 
Besiandtheilen  des  Harns  gehorte,  unternahm  ich  es,  den  Urin 
bei  22  Kindern  zu  untersuchen,  deren  Respirations-  und  Di- 
gestionstractus  vollständig  gesund  war  und  die  dem  Kranken- 
hause wegen  Larynzaffectionen,  Idiotie,  Chorea,  cerebraler  und 
spinaler  Kinderlähmung,  Eczemen,  traumatischer  Neurose  zu- 
geführt worden  waren.  16  von  ihnen  standen  im  Alter  von 
1  Vi  bis  6  Jahren,  während  sechs  das  6.  Lebensjahr  über- 
schritten hatten.  Da  während  dieser  Untersuchungen  genau 
die    zugeführte    Nahrung    und   die  Stühle   controlirt   wurden, 

1)  Jahrbuch  f.  Einderheilkunde  Bd.  XXXVI.     S.  193. 


Indicanausscheidung  b.  Kindern,  spec.  b.  d.  kindl.  Tubercaloae.    291 

SO  überzeugte  ich' mich,  dass  die  gesteigerten  Indicanausschei- 
dungen  bei  völlig  gesandem  Intestinaltractas  auch  hier  wie 
beim  Erwachsenen  bei  reichlich  stickstoffhaltiger  Kost  auf- 
traten. Geringe  Mengen  Indican  waren  auch  unter  ganz  ge- 
wohnlichen Verhältnissen  zu  constatiren,  nur  war  zu  ver- 
wundern, dass  gerade  bei  Kindern  unter  6  Jahren  bei  an 
mehreren  Tagen  nach  einander  vorgenommenen  üntersuchxmgen, 
selbst  bei  Verabreichung  derselben  Nahrung  ziemliche  Schwan- 
kungen in  der  Indicanausscheidung  auftraten.  Von  den  79  an- 
gestellten Einzeluntersuchungen  fielen  nämlich  nur  fünf  voll- 
ständig negativ  aus,  während  sechsmal  Spuren,  siebzehnmal 
geringer,  achtunddreissigmal  mittelstarker,  dreizehnmal  starker 
Indicangehalt  nachzuweisen  war,  die  letzteren  Befunde  bei 
reichlicher  Fleischnahrung  und  Genuss  von  Eiern.  Meine  Er- 
gebnisse stimmen  daher  mit  denen  Hochsinger's  nicht 
überein,  welcher  bei  älteren  Kindern  mit  normaler  Verdauung 
fast  immer  jegliche  Spur  von  Indigoreduction  im  Harn  vermisste, 
obwohl  bei  ihnen  die  Fleischnahrung  schon  im  vollen  Gange  war. 

Was  meine  Beobachtungen  an  Säuglingen  im  1.  Lebens- 
jahre anlangt,  die  wegen  verschiedener  Darmaffectionen  der 
Klinik  zugeführt  worden  waren,  so  erstrecken  sich  dieselben 
auf  18  Fälle  von  Dyspepsie,  sechs  von  chronischem  Darm- 
katarrh, zwei  von  Cholera  infantum  und  drei  von  Enteritis  acuta. 

Urin  von  Neugeborenen  zu  untersuchen,  hatte  ich  keine 
Gelegenheit,  doch  leuchtet  es  nach  unseren  jetzigen  Kennt- 
nissen von  der  Entstehung  des  Indicans  im  Darmkanal  von 
vornherein  ein,  dass,  da  der  Darm  des  Neugeborenen  frei  von 
Fäulnisserregern  ist  und  eine  Nahrungsaufnahme  noch  nicht 
stattgefunden  hat,  der  Urin  frei  von  Indican  sein  wird, 
eine  Thatsache,  welche  auch  durch  die  Untersuchungen  von 
Senator,  Hochsinger,  Steffen  und  Momidlowski  be- 
stätigt worden  ist.  Nach  Escherich ^)  kann  man  schon 
einige  Stunden  nach  der  Geburt  die  Entstehung  von  Fäulniss- 
bacterien  mikroskopisch  beobachten,  und  so  gelang  auch  mir 
der  Nachweis  von  Spuren  von  Indican  bei  einem  Säugling 
am  dritten  Lebenstage. 

Alle  unserer  Klinik  zugeführten  Säuglinge  wurden  mit 
sterilisirter,  dem  Alter  des  Kindes  entsprechend  verdünnter 
Kuhmilch  ernährt.  Daher  war  es  mir  leider  nicht  möglich, 
den  Urin  von  normal  verdauenden  Brustkindern  einer  Unter- 
sachung  zu  unterziehen,  was  ich  gern  gethan  hätte,  da  die 
Meinungen  der  Beobachter  in  diesem  Punkte  divergiren.  Denn 
während  bei  den  13  Fällen  Hochsinge r's  und  den  fünf  Fällen 
von    Steffen    stets   eine    negative   Indicanreaction    gefunden 

1}  Dr.  Th.  Escherich,  Die  Darmbacterien  des  S&aglings.    1886. 

19  ♦ 


292  Dr.  Gehlig: 

wurde,   konnte  Momidlowski   unter   37  Säuglingen   bei  elf 
derselben  mehr  oder  weniger  deutliche  Indicanurie  nachweisen. 

Wenn  auch  im  Darm  des  normal  verdauenden  Brust- 
kindes hauptsächlich  nur  das  bacterium  lactis  aerogenes  und 
das  bacterium  coli  commune  vorhanden  sind,  von  denen  das 
letztere  sich  ausschliesslich  im  Dickdarm  findet  und  infolge 
dessen  keinen  wesentlichen  Einfluss  auf  die  Milchverdauung 
mehr  hat,  da  die  Resorption  der  Eiweisskorper  der  Mutter- 
milch im  Dünndarm  des  Säuglings  fast  abgeschlossen  ist,  so 
ist  es  doch  nicht  ganz  undenkbar,  dass  die  Wirkung  des  bacte- 
rium lactis  durch  diejenige  von  Fäulnissbacterien,  wenn  auch 
nicht  ganz  aufgehoben,  so  doch  in  einigen  Fällen  und  wenig- 
stens vorübergehend  brachgelegt  werden  kann.  Infolge  dessen 
könnten  dann  die  durch  Einwirkung  des  bacterium  lactis  auf 
die  Zersetzung  des  Milchzuckers  entstandenen  Gährungspro- 
ducte,  die  Milch-  und  Essigsäure,  nicht  mehr  den  Nahrungs- 
brei im  Dünndarm  sauer  erhalten.  Sobald  aber  erst  der 
Nahrungsbrei  neutral  oder  alkalisch  reagirt,  so  ist  auch  hier 
die  Möglichkeit  der  Entstehung  von  Indol  im  Dünndarm  des 
eigentlich  noch  normal  verdauenden  Brustkindes  gegeben;  ist 
die  Fäulniss  der  Albuminate  und  in  Folge  dessen  auch  die 
Menge  des  gebildeten  Indols  eine  nur  sehr  geringe,  so  kann 
es,  wie  Momidlowski^)  annimmt,  zur  sofortigen  Resorption 
der  gelieferten  Producte  kommen,  und  man  kann  vorüber- 
gehend ludican,  wenn  auch  nur  in  geringeren  Mengen,  im 
Harn  constatiren,  ohne  dass  eine  deutlich  nachweisbare  Stö- 
rung von  Seiten  des  Intestinaltractus  zu  bemerken  ist. 

Nach  Hochsinge r^)  soll  es  auch  beim  künstlich  ge- 
nährten Säugling  nicht  zu  erheblicher  Indicanausscheidung 
durch  den  Harn  kommen,  wenn  nicht  grobe  Verdauungs- 
störungen bestehen,  welche  Nahrungsfäulniss  im  Darmkanal 
nach  sich  ziehen,  oder  Eiweisskorper  eingeführt  werden,  welche 
minder  leicht  verdaulich  sind  als  das  Casein  und  durch  längeres 
Verweilen  im  Darmkanal  zu  Fäulnissvorgängen  Anlass  geben. 
Während  von  den  Hochsinger'schen  29  Fällen  nur  drei 
minimale  Spuren  von  Indicanurie  darboten,  alle  übrigen  voll- 
kommen negative  Reactionen  lieferten,  konnte  ich  in  den  drei 
von  mir  untersuchten  Fällen  viermal  ein  negatives  Resultat 
constatiren,  viermal  waren  Spuren  und  zweimal  geringe  In- 
dicanmengen  nachzuweisen.  Die  Kinder  erhielten  sterilisirte 
Wassermilch  (Kuhmilch  1  :  Wasser  1),  es  bestanden  keine 
gröberen  Verdauungsstörungen,  die  Stühle  waren  gelbbreiig, 
nie  durchfällig,  zeigten  nur  dreimal  neutrale  bez.  schwach 
alkalische  Reaction. 

1)  Jahrbach  f.  Kinderheilkunde  Bd.  XXXVI.    S.  200. 

2)  Wiener  med.  Prease  1890.    Nr.  40.    S.  1678. 


IndicananBBcheidaiig  b.  Eindeni,  spec.  b.  d.  kindl.  Taberculose.    293 

i 

Dagegen  war  der  Zusammenhang  zwischen  schweren 
Darmerkrankungen  und  deutlich  vermehrter  Indicanausschei- 
dung  ein  ziemlich  constanter.  Zwei  Fälle  von  Cholera  infantum 
ergaben  in  sechs  Einzeluntersuchungen  einmal  intensiven,  drei- 
mal starken  und  zweimal  mittelstarken  Indicangehalt.  Ein 
ähnliches  Resultat  wurde  bei  den  chronischen  Darmkatarrhen 
gefunden,  indem  unter  sechs  Fällen  mit  15  Einzelunter- 
suchungen nur  zweimal  ein  negatives  Resultat  sich  ergab, 
zweimal  Spuren,  dreimal  mittelstarker,  siebenmal  starker  und 
einmal  intensiver  Indicangehalt  nachgewiesen  wurde. 

Ausser  bei  den  Brechdurchfällen  und  den  chronischen 
Darmkatarrhen  konnte  ich  auch  in  den  fünf  Fällen  von  Ty- 
phus abdominalis,  die  allerdings  nicht  mehr  Säuglinge,  sondern 
Kinder  betrafen,  die  das  8.  Lebensjahr  überschritten  hatten, 
constatiren,  dass  mit  der  vermehrten  Fäulniss  des  Darminhalts 
reichlichere  Resorption  der  Fäulnissproducte  und  in  Folge 
dessen  stärkere  Indicanausscheidungen  auftraten.  Auf  der 
Hohe  der  Krankheit,  wo  charakteristische  erbsengelbe  durch- 
fallige Typhusstühle  vorhanden  waren,  war  neben  der  nach- 
weisbaren Diazoreaction  auch  ein  deutlich  gesteigerter  In- 
dicangehalt im  Urin  vorfanden  (einmal  intensive  Reaction, 
siebenmal  stark,  sechsmal  mittelstark).  Beim  Nachlassen  der 
acuten  Darmerscheinungen  Hess  auch  meistentheils  der  In- 
dicangehalt nach  (viermal  geringe  Reaction,  dreimal  Spuren, 
viermal  negativ).  In  einem  Falle,  bei  dem  nur  noch  geringe 
Mengen  Indican  nachzuweisen  gewesen  waren,  trat  eines  Tages 
sehr  gesteigerte  Indicanurie  auf,  die  ein  Recidiv  einleitete. 

Bei  der  Dyspepsie  zeigte  sich  unter  18  Fällen  mit 
49  Untersuchungen  einmal  intensiver,  achtmal  starker,  zehn- 
mal mittelstarker,  siebenmal  schwacher  Indicangehalt,  sieben- 
mal Spuren  und  sechzehnmal  negative  Reaction.  Bei  diesen 
dyspeptischen  Erkrankungen  kommt  es,  wie  Hochsinger 
meint,  nicht  zu  einer  hochgradigen  alkalischen  Eiweissfäulniss, 
so  dass  die  vorhandenen  gesteigerten  peristaltischen  Bewe- 
gungen des  Darms  ein  Hinderniss  abgeben  für  eine  aus- 
reichende Resorption  der  gebildeten  Fäulnissproducte.  Dass 
aber  trotz  beschränkter  Eiweisszersetzung  und  vermehrter 
peristaltischer  Bewegungen  dennoch  geringe  Mengen  der  ge- 
bildeten Fäulnissproducte  auch  bei  der  Dyspepsie  resorbirt 
werden  können,  wie  aus  dem  Auftreten  der  verschiedenen 
Indicanreactionen  hervorgeht,  erklärt  Momidlowski  in  ganz 
zutreffender  Weise  damit,  dass,  da  sowohl  die  Länge  des 
Darmtractus  bei  Säuglingen  im  Verhältniss  zur  Körperlänge 
als  auch  die  Capacität  desselben  im  Verhältniss  zum  Korper- 
gewicht eine  grössere  sei,  auch  die  Resorptionsfläcbe  des  Darms 
beim  Säugling  eine  grössere  ist  als  beim  Erwachsenen. 


294 


Dr.  Gehlig: 


Bei  der  acuten  Enteritis  follicularis  fand  sich  in  drei 
Fällen  bei  sieben  Untersuchungen  dreimal  mittelstarker,  zwei- 
mal geringer,  zweimal  negativer  Indicangehali 

Was  die  anderen  Erkrankungen  anlangt,  bei  denen  der 
Indicangehalt  des  Harns  untersucht  wurde,  so  Hessen  sich 
keine  bestimmten  Beziehungen  zwischen  der  Indicanausschei- 
dung  und  den  einzelnen  Krankheiten  feststellen.  Dieselben 
betrafen: 


0 

1 

9 
1 

1 

1 
1 

• 

1 

**• 

•4 

CroupOse  Pneumpnie     (11  Fälle,   19  Untersuchungen) 
Inflnensa                         (  ^      n         ^               >*            ) 
Lnes                                (  6      „       11                „             ) 
PertassiB                          (  8      „        28                „             ) 
Gastrodnodenalkatarrh  (  2      „         4               „             ) 
Atrophie                          (  7      ,,       14               „             ) 

i 

4 

31 

0 
9 

0 

1 

0 

1 

1 
1 

1 
1 
2 
7 
0 
3 

6 
2 
2 
11 
1 
1 

6 
1 
3 
6 
2 
0 

2 
0 
0 
1 
0 
0 

In  den  von  mir  beobachteten  Empyemföllen,  fünf  an  der  Zahl^ 
war  der  Indicangehalt  bei  einem  fünfmonatlichen  Kinde  in 
vier  Einzeluntersuchungen  stets  negativ;  im  zweiten  Falle  vor 
dem  operativen  Eingriff  nach  Bülau  stark  (Nr.  IV),  dabei 
bestanden  aber  grüne  durchfallige  Stühle.  Während  des  Eiter* 
abflusses  sank  der  Indicangehalt  auf  Spuren,  gleichzeitig  wurden 
auch  die  Ausleerungen  normal.  Im  dritten  und  vierten  Falle 
waren  die  Befunde  ganz  schwankend,  zum  Theil  negativ, 
gering,  mittelstark.  Im  fünften  Falle,  welcher  einen  bereits 
zwölQährigen  Knaben  betraf,  war  der  Indicangehalt  des  stets 
sehr  concentrirten  sauren  Harns  ein  wesentlich  anderer,  indem 
bei  15  Untersuchungen  nur  einmal  ein  Ausbleiben  der  Beaction 
zu  constatiren  war,  zweimal  war  geringer,  einmal  mittelstarker, 
neunmal  starker  und  zweimal  intensiver  Indicangehalt  vor- 
handen. 

Die  Eiterung  in  der  Pleurahöhle  schien  also,  wenigstens 
in  den  vier  ersten  Fällen,  keinen  wesentlichen  Einfluss  auf 
die  Indicanausscheidung  zu  haben. 

Durch  die  Freundlichkeit  des  Herrn  CoUegen  Dr.  Schäfer^ 
welcher  nach  mir  die  Indicanuntersuchungen  noch  einige  Zeit 
fortsetzte  und  mir  seine  Resultate  zustellte,  wofQr  ich  ihm 
an  dieser  Stelle  meinen  besten  Dank  ausspreche,  bin  ich  in 
der  Lage,  noch  einige  Mittheilungen  machen  zu  können.  Von 
den  60  von  Schäfer  klinisch  beobachteten  und  auf  Indican 

• 

untersuchten  Fällen,  die  zum  grössten  Theil  mit  meinen  Er- 
gebnissen übereinstimmen,  greife  ich  die  sieben  Fälle  von 
Tuberculose  heraus,   die  ich  später  (s.  Tabelle  Fall  27—33) 


IndicanaasBcheidimg  b.  Kindem,  spec.  b.  d.  kindl.  Taberculose.     295 

anffihren^  werde.  In  den  zwei  Fällen  von  Empyem  bei  einem 
zweijährigen  Knaben  und  einem  secbsmonatlicben  Säugling 
konnte  Schäfer  aach  Veine  deutliche  Steigerung  der  Indican- 
ausscheiduDg  in  Folge  der  putriden  Eiterung  der  Pleurahöhle 
nachweisen;  denn  in  den  29  Einzeluutersuchungen  ergab  sich 
Imal  negativer  Indicangehalt,  15 mal  Spuren,  11  mal  geringe 
und  2mal  mittelstarke  Beaction.  Dagegen  will  Schäfer  etwas 
abweichende  Resultate  Ton  meinen  Beobachtungen  beim  Ab- 
dominaltyphus gefunden  haben,  bei  dem  er  in  seinen  beiden 
Fällen,  die  Kinder  von  10  und  13  Jahren  betrafen,  in  38  Qnter- 
suchungen  nur  7  mal  einen  mittelstarken  Indicangehalt  sah, 
9 mal  geringen,  18 mal  Spuren  und  4 mal  negative  Beaction. 
Vielleicht  liesse  sich  diese  Differenz  mit  meinen  Resultaten  aus 
dem  leichteren  Verlauf  der  letztgenannten  Typhen  erklären. 

Bevor  ich  nun  zu  den  von  mir  erhobenen  Befunden  der 
Indicanurie  bei  der  Tuberculose  des  kindlichen  Alters  komme, 
mochte  ich  zunächst  auf  den  Bacillennachweis  im  Sputum 
etwas  näher  eingehen.  Da,  wie  bekannt,  Säuglinge  und  junge 
Kinder  überhaupt  kein  Sputum  expectoriren,  so  wurde  auch 
in  unserer  Klinik  das  Verfahren  angewandt,  dass  mit  einem 
elastischen  Katheter  bis  zum  aditus  laryngis  gegangen  und 
das  durch  den  reflectorisch  ausgelösten  Hustenanfall  in  die 
grosse  Ausflussoffnung  des  Katheters  geschleuderte  Sputum 
der  mikroskopischen  Untersuchung  unterzogen  wurde.  Wenn 
auch  diese  Methode  zur  Feststellung  der  Diagnose  bei  den 
auf  Tuberculose  verdächtigen  Kindern  in  unserer  Klinik  nie- 
mals versäumt  wurde,  so  gelang  es  uns  trotz  wiederholt  bei 
demselben  Kinde  vorgenommener,  sehr  eingehender  Unter- 
suchungen doch  nicht,  in  allen  Fällen,  namentlich  bei  Säug- 
lingen, die  charakteristischen  Krankheitserreger  mikroskopisch 
nachzuweisen.  Die  Section  klärte  uns .  in  den  meisten  dieser 
Fälle  darüber  auf,  dass  dieses  negative  Resultat  eine  anato- 
mische Ursache  hatte. 

Die  primäre  Tuberculose  entwickelt  sich  im  kindlichen 
Alter  am  häufigsten  im  Knochensystem  und  den  Lymphdrüsen. 
Während  bei  ersterem  meist  die  Wirbelsäule  und  die  langen 
Rohrenknochen  ergriffen  werden,  zeigen  von  letzteren  gerade 
die  Halslymphdrüsen,  die  Bronchial-  und  Mesenterialdrüsen 
die  Eigenthümlichkeit,  besonders  leicht  tuberculos  zu  erkran- 
ken. Die  in  den  Organismus  durch  Inhalation  aufgenommenen 
Tuberkelbacillen  können  in  den  betreffenden  Alveolen  selbst 
schon  Veränderungen  in  Form  von  Lobulärpneumonien  hervor- 
rufen. Da  es  sich  zunächst  aber  immer  um  das  Hinein- 
gelangen von  geringen  Mengen  von  Lifectionskeimen  handeln 
dürfte,  so  wird,  wenn  überhaupt  eine  örtliche  Reaction  ein- 
tritt, auch  die  primäre  tuberculose  Lobulärpneumonie  nur  auf 


296  Dr.  -Gehlig: 

einzelne  kleine  Herde  sich  beschränken;  meistens  werden  ein- 
zelne Bacillen,  ohne  eine  örtliche  Reaction  an  der  Eintritts- 
pforte verursacht  zu  haben,  aus  den  Alveolen  in  die  Lymph- 
bahn fortgeführt  und  gelangen  nach  dem  Lungenbindegewebe. 
Nun  werden  aber  die  Tuberkelbacillen  nur  an  den  Stellen  ihre 
Wirksamkeit  entfalten,  wo  sie  haften  bleiben,  und  in  Folge 
dessen  Gelegenheit  haben,  sich  zu  yermehren.  Es  kann  daher 
schon  an  bestimmten  Stellen  der  Lymphkanäle  zu  einer  knötchen- 
förmigen Lymphangitis  kommen.  Da  nun  die  grösseren  Lymph- 
bahnen vorzugsweise  im  perivasculären  und  peribronchialen 
Bindegewebe  verlaufen,  so  erklärt  es  sich  sehr  leicht,  dass 
die  Tuberkelknötchen  zunächst  immer  peribronchial  auftreten; 
es  entwickelt  sich  also  eine  tuberculöse  Peribronchitis.  Die 
tuberculöse  Wucherung  greift  nun  entweder  die  Bronchial- 
wand von  ihrer  Peripherie  aus  an  oder  sie  setzt  sich  auf  die 
angrenzenden  Alveolarsepta  fort  und  ruft  nun  ausser  der 
Peribronchitis  Bronchopneumonie  hervor. 

Oder  die  Tuberkelbacillen  gelangen  mit  dem  Lymphstrom 
in  die  kleinen,  im  Lungengewebe  zerstreut  liegenden  peri- 
bronchialen Drüsen,  aus  diesen  in  die  Bronchialdrüsen.  Die 
befallenen  Drüsen  schwellen  an;  es  treten  mattgraue  oder 
weisse  Knötchen  auf;  an  einigen  Stellen,  meist  im  Centrum, 
kommt  es  zur  Verkäsung,  welche  durch  allmähliches  Zusam- 
menfliessen  der  Herde  schliesslich  die  ganze  Drüse  ergreift. 
Sehr  häufig  erweichen  die  käsig  metamorphosirten  Massen 
vom  Centrum  nach  der  Peripherie  fortschreitend  und  man 
findet  bei  Sectionen  von  jüngeren  Kindern  sehr  oft  Drüsen- 
cavernen  mit  eiterähnlichem  Inhalt,  die  aber  keine  Communi- 
cation  mit  einem  Bronchus  zeigen.  In  Folge  von  Durchbruch 
einer  derartig  erweichten  Drüse  kommt  es  dann  secundär  im 
Anschluss  an  die  Lungendrüsentuberculose  zur  Lungentuber- 
culose,  wiewohl  zugegeben  werden  muss,  dass  auch  primäre 
Lungentuberculose  im  Kindesalter  in  Form  zunächst  vereinzelter 
tuberculöser  Herde  vorkommt,  die  dann  zur  Bildung  grösserer 
käsiger  Herde  und  umfangreicher  Zerstörung  von  Lungengewebe 
führt.  Ein  Nachweis  vonTiiberkelbacillen  im  Sputum  von  Kindern 
wird  also  nur  dann  gelingen,  wenn  entweder  eine  käsig  zer- 
fallene Drüse  in  die  Bronchien  durchgebrochen,  oder  wenn  es 
nach  einer  tuberculösen  Peribronchitis  zu  einer  käsigen  Lo- 
bulärpneumonie gekommen  ist.  Auf  jeden  Fall  muss  eine 
Communication  des  infectiösen  Herdes  mit  einem  Bronchus 
vorhanden  sein.  Da  dies  bei  einigen  Sectionen  von  tubercu- 
lösen Kindern  nicht  der  Fall  war,  hatten  wir  deshalb  auch 
intra  vitam  keine  Bacillen  im  Sputum  nachweisen  können. 

Ich  schliesse  nun  hier  die  von  mir  (Nr.  1 — 26)  und  Herrn 
Dr.  Seh  äf  er  (Nr.  27-33;  S.297-306)  klinisch  beobachteten  Fälle 


iDdicanauSBcheidnng  b.  Kindern,  spea  b.  d.  kindl.  Tnbercolose. 


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ura  der  linken  Lunge.    Adhäsive  Pleuritis 
itrige    Bronchitis.     Atelectaaen   in  den    ün 

snOae  Hyperämie  der  Leber.  Milz  und  Niere 

lectasen    in    beiden  Lungen.    Anämie   der 
kelacbwellung  im  Dickdarm.     Nirgends  T 

Tnberculose  beider  Lung-m.  Pleuritis  tnb 
gen  ohne  Ergusa.    Hydropericard.    Bronchial 

M.    Bronchitis.    Laryngo-Tracheitia  tuberc. 

en  Tnberkelknötchen.    Anämie  und  Verfettn 

Nephritis  der  rechten  Niere  mit  tuberc.  ' 

00.  Durmkatatarh.    Tuberc.  Meningitis  der 

BimhChlen,  nirgends  Solitärtnberkel. 

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ä08  Dr.  QehÜgi 

weise  durch  den  abnorm  hohen  lodicangehalt  des  Harns 
noch  unterstützt  wurde^  doch  bei  der  Obduction  keine  Spur 
von  Tuberculose  zu  entdecken  war.  Zwei  derartige  Fälle 
(Nr.  25  und  26)  gelangten  auch  bei  uns  zur  Beobachtung. 
Das  erste  Kind  (Fall  Nr.  25);  welches  mit  den  Erscheinungen 
einer  schweren  Capillärbronchitis  der  Klinik  zugeführt  wurde, 
bekam  am  zweiten  Tage  nach  der  Einlieferung  (19.  VL  1893) 
tonisch- klonische  Zuckungen  der  linken  Körperhälfte,  die  sehr 
lange  Zeit  anhielten.  Darauf  stellten  sich  linksseitige  Con- 
tracturen  ein.  Bei  der  klinischen  Vorstellung  wurde  darauf 
hingewiesen,  dass  es  sich  hier  nicht  allein  um  Capillärbron- 
chitis, sondern  wahrscheinlich  auch  um  Tuberculose,  eventuell 
Solitärtuberkel  im  Gehirn  handeln  könnte.  Im  Sputum  waren 
keine  Tuberkelbacillen  nachzuweisen.  Am  23.  YL  traten 
wieder  Convulsionen  auf,  die  diesmal  Torwiegend  das  Grebiet 
des  Facialis  und  den  rechten  Arm  betrafen.  Der  allgemeine 
Befund  machte  es  immer  wahrscheinlicher,  dass  es  sich  um 
acute  Miliartuberculose  handele.  Der  Indicangehalt  war  an 
den  beiden  Untersuchungstagen  deutlich  vermehrt  und  trotz- 
dem war  bei  der  Section  nirgends  eine  tuberculose  Erkran- 
kung nachzuweisen. 

Auch  im  Fall  26  war  die  Wahrscheinlichkeitsdiagnose 
während  der  kurzen  klinischen  Beobachtungszeit  auf  latente 
Tuberculose  gestellt  worden;  auch  hier  war  starke  Indican- 
urie  vorhanden,  und  doch  fand  sich  bei  der  Section  nirgends 
Tuberculose. 

Ebenso  wenig  als  ich  einen  Zusammenhang  zwischen 
gesteigerter  Indicanausscheidung  und  der  Tuberculose  in- 
nerer Organe  nachzuweisen  vermochte,  gelang  mir  dies 
bei  den  kleinen  Patienten  mit  chirurgisch-tuberculösen 
Erkrankungen,  die  ich  auf  der  Abtheiluug  des  Herrn  Pro- 
fessor Dr.  Tillmanns  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte 
Diese  Fälle,  welche  8  Kinder  mit  65  Untersuchungen  betrafen, 
zeigten  zwar  nur  21  mal  normale  und  44  mal  gesteigerte  In- 
dicanausscheidung, doch  schienen  mir  die  pathologischen 
Mengen  von  Harnindican  nicht  durch  die  tuberculösen 
Knochenerkrankungen  an  sich,  sondern  vorzüglich  durch  die 
Beschaffenheit  des  Darms  bedingt  zu  sein. 

Nr.  1.    Martha  E.    4  Jahre.    Leidlich  gen&hrtes  Mädchen. 
DiagDOBe:  Spondylitis  tuberculosa. 


DAtom 


Indioan- 
gohalt 


Betcbaffenhoit  der  Stflhle 


B«merknDg«n 


1.  VII.     Nr.  II.    I  Die  Stflble  waren   Biets  gut; 
5.  „   III.  niemals  DurchßlUe. 

12.  I     „   0.  do. 


IndicananBScheidung  b.  Kindern,  spec.  b.  d.  kindl.  Tuberculose.    309 


DfttBm 


Indioan- 
gehAlt 


BesohafFenheit  der  Stflhle 


Bemerkungen 


19.  VIF. 

26. 

26. 

4.  vni. 

29. 

26.  IX. 
26.x. 

2.  XI. 

7. 
12. 
16. 
21. 
29. 

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Die  Stahle  waren  stetB  gut; 
niemals  Dnrchf&IIe. 
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do. 


Kr.  2.    Walter  D.    2%  Jahre.    Eräftigery  wohlgenährter  Knabe. 

Diagnose:  Fungas  pedis  dextri. 


^■*^     ;     gehalt 


BetohAffenheit  der  StQhle 


Bemerkungen 


27.  Vir. 

7.  VIII. 
8. 
9. 
10. 


Nr.  IV. 
V. 

m. 

III. 
IV. 


II 


Gut. 
Breiig. 
Normal. 

do. 

do. 


Keine  scrophul.  Eracfa. 
Lnngenbfnnd  normal. 


Nr.  3.    Martha  Seh.,  4  Jahre.    Blasses,  sehr  schlecht  genährtes  Kind. 
Diagnose:  Spondylitis  taberculosa.    Seokangsabscess. 


Datum 


!   Indlcan- 
gehalt 


Beechaffenheit  der  Stöhle 


Bemerkungen 


4.  VII. 

Nr.  ly. 

Darchfall. 

11. 

„  IV. 

do. 

18. 

,,  I. 

Ganz  normal. 

26. 

„  IIL 

1  dnrchfälliger  Stahl. 

26. 

„  IV. 

3  dnrchAll.,  1  breiiger  Stahl. 

7.  VIII. 

„  III. 

1  breiiger  Stuhl. 

8. 

„  II. 

Normal. 

9. 

„  n. 

do. 

10. 

„u. 

Kein  Stuhl. 

Nr.  4.    Alfred  B.    2<4  Jahre.    Massig  gut  genährt. 
Diagnose:  Multiple  Haut-  und  Knochentnberculose. 


Dutum 


Indioan- 
gehalt 


Beschaffenheit  der  Stühle 


Bemerkungen 


4.  VII.   i  Nr.  m. 


11. 


19 


IV. 


1  breiiger  Stuhl. 
2  dflnnbreiige  Stühle. 


310 


Dr.  Gehlig: 


Datam 


Indloan- 
gehalt 


18.  VII. 

Nr.  II. 

86. 

..    I. 

27. 

„    III. 

7.  VIII. 

„    III. 

8. 

„    III. 

9. 

„    II. 

10. 

„    II. 

Beiohaffenbeit  der  Stflhle 


1  breiiger  Stahl. 
2  gelbe  normale  Stühle. 
Normal, 
do. 
do. 
do. 
do. 


Bemerkungen 


Nr.  6.    Emil  S.,  2  Jahre.     Gut  genährter  Knabe. 

Diagnose:  Spondylitis  tubercnlosa.    Senkangsabscess.    Multiple  Haat- 

tubercnlose. 


■■SS9! 


Datum 

26   VII. 

27. 

7.  VIII. 

8. 

9. 
10. 


Indlcan- 
gehalt 


Betchaffenheit  der  Stühle 


Nr.  V. 


1» 


II. 

V. 

III. 

IV. 

V. 


vom  24.-26.  kein  Stuhl  in- 
folge Opiumwirkung. 
1  breiiger  Stuhl. 
3  dünne  breiige  Stühle. 
Normal. 
1  dünner  Stuhl, 
do. 


Bemerkungen 


Nr.  6.   Ida  6.,  4  Jahre.   Stark  abgemagertes,  verfallen  aussehendes  Kind, 
Diagnose:  Fungus  cubiti  sinistri;  Tuberculosis  digiti  quarti  sinistr. 


Datum 


3.  VII. 
13. 
18. 
19. 

1.  VIII. 

7. 

8. 

9. 
10. 


Indioan- 
gehalt 


Beechaffenbelt  der  Stühle 


Nr.  IV. 


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I» 


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V. 
V. 
V 
V. 

IV. 

III. 
II. 


Durchfall. 
6  stark  durchfällige  Stühle. 
3  durchfällige  eitrige  Stühle. 

do. 

Eiter  im  durchfälligen  Stuhl. 

do. 

4  durchfällige  Stühle. 

1  breiiger  Stuhl. 


Bemerkungen 


Nr.  7.    Alma  S.,  2^^  Jahre.     Sehr  schwächliches,  abgemagertes  Kind. 

Diagnose:  Fungus  genus  deztri. 


Datum 


4.  VII. 
12. 
18. 
19. 


Indican-    * 
gebalt 


Betchaffenheit  der  Stühle 


Bemerkungen 


I 


1.  VIII.  I     "    IV. 


Nr.  IV.  1  dünner  Stuhl.  ,  Diagnose  durch  Am- 

„    IV.     7  massig  durchföUige  Stühle.  ,  pu^tio  femoris  be- 

1  breiiger  Stuhl.  stätigt. 

do. 
6  durchfällige  Stühle. 


,.    111. 
III. 


IndicaDansBcheidung  b.  Kindern,  spec.  b.  d.  kindl.  Taberculose.    311 


Datam 


Indioan- 
geball 


Besehitfenheit  der  Stuhle 


Beinerkangen 


7.  Vlll. 
8. 
9. 
10. 


Nr.  III. 
III. 
II. 
U. 


»1 

19 


»> 


1  dorchfäl liger,  1  breiiger  St. 

do. 

2  breiige  Stahle. 

1  geformter  Stahl. 


Nr.  8.    Else  S.,  10  Monate.    Schlecht  genährtes,  abgemagertes'  Kind. 

Diagnose:  Parese  des  rechten,  Paralyse  des  linken  Facialis,  Caries 

beider  Felsenbeine. 


Satum 


Indican- 
gehalt 


Beiohaffenhelt  der  Sttthle 


BemerkuDgen 


6.  VII. 


6.  VII. 


Nr.  II 


Trepanation  beider 
Warzenfortsätze. 


Stahle  stets  dickbreiig,  gelb. 
Ein.  Stunden  vor  dem  Exitus 
Durchfall. 
Exitus  letalis.    Section:    Caries  beider 

pyämie.  Eitrige  Bronchitis.  Verkäste  tuberculöse  peri- 
bronchitische  Uavemen.  Tuberculose  der  Bronchial-  und 
Mesenterialdrasen.  Septische  Milz.  Nephritis  parenchy- 
matosa.    Frischer  Magendarmkatarrh. 


Felsenbeine.    Septico- 


Nehmen  wir  in  diesen  FälloD  primäre  intestinale  Eiweiss- 
faulniss  zur  Zeit  des  Auftretens  der  schlechten  Stühle  an,  so 
erklaren  sich  die  hochgradigen  Indicanreactionen  von  selbst. 
Aber  selbst  wenn  wir  mit  Hochsinger  annehmen^  dass  durch 
das  tuberculose  Gift  die  Leistungsßlhigkeit  des  kindlichen  Or- 
ganismus herabgesetzt  wird,  speciell  die  secretorische  und 
resorptive  Thätigkeit  des  Darmdrüsenapparates  derart  dar* 
niederliegt,  dass  Resorption,  Assimilation  und  Ausnützung  des 
Nahrungsbreies  so  Ycrlangsamt  werden,  dass  mit  den  auf- 
gesaugten Stoffen  des  Darminhalts  auch  die  inzwischen  ge- 
bildeten Spaltungsproducte  der  Eiweissfaulniss  in  die  Circu- 
lation  gelangen,  so  hätte  doch  der  Indicangehalt  bei  den 
tuberculösen  Kindern  beständig  vermehrt  sein  müssen,  wie 
dies  bei  den  von  Hochsinger  beobachteten  Fällen  that- 
sächlich  zutraf.  Da  ich  aber  einen  ständig  hohAi  Indican- 
gehalt nur  in  einem  Falle  (Nr.  2)  nachweisen  konnte,  der 
einen  kräftigen  Knaben  betraf  mit  gutem  Appetit  und  nor- 
malen klinischen  Symptomen  der  Darmthätigkeit,  während 
sonst  der  Indicangehalt  stets  zur  Norm  zurückkehrte,  wenn 
die  Stühle  gut  waren,  auch  bei  den  Seite  307  erwähnten 
17  Fällen  gesteigerte  Indicanurie  niemals  stattfand,  so  kann 
ich,  übereinstimmend  mit  Steffen  und  Momidlowski,  zwi- 
schen Tuberculose  und  vermehrtem  Indicangehalt  keinerlei 
Zusammenhang  constatiren. 


312  Dr.  Gehlig:  IndicanausscheidaDg  b.  Kindern  etc. 

Fassen  wir  zum  Schluss  noch  einmal  die  Befunde,  von 
sämmtlichen  39  Fällen  von  Tuberculose  zusammen,  so  ergiebt 
sich  unter  181  Untersuchungen: 

Negativer  Indicangehalt  .    .  27  mal 

Spuren 36  mal 

Geringer  Indicangehalt     .    .  36  mal 

Mittelstarker  Indicangehalt .  36  mal 

Starker  Indicangehalt  .    .    .  81  mal 

Intensiver  Indicangehalt  .    .  17  mal. 

* 

Da  also  98  mal  normaler  und  83  mal  pathologisch  ver- 
mehrter Indicangehalt  gefunden  wurde,  so  ist  es  unmöglich, 
der  Indicanurie  eine  diagnostische  Bedeutung  für  die  Beurthei- 
lung  des  einzelnen  Falles  zu  Gunsten  einer  bestehenden  tuber- 
culösen  Erkrankung  zuschreiben  zu  wollen. 

Ich  resümire  das  Ergebniss  meiner  Beobachtungen  in 
folgenden  Sätzen: 

Säuglinge,  welche  mit  sterilisirter  Kuhmilch  genährt 
werden,  zeigen  trotz  normaler  Verdauung  doch  bisweilen  ge- 
ringe Indicanmengen  im  Urin. 

Ist  die  Verdauung  gestört,  so  kann  man  fast  immer  In- 
dican  im  Harn  nachweisen;  mit  der  Schwere  der  Darmaffection 
steigt  auch  der  Indicangehalt  des  Harns  namentlich  bei  den 
chronischen  Darmkatarrhen,  der  Cholera  und  dem  Typhus. 

Bei  älteren  Kindern  mit  intacten  Verdauungsorgsinen  ge- 
hören geringe  Mengen  Indican  zum  normalen  Befunde  ebenso 
wie  bei  Erwachsenen.  Bei  reichlicher  Zuführung  Von  stick- 
stofifhaltiger  Nahrung,  namentlich  von  Fleisch  und  Eiern,  liess 
sich  oft  gesteigerte  Indicanausscheidung  constatiren. 

Zwischen  dem  Bestehen  einer  tuberculösen  Erkrankung 
und  vermehrter  Indicanausscheidung  war  kein  für  die  Dia- 
gnostik verwerthbarer  Zusammenhang  zu  constatiren. 


'i 


6.  Weitere  Mittheiltingen  zur  KenntniBs  der  oyklischen 

Albniniiiiirie. 

Von 

Dr.  Carl  Reckmanm 

atu  Baer  i.  Westphalen 
(gewesenem  ^olontftrarsi  der  KinderkÜDik  m  Leipsig). 

Im  Nachstellenden  möge  es  mir  erlaubt  sein,  zwei  Fälle 
von  Albuminurie  zu  veröffentlichen ,  die  im  hiesigen  Kinder- 
krankenhause  beobachtet  wurden,  und  die  deswegen  von  In- 
teresse sind,  weil  ich  hier  einem  Falle  von  echter  cjklischer 
Albuminurie  einen  zweiten  gegenüberstellen  kann,  in  dem 
zwar  das  Verhalten  der  Eiweissausscheidung  dem  bei  der 
cyklischen  Albuminurie  ähnlich  ist,  in  der  That  aber  eine 
wirkliche  Nephritis  zu  Grunde  liegt. 

Da  nun  in  diesem  Jahrbuche  vor  Kurzem  erst  die  cy- 
klische  Albuminurie  eingehend  besprochen  wurde ,  will  ich 
mich  nur  darauf  beschränken,  folgende  charakteristische  Merk- 
male anzufahren,  die  Heubner  fQr  diese  Art  der  Eiweiss- 
ausscheidung angiebt  —  Zur  Kenntniss  der  cyklischen  Albu- 
minurie im  Eindesalter.  Von  0.  Heubner.  Henoch's  Fest- 
schrift 1890  — ,  und  die  fast  allgemein  anerkannt  werden. 

1.  Die  cyklische  Albuminurie  ist  eine  besondere  und 
eigenthümliche  Form  einer  langanhaltenden  Eiweissausschei- 
dung durch  die  Nieren. 

2.  Dieselbe  hängt  nicht  von  einer  geweblichen  Erkran- 
kung der  Nierensubstanz  ab. 

3.  Sie  ist  an  eine  bestimmte  Entwickelungsperiode  des 
Organismus  geknüpft 

4.  Sie  vnrd  durch  den  Wechsel  von  der  liegenden  zur 
aufrechten  Körperstellung  hervorgerufen,  und  dauert  dann  eine 
kürzere  oder  längere  Zeit  an,  um  auch  bei  aufrechter  Stellung 
meist  wieder  am  selben  Tage  zu  verschwinden. 

5.  Sie  ist  der  Ausdruck  eines  allgemeinen  Schwäche- 
zustandes des  Organismus,  der  zunächst  noch  nicht  zu  er- 
klären ist. 


314  Dr.  Beckmann: 

6.  Ihre  Prognose  ist  gut,  vorausgesetzt,  dass  dem  Er- 
krankten die  nöthige  Pflege  zu  Theil  werden  kann. 

Aber,  wie  gesagt,  nicht  alle  Autoren  erkennen  die  Lehre 
von  der  cyklischen  Albuminurie  an. 

Senator ^)y  der  die  Eiweissausscheidung  bei  gesunden 
und  kranken  Menschen  sehr  eingehend  studirt  hat,  hat  ge- 
funden, dass  diese  eigenthümliche  Art  der  Albuminurie  so- 
wohl unter  physiologischen,  wie  auch  pathologischen  Bedin- 
gungen zu  Tage  treten  kann. 

Da  nämlich  jeder  Harn  Eiweiss  enthält,  wenn  auch  aller- 
dings oft  nur  in  so  geringen  Mengen,  dass  diese  nur  durch  die 
genauesten  Untersuchungs  -Methoden  nachgewiesen  werden 
können,  und  da  diese  physiologische  Eiweissausscheidung  durch 
verschiedene  Einflüsse,  wie  Muskelarbeit,  Verdauung,  geistige 
Anstrengung  und  Gemüthserregung,  gesteigert  wird,  so  erklärt 
er  auf  diese  Weise  eine  Zunahme  der  Eiweissausscheidung  zu 
einer  Zeit,  wo  mehrere  dieser  Einflüsse  auf  den  menschlichen 
Körper  —  also  namentlich  am  Morgen  —  einwirken. 

Innerhalb  welcher  Grenzen  die  physiologische  Eiweiss- 
menge  des  Harns  schwankt,  hierüber  sind  die  Meinungen  ver- 
schieden. 

Schreiber')  glaubt  jede,  mit  den  gebräuchlichsten  Rea- 
gentien  nachweisbare,  als  Coagulum  sich  repräsentirende  Albu- 
minurie als  krankhaftes  Symptom  ansehen  zu  müssen. 

Leube')  lässt  bis  zu  0,1%  zu,  während  Senator  0,4 — 0,5 
pro  Mille  als  äusserste  Grenze  bezeichnet. 

Darin  aber  stimmen  alle  drei  Autoren  überein,  dass  man 
stets  in  Fällen,  wo  Eiweiss  im  Urin  auftritt,  auf  ein  Nieren- 
leiden fahnden  soll.  Senator  weist  in  seinem  Buche  über 
Albuminurie  und  auch  gelegentlich  einer  Discussion  über 
cyklische  Albuminurie  darauf  hin,  dass  leichtere  Fälle  von 
acuter  Nephritis  besonders  nach  Infectionskrankheiten ,  wie 
Scharlach,  und  Fälle  von  chronischer  Nephritis  das  Bild  der 
cyklischen  Albuminurie  darbieten  können.  Wenn  man  nämlich 
die  Patienten  zu  einer  Zeit  aufstehen  lässt,  wo  sie  recon- 
valescent  sind,  so  bekommen  sie  Albuminurie,  die  wieder 
schwindet,  wenn  sie  sich  niederlegen. 

Es  folgen  jetzt  die  Krankengeschichten  beider  Fälle. 

I.  Fall. 

Patient,    10 V,  Jahre  alt,   stammt  von    sehr  nervösen  Eltern.     Der 
Vater  desselben  wt  früher  stets  gesund  gewesen  und  ist  erst  nach  dem 


1)  Senator,    Albuminurie   in   physiologischer  und   klinischer  Be- 
ziehung und  ihre  Behandlung. 

2)  Schreiber,  üeber  physiologische  Albuminurie.  Berliner  klinische 
Wochenschr.  1888. 

8)  Leube,  Virchow's  Archiv  Bd.  LXXII.    1878. 


Zar  Eeontniss  der  cyklischen  Albaminarie.  315 

letzten  Feldaage  in  Folge  der  damals  durchgemachten  Strapazen  nen- 
rasthenisch  geworden.  Er  leidet  seitdem  an. heftigen  Neuralgien,  Ischias, 
häufifir  auftretenden  Bronchialkatarrhen  und  nervöser  Dyspepsie.  Auch 
die  Mutter  ist  hochgradig  nervös;  2  Brüder  der  Mutter  sind  an  Phthise 
gestorben,  einer  befindet  sich  gegenwärtig  in  einer  Lungenheilanstalt. 
Drei  Geschwister  des  Patienten  sind  gesund,  ein  Kind  ist  an  Krämpfen 
gestorben. 

Patient  wurde  bis  zu  V,  Jahr  von  der  Mutter  gestillt,  dann  künst- 
lich ernährt.  Er  entwickelte  sich,  sehr  gut,  bekam  mit  vier  Monaten 
die  ersten  Zähne  und  lernte  sehr  zeitig  sprechen  und  laufen.  Mit  einem 
Jahre  überstand  er  Masern. 

Im  dritten  Lebensjahre  bekam  Patient  ebenso  wie  seine  Geschwister, 
als  sie  drei  Jahre  alt  waren,  Bronchitis,  deren  Spuren  jetzt  noch  zu 
constatiren  sind.  Im  sechsten  Lebensjahre  stürzte  er  von  einer  stei- 
nernen Treppe  herab  und  zog  sich  eine  Commotio  cerebri  zu,  in  Folge 
dessen  er  mehrere  Tage  im  Goma  lag.  November  1891,  im  10.  Lebens- 
jahre, bekam  Patient  eine  sehr  heftige  Diphtherie  mit  Nephritis,  an  der 
er  drei  Monate  litt.  Dazu  gesellte  sich  eine  hochgradige  Debilitas 
cordis,  so  dass  Patient  schon  beim  Aufsitzen  im  Bett  starkes  Herz- 
klopfen bekam,  ausserdem  Gaumen-  und  Angenmuskellähmung  und  eine 
Schwerbeweglichkeit  des  rechten  Fusses.  Ende  März  1892  machte  Pa- 
tient einen  schweren  Scharlach  durch,  an  den  sich  Anfang  Mai  aber^ 
mals  eine  Nephritis  anschloss,  die  den  Patienten  4  Wochen  ans  Bett 
fesselte.  Im  Juni  wurde  Patient  als  geheilt  entlassen  und  besuchte  im 
Juli  das  Seebad  Golberg.  Mitte  August,  nachdem  Patient  im  Seebade 
sich  sichtlich  erholt  hatte,  bemerkte  der  Vater,  dass  Patient  nach 
grösseren  Anstrengungen  Eiweiss  im  Urin  hatte.  Mehrere  Aerzte  be- 
stätigten den  Befund  des  Vaters.  Das  Eiweiss  trat  periodisch  bis  De- 
cember  auf  und  verschwand  wieder,  so  dass  Tage  lange  eiweissfreie 
Intervalle  beobachtet  wurden.  Anfang  Februar  189S  bemerkten  die 
Eltern,  dass  Patient  blass  wurde  und  sehr  unruhig  in  der  Nacht  schlief. 

Ende  Februar  trat  nun  wieder  periodisch  Eiweiss  im  Harn  auf,  bald 
in  grösseren,  bald  in  geringeren  Mengen,  und  hat  sich  dieser  Zustand 
bis  heute,  7.  April,  wo  der  Vater  den  Patient  behufs  genauer  Beobach- 
tung dem  Erankenhause  zuführt,  noch  nicht  geändert. 

Status  praesens  7.  IV.  1893.  Kräftiger  Knabe,  Schleimhäute  roth, 
Augen,  Nase,  Ohren  ohne  Besonderheiten.  Lippen  etwas  trocken,  Zunge 
feucht,  Mundhöhle  rein.  Rachentheile  blass,  Stimme  frei,  keine  auf- 
fallenden Drüsensch wellungen  am  Körper. 

Thorax  ziemlich  lang,  zeigt  Spuren  überstandener  Rachitis.  Spitzer 
epigastrischer  Winkel,  Intercostalräume  weit. 

Lungengrenzen  in  der  ParaSternallinie  am  oberen  Bande  der  VII. 
Rippe,  in  der  Mammillarlinie  im  VII.  Intercostalräume. 

Thorax  wird  gut  ausgedehnt. 

Auf  den  Lungen  überall  reines  verhältnissmässig  leises  Vesiculär- 
athmen.     Keine  Rasselgeräusche. 

Herzgrenzen:  tiefe  am  oberen  Rande  der  HL  Rippe  und  Mitte  des 
Stemums,  oberflächliche  am  oberen  Rande  der  IV.  Rippe  und  linkem 
Stemalrand. 

Herzstoss  im  V.  linken  Intercostalraum ,  V,  Finger  breit  einwärts 
der  Mammillarlinie.  Herztöne  rein;  II.  Pulmonalton  gespalten.  Puls 
schnellend,  von  mittlerer  Füllung  und  guter  Spannung,  regelmässig, 
gleichmässig. 

Leber  überragt  den  Rippenbogen  um  Fingerbreite. 

Milz  weder  durch  Palpation  noch  durch  Percussion  als  vergrössert 
nachzuweisen. 

Patient  bleibt  vorläufig  zu  Bett.    Temp.  37,4.  Puls  72.  Resp.  20. 


316 


Dr.  fieokmaoii: 


8-  IV. 

D  ßiwaisiDieQgeD  fettstellen 
Bo  können,  wird  der  Urin  alle  S  Stunden  nntenncbt,  ond  ewat  Mn 
8.  IT.— 1».  IT.  am  8  und  11  Uhr  HorKens,  2  und  6  Uhr  Nachmittag!, 
8  and  11  Uhr  Abends,  vom  19.  IT.— 6.  T,  6  Uhr,  0  Uhr,  li  Uhr  Hitt&gs; 
S  Uhr,  6  Uhr,  9  Uhr  Abendi.  Um  «teta  die  gleiche  Menge  Urin  lar 
ünterinchnng  su  haben,  werden  die  für  die  Unteranchang  beatimmten 


BeaKenigUeer  anf  10  ccm  Inhalt  gradnirt.  Nachdem  der  Urin  gekocht, 
werden  denuelben  10  Tropfen  Salpeteraftnre  angeaetit  nnd  noch  */,  Min. 
gekocht.    Die  Menge  dei  EiweiMes  wird  dorch  genaue  MeiBang  der  Drin- 


■Unle  bestimmt. 

Patient  erhält  vom  6.  IT.  bii  S4.  IT.  folgende  Nahrung: 

FrQh  T  Dbr  860  g  Hilch  nnd  GO  g  Bnttereemmel, 

„      9  Uhr  500  „      „        „       „  „  and  1  Ei, 

Mittags  Vi  12  Uhr  *00  „  Milchreii  and  360  g  Milch, 

Nachm.     S  Uhr  SOO  „  Milch  und  60  g  Battersemmel, 

Abend«  6%  Uhr  800  „  Schleim-  und  Grieaauppe. 


«.IT. 

$00 

1020 

0 

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1021 

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5. 

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7. 

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8. 

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V. 

0 

0 

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0    0 

0    0 
VioSp 


Bettmbe. 

Bettruhe. 

Betteahe. 

Ton  7  Uhr  Morgens  bis  8  Uhr  Abende  Patient 
aoeser  Bett    B.  Bodenaati. 

Bettrahe. 

Bettruhe. 

Einmal  in  der  Nacht,  einmal  aro  Horgeu  Erbrechen. 
Der  Nachtnrin  trObe,  im  Sediment  Hamaftare- 
kr^italle  und  hamiaDrei  Natron.  10  Dhr  Moi^na 
Bad;  Bettruhe. 

Der  Morgenham  trflbe  mit  Bodenaati,  ap&rliche 
Leucocjtea  und  HamaKurekryatalle,  keine  Epithe- 
lien  oder  C^linder.  7  Uhr  Horgena  iat  Patieot 
6  Minuten  hemmgelaufen,  10  Uhr  Moi^ena  wnrdea 
im  Tornaaal  paasive  Bewegungen  TOrgenommeD; 
nachher  Bettrahe. 

Bettmbe. 

10  Uhr  Morgena  macht  Patient  IG  Minuten  lang  Tarn- 
abnngen  an  Leitet  und  Seh we  beringen. 

Patient  iat  om  7  Dhr  Horgena  auaaer  Bett  gewesen. 
Bettruhe. 


I    :>'     B'    f    J    f    ! 


19.1T.|1A00:1032  0  '/,  Bp  0  i  vJ  0  Patient  von  V.e  Uhr  Morgena  bia  6  Uhr  Abende 
I  aneaer  Bett,  Uuft  herum  und  spielt. 

20.  I  6001021  0  8p  yjBpB  0  Patient  wie  gestern  von  V,8  Morgens  bia  6  Ubr 
I        I        I     I    !     I     I     I     I     Abenda  auuer  Bett. 


Znr  Eenntniss  der  cyklischen  Albnminaxie. 


317 


IHL 


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Oi       ^ 


21.1VJ  800 


22. 


23. 


1023 


7O0  1020 


700 


1021 


Sp 


0 


y« 


0 


P 


BemerkaDgen 


B 


0   0 


Sp 


0 


um  7,10  Uhr  Morgens  werden  an  dem  im  Bette 
liegenden  Patienten  10  Minuten  lang  passive  Be- 
wegungen vorgenommen;  der  Urin  wird  von  11  Uhr 
Morgens  bis  9  Uhr  Abends  stündlich  untersucht 
und  zeigt  ausser  6  Uhr  Abends  noch  um  7  Uhr 
Abends  eine  Spur  Eiweiss;  in  den  übrigen  Stunden 
kein  Eiweiss. 

%S  Uhr  Morgens  bekommt  Patient  ein  warmes  Bad 
von  28^  und  viertelstündiger  Dauer.  Bettruhe. 
Patient  war  im  Bade  unruhig. 

y,ll  Uhr  Morgens  Bad  von  28^  und  viertelstündiger 
Dauer,  sonst  Bettruhe.  Patient  war  im  Bade  ruMg. 


Von  nun  an  folgende  Kost: 

7  Uhr  Morgens  360  g  Eafifee,  60  g  Semmel,  10  g  Butter. 

9  Uhr        „        0,3 1  Fleischbrühe  mit  2  Eiern,  60  g  Brod,  10  g  Butter. 

8  Uhr  Mittags    160  g  Fleisch,  0,3  1  Gemüse  oder  Brei. 

,  3  Uhr        „        0,3  1  Kaffee,  60  g  Semmel,  10  g  Butter. 

6  Uhr  Abends    0,3  1  Suppe,    100  ^  Schwarzbrod,    10  g  Butter,  60  g 

kalter  Braten,  2  Eier. 


D»t. 


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A 
P 


u 

A 

P 


»4 

A 
P 


P 


A 
P 


P 


Bemerkungen 


24.1V. 
25. 


26. 


27. 


28. 


29. 


600 
1200 


1024 
1016 


900 


1000 


1019 


1015 


760  1016 


900 


30.         1600 

1.  V.  I   760 

2.  11200 


1018 

1022  0 
1012  0 
10191  0 


0 
0 


0 
0 


0 
0 


0 


Sp 


0 
0 


Bettruhe. 

%8  Uhr   Abends   Einwickelung    des   Patienten    in 

nasse  Tücher,   die  in  Wasser  von  28^  getaucht 

sind^  V4  Stunde  lang. 


Patient  bleibt  so  lange  ausser  Bett,  bis  Eiweiss  im  Urin  auftritt, 
geht  dann  zu  Bett,  bis  es  wieder  verschwunden  ist.  6  Uhr  Mor- 
gens ist  der  Urin  eiweissfrei.  8  Uhr  Morgens  steht  Patient  auf. 
9  Uhr  Urin  eiweissfrei,  11  Uhr  ^g  Vol.  Eiweiss,  Patient  geht  zu 
Bett;  1  Uhr  Nachmittags  Urin  eiweissfrei.  2  Uhr  steht  Patient 
wieder  auf,  4  Uhr  Urin  eiweissfrei,  4—7  Uhr  Spaziergang.  8  Uhr 
kein  Eiweiss^  9  Uhr  Spur  von  Eiweiss. 


0 
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8p 
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V. 


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B 

Sp 


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B 
0 
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B 
B 


B 
0 
0 


0 
0 


0 
0 
0 


Patient  steht  um  9  Uhr  Morgens  auf  und  ist  den 

ganzen  Tag  ausser  Bett. 
V,8   Uhr  Morgens   steht  Patient  auf  und   ist   den 


Ygll    Uhr    Morgens 
V^7  Uhr  Abends  Bad 


ganzen    Tag    ausser    Bett. 

Turnen    y.   Stunde   lang. 

in  Stassfurter  Salz  28  ^ 
7,8  Uhr  steht  Patient  auf.     V,ll  Uhr  Turnen;   bis 

Abends  ausser  Bett. 
VtB  Uhr  steht  Patient  auf.     \1  Uhr  Abends  Bad. 
%  8  Uhr  steht  Patient  auf.  V,  6  Uhr  Abends  Salzbad. 
Va  8  Uhr  steht  Patient  auf.  10  Uhr  Morg.  Freiübungen. 


318 


Dr.  Reckmann: 


Dat. 


S.V. 


4. 
5. 


'     a 

I    ^ 

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4  % 


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a,  d   c3 

&•    er    pf 


Bemerkungen 


1000  1016:6  Uhr  Morgens  kein  Eiweiss,  %8  Uhr  Morgens  steht  Patient  auf, 
8  Uhr  kein  Eiweiss,  10  Uhr  Spur  Eiweiss.  10  Uhr  geht  Patient 
ins  Bett.  12  Uhr  kein  Eiweiss,  12  Uhr  steht  Patient  wieder  auf. 
2  Uhr  kein  Eiweiss,  4  Uhr  kein  Eiweiss,  6  Uhr  Bodensatz.  6  Uhr 
geht  Patient  wieder  zu  Bett.    8  Uhr  kein  Eiweiss. 

850  1015  0 '  0  0  0  B  0  y,  8  Uhr  steht  Patient  auf  und  ist  den  ganzen  Tag 
I  I  ausser  Bett. 

800  1016  6  Uhr  Morgens  kein  Eiweiss,  y,8  Uhr  steht  Patient  auf.  8  Uhr 
ViQ  Vol.  Eiweiss,  10  Uhr  kein  Eiweiss,  Patient  steht  auf,  12  Uhr 
kein  Eiweiss,  2  Uhr  Spur  Eiweiss,  y,S  Uhr  geht  Patient  zu  Bett. 
4  Uhr  kein  Eiweiss.  Patient  steht  auf.  6  Uhr  kein  Eiweiss.  Patient 
geht  zu  Bett.    8  Uhr  kein  Eiweiss. 

Das  Allgemeinbefinden  des  Patienten  war  w&hrend  der  ganzen 
Beobachtungszeit  ein  gutes^  nur  in  der  Nacht  vom  13.  zum  14.  IV. 
klagte  Patient  über  unruhigen  Schlaf  und  Kopfschmerzen,  in  der  Nacht 
und  am  Morgen  des  14.  IV.  trat  auch  je  einmaliges  Erbrechen  auf. 
Das  Körpergewicht,  welches  am  7.  IV.  27  660  g  betrag,  war  am  6.  V. 
bis  auf  28  000  g  gestiegen.  Temperatur,  Puls  und  Respiration  bewegten 
sich  in  normalen  Grenzen,  nur  am  Abend  des  18.  IV.  oetrug  die  Temp. 
88,1,  der  Puls  116,  die  Respiration  16. 

Medicamente  erhielt  Patient  vom  3.  V.  an  und  zwar  dreimal  täglich 
1  Theelöffel  Liqu.  ferri  mang.  pept. 

Ziehen  wir  nun  aus  Vorstehendem  unsere  SchlQsse,  so 
finden  wir  Folgendes: 

1.  Patient  ist  nach  der  Nachtruhe  stets  eiweissfrei,  am 
11.,  15.  und  18.  IV.;  wo  sich  am  Morgen  Eiweiss  fand,  ist 
Patient  aufgestanden. 

2.  Patient  ist  eiweissfrei,  wenn  er  den  ganzen  Tag  zu 
Bett  liegt  und  möglichst  wenig  active  Bewegungen  macht. 
Vgl.  8.,  9.,  10.,  12.,  13.,  16.,  18.  IV. 

Die  am  21.,  23.  und  24.  IV.  um  G  Uhr  Abends  bemerkten 
geringen  Eiweissmengen  sind  vielleicht  darauf  zurückzuführen, 
dass  Patient  nicht  ruhig  gelegen  hat. 

3.  Passive  Bewegungen,  die  mit  denl  Patienten  im  Turn- 
saal am  15.  IV.  vorgenommen  werden,  haben  keine  Steigerung 
der  durch  das  Aufstehen  um  7  ühr  Morgens  bedingten  Eiweiss- 
ausscheidungen  zur  Folge;  am  21.  IV.  tritt  6  Uhr  Abends 
etwas  Eiweiss  auf,  welches  wohl  nicht  mehr  auf  die  Vi  10  Uhr 
Morgens  vorgenommenen  passiven  Bewegungen  zurückzu- 
führen ist. 

4.  Ist  Patient  längere  oder  kürzere  Zeit  auf,  so  findet 
sich  sofort  Eiweiss  im  Urin.  Vgl.  IL,  15.,  18.,  19.,  20.,  26,, 
27.,  28.,  29.,  30.  IV.,  1,,  2.,  3.  und  5.  V. 


Zur  KenntnisB  der  oyklischen  Albnminiirie.  319 

Ob  die  am  4.  Y.  um  6  Uhr  Abends  auftretende  geringe 
Ei  weiss  menge  noch  auf  das  Aufstehen  zurückzuführen  ist^  ist 
fraglich. 

5.  Das  Eiweiss  tritt  meist  bald  nach  dem  Aufstehen  ein, 
am  11.,  15^  18.,  19.,  20.,  28.  und  30.  IV.,  2.  und  5.  V.  schon 
schon  nach  1  resp.  iVi  Stunde;  am  26.  IV.  nach  2  Stunden, 
am  3.  V.  nach  2%  Stunden  und  am  29.  IV.  und  1.  V.  nach 
4^  Standen. 

6.  In  den  Vormittagsstunden  ist  der  Eiweissgehalt  am 
grossten,  am  Abend  ist  er  mit  Ausnahme  des  11.,  17.  und 
26.  lY.  ganzlich  geschwunden. 

7.  Die  Eiweissausscheidung  findet  ganz  unregelmässig 
statt,  aber  immer  nur  nach  dem  Verlassen  des  Bettes;  ein 
etwa  einer  typischen  Gurre  entsprechendes  Ansteigen  und 
Wiederabfallen  des  Eiweisses  ist  nicht  zu  constatiren. 

8.  Dem  Turnen  ist  ein  bestimmter  Einfluss  auf  die  Eiweiss- 
ausscheidung nicht  zuzuerkennen.  Am  28.  IV.  und  2.  Y.  war 
dieselbe  nach  dem  Turnen  geringer,  am  29.  IV.  trat  sie  nach 
dem  Tomen  ein,  während  am  17.  IV.  dasselbe  gar  keinen 
Einflnss  hatte. 

Eine  Yermehrung  des  vorhandenen  Eiweisses  durch  Turnen 
wurde  nicht  beobachtet. 

9.  Bäder  haben  auf  die  Eiweissausscheidung  keinen  deutr 
liehen  Einfluss.  Am  14.,  23.,  28.,  30.  lY.  und  1.  V.  verläuft 
das  Bad  reactionslos,  da  Patient  beobachtet  wird  und  ruhig 
im  Wasser  liegen  muss.  Das  am  22.  lY.  aufgetretene  Eiweiss 
ist  jedenfalls  durch  die  vielen  Bewegungen  des  Patienten  im 
Wasser  verursacht  Auch  die  am  25.  IV.  vorgenommene  nasse 
Einwickelung  scheint  diese  Annahme  zu  bestätigen.  Salzbäder 
haben  keinen  Einfluss. 

10.  Yermehrte  Eiweissaufnahme  hat  auf  die  Eiweiss- 
ausscheidung keinen  Einfluss,  wenn  Patient  zu  Bett  lag,  vgL 
24.  und  25.  lY.,  keine  Zunahme  zur  Folge,  wenn  Patient  den 
ganzen  Tag  über  auf  ist,  vgl.  26.  lY.— 5.  V. 

11.  Eine  Erkrankung  des  Nierengewebes  konnte  nicht 
nachgewiesen  werden;  denn  es  gelang  bei  keiner  der  zahl- 
reichen Untersuchungen  des  Sediments,  auch  während  der  Al- 
buminurie Epithelien,  Blutkörperchen  oder  Gy linder  nachzu- 
weisen. 

12.  Patient  wurde  im  Alter  von  10  Jahren  von  dem 
Leiden  befallen,  nachdem  er  vor  circa  einem  Jahre  an  Di- 
phtherie mit  Nephritis  und  vor  circa  einem  halben  Jahre  an 
Scharlach  mit  Nephritis  complicirt  gelitten  hatte. 

Fall  a 

Patient,  Robert  F.,  ist  14  Jahre  alt;  sein  Vater  und  eine  Schwester 
sind  gesnnd,  seine  Matter  hat  in  den  letzten  Jahren  an  Pleuritis  gelitten. 


322  Dr.  Beckmann: 

4.  Der  Abendurin  enthalt  zweimal  ziemlich  beträchtliche 
Mengen  Ei  weiss,  neunmal  gar  nichts,  sonst  nur  Spuren.  Der 
Einfluss  der  Bäder,  des  Turnens,  der  passiven  Bewegung,  der 
eiweissreichen  und  eiweissarmen  Nahrung  auf  die  Nephritis 
konnte  leider  bei  der  kurzen  Zeit,  die  Patient  zur  Beobach- 
tung im  Erankenhause  yerweilte,  nicht  studirt  werden. 

Wir  sehen  also,  wie  in  beiden  Fällen  das  Ei  weiss  ganz 
schwindet  oder  nur  in  Sparen  auftritt^  wenn  Patient  ruhig  im 
Bett  liegt;  wie  es  alsbald  auftritt,  resp.  sich  vermehrt^  wenn 
Patient  das  Bett  verlässt;  wie  die  Eiweissmengen  zu  ver- 
schiedenen Tageszeiten  verschieden  sind,  und  zwar  so,  dass 
sie  zum  Abend  hin  abnehmen. 

Im  ersten  Falle  trat  die  Albuminurie  ein,  nachdem  das 
vorhergegangene  Nierenleiden  abgeheilt  war;  bei  dem  zweiten 
Patienten  bestand  die  Nephritis  seit  der  Scharlacherkran- 
kung fort. 

Wir  haben  also  in  der  zweiten  Beobachtung  einen  Fall 
vor  uns,  welcher  sich  der  Auffassung  von  Senator  ganz 
entsprechend  verhält.  Denn  wenn  auch  von  einem  Recon- 
valescenzstadium  bei  dem  betreffenden  Knaben  noch  nicht  die 
Rede  sein  kann,  sondern  eine  noch  fortdauernde  Nierenerkran* 
kung  vorliegt,  so  darf  dieselbe  doch  mit  Berücksichtigung 
aller  Erscheinungen  noch  als  eine  leichte  chronische  Nephritis 
angesehen  werden,  deren  schliessliches  Ausklingen  in  Genesung 
wohl  nicht  ganz  von  der  Hand  gewiesen  zu  werden  braucht. 

Hier  aber  finden  wir  nun  in  der  That  auch  ein  gewisses 
cyklisches  Verhalten  der  Albuminurie,  dadurch  gekennzeichnet, 
dass  durch  ruhige  Bettlage  während  der  Beobachtungszeit  (und 
auch  später)  die  Ausscheidung  von  Eiweiss  —  soweit  dieses 
durch  die  gewöhnlichen  klinischen  Metboden  nachweisbar  war 
—  hintangehalten  werden  konnte,  während  der  Wechsel  der 
Lage,  das  Verlassen  des  Bettes,  alsbald  Albuminurie  zur  Folge 
hatte;  dass  diese  aber  auch  hier,  wie  bei  der  echten  cykli- 
schen  Albuminurie,  mehrere  Male  im  Laufe  des  Tages,  brotz 
fortgesetzten  Aufbleibens,  wieder  zurückging. 

Trotzdem    aber  kann   nach   meiner  Meinung  der  durch- 

f reifende  Unterschied  zwischen  beiden  oben  mitgetheilten 
allen  nicht  verkannt  werden.  Denn  während  in  meiner 
ersten  Beobachtung  eben  nur  die  eigen thümliche,  und  auch 
in  sehr  geringen  Grenzen  sich  haltende  Albuminurie  nach- 
weisbar war,  ohne  dass  auch  nur  ein  einziges  Mal  die  ge- 
formten Bestandtheile  des  Sedimentes  sich  hätten  finden  lassen, 
welche  doch  eigentlich  erst  mit  Sicherheit  die  Diagnose  einer 
Nephritis  gestatten  —  so  verhielt  sich  der  zweite  Fall  bei 
genauerem  Zusehen   doch   ganz  anders.    Er  zeigte  bei  jeder 


Zar  KenniniM  der  cyklischen  Albominnrie.  323 

Untersachimg,  die  yorgenommen  wurde,  die  charakteristischen 
Befände  des  Sedimentes,  sowohl  rothe  und  weisse  Blatzellen, 
wie  auch  Terschieden  gestaltete  Hamcylinder.  Auch  bot  die 
Eiweissausscheidung  eine  grössere  Hartnäckigkeit  dar,  als  im 
ersten  Falle,  und  trat  einmal  während  der  Beobachtungszeit 
doch  auch  schon  bei  der  ersten  Tagesprobe  trotz  streng  ein* 
gehaltener  Bettruhe  auf  Wenngleich  also  die  intermittirende, 
ja  zu  gewissen  Zeiten  fast  cyklische  Albuminurie  auch  bei 
wirklichen  Nierenerkraokungen  vorkommen  kann,  so  thut  diese 
Thatsache  doch  der  anderen  keinen  Eintrag,  dass  es  eine  reine 
Form  cyklischer  Eiweissausscheidung  beim  Menschen  giebt, 
welche  mit  einer  anatomischen  Nierenerkrankung  nicht  in 
Zusammenhang  gebracht  werden  kann. 


tl 


6.  Ueber  den  Verlauf  der  Sehntzpookeniiupfaiig  bei  einer 
Beihe  abnorm  sohw&ohlicher  S&nglinRe  und  Kinder. 


Von 
Dr.  med.  J.  H.  Fbiedemann. 

Als  im  Januar  1893  in  unmittelbarer  Nähe  unseres 
Krankenhauses  ein  Pockenfall  vorkam,  trat  an  uns  die  Frage 
heran ;  ob  wir  nicht  verpflichtet  wären,  die  in  der  Anstalt 
anwesenden  ungeimpften  Kinder  durch  schleunige  Impfung 
vor  einer  Pockenansteckung  zu  bewahren.  In  dieser  Er- 
wägung nahm  mein  hochverehrter  Chef,  Herr  Professor 
Dr.  Heubner,  am  3.  Februar  die  Vaccination  an  6  schwäch- 
lichen Säuglingen  oder  dem  Säuglingsalter  nahestehenden  Kin- 
dern vor. 

So  klein  nun  auch  das  Beobachtungsmaterial  ist,  welches 
diese  6  Impffälle  bilden,  so  zeigen  dieselben  doch  genug 
des  Interessanten,  um  die  Veröffentlichung  und  Besprechung 
derselben  an  dieser  Stelle  zu  rechtfertigen. 

Sehen  wir  uns  zunächst  die  einzelnen  Krankengeschich- 
ten an: 

Fall  I.  Cart  H.,  Kaufmanns  Sohn  aus  Leipzig,  am  Tage  der  Im- 
pfung 90  Tage  alt.  Eltern  gesund.  Das  1.  Kind  kam,  7  Wochen  za  früh, 
todt  zur  Welt.     Vater  der  Mutter  an  Lungenschwindsucht   gestorben. 

Fat.  konnte  nur  die  drei  ersten  Lebenswochen  von  der  Mutter  ge- 
stillt werden,  bekam  dann  verdünnte  Kuhmilch,  sp&ter  auch  Hafer- 
mehl. 

Seit  der  Qeburt  Schnupfen  und  yiel  Niesen,  ausserdem  häufiges 
Erbrechen  (bald  nach  dem  Trinken);  dabei  gute  Nierenth&tigkeit  (das 
Kind  macht  täglich  ca.  80  Windeln  naes),  aber  hartnäckige  Verstopfung 
und  seit  Ende  December  1892  beim  Stuhlpressen  Vorfall  des  Mas^ 
darms  beobachtet.  Appetit  stets  gut,  trotzdem  seit  Ende  December 
TOr.  Jahres  stärkere  Aoniüime  des  Körpergewichts. 

Am  7.  L  1898  wurde  Patient  zum  ersten  Male  in  die  Kinderklinik 
aufgenommen  und  zeigte  folgenden  wesentlichen  Befund: 

Blasses  Kind  von  greisenhaftem  Aussehen.  Körperlänge  51  cm, 
Kopfumfang  85  cm,  Körpergewicht  2560  g.     Haut  rein,  nur  in  der  Um- 

Sebung  des  Afters  leicht  geröthet.  Extremitäten  kühl.  Lippen  und 
unge  etwas  trocken.  Mundhöhle  rein.  Rachentheile  blass.  Drüsen 
an  den  Kieferwinkeln  und  den  mm.  stemocleidomastoideis  erbsengross, 
Stimme  kräftig,   nicht  belegt.    Auf  den  Lungen  überall  YoUer  Schall, 


H.  Friedemann:  Schatzpockenimpfang  b.  S&ogliiigeii  u.  Kindern.    325 

■ 

YesicaläratbmeD.  Herz-  and  GefässtOne  rein.  Puls  ziemlich  kr&ftig, 
regelmässige  gleichmässig.    Temp.  36^6.    PüIb  104.    Besp.  40. 

Abdomen  ohne  Besonderheiten.  Stahl  gelb,  breiig,  ohne  jede  ab- 
norme Beimengung.  Ausser  Herabsetzang  der  motorischen  Function 
keine  auffallende  Störung  der  Magentbätigkeit  nachzuweisen. 

Dem  Kinde  wurde  nur  einmal  (am  selben  Nachmittag  der  Auf- 
nahme in  der  Poliklinik)  der  Magen  ausgespült  (mit  Besorcinlösung  1 :  6000) ; 
als  Nahrung  wurde  yerdünnte  Wassermilch  (mit  Milchzuckerzusatz)  ge- 
reicht. Eigentliches  Erbrechen  wurde  in  der  Folgezeit  nie  beobachtet. 
Appetit  stets  gut.  Das  Körpergewicht  hob  sich  und  betrug  am  8.  I. 
2580  gv  am  10.  L  2720  g,  am  12.  I.:  2810  g.  Auffallend  war  allerdings, 
dass  Fat.  durchschnittlich  6—7  Stühle  täglich  hatte  von  wechselnder 
Beaction,'  welche  zuweilen  an  der  Luft  rasch  grün  sich  färbten,  aber 
stets  gut  yerdaat  sich  zeigten.  Die  Körpertemperatur  bewegte  sich 
innerhalb  der  Grenzen  you  36,4 — 37,6°  (ohne  regelmässigen  Tjpas). 

Am  13. 1.  wurde  Fat.  entlassen. 

Wiederaufnahme  am  19.  1.  Fat.  hat,  wie  die  Mutter  meint,  in  Folge 
unzureichender  Milchqnalität,  inzwischen  an  Körpergewicht  abgenommen, 
würgt  nach  jedem  Trinken  und  ist  sehr  unruhig.  Stuhl  soll  gelb  bis 
gelblich  -  grün  sein,  einmal  des  Tages  gewöhnlich  ergiebig,  ausserdem 
aber  öfter  noch  in  kleinen  Mengen  grieslicher  gehackerter  Massen  er- 
folgen. 

Bei  der  Aufnahme:  Temp.  86,8,  Pals  128,  Besp.  62.  Gewicht: 
2780  g.  Im  übrigen  Körperbefund  keine  Aenderung  zu  constatiren. 
Am  21. 1.  beträgt  das  Körpergewicht  2830  g,  dagegen  am  23.  I.  2650  g. 
Fat.  bekommt  nunmebr  statt  Wassermilch  Yoltmer's  Muttermilch.  Trotz- 
dem bleiben  die  Stühle  tou  schlechter  Beschaffenheit;  nachdem  am 
22.1.  neun  gelbgrüne,  breiige,  sauer  reagirende  Stühle  erfolgt  waren^ 
hatte  das  Kind  am  25.  I.  elf,  am  26.  I.  zwölf  Stühle,  darunter  zwei 
bez.  drei  ganz  durchfällige.  Körpergewicht  am  25.  I.  2720  g,  am  27.  I. 
2770  g. 

Am  27. 1.  ziemlich  starker  Soorbelag  im  Monde. 

Urinuntersuchung  am  28.  I.  ergiebt:  normale  Farbe  und  Reaction, 
geringen  Indicangehalt,  kein  Eiweiss  oder  Zucker.  Stühle  werden  etwas 
besser,  bleiben  aber  noch  zahlreich  (6— 9  täglich). 

Gewicht  am  29.  I.  2930  g,  am  31.  I.  2940  g,  am  2.  II.  3040  g. 

Urinuntersuchung  am  2.  II.:  Urin  klar,  von  gelber  Farbe, 
schwach  saurer  Beaction,  zucker-  und  eiweissfrei;  keine  Diazo-,  starke 
Indicanreaction.    Soor  seit  31.  I.  geheilt. 

Am  3.  Februar  1893  Vormitt^s  zwischen  10  und  11  Uhr  Impfung 
(je  drei  Schnitte  an  den  Oberarmen)  mit  animaler  Lymphe  aus  dem 
königl.  Impfinstitut  (Sanitätsrath  Dr.  Chalybaeus)  in  Dresden. 

Den  Temperaturverlauf  zeigt  Curve  I  (s.  S.  326). 

Stühle  hatte  Pat.  Tom  2. — 3.  II.  7  gelbbreiige  sauere, 

3.  4.        7  „  »»     » 

4.  0.  7  „  M       » 

5.-6.        6  „  „        and    1  gelh- 

grünen  breiigen  sauren. 

Körpergewicht  am  4.  II.  3000  g. 

6.  U.  Augen,  Nase  und  Ohren  o.  B.  Lippen  und  Zunge  feucht. 
Mundhöhle  rein.  Bachentheile  blass.  Stimme  stark  belegt.  Auf  den 
Lungen  überall  voller  Schall,  Vesiculärathmen;  rechts  hinten  unten 
ganz  yereinzeltes  Schnurren.    Herz  o.  B. 

Abdomen  stark  aufgetrieben.  In  der  Umgebung  des  Afters  geringer 
Intertrigo. 

An  zwei  Impfstellen  des  rechten  Arms  papulOse  Erhebungen.  Nicht 
die  geringste   entzündliche   Beaction   in   der   Umgebung.     Am    Körper 


326 


H.  Friedemann: 


bisher  nirgends   Exantheme  beobachtet.    Appetit   gut.    Körpergewicht 
2920  g. 

Vom  6. — 7.  II.  hatte  Fat.  7  gelbbreiige  saure  StGble, 
„    7.—«.  „        „'    6  „  and  2  darchföllige  gelbe, 

„    8.-9.  „        „9  „         und  1  durchf&Uig.  sauren  St. 

Körpergewicht  am  8.  II.  2720  g. 

9.  II.  Im  rechten  Conjanctivalsack  eine  massige  Menge  Schleim. 
Nase  0.  B.  Lippen  trocken.  Zunge  feucht.  Rachentheile  blass.  Stimme 
schwach  belegt.  Auf  beiden  Lungen,  besonders  aber  der  rechten  un- 
teren Partie  gröbere  und  feinere  Rasselgeräusche.  Herz  o.  B.  Puls 
wenig  kräftig;  die  feineren  Einzelheiten  desselben  wegen  Unruhe  des 
Kindes  nicht  zu  constatiren.    Abdomen  o.  B.    Kein  Intertrigo. 

Von  den  Impfstellen  sind  nur  am  rechten  Arm  zwei  verändert: 
an  einer  Stelle  zeigt  sich  eine  kaum  linsengrosse,  blassrothe,  deut- 
lich begrenzte  Erhabenheit,  in  deren  Mitte  Bildune  eines  Vaccine - 
bläschena  angedeutet  ist;  oberhalb  derselben  eine  ^enso  grosse  Er- 

Cur?e  I. 


JSO 


hebung,  welche  aus  einem  deutlichen  Vaccinebläschen  mit  blass 
rothem  Saum  besteht.  In  der  Umgebung  keine  entzündliche  Re- 
action. 

Urin  gelb,  sauer,  klar,  zucker-  und  eiweissfrei.  Keine  Diazo-  und 
keine  Indicanreaction. 

Voltmermilch  wurde  in  den  letzten  Tagen  schlecht  getrunken; 
Wassermilch,  welche  seit  heute  gereicht  wird,  wird  besser  genommen. 

Am  10.  II.  frflh  ziemlich  rasch>  Exitus  letalis ,  nachdem  das  Kind 
ca.  ^L  Stunde  zuvor  noch  leidlich  getrunken  hatte. 

Die  Section  ergab  ausser  Anämie  der  inneren  Organe  und  eitriger 
Bronchitis  im  rechten  Unterlappen  nichts  Besonderes,  insbesondere  keine 
Tuberculose  und  nicht  das  geringste  Zeichen  für  die  Einwirkung  einer 
infectiösen  Erkrankung. 

Fall  II.  Eichard  B.,  Handarbeiters  Sohn  aus  Lindenau  bei  Leipzig, 
am  Tage  der  Impfung  118  Tage  alt.  Vater  und  8  Geschwister  gesund. 
Die  Mutter  soll  mehurmals  fehlgeboren  haben;   sie  ist  Anfang  Octob^ 


Schatspockenimpfang  b.  abnonn  schwäohl.  Säaglingen  u.  Kindern.    327 


1892  an  Kindbettfieber  gestorben.  TubercnlOae  Familienbelastung 
nicht  nachzuweisen. 

Fat.  soll  mit  einem  Körpergewicht  von  12  Pfand  zur  Welt  ge- 
kommen sein,  wurde  die  ersten  14  Tage  gestillt,  dann  mit  Kahmilch 
geirrt. 

Am  10.  XI.  1892  wurde  Fat.  wegen  Keuchhusten  und  Dyspepsie  in 
die  Kinderklinik  gebracht.  Der  Keuchhusten  war  von  massiger  Intensität 
und  Ycrlief  ohne  Complicationen.  Die  Dyspepsie  besserte  sich  unter 
zweckmässiger  Ernährung  bald  und  Fat.  konnte  am  20.  I.  1893  völlig 
geheilt  entlassen  werden. 

Am  26.  I.  wurde  Fat.  wieder  ins  Haus  gebracht,  weil  er  noch  starke 
Hustenanfälle  mit  Erbrechen  haben  sollte.  Das  Körpergewicht  betrug 
an  diesem  Tage  8440  g.  Der  Status  weist  folgenden  wesentlichen  Be- 
fund nach:  Blasses,  leidlich  genährtes  Kind.  Körperlänge  66,6  cm. 
Kopfumfang  37^0  cm.  Grosse  Fontanelle  4  cm  lang,  8*^  cm  breit.  Sa- 
gittalnaht  bis  zum  Hinterhaupt  ziemlich  weit  offen  stehend.  Conjunc- 
tivae palpebramm  leicht  iigicirt,  Augenlider  leicht  gedunsen.  Nase  o.  6. 
Lippen  etwas  trocken.  Noch  kein  Zahn.  Mund-  und  Bachenhöhle  rein. 
Drüsen  an  den  Kieferwinkeln  bis  erbsengross.  Stimme  frei.  Brust-  und 
Baachorgane  zeigen  nichts  Bemerkenswerthes.  Appetit  gut.  Stühle  gelb, 
breiig.     Fat.  bekommt  Yoltmermilch. 

HustenanWle  wurden  in  der  Anstalt  niemals  beobachtet,  daher 
konnte  Fat.  am  28. 1.  unbedenklich  von  der  Keuchhustenstation  nach 
der  inneren  Abtheilung  verlegt  werden. 

Am  28. 1.  einmal  Erbrechen,  weshalb  sofort  eine  Magenausspülung 
vorgenommen  wurde.  Danach  blieb  die  Verdauung,  abgesehen  von  einem 
leicht  schleimigen  Stuhl  am  81.1.,  ohne  Störung;  die  Anzahl'  der  Stühle 
betrug  in  den  nächsten  Tagen  2 — 4;  das  Körpergewicht  war  am  28.  I. 
8690  g,  am  29.  I.  8670  g,  am  81.  I.  3730  g,  am  2.  II.  8760  g. 

Vom  1.— 2.  II.  hatte  Fat.  6  gelbgrüne,  saure  breiige  Stühle.  Eine 
Urinuntersuchung  am  2.  II.  ergab:  Urin  klar,  sauer,  zucker-  und 
eiweissfrei;  starker  ^dicangehalt;  keine  Diazoreaction. 

Am  8.  II.  Impfung  wie  bei  Fall  I.    Den  Temperaturverlauf  s. 

Gurve  II. 


J6.0 


Stühle  vom  2.-3.  ü.  8  gelbbreiige,  alkalische, 
3.— 4.        4  „  9*  f 

4.-6.        1  gelber,  4  gelbgrüne  breiige  saure, 
6.-6.       8  gelbe,  2 


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328  H.  Friedemum: 

Körpergewicht  am  4.  II.  8680  g.  Fat.  bekommt  vom  4.  IL  an  Warner- 
milch. 

6.  II.  Augen  und  Ohren  o.  B.  Lippen  und  Zunge  feucht  Am 
Zahnfleisch  des  Oberkiefers  mädeige  Röthung  und  Schwellung,  daseibat 
eine  kleine,  strichförmige,  graue  Auflagerung  an  einer  Stelle.  Auf  der 
Schleimhaut  der  linken  Oaumenhälfte  (harter  Gaumen)  ein  halblinsen- 
groBses,  roth  geränderte?,  gelb  belegtes  Geschwür.  Stimme  frei.  Brnst- 
organe  o.  B. 

Impfstellen  ohne  Reaction.  Bisher  nirgends  am  Körper  ein 
Exanthem  zu  sehen  gewesen.    Körpergewicht  3150  g. 

Vom  6.^7.11.  5  gelbbreiige  saure  Stühle. 

Am  7.  IL  an  den  Impfstellen,  mit  Ausnahme  einer  Stelle,  be- 
ginnende Bläschenbildung. 

Vom  7.-8.  6  gelbbreiige  saure  Stühle. 

8.  II.  Urin  klar,  schwach  sauer,  eiweiss-  und  zuckerfrei.  Geringer 
Indicangehalt,  keine  Diazoreaction.  Gewicht  3400  g.  Fat  bekommt 
Wassermilch  mit  Butterzusats. 

9.  II.  Augen,  Nase,  Mund  und  Rachen  o.  B.  Stimme  frei.  Lungen : 
überall  voller  Schall,  Vesicul&rathmen,  keine  Rasselgeräusche.  Herz 
u.  B.    Fuls  weich,  regelmässig,  gleichmässig.     Abdomen  o.  ß. 

An  drei  Stellen  des  linken  Arms  sind  kaum  linsengrosse ,  am 
rechten  Arm  zwei  etwa  bohnengrosse ,  ziemlich  flache  Vaccine- 
bläschen  mit  klarem  Inhalt  gebildet,  welche  von  einem  blassrothen, 
kaum  1  mm  breiten  Saume  umgeben  sind.  In  der  Umgebung 
nicht  die  geringste  entzündliche  Reaction.  Kein  Erbrechen.  Appe- 
tit gut. 
Vom  9.— 10.  IL  5  gelbbreiige  saure  Stühle. 

10.  II.  Inhalt  derVaccinebläschen  verfärbt  sich  gelblich. 
Achseldrüsen  nicht  geschwollen.    Gewicht  3620  g. 

Vom  10.— 11.  II.  6  gelbbreiige  saure  Stühle, 
II.     xi,         6  „  „  „     , 

12.— 13.         6  „  „  „     , 

xo.      14.  4  „  ,,  „     . 

Gewicht  am  12.  IL  3490  g,  am  14.  II.  3660  g. 

14.  II.  Urin  hellgelb,  ohne  Eiweiss  und  ohne  Zucker.  Indican- 
reaction  sehr  schwach.    Keine  Diazoreaction. 

Vom  14.— 16.  II.  3  gelbbreiige  saure  Stühle. 

16.  II.  Augen,  Nase  und  Ohren  o.  B.  Mund-  und  RachenhOhle 
rein.  Lungen:  überall  reines  Vesiculärathmen.  Herz  o.  B.  Abdomen 
o.  B.  Impfpusteln  trocknen  ein.  Achseldrüsen  gering  geschwollen. 
Appetit  gut. 

Vom  16.—16.  IL  3  gelbbreiige  saure  Stühle. 

Am  16.  IL  Körpergewicht  3660  g. 

Vom  16.— 17.  IL  6  gelbbreiige  Äühle, 
17.— 18.        1  gelbbreiiger  Stuhl. 

Am  18.  IL  Körpergewicht  3720  g. 

Vom  18.— 19.  IL  4  gelbbreiige  saure  Stühle. 

19.  IL  Augen,  Nase  und  Ohren  o.  B.  Mund-  und  Rachenhöhle  rein. 
Brust-  und  Bauchorgane  o.  B.  Schorfe  vom  rechten  Oberarm  ab- 
gefallen. 

Vom  19.— 20.  IL  4  gelbbreiige  saure  Stühle.  Körpergewicht  am 
20.  IL  3620  g. 

Vom  20.— 21.  IL  2  gelbbreiige  saure  Stühle. 

Vom  21.— 22.  IL  6  „  ),         „      ,  1  gelber  durchfäl liger. 

Gewicht  am  22.  IL  3480  g. 

Fat.  bekommt  vom  22.  II.  an  Vollmilch  (ohne  Zusatz). 


Scbntzpockenimpfnng  b.  abnorm  schw&cbl.  8&aglingen  a.  Kindern.    329 

Vom  22.— 28.11.  4  gelbbreiige,  1  gelbgrüner  sanrer  Stabl. 

Vom  23.— 24.11.  3  „         ,1    gelbgrfiner   breiiger  nnd  1   gelb- 

grüner dnrchfälliger  Stuhl.    Körpergewicht  am  24.  II.  8660  g. 

Vom  24. — 25.11.  2  gclbbreiige,  2  gelbgrüne  saare  Stühle. 

26.  II.  Appetit  und  Allgemeinbefinden  gut.  An  den  inneren  Or- 
ganen nichts  Abnormes.  Durchföllige  Stöhle  traten  nicht  wieder  auf. 
Das  Körpergewicht  betrug  am  26.11.  8630  g,  am  28.11  3670  g,  am  2.111. 
3770  g,  am  4.  III.  3780  g.  Urinuntersuchung  ergab  am  4.  III.  ausser 
sehr  geringem  Indicangehalt  nichts  Bemerkenswerthes.  Gewicht  am 
6.  III.  3860  g,  am  8.  III.  3920  g. 

8.  IIL    Appetit  gut.     StOhle  völlig  homogen,  von  goldgelber  Farbe. 

10.  III.  Gewicht  3860  g.  Augenlider  leicht  geröthet  und  gedunsen. 
Nase  und  Ohren  o.  B.  Lippen  blass,  trocken.  Mundhöhle  rein,  Bachen- 
theile  blass.  Stimme  frei.  Auf  den  Lungen  überall  Veeiculärathmen. 
Herz  und  Puls  o.  B.  Abdomen  ziemlich  stark  aufgetrieben,  weich.  An 
den  Impfstellen  finden  sich  tief  eingezogene  Narben. 

12.  m.     Gewicht  3870  g. 

13.  in.  Urin  sauer,  eiweiss-  und  zuckerfrei;  ganz  schwache  In- 
dican-,  keine  Diazoreaction.  Das  Körpergewicht  betr&gt  am  14.  III. 
3930  g,  am  16.  3990  g,  am  18.  4000  g,  am  20.  4020  g,  am  22.  4040  g, 
am  24.  4090  g,  am  26.  4100  g,  am  28.  4070  g,  am  30.  4070  g.  P.  wird 
am  80.  III.  entlassen. 

Fall  ni.  Alfred  St.,  Arbeiterin  Sohn  aus  Sellerhausen  bei  Leipzig, 
am  Tage  der  Impfung  180  Tage  alt.  Illegitimes  Kind.  Mutter  soll 
schwindsüchtig  sein.  Das  Kind  wird  von  seiner  Ziehmutter  wegen 
starken  Wandseins  am  16.  I.  in*s  Ejrankenhaus  gebracht.  Appetit  und 
Stuhl  soll  bisher  gut  gewesen  sein. 

Status  praesens:  Blasses,  aber  gut  gen&hrtes  Kind.  Körper- 
gewicht am  16.  I.  Ahends  4970  g.  Körperlänge  68  cm ;  Kopfumfang 
40,26  cm.  Grosse  Fontanelle  2^  cm  lang  und  breit.  Augen  o.  B.  An 
den  Kaseneingängen  eingedicktes  graugelbes  Secret.  Lippen  trocken. 
Zunge  fencht.  Mundhöhle  rein.  BAchentheile  blass.  Noch  kein  Zahn. 
Eczema  capillitii.  Starkes  intertriginöses  Ekzem  am  Hals,  Nacken, 
Achselhöhlen,  Unterleib,  Genitalien  bis  herab  zu  den  Unterschenkeln. 
Drüsen  am  Hals  nnd  Nacken  erbsengross,  ebenso  in  der  rechten  Achsel- 
höhle, in  der  Inguinalgegend  fast  bohnengross.  Thorax  gnt  gebaut. 
Lungen:  überall  voller  Schall,  Vesiculärathmen;  r.  h.  u.  etwas  Schnurren. 
Herz  o.  B.  Puls  kräftig,  regelmässig,  gleich  massig.  Abdomen  leicht 
aufgetrieben,  weich;  keine  Tumoren  zu  fühlen.  Stuhl  gelb,  breiig.  Pat. 
bekommt  sterilisirte  Wassermilch.  Der  Krankheitsverlauf  war  bis  zum 
Tage  der  Impfung  kurz  folgender:  Das  Ekzem  heilte  iu  den  ersten 
8  Tagen  rasch  ab;  die  Beschaffenheit  der  Stühle  blieb  durchaus  gut, 
dagegen  schwankte  ihre  Anzahl  zwischen  2  und  8(!)  in  24  Stunden. 
Vom  19.  L  an  bekommt  Pat  Wassermilch  mit  Butterzusatz.  Das  Körper- 
gewicht betrug  am  18.  I.  4840  g,  19.  4810  g,  20.  4820  g,  23.  4960  g, 
26.  4930  g,  27.  4810  g,  29.  4730  g,  81.  4760  g,  2.  IL  4880  g.  Seit  27. 1. 
erhält  Pat.  Vollmilch  (ohne  Zusate). 

28.  L  Urin  klar,  gelb,  sauer,  eiweiss-  und  zuckerfrei  Mittelstarker 
Indicangehalt. 

28.  L  Urin  gelb,  sauer,  ohne  pathologische  Bestandtheile.  Indican- 
gehalt eben  sichtbar. 

2.  IL  Urin  zucker-  und  eiweissfrei.  Keine  Diazoreaction.  Starker 
Indicangehalt.  An  Brust-  und  Bauchorganen  zeigte  sich  ebenfalls  bis 
xum  2.  n.  nicht  die  geringste  pathologische  Veränderung.  Vorüber- 
gehend zeigte  Pat.  am  31.  I.  schwachen  Soorbelag  an  der  rechten  Wange, 
welcher  rasch  verschwand  mid  ohne  Einfluss  auf  den  Appetit  und  das 


830 


H.  Friedemann: 


Allgemeinbefinden  geblieben  ist  Die  Temperatur  stieg  nur  iweimal 
etwas  an  (ohne  besondere  nachweisbare  Ursache):  am  28. 1.  Abends  87,9® 
nnd  am  1.  IL  Morgens  88,0.  Vielleicht  ist  der  Nahrungsweohsel  am 
87.  I.  dabei  von  Emflnss  gewesen. 

Am  8.  IL  Vormittags  Impfung  wie  bei  Fall  I  und  IL    Tempe- 
raturverlanf  zeigt 

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Vom  8.- 

-8. 

IL 

6 

gelbbreiige 

sanre 

Stühle, 

8- 

—4. 

6 

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4.- 

-6. 

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If 

Gew.  am  4.  IL  4920  g 

Gew.  am  6.  IL  4940  g. 

6.  n.  In  den  Conjunctiven  geringe  Men^e  Schleim.  Nase  und 
Ohren  o.  B.  Lippen  trocken,  mindhöhle  rein.  Rachentheile  blass. 
Auf  den  Langen  überall  voller  Schall,  Vesicnl&rathmen.  Hers  und 
Puls  0.  B.  Abdomen  stärker  aufgetrieben,  bietet  aber  sonst  keine  Be- 
sonderheiten. Appetit  gut.  An  den  Impfstellen,  besonders  links,  papu- 
lüse  Erhebung.  In  der  Umgebung  des  Afters  stärkerer  Intertrigo  mit 
Pustelbüdung. 

Vom  6.-7.  n.  8  gelbbreiige  saure  Stühle, 

7.-8.       6  „  „  „      —  Gew.  am  8.  IL  4980  g. 

8.  IL  Urin  klar,  gelb,  schwach  sauer;  weder  Eiweiss  noch  Zucker. 
Keine  Diasoreaction.  Indicangehalt  mittelstark.  —  Fat.  bekommt  täg- 
lich einmal  Bouillon  mit  Ei  eu. 

Vom  8.-9.  IL  8  gelbbreiige  Stühle. 

9.  IL  Augen,  Nase  o.  B.  Lippen  trocken,  Zunge  feucht.  Mund- 
höhle rein;  Rachentheile  blass.  Stimme  frei.  Lungen:  überall  voller 
Schall,  Vesiculärathmen,  keine  Rasselgeräusche.  Hers  o.  B.  Puls  liem- 
lich  kräfüg,  regelm&ssig,  gleichmässig.  Abdomen  o.  B.  Sämmtliohe 
Impfstellen,  besonders  am  linken  Arm,  seigen  verhältnissmässig  hohe, 
wasserhelle  Vaccinebläschen,  welche  von  blassrothem  Saum 
umgeben  sind.  In  der  Umgebung  keinerlei  entaündliche  Beaction. 
Appetit  gut. 

Vom  9  —10.  IL  10  gelbbreiige  saure  Stühle.  —  Gewicht  am  10.  IL 
4880  g. 

10.  IL  Befund,  besonders  an  den  Impfstellen,  wie  gestern.  Drüsen 
in  den  Achselhöhlen  nicht  geschwollen.  Bouillon  wird  schlecht  ge- 
nommen:  Fat.  bekommt   deshalb  täglich  1  Ei   mit  Zucker  und  8  mal 


Schntzpockenimpfung  b.  abnorm  sohwäcbl.  S&aglingen  u.  Kindern.    331 

tftglicli  1  Kaffeelöffel  Denayer'scbes  Pepton.  -—  Inhalt   der  Yaccine- 
blftschen  verfärbt  sich  gelblich. 

Vom  10.— 11.  li.  8  gelbbreiige  saure  Stfihle, 

11.-12.       7  „  „  „     —  Gew.  am  12.  II.  4790  g. 

12.— 18.        0  „  if  „ 

18.— 14.       3  „  „  ,,      —Gew.  am  14.  II.  4990  g. 

14.  II.  Urin  klar,  schwach  saaer,  ei  weiss-  and  zackerfrei.  Keine 
Diazoreaction.    Indicanreaction  eben  sichtbar. 

Vom  14.— 16.11.     6  gelbbreiige  Stahle. 

15.  IL  An  den  Aagenlidem  wenig  eingetrockneter  Schleim.  Nase, 
Mond-  nnd  BachenhOble  o.  B.  Stimme  frei.  Auf  den  Langen  überall 
Toller  Schall,  Veaicalärathmen,  kein  Bassein.  Herz-,  Bauchbefund  un- 
verändert. Unterste  Impfpustel  am  rechten  Arm  trocknet  ein.  Drfisen 
in  den  Achselhöhlen  bedeutend  geschwollen:  rechte  eine  ca.  haselnuas- 
grosse,  links  eine  bohnengrosse  Drüse.    Appetit  gut. 

Vom  15.— 16.  II.  5  gelbbreiige  Stfihle,  —  Gew.  am  16.  II.  4970  g. 

16. — 17.  8  „                  „     , 

17.— 18.  8  „                 w     ,  —  Gew.  am  18.  11.  5060  g. 

18.— 19.  4  „           ,2  gelbgrüne  breiige  saure  Stühle. 

19.  II.  Augen,  Nase,  Ohren  o.  B.  Lippen  trocken;  Zunge  feucht. 
Mundhöhle  rein.  Rachentheile  blass.  Stimme  frei.  Lungen:  überall 
Yesiculärathmen,  r.  h.  u.  ganz  selten  Schnurren.  Herz  o.  B.  Abdomen 
0.  B.  Pusteln  alle  eingetrocknet,  aber  noch  kein  Schorf  abgefallen. 
Drüsen  in  den  Achselhöhlen  wenig  yerkleinert,  nicht  druckempfindlich. 
Die  Beschaffenheit  der  Stühle  blieb  in  der  Folgezeit  dieselbe  wie  bisher. 

Am  20.  II.  früh  hatte  Fat.  88,2^  Temp.  ohne  ersichtliche  Ursache. 
Gewicht  am  20.  IL  4950  g. 

21.  II.  Urin  zucker-  und  eiweissfrei;  keine  Diazo-,  keine  Indican- 
reaction.   Gewicht  am  22.  IL  4960  g. 

28.  IL  Geringer  Schnupfen.  Appetit  gut.  Impfstellen  unverändert 
geblieben.    Gewicht  am  24.  IL  4990  g. 

25.  IL  An  den  inneren  Organen  nichts  Besonderes.  Am  rechten 
Oberarm  zwei  Impfschorfe  in  Ablösung  begriffen.  Appetit  und  All- 
gemeinbefinden gut. 

27.  IL    Morgens  Temp.  88,1.    28.  II.    Gewicht  4840  g. 

2.  UI.  Gewicht  4670  g.  Morgens  Temp.  88,0;  Abends  Temp.  88,4. 
Bouillon  ndt  Ei  ab.  —  Urin:  deutliche  Diazoreaction;  starker  Indican- 
gehalt;  Spur  Eiweiss. 

8.  ni.  Von  gestern  zu  heute  1  gelbbreiiger,  8  gelbgrüne  breiige 
saure  Stühle.  Urin:  undeutliche  Diazo-,  starke  Indicanreaction.  Kein 
Zucker,    y^.  Vol.  Eiweiss.    Morgens  Temp.  88,7;  Abends  Temp.  87,8. 

4.  HI.  1  gelbbreüger,  8  gelbgrüne  breiige  Stühle.  Gewicht  4680  g. 
Urin:  schwache  Diazoreaction,  mittelstarker  Indicangehalt;  kein  Zucker. 
Spur  Eiweiss.  Im  mikroskopischen  Bilde  keine  nephritischen  Elemente. 
Morgens  Temp.  88,2;  Abends  Temp.  87,5.  Appetit  war  in  den  nächsten 
Tagen  gut    fiiweissgehalt  im  Urin  am  9.  IIX.  Terschwunden. 

10.  III..  Auffen,  Ohren  und  Nase  o.  B.  Lippen  trocken,  sehr  blass. 
Zunge  feucht.  Mundhöhle  rein.  Rachentheile  blass.  Stimme  frei.  Auf 
den  Lungen  überall  Yesiculärathmen.  Herz  und  Puls  o.  B.  Abdomen 
stark  angetrieben,  gespannt.  Nur  massiger  Intertrigo.  Impfstellen 
noch  nicht  völlig  Yemarot.  Am  rechten  Oberarm  sind  noch  zwei  Impf- 
schorfe Yorhanden. 

18.  IIL  Urin  enthält  wieder  Eiweiss  (Spur).  Kein  Zucker.  Keine 
Diazo-,  starke  Indicanreaction.  Seit  dem  2.  UI.  hat  Fat  ein  unregel- 
mässiges,  nicht  erhebliches  (höchste  Temperatur  am  18.  III.  Abends  89^ 
Fieber  gehabt.  Die  Zahl  der  Stühle  schwankte  zwischen  4  und  8  in 
24  Stunden:  dieselben  waren  an  einzelnen  Tagen  (11.  und  18.  lU.)  zum 


334  *H.  Friedemann: 

»Qsserdem  3  mal  taglich  1  TbeelGflFel  Leberthran,  2  mal  täglich  1  Einder- 
löffel  Pepton,  3  mal  täglich  fiO  gtt.  Liq.  ferr.  albnm. 

Vom  5.-6.  II.  3  gelbe,  2  gelbgrüne  breiige  saure  Stühle.  —  Ge- 
wicht am  6.  II.  6780  g. 

6.  II.  Augen  o.  6.  Aus  der  Nase  reichlichere  Secretion.  Aus  dem 
linken  Ohre  säxkere  Eiterung:  auch  heute  keine  Trommelfellperforation 
nachzuweisen.  Lippen  und  Zunge  trocken.  Zunge  massig  belegt  Mund- 
höhle rein.  Bachentheile  blass.  Lungen  o.  B.  Herz  und  Puls  o.  B. 
Abdomen  etwas  eingesunken.  Appetit  gering.  Pat.  wird  öfter  sondirt, 
bricht  aber  danach.  An  den  Impntellen  noch  keine  Beaction  sichtbar. 
Pat.  wird  ausschliesslich  mit  Leguminose  und  Pepton,  sowie  Tokajer- 
wein (2  mal  täglich  1  Kaffeelöffel)  ernährt. 

Vom  6. — 7.  II.  1  gelbbreiiger,  1  schleimiger,  4  grüne  breiige  neu- 
trale Stühle. 

7.  II.    Bläschenbildung  an  den  Impfstellen  des  linken  Arms. 

Vom  7.-8.  II.  1  gelbgrüner,  2  grüne  schleimige  Stühle.  —  Ge- 
wicht am  8.  II.  7060  g. 

8.  II.  Urin  hellgelb,  klar,  schwach  sauer,  ei  weiss-  und  zackerfrei 
Keine  Diazo-,  starke  Indicanreaction.  Pat.  bekommt  3  mal  täglich  Wein 
und  Liq.  ferr.  mang.  10,0.  Sol.  Fowler.  0,6  3  mal  täglich  10  ^t 

Vom  8. — 9.  II.    3  gelbgrüne,  2  grüne  breiige  saure  Stühle. 

9.  II.  Blutuntersuchung:  Hämo^lobingehalt  86 7^,  Zahl  der 
rothen  Blutkörperchen  3  880  000,  der  weissen  18  800;  Verhältniss  der 
weissen  zu  den  rothen  1 :  206.  Im  gefärbten  Präparat  zahlreiche  Makro- 
cyten;  Ppikilocytose;  spärliche  eosinophile  Zellen  (polynucleär).  Aus 
dem  linken  Ohre  keine  Eiterung  mehr.^  Normaler  otoskopischer  Befund. 
Appetit  schlecht  Pat.  hat  Mittags  einmal  erbrochen  (nach  Leguminose). 
Am  linken  Arm  3  fast  bohnengrosse ,  am  rechten  Arm  eine  reiskom- 
grosse  Vaccineblase  mit  klarem  Inhalt  und  schmalem   rothem  Saum. 

Vom  9—10.  II.  3  gelbbreiige,  1  grüner  schleimiger  StuhL  —  Ge- 
wicht am  10.  II.  6920  g. 

10.  II.  Inhalt  der  Yaccinebläschen  schwach  gelblich  geerbt  Drüsen 
der  Achselhöhle  nicht  geschwollen  oder  druckempfindlich.  Appetit  ge- 
ring. Pat.  bekommt  Leguminose  mit  Pepton  und  sterilisirte  Vollmilch 
abwechselnd. 

Vom  10.— 11.  II.    2  ffelbgrüne,  3  grüne  breiige  saure  Stühle. 

11.  II.  Pat.  hat  wiederholt  erbrochen.  Magenausspülong.  Nestle, 
Wein. 

Vom  11.— 12.  II.  1  gelbgrüner,  2  grüne  breiige  und  1  grüner  durch* 
Alliger  Stuhl. 

12.  n.  Appetit  gering.  Gewicht  6730  g.  Vaccinebläschen  links 
stärker  eitrig  verfärbt.  Keine  entzündliche  Beaction  in  der  Um- 
gebung. 

Vom  12.— 13.  II.    3  gelbbreiige,  1  gelbgrüner  Stuhl. 

14.  II.  Seit  gestern  kein  Stuhl  wieder.  Appetit  noch  schlecht. 
Pusteln  trocknen  ein.  Brust-  und  Bauchorgane,  Mund-  und  Rachen- 
höhle 0.  B.  Urin  eiweiss-  und  zuckerfrei;  keine  Diazo-,  schwache  In- 
dicanreaction. 

15.  II.  Seit  Torgestem  erst  einmal  wieder  Stuhl.  Augenlider  heute 
morgen   ziemlich  fest  durch  gelbliche  Borken   verklebt,   ebenso    ein- 

Setrocknetes  Seoret  in  den  Naseneingängen.  Lippen  blass  und  trocken, 
lundhöhle  rein.  Rachentheile  blass.  Stimme  frei.  Lungen:  überall 
reines  Athmen;  Tom  einzelne  trockene  bronchitische  Gezäusche.  Bauch- 
befund unverändert.  Appetit  schlecht,  weshalb  regelmässige  Sonden- 
emährung  nöthig  wird.  Pusteln  trocknen  gut  ein.  Keine  entzündliche 
Reaction  der  Umgebung;  keine  DrÜsenschwellnngen  in  der  Achselhöhle 
wahrnehmbar. 


Scbutspockenimpfang  b.  abnorm  Bchwächl.  Säoglingen  u.  Kindern.    335 

Vom  15.— 16.  IL  2  gelbbreiige  saure  Stüble.  —  Gew.  am  16. 11. 6610  g. 
1 6.-17.        4         „         ,1  gelbgrüner  schleimiger  StahL 

17.  IL  Keine  besondere  Ursache  für  das  Fieber  aufzufinden.  M&ssige 
Bronchitis.  Fat.  bekommt  Eismilch  und  Opelt*Bchen  Nährzwieback.  Die 
Beschaffenheit  der  Stühle  bleibt  bis  zum  25.  II.  im  Ganzen  dieselbe; 
das  Körpergewicht  sank  bis  auf  6040  g  (am  24.  IL).  Vom  25.  IL  an 
lösen  sich  die  Impfschorfe  ab;  unter  ihnen  befinden  sich  gute  Narben. 
Die  Urinuntersuchung  am  22.  IL  ergiebt  ausser  mittelstarkem  Indican- 
gehalt  nichts  Abnormes. 

23.  IL  Lungen:  in  der  rechten  fossa  supraspinata  verkürzter  Schall, 
daselbst  Bronchialathmen ;  über  der  ganzen  rechten  Lunge  vereinzelte 
feinere  und  grobe  Rasselgeräusche.  Kein  ausgesprochenes  Nasenflügel- 
und  Flankenathmen.    Aus  dem  linken  Ohre  wieder  stärkere  Eiterung. 

25.  II.    Kein  Bronchialathmen  mehr.    Lockere  Ezpectoration. 

26.  IL  Eiterung  aus  dem  linken  Ohr  fast  verschwunden.  Inspection 
des  Trommelfells  nicht  vollständig  möglich.  Keine  Pnlsation,  dagegen 
kommt  beim  Ausspritzen  des  Ohres  Flüssigkeit  aus  der  Nase.  Die 
Stühle  bessern  sich  jetzt,  sind  ziemlich  homogen,  von  guter  Farbe  und 
ohne  abnorme  Beimengungen.  Appetit  wurde  leidlich.  Am  4.  III. 
brachen  die  oberen  mittleren  Schneidezähne  durch,  am  1.  lY.  der  linke 
obere  äussere,  während  die  äusseren  unteren  Schneidezähne  gleich- 
zeitig im  Durchbrechen  sind.  Erst  seit  ca.  20.  III.  begann  eine  fast 
ungestörte  Beconvalescenz  Platz  zu  greifen,  nachdem  am  18.  IIL  noch 
ein  aus  unbekannter  Ursache  entstondener  periproktitischer  Abscess 
(vielleicht  von  einem  leichten  Ekzem  in  der  Nachoarschafb  ausgehend) 
hatte  eröffnet  werden  müssen. 

Am  23.  ly.  wurde  Fat.  mit  einem  Gewicht  von  7220  g  entlassen. 

Fall  Y.  Max  Seh.,  Griminalschutzmanns  Sohn  aus  Leipzig- Anger- 
Crottendorf,  am  Tage  der  Impfung  1  Jahr  und  167  Tage  alt.  Yater 
gesund.  Mutter  an  Schwindsucht  gestorben;  dieselbe  hatte  einmal  fehl- 
geboren, und  ein  Kind  starb  klein  an  unbekannter  Krankheit.  Ein 
noch  lebender  Bruder  des  Fat.  soll  gesund  sein.  Fat  wurde  im  Säug- 
lingsalter künstlich  ernährt.  Wann  die  ersten  Zähne  kamen,  ist  nicht 
festzustellen.  Das  Kind  spricht  und  läuft  angeblich  noch  nicht,  soll 
stets  viel  gekränkelt  haben  und  immer  schwächlich  gewesen  sein,  hat 
früher  einmal  an  Ohrenlanfen  gelitten,  andere  sog.  „scrophulöse**  Er- 
scheinungen aber  nie  gezeigt.  Im  ersten  Lebensjahre  öfter  Krämpfe; 
im  Juni  1892  vorübergehend  einige  Zeit  starke  Kurzathmigkeit.  Im 
letzten  Halbjahre  soll  Fat.  ca.  4— 5mal  an  Nasenbluten  gelitten  haben. 
Seit  Anfang  October  1892  stärkere  Abmafferung.  Seit  Mitte  Januar 
Schnupfen.  Yon  Zeit  zu  Zeit  Durchfall  (orann,  übelriechend,  ohne 
Schleimbeimengung)  abwechselnd  mit  3 — 4lAgiger  Yerstopfnng.  Seit 
längerer  Zeit  unruhiger  Schlaf.  Fieber  nicht  beobachtet.  Leib  stets 
aufgetrieben  gewesen.  Am  1.  11.  wurde  Fat.  in  das  Krankenhaus  auf- 
genommen. 

Status  praesens  (2.  IL):  Schwächlicher  Knabe.  Geringes  Fett* 
polster.  Schwache  Musiulatur.  Körperlänge  65  cm,  (Gewicht  6470  g. 
Aopfumfang  43,25  cm.  Grosse  Fontanelle  2,5  cm  lang  und  breit.  Schädel- 
decke hart.  Tubera  frontal ia  und  parietalia  stark  prominirend.  In  der 
Umgebung  der  Nase  und  Oberlippe  geringe  Hautabschilferung.  Am 
Bücken  einzelne  blassrothe,  leicht  pigmenti^  Flecke.  Geringer  Inter- 
trigo. Augen  0.  B.  Naseneingänge  mit  eingetrocknetem  Secret  bedeckt. 
Lippen  trocken.  Fat.  besitzt  die  oberen  Schneidezähne  sämmtlich  sowie 
die  mittleren  unteren,  von  welchen  der  linke  vor  der  Zahnreihe  steht, 
der  rechte  erst  1  mm  weit  aus  dem  Zahnfleisch  hervorragt.  Drüsen  an 
den   Eiefexwinkeln   und    im   Nacken    linsen-,  bis   erbsengross.     Zunge 


342  H.  Friedemaxm: 

anderen  Fragen  der  Impflehre  gegenüber  bisher  hat  zurück- 
stehen müssen,  erkennen  wir  aus  der  ungenauen,  zum  Theil 
geradezu  unrichtigen  Schilderung,  welche  das  Yaccinefieber 
noch  in  den  neuesten  Abhandlungen  über  die  Impfung  erfahrt; 
so  schreibt  selbst  Fürbringet^):  ,,Zugleich  mit  der  Areola 
entwickelt  sich  unter  Achseldrüsenschwellung  ein  massiges 
Fieber,  das  durchschnittlich  zwei  Tage  andauert,  um  mit 
dieser  zweitägigen  Periode  und  der  Areola  zu  erloschen/' 
„Nur  ausnahmsweise  überschreitet  die  Körperwärme 
39V    Und   RosenthaP)    sagt    darüber:     „Zwischen    dem 

10.  und  12.  Tage  ist  gewohnlich  ein  leichtes  Fieber 
vorhanden" 

y.  Jacksch  fand  bei  seinen  19  Impflingen  in  den  ersten 
Tagen  nach  der  Impfung  kein  Steigen,  öfter  sogar  ein  Sinken 
der  Temperatur  (bis  36,0^  C);  die  erste  Fiebersteigerung 
beobachtete  er  bei  seinen  zweistündlichen  Messungen  (an- 
scheinend nur  Achselhöhlenmessungen)  in  den  uncomplicirten 
Fällen  zwischen  der  45.  und  164.  Stunde  nach  der  Impfung. 
Die  Temperatur  stieg  dann  treppenförmig,  dabei  gewöhnlich 
'  sehr  rasch  an,  so  dass  die  höchste  Erhebung  oft  noch  am 
selben  Tage  erfolgte.  Das  Fieber,  welches  bis  40,5^  betrug, 
dauerte  1  —  11,  meist  jedoch  nur  4—6  Tage.  „Der  Gang  des- 
selben war  deutlich  remittirend  und  geradezu  charakteristisch; 
in  allen,  auch  in  den  durch  anderweitige  Erkrankungen  com- 
plicirten  Fällen  war  ausgeprägt  der  treppenformige,  stets  bis 
unter  die  Norm  erfolgende  Abfall  des  Fiebers." 

Im  Gegensatz  zu  v.  Jaksch  erhielt  Peiper  bei  seinen 
23  Impflingen  (Messungen  Morgens  7  Uhr  und  Abends  zwischen 
7  und  8  Uhr  im  After  vorgenommen)  6  mal  bereits  innerhalb 
der  ersten  3  Tage  Temperatursteigerungen,  meist  zwischen 
^  37,9— 38,5^  Imal  jedoch  bis  39,0  und  Imal  bis  39,6<>;  abnorm 
niedrig  war  die  Temperatur  in  der  Incubationszeit  niemals. 
Die  eigentliche  Fieberperiode  begann  6  mal  am  4.,  7  mal  am 
5.,  4mal  am  6.,  6mal  am  7.  Tage.  Gleich  y.  Jaksch 
beobachtete  Peiper  ein  langsames,  treppenförmiges  Ansteigen 
der  Temperatur;  die  Acme  wurde  meist  erst  nach  mehreren 
Tagen  erreicht  und  zwar  7mal  am  7.,  11  mal  am  8.,  3mal 
am  9.,  Imal  am  10.  und  Imal  am  11.  Tage;  sie  lag  zwischen 
38,2 — 40,0°  C.  Das  Fieber  dauerte  bei  normalem  Verlauf 
meist  nur  2yj— 4%  Tage.  „In  keinem  Falle  erfolgte  ein 
plötzliches  Sinken,  die  Temperaturen  zeigten  vielmehr   einen 

1)  EnlenburgB  Realencyklopädie   der  gesammten  Heilkunde  X.: 
Impfung.    II.  Aufl.    1887. 

2)  Vorlesungen  ober  d.  öffentliche  und  priyate  Gesundbeitspflege. 

11.  Aufl.    1890. 


Schntzpockenimpfang  b.  abnorm  schw&chl.  Sänglingen  u.  Kindern.    343 

remittirenden  Typus.  Ein  Herabgehen  bis  unter  die  normale 
Grenze  Hess  sich  nicht  erkennen/' 

Wir  sehen^  in  den  Hauptzügen  stimmen  unsere  Beobach- 
tungen mit  denen  v.  Jaksch's  und  Peiper's  überein,  aber 
ein  Unterschied  ergiebt  sich  sofort;  nämlich  die  Verschieden- 
heit der  Fieberdauer:  dieselbe  fand  v.  Jaksch  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  4-6,  Peiper  2%-4%,  wir  5-9  (Imal 
5,  Imal  6;  2mal  7,  Imal  9)  Tage.  Vergleichen  wir,  indem 
wir  unsere  eigenen  Fälle  ausser  Betracht  lassen,  die  Beobach- 
tungen von  Y.  Jaksch  und  Peiper,  die  sich  ja  auch  an 
Zahl  nahe  stehen  (19  :  23),  mit  einander,  so  müssen  wir  sagen, 
dass  der  Unterschied  in  der  Fieberdauer  nicht  auf  Zufall  be- 
ruhen kann,  und  wir  finden  bei  näherem  Zusehen  ein  Moment, 
welches  für  die  Beurtheilung  des  Vaccinefiebers  zweifellos  von 
hoher  Bedeutung  ist.  Während  nämlich  Peiper  nur  Kinder 
im  Alter  von  3 — 12%  Monaten  (ein  einziges  war  18  Monate 
alt)  impfte,  waren  die  Impflinge  v.  Jaksch's  durchweg  älter 
als  die  Mehrzahl  der  Erstgeimpften  zu   sein   pflegt:    nämlich 

2  Kinder  waren  12  Jahre,  1  Kind  8,  1  =  6,  1  =  5%.  1=5, 
1  =  4%,  1  =  4y^  2  =  4,  2  =  3,  3  =  2,  1  =  1  Jahr  alt;  bei 

3  Kindern  ist  das  Alter  nicht  angegeben.  Den  schlagendsten 
Beweis  für  den  Einfluss  des  Alters  auf  die  Fieber- 
reaction  finden  wir  in  der  hochinteressanten  Thatsache,  dass 
die  Impfung  neugeborener  Kinder  niemals  von  Fieber 
gefolgt  ist. 

Impfungen  bald  nach  der  Geburt  sind  gelegentlich 
schon  früher  vorgenommen  und  mitgetheilt  worden,  u.  A.  von 
Bousquet,  Büchner,  Reiter,  Friedberg,  jedoch  gebührt 
das  Verdienst  genauer  klinischer  Beobachtung  neueren  Auto- 
ren: Gast^),  Behm^),  ganz  besonders  aber  Wolff.^)  Letzterer 
impfte  57  Neugeborene  im  Alter  von  8  Stunden  bis  zu  6  Tagen, 
und  zwar  42  davon  mit  humanisirter,  15  mit  animaler  Lymphe. 
Der  Erfolg  war  ein  vollkommener:  es  entwickelten  sich  ty- 
pische Impfpocken  in  ganz  gleicher  Weise  und  Zeit  wie  bei 
den  älteren  Erstimpflingen;  auch  der  Ausfall  von  Impfschnitten 
war  durchaus  nicht  häufiger  als  bei  den  letzteren.  In  einer 
Anzahl  von  Fällen  zeigten  sich  sogar  bedeutende  locale 
Reactionserscheinungen   in   Gestalt   starker,   die  Pusteln 


1)  Schmidt'8  Jabrbacher  1879.  S.  201:  Experimentelle  Beiträge 
zur  Lehre  von  der  Impfang. 

2)  Zeitschrift  f.  Geburtahilfe  und  Gynäkologie  VlII.  1.  1882:  Ueber 
intrauterine  Yaccination,  €ber  Schutzpockenimpfung  Schwangerer  und 
Neugeborener. 

3)  Virchow'B  Archiv  für  pathol.  Anatomie  und  Physiologie  etc. 
Bd.  117.  1889.  S.  867:  Ueber  Vaccination  neugeborener  Kinder.  -* 
S.  femer  dasselbe  Archiv  Bd.  112.     S.  183. 


348  H.  Friedemann: 

zeigt  Eigenschaften  sehr  ähnlich  denen,  welche  der  fiebernde 
Mensch  während  der  Daner  seines  Fiebers  ofiPenbart,  und  wir 
dürfen  wohl  annehmen,  dass  gerade  der  concentrirte  Zu- 
stand seines  Blutes  das  neugebome  Kind  befähigt,  acuten 
Infectionskrankheiten  siegreichen  Widerstand  entgegenzusetzen: 
in  derselben  Baumeinheit  findet  sich  eben  eine  wesentlich 
grössere  Menge  der  den  Bacterien  und  ihren  Stoffwechsel- 
producten  feindlichen  Gewebselemente  vor,  als  bei  dem  schon 
einige  Wochen  alten  Säugling.  Wir  müssen  uns  also  vor- 
stellen, das  resorbirte,  an  den  Impfstellen  gebildete  Vaccine- 
gift  verursacht,  sobald  es  in  die  Blutbahn  gelangt  und  hier 
auf  unvollkommenen  Widerstand  trifft,  eine  häufig  mit  Fieber 
und  sonstigen  Allgemeinerscheinungen  einhergehende  Reaction 
des  Körpers,  welche  dahin  zielt,  die  Widerstandsfähigkeit  des 
Blutes  zu  erhöhen.  Es  ist  wahrscheinlich,  aber  freilich  noch 
nicht  bewiesen,  dass  die  fiebernden  Vaccinanden  in  ähnlicher 
Weise  Blutveränderungen  zeigen,  wie  wir  sie  im  Fieber 
anderer  acuter  Infectionskrankheiten  beobachten,  und  es  ist 
möglich,  dass  den  Durchfallen,  den  katarrhalischen  Abson- 
derungen im  Respirationstractus  u.  s.  w.,  die  so  oft  im  Ver- 
laufe der  Impfpocken  auftreten,  die  Bedeutung  zu  Grunde 
liegt,  durch  eine  hierdurch  herbeigeführte  Verdichtung  des 
Blutes  den  erfolgreichen  Kampf  gegen  das  eingedrungene 
Virus  zu  ermöglichen.  Wenn  also  ein  Kind  an  sich  schon 
vermöge  einer  besonderen,  vielleicht  scrophulösen  oder  rachi- 
tischen Grundlage,  zu  derartigen  Katarrhen  disponirt  ist,  so 
werden  wir  uns  nicht  wundern,  dass  die  Natur  auch  diese 
Wege  benutzt,  um  die  erforderlichen  Blutveränderungen  bei 
dem  Impfling  zu  Stande  zu  bringen.  Dass  derartig  organi- 
sirte  Individuen  dabei  leicht  excessiv  reagiren  und  unter  dem 
Einfiuss  secundärer  Schädlichkeiten  im  Anschluss'  an  eine 
Vaccination  ernster  erkranken  können,  kann  uns  nicht  über- 
raschen. Fehlen  derartige,  von  der  Impfung  unabhängige 
Schädlichkeiten,  dann  gehen  die  Katarrhe  und  Durchfälle  etc., 
wie  u.  A.  schon  Hebra  bemerkt,  und  wie  theilweise  unsere 
Fälle  V  und  VI  zeigen,  nach  Beendigung  des  Vaccinations- 
processes  meist  von  selbst  vollständig  zurück. 

In  wie  weit  die  Lymphdrüsen,  die  ja  oft  sehr  bedeu- 
tende Schwellung  zeigen,  bei  den  Immunisirungs Vorgängen 
mitwirken  (vielleicht  im  Sinne  der  Metschnikoff^scheo 
Phagocytentheorie?),  das  entzieht  sich  vorläufig  unserer  Beur- 
theilung.  Proportionale  Beziehungen  zwischen  dem  Grade 
der  Lymphdrüsenschwellung  und  der  Fieberhöhe  bestehen  jeden- 
falls nicht  (vgl.  Fall  V  und  VI)-,  das  wusste  schon  Bednar^), 

1)  Die  Krankheiten  der  Neugeborenen  und  Säuglinge  vom  klinlBchen 
und  pathologisch-anatomiBchen  Standpunkte.  1860-53.    IV.  Theil.  8.86. 


Schatzpockenimpfnng  b.  abnorm  schwächL  Säuglingen  u.  Kindern.    349 

welcher  fiber  die  ^^acute  Intamescenz  der  Lymphdrüsen'^  im 
Verlaufe  des  Vaccineprocesses  sieh  folgendermaassen  ans- 
spricht:  „Die  Drüsengeschwulst  erreicht  die  Grösse  einer 
Haselnuss  bis  die  einer  Wallnuss  in  einem  Zeitraum  von 
12  Stunden  bis  von  4  Tagen,  und  zwar  geschieht  dieses  am 
1.  bis  13.  Tage  nach  der  Vaccination  bei  Säuglingen  von  4 
bis  12  Wochen  unter  merklicher  Fieberbewegung,  wenn  ein 
Lungenkatarrh  sich  gleichzeitig  entwickelt,  oder  die  Fieber- 
bewegung findet  nicht  statt.  Die  Dauer  bis  zur  yölligen 
Verkleinerung  der  Drüsen  beträgt  4  bis  18  Tage/'  Immerhin 
ist  es  denkbar,  dass  die  Lymphdrüsen-Betheiligung  bei  den 
Kindern  vom  2.  Jahre  ab  einen  Einfluss  auf  die  Dauer  des 
Vaccinefiebers  hat.  Denn  von  dieser  Zeit  an  bis  etwa  zum 
15.  Lebensjahre  finden  wir  eine  besondere  Disposition  des 
kindlichen  Organismus  zu  lymphatischen  Erkrankungen,  die 
im  ersten  Lebensjahre  in  viel  geringerem  Maasse  existirt.  So 
finden  sich  auch  wesentliche  Drüsenschwellungen  nach  der 
Impfung  bei  Säuglingen  erheblich  seltener  als  im  späteren 
Alter:  Peiper  berichtet  nur  von  seinem  ISmonatlichen  Impf- 
ling „erhebliche  Achseldrüsenschwellung'^  und  auch  bei  un- 
seren Fällen  zeigte  sich  eine  solche  erst  mit  dem  zunehmenden 
Alter. 

Werfen  wir  jetzt  noch  einen  Blick  auf  die  einzelnen 
Fälle  unserer  Beobachtung,  insbesondere  auf  die  dabei 
notirten  Allgemeinerscheinungen,  so  müssen  wir  zunächst 
bei  dem  ersten  Fall  verweilen.  Ganz  abgesehen  davon,  dass 
die  Obduction  nicht  den  geringsten  Anhalt  dafür  ergeben  hat, 
dass  der  Tod  etwa  durch  die  Vaccination  verursacht  sein 
könnte,  so  müssen  wir  einen  derartigen  Zusammenhang  schon 
deshalb  für  unwahrscheinlich  halten,  weil  die  Gewichtsabnahme 
bereits  zu  einer  Zeit  auftrat,  wo  von  einer  Allgemeinwirkung 
der  Vaccine  noch  nicht  die  Rede  sein  konnte,  und  weil  ferner 
der  Tod  erfolgte,  als  der  Vaccineprocess  im  Beginn,  nimmer- 
mehr aber  auf  der  Hohe  stand.  Es  ist  bisher  auch  in  der 
Literatur  kein  Fall  bekannt  geworden,  wo  die  Impfung  als 
unmittelbare  Todesursache  aufgefunden  worden  wäre:  stets 
fanden  sich  andere,  letale  Veränderungen  an  den  lebenswich- 
tigen Organen.  Immerhin  empfiehlt  es  sich  nach  den  bis- 
herigen Erfahrungen  der  Wissenschaft,  derartige  atrophische 
Kinder  zur  Zeit  einer  Pockenepidemie  nicht  zu  impfen, 
so  lange  sie  sich  in  dem  Seucheherde  aufhalten;  es  ist  besser, 
sie  erst  an  einen  pockenfreien  Ort  zu  bringen,  und  hier  nicht 
eher  zu  impfen,  als  bis  der  Ausbruch  der  Pocken  bei  dem 
Kinde  mit  Sicherheit  nichl  mehr  zu  erwarten  ist.     Rilliet^) 


l)B.u.Barthez,  Handb.  der  Kinderkrankheiten.  II.Theil.  1844.  S.361. 


368  M.  Brückner: 

WetzcH)  ersehe  ich,  dass  von  148  Fällen  von  Kleinhirn- 
tumoreu  41  auf  Kinder  kommen.  Von  diesen  erwiesen  sich 
12  <=  29  %  als  tuberculos.  —  Von  der  Annahme  eines  Abscesses 
sahen  wir  bei  dem  Fehlen  von  Fieber,  einer  Ohreneiterang 
oder  eines  sonstigen  ätiologischen  Anhaltspunktes  ab.  Andre 
Möglichkeiten  (Cysticercus,  Hämatom,  G4iom  u.  s.  w.)  konnten 
jeden  Falls  keinen  grösseren  Grad  von  Wahrscheinlichkeit 
beansprachen,  als  der  Tuberkel.  Für  Syphilis  fehlte  jeder 
Anhalt.  Die  Section  ergab  ein  Gliom  mit  Cystenbildung. 
Dieses  Vorkommniss  ist  im  kindlichen  Alter  auch  kein  sel- 
tenes. Unter  den  oben  erwähnten  41  Fällen  fanden  sich 
Gliome,  Gliosarkome,  Gystogliome  und  verwandte  Geschwülste 
in  circa  35%,  also  entgegen  den  Angaben  Anderer  sogar  noch 
häufiger  als  der  Tuberkel. 

Wenn  ich  mich  jetzt  zu  der  BVage  wende,  wie  weit  sich 
die  intra  vitam  beobachteten  Symptome  aus  dem  Sections- 
befunde  herleiten  lassen,  so  will  ich  auch  hier  mit  dem- 
jenigen Symptome  beginnen,  welches  dem  Krankheitsbilde  ein 
80  charakteristisches,  eigenthümliches  Gepräge  verlieh,  mit 
der  Coordinationsstörung. 

Es  wird  sich  dabei  um  Erörterung  der  Frage  handeln: 
Hängt  die  als  cerebellare  Ataxie  bezeichnete  Coordinations- 
störung direct  von  einer  Zerstörung  des  Kleinhirns  und  zwar 
speciell  des  Kleinhirnmittellappens  ab,  oder  sind  noch  andere 
Erklärungen  möglich  beziehentlich  wahrscheinlich? 

Dass  Affectionen  der  Kleinhirnhemisphären  ohne  Coor- 
dinationsstörung, ja  ohne  jedes  Symptom  verlaufen  können, 
ist  bereits  genugsam  bekannt.*)  Es  hat  sich  aber  auch  die 
Annahme  NothnageTs,  dass  eine  Zerstörung  des  Kleinhim- 
wurms  noth wendigerweise  cerebellare  Ataxie  zur  Folge  haben 
müsse,  nicht  in  ihrem  vollen  Umfang  bestätigt.  Bernhardt 
fand  das  Symptom  nur  bei  77%,  Wetzel  nur  bei  73%  von 
Kleinhirntumoren  unter  Betheiligung  des  Wurms.  Bernhardt 
erklärt  sich  das  Verhältniss  aus  der  „Resistenz  der  nervösen 
Gebilde  gegen  langsam  einwirkende  Schädlichkeiten^.  Diese 
Erklärung  erscheint  nicht  sehr  befriedigead.  Haben  wir  im 
Wurm  wirklich  ein  Centrum  für  die  Erhaltung  des  Körper- 
gleichgewichtes, so  muss  man  doch  erwarten,  dass  mit  der 
Vernichtung  dieses  Centrums  die  Coordinationsstörung  auf- 
tritt. Sonst  müsste  man  annehmen,  dass  gewisse  TheUe  des 
Wurms  vicariirend  für  andre  eintreten  können.    Etwas  plau- 

Handbach  6  I,  1.  S.  549,  561.  —  Sobotka,  Pniger  medie.  Wochen- 
schrift 1891.    Nr.  80. 

1)  Wetzel,  Zur  Diagnostik  der  Kleinhimtamoren.    Halle  1890. 

2)  Bernhardt  1.  c.     8.  24S.   —   Macdonald,   Brain,  Spring- 
n amber  1890  u.  a.  m. 


Ein  Fall  von  Tamor  cerebelli.  369 

sibler  erscheint  die  Erklarang  WetzeTs,  nach  welchem  es 
darauf  ankommt,  welche  Theile  des  Wurms  zerstört  sind. 
Er  hält  die  hinteren  Partien  desselben  für  besonders  wichtig. 
Die  mir  zugänglichen,  in  der  Literatur  niedergelegten  Beobach- 
tungen vermögen  allerdings  diese  Behauptung  nicht  zu  stützen. 

Auch  in  der  neuesten  Zeit  sind  wiederum  symptomlos 
verlaufene  Fälle  von  Wurmtumoren  veröffentlicht  worden.  So 
fand  Becker^)  bei  der  Section  einer  an  Pneumonie  Verstor- 
benen den  Wurm  durch  2  Cysten  zerstört,  ohne  dass  während 
des  Lebens  irgend  welche  auf  ein  Hirnleiden  zu  beziehende 
Symptome  vorhanden  waren.  Becker  hält  die  cerebellare 
Ataxie  ftlr  nicht  abhängig  vom  Kleinhirn.  Er  legt  Werth 
darauf,  dass  diejenigen  Theile,  welche  nach  Edinger  wichtig 
fQr  die  Erhaltung  des  Eörpergleichgewichts  sind,  in  seinem 
Falle  unversehrt  waren.  (Kleinhimseitenstrangbabnen,  Olive, 
gekreuztes  corpus  restiforme,  Yliess,  Bindearme,  rother  Kern.) 
—  Leimbach ^)  fand  bei  einem  an  Meningitis  tuberculosa 
verstorbenen  Manne  einen  Tuberkelknoten  im  Oberwurm, 
welcher  keinerlei  Erscheinungen  während  des  Lebens  gemacht 
hatte.  Leimbach  meint,  dass  bei  seinem  Patienten  keine 
cerebellare  Ataxie  beobachtet  wurde,  weil  nur  „der  Abschnitt 
entsprechend  dem  culmen  mouticuli  dem  Untergange  anheim- 
gefallen war.*'  —  Eine  dritte  Mittheilung  findet  sich  im 
Glasgow  medical  Journal.^)  Ein  junges  Mädchen  litt  an  hef- 
tigen, intermittirenden  Kopfschmerzen.  Die  Section  ergab 
eine  Zerstörung  des  Kleinhirnwurms  durch  cystöse  Bildungen. 
Es  ist  aus  der  Mittheilung  nicht  zu  erkennen,  wie  viel  vom 
Wurm  zerstört  war.  Die  Frage  der  cerebellaren  Ataxie  ist 
nicht  weiter  erörtert.  Auch  Ackermann^)  vermisste  bei 
einem  Kleinhimtumor  mit  fast  vollständiger  Zerstörung  des 
Wurms  die  cerebellare  Ataxie. 

Fehlt  die  cerebellare  Ataxie  bei  Wurmerkrankungen  einer- 
seits zuweilen,  so  findet  sie  sich  andererseits  in  einer  Reihe 
von  Fällen,  in  denen  das  Kleinhirn  nicht  vom  Krankheits- 
processe  ergriffen  war.  Der  Monographie  Bernhardts,  in 
welcher  mit  ausserordentlichem  Fleisse  hierher  gehöriges  Mate- 
rial zusammengetragen  und  gesichtet  ist,  entnehme  ich  Fol- 
gendes: Es  findet  sich  verzeichnet  schwankender,  taumelnder 
Gang,  Gang  eines  Betrunkenen  u.  s.  w.  unter  11  Vierhügel- 
tumoren 6  mal,  unter  19  Briickentumoren  2  mal,  unter  21  Tu- 
moren des  verlängerten  Markes  4  mal,  unter  124  Tumoren  der 


1)  Becker,  Virchow'a  Archiv  CXIV.    1.    S.  178.    1888. 

2)  Leimbach,  Deutsche  Zeitschrift  f.  Kerirenheilkande  I.   8  n.  4. 

3)  Glasgow  Medical  Journal  1898.  .Heft  1. 

4)  Ackermann,  Deutsche  med.  Wochenschrift  XIX.  22.   S.  618. 

JahrbuohlKindwheilkimdt.  H.  P.  XXXVIIL  24 


370  M.  Brfickner: 

Hemisphären  11  mal.  Für  die  Tamoren  der  hinteren  Schädel- 
grübe  muss  in  allen  Fällen  die  Möglichkeit  einer  indirecten 
Betheiligung  des  Kleinhirns  zugestanden  werden.  Für  die 
Hemisphärentnmoren  ist  dies  nicht  ohne  Weiteres  möglich. 
Bruns^)  hat  neuerdings  vier  Fälle  von  Stirnhirntumoren  yer- 
öfiPentlicht;  bei  welchen  der  Sjmptomencomplex  der  cerebella- 
ren  Ataxie  in  ausgezeichneter  Weise  zu  beobachten  war.  In 
einem  Falle  war  die  Coordinationsstörung  neben  tiefem  Sopor 
sogar  das  einzige  Symptom,  welches  auf  ein  Hirnleiden 
schliessen  Hess.  Bruns  hält  dennoch  vor  der  Hand  an  der 
Existenz  einer  wirklichen  cerebellaren  Ataxie  im  Nothnagel- 
schen  Sinne  fest,  constatirt  das  häufige  Vorkommen  eines 
gleichen  Symptomencomplexes  bei  Stimhirntumoren  und  giebt 
Anhaltspunkte  in  Bezug  auf  die  Differentialdiagnose  (Be- 
nommenheit, Paralysen  bei  Stimhirntumoren,  frühzeitige 
Stauungspapille  bei  Eleinhirutumoren). 

Ich  mochte  aus  dem  Vorhergehenden  folgenden  Schluss 
ziehen:  Soweit  wir  die  Pathologie  der  Hirntumoren  zu  Grunde 
legen,  erscheint  es  noch  nicht  absolut  sicher,  dass  die  als 
cerebellare  Ataxie  bekannte  Coordinationsstörung  den  Werth 
eines  Herdsymptomes  beanspruchen  darf,  dass  sie  pathogno- 
monisch  für  Erkrankungen  des  Eleinhimwurms  ist. 

Immerhin  sei  aber  doch  hervorgehoben,  dass  unser  Fall 
einerseits  eine  ganz  hervorragend  starke  Ataxie,  besonders 
auch  der  Rumpfmusculatur,  erkennen  liess,  andererseits 
durch  eine  ganz  vollständige  Zerstörung  des  Wurmes 
und  der  zugehörigen  weissen  Markmasse  ausgezeich- 
net war. 

Vielleicht  wäre  es  dankbar,  die  Fälle  von  Atrophie  des 
Kleinhirns  mit  Rücksicht  auf  Coordinationsstörungen  einmal 
zusammenzustellen.  Ich  will  hierzu  nur  erwähnen,  dass  Se- 
nator^) neuerdings  die  Friedreich'sche  £j-ankheit  als  eine  auf 
congenitaler  Atrophie  des  Kleinhirns  beruhende  Störung  auf- 
fasst,  und  dass  Menzel^)  in  einem  Falle  von  hereditärer  Ataxie 
Atrophie  des  Kleinhirns  fand.  Er  fasst  dieselbe  in  seinem 
Falle  als  eine  Entwickeluugshemmung  auf,  deren  Entstehung 
er  in  den  .7.  bis   8.  Monat  des  embryonalen  Lebens  verlegt 

Von  Seiten  der  Physiologen  ist  bisher  die  coordinatorische 
Function  des  Kleinhirns,  sowie  die  Lehre  von  der  cerebellaren 
Ataxie  anerkannt  worden.     Durch  eine  neue  Arbeit  von  Lu- 


1)  Bruns,  Deutsche  med.  Wochenschrift  1892.    Nr.  7.  —  Berliner 
klin.  Wochenschrifb  1886.    Nr.  21  u.  22. 

2)  Senator,  Berliner  hlin.  Wochenschrift  XXX.    Nr.  21.    1893. 

3)  Menzel,  Archiv  f.  Psychiatrie  o.  Nervenkrankheiten.    XXII.    1. 
S.  160.    1890. 


Ein  Fall  Yon  Tnmor  cerebelli.  371 

ciani^)  wird  diese  Lehre,  wenigstens  f&r  den  thierischen  Or- 
ganismus,  erschüttert.  Derselbe  kommt  auf  Grund  von  Ex- 
perimenten an  Hunden  und  Affen  nach  langjährigen  Beob- 
achtungen zu  dem  Ergebniss,  dass  Verletzungen  des  Kleinhirns 
bewirken:  1.  Asthenie  (Muskelschwäche),  2.  Atonie  (verringerte 
Muskelspannung),  3.  "Astasie  (unregelmässige  Aufeinanderfolge 
der  einzelnen  Muskelcontractionen).  Nach  Luciani  übt  jedes 
Segment  des  Kleinhirns  dieselbe  Function  aus,  wie  das  ganze 
Organ. 

Luciani  fasst  den  Symptomencomplex  der  cerebellaren 
Ataxie  auf  als  eine  Combination  von  Ausfallserscheinungen, 
die  bedingt  sind  durch  eine  Läsion  des  Kleinhirns,  und  von 
functionellen  Compensationserscheinungen  von  Seiten  des  Gross- 
hims.  Demnach  wäre  das  Kleinhirn  kein  Coordinationscentrum 
im  bisherigen  Sinne,  die  cerebellare  Ataxie  keine  reine  Coor- 
dinationsstörung. 

Mag  man  aber  das  Zustandekommen  der  cerebellaren 
Ataxie  auf  die  eine  oder  andere  Weise  erklären,  so  lehrt 
unser  Fall  doch  ohne  Zweifel,  dass  ausgebreitete  Zerstörungen 
des  Kleinhirns,  insbesondere  die  totale  Zerstörung  des  Ober- 
wnrms  eine  ganz  exquisite  Ataxie^  die  insbesondere  auch  die 
Bumpfmuskulatur  mit  einschliesst,  zur  Folge  haben  kann: 
denn  in  dem  beschriebenen  Falle  lässt  sich  das  beherr- 
schende Symptom  doch  auf  keine  andere  Läsion  zurückführen 
als  eben  auf  die  Kleinhirnerkrankung.  Der  blosse  Hydro- 
cephalus  würde  das  Symptom  keinenfalls  erklären. 

Die  übrigen  Erscheinungen,  welche  unser  Patient  darbot, 
lassen  sich  kürzer  abhandeln.  Der  Kopfschmerz,  das  Er- 
brechen, die  Stauungspapille  sind  Symptome  des  gesteigerten 
Himdrucks.  Die  Stauungspapille  stellt  sich,  wie  schon  oben 
erwähnt  wurde,  bei  Kleinhirntumoren  besonders  frühzeitig  ein, 
da  diese  leicht  die  y.  magna  Galeni  zu'  comprimiren  und 
damit  Hydrocephalus  zu  veranlassen  vermögen.  Auch  das 
Erbrechen  ist  bei  den  Geschwülsten  des  Kleinhirns  ein  früh- 
zeitiges und  constantes  Symptom. 

Die  Facialislähmung  und  die  Yagusparese,  welche  ihren 
Ausdruck  in  der  später  auftretenden  Schlinglähmung  fand, 
bin  ich  geneigt,  auf  die  Compression  zu  beziehen,  welche  die 
austretenden  Nervenstämme  durch  die  Geschwulst  erleiden 
mussten.  Doch  ist  wohl  nicht  sicher  zu  entscheiden,  wie  viel 
von  diesen  Erscheinungen  ebenso  wie  von  den  Sphincteren 
Lähmungen  auf  Rechnung  des  Hydrocephalus  zu  setzen  ist. 

Die  Sprachstörung  ist  nicht  leicht  zu  erklären.   Langsame 

1)  Das  Kleinhirn.  Nene  Stadien  znr  normalen  und  pathologischen 
Physiologie  von  Luigi  Lnciani.  Bef.  in  Schmidt's  Jahrbüchern  B.  242. 
S.  208. 

24* 


376 


Kleinere  Mittheilungen. 


1.  XL  1898.  Schwellung  an  den  Tibien  stärker;  gleiche  Schwel- 
lungen an  beiden  Unterarmen,  Radius  und  ülna,  bis  kq  '/^  des  Schaftes. 

Phosphor  weiter,  daneben  Calomel  2  mal  0,01. 

6.  XI.  1893.  Zustand  im  Gänsen  unverändert,  in  den  letzten  Tagen 
mehrfaches  Erbrechen  ohne  nachweisbaren  Grund.  Fleisch-  und  Frucht- 
saft verweigert.    Kleine  H&morrhagien  an  beiden  Unterschenkeln. 

Urin  eiweissfrei,  enthält  wenig  Indican,  viel  Urobilin. 

Temperatur  dauernd  erhöht,  leider  vom  86.  X.  bis  1.  XI.  keine 
regelmässigen  Messungen.  Fflr  die  Temperatursteigerung  eine  Ortliche 
Ursache  nicht  zu  finden. 

12.  XI.  1893.  Anschwellung  der  Diaphysen  viel  geringer,  ebenso 
die  locale  wie  allgemeine  Empfindlichkeit.  Rachitische  £[nochenverände- 
rungen  bestehen  fort.  Appetit  etwas  besser.  Temperatur  wieder  normal. 
Der  Befund  am  Zahnfieiscn  unverändert.    Urin  reich  an  Urobilin. 

Die  Untersuchung  des  Blutes  im  hängenden  Tropfen  wie  an  ver- 
schieden geübten  Trockenpräparaten,  die  an  diesem  Tage  wie  auch 
am  5.  XL  voagenommen  wurde,  ergab  ausser  einem  massigen  Grad  von 
Leukocytose  nichts  Abnormes,  speciell  wurden  Mikroorganismen  nicht 
gefunden. 

Was  den  weiteren  Verlauf  angeht,  so  schwanden  die  Schwellungen 
an  den  Diaphvsen  in  ca.  drei  weiteren  Wochen  ganz.  Die  hämorrha- 
gische Schwellung  des  Zahnfleisches  dagegen  besteht  noch  jetzt,  und 
vor  jedem  durchbrechenden  Zahn  tritt  eme  neue  derartige  Schwellung 
auf.  Die  rachitischen  Veränderungen  haben  sich  sehr  zurfickgebiidet 
unter  andauerndem  P.- Gebrauch.  Calomel  wurde  im  Ganzen  nur  acht 
Tage  gegeben.  Ob  demselben  eine  Wirkung  bei  der  Besserung  zuzu- 
schreiben, lasse  ich  dahingestellt;  es  wurde  nur  versuchsweise  gegeben 
mit  Rücksicht  auf,  frühere  Erfahrungen  und  in  Anbetracht  der  grossen 
Verbreitung  der  congenitalen  Lues  hier  am  Ort. 

Bemerkenswerth  erscheint  mir  dieser  Fall  einmal  wegen  des 
zweifellos  acuten  Auftretens  der  rachitischen  Knochen- 
veränderunngen,  dann  wegen  der  beinahe  gleichzeitig  ein- 
setzenden Symptome  der  sog.  Barlow*sohen  Krankheit.  Dann 
hat   vielleicht  diese   Temperaturcurve,    wenn   sie   auch  nicht  die 


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ganze  Erankheitszeit  begreift,  ein  gewisses  Interesse,  wie  auch  der 
negative  Befund  der  Blutnntersuchung,  der  mit  dem  von  Rehn 
(dieses  Jahrbuch  Bd.  XXXVII,  S.  108)  fibereinstimmt,  endlich  der  starke 
Urobilingehalt  des  Harns,  der  sich  durch  die  Resorption  des  extra- 
vasirten  Blutes  erklärt. 

Es  gehört  also  der  vorliegende  Fall  zu  den  selten  vorkommenden. 


Ans  dem  Eindenpital  sn  Stettin.  377 

in  welchen  die  raobitischen  Symptome,  wenigstem  die  charakteristischen 
Enocbenver&ndernngen,  acat  auftreten.  Ein  massiges,  nnregehnftssiges 
Fieber  ging  damit  Hand  in  Hand,  nnd  fast  gleichseitig  setzten  die  Er- 
scheinnngen  einer  hämorrhagischen  Diathese  ein,  welche  dann  das  Bild 
der  sogenannten  Barlow'schen  Krankheit  hervorriefen.  Die  Ursache  der 
h&morrhagischen  Diathese  wird  man  hier  kanm  anf  die  Ernährung  allein 
zurückführen  kOnnen,  wenigstens  war  dieselbe  als  künstliche  nicht  un- 
sweckmässig  und  auch  nicht  ganz  einseitig,  immerhin  war  sie  künstlich, 
und  das  Kind  von  Tomherein  nicht  recht  dazu  geeignet,  da  es  trots» 
aller  Mühe  und  Sorgfalt  der  Mutter  nicht  ganz  gedeihen  wollte.  Da- 
gegen dürfte  man  dem  acuten  Einsetzen  der  Rachitis  wohl  eine  wesent- 
liche Bolle  bei  dem  Auftreten  der  hämorrhagischen  Diathese  zuschreiben 
können.  Lues  congenita  hat  bei  dem  Kinde  wahrscheinlich  nicht  be- 
standen. * 


2. 
Ans  dem  Einderspital  zu  Stettin. 

Von 
Dr.  Wilhelm  Stbfpeh. 

I.  Lnngentabercnlose.    Tassis  eonyalslya.    Tödtllche  Hämoptoe. 

Krankengeschichte. 

Fritz  B.,  4<4  Jahre  alt,  wurde  am  16.  Juli  1892  aufgenommen. 
Schwächlicher  Knabe.  Massig  starke  Dämpfung  in  beiden  Spitzen,  da- 
selbst deutliches  kleinblasiges  Kasseln,  ebenso  verbreitete  Rasselgeräusche 
in  beiden  Lungen.  Die  Untersuchung  tou  Herz,  Leber  und  Milz  ergab 
nichts  Abnormes.  Urin  frei  Ton  Eiweiss.  Puls  100.  Temp.  86,6.  Resp.  82. 
Therapie:  Gute  Pflege.  Inhalationen  Yon  Ol .  Terebinthin.  Liq .  Ammon. 
anisat.  In  der  Folge  änderte  sich  der  Befund  der  Lungen  kaum.  In 
dein  meist  schleimigen  Sputum  wurden  am  20.  Juli  keine  Tuberkel- 
bacillen  gefunden.  Am  80.  Juli  zeigte  sich  geringer  Durchfall.  Puls, 
Temperatur,  Respiration  und  KeuchhustenanTälle  gestalteten  sich  fol- 
gendermaassen: 

Puls  Temp.         Resp.      Keuchhusten -Anfälle 


M. 

A. 

M. 

A. 

M. 

A. 

17. 

Juli. 

100 

116 

88,6 

87,9 

40 

82 

18. 

120 

180 

88,6 

89,0 

40 

44 

34. 

19. 

120 

120 

88,1 

40,1 

88 

42 

88. 

20. 

122 

180 

88,4 

40,0 

88 

84 

22. 

21. 

142 

180 

39,8 

89,6 

42 

36 

23. 

22. 

184 

188 

88,9 

40,0 

42 

44 

16. 

28. 

146 

180 

89,4 

39,6 

66 

38 

27. 

24. 

180 

118 

88,6 

89,4 

64 

42 

22. 

26. 

126 

180 

88,8 

40,0 

44 

40 

21. 

26. 

128 

188 

88,8 

40,4 

42 

42 

18. 

27. 

188 

182 

89,6 

89,4 

46 

44 

14. 

28. 

140 

182 

89,8 

89,9 

60 

60 

10. 

29. 

188 

140 

88,4 

40,6 

38 

64 

12. 

80. 

146 

89,0 

44. 

378  Kleinere  Mittheilnngen. 

Das  Befinden  des  Knaben  war  im  Ganzen  leidlich,  der  Appetit 
ziemlich  gnt  Am  Morgen  des  SO.Jnli  trat  beim  heftigen  Husten  plötz- 
lich eine  hochgradige  Hämoptoa  ein  nnd  nach  wenigen  Secunden  der 
Exitus  letalis;  die  Menge  des  entleerten  Blutes  betrag  etwa  ^1.  — 
Aus  äusseren  Gründen  konnte  leider  die  Section  nicht  gemacht  werden. 

So  häufig  erwachsene  Phthisiker  an  Blutsturz  zu  Grande  ^ehen,  so 
selten  trifft  dies  im  kindlichen  Alter  zu.  Hoffnung  hat  m  seiner 
Dissertation  (Üeber  Hämoptoe  bei  Kindern,  Berlin  1885)  7  bezügliche 
•Fälle  zusammengestellt.  Ich  habe  in  der  Literatur  noch  6  weitere 
Beobachtungen  niedergelegt  gefunden,  wo  bei  Lungenschwindsucht  tödt- 
liche  Hämoptoe  auftrat,  und  zwar  je  eine  bei  Hennig^),  Barthez 
etRilliet*),  West"),  d'Espine  et  Picot«)  und  zwei  bei  A.  Steffen»). 
Wir  haben  also  im  Ganzen  die  nur  geringe  Zahl  Ton  dreizehn  Fällen, 
zu  denen  der  unsere  als  vierzehnter  hmzutritt.  Die  Sectien  wurde  acht- 
mal ausgeführt,  dreimal  (Carr^e  cit.  bei  Hoffnung,  West,  1  Fall 
A.  Steffen)  konnte  trotz  genauester  Durchforschung  die  Ursache  der 
letalen  Hämorrhagie  nicht  ermittelt  werden,  in  den  übrigen  Malen  war  ein 
kleines  Aneurysma  eines  Astes  der  Lungenarterie  in  eine  grössere  oder 
kleinere,  mit  den  Bronchien  communicirende  Gaverne  geplatzt.  Vier 
von  diesen  interessanten  Sectionsbefunden  theilt  Hoffnung  ausführlich 
mit;  besonders  lehrreich  ist  der  dort  herangezogene  eine  Fall  von 
Rasmussen,  wo  es  erst  nach  Durchsuchung  sehr  feiner  Lungenschnitte 
möglich  war,  denürsprang  der  tödtlichen  Blutung  festzustellen.  Barthez 
et  Rilliet  geben  „Torminale  Hämorrhagie  in  Folge  einer  Lungen- 
caverae**  an,  ich  entnehme  daraus,  dass  es  sich  um  denselben  anato- 
miechen Process  gehandelt  hai  Die  Frage,  weshalb  in  allen  diesen 
Cavernen  Gefässerweiternngen  entstanden  sind,  beantwortet  Hoffnung 
mit  der  von  P.  Meyer  näher  studirten  und  klar  gelegten  Thatsache 
des  Auftretens  von  Hyalin  in  Gefässen,  deren  Wände  entzündlich  oder 
tuberculös  verändert  sind;  das  Hyalin  ersetzt  allmählich  die  ganze 
Wandung  und  durch  diese  stattgehabte  Umwandlung  ist  es  dem  stetig 
wirkenden  Blutdruck  ein  Leichtes,  eine  Ausbuchtung  des  Gefässrohres 
zu  Stande  zu  bringen. 

Diesen  seltenen  Befunden  gegenüber  stehen  auf  der  anderen  Seite 
die  zahlreichen  Sectionsergebnisse  von  Lungentuberculose,  wo  eine 
tödtliche  Hämoptoe  nicht  aufgetreten  ist.  Der  Grund  hiervon  ist  leicht 
einzusehen.  In  den  verkästen  Knoten  und  ihren  secundären  Erweichungs- 
herden oder  in  wirklichen  Cavernen  —  erstere  aus  katarrhalischer  Pneu- 
monie hervorgegangen,  beherrschen  nach  Wyss  das  Bild  der  Phthise 
bei  Kindern  bis  zum  6.  Lebensjahre,  letztere  zeigen  sich  im  späteren 
Kindesalter  mehr  der  Phthise  Erwachsener  entsprechend  —  sind  die 
Gefässe  meist  obliterirt,  zum  Mindesten  stark  comprimirt,  sodass  durch 
dieses  Verhalten  eine  grössere  Blutung  ausgeschlossen  ist.  Hier  und 
da  begegnet  man  jedoch  Ausnahmen,  wo  in  Höhlen  oder  deren  directer 
Nähe  die  Gefässe  völlig  normal  functioniren,  ohne  die  vorher  erwähnte 
Anlage  zur  Aneurysmenbildung  zu  zeigen,  und  doch  keine  Blutung  er- 
folgt.   Ich  glaube,  in  diesen  Fällen  lässt  sich  für  das  Ausbleiben  der 

1)  Hennig,  Lehrbuch  der  Krankheiten  des  Kindes  1856.   S.  265. 

2)  Barthez  et  Rilliet,  Handb.  d.  Kinderkrankheiten.  Deutsch 
von  Hager.   HL  Bd.    1856.    S.  823. 

8)  West,  Pathologie  und  Therapie  d.  Kinderkrankheiten.  Deutsch 
von  Weguer  1860.    S.  307. 

4)  d  Espine  et  Picot,  Grundriss  d.  Kinderkrankheiten.  Deutsch 
von  Ehrenhaus  1878.    S.  461. 

5)  A.  Steffen,  Klinik  der  Kinderkrankheiten.  L  Bd.  1865.  S.242 
u.  423. 


Ans  dem  Kinderspital  zu  Stettin.  379 

etalen  Hämoptoe  folgendea  Argument  anfahren.  Wie  bekannt,  nimmt 
das  Herz  im  kindlichen  Alter  eine  mehr  horizontale  Lage  ein  nnd 
richtet  sich  dann  mit  den  Jahren  allmählich  anf,  um  beim  Erwachsenen 
in  eine  mehr  verticale  Lage  überzugehen.  Hiemach  kann  man  sich 
Torstellen,  dass  das  vom  landlichen  Herzen  ans  in  das  Gefässsystem 
geschleuderte  Blut  unter  normalen  Verhältnissen  anfangs  einen  grösseren 
Widerstand  zu  überwinden  hat  und  in  der  Folge  unter  einem  weniger 
hohen  Druck  steht;  mithin  werden  die  Lungenarterien  nur  eine  mittlere 
Spannung  zeigen  und  dem  phthisischen  ulcerirenden  Process  des  Ge- 
webes länger  widerstehen  als  prall  mit  Blut  gefüllte  Gefässe.  Aller* 
dings  muss  man  bei  dieser  Hypothese  von  den  ersten  Lebenswochen 
absehen,  wo  die  Lnngenarterie  weiter  ist  als  die  Aorta  und  die  Wan- 
dungen des  linken  Ventrikels  den  rechten  an  Dicke  noch  nicht  über- 
treffen, also  durch  diese  veränderten  anatomischen  Verhältnisse  die 
Lungen  überhaupt  mehr  Blut  enthalten  als  später. 

Was  die  tödtliche  Blutung  in  unserem  Fall  anlangt,  so  ist  es 
müssig,  ohne  gegebene  anatomische  Daten  sich  in  theoretische  Betrach- 
tungen über  den  Ursprung  derselben  zu  yerlieren;  ich  will  nur  hervor- 
heben, dass  schon  Barthez  und  Rilliet  und  nach  ihnen  Gerhardt 
(Lehrbuch  der  Kinderkrankheiten  1861,  S.  218)  darauf  aufmerksam  ge- 
macht haben,  dass  bei  BronchialdrSsentuberculose  zuweilen  letale  Blu- 
tungen aus  den  Luftwegen  auch  ohne  Verbindung  zwischen  Gefässen 
und  Bronchien  durch  heftige  körperliche  oder  psychische  Erregungen 
—  wahrscheinlich  verursacht  durch  Compression  der  Lungenvenen  durch 
verkäste  Drüsen  —  zu  Stande  kommen  können.  So  liesse  sich  bei  An- 
nahme gleichzeitig  bestehender  Lungen-  und  Bronchialdrüsentuberculose 
auch  hier  der  heftige  Stickhustenanfall  vielleicht  in  diesem  Sinne  für 
den  tödtliohen  Ausgang  verwerthen. 

Das  anhaltende  Fieber,  die  abendlichen  Steigerungen  und  morgend- 
lichen Remissionen  sind  durch  den  tuberculösen  Process  bedingt.  Der 
Keuchhusten,  der  nach  Aussage  der  Eltern  vor  dem  Eintritt  ins  Spital 
schon  etwas  im  Abnehmen  war,  hatte  sich,  wie  aus  der  Tabelle  er- 
sichtlich, vielleicht  günstig  beeinflusst  durch  die  Terpenthin-Einathmungen, 
in  den  14  Tagen  in  der  Zahl  der  Anfälle  bedeutend  gebessert,  an  In- 
tensität dagegen  nur  wenig. 


IL  Angeborene  Hjpertropliie  der  einen  KSrperhftlfle. 

Im  27.  Jahresbericht  aus  dem  Jenner*schen  Kinderspital  beschreibt 
Demme  einen  Fall  von  angeborener  halbseitiger  Maskelhypertrophie 
bei  einem  zweimonatlichen  Mädchen.  Kurz  nach  Erscheinen  des  Be- 
richtes hatten  wir  in  unserer  Anstalt  Gelegenheit,  einen  ähnlichen  Fall 
zu  beobachten. 

Krankengeschichte. 

Max  H.,  11  Wochen  alt,  wurde  am  SO.  November  1890  aufgenom- 
men. Die  Anamnese  ergab:  Protrahirte,  doch  im  Ganzen  leichte  Ge- 
burt des  Kindes,  der  Kopf  kam  zuerst.  Sofort  nach  der  Geburt  zeigte 
der  Knabe  an  verschiedenen  Stellen  des  Körpers  blaurothe  Flecke,  am 
zweiten  Tage  ist  den  Eltern  die  etwas  stärkere  Entwickelung  der  rech- 
ten Körperhälfte  aufgefallen.  Die  Ernährung  bestand  in  Milch,  Beis- 
und Haferschleim.  Die  Eltern  sind  vollkommen  gesund,  ebenso  die  Ge- 
schwister.   Missbildnngen  sind  in  der  Familie  nicht  vorhanden. 


380  Kleinere  Mittheiliingeii. 

Statut  praesens  am  1.  Oecember:  Ziemlich  gut  gen&hrtes 
Kind  mit  deutlichen  Zeichen  von  Rachitis  (grosse  Fontanelle,  Rosen- 
kranz, Epiphysenaaftreibang  an  Unterarmen  und  Unterschenkeln).  Bläulich- 
rothe  Flecke  von  verschiedener  Grösse  auf  dem  Sternum,  der  rechten 
Vorderh&lfte  des  Rumpfes,  der  linken  Bauchwand  vom  Nabel  abw&rte 
und  auf  dem  linken  Handrücken.  An  der  Hinterfläche  des  Rumpfes 
diffuse  rothbrftunliche  Verfärbung  der  Haut.  Diese  Hautaffectionen  liegen 
in  demselben  Niveau  mit  der  gesunden  Haut,  auch  erleiden  sie  durch 
Weinen,  Schreien  u.  s.  w.  weder  ein  anderes  Aussehen  ihres  Colorits, 
noch  irgend  eine  Anschwellung.  —  Massig  starke  Kyphose  der  unteren 
Brust-  und  oberen  Lendenwirbelsäule.  Geringe  Nabelhernie,  hoch- 
gradige Phimose.  Die  Untersuchung  der  Brust-  und  Bauchorgane  er- 
glebt  nichts  Abnormes.  Urin  frei  von  Eiweiss.  Temp.  36,8.  Puls  86. 
esp.  80.  —  Die  obere  und  untere  Extremität  der  rechten  Seite  sind 
etwas  voluminöser  als  die  linke.  Der  rechte  Oberarm,  in  der  Mitte  ge- 
messen, hat  einen  UmfiEuig  von  11cm,  der  linke  von  10,6  cm;  der  rechte 
Unterarm  misst  in  der  Mitte  12  cm,  der  linke  11,85  cm;  der  rechte 
Oberschenkel  in  der  Mitte  20  cm,  der  linke  17,6;  der  rechte  Unter- 
schenkel in  der  Mitte  15  cm,  der  linke  13  cm.  Eine  Verdickung  und 
Verlängerung  der  einzelnen  Knochen  rechterseits  besteht  nicht.  Die 
Haut  ählt  sich  auf  beiden  Seiten  gleichmässig  dick  an,  die  Musku- 
latur rechts  fester  und  derber  als  links.  Der  Kopfumfang  beträgt  38  cm, 
beiderseits  19;  der  Brustumfang  beträgt  87  cm,  beiderseits  isy,  cm; 
der  Bauchumfang  Aber  dem  Nabel  gemessen  87  cm,  rechts  19  cm,  links 
18  cm.  Beide  Augen  sind  gleich  gross,  die  Lidspalten  sind  gleich  weit, 
die  rechte  Pupille  ist  etwas  weiter  als  die  linke.  Das  rechte  Ohr  hat 
eine  Länge  von  4  cm,  das  linke  von  8,8  cm.  An  den  Wangen  und  der 
Zunge  ist  ein  Unterschied  nicht  vorhanden. 

Eine  erneute  Messung  nach  6  Wochen  ergiebt  folgende  Resultate; 

cm  cm 

rechter  Oberarm  in  der  Mitte     ...  9  links  8,6 

„       Unterarm  in  der  Mitte    .    .    .  10,2  „  9,6 

„       Oberschenkel  i.  oberen  Drittel  16  „  14 

„        in  der  Mitte 15  n  18 

„        im  unteren  Drittel       ....  18,6  „  12 

rechtes  Kniegelenk 15,5  „  18 

rechter  Unterschenkel  in  der  Mitte  12,5  „  11 

Brustumfang  85  cm,  beiderseits  17,5  cm. 

Bauchumfang  über  dem  Nabel  87  cm,  rechts  19  cm,  links  18  cm. 

Die  geringeren  Maasse  sind  durch  die  allgemeine  Kräfteabnahme, 
insbesondere  durch  den  Schwund  des  Pannicul.  adip.  bedingt. 

Das  Kind  acquirirt  eine  rechtsseitige  Streifenpneumonie  von  län- 
gerer Dauer,  sowie  einen  periproctitischen  Abscess,  und  geht  am  23.  Jan. 
1891  EU  Grunde. 

Section  am  24.  Januar: 

Hochgradig  abgemagerte,  dem  Alter  eines  4 — 5 monatlichen  Kindes 
entsprechend  grosse  männliche  Leiche.  Geringe  Starre.  Zahlreiche 
Todtenflecke  auf  der  Rückseite  des  Körpers.  1  cm  neben  dem  Anns 
auf  der  rechten  Seite  eine  kleine  Schnittwunde,  welche  in  eine  über- 
wallnussgrosse  Höhle  führt.  Leib  stark  eingesunken.  Ziemlich  hoch- 
gradige Phimose.  Beide  Hoden  im  Hodensack  fühlbar.  Epiphjsen  an 
Unterarmen  und  Unterschenkeln  ziemlich  stark  aufgetrieben.  Brustkorb 
an  den  oberen  Partien  etwas  vorgewölbt,  an  den  unteren  und  seitlichen 
abgeflacht  und  leicht  eingezogen.    Rachitische  Auftreibung  der  Rippen- 


Aus  dem  Eioderspital  zu  Stettin.  381 

« 

knorpel.  M&ssige  ETphose  der  unteren  Brost-  und  oberen  Lenden- 
wirbel. —  Schädeldach  nicht  ganz  symmetrisch ,  indem  rechts  die 
vorderen,  links  die  hinteren  Partien  mehr  hervortreten.  Die  grosse 
Fontanelle  misst  in  der  L&nge  5,  in  der  Breite  8,5  cm.  Eopfomfang 
88  cm,  beiderseits  19  cm.  Am  Gesicht  kein  besonderer  Unterschied  er- 
kennbar. Augen  beide  gleich  gross.  Mund  geschlossen,  an  der  Zunge 
keine  Asymmetrie.  Rechtes  Ohr  4  cm  lang,  1,5  cm  breit;  linkes  Ohr 
8,8  cm  lang,  2,4  cm  breit.  Der  rechte  Oberarm  hat  in  der  Mitte  einen 
umfang  von  8  cm,  links  7,5  cm.  Unterai*m  rechts  im  oberen  Drittel 
9,5  cm,  links  9,2  cm.  Oberschenkel  rechts  in  der  Mitte  12,5,  links  11  cm. 
Unterschenkel  rechts  in  der  Mitte  10  cm^  links  9,2.  Der  Umfang  des 
Leibes  fiber  dem  Nabel  beträgt  26,5  cm,  rechts  13,5  cm,  links  13  cm. 

Kopfhöhle:  Hinterhauptsknochen  dünn,  durchscheinend,  Stirnbeine 
dick,  besonders  das  linke,  von  bläulicher  Farbe.  Dura  mit  dem  Knochen 
fest  zusammenhängend,  mit  Ausnahme  einer  fünfmarkstückgrossen  Stelle 
am  linken  Stirnbein.  Sämmtliche  Sinus  massig  stark  mit  Blut  gefüllt. 
Liquor  cerebrospinalis  nicht  vermehrt,  nicht  getrübt.  Pia  massig  in- 
jicirt.  Gehirn  im  Ganzen  gross.  Rechte  Hemisphäre  14,5  cm  lang,  in 
der  Mitte  7  cm  breit,  linke  Hemisphäre  18  cm  lang,  in  der  Mitte  6  cm 
breit;  die  hintere  Partie  links  ist  im  Ganzen  deutlich  gleichmässiger 
breit  als  rechts.  Windungen  auf  beiden  Seiten  gut  ausgesprochen.  Die 
untere  Fläche  des  GeKims  ist  abgeflacht,  hier  ist  der  rechte  Stirntheil 
etwas  stärker  entwickelt;  beide  Hemisphären  gleichen  sich  auf  diese 
Weise  aus.  Seiten  Ventrikel  etwas  erweitert,  Flüssigkeit  leicht  vermehrt. 
Auf  Durchschnitten  des  Gehirns  zahlreiche  Blutpunkte,  die  graue  Sub- 
stanz sieht  etwas  gallertig  aus.  Gehirn  schneidet  sich  massig  fest,  von 
etwas  teigiger  Beschaffenheit.  Die  grossen  Ganglien,  Pons,  Kleinhirn, 
Med.  o6l.  ohne  Besonderheit. 

Bei  Eröffnung  des  Wirbelcanals  und  Herausnahme  des  Rückenmarkes 
Allt  eine  Verschiedenheit  beider  Seiten  nicht  auf.  Rückenmark  von 
normaler  Farbe  und  Consistenz,  makroskopisch  keine  Veränderungen. 
Einlegen  in  Müller*8ohe  Flüssigkeit. 

Normale  Lage  der  Einffeweide.  Sämmtliche  Gedärme  sehr  blass. 
Abdomen  frei  von  Flüssigkeit.  Musculus  rectus  rechts  stärker  entwickelt 
als  links.  Die  Pectoralmuskeln  auf  beiden  Seiten  gleich.  Pannic.  adip. 
an  Brust  und  Bauch  fast  geschwunden.  Rippen  rechts  und  links  sym- 
metrisch. 

Zwerchfellstand  beiderseits  5.  L  C.  R.  Bei  Eröffnung  der  Brust- 
höhle liegt  das  Herz  in  gewöhnlicher  Weise  von  Lunge  unbedeckt  vor. 
Beide  Lungen  nirgends  adhärent.    Pleurahöhlen  frei  von  Flüssigkeit. 

Pericardialflüssigkeit  nicht  vermehrt.  Herz  klein,  schlaff.  Klappen- 
apparat überall  normal.    Muskulatur  von  blassbrauner  Farbe. 

Linke  Lunge  im  Unterlappen  gering  hyperämisch,  im  Uebrigen 
normaL 

Rechte  Lunge  zeigt  über  den  hinteren  Partien  des  Unter-  und 
Oberlappens,  mit  Ausnahme  der  Spitze,  das  deutliche  Bild  der  Streifen- 
pneumonie. 

Milz  klein,  von  blau-brauner  Farbe  auf  dem  Durchschnitt.  Follikel 
wenig  deutlich. 

Linke  Niere  4,5  cm  lang,  2  cm  breit.  Kapsel  leicht  abziehbar. 
Organ  zeigte  auf  dem  Durchschnitt  die  Zeichen  der  Stauung. 

Rechte  Niere  4,5  cm  lang,  2,5  cm  breit,  im  Uebrigen  dieselben 
Verhältnisse  wie  links. 

Leber  von  normaler  Ghrösse.  Organ  auf  dem  Durchschnitt  von 
blau  -  brauner  Farbe.  Blutgehalt  vermehrt.  Läppchenzeichnung  un- 
deutlich. 


382  Kleinere  Mittheilangen. 

•  Magen-Darmcanal  ohne  Anomalie. 
Ans  beiden  Unterarmen  and  Oberschenkeln  werden  mehrere  kleine 
Stücke  Yon  entaprechenden  Mnskeln  nnd  Nerven  heraasgeschnitten  und 
zur  Härtung  in  MüUer^sche  Flfissigkeit  gebracht,  ebenso  aus  beiden 
Musculi  recti  abdom.  Das  ünterhautfettgewebe  an  den  Unterarmen 
beinahe  geschwunden,  an  den  Oberschenkeln  in  geringem  Grade  beider- 
seits gleichmässig  stark  Torhanden.  Zwischen  den  einzelnen  Muskeln 
findet  sich  keine  Fettablagerung.  Die  Knochen  beider  Seiten  zeigen 
keine  Verschiedenheiten. 

Mikroskopischer  Befund: 

Die  Untersuchung  mehrfacher  Schnitte  aus  Hals-,  Brust-  und  Lenden- 
mark lassen  keine  Unterschiede  beider  Seiten  erkennen.  Ebenso  zeigen 
die  peripheren  Nerven  beiderseits  ein  gleiches  normales  Verhalten. 

An  Muskel  schnitten  vom  rechten  Unterarm,  Oberschenkel  und  M. 
rectus  abdom.  —  verglichen  mit  keine  Anomalie  darbietenden  gleichen 
Schnitten  der  linken  Seite  —  ist  an  einigen  Stellen  die  Querstreifung 
der  Primitivbündel  undeutlich  resp.  verloren  gegangen  und  die  Muskel- 
kerne  geschwunden,  körniger  Zerfall  oder  fettige  Entartung  ist  nir- 
gends nachzuweisen.  Im  Üebrigen  ergeben  Längs-  und  Querschnitte 
der  Primitivbündel  durchaus  normale  Bilder,  eine  Hypertrophie  der 
Primitivfibrillen  besteht  nicht  Das  interfibrilläre  und  interstitielle  Ge- 
webe ist  nicht  verilndert  oder  vermehrt. 

Das  Mikroskop  hat  weder  eine  Muskelhjpertrophie  im  engeren 
Sinne  noch  eine  Pseudohypertrophie  erkennen  lassen,  wir  haben  es  fiast 
durchweg  mit  normalen  Verhältnissen  zu  thun,  nur  hie  und  da  findet 
sich  beginnende  Atrophie  mit  Verlust  der  Querstreifung  und  Schwand 
der  Kerne,  jedoch  ohne  körnigen  Zerfall  oder  fettige  Entartung.  Da 
nun  die  Knochen  nichts  Auffälliges  bieten  und  die  Haut  beiderseits 
eine  gleichmässige  SÜürke  besitzt,  so  kann  die  Hypertrophie  der  Ex- 
tremitäten und  des  Abdomens  rechterseits  nur  auf  einer  angeborenen 
Vermehrung  des  normalen  Muskelgewebes  an  sich,  auf  einer  Hyper- 
plasie desselben  beruhen.  Hiermit  stimmt  das  normale  Verhalten  des 
Kückenmarks  und  der  peripheren  Nerven  sehr  gut  überein. 

In  dem  oben  erwähnten  Demme*8chen  Fall,  welcher  in  der  Disser- 
tation von  Bornand  (Observations  hiatologioues  sur  un  cas  d'Hyper- 
trophie  musculaire  unilaterale  ou  Maladie  de  Thomsen.  Dissertation  in- 
augurale.  Lausanne  1891}  ausführlich  beschrieben  worden,  ist  die  ganze 
linke  Seite  von  der  st&rkeren  Entwickelung  betroffen.  Letztere  ist  recht 
bedeutend  und  die  Unterschiede  der  Messungen  treten  noch  schärfer  als 
bei  uns  hervor,  so  beträgt  der  Umfang  des  Oberarms  (Mitte  des  Biceps) 
links  13,  rechts  11,6  cm;  Umfang  des  Vorderarms  (oberes  Ende  des 
unteren  Drittels)  links  14  cm,  rechts  11  cm;  Umfang  des  Oberschenkels 
(oberstes  Ende)  links  26,  rechts  20  cm,  über  der  Patella  gemessen  links 
17  cm,  rechts  16  cm;  Umfang  des  Unterschenkels  links  16,6  cm,  rechts 
12,6  cm. 

Auch  in  diesem  Fall  beruht  die  Hypertrophie  neben  einer  solchen 
des  Pannicul.  adip.  in  Veränderungen  der  Muskulatur,  und  zwar  be- 
stehen dieselben  in  einer  deutlichen  Hypertrophie  der  Primitivfibrillen 
und  Vermehrung  der  Sarcolemkerne  neben  Verlust  der  Querstreifung 
und  körniger  Entartung  der  Primitivbundel.  Das  interstitielle  Gewebe 
ist  meist  normal,  manchmal  finden  sich  Anhäufungen  von  Zellen,  grösser 
als  weisse  Blutkörperchen  und  eigenthümlich  geformt,  welche  Bornand 
als  aus  einer  Wucherung  des  Gewebes  hervorgegangen  ansprechen  zn 
können  meint,  als  Begleiter  dieser  Zellenhaufen  erscheinen  häufig  em* 
bryonale  Muskelelemente.   .  Im  linken  Hypoglossuskem  und  im  linken 


Ans  dem  Einderapital  zu  Stettin.  383 

Vorderhorn  des  Bückenmarks  sind  die  Ganglienzellen  an  Zahl  gegen 
rechts  vermehrt.  Gehirn,  Backenmark  nnd  Nerven  zeigen  sonst  nnr 
anwesentliche  Abweichungen  yon  der  NomL 

In  den  Arbeiten  von  Isidore  Geoffroy  St.  Hilaire  nnd  von 
Tr^lat  et  Monod  scheinen  bezügliche  Fälle  von  Maskelhypertrophie 
der  einen  Eörperhälfte  beschrieben  zu  sein,  doch  ist  das  Nähere  aus 
der  Bornand'schen  Dissertation,  welche  dieselhen  citirt,  nicht  zu  er- 
sehen; die  Originale  waren  mir  nicht  zugänglich. 

In  der  übrigen  Literatur  habe  ich  nur  noch  zwei  Beobachtungen 
gefunden,  mit  denen  unser  Fall  fernerhin  Aehnlichkeit  besitzt,  eine 
ältere  von  James  Finlayson  und  eine  neuere  von  Biegel. 

Finlayson  (Ein  Fall  von  angeborener  einseitiger  Hypertrophie. 
Glasgow  Medic.  Joum.  Novmbr.  1884.  Bef.  im  Jahrbuch  f.  Einderheil- 
kunde Bd.  XXIV,  8.  284)  beschreibt  ein  18  Monate  altes  Mädchen, 
bei  dem  die  Hypertrophie  die  rechte  Seite  des  Gesichts,  sowie  rechten 
Arm  und  Bein  betraf  und  zwar  sowohl  die  Weichtheile  als  die  Knochen. 
Interessant  war  ausserdem,  dass  in  der  rechten  Körperhälfte  bereits 
8  Zähne  zur  Entwickelung  gekommen  waren,  während  auf  der  linken 
Seite  noch  kein  Zahn  durchgebrochen  war.  „Eine  weitere  Eigenthüm- 
lichkeit,  die  auch  gleich  bei  der  Geburt  auffiel,  betraf  eine  zeitweise 
auftretende,  dunkel-  bis  blaurothe  Verfärbung  der  Bauchhaut,  besonders 
in  der  Gegend  des  Nabels  und  in  keiner  Weise  auf  eine  Seite  be- 
schränkt; es  zeigten  sich  vielmehr  solche  Flecke  auch  auf  der  Seiten- 
fläche und  Hinterseite  des  rechten  Schenkels,  auf  der  rechten  Bücken- 
hälfte, ebenso  auf  dem  linken  Arm  und  Schenkel.  Die  Hautverfärbung 
trat  besonders  zu  Tage  beim  Weinen,  Schreien,  Gemüthsbewegungen 
überhaupt;  künstlich  konnte  die  Verfärbung  hervorgerufen  werden  durch 
warme  Bäder.  Beim  Schreien  wurden  die  angeführten  Hautbezirke  tief 
dunkelroth  bis  blau,  sodass  sie  aussahen  wie  ein  stark  entwickeltes 
Muttermai,  dabei  erschien  die  Haut  nicht  erhaben  und  fühlte  sich 
durchaus  weich  an.  Sobald  das  Kind  wieder  ruhig  wurde,  nahm  die 
Büthung  ab^  sodass  man  nachher  nichts  Auffallendes  mehr  an  der  Haut 
wahrnehmen  konnte;  nur  am  rechten  Bein  Hessen  sich  rothe  Ver- 
ästelungen als  Beste  der  abgelaufenen  Hautcongestion  nachweisen/'  Von 
Section  und  mikroskopischer  Untersuchung  verlautet  in  dem  Beferat 
nichts.  —  Die  beschriebene  Hautaffection  erinnert  in  der  Farbe  und  in 
der  unregelmässigen  Ausdehnung  über  den  KOrper  sehr  an  die  in  der 
Krankengeschichte  erwähnten  &utver^bungon  unseres  Kindes,  doch 
bilden  sie  bei  diesem  ein  constantes  Merkmal,  während  sie  bei  jenem 
erst  eines  verschiedenartigen  Anstosses  bedürfen,  um  sichtbar  hervor- 
gerufen zu  werden;  aus  diesem  Grunde  beruhen  sie  sicher  dort  auf 
vasomotorischen  Störungen,  in  unserem  Fall  dagegen  handelt  es  sich 
direct  um  eine  angeborene  Anomalie  der  Haut.  Ob  irgend  ein  gene- 
tischer Zusammenhang  hier  mit  der  Hyperplasie  der  Muskulatur  be- 
steht, möchte  ich  bezweifeln,  da  die  Haut  an  den  betreffenden  Stellen 
ausser  der  Verfärbung  makroskopisch  wenigstens  —  eine  mikrosko- 
pische Untersuchung  konnte  nicht  ausgeführt  werden  —  keine  weitere 
Veränderung,  namentlich  keine  Verdichtung  zeigt. 

Biege!  stellte  in  der  medicinischen  Gesellschaft  zu  Giessen  (Bef. 
in  der  deutschen  med.  Wochensohr.  1892,  Nr.  40,  S.  901)  ein  sieben- 
jähriges Mädchen  vor  mit  angeborener  Hypertrophie  der  ganzen  rechten 
Körperhälfte;  dieselbe  betraf  Haut,  Muskulatur  und  theil weise  auch  das 
Knochensystem.  Arm  und  Bein  der  afficirten  Seite  waren  nicht  nur  an 
Umfang  dicker,  sondern  auch  länger  als  die  der  anderen. 

Ueberblioken  wir  kurz  die  vier  Fälle,  so  haben  sie  die  angeborene 
stärkere  Entwickelung   der   einen  Seite  gemeinsam;   in  unserem  Falle 


384  Kleinere  Mittbeilungen. 

betrifft  die  Zanahme  Extremit&ten  und  Abdomen,  bei  Finlayson  Ex- 
tremit&ten  und  Gesicht,  bei  den  anderen  die  gante  EOrperhälfte.  Bor- 
nand,  Finlayson  und  Riegel  beobachteten  Hypertrophie  der  Haut 
und  der  Muskulatar,  die  beiden  letzteren  ansBerdem  auch  der  Knochen, 
w&hrend  bei  unserem  Kinde  die  Affection  auf  die  Muskulatur  sich  be- 
schränkte. Dreimal  «rar  die  rechte  Seite  betheiligt,  einmal  die  linke; 
die  Kinder  standen  im  Alter  von  2 ,  S'/i  ^^^  ^^  Monaten  und  tou 
7  Jahren,  und  betrafen  einen  Knaben  (uneer  Fall)  und  drei  Mädchen. 
Die  mikroskopische  Untersuchung  wurde  von  Bornand  und  mir  unter- 
nommen und  brachte  yerschiedenarti^e  Resultate;  Bornand  sah  deut- 
liche wirkliche  Hypertrophie  der  einzelnen  Primitivfibrillen  und  Ver- 
mehrung der  Sarcolemuskeme;  ich  fand  normale  Verhältnisse,  die  mich 
zur  Annahme  einer  Hyperplasie  des  Muskelgewebes  fährten.  Die  beiden 
anderen  Fälle  sind  nicht  zur  Section  gekommen  und  lassen  daher  die 
Frage,  ob  Hypertrophie  im  engeren  Sinne,  ob  Hyperplasie  oder  auch 
ob  Pseudohypertrophie  Torliegt,  offen.  —  Die  Deutung  dieses  merk- 
würdigen Krankheitsbildes  ist  schwer,  wie  schon  aus  den  verschiedenen 
Ansichten  der  Autoren  hervorgeht.  Nach  dem  anatomischen  Ergebniss, 
der  gefundenen  wahren  Muskelhypertrophie  und  der  Vermehrung  der 
Sarcolemkerne  betrachtet  Bornand  seinen  Fall,  obgleich  die  charakte- 
ristischen tonischen  Krämpfe  in  willkürlich  bewegten  Muskeln  bei  dem 
Kinde  nicht  beobachtet  wurden,  als  Thomsen'sche  Krankheit,  während 
Demme  ihm  mehr  eine  „gesonderte  Stellung**  zuweisen  m6chta  — 
Ueber  Finlayson's  Auffassung  ist  in  dem  Referat  nichts  angegeben. 
—  Da  in  der  BiegeTschen  Beobachtung  neben  der  allgemeinen  ein- 
seitigen Hypertrophie  eine  geringe  Atrophie  der  langen  Bückenmuskeln 
derselben  Seite  bestand,  so  zog  derseloe  wegen  dieses  letzteren  Um- 
standee  die  juvenile  Muskelatrophie  zum  Vergleich  heran..  —  Was  un- 
seren Befund  anlangt,  so  zeigt  er  zwar  manche  Aehnlichkeit  mit  den 
Übrigen  Fällen,  jedoch  auch  wieder  Verschiedenheiten;  in  den  Rahmen 
bekannter  Krankheitsbilder  lässt  er  sich  nach  meiner  Meinung  nicht 
einfügen. 


III»  Chronlgche  Cygto-Pyelo-Kephritls. 

Krankengeschichte. 

Mit  beträchtlichem  Intertrigo  der  äusseren  Genitalien  und  ihrer  Um- 
gebung bis  zum  Anus  wurde  die  10  Jahre  alte  Amanda  G.  am  16.  Febr. 
1892  im  Spital  aufgenommen.  Die  Anamnese  ergab,  dass  beide  Eltern 
gesund  sind.  '  Als  kleines  Kind  ist  Fat.  nie  krank  gewesen  und  hat 
sich  kräftig  entwickelt.  Vor  8  Jahren  war  sie  längere  Zeit  leidend  zu- 
sammen mit  einer  Schwester,  welche  an  der  Krankheit  starb.  Welcher 
Art  diese  Krankheit  gewesen  ist,  konnte  nachträglich  nicht  mehr  fest- 
gestellt werden,  da  zwei  von  den  drei  GoUegen,  welche  nach  Aussage 
des  Vaters  die  Kinder  damals  behandelt  haben  sollen,  dies  direct  in 
Abrede  stellten  und  der  dritte  GoUege  sich  des  Falles  nicht  mehr  ge~ 
nügend  erinnerte.  Hieraus  ergiebt  sichj  dass  die  Angaben  der  Eltern 
Überhaupt  mit  Vorsicht  aufzunehmen  smd.  —  Seit  Mai  1891  soll  die 
Kleine  angefangen  haben  Über  Stiche  und  Schmerzen  in  der  linken 
Seite  des  Leibes  zu  klagen,  die  ungefähr  alle  zwei  oder  drei  Tage 
anfallsweise  auftraten  und  unter  Retention  des  Urins  mehrere  Stunden 
dauerten.  Dann  trat  plötzliche  Euphorie  ein  mit  Entleerung  reichlicher 
Mengen  trüben  Harnes.    An  den  freien  Tagen  wurde  gelblicher  Urin  in 


Ad8  dem  Kinderspital  zu  Stettin.  385 

normaler  Weise  entleert.  Seit  dem  October  ist  Incontinenz  eingetreten 
und  hat  Fat.  angefangen  langsam  abzamagem.  Appetit  und  Verdauung 
waren  gut. 

Die  Untersuchung  des  im  Ganzen  abgemagerten  Mädchens  ergab 
bei  der  Aufnahme  ausser  dem  erwähnten  Intertrigo  Folgendes:  Die 
Percussion  und  Auscnltation  der  Lungen  zeigen  normale  Verhältnisse, 
die  Herzdämpfong  ist  nicht  vergrössert,  die  Töne  sind  rein,  der  Puls 
kräftig,  die  Temperatur  normal.  Leber  und  Milz  ohne  Anomalie.  Die 
Nieren  bei  Percussion  nicht  empfindlich,  das  Abdomen  bei  Druck  nir- 
gends schmerzhaft.  Das  Hymen  fehlt.  Das  Kind  kann  den  Urin  nicht 
halten,  derselbe  ist  von  gelblicher  Farbe,  trübe,  reagirt  alkalisch  und 
enthält  mittlere  Mengen  Eiweiss.  Mikroskopisch  finden  sich  im  centri- 
fugirten  Urin  mittlere  Menge  Eiterkörperchen  und  rothe  Blutkörper- 
chen, vereinzelte  grosse  Plattenepithelien,  zahlreiche  Tripelphosphate, 
keine  Cylinder.  —  Wenn  man  die  Kleine  fragt,  wie  ihr  jetziges  Leiden 
begonnen  habe,  so  wird  sie  scheu  und  verlegen  und  giebt  ausweichende 
Antworten. 

Der  Intertrigo  wurde  binnen  Kurzem  mit  Bleiwasserumschlägen  ge- 
heilt. Die  weitere  Behandlung  bestand  in  krilftiger  Ernährung,  zwei- 
mel  täglich  6  Tropfen  Liq.  ferri  sesquichlorati  und  Ausspülung  der 
Blase  mit  Höllensteinlösung  (0,06 :  100),  nachdem  eine  Untersuchung  mit 
der  Steinsonde  keine  Steine  ergeben  hatte.  Die  Ausspfilungen  geschahen 
anfangs,  da  das  Kind  ausserordentlich  empfindlich  war,  in  Narcose 
und  zwar  täglich,  später  jeden  zweiten  oder  dritten  Tag  ohne  Narcose. 

In  den  ersten  Wochen  war  der  Urin  in  Bezug  auf  Reacüon,  Farbe, 
chemisches  Verhalten  und  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung,  von 
massigen  Schwankungen  abgesehen,  wenig  anders  als  bei  der  Aufnahme . 
Die  Heaction  war  stets  alkalisch,  der  Urin  sah  bald  mehr  grau,  bald 
rOthlich,  bald  rein  eitrig  aus  und  war  häufig  mit  Flocken  untermischt; 
der  Eiweissgehalt  betrug  eine  mittlere  Menge,  kein  Zucker;  der  mikro- 
skopische Befund  zeigte  Eiterkörperchen,  rothe  Blutkörperchen,  grosse 
Plattenepithelien  und  mehr  rundliche  Epithelien,  Tripelphosphate,  Bac- 
terien  und  Detritusmassen.  Einmal  wurden  wenige,  ganz  kleine  sandige 
Concremente  herausgespült,  die  aus  phosphorsaurer  Ammoniak -Magnesia 
bestanden.  Dachziegelförmig  angeordnete  oder  geschwänzte  Epithelien 
wurden  bei  häufigen  Untersuchungen  nicht  gefunden,  desgleichen  nie 
Cylinder.  Eine  öftere  Färbung  auf  Tuberkelbacillen  und  Gonokokken 
erg:ab  immer  ein  negatives  Besaltat.  —  Mitte  April  besserte  sich  der 
Urin  im  Ganzen  etwas,  doch  hielt  dieser  Zustand  nur  etwa  14  Tage  an. 

Der  Dämpfnngsbezirk  der  Blase  war  stets  klein,  eine  Schmerz- 
hafligkeit  derselben  bestand  nicht,  ebenso  wenig  in  beiden  Nieren- 
gegenden, nur  am  10.  März  wurde  eine  vorübergehende  Empfindlichkeit 
der  rechten  Nieren^egend  bei  Druck  und  Percussion  constatirt.  Der 
Urin  ging  unfreiwillig  fort.  Die  nach  der  Anamnese  auf  Hydronephrose 
zu  scbliessenden  Erscheinungen  wurden  während  des  Spitalaufentbaltes 
nicht  beobachtet.  An  den  übrigen  Organen  zeigten  sich  keine  Ver- 
änderungen, namentlich  am  Herzen  ergaben  Öftere  Percussion  und  Auscnl- 
tation nichts  Abnormes.  Am  13.  und  14.  März  betrug  die  abendliche 
Temperatur  ohne  nachweisbare  Ursache  88  und  38,2,  sonst  bestand  nie 
Fieber.  Das  Kind  hatte  im  Ganzen  guten  Appetit,  das  Gewicht  nahm 
jedoch  allmählich  ab.  Vierzehn  Tage  vor  dem  Tode  traten  Durcheile 
auf,  verbunden  mit  heftigen  Schmerzen  im  ganzen  Leibe.  Am  21.  Mai 
erfolgte  ohne  weitere  besondere  Erscheinungen  der  Exitus  letalis. 

Die  Diagnose  war  im  Allgemeinen  auf  Cystitis  und  Nephritis  aus 
unbekannter  Ursache  —  vielleicht  Stuprum  —  gestellt  worden,  umso- 
mehr  durfte  man  gespannt  sein,  welchen  Aufschluss  die  Obduction 
eventuell  der  mikroskopische  Befund  bringen  würden. 

Jahrbvoh  f.  Kinderheilkimde.    N.  F.   XXXYIU.  25 


386  iQeinere  MittheiliiDgeiu 

Seetion  am  22.  Mai  1802.  Ich  hebe  ans  dem  Protokoll  nur  das 
Wichtigste  herror.  Die  Urogenitalorgane  wurden  im  Zusammenhang 
herausgenommen.    Beide  Nebennieren  nicht  verändert. 

Linke  Niere  9'/.  cm  lang,  4  cm  breit,  4  cm  hoch.  Kapsel  im 
Ganzen  leicht  abzienbar,  nicht  verdickt.  Die  Oberfl&che  seigt  An- 
deutungen fötaler  Lappung,  ausserdem  sind  an  verschiedenen  Stellen 
kleine  uDregelm&ssige  Hervor  Wölbungen  des  (Gewebes  von  weiss -röth- 
lieber  Farbe  sichtbar,  an  anderen  Steflen  bestehen  geringe  Einsiehungen. 
Die  Stellulae  Verheynii  sind  deutlich  ausgesprochen,  die  Farbe  der 
Oberfl&che  ist  im  Gänsen  rOthlich-gelb.  Die  Consistens  des  Organs 
etwas  weich.  Auf  dem  Durchschnitt  bietet  sich  eine  beträchtliche  Er- 
weiterung des  Nierenbeckens  dar,  dasselbe  ist  von  graugelblich -schwärz- 
licher Färbung  und  enthält  einige  kleine  sandige  Concremente  und  De- 
tritusmassen; die  Schleimhaut  ist  verdickt  und  vielfach  mit  kleineren 
und  grösseren  krisseligen  und  membranähnlichen  Auflagerungen  bedeckt. 
Die  NierensubstauE  deutlich  verschmälert  —  die  breiteste  Stelle  misst 
2,1  cm,  die  schmälste  1  cm,  die  Pyramiden  abgeflacht  und  an  derSpitse 
sum  Theil  gering  zerstört,  die  CaUces  minores  in  grössere  und  kleinere 
Höhlen  verwandelt,  die  sich  mehr  oder  weniger  weit  in  das  Parenchym 
hineinerstrecken.  Die  Rinde  im  Gänsen  verschmälert,  die  Strichelang 
verwischt  Auf  Durchschnitten  sieht  tian  bäuflg,  namentlich  in  der 
Corticalsubstani,  gröbere  und  feinere  grau-gelbliche  Streifen.  Das  Ge- 
webe am  Hilus  sehr  fettreich. 

Der  linke  Ureter  stark  erweitert  und  verdickt,  die  Schleimhaut  von 
derselben  Farbe  und  Beschaffenheit  wie  die  des  Nierenbeckens.  Die 
Erweiterung  betrifft  den  ganzen  Ureter  vom  Nierenbecken  an  bis  dicht 
über  dem  Eintritt  in  die  Harnblasenwand;  die  obere  Hälfte  ist  ein 
wenig  weiter  als  die  untere  und  hat  ein  Lumen  von  über  1  cm.  Die 
Einmündungsstelle  zur  Blase  kaum  erweitert,  mit  einer  gewöhnlichen 
Stricknadel  kann  man  gut  hindurch  gelangen.  Die  Verdickung  der 
unteren  Wand  ist  besonders  am  Uebergang  sum  Nierenbecken  und  zur 
Blase  auffällig  und  beträgt  an  diesen  Stellen  0,4  —  0,6  cm,  an  den 
fibrigen  Abschnitten  durchschnittlich  0,8  cm.  Der  Uceter  hat  eine 
Länge  von  12  Vi  cm. 

Rechte  Niere  9  cm  lang,  4  cm  breit,  3  cm  hoch.  Auch  hier 
zeigen  sich  dieselben  Veränderungen  wie  links,  bald  mehr,  bald  weniger 
ausgesprochen ;  so  ist  die  Erweiterung  des  Nierenbeckens  etwas  geringer, 
dagegen  besteben  etwas  grössere  Zerstörungen  an  den  Pyramiden  und 
den  Kelchen.  An  der  Spitze  der  Niere  an  der  unteren  Seite  hängt  die 
Kapsel  mit  der  Oberfläche  auf  Fünfzigpfennigstuckgrösse  fest  zusammen ; 
beim  Loslösen  reisst  das  Gewebe  ein  und  es  entleert  sich  graugelb- 
licher Eiter  aus  einer  haselnussgrossen  Abscesshöhle.  Auf  dem  Durch- 
schnitt misst  die  breiteste  Stelle  2  cm,  die  schmälste  1,1  cm.  Auch 
hier  das  Fettgewebe  am  Hilus  stark  entwickelt. 

Der  rechte  Ureter  von  derselben  Beschaffenheit  wie  links,  doch 
sind  die  Erweiterung  und  Verdickung  nicht  ganz  so  bedeutend,  die 
Durchschnittsmaasse  betragen  für  das  Lumen  'A  cm  und  för  die  Wan- 
dung 0,2—0,8  cm.  Der  Uebergang  vom  Nierenbecken  zum  Ureter  etwas 
enger  als  der  Ureter  selbst;  der  Eingang  zur  Blase  ist  entschieden  ver^ 
engt,  da  es  nur  mit  Mühe  gelingt  eine  dünne  Stidcnadel  hindurchzn- 
führen.  Der  Ureter  ist  18  cm  lang.  Beide  Ureteren  sind  in  sehr  fett- 
reiches Gewebe  eingelagert. 

Die  Blase  contiahir^  klein,  stark  verdickt,  von  etwas  über  Wallnusa- 
grosse.  Die  Schleimhaut  bietet  dasselbe  Bild  wie  dasjenige  der  Nieren- 
becken und  Ureteren.  Im  Innern  finden  sich  10  g  trüben,  mit  eitrigen 
Flocken  vermischten  Urins.  Das  Organ  ist  ebenfalls  von  reichlichem 
Fettgewebe  umgeben. 


Aus  dem  Einderapital  zu  Stettin.  387 

Die  ürethralschleimhant  gewulstet,  von  gpnabninner  F&rbang. 

Das  Hymen  fehlt,  die  Vagina  zeigt  eine  blaurOthliche  Farbe.  Üterns 
klein,  ohne  Besonderheit,  ebenso  beide  Tuben  und  Eierstöcke. 

Herz  etwas  schlaff,  Ton  normaler  Grösse.  Elappenapparat  überall 
intact.  Linker  Ventrikel  gering  dilatirt  und  hypertrophisch.  Musku- 
latur von  etwas  heller  brauner  Farbe,  nicht  Terminderter  Consistenz. 

Im  üebrigen  fanden  sich  geringe  Bronchitis,  Stauung  von  Milz  und 
Leber  und  massiger  Diokdarmkatarrh. 

Mikroskopische  Untersuchung. 

Aus  verschiedenen  Stellen  beider  Nieren,  Nierenbecken,  üreteren 
und  der  Blase,  aus  je  einer  Stelle  der  Harnröhre,  Vagina,  Portio  und 
Corpus  uteri,  Tuben  und  Ovarien  werden  sehr  zflJilreiche  Schnitte  an- 
gefertigt und  mit  Alauncarmin  oder  Bismarckbraun  gef&rbt. 

Nieren:  Ein  kleiner  Theil  der  Schnitte  zeigt  normales  Gewebe, 
der  grössere  dagegen  folgende  mehr  oder  minder  hochgradige  Verände- 
rungen. Die  Tunica  albuginea  ist  im  Allgemeinen  deutlich  verdickt 
und  vielfach  von  erweiterton  und  mit  rothen  Blutkörperchen  angefüll- 
ten GefiUsen  durchzogen.  Die  Corticalsubstanz  ist  an  zahlreichen 
Stellen,  namentlich  im  interstitiellen  Gewebe,  mit  Körnchen  und  Rund- 
zellen durchsetzt,  die  nicht  selten  kleinere  und  grössere,  hie  und  da 
unter  einander  zusammenhängende  und  sich  durch  stärkere  Färbung 
auszeichnende  Infiltrate  bilden.  Diese  Zellanhäufongen  liegen  theilweise 
in  den  Harncanälchen  und  bilden  die  makroskopisch  erwähnten  Streifen. 
Die  Membranae  propriae  sind  oft  dicker  als  gewöhnlich,  die  Canälchen 
verengt,  die  EpiÜiehen  mehr  oder  weniger  atrophisch  —  oder  die  Ham- 
canälchen  sind  überhaupt  geschwunden;  daneben  finden  sich  jedoch 
auch  normale  Canälchen.  An  anderen  Partien  der  Bindenschicht,  auch 
längs  der  Oberfläche,  herrscht  die  Bindegewebseotwickelung  vor,  na- 
mentlich in  der  Umgebung  der  G^efässe,  jedoch  im  Ganzen  in  geringem 
Maasse.  Das  neugebildete  Gewebe  ersetzt  zum  Theil  völlig  das  unter- 
gegangene Parencnym,  zum  Theil  lässt  es  in  seinen  Maschen  einige 
übrig  gebliebene  euffe  Harncanälchen  erkennen.  Die  Malpighi*schen 
Körperchen  sind  bald  normiJ,  bald  mehr  oder  minder  in  Schrumpfung 
begriffen,  das  äussere  Blatt  der  Bowman^schen  Capsel  ist  verdickt;  ein- 
zelne der  Malpighi'schen  Körperohen  erscheinen  als  undeutlich  con<^ 
centrisch  geschichtete  Kugeln. 

In  der  Marksubstanz  bestehen  die  erwähnten  Anhäufungen  von  Leuko- 
cyten  bedeutend  seltener,  dagegen  finden  sich  hier  sehr  viel  neugebil- 
detes Bindegewebe  und  ausgedehnte  atrophische  und  in  Nekrose  be- 
griffene Partien  des  Gewe^s  mit  Kemverlust,  Undeutlichkeit  der 
Zellcontouren  und  Zusammensickem  der  Epithelien  zu  einer  krisseligen 
oder  homogenen,  sehr  wenig  färbbaren  Masse.  In  dem  Bindegewebe 
sieht  man  öfter  erhalten  gebliebene  Harncanälchen,  die  theilweise, 
namentlich  die  Sammelröhren,  erweitert  und  geschlängelt  sind  und  auf 
Durchschnitten  unregelmässige  Figuren  ergeben ;  die  Cylindere^ithelien 
der  letzteren,  deren  Kerne  eine  tiefe  Färbung  zeigen,  sind  in  einzelnen 
Canälchen  im  deutlichen  Stadium  der  Wucherung  begriffen.. 

Die  Gefässe  haben  durchschnittlich  verdickte  Wandungen,  besonders 
die  Venen;  eine  grössere  Vene  zeichnet  sich  durch  colossale  Wuche- 
rung ihrer  drei  Schichten,  hauptsächlich  der  Muscularis  aus. 

Nierenbecken:    Die  Schleimhaut  ist  im  Ganzen  verbreitert  und 
vielfach,  bald  circumscript,  bald  diffus  mit  Enndzellen  durchsetzt,   da« 
Epithel  zu  Grunde  gegangen,  die  Oberfläche  häufig  nekrotisch,  bie  und 
da  kleine  Ulcera.    Die  Muscularis  in  ihren  beiden  Schichten  whi  breit, 
enthält  ebenfaUs  eingestreute  Eundzellen,  einsieliie  Muskelbünaei  schiebesn 

26» 


388  Kleinere  MittbeiluDgen/ 

sich  zwischen  das  Nierengewebe  hinein.    Die  Faserhant  dicker  als  ge- 
wöhnlich. 

üreteren:  Die  drei  Schichten  zeigen  dieselben  Ver&Ddemngen 
wie  beim  Nierenbecken,  doch  ist  das  Epithel  theilweise  recht  gat  er- 
halten, deutlich  geschichtet  and  etwas  verbreitert,  an  anderen  Stellen 
'wiederum  ist  der  grOsste  Theil  der  Schleimhant  zu  Qrnnde  gegangen. 
In  der  Submucosa  mehrere  grössere  Gef&sse  mit  verdickter  Wandung, 
bei  einigen  tritt  die  Wucherung  der  Intima  deutlich  hervor.  In  der 
Muscularis  zahlreiche  Capillaren. 

Blase:  Die  Schleimhaut  bietet  dasselbe  Bild  wie  eben  beschrieben. 
Die  Muscularis  ist  hier  ganz  besonders  hypertrophisch. 

Die  makroskopisch  hervorgehobenen  membranähnlichen  Auflage- 
rungen der  Schleimhaut  des  Nierenbeckens,  der  Üreteren  und  der  Blase 
werden  mikroskopisch  durch  die  mehr  oder  weniger  erhaltenen  Par- 
tien der  Mucosa  gebildet. 

Urethra,  Vagina,  Uterus,  Tuben  und  Ovarien  ergeben  keine 
Anomalie. 

Ausser  dieser  auf  die  Gewebsveränderung  im  Allgemeinen  irerich- 
teten  Untersuchung  wird  anderen  zahlreichen  Schnitten  aus  den  Nieren, 
Nierenbecken,  Üreteren,  Blase  und  Urethra  eine  sorgföltige  Aufmerk- 
samkeit zugewandt  in  Bezug  auf  folgende  Punkte;  1)  Bacterien  im  All- 
gemeinen, 2)  Tnberkelbacillen,  3)  Gonokokken. 

1.  Färbung  nach  Gram.  Ausser  wenigen  Fäulnissbacterien  finden 
sich  keine  anderen  Bacterien  durch  die  Tinction  hervorgehoben. 

2;  Mittelst  der  Gabbet'schen  Färbung  gelingt  es  nicht  Tuberkel- 
bacillen  nachzuweisen;  ebensowenig  werden 

8.  mittelst  der  Gram^schen  Methode  und  Nachf&rbung  mit  Bismarck- 
braun  Gonokokken  gefonden. 

Section  und  mikroskopischer  Befund  zeigen  das  Bild  einer  schweren 
chronischen  Entzündung  der  Harnorgane.  Es  wird  nun  darauf  an- 
kommen, zu  entscheiden,  von  welchem  Organ  diese  Prooesse  ihren  Aus- 
gang genommen  haben  und  auf  welcher  Grundlage  sie  beruhen.  Da 
die  anamnestischen  Daten  nicht  einwandsfrei  erscheinen,  so  können 
wir  nicht  allzuviel  Gewicht  auf  dieselben  legen,  doch  lassen  sich  immer- 
hin die  Angaben  Aber  die  Art  der  Entleerung  des  Urins  durch  das  Ob- 
ductionsergebniss  erklären.  Die  mehrere  Stunden  unter  Stichen  und 
Schmerzen  andauernde  Anurie  mit  plötzlichem  Abgang  grösserer  Mengen 
trfiben  Urins  ist  auf  die  Erweiterung  der  Nierenbecken  und  der 
Üreteren  zu  beziehen,  es  haben  sich  hier  grössere  Hamquantitäten  an- 
gesammelt, die  dann  plötzlich  mit  ziemlicher  Vehemenz  dureh  die 
hypertrophische  Muskulatur  in  die  Blase  getrieben  wurden,  und  da  diese 
nur  klein  war,  alsbald  in  die  Urethra  gelangten.  Hat  nun  eine  pri- 
märe Fyelitis  bestanden  oder  sind  die  Veränderungen  der  Nierenbecken 
und  Üreteren  Folgezustände  anderweitiger  Einflüsse?  Die  erstere  Art 
ist  äusserst  selten,  die  secundäre  Pyelitis  kommt  nach  Monti  fHand- 
bush  der  Kinderkrankheiten  von  Gerhardt  Band  IV,  Abth.  8,  8.  426) 
durch  mannigfache  Ursachen  zu  Stande  —  durch  Hamconoremente,  Zer- 
setzungen des  sich  stauenden  Urins  bei  Nieren-  und  Blasensteinen,  fort- 
geleitete Entzfindung  bei  Erkrankungen  der  Nieren  und  der  Blase,  zer- 
feilende  Geschwülste,  Parasiten,  allgemeine  Krankheitsprooesse  (Schar- 
lach, Masern,  Pocken  etc.).  Von  diesen  ätiologischen  Momenten  kommt 
hier  nur  die  fortgeleitete  Entzündung  bei  Krankheiten  der  Niere  oder 
der  Blase  in  Frage,  da  für  die  anderen  sich  keine  Anhaltspunkte  er- 
geben.    Nun   kann   man  ein   ursprüngliches   Nierenleiden  sicher    aus- 


Aus  dem  Einderspital  ssa  Stettin.  389 

Bcbliessen,  da  Proeease,  wie  sie  in  onserem  Fall  Torliegen  —  eitrige 
interstitielle  Nephritis  mit  üebergang  in  Schmmpfnng  —  stets  foä- 
geleitet  and  secandärer  Natnr  sind.  Wir  müssen  mithin  den  Herd  der 
ganzen  Erkrankung  in  einer  prim&ren  Affection  der  Blase  suchen. 

Ich  denke  mir  den  Hergang  folgendermaassen:  Es  hat  ursprüng- 
lich ein  ürethralkatarrh  bestanden  und  zwar  höchst  wahrscheinlich  auf 
gonorrhöischer  Basis,  wenigstens  best&rken  mich  in  dieser  Annahme  ein- 
mal das  sich  stets  gleich  bleibende  scheue  Verhalten  des  MBdchens, 
wenn  sie  nm  den  Anfang  des  Leidens  befragt  wurde,  femer  das  fehlende 
Hymen  und  drittens  der  umstand,  dass  wir  sehr  bald  nach  dem  Tode 
des  Kindes  dnrch  einen  Verwandten  der  Familie  darauf  hingewiesen 
wurden,  dass  der  eigene  Vater  die  Tochter  gemissbraucht  haben  sollte. 
Natürlich  liess  sich  bei  so  lange  bestehender  Krankheit  zu  Lebzeiten 
ein  solcher  Zusammenhang  nicht  mehr  nachweisen;  in  dem  alkalischen 
Urin  konnte  man  keine  Gonokokken  mehr  erwarten,  doch  war  es  ja 
nicht  undenkbar,  dass  in  den  Schleimhautfolten  der  Blase  oder  der 
ÜT^teren  einzelne  dieser  Mikroorganismen  yersteckt  gewesen  wären,  und 
aus  diesem  Grunde  erfolgte  die  bezfigliche  mikroskopische  Untersuchung 
zahlreicher  Schnitte,  die  freilich  zu  keinem  positiren  Resultat  führte. 
—  Der  Katarrh  der  Urethra  hat  sich  nach  oben  auf  die  Blase  fort- 
gesetzt nnd  eine  acnte  Cystitis  hervorgerufen,  die  später  in  einen  chro- 
nischen Zustand  überging  mit  Hypertrophie  der  Muskulatur,  Zersetzung 
des  stagnirten  Urins  und  Ulcerationen  der  Schleimhaut.  Dnrch  Fort- 
schreiten der  Entzündung  auf  Ureteren  und  Nierenbecken  ist  es  hier 
zu  denselben  Veränderungen  gekommen.  Der  Abfluss  des  Urins  in  die 
Blase  ist  dnrch  die  Entzündung  an  den  Orificien  behindert  gewesen ,  in 
Folge  dessen  haben  sich  die  Ureteren  und  Nierenbecken  dilatirt  und 
endlich  hat  die  Harnstanung  Atrophie  und  Schrumpfungsprocesse  der 
Nieren  zum  grössten  Theil  verursacht:  nur  ein  kleinerer  Theil  dieser 
letzteren  Veränderungen  ist  wohl  als  Folge  der  durch  die  Entzündung 
von  den  Ureteren  und  Nierenbecken  fortgeleiteten  interstitiellen  eitrigen 
Nephritis  aufzufassen.  Letztere  hat  nur  in  einem  circumscripten  Ab- 
schnitt an  der  Oberfläche  der  rechten  Niere  zur  Abscessbildung  geführt. 
Anfihllend  bleibt,  dass  bei  Durchmusterung  yielfacher  Präparate  aus 
verschiedenen  Theilen  der  Harnorgane  nur  wenige  Fänlnissbacterien 
angetroffen  wurden. 

Drei  Pnnkte  sind  es,  die  mir  in  diesem  Fall,  abgesehen  von  dem 
ursächlichen  Moment,  besondere  interessant  erschienen: 

1.  Die  Weite  der  Ureteren  nnd  die  Verdickung  der  Wandungen. 
Während  nach  Hoff  mann  (Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen  2.  A.) 
bei  Erwachsenen  das  Lnmen  der  Harnleiter  zwischen  0,4  und  0,7  cm 
schwankt,  so  zeigt  hier  der  rechte  Ureter  ein  Lumen  von  0,76  cm  und 
der  linke  ein  solches  von  etwas  über  1  cm.  Die  Dicke  der  Wand  be- 
trägt beim  Erwachsenen  durchschnittlich  1,67  mm,  in  unserem  Fall 
auf  der  rechten  Seite  2 — 8  mm,  links  sogar  bis  gegen  6  mm.  Wenn 
man  bedenkt,  dass  beide  Factoren  an  einem  Mädchen  von  demselben 
Alter  wie  das  unsrige  mit  gesunden  Hamorganen  gemessen,  0,26  cm 
für  die  Weite  und  1  mm  für  die  Dicke  betrugen,  so  sieht  man  ans 
diesen  Vergleichungen,  welche  Anforderungen  an  die  Ureteren  unseres 
Kindes  gestellt  worden  sind  und  wie  bedeutender  Entzündnngs-  und 
Stauungsreize  es  bedurft  haben  muss,  um  diese  veränderten  Verhältnisse 
zu  Wege  zu  bringen.  —  Nach  Angabe  der  Autoren  differirt  die  Länge 
beider  Ureteren  meist  um  einige  Centimeter  zu  Gttnsten  des  linken,  auch 
können  beide  gleich  lang  sein,  höchst  selten  kommt  eine  Verlängerung 
des  rechten  vor;  diese  Anomalie  zeigt  sich  in  unserem  Fall,  indem  der 
rechter  Ureter  18  cm  lang  ist,  der  linke  nur  12^  cm. 


390  Klein.  Mittheilnngen.  Ans  d.  Eindenpital  zu  Stettin. 

S.  Die  Dilatation  yon  Harncao&lohen  in  der  MarkBubstans  der 
Nieren.  Schnitte  aus  der  Marksabstanz  ergeben  an  vertchiedenen  Stellen 
Bilder,  auf  denen  man,  nmgeben  von  Bindegewebe,  Darchschnitte  znm 
Theil  recht  weiter  Drüsencanftle,  davon  einige  mit  stark  aewachertem 
Cyliderepithel  erblickt.  Die  Drüsencanäle  sind  bio  und  da  geschl&n- 
gelt,  ausgebnchtet  und  stellen  dadurch  onregelmässige  Figuren  dar,  so- 
dasB  man  beim  oberflächlichen  Betrachten  unwillkürlich  glaubt,  eine 
Drflsengeschwulst,  ein  Adenom  vor  sich  zu  haben.  Sieht  man  die  Prä- 
parate genauer  an,  so  merkt  man  sehr  bald,  dass  man  es  mit  keiner 
Geschwulst  zu  thun  hat,  da  die  näheren  Attribute  fdr  ein  Nierenadenom 
vollkommen  fehlen,  so  die  LaffO  unter  der  Nierenkapsel,  die  Fettinfil- 
ration  der  Zellen  und  die  ^dung  einer  abschliessenden  deutlichen 
bindegewebigen  Kapsel.  Die  weiten  Drüsencanäle  bedeuten  nichts  an- 
deres als  die  dilatirten  Hamcanälchen,  insbesondere  die  Sammelröhren, 
deren  Epithelien  in  Wucherung  begriffen  sind.  —  Da  eine  grosse  An- 
zahl Harncanälchen  der  Marksubstans  zu  Grunde  gegangen  sind  und 
durch  Bindegewebe  ersetzt  wurden,  so  begreift  man,  wie  die  übrig- 
gebliebenen Canälchen  yicariirend  für  diese  eingetreten  und  in  Folge 
der  gesteigerten  Ansprüche  zu  den  beschriebenen,  immerhin  nicht  häu- 
figen Veränderungen  gekommen  sind« 

8.  Die  geringe  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels.  Bei  so  hoch- 
gradigen Schrumpfungsprocessen  der  Nieren  und  der  langen  Krankheits- 
dauer muss  es  auffallen,  dass  das  Hers  nicht  mehr  in  Mitleidenschaft 
gezogen  wurde  als  es  thatsächlich  der  Fall  ist  Die  geringe,  bei  Leb- 
zeiten nicht  nachweisbare  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  lässt  sich 
nur  dadurch  erklären,  dass  einzelne  der  erhaltenen  Glomeiuli  und  Ham- 
canälchen, wie  eben  erwähnt,  die  Leistungen  der  anderen  mit  über- 
nommen haben  und  so  die  Ursachen  zu  einem  gesteigerten  arteriellen 
Druck  grÖBstentheils  fortgefallen  sind.  Dass  das  Herz  trotz  bedeutender 
Nierenveränderungen  im  Ganzen  wenig  afficirt  werden  kann,  ist  bei 
schwächlichen  und  heruntergekommenen  Personen  manchmal  beobachtet 
worden. 


Reeensionen. 


M.  Kaaaowits.    VarUsunpen  über  Kinderkrankheiten  im  Alter  der  Zäh- 
nung,   Leipzig  n.  Wien  1892.    Im  Verlage  yon  Franz  Denticke. 

Bekanntlich  hat  früher  die  Lehre  von  der  Zahnung  die  ganze 
Pathologie  des  Kindesalters  heherracht^  aher  auch  jetzt  noch  werden 
von  mancher  Seite  verschiedene  Krankheiten  mit  der  Dentitio  difficilia 
in  cansale  Besiehung  gebracht.  Daher  hat  sich  in  vorliegender  Arbeit 
der  Verf.  die  Aufgabe  geatellt,  auf  Grund  langjähriger  Beobachtung 
eines  grossen  Krankenmaterials  den  Nachweis  zu  führen,  daaa  der  Den- 
titionsprooeaa  ein  rein  phyaiologiacher  Vorgang  iut  und  an  aich  zu  gar 
keinen  Störungen  im  Befinden  des  zahnenden  Kindes  fuhrt. 

Zuerst  sucht  Verf.  die  Beflextheorie  zu  widerlegen.  Wodurch  soll 
der  Reflex  ausgelöst  werden?  Die  Zahnentwickloog  kann  es  nicht  sein, 
da  dieselbe  in  einem  frühen  Fötalleben  beginnt,  während  des  spätem 
Fötallebens  und  der  ganzen  zahnlosen  Zeit  fortdauert. 

Vor  dem  Dnrchbruche  dea  Zahnes  durch  die  Alveolen  findet  eine 
Resorption  der  Knochenaubstanz  der  Alveolarwände  statt,  und  erst,  wenn 
die  Krone  des  Zahnes  den  Rand  des  Alveolus  überschritten,  geht  die 
Verengerung  der  Alveolarmündung  durch  Apposition  nener  Knochen- 
snbstamz  vor  eich.  Der  Durchbruch  des  Zahnes  kann  es  mithin  nicht 
sein,  welcher  den  Reflex  auslösen  sollte.  Das  Zahnfleisch  und  die  Schleim- 
haut desselben  atrophirt  durch  den  langsam  sich  steigernden  Druck  des 
vorrückenden  Zahnes,  es  wird  also  weder  gedrückt  noch  sezerrt  und  ist 
demnach  das  Zustandekommen  eines  Reflexes  auf  diese  Weise  für  den 
Verf.  ganz  ausgeschlossen. 

Für  die  Unempfindlichkeit  des  Zahnfleisches  gegen  Druck  sprechen 
schon  die  Angaben  der  Autoren,  dass  vorgenommene  Incisionen  an  dem- 
selben schmerzlos  sind,  und  dies  eben  rührt  davon  her,  weil  tias  Zahn- 
fleisch sehr  spärlich  mit  Nerven  versehen  ist;  also  würde  auch  ein 
Druck  auf  diese  Theile  keinen  Reflex  hervorbringen. 

Fieber  während  der  Zähnung,  nur  als  durch  dieselbe  bedingt,  stellt 
Verf.  vollständig  in  Abrede.  Dass  aber  von  verschiedener  Seite  der 
Zähnung  ein  Fieberverlauf,  der  bald  continuirlich ,  bald  intermittirend 
oder  remittirend  sein  soll,  zugeschrieben  wird,  beruht  für  den  Verf.  auf 
einem  diagnostischen  Irrthum.  Pneumonien,  und  vorzugsweise  bei  cen- 
tralem Sitze,  Abdominaltyphoid,  Malariaerkianknngen,  Otitis  media  etc. 
werden  häufig  in  ihrer  wahren  Natur  verkannt  und  haben  so  Anlass  zur 
Annahme  eines  Dentitionsfiebers  gegeben.  £ine  Stomatitis  dentalis  exi- 
stirt  nicht,  da,  wo  sie  vorkommt  und  nicht  artificieller  Natur  ist,  liegt 
ihr  eine  bestimmte  Ursache»  nämlich  eine  Infection  mit  Mikroorganis- 
men zu  Grunde. 

Stillstand  oder  gar  Abnahme  des  Körpergewichts,  um  von  tro- 
phischen  Störungen  sprechen  zu  können,  macht  Verf.  durch  Torge- 
nommene  Wägungen  zahnender  Kinder  sehr  unwahrscheinlich.  Verf. 
hat  während  dieser  Periode  nicht  nur  keine  Abnahme,  sondern  viel- 
mehr eine  glasende  Zunahme  des  Körpergewichts  zu  verzeichnen  gehabt. 

Der  Zahndnrchbroch  erfolgt  schmerzlos,  von  einer  Odontalgie  ist 
keine  Rede.    Convulsionen  als  Folge  der  Zahnung  werden   geleugnet, 


392  Eeoenaioneii. 

eine  ge wisse  Ursache  lässt  sich  fast  immer  nachweisen.  So  bedarf  es 
bei  sehr  jungen  Kindern  wegen  ihrer  grossen  Neigung  za  Krämpfen  nur 
einer  geringen  Steigerung  der  Innentemperator,  um  Convulsionen  hervor- 
Eurufen.  Daher  unterscheidet  Verf.  Convulsionen  febriler  und  afebriler 
Natur,  und  bei  letzterer  Form  sind  die  Convulsionen  entweder  der  Aus- 
druck einer  greUbaren  anatomischen  Veränderung  des  Centraineryen - 
Systems  oder  der  floriden  Rachitis.  Die  entzflndliche  Hyperämie  der 
ScMdelknochen  —  für  den  Verf.  ist  diese  Hyperämie  das  Wesentliche 
bei  der  rachitischen  Knochenerkrankung  —  übt  direct  oder  indirect 
durch  Fortsetzung  derselben  auf  die  Meningen  einen  Druck  auf  die 
oberflächlich  gelegenen  Hirncentra  imd  ruft  so  die  Convulsionen  hervor. 

Den  Liaryngospasmus  führt  Verf.  auf  dieselbe  Ursache,  nämlich  die 
Kachitis  zurück;  werden  umbchriebene  Stellen  am  Stirnhim  —  hier  durch 
die  Hyperämie  der  Schädelknochen  —  gereizt,  so  tritt  eine  vollständige, 
bilaterale  Addüctionsstellung  der  Stimmbänder,  also  ein  Glottisverschluss, 
ein.  DasB  nur  die  Rachitis  die  Grundursache  der  Convulsionen,  des 
Laryngospasmus,  des  verspäteten  Zahndurchbruchs  etc.  ist,  ist  für  den 
Verf.  um  so  wahrscheinlicher,  als  eine  eingeleitete  Phosphorbehandlung, 
wodurch  ein  sklerosirender  Process  am  rachitischen  Knochen  herbei- 
geführt wird,  die  gesammten  Erscheinungen  rasch  zu  beseitigen  vermag. 

Die  Diarrhöen  während  der  Zahnung  haben,  wie  ausserhalb  dieser 
Periode,  eine  bestimmte  anderweitige  Ursache.  Entweder  wird  die 
Quantität  der  genommenen  Nahrung  überschritten,  was  bei  stillenden 
Kindern  sich  noch  häufiger  als  bei  nicht  stillenden  ereignet,  oder  die 
Qualität  der  zugeführten  Nahrung  ist  eine  fragliche. 

Nur  die  lebenden  Keime,  nicht  aber  ihre  Stoffwechselproducte ,  die 
sich  vorher  gebildet  haben,  künnen  durch  das  Sieden  resp.  Sterilisation 
der  Milch  vernichtet  werden.  Dieser  Umstand  wird  wenig  berücksich- 
tigt^ aber  zahlreiche  Diarrhöen  resultiren  daraus.  Bei  etwas  älteren 
Kindern  handelt  es  sich  um  grobe  Diätfehler,  z.  B.  Darreichung  von 
Fleisch,  Gemüse  etc. 

Manche  Autoren  sprechen  auch  von  einem  Zahnhusten  und  bringen 
ihn  mit  der  Zahnung  in  causale  Beziehung.  Dagegen  spricht  1.  dass 
der  Husten  in  den  ersten  Lebensmonaten,  wo  doch  von  einem  Ein- 
flüsse Seitens  der  Zahnung  nicht  die  Rede  sein  kann,  viel  häufiger 
auftritt  als  in  den  spätem;  2.  dass  der  Husten  der  Kinder  unverkenn- 
bar an  gewisse  Zeitabschnitte  gebunden  ist.  Dadurch  und  mit  Zuhilfe- 
nahme eigener  Beobachtung  und  Erfahrung  gelangt  Verf.  zu  dem  Resul- 
tate, „dass  alles  das,  was  man  als  Zahnhusten  bezeichnet,  nichts  An- 
deres ist  als  die  Folge  einer  Schnupfinfection".  Hat  einmal  eine  iK)lche 
Schnupßnfection  stattgefunden,  so  bleibt  sie  bei  jungen  Kindern  für  ge- 
wöhnlich nicht  auf  die  obersten  Respirationswege  beschränkt,  greift  viel- 
mehr auf  den  Larynx,  die  Trachea,  feinste  Bronchien  über  und  führt, 
je  nach  dem  Grade  des  Reizzustandes,  zu  einem  Husten  mit  oder  ohne 
nachweisbare  physikalische  Erscheinungen  Seitens  der  Respirationswege. 

Dass  die  Zannung  auch  Hautexantheme  hervorzurufen  vermag,  wird 
von  keinem  erfahrenen  Pädiater  heutzutage  ernstlich  behauptet,  doch 
unterzieht  auch  dieses  Thema  der  Verf.  einer  eingehenden  Besprechung 
und  sucht  die  Unhaltbarkeit  der  hier  und  da  auftauchenden  Behaup- 
tung, als  stände  wirklich  ein  Hautekzem,  Prurigo,  Liehen  etc.  zur  Zah- 
nung in  causaler  Beziehung,  klar  zu  legen. 

So  widerlegt  Verf.  auf  das  Entschiedenste  Alles,  was  sich  nur  an 
die  Zahnung  in  Bezug  auf  ihre  ätiologische  Bedeutung  knüpft.  Dadurch, 
dass  er  der  Zahnungsperiode  gar  keine  Bedeutung,  nicht  mal  eine  Prä> 
disposition,  nicht  mal  eine  Rückwirkung  auf  den  Organittnus  zuerkennt^ 
begegnet  er  wohl  dem  Widerspruche  Seitens  anderer  Pädiater. 

■^-♦-p 


xn. 

Zur  Frage  der  Kinderemaliruiig:  „üeber  die  Verdaulichkeit 
der  sterilisirten  und  nichtsterilisirten  Hilch'^ 

(Aus  dem  thierphysiologischen  Laboratorium  der  königl.  land- 

wirthscbaftlichen  Hochschule.) 

Von 
Dr.  Bebnhard  BENDix-BerÜD. 

Die  Milch  der  eigenen  Mutter  ist  das  natürliche  und 
zweifellos  auch  das  beste  Nahrungsmittel  für  das  Kind.  Ist 
aber  diese  natürliche  Nahrungsquelle  aus  irgend  welchen 
Gründen  nicht  gegeben,  und  will  die  Mutter  ihre  Zuflucht 
nicht  zu  einer  Amme  nehmen,  ein  Ausweg,  der  oft,  wie  jüngst 
erst  Häuser^)  wieder  hervorgehoben  hat,  mit  vielen  ünzuträg- 
lichkeiten  verknüpft  ist,  so  halten  wir  für  den  besten  und 
jedenfalls  für  das  Gros  der  Bevölkerung  in  Betracht  kommen- 
den Ersatz  der  Muttermilch  die  künstliche  Ernährung  des 
Kindes  mittelst  Eubmilch. 

Es  besteht  indessen,  abgesehen  von  den  Ungleichheiten 
chemischer  Natur,  ein  eminent  wichtiger  Unterschied  zwischen 
Muttermilch  und  Kuhmilch  darin,  dass  die  erstere  keimfrei 
ist  und  zwar  hauptsächlich  deshalb,  weil  sie  vom  Säugling 
direct  von  der  Mutterbrust,  ohne  erst  mit  der  stets  keim- 
haltigen  Luft  in  Contact  zu  kommen,  abgesogen  wird,  während 
die  Letztere  durch  Gährungserreger,  Zersetzungsproducte  und 
Mikroorganismen,  die  theils  von  der  Luft,  theils  von  dem 
Schmutz  der  Umgebung  herstammen,  stark  verunreinigt  ist, 
und  oft  selbst  pathogene  Bacterien  (Perlsucht,  Maul-  und  Klauen- 
seuche, Cholera,  Tuberculose  etc.)  enthält*). 

1)  0.  üauser,  Eine  neue  Methode  der  SS^aglingser  näh  rang.  Berl. 
klin.  Wochenschrift  XXX.  Jahrg.    1898.  Nr.  33.    S.  797. 

*)  Selbst  bei  der  grössten  Sauberkeit  und  Vorsicht,  wie  oie  heute 
in  einigen  Molkereien  Berlins  und  anderer  grossen  Städte  geübt  wird, 
in    denen  die   Euter  der  Kühe   und   die  Hände   der  Melker  vor  dem 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.  N.  F.  XXXVni.  26 


394  B.  Bendix: 

Diesen  Nachtheil ,  der  der  Kuhmilch  im  Vergleich  zur 
Frauenmilch  anhaftet,  müssen  wir  durch  eine  passende  Be- 
handlung auszugleichen  suchen. 

Wir  erreichen  die  Vernichtung  der  Keime  in  der  Milch 
am  besten  durch  Einwirkung  der  Hitze  auf  dieselben,  nnd 
wenden  wir  diese  entweder  nach  dem  Princip  des  ,,Pa8teuri- 
sirens''  oder  des  ,,SteriIisirens'*  an. 

'  Beide  Methoden  unterscheiden  sich  vor  Allem  durch  die 
Höhe  der  angewandten  Temperatur,  indem  man  beim  Pasteu- 
risiren  Hitzegrade  von  70 — 75®  C.  ca.  30  Minuten  und  beim 
Sterilisiren  Hitzegrade  von  100—102®  (—120®)  C.  ca.  %  bis 
1  Stunde  einwirken  lässt. 

Wenngleich  die  letzte  Methode  allgemeine  Verwerthung 
findet,  so  wird  doch  auch  die  erste  von  mancher  Seite  warm 
empfohlen,  so  dass  Bitter^)  z.  B.  die  ausschliessliche  Durch- 
führung des  Pasteurisirens  und  zwar  in  der  von  ihm  ver- 
besserten Form  im  Gegensatz  zur  Sterilisation  für  dringend 
wünschenswerth  erachtet. 

Vor  ihm  hatte  man  nach  dem  Vorgang  von  Pasteur^), 
nach  welchem  das  Verfahren  seinen  Namen  hat^  und  von 
dem  es  ursprünglich  im  Jahre  1868  zur  Verhütung  der  Nach- 
gährungen  im  Wein  und  zur  Tödtung  der  Pilze  in  demselben 
mit  einem  Hitzegrad  von  55®  C.  eingeführt  war,  die  Milch  in 
besonders  für  diesen  Zweck  construirten  Pasteurisirapparaten 
—  ich  erwähne  als  den  brauchbarsten  den  ThieTschen  — 
schnell  auf  ca.  70®  C.  (60—80®  C.)  erwärmt  und  dann  sofort 
wieder  auf  8®  C.  abgekühlt. 

Man  verfuhr  so  in  der  Meinung,  dass,  entsprechend  den 
Erfahrungen  Pasteur's  beim  Wein,  hierdurch  auch  in  der 
Milch  alle  Gährungserreger  und  Bacterien  sicher  abgetödtet 


Melken  gewaschen,  der  Stall  aufs  Sorgfältigste  gelüftet  nnd  gereinigt 
wird,  die  Milcbgef&sse ,  welche  mit  einem  übergreifenden  Deckel  ver- 
sehen sind ,  vor  dem  Gebrauch  mit  heissem  Wasser  ausgespült  werden, 
bleibt  eine  Verunreinigung  der  Milch  sonst  gesunder  Kühe  durch  Ein- 
wandern von  Pilzen  in  die  Milchgänge  unvermeidlich. 

Diese  bacterielle  Verunreinigung  wird  noch  gesteigert  durch  die 
Keime,  die  aus  der  atmosphärischen  Luft  in  die  Milch  beim  Einlaufen 
derselben  in  die  Milchgefässe  hineingelangen. 

Vollkommen  steril  ist  nach  Bumm  und  in  üebereinstimmung  mit 
diesem  nach  Neumann  (Virchow's  Archiv  Bd.  126)  auch  die  Frauen- 
milch nicht,  indessen  ist  die  Menge  der  Keime,  die  von  Aussen  in  die 
Brustdrüse  eingewandert  sind,  so  gering  und  ausserdem  nur  in  den  su- 
erst  entleerten  Mengen  der  vollen  Brust  vorhanden,  dass  sie  weder  eine 
nachweisbare  Zersetzung  der  Milch,  noch  eine  Schädigung  des  Säug- 
lings hervorrufen. 

1)  H.  Bitter,  Versuche  über  das  Pasteurisiren  der  Milch.  Zeit- 
schrift f.  Hygiene  1890.    Bd.  8.     S.  840—286. 

2)  Pasteur,  ^tudes  sur  le  vinaigre  etc.    Paris  1868. 


Ueber  d.  Verdaulichkeit  d.  sterilisirten  u.  nichtbterilisirten  Milch.     395 

wQrdeiL  Bitter^)  bewies  jedoch^  dass  die  Leistungen  der 
bisherigen  Pasteurisirapparate,  was  Keimfreiheit  der  Milch 
anbetrifft,  vollkommen  Ungenügendes  leisteten^  und  zwar  haupt- 
sächlich aus  dem  Grunde,  weil  es  nicht  möglich  war,  in  ihnen 
die  Milch  schnell  auf  beliebige  Temperatur  zu  erwärmen  und 
sie  dann  beliebig  lange  genau  auf  dieser  Temperatur  zu  er- 
halten. Zugleich  erblickte  er  in  der  eventuellen  Reinfection 
auf  dem  Kühler  und  den  Transportapparaten  einen  grossen 
Mangel.  Diesen  Unzulänglichkeiten  der  früheren  Methoden 
ging  Bitter  durch  Verwendung  des  von  Seidensticker  an- 
gegebenen Apparates  aus  dem  Wege,  mit  dem  man  in  der 
That  im  Stande  ist,  grosse  Quantitäten  von  Milch  gleich- 
massig  auf  75^  C.  zu  erhitzen  und  30  Minuten  oder  länger 
auf  dieser  Temperatur  zu  erhalten  und  sie  dann  plötzlich  auf 
10 — 12^  C.  abzukühlen.  Wenngleich  auch  durch  diese  ver- 
besserte Art  des  Pasteurisirens  sicher  nur  die  pathogenen 
Mikroorganismen  y  dagegen  von  den  anderen  Bacterien  sicher 
nicht  die  Sporen,  und  von  ihnen  selbst  nur  ein  kleiner  Theil 
abgetodtet  wird,  so  wird  doch  die  Zähl  derselben  immerhin 
so  vermindert,  dass  die  Methode,  wie  Bitter  meint,  wo  es 
sich  darum  handelt,  Milch  fttr  eine  kurze  Dauer  (ca.  1 — 3  Tage) 
zu  conserviren,  als  geeignet  zu  empfehlen  ist  Bei  den  von 
Bitter^)  angestellten  Versuchen  waren  die  Keime  in  der 
Milch  unmittelbar  nach  dem  Verlassen  des  Pasteurisirappa- 
rata  von  26000  —  100000  pro  ccm  auf  0  —  40  pro  ccm  ge- 
sunken; die  Haltbarkeit  war  beim  Aufbewahren  der  Proben 
bei  35^  C.  um  einige  Stunden,  bei  22^  C.  um  20  Stunden 
und  bei  15®  C.  um  50 — 70  Stunden  gegenüber  der  rohen 
Milch  verlängert. 

Beim  Sterilisiren  wird  nach  dem  Soxhlet'schen  Princip') 
die  Milch  in  mit  Gummischeiben  verschlossenen  Flaschen, 
welche  gerade  das  Quantum  einer  Mahlzeit  (150 — 200  ccm) 
enthalten,  45  Minuten  bis  1  Stunde  lang  im  siedenden  Wasser- 
bade durchgekocht.  Darauf  werden  die  mit  Milch  gefüllten 
Flaschen  bis  zum  Gebrauch  verschlossen  gehalten,  wobei  dann 
der  Gummiverschluss  entfernt  und  durch  ein  gut  gereinigtes 
Saughütchen  ersetzt  wird.  Eine  derartig  zubereitete  Milch 
bleibt  bei  35®  C.  im  Brutofen  30  Tage,  bei  niederer  Tem- 
peratur 2  Monate  und  darüber  unzersetzt.  In  ihr  sind  fast 
sämmtlicbe  Keime,  sowohl  die  pathogenen  Mikroorganismen,  als 
auch  ein  grosser  Theil  der  eigentlichen  saprophytischen  Bac- 

1)  Bitter  1.  c.  S.  267. 

2)  Bitter,  Zeitschrift  f.  Hygiene  1890.     S.  272.     Tab.  II. 

8)  F.  Soxhiet,  Münch.  med.  Wochenschr.  1886.  Nr.  16  u.  16: 
Ueber  Kindermilch  nnd  Sänglingaernahrung.  ibid.  1891.  Nr.  19  u.  20: 
£in  verbessertes  Verfahren  der  Milchsterilisirang. 

26* 


396  B.  Bendix: 

ierien  zerstört ,  ausser  dem  bacillus  fluoresceDS  liquefaciens, 
dem  Vibrio  des  Eäsestoffes,  dem  bacillus  subtilis  und  dem 
bacillus  amylobacter.  Diese  werden  erst  unter  hohem  Dampf- 
druck bei  einer  Temperatur  von  105—106®  C.  abgetödtet*). 
Ganz  genaue  Angaben,  durch  welche  altes  zum  Theil  bestätigt^ 
zum  Theil  berichtigt  wird,  finden  wir  darüber  in  einer  wäh- 
rend des  Druckes  dieses  erschienenen  Arbeit  von  Flügge^). 
Das  Soxhlet'sche  Verfahren  verhütet  aber  auch  zugleich  das 
Ilineingelangen  von  Bacterien  in  die  Milch  nach  dem  Auf- 
kochen. Soxhlet  macht  ausserdem  darauf  aufmerksam,  dass 
nicht  jede  Milch  gleich  leicht  zu  sterilisiren  sei,  sondern  dass  oft 
die  eine  einen  höheren  Hitzegrad  bis  zur  Erzielung  der  voll- 
kommenen Eeimfreiheit  beanspruche,  als  die  andere.  Es  sei 
daher  richtig,  sich  eine,  wie  er  sie  nennt,  „leicht  sterilisir- 
bare''  Milch  zu  verschaffen  und  zur  Sterilisation  zu  verwerthen. 
Diese  Soxhlet'sche  Erfahrung  wird  von  anderen  Autoren  und  von 
vielen  Molkereibesitzem  bestätigt;  und  nehmen  die  meisten  an, 
dass  die  leichtere  oder  schwerere  Sterilisirbarkeit  der  Milch  im 
Zusammenhang  mit  dep  Fütterung  der  Kühe  stehe,  je  nach- 
dem Trocken-  oder  Grünfutter  gefüttert  wird.  So  schreibt 
Flügge*)  darüber:  „Im  Winter  bei  Trockenfutter  verunrei- 
nigen sich  die  Kühe  weniger,  und  eine  Reinhaltung  der  Euter 
während  des  Melkens  ist  leichter  als  während  der  Grünfutter- 
periode, wo  die  meisten  Thiere  häufige  und  dünnfiüssige  Ent- 
leerungen haben.  Ausserdem  sind  die  Excremente  in  der 
letzteren  Periode  erheblich  reichlicher  an  Sporen,  weil  diese 
in  ungleich  grosserer  Zahl  mit  dem  frischen  Futter  eingeführt 
werden;  an  diesem  haften  Massen  von  fertigen,  unfertigen  und 
in  Keimung  begriffenen  Sporen,  während  im  Trockenfutter 
die  nicht  fertig  ausgebildeten  oder  im  Anfang  der  Keimung 
befindlichen  Sporen  durch  Austrocknen  zu  Grunde  gegangen 
sind." 

Und  nach  Soxhlet^)  begünstigen  „Futtermittel,  welche 
häufige  Entleerungen  eines  dünnen  Koths  hervorrufen,  selbst- 
redend die  Verunreinigung  der  Milch,  indem  sie  die  Rein- 
haltung der  Thiere  erschweren.  Dahin  gehören  z.  B.  saure 
Schlempe,  Rübenblätter,  Rübenschnitzel.  Femer  machen  z.  B. 
die  in  der  Kartoffelschlempe  hitzebeständigen  Kartoffelbacillen 
die  Milch  zu  abnormen  Gährungen  geeignet;  der  Heustaub 
ruft  eine  ähnliche  Verschlechterung  der  Milch  hervor". 


1)  yinay-Lyon,  üeber  fiterilisirte  Milch  und  deren  Nährwerth  für 
Säuglinge.  Lyon  Medical  Jnli  1891.  Bef.  Jahrbach  f.  Einderheilknnde 
Bd.  XXXV.  1898.    S.  888. 

2)  Flagge,  Zeitschrift  f.  Hygiene  1894.    Bd.  17.         8)  Ibid. 
4)  Soxhlet,  Mfinch.  Med.  Wochenbl.  1891.    Nr.  19  u.  20. 


üeber  d.  Verdaulichkeit  d.  sterilisirien  u.  nichtsterilisirten  Milch.    397 

Auerbach^)  bekam  Dach  Zusatz  von  frischem  Oras  und 
Heu  zu  sterilisirter  Milch  stets  Buttersäure^hruDg,  dagegen 
nach  Zusatz  von  6  Wochen  altem  Heu  nicht  mehr,  sodass 
die  betreffenden  Erreger  durch  Austrocknen  binnen  6  Wochen 
abzusterben  scheinen.  Bei  Kühen  traten  nach  dem  Ueber- 
gang  zu  GrQnfutter  zunächst"  für  2 — 3  Tage  Diarrhöen  ein, 
und  die  dann  gewonnene  Milch  war  besonders  zu  Buttersäure- 
gahruDg  disponirt.  ^^AUerdings  ist  damit  nur  ein  Zusammen- 
hang zwischen  Fütterung  der  Kühe  und  dem  Auftreten  ge- 
wisser Gährungserreger  in  der  Milch  nachzuweisen;  ob  diese 
irgend  etwas  mit  den  Darmkrankheiten  der  Säuglinge  zu  thun 
haben,  das  muss  vorläufig  dahin  gestellt  bleiben/^ 

So  sehr  auch  die  Soxhlet'sche  Methode  filr  den  Haushalt 
im  Kleinen  zu  empfehlen  ist,  so  wird  sie  doch  immer  nur  Kin- 
dern etwas  besser  gestellter  Familien  zu  Gute  kommen  können. 
Die  Gründe  dafür  liegen  sehr  nahe,  weil  der  ganze  Apparat  für 
eine  arme  Familie  einigermassen  kostspielig,  und  die  Säube- 
rung der  Flaschen  zu  zeitraubend  ist;  selbst  in  besser  situirten 
Familien  ist  eine  gewissenhafte  Durchführung  aller  nothwen- 
digen  Vorschriften  nicht  immer  durchzusetzen.  Man  musste 
daher  daran  denken,  dem  grossen  Publicum  die  Gelegenheit 
zu  geben,  stets  keimfreie  Milch  möglichst  billig  zur  Hand  zu 
haben  In  Wien  hat  somit  Hochsinger')  zu  diesem  Zweck 
den  Soxhlet'schen  Milchkochapparat  in's  Grosse  übertragen, 
allerdings  mit  der  Modification,  dass  er  die  Milch  in  einem 
Dampfkochtopf  40  Minuten  bis  auf  120  ^  C.  erhitzt  erhält 
wodurch  er  eine  Milch  gewinnt,  die  thatsächlich  frei  ist  von 
allen  pathogenen  Bacterien  und  sämmtlichen  Gährungs-  und 
Zersetzungserregern.  In  ähnlicher  Weise  werden  in  Berlin  in 
dem  Apparat  von  Neuhaus,  Gronwald  und  Oehlmann  240 
Flaschen  auf  einmal  durch  auf  120^  C.  erhitzten  Wasserdampf 
25 — 30  Min.  lang  sterilisiri  Diese  durch  hohen  Dampfdruck  er- 
reichte vollkommene  Sterilisation,  die  immerhin  nur  durch  kost- 
spielige Apparate  erreicht  werden  kann,  ist  in  den  meisten 
grösseren  Sfödten  ersetzt  durch  die  einfache  Sterilisation  durch 
längeres  Erhitzen  auf  100^  G.,  eine  Methode,  die  leichter  durch- 
zuführen ist  und  sich  bedeutend  billiger  stellt.  So  sterilisiren  die 
Anstalten  in  Leipzig,  Dresden,  Frankfurt  a/M.  die  Milch  in  einer 
Temperatur  von  100^  C.  oder  etwas  höher;  in  München  wird 
die  Milch  in  der  von  Eseherich  ins  Leben  gerufenen  Sterili- 
sationsanstalt eine  Stunde  im  Dampfstrom  erhitzt    In  Berlin 


1)  Auerbach,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1893.    Nr.  14. 

2)  Hochsinger,  lieber  SAugliDgeemährang  mit  keimfreier  Milch 
und  eine MilchBteriliürungsanstfilt  nach Soxhlet'schen  Principien.  Wien 
1889. 


398  B.  Bendix: 

wird  diese  Art  der  Sterilisation  in  grossem  Umfange  in  den 
Musteranstalten  von  Grub,  Bolle,  Hellersdorf  und  Hart- 
mann angewendet,  um  die  Stadt  mit  guter  und  für  die  Säug- 
lingsemährung  genügend  keimfreier  Milch  zu  versorgen.  Die 
Hohe  der  Temperatur  und  die  Dauer  der  Einwirkung  der 
Hitze  bei  diesem  Verfahren  variirt  in  den  einzelnen  Anstalten. 
Da  indessen  nirgends  unter  100^  C.  Hitze  angewendet  werden^ 
wobei  nach  dem  heutigen  Stand  der  Wissenschaft  die  patho- 
genen  Bacterien  resp.  Sporen  und  fast  alle  Gährungs-  und 
Zersetzungserreger  allerdings  bei  Resistenz  eines  Theils  ihrer 
Sporen  abgetödtet  werden^  so  haben  wir  hierin  bei  Beobach- 
tung gewisser  nicht  ausser  Acht  zu  lassenden  Yorsichtsmaass- 
regeln  die  Garantie  für  eine  genügend  gute  Säuglingsmilch. 
Meistentheils  wird  sogar  die  Sterilisationstemperatur  etwas 
höher  gewählt  als  Soxhlet's  Vorschlag  ist.  In  der  Bolle- 
sehen,  in  der  Hellersdorfer  und  Hartmann'schen  Meierei  zu 
Berlin  z.  B.,  deren  Milch  ich  bei  meinen  Versuchen  verwer- 
thete,  beträgt  sie  102^  C,  auch  die  Zeit,  die  für  die  Sterili- 
sation angewendet  wird,  währt  meist  länger  als  beim  Soxhlet- 
princip,  bei  Bolle  %  Stunden^),  bei  Hartmann  und  Hellers- 
dorf  ca.  40  Minuten. 

In  einem  während  der  Correctur  meiner  Arbeit  erschie- 
nenen Aufsatze  von  Flügge^  sucht  derselbe  an  der  Hand 
eingehender  Untersuchungen  über  die  Bacterien  der  Milch 
nachzuweisen,  dass  die  in  den  Grossmolkereien  nach  den  ge- 
wohnlichen Sterilisirungsmethoden  von  100 — 102^  C.  conser- 
virte  und  bisweilen  unter  der  Flagge  „keimfreie  Dauermilch^' 
in  den  Handel  gebrachte  Säuglingsmilch  diesen  Namen  ent- 
schieden mit  Unrecht  führt;  und  ,,dass  eine  derartig  angeprie- 
sene Milch,  dadurch,  dass  die  Mütter,  in  dem  festen  Glauben 
an  die  vollkommene  Keimfreiheit  derselben,  jede  weitere  Vor- 
sicht ausser  Acht  Hessen,  den  Kindern  direct  gefahrbringend 
werden  könne'^  Die  Beobachtungen  Flügge's  scheinen  mir 
deshalb  sehr  erwähnenswerth ,  weil  ich  für  meine  sämmt- 
liehen  Versuche  ausnahmslos  Milch  verwendet  habe,  die  mit- 
telst der  einfachen  Methode  im  Dampfstrom  von  102^0.  steril 
gemacht  worden  war. 

Flügge's  Resultate  sind  nun,  was  die  Bacterien  der 
Milch  anbetrifft,  in  Kurzem  folgende: 

Einmal   bestätigt   er    durch    seine   Forschungen   die    be- 

1)  P.  Schupp  an,  Die  Bacteriologie  in  ihrer  Beziehung  zur  Mitch- 
wirthBchaft.  Centralblatt  für  Bacteriologie  und  Parasitenkunde  1893. 
Bd.  Xm.    Nr.  16  u.  17. 

2)  Flügge -Breslau,  Die  Aufgaben  und  Leistungen  der  Milchsterili- 
sation  gegenüber  den  Darmkrankheiten  der  Säuglinge.  Zeitsohr.  für 
Hygiene  1894.     Bd.  17. 


Ueber  d.  Yerdanlichkeit  d.  sterilisirten  n.  nichtgterilisirten  Milch.     399 

kaunte  Thatsache,  dass  die  eigentlichen  pathogenen,  für  die 
menschlichen  Infecidonskrankheiten  in  Betracht  kommenden 
Mikroorganismen,  sowohl  die  in  der  Milch  seuchenkranker 
Euhe  a  priori  vorhandenen  (wie  die  der  Perlsacht,  Maul-  und 
Klauenseuche),  wie  auch  die  der  Milch  erst  secundär  durch 
die  Berührung  mit  der  Luft  mitgetheilten  (von  Cholera,  Tuber- 
culose,  Typhus ;  Diphtheritis)  schon  bei  Temperaturen  von 
ca.  70^  C.  abgetödtet  werden.  Von  den  Saprophyten  gehen 
alle  Milch säurebacterien,  Proteusarten,  die  meisten  Bacterien 
coli  durch  Temperaturen  von  90 — 95^  C.  sicher  zu  Grunde.  Die 
übrigen  classificirt  er  in  anaerobe,  unter  denen  er  die  ver- 
schiedenen Butyricusarten  beschreibt,  und  in  aerobe  Bacterien. 
Erstere  sind  die,  welche  früher  meist  als  Buttersäureerreger 
beschrieben  worden  sind,  während  letztere  wohl  identisch  sind 
mit  den  schon  von  Anderen  angeführten  „Bacterien  der  bit- 
teren Milch"  (Hueppe,  Loeffler,  Duclaux). 

Von  diesen  Saprophyten  wusste  man  schon  im  Allgemeinen, 
was  Flügge  jetzt  für  die  einzelnen  Formen  im  Speciellen 
präcisirt  hat,  dass  alle  durch  die  gewöhnliche  Sterilisation 
nicht  zu  Grunde  gehen,  sondern  dass  ihre  Zahl  nur  auf  ein 
Minimum  reducirt  wird,  und  ein  Theil  ihrer  Sporen  erhalten 
bleibt  (cf.  S.  395) ;  indessen  hat  man  sie  bisher  für  den  kind- 
lichen Darm  für  ziemlich  unschuldig  gehalten. 

Von  den  Anaeroben  glaubt  auch  Fl.  noch,  „dass  dieselben, 
wenn  sie  auch  nicht  ganz  harmlos  zu  nennen  sind,  doch  kein 
ätiologisches  Moment  zur  Erzeugung  von  Darmkrankheiten 
zu  liefern  scheinen.  Dagegen  sieht  er  in  einer  durch  die 
aeroben  Bacterien  verunreinigten  Milch  grosse  Gefahren  für 
die  Ernährung  des  Säuglings.  Den  Charakter  erkannt  und 
die  Gefahren  beim  Vorhandensein  derselben  in  der  Milch  be- 
tont zu  haben,  ist  das  unzweifelhafte  Verdienst  Flügge's. 
Nach  ihm  sind  diese  Bacterien  durch  folgende  Eigenschaften 
ausgezeichnet.  Da  ihr  Vorkommen  weit  verbreitet  ist  (im 
Kuhkoth,  Heu-,  Stall-,  Strassenstaub),  so  finden  sie  sieb  in 
jeder  rohen  Milch.  Ihre  Sporen  sind  resistent  gegen  Tem- 
peraturen von  100— 102^  C.  und  gelangen  schon  nach  einigen 
Tagen  beim  Eintritt  leicht  gegebener  Bedingungen,  nämlich 
bei  Temperaturen  von  über  22 — 25^  C,  zur  Entwickelung. 
Sind  sie  in  grösserer  Menge  vorhanden  (also  nach  einigen 
Tagen  der  Entwickelung  7.-14.  Tag),  so  zersetzen  sie  das 
Casein  der  Milch  und  verwandeln  dieselbe  in  eine  &erumähn- 
liche  Flüssigkeit,  in  eine  sogenannte  Peptonlösung;  man  be- 
zeichnet diese  Fähigkeit  als  ihr  Peptonisirungsvermögen  und 
die  Bacterien  werden  daher  auch  „peptonisirende^'  genannt. 
Die  Milch  nimmt  durch  diesen  Process  einen  bitteren  Ge- 
schmack an.     Zugleich  entwickelt  sich  meist  noch  eine  Lab- 


400  B.  Bendix: 

production,  durch  dessen  Anwesenheit  beim  Erwärmen  das 
noch  restirende  Gasem  in  ein  dickflockiges  Gerinnsel  ver- 
wandelt wird. 

In  der  Combination  alF  dieser^  den  Aeroben  zukommen- 
den Eigenschaften  sieht  Flügge,  und  wohl  mit  Recht,  Fac- 
toren,  ;,wie  sie  für  die  Erregung  von  Darmkrankheiten  recht 
geeignet  zu  sein  scheinen^.  Dass  Peptonnahrung  (Albumose 
4-  echtes  Pepton)  fQr  den  thierischen  Darm  nicht  gleichgiltig 
ist,  wissen  wir  aus  den  Untersuchungen  von  Zuntz^),  Munk^), 
Pfeiffei:^)  und  Neumeister^),  die  nachgewiesen  haben,  dass 
nach  längerer  Darreichung  Ton  Peptonpräparaten  eine  heftige 
Darmreizung  hervorgerufen  wird,  die  sich  klinisch  durch  ziem- 
lich dünnbreiige  bis  diarrhöische  Stühle  zu  erkennen  giebt. 
Dieselbe  Wirkung  nimmt  Flügge  auch  für  die  peptonisirende 
Milch,  die  übrigens  in  ihren  Anfangsstadien  fQr  den  Laien 
ein  kaum  verändertes  Aussehen  gegenüber  der  rohen  zeigt,  — 
auch  die  Geschmacksyeränderung  ist  nicht  immer  gleich 
vorhanden,  in  Anspruch  und  weist  bei  dreien  der  peptoni- 
sirenden  Bacterien  mit  Bestimmtheit  eine  Toxinbildung  nach. 
Wenigstens  erkranken  Mäuse  und  Kaninchen  mit  Reinculturen 
injicirt,  an  profusen  Diarrhöen,  die  bisweilen  zum  Tode  führen. 

Fl.  hält  nach  alledem  eine  durch  diese  Bacterien  verun- 
reinigte und  nach  kurzer  Zeit  echtes  Pepton  (Eühne'sches) 
liefernde  Milch  für  die  Säuglingsernährung  entschieden  für 
bedenklich,  und  im  Hinblick  auf  die  toxinbildende  Eigen- 
schaft einiger  Bacterien  unter  ihnen  direct  für  gefährlich. 
Und  nach  diesen  Explicationen  scheint  es  in  der  That  zweifel- 
los zu  sein,  dass  eine  derartige  Milch,  die  zuweilen  falschlich 
unter  dem  Namen  Dauermilch  verkauft  worden  ist,  eine  solche 
im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes,  eine  „unbegrenzte  Zeit  halt- 
bare und  ohne  Schaden  die  Tropen  passirende^  nicht  gewesen 
ist,  indessen  scheint  uns  trotzdem  die  Forderung  Flügge's, 
die  bis  heute  geübten,  sogenannten  einfachen  Sterilisations- 
methoden als  vollkommen  unbrauchbar  zu  verwerfen  und  die 
mit  ihnen  gewonnene  Milch  als  den  Säugling  schädigend  er- 
klären zu  müssen,  zu  weit  zu  gehen.  Wir  stehen  vielmehr 
nicht  an  9  zu  hehaupten^  dass  die  bisher  geübten  Methoden  der 
Herstellung  sterillslrter  Hileh  unter  gewissen  Cantelen  voll* 
Itommen  ausreichend  sind,  wenngleich  auch  wir  zugeben  wollen, 
dass    bei    einem    Verfahren,    welches    mit    so    vielen    Com- 


1)  Zuntz,  Archiv  fflr  ges.  Physiologie  XXXYIL 

2)  J.  Munk,  Therapeut  Monatah.  1888;   Deatsche  Med.  Wochen- 
aobrift  1888. 

8)  Pfeiffer,  Berliner  klio.  Wochenschr.  1888. 
4)  Neumeister,   Lehrbuch   d.  phjsiolog.   Chemie   1892.     S.  249; 
Deutsch,  med.  Wochenschr.  1893. 


Ueber  d«  Verdaulichkeit  d.  steriliBirten  u.  nichtsterilisirten  Milcli.    401 

plicationen  zu  kämpfen  hat;  gewiss  noch  manche  Verbesserung 
angebracht  sein  mag;  und  jedes  zu  diesem  Zwecke  vorgeschla- 
gene Mittel  ist  mit  Freude  zu  begrüssen. 

Flügge  selbst  giebt  zu,  dass  es  ausser  den  beiden  be- 
kannten sicheren  Wegen,  um  alle  Bacterien  der  Milch  zu 
todten,  der  discontinuirlichen  Einwirkung  von  Dampf  von  100^ 
oder  des  Erhitzens  von  gespanntem  Dampf  von  120^  C.  und 
mehr  noch  ein  drittes  Mittel  giebt,  um  völlig  sterile  Milch 
zu  erzielen.  ^^Richtet  man  nämlich  die  Euhställe  so  ein,  dass 
sie  meist  vollständig  gereinigt  werden  können,  sorgt  man  für 
stete  Entfernung  allen  Schmutzes  und  für  das  Vermeiden  von 
Staub,  wird  das  ganze  Jahr  Trockenfutter  gereicht,  und  zwar 
nach  vorheriger  Anfeuchtung,  damit  das  Stauben  vermieden 
wird,  lässt  man  vor  jedem  Melken  die  Eater  der  Kuh  sorg- 
faltig abwaschen  (ebenso  die  Hände  der  Melker,  mochte  ich 
hinzufügen),  den  Schwanz  festbinden;  lässt  man  ferner  die 
erste  Milch portion,  welche  aus  den  mit  Bacterien  durch- 
wucherten Milchgängen  stammt,  wegfliessen,  beseitigt  man 
den  etwa  noch  vorhandenen  Milchschmutz  durch  Centrifugiren 
und  sorgt  dafür,  dass  die  Milchgefässe  stets  mit  kochender 
Sodalosung  gereinigt  werden,  —  dann  ist  die  Milch  meistens 
leicht  sterilisirbar,  und  ein  einstündiges  Erhitzen  von  Dampf 
in  100°  C.  genügt,  um  totale  Sterilisation  zu  erzielen/'  (Siehe 
Flügge  311.) 

Nach  diesem  von  Fl.  als  Reform  vorgeschlagenen  Regime 
bemüht  man  sich  in  Berlin  (z.  B.  bei  Grub  u.  Hellersdorf) 
und  sicher  auch  in  anderen  Städten  in  den  grosseren  Sterili- 
sationsanstalten zu  arbeiten  (cf.  auch  S.  393  dieser  Arbeit), 
um  durch  Verbesserungen  in  der  Handhabung  aller  zur  Me- 
thode gehörigen  Mittel  mit  Ausschaltung  der  vielen  kleinen 
Mängel  und  Fehler  eine  absolute  Sterilisation  zu  erzeugen. 
Und  wir  sind  der  Ansicht ,  dass,  je  mehr  das  Princip  der 
penibelsten  Sauberkeit  in  den  Anstalten  durchgeführt  wird, 
um  so  leichter  die  Milch  zu  sterilisiren  sein  wird,  um  so 
eher  wird  sie  die  Forderungen,  die  man  an  eine  keimfreie 
Dauermilch  stellen  muss,  erfüllen. 

Auf  der  anderen  Seite  haben  wir  für  ge wohnlich,  was 
auch  Flügge  zugeben  muss,  absolut  sterile  Milch  nicht 
einmal  nöthig;  und  kann  eine  Milch,  in  der  noch  eine  ge- 
ringe Zahl  von  Sporen  vorhanden  ist,  dem  Säugling  nach 
praktischen  Erfahrungen  ohne  jede  Gefahr  als  Nahrung  ver- 
abreicht werden,  wenn  auf  zwei,  allerdings  sehr  wichtige  Punkte 
Acht  gegeben  wird.  Entweder  muss  eine  derartige,  nur  relativ 
vollkommen  sterile,  Milch  innerhalb  12  Stunden  aufgebraucht 
werden,  damit  die  zurückgebliebenen  Sporen  keine  Zeit  zur 
Keimung  haben.     Dies  geschieht  meist  in  den  Fällen,  wo  die 


402  B.  Bendix: 

Milch  gleich  nach  der  Sterilisation  frisch  an  die  Kinder  für 
den  Tagesgebrauch  abgegeben  wird;  sollten  übrigens  in  der 
That  Sterilisationsanstalten  existiren,  wo,  wie  mir  eine  Autori- 
tät auf  dem  Gebiete  der  Kinderheilkunde  mündlich  mittheilte, 
die  Milch  nach  der  Sterilisation  bis  zum  definitiven  Verkauf 
noch  1--3  Tage  zur  Beobachtung  in  ziemlich  warmer  Tem- 
peratur aufbewahrt  wird,  so  wäre  dies  nach  den  allgemein 
übereinstimmenden  Erfahrungen  in  der  That  für  die  Säuglings* 
nahrung  geradezu  gelFahrlich,  und  müsste  hier  sofort  Abhilfe 
geschafft  werden.  Oder  die  zweite  Vorsichtsmassregel  ist  die, 
dass  die  Milch  vom  Momente  der  Sterilisation  an  bis  zum 
Gebrauch  kühl  gehalten  wird  in  Temperaturen  unter  20^0., 
sodass  den  etwa  vorhandenen  Keimen  und  Sporen  die  fQr 
ihre  Entwickelung  nothwendige  Bedingung  der  höheren  Tem- 
peratur (von  24 — 54^  C.)  fehlt.  Sowohl  das  schnelle  Auf- 
brauchen der  Milch  als  auch  das  Kühlhalten  derselben  (auf 
Eis  oder  im  Keller)  durch  niedere  Temperaturen  sind  Schutz- 
vorschriften, die  in  jedem  Haushalt  erzielt  werden  können 
und  in  allen  besseren  Hausständen  schon  immer  geübt  worden 
sind.  Natürlich  wird  dabei  vorausgesetzt,  dass  die  Milch, 
nach  der  Sterilisation  bis  zur  Ablieferung,  in  den  Anstalten 
selbst  und  auf  dem  Transport  kühl  gehalten  wird;  dies  wird 
meist  erzielt  durch  Aufbewahrung  in  kühlen  Kammern,  wo, 
wie  ich  mich  überzeugen  konnte,  Temperaturen  sicherlich  unter 
15^  C,  bisweilen  auch  unter  10^  C.  vorliegen,  ausserdem 
durch  Eiskühler  in  Transportwagen  (Bolle-Berlin).  Eine 
unserer  grossten  Anstalten  in  Berlin  wird,  wie  mir  mitgetheilt 
wurde,  in  allernächster  Zeit  noch  besondere  Kühlapparate  in 
den  Aufbewahrungsräumen  anlegen  lassen,  um  die  sterilisirte 
Milch  dort  bis  zum  Transport  in  noch  niedrigeren  Tem- 
peraturen als  10^  C.  aufzubewahren. 

Zum  Schluss  möchte  ich  noch  anführen,  dass  der  Beob- 
achtung Flügge's,  dass  seit  Einführung  der  sterilisirten  Milch 
keine  merkliche  Abnahme  der  Darmkrankheiten  der  Säuglinge 
stattgefunden  habe,  eine  ganze  Reihe  guter  Beobachter,  Leiter 
grosser  Kinderspitäler  und  viel  beschäftigter  Aerzte,  gegenüber 
stehen,  die  die  Erfahrung  gemacht  haben,  dass  seit  dieser 
Zeit  die  Darmerkrankungen  an  Zahl  und  Intensität  geringer 
geworden  sind,  ja  dass  man  dieselben  sogar  nach  Darreichung 
von  sterilisirter  Milch  zum  Aufhören  bringen  konnte.  Wenn 
wir  nun  nach  unseren  Erfahrungen  die  einfach  sterilisirte 
Milch  für  die  Säuglingsernährung  nicht  zu  perhorresciren 
brauchen,  so  vertritt  Flügge  seinerseits  darin  entschieden 
einen  berechtigten  Standpunkt,  dass  es  noth wendig  sei,  der 
relativ  .  sterilen  Milch  die  falsche  Etiquette  der  „keimfreien 
Dauermilch*'  abzureissen  und  das  Publikum  durch  kurzgefasste 


Ueber  d.  Verdaalichkeit  d.  sterilifiirten  u.  nichtsteriliairteu  Milch.     403 

Yorschriften  darauf  aufmerksam  zu  machen ,  wie  die  bei 
102^  C.  sterilisirte   Milch   im  Hause  zu  behandeln  ist. 

Im  Uebrigen  halte  ich  es  durchaus  nicht  für  undarch- 
fQhrbar,  auch  für  den  Grossbetrieb  durch  fractionirtes 
Sterilisiren  bei  102^  G.  mit  nicht  zu  grossen  Kosten 
eine  absolut  sterile  Dauermilch  zu  erzeugen. 

Bei  dem  zweiten  sicheren  Mittel ,  zur  Erzielung  einer 
vollkommenen  Sterilisation,  bei  Anwenden  des  Dampfstroms 
von  120^  C,  muss  erst  nachgewiesen  werden,  dass  die  hohen 
Temperaturen  der  Verdaulichkeit  der  Milch  keinen  Einhalt  thun. 

Wenn  Soxhlet  in  der  früher  citirten  Arbeit  sehr  dringlich 
vor  höheren  Hitzegraden  als  100^  C.  warnt,  so  thut  er  dies 
in  der  Meinung,  dass  durch  die  erhöhte  Temperatur  und  zu- 
gleich durch  die  verlängerte  Einwirkung  derselben  andere 
wichtige  Eigenschaften  der  Kuhmilch,  die  ebenso  sehr  als  die 
Keimfreiheit  den  Werth  der  Milch  als  Ersatzmittel  der  natür- 
lichen Säuglingsnahrung  bedingen,  geschädigt  werden. 

Der  Gedanke,  dass  die  Kuhmilch  durch  ein  so  energisches 
Verfahren  wie  das  der  Sterilisation  Veränderungen  erleiden 
könnte,  die  sie  minderwerthig  macht,  liegt  nahe,  wenn  man 
auf  einige  Erscheinungen,  die  die  Milch  nach  der  Sterilisation 
zeigt,  acht  giebt.  Wir  beobachten  nämlich,  dass  der  Ge- 
schmack und  die  Farbe  der  Milch  durch  die  Sterilisation 
sich  verändern.  Das  Aroma  der  rohen  Milch  geht  durch  die 
Sterilisation  verloren,  und  sie  nimmt  dafür  den  bekannten, 
etwas  bitteren  Geschmack  der  lange  gekochten  Milch  an,  und 
die  weisse  Farbe  ändert  sich,  wohl  durch  die  theil weise 
Karamelisirung  des  Milchzuckers,  in  eine  gelbliche  bis  bräun- 
liche Verfärbung  um.  Die  Geschmacksveränderung  tritt,  wie 
Duclaux^)  behauptet,  schon  bei  70^  C.  plötzlich  ein.  Da 
indessen  Geruchs-  und  Geschmacksemptindungen  beim  Säug- 
linge und  jungen  Kinde  noch  zu  wenig  entwickelt  sind,  so 
kommen  diese  Veränderungen  der  Milch  wohl  kaum  in  Betracht. 

Auffallender  und  gewichtiger  erscheint  die  Beobachtung, 
dass  sich  auf  der  Oberfläche  von  Milch,  die  durch  Erhitzen 
über  100^  C.  oder  durch  längeres  Erjytzen  bis  100®  C.  steril 
gemacht  worden  ist,  wenn  man  sie  längere  Zeit  ruhig  stehen 
lässt,  eine  feste  Fettschicht  als  Rahm  bildet,  der  sich  durch 
heftiges  Schütteln  nur  schwer  wieder  auseinanderreissen  lässt 
und  dann  in  grosse  und  grobe  Klumpen  zerfällt.  Dagegen 
bildet  sich  bei  roher  oder  einmal  aufgekochter  Milch  beim 
Kühlstehen  ein  lockerer  Rahm,  der  sich  durch  Schütteln 
wieder  in  feine  Partikelchen  in  der  Milch  auflöst.  Jene  schon 
für  das  blosse  Auge   zu   Tage   tretende  Erscheinung  ist   der 

1)  Duclaax,  Annal.  de  Tinst.  Pasteur.    1888.    Tit.  111.    p.  36. 


404  B.  Bendü: 

Ausdruck  fOr  die  Veränderung  des  EmulaionazustandeB  des 
Milchfettes ,   welche   dasselbe    durcli    die  Sterilisation   erfahrt. 

Dieser  makroskopische  Befund  wird  durch  das  mikroakO' 
pische  Bild  bestätigt,  indem  bei  der  rohen,  respective  auf- 
gekochten Milch  sich  die  Fettkflgelchen  fein  vertbeilt  als 
kleine  helle  Tropfen  in  der  Milch  finden  (a.  Fig.  1),  dagegen 
zeigen  sich  in  der  sterilisirten  Milch  neben  vereinzelten  hellen 
Fettkügelchen  hauptsächlich  zu  gröseeren  und  gröberen  Klumpen 
verschmolzene  Haufen  derselben  (s.  Fig.  2).  Herr  Dr.  Engel 
war  80  liebenswürdig,  die  Photogramme  herzustellen,  wofflr 
ich  ihm  au  dieser  Stelle  meinen  Dank  ausspreche. 

Diese  so  in  die  Augen  springende  Veräuderung  der  Kuh- 
milch durch  die  Sterilisation  rief  bei  vielen  Autoren  die  gewiss 
berechtigte  Vorstellung  hervor,  ob  nicht  durch  eine  derartige 


Umwandlung  des  Milchfettes  aus  dem  Zustande  der  feinen 
Emulsion  in  den  der  gröberen  und  in  die  sich  daran  an- 
schliessende Klumpenbildung  die  Resorption  desselben  er- 
schwert wflrde.  Trotz  dieser  auffallenden  Erscheinung  giebt 
es  aber  auch  einige  Forscher,  die  neben  der  Keimfreiheit  und 
der  dadurch  bedingten  grösseren  Haltbarkeit  als  besondere 
Vorzflge  der  sterilisirten  Milch  vor  der  rohen  auch  noch  die 
leichtere  Verdaulichkeit  und  ihre  bessere  Verworthung  fflr 
den  kindlichen  Organismus  hervorheben. 

Diese  Annahme  wird  gestützt  durch  die  Behauptung  ver- 
schiedener Forscher,  „dass  das  Caseiu  der  gekochten  Milch 
in  zarteren  Flocken  gerinne,  als  das  der  nicht  gekochten, 
und  dadurch  gekochte  Milch  erheblich  leichter  verdaulich  sei 
als  rohe  und  in  ihrem  Verhalten  dem  Magensafte  gegenüber 
s/ch    der    Frauenmilch    nähere".      Eine     solche    Bdiauptung 


Ueber  d.  Verdaulichkeit  d.  sterilisirten  u.  nichtaterillBirten  Milch.    40Ö 

findet   sich    bei  Albu^);   Soltmann'),   Munk^),  H off- 
in a  n  n  ^). 

Reichmann^)  folgert  dasselbe  aus  dem  Umstände,  dass 
gekochte  Milch  früher  aus  dem  Magen  ausgeschieden  wird 
als  rohe,  üffelmann^)  jedoch  konnte  durch  zahlreiche  Ver- 
suche diese  Behauptung  entkräften,  indem  er  durch  die  mittelst 
seiner  künstlichen  Verdauungsversuche  gewonnenen  Resultate 
den  Beweis  lieferte,  „dass  die  gekochte  Milch  keine  dünn- 
flockigeren Gerinnsel  bildete  und  nicht  rascher  oder  voll- 
ständiger peptonisirte'^ 

Von  den  Autoren,  die  für  die  Anwendung  der  sterilisirten 
Milch  nicht  allein  durch  den  Vorzug  der  Eeimfreiheit,  sondern 
auch  durch  ihren  grosseren  Nährwerth  bestimmt  werden,  citire 
ich  Vinay^),  der  die  sterilisirte  Milch  als  bestes  Nahrungs- 
mittel für  Säuglinge  empfiehlt  und  diese  ausschliessliche  An- 
wendung durch  Wägungsresultate  zu  begründen  sucht.  Ferner 
fuhrt  ühlig^)  an,  dass  sich  bei  kranken  und  geschwächten 
Kindern,  die  an  der  Mutterbrust,  bei  roher  Kuhmilch  oder 
Kindermehlen  nicht  vorwärts  kamen,  nach  der  Durchführung 
der  Ernährung  mittelst  sterilisirter  Milch  der  Ernährungs- 
zustand und  die  Gewichtszunahme  wesentlich  hob.  Umstände, 
die,  wie  er  meint,  sehr  zu  Gunsten  der  besseren  Resorption 
der  sterilisirten  Milch  zu  sprechen  scheinen. .  Auf  der  anderen 
Seite  jedoch  darf  es  uns  bei  den  so  charakteristischen  Ver- 
änderungen, welche  die  Kuhmilch  durch  die  Sterilisation  er- 
fahrt^ gewiss  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  es  Autoren  giebt, 
und  zwar  sind  es  gerade  die,  welche  sich  in  der  jüugsten 
Zeit  mit  dieser  Frage  beschäftigt  haben,  die  der  Ueber- 
zeugung  sind,  dass  die  gekochte  Milch  hinsichtlich  der  Ver- 
daulichkeit keinen  Vorzug  vor  der  ungekochten  hat^ ,  ja 
sogar,  dass  die  sterilisirte  Milch  sowohl  schlechter  vertragen 
als  auch  schlechter  resorbirt  und  ausgenutzt  wird,  als  die 
nicht  sterilisirte.  So  behauptet  Raudnitz^^),  dass  das 
Eiweiss  der  gekochten  Milch  schwerer  verdaulich  sei,  als  das 

1)  Alba,  Die  Beschaffenheit  ffuter  Kahmilch.    1880. 

2)  Soltmann,  Brealauer  ärztl.  Zeitschrift  1881.    Nr.  11,  12. 
8)  Mnnk,  Deatsche  med.  Wochenschr.  1881.    S.  36. 

4)  M.  Hoffmann,  Verdaulichkeit  des  Caseins  etc.  Diss.  Berlin  1881. 

5)  Reichmann,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Bd.  9.    8.565. 

6)  J.  üf feimann,  Pfläger^s  Archiv  29.  Bd.    1882.    8.  367. 

7)  Vinay-Lyon,  Üeber  sterilisirte  Milch  und  deren  Nährwerth  für 
S&Qglinge.  Lyon  m^dical,  Jnli  1891.  Referat  Albrecht,  Jahrbuch  f. 
Kinderheilkunde  XXXV.  Bd.    1893.    8.  883. 

8)  Rudolf  Uhlig,  Ueber  Versuche  einer  Ernährung  kranker  Säug- 
linge mittelst  sterilisirter  Milch.  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  B.  XXX. 
1889.    8.  88. 

9)  Uffelmann,  Archiv  f.  Physiologie  1882.    Bd.  29.    8.  368. 
10)  Raudnitz,  Zeitschrift  f.  physiol.  Chemie  Bd.  14. 


406  B.  Bendix: 

der  rohen.  —  Mit  dieser  Auffassung  stimmt  die  Anschauung 
der  meisten  älteren  Aerzte  überein,  dass  kuhwarme  Milch 
leichter  verdaulich  sei  als  gekochte.  —  Unruh^)  ist  der 
Meinung y  dass  die  Sterilisirung  die  Milch  so  zu  verändern 
vermag,  dass  sie  auf  einzelne  Säuglinge  Dyspepsie-erzeugend 
wirkt.  Derselbe  hat  nicht  so  selten  beobachten  können,  dass 
nach  längerem  Gebrauch  steriiisirter  Milch  dieselbe  Form  der 
Dyspepsie  entsteht,  wie  sie  sich  unter  dem  Genuss  zu  wenig 
verdünnter  Milch  entwickelt.  Die  Säuglinge  werden  trotz 
reichlicher  Nahrungsaufnahme  bleich  und  nehmen  nicht  so 
zu,  wie  es  die  verabreichten  und  anscheinend  gut  vertragenen 
Nahrungsmengen  und   das  sonstige  Befinden  erwarten  lassen. 

Diese  auffallende  Thatsache  lässt  sich  nach  Unruh  nur 
durch  eine  mangelhafte  Verarbeitung  des  Caseins  erklären, 
,yund  wirklich  zeigen  auch  die  Entleerungen  einen  Ueberschuss 
unverdauten  Caseins,  unverdaut  wohl  deshalb,  weil  die  Ver- 
dauungsfähigkeit des  Caseins  durch  das  anhaltende  Kochen 
gelitten  haV. 

Ferner  weist  Renk')  „auf  die  noch  wenig  gewürdigte 
Beobachtung  hin,  dass  sterilisirte  Milch  nach  mehrtägiger 
oder  mehrwöchentlicher  Aufbewahrung  eine  Veränderung  er- 
fährt, dahingehend,  dass  ein  Theil  ihres  Fettgehaltes  aus  der 
Form  kleinster  Kügelchen  in  die  grösseren  Tropfen  übergeht, 
sodass,  wenn  man  solche  Milch  auf  40^  oder  darüber  an- 
wärmt, auf  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  Fettaugen  schwimmen, 
die  sogar  schliesslich  zu  einer  zusammenhängenden  Fett- 
schicht sich  vereinigen  können.  Die  Fettaugen  lassen  sich, 
entgegen  den  häufig  zu  vernehmenden  Anpreisungen  von 
Lieferanten  steriiisirter  Milch,  nicht  mehr  in  die  Form  der 
Emulsion  zurückzufahren,  weder  durch  Schütteln  noch  durch 
Erhitzen.  Da  oft  beträchtliche  Mengen  Fett  so  aus- 
geschieden werden,  so  erleidet  die  Mich  eine  tief- 
greifende Veränderung,  welche  auf  die  Verdaulich- 
keit unbedingt  von  Einfluss  sein  muss.  Positive 
Erfahrungen  über  schädliche  Wirkungen  des  aus- 
geschiedenen Fettes  liegen  allerdings  noch  nicht  vor.'' 

Einen  weiteren  Beitrag  für  die  Ansicht,  dass  sterilisirte 
Milch  schlechter  resorbirt  wird  als  nicht  sterilisirte,  liefert 
Leeds^),  der  durch  eigene  Versuche  mittelst  auf  100^  C.  eine 


1)  Unruh,  Die  Dyspepsie  im  Säuglin^alter.  Sonderabdmck  auä 
dem  Jahresbericht  der  Gesellschaft  f.  Natur-  und  Heilkunde  su  Dresden 
1889-1890.     S.  9. 

2^  Renk,  Ueber  Fettansscheidnng  aus  steriiisirter  Milch.  Archiv 
für  Hygiene.  Bd.  17.  S.  818.  —  Referent:  Emmerich,  Jahrb.  der 
get.  Medicin  XVEI.  Jahrg.     S.  569. 

8)  Albert  Leeds  and  Edward  Davis:    The  chemistry  and   cli- 


üeber  d.  Verdaulichkeit  d.  Bteriiisirten  n.  nichtaterilisirten  Milch.     407 

Stunde  lang  erhitzter  Milch,  abgesehen  von  anderen  Ergebnissen, 
die  uns  hier  nicht  interessiren,  zu  folgenden  Schlüssen  kam: 

1.  Das  Casein  wird  durch  die  Hitze  nicht  verändert, 
gerinnt  indessen  weniger  leicht  durch  die  Einwirkung  des 
Lab  und  lost  sich  langsamer  und  unvollständiger  bei  künst- 
licher Verdauung  mit  Pepsin  und  Paucreatin. 

2.  Die  Emulsion  der  Fettkügelchen  wird  durch  die  Hitze 
zum  Theil  zerstört,  und  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass 
dadurch  die  Resorption  des  Milchfettes  wesentlich  erschwert 
wird. 

3.  Im  Ganzen  ist  sterilisirte  Milch  weniger  leicht  und 
weniger  vollständig  verdaulich  als  rohe. 

In  üebereinstimmung  mit  dieser  theoretischen  Schlass- 
folgerung  befindet  sich  Davis')  mit  seinen  klinischen  und 
poliklinischen  Beobachtungen,  die  er  am  Säuglingshospital  zu 
Philadelphia  mittelst  sterilisirter  Milch  zu  machen  Gelegen- 
heit nahm. 

Seit  Einführung  der  sterilisirten  Milch  nahm  zwar  die 
Zahl  der  Darmerkrankungen  ab,  indessen  wiesen  die  Kinder 
nunmehr  eine  schlechtere  Ernährung  und  bedeutend  geringere 
Gewichtszunahme  auf,  und  viele  der  von  einem  acuten  Brech- 
durchfalle Genesenen  gingen  später  unter  den  Erscheinungen 
der  Inanition  zu  Grunde. 

Zusätze  von  Pancreatin,  Malzextract,  Soda,  Beigaben  von 
Eiweiss,  Beismehl,  Leberthran  blieben  meist  erfolglos;  erst 
durch  den  Genuss  von  frischer  nicht  erhitzter  Milch  anstatt 
der  sterilisirten  wurde  in  vielen  Fällen  rasche  Besserung  erzielt. 

Der  Referent  Escherich*)  macht  sehr  trefifend  hierzu 
folgende  kritisirende  Bemerkung:  „Es  ist  bedauerlich,  dass 
Verfasser  bei  der  Constatirung  einer  so  wichtigen,  aber  un- 
seren bisherigen  Erfahrungen  widersprechenden  Beobachtung 
es  versäumt,  objective  Zahlen  und  Vergleichungspunkte  mit 
der  vorausgehenden  Periode  zu  geben,  um  so  mehr,  als  er 
augenscheinlich  unter  dem  Eindrucke  der  seitens  seines  Mit- 
arbeiters auf  theoretischem  Wege  gezogenen  Schlüsse  steht/' 
Es  giebt  zwar  einige  Autoren,  die  das  vortreffliche  Gedeihen 
einzelner  mit  einer  bestimmten  Nahrung  aufgezogenen  Kinder 
als  einen  voUgiltigen  Beweis  für  den  hohen  Nährwerth  und 
die  gute  Ausnutzung  derselben  auffassen.    Und  diese  Forscher 


nical  value  of  Bterilked  milk.  The  americain  joarnal  of  the  medical 
Sciences.  Jone  1891.  Beferat  Escherich,  Jahrbach  f.  Einderheilkande 
1893.    Bd.  XXXllI.     S.  217. 

1)  Leede  and  Davis  1.  c.    S.  218. 

2)  Ibid.  S.  218. 


422 

B.  Bendiz: 

Damach  stellt  sich  für  den  II. 
folgendermaassen : 

,  Versuch  (Kind  Anders) 

die  Bilanz 

L  Periode. 

IL  Periode. 

(6  Tage  nicht  steril.  Milch.) 

(Sterilisirte  MüCh.) 

TftgL  NahrongB- 
einfahr 

an  H. 

an  Fett 

Tftgl.  Nahrnngs- 
einfahr 

an  N. 

an  Fett 

pro  die 
in  6  Tagen 

8,06  g 
48,86  g 

42,8  g 
253,8  g 

pro  die 
in  6  Tagen 

8,06  g 
48,86  g 

42,3  g 
253,8  g 

Aaagabe  in 

6  Tagen  im  Ge- 

tammtkoth 

Ton  1U8,7  g 

4,09 

22,25 

Aiugabe  in 

6  Tagen  im  Ge- 

sammtkoth 

Ton  94,33  g 

4.4 

22,75 

Aufnahme    . 

44,27  g 

281,65 

Aufnahme    . 

48,96 

231,05 

Resorpt.  in  % 
Verlust  in  % 

»1,64% 

8,46% 

»1,2% 
8,8% 

Resorpt.  in  % 
Verlust  in  % 

90,9% 
V% 

»1% 
»% 

Der  VoUstäudigkeit  wegen   läse 
vorgenommenen  W&gongen  folgen: 

e   ich  hier  die  Zahlen  der  I^Hch 

Gertrud  Anders: 

16.11.—  11, 

17.  «=  11, 

18.  —  11, 

19.  =  11, 

20.  =  11, 

21.  —  11, 

12  kg 
29  kg 
27  kg 
25  kg 
88  kg 
17  kg 

22.  II.  « 
28.        «• 

24.  = 

25.  — 

26.  = 

27.  « 

11,59  kg            28.  IL    »11,45  kg 
11,56  kg            29.         »  11,64  kg. 
11,28  kg 
11,39  kg 
11,68  kg 
11,25  kg 

Wenn  der  Verlust  an  Eiweiss  und  Fett  im  Versuch  II 
für  den  Organismus  ziemlich  bedeutend  ist  und  hoher,  als  ihn 
sonst  die  Autoren  bei  der  Milchnahrung  beim  Kinde  finden, 
so  liegt  dies  an  der  verminderten  Gallenausscheidung  bei  dem 
Versuchskinde,  indessen  er,  resp.  die  Resorption  ist  doch  in 
beiden  Reihen  sowohl  bei  der  Darreichung  von  „sterilisirter'' 
als  von  „einfach  aufgekochter''  Milch  so  wenig  verschieden, 
dass  man  von  einer  schlechteren  oder  besseren  Verwerthung 
der  einen  oder  der  anderen  Milchart  nicht  sprechen  kann. 
Bei  der  Fettresorption  beträgt  die  Differenz  0,2%  und  bei 
der  Stickstoffresorption  0,64%  zu  Gunsten  der  „aufgekochten'' 
Milch.  Da  ich  es  indessen  in  Versuch  II  mit  einem  nicht 
ganz  gesunden  Kinde  zu  thun  gehabt  hatte,  bei  dem  Zeichen 
von  Rachitis  vorhanden,  und  die  Verdauung  nicht  ganz  in 
Ordnung  war,  so  stellte  ich,  um  jedem  Einwand  aus  dem 
Wege  zu  gehen,  noch  einen  III.  Versuch  an. 

Dem  Versuche  III  lege  ich  aus  dem  Umstände  eine  be- 
sondere Wichtigkeit  bei,  weil  ich  ihn  an  meinem  eigenen  1%- 
jährigen  Kinde  Edith  B.  anstellte.  Ich  wusste,  dass  ich  es 
mit  einem  normal  entwickelten,  vollständig  gesunden  Kinde 
zu  thun  hatte.  Dasselbe  war  rationell  ernährt  worden;  es  hatte 


Ueber  d.  Verdaulichkeit  d.  sterilisirteo  n.  nichtsterilisirten  Milch.    423 

bis  zum  9.  Monat  eine  Amme  und  von  dieser  Zeit  Hellers- 
dorfer  Milch  als  Vollmilch  erhalten.  Der  Appetit  und  die 
Verdauung  der  Kleinen  waren  in  bester  Ordnung. 

Die  Nahrungszufuhr,  die  wieder  genau  geregelt  war, 
konnte  ich;  da  ich  das  Kind  unter  meiner  Obhut  hatte, 
strenger  noch,  als  in  den  beiden  ersten  Versuchen  controliren. 

Der  III.YersQCli  dauert  8  Tage;  es  fallen  hiervon  4  Tage  anf  die 
I.  Periode,  in  der  die  Kleine  82,6  g  Weissbrod  und  1500  ccm  „einfach 
aufgekochter"  Milch  erhielt,  und  4  Tage  auf  die  11.  Periode,  in  der 
neben  bleichen  Mengen  Weissbrod  wie  in  Periode  I  wieder  1500  ccm 
Milch  aber  in  „sterilisirter"  Form  gereicht  wurden.  Ich  gab  dem  Kinde, 
wie  in  Versuch  II,  in  beiden  Perioden  nicht  blos  der  Menge  nach, 
sondern  auch  analytisch  genau  zusammengesetzt  dieselbe  Milch.  Ich 
erreichte  diesen  Zweck  ebenso  wie  in  Versuch  II,  indem  ich  t&glich  8  1 
Milch  von  derselben  Mischmilch  erhielt,  davon  IV,  1  verfütterte  und  die 
übrig  gebliebenen  ly,  sterilisirte,  und  für  den  gleichen  Tag  der  II.  Pe- 
riode zurückstellte. 

Die  Sterilisation  besorgte  ich  in  diesem  Falle  selbst,  so  dass  ich 
ganz  sicher  ging,  in  beiden  Perioden  dieselbe  Milch,  nur  in  anderer 
Zubereitung  zu  reichen.  Ich  sterilisirte  in  derselben  Weise,  wie  es  in 
der  Hellersdorfer  Molkerei  geübt  wird,  bei  102^  G.  40  Minuten  im 
strömenden  Wasserdampfe,  und  zwar  stellte  ich  die  Flaschen  geöffnet 
in  den  Sterilisationsapparat,  schloss  sie  aber  wenige  Minuten,  nachdem 
Temperatur  von  102^  CS.  erreicht,  fest  zu. 

Mein  Kind  hatte  zwar  in  den  letzten  Monaten  schon  gemischte  Kost 
erhalten,  es  nahm  indessen  die  reine  Milchnahrung  mit  der  Beigabe 
von  Weissbrod  wieder  sehr  gerne;  sein  Appetit  war  gut,  und  wurde  durch 
die  gereichte  Nahrung  vollkommen  befriedigt.  —  Verdauungsstörungen 
traten  nicht  ein.  Dass  das  Nahrungsbedüifniss  vollkommen  gedeckt 
wurde,  dafür  sprechen  die  Wägungszahlen  während  des  Versuchs 
(s.  W^ngstabelle  S.  426). 

Der  Koth  (niemals  diarrhöisch)  war  von  normaler  Gonsistenz,  weich 
und  meist  wurstförmig,  die  Farbe  war  gelb,  die  des  gewöhnlichen  Milch- 
koths.     Die  Eeaction  war  alkalisch. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Faeces  ergiebt  keine  Nah- 
rungspartikelchen, nur  ganz  vereinzelt  mal  einen  Fetttropfen.  Ferner 
amorphen  Schleim  in  Perlenschnur-  und  Streifenform  angeordnet,  ausser- 
dem Fettsäurenadeln  und  Sargdeckelkrystalle  von  phosphorsaurer  Ammo- 
niak-Magnesia. 

Die  Abgrenzung  der  L  Periode  und  zwischen  der  I.  und 
IL  Periode  bewirkte  ich  durch  Preisseibeeren  mit  Zucker 
gemischt|  und  da  ich  in  den  früheren  Versuchen  die  Beob- 
achtung gemacht  hatte,  dass  die  Abgrenzung  präciser  wird, 
je  weniger  Preisseibeeren  man  reicht,  so  gab  ich  diesmal  nur 
ii  Theelöffel,  und  bekam  dadurch  eine  sehr  scharfe  Abgren- 
zung. Von  der  geringen  Menge  der  ausgeschiedenen  Preissei- 
beeren, zwischen  und  um  die  verhältnissmässig  nur  wenig 
Koth  gelagert  war,  rechne  ich,  wie  auch  früher,  die  eine 
Hälfte  zu  Periode  I,  die  andere  zu  Periode  II.  Den  Schluss 
des  Versuchs  grenzte  ich  durch  Gacao  ab,  der  nach  der  acht- 


424 


B.  Bendiz: 


tägigeu  MilchnahnoDg  mit  gelbem  Stuhl  den  typischen  braunen 
Cacaostuhl  lieferte. 

Am  Abend  vor  dem  Beginn  des  eigentlichen  Versuchs 
erhielt  Edith  um  6  Uhr  ihre  Nachtmahlzeit  und  hungerte 
während  der  Nacht;  am  andern  Morgen  erhielt  sie  als  Erstes 
um  7  Uhr  ]4  Theeloffel  Preisseibeeren,  dann  eine  Tasse  dünnen 
TheeS;  gegen  11  Uhr  erhielt  sie  die  erste  Tasse  Milch  mit 
Weissbrod;  in  derselben  Weise  vermochte  ich  zwischen  I.  und 
II.  Periode  und  zum  Schlüsse  des  Versuchs  eine  gute  Ab- 
grenzung zu  erzielen.  Jeder  Versuchstag  reicht  von  dem 
einen  Morgen  8  Uhr  bis  zum  nächsten  Morgen  8  Uhr. 

Die  Analysen  der  aufgenommenen  Kahranff  und  der  Faecea  worden 
wieder  nach  den  üblichen  und  bei  Yersucli  I  genauer  ans  einander* 
gesetsten  Methoden  ausgeführt. 

Die  Kohlehydrate  des  Weissbrods  and  des  Müchsuckers  sind  anch 
hier  ebensowenig  wie  in  Versach  I  nnd  II  bei  der  Ausnatznngstabelle 
besonders  hervorgehoben,  weil  sie  so  vollkommen  resorbirt  werden,  dass 
der  Roth  weder  eine  Reaotion  auf  St&rke,  noch  auf  Zacker  giebt 

Die  Nahrungsanalyse  für  beide  Perioden  stellt  sich 
folgendermaassen : 

ni.  Yersach. 

(Edith  B.,  IV4  Jahr,  vom  12.— 19.  IV.  1894.) 


iTigl.  eingoftthrte  Nahrnng 

Elw«iu 

Stiok- 
■toff 

Feti 

Kohle- 
hydrate 

Calorien 

1600  ccm  Miloh^)  ...... 

82,6  g  Weissbrod«) 

47,38 
8,9 

7,68 
IM 

42,76 

72 

46,8 

Samme 

66,28 
230,76 

9,02 

42,76 
397,68 

117,8 
483,0 

Calorien :    . 

1111 

Diesen  Einnahmen  stellen  sich  folgende  Ausgaben  durch  den  Kolli 

gegenüber  in  der 


Die  Analyse  ist  in  derselben  Weise  wie  in  Versach  II  vereinfacht. 
1)  Milchanalyse: 

a)  in  4  ccm  Darohschnittsmilch  sind  enthalten  «  0,0199164  g  Stickstoff, 

-  0,60%  N. 

b)  in  4  ccm  „  „  „  -.  0.0208816  g  N. 

"0,61%  N. 

Mittel  —  0,606%  N. 

Fett  Aach  zur  Bestimmung  des  Fettgehaltes  machte  ich  eine 
Analyse  der  Durchschnittsmilch,  indem  ich  tftglich  6  com  auf  Seesand 
Eum  Trocknen  brachte,  sodass  ich  am  Schluss  4x6  »  20  ccm  auf  See- 
sand  getrocknet  sur  Eztraction  brachte: 


Ucber  d.  Verdaulichkeit  d.  sterilisirten  n.  Dichtsteriliairtea  Milch.    425 

I.  Periode. 


Da  tarn  dor  Yenuchstage 


4  Tage  (nicbtsteril. 
Milch  12.— 16.  IV. 

In  der 


Menge  d.  GeMinintkoths 
in  g 


feucht  1) 


296,8 


trocken 


Aaageschied. 
Fett»)  in  g 


62,2 


II.  Periode. 


10,9 


Ausgeaohied. 
N.»)  in  g 


2,74 


Datam  der  Venuchttage 


4  Tage  (steril.  Milch) 
16.— 19.  IV.  1894. 


Menge  d.  Gosammtkotlu. 
m  g 

feucht*)     j     trocken 


263,8 


Ö4,5 


Ansgeschied. 
Fett  *) 


8,7 


Auigeschied. 


2,61 


Anmerkg.  zu  S.  424. 

a)  20  com  Durchschnittsmilch  enthalten  0,5806  g  Fett  »  2,9%  Fett 

b)  20  ccm  „  „  0,665  g       „     ^  2,8%     „ 

Mittel  =  2,86%  „ 

Kohlehydrate    s.  J.  Mnnk    II.  Auflage:    Ernährung  des    gesunden 
nnd  kranken  Menschen  1891.    S.  121  =»  4,8%. 

2)  Weissbrod-Stickstoff: 

a)  1,566  g  treck.  Weissbrod  »  1,916  feucht  (26,48  feucht  «-20,6  g 
trock.Weissbrod)  enthalten  »  0,0344784  g  N. 

=  1,77%    N.;    in    82.6   g 
[=  1,46  g  N. 

b)  1,1296  trock.  Weissbrod  ^  1,404  feucht  Mittel  »1,44  g  N. 

enthalten  «  0,0250099  g  N. 

—  1,71%  N.  in  82,6  =  1,41  g  N. 


♦» 


=-  1,74%  N. 
Kohlehydrate  s.  Munk  1.  c.  S.  160.    66,6%. 


1)  Das  Gewicht  des  feuchten  Koths  betrug  pro  die  in  der  I.  Periode 

a)  119,0  g 

b)  63,8  g 

c)  76,0  g 

d)  88,0  g 

Gesammtgewicht:  296,8  g  feucht  ==  62,2  g  Trockenkoth. 

2a)    4,1446  g  Trockenkoth  enthalt.  0,7211  g  Fetti 

62,2  g  Gesammtkoth  „       10,82  g        »>     l  w  f  i 

2b)    6,1892  g  Trockenkoth  enthalt.  1,0918  g   „      Mittel«  10,9 gFott. 
62,2  g  Gt'Fanimtkoth  „       10,97  g        „    / 


Anmerkg.  8),  4),  6),  6)  s.  folgende  Seite  (426). 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.  K.  F.  XXXYIII 


28 


426 


B.  Bendiz: 


i 


Danach  läset  sich  für  den  III. Versuch  (Edith  B.)  folgende  Bilanz 
ziehen : 


I.  Periode. 

1 

II. 

Periode 

» 

(4  Tage  einfach  aufgekochte  Milch.) 

1 

(4  Tage  sterilisirte  Milch.) 

Tftgl  NabroDgi- 
einfahr 

an  N. 

1        9,02 
36,08 

au  Fett 

42,75 
171,0 

Tägl.  Nabrunga- 
einfuhr 



an  K.            an  Fett 

1 

pro  die 
in  4  Tagen 

pro  die 
in  4  Tagen 

9,02 
36,08 

42,76 
171,0 

Anigabe 

in  4  Tagen 

Im  Geiammt- 

koth  von  62,8  g 

2,74 

10,9 

Anigabe 

in  4  Tagen 

im  <iesammt- 

koth  Ton  ^4,6  g 

2,61 

8.7 

Aufnahme  . 

83,34  g 

160,1  g 

Aufnahme    . 

33,67  g     162,3  g 

Resorpt.  in  % 

02,4%          98,6% 

Resorpt.  in  % 

»8%          9*,»% 

Verlust  in  % 

7,e%        M% 

Verlust  in  % 

7% 

6,1% 

Die  t&glich  vorgenommenen  Wägungen  ergaben  folgende  Zahlen: 

1.  IV.  11,8 

2.  11,S 

3.  12,0 

4.  12,0 
6.          12,0 

7  kg 
>6  kg 
16  kg 
3  kg 

^9- 

16.  IV.  12.06  kg 

17.  12,16  kg 

18.  12,0  kg 

19.  12,07  kg 

Auch  der  Versuch  III^  gegen  den  sich  in  keinerlei  Weise 
ein  Einwand  erheben  lässt,  bestätigt  die  beiden  ersten  Ver- 
suche^  indem   von  einer  Minderwerthigkeit  in  Bezug  auf  die 


3  a)     1,2134  g  Trockenkoth  enthalt.  0,06263386  g  N. 
62,2  g  Qesammtkoth  „        2,69  g  N. 

3  b)  0,9541  g  Trockenkoth         „         0,0427716  g  N. 
62,2  g  Qesammtkoth  „        2,79  g  N. 


Mittel»  2,74  gN. 


4)  Das  Gewicht  des  feuchten  Koths  betrug  an  den  einzelnen  Tagen  der 
II.  Periode: 

a)  26,1  g 

b)  67.3  g 

c)  96,8  g 

d)  84,6  g 

Summe:  263,8  g  feucht  £.  »  64,6  Trockenkoth. 

6  a)    6,4036  g  Trockenkoth  enthalt  0,8281  g  Fett 
64,6  g  Qesammtkoth  „         8,36  g        „ 

6  b)     6,7867  g  Trockenkoth      „  0,9699  g     „ 

64,6  g  Qesammtkoth  „         9,04  g        „ 

6  a)     1,4666  g  Trockenkoth  enthalten  0,06814066  g  Stickstoff 
64,6  g  Qesammtkoth  ,,         2,63  g  N. 

6  b)     1,6814  g  Trockenkoth         „        0,0766316  g  N. 
64,6  g  Qesammtkoth  „        2,49  g  N. 


Mittel»  8,7  gFett 


Mittel «  8,61  gN. 


Ueber  d.  Verdaulichkeit  d.  sterilisirien  n.  nichtsterilisirten  Milch.    427 

Ausnutzung  der  einen  oder  der  anderen  Milch  keine  Rede  sein 
kann.  Die  Differenzen  von  0,6%  für  N.  und  von  1,3%  für 
Fett  zu  Gunsten  der  sterilisirten  Milch  sind  so  unbedeutend, 
dass  sie  für  die  Ernährung  des  Kindes  so  gut  wie  gar  nicht 
in  Betracht  kommen.  Der  Uebersicht  wegen  stelle  ich  die 
Resorptions-  resp.  Verlustwerthe  der  drei  Versuche  nebenein- 
ander: 


LI 

^eriode. 

IL 

Periode. 

(Einfach  aufgekochte  Mllcli.)                    (Sterillsirte  MUch). 

I.  Versuch  (Götz). 

N. 

Fett 

N. 

Fett 

AnsnntzuDg: 
Verlust: 

84,7% 
15,3% 

90,9% 
V% 

Ausnutzung: 
Verlust: 

84,3% 
16,7% 

91% 
8,9% 

IL  Versuch  (Anders). 

N. 

Fett 

N. 

Fett 

Ausnutzung: 
Verlast: 

91,6% 
8>6% 

91,2% 
8.8% 

Ausnutzung: 
Verlust: 

90,9% 
9,1% 

91% 
9% 

III.  Versuch  (Bendix). 

N. 

Fett 

■ 

N. 

Fett 

Ausnutzung: 
Verlust: 

92,4% 
7,6% 

93,6% 
6.4% 

Ausnutzung: 
Verlust: 

98% 
7% 

94,9% 
6,1%. 

Wenngleich  sich  gegen  Versuch  I  und  II  aus  den  an- 
geführten Gründen  Einwände  erheben  lassen,  so  ergiebt  sich 
doch,  sobald  man  aus  den  3  Versuchen  die  Ausnutzungsmittel- 
werthe  für  den  Stickstoff  und  das  Fett  zieht,  eine  so  gleich- 
massige  Uebereinstimmung  in  der  Ausnutzung  beider  Mileh- 
arten,  dass  man  annehmen  darf,  dass  die  geringen  Differenzen 
in  den  Zahlen  auf  Zufälligkeiten  und  kleinen  Fehlerquellen 
der  Untersuchungen  beruhen. 


Mittel  N.  (I.  Periode): 


I 
II 

m 


16,8 
8,5 
7.6 


31,4 
Verlust  N.  10,6% 


Mittel  N.  (IL  Periode): 


I 

II 
III 


16,7 

9.1 
7,0 


31,8% 
Verlust  N.  10,6% 


Mittel  Fett  (L  Periode): 

I        9,1 

II        8,8 

III         6,4 

24,S 
8,1%  Fett 


Mittel  Fett  (U.  Periode) 
I       8,9 

II         9,0 
m         6,1 

23,0 

7,7%  Fett. 


28 


428  B.  Bendix: 

Ich  fasse  nun  zum  Schiuss  dieser  Arbeit  meine  durch 
(las  Experiment  am  Kinde  gewonnenen  Resultate  und  Beob- 
achtungen in  folgende  Sätze  zusammen: 

1.  Mögen  wir  einem  gesunden  Kinde  „aufgekochte^' 
oder  yySterilisirte''  Milch  als  Nahrung  reichen,  ein  Unterschied 
in  der  Verwerthuog  des  Stickstoffs  und  des  Fetts  zu  Gunsten 
der  einen  oder  der  anderen  dieser  beiden  Milcharten  existirt 
nichi  Daraus  folgt,  dass  die  Verdaulichkeit  und  die  Resorbir- 
barkeit  der  ,,sterilisirten''  Milch  hinter  der  der  ^^nichtsterili- 
sirten''  Milch  nicht  im  Mindesten  zurückbleibt. 

2.  Auch  beim  kranken  Kinde,  bei  dem  (durch  ver- 
minderten Gallenzufluss)  zum  Speisebrei  die  Verdauung  dar- 
niederliegt, walten  die  gleichen  Verhältnisse  ob;  zwar  ist  die 
Resorption  natürlich  eine  herabgesetzte  gegenüber  dem  nor- 
malen Organismus,  und  zwar  fiir  den  N.  um  0,9—2,1%,  für 
das  Fett  von  2,4—3,8%  (Versuch  III:  Versuch  II),  aber  sie  ist 
bei  beiden  Milcharten  eine  gleichmässig  herabgesetzte. 

3.  Der  Geruch  und  Geschmack  der  Milch  bleibt  auch 
nach  der  Sterilisation,  wenngleich  verändert  gegenüber  dem 
der  rohen  Milch,  durchaus  gut;  und  die  sterilisirte  Milch  wird 
von  den  Kindern  ebenso  gern  genommen  als  die  einfach  auf- 
gekochte. 

Im  Gegensatz  zu  Kalischer^)  muss  ich  constatiren,  dass 
die  bräunliche  Farbe  der  sterilisirten  Milch  kein  Grund  für 
Kinder,  wenigstens  der  ersten  Lebensjahre  war,  dieselbe  zu 
verweigern.  Auf  der  andern  Seite  muss  ich  zugeben,  dass 
Kinder,  die  Monate  lang  an  einfach  aufgekochte  Milch  oder 
an  gemischte  Nahrung  gewöhnt  waren,  bei  einem  plötzlichen 
Uebergang  in  der  Nahrung  zur  sterilisirten  Milch,  am  ersten 
Tage  dieselbe  etwas  widerwillig  nahmen,  ohne  sie  indessen 
ganz  zurückzuweisen;  schon  am  zweiten  Tage  jedoch,  an  den 
Wechsel  gewöhnt,  tranken  sie  die  sterilisirte  Milch  ebenso 
gern,  wie  vordem  die  aufgekochte  resp.  wie  die  gemischte  Kost 
Diese  anföngliche  Ablehnung  der  sterilisirten  Milch  habe  ich 
jedoch  nie  bei  Kindern  beobachten  können,  die  von  Anfang 
an,  ohne  den  Geschmack  der  rohen  Milch  zu  kennen,  mit 
sterilisirter  Milch  aufgepäppelt  wurden;  sie  tranken  dieselbe 
stets  gern  und  mit  grossem  Appetit. 

4.  Die  Gesundheit  des  Kindes  störende  Erscheinungen, 
besonders  von  Seiten  des  Digestionstractus,  sah  ich  nach  dem 
Genuss  von  sterilisirter  Milch  niemals  auftreten,  im  Gegen- 

1)  Schupp  an,  Die  Bacteriologie  in  der  Milchwirthscbaft.  Yer- 
bandlung  der  „Deutechen  Gesellschait  f.  öffentliche  Gesundheitspflege** 
1893. 


Ueber  d.  Verdaolicbkeit  d.  steriÜBirten  u.  Dichtsterilisirten  Milcb.    429 

theil,  das  AUgemeiubefinden  und  der  Appetit  und  Zunahme 
der  Kinder  waren  gut,  die  Entleerungen  normal ,  Erbrechen 
trat  niemals  ein,  das  Gewicht  der  Versuchskinder  blieb  wäh- 
rend der  Yersuchstage  constant  oder  stieg  an. 

5.  *  Da  die  Gefahren  der  Uebertragung  schwerer  Krank- 
heiten vom  Thier  auf  den  Menschen  in  Folge  der  bisweilen 
in  der  Milch  vorhandenen  pathogenen  Keime  durch  die  Ab- 
todtung  der  Bacterien  mittelst  der  Sterilisation  beseitigt  und 
die  Erzeugung  anderer  Erkrankungen,  besonders  des  Darm- 
canals,  durch  Vernichtung  der  Gährungs-  und  Zersetzuugserreger 
verhütet  wird,  so  ist  es  unsere  Pflicht  als  Arzt,  in  all  den 
Fällen,  wo  wir  aus  irgend  einem  Grunde  gezwungen  sind,  von 
der  natürlichen  Ernährung  des  Kindes  zur  künstlichen  über- 
zugehen, darauf  zu  dringen,  dass  allein  die  „sterilisirte^^ 
Milch  angewendet  wird,  da  uns  die  aufgekochte  Milch  diese 
Garantien  der  Reinheit  nicht  liefert. 

6.  Zugleich  habe'  ich  durch  die  Resultate  meiner  Unter- 
suchungen die  Ueberzeugung  gewonnen,  dass  die  auch  noch 
jüngst  wieder  von  Kramsztyk*)  angeregte  Frage,  ob  „Pasteu- 
risiren"  oder  „Sterilisiren"  als  Conservirungsmethode  für  die 
Milch  angewendet  werden  soll,  dahin  beantwortet  werden 
muss,  dass  das  „Sterilisiren**  dem  „Pasteurisiren"  bei  Weitem 
vorzuziehen  ist,  da  bei  der  Erhitzung  bis  zu  102^  C.  nicht 
blas  die  Verdaulichkeit  der  Milch  nicht  leidet,  sondern  diese 
Methode  uns  bei  genügender  Vorsicht  auch  noch  die  sichere 
Gewähr  der  Abtödtung  fast  aller  schädlichen  Bacterien  und 
Keime  leistet,  während  beim  „Pasteurisiren"  die  Vernichtung 
derselben,  vor  Allem  aber  der  Sporen,  immer  eine  weit  un- 
vollkommenere bleibt. 


1)   J.   Eramsztyk,    Pastenrisation   oder   Sterilisation?     Jabrbuch 
f.  Kinderbeilkande  1894.    Bd.  XXXVII.    S.  249. 


xni. 

Klinische  Beobaclitnngen  an  magendarmkranken  Kindern 

im  Sänglingsalter. 

Aus  Professor  Epstein's  Kinderklinik  in  Prag. 

Von 

Docent  Dr.  ÄD albert  Czerny  und  Dr.  Paul  Moser. 

Die  gesammten  Magendarmaffectionen  im  Säuglingsalter 
lassen  sich  vom  klinischen  Standpunkte  aus  in  zwei  grosse 
Gruppen  theilen:  Die  eine  umfasst  jene  Kinder,  bei  welchen 
nur  der  Magendarmtractus  erkrankt  ist,  während  alle  anderen 
Organe  normal  bleiben  und  intact  functioniren.  Die  zweite 
Gruppe  wird  von  solchen  Fällen  gebildet,  bei  denen  es  wäh- 
rend des  Bestandes  der  Magendarmerkrankung  zu  sogenannten 
Complicationen  kommt  d.  h.  einer  mehr  oder  minder  typischen 
Erkrankung  anderer  Organe.  Auf  die  Zusammengehörigkeit 
der  Magendarmaffectionen  und  der  sogenannten  Complicationen 
weist  schon  die  grosse  Häufigkeit  des  Zusammentreffens  beider 
hin.  Jede  dieser  Gruppen  lässt  sich  wieder  theilen  in  eine 
solche  mit  acutem  und  solche  mit  chronischem  Verlauf.  Bei 
der  ersten  Begutachtung  eines  Falles  ist  es  durch  die  kli- 
nischen Untersuchungsmethoden  möglich,  diesen  in  eine  der 
geschaffenen  vier  Yeriaufsformen  einzureihen.  Bei  fortlaufen- 
der Beobachtung  hat  man  dagegen  häufig  Gelegenheit,  lieber- 
gänge  einer  Form  in  die  andere  zu  sehen,  nämlich  den  Ueber- 
gang  einer  acuten  in  eine  chronische  Form  oder  einer  ein- 
fachen in  eine  complicirte. 

Um  eine  Abgrenzung  der  ersten  Haaptgruppe  zu  ermög- 
lichen, ist  es  mit  Bücksicht  auf  die  bestehenden  Literatur- 
angaben nöthig,  zuerst  sich  darüber  auszusprechen,  wann  man 
ein  Kind  als  magendarmgesund  zu  bezeichnen  hat.  Wir  nehmen 
letzteres  dann  an,  wenn  ein  sonst  gesundes  Kind  bei  regel- 
mässig fortschreitender  Körpergewichtszunahme,  bei  ein-  bis 
dreimaliger    Entleerung    eines    normal    beschaffeneu    Stuhles 


A.  Czerny  und  P.  Moser:  Eliniscbe  Beobachtungen  etc.        431 

innerhalb  von  24  Stunden  kein  Erbrechen  und  Aufstossen 
zeigt  und  nach  jeder  Nahrungsaufnahme  in  einem  mehrstün- 
digen, tiefen,  ununterbrochenen  Schlaf  verharrt.  Auf  die  letz- 
tere Bedingung  legen  wir  deshalb  besonderes  Gewicht,  weil 
der  Beichte  und  in  kurzen  Intervallen  unterbrochene  Schlaf 
das  erste  Symptom  einer  gestörten  Magendarmfunction  ist, 
zu  einer  Zeit,  wo  wir  noch  keine  weiteren  Stützpunkte  für 
eine  solche  Diagnose  besitzen.  Ein  physiologisches  Erbrechen 
im  Säuglingsalter  anzunehmen,  halten  wir  nicht  für  gerecht- 
fertigt, weil  ein  normaler  Mageninhalt  kein  Erbrechen  aus- 
lost und  eine  Unterscheidung  eines  physiologischen  und  patho- 
logischen Erbrechens  undurchführbar  ist. 

Wir  sprechen  von  normaler  Beschaffenheit  der  Stühle, 
wenn  dieselben  von  gleichmässig  breiiger  Consistenz  und  gelber 
Farbe  sind  und  ausserdem  auch  keinen  Fäulnissgeruch  auf- 
weisen. Letzterer  Umstand  ist  besonders  bei  der  Ernährung 
mit  Kuhmilch  zu  berücksichtigen.  Denn  ein  Kind,  bei  dem 
die  Zahl,  Consistenz  und  Farbe  der  Stühle  entsprechend  sind, 
die  Stühle  jedoch  stinken,  können  wir  keinesfalls  als  gesund 
betrachten,  weil  das  Vorhandensein  einer  Darmfaulniss  beim 
Säugling  nicht  als  physiologisch  aufgefasst  werden  darf.  Eine 
Grün-  oder  Braunfärbung  des  Stuhles  lässt  ceteris  paribus 
nicht  auf  eine  Magendarmerkrankung  des  Kindes  schliessen. 
Ernährt  man  z.  B.  einen  Säugling  mit  Colostrum,  so  zeigt 
der  Stuhl  immer  eine  derartige  Farbe,  welche  sofort  der  nor- 
malen gelben  weicht,  sobald  das  Kind  Muttermilch  von  ge- 
wöhnlicher Beschaffenheit  erhält.  Diese  Erscheinung  findet 
ihre  Erklärung  nur  in  der  Weise,  dass  die  Ursache  der  Stuhl- 
verfarbung  nicht  durch  eine  Erkrankung  des  Kindes,  sondern 
durch  die  Art  des  Nahrungsmittels  bedingt  war.  In  ähn- 
licher Weise  sehen  wir  den  Stuhl  des  Kindes  in  seinem  Aus- 
sehen sich  immer  mehr  dem  des  Meconiums  nähern,  wenn 
dem  Kinde  zu  wenig  Nahrung  zugeführt  wird;  gleichzeitig 
tritt  eine  Verminderung  der  Zahl  der  Entleerungen  ein,  welche 
manchmal  soweit  geht,  dass  eine  Obstipation  vorgetäuscht 
werden  kann.  Also  eine  zweite  Möglichkeit  eines  abnormen 
Aussehens  des  Stuhles,  ohne  dass  eine  Magendarmerkrankung 
des  Kindes  vorliegt  Vor  einer  Verwechselung  des  Hunger- 
zustandes mit  einer  Obstipation  schützt  uns  bei  der  Inspection 
die  Einziehung  der  Bauchdecken,  bei  der  Palpation  des  Ab- 
domens der  Befund  des  leeren  Darmes  und  endlich  die  Körper- 
gewichtsabnahme   oder   die   fehlende  Körpergewichtszunahme. 

Bei  der  Besprechung  der  Erkrankungen  von  Seite  des 
Magendarmtractus  wollen  wir  zunächst  hervorheben,  dass  uns 
die  klinischen  Beobachtungen  dazu  drängen  Magen  und  Darm 
immer   als    gleichzeitig   erkrankt   anzusehen.     Denn  auch   in 


432  A.  Cierny  und  P.  Moser:     • 

jenen  Fällen,  wo  sich  bei  bestehenden  Darmsymptomen  keine 
sichtbaren  Zeichen  einer  Magenerkrankung  zeigen,  können 
wir  durch  Untersuchung  des  Mageninhaltes  eine  Functions- 
Störung  des  Magens  nachweisen.  Andererseits  ist  es  bei 
Symptomen  einer  Magenerkrankung  immer  möglich,  wenn 
auch  mitunter  geringe,  so  doch  deutliche  Darmsymptome  zu 
beobachten.  Es  ist  leicht  vorstellbar,  dass  ein  pathologischer 
Factor,  z.  B.  eine  zersetzte  Nahrung,  durch  welchen  der  Magen 
geschädigt  wurde,  auch  im  Darm  eine  Wirkung  äussert^  um- 
gekehrt müssen  wir  wieder  annehmen,  dass  belebte  oder  un- 
belebte Schädlichkeiten^  welche  den  Darm  irritiren,  zuvor  den 
Magen  bei  ihrem  Durchgange  beeinfiiusst  haben. 

Zu  der  ersten  Hauptgruppe  rechneu  wir  also  diejenigen 
Kinder,  bei  welchen  wir  pathologische  Erscheinungen  der 
Magendarmfunction,  mit  Ausschluss  jeder  anderweitigen,  da- 
durch bedingten  Organerkrankung,  constatiren  können.  Wir 
fassen  der  Kürze  halber  diese  Gruppe  von  Erkrankungen  unter 
dem  Namen  Dyspepsie  zusammen.  Die  Erscheinungen  der 
Dyspepsie  differiren  klinisch  insofern,  als  bald  die  Magen, 
bald  die  Darmsymptome  vorwiegen,  oder  auch  beide  gleich- 
zeitig intensiv  auftreten.  Eine  weitere  Eintheilung  der  Dys- 
pepsie in  besondere  Formen,  wie  es  Lesage  versuchte,  hal- 
ten wir  weder  für  nöthig  noch  für  praktisch  bedeutend.  Als 
Begründung  dafür  mag  der  Umstand  dienen,  dass  die  Sym- 
ptome, deren  Aetiologie  stets  dieselbe  ist,  in  jedem  einzelnen 
Falle  mannigfache  Abwechselung  zeigen,  welche  jedoch  die 
Prognose  und  Therapie  nicht  weiter  beeeinflusst. 

Von  den  Symptomen  der  Dyspepsie  wollen  wir  zunächst 
auf  die  Anorexie  hinweisen.  Das  an  Dyspepsie  erkrankte 
Kind  nimmt  spontan  bei  jeder  einzelnen  Mahlzeit  weniger 
Nahrung  auf  als  früher  im  gesunden  Zustande.  Aufmerksame 
Mütter,  Ammen  oder  Pflegerinnen  berichten  dem  Arzte  oft 
diese  Beobachtung,  deren  Richtigkeit  sich  durch  Feststellung 
der  aufgenommenen  Nahrungsmenge  mittelst  der  Wa^e  leicht 
erproben  lässt.  Die  genannte  Beobachtung  erleidet  jedoch 
vielfach  eine  Missdeutung  in  der  Weise,  dass  die  verminderte 
oder  in  schweren  Fällen  fast  gänzlich  verweigerte  Nahrungs- 
aufnahme seitens  des  Kindes  als  Abneigung  desselben  für 
das  bisher  dargereichte  Nahrungsmittel  gedeutet  wird.  Wir 
konnten  beispielsweise  wiederholt  von  Müttern  berichten  hören, 
ihr  Kind  hätte  sich  selbst  abgestillt,  d.  h.  die  Brust  ver- 
weigert, so  dass  die  Mütter  sich  genothigt  glaubten  das  Kind 
gewaltsam  füttern  zu  müssen.  Immer  handelte  es  sich  in 
solchen  Fällen  um  chronische  Dyspepsie.  In  gleicher  Weise 
muss  auch  die  Anschauung  als  irrig  bezeichnet  werden,  dass 
das  Verweigern    der  Nahrung   durch    ein    zu    kurzes   Zungen- 


Klin.  Beobftcht.  an  magendarmkranken  Kindern  i.  S&aglingsaltcr.    433 

bändchen  bedingt  sein  könne.  Es  wäre  an  der  Zeit,  dass 
endlich  die  überflüssige  und  auf  fehlerhafter  Beobachtung  ba- 
sirende  Operation  des  Durchschneidens  des  Zungenbändcheus 
aufgegeben  würde. 

Ein  zweites  Symptom  bildet  das  Erbrechen.  Dieses  er- 
folgt entweder  unmitt.elbar  nach  beendeter  Nahrungsaufnahme 
oder  einige  Zeit  nach  derselben.  Die  erstere  Eventualität  ist 
der  Ausdruck  einer  schwereren  Erkrankung  des  Magens,  da 
sie  eine  raschere  und  intensivere  Zersetzung  der  Nahrung 
voraussetzen  lässt.  Das  Aussehen  der  erbrochenen  Massen 
hängt  vor  Allem  von  der  Art  der  aufgenommenen  Nahrung 
ab.  Handelt  es  sich  um  Brustkinder,  so  kann  die  Milch, 
wenn  sie  sehr  bald  nach  der  Nahrungsaufnahme  erbrochen 
wird,  nur  morphologisch  unverändert  regargitirt  werden,  da 
zur  Bildung  von  Labgerinnseln  in  der  Frauenmilch  saure 
Reaction  und  eine  längere  Zeit  der  Einwirkung  des  Lab- 
enzyms nothwendig  ist«  Eine  Ausnahme  kann  nur  eintreten, 
wenn  die  Nahrungsaufnahme  zu  einer  Zeit  stattfand,  wo 
noch  Reste  der  vorhergegangenen  Milchmahlzeit  im  Magen 
vorhanden  waren.  Wird  jedoch  der  Mageninhalt  längere  Zeit 
nach  der  Nahrungsaufnahme  erbrochen,  so  zeigt  auch  die 
Frauenmilch  regelmässig  ziemlich  grobe  Gerinnsel.  Bei  der 
Ernährung  der  Kinder  mit  Kuhmilch  zeigt  der  erbrochene 
Mageninhalt  stets  mehr  oder  weniger  zahlreiche  Flocken, 
weil  die  Labwirkung  an  der  Kuhmilch  rasch  und  bei  jeder 
Reaction  eintritt.  Die  Grösse  der  Flocken  nimmt  zu  mit  der 
Zeit,  die  yerstrichen  ist  seit  der  Nahrungsaufnahme,  und  mit 
der  Schwere  der  Erkrankung.  Denn  die  Labgerinnsel  in  der 
Kuhmilch  werden  grösser  mit  der  Herabsetzung  der  Motilität 
des  Magens.  Letztere  sinkt  umsomehr,  je  schwerer  die  Er* 
krankung  des  Magens  einsetzt.  —  Bei  acuten  Fällen  konnten 
wir  wiederholt  beobachten,  dass  das  Erbrochene  gelb  gefärbt 
war.  Dies  ist  bedingt  durch  Gallenfarbstoff,  welcher  durch 
den  Brechact  aus  dem  Duodenum  mit  in  den  Magen  hinein- 
gepresst  wird.  In  chronischen  Fällen  sind  die  erbrochenen 
Massen  reich  mit  Schleim  vermischt.  In  dem  Secrete  des 
kindlichen  Magens  nicht  lösliche  Nahrungsmittel,  z.  B.  Fleisch, 
werden  lange  im  Magen  zurückgehalten,  während  stundenlang 
später  zugeführte  flüssige  Nahrung  bereits  in  den  Darm  über- 
getreten ist.  Erstere  können  deshalb  sehr  spät,  bei  einem 
eventuell  eintretenden  Erbrechen,  zu  Tage  gefördert  werden. 
Zweimal  erbrachen  Säuglinge  der  ersten  Lebenswoche  platt 
cylindrische  Gebilde,  welche  Ausgüssen  von  röhrenförmigen 
Hohlräumen  glichen,  von  blassgelblicher  Farbe,  weicher, 
elastischer  Consistenz  waren  und  die  Grösse  von  ausgewach- 
senen Tänienproglottiden  besassen.    Die  mikroskopische  Unter- 


434  A.  Czerny  und  P.  Moser: 

Buchung  lehrte,  dass  diese  Gebilde  aus  wenig  yeränderten 
Darmepithelien  bestanden ,  welche  durch  ein  fibrinartiges, 
Mikrokokken  und  Schollen  von  GallenfarbstofiP  einschliessen- 
des  Netzwerk  zu  soliden  Körpern  vereinigt  waren.  Eine  Er- 
klärung des  Zustandekommens  dieser  Gebilde  können  wir 
nicht  geben  und  begnügen  uns  deshalb  mit  der  Erwähnung 
derselben,  mit  Rücksicht  auf  die  naheliegende  Verwechslung 
mit  Darmparasiten.  In  einem  Falle  von  Dyspepsie  eines 
künstlich  ernährten  Kindes,  welches  in  ambulatorischer  Be- 
handlung stand,  konnten  wir  in  dem  erbrochenen  Magen- 
inhalte einmal  Fliegenlarven  nachweisen.  Bei  einer  sichtbaren 
Beimengung  von  Blut  zum  erbrochenen  oder  ausgeheberten 
Mageninhalte  ist  es  nöthig,  auf  etwa  vorhandene  Rhagaden 
an  der  Brustwarze  der  Stillenden  zu  achten,  um  sich  vor  einer 
Verwechslung  mit  einer  Magenblutung  zu  sichern.  Das  Er- 
brechen kann  im  Verlaufe  einer  Dyspepsie  einmal  oder 
wiederholt  vorkommen,  in  chronischen  Fällen  auch  wochen- 
lang andauern.  Das  Erbrechen  geringer  Mengen  ist  häufig 
durch  Gasentwickelung  verursacht,  indem  bei  dem  Entweichen 
von  Gasen  aus  dem  Magen  durch  den  Oesophagus  (Ructus) 
Mageninhalt  mit  herausgeschleudert  werden  kann.  Es  wird 
jedoch  auch  sehr  oft  Aufstossen  ohne  Erbrechen  beobachtet 
und  dann  kann  Ersteres  in  manchen  Fällen  neben  der  Un- 
ruhe des  Kindes  das  einzige  dem  Laien  auffällige  Symptom 
der  Dyspepsie  bilden.  —  Gleichwie  die  Gesichtsfarbe  eines 
Erwachsenen  oft  einen  chronischen  Magenkatarrh  verräth, 
so  lässt  häufig  das  blasse,  gelbliche  Colorit  der  Haut  bei 
manchen  Säuglingen  die  chronische  Dyspepsie  auf  den  ersten 
Anblick  vermuthen.  —  Die  belegte  Zunge,  einen  werthvollen 
Behelf  der  Diagnostik  der  Magenerkrankungen  beim  Erwach* 
senen,  vermissen  wir  bei  der  Dyspepsie  des  Säuglings.  Die 
sehr  häufige  Entwicklung  von  Soor  im  Verlaufe  einer  Dyspepsie 
setzt  jedoch  eine  Veränderung  der  Mundhohlenschleimhaut 
voraus,  welche  während  des  Bestandes  der  Krankheit  sein 
Wachsthum  möglich  macht,  andererseits  aber  mit  dem  Er- 
löschen der  Dyspepsie  wieder  verschwindet,  so  die  Weiter- 
entwickelung des  Soorpilzes  verhindert  und  dessen  spontane 
Abheilung  bedingt.  Auf  die  Art  der  Veränderung  der  Mund- 
höhlenschleimhaut wollen  wir  hier  nicht  des  Näheren  ein- 
gehen. Die  Erscheinungen  von  Seite  des  Abdomens  äussern 
sich  bei  der  Dyspepsie  des  Säuglings  zumeist  als  leichter 
Meteorismus,  in  chronischen  Fällen  durch  eine  deutliche  Er- 
schlaffung der  Bauchdecken,  treten  jedoch  am  prägnantesten 
bei  mit  Kuhmilch  oder  anderen  Surrogaten  genährten  dyspep- 
tischen  Kindern  hervor.  Bei  diesen  kann  ein  andauernder 
Meteorismus  zu  den  constantesten  Erscheinungen  der  Dyspepsie 


Elin.  ßeobachi.  an  magendarmkrankeu  Kindern  i.  Säoglingsalter.    435 

« 

gezahlt  werden«  Das  Anziehen  der  Beine  beim  Schreien  der 
Kinder  als  Ausdruck  Ton  kolikartigen  Schmerzen  aufzufassen, 
scheint  uns  eine  willkürliche  Annahme,  welche  sich  weder 
beweisen  noch  widerlegen  lässt.  Gesunde  Kinder  im  Säuglings- 
alter zeigen  dieses  Phänomen  beim  Schreien,  aus  welcher  Ur- 
sache immer,  in  gleicher  Weise. 

Die  Veränderungen  des  Stuhles  bei  der  Dyspepsie  sind 
mannigfaltige.  Bei  den  Brustkindern  beobachtet  man  vor 
Allem  eine  Zunahme  der  Zahl  der  Stühle  in  24  Stunden. 
Hierdurch  nimmt  die  Gonsistenz  der  Stühle  ab,  sie  werden 
dünnflüssiger  und  enthalten  makroskopisch  verschieden  grosse 
Caseinklümpchen,  welche  sich  durch  ihre  hellere  Farbe  von 
der  übrigen  Masse  deutlich  abheben.  Die  Farbe  des  Stuhles 
bei  der  Dyspepsie  kann  gelb  bis  dunkelgrün  sein.  Es  er- 
scheint nicht  nöthig,  auf  Grund  der  verschiedenen  Stuhlfarben 
mehrere  Spielarten  der  Dyspepsie  zu  unterscheiden,  weil  man 
häufig  genug  raschen  Wechsel  der  Stuhlfarbe  bei  ein  und 
demselben  dyspeptischen  Kinde  beobachten  kann.  Ausserdem 
ist  der  Verlauf  der  Dyspepsie  nicht  abhängig  von  der  Farbe 
des  Stuhles.  Der  dyspeptische  Stuhl  ist  in  intensiveren  Fällen 
im  geringen  Grade  übelriechend.  Relativ  selten  sind  in  Stühlen 
von  dyspeptischen  Brustkindern  kleine  Blutspuren  sichtbar,  in 
welchen  sich  wohlerhaltene  rothe  Blutkörperchen  nachweisen 
lassen.  Diese  müssen  daher  dem  untersten  Darmabschnitte 
entstammen. 

Bei  an  Dyspepsie  erkrankten  Kindern,  welche  mit  Kuh- 
milch oder  deren  Ersatzmittel  ernährt  werden,  kann  die  Zahl 
der  Stühle  gegen  die  Norm  erhöht  oder  vermindert  sein.  Die 
beiden  Zustände,  die  Diarrhöe  und  die  Obstipation, 
sind  zwar  Symptome  ein  und  derselben  Erkrankung 
des  künstlich  ernährten  Kindes,  jedoch  nicht  gleich- 
werthig.  Hierbei  ist  die  Obstipation,  wie  wir  später  er- 
örtern wollen,  gegenüber  der  Diarrhöe  der  schwerere  Zustand. 
Bei  der  Verminderung  der  Zahl  der  Stühle,  welche  so  be- 
deutend sein  kann,  dass  nur  jeden  zweiten  oder  dritten  Tag, 
und  da  erst  nach  Clysmen,  Stuhlentleerung  erfolgt,  ist  der 
Stuhl  so  fest  und  wasserarm,  dass  er  die  Bettwäsche  kaum 
beschmutzt  und  bei  Druck  in  grobbröckelige  Massen  zerfallt. 
Diese  Stühle  verbreiten  immer  einen  mehr  oder  weniger  inten> 
siven  Fäulnissgeruch.  Die  grossen  Mengen  von  unverdauten 
Gaseinmassen  aus  der  Kuhmilch  bedingen  eine  grauweisse 
Farbe  der  Stüble.  Wenn  jedoch  solche  Kinder  gemischte 
Nahrung  zugeführt  bekommen,  so  tritt  an  Stelle  der  grauen 
eine  braune  bis  schwarze  Farbe  des  Stuhles.  Die  Grösse  und 
Härte  der  Scybala  ermöglicht  es,  dieselben  manchmal  durch 
die  Bauchdecken  zu  tasten,  und  hat  zuweilen  die  Entstehung 


436  A.  Czerny  und  P.  Moser: 

von  hartnäckigen  Analfissuren  zur  Folge.  Verläuft  die  Dyspepsie 
bei  künstlich  ernährten  Kindern  unter  dem  Bilde  der  Di- 
arrhoe, so  zeigt  der  Stuhl,  wie  bei  dyspeptischen  Brustkindern, 
dieselbe  Mannigfaltigkeit  und  Consistenz,  nur  der  intensive 
Fäulnissgestank  ist  prägnant  für  diese  Ernährungsweise.  Bei 
acuten  Formen  kann  man  beim  Stuhlabsetren  mitunter  den 
Prolaps  einer  kleinen  Partie  der  Rectalschleimhaut  beobachten, 
welcher  sich  jedoch  stets  spontan  reponirt.  Ein  weiteres  be- 
merkenswerthes  Symptom  bei  dyspeptischen  Kindern  bildet 
die  Flatulenz,  welche  bei  den  Fällen  mit  Obstipation  am 
intensivsten  in  Erscheinung  tritt  Die  Entwickelung  abnormer 
Zersetzungsvorgänge  der  unverdauten  Nahrungsreste,  welche 
beim  gesunden  Brustkinde  vollständig  fehlt,  lässt  sich  durch 
die  Untersuchung  des  Harns  feststellen,  nachdem  eines  der 
Endproducte  der  DarmHlulniss,  welches  als  Indican^)  im  Harn 
leicht  nachweisbar  ist,  bei  normalen  Brustkindern  nicht  vor- 
kommt, dagegen  bei  dyspeptischen  Kindern.  Der  grösste  In- 
dicangehalt  findet  sich  bei  jenen  Formen  der  Dyspepsie,  welche 
mit  Obstipation  einhergehen, 'weil  in  diesen  Fällen  die  Zer- 
setzungsproducte  in  grossen  Mengen  zur  Resorption  gelangen. 
Letztere  wird  bei  den  diarrhöischen  Formen  in  Folge  der 
schnellen  Entleerung  des  Darmiuhaltes  wesentlich  herabgesetzt 
Die  Obstipation  ist  somit  als  eine  schwerere  Begleiterscheinung 
des  Dyspepsie  anzusehen. 

Der  Harn  ist  bei  der  letzteren  Erkrankung  noch  nach 
einer  zweiten  Richtung  hin  von  Interesse.  Bei  Brustkindern, 
nach  unseren  Erfahrungen  jedoch  nicht  bei  künstlich  ernähr- 
ten Kindern,  tritt  in  manchen  Fällen  von  Dyspepsie  Zucker 
im  Harn  auf.  Dies  ist  nach  den  Untersuchungen  von  Grosz^) 
bedingt  durch  Milchzucker,  dessen  Escheinen  im  Harn  auf  ein 
Sinken  der  Assimilationsschwelle  für  Milchzucker  bei  dyspep- 
tischen Kindern  zurückzuführen  ist.  Die  Lactosurie  verschwindet 
daher  mit  dem  Aussetzen  der  Brustnahrung  und  fehlt  bei  der 
Ernährung  mit  Kuhmilch  wegen  des  geringen  Milchzucker- 
gehaltes derselben.  Albumen  oder  sonstige  pathologische  Be- 
standtheile  finden  sich  bei  der  Dyspepsie  nicht  im  Harn«    . 

Die  hierher  gehörenden  Krankbeitsformen,  deren  Erschei- 
nungen sich  vorwiegend  am  Darme  äussern,  können  zu  der 
Frage  Veranlassung  geben,  ob  es  sich  in  solchen  Fällen  nicht 
um  eine  Erkrankung  des  Darmes  allein  handle.  Wenn  also 
die  oben  angeführten,  äusserlichen ,  selbst  dem  Laien  wahr- 


1)  Dr.  St.  Moxnidlowaki,  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  B.  XXXVI. 
1893.    S.  192. 

2)  Dr.  Jal.  GrÖBz,  Jahrbuch  f.  Einderheilkande  Bd.  XXXIV.    8.83. 
1892. 


Elin.  Beobdiplit.  an  magendannkranken  Kindern  i.  Säaglingsalter.    437 

nehmbaren  Symptome  von  Seiten  des  Magens  bei  einer  Dyspep- 
sie fehlen,  so  kann  man  durch  üntersachong  des  Magen- 
inhaltes dennoch  stets  den  Beweis  erbringen  ^  dass  bei  sol- 
chen Kindern  nicht  nur  die  Motilität  des  Magens  je  nach 
dem  Grade  der  Erkrankung  herabgesetzt  ist,  sondern  dass 
auch  ebenso  die  Salzsäuresecretion  in  der  Zeiteinheit  ver- 
mindert ist^  der  Magen  somit  in  gleicher  Weise  erkrankt  ist 
wie  in  jenen  Fällen,  wo  Erbrechen,  Aufstossen  u.  s.  w.  vor- 
handen ist.  Wir  müssen  daher  in  allen  Fällen  die 
Dyspepsie  als  eine  Erkrankung  des  Magens  und  Dar- 
mes auffassen. 

Es  erübrigt  noch,  das  Korpergewicht  der  Kinder  im  Ver- 
laufe der  Dyspepsie  einer  Erörterung  zu  unterziehen.  Der 
Umstand,  dass  trotz  des  Bestandes  dieser  Erkrankung  das 
Körpergewicht  mitunter  eine  stetige  Zunahme  aufweisen  kann, 
bringt  es  mit  sich,  dass  bei  dem  Vorhandensein  nur  einzelner 
Symptome  solche  Kinder  nicht  als  krank  betrachtet  werden. 
Es  genügt  als  Beispiel  hierfür,  auf  das  ,,habituelle  Erbrechen^' 
der  Kinder  im  Säuglingsalter  hinzuweisen,  welches  an  sich 
ebenfalls  noch  nicht  als  Krankheitssymptom  aufgefasst  wird. 
Die  Korpergewichtszunahme  beobachtet  man  bei  den  Formen 
von  Dyspepsie  mit  Obstipation  oder  mit  nur  unbedeutender 
Veränderung  der  Zahl,  der  Consistenz  und  des  Aussehens  der 
Stühle.  In  den  Fällen,  welche  mit  stärkerer  Diarrhöe  einher- 
gehen, finden  wir  bei  täglicher  Wäguncr  Körpergewichtsstill- 
stand o^er  Körpergewichtsabnahme.  Letztere  ist  am  Auf- 
fallendsten in  acuten  Fällen.  Körpergewichtsabnahme  jedoch 
ohne  täglich  erfolgende  Stuhlentleerung  und  ohne  Erbrechen, 
lediglich  bedingt  durch  ungenügende  Zufuhr  von  Nahrung 
überhaupt,  darf  niemals  mit  Dyspepsie  in  Zusammenhang  ge- 
bracht werden. 

Wie  wir  anfangs  behufs  Präcisirung  der  Dyspepsie  die 
Bedingungen  anführten,  unter  welchen  wir  ein  Kind  im 
Säuglingsalter  als  gesund  betrachten,  so  müssen  wir  anderer- 
seits auch  fordern,  dass  ein  Kind,  welches  an  Dyspepsie  er- 
krankt war,  nicht  früher  als  gesund  zu  betrachten  sei,  bevor 
nicht  alle  angeführten  Magendarmsymptome  geschwunden  sind, 
die  Körpergewichtszunahme  stetig  vorwärts  schreitet  und  das 
Kind  mehrstündigen,  tiefen,  ruhigen  Schlaf  wiedererlangt  hat. 
Die  Dyspepsie  kann  unter  den  mannigfaltigsten  Symptomen 
verlaufen,  sie  kann  durch  das  Auftreten  eines  oder  anderer- 
seits vieler  Symptome  gleichzeitig  charakterisirt  sein,  sie  kann 
acut  einsetzen  oder  sich  durch  allmählige  Entwicklung  der 
Symptome  kennzeichnen.  In  allen  Fällen  bleiben  aber 
die  Erscheinungen  der  Dyspepsie  immer  auf  den 
Magendarmtractus  beschränkt. 


440  A.  Czerny  nnd  P.  Moser: 

iri88t  zu  einer  Zeit,  wo  dieselben  den  Wasserverlust  des  Blutes 
nicht  mehr  ausgleichen  können. 

Die  Erscheinungen  seitens  des  Magendarmtractus  bei  der 
Gastroenteritis  sind  zunächst  denen  der  Dyspepsie  gleich,  er- 
reichen jedoch  besonders  in  den  acuten  Fällen  viel  höhere 
Grade:  das  Erbrechen  kann  jeder  Nahrungsaufnahme  folgen, 
die  Zahl  der  Stühle  kann  eine  so  grosse  sein,  dass  die  Inter- 
valle zwischen  den  einzelnen  Stuhlentleerungen  sehr  klein 
werden  und  die  Consistenz  der  Stühle  geradezu  der  des  Was- 
sers gleich  wird.  Die  Kinder  sind  dabei  ausserordentlich  un- 
ruhig, schreien  stundenlang  fast  ununterbrochen  und  verwei- 
gern die  Nahrungsaufnahme.  Abgesehen  von  diesen  Erschei- 
nungen, welche  sich  nur  in  der  Intensität  von  denen  der 
Dyspepsie  unterscheiden,  finden  sich  bei  der  Gastroenteritis 
auch  Symptome  eigener  Art  von  Seite  des  Magendarmtractus. 
Die  Mundhöhlenschleimhaut  ist  in  den  acuten  Fällen  auf- 
fallend stark  geröthet  und  zwar  fällt  die  Röthung  umsomehr 
auf,  je  jünger  das  Kind  ist.  In  Folge  des  hohen  Wasserverlustes 
orHcheint  die  Zunge  sehr  trocken,  in  den  chronischen  Fällen 
jedoch,  wo  der  Organismus  Zeit  hat  seinen  Wassergehalt  aus- 
zugleichen, tritt  die  Trockenheit  an  der  Mundhöhlenschleim- 
liaut  nicht  so  hervor. 

Der  Soor,  der  auch  bei  längerem  Bestände  der  Dyspepsie 
immer  nur  die  oberflächlichen  Schichten  des  Epithels  durch- 
setzt, wächst  bei  der  Gastroenteritis  bis  in  die  Mucosa  der 
Zunge  hinein.  Hierbei  geben  Erosionen  der  kleinen  Gefässe 
/u  geringen  Blutungen  in  das  Soorgewebe  und  in  die  Epithel- 
scbicht  Veranlassung,  in  Folge  dessen  ein  dicker,  rothbrauner 
Helag  auf  der  Zunge  entsteht.  In  anderen  Fällen  können 
«liose  Erosionen  zu  einer  diffusen  Blutung  in  die  Muudhöhle 
führen.  Während  wir  bei  der  Dyspepsie  den  Soor  stets  nur 
auf  die  Rachen-  und  Zungenschleimhaut  beschränkt  finden, 
seilen  wir  ihn  in  schweren,  leta.1  verlaufenden  Fällen  von 
<Tastroenteritis  iu  der  Epitheldecke  des  Oesophagus  bis  zum 
Magen  weiterwuchern.  Dieser  Pilz,  der  sich  fast  regelmässig 
i)ei  der  Gastroenteritis  von  Kindern  der  ersten  Lebenswochen 
iindet,  tritt  nur  selten  bei  älteren  Säuglingen  auf.  Diese  Er- 
scheinung ist  jedoch  nicht  bedingt  durch  eine  Verschiedenheit 
der  Erkrankung,  sondern  wahrscheinlich  durch  die  üngleich- 
artigkeit  des  Epithels  bei  älteren  und  jüngeren  Kindern.  Das 
seltenere  Vorkommen  des  Soors  im  späteren  Alter  lässt  sich 
in  gleicher  Weise  erklären  wie  die  Abnahme  der  Disposition 
/ii  Magendarmerkrankuugen  mit  zunehmenden  Jahren,  näm- 
lich durch  die  steigende  Alcalescenz  des  Blutes  und  der  Ge- 
webe mit  dem  Wachsthum  des  Kindes.  Auf  diese  Erschei- 
nung wollen  wir  jedoch  hier  nicht  näher  eingehen.     In  chro- 


Eliii.  Beobacht.  an  magendarmkranken  Kindern  i.  Säaglingsalter.    441 

nischen  Fällen  von  Gastroejiteritis  findet  der  Soor  auch  im 
Magen -Darminhalte  einen  günstigen  Nährboden  zur  Weiter- 
entwickelung. Bei  solchen  Kindern  kann  man  den  Stuhl  von 
Soorpilzhaufen  durchsetzt  beobachten.  Als  A£fection  im  Be- 
reiche der  Mundhöhle  bei  schweren  Fällen  möchten  wir  noch 
das  Auftreten  von  Petechien  in  der  Gaumenschleimhaut  er- 
wähnen. Von  den  klinisch  wahrnehmbaren  Symptomen,  die 
uns  der  Magen  bei  der  Gastroenteritis  bietet,  sei  zunächst  die 
starke  Schleimsecretion  hervorgehoben.  Diese  verräth  sich 
beim  Erbrechen,  besonders  deutlich  in  chronischen  Fällen,  und 
lässt  sich,  falls  das  Erbrechen  fehlt  oder  nicht  beobachtet 
wurde,  bei  der  Vornahme  einer  Magenausspülung,  wie  schon 
Epstein^)  angiebt,  beobachten.  Das  Erbrochene  weist  einen 
mehr  oder  weniger  intensiven  Geruch  von  -Fettsäuren  auf, 
deren  Auftreten  und  Zunahme  in  solchen  Fällen  Heubner^) 
durch  qualitative  und  quantitative  Untersuchungen  festgestellt 
hat.  Auch  in  schweren  Fällen  von  Gastroenteritis  kann  das 
Erbrechen  fehlen  oder  nur  vereinzelt  vorkommen.  Durch 
Untersuchung  des  ausgeheberten  Mageninhaltes  lässt  «ich 
jedoch  stets  zeigen,  dass  auch  bei  solchen  Patienten  der 
Magen  gleich  schwer  erkrankt  isi  Im  Verlaufe  einer  Gastro- 
enteritis sind  im  Mageninhalte  zuweilen  kleine  Blutspuren 
nachzuweisen,  unter  Umständen  kann  die  Blutmenge  eine 
dunkelbraungraue  Verfärbung  des  Mageninhaltes  bewirken, 
noch  seltener  ist  die  Blutung  aus  der  Magenschleimhaut  so 
intensiv,  dass  das  Blut  in  wenig  verändertem  Zustand  aus- 
gebrochen wird.  Nachdem  man  verschiedene  quantitative  Ab- 
stufungen von  Magenblutungen  in  den  einzelnen  hierher  ge* 
hörigen  Fällen  beobachten  kann  und  eine  Hämatemesis  in 
jedem  Stadium  der  hier  beschriebenen  Magendarmerkrankung 
auftreten  kann,  so  erscheint  es  uns  nicht  berechtigt,  die  Fälle 
selbst  mit  intensiver  Magenblutuug  als  besondere  Erkrankung 
abzugrenzen,  sondern  vielmehr  auch  sie  als  in  das  Bereich 
der  Gastroenteritis  gehörig  zu  betrachten.  Von  dem  Erbrechen 
ist  wohl  zu  unterscheiden  das  Ausfliessen  des  Mageninhaltes 
aus  Mund  und  Nase  im  schweren  Collapsstadium  der  Gastro- 
enteritis. Diese  Erscheinung,  welche  durch  das  Erlöschen 
der  Cardiafunction  bedingt  ist,  kann,  durch  Tieflageruug  des 
Kopfes  hervorgerufen,  durch  Hochlagerung  desselben  besei- 
tigt werden. 

Oft   kann    man   bei   der   Inspection  des  Abdomens,  ent- 
sprechend  dem   Situs   des    Magens,   eine    mehr    oder   minder 


1)  Epstein,  Archiv  f.  Kinderheilk.  Bd.  IV  1888.    S.  382.  —  Jahr- 
buch f.  Kinderheilkunde  Bd.  XXVII.    1888.   S.  122. 

2)  Heubner,  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  Bd.  XXXII.    S.  27.   1891. 

Jahrbuch  f.  Einderheükiinde.  N.  F.   XXXVni.  29 


442  A.  Czerny  und  P.  Moser: 

scharf  begrenzte  Vorwolbung  wfthrnehmen,  welche  mittelst 
der  Percussion  als  durch  Gasansammlung  bewirkt  erscheint 
und  durch  versuchsweise  Füllung  des  Magens  mit  Wasser  als 
dem  Magen  angehörig  erwiesen  werden  kann.  Die  Erschlaf- 
fung der  Magenmuskulatur,  eine  Folge  der  langen  Retention 
der  Nahrung  im  Magen,  führt  bei  chronischem  Verlaufe  zu 
einer  Dilatation  dieses  Organes,  über  deren  Grosse  uns  die 
Untersuchungen  von  HenscheP)  Aufschluss  geben.  Wie  bei 
der  Dyspepsie,  so  finden  sich  auch  bei  der  Gastroenteritis 
bald  Meteorismus,  bald  hochgradig  erschlaffte  Bauchdecken 
vor.  Der  Meteorismus  erscheint  noch  dadurch  interessant, 
dass  er  auch  bei  sehr  zahlreichen  Stühlen  fortbestehen  kann, 
solche  Formen  von  Gastroenteritis  geben  nach  unserer  Er- 
fahrung auch  eine  besonders  ungünstige  Prognose.  Sehr  häufig 
findet  sich  bei  der  Gastroenteritis  eine  Erschlaffung  der  Bauch- 
decken, welche  mit  der  Intensität  und  der  Dauer  der  Erkran- 
kung zunimmt,  ja  solche  Grade  erreichen  kann,  dass  sich  die 
Darmcontouren  an  den  Bauchdecken  ausprägen  und  die  peri- 
staltischen  Bewegungen  des  Darmes  verfolgen  lassen.  Bei 
der  Palpation  ist  es  an  solchen  Kranken  leicht,  die  Wirbel- 
säule durch  die  Bauchdecken  zu  tasten,  häufig  ist  ein  lautes 
Gurren  hierbei  wahrnehmbar. 

Als  different  von  der  Dyspepsie  kommt  am  Stuhle  bei 
der  Gastroenteritis  ausser  der  quantitativen  Steigerung  der 
dyspeptischen  Symptome  desselben  nur  die  Darmblutung  in 
in  Betracht.  Bei  einer  dunklen  Verfärbung  des  Stuhles,  welche 
durch  Blutgehalt  desselben  bedingt  sein  kann,  ist  darauf  Rück- 
sicht zu  nehmen,  in  welcher  Form  der  Blutffarbstoff  in  den 
Stühlen  enthalten  ist.  Denn  nur  bei  Blutungen  aus  dem 
Rectum  oder  bei  sehr  acuten  aus  den  oberen  Darmabschnitten 
ist  es  möglich,  wohlerhaltene  rothe  Blutkörperchen  im  Stuhle 
nachzuweisen.  In  den  übrigen  Fällen  der  Magen-  und  Darm- 
blutungen kann  gleichwie  bei  allein  bestehender  Magenblutung 
der  Stuhl  wohl  in  der  Farbe  verändert  sein,  ohne  dass  es 
möglich  wäre  mit  Hilfe  des  Mikroskopes  die  Formbestand- 
theile  des  Blutes  zu  erkennen.  Manchmal  sind  solche  Stühle 
dicht  durchsetzt  von  Hämatoidinkrystallen.  Erwähnenswerth 
erscheint  es  uns,  dass  in  schweren  Fällen  von  Gustroente- 
ritis  die  Zahl  der  Stühle  eine  sehr  grosse  sein  kann,  auch 
wenn  die  Nahrung  vollständig  ausgesetzt  wird,  eine  Er- 
scheinung, die  auf  eine  starke  Secretion  der  Darmschleimhaut 
zurückzuführen  ist.  In  manchen  Fällen  sieht  man  die  Gon- 
sistenz  und   die   gelbe  Farbe   des  Stuhles   der  Norm   gleich- 


1)   H.  Henschel,   Archiv  far  Kinderheilkunde  Band  XUl,   S.  32. 
1891. 


KHd.  .  Beobacht.  an  magendarmkranken  Kindern  i.  Säuglingsalter.     443 

kommen^  während  die  Zahl  and  der  Geruch  der  Stühle  uns 
die  Erkrankung  verrathen.  Dies  möchten  wir  deshalb  er- 
wähnen, um  auf  die  geringe  klinische  Bedeutung  der  Farbe 
der  Stühle  allein  hinzuweisen.  Bei  chronischem  Verlauf  der 
Erkrankung,  besonders  häufig  bei  künstlich  ernährten  Kin- 
dern, kann  Vermehrung  der  Zahl  der  Stühle  mit  Obstipation 
alterniren,  wobei  der  feste  wie  auch  der  dünnflüssige  Stuhl 
sich  stets  durch  eine  gleiche  Erscheinung,  d.  i.  den  Gestank 
Yon  Fäulnissproducten,  charakterisiren.  Die  andauernden  ab- 
normen Zersetzungsvorgänge  des  Darminhaltes  bei  der  Gastro- 
enteritis fordern  besondere  Beachtung  mit  Rücksicht  auf  den 
daraus  resultirenden  Allgemeinzustand  der  Kranken,  welchen 
man  mit  dem  Namen  der  Atrophie  bezeichnet.  Ein  derart 
krankes  Kind  nimmt  bei  einer  Ernährung,  bei  welcher  ein 
gleichalteriges  oder,  besser  gesagt,  ein  gleichentwickeltes,  ge- 
sundes Kind  erfahrungsmässig  normal  gedeiht,  continuirlich 
an  Korpergewicht  ab,  bis  nach  Erreichung  der  höchsten  Grade 
von  Abmagerung  schliesslich  der  Tod  das  Krankheitsbild  be- 
endet. In  Folge  einer  beabsichtigt  oder  zufällig  richtigen 
Therapie  können  die  Erscheinungen  der  Krankheit  jedoch 
auch  allmählich,  langsam  verschwinden.  Um  zu  einem  rich- 
tigen Verständnisse  dieses  eben  beschriebenen  Krankheitsbildes 
zu  gelangen,  genügt  folgende  Beobachtung:  Ernährt  man  ein 
solches  Kind  mit  einer  so  kleinen  Menge  von  Kuhmilch,  wie 
sie  hinreicht  für  ein  Kind  in  den  ersten  Lebenstagen,  so 
beobachtet  man  Abnahme  des  Körpergewichtes,  ohne  dass 
das  Kind  erbrochen  hätte,  bei  nur  einem  Stuhl  in  24  oder 
gar  nur  48  Stunden,  also  ein  Zustand,  der  nur  durch  unge- 
nügende Nahrungszufuhr  erklärlich  erscheint.  Steigert  man 
bei  demselben  Kranken  die  Milchquantität  bis  zu  jener  Grösse, 
welche  dem  Anscheine  nach  für  die  Ernährung  eines  solchen 
Kindes  hinreichen  müsste,  so  nimmt  das  Kind  abermals  an 
Körpergewicht  ab,  ohne  dass  eine  andere  Erscheinung  am 
Kinde  auftritt,  ausgenommen  die,  dass  die  Stühle  nicht  an 
Zahl,  sondern  an  Menge  zunehmen.  Die  Untersuchung  eines 
solchen  Stuhles  lehrt^  dass  das  Milchfett  und  der  Milchzucker 
aufgebraucht  wurden,  während  das  Plus  von  Gasein,  welches 
dem  Kinde  jetzt  mehr  eingeführt  wurde,  die  Mengenzunahme 
des  Stuhles  bedingt  Daraus  geht  schon  hervor,  dass  es  sich 
bei  der  sogenannten  Atrophie  nicht  um  eine  gleichmässige 
Herabsetzung  aller  Resorptionsvorgänge  im  Darme  handelt, 
sondern  um  eine  Störung  der  Eiweissverdauung.  Die  Fäul- 
niss  der  solchermaassen  mangelhaft  ausgenützten  Eiweiss- 
körper  hat  zur  Folge  die  Entstehung  toxischer  Substanzen, 
deren  Resorption  wiederum  eine  Reihe  von  Krankheitssymp- 
tomen bedingt,  welche  wir  später  erörtern  wollen.     Die  Auf- 

29* 


452  A.  Czerpy  nnd  P.  Moser: 

ist  als  beim  Brustkinde.  Die  Yerringerang  der  Harnmenge 
und  die  daraus  resultirende  Goncentration  des  Harns  machen 
in  vielen  Fällen  das  Centrifugiren  resp.  Sedimentiren  über- 
flüssig.  Die  verschiedenen  Hambefunde  bedingen  jedoch  im 
Uebrigen  keine  anderweitigen  differenten  klinischen  Symptome. 
Die  Nierenaffection  beeinflusst  nach  unserer  Erfahrung  die 
Prognose  nicht  besonders  ungünstig,  wir  sahen  auch  die  lang- 
dauernden und  sehr  schweren  Formen  in  Heilung  ausgehen, 
und  nur  jene  Fälle  bildeten  eine  Ausnahme,  bei  welchen  die 
Obduction  eine  Thrombose  der  Nierenvenen  ergab.  Oedeme 
treten  bei  den  die  Gastroenteritis  begleitenden  Nierenaffeo^ 
tionen  nur  selten  auf,  wir  vermissten  sie  stets  bei  den  Gastro - 
enteritiskranken  der  ersten  Lebenswochen.  Die  Nephritis  als 
Theilerscheinung  der  Gastroenteritis  nimmt  mit  dem  Alter  der 
Kinder  an  Häufigkeit  ab. 

Zur  Erklärung  der  Genese  dieser  Nierenerkrankungen  lie- 
fert die  pathologisch -anatomische  Untersuchung  der  Nieren 
werth  volle  Anhaltspunkte.  Nach  unseren  eigenen  Untersuchungen 
ist  der  häufigste  Befund  an  den  mikroskopischen  Präparaten 
von  der  Niere  der,  dass  die  Epithelzellen  der  gewundenen 
Canälchen  stark  vergrossert  sind,  ihr  Protoplasma  granulirt 
erscheint  und  ihre  Kerne  gegenüber  den  übrigen  auffallend 
schwach  gefärbt  sind.  Die  Malpighi'schen  Korperchen  und 
die  geraden  Canälchen  heben  sich  durch  ihre  intensive  Fär- 
bung scharf  von  den  erkrankten,  gewundenen  ab.  In  dem 
Lumen  der  Canälchen,  sowohl  in  der  Rinde  als  in  der  Pa- 
pille, finden  sich  an  manchen  Stellen  Cjlinder  vor.  Das 
interstitielle  Gewebe  zeigt  nichts  Abnormes.  In  einer  Reihe 
von  Fällen  finden  wir  eine  herdweise  Infiltration  der  Nieren- 
rinde, entweder  nur  aus  Rundzellen  oder  aus  Rundzellen  und 
rothen  Blutkörperchen  bestehend.  Wir  möchten  besonders  be- 
tonen, dass  wir  niemals  eine  auf  die  ganze  Nierenrinde  sich 
erstreckende,  diffuse  Infiltration  beobachtet  haben.  Im  Be- 
reiche der  angeführten  herdförmigen  Infiltrate,  welche  manch- 
mal scharf  abgegrenzt  erscheinen,  sind  die  betroffenen  Canäl- 
chen und  Glomeruli  oft  soweit  destruirt,  dass  sich  dieselben 
mitunter  nur  noch  unbestimmt  erkennen  lassen.  Bei  ent- 
sprechender Färbung  kann  man  in  diesen  Infiltraten  stets 
grössere  oder  kleinere  Gruppen  von  Mikroorganismen  wahr- 
nehmen. Als  das  wichtigste  erscheint  uns  jedoch  der  Befund, 
dass  man  in  solchen  Herden  Blutgefässe,  streckenweit  voll- 
ständig ausgefüllt  von  Mikroorganismen,  nachweisen  kann. 
In  den  seltenen  Fällen  von  Thrombose  der  Nierengefasse 
kann  man  den  Thrombus  sich  direct  an  solche  Embolien  von 
Mikroorganismenhaufen  anschliessen  sehen.  Der  genannte  Be- 
fund von  Bacterien  in  der  Blutbahn  giebt  uns  einen  weiteren 


Klin.  Beobacht.  an  magendarmkranken  Kindern  1.  Sänglingsalter.     453 

Anhaltspunkt  für  die  Entstehung  der  Nierenerkrankungen  und 
muss  unsere  Aufmerksamkeit  überhaupt  auf  einen  zweiten 
Modus  der  Genese  von  complicirenden  Erkrankungen  bei  der 
Gastroenteritis  lenken.  Das  Vorkommen  von  Mikroorganis- 
men nur  an  den  erkranktefi  Partien  der  Niere,  noch  vielmehr 
in  solcher  Menge,  dass  sie  kleine  Gefassbezirke  vollständig 
ausfällen,  lässt  es  als  unzweifelhaft  erscheinen,  dass  es  sich 
hier  um  eine  Ansiedelung  von  Bacterien  intra  vitam  handle. 
Ist  dieser  Beweis  erbracht,  so  erscheint  die  Eintheilung  der 
Symptome  der  Gastroenteritis  in  dem  Sinue^  wie  wir  es  bis- 
her gethan  haben,  noth wendig.  Wir  unterscheiden  demnach 
eine  Reihe  solcher  Erscheinungen,  welche  sich  allein  durch 
die  Resorption  toxischer  Substanzen  aus  dem  Darme  erklären 
lassen,  und  solcher,  welche  durch  das  Eindringen  von  Bacterien 
in  den  Organismus  verursacht  sind. 

Ehe  wir  auf  die  Frage  eingehen,  woher  die  Bacterien 
in  den  Organismen  eindringen,  ehe  wir  die  Frage  erörtern, 
welche  Bacterien  an  diesem  Processe  betheiligt  sind,  wollen 
wir  zunächst  die  weiteren  diesbezüglichen  klinischen  Symp- 
tome erörtern.  Von  diesen  beanspruchen  die  Lungenerschei- 
nungen schon  darum  ein  besonderes  Interesse,  weil  sie  die 
Prognose  der  Krankheit  wesentlich  beeinflussen  und  von  den 
die  Gastroenteritis  complicirenden  Theilerscheinungen  die  häu- 
figsten sind. 

In  acuten  Fällen  von  Gastroenteritis,  in  denen  die  schein- 
bar geringen  Symptome  der  vorangegangenen  Dyspepsie  regel- 
mässig nicht  beachtet  werden,  gelangt  man  leicht  zu  der 
falschen  Annahme,  dass  die  Lungenerscheinungen  mit  den 
acuten  Magendarmsymptomen  gleichzeitig  einsetzen  können. 
Die  Beobachtungen  von  subacut  oder  chronisch  verlaufenden 
Formen  lassen  jedoch  mit  Sicherheit  die  Behauptung  auf- 
stellen, dass  die  Lungenerscheinungen  immer  die  secundären 
sind.  Wir  müssen  diese  Thatsache  besonders  hervorheben 
mit  Rücksicht;  auf  die  häufigen  lobulären  Pneumonien  im 
Säuglingsalter,  welche  sich  bei  eingehender  Aufnahme  der 
Anamnese  und  genauer  Untersuchung  regelmässig  als  mit 
Magendarmkrankheiten  vereint  erweisen  und  zu  der  Ansicht 
drängen,  dass  im  Säuglingsalter  eine  primäre,  lobuläre  Pneu- 
monie überhaupt  nicht  vorkommt  Wir  können  sonach  fest- 
stellen, dass  die  Magendarmsymptome  den  Lungenerscheinungen 
bei  der  Gastroenteritis  stets  vorangehen  und  dass  das  Auf' 
treten  von  lobulären  Pneumonien  verhindert  werden  kann, 
wenn  die  Magendarmaffectionen  möglichst  rasch  beseitigt 
werden.  Da  wir  ferner,  bei  bereits  bestehenden  secundären 
Lungenerkrankungen,  dieselben  rasch  heilen  sehen,  wenn  wir 
die   pathologischen  Vorgänge  im  Darmcanale  beseitigen,  und 


454  A.  Czerny  und  P.  Moser: 

andrerseits  selbst  Monate  lang  fortbestehen  können,  wenn  man 
die  letzteren  nicht  berQcksichtigt,  so  sind  dies  Gründe  genug, 
um  einen  Zusammenhang  der  Lungenerkrankungen  mit  den 
Darmerscheinungen  zu  erschliessen  und  nicht  in  der  Lunge, 
sondern  im  Darme  die  Entstehungsursache  beider  zu  suchen. 
Erwähnenswerth  erscheinen  uns  die  statistischen  Daten  von 
Miller^),  welche  sich  auf  15000  Fälle  von  Pneumonien  im 
Säuglingsalter  mit  1000  Obdnctionen  stützen,  und  aus  wel- 
chen hervorgeht,  dass  zwei  Drittel  aller  Fälle  als  secundäre 
Pneumonien  bei  Darmkrankheiten  aufgefasst  werden  müssen. 
Eine  consequent  durchgeführte  Untersuchung  der  Lungen  bei 
magendarm kranken  Säuglingen  ergiebt  wichtige  Anhaltspunkte 
für  die  Entstehung  dieser  Pneumonien.  Die  ersten  klinischen 
Symptome  sind  Beschleunigung  der  Respiration  und  thora- 
cale  Athmung.  In  den  Anfangsstadien  ergiebt  die  Percussion 
zumeist  einen  mehr  oder  weniger  deutlichen  tympanitischen 
Percussionsschall  und  nur  relativ  selten  eine  Verkürzung  des- 
selben über  dem  einen  oder  anderen  Lungenlappen.  Da  im 
Beginne  einer  derartigen  Pneumonie  niemals  bronchitische  Er- 
scheinungen wahrzunehmen  sind  und  ferner  geringe  Qrade 
von  bronchialem  Athmen  von  puerilem  Athmen  nicht  zu 
unterscheiden  sind,  so  kann  man  das  Resultat  der  Auscul- 
tation  in  diesem  Stadium  als  völlig  negativ  bezeichnen.  Ist 
die  Lungen affection  von  grosserer  Ausbreitung,  so  zeigt  sich 
sofort  inspiratorische  Einziehung  der  Rippenbogenfurche  und 
im  Bereiche  der  Intercostalräume.  Mit  dem  Einsetzen  der 
Lungenerkrankung  tritt  oft  eine  hohe,  aber  kurz  andauernde 
Temperatursteigerung  ein,  Husten  fehlt  zu  dieser  Zeit  voll- 
ständig. Hat  man  es  sich  zur  Gewohnheit  gemacht,  die  Lunge 
der  magendarmkranken  Säuglinge  stets  zu  untersuchen,  so 
kann  man  mit  Sicherheit  behaupten,  niemals  Symptome, 
welche  eine  Erkrankung  der  Bronchien  erschliessen  lassen, 
im  Anfangsstadium  der  Pneumonie  wahrzunehmen.  Die  an- 
geführten Lungensymptome  lassen  sich  nur  als  Ausdruck  cen- 
traler oder  peripherer,  lobulärer  Herde  deuten,  welche  plötz- 
lich auftreten,  durch  das  vicariirende  Emphysem  jedoch  bei 
der  Percussion  zumeist  verdeckt  werden.  Erst  später,  wenn 
die  einzelnen  Herde  an  Grosse  zugenommen  haben  oder  sie 
sehr  dicht  aneinander  lagern,  können  sie  eine  Verkürzung 
des  Percussionsschalles  bedingen.  Das  plötzliche  Auftreten 
der  pneumonischen  Herde,  ohne  vorangehende  Bronchialerachei- 
nungen,  die  häufigere  Erkrankung  der  rechten  Lunge  lassen 
schon  aus  der  klinischen  Beobachtung  allein  vermutben,  dass 
diese  Pneumonien  nicht  durch  Infection  von  den  Luftwegen  aus, 


1)  Miller,  Wratsch  1892.    Nr.  14.    S.  862. 


Klin.  Beobacht.  an  magendarmkranken  Kindern  i.  Sänglingsalter.     455 

sondern  auf  embolischem  Wege  durch  die  Blutbahn  zu  Stande 
kommen.  Diese  Annahme  findet  noch  eine  weitere  Stütze  in 
dem  tJmstande,  dass  die  bereits  besprochenen  Nierenerschei- 
nungen gleichzeitig  mit  den  Lungenerscheinnngen  einsetzen 
können. 

Sowie  der  Beginn  der  Lungenerkrankung*  in  klinischer 
Beziehung  wichtige  Anhaltspunkte  abgiebt  fiir  die  Erklärung 
des  Zustandekommens  dieser  Affection,  so  sind  andererseits 
die  klinischen  Beobachtungen  im  weiteren  Verlaufe  der 
Lungenerkrankungen  leicht  Ursache  für  eine  irrthümliche 
Auffassung  der  Processe.  Es  kann  z.  B.  die  Yercrrosserung 
der  kleinen  Herde  zu  einer  Verschmelzung  zahlreicher  solcher 
Herde  führen^  sodass  der  Percussions-  und  Auscultationsbefund 
nicht  mehr  eine  lobuläre,  sondern  lobäre  Pneumonie  erschliessen 
lässt.  Dies  ist  um  so  mehr  der  Fall,  wenn  die  Lungen- 
erscheinungen sehr  acut  verlaufen  und  nicht  gleichmässig  über 
beide  Lungen  vertheilt  sind.  Da  ferner  die  Herde,  entspre- 
chend ihrer  ungleichen  Entwickelung,  zu  verschiedenen  Zeiten 
in  Lösung  übergehen  und  erst  zu  dieser  Zeit  Husten  aus- 
gelöst wird,  welches  Symptom  für  den  Laien  doch  zumeist 
die  erste  Veranlassung  abgiebt,  sich  an  den  Arzt  zu  wenden, 
da  sich  ferner  in  diesem  Stadium  der  Krankheit  Percussions- 
differenzen  und  durch  die  Auscultation  Rasselgeräusche,  Schnur- 
ren und  Pfeifen  nachweisen  lassen,  so  ist  es  leicht  verständ- 
lich, dass  diese  Processe  in  den  Lungen  als  Bronchopneu- 
monien bezeichnet  werden.  Nachdem  mit  dieser  Benennung 
jedoch  stets  eine  aus  einer  primären  Bronchialerkrankung 
hervorgegangene  lobuläre  Pneumonie  verstanden  wird  und 
klinisch  ein  dififerenzielles  Symptom  zwischen  einer ,  solchen 
Bronchopneumonie  und  dem  eben  geschildertem  Stadium  der 
Pneumonie  bei  Gastroenteritis  nicht  existirt,  so  müssen  wir 
es  für  wünschenswerth  halten,  um  wenigstens  eine  Verstän- 
digung zu  ermöglichen,  eine  analoge  Bezeichnung,  wie  sie  die 
Schüler  von  Dr.  Sevestre  (I.e.)  vorschlagen  („Bronchopneu- 
monies  infectieuses  d'origine  intestinale  chez  Tenfant'^),  zu  ge- 
brauchen. Wir  weisen  jedoch  mit  Rücksicht  auf  die  be- 
stehende Nomenclatur  nochmals  darauf  hin,  dass  in  den  hier- 
her gehörenden  Fällen  die  Invasion  der  Krankheitserreger  in 
die  Lunge  nicht  auf  dem  Wege  der  Bronchien,  sondern  auf 
dem  Wege  der  Blutbahn«  erfolgt. 

Es  ist  klar,  dass  das  klinische  Bild  der  Lungenerkran- 
knng  ein  sehr  mannigfaltiges  sein  kann.  Die  Erkrankung 
kann  sich  auf  einen  oder  mehrere  Lungenlappen  erstrecken, 
sie  kann  auch  beide  Lungenflügel  gleichmässig  befallen.  Die 
Herde  können  sehr  klein  bleiben  oder  auch  weniger  rasch 
confluiren.    Bei  chronischem  Verlaufe  bieten  die  Herde  ver- 


456  Aj  Czerny  und  P.  Moser: 

schiedener  Entwickelung  gleichzeitig  verschiedene Erscheinimgen. 
Die  Lungenerscheinongen  können  im  G-esammtkrankheitsbilde 
der  Gastroenteritis  prävaliren  oder  eine  kleinere  Bolle  spielen. 
Selbst  bei  der  Losung  zahlreicher  Herde  und  reichlichem 
Husten  wird  von  den  Säuglingen  niemals  ein  Sputum  aus  der 
Mundhöhle  ausgeworfen,  sondern  immer  geschluckt.  Fängt 
man  nach  einem  Hustens toss  die  Sputa  im  Bachen  auf,  so 
kann  man  sich,  gleichwie  auch  durch  eine  Magenausspülung 
des  betreffenden  Kindes,  überzeugen,  dass  die  Sputa  eitrig 
sind.  Niemals  konnten  wir  jedoch  ein  rostfarbenes  Sputum 
beobachten.  In  chronischen  Fällen  kann  es  bei  Kindern,  welche 
bereits  die  unteren  Schneidezähne  entwickelt  haben,  in  Folge 
der  langen  Dauer  des  Hustens  und  des  hierbei  erfolgenden 
^^orstossens  der  Zunge  wie  bei  Pertussis  zu  einer  Ulceration 
des  Zungenbändchens  kommen.  Das  Verhalten  der  Körper- 
temperatur ist  kein  typisches,  jedoch  lässt  sich  soviel  sagen, 
dass  es  nie  ein  constantes  oder  constant  remittirendes  ist 
und  somit  einen  wichtigen  Behelf  für  die  Differentialdiagnose 
zwischen  der  Pneumonie  bei  chrom'scher  Gastroenteritis  und 
einer  Tuberculose  bildet.  In  jenen  Fällen,  wo  die  Lungen- 
erkrankung beide  Lungen  befallen  hat  und  das  vicariirende 
Emphysem  in  Folge  dessen  bedeutend  zunimmt,  kommt  es 
zu  einer  Form  Veränderung  des  Thorax,  welche  um  so  deut- 
licher hervortritt,  je  jünger  das  Kind  ist  und  sich  in  der 
Weise  äussert,  dass  der  Thorax  an  seiner  vorderen  Fläche 
hoch  gewölbt  erscheint  Mit  der  Ausdehnung  der  Lungen- 
erkrankung wächst  die  Dyspnoe  der  Kinder.  Als  Zeichen  für 
die  letztere  wollen  wir  besonders  die  Nasenflügelathmung 
hervorheben,  ferner  die  eigene  Art  der  Orthopnoe  im  Säuglings- 
alter. Diese  äussert  sich  in  der  Weise,  dass  die  Kinder,  bei 
stark  zurückgebeugtem  Kopf,  die  Wirbelsäule  hochgradig  biegen, 
wodurch  das  Bild  eines  Opistothonus  zu  Stande  kommt.  Der 
Nacken  wird  dabei  derart  starr  gehalten,  dass  in  diesem  Sta- 
dium die  Annahme  einer  Meningitis  leicht  Platz  greifen  kann. 
In  noch  schwereren  Fällen  tritt  an  Stelle  dieser  Orthopnoe 
eine  vollkommene  Erschlaffung  der  Extremitätenmuskulatun 
Die  Kinder  liegen  dann  ganz  bewegungslos  da,  hebt  man 
eine  von  ihren  Extremisten  empor,  so  fällt  sie,  wieder  frei- 
gelassen, wie  bei  einem  Narkotisirten  in  Folge  der  Schwere 
schlaff  auf  ihre  Unterlage  zurück.»  Cyanose  an  den  peri- 
pheren Theilen  und  an  den  Lippenschleimhäuten  verräth 
schon  bei  der  Inspection  den  schweren  Grad  der  Dyspnoe. 
Der  grosse  Widerstand,  welchen  die  Circulation  in  Folge  der 
Lungenerkrankung  erleidet,  führt  rasch  zu  einer  Insufficienz 
der  Herzaction,  welche,  wenn  sie  nicht  durch  therapeutische 
Maassregeln  behoben  wird,  zu  der  raschen  Entstehung  eines 


Elia.  Beobacht.  an  magendarmkranken  Kindern  i.  Säuglingsalter.     457 

Lungenödems  führt.  Dieses  ist  zumeist  die  unmittelbare  Todes- 
ursache in  solchen  Fällen  und  lässt  sich  klinisch  erkennen  an 
einem  an  den  Lungenrandern  auftretenden  und  rasch  nach 
oben  fortschreitenden  dichten,  kleinblasigeu  Rasseln,  ferner 
an  der  schaumigen,  blutigen  Flüssigkeit,  welche  bei  forcirten 
Exspirationen  durch  Mund  und  Nase  entleert  wird. 

Gegenüber  der  Häufigkeit  der  lobulären  Pneumonien  kommt 
es  in  verhältnissmässig  wenigen  Fällen  zu  pleuritischen  Er- 
scheinungen bei  der  Gastroenteritis.  Relativ  am  häufigsten 
finden  sie  sich  bei  Kindern  des  jüngsten  Alters,  bei  denen  die 
Infection  nicht  nur  leichter  zu  Stimde  kommt,  sondern  auch 
viel  schwerer  verläuft  als  bei  Kindern  des  späteren  Alters. 
Obzwar  Gerhardt^)  angiebt,  dass  beim  Säugling  schon  ein 
Exsudat  von  100  g  merkliche  Dämpfung  hervorruft,  so  kommt 
der  klinische  Nachweis  der  Pleuritis  im  Verlaufe  einer  Gastro- 
enteritis doch  nur  selten  zu  Stande.  Dieses  beruht  darauf, 
weil  das  Exsudat  in  solchen  Fällen  viel  weniger  als  hundert 
Gramm  beträgt,  und  darauf,  weil  manchmal  nur  eine  geringe 
fibrinöse  Auflagerung  auf  der  Pleura  zu  Stande  kommt.  Wie 
erwähnt,  lässt  sich  schon  aus  den  klinischen  Beobachtungen 
allein  eine  Abhängigkeit  der  Lungenerkrankung  von  den  Darm- 
erscheinungen erschliessen  und  für  die  Annahme  einer  immer 
zufallig  von  den  Luftwegen  aus  hinzutretenden  Lungenerkran- 
kung bei  der.  Gastroenteritis  kein  Anhaltspunkt  gewinnen. 
Diese  Anschauung  wird  auch  durch  die  pathologisch  •  anato- 
mische Untersuchung  der  Lunge  bestätigt.  Hierfür  geben 
acut  verlaufende  Fälle,  wie  es  a  priori  zu  erwarten  ist,  die 
brauchbarsten  Objecte  ab.  An  einem  grossen  Mikrotomschnitte 
durch  eine  solche  Lunge  zeigt  sich  das  Lungengewebe  von 
mikroskopisch  kleinen,  scharf  begreiftten  Infiltrationsherden 
durchsetzt,  zwischen  welchen  die  freigebliebenen  Alveolen  em- 
physematos  erweitert  sind.  Die  Bronchien  zeigen  keine  patho- 
logische Veränderung.  Die  Infiltrate  bestehen  aus  Rundzellen, 
zumeist  vermengt  mit  zahlreichen  rothen  Blutkörperchen  und 
desquamirten  Lungenepithelzellen.  Die  Anordnung  der  Herde 
iQ  einem  solchen  Uebersichtspräparate  lässt  sich  nur  ver- 
gleichen mit  der  Anordnung  miliarer  Tuberkel  im  Lungen- 
gewebe, also  einer  Lungenerkrankung,  welche  gleichfalls  auf 
dem  Wege  der  Blutbahn  zu  Stande  kommt.  Auch  ein  Ver- 
gleich dieser  Präparate  von  den  Lungen  Gastroenteritiskranker 
mit  solchen  von  Thieren,  wo  bei  den  einen  durch  Inhalation, 
bei  den  anderen  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  experimentell 
eine  Infection  der  Lunge  erzeugt  wurde,  lässt  eine  Deutung 


1)  C.  Gerhardt,   Deutsche  Chirurgie  von  Billroth  nnd  Luecke, 
Lief.  48.    1892.    S.  24. 

Jahrbuch  f.  Klnderheflkimde.  K.  F.  XXXYTIL  SO 


462  ^  Czerny  and  P.  Moser: 

Lungen-  und  Nierenerscheinungen  bei  dem  Kinde  schon  intra 
yitam  auf  eine  Allgemeininfection  vom  Darme  aus  schliessen 
Hessen,  so  ist  es  leicht  vorstellbar;  dass  die  Mikroorganismen 
auch  an  der  Fracturstelle  einen  günstigen  Ort  für  ihre  An- 
siedelung fanden.  Sowie  in  diesem  Falle  die  traumatische 
Circulationsstörung  Veranlassung  gab  zur  Localisation  der 
Krankheitserreger,  so  geben  bei  Kindern  in  den  ersten  Lebens- 
Wochen  die  bei  der  Geburt  plötzlich  aus  dem  Kreislaufe  aus- 
geschalteten Nabelgefösse  häufig  bei  eintretender  Gastroente- 
ritis eine  Localisationsstelle  für  die  pathogenen  Mikroorga- 
nismen ab.  Da  der  Yernarbungsprocess  des  Nabels  in  den 
ersten  Lebens wochen  ablauft,  so  ist  es  klar,  dass  patho- 
logische Processe  an  den  Nabeigefassen  eine  Theilerscheinung 
der  Gastroenteritis  nur  in  dieser  Lebenszeit  ausmachen  können. 
Die  Nabeigefasse  aus  der  Circulation  als  plötzlich  ausge- 
schaltet zu  betrachten,  erscheint  gerechtfertigt  mit  Rücksicht 
auf  die  feststehende  Thatsache,  dass  die  Nabeigefasse  keine 
Yasa  yasorum  besitzen. 

Befremden  muss  die  relative  Seltenheit  der  Peritonitis 
bei  der  Gastroenteritis.  ^)  Die  klinischen  Beobachtungen  lehren, 
dass  die  Peritonitis  immer  nur  den  Abschluss  schwerster 
Magendarmerscheinungen  beim  Säuglinge  bildet  und  stets 
auch  noch  anderweitige  Localisationen  des  Krankheitsprocesses 
eine  Allgemeininfection  vom  Darmtractus  aus  erschliessen 
lassen.  Kassel')  berichtet  über  drei  solche  Fälle  von  acuter 
Peritonitis  in  Folge  von  Verdauungsstörungen  bei  Neugebo- 
renen. 

Zu  den,  gegenüber  Lungen-,  Nieren-  und  Nabelgefass- 
erkrankungen,  seltenen  Theilerscheinungen  der  Gastroenteritis 
müssen  wir  die  Eiterprocesse  rechnen,  welche  sich  fast  au 
allen  Körperregionen  localisiren  können.  Von  diesen  sind  vor- 
erst zu  berücksichtigen  die  Eiterungen  in  den  Gelenken  und 
Knochen,  in  Folge  welcher  es  mitunter  zu  Epiphysenablö- 
sungen  kommen  kann,  welche  leicht  einen  unbegründeten  Ver- 
dacht auf  Lues  erwecken  könnten.  Am  häufigsten  ist  dabei 
das  Hüft-  und  Schultergelenk  betroffen.  Da  diese  Processe 
2ll  ihrer  Heilung  viel  längere  Zeit  brauchen  als  die  Gastro- 
enteritis, so  ist  gerade  bei  diesen  Erkrankungen  nur  eine 
klinische  Beobachtung  vom  Beginne  der  Krankheit  an  im 
Stande,  die  Aetiologie  dieser  Gelenks-  und  Knocheneiterungen 
richtig  zu  erfassen.  Die  im  Verlaufe  einer  Gastroenteritis 
an  einer  oder  mehreren  Körperstellen  plötzlich  auftretenden 
Phlegmonen,  für  welche  eine  locale  Entstehungsursache  nicht 


1)  Widerhof  er,  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  1862.    Bd.  V.    S.  205. 

2)  Kassel,  Berlioer  klinische  Wochenschrift  XXIX.  42.    1892. 


Elin.  Beobacht.  an  magendormkranken  Eindem   i.  Säuglingsalter.    463 

aufzufinden  ist,  sprechen,  wie  die  vorher  erwähnten  Eiterungs- 
processe,  ebenfalls  für  eine  von  dem  erkrankten  Darmcanal 
aus  erfolgte  Allgemeininfection.  Als  eine  specielle  Form  einer 
solchen  Allgemeininfection  müssen  wir  die  universelle  Furun- 
culosis  oder  Folliculitis  im  Säuglingsalter  auffassen.  Dieselbe 
wird  nur  bei  der  chronischen  Gastroenteritis  beobachtet  und 
gelangt  nur  dann  zur  Abheilung,  wenn  es  gelingt  die  Gastro- 
enteritis zu  beheben.  Dass  man  auf  der  Haut  dieselben  Bac- 
terien  nachweisen  kann  wie  in  den  kleinen  Hautinfiltraten, 
ist  kein  Widerspruch,  da  aus  diesem  Befunde  allein  sich 
nicht  erschliessen  lässt,  ob  die  Bacterien  von  der  Haut  aus 
eingedrungen  sind  oder  aus  dem  Organismus  auf  die  Haut- 
oberfläche ausgeschieden  wurden.  Zu  den  hierher  gehörenden 
metastatischen  Eiterungsprocessen  muss  auch  die  Meningitis 
gezählt  werden,  abgesehen  jedoch  von  jener,  welche  ihre  Ent- 
stehung Yon  der  bei  Gastroenteritis  sehr  häufig  vorkommen- 
den Otitis  media  herleitet.  Viel  prägnanter  als  die  Menin- 
gitis spricht  die  in  seltenen  Fällen  von  Gastroenteritis  auftretende 
Encephalitis  für  eine  Infection  auf  dem  Wege  der  Blutbahn. 
Die  Form  der  Encephalitis  ist  es  nämlich,  welche  durch  ihr 
Auftreten  in  circumscripten,  disseminirten  Herden  auf  den  In- 
fectionsweg  schliessen  lässt.  Die  klinischen  Erscheinungen 
der  Encephalitis  werden  oft  durch  die  Somnolenz  der  Kranken 
vollständig  verdeckt.  Nur  in  den  Fällen,  wo  ein  oder  der 
andere  Herd  die  motorischen  Hirngebiete  occupirt,  treten  ent- 
sprechende Symptome  auf,  welche  die  klinische  Diagnose  mög- 
lich machen. 

Wir  wollen  noch  einer  klinischen  Erscheinung  Erwäh- 
nung thun,  welche  gut  geeignet  ist  die  Entstehung  der  secun- 
dären  Theilerscheinungen  der  Gastroenteritis  auf  embolischem 
Wege  darzuthun.  Es  sind  dieses  die  in  schweren  Fällen 
plötzlich  auftretenden  Blasenbildungen  am  Fersenhöcker  oder 
die  scharf  circumscripte  Gangrän  der  Haut  daselbst.  Auch 
die  Entstehung  des  Decubitus  an  jenen  Hautstellen,  welche 
dauerndem  Drucke  ausgesetzt  sind  und  woselbst  in  Folge 
dessen  die  Girculation  gehemmt  ist,  wird  leicht  verständlich 
mit  dem  Hinweis  auf  unsere  oben  erwähnten  Auseinander- 
setzungen betreffend  die  Nabelgefässerkrankungen. 

Ein  sehr  ungleiches  Verhalten  zeigt  bei  der  Gastroente- 
ritis die  Milz.  In  einzelnen  Fällen  ist  sie  vergrössert,  in 
anderen,  selbst  lange  andauernden  Fällen  bleibt  sie  klein. 
Da  die  unmittelbare  Ursache  der  Milzschwellung  bei  Infec- 
tionskrankheiten  bisher  nicht  bekannt  ist,  so  wollen  wir  dieses 
Symptom  nicht  weiter  discutiren. 

Die  Veränderungen,  welche  die  Leber  bei  der  Gastro- 
enteritis erleidet,  bedingen  an  sich  keine  klinischen  Symptome. 


464  A.  Czeroy  and  P.  Moser: 

Nur  bei  andauernder  Herzschwäche  und  ausgedehnter  Langen- 
erkrankung  lässt  sich  bei  der  Palpation  die  in  Folge  der 
Stauung  bedingte  Vergrosserung  der  Leber  durch  die  schlaffen 
Bauchdecken  leicht  constatiren.  Pathologisch-anatomisch  zeigt 
dagegen  die  Leber  oft  schwere  parenchymatöse  Degeneration. 
Was  uns  dabei  jedoch  speciell  interessirt^  ist  der  häufige  Be- 
fund von  Mikrokokkenembolien  in  den  Lebercapillaren. 

Schon  die  Mannigfaltigkeit  der  angeführten  Erscheinungen, 
welche  im  Verlaufe  einer  Gastroenteritis  auftreten  können 
und  das  Erankheitsbild  so  verschiedenartig  zu  gestalten  ver- 
mögen, macht  es  unwahrscheinlich,  dies  Alles  auf  die  Wir- 
kung eines  einzigen  Mikroorganismus  zurückzuführen.  Wenn 
wir  aus  den  klinischen  Beobachtungen  weiter  zu  der  An- 
nahme gedrängt  werden,  dass  Mikroorganismen  aus  dem  Darm 
in  die  Lymph-  und  Blutbahn  gelangen ,  so  ist  es  a  priori  zu 
erwarten  y  dass  die  geschädigte  Darm  wand  aus  der  grossen 
Zahl  der  im  Darm  enthaltenen  Bacterien  nicht  einer  bestimm- 
ten Art,  sondern  allen  im  gleichen  Maasse  die  Möglichkeit 
des  Eindringens  in  den  Organismus  bietet.  Schon  aus  den 
bisher  vorliegenden  bacteriologischen  Untersuchungen  geht 
hervor,  dass  sowohl  im  Blute  als  in  den  Organen  entweder 
mehrere  Bacterienarten  gleichzeitig  vorhanden  sind  oder  ein- 
zelne, jedoch  verschiedenartige  Bacterien  in  den  jeweiligen 
Fällen  nachweisbar  sind.  Da  bei  der  Untersuchung  am  Leichen- 
material der  Uebelstand  hinzukommt,  oft  nicht  mit  Sicherheit 
entscheiden  .zu  können,  was  postmortal  entstanden  ist  und 
was  bereits  intra  vitam  da  war,  so  versuchten  wir,  durch 
bacteriologische  Untersuchung  an  Lebenden  den  Beweis 
für  die  Richtigkeit  unserer  Auffassung  der  Gastroenteritis  als 
einer  Allgemeininfection  des  Körpers  vom  Darm  aus  zu  er- 
bringen. Der  aus  den  angeführten  klinischen  und  pathologisch- 
anatomischen Beobachtungen  hervorgehenden  Anschauung  fol- 
gend, dass  die  Verbreitung  des  Krankheitsprocesses  zum  grossen 
Theile  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  vor  sich  geht,  gingen 
wir  darauf  aus,  die  im  Blute  kreisenden  Mikroorganismen 
nachzuweisen.  Da  die  Erfahrung  lehrt,  dass  die  mikrosko- 
pische Untersuchung  des  Blutes  vom  Lebenden  auch  in  jenen 
Krankheitsfällen,-  wo  sicher  Bacterien  im  Blutkreislauf  nach- 
gewiesen wurden,  eine  sehr  unzuverlässige  ist,  so  haben  wir 
von  derselben  vollständig  abgesehen  und  uns  auf  das  Cultur- 
verfahren  bei  der  bacteriologischen  Untersuchung  des  Blutes 
beschränkt. 

Zu  unseren  Untersuchungen  haben  wirausschliess- 
lich  nur  solche  an  Gastroenteritis  leidende  Kinder 
herangezogen,  bei  welchen  keine  Complication  vor- 
lag,  welche  auch  nur  die  Möglichkeit  einer  Infection 


u 


Kilo.  Beobacht.  an  magendarmkianken  Kiadem  i.  Säoglingsalter.     465 

von  einer  anderen  Eörperstelle  (z.  B.  von  der  Haut 
oder  vom  Nabel)  als  vom  Darm  aus  erschliessen  Hess. 
Unsere  Erfahrungen  über  die  Gastroenteritis  sind  zum  Theil 
an  dem  Krankenmaterial  der  Einderklinik  der  Landesfindel- 
anstalt,  zum  Theil  am  Ambulatorium  derselben  Klinik  ge- 
sammelt. Aus  diesem  gesammten  Material  wurden  auch  die 
Fälle  ausgewählt^  welche  wir  zur  bacteriologischen  Unter- 
suchung herangezogen  haben,  und  fühlen  wir  uns  an  dieser 
Stelle  veranlasst^  Herrn  Professor  Epstein  für  die  vollstän- 
dige Ueberlassung  des  Materials  unseren  besten  Dank  auszu- 
sprechen. 

Wir  waren  nicht  in  der  Lage,  in  dem  Wesen  der  Er- 
krankung Unterschiede  zn  constatiren  zwischen  den  in  der 
Anstalt  internirten  Kindern  und  denen,  welche  aus  der  Stadt 
zur  ambulatorischen  Behandlung  in  die  Klinik  eingebracht 
wurden. 

Wir  mochten  daher  auch  ausdrücklich  daraufhin- 
weisen, dass  zwischen  der  Gastroenteritis  im  und 
ausserhalb  des  Findelhauses  kein  principieller  Unter- 
schied besteht,  welcher  eine  Trennung  dieser  Krank- 
heitsfälle rechtfertigen  würde. 

In  der  Findelanstalt  hat  man  allerdings  häufig  Gelegen- 
heit, schwere  Gastroenteritiden  besonders  im  jüngsten  Säuglings- 
alter klinisch  zu  beobachten,  die  Krankheit  an  und  für 
sich  bleibt  jedoch  dieselbe,  wie  und  wo  sie  allent- 
halben beobachtet  wird. 

'Dass  sie  gerade  in  Findelhäusern  häufig  zu  beobachten  ist^ 
erklärt  sich  theilweise  aus  der  grossen  Zahl  der  daselbst  an- 
gesammelten Säuglinge,  zum  Unterschiede  von  den  anderen 
Kinderkliniken,  in  welchen  die  Säuglinge  nur  einen  kleinen  Bruch- 
theil  des  Materials  bilden.  Ferner  ist  zu  beachten,  dass  die 
meisten  Findelanstalten  in  Bezug  auf  Wartepersonal  und  Zahl 
der  Aerzte,  im  Verhältniss  zur  Zahl  der  Kranken,  weit  hinter 
den  meisten  Kinderkliniken  zurückstehen.  Die  Findelanstalt 
muss  weiter  magendarmkrank  eingebrachte  Kinder  aufnehmen, 
während  sie  von  der  Mehrzahl  der  Kinderspitäler  überhaupt 
nicht  oder  nur  ausnahmsweise  in  den  Krankenstand  eingereiht 
werden.  Wir  mochten  schliesslich  noch  darauf  aufmerksam 
machen,  dass  die  Mütter  oder  Ammen  der  unehelichen  Kinder 
nicht  immer  das  Interesse  haben,  an  der  Erhaltung  des  Kindes 
mitzuwirken.  Da  übrigens  diese  Frage  zu  den  Untersuchungen 
über  das  Wesen  der  Krankheit  in  keinem  engen  Gonnex  steht, 
so  wollen  wir  dieselbe  auch  nicht  weiter  erörtern. 

Die  Methode  unserer  Untersuchung  war  folgende:  Die 
Haut  einer  Zehe  wurde  in  üblicher  Weise  mit  Aether,  Subli- 
mat, schliesslich  nochmals   mit  Aether  gründlichst    gereinigt 


466  A«  Csernj  und  P.  Moser: 

und  sodann  mit  einer  sterilisirten  Lanzette  ein  Einstich  ge- 
macht, durch  welchen  ein  Blutstropfen  leicht  hervorquellen 
konnte.  Es  wurde  nun  möglichst  rasch  mit  einer  Oese  Blut 
auf  schräg  erstarrten  Agar  oder  Glycerinagar  Obertragen. 
Behufs  Controle  wurden  stets  mindestens  zwei  Nährboden  be- 
schickt. Da  es  a  priori  vorstellbar  war,  dass  das  Blut  nicht 
so  von  Mikroorganismen  durchsetzt  zu  sein  braucht,  dass  die 
selben  in  jedem  Blutstropfen  vorhanden  sein  müssen,  so  wurde 
durch  wiederholte  Versuche  eine  grössere  Sicherheit  in  der 
Beurtheilung  sowohl  positiver  als  negativer  Befunde  ange- 
strebt. Um  selbst  einen  Maassstab  zur  Beurtheilung  der  Ton 
uns  angewandten  Methode  zu  besitzen,  versuchten  wir  uns 
vorerst  an  einer  Zahl  von  gesunden  Kindern  zu  überzeugen, 
mit  welcher  Sicherheit  wir  auf  die  angegebene  Weise  vom 
Blute  abimpfen  können,  ohne  Verunreinigungen  aus  der  Luft 
oder  von  der  Haut  fürchten  zu  müssen.- 

Die  zu  dem  Zwecke  herangezogenen  30  gesunden  Kinder 
waren  Säuglinge  von  verschiedener  Entwickelung  und  ver- 
schiedenem Alter,  welche  in  der  Zeit,  während  welcher  sie 
itir  unsere  Untersuchungen  auf  der  Klinik  in  Beobachtung 
standen,  in  allen  Punkten  den  zu  Beginn  unserer  Arbeit  an- 
geführten Bedingungen  entsprachen,  sodass  wir  die  Kinder 
als  magendarmgesund  bezeichnen  mussten.  Auch  sonst  Hessen 
dieselben  keine  Erkrankung  an  sich  wahrnehmen.  Von  diesen 
30  Kindern  wurden  im  Ganzen  60  Blutproben  entnommen 
und  auf  Agar  oder  Glycerinagar  übertragen.  Alle  Nährböden 
wurden  durch  mehrere  Tage  im  Brutschranke  belassen  *  und 
beobachtet.  Nur  auf  zweien  derselben  entwickelte  sich  je 
eine  Colonie.  Eine  von  diesen  Hess  sich  bei  näherer  Unter- 
suchung als  Sarcina  lutea  feststellen  und  muss  sonach  als 
eine  Verunreinigung  aus  der  Luft  aufgefasst  werden«  Die 
andere  Colonie,  von  einem  zweiten  Falle  herrührend,  bestand 
aus  Kokken,  welche  sich  nach  Gram  färben  Hessen,  Gelatine 
langsam  verflüssigten,  keinen  Farbstoff  producirten  und  für 
Kaninchen  nicht  pathogen  waren.  Das  Ergebniss  der  Vor- 
untersuchung erschien  uns  genügend  und  erscheint  uns  um 
so  wichtiger,  wenn  wir  die  Resultate  unserer  Untersuchungen 
an  kranken  Kindern  damit  in  Vergleich  ziehen.  Denn  wie 
wir  hier  vorweg  kurz  hervorheben  wollen,  ergaben  unsere 
wiederholten  bacteriologischen  Untersuchungen  nur  einmal  ein 
positives  Resultat  bei  11  djspeptischen  SäugHngen,  dagegen 
12  mal  ein  solches  bei  15  Kindern,  welche  an  Gastroenteritis 
erkrankt  waren.  Um  unsere  Befunde  an  kranken  Säuglingen 
genauer  analysiren  zu  können,  sehen  wir  uns  genöthigt,  die 
einzelnen  Fälle  in  extenso  zu  besprechen: 


Elin.  Beobacht.  an  magendarmkranken  Kindern  i.  Säaglingsalter.     467 


Baoteriologisohe  üntersnohmigen  an  Säuglingen  mit 

Dyspepsie. 

I.  Fall.    Prot-Nr.  9766,  Initialgewicht  3700  g,  Eörperlänffe  68  cm, 
lahme  in  die  Anstalt  am  12.  Lebenstage  (14.  fV.  94),  BrasU^ind. 


Aafiaahme 


D«taxn 

Körper- 
gewicht 

Krankheitssymp  tome 

BaoteriologiBch  wurden 
untersucht 

16.   IV. 

3800  >  Keine. 

16. 

3800 

2  Stühle  mit  nnverd.  Milchresten. 

17. 

3870 

2    do.     ,  Schlaf  unruhig. 

18. 

3840 

6    do.     ,    Soor  oris. 

2  Blutprob.  Bes.neg. 

19. 

3860 

4    do.     ,          do. 

20. 

3900 

Stuhl  normal,  do. 

Wie  der  Auszug  aus  der  Krankengeschichte  zeigt ,  handelte  es  sich 
hier  um  eine  Dyspepsie  mit  geringer  Körpergewichtsabnahme,  ver- 
mehrter Zahl  der  Stühle,  gestörtem  Schlaf  und  Soor  oris.  Die  bacterio- 
logische  Untersuchung  wurde  an  dem  Tage  vorgenommen,  an  welchem 
die  Krankheitssymptome  ihren  Höhepunkt  erreichten,  und  ergab  ein 
vollständig  negatives  Resultat. 

II.  FalL  Prot.>Nr.  96*28,  Initialgewicht  3630,  Körperlänge  60  cm, 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  3.  Lebenstage  (31.  III.  94),  Brustkind. 


nfttnm 

Körper- 
gewicht 

Krankheitesymptome 

BacteriologiBch  wurden 
untersacht 

1.  IV. 

3630 

Keine. 

2. 

3630 

Norm.  AbÜEill  des  Nabelstrangrestes 

3. 

3600 

Stuhl  m.  grob.  Caseinklumpen  verm. 

4. 

3600 

6  wäss.  St,  Erbr.,  Kind  schreit  viel. 

2  Blutprob.,  neg.Res. 

6. 

3460 

7  Stühle,  Erbrechen  hat  aufgehört. 

do. 

6. 

8360 

6     do. 

7. 

8270 

4     do. 

t 

8. 

8230 

4     do. 

2  Blutprob.,  neg.  Bes. 

9. 

3190 

2     do. 

do. 

10. 

8120 

8     do.         Soor  oris. 

2  Blutpr.,Entw.e.Col. 

11. 

3000 

8     do.              do.            Erbrechen. 

12. 

3000 

Norm.  St.,  Soor  oris,  Erbr.  hat  aufg. 

13. 

3020 

Keine. 

Das  Kind  verblieb  bis  zum  26.  IV.  in  der  Anstalt,  zeigte  vom 
18.  IV.  an  regelmässige  Körpergewichtszunahme,  sodass  es  mit  einem 
Körpergewicht  von  3600  g  die  Anstalt  verliess.  Die  Magendarm erschei- 
nungen  und  die  Gewichtsabnahme  waren  in  diesem  Falle  so  bedeutende, 
dass  nur  der  durch  die  klinische  Beobachtung  mögliche  Ausschluss  aller 
Erscheinungen,  welche  auf  eine  allgemeine  Infection  oder  Intoxication 
hätten  schliessen  lassen  können,  die  Diagnose  Dyspepsie  rechtfertigten. 
Auf  den  10  Nährböden,  auf  welchen  die  an  verschiedenen  Tagen  ent- 
nommenen Blutproben  vertheilt  waren,  gelangte  nur  eine  ganz  verein- 
.zelte  Colonie  zur  Entwickelung,  welche  als  Sarcina  lutea  bestimmt 
werden  konnte.  Wir  sehen  uns  veranlasst,  diesen  Befund  als  zufällige 
Verunreinigung  des  Nährbodens  aufzufassen,  umsomehr,  da  die  Sarcina 
lutea  in  unserer  Anstaltsluft  regelmässig  nachzuweisen  ist  Das  Gesammt- 
resultat    der   bacteriologischen  Untersuchung  muss   demnach   auch   in 


468 


A.  Czerny  und  P.  Moser: 


diesem  Falle  als  ein  negatives  betrachtet  werden.  Dies  ist  am  so  be- 
merkenswerther,  weil  gerade  bei  diesem  Kinde  in  verschiedenen  Sta- 
dien der  Krankheit  Blutproben  entnommen  worden. 

III.  Fall.  Prot -Nr.  10  158,  Initialgewicht  2180  g,  Eörperl&nge 
44,5  cm,  Aufnahme  in  die  Anstalt  am  ersten  Lebenst^e  (28.  V.  94), 
Brustkind. 


Datum 

Körper- 
gewicht 

Krankheltsiymptome 

untersaoht 

24.  V. 

2050     Keine. 

26. 

2050 

Dyspeptische  Stühle. 

26. 

2050 

do. 

* 

27. 

2050 

do. 

28. 

2050 

Norm,  abgenabelt,  dysp.  Stahle. 

29. 

2020 

DyspeptisSie  Stahle. 

80. 

2020 

do. 

31. 

2000 

do.                 Soor  oris. 

1.  VI. 

2000 

2  Stahle.    Erbrechen.        do. 

2  Blutpr.,  neg.  Res. 

2. 

2050 

Erbrech,  hat  aufgehört,     do. 

8. 

2070 

Stuhl  normal.                     do. 

4. 

2100 

do.          Soor  geheilt. 

Dieser  Fall  betraf  sonach  ein  neugeborenes,  sehr  schwaches  Kind, 
bei  welchem  die  dyspeptischen  Erscheinungen  am  3.  Lebenstage  ihren 
Anfang  nahmen  und  ununterbrochen  bis  sum  10.  Lebenstage  andauerten. 
Am  letztgenannten  Tage,  an  welchem  die  Krankheitssymptome  ihren 
Höhepunkt  erreicht  hatten,  wurden  2  Blutproben  zur  bacteriologischen 
Untersuchung  herangezogen  und  ergaben  ein  negatives  Resultat.  Die 
weitere  klinische  Beobachtuog  zeigte  vom  11.  Lebenstage  an  ein  rasches 
Verschwinden  der  Symptome  der  Krankheit,  sodass  das  Kind  am 
14.  Lebenstage  als  gesund  bezeichnet  werden  konnte. 

IV.  Fall.  Prot.-Nr.  10  167,  Initialgewicht  8830  g,  Körperl&nge  51  cm, 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  10.  Lebenstage  (25.  V.  94),  Brustkind. 


Datum 

Körper- 
gewicht 

3810 

KrankheiteiTmptome 

Baoteriologleoh  worden 
vutersvtoht 

26.  V. 

Keine. 

26. 

3290 

Dyspeptischer  Stuhl. 

27. 

3270 

4  dyspeptische  Stühle,  unnihig. 

28. 

8270 

4               do.                         do. 

29. 

3280 

4               do.                         do. 

80. 

8260 

4               do.                         do. 

31. 

3260 

5               do.                         do. 

2  Blutpr.,  neg.  Bes. 

1.  VI. 

8280 

4               do.                         do. 

do. 

2. 

8230 

4               do.                         do. 

Die  Dyspepsie  dieses  Kindes  äusserte  sich  in  der  beständigen  Körper- 
gevrichtsabnahme,  in  der  abnormen  Beschaffenheit  und  vermehrten  Ziüil 
der  Stühle.  Die  bacteriologische  Untersuchung  des  Blutes  wurde  an 
zwei  aufeinander  folgenden  Tagen  vorgenommen.  Die  Dyspepsie  be- 
stand da  schon  sechs  Tage  hindurch  und  war,  wie  wir  aus  dem  Körper- 
gewicht entnehmen  können,  wahrscheinlich  auch  bereits  vor  dieser  Zeit 
vorhanden.    Der  Ausgang  der  Erkrankung  ist  uns  unbekannt,  weil  das 


Klin.  Beobacht.  an  mageDdarmk ranken  Kindern  i.  S&uglingsalter.     469 


Kind  ans   der  Anstalt  genommen   wnrde.     Die   Nährboden   mit   allen 
4  Blutproben  blieben  steril. 

y.Fall.  Prot.-Nr.  9192,  Initialgewicht  2660  g,  Körperlänge  47,5  cm, 
Anfnahme  in  die  Anstalt  am  4.  Lebenstage,  Brustkind.  Das  Kind  wurde 
krank  eingebracht  und  hatte  bereits  in  den  Tier  ersten  Lebenstagen 
530  g  seines  Gewichtes  verloren.  Die  Schädelknochenränder  waren 
übereinander  geschoben,  das  Gesicht  greisenhaft  faltig,  die  Mundhöhlen- 
Bchleimhaut  gerOthet,  die  Banchdecken  schlaff,  der  Nabelstrangrest  noch 
nicht  abgestossen. 


Datum 

Körper- 
gewicht 

JCrankheittsymptome 

Bacteriologltch  wurden 
untersucht 

18.  IL 

2130 

4  Stahle. 

19. 

2160 

4     do.     Erbrechen. 

2  Blutpr.,  neg.  Bes. 

20. 

2180 

4     do.            do. 

21. 

2190 

Erbrechen  hat  aufgehört. 

22. 

2160 

Abfall  des  Nabelstrangrestes. 

23. 

2120 

3  Stühle,  Erbrechen. 

24. 

2120 

3      do.    Kein  Erbrechen. 

25. 

2120 

26. 

2150 

Soor  oris. 

27. 

2170 

do.     Stuhl  normal. 

Die  Schwere  der  Dyspepsie  des  Kindes  hatte  zur  Folge,  dass  das 
Kind  erst  am  30.  Lebenstage  sein  Liitialgewicht  wieder  erreichte.  Die 
Körpergewichtsabnahme  war  eine  so  hochgradige,  wie  sie  in  Fällen  von 
Gastroenteritis  oft  nicht  bedeutender  ist.  Nur  die  Tbatsach^,  dass  sich 
klinisch  blos  die  Magendarmsjmptome  und  die  Abmagerung  feststellen 
Hessen,  charakterisirt  diesen  Fall  als  Dyspepsie.  Das  Blut  wurde  am 
19.  IL  zur  bacteriologischen  Untersuchung  herangezogen,  also  mitten  im 
Bestände  der  Krankheit.  Beide  Proben  blieben  steril.  Das  Kind  wurde 
mit  einem  Körpergewicht  von  3100  g  am  Ende  der  7.  Lebens woche  aus 
der  Anstalt  entlassen,  nachdem  es  von  der  3.  Lebenswoche  an  eine  ste- 
tige Zunahme  zeigte  und  keinerlei  Krankheit^symptome  mehr  auftraten. 

VL  Fall.  Prot.-Nr.  9807,  Initialgewicht  2530,  Körperlänge  46  cm, 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  8.  Lebenstage  (20.  lY.  94),  Brustkind. 


Datum 

Körper- 
gewicht 

KrankheitBBymptome 

Baoteriologisoh  wurden 
untenncht 

20.  IV. 

2440 

2  Stühle  mit  unverd.  Milc.hresten. 

21. 

2460 

3  St.  mit  unverd.  Milchrest.   Erbr. 

22. 

2480 

4  St.                 do.                       do. 

2  Blutpr.,  neg.  Res. 

23. 

2460 

3  St.                 do.                       do. 

24. 

2450 

25. 

2480 

26. 

2480 

4  Stahle,  Erbrechen. 

27. 

2490 

2  Stühle,  kein  Erbrechen. 

28. 

2520 

29. 

2530 

30. 

2580 

I.V. 

2580 

2. 

2600 

8. 

2580 

4  Stahle,  Erbrechen. 

2  Blutpr.,  neg.  Res. 

4. 

2590 

3  Stühle,  Erbrechen.    Soor  oris. 

470 


A.  Czerny  and  P.  Moeer: 


«•*-  Ät' 


KnnkheitMynptomo 


Bftotoilologisch  wnrdoa 
untorsuobt 


6.  V. 
6. 
7. 
8. 


2610  I  2  Stahle,  Erbrechen.    Soor  oris. 
2680     1  Stahl  do.  do. 


2660 
2680 


8  Stühle  do.      Soor  geheilt. 

St.  normal,  Erbr.  hat  aufgehört 


In  diesem  Falle  von  Dyspepsie  bildete  das  Erbrechen  die  wesent- 
lichste nnd  hartnäckigste  Ersoheinang.  Die  Krankheit  ist  dareh  ein 
Intervall  von  6  Tagen,  während  welcher  Zeit  das  Kind  nichts  Abnormes 
darbot,  in  swei  Perioden  getheilt.  In  jeder  derselben  wurden  an  einem 
Tage,  an  welchem  die  klinischen  Erscheinungen  sehr  intensiv  waren, 
Blutproben  der  bacteriologischen  Untersuchung  unterworfen,  jedoch  stets 
ohne  Erfolg. 

VII.Fall.  Prot-Nr.  9881,  Initialgewicht  8760 g,  Körperlänge  60,6 cm. 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  6.  Lebenstage  (28.  l v.  94),  Brustkind. 


Datum 

gewioht 

KrankheilHTniptoin« 

Bacteriologisoh  wurdam 
nntenaoht 

1.  V. 
2. 
8. 
4. 

8870 
8900 
3900 
3930 

Keine . 

6  dOnDflüssige  Stähle,  Erbrechen. 
8  Stühle,  kein  Erbrechen. 
Ein  normaler  Stuhl. 

2  Blatpr.,  neg.  Ben. 

Ein  leichter  Fall  von  Dyspepsie,  welcher  wegen  des  plötalichen 
und  intensiven  Einsetzens  der  Erkrankung  gleich  am  ersten  Tage  sur 
bacteriologischen  Untersuchung  he  Angezogen  wurde,  jedoch  kein  posi- 
tives Ergebniss  lieferte.  Die  Erscheinungen,  welche  in  diesem  Falle  so 
acut  einsetzten,  gelang  es  rasch  zu  beseitigen,  sodass  das  Kind  schon 
am  4.  y.  als  gesund  bezeichnet  werden  konnte  und  es  auch  verblieb. 

VIII.FalL  Prot-Nr.  9761,  Initialgewioht  2620 g,  Körperlänge  48  cm, 
Aufnahme  am  16.  Lebenstage  (14.  IV.  94),  Brustkind. 


Dfttam 

KOrper- 
gewloht 

Knuikheltisymptomo 

Baotoriologfsoh  wiudoa 
Qiitarsaoht 

27.  IV.      2780  ;  Keine. 

28. 

2700 

8  dyspeptische  Stühle,  unruhig. 

29. 

2700 

8                          do.              do. 

80. 

2720 

8                          do.              do. 

I.V. 

2700 

6  dysp.  St.,  Erbrechen.     Soor  oris. 

2  Blutpr.,  Bes.  neg. 

2. 

2800 

2  Stühle,  Erbr.  hat  aufg.    S.  oris. 

8. 

2900 

2  normale  Stühle. 

4. 

2960 

2         do. 

Eine  Dyspepsie  leichten  Grades,  das  Blut  wurde  am  1.  V.  ent- 
nommen, also  zu  einer  Zeit,  wo  die  Erscheinungen  der  Dyspepsie  ihren 
Höhepunkt  erreicht  hatten.  Die  beschickten  Nährböden  bueben  keim- 
frei. Das  Kind  wurde  in  der  6.  Lebenswoche  mit  einem  Körpergewicht 
von  8100  g  als  gesund  entlassen. 


IX.  Fall.   Prot-Nr.  9112,  Initialgewicht  8210 g,  Kdrperlänge  60,6  cm, 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  11.  Lebenstage  (11.  II.  94),  Brustkind. 


Kilo.  Beobacht.  an  magendarmkranken  Kindern  i.  Säaglingsalter.     471 


Datum 

Körper- 
gewicht 

Krazücheitsaymptome 

Baoterioiogisoh  wurden 
nntersncht 

16.  IL 

8210 

• 

Keine. 

17. 

8280 

6  St.  mit  unverd.  Milchresten ,  Erbr. 

2  Blutpr.,  kein  Bes. 

18. 

3180 

6  St                     do.                     do. 

19. 

3190 

Das  Kind  ist  sehr  unruhig. 

20. 

3190 

Erbrechen  hat  aufgehört. 

2k 

3160 

6  dyspeptische  Stühle. 

22. 

3070 

6              do. 

23. 

3090 

8  dyspeptische  Stühle,  Erbrechen. 

24. 

3100 

2                do.                     Kein  Erbr. 

26. 

3000 

2               do. 

26. 

3060 

2               do. 

27. 

3060 

1      normaler  Stuhl. 

28. 

3070 

1              do. 

1.  III. 

3140 

1              do. 

Die  angeführten  Magendarmerscheinungen  und  die  Körpergewichts- 
abnahme charakterisiren  den  Fall  als  eine  schwere  Dyspepsie.  Zur 
bacteriologischen  Untersuchung  des  Blutes  wurde  das  Kind  am  ersten 
Krankheitstage  herangezogen,  beide  Proben  ergaben  ein  negatives  Re- 
sultat. Die  Symptome  blieben  im  ganzen  Krankheitsverlaufe  auf  den 
Magendarmcanal  beschränkt. 

X.  FalL  Prot.-Nr.  9343,  Initiakre wicht  3620  g,  Körperlange  61  cm, 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  12.  Leoenstage  (4.  lÜ.  94),  Brustkind. 


Datam 

Körper- 
gewicht 

KrankheitMymptome 

Baoteriologiioh  wurden 
nntersacht 

•4.  m. 

3060 

2  dysp.  Stuhle,  sohl.  Schlaf.    Erbr. 

6. 

3030 

3            do.                  do.              do. 

6. 

2940 

2            do.                  do.             do. 

2  Blutpr.,  neg.  Res. 

7. 

2910 

5            do.                  do.              do. 

2            do. 

8. 

2930 

3            do.                   do.              do. 

2            do. 

9. 

2900 

3            do.                  do.              do. 

10. 

2900 

1  grün.  Stuhl,  Erbr.  hat  aufgehört. 

11. 

2900 

1            do. 

12. 

2940 

1            do. 

13. 

2960 

Soor  oris. 

14. 

3050 

do.      Stuhl  normal. 

16. 

3100 

do.               do. 

16. 

3160 

Soor  geheilt,     do. 

Der  Beginn  der  Erkrankung  muss,  wie  aus  dem  Körpergewicht  zu 
erschliessen  ist,  in  die  Zeit  vor  der  Aufnahme  des  Kindes  in  die  An- 
stalt verlegt  werden.  Die  Intensität  der  Magendarmerscheinungen  findet 
ihren  Ausdruck  in  dem  hochgradigen  Körpergewichteverluste  des  Kindes. 
Die  bacteriologische  Untersuchung  des  Blutes  wurde  an  drei  aufein- 
ander folgenden  Tagen,  im  Höhestadium  der  Erkrankung,  vorgenommen, 
die  Nährböden  blieben  steril.  Auch  in  diesem  Falle  blieb  die  Erkran- 
kung auf  den  Magendarmtractus  localisirt,  obzwar  die  Erscheinungen  so 
intensiv  waren,  dass  der  Eintritt  einer  Allgemeininfection  befürchtet 
werden  musste. 

XI. Fall.  Prot.-Nr.  10 107,  Initialgewicht  2810  g,  Körperlänge  48,6  cm, 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  11.  Lebenstage  (20.  V.  94),  Brustkind.    In 


474 


A.  Cserny  and  P.  Moier: 


Beetätigang  in  dem  Reroltate  der  bacteriologischen  Unteranchnng  des 
Blutee,  welche  am  leisten  Lebenstage  bu  verschiedenen  Tageszeiten 
vorgenommen  wurde.  Auf  allen  Nährböden  entwickelten  sich  sahlreiche 
Colonien  von  gleichem  Anssehen  and  Wachstham,  welche  bei  längerem 
Bestände  eine  intensive  oran^erothe  Färbung  annahmen.  Mikroskopisch 
liess  sich  feststellen,  dass  die  Colonien  aas  Kokken  bestehen,  die  sich 
nach  Oram  intensiv  färbten.  Gelatine  -  Stichculturen  zeigten  massig 
rasche,  trichtexiT^rmige  Yerflüssigang  der  Grelatine  mit  intensiver  Färb- 
stoffprodnction  der  Kokken  an  der  Spitee  des  Trichters.  Aof  Kartoffel 
bildeten  die  Kokken  einen  nicht  sehr  Aber  die  Impfstelle  hinaus- 
wachsenden feinen  Uebersug  von  orangegelber  Farbe.  In  der  Bouillon 
erfolgte  (bei  Körpertemperatur)  rasches  Wachsthum  anter  TrSbung  der- 
selben innerhalb  von  24  Stunden.  Von  einer  nur  1  Tag  alten  Bouillon* 
cultur  wurde  einer  weissen  Maus  subcutan  injicirt,  das  Thier  seigte 
jedoch  an  den  folgenden  Tagen  weder  locale  noch  allgemeine  Reactions- 
erscheinungen.  Eine  Aufschwemmung  einer  2  Tage  alten  Agar-Strich- 
cultur  in  physiologischer  Kochsalzlösung,  in  die  Jugularis  eines  Kanin- 
chens eingebracht,  führte  den  Tod  des  Thieres  innerhalb  von  86  Stunden 
herbei.  Intru  vitam  liessen  sich  am  Thiere  nur  Diarrhöen  beobachten. 
Aus  dem  Herzblute  des  Thieres  wurden  die  gleichen  Kokken  in  Bein- 
cultur  wieder  erhalten.  Die  angeführten  Eigenschaften  rechtfertigen  es, 
wenn  wir  diesen  Coccus  als  Staphylococcus  pyogenes  aureus  be- 
zeichnen. Das  Blut  des  Kindes  muss  stark  von  demselben  durchsetzt 
gewesen  sein,  da  aus  jedem  einzelnen  Blutstropfen  zahlreiche  Colonien 
hervorgingen.  Dass  auf  allen  Nährböden  dieselben  Kokken  gefunden 
wurden,  sichert  umsomehr  die  Richtigkeit  des  Befundes. 

Fall  II.  Prot. -Nr.  8645,  Initialgevricht  2960  g,  Körperlänge  48  cm, 
das  Kind  wurde  mit  der  Diagnose  Gastroenteritis  in  die  Anstalt  ein- 
gebracht und  hatte  zu  dieser  Zeit  ein  Körpergewicht  von  2840  g,  also 
ein  Gewichtsverlust  von  620  g.  Brustkind.  Die  Hautdecken  waren 
leicht  icterisch  verfärbt,  der  Nabelstrangrest  noch  adhärent,  die  Ath- 
mung  thoracal,  mit  leichter  Einziehung  der  Zwischenrippenfurchen.  Me- 
teorismus. 


Datum 

Körper- 
gewicht 

26.  XII. 

26. 

27. 

28. 

2330 
2850 
2820 
2800 

29. 

2280 

SO. 
81. 

1.  L  94 

2. 

8. 

2280 
2280 
2250 
2220 
2220 

4. 
5. 
6. 

2200 
2200 
2200 

Krankheitasjmptome 


Baot  wurden 
uatersncht 


Zahlreiche,  dflnnflüss.  Stühle.  Herzschwäche. 

Zahlr.  dünnfl.  St.   Im  Harn  Eiweiss-Cylinder. 

10  Stühle.  do. 

8  St.  Abfall  des  Nabelstrangrestes.  Im  Harn 
Eiweiss-Cylinder.    Erbrechen. 

8  Stühle.  Erbrechen.  Soor  oris.  Im  Harn 
Eiweiss-Cylinder.    Herztöne  sehr  dumpf. 

Erbrechen  hat  aufgeh.,  sonst  Status  idem. 

8  dünnflüssige  Stühle,  do. 

2  Stühle,  do. 

Soor  intensiv,  do. 

Erbrechen,  links  hinten  unten  gedämpfte 
Percussion  über  der  Lunge,  daselbst  ab- 
geschwächtes Athmen  bei  d.  Auscultation 
wahrnehmbar.  Soor  oris.  Die  Nieren- 
symptome  dauern  fort. 

8  Stühle,  sonst  Status  idem. 

Status  idem. 
do. 


r 


Kilo.  Beobachi.  an  magendarmkraDken  Kindern  i.  Sänglingsalter.     475 


Datum 


Körper- 
gewicht 


KrAnkheitssymptome 


Baot.  warden 
naterancht 


7.  I.  94 

8. 

9. 

10. 
11. 

12. 

13. 
14. 


2200 

2200 

2200 

2150 
2100 

2100 

2200 
2180 


8  Stühle,  im  Harn  anch  Zucker  nachweis- 
bar, sonst  Statas  idem. 

Hasten,  h.  r.  o.  verkürzter  Percnssionsschall 
über  d.  Longe,  Herzschwäche,  sonst  St.  id. 

Meteoriamus,  Herztöne  sehr  dumpf,  Status 
vom  8.  fortbestehend. 

4  Stühle,  sonst  Status  idem  vom  9.  I. 

Rechts  hinten  oben  Rasselgeräusche  über  d. 
Lunge,  Status  idem  vom  10.  I. 

Spärl.  Harnentleerung,  die  übr.  Krankheits- 
symptome unverändert  fortbestehend. 

Starke  Dyspnoe,  sonst  Status  vom  12.  L 

Collaps,  Athmung  sehr  unregelmäss. ,  aus- 
setzend. In  der  Nacht  unter  zunehmen- 
der Dyspnoe  Exitus  letalis. 


2  Blntprob. 
2     do. 

2     do. 


Klinische  Diagnose:  Gastroenteritis,  Pneumonia  lobularis  bila- 
ieralis,  Nephritis,  Soor  oris. 

In  diesem  Falle  traten  klinisch  neben  den  Magendarmerscheinungen 
besonders  die  Lungen-  und  Nierenerscheinungen  stark  in  den  Vorder- 
grund. Die  bacteriologische  Untersuchung  des  Blutes  wurde  an  drei 
aufeinander  folgenden  Tagen  und  zwar  im  weit  vorgerückten  Krankheits- 
stadium  vorgenonunen ,  blieb  jedoch  in  allen  Fällen  erfolglos.  Die  Er- 
klärung dieses  negativen  Resultats  wollen  wir  später  erörtern. 

Fall  III.  Prot.-Nr.  9008,  Initialgewicht  2760  g,  Körperlänge  48,6  cm. 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  12.  Lebenstage  (1.  II.  94),  Brustkind.  Bei 
der  Aufnahme  am  Kinde  abjectiv  keine  pathologischen  Erscheinungen 
nachweisbar,  sein  Körpergewicht  betrag  an  diesem  Tage  2700  g. 


BAtom 


Körper- 
gewicht 


Krankheiteiymptome 


Bact.  wurden 
nnterinoht 


1.IL  94 
2. 

3. 


4. 


6. 


2700 
2620 

2400 


6. 


2300 


2220 


2160 


2100 


16  dünnflüssige  Stühle,  Herztöne  kaam  hör- 
bar.   Körpertemperatur  38  ^  C. 

4  Stühle.  Im  Harn  Ei  weiss  und  zahlreiche 
Cy linder.  Ueber  d.  Lungen  r.  h.  o.  ver- 
kürzte Percussion.  Körpertemperatur  am 
Morgen  87,6,  Abends  37,6^  C. 

Temperat.  Morgens.  36,6,  Abends  37  ^  Sta- 
tus idem. 

6  Stühle,  beginnendes  Sclerem,  über  beiden 
Oberlappen  hinten  verkürzter  Percussions- 
Bchall,  über  den  Unterlappen  tympani- 
'  tischer  Schall. 

6  St.,  Temp.  Morgens  38 ^  Abends  37,2 ^ 
Angeblich  blutiger  Harn. 

Temp.  Morg.  36,2,  Abends  36,8  °,  Sclerem  in 
Zunahme,  Herztöne  schwach,  Respiration 
sehr  frequent,  Bauch  leicht  aufgetrieben, 
Lungen-  und  Nierenerscheinungen  besteh, 
unverändert  fort. 

31* 


4  Blutprob. 
4     do. 


2       do. 
2      do. 


476 


A.  Cserny  nnd  P.  Moser: 


Datum 


Körper- 
gewicht 


8.  II. 


Krftiüüielt«syinptom6 


B»ct.  worden 
nntenacht 


2  Blatprob. 


2160    Temp.  a.  m.  36,4,  p.  m.  85,8,  7  Stühle,  i.  der 
Schleimhaut  des  hart.  Gaumens  Petech., 
d.  weiche  Gaumen  in  seinem  ganzen  hint. 
Abschnitt   grauroth  verfärbt.    In  der  Gebend  d. 
link.  Unterkieferastes  e.  Anschwellng.     Das  In* 
spurium  von  e.  weit  hörbaren  schnarch.  GeiAusch 
begleitet.    Die  Besp.  ist  sehr  beschleun.,  Herz- 
action  unregelmässig,  Percussionsschall  üb.  beid. 
Lungen  gedämpft  tymp.,  hocbgrad.  Sclerem,  die 
Nierenerscheinungen  unverändert   fortbestehend. 
2%  Uhr  Nachts  Exitus  letalis. 

ElinischeDiagnose:  Gastroenteritis,  Sc)erema,  Pneumonia  lobu- 
laris  bilateralis,  Nephritis,  Necrosis  palati  mollis. 

In  diesem  acuten  Falle  zeigen  uns  die  klinischen  Symptome  deut- 
lieh  die  Verbreitung  des  Processes  über  den  ganzen  Organismus.  An 
6  Tagen  wurden  Blutproben  zur  bacteriologischen  Untersuchung  heran- 
gezogen. Von  14  beschickten  Nährböden  blieben  18  steril,  auf  einem 
vom  6.  .II.  kam  es  zur  Entwickeluug  von  zwei  gleichen  kleinen  Colo- 
nien.  Dieselben  erwiesen  sich  in  ihrer  Znsammensetzung  als  aus  lange 
Ketten  bildenden  Kokken  bestehend,  welche  sich  nach  Gram  intensiv 
färbten.  Der  Coccus  wuchs  bei  Körpertemperatur  gut  auf  Glycerinagar 
und  in  Bouillon,  konnte  dagegen  in  Gelatine-Stichculturen  (bei  Zimmer- 
temperatur) nicht  zum  Wachsen  gebracht  werden.  Auf  Kartoffeln  war 
man  nicht  im  Stande  makroskopisch  ein  Wachsthum  festzustellen.  In 
die  Ohrmuscheln  zweier  Kaninchen  geimpft,  bewirkte  der  Streptococcus 
erysipelatöse  Röthung  daselbst,  welche  nach  4  Tagen  spontan  zurück- 
gegangen war.  Einem  dritten  Kaninchen,  welchem  die  in  physio- 
logischer Kochsalzlösung  aufgeschwemmten  Streptokokken  in  die  Vena 
jugularis  injicirt  wurden,  zeigte  keine  Beactionserscheinungen.  Bei  einem 
vierten  Kaninchen,  in  die  vordere  Augenkammer  eingebracht,  verur- 
sachten sie  eine  acute  Panophthalmitis.  Es  handelte  sich  somit  in 
diesem  Falle  um  einen  pathogenen  Streptococcus.  Von  einer  wei- 
teren Differenzirung  des  Streptococcus  nehmen  wir  Abstand  mit  Bück- 
sicht auf  die  jdngsten  Angaben  von  Alessandro  Pasquale^),  welcher 
die  Methoden  zur  Unterscheidung  von  Streptokokkenarten  systematisch 
prüfte  und  dabei  zu  dem  Schlüsse  gelangte,  dass  eine  Trennung  der 
Streptokokken  nach  Arten  bisher  nicht  möglich  sei. 

Fall  IV.  Prot. -Nr.  9020,  Initialgewicht  2960  g,  Körperlänge  47  cm. 
Brustkind.  Eingebracht  am  4.  Lebenstage  (1.  II.  94)  mit  der  Diagnose 
Atrophie  und  einem  Körpergewicht  von  2400  g,  also  einer  Abnahme 
von  660  g.    Leichter  Icterus,  Meteorismus. 


Datum 

2.  n. 

8. 

4. 


Körper- 
gewicht 

2480 
2600 
2400 


Krankheitisymptome 


Baot.  wurden 
untersucht 


8  Stahle,  Soor  oris. 
4  Stühle,  Soor  oris. 
14  St,  Soor  oris,  anhält.  Schreien^  an  mehr. 

Stellen  üb.  d.  Dornfortsätzen  d.  Wirbel  u. 

i.  d.  Sacralgegend  Suffus.,  Haut  graugelb. 


2  Blutprob. 


1)  Pas  quäle,  Vergleichende  Untersuchungen  über  Streptokokken. 
Beiträge  z.  path.  Anatomie  u.  z.  allg.  Pathologie  v.  Ziegler.  B.XII.  S.  438. 


E^Iin.  Beobacht.  an  magendarmkranken  Kindern  i.  Sänglingsalter.     477 


Datum 


Körper- 
gewicht 


Krankheltiaymptom« 


Baot.  warden 
nnteriacht 


6.  II.      8200    Im  Harn  makro-   und   mikroskopisch  Blut   2  Blutprob. 

nachweisbar y  Stflhle  sind  gelb,  sonst  Sta- 
tus idem  vom  4.  II. 

6.  2100    8  St.   von   dunkelbrauner  Farbe,    Herztöne 

sehr  dumpf,  starker  Meteorismus,  sonst 
Status  idem  vom  4.  II. 

7.  2100    2  St.,  Herztöne  sehr  schwach  hörbar.  Ab-    2     do. 

dornen  sehr  stark  aufgetrieben,  im  Harn 
kein  Blut,  jedoch  viel  Eiweiss  u.  zahlreiche 
Gylinder.  Soor  besteht  fort,  desgl.  d.  Suff 

8.  2100    3  Si,  PercussionsBchall  über  beid.  Lungen    2     do. 

laut  tympan.,  Athm.  thoracal  und  frequ., 
Soor  hat  zugen.,  sonst  Stat.  id.  Tom  7.  II. 

9.  2100    Status  id.  yom  8.  U.    Die  H&nde  sind  in  d.    4     do. 

Badiocarpalgelenken  maximal  gebeugt  u.  i. 
d.  Metacarpophalangealgelenk.  liberstreckt. 

10.  2050    6  stink.  St.,  Corneae  matt,  Augenlidränder   2      do. 

geröthet,  Soor  intensiv,  Herztöne  kaum 
hörbar,  Athmung  sehr  firequ.,  mit  starker 
Einziehung  der  Rippenbogenfurchen,  r.  h. 
unten  verkürzter  Percnssionsschall  über 
der  Lunge,  Sclerem,  Meteorismus,  Beflex- 
erregbarKeit  herabgesetzt.  2  ühr  Nachts 
Exitus  letalis. 

Klinische  Diagnose:  Gastroenteritis,  Soor  oris,  Pneumonia  lobu- 
laris,  Nephritis,  Sclerema,  Suffosiones. 

In  diesem  schweren  Falle  von  Gastroenteritis  war  es  uns  möglich, 
schon  am  ersten  Tage  der  acuten  Magendarmerscheinungen  das  Blut 
bacteriologisch  zu  untersuchen.  Die  entsprechenden  Proben  ergaben 
jedoch  ein  negatives  Resultat.  Das  Blut  wurde  am  nächsten  und  in 
den  weiteren  4  Tagen  des  Krankheitsverlaufes  nochmals  untersncht. 
Aus  den  Blutproben  vom  6.  II.  entwickelten  sich  auf  jedem  Nährboden 
mehrere  Colonien,  welche  jedoch  kein  gleichartiges  Aussehen  unterein- 
ander zeigten.  Die  einen  waren  weiss,  undurchsichtig,  rund  und  scharf 
begrenzt,  die  anderen  waren  ebenfalls  weiss,  jedoch  durchscheinend  und 
zeigten  ausgebuchtete  Ränder.  Die  ersteren  erwiesen  sich  mikroskopisch 
aus  Kokken  zusammengesetzt,  welche  sich  nach  Gram  färben  Hessen, 
die  anderen  bestanden  aus  kurzen,  ziemlich  lebhaft  beweglichen  Stäb- 
chen, welche  oft  zu  zweien  angeordnet  waren.  Die  auf  Nährböden 
übertragenen  Blutstropfen  vom  7.  und  8.  II.  blieben  steril.  Dagegen 
entwickelten  sich  aus  dem  Blute  vom  9.  und  10.  auf  fünf  Nährböden 
gleichartige  Colonien,  welche  denen  vom  5.  II.  makro-  und  mikro- 
skopisch, sowie  in  ihrem  Wachsthum  vollkommen  glichen.  Die  Kokken 
zeigten  folgendes  Verhalten:  Bei  Köi-pertemperatur  rasches  Wachsthum 
auf  schräg  erstarrtem  Agar;  in  Gelatine  (Stich)  bei  Zimmertemperatur 
reichliche  Entwickelung  von  Colonien  im  Impfstich,  kein  Oberflächen- 
wachsthum,  späte  und  langsame  Verflüssigung  der  Gelatine;  auf  Kar- 
toffeln bildet  sich  ein  langsam  wachsender,  weisslicher,  schwer  sicht- 
barer Belag.  Die  Impfung  dieser  Kokken  in  die  vordere  Augenkammer 
eines  Kaninchens  verursachte  anfangs  Trübung  der  Cornea,  hierauf 
Hypopjon;  in  die  Blutbahn  eines  Kaninchens  gebracht,  rufen  sie  keine 
Erscheinungen  hervor.  Die  aus  dem  Blute  gezüchteten  Stäbchen 
wuchsen   bei  Körpertemperatur  rasch  auf  schräg  erstarrtem  Agar.    In 


478 


A.  Czemy  und  P.  Moser: 


Gelatine -Stichcnltiiren  zahlreiche  Colonien  l&ngs  des  Impfstiches  sicht- 
bar, auf  der  Oberfl&che  des  betrefifenden  N&hrbodens  ein  zarter,  un- 
regelmässig  begrenzter  Rasen.  Auf  Kartoffeln  entwickelte  sich  ein 
erbsengrosser  Belag.  Im  Traubenznckeragar  reichliche  Entwickelung 
von  Gasblasen  innerhalb  24  Stunden.  Beim  Wachsthnm  der  Bacillen 
in  Peptonlösnng  ist  Indolbildnng  nachweisbar.  Der  mit  den  Bacillen 
y ersetzte  sterile  Harn  zeigt  nach  24  Standen  starke  Trfibong  nnd  reich- 
liehen  Bodensatz,  die  Beaction  des  Harnes  ist  schwach  alkalisch.  Lakmas> 
bonillon  nimmt  nach  24  Stunden  Rothf&rbung  an.  Milch  wird  nicht  zur 
Gerinnung  gebracht  Ein  Kaninchen,  welchem  die  Bacillen  in  die  Blat- 
bahn  eingebracht  wurden,  ging  nach  sechs  Wochen  unter  Diarrhöen  und 
Abmagerung  zu  Grunde.  Bei  zwei  Meerschweinchen  rief  die  subcutane 
Injection  einer  Aufschwemmung  dieser  Bacillen  Abscessbildung  hervor, 
in  dem  Eiter  waren  die  Bacillen  in  Beincultur  nachweisbar.  Bei  einem 
Thiere  heilte  der  Eiterangsprocess  aus,  das  andere  ging,  infolge  Durch- 
braches des  Abscesses  in  die  BanchhOhle,  zu  Grande.  Die  Impfung  der 
im  Blute  des  Kindes  gefundenen  Bacillen  in  die  vordere  Au|^nkammer 
eines  Kaninchens  rief  nach  zwei  Tagen  eine  Panophthalmitis  hervor. 
Aus  dem  vereiterten  Bulbus  konnten  die  St&bchen  in  Beincultar  ge- 
züchtet werden.  Alle  morphologischen  und  biologischen  Eigenschaften 
dieser  Stftbchen  stimmen  demnach  überein  mit  denen  des  Bacterium 
coli  commune  Escherich' s.  Eine  diesbezügliche  Ausnahme  machen 
unsere  Bacillen  jedoch  insofern,  als  sie  die  Milch  nicht  zur  Gerinnung 
bringen.  Wir  müssen  jedoch  diesen  Umstand,  mit  Bücksicht  auf  eine 
später  zu  erörternde  Beobachtung,  als  keinen  Widerspruch  betrachten. 
Der  wiederholte  Befand  der  gleichen  Bacillen  und  Kokken  läset  in 
diesem  Falle  keinen  Zweifel  aufkommen,  dass  dieselben  aus  dem  Blute 
stammen. 

Fall  y.  Prot.-Nr.  8864,  Initialgewicht  2720  g,  Körperlänge  46  om, 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  7.  Lebenstage  (17.  1.  94),  JBrustkind.  Das 
Kind  hatte  am  17.  I.  ein  Körpergewicht  von  2050  g.  Die  Hautdecken 
icterisch,  an  den  unteren  Extremitäten  Sclerödem,  Scbädelknochen> 
ränder  übereinander  geschoben,  Athmung  thoracal,  über  der  rechten 
Lunge  hinten  verkürzter  Percussionsschall,  Herztöne  kaum  hörbar,  Bauch- 
decken sehr  schlaff. 


Datom 


18.  L 
19. 

20. 

21. 

22. 


Körper- 
gewicht 

2060 
2000 

1960 

1900 

1900 


Krankheiteiymptome 


B«ot.  wnrdea 
untersucht 


S  Blutprob. 
4    do. 

4    do. 

4    do. 

4    do. 


4  Stühle,  Erbrechen,  Herzschwäche. 

12  Stühle,  über  beiden  Lungen  bei  tiefer 
Inspiration  Knisterrasseln  hörbar. 

9  Stühle,  Somnolenz,  Bulbi  beständig  nach 
abwärts  gedreht. 

Sclerem,  Uorneal-  und  Gaumenreflex  stark 
herabgesetzt. 

Athmung  aussetzend,  oberflächlich;  nur  d. 
2.  Herzton  hörbar,  d.  Corneae  zeigen  ober- 
flächliche Eintrocknung  d.  Epithels,  intens. 
Soor,  Alles  wird  erbrochen,  Bauchdecken 
so  schlaff,  dass  durch  dieselben  d.  Darm- 
contouren  wahrzunehm.  sind.  D.  Lungen- 
erscheinuDgen  bestehen  unverändert  fort. 
10  Uhr  Abends  Tod. 

Klinische  Diagnose:  Gastroenteritis,  Pneumonia  lobul.,  Sclerema, 
Soor  oris. 


Klin.  Beobacht.  an  mageDdannkranken  Eindem  i.  Sftaglingsalter.     479 


An  diesem  Kinde  traten  die  IntozicationBerscfaeinungen  mehr  hervor 
als  die  InfectionseiBcheinungen.  Letztere  können  wir  jedoch  ans  den 
beobachteten  Lungensymptomen  deutlich  erschliessen.  Ob  die  Niere  in 
diesem  Falle  erkrankt  war,  können  wir  nicht  beantworten,  da  wir  das 
Kind  (Mädchen)  nicht  katheterisiren  wollten.  Die  bacteriologische 
Untersuchung  des  Blutes,  welche  täglich  Torgenommen  wurde,  ergab 
constant  ein  negatives  Resultat. 

Fall  VI.  Prot.-Nr.  9176,  Initialgewicht  3370  g,  Eörperlänge  48  cm, 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  1.  Lebenstage  (16.  IL  94).  Gut  entwickeltes 
Brustkind,  Herzspitzenstoss  vom  linken  Stemalrand  bis  zur  Mammilla 
tastbar,  Herztöne  rein. 


16.  IL      8200    Keine.  2  Blutprob. 

17.  8100    6  dünnflüss.  Stflhle,  keine  weit  Erschein.       2    do. 

18.  3080    7  dilnnflüss.  Stühle,  Unruhe  des  Kindes.         2    do. 

19.  8020    6  dünnflüss.  Stühle,  inspirator.  Einziehung    2     do. 

der  Rippenbogen-  und  Intercostal furchen, 
tymp.  rercussionsschall  üb.  beid.  Lungen, 
im  Harn  Eiweiss,  im  Sediment  desselben 
hyaline  und  grannlirte  Cylinder. 

20.  8000    3  Stühle,  Dyspnoe  nimmt  zu,  sonst  Status   2     do. 

idem  vom  19.  II. 

21.  2960    3  Stühle,  Resp.  sehr  frequent,  Nasenflügel-   2    do. 

athmung,  bei  der  Auscultation  dichtes 
Knisterrasseln,  Herztöne  kaum  hörbar. 
10  Uhr  Vormittags  Tod. 

Klinische    Diagnose:    Gastroenteritis ,    Pneumonia    lobularis, 
Nephritis. 

Der  Umstand,  dass  wir  bei  diesem  Kinde  bereits  am  2.  Lebenstage 
das  Blut  zur  Untersuchung  heranzogen,  also  zu  einer  Zeit,  wo  noch 
keine  krankhaften  Erscheinungen  am  Kinde  wahrnehmbar  waren,  macht 
das  Ergebniss  der  regelmässig  bis  zum  Tode  vorgenommenen  Unter- 
suchungen des  Blutes  bemerkenswerth.  Die  Blutproben  vom  2.  Lebens- 
tage sowie  vom  8.,  an  welchem  bereits  Darmsymptome  auftraten,  blieben 
steriL  Die  Butnntersuchungen  am  4.  Lebenstage,  an  welchem  die  Darm- 
Symptome  bereits  intensiv  in  Erscheinung  traten,  ergaben  einen  positiven 
Befund.  Auf  einem  Nährboden  von  diesem  Tage  entwickelten  sich 
mehrere  untereinander  gleiche  Colonien.  Die  Nährboden  vom  19.  und  20. 
blieben  keimfrei.  Dagegen  konnte  man  auf  einem  Nährboden  vom  21. 
mehrere  Colonien,  jedoch  von  verschiedenartigem  Aussehen  beodachten. 
Aus  dem  Blute  vom  4.  Lebenstage  wuchsen  auf  Agar  rasch  wachsende, 
durchscheinende,  weisse  Colonien,  welche  aus  Staphylokokken  be- 
standen, die  sich  nach  Gram  gut  färben  Hessen.  Makro-  und  mikro- 
skopisch diesen  vollständig  gleiche  Colonien  fonden  sich  auch  in  dem 
Blute  vom  letzten  Lebenstage.  Die  Identität  der  Kokken  von  beiden 
Tagen  wurde  qoch  bestätigt  durch  gleiche  biologische  Eigenschaften 
derselben.  In  der  Gelatine-Stichcultur  wuchsen  dieselben  längs  des 
Impfstiches,  zeigten  jedoch  kein  Oberflächenwachsthum  und  verflüssigten 
die  Gelatine  sehr  spät  und  langsam.  Auf  Kartoffeln  bildeten. die  Kokken 
einen  dicken,  grauen,  über  die  Impfstelle  hinauswachsenden  Belag  mit 
ausgebuchteten  Rändern.  Für  Kaninchen  erwiesen  sich  die  Kokken  als 
nicht  pathogen.  —  Ausser  diesen  Kokkencolonien  gingen  aus  dem  Blute, 


480  ^'  Cserny  nnd  P.  Moser: 

welches  am  leisten  Lebenstage  eDtnommen  wurde,  noch  eine  sweite  Art 
von  Colonien  hervor,  welche  aus  beweglichen,  nach  Gram  gut  färbbaren 
St&bchen  bestanden,  die  l&ogere  and  kfirzere  Formen  erkennen  Hessen. 
Auf  schräg  erstarrtem  Agar  bildeten  diese  Bacterien  einen  undurch- 
sichtigen, Tichtgelben  Belag.  In  Gelatine-Stichculturen  nur  Wachsthum 
längs  des  Impfstiches,  kein  Oberfiächenwachsthum^  keine  Verflflssigung 
zu  coDstatiren.  Auf  Kartoffeln  wird  ein  lichtgeiber,  auf  die  Impfstelle 
beschränkter  Belag  gebildet.  Im  Traubensuckeragar  erfolgt  keine  Gas- 
entwicklung. Milch  bringen  die  Bacillen  nicht  sur  Gerinnung.  Beim 
Wachsthnm  in  PeptonlOsun^  lässt  sich  keine  Indolbildung  constatiren. 
Lakmusbouillon  wird  nach  einigen  Tagen  roth  gefärbt.  Die  geschilderten 
Bacillen  erwiesen  sich  für  Kaninchen  als  nicht  pathogen. 

Fall  Vn,  7  Monate  altes  Kind,  wurde  am  20.  II.  94  mit  einem 
Körpergewichte  yon  3460  g  zur  ambulatorischen  Behandlung  in  die 
Anstalt  gebracht 

Anamnese:  Das  Kind  wurde  durch  7  Wochen  an  der  Brust  ernährt 
und  soll  während  dieser  Zeit  gesund  gewesen  sein.  Nach  Angabe  der 
Mutter  soll  sich  das  Kind  selbst  abgestillt  haben,  d.  h.  mit  anderen 
Worten  die  Brust  verweigert  haben,  und  musste  deshalb  von  der  achten 
Woche  an  mit  Griesbrei  und  Kuhmilch  ernährt  werden.  Bei  dieser 
Ernährung  wurde  es  bald  krank  und  blieb  es  die  ganze  folgende  Zeit 
hindurch. 

Status:  Stark  abgemagert,  Hautdecke  blass,  Fontanelle  eingesunken, 
HerztOne  dumpf;  Athmung  thoracal  mit  Einziehung  der  Intercostal- 
furchen,  Percussionsschall  über  beiden  Lungen  tjmpanitisch.  Bei  der 
AuBCultation  über  den  Lungen  verschärftes  Athmen  ohne  Rasselgeräusche 
wahrzunehmen.  Bauchdecken  schlaff  und  eingesunken.  Beobachtet  wird 
häufiges  Erbrechen  und  Aufstossen.  Der  Stuhl  enthält  unverdaute  grobe 
Massen  und  viel  Schleim.  In  den  vorhergegangenen  letzten  24  Stunden 
erfolgten  zehn  Stuhlentleerungen. 

Klinische  Diagnose:  Gastroenteritis  chronica,  Pneumonia  lobu- 
laris  bilateralis. 

Am  genannten  Tage  wurden  von  dem  Kinde  zwei  Blutproben  ent- 
nommen. Aus  beiden  entwickelten  sich  weisse,  circumscripte,  durch- 
scheinende, aus  Kokken  bestehende  Colonien.  Die  Kokken  waren  zu- 
meist zu  Zweien  angeordnet,  rund  und  nach  Gram  gut  tärbbar.  In 
Gelatine-Stichculturen  bestand  Wachsthum  längs  des  Impfstiches,  kein 
Oberfläohenwachsthum.  Die  Verflüssigung  der  Gelatine  erfolgte  spät 
und  langsam.  Auf  Kartoffeln  bildeten  die  Kokken  einen  grauweissen, 
über  die  Impfstelle  hinauswachsenden  Belag,  für  Kaninchen  waren  sie 
nicht  pathogen. 

Am  27.  II.  wurde  das  Kind  wieder  vorgestellt,  sein  Körpergewicht 
betrug  8620  g.  Das  Kind  soll  nach  Angabe  der  Mutter  wieder  munterer 
sein,  mehr  Schlaf  haben.  Das  Erbrechen  hat  aufgehört,  das  Aufstossen 
besteht  jedoch  fort.  Die  tägliche  Zahl  der  Stuhle  beträgt  5.  —  Objectiv 
lässt  sich  constatiren,  dass  die  Dyspnoe  geringer  ist,  die  Athmung  ist 
jedoch  noch  thoracal.  Die  Herzaction  ist  kräftig,  Meteorismus  leichten 
Grades  vorhanden.  Auch  an  diesem  Tage  wurden  zwei  Blutproben  ent- 
nommen. Es  entwickelten  sich  abermals  Colonien,  welche  von  Kokken 
gebildet  wurden;  dieselben  waren  jedoch  mit  denen  vom  20.  II.  nicht 
identisch.  Sie  bildeten  auf  Bchräg  erstarrtem  Agar  runde,  scharfrandige 
Colonien,  deren  anfangs  weisRC  Farbe  nach  einigen  Tagen  einer  gelben 
Färbung  gewichen  war.  In  Gelatine  entwickelte  sich  längs  des  Impf- 
stiches üppiges  Wachsthum,  an  der  Oberfläche  war  jedoch  hiervon  nichts 
zu  constatiren.  Unter  dem  Bilde  eines  allmählichen,  centralen  Einsinkens 
der  Gelatine  ging  die  langsame  Verflüssigung  derselben  vor  sich.  —  Die 


Elin.  Beobacht.  an  magendarmkranken  Kiadem  i.  Säagiingsalter.     481 

EartofFeln  seigien  einen  gl&nzenden,  wachsgelben  Belag.   Für  Kaninchen 
waren  die  Kokken  nicht  pathogen. 

Am  13.  IIL  hatte  das  Kind  bereits  ein  Körpergewicht  von  3760  g.  — 
Drei  Tage  vorher  erfolgte  der  Durchbrach  zweier  Schneidezahne  im  Unter- 
kiefer. Zeitweilig  tritt  noch  Aufstossen  ein.  Täglich  4—6  stinkende 
Stühle.  Der  objective  Befnnd  hatte  sich  insofern  gebessert,  als  die 
Lnngenerscheinnngen  verschwunden  waren.  Zwei  an  diesem  Tage  ent- 
nommene Blutstropfen  enthielten  keine  Mikroorganismen. 

Fall  YIII.  Prot.-Kr.  9507,  Initialgewicht  2990  g,  Körperlänge  49  cm, 
eingebracht  am  13.  Lebenstage  (21.  III.  94)  mit  einem  Körpergewicht 
von  2360  g  und  der  Diagnose  Gastroenteritis.  —  Abgemagertes 
Kind,  Mundhöhlenschleimhaut  intensiv  geröthet,  Athmung  thoracal.  Per- 
cussionsschall  über  beiden  Lungen  tympanitisch,  Auscultationsbefund 
negativ,  Herztöne  dumpf,  Bauchdecken  schlaff.    Brustkind. 


Datum 


Kftrper- 
gewioht 


Kraukheitesymptome 


Baot.  wardea 
onterBUoht 


4  Blutprob. 


21.  in.      2360     4  dünnflüss.  St.,  Herzaction  sehr  schwach, 

im  Harn  Eiweiss   und   Cylinder,    Körper- 
temperatur 37  ^  C. 

22.  2270     1  Stuhl,  Erbrechen,  Temp.  a.  m.  36,8,  p.  m. 

37,2  ^  Nierensymptome  nnveränd.  fortbest. 

23.  2300  Somnolenz,  aus  der  Zungenschleimhaut  ge- 
ringe diffuse  Blutung,  hocbgrad.  Dyspnoe, 
starke  inspirat.  Einzieh.  d.  Rippenbogen- 
furchen,  üb.  d.  ünterlappen  d.  beid.  Lungen 
hinten  verkürzter  PercussionsschalL  Um 
3  Uhr  Nachts  Exitus  letalis. 

Klinische  Diagnose:  Gastroenteritis ,  Pneumonia  lobularis, 
Nephritis. 

Am  letzten  Lebenstage  wurden  von  diesem  Kinde  4  Blutproben  zur 
bacteriologischen  Untersuchung  herangezogen.  Auf  allen  Nährböden 
entwickelten  sich  vollkommen  gleiche,  langsam  wachsende,  weisse, 
kreisrunde,  scharfkantige  Colonien,  welche  von  Streptokokken  ge- 
bildet wurden.  Auf  Agar  blieben  die  Ketten  sehr  kurz,  erreichen 
jedoch  in  Bouillon  eine  bedeutende  Länge.  Im  Stichcanal  der  Gelatine- 
cultur,  welche  kein  Oberflächenwachst^um  zeigte,  zahlreiche  kleine 
Colonien  sichtbar.  Die  Gelatine  wurde  nicht  verflüssigt.  Die  Kartoffeln 
zeigten  einen  gleichmässigen ,  dünnen,  hellgrauen,  matten  Belag.  Der 
Streptococcus  färbt  sich  nach  Gram  sehr  intensiv.  Subcutan  in  die 
Ohrmuscheln  von  zwei  Kaninchen  geimpft,  rief  er  keine  Erscheinungen 
hervor.  Einem  dritten  Kaninchen  intravenös  beigebracht,  verursachte  er 
den  Tod  des  Thieres  nach  6  Ta^en,  aus  der  Milzpulpa  und  dem  Herz- 
blute wurden  die  Streptokokken  in  Reincultur  wieder  gewonnen.  Einem 
vierten  Kaninchen  wurde  der  Coccus  in  die  vordere  Augenkammer  geimpft 
und  rief  nach  2  Tagen  ein  bedeutendes  Hypopyon  hervor.  In  dem  Eiter 
konnten  mikroskopisch  und  bacteriologisch  nur  die  Streptokokken  nach- 
gewiesen werden.  —  Der  in  diesem  Falle  gefundene  Streptococcus 
kann  wegen  seiner  differenten  Eigenschaften  nicht  mit  dem  im  Falle  III 
gefundenen  identificirt  werden. 

Fall  IX.  Prot.- Nr.  8803,  Körperlänge  50  cm,  wurde  mit  einem 
Körpergewicht  von  3020  g  am  13.  Lebenstage  (10.  I.  94)  in  die  Anstalt 
aufgenommen   wegen    Erkrankung    der  Mutter    an    Sepsis   puerperalis. 


482 


A.  Czerny  und  P.  Moaer: 


Das  Kind  zeigte  bereÜB  deutliche  Abmagening,  eingesunkene  Fontanelle 
und  Soor  oris. 


DAtmn 


Körper- 
gewioht 


Krankheitetjrmptome 


12. 
13. 


I. 


14. 


15. 


16. 


2900 
2770 


2650 


2670 


Baoi.  wurden 
nntenaoht 


I 


2630 


2  Blutprob. 


2    do. 


4     do. 


4  dyspeptische  Stühle,  Erbrechen. 

6  St,  Erbrechen,  im  Harn  Ei  weiss,  Zucker 
u.  zahlreiche  Cylinder.  Temp.  a.  m.  88  ^ 
p.  m.  38,2  ^ 

6  St,  Erbrechen  dauert  an,  Herzschw&che, 
intens.  ROthong  d.  MundhOhlenschleimhaut, 
Soor  besteht  fort 

Tp.  a.  m.  37,8 ^  p.  m.  37,6;  4  St.,  Haut- 
decken grau,  HerztCne  kaum  hörbar,  über 
beid.  Lungen  hinten  u.  oben,  jedoch  auf 
d.  recht  Seite  weit  nach  abwärts  reichende 
Dämpfung  d.  Percussionsschalles. 

Tp.  a.  m.  89  ^  p.  m.  88,2  ^  Pupillen  sehr 
weit,  reactionslofl,  Fontanelle  tief  einge- 
Bunken,  Athm.  thoracal,  frequ.,  oberflächl. 
1  Herzton  nicht  hörbar.  Sclerem,  Nieren - 
erscheinungen  besteh,  fort,  desgl.  d.  Soor. 
4  Uhr  Morgens  Exitus  letalis. 

Klinische  Diagnose:  (Gastroenteritis,  Pneumonia  lobularis, 
Nephritis,  Sclerema,  Soor  oris. 

An  drei  Yorsohiedenen  Tagen  wurden  in  diesem  Falle  Blutproben 
bacteriologisch  untersucht,  jedoch  sämmtliche  als  steril  befunden. 

Fall  X.  Prot-Nr.  9263,  Initialgewicht  3270  g,  Köiperlänge  49,6cm, 
eingebracht  mit  der  Diagnose  Gastroenteritis  und  mit  einem  Körper- 
gewicht Ton  2620  g  am  10.  Lebens  tage  (24.  U.  94^.  Es  bestand  also 
bereits  eine  (Gewichtsabnahme  von  760  g.  —  Die  blassen  Hautdecken 
icterisch  verfärbt,  l.  y.  o.  über  der  Lunge  verkürzter  Percussionsschall, 
an  den  Lungenrändern  Knisterrasseln,  die  Bauchdecken  schlaff.  Brustkind. 


Dmtnm 

Körper- 
gewicht 

24.  IL 

2620 

26. 

2600 

26. 

2600 

27. 

2460 

28. 

2460 

1.  IIL 

2460 

2. 

2420 

3. 

2430 

4. 

2460 

6. 

2460 

6. 

2470 

7. 

2500 

8. 

2600 

ö     i 

2480 

XO.    1 

2480 

Krsnkheitsiymptome 


Baoi.  worden 
nntemicht 


6  dyspeptische  Stühle. 

6  St,  im  Harn  viel  Eiweiss  u.  zahlr.  Gyl. 

4  Stühle. 

6  St.,  inspirat.  Einziehung  d.  Rippenbögen. 

3  dunkelgrüne  St.,  Husten,  r.  h.  o.  verkürzter 
Percussionsschall  über  der  Lunge. 

4  Stühle. 
3  Stühle. 

3  Stühle,  Lungen-   u.  Nierenerscheinungen 
dauern  noch  an. 

2  Stühle,  Erbrechen. 

3  Stühle,  Erbrechen  besteht  fort.    Soor  oris. 
Herzschwäche. 

3  St,  Erbrechen  hat  aufgehört     Soor  oris. 
Starker  Husten.    Soor  oris. 

4  St.,  Herzaction  wieder  kräitig.  Soor  oris. 
4  Stühle,  Soor  in  Heilung. 

1  Stuhl,  Otitis  media  sin.  lat 


2  Blutprob. 
2    do. 
2    do. 


2 
2 


do. 
do. 


2    do. 


2     do. 
2     do. 


EÜB.  Beobacht.  an  magendarmkranken  Eindern  i.  Säuglingsalter.     483 


Die  Langen-  nnd  Nierenencheinungen  waren  erst  am  20.  III.  voll- 
ständig  geschwunden.  Von  dieser  Zeit  an  erfolgte  ständige  Zunahme 
des  Körpergewichtes.^  Das  Kind  verblieb  von  da  an  bis  zu  seiner  Ent- 
lassung am  29.  IV.  YoUständig  gesund  und  verliess  die  Anstalt  mit  einem 
Körpergewichte  von  4260  g. 

Klinische  Diagnose:  Gastroenteritis,  Pneumonia  lobularis, 
Nephritis,  Soor  oris,  Otitis  media. 

Von  dem  Kinde  wurde  während  des  Bestandes  der  Krankheit  das 
Blut  8  Mal  bacteriologisch  untersucht.  In  zwei  Blutproben,  und  zwar 
in  einer  vom  28.  II.  und  einer  vom  S.  III.,  entwickelten  sich  Staphylo- 
kokkencolonien,  welche  sich  in  allen  ihren  Eigenschaften  als  voll- 
ständig gleich  erwiesen.  Alle  übrigen  Blutproben  blieben  ebenso  steril, 
wie  zwei  weitere  Blutproben  von  demselben  Kinde  vom  28.  und  31.  III., 
dies  ist  zu  einer  Zeit,  wo  das  Kind  bereits  wieder  gesund  war.  Die 
erwähnten  Kokken  Hessen  sich  nach  Gram  färben.  Sie  wuchsen  (bei 
Bruttemperatur)  auf  schräg  erstarrtem  Af^ar  rasch  als  weisser,  leicht 
durchscheinender  Belag  mit  unregelmäasigen  Contouren.  In  Gelatine 
beschränkte  sich  das  Wachsthum  der  Colonien  nur  auf  den  Impfstich. 
Die  Verflüssigung  der  Gelatine  erfolgte  langsam  unter  Bildung  eines 
Trichters.     Auf  £[artoffeln   entwickelte  sich  ein  massig  dicker,   weiss- 

frauer,  mattglänzender  Belag  mit  mannigfaltig  ausgebuchteten  Bändern, 
ür  Kaninchen  sind  die  Kokken  nicht  pathogen. 

Fall  XI.^  Prot.-Nr.  9327,  Initialgewicht  2260  g,  Körperlänge  46  cm, 
Aufoahme  in  die  Anstalt  am  7.  Lebenstage  (3.  III.  94)  mit  einem  Körper- 
gewichte von  1990  g.    Brustkind. 


DAtam 


Körper- 
gewicht 


Erankheitssymptome 


Baot.  worden 
onieraacht 


6. 
7. 
8. 
9. 


10. 


2  Blutprob. 


4.  III.      2000     Stuhl  dyspeptisch. 
6.  2020    3  dyspeptische  Stühle. 

2020     3  do. 

1900    6  Stühle,  Erbrechen,  Herzschwäche. 

1800    Status  idem  vom  7.  III. 

1760  3  Stühle,  Erbrechen,  Blutung  a.  d.  linken 
äuss.  Gehörgang  und  aus  d.  Nase,  rechts 
von  den  Dornfortsätzen  d.  Lendenwirbel 
eine  kreuzergrosse  Suff.,  über  d.  rechten 
Lunge  hint.  Dämpfung,  b.  d.  Auscultation 
spärliches  Knistern. 

1700    2  St.,  Erbrechen  nach  jeder  Nahrungsauf-  4      do. 
nähme,  Atbmnng  oberflächl.,  durch  lange 
Pausen  hindurch  aussetzend,  b.  Schreien 
bleibt  die   l.  Gesichtshälfte  in  Buhe,  die 
Lider  des  1.  Auges  verschliess.  dass.  nicht 
mehr,  d.  Pup.  sind  ena  contrah.   D.  Nasen 
spitze  ist  violett  veiiärbt,   am  l.  Nasen 
flugel   kleine  Suff.     Der  vorgezeigte  Stuhl 
enthält  Blut,  die  Blut,  aus  d.  1.  Ohre  und 
aus  d.  Nase  dauern  fort.     An  d.  Lungen- 
rändern  dicht.  Basseln.    11  Uhr  Vorm.  Tod. 

Klinische  Diagnose:  Gastroenteritis^  Pneumonia lobularis,  Paresis 
n.  facialis  later.  sin.,  Haemophilia. 

In  dem  vorliegenden  Falle  erscheint  es  erwähnenswerth,  dass  keinerlei 
Anhaltspunkte  für  die  Diagnose  einer  congenitalen  Lues  bestanden.   Die 


484  A.  Cserny  und  P.  MoBer: 

Blatangen  traten  zu  einer  Zeit  bei  dem  Kinde  anf,  wo  eine  allgemeine 
Intoxication    und   Infection  bereits  ans   den  ErankbeitsBjmptomen  er- 
BcblosBen  werden  konnte.     Zur  bacteriologiacben   UnterBnchnng  wurde, 
wie  bei  allen  anderen  Kindern,  Gapillarblat  auB  den  Zehen  entDommen* 
In  einer  Blutprobe  vom  9.  III.  kam  eB  cur  Entwicklung  yon  Bacillen, 
welche  Bich  morpholog^iech  und  in  ihren  Gnltnreigenthümlichkeiten  als 
identisch  mit  dem  Bacterium  coli  comm.  Escherich    erwiesen.     Be- 
merken swerth  scheint  nur,   dass  dieses  Bacterium  ebenso  wie  das  im 
Falle  IV  gefundene   die  Milch   nicht  zur  Gerinnung  brachte.     Als  wir 
das  Bacterium  in  die  Blutbahn  eines  Kaninchens  einbrachten,  ging  das 
Thier   unter   diarrhöischen    Erscheinungen   innerhalb    von  6  Tagen    zu 
Grunde.    Die  aus  dem  Herzblute  und  aus  der  Milch  in  Reincultur  wieder 
gewoxmenen  Bacillen  brachten  jedoch  jetzt  die  Milch  unter  Säurebildung 
m  86  Stunden  zur  Gerinnung.    Wir  wollen  hervorheben,   dass  wir  die 
Section  des  Thieres  und  die  Abimpfung  sofort  nach  eingetretenem  Tode 
vornahmen.    Unsere  Bacillen  haben  somit  erst  beim  Durchzuge  durch 
den  ThierkOrper  die  für  sie  charakteristische  Eigenschaft,  die  Milch  zur 
Gerinnung  zu  bringen,  erlangt.    Mit  Rücksicht  auf  diese  Erscheinung 
halten  wir  uns  für  berechtig,  die  von  uns  gefundenen  Bacterien  mit 
dem  Bact.  coli  comm.  zu  identificiren,  nachdem  sie  in  ihren  übrigen 
Erscheinungen  diesem  vollkommen  entsprachen.    In  die  vordere  Augen- 
kammer eines  Kaninchens  gebracht,  bewirkten  sie  daselbst  eine  intensive 
Eiterung.    In   dem  vereiterten  Bulbus   Hessen   sich  mikroskopisch   und 
durch  das  Culturverfahren  nur  die  genannten  St&bchen  nachweisen.   Aus 
s&mmtlichen   dem  Kinde  am   10.  III.   entnommenen  Blutproben  gingen 
zahlreiche,   gleichartige  Colonien  auf,  welche  aus  lebhaft  beweglichen 
St&bchen  bestanden.    Dieselben  liessen  sich  nach  Gram  nicht  r&rben. 
Die  Culturen  auf  schräg  erstarrtem  Agar  waren  scharfrandig,  kreisrund, 
grünlich  durchscheinend.    An  den  folgenden  Tagen  zeigte  der  Nährboden 
m  der  Umgebung  derselben  eine  lauchgrüne  Verfärbung.    Die  Gelatine 
erfährt   unter   intensiver  GrünfUrbung   eine   sehr  rasche  Verflüssigung. 
An   der  Oberfläche  der  verflüssigten  Gelatine  kann  man  eine  Kahmhaut 
constatiren.    Bei  Züchtung  in  Peptonlüsung  ist  Indolbildung  nachweisbar. 
Auf  Kartoffeln  bildet  sich  unter  Grünfärbung  des  Nährbodens  ein  rost- 
brauner Belag.     Die  Impfung  von  Milch  mit  den  Bacillen  bewirkt  Ge- 
rinnung, unter  grünlichgelber  Verfärbung  und  alkalischer  Reaction  des 
Milch  Serums.    Im  Tranben  zu  ckeragar  tritt  keine  Gährung,   sondern  nur 
Farbstoffproduction  ein.     Die  Bouillon  wird  rasch  getrübt  unter  gelb- 
grünlicher Verfärbung  und  Bildung  einer  Kahmhant.     Einem  Kaninchen 
wurden  die  Bacillen  intravenös  applicirt,  dasselbe  starb  unter  starken 
Diarrhöen  nach  4  Tagen.    Der  mit  dem  Herzblute  und  der  Milzpulpa 
beschickte    Nährboden    wies    die    Bacillen   in   Reincultur   auf.     In   die 
vordere  Augenkammer   eines  Kaninchens  geimpft,   bewirkten  sie  nach 
Ablanf  von  24  Stunden  Panophthalmitis.   Nach  den  angeführten  Eigen- 
schaften dieser  Stäbchen  erscheint  es  uns  gerechtfertigt,  dieselben  mit 
dem  Bacillus  pyocyaneus  zu  identificiren. 

Fall  XII.  Prot.-Nr.  9837,  Initial  gewicht  8920  g,  KOrperlänge  52  cm, 
in  die  Anstalt  eingebracht  am  13.  Lebenstage  (23.  IV.  94)  mit  einem 
Körpergewicht  von  2830  ff,  somit  einem  Gewichtsverlust  von  1090  g. 
Die  beigegebene  Diagnose  lautete  anf  Pneumonie.  —  Status  vom  23.  IV.: 
Abgemagertes  Kind,  Hautdecken  grau,  an  den  Extremitäten  Sclerem  in 
Entwicklung.  Grosse  Fontanelle  eingesunken,  Somnolenz,  Mundhöhlen- 
Bchleimhaut  dunkelroth,  Athmung  sehr  ^frequent  mit  inspiratorischer 
Ginziehung  der  Rippenbogenfurchen  und  der  Intercostalräume.  Üeber 
beiden  Lungen  hinten,  rechts  bedeutender  als  links,  verkürzter  Per- 
cussionssohail,  vorne  über  der  Lunge  tympanitischer  Percussionsschall- 


KÜD.  Beobacht.  an  magendarmkranken^Kindern  i.  SäuglingBalter.     485 


Bei    der    Auscaltation    versch&rftes    Ezspirium    ohne    Rasselgeräusche. 
Banchdecken  sehr  schlaff. 


Baittm 

~j^^'                                  Krankheitesymptome 

Bact.wurdea 
ontersaoht 

24.  IV. 
25. 

2860 
2850 

Temp.  a.  m.  36,6,  p.  m.  37,4.    8  dünnflass. 

Stühle,  erbricht  Alles,  Anurie.    Sclerema 

in  Zunahme. 
Temp.  88,2.   Kein   Stahl,   kein  Harn,   Cor- 

neal-   und  Gaumenreflex  erloschen,    Ath- 

mung  oberflächl.,  Herztöne  kaum  hörbar. 

9  Uhr  Vormittags  £zitus  letalis. 

2  Blutprob. 

Elinittche  Diagnose:  Gastroenteritis,  Pneumonia  lobular,  bila- 
teralis,  Sclerema. 

Aus  den  am  24.  IV.  entnommenen  Blutproben  gelangten  zweierlei 
Mikroorganismen  2ur  Entwicklung.  Die  einen  erwiesen  sich  mikroskooisch 
als  Staphylokokken,  welche  sich  nach  Gram  gut  färbten  una  auf 
schräff  erstarrtem  Agar  orangegelbe,  kreisrunde,  undurchsichtige  und 
Bcharnrandige  Golonien  bildeten.  Die  Gelatine  wurde  von  diesen  Kokken 
rasch  verflüssigt  Auf  Kartoffeln  bildeten  sie  einen  dünnen,  |;elben 
Belag,  der  nur  wenig  über  die  Impfstelle  hinauswuchs.  Ein  mit  den 
Kokken  iutrayenös  geimpftes  Kanindien  ging  in  24  Stunden  zu  Grunde. 
Aus  dem  Hensblute  und  der  Milzpulpa  desselben  wurden  die  Kokken  in 
Beincultur  wieder  erhalten.  In  die  vordere  Augenkammer  eines  Kaninchens 
gebracht,  bewirkten  sie  daselbst  Eiterung.  Aus  dem  enudeirten  Bulbus 
liessen  sie  sich  in  Beincultur  züchten.  Nach  den  angefahrten  Eigen- 
schaften muss  dieser  Coccus  als  Staphylococcus  pyogenes  aureus 
bezeichnet  werden. 

Die  anderen  im  Blute  des  Kindes  gefundenen  Mikroorganismen 
waren  dicke,  kurze,  unbewegliche  Stäbchen,  welche  sich  nach  Gram 
nicht  färbten.  Ihre  Colonien  auf  schräg  erstarrtem  Agar  waren  weiss, 
undurchsichtig,  scharfrandig  und  von  unregelmässiger  Form.  Im  Trauben- 
zuckeragar  riefen  sie  intensive  Gasentwicklung  hervor.  In  Gelatine  ent- 
wickelten sich  längs  des  Impfstiches  zahlreiche  Colonien,  an  der  Ober- 
fläche zeigte  sich  eine  gleichmässige  Ausbreitung  in  der  Umgebung  der 
£instichöffnuD|^.  Auf  Kartoffeln  bildeten  die  Stäbchen  einen  dicken, 
weisslichen,  mit  Gasblasen  stark  durchsetzten,  über  die  Impfstelle  hinaus- 
wachsenden Belag.  In  Peptonlösung  erfolgte  Indolbildung.  Die  Milch 
wurde  innerhalb  von  24  Stunden  zur  Gerinnung  gebracht.  Intravenös 
einem  Kaninchen  beigebracht,  bewirkten  sie  dessen  Tod  in  10  Tagen. 
Bei  der  Section  zei^n  sich  die  Follikel  des  Dünndarmes  stark  ge- 
schwellt, in  den  meisten  derselben  fanden  sich  Blutungen  vor.  In  die 
vordere  Augenkammer  eines  Kaninchens  gebracht,  bewirkten  sie  keine 
Erscheinungen.  Auf  Grund  der  aufgezählten  Eigenschaften  dieses  Mikro- 
organismus glauben  wir  ihn  mit  dem  Bactdrium  lactis  aerogenes 
Escher ich*s  identificiren  zu  dürfen. 

Fall  Xin.  Prot.-Nr.  9812,  Initialgewicht  2760  g,  Körperlänge  60  cm, 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  8.  Lebenstage  (1.  Ul.  04)  mit  einem  Körper- 
gewicht von  8010  g.  —  Gut  entwickeltes  Brustkind. 


DAtnm 


8.  III. 

4. 

6. 


KruikheiUflymptome 


Bact.  wurden 
ontersacht 


2920 
2800 
2760 


2  Stühle. 

6  Stühle,  Erbrechen. 

8  Stühle,   Erbrechen,    Meteorisrnns,    Herz- 
schwäche.   Im  Harn  Zucker,  Eiweiss  u.  Gyl. 


2  Blutprob. 


486 


A.  Czeray  nnd  P.  Moser: 


Datum 


6.  III. 
7. 

8. 

9. 

10. 


Körper- 
gewicht 


Krankheitsiymptome 


2700 
2700 

2700 
2700 
2720 


Status  idem. 

Erbrecheii    hat    aufgehört,    Hersschwftche 

dauert  fort. 
Hersaction  kräftig,  Soor  oris. 
2  Stahle.    Soor  oris. 
1  Stahl,  aus  dem  L  Ohr  eitriger  AuBfluss. 

Soor  oris. 


Baet.  müden 
notenucht 


2Blntprob. 
2    do. 

2    do. 
2     do. 


Vom  10.  III.  an  begann  das  Kind  an  Gewicht  regelmäesig  suzo- 
nehmen,  so  dass  es  am  20.  III.  mit  einem  Körpergewichte  yon  3100  g 
entlassen  werden  konnte.  Die  Nierenerscheinungen  waren  am  13.,  der 
Soor  erst  am  17.  III.  yerschwunden. 

Klinische  Diagnose:  Gastroenteritis,  Nephritis,  Soor  oris,  Otitis 
media  sin.  lat. 

In  diesem  Falle  wurde  das  Blut  während  des  Bestandes  der  Er- 
krankung an  6  Tasen  hintereinander  nntersncht,  ausserdem  auch  einmal 
nach  Ablauf  der  Erkrankung  und  swar  am  18.  III.  Die  Blu^roben  yom 
letztgenannten  Tage  blieben  steril.  In  den  im  Verlaufe  der  Erkrankung 
entnommenen  Blutproben  entwickelten  sich  in  je  einer  vom  6.  und  9.  III. 
Colonien  Yon  Staphylokokken,  welche  morphologisch,  biologisch  und 
beim  Thierexperimente  ein  Yollkommen  analoges  Verhalten  zeigten,  wie 
die  im  Falle  A  gefundenen« 

Fall  XIV.  Am  1.  IIL  94  wurde  ein  14  Wochen  altes  Elnd  TOm 
Lande  zur  ambulatorischen  Behandlung  in  die  Anstalt  gebracht  Nach 
Angabe  der  Mutter  soll  dasselbe  bis  zur  9.  Woche  an  der  Brust  ernährt 
worden  sein,  litt  jedoch  schon  bei  der  Brustnahrung  seit  der  4.  Lebens- 
woche beständig  an  Erbrechen.  Das  Erbrechen  des  Kindes  veranlasste 
die  Mutter  anzunehmen,  dass  ihre  Milch  „zu  stark^*  sei,  und  sie  entschloss 
sich  deshalb,  das  Kind  abzustillen.  Das  Kind  wurde  nun  von  da  an  mit 
verdünnter  Kuhmilch  ernährt,  magerte  aber  dabei  sichtlich  ab.  Sein 
Körpergewicht  betrug  am  1.  IIL  2540  g. 

Status  des  Kindes  vom  1.  III.:  Hochgradig  abgemagert,  die  Haut- 
decken lassen  sich  in  grossen,  schlaffen  Falten  abheben.  Der  Gesichts- 
ausdruck des  Kindes  erscheint  greisenhaft,  dasselbe  liegt,  die  unteren 
Extremitäten  im  Hüft-  und  Kniegelenk  stark  flectirt,  ruhip,  fast  be- 
wegungslos da.  Die  Herzaction  ist  regelmässig  und  kräftig;  die  Athmuog 
ist  thoracal,  frequent,  oberflächlich,  bei  der  Inspiration  eru>lgt  Einziehung 
der  Zwischenrippenfurchen.  Der  Percussionsschall  über  beiden  Lun^n 
ist  laut  tympanitisch.  Bei  der  Anscultation  scharfes  Respirium,  es  smd 
keine  bronchitischen  Geräusche  zu  constatiren.  Durch  die  schlaffen 
Banchdecken  sind  die  Contouren  des  aufgetriebenen  Magens  nnd  dessen 
peristaltische  Bewegungen  sichtbar.   Lehmartiger,  fester,  stinkender  Stahl. 

KlinischeDiagnose:  Gastroenteritis  chronica,  Pneumonia  lobularis. 

Das  Kind  wurde  am  18.  III.  wieder  vorgestellt  und  zwar  mit  einem 
Körpergewicht  von  2670  g.  —  Nach  Angabe  der  Mutter  hat  das  Kind 
täglich  einen  festen,  übelriechenden  Stuhl,  zeitweilig  Erbrechen.  Die 
Haut  ist  trocken  und  schuppend.  Der  übrige  Status  ist  unverändert 
Auch  am  19.  HL,  •  an  welchem  das  Kind  ein  Körpergewicht  von  2620  g 
hatte,  zeigte  sich  keine  Aenderung  in  dem  Befinden.  Erst  von  da  an 
begann  sich  das  Kind  zu  erholen,  so  dass  es  am  24.  IV.  als  geheilt  aus 
der  Behandlung  entlassen  werden  konnte.  Sein  Körpergewicht  betrag 
an  diesem  Tage  2970  g,  —  Das  Blut  des  Kindes  wurde  drei  Mal  und  zwar 


Elin.  Beöbachi.  an  magendarmkranken  Kindern  i.  Säaglingsalter.      487 


am  1.,  13.  and  19.  III.  bacteriologisch  untersucht  und  jedesmal  entwickelten 
sich  ans  demselben  Staphylokokkencolonien,  welche  sich  unter- 
einander als  vollkommen  identisch  erwiesen.  Morphologisch  und  in 
ihrem  Verbalten  auf  den  verschiedenen  Nährböden  glichen  diese  Kokken 
den  in  den  Fällen  X  und  XIII  gefundenen.  Eine  DifPerenz  zeigte  sich 
nur  beim  Thierversnche  insofern,  als  ein  Kaninchen,  welchem  die 
Staphylokokken  dieses  Falles  in  die  Blutbahn  gebracht  wurden ,  nach 
24  Tagen  zu  Grunde  ging.  Während  der  ganzen  Zeit,  von  der  Impfung 
an  bis  zu  seinem  Tode,  verhielt  sich  das  Thier  auffalleud  ruhig,  liess 
immer  die  Ohren  hängen  und  zei^  ein  struppiges  Fell.  Bei  der  Seciion 
fand  sich  in  der  rechten  Lunge  ein  pneumonischer  Herd.  Im  Blute  des 
Thieres  konnten  jedoch  keine  Mikroorganismen  nachgewiesen  werden. 

Fall  XV.  Prot. -Nr.  9840,  Initial  gewicht  8180  g,  Körperlänge  48  cm, 
Aufnahme  in  die  Anstalt  am  8.  Lebenstage  (24.  IV.  94)  mit  einem  Körper- 
gewichte von  2490  g,  somit  eine  Abnahme  von  690  g.  Brustkind;  soll 
nach  Angabe  der  Mutter  durch  3  Tage  sehr  unruhig  gewesen  sein  und 
an  Diarrhöen  gelitten  haben.  Die  Abmagerung  war  bereits  deutlich  an 
dem  Kinde  sichtbar,  die  Hautdecken  waren  icterisch  verfärbt.  Soor 
oris,  Reflezerregbarkeit  herabgesetzt,  Herztöne  dumpf,  Athmung  thoracal, 
mit  inspiratorischer  Einziehung  der  Rippenbogenfurchen.  In  der  Gegend 
der  rechten  Scapula  stark  gedämpfter  Fercussionsschall.     Meteorismus. 


Datum 


Körper- 
gewicht 


Kraokheitiijrmptome 


Bact  wurden 
nnterenoht 


24.  IV. 
25. 

26. 


2430 
2420 

2450 


2  Stühle,  Erbrechen,  im  Harn  Eiweiss  u. 
Cylinder. 

Intensiv.  Soor,  stark.  Meteorismus,  Somno 
lenz,  Hantdecken  eraugelb  verfärbt.    Er- 
brechen fortdauernd. 

5  Stühle,  Alles  wird  erbrochen,  hochgrad. 
Dyspnoe.  Herztöne  kaum  hörbar.  In  der 
Nacht  Exitus  letalis. 


2  Blutprob. 
2     do. 


Klinische  Diagnose:  Gastroenteritis,  Pneumonia  lobul.  Nephritis, 
Soor  oris. 

Das  Blut  dieses  Falles  wurde  an  zwei  Tagen  bacteriologisch  unter- 
sucht In  einer  Blutprobe  vom  24.  IV.  waren  schlanke,. massig  beweg- 
liche, oft  zu  zweien  angeordnete  Stäbchen  nachweisbar.  Dieselben 
färbten  sich  nicht  nach  Gram  und  besassen  alle  Eigenschaften  des 
Bacterium  coli  commune,  ausgenommen  die  der  Milchgerinnung. 
Intravenös  beigebracht,  tödteten  sie  Kaninchen  innerhalb  von  5  Tagen. 
Aus  dem  Herzblute  und  der  Milzpulpa  wurden  diese  Stäbchen  wieder 
in  Reincnlturen  gezüchtet.  In  die  vordere  Aogenkammer  eines  Kanin- 
chens gebracht,  verursachten  sie  daselbst  eine  Panophthalmitis ,  der 
Eiter  enthielt  nur  die  Stäbchen,  welche  in  Reincnlturen  ans  demselben 
gewonnen  worden. 

Fassen  wir  die  Resultate  unserer  bacteriologischen  Unter- 
suchungen bei  den  an  Gastroenteritis  erkrankten  Kindern  zu- 
sammen,  so  ergiebt  sich  zunächst  die  Thatsache,  dass  wir  in 
12  von  15  untersuchten  Fällen  Mikroorganismen  im  Blute 
nachweisen  konnten.  Zieht  man  dieses  Ergebniss  in  Vergleich 
mit  dem  der  Blutuntersuchungen  an  30  gesunden  Kindern, 
bei  welchen  wir  nur  in  2  Fällen  je  eine  Colonie  vorfanden, 


488  A.  Cserny  und  P.  Moser: 

und  dem  Ergebniss  der  Blntuntersuchungen  an  11  dyspep- 
tischen  Kindern ,  bei  denen  wir  nur  ein  einziges  Mal  eine 
Colonie  vorfanden^  berücksichtigt  man  auch  ferner,  dass  wir 
in  allen  Fällen  in  gleich  strenger  Weise  die  Cntersuchungs- 
methode  handhabten ,  so  genügt  der  Hinweis  auf  die  Häufig- 
keit der  Befunde,  um  den  Einwand  zu  entkräfken,  es  konnte 
sich  auch  in  den  Fällen  von  Gastroenteritis  nur  um  tech- 
nische Fehler  handeln.  Der  in  einzelnen  Fällen  sich  wieder- 
holende Befund  eines  und  desselben  Bacteriums  in  dem  zu 
verschiedenen  Zeiten  entnommenen  Blute,  oder  auch  in  meh- 
reren gleichzeitig  angelegten  Blutproben,  sowie  die  zuweilen 
sehr  grosse  Zahl  der  Colonien  im  Verlaufe  des  Impfstiches 
liefern  eine  weitere  Stütze  für  die  Reinheit  der  Befunde.  Be- 
rücksichtigung verdienen  hierbei  auch  die  bereits  früher  er- 
wähnten Angaben  anderer  Autoren  über  die  bei  gleichen 
Krankheitsfällen  post  mortem  vorgenommenen  bacteriologischen 
Untersuchungen  des  Blutes  und  der  Organe.  Das  Ergebniss 
dieser  Untersuchungen  stimmt  überein  mit  den  von  uns  ge- 
machten Beobachtungen  bei  an  Gastroenteritis  erkrankten 
Kindern  während  ihrer  Lebenszeit  Wir  können  somit  fest- 
stellen,  dass  bei  der  Gastroenteritis  im  Säuglingsalter 
Mikroorganismen  bereits  intra  vitam  im  Blute  der 
Kinder  kreisen.  Woher  die  Bacterien  ins  Blut  gelangen, 
erschliessen  wir  aus  den  klinischen  Beobachtungen.  Es  sei 
hier  nochmals  hervorgehoben,  dass  wir  für  unsere  Unter- 
suchungen nur  solche  Fälle  auswählten,  welche  keinerlei 
Affectionen  an  der  Haut  oder  am  Nabel  nachweisen  liessen 
und  somit  eine  Infectionsmöglichkeit  von  der  Korperoberfläche 
ausgeschlossen  werden  konnte.  Da  bei  der  Gastroenteritis  die 
Magendarmsymptome  stets  diejenigen  klinischen  Krankheits- 
erscheinungen sind,  welche  der  Allgemeininfection  vorangehen, 
so  müssen  wir  den  Darm  intra  vitam  bereits  als  Eintritts- 
pforte der  Mikroorganismen  in  die  Blutbahn  betrachten.  Diese 
Annahme  findet  eine  weitere  Begründung  durch  unsere  bacte- 
riologischen Befunde.  Die  gefundenen  Bacterien  sind,  soweit 
sie  sich  mit  bisher  bekannten  identificiren  liessen,  Staphylo- 
kokken, Streptokokken,  Bacterium  coli  commune, 
Bacillus  pyocyaneus,  Bacterium  lactis  aerogenes,  so- 
mit Bacterien,  deren  Vorkommen  im  Darminhalte  bereits  be- 
kannt ist.  Die  Mannigfaltigkeit  der  bei  Gastroenteritis  im 
Blute  gefundenen  Bacterien  steht  im  Einklänge  mit  der  über- 
aus grossen  Mannigfaltigkeit  der  Symptome  dieses  Krankheits- 
processes.  Letztere  macht  es  auch  geradezu  unmöglich,  die 
zahllosen  Varianten  und  Complicationen  der  in  Kede  stehenden 
Erkrankung  erschöpfend  darzustellen.  Wir  haben  Grund,  an- 
zunehmen, dass  bei  fortgesetzten  Untersuchungen  noch  ander- 


Klin.  Beobacht.  an  xnagendarmkranken  Kindern  i.  Säuglingsalter.    489 

weitige  Darmbacterien  im  Blute  nachgewiesen  werden  konnten. 
Durch  diese  Vermuthung,  sowie  durch  die  Thatsache,  dass 
wir  z.  B.  auch  zwei  Bacterien  gleichzeitig  im  Blute  vorfanden, 
wird  die  Mannigfaltigkeit  der  Krankheitsbilder  noch  verstand- 
licher. Aus  unseren  Versuchen  geht  hervor,  dass  mitunter 
auch  bei  wiederholter  Blutentnahme  das  Resultat  der  bacterio- 
logischen  Untersuchung  ein  negatives  blieb  oder  nur  ein  oder 
das  andere  Mal  zum  Ziele  führte.  Dieses  Ergebniss  findet 
seine  Erklärung  in  dem  Umstand,  dass  die  zur  Untersuchung 
verwendete  Blutmenge  eine  sehr  kleine  war.  Ein  wiederholter 
und  grosser  Bacterienbefund  in  einer  so  geringen  Blutmenge 
lässt  eine  sehr  erhebliche  Anzahl  von  Bacterien  im  Gesammt- 
blute  voraussetzen.  Dass  die  im  Blute  vorhandenen  Bacterien 
nicht  in  allen  Fällen  und  auch  nicht  in  allen  Stadien  des 
einzelnen  Krankheitsfalles  immer  in  gleicher  Menge  vor- 
handen sind,  wird  durch  die  Verschiedenheit  der  Intensität 
der  Krankheitsprocesse  und  durch  die  Art  der  Aufeinander- 
folge der  jeweiligen  Symptome  dargethan. 

Wir  glauben  durch  unsere  Untersuchungen  nicht  nur  die 
Symptomatologie  der  Gastroenteritis  erweitert  zu  haben,  son- 
dern  versuchten   es   auch,  das  Wesen  der  Krankheit  klar  zu 
stellen.     Die  Gastroenteritis  im  Säuglingsalter  muss  demnach, 
wie   es  schon  Epstein^)  ausgesprochen,  als  eine   Infections- 
krankheit   und   zwar   nach   unseren   Beobachtungen    als    eine 
vom   Darm    ausgehende   AUgemeininfection   aufgefasst 
werden.     Als  solche  ist  sie  jenen  Erkrankungen  des  Magen- 
darmtractus  im   Säuglingsalter  gegenüber  zu  stellen,    welche 
lediglich  auf  diesen  allein  beschränkt  bleiben  und  die  wir  mit 
dem  Namen  Dyspepsie  bezeichnen.     Aus  der  Auffassung  der 
Gastroenteritis  als  einer  Allgemeininfectionskrankheit  des  Kör- 
pers  folgt,   dass   wir    als   die  wesentlichsten    therapeutischen 
Maassnahmen  gegen  diese  Krankheit  die  prophylactischen  be- 
trachten  müssen.     Die  Erfolge    dei"  Therapie  bei   bereits  be- 
stehender Erkrankung  werden  jedoch   stets  von    der  Art  und 
der  Intensität  der  AUgemeininfection  abhängig  sein. 


1)  Epstein,  Pädiatrische  Arbeiten.     FeBtschrift  1890.     8.  880. 


Jabrbuch  f.  KlndwheUkimde.    N.  F.    XXXVin. 


32 


Analeeten. 

(FortMtxang.) 


IX.  Krankheiten  der  Neugeborenen. 

üeber  angeborene  Lehensschwäche  mü  Beschreibtmg  einer  neuen  Wärm- 
wanne.  Von  Vitale  Tedeschi.  Archivio  italiano  di  Pediatria 
1892  p.  162  ff. 

In  der  Einleitung  erörtert  Verf.  zunächst  die  Frage,  was  unter 
LebeuBschwäohe  zu  verstehen  ist,  und  kommt  zu  dem  Schiasse,  dasa 
zwischen  Frühgeburten  und  reifen  Früchten,  welche  durch  irgend  welche 
Ursache  schwache  und  unvollkommene  vitale  Functionen  zei^n,  keinerlei 
Unterschied  besteht.  Das  gemeinschaftliche  Merkmal  ist  die  auffallende 
Neigung  zu  Wärme  Verlusten,  ein  Moment,  das  noch  nicht  zur  Genüge 
aufgeklärt  ist:  theils  ist  es  die  mangelhafte  Entwickelung  des  Fett- 
gewebes, theils  ein  Fehler  in  der  Organisation  des  Wärmecentrums  im 
Gehirn;  vielleicht  spielen  auch  noch  andere  Factoren  dabei  mit.  Die 
fehlende  Wärme  spricht  sich  auch  darin  ans,  dass  fieberhafte  Krank« 
heiten,  Pneumonie,  Sepsis,  bei  lebensschwachen  Säuglingen  ohne  Tarn- 
peratursteigernng  verlaufen  können.  Sehr  häufig  und  mit  besonders 
langwierigem  Verlauf  tritt  der  Icterus  neonatorum  bei  diesen  Kindern 
auf;  dabei  beobachtet  man  oft  eine  ganz  besondere  Apathie  derselben, 
vielleicht  erklärlich  durch  die  Einwirkung  der  Gallens&nren  auf  das 
Gehirn.  Ferner  ist  der  Abfall  der  Nabelschnur  abnorm :  er  findet  meist 
erst  am  10.  oder  12.  Tage  oder  noch  später  statt;  auch  ist  die  Form 
der  feuchten  Gangrän  hier  besonders  häufig  mit  ihren  nachtheiligen 
Folgen,  der  langsamen  Vernarbung,  der  leicht  eintretenden  Sepsis ,  der 
mangelhaften  Involution  der  Nabelgefässe,  von  welcher  letzteren  wieder 
die  Melaena  neonatorum  ihren  Ursprung  nehmen  kann.  Die  Stimme  ist 
sehr  schwach,  oft  unhörbar,  die  Athmung  oberflächlich,  die  Lungen  zum 
grossen  Theil  atelek tatisch;  die  Athmung  wird  dann  indirect  durch  die 
offengebliebenen  Communicationen,  ductus  Botalli  und  foramen  ovale, 
bewirkt.  Weiterhin  sind  durch  Stt^nation  des  Secretes  in  den  Bron- 
chien, sowie  durch  Eindringen  von  Speisetheilen  in  die  Luftwege  Pneu- 
monien ein  häufiges  Vorkommniss.  Die  Soorpilze  finden  in  Mund  nnd 
Speiseröhre  sehr  günstigen  Nährboden.  Die  Nahrungsaufnahme  ist 
wesentlich  durch  die  Schwäche  des  Saugens  beeinträchtigt,  die  Ver- 
dauung geht  nur  unvollkommen  und  langsam  vor  sich.  Die  Harnsäure- 
infarcte  können  soweit  überhandnehmen,  dass  sie  zu  Nierenentzündungen 
und  urämischen  Anfällen  Veranlassung  geben.  Endlich  sehen  wir 
häufig  das  Bild  des  Sklerema  auftreten  mit  seinen  Temperaturen  bis  zu 
22<>  herab. 

Zwei  Ziele  sind  hauptsächlich  bei  der  Pflege  im  Auge  zu  behalten: 
die  Ernährung  und  die  Zuführung  der  nöthigen  Wärme.  Für  erstere 
wird  man  häufig  zu  künstlicher  Einflössung  mittelst  des  Katheters  seine 


Analecten.    IX.  Krankheiten  der  Neugeborenen.  491 

Zuflucht  nehmen  müssen,  wie  dies  besonders  Tarnier  bei  seinem 
„Gavage*'  ausgeführt  hat.  Den  zweiten  Zweck,  die  Erwärmung,  sucht 
man  seit  einer  Reihe  von  Jahren  mit  günstigem  Erfolg  durch  die 
W&rmewannen  („Couveüse")  zu  erreichen.  In  der  That  ist  es  gelungen, 
die  Mortalität  der  frühgeborenen  Kinder  mit  Hilfe  dieser  Apparate  um 
mehr  als  20%  herunter  zu  bringen.  In  der  Matemit^  in  Paris  stellte 
sich  heraus,  dass  in  den  ersten  fünf  Jahren  der  Anwendung  der 
Wärmewanne  yon  sechsmonatlichen  Frühgeburten  30%  gegen  0,  von 
siebenmonatlichen  63,7%  gegen  39,  yon  achtmonatliche  85,9%  gegen 
78  lebend  entlassen  wurden.  Auch  Cred€  hat  eine  eigene  derartige 
Wanne  angegeben.  Prognostisch  wichtig  ist  es,  ob  die  Temperatur  des 
Kindes  sich  sofort  nach  Einbringung  in  den  Apparat  hebt;  eine  Körper- 
wärme von  86^  giebt  bereits  eine  gunstige  Prognose.  Die  Nachtheile 
der  Apparate  beruhen  noch  auf  der  Schwierigkeit,  grössere  Temperatur- 
Sprünge  zu  vermeiden;  um  dem  abzuhelfen,  hat  Verf.  ein  neues  Ver- 
fahren angewandt,  welches  mit  Hilfe  von  selbstthätigen  Klappen  und 
Thermometern  einerseits  eine  möglichst  constante  Temperatur  erzeugt, 
andererseits  jede  doch  eintretende  Schwankung  sofort  durch  ein  elektri- 
sches Signal  zu  erkennen  giebt  Billigkeit  und  geringer  Verbrauch  von 
Brennmaterial,  gute  Ventilation  mit  genügender  Anfeuchtung  der  Luft 
sind  V ortheile,  welche  Verf.  an  seiner  Wärmewanne  rQhmt.  Die  aus- 
führliche Beschreibung  (eine  Abbildung  ist  leider  nicht  dabei.  Ref.) 
mu88  im  Original  nachgelesen  werden.  Toeplitz. 

Erfolgreicher  Belebwngsoerswih  an  einem  asphyctischen  Neugeborenen 
(Methode  Labor  de).  Gazette  m^dicale  de  Paris  vom  14.  Januar 
1898. 

Bei  schweren  Fällen  von  Asphyxie  Neugeborener  fasst  Dr.  Labord 
in  Biarritz  die  Zunge  des  Kindes  mittelst  einer  Zance,  zieht  dieselbe  in 
rhythmischen  Zügen  heraus,  iäsHt  sie  in  demselben  Tempo  wieder 
zurücksinken  und  erreicht  hierdurch  in  zehn  Minuten  natürliche  Atbem- 
bewegiingen. 

Einen  hierauf  bezüglichen  Fall  theilte  Dr.  Christoyanaki  in  der 
Sitzuuff  der  „Academie  de  Mädecine**  von  Anfang  Januar  1893  mit. 
Ein  vollkommen  asphyctisch  geborenes  Kind  konnte  trotz  ly^stündiger 
künstlicher  Athmung  nicht  zum  Leben  zurückgerufen  werden.  Im 
letzten  Momente  erinnerte  er  sich  der  Methode  Laborde.  Mit  einem 
Schieber  fasste  er  die  Zunge  des  Kindes  und  hatte  die  Freude,  nach 
kurzer  Zeit  spontane  Athmungsbewegungen  zu  constatiren.  Das  sehr 
schwache,  nur  1460  g  wiegende  Kind  wurde  dann  in  den  Brutschrank 
gebracht  und  gedieh  dort  vortrefflich.  Albrecht. 

Asphydische  Zustände  bei  Säuglingen.  Von  Dr.  Paul  Meyer.  Deutsche 
med.  W.    Nr.  36.    1893. 

Bei  einem  anscheinend  g^nz  normalen  14  Tage  alten  Mädchen 
entwickelte  sich  in  der  Nacht  ein  höchst  bedrohlicher  Zustand  von 
Asphyxie.  Ein  warmes  Bad  und  kalte  Begiessungen  bewirkte  vorübergehend 
selbständiges  Athmen,  aber  im  Verlaufe  der  nächsten  zwölf  Stunden 
hatten  sich  derlei  schwere  Anfälle  von  Apnoe  vielfach  wiederholt.  Als 
Ursache  dieser  Asphyxie  vermuthet  Dr.  M.  eine  centrale,  das  Athem- 
centrum  beeinflussende  Einwirkung,  deren  Natur  er  aber  nicht  kennt. 

Eisenschitz. 

Zur  Wiederbelebung  Neugeborener.  Von  Dr.  Oehlschläger.  CentralbL 
f.  Gynäkologie.    Nr.  31.    1893. 

Der  Autor  spricht  die  Ansicht  aus,  dass  eine  häufige  Ursache  von 
Miflserfolgen  bei  Wiederbelebungsversuchen  an  asphyctischen  Neugebo- 

32* 


492  Analecteo. 

reDen  in  dem  Umstände  txx  suchen  sei,  dass  die  Zunge  nach  rückw&rts 
gesunken  und  dadurch  die  Glottis  yerschlossen  sei 

Hervorziehen  der  Zunge  eventuell  mit  gleichseitigem  Einblasen  von 
Luft  in  die  Lungen  erzielt  Erfolg. 

Bei  Asphyctischen  mit  erlahmender  Herzthätigkeit,  welche  im 
Gegensätze  zu  denjenigen  mit  behindertem  Lufteintritte  nicht  cjanotisch, 
sondern  blass  und  coUabirt  sind,  ist  ein  gutes  Unterstützungsmittel  bei 
den  Wiederbelebungsversuchen,  die  Herzgegend  im  Bythmns  des  Pulses 
(120  in  der  Minute)  zu  comprimiren.  Eisenschi tz. 

D(M  Sklerem  der  Neugeborenen.  Von  G.  Somma.  Vortrag,  gehalten  auf 
dem  II.  Congress  der  italienischen  Kinderärzte  1892.  r^eapel,  stabil, 
tip.  deir  Unione  1892.    84  S. 

„Das  Sklerem  ist  eine  ausschliesslich  bei  Neugeborenen  vorkom- 
mende Kenrose  der  wärmeregulirenden  Centra;  bei  derselben  erfolgt 
zunächst  eine  schnell  fortschreitende  Herabsetzung  der  Körpertemperatur 
und  im  Anschluss  daran  entweder  eine  Odematöse  Infiltration  des  sub- 
cutanen Fett-  und  Bindegewebes,  oder  eine  Verhärtung  demselben,  oder 
beide  Formen  gemeinschaftlich." 

Mit  diesen  Worten  definirt  der  Verfasser  in  seiner  aueführlichen  und 
mit  eingehend t^ter  Literaturkenntniss  geschriebenen  Arbeit  die  seit  175 
Jahren  in  der  mediciniscben  Wissenschaft  bekannte,  aber  in  ihrem  Wesen 
und  ihren  Urspiün^en  doch  noch  räthselhafte,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
verderbliche  Krankheit  der  Neugeborenen  und  bezeichnet  damit  seine, 
von  der  Mehrzahl  der  Autoren  abweichende  Stellung;  zu  der  offenen 
Frage.  Während  er  auf  diesem  Wege  von  vornherein  fcbtstellt,  dass 
zwischen  Sklerema  neonatorum  und  Sklerodermia  adultorum  keinerlei 
Zusammenhang  besteht,  vielmehr  gänzlich  verschiedene  Prozesse  Tor- 
liegen,  betont  er  zugleich,  dass  das  Oedema  neonatorum  nur  gradaell 
vom  Sklerem  verschieden  ist,  aber  gänzlich  gleiche  Vei^nderun^en  zeigt. 
Er  unterscheidet  drei  verschiedene  Formen  der  Krankheit:  1)  die  ödema- 
töse  Form,  mit  Vorwiegen  des  Oedems  in  den  ergriffenen  Theilen;  2)  die 
harte  Form  mit  Induration  des  subcutanen  Zellgewebes,  und  8)  die  ge- 
mischte Form,  bei  welcher  sich  beide  Veränderungen  neben  einander 
nachweisen  lassen. 

Nach  einer  historischen  Uebersicht,  welche  von  Uzembezius  (1718) 
bis  auf  die  neueste  Zeit  sich  erstreckt,  bringt  Verf.  die  Beschreibung 
der  klinischen  Symptome.  Als  Vorläufer  bezeichnet  er  die  schwächliche 
Körperbeschaffenheit,  die  mangelhafte  Wärmebildung  und  das  Darnieder- 
liegen aller  Eörperfunctionen.  Der  Beginn  der  Erscheinungen  an  der 
Haut  findet  sich  fast  ausnahmslos  an  den  Füssen  und  an  den  Wangen; 
weiter  fortschreitend  ergreift  das  Leiden  die  Waden,  die  Schenkel,  so- 
dann Hände,  Arme,  Rücken,  in  den  schwersten  Fällen  auch  die  Banch- 
wandungen;  meibtens  sind  beide  Seiten  gleichzeitig  befallen,  aber  so, 
dass  die  Stelle,  auf  welcher  das  Kind  liegt,  einen  höheren  Grad  von 
Schwellung  zeigt.  Dieselbe  ist  horizontal  ziemlich  sohiurfrandig  ab- 
gegrenzt Die  Farbe  der  befallenen  Theile  ist  rOthlich,  bisweilen  cya- 
nodsch;  auf  Fingerdruck  verschwindet  die  liöthe,  um  bald  wieder  su 
erscheinen.  An  den  erkrankten  Theilen  zeigt  sich  eine  Zunahme  des 
Volumens,  insbesondere  an  den  Extremitäten,  weniger  an  den  Wangen; 
dieselbe  ist  eine  Folge  des  Hautödems,  welches  die  meisten  Fälle  be- 
gleitet, aber  nicht  unbedingt  erforderlich  ist  Die  Consistenz  ist  die- 
jenige des  Anasarka,  bisweilen  auch  prall-elastisch,  wie  ein  Lipom.  Die 
Haut  ist  auffallend  kOhl,  ja  in  vorgeschrittenen  Fällen  eiskalt,  wie  an 
der  Leiche;  dabei  ist  sie  so  straff  gespannt,  dass  es  nicht  gelii^,  eine 
Falte  aufzuheben,  und  ihre  Sensibilität  ist  stark  herabgesetzt,    ^on  den 


IX.  Krankheiten  der  Neugeborenen.  493 

allgemeinen   Symptomen   ist  am   auffallendsten   die  Herabsetzung  der 
Körperwärme;   keine  andere  Erkrankung  zeigt  so  tiefe  absolute  Tem- 
peraturen, wie  das  Sklerem.     Dieselben  schwanken  zwischen  36^  und 
23^  ja  es  sind  noch  tiefere  Temperaturen  beobachtet  worden.    Die  Ab- 
kühlung tritt  bald  langsam,   im  Verlauf  vieler  Tage,  bald  schnell  in 
zwei  bis  drei  Tagen  ein;    letzteres   findet  sich  bei  den  schweren  und 
weitverbreiteten  Formen  der  Krankheit.    Dabei  ist  noch  zu  bemerken, 
dasR   die  Aussentemperatur  (Handteller,   Achselhöhle)  und    die   in   ge- 
schlossenen Höhlen  (Rectum)  völlig  gleich  sind,  und  dass  der  Abfall  der 
Temperatur  schon  mehrere  Stunden  vor  dem  Auftreten  der  ersten  Haut- 
symptome beobachtet  und  diagnostisch  verwerthet  werden  kann.     Der 
Puls  ist  verlangsamt  bis  auf  80—90  Schläge  in  der  Minute,  zeigt  .aber 
sonst  keine  Abnormität;   man  fühlt  ihn  am  besten  an  der  Fontanelle. 
Das  Körpergewicht  zeigt  in  der  Regel  eine  Abnahme.    Die  Athmuog  ist, 
wie  der  Pulsschlag,  verlangsamt  bis  auf  18,  selbst  14  in  der  Minute, 
die  Stimme   schwach  und  wimmernd;    eine  Reihe  von   pathologischen 
Processen    in   der   Lunge   können    als   Complicationen    auftreten.     Als 
Störungen  der  Circulation  sind  beobachtet:   Cyanose,  EpistaxiR,  systoli- 
sches Blasen  am  Ursprung  der  Pulmonalis  als  Erscheinungen  eines  offe- 
nen Ductus  Botalli;  (jommunication  der  Vorhöfe  und  Kammern,  Hydrops 
pericardii,  Fettdegeneration  des  Herzfleisches  entziehen   sich  meist  der 
Diagnose,  sind  aber  anatomisch  nachgewiesen.     Die  Verdaunngsorgane 
bieten  ausser  hartnäckiger  Verstopfung  meist  noch  Beschwerden  beim 
Saugen  und  beim  Schlucken,  häufig  Icterus  und  Leberanschwellung.  — 
Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Haut  zeigt  bei  der  harten  Form 
eine  Vermehrung  des  subcutanen  Bindegewebes  mit  Abnahme  des  Fett- 
gewebes; weniger  auffallend,  aber  auch  nachweisbar  ist  derselbe  Befund 
bei  der  Ödematösen  Form,  dabei  theils  Stauungshyperämie,  theila  auch 
Anämie,  gleichzeitig  hat  das  ünterhautfettgewebe  eine  offenbar  durch 
chemische  Veränderungen   bedingte   auffallend    harte   Consistenz.      Die 
übrigen   Körperorgane    zeigen    sehr   verschiedene,    theils    entzündliche, 
theils    durch    andere    Processe    bedingte  Veränderungen.   —   Ueber    die 
Natur  der  Krankheit  sind  die  allermannigfachsten  Vermuthungen  auf- 
gestellt worden.     Verf.  sucht  nun  die  zwei  Hauptsymptome,  Abkühlung 
und  Schwellung,    bez.  Verhärtung   in   ursächlichen    Zusammenhang    zu 
bringen,  indem  er  die  veranlassende  Läsion  in   das  Wärmecentrum,  in 
die   nervösen  Centralorgane  verlegt,     indem  von   hier  aus  reflectorisch 
die  Wärmebildung  vermindert,  gehemmt,  die  allgemeine  Körpertempe- 
ratur herabgesetzt  wird,  sei  es  nun  unter  dem  Einflüsse  kalter  Aussen- 
temperaturen ,   Bäder,  Waschungen,    ilberreichlicher   Ventilation,    oder 
anch    herabgesetzter  Vitalität   durch   schlechte   Ernährung,    frühzeitige 
Geburt,  angeborene  Ejrankheiten  oder  organische  Fehler,  treten  in  der 
Haat,    bez.  den    oberflächlichsten  Muskelschichten   circulatorische  Ver- 
änderungen auf:   Ischämie  der  Hautcapillareo,  Hyperämie  der  inneren 
Organe,  tiefe  und  eingreifende  Störungen  sämmtlicher  Organfunctioncn. 
Für  die  Verhärtung  des  Fettgewebes  dient  dem  Verf.  zur  Stütze  seiner 
Anschauung,  dass  nach  Längeres  Untersuchungen  das  Fett  der  Neu- 
geborenen einen  weit  höheren  Schmelzpunkt  hat,  als  bei  Erwachsenen, 
also   bei  niedrigen  Temperaturen  auch  viel  früher  feat   wird.    Endlich 
erklärt  Verf.  die  Localisation  an  den  Extremitäten  dadurch,   dass   die 
Gefäflse  derselben  am  entferntesten  vom  Herzen   liegen  und  somit  von 
der  abgeschwächten  Herzthätigkeit  zuerst  betroffen  werden.     Was   die 
Aetiologie  des  Leidens  betrifft,  so  ist  zunächst  als  prädisponirend  an- 
zusehen: das  Alter  der  Kindei  zwischen  dem  2.  und  20.  Lebenstage,  früh- 
zeitige  Geburt,    allgemeine  Lebensschwäche;    von   angeborenen  Krank- 
heiten Veränderungen  der  Lungen,  des  Herzens  und  der  grossen  GefäsBö. 
AeuBsere  Einflüsse,  die  das  Sklerem  begünstigen,   sind:    schlechte  to- 


494  Analccten. 

n&hrungBverhältnisse,  mangelhafte  WohniiDgeti ,  unzureichende  Nahrung. 
Auch  klimatische  Einflfisse  sind  nicht  auBzuschliesBen ,  denn  w&hrend  in 
Frankreich  und  Italien,  besonders  in  Neapel  und  Rom,  das  Leiden 
ausserordentlich  h&ufig  ist,  kommt  es  in  England  und  Deutschland  nur 
sehr  selten  zur  Beobachtung.  Als  ErkJ&rung  dient  die  Eigenthfimlich- 
keit,  dass  im  südlichen  Klima  die  Temperaturwechsel  viel  sprunghafter 
und  unvermittelter  auftreten,  als  im  Norden,  üeberall  aber  ist  es  die 
kalte  Jahreszeit,  welche  die  Mehrzahl  der  Erkrankungen  zeitigt.  Weniger 
wichtig  erscheinen  dem  Verf.  schlechte  Pflege  und  Unsauberkeit,  mehr 
noch  die  fehlerhafte  Nahrung  mit  ihrem  Gefolge  von  Dyspepsien  und 
Darmkrankheiten.  Als  Hauptursache  tritt  aus  sämmtlichen  Berichten 
mit  seltener  üeberein Stimmung  die  Abkühlung  der  Haut  in  den  Vorder- 
grund, hauptsächlich  in  solchen  Fällen,  in  denen  die  Kinder  direct  der 
kalten  Luft  ausgesetzt  gewesen  sind;  diese  und  die  angeborene  Lebens- 
schwäche scheinen  sich  in  die  Aetiologie  des  Leidens  zu  th  eilen.  Diffe- 
rentialdiaguostisch  wichtig  ist  die  Unterscheidung  von  der  Sklerodermie: 
Hier  spiolt  das  höhere  Alter,  der  Ort  des  ersten  Auftretens,  der  lang- 
same Verlauf,  das  Fehlen  des  Oedems  bei  der  Sklerodermie  eine  ent- 
scheidende Rolle.  Schwierig  ist  bisweilen  an  der  Leiche  die  Unter- 
scheidung des  eigentlichen  Sklerems  Ton  der  agonalen  oder  postmortalen 
Verhärtung  des  subcutanen  Fettgewebes  (Leichenstarre?  Ret);  wesent- 
lich ist  das  Verschwinden  letzteren  Symptomes  mit  dem  Fortschreiten 
der  Verwesung. 

Die  Prognose  ist  eine  sehr  zweifelhafte;  sie  ist  wesentlich  abhängig 
von  der  Außdehnung  der  anatomischen  Veränderungen  und  von  dem 
Grade  der  Abkühlung;  bei  Temperaturen  unter  30^  C.  ist  eine  Heilung 
nicht  zu  erwarten.  Die  Zahl  der  empfohlenen  Heilmittel  ist  sehr  gross  — 
die  der  damit  erzielten  Erfolge  um  so  kleiner.  Verf.  empfiehlt  den 
Aufenthalt  in  hellen,  luftigen  Zimmern  mit  einer  constanten  Temperatur 
von  mindestens  22^  C,  in  schweren  Fällen  24^  Ganz  besondere  Sorg- 
falt erheischt  die  Ernährung  der  kleinen  Patienten,  und  zwar  wenn 
irgend  möglich  mit  Muttermilch,  welche  in  kurzen  Intervallen  und  kleinen 
Quantitäten  zu  verabfolji^en  ist.  Li  schweren  Fällen,  wenn  das  Saugen 
unmöglich  ist,  muss  die  Milch  mit  dem  Löffel  oder  selbst  mit  Hilfe 
einer  Schlundröhre  eingeflösst  werden.  Das  Kind  muss  in  warme  Win- 
deln, bez.  in  Watte  eingepackt  und  regelmässig  heiss  (32  bis  35^  G.) 
gebadet  werden;  subcutane  Injectioncn  von  Coffein  und  Aether  werden 
analeptisch  wirken,  auch  Sauerstoff! nhalation  dient  zu  demselben  Zweck. 
Von  innerlichen  Medicamenten  ist  ein  Erfolg  nicht  zu  erwarten. 

Toeplitz. 

Beobachtungen  über  Icterus  der  Net^geborenen,     Von    Dr.  A.  Schmidt. 
Archiv  f.  Gynäkologie  26.  B,,  2.  H. 

Von  149  Kindern  wurden  60  sofort,  die  übrigen  erst  nach  Abgang 
der  Placenta  (10  —  30  Minuten)  abgenabelt.  Von  diesen  149  Kindern 
wurden  80  icterisch  oder  nach  Abrechnung  von  36  Frühgeborenen,  von 
114  reifen  Kindern,  63  icterisch.  Es  war  schon  früher  bekannt,  dasa  die 
Zahl  der  Icteriechen  mit  dem  Gewichte  der  Neugeborenen  umgekehrt 
proportional  ist. 

Auch  die  EntwicklungsfUhigkeit  der  Kinder  in  den  ersten  14  Tagen 
war  dabei  von  Einfiuss,  wobei  es  allerdings  zweifelhaft  blieb  ob  nicht 
eben  der  Icterus  die  Entwicklung  gestört  habe. 

Wenn  man  die  Kinder,  welche  mehr  als  3300  g  Anfangsgewicht 
hatten,  in  solche  mit  und  solche  ohne  Icterus  abtheilt,  so  überwiegt 
die  Gewichtszunahme  der  letztt^ren  über  die  der  ersteren  in  den  ersten 
zwei  Lebenswochen  um  ca.  96  g. 


IX.  Krankheiten  der  Neugeborenen.  495 

Hervorgehoben  ¥nrd,  dasB  die  relative  Zahl  der  icterischen  Knaben 
grösser  war  als  die  der  Mädchen,  obgleich  jene  ein  grösseres  Darch- 
schnittsgewicht  haben. 

Intensiver  Icterus  wnrde  nur  an  11  Kindern  beobachtet.  Der  Icterus 
begann  69mal  am  2.-4.,  8mal  am  5.-7.  nnd  6mal  am  1.  Lebenstage 
und  dauerte  durchschnittlich  Ofi  Taj^e.  Der  Icterus  kam  bei  den  sofort 
abgenabelten  Kindern  in  72%,  bei  den  spät  abgenabelten  nur  in  42,2% 
vor  und  die  ersteren  zeigten  auch  die  schwersten  Fälle  und  die  längste 
Daner  und  einen  etwas-  früheren  Beginn. 

Auf  die  Entwicklung  der  Kinder  in  den  ersten  14  Tagen  war  die 
Zeit  der  Abnablnng  von  keinem  besondem  Einflüsse,  es  ergab  sich  nur 
ein  geringes  Plus  zu  Gunsten  der  sofort  abgenabelten,  beide  wogen 
übrigens  noch  weniger  als  unmittelbar  nach  der  Geburt. 

Eisenschitz. 

Studien  vStfer  Icterus  neonatorum.  Von  N.  A.  Quisling.  Norsk  Mag.  f. 
L^evidensk.  8. 148.  226.  1893.  —  Nord.  med.  ark.  N.  F.  111.  4.  Nr.  22. 
S.  S5.    1893. 

Qu.  theilt  50  Fälle  von  Icterus  neonatorum  mit  einem  Todesfall  an 
Pleuritis  drei  Tage  nach  der  Geburt  mit.  Aus  der  Betrachtung  dieser 
Fälle  entwickelt  er  das  Krankheitsbild.  Ausser  der  icterischen  Färbung 
der  Haut  finden  sich  Krankheitserscheinungen  von  Seiten  der  Ver- 
dauungsorgane, von  leichter  Dyspepsie  bis  zu  ausgeBprochener  Gastro- 
enteritis, bei  manchen  Kindern  besteht  Sopor,  bei  andern  Unruhe;  Fieber 
ist  in  50%  der  Fälle  vorhanden.  Bei  der  Untersuchung  findet  man 
meteoristische  Aufbreibung  des  Leibes  mit  Verschiebung  der  Leber- 
dämnfnng.  Die  Krankheit  kam  im  Gebärstift  zu  Christiania  bei  26% 
der  Neugeborenen  zur  Beobachtung,  in  der  Privatpraxis  nach  auf  Qu.'s 
Veranlassung  von  den  Hebammen  angestellten  Untersuchungen  bei  nur 
5%,  was  ein  gewisses  ätiologisches  Interesse  hat.  Die  icterische  Fär- 
bung trat  am  häufigsten  zwischen  dem  1.  und  3.  Tage  (in  78%  der 
Fälle)  auf,  am  1.  Tage  blos  in  6%,  nach  dem  3.  Tage  in  16%,  auch 
die  Schleimhäute,  besonders  in  der  Mundhöhle,  sind  oft  icterisch  gefärbt. 
Bei  der  Section  des  gestorbenen  Kindes  fand  sich  icterische  Färbung 
des  plenritischen  Belags  an  der  Oberfläche  der  Lungen,  auch  die  Hirn- 
masse war  gleicbmässig,  wenn  auch  nur  schwach,  gelb  gefärbt.  Die 
Erkrankung  dauerte  in  60%  4—6  Tage,  in  30%  7—9  Tage,  nur  in  2% 
bis  14  Tage.  In  38%  zeigten  die  Gewichtsverhältnisse  (unabhängig  von 
der  Zeit  der  Abnabelung)  schlechtere  Ernährungs Verhältnisse  als  bei 
gesunden  Kindern.  Bei  der  Section  des  gestorbenen  Kindes  fand  sich 
der  Ductus  choledochus  von  zum  Theil  ungefärbten  stecknadelkopf- 
grossen Schleimklumpen  angefüllt,  zwischen  denen  etwas  zähe,  hellgelbe 
Flüssigkeit  sich  befand.  Qu.  stellt  deshalb  den  Icterus  neonatorum  in 
dieselbe  Kategorie  mit  dem  katarrhalischen  Icterus  bei  älteren  Personen 
und  nimmt  an,  dass  ihm  ein  Gastroduodeiialkatarrh  zu  Grunde  liegt, 
der  sich  auf  den  Ductus  choledochu»  fortpflanzt.  Hierzu  kommt  viel- 
leicht als  disponirendes  Moment  eine  fötale  Verengung  der  Mundnng 
des  Ductus,  die  sich  besonders  bei  nicht  ganz  ausgetragenen  Kindern 
geltend  macht,  bei  denen  der  Icterus  häufiger  ist.  Die  Ursache  zu 
diesem  Katarrh  liegt  nach  Qu/s  Meinung  in  der  erwachenden  Ver- 
dauungsthätigkeit  mit  bedeutendem  Blutzufluss,  speciell  zum  M»gen  und 
Dünndarm,  in  denen  selbst  die  natürliche  Nahrung,  die  Muttermilch, 
im  Beginne  als  ein  Hyperämie,  vermehrte  Scbleimsecretion  und  einige 
Anschwellung  der  Schleimhaut  erzeugender  Reiz  wirken  mnss.  In  einer 
grossen  Anzahl  von  Fällen,  besonders  bei  künstlicher  Ernährung,  nimmt 
diese  physiologische  Hyperämie  einen  pathologischen  Charakter  an  und 
es  treten  Symptome  Tom  Dyspepsie  auf.    Nebenbei  können  sich  auch 


496  Analecten. 

leicht  bacterielle  Facioren  fi^eltend  machen.  Auch  yon  den  nicht  icte- 
rischen  Neugeborenen  leidet  nach  Qu.  eine  Anzahl  in  den  ersten  Tagen 
an  VerdanungBstörnngen.  Zeitige  oder  späte  Unterbindung  der  Nabel- 
schnur hat  keinerlei  Eiofluss  auf  die  Entstehung  des  Icterus  neonatorum, 
wovon  Qu.  durch  Experimente  sich  überzeugt  hat.  In  Bezug  auf  die 
Therapie  soll  man  den  dyspeptischen  Symptomen,  wie  Qu.  meint,  mehr 
Aufmerksamkeit  schenken,  als  bisher.  Walter  Bergen 

Ueher  zwei  Endemien  von  Icterus  afehrHia  neonatorum  cum  HaemoglO' 
hinuria,  genannt  die  WinckeV sehe  Krankheit  Von  Prof.Wolczynski. 
Internat,  klin.  Rundschau  Nr.  26  u.  88.    1898. 

Verf.  hatte  Gelegenheit,  diese  {lusserst  selten  Torkommende  Krank- 
heit endemisch  in  Ewei  aufeinander  folgenden  Jahren  (1892  und  189d) 
in  der  Landesgebär-  und  Hebammenanstalt  zu  Czernowitz  zu  beobachten. 
Im  Jahre  1892  (15.  Januar  bis  2.  April)  erkrankten  sechs  Kinder  und 
starben  alle,  im  Jahre  1893  (vom  20.  Januar  bis  7.  Februar)  Erkrankten 
sechs  und  genas  eins.  Alle  Erkrankten  waren  durchaus  gut  entwickelte, 
SOOO  g  und  darflber  schwere  Kinder.  Sie  sind  sämmtlich  am  2.  und  am 
Ende  des  8.  Tages  erkrankt.  Die  Mütter  der  erkrankten  Kinder  waren 
durchaus  p^esund,  der  Gesundheitszustand  in  der  Anstalt  seit  Jahren  ein 
sehr  günstiger,  Puerperalprocesse  sind  gelegentlich  von  Aussen  eingeschleppt 
worden,  Erkrankungen  der  Kinder,  ausser  an  Sklerema  neonatorum, 
nicht  vorgekommen. 

Die  Erscheinungen,  unter  denen  die  Kinder  erkrankten,  waren 
folgende:  Am  2. — 4.  Tage  p.  p.  werden  die  Kinder  unruhig,  verweigern 
die  Nahrung  und  die  Haut  bekommt  eine  leicht  icterische  Färbung;  die 
letztere  wird  allmählich,  besonders  um  den  Mund  und  die  Nase,  an  den 
Genitalien  und  den  Extremitäten  grau-cyano tisch.  Die  Kinder  scheinen 
benommen,  mitunter  stellt  sich  leichtes  Erbrechen  ein  oder  es  zeigt 
sich  gelblicher  Schleim  zwischen  den  Lippen.  Der  Stuhl  wird,  falls  er 
schon  gelblich  gefärbt  war,  bräunlich  und  schwärzlich,  schleimig, 
meconiumartig.  Der  Harn  ist  dunkel  violett  bis  dnnkelschwarz,  ist  an 
Menge  gering  und  wird  mit  Anstrengung  entleert;  er  färbt  die  Windeln 
auffallend  dunkelblau  und  die  Färbung  lässt  sich  nur  schwer  durch 
wiederholtes  Auswaschen  entfernen.  Dabei  magern  die  Kinder  rasch  und 
intensiv  ab  —  in  einem  Falle  betrug  der  Gewichtsverlust  in  3 — 4  Tagen 
1000  g  — ,  bekommen  ein  greisenhaftes  Aussehen.  Sie  fahren  bei  Be- 
rührung zusammen,  verdrehen  die  Augen  und  bekommen  leichte  convuU 
sivische  Anfälle.  Die  Temperatur  schwankt  zwischen  36,6—37,5*  C.  und 
hat  in  keinem  Falle  38*  erreicht. 

Aus  einem  ausführlich  mitgetheilten  Sectionsbefunde  sei  Folgendes 
hervorgehoben:  Gehirn  etwas  ödematös,  Ventrikel  erweitert  Auf  der 
Vorderfläche  des  Unterlappens  sehr  zahlreiche  subpleurale  Ecchymosen, 
einige  kleine,  steck nadelkopfgrosse  auf  der  vorderen  Fläche  des  Herzens. 
Vorhöfe  prall  gefüllt,  die  fötalen  Canäle  durchgängig.  —  Bauchhöhle 
leer.  Milz  auf  das  Dreifache  vergrüssert,  derb,  dunkelblau  violett;  das 
Parenchym  leicht  abstreifbar,  unter  der  Kapsel  eine  mit  klarem  Serum 
gefüllte  Cyste.  —  Leber  bedeutend  ver(p*Ossert,  hellockergelb,  markig, 
brüchig.  —  Magen  enthält  20  —  30  g  eines  dunkelbraunen,  schwarzen, 
theerartigen,  am  Fundus  fest  haftenden  Contentums,  das  sich  bis  ins 
Duodenum  erstreckt,  um  sodann  gelblich,  gelbgrünlich  gefärbt  zu 
werden.  Peyer'sche  Plaques  nnbedentend  geschwellt,  leicht  injicirt,  des- 
gleichen die  Mesenterialdrüsen.  Nieren  massig  vergrössert,  die  Ober- 
fläche mit  zahlreichen  feinen  Ecchymosen  bedeckt.  Corticalis  und 
Pyramiden  röthlich  violett,  die  Grenze  verwischt,  blos  die  Pyramiden- 
spitzen dunkelröthlich  braun  gefärbt.  Harnblase  enthält  wenig  röthlich 
gelbbraunen  üam.    Blasenschleimhaut  deutlich  icterisch  gefärbt 


IX.  Krankheiten  der  Nengeborenen.  497 

lieber  die  histologiBcb-bacteriolo^nsche  ünteTsncbung  (Dr.  Kamen) 
TgL  das  Original.    Es  bat  fdch  ans  derselben  ergeben ,  dass  der  ans  den 
inneren  Organen  (Leber,  Milz,  Nieren)  in  Reincaltnren  gewonnene  Mikro- 
organisnius  das  Bacterinm  coli  commone  ist,  ond  dass  die  WinckeVscbe 
Krankheit  daher  als  eine  Infectionskrankheit  aufzufassen  ist.     Als  die 
Quelle   der  Infection  wurde,   nach  Ausschluss   aller   anderen  Möglich- 
keiten,  das  Anstaltswasser  (Brunnenwasser)   erkannt,   in  welchem   das 
Bacterium  coli  commune  nachgewiesen  wurde  und  welches  somit  als  der 
Tr&ger   des   Infectionsstoffes    aufgefasst  werden    musste.     Das  Wasser 
konnte  nur  entweder  durch  das  Bad  oder  beim  Waschen  und  Beinigen 
des  Mundes  die  Gelegenheit  zur  Infection  abgeben.    Der  erstere  Weg 
konnte  ausgeschlossen,  der  letztere  hingegen  als  der  wahrscheinlichere 
angesehen  werden,  da  es  nicht  zu  vermeiden  ist,  dass  der  zum  B«inigen 
mit  dem  Wasser  benutzte  Leinwandlappen  zu  nass  wird,  Wasser  aus 
dem   Lappen   ausgedrückt  und   von   dem   Kinde  Yerschluckt  wird;    es 
könnte  aber  auch  durch  zu  starkes  Reiben  das  Epithel  von  der  Schleim- 
haut abgerieben  und  die  pathogenen  Keime  in  das  Gewebe  geradezu  ein- 
geimpft werden.    Eine  Bestätigung   für  diese  Annahme   liegt   in   dem 
Umstände,  dass,  als  der  Anstaltsbrunnen  geschlossen  und  zum  Reinigen 
des  Mundes  nur  noch  sterilisirte  1%  Borsäure lösang  verwendet  wurde, 
Erkrankungen    nicht   mehr   vorgekommen   sind.     Dem   letzterkrankten 
Kinde  wuide  am  Abend  p.  p.  der  Mund  noch  mit  dem  Anstaltswasser 
gereinigt,   später   mit  der  sterilisirten  Borlösung.     Es  erkrankte  zwar 
(7.  Febr.),  aber  unter  leichteren  Erscheinungen  und  konnte  am  17.  Febr. 
geheilt  entlassen  werden.  —  Verf.  seh li esst  seine  interessante  Mitthei- 
lung mit  der  Bemerkung,  dass  die  Reinigung  des  Mundes  neugeborener 
Kinder  in  Hinkunft   nur  mit   sterilisirtem  Wasser  zu  geschehen  habe; 
denn  dieselbe  ganz  zu  unterlassen  gehe  wohl  nicht  an,  weil  dies  die 
Disposition  zu  anderen  Krankheiten  der  Neugeborenen  vermehren  würde. 

Unger. 

2Xe  WinekeVscJie  Krankheit  der  Neugeborenen  (Cyanosis  afebrilis  perni- 
ciosa icteriea  cum  Haemoglobinuria).  Von  S.  Ljwow.  Medicinskoje 
Obosrenje  Nr.  14.    1898. 

VerfiEuser  hat  in  den  beiden  ersten  Monaten  des  Jahres  1898  auf  der 
Lieh atsche waschen  geburtshiflichen  Station  zu  Kasan  sieben  Fälle  von 
WinckeV scher  Krankheit  beobachtet.  Der  erste  Fall  wurde  am  17.  Januar 
constatirt:  Siebentägiger  ^7.  Jan.  1893),  kräftiger  Knabe.  Mutter  gesund. 
Behandlung  des  Nabelschnurrestes  mit  Glycerin.  Nabelwunde  rein. 
Kein  Icterus.  Am  16.  Januar  trat  bei  der  Matter  auf  der  linken  Brust 
eine  Lymphangoitis  ein  mit  geringer  Temperatursteigerung,  der  Säugling 
wurde  von  der  Mutter  gestillt.  Am  17.  Januar  entwickelte  sich  bei 
dem  Säuglinge  eine  Cyanose.  Haut  und  Schleimhäute  werden  trocken, 
geringe  Somnolenz,  beschleunigte  Herzthätigkeit.  Temperatur  in  ano 
86,8.  Kein  Erbrechen.  Die  Nabelwunde  verheilt.  Häufiges  Üriniren; 
der  Urin  blauroth,  die  Ausleerungen  braun.  Rasches  Sinken  des  Körper- 
gewichts. Verfall  der  Kräfte,  Zunehmen  der  Cyanose,  leichte  Convul- 
sionen.  Tod  am  20.  Januar.  Die  Section  ergab:  icterische  Verfärbung 
der  Haut,  venöse  Hyperämie  der  Milz,  Blutaustritte  in  den  Harn- 
canälchen.  Im  Urin  waren  geringe  Eiweissmengen  und  Hämoglobin 
nachweisbar.  —  Nach  diesem  Fall  wurde  ein  Monat  lang  keine  Er- 
krankung, weder  bei  den  Wöchnerinnen,  noch  bei  den  Säuglingen  be- 
obachtet. Mitte  Februar  traten  leichte  puerperale  Erkrankungen  bei 
den  Wöchnerinnen  auf,  gleichzeitig  wurden  bei  sechs  Säuglingen 
Krankheitserscheinungen  constatirt,  die  ganz  an  das  Bild  der  oben  be- 
schriebenen Affection  erinnerten.  Von  diesen  sechs  starben  zwei,  vier 
erholten  sich.    Die  Section  ergab  auch  in  diesen  zwei  Fällen:  icterische 


4P8  Analocten. 

Yerf&rbang  der  Hant  und  der  inneren  Organe,  Staunngsbyperämie, 
Schwellung  der  Corticalis  der  Nieren  mit  kleinen  Blotaustritten,  An- 
füllnng  der  Hamcan&Iohen  in  den  Pyramiden  mit  Hämoglobinschollen, 
Blatangen  auf  der  Pleura,  dem  Endo-  und  Pericard,  der  Magenschleim- 
haut  etc.  In  der  Leber  und  dem  Herzen  —  Fettdegeneration.  Nur  in 
einem  Fall  bestand  eine  Erkrankung  der  NabelgefSsse.  —  Auf  Grund 
seiner  Beobachtungen  hält  Verf.  die  Winckersche  Krankheit  fSr  eine 
septiBche  Infection  (das  Fehlen  der  Temperatursteigerung  spreche  nicht 
gegen  diese  Anschauung,  weil  Temperaturmessungen  bei  Säuglingen 
nicht  immer  mit  genügender  Exactheit  ausgeführt  werden  können,  und 
es  sehr  wahrscheinlich  sei,  dass  zu  Anfang  der  Erkrankung  Fieber  vor- 
handen war).  Was  die  Frage  anlangt,  auf  welchem  Wege  die  Infection 
stattfindet,  Bo  meint  L.,  dass  der  erste  Fall  in  dieser  Beziehung  sehr 
instructiy  sei:  das  Kind  brachte  das  infectiöse  Agens  mit  der  Mutter- 
milch in  seinen  Magen.  Ausserdem  müsse  noch  in  Betracht  gezogen 
werden,  dass,  wie  Epstein  gezeigt  hat,  die  Schleimhaut  der  Mund- 
höhle der  Säuglinge  m  den  ersten  Lebenstagen  im  Zustande  der  Des- 
quamation sich  befindet  und  deshalb  einer  Infection  leicht  ausgesetzt 
ist.  Für  die  anderen  Fälle  müsse  der  Umstand,  in  Betracht  gezogen 
werden,  dass  1)  alle  sich  in  einem  Erankensaal  ereigneten,  und  2)  dass 
die  Mütter  gleichzeitig  an  leichten  puerperalen  Affectionen  laborirten. 
Verf.  Bchliesst  sich  der  Küstner^schen  Hypothese  au,  dass  die  Infection 
Ton  der  Lufb  aus  stattfinden  könne.  Abel  mann. 

Septische  Infection  eines  Neugeborenen  mit  gangränöser  Zerstörung  der 
Haut  und  des  ünterhautzellgetoebes  mit  Ausgang  in  Heüung.  Von 
Dr.  F.  Theodor  in  Königsberg  i.  Pr.  Arch.  f.  Kinderh.  16.  Bd.  1898. 

A.  L.,  14  Tage  alt,  stammt  von  gesunden  Eltern,  sieht  kräftig  und 
wohlgenährt  (Brustnahrnng)  aus.  Am  9.  Nov.  unter  Stöhnen  plötzlich 
Nahrungsverweigerung.  Temperatur  38,6^  C.  Sonst  keine  Störung  nach- 
weisbar. Auf  Darmausspülung  einige  Stunden  Ruhe,  nachher  wieder 
Stöhnen.  Im  Laufe  des  Tages  Schwellung  und  Böthung  der  grossen 
Labien,  die  am  folgenden  Tage  schon  sich  hart  infiltrirten,  cyanotisch 
verfärbt  und  auf  Druck  sehr  schmerzhaft  wurden.  Unter  zunehmender 
Unruhe  wurde  die  Schwellung  grösser  und  am  7.  Krankheitstage  wurden 
zahlreiche  Incisionen  in  die  linke  Labie  und  darauf  Umschläge  aus 
Sublimat  (1 :  2000)  gemacht.  Eiter  entleerte  sich  nicht,  doch  wurde 
das  Kind  vollkommen  ruhig  und  nahm  gierig  Nahrung  zu  sich.  Die 
Schwellung  nahm  ab,  hingegen  schwollen  beide  Unterschenkel  gleich* 
massig  vom  Knie  herab  bis  zu  den  Zehenspitzen  an.  Neben  den  Tibien 
trat  bläuliche  VeriUrbung  mit  teigiger  Weichheit  der  Schwellung  auf, 
letztere  nahm  zu,  am  Fussrücken  entwickelten  sich  mit  Serum  gefüllte 
Blasen,  die  schon  am  folgenden  Tage  blutigen  Inhaltes  waren  und  am 
nächstfolgenden  zu  kreisrunden  gangränösen  Zerstörungen  der  Haut  und 
des  Zellgewebes  von  der  Grösse  eines  Zwanzigpfennigstückes  führten. 
Auf  dem  rechten  Fussrücken  erstand  bald  nach  dem  ersten  Geschwür 
ein  zweites  längliches  mit  unterminirten  Bändern  und  schmierig  gelb- 
lichem Belag.  Beide  Fn^srnoken  stark  geschwollen  und  blauroth  ver- 
färbt. —  Am  14.  Krankheitstage  auf  den  Vorderseiten  beider  Unter- 
schenkel zahlreiche  tiefe  Incisionen,  nachdem  Fluctuation  deutlich  fühlbar 
wurde.  Es  entleerten  sich  geringe  Eitermengen,  das  Fieber  (89^)  fiel 
ab  und  die  Sublimatumschläge  wurden  nach  einigen  Tagen  durch  solche 
aus  essigsaurer  Tbonerde  prRetzt.  Die  tiefen  gangränösen  Geschwüre 
wurden  mit  dem  scharfen  Löffel  ausgekratzt,  fingen  an  sich  zu  reinigen, 
so  dass  sie  nach  vierwöcheutlicher  Behandlung  mit  neuer  Haut  bedeckt 
waren  und  das  Kind  vollständig  geheilt  entlassen  werden  könnt«. 

Als  Eingangspforte  für  das  septische  Gift  konnte,  nach  Ansicht  des 


IX.  Erankheiten  der  Neugeborenen.  499 

Verf.,  nur  die  Vaginalschleimhant  in  Betracht  kommen.  Trotz  genauester 
Untersuchung  waren  jedoch  weder  Schrunden  noch  auch  sonst  die  ge- 
ringsten Veränderungen  darin  zu  finden  und  es  waren  diese  Partien 
beim  Kinde  überhaupt  nicht  im  Mindesten  geröthet.  Gleichwohl  zählt 
Verf.  den  eben  mitgetheilten  Fall  zu  der  von  der  Schleimhaut  der 
Genitalien  hervorgerufenen  Form  der  Sepsis.  Ünger. 

Hemorrhagies  gagtrointegtinales  chez  le  nouveau-ne.  Von  Herrgott 
(Nancy).    Progräs  mädical  1893.    Nr.  15.    p.  283. 

Der  Vortragende  bespricht  diese  so  seltene  Afifection,  deren  Aetio- 
logie  noch  ^nz  dunkel  ist.  Nach  seinen  Beobachtungen  scheinen 
manche  Familien  öfters  befallen  zu  werden,  so  erwähnt  er  eine  Familie, 
in  der  drei  Kinder  an  Blutungen  zu  Grunde  gingen.  Die  Blutunter- 
Buchungen  Hessen  keine  Abweichungen  von  der  Norm  erkennen,  während 
die  Schleimhäute  des  Darmes  sehr  roth  aussahen.  Doch  glaubt  H. 
darin  nicht  das  Wesentliche  der  Erkrankung  zu  sehen.  Eine  Diagnose 
schon  während  der  Schwangerschaft  zu  stellen  ist  nicht  möglich,  häufig 
ist  das  Fruchtwasser  sehr  stark  vermehrt.  Die  Krankheit  wurde  von 
H.  zweimal  bei  3000  Kindern  beobachtet,  während  Ddsser  die  Affection 
einmal  bei  1000  sah. 

In  der  Discussion  spricht  Bar  die  Ansicht  aus,  dass  die  Blutungen 
durch  mechanische  Insulte  hervorgerufen  würden.  Er  fand  in  dem 
Blut«  von  drei  Kindern,  die  an  ausgedehnten  Hämorrhagien  litten, 
Streptokokken.  Piccard  fand  bei  drei  Sectionen  die  von  Herrgott  er- 
wähnte starke  Röthung  der  Schleimhäute.  Nicht  immer  wurde  ein 
tödtlicher  Ausgang  beobachtet.  Fritzsche. 

Die  Ülceratianen  an  den  Fersen  und  Knöcheln  der  Neugeborenen  und 
Säuglinge,  Von  Di  Lorenzo,  vorgetragen  bei  dem  2.  Coogress 
ital.  Kinderärzte  in  Neapel  1892.  Archivio  italiano  di  Pediatna 
1893  p.  17flF. 

Verf.  hatte  Gelegenheit,  in  der  Station  für  Hantkrankheiten  und 
Syphilis  eine  Reihe  von  nlcerativen  Processen  bei  Neugeborenen  und 
Säuglingen  zu  beobachten,  deren  Beschreibung  er  in  den  bekannten 
Werken  vermisst.  Bei  471  kranken  Kindern  fand  Verf.  die  Affection 
68  mal  (18  m.,  50  w.),  darunter  12  hereditär-syphilitische  Kinder.  An 
den  Fersen  fanden  sich  die  ülcerationen  84  mal  (26  mal  doppelseitig, 
5  mal  rechts,  8  mal  links),  am  Malleolus  internus  26  mal  (24  doppel- 
seitig, je  eine  nur  rechts  oder  links),  an  beiden  Stellen  8  mal,  das 
älteste  Kind  war  2  Monate  alt.  Der  klinische  Verlauf  ist  folgender: 
zunächst  oberflächliche  erythematöse  Röthung  an  der  Ferse,  welche 
sich  in  verschiedenem  umfange  am  Fusse  ausbreitet;  bisweilen  ist  die 
Temperatur  der  Haut  erhöht,  bisweilen  auch  herabgesetzt.  Nach  einigen 
Tagen  erscheint  eine  kleine  Grube,  an  deren  tiefster  Stelle  sich  die 
Haut  ablöst,  um  dort  ein  flaches  Geschwür  zu  bilden.  Dasselbe  kann 
sich  nach  allen  Seiten  hin  vergrössern,  zeigt  meist  eine  uuregelmässig 
runde  Form  und  verschiedene  Tiefe.  Der  Grund  ist  gewöhnlich  ziem- 
lich trocken  oder  nur  mit  einer  dünnen  Eiterschicht  bedeckt.  Bei  ge- 
nügender Reinlichkeit  und  indifferenter  Behandlung  kann  der  Process 
bald  zum  Stillstand  kommen  und  unter  Grannlationsbildung  schnell 
ausheilen,  es  bleibt  dann  nur  eine  flache,  etwas  dunklere  pigmentirte 
Stelle  oder  eine  wenig  vertiefte  Narbe.  Wird  das  Kind  aber  vernach- 
lässigt, so  gewinnt  der  geschwürige  Process  an  Ausdehnung,  die  Se- 
cretion  nimmt  zu.  Insbesondere  bei  Constitutionen  kranken  Kindern 
gewinnt  das  Bild  einen  anderen  Charakter,  die  Ränder  werden  steil  ab- 
fallend, der  Grund  speckig,  die  Secretion  eitrig.     Der  Knochen  kann 


500  ADalecten. 

eDtblöset  nnd  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden.  Die  bo  schwer  er- 
krankten Kinder  gehen  meist  an  ihrem  Allgemeinleiden  za  Grande  oder 
die  in  seltenen  Fällen  eintretende  Heilung  nimmt  eine  sehr  lange  Zeit 
in  Ansprach.  Die  Geschware  an  den  Enöchebi  sind  gewöhnlich  kleiner, 
oberflächlicher  nnd  heilen  schneller  ab. 

Als  befördernde  Momente  sind  zu  nennen:  frflhes  Lebensalter,  zarte 
nnd  empfindliche  Haut,  constitationelle  Anomalien  (Syphilis,  Atrophie, 
Lebensschwäche),  ünsauberkeit,  za  feste  Binden,  Kälte. 

Von  den  68  Behandelten  starben  28  =  41%. 

Die  Behandlang  ist  eine  sehr  einfache:  Reinlichkeit  and  Anwendung 
von  Antisepticis  in  starker  Verdünnung.  Toeplitz. 

Ein  Fall  wm  acuter  Nephritis  heim  Neugeborenen.    Von  G.  Frees  in 
Giessen.    Zeitschr.  f.  Gebartsh.   26.  Bd.   2.  H. 

Ein  frühgeborener,  2850  g  schwerer  Knabe  einer  gesunden  Mutter 
zeigt  am  dritten  Lebenstage  Oedeme  der  Unterschenkel  und  einen  bis 
zum  zehnten  Lebenstage  dauernden  Icterus.  Das  Oedem  verbreitet 
sich  bis  zum  Scrotum  und  Hypogastrium,  es  entsteht  am  rechten  Scheitel- 
bein ein  ca.  taubeneigrosses  Kephalhämatom. 

Die  Urinuntersuchung  vom  7.-28.  Lebenstage  ergiebt  stark  ver- 
minderte Diurese»  specif.  Gewicht  1027,  sehr  Btsak  eiweisshaltig,  im 
Sedimente  hyaline,  kömige  und  epitheliale  Cylinder. 

Das  Allgemeinbefinden  nchwer  afficirt,  Körpergewicht  bis  zum 
21.  Lebenstag  auf  1590  g  absinkend.    Temp.  subnormal. 

Vom  28.  Lebenstage  an  rasche  Bedserang,  am  40.  Lebenstage  2070  g 
nnd  gesund  entlassen. 

Fr.  ist  geneigt,  das  spät  auftretende  Kephalhämatom  als  Folge 
der  parenchymatösen  Nephritis  aufzufassen.  ßisenschitz. 

OenitalbliUung  bei  einem  neugeborenen  Mädchen.    Von  Dr.  Engström. 
Finska  läkaresällsk.  handl.  XXXV.  5.    S.  391.    1893. 

Bei  einem  neugeborenen  Kinde,  das  am  16.  Jani  1888  früh  geboren 
worden  war,  wurde  am  Abend  desselben  Tages  ein  blutig  gefärbter 
schleimiger  Ausflass  aus  der  Vagina  bemerkt.  Am  nächsten  Tage  fand 
E.  dünnen,  mit  Schleim  gemischten  blutigen  Ausfluss  aus  der  Vagina 
Die  normal  entwickelten  äusseren  Genitalien  zeigten  keine  Hyperämie, 
auch  die  Vagina  erschien  nicht  geröthet.  Die  Blutung  dauerte  8  Tage 
lang  fort,  danach  folgte  kein  schleimiger  oder  eitriger  Ausfluss  aus  den 
Genitalien.  Der  Zustand  des  Kindes  war  stets  ganz  normal  und  es 
konnten  keine  Zeichen  irgend  einer  andern  Krankheit  nachgewiesen 
werden,  auch  weder  Icterus  noch  Bronchialkatarrh.  Der  Nabelstrang 
war  am  vierten  Tage  abgefallen  und  es  hatte  sich  keine  Biatung  oder 
Eiterbildung  am  Nabel,  auch  keine  Röthung  um  denselben  gezeigt. 
Auch  in  den  folgenden  drei  Wochen  befand  sich  das  Kind  wohl  nnd 
gedieh  gut.  —  Ein  Trauma,  Katarrh  in  den  Genitalorganen,  Fettdegene- 
ration  konnten  vollständig  ausgeschlossen  werden.  Vielleicht  war  die 
Blutung  menstrueller  Natur,  für  eine  derartige  Annahme  findet  sich 
aber  kein  Beweis,  weil  über  den  späteren  Verlauf  des  Falles  nichts 
bekannt  geworden  ist« 

Im  Anschluss  an  E.*8  Mitthoilung  erwähnte  Hein ricius  einen  gleichen 
von  ihm  beobachteten  Fall,  in  dem  er  die  Ursache  der  Blutung  in  der 
bei  Neugeborenen  nicht  selten  vorkommenden  Congestion  in  den  Brast- 
drüsen  und  in  den  Genitale rüsen  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Geburt 
suchen  zu  müssen  glaubte.        *  Walter  Berger. 


X.  Hautkrankheiten.  501 

üeber  die  beste  Behandlungsmethode  des  Näbelstrangrestes.  Von  Ljwow. 
Medicinskoje  Obosrenje  Nr.  3.    1898. 

Verf.  hat  bereits  1888  eine  Behandlongsmethode  angegeben  (Be- 
streanng  mit  Magist.  Bismuth.  10  Theile,  Jodoform  1  Theil,  darauf 
Marljcompressen) ,  doch  erwies  sich  diese  insofern  unpraktisch,  als  der 
mumificirte  Rest  selten  vor  dem  7. — 10.  Tage  abfiel.  Ferner  haben  die 
Untersuchungen  Yon  Cholmogorow  und  Artemjew  ergeben,  dass 
streng  desinficirende  Mittel  unnütz  sind.  L.  hat  deshalb  versucht,  den 
Nabelstrangrest  mit  Glycerin  zu  behandeln,  indem  hygroskopische  Watte 
in  Glycerin  getränkt  auf  den  Rest  gelegt  wird.  4—6  Tage  bleibt  der 
Verband  liegen,  das  Kind  wird  dabei  nicht  gebadet.  Schon  am  fünften 
Tage  fällt  der  mumificirte  Best  gewöhnlich  ab.  Diese  Methode  scheint 
dem  Verf.  am  praktischsten.  Abelmann. 

Lähmung  heider  Arme  hei  einem  Neugeborenen.  Aus  dem  geburtshilf- 
lichen Institut  zu  Perugia.  Von  Yicarelli.  Archivio  italiano  di 
Pediatria  1891,  S.  218  ff. 

Eine  30  jährige  Ilpara,  welche  2  Monate  vorher  wegen  florider 
Syphilis  behandelt  worden  war,  gebar  am  2.  April  1891  nach  normaler 
Entbindung  ein  ausgetragenes  Kind,  2300  g  schwer,  mager,  mit  faltiger 
Haut,  ohne  irgendwelche  Exantheme  oder  Narben;  Stimme  schwach, 
rauh,  näselnd.  Beide  Arme  atrophisch  oder  vollständig  gelähmt,  ohne 
irgendwelche  Verletzung,  die  bei  dem  schnellen  und  naturgemässen 
Verlauf  der  Geburt  ohnehin  ausgeschlossen  war.  Um  die  Diagnose  einer 
Lähmung  auf  hereditär  -  luetischer  Basis  sicher  zu  stellen,'  wurde  zu- 
nächst 20  Tage  massirt,  sodann  ebenso  lange  faradisirt,  ohne  irgend 
welchen  Erfolg.  Jetzt  stellten  sich  noch  die  Erscheinungen  eines  bul- 
lösen Syphilids  ein.  Nun  wurde  die  Mutter,  welche  das  Kind  selbst 
nährte,  einer  Jod-Quecksilbercur  unterworfen  und  schon  nach  4— 6  Wochen 
war  die  Beweglichkeit  der  Arme  völlig  wiedergekehrt.  Nach  weiteren 
4  Wochen  wog  das  Kind  4100  g  und  war  vollständig  gesund. 

Toeplitz. 


X.  Hautkrankheiten.  " 

Impetigo  des  enfants  considSr^  comme  une  affeciion  coniagieuset  in- 
oeulabe,  microbienne.  Von  L  e  r  o  u  x.  Le  progr^s  m^dical  1892. 
N.  44. 

Bei  einem  Beobachtungsmaterial  von  750  Fällen  konnte  L.  220  mal 
eine  Ansteckung  nachweisen,  sowohl  in  derselben  Familie,  wo  mehrere 
Kinder  befallen  waren,  als  in  verschiedenen,  wo  Erwachsene  und  Kindei 
die  Ejrankheit  hatten.  Unter  120  Impfversuchen  konnte  der  Autor  bei 
79  (65,8%)  einen  positiven  Erfolg  erzielen.  'Die  Impetigo  lässt  sich 
also  durch  Impfung  übertragen.  Bei  der  von  selbst  entstehenden  Krank- 
heit fand  sich  bei  der  bacteriologischen  Untersuchung  der  Staphylo- 
coccus  aureus,  albus  und  citreus,  während  bei  der  Impfimpetigo  sich 
nur  Diplokokken,  Mikro-  und  Streptokokken  erkennen  liessen.  Gultur- 
versuche  auf  Gelatine  und  Agar  liessen  Streptokokkencolonien  wachsen, 
welche  die  Gelatine  nicht  veässsigten. 

Bei  Impfversuchen  mit  inficirter  Bouillon  entstand  zuerst  ein  Bläs- 
chen, dann  eine  Borke.  Die  Impetigo  scheint  demnach  einem  Mikro- 
organismus ihr  Entstehen  zu  verdanken,  den  der  Autor  im  Streptococcus 


502  Analecten. 

impetiginis  gefunden  haben  will.     Die  Staphylokokken  sind  nor  zuf&l- 
lige  Beimengungen,  die  secandären  Infectionen  ausuflchreiben  sind. 

FritzBche. 

Two  eases  of  hvXlow  eruptian  in  ehüdren  checked  completely  hy  arsenic. 
By  L.  Dancan  Backley.    Archives  of  pediatrics  Jan.  1893. 

Ein  fanfjähriges  Mädchen  leidet  seit  16  Monaten  an  Blasenernp* 
tionen.  Die  Eruption  der  mit  wasserheliem  Inhalte  gefüllten  Bläschen 
begann  um  den  Mund  heram,  verbreitete  sich  Ton  hier  über  die  Ex- 
tremitäten, Bchlieaslich  auch  über  Abdomen,  Rücken  und  Brust.  Bei 
der  ersten  Eruption  vor  16  Monaten  hatte  das  Kind  an  Asthma  gelitten, 
von  dem  es  seither  verschont  geblieben.  Keine  ähnliche  HantäTection 
bei  den  Geschwistern  zu  finden.  Beidemale  waren  von  der  Eruption 
der  Bläschen  verschont  geblieben:  Kopfhaut,  Handteller,  Fusssohlen. 
Die  Bläschen  waren  in  keiner  bestimmten  Weise  gruppirt,  die  Haut 
zwischen  denselben  war  roth  und  mehr  oder  weniger  schuppig.  An 
manchen  Körperstellen,  z.  B.  am  Abdomen  und  den  Pubes,  standen  sie 
auf  deutlich  gerötheter  Basis.  Sie  enthielten  helles  Serum,  doch  sollen 
sie  anfangs  bei  ihrem  Entstehen  blutigen  Inhalt  besessen  haben  ('?). 
Einige  erreichten  eine  beträchtUche  Grösse.  An  ihrer  Stelle  blieben 
hie  und  da  Pigmentflecke  zurück. 

Im  Beginne  der  Eruption  Jucken.  Das  Kind  war  wohlgenährt  und 
sonst  scheinbar  vollständig  gesund. 

Bei  einem  anderen  19  Monate  alten  Kinde  handelte  es  sich  um 
Eruption  von  Bläschen  und  Quaddeln  an  den  Extremitäten,  mit  Ver- 
schonung  des  Stammes,  die  sehr  stark  juckten  und  ohne  Pigmentirung 
schwanden.  Die  Affection  scheint  eine  leichte  Prurigo  oder  ein  Liehen 
gewesen  zu  sein. 

In  beiden  Fällen  schwinden  die  Eruptionen  rasch  nach  Verabreichung 
von  Tinct.  arsenic.  Fowler.  Leider  ist  in  keinem  der  beiden  Fälle 
eine  bestimmte  Diagnose  gestellt  worden  und  aus  der  gegebenen  Be- 
schreibung lassen  sich  nur  Vermuthungsdiagnosen  machen.         Loos. 

Prurigo  der  Kinder  und  ihre  Behandlung.    Von  E.  Iwanow.    Westnik 
obschtschestwennoj  Gigieny  Juli  1892. 

Verf.  wendet  bei  Prurigo  vera  folgende  Therapie  mit  zufrieden- 
stellendem Erfolge  an:  Zur  Hebung  der  Hauternährung  erhalten  die 
Kinder  fette  Diät.  Als  besonders  geeignet  hat  sich  ein  Gemisch  von 
einem  Esslöffel  geschmolzenen  Schweineiettes  und  einem  Glase  Milch  er- 
wiesen. Etwas  älteren  Kindern  wird  ausserdem  noch  Leberthran  ge- 
reicht. Gegen  das  Jucken  kommen  Einreibuugen  von  Carbol  (8 — 6%) 
oder  Eisessig  (6^10%)  in  wässeriger  oder  Glyoerinlösung  zur  Anwen- 
dung. Die  wässerigen  Lösungen  verdienen  nur  in  vernachlässigten 
Fällen  mit  starkem  Juckreiz  den  Vorzug  wegen  ihrer  schnelleren  Wir- 
kung. Dieser  Behandlung  geht  ein  Bad  voraus  mit  Zusatz  irgend  eines 
aromatischen  Krautes  (Bidens  tripart.,  Radic.  Calami  oder  dergl.).  Seife 
wird  vermieden  und  durch  Eigelb  ersetzt.  Häufige  Bäder  wirken  nach- 
theilig. Dagegen  scheinen  seltene  (1—2  mal  wöchentlich),  kurzdauernde 
(10 — 16  Minuten)  Bäder  mit  unmittelbar  darauf  folgender  Einreibung 
der  Glyoerinlösung  die  Cur  zu  unterstützen.  Nach  Beseitigung  des 
Juckens  werden  zweimal  tägliche  Glycehneinreibungen  verordnet,  diese 
müssen  monatelang  fortgesetzt  werden.  Verf.  ist  genei^,  dem  Glycerin 
bei  Prurigo  vera  eine  geradezu  specifische  Wirkung  beuumeBsen. 

Abelmann. 


X.  Hauikrankheiteo.  503 

Vier  Fälle  von  Hydroa  vacdniforme  (Bazin),  Sommereruptionj  (Jonathan 
Hutchinson),  Von  Dr.  C.  Bock.  ArchiY  f.  Dermatologie  26.  Bd. 
1.  Heft. 

Der  Name  Hydroa  Tacciniforme  wurde  von  Bazin  vor  mehr  als 
30  Jahren  in  die  Dermatologie  eingeführt.  Jonathan  Hutchinson 
hat  dieselbe  Krankheit  im  Jahre  1888  als  ,ySommereruption**  beschrieben. 

Bock  theilt  neuerdings  vier  Fälle  dieser  Krankheit  mit,  yon  denen 
drei  je  einen  9,  H%  und  12  Jahre  alten  Knaben  betreffen. 

Der  1.  Fall,  bei  dem  sich  die  Eruption  bereits  in  drei  aufeinander 
folgenden  Sommern  gezeigt  hatte,  zeigt,  symmetrisch  vertheilt  auf  beiden 
Wangen,  spurweise  auf  der  Stirn  und  vorzugsweise  auf  beiden  Ohren 
Bläschen  und  Blasen,  vereinzelte  Bläschen  findet  man  auch  auf  einem 
Handrücken.  Neben  den  Blasen  und  Bläschen  entdeckt  man  als  Spuren 
früherer  Eruptionen  ziemlich  tiefe  Narben. 

Die  Blasen  schwanken  von  Nadelkopf-  bis  Erbsengrösse. 

Der  2.  Fall  war  heftiger.  Zur  Beobachtung  kam  die  8.  Eruption, 
nach  der  Aussage  jedesmal  hervorgerufen  durch  directe  Einwirkung  der 
Sonnenstrahlen. 

Dieser  Fall  zeichnete  sich  dadurch  aus.  dass  neben  den  Bläschen 
hämorrhagische  Papeln  vorkamen,  grosse  Blasen,  die  zur  Bildung  von 
Schorfen  führten,  die  von  einem  weisslich  -  gelben  Limbus  umgeben 
sind  und  dass  die  Eruptionen  drei  Wochen  lang  dauerten. 

Der  8.  Fall  hatte  schon  durch  vier  Jahren  Eruptionen  erlitten,  so- 
dass das  Gesicht  wie  von  Yariolanarben  durchsetzt  erschien. 

Ein  4.  Fall,  ein  27  Jahre  altes  Mädchen  und  zwar  zum  ersten  Male 
betreffend,  war  nach  ca.  sechswOchentlicher  Dauer  noch  nicht  beendet. 

Dr.  Bück  empfiehlt  zur  Behandlang  dieser  Fälle  mittelst  der  An- 
wendung von  curcumagefärbten  Schleiern  die  Einwirkung  der  chemisch 
wirkenden  ultravioletten  Strahlen  des  Sonnenlichtes  theilweise  auszu- 
schalten und  die  von  Stamm  er  empfohlene  Anwendung  wässeriger  Chinin- 
lüsungen  und  Chinin  -  Glycerinsalben  und  die  von  Bock  selbst  erprobte 
Anwendung  von  Bleiwasser  und  Bleiwasserpasten.  Eisens chitz. 

Favus  mit  ungewöhnlich  grosser  Ausbreitung.   Von  Sederhol m.    Hygiea 
LV,  6.    Sv.  läkaresällsk.  fürh.    S.  27.    1893. 

Ein  in  schlechten  Verhältnissen  lebender,  10  Jahre  alter  Knabe 
litt  seit  zwei  Jahren  an  Favus,  der  während  einer  Behandlung  von  un- 
gefähr <4  Jahr  rasch  verschwand,  aber  nach  Aussetzen  der  Behandlung 
sofort  wieder  erschien;  er  nahm  fast  die  ganze  behaarte  Kopfhaut  ein, 
den  Jäumpf  und  auch  die  Extremitäten,  an  manchen  Stellen  hatten  sich 
die  Schorfe  abgelüst  und  neue  waren  im  Begriff  sich  zu  bilded.  Bei 
der  Untersuchung  der  Haare  von  diesen  Stellen  fanden  sich  in  ihnen 
Myeclien  von  Achorion.  Von  den  Nägeln  waren  nur  die  des  Daumens 
und  des  kleinen  Fingers  der  rechten  Hand  befallen,  auf  dem  Daumen 
war  der  Process  am  weitesten  vorgeschritten.  Hohlhände  und  Fuss- 
sohlen  waren  vollkommen  frei.  Die  Haut  war  ungewöhnlich  stark  be- 
liaart.  Der  Knabe  war  im  äussersten  Grade  verwiwrlost,  lag  seit  langer 
Zeit  im  Bett,  das  von  Schmutz  starrte.  Waschen  oder  Bäder  wurden 
nie  angewendet.  Von  den  12  Geschwistern  des  Kranken  litten  noch 
2  an  Favus,  aber  nur  am  Kopfe.  Walter  Berger. 

Ueber  Liehen  scrofidosorum.    Von   Prof.  Dr.  Lukasiewicz.     Arch..  f. 
Dermatologie  26.  B.    1.  H. 

Der    Autor    charakterisirt    die    Krankheit    folgend ermaassen :    Auf 
der  meist  trockenen  Haut  befanden  sich,  räunilich  mit  stetiger  haupt- 


504  Analecten. 

Bächlicher  Localisatioii  am  Stamme,  lebhaft  bis  dunkelbraan  rothe, 
schlappe,  alsbald  ein  dünnes  fettiges  Schüppchen  oder  ein  winziges 
Pnstelchen  tragende  hirsekom-  bis  stecknadelkopfgrosse,  meist  in  krenxer> 
bis  thalergroBse  Haufen  gestellte,  einzeln  auch  discrete  oder  in  Kreis- 
linien angeordnete  Knötchen,  dsineben  fanden  sich  häufig  eigenthüm- 
liche  Eczeme  an  der  Regio  pub.  nnd  ing.  and  Acne  cachecticoram  an 
den  unteren  Extremitäten. 

Der  Liehen  scrofulosorum  hat  bei  einfacher  roborirender  Behand- 
lung die  Tendenz,  in  2—8  Wochen  abzuheilen,  local  verwendet  die 
Hebräische  Schule  Leberthran,  Zinkpasta,  Borsalbe,  Ichthyol,  Bäder. 

Die  histologische  Untersuchung  ergab  als  häufigen  AuBgaagspunkt 
die  Haarbälge  und  zwar  um  die  Talgdrüsen  herum.  In  den  jüngsten 
Knötchen  findet  sich  junges  GranalationsgewebOi  in  vorgeschritteneren 
Stadien  auch  kleinere  Riesenzellen. 

Die  Granulationen  bilden  Infiltrate,  welche  sich  an  den  den  Haar> 
bälgen  benachbarten  Papillen  fortsetzen.  Immer  sind  die  Enäueldrüsen 
am  Processe  mit  betheiligt. 

Die  histologische  Untersuchung  gestattet  aber  nicht,  die  Infiltrate 
bei  Liehen  scrofulosorum  mit  wahren  Tuberkeln  zu  identificiren,  wo- 
gegen auch  der  ganze  Verlauf  der  Dermatose  spricht,  ebenso  die  Ab- 
wesenheit von  Tuberkelbacillen  und  die  negativen  Impf  versuche.  Es 
handelt  sich  vielmehr  um  einen  Entzündungsprocess,  als  Ausdruck  einer 
Ernährungsstörung,  wie  sie  bei  Scrofulösen  und  Tuberculosen  vor- 
kommt. Eisensohitz. 

A  ease  of  dlopecia  of  the  entirt  «colp.  By  E.  Mausel  Sympson.  The 
archives  of  pediatrics  Nov.  1892. 

Es  handelt  sich  um  einen  zehnjährigen  Knaben,  bei  dem  die  Krank- 
heit ohne  irgend  eine  besondere  Veranlassung  vor  drei  Jahren  schon 
begann.  Er  verlor  sämmÜiche  Haare  des  Kopfes,  der  Augenlider, 
Augenbraunen. 

Keine  hereditäre  Belastung,  desgleichen  keine  ähnlichen  Erkran- 
kungen in  der  Familie.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Haare 
erwies  normale  Beschaffenheit  derselben.  Es  sind  auch  keine  Sensi- 
bilitätsstörungen vorhanden,  desgleichen  fanden  sich  gar  keine  Be- 
weise für  eine  parasitäre  Erkrankung  der  Kopfhant  vor.  Ein  Jahr, 
nachdem  die  Augenbrauen  und  Wimpern  gefehlt  hatten,  fingen  die 
letzteren  an  sich  wieder  einzustellen.  Ihre  Farbe  ist  weiss,  mre  Be- 
schaffenheit ausserordentlich  zart  und  fein. 

Therapie  bestand  ausser  in  Waschungen  des  Kopfes  mit  Tinci. 
cantharid.  spirit.  aromat,  Lösungen  von  Liquor,  am.  caustic,  in  der 
internen  Verabreichung  geringer  Mengen  von  Pilocarpin. 

Im  Hinblick  auf  cue  Restitution  der  Augenwimpern  und  -brauen  ist 
die  Prognose  keine  schlechte.  Loos, 

Fall  von  Xanthoma  muUipUx  planum  und  papulo- tuberosum  im  frühen 
Kindesalter,  Von  Dr.  Ludw.  Nielsen.  Hosp.-Tid.  4.  R.  L  Sl. 
1893. 

Ein  14  Monate  altes  Mädchen,  das  künstlich  genährt  worden  und 
vorher  gesund  gewesen  war,  namentlich  keine  Symptome  von  Syphilis 
gehabt  natte,  bekam  im  Alter  von  fünf  Monaten  drei  Flecke  an  der 
rechten  Schulter,  die  später  durch  Auftreten  neuer  Efflorescenzen  zu- 
nahmen, einige  Flecke  sollen  früher  mehr  erhöht  gewesen  sein,  sich 
aber  später  abgeflacht  haben.  Bei  der  Untersuchung  am  27.  Februar 
1892  fanden  sich  theils  zerstreute,  theils  gruppenweise  angeordnete 
Efflorescenzen,    ohne    stark    ausgesprochene    Symmetrie,    spärlich    am 


X.  Hantkrankheiten.  505 

Rumpfe,  reichlich  und  gruppenweise  angeordnet  am  Nacken,  sehr  reich- 
lich an  den  Extremitäten,  besonders  an  den  Beinen,  am  meisten  an  der 
Innenseite  des  rechten  Schenkels,  an  den  Oberarmen  waren  sie  sehr 
reichlich,  besonders  in  der  Umgebung  der  Schaltergelenke.  Die  Efflo- 
rescenzen  bestanden  theils  aa<3  Flecken  ohne  deutliche  Infiltration,  theils 
(und  zwar  am  häufigsten)  aus  etwas  erhabenen,  flachen,  ziemlich  festen 
Infiltrationen  in  der  Haut,  manchmal  mit  unebener  Oberfläche  (aus 
dicht  zusammenstehenden  kleinen  Knoten  zusammengesetzt).  Die  ein- 
zelnen Flecke  und  Papeln,  die  ziemlich  scharf  begrenzt  und  gewöhn- 
lich von  rundlicher  Form  waren,  hatten  die  Grösse  von  Hanfkömem, 
Erbsen  oder  Bohnen  und  waren  von  natQrlicher  Haut  bedeckt,  ohne 
Schuppen  oder  Schorfe;  die  Farbe  war  strohgelb  oder  mehr  bräunlich- 
gelb; hyperämische  Bandzonen  bestanden  nicht,  nur  einige  kleinere 
Flecke  an  der  linken  Fusssohle  waren  leicht  röthlich,  erschienen  aber 
nach  Druck  gelblich  gefärbt.  An  der  rechten  Schulter  fand  sich  eine 
glatte,  erhöhte  Infiltration  von  der  Grösse  einer  Erbse,  die  einer  ge- 
spannten Pastel  glich,  die  aber,  wie  ein  Einstich  ergab,  von  fester  Con- 
sistenz  war,  wie  die  übrigen  Efflorescenzen.  Empfindlichkeit  bestand 
nicht,  aber  etwas  Jucken.  Ausserdem  fand  sich  eine  geringe  Krüm- 
mung der  Tibiae,  aber  sonst  nichts  Bemerkenswerthes,  namentlich  kein 
Icterus.  Walter  Berger. 

üeber  Purpura  ecchymotica  infecHosa,   Von  G.  Somma.    S.-A.  aus  Arch. 

ital.  di  Pediatria  X,  1.    1892. 

Im  Anschlüsse  an  einen  Fall  seiner  Beobachtung  sucht  Verf.  in 
ausführlicherweise  die  von  seinem  verstorbenen  Vetter  L.  Somma  auf- 
gestellte neue  Biankheitsform  der  „Purpura"  zu  ergänzen  und  in  ihrer 
Pathogenese  zu  erklären.  Die  Beobachtung  betrifft  das  achtmonatliche 
Kind  eines  CoUegen;  dasselbe,  obgleich  an  der  Mutterbrust  aufgezogen 
und  von  jeder  hereditären  Belastung  frei,  litt  von  den  ersten  Lebens- 
wochen ab  an  dyspeptischen  Erscheinungen,  welchö  nahezu  vier  Monate 
dauerten.  Auch  weiterhin  machte  es  wiederholt  leichte  gas tro -intesti- 
nale Störungen  durch.  Im  Alter  von  acht  Monaten  erkrankte  es  unter 
leichten  Fieberbewegungen  an  einem  ernsten  Brechdurchfall,  welcher 
mehrere  Tage  in  erheblichem  Grade  anhielt.  Am  7.  Tage  erschien  unter 
leichter  Besserung  der  Verdauungsstörung  eine  schwarze  Ecchymose 
auf  der  Stirn,  welcher  im  Laufe  der  nächsten  Tage  noch  viele  weitere 
am  ganzen  Körper  nachfolgten,  während  gleichzeitig  das  Allgemein- 
befinden  zu  leiden   begann;    das  Kind   wurde   matt   und   magerte  ab. 

Eine  genaue  Untersuchung  ergab  in  den  Organen  nichts  Abnormes, 
nur  unveränderte  Diarrhöe  und  bisweilen  Erbrechen  der  coagulirten 
Milch.  Nachdem  sich  noch  wiederholtes,  aber  nicht  sehr  intensives 
Nasenbluten  zugesellt  hatte,  wurde  das  Kind  aufs  Land  gebracht,  wo 
es  ausser  der  Muttermilch  noch  Eselinnenmilch  erhielt;  von  Arznei- 
mitteln wurde  Ergotin,  Pepsin,  Ac.  gallicum,  Salzsäure,  Eucalyptus  und 
bittere  Mittel  verabfolgt.  Nach  fünfwöchentlicher  Dauer  verschwand 
die  Krankheit  vollkommen  und  die  Genesung  hielt  Bestand.  — In  aus- 
führlichster Weise  bes4)richt  der  Verf.  die  Differentialdiagnose  dieser 
Affiection  von  den  übrigen  Blutungen,  Scorbut,  Hämophilie,  Syphilis 
haemorrhagica,  Peliosis  rheumatica,  Erythema  nodosum,  um  dann  die 
infectiöse  Natur  des  Processes  aufs  Eingehendste  zu  erklären  und  zu 
beweisen,  soweit  ihm  dies  ohne  anatomische  und  bacteriologische  Prü- 
fung möglich  ist;  seine  Schlussfolgerungen  lauten  folgendermaassen : 

1.  Unter  den  hämorrhagischen  Krankheiten  des  frühen  Kindesalters 
ist  der  Purpura  ecchymotica  als  einer  neuen  Krankheitsgattung  ein 
eigener  Platz  einzuräumen. 

Jahrbuch  f.  KindarheUkimde.  N.  F.    XXX vm.  33 


506  Analecien. 

2.  Sie  ist  in  der  kliniflohen  Beobachtang  selten  aniutreffen;  ihr 
Vorkommen  fällt  besonders  in  die  Zeit  Ton  der  Gebart  bis  sor  Ent- 
wöhnung. 

8.  Klinische  Betrachtung,  Pathogenese  und  Aetiologie  lassen  sie  als 
eine  Krankheit  sui  generis  auffassen. 

4.  Sie  ist  gekennzeichnet:  a)  durch  das  Auftreten  oberflächlicher 
Blutungen  unter  die  Haut,  von  verschiedener  Grösse  und  Form;  b)  durch 
die  Schnelligkeit  und  das  )>lOtzliche  Erscheinen  derselben:  c)  durch  den 
Mangel  irgend  eines  organischen  Leidens;  d)  durch  völlige  Apjrexie; 
e)  durch  das  Fehlen  irgend  welcher  constitutioneller  oder  hereditärer 
Diathese;  f)  durch  das  vorhergehende  oder  gleichzeitige  Auftreten  von 
Verdauungsstörungen. 

5.  Die  wahrscheinlichste  Ursache  ist  das  Eindringen  eines  patho- 

genen  Mikroorganismus  aus  dem  erkrankten  Darmcanal  in  die  venöse 
lutbahn,    sowie   dadurch   erzeugte  multiple  Embolien  der  Hautcapil- 
laren,  Nekrose  der  Wandungen  derselben  und  Hämorrhagien. 

6.  Als  Name  schlägt  Verf.  vor:  Purpura  ecohymotica  infectäosa. 

7.  Nicht  völlig  auBzuschliessen  sind  pathologische  Veränderungen 
der  Kreislaufsorgane,  sei  es  durch  angeborene  Disposition,  sei  es  durch 
histologische  Veränderungen  der  Gefösswandnngen,  welche  selbst  bei 
genauer  Untersuchung  nicht  nachweisbar  sind. 

8.  Die  Prognose  ist  stets  reservirt  zu  stellen. 

9.  Für  die  Behandlung  ist  diejenige  der  infectiösen  Processe  über- 
haupt maassgebend:  die  beste  Hygiene,  die  antiseptischen  und  toni- 
sirenden  Mittel  werden  meistens  eine  Heilung  herbeirühren. 

Toeplitz. 

Nephritis  acuta  hei  Ekzem,  eine  nicht  seltene  Ursache  überraschender 
Todesfälle  bei  Kindern,  Von  Guaita  (Mailand).  Archivio  italiano 
di  Pediatria  1890.   p.  258  ff. 

Verfasser  hatte  Gelegenheit,  zwei  Kinder,  welche  an  ausgedehnten 
Ekzemen  des  Kopfes  und  Gesichtes  litten,  unter  den  Erscheinungen  des 
plötzlichen  Collapses  und  eklamptischen  Zufällen  sterben  zu  sehen.  Im 
ersten  Falle  fand  sich  in  den  letzten  48  Stunden  fast  völlige  Anurie, 
im  zweiten  Falle  erheblich  verminderte  Diurese,  wobei  die  Anwesen- 
heit von  grossen  Mengen  Eiweiss,  hyalinen  und  körnigen  Cylindern  und 
spärlichen  rothen  Blutkörperchen  nachgewiesen  werden  konnte. 

In  beiden  Fällen  waren  auch  leichte  Oedeme  zu  beobachten. 

In  zwei  weiteren  Fällen,  welche  später  vom  Verfasser  beobachtet 
wurden,  fand  sich  derselbe  Befund.  Toeplitz. 


XI.  Vergiftimgen. 

Drei  Fatle  von   Vergiflung  durch  Ätropin,     Von  C.  Binz.    Cenlralbl. 
f.  klin.  Med.  S.    1898. 

Binz  berichtet  über  drei  Vergiftungen  mit  Atropin,  wovon  zwei 
an  Kindern,  welche  die  Thierversuche  von  E.  Vollmer  bestätigen,  dass 
die  Wirkung  von  Atropin  und  Morphin  im  Anfange  und  bei  nicht  über- 
mässigen Gaben  eine  gegensätzliche  sei,  resp.  dass  das  eine  als  Anti- 
dot des  andern  gelten  könne. 

Ein  sieben  Jahre  alter  Knabe,  der  ca.  0,05  Atropini  snlf.  auf  ein- 
mal nahm,  bekam  sofort  schwere  Intexicationserscheinungen:   Tobsucht, 


XI.  Vergiftangea.  507 

jagenden  Athem;  1,0  Tannin  %  Stunde  nach  dem  Auftreten  derselben 
änderte  nichts  an  dem  Krankheitsbilde.  Der  tobende  Znstand  blieb  un- 
vermindert zwei  Tage  lang,  nahm  dann  allmählich  ab,  am  vierten  Tag 
tiefer  Schlaf  und  Genesani^. 

Das  Tannin  konnte  nicht  wirken,  weil  das  Atiopin  schon  resorbirt 
war.  In  diesem  Falle  war  vom  behandelten  Arzt  Morphin  nicht  an- 
gewendet worden. 

In  einem  2.  Falle,  einen  drei  Jahre  alten  Knaben  betreffend,  der 
von  einer  durch  einen  Augenarzt  verschriebenen  Atropinlösung  zwischen 
8  nnd  9  Uhr  Morgens  eine  nicht  näher  zu  bestimmende  Dosis  genom- 
men hatte,  kam  Morphin  zur  Anwendung. 

Drei  Stunden  nach  der  Vergiftung  mit  sehr  heftigen  Erscheinungen 
wird  die  1.  Injection  von  0,003  Morphini,  nur  ohne  Erfolg,  %  Stunde 
später  eine  2.  von  0,006  gegeben,  worauf  die  Unruhe  schwindet  und 
Schlaf  eintritt,  der  S^/g  Stunden  dauert;  der  Knabe  erwacht,  ist  wieder 
unruhig  und  verwirrt. 

Eine  Stunde  nach  dem  Erwachen  die  3.  Injection  von  0,003  Morphin, 
die  Ruhe,  aber  keinen  Schlaf  bringt.  Der  Knabe  schläft  erst  6  Stunden 
später  spontan  ein  und  schläft  6  Stunden^  erwacht  wieder  sehr  unruhig, 
aber  das  Sensorium  ist  frei  geworden.     Genesung  am  dritten  Tage. 

Der  Knabe  mit  einem  Körpergewicht  von  27  Pfund  hat  in  zwei 
rasch  aufeinander  folgenden  Injectionen  die  grosre  Dosis  von  0,008 
Morphin  bekommen  und  sehr  gut  vertragen,  ebenfO  wie  die  ca.  2  St. 
später  injicirtcn  0,003. 

Diese  Toleranz  beweist  schon  an  und  ffir  sich  die  antidotische 
Wirkung  der  beiden  Alcaloide  und  noch  mehr  beweisen  ihr  analoge 
Versuche  an  Atropinvergiftungen  bei  Erwachsenen.  B.  spricht  sich 
gegen  das  schablonenhafte  Verabreichen  von  starkem  Kaffee  bei  Atropin- 
vergiftungen aus^  der  die  vom  A  tropin  bewirkte  Erregung  und  darauf- 
folgende Erschöpfung  des  Herzens  noch  vermehi-tw 

Auch  das  Pilocarpin  ist  als  Antidot  des  Atropin  nicht  zu  empfehlen, 
weil  es  trotz  seiner  antagonistischen  Wirkung  die  Schwächung  des  Her- 
zens und  den  Kräfteverfall  befördert. 

Es  ist  ferner  zu  beachten,  dass  das  Morphin  als  Antidot  des  Atropin 
nur  im  Stadium  der  Erregung  angewendet  werden  soll  und  dem  ähn- 
lich wirkenden  Cbloralhydrat  vorzuziehen  ist  wegen  der  schwächenden 
Nebenwirkung  des  letzteren  auf  das  Herz.  Eisenschitz. 

Vergiftuna    mit  Atropin  bei  einem   Mädchen  von   drei  Jahren.     Von 
Monteverdi.    Archivio  italiano  di  Pediatria  1893  p.  119  ff. 

Verf.  beschreibt  einen  Fall,  in  welchem  ein  dreijähriges  Mädchen 
sich  eine  schwere  Atropinvergiftung  zuzog.  Das  Kind  trank  eine  Flasche 
mit  Angenwasser,  enthaltend  Atropin  und  Coca^'n  ana  0,05  auf  15  Wasser, 
ganz  aus.  Danach  spielte  sie  noch  eine  halbe  Stunde  ganz  wie  vorher, 
plötzlich  fiel  sie  ohnmächtig  zu  Boden  und  lag  bewnsstlos  mit  beschleu- 
nigter, stertoröser  Athmung.  Sie  kam  bald  wieder  zu  sich,  war  sehr 
unruhig,  taumelte  beim  Gehen,  tastete  wie  eine  Blinde,  sprach  wirre, 
unverständliche  Worte,  fing  abwechselnd  an  zu  lachen  «und  zu  weinen, 
zitterte  mit  den  Gliedern  und  hatte  wiederholte  Zuckungen,  die  sie  bei- 
nahe zum  Fallen  brachten.  Ins  Bett  gelegt  verfiel  sie  sofort  in  Schlaf. 
Verf.  fand  die  Kleine  in  Rückenlage^  er  beobachtete  wiederholtes  Zu- 
zammenschrecken,  abwechselnd  mit  klonischen  Zuckungen  von  kurzer 
Dauer.  Puls  schwach,  sehr  beschleunigt,  Extremitäten  Kuhl ,  Athmung 
schnell  nnd  oberflächlich,  Temperatur  normal.  Sie  öffnete  die  Augen 
nur  bei  lautem  Anrufen,  bei  der  leisesten  Berührung  dagegen  zuckte, 
sie  heftig  zusammen.   Die  Zunge  ist  trocken,  die  Gorgunctivae  geröthet, 

38* 


508  Analecten. 

die  Papillen  ad  maximum  erweitert,  reagiren  gar  nicht  auf  Licht.  Verf. 
macht  sofort  eine  subcatane  Injection  von  Morphium  0,01,  gleichseitig 
mit  Abreibungen  von  Essig  und  ezcitirenden  Clystieren.  Schon  nach 
einer  halben  Stande  beruhigt  sich  das  Kind,  der  Puls  wird  klüftiger. 
Nach  weiteren  zwei  Stunden  schl&ft  das  Kind  fest,  der  Puls  ist  viel 
kr&ftiger  und  langsamer,  die  Papillen  kleiner,  die  allgemeine  Hyper- 
listhesie  beseitigt.  Am  nächsten  Tage  nur  noch  Schwäche,  etwas  Zit- 
tern, am  8.  Tage  völlige  Herstellung. 

Nachdem  Verf.  in  der  Epikrise  sunächst  die  Betheiligung  des  Cocain 
an  den  Vergiftungserscheinungen  ausgeschlossen  hat,  nimmt  er  für  den 
vorliegenden  Fall  eine  ausgesprochene  Atro^jinvergiftung  an:  die  Er- 
weiterung der  Pupillen,  die  ligection  der  Conjunctivae,  die  Tachycardie, 
die  Trockenheit  der  Zunge,  die  Kühle  der  Extremitäten,  die  Ohnmacht, 
die  Athembeschwerden,  die  Sehstörung,  der  taumelnde  Gang,  Alles  sind 
charakteristische  Eigenheiten  der  Atropin  -  Intoxication.  Die  schnelle 
Besserung  und  Heilung  schreibt  Verf.  ausschliesslich  der  Wirkung  des 
Morphiums  zu,  dessen  antagonistische  Eigenschaft  gegen  das  Atropin 
zwar  häufig  bezweifelt  worden  ist,  durch  solche  FäUe,  wie  der  gegen- 
wärtige, aber  doch  sehr  «Wahrscheinlich  gemacht  wird.        Toeplitz. 

Ein  Faü  von  Brom -Acne,    Von  Galatti.     Archivio   italiano  di  Pe- 
diatria  1891  p.  178  ff. 

Ein  sechsjähriges  Mädchen  wurde  dem  Verf.  wegen  eines  lang- 
wierigen und  jeder  Behandlung  trotzenden  Ausschlages  zugeführt.  Der- 
selbe hatte  beide  Unterschenkel  und  in  geringerem  Umfange  die  Ober- 
schenkel befallen,  dauerte  bereits  vier  Monate  und  war  durch  Jacken 
und  Schmerzhaftigkeit  für  das  Kind  äusserst  quälend.  Verf.  schwankte 
zwischen  „Scrofuloderma*'  und  einem  syphilitischen  Exanthem  und  be- 
handelte das  Kind  mit  Sublimatbädem.  Erst  nach  einigen  Wochen 
konnte  die  Diagnose  gestellt  werden,  als  die  Mutter  erzählte,  dass  das 
Kind  wegen  hystero  -  epileptischer  Anflllle  6  Monate  lang  grosse  Dosen 
Bromkalium  genommen  habe;  während  des  letzten  Monats  dieser  Cur 
war  der  Ausschlag  sichtbar  geworden,  hatte  aber  nicht  nachgelassen, 
trotzdem  jetzt  bereits  drei  Monate  lang  kein  Brom  mehr  verabfolgt 
worden  war.  Die  nunmehr  auf  Brom -Acne  gestellte  Diagnose  wurde 
noch  dadurch  bestätigt,  das  im  Urin  erhebliche  Quantitäten  von  Brom 
bei  der  Untersuchung  nachgewiesen  wurden. 

Im  weiteren  Verlauf  ist  nichts  Bemerkens werthes.  Eine  gute  Chromo- 
lithographie ersetzt  die  Beschreibung  des  Ausschlages.        Toeplitz. 


XII.  Therapeutisches. 

Üeber  die  Dosirung  der  Arzneimiitel  für  Kinder.    Von  Troitzky.    Ar- 
chivio italiano  di  Pediatria  1898,  p.  1  ff.,  67  ff. 

Schon  seit  langen  Jahren  wird  immer  von  Neuem  von  den  ver- 
schiedensten Gesichtspunkten  aus  die  Arbeit  unternommen,  allgemeine 
Vorschriften  für  die  Mengen  der  im  Kindesalter  zu  verabreichenden 
Arzneimittel  festzustellen.  Verf.  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt,  die 
hauptsächlichsten  bisher  geltenden  Grundsätze  nebeneinander  zu  be- 
trachten, zu  vergleichen  und  ihren  Werth  festzustellen:  12  Tabellen  ans 
der  alten  und  neuen  Literatur  zeigen  die  colossalen  Unterschiede,  welche 


XII.  Therapeutisches.  509 

YOQ  den  Autoren  bezüglich  der  Dotirung  gemacht  wurden.  Im  All- 
gemeinen ffingen  alle  von  mathematischen  Berechnungen  aus,  indem  sie 
die  Dosis  rar  einen  Erwachsenen  >»-  1  setzten  und  fflr  die  verschiedenen 
Altersstufen  Brnchtbeile  dieser  Dosis  festsetzten. 

Mit  Recht  rügt  Verf.,  dass  diese  achematische  Berechnung  zu  ganz 
falschen  Ergebnissen  führte;  er  erwähnt,  dass  Kinder  bekanntlich  von 
Quecksilberprftparaten,  insbesondere  von  Calomel  relativ  grosse  Dosen, 
von  Opium  und  seinen  Derivaten  aber  nur  ganz  unyerhältnissm&asig 
kleine  Oaben  zu  vertragen  im  Stande  sind,  sodass  ein  für  alle  FSlle 
giltiges  Zahlen verhältniss  überhaupt  nicht  denkbar  ist.  Verf.  belegt 
dies  weiterhin  noch  durch  eiue  Reihe  von  Tabellen,  in  denen  die  nach 
obigen  Vorschriften  berechneten  Dosen  für  die  verschiedenen  Alters- 
claesen  von  der  Geburt  bis  zum  16.  Lebensjahre  für  die  gebräuchlich- 
sten Arzneimittel  (Bromkalium,  Ferrum  lacucum,  Chininum  muriaticum, 
Tartarus  stibiatus,  Opium  etc.)  in  Zahlen  angegeben  sind  und  aus  wel- 
chen sich  die  ganz  unglaublichen  Differenzen  entnehmen  lassen.  Die 
Schlussfolgemngen  des  Verf.  lauten  folgendermaassen:  1.  Die  Dosirung 
der  Arzneimittel  muss  für  die  einzelnen  Phasen  des  Eindesalters  auf 
die  Grundlagen  der  neuesten  Forschungen  basirt  werden.  2.  Die  bis- 
herigen Angaben  zeigen  sowohl  in  Bezug  auf  die  absolute  Höhe  der 
festflestellten  Arzneigaben,  als  auf  die  zu  diesen  Feststellungen  die- 
nenden Anhaltspunkte  (Alter,  Constitution,  Körpergewicht  o.  s.  w.)  die 
grOflsten  Unterschiede  und  Widersprüche.  8.  Von  allen  früheren  An- 
gaben zeigen,  trotz  mannigfacher  Lücken,  die  Tabellen  von  Gaubins, 
Hufeland,  Young  und  Cowling  die  rationellsten  Grundlagen.  4.  Eine 
Zusammenstellung  der  nach  den  Grundsätzen  früherer  Autoren  berech- 
neten Arsneidosen  zeigt  deutlich  die  Unzulänglichkeit  der  angewandten 
Principien.  5.  Dieselben  beweisen  klar,  dass  die  Tabellen  ohne  Berück- 
sichtigung der  praktischen  Erfahrungen  auf  rein  willkürlichen  Be- 
rechnungen beruhen.  —  Eine  Elarlegung  seiner  eigenen  Verbesserungs- 
vorschläge  behält  sich  der  Verf.  für  eine  spätere  Arbeit  vor. 

Toeplitz. 

Arsenik    als  Prophylakticum   gegen   InfecHonskrankheiien.     Von  Dr.  G. 
Bryan.    Ref.  der  AUg.  med.  Central -Zeit.  6.    1893. 

Eine  Mittheilung,  die  dahin  ging,  dass  Arsenik  nehmende  Personen 

Segen  Pockenimpfung  sich  immun  verhalten  sollten,  bewog  den  Autor, 
as  Mittel  als  Irophylakticum  gegen  Scharlach  anzuwenden. 

Er  berichtet,  während  einer  Epidemie  dadurch  den  Scharlach  von 
einer  Anstalt  fem  gehalten  zu  haben  und  ebenso  zu  wiederholten  Malen 
von  solchen  Familien,  in  welchen  ein  Kind  von  Scharlach  befallen 
worden  war. 

Er  verabreichte  Acid.  arsenicosum  in  Pillen  0,001  pro  dosi  oder 
8  Tropfen  Liq.  arsenicalis,  dreimal  täglich  in  der  1.  Woche,  später  nur 
zweimal  täglich.  Eisenschitz. 

Aeusserlicher  Weg  des  Einfahrens  von  Chinin  in  der  Kinderpraxis,  Von 
J.  W.  Troitzky.  Archiv  f.  Kinderhlk.  1.  u.  2.  H.  16.  B. 
Troitzky  hat  folgende  Versuche  mit  Einreibungen  von  salzsaurem 
Chinin  bei  gesunden  Kindern  im  Alter  von  6  Monaten  bis  10  Jahren 
gemacht  Es  wurden  Spiritu»-  oder  Spiritus-GlycerinlOsungen  1 :  80  ge- 
macht (20  Th.  Spir.,  10  Th.  Glycerin),  die  Versuche  mit  Chininsalben 
wurden  bald  aufgehoben. 

Die  Einreibungen  wurden  am  Rücken  gemacht  mit  der  Handfläche, 
vor  der  Einreibung  wurde  gebadet  oder  die  Haut  nur  mit  warmem 
Wasser   und   Seife  gereinigt  und   zwar  wurde    1  — l^ii  Theelöffel   der 


510  Analecten. 

LÖRanff  täglich  zweimal  eingerieben,  bis  die  Haut  txooken  war.  Bei 
deaBeloeD  Kindern  wurden  ControWersacbe  mit  innerlicher  Verabreichung 
von  Chinin  mur.  zweimal  lAglich  0,06—0,18  gemacht. 

Die  Hamprobe  wurde  nach  Brand t'soher  Methode  (Thalleiochin- 
reaction)  gemacht,  niemals  gab  der  Harn  nach  der  ftusserlichen  An- 
wendung des  Chinins  eine  charakteristische  Beaction,  wenn  kleine  Por« 
tionen  des  Harns  4—6  Stunden  nach  der  Einreibung  untersucht  worden 
waren. 

Bei  6  Kindern  wnrde  der  ganze  Harn  einer  Einreibnngsperiode  ge- 
sammelt, bei  diesen  gelang  der  Nachweis,  am  deutlichsten  bei  Kindern 
im  Alter  Ton  4 — 7  Jahren,  weniger  bis  zum  Alter  von  4  Jahren  und 
am  schwächsten  bei  mehr  als  7  Jahre  alten  Kindern. 

Die  Menge  des  sich  im  Harn  abscheidenden  Chinins  nach  äusserer 
Anwendung  ist  nicht  ausreichend,  um  auf  einen  therapeutischen  Effact 
rechnen  zu  können.  Eisenschi tz. 

Voxyghne  che»  Us  nouveau-m^s.     Von  Frl.  C.  Laurais.    Referat  im 
Progr^s  medical  1898.    Nr.  21.    S.  405. 

Die  unter  der  Inspiration  Bonnaire's  verfasste  Arbeit  spricht  über 
die  Nützlichkeit  der  Sauerstoffinhalationen  bei  schwächlichen  Kindern. 
Der  Sauerstoff  wirke  aseptisch.  Die  mit  Ozon  versetzte  Luft  sei  reiner, 
sie  würde  aber  durch  die  Ueberozydation  noch  besser.  Der  Sauerstoff 
wird  entweder  in  gasförmigem  oder  in  gelöstem  Zastande  angewendet. 
Die  Verfasserin  bespricht  eingehend  die  Indicationen  für  die  Sauerstoff- 
behandlung der  Neugeborenen,  die  verschiedenen  pathologischen  Zu- 
stände, in  denen  sich  seine  Anwendung  empfiehlt,  seine  Vorzüge  und 
seine  Nachtheile.  Besonders  sei  sein  Nutzen  bei  frühgeborenen,  schwäch- 
lichen Kindern  eclatant.  Verfasserin  hegt  für  die  weitere  Verbreitung 
der  Sauerstoffbehandlung  grosse  Hoffnungen.  Der  französische  Referent 
Merle  ist  entgegengesetzter  Ansicht,  der  auch  wir  uns  anschliessen. 

Fritzsche. 

Bas   Ichthyol  und  seine    Wirkung  bei  einigen  Hautkrcmkheiten.     Von 
Di  Lorenz 0.    Archivio  italiano  di  Pediatria  1891.  p.  241  ffl 

Verf.  hat  mit  einer  10% igen  Ichthyol- Qlycerinsalbe  in  einer  grossen 
Reihe  von  Hautaffe ctionen  aer  Kinder  Versuche  angestellt  und  zum 
Tbeil  vorzügliche  Resultate  erzielt.  Insbesondere  waren  es  die  häufigen 
Erytheme  des  Säugliogsalters,  sowie  die  Intertrigo  inguino-cruralis  und 
axillaris,  die  subacuten  Ekzeme  im  Gesicht  und  am  Stamme,  eine  Reihe 
von  polymorphen  Syphiliden  und  juckenden  Ausschlägen  (Scabies,  Pru- 
rigo), in  denen  der  Erfolg  ein  zweifellos  günstiger  war.  Die  Heilung 
erfolgte  bei  nur  einmal  am  Tage  wiederholter  Anwendung  in  kürzester 
Zeit;  besonders  auffallend  *  war  die  austrocknende  und  die  schmerz- 
lindernde Wirkung  in  allen  Fällen. 

Ausserdem  ist  die  Anwendung  des  Ichthyols  ganz  besonders  zu  em- 
pfehlen bei  den  Rhagaden  der  Brustwarzen  stillender  Frauen;  auch  hier 
ist  die  schmerzstillende  Wirkung  eine  fast  augenblickliche. 

Toeplits. 

Das  Ouajacol  und  seine  äusserlidie  Anwendung  bei  JUndem.  Von  Fede- 
rici.    Referat  von  Paohb  in  Lo  Sperimentale  1898,  Nr.  11  p.  974. 

In  Anbetracht  der  Schwierigkeit,  den  Kindern  Arzneimittel  inner- 
lich beizubringen,  versuchte  Verf.,  das  Gui^acol  in  ftuMeriioher  Anwen- 
dung einzuführen,  wie  es  Sciolla  bei  Brwachienen  angegeben  hat.  Er 
unternahm  zu  diesem  Zwecke  bei  Kranken,  deren  Temperatur  min- 
destens einige  Tage  zuvor  genau  beobachtet  worden  war.  Einpinselangen 


\M 


XII.  Therapentiflches.  511 

mit  8 — 8ccm  Grnajacol  an  Tenchiedenen  Körpentellen,  meist  an  der 
Vorderfl&che  der  unteren  Extremitäten;  bisweilen  liesa  er  Einpacknngen 
folgen,  meistens  aber  nicht.  Nach  Anföhrnng  einiger  Krankengeschichten 
pr&cisirt  er  seine  Erfolge  in  nachstehenden  8&tze:  1.  Erhebliche  Herab- 
setenng  der  Temperatur  (3— sy,^;  2.  dieselbe  dauert  4 — 6  Stunden; 
8.  Beginn  des  Abfalls  Va  Stunde  nach  der  Pinselung,  Maximum  nach 
ungefähr  3  Stunden ;  4.  meistens  starker  Schweiss  nach  1  Stunde,  Dauer 
2—4  Stunden;  5.  das  Guajacol  ist  nach  2  Stunden  im  Urin  (durch 
Destillation)  nachweisbar;  6. subnormale  Temperaturen  sind  nicht  beob- 
achtet (Minimum  36,4);  Puls  und  Respiration  stehen  immer  im  normalen 
Yerhäl^iiss  zur  Körperwärme;  7.  das  Allgemeinbefinden  während  der 
Apyrezie  ist  immer  ein  sehr  gutes;  8.  in  keinem  Falle,  auch  nicht  bei 
Scharlachfieber,  hatten  die  wiederholten  Quajacol-Einpioselungen  eine 
Albuminurie  im  Qefolge. 

Verf.  schliesst  daraus,  dass  die  Application  der  Arzneimittel  auf 
die  Haut  in  der  Kinderpraxis  noch  eine  grosse  Zukunft  hat. 

Toeplitz. 

D<i8  Saccharin  ah  ÄntisepHcum  für  die  Mundhöhle  der  Kinder.  Von 
Dur  ante.  Bacteriologische  Untersuchungen  aus  der  üniversitäts- 
Einderklinik  in  Neapel.  La  Pediatria,  Monatsschrift  ffir  Kinder- 
heilkunde, redigirt  von  Prof.  Fe  de,  Director  der  Kinderklinik  der 
Universität  Neapel.    Jahrgang  I,  Heft  3.    20.  UI.  1898.    p.  68  ff. 

Die  Bedeutunj^  der  mannigfachen,  in  der  Mundhöhle  yegetirenden 
Mikroorganismen  ist  ron  yielen  Autoren,  insbesondere  in  neuerer  Zeit 
von  Boux  und  Ter  sin  gelegentlich  ihrer  Untersuchungen  fiber  Di- 
phtherie, von  Netter  u.  A.  gebührend  gewürdigt  worden.  Die  bisher 
dagegen  empfohlenen  Zahnpulver,  Mundwässer  u.  s.  w.  sind  alle  im 
Kindesalter  schwer  oder  gar  nicht  zu  verwenden.  Verf.  suchte  nun  die 
Behauptungen  von  Paul  Aber  die  antiseptischen  Eigenschaften  des 
Saccharins  nachzuprüfen,  da  dasselbe  durch  den  süssen  Geschmack  und 
die  Unschädlichkeit  ffir  die  Kinderpraxis  besonders  verwerthbar  erschien. 
Es  giebt  im  ELandel  2  Arten  Saccharin:  das  chemisch  reine  von  saurer 
Reaction  und  ein  weniger  gutes,  welches  neutral  reagirt;  nur  das  Erstere 
ist  verwendbar.  Dasselbe  ist  rein  weiss,  fein  pulverförmig,  in  260 
Theilen  kalten,  30  Theilen  heissen  Wassers  löslich;  bei  Zusatz  von 
Natron  bicarbonicum  löst  es  sich  unter  Aufbrausen  leicht.  Die  Yer- 
brennunff  hinterlässt  keinen  Rückstand.  Das  neutrale  Saccharin  sieht 
scbmutzig-weisB  aus,  ist  feinkörnig,  in  Wasser  leicht  löslich^  hinterlässt 
einen  {geringfügigen  dunkel  gef£*bten  Rückstand,  dieses  letztere  hat 
gar  keinen  Einfluss  auf  die  Entwickelung  der  Bacterien,  während  das 
reine  Saccharin  ganz  erheblich  entwickelungshemmend  wirkt.  Die  Resul- 
tate, welche  Yerf,  bei  seinen  Versuchen  erzielte,  waren  folgende:  Wenn 
er  die  Nähr^elatine  mit  1%  Saccharin  versetzte,  so  entwickelten  sich 
die  gewöhnlichen  Bacterien  der  Mundhöhle,  die  Bacterien  der  Milch- 
säuregähmng  gar  nicht,  der  Bacillus  subtilis  und  tetragenus  entwickeln 
sich  mangelhaft;  nur  der  Soorpilz  zeigt  selbst  bei  2%  Saccharin  keine 
Störung  der  Entwickelung.  Wurde  zu  der  Saccharingelatine  noch 
Natron  bicarbonicum  zugesetzt,  so  entwickelten  sich  alle  genannten 
Mikroben,  wenn  auch  langsam;  es  scheint  also  die  saure  Reaction  wich- 
tig zu  sein.  Wurde  das  Saccharin  im  Verhältniss  von  1%  zu  Bouillon- 
culturen  derselben  Mikroorganismen  zugesetzt,  so  behielten  dieselben 
noch  eine  Stunde  lang  ihre  Lebensfähigkeit  und  wuchsen,  auf  Gelatine 
gebracht,  ungestört;  nach  Ablauf  einer  Stunde  blieben  alle  Impfungen 
steril.    Verf.  kommt  zu  folgenden  Ergebnissen: 

1.  Das  Saccharin  hat  eine  sichere  zerstörende  Wirkung  auf  die  Bac- 
terien der  Mundhöhle  gesunder  Menschen.    2.  Es  muss  zu  seiner  ent- 


512  AnalecteiL 

wickelnngshemmenden  Thätigkeit  eine  bestimmte  Zeit  hindurch  in  Wir- 
kung Bein.  8.  Das  Natron  bicarbonicum  vermindert  die  Wirksamkeit 
des  Saccharins.  Verf.  empfiehlt  Einpinselun^en  der  Mundhöhle  mit  einer 
Lösung  von  1  Theil  Saccharin  auf  60  Theile  Glycerin.        Toeplits. 

Aloü  pidum  als  iherapeiUüches  MiUeh  Von  G.  Bodionow.  Busskaja 
Medicina  Nr.  27.    1803. 

Verf.  hat  das  Mittel  bei  Behandlung  der  Lungentuberculose  an- 
gewandt. Statt  des  in  Deutschland  bekannten  sympartigen  Präparates 
(mit  Honig  zubereitet)  liess  er  direct  die  Blätter  auspressen  und  von 
dem  frischen  Saft  6—8  Tropfen  in  Wasser  3 — 4  mal  täglich  gebrauchen. 
Die  Besultate  einer  solchen  Behandlung  waren  sehr  gute.  Zuerst  wurde 
der  Appetit  bei  den  Patienten  gehoben  (was  Verf.  auf  die  Wirkung  des 
in  den  Blättern  vorhandenen  Bitterstoffes  bezieht),  das  Körpergewicht 
stieg  bedeutend,  dann  aber  machte  sich  eine  Besserung  des  objectiven 
Befundes  geltend,  Bluthusten,  Nachtschweisse  verschwanden,  häufig 
wurde  sogar  völlige  Sistirung  des  Hustens  und  der  Schleimabsonderung 
beobachtet;  auch  der  auscultatorische  Befund  besserte  sich  bedeutend. 
Verf.  meint,  Aloö  pictum  müsse  in  die  Reihe  der  officinellen  Mittel  auf- 
genommen werden.  Abel  mann. 

üeber  die  B^utndhmg  der  Mälarta  mit  MeUt^fiehblau  und  desscH  locale 
Anwendung  hei  Diphiheritis.  Von  Dr.A.Ka6em-Beck.  CentralbL 
f.  kL  Med.  25.    1898. 

Methylenblau  (Merck)  in  Dosen  von  0,1  c.  pulv.  p.  nuc.  moschati  0,16 
in  Kapseln,  4 — 6  Dosen  stündlich  genommen,  hat  in  80  Fällen  von 
Intermittens  verschiedenster  Form,  darunter  auch  recht  hartnäckige 
Fälle,  sehr  ^te  Erfolge  erzielt,  nur  ein  Fall  recidivirte  nach  2  Monaten, 
dieses  Reddiv  konnte  durch  Methvlenblau  nicht  überwunden  werden. 

In  wenigen  Fällen  erzeugten  die  ersten  Dosen  Erbrechen,  zuweilen 
Ekel  und  Scnwindel,  oft  vermehrten  Drang  zum  Hamen,  nur  ausnahms- 
weise Strangnrie. 

Gegen  Diphtheritis  wurde  das  Methylenblau  14  mal  angewendet, 
darunter  war  1  Fall  von  Laiynxdiphtheritis  bei  einem  14  Jahre  alten 
Knaben. 

Es  wurden  mit  einer  wässerigen  Lösung  1  :  9  2—8  mal  täglich  die 
erkrankten  Stellen  benetzt  und  diamach  nicht  ^^epinselt. 

Das  Fieber  verschwand  nach  2—8  Tagen,  die  locale  Besserung  war 
schon  nach  einem  Tage  erkennbar.  Der  Harn  wird  darnach  blau  oder 
gräulich. 

Nebenbei  wurde  8  mal  täglich  0,008—0,005  Pilocarpin  gegeben. 

Alle  mit  Methylenblau  behandelten  Fälle  heilten. 

Eisenschitz. 

Intubation  bei  einem  Kinde  mit  Sp<i8mu8  gloUidis.  Von  Dr.  Pott. 
Münchener  med.  W.  16.    1898. 

Pott  hat  es  viermal  erlebt,  dass  Kinder  beim  Einführen  des  Mund- 
spatels, behufs  Inspection  des  Rachens,  einen  Anfall  von  Stimmritzen- 
loampf  bekamen  und,  trotzdem  sofort  Hilfe  geleistet  wurde  (Tracheo- 
tomie),  im  Anfalle  zu  Qrunde  gingen. 

In  einem  fünften  Falle,  bei  einem  1^  Jahre  alten,  ebenfalls  an 
Stimmritzenkrampf  leidenden  Kinde,  trat  der  Anfall  auf  der  Klinik 
auf,  in  welchem  höchst  bedrohliche  Erscheinungen  sich  entwickelten 
und  trotz  sofortiger  Anwendung  künstlicher  Athmnng,  das  Hers  abeolut 
stille  stand. 

Nach  kurzen,  etwa  4 — 6  Minuten  dauernden  Vorbereitungen,  w&k- 


XII.  Therapeatisches.  513 

rend  welcher  die  künstliche  Athmung  fortgesetzt  worden  war,  wurde 
eine  entsprechende  Tube  eingeführt,  welche  keine  Reflexe  auslöste. 

Aber  nunmehr  strömte  bei  der  künstlichen  Athmung  die  Luft  pfei- 
fend ans  und  fünf  Minuten  später  wurden  schwache  Herztöne  hörbar, 
etwas  später  der  Puls  fühlbar,  nach  zehn  Minuten  spontane  Athem- 
bewegungen,  nach  ^^  Stunde  wurde  die  Tube  entfernt. 

Eisenschitz. 

Einblasungen  von  Sozojodöl  -  Natrium  in  die  Nasenhöhle  gegen  Keuch- 
husten.   Von  P.  Gut  mann.    Therap.  Monatsblätter  1.    1893. 

P.  Gutmann  hat  mit  dem  von  Dr.  Schwarz  angegebenen  Ver- 
fahren nicht  60  rasche  und  augenfällige  Resultate  gehabt  wie  dieser. 

Im  ersten  Versuche  bei  Gutmann  wurden  Einblasungen  gemacht 
mit  einer  Mischung  yon  96  Theilen  Sozojodol- Natrium  und  5  Theilen 
Fr.  M;^robalanL 

Diese  letztere  Beimischung  wurde  als  unwesentlich  weggelassen  und 
dann  nur  reines  Sozojodol-Natrium  verwendet. 

Als  gut  gelungen  sah  man  die  Einblasung  (ca.  0,26  g  jedes  Mal) 
an,  wenn  etwas  Pulver  durch  das  andere  Nasenloch  herauskam^  ge- 
wöhnlich wurde  in  beide  Nasenlöcher  eingeblasen. 

In  der  Regel  erfolgte  sofort  ein  heftiger  Anfall  und  dann  wieder- 
holte man  die  Einblasung  nach  einiger  Zeit. 

Im  Ganzen  wurden  so  80  Kinder  behandelt,  6  im  Krankenhause, 
24  poliklinisch. 

Eine  Coupirung  der  Krankheit  wurde  niemals  erreicht,  aber  un- 
leugbar eine  günstige  Einwirkung. 

Bei  den  6  im  Krankenhause  behandelten  Kindern  war  der  Verlauf 
der  folgende: 

1.  2  Jahre  altes  Kind,  vierwöchentliche  Dauer  vor  Beginn  der  Ein- 
blasungen, Zahl  der  Anfälle  6— 10  mal  täglich.  Nach  Beginn  der  Be- 
handlung nehmen  die  AnföUe  ab,  nach  1  Woche  hören  sie  auf. 

2.  6  Jahre  altes  Kind,  vier  Wochen  Keuchhusten  mit  täglich  10 
bis  12  Anfällen  vor  Beginn  der  Einblasungen,  nach  achttägigem  Ein- 
blasen Abnahme.    Heilung  nach  fünfwöchentlicher  Gesammtdauer. 

In  den  übrigen  vier  Fällen  meist  nach  3^6  Tagen  Abnahme  der 
Frequenz  und  Intensität  der  Anfälle. 

Aehnlich  sind  die  minder  gut  controlirbaren  Erfolge  bei  den  ambu- 
lanten Kranken.  Eisenschitz. 

Ueiber  einen  mit  Heilserum  behandelten  Fäll  von  Tetanus  beim  Menscfien. 
Von  Prof.  Dr.  Moritz.    Münchener  med.  W.  30.    1892. 

Prof.  Dr.  Moritz  benutzte  zur  Behandlung  eines  Falles  von  Tetanus 
bei  einem  12  Jahre  alten  Knaben  ein  von  Behring  bezogenes  Heil- 
»eram  vom  Immunisirungwerthe  von  1  ;  10  Millionen. 

In  Behandlung  kam  der  Kranke  am  dritten  Tage  seiner  Krankheit 
mit  starkem  Trismus,  krampfhaftei  Stellung  der  Augenlider,  Temperatur 

87,4  »  R. 

Am  6.  Krankheitstage:  Allgemeine]:  tonischer  Krampf  des  Rumpfes 
und  der  Extremitäten,  ausgesprochene  starke  Reflezerregbarkeit.  Temp. 
88,4,  Puls  140,  Resp.  31—48. 

In  den  nächsten  Tagen  fortschreitende  Verschlimmerung  bei  wenig 
erhöhter  Temperatur  und  Cyanose. 

SerumLojectionen  am  8.  Krankheitstage  und  zwar  2  Injectionen  von 
je  20  und  1  Ii^jection  von  10  ccm,  ausserdem  dreimal  täglich  0,6  Chloral 
und  Abends  6—7*/^  mg  Morphin. 

Am  9.  Tag  keine  Besserung,  2.  Injection  von  20  und  10  ccm  Serum. 


514  Analecten. 

Nnn  bessert  sich  der  Zustand,  am  10.  Erankheitstage  eine  letzte 
Injeotion  Yon  15  ccm,  die  Emähran^möglichkeit  ist  viel  besser,  die 
Erscheinungen  nehmen  allmählich  ab,  am  17.  Krankheitstage  die  letzten 
Erampfanfälle,  am  80.  Tage  vollständige  Heilung,  die  Fatellarreflexe 
noch  gesteigert. 

Die  Incubationsdauer  in  diesem  Falle  blieb  unbekannt,  ebenso  die 
Eingangspforten  des  Giftes,  aber  mit  Rflcksicht  auf  die  geringe  Basch- 
heit  der  Steigerung  der  Erscheinung  erschien  die  Prognose  nicht  un- 
günstig zu  sem,  aber  es  waren  auch  ungünstige  Erscheinungen  yor- 
banden;  grosse  Frequenz  der  Respiration  und  des  Pulses,  Cyanose  und 
doch  keine  Fieberlosigkeit. 

Das  durch  Venesection  gewonnene  Blut  des  Kranken  erwies  sich  bei 
(Jeberimpfnng  auf  Mäuse  als  giftfrei. 

Dr.  Moritz  hält  es  für  wahrscheinlich,  dass  die  Heilserumtherapie' 
in  seinem  Falle  einen  Einfinss  auf  den  günstigen  Ausgang  hatte.  Der 
Knabe  yon  SOkp^  Körpergewicht  hatte  96  ccm  Serum  i.e.  aas  8000  fache 
der  zur  Immunisirung  nothwendigen  Menge  erhalten,  während  nach 
Behring  die  1000  fache  Menge  ausreichen  soll. 

In  der  im  „Münchner  ärztlichen  Verein**  nach  der  Mittheilung  yon 
Moritz  sich  entwickelnden  Discussion  erwähnt: 

Ranke  eines  Falles  an  einem  7  Jahre  alten  Knaben,  der  nach 
Injeotion  yon  66  ccm  Serum,  die  ganz  gut  vertragen  wurde,  genas. 
R.  hält  den  Fall  für  nicht  beweisend,  weil  die  Prognose  a  priori 
günstig  war. 

Buchner  polemisirt  gegen  die  Bezeichnung  „Heilserum",  man 
könne  nur  von  einer  Heilpotenz  reden,  denn  das  vorhandene  Gifb  und 
die  vorhandenen  Symptome  werden  dadurch  nicht  weggebracht,  sondern 
nur  neu  auftretendes  Gift  immunisirt.  Es  folgt  daraus  die  Noth wendig- 
keit möglichst  rascher  Anwendung. 

Oertel  stellt  in  Aussicht,  Versuche  mit  Heilserum  gegen  Diphtherie 
zu  machen  und  die  Ergebnisse  mitzutheilen ;  zu  erwarten  ist  davon 
höchstens,  aber  das  ist  immerhin  viel,  bei  frühzeitiger  Anwendung  eine 
Paralysirung  der  durch  das  diphtheritische  Gift  gesetzten  Allgemein- 
erkrankung. 

Ziemssen  theilt  einen  Fall  mit  günstigem  Ausgang  von  Tetanus 
und  Brunn  er  einen  mit  ungünstigem  Ausgange  in  einem  schweren 
Falle  mit.  Eisenschitz. 


Xm.  Hygiene,  Statistik,  Einderspitaler. 

The  sterilization  of  milk  (ü  low  temperaturea  and  ihe  experiment  of 
Mük'lahoratories  for  infant  fecding,  By  Henry  Kopliok.  The 
New -York  Medical  Journal.    February  4.    1898. 

Verf.  legt  grossen  Werth  darauf,  dass  bei  der  Sterilisirung  der 
Milch  die  Temperatur  von  90^  nicht  überschritten  wird,  da  bei  höherer 
Temperatur  Veränderungen  in  der  Milch  eintreten  sollen,  welche  ihren 
Nährwerth  beeinträchtigen.  Um  dieses  wichtige  diätetische  Heilmittel 
der  armen  Bevölkerung  zugänglich  zu  machen,  ist  mit  dem  Bastern 
Dispensa^  in  New-Tork,  an  dem  der  Verf.  thätig,  eine  Anstalt  yer- 
bunden,  in  welcher  sterilisirte  Milch  nach  Sozhlet^s  System  in  Fläsch- 
chen  abgetheilt  im  Grossen  hergestellt  wird.  Die  vorher  im  Trocken- 
schrank erhitzten  Flaschen  werden  mit  Milch  gefüllt  und  unverschloesen, 
jedoch  mit  einem  Flanell  bedeckt  in  den  Dampfsterilisator  gesetzt.   Der 


XIII.  Hygiene,  Statistik,  Einderspitftler.  515 

letztere  unterBcheidet  sich  von  den  sonst  gebr&uchliohen  nur  dadurch, 
dass  der  Dampf  den  übereinander  stehenden  Abtheilungen  durch  eine 
besondere  Leitunp^sröhre  zugeführt  wird.  Nachdem  die  Temperatur  86* 
erreicht,  wird  sie  eine  hsQbe  Stunde  auf  dieser  Höhe  erhalten,  die 
Flaschen  noch  heiss  herausgenommen  und  mit  sterilisirten  Gummi- 
stopfen  verschlossen.  Die  Verdünnung  der  Milch  geschieht  mit  4% 
Milchzucker  nach  den  vom  Ref.  angegebenen  Vorschriften. 

In  zwei  Sommern  wurden  97000  Portionen  an  1268  Patienten  yer- 
theilt.  Das  Resultat  war  ein  befriedigendes.  Schliesslich  giebt  Verf. 
Vorschriften,  wie  man  auch  im  Haushalte  die  Sterilisiruug  der  Milch 
bei  einer  90^  nicht  übersteigenden  Temperatur  vorehmen  kann. 

Escherich. 

Lau  aterilise  emphyS  dam  ValimentaHon  infantile.   Von  Bluze.   Progrds 
m^cal  1893.    Nr.  16.    S.  807  u.  f. 

Von  SO  Kindern  einer  Kleinkinderbewahranstalt,  bei  denen  die  steri- 
lisirte  Milch  zur  Anwendung  kam,  waren  19  vorher  gestillt  worden. 
Von  diesen  schienen  9  durchschnittlich  3^^  Monate  alte  Kinder  bei 
dieser  Ernährung  sich  nicht  wohl  zu  fühlen,  4  siebenmonatliche  zeigten, 
wie  die  wOchenÜichen  Wägungen  ergaben,  normale  Zunahmen,  während 

6  Kinder  im  Durchschnittsalter  von  7^^  Monat  ganz  entschiedene  Fort- 
schritte machten.  Die  11  übrigen  waren  Flaschenkinder.  Bei  diesen 
war  der  Vortheil  der  neuen  Nahrung  unverkennbar,  alle  nahmen  be- 
deutend zu.  Besonders  eclatant  .war  dies  der  Fall  bei  einem  Kinde, 
das  bei  seiner  Aufnahme  5900  g  wog.  Nach  14  Tagen  hatte  es  800  g 
zugenommen.  Die  Anstalt  wurde  14  Tage  geschlossen  und  das  Kind 
kam  wieder  in  die  früheren  Verhältnisse.  Die  Zunahme,  die  dabei  nur 
96  g  betrug,  stieg,  als  das  Kind  wieder  sterilisirte  Milch  erhielt,  auf 
fast  20  g  täglich.  Keines  der  mit  sterilisirter  Milch  ernährten  Kinder 
erkrankte  an  Darmkatarrh.  Die  Folgerungen,  die  der  Vortragende  zieht, 
sind  die,   dass  die  Brustnahrung  die  beste  sei,   dass  Brustkinder  von 

7  Monaten  mit  Zusatznahrung  von  sterilisirter  Milch  ein  übernormales 
Wachsthum  zeigen,  dass  die  sterilisirte  Milch  den  Vorzug  vor  der  ge- 
wöhnlichen verdient  und  dass  die  sterilisirte  Milch  vor  den  Katarrhen 
schütze.  Fritz  sehe. 

SUrüiBotion   du  lait    Von  Dr.  Ledä.    Progr^s  mädical  1893.    Nr.  16. 
S.  807  u.  f. 

Der  Vortragende  bespricht  einen  Apparat  zur  Sterilisirung  der  Milch, 
der  den  Vorzug  grosser  Billigkeit  vor  anderen  ähnlichen  besitzt.  Die 
90  g  haltenden  flaschen,  wie  sie  in  den  Apotheken  gebräuchlich  sind, 
werden  je  nach  dem  Alter  der  Kinder  mit  60  bis  90  ccm  Milch  be- 
schickt und  kommen  dann  in  ein  Körbchen,  das  in  einem  bis  zur  Höhe 
der  Milch  mit  Wasser  gefüllten  Topf  steht.  Dies  Wasser  wird  45  Mi- 
nuten im  Kochen  erhalten,  dann  wird  der  Korb  herausgenommen, 
wobei  die  Flaschen  mit  Leinwandpfröpfen  geschlossen  werden.  Nach 
ihrem  Erkalten  kommen  sie  in  ein  Gefäss  mit  frischem  Wasser.  Die 
80  sterilisirte  Milch  soll  sich  mehrere  Tage  halten.  Vorm  Gebrauch 
werden  die  Flaschen  erwärmt.  Die  so  sterilisirte  Milch  ist  den  Kindern 
besonders  zuträglich.  Fritzsche. 

Sur  Vallaitement.    Von  Budin.     Progr^s  m^dical  1893.    Nr.  10.    S.  177 
bis  182. 

Die  Arbeit  des  Verfassers,  der  sich  auf  dem  Gebiet  der  Kinder- 
emährnngsfrage  schon  mehrfach  bethätigt  hat,  beschäftigt  sich  mit  der 
Anwendung  der  sterilisirten  Milch  als  Säuglingsnahrung.    An  einer  An- 


516  Analecten. 

aahl  von  Carven,  die  sich  über  eine  mehrmonatliche  Beobachtimg  er- 
strecken, zeigt  er  den  Nutzen  dieser  Em&hrung  im  Gegensatz  zur  ge- 
wöhnlichen Milchnahrung.  Er  giebt  auch  dem  Neugeborenen  von  An- 
fang an  nnyerdannte  Kuhmilch,  da  das  Casein  der  auf  100^  erw&rmten 
Milch  gewisse  Modificationen  eingehe,  die  es  auch  für  den  Magen  des 
Neugeborenen  verträglich  machen.  Bei  Wasserzusatz  müssteu  die  Kinder 
zu  grosse  Mengen  zu  sich  nehmen,  um  ihr  Nahmngsbeddrfniss  zu  be- 
friedigen. Er  giebt  darauf  folgende  Berechnung,  die  den  Nachtheil 
der  yerdünnten  Ifilch  beweisen  soll: 

Die  Frauenmilch  enth&lt  871  g  Wasser  und  128  g  feste  Bestand - 
theile  (Eiweiss,  Gasein,  Butter,  Zucker,  Salz)  im  Liter. 

Die  Kuhmilch  hat  865  g  Wasser  und  135  g  trockene  Rückst&nde. 
Verdünnt  man  1  l  Kuhmilch  mit  2  Theilen  Wasser,  so  erhält  man 

an  Wasser  870  +  2000  «  957  g, 

8 
an  trockenen  Substanzen  185         »-45  g. 

~Y 

Bei  500  g  dieser  Mischung  bekommt  das  Kind  in  Wirklichkeit  nur 
22,5  trockene  Rückstände  gegen  61,5  bei  500  g  Frauenmilch. 

Im  ersteren  Falle  hat  es  478,5  Wasser,  im  letzteren  435,5. 

Diese  Reflexionen  scheinen  die  Darreichung  reiner  Milch  zu  recht- 
fertigen. Die  Milch  muss  aber  sterilisirt  werden  und  zwar  giebt  er  da- 
bei  dem  Soxhletverfahren   gegenüber  dem  von  Escherich  den  Vorzug. 

Zum  SchluBs  bespricht  der  Verfasser  noch  eine  von  ihm  angegebene 
Verbesserung  des  Verschlusses  der  Flaschen.  Da  die  Gummiplatten  des 
neuen  Flaschenschlusses  nach  Soxhlet  sich  schnell  abnutzen  und  infolge 
davon  ihren  Zweck  nicht  mehr  erfüllen,  hat  Budin  Kautschukhütchen 
construirt,  die  ähnlich  einem  Fingerhut  sind  und  an  der  Seite  2  Löcher 
enthalten.  Unter  dem  Einfluss  der  Hitze  wird  der  Boden  der  Kautschuk- 
hülse gehoben  y  bis  durch  die  emporgetriebenen  Löcher  die  Luft  ent- 
weichen kann.  Nach  dem  Erkalten  wird  der  weiche  Gummi  in  den 
Flaschenhals  durch  die  verdünnte  Luft  hereingezogen. 

Der  Nutzen  der  sterilisirten  Milch  ist  auch  nach  den  Erfahrungen 
des  Autors  ein  sehr  grosser.  Fritzsche. 

üeber  sterilisirte  Milch  behufs  Ernährung  des  Neugeborenen,  Von  Dr. 
A.  Chavano,  Spitalassistent  in  Paris.  Gazette  m^dicale  de  Paris 
vom  10.  Juni  1898. 

Gestützt  auf  seine  Studien,  welche  Verfasser  als  Assistent  der 
Pariser  Gebäranstalt  und  der  Charit^  machte,  kommt  er  zu  folgenden 
Schlüssen: 

Die  Ernährung  an  der  Mutterbrust  ist  die  allein  natürliche.  Der 
Arzt  soll  alle  Vorkehrungen  treffen,  um  dieselbe  zu  ermöglichen. 

Nur  wenn  die  Mutter  nicht  selbst  stillen  kann,  soll  eine  Amme  an 
deren  Stelle  treten. 

In  gewiesen  Fällen,  wo  die  Mutterbrust  nicht  ausreicht,  ist  es  vor- 
zuziehen, dem  Kinde  neben  der  Brust  Thiermilch  zu  verabreichen. 

Wie  gering  auch  die  Menge  Muttermilch  sein  mag,  so  ist  dieselbe 
nicht  zu  unterschätzen  und  immer  einer  ausschliesslich  künstlichen  Er- 
nähnmg  vorzuziehen.  Oft  nimmt  übrigens  die  Milchmenge  im  Laufe 
des  Saugens  zu. 

Was  die  Wahl  der  Thiermilch  anbelangt,  so  wäre  die  Eselinnen- 
milch öin  vorzüglicher  Ersatz  für  Muttermilch.  Leider  zersetzt  sie  sich 
aber  rasch,  sie  ist  sehr  theuer  und  in  vielen  Fällen  unmöglich  zu  be- 
schaffen. 


XIII.  Hygiene,  Statistik,  EinderapitUer.  517 

Die  Kahmilch  bat  verschiedene  Nachtheile,  wovon  der  achlimniBte 
der  Reichthnm  an  Gähran^serregem  iat. 

Das  Aufkochen  beseitigt  sie  zam  Theil,  aber  nach  dem  gewöhn- 
lichen Kochen  wird  sie  wieder  keimhaltig.  Besser  wirkt  hierfür  das 
Erhitzen  im  Wasserbade  anf  100  ^  C,  das  Steriliairen.  Es  sind  hierfür 
bequeme  Apparate  erfanden  worden,  wovon  besonders  diejenigen  von 
Soxhlet  zu  nennen  sind.  Der  Hauptvortheil  deraelben  besteht  darin, 
dass  die  Milch  in  einzelnen  Trinkportionen  gesondert  steril isirt  wird. 
Verf.  räth,  die  so  sterilisirte  Milch  unverdünnt  zu  verabreichen  (wohl 
nur  für  ältere  Kinder  rathsam,  Anmerkung  des  Referenten).  Die  ein- 
zelnen Flaschen  sollen  nur  geöffnet  werden  im  Momente  der  Verab- 
reichung und  nach  vorhergehender  Erwärmung.  Durch  eine  Geschmacks- 
probe soll  die  Kinderwärterin  vor  der  Untersuchung  die  Güte  der  Milch 
und  ihre  Temperatur  prüfen.  Eine  einmal  geöffiiete  Flasche  soll  nicht 
ein  zweites  Mal  zur  Verwendung  kommen.  Ungenügend  verschlossene 
Flaschen  sollen  vom  Gebrauche  ausgeschlossen  werden. 

Vom  Tage  der  Geburt  an  sollen  die  Kinder  eine  ihrem  Anfangs- 
gewicht entsprechende  Menge  Milch  erhalten.  Es  wird  hierdurch  dem 
Gewichtsverlust  der  ersten  Lebenstage  gesteuert  (?  Referent). 

Die  richtig  sterilisirte  Milch  sichert  dadurch  eine  leichtere  Ver- 
dauung, dass  die  Milch  relativ  keimfrei  direct  von  der  Flasche  in  den 
Mund  des  Kindes  gelangt. 

Ohne  Wägungen  kann  keine  Ernährung  richtif;^  beurtheilt  werden. 
Die  Waage  allein  kann  darüber  entscheiden,  ob  die  Ernährung  an  der 
Mutterbrust  ausreichend  ist  oder  ob  sie  durch  künstliche  Ernährung 
unterstützt  werden  oder  ob  letztere  allein  zur  Anwendung  kommen  soll. 

Die  Wägungen  sollen  täglich  und  zur  selben  Stunde  vorgenommen 
werden  (etwas  hochgespannte  Forderung  für  Privatverhältnisse,  Ref.). 

Verf.  fügt  seiner  Arbeit  hinzu,  dass  in  einzelnen  Fällen  den  Säug- 
lingen von  vornherein  nur  sterilisirte  Milch  verabreicht  und  sehr  gut  er- 
tragen worden  sei  (wir  Kinderärzte  wissen  dies  schon  lange,  Ref.). 

Albrecht. 

üeber  Productüm  von  Kindennüch   ufid  Müehsterüiainmg.     Von   Dr. 
N.  Auerbach.    Deutsche  med.  W.  10.    1893. 

Auerbach  bespricht  in  der  Sitzung  der  Berliner  med.  Gesellschaft 
vom  1.  März  1898  die  Wichtigkeit  der  näheren  Umstände  der  Milch- 
gewinnung  und  insbesondere  der  Beschaffenheit  des  Futters  der  Kühe 
TCJr  die  Beurtheilung  der  diätetischen  Beschaffenheit  der  Müch  für 
Säuglingsemährung.  Er  sieht  die  Bedeutung  des  sogenannten  Trocken- 
fntters  nicht  in  dem  Gleichbleiben  der  Milch  an  ihren  chemischen  Be- 
standtheilen ,  sondern  in  dem  Fernbleiben  von  gewissen  Gährungs- 
erreffem  mit  bedenklichen  Eigenschaften,  insbesondere  im  Fehlen  des 
Baculus  butyricus  (Botkin).  Auerbach  hat  durch  Impfen  von  steri- 
lisirter  Milch  mit  frischem  Wiesenheu  dieselbe  Zersetzung  hervorgebracht, 
trotzdem  noch  nachträglich  40  Minuten  lang  bei  100^  sterilisirt  worden 
war;  als  frisch  galt  das  Wiesenheu  innerhalb  sechs  Wochen  nach  dem 
Mähen. 

Anerbach  konnte  auch  nachweisen,  dass  die  widerstandsfähigen 
Mikroben  des  Futters  lebenskräftig  in  den  Fäces  der  Kühe  wieder  er- 
scheinen. 

Der  Bacillus  butyricus  (Botkin)  und  dessen  Zersetznngsproducte 
wirken  schädlich  auf  den  Säuglingsdarm,  wie  auch  die  Kühe  dadurch 
an  Diarrhöe  erkranken,  noch  leichter  die  Pferde.  Um  die  Milch  voll- 
ständig zu  sterilisiren,  genügt  die  Zeitdauer  von  40  Minuten  häufig  nicht, 
sondern  sind  80  Minuten  dazu  erforderlich.  Eisenschitz. 


520  ADalecten. 

LeMrinnen  MailandB  gehalfcen  hat  Er  fährt  zunftcbst  aus,  wie  wichtig 
die  Eenntniss  der  kindlichen  Hygiene  sei,  bespricht  die  Verwandten - 
Ehen  mit  ihren  Nachtheilen,  das  günstigste  Alter  eu  heirathen,  sowie 
die  grossen  Vorzüge  und  die  Wichtigkeit  des  Selbststillens  der  Mütter. 

Im  zweiten  Vortrap^  wird  znnächst  ein  knrzer  Abriss  der  Anatomie 
und  Physiologie  des  Kindes  TOransgeschickt;  darauf  folgt  die  Hygiene 
der  Bewegung,  des  Wachsthnms,  der  Intelligenz,  der  Sinnesorgane. 
Verf.  spricht  sodann  von  den  hygienischen  Anfordemngen  an  die  Schule: 
deren  Lage,  Eintheitung,  Lehrplan,  Elassenrftume,  Luftgehalt, Ventilation, 
Heizung,  Beleuchtung,  Einrichtung,  Schulmaterial,  Lehrweise;  daran 
schliesst  sich  eine  kurze  Erörterung  über  die  Bchnlstrafen. 

In  einem  weiteren  Vortrag  beschäftigt  sich  Verf.  mit  drei  besonders 
wichtigen  Gegenständen:  mit  aem  schädlichen  Einfluss  der  UeberbÜrdung 
auf  den  Verstand  des  Kindes,  mit  dem  grossen  Nutzen  eines  geregelten 
Turnunterrichtes  und  mit  den  für  die  Kindheit  geeigneten  Spielen. 
Weiterhin  werden  die  Krankheiten  geschildert,  welche  durch  den  Schal- 
besuch Terbreitet  werden,  sowie  diejenigen^  welche  in  der  Schule  be- 
fördert bez.  vorbereitet  werden.  Die  Maassregeln  zur  Verhütung  werden 
aufs  Eingehendste  geschildert.  Endlich  werden  auch  die  hygienischen 
Anforderungen  an  Kinderasyle  und  Kindergärten  festgestellt  und  eine 
Beihe  von  Qrundsätzen  der  Schulhygiene  m  anschauücher  Weise  for- 
mulirt.  Toeplits. 

Hygiene  des  KindeaaUers  und  prjSboeniive  Bthandlung,  Monatsschrift  für 
Familien,  Schalen  und  praktische  Aerzte.  Herausgegeben  von  Celli, 
Sergi,  Blasi  und  Ruggieri.    L  Jahrgang.    Born  1898. 

Seit  dem  Mai  des  Torigen  Jahres  erscheint  in  Rom  obige  neu  begrün- 
dete Monatsschrift,  welche  sich  zum  Zweck  der  Popalarisirung  hygie- 
nischer Maassnahmen  fürs  Haus  und  für  die  Schule  eine  Beihe  von 
Aufgaben  gestellt  hai  In  den  mir  vorliegenden  Heften  4  bis  7  finden 
sich  meist  populär  geschriebene  Artikel  über  brennende  Fragen  der 
Hygiene,  z.  B.  über  den  schädlichen  Einflass  grosser  Hitze  auf  den 
Schulunterricht,  die  Nachtheile  des  übermässigen  Küssens  der  Sander, 
über  Brechdnrchfälle  infolge  verdorbener  oder  fehlerhaft  zubereiteter 
Milch,  die  Wichtigkeit  regelmässiger  Wägungen,  Schule  und  Myopie, 
Vorträge  über  Schulhygiene  u.  s.  w. 

Die  Form  und  Ausstattung  ist.  gefällig  und  ansprechend,  der  Inhalt 
stellenweise  etwas  kindlicher  als  für  den  gewünschten  Zweck  erforder- 
lich, zum  Theil  aber  mit  grösstem  wissenschaftlichen  Ernst  geschrieben. 
Wie  es  aber  zu  rechtfertigen  ist,  dass  neben  den  ausdrücklich  für 
Laien  geschriebenen  Artikeln  in  jeder  Nummer  auch  eine  ganze  Beihe 
von  Becepten  stehen  (Scilla,  Digitalis,  Pilocarpin  u.  s.  w.),  das  haben 
die  Herausgeber  nicht  gesagt.  Toeplitz. 

üeber  die  XJreachen  der  Kindersterblichkeit  im  ersten  lASbensjahre  und 
die  Mittel  zu  ihrer  Bekämpfuna.  Eröffnungsrede,  gehalten  bei  dem 
IL  Congress  italienischer  Kinderärzte  in  Neapel  (80.  X.  1898)  von 
G.  Somma.    Neapel,  stab.  tip.  dell*  Unione  1898,  18  S. 

Nach  einer  schwungvollen  Einleitung,  welche  vorzüglich  dem  An- 
denken L.  Somma^s  gewidmet  ist,  bespricht  Verf.  in  eingehendster 
Weise  die  Ursachen,  welche  die  grosse  Sterblichkeit  im  ersten  Lebens- 
jahre herbeiführen.  Diese  wichtige  Frage,  welche  schon  seit  Jahr- 
hunderten die  Gesetzgeber  beschäftigt  hat,  ist  auch  heute  noch  un- 
gelöst: sie  ist  eine  Frage  der  Wissenschaft,  eine  Frage  der  Gksellschaft, 
der  Familie,  eine  Frage  der  allgemeinen  Moral,  denn  die  unehelichen 
Geburten  sind  eine  Hauptnrsache  der  grossen  Sterblichkeit;  es  ist  eine 


XIII.  Hygiene,  Statistik,  Einderspitäler.  521 

wichtige  Angelegenheit  för  die  Nation,  fSr  den  Staat,  för  die  ganze 
Menachheil  Viele  haben  sich  damit  getröstet,  dass  es  sich  nm  eine 
Natomoth wendigkeit,  um  ein  unabänderliches  Gesetz  handle;  aber  da- 
mit ist  nicht  geholfen  und  nichts  erklärt.  Auch  die  Darwin^sche  Hypo- 
these vom  „Kampf  ums  Dasein'*  ist  sicherlich  unhaltbar,  wenigstens  fär 
die  hoher  organisirten  Wesen. 

Die  Gründe  der  Eindersterblichkeit  sind  zunächst  im  kindlichen 
Orjgfanismus  gelegene,  organische :  hierher  gehören  die  angeborenen  Krank- 
heiten, die  Herzfehler,  das  Offenbleiben  des  Foramen  ovale,  des  Ductus 
BotaUi,  die  Bildungsfehler;  ferner  die  ererbten  fijrankheiten:  Skrophu- 
lose,  Tuberculose,  Syphilis;  sodann  die  durch  den  Geburtsact  erwor- 
benen: Asphyxie,  Fracturen,  Luxationen,  KepHalhämatome,  Lähmungen; 
am  wichtigsten  ist  hier  die  uneheliche  Geburt  mit  den  schlimmen  Ein- 
flüssen einer  verheimlichten  Schwangerschaft,  mit  verbrecherischen  Maass- 
nahmen  behufs  Herbeiführung  eines  Abortes,  mit  den  Leiden,  Entbeh- 
rungen, Misshandlnngen  der  Mutter  seitens  der  Angehörigen  und  Fremden, 
mit  den  Gefahren,  welche  den  Neugeborenen  erwarten,  vor  Allem  in 
den  Findelhäusem  in  ihrer  bisherigen  Gestalt.  Hierher  gehört  ferner 
noch  die  angeborene  Schwäche  der  Kinder,  wie  sie  als  Folge  zu  nie- 
drigen oder  zu  hohen  Alters  der  Eltern,  üble  Gewohnheiten  (Alcoholis- 
mus!)  derselben  auftritt,  sowie  die  Gefahr,  die  jedem  Neugeborenen 
droht  infolge  der  plötzlichen  Veränderungen  seiner  Circulation  und 
seines  gesammten  Stoffwechsels.  —  In  zweiter  Reihe  stehen  femer  die 
äusseren  Ursachen  der  Sterblichkeit:  ungünstige  Einflüsse  der  Witterung, 
fehlerhafte  und  mangelhafte  Ernährung  der  Säuglinge,  Armutb  und 
Mangel  bei  den  Eltern,  die  oft  für  den  eigenen  Unterhalt  zu  sorgen 
kaum  im  Stande  sind,  sodann  die  Krankheiten  der  ersten  Lebenswoohen, 
späterhiii  die  epidemischen  und  contagiösen  Krankheiten  des  Kindes- 
alters, sowie  die  Unwissenheit  der  Eltern  und  Pfleger  in  Allem,  was 
die  kindliche  Hygiene  anbetrifft.  Hieran  schliessen  sich  noch  eine 
ganze  Beihe  mehr  allgemeiner  Ursachen,  welche  weniger  das  Kind  direct 
treffen :  Allzugrosse  Altersdifferenz  zwischen  den  Eltern  des  Kindes, 
ungünstige  sociale  Stellung  derselben,  übermässige  Entwickelung  der 
Jndostrie,  welche  um  des  Geldgewinns  wegen  die  Matter  vom  Kinde 
entfernt,  die  grossen  ökonomischen  Krisen;  hierher  gehört  wieder  die 
Blutsverwandtschaft  der  Eltern  mit  ihren  nachtheiligen  Einflüssen  auf 
den  kindlichen  Organismus;  die  Anhäufung  der  Säuglinge  in  den  Findel- 
häusern, die  fehlerhafte  Ammen  wähl,  die  mangelnde  Ueberwachung  der 
in  Aufisenpflege  gegebenen  Findlinge  I  Und  für  alle  diese  vielen  Ge- 
fahren, die  dem  kindlichen  Organismus  drohen,  habe  Verf.  vor  Allem 
das  eine  Heilmittel  vorzuschlagen :  allgemeine  Verbreitung  und  Ver- 
tiefung der  Kenntniss  von  dem,  wessen  das  Kind  bedarf.  Es  müssen 
Kinderhospitäler,  Kinderkliniken  eingerichtet  werden,  Ambulatorien  für 
Säuglinge  und  grössere  Kinder;  es  muss  auf  allen  Universitäten  und 
Schulen  die  Hygiene  des  Kindesalters  gelehrt  werden;  es  muss  für  die 
Findlinge  durch  grosse  wohlthätige  Gesellschaften  zum  Schutze  der 
Kindheit  gesorgt  werden;  die  Mütter  müssen  Belehrung  empfangen,  wie 
sie  ihr  Kind  zu  ernähren  und  zu  pflegen  haben,  vor  Allem,  dass  es 
keine  Nahrung  giebt,  welche  auch  nur  entfernt  der  Muttermilch  gleich- 
kommt. Auch  der  Staat  hat  seine  Aufgabe  zu  erfüllen:  die  Armuth 
und  das  Elend  zu  bekämpfen,  die  Lebensbedingungen  zu  erleichtem, 
die  Zölle  anf  Lebensmittel  abzuschaffen,  die  Pflege-  und  Haltekinder  in 
angemessener  Weise  zu  beaufsichtigen.  „Wir  können,'*  sagt  Verf.  am 
Schlüsse,  „nicht  verhindern,  dass  Kinder  geboren  werden,  aber  wir 
können  verhindern,  dass  sie  sterben!'*  Toeplitz. 


Jahrbuch  f.  Kinderheilkimdo.   N.  F.  XXXVIII  84 


522  Analecien. 

L'Assüftance  maritime  des  enfanta  ek  les  hopitaux   marins.     Von  Dr. 
Leroux.    Referirt  in  Progr^s  m^dical  1898.    Nr.  2.    S.  42. 

Der  Yerfasaer  schildert  im  Eingänge  seiner  Arbeit  die  Verwfistangen, 
die  Scrophulose,  Tabercolose  und  Rachitis  in  der  BevOlberong  Frank- 
reichs anrichten,  und  erblickt  in  der  Behandlung  durch  Seebäder  ge- 
eignete Prftventiymaassregeln.  Er  bespricht  sodann  die  Indicationen 
und  Contraindicationen  der  Seebehandlung  und  giebt  darauf  eine  ein- 
gehende Schilderung  der  Seehospize.  Fruikreich  yerfügt  danach  über 
1700  Betten,  die  nach  Ansicht  des  Verfassers  bei  weitem  nicht  ausreichen. 
Er  wendet  sich  an  die  öffentliche  Wohlthätigkeit  um  Abhilfe  und  sdüiesst 
mit  einem  Project  für  ein  Sanatorium.  Fritssche. 

■m 

Der  AufenthaU  scraphulöser  Kinder  in  Snogebäk  im  Jahre  1893.     Von 
J.  C.  Gerner.    Ugeskr.  f.  Lager  4.  R.  XXVIU.  22.    S.  617.    1893. 

Die  Gesammtzahl  der  Kinder  betrug  85  (79  Scrophulose  und  6  Recon- 
valescenten),  der  Aufenthalt  und  die  Bäder  dauerten  von  Ende  Juni 
bis  Mitte  September.  Die  Gewichtszunahme  betrug  im  Durchschnitt 
8,74  Pfimd  (8,80%  des  Körpergewichts),  bei  über  9  Jahre  alten  Scrophu- 
lösen  6,27  Pfund  (10,14%  des  Körpergewichts).  Sie  war  etwas  geringer 
als  im  Jahre  1892  [vielleicht  weil  der  Aufenthalt  abgekürzt  werden 
musste  wegen  rauher  Witterung  im  September]. 

Walter  Berger. 

Die  Poliklinik  des  Marthaheims  in  Kopenhagen,  1890^1893.     Von  Dr. 
med.  H.  Adsersen.   Ugeskr.  f  Läger  4.  B.    XXVIII.  17.    1898. 

Die  in  der  Anstalt  behandelten  Kinder  gehören  wesentlich  dem 
Proletariat  an,  dessen  Kinder  die  grösste  Procentzahl  zur  Morbidität  wie 
zur  Mortalität  liefern,  und  zwar  gehören  sie  fast  ausschliesslich  den 
ärmsten  Classen  an.  Von  1890  bis  1898  wurden  4141  Kinder  in  17  263 
Consultationen  behandelt;  708,  die  an  Zahnoaries  litten,  kamen  nur  ein- 
mal zur  Aufnahme,  über  die  übrigen  8488  sind  die  Aufzeichnungen  fort- 
laufend von  einem  Jahre  zum  andern  vorhanden.  Von  diesen  starben 
120  an  der  Krankheit,  wegen  welcher  sie  zuerst  aufgenommen  wurden, 
80  (66,7%)  im  1.  Leben^ahre^  88  (27,6%)  vom  2.  bis  6.  Lebensjahre 
7  (6,8%)  bis  zum  16.  Leben^ahre;  in  ganz  Kopenhagen  beträgt  die 
Sterblichkeit  in  diesen  8  Lebensaltern  68,6%,  80,4%  und  11,1%.  Von 
den  8488  Kindern  waren  1716  Knaben,  1728  Mädchen.  Die  Morbidität 
war  am  grössten  im  1.  Lebensjahre,  nahm  im  2.  Lebensjahre  stark  ab 
und  von  da  an  allmählich  weiter  bis  zum  6.  Lebensjahre,  im  7.  Lebens- 
jahre begann  eine  Steiserung,  die  ihren  Höhepunkt  im  9.  Leben^ahre 
erreichte,  erst  im  12.  Leben^ahre  wurde  die  Morbidität  wieder  so  gering, 
wie  sie  im  6.  Lebensjahre  gewesen  war.  Die  Morbidität  war  im  All- 
gemeinen bei  den  Mädchen  etwas  ^össer  als  bei  den  Knaben,  mit  Aus- 
nahme der  beiden  ersten  Lebensjahre,  in  denen  sie  bei  den  Knaben 
grösser  war.  Die  Sterblichkeit,  die  im  1.  Lebensjahre  am  grössten  war, 
nahm  im  2.  Lebensjahre  bedeutend  ab,  und  zwar  bedeutender  als  die 
Morbidität,  von  da  an  nahm  sie  gleichmässig  ab  bis  zum  16.  Lebens- 

i'ahre.  Von  den  Erkrankungen  der  einzelnen  Organe  waren  Hautkrank- 
leiten  am  häufigsten,  MnsKelkrankheiten  am  seltensten.  Im  1.  und 
2.  Lebensjahre  herrschten  die  Krankheiten  der  Verdauungsorgane  vor; 
Krankheiten  des  Gefösssjstems,  des  Blutes  und  der  Milz  waren  am 
häufigsten  im  2.  Lebensjahre,  acute  Infections-  und  Augenkrankheiten 
im  2.  und  8.  Lebenejahre.  Eine  erhöhte  Morbidität  im  schulpflichtigen 
Alter  fand  wohl  statt,  aber  sie  fällt  nach  A.  nicht  der  Schule  zur  Last, 
da  die  Zunahme  sich  schon  vorher  bemerkbar  machte. 

Walter  Berger. 


XIV.  Physiologie  und  allgemeine  Pathologie.  523 


XIY.    Physiologie  und  allgemeine  Pathologie. 

Beiträge  zur  Kenfäniss  des  tnensehlichen  Milchapparates.  Von  Dr.  K.  B  a  b  c  h. 
Archiv  f.  Gynäkologie  44.  Bd.,  1.  H. 

Der  Abhandlung  geht  eine  ins  Weite  gehende  Darstellnng  der  Ana- 
tomie und  Physiologie  der  Brustwarze  Torans,  bezflglich  der  wir  auf  das 
Original  verweisen  mfissen. 

Von  Difformitäten  der  Brustwarze  werden  hervorgehoben: 

Kleinheit  der  Warzen,  MikrotheUa,  die  Mammilla  fissa,  mit  oberer 
und  unterer  Lippe,  die  hOckrige  Warze,  die  Hohlwarze  und  zwar  die 
Papilla  circumvail.  aperta,  bei  welcher  die  ffutentwickelte  Warze  in 
einem  Hofe  lie^,  und  die  Papilla  circumvail.  obtecta,  bei  welcher  die 
kleine,  kurze  Warze  in  dem  verdickten  Warzenhofe  verborgen  liegt. 
Diese  letztere  Form  führt  nach  Kehr  er  auch  den  Namen  der  Papilla 
invezüta. 

Alle  diese  Difformit&ten  stellen  Entwicklungshemmungen  dar.  Die 
Papilla  invertita  entspricht  der  normalen  Bildung  beim  Neugeborenen, 
ist  stets  mit  einer  verkümmerten  Warze  combinirt,  es  fehlt  bei  ihr  der 
grösste  Theil  der  Innenmusculatur  der  Papille,  w&hrend  die  Musculatur 
der  Warzenhofes  überentwickelt  ist.  Dieses  Missverhältniss  wird  durch 
die  Schwangerschaft  noch  gesteigert. 

Wie  weit  das  Miedertragen  auf  Entstehung  der  Formfehler  Ein- 
fluss  hat  (Mensinga,  bleibt  noch  zu  ergründen,  jedenfalls  ist  die 
Entstehung  derselben  schon  in  die  erste  Lebenszeit  zu  versetzen.  Dr.  B. 
meint,  dass  man  in  jenen  F&llen,  in  welchen  frühzeitig  sich  auf  der 
Brustwarze  starke  Auflagerungen  von  Homschichten  entwickeln,  durch 
üeberschläge  von  1 — 2%iger  Natronlauge  nütze,  das  mechanische  Aus- 
drücken der  HompfrOpfe  soll  aber  vermieden  werden,  weil  diese  Procedur 
die  Drüse  schädigt 

AU  operatives  Verfahren  gegen  die  schon  ausgebildete  Hohlwarze 
schlägt  Dr.  B.  vor:  1)  die  subcutane  Myotomie  der  Warzenhofmusculatur, 
in  der  man  mittelst  eines  schmalen  Tenotoms  den  strictuirenden  Muskel- 
ring  mit  Schonung  der  Haut  durchschneidet,  2)  eine  darauffolgende 
Orthopädie  der  Warzen,  bestehend  in  häufigem  Hervorziehen  in  die 
Stellung  einer  Papilla  plana,  eventuell  Fizirung  in  dieser  Stellupg  durch 
die  Naht 

Die  Operation  sollte  während  der  Mädoheigahre  oder  in  einem  sehr 
frühen  Stsidium  der  Schwangerschaft  gemacht  werden. 

Messungen  an  200  Schwängern  am  Ende  der  Gravidität  haben  er- 
geben, dass  je  hoher  die  Warze,  desto  kleiner  im  Allgemeinen  der 
Warzenhof  ist  und  umgekehrt,  es  schwankt  die  Höhe  der  Warze  zwischen 
0,0  und  1,4  cm,  die  Breite  des  Warzenhofes  zwischen  3,8  und  8,0  cm, 
die  Dicke  der  Warze  zwischen  1,1  und  1,8  cm,  nach  der  Schwanger- 
schaft involvirt  sich  die  Warze  nicht  mehr  vollständig,  die  Entwicklung 
Bchreitet  mit  jeder  Schwangerschaft  fort. 

Die  Erection  der  Warze  wird  nach  B.  nur  durch  die  Contraction 
der  Musculatur  des  Warzenhofes  und  der  Papilla  bedingt  und  der 
GefHAsapparat  spielt  dabei  nur  eine  untergeordnete  Rolle. 

Aul  experimentellem  Wege  weist  Dr.  B.  nach,  dass  die  Aspirations- 
kraft des  Säuglings  nicht  ausreicht  zur  Ueberwindung  des  normalen 
Tonus  der  Brustwarzenmusculatur,  sie  kann  die  Brustwarze  bloss  tiefer 
in  den  Mund  hineinziehen,  die  Compression  des  Warzenhofes  ist  eine 
wesentliche  Hilfsaction  und  wird  von  den  Kiefern,  Lippen  und  den 
Seitentheilen  der  hohlgekrümmten  Zunge  geliefert. 

34* 


530      Analecten.    XIV.  Physiologie  und  allgemeine  Pathologie. 

Diphtheria  Digestion. 

Primary  infectiye   Secundary  infective  DigesÜTe  prodacts 
^ent                         A^ent 

Bacillus  Diphtheria  ferment  Hetero-albamose   )  »^  «„n«>»«»«« 

diphtheriae.        (Roox'  and  Yersin's  Proto-albumose     |A«imemDrane. 

poison)  in  the  Deatero-albamose I  1»    .^,_ 

membran.  Organic  acid  j^  ^^y- 

Die  im  KOrper  ffefundenen  Verdaanngsproduote  sind  nicht  oder  nur 
zam  kleineren  Theile  direct  ans  der  Membran  resorbirt  Sie  werden 
vielmehr  durch  das  aus  der  Membran  resorbirte  Ferment  im  Körper 
selbst  gebildet  und  es  scheint,  dass  die  in  der  Mik  aufgehäuften  Zier- 
setzungsproducte  des  Eiweisses,  wie  Harns&nre,  Xanthm  etc.,  diesen 
fermentatiyen  Vorgang  begünstigen. 

In  ähnlicher  Weise  hat  der  Verf.  die  Albumosen  eines  Falles  von 
infectiöser  Endocarditis,  yon  Milzbrand  und  Tetanus  stadiri  Ihre  Wir- 
kungen Terhielten  sich,  mit  Ausnahme  der  Veränderung  an  den  Nerren, 
ähnlich  denjenigen  der  bei  Diphtherie  gefundenen.  Betreffs  dieser  muss 
auf  das  Original  verwiesen  werden.  Verf.  betont,  dass  man  in  dem 
Nachweise  derartiger  durch  ihre  physiologischen  Wirkungen  wohl  charak- 
terisirten  KOrper  ein  neues  und  werthvoUes  Hilfsmittel  zur  Erkennung 
der  infectiösen  Erkrankungen  im  Allgemeinen  besitzt,  auch  dann,  wenn 
der  Bacillus  bereits  wieder  verschwunden  oder  noch  gar  nicht  ge- 
funden ist.  Es  eher  ich. 


Inlialtsübersiclit  der  Analecten. 


IX.  Krankheiten  der  Neugeborenen« 

Tedeschi,  Angeborene  Lebensschwäohe 490 

Ghriatoyanaki,  Belebangeversuch  an  einem  asphyctischen  Neu- 

feborenen 491 

Meyer,  Asph^ctische  Znetände  bei  Säuglingen 491 

Oeblachl&ger,  Wiederbelebung  Neugeborener 491 

Somma,  Sklerem  der  Neugeborenen 492 

Schmidt,  IcteruB  der  Neugeborenen 494 

Quisling,  Icterus  neonatorum 495 

Wolczynski,  Winckersche  Krankheit 496 

Ljwow,  Winckersche  Krankheit 497 

Theodor,  Gangränöse  Zerstörung  der  Haut  eines  Neugeborenen.  498 
Herrgott,  H^morrhagies  gastrointestinales  chez  le  nouveau-n^  .  499 
Lorenzo,   Ulcerationen  an   den  Fersen  und  Knöcheln  der  Neu- 
geborenen    499 

Frees,  Acute  Nephritis  beim  Neugeborenen 500 

Engström,  Grenitalblutung  bei  einem  neugeborenen  Mädchen  .   .  500 

Ljwow,  Beste  Behandlungsmethode  des  Nabelstrangrestes.   .   .   .  501 

Vicarelli,  Lähmung  beider  Arme  bei  einem  Neugeborenen  .    .   .  501 

X«  Hantkrankheiten. 

Lerouz,  Inip^tigo  considär^e  comme  une  affection  contagieuse  .  501 
Buckley,   BuUous   eruption  in  children  ohecked  completely  by 

arsenic 502 

Iwanow,  Prurigo  der  Kinder  und  ihre  Behandlung 502 

Bock,  Sommereruption 503 

Sederholm^  Favus 508 

Lukasiewicz,  Liehen  scrofulosorum 503 

Sympson,  Alopecia  of  the  entire  scalp 504 

Nielsen,  Xanthoma  multiplex  planum  und  papulo- tuberosum  im 

frahen  Kindesalter 604 

Somma,  Purpura  ecchymotica  infectiosa 505 

Guaita,  Nepnritis  acuta  bei  Ekzem 506 

XI.  Yerglftnngen. 

Binz,  Vergiftung  durch  Atropin. ,.    .'  506 

Monteverdi,  Vergiftung  mit  Atropin ^07 

Galatti,  Brom-Acne 608 


532 


Inhaltflberaioht  der  Analecten. 


8«1W 

XEL  TherapentltelieB. 

Troitzky,  Dosiroiig  der  Anneimittel 608 

Bryan,  Anenik  als  Prophylakticum  gegen  Infectioiiskrankheiten .  609 
Troitzky,   Aeasserlicher  Weg  des  EiuuiUirens  von  Chinin  in  der 

Kinderpraxis 609 

Laarais,  L*ozyg4ne  chez  le«  nouTeaa-n^s 610 

Lorenzo,  Ichthyol  und  seine  Wirknn^ 610 

Federici,  Gaajacol  and  seine  äusserhche  Anwendang  b.  Kindern  610 
Dur  ante,   Saccharin   als   Antisepticum  für   die   Mundhöhle   der 

Kinder 611 

Rodionow,  Aioö  piotom  als  Uierapentisches  Mittel 618 

Kasem-Beck,   Behandlung  der  Malaria  mit  Methylenblau  und 

dessen  locale  Anwendung  bei  Diphtheritis 618 

Pott,  Intubation  bei  Spasmus  glottidis 618 

Gntmann,  Einblasungen  von  Sozojodol- Natrium  in  die  Nasen- 
höhle    618 

Moritz,  Mit  Heilsemm  behandelter  Fall  v.  Tetanus  b.  Menschen  613 

Xin.  Hygiene,  Statistik,  KinderspitUer. 

Koplick,  Sterilisation 614 

Bluze,  Lait  st^rilis^ 616 

Led^,  Sterilisation  du  lait 616 

Budin,  Sar  Tallaitement 616 

Chayano,  Sterilisirte  Milch 616 

Auerbach,  Production  von  Kindermilch  und  Miichsterilisirung    .  617 
Soxhlet,   Chemische  Unterschiede  zwischen  Kuh-  und   Frauen- 
milch und  die  Mittel  zu  ihrer  Ausgleichung 618 

Hornef,  Weitere  Verbesserung  des  Muttermilchersatzes 619 

Hauser,  Neue  Methode  der  S&uglingsem&hrung 619 

Guaita,  Ueber  Hygiene  des  Kindesalters 619 

Celli,  Sergi,  Blasi  und  Ruggieri,  Hygiene  des  Kindesalters  .  620 
Somma,  Ursachen  der  Kindersterblichkeit  im  ersten  Lebensjahre 

und  die  Mittel  zu  ihrer  Bekämpfung 680 

Lerouz,  L'Assistance  maritime  des  enfants  et  les  hopitanz  marins  688 

Gerner,  Aufenthalt  scrophulöser  Kinder  i.  Snogebäk  L  Jahre  1893  688 

Adsersen,  Poliklinik  des  Marthaheims  in  Kopenhagen 688 

XIT«  Pliygiologie  imd  ailgemeiiie  Pathologie. 

Basch,  Beitrage  zur  Kenntniss  d.  menschlichen  Milchapparates    .  68S 

Tedeschi,  Uebergane  einiger  Medicamente  in  die  Milch  ....  684 

Brieger  und  Ehrlicn,  Uebertragung  v.  Immunit&t  durch  Milch.  684 

Bunge,  Aufnahme  des  Eisens  in  den  Organismus  des  S&uglings  .  686 

Guidi,  Pathologie  des  Waohsthums 686 

Lancereaux,    Glandes  vasculaires  sanguines;   leur  röle  pendant 

la  croissance 687 

Brieger  u.  Wassermann,  Ueber  d.  Auftreten  von  Tozaibuminen 

beim  Menschen 687 

Martin,  On  the  chemical  pathology  of  Diphtheria      688 


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Inhalt. 

Seite 

I.  Ein  Beitrag  zur  Aetiologie  der  Leptomeningitis  puralenta 
bei  Säuglingen.  Aus  der  k.  k.  böhmischen  Universitäts- 
klinik des  Prof.  Dr.  Schwing  in  Prag.  Von  Dr.  Franz 
Seh  er  er,  Assistenten  an  der  genannten  Klinik 1 

IL  Ueber  die  intermittenten  Formen  der  fibrinösen  Pneumonie. 
Mittheilung  aus  dem  Stephanie-Kinderspital  in  Budapest. 
Von  Dr.  Nicolaus  Berend,  Secundararzt  daselbst   ...       12 

III.  Zur  Theorie  der  Rachitis.  Nach  einem  Vortrage,  gehalten 
in  der  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  in  Dresden. 
Von  Dr.  Wachsmuth 24 

IV.  Ein  Beitrag  zur  Statistik  der  Erkrankung  an  Scharlach 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  ßecidive  und  Pseudo- 
recidive.  Von  Theodor  Hase,  ordinir.  Arzt  am  Elisabeth- 
Kinderspital  zu  St.  Petersburg 58 

V.  Ueber  Gewicht  und  Wuchs  der  Kinder  der  Armen  in 
Warschau.    Mitgetheilt  von  Dr.  Wiktoryn  Kosmowski, 

Kinderarzt  in  Warschau 70 

VI.  Ueber  die  Verhältnisse  der  Neugeborenen  in  Entbindungs- 
anstalten und  in  der  Privatpraxis.  Von  Docent  Dr.  Julius 
Eröss 77 

VII.  Ein  Fall  von  Situs  transversus  viscerum,  beobachtet  im 
Wilhelm -Augusta- Hospital  zu  Breslau.  Von  Paul  Ga- 
linsky,  Assistenzarzt 91 

VLU.  Kleinere  Mittheilungen: 

1.  Ueber  eine  irrthümliche  Darstellung  eines  physio- 
logischen Vorganges  in  einigen  Lehrbüchern  der  Kinder- 
krankheiten.  Von  Dr,  med.  Arved  Berteis  in  Riga    103 

2.  Vni  internationaler  Congress  für  Hygiene  und  Demo- 
graphie in  Budapest  (1.— 10.  September  1894).  Referat 
aus  der  V.  Section  (Kinderhygiene).  Von  Dr.  G. 
Genersich  (Kolozsvar) 104 

Recensionen 112 

IX.  Ueber  Oxyuris  vermicularis  bei  Kindern  und  die  Behand- 
lung mit  Naphthalin.    (Aus  der  med.  Kinderpoliklinik  zu 
Bonn.)    Von  Aurel  Schmitz  aus  Mülheim  an  der  Euhr     121 
X.  Ueber   subcutane  Injectionen  von  Chininum  bimuriaticum 

bei  Keuchhusten.    Von  Heinrich  Laubinger 141 

XI.  Ueber  Geschmacksempfindungen  rachitischer  und  nicht- 
rachitischer Kinder.  Aus  dem  Kinder-Ambulatorium  zu 
Bonn  a.  Rh,  Von  Heinrich  Büssem  aus  Viersen  (M.-Glad- 
bach) 16Ö 


2  *  F.  Scherer: 

perimente  an  Thieren  und  der  bacteriologischen  Untersuchungen 
gewisse  Schlösse  daraus  zu  ziehen. 

Fall  I. 

Das  Kind  K.  E.  wurde  am  7.  September  1898  auf  der  böhmischen 
geburtshilflichen  Klinik  für  Aerzte  geboren.  Qleich  nach  der  Gebart 
betrug  das  Gewicht  desselben  2660  g,  bei  der  Aufnahme  auf  der  Klinik 
der  böhmischen  Landeefindelanstalt  SS60  g.  Die  Länge  des  Köi-pers 
47  cm,  die  Insertion  der  Nabelschnur  2  cm  unterhalb  der  Mitte  der 
Längsaze  des  KOrpers.  Der  Umfang  des  Kopfes  misst  32  cm,  jener 
der  Brust  SO  cm.  Die  Mutter  des  Kindes  ist  eine  27  Jahre  alte  Erst- 
gebärende: dieselbe  ist  eine  yollkommen  gesunde,  zum  Stillen  geeig- 
nete Person.  Das  Kind  zeigt  keine  angeborenen  Anomalien,  ist  aber 
in  Folge  seines  schwächeren  ErnährungszuBtandes,  sowie  in  Folge  des 
schwach  gebauten  Skelettes  in  die  Reihe  der  schwächeren  Kinder  zu 
rechnen.  Die  Haut  am  ganzen  Körper  ist  leicht  icterisch  gefärbt  Rund 
herum  um  den  normal  yernarbten  Nabel  finden  wir  einige  zerstreut 
liegende  kleine  Pemphigusbläschen.  Bei  der  näheren  Untersuchung  der 
Lunge,  des  Herzens,  sowie  der  übrigen  Organe  ist  man  nicht  im  Stande, 
irgend  welche  pathologische  Veränderungen  zu  constatiren.  Die  Schleim- 
haut der  Mundhöhle  rein,  der  Stuhl  von  normaler  Farbe  und  Gonsistens, 
2 — 8  mal  täglich.  Das  Kind  nimmt  in  den  ersten  Tagen  regelmässig  die 
Brust,  ohne  aber  an  Gewicht  zuzunehmen:  dasselbe  bHrägt  beständig 
2370  g.    Die  Körpertemperatur  normal. 

22.  X.  1893.  Der  Icterus  der  Haut  wird  intensiver,  ohne  Hinso- 
treten  sonstiger  Ve Änderungen.  Es  wurden  warme  Bäder  und  inner- 
lich Acid.  muriat.  (0,6 :  120)  verordnet.  ^   * 

25.  X.  Bei  stets  zunehmender  icterischer  Färbung  der  Haut  nimmt 
man  beim  Kinde  eine  grosse  Unruhe,  Schlaflosigkeit  und  diffuse  Stuhl- 
entleerungen wahr.  Die  Körpertemperatur  normal  (37—37,2—37,5).  Zu- 
weilen hört  das  Kind  auf,  die  Brust  zu  nehmen;  die  beiden  Kiefer  sind 
zeitweilig  fest  aneinander  gepresst  in  dem  Grade,  dass  die  Untersuchung 
der  Mundhöhle  unmöglich  wird,  zeitweilig  wieder  ganz  lose,  zuweilen 
ist  eine  ziemlich  deutlich  ausgesprochene  Contraction  der  Kaumuskeln 
beiderseits  wahrnehmbar.    Das  Körpergewicht  beträgt  2380  g. 

2.  XI.  Die  Körpertemperatur  erhöht.  38,4—38,6—38,8—88,7—38,8. 
Das  Kind  nimmt  plötzlich  um  150  g  am  Gewichte  ab.  An  Stelle  der 
Durchfälle  tritt  eine  hartnäckige  Verstopfung  ein.  Das  Kind  nimmt 
nicht  mehr  die  Brust,  das  Aneinanderpressen  der  Kiefer  deutlich  be- 
merkbar. Des  Kindes  bemächtigt  sich  eine  starke  Unruhe  und  gänz- 
liche Schlaflosigkeit.  Die  Herzaction  ungemein  unregelmässig,  zuweilen 
beschleunigt,  zuweilen  retardirt.  Die  Eefc-piration  sehr  unregelmässig. 
(Tct  Valerianae.) 

29.  XI.  Ein  wiederholtes  Sinken  des  Gewichtes  um  80  g.  Des 
Kindes  bemächtigt  sich  eine  bedeutende  Somnolenz,  die  Nacl^enmusku- 
latur  stark  contrahirt.  Zeitweilig  stellen  sich  beim  Kinde  klonische 
Convulsionen  der  oberen  und  unteren  Extremitäten  ein.  Die  Kiefer 
sind  fest  aneinander  gepresst,  der  Gesichtsansdruck  auffallend  grinsend. 
Die  Pupillen  beiderseits  stark  contrahirt,  starr.  Ein  massig  ausgespro- 
chener x^ystagmus,  welcher  zeitweilig  dem  Strabismus  convergens  weicht. 
Die  Convulsionen  wiederholen  sich  immer  öfter,  die  Temperatur  be- 
träjgft  36 — 35,9 — 37,5.  In  einem  tiefen  Coma  tritt  am  selben  Tage  der 
Exitus  letalis  ein.  Die  klinische  Diagnose  lautet:  Leptomeningitis  puru- 
lenta.    Icterus  gravis  (septicus). 

Die  Seotion  der  Leiche  wurde  am  30.  IX.  im  k.  k.  böhmischen 
pathologisch  -  anatomißchen  Institute  vom  Assistenten   Dr.  Kimla  aus- 


Zur  Aetiologie  der  LeptomeniDgitis  purolenta  b.  Säuglingen.        3 

geführt  nnd  hierbei  Folgendes  in  das  Sectio nsprotokoll  aufgenommen: 
Die  Leiche  eines  normal  entwickelten,  stark  in  der  Ernährang  herab - 
gekommenen  Kindes  von  grazilem  Skelettbau.  Die  Haut  am  ganzen 
Körper,  sowie  die  sichtbaren  Schleimhäute  intensiv  icterisch.  Die 
Schleimhaut  der  Lippen  leicht  violett.  Aus  den  Gesichtshöhlen  findet 
kein  Ausfluss  statt.  Die  Todtenstarre  deutlich  ausgeprägt.  Sonst  ausser- 
lieh  nichts  Abnormes. 

Die  weichen  Kopfdecken  feucht,  blutreich.  Die  Schädeldecke  sym- 
metrisch, leicht,  die  grosse  Fontanelle  eingesunken,  die  Nähte  scharf 
kenntlich.  Die  Dura  mater  glatt,  ziemlich  blutreich,  in  den  Blutleitem 
dunkle  compacte  Blutgerinnsel.  In  den  weichen  Hirnhäuten  finden  wir 
sowohl  auf  der  Convexität  als  auch  auf  der  Basis  längs  der  Gefässe 
und  meistens  in  den  Furchen,  im  Subarachnoidalraum  und  den  Lymph- 
bahnen ein  starkes,  leicht  gelbes,  compactes,  eitrig  -  fibrinöses  Exsudat, 
welches  die  beiden  Hemisphären  wie  eine  Haube  bedeckt;  die  verschont 
gebliebenen  Theile  der  weichen  Hirnhäute  sind  schwach  icterisch  ge- 
färbt.  Die  Gehimsubstanz  noch  nicht  differenzirt,  die  Marksubstanz 
blassroth,  die  Corticalsubstanz  lichtgrau,  blässer.  Im  Dache  der  dritten 
Gehirakammer  findet  man  in  der  Tela  chorioidea  ein  eitriges  Infiltrat. 
Die  Gehirnkammern  von  normaler  Breite.  Das  Rückenmark  normal. 
Das  Unterhautgewebe  fettarm,  der  Brustkorb  breit,  das  Zwerchfell  rechts 
bei  der  6.,  links  bei  der  4.  Rippe.  Im  Herzbeutel  eine  kleine  Menge 
von  reiner  seröser  Flüssigkeit.  Die  beiden  Lungen  frei,  die  Pleura  zart; 
das  Lungengewebe  lufthaltig,  von  normaler  Blutfülle,  normal. 

Das  Herz  normal  gross.  Das  Peri-  und  Epicard  zart,  die  Coronar- 
gefösse  gefüllt,  ^ie  Kammern,  Vorkammern,  sowie  der  Klappenapparat 
ohne  Verilnderuni^en.  Der  Ductus  Botalli,  sowie  das  Foramen  ovale 
offen.  Die  Schleimhaut  des  Rachens,  des  Kehlkopfes,  der  Speiseröhre 
und  der  Luftröhre  leicht  röthlich,  sonst  normal. 

Die  Lage  der  Eingeweide  normal.  Die  Milz  grösser,  die  Kapsel 
glatt,  das  Gewebe  rothbraun,  fest,  die  Pulpe  spärlich,  die  Follikel  un- 
kenntlich. Die  Nieren  von  normaler  Grösse,  die  Kapsel  glatt,  leicht 
lösbar,  die  Oberfläche  gelappt.  Die  Rindensubstanz  und  die  Pyramiden 
normaler  Configuration;  das  Gewebe  fest.  Die  Harnblase  leer,  contra- 
hirt;  die  Schleimhaut  blass.  Die  Genitalien  normal.  Die  Leber  von  ge- 
wöhnlicher Grösse,  Serosa  glatt,  gespannt,  das  Gewebe  brüchig,  blut- 
reich, gelbbraun.  Der  Magen,  dessen  Schleimhaut  normal  ist,  ist  leer. 
Die  Schleimhaut  des  Dünn-  und  Dickdarms  blassroth. 

Der  Nabel  vernarbt,  die  Nabeigefasse  leer.  Das  linke  Mittelohr 
mit  eitriger  Flüssigkeit  erfüllt. 

Die  Sectionsdiagnose  lautet:  Leptomeningitis  purulenta  baseos 
et  convexitalis.  Otitis  media  suppur.  lateris  sinistri.  Tumor  lienis. 
Hyperaemia  organorum  abdominalium.     Icterus. 

Das  Exsudat  in  den  Meningen  wurde  nun  bacteriologisch  unter- 
sucht. 

In  den  frisch  angefertigten  Deckglaspräparaten  (s.  Abbildung  S.  4), 
welche  mit  Carbol-Fuchsin  behandelt  wurden,  findet  man  ausschliesslich 
ziemlich  lange  und  breite  Bacillen,  welche  ungleichmässig  gefärbt  sind, 
nach  G r am m'schem  Verfahren  aber  vollkommen  entfärbt  werden.  Das 
Wachsthnm  auf  Agar  ziemlich  rasch ;  binnen  24  Stunden  bei  Temperatur 
von  37  ^  entsteht  ein  sehr  mächtiger,  graugrüner,  intensiv  glänzender 
Belag,  dessen  Ränder  leicht  gekerbt  sind.  Derselbe  Belag  binnen 
24  Stunden  auf  Brot-  und  Erdäpfelagar,  nur  ist  das  Wachsthum  hier 
etwas  langsamer  als  beim  gewöhnlichen  Agar.  Mikroskopisch  findet 
man,  dass  alle  diese  drei  Beläge  von  kürzeren,  ziemlich  breiten,  am 
Ende  abgerundeten  Bacillen  gebildet  werden,  welche  ungleichmässig  ge- 
färbt sind  und  hie  und  da  längere  Fäden  bilden. 

1* 


14  N.  Bereod: 

gegebenen  Falle  mit  einer  genuinen,  fibrinösen  Pneumonie 
oder  aber  mit  einer  Febris  intermittens  larvata  zu  thun  haben 

Frison^)  behauptet  von  dieser  yjntermittens  perniciosa 
pneumonica'',  dass  sie  in  malarischen  Gegenden ,  zumal  im 
Frühjahr  und  Herbst  auftritt  und  zumeist  malarisch-kachektische 
Individuen  befallt.  Bezeichnend  för  den  Verlauf  derselben  ist 
nach  Frison,  dass  sie  anfanglich  mehrere  Tage  hindurch  die 
Form  der  Tertiana  oder  Quotidiana  annimmt,  während  dessen 
Bronchialkatarrh  oder  Pneumonie  sich  entwickelt.  Meist  wird 
der  linke  untere  Lappen  ergriffen,  wiewohl  erfahrungsgemäss 
auch  andere  Lungenlappen  afficirt  werden. 

Einige  Aehnlicbkeit  mit  dieser  Entwickelungsart  scheint 
auch  die  Influenzapneumonie  zu  haben.  Nach  Frison  endet 
diese  Form,  wenn  keine  Chininbehandlung  stattfindet,  letal. 

Mastian  beschrieb  einen,  Gazon')  zwei  hierher  ge- 
hörige Fälle. 

Giampietro^  theilt  9  Fälle  mit,  die  malarischen  Ur- 
sprungs zu  sein  scheinen  und  die  mit  Milztumor,  leichtem 
Icterus  und  cephalischen  Erscheinungen  einhergingen;  die 
localen  Ersdheionngen  schienen  während  der  Apyrexie  zurück- 
zutreten. Von  Wichtigkeit  ist  der  Umstand,  dass  in  seinen 
Fällen  am  Beginn  der  Erkrankung  das  Fieber  schon  inter- 
mittirend  und  nicht  constant  war. 

Wunderlich^)  erwähnt  ebenfalls  der  intermittirenden 
Pneumonie;  er  nimmt  dreierlei  Formen  an: 

1.  Die  erste,  wobei  die  localen  Erscheinungen  während 
des  Fieberanfalles  constant  sind; 

2.  Die  zweite,  wobei  die  primäre  Infiltration  während 
des  Fieberanfalles  sich  plötzlich  steigert; 

3.  Die  dritte,  wobei  während  der  einzelnen  Anfälle  die 
Infiltration  auf  andere  Stellen  überspringt  (Pneumonia  erratica). 

Alle  diese  Fälle  hält  Wunderlich  für  malarischen  Ur- 
sprungs. 

An  einer  anderen  Stelle  erwähnt  Wunderlich^),  dass 
die  intermittirenden  Pneumonien  nach  dem  2. — 3.  Anfalle. in 
spontane  Heilung  übergehen,  was  bei  wirklicher  Malaria  ohne 
Chinin  zu  den  Seltenheiten  gehören  würde.    In  diesen  Fällen 

1)  Fr i 8 OD,  De  la  fi^vre  pnenmo-palad^enne.     ß^crit  d.  mem.  de 
m^d.  milit.  1866.   p.  97.     (Virchow-HirBch,  Jahresbericht) 

2)  Gazon,   M^d.  Times  Juli  1886.     (Virchow  -  Hirsch,    Jahres- 
bericht) 

3)  Giampietro,  Poche  operationi  salla  pulmonite  miasmatica  pa- 
lustre  1871.  p.  667.     (Virchow- Hirsch,  Jahresbericht) 

4)  Wunderlich,  Beiträge  zur  Beurtheilung  Pneumooiekranker. 

6J  Wunderlich,  Das  Verhalten  der  Eigenwärme   in  Krankheifeen. 
Leipzig  1868. 


üeber  die  intermittenten  Formen  der  fibrinösei)  Pneamonie.      15 

endet  die  Krankheit  entweder  auf  die  Weise,  dass  nach  einer 
Deferyescenz  keine  neuere  Steigerung  eintritt,  oder  der  inter- 
mittirende  Charakter  verwischt  sich  und  es  tritt  die  Heilung 
auf  kritischem  Wege  ein;  tödtlicher  Verlauf  wurde  nicht 
beobachtet.  * 

In  einem  Falle  Hildebrand 's  ^)  trat  nach  dem  zweiten 
Fieberanfalle  auf  Chininbehandlung  eine  rasche  Rückbildung 
der  entzündlichen  Erscheinungen  ein. 

Dumeige^)  beschreibt  4  Fälle,  die  er  nicht  nur  nach 
dem  Fieberverlaufe;  sondern  auch  auf  Grund  des  Milztumors 
für  malariachen  Ursprungs  hält. 

Romaldi^)  beschreibt  2  intermittirende  Fälle;  in  dem 
einen  stieg  die  Temperatur  nach  der  am  dritten  Tage  er- 
folgten Pseudokrise  noch  einmal  unter  Schüttelfrosterschei- 
nungen  an;  die  objectiven  Symptome  steigerten  sich  im  ersten 
Falle  bei  jeder  Fieberezacerbation,  während  sie  im  zweiten 
Falle  stets  conatant  blieben. 

Scholtz*)  beschreibt  2  Fälle  von  Pneumonie  mit  inter- 
mittirendem  Verlauf,  die  er  aber  mit  keiner  Intermittens  in 
Connex  bringt. 

Nach  Hirsch^)  kommen  diese  Fälle  häufiger  vor  in 
Algier,  Indien,  Toscana  und  in  einzelnen  Gegenden  Nord- 
amerikas. 

Koranji  theilt  in  der  Realencyclopädie  im  Artikel  über 
Pneumonia  fibrinosa  vier  von  ihm  beobachtete  Fälle  mit,  die 
er  für  malarischen  Ursprungs  hält;  in  drei  Fällen  war  nach- 
weisbar Milztumor  vorhanden.  Die  Chininwirkung  war  eine 
prompte.     Zumeist  gingen  Prodromalsymptome  voran. 

Die  Eoränzi'schen  Fälle  zeigten  insofern  eine  Abweichung 
von  dem  durch  Frison  beschriebenen  Typus,  als  in  drei 
Fällen  die  Infiltration  nicht  in  der  linken,  sondern  in  der 
rechten  Lunge  localisirt  war;  femer  zeigte  das  Fieber  zwei- 
mal den  Typus  der  Quotidiana  und  einmal  der  Tertiana  duplex, 
überhaupt  aber  schon  bei  Beginn  der  Krankheit  den  inter- 
mittirenden  Charakter.  Während  ein  grosser  Theil  der  Autoren 
die  langsame,  progressive  Entwicklung  der  Infiltration  betont, 
entwickelte  sich  dieselbe  in  Eoränzi's  Fällen  rasch  und  genau 
nachweisbar. 


1)  Hildebrand,  Deatsche  med.  WochenBchrifb  1880.    Nr.  49. 
2)Diimeige,   De   la  congestion  pulmonaire  d^origine  palnd^enne 
1885.   (Virchow-Hirsch,  Jahresbericht.) 

3)  Bomaldi,  Sulla  forma  intermittente  di  alcune  pneumoniti.  1885. 
(Virchow-Hirsch,  Jahresbericht.) 

4)  Scholtz,  Zwei  Fälle  von  intermittirender  Poeamonie.    Inaugur.- 
Dissert.    Würzbarg. 

5)  Hirsch,  Handbuch  d.  histor.-geogr.  Pathol.  Bd.  II.     B.  97. 


44  Dr.  Wachsmuih: 

keiner  Richtung  hin  in  Widerspruch  sich  befinden,  sondern 
dieselben  nur  in  anderer,  und,  wie  es  mir  scheinen  will,  in 
ungezwungenerer  Weise  deuten  und  erklären. 

Für  die  Rachitis  würde  sich  aus  dieser  Deutung  der  ana- 
tomischen Verhältnisse  ergeben,  dass  die  Bedingungen  für  die 
Präcipitation  der  Kalksalze  einerseits  durch  eine  Stauung  der 
Gewebskohlensäure  in  der  Umgebung  der  enorm  erweiterten 
und  vermehrten  Blutgefösse,  andrerseits  durch  eine  vermehrte 
Wucherung  der  kleinzelligen  Enorpelelemente,  die  bei  der 
enormen  Zellenvermehrung  und  Zellentheilung  nur  an  wenigen 
Stellen  ihre  definitive  Grösse  erreichen,  wesentlich  ungünstiger 
sind  als  in  dem  normal  wachsenden  Knorpel  und  Knochen. 
Man  konnte  nun  allerdings  einwenden,  dass  gar  kein  Grund 
abzusehen  sei,  warum  nicht  bei  der  Rachitis  ebenso  gut  wie 
im  gesunden  Korper  die  doch  an  sich  nicht  vermehrte  Gewebs- 
kohlensäure des  Stoffwechsels  durch  das  Blut  wieder  fort- 
geschafft und  durch  die  Lungen  exhalirt  werden  soll.  Eine 
Stauung  der  CO,  in  den  Geweben  kann  doch  erst  dann  statt- 
finden, wenn  die  Spannungsdifferenz  zwischen  der  Gewebs- 
kohlensäure und  derjenigen  des  Blutes  eine  geringere  wird, 
somit  also  bei  gleichbleibender  CO,  des  Stoffwechsels,  wenn 
die  CO,  des  Blutes  vermehrt  ist.  Es  würde  sich  also  fragen, 
ob  wir  Grund  zu  der  Annahme  haben,  dass  die  freie  und 
locker  chemisch  gebundene  CO,  des  Blutes  bei  der  Rachitis 
durch  irgend  welche  Momente  erhöht  sein  kann.  Wenn  wir 
diejenigen  Schädlichkeiten,  welche  nach  den  Erfahrungen  der 
klinischen  Beobachtung  in  der  Aetiologie  der  Rachitis  eine 
ursächliche  Rolle  spielen,  durchmustern,  so  werden  wir  nun 
in  der  That  finden,  dass  diese  hygienischen  und  diätetischen 
Schädlichkeiten  sehr  wohl  zu  einer  Quelle  der  CO, -Vermeh- 
rung und  Anhäufung  im  Blute  werden  können.  W^hl  all- 
gemein anerkannt  ist,  dass  die  Rachitis  in  der  ärmeren  Classe 
der  Bevölkerung  mit  den  ungesunden  Wohnungsverhältnissen 
und  hygienisch  ungünstigen  Lebensbedingungen  weitaus  am 
häufigsten  und  intensivsten  auftritt,  dass  die  schwereren  Fälle 
von  Rachitis  sich  vorzugsweise  bei  Kindern  unbemittelter 
Eltern  zeigen.  Verdorbene  Luft  in  engen,  von  vielen  Menschen 
bewohnten  Räumen,  mangelhafte  Ventilation  bedingen  aber, 
wie  wir  wissen,  eine  Vermehrung  der  Kohlensäuremenge  in 
der  Luft  dieser  Räume  und  dadurch  eine  verminderte  Ab- 
gabe der  auszuathmenden  CO,  aus  dem  Blute  derjenigen 
Menschen,  welche  solche  Räume  bewohnen.  Weiter  ist  be- 
kannt, dass  die  Rachitis  in  den  grossen  Städten  mit  dicht- 
wohnender Bevölkerung  häufiger  ist  als  auf  dem  Lande,  und 
dass  ihre  Frequenz  im  Frühjahr  und  Anfang  des  Sommers 
nach  dem  langen  winterlichen  Aufenthalt   in   der  Zimmerluft 


Zur  Theorie  der  Rachitis.  45 

eine  erhebliche  Steigerung  erföhrt.  Es  tri£Pt  also  hier  eben- 
falls die  Häufigkeit  der  Rachitis  mit  denjenigen  Momenten 
zusammen,  welche  eine  Steigerung  des  Eohlensäuregehaltes 
der  uns  umgebenden  Luft  herbeiführen.  Inwieweit  klima- 
tische Verhältnisse  direct  oder  indirect  in  ähnlicher  Weise 
wirken  könnten ,  will  ich  hier  unerortert  lassen,  da  wir  über 
den  Einfluss  klimatischer  Factoren  noch  sehr  wenig  wissen. 
Es  sei  hier  nur  angeführt,  dass  im  Allgemeinen  die  Rachitis 
seltener  ist  in  wärmeren  Klimaten  als  in  den  Gegenden  der 
gemässigten  und  kühleren  Zone,  und  dass  mit  der  Hohe  über 
dem  Meeresspiegel  die  Häufigkeit  der  Rachitis  abnimmt,  in 
Davos  z.  B.,  nach  VoUand,  unter  den  Einheimischen  un- 
bekannt ist.  Wenn  man  gegen  diese  Ausführungen  zu  be- 
denken geben  will,  dass  die  Rachitis  doch  auch  bei  Kindern 
der  besser  situirten  Bevolkerungsclassen,  und  zwar  nicht  eben 
selten  vorkommt,  so  müssen  wir  doch  andrerseits  zugeben, 
dass  unsere  Wohnräume  und  deren  natürliche  und  künstliche 
Ventilation  in  Bezug  auf  den  GOg-Gehalt  der  Luft  doch  weit 
davon  entfernt  sind,  immer  und  überall  den  idealen  For- 
derungen der  Hygiene  gerecht  zu  werden,  ja,  dass  selbst  der 
▼on  Pettenkofer  aufgestellte  Grenzwerth  für  gute  Luft  (von 
0,7  per  Mille  an  Kohlensäure)  doch  eben  nur  eine  weit- 
gehende Concession  an  das  praktische  Leben  ist,  und  end- 
lich, dass  doch  schliesslich  überall  in  mancherlei  unumgäng- 
lichen Verhältnissen,  z.  B.  in  den  Einflüssen  der  Heizung  und 
Beleuchtung  auf  den  CO,- Gehalt  der  Luft,  sowie  in  dem 
gerade  im  ersten  Lebensjahr  und  besonders  in  der  Winters- 
zeit durch  die  verbreitete  Furcht  vor  Erkältung  noch  befor- 
derten Vorurtheil  gegen  den  ausgiebigen  Genuss  frischer  Luft, 
dass  in  allen  diesen  Verhältnissen,  sage  ich,  genug  Quellen 
der  Luftverderbniss  in  Bezug  auf  den  CO^  -  Gehalt  der  uns 
^Umgegenden  Luft  gegeben  sind.  Weiterhin  aber  lässt  sich 
beobachten,  dass  die  Rachitis  sich  nicht  eben  selten  direct 
im  Anschluss  an  länger  dauernde  Krankheiten,  besonders 
solche  der  Luftwege,  an  lang  dauernde  Bronchitiden,  an  Keuch- 
husten rasch  und  intensiv  entwickelt  und  dass  sie  scheinbar 
durch  mangelhafte  Ausbildung  des  Thorax  auch  ohne  schon 
bestehende  rachitische  Verbildung  desselben  begünstigt  wird. 
Alle  diese  geschilderten  Verhältnisse,  die  sich  vielleicht 
noch  weiter  exemplificiren  Hessen,  bedingen  mehr  oder  minder 
direct  eine  verminderte  Abgabe  der  COg  durch  die  Lungen, 
und  diese  verminderte  Exhalation  der  COg  hat  weiterhin  eine 
Stauung  der  COg  im  Blut  und  noch  weiter  rückwärts  in  den 
Gewebssäften  zur  Folge.  Aber  nicht  blos  die  Abgabe  der 
COg  durch  die  Lungen  kann  erschwert,  auch  die  Zufuhr  kann 
erhöbt  sein  und*  zwar  von  Seiten   des  Magendarmcanals;    dies 


48  ^^'  Wachsmnth: 

gar  kein  Recht.  Wenn  man  die  von  E.  gegebene  Scbil- 
derung  des  anatomischen  Zustandes  im  Knorpel  und  ELnochen 
Rachitischer  mit  unbefangenem  Auge  prüft,  so  bekommt  man 
immer  nur  den  Eindruck,  dass  wir  es  hier  lediglich  mit  einer 
Hyperämie,  und  zwar  im  Wesentlichen  mit  einer  capillaren 
und  venösen  Hyperämie  zu  thun  haben.  Von  eigentlichen 
Entzündungserscheinungen,  von  einem  Austritt  weisser  Blut- 
körperchen, von  einer  Exsudation,  oder  von  entzündlicher 
Gewebsneubildung  findet  sich  bei  der  Rachitis  nicht  die 
Spur.  Eassowitz  spricht  übrigens  bei  der  Beschreibung 
dieser  „entzündlichen''  Hyperämie  von  Gefässen,  „die  zum 
Theil  ganz  wandungslos,  zum  Theil  von  einem  äusserst  zarten 
Endothel  bekleidet  sind'',  er  spricht  „von  einer  Ausdehnung 
dieser  Gefässe,  die  manchmal  geradezu  an  cavernöse  Blut- 
räume  erinnert".  Nun,  das  ist  nicht  das  Bild  einer  arte- 
riellen, congestiven,  „entzündlichen",  sondern  vielmehr  einer 
venösen  oder  venös -capillaren  Stauungshyperämie.  Easso- 
witz bedarf  denn  auch  zur  Erklärung  seiner  „entzündlichen 
Vascularisation"  eines  entzündlichen  Irritaments.  Welcher  Art 
dieses  hypothetische  entzündliche  Irritament  sein  müsste,  lässt 
sich  aber  nach  der  Yerschiedenartigkeit  der  ätiologisch  wirk- 
samen Schädlichkeiten  auch  nicht  einmal  andeutungsweise  ver- 
muthen.  Dass  es  aber  nur  eine  Umschreibung  und  keine 
Erklärung  ist,  wenn  man  ganz  allgemein  von  einem  „con- 
stitutionellen  entzündlichen  Reiz*'  spricht,  liegt  auf  der  Hand. 
Fassen  wir  aber  die  Hyperämie  im  Enochensystem  bei  der 
Rachitis  als  eine  venös-capillare,  als  eine  Stauungshyperämie 
auf  (und  die  äusserlich  sichtbaren  Venen  der  Eopfhaut  rachi- 
tischer Einder  z.  B.  beruhen  doch  zweifellos  auf  Stauungs- 
hyperämie), so  würde  bei  Annahme  der  Eohlensäuretheorie  der 
Einfluss  der  CO,  auf  die  Entstehung  dieser  Stauungshyperämie 
wenigstens  nicht  ganz  ausser  dem  Bereiche  der  Möglichkeit 
liegen  und  wir  brauchten  dann  auch  nach  keinem  hypothetischen, 
constitutionellen  Entzündungsreiz  zu  suchen.  Die  CO, -Anhäufung 
im  Blut  ruft  bekanntlich  eine  Verengerung  der  kleinen  Ar- 
terien hervor  und  durch  die  Verengerung  der  kleinen  Arterien 
wachsen  nach  Thiry  und  Ludwig  die  Abflusswiderstände 
für  das  Blut,  der  verminderte  Zufluss  zu  den  Capillaren  hat 
aber  eine  verminderte  Geschwindigkeit  in  diesen  und  den 
Venen  zur  Folge;  es  entsteht  also  secnndär  eine  Stauung. 
Die  Anhäufung  der  CO,  im  Blut  und  weiterhin  in  den 
Gewebssäften  würde  uns  also  gleichzeitig  die  zweifellos  vor- 
handene Hyperämie,  welche  nach  Eassowitz  das  anatomisch 
wichtigste  Symptom  der  Rachitis  ist,  erklären  und  dieselbe 
als  eine  venös  -  capillare  Stauungshyperämie  charakterisiren. 
Ja,  noch  mehr,  diese   Stauungshyperämie  und  die  Anhäufung 


Zar  Theorie  der  Rachitis.  49 

der  CO2  im  Blut  als  deren  Ursache  würde  uns  auch  für  die 
venösen  Stasen  in  anderen  Organen^  in  der  Kespirations- 
Schleimhaut y  in  der  Milz,  in  den  Venen  der  Kopfhaut ^  viel- 
leicht auch  in  den  Venen  nnd  Capillareu  des  ganzen  Haut- 
organs, wobei  ich  an  die  Eopfsch weisse  und  allgemeinen 
Schweissausbrüche  bei  rachitischen  Kindern  denke,  eine  be- 
friedigende Erklärung  geben.  Aber  selbst  wenn  man  an  dem 
Ausdruck  ^^entzündliche  Hyperämie'*  festhalten  wollte,  so  wissen 
wir  doch,  dass  auch  bei  der  congestiven,  entzündlichen  Hyper- 
ämie zwar  im  Anfang  der  Entzündung  die  Girculation  be- 
schleunigt ist,  aber  im  weiteren  Verlaufe  der  Entzündung, 
besonders  bei  längerer  Dauer  derselben,  sich  verlangsamt. 
Dann  begreife  ich  aber  wiederum  nicht,  wie  bei  dieser  ver- 
langsamten Circulation  (und  mit  länger  dauernder  Hyperämie 
haben  wir  es  bei  der  Rachitis  doch  zweifellos  zu  thun)  die 
extravasculäre  Saftstromung,  die  Energie  und  Geschwindig- 
keit der  Plasmastromung  in  der  Umgebung  der  Blutgefässe 
gegenüber  der  Norm  vermehrt  sein  soll. 

Wie  steht  es  nun  aber  mit  der  fötalen  und  congenitalen 
Rachitis? 

Sie  erinnern  sich  wohl,  meine  Herren,  dass  Herr  Hofrath  ünrnh^), 
dessen  Beobachtungen  sich  ja  auf  ein  ansserordentlich  zahlreiches  Ma- 
terial stützen,  in  einem  Vortrag  in  dieser  Gesellschaft  vom  Jahre  1886 
die  Ansicht  aasgesprochen  hat,  dass  es  keine  acqairirte  Rachitis  im 
früheren  Sinne  giebt,  dass  die  Rachitis  immer  eine  congenitale  Erkran- 
kung ist,  insofern,  „als  die  Rachitis  nicht  im  2.  oder  8.  und  4.  Quartal 
des  ersten  Lebensjahres  oder  gar  noch  später  ihren  Anfang  nimmt ,  son- 
dern, dass  die  Kinder,  welche  man  am  Ende  des  ersten  Lebensjahres 
als  ausgesprochene  Rachitiker  zu  betrachten  Veranlassung  hat,  die 
ersten  Spuren  dieser  Erkrankung  bereits  in  den  ersten  Lebenswochen, 
ja  Lebenstagen  zeigen,  sie  also  nicht  durch  die  verabreichte  Nahrung 
acquirirten,  sondern  mit  auf  die  Welt  gebracht  hatten**.  Wenn  es  sich 
nur  darum  handelte,  die  frühere  alimentäre  Theorie  zu  entkräften, 
oder  darum,  den  künstlichen  Unterschied  zwischen  fötaler,  congeoitaler 
und  acquirirter  Rachitis  als  unhaltbar  fallen  zu  lassen  (und  wenn  ich 
Herrn  Hofrath  Unruh  richtig  verstanden  habe,  so  war  es  ihm  nur  um 
'  die  Hervorhebung  dieser  beiden  Punkte  zu  thun),  so  liesse  sich  gegen 
diesen  Satz  absolut  nichts  einwenden.  Indess  gegen  eine  etwa  daraus 
entnehmbare  Verallgemeinerung  der  Art,  dass  jede  Rachitis  eine  con- 
^enitale  Erkrankung  sei,  erhebt  sich  mir  doch  die  Frage:  sind  alle 
jene  Beobachtungen,  welche  die  Rachitis  auch  in  ihren  ersten  An- 
fängen im  3.  oder  4.  Quartal  des  ersten  Lebensjahres,  also  im  Alter 
der  beginnenden  Dentition,  oder  sogar  noch  später  im  zweiten  Lebens- 
jahr entstehen  sahen,  auf  Täuschung  beruhend?  Es  ist  ja  wohl  ganz 
zweifellos,  dass,  wenn  man  in  der  Hauptsache  nur  das  enorme  Material 
grosser  Krankenanstalten  und  Findelhäuser  im  Auge  hat,  die  aus- 
gesprochenen Erscheinungen  mittlerer  und  schwerer  Rachitis  schon  in 
einer  so   frühen  Altersperiode  zur  Beobachtung  kommen,  dass  der  Ge- 


l)  Jahresbericht  d.  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  1887. 

Jahrbnoh  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.  XXXIX  4 


52  Dr/  WachBinnth : 

strittene  Eicfluss   der  Phosphardarreichung   auf  die  RQckbil- 
düng  aller  rachitischen  Symptome  und  Erscheinungen  erklaren? 

EasBOwitz  hat  die  frdher  erwähnten  Wegner*8chen  Venuche  der 
Phosphorffitternng  bei  Kaninchen  wiederholt  nnd  dabei  darch  mikro- 
skopische Untersuchung  gefunden,  dass  die  durch  die  Phosphorfütterung 
hervorgebrachte  Verdichtungsschicht  an  der  Verkalkungsgrenze  der  sog. 
Enorpelfuge  ,,niohtB  Anderes  ist  als  die  enorm  verbreiterte  Zone  der 
Knorpelverkalkung,  der  primären  Markräume  und  der  metaplastischen 
Ossification  des  Knorpels*^  „Ausser  der  bedeutenden  VergrOsserung  der 
Höhendimension  hat  diese  Phosphorschicht  auch  noch  andere  Verände- 
rungen in  ihrer  Structur  aufzuweisen.  Denn  die  ungemein  verlängerten 
Markräume  siud  erstens  viel  schmäler  resp.  enger  als  de  norma,  zwei- 
tens sind  sie  in  viel  grösseren  Distanzen  von  einander  angeordnet,  und 
drittens  laufen  die  Gefässe  ihrer  ganzen  Länge  nach  unverzweigt,  so- 
dass  die  vielfachen  seitlichen  Anastomosen,  die  sie  sonst  unter  einander 
eingehen,  hier  nahezu  vollständig  entfallen."  „Wir  haben  es  also,"  *bo 
schliesst  KasBOwitz  hieraus,  „offenbar  mit  einer  Verzögerung  nnd 
Hemmung  in  der  ReBorption  und  Markraumbildung,  also  in  letzter  In- 
stanz mit  einer  Hemmung  in  der  Gefössentwickelung  zu  thun."  So- 
weit wäre  dieser  Schluss  nicht  zu  beanstanden.  Kassowitz  hatte  aber 
weiterhin  beobachtet,  dass  bei  Erhöhung  der  Dosis  Phosphor  auf  die 
doppelte  bis  vierfache  Menge  und  längerer  Fortreichung  dieser  erhöhten 
Gaben  geradezu  die  entgegengesetzten  Erscheinungen  auftraten,  dass 
hierbei,  um  wieder  wörtlich  zu  citiren,  „die  obersten  Kuppen  der  pri- 
mären Markräume  nicht,  wie  bei  den  übrigen  Kaninchen  in  einer 
strengen  Linie  hinter  der  Verkalkunggrenze  zurQckblieben,  sondern  im 
Gegentheil  die  meisten  der  zuletzt  gebildeten  Markräume  in  ihrer  Ent- 
wickelung  beschleunigt  und  bis  nahe  an  die  Verkalkungsgrenze  vor- 
genickt  erschienen,  ihre  Verrücknngslinie  also  unregelmässig  war;  die 
Markräume  selbst  waren  an  ihren  oberen  Enden  erweitert,  von  un- 
regehnässiger  Gestalt  und  mit  Blutkörperchen  vollgepfropft,  das  Fett- 
mark schien  durch  ein  rothes,  blutstrotzendes  Mark  ersetzt,  kurz  die 
typischen  Veränderungen  der  Rachitis.*' 

Kassowitz  glaubt  nun,  „dass  wir  in  dem  Phosphor,  und,  wie  es 
Gies  wahrscheinlich  gemacht  habe,  auch  in  dem  Arsen  Substanzen 
vor  uns  haben,  die,  ms  Blut  aufgenommen,  eine  Einwirkung  auf  die 
GefäsBwände  in  dem  Sinne  ausöben,  dass  sie  die  letzteren  in  einen  Zu- 
stand der  Contraction  versetzen*'.  „Und  zwar,  da  bei  den  kleineren 
Dosen  in  den  älteren  Theilen  der  Spongiosa  und  in  der  Markhöhle 
selbst  Alles  beim  Alten  blieb,  die  Wirkung  sich  also  nur  in  den  neu 
apponirten  Schichten,  wo  sich  noch  ganz  wandungBlose  GeAsse  be- 
finden, zu  erkennen  gab,  so  müsse  man  annehmen,  dass  der  Phosphor 
und  wohl  auch  der  Arsenik  gerade  hier  am  leichtesten  das  reizungs- 
fähige Protoplasma  in  Contraction  versetze,  während  die  Btraffer  und 
complicirter  organisirten  Wände  der  älteren  Gefässe  der  Wirkung  wenig- 
stens dieser  ungemein  verdünnten  Substanzen  noch  widerstehen  und 
erst  von  den  grösseren  Mengen  in  Mitleidensch^t  gezogen  würden. 
Eine  solche  Contractionsfähigkeit  des  Protoplasma  hält  Kassowitz 
mit  Rücksicht  auf  die  an  Amöben  und  an  weissen  Blutkörperchen  beob- 
achteten Bewegungen,  sowie  nach  den  Beobachtungen  von  Stricker 
über  die  Contractilität  der  Capillaren  für  durchaus  möglich."  Hier- 
gegen ist  aber  daran  zu  erinnern,  dass  wir  meines  Wissens  eine  solche 
lortdauernde,  ununterbrochene,  ich  möchte  vergleichsweise  sagen ,  teta- 
nische  Contraction  protoplasmatischer  Substanz  oder  des  zarten  En- 
dothels capillarer  Gefässwände  sonst  durchaus  nicht  kennen,  und  eine 
solche  fortdauernde,  chronische  Contraction   der  Gefässwände   mSssten 


Zur  Theorie  der  Rachitis.  53 

wir  bei  der  lapgen  Dauer  der  Rachitis  doch  wohl  annehmen;   die  an 
Amöben   and   weissen   Blutkörperchen  beobachteten   Bewegungen   sind 
denn  doch  wohl  hieryon  grundverschiedene  Dinge.  —  Weiterhin  hatte 
aber  Eas^owitz  beobachtet,  dass  die  compacte  Phosphorschicht  auch 
bei   denjenigen  Versuchsthieren   zu   Stande   kommt,   denen  neben   der 
Verabreichung  kleiner  Phosphordosen   gleich   im  Beginn  des  Versuchs 
der  IschiadicuB  durchschnitten  worden  war.     Da  nun  aber  eine  Durch- 
schneidung  dieses  Nerven   eine  Erweiterung  des  ganzen  Blutgefäss 
Systems   in  der   gelähmten  Extremität  mit  allen  consecutiven  Erschei- 
nungen zur  Folge  hat,  so  hätte  Kas so witz  folgerichtig  zu  dem  Schlüsse 
kommen   müssen,  dass  der  Phosphor  eben  unmöglich   dadurch  wirken 
könne,  dass  er  die  Gefässe,  und  seien  es  auch  nur  die  wandungslosen 
jüngsten  Oefässsprossen,  in  Contraction  versetzt.     Statt  dessen   sucht 
sich  Eassowitz  damit  zu  helfen,   dass  er  meint,   „in  der  gelähmten 
Extremität  eines  Phosphorthieres  finden  gewissermaassen  zwei  einander 
entgegengesetzte  Einwirkungen  statt,  indem  in  Folge  der  Nervendurch- 
schneidung sich  das  ganze  Gefässsjstem  der  gelähmten  Extremität  er- 
weitere, während  der  Phosphor  eine  Verengerung  nur  in  den  jüngsten 
Gefösssprossen  der  primären  Markräume  hervorrufe**.    Eine    solche  Er- 
klärung, welche  auch  direct  conträr  sprechende  Versuchsresaltate  einer 
vorgefassten  Präsumption   adoptirt,  halte  ich  denn  doch  für  sehr  be- 
denklich.    Bezüglich  der   entgegengesetzten  Wirkung  grösserer    Dosen 
Phosphor,  welche  an  den  Appositionsstellen  des  Enochens    eine  erhöhte 
Vabcnlarisation  ganz  ähnlich  der  bei  der  Rachitis  beobachteten  hervor- 
ruft, äussert  sich  Eassowitz  dahin,  .dass  diese  grösseren  Dosen  einen 
Zerfall  detjenigen  Gewebselemente,  auf  welche  die  im  Blute  circulirende 
Substfgiz  direct  einwirken  könne,  also  der  feinsten  Gewebabeatandtheile 
der  G^fässwände  und  der  die  jüngsten  wandungslosen  Qef&aaBcbläuche  um- 
gebenden protoplasmatischen  Substanz  hervorrufen.    Er  folgert  dies  aus 
dem  bei  grösseren  Phosphorgaben  experimentell  gefundenen  gesteigerten 
Eiweisszerfall. 

Meines   Erachtens   würde   die  Erklärung    der   Phosphor- 
Wirkung    plausibler   werden,    wenn    wir    dieselbe    in    beiden 
Fällen,  bei  kleineren  und  bei  grösseren  Do^en,   auf  den  er- 
höhten Eiweisszerfall  zurückführen,  welcher  durch  den  Phosphor 
hervorgerufen   wird,     Es   ist   nämlich    durch   die   sorgfilltigen 
Untersuchungen   von   Bauer  in  Voit's    Laboratorium   nach- 
gewiesen worden:  1.  dass  bei  Phosphordarreichung  (die- Dosis 
ist   nicht   angegeben)   ein   erhöhter    Siweiaszerfall   stattfindet, 
welcher  sich  in  einer  Steigerung   der    ausgeschiedenen  Harn- 
stofifmenge  kundgab,  2.  aber,  dass  gleichzeitig  weniger  Sauer- 
stoff angenommen   und   weniger   CO^   producirt   werde,    und 
zwar  betrug  die  Ahnahme  der  Kohlenaaureausscheidung  47%^ 
die  der  SauerstofFaufnahme  45%.      Bauer  schliesst  aus  seinen 
Untersuchungen,  dass,  „trotzdem  bei  Phosphorvergiftung  me\iT 
Fett   als   gewöhnlich  wegen    der    grosseren  Eiweisszersetzun^ 
entsteht,   doch  weniger   aus    dem    Eiweiss  entstandenes    1?%t\. 
verbrannt  werde  wegen  der  geringern  Sauerstoffaufnahme.     Ü^^ 
Modus  des  Eiweisszerfalls  sei    hier    der  nämliche  wie  iiOTcm«i\ 
nur  könnten  gewisse  Spaltungsprodncte,  der  geringern  ^a\x^T 
stoflfeufuhr  halber,  unverändert  Y>leiben-,  immer   ge8chei\i^    ^-  " 
bei  der  Phosphorvergiftung  mit  dem  im  Körper  sch^^r   i^xj^- 


54  Dr.  Wachsmnth: 

baren  Fett/'  Man  konnte  sich  nun  leicht  vorstellen^  dass  bei 
den  geringen  Gaben  von  Phosphor  nur  circulirendes  Eiweiss 
in  etwas  höherem  Masse  als  normal  zerfalle,  aber  nicht  bis 
zu  den  normalen  Endproducten  des  Zerfalls,  sodass  auch  das 
aus  dem  circulirenden  Eiweiss  entstandene  Fett  nicht  bis  zu 
Kohlensäure  verbrannt  werde,  also  im  Stoffwechsel  weniger 
Kohlensäure  gebildet  werde;  da  wir  aber  die  Kohlensäure  des 
Stoffwechsels  als  das  losende  Princip  fdr  die  Kalksalze  kennen 
lernten,  so  erklärt  sich  hieraus  die  vermehrte  Präcipitation 
der  Kalksalze,  die  Entstehung  compacter  Substanz  an  Stelle 
spongioser.  Eine  directe  Einwirkung  auf  die  Blutgefässe  fände 
dann  nicht  statt,  sondern  diese  würden  dann,  wie  normaler 
Weise,  eingehen,  obliteriren.  Bei  grosseren  Dosen  von  Phosphor 
aber  und  bei  länger  fortgesetzter  Darreichung  mittlerer  Gaben 
würde  nicht  blos  ein  erhöhter  Zerfall  von  circulirendem  Eiweiss, 
sondern  auch  von  Organei weiss  stattfinden,  die  verminderte 
Bildung  von  COj  durch  Verbrennung  würde  hier  nicht  in 
Betracht  kommen  wegen  des  zerstörenden  Einflusses  des  Phos- 
phors auf  das  Organeiweiss.  Wird  das  organische  fibrilläre 
Gewebe  in  der  Umgebung  der  Gefässe  durch  den  Einfluss 
des  Phosphors  zerstört,  so  können  sich  auch  keine  Kalksalze 
ablagern,  die  Erweiterung  der  Blutgefässe  würde  auch  hier 
eine  secundäre  sein.  Eine  Stütze  würde  diese  Anschauung 
in  einer  Bemerkung  Bauer's  finden,  worin  er  sagt,  „dass 
auch  bei  der  Fettdegeneration  der  Organe  durch  Phosphor- 
Vergiftung  das  Fett  wohl  anfangs  wie  normal  aus  dem  Vor- 
rath'des  circulirenden  Eiweiss  hervorgehe,  später  aus  dem 
Organeiweiss  wie  beim  Hunger  und  schliesslich  bei  inten- 
siver Erkrankung  auch  aus  dem  geformten  Eiweiss,  wodurch 
die  Zelle  zerstört  wird  und  nicht  mehr  restituirt  werden  kann". 
Eine  weitere  Bestätigung  der  angeführten  Ansicht  lässt  sich 
endlich  auch  in  der  Thatsache  finden,  welche  Kassowits 
selbst,  anführt,  dass  auch  bei  hungernden  Thieren,  bei  denen 
also  ebenfalls  eine  Zersetzung  von  Organeiweiss  stattfindet, 
eine  Erweiterung  der  Blutgefässe  im  Knochensystem  beob- 
achtet wird. 

Die  soeben  vorgetragene  Vermuthung  über  die  Theorie 
der  Phosphorwirkung  will  ich  natürlich  noch  nicht  als  eine 
sicher  fundirte  und  absolut  giltige  bezeichnen;  dazu  fehlen 
vor  Allem  noch  weitere  experimentelle  Untersuchungen  dar- 
über, ob  auch  und  in  welchem  Maasse  die  kleinsten,  thera- 
peutisch verwendeten  Dosen  von  Phosphor  eine  Einwirkung 
auf  den  Eiweisszerfall  und  die  Kohlensäureausscheidung  in 
der  angedeuteten  Richtung  bewirken;  immerhin  erscheint  mir 
diese  Hypothese  bis  jetzt  plausibler,  als  die  meinem  Verstand- 
niss   unerklärliche  Contractionswirkung   auf  die  Gefasswände 


Zar  Theorie  der  Rachitis.  55 

redp.   auf  da8   die   wandungslosen   Gefasse    umgebende   Zell- 
protoplaama. 

Auf  die  Therapie  der  Rachitis  will  ich  heute  nicht  ein- 
gehen, nur  mochte  ich  mir  die  eine  Bemerkung  gestatten, 
dass  wir  in  dem  Phosphor  zwar  ein  mächtiges  und  ausser- 
ordentlich wiksames  Mittel  gegen  die  rachitische  Erkrankung 
besitzen,  jedoch  ein  Mittel,  welches,  nach  den  bisherigen  ex- 
perimentellen Ergebnissen  zu  urtheilen,  eine  sehr  differente 
Wirkung  auf  den  Stoffwechsel  ausübt,  und  dass  es  deswegen 
fUr  die  Zukunft  yielleicht  räthlich  erscheinen  mag,  wenig- 
stens für  die  leichteren  und  mittelschweren  Fälle  nach  einem 
Mittel  zu  suchen,  welches  nicht  wie  der  Phosphor  eine  ver- 
minderte COg-Bildung  im  Stoffwechsel,  sondern  eine  erleich- 
terte Entfernung  der  im  Blute  und  in  den  Gewebssäften  bei 
der  Bachitis  überschüssig  vorhandenen  CO,  durch  die  Ath- 
mung  zur  Folge  hat;  wissen  wir  doch,  dass  die  leichteren 
Grade  der  Rachitis  bei  Versetzung  in  bessere  hygienische  Ver- 
hältnisse, besonders  in  reiner  guter  Lufb,  bei  einem  längeren 
Landaufenthalt  im  Sommer  etc.  oft  genug  von  selbst  heilen. 
Bezüglich  der  Prophylaxe  werden  wir  bei  Annahme  der  Eohlen- 
säuretheorie,  da  wir  in  der  CO,  das  eigentliche  schädliche  Agens 
kennen  gelernt  haben,  mit  noch  ganz  anderem  Nachdruck 
und  vielleicht  auch  mit  noch  besserem  Erfolg  als  bisher  die 
schon  jetzt  anerkannte  Forderung  guter,  reiner  Luft  durch- 
zusetzen versuchen. 

Efl  erübrigt  mir  nur  noch,  zum  Schlass  anszaBprecheo,  dass  der  Ge- 
danke,  die  CO,  fflr  die  AaflOsung  und  Entfernung  der  K^ksal-^e    bei 
Rachitis  verantwortlich  sn  machen,  dorchaoB  nicht  neu  ist,  dass  z.  B. 
Senator  dieser  Theorie  einige  Wort  im  begünstigenden  Sinne  widmet, 
dass  femer  namentlich  auch  Tillmanns  dnrch  seine  erwähnten  Ünter- 
snchnngen  auf  die   Eohlens&nre   als   Lösungsmittel    der  Kalksalze   im 
lebenden  Knochen  aufmerksam  gemacht  hat.  Weiterhin  führt  Alexander 
in    einer  Dissertation    aus    der   Kieler   Poliklinik   Beobachtungen    von 
Edlefsen  und  Than  an,   wonach  diese  Autoren  in   den  Wohnungen 
rachitischer  Kinder  wiederholt  einen    enorm   hohen  Kohlens&oregehalt 
in  der  Zimmerlnft  nachgewiesen  haben ,  Iftsst  es  jedoch  dahin  gestellt 
sein,  ob  die  dadurch  bewirkte  Kohlensäureanh&ufung  im  Blnt  der  Kinder 
an   sich   eine  AuflOsang  der  Kalksalze  hervorrufe   oder  nur  einen   all- 
gemeinen Krankheiteznstand  erzeuge.    Senator  erw&hnt  unter  Anderem , 
daaa   in   entzündeten  Geweben   die  Kohlens&orespaonang  nach  Ewald 
beträchtlich  zunimmt,  und  dass  Friedleben  in  der  That  den  Kohlen- 
säoregehalt  rachitischer  Knochen  mei^t  etwas   höher  fand  als  normal. 
Endlich  Hesse  sich  hier   noch    anführen,    dass  Rindfleisch    schon 
Tor   längerer   Zeit    bezüglich    des   Knochenschwnndes    bei    der    Osteo- 
malacie  die  Hypothese  ausgesprochen  hat,   dass   hier   yielleicht   durch 
eine  enorme  Vermehrung  der  CO,  die  Auflösung  der  Knochensalze  yer- 
aalassi  werde. 

Mehr  als   aphoristische  Andeutangen  über  die   gedachte 
Wirkung  der  CO,  habe  ich  jedocb   in   der  Literator    bislajii» 


60 


Th. 

Hase: 

bis  zu 

einem  Jahre 



6M% 

von 

1- 

-2  Jahren 

ES 

6M% 

1» 

2 

-4 

1» 

«=. 

41,8% 

ti 

4 

-6 

»» 

OS 

31,6% 

über 

6 

11 

es 

11%. 

Das  Maximum  der  Mortalität  föllt  somit  auf  das  Alter 
von  1—2  Jahren,  das  Minimum  auf  das  Alter  über  6  Jahre 
hinaus. 

Tabelle  B. 


Aufganommen 

0«iimd 
entlatien 

Oesiorben 

Jahr 

jflnger 
all  1  J. 

1— 1  J. 

t—i3. 

4^6  J. 

ftltor 
als6  J. 

jflng. 
alilJ. 

1— «J. 

2— 4J. 

4~6  J. 

ftlt«r 
9lmBJ, 

K. 

M. 

K. 

M. 

K. 

M. 

K. 

M. 

K. 

M. 

K. 

H. 

K. 

M. 

K. 

M. 

K. 

M. 

K. 

IL 

K. 

IL 

18711 

___ 

^_ 

3 

..• 

3 

1 

1 

^.^ 

2 

6 

2 

— . 

^^ 

1 

__ 

1 

_ 

__ 

• 

—     1 

1872, 

1 

1 

3 

2 

3 

3 

2 

4 

8 

13 

11 

22 

1 

2  — 

1 

— 

— 

— 

2     1 

1873! 

1 

2 

1 

1 

1 

1 

4 

6 

6 

8 

11 

17 

— 

— 

l'— 

— 

— 

1 

— 



1874 

2 

2 

10 

10 

1 

11 

2 

7 

2 

9 

9 

26 

2 

2 

6!  6 

— 

4 

— 

2 

1 

1876 

— 

1 

4 

3 

^1     ^ 

4 

8 

10 

22 

18 

36 

— 

— 

2 

2 

1 

2 

2 

— 

— '   2 

1876 

1 

— 

5 

2 

8      8 

2 

2 

4 

11 

13 

17 

2  — 

2 

6 

2 

1 

1  — 

1877 

— 

1 

1 

1      3 

1 

1 

2 

6 

3 

8 

1    1 

1 

1 

— 

— 

—     1 

1878 

— 

1 

1 

— 

8      9 

8 

13 

6 

27 

12 

36 

— 

1 

1- 

4 

7 

4 

6 

2    1 

1879 

— 

<^ 

2 

8 

6    10 

7 

3 

8 

24 

18 

31 

— 

— 

2;    3 

2 

1 

— 

1 

—    4 

1880 

— 

2 

3 

6 

ö      * 

8 

9 

10 

16 

22 

30 

— 

1 

-  1 

2 

2 

2 

1 

—     1 

1881 

— 

— 

8 

6 

4 

9 

3 

8 

6 

8 

8 

24 

— 

— 

2 

1 

3 

2 

1 

3 

2  — 

1882 

1 

4 

10 

9 

17 

16 

12 

16 

10 

41 

26 

67 

— 

2 

6 

6 

9 

7 

6 

7 

3    7 

1883 

2 

2 

7 

8 

10 

17 

6 

10 

6 

29 

20 

49 

1 

1 

3 

4 

4 

8 

2 

2 

1884 

1 

_ 

6 

4 

7 

18 

3 

7 

3 

7 

11 

22 

1 

— 

3 

1 

8 

8 

2 

4 

—       1 

1886 

1 

8 

6 

3 

8 

4 

3 

17 

10 

24 

17 

42 

1 

— 

4 

1 

4 

1 

1 

5 

1886 

2 

1 

8 

16 

21 

'  26 

16 

18 

11 

45 

38 

73 

1 

1 

6  11 

7 

6 

6 

8 

1   e 

1887 

3 

2 

7 

7 

16    20 

12 

16 

9 

36 

26 

63 

3 

1 

6    3 

5 

6 

3 

5 

ö;  2 

1888 

6 

— 

6 

6 

2ö    27 

16 

26 

22 

48 

60 

73 

8  — 

4    6 

8 

14 

6 

6 

S    3 

1889 

6 

-^ 

17 

9 

31    36 

33 

86 

17 

60 

73 

106 

3  — 

10;  6 

11 

19 

6 

8 

2;   3 

1890 

6 

6 

14 

21 

42,  48 

40 

42 

29 

76 

77 

134 

3    2 

10,11 

19 

17 

13 

20 

S    8 

1891 

6 

6 

7 

9 

39|  27 

30 

84 

10 

68 

66 

101 

2    2 

4;  4 

12 

13 

8 

8 

-I  5 

1892 

9 

3 

16 

9 

16.   19 

16 

20 

7 

28 

26 

46 

6;  3 

11 

7 

12 

8 

6 

!  10 

2'   6 

1893 

8 

3 

14 

13 

29    89 

89 

19 

9    23 

61 

66 

li2 

11 

4 

14 

20 

16 

:    3 

1|3 

Sa. 

48  37 

162|144 

304  861 

266 

"öl 

321 

205|616 

608 

;i076|28jl8|97;76 

126  160|86 

100|3ä  69 

86 

2 

96 

6( 

S6 

8! 

20 

583 

4 

16 

1 

73 

2 

76 

11 

85 

91 

Procent  der  Sterblichkeit  nach  dem  Alter         64,1    68,4    41,3     81,5     11,0 

Die  Complicationen  des  Scharlachs  wurden  für  das  letzte 
Decennium  berechnet^).     (8.  Tabelle  C,  Seite  61). 

Bei  Angina  necrotica  (807  Falle,  46,9%)  wurden  in  28 
Fällen  Larynxaffectionen  mit  Stenosenerscheinungen  beobachtet^ 
in  8  Fällen  Paralyse  des  weichen  Gaumens.  Die  Nephritis  be- 
theiligte sich  mit  14,7%  (253  Fälle),  von  denen  zu  schweren 


1)  Gesammtcahl  der  Erkrankangen :  1720. 


Ein  Beitrag  zar  Statistik  der  Erkraabnog  an  Scharlach  etc.      61 

urämisclieu  Erscheinungen  33  Fälle  (13%)  fahrten.  Von  den 
33  UrämiBcheD  genasen  15,  starben  18,  und  swar:  von  8  Fällen 
im  Alter  unter  4  Jahren  starben  6;  im  Alter  von  4 — ti  Jahren 
genasen  3  und  starben  3;  im  Alter  über  6  Jahre  genasen  10, 
starben  9. 

Tabelle  C. 


Angina  necrotica 
Dipbtheritis  nasi 
Lymphadenilie  . 
Otdtis  media  .  . 
Nephritis  .  .  . 
Uraemia  .  .  . 
Poeumonia  oronpoH 

„  catarrhalii 

Pleuritia  exsudativa    . 
Erkrankniig  dei  Heneaa 
Arthritis  scarlatinoBa 

„  purnleota 
Septicaemia  .  .  , 
Not 


86  S 
861C 
61    < 


Paraljrtia  palati  mollis 

Bei  einer  Anzahl  von  Scbarlachkranken  trat  das  Exan- 
them bald  nach  Ablauf  oder  sogar  noch  während  des  Be- 
stehens einer  anderen  Infectionakrankheit  anf,  insbesondere 
waren  es  Masemkranke,  die  während  des  Spitalaufenthaltes 
mit  Scharlach  inficirt  worden  waren. ^)  Folgende  Tabelle  giebt 
die  Morbidität  und  Mortalität  dieser  eben  angeführten  com- 
plicirten  Erkrankungen  an: 


Kenchhusteo 

Typh- 

TfphoB  abdominalii 

Intennittens  .    .    . 

TjrphaB  petechialis 

Variola  vera      .    . 

HorbiUi    .... 


Wir  sehen  aus  dieser  Tabelle,  dasa  die  vorangegangene 
Infection  keinen  besonderen  Einäuss  auf  den  Verlauf  des 
Scharlachs    gehabt   hat.     Von    Interesse    ist   das   Verhältniss 

1)  Die  Abtheilnng  für  Scharlach  befindet  sich  gans  getrennt  von 
der  Maaem-AbtheiliiDg,  in  einem  beHonderen  Steinbaii,  eodasa  Infectionen 
uar  sehr  selten  Eur  Beobachtang  gelangen  kOonen. 


62  Th.  Hase: 

zwischen  den  Masern  und  dem  Scharlach:  in  denjenigen  Fällen^ 
wo  die  Masern  dem  Scharlach  vorangegangen  waren,  ergab 
sich  eine  Mortalität  yon  35,1%,  dagegen  war  die  Mortalität 
in  den  Fällen,  wo  Masern  nach  dem  Scharlach  auftraten,  viel 
grösser  (43,8%),  der  Verlauf  der  Erkrankung  ein  viel  schwe- 
rerer (von  110  Fällen  starben  48).  Katarrhalische  Pneumonie 
wurde  in  den  Fällen  der  ersten  Kategorie  nur  dreimal  beob> 
achtet,  dagegen  in  den  Fällen  der  zweiten  Kategorie  neun- 
undzwanzigmal. 

In  10  Fällen  waren  Masern  und  Scharlach  zu  einer  Zeit 
ausgebrochen;  von  diesen  starben  8  und  genasen  2.  Die  Fälle 
verliefen  recht  schwer  mit  starkem  Fieber  und  vielen  erusten 
Complicationen. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  dem  interessanten  Capitel  der 
Recidive.  Bekanntlich  theilt  Thomas  dieselben  in  3  Kate- 
gorien ein:  1.  Pseudorecidive ,  2.  Recidive  und  3.  erneuerte 
Scharlachinfection.  Als  Pseudorecidive  bezeichnet  er  diejenigen 
Fälle,  wo,  bei  anhaltendem  Fieber  und  Vorhandensein  anderer 
Scharlachsymptome,  in  der  zweiten  oder  dritten  Woche  der 
Erkrankung  das  bereits  verschwundene  Exanthem  wieder  auf- 
tritt; das  Exanthem  nimmt  einen  grossen  Theil  der  Korper- 
oberfläche ein,  hat  alle  Merkmale  des  Scharlachausschlages 
und  darf  nicht  mit  einem  einfachen  Erythem  verwechselt 
werden.  Die  wahren  Recidive  treten  analog  den  Typhus- 
recidiven  in  dem  Reconvalescenzstadium  ein:  die  primären 
Krankheitssymptome  sind  bereits  verschwunden,  es  ist  bereits 
Abschuppung  eingetreten  oder  sogar  vollendet,  plötzlich  setzen 
wieder  alle  Scharlachsymptome  ein,  Fieber,  Ex-  und  Enanthem, 
und  zwar  häu6g  in  viel  stärkerem  Grade  als  beim  primären 
Scharlach.  Die  zweite  Infection  tritt  ganz  selbständig  auf 
ohne  jede  Beziehung  zum  primären  Scharlach,  gewöhnlich 
lässt  sich  auch  eine  erneuerte  Ansteckung  nachweisen.  Zwischen 
der  ersten  und  der  zweiten  Infection  können  Monate  und  Jahre 
verstreichen. 

Pseudorecidive. 

In  der  Literatur  sind  nur  wenige  Fälle  von  Psendoreci- 
diven  zu  finden,  wahrscheinlich,  wie  Körner  behauptet,  aus 
dem  Grunde,  weil  man  sie  häufig  nicht  beachtet,  das  Exan- 
them nur  kurze  Zeit  besteht  und  weil  sie  fCbr  gewöhnlich 
keine  besonderen  Störungen  im  Organismus  hervorrufen.  Ein- 
gehende Beschreibung  solcher  Fälle  nebst  Literaturangaben 
finden  wir  bei  Körner^).  Dieser  Autor  hat  6  Fälle  zu- 
sammengestellt. In  einem  Falle  beschreibt  Thompson  2P8eudo- 


1)  Ueber  Scharlachrecidive.    Jahrbuch  f.  Kinderheilkande  1876. 


Ein  Beitrag  zur  Statistik  der  Erkrankung  an  Scharlach  etc.      63 

m 

recidive,  eins  am  21.  und  eins  am  37.  Erankheitstag.  Thomas 
beschreibt  5  Fälle,  bei  denen  das  secundare  Exanthem  am 
17.,  13.,  13.,  14  und  6.  Tag  der  Erkrankung  auftrat.  2  Fälle 
endeten  letal.  Der  secundare  Ausschlag  hielt  2—3  Tage  an. 
Die  ersten  3  Fälle  kamen  in  einer  Familie  zur  Beobachtung. 
Im  Elisabeth'Kinderhospital  wurden  von  mir  während  der 
Jahre  1885 — 1893  6  Fälle  von  Pseudorecidiven  beobachtet 
(unter  1664  Scharlacherkrankungen).  Nach  den  Jahren  ver- 
theilen  sich  die  Fälle  folgendermaassen:  1885  von  78  Kranken 
kein  Fall;  1886  von  162  Fällen  1  Pseudorecidiv ;  1887  von 
126  Fällen  1  Pseudorecidiv;  1888  von  175  Fällen  kein  Pseudo- 
recidiv;  1889. von  245  Fällen  2  Pseudorecidive;  1890  von 
322  Fällen  1  Pseudorecidiv;  1891  von  224  Fällen  kein  Fall; 
1892  von  141  Fällen  1  Pseudorecidiv;  1893  von  191  Fällen 
kein  Pseudorecidiv. 

Die  &  Fälle  waren  folgende: 

1.  9j&brige8  Kind,  leichte  Form  des  Scharlachs,  Exanthem  massig, 
besteht  8  Tage;  nach  dem  Abblassen  Sinken  der  Temperatur,  Ver- 
schwinden des  Exanthems.  Am  6.  Krankheitstag  Temperatur  38,5 ,  er- 
neuerter Ausbruch  des  Scharlachexanthems  und  Enanthems,  dieselben 
bestehen  7  Tage  lang.    Später  Nephritis.    Ausgang  in  Heilung. 

2.  Kind  von  1^  Jahren,  wird  ins  Hospital  mit  einer  Temperatur 
von  38,6  hineingebracht.  Exanthem  und  Enanthem  massig  ausgesprochen, 
verschwinden  nach  6  Tagen.  Die  Temperatur  bleibt  erhöht  (38^6).  Am 
7.  Tag  tritt  wieder  ein  Ausschlag  auf,  ROthung  und  Schwellung  des 
weichen  Gaumens.  Das  secundare  Exanthem  besteht  2  Tage.  Com- 
plication:  Lymphadenitis,  Enteritis  acuta.  Tod. 

3.  8 jähriges  Kind.  Bei  der  Aufnahme  massiges  Exanthem,  Röthung 
und  Schwellung  des  weichen  Gaumens,  Angina  necrotica.  Temperatur 
39, t.  Nach  6  Tagen  schwindet  der  Ausschlag.  Die  Temperatur  39  bis 
40.Am  10.  Krankheitstag  Temperatur  39,6,  Auftreten  eines  zweiten 
Scharlachexanthems,  am  11.  Tag  Masernausschlag,  Anhalten  der  Necrosen. 
Genesung. 

4.  3%  jähriges  Kind.  Schwerer  Scharlach  sog.  Scarlatina  variegata, 
Temperatur  40.  Lymphdrüsenschwellung.  Der  Ausschlag  verblasst  nach 
2  Tagen,  die  Temperatur  bleibt  bis  zum  20.  Tag  hoch,  an  diesem  Tag 
40^  und  Ausbruch  eines  zweiten  Exanthems,  das  8  Tage  lang  anhält. 
Exitus  letalis. 

6.  3^4  jähriges  Kind.  Temperatur  38,6.  Exanthem  massig  ausgeprägt, 
starke  RöÜiung  und  Schwellung  des  weichen  Gaumens.  Nach  8  Tagen 
verblasst  der  Ausschlag,  doch  bleibt  das  Fieber  bestehen.  Abschuppung. 
Am  12.  Tag  Temperatur  40,2;  zweites  Exanthem,  besteht  2  Tage,  nach 
demselben  tritt  Otitis  mit  Caries  ossis  temporum  auf.  Ausgang  un- 
bekannt. 

6.  ejähriges  Kind.  Massig  ausgeprilgtes  Exanthem,  verblasst  am 
6.  Tag,  Temperatur  sinkt  zur  Norm.  Am  8.  Tag  secundärer  Ausschlag, 
dabei  kein  Enanthem.  Dauer  des  zweiten  Exanthems  5  Tage.  Aus- 
gang in  Genesung. 


64  Tb.  Hase 


Recidive. 


Körner  hat  ein  ziemlich  grosses  Material  zusammen- 
gestellt; dasselbe  umfasst  Beobachtungen  von  29  Autoren. 
Es  würde  uns  zu  weit  führen,  wollten  wir  hier  alle  berück- 
sichtigen. Im  Allgemeinen  kann  man  aussagen ,  dass  in  den 
meisten  Fällen  der  primäre  Scharlach  ein  ziemlich  milder  war, 
die  Becidive  traten  gewöhnlich  Ende  der  zweiten,  dritten,  ja 
sogar  der  vierten  Woche  ein,  der  zweite  Ausschlag  be- 
stand 2 — 4  Tage,  die  meisten  Fälle  endeten  mit  Genesung; 
meist  wurden  die  Recidiye  bei  älteren  Kindern  beobachtet, 
nur  ein  Fall  (Schingleton)  bei  einem  Kinde  von  1  Jahr 
und  9  Monaten.  Thomas  macht  besonders  aufmerksam,  dass 
die  Recidiye  häufig  an  Mitgliedern  einer  Familie  beobachtet 
werden;  auch  Hütten  brenn  er  ^)  hat  diese  Beobachtung  machen 
können,  so  z.  B.  erkrankten  zwei  BrQder  an  Scharlach,  und 
bei  beiden  trat  ein  Recidiy  ein.  Dieser  Autor  betont  mit 
Rechl^  dass  man  bei  der  Diagnose  eines  Scharlachausschlages 
sehr  vorsichtig  sein  müsse,  namentlich  könnte  der  nach  einer 
Verbrennung  oder  einer  chirurgischen  Operation  zuweilen  auf- 
tretende Ausschlag  mit  einem  scarlatinösen  Exanthem  ver- 
wechselt werden.  Meine  Erfahrungen  stimmen  hiermit  völlig 
überein;  es  ist  häufig  sehr  schwer,  das  Exanthem,  das  zwei 
oder  drei  Tage  nach  einer  stattgehabten  Verbrennung  auf- 
tritt, vom  Scharlach  zu  unterscheiden.  Manuing  erwähnt, 
dass  die  bei  schweren  Scharlach-  und  Diphtherie-Erkrankungen 
auftretenden  sog.  septischen  Ausschläge  zuweilen  Anlass  zur 
Verwechselung  mit  Scharlachrecidiven  geben  können.  Hier- 
mit kann  ich  mich  nicht  einverstanden  erklären.  Die  sep- 
tischen Ausschläge,  die  auf  der  Scharlachabtheilung  gar  nicht 
selten  zur  Beobachtung  gelangen,  sind  eher  dem  Masern- 
exanthem  ähnlich,  sie  haben  eine  bestimmte  Localisation,  werden 
nur  bei  schweren  Scharlachcomplicationen  beobachtet  (bei 
ausgiebigen  Zerstörungen  im  Rachen,  besonders  auch  bei  Mit- 
betheiligung  der  Nasenhöhle,  bei  Caries  des  Processus  mastoi- 
deus,  bei  eitrigen  Gelenkafiectionen  u.  s.  w.)  und  geben  eine 
schlechte  Prognose. 

Im  Elisabeth-Kinderhospital  wurden  von  mir  während  der 
Jahre  1885—1893  15  Fälle  von  Recidiven  beobachtet: 


1885  . 

78  Erkrankungen, 

2  Becidive 

1886  . 

.  162 

1  Recidiv 

1887  . 

126 

3  Reeidive 

1888  . 

176 

2 

1889  .  . 

246 

2 

1)  Ueber  zweimaliges  Auftreten  von  acnten  Exanthemen,  insbeson- 
dere von  Scharlach.    Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  1876. 


Ein  Beitrag  zur  Statistik  der  Erkrankung  an  Scharlach  etc.      65 

1890  .  .  322  Erkrankungen,  1  Becidiv 

1891  .  .  224  „  1        „ 

1892  .  .  141  „  1         „ 
1898  .  .  191                „             2  BecidiYC. 

1.  9 jähriges  Eind,  kommt  mit  schwerer  Scharlachform  ins.  Hospital. 
Temperatur  39,8,  das  Exanthem  dunkel  yiolett,  BOthnug  und  Schwel- 
lung des  weichen  Gaumens.  Complication  mit  croupGser  Pneumonie 
nnd  Lymphdrüsenabscess.  Einige  Tage  vor  dem  zweiten  Exanthem  kehrte 
die  Temperatur  zur  Norm  zurück  und  begann  die  Abschuppnng.  Am 
37.  Krankheitstag:  Temperatur  39,0,  Ausbruch  eines  zweiten  Scharlach- 
auBschlages,  im  Rachen  tritt  nicht  nur  Röthung  und  Schwellung  auf, 
sondern  es  kommt  zu  Nekrosen.  Das  Exanthem  besteht  8  Tage.  Aus- 
gang in  Genesung. 

2.  3j&hriges  Kind,  wird  ins^Hospital  in  der  fQnften  Krankheitswoche 
mit  bestehender  starker  Abschuppung  und  katarrhalischer  Pneumonie 
aufgenommen.  Temperatur  40.  In  der  sechsten  Woche  steigt  die  Tem- 
peratur auf  40,3  und  es  bricht  ein  Exanthem  aus,  das  2  Tage  besteht, 
daneben  Angina  necrotica  scarlatinosa.    Exitus  letalis. 

3.  1  Jahr  und  2  Monate  altes  Kind,  aufgenommen  im  Stadium  der 
AbschuppuDg,  ll^  Wochen  nach  dem  ßegian  der  Krankheit  T während 
dieser  Zeit  wurde  das  Kind  priratim  von  mir  behandelt).  Am  Tage 
der  Hospitalaufnahme:  erhöhte  Temperatur,  Bronchitis,  Lymphadenitis 
und  Angina  necrotica.  Dauer  des  ersten  Ausschlages  6  Tage.  Am 
17.  Krankheitstag  Temperatur  38,7,  erneuter  Ausbruch  des  Scharlachs, 
das  Exanthem  besteht  2  Tage.  Complicationen  nach  dem  zweiten  Aus- 
schlage: Otitis,  Pneumonia  catarrhalis.    Exitus  letalis. 

4. 4*^  jähriges  Kind.  Bei  der  Aufnahme:  stark  ausgeprägter  Scharlach- 
ausschlag,  Temperatur  39,6,  Röthung  und  Schwellung  des  weichen 
Gaumens,  Nekrosen.  Dauer  des  Exanthems  5  Tage.  Am  21.  Krankheits- 
tag steigt  die  Temperatur  auf  39,0,  es  tritt  wieder  ein  Scharlach - 
exanthem  auf,  ebenso  erscheinen  die  bereits  gewichenen  Affectionen 
des  Rachens.  Der  secundäre  Ausschlag  besteht  6  Tage.  Complication: 
Nephritis;  Ausgang  in  Genesung. 

6.  7 jähriges  Kind.  Bei  der  Aufnahme:  Massig  ausgeprägtes  Exan- 
them, Temperatur  39,0®.  Angina  scarlatinosa.  Nach  3  Tagen  schwindet 
der  Ausschlag,  die  Temperatur  kehrt  a'llraählich  zur  Norm  zurück.  Am 
17.  Krankheitstage  zweites  Exanthem,  Temperatur  39,0,  wieder  Röthung 
und  Schwellung  des  Rachens.  Dauer  des  Exanthems  2  Tage.  Nach 
dem  ersten  Ausschlage  Complicationen:  Lymphadenitis,  nach  dem  zweiten 
Nephritis.    Ausgang  in  Genesung. 

6.  5 jähriges  Kind,  Scharlach  von  mittlerer  Schwere.  Temperatur 
39,0.  Dauer  des  Ausschlags  6  Tage.  Später  fällt  die  Temperatur  zur 
Norm,  es  tritt  Abschuppung  ein.  Am  19.  Krankheitstag  Auftreten  emes 
zweiten  Exanthems,  Angina  scarlatinosa.  Temperatur  40,0  <>.  Nach  dem 
zweiten  Ausschlage  Nephritis.    Ausgang  in  Genesung. 

7.  öjähriges  Kind.   Temperatur   39,4.     Stark   ausgeprägtes   scarla- 
tinöses   Exanthem   und   Angina   scarlatinosa.      Dauer   des   Aussschagea 
7  Tage.   Temperatur  fällt  zur  Norm,  Abschuppung.*   Am  34.  KrankheiU- 
tag  zweiter  Schariachausschlag,  Temperatur  39,2,  Angina  scarlatinosa. 
Am  26.  Tag  Nephritis.    Nach   dem  zweiten  Ausschlag  croupöse  Pneu- 
monie und  Lymphadenitis.    Exitus  leialis. 

Jahrbuch  t  Kinderheilkuade.     N.  ¥.    XXXIX.  ö 


66  Th.  Haae: 

8.  2 ^jähriges  Kind,  cachektisch,  wird  ins  Hospital  in  der  dritten 
Krankheitswoche  aufgenommen.  Abschnppang.  An  der  üvala  Rand- 
oekrosen,  Ausfluss  ans  der  Nase.  Schwellung  der  Halsljmphdrfisen. 
Temperatur  38,5.  3  Tage  nach  der  Aufnahme  tritt  im  Rachen  wieder 
eine  Scharlachröthe   auf  und  bricht   ein  Scharlachezanthem  aus.    Am 

4.  Tag  Exitus  letalis. 

9.  6  jähriges  Kind.  Temperatur  39,1.  Scharlachezanthem  und  -enan« 
them,  Nekrosen  auf  den  Tonsillen.  Dauer  des  primären  Ausschlags 
9  Tage.  Am  29.  Krankheitstag  steigt  die  bereits  zur  Norm  gefallene 
Temperatur  wieder  auf  38^6,  dabei  tretep  ein  Scharlachausschlag  und 
Varicellen  auf,  Angina  scarlatinosa.  Dauer  des  zweiten  Scharlachezan- 
them s  2  Tage.    Genesung. 

10.  8 jähriges  Kind.  Wird  mit  Keuchhusten  und  schwerer  Form  des 
Scharlachs  aufgenommen.  Temperatur  40,1.  Exanthem  stark  aus- 
geprägt, besteht  8  Tage.  Temperatur  fällt  allmählich  zur  Norm.  Am 
23.  Krankheitstag,  1  Tag  vor  dem  Auftreten  einer  Nephritis,  abermaliger 
Ausbruch  des  Exanthems,  Angina  scarlatinosa,  Temperatur  39,0.  Com- 
plication :  Nephritis,  Otitis,  Eclampsia.    Genesung. 

11.  6 jähriges  Kind.  Leichte  Form  des  Scharlachs,  massiges  Exan- 
them und  Enanthem,  Temperatur  39,7.  Dauer  des  Ausschlags  6  Tage. 
Am  23.  Krankheitstag  Temperatur  40,6  (Tag  vorher  36,8),  Ausbruch  des 
zweiten  Exanthems,  das  3  Tage  besteht.    Ausgang  in  Genesung. 

12.  6jähriges  Kind.  Leichte  Scharlachform,  Temperatur  38,0.  Tem- 
peratur fällt  nach  5  Tagen  zur  Norm,  das  ExanÜiem  blasst  nach  2  Tagen 
ab.  Abschuppung.  Am  22.  Krankheitstag  auf  der  linken  Mandel  ein 
grauer  Belag,  am  23.  Tage  Scharlachausschlag.  Das  Exanthem  besteht 
2  Tage,  der  Belag  3  Tage.    Am  28.  Tage  Nephritis.    Genesung. 

13.  1  Jahr  altes  Kind.  Mittelschwerer  Scharlach.  Angina  scarla- 
tinosa und  massiges  Exanthen.  Temperatur  39,3.  Nach  3  Tagen  Ab- 
blassen des  Ausschlages,  Temperatur  fällt  allmählich  zur  Norm.  Am 
14.  Krankheitstag  Auftreten  eines  zweiten  Scharlachexanthems.  Angina 
scarlatinosa.  Temperatur  40,6.  Ex-  und  Enanthem  bestehen  6  Tage. 
Genesung. 

14.  Tjähriger  Knabe,  wird  mit  leichtem  Scharlach  ins  Hospital  auf- 
genommen. Der  Ausschlag  besteht  3  Tage.  Am  4.  Tage  Temperatur 
37,6.  Am  14.  Krankheitstage  Temperatur  39.  Ausbruch  eines  zweiten 
Scharlachexanthems  mit  RCthung  und  Schwellung  des  Rachens.  Be- 
steben des  Exanthems  4  Tage,  des  Enanthems  3  Tage..  Ausgang  in  Ge- 
nesung. 

Die  jetzt  folgenden  2  Fälle  bieten  ein  besonderes  Inter- 
esse  in  der  Hinsicht,  als  zwischen  dem  primären  Scharlach 
und  dem  Recidiv  ein  anderer  infectioser  Ausschlag  auftrat; 
im  1.  Falle  Varicellen,  im  2.  Falle,  den  ich  ambulatorisch 
behandelt  habe,  Masern. 

16.  2 jähriges  Kind,  aufgenommen  2  Wochen  nach  dem  Abblassen 
des  Exanthems.  Bei  der  Aufnahme:  Otitis,  Nephritis,  Abschnppung 
und  Windpocken.     Am    25.  Ta^   des  Hospitalanfenthalts,    also   in   der 

5.  Krankbeitswoche,   Temperatur  39,2.     Ausbruch   eines  Scharlachexan- 
thems.    Am  26.  Tag   abermaliges   Auftreten   von   Windpocken,    beide 


Ein  Beitrag  zur  Staüstik  der  Erkrankung  an  Scharlacb  etc.      67 

Ausschläge  bestehen  zu  einer  Zeit,  daneben  Röthung  und  Schwellung 
des  Rachens.  Ein  Tag  vor  dem  Ausbruch  des  Scharlachrecidivs  war 
die  Temperatur  37,6.    Ausgang  in  Genesung. 

16.  Am  26.  März  1890  wurden  zu  mir  ins  Ambulatorium  des  Elisabeth- 
Einderhospitals  3  Kinder  einer  Familie  gebracht,  das  ältere  (Knabe) 
7  Jahre  alt,  das  zweite  (Knabe)  3  Jahre  und  ein  Mädchen  1  Jahr  alt. 
Beim  ältesten  coustatirte  ich  starke  Abschuppung,  Angina  scarlatinotta 
mit  schmutzig-grauen  Belägen,  fluctuirende  Schwellung  der  ünterkiefer- 
drüsen.  Nach  den  Angaben  der  Mutter  erkrankte  der  Knabe  an  Schar- 
lach am  18.  März.  Bei  den  anderen  beiden  Kindern  bestanden:  Fieber, 
Mattigkeit  und  starke  Röthung  des  Rachens.  Exanthem  war  nicht  zu 
constatiren.  Der  älteste  Knabe  wurde  ins  Hospital  aufgenommen,  die 
beiden  anderen  nahm  die  Mutter  nach  Hause,  dabei  wurde  ihr  anem- 
pfohlen, die  6jährige  Tochter,  die  völlig  gesund  geblieben  war,  zu  iso- 
liren.  Am  27.  März  coustatirte  ich  bei  den  beiden  Kindern,  die  wieder 
ins  Ambulatorium  gebracht  worden  waren,  ein  stark  ausgeprägtes 
Scharlachezanthem ,  daneben  Röthung  und  Schwellung  des  Rachens. 
Bis  zum  6.  April  sah  ich  sie  nicht,  die  Mutter  gab  aber  an,  dass  der 
Scharlach  einen  sehr  milden  Verlauf  genommen  hatte.  An  dem  ge- 
nannten Tag  wurde  ich  ins  Haus  gerufen:  sowohl  der  3  jährige  Knabe 
als  auch  das  1jährige  Mädchen  zeigten  am  ganzen  Körper  einen  Masern- 
ausschlag, daneben  war  bei  dem  Jungen  eine  katarrhalische  Pneumonie, 
bei  dem  Mädchen  eine  capilläre  Bronchitis  zu  constatiren.  Die  Masern 
nahmen  ebenfalls  einen  milden  Verlauf  und  nach  2  Wochen  erholten 
sich  beide  Kinder.  Am  27.  April  wird  der  älteste  Knabe  aus  dem 
Hospital  entlassen  und  auch  die  bis  dahin  isolirt  gewesene  Tochter  zu 
den  anderen  Kindern  gebracht.  Am  2.  Mai  sah  ich  das  3  jährige  und 
das  1jährige  Kind  wieder  im  Ambulatorium  und  coustatirte:  starke 
Mattigkeit,  Schwäche,  häufiges  Erbrechen,  Scharlachezanthem  und 
Schwellung  und  Röthung  des  weichen  Gaumens;  daneben  erkrankte 
auch  die  früher  isolirt  gewesene  Tochter.  Am  6.  V.  bei  dem  3jährigen 
Knaben:  Starke  Schwellung  der  Halsljmphdrfisen  und  derbe  Infiltration 
des  Halszellgewebes,  schmutziggraue  Beläge  auf  den  Mandeln,  starke 
Secretion  aus  der  Nase;  soporöser  Zustand,  Tod  am  7.  V.  Bei  dem 
jüngsten  Kinde,  verlief  das  Recidiv  milder,  das  Exanthem  bestand  6 Tage, 
der  Allgemeinzustand  war  ein  guter.  Bei  dem  älteren  Mädchen  war 
jedoch  der  Scharlach  viel  schwerer,  es  kam  zu  Nekrosen  im  Rachen, 
zu  Infiltration  des  Halszellgewebes  mit  Ausgang  in  Eiterung;  jedoch 
genas  schliesslich  das  Kind.  Es  sei  hier  noch  bemerkt,  dass  die  Woh- 
nung 2  Wochen  nach  dem  primären  Scharlach  auf  das  Reinlichste  des- 
inficirt  und  remontirt  worden  war. 


Wenn  ich  nun  jetzt  meine  Beobachtungen  über  die  ver- 
schiedenen Recidiyformen  zusammenfassen  soll,  so  ergiebt  sich 
Folgendes: 

1.  Das  Alter  spielt  bei  der  Häufigkeit  der  Recidive  keine 
Rolle:  es  wurden  Fälle  bei  Kindern  von  1—9  Jahren  beob- 
achtet. 

2.  Der  primäre  Scharlach  war  in  den  meisten  Fällen  ein 
leichter  oder  mittel  schwerer,  nur  in  3  Fällen  schwer. 

3.  Das  Eintreten  der  Recidive  brachte  gewöhnlich  ausser 
der  Temperatursteigerung  keine  besondere  Complicationen  mit 


68  Th   Hase: 

sich.  Ausnahme  machten  nur  3  Falle:  a)  bei  einem  Kinde 
von  1  Jahr  und  2  Monaten  trat  katarrhalische  Pneumonie 
hinzu,  b)  bei  einem  Kinde  von  l^  Jahren  eine  acute  Ente- 
ritis  und  endlich  c)  bei  einem  dreijährigen  Kinde ;  das  vor- 
her Masern  durchgemacht  hatte ^  bedingte  das  Recidiv  den 
letalen  Ausgang. 

4.  Der  primäre  Ausschlag  war  in  12  Fällen  massig  aus- 
geprägt, in  5  Fällen  intensiv,  in  1  Falle  vom  Charakter  der 
sog.  Scarlatina  variegata.  Das  secundäre  Exanthem  war  immer 
weniger  intensiv  als  das  primäre,  hielt  2  —  8  Tage  lang  an 
(häufiger  2  Tage)  und  währte  gewohnlich  kürzere  Zeit  als  das 
primäre. 

5.  Das  Exanthem,  das  gewohnlich  bereits  völlig  ver- 
schwunden war,  kehrte  wieder  und  zeigte  dasselbe  Bild  wie 
beim  primären  Scharlach. 

6.  Die  Temperatursteigerung  war  bei  Auftreten  der  Reci- 
dive  zuweilen  hoher,  zuweilen  aber  auch  niedriger  als  beim 
primären  Scharlach. 

7.  Nierenerkrankungen  sind  in  den  betreffenden  Fällen 
häufig  verzeichnet  worden  (8  mal). 

8.  Die  Zeit  des  Auftretens  der  Recidive:  Die  Pseudo- 
recidive  setzen  gewöhnlich  zu  Ende  der  ersten  oder  Mitte  der 
zweiten  Woche  der  Erkrankung  ein,  die  Recidive  dagegen 
viel  später  —  in  der  dritten  bis  sechsten  Woche. 

9.  Erbrechen  wurde  beim  Ausbrechen  der  Recidive  nicht 
constatirt.^) 


Als  Anhang  zu  dieser  Arbeit  erlaube  ich  mir.noch  Einiges 
über  Masernrecidive  hier  mitzutheilen.  Bekanntlich  werden 
dieselben  nur  selten  beobachtet:  in  den  Krankenjournalen  des 
Elisabeth-Kinderspitals  von  1885—1892  fand  ich  nur  2  Fälle. 
Auch  in  «der  Literatur  ist  darüber  nicht  Vieles  bekannt.  Hebra 
und  Kaposi  bezweifeln  sogar,  ob  überhaupt  Masernrecidive 
vorkommen,  und  sind  eher  geneigt,  die  von  Peter  Frank 
and  Will  an  beschriebenen  Fälle  als  Urticaria  oder  Roseola 
zu  deuten.  Eine  genaue  Zusammenstellung  der  Masernrecidive 
finden  wir  bei  Thomas  im  Ziemsse  naschen  Handbuch.  Die 
Zeit  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Exanthem  wird  ver- 
schieden angegeben,  so  in  den  Fällen  von  Düben  und  Malm- 
stein 1  oder  2  Tage,  in  den  Fällen  von  Spiess  1 — 2  Monate, 
Schilling  und  Wendt  geben  6  Wochen  an,  Steiner  und 
Wunderlich  8  Wochen.  Lippe  fand  eine  Zwischenzeit  von 
3 — 4  Wochen  und  constatirte,  dass,  je  leichter  die  primären 

1)  Zahl  der  Erkrankungen:  470. 


Ein  Beitrag  zar  Statistik  der  Erkrankung  an  Scharlach  etc.      69 

Masern  verliefen^  um  so  intensiver  die  secundären  waren. 
Sei  dl  beschreibt  3  Fälle,  in  welchen  zwischen  der  ersten 
Erkrankung  und  dem  Recidiv  4 — 6  Wochen  vergangen  waren, 
die  primären  Masern  waren  leichte,  dagegen  verliefen  alle 
3  Fälle  der  Recidive  sehr  schwer,  2  Fälle  endeten  sogar 
letal.  Trojan owski  hat  ebenfalls  Masernrecidive  beobachtet, 
er  bezeichnet  dieselben  mit  dem  Namen  „Recurrensform^^  Die 
Recidive  setzten  mit  rasch  steigender  Temperatur  ein,  die- 
selbe erreichte  das  Maximum  am  3.  Tage,  zu  gleicher  Zeit 
trat  das  Masernexanthem  auf,  die  Milz  war  stark  geschwellt. 
Die  Attaque  dauerte  6 — 8  Tage.  In  der  afebrilen  Zeit  schwoll 
die  Milz  wieder  ab.  Die  Zeit  zwischen  den  einzelnen  Anfällen 
betrug  8  Tage. 

Folgende  2  Fälle  wurden  von  mir  im  Hospital  beobachtet: 

1.  5 jähriges  Mädchen,  wird  mit  deutlichen  Zeichen  der  Masern 
anfgenommen.  Exanthem  und  Enanthem  stark  ausgeprägt.  Temperatur 
40,3.  Bronchitis.  Der  Ausschlag  und  die  erhöhte  Temperatur  dauern 
5  Taj;e.  Am  9.  Erankheitstage  beiderseitige  Otitis,  am  13.  Erankheits- 
tage  Temperatur  Morgens  39,  Abends  40.  Diphtheri tischer  Belag  auf 
der  linken  Mandel  und  Schwellung  der  Unterkieferdrüsen,  am  15.  Tage 
auf  beiden  Mandeln  diphtheritische  Beläge,  dieselben  schwinden  nach 
12  Tagen.  Am  20.  Erankheitstage  tritt  auf  dem  harten  und  weichen 
Gaumen  wieder  das  charakteristische  Masernexanthem  auf.  Die  Tem- 
peratur steigt  auf  39,6  und  am  ganzen  EOrper  ist  wieder  ein  Masern- 
ausschlag  bemerkbar.    Derselbe  besteht  3  Tage.    Ausgang  in  Genesung. 

2.  3  jähriger  Enabe,  wird  am  21.  October  1889  in  der  Scharlach- 
abtheilung aufgenommen.    Temperatur  39,1.     Böthang  und  Schwellung 
des  Bachens,   Scharlachexanthem   am   ganzen  Körper.     Am   23.  Rand- 
nekrosen   am    weichen   Gaumen   und    der   Uvula.     Bronchitis.    Am   26. 
schwindet  der  Ausschlag  und  frühzeitig  tritt   starke  Abschuppung  ein. 
Am  29.  fällt   die  Temperatur   zur  Norm.     Am   4.  November  steigt  die 
Temperatur  wieder  auf  40,6,   starker  Ausfluss   aas  der  Nase,  Ausbruch 
eines  prägnanten  Masernausschlages,  der  am  8.  wieder  schwindet.  10.  No- 
vember Pneumonia  catarrhalis  dextra,  Lymphadenitis  cervicalis.    Tem- 
peratur 39,2.     Am  16.  Nov.  löst  sich    die   Lungenentzündung,  der  AU- 
gemeinzustand  wird  ein  hesserer.     Am   23.  Nov.  treten  Varicellen    auf. 
Die  Temperatur  hält  sich  zwischen  37,0  und  38,5.    Es  wird  ein  Abscess 
am  Halse  eröflfoet.    Am  4.  December  steigt  die  Temperatur  auf  89,6,  es 
tritt  wieder  Coryza,  Conjunctivitis  ein,   allmühlicli  kommt  em  erneuter 
Masemausschlag  zum  Ausbruch  und  die  katairbalische  Pneumonie  setzt 
wieder  ein.    Am  6.  December  nimmt  das  Exanthem  einen  cyanotisoben 
Timbre  an,  in  beiden  Lungen  katarrhalische  Pneumonie.    Am   6.  Dec. 
Exitus  letalis. 


V. 

Ueber  Gewicht  und  Wachs  der  Kinder  der  Armen 

in  Warschan. 

Mitgetheilt  von 

Dr.  WiKTORYN  EoSMOWSKIy 

Kindersrat  in  Wurtohao. 

Im  Bareau  der  Sommerferien-Colonien  bat  sich  im  Ver- 
laufe  einiger  Jahre  ein  ziemlich  bedeutendes  Material  an- 
gehäuft, bestehend  aus  Gewichts-  und  Körperlängenmessungen, 
welche  an  den  Kindern  der  ärmsten  Warschauer  Beyolkerungs- 
classen  vorgenommen  wurden.  Dieses  Material,  Teryollstän- 
digt  mit  meinen  aus  eigener  Praxis  entnommenen  Daten,  er- 
gab die  Zahl  von  einigen  tausend  Kindern  verschiedenen 
Alters.  Diese  Zahl  genügt,  im  Vergleich  mit  den  im  Aus« 
lande  zu  solchen  Untersuchungen  gebräuchlichen  Zahlen,  um 
dieselbe  in  gewisse  Gruppen  einzutheilen  und  entsprechende 
Zahlentabellen  aufzustellen.  Aus  diesen  Zahlentabellen  können 
wir  schon  gewisse  Beobachtungen  und  Schlüsse  über  die 
Körperentwickelung  der  Kinder  der  arbeitenden  Classen  in 
Warschau  ziehen. 

Im  Ganzen  wurden  3438  Kinder  untersucht,  d.  h.  1540 
Knaben  und  1898  Mädchen.  Das  Alter  dieser  Kinder  reicht 
vom  8.  bis  zum  15.  Lebensjahre,  umfasst  also  die  Periode  der 
zweiten  Kindheit  (pueritia,  seconde  enfance).  Die  Jahre  jedes 
Kindes  wurden  auf  Grund  des  Taufscheines  aufgestellt.  Beim 
Zusammenstellen  der  Altersgruppen  folgte  ich  dem  Beispiel 
Axel  Key's,  d.h.  jedes  Lebensjahr  plus  einige  Monate  wurde 
zum  folgenden  Jahre  hinzugezählt;  z.  B.  wenn  ein  Kind 
8  Jahre  und  7  Monate  alt  war,  wurde  es  der  Gruppe  des 
neunten  Jahres  zugeschrieben. 

Das  ganze  untersuchte  Material  war  möglichst  gleich- 
förmig, dessen  nicht  alle  derartigen  Untersuchungen  sich 
rühmen  können.  Alle  Kinder  stammen  aus  der  armen  und 
ärmsten   Bevölkerungsciasse  Warschaus,   d.  h.   hauptsächlich 


W.  EosmowBki:  lieber  Gewicht  und  Wuchs  der  Kinder  etc.       71 


Yon  den  Bewohnern  der  Souterrains  und  der  Dachwohnungen, 
was  ebenfalls  wiederholt  von  dem  Bureau  der  Sommerferien- 
Golonien  verificirt  worden  ist.  Der  grösste  Theil  dieser  Mes- 
sungen wurde  in  derselben  Jahreszeit^  nämlich  in  den  Monaten 
April  und  Mai,  und  gewöhnlich  um  ein  und  dieselbe  Tages- 
zeit, d.  h.  Abends  vorgenommen,  was  den  von  Mailing- 
Hansen  aufgestellten  und  auf  den  sogenannten  Wachsthums- 
perioden  begründeten  Anforderungen  entspricht.  Der  Gesund- 
heitszustand der  Kinder,  welche  dem  Bureau  der  Sommer- 
ferien-Colonien  als  Candidaten  vorgestellt  wurden,  war  relativ 
gut.  £ventuelle  Fehler  in  den  Messungen  sind  von  keiner 
Bedeutung  in  Betracht  dessen,  dass  jede  Durchschnittszahl 
aus  einer  Zahl  von  über  ein  paar  Hundert  Individuen  er- 
halten wurde.  Der  individuelle  Unterschied  verschwindet  schon 
bei  dieser  Anzahl  von  Untersuchungen.  Die  Messungen  wurden 
von  competenten  Personen,  hauptsächlich  von  den  Doctoren 
des  Bureaus  der  Sommerferien -Colonien,  vorgenommen.  Es 
muss  jedoch  noch  hinzugefügt  werden^  dass  zu  den  vorliegen- 
den Untersuchungen  nur  die  Zahlen  benutzt  worden  sind, 
welche  vor  dem  Aufenthalt  der  Kinder  auf  dem  Lande  fest- 
gestellt wurden,  weswegen  uns  auch  dieselben  die  Verhält- 
nisse, in  welchen  sich  diese  Kinder  gewöhnlich  befinden,  an- 
zeigen. 

Den  absoluten  Wuchs  und  das  absolute  Gewicht  der 
Knaben  und  Mädchen  gebe  ich  in  folgender  Zablentabelle, 
gleichzeitig  mit  den  jährlichen  Gewichts-  und  Längenzunahmen 
des  Körpers  an. 

Tabelle  L 

Warschau.    Knaben  und  Mädchen  der  armen  BevOlkerongsclasBe.    Mitt- 
lere EOrperlänge  und  mittleres  Gewicht  nebst  jährlichen  Längen-  und 

Qewichtszunahmen  in  cm  und  kg. 


Alter 


Alten- 
jahr 


Lebern- 
jähr 


Körperlftnge 
in  om 


M. 


Gewicht 
In  kg 


7—8 
8-9 
9—10 
10-11 
11-12 
12—13 
13—14 
14—15 


8 
9 
10 
11 
12 
13 
14 
15 


116,4 
117,8 
121.6 
126,7 
130.9 
135,8 
138,5 
150,0 


110,8 
116,6 
120,2 
125,2 
130,2 
135,1 
138,4 
144,0 


JTtthrllohe  Zunahme 
Iiftnge       I      Gewicht 


Anzahl  der 
lUntereuohten 


Aus  der  Tabelle  I  ersehen  wir,   dass  der  mittlere  W\ieVxE 
der  Knaben  grösser  ist  als  der  mittlere  Wucts  der  Madcli^xi, 


72  W.  Eosmowski: 

Das  mittlere  Gewicht  der  Knaben  der  Armen  in  Warschau 
ist  bis  zum  13.  Lebensjahre  grosser  als  das  mittlere  Gewicht 
der  Mädchen,  und  erst  zwischen  dem  13.  und  14.  Jahre  über- 
steigt das  Gewicht  der  Mädchen  dasjenige  der  Knaben.  Diese 
Thatsache  wiederholt  sich  auch  in  anderen  Ländern,  jedoch 
mit  dem  Unterschiede,  dass  gewöhnlich  das  Uebergewicht  an 
Körperlänge  und  Gewicht  des  weiblichen  Geschlechts  Aber 
das  männliche  früher,  z.  B.  im  11.  oder  12.  Lebensjahre,  zum 
Vorschein  kommt.  Die  maximalen  Gewichts-  und  Körper- 
längenzunahmen, welche  den  Anfang  der  Pubertätsperiode  be- 
zeichnen, beginnen  bei  den  Knaben  der  Armen  in  Warschau 
erst  mit  dem  14.  Lebensjahre,  wo  die  jährlichen  Gewichts- 
zunahmen von  1  —  2  kg  auf  4,6  steigen  und  die  Längen - 
zunahmen  auf  11,5  cm.  Bei  den  Mädchen  beginnen  die  grösse- 
ren Zunahmen  schon  im  12.  Lebensjahre.  Im  Allgemeinen 
jedoch  unterliegt  auch  in  Warschau  die  Pubertätsperiode  der 
Kinder  der  armen  Bevölkerungsciasse  unregelmässigen  Schwan- 
kungen in  den  jährlichen  Gewichts-  und  Längenzunahmen  des 
Körpers. 

Für  uns  ist  es  interessant,  das  absolute  Gewicht  und  die 
absolute  Körperlänge  der  Kinder  der  Armen  in  Warschau  mit 
den  an  den  Kindern  der  Armen  in  den  Städten  des  Aus- 
landes vorgenommenen  Messungen  zu  vergleichen.  Specielle 
derartige  Untersuchungen  sind  in  Stockholm,  Boston,  Turin 
und  London  vorgenommen  worden.  Indem  ich  von  denselben 
Gebrauch  mache,  stelle  ich  hier  eine  entsprechende  Zahlen* 
tabelle  auf,  sowohl  für  Knaben  wie  auch  für  Mädchen.  Da 
sich  unser  Material  nur  auf  Kinder  vom  8.  bis  zum  15.  Lebens- 
jahre inclusive  bezieht,  so  füge  ich  aus  den  ausländischen 
Daten  nur  die  Zahlen  hinzu,  welche  sich  auf  diese  Alters- 
periode beziehen. 

Die  Anzahl  der  untersuchten  Kinder  von  8. — 15.  Lebens- 
jahre beträgt: 

in  Warachan Knaben  1640  und  M&dchen  1898 

„  Stoekholm  (Axel  Key)  „        1867    „           „         2026 

„   Boston  (Bowditch)     .  „        7661    „            „         6072 

„  Turin  (Pagliani)     .     .  „          390    ,,            „            428 

„  London  (Eoberts)       .  „        9066    „           „            — . 

Die  Gewichts-  und  Längenmessungen  in  London  sind  in 
englischen  Pfunden  und  Zollen  angegeben,  die  anderen  in  kg 
und  cm. 

Siehe  Tabelle  II  auf  Seite  73 ,  Tabelle  III  und  IV  auf 
Seite  74  und  Tabelle  V  auf  Seite  75. 


Ueber  Gewicht  und  Wachs  der  Kinder  der  Armen  in  Warschau.    73 


Beim     Be- 
trachten der  Ta- 
bellen II— V 
gelangen  wir 
zu  folgenden 
ScblQssen: 
a)  Die  abso- 
lute  Körper- 
länge  und    das 
absolute     Ge- 
wicht der  Kna- 
ben der  Armen 
in  Warschau  ist 
geringer  als  die 
absolute  Länge 
und   das    abso- 
lute   Gewicht 
der  Knaben  der 
armen  amerika- 
nischen   Bevöl- 
kerung   in 
Boston  und  der 

schwedischen 
in     Stockholm, 
jedoch    grösser 
als  die  der  ita- 
lienischen  in 
Turin.     Erst 
zwischen  dem 
14  und  15.  Jahre 
übertreffen    die 
Knaben  der  Ar- 
men   in    War- 
schau die  schwe- 
dischen   an 
Wuchs    und 
kommen  bei  ge- 
ringerem Ge- 
wichte den  ame- 
rikanischen 
gleich.    Mit  den 
Mädchen  ist  es 
anders.      Diese 
stehen  in  War- 
schau  bis   zum 
15.  Lebensjahre 


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CX) 


3 


7G      W.  Kosmowski:  Ueber  Gewicht  und  Wachs  der  Kinder  etc. 

Ohne  weitgreifende  Schlösse  zu  ziehen^  können  wir*  auf 
Grundlage  oben  angeführter  Daten  behaupten:  dass  die 
Kinder  der  Armen  in  Warschau  im  Allgemeinen  hin- 
sichtlich der  Körperentwickelung  den  Kindern  der 
Proletarier  in  Stockholm  nachstehen,  besser  als  die 
italienischen  in  Turin  entwickelt  sind,  aber  bedeu- 
tend in  dieser  Hinsicht  niedriger  als  die  ameri- 
kanischen und  englischen  stehen.  Mit  wenigen  Aus- 
nahmen betrifft  dies  sowohl  Knaben  wie  auch  Mädchen. 

Endlich  habe  ich  auch  eine  Zahlentabelle  aufgestellt,  welche 
den  Unterschied  an  Gewicht  und  Körperlange  der  Kinder  der 
Armen  der  jüdischen  und  der  christlichen  Bevölkerungsclasse 
in  Warschau  illustrirt: 


Knaben                             '1                         Mädchen 

Alter 

der  Unter-  Lftnge  in  cm       ,t  v«  * 
suchten                                   ^  ^« 

Alter 

Anaabi 
d.  Unter- 
suchten 

Lftng«  in  cm 

Gewicht 
in  kg 

Alten- 
Jahr 

Lebens- 

jahr- 

1 
Jaden 

Christen 

Jaden 
Christen 

0 

Juden 

Alten- 
Jahr 

o 

o 

i 

p 

g. 

• 

p 

Christen 

Juden 

1        ' 

7—8 

8 

39 

36 

116,6     — 

22,721,6 

7-8 

8 

40 

67 

110,7  110,9 

___ 

18,8 

8-9 

9 

160 

68 

117,6  116,6 

22,821,9 

8—9 

9 

160  102 

116,8117,7 

20,8.21,4 

9—10  10 

180 

76 

121,2  121,1 

23,8  28,6 

9—10 

10 

208120 

120,7,119,1 

22,6.21,4 

10-11  11 

201 

102 

127,0;  126,9 

26,0  26,6 

10—11  11 

268!  119 

126,2  126,0 

24,7,24,6 

11—12  12 

164 

112 

131,8130,6 

28,4  28,2 

11—1212 

1 

239    89 

130,2,130,4 

27,2  27.9 

12-13  13 

161 

110 

136,2  136,7 

80,6  81,6    12— 13il8 

233!  87 

136,6  134,8 

30.6  30,4 

13-14  14 

62 

40 

139,6 

— 

32,7   —      13-14  14 

77    47 

138,6!  137,8 

32,431,9 

14—16  16 

36 

34 

— 

— 

—     — 

14—16  1^ 

40    32 

144.0i    - 

38.1,  - 

Gesammt- 

Gesammt- 

zahl  der 

.'   sahl  der 

• 

Unter- 

1 

ünter- 

BUCht 

en: 

973 

667  . 

«  15- 

10. 

snchtei 

i:  ] 

1246 

653 

«-  1898. 

Beim  Betrachten  dieser  Tabelle  sehen  wir,  dass  die 
Durchschnittszahlen  beinahe  in  allen  Lebensjahren  der  von 
uns  untersuchten  Altersstufen  sehr  einander  genähert  sind, 
Die  Unterschiede  treten  kaum  in  Brüchen  auf  und  bilden 
nirgends  ein  Ganzes  der  Maasseinheit.  Das  allgemeine  Ueber- 
gewicht  sowohl  an  Wuchs  als  auch  an  absolutem  Gewicht  ist 
mit  überaus  kleinen  Ausnahmen  auf  Seiten  der  christlichen 
Kinder. 


VI. 

üeber  die  Verhältnisse  der  Nengeborenen  in  Entbindungs- 
anstalten und  in  der  Privatpraxis. 

Von 

Docent  Dr.  Julius  Eb5ss. 

Vorliegende  Abhandlung  dient  nicht  dem  Zwecke,  über 
Ertrebnisse  wissenschaftlicher  Forschungen  zu  berichten,  ich 
habe  mir  vielmehr  die  Aufgabe  gesteUt,  in  Verfolg  jener 
klinischen  und  statistischen  Studien ,  die  ich  theils  in  dieser 
Zeitschrift,  theils  in  anderen  Fachorganen  publicirt  habe, 
einige  die  neugeborenen  Kinder  betreffende  Fragen  ins  ge- 
hörige Licht  zu  stellen,  die  mir  viel  zu  wichtig  erscheinen, 
als  dass  sie  nicht  wiederholt  aufgeworfen  und  ins  praktische 
Leben  verpflanzt  werden  sollten. 

Die  Morbiditäts-  und  Mortalitatsverhältnisse  der  neu- 
geborenen Kinder,  die  Pflege,  Beaufsichtigung  des  Neugebo- 
renen, die  Behütung  vor  Krankheiten,  die  Erkenntniss  und 
Heilung  seiner  Krankheiten  in  Entbindungsanstalten,  sowie 
in  der  Privatpraxis,  der  Wirkungskreis  des  Arztes  und  der 
Hebamme  dem  Neugeborenen  gegenüber,  das  Einfügen  der 
Kenntnisse  über  Neugeborene  in  den  Rahmen  des  üniversitäts- 
Unterrichtes:  sind  sämmtlich  Fragen,  auf  denen  eine  gewisse 
Gleichgiltigkeit  selbst  bis  zum  heutigen  Tage  noch  lastet,  die 
aber  einer  Besprechung  dringend  bedürfen;  denn  nur  durch 
Reformen  in  dieser  Richtung  wird  die  Besserung  jener  über- 
aus grossen  Erkrankungs-  und  Sterblichkeitsverhältnisse  er- 
reicht werden  können,  welche  uns  die  Statistik  überall  mit 
unerbittlicher  Einmüthigkeit  darbietet. 

Laut  der  Sterbestatistik  der  grossen  europäischen  Städte 
erreichen  —  wie  ich  in  einer  Abhandlung  mit  bis  in  die 
Millionen  reichenden  Ziffern  nachgewiesen^)  —  von  den  lebend 

1)  Die  Verhältnisae  der  MortÄÜtÄt  in  den  ersten  vier  Lebenswocben. 
Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    ^d.  XXXV. 


80  J-  Eröss:  lieber  die  Verhältnisse  der  Neugeborenen 

Es  könnte  überflQssig  erscheinen,  heute ,  wo  die  Lehre 
der  sog.  Wundinfectionskrankheiten  der  jüngeren  Generation 
ins  Blut  übergangen,  diese  Lehre  in  Bezug  auf  die  Neugebo- 
borenen  noch  besonders  zu  betonen.  In  der  Wirklichkeit 
sollte  es  so  sein,  aber  bleiben  wir  nur  der  Wahrheit  treu 
und  sprechen  wir  es  offen  aus,  dass  das  neugeborene  Kind 
in  unserer  ärztlichen  Praxis  eine  Sonderstellung  einnimmt,  es 
ist  uns  fremd;  als  ob  der  Mensch  nicht  hier  begänne.  Wahr- 
lich, es  fällt  uns  der  Spruch  der  Romer  ein:  „infans  autem 
homo  nondum  est'^ 

Wenn  ich  behaupte ,  dass  das  neugeborene  Kind  in  un- 
serer ärztlichen  Praxis  eine  Sonderstellung  einnehme,  so  will 
ich  dieses  Exceptionelle  nicht  blos  auf  die  sogen,  ärztliche 
Privatpraxis  bezogen  wissen,  sondern  in  ebensolchem  Maasse 
auch  auf  die  Gebärhäuser.  Denn  in  diesen  herrscht  traditio- 
nell das  Princip  —  ich  werde  wohl  hier  und  dort  auf  Wider- 
spruch stossen,  die  factischen  Verhältnisse  geben  aber  mir 
Recht  — ,  dass  die  Gebärhäaser  sich  um  die  Gebärenden  und 
Wöchnerinnen  zu  kümmern  haben,  die  neugeborenen  Kinder 
aber  kommen  weniger  in  Betracht,  höchstens  werden  sie  der 
Obhut  des  untergeordneten  Personals  überantwortet,  wobei 
aber  von  einer  ärztlichen  Gontrole  entweder  gar  nicht  die 
Rede  ist,  oder  wenn  ja,  diese  nur  ungern  und  lax  geübt  wird. 

Betrachten  wir  nun  näher  die  Position  der  Neugeborenen 
in  den  Entbindungsanstalten  und  jene  Anforderungen,  die  wir 
an  diese  Aiistalten  stellen  dürfen. 

Ich  berühre  zuvörderst  die  Frage  der  Competenz.  Seit- 
dem die  Theilung  der  medicinischen  Wissenschaften  in  Special- 
facher  auch  in  der  Praxis  Eingang  gefunden,  hörten  wir  wieder- 
holt die  Behauptung,  dass  die  Neugeborenen  nicht  in  den 
Rahmen  der  Geburtshilfe  gehören  und  dass  sich  mithin  die 
Geburtshelfer  mit  ihnen  nicht  befassen  können;  sie  können 
aber  auch  in  den  Rahmen  der  Pädiatrie  nicht  eingereiht  werden, 
denn  die  zur  Heilung  oder  Pflege  der  Kinder  dienenden  An- 
stalten können  schon  zufolge  ihres  Zweckes  und  ihrer 
Einrichtung  dem  an  die  Mutter  gebundenen  Neugeborenen 
keine  Aufnahme  gewähren. 

Dieser  Streit  geht  von  keiner  richtigen  Grundlage  aus. 
Die  wahre  Quelle  liegt  vielleicht  darin,  dass  die  eine  Partei 
die  Last  loswerden  will,  die  andere  aber  keine  Gelegenheit 
hat,  die  Last  auf  sich  zu  nehmen.  Nun  ist  aber  das  neu- 
geborene Kind  mit  der  Mutter  eng  verbunden,  und  dieses 
natürliche,  unlösliche  Band  ist  stärker  als  das  Separations- 
bestreben der  medicinischen  Wissenschaften.  Diese  Zusammen- 
gehörigkeit, Untrennbarkeit  allein  ist  die  richtige  Basis,  auf 
der  diese  Frage  beurtheilt  werden  kann,  und  dieser  Ausgangs- 


in  EntbindoDgaaiiBtalten  und  in  der  Priratpraxis.  81 

punkt  präcisirt  von  selbst  die  Aufgabe  der  Entbindungs- 
anstalten auch  dem  neugeborenen  Kinde  gegenüber.  Und  wo 
bleibt  denn  das  höchste  Princip  der  moralischen  Verantwort- 
lichkeit?! Jene  Anstalt;  die  zufolge  ihres  Berufes  und  ihrer 
Einrichtung  Gebärende,  Wöchnerinnen  und  Neugeborene  pflegt, 
kann  eben  unter  dem  Drucke  dieser  moralischen  Verantwort- 
lichkeit nicht  einseitig  vorgehen  in  der  Erfüllung  ihrer  Auf- 
gaben. Und  mag  man  nyt  moralischen  oder  juridischen  Ent- 
schuldigungen kommen,  keine  einzige  vermag  jene  Auffassung 
zu  unterstützen,  dass,  während  die  Anstalt  der  Gebären- 
den und  Wöchnerin  die  weitestgehende  Aufmerksamkeit  an- 
gedeihen  lässt,  alle  Hebel  der  Wissenschaft  in  Bewegung  setzt, 
um  sie  vor  Erkrankungen  zu  schützen ,  in  ihrer  Krankheit 
aber  ihr  treu  zur  Seite  steht,  sie  das  neugeborene  Kind  sich 
selbst  überlässt  und  von  seinen  Krankheiten  sich  vielleicht 
nicht  einmal  Kenntniss  verschafft 

Ich  klage  nicht  an,  indem  ich  dies  ausspreche;  ich  be- 
handle nur  aufrichtig  die  Frage,  so  wie  sie  von  Altersher 
steht.  Allgemein  herrscht  die  Auffassung,  und  diese  Auffas- 
sung theilen  die  meisten  Aerzte,  dass  die  Sanitätsverhältnisse 
des  neugeborenen  Kindes  ausgezeichnete  seien  und  das  Recht 
der  Erkrankung  erst  dem  späteren  Alter  vorbehalten  bleibe. 
Dieser  allgemeinen  Ansicht  widerspricht  wohl  am  schreiend- 
sten jene  grosse  Mortalität  der  Neugeborenen,  die  ich  Ein- 
gangs mit  einigen  Daten  beleuchtet;  da  aber  auch  hiervon 
nur  Wenige  Kenntniss  haben,  finden  sie  es  schier  unglaub- 
lich, dass  diese  grosse  Sterblichkeit  der  Ausfluss  der  grossen 
Morbidität  sei.  Diese  Auffassung,  richtiger  gesagt,  Beruhigung 
über  die  bestehenden  Verhältnisse  erklärt  es  auch,  dass  be- 
züglich der  Gesundheits-  bezw.  Kr ankheits Verhältnisse  der  Neu- 
geborenen selbst  von  jenen  Instituten  nicht  alle  richtige  Be- 
griffe hatten  —  und  vielleicht  auch  noch  haben  — ,  in  denen 
sich  Neugeborene  aufhalten  und  die  für  den  Neugeborenen 
moralisch  ebenso  verantwortlich  sind  wie  für  seine  Mutter. 

Sobald  wir  nun  erfahren,  dass  der  Neugeborene  während 
der  kurzen  Zeit,  die  er  in  den  Entbindungsanstalten  verbringt, 
leicht  und  häufig  erlnranken  kann,  und  dass  ein  an  Zahl  wie 
auch  an  Bedeutunji^  sehr  beträchtlicher  Theil  dieser  Krank- 
heiten auf  Infection  zurückgeführt  werden  kann:  entsteht  auch 
allsogleich  die  Anforderung,  dass  der  Neugeborene  unter 
ebenso  ständige  Aufsicht  und  Controle  gestellt  werde,  wie 
die  Mutter.  Nachdem  die  Beobachtung  und  Controle  sich 
hauptsächlich  auf  Erkrankungen  identischen  Ursprunges  (In- 
fectionen)  bezieht,  für  die  der  Säugling  zweifellos  viel  mehr 
empfänglich  ist  als  die  Mutter,  erscheint  hinsichtlich  der 
Beobachtung  jenes  Hilfsmittel  in  erster  Reihe   unentbehrlich, 

Jahrbach  f.  Kinderheilkuudo.   K.  F.  XXXIX.  6 


82  J.  Eröss:  üeber  die  YerhältniBse  der  Neugeborenen 

vermittelst  dessen  wir  uns  über  das  ständige,  wenn  ancli  nicht 
obligate  Symptom  dieser  Infectionen,  über  das  Fieber  Kennt- 
niss  verschaffen  können.  Die  Nothwendigkeit  der  systema- 
tischen Therraometrie  der  Neugeborenen  kann  nicht  oft  ge- 
nug wiederholt  werden.  Ein  nützlicheres  Mittel  zur  Feststellung 
des  krankhaften  Zustandes  des  Neugeborenen  besitzen  wir 
kaum,  es  durfte  das  Jedermann  einsehen,  der  es  in  Gebär- 
anstalten einführt.  Aber  auch  Beobachtungen  in  anderer  Rich- 
tung, insbesondere  mit  Rücksichtnahme  auf  die  physiologischen 
und  pathologischen  Verhältnisse  des  Neugeborenen  sind  un- 
erlässlich. 

Und  diese  Beobachtungen  müssen  mit  dem  Moment  der 
Geburt  des  Kindes  beginnen  uud  sind  anhaltend  fortzusetzen, 
bis  es  die  Anstalt  verlässt.  Zahlreiche  Anstalten  haben  ihr 
eigenes  Verfahren,  welches  sie  in  der  Pflege  der  Neugeborenen 
anwenden,  richtiger,  durch  die  Hebammen  anwenden  lassen: 
und  bezüglich  der  Richtigkeit  dieses  Verfahrens  bekommen 
wir  in  den  Fachpublicationen  nicht  selten  den  durch  nichts 
erwiesenen  Satz  zu  lesen,  dass  dieses  oder  jenes  Verfahren 
ein  vollkommen  zufriedenstellendes  sei.  Nun,  daran  konneu 
wir  schon  theoretisch  nicht  zweifeln,  dass  es  Verfahren  geben 
mag,  ja  sogar  auch  giebt,  deren  Anwendung  in  dieser  oder 
jener  Richtung  befriedigende  oder  zumindest  relativ  bessere 
Resultate  erzielt  als  audere;  doch  müssen  wir  dem  gegenüber 
hervorheben,  dass  gerade  in  Bezug  auf  die  Infectionen  der 
Neugeborenen  keinerlei  Verfahren  die  Entbindungsanstalten 
der  Verpflichtung  entheben  kann,  die  Neugeborenen  unter 
continuirliche  Beobachtung  zu  stellen.  Zur  Verhütung  der 
Infection  von  Gebärenden  und  Wöchnerinnen  sind  ja  bereits 
Verfahren  festgestellt,  mittelst  deren  die  Anstalten  glänzende 
Erfolge  aufzuweisen  haben:  und  doch  ist  keine  Anstalt  ganz 
sicher  darin,  dass  das  von  ihr  eingeschlagene  Verfahren  sich 
auch  in  jedem  Falle  bewähre,  und  überlässt  sich  nicht  jenem 
Nichtsthun,  das  die  Beruhigung  gewährt,  sondern  nimmt  — 
trotzdem  sie  von  der  Vortrefflichkeit  ihres  Verfahrens  über- 
zeugt ist  —  bei  jeder  Gebärenden  und  Wöchnerin  doch  zwei-, 
dreimal  täglich  das  Thermometer  zur  Hand.  Diese  Thatsache 
bedeutet  so  viel,  dass  es  kein  Verfahren  gebe,  welches  uns 
gänzliche  Beruhigung  bietet,  und  dass  jedwedem  Verfahren 
gegenüber  die  Skepsis  nicht  nur  berechtigt,  sondern  auch 
nothwendig  und  nützlich  sei.  Dieser  Wahrspruch,  abgeleitet 
aus  der  Observation  und  Prophylaxis  der  Gebärenden  und 
Wöchnerinnen,  muss  per  analogiam  und  in  seiner  ganzen  Be- 
deutung auch  auf  jene  Regeln  übertragen  werden,  die  bezüg- 
lich der  Obhut,  Pflege  und  Aufsicht  der  Neugeborenen  auf- 
gestellt uud  in  Anwendung  gebracht  werden  sollen.    Ich  sehe 


in  EntbindungBanstalten  and  in  der  FmakpnxlM,  ^^^ 

z.  B.  nicht  ein,  warum  es  gestattet  sein  solle,  zu  sagen^  d^^ 
an  irgend  einer  Anstalt  ein  bestimmtes  Verfahren  zor  Be^ 
handlung  des  Nabels  sich  als  gut  erwiesen  und  deshalb  die 
Controlbeobachtung  überflüssig  sei«  Die  Genügsamkeit  kann 
hier  ebenso  viel  Böses  und  Verhängniss volles  zeitigen,  wie 
die  ständige  Skepsis  all  dies  zu  verhüten  vermag. 

Die  Gebärhäuser  haben  daher  nach  meiner  erfahrungs- 
gemässen,  festen  Ueberzeugung  die  unerlässliche  Aufgabe,  das 
neugeborene  Kind  nach  jeder  Richtung  unter  systematischer 
Aufsicht  zu  halten  und  der  Erfüllung  dieser  Aufgabe  eine 
ebensolche  Gewissenhaftigkeit  entgegenzubringen,  wie  sie  sie 
den  Wöchnerinnen  angedeihen  lassen. 

Meiner  Meinung  nach  werden  auch  Andere  zu  derselben 
Ueberzeugung  kommen,  die  sich  zur  ständigen,  systematischen 
Beobachtung  der  Neugeborenen  entschliessen  und  sich  mit 
dieser  Arbeit  nicht  blos  aus  Amtspflicht,  sondern  auch  aus 
Neigung  für  die  darin  enthaltenen  Fragen  befassen. 

Ohne  Zweifel  bedeutet  dies  eine  Erweiterung  d«  ^TEt- 
liehen  Wirkungskreises,  aber  es  muss  auch  endlich  die  Zeit 
heranbrechen,  wo  die  Gebäranstalten  die  unter  ihrer  m***- 
lischen  Verantwortung  stehenden  Neugeborenen  nkte  nAr 
ihrem  eigenen  Schicksale  überlassen,  es  nicht  mehr  dem  Zu- 
falle  anheimstellen,  ob  der  Neugeborene  gesund  bleibe  oder 
erkranke,  und  mit  den  Krankheiten  selbst  fertig  werfe;  be- 
züglich der  Geltendmachung  der  individuellen  Blechte  nn»» 
der  Neugeborene  endlich  auf  dieselbe  Hohe  gestelh  w«rfeB 
wie  die  Mutter. 

Ob  für  diese  Ausdehnung  des  Wirkungskreiaee  &  f*f*°' 
wärtigen  Verhältnisse  auch  geeignet  sind,  ob  aci  an^lnunr^ 
esse  des  Aerztepersonals  der  Gebäranstalten  —  mit  es««'  äcbntt 
zur  Verbesserung  der  Lage  der  Neugeborenen  —  tk  wei^t^ren 
Kreisen  und  in  solchem  Maasse  ^wachrufen  l»a».  »«•  ^.V^^^^ 
Interesse,  über  den  gewiss  nirgends   fehlca»oei  rase  ^^Ul*:u 
hinaus,  das  Gebiet  der  Action  betrete:  das  zc  :::kS^  '*}  t.'-:-X 
überflüssig  in  einer  Zeit,    wo    Geburtshüie  imi  ryTÄOC'^.oz.*- 
ein  gemeinsames  Heim  gefunden   und  des.  iÖ!«iÄ2«*   '*^  <.'.n 
wirkenden  Aerzte    die    operative    Vrmxxe^aakJJEDOit  «-^   «>^*''^ir- 
derer  Vorliebe  beschäftigt.    Ich   kann  nar  wui.^  r»a  Z  *-t  ▼- r- 
stellen,  dass  dieser  neueste  Wirknngekr»  vs  irwt^^\.TTTj^    '^  ^ 
gleichzeitige  Erfüllung  jenes    älterem  Wäiihcbc*-*^'*    x«:.i^*._ 
wegs  behindert,   ich    besitze    ao^mr    ^^iiiini»  ^-'5.    zi»*-.     ^^-r^» 
stalten^),   wo   nebst    dem    mit    ciarnwiifiiig  -^w*^    ^-^^r     x^^     ^ 
erfallten    chirurgischen  Wirkon^Bkre»    ck  «mu:  r»r    i.— -        J] 
Beobachtung   der  NeugeborencÄ    «cxi  mäaaaa.  ^  t-.  r  ^--l     .  -^  -^ 

1)  Wahrscheinlich  g^ebt 


84  J-  ErÖ08:  üeber  die  Verhältnisße  der  Neugeborenen 

misirt  ist:  und  doch  befürchte  ich,  dass  die  gegenwärtigen 
Verhältnisse  für  die  Durchführung  des  eben  ausgesprochenen 
Wunsches  keinen  grösseren  Erfolg  versprechen  und  zwar  mit 
Hinblick  auf  jene  Reaction,  die  die  Entwickelung  der  Yom 
fortschreitenden  Zeitalter  aufgeworfenen  und  mit  besonderer 
Sympathie  aufgenommenen  Fragen  auf  das  Interesse  für  an- 
dere, minder  sympathische  oder  geradezu  gleichgiltig  auf- 
genommene Fragen  ausübt  Für  die  Unzufriedenheit  über 
diese  ungünstigen  Ansichten  bietet  nicht  einmal  das  Genug- 
thuung,  dass  in  diesem  Falle  eine  gute  Sache  der  anderen 
keinen  Raum  gewähren  kann.  Und  doch  wäre  es  wünschens- 
werth,  dass  jener  edle  Wettstreit,  dessen  wir  Zeugen  waren, 
als  es  sich  darum  handelte,  die  Infectionen  der  Gebärenden 
nnd  Wöchnerinnen  aus  den  Gebäranstalten  zu  verbannen,  sich 
erneuere  im  Interesse  der  Prophylaxis  der  Neugeborenen. 

Was  wir  f&r  die  Gebärhäuser  als  wüuscheuswerth  er- 
scheinen liessen,  das  wird  geradezu  zur  zweifachen  Forderung 
an  jene  Gebärhäuser,  die  zugleich  als  Lehranstalten  f&r  Aerzte 
dienen.  Denn  diese  Anstalten  sind  berufen,  Muster  zu  lie- 
fern; was  der  Schüler  hier  sieht,  das  nimmt  er  als  Arzt  mit 
hinaus  ins  Leben;  die  Eindrücke,  die  er  so  ziemlich  ohne 
Kritik  empfängt,  trägt  er  hinaus  in  die  Praxis  mit  der  Ueber- 
zeugung,  dass  er  das  in  der  Lehranstalt  Gesehene  und  Ge- 
hörte nicht  zu  überschreiten  brauche. 

Der  erste  Eindruck,  den  der  Hörer  in  einem  grossen 
Theile  dieser  Anstalten  —  denn  ohne  Zweifel  giebt  es  Aus- 
nahmen —  empfängt,  ist  derselbe,  den  ich  oben  bei  Behand- 
lung der  Competenzfrage  erwähnt  habe:  dass  nämlich  die 
Gebäranstalten  sich  nur  mit  den  Gebärenden  und  Wöchnerinnen 
befassen,  die  Neugeborenen  aber  der  Obhut  der  Hebammen 
überantwortet  sind,  diese  finden  seitens  des  Aerztepersonals 
kaum  Beachtung.  Und  aus  dieser  Thatsache,  die  sich  von 
Tag  zu  Tag  während  des  Cursus  vor  ihm  abspielt,  erhält  er 
den  Eindruck,  dass  dies  noth wendigerweise  so  sein  müsse. 

Betrachten  wir  uns  einmal  eine  Visite  an  der  Klinik,  die 
Lehrer  und  Hörer  gemeinsam  mitmachen;  in  diesem  Besuche 
wiederspiegelt  sich  all  das,  was  ich  soeben  gesagt.  Es  wird 
von  Bett  zu  Bett  gegangen,  der  Zustand  der  Wöchnerin  wird 
ausführlich  besprochen,  der  Neugeborene  aber,  um  nicht  zu 
belästigen  oder  durch  sein  Weinen  den  Unterricht  zu  stören, 
von  den  Hebammen  in  den  dritten  —  vierten  Saal  gebracht. 
Unter  diesen  Schreihälsen,  Jeder  kann  sich  davon  überzeugen, 
giebt  es  nicht  nur  einen  kranken,  und  diese  werden  bei  Seite 
geschoben,  um  die  Aufmerksamkeit  der  Hörer  nicht  abzulenken. 
Und  wenn  schon  einmal  auch  ein  neugeborenes  Kind  vorgestellt 
wird,  so  widerfuhrt  dieses  Glück  zumeist  jenen  nicht  gerade 


in  Entbindnngsanstalteii  und  in  der  Privatpraxis.  85 

Glücklichen ;  die  \vährend  des  Geburtsactes  YerletzaDgen  er- 
littcD;  aber  selbst  diese  werden  nicht  so  sehr  zu  dem  Zwecke 
demonstrirt,  das  an  ihnen  sichtbare  Erankheitsbild  zu  ent- 
roUen,  als  viel  eher^  um  den  Mechanismus  der  Geburt  oder 
des  künstlichen  Eingriffes  zu  beleuchten. 

Mit  einem  Worte,  allem  Anderen  begegnet  der  Hörer  an 
der  Klinik  eher  als  dem  Neugeborenen.  Ja  es  geht  ihm  so- 
gar auch  das  subjective  Motiv  ab,  sich  mit  demselben  zu  be- 
fassen, denn  das  neugeborene  Kind  übt  auf  uns  nicht  jenen 
gewinnenden  Eindruck,  mit  dem  uns  grossere  Kinder  unwill- 
kürlich fesseln,  sondern  macht  auf  die  meisten  Menschen  viel- 
mehr einen  fremdartigen  Eindruck,  der  eher  abstösst,  als  an- 
zieht. Und  die  Bedeutung  dieses  Umstandes  subjectiver  Natur 
ist  durchaus  nicht  zu  unterschätzen,  denn  er  unterstützt^  stei- 
gert instinctiv  jenen  Indifferentismus,  den  der  Hörer  sowohl 
von  Seite  des  Lehrers,  als  auch  allgemein  vom  klinischen 
Aerztepersonal  dem  Neugeborenen  gegenüber  nach  jeder  Rich- 
tung hin  an  den  Tag  legen  sieht. 

Die  Hörer  schaffen  sich  also  nicht  nur  davon  keine  Ueber- 
zeugung,  dass  der  Neugeborene  ebenso  wie  die  Mutter  dem 
Arzte  überwiesen  ist,  sondern  verlassen  im  Gegentheil  die  An- 
stalt mit  der  Auffassung,  dass  das  neugeborene  Kind  den 
Arzt  je  weniger  angehe,  und  im  praktischen  Leben  betrachten 
die  meisten  Aerzte  mit  ebensolcher  Gleichgiltigkeit,  wie  sie 
es  an  der  Klinik  gethan,  dass  der  eigentliche  Arzt  des  Kindes 
die  Hebamme  sei.  Hier  wurde  nicht  gelehrt,  dass  der  Wirkungs^ 
kreis  des  Arztes  sich  auch  auf  den  Neugeborenen  erstrecke, 
weshalb  ihm  dieses  Gebiet  auch  in  der  Praxis  vollkommen 
fremd  bleibt,  auf  dem  er  nur  ungern  arbeitet,  ja  vielleicht 
in  Folge  seiner  diesbezüglichen  mangelhaften  Kenntnisse  nicht 
einmal  zu  wirken  vermag.  Hierin  liegt  der  Grund,  warum 
in  der  allgemeinen  Praxis  der  Arzt  der  Hebamme  gegenüber 
eine  nahezu  inferiore  Stellung  einnehme. 

Und  hierfür  sind  nicht  die  Aerzte  verantwortlich,  son- 
dern das  System,  wonach  Behütung,  Pflege,  Krankheiten  der 
Neugeborenen  u.  s.  w.  in  den  Rahmen  des  üniversitÄtsunter- 
richtes  nirgends  eingefügt  sind,  mit  Ausnahme  jener  wenigen 
grossen  Städte,  die  zugleich  auch  Findelhäuser  besitzen,  in 
denen  für  den  klinischen  Unterricht  und  wissenschaftliche 
Cultivirung  dieses  Specialfaches  besondere  Lehrkanzeln  er- 
richtet sind,  und  hie  und  da  eine  Universität,  an  deren  Gebär- 
klinik aus  besonderem  Eifer  auch  praktische  Vorträge  über 
Neugeborene  gehalten  werden.  a  u  i 

Auf  was  die  Aufmerksamkeit  der  Aerzte    in  der  Schule 
nicht  wachgerufen  wurde,   wessen  Bedeutung    sie   dort    nicht 
erlernt  haben:   für  das  bleibt  ihr  Sinn  stumpf.      Die  Kampfe 


86  J*  Erosa:  Ueber  die  VerhUtniBBe  der  Neugeborenen 

des  praktischen  Lebens  eignen  sich  nicht  —  oder  wenigstens 
nur  für  sehr  wenige  Menschen  —  dazu,  dass  der  Arzt  aus 
eigener  Erfahrung  sich  von  der  Wichtigkeit  eines  wissen- 
schaftlichen  Faches  üeberzeugung  schaffe^  sich  dieses  anzu- 
eignen und  anzuwenden  bestrebe. 

Ja^  die  continuirliche,  wissenschaftliche  Selbstbildung  des 
praktischen  Arztes  [und  diese  bilden  ja  das  Hauptcontingent 
der  Aerzte],  die  Beachtung  der  Fachliteratur  bewegen  sich  im 
praktischen  Leben  zumeist  auf  solchen  Gebieten,  auf  denen 
er  sich  während  seiner  Universitatsstudien  gewisse  Grund- 
kenntnisse angeeignet;  er  verbringt  seine  Zeit  aber  nur  un- 
gern mit  dem  Studium  solcher  Werke,  die  ein  ihm  fremdes, 
selbst  von  der  Universität  unbeachtet  gelassenes  Gebiet  betreten. 

In  der  That,  wenn  wir  zwischen  Ursache  und  Wirkung 
eine  Harmonie  suchen,  finden  wir  sie  kaum  vollkommener  aus- 
gesprochen als  zwischen  dem  Unterricht  der  Kenntnisse  Qber 
Neugeborene  und  dem  diesbezüglichen  Wissen  der  Aerzte. 

Und  diesem  bedauerlichen  Umstände  kommt  eine  hohe 
Bedeutung  zu;  denn  in  der  allgemeinen  Praxis  sind  die  Neu- 
geborenen dem  Wirkungskreise  des  Arztes  sozusagen  entrückt, 
und  dieser  Wirkungskreis  besteht  doch  nicht  nur  in  der  Er- 
kenntniss  und  Heilung  der  Krankheiten,  sondern  —  und  viel- 
leicht hauptsächlich —  in  der  Geltendmachung  der  zur  Verhütung 
von  Krankheiten  nothwendigen  und  erfolgreichen  Maassregeln. 

Niemand  wird  es  in  Abrede  stellen,  dass,  wenn  die  Mor- 
talität der  Neugeborenen  eine  so  grosse,  wie  sie  die  Statistik 
überall  aufweist ,  wenn  die  Zahl  der  unter  vier  Wochen  gestor- 
benen Kinder  nicht  weniger  als  10  Procent  der  gesammten  Sterb- 
lichkeit und  nahezu  den  vierten  Theil  der  Kindermortalitat 
(bis  zum  5.  Lebensjahre)  beträgt:  die  Krankheiten  der  Neugebo- 
renen einen  genug  bedeutenden  Theil  der  ärztlichen  Praxis 
bilden  sollten,  denn  bevor  so  massenhaft  Neugeborene  sterben, 
müssen  sie  doch  vorher  auch  krank  gewesen  sein.  Nun,  sie 
waren  auch  wirklich  krank,  aber  von  ihrer  Krankheit  wurde 
nur  ausnahmsweise  Kenutniss  genommen;  und  ist  so  ein  Neu- 
geborener gestorben,  so  erklärt  die  Todesursache  der  stets 
zur  Hand  bereite  deus  ex  machina:  die  angeborene  Schwäche. 
Ich  glaube  nicht,  dass  es  eine  CoUectivdiagnose  gebe,  die 
mehr  umfassen  konnte  als  die  Debilitas  congenita! 

Den  Beweisen,  dass  der  Neugeborene  so  ziemlich  ausser- 
halb des  Wirkungskreises  des  Arztes  liegt,  begegnen  wir  in 
der  Praxis  auf  Schritt  und  Tritt,  und  gar  oft  würde  es  uns 
viel  Ueberwindung  kosten,  unserer  Indignation  hierüber  keine 
Luft  zu  machen,  wenn  wir  nicht  wüssteu,  dass  für  all'  dies 
die  Schule  verantwortlich  ist.  Ein  Beispiel,  das  mir  schon 
wiederholt  begegnet  und  ohne  Zweifel  auch  Anderen,  die  sich 


in  Entbindangsanstalten  and  in  der  Privatpraxis.  87 

mit  diesem  Fache  beschäftigen.  Gelegentlich  einer  Consul- 
tation  stellen  wir  eine  schwere  septische  Infection  mit  mehr- 
fachen Localisationen  fest;  und  der  Nabel  zeigt  auf  den  ersten 
Blick  Erscheinungen ,  die  darauf  schliessen  lassen,  dass  hier 
die  Eingangspforte  der  Infection  sei.  Der  behandelnde  Arzt, 
hierauf  über  die  Verhältnisse  der  Eintrocknung ,  Abfall  der 
Nabelschnur  u.s.w.  befragt,  ruft  aus  dem  Nachbarzimmer  die  Heb- 
amme herbei,  damit  sie  die  gewünschten  Aufschlüsse  ertheile. 

Dieses  Beispiel  zeigt  treffend,  dass  der  Arzt  im  prak- 
tischen Leben  genau  denselben  Standpunkt  einnimmt,  den  er 
sich  an  der  Klinik,  wo  er  gelernt,  angeeignet  hat:  nament- 
lich, dass,  wenn  er  seinen  täglichen  Besuch  bei  der  Wöchnerin 
macht,  er  es  auch  nur  mit  der  Wöchnerin  zu  thun  habe. 
Daran  hat  man  ihn  gewöhnt,  den  Zustand  der  Wöchnerin  zu 
controliren,  prophylaktische  Maassregeln  zu  dictiren  und  die- 
selben durchfahren  zu  lassen,  aber  dass  er  sich  auch  mit 
dem  Neugeborenen  und  mit  auf  denselben  bezüglichen,  wesent- 
lich identischen  Fragen  zu  befassen  habe,  das  hat  man  ihm 
nicht  gelehrt. 

Wahrlich,   uuermesslich    weit    liegen    von    einander    die 
Kenntnisse   der   Lehren  *  von    den   Infectionskrankheiten    und 
deren  Verhütung   bei   den  Wöchnerinnen   und    den  Neugebo- 
renen.    Die  Lehre  von  der  Puerperalinfection   ist  bereits  eine 
derart   gefertigte,    ruht    sogar   praktisch    auf    solch    sicherer 
Basis,  dass  die  vorkommenden  Fälle  nicht  nur  unter  behörd- 
licher Evidenz  gehalten  werden,  sondern  auch  schon  die  Straf- 
codexe  für  die  Bestrafung  derjenigen  vorgesorgt  haben,  durch 
deren    Pflichtversäumniss    die    Wöchnerin    in    Gefahr    geräth. 
Ich  will  hieraus  nicht  die  Consequenz   ziehen,   dass  ähnliche 
behördliche   bezw.  legislative  Verfügungen   betreffs   der  Infec- 
tionen  von  Neugeboreqen  getroffen  werden    sollen,   das   wäre 
heute  noch  zu  verfrüht,  doch  will  ich  die  Parallele  oder  rich- 
tiger den  Gegensatz  aufstellen,   der  zwischen  zwei,  wesentlich 
identischen  und  gleich  bedeutsamen  Dingen  besteht,  von  denen 
das  eine  einen  hohen  Cultus  erreicht    und   in   seinen  Erfolgen 
das    Schönste   ist,    was    Menschengeiat    nur    schaffen   konx£U;^ 
während  das  andere  zwerghaft  bliela ,   weil  man  sich  dafür  ni:^ 
wenig   interessirt    und    es    nur    von    Wenigen   cultivirt    ^^--^J 
Und    doch   besteht  kein  Zweifel    darüber,   und  ich  ^ 
aus    vieltausendfacher  Erfahrung    sagen,    und  es 
Andere,  die  ihre  Thätigkeit  dieser  Frage  widmen, 
rend  eine  Frau  in  Folge  Infection   erkrankt, 
fach  mehr  Neugeborene  in  Gefahr    gerathen, 
Infection  zufolge.  

Die  grosse  Zahl  der  Kranklieiten  to«  Sencv%0v        

wie   ihre   grosse   Sterblichkeit    fordern,  i»»  ^n.  i^  .^^  ^- .   v 


90        J*  £rÖ86:  üeber  die  Verhältnisse  der  Neugeborenen  etc. 

geborenen  Kinde  gegenüber  sieht.  Hat  die  Hebamme  ans  der 
Schule  die  Lehre  mitgenommen^  dass  die  Pflege  und  Behand- 
lung der  neugeborenen  Kinder  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
ihr  übertragen  sei,  so  macht  sie  im  praktischen  Leben  die 
Erfahrung y  dass  der  Neugeborene  ganz  ihr  angehöre.  Wie 
oft  sah  ich  nicht  in  der  Praxis,  dass  über  einzelne,  wichtige 
Fragen  der  Pflege,  z.  B.  über  die  Frage  der  Nabelbehandlung, 
der  Arzt  weniger  orientirt  ist  als  die  Hebamme;  das  aber  ist 
etwas  ganz  Alltägliches,  dass  der  die  Wöchnerin  besuchende 
Arzt  sich  nach  dem  Kinde  gar  nicht  erkundigt  Einen  un- 
serer meist  beschäftigten  Geburtshelfer  fragte  ich,  und  dieses 
Beispiel  ist  doppelt  charakteristisch,  wie  oft  er  in  seiner 
Privatpraxis  den  Nabel  des  Neugeborenen  angeschaut,  und  er 
gestand  ganz  offen:  kein  einziges  Mal. 

Ich  bin  davon  überzeugt^  dass,  wenn  wir  auch  jedem  Neu- 
geboreuen  einen  Arzt  beistellen,  wir  die  Neigung  zu  üeber- 
griffen  der  Hebammen  auch  dann  nicht  ganz  unterdrücken 
können;  aber  auch  davon  bin  ich  überzeugt,  dass,  wenn  wir 
ihnen  gänzlich  freie  Hand  lassen,  dies  das  Uebel  nur  stei- 
gern werde.  Und  dass  das  Uebel  schon  sehr  stark  eingerissen, 
fühlt  Jedermann.  Die  Hebamme  ist  dem  Neugeborenen  nicht 
nur  eine  Wärterin,  sondern  auch  Rathgeberin  und  behan- 
delnder Arzt.  Und  dies  ist  bereits  so  sehr  in  die  allgemeine 
Gewohnheit  übergangen,  dass  bezüglich  des  Neugeborenen 
sehr  oft  nicht  der  Arzt,  sondern  die  Hebamme  befragt  wird. 
Wendet  man  sich  schon  an  den  Arzt,  dann  steht  es  zumeist 
sehr  schlimm.  Diese  Uebelstände  bestehen  selbstverständlich 
in  gesteigertem  Maasse  —  und  da  ginge  es  sehr  schwer, 
Erfolg  versprechende  Gegenmaassnahmen  zu  ergreifen  —  auf 
dem  Lande,  wo  die  Hebamme  den  Verhältnissen  zufolge  die 
Situation  vollkommen  beherrscht,  sowohl  der  Wöchnerin  als 
auch  dem  Kinde  gegenüber. 

Aber  gerade  dieser  grosse  Wirkungskreis  involvirt  die 
Forderung,  dass  bei  der  Ausbildung  der  Hebammen  —  leider 
ist  das  Bildungsniveau  des  Materials  in  dieser  Richtung  nir- 
gends befriedigend  —  ihnen  nicht  nur  das  eingeprägt  werde, 
wie  sie  die  Mutter  vor  der  Infection  zu  beschützen  haben, 
sondern  auch,  dass  beim  Neugeborenen  dieselbe  Infection  noch 
leichter  und  auf  mehreren  Wegen  stattfinden  könne  als  bei 
der  Mutter,  und  dass  sie  für  das  Entstehen  solcher  Infectionen 
ebenfalls  verantwortlich  seien.  Das  ist  die  schwierigste  und 
zur  Zeit  sehr  geringe  Aussicht  zur  Besserung  bietende  Frage 
der  Infection  der  Neugeborenen. 


/ 


VIL 

Ein  Fall  von  Situs  transversos  viscernm,  beobachtet 
im  Wilbelm-Augnsta -Hospital  zu  Breslau. 

Von 

Paul  Galinsky, 

AasiBteniMTit. 

Fälle  von  Situs  viscerum  transversus,  d.  h.  Fälle  von 
Umlagerang  der  Eingeweide  der  Art,  dass  ein  Spiegelbild  der 
normalen  Lage  entsteht,  sind  seit  alten  Zeiten  beobachtet 
worden.  Schon  Aristoteles  kannte  das  Vorkommen  dieser 
eigenthümlichen  Verlagerung  der  Organe,  denn  er  sagt  in 
seiner  Schrift:  „De  generatione  animalium'^  an  einer  Stelle: 

,,Jam  locis  etiam  permutatis  jecur  latere  sinistro,  lien 
dextro  contineri  yisus  est." 

Durch  die  Fortschritte,  welche  die  Medicin  im  Laufe  der 
Zeiten  in  der  Diagnose  der  inneren  Zustände  des  mensch- 
lichen Körpers  gemacht  hat,  ist  man  allmählich  dazu  gelangt, 
diese  Bildungsvarietät  mit  grosser  Sicherheit  bereits  während 
des  Lebens  feststellen  zu  können.  In  früheren  Zeiten  stützte 
man  die  Diagnose  des  Situs  transversus  fast  nur  auf  den  Um- 
stand, dass  die  Herzbewegungen  anstatt  auf  der  linken  Thorax- 
bälfte  auf  der  entsprechenden  rechten  Seite  zu  fühlen  waren. 
Begreiflicherweise  liefen  hierbei  oft  grobe  IrrthQmer  unter, 
denn  das  Herz  konnte  durch  pathologische  Veränderungen, 
z.  B.  durch  Geschwülste,  Exsudate,  eine  rechtsseitige  Lage  er- 
halten haben;  auch  blieb  man  über  die  Lagerung  der  Bauch- 
eingeweide, insbesondere  der  Leber,  der  Milz  und  des  Magens, 
während  des  Lebens  des  betreffenden  Individuums  ganz  im 
Ungewissen,  und  nur  die  Section  allein  vermochte  ein  klares 
Bild  über  die  Lage  sämmtlicher  Organe  zu  geben.  Als  aber 
im  Anfang  unseres  Jahrhunderts  durch  die  Entdeckung  neuer, 
nur  auf  physikalischen  Gesetzen  beruhender  Untersuchungs- 
methoden die  Diagnostik  der  inneren  Beschaffenheit  des  Kör* 


160 


H.  Laabinger: 


etwa  drei  biB  Tier  Wochen  geschah,  bildeten  sich  sehr  rasch  gesunde 
Granulationen  an  den  betreifenden  Stellen,  anch  der  Epithelübersng 
wurde  sehr  bald  regenerirt.  Offenbar  waren  diese  Nekrosen  so  su  Stande 
gekommen,  dass  beim  Hineindrücken  der  Lösung  in  das  subcutane  Ge- 


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webe  sich  die  Nadel  infolge  des  Widerstrebens  des  Knaben  —  derselbe 
mneste  immer  von  zwei  Personen  gehalten  werden  —  Terschob,  und  so 
die  Losung  nicht  mehr  subcutan  genug  kam. 

Wollen  wir  das  Ergebniss  der  im  Vorstehenden  mitge- 
theilten  Beobachtungen  zusammenfassen;  so  ergiebt  sich  zu- 
nächst,  dass  in  allen  Fällen  mit  Ausnahme  des  Falles  V  mit 
Beginn  der  Chinininjectionen  eine  sofortige  Abnahme  der  An- 
zahl der  Anfalle  zu  verzeichnen  ist.  In  Fall  V  tritt  zunächst 
eine  Steigerung  in  der  Zahl  der  Anfalle  ein;  erst  am  siebenten 
Tage  erfolgt  eine  rasch  zunehmende  Verminderung  derselben. 
In  sämmtlichen  übrigen  Fällen  zeigt  sich  schon  in  den  ersten 
Tagen,  ja  schon  einen  Tag  nach  Beginn  der  Injectionen  eine 
erhebliche  Abnahme  in  der  Zahl  der  Anfälle.  In  Fall  I,  II, 
III,  IV,  VI,  VII  und  VIII  hält  die  günstige  Beeinflussung  der 
Zahl  der  Anfälle  an,  in  keinem  dieser  Fälle  ward  wieder  die 
Höhe  der  Zahl  der  Anfälle  erreicht,  die  das  Kind  bei  Beginn 
der  Behandlung  hatte.  Besonders  eclatant  ist  die  Abnahme 
der  Zahl  der  Anfälle  in  Fall  I,  II,  III  und  IV.    Freilich  ist 


Subcutane  Iigectionen  y.  Cbininam  bimuriaticum  b.  Eeuchhasten.     161 

in  allen  diesen  Fällen  nicht  die  Verminderung  der  Zahl  der 
Anfalle  im  weiteren  Verlauf  der  Behandlung  eine  gleich- 
massige,  wohl  tritt  in  einzelnen  Fallen,  so  in  Fall  I  am  vierten 
Tage,  in  Fall  III  am  fünften  Tage,  in  Fall  VII  am  fünften 
Tage  eine  kleine  Steigerung  in  der  Zahl  der  Anfalle  ein,  um 
dann  rasch  wieder  einer  weiteren  Abnahme  Platz  zu  machen. 
In  Fall  I  und  Fall  III  fällt  diese  Zunahme  der  Anfalle  damit 
zusammen,  dass  am  Tage  vorher  anstatt  zwei  nur  eine  In- 
jection  gemacht  worden  war;  in  den  anderen  Fällen  tritt  die 
Steigerung  allerdings  ein,  ohne  dass  die  Zahl  der  Injectionen 
vermindert  worden  war. 

Während   so  die  Zahl  der  Anfälle  in  den  Fällen  I  bis 

VIII  erheblich  herabgemindert  wurde,  ist  dies  in  den  Fällen 

IX  bis  XII  nicht  der  Fall,  wohl  tritt  in  all  diesen  Fällen 
auch  auf  die  ersten  Injectionen  ein  Abfall  ein,  aber  in  den 
nächsten  Tagen  steigert  sich  die  Zahl  der  Anfälle  wieder  und 
erreicht  sogar  eine  Höhe,  die  sie  vor  Beginn  der  Injectionen 
nicht  gehabt  hat.  Auf  diesen  Hohen  verharrt  die  Zahl  der 
Anfälle  freilich  auch  in  diesen  Fällen  nicht  lange-,  nachdem 
die  Steigerung  erreicht  ist,  tritt  ziemlich  rasch  eine  Abnahme 
in  der  Zahl  der  Anfälle  ein. 

Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  in  Fall  I,  II,  III,  IV  und 
VII  namentlich  eine  Abnahme  in  der  Zahl  der  zu  Nacht  auf- 
tretenden Anfalle  zu  beobachten  war. 

Nicht  aber  nur  die  Zahl  der  Anfälle  wurde  in  den  Fällen 
I  bis  VIII  günstig  beeinflusst,  auch  in  der  Heftigkeit  der  ein- 
zelnen Anfälle  trat  nach  Application  der  Chinininjectionen 
ofifenbar  eine  Milderung  ein.  In  Fall  I,  II,  III,  IV,  VI,  VH 
und  VIII  erfolgte  dieselbe  zu  gleicher  Zeit  mit  der  Abnahme 
der  Zahl  der  Anfälle.  Die  Milderung  war  in  diesen  sieben 
Fällen  schon  nach  den  ersten  Injectionen  am  zweiten  Tage  zu 
beobachten;  in  Fall  V  war  auch  schon  in  den  ersten  Tagen 
die  Abnahme  der  Heftigkeit  der  Hustenanfälle  deutlich  zu  be- 
merken, wenn  auch  die  Zahl  derselben  sich  noch  nicht  min- 
derte, vielmehr  noch  während  fünf  Tagen  in  der  Zunahme  be- 
griffen  war. 

Selbst  in  den  Fällen  VIII  bis  XII,  in  welchen  eine  gün- 
stige Einwirkung  auf  die  Anzahl  der  AnßLlle  zunächst  we- 
nigstens nicht  zu  constatiren  war,  war  eine  Abnahme  der 
Heftigkeit  der  Anfälle  jedoch  nicht  zu  verkennen. 

Besonders  bemerkenswerth  ist,  dass  in  allen  Fällen  die 
Besserung  sich  auch  darin  aussprach,  dass  das  Erbrechen  bald 
viel  seltener  wurde  oder  ganz  verschwand,  dass  sich  der  Appetit 
der  Kinder  hob  und  das  Allgemeinbefinden  derselben  eine  deut- 
liche Besserung   aufwies,   kurz,   dass   in   allen  Fällen   schon 


162  H.  Laabioger: 

kurze  Zeit  nach  Beginn  der  Injeetionen  das  ganze  Bild  nicht 
mehr  das  einer  schweren  Erkrankung  war. 

Was  nun  die  Zeitdauer,  welche  zwischen  Beginn  der  Be- 
handlung der  Fälle  mit  subcutanen  Chinininjectionen  und  der 
Heilung  derselben  liegen,  anbelangt,  so  ist  dieselbe  freilich 
nur  in  Fall  I  eine  bemerken swerth  kurze.  In  diesem  Fall  war 
bereits  10  Tage  nach  Beginn  der  Chinininjectionen,  und  wenn 
man  den  Anfang  des  Stadium  spasmodicum  gemäss  der  Aus- 
sage 5  Tage  früher  annimmt,  also  15  Tage  nach  Beginn  dieses 
Stadiums  Heilung  erzielt  worden.  Weniger  rasch  erfolgte 
völlige  Heilung  in  den  übrigen  Fällen.  So  mussten  in  Fall  11 
und  III  die  Injeetionen  20  Tage,  in  Fall  VII  24  Tage,  in 
Fall  VI  28,  in  Fall  V  30,  in  Fall  VIH  33,  in  Fall  IV  sogar, 
in  welchem  sich  eine  Bronchitis  hinzugesellt  hatte,  45  Tage 
fortgesetzt  werden.  Doch  ist  bei  diesen  Zahlen  zu  berück- 
sichtigen, dass  wir,  so  lange  auch  nur  ein  an  und  für  sich 
unbedeutender  Anfall  beobachtet  worden  war,  eine  Heilung 
nicht  annahmen  und  mit  der  Behandlung  fortfuhren.  Fast  in 
allen  Fällen  war  schon  viel  früher  die  Zahl  der  Anfalle,  wie 
dies  auch  die  Curven  ergeben,  eine  so  geringe  und  hatte  die 
Heftigkeit  der  Anfälle,  wie  erwähnt ,  bereits  so  nachgelassen, 
dass  das  eigentliche  Stadium  spasmodicum  schon  um  diese 
Zeit  als  beendet  angesehen  werden  -konnte. 

Spricht  diese  längere  Dauer  der  Behandlung  etwa  gegen 
den  Werth  der  Chiuinbehandlung  bei  Keuchhusten,  und  im  Spe- 
ciellen  die  Behandlung  desselben  mit  subcutanen  Injeetionen 
des  Chininum  bimuriaticum?  Zur  Beantwortung  dieser  Frage 
seien  aus  der  Abhandlung  Ungar's^)  folgende  Sätze  angeführt: 
„Wer  von  dem  Heilmittel  verlangt,  dass  dasselbe  die  Krank- 
heit in  einigen  Tagen  ausheile,  wird  sich  freilich  von  den  Re- 
sultaten der  Chininbehandlung  nicht  befriedigt  sehen.  Wohl 
vermögen,  wie  ich  mich  einige  Male  überzeugen  konnte,  in 
der  oben  beschriebenen  Weise  dargereichte  grossere  Chinin- 
gaben zuweilen  die  Krankheit  so  günstig  zu  beeinflussen,  dass 
in  der  That  in  wenigen  Tagen  die  eigentlichen  Husten- 
paroxysmen  gänzlich  verschwunden  sind  und  bei  weiterer  Dar- 
reichung kleiner  Dosen  nicht  wiederkehren.  So  rasche  Hei- 
lungen gehören  aber  zu  den  selteneren  Vorkommnissen.  Die 
Regel  bildet,  dass,  nachdem  das  Chinin  einige  Tage  genommen 
wurde  —  und  diese  Zeit  schwankt  zwischen  drei  und  sechs 
Tagen  —  die  Heftigkeit  der  einzelnen  Attaquen  nachlässig 
was  besonders  auch  an  dem  Seltenerwerden  des  Erbrechens 
zu  merken  ist.    Gleichzeitig  erfährt  meist  die  Anzahl  der  An- 

1)    Ungar,    üeber  die  Behandlung  des  Keuchhustens  mit  Chinin. 
Deutsche  med.  Wochenschrift.  1891.     Nr.  18. 


Subcutane  Injectionen  v.  Chinin  um  bimuriaticum  b.  Keuchhusten.     163 

falle  eine  VermindeniDg.  In  selteneren  Fällen  macht  sich  zu- 
nächst hauptsächlich  eine  Abnahme  der  Frequenz  der  Anfälle 
bemerklich,  während  die  Intensität  derselben  langsamer  nach- 
lässt.  Umgekehrt  kann  auch  die  Zahl  der  Anfälle  zunächst 
noch  unbeeinflusst  bleiben,  während  die  Heftigkeit  der  einzel- 
nen Anfälle  eine  deutlich  geringere  geworden  ist.  Sei  es  nun, 
dass  mehr  die  Frequenz  der  Anfälle,  sei  es,  dass  mehr  die  In- 
tensität derselben  eine  Abnahme  zeigt,  der  ganze  Erankheits- 
verlauf  hat  einen  zweifellos  milderen  Charakter  angenommen; 
mit  kleinen  Schwankungen  macht  dann  die  Besserung  meist 
rasch  weitere  Fortschritte,  so  dass  etwa  14  Tage  nach  Be- 
ginn der  Ghininbehandlung  gewöhnlich  nur  noch  vereinzelte 
und  meist  sehr  geliode  Anfälle  das  Bestehen  das  Keuchhustens 
erkennen  lassen,  oder  eigentliche  Anfälle  überhaupt  nicht  mehr 
beobachtet  werden.  In  anderen  aber  selteneren  Fällen  hat 
die  Erkrankung  zwar  zweifellos  einen  milderen  Charakter 
angenommen,  aber  hierbei  bleibt  es  und  lässt  sich  eine 
deutliche  Abkürzung  des  ganzen  Erankheitsverlaufs  im  Ver- 
hältniss  zur  Durchschnittsdauer  des  Keuchhustens  nicht  er- 
kennen.'' 

Wer  an  die  Chininbehandlung  nicht  grossere  Ansprüche 
stellt,  als  solche,  die  den  im  Vorstehenden  ausgesprochenen 
Grundsätzen  entsprechen,  wird  auch  in  diesen  Fällen,  wenig- 
stens in  den  acht  ersten  derselben,  einen  Erfolg  der  Chinin- 
behandlung erkennen.  Wenn  in  den  Fällen  IX  bis  XII  die 
Zahl  der  Anfälle  trotz  Chininbehandlung  anfangs  stieg  und 
auch  später,  nachdem  ein  Abfall  erzielt  war,  noch  eine  ver- 
hältnissmässig  hohe  blieb,  so  dass,  als  die  Behandlung  ab- 
gebrochen wurde,  die  Zahl  eine  nicht  unbedeutende  war,  so 
war  doch  auch  in  diesen  Fällen  nicht  zu  verkennen,  dass  der 
Charakter  der  Anfälle  trotz  ihrer  Zunahme  ein  milderer  war. 
Aber  selbst  wenn  in  diesen  Fällen  ein  Erfolg  nicht  zu  ver- 
zeichnen wäre,  so  würde  das  nicht  gegen  den  Werth  der  Be- 
handlung des  Keuchhustens  mittelst  subcutaner  Injectionen 
des  Chininum  bimuriaticum  sprechen.  Ebenso  wenig  wie  man 
den  Nutzen  des  Chinins  bei  Intermittens,  die  günstige  Beein- 
flussung der  Syphilis  durch  Quecksilber,  die  heilsame  Wirkung 
des  Natr.  salicylic.  bei  acutem  Gelenkrheumatismus  leugnet, 
weil  auch  diese  Behandlungsmethoden  in  vielen  der  betre£fendeu 
Fälle  im  Stiche  lassen,  wird  man  den  Werth  dieser  Behand- 
lungsmethode des  Keuchhustens  geringschätzen  dürfen,  weil 
dieselbe  nicht  in  allen  Fällen  von  einem  eclatanten  Erfolge 
begleitet  war. 

Legen  wir  uns  jetzt  noch  die  Frage  vor,  ob  sich  das 
Chininum  bimur.  wirklich  als  zur  subcutanen  Injection  geeignet 
erwiesen   hat,   so    dürfen   wir   dieselbe   wohl  mit  Ja!  beant- 


164  U.  Laabinger: 

Worten.  Wohl  kam  es  in  Fall  V,  IX  und  X  zur  Abscess- 
bildung,  doch  darf  dies  der  Injection  des  Chin.  bimnr.  als  sol- 
cher nicht  zur  Last  gelegt  werden.  In  allen  drei  Fällen  war 
eine  Losung  verwandt  worden,  die  sich  auch  kurz  darauf  als 
unklar  und  verunreinigt  erwies.  Offenbar  war  es  diese  Yer- 
unreinigung,  welche  die  Abscedirungen  im  Gefolge  hatte.  Es 
dOrfte  sich  deshalb  empfehlen,  zu  diesen  subcutanen  Injectionen 
Losungen  zu  benutzen,  bei  denen  durch  Sterilisirung  die  Gefahr 
einer  Infection  beseitigt  ist  Im  Fall*  VIII  und  XII  kam  es 
freilich  auch  an  Stellen  der  Haut,  an  welchen  die  Injectionen 
gemacht  worden  waren,  zur  circumscripten  trockenen  Nekrose. 
Die  Ursache  war  wohl  in  dem  Umstände  zu  suchen,  dass  die 
Cbininlosung,  bei  der  Unruhe  der  Kinder,  in  die  Cutis  selbst 
gerieth.  In  beiden  Fallen  war  ausserdem  die  starke  Losung 
10  :  10  benutzt  worden.  Vielleicht  dürfte  diese  nicht  genügend 
zur  Resorption  gelangt  sein  und  dadurch,  dass  sie  an  Ort  und 
Stelle  liegen  blieb,  das  Absterben  der  Cutis  herbeigeführt 
haben.  Es  scheint  sich  deshalb  überhaupt  mehr  zu  empfehlen, 
sich  der  weniger  concentrirten  Losungen  zu  bedienen  und 
lieber  eine  grössere  Flüssigkeitsmenge  zu  injiciren.  Hierzu 
dürfte  auch  der  Umstand  ins  Gewicht  fallen,  dass  sich  noch 
in  mehreren  der  Fälle,  in  welchen  die  starke  Lösung  benutzt 
worden  war,  Indurationen  in  der  Umgegend  der  Injections- 
stellen  ausbildeten.  Hatten  diese  auch  keine  weiteren  unan* 
genehmen  Folgen,  so  erscheint  es  doch  immerhin  wünschens- 
werth,  dass  auch  sie  vermieden  werden,  schon  weil  durch  sie 
eine  Fortsetzung  der  Injectionen  erschwert  wird. 

Empfiehlt  es  sich  nun,  alle  Fälle  von  Keuchhusten  mittelst 
subcutaner  Injectionen  von  Chiniuum  birouriaticum  zu  behan- 
deln? Diese  Frage  dürfte  wohl  mit  Nein!  zu  beantworten 
sein,  denn  abgesehen  davon,  dass  diese  für  den  Arzt  zeit- 
raubende Behandlungsmethode  für  den  beschäftigten  Praktiker 
schwer  durchzuführen  sein  würde,  auch  bei  vielen  Eltern  auf 
Hindernisse  stossen  dürfte,  bietet  dieselbe  vor  der  Behandlung 
des  Keuchhustens  mit  per  os  gegebenem  Chinin,  vorausgesetzt, 
dass  dieses  auch  wirklich  eingenommen  wi)rd  und  zur  Re- 
sorption gelangt,  keine  nennenswerthen  Vortheile.  Zu  dieser 
Methode  wäre  also  nur  in  den  Fällen  zu  greifen,  in  denen 
das  Chinin  auf  keine  andere  Weise  beigebracht  werden  kann 
oder  wieder  erbrucheu  wird,  so  dass  eine  genügende  Chinin- 
wirkuug  nicht  eintreten  kann,  sodann,  wie  dies  schon  Per- 
vers hervorgehoben  hat,  in  den  Fällen,  in  denen  die  Hoch- 
gradigkeit der  Symptome  eine  rasche  Hülfe  erheischt.  Für 
diese  letzteren  Fälle  wäre  dann  allerdings  diese  Behandlungs- 
methode von  unschätzbarem  Werth,  da  sich  ja  gerade  bei  ihr, 
wie   sich  aus  unseren   Versuchen  ergiebt,   eine  solch  rasche 


» 


Subcutane  Injectionen  v.  ChininTim  bimuriaticnm  b.  Keuchhusten.     165 

Herabminderung  aller  Krankheitssjmptome  einzustellen  pflegt^ 
wie  dies  bei  keiner  andern  Methode  der  Fall|ist. 

Am  Schlüsse  dieser  Arbeit  ist  es  mir  eine  angenehme 
Pflicht,  Herrn  Medicinalrath  Prof.  Dr.  Ungar  für  die  An- 
regung zu  dieser  Arbeit  sowie  für  die  freundlich  gewährte 
Unterstützung  bei  Anfertigung  derselben  meinen  verbind- 
lichsten Dank  auszusprechen. 


XL 

üeber  Geschmacksempflndungen  rachitischer  und  niehtr 

rachitischer  Kinder. 

Aus  dem  Kinder -Ambulatorium  zu  Bonn  a.  Bh. 

Von 

Heinrich  Büssbm 

aai  Vierten  (M-OUdbaoh). 

Den  Anlass  zu  nachfolgender  Arbeit  gab  eine  Abhand- 
lung, betitelt:  ^^Ueber  Geschmacksempfindungen  gesunder  und 
rachitischer  Kinder",  welche  Dr.  A.  Lichtenstein  im 
XXXVII.  Bande  (l.  Heft)  des  Jahrbuchs  für  Kinderheilkunde 
y eröffentlich te.  Der  Inhalt  derselben  sei  der  Haupisache  nach 
hier  kurz  wiedergegeben.  Verfasser  sagt,  man  hätte  im  Laufe 
der  Zeit  bemerkt,  dass  manche  Kinder  schlecht  schmeckende 
Medicamente  ohne  irgend  ein  Zeichen  des  Missfallens  oder 
Ekels  zu  sich  nähmen.  Diese  Beobachtung  hätte  ihn  be- 
wogen, eine  Anzahl  von  Kindern  auf  ihren  Geschmacksinn  hin 
zu  untersuchen  und,  da  das  auffällige  Benehmen  besonders  bei 
rachitischen  Kindern  häufig  bemerkt  worden  sei,  vor  Allem 
eine  grossere  Anzahl  von  letzteren  zu  den  Untersuchungen 
heranzuziehen.  Er  untersuchte  im  Ganzen  87  Kinder,  Ton 
denen  38  rachitisch  waren,  und  zwar  prüfte  er  dieselben  auf 
die  vier  Geschmacksqualitäten:  SQss,  Bitter,  Sauer,  Salzig.  Das 
Resultat  war  folgendes:  Die  nichtrachitischen  Kinder  rea* 
girten  mit  Ausnahme  von  zwei  Idioten  und  einem  Imbecillen 
sämmtlich  normal;  dagegen  reagirten  von  den  38  rachitischen 
nur  12  normal;  die  übrigen  wichen  von  der  Norm  ab,  so 
zwar,  dass  15  Kinder  verminderte  Geschmacksempfindungen 
zeigten,  die  übrigen  11  die  applicirten  Substanzen  überhaupt 
nicht  schmeckten.  Verfasser  glaubt  annehmen  zu  können, 
dass  der  rachitische  Krankheitsprocess  und  die  verminderte 
resp.  aufgehobene  Perception  der  Geschmackseindrücke  in  Zu- 
sammenhang  stehen.    Die  Geschraacksstörungen  brauchten  bei 


H.  BüBsem:  Geschmacksempfind.    racbit.  u.  nicbirachit.  Kinder.     167 

Rachitis  niclit  immer  vorhanden  zu  sein,  sondern  könnten 
ebenso  gut  fehlen,  wie  andere  Symptome  z.  6.  Kopfschwciss, 
Krämpfe  u.  s.  w.  Die  Ursachen  der  Störungen  führt  er  auf 
cerebrale  Vorgänge  zurück. 

Das  Resultat  dieser  Untersuchungen  war  so  überraschend 
und  auffällig,  dass  es  der  Mühe  werth  erschien,  in  gleicher 
Weise,  wie  es  Lichtenstein  gethan  hat,  Untersuchungen  bei 
Kindern  anzustellen.  Auf  Anregung  von  Herrn  Prof.  Ungar 
unternahm  ich  es  daher,  eine  grössere  Anzahl  von  Kindern, 
die  wegen  yerschiedener  Leiden  dem  Kinder- Ambulatorium 
zu  Bonn  zugeführt  wurden,  sowie  eine  Anzahl  von  Kindern 
der  Kinderheilanstalt  zu  Godesberg  am  Rhein  auf  die  hier  in 
Betracht  kommenden  Fragen  zu  untersuchen.  [Dem  Leiter 
letzterer  Anstalt,  Herrn  Dr.  Brockhaus,  sei  an  dieser  Stelle 
für  die  Freundlichkeit,  mit  der  er  die  Untersuchungen  zu 
machen  gestattete,  bestens  gedankt.] 

Bevor  wir  auf  die  Resultate   der  Untersuchungen  näher 
eingehen,  wollen  wir  einige  Bemerkungen  über  die  verschie- 
denen   Geschmacksarten,    über    die    Wahl    der    angewandten 
schmeckbaren   Lösungen   und   über   den    Gang   der   Untersu- 
chungen vorausschicken.    Es  wurde  auf  die  vier  Geschmacks- 
qualitäten  Süss,   Bitter,    Sauer,    Salzig    geprüft.      Mehr   Ge- 
schmacksqualitäten  nehmen   die    neueren   Autoren    nicht    au. 
Man  hat  sich  lange  Zeit  hindurch  über  die  Anzahl   der  Ge- 
schmacksarten gestritten.    Es  kam  dies  nach  v.  Yintschgau^) 
daher,  weil  man  nicht  sicher  war,  ob  verschiedene  Substanzen, 
welche  man  für  gewöhnlich  als  schmeckbar  bezeichnete,  wirk- 
lich auf  den  Geschmackssinn  wirken,  oder  ob   man  es  nicht 
vielleicht   mit   einem   blossen  Gefühls-  oder  Geruchseindruck 
zu  thun  habe. 

V.  Vintschgau  macht  auf  die  Schwierigkeit  aufmerksam, 
die  Geschmacksempfindung  von  anderen  Sinnesempfindungen 
zu  unterscheiden,  indem  er  sagt: 

„Die  Geschmacksempfindungen  sind   mit  anderen  Sinnes- 
emfindungen  meist  so  innig   verknüpft,   dass  es  uns  sehr  oft 
nicht    gelingt,    beide    Gruppen    im    Bewusstsein    getrennt   zu 
halten,  und  man  kann  wohl  die  Behauptung  aufstellen,  dass 
manchmal  Empfindungen   als  Geschmäcke   bezeichnet  werden, 
bei  welchen  die  Geschmacksnerven  gar  nicht  oder  nur  in  sehr 
untergeordnetem  Grade  erregt  worden  sind.    Am  meisten  und 
intensivsten  werden   unsere  Geschmacksvorstellungen  von  den 
Gefühls-  und   Geruchsempfindungen    beeinflusst,    obwohl   man 
auch  dem  Gesichtssinn  einen  Einfluss   auf  dieselben  nicht  ab- 


1)  V.  VintBchgaii,   Physiologie    des    Geschmackes,   im  Handbncb 
der  Physiologie  von  Hermann. 


168  H.  Bfissem: 

sprechen  kann;  da  wir  im  Dunkeln  oder  mit  geschlossenen 
Augen  weniger  sicher  Ober  Geschmäcke  urtheilen.'' 

Bezüglich  des  sauren  und  des  salzigen  Geschmackes  ist 
nach  y.  Vintschgau  hervorzuheben,  dass  man  bei  der  Prü- 
fung derselben  sich  nicht  zu  concentrirter  Losungen  bedienen 
darf,  da  sonst  neben  den  Geschmacksnerven  auch  die  Gefühls- 
nerven erregt  werden. 

Das  Laugenhafte,  Herbe,  Adstringirende,  Metallische  u.  s.  w. 
hat  man  bei  der  Aufstellung  der  Geschmacksarten  unberück- 
sichtigt gelassen,  da  die  betreffenden  Empfindungen  sich  zu 
weit  von  reinen  Geschmacksempfindungen  entfernen  und  mehr 
ein  Gemisch  von  Geschmacks -,  Geruchs-  und  GefQhlsempfin- 
düngen  darstellen. 

Zur  Prüfung  der  vier  Geschmacksarten  wählten  wir  nach 
Vorgang  von  Lichtenstein  die  vier  Lösungen: 

Saccharin    0^25%,    Chin.  sulfur.    2%, 
Acid.  muriat.  2%,    Natr.  chlorat.  5%. 

Sämmtliche  Losungen  sind  so  intensiv,  dass  der  Er- 
wachsene bei  Application  derselben  eine  deutliche,  angenehme 
resp.  unangenehme  Empfindung  verspürt  Die  Application 
geschah  nicht,  wie  man  es  sonst  wohl  zu  thun  pflegt,  mit 
einem  Pinsel,  sondern  mit  einem  kleinen  Löffel,  dies  in  der 
Absicht,  jegliche  Alteration  der  sensiblen  Theile  der  Mund- 
höhle durch  das  zuführende  Instrument  zu  verhindern. 

Auch  konnte  eine  Betheiligung  der  Geruchsnerven  aus- 
geschlossen werden,  da  alle  vier  Lösungen  völlig  geruchlos 
sind,  ebenso  eine  solche  des  Gesichtssinnes,  da  wir  es  mit 
farblosen  Substanzen  zu  thun  haben.  Es  wurde  weiterhin 
darauf  geachtet,  dass  die  Menge  der  in  die  Mundhöhle  ge- 
langenden Flüssigkeit  nicht  zu  gering  war,  da  ja  der  Ge- 
schmackssinn um  so  schwächer  ausfallt,  je  kleiner  die  erregte 
Fläche,  je  kleiner  also  im  Allgemeinen  die  Quantität  der  er- 
regenden Substanz  ist.  Ferner  wurde  vermieden,  dass  die 
Flüssigkeit  direct  in  den  Rachen  geschüttet  wurde;  es  ward 
darauf  geachtet,  dass  dieselbe  möglichst  mit  den  Geschmacks- 
flächen der  Mundhöhle  in  Berührung  kam,  da  ja  Substanzen, 
welche  rasch  verschluckt  werden,  den  Geschmackssinn  gar 
nicht  oder  nur  wenig  erregen.  Was  das  Alter  der  Kinder 
anbetrifl't,  so  wurden  solche  im  Alter  von  wenigen  Monaten 
bis  zu  acht  Jahren  untersucht.  Eine  besondere  Auswahl  be- 
züglich des  Befindens  der  Kinder  wurde  nicht  getroffen,  son- 
dern es  wurden  dieselben  herangezogen,  wie  sie  zum  Ambu- 
latorium kamen,  mit  Ausnahme  der  stark  Fiebernden  und 
aller  solcher,  bei  denen  eine  Erkrankung  der  Mund-  oder 
Rachenhöhle  vorlag.  Nur  wurde  dafür  gesorgt,  dass  möglichst 
viele  rachitische  zur  Beobachtung  kamen. 


üeber  Geschmacksempfindungen  racbit.  und  aichtrachit.  Kinder.    169 

Die  Temperatur  der  angewandten  Lösungen  schwankte 
sodann  zwischen  10  und  20®  C.  Ist  die  Temperatur  höher 
ö<Jer  niedriger,  so  kann  leicht  durch  den  Kälte-  oder  Wärme- 
eindruck  die  Reinheit  des  Mienenspiels,  das  durch  den  Ge- 
schmack allein  hervorgerufen  wird,  verwischt  werden.  Auch 
tat  Camerer^)  festgestellt,  dass  bei  einer  Temperatur  von 
lö — 20®  C.  am  besten  geschmeckt  wird. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  den  ausgeführten  Untersuchungen, 
Im  Ganzen  wurden  195  Kinder  den  Geschmacksprüfungen 
unterzogen.  Von  diesen  waren  105  rachitisch.  Es  sollen 
zuerst  die  Ergebnisse  mitgetheilt  werden,  die  sich  bei  den 
Untersuchungen  der  letzteren  herausstellten.  Es  lassen  sich 
hier  drei  Gruppen  aufstellen.  Zur  ersten  gehören  die,  welche 
normale  Geschmacksempfindungen  zeigten,  zur  zweiten  die, 
welche  herabgesetzte  Geschmacksempfindungen  hatten,  zur 
dritten  die,  welche  überhaupt  nicht  schmeckten.  Als  zur 
ersten  Gruppe  gehörig  fanden  sich  87  rachitische  Kinder.  Sie 
seien  hier  der  Reihe  nach  angeführt  mit  Angabe  von  Alter, 
Gesehlecht,  von  Krankheiten,  die  ev.  neben  Rachitis  noch  be- 
standen, und  der  rachitischen  Symptome: 


Alter 


Knmkheilen, 
o^    , ,     .  ^     die  eT,  neben 
GewAlecht     Bacbitii  noch 
bestanden 


Bachitiiobe  Syniptonie 


1    15  MoD.      Knabe 


2  3  Jahr 

3  2  Jahr 

4  11  Mon. 
ö     2  Jahr 

6  1  Jahr 

7  9  Mon. 

»  21  Moi.. 
d  10  HoD. 

10  4  Jahr 

11  3  Jahr 
1:2   16  Mon. 

13    8MoD. 


Knabe 
Knabe 

Knabe 

Knabe 

Mädchen 

Mn  dcfaeo 

Knabe 
Mädchen 
Mä  jchen 
Mädchen 
Mädchen 

Knabe 


j    Chron,  Darm« 
!         k»Urrh 

Pertussis 
Pertossis 


Trauma  a.  d. 
rechten  Hand 

Pertussis 

Pertussis 
Oxjnren 


T«e  carrAe,  abnorm  gro»i«  StimfontAneUe, 
rachil  B<ienkr»n*,    Epivhjmmnttrejbmg 

a.  d  ob.Kxtrem.,  FeeUu  carln*fcnm,  begta- 
nende  ScoUom,  KopfichweiM. 

0«in    Taram.     rachit.    Eowmkraas,     Kopf. 

•cbweiM,  kann  nicht  Uufen. 
Rachit.  BoMnkrana,  Pecto»  carinAl,  »«»^ 

grosse  Sürnfontonoll«,  EpiphjswiÄttftwIb. 

a  d-  ob.  Extremit.  a*i— 

Rachit.  Eoeenkran»,    abnonne   gro»§s  »um- 

foüUn«Ue,  Kopfcchweiaa,  EviphymMuttr. 
T«te  carr««,  rachit.  BoMnkrans,  Bpipbjten- 

aaftreib.  •.  d.  ob.  Extrem-,  Pectua  ctfinatnm, 
Rachit.   Rownkran«,    rergiötafrU    SÜnton' 

tanellf»,  genn  Tarum,  hat  noch  keine  ^•'^f- 
Pettu*  carinatum,  Kplphjienanftrrfb.  a  d  oh. 

VL  unt.  JExtremititen,  abnorm  groM«  »ttm- 

fontanelle,  offez»«  Dambdanaht. 
Rachit  Rosenkran*,    abnorm    groiae    »™' 

fontanelle,  EpiphjMrnAoftr.  a.  d.  ob.  Kxtr. 
Abnorm  grosse  ötirnfontanell*,  rachit.  Kosen- 

kranx,  Pectos  carinntom,  Kjrpbr^t«. 
Ttte  carrf-«,  B^lpbys«Mllftr.  »-  d.  ob.  Extrem. 

rachit.  Rosenkr.,  kaui  nicht  mehr  Inofen. 
£pipbjs«naaflreib.  a.  d.  ob  n.  unt.  Extremit. 

b.  ginnende  Kjrpbos«.   rachit.  Boeenkranx. 
Rachit.  Rosenkzanx,    Ep  physcnaoftrcib^  >.  d. 

ob.  a  unt.  Kxtreitit ,    genn  Tal^om,  Peel«« 
caiinatam^  Bronchitis. 
Florides  Stadium :  CnniOtabea,  abnorm  cmM« 
Stizn^oiitan«;!« ,    tete    carri«,    Bronddtift 
racLit.  Rosenkranx. 


Ij  Handonch  der  Phrcologie  von  Hermann. 

C  KiaderheOknnde.  -K.  ¥.  XXXIX. 


12 


170 


H.  Büsseni: 


M !      Alter 


14  11  Mon. 

16l  8  MoD. 

16  ly.Jahr 


17 
18 

19 


2  Jahr 
26  Mon. 


(HMhlecht 

Mädchen 
Mädchen 

Mädchen 
Knabe 
Knabe 


KrAnkheiten, 

die  er.  neben 

Raohitii  nooh 

bestanden 


Bacfaititche  Symptome 


Pertussis 
Pertui'sis 


3  Jahr  t  Knabe 


20 1  7  Mon.  Mädchen 


21 


1  Jahr  .  Mädchen 


22  1  Jahr 


23  15  Mon. 


24  2VtJahr 
251  21  Mon. 


Knabe 


Mädchen 


Mädchen 
Knabe 


26  8  Mon.  I  Mädchen 


27  3y,Jahrl    Knabe 

28 >  20  Mon.  I  Mädchen 

I 

I  I 

29  j   1  Jahr  '    Knabe 

so!  15  Mon.  i    Knabe 


Knabe 
Knabe 


31  öy,  Jahr 


32!  13  Mon. 


33 


34 


20  Mon.    Mädchen 


4  Jahr  '  Mädchen 


85  5  Jahr 

86  17  Mon. 


87 


88 


89 


Knabe 
Knabe 


14  Mon. '    Knabe 


20  Mon. '  Mädchen 


2  Jahr       Knabe 


40  ly.Jahrj  Mädchen 
41' 2%  Jahr  I  Mädchen 

42    2  Jahr    Mädchen 
43.  8y,  M.       Knabe 


abgelanf. 
Pertussis 


Oxyuren 


Pectos  carLnatum,  Bronchitii,  raob.  Boeenkr., 

abnorm  grosse  Stimfontan.,  Kopfschweiae. 
Oaniotabes,   abnorm   grosse  Stimfontanelle, 

Lambdanaht  offen,  EpipbTsenanftreib.  a.  d. 

ob.  Extremitäten. 
Epiphysenauftreib.  a.  d.  ob.  n.  nnt.  Extremii., 

raeb.  SovenkranSf  noch  ohne  Zthne. 
Tit'to  carr^e,  rhaohit.  Bosenkrana,  Feetos  ca- 

rinatnm,  Bronchitis,  Kopfschweiss. 

—  Florides  Htadium :  Starke  Epipbj-senaoftreib. 

a.  d.  ob.  u.  nnt  Extremil,  rachit.  Boscn- 
krans,  offene  Stlmfontanelle,  Kopfschwriss« 
Spasmus  glottidis. 

—  i.piphysenaoftr.   a.   d.   ob.  Extremlt.,    rachit. 

Kosenkrans,  tAte  carröe. 
E'ertuSS.incip.  Abnorm  grosse  Stimfontanelle,  Pectas   cari- 

natum,  rachit.  Bosenkrana. 
Florides   Stadium:   abnorm  grosse   Stimfon- 

tanolle,     rachit.    Bosenkrans,     noch    ohne 

Zfthue,  Fpiphysenauftreib.  a.  d  ob.  n.  unt. 

ExtroDiitätcD. 
T^te  carr^e,   abnorm  grosse  Stimfoataaelle, 

rachit  Bosenkrans,    EpiphTsenanftreib.  a. 

d.  ob.  Extremitftten. 
Florides  Stadium :  offene  Lambdanaht,  alRiorra 

grosse  Stirnfontau.,  Kopfschweiss,  Kypho- 

ScoUose,  Epiphysenauftreibong  a.  d.  ob.  n. 

uut.  Extremitäten. 
Bachit.  Boseokrans,    offene    Stimfontanelle, 

kann  nicht  laafen. 
Leichte  Kyphose,  Pootus  oarinatum,   rachit. 

Bosenkrans,  noch  keine  Zfthne. 
Abnorm  grosso  Stimfontanelle ,    Bpiphysca- 

auftreib.  a.  d.  ob.  u.  unteren  Extrem itftten. 
T^te  carr^e,  rachit  Bosenkrans,  genn  Tamm. 
Florides  Stadium:  starke  Epiphysenauftreib. 

a.  d.  ob.  u.  unt.  Extrem.,  rachit  Bosenkrans, 

Kopfachweisi ,  abnorm  grosse  Stimfontaa. 
Florides  Stadium :  tdte  carr6e,  Spasmus  glott, 

rachit.  Uosenkr.,  abnorm  grosse  Stirntoat 
Floridas  Stadium:   BronohiÜs,  Kopfschweiss. 

abnurm  grosso  Stimfontan.,  rachit  Bosen- 
krans, noch  ohne  Zfthne. 
Bachit.  Bosenkrans,  Epiphysenauftreib.  a.  d. 

ob.  u.  unt  Extremitäten. 
Abnorm  grosse  Stimfontan.,  offene  Lambda- 
naht, noch  ohne  Zähne. 
Florides  Stadium:    Pectus  carinatom,    T^te 

carröe,  starke  Epiphysenauftreib.  d.  ob.  a. 

unt  Extremitäten. 
Bachit  Rosenkr.,  Kyphose,  kann  nicht  laufen. 
Toto  carr^<^,  offene  Stimfontan ,  genu  rarum, 

rachit  Kosenkrans. 
Rachit.  Bosenkrans,   noch   ohne   Zähne,  ab- 
norm grosse  StirnfontauoUe. 
Florides  Stadium :  Tete  carr^  abnorm  grosse 

Stimfontan.,   Bronchitis,  Kyphose,   starke 

Epiphysenauf treibung. 
Epipl^sonauftreib.    d.    ob.   Extrem.,     racbit 

Rosenkrana,  Spasmus  glott,  abnorm  grosse 

Stimfontanelle. 
Räch.  Bosenkrana,  starke  Epiphysenauftreib. 

a.  d.  ob.  u.  mit.  Extremitäten. 
TiHe  carree,  räch  Bosenkrana,  Kopfschweiss. 
Hachit  Bosenkrans,    Kypho-Scoliose,   Epi' 

physenauttr.  a.  d.  ob.  u.  unt.  Extremitäten. 
Bachit.  Rosenkrans,    offene    Stlmfontandle. 

kann  nicht  laufen. 
Florides   Stadium:    Bronchitis,    Bosenkrana 

Kopfschweiss,  abnorm  grosse  Stimfontan 


Oiynren 


Pertussis 

abgelaufene 
Pneumonie 


I. 


üeber  GeBcbmacksempfinduDgen  rachit.  und  nicbtrachit.  Kinder.     171 


M 


Alter 


48 

49 
60 


51 
52 
53 

54 
55 
5C 
67 
68 
69 
60 
61 
62 
63 

64 
ßb 
66 
67 
68 
69 
70 

71 

72 
78 

74 

76 
76 
77 


Geschlecht 


I    Krankheiten, 
j  die   ev.   neben 
Bachitii  noch 
bestanden 


Bachitlsche  Symptome 


44'  4  Mon. 

45  10  Mon. 

46  1  Jahr 

47  15  Mon. 

2  Jahr 
1  Jahr 


9  Mon. 


Knabe 

Knabe 

Knabe 

Mädchen 

Mädchen 

Knabe 
Knabe 


15  Mon.  I  Knabe 


9  Mon. 

13  Mon. 

1  Jahr 

2  Jahr 
15  Mon. 

14  MoD. 
8  MoD. 
5  Mon. 
11  Mon. 
5  Mon. 

7  Mon. 

15  Mon. 

10  Mon. 

18  Mon. 
14  Mon. 

8  Mon. 

2  Jahr 

19  Mon. 
5  Jahr 

3  Jahr 

3  Jahr 
5  Jahr 


Mädchen 
Mädchen 

Mädchen 

Mädchen 

'  Mädchen 

Mädchen 

Knabe 

Knabe 

Mädchen 

Mädchen 

Knabe 

Mädchen 

Mädchen 
Knabe 
Knabe 
Knabe 
Knabe 
Knabe 
Knabe 

Knabe 

Knabe 
Mädchen 


5  Jahr  !  Mädchen 

3  Jahr  '  Madchen 

4  Jahr  |  Mädchen 
4  Jahr  Mädchen 


Pertussis 


Florides  Stadium:    Graniotabes,  Bronchitis, 

rachit.  Hosenkrans,  Kopfschweiss. 
Noch  keine  Z&hne,  abnorm  grusse  Stimfon- 

tanelle ,  Epiphysenanfir.  a.  d.  ob.  Extremit. 
Abnorm  grosse   Stirnfontanelle,    Bronchitis, 

Pectus  oarln.,  noch  keine  Zähne. 
Epipbysenaaf treibung ,    genu    valgum,    t^te 

oarr^e,  rachit  Bosenkrans. 
Florides  Stadium:   räch.  Bosenkrans,  starke 

Epipbysenauf treib.,  ofifene  Stirn fontanelle. 
Töte  carr6e,  Kopfschweiss,  Pectus  oarinitum. 
;  Florldes  Stadium :  Craniotabes,  abnorm  grosse 

Stirn rontanelle  (deutl   Henrortreibung  von 

innen  durch  Hydrops),  Kyphose. 
Tete  carr^e,  abnorm  grosse  Stimfontanelle, 

Epipbysenauf  treibung  d.  ob.  Extremitäten. 
Cran'otabes,  grosse  Stimfontanelle,    rachit. 

Kosenkranz .  Epiuhysenauftr.  a.  d.  ob.  Extr. 
Florides  Studium:  starke  Epiphysenauftreib., 

pectus  carinatum,   rachit.  Bosenkranz,   ab- 
norm grosse  Stimfontanelle,  tete  carr6e. 
Florides  Stadium :  starke  Epiphysenauftreib., 

rachit.  Bosenkrans,  Kopfschweiss. 
Offene    Stirafontanelle ,    noch    keine    Zähne, 

rhachit.  Bosenkranz. 
Craniotabes,  starke  Epiphysonauftr.,  abnorm 

grosse  Stimfontanelle,  erst  4  Zähne. 
Keine  Zähne,  tete  carröe,  starke  Epiphysen- 

anftrelbung,  Bronchitis. 
Bachit.  Bosenkranz,  Kopfschweiss,  Bronchitis, 

Epiphyseiiauftreibung  d.  ob.  Extremitäten. 
Floridos  Stadium:  t^te  carr^e,  pectus  carinat, 

Bronchitis,  rhach.  Bosenkranz. 
Pectus  cariD.,  rachit.  Bosenkranz,  noch  keine 

Zähne,  Bronchitis. 
Epiphysenauftreib.  d.  ob.  Extremität.,  rachit. 

Bosenkranz,  Kopfschweiss. 
Bachit.  Bosenkranz,    Pectus  carinat,   Bron- 
chitis, abnorm  grosse  Stimfontanelle. 
Florides    Stidlum:      Kyphose,     tHe    carr6e, 

Craniotabes  abnorm  grosse  Stirn fontanelie, 

Infraction  des  rechten  Unterarmes. 
Töte  carr^e,   abnorm   grosse   Stimfont^inelle, 

Epiphysenauftreib.  d.  ob  Extremitäten. 
Epiphysenauftreibung,  abnorm  grosse  Stim- 

fontitnelle,   Kronchitis,    rachit.  Bosenkranz. 
Tdte  carröe.  Pectus  carin.,  Bronchitis,  abnorm 

grosse  Stimfontanelle. 
BroiiChitis,   Spasmus  glott.,  Epipbysenauf tr. 

a.  d.  ob.  u.  unt.  Extremitäten. 
Starke    Kyphose,     rachit.   Bosenkranz,    t^te 

carr6e,  offene  Stirufoutanelle. 
Florides  Stadium:  Kypho  Scoliose,tdtecarröe, 

rachit.  Bosenkranz,  Kopfschweiss. 
Florides   Stadium,    starke   Extremitätenrer- 

krUmmung,   offene  Stimfontanelle,   rachit. 

Abdomen. 
Florides  Stadium:  sehr  starkes  Heryortretea 

der  tub  front,  et  parlet.,  weit  offene  Stim- 
fontanelle, Pulsiren  derselben. 
Kyphose,    töte    carröe,    rachit.   Bosenkranz, 

Epiphysenauftreit  ung. 
Starke  Epiphysenauftreibung,   genu  Talgom, 

rachit.  Rosenkranz,  kann  nicht  laufen. 
Genu  rarum,  töte  carröe,  kann  nicht  laufeit, 

offene  Stimfontanelle. 
Genu  varum,  töte  carröe,  kam  nicht  laufen 
Tete  carröe,  geim  valgum,  räch.  Bosenkrans. 
Genu  valgum,   räch.  Bosenkranz.  kann  nlc1b% 
laufen. 

12* 


172 


H.  Büssem: 


M 


mmea 


Alter      I  OMchleobt 


L_ 


Krankheiten, 

die  er.  neben 

Baohitii  noch 

beetenden 


BAohitieohe  Bsrmptome 


78 1  8  Jahr 
79|  8  Jahr 

80  6  Jahr 

81  3  Jahr 

82|  8  Jahr 

83  2%  Jahr 

84^  3  Jahr 

85*  2  Jahr 
86  2  Jahr 


I  Mädchen 
I  Madchen 
I  Knabe 

!  Mädchen 

Mädchen 

Knabe 

Knabe 

Knabe 
Mädchen 


87 1  6  Jahr  1  Mädchen 


Töte  oarr^  starke  Epipfayaenaaftr.  a.  alL  Extr. 

Epiphyaenauftr.,  töte  carr^  kann  nicht  lanüaii. 
G«na     ▼arum,     rachit.    Boeenkrani,     kann 

nicht  laufen. 
Kyphose,  offene  Stirnfontanelle,  staike  £pi- 

physenanftreibong  an  allen  Extremitäten. 
'Töte    carr^e,    Epiphysenanftreibung,    kann 
I     nicht  laufen. 
Töte  carröe,    offene  Stiznfontanelle,    TacfaiL 

Bosenkrans. 
Baohit.    Bosenkrans ,    Epiphysenauftreibung 
I     a.  d.  ob.  u.  unt.  Extremitäten. 

'Epiphysenauftreib.,  Pect  oarinai.^  Bronchitia. 
Offene    Stimfontanelle ,    rachit.  Boaenkxanc, 
genu  Tarum,  rachit.  Bauch. 

Töte  carröe,  genu  varumi,  kann  nicht  laufen. 


Es  sei  jetzt  des  Näheren  auseinander  gesetzt,  wie  die 
Kinder,  die  im  Vorhergehenden  aufgezählt  sind,  auf  die  ein- 
zelnen dargereichten  Losungen  reagirten.  Wir  begannen  meist 
mit  der  süssen  Lösung.  Wurde  die  Spitze  eines  TheelöffeLs 
Sacchariulosung  applieirt,  so  fingen  die  Kinder  an,  lebhafter 
zu  werden.  Aus  ihrem  Mienenspiel  konnte  man  das  Gefühl 
des  W^ohlbehagens  herauslesen.  Die  jüngeren  machten  Saug- 
bewegungen, streckten  die  Händchen  aus  und  richteten  ihren 
Blick  auf  den  LofiFel.  Die  älteren  Kinder  brachten  einem 
Misstrauen  entgegen,  wenn  man  ihnen  sagte,  sie  sollten  etwas 
einnehmen,  sie  wollten  ungern  heran.  Hatte  man  ihnen  dann 
das  Saccharin  beigebracht,  so  waren  sie  plötzlich  ganz  um- 
geändert. Sie  verzogen  ihre  Mienen  zum  Lächeln,  antworteten 
auf  die  Frage,  wie  es  geschmeckt  habe,  mit  „gut''  oder  „süss*' 
und  weigerten  sich  durchaus  nicht»  eine  zweite  Dosis  zu  nehmen. 

Ein  ähnliches  Resultat  erzielte  Kussmaul^)  schon  bei 
Neugeborenen:  „Wurde  Zucker  in  den  Mund  gebracht,  so 
wölbten  die  Kinder  die  Lippen  schnauzenformig  hervor,  pressten 
die  Zunge  zwischen  die  Lippen  und  begannen  behaglich  zu 
saugen  oder  zu  schlucken." 

Genzmer^),  Preyer^)  und  Lichtenstein  sahen  Aehn- 
liches. 

Ein  gerade  entgegengesetztes  Bild  boten  diese  Kinder, 
wenn  ihnen  einige  Tropfen  Chininlösung  dargereicht  wurden. 
Die  jüngeren  verzerrten  ihr  Gesicht,  wurden  unruhig,  fingen 
an  zu  weinen,  mit  den  Beinen  zu  strampeln,  warfen  ihr  Kopf- 


1)  KuBsmaul,  Ueber  das  Seelenleben  Nengeborener.     S.  17. 

2)  A.  Genzmer,   Untersuchungen  über   die  Sinneswabrnehmungen 
des  neugeborenen  Menschen.    Inaug.Dissert.    Halle  1873. 

3)  W.  Preyer,  Die  Seele  des  Kindes.     Leipsig  1890. 


w 


Ueber  Geschmacksempfindnogen  rachit.  und  nichtrachit.  Kinder.     173 

chen  hin  und  her,  spuckten  das  Dargereichte  aus  und  weigerten 
sichy  weitere  Gaben  zu  nehmen.  Manche  mussten  sogar  auf 
Chinin  erbrechen.  Die  etwas  älteren  Kinder  verzerrten  auch  ihr 
Gesicht  y  machten  eine  ganze  Anzahl  von  Schluckbewegungen 
rasch  nach  einander,  offenbar,  um  die  schmeckbare  Substanz 
möglichst  schnell  aus  dem  Munde  zu  entfernen.  Viele  riefeui 
es  mochte  doch  nichts  mehr  davon  gegeben  werden,  andere 
bedienten  sich  des  Ausdruckes  ,^bah'',  sobald  ihnen  die  Em- 
pfindung  des  Bitteren  zum  Bewusstaein  gekommen  war.  Wieder 
andere  antworteten  auf  die  Frage,  wie  es  schmeckte,  mit 
schlecht". 

Genzmer  fand  bei  Darreichung  von  Chinin  an  Neu- 
geborene Folgendes: 

„Applicirt  man  ihnen  eine  Chininlösung  von  etwa  3  bis 
5%,  so  verziehen  die  Kinder  das  Gesicht,  kneifen  die  Augen 
zusammen,  der  Schlund  wird  krampfhaft  zusammengezogen, 
der  Mund  weit  geöffnet,  die  eingebrachte  Flüssigkeit  mit 
dem  reichlich  ergossenen  Speichel  ausgestossen ,  kurz,  es 
werden  dieselben  mimischen  Bewegungen  hervorgerufen,  die 
man  beim  Erwachsenen  als  , bitteren  Gesichtsausdruck'  be- 
zeichnet.^' 

Eine  ähnliche,  jedoch  nicht  gerade  so  deutliche  Reaction 
wurde  bei  Darreichung  von  Natr.  chloratum  beobachtet. 

Auf  Acid.  muriat.  war  die  Reaction  etwas  anders.  Die 
Kinder  empfanden  auch  das  Saure  im  Allgemeinen  sehr  un- 
angenehm, fingen  an  zu  weinen  und  unruhig  zu  werden.  Sie 
verzerrten  auch  ihr  Gesicht,  aber  meistens  in  einer  ganz  cha- 
rakteristischen Weise,  so  dass  man  aus  dem  Mienenspiel  fast 
mit  Bestimmtheit  schliessen  konnte,  dass  etwas  Saures  ge- 
geben war.  Sie  zeigten  das  saure  Gesicht,  wie  man  es  auch 
heim  Erwachsenen  sieht,  wenn  er  eine  stark  saure  Substanz 
geniesst.  ^ 

Auch  Genzmer  fiel  es  auf,  dass  die  Kinder  bei  Dar- 
reichung von  Säuren  ein  ganz  charakteristisch  saures  Gesicht 
machten,  das  nach  seiner  Ansicht  besonders  darin  besteht, 
dass  die  Kinder  Würgbewegungen  machen  und  zu  gleicher 
Zeit  die  Mundwinkel  stark  in  die  Höhe  und  zur  Seite  ziehen. 
Es  sei  an  dieser  Stelle  hervorgehoben,  dass  das  Mienenspiel 
nach  Darreichung  irgend  einer  der  Lösungen  bei  jüngeren  Kin- 
dern viel  ausgeprägter  und  deutlicher  ist  als  bei  älteren,  dass 
es  infolgedessen  für  den  Experimentireuden  viel  leichter  ist, 
bei  jüngeren  Kindern  sich  ein  richtiges  ürtheil  über  den  wirk- 
lichen Zustand  zu  bilden,  als  bei  älteren,  welch  letzteren  es 
die  Natur  bereits  in  die  Hand  gegeben  hat,  willkürlich  ihren 
Gefühlen  nach  aussen  hin  Ausdruck  zu  verleihen  oder  sie  zu 
unterdrücken. 


174 


H.  B^ssem: 


Kussmaul  sagt  mit  Bezug  auf  das  Mienenspiel  bei  Neu- 
geborenen nach  Darreichung  schmeck  barer  Substanzen: 

„Das  Mienenspiel  erscheint  bei  den  Neugeborenen  in  über- 
raschend scharfer  Ausprägung  und  kann  zugleich  nur  hier  in 
seiner  ganzen  Reinheit  studirt  werden,  da  es  in  späteren  Lebens- 
epochen durch  den  Willen  bald  in  Form  von  Selbstbeherr- 
schung, bald  in  Form  von  Uebertreibung  vielfach  verfälscht 
wird" 

Zu  der  zweiten  Gruppe  von  rachitischen  Kindern,  also  zu 
denjenigen,  deren  Geschmackseniptiudungen  entschieden  her- 
abgesetzt waren,  gehören  von  den  105  mit  Rachitis  behafteten 
im  Ganzen  12.     Es  sind  dies  die  folgenden: 


I  I 

.\j      Knabe     |  Oetehleoht 


Krankh«it«n, 

die  er.  neben 

Bftohitii  nooh 

bestanden 


Baohitiache  Symptome 


1  27,  Jahr  Knabe 

2  2  Jahr  Mädchen  i  Pertussis 


Si  22  Mon. 
2  Jahr 

5  18  MoD. 

6  11  MoD. 

7  13  Mon. 


Mädchen 

Knabe 

Knabe 

Mädchen 

Knabe 

Knabe 

9  14  Mon.   Knabe 
10  U  Mon.  i  Knabe 
11 1  2  Jahr  Mädchen 
12  6  Jahr  Mädchen 


8 


2  Jahr 


Pertusbis   ine  Bpipbytenauftreibasg  a.  d.  ob.  Kxtr,  Kypho:«, 

räch.  Rosenkranc,  off.  StimfontaneUe. 
Offene  StlrnfontanoUe,  beginn.  K}  pliOf  e,  Kopf- 
•cbwfiaa,  hat  erat  6  Zähne. 

Floridea  Stadiam:   tt^te  caiT<*e.  räch.  Rotee- 

krans,      Kpiphysenauftreibttiig,       abnorm 
grosse  Stimfontanelle. 

Floridea     Stadium:     offene     Stimfontanelle, 

rachit.  Rosenkrana,  Epipbyaenaufireibang, 
t^te  carrfe. 

Noch  keine  Zahne,  räch.  Roeenkraiu,  gross« 

Stirn  fontanelle. 
Bronchitis      P^ctus  carin.,  Bronchitia,   räch.  Roaenkranz, 
Kopfe  oh  weiss. 

Oaniotabes,    Kyphose ,    rachit.    Roaenkranv, 

<     Btarke  Kpiphysenanftreibong  a.  ob.  u.  unt. 
Kxtremitäten. 

—  Florides  Stadium:  t6te  carr^e,  Pe«tna  carin., 

Efiiphy^enanftreihnng,  Kopfachweiss,  kann 
nicht  laufen. 

,KopfBoh weiss,  abnorm  grosse  Stimfontanell«, 

t^te  carr^e,  rachit.  Roaenkr&ns. 

—  Starke    h  pipbysenauftreibung ,    räch.  Roaen- 
i     kraus. 

T^te  carr^o,  offene  Stimfontanelle,  reripat. 

Zahiiunff. 
ScrOphulose    Starke  Epiphyaenauftreibnng,  rachit  Roeen- 

krans.  kann  nicht  laufen. 


Das  Verhalten  dieser  Kinder  bei  den  Geschmacksprüfungen 
war  ungefähr  folgendes: 

Gab  man  irgend  eine  der  vier  Lösungen,  so  konnte  man 
bei  ganz  genauer  Beobachtung  nur  eine  sehr  geringe  Reaction 
merken.  Die  Kinder  dieser  Gruppe  hatten  zwar  Geschmacks- 
empfindungen,  jedoch  so  abgeschwächte,  dass  ihnen  das  An- 
genehme resp.  Unangenehme  der  dargereichten  Lösungen  nur 
wenig  zum  Bewusstsein  kam.  Gab  man  Saccharin,  so  ver- 
hielten sie  sich  ganz  ruhig,  schluckten  dasselbe  herunter,  als 
ob   es  Wasser  gewesen  wäre.     Bei  Darreichung  von  Acidum 


Ueber  GeschmacksempfindangeD  rachit.  und  nichtrachit.  Kinder.     175 

mur.  und  Natr.  chlorat.  war  das  Verhalten  ähnlich.  Sie  wei- 
gerten sich  nicht;  von  Neuem  zu  nehmen,  nur,  dass  sie  manch- 
mal verwundert  aufschauten.  Etwas  intensiver  wirkte  das 
Chinin  bei  diesen  Kindern,  jedoch  lange  nicht  so,  wie  bei  sol- 
chen mit  normaler  Geschmacksempfindung.  Es  war  oft  sehr 
schwierig,  zu  entscheiden,  ob  bei  diesen  Kindern  wirklich  noch 
Geschmacksempfindungen  vorhanden  waren  oder  nicht.  Wir 
mussten  die  Untersuchungen  häufig  wiederholen,  wir  mussten 
durch  mancherlei  Hilfsmittel  uns  zu  überzeugen  suchen,  wie 
die  Sache  jedesmal  stand.  So  z.  6.  versuchten  wir  bei  man- 
chen Kindern,  bei  denen  wir  auf  andere  Weise  nicht  zum 
Ziele  kommen  konnten,  auf  folgende  Art  und  Weise  uns 
Sicherheit  zu  verschaffen:  Wir  nahmen  irgend  ein  süsses  Con- 
fect,  das  ausgehöhlt  war,  und  gaben  es  mehrmals  nacheinander 
zu  essen.  Sie  wurden  dadurch  so  weit  gebracht,  dass  sie  eine 
freundliche  Miene  aufsetzten.  Gaben  wir  nun  eines,  in  das 
wir  aber  vorher,  ohne  dass  es  die  Kinder  merkten,  irgend 
eine  der  unangenehm  schmeckenden  Losungen  hineingegossen 
hatten,  so  nahmen  sie  dasselbe  ebenso  bereitwilligst,  wie  die 
ersteren,  zerkleinerten  es  im  Munde,  stutzten  dann  aber  plötz- 
lich, schauten  verwundert  auf,  hielten  mit  den  Kaubewegungen 
an  und  spuckten  das  Ganze  aus,  so  dass  wir  daraus  schliessen 
konnten,  dass  ihnen  das  Unangenehme  zum  Bewusstsein  ge- 
kommen war.  Dasselbe  Experiment  hatte  bei  den  normal 
reagirenden  natürlich  einen  viel  eclatanteren  Erfolg. 

Manche  Kinder  waren  so  ängstlich,  dass  sie  es  geradezu 
nicht  wagten,  zu  weinen  oder  auf  die  Frage,  wie  es  schmecke, 
mit  „schlecht"  zu  antworten,  trotzdem  mehrmals  die  betreffen- 
den schlecht  schmeckenden  Substanzen  gegeben  wurden.  Manch- 
mal gelang  es,  diese  Schwierigkeit  dadurch  zu  überwinden, 
dass  wir  der  Mutter  eines  Kindes  auftrugen,  die  Lösungen 
dem  letzteren  einzugeben,  während  wir  von  irgend  einem  Ver- 
steck aus  das  Mienenspiel  des  Kindes  beobachteten.  Wir 
konnten  so  verschiedentlich  die  Beobachtung  machen,  dass 
Kinder,  die  bei  unseren  Untersuchungen  vorher  alle  Lösungen 
ruhig  ohne  Aeusserung  eines  Affectes  zu  sich  nahmen,  auf 
die  Lösungen  deutlich  reagirten,  wenn  sie  von  der  Mutter  in 
unserer  Abwesenheit  applicirt  wurden. 

Was  nun  die  dritte  Gruppe  von  Kindern  anbelangt,  die- 
jenigen nämlich,  welche  von  den  vier  Lösungen  gar  nichts 
schmeckten,  so  gehören  dazu  6  rachitische: 


176 


H.  BÜssem: 


M      Altar        a«MhlttCbt 


Krankheiten, 

die  eT.  neben 

Baohitie  noch 

beetenden 


Baohitieche  Symptome 


17  MoD.      Knabe 


2  18  Mon.      Knabe 

3  2  Jahre  ,  Mädchen 

4  3  Jahr  '  Mädchen 


Oxyuren 


6    U  Mon. 


6     1  Jahr 


Knabe 


Knabe 


Floridei  Stediam:  beginnende  Kjpbose,  ab- 
norm grotee  Rtimfontanelle,  tMe  earr^ 
rachit.  Boaenkraju,  Eplphjtenaaftreilmng 
an  allen  ExtremitAten. 

Florides  Budiom:  Kopfnfthte  nicht  rer- 
wacheen,  t£te  carrte,  Spaemue  (rlottidie, 
rachit.  Boeenkrana,  Bronchitle,  EpiphyBen- 
aaftreibong  a.  d.  ob.  Extremit&t«n. 

Epiphysenanftreibong  an  allen  ExtremitAten, 
lachit.  BoaenkranB,  grosae  Stirafontanelle. 

Flnride«  Stadium:  atarke  Epiphfaennnfkrei- 
bung  an  den  ob.  n.  nnt.  Extremitfttan, 
räch.  BoBonkrani,  Kopfichweias ,  Bron- 
chitia. 

Tt^te  oarr^e,  Epipbyaenanftreibnn?  an  allen 
Kxtremitaten,  Kopfnohwelae,  rachit  Boeen> 
krana. 

Noch  keine  Zähne,  raohit  Boaenknuia,  groase 
Stimfontanelle,  Pectai  carinatnm. 


Diesen  Kindern  konnte  man  geben ,  von  welcher  Losung 
man  wollte,  sie  nahmen  bereitwillig  ohne  Aeusserung  eines 
Affectes,  sie  machten  Saugbewegungeu  sowohl  bei  Saccharin, 
als  bei  Chinin,  Chlornatr.  und  Acidum  muriaticum.  Man 
konnte  deutlich  ihrem  Gesichte  ansehen,  dass  es  ihnen  gleich- 
gültig war,  was  sie  bekamen,  und  mithin,  dass  sie  keine  Em- 
pfindung des  Angenehmen  resp.  Unangenehmen  hatten.  Es 
war  auch  hier  zuweilen  schwer,  sich  ein  richtiges  ürtheil  über 
den  wirklichen  Zustand  zu  bildon,  theils  wegen  der  Aengst- 
lichkeity  theils  wegen  des  unruhigen  Verhaltens  einiger  Kinder. 
Es  wurde  daher  jedes  dieser  Kinder  drei-  bis  viermal,  und 
zwar  zu  verschiedeneu  Zeiten,  untersucht,  um  völlige  Sicher- 
heit zu  haben,  dass  diese  Kinder  von  den  dargereichten  Lo- 
sungen auch  nicht  das  Geringste  schmeckten. 

Bei  zwei  rachitischen  Kindern,  die  bei  der  ersten  Ge- 
schmacksprüfung ein  negatives  Resultat  lieferten,  machten  wir 
noch  die  Beobachtung,  dass  bei  ihnen,  als  wir  nach  drei  bis 
vier  Monaten  die  Untersuchungen  wiederholten,  eine  Ver- 
änderung eingetreten  war  insofern,  als  sie  jetzt  vollständig 
normales  Verhalten  bezüglich  der  Geschmacksempfindungen 
zeigten.  Man  sieht  also,  dass  eine  Besserung  der  Störungen 
bald  eintreten  kann;  die  Rachitis  selbst  hatte  sich  in  dieser 
Zeit  gar  nicht  geändert 

Wie  wir  im  Vorhergehenden  gesehen  haben,  litten  von 
105  rachitischen  Kindern  18  an  Geschmacksstörungen,  bei 
zwei  von  letzteren  war  freilich  bei  späterer  Untersuchung 
wieder  normales  Verhalten  eingetreten. 

Vergleichen  wir  mit  diesem  Resultat  die  Ergebnisse  der 
Untersuchungen  bei  den  nichtrachitischen  Kindern.     Es  lassen 


Ueber  GeschmackBempfindungen  rachit.  und  nicbtrachit.  Kinder.     177 


sich  auch  hier  wieder  die  früher  genannten  drei  Gruppen  auf- 
stellen. Von  den  90  nichtrachitischen  Kindern  reagirten  näm- 
lich 77  normal.     Ich  lasse  sie  nachstehend  folgen: 


M  >     Alter 


Ge- 
lohleehfc 


erent.  Krankheit 


.\f       Alter 


Oe- 
aehleoht 


OTent.  Krankheit 


1  7  Mon. 

2  6  Jahr 

3  2  Mon. 

4  6  Jahr 
ö7V,Jahr 

6  3  V,  Jahr 

7  3  Jahr 

8  5  Jahr 

9  6  MoD. 

10  5  Jahr 

11  2  Jahr 

12  7  Jahr 

13  8%  Jahr 

14  8  Jahr 

15  4  MoQ. 

16  22  Mon. 

17  3  Jahr 

18  3  Jahr 

19  8  Mon. 

20  1  Jahr 

21  6  Jahr 

22  19  Mon. 

23  2  Jahr 

24  6'/' Jahr 
26  3  Mon. 

26  13  Mon. 

27  6  Jahr 

28  4  .Tahr 

29  17  Mon. 
80  3'/,  Jahr 

31  2  Jahr 

32  3  Jahr 

33  2  Jahr 

34  8  Mon. 
36  6  Jahr 

36  13  Mon. 

37  4  Jahr 

38  6  Jahr 
39!  2  Jahr  , 

Eine 
unter  den 


Mädch. 


>i 


1» 


»» 


»I 


«I 


II 


n 


n 


1» 


Knabe  'Bronchitis 
Mädcb.  Bronchitis 
„       ,  Pertussis 
f,        Bronchitis 
Knabe  Pertussis 

Pertussis 

Oxyuren 

Enteritis 

Pertussis  incip. 

jOxynreo 

.Oberarmfractur 

(gesund 

Pertussis 

Nephritis 

abgelauf.  Enterit. 
Knabe  (Pertussis 
Mädch.  Bronchitis 

Arthritis  genu 

gesund 

Unterarm  fraktnr 

Enteritis 

gesund 

Enteritis 

Pertussis  incip. 

Ekzema  capitis 

Bronchitis 
Knabp  |  Bronchitis 
Mädch. !  Oxyuren 
Knabe  |  Bronchitis 
Mädch.  (Pertussis  incip. 

Pertussis  incip. 

Bronchitis 
,,        Bronchitis 
Knabe   Enteritis 
.,       Pertussis 
„        Pertussis  incip. 
Knabe  (Pertussis 

I  Pertussis 


'.1 
Knabe 

Mädch. 
II 


II 


II 


40|2V,Jahr 
41 137,  Jahr 
42   2  Jahr 
43"  5  Jahr 


44 
46 
46 
47 
48 
49 
50 
61 
62 
63 
64 
6f) 
66 
67 
68 
69 
60 
61 
62 
63 
64 
66 
66 
67 
68 
69 
70 
71 


Mädch.  Pertussis 
„       'Pertussis 
Knabe  gesund 
Pertussis 


»» 


5  Jahr 
2  Jahr 

4y,Jahr 

4  Jahr 

2  Jahr 

7  Jahr 
14  Mon. 
13  Mon. 
26  Mon. 

4  Jahr 

7  Jahr 
iV^Mon. 
17  Mon. 

6  Jahr 
6  Woch. 

6  Jahr 
6  Jahr 
6  Jahr    Mädch. 


Mädch. 
Knabe 
Mädch. 


»I 

j» 

II 
Knabe 

>» 
II 
II 

II 

Mädch. 

II 
Knabe 

II 
I» 


II 
Knabe 

Mädch. 


2'/,  Jahr 

6  Mon. 
4  Jahr 

7  Jahr 
26  Mon.   Knabe 

2  Jahr 
1  Jahr 


t« 


II 
II 


Pertussis 

Pertussis 

Pertussis 

Phthisis  incip. 

gesund 

gesund 

Oxyuren 

Pertussis 

Pertussis 

Oxyuren 

pfesund 

Ekzema  capit. 

Pertussis 

gesund 

Pertussis  incip. 

Ekzema  capit. 

Oxyuren 

Phthibis  incip. 

Pertussis 

Pertussis 

Bronchitis 

gesund 

Bronchitis 

Bronchitis 

Pertussis 


I 
1 7, Jahr;  Mädch.  Pertussis 


6  Jahr 
3  Mon. 

72 1 187,  M. 

731  7  Jahr 


fi 
Knabe 
Mädch. 


II 


Pertussis 
Pertussis 
Bronchitis 
Parotitis  idiop. 


74167, Jahr!  Knabe  [Bronchitis 
75   6  Jahr    Mädch.  Pertussis 


7647gJahr 
77!  6  Jahr 


•Pertussis 
Knabe  'Pertussis 


Mädch.  j  Oxyuren 

Abstumpfung  der  Geschmacksempfindungen  zeigten 
nichtrachitischen  10  Kinder: 


M      Alter 


Ge- 

•chlecht 


erent.  Krankheit 


l|272Jahr  Knabe   Ekzema  capitis 
21  3  Jahr         ..       i  Augina  tonsillar 


3 
4 


2  Jahr 
2  Jahr 
4  Jahr 


II 

V 

II 
I» 


Bronchitis 

iPertubsis 

Oxyuren 


M       Alter 


6 
7 

8 


Ge- 
■chleoht 


event.  Krankheit 


6  Jahr 
6  Jahr 
4  Jahr 
9J4y,Mon. 
10372Jahr 


T' 


Mädch.  .Enteritis 
Knabe  I Pseudocroup 
Oxyuren 
Ekzema  capitis 
Bronchitis 


11 


Mädch. 


178 


H.  Bfl88em: 


Völlige  Aufhebung  des  Geschmackii  war  bei  drei  nicht- 
rachitiseben  Torhanden: 


.\f  I       Alter 

._1     _ 


i 

Oeiohlecht       erent.  Krankheit 


1 
2 
3 


Koabe       'Bronchitis 
„  iPertoBsis 


2  Jahr    \ 
2  Jahr    ' 
2  y«  Jahr  |     MUdchen     'Ozyaren^Idiot 


Von  den  90  nichtrachitischen  Kindern  litten  also  13  an 
Geschmacksstörungen,  oder  procentualisch  ausgedrückt,  14%, 
darunter  freilich  ein  Idiot,  während,  wie  wir  gesehen  haben, 
von  den  105  rachitischen  18,  gleich  17%,  daran  litten. 

Bezüglich  der  drei  Gruppen  der  nichtrachitischen  Kinder 
gilt  dasselbe,  was  oben  für  die  einzelnen  Gruppen  der  rachi- 
tischen Kinder  angeführt  ist.  Es  soll  nur  noch  bezüglich  der 
ersten  Gruppe  sowohl  der  rachitischen  wie  nichtrachitischen 
Kinder  einiges  nachgeholt  werden.  Wenn  bei  dieser  Gruppe 
von  normaler  Reaction  gesprochen  wurde,  so  ist  das  so  auf- 
zufassen, dass  die  einzelnen  Kinder  im  Allgemeinen  eine  gleiche, 
präcise  Reaction  zeigten,  dass  jedoch  hier  und  da  geringe 
Abweichungen  von  der  Norm  vorkamen,  die  man  aber  noch 
nicht  als  eine  Störung  des  Geschmackes  ansehen  kann.  So 
fand  sich  eine  Reihe  von  Kindern,  die  im  Uebrigen  normalen 
Geschmack  hatten,  nur  für  saure  Sachen  besondere  Vorliebe 
an  den  Tag  legten.  Bei  Natr.  chlorat.  und  Chinin  verzogen 
sie  ihr  Gesicht,  Saccharin  nahmen  sie  mit  Wohlbehagen  und, 
was  auffallend  war,  auch  Acid.  muriaticum.  Wir  konnten 
auch  meistens  von  den  Müttern  den  Befund  bestätigt  finden, 
indem  diese  angaben,  dass  die  Kinder  zu  Hause  saure  Speisen 
den  anderen  vorzögen.  Eine  andere  Reihe  von  Kindern  zeigte 
die  Eigenthümlichkeit,  dass  sie  auf  die  unangenehm  schmecken- 
den Substanzen  in  abnorm  starker  Weise  reagirten,  so  dass 
man  eine  Steigerung  der  Geschmacksempfindungen  annehmen 
konnte.  Sobald  nämlich  eine  der  drei  Lösungen  (Acid.  mu- 
riat,  Natr.  chlorat.  oder  Chinin)  applicirt  war,  traten  solche 
Zeichen  der  Unlust,  des  Missbehagens  zu  Tage,  dass  eine 
weitere  Untersuchung  geradezu  unmöglich  war.  Weinen,  Würg- 
bewegungen, Erbrechen,  Schütteln  mit  dem  Kopf,  Abwehiv 
bewegungen  mit  Händen  und  Füssen,  Ausspucken  der  ein- 
gegebenen Lösung,  alles  dieses  konnte  man  sofort  nach  der 
Darreichung  bei  diesen  Kindern  beobachten.  Chinin  wirkte 
dabei  meist  am  intensivsten. 

Bei  manchen  Kindern  konnte  eine  Nachwirkung  einzelner 
Geschmäcke  constatirt  werden.  War  z.  B.  Chinin  gegeben, 
und   gab  man  dann  sogleich  Saccharin,   so  entstand  dieselbe 


Ueber  GeBchmacksempfindungen  rachit.  und  nichtrachit.  Kinder.     179 

Gesichtsverzerrung,  vfie  sie  bei  Chinin  eintritt;  dieselbe  blieb 
oft  noch  bestehen,  wenn  sofort  eine  zweite  oder  dritte  Qabe 
Yon  Saccharin  hinzugefügt  wurde,  bis  dann  nach  einiger  Zeit 
das  verwunderte  und  später  freundliche  Gesicht  der  Kinder 
anzeigte,  dass  ihnen  das  Süsse  zur  Empfindung  gekommen 
war.  Umgekehrt  ging  es,  wenn  zuerst  Saccharin^  dann  Chinin 
gegeben  wurde.  Der  Umschlag  des  freundlichen  Gesichtes  in 
das  Gegentheil  war  hier  in  der  Regel  deutlicher  als  in  dem 
ersten  Falle  zu  erkennen. 

Alle  vier  Lösungen  wurden  bei  den  meisten  Kindern  der 
ersten  Gruppe  bedeutend  besser  geschmeckt,  wenn  man  vor 
Darreichung  einer  der  Lösungen  Wasser  eingab. 

Allzulanges  Experimentiren  rief  fast  immer  Abstumpfung 
der  Geschmacksempfindungen  hervor. 

Es  ist  viel  darüber  gestritten  worden,  ob  die  Kinder,  be- 
sonders die  aus  den  ersten  Lebensjahren,  das  Süsse  bereits 
als  etwas  Angenehmes,  das  Bittere,  Saure,  Salzige  dagegen 
bereits  als  etwas  Unangenehmes  empfinden  oder  ob  der  Ge- 
schmackssinn der  Kinder  nur  in  ganz  unbestimmter  Weise 
functionire  und  die  mimischen  Ausdrücke  einfache  Reflex- 
erscheinungen seien,  die  durch  einen  geringeren  resp.  stärkeren 
Reiz  hervorgebracht  würden.  Für  die  erstere  Ansicht  spricht 
sich  A.  Kussmaul  aus.  Er  machte  zahlreiche  Experimente 
und  fand  als  Endresultat:  erstens,  dass  der  Geschmackssinn 
bereits  bei  Neugeborenen  in  seinen  wesentlichen  Empfindungs- 
formen thätig  zu  sein  vermag,  zweitens,  dass  mit  bestimmten 
Geschmacksempfindungen  bestimmte  mimische  Ausdrücke  ver- 
knüpft sind. 

Magendie*),  Vierordt*)  und  Preyer  theilen  die  Mei- 
nung KussmauTs. 

Ebenso  konnte  Lichtenstein  aus  seinen  Untersuchungen 
den  sicheren  Schluss  ziehen,  dass  den  Kindern  der  Geschmack 
von  Süss,  Bitter,  Sauer,  Salzig  bestimmt  zur  Perception  komme. 

Die  zweite  Ansicht  vertreten  unter  anderen  Bichat^)  und 
Genzmer. 

Bichat  lässt  alle  Sinne,  also  auch  den  Geschmackssinn, 
in  unbestimmter  Weise  functioniren: 

„Les  sensations,  d'abord  confuses,  ne  tracent  ä  Tenfant 
que  des  images  g^nerales;  Foeil  n'a  que  le  sentiment  de 
lumiere,   Toreille   que  celui   du  son,    le   goüt  que   celui   de 


1)  Magendie,  YorlesuDgen  über  das  NervenBystem  und  seine  Er< 
krankanfi^en.    Uebersetzt  von  Dr.  Jos.  Krupp.    Leipzig  1S41. 

2)  Handbuch  der  Kinderkrankheiten.  Herausgegeben  von  Gerhardt. 

3)  Bichat,  Recherches  physiologiques  sur  la  vie  et  la  mort.    P.  l. 
Ari  Vin.    §.  8. 


180  H.  Büssem: 

saveur,  le  nez  que  celui  d'odeur;  rien  encore  n'est  distinct 
dans  ces  affectioDS  g^nerales/' 

Genzmer  sagt: 

„Ob  die  Kinder  bei  der  Einwirkung  der  bitteren  und 
sauren  Losungen  schon  Ekel  empfinden,  ist  schwer  erweislich. 
Wir  sehen  mir  Reflexe,  deren  Eintreten  beim  Erwachsenen 
mit  Ekelgefölil  verbunden  zu  sein  pflegt;  beim  Erwachsenen 
sind  aber  auch  die  Brechbeweguugen  mit  hochgradigem  Ekel- 
gefühl verbunden,  während  sich  der  Säugling  selbst  durch 
wiederholtes  Erbrechen  durchaus  nicht  in  dem  Geschäft  der 
Nahrungsaufnahme  stören  lässt.  Wahrscheinlich  kommt  dem 
Neugeborenen  der  Geschmack  des  Süssen  und  Bitteren  erst 
mit  der  Zeit,  nach  öfterer  Wiederholung  des  Reizes  zum  Be- 
wusstsein." 

Zur  weiteren  Erklärung  führt  Genzmer  an:  „Werden 
die  Geschmacksnerven  in  einer  massigen  Weise  erregt,  so  er- 
folgen Saugbewegungen  als  einfacher  Reflex;  ist  der  Ge- 
schmacksreiz ein  zu  starker,  so  erfolgt  Speichelfluss  und  Würg- 
bewegung, ebenfalls  als  einfacher  Reflex.  Letzteres  kann  wohl 
nur  bei  der  Application  von  bitteren  und  sauren  Losungen 
der  Fall  sein,  da  der  süsse  Geschmack  nie  so  penetrant,  so 
kräftig  ist,  um  die  zweite  Reihe  von  Reflexen  auslosen  zu 
können.  Den  differenten  Gesichtsausdruck  erkläre  ich  mir 
durch  einen  von  den  Tastkörperchen  percipirten  Reiz,  den  die 
Säure  vermöge  ihrer  adstringirenden  Eigenschaft  ausübt.'' 

Die  Beobachtungen,  die  wir  bei  unseren  Untersuchungen 
an  den  jüngeren  Kindern  der  ersten  Gruppe  machten,  brachten 
uns  zu  der  Ueberzeugung,  dass  die  Ansicht  der  zuerst  ge- 
nannten Autoren  die  richtige  ist.  Mit  Recht  sagt  Preyer, 
bezugnehmend  auf  die  Worte  Genzmer's:  „Wenn  jede  be- 
liebige, massige  Reizung  der  Geschmacksnerven  als  einfacher 
Reflex  Saugbewegungen  bewirkte,  jede  beliebige,  starke  Reizung 
derselben  dagegen  ebenfalls  als  einfacher  Reflex  Würgen,  so 
müsste  auch  der  intensivste  süsse  Geschmack  nur  als  massiger 
Reiz  angesehen  werden,  und  es  wäre  unverständlich,  dass 
unter  sonst  gleichen  Umständen  die  Mimik  bei  Bitter  eine 
andere,  als  bei  Sauer  und  als  bei  Süss  ist,  wenn  die  ent- 
sprechenden Reize  stark  genug  sind/' 

Man  kann  weiterhin  gegen  die  Worte  Genzmer' s  noch, 
anführen,  dass  es  auch  viele  Erwachsene  giebt,  die  gleich  nach 
dem  Erbrechen  mit  Appetit  wieder  Nahrung  zu  sich  nehmen 
können.  Sieht  man  überhaupt  ganz  von  den  Würgbewegungen 
und  dem  Erbrechen  ab,  so  bleibt  noch  eine  ganze  Reihe  von 
Zeichen,  die  deutlich  dafür  sprechen,  dass  bei  den  Kindern 
unangenehme  Empflndungeu  statthaben,  wir  meinen  das  Wei- 


üeber  OeschmacksempfiDdiingen  rachit.  und  nichtrachit.  Kinder.    Igl 

nen,  die  AbwehrbewegangeD,  das  Schütteln  mit  dem  Köpf- 
chen u.  s.  w. 

Kommen  wir  nun  wieder  auf  die  mit  Geschmacksstörungen 
behafteten  Kinder  zurück.  Vergleichen  wir  die  Zahl  derselben 
mit  derjenigen y  die  sich  bei  den  Untersuchungen  Lichten- 
stein's  herausstellte,  so  sehen  wir  zuerst,  dass  der  Procentsatz 
der  abnorm  reagirenden  rachitischen  Kinder  bei  Lichten- 
stein grösser  ist  als  bei  uns  (68%:  17%). 

Ferner  beobachten  wir,  dass  von  den  nichtrachitischen 
Kindern  Lichten stein's,  abgesehen  von  drei  Idioten,  keines 
eine  Geschmacksanomalie  zeigte,  während  bei  den  von  uns 
untersuchten,  nichtrachitischen  Kindern  der  Procentsatz  der 
an  Geschmacksstörung  leidenden  fast  ebenso  gross  ist,  wie  bei 
den  rachitischen  (14%  :  17%). 

Aus  unseren  Untersuchungen  ergiebt  sich  also  deutlich, 
dass  bei  Kindern,  sowohl  bei  rachitischen  als  nichtrachitischen, 
Geschmacksstörungen,  sei  es  nun  vollständige  Aufhebung  des 
Geschmackes  oder  Abstumpfung  desselben,  nicht  allzuselten 
angetroffen  werden.  Bisher  hat  man  von  diesen  Anomalien 
wenig  Keuntniss  gehabt.  Hier  und  da  findet  man  in  der  Litte- 
ratur  vereinzelte  Fälle  angeführt,  ohne  dass  aber  die  betrefiPen- 
den  Autoren  näher  auf  die  Aetiologie  eingehen. 

A.  Genzmer  berichtet  von  einem  Falle,  wo  ein  Mädchen 
am  ersten  Lebenstage  wie  in  der  sechsten  Woche  an  einer 
5% igen  Chininlösung  saugte,  ohne  irgend  ein  Zeichen  des  Miss- 
fallens  von  sich  zu  geben.  Auch  Kussmaul  sah  ein  ähn- 
liches Verhalten  mehrer  Kinder  bei  Darreichung  einer  4%  igen 
Chininlösung.  Der  erste,  der  nach  dieser  Richtung  hin  um- 
fangreichere Untersuchungen  anstellte,  war  Lichteustein. 
Letzterer  zieht  aus  dem  Befunde,  dass  die  Mehrzahl  der  rachi- 
tischen Kinder  Geschmacksstöruugen  zeigten,  während  die  nicht- 
rachitischen, mit  Ausnahme  der  drei  Geistesschwachen,  normal 
reagirten,  den  Schluss,  dass  der  rachitische  Krankheitsprocess 
und  die  verminderte  resp.  aufgehobene  Perception  der  Ge- 
schmackseindrücke in  Zusammenhang  stehen.  Er  führt  die 
bei  den  rachitischen  Kindern  gefundenen  Geschmacksstöruugen 
auf  cerebrale  Vorgänge  zurück.     Er  sagt: 

,,Die  Retardation  der  verschiedensten  Functionen  bei  Ra- 
chitis ist  in  letzter  Linie  auf  cerebrale  Vorgänge  zurQckzu- 
iühren.  Die  Mehrzahl  der  Rachitiker  überragt  das  geistige 
Durchschnittsmaass  nicht,  im  Gegentheil  bleibt  hinter  dem- 
selben zurück  (Verzögerung  der  Dentition,  der  Sprache,  der 
coordinirten  Locomotion,  schwieriges  Haftenbleiben  seelischer 
Eindrücke,  spärlichere  Aeusserungen  der  Psyche,  des  Intellectes, 
des  Willens).  Als  anatomisches  Substrat  sind  zweierlei  Arten 
von  Störungen  anzuführen: 


182  H.  Bfissem: 

1.  überstarke  VascalarisatioD  des  Gehirnschädels,  die  nicht 
nur  Haut^  Knochen  und  Dura  betrifft^  sondern  auch  Pia,  Hirn* 
rinde,  so  dass  die  betreffenden  Centren  leicht  afficirt  werden 
können. 

2.  Vermehrung  des  liquor  cerebro-spinalis'mit  der  daraus 
resultirenden  Druckwirkung  und  Ernährungsstörung/' 

Auf  Grund  unserer  Beobachtungen  kann  man  jedoch,  da 
sich  Geschmacksstörungen  bei  nichtrachitischen  Kindern  fast 
ebenso  häufig  vorfanden,  als  bei  rachitischen  und  da  zudem 
nur  ein  verhältnissmässig  kleiner  Procentsatz  der  rachitischen 
Kinder  eine  Geschmacksanomalie  erkennen  Hess,  der  Schluss- 
folgerung Lichtensteiu's  nicht  zustimmen.  Keineswegs  darf 
immer  eine  bei  Kindern  sich  vorfindende  Geschmacksanomalie 
als  directes  Symptom  von  Rachitis  angesehen  werden. 

Auf  Grund  unserer  Beobachtungen  erscheint  es  fernerhin 
nicht  statthaft,  für  die  bei  Kindern  sich  vorfindende  mangel- 
hafte Entwickelung  des  Geschmackssinnes  jene  von  Lichten- 
stein angenommenen  cerebralen  Vorgänge  verantwortlich  zu 
machen.  Wenigstens  fehlt  für  die  nichtrachitischen  Kinder, 
bei  denen  sich  in  unseren  Fällen  Störungen  des  Geschmacks- 
sinnes  vorfanden,  jeder  Anhaltspunkt  für  derartige  cerebrale 
Vorgänge,  wie  sie  Lichtenstein  annimmt. 

Es  giebt  nun  eine  ganze  Reihe  von  Krankheiten,  bei 
denen  mehr  oder  weniger  häufig  Geschmacksstörungen  —  so- 
wohl Abstumpfung  als  völlige  Aufhebung  —  vorkommen,  so 
z.  B.  bei  Hysterie,  Epilepsie,  Tabes  dorsalis,  bei  traumatischen 
Neurosen,  Litoxication  durch  Grubengas.  Jedoch  konnten 
diese  Erkrankungen,  von  denen  ja  ein  Theil  bei  Kindern  über- 
baupt  selten  auftritt,  bei  der  Frage,  welches  in  unseren  Fällen 
die  Ursachen  der  Geschmacksstörungen  seien,  völlig  ausge- 
schlossen werden. 

Anästhesien  der  Geschmacksnerven  kommen  weiterhin 
noch  vor: 

1.  bei  Erkrankung  der  peripheren  Endorgane  der  Ge- 
schmacksnerven (Erkrankung  der  Zungenschleimhaut); 

2.  bei  Affection  (Compression)  des  nervus  glossopharyngeus; 

3.  bei  Erkrankungen  des  n.  lingualis  und  Trigeminus  inner- 
halb der  Schädelhöble; 

4.  bei  Affection  der  Chorda  tympani  (Mittelohrerkran- 
kungen); 

5.  bei  Affection  des  nerv,  facialis  vom  Eintritt  der  Chorda 
tympani  an  bis  zum  Ganglion  geniculi. 

Sodann  sind  centrale  Geschmacksstörungen  bei  Erkran- 
kungen des  hinteren  Abschnittes  der  inneren  Kapsel  beobachtet 
worden. 


Ueber  Geschmacksempfindnngen  rachit.  uod  nichtrachit.  Kinder.     183 

Dafür,  dass  eine  von  diesen  Erkrankungen  vorlag,  fehlte 
uns  jeder  Anhaltspunkt 

Es  erscheint  uns  überhaupt  zweifelhaft,  ja  nicht  einmal 
wahrscheinlich,  dass  in  den  Fällen,  in  denen  wir  eine  Ge- 
sclimacksstorung  constatirten,  krankhafte  Processe  im  engeren 
Sinne  die  Ursache  dieser  Störungen  bildeten.  Jedenfalls  ist 
mit  der  Möglichkeit  zu  rechnen,  dass  es  sich  bei  jenen  Kin- 
dern nicht  etwa  um  eine  Beeinträchtigung  des  bereits  ent- 
wickelten Geschmackssinnes  durch  krankhafte  Processe  handelte, 
dass  vielmehr  bei  ihnen  der  Geschmackssinn  nicht  genügend 
oder  überhaupt  noch  nicht  zur  Entwickelung  gelangt  war. 

Zum  Schluss  erfülle  ich  die  angenehme  Pflicht,  meinem 
hochverehrten  Lehrer  Herrn  Prof.  Ungar  für  die  Anregung 
zu  dieser  Arbeit,  sowie  für  die  freundliche  Unterstützung  bei 
Anfertigung  derselben  meinen  herzlichsten  Dank  auszusprechen. 


xn. 

Zur  Epidemiologie  der  Diphtherie  im  Sfiden  Rasslands. 

Von 
Prof.  Nil   FiLATOW 

iit  Moskau. 

Zu  Ende  der  70  er  Jahre  wurden  die  sQdlichen  Gouver- 
nements Uusslands  bekanntlich  von  der  epidemischen  Di- 
phtherie arg  heimgesucht.  Es  ist  schwer  zu  sagen,  wann  die 
Krankheit  dort  ausgebrochen  ist  und  wie  sie  sich  verbreitet 
hat,  denn  es  fehlt  an  den  dazu  erforderlichen  positiyeu  Daten. 
Man  nimmt  an,  dass  die  Diphtherie  im  Jahre  1873  aus 
Bessarabien  ins  Cherson'sche  Gouvernement  verschleppt  worden 
ist,  sich  allmählich  im  Verlaufe  der  folgenden  Jahre  in  der 
Richtung  nach  Norden  und  Osten  verbreitet  und  auf  diese 
Weise  die  Gouvernements  Podolien,  Taurien,  Jekaterinoslaw, 
Tschernigow,  Woronesh,  Poltawa,  Charkow,  Kursk,  Orel  und 
das  Land  der  Don'schen  Kosaken  eingenommen  hat  Das  ist 
jedoch  nicht  richtig,  denn  es  existiren  Angaben,  dass  die  Di- 
phtherie an  diesen  Orten  schon  viel  früher  sporadisch  beob- 
achtet worden  ist.  So  wird  z.  B.  in  den  Sanitätsberichten 
des  Gouvernements  Poltawa  schon  zu  Beginn  der  60er  Jahre 
der  Diphtherie  als  in  einigen  Bezirken  vorkommend  erwähnt; 
Bebse  hat  in  dem  Kursker  ärztlichen  Vereine  im  Jahre  1862 
über  epidemische  Diphtherie  Mittheilung  gemacht,  und  Pu- 
zeuko  giebt  an,  dass  er  in  den  Jahren  1863 — 1864  ebenfalls 
im  Kursker  Gouvernement  ganze  Dörfer  angetroffen  habe,  die 
von  einer  sehr  schweren  Diphtherie  heimgesucht  waren;  dies 
bestätigt  auch  Harrison,  der  zu  derselben  Zeit  dort  thätig 
war.  Popow  beruft  sich  auf  eine  Schrift  von  Markewitsch 
„Ueber  die  Bevölkerung  des  Gouvernements  Poltawa",  die 
1855  in  Kiew  erschienen  ist  und  u.  A.  die  Angabe  enthält, 
dass  die  Diphtherie  eine  hervorragende  Rolle  unter  den  Krank- 
heiten   gespielt   habe,    welche    am   meisten  Opfer   unter   den 


Zar  Epidemiologie  der  Diphtherie  im  Sflden  RosslandB.       185 

Kindern  einiger  Ortschaften  des  GoaTernements  in  den  50  er 
Jahren  gefordert  habe. 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ist  die  Diphtheritis  im 
Süden  Russlands  ebenso  wie  im  westlichen  Europa  bald  nach 
dem  Krimkriege  aufgetreten^  aber  lange  Zeit  unbemerkt  ge- 
blieben, denn  einerseits  entwickeln  sich  die  Diphtheritisepi- 
demien  überhaupt  äusserst  langsam,  und  vom  Auftreten  der 
ersten  Fälle  bis  zur  Entwickelung  der  Epidemie  vergehen 
bisweilen  Jahre  ^),  andrerseits  gab  es  zu  jener  Zeit  dort  fast 
gar  keine  Aerzte  und  von  genauen  Sanitatsberichten  konnte 
keine  Rede  sein.  (Trotz  des  heftigen  Wüthens  der  Epidemie 
kam  zu  Ende  der  70  er  Jahre  in  jedem  der  genannten  Gou- 
vernements je  1  Arzt  auf  50  —  100000  Einwohner,  die  über 
einen  Flächenraum  von  1500 — 2000  qkm  verstreut  waren.) 

Um  einen  Begriff  von  der  Heftigkeit  der  Epidemie  zu 
geben,  wollen  wir  hier  einige  die  Mortalität  an  Diphtherie  be- 
treffende Zahlen  angeben.  Am  meisten  officielle  Angaben 
giebt  es  über  das  Gouvernement  Poltawa.  Hier  sind  1875 
nur  480  TodesföUe  vorgekommen,  doch  stieg  die  Sterblichkeit 
später  von  Jahr  zu  Jahr  und  erreichte  1879  ihren  Höhepunkt, 
wie  dies  aus  folgenden  Zahlen  ersichtlich  ist:  es  starben  an 
Diphtherie: 

1876  1876  1877   1878  1879  1880   .  ^      «„  ^«. 

1  in  Samma  72  986. 

480   4936  11071  21011  20376  15113 

In  vielen  Bezirken  reichte  die  Sterblichkeit  an  Diphtherie 
bis  zu  127oo  heran  und  ging  in  anderen  sogar  noch  hoher 
hinauf.  So  starben  z.  B.  im  Mirgorod'schen  Kreise  im  Ver- 
laufe von  4  Jahren  11291  oder  2850  jährlich,  was  bei  der 
Bevölkerung  von  180  000  Einwohnern  fast  16  ^^  ergiebt.    Be- 

1)  So  wurden  z.  B.  im  Gonvernement  Tschemigow  die  ersten  F&Ue 
▼on  Diphtherie  im  Jahre  1879  angezeigt,  doch  blieh  die  Krankheit 
8  Monate  hindurch  sporadisch;  im  Oharko waschen  zeigten  sich,  wie 
Gatoba  anhebt,  vereinzelte  Fälle  im  Jahre  1869,  die  meist  in  Ge- 
nesung ausgingen,  und  erst  1877  häuften  sich  die  Erkrankungs-  und 
Sterbei&lle;  im  Poltawa'schen  wurden  in  den  60  er  Jahren  die  ersten 
FftUe  bekannt,  doch  ist  eine  Epidemie  erat  1875  constatirt  worden; 
in  diesem  Jahre  erreichte  die  Mortalität  an  Diphtherie  im  Mirgorod- 
schen  Kreise  das  Yerhältniss  von  61  auf  1000  und  1876  Ton  66  auf 
1000,  während  die  Zahl  der  Geburten  zu  den  Todesfällen  sich  wie 
lOO  :  130  verhielt  (Ksensenko).  Dasselbe  wird  auch  in  solchen  Gou- 
▼eniementa  beobachtet,  die  weniger  von  der  Epidemie  zu  leiden  hatten, 
wie  z.  B.  im  Ssaran'schen  Kreise  des  Gouvernements  Pensa,  wo,  wie 
Chlebnikow  angiebt,  über  den  ganzen  Kreis  verstreute  sporadische 
Fälle  von  Diphtherie  im  Verlauf  von  5  Jahren  (von  1879  an)  vorkamen, 
and  1886  ohne  nachweisbare  Einschleppung  plötzlich  eine  Epidemie  im 
Dorfe  Romodanow  ausbrach,  die  in  wenigen  Monaten  166  Kinder  ins 
Grab  brachte.  ^ 

Jahxbnch  f.  Kinderheilkande.    K.  F.   XXXIX  ^^ 


186  Nil  Filatow: 

rücksichtigen  wir  einzelne  Dörfer,  so  stellt  sich  die  MortaliiSt 
bisweilen  noch  hoher:  in  Ssaratschinzjr  z.  B.  erkrankten  yon 
9740  Einwohnern  im  Jahre  1876  2710  (28%)  und  starben 
770;  d.  h.  797oo)  ^^^  Epidemie  dauerte  hier  4  Jahre  an  und 
in  dieser  Zeit  erkrankten  3284  und  starben  1009,  d.  h.  %  der 
Bevölkerung  war  erkrankt  und  fast  %  gestorben.  Im  Dorfe 
Sujewzy  erkrankten  1877  von  den  3387  Einwohnern  482 
(14,2  %o  oder  1  von  7)  und  starben  291  (86  7oo),  im  Ver- 
laufe von  4  Jahren  sind  aber  1012  erkrankt  und  Ö19  ge- 
storben (fast  Ve  ^^^  Gesammtbevolkerung). 

Im  Gouvernement  Cberson  erkrankten  von  1875 — 1880 
25900  Menschen  und  starben  9342,  während  im  Jahre  18ä7 
allein  gegen  15000  an  Diphtherie  zu  Grunde  gingen.  In 
Charkow  starben  1878  ca.  5000  Menschen,  1879  21571, 
1880  11261.  Aehnlich  sah  es  in  den  übrigen  inficirten 
Gouvernements  aus.  Gegenwärtig  nimmt  die  Diphtherie  im 
Gouvernement  Ssaratow  merklich  überhand;  sie  trat  hier  1890 
auf  und  ergab  in  vier  Jahren  (von  1890—1893)  12813  Fälle, 
▼on  denen  auf  1893  allein  8521  kommen. 

Die  Mortalität  an  Diphtherie  schwankte  an  den  einzelnen 
Orten  von  8  bis  16  %  der  allgemeinen  Mortalität^  war  jedoch 
in  einzelnen  Kreisen  bedeutend  grosser,  so  z.  B.  im  Senko- 
wezky'schen  Kreise  des  Gouvernement  Poltawa,  wo  sie  25%, 
und  im  Mirgorod'schen  Kreise,  wo  sie  33  %  der  allgemeineu 
Mortalität  ausmachte. 

Im  Allgemeinen  war  die  Epidemie  um  so  intensiver,  je 
kleiner  die  Ortschaft,  sodass  die  Morbidität  beispielsweise  in 
Städten  nicht  3^^^  überstieg,  während  sie  in  Dörfern  das  Ver- 
bal tniss  von  947oo  ei^eichte  (Molle sson). 

Die  Bedeutung  der  Diphtherie  als  eines  die  allgemeine 
Sterblichkeit  steigernden  Factors  ist  so  gross,  dass  sie  an 
einigen  Orten  fast  alle  Kinder  hinraffte  und  dass  in  vielen 
Kreisen  die  Anzahl  der  Todesfälle  diejenige  der  Geburten  be- 
deutend überstieg.  Zur  Illustration  des  Einflusses  der  Di- 
phtherie auf  den  Zuwachs  der  Bevölkerung  föhrt  Sawalewsky 
eine  Tabelle  für  16  Dörfer  mit  20377  Einwohnern  an.  1879 
fanden  in  diesen  Dörfern  2343  (15,5  % )  Geburten  und  2543 
Todesfölle  statt  (darunter  1137  speciell  in  Folge  der  Diphtherie), 
also  200  Geburten  weniger  als  Todesialle;  ja  in  einzelnen  dieser 
Dörfer  überstieg  die  Zahl  der  durch  Diphtherie  bedingten 
Todesfälle  allein  die  Anzahl  der  Geburten,  wie  z.  B.  in 
Ostanja,  wo  bei  3046  Einwohnern  286  Geburten  und  441 
Todesfölle,  darunter  294  allein  an  Diphtherie,  verzeichnet 
werden  mussten,  und  im  Dorfe  Koleniki,  wo  sich  bei  einer 
Einwohnerzahl  von  836  nur  96  Geburten,  dagegen  aber  155 
Todesfälle  und  zwar  116  in  Folge  von  Diphtherie  ereigneten. 


Zur  Epidemiologie  der  Diphtherie  im  Süden  RasBlands.       187 

Die  Ursachen,  welche  eine  so  weite  Verbreitung  der 
Epidemie  ermöglichten,  sind  sehr  mannigfach.  Ich  will  hier 
nur  auf  einige  Eigeuthümlichkeiten  hinweisen,  die  namentlich 
die  ganz  besondere  Lebensweise  und  die  materielle 
Lage  der  Bauern  jener  Gegend  betreffen. 

Die  Hütten  sind  meistentheils  nicht  von  Holz  oder  Stein, 
sondern  werden  einfach  aus  einem  Gemisch  von  Lehm,  Stroh 
und  Mist  aufgeführt;  eine  Diele  wird  durch  den  glattgestampf- 
ten Erdboden  ersetzt.  Gewöhnlich  hat  die  Hütte  nur  ein  ein* 
ziges  Zimmer  von  3,5  bis  4,5  m  Länge,  3  bis  4  m  Breite 
und  etwa  1,5  m  Hohe;  die  Fenster  sind  klein.  In  diesem 
Zimmer  lebt  die  ganze  Familie,  die  oft  aus  5  bis  7  Gliedern 
besteht;  hier  wird  das  Essen  bereitet,  hier  werden  zur  kalten 
Jahreszeit  auch  junge  Thiere  (Kälber,  Lämmer,  Ferkel  und 
Hühner)  untergebracht.  Zur  Beleuchtung  dient  ein  Holzspan 
oder  in  Schälchen  gefüllter  Talg,  oder  auch  ein  Petroleum- 
lämpchen  ohne  Cylinder.  Aborte  sind  nicht  vorhanden,  aller 
ünrath  von  Mensch  und  Thier  häuft  sich  direct  auf  dem 
Hofe  zu  einer  dicken  Schicht  an,  die  zur  Regenzeit,  nament- 
lich im  Herbste,  eine  weiche  Masse  bildet,  in  welcher  der 
Fuss  bis  zum  Knöchel  einsinkt.  Die  Luft  ist  so  verbraucht 
und  erstickend,  dass  es  Dr.  Demidowitsch,  wie  er  selbst 
angiebt,  in  einigen  Hütten  unmöglich  war,  auch  nur  zehn 
Minuten  zu  verbleiben,  und  doch  lagen  dort  zwei,  ja  drei 
Diphtheritiskranke  zusammen. 

Nach  der  Berechnung  Gawrilow's  kommen  in  wohl- 
habenden Familien  6  cbm  auf  1  Einwohner  (mit  Ausschluss 
der  Thiere),  in  armen  Familien  höchstens  3  cbm. 

Zur  Nahrung  dienen  ausschliesslich  Brod  und  Gemüse, 
Fleisch  wird  nur  bei  relativ  Reichen  angetroffen,  und  zwar 
nur  an  Feiertagen;  Milch  und  Eier  haben  lange  nicht  Alle. 

Da  nur  die  arbeitenden  Familienglieder  mit  warmer  Klei- 
dung ausgestattet  sind,  die  kleinen  Kinder  aber  nicht,  so  ver- 
bringen die  letzteren  oft  den  ganzen  Winter  in  der  Hütte. 

Unter  diesen  umständen  wird  die  Bevölkerung  des  Pol- 
tawa'schen  und  anderer  Gouvernements  nicht  nur  von  der 
Diphtherie,  sondern  auch  von  verschiedenen  anderen  Epi- 
demien arg  decimiri  Man  kann,  wie  stud.  Gawrilow  an- 
giebt, leicht  den  Kirchenbüchern  entnehmen,  dass  diese  oder 
jene  Epidemie  in  den  Dörfern  nie  ausgeht.  In  einigen  Ge- 
meinden starben  die  Kinder  noch  vor  Ausbruch  der  Diphtherie 
in  der  Anzahl  von  30  bis  GOy^  an  Scharlach,  Masern  und  in- 
fectiösen  Fiebern.  Durch  das  heftige  Wüthen  des  Typhus, 
der  Dysenterie  und  anderer  Krankheiten  ist  die  Diphtherie 
m  vielen  Dorfschaften  ganz  in  den  Hintergrund  gedrängt 
worden. 

13  ♦ 


188  Nil  Filaiow: 

Wir  sehen  also  die  erste  Vorbedingung  zur  schranken- 
losen Verbreitung  der  epidemischen  Diphtherie  in  der  Ueber- 
füllung  der  Wohnräume  und  in  der  Armuth  und  Unrein- 
lichkeit  der  Dorfleute. 

In  zweiter  Reihe  ist  die  Unwissenheit  der  Beyolke- 
rung  und  der  damit  verbundene  vorurtheilsvolle  Aber- 
glaube anzuführen.  Anfangs  glaubten  die  Leute  nicht  an 
die  Ansteckungsfahigkeit  der  Diphtherie^).  Die  Epidemie  wurde 
von  Vielen  als  eine  Strafe  Gottes  betrachtet  und  alle  gegen 
dieselbe  gerichteten  Maassregeln  wurden  daher  für  Sünde, 
d.  h.  für  den  Wunsch,  gegen  den  Willen  Gottes  zu  handeln 
erklärt.  So  ist  es  begreiflich,  dass  jeder  Versuch  einer  Iso- 
lation und  Desinfection  mit  unüberwindlichen  Schwierigkeiten 
zu  kämpfen  hatte,  während  Gewaltmaassregeln  zu  Aufleh- 
nungen gegen  die  Obrigkeit  führten. 

Eine  grosse  Rolle  spielten  in  dieser  Hinsicht  auch  einige 
Sitten  und  Gebräuche.  Bei  der  Beerdigung  zu  fehlen,  am 
Todtenmahl  nicht  theilzunehmen,  kein  Andenken  aus  der  Hinter- 
lassenschaft des  Verstorbenen  anzunehmen,  wird  als  höchst 
anstössig  betrachtet. 

Nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Morbidität  war  auch  der 
eigene  Altersbestand  der  dortigen  Kinder  weit.  Die  Sache 
ist  die,  dass  in  den  südlichen  Gouvernements  die  Sterblich- 
keit der  Kinder  im  ersten  Lebensjahre  in  Folge  von  Sommer- 
diarrhöen relativ  gering  ist  und  dass  es  daher  viel  mehr 
Kinder  im  Alter  von  1  bis  zu  15  Jahren  giebt,  die  bekannt- 
lich das  Hauptcontingent  für  die  Krankheit  liefern. 

Indem  wir  nun  zur  Beleuchtung  einiger  Daten  aus  der 
Aetiologie  der  Diphtherie  übergehen,  wollen  wir  vor  Allem 
die  Frage  erörtern,  ob  diese  Krankheit  eine  rein  contagiose 
oder  eine  contagiös- miasmatische  ist.  Mit  ihrer  Beantwortung 
hängt  die  Wahl  der  Mittel  gegen  die  Verbreitung  der  Di- 
phtherie eng  zusammen. 

1.  An  der  Ansteckungsfähigkeit  der  Diphtherie 
kann  nicht  gezweifelt  werden.  In  den  Rechenschafts- 
berichten der  Aerzte  vom  Schauplatze  der  Epidemie  sind  eine 
Menge  von  Thatsachen  niedergelegt,  die  zweifellos  beweisen, 
dass  die  Diphtherie  nicht  nur  leicht  vom  Kranken  aaf  Ge- 
sunde, die  das  Zimmer  mit  ihm  theilen,  übertragen  wird,  son- 
dern auch  durch  Mittelpersonen  und  durch  Sachen,  und  zwar 
selbst  dann,  wenn  solche  nicht  in  directe  Berührung  mit  dem 

1)  Es  ist  u.  A.  vorgekommen,  daes  eine  Mutter,  deren  Kinder  er- 
klang waren,  zum  Beweise  dessen,  dass  die  Krankheit  nicht  ansteckend 
sei,  eine  abgelöste  Membran  verschluckte;  da  sie  in  der  Folge  nicht  er* 
krankte,  so  trag  dieser  Fall  nicht  wenig  znm  Unglauben  des  Yolkes 
bei  (Tschenykajew). 


bi 


Zar  Epidemiologie  der  Diphtherie  im  Süden  RasBlands.        189 

Kranken  gekommen  waren^  sondern  sich  nur  in  dassen  Zimmer 
befanden  hatten.  Hierher  gehört  z.  B.  der  Fall  Gutoba's 
(Aerztecongress  in  Charkow  ^  S.  97): 

In  einer  wohlhabenden  Familie  erkrankte  ein  Kind  an  Diphtherie 
und  starb  am  dritten  Tage.  Nach  seinem  Tode  siedelten  die  Eltern 
desselben  in  ein  von  Diphtherie  freies  Dorf  über  und  nahmen  einige 
Sachen  mit,  die  mit  dem  Kranken  nicht  in  Berührung  gewesen  waren. 
(Aus  seiner  nächsten  Umgebung  war  Alles  verbrannt  worden.)  Sie  yer- 
schenkten  diese  Sachen  und  bald  darauf  brach  die  Diphtherie  im  Dorfe 
aus,  und  zwar  zuerst  in  den  fünf  Familien,  an  welche  diese  Sachen  ge- 
rathen  waren. 

Es  sind  viele  derartige  Vorfalle  notirt  und  nach  den  über- 
einstimmenden Angaben  der  auf  dem  Schauplatze  der  Epi- 
demie arbeitenden  Aerzte  hat  die  Sitte,  aus  der  Hinterlassen- 
schaft des  Verstorbenen  Sachen  unter  dessen  Spielgefährten 
zu  vertheilen,  sehr  viel  zur  Verbreitung  der  Diphtherie  bei- 
getragen. Die  Uebertragbarkeit  der  Krankheit  durch  Sachen 
wurde  Anfangs  von  den  Bauern  absolut  nicht  anerkannt; 
späterhin  überzeugten  sie  sich  jedoch  davon  und  verwertheten 
sie  zu  verbrecherischen  Zwecken.  So  versuchten  z.  B.  die 
Eltern  zweier  Idioten  Yon  5  und  7  Jahren,  bewogen  durch 
den  Wunsch,  sich  von  ihnen  zu  befreien^  dieselben  mit  Di- 
phtherie zu  inficiren  (eigenes  Geständniss  der  Eltern),  sie 
Hessen  sie  deshalb  auf  Kissen  von  Diphtheriekranken  schlafen 
und  gaben  ihnen  inficirte  Kleider,  jedoch  ohne  Erfolg:  beide 
blieben  gesund  (Orlow,  Bericht  über  die  Diphtherie  im  Gou- 
vernement Poltawa  1891,  S.  242).  In  einem  andern  Falle 
besuchte  ein  Weib,  das  an  einer  Verwandten  Rache  üben 
wollte,  das  Todtenmahl  in  einem  mit  Diphtherie  inficirten 
Hause,  brachte  von  dort  Zuckerbrod  mit  und  gab  dieses  den 
Kindern  ihrer  Verwandten  zu  essen,  die  wirklich  auch  alle 
an  Diphtherie  erkrankten  und  starben.  Ein  anderes  Weib 
brachte  gleichfalls  mit  böswilliger  Absicht  Speisen  und  Win- 
deln aus  einem  inficirten  Hause  und  verursachte  dadurch  den 
Tod  von  vier  Kindern,  darunter  zwei  ihrer  eigenen.  (Mit- 
getheilt  durch  die  Aerztin  Popow  aus  dem  Balascho waschen 
Eüreise  des  Gouvernements  Ssaratow.     Wratsch  94,  Nr.  8.) 

Wie  lange  des  Contagium  der  Diphtherie  sich  an  Stichen 
erhalten  kann,  beweist  folgender,  von  Ulianowsky  beschrie- 
bene Fall  (Bericht  über  die  Epidemie  von  Poltawa,   S.  223): 

Im  Oetober  1879  verlor  ein  Geistlicher  drei  Kinder  an  Diphtherie, 
die  beiden  übrigen  befanden  sich  damals  in  Poltawa;  nach  dem  Tode 
wurden  di^  Sachen  der  Kinder  vernichtet  und  das  Haue  desinficirt.  Im 
April  1880  traf  die  zwölfjährige  Tochter  aus  Poltawa  ein.  Einige  Tage 
darauf  fand  die  Frau  des  Geistlichen  auf  dem  Boden  ein  Halstuch, 
welches  von  einem  der  verstorbenen  Kinder  während  der  Krankheit  be- 
nutzt und  gleich  nach  dem  Tode  des  Kindes   auf  den  Boden  geworfen 


190  Nil  Filatow: 

worden  war,  wo  es  den  gansen  Winter  über  (bei  einem  Froate,  der 
80°  erreichte)  gelegen  hatte.  Sie  brachte  es  am  18.  April  vom  Boden, 
um  es  tu  verbrennen,  hierbei  trat  sufällig  die  Tochter  anf  sie  so, 
nahm  das  Tuch  in  die  Hand  nud  betrachtete  es  einige  Zeit.  Am  Abend 
desselben  Tages  begann  sie  über  Schlingbe!<ch werden  cn  klagen  und 
Tags  darauf  stellte  sich  bei  ihr  Diphtheritis  heraus.  Zu  dieser  Z«^it 
gab  es  dort  notorisch  keine  Diphtherie,  weder  in  der  N&he  des  Hantes 
des  Geistlichen,  noch  überhaupt  in  den  benachbarten  Dorfschaften. 

Die  Gontagiosität  der  Diphtherie  documentirt  sich  mit 
besonderer  Deutlichkeit  beim  ersten  Beginn  der  Epidemie  in 
einem  gegebenen  Dorfe.  Zur  Illustration  geben  wir  hier  die 
Beschreibung  des  Beginns  einer  Epidemie  im  Dorfe  Byk  im 
Ssaratow'schen  Gouyernement  (Tschenykajew):  Die  Krank- 
heit war  hierher  aus  dem  benachbarten  grossen  Dorfe  Schat- 
newka  yerschleppt  worden.  Der  erste  Kranke  war  ein  19- 
jähriger  Arbeiter,  der  mit  krankem  Halse  aus  Schatnewka, 
wo  er  gearbeitet  hatte,  nach  Hause  zurückgekehrt  war.  Nach 
viertägiger  schwerer  Krankheit  genas  er,  jetzt  aber  erkrankte 
seine  zwolQährige  Schwester  an  Diphtheritis.  Bald  darauf 
wurden  von  derselben  Krankheit  ihre  jüngeren  Geschwister, 
5^  und  3 Vi  Jahre  alt,  befallen,  die  in  den  ersten  Tagen  des 
December  starben.  Bei  der  Beerdigung  waren  drei  Weiber 
anwesend:  die  Faraskina  mit  einem  siebenjährigen  Sohn,  die 
Ischakowa  und  die  Issajewa  mit  ihrer  Tochter.  Drei  Tage 
nach  der  Beerdigung  erkrankte  der  nicht  zugegen  gewesene 
jüngere  Sohn  der  Taraskina,  und  darauf  der  siebenjährige 
ältere  Sohn  und  eine  Enkelin,  alle  drei  mit  todtlichem  Aus- 
gange. Am  4.  December  erkrankte  todtlich  an  Diphtherie 
ein  Kind  im  Hause  der  Ischakowa,  welches  gleichfalls  nicht 
bei  jener  Beerdigung  zugegen  gewesen  war.  Die  Tochter  der 
Issajewa,  die  am  entgegengesetzten  Ende  des  Dorfes  lebte, 
starb  nach  zehn  Tagen  und  nach  ihr  noch  ein  einjähriger 
Bruder;  durch  sie  inficirten  sich  wiederum  die  Kinder  zweier 
Brüder  der  Issajewa.  Am  20.  December  zeigte  sich  eine 
äusserst  schwere  Erkrankung  an  Diphtheritis  wieder  an  einem 
andern  Ende  des  Dorfes  in  der  Familie  Steklow:  es  erkrankte 
ein  19jäbriger  Sohn,  der  am  24.  December  starb;  seine  Mutter 
war  bei  Tarassenkow  am  10.  December  zum  Todtenmahle  ge- 
wesen. Unabhängig  von  diesen  Fällen  erkrankte  in  einem 
noch  nicht  inficirten  Theile  des  Dorfes  ein  achtjähriges  Mäd- 
eben,  Minajewa,  die  am  31.  December  starb;  die  Krankheit 
war  ihr  gleichfalls  aus  Schatnewka  durch  ihren  Grossvater 
übermittelt,  der  dort  seine  Tochter  besucht  hatte,  welche 
ihrerseits  in  der  ersten  Hälfte  des  December  vier  Kinder  an 
Diphtherie  verloren  hatte. 

Die  Frage,  ob  die  Diphtherie  sich  ausschliesslich  auf  dem 
Wege    der   directen    oder    indirecten   Uebertragung    des   An- 


Zur  Epidemiologie  der  Diphtherie  im  Süden  RuselandB.       191 

steckuDgsstoffes  yerbreitet,  oder  ob  zum  Entstehen  einer  Epi- 
demie die  Verschleppung  des  Contagiums  genügt,  muss  in 
verneinendem  Sinne  beantwortet  werden,  denn  es  giebt  eine 
Menge  factischer  Daten,  die  auf  die  Abhängigkeit  der 
Epidemie  von  Zeit  und  Ort  hinweisen:  1.  Wenn  Di- 
phtheritisepidemieu  schon  durch  die  Verschleppung  des  Con- 
tagiums in  irgend  eine  Ortschaft  entständen,  so  könnte  wohl 
kaum  das  von  allen  Äerzten  für  den  Süden  Russlands  fast 
einstimmig  festgestellte  Factum  beobachtet  werden, 

dass  an  vielen  Orten  noch  längst  vor  dem  Entstehen 
der  Epidemie  die  Diphtheritis  nur  in  Form  von  einzelnen 
Fällen  beobachtet  worden  ist, 

und  dass  diese  Krankheit  Jahre  hindurch  sporadisch  bestehen 
kann,  bis  endlich  aus  unbekannter  Ursache  die  Fälle  sich  zu 
häufen  beginnen  und  auf  diese  Weise  die  Epidemie  ausbricht. 
Schon  zu  Beginn  unserer  Mittheilung  sagten  wir,  dass  es  in 
verschiedenen  Gouvernements  schon  längst  Ansteckungsherde 
gegeben  hat,  hier  wollen  wir  aber  noch  eine  von  Rudow 
im  Lande  der  Don'schen  Kosaken  gemachte  Beobachtung  an- 
führen. Von  1876 — 1878  war  hier  kein  einziger  Fall  von 
Diphtherie  verzeichnet  worden;  1878  wurden  in  fünf  Dorfern, 
die  nicht  weniger  als  20  km  von  einander  entfernt  waren, 
13  sporadische  Fälle  bekannt,  und  erst  Ende  October  1879 
trat  eine  kleine  Epidemie  (10  Fälle  in  kurzer  Zeit)  in  einem 
dieser  Dörfer  auf,  während  die  richtige  Epidemie  erst  Anfang 
1880  ausbrach.  Im  Dorfe  Beschetilowka  (Gouvernement  Pol- 
tawa)  starben  1868  an  Diphtherie  307  Kranke,  1869  250, 
1871  wurde  die  Krankheit  gar  nicht  beobachtet,  während  das 
Jahr  1873  sich  wieder  durch  65  Todesfalle  auszeichnete;  in 
diesem  Jahre  herrschte  die  Diphtherie  also  recht  stark  und 
sie  hätte  sich  von  hier  aus  über  den  Kreis  oder  das  ganze 
Gouvernement  ausbreiten  können,  wenn  die  Vorbedingungen 
dazu  günstig  gewesen  wären;  dieselben  fehlten  aber  noch  zu 
jener  Zeit. 

Kurz,  ge wohnlich 

bleibt  die  Diphtherie,  trotz  Einschleppung  des  Ansteckungs- 
stoffes, vor  der  Hand  eine  sporodische  Krankheit  und  wird 
plötzlich  aus  unbekannter  Ursache  epidemisch, 

in  vielen  Fällen  ohne  bestimmte  Ansteckungsquelle  ^)  und  an 
solchen  Orten,  wo  die  Krankheit  vorher  nicht  beobachtet  wurde. 

1)  Untit  und  Tchorahnitsky  stellen  in  Bezug  auf  die  Infections- 
quelle  folgende  Tabelle  auf: 


192 


Nil  Filatow: 


2.  Die  Morbidität  und  die  Mortalität  an  Diphtherie 

hängen  intim  mit  den  Jahreszeiten  zusammen  (Diagr.  I 

auf  S.  192,  Diagr.  II  auf  S.  193,  Diagr.  III  auf  S.  194). 

Wir   ersehen 

^^*^-  ^'  aus  unseren  Dia- 

DiphtheritiB- Morbidität.  grammen,    dass 

sich  in  einem 
beliebigen  klei- 
nen Dorfe  ganz 
ebenso  wie  in 
ganzen  Kreisen 
und  in  Gouver- 
nements (ebenso 
in  Moskau)  eine 

Reihe    Ton 
Jahren  hindurch 
stets   ganz   die- 
selben Curven 
wiederholen.  Sie 
beweisen,     dass 
die  Diphtheritis- 
epidemien  im 
Herbste     (im 
October    oder 
November,    sel- 
tener   im    Sep- 
tember)    ihr 
Maximum    er- 
reichen, wäh- 
rend  das  Mini- 
mum    auf    den 
Sommer    fallt 
(vorherrschend 
auf   den    Juni). 
Dieses     Verhal- 
ten der  Diphthe- 
ritisepidemien 
wird   von    allen 

Autoren    ein- 
stimmig   bestä- 
tigt, so  für  das 


JuiU  J'ebr.Jtörc  ^^w^ 


lorü  Abii  'fvcMi  %Juii  A^ui,  Sepi..OcL 

L_.i  .    l  ■ 


_i.. 


Xov.  Dec- 


'ÜMiKunsk  fSSi    /^WK 7)ot^  mdJrstr  rvohwnfZ^nO 

Moskttu   nS(/  JXg  syo'i/r- Oouv.atenon  fd77  (JÖSbK) 


Angeflteokt  als  HausgenoBsen  der  Kranken 
,,         von  Kranken   im  Nachbarhanse 


518 
317 


11 


im  Naohbardorfe 97 

durch  Kleider  oder  Mittelpersonen       78 
InfectiouBquelle  unbekannt 819 

1329. 


Zur  Epidemiologie  der  Diphtherie  im  SOden  BuBelondB. 


193 


GouTeraement  Poltawa  von  Kseosenko,  für  Woronesh 
TOD  Telitschej  e  w,  fQr  Orel  von  Radu  1  o  w  i tsc  h,  fOr 
Eurek  von  Untit,  fQr  Cheraon  von  Silbersteio,  Uwaroff 
Q.  Ä.,  fQr  das  Gebiet  der  Don'schea  Kosaken  vod  Budow  etc. 
Ferner  sehen  wir,  dass  im  Beginne  des  Jabres  die  Mortalität 
aber  der  Morbidität  steht,  d.  h.  dass  die  Epidemien  im  Winter 


verderblicher  sind    ali 

Mai,  zuweilen 

aber  anch  im 
Juni,    eine     ge- 
ringe    Erhebung 
der  Morbiditäts-,  fg 

bisweilen  auch 
der    Mortalitats- 

curven     vor- 
kommt. 

Die  Anhäufung 
der    Erankheite- 

und  Todesfälle 
im    Herbste    ist 

weniger  durch 
eine  Verschlim- 
merung der  Epi- 
demie   in   den 

inficirten  Dßr- 
fem,  als  durch 
die    Verbreitung 

der  Diphtherie 

auf  neue  Ort- 
schaften bedingt. 

So  giebt  z.  B. 

fOr    den    Odes- 
saer Ereis  K  a  r- 
manenko 
folgende     Ta- 
belle: 


,  Herbste    und    dass   im  April   oder 

Diagr.  II, 
DiphtberitiB  -  Hortalit&t. 


April,  Mai,  Juni 601             247  8,4 

Juli,  Anguat,  September      ...           707             884  2,6 

October,  November,   December     .          17S1               608  8,0 

Janasr,  Februar,  März    ....         1806             466  2,6. 

Hieraus  folgt,  dasa  die  Diphtherie  im  Herbste  sich  leicht 
Ober  ein  weiteres  Territorium  aasbreitet. 

Nach  der  Ansicht  Ton  Prof.  Jacobi   ist  die  Steigerung 


198 


NU  Filaiow! 


allen  gegen  die  Epidemie  gerichteten  Maassregeln.  In  yielen 
Kreisen  des  Gouvernements  Poltawa  ging  die  Epidemie  1880 
bedeutend  zurück,  obgleich  noch  keinerlei  ernstliche  Schritte 
gegen  sie  gethan  waren  und  durchaus  kein  Mangel  an  Kranken- 
material  vorlag;  eine  deutliche  Abnahme  der  Epidemie  wurde 
auch  in  Kreisen  beobachtet,  in  denen  sie  (wie  z.  B.  im  Kobel- 
jansky'schen  und  Kons  tan  tinogradsky 'sehen)  überhaupt  nicht 
stark  geherrscht  und  wenig  Todesfalle  verursacht  hatte. 

Das  lange  andauernde  Bestehen  der  Diphtherie  in  Form 


Diagr.  lY. 
Verlauf  der  Diphtherie -Epidemien  (Periodicit&t). 


^ 


,J3<z»^nuuicv ^üez»  Chersoil 


von  sporadischen  Fällen,  der  ausgesprochene  Zusammenhang 
der  Epidemien  mit  den  Jahreszeiten,  der  Einfluss  der  localen 
Verhältnisse,  die  verschiedene  Intensität  der  Epidemien  eines 
gegebenen  Ortes  in  den  einzelnen  Jahren,  ihr  paralleler  Ver- 
lauf an  verschiedenen  Enden  eines  colossalen,  aus  mehreren 
Gouvernements  bestehenden  Territoriums  (die  Acme  der  Epi- 
demien 1878  und  1879  in  den  Gouvernements  Poltawa,  Char- 
kow, Tschernigow  u.  a.),  das  in  weiten  Abstanden  verstreut« 
gleichzeitige  Auftauchender  Krankheit  an  verschiedenen  Punkten, 
der  Umstand,  dass  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  die  Verschlep- 
pung oder  directe  Uebertragung  des  Contagiums  nicht  nach- 
gewiesen werden  kann  und  häufig  auch  ganz  unwahrscheinlich 
ist,  —  das  Alles  weist  darauf  hin, 

dass  die  Entwickelung   der  Diphtheritisepidemien    durch 


Znr  Epidemiologie  der  Diphtherie  im  Süden  Rnsslande.        199 

klimatische  und  locale  Verhältnisse  beeinfiusst  wird,  und 
dass  UebertraguDg  und  Verschleppung  des  Ansteckungs- 
stoffes eine  zwar  wichtige ,  aber  doch  nur  vermittelnde 
Rolle  spielen. 

Verhält  es  sich  so,  so  werden  Quarantaine  und  Desinfection 
an  sich,  wenn  sie  auch  wirklich  in  gehöriger  Weise  durch- 
geführt werden  konnten,  die  Epidemie  wohl  abschwächen,  nicht 
aber  ihre  Verbreitung  verhindern  können. 

Einfluss  des  Alters.  Da  Alle  darüber  einig  sind,  dass 
die  Diphtherie  vorherrschend  Kinder  befällt,  und  diese  An- 
sicht durch  die  Daten  aus  der  Epidemie  im  südlichen  Russ- 
land auch  vollkommen  bestätigt  wird,  so  werden  wir  uns 
auch  ausführlich  nur  mit  dem  Eindesalter  beschäftigen  und 
uns  darauf  beschränken,  einige  wenige,  jedoch  sehr  über- 
zeugende Ziffern  und  Diagramme  anzuführen. 

Das  Resultat  der  von  den  Eursker  Aerzten  eingereichten 
1433  Anzeigekarten  ist  auf  folgender  Tabelle  verzeichnet: 

Alter  Erkrankt  Gestorben 

0—2  Jahre  99  40,4% 

2-6      „  346  61,8% 

6—10    „  547  42,2% 

10—15    „  276  80,0% 

15  und  mehr  166  1M%- 

Ksensenko  vertheilt  seine  1603  Kranken  in  der  Ort- 
schaft Ssorotschinzy  tabellarisch  in  folgender  Weise: 


Alter  Erkrankt  Genesen         I       Gestorben 


0-1  13  8  5 

1—2  67  20  87 

2—8  154  39  115 

3—4  184  69  115 

4—5  160  69  91 

6-6  178  85  98 

6-7  157  64  98 

7—8     ,116  77     ,  39 

8—9  97  58  39 

9—10  57  44  18 

10-11  90  72  18 

11—12  52  38  14 

12-18  68  51  12 

13—14  42  32  10 

14—15  25  23  2 

15—16    .    155  137     1  18 


Verkürzt  stellt  sich  diese  Tabelle  dar  wie  folgt: 


Alter 

Erkrankt   .   .    .    . 

Oestorben  .   .   .    . 


^— 1       1—8  ]  3  —  5  1  5—10  ;   10—16      16  u.  mehr  J. 
1^  «11     1   844     I     605     '     272       i  165 

^     I     162       206  277     ,       56       |  18 


SterbUchkeitsproc.       88         T^    \  ^9%  ,     \V.8  1      llfi   \  11,6. 


«4.6, 


Eine    ähnliche  Tabelle   giebt  Beljakowsky    aaf   Grund 
1  14S7  Fällen  fQr  das  GouTemement  Poltawa: 


Alter I 

Erkrankt  .  .  .  . 
Gestorben  .... 
Sterblichkeit«proc.  j 


— 1 

1—3 

3—6 

6—10 

10— 

1» 

89b 

.138 

M7 

807 

f< 

367 

1S4 

ao2 

45 

SU 

m 

M,4 

39 

21 

la. 


ÄUB  dieser  tabellariBchen  Ueberaicht  geht  hervor,  dasa  die 
Morbidität  und  Mortalität  od  Diphtherie  bei  Kindern  Ton 
1 — 5  Jahren  am   gröasten  ist,  nächatdem  im  Alter  von  5 
bis  ZQ  10  Jahren; 

im  Säuglingsaltet  erkranken  nicht  nur  weniger  Einder,  gon- 
dern ist  anch  das  Mortalitätsprocent  geringer  als  im  späteren 
Kindesalter  (s.  Diagramm  Nr.  V). 

Diagr.  V. 
Eioflots  deB  Altera  anf  die  Diphtheritis- Mortalität. 


?   1 


6s 

s 


^i^ 


-  f 


Zur  Epidemiologie  der  Diphtherie  im  Sfiden  Bottlandt.        201 

Was  die  Morbidität  an  Diphtherie  in  yerschiedenen  Alters- 
stufen im  Verhältniss  zam  Altersbestande  der  BeTSlkerong  be- 
trifft, so  giebt  Esensenko  folgende  Tabelle: 

Von  100  Einwohnern  im  Alter  von  0—4  Jahren  erkrankten  45,4% 

59,7 
71,9 
50.2 
23,6 
17,1 
9,9 
4,9. 


da 

5-9 

do. 

10—14 

do. 

16—19 

do. 

20—29 

do. 

30     39 

do. 

40-49 

do. 

60—79 

Die  Tabelle  betrifft  4  Dörfer,  die  unter  der  Diphtherie 
stark  gelitten  hatten;  da  aber  die  Ansteckungsgefahr  ffir  Kinder 
gleichen  Alters  Terschieden  ist,  je  nachdem  sie  in  inficirten 
oder  in  gesunden  Häusern  leben,  so  darf  angenonunen  werden, 
dass  die  Kinder  im  Alter  Ton  10  bis  zu  14  Jahren  bei  Ksen- 
senke  eine  besondere  Morbidität  aufiriesen,  weil  sie  mehr 
Gelegenheit  hatten  sich  zu  inficiren;  das  Resultat  wäre  Tiel- 
leicht  ein  ganz  anderes  gewesen,  wenn  er  das  Mortalitäts- 
proeent  einerseits  f&r  alle  Kinder  des  infidrten  Dorfes  nnd 
andrerseits  für  solche  Kinder  bestimmt  hätte,  die  in  inficirten 
Häosem  lebten  und  in  Folge  dessen  Gelegenheit  hatten  sidi 
direct  zu  inficiren.  Eine  derartige,  Tergleiehende  Berechnung 
hat  Tschenjkajew  f&r  das  Dorf  Bjk  angestellt  und  es  hat 
sich  dabei  auch  richtig  ein  bedeutender  Unterschied  heraus- 
gestellt: 

AHer 

Eusvokoenahl  d.  Dorf  ei      >> 

Einvch-ienahl  der  4S  i»- 

^sinem  Bä:»er .    .    . 

\ku  d.KrMMkem  in  dufs^tn 

48  mntfiii,     .... 

a-  Eizvckaer 

des  D^rte»  . 


lil 


-1 

!— 3 

3 9 

o— 10 

10—16 

16  a.  aMrtf  J, 

>> 

Ä| 

V* 

167 

117 

716  «  1191 

1« 

17 

30 

64 

31 

19^  »  34^ 

1 

17 

26 

37 

11 

IS  —  1  /7 

u» 

21 

3^,4 

2^  t 

M 

t4-9 

M  1  xar  EiLvcrs 


e  w  I      der     iu 
£-i  I       EXcKT fi     ;v.O     i^XO      4^,0       %&J,  S  —  y/.7 

Ans  di<*<rT  Tah-elle  ist.  ei>tn**j  wie  a:»  den  dr«rri  er*t^i-- 
crsicktlicr,  da.»«  die  gross:«  Difpo^iT^os  f^lr  die  Dij^Ltier;* 
bei  Ki^iem  tob  1  bi«  is  5  Jarr*!:  ::r,d  ii  zweh«r  Lijcie  i:^ 
AUer  Ton  5  ci»  10  Jahres  aaz^tr^f«  iäX. 

Ifsdirid:;^::*  D:fp:*f;:on  ssi  zatirii.Le  Ix=.:J' 
nitit  geg^n  Dif  L^reri*.  L»as»  i*cL  irf=  lo.  I>^-ji^:L»j^ire 
die  IlisfÄF^iti^a  ir.r  ^.;:c.-i.«r*  Zß^i^^*jtz.i  a.'.-i=Liit,  i*^  K,£'.t 
bei  oberf5/,i-i^^^  B^rr^i-inrzr  ier  aiz^- --i^^*^  Tai^-.*s  *t.',ia 
•,    dv.i:    li4*t    fiii_  'ij»   Yr^z^.    et    «dse        — 


206  Nil  Filatow: 

Schliesslich  wollen  wir  noch  eine  Thatsache  anf&hren, 
welche  die  Bedeutung  des  Wassers  als  Erankheitsyermittlers 
beleuchtet    Tchorshnizky  theilt  folgenden  Fall  mit: 

Die  Matter  einer  im  Dorfe  Bassowo  autgestorbenen  Familie  wasch 
die  Wäsche  ihrer  yerstorbenen  Kinder  in  einem  kleinen  FlQsschen,  in 
dem  sich  vier  aas  yerschiedenen  Familien  des  Nachbardorfes  Jassenky 
angehOrige  £inder  in  der]  Nähe  badeten.  Zwei  Tage  daraaf  erkrankten 
diese  Kinder  gleichseitig  and  starben  nach  weiteren  2  bis  8  Tagen. 

Die  Bedeutung  der  materiellen  Verhältnisse  wird 
von  den  Autoren  verschieden  beurtheilt.  Die  Mehrzahl  neigt 
zu  der  Ansicht,  dass  die  Diphtherie  zwischen  Arm  und  Reich 
keinen  unterschied  macht,  dass  zur  Zeit  der  Epidemie  die 
Einen  wie  die  Andern  in  gleichem  Maasse  erkranken,  dass 
aber  die  sporadische  Diphtherie  bei  schlechten  hygienischen 
BedinguDgen  häufiger  angetroffen  wird.  Wir  fähren  ein  Dia- 
gramm von  Popow  an,  aus  dem  hervorgeht,  dass  die  Mor- 
bidität in  wohlhabenden  und  armen  Häusern  fast  ganz  die 
gleiche  war,  die  Mortalität  aber  bei  den  letzteren  bedeutend 
Qberwog  (Diagramm  Nr.  VI,  Seite  207).  Auf  der  linken  Seite 
der  Figur  ist  die  Morbidität  und  Mortalität  der  armen,  auf 
der  rechten  der  wohlhabenden  Häuser  verzeichnet;  die  Greuze 
der  Mortalität  ist  durch  den  weissen  Strich  angedeutet.  Das 
Diagramm  ist  für  einige  Dörfer  des  Schtschigrow'schen  Kreises 
zusammengestellt. 

Die  ohnehin  sehr  grosse  Mortalität  an  Diphtherie  con- 
centrirt  sich  besonders  im  Herbste,  und  diese  Jahreszeit  ver- 
ändert daher  in  auffallender  Weise  die  allgemeine  Mortalitäts- 
curve;  eine  Diphtheritisepidemie  bringt  in  der  allgemeinen 
Mortalität  derartige  Veränderungen  hervor,  dass  man  nach 
diesen  nicht  nur  auf  das  Vorhandensein  einer  Epidemie,  son- 
dern auch  auf  den  Intensitätsgrad  derselben  schliessen  kans. 
Eine  Eigenthümlichkeit  der  Diphtheritisepidemien  besteht  darin, 
dass  sie  nur  für  das  Eindesalter  die  Mortalität  er- 
höhen,  und  zwar  nur  zu  gewisser  Jahreszeit. 

Die  bedeutende  Steigerung  der  Mortalität  im  Kindesalter 
tritt  auf  den  von  Popow  für  den  Krementschug'schen  Kreis 
aufgezeichneten  Gurven  deutlich  hervor.  Wenn  wir  die  Mor- 
talität in  verschiedenen  Altersstufen  zur  Zeit  des  ärgsten 
Wüthens  der  Epidemie  mit  der  Mortalität  eines  epidemie- 
freien Jahres  in  ein  und  demselben  Kreise  vergleichen,  so 
sehen  wir  vor  Allem,  dass  die  Mortalitätscurve  der  Kinder 
unter  einem  Jahre  zur  Zeit  der  Epidemie  die  charakteristische 
Herbststeigerang  nicht  aufweist,  sondern  sich  fast  auf  derselben 
Höhe  hält;  das  Säuglingsalter  hat  also  nicht  besonders  von 
der  Diphtherie  zu  leiden,  die  Mortalitätscurve  der  Kinder  von 
1  bis  zu  10  Jahren  verändert   sich   im   Gegentheil   stark  im 


Zar  Epidemiologie  der  Üiphtberie  im  SQden  BasalaudB.       207 


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220  J.  Lange: 

einem  zur  Aufnahme  des  kleinen  männlichen  Glieder  geeigneten  HaIsc 
leicht  um  die  Hüften  befestigte.  Ferner  hat  Gruse')  den  Urin  in  mit 
weichen  Gummiringen  am  Penis  fizirten  sog.  Condoms  aufgefangen. 
Schliesslich  hat  Epstein  einen  dem  Poliak'schen  Verfahren  nachgebil- 
deten Recipienten  angegeben.  Derselbe  besteht  aus  einer  möglichst 
schmalen  Flasche,  über  deren  Hals  ein  vorne  abgeschnittenes  Gnmmi- 
sanghütchen  gezogen  wird.  Letzteres  wird  über  den  Penis  gestülpt  und 
mittelst  Bandage  und  Schenkelriemen  in  seiner  Lage  erhalten.  Diese 
Methode  bietet  die  relativ  besten  Garantien  und  belästigt  das  Kiod  am 
wenigsten.  Bei  meinen  Bemühungen  erwies  sich  dies  Verfahren  als  das 
einfachste  und  sicherste.  Selbstredend  passirt  es  auch  hier  sehr  oft, 
dass  bei  grosser  Unruhe  des  Kindes  sich  die  Bandage  lockert  und  Harn 
verloren  geht,  da  man  aber  stets  durch  die  iDspection  der  Windeln 
dieses  controliren  kann,  so  kann  ein  solcher  Versucbstag  als  ungenau 
erkannt  und  als  verfehlter  Beobachtungstag  ausser  Betracht  gelassen 
werden,  immerhin  verheble  ich  mir  nicht,  dass  alle  diese  Methoden 
relativ  unvollkommen  sind. 

Aus  air  diesen  Darlegungen  geht  zur  Evidenz  hervor^ 
dass  Stoffwechsel-  resp.  Ausnützungsversuche  beim  Säugling 
mit  annähernder  Sicherheit  nur  in  der  eigenen  Familie  oder 
in  geschlossenen  Anstalten,  und  auch  dann  nur  bei  zuverläs- 
sigem Wartepersoual  und  ausreichenden  Hilfsmitteln  möglich 
sind.  Mir  stand  hierzu  das  Material  der  Säuglingsstation  des 
Leipziger  Kinderkrankenhauses  zur  Verfügung.  Bei  den  Ver- 
suchen wurde  selbstverständlich  von  allen  Kindern,  die  wegen 
Erkrankungen  des  Verdauungsapparates,  Diarrhöen,  Erbrechen 
u.  s.  f.  in  Behandlung  waren,  abgesehen.  Aber  auch  bei  den 
Kindern,  welche  wegen  anderer  Leiden  zur  Aufnahme  ge- 
kommen waren  resp.  bereits  vollständig  gesund  waren  und 
deswegen  für  meine  Versuche  geeignet  erschienen,  traten  häu6g 
Unterbrechungen  der  Beobachtungsreihen  ein.  Daher  steht 
mir  wohl  eine  relativ  zuverlässige,  aber  sehr  beschränkte  Serie 
von  Beobachtungen  zur  Verfügung. 

Es  wird  von  Interesse  sein,  behufs  späterer  Vergleiche  mit  der  Kuh* 
milchausnutzung  des  Säuglings,  die  Ergebnisse  kennen  zu  lernen,  welche 
bei  Darreichung  von  Kuhmilch  am  Erwachsenen  gefunden  wui'den. 

Beim  Erwachsenen  untersuchte  Rubner')  zunächst  während  dreier 
Tage  bei  einem  Individuum  die  Ausscheidungen  bei  Darreichung  von 
reiner  Milch. 

Es  wurden  genossen  am 

1.  Tage      .     .     2600  ccm 


^.       fi      .      .      .      a2oö      )f 

0>  ft        •         •         •         «*vO        )| 


im  Mittel  2438  ccm  Milch; 


ausgeleert  wurden 

Harn  am  Darin  N. 

1.  Tage  .     .     1665  ccm     .     .  15,6 

2.  „     .  .     .     2080     „        .     .  10,S 

3.  „     .  .     .     1630     „        .     .  U.7 

im  Mittel 18,6  N. 


1)  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  N.  P.  Bd.  XI. 

2)  Zeitschr.  f.  Biologie  Bd.  XV.  1879. 


Ueber  d.  Stoffwechsel  d.  SäugliogB  b.  ErDährang  m.  Kuhmilch.    221 

Eoth  wurde  ausgeleert  an  den  3  Tagen  287,0  g,  trocken  74,5, 
taglich  im  Mittel 96,3  „        „        24,8. 


Genotsen 


Ausgeleert 
im  Koth        I        im  Harn 


an  Trockensubstanz 315,0 

„  Stickstoff 15,4 

»» 


II 


Fett 95,1 

Zucker 102,4 

Asche       17,8 

Demnach  war 

die  Trockensubstanz 
der  Stickstoff    .     . 
das  Fett    .... 
und  die  Asche  .    . 


24,8 
1.0 
4,66 

8^7 


13,5 


zu 

92.2  % , 

1» 

98  :j  „ 

ft 

96  7  „ 

11 

61.'-'  „ 

ausgenützt.  Die  betreffende  Person  befand  sich  dabei  ann&hemd  im 
Stickstoffgieichgewicht.  —  Bei  drei  weiteren  nur  eint&gigen  Versuchen 
ergaben  sich  folgende  Werthe: 

Einnahmen: 


Veriuchi- 
perton 

A. 
B. 
C. 


Milch 
friich 

2050 
3075 
4100 


Milch 
trocken 


Darin  N.  Fett 


264,9 
397,3 
529,7 


12,9  79,9 

19,4  119,9 

25,8       '.     160,0 


Zucker 


'  86,1 
I  129,1 
t     172,2 


Aeoh« 


15,0 
22.4 
29,9 


Ausgaben: 


Verancht- 
perton 

A. 
B. 
0. 


Koth 
trocken 

22,3 
40,6 
50,0 


Darin  N.    i  Darin  Fett 


0,9 
1,6 
3,1 


6|7 

6,7 

7,4 


Asche 

7,0 
10,9 
13,3 


Ham- 
menge 


26,10 
22,25 


N.  im  Harn 


12,6 
16,6 


Es  waren  also  ausgenützt 


A. 


B. 


an  Trockensubstanz 
Stickstoff    .     . 


11 

„  Fett 


11 


Asche 


91,6% 
93,0% 
92,9% 
63.2% 


89,8% 
92,3% 

9M% 
51,8% 


90,6% 
88,0% 
95,4% 
55,5% 


Er  folgert  aus  seinen  Versuchen,  dass  bei  Steigeruog  der  täglichen 
Milchgaben  zwar  die  absolute  Menge  von  N.,  Fett  und  Asche  im  Eothe 
zunimmt,  dagegen  die  proceutige  Ausnutzung  des  Eiweisses  merklich 
schlechter,  die  des  Fettes  und  der  Asche  jedoch  sich  günstiger  gestaltet. 
Beim  Säugling,  der  Tag  für  Tag  dieselbe,  oder  doch  in  Qualität  und 
Quantität  nur  um  ein  Geringes  schwankende  Nahrung  zu  sich  nimmt, 
ist  es  ganz  etwas  anderes,  als  beim  Erwachsenen,  der  an  eine  absolute 
Milchdiät  gar  nicht  gewöhnt  ist. 


222  J.  Lange: 

Pransnitz^)  giebt  folgende  Daten,  die  er  bei  einem  dreittgigen 
Versuche  am  Erwachsenen  erhielt: 

Einnahme:  Ausgabe: 

täglich  8000  ccm  Milch  im  Roth 

Darin  g 

Trockensubstanz     .    .    .  850,6  81,48 

N 18,28  1,14 

Eiweiss 80,06  .  — 

Fett 111,79  I  6,66 

Milchzucker 119,79  — 

Organische  Substanzen    .  827,26  22,76 

Asche 28,86  |  8,66 

Demnach  ist  ausgenützt: 

Trockensubstanz  zu  91,04% 

Stickstoff               „  88,82% 

Fett                        „  94,96% 

Asche                     „  62,92% 

Zucker                   „  100,00% 

W&hrend  sich  die  Ausnutzung  der  Trockensubstanz  und  ct.  aach 
des  Fettes  gut  mit  den  Rubner'schen  Zahlen  deckt,  finden  wir  eine 
schlechtere  Ausnützung  des  Stickstoffs,  wie  sie  Rubner  nur  bei  seinen 
gröesten  Milchmengen  fand.  Dann  ist  auch  die  Asche  auffallend  besser 
ausgenützt     Der  Milchzucker  schliesslich  wird  vollständig  resorbiri. 

Uf  fei  mann')  hat  an  sich  selbst  Milchausnützungsversuche  ausge- 
führt; leider  sind  hierbei,  da  er  Gewicht  auf  die  Menge  des  Eiweisses 
legte,  keine  N.-Bestimmungen,  sondern  Eiweissbestimmungen  durch  Esaig- 
säuref&Uun^,  die  nicht  ohne  weiteres  mit  den  oben  angeführten  Resul- 
taten verglichen  werden  können,  gemacht  worden. 

Ausserdem  sind  Uf  feimann 's  Versuche  derart  angestellt,  dasa  er 
zunächst  Fleisch  und  Grobbrod  ass,  dann  nach  6  Stunden  ausschliesslich 
Milch  zu  sich  nahm,  dann  wieder  12  Stunden  fastete,  wieder  Fleisch 
und  Grobbrod  ass  und  nunmehr  die  Fäces  sammelte,  deren  helle  Partien 
dem  Versuche  mit  der  Milch  entsprachen.  —  Die  Dauer  des  einzelnen 
Versuches  ist  nicht  angegeben,  scheint  aber  demnach  nur  ganz  kurz  ge- 
wesen zu  sein. 

Beim  ersten  Versuch  war  also  ausgenützt: 

Eiweiss  zu 98,7  %  , 

Fett         93.4  „ 

Salze       „ 44,2  „ 

Zucker     „ 100,0  „ 

GesammttrockenBubstanz  zu  .    90,0  „ 

Beim  zweiten  Versuch: 

Eiweiss  der  Milch  zu     ...     98,4  %, 
r  ett      ....        ,,      .     .     .     96,6  ,, 

oalze    ....        „      .     .     .  66,6  ,, 

Zucker      ...       „     .     .     .  100,0  ., 
Gesammttrookensubstanz  zu   .    91,6  „ 

Beim  dritten  Versuch  war  ausgenutzt: 

1)  Zettschr.  für  Biologie  XXV. 

2)  Pflüger's  Arbeit  für  Physiologie  Bd.  XXIX.  1882. 


Ueber  d.  Stoffwechsel  d.  Säuglings  b.  Ern&bniDg  m.  Enhmilcb.    223 

Eiweiss  zn 99,2  % , 

Fett         , 93,6  „ 

Salze        „ 66,2  „ 

Zucker    ,, 100,0  „ 

Trockensubstanz  zu  .     .     .     .    91,7  „ 


Fassen  wir  die  Versuche  yon  Rubner,  Prausnitz  und  Uffel- 
mann  zusammen,  so  werden  bei  reicher  Milchnahrung  von  Erwachsenen 
ausgenützt: 

Trockensubstanz  der  Milch  zu    91,09  % , 
Eiweiss 98,77  „ 


resp.  Stickstoff .    . 

Fett 

Zucker 

Asche  resp.  Salze  . 


90,06  „ 

94,61  „ 

100,0     „ 

63,96  „ 


An  älteren  Kindern  sind  Milchausnützungs versuche  nur  von  Camerer 
vorgenommen  worden.  Dieselben  haben  auch  insofern  besonderes  Inter- 
esse, als  man  annehmen  könnte,  dass  der  noch  wachsende  Organismus 
die  Milch  anders  ausnützt,  vielleicht  besser  als  der  erwachsene. 


Camerer  stellte  seine  Untersuchungen  an  seinen  eigenen  fünf  Kin- 
dern an,  die  im  Alter  von  12,  10,  678,  6Va  und  4y,  Jahren  standen. 
Die  Versuche  wurden  4  Tage  lang  fortgesetzt  und  wurde,  um  die  Milch- 
diät so  lange  durchführen  zu  können,  dünner  Kaffee  als  Oeschmacks- 
corrigens  gegeben.    Ich  lasse  die  Camerer 'sehen  Tabellen  folgen: 


Tabell 

e  I. 

24 

stündige 

Zufuhr: 

Ver- 

Milch 

1    Gesammt- 

Die  Fixa  enthielt 

sacha- 

im 

znfuhr 
im  Mittel   , 

Fixa 

N. 

Fett 

MUoh- 
sucker 

Aiohe 

penon 

Mittel 

ccm 

1 

8 

g 

g 

g 

g 

1 

1790 

1      1916      ! 

224 

10,21 

-  1 

63,7 

94,0 

12,5 

2 

•     1914 

2039 

239 

10,91 

67,4 

99,0 

13,6 

3 

1959 

2086      . 

238 

9,21 

74,6 

98,9 

11,8 

4 

1720 

1      2082 

209 

8,09 

65,4 

82,6 

10,8 

6 

1864 

1964 

226 

8,71 

70.2 

89,4 

11,1 

Ver- 
snoha 
penon 


Tabelle  IL 
24 stündige  Ausscheidung: 


Menge 


1 
2 
8 

4 
5 


1470 
1670 
1608 
1636 
1443 


Speo. 
Gewicht 


1011 
1008 
1009 
1007 
1008 


Urin: 
Hamitoff 


19,0 
18,9 
21,2 
16,9 
16  3 


Ges.  N. 


9,68 
9,63 
20,80 
8,60 
8,29 


Penpir. 
insen- 
sibilifl 


Koth 


Ver- 
Anderonga- 

gewioht 
des  Körpen 


641 
478 
629 
434 
435 


67 
70 
72 

18 
70 


—  160 

—  182 

—  122 

—  ö 

4-   6 


224 


J.  Lange: 


Der  248ttlndige  Roth  enthielt: 


Sfciokitoff 

Fix» 

bei  Veraachsperson  1 

.     0,68 

16,9 

2    . 

.     0,36 

10,8 

3     . 

.     0,61 

16,4 

4     . 

.     0,64 

14,3 

6     . 

.     0,80 

16,1 

Demnach  enthielten 

die  Zufahren 

und 

die 

AuBBcheidangen 

bei  1     .    .    .     10,21  N. 

10,21  N. 

2    .     .    .     10,91    „ 

9,99   „ 

S     .     .     .       9,21    „ 

11,31    „ 

4     .     .     .       8,09    „ 

M4    „ 

6     .     .     .       8,71    „ 

».09    „ 

Das  DarchschnittBkind  hat  täglich  yeraehrt  9,48  N.,  durch  Kotfa  und 
Urin  ausgeschieden  9,97  N.,  hat  also  um  0,64  N.  mehr  ausgeschieden 
als  aufgenommen. 

Vier  der  Kinder  nahmen  dabei  an  Gewicht  ab,  nur  das  fSnfte  6  g 
in  4  Tagen  zu.  Es  geht  aus  diesen  Versuchen  hervor,  dass  eine  aWo- 
lote  Milchnahrung  bei  älteren  Kindern  nicht  genQf;t,  bez.  dieselben  beim 
Uebergang  von  gemischter  Kost  zu  reiner  Milchnahrung  an  Gewicht 
verlieren. 

Die  Ausnützung  an  Trockensubstanz  betrug  hier  bei  reiner  Milch- 
zufuhr im  Mittel  für  84  Stunden 


die  des  Stickstoffs 
die  des  Fettes 
die  der  Asche 


beim  Erwachsenen 

«U09%, 
90,06  „ 
94,61  „ 
63,96  „ 


=-  93,76  % , 

-  94,01  „ 

-  94,1     „ 

-  Ö2,l     „ 

Die  Milch  wird  also  beim  älteren  Kinde  besser  antgenützi,  als  beim 
Erwachsenen  und  zwar  bezieht  sich  diese  bessere  Ausnutzung  nur  auf 
die  stickstoffhaltigen  Substanzen. 

Wenn  wir  nunmehr  zur  Betrachtung  der  Milchernährung 
des  Säuglings  übergehen,  so  ist  unsere  heutige  Kenntniss  vom 
Eiweissumsatz  des  Säuglings  zum  grossen  Theil  das  Resultat 
der  Arbeiten  Camerer's*).  Er  war  es,  der  zuerst  nach- 
wies, dass  der  Stoffwechsel  des  Kindes  in  den  ersten  Lebens- 
tagen sich  genau  wie  der  eines  Hungernden  verhält. 

Um  sich  ein  Bild  vom  Stoffwechsel  des  Säuglings  machen  zu  können, 
stellte  er  folgende  Rechnung  auf:  1000  g  Muttermilch  im  zweiten  Monat 
enthalten  ca.  20,0  g  EiweiBS,  durch  deren  Genuss  pro  die  ca.  60  g 
Körperaubstanz  gebildet  werden,  die  ca.  10,0—12,0  g  Eiweiss  enthalten. 
Da  auf  1000  g  Muttermilch  ca.  7,0  Fäces  und  ca.  700  g  Harn  kommen, 
und  erstere  ca.  0,1  g  Stickstoff  enthalten,  verbleiben  für  den  Harn  noch 
1,2  g  Stickstoff»  017%,  was  Camerer*)  für  ffut  möglich  hält  Ga- 
me r  er  rechnet  mit  Durchschnittszahlen,  sowohl  was  die  genossene 
Nahrungsmenge,  als  auch  die  Menge  der  Ausscheidungen  betrifft,  ebenso 
auch  bei  Angabe  des  Stickstoffgehaltes. 


1)  Zeitschr.  f.  Biologie  Bd.  XIV. 

2)  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.   N.  F.   Bd.  XXII. 


L 


Ueber  d.  Stoffwechsel  d.  SäugliDgs  b.  Ern&bniDg  m.  Eubmilcb.     225 


in  24  0  Zuwachs      Best:  Perspiratio  insensibilis 
0,77  N.  2,88  N. 


Noch  anders  stellt  sich  die  Sache  aber  dar,  wenn  wir  für  den  ein- 
zelnen Fall  den  ziffermässigen  Nachweis  für  die  Richtigkeit  des  Ezempels 
führen  wollen.  Ich  muss  gestehen,  dass  Camerer*s  oben  citirte  Be- 
rechnung mir  auch  besonders  deswegen  auffällig  erscheint,  da  er  selbst 
bereits  im  Jahre  1878^),  also  7  Jahre  früher,  darch  den  Versuch  zu 
ganz  anderen  Ergebnissen  gekommen  ist.  Es  handelt  sich  hierbei  um 
ein  Kind,  das  wfiJirend  des  ersten  Versuches  mit  Muttermilch  aufgezogen 
wurde,  beim  zweiten  Versuche  Kuhmilch  erhielt.  Der  erste  Versuch 
von  fünftägiger  Dauer,  am  180.  bis  186.  Lebenstage,  ergab  Folgendes: 
Für  je  1000  g  getrunkene  Muttermilch  erhielt  Garn  er  er  680,0  Urin, 
7,0  g  Fäces  und  24,0  Zuwachs;  in  der  Nahrung  waren  enthalten: 

4,78  N.  entsprechend  80,64  Ei  weiss, 

w&hrend 

in  Harn  und  Fäces 

1,077  N. 
0,962  +  0,116, 

und  weiter   bei  demselben  Kiode    bei  Kuhmilchemährung  am   204.  bis 
206.  Tage  für  1000,0  getrunkene  Milch 

660,0  Harn  —  40,0  Koth  und  11,0  Zuwachs. 

Darin  N  in 

Nahrung  Harn  und  Koth  11,0  Zuwachs     Rest:  Persp.  insensibilis 
6,19  N.                2.866  0,86  8,46  N. 

=«  89,97        1,869+0,606  =-  2,8  Eiweiss. 

Eiweiss. 

Ca  m  er  er  sagt  hierzu:  „Das  Kind  hätte  demnach  dreimal  soviel 
resp.  doppelt  so  viel  Urin  entleeren  müssen,  um  sämmtlichen  N.  der 
Zufuhr  auszuscheiden,  welche  nicht  für  Fäces  und  Zuwachs  in  Rechnung 
zu  bringen  ist."  —  Sehr  auffallend  ist,  dass  C  am  er  er  das  riesige 
N.- Deficit  durch  Pert^piratio  insensibilis  zu  erklären  scheint;  genauere 
Angaben  macht  er  allerdings  nicht.  Ich  komme  weiterhin  auf  diese 
Frage  noch  zurück. 

Weiter  hat  Forster*)  den  Eiweissbedarf  bei  einem  yiermcmathchen 
Kinde,  das  mit  condensirter  Milch  aufgezogen  wurde,  einen  Monat  hin- 
durch controlirt,  und  nahm  das  Kind  durchschnittlibh  in  einem  Tage 
21,28  g  Eiweiss  ein,  oder  8,4  g  Stickstoff. 

Analysen  und  Ausleerungen  hat  Forster  zu  diesem  Versuche  nicht 
publicirt. 

Sodann  hatUffelmann")  an  Säuglingen  Eiweissausnützungsversuche 
bei  Kuhmilchnahrung  ausgeführt.  Es  handelt  sich  um  vier  Säuglinge 
von  a)  67^  Monaten,  b)  6  Wochen,  c)  1  Monat  und  d)  11 V«  Monaten: 


bei  Kind             a)             \ 

_      .^^ 

0) 

d) 

im  Mittel 

1 

Eiweiss                  zu     99,4% 

98.2% 

99,2% 

98,5% 

98,82% 

Fett                        „     94,9 

94,8 

92,2 

93.3 

93,8 

Salze                      „     61,0 

63,3 

45,4 

67,0 

51,7 

Zucker                    „  100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

Trockensubstanz    „     94,0 

1 

93,7 

90,0 

92,3 

92,6 

1)  Zeitschrift  für  Biologie  Bd.  XIV. 

2)  Zeitschrift  für  Biologie  Bd.  XV. 
8)  Pflüger's  Archiv  Bd.  XXIX. 


226  J.  Lange: 

AuB  diesen  Zahlen  gebt  das  bemerkenswerthe  Resultat  hervor,  dass 
beim  Silagling  Kuhmilch  aosgenüizt  wird  in  der  Art,  dass  vom  Eiweiss 
98,82  %  im  KCrper  yerbleiben,  somit  nur  1,2  %  im  Eoth  wieder  aus- 
geschit'den  werden,  dass  von  dem  genossenen  Zucker  Alles  resorbirt 
wird,  nichts  im  Koth  erscheint, 

vom  Fett  93,8%  aufgenommen  werden,  aber  6,2%  verlustig  gehen, 
nur  von  den  Saieen  erscheinen  fast  60%  wieder  im  Eoth. 

Leider  ist  ein  Vergleich  mit  anderen  Untersuchungen,  namentlich 
mit  Camerer*s  Angaben,   nicht   möglieb,    da   ein  Vergleich   der  ans 
geschiedenen  Stickstoff-    und  Eiweissmengen  nicht  ohne  Weiteres   zu- 
lääsig  ist. 

Interessant  ist  der  Vergleich  der  Stickstoffausnützung  beim  Er- 
wachsenen bei  Milchnahrnng,  beim  grösseren  Kinde  und  beim  S&uglinge 
an  der  Mutterbrust. 

Der  Erwachsene  resorbirt  90.06%  Stickstoff 

Das  ältere  Kind         „  94.01%         „ 

und  der  Säugling  (Brustkind)   97,67%        m 

Ich  komme  hierauf  bei  meinem  eigenen  Versuch  zurück. 


N.-Ausscheidung  durch  den  Koth.  Bevor  ich  nun 
meine  eigenen  N.-Stoflfwechsel versuche  zum  Vergleiche  heran- 
ziehe, möchte  ich  eine  Arbeit,  die  Tschernoff  vor  wenigen 
Jahren  veröffentlicht  hat,  heranziehen: 

Tschernoff*)  hatte  versucht,  durch  Vergleichung  der  24 stündigen 
N.-Mengen  im  Sänglingskoth  unter  normalen  und  pathologischen  Ver- 
hältnissen Abweichungen  je  nach  der  Intensität  der  Erkrankung  des 
Darmcanals  festzustellen.  £r  fand,  dass  gesunde  Säuglinge  procentual 
mehr  N.  ausscheiden  als  kranke. 

Fing  der  Darm  an  wieder  besser  zu  fnnctioniren ,  so  stieg  der  K.* 
Gehalt  der  Fäces  sofort  wieder,  event.  bis  zur  selben  Höhe,  wie  bei 
normalen  Kindern.  Noch  eclatanter  waren  die  unterschiede  bei  Brust- 
kindern. Tschernoff  schlieest  aus  seinen  Untersuchungen,  dass  patho- 
logische Fäces  weniger  Procent  N.  enthalten  als  normale,  aber  er  er- 
klärt dieses  scheinbar  paradoxe  Factum  aus  einer  relativen  Vermehrung 
des  Fettgehaltes  der  Fäces,  und  nicht  etwa  aus  einer  vollkommenen 
Assimilation.  Tschernoff  ist  übrigens  einer  der  Ersten,  der  die  N.- 
Bestimmungen  direct  nach  der  Kjeldahrsohen,  von  Boro d in  modi- 
ficirten  Melhode  ausführte. 

Eigene  N.- Bestimmungen  im  Eoth.  Ich  habe,  ge* 
wissermaassen  als  Vorarbeit,  ebenfalls  eine  Reihe  von  N.- 
Bestimmungen im  Sänglingskoth  aufgeführt.  Aehnlich  wie 
bei  Tschernoff,  waren  es  rein  äusserliche  Verhältnisse,  die 
mich  zunächst  zwangen,  von  Stoffwechselversuchen  abzusehen. 
Immerhin  ergaben  diese  Bestimmungen  interessante  Resultate. 
Hier  sei  auch  gleich  die  Methode  des  Kothsammelns  erwähnt, 
wie  sie  stets  gehandhabt  wurde.  Der  24  stündige  Eoth  wurde 
immer  möglichst  sofort  nach  der  Ausleerung  von  der  Windel 

1)  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    Bd.  XXVHI. 


üeber  d.  Stoffwechsel  d.  S&DglingB  b.  Ernährung  m.  Kuhmilch.    227 


abgeschabt  und  sofort  in  eine  tarirte  Porzellanschale,  die 
wieder  in  einem  gut  schliessenden  Präparaten  glas,  auf  dessen 
Boden  einige  ccm  Chloroform  gegossen  waren,  mit  einer 
ebenfalls  gewogenen  Menge  angesäuerten  Wassers  vermengt. 
Nachdem  der  24stündiore  Koth  gesammelt  war  (in  einigen 
Fällen  wurde  2  —  4x24  Stunden  lang  gesammelt  und  die 
durchschnittliche  Tagesmenge  verrechnet),  wurde  er  gewogen 
und  getrocknet,  anfangs  auf  dem  Wasserbade,  dann  im  Trocken- 
schrank bei  ca.  100  — 110®  C.  bis  zum  constanten  Gewicht. 
Hierauf  der  trockene  Koth  gepulvert,  wieder  getrocknet  und 
gewogen,  um  etwaige  Verluste  zu  bestimmen ,  und  gut  ver- 
schlossen aufgehoben.  Die  N.-Bestimmung  wurde  nach  Kjel- 
dahl  mit  der  Modification  von  Argutinsky^)  ausgeführt  und 
zwar  wurden  von  jedem  Roth  mindestens  zwei,  meist  auch 
drei  Proben  verarbeitet. 

Ich  gebe  nun  in  folgender  Tabelle  die  erhaltenen  Resul- 
tate. Das  eine  Brustkind,  welches  darin  figurirt,  ist  nur  des 
Vergleichs  halber  mit  herangezogen: 


Nr. 


Alter 


2l8tUndige 

Kothmenge 

In  fiy  trocken 

bei  100  <»  C. 


Darin  N.  in  g       N.  in  Frocent 


I. 

II. 

III. 

IV. 

V. 

VI. 

VII. 

VIII. 

IX. 

X. 

XI. 

XII. 

XIII. 

XIV 

XV. 

XVI. 

XVII. 

XVIII. 

XIX. 

XX. 

XXI. 

XXII. 

xxin. 

XXIV. 


2*^   Mon. 

6 

5 

1 
1 
1 

2 
4 
2 
2 

1 

2% 


7 

7 

4 

8% 

2% 

2% 
6 

6% 


II 

»» 
I» 

if 

»I 

n 
n 

I* 

t» 
II 

)l 


Gruppe  A: 

5,78 

6,25 

2,015 

3,45 

3,96 

4,26 

2,32 

7,83 

6,34 

3,70 

2,96 

6,08 

2,83 

7,81 

Grappe  B: 

10,44 

13.71 

11,39 

9,15 

11,27 

4,86 

6,46 

9,4 

7,71 

Gruppe  C: 

8,79 


0,142 
0,174 
0,077 
0,156 
0  081 
0,114 
0,089 
0,108 
0,149 
0,109 
0,081 
0.144 
0,083 
0,166 


2,46 
2,78 
3,82 
4,51 
2,04 
2  67 
3,88 
1,38 
2,34 
2,94 
2,73 
2,43 
2,92 
2,18 


0,145 

1,22 

0,289 

2,03 

0,251 

2,20 

0,217 

2,38 

0,267 

2,18 

0,114 

2,34 

0,141 

2,19 

0,116 

1,23 

0,160 

2,08 

0,093 


1,06 


1)  Pflöger'B  Archiv  Bd.  XL  VI, 


228  J.  Lange: 

Unter  Gruppe  A  mit  14  Fällen  sind  Kinder  mit  annähernd 
normalen  Ausleerungen  bei  künstlicher  Ernährung  rubricirt, 
Gruppe  B  sind  9  Fälle  von  künstlich  genährten  Kindern  mit 
massig  dyspeptischen  Stühlen  und  Fall  XXIV  ist  ein  gesundes 
Brustkind. 

Wir  erhalten  für  Gruppe  A  und  B  folgende  Mittel werthe: 


T 


248tüDdige  Kothmenge  trocken 

Darin  N.  in  g     ' 

N.  io  % 


4,6 
0,105 

2,78 


9,5 

0,189 

1,98 


8,79 

0,093 

1.06 


^v 


Vergleichen  wir  nun  die  erhaltenen  Werthe  untereinander, 
so  lässt  sich  zunächst  eine  auffallende  Constanz  der  24  stün- 
digen Kothmengen  nachweisen ,  je  nachdem  das  betreffende 
Versuchskind  über  einen  besser  oder  schlechter  functionirenden 
Verdauungsapparat  verfügte.  Wahrend  die  Tagesmenge  der 
„Kothfixa"  bei  den  Kindern  mit  annähernd  normaler  Verdauung 
noch  nicht  ganz  5  g  beträgt,  so  ist  die  durchschnittliche  Koth- 
menge  bei  den  dyspeptischen  fast  doppelt  so  gross  =  9,5  g. 

Die  in  24  Stunden  ausgeschiedenen  Stickstoffmengen  lie- 
fern  bei  den  Ersteren  ein  Mittel  von  0,105,  bei  den  Letzteren 
von  0,189  g,  also  entsprechend  der  grosseren  Kothmenge  auch 
mehr  N.,  aber  wenn  wir  uns  die  procentischen  Verhältnisse 
ansehen,  so  finden  wir,  dass  die  Fäces  der  gut  ausleerenden 
Säuglinge  2,78  %  N.  enthalten,  während  die  der  dyspeptischen 
nur  einen  Gehalt  von  1,98%  aufweisen.  Das  heisst,  während 
also  der  absolute  tägliche  Stickstoffgehalt  beim  dyspeptischen 
Säugling  um  ca.  30  %  grösser  ist  als  beim  annähernd  normal 
ausleerenden,  ist  der  procentuale  N.-Gehalt  der  dyspeptischen 
Fäces  fast  um  ebensoviel  £reringer.  Das  ist  eine  sehr  auffal- 
lende Thatsache,  auf  die  zuerst  hingewiesen  zu  haben  Tscher- 
noff  das  Verdienst  gebührt.  Ich  mochte  noch  nachtragen, 
dass  es  sich  bei  meinen  dyspeptischen  Kindern  unter  Gruppe  B 
nicht  etwa  um  extrem  schwer  kranke,  etwa  an  acutem  Brech- 
durchfall leidende  Kinder  handelt,  vielmehr  sind  es  lauter 
einfache,  mittelschwere  Entero-  und  Gastroenterokatarrhe. 

Ausnützung  des  Eiweisses  beim  dyspeptischen 
Säugling.  Es  sind  dieses  Verhältnisse,  über  die  der  prak- 
tische Arzt  im  Allgemeinen  nicht  genilgend  orientirt  ist.  Es 
würde  ja  auch  ganz  einleuchtend  sein,  wenn  wir  in  den 
Fäces  des  an  Durchfällen  resp.  Verdauungsstörungen  leidenden 
Kindes  sehr  grosse  Massen  der  Trockensubstanz  und  auch 
des  Stickstoffs  der  aufgenommenen  Nahrung  finden  würden, 
besonders,  wenn  wir  uns  die  häufigen,   oft  copiösen  Auslee- 


Ueber  d.  Stoffwechsel  d.  Säaglings  b.  Ernährnng  m.  Kahmilch.    229 

rungen  vergegenwärtigen.  Ja  man  könnte  glauben,  dass  der 
grösste  Theil  der  Nahrung  unverdaut  abginge,  —  dem  ist 
aber  nicht  so.  Wohl  finden  wir  in  den  Ausleerungen  mehr 
Kothfixa  und  auch  mehr  StickstofiP;  als  bei  gut  verdauenden 
Säuglingen,  aber  die  Ausnützung  der  Milch  und  besonders 
ihres  Eiweisses  ist  immer  noch  als  eine  ganz  vorzügliche  zu 
bezeichnen.  Das  Sinken  des  Stickstoffprocentes  im  Kothe 
der  Dyspeptischen  ist  hierbei  nach  den  Untersuchungen  von 
Biedert^),  Demme^)  und  Tschernoff*)  zum  grössten  Theil 
auf  den  grösseren  Fettgehalt  derselben  zu  schieben.  Dabei 
braucht  man  die  Biedert'sche  „Fettdiarrhöe"  gar  nicht  heran- 
zuziehen. Es  stimmt  das  mit  Tschernoff's  Angaben  voll- 
ständig überein. 

Andrerseits  entspricht  die  mehr  als  doppelt  so  grosse 
Menge  der  Kothfixa  bei  dem  schlecht  verdauenden  Säuglinge 
den  C am erer 'sehen  Angaben.  Ich  glaube,  dass  in  letzterer 
Beziehung  besonders  die  eine  Bestimmung  am  Brustkinde 
nicht  gut  mit  zum  Vergleich  herangezogen  werden  darf,  die 
Eothmenge  ist  relativ  gross,  aber  es  ist  das  wohl  nur  als 
Zufälligkeit  aufzufassen;  die  Stickstofiausnützung  ist  ebenfalls 
eine  sehr  gute.  —  Die  verhältnissmässig  geringe  Menge  der 
Kothfixa  bei  den  künstlich  genährten  Kindern  erklärt  sich 
daraus,  dass  dieselben  meist  Reconvalescenten  waren  und  nur 
soviel  Nahrung  erhielten,  als  normale  Kinder,  die  gleiche  Ge- 
wichte haben,  erfahrungsgemäss  consumiren.  Sie  bekamen 
durchschnittlich   ca.  600  g  sterilisirte  Milch  (Soxhlet)  täglich. 


YollständigeStickstoff  wechselversuche.  Ich  komme 
nun  zu  den  von  mir  ausgeführten,  vollständigen  Stickstoff- 
wechselversuchen. Es  sind  im  Ganzen  an  19  Kindern  Beob- 
achtungen angestellt  worden,  schliesslich  konnte  ich  aber  nur 
9  verwerthen,  da  bei  den  übrigen  mehr  oder  weniger  grosse, 
nachweisbare  Versuchsfehler  vorlagen.  Es  ist  ausserordent- 
lich schwierig,  derartige  Untersuchungen  im  Krankenhause 
vorzunehmen,  da  wir  es  ja  fast  nie  mit  absolut  gesunden, 
besten  Falls  nur  mit  reconvalescenten  Kindern  zu  thun  haben. 
Dann  muss  fortwährend  darauf  Rücksicht  genommen  werden, 
dass  das  Kind  nicht  zur  Anstellung  von  physiologischen  Ver- 
suchen, sondern  zwecks  Heilung  resp.  Behandlung  einer  Krank- 
heit im  Hospitale  ist  und  selbstverständlich  andere  Rücksichten 
auf  das  Wohlergehen  desselben  genommen  werden  müssen, 
als    etwa    beim  Versuchsthiere.      Es   kommen   hauptsächlich 

1)  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    XII. 

2)  Jahresbericht  über  das  Jenner^scho  Kinderspital.  3)  1.  c. 


230  J.  Lange: 

zweierlei  Factoren  störend  fQr  den  Versuch  in  Betracht: 
1.  Wechsel  der  Kost,  Verabreichung  von  Medicamenten  etc., 
bedingt  durch  irgend  welche  Störungen  des  physiologischen 
Verhaltens,  und  2.  Schädigung  des  Kindes  durch  die  Sammel- 
methoden, besonders  Auftreten  von  Intertrigo  durch  die  den 
Harnrecipienten  fixirenden  Bandagen,  die  eine  Unterbrechung 
des  Versuchs  bedingen. 

Diese  9  Fälle  möchte  ich  wieder  in  zwei  Gruppen  theileu: 
A.  in  eine  solche  von  4  Fällen,  bei  denen  meiner  Ueberzeugung 
nach  keine  vermeindbaren  Versuchsfehler  vorliegen,  d.  h.  ea 
ging  beim  Trinken  keine  Milch  verloren,  wurde  nicht  regur- 
gitirt,  Urin  und  Koth  konnten  vollständig  gesammelt  werden 
und  die  betreffenden  kleinen  Versuchsobjecte  bekamen  keiner- 
lei Medicamente,  und  B.  eine  zweite  Gruppe  von  5  Fällen, 
bei  denen  minimale  Mengen,  die  allerdings  nur  hätten  ge- 
schätzt werden  können,  verloren  gegangen  sind.  Ich  habe 
in  den  Tabellen  bei  jedem  Falle  das  Nähere  vermerkt,  von 
einer  Schätzung  der  Verluste  aber  lieber  abgesehen,  da  da- 
durch wieder  neue  Fehlerquellen  erwachsen  konnten. 

Diese  5  Fälle  sind  aber  meines  Dafürhaltens  recht  gut 
zu  verwerthen,  besonders  da  auch  die  Resultate  gut  mit 
denen  der  Gruppe  A  stimmen  —  die  übrigen  10  Fälle  konnte 
ich  erst  während  der  Sichtung  des  Materials  elimiuiren. 

Methoden.  Das  Sammeln  des  Harns  geschah  stets  mittelst  des 
Epstein'schen  Recipienten  —  die  Versuchskinder  waren  sämmtlich 
Knaben  —  und  gelang  es  in  7  von  den  9  F&llen  den  Harn  vollitftn- 
dig  aufzufangen.  Freilich  gehört  eine  ganz  ausserordentliche  Sorgfalt 
hierzu. 

Bei  Fall  VII  und  IX  sind  je  ein-  und  zweimal  ganz  geringe  Mengen 
Harn  beim  Umbetten  verloren  gegangen,  doch  handelte  es  sich  aller- 
höchstens  nur  um  einige  Cubikcentimeter.  Was  die  Fäces  anbetrifit. 
so  konnten  sie  nur  auf  die  oben  beschriebene  Weise  mittelst  Abaohabens 
der  frisch  entleerten  Koth  mengen  von  den  Windeln  mit  Spatel  gesam- 
melt werden,  da  die  Kinder  aber  sämmtlich  wenig  wasserreiche  Stahle 
producirten,  so  habe  ich  geglaubt,  den  immerhin  nur  geringen  Verlast 
ignoriren  können  zu  dürfen. 

Geringe  Nahrungsmenge.  Auffallen  wird  zun&chst  die  geringe 
Meuge  Nahrung,  welche  die  Kinder  in  24  Stunden  erhielten;  wie  ich 
bereits  oben  bemerkte,  wurde  auf  der  Säuglingsstation  eine  möglichst 
geringe,  gerade  nur  ausreichende  Nahrungsmenge  gereicht.  Dem  ent- 
spricht auch  die  sehr  geringe  Harnmen^e,  die  infolge  des  wohl  etwas 
grösseren  Wasserbedürinisses  relativ  klem  ausfiel. 

Allgemeinbefinden  der  Versuchskinder.  Betreffs  des  All- 
gemeinbefindens der  Versuchskinder  handelte  es  sich  bei  5  Fällen  um 
abgeheilte  leichte  Magen-Darmstörungen,  Kinder,  die  täglich  S  —  Smal 
ausleerten  und  dabei  bei  gutem  Appetit  an  Gewicht  zunahmen.  Es  ist 
das  der  Fall  I,  V,  VI,  VII  und  IX.  Bei  Fall  II  um  einen  abgeheUten 
Pemphigus  non  syphiliticus,  bei  Fall  III  um  einen  Microcephalos  mit 
leichtem  Bronchialkatarrh,  Fall  IV  ist  ein  Kind  mit  Hasenscharte,  das 


üeber  d.  Stoffwechsel  d.  S&Qglings  b.  Ernäbrang  m.  Knhmilcb.    231 

etwas  atrophisch  war,  bei  guter  Ernäbrang  aber  gut  gedieh,  und 
Fall  VIII  endlich  war  ein  Racbitiker  mit  massigem  Bronchialkatarrh, 
aber  gutem  Appetit  und  ungestörter  Verdauung.  Ich  möchte  übrigens 
betonen,  dass  fast  alle  Kinder  mehr  oder  minder  schwer  rachitisch 
waren,  am  stärksten  Fall  I  und  II,  sowie  VIII.  Ich  komme  hierauf 
noch  zurQck.  Abgesehen  davon  handelt  es  sich  jedenfalls  um  ver- 
häitnissmässig  normal  verdauende  Säuglinge,  die  alle,  bis  auf  Fall  lil, 
eine  gleichmässige,  einheitliche  Nahrung  erhielten.  Diese  Nahrung  be- 
stand in  im  Soxhlet'schen  Apparat  sterilisirter  Milch  und  habe  ich  der 
Einfachheit  halber  den  Durchschnittsgehalt  dieser  Misch  milch  aus  vier 
Analysen  als  Norm  angenommen,  da  der  N. -Gehalt  nur  um  0,008  g  in 
100  ccm  schwankte. 

Beschaffung  der  Nahrung.  Betreffend  die  Beschaffung  und 
Herätellung  dieser  Mischmilch  nur  kurz  Folgendes:  die  Milch  wird  aus 
dem  Musterätall  der  landwirthschaftlichen  Versuchsstation  der  Univer- 
sität, die  nur  5  Minuten  vom  Kinderkrankenhause  entfernt  ist,  geliefert 
und  haben  wir  es  daher  mit  einer  relativ  guten  Milch  zu  thun.  Die 
Milch  enthielt  durchschnittlich 

3,376%  EiweibB 
und  SM  %  Fett. 

Die  Leipziger  Polizeiverordnung  verlangt  einen  Fettgehalt  von  min- 
destens 3  %. 

Zusammensetzung  der  Nahrung  Die  Mischmilch  wird  nun 
in  der  Weise  hergestellt,  dass  je  zwei  Theile  Milch  mit  einem  Tbeil 
einer  12,3%  Milchzuckerlödung  gemischt  und  sodann  vorschrifts massig 
im  Soxhlet  sterilisirt  wird.  Diese  Milchmischung  enthiült  nun  im 
Durchschnitt: 

2,25%  Eiweiss  »  0,363  g  N.  in  100  ccm 
2,16%  Fett 
und  7%  Milchzucker. 

Zusammensetzung  der  Frauenmilch.  Da  die  Muttermilch  im 
Durchschnitt 

1,03%  Ei  weiss 

4,07%  Fett 

7,03%  Zucker  (F.  Hofmann) 

enthält,  so  sehen  wir,  dass  unsere  Mischmilch  zu  viel  Eiweiss,  be- 
deutend zu  wenig  Fett,  dagegen  viel  Milchzucker  enthält,  wenigstens 
gegenüber  der  älteren  Analysen,  die  nur  ca.  6%  Zucker  angeben  und 
auf  welche  sich  das  Folgende  bezieht.  Letzteres  ist  beabsichtigt.  Da 
wir  nämlich  nicht  im  Stande  sind  den  hohen  Fettgehalt  der  Mutter- 
milch zu  ergänzen,  so  bleibt  nur  übrig,  dafür  ein  Aeqnivalent  zu 
schaffen,  und  haben  wir  nach  den  Publicationen  von  Soxhlet*)  die 
Möglichkeit,  diesem  Mangel  durch  Erhöhung  des  Milchzuckergehaltes 
abzuhelfen. 

„Die  VertretungsfUhigkeit  des  Fettes  durch  Kohlenhydrate  nach 
Maassgabe  ihres  Brennwerthes  ist  wahrscheinlich  eine  absolute,  sodass 
der  Mensch  ebenso  gut  von  Eiweiss  -f-  Fett,  wie  von  Eiweiss  -|-  Kohlen- 
hydrat leben  kann"  (v.  Noorden)*). 

Der  Milchzuckergehalt  dürfte  daher  eher  noch  grösser  sein. 

Das  eine  Kind  (Nr.  III)  erhielt  an  einem  der  beiden  Versuchstage 
Reismehl  schleim  und  zwar  300,0  g,  ist  auch  das  einzige,  welches  ab- 


1)  Münchener  med.  Wochenschrift  1893. 

2)  Orundriss  einer  Methodik  der  Stoffwechseluntersuchungen  1892. 


232  J.  Lange: 

nahm.  Ich  hätte  diesen  Versuch  ebenfiills  eliminiren  können,  doch 
waren  bei  diesem  Kinde  gerade  absolut  keine  Verluste  Torgekommen 
und  dann  seigt  es  trotz  der  starken  GrewichtsabDahme  gerade  das 
Stickstoffdeficit  in  eclatanter  Weise. 

Folgende  Tabellen  auf  Seite  233  geben  die  näheren  ein> 
zelnen  Daten  der  Versuche,  sowie  bei  Gruppe  B  auch  die  Be- 
merkungen betreffs  der  vorgekomuienen  Versuchsfehler. 

Nach  diesen  Tabellen  finden  wir  bei  den  neun  Säug- 
lingen den  Stickstoff  der  Milch  ausgenützt  bei: 

I  au  93,2  %  Rest  C,8  % 

II  „  93,93  „  6,07 

III  „  94,79  „  6,21 

IV  „  92,6              „  7,4 
V  „  96,6              „  3,4 

VI  „  95/28  „  4,72 

VII  „  95,87  „  4,18 

VIII  „  96,3  „  3,7 

IX  „  95,4'i  „  4,52 

also  im  Mittel  zu  95,46%  ausgenützt  Vergleichen  wir  noch 
einmal  die  Ausnutzung  des  Stickstoffs  bei  reiner  Milchnahrung 
in  den  verschiedenen  Lebensaltern,  so  zeigt  sich,  dass  der 
Erwachsene  90,6  %  ausnüzt,  demnach  9,4  %  durch  den  Roth 
abgehen,  während  halbwiichsige  bez.  Kinder,  die  das  vierte 
Lebensjahr  überschritten  haben,  94,01%  ausnützen,  also  5,99% 
durch  den  Koth  abgeben,  dagegen  künstlich  mit  Kuhmilch 
genährte  Säuglinge  95,46  %  ausnützen^  demnach  4,54  %  un- 
resorbirt  lassen  und  schliesslich  der  mit  Muttermilch  genährte 
Säugling  97,57%  resorbirt,  also  2,43%  im  Koth  ausscheidet 
oder  vielmehr,  wenn  wir  nur  1,03%  Eiweiss  in  der  Mutter- 
milch rechnen,  gar  ca.  98,8%  resorbirt  und  nur  1,2%  im  Koth 
ausscheidet. 

Demnach  stellt  sich  heraus,  dass  wohl  die  Muttermilch 
vom  Säuglingsdarmcanal  bei  Weitem  am  besten  aufgenommen 
wird,  was  ihren  Stickstoffgchalt  anbetrifft,  dass  aber  eine  ge- 
nügend  verdünnte  und  mit  genügender  Menge  Milchzucker 
versetzte,  keimfrei  gemachte  Kuhmilch  ebenfalls  ganz  ausser- 
ordentlich gut  vom  Säuglinge  ausgenützt  wird.  Man  kann 
dieses  mit  um  so  grösserer  Wahrscheinlichkeit  annehmen,  da 
meine  Versuchskinder  immerhin  als  geschwächte  Organismen 
zu  bezeichnen  sind.  Auffallend  gut  wird  der  Milchstickstoff 
von  älteren  Kindern  verwerthet,  wogegen  die  Ausnützung 
desselben  beim  Erwachsenen  als  eine  verhältnissmässig  schlechte 
zu  bezeichnen  ist,  was  auch  Prausnitz  in  seiner  oben 
citirten  Abhandlung  bestätigt,  dass  die  Kuhmilch  von  allen 
animalischen  Nahrungsmitteln  vom  Erwachsenen  am  schlech- 
testen ausgenützt  wird.^) 

1)  £b  darf  hierbei  nicht  übersehen  werden,  dans  der  Erwachsene 
bei  absoluter  Milchdiät  sich  unter  absolut  abnormen  Verhältnissen  befindet 


üeber  d.  StoflPwechsel  d.  Slaglings  b.  Emährang  m.  Kubmilch.     233 


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234  J.  Lange: 

Erläuterung  zu  den  Tabellen.  Zur  Erläuterung  der 
Tubellen  möchte  ich  noch  kurz  Folgendes  hinzufügen:  Die 
Versuche  I  —  IV  waren  von  zweitägiger  Dauer,  die  Versuche 
V — IX  nur  eintägig.  Da  die  Nahrung  qualitativ  und  mit  ge- 
ringen Schwankungen  auch  quantitativ  gleich  blieb,  so  glaube 
ich  doch,  dass  die  Resultate  trotzdem  gut  verwerthbar  sind. 
Aus  den  oben  besprochenen  Gründen  war  es  mir  leider  nicht 
möglich,  die  Versuche  länger  durchzuführen.  Die  Wägungen 
wurden  bei  allen  Säuglingen  regelmässig  zweitägig  ausgef&hrt, 
und  habe  ich  die  Durchschnittszahlen  für  die  24  stündige  Zu- 
nahme angenommen.  Tägliche  Wägungen  sind,  wie  schon 
Camer  er  nachweisen  konnte,  absolut  nicht  verwerthbar,  wir 
müssen  stets  Mittelwerthe  benutzen.  Bei  Nr.  III  habe  ich 
die  300,0  Reisschleim  nicht  in  N.  umgerechnet,  da  mir  keine 
Analyse  zur  Verfügung  stand.  Reis  ist  an  und  für  sich 
stickstoffarm  und  enthält  in  der  starken  Verdünnung  als 
Schleim  sicher  nur  sehr  wenig  N.  Ausserdem  hätte  sich  ja 
der  StickstoflPverlust  nur  höher  stellen  müssen. 

Geringe  Wasserabgabe  durch  den  Harn.  Ausser- 
ordentlich auffallend  ist  auf  den  ersten  Blick  die  geringe 
Wasserausscheidung  durch  den  Harn.  Besonders  bei  Fall  I 
und  II  sehen  wir  einer  Wasserzufuhr  von  ca.  760  respective 
850  ccm  eine  Harnausscheidung  von  nur  137,5  und  155,0  ccm 
gegenüberstehen,  dann  auch  noch  bei  Fall  VUI  ca.  570: 
195,0  ccm.  Der  Gedanke  an  einen  groben  B'ehler  liegt  hier 
sehr  nahe.  Trotzdem  halte  ich  einen  solchen  hier  für  aus- 
geschlossen. 

Ich  will  zunächst  die  Zahlen  von  C  r  u  s  e  ^) ,  der  die 
meisten  und  wohl  auch  genauesten  Harnanalysen  bei  Säug- 
lingen gemacht  hat,  heranziehen: 

Tabelle  III  von  Cruse: 


Mutieret 

Mittlere  tag- 

Mittlere  a4atflii> 

auf  1 010  Th«üe 

Alter 

K(>ri»ergewicht 

Ucho  Milch- 

dige  Hammenge 

Milch  komxBt 

in  g 

sufahr  in  g 

in  ccm 

Harn: 

2  Tage 

3283 

335 

130 

388 

3      .. 

3495 

365 

208 

569 

*      .1 

3361 

370 

210 

567 

6      ., 

3363 

380 

226 

594 

5—10      „ 

3431 

420 

310 

738 

10—30      „ 

3791 

540 

369 

683 

30—60 

4397 

660 

417 

631 

1)  Jahrbuch  f.   Kinderheilkunde     N.  F.     XI. 


üeber  d.  Stoffwechsel  d.  Säuglings  b.  Ernährung  m.  Kuhmilch.    235 


und 


Tabelle  V  von  Cruse: 


Alter 

Zahl  der 
BeobAchtuDgs- 

tAge  : 

1    . 

Mittl.  ipecif. 
1         Gewicht 

du  Hama: 

1 

2  Tage 

3  „ 

6 

7 

1005,4 
1004,57 

4      „ 
10       u 

6 

6 

14 

1005^0 

1004,25 

1008,57 

30      „ 
60      „ 

1           28 
1           23 

1003,78 
1003,62 

5 
10 
80- 

Versuch  einer  Erklärung  der  geringen  Wasser- 
abgabe durch  den  Haru.  Er  ßndet  daher,  dass  ein  besser 
entwickeltes  Kind  mehr  Harn  secernirt  als  ein  schlecht  ent- 
wickeltes. Das  würde  für  unsere  Fälle  zwar  herangezogen 
werden  können,  aber  zur  Erklärung  nicht  genügen.  Aber 
wir  finden  bei  Betrachtung  der  specifischen  Gewichte  aller- 
dings Abweichungen  von  den  Cruse'schen  Zahlen: 


Nr. 

Spec.  Gewicht 

Np. 

spec.  Gewicht 

1 

1008 

1 

VI 

1003,6 

II 

1010 

VII 

1004 

III 

1006 

VIII 

1005 

IV 

1004,6 

IX 

1004 

V 

1004 

Der  Harn  weist  fast  in  allen  Fällen  eio  höheres  spe- 
cifisches  Gewicht  auf,  besonders  aber  in  Fall  I  und  II.  Ich 
glaube  nun,  dass  sich  diese  Verhältnisse  dadurch  erklären 
lassen,  dass  wir  es  mit  rachitischen  Kindern  zu  thun  haben, 
die,  wie  jeder  Praktiker  weiss,  an  ganz  exorbitanten  Schweissen 
leiden,  besonders  des  Hinterkopfes,  und  halte  ich  es  für  sehr 
gut  möglich,  dass  durch  diese  profusen  Schweisse  der  an- 
scheinisnd  riesige  Wasserverlust  sich  erklärt. 

Auf  alle  Fälle  bleibt  uns  eine  grosse  Differenz  zwischen 
aufgenommenem  und  ausgeschiedenem  Stickstoff.  Einen  Theil 
derselben  können  wir  durch  Stickstoffansatz  des  wachsenden 
Organismus  erklären. 

N.-Gehalt  des  Säuglingsorganismus.  Es  ist  nur 
die  Frage,  wie  sollen  wir  den  Gehalt  der  Gesammtzunahme 
an  N.  ersetzen?  Der  Gesammtorganismus  des  Erwachsenen 
soll  nach  Moleschoff^)  in  100  Gewichtstheilen  ca.  20  Gewichts- 
theile  Eiweisskörper  und  sonstige  stickstoffhaltige  Substanzen 
enthalten.  Der  Organismus  des  Säuglings  ist  aber  wohl  sicher 
bedeutend  wasserreicher.     Leider  liegen  hierfür  nur  die  Au- 


1)  Citirt  nach  Vierordt,  Physiologie  des  Kindeealters. 

16* 


236 


J.  Lange: 


gaben  von  Fehl  in  g^)  betreffend  drei  Neugeborene  vor.  Er 
fand  11,8%,  12,6%  und  17,8%  Eiweisskorper  und  N.- haltige 
Substanzen,  v.  Vierordt  hat  daher  für  das  erste  Lebensjahr 
14%  als  Mittel  angenommen.  Mit  Recht  wohl  blos  für  die 
ersten  Lebenswochen.  Immerhin  bleibt  mir  in  Ermangelung 
anderer  Zahlen  nur  übrig,  seinem  Beispiel  zu  folgen.  Da- 
nach entsprachen  100,6  Zuwachs  <=»  14,0  g  Eiweiss  oder 
2,24%  Stickstoff. 

Wir  würden  folgende  Uebersicht  erhalten: 


Nr. 


Tftgl.  ZunAhme 


I 

11 


+  16,0 
+  30,0 


K.-Antftti 


0,336 
0,672 


Differoiu 
swlichaa  Ein« 
nähme  und  Aus- 
gab« 


K.-Deflcit 


2,196 
1,967 


1,760 
1,295 


III 

—  66,0 



0,216 

0,216 

IV 

+  27.6 

0,616 

1,109 

0,493 

V 

+  17.5 

0,392 

1,675 

1,183 

VI 

+  25,0 

0,660 

1,360 

0,800 

VII        , 

+    6.0 

0,112 

1,296 

1,184 

VIII 

+  12,5 

0,280 

1,277 

0,997 

IX 

+  15,0 

0,336 

1,983 

1,647 

Im  Mittel 


+  11.4 


0,867 


1,064 


Wir  ersehen  hieraus ,  dass  entsprechend  den  Angaben 
Tou  Camerer  ein  sehr  grosser  Theil  des  aufgenommenen 
Stickstoffs  in  den  Ausscheidungen  nicht  wieder  zum  Vorschein 
kommt,  und  zwar  schwankt  dieaea/Deficit  zwischen  ca.  20 
und  65%.  Weiterhin  können  wir  seinen  Verbleib  auch  nicht 
durch  eine  Gewichtszunahme  erklären.  Sogar,  wenn  wir  die 
ganze  Zunahme  nur  auf  Muskelfleisch  bezogen,  würden  wir 
nicht  in  allen  Fällen  das  Deficit  vermissen;  dazu  sind  wir 
aber  sicher  nicht  berechtig.  Zudem  finden  wir  ja  sogar  in 
dem  einen  Falle,  wo  das  Kind  stark  atrophisch  war  und  am 
Gewicht  abgenommen  hatte,  ein  ganz  erhebliches  N.- Deficit 
Dieses  in  allen  Versuchen  wiederkehrende  N.- Deficit  ist,  wie 
Camerer  und  nach  ihm  Vierordt  meinen,  so  gross,  dass 
man  es  für  den  Säugling  nicht  in  Abrede  stellen  kann,  selbst 
wenn  man  ganz  unwahrscheinlich  grosse  Fehlerquellen  an- 
nimmt. 

Thierversuche.  Da  nun  aber  doch  beim  Sammeln 
der  Ausscheidungen  der  Säuglinge  auch  bei  der  grossten  Sorg- 
falt Verluste  vorkommen  können  und  wir  nicht  in  der  Lage 
sind,  am  Kinde  vollständig  exacte  Versuche  auszuführen,  so 
wiederholte   ich   den  Versuch   an  jungen  Hunden.     In  diesem 

1)  Arch.  f.  Gynäkologie  XI.    1877. 


i 


lieber  d.  Stoffwechsel  d.  Säuglings  b.  Ernährung  m.  Kuhmilch.     237 


Falle    konnte    natürlich    in    viel    exacterer    Weise   verfahren 
werden. 

Methode.  Nachdem  eine  genügende  Menge  Milch  im  Sozhlet- 
apparat  sterilisirt  war,  wurden  die  14  Tage  alten  Hunde  erst  2x24 
Stunden  lang  mit  dieser  Milch  genährt  und  zwar  durch  die  Flasche, 
bis  sie  fast  ohne  Verlust  zu  trinken  gelernt  hatten.  Am  Morgen  des 
dritten  Tages  wurde  jeder  der  beiden  Hunde  in  einen  Glaskasten  ge- 
setzt, der  mit  Abflussrohr  versehen  war.  Die  Thiere  sassen  dabei  auf 
verzinkten  Drahtgestellen,  die  ca.  6  cm  über  dem  Boden  des  Glas- 
kastens erhöht  standen.  Der  Harn  und  auch  der  grössere  Theil  der 
halbflüssigen  bis  weichen  Fäces  lief  direct  in  die  untergestellten  Sammel- 
flaschen, in  denen  sich  etwas  mit  H^SO^  schwach  angesäuertes  Wasser 
befand.  Am  Morgen  des  6.  Tages  wurden  die  Hunde  mit  lauwarmem, 
destillirtem  Wasser  abgewaschen  und  gleichzeitig  die  Glaskästen  ge- 
reinigt. Auf  diese  Weise  erhielt  ich  sämmtliche  Ausleerungen,  zugleich 
mit  den  abgestossenen  Haaren,  also  eher  mehr  N.-haltiger  Substanz, 
in  —  wie  ich  glaube  —  einwandfreier  Weise.  Die  Hunde  erhielten 
tS glich  6  mal  ihre  Flasche  und  ging  nur  ausnahmsweise  etwas  verloren. 
Die  verlorenen  Milch  mengen  konnten  allerdings  nur  geschätzt  werden, 
doch  sind  diese  Schätzungen  entschieden  eher  zu  hoch  als  zu  niedrig 
ausgefallen  und  daher  wohl  nicht  als  Fehlerquelle  im  Sinne  der 
Folgerungen  aufzufassen.  Ich  lasse  nun  die  tabellarische  Uebersicht 
folgen: 


1. 


Nr. 


Alter 


8. 

Anfangs- 
gewicht 

e 


4. 

Tägl. 
Zunahme 


Tägl. 
MUch- 
snftihr 


6. 

N.  der- 
■elben 


7. 


8. 

K.  dei- 
selben 


9. 

Diffe- 

rena 

Ton 

6—8. 


I 
II 


14  Tage 
14 


>• 


1866 

1490 


+  37.6       614,6 
+  26,26     637,0 


1,779 
1,866 


6,81      0,409 
6,09  '  0,887 


1,37 
1,47 


Im  Mittel 


1422,6  ;  +  31,88  |  626,76      1,817      6,46  |  0,898  |   1,42 


Da  mir  für  den  Eiweissgehalt'^es  Hundekörpers  eben- 
falls keine  Daten  zur  Verfügung  stehen,  so  will  ich  der 
Oleicbmässigkeit  halber  ebenfalls  denselben  Stickstoffgehalt 
annehmen  und  ergiebt  sich  dann  Folgendes: 


1 

Nr. 

1 

1 

Tägl.  Zunahme 

1 

1                =^= 
N.-Anaats 

Dlfferena         | 
▼on  Rin-         >      N.  Deficit 
und  Ausfuhr     | 

I 
II 

+  37,6 
+  26,26 

0,84                      1,37 
0,698                    1,47 

0.68 
0,872 

Im  Mittel  +  31,88 


0,719 


1,42 


0,701 


Resultat  des  Thierversuchs.  Mit  anderen  Worten, 
das  Resultat  des  Thierversuchs  ergiebt,  dass  beim  ganz  jungen 
Hunde,  analog  wie  beim  menschlichen  Säugling,  ein  Stickstoff- 
deficit  vorhanden  ist,  für  welches  wir  zunächst  keine  aus- 
reichende Erklärung  haben. 

Zu  bemerken  ist,  dass  die  Hunde^  wie  nicht  anders  za 


238  J*  Lange: 

erwarten  war,  sehr  viel  kläfften  und  schrien,  besonders  Hund  II, 
Yielleicht  hängt  damit  und  mit  der  damit  verbundenen  Un- 
ruhe die  geringere  Zunahme  desselben  zusammen. 

Ob  ein  Quantum  yon  ca.  500  cbcm  Wassermilch  pro  Tag 
für  einen  Hund  von  ca.  1500  g  Gewicht  eine  genügende  Er- 
nährung ist,  will  ich  weder  behaupten  noch  bestreiten,  die 
Zunahme  spricht  dafür;  ich  kann  aber  constatiren,  dass  die 
beiden  Thiere  die  Milch  sehr  gern  annahmen,  und  ihnen  stets 
soviel  verabreicht  wurde,  als  sie  trinken  wollten.  Die  ge- 
ringere Gewichtszunahme  von  Huud  II  wäre  event  noch  da- 
durch zu  erklären,  dass  er  am  zweiten  Versuchstage  schlechten 
Appetit  zeigte. 

Das  Stickstoffdeficit  Wie  soll  nun  dieses  in  jedem 
Falle,  wie  wir  gesehen  haben,  auch  beim  jungen  Hunde,  vor- 
handene Stickstoffdeficit  erklärt  werden?  Schon  v.  Vierordt^) 
bekräftigt  Camerer's  Meinung,  dass  es  sich  nicht  um  Versuchs- 
fehler handeln  könne,  kann  aber  ebenso  wenig  wie  letzterer 
eine  Erklärung  fQr  dieses  Phänomen  finden.  Camerer  hat, 
soviel  ich  aus  seinen  mir  zur  Verfügung  stehenden  Arbeiten 
ersehen  kann,  zweimal  angedeutet,  wie  er  sich  diesen  Ver- 
bleib vorstellt.  Das  eine  Mal,  auch  bei  Vierordt^)  citirt, 
ist  das  N.-Deficit  einfach  unter  „Perspiratio  insensibilis^'  rubri- 
cirt.  Nähere  Angaben  habe  ich  hierüber  nicht  finden  können. 
Dem  widerspricht  nun  zunächst  die  Angabe  von  v.  Vierordt') 
selbst,  der  bei  Besprechung  der  Bilanz  der  Einnahmen  und 
Ausgaben  folgenden  Grundsatz  aufstellt:  j,T)ie  Grösse  der 
Perspiratio  insensibilis  ist  sehr  annähernd  «=>  der  Menge  der 
durch  Lungen  und  Haut  ausgeschiedenen  Kohlensäure  plus  der 
Menge  desauf  denselben  Wegen  austretenden  Wassers,  minus  dem 
{Sauerstoff  der  Kohlensäure.''  —  Lässt  man  diesen  Satz  zu 
Recht  bestehen,  so  kann  das  N.-Deficit  auf  diesem  Wege 
nicht  erklärt  werden.  Abgesehen  hiervon  haben  aber  be- 
kanntlich V.  Pettenkofer  und  v.  Voit*)  entgegen  Reignault 
und  Reiset  nachweisen  können,  dass  beim  Menschen  und 
beim  Fleischfresser  keine  gasförmige  Stickstoffexhalation  statt- 
findet, ebenso  wenig  haben  Pflüger  und  Leo^)  beim  Kanin- 
chen eine  nachweisbare  Stickstoffexhalation  finden  können. 

Dann  hat  Camerer^)  ein  anderes  Mal  die  Vermuthang 
ausgesprochen,  dass  dieses  N.-Deficit  vielleicht  als  ein  Aequi- 
valent  vermehrter  Arbeitsleistung  des  Darmes  aufzufassen  wäre. 
Im   Allgemeinen  steht  ja  fest,   dass  Mehrangebot   von   Nah- 


1)  I.  c.  2)  conf.  oben.  3)  1.  c. 

4)  u.  6)  citirt  nach  Hammaraten,  Lehrb.  d.  physiol.  Chemie. 

6)  Jahrb.  f.  Kinderkrankheiten.    N.  F.    Bd.  XXX. 


i 


Ueber  d.  StoflPwechsel  d.  Säuglings  b.  Ero&brung  m.  Kubmilcb.    239 

rung  keine  Mehrzersetzung  im  Gefolge  hat.  Wird  aber  ein 
grosseres  Quantum  von  Nahrung  verabreicht,  so  erfordert  die 
Verdauung  auch  die  erhöhte  Darmarbeit  und  kann  dafür  nach 
V.  Noorden^)  bis  10  und  mehr  Procent  der  zugeführten 
Calorien  eingefordert  werden.  Da  hierbei  aber  hauptsächlich 
Fett  und  Kohlehydrate  eintreten  würden  und  der  Stickstoff 
doch  irgendwo  nachzuweisen  sein  müsste,  so  genügt  diese 
Erklärung  meiner  Meinung  nach  auch  nicht,  um  ein  derartiges 
Deficit  zu  erklären. 

Von  einem  anderen  Gesichtspunkte  aus  versucht  Biedert*) 
der  Frage  näher  zu  treten,  er  glaubt  zunächst  vielleicht  einen 
Verlust  durch  Verwandlung  des  N.  in  flüchtige,  nicht  auf- 
fangbare Substanzen  annehmen  zu  dürfen.  Sodann  aber  nimmt 
er  eine  Zersetzung  oder  Zerlegung  des  Eiweisses  der  genos- 
senen Kuhmilch  durch  Bacterien  an  und  sucht  den  Beweis 
hierfür  dadurch  zu  erbringen,  dass  die  Eiweisskörper  einen 
Haupttheil  der  Nahrung  für  die  Pilze  darstellen  und  ja  auch 
bei  Kuhmilchstuhl  viel  mehr  überschüssiges  Eiweiss  vorhanden 
ist.  Nun  ist  ja  bekannt,  dass  Bacterien  Stickstoff  bilden, 
der  gasformig  entweichen  kann.  Immerhin  glaube  ich  be- 
zweifeln zu  dürfen,  dass  dieses  in  derartigen  Mengen  ge- 
schieht, da  ja  beim  Erwachsenen  wohl  dieselben  Bacterien, 
aber  kein  N.- Deficit  sich  finden.  Also  auch  diese  Erklärung 
scheint  mir  nicht  genügend  zu  sein.  Es  handelt  sich  doch, 
und  darauf  möchte  ich  den  Schwerpunkt  legen,  um  relativ 
ganz  beträchtliche  Verluste,  und  nehmen  wir  selbst  50  %  der 
Werthe  auf  Rechnung  von  Versuchsfehlern  und  auf  Rechnung 
der  Biedert' sehen  Erklärung,  so  ist  derselbe  immer  noch 
so  gross,  dass  wir  nach  anderen  Gründen  zu  suchen  ge- 
zwungen sind. 

Viel  wahrscheinlicher  scheint  es  mir,  dass  wir  es  hier 
mit  einer  Eigenthümlichkeit  des  schnell  wachsenden  jungen 
Säuglingsorganismus  zu  thun  haben,  die  vielleicht  in  einer 
Eiweissersparniss  zu  suchen  ist,  bedingt  durch  die  ausser- 
ordentlich grosse  Menge  neugebildeter  Zellen,  die  der  rapid 
wachsende  Organismus  aufbaut,  ähnlich  wie  wir  es  beim 
Reconvalescenten  sehen.  Das  würde  im  Allgemeinen  der  An- 
schauung V.  Noorden's^)  entsprechen,  der  Folgendes  fest- 
stellte: „Man  kann  N.- Ansatz  bei  einer  Kost  constatiren,  die 
dem  Gesunden  N.- Verluste  eintragen  würde,  und  zwar  ist  das 
der  Fall  bei  Reconvalescenten,  die  erhebliche  Einbusse  an 
Zellmaterial  erlitten  haben  und  bei  denen  das  Regenerations- 
bestreben der  Zellen  ein  sehr  grosses  ist,  und  bei  sehr  schnel- 
lem Wachsthum,    wie  wir   es   im   Säuglingsalter   haben;    der 


1)  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    Bd.  XXVIII.      2)  u.  3)  1.  c. 


240  J-  Lange:  Ueber  den  Stoffwechsel  des  Sftaglings  etc. 

geschwächte  OrganismuB  ergänzt  sunächst  seinen  wichtigen 
Eiweissbestand  und  giebt  zunächst  das  leicht  ersetzbare 
Eörperfett  frei/'  Oder  für  unseren  Fall  angewendet:  der 
Körper  setzt  Beserveeiweiss  an,  während  er  in  der  schnell- 
sten Wachsthumsperiode  begriffen  ist. 


Schlusssätze: 

Aus  den  vorstehenden  Untersuchungen  dürfen  wir  schliessen: 

1.  Dass  die  N.> Ausnützung  der  Kuhmilch,  wenn  dieselbe 
gehörig  zubereitet  (d.  h.  verdünnt,  mit  Milchzucker  versetzt 
und  sterilisirt)  ist,  eine  annähernd  ebenso  vollkommene  ist, 
wie  die  der  Muttermilch; 

2.  ist  die  Menge  der  ausgeschiedenen  Kothfixa  beim 
dyspeptischen  Säugling  etwa  doppelt  so  gross  wie  beim  ge- 
sunden Säugling; 

3.  dem  entsprechend  ist  auch  die  24  stündige  N.- Menge 
der  Fäces  bei  Dyspepsien  grosser,  dagegen 

4.  der  procentuale  N.-Gehalt  der  dyspeptischen  Auslee- 
rungen etwa  um  ebenso  viel  kleiner,  als  bei  normaler  Func- 
tion des  Magendarmtractus; 

5.  der  mit  Milch  ernährte  Säugling  befindet  sich  nicht 
im  Stickstoffgleichgewicht,  sondern  er  behält  N.  in  grösserer 
Menge  zurück  und  zwar  meist  bedeutend  mehr  als  der  gleich- 
zeitigen Gewichtszunahme  entspricht,  und 

6.  das  Stickstoffdeficit  kann  vielleicht  am  ehesten  da- 
durch erklärt  werden,  dass  der  ausserordentlich  schnell  wach- 
sende Körper  des  jungen  Kindes  eine  erhebliche  Menge  von 
Zellen  neu  bildet  und  hierzu  den  Stickstoff  zurück  behält^  — 
ohne  in  Abrede  stellen  zu  wollen,  dass  ein  kleiner  Theil  des- 
selben  vielleicht   auf  Rechnung   der   vermehrten    Darmarbeit 

gramerer,  v.  Noorden)  oder  durch  Bildung  freien  N.  durch 
armbacterien  (Biedert)  erklärt  werden  kann. 


Zum  Schlüsse  fühle  ich  mich  veranlasst,  meinem  hoch- 
verehrten Lehrer  und  damaligen  Chef,  Herrn  Geh.  Med.-Uath 
Prof.  Heubner,  für  die  Anregung  zu  dieser  Arbeit  und 
Ueberlassung  des  Materiales  seiner  Klinik,  wie  Herrn  Geh. 
Med.-Rath  Prof.  F.  Hofmann,  Director  des  hygienischen  In- 
stituts, in  dessen  Laboratorium  die  chemischen  Analysen 
ausgeführt  wurden,  für  die  rege  Antheilnahme  und  Unter« 
Stützung,  sowie  Herrn  Geh.  Rath  Prof.  Ludwig  für  so 
manche  Anregung,  und  meinem  verehrten  Chef,  Herrn  Med.-Rath 
Prof.  So It mann  für  das  bewiesene  Interesse  meinen  tief- 
gefühlten Dank  auszusprechen. 

Leipzig,  den  27.  Juli  1894. 


XIV. 

Kleinere  Mittheilungen. 


Zu  der  ,,irrthüinliclieii  Darstellung  eines  physiologischen  Vor- 
gangs in  einigen  Lehrbüchern  der  Einderkrankheiten** 

(Dr.  Bebtelb  in  Riga  in  Heft  1  des  XXXIX.  B.  d.  Jahrbuchs) 

bin  ich  in  der  für  das  ,fbekannte  Bieder  tische  Lehrbuch  der  Kinder- 
krankheiten*' angenehmen  Lage,  eine  erheblich  anders  geartete  Sach- 
lage constatiren  zu  können. 

Sachlich  und  selbst  wOrtlich  gehört  die  gerügte  Anschauung  über 
die  Vorgänge  beim  ersten  Athemzng  dem  Vogerschen  Lehrbuch  (von 
dessen  1.  Auflage  an  bis  zu  der  9.  und  10.  von  mir  unter  dieser  Be- 
zeichnung weiter  bearbeiteten)  an,  nicht  mehr  aber  der  11.,  unter 
meinem  Namen  Anfang  1894,  ^j^  Jahr  vor  der  Bemerkung  von  Dr.  Be  rtels , 
erschienenen  Auflage. 

Ich  muss  allerdings  bekennen,  dass  ich  den  Lapsus  VogeTs  in 
jenen  ersten  Bearbeitungen  übersehen  hatte.  Ich  hatte  ausserordentlich 
yiel  zu  ändern  und  neu  hinzuzuthun,  und  da  las  ich  leider  etwas  rascher 
über  Stellen,  wie  diese,  die  altfeststehende  physiologische  Dinge  ent- 
hielten und  mir  somit  keinen  Verdacht  auf  Correcturbedürfniss  ein- 
flÖBsten,  hinweg.    Das  soll  mich  be-  und  entschuldigen! 

In  der  11.  Auflage,  die  unter  meinem  Namen  gehen  sollte,  hielt 
ich  mich  für  verpflichtet,  die  Reste  des  alten  Buches  noch  einmal  ge- 
nauer zu  fassen,  und  war  sehr  verwundert,  diesen  kleinen  Gallimathias 
noch  im  36.  Jahre  seines  Alters  lebendig  vorzufinden.  Ich  gab  ihm 
dann  in  der  11.  Auflage  S.  1  von  Zeile  2  ab  folgende  Gestalt: 

„ —  —  —  contrahiren  sich  die  Inspirationsmuskeln,  und  es  dringt 
zum  ersten  Mal  atmosphärische  Luft  in  die  Lungenbläschen.  Die  hier- 
auf erfolgende  Ausdehnung  der  Langen  bedingt  nach  aussen  Ver- 
grösserung  des  Brustkorbs,  nach  innen  eine  Erweiterung  des 
Stromgebietes  des  ganzen  Blutkreislaufes  verbunden  mit 
neuen  und  regelmässig  fortdauernden  Druckschwankungen 
in  Herz  und  grossen  Gefässen,  femer  eine  Herabrückung  des 
Zwerchfells  und  dadurch  Einengung  des  Bauchraums.  Diese 
Veränderung,  welche  die  Unterbrechung  des  Blutkreislaufs 
in  den  Nabelgefässen  begleitet,  wirkt  in  radicaler  Weise  auf 
den  Blutumlauf  der  einzelnen  Organe,  und  es  schliessen  sich  in  der 
That  folgende  Blutbahnen " 

So  verhält  sich  nun  die  Sache  in  der  That  und,  ohne  dass  auf 
sonst  bekannte  Einzelheiten  des  Vorgangs  hier  näher  einzugehen  ge- 
wesen wäre,  ist  mit  der  durch  Sperrdruck  bezeichneten  neuen  Fassung 
die  falsche  Vorstellung  von  einem  excentrischen  Druck  der  inspi- 
rirenden  Lunge  ausgemerzt.  Ich  hoffe,  Herr  Bert  eis  wird  damit  zu- 
frieden sein,  dass  ich  schon  1  Jahr  vor  seiner  Mittheilung  ihm  in  dieser 
Weise  Recht  gab. 

Ha  genau  i.  E.,  December  1894.  Dr.  Biedebt. 


Analecten. 


I.  Infectionskrankheiten. 

1«  Mmsern. 

Ein  Fafl  von  Masern,  unmittelhar  nach  Röthein.    Von  Dr.  F.  Theodor 
in  Königsberg  i.  Pr.    Arch.  f.  Kinderh.  16.  Bd. 

Ein  6  Jahre  alter  Knabe  erkrankt  ohne  Prodrome  und  Fieber  mit 
einem  kleinfleckigen  Ansechlage  im  Gesicht.  Verf.  findet  kleine,  kaum 
linse Dffrosse,  hellrothe«  unregelmässig  gestaltete  Flecken,  die  sich  nicht 
über  das  Niveau  der  Haut  erheben  und  TOn  vollständig  normalen  Hantr 
stellen  unterbrochen  sind.  Conjunctivae  leicht  geröthet,  keine  Licht- 
scheu, keine  Röthung  der  Gkiumenschleimhaut,  kein  Hasten,  noch  Reis 
dazu.  Beiderseitige  starke  DrQsenschwellungen  am  Halse,  sonst  reine 
Zunge,  grosser  Appetit,  grOsstes  Wohlbehagen.  Am  zweiten  Ta^ 
intensivere  Röthung  des  Exanthems  and  Verbreitung  auf  den  übrigen 
Körper.  Temp.  37,8.  Drüsen  erheblich  kleiner.  Appetit  und  Wohl- 
befinden.  Am  dritten  Tage  Röthung  fast  geschwunden,  hin  und  wieder 
(Gesicht)  kleienförmige  Abschuppung.  Am  nächsten  Tage  Rückgang 
sämmtlicher  krankhafter  Symptome,  Abends  Reinignngsbad. 

Die  auf  das  Bad  folgende  Naht  sehr  unruhig.  Am  Morgen  starkes 
Erbrechen  und  hohes  Fieber  (38,9^),  apathisches  Dohinliegen.  Neben 
stark  saurem  Geruch  aus  dem  Munde  bestand  grosse  Lichtscheu  mit 
starker  Röthung  der  Conjunctivae,  starker  Schnupfen,  intensiv  belegte 
Zunge.  Die  beiden  folgenden  Tage  Status  idem.  Erst  am  dritten  T^e 
trat  im  Gesicht  ein  aus  mittelgrossen,  zackigen,  leicht  über  das  Niveau 
der  Haut  erhabenen  Flecken  bestehender  Ausschlag  anf.  Gaumen - 
Schleimhaut  fleckig- streifig  geröthet,  Zunge  granweiss  belegt,  fliessende 
Nase,  thränende  Augen,  quälender  Husten.  Drüsenschwellungen  waren 
nicht  mehr  zu  fahlen.  Im  weiteren  Verlaufe  stieg  die  Temp.  auf  40,5^ 
Tags  darauf  kleienförmige  Abschnppung  des  Gesichtes  ohne  Fieber- 
abfall. Bei  zunehmender  Unruhe  trat  am  folgenden  Tage  unter  De- 
lirien varicellaartiger  BläBchenausbruch  am  Rücken  und  ganzen  Körper 
auf,  darnach  Kieberabfall  auf  86,6^,  Schlaf  und  völlig  dauerndes  Wohl- 
befinden. 14  Tage  später  erkrankten  die  anderen  Geschwister  des  Kindes 
an  Masern. 

Der  mitgetheilte  Fall  liefert,  nach  der  Annahme  des  Verf.,  einen 
geradezu  frappanten  Beweis  von  der  Selbständigkeit  der  Rötheln. 

ünger. 

Hecidive  de  rougeoJe,    Von  Diamantberge r.    Le  Progr^s  m^ical  1893. 

Nr.  18. 

Diamantberger  berichtet  Ober  einen  interessanten  Fall  von  Masem- 
recidiv,  das  er  innerhalb  von  6  Monaten  bei  einem  2%  jährigen  Kinde 


Analecten.    I.  Infectionskrankheiten.  243 

beobachten  konnte.  Die  zweite  Erkrankung,  die  zum  Tode  führte,  war 
durch  eine  Broncbopnenmonie  complicirt.  Der  Verfasser  ist  der  Mei- 
nung, dasB  jeder,  der  einmal  masernkrank  gewesen  ist,  besonders  wenn 
er  an  einer  Erkrankung  der  Luftwege  leidet,  vor  einer  Neuinfection  zu 
schützen  ist,  da  derartige  Kranke  besonders  empfindlich  für  das  Masorn- 
gift  seien.  Fritzsche. 

2.  Scharlach. 

Zur  Frage  des  Scharlachtyphoid,    Von  Dr.  M.  Brück.     Pester  med.- 
chir.  Presse  Nr.  80.    1898. 

B.  ist  geneigt,  die  nachfolgenden  zwei  Fälle  als  Typhusinfection 
nach  Scharlach  anzunehmen: 

I.  Ein  6^^  Jahre  altes  Mädchen  erkrankte  am  4.  December  an 
Scharlach.  Verlauf  ohne  Besonderheiten.  Am  13.  und  14.  December 
Spuren  von  Abschuppung.  Temp.  normal.  Am  20.  Dec.  Fat.  fieber- 
haft, schlecht  gelaunt,  appetitlos,  ist  matt,  somnolent  und  klagt  über 
Kopfschmerzen.  Untersuchung  negativ.  An  den  Extremitäten  massige 
Abechuppung.  Temp.  39,5  ^  Am  21.— 23.  Dec.  Mattigkeit  gesteigert, 
Nachts  wilde  Delirien.  Klagen  über  Schmerzen  in  der  Nabelgegend 
und  Symphyse,  Bauch  meteoristisch ,  auf  Druck  überaus  empfindlich. 
Obstipation.   Harn  ohne  Eiweiss. 

26.  Dec.  Nachts  ruhiger.  Zunge  trocken,  glänzend.  Die  Milz  über- 
ragt den  Rippenrand  um  2  Querfinger. 

26.-28.  Dec.  Milztumor  grösser.  Die  Mesentcrialdrüsen  sind  als 
nussgrosse,  leicht  bewegliche  Knoten  durch  die  Bauchdecken  zu  paU 
piren.    Täglich  2 — 3  diarrhöische  Entleerungen. 

29.— 31.  Dec.  Befinden  besser.  Milztumor  weniger  deutlich.  Er- 
hebliche Morgenremissionen. 

1. — 3.  Januar.  Milztnmor  kaum  palpirbar.  Rechtsseitige  Otorrhöe. 
Ausgeprägte  Desquamation.     Urin  albuminfrei. 

4—5.  Jan.  rat.  fieberfrei.  Otorrhöe  kaum  bemerkbar.  Langsame 
Reconvalescenz  und  Heilung. 

Die  Fiebercurve  entsprach  einem  Typhus  abd.  lev.  gradus. 

II.  Ein  6  Jahre  alter  Knabe  erkrankt  an  Scharlach  am  29.  Februar. 
Verlauf  zeigte  keine  Anomalien.  Am  8.  März  Temp.  38,4,  innere  Unter- 
suchung ergiebt  normale  Verhältnisse.  Am  Halse  beiderseits  geschwellte 
Drüsenpackete. 

14.  März.  Zunehmendes  Fieber,  Abgeschlagenheit,  Appetitlosigkeit. 
Geringe  Abschuppung.  Obere  Augenlider  etwas  gedunsen.  Harn  eiweiss- 
frei.    In  den  folgenden  Tagen  (16.— 16.  März)  Fieber  etwas  gefallen. 

17. — 19.  März.  Abendliche  Fiebererpcheinnngen.  Nachts  massige 
Delirien.  Milz  unter  dem  Rippenbogen  palpirbar.  Täglich  2—3  diar- 
rhöische, sehr  übelriechende  Entleerungen. 

20.  März.     6  mal  Diarrhöe.    Volliefe  Appetitlosigkeit. 

21.— 23.  März.  Täglich  3  —  4  schleimige  Entleerungen.  Befinden 
etwas  besser.     Milz  noch  palpirbar.    Harn  eiweissfrei. 

24.-26.  März.  Erhebliche  Morgenremissionen  mit  geringen  abend- 
Uchen  Steigerungen.    Entleerungen  breiig. 

28. — 29.  März  fieberlos.  Hochgradige  Schwäche  mit  starkem  Tremor 
in  den  oberen  Extremitäten.  Langsame  Reconvalescenz.  Furunculose. 
Die  Fiebercurve  zeigte  auch  hier  typhösen  Charakter.  Unger. 

La  pepionurie  dans  la  scarlatine.    Von  Dr.  Ervant  Arslan.     Progr^s 
mädical  1893.    Nr.  6.     S.  102. 

Das  Vorkommen  der  Peptonurie  bei  Scharlach  ist  nach  dem  Vor- 
trage Arlan*s   vor   der  biologischen   Oesellschaft   noch  wenig  stndirt. 


244  Analecten. 

Und  doch  ist  gerade  die  Peptonnrie  ein  Bignum  mali  ominia,  wie  die 
Untenacbangen  des  Vortragenden,  die  er  als  dirigirender  Ant  der 
Scharlachabtheilang  in  der  Kinderklinik  Grancher's  an  21  Kindern 
Torgenommen  hat,  ergeben  haben.  Elf  der  Kranken,  die  frei  von  Pep- 
tonnrie waren,  zeigten  einen  regulären  Krankheitsverlaaf.  Bei  den  zehn 
anderen,  bei  denen  sich  Peptone  im  Urin  fanden,  war  steta  der  nor- 
male Verlauf  durch  Complicationen  (schwere  Streptokokkenangina,  Ery- 
theme, Epididymitis  etc.)  gestört.  Der  Vortrageode  gelangt  zu  folgen- 
den Schlüssen:  1.  Peptonurie  fehlt  bei  Scharlach  mit  regulärem,  gut- 
artigem Verlauf;  2.  bei  Complicationen  ist  Peptonurie  stets  vorhanden, 
oder  geht  dem  Eintritt  der  Verschlimmerung  voran;  3.  die  Anwesen- 
heit einer  bemerken swerthen  Menge  ?on  Peptonen  im  Harn  ist  stets  ein 
prognostisch  ungünstiges  Zeichen ;  4.  die  Peptonurie  hat  keine  Be- 
ziehung zur  Albuminurie,  aber  kommt  6.  bei  schweren  FUlen  häufig 
mit  Indicanurie  zusammen  vor.  Fritz  sehe. 

lieber  septische  Scharlfichnephritis,  Von  Dr.  Aufrecht    Deutsches  Archir 
f.  klin.  Med.    62.  Bd.     8.  u.  4.  H. 

Friedländer  stellte  neben  der  initialen  katarrhalischen  Nephritis 
und  der  Glomerulonephritis  eine  dritte  Form  der  Nephritis  im  Ver- 
laufe des  Scharlachs  auf:  die  grosse  schlaffe,  hämorrhagische  Niere,  die 
interstitielle  septische  Nephritis.  Dieselbe  kommt  in  der  1.— 4.  Krankheits- 
woche vor,  verhältnissmässig  selten. 

Die  Nieren  sind  Tcrgrössert,  schlaff,  in  der  Rindensubstanz  ist  die 
Zeichnung  verwischt,  die  Glomeruli  sind  verwischt,  die  Nieren  von 
Hämorrhagien  und  hämorrhagischen  Infiltraten,  das  interstitielle  Ge- 
webe von  massenhaften  Rundzellen  durchsetzt,  die  Epithelien  wenig 
verändert. 

Der  Verlauf  ist  sehr  acut,  die  Krankheit  nicht  nur  bei  Scarlatina 
vorkommend. 

Dr.  Aufrecht  berichtet  über  8  Fälle  dieser  Art:  bei  2  Erwach- 
senen und  einem  6  Jahre  alten  Kinde,  alle  drei  mit  t($dtlichem  Ausgange. 

Hervorgehoben  wird  der  frühzeitige  Eintritt  der  Complication  (Tod 
am  3.,  6.  und  10.  Krankheitstage)  und  Einsetzen  der  Krankheit  mit 
hohem  Fieber. 

Aus  dem  mikroskopischen  Befunde  wären  zu  betonen:  Namhafte 
Coagulationsnekrose  der  Epithelien  in  den  Canälchen  der  Rinde  (in  zwei 
Fällen),  Ausfallen  der  Epithelien  ans  einer  grossen  Zahl  derselben, 
llarncylinder  können  reichlich  vorhanden  sein,  aber  auch  ganz  fehlen, 
analog  wie  bei  der  acuten  Nephritis  in  Folge  einseitiger  üretherenunter- 
bindung. 

Auffällig  ist  die  bedeutende  Erweiterung  der  Harncanälchen  der 
Nierenrinde  und  der  Verstopfung  der  Henle*schen  Schleifen  und  der 
Sammelcanäle  in  der  Marksubstanz. 

Der  Befund  wäre  zu  deuten  als  eine  wesentlich  die  Epithelien  der 
Harncanälchen  betreffende  entzündliche  Veränderung  in  der  Nieren- 
papille mit  consecutiver  Harncylinderbildung  in  diesen  Canälchen,  die 
Erkrankung  der  Niere  wäre  dann  eine  Folge  der  Verstopfung  der  Heule- 
sehen  Schleifen  durch  Harnstauung. 

Im  Zusammenhange  ständen  die  Thatsachen  so,  dass  der  Infections- 
stoff  zunächst  in  der  Nierenrinde  auf  die  Epithelien  wirkt,  dann  setzt 
die  entzündliche  Veränderung  der  Epithelien  in  den  Papillen  ein,  welche 
das  Krankheitsbild  nunmehr  beherrscht  und  die  Stauungserscheinungen 
hervorruft. 

Die  Erscheinungen  der  interstitiellen  Nephritis,  Rundzellenanhäufung 
ist  eine  Theilerscheinung  derselben  Veränderungen,  wie  sie  gleichzeitig 
auch  in  der  Leber  und  in  der  Milz  vorkommen.  Eisenschitz. 


I.  Infectionskrankheiten,  245 

MeningUis  hei  ScharlacMcranken.    Von  Dr.  S.  Z.  Bendel.   Wiener  med. 
Presse  Nr.  28.    1894. 

Eine  durch  das  Scharlach  virus  bedingte  Entzündung  der  serösen 
Häute  wurde  schon  mehrfach  beobachtet.  Dass  derselbe  Process  sich 
auch  in  den  serösen  Hirnhäuten  abspielen  kann,  beweisen  folgende 
Beobachtungen : 

I.  M.  K.,  4 jähriges  Kind,  erkrankte  am  30.  November  zur  Zeit, 
als  in  demselben  Hause  schon  einige  Kinder  an  Scharlach  damied'er- 
lagen.  Die  Krankheit  begann  mit  Schüttelfrösten,  Fieber  und  Erbrechen. 
Am  1.  December  Temp.  39,6,  Puls  130,  klein,  Somnolenz,  trübes  Sen- 
Borinm.  Kein  Exanthem,  keine  Angina.  Am  2.  Dec.  Temp.  39,6,  aus- 
setzender Puls,  Benommenheit,  träge  Reaction  der  Pupillen,  Nacken- 
starre, Cri  hjdrocephalique,  Hauthyperästhesie.  Am  3.  Dec.  Status  idem. 
Am  ganzen  Körper  reichliches  Scharlachexanthem,  entzündliche  Angina. 
Am  4.  Dec.  Status  idem.  Rechts  Facialisparese.  Abends  tonische  Krämpfe 
und  Tod. 

II.  u.  IIL  Im  Dorfe  erkrankten  am  2.  und  3.  Januar  die  zwei 
Töchter  des  Dorfrichters  an  Scharlach.  Die  Krankheit  begann  bei  beiden 
plötzlich  mit  Frösteln,  Hitze  und  Erbrechen.  Am  3.  Januar  zeigte  die 
ältere  (12  Jahre)  reichliches  Exanthem  und  Angina.  Am  4.  Januar  Be- 
nommenheit, Temp.  39,0®,  Puls  140,  klein,  Goma,  Trismus,  Nacken- 
starre, Nachts  tonische  und  clonische  Krämpfe  und  Tod.  Die  jüngere 
(9  Jahre)  starb  ebenso  zwei  Tage  später. 

IV.  S.  R.,  4  jähriges  Kind,  erkrankt  am  19.  December.  Temp.  39,8  °. 
Puls  110.  Scharlachexanthem,  Angina.  In  den  ersten  fünf  Tagen  leich- 
ter Verlauf.  Am  8.  Tage  Temperatur  40,0 <^,  Puls  130,  Sopor.  Am 
28.  Dec.  Status  idem.  Pupillen  ohne  Reaction,  Nackenstarre,  kahnför- 
miger  Bauch,  Aufschreien.  Am  29.  Dec.  links  Facialisparese.  Am 
31.  Dec.  Nacblass,   Erholung,   leichte   Facialisparese   besteht   noch. 

V.  L.  S.,  6  jähriges  Kind,  erkrankt  am  6.  Januar.  Bis  12.  Januar 
normaler  Scharlachverlanf.  Alsdann  Delirien,  Somnolenz,  Temp.  40,1  ^ 
aussetzender  kleiner  Puls.  Am  13.  Januar  Röthung  und  Schwellung 
beider  Eilbogengelenke.    Bleibt  in  weiterer  Beobachtung. 

Die  Prognose  anlangend,  endeten  fast  alle  Fälle,  wo  die  Menin- 
gealaffection  mit  dem  Beginne  des  Scharlachs  einsetzte,  letal,  wo  sie 
in  späteren  Stadien  des  Scharlachs  hinzutrat,  hatte  vorsichtige  hydro- 
pathische Behandlung  in  der  Mehrzahl  die  besten  Resultate  erzielt. 

ünger. 

8«   Pocken. 

Ueber  die  Pockenepidemie  in  Göteborg  1893—1894,  Von  Hönric  B encke  rt. 
Hygiea  LVl.  7.    S.  1.    1894. 

Die  Krankheit  wurde  mit  Sicherheit  Yon  England  eingeschleppt 
durch  zwei  Seeleute,  der  eine  Ton  ihnen  hatte  unzweifelhaft  in  Eng- 
land die  Pocken  gehabt  und  wohnte  kurze  Zeit  in  einer  Familie  in 
Göteborg,  in  der  die  Hausfrau  bald  nach  seiner  Abreise  nach  Norwegen, 
am  14.  April,  sammt  ihren  zwei  Kindern  erkrankte;  die  Kranken  wurden 
am  18.  April  in  das  Epidemiehospital  gebracht  mit  noch  einem  dritten 
Kinde,  das  am  30.  April  ebenfalls  erkrankte.  Eine  andere  Familie,  die 
mit  den  Erkrankten  im  Verkehr  gestanden  hatte,  wurde  am  20.  April 
im  Krankenhause  aufgenommen,  wo  am  22.  und  30.  April  zwei  von  den 
Kindern  erkrankten.  Mit  dieser  letzteren  Familie  hatten  zwei  Kinder 
im  Verkehr  gestanden,  die  am  28.  April  erkrankten,  aber  erst  am  4. 
und  18.  Mai  im  Krankenhaus  aufgenommen  wurden.     Gleichzeitig  mit 


246  Analecten. 

diesen  letzteren  beiden  Kindern  erkrankten  zwei  Prostituirte ,  die  die 
Krankheit  weiter  verbreiteten.  —  Der  zweite  Seemann  erkrankte  in 
seiner  Familie  am  4.  April ,  warde  aber  erst  am  6.  Mai  mit  seiner 
Frau  und  seinen  beiden  Eandern  aufgenommen,  die  ebenfalls  erkrankt 
waren.  Von  diesen  beiden  Herden  aus  verbreitete  bich  die  Krankheit 
und  es  kamen  im  Ganzen  88  Fälle  von  Pocken  vor  (39  im  Mai,  36  im 
Juni,  8  im  Jali),  am  2.  August  wurde  der  letzte  Fall  isolirt,  im  August 
un^  September  traten  keine  neuen  Erkrankungen  auf  und  man  hielt  die 
Epidemie  schon  für  abgeschlossen.  Am  8.  October  erkrankte  aber  wieder 
ein  Maurer,  der  am  18.  October  aufgenommen  wurde;  die  Quelle  der 
Ansteckung  liess  sich  in  diesem  Falle  nicht  erforschen,  die  Hausgenossen 
des  Erkrankten  worden  zugleich  mit  ihm  isolirt  und  gründliche  Des- 
infection  durchgefdhrt.  Nach  drei  Wochen  traten  zwei  neue  Fälle  auf, 
vom  12.— 22.  November  fünf,  in  der  letzten  Woche  des  November  und 
in  den  zwei  ersten  Wochen  des  December  kamen  weitere  Erkrankungen 
vor  in  21  von  einander  weit  entfernten  Wohnungen.  Trotz  der  vielen 
zerstreuten  Herde  gelang  es  doch,  die  Ausbreitang  so  weit  zu  be- 
schränken, da  SS  in  der  Regel  nicht  mehr  als  ein  Fall  in  einer  Wohnung 
vorkam.  In  der  Woche  vor  Weihnachten  schien  die  Epidemie  bedeutend 
abgenommen  zu  haben,  da  nur  drei  Fälle  bekannt  waren;  bald  wurden 
aber  neue  Herde  entdeckt  und  in  der  Woche  nach  Weihnachten  wurden 
12  Pockenkranke  aufgenommen  (darunter  10  Kinder,  von  denen  kein« 
geimpft  war).  Die  Zahl  der  im  Jahre  1893  Erkrankten  betrug  147 
(darunter  48  Kinder;  bei  33  während  des  Sommers  erkrankten  Kindern 
waren  die  VaccinationB Verhältnisse  nicht  sicher  festzustellen,  unter  15  in 
den  letzten  Monaten  erkrankten  Kindern  waren  18  nicht  geimpft)  mit 
10  TodcHfäUen.  In  den  ersten  vier  Monaten  des  Jahres  1894  erkrankten 
noch  129  mit  15  Todesfällen.  Von  35  im  Jahre  1894  erkrankten  Kin- 
dern waren  21  sicher  nicht  geimpft,  bei  14  war  darüber  keine  sichere  Auf- 
klärung zu  erhalten.  Unter  den  25  Todesfällen,  die  während  der  ganzen 
Epidemie  vorkamen,  betrafen  14  Kinder  (8  im  Jahre  1893,  die  alle  nicht 
vaccinirt  waren ;  6  im  Jahre  1894,  von  denen  5  nicht  vaccinirt  waren). 
In  der  im  Herbst  erneuerten  Epidemie  liess  sich  der  Ursprung  schwer 
nachweisen;  der  Umstand,  dass  viele  von  der  ArbeiterbevOlkerung  im 
Frühjahr  ihre  Kleider  im  Leihhaus  versetzen,  macht  es  wahrscheinlich, 
dass  der  Ansteckungsstoff  sich  in  den  Kleidei*n  befand,  die  im  Herbst 
wieder  eingelöst  wurden,  wofür  auch  der  Umstand  si)richt,  dass  zu  An- 
fang der  neuen  Epidemie  sich  viele  unter  den  Kranken  befanden,  die  dem 
Schneidergewerbe  angehörten.  Eine  neue  Einschleppung  im  October 
kann  nicht  ausgeschlossen  werden,  aber  das  gleichzeitige  Auftreten  an 
verschiedenen  Stellen  spricht  dagegen.  Die  Vorkehrungsmaassregeln 
waren  umfassend  (769  Personen  wurden  isolirt,  die  Krankheitsherde 
wurden  durch  die  Polizei  aufgesucht),  aber  schwierig  durchzuführen  und 
begegneten  vielem  Widerstand  vou  Seiten  der  Bevölkerung.  Durch 
polizeiliche  Nachforschung  wurde  festgestellt,  dass  2712  im  impfpflich- 
tigen  Alter  befindliche  Kinder  noch  nicht  geimpft  waren,  von  12  446 
Schulkindern  waren  513  (4,1%)  nicht  geimpft.  Walter  Berger. 

Ueber  eine  kleine  Pockenepidemie  im  Län  Skaraborg  im  Somtner  1893. 
Von  Jakob  Bergqvist.    Hygiea  LYI.  3.    S.  215.    1894. 

Der  erste  Erkrankte  war  ein  Soldat  in  einem  Feldlager,  der  am 
25.  Juni  erkrankte;  er  wurde  sofort  isolirt  und  das  Zelt,  in  dem  er  mit 
15  anderen  Soldaten  gelegen  hatte,  wurde  niedergerissen  und  sammt 
der  darin  befindlichen  Einrichtung  desinficirt;  von  den  15  Zeltgenossen 
des  Erkrankten  erkrankte  keiner,  dagegen  traten  später  noch  17  wei- 
tere Erkrankungen  (16  Soldaten,  1  Arbeiter)  auf,  über  deren  Entstehung«- 


I.  Infectionskrankheiten.  247 

weise  sich  nichts  Sicheres  feststellen  Hess.  Alle  Erkrankungen  traten 
zwischen  dem  17.  und  26.  Juli  auf,  7  davon  am  22.  Juli,  wahrscheinlich 
stammte,  bei  diesen  die  Ansteckung  aus  derselben  Quelle,  die  sich  aber 
nicht  nachweisen  Hess.  Die  einzelnen  Kranken,  die  an  verschiedenen 
Stellen  im  Län  lagen,  wurdeu  nach  Möglichkeit  isolirt,  zugleich  mit 
den  Personen,  die  mit  ihnen  die  Wohnung  theilten;  die  Kranken  blieben 
in  ihren  Wohnungen,  die  abgesperrt  wurden,  mit  Ausnahme  derjenigen 
Fälle,  in  denen  die  Isolirung  unmöglich  war.  Bevaccinationen  undVacci- 
nationen  wurden  in  grosser  Ausdehnung  ausgeführt.  Die  Schule  wurde 
geschlossen  und  Versammlungen  wurden  verboten.  Es  gelang  auf 
diese  Weise,  eine  grössere  Ausbreitung  der  Epidemie  zu  verhüten,  nur 
11  Erkrankungen  traten  noch  in  Folge  von  Ansteckung  durch  die  zu- 
erst Erkrankten  auf;  von  diesen  11  Kranken  war  nur  ein  1  Monat  alter 
Knabe  ungeimpft,  der  starb.  Die  übrigen  Erkrankungen  verliefen  alle 
gelind.  —  Die  Durchführung  der  Vorbeugungämaassregeln  machte  viele 
Schwierigkeit,  sie  geschah  aber  mit  aller  möglichen  Genauigkeit. 

Walter  Berger. 

Pockenepidemie  im  District  Ockelbo  zu  Anfang  des  Jahres  1893.    Von 
Dr.  M.  Stendahl.    Hygiea  LVI.  1.   S.  36.    1894. 

Die  Ursache  der  Epidemie  konnte  nicht  sicher  festgestellt  werden, 
es  wurde  angenommen,  dass  sie  durch  einen  Herumreisenden  eingeschleppt 
worden  sei,  der  aber  selbst  erst  später  erkrankte,  sodass  er  auch  von 
dem  zuerst  Erkrankten  angesteckt  worden  sein  konnte.  Die  erste  Er- 
krankung trat  am  16.  December  1892  auf,  auf  ihrer  Höhe  war  die  Epi- 
demie, die  sich  auf  mehrere  Ortschaften  verbreitete,  im  Januar  und 
Februar,  dann  nahm  die  Zahl  der  Erkrankungen  rasch  ab  und  im  April 
erlosch  die  Epidemie.  Im  Ganzen  erkrankten  68  Personen,  von  denen 
3  starben  (2  unvaccinirte  Kinder  von  9  Monaten  und  ^^  Jahr  und  ein 
16  Jahr  alter  Geimpfter).  Die  Incubationszeit  betrug  11  bis  19  Tage, 
das  Prodromalstadium  1  —  3  Tage,  am  häufigsten  3  Tage.  Fast  alle 
Erkrankten  waren  geimpft,  nur  2  ungeimpfte  Kinder  erkrankten  und 
starben.  Die  meisten  Erkrankten  (44  von  68)  waren  zwischen  11  und 
40  Jahren  alt.  Das  jüngste  erkrankte  Kind  (die  beiden  ungeimpften 
nicht  mitgerechnet)  war  9  Jahre  alt,  aber  dieses  zeigte  nur  Prodrom al- 
symptome;  das  jüugste  wirklich  an  Pocken  erkrankte  Kind  war  ein 
10  Jahre  altes  Mädchen,  das  mit  seiner  erkrankten  Mutter  in  dem- 
selben Bett  schlief.  Daraus  kann  man  schliessen,  dass  die  im  zweiten 
Lebensjahr  ausgeführte  Yaccination  bis  ungefähr  in  das  10.  Lebensjahr 
Schutz  gewährt.  Die  meisten  Erkrankten  standen  im  lebhaften  Ver- 
kehr mit  einander,  verspätete  Anmeldung,  Nachlässigkeit  der  Be- 
völkerung und  ungünstige  Wohnungsverhältnisse  begünstigten  die  Aus- 
breitung der  Krankheit.  Die  DurchführuDg  der  zur  Bekämpfung  der 
Epidemie  nöthigen  Vorschriften  stiess  auf  viele  Schwierigkeiten.  Als 
die  nöthigen  Desinfectionsmaassregcln  durchgeführt  werden  konnten, 
Vaccinationen  und  Revaccinationen  in  ausgedehntem  Maasse  ausgeführt 
und  Pockenhäuser  eingerichtet  worden  waren,  hörte  die  Epidemie  auf, 
sich  weiter  auszubreiten.  Walter  Borger. 

PocJceninfection  durch  eine  gerissene  Hautwunde.  Allgemeines  Exanthem. 
Beitrag  zu  den  seltenen  Vorkommnissen  in  der  Kinderpraxis.  Von 
Pestalozza.    Archivio  italiano  di  Pediatria  1892.    p.  6  ff . 

Verf.  behandelte  in  einem  Hause  während  einer  Variolaepidemie 
ein  Kind  an  leichten  Pocken.  Während  des  Stadiums  der  Eintrocknung 
hat  eine  fünQährige  Schwester  der  Erkrankten  das  Unglück,  in  der 
Stube   zu  fallen  und  sich  an  dem  nackten  rechten  Knie  auf  dem  un- 


248  AnalecieD. 

ebenen  and  sohlecht  gereinigten  Fusaboden  eine  Riss  wunde  Kozuiiehen, 
welche  von  den  Eltern  schleunigst  mit  einem  Stücke  Speck  bedeckt 
und  verbunden  wurde.  Verf.  wurde  erst  am  zweiten  Tage  zugezogen, 
reinigte  und  desinficirte  die  Wunde,  sodass  dieselbe  in  vier  Tagen 
schmerzlos  war  und  durch  Eiterung  zu  heilen  begann.  An  demselben 
Tage  (dem  6.  nach  dem  Falle)  fing  das  Kind  ohne  bekannten  Grund 
an  zu  fiebern  und  klagte  über  Uebelkeiten;  nach  weiteren  3  Tagen  ent- 
stand rings  um  die  Wunde  ein  maculo ' papulöses  Exanthem,  welches 
bald  das  Bein,  die  Brust,  den  Rücken  und  den  Unterleib  überzieht;  ans 
den  Papeln  werden  Bläschen  mit  Delle,  umgeben  von  einem  rothen 
schmalen  Hofe ;  bei  einigen  wenigen  tritt  noch  Eiterung  ein.  Am 
8.  Tage  föngt  der  Ausschlag  an  einzutrocknen  und  ist  am  20.  ganz  ab- 
geheilt. Die  Wunde  selbst  ist  unteriessen  vernarbt,  ohne  dass  sich 
auf  derselben  eine  Spur  von  Ausschlag  gezeigt  hätte;  die  nächsten 
Pusteln  waren  mindestens  1  cm  von  der  Wunde  entfernt. 

Im  Anschluss  an  diesen  Fall  nimmt  Verf.  Veranlassung,  die  Frage 
von  der  Natur  des  Pockengiftes  einer  Erörterung  zu  unterziehen.  In 
ansführlicher  Weise  bringt  er  die  Ansichten  der  verschiedenen  Autoren 
—  Italiener,  Deuuche,  Franzosen,  Engländer  —  zum  Vergleich  heran 
und  folgert  daraus  zunächst,  dass  eine  allgemeine  Üebereinstimmung 
nicht  vorhanden  ist.  Während  die  Einen  diese  oder  jene  Form  der 
Kokken  oder  Bacterien  bescholdigen,  wollen  Andere  nur  ein  flüchtiges 
chemisches  Agens  gelten  lassen.  Jedenfalls  ist  aber  experimentell  fest- 
gestellt, dass  eine  Einimpfung  des  Pockeninhaltes  auf  eine  wunde  Fläche 
sowohl  eine  locale  als  eine  allgemeine  Eruption  zur  Folge  hat,  bewiesen 
durch  die  früher  in  so  ausgedehntem  Maasse  geübte  Variolisation ,  die 
Vorstufe  der  Vaccination.  Auf  Qrnnd  dieser  Thatsachen  schlicFst  nun 
Verf.,  dass  in  dem  vorliegenden  Fall  eine  Einimpfung  des  Pockengiftee 
in  die  Wunde  wahrscheinlich '  von  dem  beschmutzten  Fussboden  aus 
stattgefunden  hat,  welche  von  dort  aus  eine  Allgemeinerkrankun^  und 
Variola  erzeugt  hat.  Toeplitz. 

Ueber  Behandlung  der  Pocken  durch  Au88chli*S8  der  chemischen  LidU- 
strahlen. 

In  einem  Aufsätze  „über  die  Einwirkungen  des  Lichtes  auf  die  Haut" 
hat  Niels  R.  Finsen  (Hosp.-Tid.  4.  B.  I.  27.  1893)  auf  Grand  meh- 
rerer englischer  Beobachtungen  den  Vorschlag  gemacht,  die  Pocken 
durch  Ausschluss  der  chemischen  Lichtstrahlen  (Verhängen  der  Fenster 
durch  rothe  Gardinen,  Einsetzen  von  rothem  Glas  in  die  Fenster)  zu 
behandeln.  Diese  Behandlung  hat  Dr.  Svendsen  THosp.-Tid.  4.  R.  I. 
44.  1893)  während  einer  Pockenepidemie  in  Bergen  oei  vier  ungeimpf- 
ten  Kindern  versucht.  Er  Hess  die  Fenster  mit  dicken,  rothen  wollenen 
Decken  verhängen  und  schärfte  den  Pflegerinnen  ein,  auf  keine  Weise 
Tageslicht  eindringen  zu  lassen.  Das  klinische  Krankheitsbild  zeigte 
bei  dieser  Behandlung  insofern  Abweichungen,  als  das  Suppur&tions- 
Stadium  in  Wegfall  kam  und  keine  Temperatursteigerung  eintrat.  Das 
Stadium  der  Blasenbildung,  das  Svendsen  etwas  protrabirt  vorkam, 
ging  rasch  in  die  Reconvalescenz  über,  ohne  Narbe abildung.  Die  Be- 
handlung mu&s  vor  dem  Eintritt  des  Suppurationsstadiums  begonnen 
werden,  Sv.  glaubt,  dass  sie  später  keinen  Vortheil  mehr  bietet  Einen 
interessanten  Co otrol versuch  stellte  Sv.  in  der  Weise  an,  dass  er  einen 
Pat.,  als  die  Exsiccation  überall  eingetreten  war,  nur  an  den  Händen 
noch  nicht  ganz,  wo  sich  noch  einige  Bläschen  befanden,  dem  Tages- 
licht aussetzte;  die  noch  vorhandenen  Bläschen  an  den  Händen  gingen 
in  Suppurütion  über  und  hinterliessen  Narben;  in  einem  anderen  der- 
artigen Versuche  ergab  sich  dasselbe  Resultat. 


I.  Infectioiiskrankheiten.  249 

In  historiBcher  Beziehung  bemerkt  zu  dieser  Behandlongsart  Prof. 
Jul.  Petersen  (Hosp.-Tid.  4.  R.  I.  45.  1898),  dass  schon  im  12.  Jahr- 
hundert die  rothe  Farbe  bei  Behandln og  der  Pocken  angewendet  worden 
ist  und  diese  Behandlung  die  Anerkennung  ärztlicher  Schrifteteller  er- 
fahren habe;  Gaddesdon  (ungeföhr  um  das  Jahr  1800)  liess  um  das 
Bett  eines  pockenkranken  englischen  Eönigssohncs  herum  Alles  roth 
machen  und  erzielte  gute  Heilung,  ohne  Narben.  Diese  Behandlungs- 
weise  bewahrte  Jahrhunderte  lang  ihren  Ruf,  bis  in  das  18.  Jahrhundert 
hinein,  erst  später  wurde   sie  als  alter  Aberglaube  bei  Seite  geworfen. 

Mit  Bezug  auf  diese  Mittheilung  Petersen *s  unterscheidet  Finsen 
(Hosp.-Tid.  4.  R.  I.  52.  1893)  drei  verschiedene  Perioden,  in  denen  yer- 
schiedene  Modificationen  der  Behandlung  zur  Anwendung  kamen.  In 
der  ersten  Periode  verwandte  man  rothes  Bettzeug  und  rothe  Bett- 
vorhänge, in  der  zweiten  Periode  (1867 — 1871)  wurde  ein  schädlicher 
Einfluss  des  Lichtes  überhaupt  angenommen  und  die  Kranken  wurden 
vollständig  mit  Dunkelheit  umgeben;  diese  Dunkelbehandlung  scheint 
aber  nicht  genflgend  durchgedrungen  zu  sein.  Erst  in  der  neueren  Zeit 
(der  dritten  Periode)  hat  man  als  wesentlich  die  Einwirkung  der  che- 
mischen Lichtstrahlen  erkannt  und  deren  Ausschluss  empfohlen.  Die 
Behandlung  mit  Jodtinctur  fuhrt  Finsen  auf  dasselbe  Princip  zurfick, 
durch  die  gelbe  Färbung  der  Epidermis  werden  die  chemischen  Licht- 
strahlen zurückgehalten;  ebenso  beruht  die  Bepinselung  mit  Höllenstein- 
lösung nur  auf  Abhaltung  des  Lichtes.  Auch  bei  der  Anwendung  von 
mit  verschiedenen  Substanzen  getränkten  Compressen  ist  nach  Finsen 
die  Flüssigkeit  bedeutungslos,  die  Hauptsache  sind  die  Compressen,  die 
das  Licht  abhalten. 

Mit  Bezug  auf  die  wenig  günstigen  Resultate,  die  Juhel*Renoy 
(Bull,  de  la  Soc.  mäd.  des  höp.  de  Paris.  Dec.  14.  1898)  erhalten  hat 
(von  12  Patienten  starben  2,  4  bekamen  Narben,  6  bekamen  keine 
Narben),  nimmt  Finsen  (HoBp.-'nd.  4.  R.  II.  10.  1894)  an,  dass  der 
Abschluss  der  chemischen  Strahlen  nicht  vollständig  gewesen  und  in 
manchen  Fällen  nicht  zeitig  genug  zur  Anwendung  gekommen  sei,  und 
giebt  für  die  Anwendung  der  Behandlung  folgende  Regeln  an:  1.  Der 
Abschluss  der  chemischen  Strahlen  des  Tageslichtes  muss  absolut  sein; 
die  Dicke  der  Schicht,  durch  welche  das  Licht  an  Fenstern  und  Thüren 
gedämpft  wird,  ist  verschieden  bei  verschiedenen  Stoffen;  von  Papier 
und  dünnem  Baumwollstoff  braucht  man  wenigstens  vier  Lagen,  bei 
einigermaassen  dickem  Flanell  kann  man  mit  einer  Lage  auskommen; 
am  besten  ist  es,  rothes  Glas  anzuwenden,  das  aber  sehr  dunkel  sein 
muss.  Um  sicher  zu  gehen,  kann  man  den  Stoff  spektroskopisch  unter- 
suchen. Von  künstlichem  Licht  darf  man  elektrisches  oder  anderes  grelles 
Licht  nicht  anwenden;  Schirm  und  Cylinder  der  Lampen  müssen  roth 
sein.  Eine  vorübergehende  Beleuchtung  durch  ein  Stearinlicht,  soweit 
sie  für  die  Handtirungen  im  Krankenzimmer  unerlässlich  ist,  scheint 
unschädlich  zu  sein.  2.  Die  Behandlung  muss  ohne  die  geringste  Unter- 
brechung durchgeführt  werden,  bis  die  Blasen  eingetrocknet  sind;  selbst 
eine  kurze  Einwirkung  des  Tageslichtes  kann  Suppuration  mit  ihren 
Folgen  herbeiführen.  3.  Die  Behandlung  muss  so  zeitig  als  möglich 
(mit  Erscheinen  des  Exanthems)  beginnen,  je  näher  die  Suppuration 
bevorsteht,  desto  weniger  Aussicht  auf  Erfplg  ist  vorhanden.  4.  Die 
Methode  schliesst  andere  passende  therapeutische  Eingriffe  nicht  aus. 
5.  TodesßQle  an  Pocken  (namentlich  im  Suppurationsstadium)  können 
natürlich  durch  die  Behandlung  nicht  verhindert  werden.  6.  Wenn  die 
Patienten  zeitig  genug  in  die  Behandlung  kommen  und  die  angege- 
benen Regeln  genau  befolgt  werden,  wird  nach  den  bisherigen  Erfah- 
rungen die  Suppuration  und  die  Narbenbildung  vermieden;  dass  dieses 
Resultat  ohne  Ausnahme  in  allen  Fällen  erreicht  werden  kann,  ist  in- 

J»hrlmoh  f.  Kinderheilkund«.   N.  F.    XXXIX.  17 


250  Analecien. 

desaen  kanm  wahrscheinlich ;  die  Erfahrung  mnss  erst  zeigen,  wie  häufig 
Aasnahmen  ▼orkommen  werden,  bis  zur  Zeit  ist  aber  Finsen  noch 
keine  bekannt 

Während  einer  kleinen  Pockenepidemie  in  Kopenhagen  im  Januar 
und  Februar  1894  hat  Prof.  C.  Feilberg  (ÜOBp.-Tid.  4  K.  II.  27.  1894) 
die  Methode  in  der  Weise  angewendet,  dass  er  die  Fennter  mit  drei 
Lagen  rothem  ond  1  Lage  gelbem  Shirting  (sogen.  Buchbindershirttng) 
Terhftngte,  die  Gasflammen  mit  dunkelrotbem  Glas  (wie  es  die  Photo- 
graphen  zu  diesem  Zwecke  anwenden)  verdeckte.  Auch  die  Corridor- 
fenster  wurden  mit  rothem  Zeug,  die  Thüren  mit  Portieren  verhängt; 
wenn  Licht  unvermeidlich  war,  wurde  Stearinlicht  gebrannt  Rothe 
Glasscheiben  wurden  versucht,  aber  da  es  sich  bei  der  spektrosko- 
pischen Untersuchung  erwies,  dass  bei  Sonnenschein  gröne  Strahlen 
hindurchgingen,  wurden  rothe  Vorhänge  augebracht;  Feil  her g  behan- 
delte auf  diese  Weise  14  Fälle  von  Pocken,  von  denen  9  zeitig,  5  erst 
mehrere  Tage  nach  Ausbruch  des  Exanthems  in  die  Behandlung  kamen ; 
von  den  letzteren  6  verliefen  8  (darunter  ein  ungeimpfbes  Kind)  ohne 
Suppuration,  die  3  übrigen  Kranken  bekamen  theilweise  Suppuration  und 
deutliches  Suppurationsfieber,  die  9  anderen  Fälle  verliefen  ohne  Suppu- 
ration, im  Ganzen  verliefen  also  11  ohne  Suppuration  und  darunter 
waren  8  ungeimpfte  Kinder.  Die  Modification  des  Krank beitsbildes  in 
diesen  11  Fällen  entsprach  ganz  den  Angaben  Svendsen's,  doch 
schien  nur  in  manchen  Fällen  das  Bläschenstadium  verlängert,  nur  ein- 
mal stieg  die  Temperatur  vorübergehend  etwas.  Auch  in  den  Fällen,  in 
denen  es  zur  Suppuration  kam,  zeigte  sich  eine  günstige  Einwirkung 
der  Behandlung,  aie  Eiterung  war  gering,  ging  rasch  vorüber  und  das 
Suppurationsfieber  dauerte  nur  wenige  Tage.  Von  den  erst  spät  auf- 
genommenen Kranken  bekamen  zwei  am  6.  und  7.  Tage  aufgenom- 
menen keine  Suppuration,  wohl  aber  drei  am  7.  Krank beitstage  auf- 
genommenen, und  zwar  war  die  Suppuration  stärker  im  Gesicht,  wo 
sich  das  Eianthem  oft  rascher  entwickelt,  als  an  den  Händen;  auf 
schwach  beginnende  Suppuration  übte  die  Behandlung  in  einem  Falle 
einen  günstigen  Einfluss  aus.  Nach  Feilberg  muss  die  Behandlungs- 
weise  als  ein  nicht  geringer  therapeutischer  Fortschritt  betrachtet  werden, 
sie  macht  die  Krankheit  weniger  schmerzhaft,  kürzt  ihren  Verlauf  ab 
und  hält  die  mit  der  Eiterung  verbundenen  Complicationen  fem. 

Henrich  Benckert  (Hygiea  LYI.  7.  S.  11.  1894)  behandelte  in 
der  Epidemie  von  Güteborg  gegen  das  Ende  derselben  17  Fälle  (IS  Va- 
riola Vera,  6  von  Variolois)  durch  Ausschluss  der  chemischnn  Licht- 
strahlen. In  einem  Falle,  in  dem  die  Aufnahme  erst  am  9.  Tage  beim 
Beginn  des  Suppuration sstadiums  stattfand  und  der  nur  des  Vergleichs 
halber  auf  diese  Weise  behandelt  wurde,  war  keine  günstige  Wirkung 
wahrnehmbar;  in  den  meisten  der  übrigen  Fälle  kam  es  nicht  zur  Suppu- 
ration und  das  Fieber  blieb  in  der  Regel  aus,  nur  in  einem  Falle  wurde 
das  Exanthem  pustulös  (schwere  pustulöse  hämorrhagische  Pocken  mit 
hohem  secundären  Fieber,  in  dem  Pat.  starb).  Narben  bildeten  sich 
nicht,  nur  in  zwei  Fällen  in  geringem  Maasse.  Die  Eintrocknung  der 
Borken  ging  zeitiger  vor  sich  und  die  Krusten  lösten  sich  schneller  als 
bei  anderer  Behandlung.  Es  starben  zwar  drei  von  den  Kranken,  aber 
einer  nach  ohne  Suppuration  überstandenen  Pocken  an  Pyämie,  einer 
(Variola  haemorrhag.)  vor  dem  Suppurationsstadinm ,  nur  einer,  wie  er- 
wähnt, am  Suppurationsfieber.  Der  charakteristische  Geruch  war  in 
dem  Krankenzimmer  verhältnissmässig  unbedeutend.  Bei  Variolois  schien 
die  Wirkung  der  Behandlung  geringer  zu  sein,  doch  ging  die  Eintrock- 
nung rascher  vor  sich  und  auch  die  Krankheitsdauer  wiwie  abgekürzt 

Walter  Berger. 


I.  InfectionskrankheiteD.  251 

3  a.  Taccine. 

Immunite  foetale  par  la  Vaccine  ou  la  variole  pendant  la  grossesse.  Von 
Hervieuz.  Archives  gdndrales  de  medicine.  September  1893. 
p.  860  u.  folg. 

Die  Frage,  ob  eine  während  der  Schwangerschaft  geimpfte  oder 
von  den  Pocken  befallene  schwanffere  Frau  immun  werde,  beantwortet 
H.  dahin,  dass  eine  congenitale,  durch  Impfung  hervorgerufene  Immu- 
nität wohl  zu  den  Ausnahmen  gehören  dürfte,  während  durch  die 
Pockenerkrankung  der  schwangeren  Frau  Immunität  des  Fötus  als 
Regel  anzusehen  sei.  Ueber  die  Frage  der  Ueberwanderung  der  Mikro- 
organismen von  Mutter  zu  Kind  gehen  die  Ansichten  zur  Zeit  noch 
auseinander.  Während  Davaine,  Jollinger,  Ahlfeld  u.  A.  die  Pla- 
centa  als  Filter  betrachten,  der  die  schädlichen  Stoffe  zurückhalte,  sind 
Andere,  so  AUoing,  Chamberland  u.  s.  w.,  yon  der  Möglichkeit  der 
Ueberwanderung  mütterlicher  Erankheitsstoffe  auf  den  Fötus  überzeugt. 
Nach  Malvos  sei  dabei  aber  eine  Läsion  der  Plaoenta  erforderlich. 

Fritzsche. 

Zweiter  Jahresbericht  des  „Parc  vaccinogene  zu  Weltevreden",  Von  Dr. 
J.  J.  £ilerts  de  Haan.  Geneesk.  Tijdschr.  voor  Nederl.  Indi3 
XXXIII.  3.  blz.  399.    1893. 

Im  Ganzen  wurden  im  Jahre  1892  285  Kälber  geimpft  und  2658 
Gläschen  Lymphe  versendet,  in  Park  selbst  732  Europäer  und  852  Ein- 
geborene geimpft.  Von  den  732  Europäern  wurden  307  vaccinirt,  und 
zwar  alle  mit  animaler  Lymphe  (bei  allen  bis  auf  7  schlug  die  erste 
Impfung  an),  268-  re vaccinirt  (61%  mit  Erfolg).  Von  den  Eingeborenen 
wurden  557  geimpft  und  245  re  vaccinirt;  von  den  zum  ersten  Male  Ge- 
impften wurden  183  mit  animaler  (97  %  Erfolg) ,  205  mit  conservirter 
(94,2%  Erfolg),  und  160  mit  humanisirter  Lymphe  (98,8%  Erfolg)  ge- 
impft; von  den  Revaccinirten  wurden  117  mit  animaler  (56,6%  Erfolg), 
99  mit  conservirter  (45,8%  Erfolg)  und  29  mit  humanisirter  Lymphe 
(25,5%  Erfolg)  geimpft.  In  Bezug  auf  die  Möglichkeit  des  Uebergangs 
von  Variola  in  Vaccina  theilt  E.  de  H.  unter  Anderem  Versuche  an 
Affen  mit,  aus  denen  hervorgeht,  dass  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
das  von  Menschen  stammende  Variolagift  nach  verschiedenen  Durch- 
gängen durch  den  Körper  von  Affen  sich  in  Vaccine  umwandelt,  aber 
„wir  haben  keine  vollkommene  Sicherheit  über  den  Augenblick,  wo  die 
Variola  genug  abgeschwächt  ist,  um  als  Vaccine  aufzutreten,  ohne  Ge- 
fahren zu  bringen".  Walter  Berger. 

Erfahrungen  Über  anitnale  Vaccination,  nebst  Bericht  Über  die  Herstel- 
lung und  Anwendung  der  animalen  Vaccine  in  Dänemark  in  den 
Jahren  1887  —  1892.  Von  Dr.  J.  Bondesen.  ügeskr.  f.  Läger 
4.  R.    XXVIIL  10-13.    1893. 

In  den  Jahren  1887 — 1892  wurden  in  der  königl.  Vaccinations- 
anstalt  im  Ganzen  284  Kälber  geimpft,  von  denen  aber  44  nicht  zur 
Abimpfnng  benutzt  wurden.  Im  Durchschnitte  wurden  von  jedem  Kalbe 
1450  Portionen  Vaccine  genommen;  diese  Ausbeute  hat  mit  jedem  Jahre 
zugenommen,  wie  auch  die  Zahl  der  geimpften  Kälber;  während  im 
Jahre  1887  von  einem  Kalbe  im  Durchschnitte  1086  Portionen  Vaccine 
genommen  worden  waren,  ergaben  sich  im  Jahre  1892  bei  einem  Kalbe 
un  Durchschnitt  1932,  im  Jahre  1893  bis  zur  Zeit  der  Mittheilung  mehr 
als  2000  Portionen.  In  gleichem  Maasse  hat  auch  der  Verbrauch  der 
animalen  Lymphe  zugenommen.  Mit  Ausnahme  des  Sommers  1891,  wo 
in  Folge  von   dauerndem   Fehlschlagen  der  Impfungen   die  Thätigkeit 

17* 


252  Analecien. 

einige  Zeit  hat  eingestellt  werden  müssen,  hat  die  Anstalt  den  an  sie 
gestellten  Anforderungen  stets  tu  genfigen  yermocht  In  den  ersten 
Yier  Jahren  nahm  der  Verbrauch  an  animaler  Vaccine  stetig  £n,  im 
Jahre  1891  steigerte  er  sich  aber  in  Folge  einer  kleinen  Pockenepidemie 
in  Kopenhagen  so  verhältnissmässig  rasch,  dass  den  Anforderungen  an 
die  Anstalt  nicht  immer  Genüge  geleistet  werden  konnte;  nm  dies  rasch 
wieder  zu  können,  wurde  mitunter  Lymphe  yersendet,  deren  Wirksam- 
keit nicht  vorher  erprobt  worden  war  und  die  dann  in  praxi  oft  sich 
als  ungenügend  herausstellte.  Im  Jahre  1892  wnrde  erprobte  Ljmphe  in 
genügender  Menge  yorräthig  gehalten.  Waren  trotsdem  die  mit  der 
Lymphe  gewonnenen  Resultate  nicht  immer  gut,  so  lag  dies  an  ge- 
ringerer Haltbarkeit;  durch  Versuche  wurde  festgestellt,  dass  animale 
Lymphe  3 — 4  Monate  lang  ihre  Wirksamkeit  erhalten  kann,  dass  sie 
dies  aber  durchaus  nicht  immer  thut,  besonders  kräftige  Vaccine  h&lt 
sich  läi^er  wirksam  als  schwächere,  und  in  der  heissen  Jahreszeit 
ist  die  Haltbarkeit  geringer.  Unter  Berücksichtigung  dieser  Verhält- 
nisse wurde  die  zur  Versendung  bestimmte  Lymphe  strenger  Controle 
unterworfen  und  nach  Maassgabe  der  Jahreszeit  rascher  versendet,  so 
dass  die  Erfolge  vollständig  zufriedenstellend  eich  gestalteten.  Von  den 
prakticirenden  Aerzten  haben  sich  seit  1898  mindestens  80%  ausschliess- 
lich der  animalen  Vaccine  bedient.  Walter  Berger. 

• 

Die  BesulUUe  der  animalen  Vaccination  mit  einem  Bericht  über  die 
königl.  dän,  VaccinationaanstaU  im  Jcüire  1893.  Von  Dr.  J.  Bon- 
desen.     Ugeskr.  f.  Läger  6.  it.  L  18.  19.    1894. 

Im  Jahre  1893  wurden  in  der  Vaccinationsanstalt  61  Kälber  ge- 
impft, von  denen  6  wegen  Erkrankung  oder  mangelhafter  Entwickelung 
nicht  zur  Entnahme  von  Lymphe  benutzt  wurden.  Es  wurden  ins- 
gesammt  99  406  Portionen  animale  Vaccine  gewonnen,  von  einem  Kalbe 
durchschnittlich  2161  Portionen.  Versandt  wurden  66  529  Portionen; 
allen  Ansprüchen  konnte  vollkommen  Genüge  geleistet  werden;  in  der 
Anstalt  selbst  wurden  3336  Kinder  geimpft,  davon  1626  mit  humani- 
sirter,  1709  mit  animaler  Lymphe;  von  den  Impfungen  mit  animaier 
Lymphe  schlugen  in  der  Anstalt  99,8  %  an ;  im  Ganzen  waren  Kach- 
richten über  den  Verlauf  von  24  336  Impfungen  zu  erlangen,  davon  war 
in  23  138  der  Erfolg  gut  (95,8%),  die  Erfolge  bei  den  öffentlichen 
Vaccinationen  und  in  der  Privatpraxis  waren  ziemlich  gleich  (noch  nicht 
^/i%  Unterschied).  Im  Allgemeinen  kann  zwar  nach  den  gesammelten 
Erlahrangen  der  einzelnen  Impfstellen  die  animale  Vaccine  als  ziemlich 
inconstant  in  ihrer  Wirkung  bezeichnet  werden,  aber  die  von  demselben 
Kalbe  gewonnene  Vaccine  als  ein  ganz  ausserordentlich  constantes  Pro- 
duct.  Bei  den  Eevaccinationen  im  Heere  ergab  sich  in  73,17%  posi- 
tives, in  26,83%  negatives  Resultat.  Walter  Berger. 

Die  Empfänglichkeit  für  Vaccinaiion  mit  animaler  Vaedne.  Von  Dr. 
H.  Adsersen.    Ugeskr.  f.  Läger  6.  K.  L  23.    1894. 

A.  hat  nach  den  Ergebnissen  der  öffentlichen  Vaccination  auf 
NOrrebro  und  Österbro  vom  Mai  1893  bis  März  1894  gefunden,  dass 
sich  für  die  verschiedenen  Altersclassen  der  Kinder  eine  gewisse  Gesetz- 
mässigkeit geltend  macht.  Bei  derselben  Anzahl  von  Impfschnitten  ent- 
wickeln sich  nach  animaler  Vaccination  bei  im  1.  Lebensjahr  stehenden 
Kindern  bedeutend  weniger  Pusteln  als  in  irgend  einer  der  übrigen 
Altersclassen  (bis  8  Jahre);  die  Zahl  der  entwickelten  Pusteln  steigt 
dann  gleichmässig  vom  2.  bis  6.  Lebensjahr  und  nimmt  im  7.  und 
8.  Lebensjahr  wieder  ab.  Die  benutzte  Vaccine  stammte  zwar  von  20 
verschiedenen  Kälbern,   stimmte  aber   in  ihrer  Wirkung  ganz  fiberein, 


\ 


I.  Infectionskrankheiten.  253 

BodasB  der  Unterschied  nnr  in  der  verschiedenen  Empfänglichkeit  liegen 
kann.  Die  Zahl  der  geimpften  Kinder  (2421)  war  gross  genug  und  die 
Vertheilung  derselben  anf  die  verschiedenen  Lebensjahre  gleichm&ssig 
genag  (auch  die  sociale  Stellung  der  Familien,  aus  denen  die  Kinder 
stammten,  war  ziemlich  gleich),  um  einen  Schlnss  zu  gestatten.  Im 
1.  Lebensjahr  entwickelten  sich  nur  %  der  Impfschnitte  gut,  im  2.  Lebens- 
jahr 84,4%  und  so  wurde  das  Verh&ltniss  immer  günstiger  bis  zum 
9.  Lebensjahr.  A.  schliesst  auf  Qrund  seiner  früheren  Untersuchungen 
über  die  Häufigkeit  des  Vorkommens  acuter  Infectionskrankheiten  in 
verschiedenen  Altersclassen  der  Kinder  auf  eine  gewisse  Beziehung 
zwischen  der  Empfänglichkeit  für  Krankheiten  und  der  Empfönglich- 
keit  für  die  Vaccination,  und  zwar  entspricht  nach  ihm  eine  grosse  all- 
gemeine Morbidität  einer  geringen  Empfänglichkeit  für  die  Vaccination 
mit  animaler  Lymphe  und  abnehmende  oder  steigende  Morbidität  ent- 
spricht zunehmender  oder  abnehmender  Empfänglichkeit  für  Vacci- 
nation. Auf  diesen  Umstand  muss  man,  wie  A.  meint,  Rücksicht 
nehmen,  wenn  man  eine  animale  Vaccine  probiren  will,  man  muss  bei 
der  Beurtheilnng  des  Resultates  die  Altersclasse  der  Geimpften  berück- 
sichtigen. Walter  Berger. 

Zur  Kenntniss  des   Vaccineprocesaes.     Von  Dr.  J.  Sobotka.    Zeitschr. 
f.  Heilkunde  XIV  B.    6.  u.  6.  H. 

Die  vorliegende  klinische  Studie  stammt  aus  Prof.  Ganghofner^s 
Klinik  in  Prag. 

Die  Zahl  der  der  Arbeit  zu  Grunde  liegenden  Impflinge  nach  Aus- 
scheidung aller  schon  vorher  Fiebernden  betrug  884,  und  zwar  44  voU- 
gtändig  normale,  46  mit  nicht  fieberhaften,  Processen  behaftete  Kinder  und 
solche,  welche  in  der  Reconvalescenz,  im  Beginne  oder  zufällig  im 
Incubationsstadium  anderer  acuter  Infectionskrankheiten  standen.  Die 
Kinder  standen  im  Alter  von  4  Monaten  bis  14  *^  Jahren. 

Gemessen  wurde  die  Temperatur  in  der  Re^el  zweistündlich,  sel- 
tener vierstündlich  und  ausnahmsweise  nur  zweimal  täglich,  die  Mes- 
sungen begannen  mehrere  Tage  vor  und  endeten  16 — 18  Tage  nach 
der  Impfung. 

Das  Gesammtergebniss  der  Messungen  bei  24  Normalfällen  war: 
1.  Es  fieberten  am  zweiten  Tage  nach  der  Impfung  4  (37,7 ->  88*),  am 
dritten  10  (37,7—38,1*),  am  vierten  9  (37,7—88«),  am  fünften  16  (37,7 
—38,4),  am  sechsten  15  (37,7—38,6*),  am  siebenten  21  (87,7—89*),  am 
achten  24  (38,4—39,9*),  am  neunten  24  (37,7-40*),  am  zehnten  20 
(37,7—89,2),  am  elften  14  (37,7-38,4*),  am  zwölften  7  (87,7—39,9),  am 
dreizehnten  6  (37,8—38*),  am  vierzehnten  2  (37,7*),  am  fünfzehnten  1 
(87,8*),  am  sechzehnten  keiner. 

Die  Fieberacme  trat  achtmal  am  9.,  sechzehnmal  am  8.  Tage  ein, 
die  niedrigste  Acme  war  88,5,  die  höchste  40,0*. 

Bei  den  folgenden  17  Fällen,  die  nur  zweimal  täglich  gemessen 
worden  waren,  ergaben  sich  ziemlich  analoge  Verhältnisse,  nur  kam 
einmal  die  Fieberacme  erst  am  10.  Tage,  und  war  hier  die  höchste  Acme 
39,9,  die  niedrigste  88,3. 

In  der  Regel  kam  es  in  den  ersten  drei  Tagen  zu  keiner  Tem- 
peratursteigeruDg ,  am  3.  und  4.  Tage  beobachtete  man  schon  Öfters 
über  37,6,  am  5.-7.  Tage  höhere,  remittirende  Fiebertemperaturen,  am 
S.Tage  die  Acme,  in  Va  aller  Fälle  nicht  unter  39,0,  welche  2— 8  Tage 
dauerte,  vom  10.  Tage  an  Absinken,  vom  14.  Tage  an  meist  normal. 
Der  8.  Tag  zeigte  Fiebertemperaturen  auch  bei  solchen  Impflingen ,  die 
bis  dahin  fieberfrei  waren. 

Der  Gang  der  Temperatur  war  unabhängig  von  der  Zahl  der  ent- 


254  Analecten. 

wickelten  PoBteln,  der  Inteneität  des  localen  Proceesea,  der  Art  der 
Lymphe,  toh  den  Torgenoinmenen  NachimpftiDgeii,  ErOffhnng  oder  Auf- 
kratien  der  PnBteln  and  TOm  Alter  der  Impflinge. 

Die  Nachimpfungen  wurden  am  6. — 8.  Tage,  yon  denen  als  sp&tette 
eine  am  6.  Tage  noch  haftete,  vorgenommen,  nnd  verliefen  in  der  be- 
kannten, sich  rasch  sarückbildenden  Weise. 

Abweichend  war  der  Verlauf  bei  vorher  leicht  erkrankten,  recon- 
Talescenten,  chronisch  kranken,  wenn  auch  fieberfreien  Kindern,  der  Fieber- 
verlauf  ist  mehr  arisch. 

Bei  Fällen,  welche  luf&llig  im  Incubationsstadium  oder  w&hrend 
des  Anftretens  acuter  Exantheme  vaccinirt  worden  waren,  regab  sich, 
dass  weder  die  Entwickelang  der  Pasteln  gestOrt,  noch  im  Allgemeinen 
der  typische  Gang  des  Vaccinefiebers  wesentlich  geändert  werde,  nur 
hat  sich  mitunter  der  Tnrgor  der  voll  entwickelten  Pasteln  rascher  ver- 
loren und  der  Hof  der  Pasteln  mangelhaft  entwickelt. 

üeber  Puls  und  Resniration  ist  nichts  Bemerkenswerthes  lu  be- 
richten, auch  nicht  von  den  vom  Fieber  und  nicht  vom  Localprocease 
abhängigen  AllgemeiustOrnngen. 

Anschwellung  und  Schmerzhaftigkeit  der  Achseldrfisen  fehlten  fast 
immer,  waren  aber  häufiger  beobachtet  worden  bei  den  ambulato- 
rischen Impflingen,  dürften  also  anf  mangelhafte  Hygiene  and  an- 
dere Schädlichkeiten,  nicht  auf  die  Viralem  des  Vaccinecontagiams  ta 
schieben  sein. 

Die  Revaccinirten  verhielten  sich  ziemlich  genau  so  wie  die  Vacci- 
nirten,  die  Acme  fiel  auch  auf  den  8.^9.  Tag,  war  nor  weniger  hoch, 
wie  überhaupt  die  Fiebererscheinungen  weniger  ausgeprägt  waren. 

Weitere  Untersuchungen  beschSftigen  sich  mit  der  Frage,  ob  dem 

fesetzmässigen  Fieberverlaufe  bei  der  Vaccination  auch  entsprechende 
chwankungen  in  der  Stickstoifausscheidnng  entsprechen.  An  7  ver- 
werthbaren  Fällen  fand  Dr.  8.:  die  Hamm  enge  zeigte  nie  ein  für  die 
Vaccine  charakteristiBches  Verhalten,  das  specifische  Gewicht  war  ge- 
wöhnlich während  der  Fieberperiode  etwas  erhöht,  der  Harn  enthielt 
niemals  Eiweiss,  es  ergab  sich  auch  keine  irgendwie  charakteristische 
StOruDg  der  Chlorausscheidung,  die  täglich  ausgeschiedenen  Stickstoff- 
mengen ergaben  eine  Störung  des  vor  der  Impfung  bestehenden  Stickstoff- 
ffleichgewichtes,  das  Maximum  der  Ausscheidung  fiel  fast  immer  auf 
deo  10.  Tag  und  die  vermehrte  Ausscheidung  dauerte  gewöhnlich  vom 
8.— 11.  Tage. 

Auf  die  Vermehrung  der  Stiokstofikusscheidun^  folgte  regelmässig 
auch  die  Verminderung  und  in  der  Nachfieberpenode  r^eUos  wieder 
beträchtliche  Steigerungen. 

Der  vermehrten  Stickstoffausscheidung  geht  regelmässig  eine  Ver- 
mehrung der  weissen  Blutkörperchen  voran  und  hört  mit  dem  Eintritt 
der  ersteren  wieder  auf,  das  Verhalten  des  Blutes  ergab  in  32  unter- 
suchten Fällen  verwerthbare  Resultate:  die  Vaccine  erzeugt  regelmässig 
Leukocytose,  welche  am  häufigsten  am  3.  und  4. Tage  nach  der  Impfang 
auftritt,  am  7.-8  Tage  wieder  absinkt,  oft  bis  unter  die  Norm.  Dieee 
Abnahme  dauert  3—8  Tage. 

Am  10. — 12.  Tage  tritt  neuerdings  Leukocytose  auf,  die  2—6  Tage 
dauert.  Die  Höhe  der  1.  Leukocytose  ist  12000—23000,  der  zweiten 
10000^17600,  das  Minimum  3500;  die  erste  geht  den  localen  Erschei- 
nungen und  dem  eigentlichen  Vaccinefieber  voraus,  die  oft  eintretende 
Verminderung  unter  die  Norm  fällt  zusammen  mit  dem  Höhepunkt  des 
Vaccineprocesses. 

Die  beobachtete  Leukocytose  war  stets  polynucleär. 

Die  Zahl  der  rothen  Blutkörperchen  zeigte  während  des  Verlaufes 


r 


j 


I.  Infectionskrankheiten.  255 

der  Vaccine   kein   apecifisches  Verhalten  and   die  Untersuchungen  auf 
den  Hämoglobingehalt  gaben  keine  regelmässigen  Resultate. 

Auf  Grund  von  wenigen  Untersuchungen  vermuthet  Dr.  8.,  dass 
auch  im  Prodromalstadium  der  Variola  Leukocytose  auftreten  würde 
und  dass  mit  oder  unmittelbar  yor  Eintritt  des  Initialfiebers  der  Va- 
riola die  Zahl  der  weissen  Blutkörperchen  absinkt,  woraus  ein  gewisses 
analoges  Verb  alten  bei  der  Vaccine  und  bei  der  Variola  abzuleiten 
wäre. 

Die  Analogie  zwischen  Variola  und  Vaccine  wird  noch  weiter  be- 
leuchtet durch  den  Gang  der  Temperaturen  der  beiden  Processe  und 
der  Qbrigen  kÜDischen  Erscheinungen. 

Es  wird  auch  insbesondere  auf  die  üeberein Stimmung  hingewiesen, 
welche  zwischen  dem  im  Beginn  des  Initialfiebcrs  der  Variola  nicht 
selten  auftretenden  Rash  und  der  ähnlichen  Erscheinung  am  8. — 9.  Tage 
der  V&ccination  besteht,  aaf  die  Uebereinstimmung  des  historisch  be- 
kannten Verlaufes  der  inoculirten  Variola  und  der  Vaccine. 

Ans  14  Fällen  von  postvaccinalen  Eruptionen  dedacirt  Dr.  S.,  dass 
es  während  des  Verlaufes  der  Vaccine  in  manchen  Fällen  zur  Entwicke- 
ln ng  eines  fleckigen  Exanthems  kommt,  welches  zuerst  auä  kleinen 
rothen  Stippchen  besteht,  die  sich  zu  grösseren  oder  kleineren,  unregel- 
mässigcn,  nicht  scharf  begrenzten,  rundlichen,  rothen  Flecken  entwickeln. 
In  der  Mitte  dieser  Flecke  kommt  es  mitunter  zur  Bildung  eines  Knöt- 
chens und  weiterhin  mitunter  auch  eines  gedellten  Bläschens,  oder  es 
kommt  in  der  Mitte  des  Fleckes  zur  Bildung  eines  graurothen  Feldes 
um  ein  central  gelegenes  Knötchen. 

Dieses  Exanthem,  im  Verlaufe  des  tO.  Tages  der  Vaccination  auf- 
tretend, erinnert  lebhaft  an  das  morbillöse  Exanthem  bei  beginnender 
Variola  und  an  ähnliche  Vorkommnisse  bei  der  inoculirten  Variola. 

Diese  postvaccinalen  Exantheme  sind  ein  Ausdruck  der  durch  die 
Vaccine  erzengten  Allgemeinerkrankung,  welche  sich  in  dem  regel- 
mässigen Auftreten  des  vaccinalen  Nachfiebers  gleichfalls  äussert. 

Das  postvaccinale  Exanthem  ist  weder  übertragbar  noch  überimpf- 
bar,  stellt  quasi  eine  abortive  Form  der  Vaccinekrankheit  vor. 

Für  das  Verhältniss  der  Variola  zur  Vaccine  kommt  das  Verhalten 
der  Fötus  in  Betracht,  deren  Mütter  an  der  einen  oder  andern  Infection 
leiden. 

Die  Variola  der  Mutter  giebt  vermöge  ihrer  grösseren  Virulenz  zu- 
weilen Anla&s  zur  Infection  des  Fötus,  aber  meist  geht  das  Variolagift 
von  der  Mutter  nicht  auf  das  Kind  über,  gerade  so  wie  bei  der  Vacci- 
nation. 

Dr.  S.  berichtet  einen  Fall,  in  welchem  ein  Kind  am  7.-8.  Tage 
nach  der  Variolainfection  vaccinirt  wurde  und  Variola  und  Vaccine  sich 
nebeneinander  entwickelten,  eine  Erfahrung,  die  übrigens  bereits  viel- 
fach notirt  wurde. 

Aus  2204  fast  ausschliesslich  mit  animaler  Lymphe  gemachten  Vacci- 
nationen  ergiebt  sich,  dass  die  besten  Impfresnltate  bei  Kindern  im 
Alter  von  6—18  Monaten  erzielt  wurden. 

Vom  Jahre  1860  —  1890  kamen  8061  an  Variola  erkrankte  Sünder 
zur  Anfnahme,  unter  diesen  waren  120  (8,9%)  nachweisbar  Vaccinirte, 
mit  Hinzurechnung  der  ambulanten  Kranken,  von  6690  Variolakranken 
nur  237  (4,24%)  nachweisbar  Vaccinirte. 

Von  den  2941  nicht  vaccinirten  Variolakranken  des  Spitals  starben 
46,93%,  von  120  Vaccinirten  9,1%. 

Üeber  das  Schicksal  der  ambulatorisch  zur  Beobachtung  gelangten 
Variolakranken  fehlen  die  Daten.  Eisenschitz. 


256  Analecten. 

Ueher  die  Wirksamkeit  der  Vaecination  während  einer  Podtenepidemie. 
Von  Regoli.    Archivio  iialiano  di  Pediatria  1892.    p.  83  ff. 

Im  Mai  1890  beobachtete  Verf.  in  einem  Dorfc  eine  kleine  eng  be- 
grenzte Pockenepidemie.  Dieselbe  verdankte  ihre  Entstehung  folgendem 
Hergang:  Während  im  Nachbarorte  die  Pocken  herrschten,  führte  eine 
Frau  ihre  neunjährige  Tochter  dorthin  eu  einem  Pockenkranken  und 
impfte  sie  mit  dem  Inhalt  von  Pockenpusteln;  das  Kind  erkrankte  nach 
einigen  Tagen  an  schweren  confluirenden  Pocken,  genas  aber.  Von 
ihr  impfte  die  Mutter  wieder  ihre  beiden  jüngeren  Töchter  (7  und 
6  Jahre):  beide  erkrankten  und  starben.  Von  diesem  Hause  aus  ent- 
wickelte sich  eine  Epidemie  im  Orte:  von  40  Erkrankungen  betrafen 
34  Kinder  unter  16  Jahren.  Da  eine  Absonderung  der  Erkrankten  aus 
localen  Ursachen  unmöglich  war,  impfte  Verf.  alle  Bewohner  des  Dorfes 
mit  Lymphe  aus  dem  staatlichen  Impfinstitut  und  machte  dabei  fol- 
gende Beobachtungen:  In  zwei  F&llen  entwickelten  sich  beide  In- 
fectionen  gleichseitig  und  unabhängig  Yon  einander,  ohne  scheinbar 
gegenseitig  irgend  einen  Einfluss  auszuüben.  In  4  Fälle  a  entstand  die 
Variola  am  Tage  nach  der  Vaecination:  es  entwickelte  sich  in  allen 
Fällen  eine  schwere  Form  der  echten  Pocken,  aber  in  einem  Falle,  in 
welchem  die  Variola  erst  am  6.  Tage  bei  roll  entwickelten  Vaccine- 
Pusteln  auftrat,  erschienen  nur  vereinzelte  Pusteln,  die  in  wenigen  Tagen 
abgetrocknet  waren. 

Verf.  plädirt  dringend  für  sofortige  Vaecination,  wenn  sich  Flüle 
▼on  echten  Pocken  zeigen.  Toeplitz. 

Die  OesundheiUschädigungen  hei  Gelegenheit  der  Impfung  und  die  sanüäU' 
poligeiliehen  Macusnahmen  sur  Verhütung  derselben.  Von  Dr.  F.  S  c  h  r  a  - 
kamp.    Archiy  f.  Kinderh.  16.  Bd. 

Sohrakamp  fasst  das  Ergebniss  seiner  Untersuchungen  dahin  au- 
sammen,  dass  in  der  That  unter  gleichen  Umstanden  ernstliche  Schä- 
digungen bei  Qelegenheit  der  Impfung  eintreten  können,  falls  dieselbe 
nicht  unter  Beobachtung  dar  nöthigen  Vorsichtsmaassregeln  ausgeführt 
wird.    Diese  Schädigungen  sind  folgende: 

I.  Bei  Verwendung  von  Menschenljmphe  ist  die  Gefahr  der  üeber- 
tragung  von  Syphilis,  obwohl  ausserordentlich  gering,  doch  nicht 
ganz  ausgeschlossen.  Durch  die  gröss'te  Sorgfalt  in  der  Wahl  der 
Stammimpflinge  wird  eine  absolute  Sicherheit  gegen  die  Syphilis 
nicht  gewonnen,  ebensowenig  durch  die  Art  der  Aufbewahrung,  noch 
durch  irgend  welche  Zusätze  zu  einer  Menschenlymphe.  Es  ist  daher 
statt  der  Menschenlymphe  ausschliesslich  Thierlymphe  zu  verwenden. 
Durch  Desinfection  des  ImpHnstrumentes  vor  jeder  Impfung  ist  eine 
Syphilisinfection  durch  die  Impfung  nicht  möglich.  Accidentelle  An- 
steckung des  Impflings  von  der  Wunde  aus  durch  syphilitische  Menschen 
seiner  Umgebung,  ferner  Manifestwerden  einer  bis  dahin  latenten  Sy- 
philis nach  der  Impfung  kann  gelegentlich  vorkommen,  jedoch  nicht 
als  Gesundheitsbescbädigung  durch  die  Impfung  bezeichnet  werden. 

IL  Hauterkrankungen  verschiedener  Art  können  gelegentlich 
der  Impfung  entstehen,  und  zwar: 

1.  Phlegmonöse  Hautentzündungen  (Impf rothlauf)  durch  den 
Import  septisch-infectiöser  Stoffe  in  die  Wunde  und  zwar  sowohl  durch 
die  Lymphe  und  den  Impfact  selbst,  als  auch  durch  die  sfiAtere  Be- 
handlung resp.  Misshandlung  der  Impfwunde.  Vorsichtsmaassregeln: 
Zur  Verwendung  darf  nur  frische,  von  gesunden  Individuen  entnommene 
Lymphe  gelangen.  Auch  hier  ist  Thierlymphe  der  Menschenlymphe 
vorzuziehen.     Die  Lymphe   ist   nicht   früher  zu  verwenden,   bevor  die 


I.  Infecüonakraiikheiten.  257 

Tbiere,  Ton  denen  sie  gewonnen  ist,  geschlachtet  and  gesond  erkannt 
worden  sind.  Aeasserste  Reinlichkeit  beim  Impfacte,  sorgfältigster  Schutz 
der  Impflinge  vor  Insulten  jeder  Art. 

2.  Impetigo  und  pemphignsartige  Erkrankungen.  Die 
Aetiologie  derselben  ist  noch  nicht  ganz  sicher  bekannt,  es  scheint 
aber,  dass  gewisse  bei  Thieren  und  Menschen  bestimmte  Erkrankungen 
bewirkende  Pilzkeime,  wenn  sie  mit  der  Lymphe  übertragen  werden, 
jene  Affectionen  hervorrufen.  Vorsichtsmaasregeln:  Sorgfältigste  Aus- 
wähl  der  Lymphe  liefernden  Thiere,  sorgföltigste  Reinigung  der  reifen 
Postelfläche  vor  der  Abimpfung,  sorgfältigste  Auswahl  nur  ganz  nor- 
maler Pusteln  zur  Gewinnung  des  Impfstoffes. 

3.  Lepra  kann  durch  die  Impfung  übertragen  werden.  Da  die 
Lepra  bei  Thieren  nicht  vorkommt,  auf  dieselbe  auch  nicht  abergeimpft 
werden  kann,  so  bildet  die  ausschliessliche  Impfung  mit  Thierlymphe 
die  erfolgreichste  und  einfachste  Maassregel  zur  Verhütung  jener  In- 
fection. 

Alle  anderen  der  Vaccination  gemachten  Vorwurfe  sind  unberechtigt. 
Rachitis,  Scrophulose  und  Tuberculose  können  durch  die  Im- 
pfung nicht  übertragen  werden.  Dass  zuweilen  bei  vorher  gesund  schei- 
nenden Kindern  nach  der  Impfung  Erscheinungen  yon  Scrophulose  auf- 
treten, ist  nicht  als  eine  Uebertragung  durch  die  Impfung  aufzufassen, 
vielmehr  anzunehmen,  dass  durch  den  schwächenden  Einfluss  der  letz- 
teren ebenso  wie  durch  andere  fieberhafte  Krankheiten  bei  scrophnlös 
veranlagten  Kindern  die  bis  dahin  latente  Krankheit  zum  plötzlichen 
Ausbruch  kommen  kann.  Scrophulose  Kinder  sollen  daher  in  der  Regel 
nicht  geimpft  werden.  —  Masern,  Scharlach  und  Diphtherie  können 
durch  die  Impfung  nicht  übertragen  werden.  Eine  Uebertragung  der- 
selben während  der  Impftermine  durch  Kleider  u.  s.  w.  ist  dagegen 
leicht  möglich.  Es  sollen  daher  dort,  wo  derlei  Epidemien  herrschen, 
während  deren  Dauer  für  gewöhnlich  keine  Impfungen  yorgenommen 
werden.  —  Dass  seit  Einführung  der  Imnfung  eine  Zunahme  der  Ge- 
sammtsterblichkeit  als  Folge  derselben  eingetreten  sei^  ist  ab- 
solut nicht  nachweisbar  und  ebenso  unrichtig,  dass  die  Sterblichkeit 
in  ungünstiger  Weise  zum  Schaden  der  productiven  Altersclasse  de- 
placirt  sei. 

Die  Gefahr  der  Gesundheitsbeschädigung  durch  die  Vaccination  ist 
demnach  unter  Beobachtung  der  nöthigen  Vorsichtsmaassregeln  ganz 
ausserordentlich  gering,  ja  nahezu  ausgeschlossen.  Unger. 

Acute  Nephritis  ncich  Schutzpockenimpfung,   Von  Dr.  L.  Perl.    Berliner 
klin.  W.  28.    1893 

Von  vier  gleichzeitig  mit  Thierlymphe  vaccinirten  Kindern  er- 
krankte eins,  2%  Jahre  alt  und  früher  gesund  gewesen,  am  fünften 
Tage  nach  der  Vaccination  an  acuter  Nephritis,  welche  nach  sechs- 
tägigem Bestände  und  bei  sonst  normalem  Ablauf  der  Vaccineblasen  ab- 
gelaufen war. 

„Vaccinale  Nephritis**  mit  leichten  Erscheinungen  könnte  auch 
wohl  öfter  übersehen  werden.  Eisenschitz. 

Impfung  mit  sterilen  Instrumenten.     Von  Dr.  Lindenborn.    Berliner 
klin.  W.  1.    1894. 

Um  den  strengsten  Forderungen  nach  einem  aseptischen  Vaccinations- 
instrumente  zu  genügen,  hat  Dr.  L.  ein  Messerchen  aus  Platiniridinm 
construiren  lassen,  welches  in  6  Secuuden  in  der  Spiritusflamme  glüht 
und  in  8  Secunden  wieder   abkühlt,  allerdings  nicht  die  Schärfe  eines 


258  Analectea. 

StahlinstrumenteB   bat,  aber  bei   etwas   st&rkerem  Andrücken   für  die 
Vaccination  ganz  brauchbar  ist. 

Das  Instrument  liefert  Dröll  in  Frankfurt  a/M.  um  3,60  Mark. 

Eisenschits. 

4.  Tarieellen. 

Unität  oder  Duplicitäi  fnm  Variola  und  Varicella?  Von  Gaidi.  Ar- 
chivio  italiano  di  Pediatria  1892.    p.  98  f. 

Dasselbe.    Von  Hennig.    Ebenda  1892.  p.  192  f. 

In  einem  offenen  Briefe  an  die  Heraasgeber  wendet  sieb  Verf.  gegen 
die  wiederholt  aasgesprochene  Ansicht  Hennig *8,  dass  Variola  ond 
Varicella  einerlei  Infection  ihren  Urspraog  verdanken.  Verf.*B  Versuche 
geben  ihm  folgende  Ergebnisse:  1.  Wenn  er  nngeimpfte  Kinder  un- 
mittelbar nach  abgelaufenen  Varicellen  mit  Vaccine  impfte,  hatte  er 
stets  vollen  Impferfolg.  2.  Bei  19  Kindern,  theils  vaccinirt,  theils  auch 
nicht,  impfte  er  Varicellen  ohne  jeglichen  Erfolg.  S.  Bei  7  von  diesen 
entstanden  die  Varicellen,  nachdem  sie  mit  anderen  an  Varicellen  er- 
krankten Kindern  iu  Beziehung  gekommen  waren.  Verf.  schliesat  dar- 
aas, dass  die  Varicellen  eine  Krankheit  sui  generis  sind,  mit  Variola 
nichts  gemein  haben,  und  dass  die  Beobachtungen  Hennig^s  auf  un- 
genauer Diagnose  beruhen  müssen. 

Hennig  verwahrte  sich  gegen  diese  Annahme  und  hält  seine  An- 
sicht von  der  ünität  des  Giftes  voll  aufrecht.  Toeplitz. 

Ueher  einen  Fall  von  Varicellen,  complicirt  mit  HaUbräune  und  Hoden- 
entzundtmg.  Von  Dr.  J.  Girode.  Revue  mensuelle  des  maladies 
de  Tenfance,  Augustheft  1893. 

Zur  Zeit  des  Streites  bezüglich  der  Trennung  von  Windpocken  und 
Blattern  hoben  die  Anhänger  der  Trennung  gern  den  einfEUshen  Verlauf 
der  Windpocken  und  ihre  Gutartigkeit  gegenüber  den  vielfachen  Com- 
plicationen  und  der  Bösartigkeit  der  echten  Blattern  als  Stütze  und 
Beweis  für  ihre  Anschauungen  hervor.  Nachdem,  Dank  der  Autorität 
Trou88eau*8,  der  Streit  ausgefochten  war  zu  Gunsten  der  Verschieden- 
artigkeit beider  Krankheiten,  die  Windpocken  somit  nicht  mehr  da- 
standen als  eine  einfach  abgeschwächte  Form  von  echten  Blattern,  son- 
dern als  eigenartige,  mit  Blattern  in  keiner  Beziehung  stehende  Krank- 
heit, so  sah  man  doch  andrerseits  ein,  das«  die  Windpocken  nicht 
immer  so  unschuldig  und  in  ihrem  Verlaufe  so  einfach  seien,  sondern 
es  häuften  sich  zahlreiche  Beweise  für  deren  eventuelle  Bösartigkeit. 
Hierauf  fassend,  citirt  Verf.  folgenden  Fall: 

Viexjähriger  gesunder  Knabe  erkrankte  in  der  Nacht  vom  10. 
auf  den  11.  Januar  1892  mit  Fieber,  Kopfschmerz  und  Brechreiz.  Am 
18.  Januar  deutlicher  Ausschlag  von  Windpocken,  doch  ist  die  Zahl  der 
Pusteln  gering.  Am  14.  Morgens  heftiger  Schluckschmerz.  Beide  Man- 
deln sind  stark  geschwellt  und  berühren  sich  fast.  Auf  der  rechten 
sowohl  als  auf  der  linken  sind  Pseudomembranen  aufgelagert,  welche 
sich  mit  dem  Charpiepinsel  nicht  abwischen  lassen.  Die  Unterkiefer- 
drüsen geschwellt,  sehr  schmerzhaft  auf  Druck.  Trotz  antiseptischen 
Betupfens  haben  sich  am  16.  Jan.  die  Pseudomembranen  ausgebreitet. 
Unterkieferdrüsen  immer  sehr  schmerzhaft.  Es  besteht  Stuhl verhaltung. 
Urin  sparsam,  dunkel,  leicht  alburainhaltig.  Am  16.  Jan.  ist  femer  eine 
deutliche  Schwellung  des  rechten  Hodens  zu  constatireo.  Erguss  in  die 
Tunica  vaginalis.  Berührung  schmerzhaft.  Am  19.  Januar  fingen  so- 
wohl Angina  als  die  Hodenentzündung  an  abzunehmen,  die  Recon- 
valescenz  nahm  aber  mehrere  Wochen  in  Anspruch.    Das  Eind  musste 


I.  Infectionskrankheiten. 


259 


bis  Ende  Febrnar  wegen  Hinfälligkeit,  äasserster  Blässe  und  Appetit- 
losigkeit das  Bett  hüten.  Albrecht. 

5.  Diphtherie« 

Die  GetvinniMg  der  Bluiantitoxine  und  die  Classifieirung  der  Heübestre- 
hungen  hei  ansteckenden  Krankheiten,  Von  Prof.  Dr.  Behring.*) 
Dentsche  med.  W.  48.    1893. 

1.  Feststehend  ist  es,  dass  die  krankheitserregenden  Mikroorga- 
nismen dnrch  ihre  Giffc Wirkung  gefährlich  werden. 

Wir  suchen  jetzt  nicht  sowohl  nach  parasiticiden ,  sondern  nach 
antitoxischen  Mitteln,  wenigstens  im  lebenden  Organismus  haben  wir 
bisher  wenig  Erfolge  mit  parasiticiden  Mitteln  zu  verzeichnen. 

Das  Experiment  hat  vielfach  gezeigt,  dass  die  bösartigsten  Mikro- 
organismen Individuen,  welche  gegen  das  betreffende  Gift  geschützt 
sind,  nicht  schaden. 

Die  Giftunempfindlichkeit  kann  von  Natur  bestehen  und  vererbbar 
sein,  wie  etwa  bei  weissen  Mäusen  gegen  Diphtheriegift  und  ist  durch 
Transfusion  von  Blut  nicht  einem  andern  Individuum  übertragbar. 

Der  Giftschutz  kann  aber  auch  erworben  werden  und  zwar,  wie 
die  Versuche  mit  Tetanusgift  lehrten,  sowohl  durch  Production  eines 
Antitoxins,  als  auch  durch  Beeinflussung  lebender  Theile  des  EOrpers 
gegenüber  dem  Tetanusgift,  welche  letztere  Veränderung  noch  fort- 
bestehen kann,  nachdem  bereits  alles  Antitoxin  aus  dem  Blute  aus- 
geschieden ist. 

Diese  letstere  Art  der  Giftunempfindlichkeit  durfte  derselben  Art 
sein,  wie  die  schon  von  Natur  aus  bei  einzelnen  Individuen  bestehende 
nnd  ganz  verschieden  von  der  Antitoxinimmunität,  welche  auch  nicht 
vererbbar  ist;  die  erstere  (Gewebsimmunität)  ist  dauernd,  die  letztere 
(Antitozinimmunität)  ist  trän si torisch. 

Neben  der  Antitoxinimmunität  besteht  sogar  in  vielen  Fällen  eine 
üeberempfindlichkeit  des  If^benden  Organismus  gegen  das  betreffende 
Gift  i.  e.  das  Thier  erzeugt  enorme  Mengen  von  Antitoxin,  kann  aber 
durch  kleinste  Mengen  des  Giftes  getOdtet  werden. 

Es  ist  fj^eradezu  ein  Ziel,  seine  Versuchsthiere  so  lange  als  möglich 
reactionsföhig  zu  halten,  um  möglichst  lange  die  Antitoxinproduction 
bei  denselben  zu  erhalten. 

2.  Dr.  B.  entwirft  folgendes  Schema  zur  Classifieirung  der  Heil- 
bestrebungen  bei  ansteckenden  Krankheiten: 


Aetiologisohe  Therapie  der  ansteckenden 

Krankheiten. 


Specifische  Therapie. 


antitoxische : 

direct:  indirect: 

Jodoform  bei      Tuberculin 
Sepsis  (local)  gegen 

Blutserum  bei    Tuberculose. 
Diphtherie 
und  Tetanus 
(allgemein). 


ftntiparatit.: 

Chinin 

gegen 

Malaria. 


Nichtspec. 
Therapie. 


09 

a 

0 
O 


a 

^  a    § 

'S  g      öp 


Therapie: 

1)  Symptomatische. 

2)  Diätetische. 
8)  Klimatische. 
4)  Suggestive. 


1)  Üeber  die  früheren  Arbeiten  Behring's  über  Immunität  und 
Heilung  der  Diphtherie  vergl.  dieses  Jahrbuch  Bd.  XXXIV.  S.  288 
u.  289.    Band  XXXVI.    S.  446,  448,  460. 


260  Analecten. 

Der  Endzweck  der  Utiologischen  Therapie  wftre,  das  in  Frage  kom- 
mende Erankheitsgift  nnBch&dlich  zu  machen  dnrch  Blatsemm  (spe* 
cifiBch-ätiologische  Therapie),  durch  locale  Desinfection. 

Speoiell  bei  den  durch  Bacteriengifte  heryorgerafenen  Krankheiten 
liegt  die  Aufgabe  nahe,  eine  ätiologische  Therapie  dadurch  anzubahnen, 
daBS  man  die  in  den  Organiemus  eingedrungenen  Bacterien  tödtet  oder 
ihre  Vermehrung  oder  die  Bildung  krankmachender  Gifte  hiodert. 

Das  Tuberculocidin  und  das  Antidiphtherin  (Klebs)  erfüllen  nach 
Behring  diese  Ansprüche  absolut  nicht. 

Wir  kennen  nur  ein  einziges  Mittel,  das  direct  vom  Blute  ans 
lebende  Organismen  beeinflusst,  Chinin.  Dabei  handelt  es  sich  um  an- 
dere Organismen  als  Bacterien.  Eisenschitz. 

lieber  die  quantitcUive  Bestimmung  van  DiphUierie-AntitoxinlosungeH. 
Von  B.e bring  und  Bo3r.  Deutsche  med.  Wochenschrift  1894 
Nr.  21. 

Die  Arbeit  schildert  unter  Hinweis  auf  die  zumeist  in  Behring* s 
gesammelten  Abhandlungen  befindlichen  ausführlichen  Mifctheilungen 
den  Gang,  den  die  Versuche  zur  Herstellung  und  zur  Werthbestimmung 
des  Heilserums  genommen.  Die  Wirkung  des  Normalserums  wird  fol- 
gendermassen  definirt: 

a)  1  cm*  Normalserum  hat  bei  getrennter  Einspritzung  Ton  Gift 
und  Antitoxin  lebensrettende  Wirkung  gegenüber  der  zehnfach  tödt- 
liehen  Dosis  einer  48stündigen  Diphtheriebacillencultnr  bei  einer  so 
grossen  Zahl  von  Meerschweinchen,  dass  deren  Gesammtge wicht  5  Kilo 
betr&gt. 

b)  1  cm  '  Normalsernm  schützt  100  g  lebend  Meerschweinchengewicht 
gegenüber  dem  zehnfachen  der  tüdtlichen  Giftdosis  bei  getrennter 
Einspritzung  von  Gift  und  Antitoxin. 

c)  0,1  cm'  Normalserum  neutralisirt  im  Reagensglase  mindestens 
das  Zehnfache  der  tödtlichen  Minimaldosis  von  Diphtheriegifb  für  Meer- 
schweinchen bis  zu  400  g  bezw.  800  g  Gewicht. 

Der  Schluss  klingt  in  eine  Polemik  gegen  ein  tou  der  Schering- 
sehen  Fabrik  in  den  Handel  gebrachtes  Diphtherie-Antitoxin  aus,  welches 
nicht  wie  die  Aufschrift  lautet  ein  20fache8,  sondern  nur  6^  faches 
Normalserum  darstelle.  Escherich. 

lieber  Gewinntmg  und  Verwendung  des  Diphtherieheilserums,  Von 
P.  Ehrlich,  H.  Kossei,  A.  Wassermann.  Deutsche  med.  Wochen- 
schrift 1894  Nr.  16. 

Als  Versuchsthiere  für  die  Gewinnung  der  Blutantitoxine  haben  die 
Verf.  Ziegen  gewählt.  Nachdem  diese  durch  Einverleibung  getddteter 
Dipbtherieculturen  eine  Grundimmunität  erreicht  hatten,  wurde  die 
letztere  durch  eine  Serie  von  steigenden  Mengen  höchst  virulenter 
Culturen  in  die  Höhe  getrieben.  Die  Prüfung  der  antitoxischen  Fähig- 
keit des  Blutserums  geschah  in  der  Art,  dass  Gift  und  Gegengift  schon 
ausserhalb  des  Körpers  auf  einander  einwirkten  und  erst  die  Mischung 
der  beiden  durch  lupeotion  in  den  ThierkÖrper  geprüft  wurde.  Als 
Testgift  dient  ein  mittels  Zusatz  von  %%  Carbol  conservirtes ,  altes 
Bacillenfiltrat,  von  dem  0,3  :  100  g  Körpergewicht  die  tÖdtUche  Dosis 
darstellt.  Als  Normal- Antitoxinlösuns;  wird  jene  bezeichnet,  welche  in 
der  Menge  von  0,1  cm'  im  Stande  ist,  das  Zehnfache  der  zur  Tödtnuf^ 
eines  Meerschweinebens  ausreichenden  Menge  obiger  Giftlösung,  d.  L 
0,8  (•»  1,0  cm'  Behring's  Normalgift)  vollständig  zu  neutralitiren. 
Der  in  einem  Cubikcentimeter  einer  solchen  Normalantitoxinlötung  enthal- 
tene Immunisirungswerth  wird  als   Einheit  (I.-E.)  bezeichnet.     Die  zu 


L  InfectioDskrankheiten.  261 

therapeatifichen  Zwecken  benntzten  AntitoxinlösuDgen  sind  erheblich 
stärker  als  diese  Normallösang.  Bisher  ist  es  gelungen,  ein  COfaches 
Normalantitozin  herzustellen,  d.  h.  in  einem  Cabikcentimeter  dieses 
Serums  ist  ebenso  yiel  Schntzkraffc  enthalten  wie  in  60  Cubikcentimeter 
Normalantitoxin,  also  60  I.-E. 

Mit  den  besten  Serumsorten  wurden  in  den  Berliner  Spitalern  Ver- 
suche  angestellt  an  in  Summa  220  Patienten.  Es  wurde  das  recht 
günstige  Ueilungsprocent  von  76,4,  bei  den  Tracheotomirten  von  65,1 
ersdelt.  Einen  wahren  Einblick  in  den  Nntzeffect  der  Injectionen  erhält 
man  aber  erst,  wenn  man  die  Fälle  nach  den  Krankheitetagen  gruppirt : 


Krankheitstag. 

Behandelt. 

GeheUt. 

Gestorben. 

Heilung  in  %. 

I 

6 

6 

— 

100 

II 

66 

64 

2 

97 

TIT 

29 

28 

4 

86 

IV 

39 

30 

9 

77 

V 

23 

13 

10 

56,5. 

Man  sieht,  dass  die  Sicherheit  des  Erfolges  der  Serumbehandlung 
wesentlich  abhängig  ist  von  dem  Zeitpunkt  nach  der  Erkrankuog,  an 
dem  die  Behandlung  begonnen  wurde,  und  dass  in  den  ersten  Tagen 
Resultate  erreicht  wurden,  wie  sie  bisher  noch  nicht  beobachtet  sind. 

Die  Dosis  des  Diphtherieheilserums  betrug  130—200  I.-E.,  somit 
3 — 4  cm'  jenes  oben  erwähnten  60 fachen  Normalserums,  es  ist  jedoch 
zweckmässig,  mindestens  200  bei  allen  Tracheotomirten  400  I.-E.  zu  inji- 
ciren.  Die  Behandlung  muss  so  frühzeitig  aid  möglich  gemacht  werden. 
Eine  jüngste  Reihe  von  Fällen,  die  mit  wiederholten  Injectionen  be- 
handelt wurden,  ergaben  noch  günstigere  Resultate:  von  SO  Fällen, 
worunter  16  Tracheotomirte,  nur  4  Todte.  Man  soll  deshalb  die  Serum- 
behandlnng  au  demselben  oder  dem  nächsten  Tage  fortsetzen,  wenn  es 
die  Schwere  des  Falles  erfordert  und  kann  bis  1000—1500  I.-E.  in- 
jiciren.    Nachtheilige  Folgen  der  Injectionen  werden  nicht  beobachtet. 

Escherich. 

Ueher  die  Behandlung  der  Diphtherie  des  Menschen  mit  DiphtherieheH- 
Serum.  Von  Dr.  H.  Kossei.  Zeitschrift  f.  Hygiene  u.  Inf. -Kr. 
Bd.  XVII  1894. 

Die  Gefahren,  welche  der  diphtherische  Process  durch  die  früh- 
zeitig, schon  vor  Beginn  der  Behandlung  einsetzende  parenchymatöse 
Degeneration  der  Nerven  und  der  Organe,  durch  die  mechanische  Ver- 
legung der  Luftwege  seitens  der  Membranen,  durch  das  secundäre  Ein- 
dringen anderer  Bacterien  mit  sich  bringt,  sind  so  mannigfaltig,  dass 
es  auf  den  ersten  Blick  kaum  wahrdcheinlich  erscheint,  dass  überhaupt 
ein  einziges,  wenn  auch  noch  so  vorzügliches  Mittel  Heilung  bringen 
kann.  In  der  That  ist  dies  auch  nicht  in  allen  Fällen  und  nur  da  mög- 
lich, wo  die  durch  den  Krankheitsprocess  gesetzten  Veränderungen  nicht 
schon  zu  weit  vorgeschritten  sind.  Immerhin  ist  die  diphtherische  In- 
toxikation das  primäre  und  ausschlaggebende  Moment  und  der  Erfolg 
zeigt,  dass  mit  der  Beseitigung  derselben  durch  die  Serumtherapie  in 
der  That  sehr  günstige  Heilresultate  bei  Diphtherie  erzielt  werden.  Der 
Mittheilung  K.'s  liegen  233  Fälle  zu  Grunde,  die  er  theils  in  den  Ber- 
liner SpitiUern,  theild  in  dem  Institut  für  Infectionskrankheiten  beob- 
achtete. Die  Krankengeschichten  der  letzteren  sind  am  Schlüsse  aus- 
führlich mitgetheilt.  üeber  die  Hälfte  der  Fälle  war  weniger  als  5  Jahre 
alt.  Geheilt  wurden  179  «=»  77  % ;  von  den  72  tracheotomirten  genasen 
41  »=  57  %.    Nach  Krankheitstagen  geordnet  ist  von  den  am  1.  Tag  in 


262  Analecten. 

Behandlung  getretenen  Kindern  keines,  von  den  71  des  2.  Tages  zwei, 
▼on  den  80  des  8.  Tages  vier  gestorben.  Analoge  Erhebungen  im  Kranken- 
hause Friedrichsbain  ergeben,  dass  von  den  innerhalb  der  ersten  drei 
Krankheitetage  Behandelten  immerhin  noch  34%  erlagen.  Eine  an- 
schauliche Curve  illustrirt  das  Gesagte;  erst  am  6. — 6.  Krankheitstage 
schneiden  sich  die  Cnrven. 

Die  Injectionen  hatten  in  frischen  Fällen  ein  kritisches  Absinken 
der  Temperatur  und  Pulsfrequenz  zur  Folge.  Die  Membranbildung 
sistirte,  so  dass  es  in  keinem  einzigen  Falle,  in  dem  zur  Zelt  des  Be- 
ginnens der  Behandlung  nicht  schon  Larynxsjm^tome  bestanden,  solche 
später  hinzugetreten  sind  und  dass  bei  vielen  Kindern,  bei  welchen  zar 
2ieit  des  Beginnens  der  Behandlung  der  Kehlkopf  schon  mehr  oder 
weniger  stark  ergriffen  war,  die  anscheinend  unvermeidliche  Tracheo- 
tomie  unterbleiben  konnte.  Auch  die  Analyse  der  23  Todesfälle  eigiebt, 
dass  ungefähr  bei  der  Hälfte  derselben  aie  Behandlung  erst  in  einem 
so  späten  Stadium  begonnen  werden  konnte,  dass  man  fast  von  vorne- 
herein an  einem  glücklichen  Ausgang  zweifeln  musste.  Zweimal  wurden 
Recidive  beobachtet,  sämmtlich  nach  einer  einmaligen  Injection  in  der 
Höhe  von  160  I.-E.  Escherich. 

1)  Ueher  die  mit  Behring- Ehrlich' achem  DipfUherieheUserum  genuichten 

Erfahrungen.    Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Prof.  Rinne 
im  Elisabethkrankenhause  in  Berlin.    Von  Dr.  Schubert. 

2)  Eesültate  der  Heüserumiherapie  bei  Diphtherie.    Aus  dem  städtischen 

Krankenhause  am  Urban  in  Berlin.   Von  Dr.  Voswinkel.    Deutsche 
med.  Wochenschrift  1894  Nr.  22. 

Die  erstere  Mittheilung  berichtet  über  34  Fälle,  darunter  20  Tra- 
cheotomien,  die  im  Zeitraum  von  5.  II.  —  4.  V.  zur  Behandlung  kameu. 
Es  wurden  Mengen  von  13—- 70  cm*  iigicirt.  Die  Injectionen  wurden 
am  Rücken,  später  am  Oberschenkel  vorgenommen.  Als  einzige  lä- 
stige Folgeerscheinung  traten  sechsmal  scharlachähnliche  Exantheme,  ein- 
mal Urticaria  auf.  Die  localen  Erscheinungen  besserten  sich  rascher, 
auffallend  war  die  belebende  Wirkung,  die  Besserung  des  Allgemeia- 
befindens  und  der  Herzschwäche.  Sechs  Kinder  starben;  es  waren  dies 
solche,  die  erst  in  sehr  vorgeschrittenem  Zustande  zur  Behandlung  ge- 
kommen waren. 

Aehnlich  sind  die  Resultate  bei  den  60  Fällen  des  Krankenhauses 
am  Urban.    Es  waren  darunter 

30  schwere    16  mittelschwere    14  leichte, 
davon  geheilt    50%     „         81%        „  100%  „       ,  insgesammt 

42  oder  70%.  Auch  hier  zeigten  die  in  den  ersten  Krankheitstagen  Be- 
handelten die  weitaus  besten  Resultate.  Auffallend  ist  die  geringe 
Mortalität  des  iweiten  LebenBJahres  (das  erste  Leben^ahr  ist  in  der 
Statistik  nicht  vertreten).  Sämmtliche  fünf  Erkrankte,  worunter  zwei 
tracheotomirte,  werden  gerettet.  Der  Autor  bringt  dies  in  Zusammen- 
hang mit  dem  Umstände,  dass  diese,  auf  das  Körpergewicht  bezogen, 
die  grOssten  Mengen  Heilserum  erhielten.  Ein  Einfluss  der  Injectionen 
auf  die  Temperatur  war  nicht  zu  constatiren,  ebenso  wenig  auf  die 
Membranen.  Doch  waren  die  Heilerfolge  ent-schieden  günstiger  als  in 
der  Zeit,  in  welcher  ohne  Serum  behandelt  wurde.  Es  che  rieh. 

Zur  Diphtheriebehandlung  mit  Heilserum,     Von  Dr.  Canon.    Deutsche 
med.  W.  23  1894. 

Im  städtischen  Krankenhause  Moabit  wurden  mit  Diphtherieheil- 
serum (Behring-Ehrlich)  Versuche  gemacht  ausschliesaUch  bei  Kin- 


I.  Infectionskrankheiten.  263 

dem  unter  IS  Jahren,  und  zwar  im  Juni  1893  an  16,  von  denen  drei 
starben,  eins  an  Sepsis,  eins  an  Herzlähmung  und  ein  oeunmonatUches 
tracheotomirtes  Kind  an  absteigendem  Croup,  andere  sieben  tracheoto- 
mirte  Kinder  wurden  geheilt. 

Vom  1.  XIL  1893  —  22.  III.  1894  wurden  44  Kinder  behandelt,  von 
diesen  starben  elf,  siebzehn  wurden  tracheotomirt,  von  denen  neun  ge- 
heilt wurden.  Unter  den  zwölf  Gestorbenen  waren  vier  moribund  auf- 
genommen worden,  eins  hatte  bereits  Sepsis  bei  der  Aufnahme,  eins 
starb  an  Meningitis  nach  Otitis  med.,  vier  an  parenchymatöser  Ent* 
zändung  innerer  Organe  oder  Herzlähmung,  und  endlich  eins  an  Pneu- 
monie. 

Das  bei  der  zweiten  Gruppe  angewendete  Heilserum  hatte  nur  selten, 
das  bei  der  ersten  Gruppe  oft  einen  Ausschlag  hervorgerufen.  Reci- 
diven  nach  je  8  und  14  Tagen  kamen  zweimal  vor.  Etwaiges  Auftreten 
von  Albuminurie  war  uuabhängig  von  den  Injectionen. 

Die  InjectionsflüsBigkeit  der  zweiten  Gruppe  hatte  bei  acht  recht 
schweren  Fällen  in  einer  Dosis  160 — 200  Immunitätseiobeiten,  von  diesen 
starb  eins  nach  4  wöchentlich  er  Krankheit  au  Herzlähmung. 

In  der  Zeit  vom  1.  VII.  —  1.  XII.  1893  wurden  ohne  Serum  66 
Kinder  behandelt,  von  welchen  20  starben.  Darunter  waren  36  Tracheo- 
tomirte  mit  22  Heilungen,  von  7  Nichttracheotomirten,  die  gestorben, 
hatten  sechs  Sepsis. 

Unter  den  nicht  mit  Serum  Behandelten  gab  es  nur  einen  Fall  von 
Tod  durch  Herzl&hmung,  eine  grosse  Zahl  von  Tracheotomirten ,  und 
zwar  darunter  12  Kinder  im  Alter  unter  zwei  Jahren,  ohne  Serum- 
behaudlung  70%,  mit  Serumbehandlung  76%  Heilungen,  wobei  im 
Allgemeinen  die  nichttracheotomirten  Fälle  die  schwereren  waren. 

Wahrscheinlich  ist  zu  erwarten,  dass  grosse  Dosen  Serum  in  be- 
ginnenden Fällen,  bei  zweckentsprechender  localer  Behandlung  den  Ein- 
tritt von  Gangrän  und  Sepsis  verhüten  können.  Eisenschitz. 


lieber  Anwendung  des  JDiphtherieantiioxins,    Von  Ehrlich  und  Kos  sei. 
Zeitechrift  f.  Hygiene  Bd.  XVII  1894. 

Eine  Zusammenstellung  der  schon  an  anderen  Orten  erwähnten 
Vorschriften  über  die  zu  injicirenden  Antitoxinmengen.  Dieselbe  soll 
für  leichte  400,   füre  schwere  Fälle  1000—1600  I.-E.  betragen. 

Escherich. 

Weitere  Untersuchungen  Über  Diphtherie  und   das   Diphtherieantitoxin. 
Von  Dr.  H.  Aronson.    Berlin,  klin.  Wochenschrift  1894  Nr.  16. 

Gegenüber  der  Anschauung  Behring*s,  dass  die  Schutz-  und 
Heilwirkung  des  Serums  der  gegen  Diphtherie  immunisirten  Thiere  durch 
eine  directe  Zerstörung  des  im  Körper  kreisenden  Giftes  zu  erklären 
sei,  hat  Buchner  die  These  aufgestellt,  dass  die  sog.  Antitoxine  iden- 
tisch sind  mit  den  im  ßacterienleibe  enthaltenen  i mm unisir enden  Sub- 
stanzen, und  dass  die  Wirkung  derselben  als  eine  Immunisirung  der 
noch  nicht  erkrankten  Organe  zu  deuten  sei.  Aronson  zeigt  nun,  dass 
die  im  Beagensglas  bei  directer  Berührung  vor  sich  gebende  Paraly- 
sirung  des  Giftes  eine  sehr  viel  intensivere  ist,  als  wenn  die  beiden 
Sabstanzen  unter  Einschaltung  des  Organismus  auf  einander  einwirken. 
Das  Diphtherieantitoxin  zerstört  also  das  Gift  und  führt  seinen  Namen 
mit  vollem  Rechte.  Escherich. 


264  Analecien. 

Weitere  Unleriuchungen  über  Diphtherie  und  das  Diphtherieantitoxin. 
Von  H.  ArooBon.  II.  Mittheilung.  Berliner  klin.  Wochenschrift 
1894  Nr.  18. 

Die  von  Aronson  Eur  Gewinnung  von  Heilserum  verwendete  Me- 
thode besteht  darin,  dass  er  verschiedene  Thiere,  Rinder,  Ziegen,  Pferde, 
Schafe  zunächst  durch  Injection  alter  auf  70^,  dann  68^  erhitster  Cul- 
turen  immunibirte  und  dann  den  (behalt  des  Blutserums  durch  Injection 
immer  grösserer  Dosen  von  hoch  virulenten  Bacillen  steigerte.  Die  Ge- 
winnung stark  virulenter  Culturen  und  Fil träte  gelang  ihm  unter  An- 
wendung der  Oberflächencultur  der  DiphtheriebacÜlen  in  Bouillon.  Elr 
erhielt  so  Culturen,  von  denen  0,001—0,002  cm'  mittelgrosse  Meer- 
schweinchen in  2  Tagen  tödteten.  Jedoch  ist  die  Gefahr,  durch  su  rasche 
Steigerung  der  Dosis  die  schon  immunisirten  Thiere  zu  verlieren,  hier 
eine  sehr  grosse.  Zur  Prilfung  des  Schutzwerthes  des  Serums  benutzt 
er  die  Ehrlich  *sche  Mischungdmethode.  Die  höchsten  Werthe  gab  ihm 
ein  Serum,  das  dem  200 fachen  Behring' sehen  Normalserum  entspricht 
und  wovon  0,0005  die  für  Meerschweinchen  sicher  tödtliche  Dosis  von 
0,7  Diphtheriegift  bei  der  Mischung  paralysirt.  Escherich. 

Weitere  üntersuchunaen  über  Diphtherie  und  das  Diphtherieantitoxin.  Von 
H.  Aronson.  ill.  Mittheilung.  Berliner  klin.  Wochenschrift  1894 
Nr.  19. 

In  dem  ersten  Theile  berichtet  Verf.  über  eine  Methode  zur  Dar- 
stellung des  Antitoxins  in  fester  Form.  Bisher  geschah  dies  stets  durch 
AustdlluDg  sämmtlichcr  EiweisskÖrper  mit  dem  Serom.  A.  hat  jedoch 
zuf&Uig  die  Beobachtung  gemacht,  dass  die  Aufschwemmung  colloider 
T bonerde  mit  bacterienhaltigen  Bacillencul turen  nicht  nur  wie  er  erwartet 
die  Bacterien  zu  Boden  reisst,  sondern  dass  die  darüberstehende  klare 
Flüssigkeit  auch  frei  ist  von  den  toxischen  Stofien,  die  vorher  darin 
enthalten  waren.  Die  Thonerde  hält  die  Toxine  so  fcbt,  dass  sie 
selbst  durch  WasseräpOlung  kaum  entfernt  werden  kann.  Trennt  man 
jedoch  den  Niederschlag  und  laugt  ihn  mit  schwach  alkalischer  Flüssig- 
keit aus,  so  gehen  96  %  des  Antitoxins  in  Lösung,  die  dann  mit  Alkohol 
gef&llt  und  als  ein  weisses  Pulver  dargestellt  werden  können.  Je 
grösser  die  Menge  der  Antikörper,  um  so  mehr  Thonerde  bedarf  man; 
am  wirksamsten  ist  die  Ausfällung,  wenn  der  Niederschlag  in  dem 
Serum  selbst  Aluminiumsulfat  durch  Zusatz  von  Aluminium hydrozyd  + 
Ammoniak  erzengt  wird.  Aus  dem  Niederschlag  wird  das  Antitoxin 
mittels  alkalischen  Wassers  extrahirt  und  die  Flüssigkeit  im  Yacunm 
eingeengt.  £s  lässt  sich  durch  diese  Methode  eine  weitere  Concentri- 
rung  des  wirksamen  Stoffes  auf  den  hundertsten  Theil  des  früheren  Vo- 
lumens erreichen.  Auch  kann  derselbe  durch  Eindampfen  bis  zum 
Trocknen  oder  durch  AusßLllen  mit  Alkohol  in  fester  Form  als  weisses 
Pulver  dargestellt  werden.  0,000016  g  derselben  reichen  zur  Paraljsi- 
rung  der  sicher  tödtlichen  Dosis  für  Meerschweinchen  aus. 

Mit  den  erhaltenen  Antitoxinen  wurden  bereits  praktische  Versuche 
angestellt,  zunächst  in  ca.  100  Fällen  zu  Immunisirungsz wecken  bei 
diphtheriebedrohton  Kindern  —  mit  Ausnahme  eines  Falles,  in  dem 
sehr  schwach  wirksames  Serum  zur  Verwendung  kam,  ist  niemals  eine 
Erkrankung  der  geimpften  Kinder  vorgekommen.  0,005  der  verwendeten 
Lösung  paraljsirte  die  bekannte  Giftdosis.  Neuerdings  wird  ein  5  fach 
stärkeres  Präparat  hergestellt.  Die  Dauer  des  Impfschutzes  veranschlagt 
Ä.  auf  S — 4  Monate.  Heil  versuche  bei  erkrankten  Kindern  sind  im 
Kaiser-  und  Kaiserin* Friedrich-Krankenhause  angestellt  worden  mit 
einem  Serum,  wovon  0,0()0*25cm^  zur  Paralysiruog  von  0,7  cm^  seines 
Diphtheriegiftes  genügt.  Escherieb. 


I.  InfectioDskrankbeiten.  265 

Zur  Anktitoxiribehandlung  der  Diphtherie,    Von  0.  £atz.    Berliner  klin. 
Wochenschrift  1894  Nr.  S9. 

Die  Mortalität  an  Diphtherie  stellte  sich  bei  1081  Fällen  bisher  im 
Baginsky^schen  Krankenhause  auf  88,9%,  unabhängig  von  der  gerade 
angewendeten  Behandlungsmethode.  Von  Morz  bis  Juni  1894  wurden 
Versuche  mit  dem  von  Aronson  hergestellten  Antitoxin  angestellt. 
Leichte  Fälle  erhielten  6 — 7,  schwerere  20  cm.'  am  ersten  Tage;  am 
folgenden  Tage,  wenn  noch  keine  Besserung  zu  constatiren,  ev.  eine 
zweite  Dosis.  Bei  den  128  so  behandelten  Kindern  ergab  sich  13,2%, 
mit  Hinzuzählung  einiger  nicht  injicirter  Fälle  dieser  Periode  16,5  % 
Sterblichkeit,  somit  ein  erheblich  günstigeres  Resultat,  als  es  jemals 
bisher  erhalten  worden  war.  Ein  Einfluäs  des  Mittels  auf  die  bestehen- 
den Beläge  war  nicht  zu  constatiren;  doch  ist  in  keinem  Fall  der 
diphtherische  Process  nach  der  Aufnahme  noch  auf  den  Pharynx  über- 
gegriffen. Auf  die  Nierenentzündung  schien  es  eher  einen  günstigen 
Einfluss  auszuüben.  Als  Folgeerscheinung  der  Injectionen  sah  er  scharlach- 
äholiche  Exantheme  9  mal  und  Urticaria  4  mal.  Zweimal  stieg  die  Tem- 
peratur nach  der  Injection  und  sank  dann  wieder  rasch  znr  Norm.  Die 
Geschwister  der  Kinder,  die  an  Diphtherie  erkrankt  eingeliefert  wurden, 
wurden  täglich  untersucht  und  beim  ersten  Beginn  der  Erkrankung  in- 
jicirt.  Von  diesen  sind  sämmtliche  Fälle  genesen,  in  keinem  Falle  kam 
es  zur  Entwicklung  schwerer  Erscheinungen.  Escherich. 

Experimentelle  Studien  über  die  Frage  der  Miachinfection  bei  Diphtherie, 
Von  Dr.  Funk.     Zeitschrift  f.  Hygiene  Bd.  XVII  1894. 

Man  nimmt  allgemein  an,  dass  die  Combination  der  Diphtherie- 
bacillen  mit  Streptokokken  die  Prognose  des  Diphtheriefalles  ver- 
schlechtere, und  führt  dies  nach  Roux  und  Yersin  auf  eine  Steige- 
rung der  Virulenz  der  Diphtheriebacillen  durch  diese  Symbiose  zurück. 
F.  cucht  diese  Frage  durch  folgende  Versuchsanwendung  zu  entschei- 
den. Meerschweinchen  erhalten  steigende  Dosen  Antitoxin  und  24 
Stunden  später  eine  constante  Menge  0,85  cm  ^  Diphtheriegift,  die 
nicht  Yorbehandelte  Thiere  mit  Sicherheit  tödtet.  In  einer  zweiten 
Reihe  erhalten  die  in  gleicher  Weise  vorbehandelten  Thiere  gleichzeitig 
mit  dem  Diphtherietoxin  je  1,0  cm*  Streptokokkenbonilloncultur,  von 
einer  schwach  virulenten  Cultnr  stammend,  welche  bei  Meerschweinchen, 
selbst  in  der  doppelten  Menge  eingespritzt,  weder  Ortliche  noch  allge- 
meine Krankheitserscheinungen  hervorruft.  Die  mit  den  kleineren  Anti- 
toxinmengen vorbehandelten  Thiere  gingen  ein,  die  mit  den  grösseren 
blieben  am  Leben,  in  beiden  Reihen  ganz  in  gleicher  Weise,  so  dass 
sich  wenigstens  in  dieser  Versnchsanordnung  ausschliessen  lässt,  dass 
die  Streptokokkenmischinfection  die  Empfänglichkeit  des  Meerschwein- 
chens für  das  Diphtheriegift  erhöhe. 

Anders  waren  die  Resultate,  wenn  statt  der  Giftlösung  lebende  Gnl- 
turen  0,1  cm '  verwendet  wurden.  Während  von  den  nur  mit  Diphtherie 
injicirten  Thieren  ebenso  wie  früher  die  mit  kleineren  Serummengen 
vorgeimpften  erlagen,  die  mit  den  grösseren  Mengen  vorgeimpften  da- 
gegen die  Infection  ohne  Erkrankung  überstanden,  sind  in  diesem  Falle 
sämmtliche  gemischt  inficirte  Thiere  erkrankt  und  zum  Theil  gestorben. 
Erst  wenn  die  Serummenge  auf  ca.  das  Doppelte  gesteigert  wurde, 
blieben  noch  die  gemischt  inficirten  Thiere  am  Leben.  Es  spricht  dies 
dafür,  dass  der  Einfluss  der  Streptokokken  sich  in  einer  gesteigerten 
Wirkung  der  Diphtheriebacillen  äussert.  Versuche,  die  mit  (für  Mäuse) 
hochvirulenten  Streptokokken  angestellt  wurden,  hatten  das  gleiche 
Resultat.  Schluss:  Sicherlich  üben  bei  gleichzeitiger  Injection  die 
Streptokokken   auf  Diphtheriebacillen  einen   Einfluss   der  gesteigerten 

Jahrbuch  f.  Kiuderheilknnde    N.  F.   XXXIX.  18 


266  ÄDalecien. 

Oiftbildanff  »as.  Dieser  Einflass  ist  aber  nicbt  so  betcftcbüicb,  wie  die 
Aatoren  bisher  angenommen  haben.  Auch  hindert  die  gleichseitige  An- 
wesenheit von  Streptokokken  in  keinerlei  Weise  die  specifische  Beein- 
flussung des  Diphtheziegiftes.  Escherich. 

Zur  Pathogenese  der  Diphtherie,  Vortrag  in  der  p&diatr.  Section  des 
XI.  internationalen  Congresses  in  Rom.  Von  Dr.  Th.  Escherich. 
Wiener  klin.  Woch.  Nr.  22.    1894. 

Eine  Reihe  bacteriologischer  und  experimenteller  Untersuchungen 
haben  E.  sur  Aufstellung  nachfolgender  Thesen  geführt: 

1.  Zum  Zustandekommen  der  diphtherischen  Erkrankung  ist  ausser 
dem  Bacillus  und  der  Möglichkeit  seiner  Invasion  noch  das  Vorbanden« 
sein  einer  specifischen  Empfänglichkeit  seitens  des  Oewebes  des  su  in- 
ficirenden  Organismus  erforderlich.  (Die  Disposition  kann  eine  örtliche 
und  allgemeine  sein  und  beide  können  sich  yerschieden  verhalten.) 

2.  Das  Verhalten  der  örtlichen  und  allgemeinen  Disposition,  erst  in 
zweiter  Linie  die  grössere  oder  geringere  Virulenz  des  Bacillus  sind 
maassgebend  für  den  Verlauf  der  Einzelerkrankung.  (Bei  vorhandener 
allgemeiner  Disposition  —  Giftempfänglichkeit  —  erfolgt  der  Tod  in 
der  Regel  durch  die  seitens  des  resorbirten  Giftes  in  den  lebenswich- 
tigen Organen  erzeugten  parenchymatösen  Veränderungen.) 

8.  Auch  andere  und  selbst  saprophytische  Bacterien,  sowie  deren 
Stoffwechselprodocte  können  von  Einfluss  sein  auf  die  Ausbreitung  und 
den  klinischen  Verlauf  des  Processes.  (Die  durch  Secundärinfection  mit 
Streptokokken  entstehende  septische  Diphtherie  scheint  in  einer  Durch- 
seuchung des  Körpers  mit  der  ersteren,  r^sp.  mit  deren  Stoffwechsel- 
producten  und  in  der  dadurch  erhöhten  Empfänglichkeit  des  Körpers 
für  das  Diphtheriegift  begründet  zu  sein.  Umgekehrt  scheinen  gewisse 
Staphylokokken  sich  zu  verhalten.) 

4.  Die  Heilung  des  Krankheitsprocesses  erfolgt  durch  Immunität 
des  erkrankten  Organismus,  sodass  die  früher  vorhandene  Disposition 
beseitigt  ist,  ja  in  das  Gegentheil  verwandelt  wird.  (Die  durch  das 
Ueberstehen  des  diphtherischen  Processes  erworbene  Immunität  ist  eine 
kurzdauernde;  sie  vermag  nicht  vor  einer  zweiten  Erkrankung  zu 
schützen  wenn  auch  diese  letztere  dann  meist  leichter  verläuft  als  die 
erste.)  Unger. 

Zur  KenfUniss  der  DipJUheriebaciüen.  Nachweis  von  Diphtheriebacillen 
in  den  ersten  Wegen  eines  Diphtherie-Kecocvalescenten  bis  zum  65. 
Ta^e  nach  Ablauf  der  Racbenerkrankung.  Beobachtungen  über 
Rhinitis  fibrinosa.  Von  Dr.  Abel.  Deutsche  med.  Wochenschrift 
1894  Nr.  86. 

Inhalt  aus  dem  Titel  ersichtlich.  Die  beiden  Fälle  von  Rhinitis 
fibrinosa  sind  dadurch  bemerkenswerth ,  dass  die  Membranen  sich  nur 
auf  einer  Nasenhälfte  befanden,  während  die  Impf  uns  in  beiden  Nasen- 
hälften Bacillen  nachwies.  Im  Rachen  bestand  weder  Röthung  noch 
Belag.  Escherich. 

Zur  Aeliologie  und  Statistik  des  Diphtherie.  Von  Dr.  P.  Philip.  Archiv 
f.  Kinderheilkunde  Bd.  XIV  1898. 

Verf.  berichtet  über  die  Resultate  der  baoteriologischen  Unter- 
suchung bei  den  vom  1.  Augast  1891  bis  81.  Dec.  1892  in  das  Kaiser- 
und  Kaiserin  Friedrich-Krankenhaus  aufgenommenen  diphtheriekranken 
oder  diphtherieverdächtigen  Kindern.  Es  sind  420  Patienten,  876  der- 
selben wurden  bacteriologisch  untersucht.    Es  wurden  gefunden: 


I.  InfeciionBkraDkheiten.  267 

beim  ersten  Aasstrich   BeinculturoD  Ton  Diphtheriebacillen  91  mal 

„        „            „        fast  Beincultnren  „               „  54  mal 

„        ,,           ,1        reichlich  Bacillen  neben  vielen  Kokken  181  mal 

erst  bei  wiederholtem  Ausstrich  Bacillen  6  mal 

nur  Kokken  44  mal. 

Von  den  332  Fällen,  in  welchen  die  Untersuchung  die  Anwesenheit  von 
Löffler 'sehen  Bacillen  ergab,  wurden  geheilt  208,  was  einer  Mortalität 
Ton  39,3  %  entspricht.  Um  10  %  günstiger  war  dieselbe ,  wenn  nur 
diejenigen  Fälle  ausgewählt  wurden,  in  welchen  Geschwister  erkrankten. 
Das  Biesultat  ist  wohl  dadurch  veranlasst,  dass  die  der  ersten  nach- 
folgenden Erkrankungen  früher  beachtet  und  behandelt  wurden.  Von 
343  Fällen  wurden  123  b»  36,1  %  tracheotomirt  oder  intubirt;  von  diesen 
32  »  25  %  geheilt.  Lähmungen  kamen  in  60  Fällen  >»  17,4  %  zur  Be- 
obachtung. Escherioh. 

Aetiologische  und  klinische  Beiträge  eu/r  Diphtherie,  Aus  dem  Kinder- 
spital zu  Basel.  Von  Dr.  Emil  Feer.  Separatabdruck  aus  den 
Mittheilungen  aus  Kliniken  und  medicinischen  Instituten  der  Schweiz. 
I.  Beihe,  Heft  Vll,  1894. 

Der  erste  bacteriologische  Theil  der  Arbeit  enthält  die  Besultate 
der  Züchtungsversuohe,  welche  der  Verf.  als  langjähriger  Assistent  des 
Kinderspitales  seit  dem  Februar  1892  bei  den  eingebrachten  Diphtherie- 
kranken angestellt  hat.  Es  fanden  sich  darunter  neben  38  Fällen  ba- 
cillärer  Diphtherie  6  mal  membranöse,  von  echter  Diphtherie  klinisch 
nicht  zu  unterscheidende  Anginen,  in  denen  der  von  Boux,  Martin, 
Barbier  beschriebene  Coccus,  dagegen  keine  Diphtheriebacillen  vor- 
handen waren.  Unter  elf  als  lacunäre  Anginen  bezeichneten  Fällen  waren 
zwei  diphtherischer  Natur.  Endlich  wurden  gelegentlich  einer  im  Kinder- 
spital ausgebrochenen  Hausepidemie  einmal  auf  normaler,  einmal  auf 
katarrhalisch  gerOtheter  Schleimhaut  virulente  Diphtheriebacillen  ge- 
funden. 

Dem  epidemiologischen  Theil  liegt  das  Material  zu  Grunde,  das 
durch  die  seit  dem  Jahre  1875  für  Basel  eingeführten,  obligatorischen 
Infectionsanzeigen  geschaffen  wurde.  Es  sind  im  Ganzen  bis  zum  Jahre 
1891  4073  Diphtheriefälle  mit  ca.  13  %  Mortalität  oder  47  Todesfällen 
pro  100  000  Einwohner.  Unter  kritischer  Würdigung  der  bei  den  In- 
fectionsanzeigen unterlaufenden  Fehlerquellen  und  gestützt  durch  ge- 
naue Localkenntniss  führt  dann  Verf.  die  Verbreitungs weise  der  Diphtherie 
in  Basel  vor.  Die  Contagion  spielt  dabei  nur  eine  nebensächliche  Bolle 
und  wird  durch  die  Seltenheit  der  Disposition  sehr  otfc  vereitelt.  Als 
eigentliche  Infectionsherde  sind  dagegen  die  durch  die  Answurfsstoffe 
der  Erkrankten  durchseuchten  Wohnungen  und  Häuser  zu  betrachten, 
in  denen  das  Gift  unter  dem  begünstigenden  Einfluss  von  Unreinlich - 
keit,  Feuchtigkeit,  Dunkelheit  sich  durch  lange  Zeit  lebensfähig  erhalten 
kann.  Insbesondere  sind  die  Kinder  in  dem  zweiten  bis  sechsten  Lebens- 
jahre gefährdet,  in  welchem  Alter  sie  die  bedenkliche  Neigung  haben, 
alle  in  ihrem  Bereich  befindlichen  Gegenstände  zu  betasten  und  die- 
selben, oder  die  beschmutzten  Hände  zum  Munde  zu  führen. 

Trotzdem  entstehen  (infolge  der  Seltenheit  der  Disposition)  nur 
ausnahmsweise  plötzliche  Massenerkrankungen  in  einem  solchen  durch- 
seuchten Hause.  Die  grossen  Zahlen  von  Erkrankungen  in  einem  Hause 
entstehen  vielmehr  erst  langsam  im  Laufe  der  Jahre  durch  immer 
wiederholtes  Hinzutreten  neuer  Fälle. 

Das  dritte  Capitel  ist  der  Betrachtung  der  im  Baseler  Kinderspitale 
ausgeführten  Tracneotomien  gewidmet.  Es  ergiebt  sich  dabei  die  er- 
freuliche Tbatsache,  dass  von  333  dem  Erstickungstode  Verfallenen  136 

18» 


268  Analecten. 

s»  40%  gerettet  worden.  Verf.  schreibt  dieses  günstige  Resultat  dem 
«ni  Ideren  und  langsameren  Verlaufe  der  Diphtherie  und  dena  selteneren 
Hinzutreten  septischer  Complicatiooen  zu.  Die  Fälle  ohne  Betheiligung 
der  Rachenorgane  boten  eine  20  %  gCInstigere  Mortalität  als  die  Bachen- 
diptbherien.  Nachdem  bezfiglich  des  späteren  Schicksales  der  durch 
Tracheotomie  geretteten  Kinder  verschiedene  Meinungen  bestehen,  hat 
er  die  Gelegenheit  wahrgenommen,  80  der  im  Kinderspitale  Operirten 
genau  zu  untersuchen.  Er  fand  68  derselben  normal,  in  gutem  Ernäh- 
rungszustände, bei  22  geringfügige  Störungen  der  Stimmbildung  und  der 
Respiration.  Es  waren  dies  vorzugsweise  solche,  die  mittels  Dnrch- 
schneidnng  des  Bingknorpels  operirt  worden  waren.  Es  erwies  sich  also 
auch  in  dieser  Richtung  Cricotracheotomie  als  die  minderwerthige 
Operationsmethode  gtgenüber  der  reinen  Tracheotomia  superior  oder 
der  inferior.  Die  gründliche,  anregend  geschriebene  Studie  sei  Allen, 
die  sich  für  die  Frage  interessiren,  wärmstens  empfohlen. 

Escherich. 

Koplik:  Acute  lacunar  diphtheria  of  the  t&nsils  wiih  studies  on  ihe  re- 
lation  of  ihe  recU  to  ihe  Pseudohacülua  diphtheriae,  New- York,  Me- 
dical  Journal  March  1894. 

Verf.  berichtet  über  eine  Reihe  von  Fällen,  in  welchen  eine  durch 
den  bacteriologischen  Nachweis  sichergestellte  Diphtherie  unter  dem 
Bilde  der  acuten,  lacunären  Mandelentzündung  verlief.  In  drei  Fällen 
war  die  Affection  so  leicht,  dass  sie  ohne  zufdllige  Inspection  der 
Rachenhöhle  kaum  bemerkt  worden  wäre.  In  drei  weiteren  Fällen  be- 
standen ausgesprochene,  entzündliche  und  AUgemeinsjmptome,  weisse 
Pfropfe  in  den  stark  geschwellten  Tonsillen,  aber  keine  zusammen- 
hängende Membran.  Zwei  der  Patienten  hatten  auch  leichte  croupöae 
Erscheinungen.  In  dem  siebenten  Falle  schien  im  Beginn  gleich£üls 
nur  eine  heftige  lacunäre  Tonsillitis  zu  bestehen,  bis  sich  am  dritten 
Tage  Ausfluss  aus  der  Nase  und  Erscheinungen  einer  septischen  Diphtherie, 
Lymphdrüsenschwellung  etc.  hinzugesellte,  welcher  das  Mädchen  erlag. 
Verf.  zieht  den  Schluss,  dass  die  diphtherische  Natur  derartiger  Fälle 
nur  durch  bacteriologische  Untersuchung  erkannt  werden  kann,  die 
deshalb  auch  vom  praktischen  Arzte  erlernt  und  geübt  werden  sollte. 

In  dem  zweiten,  bacteriologischen  Theil  seiner  Arbeit  führt  K.  aus, 
dass  die  Schwere  des  Falles  unabhängig  ist  von  dem  Virulenzgrade  der 
Bacillen;  bei  den  leichtesten  Fällen  werden  hochvirulente  Bacillen  ge- 
funden. Als  interessanter  Beitrag  zur  Fra^e  über  das  Verhältniaa  de« 
Pseudodiphtheriebacillus  zum  echten  Löttler'schen  Bacillus  berichtet 
er  Über  das  Vorkommen  des  ersteren  bei  zwei  Kindern,  welche  drei  resp. 
vier  Wochen  früher  eine  unter  dem  Bilde  der  katarrhalischen  Angina 
verlaufene  Diphtherie  mit  virulenten  Bacillen  überstanden  hatten.  Der- 
selbe war  selbst  in  der  Menge  von  8  cm '  eingespritzt  für  Thiere  nicht 
pathugen  und  besass  die  dem  Hoff  man  n-Löfflcr*8cben  Bacillus  zu- 
kommenden Wachsthumseigenthümlichkeiten:  üppige  Entwicklung  auf 
Agar,  keine  Säuerung  der  Bouillon.  Verf.  neigt  zu  der  Annahme,  dass 
bei  dem  wochenlangen  Aufenthalt  des  Diphtheriebacillus  in  der  Tiefe 
der  Schleimhautlacnnen  die  Virulenz  desselben  durch  die  schädlichen 
Einflüsse  der  Körpersüfte  oder  der  Leukocyten  abgeschwächt  werde. 

Escherich. 

Die  bacteriologische  Diaanose  der  Diphtherie  und  ihre  praktische  Bedeu- 
tung. Von  Peter  F.  HolBt.  Norsk  Mag.  f.  Lägevidensk.  S.  325.  — 
Nord.  med.  ark.     N.  F.  III.  6  Nr.  34.    S.  6.  1893. 

Vf.  bat  elf  Halsaffectionen  untersucht,  die  mehr  oder  weniger  Aehn- 
lichkeit  mit  Diphtherie  hatten;  in  drei  Fällen  fSemd  sich  der  Löff  1er 'sehe 


I.  Infeotionskrankheiten.  269 

Bacillns,  in  den  übrigen  fanden  sich  Terschiedene  Mikroorganismen , 
wesentlich  Staphylokokken  und  Streptokokken;  in  einem  dieser  letzteren 
F&Ile  waren  alle  Erscheinungen  einer  typischen  Diphtherie  vorhanden, 
der  spätere  Verlauf  aber  entsprach  der  bacteriologischen  Diagnose. 

Walter  Berger. 

Angines  pseudo-diphUritiques.    Von    M.  Lebon.    Gkueette  des  höpitaux 
1898  Nr.  109. 

Das  Wesen  der  pseudo-diphtheritischen  Anginen,  in  deren  Gefolge 
keine  Lähmungserscheinungen  auftreten,  ist  erst  seit  wenigen  Jahren 
bekannt.  Doch  schon  Bretonneau  schied  die  dipbtheritische  von  der 
Scharlachangina,  und  auch  Trousseau  war  von  der  Verschiedenheit 
beider  Entzündungsformen  überzeugt.  Doch  erst  der  bacteriologischen 
Untersuchung  sollte  der  definitive  Nachweis  der  Verschiedenheiten  beider 
so  ähnlichen  Erankheitsformen  vorbehalten  sein.  Die  Structur  der  Pseudo- 
membranen ist  immer  dieselbe.  Stets  besteht  die  Membran  aus  Epithel- 
Zeilen  von  un regelmässiger  Gestalt,  die  in  ein  Netzwerk  von  Fibrin- 
Aden  eingelagert  sind.  Die  von  den  Membranen  bedeckte  Schleimhaut 
ist  häufig  völlig  gesund,  doch  bisweilen  ist  sie  auch  der  Sitz  lebhafter 
Entzündungen,  wobei  das  Epithel  zu  Grunde  gegangen  ist.  Bei  der 
Diphtherie  findet  man  stets,  oft  allein,  oft  in  Gemeinschaft  mit  Strepto- 
kokken oder  anderen  Kokken,  die  Löff  1er 'sehen  Bacillen.  In  den 
pseudomembranösen  Anginen  nicht  diphtheritischer  Natur  fehlen  die 
L ö ff I er* sehen  Bacillen;  bei  ihnen  sind  Strepto-  oder  Staphylokokken, 
selbst  Pneumoniekokken  vorhanden.  Alle  diese  Mikroorganismen,  die 
sich  auch  im  gesunden  Zustande  im  Munde  aufhalten,  bedürfen  zu 
ihrer  Entwickelang  jedenfalls  noch  besonderer  Bedingungen,  hauptsäch- 
lich einer  Verletzung  der  Schleimhäute  des  Mundes  und  des  Rachens, 
BO  bei  Lues,  bei  Verbrennungen,  Tonsillotomien  etc.  In  anderen  Fällen, 
bei  Scharlach,  Typhus  und  Pocken  treten  die  Pseudomembranen  nicht 
selten  bei  einfachen  Anginen  auf.  Man  theilt  demnach  die  Anginen  in 
zwei  grosse  Gruppen,  in  ursprünglich  und  secundär  auftretende.  Die 
ersteren  sind  ziemlich  häufig;  so  fand  Baginsky  von  164  Fällen  mit 
Pseudomembranen  86  die  nicht  diphtheritischer  Natur  waren  ^  und 
Martin,  der  200  Kinder  untersuchte,  86  ohne  Löff  1er 'sehe  Bacillen. 
Der  Verfasser  bespricht  nun  die  einzelnen  Formen  der  Anginen,  je  nach 
den  Mikroorganismen,  durch  die  sie  hervorgerufen  worden  sind.  Er 
unterscheidet  folgende  primäre  Formen: 

1.  Angines  ä  coccns.  2.  Angines  ä  staphylocoques.  3.  Angines  ä 
streptocoques,  und  4.  Angines  ä  pneumocoques. 

Die  erste  Form  ist  zuerst  von  Bouz  und  Ter  sin  beschrieben 
worden,  die  sie  8  mal  beobachteten.  Der  Verlauf  ist  nur  selten  schwer, 
trotzdem  dass  das  Fieber  zwischen  39  und  40^  schwankt.  Eine  Eigen- 
thümlichkeit  dieser  Erkrankung  sind  die  vielen  Becidive.  Die  Kokken 
erscheinen  in  drei  Arten:  am  näufigsten  ist  ein  kleiner  Coccus  (häufig 
Diplococcns),  der  nach  Roux  und  Ter  sin  auf  Serum  und  Nährgelatine 
am  besten  gedeiht  in  zahlreichen  transparenten  Colonien. 

Die  zweite  Form  ist  häufiger;  es  finden  sich  hierbei  sowohl  der 
Staphylococctts  albus  wie  aureus.  Auch  diese  Form  verläuft  meist  gut- 
artig. Am  häufigsten  wird  die  dritte  Form  beobachtet,  die  im  Allge- 
meinen auch  in  Heilung  ausgeht  und  nur  in  seltenen  Fällen  zum  Tode 
führt  (dann  meist  nach  Verlauf  von  4—6  Tapfen).  Diese  Art  hat  die 
grösste  Aehnlichkeit  mit  Diphtherie  und  nur  die  bacteriologische  Unter- 
suchung schützt  vor  Irrthum.  In  den  schweren  Formen  finden  sich 
nicht  selten,  wie  bei  der  toxischen  Diphtherie,  an  den  Extremitäten  und 
am  Stamm  scharf  umschriebene,  rothe  Flecken  oder  ein  scharlaohähn- 


270  Analecten. 

liebes  Exanthem.  Die  bacteriologische  Untersiicbüiig  seigt  bei  Cnlior- 
versucben  eine  grosse  Zabl  kleiner,  paDktfSrmiger  Colonien,  der  darin 
entbaltene  Streptococcus  bat  jj^ans  die  Eigenscbaften  des  Streptococcus 
pyogenes  and  erysipelatos.  Die  Angina  mitPneumokokken  ist  nnr 
einmal  TOn  Jaccond  bei  einem  19j&brigeu  jungen  Mann  beobachtet 
worden,  der  mit  den  Erscheinungen  schwerer  Diphtherie  in  das  Hospital 
kam.  Am  9.  Tage  ffing  das  höbe  Fieber  cur  Norm  zurflck.  Die  bacte- 
riologische Untersuchunff  ergab  das  fast  ausschliessliche  Vorhandensein 
des  FränkeTschen  DipTococcns  pneumoniae. 

Die  secundären  pseudo-diphtheritischen  Anginen  zerfallen  in  die 
Scharlacban^na,  die  Angina  bei  Masern,  bei  Syphilis,  bei  Tonsillotomie 
und  die  Angina  herpetica. 

Die  Scharlachangina  ist  mit  der  diphtheritischen  keineswegs  iden- 
tisch, eine  Ansicht,  die  wohl  jetzt  als  allgemein  feststehend  angenommen 
werden  darf.  Sie  ist  durch  Streptokokken  hervorgerufen,  nie  durch  die 
Löffle r 'sehen  Bacillen,  deren  Vorhandensein  als  eine  Infection  eui 
generis  anzusehen  ist  Häufig  finden  sieh  noch  der  Staphylococcus 
aureus  und  albus  und  des  Bacterium  coli  commune,  bisweilen  auch  ein 
Streptococcus,  der  dem  Streptococcus  pyogenes  sehr  ähnlich  ist  (Löffler), 
und  ein  dem  Streptococcus  des  Erysipels  nahestehender  (Heubner). 
Bei  der  Masemangina  fand  Boulloche  Streptokokken,  bei  der  Laryn- 
gitis nach  Pocken  Netter  den  Staphylococcus  pyogenes.  Bei  der  Sy- 
philis hat  die  Untersuchung  der  Pseudomembranen  noch  nicht  zu  einem 
abschliessenden  Resultate  geffihrt,  während  bei  den  Anginen  nach  Ton- 
sillotomie Streptokokken  und  in  seltenen  Fällen  auch  Staphylokokken 
die  Krankheitserreger  waren.  Aehnliches  zeigten  auch  die  Pseudomembra- 
nen am  Frenulum  linguae  der  keuchhustenkranken  Kinder.  Auch  bei 
der  Angina  herpetica,  bei  der  oft  grosse  Pseudomembranen  vorkommen, 
ist  nie  der  LO ff  1er 'sehe  Bacillus  beobachtet  worden. 

Im  Anschluss  an  die  Schilderung  der  verschiedenen  Anginen  spricht 
der  Verfasser  von  der  Nothwendigkeit  der  baoteriologischen  Unter- 
suchung mit  Bflcksicht  auf  Prophylaxe  und  Isolirung.  Als  bestes 
Mittel  gegen  die  nicht  diphtheritische  Angina  schlägt  er  Gurgelungen 
mit  V,  pro  miUe  Sublimatlösung  vor.  Die  Membranen  sollen  durch 
Wattetampons  entfernt  werden.  Fritzsche. 

Le»  angines  ä  fausses  men'hranes.  Von  Dr.  P.  Boulloche.  Bes.  in 
Progräs  m^dical  1893  Nr.  24. 

In  einer  Monographie  bespricht  der  Verfasser  diejenigen  Entzfin- 
dungsformen  des  Halses,  die  durch  Bildung  von  Pseudomembranen  aus- 

Sezeichnet  sind.  Die  häufigste  und  wichtigste  Erkrankung  ist  die 
iphtheritische.  Doch  es  giebt  noch  genug  andere,  die  wohl  der  Di- 
Shtherie  gleichen,  aber  doch  nicht  diphtherische  Anginen  sind.  Es  ist 
eshalb  mit  Rficksicht  auf  die  Therapie  und  Prophylaxe  sehr  wichtig, 
diese  Pseudodiphtherie  möglich  frühzeitig  zu  erkennen.  Mit  Hilfe  der 
Mikroskopie,  durch  die  bei  der  echten  Diphtherie  die  bekannten  Stäb- 
chen nachgewiesen  werden  können,  ist  der  Arzt  schon  frühzeitig  in  der 
Lage,  die  richtige  Diagnose  stellen  zu  können.  Es  wird  daher  die  leicht 
vorzunehmende  mikroskopische  Untersuchung  der  suspecten  Anginen 
warm  empfohlen.  Fritzsche. 

Zur  Wirkung  des  Lichtes  auf  den  Diphtheriebaciüus,  Von  Dr.  Ledoux- 
Ledard,  Chef  des  bacteriologischen  Laboratoriums  des  „Pariser 
Kinderspitales**.  Revue  mensuelle  des  maladies  de  Tenfancc.  Februar^ 
heft  1894. 

Es  ist  eine  bekannte  Thatsache,  dass  das  Licht  auf  die  Lebens- 
fähigkeit der  Bacterien  im  Allgemeinen  schädigend   einwirkt  und  da- 


I.  Infectionskranklieiten.  271 

durcli  SU  einem  wirksamen  Prophylaciicum  wird.  Dieser  allgemeinen 
Begel  entzieht  sich  anch  der  Dipntheriebacillus  nicht,  wie  die  Arbeiten 
von  D^Espine  und  Marignac  nnd  von  Boox  und  Tersin  nachge- 
wiesen haben.  Um  diese  Thatsachen  nachsuprflfen,  unternahm  Verfiuser 
eine  Reihe  von  VerBUchen  und  kommt  zu  folgenden  Schlüssen: 

Die  Wirkung  des  diffusen  Lichtes  auf  Diphtheriebacillen  in  neu- 
traler Fleischbrühe  ist  null,  gross  dagegen  bei  directem  Sonnenlichte.  Auf 
solche  in  destillirtem  Wasser  snspendirt,  wirkt  diffuses  Licht  ebenfalls 
vernichtend.  In  letzterem  Falle  wirken  diffuses  Licht  und  destillirtes 
Wasser  gemeinsam. 

Trockene  Diphtheriebacillen,  in  dünnen  Schichten  ausgebreitet, 
werden  in  weniger  als  zwei  Tagen  durch  diffuses  Licht  getödtet. 

Sonnenlicht  wirkt  noch  schneller  als  diffuses  Licht. 

Die  baoterientödtende  Wirkung  des  Lichtes  kommt  fast  ausschliess- 
lich den  am  stärksten  brechenden  Strahlen  zu^  wogeffen  die  schwach 
brechenden  Strahlen  fast  keinen  Einfluss  haben.  Yerrasser  brachte  zu 
diesen  Versuchen  die  zu  beleuchtenden  Bacterienaufschwemmungen  in 
5  mm  dicke  Böhrchen,  welche  er  in  8  cm  dicken  Röhren  befestigte, 
wovon  die  einen  mit  Wasser,  die  andern  mit  Lüsung  von  Eapfer- 
sulfat  und  wieder  andere  mit  chromsaurem  Kali  gefüllt  waren. 

Das  Licht  kann  also  bei  der  Desinfection  von  mit  Diphtheriebacillen 
inficirten  Localen  günstig  mitwirken,  aber  nicht  allein,  sondern  nur  als 
Adjnvans. 

Den  in  PFeudomembranen  verl)orgenem  und  dem  Lichte  ausge- 
setzten Diphtheriebacillen  kann  letzteres  nur  schwer  beikommen.  Sie 
behalten  ihre  Virulenz  bei.  (Wo  die  Sonne  nicht  hinkommt,  kommt  der 
Arzt  hin.    Anmerk.  des  Referenten.)  Albreoht. 

Note  sur  un  tnode  de  propagation  de  la  diphtherie.    Von  Deschamps 
Progräs  mädical  1898  Nr.  8  p.  147. 

Li  der  Gesellschaft  für  öffentliche  Medicin  und  Gesundheitspflege 
theilt  der  Vortragende  folgende  zwei  Fälle  von  Spätübertragung  der 
Diphtherie  mit: 

Ein  diphtheriekrankes  Kind  wird  in  das  Spital  gebracht,  das  es 
nach  drei  Wochen  gesund  verlässt.  Sechs  Tage  nach  seiner  Rückkehr 
erkrankt  sein  Bruder  und  stirbt.  Im  zweiten  Falle  erkrankt  und  stirbt 
auch  das  zweite  Kind,  nachdem  das  erste  nach  8  wöchentlichem  Kranken- 
hausaufenthalte gesund  der  Familie  zurückgegeben  war.  In  beiden 
Fällen  handelt  es  sich  nicht  etwa  um  üebertragung  des  Krankheits- 
Stoffes  durch  Kleider  oder  Spielsachen  der  zuerst  erkrankten  Kinder, 
denn  diese  Dinge  waren  im  Krankenhause  gründlich  desinficirt  worden, 
sondern  vielmehr  um  Ansteckung  durch  die  noch  in  der  Mundhöhle  des 
Genesenen  enthaltenen  Bacillen.  Es  müssen  also  bei  dem  langen  Ver- 
weilen der  pathogenen  Keime  in  dem  Munde  des  scheinbar  Geheilten 
mindestens  1  bis  2  Monate  vorübergehen,  ehe  die  Diphtherie-Reconvales- 
centen  wieder  in  ihre  Familien  zurückkehren  dürfen 

Am  besten  dürften  dafür  bestimmte  Stationen  für  Reconvalescenten 
eingerichtet  werden.  Fritzsche. 

Diphtherie  \md  Epidemiegesetze,    Von   Biering.     Ugeskr.  f.  Läger  6. 
R.  L  28.    1894. 

B.  erkennt  an,  dass  die  neueste  dänische  Gesetzgebung  in  Bezuff 
auf  ansteckende  Krankheiten  wohl  den  früheren  umständlichen  und 
langsamen  Geschäftsgang  zum  Theil  gründlich  geändert  habe,  er 
meint  aber,  dass  eine  resolute  und  ezacte  Durchführung  der  AnstiJten, 
die    die    Bevölkerung    wirksam    gegen    die    Ausbreitung    ansteckender 


272  Analecten. 

Krankheiten  schützen  sollen,  noch  nicht  erreicht  sei  Im  Jabxe  1861 
fanden  sich  in  D&nemark  650  Fälle  von  Diphtherie  in  dem  Jahresbericht 
des  GesondheitsGolleginrns  anfgeseichnet,  in  den  folgenden  fOnf  Jahren 
stieg  die  Zahl  bis  naheza  18000  im  Jahre  1866,  von  da  an  sank  sie 
wieder  bis  anf  circa  2000  im  Jahre  1872,  dann  stieg  sie  wieder  binnen 
drei  Jahren  anf  circa  4000,  in  den  folgenden  11  Jahren  schwankte  sie 
Bwischen  5000  nnd  9000,  stieg  dann  wieder  bis  anf  circa  19  000  im 
Jahre  1893.  Walter  Berger. 

A  Cantribution  to  the  paihology  of  experimenial  DipMheria,  with  spedai  re- 
fertnce  to  the  appearence  of  secondary  foci  in  the  internal  organs. 
By  A.  C.  Abbott  and  A.  A.  Ghriskey.  The  John  Hopkins 
Hospital  Bulletin  Nr.  80.   April  1893. 

Bei  Untersuchung  der  durch  Diphtheriebacillen  getödteten  Meer- 
schweinchen wurden  Verf.  auf  eine  bisher  noch  nicht  beschriebene  Ver- 
änderung im  grossen  Netse  aufmerksam.  Es  sind  dies  kleinste  Knöt- 
chen, die  grössten  an  der  Greose  der  makroskopischen  Sichtbarkeit,  die 
meisten  erst  bei  mikroskopischer  Untersuchuug  erkennbar,  die  aus  einer 
Anh&ufuDg  von  polynucleären  Leukocyten  bestehen.  Die  Mehrsahl  dieser 
Zellen  enthält  Bacterien,  die  morphologisch  als  Diphtheriebacillen  an- 
zusprechen sind.  In  einem  Falle  gelang  es  noch  ans  einem  ungewöhn- 
lich grossen  Knoten  dieselben  in  Reincmtar  und  in  virulentem  Znstande 
zu  zSchten.  Sie  liegen  vorzugsweise  am  freien  Rande  des  Netzes  unter 
der  Serosa,  oder  noch  in  den  Lymphränmen  zwischen  den  Schichten  des 
Peritoneums.  Von  dem  umgebenden  Gewebe  sind  sie  meist  scharf  ab- 
gegrenzt; dieses  selbst  nicht  weiter  verändert.  Bei  mehreren  Thieren 
fand  sich  eine  lebhafte  Injection  und  diffuse  Infiltration  des  Netzes; 
dabei  wurden  sowohl  die  oben  erwähnten  Knötchen  als  die  Bacillen 
vermisst.  In  manchen  Knötchen  konnten  keine  Bacillen  nachgewiesen 
werden;  diese  sind  dann  schwer  zu  unterscheiden  von  kleinsten,  im 
Netze  gelegenen  Lymphfollikeln,  die  gleichfalls  unter  dem  Einflüsse  des 
diphtherischen  Virus  anschwellen  können.  Zum  mikroskopischen  Nach- 
weis der  Bacillen  bedienten  sich  die  Verf.  folgender  Methode:  Die 
Schnitte  oder  Quetechpräparate  wurden  in  einer  wässerigen  Lösung  von 
Bismarckbraun  vorgefärbt  und  dann  die  Bacillen  durch  Anwendung  der 
Gram*  sehen  Methode  sichtbar  gemacht.  Dadurch  daas  hier  die  im  Ge- 
webe gelegenen  Kerne  den  braunen  Grundton  behalten,  treten  die  violett 
gefärbten  Bacillen  sehr  viel  deutlicher  hervor. 

Bei  den  ersten  drei  Fällen,  in  denen  die  Knötchen  gefunden  wurden, 
waren  die  Thiere  durch  subcutane  Injection  am  Bauch  getödtet  worden. 
Es  war  klar,  dass  die  Bacillen  von  der  Injectionsstelle  anf  dem  Wege 
der  Lymphbahnen  durch  die  retroperitonealen  und  inguinalen  Drüsen 
in  das  Netz  gelangt  waren,  obgleich  die  mikroskopische  Untersuchung 
derselben  keine  Bacillen  entdecken  liess.  Bei  späteren,  in  gleicher 
Weise  angestellten  Versuchen  gelang  dies  jedoch  nicht  mehr.  Die 
Muskelfasern  an  der  Injectionsstelle  waren  hyalin  deg^nerirt  und  Haufen 
von  Bacterien  waren  in  die  Lymphspalten,  ja  in  die  Muskelfasern  selbst 
eingedrungen;  allein  es  gelang  nicht  mehr,  die  früher  geschilderten 
Knötchen  zu  finden.  Dieser  Misserfolg  war  die  Veranlassung,  dass  Verf. 
nunmehr  die  Ii^ection  der  Bacillencultnren  in  die  Hoden  der  Meer- 
schweinchen vornahm  mit  dem  Resultate,  dass  diejenigen  Thiere,  welche 
0,6  und  0,7  cm'  erhielten,  bei  der  Autopsie  sehr  zahlreiche  derartige 
Herde  im  Netz  aufwiesen,  während  sie  bei  den  mit  0,4  resp.  0,6  cm* 
iniicirten  in  geringerer  Menge  bei  einem  auch  ohne  nachweisbare  Ba- 
cillen vorhanden  waren.  Auffallend  war  in  diesen  Fällen,  dass  das 
Oedem  an  der  Injectionsstelle  an  Hoden  gering,  dagegen  an  den  Unter- 


I.  InfectionskrankheiteD.  273 

leibsorganen  um  so  st&rker  war.  in  zwei  Fällen  fand  sich  neben  einem 
flüssigen  Exsudat  in  die  Bauchhöhle  eine  Anffillung  der  Därme  mit 
Flüssigkeit  und  Oedem  der  Wandnngen.  Die  retroperitonealen  Lymph- 
drüsen waren  insbesondere  auf  der  Seite,  wo  die  Injection  gemacht 
worden  war,  beträchtlich  vergrössert.  Wider  Erwarten  konnten  jedoch 
keine  Bacillen  darin  gefunden  werden.  Doch  zweifeln  die  Verf.  nicht, 
dass  dieselben  auf  dem  Wege  der  Lymphbahnen  und  hauptsächlich 
durch  wandernde  Phagocyten  von  der  Ituectionsstelle  nach  den  inneren 
Organen  verschleppt  werden.  Der  Abhandlung  sind  einige  colorirte 
Abbildungen  beigegeben,  welche  die  Lagerung  der  Bacillen  in  den 
Knötchen  sowie  das  Eindringen  derselben  in  die  Muskel  veranschaulichen. 

Escherich. 

Acute  and  ulceraiive  endocarditis  due  to  ihe  bacillus  dipMheriae,  By 
W.  T.  Howard.  The  Johns  Hopkins  Hospital  Bulletin  Nr.  30, 
April  1898. 

Ein  44jähriger  Arbeiter,  vordem  gesund,  erkrankt  mit  Schüttel- 
frost, Erbrechen,  Schwäche  und  Herzklopfen,  und  wird  sieben  Tage 
später  in's  Spital  aufgenommen.  Während  der  17  Tage,  die  er  [dort 
zubrachte,  bestand  unregelmässiges  Fieber,  der  Puls  war  anfangs  gut 
gefüllt,  90  Schläge  in  der  Minute,  später  sehr  schwach  und  frequent. 
Fat.  starb  in  CoUaps. 

Bei  der  Section  erschien  das  Herz  dilatirt.  Das  Myocard  fest,  eher 
blass.  Der  Mitralklappe  ist,  von  oben  gesehen,  ein  mächtiger,  weiss- 
rother  Thrombus  in  der  Dicke  von  0,2 — 1  cm  aufgelagert,  der  an  der 
Basis  der  Klappensegel  beginnt  und  dieselben  vollständig  überdeckt  und 
fest  an  denselben  adhärirt.  Auf  der  unteren  Fläche  des  hinteren  Klappen- 
segels finden  sich  nur  kleine  ulcerirte  Stellen,  die  mit  den  gleichen 
fibrinösen  Massen  bedeckt  sind.  Das  Endocard  der  Klappen  liegt  nach 
Entfernung  der  Thrombnamassen  rauh,  ulcerirt,  mit  Hämorrhagien  durch- 
setzt vor.  Ausserdem  finden  sich  nur  an  der  ventriculären  Fläche  der 
Aortenklappen  einzelne  ähnliche  Vegetationen.  Die  Leber  ist  gross  und 
blutreich,  Milz  stark  vergrössert  und  mit  Infarcten  durchsetzt.  In  den 
beiden  Nieren  die  Zeichen  einer  acuten  Nephritis  und  gleichÜEills  Sitz 
zahlreicher  Infarcte.  In  Deck^laspräparaten  der  Thrombusmasse ,  aus 
Milz  und  Nieren  war  ausschliesslich  ein  mit  dem  Diphtheriebacillus 
durchaus  übereinstimmendes  Stäbchen  vorhanden.  Dasselbe  wurde  auch 
aus  Lunge,  Leber,  Milz,  Nieren  sowie  dem  Qewebe  der  Mitralklappe  in 
Beincultur  erhalten. 

Die  erhaltenen  Culturen  stimmten  morphologisch  in  der  Cultur 
durchaus  mit  dem  echten  Diphtberiebacillus  flberein,  waren  jedoch  ohne 
jede  pathogene  Wirkung  gegenüber  Meerschweinchen  und  Kaninchen. 

Schnitte  durch  die  erkrankte  Klappe  zeigen,  dass  da,  wo  der 
Thrombus  aufsass,  die  Muskelfasern  hyalin  degenerirt  sind.  Das  Epithel 
fehlt  und  starke  entzündliche  Reaction  des  Gewebes  besteht  Dieselbe 
ist  stellenweise  bis  zur  Bildung  von  kleinen  Eiterherden  vorgeschritten. 
Der  Oberfläche  ist  unmittelbar  aufgelagert  ein  fibrinöses  Exsudat,  in 
welchem  eine  grosse  Zahl  von  Bacillen  enthalten  ist.  Der  Thrombus 
besteht  auf  mehreren  Schichten;  an  der  Oberfläche  eine  dicke  aus- 
schliesslich aus  Bacillen  bestehende  Lage,  darunter  eine  Schicht  von 
Fibrin  arm  an  Zellen  und  durchzogen  von  streifenförmig  angeordneten 
Haufen  von  Bacillen. 

In  einem  Anhang  bemerkt  Prof.  Welch,  dass  er  auf  Grund  der 
Untersuchungen  von  Roux  und  1  er  sin  den  in  diesem  Falle  gezüch- 
teten Bacillus  trotz  der  fehlenden  Virulenz  für  den  echten  Löf Her  sehen 
Diphtheriebacillus  hält  und  dass  hier  zm  ersten  Male  der  Nachweis 
einer  echten  diphtherischen  Endocarditis  geliefert  sei.       Escherich. 


274  Analeoten. 

Diphtheria  vnih  bronehopnewnoma*    By  Simon  Flexner  M.  D.    The 
Jobn  Hopkins  Hospital  BalletiD  Nr.  30  April  1893. 

Verf.  hat  zwei  F&lle  von  Bronchopnenmonie  im  Gefolge  von  ab- 
steigender Diphtherie  untersacht.  In  dem  ersten  waren  in  den  Herden 
Dipntheriebacillen  sowohl  mikroskopisch,  wie  in  der  Cnltur  nachweis- 
bar. Sie  lagen,  wie  die  mikroskopische  Üntersnchang  ergab,  vorsngs- 
weise  in  den  kleinsten  Bronchien,  nnd  zwar  nicht  nur  in  den  Mem- 
branen, sondern  anch  in  dem  zelligen  Exsndate,  welches  das  Lamen 
derselben  aasfüllte.  Auch  hier  waren  die  Diphtheriebacillen  meist  in 
Eiterzellen  eingeschloBsen ,  einzelne  derselben  dicht  damit  erfflllt.  An 
zwei  Stellen  fand  er  auch  Diphtheriebacillen  im  Lumen  der  Alveolen, 
jedoch  nur  vereinzelt  nnd  jedenfalls  in  sehr  viel  geringerer  Zahl  als  die 
gleichzeitig  FränkeT  sehen  Pneumoniekokken.  In  einem  zweiten  Falle 
konnten  sowohl  in  Cultur  als  im  Schnitt  nur  diese  letzteren  nachge- 
gewiesen  werden. 

Im  AnschluBs  daran  berichtet  er  Aber  das  Schicksal  der  subcutan 
in  den  Körper  injicirten,  todten  Diphtheriebacillen.  Wurden  dieselben 
allein,  resp.  in  Salzwaseremulsion  eingespritzt,  so  entstand  an  der  In- 
jectionsstefle  ein  kleines  Knötchen,  das  nach  einem  oder  zwei  Tagen 
schrumpfte  und  schliesslich  verschwand.  Wurde  jedoch  gleichseitig  mit 
den  todten  Bacillen  das  Filtrat  einer  wirksamen  Diphtheriebonillon- 
cultnr  injicirt,  so  erlag  das  Thier  der  diphtherischen  Intozication  nnd 
an  der  Injectionss teile  fand  sich  ein  Knötchen,  das  ebenso  wie  die  von 
Abbott  beschriebenen  aus  einer  Anh|lufung  von  Leukocyten  bestand, 
deren  Protoplasma  von  Diphtheriebacillen  erfüllt  war. 

Escherich. 

Beiträge  zur  Anatomie  der  diphtherititehen  Lähmungen,  Von  Dr.  H.  Pre  j  s  z, 
Pcbter  med.  chir.  Presse  Nr.  11.  1894. 

P.  hat  bei  drei  an  Diphtherie  verstorbenen  Kindern  das  Rücken- 
mark, mehrere  periphere  Nerven,  die  Rachenmnskeln  und  -Nerven,  den 
N.  vagus,  phrenicus  und  andere  Nerven  untersucht.  Im  Rflckenmark 
waren  Atrophie,  stellenweise  Zerstörung  der  Nervenzellen,  Wucherung 
der  Qliazellen,  auch  Blutungen,  in  einem  Falle  ausserdem  hoch^^radige 
Degeneration  der  GolTschen  Stränge  auf  der  einen,  mindergradige  auf 
der  anderen  Seite  vorhanden.  In  einem  Theile  der  vorderen  und  hinteren 
Nerven  wurzeln  wurden  Degeneration,  stellenweise  Ezsudationskerne  con- 
statirt,  in  den  meisten  peripheren  Nerven  (Vagus,  Reccurrens,  Phrenicus) 
selten  bedeutendere  Degeneration,  stellenweise  hochgradige  Erweiterung 
des  perineuralen  Baumes  und  in  demselben  mit  Yacuolen  versehene 
Zellen. 

Dem  Verf.  erscheint  die  nachgewiesene  Entartung  der  B.  M.  wurzeln 
und  der  GolTschen  Str&nge  in  anatomischer  und  klinischer  Beziehung 
insoferne  wichtig,  als  einerseits  die  diphtheritische  Lähmung  gleich- 
zeitig das  periphere  und  centrale  Nervensystem,  wenn  auch  nicht  mit 
der  gleichen  Intensität,  befällt,  andererseits  das  häufige  Fehlen  des 
Kniepbänomens  und  das  Auftreten  der  Ataxie  durch  die  Degeneration 
der  Hinter8tränge  erklärt  erscheinen.  Der  unerwartete  Tod  manches 
Diphtherie-Reconvalescenten  scheint  P.  von  einer  hochgradigen  Degene- 
ration des  Va^s  herzurfihren. 

In  der  Discussion  bemerkt  Pertik,  dass  die  anatomischen  Verän- 
derungen bei  diphtheritischen  Lähmungen  der  Neuritis  parenchymatosa 
entsprechen,  und  Ketli,  dass  die  diphtheritischen  Lähmungen  doch  zu- 
meist in  der  Nachbarschaft  des  Krankheitsprocesses  aufzut^ten  pflegen, 
man  daher  dieee  Lähmungen  als  periphere  auffassen  dar!        Unger. 


I.  InfectionskrankheiteD.  275 

Ein  Fäll  von  diphtheritischer  Hemiplegie.  Von  Dr.  J.  Donath.  Neurolog. 
Gentralbl.  10.  1893. 

Der  Fall  einer  durch  Himhämorrhagie  bedingten  diphtheritiechen 
L&hmuDg  betrifft  einen  acht  Jahre  alten  Banemknaben. 

Nach  14tAgiger  Krankheitsdauer  und  am  dritten  Tage  der  Recon- 
yalescenz  erfolgte  Nachts  plötzlich  eine  rechtsseitige  Hemiplegie  mit 
starker  Facialisbetheiligung  und  completer  Aphasie. 

Im  Anfange  nach  8— 4  wöchentlicher  Daner  besserten  sich  Facialis- 
l&hmnng  und  Aphasie,  in  den  nächsten  zwei  Monaten  blieb  aber  der 
Zustand  stationär. 

Eine  darauf  eingeleitete  farado-galvanische  Behandlung  und  Verab- 
reichung von  Strychnin  besserte  wohl  etwas  in  Bezug  auf  die  Gehfähig- 
keit, aber  es  blieben  Gontracturen  im  gelähmten  Arm. 

Eisenschitz. 

Ein  FaU  van  halbseitiger  Lähmung  nach  Diphtherie.    Von   Prof.   Dr. 
J.  G.  Edgren.    Deutsche  med.  W.  36.  1893. 

Ein  10  Jahre  alter  Knabe  bekommt  drei  Wochen  nach  dem  Beginne 
einer  schweren  Diphtherie,  yon  der  er  vollkommen  genesen  war,  eine 
complete  rechtsseitige  Hemiplegie  und  Aphasie.  Die  Lähmungen  besserten 
sich  zwar  nach  einigen  Wochen,  blieben  aber  dann  stationär.  Drei 
Monate  nach  Eintritt  der  Lähmung  war  der  Knabe  fost  vollständig 
hergestellt. 

Diagnosticirt  wurde  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  eine  Blutung 
in  die  linksseitige  innere  Kapsel,  bedingt  durch  eine  von  der  Diphtherie 
abzuleitende  Veränderung  der  Gefässwandungen.  Nephritis  war  in  diesem 
Falle  nicht  vorhanden.  Eisenschitz. 

Ein  weiterer  Beitrag  sur  Conjunctivitis  diphtheritiea.  Von' Prof.  W.  üht- 
koff.    Berl.  klin.  W.  87  u.  88.   1894. 

Die  Publication  bezieht  sich  auf  vier  Fälle  von  Conjunctivitis 
diphtheritiea  bei  Kindern  im  Alter  von  1,  6,  67s  und  1^«  Jahren.  Alle 
drei  Fälle  endeten  mit  vollständiger  Genesung  und  ohne  wesentliche 
Schädigung  des  Auges.  Ein  Kind  von  iV^  Jahren  ging  nach  Ablauf 
des  Processes  am  Auge  an  Bachen-  und  Larynzdiphtherie  zu  Grunde, 
ein  zweites  wurde  von  Nasendiphtherie  befallen  und  genas.  Li  allen 
Fällen  war  der  Zusammenhang  mit  einer  Diphtherieepidemie  (Erkran- 
kung von  Geschwistern)  constatirt. 

In  allen  drei  Fällen  blieb  die  Erkrankung  auf  ein  Auge  beschränkt, 
in  einem  Falle  war  der  Process  schon  bei  der  Aufnahme  doppelseitig. 
Eine  wesentliche  Infiltration  der  Conjunctiva  war  in  keinem  Falle  vor- 
handen. 

In  drei  Fällen  wurde  die  bacteriologische  Untersuchung  und  die 
Impfung  mit  positivem  Erfolge  durchgeföhrt. 

In  einem  Falle  wurde  der  Inhalt  des  erkrankt  gewesenen  Conjunc- 
tivalsackes  14  Tage  nach  der  Genesung,  4  Wochen  nach  Beginn  der 
Erkrankung,  neuerdings  bacteriologisch  untersucht  mit  dem  Ergebniss, 
dass  Haufen  von  morphologisch  von  virulenten  Löf Herrschen  Bacillen 
nicht  unterscheidbaren  Stäbchen  gefunden  wurden,  aber  alkal.  Lakmus- 
bouillon nicht  roth  färbten  und  beim  Impfversuche  keinen  positiven  Er- 
folg gaben.  Eisenschitz. 

Ein  FaU  von  Bhinitis  fibrinosa.    Von  Scheinmann.    Deutsche  med. 
Wochenschr.  84.  1898. 

In  der  Sitzung  des  Vereins  für  innere  Medicin  in  Berlin  am  2.  VII. 
1894  berichtet  Scheinmann  über  einen  Fall  eines  drei  Jahre  alten 


276  Analecten. 

KindeB  mit  dem  ausgeprftgteD  Bilde  der  Rhinitis  fibrinosa,  welche  Bchon 
seit  drei  Wochen  bestaDden  hatte. 

Die  bacteriologische  Untersachting  ergab  den  Befund  von  Diphtherie- 
bacillen,  Streptokokken  und  Staphylococcns  alba«. 

Die  Erfahrung  lehrt,  dass  die  Prognose  bei  der  Rhinitis  €brinosa 
eine  durchwegs  gute  und  der  Verlauf  ein  chronischer  ist,  und  dass  sie 
in  der  Regel  sich  nicht  als  contagiOs  erweist. 

Allein  die  ImpfTersnche  haben  auch  in  diesem  Falle  die  Virulenz 
der  Bacillen  ergaben.  Eisensohits. 

Ueber  die  chronische  NasenäiMherie,  Von  Concetti.  Archivio  italiano 
di  Pediatria  1898  p.  21  n.  (Dasselbe  in  Archivii  italiani  di  Larin- 
gologia.) 

Bezngnebmend  auf  eine  frühere  Beobachtung,  welche  in  die  Zeit 
Tor  Entdeckung  des  LOff  1er 'sehen  Bacillus  fällt,  nimmt  Verf.  Veran- 
lassung, die  Natar  der  chronischen  membranösen  Rhinitis  und  ihr  Ver- 
hältnis zur  Diphtherie  su  besprechen.  War  man  frfiher  geneigt,  den 
chronischen  Diphtherien  der  Nase  eine  Sonderstellung  einsuränmen,  bez. 
sie  ganz  von  der  eigentlichen  Diphtherie  zu  trennen,  so  musste  man 
sich  doch  öfters  ron  der  Unrichtigkeit  dieser  Schlussfolgerung  über- 
zeugen, wenn  sich  als  Nachkrankheit  die  bekannte  typische  L&hmnng 
der  Schlundmusculatur  oder  anderer  Muskelgruppen  entwickelte,  oder 
wenn  die  Geschwister  oder  Angehörigen  des  Kranken  sich  durch  ihn 
in6cirten  und  an  ausgesprochener  Rachendiphtherie  erkrankten.  Heute 
ist  durch  unsere  bacteriologischen  Untersuchungen  erwiesen,  dass  auch 
die  chronischen  membranösen  Entzündungen  der  Nasenschleimhant  zu 
den  diphtherischen  Processen  gehören,  und  man  ist  in  der  Lage,  schon 
nach  1 — 2  Tagen  die  sichere  Diagnose  zu  stellen.  Die  Behandlung, 
welche  Verf.  empfiehlt,  besteht  in  copiösen  Irrigationen  der  Nase  mit 
Lösungen  von  Borsäure  oder  verdünnter  Salzsäure,  wodurch  er  mecha- 
nisch die  Entfernung  der  Exsudate  bezweckt.  Toe plitz. 

Hin   Fall    von    Wunddiphtherie  mü   Nachweis   von    DiphiheridMeiHen, 
Von  Abel.    Deutsche  medic.  Wochenschr.  1894.  Nr.  86. 

Ein  7  jähriges  Mädchen  erkrankt  an  einer  leichten  Form  yon  Rachen- 
diphtherie, die  in  wenigen  Tagen  heilt.  Einige  Tage  später  bildet  sich 
auf  einer  frischen  Wunde  am  Finger  ein  cronpöser  Belag,  aus  dem 
zahllose  Diphtheriebacillen  gezdchtet  werden  konnten.  Imp^ngen,  die 
zu  gleicher  Zeit  aus  dem  belagfreien  Rachen  Torgenommen  wurden, 
ergaben  anch  hier  Diphtheriebacillen.  Im  ThierTersuche  waren  beide 
schwach  virulent.  Die  mit  Liquor  fern  behandelte  Wunde  heilte  in 
wenigen  Tagen.  Escherich. 

Eine    weitere    Beobachtung    von    Wunddiphtherie,     Von    Dr.    Conrad 
Brunner.    Berliner  klin.  W.  18  1894. 

Der  Fall  betraf  ein  13  Jahre  altes  Mädchen,  das  sich  am  Ring€nger 
der  rechten  Hand  einen  kleinen  Ritzer  zugezogen  hatte,  der  auf  eine 
nicht  erweisbare  Weise  nachträglich  diphtheritisch  inficirt  wurde. 

Es  entwickelte  sich  ein  mit  schmutzig  grauem  Belag  bedecktes  6e- 
schwQr,  unter  dem  Belag  war  ein  eitriges  Secret  und  in  der  Umgebung 
eine  Gewebsinfiltration.  Keine  Lymphangitis ,  aber  bei  Druck  scnmerx- 
hafte  Gubitaldrüsen. 

Eine  nachträglich  aufgetretene  Angina,  ohne  Belang,  konnte  nicht 
sicher  als  diphtheritisch  diagnosUcirt  werden. 

Die  bacterioskopische  Untersuchung  des  Secretes  liees  nachweisen: 
Staphylococcus  aureus,  Streptococcus  pyogenes  nnd  unzweifelhaft  auch 


H 


I.  Infectionskrankheiten.  277 

den  L0ffler*8chexiDipbtheriebacilla8,  dessen  Reincaltnr  im  Hygienischen 
Institut  von  Prof.  LOffler  als  echte  DiphtheriebaciUen  erkl&rt  wurden. 

Eisenschitz. 

Ein  neuer  Vorschlag  zur  Prophylaxis  gegen  Diphtherie,  Von  Dr.  J.  Berg- 
mann.   Allg.  med.  Central- Zeit.  1.  1893. 

Alle  bisher  vor^^eschlagenen  oder  angewendeten  prophylaktischen 
Mittel  gegen  die  Diphtherie  haben  sich  als  problematisch  erwiesen. 
Das  von  Dr.  Bergmann  empfohlene  Mittel,  dem  er  den  viel  verspre- 
chenden Namen  Diphthericid  giebt,  wird  der  Schleimhaut  durch 
einen  sozusagen  normalen,  physiologischen  Act,  nämlich  durch  Kaueu 
übermittelt.  Das  Mittel  ist  wohlschmeckend,  wird  also  von  den  Kin- 
dern gern  genommen  und  besteht  aus  einer  Combination  von  Natron  benzoi- 
cum  und  Thymol  und  wird  mit  dem  Speichel  vermischt  in  innigen  Con- 
tact  mit  der  Schleimhaut,  insbesondere  den  Tonsillen  gebracht,  ohne  die 
Integrität  derselben  irgendwie  zu  beeinträchtigen. 

Jede  Pastille  enthält  0,02  Thymol  und  0,2  Natron  benzoicum,  die 
Combination  beider  Mittel  ist  das  Resultat  mühevoller  Versuche,  ihre 
unbestrittene  Wirksamkeit  wird  durch  die  Beigabe  von  0,015  Saccharin 
noch  verstärkt. 

Die  Pastillen  sind  von  zäher,  gummiartiger  Consistenz  und  können 
y^  Stunde  und  darüber  gekaut  werden,  ihre  Hauptmasse  besteht  aus 
einer  Mischung  von  reinem  Guttapercha  und  Damaraharz. 

Das  Diphtfaericid  wird  im  chemisch-bacteriologischen  Laboratorium 
des  Herrn  Dr.  A.  Kirchner  in  Worms  a.  Rh.  hergestellt  und  zunächst 
nur  an  Aerzte  abgegeben.  Es  dürfte  genügen,  in  24  Stunden  8— 4mal 
eine  Pastille  zu  verabreichen;  es  soll  nachgewiesen  sein,  dass  im  Speichel 
6  Stunden  nach  energischem  Verkauen  einer  einzigen  Pastille  noch  anti- 
septische Wirksamkeit  vorhanden  ist  Eisenschitz. 

Ueher  die  Bedeutung  der  diphiherüischen  Membranen  in  Bezug  auf  die 
Therapie.    Von  Prof.  Oertel.    Berliner  kl.  W.  13  u.  14.  1893. 

Es  sind  zwei  Typen  der  Membranbildung  bei  der  Diphtherie  scharf 
von  einander  zu  trennen. 

Der  erste  Typus,  die  primäre  Membran,  entsteht  zumeist  auf 
der  Mandel  in  Form  von  stecknadelkopfgrossen  oder  wenig  grösseren 
Auflagerungen,  zu  denen  sich  zunächst  zarte  Beläge  dazu  gesellen, 
welche  zusammenfliessen  und  sich  ausbreiten.  Sie  entstehen  an  der 
Oberfläche  und  greifen  erat  secundär  in  die  Tiefe,  bestehen  aus  Epi- 
thelien,  Leukocyten,  Haufen  der  verschiedensten  Bacterien,  erst  zuletzt 
treten  Fibringerinnsel  dazu.  Diese  primären  Membranen  sind  das  Pro- 
duct  der  directen  Infection,  der  unmittelbaren  Einwirkung  der  in  der 
Mond-  und  Rachenhöhle  sich  bildenden  Bacillen  und  des  von  ihnen  er- 
zeugten Giftes. 

Der  zweite  Typus,  die  secundäre  Membran,  aber  nimmt  ihre  Ent- 
wicklung von  der  Tiefe  der  Schleimhaut  her,  gelangt  bei  noch  voUstän- 
ständiger  Integrität  des  Epithels  erst  allmählich  an  die  Oberfläche  der 
Schleimhaut,  von  welcher  sie  demnach  auch  nicht  ohne  Beschädigung 
der  letzteren  abgelöst  werden  kann. 

Sie  besteht  in  ihrer  Hauptmasse  aus  Fibrin,  an  der  Oberfläche  aus 
durch  das  Vordringen  des  Processes  zerklüftetem  und  degenerirtem 
Epithel  und  aus  nur  spärlichen  charakteristischen  Löffle r'schen  Stäb- 
chen; die  secundäre  Membran  ist  der  Ausdruck  einer  allgemeinen  Er- 
krankung, gleichzeitig  mit  ihrer  Entwicklung  hat  sich  das  Diphthero- 
toxin  durch  Lymph-  und  Blutbahnen  weithin  im  Organismus  ausgebreitet. 

Die   primären   Membranen   sind   es,   die   vorzugsweise   der  localeu 


278  Analecten. 

Antiseptik  bedfirfen,  wobei  ihre  Wirkung  sich  aber  weit  hin  über  die 
erkrankt  erscheinenden  Schleimhautherde  erstrecken  mnss. 

Weder  Gurgeln  noch  Bepinselnngen  erzielen  eine  ausreichende  Anti- 
septik. 

Oertel  benutzt  fast  ausschliesslich  Irrigationen  einer  8— 5%  igen 
CarbollOsung  vermittelst  des  Dampfsprays,  2  — 8 stündlich  durch  8 — 4 
Minuten,  wobei  das  zuleitende  Glasrohr  tief  in  die  Mundhöhle  hinein- 
ragen muss  und  die  abflieasende,  verunreinigte  Flüssigkeit  in  einem  Ge- 
f^Me  angefangen  wird. 

Vor  bedenklicher  Intoxication  mit  Carbol  schützt  man  die  Kranken, 
indem  man  deren  Harn,  und  zwar  die  Tages-  und  Nachtmengen  geson- 
dert, durch  24  Stunden  stehen  läset  und,  sowie  die  charakteristische 
graue  oder  graugrüne  Farbe  entsteht,  sofort  anstatt  des  Carbols  solange 
eine  4%  ige  Bors&ure  anwendet,  bis  die  Carbolerscheinungen  im  Harne 
wieder  geschwunden  sind. 

Die  directe  Behandlung  der  secundären  Membran  bleibt  erfolglos, 
weil  sie  nicht  in  die  Tiefe  gelangt  und  höchstens  die  weitere  Resorption 
von  der  Oberfläche  etwas  beschriLnken  kann. 

Die  Wirkung  der  sogenannten  lösenden  Mittel  ist  höchst  proble- 
matisch, kann  vielleicht  etwas  desinficirend  wirken,  den  Uebergan^  in 
Sepsis  hemmen,  thnt  aber  dies  viel  weniger  sicher  als  die  wirkliche 
Antiseptik. 

Fruchtlos  und  sogar  schädlich  sind  die  Aetzungen  mit  allen  Arten 
▼on  Aetzmitteln,  ganz  besonders  auch  mit  Galvanokaustik. 

Das  schon  resorbirte  Gift  zu  bekämpfen,  sind  wir  vorerst  nicht  im 
Stande.  Die  Blutserumtherapie  eröffnet  in  dieser  Beziehung  einige 
Aussicht,  ist  aber  noch  nicht  soweit  gediehen,  dass  sie  praktisch  Ter- 
werthet  werden  könnte. 

Von  inneren  Mitteln  dürfte  den  Quecksilberpräparaten,  insbesondere 
dem  Cy an- Quecksilber  eine  gewisse  Bedeutung  nicht  abzusprechen  sein, 
vielleicht  auch  dem  Chinin,  obwohl  wir  die  Art  der  Wirkung  nicht  zu 
erklären  vermögen.  Das  chlors.  Kali  hat  nach  Oertel  als  internes 
Mittel  bei  der  Diphtherie  keine  Bedeutung.  Eisenschitz. 

Kritische  Bemerkungen  und  praktische  Erfahrungen  Ober  das  Änii' 
diphtherin  Klebs,  Von  Vulpins.  Deutsche  medio.  Wochenschr. 
1894  Nr.  6. 

Nach  einer  scharfen  Kritik  der  theoretischen  Grundlagen,  von  denen 
Kleb 8  bei  der  Herstellung  des  Mittels  ausgegangen,  sowie  der  Erfolge, 
die  damit  erzielt  werden,  berichtet  V.  über  19  an  der  Heidelberger 
chirurgischen  Klinik  damit  behandelte  Diphtheriefälle,  die  eine  Mor- 
talität von  62  %  ergaben  und  keinen  günstigen  Einflass  auf  das  Yer- 
halten  der  Membranen  erkennen  Hessen.  Von  Stellen,  die  wiederholt 
mit  dem  Mittel  bepinselt  worden  waren,  ergaben  die  Culturversuche 
noch  wachstbumsfähige  Diphtheriebaciilen.  Auch  die  Application  stiess 
begreiflicher  Weise  auf  energischen  Widerstand  seitens  der  kleineren 
Patienten.  Escherich. 

Zur  Beuriheüung  therapeutischer  Maassregeln,  Ein  Beitrag  zur  Anü- 
diphtherinbehandlung.  Von  £.  Klebs.  Deutsche  med.  Wochen- 
schrift 1894.     Nr.  18. 

Der  Entdecker  des  Antidiphtherins  vertheidigt  sich  gegen  die  von 
Vulpius  erhobenen  Einwürfe.  Die  schlechten  Resultate,  welcher  dieser 
mit  dem  Mittel  erhalten,  sollen  durch  zu  seltene  und  unrichtige  Appli- 
cation (mit  dem  Pinsel  statt  mit  Wattebausch)  veranlasst  sein.  Neue 
Beobachtungen  oder  Experimente  werden  nicht  mitgetheilt 

Escherich. 


I.  Infectiontkxaiikheiteii.  279 

Leber  die  HeOwirimng  äis  Aniidipläherin»  (KUb$).  Vod  Dr.  F.  Zappert. 
Wiener  med.  Woch.  Nr.  13—17.    1894. 

YerL  stellte  sich  bei  Prfifang  der  therapeutischen  Wirksamkeit  des 
Klebs^schen  Mittels  folgende  xwei  Grondbedingongen:  1.  die  Locali* 
sation  des  diphtheritischen  Processes  anf  den  Bachen  nnd  2.  den  posi- 
tiyen  Nachweis  des  Klebs-Löf Herrschen  Diphtheriebacillas  in  den 
Hachenbelägen.  Von  diesen  beiden  Bedingungen  wnrde  nnr  in  je  einem 
Falle  eine  Ansnahme  gemacht  Die  Behandlang  geschah  Torachrifts- 
m&ssig  in  der  Art,  dass  xweimal  t&glich  mittelst  eines  um  ein  Hols- 
atäbchen  gerollten  Wattebansches,  der  mit  der  Lösung  getr&nkt  war, 
die  erkrankte  Stelle  bepinselt  und  mit  einem  zweiten  die  Bachen- 
fechleimhant  leicht  überfahren  wnrde.  Eine  Localbehandlang  des  Kehl- 
kopfes bei  beginnender  Laijnxdiphtherie,  wie  sie  Klebs  Torschreibt, 
bat  Z.  nnterlMsen.  Versacht  worden  hingegen  Eintranfelongen  des 
Mittels  and  Aospinseln  der  zng&nglichen  Luftwege  nach  der  Tracheo- 
tomie,  desgleichen  Auspinselnngen  der  Nase.  Als  Material  dienten 
15  Kinder  ans  dem  Carolinen -Kinderspitale  im  Alter  von  11  Monaten 
bis  xn  8  Jahren.    Das  Besaltat  war  folgendes: 

Von  den  behandelten  15  Fällen  wurden  11  geheut,  4  starben.  Mit 
Ausnahme  eines  waren  sämmtliche  Fälle  reine  Bsusheodiphtherien.  Wäh- 
rend der  Behandlung  kam  es  einmal  zu  absteigendem  Croup  und  Tracheo- ' 
tomie.  Septische  Symptome  wurden  sechsmal  beobachtet:  bei  den 
4  Verstorboien  und  bei  2  nach  längerer  Daner  Geheilten.  —  Massige 
Albuminurie  glrtch  im  Beginne  wnrde  dreimal  beobachtet;  swei 
dieser  Fälle  heilten,  der  dritte  starb  unter  zunehmender  Eiweissaus- 
scheidnng.  Während  der  Behandlung  trat  einmal  Albuminurie  au^  die- 
selbe war  in  einigen  Fällen  sehr  haitnäckig  und  hochgradig.  —  Plötz- 
licher Tod  durch  Herzstillstand  trat  einmal  ein. 

Das  Klebs*6che  Mittel  war  daher,  nach  Z.,  nicht  im  Stande,  irgend 
eine  dieser  CompUcationen  (absteigenden  Croup,  Sepsis,  Albuminurie, 
Herztod)  zu  verhüten. 

Zu  gleicher  Zeit  mit  der  Antidiphtherinbehandlung  wurden  10  Kinder^ 
mit  Bachendiphtherie  im  Alter  von  2%  —  8  Jahren  ohne  irgend  welche 
Auswahl  mehr  expectativ,  resp.  mit  Jodoformeinblasungen,  Gurgelungen 
und  innerlicher  Verabreichung  you  Kali  chloricum  behandelt  und  die 
Bemltate  tabellarisch  einander  gegenüber  gestellt  Aus  dem  Vergleich 
beider  Tabellen  geht  nicht  hervor,  dass  die  Abstossung  der  Beläge  nnd 
der  Abfall  der  Temperatur  unter  der  Antidiphtherinbehandlung  rascher 
Tor  sieh  gehen  würde,  als  in  anderweitig  behandelten  Fällen.  Z.  meint 
diiher,  dass  die  Hoffnung,  in  dem  Klebs" sehen  Mittel  ein  Verfahren 
kennen  gelernt  zu  haben,  welches,  wenn  auch  keine  Complicationen  zu 
yerhüten,  so  doch  wenigstens  im  Stande  gewesen  wäre,  den  Kraokheits- 
Terlanf  rasch  nnd  gunstig  zu  beeinflussen,  sich  nicht  erfüllt  habe. 

Unger. 

OamMmrU  Behandlung  der  Diphtherie  mä  Papayoiin  und  Carbohäure. 

Von    Dr.  £.  Lewj  und  Dr.  H.  £.  Knopf.     Berliner   klin.  W.  32. 

1893. 

Die  Autoren  ezpenmentirten  an  Meerschweinchen  mit  einem  nach 
dem  Vorgange  von  Behring  und  Wernicke  dargestellten  Diphtherie- 
giUe.  Wenn  man  zu  diesem  Gifte,  Ton  welchem  0,5  ccm  ein  aus- 
irewäcbsenes  Meerschweinchen  in  zwei  Tagen  sicher  tödtet,  etwas  Papa- 
yotin  (Gehe)  zusetzt  und  bei  37  •  zwei  Tage  stehen  lässt,  so  vertragen 
gleichartige  Verauchsthiere  Dosen  bis  zu  2  ccm,  sie  werden  schwer 
krank,  aber  genesen  nnd  sind  nicht  immun  gegen  Diphtherie. 


280  Analeoten. 

Nach  Angaben  von  Gamaleia  haben  aach  Pepsin  nnd  Ttypsin 
einen  ftfanlichen  (Terdaaenden)  Einflass  auf  das  Diphiheriegift. 

Es  worden  nun  auf  Koht^s  Klinik  Veranche  mit  folgender  Mischang 
gemacht:  Papayotin  (Gehe)  10,0,  Acid.  carbol.  cryat.  liquef.  6,0,  Aq.  dest. 
100,0.    (Vor  dem  Gebrauche  umzuschüttein.) 

In  den  ersten  zwei  Stunden  wurde  nach  je  10  Minoten  eine  Ein- 
pinselung  gemacht,  nichts  dabei  vom  Belag  weggerieben,  nachher  nur 
aller  zwei  Stunden. 

Der  Erfolg  war  ein  sichtlich  gQnstiger  auf  den  Localprocess ,  in 
den  schlimmsten  Fällen  verschwanden  die  Pseudomembranen  nach  swei 
bis  drei  Tagen. 

Daneben  kamen  zur  Anwendung:  Eiscravatte,  Inhalationen,  viel  Wein. 

Mitunter  wurde  dadurch  (es  kamen  auch  ganz  schwere  Falle  zur 
Behandlung)  eine  drohende  Tracheotomie  nnnOthig. 

Von  51  so  behandelten  Fällen  heilten  36  und  starben  15  (5  nach 
Tracheotomie),  3  von  den  Gestorbenen  erlagen  Complicationen ,  einmal 
mit  genuiner  Pneumonie,  einmal  mit  Lungentuberculose,  einmal  mit 
wiederholten  Blutungen  aus  der  Tracheal wunde.  Eisenschitz. 

Die  Behandlung    der   Diphtherie  mü  Liq.  ferr,  sesquiMor.     Von    Dr. 
£.  Hühner.    Therapeut.  Monatshefte  12.    1892. 

Auf  Rath  des  Herrn  Dr.  Rehn,  des  eifrigen  Vertheidigers  der  Be- 
handlung der  Diphtherie  mit  Eisenchlorid,  versuchte  Dr.  Hübner  das 
Mittel  bei  einem  besonders  schweren  Fall  mit  Er(olg  und  seither  52 
anderen  Fällen  (mit  2  Todesfällen). 

Unt^  diesen  52  Fällen  waren  6  von  solcher  Schwere,  wie  sie  H. 
bei  seinen  früheren  Behandlungaweisen  stets  zu  Grunde  gehen  sah;  es 
breitete  sich  der  Belag  rasch  aus,  wurde  missfarbig  und  es  entwickelte 
sich  ein  intensives  Oedem  in  der  Umgebung.  Diese  6  Fälle  wurden  ge- 
rettet 

Die  Beseitigung  des  Fötors  nnd  die  Reinigung  ,,der  Oberfläche  der 
Membranen"  ist  der  erste  augenfällige  Erfolg  der  Eisenchlorid-Behand- 
lung,  die  Drüsen  werden  nicht  intensiv  inficirt  und  der  Larynx  bleibt 
oft  verschont. 

Die  Pinselungen  mit  Eisenchlorid  werden  2 — 3  mal  ^glich,  anfangs 
unverdünnt,  nach  und  nach  mit  Verdüonunjg  von  1:1  bis  1  :  5  gemacht. 

„Einen  nachtheiligen  Einfluss  des  Eisenchlorids  auf  die  gesunde 
Umgebung  wurde  nicht  beobachtet.** 

(Ref.  hat  das  Eisenchlorid  gegen  Diphtherie  schon  vor  mehr  als 
25  Jahren  angewendet  und  damit  die  möglichst  abschreckendsten  Ermah- 
nungen gemacht.)  Eisenschitz. 

Eisenchlarid  gegen  Diphtherie,    Von  Dr.  N.  Rosenthal.     Therapeut. 
Monatsblätter  12.    1892. 

Auch  Dr.  Rosenthal  hat  gefunden:  „Das  Eisenchlorid  ist  ein  un- 
fehlbares Mittel,  das  Fortschreiten  der  Rachendiphtherie  auf  den  Kehl- 
kopf zu  verhindern.** 

Er  giebt  es  in  2%iger  Lösung  mit  Glycerin,  stündlich  einen  Thee- 
bis  Esslöffel  voll,  Tag  und  Nacht. 

Der  Verlauf  gestaltet  sich  typisch:  Nach  24  Stunden  kein  Fieber, 
normaler  Puls,  gutes  subjectives  Befinden,  reger  Appetit  und  die  Mem- 
branen stossen  sich  in  wenigen  Tagen  ab. 

Unter  79  Behandelten  waren  44  leichte,  28  mittelschwere  und 
7  schwere  Fälle.  Diese  7  Fälle  sind  gestorben  und  zwar  5  an  Herz- 
paralyse, 2  an  Nephritis ;  keiner  von  den  79  Fällen  erkrankte  an  Larynz* 
diphtherie. 


I.  Infectionskrankheiteii.  281 

11  Fälle  kamen  mit  bereits  entwickelter  Larynzdiphtherie  sur  Be- 
handlung, von  diesen  starben  9  und  zwar  6  Tracheotomirte  und  8  Nicht- 
tracheotomirte,  die  2  Oenesenen  waren  beide  tracheotomirt  worden. 

Eisenschitz. 

Pyoctanin  gegen   Diphtherie.     Von  Dr.  HO  ring.     Memorabilien  8.  H. 
1898. 

Dr.  Höring  wendet  das  Pyoctanin  in  S9(^iger  LCsung  an,  täglich 
2— 8  mal  bepinselt  er  damit  den  Rachen,  möglichst  tief  nach  unten. 

Das  Mittel  tödtet  nicht  nur  den  eigentlichen  Diphtheriebacillus, 
sondern  auch  Streptokokken  und  die  durch  sie  erzeugten  Toxine.' 

Neuerdings  lässt  Dr.  H.  nach  der  sogar  häufiger  geflbten  localen 
Anwendung  des  Pyoctanins  nicht  gurgeln,  sondern  das  Ueberfliessende 
schlucken. 

Er  bezeichnet  das  Mittel  uneingeschränkt  als  Specificum  gegen 
Diphtherie. 

Neben  dem  Pyoctanin  wird  mit  Ealkwasser  und  Aq.  dest.  (1  :  2) 
gegurgelt  und  innerlich  Natr.  salicyl.  verabreicht,  eventuell  werden 
ryoctanin-Wattebäuschchen  in  die  Nase  eingelegt  und  die  Nasenhöhlen 
mit  Ealkwasser  ausgespült. 

Von  110  Fällen  von  Diphtherie,  die  seit  ca.  1  Jahr  mit  Pyoctanin 
behandelt  wurden ,  ist  kein  einziger  gestorben,  obwohl  darunter  viele 
schwere  Fälle  waren.  Eisenschitz. 

Zur  Behandlung  der  Diphtherie.    Von  Dr.  G.  Engstrand.   Eira  XVIII. 
2.    1894. 

unter  den  Mitteln,  die  E.  gegen  Diphtherie  angewendet  hat,  hat 
sich  ihm  am  meisten  das  benzoSsaure  Natron  (nicht  auf  gewöhn- 
liche Art,  sondern  von  £.  Schering  in  Berlin  aus  BenzoSharz  bereitet) 
bewährt,  das  er  für  ebenso  unfehlbar  hält,  wie  die  Salicylsäure  gegen 
Gelenkrheumatismus  und  das  Chinin  gegen  Wechselfieber  und  Typhus, 
nur  bei  schweren  Halsdrüsengeschwülsten  hilft  es  nicht.  Narcotica 
sind  nach  E.  durchaus  contraindicirt  bei  Diphtherie.  E.  wendet  das 
benzoSsaure  Natron  täglich  vier-  bis  sechsmal  innerlich  an  und  fährt 
damit  bis  zu  6  Wochen  fort,  wodurch  die  nach  Diphtherie  so  häufigen 
Lähmungen  vermieden  werden,  ausserdem  lässt  er  alle  Stunden  mit 
Lösung  von  übermangansaurem  Kali  (1  :  50) ,  Lösung  von  Hydrarg. 
cyanatum  und  Fliederthee  gurgeln.  Walter  Berg  er. 

üeher  die  Behandlung  der  Diphtherie.    Von  Dr.  Takäcs.    Fester  med.- 
chir.  Presse  Nr.  19.    1894. 

Die  von  Takäcs  seit  10  Jahren  geübte  Methode  besteht  in  Fol- 
gendem: 

Da  das  Kalium  chloricum  (nach  Ansicht  des  Autors)  nicht  sowohl 
local,  als  vielmehr  durch  Unschädlichmachen  der  ins  Blut  aufgenom- 
menen Toxine  wirkt,  hält  es  T.  für  nothwendig,  dasselbe  mit  irgend 
einem  Quecksilberpräparate  zu  verbinden.  T.  empfiehlt  daher,  zu  einer 
Fiüssigkeitsmenge  von  200  g  Kai.  chlor.  4,0  und  Quecksilberchlorür  0,04 
zu  geben.  Von  dieser  Mischung  soll  Tag  und  Nacht  bis  zum  Ver- 
schwinden der  Beläge  ^y^  stündlich  ein  Kaffeelöffel  gereicht  werden  und 
nachher  noch  einige  Tage  lang  ein-  und  zweistündlich.  Auserdem  drei- 
stündlich Priessnitz'sche  Umschläge  und  nur  flüssige  Nahrung  stets  vor 
Verabreichung  des  Medicaments.  Unger. 


Jalirbuoh  f.  Kinderheilkunde.  N.  F.     XlXl£.  19 


282  Analecten. 

lieber  die  Veneerihung  des  Opiums  bei  der  Behandlung  der  Lcuynz- 
Stenosen  im  KindesäUer,  Von  Dr.  C.  Stern.  Therapeut  ModaIb* 
hefte  Mai  1894. 

Dr.  Stern  geht  von  der  Erfahrang  aus,  dass  Kinder  mit  Larjnx- 
Stenosen  unter  dem  Einflüsse  psychischer  Erregung  eine  wesentliche  Zu- 
nahme, nach  eintretender  Beruhigung  und  im  Schlafe  relativ  eine  Ab- 
nahme der  Dyspnoe  zeigen,  von  der  weiteren  Erfahrung,  dass  bei 
tracheotomirten  Kindern,  bei  welchen  der  Process  in  den  Bronchien 
fortschreitet,  die  Athembeschwerden  durch  Opium  gemildert  werden. 

Er  wendet  das  Opium  an  in  Fällen  von  Laxynzstenose,  die  für 
die  Tracheotomie  „reif*  waren,  mit  dem  Effecte,  dass  der  Hustenreiz 
gemildert  und  die  Athmung  eine  ruhigere  und  gleichmässige  wurde, 
die  Gjanose  abnahm. 

Dass  bei  der  ^durch  die  Opiumbehandlung)  ruhiger  gewordenen  Ath- 
mung sich  auch  die  Kohlens&ureintozication  bessert,  ist  ebenfalls  leicht 
erklärlich,  sagt  der  Autor,  für  insbesondere  wirksam  hält  er  dabei  das 
Ausfallen  des  Hustenreizes. 

Beleuchtet  wird  dieser  therapeutische  Vorschlag  durch  die  Beob- 
achtung an  einem  16  Monate  alten  Kinde,  bei  dem  es  fast  unzweifel- 
haft ist,  dasB  es  an  acuter  Laryngitis  (Pseudocroup)  gelitten  habe,  und 
durch  zwei  andere  Fälle,  die  allerdings  behufs  Vornahme  der  Tracheo- 
tomie zugeschickt  worden  waren,  bei  welchen  aber  offenbar  eine  schwere, 
durch  Membranen  bedingte  Obstruction  nicht  vorhanden  war. 

Dr.  Stern  meint  auch,  dass  selbstverständlich  das  Opium  die  Tracheo- 
tomie nicht  ersetzen  könne,  aber  es  sei  doch  oft  zu  versuchen,  ob  es 
die  Operation  entbehrlich  machen  könne,  selbst  in  schweren  Fällen,  in 
welchen  es  wenigstens  die  unmittelbare  Gefahr  zu  mildem  und  die  Vor- 
nahme der  Tracheotomie  hinauszuschieben  vermag. 

Die  Opiumbehandlung  habe  überdies  den  Vortheil,  dass  die  zur 
Operation  gelangenden  Kinder  weniger  Chloroform  für  die  Narkose  ver- 
brauchen. 

Dr.  Stern  verabreicht  den  Kindern,  je  nach  dem  Alter,  die  Opium- 
tinctur  in  Dosen  von  2  —  6  Tropfen  und  kann  diese  Dosen  dreimal  täg- 
lich wiederholen. 

Es  scheint  nicht  überflüssig  zu  sein,  zu  bemerken,  dass  man  besser 
daran  thut,  bei  wirklichen,  durch  Membranbildung  bedingten  Stenosen 
nicht  durch  den  Scheinerfolg,  den  Opium  etwa  erzielen  könnte,  die 
kostbare  Zeit  zu  verlieren  (Ref.).  Eisenschitz. 

Beridii  Über  53  Tracheotamien  bei  Croup,  Von  Mattucci.  Lo  Speri- 
mentale  1898.  Nr.  14'.  p.  818  f.  (Sitzungsbericht  der  Accademia 
medico-fisica  fiorentina  vom  20.  VI.  1893.) 

Von  den  im  Jahre  1892/1893  operirten  63  Kinder  sind  23  (»46%) 
gestorben,  darunter  19  unter  drei  Jahren;  81  mal  wurde  die  Tracheo- 
tomia  superior,  22 mal  die  Tracheotomia  inferior  gemacht,  von  wel- 
cher letzteren  Verf.  glaubt,  dass  sie  zu  unbeliebt  ist  und  zu  selten 
gemacht  wird.  In  zwei  Fällen  sah  sich  Verf.  genöthigt,  die  Aspiration 
von  Pseudomembranen  und  Schleim massen  mit  Hilfe  des  Catheters  vor> 
zunehmen.  Blutungen  traten  nur  dreimal  auf.  In  drei  Fällen  trat 
während  der  Operation  plötzlich  Stillstand  der  Athmung  ein ,  es  wurde 
schleunigst  die  Canüle  eingeführt  und  die  kdnstliche  Athmung  ein- 
geleitet. Einer  dieser  Fälle  war  noch  durch  eine  heftige  venöse  Blu- 
tung erschwert. 

In  einem  Falle,  welcher  am  27.  Tage  nach  der  Operation  geheilt 
entlassen  war,  trat  am  49.  Tage  in  Folge  allgemeiner  LSJimungen  der 
Tod  ein.    Als  ein  schlechtes  prognostisches  Zeichen  bezeichnet  Verf.  die 


I.  InfectioDskrankheiteD.  283 

spontane  oder  künstliche  Entleerung  yerzweigter  Pseudomembranen  in 
Form  von  Abgüssen  der  Trachea  und  der  grossen  Bronchien,  sowie  das 
Fehlen  einer  Kxpectoration  durch  die  CaniUe. 

Von  Complicationen  beobachtete  er  12  mal  Bronchopneumonie  (ge- 
storben 9)  und  11  mal  Nephritis  (gestorben  5);  die  meisten  Todesfälle 
erfolgten  durch  die  diphtherische  lufection  selbst  und  nicht  später  als 
60  Stunden  post  operationem. 

Erwähnt  wird  zum  Schlüsse  ein  Fall  von  langdauernder  Diphtherie, 
welcher  in  Zeit  von  1^  Mouat  dreimal  operirt  werden  musste;  jedes- 
mal konnte  die  bacteriologische  Untersuchung  das  Vorhandensein  der 
Löffler'schen  Bacillen  nachweisen.  Toeplitz. 

Die  Amoendung  der  Ö'Dwy er' sehen  Intubation  hei  Laryngitis  erouposa. 
Von  Dr.  S.  Grosz.    Pester  med.-chir.  Presse  Nr.  89.    1894. 

Verf.  stellt  die  V  ortheile  und  Nachtheile  der  Methode  einander 
gegenüber. 

Als  Vortheile  sind  anzusehen:  1.  dass  die  Angehörigen  leichter 
ihre  Einwilligung  zur  Operation  geben,  2.  dass  diese  selbst  rascher,  ein- 
facher und  ohne  grössere  Assistenz  ausführbar  ist ,  3.  dass  die  Couti- 
nuität  der  Luftwege  erhalten  bleibt  und  keine  neuen  Infectionswege  ent- 
stehen, 4.  dass  der  Tubus  in  vielen  Fällen  schon  nach  %  —  48  Stunden 
entfernt  werden  kann  und  6.  dass  endlich  die  Nachbehandlung  ein- 
facher ist  und  weniger  Ruhe  erfordert. 

Nachtheile  der  Methode  sind:  Ldass  in  der  Privatpraxis  die  be- 
ständige ärztliche  Ueberwaohung  schwer  durchfahrbar  ist,  2.  dass  die 
Ernährung  des  Kranken  vielen  Schwierigkeiten  begegnet  und  8.  end- 
lich die  Möglichkeit  der  Entstehung  von  Decubitus. 

G.  bemerkt  noch,  dass  bei  grossen  Oedemen  des  Eehlkopfeinganges 
und  bei  Pharynzstenose  ausschliesslich  die  Tracheotomie  anzuwenden  ist. 

Die  statistischen  Angaben  stammen  ans  dem  Stefanie -Kinderspitale 
in  Budapest.  Unger. 

Die  Indieatian  eur  Tracheotomie,    Von  Dr.  Cnopf.   Münchener  med.  W. 
Nr.  19.    1894. 

Dr.  Cnopf  macht  auf  die  Verschiedenheit  des  Verhaltens  der  oberen 
und  unteren  Lungenpartien  bei  der  Laiynxstenose  der  Kinder  aufmerk- 
sam; die  oberen  vorderen,  unter  günstigen  inspiratorischen  Bedingungen 
stehend,  müssen  in  den  Zustand  der  Blähung,  die  unteren,  unter  gün- 
stigeren ezspiratorischen  Bedingungen  stehend,  müssen  in  den  Znstand 
der  Atelectase  gerathen. 

Die  Beobachtung  des  Dorsaltheiles  des  Thorax  bei  80  laryngosteno- 
tischen  Kindern  hat  gelehrt,  dass  die  Laryngostenose  immer  von  einem 
Tiefstande  des  Zwerchfells  begleitet  war.  Das  Diaphragma  stand  drei- 
mal an  der  10.,  13  mal  an  der  11.,  13  mal  unter  der  11.  und  38  mal 
an  der  12.  Bippe;  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  war  der  Tiefstand  des 
Zwerchfells  schon  beim  Eintritt  in  das  Kinderspital  eine  vollendete 
Thatsache. 

Die  Percussion  ermittelte  aber  nicht  nur  den  Tiefstand  des  Zwerch- 
fells, sondern  ergab  auch,  dass  dasselbe  constant  auffallend  hell  und 
voll  blieb,  trotz  stürmischer  In-  und  Exspiration  L  e.  dass  sich  die 
Lungengrenze  kaum  vorschob,  das  Diaphragma  krampfhaft  festgehalten 
wurde. 

Wird  die  Laryngostenose  beseitigt  oder  hört  sie  spontan  auf,  so 
steigt  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  unmittelbar  nachher  die  Lungengrenze 
um  1—2  Rippen. 

Dr.  Cnopf  schliesst  daraus,  dass  der  jeweilige  Stand  des  Zwerch- 

19* 


284  Analecien. 

felis   am  Dorsaltheile   des  Thorax   ein   Gradmesser  ffir   die  Höhe   der 
Stenose  sei.  Eisenschita. 

üeber  die  IntubaHon  des  Croup.    Von  Aaser.    Eira  XVIII.   4.   1894. 

Nach  Aaser^s  Erfahmngen  ist  die  Intubation  yiel  leichter  auszo« 
ffihren  als  die  leichteste  Tracheotomie  und  bereitet  dem  Pat  nicht  viel 
Schmerlen;  sie  wird  Ton  den  Eltern,  die  sich  der  Tracheotomie  wider- 
setzen oder  sie  erst  zulassen,  wenn  der  Zustand  nahezu  hoffhungsloa  ist, 
in  der  Regel  zugegeben;  sie  ist  unblutig  und  es  kann  deshalb  keine 
secundäre  Infection  durch  die  Wunde  erfolgen;  die  Nachbehandlung  ist 
leichter  als  nach  der  Tracheotomie.  Walter  Berger. 

6.  Tjphns  abdominalis. 

Gleickeeitige  Erkrankung  an  Typhus  abdomiwiUa  und  Meningitis  cerebro- 
spinaiis  bei  einem  3^^  jährigen  Kinde.  Von  Dr.  B.  Drews.  AUg. 
med.  Central-Zeitg.  10.    1894. 

Ein  8^  Jahre  nlter  Knabe,  der  schon  seit  ca.  4  Wochen  unlustig, 
gegen  GerftuFche  hyperftsthetisch  ist,  erkrankt  unter  heftigem  Fieber, 
hat  starke  Kopfschmerzen,  eine  Tergrösserte  Milz  und  StuhWerstopfiang. 

Am  6.  Erankheitstage  plötzlich  heftiges  Erbrechen  und  allgemeine 
Gonvulsionen,  unregelmässigen  Puls  und  unregelm&ssige  Respiration  und 
tiefes  Coma. 

Am  6.  Krankheitstage  linksseitige  schlaffe  Hemiplegie,  Ptose  und 
Facialisparese. 

Das  tiefe  Coma  wird  am  9.  Krankheitstage  von  neuerlichen  wieder- 
holten Convulsionen  unterbrochen,  welche  sich  nunmehr  täglich  bis 
zum  19.  Krankheitstage  einstellten  —  zwischendurch  Roseola. 

Am  22.  Krankheitstage  Opisthotonus,  am  26.  Krankheitstage  starb 
das  Kind.   Keine  Section. 

Dl.  Drews  diagnosticirt  mit  Sicherheit:  Typhus  abdominalis  und 
Menin^tis  cerebrospinalis. 

Die  Frage,  ob  es  sich  um  subacute  Tubercnlose  gehandelt  haben 
könnte,  wird  nicht  erörtert  Eisenschitz. 

7.  Malaria. 

Ueber  die  Behandlung  der  Malaria  mit  Methylmblau  und  über  die 
loeale  Anwendung  desselben  bei  Diphtherie.  Von  Kasem-Beck^ 
Wratsch  Nr.  23—27.    1893. 

Verf.  hat  das  Methylenblau  mit  sehr  günstigen  Resultaten  in  der 
Kinderpraxis  angewandt;  die  interne  Dosis  betrug  0,25  pro  die.  Neben- 
erscheinungen,  wie  etwaige  Uebelkeit,  Erbrechen,  Harndrang  u.  s.  w., 
wurden  nicht  beobachtet  In  einigen  Fällen,  wo  das  Chinin  die  An- 
fälle nicht  zu  unterdrücken  vermochte,  gdang  es  Verf.,  dieselben  mit 
Methylenblau  zu  beseitigen.  Es  schien  sogar,  dasä  Kinder  das  Mittel 
besser  vertragen  als  Erwachsene.  In  12  Fällen  von  Diphtherie  wandte 
Verf.  Methylenblau  in  einer  Lösung  von  1 :  10  local  an.  Der  Erfolg 
war  ein  sehr  eclatanter.   Der  Üarn  wurde  nach  24  Stunden  dunkelblau. 

AbelmauD. 

8.  CerebrospinalneniBgltis. 

IHe  epidemische  Genickstarre.  Von  Dr.  OttoLeichtenstern.  Gentralbl. 
f.  allg.  Gesundheitspflege  6.  u.  7.  H.   1893. 

Die  epidemische  Cerebrospinalmeningitis  begann  in  Köln  zu  Anfang 
des  Jahres  1886,    diese  Epidemie   war  seit  den  Jahren  1864/65  über- 


I.  InfectioDskrankheiten.  285 

haupt  in  Deatschland  nicht  gesehen  worden,  mit  Ansnahme  ganz  kleiner 
Herde  in  den  Jahren  1871  und  1879^0. 

Bald  darauf  kamen  Berichte  über  Epidemien  derselben  Art  aus  Pom  - 
mern,  der  Rheinprovinz  und  Westphalen. 

In  Westphalen  war  und  zwar  in  Dorsten  a.  d.  Lippe  auch  im  Jahre 
1822/23  eine  solche  Epidemie  beobachtet  worden. 

In  den  Jahren  1864/66  dagegen  war  die  Epidemie  hauptsächlich 
über  den  Norden,  Süden  und  Südwesten  Deutschlands  ausgebreitet. 

Die  Schilderung  der  Epidemie  in  Köln  basirt  auf  dem  Beobachtungs- 
material  des  Bürgerhospi&ls,  in  welches  auch  Kinder  ohne  jede  Be- 
schränkung aufgenommen  werden,  allerdings  doch  nicht  in  einem  der 
Zahl  der  yorkoromenden  Erkrankungen  entsprechenden  Verhältnisse. 

Dieses  Material  ergänzte  der  Autor  durch  Fragebogen  an  sämmt- 
liche  in  Köln  die  Praxis  ausübende  Aerzte. 

Es  kamen  im  Jahre  1885  im  Spitale  63  Fälle,  13  mit  tödtlichem 
Ausgange,  und  in  der  Privatprazis  48  Fälle,  24  mal  mit  tödtlichem  Aus- 
gange vor;  die  Ziffern  aus  dem  Jahre  1886  im  selben  Sinne  lauten:  26 
und  9,  die  Ziffern  ans  der  Praxis  im  Jahre  1886  sind  unTollständig. 

Die  grosse  Mortalität  der  Fälle  aus  der  Praxis  scheint  darauf  zu 
beruhen,  dass  nur  die  schwersten,  also  ganz  sicher  diagnosticirbaren 
Fälle  in  die  Statistik  aufgenommen  wurden. 

Die  Morbiditätsziffer,  auf  die  Gesammtbevölkerun^  berechnet,  be- 
stimmt Dr.  L.  auf  l7oo*  durchschnittlich  betrug  sie  in  anderen  Epi- 
demien 8~67oo  1  ^^  einzelnen  selbst  127oo;  auch  die  Mortalität  ist  im 
Durchschnitte  grösser  als  die  in  Köln,  beträgt  nach  Hirsch  377^. 

Von  194  Fällen  Ton  epidemischer  Meningitis  in  Köln  (1885  — 1892) 
standen  22  im  Alter  von  1  —  6,  21  von  6  —  10,  17  von  11  —  15,  79  im 
Alter  von  16—25  Jahren,  sodass  also  das  Alter  von  16—25  Jahren  am 
häufigsten  befallen  war;  unter  den  Erkrankten  waren  114  männlich  und 
80  weiblich. 

L.  hat  den  Eindruck,  dass  vorzugsweise  kräftige  und  gesunde  In- 
dividuen befallen  wurden,  aber  dass  dies^  durchaus  nicht  immer  die 
Krankheit  leichter  durchmachen  als  die  schwachen. 

Die  Verbreitung  der  epidemischen  Meningitis  über  die  Stadt  Köln 
war  eine  ausserordentlich  gleich  massige,  eine  Neigung  zur  Bildung  von 
Krankheitsherden  fehlte  absolut.  Eisenschitz. 

9«  Influenza« 

Influenza,    Von  Prof.  A.  Baginsky.    Arch.  f.  Kinderheilk.    16.  Bd. 

Unter  den  in  der  medicinischen  Abtheilung  des  Kaiser-  und  Kaiserin- 
Friedrich  -  Kinderkrankenhauses  in  Berlin  zur  Beobachtung  gelangten 
Fällen  von  Influenza  erscheint  der  folgende  mit  schwerer,  von  amyo- 
trophischer Lähmung  begleiteter  Ischias  einhergehende  Fall  von  Inter- 
esse: Derselbe  betrifft  einen  10  Jahre  alten  Knaben,  der  ausserhalb 
Berlins  unter  Kopfschmerzen  und  hohem  Fieber  an  Influenza  erkrankte 
und  am  8.  Tage  der  Erkrankung  eine  Lähmung  am  rechten  Schenkel 
zeigte,  sodass  das  Gehen  verhindert  war.  Die  Lähmung  war  von  hef- 
tigen Schmerzen  begleitet.  Vier  Wochen  nach  der  Influenzaerkrankung 
kam  Pat.  zur  Untersuchung.  Es  wurde  dabei  eine  ziemlich  weit  fort- 
geschrittene Atrophie  der  Muskulatur  des  rechten  Ober-  und  Unter- 
schenkels constatirt,  sodass  das  rechte  Bein  in  der  ganzen  Ausdehnung 
ge^en  das  linke  um  8^— 4^)^  cm  an  Umfang  zurückgeblieben  ist.  Das 
Bein  fühlt  sich  schlaff  an,  besonders  der  Quadriceps  des  Oberschenkels 
und  der  Triceps  surae,  und  wird  beim  Versuche,  auszuschreiten,  nur 
mühsam  nachgeschleppt,  wobei  der  Fuss  voll  mit  der  ganzen  Sohle 
aufgesetzt  wird,    mit  gespreizten   Zehen  auftritt  und   sich  nur   ganz 


292  Analecten. 

auch  auf  den  Kopf  verbreitete  and  aus  sehr  zahlreichen,  gleiehm&ssig 
serstrent  stehenden,  rothen  Flecken  besteht,  in  deren  Mitte  ein  derbes 
Knötchen  —  niemals  Bläschen  —  von  Hirsekomgrösse  sitst.  Beim  Be- 
streichen fflhlt  sich  die  Haut  sehr  rauh  an.  Das  Exanthem  conflnirt 
nicht,  verblasst  schon  nach  wenigen  Stunden,  worauf  sich  heftiges,  oft* 
mals  unerträgliches  Jucken,  verbanden  mit  starker  Schweissbildung  ein- 
stellt. Die  Temp.  ist  im  Floritions  -  Stadium  nicht  erhöht,  die  Zunge 
rein,  keine  Angina,  keine  Schleimhauteruption,  kein  Durst,  Appetit  und 
relatives  Wohlbefinden  sind  vorhanden.  Nach  1 — 8  Tagen  beginnt  eine 
feine  kleienartige  Abschuppang,  die  in  höchstens  acht  Tagen  be- 
endet ist,  zuweilen  aber  auch  fehlt.  Die  Dauer  der  Krankheit  betrug 
im  Maximum  14  Tage,  gewöhnlich  viel  weniger.  Schwäche  in  den 
Beinen  und  Neigung  su  SchweissauabrÜchen  bleiben  längere  Zeit  sorfick. 
Complicationen  wurden  nur  selten,  und  alsdann  DrOsensch wellungen  oder 
Abscesse  beobachtet.  —  Modificationen  des  Verlaufes,  wie  Fehlen  des 
Exanthems,  abortive  Formen  etc.  wurden  beobachtet,  namentlich  dann, 
wenn,  wie  es  Öfter  geschah,  dasselbe  lodividuum  während  der  herr- 
schenden Epidemie  wiederholt  von  Schweissfieber  befallen  wurde.  Wäh- 
rend der  Miliariaepidemie  kamen  gleichzeitig  einzelne  Fälle  von  Schar- 
lach —  Scharlach  schützt  nicht  vor  Schweissfieber  und  umgekehrt  — 
und  Varicellen  vor;  ersterer  war  der  Epidemie  meistentheils  vorange- 
gangen, letztere  zeigten  sich  erst  während  derselben.  In  zwei  Fällen 
konnte  Mischinfection  mit  Varicellen  und  Schweissfieber  eonstatirt  werden. 
Als  Incubationsdauer  konnten  8— 14  Tage  bestimmt  werden.  —  Die 
Prognose  konnte  stets  gfinstig  gestellt  werden,  die  Behandlung  be- 
stand in  Zimmerarrest  und  kühlem  Verhalten,  Einstäuben  der  Haut  mit 
Amylum,  zum  Schlüsse  Bäder.  Von  sanitätspolizeilichen  Maassnahmen 
kamen  als  wirksam  in  Betracht:  Isolirnng  der  Kranken  und  laue  Seifen- 
bäder, Desinfection  der  Wäsche,  Kleider  and  Betten,  Enthebung  der 
schulpflichtigen  Geschwister  vom  Schulbesuch.  ünger. 

üebtr  Glotaitis  und  Mundseuche.  Von  Dr.  Siegel.   Deutsche  med.  W.  48. 
1898. 

Dr.  Siegel  hatte  in  Nr.  49  der  Deutschen  med.  W.  aus  dem  Jahre 
1891  eine  Arbeit  publicirt:  „Die  Mundseuche  des  Menschen  (Stomatitis 
epidemica) ,  deren  Identität  mit  der  Maul-  und  Klauenseuche  der  Haus- 
thiere  und  beider  Krankheiten  gemeinsamer  Erreger*^  Seine  damaligen 
Beobachtungen  hatten  sich  auf  eine  Epidemie  im  Berliner  Vororte  Britz 
bezogen. 

Die  beobachteten  Krankheitsbilder,  nach  einer  8 — 10  Tage  dauern- 
den Incubation,  bestehen:  1)  aus  8—8  Tage  dauernden  Prodromen  mit 
ziemlich  schweren  Störungen  des  Allgemeinbefindens,  Schüttelfrösten, 
Unbehagen,  Kreuzschmerzen,  Schwindel,  Fieber  bis  zu  89,6*;  2)  der  dann 
auftretenden  Stomatitis,  mit  einem  gelblichen  bis  schwarzen  Zungen- 
belage,  starker  Schwellung  des  Zahnfleisches,  Lockerung  der  Zfilme, 
foetor  ex  ore,  Petechien.  Heilung  nach  8 — 14  Tagen,  langsame  Recon- 
valesccDz. 

Schwere  Complicationen  kOnnen  entweder  der  fi[rankheit  einen  bös- 
artigen Verlauf  geben ,  oder  mitunter  kann  der  Verlauf  recht  chronisch 
sein,  die  Krankheit  1 — 1<^  Jahre  dauern. 

Bei  schweren  Formen  kommt  es  zu  einer  mit  bedeutender  Schwel- 
lung einhergehenden  Glossitis,  zu  vehementen,  sogar  gefährlichen  Blu- 
tungen aus  dem  Zahnfleische,  zu  Pneumonien,  Myocarditis,  sehr  oft  zu 
Leberschwellungen,  zu  bedenklichen  nervOsen  Störungen. 

Die  directe  Gontagiosität  ist  unzweifelhaft 

Siegel  behauptete  schon  damals  auf  Grund  seiner  Untersuchungen 


i 


I.  iDfectioDskrankheiteD.  293 

die  bacteriologische  Identit&t  dieser  Krankheit  mit  der  Maul-  und  Klaaen- 
senche  der  Haustbiere. 

In  der  Sitzung  der  freien  Vereinigung  der  Chirurgen  Berlins  vom 
10.  Juli  189S  behandelte  Dr.  Siegel  im  Anschluss  an  einen  von  Rose 
berichteten  tödtlichen  Fall  von  Glossitia  neuerdings  diesen  Gegenstand 
und  wir  (Ref.)  werden  über  diesen  Vortrag  berichten,  wenn  die  in  Aus- 
sicht gestellte  ausfuhrliche  Publication  erfolgt  sein  wird. 

Lindner  hat  in  einem  Saale  seiner  Einderstation  eine  2  Monate 
lang  dauernde  Epidemie  einer  eigenthümlichen  Wundaffection  beob- 
achtet, mit  auffölligen  Uloerationen  an  den  Lippen,  Fieber,  Durchfall 
und  Magenstörungen.    Sicher  war  die  Affection  ansteckend. 

Köber  hebt  hervor,  dass  die  von  Siegel  beschriebene  Epidemie 
im  Gegensatze  zu  den  anderweitig  beobachteten,  stets  benignen  Epide- 
mien am  Menschen  als  eine  ausnahmsweise  schwere  anzusehen  sei. 

Siegel  giebt  nachträglich  auf  Anregung  Köber's  den  Aufschluss, 
dass  seine  Impfungen  mit  Reinculturen ,  wenn  sie  cutan  vorgenommen 
wurden,  negative,  wenn  intraperitoneal  vorgenommen,  positive  Ergeb- 
nisse (Bläschenaufschwellung  am  Maule)  brachten.  Wahrscheinlich  er- 
zeugt die  Uebertragung  durch  Milch  und  Berührung  kranker  Thiere 
am  Menschen  nur  leichte,  die  Ansteckung  von  schwer  erkrankten  Men- 
schen hat  aber  gewöhnlich  schwere  Erkrankungen  zur  Folge,  auch 
scheint  die  Ansteckung  von  Men&ch  auf  Mensch  leichter  erfolgen  zu 
können,  als  vom  Thier  auf  den  Menschen. 

üeber  eine  kleine  Familienepidemie  derselben  Art  berichtet  S.  Kamp  e  r, 
diese  Familie  bezog  die  Milch  aus  dem  Epidemieorte. 

Langenbuch  hat  eine  kleme  Reihe  von  hierher  gehörigen  Fällen 
beobachtet  und  erzählt,  dass  in  einem  Falle  von  schwerer  Glossitis,  bei 
dem  zur  Lebensrettung  schon  die  Tracheotomie  erwogen  wurde,  auf 
Rath  des  Generalarztes  Keil  eine  grosse  Gabe  von  Tart.  emet.  und 
ebenso  noch  in  2 — 8  anderen  Fällen  Hilfe  brachte.         Eisenschi tz. 

La  füvre  gangliormaire.   Par  le  doctenr  Comby.  La  m^decine  infaütile 
1874  p.  1. 

C.  würdigt  übersichtlich,  was  Filatow,  Pfeiffer,  Stark,  Pro- 
tassow,  Moussous,  Neumann  über  das  „Drüsenfieber**  gesagt  haben, 
und  wendet  sich  gegen  die  Auffassung  dieser  Krankheit  als  allgemeine 
Infection  mit  BetheUigung  der  Leber,  Milz,  Mesenterial-  und  Bronchial- 
drüsen, und  ebenso  gegen  die  Verwechslung  derselben  mit  secundären 
Adenopathien  der  Kiefer-,  Nacken-,  Clavicular-  und  Nickergegend,  auf  die 
sich,  aber  als  primäre  Erkrankung,  diese  Affection  localisire.  Die  Rachen- 
schleimhaut, insbesondere  die  Mandeln,  bilden  die  Eingangspforte  des 
Virus,  vielleicht  eines  Streptococcus,  um  den  Verlauf  einer  echten  In- 
fectionskrankheit  herbeizuführen.  Ausgang  in  Suppuration  bemerkte  C. 
wiederholt.  Sommer-  Stuttgart. 

BrüsenfUhtr.     Von  Prof.   Andreas   Moussous    in   Bordeaux.    Revue 
mensuelle  des  maladies  de  Tenfauce,  Juniheft  1893. 

Anlehnend  an  die  von  Pfeiffer  und  Starck  im  Jahrbuch  für 
Kinderkrankheiten  (Jahrgänge  1889  u.  1890)  aufgestellte  Bezeichnung 
bespricht  Verfasser  zwei  eigene  Fälle,  betreffend  Knaben  von  8  und  12 
Jahren. 

Nach  kurzem  allgemeinem  Unwohlsein  gastrischer  Art  tritt  unter 
starker  nächtlicher  Aufregung,  Erbrechen  und  Kopfschmerz  ein  intensives 
Fieber  auf.  Local  findet  man  die  Nacken-  und  Unterkieferlymphdrüsen 
geschwellt  und  empfindlich,  während  die  Achsel-  und  Leistenlymph- 
drusen  frei  bleiben.    Die  afficirton  Drüsen  verschmelzen  nicht  in  einen 


294  Analecten. 

allgemeinen  DrÜsentamor,  sondern  bleiben  yereinzelt.  Es  kann  nur 
eine  Seite  ergrL£fen  werden,  meistens  aber  ist  die  Affection  von  Torne- 
herein  bilateral.  Mund-  und  Racfaenschleimhaat  geröthet.  Entweder 
gehen  nach  einigen  Tagen  die  Fieberbewegungen  zurück  oder  bestehen 
fort.  In  diesem  Falle  tritt  ein  keuchhnstenartiger  Husten  auf  und 
klagt  das  Kind  über  Schmerzen  am  Nabel  und  im  Unterleib.  Das  Er- 
scheinen dieser  Complication  lässt  an  Mitergriffenwerden  der  Peri- 
tracheal-  und  Mesenterialdrüsen  denken. 

Im  zweiten  citirten  Falle  (Knabe  von  18  Jahren)  schloss  sich  das 
Drüsenfieber  an  eine  Masemerkrankung  an,  hielt  sich  lange  auf  der 
Höhe  und  führte  zu  einer  sehr  sich  in  die  Länge  ziehenden  Recon- 
yalescenz.    Schliesslich  yöliige  Heilung.  Albrecht. 

13.  Keuohiiasten. 

Miologie  de  la  cogueluche.    Sitzung  der  Akademie  vom  29.  September. 
Archives  g^närales  de  M^decine.    Januar  1893.   S.  91. 

Im  Namen  des  Professors  der  Thierarzneischole  von  Lyon,  Galtier, 
überreicht  Weber  eine  Denkschrift  über  die  Aetiologie  des  Keuch- 
hustens. Danach  ergiebt  sich  aus  den  Beobachtungen  und  Thierexperi- 
menten:  1)  dass  der  Keuchhusten  eine  von  Mikroorganismen  hervor- 
gerufene Krankheit  ist;  2)  dass  der  Mikrobe  zu  den  ASroben  gehört 
und  sich  leicht  züchten  l&est,  hauptsächlich  in  den  zähen  Auswurfs- 
producten  sich  findet  und  eine  rundliche  Form  hat;  8)  daas  besonders 
Einathmungen  von  Terpentin  nützlich  sind,  und  dass  endlich  4)  die 
Uebertragbarkeit  auf  gewisse  Thiere  (Kaninchen,  Meerschweinchen,  Hunde 
und  Hühner),  besonders  Hunde  und  Hühner  leicht  gelingt 

Fritzsche. 

Ein  Fall  von  Bronchiektasie  fMch  Keuchhwten.    Von  M.  Abelmann. 
Bolnitschnaja  Gasetta  Botkina  Nr.  45—46.    1893. 

Bei  einem  7jährigen  Mädchen,  das  einen  schweren  Keuchhusten 
durchgemacht  hatte,  entwickelte  sich  allmählich  ein  Symptomencomplex, 
der  auf  Bronchiektasie  hindeutete :  maulvolle  Ezpectoration  übelriechen- 
der Sputa,  die  die  bekannte  Dreischichtung  aufwiesen,  Höhlensjmptome 
im  Unterlappen  der  linken  Lunge,  Fehlen  von  Tnberkelbacillen.  In 
weiterem  Verlauf  der  Krankheit  gesellte  sich  eine  chronische  käsige 
Pneumonie  hinzu,  der  schliesslich  das  Kind  erlag.  Bei  der  Section  fand 
man  den  ganzen  linken  Unterlappen  durchsetzt  von  grösseren  und  kleineren 
bronchiektatischen  Cavernen,  so  dass  die  Lunge  ein  groblöcheriges  Aus- 
sehen zeigte,  im  Oberlappen  —  käsige  Pneumonie.  Verfasser  erklärte 
die  Entstehung  der  bronchiektatischen  Cavernen  durch  die  häufigen 
und  schweren  KeuchhustenanfäUe ,  die  zunächst  Atelektasen  schaffen. 
Durch  die  Unwegsamkeit  und  Verödung  einer  Anzahl  kleiner  Bronchen 
und  Alveolen  wird  der  intrabronchiale  Luftdruck  gesteigert,  und  ist  die 
Bronchial  wand  durch  den  vorangegangenen  Katarrh  erschlafft,  so  sind 
damit  Momente  gegeben,  die  eine  Bronchiektasie  leicht  zu  Stande 
bringen.  —  Bei  der  Behandlung  des  Keuchhustens  sind  wir  verpflichtet» 
Alles  anzuwenden,  um  die  heftigen  und  häufigen  Paroxysmen  zu  mildem, 
namentlich  muss  die  Zahl  der  Anfälle  herabgesetzt  werden,  damit  den 
Lungen  Zeit  gegeben  wird  die  Störungen,  welche  der  Paroxysmus  her- 
vorruft, auszugleichen.  Es  sollen  die  Narcotica  und  Sedativa  in  erster 
Keihe  berücksichtigt  werden,  in  nöthigen  Fällen  soll  man  vor  dem 
Morphium  oder  Codein  nicht  zurückschrecken.  Erwünscht  sind  weitere 
Versuche  mit  Einathmung  comprimirter  Luft  in  pneumatischen  Kam* 
mern.  Abelmann. 


J.  Infectionskrankheiten.  295 

Zur  Chinxnbthandlwug  des  Keuchh%uien8,    Von  Dr.  S.  Baron.    Berliner 
kl.  W.  48.  1898. 

Dr.  Baron  hat  ca.  60  Fälle  von  Keachhnsten  mit  Chinin  (Binz- 
Ungar)  behandelt.  Bei  einer  kleinen  Anzahl  von  Kranken  trat  schon 
am  2.  oder  8.  Tage  Besserung  ein,  sicher  am  6.-6.  Tag.  Die  Ge- 
sammtdaner  der  Krankheit  beträgt  durchschnittlich  8  Wochen,  in  ver- 
einzelten Fällen  wirkt  das  Chinin  geradezu  coupirend  und  eigentliche 
BackföUe  werden  dabei  nie  beobachtet. 

£inen  ganz  besonderen  Werth  hat  das  Chinin  in  Fällen  von  Keuch- 
husten, welche  mit  acuten  Lungenkrankheiten  complicirt  sind,  und  man 
ist  berechtigt  zu  meinen,  dass  es  sogar  das  Eintreten  solcher  Compli- 
cationen  zu  verhüten  vermag  • 

Dr.  B.  verordnet  Chinin  mur.  0,01  pro  Monat  und  0,1  pro  Jahr  3  mal 
taglich.  Die  Maximaldose  auch  für  ältere  Kinder  8  mal  täglich  0,4;  mit 
fortschreitender  Besserung  kann  man  die  Dosen  verringern. 

Bei  gestörtem  Appetit  ist  etwas  Salzsäure  nachzunehmen,  bei  grosser 
Brechreizung  ist  das  Chinin  mit  Brausepulver  vermengt  zu  geben. 

Eisenschitz. 

lieber   Keuchhusten  und  dessen   Behandlung.     Von   Dr.   8.   Schwarz. 
Internat.  kL  Bundsch  2.    1898. 

Der  Angriffspunkt  für  die  Behandlung  des  Keuchhustens  ist  die 
Nase.  Man  kann  wohl  von  einer  Behandlungsmethode  des  Keuchhustens 
nicht  mehr  verlangen,  als  Dr.  Schwarz  mit  der  seinigen  erzielt  zu 
haben  angiebt:  Von  67  Fällen  von  Keuchhusten  heilten  alle  ohne  Aus- 
nahme in  8 — 6  Tagen. 

Die  Methode:  Ein  Pulverzerstäuber  für  den  Kehlkopf,  mit  einem 
16—20  cm  langen  weichen  Kautschukrohr  armiit,  wird  mit  80—36  ctg 
eines  Pulvers,  gemischt  aus  Kohle,  Schwefel,  Myrobalan  und  Sozojodol 
geladen,  mit  der  Concavität  nach  oben  2 — 8  cm  tief  in  das  eine  Nasen- 
loch —  nach  vorheriger  gründlicher  Reinigung  der  Nase  —  eingeführt 
und  eingeblasen,  immer  einmal  täglich;  auch  prophjlactisch  wirkt  die 
Methode  ganz  sicher. 

Zuweilen  erfolgt  nach  der  ersten  Einblasung  eine  vorübergehende 
Verschlimmerung,  nach  der  zweiten,  längstens  dritten,  tritt  auffallende 
Besserung  ein,  nach  höchstens  sechs  Einblasungen  war  der  Process  vor- 
über und  man  bläst  nur  mehrere  Male  ein,  um  einen  Rückfall  zu  ver- 
hindern. 

In  Berlin  (Henoch  und  P.  Guttmann)  wurde  mit  derselben  Me- 
thode kein  ganz  so  guter,  aber  immer  auch  ein  sehr  beachtenswerther 
Erfolg  erzielt,  i.  e.  Heilung  nach  8—12  Tagen.  In  Wien  (Monti)  ge- 
langten die  Versuche  nicht  zum  Abschlüsse,  die  Kinder  blieben  aus;  in 
der  Privatpraxis  wurden  Heilungen  nach  6—8  Tagen  erzielt. 

Die  Kinder  müssen  während  der  Behandlung  das  Zimmer  hüten, 
das  gut  zu  lüften  ist. 

Statt  des  schwer  aufzutreibenden  Myrobalan  wird  jetzt  dasselbe 
Medicament  von  der  chemischen  Fabrik  von  H.  Trommsdorf  in  Erfurt 
unter  den  Namen  Coelyt  geliefert.  Eisenschitz. 

lieber  Naphthalin  beim  Keuchhusten,    Von  N.  Korolew.    Medicinskoje 
Obosrei^e  Nr.  21.    1898. 

Verfasser  hat  im  Chludo waschen  Kinderspitale  zu  Moskau  die  von 
Chavernac  empfohlene  Behandlungsmethode  mit  Naphthalindämpfen 
erprobt.  Die  Einathmung  geschah  4 — 6  mal  täglich,  wobei  16 — 20,0  ver- 
braucht wurden ;  sehr  zu  achten  ist,  dass  die  Substanz  nicht  anbrenne. 
Die  Resultate  waren  insofern  zufriedenstellend,  als  es  in  einigen  Fällen 


296  Analecien. 

gelang,   die  Anfälle  zu  coupiren,   daneben  waren  aber  auch  F&Ue,  wo 
diese  Therapie  gar  keinen  Nutzen  brachte.  Abelmann. 

14.  ParotitiB  epidem. 

1)  Udier  den  snbmaxiUaren  Mumps.    Von  Dr.  Wertheimber.    Mfin- 

oheuer  med.  W.  86.    1893. 

2)  Oontmgiöse  Schwellung  der  gl,  submaxiü.    Von  Dr.  Wacker.    Ibid. 

1)  Dr.  W.  hat  drei  F&lle  beobachtet,  in  welchen  der  Mumps  auf  die 
Unterkieferlympbdrüse  bedchr&nkt  war;  viel  seltener  scheint  die  Be- 
schränkung der  Krankheit  ausschliesslich  auf  die  Subungualis  ▼orzu* 
kommen,  noch  seltener  auf  die  cervicalen  Lymphdrüsen  oder  nur  auf 
die  Hoden. 

Einen  Fall  Ton  submaxillarem  Mumps  bei  einem  sy,  Jahre  alten 
Knaben  theilt  W.  mit,  der  mit  ziemlich  hohem  Fieber  und  erheblichen 
Störungen  des  Allgemeinbefindens  verlief. 

Die  DifPerenzirung  der  Krankheit  Ton  sympathischer  Schwellung 
der  Submaxill.  und  der  ihr  anliegenden  Lymphdrüsen  ist  meist  bald 
zu  machen.  Die  Periostitis  des  Unterkiefers  ist  markirt  durch  Einseitig- 
keit,  Stärke  der  Geschwulst  und  grössere  Druckempfindlichkeit. 

2)  Der  Fall  von  Dr.  Wacker  betrifft  ein  6  Jahre  itltes  Kiod. 

Im  ersten  Fall  inficirte  sich  die  Mutter,  und  im  zweiten  die  Mutter 
und  auch  drei  andere  Personen  an  gut  charakterisirtem  Mumps. 

Eisenschiti. 


IL  Chronisohe  Infeotioiis-  und  AUgemeinkranklieiten. 

1.   Tnberculose« 

Contributian  ä  Vetude  de  la  tuherculose  du  premier  dge.  Von  A.  Lesage 
und  J.  Pascal.  Archives  gänäraies  de  mädecine.  März  1898.  S.  270 
—308. 

Die  Tuberculose  ist  nach  den  Untersuchungen  von  Parrot,  Lan- 
douzy, Aviragnet  u.  a.  besonders  häufig  bei  Kindern  im  frühsten 
Alter,  vor  der  Entwöhnung,  und  zwar  hauptoächlich  die  tuberculose  Er- 
krankung des  lymphatischen  Syetemes,  wobei  man  weder  die  Lungen 
noch  das  Peritoneum  oder  das  Gehirn  befallen  findet  Nach  der  Mei- 
nung von  Aviragnet  und  Cornet  scheine  eine  tuberculose  Erkrankung 
der  Drüsen  ohne  Verletzung  der  Schleimhaut  der  Lunge  denkbar,  indem 
die  BacUlen  die  Schleimhaut  passirteu  und  sich  in  den  Drüsen  fest- 
setzten. Anch  Dobroklowsky  ist  zu  denselben  Resultaten  gelangt, 
während  andere  Autoren  den  Standpunkt  vertreten,  dass  eine  tobercu- 
löse  Erkrankung  der  Drüsen  ohne  vorherige  oder  gleichzeitige  Organ- 
erkrankung nicht  denkbar  sei.  Aus  den  Beobachtungen  der  Autoren  bat 
sich  nun  ergeben ,  dass  eine  Drüsentuberculose  ohne  vorhergegangene 
Organerkrankung  möglich  ui.  Nicht  gar  selten  bilden  die  Leisten- 
drüsen den  Ausgangspunkt  der  Krankheit,  möglicherweise  handelt  es 
sich  dabei  um  directe  Ueberwanderung  der  Bacillen  von  der  Mutter  auf 
den  Fötus,  ohne  dass,  wie  die  Untersuchungen  von  Lesage  und 
Bruygues  von  32  Placenten  ergeben,  der  Nachweis  von  Bacillen  in  den 
Placenten  gelungen  wäre.  Die  pathologisch- anatomischen  Veränderungen 
der  Drüsen  bestehen  in  einer  volumensunahme  und  in  einer  gewissen 
Härte;   auf  dem  Durchschnitt  findet  sich  die  Drüse  mehr  oder  weniger 


II.  Chronische  Infections-  und  AUgemeinkrankheiten.  297 

eiterig  zerfallen.  In  den  käsigen  Massen  finden  sich  die  Bacillen.  Die 
Symptome  der  Erkrankung  sind  deutlich  ausgesprochen,  sie  bestehen  in 
einer  rasch  vorwärts  schreitenden  Kachexie,  in  der  allgemeinen  Drüsen- 
Schwellung,  in  der  Abwesenheit  visceraler  Erkrankungen  und  in  dem 
Fehlen  von  Ernährungsstörungen.  Die  Kachexie  schreitet  trotz  ge- 
nügender Nahrungsaufnahme  uingsam  vorwärts  und  verleiht  den  Kin- 
dern ein  greisenhaftes  Aussehen.  Dabei  ist  die  Temperatur  normal. 
Der  Verlauf  der  Krankheit  erstreckt  sich  nicht  selten  über  drei  und  vier 
Monate.  Dabei  sind  oft  sämmtliche  Lymphdrüsen  geschwollen  und  ver- 
grössert,  bisweilen  beschränkt  sich  die  Erkrankung  aber  auch  auf  ver- 
einzelte Drüsengebiete.  Die  Diagnose  ist  nach  dem  eben  Gesagten 
meist  leicht  zu  stellen.  Differential-diagnostisch  könnte  noch  Lues  in 
Frage  kommen,  doch  sind  dabei  für  den  Erfahrenen  soviel  chatakte- 
ristische  Zeichen,  dass  ein  Irrthum  kaum  möglich  ist. 

Nach  Mittheilungen  von  acht  genau  beobachteten  und  durch  die 
Section  bestätigten  Fällen  kommen  die  Verfasser  zu  folgenden  Schlüssen: 

I.  Es  giebt  im  frühsten  Kindesalter  eine  wohlcharakterisirte  Form 
der  TuberculoBO. 

II.  Die  Drüsen  enthalten  den  Bacillus  der  Tuberculose. 

III.  Der  l^d  erfolgt  dnrch  allgemeine  fi[achexie  oder  unter  der 
Form  der  tnberculösen  Meningitis.  Fritzsche. 

üther  Tubereulose  im  Kindes-  und  SäuglingsdUer,    Von  Dr.  R.  Heck  er. 
Münchener  med.  W.  20  u.  21.    1894. 

Unter  700  Kindersectionen,  die  von  April  1888  bis  Februar  1892 
im  Münchener  pathologischen  Institute  gemacht  worden  waren,  fand  H. 
in  18,9%  Tuberculose  und  in  38,1%  Diphtherie  und  Croup,  Müller  da- 
gegen hatte  am  selben  Institute  von  1882—1888  unter  den  Kinder- 
sectionen in  30%  Tuberculose  und  in  27,2%  Diphtherie  und  Croup  ge- 
funden. 

Den  Grund  dieses  Widerspruches  kennt  H.  nicht,  er  könnte  in  der 
grossen  Zunahme  der  Diphtherie  liegen  oder  in  einer  durch  Koch  an- 
gebahnten wirksameren  Prophylaxe  gegen  die  Tuberculose  (?Ref.). 

Von  allen  1200  Kindersectionen  (H.  -{-  M.)  kommen  auf  Diphtherie 
und  Croup  33,8%,  auf  Tuberculose  20,5%. 

Die  zahlreichsten  Befunde  von  Tuberculose  fallen  auf  das  2. — 4, 
Lebensjahr.  Die  beiden  Geschlechter  verhalten  sich  der  Krankheit 
gegenüber  ziemlich  gleich;  die  grösste  Mortalität  an  Tuberculose  traf 
auf  den  Winter  und  Frühling. 

Die  Lymphdrüsen  waren  befallen  in  90%,  die  Lungen  in  76,2%, 
die  Meningen  in  26,8%,  die  Leber  in  24,7%,  der  Darm  in  22,7%, 
die  Milz  in  20,6%,  Knochen  und  Gelenke  in  10,3%,  Gehirn  in  9%, 
Peritoneum  in  7,2%,  die  Dura  in  6,2%,  das  Pericard  in  4%,  die  männ- 
lichen Genitalien  in  2,1  % ,  der  Magen  in  2,4  % ,  Tonsillen  und  grosses 
Netz  in  je  1  %  aller  Fälle. 

Müll  er 's  Zahlen  differiren  vielfach  von  denen  Hecker 's. 

In  den  Lungen  findet  sich  die  Tuberculose  27mal  als  käsige  Pneu- 
monie ,  18  mal  als  acute  Miliartuberculose  und  20  mal  als  chronische 
Phthise. 

Latent,  d.  h.  am  Leben  nicht  beobachtet  oder  wenigstens  nicht  als 
Todesursache  angegeben  oder  im  Stadium  der  Heilung  (narbiger  Ver- 
dichtung oder  Verkalkung)  wurde  die  Tuberculose  in  65  Fällen  gefunden, 
am  häufigsten  in  den  Bronchialdrüsen,  80 mal,  den  Lungen  20 mal,  den 
Mesenterialdrüsen  6  mal. 

unter  700  Fällen  von  Tuberculose  fanden  sich  nur  10  im  1 .  Lebens- 
jahre und  nur  7  im  Säuglingsalter,   Ziffern,   die  übrigens   wahrschein- 

Jahrbuoh  f.  KinderheUkunda.   N.  F.    XX XIX.  20 


298  Analecten. 

lieh  deshalb,  weil  die  Aufnahme  der  Kinder  im  ersten  Lebensjahr  in 
das  Kinderspital  sehr  beschränkt  ist,  thats&chlich  viel  sa  klein  sein 
dürften. 

Dr.  H.  berichtet  hiebe!  über  einen  Fall  von  Tuberculose  an  einem 
S^  Monate  alten  Knaben,  der  an  Caries  des  Warzenfortsatses  gestorben 
war  und  die  Krankheit  wahrscheinlich  von  seinem  tubercnlösen  Vater 
überkonunen  hatte,  und  über  noch  andere  neun  Fälle  von  Tuberculose 
im  1.  Lebensjahre. 

Als  besondere  Merkmale  der  Säuglingstuberculose  seiner  näheren 
Beobachtung  hebt  Dr.  H.  hervor:  die  überwiegende  Betheiligung  der 
Lymphdrüsen,  die  Neigung  zur  Ausbreitung  auf  mehrere  Organe  und  der 
meist  nachweisbare  Ausgangspunkt  der  Lungentuberculose  in  den  Bron- 
chialdrüsen,  und  das  Fehlen  fibröser  Producte,  implicite  jeder  Tendenz 
zur  Heilung. 

Zugleich  bei  der  Lungentuberculose  der  Säuglinge  wird  noch  her- 
vorgehoben, dast  nicht  die  käsige  Pneumonie,  wie  im  späteren  Kindes- 
alter, so  vorwiegend  ist,  sondern  mehr  die  Bildung  von  Ideioen  Caverneu 
wie  beim  Erwachsenen.  Eisenschitz. 

Zwr  Caamtiik  der  T%fbeTcuio9e  im  KindesaUer,    Von  Dr.  Goldschmidt 
Münchener  med.  W.  62.    1893. 

Dr.  G.  nimmt  in  folgenden  Fällen  mit  Wahrscheinlichkeit  eine  ute- 
rine  Oebertragung  von  Tuberculose  an. 

In  dem  ersten  Falle,  ein  1^  Jahre  altes  Kind  betreffend,  das  he- 
reditär stark  belastet  ist,  fand  man  bei  der  Obduction  ausser  einer  vor- 
geschrittenen Lungen-  und  Drüsentuberculose,  an  der  Unterfläche  der 
Leber,  in  der  Substanz  derselben  und  durch  die  Serosa  durchscheinend 
an  der  linken  vorderen  Längenfurche,  da  wo  das  Lig.  teres  in  die 
Leber  eintritt,  einen  tubercnlösen  Herd. 

Aus  der  fötalen  Beziehung  des  Lig.  teres  zur  Vena  umbilicalis 
schliesst  Dr.  G.  in  diesem  Falle  auf  intrauterine  Infection  des  Fötus. 

Im  zweiten  Falle,  ein  S  Monate  altes  Kind  betreffend,  fand  man,  nebst 
ausgebreiteter  Lungen-,  Drüsen-  und  Darmtuberculose,  in  der  Leber  an 
der  Eintrittsstelle  des  Lig.  teres  einen  hirsekomgrossen  Tuberkel  und 
schliesst  auch  hier  aus  diesem  Befunde  auf  intrauterine  Infection. 

In  einem  dritten  Falle,  ein  6  Wochen  altes  Kind  betreffend,  das 
eine  ausgebreitete  Tuberculose  in  den  Lungen,  Bronchialdrüsen,  in  den 
Nieren,  der  Leber,  Milz  und  in  den  Mesenterialdrüsen  aufwies,  schliesst 
er  ans  der  grossen  Verbreitung  auf  eine  längere  Krankheitsdauer  und 
daraus  auf  wahrscheinlich  intrauterine  Infection,  Eisenschitz. 

Anaemia  of  TMbereuiom,    By  B.  K.  Bachford.    Archives  of  pediatrics 
Nov.  1892. 

B.  hatte  an  166  Mädchen  Blutuntersuchnngen  gemacht  und  zwar 
Bestimmungen  des  Hb.  und  der  Zahl  der  rothen  Blutkörperchen.  Die 
Methode,  nach  welcher  er  arbeitete,  ist  nicht  angegeben.  Er  wurde 
zu  diesen  Untersuchungen  veranlasst  durch  einen  schweren  Fall  von 
Anämie,  der  mit  Tbc.  hereditär  belastet  war,  sich  ausserdem  in  der 
Umgebung  Tuberculöser  aufgehalten  hatte,  der  schliesslich  nach  Ein- 
nahme von  Eisen  rasch  und  constant  sich  besserte,  und  dessen  Kranken- 
geschichte ausführlich  wiedergegeben  ist.  Uns  macht  der  Fall  den  Ein- 
druck einer  gewöhnlichen  Chlurose,  auch  insbesondere  seines  Verlaufes 
wegen.  Die  Mädchen,  welche  R.  untersucht  hatte,  sind  Institutskinder 
im  Alter  von  12—18  Jahren.  In  78  dieser  Fälle  fand  sich  anamnestisch 
festgestellte  Tuberculose,  in  einer  grossen  Zahl  konnte  nichts  Bestimmtes 
festgestellt  werden.    Der   durchschnittliche  Hb.- Gehalt   der   Belasteten 


II.  Chronische  Infections-  und  Allgemeinkrankheiten.  299 

betrug  78f(  %,  der  der  Unbestimmten  86^ %t  ^^'  ^^^  Nicbtbelasteten 
88  %.  Ausführliche  Tabellen  geben  über  diese  Zahlen  weitere  Aus- 
küxifte. 

R.  schliesst  aus  seinen  Untersuchuugen,  dass  es  abgesehen  von  der 
durch  die  Tuberculose  selbst  bedingten  Anämie  Beziehungen 
Bwischen  Blutarmuth  und  Tuberculose  gäbe.  Er  führt  folgende  Ta- 
bellen an:  Von  68  Fällen  von  Anämie  mit  weniger  als  75%  Hb.  waren: 
Nicht  belastet  7^  %,  belastet  76%,  unbestimmt  28%. 

Von  114  Fällen,  nicht  anämisch,  mit  mehr  als  76%  Hb.  gehörten 
in  die  erste  Kategorie  23%,  in  die  zweite  87%,  in  die  dritte  89%. 

£r  schliesst  daraus,  dass  die  tuberculose  Belastung  einer  der  wich- 
tigsten Factoreu  der  Anämie  sei. 

Er  meint  weiter,  dass  vor  Allem  tuberculose  Lymphdrüsen  Anämie 
erzeugen,  während  dies  z.  B.  bei  Tuberculose  der  Lungen  durchaus  nicht 
stets  der  Fall  zu  sein  braucht. 

EL.  glaubt  weiter  folgern  zu  dürfen,  dass  eine  ausgesprochene 
Anämie,  deren  Ursache  nicht  klar  zu  Tage  liegt,  sehr  suspect  sei  wegen 
latenter  Tuberculose.  Schwerlich  wird  Jemand  mit  der  Ansicht  des 
Verf.  übereinstimmen  in  Bezug  auf  die  Bedeatung,  die  er  den  Drüsen- 
schwellungen,  insbesondere  den  peripheren  beimisst.  Er  hält  sie  fast 
ausschliesslich  für  Zeichen  von  Tuberculose,  auch  wenn  sie  nach  mehr 
oder  weniger  langem  Bestände  schliesslich  wieder  verschwinden.  Weiter 
hält  er  nicht  dafür,  dass  die  Tuberculose  sich  eventuell  auf  anämischer 
Basis  leichter  entwickeln  könne,  sondern  glaubt,  dass  die  Anämie,  von 
der  er  spricht,  ein  Zeichen  tief  gelegener  tuberculöser  oder  scrophulöser 
Lymphdrüsen  sei. 

Nach  des  Verf.  Zählungen  und  Hb.-Bestimmungen  handelt  es  sich 
bei  diesen  Anämien  um  ein  wirkliches  Abnehmen  auch  der  rothen  Blut- 
körperchen gleichzeitig  und  parallel  mit  dem  Hb.  gehalten,  also  nicht 
um  ein  Verhältniss  zwischen  beiden  wie  bei  der  Chlorose.  Loos. 


Beitrag  zur  Lehre  van  der  Tuberculose  im  frühesten  Kindesalter.    Von 
Dr.  6.  Wassermann.     Zeitschr.  f.  Hygiene  etc.  17.  B.  2.  H. 

Eine  kritische  Prüfung  der  in  der  Literatur  niedergelegten  Fälle 
von  erblicher  Tuberculose  ergiebt,  dass  nur  wenige  Fälle  als  zweifellos 
erblich  angesehen  werden  können. 

Als  einen  sicheren  Fall  muss  man  den  von  Schmorl  und  Birch- 
Hirschfeld  ansehen,  in  welchem  im  Fötus  einer  mit  acuter  Miliar- 
tuberculose  behafteten  Frau  zwar  nicht  tuberculose  Veränderungen,  wohl 
aber  Tuberkelbacillen  in  den  (befassen  der  Leber  gefunden  wurden  (De- 
fect  des  Placentarepithels). 

Als  sicher  anzunehmen  ist  auch  ein  Fall  von  Rindfleisch  und 
von  Johne  (Kalb). 

Es  existiren  in  der  menschlichen  Pathologie  bis  jetzt  im  Ganzen  2, 
in  der  des  Thieres  9  sichere  Fälle. 

Der  von  Wassermann  beobachtete  Fall  betreffend  ein  ca.  6  Wochen 
altes  Kind,  das  immer  sehr  schwach  gewesen,  stammte  von  einer  ge- 
sunden Mutter. 

Es  leidet  an  einer  eitrigen  Mittelohrentzündung  und  stirbt  ca.  6 
Wochen  nach  der  Aufnahme  in  das  Institut  für  Infectionskrankheiten  in 
Berlin. 

Die  Obduction  ergab  eine  über  viele  Organe  ausgebreitete  Tuber- 
culose. 

Die  nachträglichen  Erforschungen  ergaben,  dass  Vater  und  Mutter 
frei  von  Tuberculose  waren,  dass  aber  das  Kind  vom  9.— 17.  Lebens- 
tage  in  einem  Baume  mit  einem  schwer  tuberculösen  und  viel  ezpecto- 

20^ 


300  Analecien. 

rirendea  Manne  gelebt  habe  und  bald  nach  Verlassen  dieses  Baumes  er- 
krankt sei. 

Dr.  W.  sieht  in  diesem  Falle  einen  yerlässlichen  Beweis  für  die 
Contagiosit&t  der  Tnberculose.  Eisenschits. 

2.  Syphilis  bereditaria. 

Die  Syphilis  des  Herzens  bei  enoorbener  und   ererbter  Lues,    Von  Dr. 
F.  Mracek.    Archiv  f.  Dermat.  u.  Syphilis  8.  IL  1893. 

Die  Arbeit  bezieht  eich  auf  das  im  pathologisch-anatomischen  In- 
stitute SU  Wien  gesammelte  Material.  Das  Beferat  bezieht  sich  nur 
auf  den  die  ererbte  Lues  berührenden  Theil,  und  zwar  nur  auf  die 
eigenen  Beobachtungen,  mit  Uebergehung  der  ans  der  Literatur  gesam- 
melten Daten. 

Ueber  syphilitische  Affectionen  bei  congenitaler  Syphilis  6nden  sich 
in  der  Literatur  nur  spärliche  Angaben.  Mracek  fand  bei  160  Fällen 
syphilit.  Kinder  aus  der  ersten  Lebenswoche  29 mal  das  Herz  yeriLndert, 
aber  nur  4  mal  darunter  typische  Processe  der  Syphilis. 

In  80  Fällen  fanden  eich  anämische  Flecke  oder  parenchymatöse 
Trübung  mit  feinsten  Fettmolecülen  ün  Herzfleisch,  Degenerationen,  die 
allerdings  von  der  Syphilis  influenzirt  sein  können  und  vieUeioht  mit 
eine  Ursache  der  bei  der  Syphilis  haemorrhagica  so  häufigen  venösen 
Thromben  sein  dürften. 

Die  directen  Producte  der  Syphilis  im  Herzen  heredit  syphilitischer 
Kinder  stellen  sich  dar,  entweder  als  gummöse  Myocarditis  L  e.  mehr 
oder  weniger  umschriebene  Herde  interstitieller  Bindegewebswucherung  mit 
Verschmäler ang,  Atrophisirung  oder  Zerfall  der  Muskelfasern,  haben 
ihren  Sitz  in  der  Wand  des  linken  Ventrikels,  sind  erbsen-  bis  ^kreuzer- 
gross.  Die  beiden  anderen  Fälle  von  Mracek  zeigten  sehr  schwere 
Veränderungen  einer  acuten  interstitiellen  Myocarditis.  Sie  stellen  wohl 
das  Anfangsbtadium  einer  Erkrankung  vor,  die  bei  der  acquirirteu  Sy- 
philis zur  gummösen  oder  fibrösen  Degeneration  führt.  Das  Herz  ist  in 
toto  vergrössert,  dessen  Wandungen  verdichtet,  von  kleinen  Herden, 
insbesondere  in  der  Nähe  der  feinsten  Gefösszweige  infiltrirt,  welche 
Localisation  der  Infiltrate  an  und  um  die  Gefässe  der  heredit»  Syphilis 
eigenthümlich  ist 

Ein  6.  von  Mracek  publicirter  Fall  zeigt  vorzugsweise  Verände- 
rungen der  Gefilsswand,  Verdickung  der  Adventitia  der  art.  coronar. 
und  kleinerer  Ge&se  im  Myocardium  mit  Hämorrhagien ,  während  die 
Muskelsubstanzen  im  Wesentlichen  gesund  sind.  Eisenschitz. 

lieber  Knochendeformitäten  bei  Lues  congenita.     Von  JoachimsthaL 
Arch.  f.  Dermatologie  27.  B.  1.  H. 

Joachimsthal  stellte  in  der  Sitzung  der  Berliner  dermatologischen 
Vereinigung  vom  14.  November  1893  einen  8  Jahre  alten  Knaben  vor, 
von  dem  die  Mutter  berichtete,  dass  derselbe  nach  der  Geburt  einen 
Ausschlag,  sowie  eine  Nasenaffeciion  mit  beständigem  Schnupfen  und 
öfter  FluBS  gehabt  habe. 

Das  Skelett  dieses  Knaben  zeigte  vielfache  Veränderungen:  Starke 
Prominenz  der  tubera  frontalia  bei  Vergrösserung  des  ganzen  Schädeki 
die  rechte  Tibia  hatte  nach  oben  hin  eine  starke  schmerzhafte  Auf- 
treibung  und  Verbreiterung,  ebenso  war  das  untere  Ende  der  Fibula, 
die  rechte  Ulna  in  der  Mitte,  der  rechte  Badius  am  unteren  Ende  ver- 
dickt und  auf  Druck  schmerzhaft;  der  Badius  war  so  verlängert,  dass 
dadurch  der  Vonlerarm  radialwärts  convez  verkrümmt  war  (Varus- 
steUung  der  Hand).     Aehnliche  und  noch    verstärkte  Verhältnisse  be- 


1^^^^^ 


ir.  Chronische  Infectione-  und  ÄllgemeinkraDkheiten.  301 

standen  am  linken  Vorderarme,  complicirt  mit  starker  Sohmerzhaftig- 
keit  der  Drehbewegungen  im  Ellbogengelenke. 

Unter  dem  Gebrauche  von  Jodkali  besserten  sich  die  Knochendefor» 
mit&ten. 

Verlängerung  des  Knochens  in  Folge  von  Lues,  wahrscheinlich  auf 
Betheiligung  des  Epiphysenknorpels  zurückzuführen,  hat  auch  Schede 
im  J.  1877  bei  einem  löjührigen  luetischen  Mädchen  an  einer  Tibia  de- 
monstrirt. 

In  der  Discussion  giebt  Grimm  an,  dass  er  eine  Verlängerung  ein- 
zelner Knochen  bei  Lues  der  Kinder  wiederholt  beobachtet  habe. 

Eisenschitz. 

Die  syphilitische  Arthropathie  hei  kleinen  Kindern.    Von  Dr.  H.  Adser- 
sen.    Hosp.-Tid.  4.  R.  11.  5.  1894. 

A.  theilt  4  Fälle  von  Gelenkleiden  bei  kleinen  Kindern  mit;  in  den 
beiden  ersten  Fällen,  von  denen  der  eine  tOdtlichen  Aasgang  hatte,  so 
dass  eine  genaue  anatomische  Untersuchung  der  erkrankten  Gelenke 
möglich  wurde,  waren  zu  der  Zeit,  wo  das  Gelenkleiden  auftrat,  keine 
von  den  gewöhnlichen  unzweifelhaften  Zeichen  von  Syphilis  vorhanden 
(nur  eine  Augenaffection  im  ersten  Falle  könnte  vielleicht  dafür  ange- 
sehen werden),  dagegen  waren  im  1.  Lebensjahre  im  1.  Falle  unzweifel- 
hafte Symptome  von  hereditärer  Syphilis  vorhanden  gewesen,  im  2. 
war  die  Diagnose  von  Prof.  Hirschsprung  auf  Syphilis  gestellt  worden. 
Die  Gelenkleiden  waren  in  beiden  Fällen  ohne  jede  bekannte  Veranlas- 
sunff  spontan  aufgetreten  und  hatten  sich  acut  oder  subacut  ent- 
wickelt. Im  1.  Falle  war  das  linke  Schultergelenk  erkrankt,  im  2.  das 
rechte  Schultergelenk  und  das  linke  Kniegelenk,  in  geringerem  Grade 
das  rechte  Kniegelenk.  Acute  Osteomyetitis  und  Tuberculose  konnten 
ausgeschlossen  werden,  so  dass  nur  ein  syphilitisches  Gelenkleiden  vor- 
liegen konnte.  Bei  der  Section  im  2.  Falle  fand  sich  im  rechten 
Schultergelenk  kein  Eiter,  der  Knorpel  am  Caput  humeri  uneben  und 
perforirt,  der  Epiphysenknorpel  zu  einer  dünnen  Schale  umgewandelt, 
der  der  Diaphyse  zunächst  liegende  Theil  der  Epiphyse  nach  innen  zu 
zerstört,  die  dadurch  entstandene  Höhlung  enthielt  grützige  Masse  und 
einen  kleinen  Sequester  von  spongiösem,  aber  ziemlich  hartem  Knochen- 
gewebe (Epiphy Senkern),  nach  aussen  zu,  dem  Tuberculum  majus  ent- 
sprechend, war  der  Verknöcherungsgürtel  von  graulichem  Aussehen 
und  etwas  weich.  Im  linken  Kniegelenk  fanden  sich  keine  wesentlichen 
Veränderungen  der  Kapsel,  die  Ligamenta  cruciata  etwas  injicirt,  am 
Condylus  intern,  tibiae  war  der  Knorpel  röthlich  und  missfarbig.  Im 
Condylus  internus  femoris,  näher  an  dem  Epiphy senkern  als  an  der  Peri- 
pherie^ fand  sich  eine  kleine,  mit  Eiter  geftlllte  Höhle,  die  sich  nach 
unten  gegen  die  Ligg.  cruciata  in  der  Fossa  intercondyloidea  fortsetzte; 
der  Knorpel  in  der  Wandung  der  Höhle  war  röthlich,  missfarbi^  und 
uneben,  der  Boden  der  Eiterhöhle  wurde  nach  unten  zu  aus  Penchon- 
drium  und  den  Ligg.  cruc.  gebildet,  nach  oben  bin  führte  ein  feiner 
Canal  zum  Epiphysenkem.  In  der  Tibia  fand  sich  eine  stärkere  Hype- 
rämie des  obem  Theils  der  Diaphyse,  die  Epiphy senlinie  zeigte  aber 
nichts  Abnormes;  der  Rand  des  Verknöcherungsgürtel s  war  stark  un- 
eben, zackig,  an  der  Mittellinie  des  Epiphy senkerns  stärker  hervorragend, 
wo  ein  kleiner  Theil  im  Verknöcherungs-  und  Verkalkungsgürtel  sehr 
dunkel,  blutreich  und  morsoh  war,  darüber  fand  sich  eine  kleine,  mit 
Eiter  gefüllte  Höhle;  der  Epiphysenknorpel  zeigte  Blutpunkte,  der  Epi- 
physenkem war  durchaus  weich,  am  meisten  in  der  Mitte,  stark  roth  ge- 
färbt, mit  unregelmässigen  Contouren,  ausgebuchtet  nach  dem  Knie- 
gelenk hin.  Der  Knorpel  oberhalb  des  Epiphysenkernes  gogen  die  Ge- 
lenkfläche hin  war  röthlich  grau;  nur  durch  ziemlich  dünnes  Gewebe 


302  Aoalecten. 

von  dem  Gelenk  getrennt,  fand  sich  eine  kleine,  mit  Eiter  gefüllte 
Hohle.  Die  Affection  der  Synovia  nnd  in  der  GtelenkliOlile  war  offenbar 
secund&r  nach  der  Affection  des  Knochens  nnd  dee  Knorpels.  Das 
Leiden  ist  nach  A.^s  Meinans  als  Osteochondritis  syphilitica  aufirafaseen, 
die  durch  Bildung  von  Sypnilomen  in  der  Wachsthumssone  der  Epi- 
phyaen  entsteht  Walter  Berg  er. 

S.  Baehltls. 

De  1a  nature  du  rctchitisme,  Par  le  Dr.  E.  Chanmier-Tonrs.  La  m^- 
decine  infantile  1894.  p.  843.  Mittheilnng  anf  dem  Congress  zn 
Rom  1894. 

Gh.,  welcher  mit  vielen,  besonders  italienischen  Collegen  fiber  Ver- 
breitung und  Auftreten  der  Rachitis  correspondirt  hat,  triH  kiAftig  mit 
der  Ansicht  hervor,  dass  dieselbe  eine  mikro-parasit&re  Volkskrankheit 
mit  ausgesprochen  epidemischem  Charakter  sei.  Zur  Zeit  Glisson  *s 
schon  habe  sie  einselnen  Beobachtern  als  ansteckend  imponirt,  Thier- 
epidemien  echter  Rachitis  z.  B.  (unter  Ferkeln  im  D^p.  Indre-et-Loire, 
pathologisch -anatomisch  untersucht  von  Du  bar)  seien  zweifellos.  Es 
spricht,  sagt  Gh.,  der  cyklische  und  typische  Ablauf,  die  verschiedene 
H&ufigkeit  in  verschiedenen  Jahrgängen,  die  Erblichkeit  in  den  Fa- 
milien, das  Haften  an  Localitäten  (?)  fBr  diesen  Charakter  der  Krank- 
heit; der  starke  Einfluss  hygienischer  Verhältnisse  auf  ihre  Verbreitung 
und  Schwere  spricht  nicht  dagegen;  Verdauungsstörungen,  üeberproduc- 
tion  an  Milchsäure,  mangelhafte  Assimilation  der  Phosphate  haben  sich 
als  unzureichende  GMnde  und  variable  Momente  erwiesen;  die  Den- 
tition spielt  Oberhaupt  keine  Rolle;  die  nervösen  Symptome  sind  eine 
Sache  rar  sich;  und  die  EntzQndungstheorie  von  Kassowitz  entwickelt 
nur  ein  pathologisch-anatomisches  Bild,  dessen  Ursache  eben  in  Gestalt 
eines  Mikroben  zu  suchen  ist,  den  man  auch  finden  werde. 

Es  verkümmert  den  charakteristischen  Eindruck  des  Krankheits- 
bildes, dass  von  den  unzähligen  Fällen  verhältnissmässig  wenige  und 
diese  meist  nur  in  abgerissenen  Epochen  sich  dem  Arzte  zeigen. 

Sommer. 

I 

Bapporis  entre  le  rachiHtme  et  Us  aceidents  convuUifs  che$  les  enfants. 
Par  le  Dr.  Com by- Paris.  Mittheilung  auf  dem  Congress  zu  Rom 
1894.    La  mädecine  infiEmtile  1894.    p.  187. 

Der  Spasmus  glottidis,  dem  C.  hier  seine  Aufmerksamkeit  zuwendet, 
scheint  in  Frankreich  seltener  als  z.  B.  in  Deutschland.  Die  Dentition 
spielt,  sagt  C,  bei  demselben  gar  keine  Rolle,  aber  auch  die  Rachitis 
nicht,  auch  nicht,  wenn  dieselbe  entschiedene  und  schwere  Craniotabes  be- 
dinge, nnd  C.  giebt  hiefflr  zahlreiche  casuistische  Belege.  Der  Spasmus 
flott,  ist,  wie  andere  Convulsionen ,  ein  Symptom  der  Dyspepsie  und  durch 
ntointozication  in  Folge  abnormer  Vorgänge  im  Verdanungscanal  be- 
<^ü>gt,  gefordert  durch  neuropathische  Anlage.  Mit  der  Skeietterkraa- 
kung  habe  der  Spasmus  glottidis  nur  vielleicht  dieses  ätiologische  Mo- 
ment gemein,  bilde  aber  nicht  mit  dieser  zusammen  einen  specifischen 
Symptomencomplez.  Sommer. 

Zur  Frequenz  der  Rachitis  in  den  versdiiedenefi  Zeiten  des  Jahres.  Von 
Dr.  Wallach.    Mänchener  med.  W.  29.    1898. 

Im  Frankfurter  Kinderhospitale  kamen  von  1880—1892  unter  15848 
kranken  Kindern  2219  Bachitiker  vor,  welche  sich,  nach  Monaten  ge- 
ordnet, folgendermaassen  vertheilten: 


II.  Chronische  Infections-  nnd  AUgemeinkrankheiten.  303 

Janaar     Febrnar     März     April     Mai     Juni     Jnli     Angnst    September 

468  250  235         244        283        216        78        156  86 

18,4%     15,3%       17,4%  17,9%  16,8%  14,7%  10,1%    11%  8% 

October    November    December 

99  78  76 

8,9%  8,2%  9,6%  aller  Kranken. 

Mit  Ansschlnss  des  Januar,  wegen  üebertra^ng  vieler  alter  Kranken 
auf  das  neue  Jahr,  und  des  Juli,  wegen  vorzeitigen  Schlusses  des  Am- 
bulatoriums, blieben  12  550  Kranke  mit  1673  Rachitikern,  wovon  57,5% 
aller  Kranken  auf  die  erste,  42«4%  auf  die  zweite  Hälfte  fiillen,  da- 
gegen 70,4%  der  Racbitiker  auf  die  erste  und  29,5%  auf  die  zweite 
Hälfte  (August  bis  December). 

Durch  Snmmirung  der  Fälle  von  Kassowitz,  Fischl  und  Wallach 
erhält  man  72  716  Erkrankungen,  von  denen  52,7%  auf  die  erste  und 
47,8%  auf  die  zweite  Hälfte  fallen.  Eisenschitz. 

4.  Blatkrankheiten. 

Fall  von  Pwrpu/ra  rheumatica.  Von  Clopatt.  Finska  läkaresällsk.  handl. 
XXXV.  12.     S.  929.     1893. 

Der  1  Jahr  7  Monate  alte  Knabe,  der  vorher  gesund  war,  im  Alter 
von  4  Monaten  den  Keuchhusten  bekommen  hatte,  zog  sich  am  7.  Öct. 
1892  durch  Fall  eine  kleine  Wunde  über  dem  rechten  Auge  zu  und  er- 
krankte am  8.  October  mit  Frost,  Fieber,  Erbrechen  und  Durchfall.  Am 
9.  Oct.  Morgens  bemerkten  die  Eltern  auf  dem  Gesicht  des  Kindes  und 
am  KOrper  dunkle  Flecke.  Am  Abend  reagirte  das  Kind  nicht  auf 
Anrufen,  lag  theilnahmlos  da,  warf  sich  herum  und  stöhnte  mitunter; 
die  Haut,  namentlich  an  den  Extremitäten,  weniger  am  Gesicht  und 
Bumpf,  war  mit  zahlreichen  Eccbymosen  bedeckt,  die  sich  am  nächsten 
Morgen  vermehrt  hatten  und  grösser  geworden  waren.  Unter  Anwendung 
von  Salzsäure  innerlich  wurde  das  Kind  etwas  ruhiger  im  Laufe  des 
Tages,  Abends  nahm  aber  die  Unruhe  wieder  zu,  Zuckungen  in  den  Ex- 
tremitäten stellten  sich  ein  und  der  Kopf  wurde  stark  hintenüber  ge- 
beugt. Die  Temperatur  betrug  89,2^  C,  der  Puls  hatte  150  Schläge. 
Nach  Chloral  hatte  das  Kind  in  der  Nacht  mehr  Ruhe,  auch  Durchfall 
und  Erbrechen  hörten  auf.  Am  11.  Oct.  war  Abends  die  Temperatur 
wie  der  Puls  auf  ziemlich  gleicher  Höhe  wie  am  vorhergehenden  Abend. 
Am  12.  Oct.  war  der  Nacken  noch  fortwährend  steif,  die  Flecke  an  den 
Extremitäten  erblassten,  ohne  dass  neue  erschienen,  die  rechte  Hand 
schwoll  an,  die  Temperatur  war  noch  immer  39,1  ^  Nach  Anwendung 
von  salicylsaurem  Natron  besserte  sich  der  Zustand,  aber  der  Nacken 
blieb  steif,  erst  am  15.  Oct.  konnte  der  Kopf  unbehindert  nach  vorn 
und  hinten  bewegt  werden,  die  Geschwulst  an  der  Hand  nahm  ab,  die 
Temperatur  war  auf  88,5^  gesunken.  Am  24.  Oct.  traten  wieder  Er- 
brechen und  Hitze  im  Körper  auf  und  kehrten  in  der  folgender  Woche 
mehrere  Male  wieder,  dazwischen  befand  sich  das  Kind  aber  gut.  Perioden 
von  Wohlbefinden  wechselten  mit  Fieber  und  Erbrechen  ab  noch  im 
December;  erst  im  Januar  1893  trat  dauerhafte  Genesung  ein. 

Walter  Berger. 

• 

Zwei  Fälle  von  Barlow* scher  Krankheit.   Von  Dr.  L.  Cornitzer.    Mfln- 
chener  med.  W.  11  u    12.     1894. 

1)  Ein  9  Monate  altes  Mädchen,  von  gesunden  Eltern  abstammend, 
aber  selbst  zart  und  schwächlich  bei  kunstlicher  Ernährung.  Seit 
5  Wochen  schreit  das  Kind  viel,  schwitzt  stark  am  Kopfe,  beide  Beine 


304  Analecten. 

Bind  angescb wollen  und  änsBent  empfindlich.  Diese  Schwellung,  so- 
wohl den  Ober*  als  Unteracbonkel  betreffend,  ist  cylindrisch  und  be- 
trifft vorzuf^weise  die  Diaphysen.  Die  Unterschenkel  sind  weich  and 
biegsam  wie  Wachs,  die  Beine  werden  immer  ruhig  gehalten.  Der 
Harn  enthält  Eiweiss,  Blut  und  Cylinder. 

Hochgradige  Rachitis  und  Oedem  im  Gesicht,  kein  Fieber,  keine 
Lues. 

Unter  roborirender  Behandlang  besserte  sich  der  Zustand,  nament- 
lich, als  das  Kind  viel  ins  Freie  gebracht  werden  konnte,  und  nach 
einigen  Wochen  waren  alle  Krankheitserscheinungen  geschwunden. 

2)  Ein  11  Monate  alter  Knabe,  künstlich  em&hrt,  ist  seit  6  Wochen 
sehr  unruhig,  hat  Schmerzen  bei  Bewegungen  und  Berflhmngen  der 
Beine,  schwitzt  stark  am  Kopfe,  das  Zahnfleisch  über  den  bereits  durch- 
gebrochenen inneren  unteren  Schneidezähne  ist  geschwollen  und  bläu- 
lich gef&rbt,  ebenso  über  der  Durcbbruchsstelle  der  mittleren  oberen 
Schneidezähne.  Hochf^radige  Rachitis.  Die  unteren  Extremitäten  werden 
regungslos  gehalten,  sind  stark  geschwollen  und  zwar  betrifft  die  Schwel- 
lung sowohl  den  Knochen  als  die  Weich theile,  die  Knochen  sind  weich 
und  biegsam.     Keine  Lues. 

Audi  dieser  Fall  heilte  unter  zweckmässiger  Ernährung  und  Auf- 
enthalt in  frischer  Luft  nach  ca.  5  Wochen.  Auch  in  diesem  Falle 
war  eine  Nephritis  nachweisbar,  aber  von  viel  grösserer  Intensität  als 
im  1.  Falle,  dagegen  konnte  eine  „scorbutische"  Veriüaderung  des  Zahn- 
fleisches nur  im  8.  Falle  constatirt  werden. 

Die  weiteren  Auseinandersetzungen  des  Autors  beziehen  sich  auf 
die  bisher  in  dtr  Literatur  auffindbaren  gleichartigen  Fälle.  Nach  dem 
klinischen  und  pathologisch  -  anatomischen  Befunde  müsste  man  die 
Krankheit  „Osteopathia  haemorrhagica  infantum^*  nennen. 

Eisenschitz. 

Ein  Fall  von  pemiciöser  Anämie.   Von  A.  Baginsky.    Berl.  klin.  W.  20 
1894. 

In  der  Sitzung  der  Berliner  med.  Gesellschaft  vom  7.  Februar  d.  J, 
demonstrirte  Baginsky  die  Präparate  eines  Falles  yon  pemiciöser 
Anämie,  Ton  einem  8%  Jahre  alten  Kinde  herrührend. 

Das  Herz  ist  erweitert,  dessen  Muskulatur  schlaff,  stark  yerfettet; 
die  Leber  sehr  ^oss  und  fettreich ,  ebenso  die  sehr  anämischen  Nieren 
▼erfettet;  die  Milz  gross,  derb,  der  Darm  dünn,  blass  (atrophisch?);  das 
Gehirn  blass,  das  Knochenmark  makroskopisch  nicht  verändert 

Das  Kind  stammte  aus  gesunder  Familie,  von  Lues  ist  nichts  be- 
kannt geworden,  fieberte  hochgradig  und  hatte  eine  Pneumonie,  war 
enorm  blase  und  hatte  nur  2  680  000  rothe  Blutkörperchen  im  cmm 
Blut  und  nur  17%  Hämoglobingehalt  ^Fl  ei  sohl).  Das  spec.  Gewicht 
des  Blutes  1037,  das  VerhiUtniss  der  weissen  zu  den  rothen  Blutkörper- 
chen 1 :  100. 

Das  mikroskopische  Bild  des  Blutes:  Poikilocyten  mit  ungleich 
yertheiltem  Hämoglobingehalt  und  stark  veränderten  Formen  der 
Körperchen,  Megalobl asten,  zahlreiche  Zerfallsproducte  von  rothen  Blut- 
körperchen ,  spärliche  multinucleäre  Leukocyten,  zahlreiche  grosskemige 
LeuKOCyten  und  kernhaltige  rothe  Blutkörperchen  —  keine  eosinophilen 
Zellen. 

Das  Kind  soll  schon  1  Jahr  vor  seiner  Aufnahme  Erscheinungen  von 
Hämophilie  gehabt  haben.  Eisenschitz. 


n.  GhroDische  InfectionS'  nnd  Allgemeinkrankheitex).  305' 

Ein  FaJl  van  paroxysmaler  Hämoglobinurie  hei  einem  achtjährigen ,  mit 
congenitaler  Syphilis  behafteten  Knaben,  Von  C.  Flensburg.  Nord, 
med.  ark.    XXIII.    Nr.  31.    1891. 

Der  Knabe,  dessen  Mutter  15  Monate  vor  der  Gebort  des  Kindes 
Syphilis  erworben  hatte,  litt  im  Alter  von  1  Jahr  an  Rachitis  und  sn 
gleicher  Zeit  an  Masern  mit  Nephritis;  im  Alter  von  3  Jahren  an  Pneu- 
monie, die  recidivirte,  seitdem  an  Anföllen  von  Hämoglobinurie,  die 
anfangs  bei  raschem  Temperaturwechsel  (Abkühlung)  auftraten,  bei  all- 
mählicher Abkühlung  der  Luft  seltener,  aber  auch  nach  Aufenthalt  im 
kalten  Zimmer  auftraten;  die  Anfälle  begannen  mit  Frost,  bläulicher 
Oesichtsfarbe,  vermehrtem  Durst  und  verliefen  mit  Fieber,  Erbrechen, 
Kopfschmerz;  Harndrang.  Der  Harn  war  anfangs  dunkelroth,  wurde 
aber  dann  immer  heller.  Urticaria  war  dabei  nicht  vorhanden.  Manch- 
mal enthielt  bei  den  Anfällen  der  Harn  kein  Blut,  sondern  nur  Eiweiss, 
Albuminurie  ging  fast  immer  der  Entleerung  von  sanguinolentem  Harne 
voraus  und  folgte  ihm.  Leber  und  Milz  waren  nach  den  Anfällen  nicht 
vergrössert,  der  Angengrund  war  normal,  auch  während  der  Anf&Ue; 
auch  Pupillencontraction  war  während  derselben  nicht  vorhanden.  Die 
Zahl  der  rothen  Blutkörperchen  war  manchmal  gegen  Ende  der  An- 
fälle etwas  vermindert.  Der  Knabe  war  anämisch,  evidente  Zeichen 
von  Syphilis  waren  nicht  vorhanden.  Im  Cubikmillimeter  Blut  waren 
3  200  000  rothe  BlntkOrperchen  vorhanden ,  sie  zeigten  weder  während, 
noch  ausserhalb  der  Anfälle  mikroskopische  Veränderungen,  die  Unter- 
suchung mit  dem  Hämatometer  (von  Fleisch  1)  ergab  70% Hämoglobin. 
Der  Harn  enthielt  manchmal  auch  zwischen  den  Anfällen  Eiweiss,  er 
enthielt  keine  Cylinder,  die  Acidität  des  Harns  und  die  gewöhnlichen 
Hambestandtheile  zeigten  sich  quantitativ  normal.  Bei  Untersuchung 
des  Blutes  mit  dem  Hämatokriten  fand  sich  in  dem  Serum  auch  wäh- 
rend der  Anfälle  keine  Spur  von  Hämoglobinfärbung.  Wenn  der  Arm 
des  Kranken,  mit  einer  elastischen  Schlinge  ligirt,  in  Schnee  gebettet 
wurde,  zeigten  sich,  so  lange  die  Schlinge  am  Arm  blieb,  keine  Symp- 
tome des  Anfalls,  nach  Entfernung  der  Schlinge  traten  alsbald  Frost 
und  Erblassen  ein,  Blutreaction  und  Temperatursteigerung  aber  erst 
nach  einer  Stunde;  bei  einem  Versuche  wurde  der  Harn  nicht  san- 
guinolent,  sondern  nur  eiweisshaltig.  Antisyphilitische  Behandlung 
(Inunction)  hatte  überraschenden  Erfolg.  Nach  Beendigung  der  Cur 
war  die  Zahl  der  rothen  Blutkörperchen  um  1  Million  gestiegen,  der 
Hämoglobingehalt  von  70  auf  105%,  die  abendlichenTemperatursteigerungen 
hörten  auf,  die  Anftllle  konnten  nicht  mehr  durch  Abkühlung  hervor- 

femfen  werden,  der  Kranke  wurde  temporär  geheilt  entlassen;    einige 
eit  später  traten  wieder  Anfälle  auf,  aber  viel  schwächer  als  ^üher. 

Walter  Berger. 

Patient  mit  kolossaler  Milzhypertrophie,  Von  Dr.  H.  Köster.  Göteborg^s 
läkaresällsk.  förh.  S.  18.  --  Nord.  med.  ark.  N.  F.  III.  6.  Nr.  28. 
S.  23.   1893. 

Der  8  Jahre  alte  Knabe  zeigte  seit  4  Jahren  eine  Milzvergrösserung, 
er  hatte  seit  frühester  Kindheit  an  fünf-  bis  sechsmal  täglich  wieder- 
kehrenden Stuhlentleerungen  gelitten;  die  Milz,  die  den  Bauch  sehr 
bedeutend  auftrieb,  konnte  bis  6  cm  nach  rechts  vom  Nabel  palpirt 
werden,  ihre  untere  Grenze  reichte  bis  3  cm  oberhalb  der  Spina  ilei 
anter.  superior.  Sie  war  glatt,  unempfindlich,  etwas  teigig,  bei  der 
Auscultation  über  ihr  hörte  man  sausende  Geräusche.  Die  Leber  war 
normal.  Bei  der  Blutuntersuchung  fanden  sich  4  260  000  rothe  Blut- 
körperchen, die  Zahl  der  weissen  war  normal,  ausserdem  fanden  sich 
zahlreiche  Poikilocyten  und  Mikrocyten. 


308  ADaleeieo. 

Beugeconiraciur,  in  geringerem  Grade  Bengecontractar  im  linken  Ell- 
bogengelenk. 

Viel  später  entwickelte  sich  eine  Deformität  im  linken  Schalter- 
gelenke, es  springen  der  Proc.  coracoideus  und  das  Acromion  stark  vor, 
anter  dem  letzteren  tastet  man  die  leere  Gelenksgrabe ,  während  der 
Oelenkskopf  unterhalb  and  hinter  dem  Acromion  steht. 

Diese  Lazatio  retroglenoidalis  sabacromialb  ist  durch  die  Maskel- 
contractnr  zn  Stande  gekommen,  vorzugsweise  des  Pectoralis  bei  auf- 
gehobenem Widerstände  seitens  des  TricepB.  Die  Laxation  ist  vorüber- 
gehend, darch  Lagerung  der  Vorderarme  auf  den  Rücken  leicht  repo- 
nirbar.  Eisenschits. 

Ueb^r  familiäre  Formen  van  cerebralen  Diplegien,     Von  Dr.  S.  Freud. 
NeuroL  Centralbl.  15.     1893. 

Zwei  Kinder  eines  Arztes,  der  seine  Nichte  geheirathet  hatte,  zeigen 
die  Erscheinungen  der  cerebralen  Diplegie.  Ein  drittes  Kind  scheint  an 
derselben  Affection  gelitten  zu  haben.  Hereditäre  Belastung  fehlt,  die 
Mutter  scheint  vor  der  Verheirathung  etwas  hysterisch  gewesen  zu  sein. 
Ans  der  Ehe  stammten  noch  vier  Kinder,  von  denen  das  erste  eine 
Frühgeburt  im  Alter  von  drei  Monaten,  das  fünfte  Kind  im  Alter  von 
zehn  Monaten,  das  sechste,  eine  Frühgeburt,  nach  wenigen  Stunden  ge- 
storben waren;  nur  das  vierte  Kind  ist  völlig  normal. 

Das  ältere  (zweite)  Kind,  6^4  Jahre  alt,  normal  geboren,  erscheint 
sofort  krank,  reagirte  nicht  auf  JLicht,  zeigte  mit  drei  Monaten  Njstag- 
mus,  lernte  nie  ohne  Unterstützung  gehen  und  stehen.  Der  Schädel 
kaum  abnorm,  beim  Fixiren  alternirender  Strabismus  convergens,  Atrophia 
n.  opt.  utriusqne  (Königstein).  Die  Arme  werden  gut  gebraucht, 
zeigen  nur  eine  Spur  von  Spasmus  und  deatlichen  Intentionstremor. 

An  den  Beinen  etwas  Parese  und  massiger  Grad  von  Starre,  weniger 
Starre  am  Nacken,  Patellarreflex  rechts  gesteigert,  beiderseits  Fuss- 
phänomen,  deutlicher  spastischer  Gang  ohne  Spitzfussstellung  und  ohne 
Üeberkreuzung. 

Die  Articulation  ist  gedehnt,  lange  Pausen  zwischen  den  einzelnen 
Silben  und  Worten,  die  Sprache  monoton.    Die  Intelligenz  normal. 

Bei  dem  um  17  Monate  jüngeren  Bruder  dieselben  Störnngen  ge- 
ringeren Grades,  nur  entwickelte  sich  hier  die  Krankheit  des  bis  dahin 
normal  erscheinenden  Knaben  erst  gegen  Ende  des  8.  Leben^ahres. 

Trotz  der  Aehnlichkeit  der  Erscheinungen  mit  der  Fried  reich 'sehen 
Krankheit  werden  als  different  hervorgehoben,  das  Fehlen  der  tabischen 
Symptome  und  das  Vorhandensein  der  Reflex  Steigerung  und  Starre,  da« 
Fehlen  der  cerebellaren  Schmerzen,  die  Progression  der  Erscheinung. 

Von  multipler  Sclerose  hebt  sich  das  Krankheitsbild  ab  wegen  det 
congenitalen  Ursprunges,  wegen  des  Mangels  an  Nachschüben  und  von 
Progression.        . 

Freud  fasbX;  die  Fälle  als  familiäre  Form  der  cerebralen  Diplegie 
(LitÜe'scbe  Krankheit)  auf  und  kommt  auf  die  Begründung  dieser  Dia- 
gnose in  seiner  Monographie:  „Cerebrale  Diplegie"  zurück. 

Eisenschits. 

IHe  Läsion  der  Ceniralorgane  bei  der  Geburt  als  Ursache  der  Melaena 
neoneUorum,  Von  F.  v.  Preuscher.  Centralbl.  für  Gynäkologie  9. 
1894. 

Ein  Fall  von  Melaena  neonatorum-    Von  A.  Schütze.    Ibid. 

1)  Ueber  die  Ursachen  der  Melaena  herrschen  ganz  verschiedene 
Meinungen,  keine  ist  befriedigend.  Als  Ursachen  werden  angenommen: 
Hämorrhagische  Diathese,   Texturerkrankong   der  Gefässe,  acute  Fett- 


III.  Krankheiten  des  NerTensystems.  309 

degeneration,  Erblichkeit^  vorzeitige  Unterbindung  der  Nabelschnur,  Yer- 
schlucken  von  corrodirendem  Fruchtwasser,  fötale  Magenentzündung, 
Embolie  von  Magen-  oder  Darmarterien  etc. 

Die  Beobachtung  eines  Falles  von  Melaena,  bei  welchem  sich  eine 
ausgedehnte  Blutung  auf  der  rechten  Eleinbirnhemisphäre  gefunden 
hatte  und  die  schon  aus  dem  Jahre  1845  datirende  Angabe  von  Schiff, 
dass  gewisse  Hirnverletzungen  Erweichung  und  Hämorrhagie  der  Magen- 
schleimhaut bedingen,  veranlassten  Verf.  in  Gemeinschaft  mit  Dr.  Po- 
morski  die  Sache  auf  experimentellem  Wege  anzogreifen.  Sie  fanden, 
dass  bei  einseitiger  Läsion  der  Ala  cinerea,  der  Crura  cerebelli  ad 
pontem  et  ad  corp.  quadrigemina  fast  regelmässig  Blutungen  in  der 
Magenschleimhaut  auftreten. 

V.  Pr.  wiederholte  dieselben  Versuche,  nachdem  er  bei  einer  zweiten 
Section  eines  an  Melaena  gestorbenen  Kindes  wiederum  eine  inter- 
cranielle  Blutung  und  zwar  auf  der  Grosshirnhemisphäre  gefunden  hatte. 
Er  machte  nun  eine  grössere  Zahl  von  Thierversuchen  nach  einer  bes- 
seren Methode.  Er  injicirte  mit  einer  feinen  Injectionsnadel  in  die  zu 
untersuchende  Hirnpartie  den  Bruchtheil  eines  Tropfens  einer  gesät- 
tigten Chromsäurelösung  bei  4 — 6  Wochen  alten  Kaninchen. 

Es  gelang,  Melaena  durch  Läsion  der  verschiedensten  Hirnpartien 
zu  erzeugen,  in  vielen  Fällen  combinirt  mit  Lungeninfarcten. 

Die  Magenblutungen  traten  mitunter  schon  2^/^  Standen  nach  Be- 
ginn des  Versuchs  auf. 

Die  Hirnläsionen,  welche  Magenblutungen  bedingten,  sassen  in  den 
vorderen  Vierhügeln,  im  Ped.  cerebri,  Thalam.  opt.,  im  Ammonshom; 
besonders  starke  Magenblutungen  erzeugten  Läsion  im  Boden  des  Vorder- 
horns  und  im  Stimlappen. 

Eine  ausführliche  Pnblication  folgt  nach. 

2)  Dr.  A.  Schütze  berichtet  über  eine  am  zweiten  Lebenstage 
tödtlich  endende  Melaena,  bei  welcher  die  Obduction  keinen  Defect  an 
der  Darm  wand  nachwies;  auch  für  die  Annahme  einer  Sepsis,  Syphilis 
oder  acuten  Fettdegeneration  lag  kein  Grund  vor. 

Es  blieb  allenfalls  das  ätiologische  Moment  der  Hämophilie  in  dem 
zum  Theil  mangelhaft  entwickelten  Individuum.  Eisenschitz. 

Der  Symptamencomplex  der  sogen,  sptut.  Spinalparalyse  als  Theüerschei- 
nung  einer  hereditär-syphilitischen  Affection  des  CentrcUnervensystems. 
Von  Prof.  J.  Hoffmann  (Heidelberg).  Neurolog.  Centralbl.  13. 
1894. 

Bei  einem  14  Jahre  alten  Knaben,  aus  einer  syphilitischen  Familie 
stammend  und  mit  einer  an  Sicherheit  grenzenden  Wahrscheinlichkeit 
selbst  hereditär-syphilitisch  gewesen,  hatte  sich  im  12.  Lebensjahre  lang- 
sam Steifigkeit  in  den  Beinen  und  reissende  Schmerzen  im  Fussrücken 
entwickelt. 

1  %  Jahr  nach  Beginn  der  Krankheit  traten  Sehstörungen  auf,  nach 
2  Jahre  dauernder  Krankheit  zeigt  der  Knabe  den  charakteristischen 
spastischen  Gang,  ohne  Ataxie  und  ohne  Verlust  motorischer  Kraft,  die 
Pdtellarreflexe  und  der  Fussclonns  sehr  lebhaft,  die  Sensibilität  nicht 
gestört;  an  den  Armen  gesteigerte  Sehnenreflexe  und  geringe  Steifigkeit. 

Die  linke  Pupille  etwas  weiter  als  die  rechte,  beiderseits  refiec- 
torische  Pupillenstarre,  Mydriasis,  keine  Reaction  bei  Convergenz  der 
Bulbi,  starke  Accommodationsparese. 

Die  Intelligenz  des  Kindes  ist  herabgesetzt  und  abnehmend. 

Es  handelt  sich  in  diesem  Falle  um  die  Folgen  einer  Entwickelungs- 
hemmung  gewisser  Gebiete  des  Centrainer vensystems  einerseits  und  um 


310  Analecien. 

später  dazu  gekommene  active  SürankheitsprocesBe  aadreneitB,  welche 
letzteren  auf  die  Wirkung  hypothetischer  Syphilistozine  lorückgefährt 
werden  könnten. 

Die  activen  Krankheitsprocesse  müssen  localisirt  sein  in  der  Gross- 
hirnrinde,  den  Pyramidenbahnen  in  toto  oder  nur  in  den  Seitensträngen, 
analog  wie  bei  der  Dementia  paralytica. 

Der  Fall  hat  eine  gewibse  Aehnlichkeit  mit  der  Little'schen  Krank- 
heit, gehört  aber  nicht  in  diese  Beihe,  sondern  wäre  als  ein  Parallel- 
fall SU  den  im  Kindesalter  selten  vorkommenden  Fällen  von  Tabes  dor- 
salis  anxosehen.  Eisenschiti. 

£in  Fall  von  diffuser  Periencep?idlü%$  und  disseminirter  Hinisklerwe  bH 
einem  zehn  Jahre  alten  Knaben  mit  congenüaler  Syphilis;  Tod  in 
Folge  von  actUer  gelber  Leberairophie,  Von  Dr.  D.  £.  Jacobson. 
Hosp.-Tid.  4.  K.  11.    17.    1894. 

Pat.,  der  in  seinen  ersten  Lebensjahren  gekränkelt  hatte,  wurde  im 
Alter  von  vier  Jahren  plötzlich  von  einem  üimleiden  mit  Lähmung  der 
linken  Extremitäten  und  des  linken  unteren  Facialisgebietes  befallen; 
die  linke  Pupille  war  grösser  als  die  rechte;  unter  Behandlung  von  Jod- 
kalium  verloren  sich  die  Lähmungserscheinungen,  aber  die  Pupilleo- 
di£ferenz  blieb.  Der  Knabe  entwickelte  sich  normal,  war  lebh^  und 
lernte  gut.  Vor  einem  Jahre  erkrankte  erst  das  linke  und  dann  aucii 
das  rechte  Auge  und  es  entwickelte  sich  eine  sehr  bösartige  diffuse 
Keratitis  auf  beiden  Augen.  Dabei  entstanden  Drasengeschwfliste  am 
Halse  und  in  den  loguinalgegenden.  Da  hereditäre  Syphilis  ansnnehmen 
war,  wurde  eine  lounctionscur  eingeleitet.  Abgesehen  von  dem  Augen- 
leiden befand  sich  Pat.  ganz  wohl  und  war  munter.  Am  7.  December 
1893  trat  Icterus  auf,  der  zunahm.  Die  Leberdämpfung  reichte  in  der 
Papillarlinie  1  bis  2  Finger  breit  unter  den  Ripp^bogen.  Quecksilber 
und  Jodkalium,  das  ausserdem  innerlich  gegeben  worden  war,  warden 
weggelassen.  Am  18.  December  wurde  Pat.  verdriesslich ,  dann  un- 
rumg,  warf  sich  hin  und  her,  sprach  und  antwortete  nicht,  stiess  aber 
mitunter  laute  Klageschreie  aus,  schlug  um  sich,  war  verwirrt  und 
schien  ausser  Rapport  mit  der  Aussenwelt.  Das  Oesicht  war  verfallen. 
Haut  und  Schleimhäute  waren  stark  icterisch,  der  Harn  sauer,  stark 
icterisch,  mit  Spuren  von  Fiweiss.  Die  Körpertemperatur  war  herab- 
gesetzt. Ohne  Veränderung  in  dem  Zustande  starb  der  Knabe  am 
23.  December  Abends.  Bei  der  Section  fand  sich  diffuse  Meningo- 
encephalitis  corticalis,  disseminirte  Hirnsklerose,  chronische  intersUtieUe 
und  acute  parenchymatöse  Hepatitis,  fibröse  Perihepatitis,  Hyperplasie 
der  Milz,  fibröse  Perisplenitis,  parenchymatöse  Nephritis  (diffuse  Fett- 
entartung). Die  parenchymatösen  Verändernngen  in  der  Leber  waren 
von  der  Art,  dass  sie  eine  entschiedene  Atrophie  herbeigeführt  haben 
würden,  wenn  nicht  eine  chronische  interstitielle  Hepatitis  vorhanden 
gewesen  wäre,  die  so  bedeutend  war,  daas  die  Atrophie  nicht  aagen- 
fällig  werden  konnte.  Die  Pathogenese  des  Leberleidens  lässt  sich  swar 
nicht  mit  positiver  Gewissheit  feststellen,  J.  hält  es  aber  für  wahr- 
scheinlich, dass  es  auf  einer  Quecksilbervergiftung  in  Folge  der  Schmier- 
cur  (es  waren  49  Finreibungen  von  je  8  g  angewendet  worden)  beruhte. 
Der  Beginn  des  Himleidens  ist  schwer  su  bestimmen,  J.  ist  aber  ge- 
neigt, anzunehmen,  dass  es  durch  die  Himaffection  im  Alter  von  vier 
Jahren  eingeleitet  wurde,  die  zweifellos  syphilitischer  Natur  war. 

Walter  Berger. 


III.  Krankheiten  des  NervenBystems.  311 

Äbseess  im  reMen  Stirnlappen  des  Gehirns.   Von  v.Bonsdorff.  Finska 
läkaresällsk.  handl.  XXXVI.    4.    S.  804.     1894. 

Ein  12  Jahre  alter  Knabe  hatte  am  9.  Mai  1893  durch  einen  Huf- 
Bchlag  an  der  rechten  Seite  der  Stirn  eine  Fractur  erlitten,  am  17.  Mai 
bekam  er  plötzlich  einen  Krampfanfall,  dem  bald  ein  zweiter  folgte, 
der  mit  Verziehen  des  Mundes  nach  links  begann;  unmittelbar  nach 
dem  Anfall  stellte  sich  Erbrechen  ein,  der  Kranke  war  bei  Bewusst- 
sein,  aber  somnolent.  Störungen  der  Motilität  und  Sensibilität  bestanden 
nicht.  Bei  der  Trepanation  fand  sich  eine  Impression,  in  deren  Mitte 
sich  abgerissene  Stücke  der  Dura  mater  und  zerrissene  Hirnmasse 
zeigten.  Nach  Entfernung  aller  lockeren  Splitter  der  Tabula  interna 
fand  sich  eine  wallnussgrosse  Eiterhöhle,  die  durch  einen  Kreuzschnitt 
in  der  Dura  mater  zugänglich  gemacht  wurde,  worauf  ein  mit  Jodoform- 
gaze  umwickeltes  Drainrohr  eingeführt  wurde.  Das  Kind  beüand  sich 
im  somnolenten  Zustande,  auf  lautes  Anrufen  antwortete  es  einige  Worte, 
nahm,  wenn  es  aufgefordert  wurde,  Nahrung  zu  sieb,  verfiel  aber  so- 
fort wieder  in  Schlaf.  Krämpfe  und  Erbrechen  waren  nach  der  Ope- 
ration nicht  wiedergekehrt,  auch  Störungen  der  Motilität  und  Sensi- 
bilität waren  nicht  vorhanden,  Temperatur  und  Puls  waren  herabgesetzt. 
Allmählich  besserte  sich  der  Zustand,  die  Wunde,  deren  Heilung  durch 
Gangrän  der  Händer  verzögert  war,  wurde  durch  autoplas tische  Ope- 
ration nach  König  geschlossen  und  heilte  dann  per  primam  inten- 
tionem;  der  Defect  war  gut  gedeckt.  In  der  Folge  genas  Fat.  voll- 
ständig ohne  Störung  der  psychischen  Functionen. 

Walter  Berger. 

Zwr  differentiellen  Diagnostik  zwischen  den  Tumoren  des  Kleinhirns  und 
der  Vierhügeh      Von  Dr.  L.  Bruns.     Neurolog.  Centralbl.  1.    1894. 

In  der  Sitzung  vom  11.  December  1893  der  Berliner  Gesellschaft 
für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten  berichtete  Bruns  über  fol- 
gende zwei  Fälle  von  Hirntumoren: 

1)  Ein  ca.  2  J.  alter  Knabe,  der  im  Alter  von  '/^  J.  Masern  überstanden 
hatte,  auf  welche  eine  chronische  linksseitige  Ohreneiterung  gefolgt  war, 
bekam  eine  linksseitige  Ptosis,  einen  Monat  später  constatirte  Bruns 
eine  beiderseitige,  links  stärkere  Ptosis  und  eine  beiderseitige,  gleich- 
falls links  stärkere  Lähmung  der  Interni;  7i  ^^^  später  bestand  eine 
doppelseitige  Lähmung  aller  vom  Oculomotorius  versorgten  äusseren  und 
inneren  Augenmuskeln,  statische  Ataxie  (breitbeiniges  Stehen),  Inten- 
tionszittern  der  oberen  Extremitäten,  scandirende  Sprache,  Schmerz- 
gefühl vorhanden,  Reflexe  ziemlich  lebhaft.  Man  diagnosticirte  jetzt 
an  dem  scrofulOsen  Individuum  einen  Tumor  imVierhügel. 

Einen  Monat  später  Stauungspapille ,  Erbrechen ,  niemals  Kopf- 
schmerzen, häufig  auftretende  und  nach  Stunden  wieder  verschwindende 
rothe  Flecke  an  der  Stirn  und  den  Extremitäten,  Temperaturerhöhungen 
und  Cyanose. 

Bei  der  Obduction  fand  sich  eine  Geschwulst  in  den  Vierhügel- 
ganglien und  in  der  Kemregion  des  Oculomotorius,  parallel  betroifen 
waren  die  Schleife  und  der  rothe  Haubenkern.  Der  Hirnschenkelfuss 
war  frei.  Die  Diagnose  rechtfertigte  die  Annahme  von  Nothnagel: 
Ein  Tumor,  der  eine  der  cerebellaren  Ataxie  gleichendem  Bewegungs- 
störung und  beiderseitiger  Augenmuskellähmung,  aber  nicht  Lähmung 
aller  Augenmuskeln  bewirkt,  sitzt  im  Vierhügel. 

2)  Der  zweite  Fall  widerlegt  aber  diese  Annahme.  Ein  11  Jahre 
alter  Knabe  erkrankt  an  Kopfschmerzen,  Erbrechen  und  wird  atactisch. 
Nach  einem  Falle,  drei  Monate  später,  wird  er  vollständig  comatös  und 
hatte  Cheyne-Stoke'sches  Athmen. 


312  Analecien. 

Im  weiteren  Yerlanf,  nach  Schwinden  dei  Coma:  Beiderseitige 
Abducensl&hmunff,  beiderseitige,  rechts  stärkere  Ptose,  Ataxie  sehr  stark« 
Patellarreflexe  soiwach,  endlich  werden  am  rechten  Auge  alle  Augen- 
muskeln gelähmt,  es  tritt  Nackenstarre  auf.  Diagnose:  Kleinhirntumor, 
durch  die  Autopsie  bestätigt. 

Bruns  meint,  dass  bei  der  Combination  von  AugeomuskellähmuDg 
und  Ataxie  die  Wahrscheinlichkeit  für  Vierhügelläsion  spricht,  wenn 
die  erstere,  für  Kleinhimläsion,  wenn  die  letztere  zuerst  auftritt. 

Die  Ataxie  bei  Vierhügelläsion  kann  auch  durch  Druck  auf  die 
Kleinhimstiele  und  das  Kleinhirn  oder  auf  die  MeduUa  ersengt  werden. 

HerTorzuheben  ist  an  dem  zweiten  Falle  noch  das  Fehlen  des  Pa- 
tellarreflexes  bei  Kleinhirnläsion.  Eisenschi tz. 

De  la  forme  infantile  de  la  paralysie  generale,  Par  le  Dr.  Moussons, 
Prof.  de  Bordeaux.    La  m^ecine  infantile  1894.     p.  449. 

M.  beobachtete  zwei  Fälle  von  chronischer  Meningo  -  Encephalitis, 
die  histologisch  ganz  das  Bild  der  allgemeinen  Paralyse  des  Erwach- 
senen ergaben.  Das  eine  Kind  war  hereditär  luetisch,  das  andere  war 
durch  die  Lippen  ioficirt  worden.  M.  spricht  für  Aufstellung  einer 
„kindlichen  Form  der  allgemeinen  Paralyse".  Sommer. 

A  case  of  sporadic  congenital  cretinism.  By  Ch.  Townsend.  Arch.  of 
pediatrics  Nov.  1892. 

Der  Fall  scheint  nach  der  Beschreibung  Ton  T.  ein  echter  Cretin 
zu  sein.  Der  Vater  ist  in  Guttenberg  in  Schweden,  die  Mutter  in  Chri- 
stiania  in  Norwegen  geboren,  beide  gesund,  hereditär  nur  mütterlicher- 
seits phthisisch  belastet. 

Das  Kind  ist  jetzt  20  Monate  alt,  war  Zangengeburt,  schwächlich, 
18  Monate  Brustkind.  Nie  krauk,  kann  nicht  sitzen,  nicht  den  Kopf 
gerade  halten,  sich  nicht  irgendwie  behelfen«  Fast  täglich  giebt  ea 
Perioden  bis  zu  Stundendauer,  während  welcher  das  Kind  wie  regungs- 
los, wie  todt  daliegt.  Das  Kind  ist  nicht  grösser  wie  ein  zehnmonat- 
licbes,  wie  Vergleichsmaasse ,  die  T.  anführt,  zeigen.  Augen  klein, 
schmal,  Gesichtshaut  verdickt,  ödematös  (wohl  Myxödem,  Ref.).  Ein- 
gedrückte, breite  Sattelnase,  dicke,  aus  der  Mundhöhle  protrudirte  Zange, 
halb  offener  Mund,  stets  fast  leichte  Salivation.  Reiche  Fettansamm- 
lung  am  kurzen,  dicken  Halse,  keine  Schilddrüsenvergrösserung,  keine 
sonstigen  Drüsen vergrösserungen.  Kurze,  dicke,  leicht  rachitisch  ver- 
änderte Extremitäten.  Haut  hat  gelbliches  Colorit,  sehr  niedrige  Tem- 
peratur, sehr  langsamer  Puls,  äusserst  träge  Lebensfunctionen. 

Nach  Bury  soll  gerade  dieses  psychische  Verhalten  zum  Unter- 
schiede von  Idiotie  für  Cretins  charakteristisch  sein;  wir  halten  die  be- 
schriebene somatische  Beschaffenheit  des  Kindes  in  der  That  für  der- 
artig, dass  man  an  Cretinismus  denken  muss.  Sie  stimmt  fast  in  Allem 
mit  dem  neuestens  durch  v.  Wagner  gezeichneten  Bilde  dieses  Zu- 
standes  überein.  Loos. 

Möglichkeit  der  Annahme  einer  Infeetion  bei  Chorea.  Von  Dr.  H.  Tri- 
boulet,  ehemal.  Assistenzarzt.  Revue  mensuelle  des  maladies  de 
Tenfance,  Maiheft  1898. 

Nachdem  Verf.  die  verschiedenen  Anschauungen,  welche  hinsicht- 
lich der  Aetiologie  der  Chorea  herrschen,  besprochen  und  über  zwei 
Serien  einschlägiger  Infections-  und  Culturversuche  berichtet,  kommt 
er  zum  Schlüsse,  dass  die  Chorea  nicht  einem  bestimmt  definir- 
baren  Mikroorganismus   zuzuschreiben  sei,  sondern  durch  verschie- 


III.  Krankheiten  des  NeryenBjBtems.  313 

dene  infectiöse  Agentien  yernrsacht  sein  kann.  Die  Infection  führt 
aber  nur  bei  Disponirten  su  dieser  sonderbaren  StOrang  des  Nerven- 
systems, so  dass  man  sagen  kann:  „es  hat  nicht  Jeder  Veitstanz «"^der 
Wim  Albrecht 

Unsere  Behandlungsmethode  der  Chorea.  Casuistisches  aas  der  Wasser- 
heilanstalt des  Prof.  W.  Winternitz  in  Kaltenlentgehen.  Von 
Dr.  A.  Pick  und  Dr.  Kraus.  Bl&tter  f.  klin.  Hydrotherapie  Nr.  4. 
1898. 

1)  Ein  10  Jahre  altes  Mädchen,  aus  nerröser  Familie  stammend, 
hat  seit  10  Tagen  choreatische  Bewegungen,  die  nach  einem  heftigen 
Schreck   entstanden,   anfänglich   auf  das   Gesicht   beschränkt   blieben, 
alsbald  aber  den  ganzen  Körper  ergriffen  und  zu  einer  solchen  Muskel- 
anarchie  fahrten,   dass  weder  Stehen  noch  Gehen,   noch  Essen,  noch 
auch  irgend  eine  geordnete  Verrichtung  mOglich  war  und  das  Kind  im 
Bett  durch  Kissen  und  Matratzen  vor  Verletzungen  geschfitzt  werden 
musste.    Im  Schlafe,  der  indesa  kaum  einige  Stunden  andauerte,  hörten 
die  choreatischen  Bewegungen  auf.   Die  Behandlung  bestand  darin,  dass 
Pat.    auf  ihrem   Lager   sanft   fizirt  und   über   Gesicht,    Kopf,    vordere 
Körperhälfte   und  Extremitäten   lange   leichte  Streichungen  (Effieurage) 
langsam,   aber  continuirlich  (etwa  ^  Stunde)  ausgeführt  wurden.    Die 
Manipulation  wurde  täglich  zweimal    wiederholt    und    der   Erfolg  war 
regelmässige  Beruhigung  auf  kürzere  oder  längere  Zeit.    Nach  einigen 
Tagen   wurden   zu   diesen   passiven  Streichungen   passive  Bewegungen 
der   einzelnen  Fingergelenke,   Finger,  Handwurzeln,  Zehen  und  Fuss- 
wurzeln,  später  der  Ellenbogen-  und  Kniegelenke,  und  ganz  allmählich 
auch  der  Schulter-  und  Kniegelenke  hinzugefügt;  endlich   wurden  active 
Widerstandsbewegungen   in  der  gleichen  Reihenfolge  und  mit  allmäh- 
lich steiffpnder  Dosirung  eingeleitet  und  von  hydriatischen  Procednren, 
die   in    nlüblung   der    Wirbelsäule    mittelst   Kautschnckschlauches   mit 
durchfliessendem  Wasser  1—2  Stunden  lang  1—2  mal  täglich  bestanden, 
unterstützt.     Nach   acht  Tagen   nahm   die  Intensität  der  Bewegungen 
ab,  Gehen,  Stehen,  Essen  wurden  möglich.    Nunmehr  wurden  tonisirende 
Halbbäder  von  20—18°  und  2 — 3  Minuten  Dauer  und  alsbald  vor  diesen 
^  stündige  feuchte  Einpacknngen  angewendet,  Pat.  gut  genährt  und  in 
nicht   ganz  sechs  Wochen   war  Pat.  von   der  Chorea  vollkommen  ge- 
heilt. 

2)  In  einem  zweiten  Falle,  ein  8  Jahre  altes  Mädchen  betreffend, 
bei  dem  gleichzeitig  Insufficienz  der  Mitralis  bestand,  wurde  unter  der- 
selben Behandlungsmethode  (Gymnastik  und  Rückenkühlung)  und  in  an- 
nähernd der  gleichen  Zeit  die  Chorea  völlig  geheilt.  Unger. 

Infantiie  Neurosen.     Von  Paul  Winge.    Norsk  Mag.  f.  lÄgevidensk. 

S.  1225.     1892.   —    Nord.  med.  ark.   N.  F.  III.  4.      Nr.  22.     S.  84. 

1893. 

Von  vier  Fällen,  die  W.  mittheilt,  war  in  drei  reine  Hysterie  vor- 
handen, im  vierten  war  die  Diagnose  zweifelhaft,  da  Symptome  vorhanden 
waren,  die  auf  ein  organisches  Hirnleiden  hindeuten  konnten.  In  den 
drei  ersten  Fällen  war  die  Erkrankung  zurückzuführen  auf  schwächende 
Momente,  Influenza,  Rheumatismus,  langjährige  Durchfälle  mit  nach- 
folgender Anämie,  im  vierten  bestand  starke  nervöse  Belastung.  Der 
srste  Fall  war  der  am  meisten  typische,  es  bestand  ausgeprägtes  hyste- 
risches Temperament  mit  Nahrungsverweigerung,  KrampfantUUen  von  ver- 
echiedener  Art  und  Dauer,  hysterische  Zonen,  Mutismus,  Taubheit  und 
Herabsetzung  des  Sehvermögens  auf  dem  linken  Auge,  Parese  der  ünter- 
extremitäten;  Anästhesie  konnte  nicht  nachgewiesen  werden.   Im  zweiten 

Jahrbuch  f.  Kindorhoilktinde.  N.  F.   XXXIX.  21 


314  Analecten. 

Falle  bestanden  auch  KrampfanfiLlle,  hysterische  Zonen  nnd  Paresen, 
aber  kein  hysterisches  Temperament,  Iceine  sensorieUen  Symptome,  keine 
Anästhesie.  Im  dritten  Falle  bestanden  hysterisches  Temperament, 
Nahrnngsver Weigerung,  Erampfanf&lle,  vollständige  Anästhesie,  Matis- 
mus  und  Qesichtshallucinationen ,  Katalepsie  und  Parese  der  Unter- 
extremitäten.  Im  vierten  Falle  waren  die  trophischen  Störungen  und 
die  paralytischen  Symptome  mehr  vortretend  als  in  den  anderen.  Die 
Behandlung  bestand  in  Entfernung  aus  den  heimischen  Umgebungen, 
Anwendung  der  Suggestion  im  wachen  Zustande  und  Roborantien.  Ge- 
legentlich wurden  Chloral  und  prolongirte  laue  Bäder  angewendet,  in 
einem  Falle  ein  Zeit  lang  Elektricität.  Walter  Berg  er. 

Zwei  FälU  von  Hysterie  bei  Kindern.  Von  Edv.  Bull.  Norsk.  Mag. 
i.  Lägevidensk.  S.  1261.  1892.  ^  Nord.  med.  ark.  N.  F.  DI.  4. 
Nr.  22.     S.  34.     1893. 

Die  beiden  Kinder  waren  Geschwister,  ein  Mädchen  von  11  Jahren 
und  ein  Knabe  von  10  Jahren,  letzterer  war  deutlich  von  seiner  Schwester 
angesteckt;  es  bestand  insofern  erbliche  Belastung,  als  der  Vater 
31  Jahre  älter  als  die  Mutter  war  und  diese  an  Neurasthenie  litt. 
Bei  dem  Mädchen  war  die  Hysterie  nach  einer  Angina  mit  Durchiall 
und  Magenschmerzen  aufgetreten  und  zeigte  sich  besonders  in  Chorea- 
ähnlichen  Bewegungen  mit  einer  Art  periodischem  SomnambuHsmus, 
während  dessen  sie  mit  geschlossenen  Augen  durch  Gemächer  ging, 
ohne  sich  zu  stossen,  ab  und  zu  traten  eklamptische  Anfälle,  perio- 
dische kataleptische  Zustände,  bis  zu  drei  Tage  dauernd,  und  psychische 
Alteration  auf.  Bei  dem  Knaben  brach  die  Hysterie  ungefähr  1%  Wochen 
danach  aus,  als  die  Schwester  ihre  Anfälle  bekommen  hatte,  sie 
äusserte  sich  bei  ihm  besonders  durch  häufige  und  heftige  Krampf- 
anfälle mit  benommenem  Sensorium  bei  und  nach  denselben.  Die  Be- 
handlung bestand  darin,  dass  die  Kinder  von  einander  getrennt  wurden, 
in  lauen  Bädern  mit  kalten  Uebergiessungen  und  Suggestion  im  wachen 
Zustande.  Die  Symptome  besserten  sich,  aber  die  nervösen  Anfälle  be- 
hielten Neigung  zu  recidiviren  bei  Grelegenheitsursachen. 

Walter  Berger. 

FdU  van  infatUHer  Hysterie  mit  LoealisaHon  in  der  Urinsphäre,  Von 
L.  Schibbye.  Norsk  Mag.  f.  Lägevidensk.  S.  1266.  1892.  — 
Nord.  med.  ark.  N.  F.  III.  4.   Nr.  22.    S.  35.     1893. 

Ein  9  Jahre  altes  Mädchen  begann,  wahrscheinlich  nach  Influenza, 
an  Zeichen  einer  eigenthflm liehen  nervösen  Erschwerung  bei  der  Harn- 
entleerung zu  leiden.  Zu  bestimmten  Zeiten  (dreimal  täglich)  wurde 
sie  unruhig,  stand  bald  auf  dem  einen,  bald  auf  dem  andern  Beine  und 
jammerte  sehr;  wenn  sie  auf  dem  Nachtstuhle  sass,  drehte  sie  den 
Oberkörper  nach  allen  Seiten,  danach  trat  Congestion  im  Gesicht  auf, 
die  Augen  wurden  glänzend  und  schliesslich  ging  unter  anhaltendem 
Schreien  der  Harn  ab,  wonach  sie  sich  vollkommen  schmerzfrei  erhob. 
Seh.  fasst  diese  Erscheinungen  als  hysterisch  auf,  vielleicht  combinirt 
mit  Masturbation  oder  als  eine  Folge  derselben.  Dass  die  Erschei- 
nungen noter  wesentlich  suggestiver  Therapie  zurückgingen  und  eine 
Zeit  lang  fast  vollständig  ausblieben,  spricht  ebenfalls  dafür,  dass  die 
Affection  rein  nervös  war.  Die  Untersuchung  des  Harns  und  der  Blase 
ergab  nichts  Abnormes.  Walter  Berger. 


m.  Krankheiten  des  Neirensystems.  315 

Contribution  ä  Yäude  de  Vathetose  double.  Par  le  Dr.  Bdzy,  Touloase. 
La  m^decine  infantile  1894.    p.  194. 

•  Die  Mittheilung  betrifft  einen  zehnjährigen  Knaben,  der,  frei  von 
hereditärer  Belastung,  seit  seiner  im  18.  Monat  stattgefundenen  Ent- 
wöhnung bei  fast  normaler  Intelligenz  und  kaum  auffallenden  Degene- 
rationszeichen  am  Skelett,  langsam  gesteigerte  Bewegungsstörungen, 
Contractnr  der  unteren  Extremitäten,  Aufhebung  des  Patellarreflexes 
zeigt.  Die  Athetose  manifestirt  sich,  wenn  der  Knabe  einige  Schritte 
gemacht  hat  und  nun  welter  will  unter  Congestion  gegen  das  Gesicht, 
und  verschwindet  in  der  Ruhelage  wieder. 

Es  wird  an  der  Hand  reichlicher  Literatur  Pathogenese  und  Ciassi- 
ficirung  dieses  Symptomencomplexes  discutirt.  Sommer. 

Caracteres  des  urines  dam  Ja  Utanxe  infantile.  Par  lea  DDr.  Oddo 
et  Sarles,  Marseille.    La  mädecine  infantile  1894.    p    483. 

Bei  normaler  Nierensecretion  war  der  Urin  des  18  Monate  alten 
Kindes  bis  zur  Bildung  von  allgemeinem  Oedem  durch  Sphinkterkrampf 
zurückgehalten.  Für  die  Annahme  eines  urämischen  Zustandes  sprach 
nichts.  Der  Spasmus  vesicae  war  das  erste  Symptom  der  Tetanie  ge- 
wesen. Bei  völliger  Abwesenheit  von  Eiweiss  enthielt  der  Harn  jedoch 
beträchtliche  Mengen  von  Indican,  und  es  legt  sich  die  Frage  nahe,  ob 
die  Verdauungsstörung,  der  man  dieses  Symptom  verdankt,  nicht  auch 
die  Tetanie  durch  Production  von  Giften  im  Sinne  Ewald*s  hervor- 
gerufen hat.  ^ 

Auffallend  ist  die  Menge  der  Phosphors&ure ,  die  das  18  monatliche 
Kind  ausschied:  3  g  pro  1,  und  zwar  zeigte  das  Verhältniss  der  Alkali* 
zu  den  Erdphosphaten  jene  Umkehrung  zu  Gunsten  der  Erdphosphate, 
welche  von  einer  Reihe  von  Autoren  bei  verschiedenen  nervösen  Er- 
krankungen beobachtet  worden  ist.  Sommer. 

Paralysie  spinale  aigue  swreenue  chez  un  enfant  tubercuJetuc  atteint  de 
troMes  digestifs  chroniques  ä  la  suiie  d'une  vnricelle  et  d'une  otite 
tnoyenne.    Von  Mafran.    Progräs  m^dical  1893  Nr.  11  p.  200. 

Es  handelt  sich  um  ein  9  monatliches  Ziehkind  in  schlechten  hy- 
gienischen Verhältnissen  mit  Tuberculose  und  öfteren  Durcheilen.  Das 
Kind  erkrankte  an  Varicellen,  die  keinen  normalen  Verlauf  hatten. 
Einen  Monat  später  zeigte  sich  eine  vollständige  Lähmung  des  linken 
Armes,  als  Ausdruck  einer  Poliomyelitis  anterior  acuta,  die  unter  hohem 
Fieber  zur  L&hmung  geführt  hatte.  Am  folgenden  Tag  wurde  die  Ohr- 
eiterung entdeckt  und  einen  Tag  später  erfolgte  'der  Durchbruch  des 
ersten  Zahnes.  Es  sind  somit  aUe  Ursachen  für  die  acute  spinale  Läh- 
mung gegeben.  Doch  scheint  auch  einer  Infection  die  Poliomyelitis  zu- 
geschrieben werden  zu  können.  Aber  diese  Infection  ist  nicht  speoi- 
nscher  Art,  vielleicht  kann  man  die  Localisation  der  Mikroben  oder  der 
durch  sie  gebildeten  Toxine  in  der  grauen  Substanz  der  Vorderhömer 
auf  Vererbung  der  neuropathischen  Constitution  schieben. 

Fritzsche. 

Experimentelle  Beiträge  zur  Lehre  vom  Bronchospasmus  bei  Neugebore- 
nen. Von  Dr.  Emil  Berg  grün.  Centralblatt  für  Physiologie  vom 
8.  Juni  1893  Heft  6. 

Die  Versuche,  über  die  Verf.  in  seiner  kleinen  Abhandlung  be- 
richtet, bestanden  darin,  dass  er  bei  ganz  schwach  curarisirten  jungen 
Hunden  den  Vagus  peripher  reizte:  es  wurden  die  Atbmungsexcursionen 
kleiner  und   die  Lunge  grösser;   ersteres  sieht  Verf.  für  den   directen 

21* 


316  Analecten. 

Ansdrock  der  durch  den  Spasmas  herTorgerafenen  Luagenbläliiiiig  an. 
Diese  Beoliachtang  wird  auf  den  Menschen  übertragen  und  die  Meinong 
ausgesprochen,  dass  der  Bronchospasmus  bei  Kindern  nicht  so  sehr 
selten  und  dass  vielleicht  mancher  Laryngospasmus  in  Wirklichkeit  ein 
Bronchospasmus  sei.  Carstens. 

Beobachtungen  über  Laryngospasmus.   Von  6.  G.  Stage.   Bibl.  f.  L&ger 
7.  E.  IV.  8.  268.  -  Nord.  med.  ark.  N.  F.  III.  6.  Nr.  28.  S.  22.  1898. 

St.  hat  88  F&lle  von  Laryngospasmus  selbst  beobachtet  und  theilt  die 
daraus  gewonnenen  Erfahrungen  mit  Der  Ausgangspunkt  des  Leidens, 
bei  dem  Erblichkeit  einen  gössen  Einflnss  ausübt,  ist  im  Darmcanal 
zu  suchen,  die  Krankheit,  die  im  eigentlichen  Sinne  eine  Kinderkrank- 
heit ist,  hängt  von  mehr  oder  weniger  eingreifenden  Verdauungs- 
stürungen  ab  und  kann  deshalb  rasch  beseitigt  werden,  wenn  diese  ge- 
heilt worden.  Die  Krankheit  steht  nach  St.  dadurch  sugleich  in  naher 
Beeiehun^  cur  Rachitis,  die  ganz  von  denselben  Ursachen  abhängt. 
Eine  Beziehung  zu  dem  Zahndarchbruch  lässt  sich  dagegen  nicht  nach- 
weisen. St.  schreibt  dem  Laryngospasmus  eine  nicht  geringe  Bedeutung 
als  directe  Todesursache  in  manchen  Fällen  zu,  hebt  aber  auf  der  an- 
deren Seite  die  raschen  und  guten  Resultate  hervor^  die  man  mit  einer 
rationellen  Behandlung  erzielen  kann,  die  so  gut  wie  ausschliesslich  in 
zweckmässiger  Regelung  der  Diät  besteht  und  nur  zum  geringsten  Theil 
medicamentOs  zu  sein  braucht.  Walter  Berg  er. 

üeber  ein  Symptom,  das  häufig  die  Enuresis  noct.  der  Kinder  begleitet. 
Von  Dr.  S.  Freud.    Gentralbl.  f.  Neurologie  21.  1898. 

Etwa  die  Hälfte  aller  mit  Enuresis  nocturna  behafteten  Kinder 
zeigt  eine  Hypertonie  der  unteren  Extremitäten  ohne  sonstige  Functions- 
Störung. 

Bei  dem  Versuche,  die  bei  den  Füssen  gefassten  Beine  zu  abduciren, 
erfährt  man  anfangs  einen  starken,  allmählich  abnehmenden  Widerstand, 
der  an  das  Verhalten  der  Kinder  mit  fälschlich  sog.  spastischer  Spinal- 
paralyse erinnert  (Contractnr  der  Adductoren). 

Die  auseinander  gehaltenen  Beine  schnellen,  wenn  sie  losgelassen 
werden,  rasch  zusammen.  Auch  am  Qnadriceps  cruris  lässt  sich  die- 
selbe Hypertonie  nachweisen,  wenn  man  rasch  den  Unterschenkel  gegen 
den  Oberschenkel  beugt. 

'  Die  in  Rede  stehende  Spannung  der  Muskeln  ist,  wie  man  sich 
überzeugen  kann,  keine  willkürliche,  etwa  eine  Folge  von  Angst  oder 
Scham haflijB^keit,  es  bandelt  sich  bei  näherer  Beobachtung  auch  sicher 
nicht  um  Rudimente  der  spast.  Spinalparalyse. 

Es  sollen  erst  weitere  Beobachtungen  lehren,  ob  diese  Hypertonie 
nur  bestimmten  Formen  der  Enuresis  zukommt.  Es  ist  auch  der 
Nachweis  nicht  gelungen  und  es  ist  nicht  einmal  wahrscheinlich  ge- 
worden, dass  die  Hypertonie  regelmässig  mit  jenen  Charakteren  zu- 
saramenföllt,  welche  die  Auffassung  der  Enuresis  nocturna  als  Aequivalent 
eines  epileptischen  Anfalles  begründen.  Diese  Charaktere  wären:  Auf- 
treten aer  Enurese  bei  schon  vorher  rein  gewesenen  Kindern  und  zwar 
nicht  jede  Nacht,  dann  aber  mehrmals  in  einer  Nacht  oder  nach  Pausen 
von  einigen  Wochen,  und  endlich  der  günstige  Einfluss  der  Brom- 
behandlung. 

Intensität  der  Hypertonie  und  der  Enuresis  nocturna  sind  durchaus 
nicht  proportional,  die  erstere  überdauert  auch  wohl  die  letztere. 

Die  Aufklärung  dieser  Hypertonie  fehlt  vorerst  noch,  vielleicht  ist 
sie  eine  Theilerscheinung  spinaler  Ueberinnervation,  die  andrerseits  auch 
den  Detrusor  vesicae  betrifft.  Eisenschitz. 


III.  Eraukheiten  des  Nervensystems.  317 

üeher  den  btdbären  SymptamencompUx  im  KindesaUer.  Von  N.  Filatow 
(Professor).    Medicinskoje  Obosrenje  Nr.  1.  1894. 

Verf.  giebt  zon&chst  eine  Uebersicht  über  die  Terschiedenen  For- 
men der  Baibär- Paralyse,  die  im  Eindesalter  beobachtet  werden,  und 
beschreibt  einen  Fall,  der  in  seiner  Elinik  ear  Beobachtung  gelangte. 
Ein  Enabe  mit  klarem  Sensorium  und  normaler  Intelligenz  zeigte  fol- 
genden Symptomencomplez :  leichter  Nystagmus,  Parese  im  Gebiete  des 
oberen  Facialis,  Paralyse  im  Gebiete  aes  unteren  und  mittleren  Astes, 
Bewegung  der  Lippen  behindert,  Lippenbuchstaben  können  nicht  aus- 
gesprochen werden,  feste  Speisen  müssen  mit  der  Hand  in  den  Mund 
geschoben  werden,  Eaumuskelm  functioniren  normal,  dagegen  kann  der 
[nahe  den  Unterkiefer  weder  seitlich,  noch  nach  yome  bewegen. 
Zunge  vollkommen  unbeweglich,  doch  nicht  atrophisch,  Anarthrie;  das 
Velum  unbeweglich,  Schlucken  ungestört.  Die  elektrische  Erregbar- 
keit im  Gebiete  des  Facialis,  des  Hypoglossus  und  der  motorischen 
Trigeminuszweige  ist  normal.  Die  oberen  und  unteren  Extremitilten  sind 
im  spastischen  Zustande,  Intentionszittern  vorhanden:  L&hmungen  werden 
nicht  beobachtet.  Auf  Jodkalium  trat  erhebliche  Besserung  ein;  die 
Sprache  wurde  deutlicher,  die  Zunge  konnte  wieder  bewegt  werden, 
wenn  auch  nicht  so  ausgiebig,  wie  normal.  Verfasser  schliesst  bei 
Stellung  der  Diagnose  Neuritis  und  chronische  Basilarmeningitis  aus, 

Der  Nystagmus  und  der  Spasmus  der  Extremitäten  lassen  sich  nicht 
durch  die  Annahme  einer  einfachen  Läsion  des  verlängerten  Marks  er- 
klären; Verf.  ist  genei^,  eine  disseminirte  Solerose  anzunehmen.  Die 
Aetiologie  des  Falles  ist  ziemlich  dunkel.  Da  in  der  Anamnese  Hin- 
weise auf  hereditäre  Lues  vorhanden  sind,  da  ferner  bei  dem  Patienten 
eine  sehr  grosse  Milz  zu  constatiren  war,  so  glaubt  F.,  dass  möglicher- 
weise die  hereditäre  Syphilis  beschuldifft  werden  könne,  dafür  spreche 
auch  die  günstige  Wirkung  des  Jodkaliums.  Abelmann. 

Vorstellung  eines  Knaben  mit  spinaler  Kinderlähmung  der  unteren  Ex- 
tremitäten und  des  Rumpfes^  welcher  sich  mit  Hilfe  der  Hände  fort- 
bewegt.   Von  Joachimsthal.     Berliner  kl.  W.  48.  1893. 

Prof.  Gluck  hatte  einen  Enaben  vorgestellt,  der  trotz  completer 
Lähmung  der  unteren  Extremitäten,  sich  auf  die  Hände  stützend,  nach 
Art  eines  Quadrupedanten  sich  rasch  fortbewegte.  Der  Enabe  benutzte  die 
kräftige  Bückenmusculatur  dazu,  das  Becken  und  die  unteren  Extremi- 
täten vom  Boden  zu  heben.  Ein  ähnlicher  Fall  wurde  von  Dr.  Wiliard 
(Philadelphia)  demonstrirt. 

Als  Analogen  demonstrirt  Joachimsthal  in  der  Sitzung  der  Berl. 
med.  Ges.  vom  8.  Nov.  1898  einen  6  jährigen  Enaben,  der  seit  6y^  Jahren 
an  completer  spinaler  Paraplegie  nnd  Lähmung  des  Rumpfes  leidet  und 
Beugecontracturen  im  rechten  Enie  und  in  beiden  Hüftgelenken  hat. 

Dieser  Enabe  bewegt  sich  behende  ausschliesslich  unter  Benützung 
der  kräftigen  Arm-  und  Schultermusculatur,  indem  er  bei  etwas  nach 
vorn  geneigter  Wirbelsäule  beide  Oberschenkel  stark  flectirt  und  ad- 
ducirt,  das  linke  Enie  unter  und  hinter  das  rechte  Enie  stemmt  und 
dann  mit  beiden  Händen  die  Füsse  umgreift  und  abwechselnd  nach  vorne 
hebt,  also  gleichsam  die  eigenen  Beine  als  Stelzen  benützt,  was  durch 
dos  beiderseitige  Genu  valgum  erleichtert  wird.-  Eisenschitz. 

Ueber  Poliomyelitis,  Von  Dr.  G.  Goldscheide r.  Zeitschrift  für  klin. 
Med.  23.  B.  6.  u.  6.  Heft. 

Nach  einer  historischen  Uebersicht,  die  von  der  Publication  Heine 's 
1840  bis  in  die  neueste  Zeit  reicht,  berichtet  Dr.  G.  über  eine  eigene 
Beobachtung. 


318  Analeoten. 

Dieselbe  betrifft  ein  2y,  Jahre  altes  M&dcben,  welches  12  Tage 
vor  der  Aufiiahme  unter  Fiebererseheinmigeii  parapleg^sch  worde  and 
am  18.  Krankheitstage  einer  diffusen  Bronchitis  und  Bronchopneamonie 
erlag. 

Das  Rückenmark  zeigte,  firisch  nntersacht,  anf  einem  durch  das 
Lendenmark  gelegten  Querschnitte  eine  diffuse  tiefrothe  E^bung  in  der 
Region  der  Yorderhömer,  die  Substanz  quillt  stark  vor. 

Im  Abstrichpr&parate  in  derselben  QnerschnitthOhe  zeigen  sich 
"runde  granulirte  Qebilde,  einzelne  Eömchenzellen,  zahlreiche  Rundzellen 
mit  grossem  Kern  und  platte,  epithelförmige  Zellen  mit  grossem  Kerne, 
femer  Gomplexe  yon  stark  ausgedehnten  Gapillaren,  umhflllt  und  be- 
deckt Ton  Bundzellen,  und  eigenthümliche  gl&nzende  grosse  Gebilde 
(Gangliensellen),  gequollene  NerTenfasem  oder  Wurzelfasem  (Deiters- 
sche  Azencylinderfortsätze)  —  keine  Mikroorganismen. 

Die  aus  der  Lendenanschwellung  austretenden  vorderen  Wurzeln 
sind  leicht  zerreisslich ;  mit  Osmium  behandelt,  sind  die  Fasern  vielfach 
in  Zerfall  begriffen. 

Am  gehärteten  Lendentheile:  Die  Gefässe  der  Pia  mater  sind  im 
ganzen  Umfange  des  Rfickenmarkes ,  besonders  aber  vom,  stark  gefüllt, 
das  Pr&parat  etwas  reicher  an  einkernigen  Rundzellen. 

Die  Oef&sse  im  Sulcus  longit.  ant.  sind  besonders  stark  gefSUt,  in 
ihrer  Wand  und  in  ihrer  Umgebung  zahlreiche  einkernige  Rundzellen, 
insbesondere  Venen  und  Gapillaren. 

Der  Hauptherd  der  Geiassver&nderung  ist  das  Vorderhom,  weniger 
der  Vorderseitenstrang  und  noch  seltener  der  Rfickenstrang. 

Die  VorderhOmer  selbst  sind  allenthalben  mit  Rundzellen  besät  und 
erstrecken  sich  durch  das  ffanze  Gewebe. 

Die  Ganglienzellen  sind  an  Zahl  vermindert  und  vielfach  verftndert, 
zum  Theil  vergrOssert,  blase  gefärbt  (in  beginnender  Auflösung  begriffen) 
oder  verkleinert,  geschrampft,  die  Kerne  h&ufig  geschwunden,  die  Fort- 
sätze entweder  ganz  fehlend  oder  es  blieb  nur  ein  varicOs  veAnderter 
Azencylinderfortoatz. 

Die  feinen  Nervenfasern  der  vorderen  grauen  Substanz  sind  spär- 
lich, zum  grossen  Theile  untergegangen. 

Die  Veränderungen  in  den  übrigen  Theilen  des  Rückenmarkei 
gleichartig,  aber  von  geringerer  Intensität  (med.  obl.,  Nerven  und  Mus- 
keln konnten  nicht  untersucht  werden). 

Es  zeigen  sich  im  Ganzen  die  Charaktere  einer  echten  Entzfindung, 
primär  ausgehend  von  einem  Reizzustand  in  den  Geßissrändem,  die 
Veränderungen  der  Ganglienzellen  und  der  feinen  Nervenfuem  und  se- 
cundärer  Natur. 

Nimmt  man  ältere  Processe  zur  Untersuchung,  so  ist  bei  ihnen  der 
vasculäre  Charakter  nicht  mehr  in  die  Äugten  springend,  aber  doch  ist 
noch  immer  die  Grappirung  der  degenerativen  Veränderang  um  ver- 
änderte Gefässe  Überall  nachzuweisen. 

Dr.  H.  geht  nunmehr  auf  die  acute  und  subacute  Poliomyelitis  der 
Erwachsenen  über  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  beim  Erwach- 
senen ausser  der  vasculären  acuten  Erkrankung  des  Vorder* 
hornes  noch  eine  von  den  Ganglienzellen  ausgehende  mehr 
oder  weniger  chronische  vorkommt. 

Ebenso  gpebt  es  disseminirte  Formen  von  Myelitis  und  Scle- 
rose,  die  pnmär  vom  Gefässsysteme  ausgehen. 

G.  will  überhaupt  nachweisen,  dass  die  von  den  Gefässen  ausgehenden 
Entzündungsformen  vielfacher  Art  sind  und  sich  in  verschiedenartiger 
Ausbreitung  und  Localisation,  sowohl  diffus  wie  herdförmig,  im  Rfleken- 
marke  und  im  Gehirne,  in  der  grauen  und  in  der  weissen  Substanz  vor- 
finden. 


in.  Krankheiten  des  Nervensystems.  319 

Die  Wände  der  Blat-  and  LymphgefUsse  spielen  dabei  eine  wesent- 
liche Rolle,  nnd  gelangen  vom  filate  ans  reizende  Stoffe  in  die  Gewebe 
nnd  regen  Zellenproliferation  an. 

Ein  besonderer  Localisationstypns  ist  in  der  Poliomyelitis  gegeben, 
indem  hier  das  Gebiet  des  Tractas  arteriös,  ant.  und  namentlich  das 
der  Centralarterien  betroffen  ist 

Dr.  G.  verweist  dabei  neuerdings  auf  die  mit  dieser  Anschauung 
stimmende  Behauptung  von  der  infectiOsen  Natur  der  Krankheit. 

Im  Anhange  zur  Arbeit  findet  sich  ein  eingehender  biologischer 
Bericht  über  die  Schnittserien -Untersuchung  des  mitgetheilten  Falles 
von  spinaler  Kinderlähmung,  betreffs  dessen  wir  auf  das  Original  ver- 
weisen. Eisenschitz. 

Die  paihologische  Anatomie  der  spinalen  Kinderlähmtmg,    Von  Prof.  Dr. 
Siemerling.    Archiv  f.  Psychiatrie  26.  B.  1.  H. 

Prof.  Siemerling  hatte  neuerdings  Gelegenheit,  einen  Fall  von 
spinaler  Kinderlähmung  zu  untersuchen,  der  am  8.  Tage  der  Krankheit 
einer  Bronchopneumonie  erlegen  war.  Die  acht  Tage  vor  dem  Tode 
plötzlich  eingetretene  Lähmung  hatte  alle  4  Extremitäten  befallen,  nur 
das  linke  Bein  und  die  rechten  Zehen  zeigten  eine  Spur  von  Beweg- 
lichkeit. Die  Diagnose  an  der  Leiche  lautete:  Poliomyelitis  acuta  an- 
terior cervicalis  et  Inmbalis.    Bronchopneumonia  multipla. 

Etwa  6  cm  vom  oberen  Ende  des  Bückenmarkes  beginnt  in  beiden 
VorderhOmem  eine  RGthung,  die  weiter  abwärts  etwas  stärker  ward, 
etwa  2  cm  Ausdehnung  hat.  Etwa  18  cm  tiefer  findet  sich  ein  zweiter 
Herd  von  6  cm  Länge  mit  gleichfalls  hämorrhagischer  Infiltration  bei- 
der Vorderhömer. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  ergiebt  bei  schwacher  Vergrösse- 
rung,  und  zwar  nicht  blos  in  der  grauen  Substanz,  eine  deutliche 
schwarze  Punktirung,  am  stärksten  im  Centrum  der  Vorderhömer  und 
Vorderseitenstränge ,  namentlich  im  Verlaufe  der  vorderen  Wurzeln, 
dann  der  Hintersträoge,  am  wenigsten  ausgepiAgt  in  den  Pyramiden- 
strängen. 

Bei  stärkerer  VergrÖsserung  sieht  man  in  der  weissen  Substanz: 
Zerfall  der  Marksnbstanz,  gequollene  Azencylinder  und  neben  den, 
den  ganzen  Querschnitt  betreffenden,  myelitischen  Veränderungen  in 
beiden  VorderhOmem  central wärts  ausgesprochene  Herdläsionen. 

Der  grösste  Theil  der  Vorderhömer  ist  von  einem  Bluterguss  aus- 
gefüllt, am  meisten  am  innem  Saum  der  grauen  Substanz. 

Neben  massenhaften  Kömchenzellen,  Leukocyten,  Blutkörperchen 
und  Pigment,  Trümmern  von  Nervenfasern  und  Ganglienzellen,  an  ein- 
zelnen Stellen  massenhafte  neugebildete,  mit  Blut  prall  gefüllte  Gefässe. 

Selbst  an  Stellen  (innerer  Saum  der  grauen  Substanz),  wo  die 
Ganglienzellen  noch  gut  erhalten  sind,  ist  das  interstitielle  Gewebe  von 
Rundzellen  durchsetzt  und  sind  die  Gefässe  prall  gefüllt. 

Es  liegt  noch  die  Untersuchung  eines  zweiten  Falles  von  spinaler 
Kinderlähmung  vor,  einen  8  Monate  alten  Knaben  betreffend,  der  nach 
etwa  2nionatlicher  Dauer  gleichfalls  au  multipler  Bronchopnenmonie 
gestorben  war. 

Die  Lähmung  hatte  ursprünglich  beide  Beine  betroffen.  Der  patho- 
logisch-anatomische Befund  war  mit  geringen  Abweichunsren ,  die  sich 
vä  Verschiedenheit  der  Intensität  und  die  längere  Dauer  aer  Processes 
beziehen,  in  den  Hauptzügen  derselbe,  wie  im  ersten  Falle:  Acute 
Myelitis  mit  vorwiegender  Betheiligung  der  Vorderhömer,  starke  Be- 
theiligung des  interstitiellen  Gewebes:  lebhafte  Vascularisation,  Verän- 
derung der  Gefässe  mit  Anschoppung  der  perivasculären  Räume,  Bin- 


320  Analecten. 

taugen  nnd  CtoflUsDeubüditDg.    In  beiden  F&llen  hat  insbetondere  das 
Gebiet  der  Art.  spin.  ant.  ffelitten. 

Prof.  Siemerlinff  gelangt  bu  dem  Schlusee,  dau  in  der  Patho- 
genese der  spinalen  Kinderl&nmung  die  entzündliche  Erkrankung  des 
interstitiellen  Gewebes  im  Anschlass  an  die  Gef&ssausbreitnng,  nament- 
lich der  art.  spin.  ant.  die  Hauptrolle  spielt  und  schliesst  die  primäre 
Erkrankung  der  Ganglienzellen  (Charcot)  aus.  Eisenschits. 


IV.  Krankheiten  der  Respirationsorgane. 

lieber  die  BronehialdrüsenUiberctdase  und  ihre  Beeidungen  sur  Tuber^ 
euloM  im  KindeeaJter,  Von  H.  Neumann.  Deutsche  med.  W. 
9—17.  1898. 

Die  Bronchialdrflsentuberculose  ist  im  Kindesalter  sehr  häufig,  bei 
Torhandener  Tuberculose  überhaupt  selten  fehlend. 

Scrofnlose  und  Tuberculose  sind  identisch.  Vererbt  im  engeren 
Sinne  des  Wortes  ist  die  Bronohialtuberculose  nur  sehr  ausnahmsweise, 
sie  ist  gemeinsam  entstanden  durch  Eindringen  des  Tuberkelbacülus  in 
die  Lungen,  tou  wo  aus  sie  in  die  Bronchialdrüsen  gelangen. 

Von  den  Drüsen  geht  meist  erst  die  Tuberculose  der  Lungen  und 
anderer  Orte  aus,  so  auch  nach  Masern,  wo  aus  den  Drüsen  die  Ba> 
cillen  in  das  erkrankte  Lungenparenchym  gebracht  werden.  Die  Tuber- 
culose nimmt  sa  von  der  Mitte  des  1.  bis  zum  10.  Lebensjahre,  nimmt 
dann  bis  zum  16.  Jahre  wieder  ab. 

Ueber  die  Behelfe  zur  Diagnose  der  Bronchialdrüsentuberculose  wird 
nichts  Neues  beigebracht  Eisenschitz. 

Empyema  duplex  bei  einem  13  Wochen  aUen  Kinde,  doppels.  OperaHon. 
Von  Dr.  CasseL    Deutsche  med.  W.  82.    1898. 

Das  in  poliklinischer  Beobachtung  stehende  Kind  hat  Tor  10  Wochen 
Influenza  gehabt,  hat  jetzt  ein  doppelseitiges  Empyema  (Probepunction), 
wahrscheinlich  abgekapselt.  Es  wird  der  Thorax  beiderseits,  ohne 
Riopenresection ,  im  6.  Intercostalraume  in  der  Scapularlinie  erOfinet, 
linKB  wnrden  % ,  rechts  ^k  l  Eiter  entleert.  Wegen  Verschlimmerung 
des  Processes  wurde  7  Wochen  später  die  Bippenresection  nachgetragen, 
11  Ta^e  später  tödtlicher  Ausgang. 

Die  Leiohendiagnose :  Phthisis  pulm.  utriusque  ulcerosa,  Pleuritis 
supp.  duplex.  Eisenschitz. 

Die  Bdwndiung  der  Lungentubercuioee  mit  Oreoaoiearhonat.  Von  Dr. 
Edmond  Chaumier  aus  Tours.  Gazette  mödicale  de  Paris  vom 
1.  Juli  1898. 

Verfasser  zeigt  an  acht  Fällen  von  Lungentuberculose,  worunter 
mehrere  Kinder ,  dass  sowohl  die  localen  Lnngenersoheinnngen  anter 
dem  Gebrauche  von  Creosotcarbonat  (carbonate  de  cr^osote)  zurück- 
gehen, als  Tor  allem  das  Körpergewicht  sich  hebt.  Von  Holscher  im 
Jahre  1891  entdeckt,  stellt  das  Creosotcarbonat  einen  sirupOsen,  je  nach 
der  Lufttemperatur  mehr  oder  weniger  flüssigen  EOrper  dar,  von  gelber 
Farbe,  leicht  nach  Creosot  riechend  und  nach  Theer  schmeckend.  Er 
ist  unlöslich  in  Wasser,  aber  löslich  in  Alkohol  und  enthält  94% 
Creosot.  Es  wird  von  den  Kranken  gut  ertragen  und  gewöhnlich  ohne 
Zubereitung  in  Naturform  genossen.     Kindern    verabreichte  Verfasser 


V.  Krankheiten  der  Circulationsorgane.  321 

hieyon  1  bis  5  g,  Erwachsenen  10  bis  16  g  täglich.  Je  nach  der  genossenen 
Dosis  wird  der  Urin  dunkelgelb  bis  grünschwarz  geflirbt.  Der  Athem 
riecht  nach  Greosot.  Die  Verdanungsorffane  bleiben  unbel&stigt.  Auf- 
fallend rasch,  besonders  bei  Kindern,  hob  sich  die  Esslust  und  derselben 
entsprechend  das  Körpergewicht.  Während  der  Behandlung  mit  dem 
Präparate  ist  Schonung  und  eine  vernünftige  Diät  wichtig,  aber  selbst 
da,  wo  diese  Vorbedingunffeo  nicht  erfüllt  werden  konnten,  hatte  Ver- 
fasser noch  befriedigende  Resultate.  Albrecht. 


V.  Krankheiten  der  Circnlationsorgane. 

Morh.  Basedotoii  hei  einem  12 jährigen  Kinde  und  dessen  Mutter,  Von 
Dr.  P.  Kronthal.    Berliner  kl.  W.  27.  1893. 

Ein  12  Jahre  altes  Kind  leidet  seit  einigen  Monaten  an  Herzklopfen, 
Schwindel,  Ohrensausen,  Angstgefühlen.  Herztöne  rein,  Herzgrenzen 
normal,  Schilddrüse,  namentlich  rechts  vergrössert,  die  Augen  prominent, 
mangelnder  Lidschlag  (Stellwag'sches  Symptom),  Reflexe  normal. 
Nach  längerem  Bestände  entwickelt  sich  bei  dem  Kinde  eine  Psychose, 
einerseits  Heftigkeit,  andererseits  grosse  Empfindelei,  Zweifel  dar- 
über, ob  die  Mutter  wirklich  die  Mutter  sei. 

Das  Graf" sehe  Symptom,  mangelhafte  Lidsenkung  beim  Blick  nach 
unten,  und  das  Möbius'sche  Symptom,  Insufficienz  der  Convergenz,  fehlen. 

Ein  ätiologisches  Moment  ist  nicht  auffindbar. 

Auch  die  Mutter  leidet  an  einer  fragmentären  Form  derselben 
Krankheit.  Eisenschitz. 

Des  renseiffnements  foumis  par  VauscuUation  dans  les  maladies  congeni- 
täles  du  coeur.  Par  le  Dr.  Moussous,  Bordeaux.  La  Mädecine  in- 
fantile 1894  p.  67. 

Der  Aufsatz  sucht  die  Anhaltspunkte  zu  gruppiren,  welche  man  der 
französischen  Forschung  der  letzten  Jahrzehnte  für  die  Erkennung  der 
angeborenen  Herzfehler  verdankt.  Von  Monstruositäten  wird  abgesehen 
und  ebenso  ausgeschieden,  was  das  neugeborene  Kind  an  Producten 
intrauteriner  Herzentzündungen  in's  Leben  mitbringen  kann ;  ferner  wird 
daran  erinnert,  wie  im  Verlaufe  der  Beobachtung  dazwischen  tretende 
Endocarditis  das  Bild  des  angeborenen  Herzfehlers  stört. 

An  die  Spitze  wird  die  Schilderang  Boger's  von  der  uncompli- 
cirten  Communication  der  Ventrikel  gestellt  und  durch  einen  ty- 
pischen Sectionsbefund  von  Ernest  Duprö  (1891  Sociät^  anatomique 
de  Paris)  erhärtet:  bei  Abwesenheit  jeder  Functionsstörung  hört  man, 
so  oft  man  untersucht,  am  stärksten  im  oberen  Drittel  der  Präcordial- 
gegend  ein  gleichmässiges,  streng  locales,  die  Herztöne  dort  andauernd 
▼erdeckendes  Geräusch,  ähnlich  dem  Katzenschnurren.  —  Im  Gegensatz 
zu  dieser  continuirlichen  Erscheinung  zei^  femer  das  starke  systolische 
Geräusch,  welches  man  beim  Offenbleiben  des  Botalli' sehen  Canals 
(Franc.  Franck,  Assuc.  fran^.  pour  Tavanc.  des  sciences  1876)  beson- 
ders auf  dem  Rücken,  links  vom  3.-4.  Dorsalwirbel  vernimmt,  eine  in- 
spiratorische  Verstärkung,  während  zu  gleicher  Zeit  die  Pulswelle ,  unter 
der  gegebenen  Voraussetzung  von  der  Druckverminderung  im  Gebiet 
des  Lungenkreislaufs  beeinflusst,  kleiner  wird,  um  während  der  Ex- 
spiration wieder  zu  wachsen.  —  Das  ebenfalls  systolische  Geräusch, 
welches  zischend  von  der  der  Herzbasis  entsprechenden  Gegend  aus  das 


322  Analecten.    V.  Krankheiten  der  CircnlationBOrgane. 

ganze  Präcordinm  bei  Verengerang  der  Palmonalarterie  be- 
herrscht, hat  Constantin  Paul  (Soci^t^  m^d.  des  H5p.  1871)  insbe- 
sondere auf  einer  Linie  gehört,  die  im  zweiten  Intercostalraam  rom 
linken  Stemalrand  gegen  das  Schlüsselbein  und  l&ngs  dem  unteren  Bande 
seiner  zwei  Äusseren  Drittel  hingeht;  M.  fflg^  hinzu,  dass  man  es  be- 
sonders deutlich  wahrnehme  zwischen  Wirbelsäule  und  linker  Scapula. 

Congenital  kommt  jedoch  die  Verengerung  der  Pulmonalarterie  nie 
allein  vor  und  die  Schwierigkeit  der  Erkennung  des  angeborenen  Herz- 
fehlers beim  Lebenden  liegt  eben  in  den  fast  stets  concurrirenden  Gom- 
plicationen.  M.  glaubt  nicht,  dass  der  Befund  von  Fran9.  Franck 
bei  offenem  ductus  Botall i  zu  OehOr  komme  ohne  Mitwirkung  einer  Ver- 
engerung der  art  pulm.  und  dass  das  Roger 'sehe  Gerilasch  fehlen 
kann,  während  die  Ventrikel  doch  communiciren  —  wenn  n&mlich  dank 
einer  concentrischen  Hypertrophie  der  rechten  Kammer  und  einer  Dila- 
tation der  Aorta,  deren  Ursprung  die  Gommunicationsstelle  meistens 
benachbart  liegt,  die  Behinderungen  des  Blutstroms  auegeglichen  sind; 
bei  Verengerung  der  art.  pnlmonalis,  wo  sich  diese  beiden  Verhältnisse 
fast  immer  ausbilden,  lässt  sich  deshalb  fast  nie  ein  gleichzeitiger 
Septumdefect  erkennen. 

Eine  gleichmässig^  Verkleinerung  des  Kalibers  der  art  pulm.  gab 
Variot  und  Ghambord  (Soc.  mäd.  des  höp.  1890)  bei  schwerer  Qra- 
nose  gar  keinen  auscultatorischen  Befund. 

Anlässlich  einiger  Worte  über  Insufficienzerscheinnngen  wird  noch 
einer  Arbeit  von  Vimont  (^tude  sur  les  souffles  du  r^tr^cissement  et 
de  rinsuffisance  pulmonaire.    Th^se  de  Paris  1882)  gedacht. 

Sommer. 


Inlaaltstibersiolit  der  Analecten. 


I«  Infeetionskrankheiten. 

1.  Masern.  Seite 

Theodor,  Masern  anmittelbar  nach  Röthein 242 

Diamantberger,  R^cidive  de  rongeole 242 

2.  Scharlach. 

Brfick,  Scharlachtyphoid 248 

Arslan,  Peptonnrie  dans  la  scarlatine 243 

Aufrecht,  Septische  Scharlachnephritis 244 

Bendel,  Meningitis  bei  Scharlachkranken 245 

8.  Pocken. 

Benckert,  Pockenepidemie  in  Göteborg 246 

Bergqyist,  Pookenepidemie  im  Län  Skaraborg 246 

Stendahl,  Pockenepidemie  im  District  Ockelbo    , 247 

Pestalozza,  Pockeninfection  dnrch  eine  gerissene  Hautwunde.    .  247 
Svendsen,   Behandlung   der  Pocken   durch  Ausschluss  der   che- 
mischen Lichtstrahlen 248 

8a.  Vaccine. 

Heryieuz,  Immunit^  foetale  par  la  Vaccine  ou  la  variole  pendant 

la  grossesse 261 

Eilerts  de  Haan,  „Paro  vaccinogenetze  Weltevreden" 261 

Bondesen,  Animale  Vaccination 261 

— ,  Animale  Vaccination 252 

Adsersen,  Empfänglichkeit  fär  Vaccination  m.  animaler  Vaccine  262 

Sobotka,  Zur  Kenntniss  des  Vaccineprocesses 268 

Begoli,   Wirksamkeit   der  Vaccination   während   einer  Pocken- 
epidemie   266 

Schrakamp,  Gesundheitsscbädigungen  der  Impfung 266 

Perl,  Nephritis  nach  Schutzpockenimpfung 267 

Lindenborn,  Impfung  mit  sterilen  Instrumenten 267 

4.  Varicellen. 

Guidi-Hennig,  Unität  oder  Dnplicitöt  von  Variola  u.  Varicella?  258 
Girode,   Varicellen,   complicirt  mit  Halsbräune   und  Hodenent- 
zündung    268 

6.  Diphtherie. 

Behring,  Gewinnung  der  Blutantitozine .   . .*   *.  *  ^^^ 

—  und  Bo8r,  Quantitative  Bestimmung  von  Diphtherie -Antitoxin- 

lösungen 260 


324  InbalUübersicbt  der  Analecten. 

8«lto 

Ehrlich,  Kossel,  Waisermann,  Gewinnung  und  Verwendung 

des  Diphtberieheilterams 860 

KoBsel,  Behandlung  d.  Diphtherie  des  Menseben  m.  Diphtherie- 
heilserum      261 

Schubert,    Ueber    die   mit  Behring  -  £hrlich*8chem    Diphtherie- 

beilsemm  gemachten  Erfahrungen 262 

Yoswinkel,  Heilsemmtherapie  bei  Diphtherie 262 

Canon,  Diphtheriebehandlnng  mit  Heilserum 262 

Ehrlich  und  Kossel,  Anwendung  des  Diphtberieantitoxins  .   .   .  268 
Aronson,    Weitere    Untersuchungen    über    Diphtherie    und    das 

Diphtherieantitozin 268 

— ,  Eweite  Mittheilung 264 

— ,  dritte  Mittheilung 264 

Eati,  Antitoxinbehandlnng  der  Diphtherie 265 

Funk,  Experimentelle  Studien  Ober  die  Frage  der  Mischinfection 

bei  Diphtherie 265 

Escherich,  Pathogenese  der  Diphtherie 266 

Abel,  Zur  Eenntniss  der  Diphtheriebacillen 266 

Philip,  Zur  Aetiologie  und  Statistik  der  Diphtherie 266 

Feer,  Aetiologische  und  klinische  Beiträge  lur  Diphtherie    .    .   .  267 
Koplik,  Studios  on  the  relation  of  the  real  to  the  Pseadobacillas 

diphtheriae 268 

Holst,  Bacteriologische  Diagnose  der  Diphtherie 268 

Lebon,  Angines  psendo-dipht^ritiques 269 

Boulloche,  Les  angines  k  fansses  membranes 270 

Ledoux-Ledard,  Wirkung  des  Lichtes  auf  den  Diphtheriebaciltus  270 

Deschamps,  Sar  un  mode  de  propagation  de  la  diphtb^rie.   .   .  271 

Biering,  Diphtherie  und  Epidemiegesetse 271 

Abbott  and  Ghriskey,  Contribution  to  the  pathology  of  experi- 

mental  Diphtheria,  with  special  reference  to  secondary  foci    .  272 
Howard,  Acute  and  ulcerative  endocarditis  due  to  the  bacillus 

diphtheriae 278 

Flexner,  Diphtheria  with  bronchopnenmonia 274 

Preyss,  Zur  Anatomie  der  diphtheritischen  Lähmungen 274 

Donath,  Fall  von  diphtheritischer  Hemiplegie 275 

Edgren,  Halbseitige  L&hmnng  nach  Diphtherie 275 

Uhtkoff,  Beitrag  Eur  Conjunctiyitis  diphtberitica 275 

Soheinmann,  Rhinitis  fibrinosa 275 

Concetti,  Chronische  Nasendiphtherie 276 

Abel,  Wnnddiphtherie  mit  Nachweis  von  Diphtheriebacillen    .    .  276 

Conrad,  Wunddiphtherie 276 

Bergmann,  Zur  Prophylaxis  gegen  Diphtherie 277 

Oertel,  Bedeutung  der  diphtheritischen  Membranen  in  Bezug  auf 

die  Therapie 277 

Vulpius,  Kritische  Bemerkungen  über  das  Antidiphtherin  Klebs.  278 

Klebs,  Beurtheilung  therapeutischer  Maassregeln 278 

Zappert,  Heilwirkung  des  Antidiphtherins 279 

Lewy  u.  Knopf,  Behandlung  der  Diphtherie  mit  Papayotin  und 

Carbols&ure 279 

Hübner,  Behandlung  der  Diphtherie  mit  Liq.  ferr.  sesquichlor.    .  280 

Rosenthal,  Eisenchlorid  gegen  Diphtherie 280 

HOring,  Pyoctanin  gegen  Diphthene 281 

Engstrand,  Behandlung  der  Diphtherie 281 

Tak&cs,  Behandlung  der  Diphtherie 281 

Stern,  Verwerthnng  des  Opmms  bei  der  Behandlung  der  Larynx- 

Stenosen 282 


Inhalisübersicht  der  Analecten.  325 

Seit« 

Mattucci,  63  Tracheotomien  bei  Croup 282 

Grosz,  O'Dwyer'sche  Intubation  bei  Laryngitis  crouposa    ....  288 

Cnopf,  Indication  zur  Tracheotomie 283 

Aaser,  Intubation  des  Croup 284 

6.  Typhus  abdominalis. 

Drewö,  Typhös  abdominalis  und  Meningitis  cerebrospinalis  .   .   .  284 

7.  Malaria. 

Easem-Beck,  Behandlung  der  Malaria  mit  Methylenblau.   .   .   .  284 

8.  Cerebrospinalmeningitis. 

Leichtenstern,  Epidemische  Genickstarre 284 

9.  Influenza. 

Baginsky,  Influenza 286 

10.  Rheum.  Infection. 

Kissel,  Rheumatismus  nodosus  infantum 286 

Hock,  Arthritis  blennorrhoica 286 

11.  Tetanus. 

Henoch,  Vier  Fälle  von  Tetanus 287 

y.  Hacker,  Tetanus  traumaticua  mit  Antitoxin  behandelt  ....  288 
£scherich,    Vier   mit  Tizzoni^s   Antitoxin  behandelte  Fälle   von 

Trismus  et  Tetanus  neonatorum 289 

Celli,  Ueber  einen  schweren  Fall  von  Tetanns,  subcutane  Injection 

von  Sublimat,  Heilung 290 

12.  Infectionen  verschiedenen  Charakters. 

Fischl,  Septische  Infection  des  Säuglings  mit  gastro- intestinalen 

Symptomen 290 

Schaff  er,  Miliariaepidemie  in  Aussee 291 

Siegel,  Glossitis  und  Mundaeuche 292 

Comby,  Fiävre  ganglionnaire 293 

Moussons,  Drüaenfieber 293 

13.  Keuchhusten. 

Weber,  Ätiologie  de  la  coqueluche 294 

Abel  mann.  Ein  Fall  von  Bronchiektasie  nach  Keuchhusten  .   .    .  294 

Baron,  Chininbehandlung  des  Keuchhustens 295 

Schwarz,  Kenchhnsten  und  dessen  Behandlung 296 

Korolew,  Naphthalin  beim  Keuchhusten 296 

14.  Parotitis  epidem. 

Wertheimber,  Submaxillarer  Mumps 296 

Wacker,  ContagiOse  Schwellung  der  gl.  submaxill 296 

II.  Chronische  Infeetiong-  und  AUgemeinkrankheiteD. 

1.  Tuberculose. 

Pascal,  Tuberculose  du  premier  äge 296 

Hecker,  Tuberculose  im  Kindes-  und  Sänglingsalter 297 


326  InhaltBübersicht  der  Anajecten. 

Goldschmidt,  GasaiBtil  der  Tubercalose  im  Eindesalter.    .    .   .  S98 

Rachford,  Anaemia  of  Tabercnlosis 298 

Wassermann,  Beitrag  z.  Lehre  von  der  Tabercalose  i.  frühesten 

Kindesalter 299 

2.  Syphilis  hereditaria. 

Mracek,  Syphilis  des  Herzens  bei  erworbener  and  ererbter  Lues.  300 

Joachimsthal,  Enochendeformitäten  bei  Lues  congenita  ....  300 

Adsersen,  Syphilitische  Arthropathie 301 

3.  Rachitis. 

Chaumier,  Nature  da  rachitisme 302 

Comby,  Rachitisme  et  les  accidents  convulsifs  chez  les  enfants  .  302 

Wallach,  Rachitis  in  den  verschiedenen  Zeiten  des  Jahres  .   .    .  802 

4.  Blatkrankheiten. 

Clopatt,  Purpara  rheamatica 303 

Cornitzer,  Barlow'sche  Krankheit 303 

Baginsky,  Pemiciöse  Anämie 304 

Flensbarg,  Paroxysmale  Hämoglobinurie  bei  einem  achtjährigen, 

mit  congenitaler  Syphilis  behafteten  Knaben 305 

Kost  er,  Patient  mit  kolossaler  Milzhypertrophie 305 

6.  Melliturie. 

Bätz,  Melliturie  und  Albuminurie  im  Kindesalter 306 

III.  Krankheiten  des  NerTeuystens. 

Eigenbrodt,  Meningocele  spuria 306 

KGnig,  Seltene  Form  der  cerebralen  Kinderlähmung 307 

Remak,    Luxation    des   Schultergelenks   bei   cerebraler   Kinder- 
lähmung   307 

Freud,  Fkmiliäre  Formen  von  cerebralen  Diplegien 306 

V.  Preuscher,  Läsion  der  Centralorgane  bei  der  Geburt  als  Ur- 
sache der  Melaena  neonatorum 308 

Hoffmann,  Spastische  Spinalparalyse  als  Theilerscheinung  einer 

hereditär-syphilitischen  Affection 309 

Jacobson,  Diftase  Periencephalilis  und  disseminirte  Hirnsklerose  310 

y.  Bonsdorf f,  Abscess  im  rechten  Stirnlappen  des  Gehirns  ...  311 
Bruns,  Zur  differentiellen  Diagnostik  zwiscben  den  Tumoren  des 

Kleinhirns  der  Vierhagel 311 

Monssous,  Forme  infantile  de  la  pajralysie  gän^rale 312 

Townsend,  Gase  of  sporadic  congenital  cretiniem 312 

Triboulet,  Möglichkeit  der  Annahme  einer  Infection  bei  Chorea  312 

Pick  u.  Kraus,  Behandlungsmethode  der  Chorea 313 

Winge,  Lüfantile  Neurosen 313 

Bull,  Hysterie  bei  Kindern 314 

Sohibbye,  Infantile  Hysterie  mit  Localisation  in  der  Mundhöhle  814 

Bezy,  L*athetose  double 315 

Oddo  et  Sarles,  Caract^res  des  urines  dans  la  tdtanie  infantile.  315 

Mafran<,  Paralysie  spinale  aigue  chez  un  enfant  tuberculeux.   .   .  315 

Berggrün,  Zur  Lehre  vom  Bronchospasmus  bei  Neugeborenen    .  315 

Stage,  Beobachtungen  über  Laryngospasmus 316 

Freud,   Symptom,  das  häufig  die  Enuresis  noct.  der  Kinder  be- 
gleitet   316 


Inhaltsflbersicbt  der  Analecten.  327 

Seit« 

Filatow,  Bulbärer  Symptomencomplex  im  Kindesalter 817 

Joachimsthal,   Spinale  Einderlähmang  d.  unteren  Extremitäten 

und  des  Rumpfea 317 

GoIdBcheider,  Üeber  Poliomyelitis 317 

Siemerling,  Anatomie  der  spinalen  Kinderlähmung 319 

lY.  Krankheiten  der  Bespiratlonsorgane. 

Nenmann,  Bronchialdrüsentuberculose 320 

Cassel,  Empyema  duplex  bei  einem  13  Wochen  alten  Kinde  .   .  320 

Chaamier,  Behandlung  d.  Lungentuberculose  m.  Creosotcarbonat  320 

y.  Krankheiten  der  Cirenlationgorgane. 

Kronthal,  Morb.  Baeedowii  bei  einem  12jährigen  Kinde  ....  321 

MouBBOUB,  L'auscnltation  dans  les  maladiea  cong^nitalea  du  coenr  321 


Reeensioneit 


Escherich,  AeHologie  und  Pathogenese  der  ^idemied^en  Diphtherie. 
I.  Der  Diphtheriebacillue,  Wien  1894.  Alfred  HOlder.  Gros«  8^ 
VIII,  294  S. 

Der  verdiente  Grazer  Pädiater  war  einer  der  ersten  Aerzte  in  Deutsch- 
land, welche  an  die  klinische  Prüfung  der  von  den  Bacteriologen ,  ina- 
besondere von  der  Koch'schen  Schule,  ausgegangenen  Entdeckung  über 
den  Krankheitserreger  der  Diphtherie  heraogingen.  Er  bietet  in  der 
oben  angekündigten  Schrift  sowohl  eine  ausführliche  Darstellung  des 
Entwickeln ngsganges,  den  die  Forschung  über  den  Diphtheriebacillus 
genommen,  als  auch  eine  Zusammenfassung  der  eigenen  zahlreichen 
Untersuchungen  auf  diesem  Gebiete. 

Nichts  kann  erwünschter  sein,  als  dass  gerade  im  jetzigen  Zeit- 
punkte ein  Führer  auftritt,  welcher  auf  dem  noch  immer  durch  viel- 
fache Zweifel  für  den  Unerfahrenen  unsicher  gemachten  (Gebiete  die 
feste  Leitung  übernimmt  Und  zwar  ein  Führer,  der  nicht  nur  Anderen 
nachredet,  sondern  der  selbst  auf  vielfach  domigen  und  steinigen  PfisuleD 
in  neues  Land  mit  vorgedrungen  ist.  Angesichts  der  praktischen  Wich- 
tigkeit, welche  die  ganze  moderne  Lehre  von  der  Diphtherie  durch  die 
Behring'sche  Entdeckung  gewonnen  hat,  dürfte  es  vielen  Aerzten 
sehr  am  Herzen  liegen,  über  die  Bedeutung  des  Diphtheriebacillus,  über 
die  gesicherten  Thatsachen,  die  mit  seiner  Entdeckung  zusammenhängeo, 
ebenso  wie  über  die  Controversen,  welche  unter  den  SachversUndigen 
in  der  einen  oder  anderen  Beziehung  noch  vorhanden  sind,  in  so- 
sammenh&ngender  Weise  sich  unterrichten  zu  lassen.  Diesen  möchten 
wir  das  eingehende  Studium  des  Esche rich*schen  Buches  auf  das  An- 
gelegentlichste empfehlen.  Aber  auch  der  „llitreisende^*  wird  mannig- 
fache Anregung  und  Belehrung  ans  dem  Werke  schöpfen. 

Das  erste  Capitel  beschäftigt  sich  mit  dem  vorkommen  des 
LöfflerbacilluB  in  den  diphtherischen  Membranen,  und  giebt  eine  Üeber- 
sicht  über  die  nunmehr  bereits  in  einer  grossen  Anuhl  von  Kliniken 
vorliegenden  Angaben  darüber,  ob  das  Auftreten  dieses  MikroorganismoB 
ein  constantes  sei.  Den  Klinikern  ist  es  längst  bekannt,  dass  es  eine 
recht  erhebliche  Anzahl  diphtheroider  Erkrankungen  giebt,  welche 
anfangs  nicht  von  dem  Bilde  der  Diphtherie  sich  unterscheiden,  deren 
weiterer  Verlauf  aber  dem  Beobachter  zei^t,  dass  es  sich  nicht  am 
echte  Diphtherie  gehandelt  hat.  Die  bactenologische  Bereicherung  der 
klinischen  Methodik  hat  diese  Anschauung  voll  bestätigt.  Es  zeigte 
sich  auf  allen  Kliniken  übereinstimmend,  dass  die  diphtheroiden  Er- 
krankungen viel  früher,  als  bisher,  von  den  echt  diphtherischen  Erkran- 
kungen eben  durch  den  Nachweis  oder  das  Fehlen  des  Diphtheriebacilliu 
unterschieden  werden  können.  Denn  alle  nachträglich  durch  den  Ui- 
nischen  Verlauf  als  echte  Diphtherien  sich  kennzeichnenden  Fälle  waren 
durch  die  Anwesenheit  des  Löfflerbacillus  charakterisirt ,  wo  er  fehlte, 


Recensionen.  329 

Beigte  der  nacbherige  kliniBclie  Verlauf  fast  ohne  AusDahme,  dass  keine 
echte  Diphtherie  vorhanden  gewesen  war.  Im  selben  Capitel  werden 
dann  die  Untersnchnngen  Aber  das  Vorkommen  anderer  Mikroorganismen 
in  den  localafficirten  Stellen  des  Or^nismns  und  ihrer  Bedentung  ffir 
die  Gestaltung  der  Oerammtkrankheit  erörtert:  eine  besonders  seh  wie- 
rige  und  noch  vielfach  umstrittene  Materie.  Ein  Ueberblick  über  S%  eigene 
Beobachtungen  giebt  namentlich  interessante  Aufschlüsse  über  das 
gegenseiti|?e  Verhalten  dieser  verschiedenen  Mikroorganismen  im 
Verlauf  der  Krankheit.  Constant  war  in  allen  F&llen  nur  der  Diphtherie« 
bacillu«,  alle  anderen  Formen  waren  inconstant. 

Im  «weiten  Capitel  wird  die  Morphologie  und  Biologie  des 
Diphtberiebacillns  ausffihrlich  geschildert  und  schon  hier  auf  die 
Wachsthumsdifferenzen  des  sogenannten  Psendodiphtheriebacillus  hin* 
gewiesen. 

Das  dritte  Capitel  ist  der  Darstellung  der  fundamentalen  Ent- 
deckungen von  Roux  und  Yersin  über  das  Diphtherietoxin  ge- 
widmet; jener  Forschungen,  die  fär  den  Kliniker  erst  den  Zusammen- 
hang zwischen  dem  Auftreten  des  Mikroorganismus  und  den  Erschei- 
nungen am  Krankenbett  verständlich  gemacht  haben.  Im  Anschluss 
daran  wird  die  wichtige  Frage  der  ImmuDisirung,  wie  es  uns  deucht, 
etwas  zu  stiefmütterlich  behandelt. 

Praktisch  von  erheblicher  Wichtigkeit  ist  das  vierte  Capitel,  in 
welchem  es  sich  um  die  Giftigkeit  der  Diphtheriebacillen  in  ihrer 
Beziehung  zu  der  klinischen  Symptomatik  handelt  Verf.  hat  viel 
Mühe  auf  eine  sorgfältige  Bestimmung  der  Virulenz  der  in  den  ein- 
zelnen Krankheitsfällen  und  den  verschiedenen  Phasen  der  Krankheiten 
den  Rachentheilen  entnommenen  Bacillen  verwendet.  Als  Maass  be- 
nutzt er  diejenige  in  Procenten  des  Körpergewichts  ausgedrückte  Menge 
einer  248tfindigen  Bouilloncultur,  welche  hinreicht,  ein  Meerschweinchen 
an  acuter  Diphtherie  eingeben  zu  machen.  In  40  untersuchten  Fällen 
zeigte  sich  im  Allgemeinen  eine  Congruenz  zwischen  der  Schwere  des 
Krankheitsfalles  und  der  Giftigkeit  der  aus  dem  nämlichen  Falle  ge- 
züchteten Bacterien;  aber  freilich  mit  erheblichen  Ausnahmen.  Nament- 
lich konnte  er  bei  leichten  Fällen  mehrfach  das  Vorhandensein  von 
hoch  virulenten  Bacillen  nachweisen.  Fraglich  dürfte  den  hieraus  ab- 
geleiteten Betrachtungen  gegenüber  nur  der  Umstand  sein,  ob  der  Grad 
der  Virulenz  der  Bacillen  beim  Meerschweinchenversuch  ohne  Weiteres 
auch  als  Maass  der  Virulenz  beim  Menschen  benutzt  werden  kann. 
Wäre  es  nicht  denkbar,  dass  bei  den  Methoden  zur  Reinzüchtung  der 
Bacillen  durch  noch  nicht  beherrschbare  leichte  Verschiedenheiten  der 
Nährböden,  der  Temperatur  oder  dergl.  die  Virulenz  bald  in  positivem, 
bald  in  negativem  Sinne  sich  ändert?  Und  wenn  man  dieses  nicht  für 
wahrscheinlich  hält,  ist  eine  bestimmte  Menge  von  Bouilloncultur  als 
ein  brauchbares  Maass  anzusehen? 

Aehnliche  Bedenken  stossen  auch  bei  den  Ausführungen  des  fünften 
Capitels  auf,  das  wieder  gerade  für  den  Kliniker  von  grossem  Interesse 
ist  £s  erörtert  die  Frage  von  dem  Pseudodiphtheriebacillus ,  über 
welche  auch  unter  den  Bacteriologen  von  Fach  Meinungsverschieden- 
heiten herrschen.  Escherich  ist  der  Ansicht,  dass  eine  unschuldig 
Art  von  Bacillen  existire,  welche  von  dem  Di phtheriebaciUus  völlig 
verschieden  sei.  Wir  können  doch  nicht  sagen,  dass  uns  hier  seine  ge- 
wiss sehr  sorgfältige  Beweisführung  überzeugt  habe.  Der  Umstand,  dass 
sein  Pseudodiphtheriebacillas  doch  einige  Male  chronisches  Siechthum 
mit  schliesslich  tödtlichem  Ausgang  zu  erzeugen  mochte,  desgleichen 
femer,  dass  bei  einem  leicht  kranken  Bruder  zweier  Schwerdipntherie- 
kranker  nur  der  Pseudobacillus  sich  fand,  erweckt  doch  einen  gewissen 

Jfthrbach  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    XXXIX.  22 


330  Receoeioneii. 

Zweifel  darflber,  ob  der  letztere  nicht  in  engere  Besiehnng  sam  echten 
Diphtberiebacillns  zu  bringen  sei,  als  E.  aozanehmen  geneigt  ist. 

Das  sechst^)  Capitel  behandelt  die  Verbreitung  des  Diphtheriebacillas 
im  KOrper  nnd,  besonders  wichtig,  ausserhalb  desselben.  Die  Auaffihmngen 
dieses  Abschnittes  lassen  die  viele d  Lficken,  die  eiaerseita  in  Besag  auf 
den  Znsammenhang  zwischen  den  krankhaften  Erscheinungen  und  der 
Einwirkung  des  Bacillus,  und  andrerseits  über  des  letzteren  esoterische 
Schicksale,  seine  Beziebnngen  zur  Epidemiologie  der  Diphtherie,  Tor- 
banden  sind,  sehr  lebhaft  erkennen.  Es  ist  der  bonteste  und  am  wenig- 
sten befriedigende  Tbeil  des  Buches,  was  aber  dem  Gegenstande,  ni<£t 
dem  Autor  zur  Last  fftllt 

Das  letzte,  siebente,  Capitel  des  Boches  ist  der  Widerlegung  der 
Einwände  gewidmet,  welche  gegen  die  Beweittkraft  der  fftr  die  ätio« 
logische  Bedeotnng  des  LOfflerbacillus  ins  Feld  geführten  experi- 
mentellen und  klinischen  Thatsachen  erhoben  worden  sind.  Dieselbe 
hätte  yielleicht  in  mancher  Beziehung  noch  etwas  ausführlicher  und 
eindringlicher  sein  kOnnen.  Aber  der  Stoff  ist  doch  so  klar  und  objectiv 
discutirt,  dass  wir  den  weniger  Eingeweihten  gerade  auch  auf  dieses 
Capitel  mit  Nachdruck  hinweisen  mOchten.  Man  studire  in  diesen  Aus- 
einandersetzungen „Rede**  und  „Gegenrede**  und  man  wird  ein  eigenes 
Urtbeil  darüber  gewinnen,  ob  man,  wie  sich  noch  manche  Praktiker 
ausdrücken,  „an  den  Diphtheriebacillus  glauben  soll,  oder  nicht".  Da 
E.  die  Roux-Fränkersche  Auffassung  des  Pseudobacillus  nicht  theilt,  so 
hat  er  es  nicht  für  nOthig  gefunden,  darzulegen,  dass  auch  selbst  für 
den,  welcher  jene  Anschauung  acceptirt,  die  Specificität  des  Krankheits- 
erregers durchaus  unangetastet  bleibt.  Vermuthlich  wird  der  Verfasser 
in  dem  zweiten  Bande  seines  breit  angelegten  Werkes  gerade  auf  diese 
Punkte  näher  eingehen,  wenn  er  seine  Forschungen  über  die  Disposition 
des  menschlichen  Organismus  zur  Erkrankung  mittheilen  wird.  Die- 
selben werden  gewiss  mit  gleicher  Anerkennung  wie  dieser  erste  Band 
Ton  der  ärztlichen  Welt  entgegen  genommen  werden.  HKcmirnL 


Die  otiiischen  Erkrankungen  des  Hirns,  der  Hirnhäute  und  der  Blut- 
leiter, Von  Dr.  0.  KOrner,  Frankfurt  a/M.  (jetzt  Professor  der 
Laryngologie  in  Greifswald).  Mit  einem  Vorwort  von  E.  t.  Berg* 
mann.    1894.   Verlag  von  J.  Alt,  Frankfurt  a/M. 

In  ebenso  umfassender  als  übersichtlicher  Weise  behandelt  Verf. 
das  so  schwierige  Capitel  von  den  intracraniellen  Complicationen  der 
Ohr-  und  Scbläfebeineiterungen. 

Nach  einer  eingebenden  Darlegung  der  anatomischen  Verhältnisse, 
welche  den  Uebergang  von  Eiterungen  aus  dem  Schläfebein  in  die 
Schädelhöhle  vermitteln,  gelangen  die  tuberculOsen  und  eitrigen  Er- 
krankungen der  verschiedenen  Bimhäute,  Himabscess,  Phlebitis,  Sinus- 
thrombose,  Hirnembolie  etc.  zur  Bef^prechung,  wobei  der  durch  das 
Lebensalter  bedingten  Verschiedenheit  der  Localisation  und  Symptome, 
insbesondere  auch  stets  der  Verhältnisse  des  Kindesalters  gedacht  wird. 

Bei  der  Unmöglichkeit,  den  reichen  Inhalt  auch  nur  andeutungs- 
weise wiederzugeben,  sei  hier  nur  der  leitende  Gedanke  der  ganzen 
Schrift  erwähnt,  welcher  die  chirurgische  Behandlang  der  Ohr- 
und  Schläfebeineiterungen  als  die  wirksamste  Prophylaxe  der  otitischen 
Hirnkrankheiten  bezeichnet,  ebenso  wie  durch  ein  operatives  Vorgehen 
die  letzteren  am  sicherBten  zu  bekämpfen  seien. 

Zahlreiche  ausführlich  gebrachte  Fälle  aus  der  Literatur,  femer 
persönliche  Beobachtungen  des  Verf.*s  beleben  die  Darstellung,  welcher 
kein  Geringerer  als  E.  v.  Bergmann  eine  Empfehlung  mit  auf  den 
Weg  gegeben  hat.  Cahen-Bbach,  Frankfurt  n/M, 


XV. 

Ueber  die  Veränderungen  der  morphologischen  Bestand- 
theile  des  BIntes  bei  verschiedenen  Krankheiten  der  Kinder. 

Vortrag  gehalten  auf  der  66.  Versammlung  deutscher  Naturforscher 
und  Aerzte  in  Wien  am  27.  September  1894. 

Von 
Dr.  JoH.  Loos, 

AuiBtent  an  der  Kiaderklinik  in  Grus. 

Meine  Herren!     Gestatten   Sie   mir,   Ihnen   im   Nachfol- 
genden über  eine  Reihe  von  Blut-Untersuchungen  Bericht  zu 
erstatten,  die  ich  im  Laufe  der  letzten  Jahre  ausgeführt  habe. 
Es  handelt  sich  um  histologische  Untersuchungen  des  Blutes 
bei  verschiedenen  Krankheiten  des  Kindesalters.     Ich  habe  es 
mir  zur  Aufgabe  gestellt,  festzusetzen,  ob  es  gewisse  morpho- 
logische Veränderungen  des  Blutes  im  Kindesalter  giebt,  die 
bestimmten  pathologischen  Processen  in  dieser  Periode  ent- 
sprechen, ob  gewisse  morphologische  Bestandtheile  des  6IuteS| 
die  wir  unter   normalen  Verhältnissen  nicht  antreffen,  unter 
bestimmten  pathologischen  Bedingungen  auftreten,  ob  dieselben 
stets  unter  den  gleichen  Bedingungen  auftreten,   ob  wir  also 
im  Stande   sind,   aus   der   genauen   und    sorgfaltigen   Unter- 
suchung  eines  Blutpräparates   Schlüsse    zu    ziehen   auf  Ver- 
änderungen  im    Organismus   des   Blutspenders,    mit    anderen 
Worten,    ob    es    möglich    ist,    einen    pathologiBchen ,   histo- 
logischen Blutbefund  zu  bestimmten  diagnostischen  Zwecken 
zu  Terwerthen. 

Erst  seit  Ehrlich  uns  gelehrt  hat,  das  auf  Deckgläschen 
ausgestrichene  getrocknete  Blut  zu  färben  und  mittelst  be- 
stimmter Farbenreactionen  die  verschiedenen  morphologischen 
Elemente  des  Blutes,  vor  Allem  die  verschiedenen  Arten  der 
Leukocyten  mit  Leichtigkeit  zu  erkennen  und  zu  differenziren, 
erst  seit  dieser  Zeit  sind  systematische  Untersuchungen  des 
Blutes   dieser    Art   möglich    und    ohne    Schvfierigkeit    durch- 

Jabrbnoh  t  Kladerktilkande.    N.  V.  XXXIX.  23 


386  J.  Loos: 

Neugeborenen  Werthe  von  3^25 — 10,25  fA  aufgefunden  zu  haben. 
Allein  stets  handelt  es  sich  hier  um  einzelne  Erythrocyten, 
die  von  der  gewöhnlichen  Form  und  Grösse  abweichen.  Was 
wir  jedoch  hier  meinen,  sind  diejenigen  Bilder,  wo  fast  kein 
Blutkörperchen  dem  andern  gleich  zu  sein  scheint,  zahlreiche 
Mikro-  und  Megalocyteu  vorkommen,  jedes  Gesichtsfeld  in 
gleicher  Weise  sich  bezüglich  der  Grössenunterschiede  gleich 
bunt  darbietet  Vereint  mit  diesen  ganz  ungemein  reichen 
und  grossen  Unterschieden  in  der  Grösse  ist  stets  Poikilocytose, 
eine  ganz  ausgesprochene  Mannigfaltigkeit  der  Form  dieser  Ge- 
bilde. Diese  Symptome  sind  sichtbar  am  frischen  Blutstropfen, 
der  ohne  jede  Zusatzflüssigkeit  untersucht  wird,  sie  sind  ebenso 
vorhanden  bei  Untersuchung  in  Hayem'scher  Lösung  und 
offenbaren  sich  eigentlich  am  besten  am  getrockneten  und 
gefärbten  Präparate. 

Man  hat  früher  diese  Erscheinung  für  charakteristisch 
für  perniciöse  Anämie  gehalten.  Dann  hat  G  r  a  e  b  e  r  die 
Poikilocytose  für  Kunstproduct  erklärt  und  wollte  ihr  jede 
Bedeutung  absprechen.  Es  ist  jedoch  keinem  Zweifel  unter- 
worfen, dass  wir  es  hier  mit  pathologischen  Zuständen  der 
rothen  Blutkörperchen  zu  thun  haben,  welche  nur  unter  ge- 
wissen Bedingungen  auftreten. 

Silbermann  fand  Poikilocytose  bei  Neugeborenen,  S t e f  f e n 
giebt  Grössenunterschiede  an  bei  Blut  von  Kranken  mit  Pur- 
pura, V.  Jaksch  bei  Anämien,  besonders  bei  Anaemia  in- 
fantum pseudoleucaemica,  wie  später  auch  Monti  und  Berg- 
grün  U.A.  Escherich  fand  in  einem  von  ihm  mitgetheilten 
Falle  von  perniciöser  Anämie  4,2  — 12  (i  als  Grenzwerthe, 
Hayem  giebt  sie  für  Anämie  mit  2,2-^14  f»  an,  ich  konnte 
bei  einem  Falle  schwerer  Anämie  in  Folge  von  Lues  solche 
von  1,39—15,29  ^  finden. 

Es  wurden  auch  procentische  Berechnungen  der  Mikro- 
und  Megalocyten  vorgenommen,  doch  halte  ich  solche  f&r 
überflüssig  bei  einem  Symptome,  zu  dessen  Constatirung  ein 
Blick  auf  ein  mikroskopisches  Präparat  bereits  genügt 

Ich  fand  nun  dieses  Symptom  der  Polymorphie  der  Ery- 

throcyten    in   ganz   ungewöhnlichem   Maasse    ausgepriiigt    bei 

folgenden  AfiPectionen  im  Kindesalter.    Bei: 

Anaemia  pBeudolencaemica  (14  Fälle,  alle  nnteraachteo), 

Anaemia  in  Folge  von  Lues  bereditaria  (7  F&lle), 

RachiÜB  verschieden  schwerer  Art  (19  Fälle), 

Tubercolose  und  An&mie  (6  Fälle,  Mb.  40%,  26%), 

Chlorose  (6  Fälle), 

Lymphoma  (1  Fall,  Hb.  28%), 

Osteomyelitis  et  Rachitis  (1  Fall), 

Malaria-Anämie  (1  Fall), 

Anämie  aas  verschiedenen  anderen  Ursachen  (2  Fälle), 

Erysipel,  Sepsis  u.  starke  Blatyerlaste  infolge  y.  Hämorrhagien  (1  Fkll). 


Verändernngen  der  morphol.  Bestandtbeile  des  Blutes  etc.      337 

In  weniger  ausgesprochenem  Maasse,  jedoch  noch  immer 
80  aufFallend;  dass  der  Befund  notirt  werden  musste,  in 
drei  weiteren  Fällen  von  Lues  hereditaria  und  je  einem  Fall 
von  Prurigo,  Scrophulose,  Rachitis  und  einem  Fall  von  Ne- 
phritis, nachdem  bei  letzterem  eine  Venaesectio  vorgenommen 
werden  musste.  Dies  letztere  stimmt  mit  den  Beobachtungen 
von  Laache,  Buntzen  und  Malassez,  die  nach  Blutunter- 
suchungen bei  Erwachsenen  im  Stadium  der  Regeneration  der 
rothen  Blutkörperchen  eine  beträchtliche  Zahl  von  blos  5  fi 
und  weniger  betragenden  Blutkörperchen  constatirt  haben. 

Es  sind  also  vorwiegend  anämische  Zustände  und 
zwar  solche  allerlei  Art,  bei  denen  wir  das  in  Rede  stehende 
Symptom  vorfinden.  Ich  glaube,  wir  haben  alle  Veranlassung, 
es  fQr  ein  abnormes  zu  halten  und  ihm  unsere  Aufmerksam- 
keit zuzuwenden.  ^ 

Eine  weitere  Eigenschaft  der  rothen  Blutkörperchen,  von 
der  ich  hier  sprechen  möchte,  ist  deren  Verhalten  gegen 
Farbstoffe,  die  Dichromatophilie  derselben  oder  die  Poly- 
chromatophilie. 

Unter   gewöhnlichen  Verhältnissen   nimmt   ein    normales 
rothes  Blutkörperchen  aus  einer  Lösung  basischer  und  saurer 
Farben  nur  die  letzteren  in  sich  auf,  tingirt  sich  also  nur  mit 
Eosin  in  den  gewöhnlichen  Gemischen   von  Eosin -Methylen- 
blau oder  Eosin -Hämatoxylin,  nur  mit  Aurantia   in  der  von 
Ehrlich  angegebenen  Mischung  von  Aurantia- Eosin -Indulin 
u.  s.  w.    Nun  giebt  es  jedoch  Erythrocyten,   die   sich  durch 
ein  anderes  Verhalten  auszeichnen  und  deshalb  geeignet  sind, 
unser  Interesse   zu  erregen.     Wenn   man    nämlich    ein   nach 
Ehrlich   erhitztes  Blutpräparat  mit  einer  Losung   basischer 
Farbstoffe  tingirt,  so  färben  sich  die   rothen  Blutkörperchen 
gar  nicht,  sondern  erscheinen  nach  dem  Abspülen  der  Farbstoff- 
lösong   in   ihrer   natürlichen   gelben  Farbe.     Die    poly-  oder 
dichromatophilen  Erythrocyten  jedoch  haben   die  Eigenschaft, 
sowohl   basische    als   auch   kernfärbende    Farbstoffe   auf- 
zunehmen, und  erscheinen  dem  entsprechend  mehr  oder  minder 
intensiv   mit  diesen  gefärbt      Sie   nehmen  nie  viel  i'arbstoff 
auf,  die  Färbung  erscheint  also  nie  sehr  intensiv,  nie  so  stark 
wie  2.B.  die  Kerne  der  Leukocyten.    Weiter  zeigen  sie  sehr  ver- 
schiedene Grade  der  Tinctionsfahigkeit,    von   sehr  schwachen, 
gerade  noch  erkennbaren,  bis  zu  solchen,   bei  welchen  dieser 
Zustand    über  jeden    Zweifel    erhaben    ist.      Aus   Gemischen 
saurer  und  basischer  Farben  nehmen   sie  stets  beide  au£    Auf 
diese  Weise  entstehen  Farbentone,    die   dieser  Mischung  ent- 
sprechen.   Im   ersten  Momente    ist     man  versucht,  diese  Ge- 
bilde für  Artefacte  zu  halten.     Der  Umstand  jedoch,  dass  sie 
sich  zumeist    mitten    unter    normal     gefärbten   rothen   Blut- 


342  J.  Loos: 

2  Fälle  von  Lues  mit  hohem  Gehalte  an  Hb.  mit  nicht 
reJucirter  Blutkörperchenzahl  zeigten  sie  nicht,  ebenso  nicht 
viele  Neugeborene  und  Säuglinge,  sodass  ich  sie  nicht  f&r 
einen  normalen^  sondern  blos  mitunter  vorkommenden  Befund 
bei  diesen  halten  kann« 

Es  sind  also,  wie  bereits  erwähnt,  fast  stets  anämische 
Kinder,  bei  denen  diese,  wohl  immer  als  pathologisch  zu 
nehmenden  Gebilde  auftreten.  Sie  stehen  mit  der  jeweiligen 
Aetiologie  der  Anämie  in  keinem  directen  Zusammenhange, 
treten  reichlich  nur  bei  höheren  Graden  der  Anämie  auf  und 
mit  Vorliebe,  wie  aus  der  oben  angefahrten  Aufzählung  za 
ersehen  ist,  blos  bei  gewissen  Formen  derselben.  Ihre  Be- 
deutung dürfte  die  gleiche  sein  wie  die  der  dichromatophilen 
Zellen,  Einschwemmung  unfertigen,  wohl  auch  ungenügend 
functionirenden  Materials  in  den  Kreislauf  aus  ihren  Bildungs- 
stätten, als  deren  wichtigste  wohl  das  Knochenmark  anzusehen  ist. 

Ich  will  mit  der  Pathologie  der  Erythrocyten  nicht 
schliessen,  ohne  des  Plasmodium  Malariae,  dieses  jetzt 
bereits  so  gut  studirten  Parasiten  und  Zerstörers  derselben 
zu  gedenken,  dessen  leicht  zu  erbringender  Nachweis  heute 
wohl  ebenso  zur  Diagnose  dieser  Krankheit  gehört  wie  der 
des  Tuberkelbacillus  zu  der  der  Tuberculose. 

Auf  die  Bedeutung  der  oft  beschriebenen  Schatten  rother 
Blutkörperchen,  gewisser  Nekrosenerscheinungen  in  denselben, 
Vacuolenbildung  u.  s.  w.,  will  ich  nicht  zu  sprechen  kommen, 
weil  ich  glaube,  dass  diesen  Gebilden,  vorläufig  wenigstens, 
kein  besonderes  Gewicht  beizumessen  ist. 

Verlassen  wir  hiermit  die  rothen  Blutkörperchen  und 
wenden  wir  uns  den  Leukocyten  zu.  Ich  will  auch  hier 
versuchen,  blos  nicht  normale  Zustände  zu  besprechen,  soweit 
dieselben  heut  zu  Tage  Gegenstand  unseres  Interesses  sind. 

Die  Leukocyten  haben  in  zweifacher  Beziehung  die  Auf- 
merksamkeit des  Klinikers  erregt:  Erstens  in  Bezug  auf  ihre 
Form  resp.  die  Beschaffenheit  ihres  Protoplasmas,  der  in  ihm 
enthaltenen  specifischen  Granulationen  und  die  Form  ihres 
Kernes,  zweitens  in  Bezug  auf  ihre  Zahl  und  deren  Vermeh- 
rung und  Verminderung  gegenüber  den  als  Mittel-  und  Normal- 
werthen  angegebenen. 

Im  normalen  Blute  können  wir  stets  folgende  Formen 
weisser  Blutkörperchen  vorfinden: 

1.  Mononucleäre  Leukocyten  (sogenannte  Lymphocyten), 
Zellen  mit  runden,  meist  intensiv  gefärbten  Kernen,  deren 
Protoplasma  bei  einer  Gruppe  blos  einen  schmalen  Hof  bildet^ 
oft  nur  an  einer  Seite  der  Zelle  wie  eine  Sichel  sichtbar, 
die  kleinen  Formen,  oder  bei  einer  anderen  Gruppe  in  reich- 


VeräoderuDgeD  der  morphol.  Beatandtheile  des  Blates  etc.     343 

licher  Weise  den  Kern  umgiebt;   die   grossen   mononuclearen 
Leakocyten. 

2.  Die  Uebergangsforraen,  grosse  Zellen  mit  reichem  Proto- 
plasma und  einem  grossen,  ein-  oder  mehrmals  gelappten, 
massig  intensiv  geßLrbten  Kerne. 

3.  Die  poljnucleären  Leukocjten,  die  gewöhnlichsten 
Formen,  besser  polymorphkernig  genannt,  weil  an  guten 
Hämatozylinpräparaten  mit  starken  Yergrösserungen  stets  zu 
sehen  ist,  dass  die  einzelnen  Eerntheile  durch  feine  Yerbindnngs- 
fäden  mit  einander  iu  Zusammenhang  stehen. 

4.  Kommen  im  normalen  Blute  eine  wechselnde  Menge 
eosinophiler  Zellen  vor.^) 

So  viele  Zählungen  und  procentische  Berechnungen  auch 
für  die  einzelnen  Arten  der  Leukocyten  bereits  existiren^  so 
sind  dieselben  heute  noch  nicht  absolut  sicher  zu  irgend 
welchen  diagnostischen  Schlüssen  verwerthbar,  weil  noch  be- 
stimmte Angaben  über  die  Werthe  in  verschiedenen  Alters- 
stufen und  unter  verschiedenen  physiologischen  Verhältnissen 
nicht  in  genügender  Zahl  vorhanden  sind. 

Für  das  erste  Kindesalter  scheint  es  festzustehen,  dass 
unter  normalen  Verhältnissen  die  Zahl  der  mononuclearen 
Leukocyten  die  der  polynucleären  überwiegt,  im  Gegensatze 
zu  gesunden  Erwachsenen,  wo  die  polymorphkernigen  ca.  70% 
der  weissen  Blutkörperchen  ausmachen. 

Beginnen  wir  mit  der  Besprechung  der  eosinophilen 
Zellen,  der  grobgranulirten  Leukocyten  Max  Schultzens, 
der  oxyphile  Granulationen  führenden  Leukocyten  Ehrliches. 
Diese  an  ihren  hellglänzenden,  grünlich -gelb  erscheinenden 
Granulis  schon  in  ungefärbten  Präparaten  nicht  schwer  zu 
erkennenden  weissen  Blutkörperchen  sind  schon  zu  wieder- 
holten Malen  Gegenstand  lebhaften  Interesses  gewesen.  Die 
des  normalen  Blutes  zeichnen  sich  durch  eine  lebhafte  Be- 
weglichkeit auf  dem  heizbaren  Objecttische  aus,  die  mir  leb- 
hafter und  länger  dauernd  vorkam,  als  die  sämmtlicher  an- 
deren Leukocyten.  Man  hat  eine  Zeitlang  gehofft,  sie  mit 
zur  Diagnose  verschiedener  Blutkrankheiten,  z.  B.  der  Leu- 
kämie verwerthen  zu  können,  eine  Hoffnung,  die  sich  nicht 
erfüllt  hat.  Man  legt  heute  Gewicht  auf  Vermehrung  der- 
selben, theils  procentische,  theils  absolute.  Diese  Vermehrung 
hat  man  durch  viele  Berechnungen  zu  constatiren  gesucht. 
So  thaten  dies  Müller  und  Rieder  in  einer  grossen  Unter- 

1}  Man  Dimmt  an,  dass  die  verschiedenen  Formen  der  Leukocyten 
insofern  in  einem  gewissien  Zusammenhange  stehen,  als  die  mODonuclären 
die  Jugendformeo  vorstellen,  aus  denen  sich  die  polymorphkernigen  ent- 
wickeln. Ein  Reifestadium  dieser  letzteren  sollen  die  eosinophilen  Zellen 
bilden. 


344  J*  Looi: 

suchuDgsreihey  und  in  jüngster  Zeit  Zapp  er  t,  der  sie  zum 
Gegenstände  eingehender  Untersnehungen  gemacht  hat.  Ihre 
Vermehrung  ist  auch  bei  Betrachtung  gefärbter  Präparate 
zu  constatiren,  wenigstens  ihre  absolute.  Die  meisten  der- 
selben sind  polynucieäre  Lenkocyten,  den  neutrophiku  in 
Grösse  and  Kernform  völiig  entsprechend,  doch  kommen  auch 
bei  manchen  schweren  Anämien  mononucleäre  vor,  denen  Wel- 
leicht  grössere  Bedeutung  zuzusprechen  ist.  Nicht  allzu  selten 
findet  man  die  Zelle  zersprengt,  die  Granula  in  deren  an- 
mittelbarer  Umgebung  zerstreut,  wohl  ein  bei  der  Ausbreitung 
des  Blutes  hie  und  da  eintretender  Zufall.  Weder  die  Grosse 
der  Granula,  noch  der  FQllungsgrad  der  Zelle  mit  diesen, 
chemisch  bis  heute  noch  nicht  analysirten  Gebilden  ist  ein 
gleicher  in  allen  Fällen. 

Trotzdem  ihre  diagnostische  Yerwerthbarkeit  wohl  gleich 
Null  ist,  bleibt  es  sicherlich  wegen  einer  Reihe  anderer  Fragen, 
die  sich  an  ihr  Vorkommen  knQpfen,  von  Interesse,  die 
Krankheitsfälle  zu  notiren,  bei  denen  sie  in  besonderer  Beich- 
haltigkeit  sich  vorfinden. 

Unter  den  von  mir  untersuchten  Fällen,  blos  Kinder  be- 
treffend, sind  dies: 

18  Falle  von  Eksem, 
11     „        „    Prurigo, 

11     ,,        „    Lues  (7  heredit,  4  aequisite  in  der  Regel  snr  Zeit 

der  Syphilide), 

8     „        „    Impetigo, 

8     „        „    Liehen  Btropholns, 

1  Fall      „    Sklerem, 

1  „        „    Seborrhoea, 
4  Fälle    „    BachiÜB, 

2  „        „    Anaemia  psendoleac. 

Je  einer  von  Chlorose,  Tetanie,  Tuberculosis  pulm.  u.  Scrophaloee. 

Dem  gegenüber  stehen  zum  Theil  gleiche  Erkrankungen 
mit  wenig  eosinophilen  Zellen  im  Blute, 'und  zwar: 

£kBema,  Impetigo  je  dreimal,  Prurigo  mitis  gradus  viermal,  Lues 
neunmal,  Purpura  haemorrhagica,  Anaemia  psendoleucaemica  je  dreimal, 
Rachitis  zweimal,  desgleichen  Tetanie,  Nephritis,  Tuberculosis  pulmonum, 
Scabies,  Leukämie  je  einmal. 

In  je  einem  Falle  von  Leukämie,  Anaemia  psendoleucaemica ,  Te- 
tanie, Malaria,  Impetigo,  Seborrhoea,  sowie  bei  mehreren  Fällen  von 
Pneumonie  sur  Zeit  starker  Leukocytose  fehlten  sie  fast  völlig. 

Rieder  und  MüUer^Vierordt,  Schlesinger  und  Hock, 
desgleichen  Zappert  geben  übereinstimmend  an,  dass  sich 
das  Eiudesalter  durch  einen  erhöhten  Reichthum  eosinophiler 
Zellen  auszeichnet.  Schlesinger  und  Hock  geben  sogar 
weiter  an,  dass  mit  zunehmendem  Alter  der  Kinder  dieser 
Reichthum  abnehme.  Betrachten  wir  jedoch  die  Zahlen,  die 
Zappert  für  normale  Kinder  anführt,  so  finden  wir  recht  be- 


Ver&Ddeningen  der  morphol.  Bestandtheile  des  Blutes  etc.      345 

trachtliche  Schwankangeii;  von  1,53 — 19,54%  oder  yon  116 
bis  1360  der  auf  1  cmm  berechneten  Menge  derselben.  Diese 
Gesetze  stehen  also  heute  noch  durchaus  nicht  fesi  Da- 
gegen ist  eine  andere  Thatsache  nicht  ohne  Interesse.  Neusser, 
Canon,  Zappert,  Rille  und  ich  bereits  früher  einmal  an 
anderer  Stelle  haben  übereinstimmend  auf  das  auffällig  reich- 
liche Vorkommen  dieser  Zellen  bei  so  vielen  Dermatosen  hin- 
gewiesen, und  der  erste  der  angeführten  Autoren  hat  an 
diese  Befunde  die  Idee  geknfipft,  dass  wir  wahrscheinlich 
verschiedene  Bildungsstätten  für  diese  Zellen  annehmen  müssen, 
für  deren  eine  er  die  Haut  bei  den  oben  erwähnten  Krankheits- 
gruppen annimmt,  nicht  blos  das  Sjiochenmark.  Meine  hier 
angeführten  Befunde  sprechen  zu  Gunsten  der  Auffassung 
Neusser's.  Dazu  möchte  ich  mir  noch  einige  Bemerkungen 
erlauben. 

Ich  habe  in  mehreren  Fällen,  nicht  in  allen,  in  dem  unter 
Impetigoborken  befindlichen  serös -eitrigen  Secrete  einen  auf- 
falligen Reichthum  an  eosinophilen  Zellen,  nebst  Haufen  eosino- 
philer Granula  gefunden  und  glaube  in  einigen  Fällen  con- 
statirt  zu  haben,  dass  mit  Abheilen  der  Dermatosen  der 
Reichthum  des  Blutes  an  diesen  Zellen  schwand.  Zur  Elar- 
legung  dieser  Verhältnisse  sind  gewiss  weitere  Untersuchungen 
nothwendig. 

Zum  Schlüsse  dieses  Capitels  mochte  ich  noch  anführen, 
dass  ich  diese  Zellen  entweder  völlig  vermisste  oder  höchst 
vereinzelt  vorfand  im  Eiter  von  Bronchialsecret,  z.  B.  nach 
Tracheotomien,  in  dem  von  Empyemen,  dem  von  Abscessen, 
dass  ich  sie  einige  Male,  nicht  regelmässig,  reichlich  fand  in 
dem  Eiter  von  Vulvovaginitis  blennorrhoica  von  kleinen  Mäd- 
chen und  zwar  in  diesen  Fällen  durch  längere  Zeit  und  bei 
wiederholten  Untersuchungen,  desgleichen  einmal  im  Sputum 
eines  tuberculösen  Kindes  und  unglaublich  reichlich  im  Spu- 
tum eines  achtjährigen  Patienten,  der  an  Asthma  litt.  Das 
Sputum  wurde  mir  von  Prof.  Escherich  zur  Verfügung  ge- 
stellt. Als  Curiosum  sei  der  gleiche  Befund  in  den  eitrigen 
Entleerungen  eines  IVi  Jahre  alten  Kindes  mit  Enteritis  folli- 
cularis mitgetheilt. 

Eine  andere  Gruppe  von  Lenkocyten,  welche  sich  eben- 
falls durch  grobe  Granulationen  auszeichnet,  sind  die  Mast- 
zellen oder  die  basophilen  Leukocyten.  Die  Granula  dieser 
Zellen  sind  noch  etwas  grösser,  nicht  so  regelmässig  rund 
wie  die  der  eosinophilen  Zellen.  Die  Zellen  entsprechen  in 
ihrer  Grösse  den  eosinophilen,  sind  jedoch  weit  ärmer  an 
Granulationen  als  diese.  Ihr  Kern  ist  entweder  gleich  dem 
der  polymorphkernigen  weissen  Blutkörperchen  oder  sie  ent- 
halten  blos  einen,  wenig  intensiv  farbbaren  gelappten  Kern. 


348  J-  Loot: 

ausgeht.  Selten  sind  in  dieses  Netz  kleinere ,  gleichfalls 
homogen  aussehende  Partien  eingestreut.  Es  ist  bei  Betrach- 
tung und  Yergleichnng  vieler  solcher  Gebilde  unschwer,  zu 
der  Uebersengung  zu  kommen,  dass  man  es  hier  mit  zu 
Grunde  gehenden  weissen  Blutkörperchen  zu  thun  hat.  Da 
man  solche  Bilder  inmitten  YöUig  wohl  erhaltener  und  tadel- 
los gefärbter  Leukocyten  vorfindet,  so  ist  es  nicht  denk- 
bar, vielleicht  ihre  Entstehung  auf  die  Methode  der  Prapara- 
tion  allein  zu  schieben,  sondern  es  dQrfte  sich  um  besonders 
leicht  labile  Leukocyten  handeln,  an  denen  manches  Blut  auf- 
fallend reich  ist.  Im  frischen  Präparate  konnte  ich  sie  nicht 
sicher  nachweisen,  was  mir  bei  der  Feinheit  ihrer  Stmctor 
nicht  unbegreiflich  erscheint.  Uebrigens  hatte  ich  sie  bisher 
nicht  absichtlich  darin  gesucht. 

Klein  hat  Gebilde  beschrieben,  die  er  Leukocyten- 
schatten  nennt,  in  ähnlicher  Weise  deutet,  und  von  denen 
ich  glaube,  dass  sie  mit  den  hier  erwähnten  identisch  sind. 

Von  den  Aenderungen  der  quantitativen  Verhältnisse 
der  weissen  Blutkörperchen  erweckt  mit  Recht  unser  Interesse 
in  erster  Linie  die  Vermehrung  derselben,  die  Lenkocytose. 
Wir  verstehen  darunter  eine  meist  vorübergehende  einseitige 
Vermehrung  der  normaler  Weise  im  Blute  vorkommenden 
Leukocyten  und  sprechen  von  Lymphocytose,  wenn  es  sich 
um  eine  Vermehrung  der  mononucleären  Formen  handelt.  Zur 
einwandsfreien  Feststellung  dieses  Symptomes  sind  Zählungen 
der  weissen  Blutkörperchen  unumgänglich  nothweudig,  doch 
macht  meiner  Meinung  nach  v.  Jak  seh  mit  Recht  darauf 
aufmerksam,  dass  man  mit  einiger  Uebung  höhere  Grade  von 
Leukocytose,  worum  es  sich  wenigstens  in  den  diagnostisch 
zur  VerwerthuDg  kommenden  Fällen  stets  handelt  und  handeln 
muss,  auch  aus  der  einfach  mikroskopischen  Betrachtung  eines 
Blutpräparates  erkennen  kann.  Es  handelt  sich  dann  um  die 
Vergleichung  der  normaler  Weise  im  Gesichtsfelde  bekannter 
Grösse  unter  gesunden  Verhältnissen  vorkommenden  Menge 
weisser  Blutkörperchen  mit  pathologisch  gesteigerter  Menge. 
Ich  möchte  diese  Methode  selbstverständlich  nur  fQr  sehr  mar- 
kante Difierenzen  empfehlen.  Ich  habe  zur  Erläuterung  des 
Gesagten  Folgendes  zu  erwähnen:  Wenn  man  die  Zahl  der 
Leukocyten  in  einem  Falle  zählt,  wenn  man  weiter  im  selben 
Falle  aus  einer  grösseren  Reihe  von  Gesichtsfeldern  die  pro 
Gesichtsfeld  durchschnittliche  Menge  der  Leukocyten  berechnet, 
dann  erhält  man  Zahlen,  welche  für  den  vorliegenden  Zweck 
mit  einander  verglichen  und  in  Parallele  gestellt  werden 
können,  und  ich  glaube,  dass  sich  aus  einer  grossen  Reihe 
solcher  Zählungen  eine  Tabelle  construiren  Hesse. 


Yerftodenrngen  der  morphol.  Bestandtheile  des  Blutes  etc.      349 

Ick  fand  z.  B.  auf  diese  Weise  folgende  Werthe:  Bei 
einer  Leukocytenzahl  von  58000  im  cmm  kamen  auf  ein 
Gesichtsfeld  dnrchschnitUicli  10  Leakocyten,  bei  38  000  —  7^ 
bei  14000  —  1,6  pro  Gesichtsfeld.  Gezahlt  wurden  stets 
ca.  100  Gesichtsfelder  und  zwar,  da  solche  Zählungen  leicht 
nur  an  Trockenpräparaten  ausfahrbar  sind,  solche  in  beiden 
Deckglaspräparaten  y  weil  man  sich  mit  Leichtigkeit  davon 
überzeugen  kann,  dass  öfter  an  solchen  Präparaten  die  Ver- 
theilung  der  weissen  Blutkörperchen  eine  durchaus  nicht  gleich- 
werthige  ist. 

Eine  so  eingehende  und  in  jeder  Richtung  ausführliche, 
die  mannigfaltigsten  Fragen  berücksichtigende  Zusammenstel- 
lung der  Leukocytose  und  ihres  Vorkommens,  wie  sie  für 
Erwachsene  z.  B.  in  den  Arbeiten  von  Rieder,  Limbeck, 
Klein  u.  s.  w.  niedergelegt  ist,  existirt  für  das  Eindesalter 
noch  nicht.  Die  bisher  bekannten  Resultate  sind  in  der 
Arbeit  Gundobin's  verwerthet  und  zusammengestellt.  Im  All- 
gemeinen lässt  sich  sagen,  dass  die  für  die  Erwachsenen  bei 
pathologischen  Processen  gefundenen  Thatsachen  für  die  gleichen 
Processe  des  kindlichen  Organismus,  wie  dies  ja  a  priori  auch 
nicht  anders  erwartet  werden  konnte  und  kann,  volle  Werthig- 
keit  besitzen. 

Ueber  eine  Reihe  physiologischer  und  pathologischer 
Formen  der  Leukocyten  im  Kindesalter  sind  wir  genau  unter- 
richtet. Zu  den  ersteren  möchten  wir  die  durch  vielfache 
Untersuchungen  festgestellte  Leukocytose  der  Neugebo- 
renen zählen,  bei  der  es  sich  nach  G und obin's  Untersuchungen 
um  eine  vorwiegende  Zunahme  der  für  Jugendformen  gel- 
tenden mononucleären  Zellen  handelt,  weiter  kennen  wir  die 
hierher  zu  rechnende,  bei  den  anderen  Processen  stets  zu  be- 
rücksichtigende Verdauungsleukocytose,  die  bei  Säug- 
lingen ca.  6  Stunden  nach  der  Nahrungsaufnahme  die  höch- 
sten Werthe  erreicht. 

Wir  kennen  weiter  die  bei  Erwachsenen  so  gut  studirte 
entzündliche  Leukocytose  auch  bei  den  mannigfaltigsten 
Processen  des  Kindesalters  —  sie  wird  von  Rieder  als  Schutz- 
vorrichtung des  Organismus  aufgefasst  Bei  der  entzündlichen 
Leukocytose  handelt  es  sich  stets  um  eine  Vermehrung  der 
neutrophile  Granulationen  führenden  polymorphkernigen  weissen 
Blutzellen.  Auf  ihr  Vorkommen  bei  croupöser  Pneumonie  im 
Kindesalter  und  die  diesbezügliche  Analogie  mit  dem  gleichen 
Processe  bei  Erwachsenen  hat  schon  vor  längerer  Zeit  v.  Jaksch 
aufmerksam  gemacht  Sie  gehört  jetzt  mit  zu  den  diagnostisch 
verwerthbaren  Symptomen  dieser  Krankheit.  Ich  habe  sie  bei 
23  untersuchten  Fällen  nie  vermisst.  Sie  ist  wohl  die  mar- 
kanteste und  constanteste  Form  der  Leukocytose.    Der  höchste 

24  ♦ 


360  V.  Bänke: 

Die  Anftmoete  ergkb  Folgende! : 

Lniae  F.,  10<4  Monftte  alt,  iit  dat  vierte  Snd  Mmet  Eltara.  Kt 
drei  aDderen  Kieder  lind  anftmiieli,  lotut  aber  Keiiuid.  Ala  epedelln 
Uiologiecbei  Momeot  fflr  den  BydrocepbmliM  konnte  nelleicht  der 
AltennDtenofaied  der  Eltern  nnd  der  Beiuf  des  Taten  in  Betnckt 
kommeD.  Der  Tater,  ein  Weinhtodler,  war  nämlich  CS,  die  Matter 
2»  Jahre  alt 

Pat.  wurde  nach  T^  monatlicher  Schwangerechaft  anicheinend  gt- 
■nnd  geboren, 
inebtwondere 
wurde  nienuli 


Lnea  in  den- 
teudea    Sjmp- 

tom  beob- 
achtet. 

Ton  der 
6.Lebeni«ochF 
an    bemerktIB 

die  Eltern. 
daai  dar  Kopf 
nnTerhiltsiu- 


nehme.    Stet 

Angabe  dn 

BaoMnle* 

hatte  der  Kopf- 

nmfiuig    Eode 

Morenbei 
64  cm  b«ti*- 
gen,  war  d«im 

bie  Februu 
■lieh  aiemljcli 
gleich   gebli«' 

b«D,  Wie 
aber     leitileK 

wieder  be- 
tiftcfatlich  in- 

genomnieD. 
Kklamptiicli« 

oder  «pilep- 
tiache  AnAUe 
waren  niemiU 

beobachtet 
worden.  Ali  Therapie  hatte  Dr.  W.  anfange  KalkeiMaa^riip,  t^^ 
Jodkali,  beides  ohne  ErTolg,  angewendet 

Statni  praetens.  Ziemlich  gnt  entwickellei  Rind  in  gut«»  E^- 
nah rnogiEU Bland,  mit  reichlich  entwickeltem  Fettpolster.  EUrpergevicbt 
9400  g,  Lftnge  69  cm,  Bruetamfang  48  cm. 

Der  «tark  TergrOseerte  Sch&del  ergab  folgende  Mbbbk: 


Jodisjection  in  den  Qebirnventrilcel  b.  Hydrocephalas  chron.  ini     361 

GrOsste  Circnmferenx 58  cm 

Von  der  Spitze  eines  Proc.  mastoid.  zam  andern ,  über 

dem  Scheitel  gemesBCn 46  cm 

Von  der  Nasenwarzel  bis  zur  Protub.  occipitalis  über  den 

Scheitel 44  cm 

GrOsster  L&ngendorchmesser 18,26  cm 

GrOsster  Querdurchmesser 17  cm 

Nach  dem  bekannten  Typus  des  sich  Öffnenden  Blumenkelches  sind 
das  Stirnbein  stark  nach  vom,  die  Scheitelbeine  seitlich  auseinander 
gedrängt.  Die  erweiterten  subcutanen  Venen  der  Kopfhaut  schimmern 
blau  durch.  Grosse  Fontanelle  weit  geöffnet,  die  Suturen  auf  zwei 
Fingerbreit  klaffend.  Fontanelle  und  die  Zwischenräume  zwischen  den 
Suturen  vorgewölbt,  elastisch,  deutlich  fluctuirend.  Pat.  vermag  den 
Kopf  nicht  aufrecht  zu  halten,  ohne  Stütze  schwankt  derselbe  hin 
und  her. 

Intelligenz  zurückgeblieben.  Blick  starr.  Augenbefund:  Orbitaldach 
nach  abwärts  gedrängt,  obere  Lider  zurückgezogen,  Bulbi  nach  unten 

gerichtet,  Pupille  theilweise  unter  dem  unteren  Augenlid  verborgen, 
trabismus  divergens  geringeren  Grades,  Pupillen  gleichweit,  auf  Licht- 
einfall reagirend.  Papillen  sehr  blass,  etwas  atrophisch.  Netzhant- 
gefässe  sämmtlich  auffallend  dünn. 

Die  oberen  und  die  unteren  Extremitäten  befinden  sich  zeitweise  in 
einem  Zustande  von  Erschlaffung,  zeitweise  zeigt  ihre  Muskulatur  spa- 
stische Rigidität.  Patellarrefleze  gesteigert.  Der  Muse,  rectus  contra- 
hirt  sich  schon  beim  Bestreichen  der  Haut  des  Schenkels.  Harn  eiweiss- 
frei.  An  den  inneren  Organen  keine  pathologische  Veränderung  nach- 
weisbar. 

Die  Frage;  ob  in  diesem  Falle  überhaupt  operirt  werden 
dürfe,  WELT  nach  den  Indicationen,  welche  Viktor  v.  Brons 
für  die  Paracentese  des  chronischen  Wasserkopfes  aufstellt 
(Zusammendrückbarkeit  und  Verschiebbarkeit  der  Knochen  des 
Schädelgewölbes,  guter  Ernährungszustand,  dem  Alter  ent- 
sprechende Entwickelung,  Abwesenheit  von  Lähmungen  und 
fortdauernde  Zunahme  der  Wasseranhäufung  in  den  Hirn- 
hohlen), zu  bejahen;  zudem  fiel  hierbei  der  Wunsch  und  die 
Bitte  der  Eltern  entscheidend  ins  Gewicht. 

Es  handelte  sich  also  nur  noch  um  die  Wahl  des  ein- 
zuschlagenden Verfahrens. 

Aus  der  zur  Entscheidung  dieser  Frage  wichtigen  Literatur  sind 
besonders  hervorzuheben: 

1.^  Ueber  die  Function  des  chronischen  inneren  Wasserkopfes.  Von 
Dr. Friedr. Wilhelm  Oppenheim,  Arzt  in  Hamburg.  In  Rust's  Magazin 
f.  d.  gesammte  Heilkunde.    24.  Bd.    1827. 

2.  Die  Doctordissertation  eines  Chirurgus  Leg[ionarius  primarius, 
loannes  F.  C.  Stark:   „De  Hjdrocephali  paracentesi^S    Bostochii  1841. 

8.  Viktor  T.Br uns:  Die  chirurgischen  Krankheiten  und  Verletzungen 
des  Gehirns  und  seiner  Umhüllungen.    Tübingen  1854.    S.  672  n.  fi. 

4.  Beely,  Krankheiten  des  Kopfes.  Gerhard t*s  Handbuch  der 
Kinderkrankheiten  6.  Bd.    II.  Abth.    S.  34.    Tübingen  1880. 

6.  Huguenin,  y.  Ziemssen's  Handbuch  der  spec.  Pathologie  und 
Therapie.    Snpplementband  1878. 

6.  Richard  Pott,  Ein  Beitrag  zur  operatiyen  Behandlung  des 
Hydrocephalus  chronicus.    Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  XXXI.  Bd.   1890. 


S62  ▼.  Ranke: 

^FQr  die  Wahl  des  OperatioDsyerfahrens  kamen  demnach 
aaf  Grand  der  yorhandenen  Erfifthrong,  abgesehen  von  der 
blossen  Compression  der  Schädelkapsel  ^  in  Betracht: 

1.  Wiederholte  einfache  Paracentese. 

2.  Paracentese  mit  nachfolgender  Jodinjection. 

3.  Paracentese  mit  Einlegong  eines  permanenten  Drains, 
wie  sie  neuerdings  wieder  Pott  in  Vorschlag  bringt 

Ich  bespreche  zunächst  das  letztere  Verfahren«  Herr 
College  Pott  fflaubt  ^^auf  den  dauernden  Abfluss  der 
cerebrospinalen  FlQssigkeit  besonderen  Werth  und  Nachdruck 
legen  za  müssen,  da  ja  bei  allen  Heilungsfallen,  nach  spon- 
taner Berstung  des  Hydrocephalussackes,  gerade  das  continuir- 
liehe,  massenhafte  Aussickern  der  Flüssigkeit  besonders  be- 
tont wird  und  man  diese  Naturheilungsprocesse  möglichst 
nachzuahmen  sich  veranlasst  sehen  wird/'^) 

Nun  ist  aber  doch  herrorzuheben,  dass  dieser  Vorschlag 
ein  sehr  alter  ist,  dass  derselbe  aber  auf  Grund  allgemeiner 
Erfahrung  über  die  Schädlichkeit  einer  plötzlichen,  massen- 
haften Entleerung  der  hjdrocephalischen  Flüssigkeit  schon  im 
vorigen  Jahrhundert  wieder  aufgegeben  wurde,  damit  nicht 
,^lü8Bigkeit  und  Leben  zugleich  entfliehet 

Schon  Ausgangs  des  16.  Jahrhunderts  hebt  Forestus 
hervor,  dass  „veteres  in  eo  consensuisse,  ne  aqua  una  vice, 
sed  sensim  evacueretür'^') 

Abgesehen  aber  von  dem  Bedenken  gegen  einen  ungehin- 
derten Abfluss  der  Flüssigkeit  durch  einen  Drain  ist  gegen 
das  Pott'sche  Verfahren  geltend  zu  machen,  dass  das  Liegen- 
lassen eines  Drains  die  Möglichkeit  einer  Wundinfection  ganz 
besonders  nahe  legt. 

Der  von  Pott  behandelte  Fall  ging  durch  Wundinfection 
zu  Grunde.  Auch  der  französische  Chirurg  le  Gat,  welcher 
schon  im  Jahre  1744  eine  eigene  Canüle  construirt  hatte, 
welche,  sorgfaltig  in  der  Stichöffnung  befestigt,  einen  regulir- 
baren  Abfluss  der  hydrocephalischen  Flüssigkeit  ermöglichen 
sollte,  sah  seinen  Patienten,  einen  Knaben  von  3Vi  Monaten, 
schon  nach  wenigen  Tagen  sterben.')  Und  Starck  kommt 
auf  Grund  der  vorliegenden  Literatur  zu  dem  Urtheil:  Nulla 
autem  commendatione  dignum  est,  canulam  in  apertura  relinqui, 
quippe  quae  irritatione  continua  facilius  inflammationem  pro- 
vocet  et  plus  detrimenti  importet,  quam  punctio  saepius  re- 
petita.*) 

1)  a.  a.  0.    8.  44. 
8)  Starck  a.  a.  0.   S.  71. 

8)  Le  Cat:  A  new  Trocwrt  for  te  pnnctare  of  HydrocepbalaB  etc. 
PhiloBOpbical  Tranaaetioni  Vol.  XLVU.   176S.        4)  a.  a.  O.   8.  78. 


JodiDJection  in  den  Gehimventrikel  b.  HydrocephaluB  chron   int.     363 

Wenn  nun  auch  in  unserer  Zeit  der  aseptischen  Wund- 
behandlung sich  die  Verhältnisse  fiir  ein  derartiges  Verfahren 
wesentlich  günstiger  gestaltet  haben,  so  scheint  mir  doch  bei 
aller  Vorsicht  die  Gefahr  einer  Infection  durch  den  Drain 
noch  immer  so  gross^  dass  ich  nicht  wagen  möchte,  es  nach- 
zuahmen. 

Wenn  mit  Recht  als  die  beiden  Hauptaufgaben  bei  der 
Behandlung  des  chronischen  Wasserkopfes  hingestellt  werden : 

I.  Umstimmung  und  Beschränkung  der  secretori sehen 
Thätigkeit  der  Auskleidung  der  Gehirnhöhlen ^  neben 

IL  gleichzeitiger,  allmählicher  Entfernung  der  bereits 
abgesetzten,  wässerigen  Flüssigkeit,  so  schien  eine  metho- 
dische forcirte  Compression  des  Schädels,  mit  welcher  Trous* 
seau  die  bekannte  üble  Erfahrung  gemacht  hat,  indem  er 
bei  einem  5  Monate  alten  hydrocephalischen  Kinde  das  Sieb- 
bein sprengte,  sodass  unter  plötzlichem  Äbfluss  des  Wassers 
der  Kopf  wie  eine  Blase  zusammenfiel  imd  der  Tod  sofort 
eintrat^),  ebenso  aber  auch  die  einfache  wiederholte  Function, 
wenn  auch  gefolgt  von  massiger  Compression,  kaum  einen 
Erfolg  zu  versprechen. 

Die  Erfüllung  der  ersten  Indication:  die  Umstimmung 
und  Beschränkung  der  secretorischen  Thätigkeit  des  Ventrikel- 
ependyms^  findet  dabei  zu  wenig  Beachtung. 

Dagegen  schien  es  wohl,  dass  wiederholtes  Abzapfen  der 
Flüssigkeit,  mit  darauffolgender  Jodinjection  und  sorgfaltiger, 
massiger  Compression,  beiden  Indicationen  am  besten  ent- 
sprechen könne. 

Bekanntlich  wird  unter  den  spärlichen  Heilungen  des 
chronischen  Hydrocephalus  ein  Fall  von  Tournesco  an- 
geführt, in  welchem  durch  Injection  von  verdünnter  Jod- 
tinctur  dauernde  Heilung  erreicht  worden  sein  soll. 

Ich  bin  diesem  Fall  genauer  nachgegangen  und  erlaube 
mir,  Ihnen  kurz  mitzutheilen,  wie  sich  die  Sache  verhält: 

Tonrnesco,  Chirurg  am  stAuMschen  Civilhospital  in  Bukarest, 
berichtete  im  Jahre  1866  an  die  Society  de  Chirurgie  in  Paris  (mit- 
getheilt  in  Gazette  des  Uopitaux  1856.    Nr.  123)  Folgendes: 

Einem  zwei  Mouate  alten  Knaben  mit  einem  Eopfumfang  von 
56^^  cm  wurden  bei  einer  ersten  Function  11  Unzen  (830  ccm)  Serum 
ausgelassen;  nach  24  Stunden  hatte  sich  die  Flüssigkeit  wieder  voll- 
kommen ersetzt,  2  Tage  später  erfolgte  eine  zweite  Function,  bei 
welcher  24  Unzen  (720  ccm)  Serum  entleert  wurden,  unmittelbar  darauf 
Ii\jection  einer  Mischung,  bestehend  aus  12  ccm  Jodtinctur  und  24  ccm 
destillirtem  Wasser. 

Das  Kind  erblasste  und  stiess  einige  Schreie  aus.  Die  folgenden 
Tage  hatte  es  Fieber  und  litt  an  Verstopfung,  wogegen  Calomel  ver- 


1)  Trousseau:  Clinique  Medical  de  Tfiötel  Dieu  de  Faris  4.  Edit. 
Tome  IL    p.  321. 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.   XXXIX.  26 


364  T.  BanVe: 

ordnet  wurde.  Nach  10  Tagen  hörte  das  Fieber  auf  nnd  am  88.  Ta^ 
nach  der  Jodinjection  hatte  der  Kopf  nnr  noch  einen  umfang  von  44  cm, 
war  also  um  12^  cm  zurückgegangen.  Derselbe  Kopfumfang  tod  44  cm 
wurde  auch  noch  bei  einer  zweiten  Untersuchung  14  Tage  sp&ter  ge- 
funden. 

Die  Mittheilang  Tournesco's  an  die  Society  de  Chirur- 
gie war  am  38.  Tage  nach  der  Operation  geschrieben.  «Ueber 
den  weiteren  Verlauf  des  Falles  wurde  nichts  mehr  bekannt; 
das  scheint  freilich  darauf  hinzudeuten,  dass  der  schliessliche 
Ausgang  den  Hoffnungen  anf  eine  dauernde  Heilung  nicht 
entsprochen  haben  dürfte. 

Die  Redaction  der  Gazette  des  Hopitaux  reiht  an  diesen 
Fall  Tournesco's  die  Besprechung  eines  weiteren  Falles, 
des  einzigen  ähnlichen  ihr  bekannten,  über  welchen  Daniel 
Brainard,  Professor  der  Chirurgie  am  Rush  Medical  College 
in  Chicago,  zwei  Jahre  vorher  (1854)  gleichfalls  an  die  Societe 
de  Chirurgie  in  Paris  berichtet  hatte. 

Ein  Mädchen  von  4  Wochen  hatte  einen  Kopfumfang  von  19  Zoll. 
Im  Verlauf  von  7  Monaten  wurden  21  lojectionen  gemacht,  die  tu* 
Bammen  6,25  g  Jod  und  18,35  g  Jodkalium  enthielten.  Bei  den  ersten 
Operationen  war  nur  immer  so  viel  Serum  ausgezogen  worden,  als  Jod- 
lösong  injicirt  werden  sollte;  bei  den  sp&teren  worden  180  bis  360  g 
Serum  eztrahirt  und  bis  ku  80  g  Jodlösung  injicirt  Die  erste  Injection 
hatte  nur  3  m^  Jod  und  6  mg  Jodkalium  enthalten,  während  sp&ter 
als  grösste  Dosis  einmal  60  cg  Jod  und  1,80  Jodkalium  injicirt  wurden. 
Die  lujectionen  wurden  anfangs  in  Pansen  von  14  Tagen  bis  3  Wochen, 
später  alle  6  oder  6  Tage  wiederholt  und  niemals  verursachten  die- 
selben Schmers  oder  bedenkliche  Zust&nde. 

Während  der  ersten  <5  Monate  der  Behandlung  verbesserte  sich  der 
Gesundheitszustand  des  Kindes  in  auffallender  Weise,  der  Kopf  hatte 
sich  nach  jeder  Injection  etwas  verkleinert  und  war  fast  auf  seine  nor- 
male Grösse  zurücKgegangen. 

Schliesslich  aber  im  7.  Monate  der  Behandlung  war  dennoch  der 
Tod  eingetreten:  „avec  les  symptömes  charact^ristiqnes  de  la  derni^re 
Periode  de  THydrocephalie.** 

Diese  beiden  Fälle  beweisen  übrigens  jedenfalls ,  dass 
man  mit  der  Injection  von  jodhaltigen  Flüssigkeiten  in  die 
hydropischen  Gehimventrikel  nicht  gar  zu  ängstlich  zu  sein 
braucht  und  dass  dieselben  in  der  That  im  Stande  zu  sein 
scheinen,  die  secretorische  Thätigkeit  des  Ependyms  der  Ven- 
trikel zu  beschränken. 

Ich  beschloss  daher ,  faute  de  mieuz,  dem  Verfahren 
Tournesco's  zu  folgen. 

Von  einer  möglichst  genauen  klinischen  Beobachtung 
aller  eintretenden  Erscheinungen  war  zu  hoffen,  dass  selbst, 
wenn  der  Fall  einen  ungünstigen  Ausgang  nehmen  sollte, 
doch  unsere  Erfahrungen  über  die  Wirkung  der  Jodinjection 
bei  chronischem  Hydrocephalus  eine  wünschenswerthe  Be- 
reicherung erfahren  würden. 


Jodinjection  in  den  Gehimventrikel  b.  Hjdrocephalas  chron.  int.     365 

Zunächst  sollte  meine  kleine  Patientin  vor  der  Operation 
einige  Tage  in  der  Anstalt  beobachtet  werden,  um  den  Tem- 
peraturverlauf unter  normalen  Verhältnissen  festzustellen.  Wie 
die  Curve  auf  Seite  366  zeigt,  war  die  Temperatur  vom  11. 
bis  zum  16.  Mai  fortdauernd  eine  normale,  um  37^,  niedrigste 
37^,  höchste  37,3  ^ 

Am  16.  Mai  morgens  11  Uhr,  nachdem  Tags  vorher  der  ganze 
Kopf  rasirt  worden  war,  achritt  ich  zur  Operation,  welche  ohne  Nar- 
coae,  mit  sorgfältig  sterilisirten  Instrumenten,  ausgeführt  wurde. 

Ein  2  mm  starker  Troicart  eines  Potain'schen  Aspirators  wurde  in 
der  linken  Eranznaht,  ca.  8  cm  seitlich  von  der  Pfeilnaht,  4  bis  5  cm 
tief  eingestochen  und  wurden  32(f  com  eines  schwach  gelblich  ge- 
färbten, klaren  Serums  entleert.^) 

Der  Kopf  war  nach  dieser  Flüssigkeitsentziehung  ziemlich  stark 
eingefallen  und  machte  in  Folge  des  Einsinkens  der  Nähte  und  des 
Vorstehens  der  Enochenkanten  einen  eigenthümlich  dilapidirten  Ein- 
druck. 

Sofort  wurden  30  ccm  einer  sterilisirten,  auf  37  ^  erwärmten  Lösung, 
bestehend  aus  10  g  Jodtinctur  und  20  g  Wasser,  injicirt,  die'Wunde  mit 
Jodoformgaze  bedeckt  und  der  ganze  Eopf  mit  ca.  3  cm  breiten  Heft- 
pflasterstreifen  massig  fest  umwickelt. 

Die  Temperatur  wurde  während  der  ersten  drei  Tage  stündlich,  an 
den  folgenden  Tagen,  bis  zur  Entlassung,  zweistuudlich  gemessen. 

Unmittelbar  nach  der  Operation  erfolgte  ein  leichter  GoUapszustand, 
die  Gesichtsfarbe  wurde  biass  und  leicht  cyanotisch,  die  Gesichtszüge 
traten  mehr  markirt  hervor,  besonders  die  Nasolabial falte;  die  Tem- 
peratur sank  auf  36  \  Pupillenreaction  gehörig.  Die  Extremitäten  fühlen 
sich  kühl  an,  werden  jedoch  kräftig  bewegt  und  Fat.  schreit  ziem- 
lich laut. 

Dreiviertel  Stunde  nach  der  Operation  zweimaliges  Erbrechen,  das 
sich  während  des  Tages  noch  einige  Male  wiederholt.  Fat.  nimmt 
einige  EaffeelöfEel  Wein  zu  sich  und  saugt  kräftig  an  einem  Saug- 
gummi. Der  Puls  hebt  sich  allmählich  wieder,  bleibt  aber  immer  noch 
klein  und  weich;  Hautfarbe  noch  blass.  Die  Temperatur,  die  um 
12  Uhr  Mittags,  1  Stunde  nach  der  Operation,  auf  86^  gefallen  war, 
steigt  bis  4  Uhr  Nachmittags  auf  S8,'9. 

Fat.  nimmt  Wein  und  Milch  zu  sich  und  ist  ganz  ruhig.  Urin- 
entleerung  gehörig,  kein  Stuhl.  Seit  6  Uhr  Nachmittags  sistirt  das 
Erbrechen. 

Die  Nacht  vom  16.  auf  den  17.  verlief,  während  die  Temperatur 
allmählich  auf  40^  anstieg,  unruhig;  Patient  weinte  öfters  und  der 
Schlaf  war  vielfach  unterbrochen. 


1)  Die  chemische  Untersuchung  dieser  Flüssigkeit  wurde  in  dem 
Laboratorium  des  Herrn  Geheimrath  v.  Yoit,  durch  dessen  L  Assi- 
stenten Herrn  Privatdocent  Dr.  G  r  e  m  e  r  ausgeführt  und  ergab  fol- 
gende Zahlen: 

In  1000  Theilen  waren  enthalten: 


Wasser    .    .    . 

989,9 

Feste  Stoffe.    . 

10,1 

Eiweiss    .     .    . 

0,71 

Extractivstoffe 

0,75 

Salze  .    .    .    . 

8,44. 

25 


T.  Eanke: 
Cnrre  voa  Laiie  F. 


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Lid 

Jodinjection  in  den  Gehirnventrikel  b.  Hjdrocephalas  chron.  int.      367 

Am  Morgen  erfolgte  spontan  ein  weicher  breiiger  Stuhl  von  grau- 
grflner  Farbe. 

Pai  stöhnt  häufig,  schreit  auch  öfters  laut  auf.  Von  Zeit  zu  Zeit 
stellen  sich  Streckkrämpfe  ein,  wobei  die  Hand,  mit  eingeschlagenem 
Daumen,  sich  zur  Faust  ballt  und  die  oberen  und  unteren  Extremitäten 
auf  kurze  Zeit  in  tonische  Starre  yerfallen,  um  bald  wieder  zu  er- 
schlaffen. 

Mittags  12  Uhr:  Es  trat  wieder  Erbrechen  ein,  die  Streckkrämpfe 
wiederholen  sich  häufiger  und  dauern  länger  an.  Nystagmus,  Temp. 
40,3 ^  7  Uhr  Abends:  Das  Erbrechen  hat  nachgelassen,  Pat.  stöhnt 
viel.  Die  Bnlbi  scheinen  tiefer  eingesunken,  Pupille  von  dem  unteren 
Augenlide  vollständig  verdeckt.  Puls  klein,  freqnent,  regelmässig;  Tem- 
peratur 38,0. 

18.  y.  Nacht  ruhiger,  doch  schreit  Pat.  Von  Zeit  zu  Zeit  laut 
auf.  Extremitäten  kühl,  Puls  kaum  fühlbar.  Die  Temperatur  bewegt 
sich  um  38  ^ 

Ord.:  Wärmflaschen.  Wein,  Eampher.  Im  Laufe  des  Tages  blieb 
der  Puls  sehr  freqnent,  klein,  kaum  fühlbar  und  Hess  eine  deutliche 
Irregularität  erkennen;  Athmung  gleichfalls  nicht  regelmässig,  indem 
oberflächliche  Athemzüge  mit  seufzenden  Inspirationen  wechseln.  Zu- 
weilen noch  lautes  Aufschreien,  Nystagmus. 

Das  Erbrechen  hat  zwar  aufgehört,  Patient  verweigert  aber  die 
Nahrung.  Die  Extremitäten  zeigen  andauernd  einen  geringen  Grad 
tonischer  Starre,  fieflexerregbarkeit  erhöht,  Pat.  zuckt  bei  jeder  Be- 
rührung zusammen,  ebenso  bei  jedem  lauten  Geräusch;  streicht  man 
mit  der  Hand  über  die  Haut  der  ESxtremitäten,  so  nimmt  die  Rigidität 
und  Contractur  der  Muskulatur  zu. 

Ord.:  Eisbeutel  auf  den  Kopf,  Calomel  0,05,  worauf  zwei  weiche 
Stühle. 

19.  V.  Nacht  im  Ganzen  ruhig,  noch  immer  aber  hie  und  da  lautes 
Aufschreien.  Für  kurze  Zeit  steigt  die  Temperatur  in  den  Morgen- 
stunden auf  40,8  und  sinkt  dann  allmählich  wieder.  Die  Gesichtsfarbe 
hat  heute  etwas  Wachsartiges,  Gesichtsausdruck  starr,  etwas  schmerz- 
haft verzogen.  Pat.  ist  sehr  ruhig,  seufzt  nur  zuweilen  auf.  Die  Ex- 
tremitäten zeigen  noch  immer  eine  gewisse  tonische  Starre.  Puls  sehr 
freqnent  (162),  deutlich  unregelmässig,  während  die  Athmung  nichts 
Charakteristisches  bietet.  Die  Nahrungsaufnahme  erfolgt  wieder  ge- 
hörig, kein  Erbrechen,  weicher  Stuhl.  Augenbefund  unverändert,  wie 
vor  der  Operation.    Nachmittags  Erbrechen,  leichte  Diarrhöe. 

20.  V.  In  der  Nacht  schrie  Pat  oft  längere  Zeit  und  schlief  sehr 
wenig.  Im  Laufe  des  Morgens  nochmaliges  Erbrechen,  Puls  noch  un- 
regelmässig,  sehr  frequent;  Athmung  regelmässig,  Temperatur  um  38  ^ 
Zeitweise  besteht  Strabismus  divergens.  Die  Extremitäten,  wie  früher, 
leicht  rigide.  Geringe  Diarrhöe.  Patient  wechselt  öfter  die  Farbe.  Im 
Harn  Jod  noch  deutlich  nachweisbar. 

21.  V.  Nacht  ruhig,  das  Aufschreien  hat  nachgelassen.  Pat.  sieht 
heute  entschieden  besser  aus  und  nimmt  reichlich  Nahrung;  kein  Er- 
brechen mehr. 

Seit  heute  früh  treten  etwa  alle  fünf  Minuten  leichte  klonische 
Zuckungen  in  den  oberen  Extremitäten  auf.  Die  Arme  werden  von 
der  Bettunterlage  gehoben,  die  Finger  etwas  gespreizt,  die  ganze  Ex- 
tremität verfällt  in  einen  kurz  andauernden  Tremor;  zu  gleicher  Zeit 
stellt  sich  wieder  Nystagmus  ein,  manchmal  auch  Aufschreien.  Puls 
frequent  (156),  regelmässig,  Athmung  ruhig.  Stuhl  diarrhöisch.  Tem- 
peratur in  den  Morgenstunden  39,9. 

Am  22.  y.  zeigte  sich  das  Körpergewicht  auf  8700  g  vermindert. 
Die  Nacht  war  ruhig  verlaufen,  nur  zuweilen  erfolgte  lautes  Aufschreien. 


368  V.  Ranke: 

Eine  erhöhte  Empfindlichkeit  gegen  Hassere  Reise  (Berfihmng  oder  €re- 
rausche)  besteht  noch  und  äussert  sich  jetzt  h&optsftchlicli  durch  sehr 
kr&ftiges,  lautes  Geschrei.  Wenn  kein  Äusserer  Reis  einwirkt,  ist  Patient 
ruhig  und  lutscht  an  dem  Gummi.  Die  Lidspalte  wird  wieder  weiter 
geöffnet,  Pupille  nicht  mehr  Tom  unteren  Augenlide  bedeckt.  Puls  fre- 
quent(160),  noch  leicht  unregelm&ssig;  Athmung  regelm8a8ig(30),  Tem- 
peratur meist  unter  38.  Stuhl  diarrhöiach.  Die  Muskeln  der  Extremi- 
täten fortdauernd  in  einem  Zustand  von  Rii<idit&t 

Der  seitliche  rechte  obere  Schneidesahn  ist  durchgebrochen,  der 
correspondirende  untere  im  Durchbruche  begriffen. 

28.  V.  Nacht  sehr  unruhig,  Pat.  schrie  sehr  viel,  auch  stellte 
sich  wieder  Erbrechen  ein.  Puls  regelmässig  (120),  Athmun?  rahig  (32), 
die  Temperatur  steigt  während  der  Morgenstunden  nochmals  auf  39,5 
und  fällt  gegen  Abend  jähe  ab,  auf  37,2. 

Die  Rigidität  der  Muskulatur  besteht  fort,  ebenso  die  grosse  Reiz- 
barkeit.   Patient  schreit  laut  und  lange. 

Im  Harn  noch  Jod  nachweisbar. 

24.  V.  In  der  Kacht  schrie  Pat  häufig  sehr  laut  Erbrechen 
nur  noch  selten.  Stuhl  normal.  Puls  124,  regelmässig.  Athmung  36; 
die  Temperatur  erreicht  um  8  Uhr  Morgens  nochmau  39^  und  fällt 
dann  bis  Abends   7  ühr  auf  37  ^     Appetit   gut.    Noch   immer  besteht 

Sosse   Erregbarkeit    gegen   äussere   Reise,    ebenso    die    Rigidität   der 
uskulatur.      Der    rechte    seitliche    untere    Schneidesahn    ist    durch- 
gebrochen. 

26.  V.     Pat   schreit  noch  viel   und   laut,   Puls  regelmässig,  124, 
Respiration  30,  Temperatur  schwankt  um  38  ^    Sonst  Status  idem. 
Im  Harn  noch  deutlich  Jod  nachweisbar. 

26.  y.  Nacht  unruhig,  kein  Erbrechen.  Der  ganse  Zustand  des 
Patienten  scheint  sur  früheren  Norm  surückzukehren.  Puls  regelmässig, 
126,  Respiration  82,  höchste  Temoeratur  Nachmittags  2  Ohr  38,4  ^ 

27.  V.  Nacht  unruhig.  Nanrungsaufnahme  reichlich,  ohne  Er- 
brechen.   Im  Harn  noch  Jod  nachweisbar. 

Der  Heftpflasterverband  wird  abgenommen.  Die  Einstichstelle  ist 
reactionslos  verheilt  Die  Eopfbant  fhhlt  sich  wenig  gespannt  und  sehr 
weich  an. 

Die  Messung  ergiebt  folgendes  Resultat:  Vor  der 

Operation 

Circumferens 56  cm  68  cm 

Von  der  Spitse  eines  Proc.  mast  sum  anderen  über 

den  Scheitel  gemessen 44  46 

Von  der  Nasenwursel  bis  su  den  Protub.  occip. .    .    .  38,5  44 

Grösster  Längen durchmesser 17,5  18,25 

Grösster  Querdurch messer 17,0  17,0 

Bis  auf  den  grössten  Querdurchmesser,  welcher  unTerändert  ge- 
blieben, seigen  also  alle  Maasse  eine  nicht  unbeträchtliche  Verminde- 
rung; am  erheblichsten  ist  die  Verminderung  von  der  Nasenwursel  über 
den  Scheitel  bis  sur  Protuberans  des  Hinterhauptes. 

Neuer  Verband,  diesmal  mit  Zinkmullpflaster,  um  die  Kopfhaut 
nicht  SU  reisen.  Es  wird  wieder  die  ganze  Schädelkapsel  durch  ca.  8  cm 
breite,  siemlich  fest  angelegte  Pflasterstreifen  umgeben. 

28.  V.  Patient  schuef  ruhig,  nahm  reichlich  Nahrung,  hatte  kein 
Erbrechen  mehr.  Stuhl  breiig.  Während  sich  früher  t^im  Schlafen 
die  Augen  niemals  ganz  schlössen,  werden  dieselben  im  Schlafe  jetst 
von  den  Lidern  vollkommen  bedeckt. 

Im  Harne  noch  Spuren  von  Jod  vorhanden.  Temperatur  zwischen 
37,0  und  38  ^ 


JodiDJection  in  den  Gehirn ventrikel  b.  Hydrocephalus  chron.  int.     369 

29.  y.  Keine  Störung  im  Befinden ,  alle  Functionen  wie  vor  .der 
Operation.    Temperatur  normal. 

30.  y.  Status  idem.  Heute  kein  Jod  mehr  im  Harne  nachweifibar. 
Körpergewicht  8000  g. 

1.  yi.  Links  oliMen  und  unten  ist  je  der  I.  Prämolarzahn  durch- 
gebrochen. 

3.  yi.  Nahrungsaufnahme  und  Stuhl  gehörig.  Im  Harn  zeigen  sich 
geringe  Spuren  von  Eiweiss  und  die  beiden  Knöchel  sind  leicht  öde- 
matös  geschwellt;  sonst  Status  idem. 

4.  yi.  Wohlbefinden,  yerbandwechsel.  Kopfhaut  unter  dem  yer- 
bande  reactionslos,  nur  wenig  gespannt;  die  Knochen  an  ihren  Rändern 
leicht  verschieblich. 

Die  Kopfmaasse  ergaben  wieder  genau  dieselben  Zahlen  vne  am 
27.  y.    Körpergewicht  7800  g.    Temp.  seit  dem  28.  y.  normal. 

Auf  Wunsch  der  Eltern  wird  das  Kind  nun  entlassen,  um  auf  das 
Land  gebracht  zu  werden. 

Es  wird  vereinbart,  dass  die  Mutter  bei  einer  etwa  eintretenden 
Störung  im  Befinden  des  Kindes  sofort  Nachricht  gebe,  yon  einer  wei- 
teren Function  wurde  einstweilen  abgesehen. 

Die  Sache  ging  aber  anders,  als  es  damals  den  Anschein  hatte. 

Während  der  ersten  zwei  Tage  nach  der  Entlassung  befand  sich 
das  Kind  noch  wohl,  dann  aber  stellte  sich,  vielleicht  im  Zusammen- 
hang mit  dem  Milch  Wechsel,  ein  heftiger  Darmkatarrh  ein,  mit  höchst 
übelriechenden  Entleerungen,  zugleich  stieg  die  Temperatur  auf  40®  und 
aus  einem,  an  dem  untern  Theil  der  rechten  Ohrmuschel  bestehenden 
Eczem  entwickelte  sich  ein  Geschwür. 

Als  ich  das  Kind  am  8.  VL  im  Gonsilium  wieder  sah,  war  es  be- 
reits hochgradig  verfallen. 

Am  9.  yj.  verweigerte  es  die  Nahrung  und  die  Schwäche  nahm 
rapid  zu. 

Am  10.  yi.  erfolgte  der  Tod  unter  den  Erscheinungen  von  Er- 
schöpfung.   

Die  Obduction  wurde  am  11.  Juni  von  dem  I.  Assistenten  des  pathol. 
Listituts,  Herrn  Privatdocent  Dr.  Schmaus,  ausgeführt.  Aeussere  Be- 
sichtigung: 

Geringes  Fettpolster.  Muskulatur  massig  entwickelt.  Schädel  sehr 
stark  vergrössert,  Augen  tiefliegend,  Stime  vorgewölbt,  Gesicht  ver- 
hältnissmässig  klein.  Am  rechten  Ohr,  am  hinteren  und  unteren  Theil 
der  Ohrmuschel  eine,  ein  paar  Centimeter  lange,  rothe  bis  graurothe, 
eingetrocknete,  offenbar  nekrotische  Stelle.  Todtenstarre  und  Todten- 
flecke  vorhanden. 

Nervensystem:  Schädel  sehr  ausgedehnt,  Circumferenz  58  cm.  Fon- 
tanelle und  Nähte  weit  klaffend,  grosse  Fontanelle  von  unregelmässig 
dreieckiger  Form,  10  cm  im  Quer-,  6  cm  im  Sagittaldurchmesser.  (S.Ab- 
bildung S.  870). 

An  der  Stimnaht  das  linke  Stirnbein  über  das  rechte  Scheitelbein, 
in  der  Pfeünaht  das  linke  Scheitelbein  etwas  über  das  rechte  ver- 
schoben. In  den  beiden  Scheitelbeinen  einige,  bis  20  pfennigstückgrosse 
Knochendefecte  mit  membranösen  Stellen  statt  des  Knochens.  Schädel- 
knochen dünn,  durchsichtig.  Diplöe  blass.  Scheitelbeine  in  der  Gegend 
der  Scheitelbeinhöcker  stark  vorgebuchtet,  ähnlich  die  Stirnbeine  an 
den  Stirnbeinhöckern.  Dura  mit  dem  Schädeldache  verwachsen,  sehr 
trocken,  matt  glänzend.  Beim  Einstechen  in  die  rechte  Hemisphäre 
entleert  sich  reichlich  wasserklare,  etwas  gelblich  gefärbte  Flüssigkeit, 
im  Ganzen  ungefähr  iL—  Hemisphäre  in  der  Scheitelbeingegena  un- 


372  V.  Ranke: 

Gehirnsymptome  und  Ism^er  dauerndes  Fieber  hervorrief,  dass 
aber  diese  Wirkungen  14  Tage  nach  der  Operation  YoUkommen 
Terschw\inden  waren. 

Vierzehn  Tage  nach  der  Operation  war  auch  im  Harn 
kein  Jod  mehr  nachweisbar,  ebenso  wurde  in  dem  bei  der 
Obduction  entleerten  Ventrikelwasser  keine  Spur  von  Jod 
mehr  vorgefunden. 

Bei  seinem  Durchpassiren  durch  die  Nieren  hatte,  wie 
es  scheint,  das  Jod  in  diesen  Organen  einen  leichten  Beiz- 
zustand hervorgerufen,  der  sich  am  3.  Juli  durch  Spuren  von 
Eiweiss  im  Harn  und  leichte  Enöchelschwellung  manifestirte. 

Auch  bei  der  Section  wurde  in  den  Nieren  „eine  leichte, 
trübe  Schwellung^'  gefunden,  die  möglicherweise  noch  als  Jod- 
wirkung aufzufassen  ist,  keinesfalls  aber  als  Todesursache 
angesprochen  werden  kann. 

Der  Tod  trat  ein  in  Folge  eines  acuten  Darmkatarrhs, 
der  die  Kräfte  des  Kindes  rasch  erschöpfte. 

Dabei  verhehle  ich  mir  jedoch  keineswegs,  dass  der  Tod 
durch  die  neu  eintretende  Schädlichkeit  um  so  leichter  herbei- 
geführt werden  konnte,  als  das  Kind  durch  die  Operation  ge- 
schwächt und  durch  das  sich  daran  anknüpfende  Fieber  in 
seinem  Körpergewicht  wesentlich  reducirt  worden  war. 

Aber  selbst,  wenn  diese  Schwächung  durch  die  Jod- 
injection  zugegeben  werden  muss,  so  bleibt  doch  immer  noch 
die  relative  Toleranz  der  erweiterten  Gebimventrikel  gegen 
grosse  Dosen  Jod  als  eine  beachtenswerthe  biologische  Er- 
scheinung bestehen. 

Wie  die  Untersuchung  der  Auskleidungsmembran  des  in- 
jicirten  Ventrikels  beweist,  hatte  das  Jod  in  demselben  eine 
Art  von  Adbäsiventzündung  erzeugt,  zugleich  das  Quantum 
der  ergossenen  Flüssigkeit  etwas  vermindert  und  den  Eiweiss- 
gehalt  derselben  wesentlich  erhöht. 

Als  unmittelbare  Jodwirkung  ist  demnach  eine  Adbäsiv- 
entzündung der  Ventrikelwand  mit  einer  Tendenz  zur  Ver- 
kleinerung der  Höhle  zu  constatiren. 

Von  den  klinischen  Begleiterscheinungen  dieses  entzünd- 
lichen Vorganges  im  Ventrikel  ist  besonders  der  Verlauf  des 
Fiebers,  wie  er  in  der  Curve  sich  darstellt,  beachtenswerth. 

Die  Ausscheidung  des  Jods  durch  die  Nieren  hatte,  wie 
es  scheint,  einen  gewissen  Grad  von  Nierenreizung  verur- 
sacht 

Die  Nachweisbarkeit  des  Jods  im  Harn  währte  14  Tage 
und  das  Verschwinden  des  Fiebers  fiel  mit  dem  Verschwinden 
des  Jods  im  Harn  zeitlich  zusammen. 


Jodinjection  Id  den  Gehirn  Ventrikel  b.  Hjdrocephalus  chron.  int.     373 

Das  ist  wohl  in  Kürze  das  Wesentlichste ,  was  der  mit- 
getheilten  Beobachtung  zu  entnehmen  ist 

Fragen  Sie  mich  nun,  ob  ich  bei  einem  zweiten  sich 
etwa  in  Zukunft  mir  bietenden,  ähnlich  gelagerten  Falle  mich 
berechtigt  halten  wQrde,  wieder  ähnlich  zu  verfahren,  so  ant- 
worte ich:  ja. 

Ich  Würde  zwar  jedenfalls  mit  schwächeren  Injectionen 
beginnen,  aber,  so  skeptisch  ich  an  die  Sache  herantrat,  so 
scheint  doch  wirklich  die  Möglichkeit  vorzuliegen,  das  Epen- 
djm  des  erweiterten  Gehirn  Ventrikels,  ohne  dabei  das  Leben 
zu  sehr  zu  gefährden,  durch  Jodinjection  in  ähnlicher  Weis* 
zu  beeinflussen^  wie  wir  z.  B.  bei  Hydrocele  die  secretorische 
Thätigkeit  der  Tunica  vaginalis,  durch  Einleitung  von  Ad- 
häsiventzündung,  zu  beseitigen  im  Stande  sind. 

Natürlich  wird  von  den  Jodinjectionen  bei  Hydrocephalus 
nur  dann  etwas  zu  erwarten  sein,  wenn  das  Leiden  noch  nicht 
gar  zu  weit  vorgeschritten  ist. 

Was  freilich  damit  erreicht  sein  würde,  wenn  es  wirk- 
lich gelänge,  den  Wassererguss  in  die  Gehirnventrikel  zu  be- 
seitigen oder  doch  wesentlich  zu  beschränken,  wie  dann  die 
Gehirnfunctionen  sich  entwickeln  würden,  darüber  fehlen  zur 
Zeit  alle  Anhaltspunkte. 


Axel  JohanDeBsen:  Studien  z.  Secretionsphysiologie  d.  Frauenmilch.    381 

der   Secretion    selbst    in   jedem   Augenblick   wird   verändern 
können. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  man  in  der  kurzen 
Zeit,  welche  hier  auf  dem  Congresse  einem  Vortrag  zugemes- 
sen ist,  nur  ganz  flüchtig  einzelne  der  gefundenen  Resultate 
wird  skizziren  können,  welche  ich  übrigens;  obwohl  meine 
Untersuchungen  sich  bereits  über  ein  halbes  Jahr  ausgedehnt 
haben;  noch  ferner  zu  erweitern  suche,  namentlich  um  Auf- 
schlüsse zu  gewinnen  über  die  Menge  des  Secrets  und  dessen 
Beziehung  zur  Ernährung. 

Als  Material  habe  ich  Frauen  benutzt,  die  mit  ihren  er- 
krankten kleinen  Kindern  die  üniversitätspoliklinik  für  Kinder- 
krankheiten zu  Kristiania;  besucht  haben.  Untersucht  wurden 
im  Ganzen  25  Frauen  in  einem  Alter  von  20 — 46  Jahren, 
von  Ipara  zu  VIII  para,  vom  1.  bis  zum  13.  Monat  der  Stil- 
lung, eine  im  19.  und  eine  sogar  im  21.  Monat. 

Von  den  untersuchten  Frauen  waren  8  Brünetten,  11  Blon- 
dinen, 6  hatten  dunkles  Haar  und  blaue  Augen.  Eine  war 
unverheirathet,  die  übrigen  verheirathet  mit  Arbeitern,  Hand- 
werkern oder  Kaufleuten.  Eine  war  vom  Lande,  die  übrigen 
wohnten  in  Kristiania  und  zwar  meistens  in  dürftigen  Ver- 
hältnissen. 

Bei  den  meisten  wurden  die  Untersuchungen  täglich  Mo- 
nate hindurch  vorgenommen,  andere  konnten  nur  mit  kür- 
zeren oder  längeren  Unterbrechungen  untersucht  werden,  ein*- 
zelne  nur  einige  wenige  Male. 

Die  Untersuchungen  wurden  auf  folgender  Weise  aus- 
geführt: Zuerst  wurde  die  Frau  untersucht,  ihr  Körperbau, 
die  Brüste,  die  Warzen;  es  wurde  eine  genaue  Anamnese  auf- 
genommen über  ihre  Ent Wickelung,  Kindbetten  und  Krauk- 
heiteu.  Sodann  wurde  das  Kind  untersucht,  seine  Entwicke- 
lung,  Gesundheitszustand,  Maass  und  Gewicht.  Femer  wurde 
angemerkt,  was  die  Mutter  in  den  letzten  24  Stunden  ge- 
nossen hatte,  sowohl  an  Qualität  als  an  Quantität.  Um 
genaue  Bestimmungen  des  Gewichts  der  genossenen  Nahrungs- 
mittel zu  erhalten,  assen  die  Frauen  sehr  oft  im  Kranken- 
hause,   wo   die  Speisen   abgewogen  oder  zugemessen  wurden. 

Nachdem  die  Frau  zum  letzten  Mal  vor  3  —  4  Stunden 
die  Brust  gegeben  hatte,  oder  bei  den  kleinsten  Kindern  vor 
2-^3  Stunden,  wurde  das  Kind  an  die  Brust  gelegt,  und 
man  liess  es  1 — 2 mal  saugen,  darauf  wurde  zuerst  an  der 
rechten,  dann  an  der  linken  Warze  ein  Saugglas  applicirty 
welches  50  —  60  ccm  aufnahm  und  mit  einem  Guttapercha- 
schlauch mit  Mundstück  versehen  war.  Bei  der  Verbindung 
zwischen  dem  Schlauch  und  dem  Saugglas  war  etwas  ge- 
reinigte Watte.     Durch    den   Schlauch    sog   dann   die  Mutter 

26* 


XIX. 
Beobaehtangen  ttber  Darminvagination  bei  Kindem. 

Vortrag  gehalten  in  der  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde 

in  Wien  1894. 

Von 

Prof.  H.  HiRSGHSPRUNG,  Kopenhagen. 

Mit  Tier  Tafeln. 

Die  Darminvagination  ist  eine  Krankheit,  die  durch  ihr 
häufiges  Vorkommen  im  Kindesalter,  und  zwar  vorzugsweise 
bei  kleinen  Kindern,  dem  Kinderarzte  ein  ganz  ungemeines 
Interesse  darbietet,  eine  Krankheit  von  so  eminenter  Bedeu- 
tung fQr  das  Leben  des  befallenen  Kindes,  dass  das  nie  ge- 
schwächte Interesse  mit  jedem  neuen  Falle  wiederum  erregt 
wird.  Ob  die  Natur,  sich  selbst  überlassen,  die  Heilung  je 
bewerkstelligen  könne,  wird  immer  in  hohem  Grade  zweifel- 
haft bleiben;  der  Einsatz  ist  in  jedem  vorkommenden  Falle 
das  Leben  des  Kindes. 

Schon  früh  ward  meine  Aufmerksamkeit  auf  diese  Krank- 
heit hingelenkt.  Im  Jahre  1877  veröffentlichte  ich  eine  Reihe 
von  acht  Fällen,  und  im  Jahre  1884,  beim  internationalen 
ärztlichen  Congress  zu  Kopenhagen,  brachte  ich,  an  neun- 
zehn von  mir  selbst  beobachtete  Fälle  anknüpfend,  die  Häufig- 
keitsverhältnisse der  Krankheit  zur  Discussion.  Während  der 
seitdem  vergangenen  Zeit  sind  neue  Fälle  fortwährend  zu- 
geströmt. Im  Juli  1873  behandelte  ich  meinen  ersten  Fall, 
und  am  Abschluss  der  vorliegenden  Arbeit,  im  Juli  1894, 
also  nach  21  Jahren,  verfüge  ich  über  nicht  weniger  als 
64  Fälle  bei  61  Kindern  (bei  drei  Individuen  wiederholte 
sich  die  Krankheit  mit  Zwischenräumen  von  Monaten  bis  zu 
einem  Jahre).  Die  Mehrzahl  der  Fälle  wurde  im  Kinder- 
hüspitale  beobachtet  und  behandelt,  nur  einige  in  der  Privat- 
praxis. In  jedem  einzelnen  Falle  ist  die  betreffende  Kranken- 
geschichte an  sich  hinlänglich  bezeichnend,  jo^eschweige  denn 
die  oftmals  am  Sectionstische  erhaltene  Bestätigung  der  Dia- 


i 


Invaginaüo  ileo-coecalis. 

11  Fälle. 


IHt,  Graefnnüsr  in  allai  f'äBai    im.  Lebm.  naduforiett 
JiJirb.i:Biiäa*allaiiidi,Bil.imX. 


h 


Invaginalio    coli 

7  Fälle. 


Tafel  n. 


•44. 


1  @ 


«  v: 


S2. 


5U. 


se. 


Geschwulst  in  aßen  Fällen,  fujuh^ewrusen,  am,  SxtnkenJbett 
*  Ve.  Gesdorulst,  sehr  hewetfHih. 


'.Binmrr 


Jahrb.  f.Mmderhalkuiide .  Bd^lSSXEK. 


Jith.Ansl  r.t'Kir.t. 


Tafel  M. 


Iiivaginalio     ilii . 

6  Pälle . 


•/;: 


30. 


51. 


61 


«e. 


^oül:  Gesdcsndst  erst  heb  der  Sektion^  rvou^ewteseju. 
*  ij.  J)it>  Gesdamlst  sehr  hetngUdh/. 


fM  K  CBüimtr. 


Jahrb.  f.mndaitalhm£bb,BdxJXinC. 


2ä1LAi£t^.CM 


400  H.  HirachspraDg: 

des  Misslingens  mu88  hauptsächlich  in  den  kleinen  Dimen- 
sionen der  Geschwulst  gesucht  werden.  Dies  gilt  beson- 
ders Yon  der  Inv.  ileo-colica:  in  drei  Fällen  war  die  bei  der 
Section  nachgewiesene  Länge  nur  resp.  6,  8,  10  cm.  Bei  der 
Inv.  ilei  war  sie  durchschnittlich  etwas  grosser:  in  vier  Fällen 
zwischen  8  und  10  cm.  Bei  dem  opiumvergifteten  Kinde  hatte 
die  Geschwulst  eine  Länge  von  14  cm,  und  hier  war  der 
Nachweis  gelungen. 

In  beiden  Formen  der  Dünndarminvagination  wird  die 
Geschwulst  in  der  rechten  Seite  zu  sucheu  sein,  es  giebt 
aber  Ausnahmen.  Unter  6  Inyaginationes  ilei  fand  man 
sie  viermal  in  der  rechten  Seite,  was  darauf  zu  beziehen 
ist,  dass  8ich  die  Invagination  am  häufigsten  im  untersten 
Theile  des  lleums  bildet  —,  einmal  über  dem  Nabel,  aber  in 
solchem  Maase  beweglich,  dass  sie  manchmal  in  der  rechten 
Seite  gefunden  wurde,  wo  sie  zweifelsohne  ihr  Domicil  hatte, 
und  einmal  in  der  linken  Seite,  weil,  wie  schon  erwähnt, 
im  oberen  Theile  des  Dünndarms  entstanden.  Unter  den 
5  Fällen  von  luv.  ileo-colica  war  die  kleine  Geschwulst 
viermal  in  der  rechten  Seite  des  Unterleibes  belegen,  einmal 
aber  links,  wo  sie  bei  der  Laparotomie  gefunden  wurde. 

Da  der  unterste  Theil  des  lleums  es  ist,  welcher  darch 
die  Klappe  dringt,  wird  es  nicht  überraschen  können,  dass 
die  Geschwulst  am  häufigsten  rechts  gefunden  wird.  Besinnt 
man  sich  indessen  auf  die  grosse  Beweglichkeit  des  kind- 
lichen Blinddarms  und  geht  man  von  der  Voraussetzung  aus, 
eine  gewisse  Festigkeit  der  Lage  des  Blinddarms  sei  die  Be- 
dingung, dass  der  Darm  sich  durch  die  Klappe  hinunterschiebe, 
dann  muss  es  eher  Wunder  nehmen,  dass  diese  Form  der 
Invagination  überhaupt  zu  Stande  kommen  kann.  In  der 
That  war  auch  in  den  beiden  ersten  Fällen  das  Coecum  durch 
ein  ganz  kurzes  Gekröse  straff  befestigt  Spätere  Erfahrungen 
haben  jedoch  zur  Genüge  bewiesen,  dass  die  Voraussetzung 
nicht  stichhaltig  ist^  und  dass  das  Ileum  sich  den  Weg  durch 
ein  flottirendes  Coecum  unschwer  bahnen  kann.  Es  soll 
hinzugefügt  werden,  dass  bei  keinem  der  betreffenden  In- 
dividuen die  Klappe  mangelhaft  gefunden  wurde,  das  Gegen- 
theil  ist  vielmehr  der  Fall  gewesen. 

Aus  der  obigen  Auseinandersetzung  wird  man  sich  von 
der  hervorragenden  Bedeutung  überzeugt  haben  ^  welche  zur 
Lösung  der  Aufgabe,  am  kindlichen  Krankenbette  die  ver- 
schiedenen Formen  der  Invagination  zu  unterscheiden  ^  der 
Geschwulst  beizulegen  ist.  Die  Lage  der  Geschwulst,  ihre 
Grösse,  ihre  Form,  ob  sie  leicht  oder  etwa  gar  nicht  nach- 
gewiesen werden  kann,  die  übrigen  Eigenthümlichkeiten,  welche 


Beobachtungen  über  Darminvagination  bei  Kindern.  401 

sie  darbietet;  das  sind  die  Momente,  aus  welchen  mau  seine 
Schlussfolgerungen  zieht.  Auch  von  anderer  Seite  empfangt 
man  ja  Beiträge ,  deren  Bedeutung  für  eine  so  schwierige 
Aufgabe  nicht  unterschätzt  werden  darf«  Alles  wohl  über- 
legt, wird  es  vielleicht  nicht  zu  dreist  erscheinen,  als  das 
Resultat  dieser  Erwägungen  auszusprechen,  dass  es  manch- 
mal möglich  sein  wird,  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 

die  differentielle  Diagnose  zwischen  der  Invaginatio  ilei 
upd  der  Invaginatio  ileo-colica  auf  der  einen,  der  Invagi- 
natio ileo-coecalis  und  der  Invaginatio  coli  auf  der  andern 
Seite  zu  machen,  und  dass  man  in  mehrfachen  Fällen 
durch  aufmerksame  Beobachtung  die  beiden  letztgenannten 
Formen  von  einander  wird  unterscheiden  können. 

Dies  sind  Fragen  von  nicht  nur  wissenschaftlichem  Inter- 
esse. Dass  die  Entscheidung  auch  von  praktischer  Bedeutung 
wird  sein  können,  werde  ich  zu  berühren  veranlasst  werden, 
indem  ich  jetzt  zur  Erörterung  derjenigen  Behandlung  über- 
gehe, welche  sich  in  dem  Erankenhause,  wo  ich  meine  Er- 
fahrungen zusammengelesen,  zur  Methode  entwickelt  hat. 

Das  Chloroform  ist  ein  unentbehrliches  Hilfsmittel  ge- 
worden. Man  chloroformirt  auf  den  Verdacht  hin,  es  liege 
eine  Invagination  vor,  um  seinen  Verdacht  entweder  bestätigt 
oder  entkräftet  zu  sehen,  und  man  chloroformirt  auch,  wenn 
die  Diagnose  völlig  gesichert  ist,  um  die  Sachlage  genauer 
zu  untersuchen.  Man  gebraucht  ferner  die  fortdauernde  Nar- 
kose, um  durch  Abschwächung  der  Bauchpresse,  vielleicht 
auch  der  peristaltischen  Bewegung  der  anzuwendenden  Be- 
handlung die  günstigsten  Bedingungen  zu  bereiten. 

Bis  vor  wenigen  Jahren  war  die  Wassereinspritzung  die- 
jenige Behandlung,  welche  nach  festgestellter  Diagnose  gleich 
ins  Werk  gesetzt  wurde.  In  den  letzteren  Jahren  hat  sich 
aber  die  methodische  Massage  zur  Seite  der  Einspritzung 
zur  Seite  gestellt  und  wird  jetzt  in  jedem  geeigneten  Fall  zur 
Anwendung  gebracht.  Ohne  jeden  Zweifel  wird  sich  das  Feld 
der  Massagebehandlung  erweitem.  Theoretisch  eignet  sie  sich 
für  alle  Fälle,  in  der  Praxis  hat  sie  aber  eine  gewisse  Begren- 
zung. Sie  muss  so  frühzeitig  angewendet  werden,  dass  die 
durch  die  Blutstauung  hervorgerufene  Intumescenz  keinen  un- 
überwindlichen Widerstand  leistet.  Die  Geschwulst  muss  leicht 
zugängig  sein  und  der  Bauch  so  schlaff,  dass  sie  angefasst, 
manipulirt  und  comprimirt  werden  kann.  Auch  muss  die  Behand- 
lung geduldig  während  etwa  zehn  Minuten  fortgesetzt  werden. 
Auf  diese  Weise  wurden  bei  uns  vier  Kinder  zwischen  vier 
und  9  Monaten  geheilt.    Es  war  mein  dan^iliger  erster  Assi- 


402  H.  HirBchsprong; 

steDty  Herr  Dr.  Weich  mann,  der  die  Methode  in  unserem 
Erankenhause  mit  Glück  inaugurirte.  Ein  paarmal  f&hlte, 
man  deutlich  die  Reposition  mit  Plätschern  (gargouillement) 
vor  sich  gehen.  Jedenfalls  thut  man  am  besten,  das  Resultat 
durch  eine  nachfolgende  Einspritzung  zu  sichern.  Weit  öfter 
ivurde  die  Massage  allerdings  ohne  Nutzen  angewendet.  Sie 
ist  aber  so  rationell,  in  so  geringem  Grad  eingreifend,  so 
wenig  irgend  eine  nachherige  Behandlung  präjudicirend,  dass 
sie  versucht  zu  werden  verdient.  Namentlich  den  Dünndarms- 
invaginationen  gegenüber  würde  die  Massage  ausgezeichnet 
an  ihrem  Platze  sein,  weil  die  übliche  Behandlung  bei  diesen 
Formen  fehlschlagen  wird.  Unglücklicherweise  ist  gerade  bei 
dieser  Localisation  die  Geschwulst  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
unzugänglich,  es  sollte  denn  sein,  man  wäre  so  glücklich, 
den  Kranken  sehr  früh  in  die  Behandlung  zu  bekommen.  Ist 
in  solchen  Fällen  die  Massage  vergebens  versucht  worden, 
würde  es  meiner  Meinung  nach  vorzuziehen  sein,  von  jeder 
anderen  Behandlung  abzusehen  und  unverzüglich  zur  Operation 
zu  schreiten. 

In  jedem  anderen  Falle  geht  man,  wenn  sich  die  Mas- 
sage erfolglos  gezeigt  hat,  in  derselben  Sitzung,  während  das 
Kind  anhaltend  tief  chloroformirt  ist,  zur  Wasser  ein  spritzung 
über.  Dieselbe  wird  bei  uns  stets  mit  der  Eljsopompe  und 
bei  hochgelagertem  Becken  vorgenommen.  Um  das  Wasser 
möglichst  weit  hinaufzubringen,  geschieht  die  Einspritzung 
durch  eine  Oser'sche  Rohre,  die  in  den  Mastdarm  hinein- 
geführt wird,  während  die  Analöffnung  von  einem  Gehilfen 
so  dicht  wie  möglich  um  die  Röhre  herum  festgehalten  wird. 
Der  Widerstand  ist  in  der  Regel  leicht  zu  überwinden,  so- 
bald das  Einströmen  des  Wassers  beginnt;  selbst  die  im 
Rectum  etwa  befindliche  Geschwulst  weicht  leicht  zurück,  die 
Gummiröhre  rückt  immer  weiter  vor  und  bald  spürt  man 
deren  Spitze  durch  die  Bauchwand.  Eine  auf  dem  Unter- 
leibe angebrachte  Hand  sucht  den  Strom  durch  einen  leichten 
Gegendruck  zu  reguliren.  Oft  strömt  das  Wasser  kurz  nach 
Anfang  des  Verfahrens  mit  unwiderstehlicher  Kraft  wieder 
heraus,  und  die  Procedur  muss  wiederholt  werden,  um  dies- 
mal vielleicht  zu  gelingen;  in  manchen  anderen  Fällen  wird 
der  Dickdarm  schnell  gefüllt,  es  zeigt  sich  eine  gleichmässige 
Ausspannung,  auch  die  früher  vielleicht  leere  Partie  in  der 
Fossa  iliaca  fühlt  sich  ausgefüllt,  und  der  Zeitpunkt  ist  da, 
wo  eine  Fortsetzung  unrathsam  erscheint.  Das  eingespritzte 
und  zurückgehaltene  Wasser  kann  sich  auf  10  —  1200  g  be- 
laufen. Das  Herausströmen  des  Wassers  lässt  man  langsam 
und  durch  die  zurückgelassene  Röhre  geschehen.  Uebrigens 
ist  der  Darm  an  sich  geneigt,  das  Wasser  nicht  auf  einmal, 


BeobachtuDgen  über  Darminvaginatioii  bei  Kindern.  403 

sondern  stossweise  auszutreiben.  Macht  man,  während  das 
Wasser  noch  drinnen  ist,  eine  Exploration  des  Mastdarms, 
so  wird  man  die  Schleimhaut  ad  maximum  aufwärts  gezogen 
finden.  Man  darf  selbst  nach  gelungener  Reposition  nicht 
erwarten,  das  zurückströmende  Wasser  mit  Excrementen  ge- 
mischt zu  finden;  solche  erscheinen  in  der  Regel  erst  nach 
mehreren  Stunden. 

Es  entsteht  jetzt  die  schwierige  Frage,  ob  die  Repo- 
sition gelungen  sei.  In  dieser  Beziehung  kann  man  im 
gegebenen  Äugenblicke  noch  nichts  durchaus  Sicheres  wissen. 
Zwar  geschieht  es,  dass  man  während  der  Affaire  durch  die 
bei  der  Reposition  der  Brüche  bekannte  Empfindung  einen 
bestimmten  Eindruck  bekommen  kann,  solches  ereignet  sich 
aber  höchst  selten.  Dass  man  keine  Geschwulst  fühlt,  ist 
nicht  entscheidend;  dieselbe  konnte  sich  z.  B.  unter  die  Leber 
erstreckt  haben.  Die  Geschwulst  könnte  auch  bis  auf  eine 
ganz  kleine  Partie  reducirt  sein,  den  ursprünglichen,  nicht 
reponirten  Anfang  der  Affection  enthaltend,  aus  welchem  sich 
die  Geschwulst  sehr  bald  in  der  früheren  Gestalt  wiederum 
entwickeln  wird.  Einen  sicheren  Beweis,  dass  die  Passage 
reconstruirt  und  die  Krankheit  gehoben  ist,  bekommt  man 
erst  in  die  Hände,  wenn  Fäcalien  den  Weg  nach  dem  Mast- 
darme gefunden  haben  und  die  Geschwulst  definitiv  ver- 
schwunden ist.  Dieses  muss  man  mit  Resignation  abwarten, 
während  man,  um  dem  Kinde  und  seinem  Darm  Ruhe  zu  ver- 
schaffen, eine  passende  Gabe  Opium  reicht. 

Entschieden  leichter  ist  es,  festzustellen,  dass  die  Ope- 
ration misslungen  ist.  Spürt  man,  wenn  der  Unterleib  sich 
wieder  durchtasten  lässt,  am  vorigen  Orte  oder  anderswo  eine 
Geschwulst,  die  etwa  kleiner  ist  als  die  ursprüngliche,  aber 
zu  gross,  um  für  eine  geschwollene  Gekrösdrüse  gehalten  zu 
werden,  die  mitunter  in  der  Coecalgegend  gefunden  wird,  und 
die  nicht  länglich  und  dünn  ist  —  was  auf  die  zurückgeblie- 
bene Infiltration  des  occupirt  gewesenen  Darmtheiles  deuten 
könnte  — ,  dann  ist  zu  befürchten,  die  Einspritzung  sei  miss- 
lungen, und  ebenso  verhält  sich  die  Sache,  wenn  einige  Zeit 
nach  Abgang  des  Wassers  wiederum  blutiger  Schleim  in 
grösserer  Menge  entleert  wird.  Die  ursprüngliche  Geschwulst 
wird  unter  diesen  Umständen  nicht  lange  auf  sich  warten 
lassen. 

Demnächst  entsteht  die  Frage,  ob  man  einen  neuen  Ver- 
such machen  oder  unaufhaltsam  zum  letzten  Act,  zum  ope- 
rativen Eingriff  schreiten  solle.  Früher  bin  ich  sehr  geneigt 
gewesen,  den  Versuch  zu  wiederholen.  Die  Erfahrung  hatte 
von   günstigem  Erfolge   nach  5 — 6   Versuchen   belehrt.    Das 


404  H.  Hincbsprung: 

Bestreben  aber,  die  muthmaassliche  Localitat  der  Krankheit 
zu  berQcksichtigen  und  die  Behandlang  jener  anzupassen, 
wird  ein  etwas  abgeändertes  Verfahren  fordern.  Ich  habe 
schon  oben  berührt,  wie  ich  mich  künftig  bei  angenom- 
menen Dünndarm  -  Invaginationen  verhalten  werde.  Einem 
sicheren  oder  in  hohem  Grade  wahrscheinlichen  Falle  yon 
Ileo-coecal-Inyagination  gegenüber,  in  welchem  eine  gründ- 
liche Wassereinspritzung  erfolglos  gemacht  ist,  glaube  ich 
ebenfalls,  es  wäre  rathsam,  die  Zeit  nicht  zu  verlieren,  son- 
dern, falls  die  Umstände  übrigens  ermuthigend  ^sind,  so  bald 
als  möglich  den  Kranken  zur  operativen  Behandlung  abzu- 
geben. Dagegen  meine  ich,  man  solle  sich  in  dieser  Be- 
ziehung nicht  übereilen,  falls  man  mit  einer  ausgemachten 
Coloninvagination  zu  thun  hat  und  zwar  besonders  mit  der- 
jenigen Form,  die,  wie  es  meistens  geschieht,  im  8  romanum 
ihren  Sitz  hat;  hier  werden  erneute  Versuche  an  ihrem  Platze 
sein.  Die  Hoffnung,  der  Ausgang  werde  am  Ende  glücklich 
sein,  darf  man  auch  in  solchen  Fällen  hegen,  die  nach  ver- 
meintlicher Reposition  sich  stets  reproduciren,  besonders  wenn 
die  Durchgängigkeit  des  Darmes  nicht  zu  jeder  Zeit  ganz 
aufgehoben  zu  sein  scheint. 

In  Erwägung  der  verhältnissmässig  guten  Erfolge  der 
bisher  im  Krankenhause  üblichen  Behandlung,  in  welcher  der 
operative  Eingriff  eine  wenig  hervortretende  Rolle  gespielt 
hat,  wird  es  einleuchten,  dass  ich  mich  denjenigen  CoUegen 
nicht  anschliessen  kann,  welche  die  Operation  in  den  Vorder- 
grund stellen.  Bei  anderen  Formen  der  Darmocclusion  — 
ja!  nicht  aber  bei  der  Invagination.  Ich  will  durchaus  sicher 
sein,  dass  mit  jedem  anderen,  zur  Verfügung  stehenden  Mittel 
das  Möglichste  zur  Vermeidung  der  Operation  versucht  ist. 
Im  Kinderhospitale  sind  in  den  Jahren  1883  bis  1893  5  Laparo- 
tomien vorgenommen  und  zwar  nicht  immer  im  letzten  Augen- 
blick. Die  Kinder  waren  4Vi  bis  8  Monate  alt,  der  Ausgang 
war  überall  letal. 

Im  Kampf  zwischen  der  Laparotomie  und  der  Entero- 
tomie  bei  der  Invagination  hat  erstere  die  Oberhand  ge- 
wonnen, ein  Sieg,  der  natürlich  durch  die  glänzenden  Resul- 
tate der  Unterleibschirurgie  selbst  bei  den  kühnsten  Ein- 
griffen herbeigeführt  wurde.  Moglicherweise  mochte  doch 
die  allerdings  weniger  radicale,  aber  auch  viel  weniger  ein- 
greifende Enterotomie  in  gewissen  Invaginationsföllen  zur 
Rettung  des  Kindes  berufen  sein.  Im  Kinderbospitale  ist  die 
eben  genannte  Operation  zweimal  vorgenommen,  das  eine  Mal 
mit  glücklichem  Erfolge. 


V 


BeobachtungeD  über  DarminTagination  bei  Kindern.  405 

Es  handelte  sich  om  ein  22  Monate  altes  Mftdcben,  dessen  Krank- 
heit bei  der  Aufnahme  zwei  Tage  bestand.  Sie  litt  an  einer  Dick- 
darminvagination  mit  wiederholtem  Prolaps.  Die  Form  war  nicht  ge- 
nauer bestimmt  worden.  Die  Geschwulst  erstreckte  sich  vom  Rippen- 
bogen bis  in  das  Becken.  Da  die  Krankheit  der  gewöhnlichen  Be- 
handlung nicht  wich  und  der  Zustand  sich  verschlimmerte,  entschloss 
man  sich  für  die  Operation  und  zog  aus  verschiedenen  Gründen  die  An- 
legung eines  künstlichen  Anus  vor.  Es  strömte  Luft  aus  dem  rechter- 
seits  geöffneten  Dünndarme,  auch  Darmschleim,  aber  keine  Excremente. 
Das  Erbrechen  liess  nach,  den  Tag  nachher  gingen  Excremente  auf 
natürlichem  Wege  ab,  und  am  dritten  Tage  war  die  Geschwulst  völlig 
verschwunden. 

In  der  Discussion  über  Ileus  (Wiesbaden  1889)  bemerkte 
Schede,  er  lege  in  Fällen  von  Darmocclusion  uDsieberen  Ur- 
sprunges immer  einen  künstlichen  Anus  in  der  Coecalgegend 
an.  Die  Operation  wäre  nicht  in  allen  Fällen  nur  palliativ 
geblieben ;  in  drei  Fällen  wäre  die  Occlusion  nach  drei  oder 
vier  Tagen  gehoben  gewesen.  Anlässlich  des  soeben  an- 
geführten Falles  sind  mir  Schede's  Aeusserungen  in  den 
Sinn  gekommen  und  ich  werde  dieselben  in  künftigen  Fällen 
nicht  vergessen. 


XX. 

Zur  Frage  Aber  die  Pflege  der  Findelkinder/) 

Von 

J.  W.  Troitzky, 

PrlT»tdooont  fOr  KlDderhaUkunde  %.  d.  WlAdimlr-UnlrerBittt  in  Kiew. 

Wenn  man  die  umfangreiche  medicinische  Literatur  der 
letzten  Zeit  über  die  yerbesserte  Pflege  und  Obsorge  der 
untergeschobenen  beziehungsweise  der  Findelkinder,  welche  der 
SchicksalswillkQr  preisgegeben  sind,  genau  in  Betracht  zieht^ 
so  kommt  man  zu  der  klaren  und  anschaulichen  Uebei^ 
Zeugung,  dass  es  dem  Ende  des  19.  Jahrhunderts  aufbe- 
wahrt bleibt,  die  eine  oder  die  andere  Lösung  dieses  grossen 
Problems  zu  finden.  Nachdem  die  wissenschaftliche  Me- 
dicin  aufgestellt,  die  unwandelbaren  Wahrheiten  im  Sinne 
der  regelmässig  systemisirten  und  moralischen  Kinderentwicke-^ 
lung  dargelegt,  alle  Folgen  der  systematischen  Verletzungen 
als  Haupterforderniss  der  Gesundheitslehre  vorgeschrieben  sind, 
so  ist  es  die  heiligste  Pflicht  des  jetzigen,  dem  darauffolgen- 
den 20.  Jahrhundert  den  vollständig  ausgearbeiteten  Codex  der 
wissenschaftlichen  und  heilsamen  Obsorge  über  das  Wesen 
und  die  Natur  dieser  Unglücklichen  zu  hinterlassen,  da  sie 
in  der  Wirklichkeit  Niemand  angehören,  doch  aber  immer 
Gefahr  laufen,  Jedermanns  Eigenthum,  der  es  nur  immer 
wünscht^  zu  werden. 

Eine  kurze  Uebersicht  über  die  frühere  Thätigkeit  im 
Gebiete  der  Findelkinder -Pflege  stellt  ein  ganz  praktisches 
Interesse  dar,  da  auf  diese  Art  durch  Aufklärung  der  früher 
begangenen  Fehler  immer  Eingang  zur  Erkenntniss  der  Wahr- 
heit gefunden  wird  und  die  Erreichungsstufe  der  letzteren  da- 
bei im  geraden  Verhältnisse  zur  Aufdeckung  der  ersten  steht. 
Vom  rein  historischen  und  wissenschaftlichen  Gesichtspunkte 
ans   hat   die   historische  Uebersicht   zum    Zwecke   zu    zeigen, 

1)  Diese  Arbeit  wird  dem  YIU.  internatioDalen  CongreBS  für  ^7giene 
und  Demographie  sa  Badapeat  gewidmet. 


1 


J.  W.  Troitzky:  Znr  Frage  über  die  Pflege  der  Findelkinder.    407 

wie  lang  schon  die  Idee  zar  unerlässlichen  Sorgfalt  für  die 
Findelkinder  aufgetaucht  ist,  wie  sich  diese  Idee  verwirklicht 
hatte,  wie  grausam  das  Alterthum  in  Hinsicht  auf  die  Findel- 
kinder war  und  welchen  entsetzlichen  Versuchen  und  Ver- 
stümmelungen im  Namen  legaler  Ausrottung  diese  unglück- 
lichen Geschöpfe  ausgesetzt  waren,  worin  man  ein  gutes  Werk 
sah  und  sich  um  die  Frage  über  die  Resultate  ähnlicher  Pflege 
der  lebenden  Kinder  und  um  deren  weiteres  Schicksal  gar 
nicht  kümmerte.  Die  ganze  Welt,  mit  Ausschluss  Egyptens  bis 
zur  christlichen  Aera,  fürchtel;e  den  Ueberfluss  der  Bevölke- 
rung, und  liess  daher  die  physisch  schwachen  Leute  oder 
Krüppel  gar  nicht  zu,  weshalb  zu  dessen  Vorbeugung  der 
Kindermord  ihrer  eigenen  Kinder  durch  die  Eltern  gar  nicht 
zum  Verbrechen  angerechnet  wurde.  In  Rom  zur  Zeit  der 
Republik  ist,  sagt  L.  A.  Montier^),  das  Aussetzen  der 
Kinder  an  solche  Plätze,  wo  sie  ihren  Untergang  unfehlbar 
finden  mussteo  ,  zur-  täglichen  Erscheinung  geworden ;  wenn 
sich  aber  Jemand  solcher  Kinder  annahm,  so  geschah  dies 
zum  Zwecke,  sie  zu  verstümmeln,  ihnen  die  Augen  auszu- 
stechen, die  Füsse  zu  zerbrechen  u.  s.  w.  Ott  hat  der  Vater 
die  Frage  über  die  Untauglichkeit  seines  Kindes  in  Gegen- 
wart von  fünf  Verwandten  gelöst,  wonach  seine  Existenz 
für  unwürdig  erklärt  und  das  Kind  auf  die  „Columna  lac- 
teria",  den  Allen  bewussten  Ort  getragen  wurde,  wo  Jeder- 
mann das  vollste  Recht  hatte,  sich  den  Findling  zur  Erziehung 
zu  nehmen  (Uffelmann  ^)).  In  Ermangelung  aber  der  Lieb- 
haber oder  Menschenfreunde,  sich  dieses  originellen  Antrages 
zu  erfreuen,  mussten  die  Kinder  oft  vor  Hunger  sterben  (Silber- 
schlag*)). 

Unter  allen  Nationen  der  alten  Welt  waren  die  Griechen 
die  ersten,  welche  in  Einklang  mit  SoIod's  Bestimmungen 
die  allgemeine  Kinderpflege  der  im  Kriege  gefallenen  Väter 
in  Ausübung  brachten,  wobei  die  Erziehung  nahe  an  20  Jahre 
fortgesetzt  wurde,  wenn  die  Kinder  in  den  Besitz  der  von 
den  Eltern  ihnen  zur  Verfügung  gestellten  Verlassenschaft 
getreten  sind.  Die  allgemeine  Obsorge  für  arme  Kinder  war 
schon  zur  Zeit  Trajan's  mit  der  ehren werthen  Ziffer  von 
5000  Pflegebefohlenen  in  der  einzigen  Stadt  Rom  zum  Aus- 
druck gebracht,  woran  in  dieser  Beziehung  auch   die  Privat- 

1)  ContribntioD  ä  Thistoire  de  la  protection  de  Tenfance  k  Rome. 
These  de  Paris  Nr.  866.    1884.    p.  85. 

2)  Handbuch  der  privaten  und  Öffentlichen  Hygiene  des  Kindes. 
Leipzig  1881.    S.  9. 

8)  Ueber  die  Kindermorde  im  Alterthnme  nnd  über  die  Pflege 
der  sogenannten  Haltekinder  in  heutiger  Zeit.  Deutsche  Vierteljabr- 
schrift  für  öffentliche  Gesundheitspflege  1881.  Band  XIII.  Heft  2.  S.  199 
—208. 


408  J.  W.  Troiteky: 

wohlthätigkeit  ihren  wannen  Antheil  nicht  wenig  nahm  (Galli- 
canuSy  Caelia,  Macrina,  Plinius). 

Die  Regierangsobsorge  fUr  die  Kinder  dauerte  unter  der 
Regierung  desAntoninusPius  und  Alexander  Severus  noch 
mit  grösserer  Energie  fort  (Uffelmann^)).  Constantin  der 
Grosse,  beseelt  für  den  Absolutismus  des  Ohristenthums, 
nahm  sich  vor,  die  Kinder  der  armen  Leute  auf  Staatskosten 
erziehen  zu  lassen,  allein  dieser  im  Grunde  geniale  Gedanke 
zeigte  sich  vom  finanziellen  Standpunkte  aus  als  unausführbar. 

Aus  dem  Gesagten  geht  nun  deutlich  heryor,  dass  die 
classische  Welt  nicht  mehr  f&r  die  Findelkinder  als  fQr  die 
Armen  überhaupt  Sorge  getragen  hatte,  wobei  die  ersteren 
nach  Erreichung  des  reifen  Alters  als  Sklaven  anerkannt  und 
erst  um  das  Jahr  529  nach  Christi  Geburt  vom  Kaiser  Jasti- 
nianus  in  Freiheit  gesetzt  wurden. 

Unter  dem  Einflüsse  derselben  christlichen  Lehre  fingen 
an  zeitliche  Zufluchtsstätten  für  Findlinge  -und  ganze  Anstalten 
mit  besonderem  Charakter  zu  erscheinen,  obwohl  uns  die 
Geschichte  zum  grossen  Leidwesen  keine  näheren  Daten  Qber 
ihre  Thätigkeit  hinterlassen  hatte.  Es  unterliegt  de  facto 
keinem  Zweifel,  dass  das  vom  Archidiaconus  Datheus  zu 
Mailand  errichtete  Erziehungshaus  787  nach  Christi  Geburt 
als  die  erste  Anstalt  dieser  Art  anerkannt  werden  muss. 

Was  die  Kirche  anbelangt,  so  kam  sie  viel  früher,  be- 
reits im  5.  Jahrhundert  mit  Diensterweisungen  für  Findlinge 
zum  Vorschein,  indem  sie  bei  den  Tempeln  sogenannte  conchae 
marmorae  zu  deren  Aufnahme  frei  und  ungehindert  organi- 
sirte.  Im  Laufe  des  11. — 14.  Jahrhunderts  fing  man  an  in 
verschiedenen  Städten  Frankreichs  und  Italiens  Zufluchtsstätten 
für  Findlinge  zu  organisiren,  wobei  sich  die  Zahl  solcher  An- 
stalten, besonders  zu  Ende  des  Mittelalters,  vergrösserte. 

Die  ganze  Angelegenheitspflege  lag  in  den  Händen  bischof- 
licher Directoren,  die  man  zu  jener  Zeit  „brephotrophi"  nannte. 
Wie  sehr  die  Kirche  darum  bekümmert  war,  womöglich  eine 
grosse  Zahl  von  Pfleglingen  zu  erhalten,  ist  daraus  zu  er- 
sehen, dass  im  12.  Jahrhundert  in  der  Stadt  Mailand  eine 
besondere  Brüderschaft  existirte,  deren  Mitglieder  ausschliess- 
lich mit  Aufnahme  der  Kinder  und  deren  Uebergabe  an  die 
Freistatte  beschäftigt  waren  (üf feimann')). 

Um  die  Parallele  zu  einer  so  ausgedehnten  Anwendung 
des  evangelischen  Gebots  in  Bezug  auf  die  Findelkinder  zu 
ziehen,  liefert  uns  die  Geschichte  ein  Bild  ganz  anderer  Eigen- 

1)  Handbuch  der  privaten  und  öffentlichen  Hygiene  etc.   1.  c.  8.  6, 
8,  10,  11. 

2)  Handhuoh  1.  c.    S.  18—14. 


Zur  Frage  über  die  Pflege  der  Findelkinder.  409 

thümlichkeit.  In  dem  gegen  das  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
zu  Montpellier  gegründeten  Erziehungshause  finden  anfangs 
die  Findlinge  ohne  alle  Ausnahme  ihre  Aufnahme  in  der  Frei- 
stätte, aber  seit  dem  15. — 16.  Jahrhundert  an  wurde  beschlossen, 
nur  den  ehelichen  Kindern  Aufnahme  zu  gewähren.  Auf  diese 
Art  kamen  durch  das  Resultat  eines  so  herzlosen  Experiments 
eine  Unzahl  von  Findlingen  in  den  Gassen  und  in  der  Nähe 
der  Tempel  zum  Vorschein.  Dank  dem  Einflüsse  des  mild- 
thätigen,  seiner  Zeit  allbekannten  Vincenz  de  Paul  und  des 
Ministers  Colbert  auf  Ludwig  XIV.,  von  denen  der  letz- 
tere mit  allen  ihm  zu  Gebote  stehenden  Kräften  bemüht  war, 
die  Bevölkerung  Frankreichs  zu  erhohen,  wurde  in  Paris  mit 
Edict  von  1670  beschlossen,  ein  Hospital  für  Findelkinder  auf 
Staatskosten  (hopital  des  enfants  trouv^s)  errichten  zu  lassen. 
Um  ihnen  den  freien  Zutritt  in  diese  Anstalt  zu  verschaffen, 
war  daran  zu  deren  Aufnahme  ein  Behältniss  in  Form  einer 
Muschel  angebracht.  Was  kam  aus  dieser  Maassregel  heraus? 
Die  Zahl  der  in  die  Freistätte  aufgenommenen  Kinder  er- 
reichte eine  so  hohe  Ziffer,  dass  man  daran  denken  musste 
einem  solchen  Anschwemmen  irgend  ein  wirksames  Gegen- 
mittel aufzustellen.  Man  fing  an  die  Findlinge  aus  dem 
Erziehungshause  nach  den  entlegensten  Departements  Frank- 
reichs zu  bringen,  weshalb  die  Mütter  bemüssigt  waren,  ihre 
Kinder  aus  Furcht,  sie  nimmer  mehr  wiederzusehen,  zurück- 
zunehmen (EngeP)). 

Neapel  hatte  im  16.  Jahrhundert  einen  Wohlthätigkeits- 
Gesellschaftsverein  von  alten  Weibern  und  alten  Jungfern  unter 
dem  berühmten  und  einflussreichen  Namen  „Conservatorio'' 
errichtet.  Die  Findlinge  waren  mit  Hilfe  dieses  Vereins  nach 
den  Dorfern  abgeschickt,  wo  barmherzige  Schwestern  und 
selbst  auch  gewesene  Findlinge  dann  und  wann  Aufsicht  über 
sie  üben  sollten.  Die  für  den  Lebensunterhalt  aufgebrach- 
ten Gelder  wurden  auf  die  gottloseste  Art  gestohlen,  und  die 
zur  Pflege  dem  „Conservatorio^'  übergebenen  Kinder  sollten  an 
dem  Hungertuche  nagen.  Die  ganze  Thätigkeit  dieser  Ge- 
sellschaft war  demnach  im  strengsten  Sinne  des  Wortes  eine 
negative.  Zur  schändlichen  Schmach  unseres  Jahrhunderts 
war  in  demselben  Neapel  vom  moralischen  Standpunkte  aus 
beinahe  eine  Scene  empörendster  Art  entstanden.  1854  wurde 
beschlossen,  die  am  Leben  gebliebenen  und  erwachsenen  Findel- 
mädchen  mit  einer  hinlänglichen  Anzahl  von  Männern  auf 
die  unbewohnten  Inseln  zum  Zwecke  deren  Ansiedelung  abzu- 


1)  Zeitschrift  des  königl.  preassisclien  Bareaus.  17.  Jabrg.  1877. 
—  Beiträge  81—83.  L.  Seh.  Wospitatelnie  domä  Rossii.  —  Russky 
Wiestnyk  1889.    Dek.  Str.  178—188. 


410  J.  W.  Troitzky: 

schicken.  Allein  die  Vorsehung  hat  diesen  inquisitorischen  Plan 
dadurch  vereitelt,  dass  sie  einen  schrecklichen  Seesturm  herab- 
sandte (R.  Raudnitz^)).  Zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts 
geht  die  Führung  dieser  Pflege  über  die  Findlinge  fast  aus- 
schliesslich in  die  Amtsthätigkeit  der  Clerisei,  in  die  Regie- 
rungshände,  in  Gemeinde-  und  Privatpersonen  über  unter 
der  juridischen  Controle  der  Civil behörden.  Dieser  Ueber- 
gang  fand  so  rasch  statt ,  dass  nicht  der  geringste  schäd- 
liche Einfluss  auf  die  Findlinge  dabei  entstehen  konnte,  die- 
jenigen aber,  die  es  traf,  Dank  dem  raschen  Aufhören  der  bei 
diesen  speciellen  Einrichtungen  functionirenden  Beamten  ge- 
riethen  in  Armenhäuser  ohne  alle  Nahrungshilfe  und  Auf- 
sicht, und  selbstverständlich  gingen  diese  Unglücklichen  massen- 
haft zu  Grunde.  Ein  unmögliches  System  vom  Standpunkte  des 
Princips^  bei  welchem  die  Fürsorge  der  Waisen  und  Findlinge 
nur  den  einzigen  Pflegerzweig  darstellt,  fand  in  der  Person 
des  Einzigen  Josef  den  wärmsten  Vertheidiger,  der  auf 
diese  Weise  darauf  ausging ,  soviel  wie  möglich  abgeson- 
derte Leben  fQr  das  Wohl  des  Ganzen  zu  schützen,  um  da- 
durch gesunde  kräftige  Unterthanen  zu  erhalten.  —  Der  im 
Voraus  markirte  Zweck,  Herr  des  ganzen  Weltalls  zu  sein, 
flöäste  Napoleon  I.  den  Gedanken  ein,  mehr  Soldaten  zu  er- 
ziehen. 1811  wurde  in  allen  Departements  Frankreichs  an- 
geordnet, Muscheln  zur  ungehinderten  Aufnahme  für  Find* 
linge  einzurichten.  Das  Beispiel  dieses  grossen  Mannes  rief 
Nachahmung  in  allen  römischen  Provinzen  hervor  (R.  Raud- 
nitz^)),  und  die  Gefahr,  unterzugehen,  war  Dank  dieser  Maass- 
regel  auf  das  Minimum  reducirt. 

Wie  gut  und  heilsam  die  hygienischen  und  diätetischen 
Erziehungshäuser  in  früheren  Zeiten  waren,  zeigen  uns  fol- 
gende Facta. 

Von  den  Hunderten  der  in  der  Dubliner  Freistätte  auf- 
genommenen Kinder  lebten  eine  Zeitlang  nur  zwei,  denn  eine 
solche  Pest  dauerte  —  horribile  dictu  —  beinahe  ein  ganzes 
Jahrhundert  (Pfeiffer«)).  Zur  Zeit  Ludwig's  XIV.  beziflFerte 
sich  in  der  Anstalt  bei  ihrer  Uebersiedelung  in  die  elyseischen 
Felder  die  Sterblichkeit  mit  90%^);  im  Londoner  Erziehungs- 
hause, in  der  Periode  von  1741 — 1774  überlebten  das  fünfjäh- 
rige Alter  davon  nur  16%,  und  84%  starben  während  dieser  Zeit 

1)  Origine  vicende  storiche  e  progreesi  della  Real.  s.  casa  deir  Ad- 
nunciata  in  Napoli.  Deutsche  Vierteljahrschrift  f.  Öffentliche  (Gesund- 
heitspflege  1884.    Band  XVI.    H.  4.     SS.  625—627. 

2)  Die  Findelpflege  1.  c.     S.  11. 

8)  Eindersterblichkeit.  Gerhardts  Handbuch  der  Kinderkrankheiteo 
I.  Bd.    2.  Abth.    1882.     S.  296. 

4)  Dictionaire  encjclop^dique  des  sciences  medicales.  Paris.  T.  IX. 
2me  Serie.    1879.     p.  498. 


Zur  Frage  über  die  Pflege  der  Findelkinder.  411 

rüffelmann^)).  Das  neapolitanische  Erziehungshaus  lieferte 
(1795—1830)  80%  an  Sterblichkeit  (Raudnitz^)),  das  Brüs- 
seler (1811)  79%,   das  Wiener  72%  (Pfeiffer»)). 

In  Neapel  wollte  man  1809  die  Pflege  der  Findelkinder 
durch  Aufenthalt  ausserhalb  des  Erziehungshauses  ersetzen, 
man  erhielt  dabei  kein  ausgezeichnetes  Resultat  —  81,42  % 
sind  zu  Grunde  gegangen.  So  dauerte  das  Factum  bis  1841. 
Als  man  aber  ans  Werk  ging,  die  Findlinge  ausserhalb  der 
Anstalt  zur  Verpflegung  unterzubringen,  da  hat  sich  die  Sterb- 
lichkeit aus  dieser  Ursache  auf  21  %  redncirt.  Denselben 
Versuch  führte  man  im  Prager  Erziehungshause  aus,  wo  im 
ersteren  Falle  die  Sterblichkeit  66,3%  und  im  zweiten  31,1% 
erreichte. 

Bei  ausschliesslicher  Pflege  in  der  Freistätte  zu  Dresden 
war  die  Sterblichkeit  mit  92,3  %  beziffert ;  als  man  aber 
die  Erziehungsart  ausserhalb  der  Anstalt  erweiterte,  da  fingen 
die  Kinder  bei  Weitem  an  in  geringerer  Zahl  zu  sterben;  die 
Hälfte  von  ihnen  blieb  unter  den  Lebenden.  In  Brunn  und 
Olmütz  yergleichsmässig  war  man  unlängst  bemüssigt,  die 
Freistätte  für  die  Findlinge  ganz  und  gar  zu  sperren,  so  gut 
waren  die  Vortheile  der  Fürsorge  (ßaudnitz*)). 

Die  an  den  unglücklichen  Findlingen  ausgeführten  Ex- 
perimente hatten  ihnen  nur  den  Tod  gebracht  Uffelmann^) 
erzählt,  dass  man  in  einer  Proyinzial- Freistätte  Frankreichs 
die  Findlinge  mit  Kuh-  und  Ziegenmilch  aufziehen  wollte, 
wobei  es  sich  zeigte,  dass  allemal  auf  diese  Art  genährte 
Kinder  mit  Ende  des  4.  Monats  ihres  Lebensalters  starben. 

In  den  fünfziger  Jahren  vorigen  Jahrhunderts  hatte  das 
Stockholmer  Erziehungshaus  seine  Findlinge  mit  einer  zur 
Hälfte  mit  Wasser  vermischten  Kuhmilchsuppe  und  einem 
Zusatz  von  Zwieback  aus  Roggenbrod  aufgezogen;  obwohl 
man  bemüht  war  Zwieback  von  besserer  Qualität  anzuwenden, 
so  starben  dessen  ungeachtet  die  Kinder  selbstverständlich  in 
Folge  der  Magendarmzerrüttung. 

In  Ronen  ging  man  noch  schöner  zu  Werke:  132  Kinder 
wurden  ausserhalb  der  Stadt  wie  in  eine  Sanitätsstation  ab- 
geführt und  dort  der  frischen  Luft  ausgesetzt,  um  sie  mit 
Kuhmilch  zu  ernähren.  Das  Experiment  erwies  sich  vortreff- 
lich, binnen  zehn  Monaten  sind  von  der  obangeführten  Zahl 
nur  13  am  Leben  geblieben. 

In   den  italienischen  Erziehungshäusern    giebt   man   den 


1)  Handbuch  1.  c.    8.  82. 

2)  Origine  vicende  etc.  3)  1.  c. 

4)  Die  Findelpflege  1.  c.     SS.  64,  78—74. 

5)  Handbach  1.  c.    SS.  32—88. 

Jahrbuch  f.  Kinderheilknndo.    N^.  F.    XXXIX.  28 


412  J.  W.  Troitiky: 

kleinen  Kindern  angenOgend  mit  Wasser  vermischte  Milch 
(Dffelmann^))  und  die  ungeheuer  grosse  Sterblichkeit  in 
den  Freistätten  Griechenlands  (A.  Zinnis*))  ist  ganz  natQr- 
lich,  wenn  man  in  Erwägung  zieht,  dass  die  Findelkinder  mit 
^yin  Oel  gekochtem  Griesbrei''  aufgefüttert  wurden  (Raud- 
nitz^). 

Wie  aus  den  wissenschaftlichen  Daten  des  Herrn  Dr.  M. 
D.  van  Puteren*)  zu  ersehen  ist,  dauern  die  Experimente, 
ohne    alles   Recht   dazu,   sogar   zur  jetzigen   Zeit   noch    fort. 

Die  im  „Höpital  des  enfants  malades''  (Paris)  unter  Ob- 
sorge und  Pflege  befindlichen  Kinder,  die  ein  besseres  Loos 
verdienen,  werden  aus  Furcht  hartnäckig  mit  roher  Kuhmilch 
genährt,  damit  die  letztere  ihrer  Lebenskraft  nicht  beraubt 
werde.  Sonderbar!  die  Kuhmilch  wird  der  Lebensfähigkeit 
halber  bewahrt  und  die  Kinder  sollen  eins  nach  dem  andern 
sterben. 

Im  Brüsseler  „Hopital  des  enfants  assist^s'^  werden  alle 
Kinder  bald  jede  halbe,  bald  jede  Stunde  ohne  alle  Beweg- 
gründe genährt.  Die  unglücklichen  Kinder  der  Pariser  werden 
im  ,,Hospice  des  enfants  assistes''  in  Entfernung  von  4  Ellen 
vom  rothglühenden  Ofen  dicht  nebeneinander  untergebracht, 
und  wenn  sie,  wie  mein  verehrter  College  mir  versichert, 
keinen  Schnupfen  oder  Bronchitis  bekommen,  so  ist  es  ein- 
fach darum,  weil  sie  auf  einmal  Lungenentzündung  erhalten. 
Das  Waisendepot  zu  Berlin  lässt  seine  Findlinge  ohne  alle 
Aufsicht,  sie  liegen  in  nassen,  schmutzigen  Windeln,  begossen 
mit  Milch,  nahe  aneinander,  die  ihnen  ausschliesslich  zur  Nah- 
rung dient,  da  man  für  überflüssig  hält,  Ammen  ftlr  sie 
aufzunehmen.  Alles  dies  wegen  des  fin  du  si^cle,  welch  ein 
tröstliches  Bildl  Zum  Schiasse,  in  Oesterreich  ist  die  Auf- 
sicht über  die  nach  den  Dorfern  expedirten  Kinder  so  vor- 
trefflich, dass  der  Director  des  Erziehungshauses  sogar  nicht 
weiss,  womit  die  unglücklichen  Findlinge  daselbst  genährt 
werden. 

In  den  zu  Russland  befindlichen  Erziehungshäusern  wird 
im  Allgemeinen  dasselbe  wiederholt,  was  auch  in  den  west- 
lichen europäischen  Anstalten  dieser  Art  geschieht,  nur  mit 
dem  einzigen  Unterschiede,  dass  man  hierselbst  wenig  Selbst- 


1)  Oeffentliche  Fürsorge  für  Kinder.  Denteche  Yierteljahrschriil  für 
öffentliche  Gesundheitspflege  Bd.  XI.    1879.    SS.  681—591. 

2)  Principale  cause  de  TezceBsiTe  mortalitä  chez  les  enfants  troUT^s. 
Äthanes  1881. 

8)  Die  Findelpflege  1.  c.    S.  32. 

4)  Künstliche  Fürsorge  für  Kinder  an  der  Brust  im  Aailande.  Bote 
der  öffentlichen  Hygiene  der  gerichtlichen  und  praktischen  Medicin. 
St.  Petersburg  1891. 


Zur  Frage  über  die  Pflege  der  Findelkinder.  413 

ständigkeit  findet^  weil  das  blinde  Nachahmungs  werk  zum  Westen 
geübt  wird.  Wir  haben  auch  unseren  Datheus  in  Person 
des  Nishni- Nowgoroder  Metropolitan  Hiob,  der  seiner  Zeit 
in  seiner  Eparchie  die  erste  Freistätte  für  Findlinge  erbauen 
Hess.  Acht  Jahre  später  hatte  Peter  der  Grosse  ein  Er- 
ziehungshaus als  eine  Special  Freistätte  für  Findlinge  errichten 
lassen  und  das  mit  der  grössten  Ausdehnung  für  Einderauf- 
nahme durch's  Fenster,  damit  man  das  Gesicht  der  das  Kind 
zubringenden  Person  nicht  sehe.  Indem  man  fElr  nicht  legi- 
timirte  Kinder  Freistätten  bauen  liess,  ward  Peter  I.  nicht 
nur  durch  Humanitätszwecke,  sondern  auch  von  dem  Wunsche 
beseelt,  auf  diese  Art  die  Yolkszahl  zu  erhöhen,  dazu  be- 
wogen. Die  durch  einen  so  grossen  Wohlthätigkeitssinn  er- 
langten Resultate  erwiesen  sich  jedoch  mehr  als  trostlos,  da 
nach  dem  vierjährigen  Bestehen  des  St.  Petersburger  Erzie- 
hungshauses von  jedem  Hundert  der  daselbst  aufgenommenen 
Findlinge  zum  grossen  Bedauern  mehr  als  98  starben. 

Seit  dem  Tode  des  genialen  Kaisers  fing  man  die  Pflege- 
angelegenheit nach  und  nach  zu  vergessen,  die  zu  deren  Aus- 
übung bestimmten  Anstalten  wurden  geschlossen  und  zur  Zeit 
der  Thronbesteigung  Katharina's  II.  gab  es  in  Russland  keine 
einzige  Freistätte  für  Findlinge  mehr.  VortreflFlich  vertraut 
mit  den  moral -physiologischen  Ideen  ihres  berühmten  Jahr- 
hunderts, rief  die  Kaiserin  neuerdings  Freistätten  ins  Leben, 
Nach  dem  von  Betzky  vorgelegten  Plane  war  der  Wirkungs- 
kreis der  Freistätten  ausgedehnt:  in  selbe  konnten  daher 
nur  Kinder  unter  strenger  Beobachtung  des  Aufnahmegeheim- 
nisses, sowohl  eheliche  als  auch  uneheliche  Kinder  ein- 
treten. Nachdem  er  sich  zur  Hauptaufgabe  gestellt,  womög- 
lich das  Verderben  der  auf  die  Gasse  geworfenen  Kinder  zu 
beseitigen,  hatte  Betzky  in  seinem  Plane  den  Paragraphen 
eingebracht,  nach  welchem  Jedermann,  der  ein  Kind  der 
Freistätte  zugeführt  hatte,  mit  2  Rubel  dafür  entschädigt 
werden  solle.  Der  Zweck  Betzky's  war  vollständig  er- 
reicht; die  Findelkinder  fingen  an  in  ungeheuer  grosser  Menge 
in  die  Freistätte  einzutreten,  wo  ihre  Lage  insofern  gut  war, 
als  der  Moskauer  Vormundschaftsrath  im  Jahre  1768  sich 
veranlasst  fühlte,  diese  Maassregel  in  Betreff  der  Kinder* 
vertheilung  auf  die  Dörfer  unbedingt  anzunehmen.  Bald  in 
der  Praxis  angewandt,  brachte  diese  Maassregel  äusserst  didac- 
tische  Resultate  zum  Vorschein.  Die  bis  dahin  im  Erziehungs- 
hause bestehende  hohe  Sterblichkeit  von  76,11%— 98,67%  ver- 
minderte sich  in  der  That  auf  weniger  als  die  Hälfte,  aber  in 
den  Dorfern  kam,  Dank  der  grossen  Verletzungen  der  Grund- 
regeln in  Hinsicht  auf  Ernährung  und  Aufsicht,  das  Verderben 
der  Kinder  mit  gar  nicht  geringer  Sterblichkeit  zum  Ausdruck, 

28* 


414  J.  W.  ▼.  Troiteky: 

wo  die  letztere  öfters  80%  und  sogar  noch  mehr  erreichte. 
Auf  diese  Art  hatten  die  Findlinge  in  Hinsicht  auf  die  Er- 
haltung der  Gesundheit  ihres  Lebens  gleichfalls  nichts  ge- 
wonnen: am  Ende  hatte  sie  der  Tod  doch  erreicht,  nur  anter 
anderen  Umstanden  und  in  Folge,  wenn  es  beliebt,  etwa  an- 
derer oder  der  Veränderung  ausgesetzter  Ursachen.  So  stand 
in  dieser  Beziehung  die  Sache  bis  zum  Jahre  1809,  als  üerr 
Villamow  mit  einem  Berichte  vor  die  Kaiserin  Maria  Theo- 
dorowna  trat  und  in  ihrem  Namen  die  gänzliche  Schliessung 
der  Erziehungshäuser  veranlasste,  die  als  Anstalten  nach  dem 
Charakter  ihrer  Thätigkeit  und  dem  Mangel  an  der  nöthigen 
Eigenschaft  den  höchsten  Punkt  erreicht  hatten,  nachdem  er 
auf  diesen  traurigen  Fall  dabei  hingewiesen  hatte,  dass  zur 
Zeit  des  Bestehens  des  Moskauer  Erziehungshauses  Yon  den 
daselbst  aufgenommenen  Kindern  weniger  als  10%  am  Leben 
geblieben  sind.  Die  September-Verfügung  von  1810  wegen 
Aufnahmebeschränkung  der  Findlinge  durch  Registratur  und 
Einholung  politischer  Erkundigungen  hatte  einigermaassen 
zur  Verminderung  der  Einlieferung  der  Kinder  an  die  Anstalt 
beigetragen,  aber  hiermit  hat  sich  zugleich  die  Gefahr  dieser 
Kinder  bedeutend  vergrössert,  in  den  gar  nicht  so  seltenen 
Fällen  auf  die  Gasse  geworfen  zu  werden,  weil  man  die 
Registratur  und  Erkundigung  mehr  als  die  Gewissensbisse 
fürchtete,  das  Kind  der  Schicksalswillkilr  überlassen  zu  haben. 
Dieses  System  dauerte  nur  4Vi  Jahre  und  nachher  hat  sich 
neuerdings  die  Thür  ins  Asyl  geöffnet  (A.  Zabjelin^)). 

Die  russischen  Freistätten  für  Findelkinder  blieben  hinter 
den  westeuropäischen  mit  Hinsicht  auf  die  Endresultate  gar 
nicht  zurück.  1767  erreichte  die  Sterblichkeit  in  dem  zu  Moskau 
errichteten  Erziehungshause  98,5  % ,  d.  h.  von  zweihundert 
waren  kaum  drei  gerettet  (N.  Jablokow'j).  Nicht  weniger 
kamen  trostlose  Erscheinungen  in  den  Laudesanstalten  ahn- 
lieber  Art  zum  Vorschein.  Für  die  Zeitperiode  1867^-1872 
iu  der  Freistätte  von  Kursk  starben  gewohnlich  mehr  als  85%, 
und  zu  Cherson  im  ersten  Lebensjahre  mehr  als  86%.  Gün- 
stigere und  tröstlichere  Resultate  erzielte  man  zu  Sympheropol 
und  Odessa  in  der  Landesfreistätte,  wo  die  Sterblichkeit  um 
65%  herum  beziffert  wurde  (M.  Raschkowitch^)).  Die  Sterb- 
lichkeit der  vor  Kurzem  noch  von  den  hauptstädtischen  Hau- 


1)  Wiekowje  Opiti  naschich  wospitatelnych  domnow.     Grashdanin 
1890.     Nr.  844 -S60. 

2)  1.  Congress  der  moskowitsch-petenbargischen  Aerste.  „Ruaski^a 
mial"  1886.    Nr.  4.    S.  101—102. 

8)  Die  VerhandlQDgen   des   VI.  Congresses   der  mssiBchen   Aente 
1.  cit. 


Ml 


Zar  Frage  über  die  Pflege  der  Findelkinder.  415 

Sern  auf  die  Dörfer  gänzlich  abgeschickten  Findlinge  betrug 
85,7%  (N.  Michailow*)). 

Zur  gegenwärtigen  Zeit  kommen  drei  Hauptsysteme  der 
Fürsorge  für  die  Findlinge  zur  Anwendung  (R.  Raudnitz*)): 

1.  Ihre  Aufnahme  ohne  Hinderniss  in  hierzu  besonders 
eingerichteten  Anstalten  durch  Drehladen^  wo  die  erste  durch 
lunocentius  III.  1198  zu  Rom  aufgestellt  wurde.  Diese 
Aufnahmsart  wird  in  den  Colonien  Spaniens,  in  Griechenland, 
in  besonderen  Theilen  Italiens  und  Portugals,  in  Dalmatien 
und  Südamerika  angewandt. 

2.  Das  romanische  System  mit  Einderaufnahme  durch's 
Bureau  und  ebenfalls  in  hierzu  besonders  eingerichteten  An- 
stalten wird  in  Frankreich,  zum  grossen  Theil  in  Spanien 
und  Portugal,  in  Russland  und  in  der  geheimen  Abtheilung 
Wiens  zur  Ausübung  gebracht 

3.  Die  deutsche  oder  lutherische  Findelpflege,  bei  welcher 
ausser  der  Fürsorge  für  Findlinge  auch  ein  Theil  der  Pflege 
für  die  Armen  besteht.  Auf  diese  Art  geht  man  in  Deutsch- 
land, Oesterreich- Ungarn,  in  der  Schweiz,  Belgien,  in  den 
Niederlanden,  in  Grossbritannien,  in  Scandinavien  und  den 
Nord-Amerikanischen  Staaten  vor. 

Die  zur  gegenwärtigen  Zeit  bei  ans  in  Anwendung  ge- 
brachte Aufnahmsweise  der  Findlinge  in  die  Freistätten,  welche 
von  dem  Gollegium  der  allgemeinen  Fürsorge  abhängig  sind, 
kann  man  unter  kein  System  einreihen.  Auf  Grund  der  Clau- 
sein 542,  543  und  544  des  Gesetzbuches  (Band  XIII,  Aus- 
gabe 1857)  wird  die  Aufstellung  neuer  Freistätten  für  Findel- 
kinder verboten,  wo  aber  solche  bereits  bestehen,  da  soll  die 
Einderaufnahme  in  dieselben  nur  durch  die  Polizei  bewerk- 
stelligt werden,  wobei  der  letzteren  als  Pflicht  die  Unter- 
suchung der  Eltern  unter  Zuziehung  derselben  zur  Verant- 
wortung auferlegt  wird. 

Tritt  das  Findelkind  in  eine  besonders  für  selbe  ein- 
gerichtete Anstalt  durch's  Bureau  ein,  so  wird  es  darin  nicht 
lange  gehalten  und  desto  früher  an  Privatpersonen  zur  wei- 
tern Pflege  für  einen  bestimmten  Preis  übergeben.  Je  länger 
es  ausserhalb  dem  Schoosse  der  Freistätte  verlebte,  um  so  ge- 
sünder  ist  es  und   je  besser  «gefüttert  erscheint  es. 

Bei  den  Neugeborenen,  wenn  sie  auch  gesund  sind,  wurde 
bestimmt,  sie  eine  Zeitlang  in  der  Freistätte  mit  Hinsicht  auf 
die  Möglichkeit  der  Bntwickelung  der  diesem  Alter  ausschliess- 
lich  eigenthümlichen  Zerrüttungen  oder  der  Aeusserung   der 


1)  Die  Verhandlangen  des  11.  CongresseB  der  russischen  Aerzte   zu 
Moskau.     Bd.  2.     S.  64-82.     1887. 

2)  Die  Findelpflege  1.  c.    S.  12. 


416  J.  W.  Troitiky: 

hereditären  Krankheiten  zu  halten.  Die  Abgabsschnelligkeit 
der  Findlinge  anfs  Land  ist  eine  falsche,  ausserdem  steht  sie 
im  geraden  Abhängigkeitsverhältnisse  zu  deren  EintrittszifPer 
in  die  Freistätte.  Ist  einmal  die  letztere  ^ross  und  droht  der 
Anstalt  eine  Ueberfüllung  mit  allen  üblen  Folgen,  so  müssen 
die  Kinder  schneller  and  eifriger  an  die  Dörfer  abgegeben 
werden  als  in  den  Fällen,  wo  die  Vollzähligkeit  der  Findlinge 
mehr  oder  weniger  normal  ist.  Die  Gefahr  einer  übermässigen 
Ueberfüllung  und  Anhäufung  von  Kindern  ist  so  gross  and 
bis  zu  einer  solchen  sichtbaren,  von  Allen  anerkannten  Stufe 
gebracht,  dass  man  zur  gegenwärtigen  Zeit  allenthalben  da- 
hin strebt,  womöglich  die  Pflegeangelegenheit  der  Freistätten 
nach  Aussen  auszudehnen,  indem  man  den  letzteren  die  Rolle 
eines  Asyls  von  kurzer  Dauer  gewährt  und  wo  man  die 
vor  Kälte  erstarrten,  schmutzigen  und  hungrigen  Kinder  er- 
wärmen, abwaschen  und  gehöriger  Maassen  füttern  kann. 
Dieser  schöne  Gedanke  a  priori  kann  weit  entfernt  nicht 
auf  alle  in  die  Freistätten  eintretenden  Kinder  verwirklicht 
werden,  weil  die  Mehrheit  oder  wenigstens  die  Hälfte  der 
letzteren  unter  bestimmten,  oft  sehr  ernsthaften  Krankheiten 
oder  unter  Vorstellung  der  allgemein  ausgedrückten  Armoth 
und  Schwäche  in  die  Freistätten  aufgenommen  wird,  wovon 
bei  Zufluchtsstätten  von  kurzer  Dauer  gar  keine  Rede  sein 
kann;  die  Freistätte  trägt  den  Charakter  eines  Hospitals,  aus 
welchem  die  Abgabe  aufs  Land  erst  nach  gänzlicher  Her- 
stellung der  Gesundheit  erfolgen  kann.  Ein  starkes  Bestreben, 
die  Kinder  ausserhalb  der  Anstalt  aufziehen  zu  lassen,  be- 
merkt man  in  Frankreich,  England,  Belgien.  In  den  abgeson- 
derten Provinzen  Portugals,  ganz  Norwegen  und  den  Nieder- 
landen wird  ausschliesslich  diese  Findelpflege  practicirt,  bei 
welcher  die  Kinderpflege  und  deren  Aufsicht  auf  diese  oder 
jene  Art,  übrigens  öfters  de  jure  als  de  facto  controlirt  wird. 

Endlich  wurde  die  Untauglichkeit  des  protestantischen 
Systems  anerkannt,  da  die  durch  dasselbe  in  der  Praxis  er- 
langten  Resultate    sich    mehr    als    trostlos   erwiesen    hatten. 

Die  in  der  letzten  Zeit  sich  mehr  ausbreitende  Pflegeart, 
bei  welcher  die  Gesellschaften  oder  Privatpersonen  eine  ma- 
terielle, mehr  oder  weniger  das  Dasein  der  Mutter  sicher- 
stellende Hilfe  gewähren  (secours  ä  domicile),  damit  sie  selbst 
ihr  Kind  füttere,  liefert  insofern  gute  Resultate,  als  in  vier 
Pi;evinzen  Portugals,  wo  man  eine  solche  Art  anwendete,  das 
Sterblichkeitsprocent  in  den  zwei  ersten  Lebensjahren  die 
Mittelzahl  7,2%  nicht  übersteigt  (R.  Raudnitz^)).  Die 
Resultate  der    privaten   Gesellschaften   für   die  Unterstützung 

1)  Die  Findelpflege  1.  c.    S.  860. 


Zur  Frage  über  die  Pflege  der  FiDdelkinder.  417 

der  Mütter  in  Frankreich  —  Societe  protectoire  de  Tenfance 
ä  Ni^vre^),  Sociät^  matemelle,  S.  pour  la  propagation  de 
Tallaitement  maternelle  —  sind  so  sehr  befriedigend,  dass  die 
Maximalsterblichkeit  unter  den  sich  der  Fürsorge  erfreuen- 
den Kindern  nicht  1 1  %  übersteigt  (Uffelmann^)).  In 
Frankreich  existiren  mehr  als  80  Gesellschaften  ähnlicher 
Art;  in  denen  die  zu  erzielenden  Resultate  desto  besser 
sind,  je  aufmerksamer  die  Einderernährung  unter  gleicher 
Aufsicht  gehandhabt  wird.  Die  allgemeine  mittlere  Sterblich- 
keit für  enfants  assist^s  aller  Altersclassen  ist  nicht  grosser 
als  4,5  %.  Der  Wohl thätigkeits verein  zu  New- York,  „american 
female  guardian  Society^'  führt  seine  Angelegenheit  zu  einer 
solchen  Stufe  tadellos,  dass  die  Sterblichkeit  der  Findlinge 
jedes  Alters  auf  der  Höhe  von  2,3  %  gehalten  wird  (A.  Ja- 
cobi)^).  Bei  der  hinreichenden  materiellen  Hilfe  für  die  Mütter, 
welche  ihre  Kinder  selbst  mit  der  Brust  säugen,  hatte  man 
in  Brüssel  noch  bessere  und  schlagende  Fortschritte  erlangt 
(R.  Raudnitz^)).  Kinder,  welche  auf  allgemeine  Rechnung 
erzogen  werden,  geben  ein  kleineres  Procent  an  Sterblichkeit, 
als  die  Anstalten,  deren  Kinder  für  Bezahlung  an  Privat- 
personen zum  Erziehen  auf  eine  Zeit  lang  abgegeben  werden 
(Kostkinder,  Haltekinder,  nach  deutscher  Terminologie);  in 
Frankreich  sterben  von  den  Ersten  dreimal  weniger  (Terme 
et  Montfalcon*)).  Nach  üffelmann®)  wird  dieser  unter- 
schied in  einem  schwächeren  Grade  ausgedrückt,  wobei  in 
andern  Oertern  die  erzielten  Resultate  mit  ihrer  Strenge  einen 
ganz  bestürzt  machen;  so  z.  B.  von  den  auf  Rechnung  Paris' 
abgegebenen  Kindern  in  dem  Departement  Seine  starben  im 
Alter  von  Oeburt  bis  12  Jahren  42%,  und  in  Strassburg 
nach  den  Angaben  Yillemin's  von  den  an  Privatpersonen 
abgegebenen  und  aufgezogenen  Kindern  87  %.  Bei  Betrach- 
tung des  Schicksals  der  Findlinge  macht  daher  Silberschlag ^) 
die  Bemerkung:  was  ist  es  denn  besser  als  die  Lage  jener 
Kinder,  „die  man  im  Alterthume  den  Götzen  von  Kanaan 
opferte'^?  Ferner  sagt  der  Autor,  dass  der  so  rasch  auf  diese 
Weise  erfolgte  Tod  der  mit  Blumen  bekränzten  Kinder  weniger 
marternd  war,  als  deren  langsames  Hinscheiden  in  den  Händen 
der  Privatpersonen,  wo  der  Tod  in  seiner  Grausamkeit  jener 


1)  Dictionaire  encyclop^dique  1.  c. 

2}  Ueber  in  fremder  Pflege  eto.    1.  c. 

8)  Inaugaral  adress  InclndiDg  a  paper  on  Infant  AByloms.  Oester- 
reichische  Jahrbücher  für  Pädiatrie.    Bd.  III.    S.  139. 

4)  Die  Findelpflege  1.  c.     S.  69. 

6)  Dictionnaire  encyclop^diqae  des  sciences  mädic.  t.  XIII,  2^me 
Serie,  1879.     p.  442—443. 

6)  Ueber  in  fremder  Pflege  etc.   1.  c.        7)  1.  c. 


418  J.  W.  TroitBkj: 

Art,  durch  das  freiwillige  umbringen  der  von  Natur  schwachen 
Kinder,  die  man  in  Rom  practicirte,  gar  nichts  nachgiebt 

In  den  von  Gesellschaften  und  Privatpersonen  errichteten 
Anstalten  ist  die  Sterblichkeit  desto  hoher,  je  bedeutender 
die  Ziffer  der  unter  der  Obsorge  befindlichen  Kinder  und  je 
schlechter  die  Ordnung  gehandhabt  wird.  Das  Erziehungs- 
haus  der  barmherzigen  Schwestern  zu  New -York:  „Findling 
Asylum  of  the  sisters  of  charity''  giebt  von  der  allgemein 
festgesetzten  Zahl  von  2Vi  Tausend  Findelkindern  19%  Sterb- 
lichkeit (A.  Jacobi^),  während  man  in  der  in  bescheidenen 
Dimensionen  nahe  bei  Wien  errichteten  Anstalt  „Kinder-Asyl 
Humanitas''  von  der  allgemeinen  Zahl  ungefähr  150  Kinder 
weniger  als  1%  Sterblichkeit  in  Hinsicht  jeden  Alters  erhalt. 
Andrerseits  in  dem  zu  Bonn  von  der  Frau  Lungstras  er- 
richteten Versorgungshause  sterben  die  Kinder  in  der  Zahl 
von  25 — 30%  (E.  Du  hoc')),  hingegen  in  dem  zu  Berlin  durch 
die  Frau  Lina  Morgenstern  erbauten  Versorgungshause 
werden  mehr  als  die  Hälfte  der  daselbst  aufgenommenen 
Kinder  in  jene  Welt  expedirt  und  es  hat  in  der  That  das- 
selbe seine  Thätigkeit  deshalb  eingestellt  (J.  Albu')). 

In  Bezug  auf  russische  Anstalten  für  Findlinge  hat  man 
folgende  Daten  (N.  Michailow^),  M.  Raschkowitch,  Kur- 
kutow^))  von  den  zu  St.  Petersburg  und  Moskau  befindlichen 
Versorgungshäusern.  Die  mittlere  Sterblichkeit  fflr  alle  Alters- 
classen  der  Findlinge  in  Russland  ist  34,41%,  die  grösste 
Sterblichkeit  kommt  auf  die  Charkower  Wohlthätigkeits-Gesell- 
Schaft  und  auf  Irkutsk:  62,86%  im  ersten  Falle  und  51,73% 
im  zweiten.  Unter  der  zu  meiner  Verfügung  gestellten  Kenntniss- 
uahme  von  der  Thätigkeit  der  auswärtigen,  provinzialen  An- 
stalten giebt  die  Kiewer  Fi;eistätte  fflr  Findlinge  die  meist 
bescheidene  allgemeine  Sterblichkeit  von  13,28%. 

Die  allgemeine  mittlere  Sterblichkeit  der  Residenz-Ver- 
sorgungsanstalten schwankte  in  den  letzten  zehn  Jahren  zwischen 
20-30%. 

Die  mittlere  Sterblichkeit  der  Findelkinder  zur  Zeit  ihres 
Aufenthaltes  in  den  Freistätten  beträgt  22,09%,  auf  Irkutsk 
kam  ihr  Maximum,  auf  Kiew  ihr  Minimum  (50  und  6,98%). 
Die  Sterblichkeit  der  auf  die  Dörfer  vertheilten  Findlinge  ist 
bedeutend  höher:  sie  gleicht  in  der  Mittelzahl  26,60%.  Ihre 
Schwankung  ist  gross  genug:  namentlich  42%  für  die  Or- 
lower  Freistätte  und  12,29%  für  die  Kiewer. 


1)  1.  c. 

2^  Beioch  im  Versorgshause  zu  Bonn.    Hamburg  1884. 
3}  Ueber  Berliner  Bestrebungen  für  Einderschats.    Bitter 's  Jahrb. 
für  P&diatrik  Bd.  III.  4)  1.  c. 

6)  Yerhandlangen  des  II.  CongreBses  der  rassischen  Aerste  1887. 


Zur  Frage  über  die  Pflege  der  Findelkinder.  419 

Was  die  Sterblichkeit  der  durch  die  zwei  Residenz- Anstalten 
aufs  Land  übergebenen  Kinder  anbelangt,  so  ist  sie  sehr  hoch 
(85%  nach  Sabjelin*)),  wenn  man  sie  fQr  das  erste  Lebens- 
jahr nimmt,  obwohl  auf  die  Dorfer  drei  Viertel  aller  sterben- 
den Pflegekinder  kommt  (P.  Fridolin')). 

Wenn  man  die  Sterblichkeitsdaten  russischer  Anstalten 
fQr  Findlinge  mit  denen  von  S.  Hügel  und  R.  Raudnitz 
in  Bezug  auf  Westeuropa  und  Neue  Welt  vergleicht,  so 
kommt  man  zu  dem  Schlüsse,  dass  im  Schwankungsgrade 
gar  kein  Procentunterschied  sei:  hie  und  da  sind  diese  Schwan- 
kungen in  einer  hohen  Stufe  ausgedrückt.  Wenn  man  das 
allgemein  mittlere  Procent  an  Sterblichkeit  einerseits  in  un- 
seren Freistätten  Und  die  oben  angeführten  Daten  im  Sinne 
Europas  und  Amerikas  andrerseits  nimmt,  so  zeigt  sich,  dass 
wir  noch  weit  zurück  hinter  der  Verbesserungslage  der  Find- 
linge binnen  der  fünfziger  Jahre  sind. 

Auf  Grund  alles  dieses  oben  Angeführten  über  die  Find- 
linge des  unlängst  vergangenen  als  auch  des  gegenwärtigen 
Zustandes  über  deren  Pflegeangelegenheit  kann  man  den 
Schluss  ziehen,  dass  die  gegenwärtige  Lage  unvergleichlich 
besser  ist  als  die  Geschichte  erzahlt,  dass  aber  das  gewünschte 
und  mögliche  Ideal  nur  in  manchen  Anstalten  bisher  erreicht 
wurde.  Nach  dem  Zustand  vieler  der  gleichzeitigen  Anstalten 
für  die  Findlinge  kann  man  sich  gänzlich  auf  den  strengen, 
jedoch  gerechten  Schluss  des  L.  Guyot')  über  das  Schicksal 
der  Findlinge  berufen:  „Leur  accuraulation  dans  les  maisons 
speciales  en  fait  une  necropole,  leur  envoi  ä  la  campagne 
chez  des  pajsans  peu  aises,  aptes  au  lucre,  sans  surveillance 
serieuse,  est  de  la  barbarie'^ 


1)  1.  c. 

2)  Porjadok  wimiranja  pitomzew  petersburkago  wospitatelnago  doma. 
Wratsch  1890.    Nr.  18.     S.  309. 

8)  Hjgiäne  et  protection  des  enfants  du  premier  age.    Paris  1878« 
pp.  86-87. 


f?^ 


XXL 

üeber  Pseudodiphtheritis  septhämischen  Ursprangs  bei 

Neugeborenen  und  Säuglingen. 

Von 

Prof.  Alois  Epstein. 

(Mit  1  Tafel.) 

Die  Entdeckung  des  Diphtheriebacillus  durch  Elebs  and 
Loffler  bat  dem  langst  gefühlten  Bedürfnisse  nach  einer 
ätiologischen  Sonderung  der  exsudativen  Rachenerkrankuugen 
den  Weg  geebnet.  Indem  man  in  diesen  Bacillen  das  spe- 
cifische  Merkmal  der  Diphtheritis  anerkennt,  ist  man  gegen- 
wärtig geneigt  y  nur  diejenigen  Erkrankungen  als  Diphthe- 
ritis zu  bezeichnen,  in  deren  Verlaufe  virulente  Löffler-Bacillen 
nachzuweisen  sind.  Der  Diphtheritis  gegenüber  stehen  die 
übrigen  mannigfaltigen  Affectionen  der  Tonsillen  und  des 
Pharynx,  in  deren  Auflagerungen  Löffler-Bacillen  fehlen,  da- 
gegen Kokken  verschiedener  Art  nachgewiesen  werden  können. 
Man  fand  Streptokokken,  Staphylokokken,  Pneumokokken,  da£ 
Bacterium  coli  commune,  eine  eigenthümliche  Art  von  Diplo- 
kokken und  andere  nicht  näher  bestimmte  Eokkenformen  in 
den  entzündlichen  Producteu  der  Rachenschleimhaui 

Man  hatte  Anfangs  geglaubt,   dass  das  der  Diphtheritis 
eigenthümliche  Erankheitsbild,  die  Gefährlichkeit  und  dieUeber-   J 
tragbarkeit   nur   der  bacillären   Infection  zukomme,   wogegen 
die  nicht-bacillären  Formen  als   begrenzt   bleibende  und  mild 
verlaufende  Erkrankungen  anzusehen  seien.    Fortgesetzte  bac- 
teriologische    Untersuchungen,    die    an    grossen   Reihen   bais- 
kranker  Kinder   und    an   verschiedenen   Orten   vorgenommen 
wurden,   haben  jedoch   ausser   Zweifel    gestellt,   dass  es  ZQ- 
weiien  Fälle  giebt,  bei  denen  keine  Diphtheriebacillen,  son-  J 
dern  ausschliesslich  nur  Kokkenformen  gefunden  werden,  welche 
aber  trotzdem   das  klinische  Bild  der  echten  Diphtheritis  io 
mehr   oder    weniger   ausgeprägtem    Orade    darbieten   können 
Es  kommt  auch   hier  zur  Bildung  zusammenhängender  fibn* 


A.  Epstein:  Pfleudodiphtheritis  septhäm.  Ursprungs  etc.        421 

D5ser  Pseudomembranen,  die  nicht  auf  die  Tonsillen  allein 
beschränkt  bleiben ,  sondern  auch  die  Gaumenbogen ,  die 
Uvula,  ja  sogar  die  Nasen-  und  Eehlkopfschleimhaut  ergreifen, 
von  Foetor  ex  ore  und  beträchtlichen  Schwellungen  der  Hals- 
lymphdrilsen  begleitet  sind,  wobei  die  Krankheit  einen  protra- 
hirten  und  schweren  Verlauf  nehmen  und  selbst  zum  letalen 
Ausgange  f&hren  kann.  Auch  Albuminurie  und  larjngosteno- 
tische  Erscheinungen,  welche  die  Tracheotomie  oder  Intubation 
nothig  machten,  wurden  beobachtet.  Der  Tod  erfolgt  an 
lobulärer  Pneumonie  oder  in  Folge  eitriger  Entzündungen  der 
serösen  Häute  oder  unter  dem  Bilde  einer  septischen  Allgemein- 
infection.  Wie  es  also  einerseits  Fälle  giebt,  die  klinisch 
eine  leichte  katarrhalische  Angina  vortäuschen  können  und 
sich  bei  der  bacteriologischen  Untersuchung  als  diphtheri- 
tischen  Ursprungs  erweisen,  so  giebt  es  andrerseits  schwere 
Erkrankungen,  die  klinisch  als  Diphtheritis  imponiren,  aber 
den  Befund  der  Diphtheriebacillen  während  ihres  ganzen  Ver- 
laufes durchaus  vermissen  lassen. 

Beobachtungen  der  letzteren  Art  gehören  allerdings  zu 
den  Ausnahmen,  aber  sie  liegen  bereits  in  so  hinlänglicher 
Anzahl  vor  und  sind  auch  von  so  zuverlässigen  Autoren 
(Boux  und  Yersin,  Prudden,  Park,  Martin,  Baginsky, 
Escherich  u.  A.)  mitgetheilt  worden,  dass  der  etwaige  Ein- 
wand eines  Beobachtungs-  oder  Untersuchungsfehlers  nicht 
mehr  statthaft  ist.  Bezüglich  der  Literatur  verweise  ich  auf 
die  Arbeit  Concetti's*),  welcher  selbst  über  einige  Fälle 
eigener  Beobachtung  und  über  eine  kleine,  auf  der  chirur- 
gischen Abtheilung  des  Einderspitals  Bambino  Gesü  vorgekom- 
mene Epidemie  von  Streptokokken  -  Anginen  mit  mehreren 
Todesföllen  berichtet.  Auch  ein  Fall  mit  Lähmung  des  Gaumen- 
segels findet  sich  darunter.  Prudden*)  beobachtete  in  einem 
New- Yorker  Einderasjle  eine  Hausepidemie  von  schwer  ver- 
laufender Diphtheritis;  bei  24  nach  dem  Tode  bacteriologisch 
untersuchten  Fällen  wurden  auf  den  erkrankten  Schleimhäuten 
und  mitunter  auch  in  den  inneren  Organen  Streptokokken, 
daneben  in  mehreren  Fällen  Staphylokokken,  niemals  LöfiPler- 
Bacillen  gefunden.  Park^)  fand  unter  159  ins  Hospital  auf- 
genommenen Diphtheriefällen  nur  54  (34%)  bacilläre.  Bei 
den  übrigen  nicht-bacillären  war  der  Verlauf  im  Allgemeinen 
ein  viel  günstigerer;  dennoch  war  in  16  Fällen  die  Intubation 
noth wendig    (5   Todesfälle).      Es    ist  wahrscheinlich,   dass  in 


1)  Stodi  clinici  e  ricerche  sperimentali  Bulla  difterite.    Borna  1894. 

2)  The  American  Joamal  of  the  medical  Bciences  May  1889  und 
Medical  Becord  1891,  18.  April. 

8)  New-York  med.  Record  July  80,  August  6,  1892. 


422  A.  Epstein: 

dieser  Beziehung  locale  und  vielleicht  auch  zeitliche  Verhält- 
nisse  eine  Rolle   spielen.     Nach   den  Torliegenden  Berichten 
zu  schliessen,  scheinen  diese  nicht-bacillären  Diphtherien  jen- 
seits des  Oceans  yerhältnissmässig  häufiger  yorzukommen   als 
in  Europa.     Aber  auch   aus   Berlin  wurde  über  letal   yerlau- 
fende  Fälle  dieser  Art   von   Baginskj^)   berichtet.     Feer*) 
scheidet  die  durch  den  LöfiTler-Bacillus  verursachten  Diphthe- 
rien von   den  Kokken -Diphtherien  und   berichtet  über   sechs 
schwere  Fälle  der  letzteren  Art  mit  einem  Todesfall  (Tracheo- 
tomie)y  von  welchen  einige  im  Baseler  Einderhospitale  selbst 
aufgetreten   waren.      Aus  Graz  berichtet  Escherich'),   dass, 
obwohl  bezüglich  der  Aufnahme  auf  die  Diphtheriestation  mit 
möglichster  Strenge  verFabren  wird,  dennoch  nahezu  ein  Viertel 
der  im  Jahre  1893  aufgenommenen  Fälle  sich  als  nicht  diphthe- 
ritisch    erwies;    es   scheine   ihm    die  Zahl   der  diphtheroiden, 
zur  Verwechslung  mit  Diphtherie  Veranlassung  gebenden  Er- 
krankungen im  Verhältniss  zu  den  echten  Diphtheriefallen  in 
Graz  eine  sehr  viel  grössere  zu  sein  als  in   anderen  Städten« 
Löffler^)  selbst  betont,  dass  nicht  selten  Erkrankungen  vor- 
kommen,   welche    klinisch    als   echte    Diphtherien   imponiren, 
welche    aber   durch,  andere  Organismen  (Streptokokken,  Sta- 
phylokokken, Pneumokokken)  hervorgerufen  sind  und  welche 
leicht  oder  schwer  verlaufen  können,  wie  die  echte  Diphtherie. 
Bezüglich  der  Terminologie  ist  eine  Einigung  noch  nicht 
erfolgt.     Manche  (Escherich,  Baginsky)  bedienen  sich  des 
von  französischen  Autoren  schon  seit  langer  Zeit  eingeführten 
Namens   „diphtheroide  Erkrankungen*';   welcher   aber  unwill- 
kürlich an  die  Deutung  erinnert,  als  ob  es  sich  um  eine  mit 
der  Diphtheritis  ätiologisch  identische,  jedoch  abortiv  verlau- 
fende  Erkrankung   handeln    würde.      Andere    gebrauchen   die 
Bezeichnung  „Pseudodiphtherie'^,  welche  den  Vortheil  hat^  dass 
in  dem  Vorworte  die  ätiologische  Verschiedenheit  und  in  dem 
Grundworte  die  klinische  Aehnlichkeit  des  Verlaufes  zum  Aus- 
drucke   kommt.      Von    demselben   Gesichtspunkte   ausgehend 
wird  von  Anderen  die  Bezeichnung  ^nichtrbacterielle  Diphthe- 
ritis^' oder  auch  „Kokkendiphtheritis''  angewendet. 

Zu  dieser  eben  gekennzeichneten  Art  der  diphtherieähn- 
lichen Rachens  ffectionen  gehört  eine  eigenthümliche  und  noch 
wenig  bekannte  Erkrankung  der  Rachen-  und  Mundhöhle, 
welche  ich  bei  jungen  Säuglingen   bis  etwa  zur  10.  Lebens- 

1)  Zar  Aetiologie  der  Diphtherie.     Berliner  klin.  W.  1892,  Nr.  9. 

2)  Aetiol.  und  klin.  Beitr&ge  s.  Diphtherie.    1894. 

8)  Aetiologie  und  Pathogenese  der  epidemischen  Diphtherie.  I.  Bd. 
1894. 

4)  Verhandl.  des  internat.  Congr.  f.  Hygiene  und  Demographie  in 
Budapest    1894. 


Psendodiphtheritifl  septhäm.  ürsprangs  b.  Neageb.  u,  Säaglingen.    423 

woche  beobachtet  habe.  Die  Mittheilung  dieses  Gegenstandes 
scheint  mir  aus  einem  doppelten  Grunde  zeitgemäss  zu  sein: 
einmal,  weil  derzeit  die  Aetiologie  der  Diphtheritis  und  der 
verwandten  Erkrankungen  in  lebhaftester  Erörterung  steht 
und  einschlägige  Untersuchungen  zur  Klärung  beitragen  können; 
ein  weiterer  Grund  ist  die  Absicht,  wieder  einmal  die  Septi- 
cämie  der  Neugeborenen  in  Erinnerung  zu  bringen  und  aus 
dem  mannigfaltigen  Symptomenbilde  derselben  eine  seltenere 
Erscheinung  hervorzuheben. 

Den  vorliegenden  Statistiken  zufolge  sind  Diphtheritis 
des  Rachens  und  Larynxcroup  bei  Kindern  der  ersten  Lebens- 
wochen so  selten,  dass  man  daraus  den  Schluss  gezogen  hat, 
dass  der  Neugeborene  für  Diphtheritis  nicht  empfänglich  sei 
und  die  Dispostition  sich  allmählich  erst  später,  etwa  im  zweiten 
Halbjahre,  herausbilde.  Auf  Grund  der  vorliegenden  Unter- 
suchungen (Brieger  u.  Ehrlich)  konnte  zur  Erklärung  dieses 
Verhaltens  daran  gedacht  werden,  dass,  da  die  meisten  Frauen 
bereits  gegen  Diphtheritis  auf  natürlichem  Wege  immunisirt 
sind,  der  in  ihrem  Blute  kreisende  Schutzkorper  dem  Fötus 
mitgetheilt  werde,  dass  ferner  der  in  der  Milch  immuner 
Mütter  enthaltene  Schutzkörper  beim  Säuglinge  vom  Darme 
her  immunisirend  fortwirke,  dass  aber  diese  Immunität  des 
Kindes  nur  eine  relativ  kurze  Zeit  andauere. 

Die  wenigen  casuistischen  Mittheilungen  über  Diphtheritis 
und  Group  bei  Neugeborenen  entstammen  der  älteren,  vor- 
bacteriologischen  Zeit,  in  welcher  nur  die  anatomische  Ver- 
änderung der  Schleimhaut  für  die  Diagnose  bestimmend  war. 
Interessant  ist  jedoch  die  Angabe  Monti's^),  dass  im  ersten 
Lebensjahre  die  Diphtheritis  in  den  ersten  drei  Lebensmonaten 
relativ  häufiger  sei  als  zwischen  dem  3 — 10.  Monate,  und 
eine  ähnlich  lautende  Angabe  Jacobi's^),  dass  von  denjenigen 
Kindern,  welche  vor  dem  7.  oder  8.  Monate  befallen  werden, 
die  Mehrzahl  noch  unter  drei  Monaten  sei.  Die  Erklärung 
dieses  sonderbaren  Verhaltens  dürfte  zum  Theil  in  meinen 
später  folgenden  Erörterungen,  welche  auf  das  Vorkommen 
pseudodiphtheritischer  Rachenaffectionen  bei  Kindern  der  ersten 
Lebenswochen  hinweisen  sollen,  gefunden  werden. 

Aus  neuester  Zeit  liegen,  abgesehen  von  dem  sofort  zu 
erwähnenden  Berichte  SchlichtePs,  keine  weiteren  Mittbei- 
lungen über  Rächend iphtheritis  bei  Neugeborenen  und  jün- 
geren Säuglingen  vor,  wiewohl  sich  annehmen  lässt,  dass  jene 
Autoren,  welche  sich  mit  der  Bacteriologie  der  Diphtheritis 
beschäftigten,  bei  verdächtigen  Mundaffectionen  kleiner  Kinder 


1)  Croup  und  Diphtheritis,  Wien  und  Leipzig  1884.  S.  38  u.  187. 
8)  Diphtherie.    Gerhardts  Handb.  d.  Kinderkrankh.  JI.  Bd.    8.  701. 


424  A.  Epfteb: 

die  Untersuchung  ebenfalls  vorgenommen  haben.  Löffler') 
zählt  das  Auftreten  der  Diphtheritis  bei  Säuglingen  „zu  den 
seltensten  Vorkommnissen^'.  Dass  dieselbe  aber  auch  im  zar- 
testen Alter  vorkommen  kann,  beweist  der  von  Czemetschka^ 
mitgetheilte  Fall  von  Rhinitis  diphtheritica  bei  einem  19  Tage 
alten  Säuglinge  meiner  Klinik. 

Schlichter')  berichtete  im  Jahre  1892  Ober  21  Fälle 
von  angeblich  echter  Rachendiphtheritis,  welche  er  im  Laufe 
von  drei  Jahren  unter  21000  in  der  Wiener  Findelanstalt 
verpflegten  Kindern  beobachtete.  Bei  14  derselben  traten,  wie 
aus  Krankengeschichten  ersichtlich  ist,  die  Beläge  und  Ne- 
krosen innerhalb  der  ersten  zwei  Wochen  nach  der  Geburt, 
bei  5  in  der  dritten  und  vierten,  bei  1  in  der  fQnften  und 
bei  1  in  der  neunten  Lebenswoche  auf  Die  wegen  der  be- 
trächtlichen Anzahl  der  beobachteten  Fälle  interessante  Mit- 
theiluDg  leidet  jedoch  an  dem  Umstände,  dass  die  Diagnose 
nicht  genügend  begründet  ist,  indem  eine  bacteriologische 
Untersuchung  unterlassen  wurde.  Nur  nebenbei  wird  bemerkt, 
dass  bei  „einem  der  oben  geschilderten  Kinder^'  (wir  erfahren 
nicht  einmal,  bei  welchem)  in  den  Membranen  Loffler'sche 
Diphtheriebacillen  gefunden  wurden.  Der  hingestellte  Wahr- 
scheinlichkeitsschluss,  „dass,  wenn  auch  die  Untersuchung  nur 
bei  einem  Kinde  vorgenommen  wurde,  doch  kein  Grund  zu 
zweifeln  sei,  dass  auch  bei  allen  übrigen  Fällen  der  gleiche 
Bacillus  vorhanden  war'',  ist  nicht  einmal  nach  arithmetischen, 
geschweige  denn  nach  bacteriologischen  Regeln  zulässig. 
Schlichter  gelangt  zur  Diagnose  Diphtheritis  nicht  auf  dem 
Wege  der  objectiven  Thatsachen,  d.  i.  der  bacteriologischen, 
anatomischen  und  klinischen  Befunde  (er  begnügt  sich  in 
letzterer  Beziehung  mit  der  einfachen  Constatirung  eines 
Rachenbelages  oder  Nasenausflusses),  sondern  er  bemüht  sich, 
dieselbe  hauptsächlich  dadurch  zu  beweisen,  dass  er  einen 
causalen  Zusammenhang  und  eine  Continuität  der  in  der  An- 
stalt vorgekommenen  Erkrankungen  annimmt  Da  aber  zwischen 
den  einzelnen  Erkrankungen  zuweilen  Pausen  von  2,  3,  7  und 
selbst  15  Monaten  lagen,  so  wird  der  supponirte  Zusammen- 
hang recht  bedenklich.  Wenn  wirklich,  wie  Schlichter  an- 
zunehmen geneigt  ist,  eine  durch  drei  Jahre  anhaltende 
Diphtheritis -Epidemie  in  der  Wiener  Findelanstalt  bestanden 
hätte,   dann  würde   sie,  wie  Anstaltsendemien   lehren,  wahr- 


1)  Untersuchangen  über  die  Bedeataog  der  MikroorgaDismen  für  die 
Entstehung  d.  Diphtherie.  Mittheilgn.  a.  d.  kaiserl.  Gesund heitsamte. 
11.  Band. 

2)  Ein  Fall  von  Rhinitis  diphther.  (Aus  Prof.  Chiari's  Institut  in 
Prag.)    Prager  med.  Wochenschr.  1894. 

8)  Arch.  f.  Kinderheilk.  1892.  XIV.  Bd.     S.  189. 


m 


Psendodiphtheritis  Bopthäm.  Ursprungs  b.  Neugeb.  n.  Sänglingen.    425 

scheinlich  ganz  andere  Verheerungen  angerichtet  haben.  Merk- 
würdigerweise blieben  die  vielen  Hunderte  älterer  Kinder, 
welche  sich  während  dieser  Zeit  in  der  Anstalt  aufhielten, 
bis  auf  eines  (leichte  Erkrankung  —  nicht  bacteriologisch 
untersucht)  und  ebenso  auch  die  Tausende  von  Ammen  bis 
auf  zwei,  bei  welchen  nur  Beläge  an  den  Tonsillen  ohne 
weitere  bacteriologische  Untersuchung  constatirt  wurden,  un- 
behelligt. Von  21 000  Kindern  erkrankten  nur  21  an  der 
angeblichen  Loffler-Diphlheritis.  Es  handelte  sich  zumeist  um 
lebensschwache  oder  durch  vorausgegangene  schwere  Krank- 
heiten erschöpfte  Kinder,  welche  von  der  Bachenaffection  be- 
fallen wurden.  Schlichter  meint,  dass  die  vorhergehenden 
Krankheiten  die  individuelle  Disposition  hervorgerufen  hätten. 
Die  Annahme  einer  speciellen  Disposition  zu  Diphtheritis  ist 
gewiss  berechtigt.  Aber  es  widerspricht  der  Erfahrung,  dass 
diese  Disposition  an  vorhergehende  Erkrankungen  gebunden 
sei.  Vielmehr  gehört  es  zur  Regel,  und  dies  macht  eben 
diese  Krankheit  so  furchtbar,  dass  sie  bis  dahin  gesunde 
Kinder  befallt  und  in  kurzer  Zeit  hinwegrafft.  Hier  war  aber 
die  Frage  naheliegend,  ob  nicht  die  vorangehenden  oder,  rich- 
tiger gesagt,  die  bestehenden  schweren  Erkrankungen  in  einer 
directen  ursächlichen  Beziehung  zu  den  Rachenaffectionen  ge- 
standen sind.  Diese  Frage  wurde  von  Schlichter  nur  allzu 
flüchtig  gestreift,  wie  er  denn  überhaupt  ein  näheres  Ein- 
gehen auf  eine  Differentialdiagnose  und  die  Berücksichtigung 
der  einschlägigen  Literatur  für  überflüssig  hielt.  Nach  meiner 
Meinung  ist  für  die  in  der  Wiener  Findelanstalt  vorgekom- 
menen Fälle  von  echter  Diphtheritis  bei  neugeborenen  Kindern 
diese  Diagnose  nicht  nur  zweifelhaft,  sondern  es  liegen  selbst 
in  den  kurz  gehaltenen  Krankengeschichten  genug  Anhalts- 
punkte für  die  Vermuthung  vor,  dass  es  sich  bei  manchen 
derselben  um  secundäre  Nekrosen  der  Rachenschleimhaut  bei 
vorhandener  Septhämie  gehandelt  haben  dürfte.  Schon  das 
häufige  Vorkommen  der  eitrigen  Entzündungen  des  Nabels 
und  der  Nabelgefässe,  der  Enteritis  u.  s.  w.  wird  an  einen  sol- 
clien  Zusammenhang  erinnern  müssen. 

Es  würde  sich  schon  mit  Rücksicht  auf  meine  eigene 
Mittheilung  die  Nothwendigkeit  ergeben,  auf  jene  Infections- 
zustände  des  Neugeborenen,  die  wir  unter  dem  Namen  der 
Septicämie  zusammenfassen,  und  auf  die  eigenartige  Actio- 
logie  und  den  Polymorphismus  der  septischen  Erkrankungs- 
formen beim  Neugeborenen  des  Näheren  einzugehen.  Die 
Weiterungen  dieses  Gegenstandes  vermeidend,  verweise  ich 
auf  meine  füheren  einschlägigen  Arbeiten.  Wiewohl  sich  in 
den  letzten  Jahren  die  Lehre  der  septischen  Infection  des 
Neugeborenen  wesentlich  erweitert  hat,  so  ist  doch  die  Be- 


426  A.  Epstein: 

deutung  derselben  fQr  die  Pathologie  des  jüngsten  Eindes- 
alters und  für  die  Mortalität  der  ersten  Lebensmonate  noch 
lange  nicht  erfasst  worden.  Als  Maassstab  hiefür  dürfen  die 
kurz  und  aphoristisch  gehaltenen  Abschnitte  über  die  so- 
genannte Puerperalinfection  der  Neugeborenen  in  unseren 
Lehrbüchern  angesehen  werden  —  eine  viel  zu  enge  Bezeich- 
nung, welche  von  der  veralteten  Theorie  der  Abhängigkeit 
der  septischen  Erkrankung  des  Kindes  Yon  der  puerperalen 
Erkrankung  der  Mutter  ausgeht,  und  den  viel  zahlreicheren 
und  bedeutungsvolleren  Infectionen^  welche  vom  Kinde  erst 
nach  der  Geburt  erworben  werden,  keine  Rechnung  trägt. 
Sie  sollte  endlich  durch  die  Bezeichnung  ,,Septicämie  der 
Neugeborenen ''  ersetzt  werden,  unter  deren  Titel  eventuell 
auch  die  nur  eine  geringe  Rolle  spielende  puerperale,  d.  i.  intra- 
uterine Infection  des  Kindes  zu  fallen  hätte. 

Die  Verallgemeinerung  der  Lehre  von  der  Septicämie 
beim  Neugeborenen  wird  durch  eine  Reihe  von  äusserlichen 
Umständen  hintangehalten.  Gewohnheitsgemäss  und  vom  Er- 
wachsenen her  associirt  sich  der  Begriff  ISeptico-Pyämie  mit 
dem  Gedanken  an  eine  vorausgegangene  Verletzung  oder  Wunde. 
Die  Symptome  derselben  beim  Erwachsenen  sind  mehr  oder 
weniger  durch  typische,  locale  und  allgemeine  Erscheinungen 
und  häufig  auch  durch  eine  bestimmte  Aufeinanderfolge  der- 
selben charakterisirt,  so  z.  B.  durch  die  sichtbaren  Vorgänge 
an  der  Wunde  selbst,  durch  das  etappenmässige  Fortschreiten 
des  Processes,  den  Schüttelfrost,  das  continuirliche  Fieber, 
die  eitrigen  Metastasen  u.  s.  w.  Aehnliche  Verhältnisse  eines, 
wenn  ich  so  sagen  darf,  mehr  chirurgischen  Verlaufes  der 
Septico  -  Pyämie  beobachten  wir  zuweilen  auch  beim  Neu- 
geborenen, wenn  eine  sichtbare  und  mehr  umschriebene 
Ausgangsstelle  der  Infection  vorhanden  ist  oder  wenn  durch 
das  Auftreten  multipler  Eiterungen  die  Diagnose  offenbar  wird. 
Fälle  dieser  Art  bilden  jedoch  beim  Neugeborenen  nicht  die 
Regel  und  sie  sind  auch,  wie  ich  nebenbei  bemerken  möchte, 
prognostisch  nicht  gerade  die  ungünstigsten.  In  der  grossen 
Mehrzahl  der  Fälle  erfolgt  die  Infection  von  unscheinbaren 
Substanzverlusten  oder  im  Innern  des  Körpers  vorhandenen 
Herden  aus  oder  sie  schliesst  sich  den  diffus  verbreiteten 
katarrhalischen  Processen  der  Schleimhäute  an.  So  können 
die  Nabelwunde  und  die  Nabelgefässe,  der  Magen  und  Darm, 
die  Mund-  und  Rachenhöhle,  die  Urogenitalorgane,  kleine  Ver- 
letzungen oder  geringfügige  Entzündungsherde,  Excoriationen 
und  U  Icerationen  an  der  Haut  und  den  Schleimhäuten  und 
möglicherweise  auch  das  unversehrte  Epithel  zu  Ausgangs- 
punkten und  Ursachen  der  septischen  Allgemeininfection  werden. 
So  ist  es  wohl  erklärlich,  dass  zahlreiche   Fälle  von  Septd- 


Pseadodiphtheriiis  septhäm.  Ursprangs  b.  Neugeb.  n.  Säaglingen.    427 

cämie  der  Neugeborenen  unter  jener  Form  verlaufen,  welche 
als  interne  oder  spontane,  oder  kryptogenetische  Sepsis  be- 
zeichnet warde,  die  beim  Erwachsenen  zu  den  ungewöhn- 
licheren Vorkommnissen  gehört,  während  sie  hier  an  der  Tages- 
ordnung ist  Derartige  Fälle  von  Septhämie  der  Neugeborenen, 
insbesondere  solche,  welche  ohne  nachweisbare  Localinfection 
und  selbst  ohne  eine  vorausgehende  nachweisbare  Organerkran- 
kung unter  dem  Bilde  einer  hämorrhagischen  Diathese  oder 
unter  acut  und  bösartig  verlaufenden  septischen  Allgemein- 
erscheinungen verlaufen,  können  in  die  Gruppe  der  „primären 
septischen  Allgemeininfectionen^'  Gussenbauer's^)  eingereiht 
werden,  welcher  sich  dahin  ausspricht,  „dass  es  für  die  ätio- 
logische Auffassung  der  septhämischen  Allgemeinerkrankung 
gleichgiltig  ist,  ob  die  Fäulnissorganismen  in  Folge  einer 
Continuitätstreunung  der  Eörperoberfläche  oder  durch  die  nor- 
malen Auskleidungen  der  Eorperh'öhlen  in  das  Blut  gelangen^^ 

In  der  That  fährt  die  klinische  Beobachtung  mancher 
Erkrankungen  und  Symptomencomplexe  beim  Neugeborenen 
zur  Auffassung  derselben  als  Septicämien,  trotzdem  die  patho- 
logisch-anatomischen Leichenuntersuchungen  diesbezüglich  oft 
nur  eine  geringe  Ausbeute  liefern.  Elebs^)  hebt  mit  Recht 
hervor,  dass  bei  der  Sepsis  neugeborener  Kinder  embolische 
Processe  und  metastatische  Eiterungen  in  inneren  Organen 
selten  sind  und  die  Kinder  unter  dem  Einflüsse  allgemein- 
septischer  Infection  zu  erliegen  scheinen.  Dies  mag  darauf 
beruhen,  dass  die  mangelhafte  Reactionsfähigkeit  des  neu- 
geborenen Kindes,  die  sich  auch  klinisch  z.  B.  in  dem  so 
häufigen  Fehlen  eines  continuirlichen  Fiebers  kundgiebt,  der 
Ausbildung  typischer  anatomischer  Veränderungen  ein  Ziel 
setzt  und  dass  die  absolut  geringere  Ausbreitung  der  Ver- 
änderungen in  den  kleinen  Organen  um  so  eher  ein  Ueber- 
sehen  derselben  verschuldet.  Eingehendere  pathologisch-histo- 
logische  Untersuchungen  der  Organe  des  Neugeborenen,  die 
allerdings  erst  eine  tiefere  Kenntniss  der  normal  histologischen 
Verhältnisse  voraussetzen,  werden  vielleicht  genauere  Auf- 
schlüsse liefern  als  die  einfache  makroskopische  Besichtigung. 
Dabei  dürfte  es  sich  auch  herausstellen,  dass  capilläre  Mikro- 
kokkenembolien  und  Gewebsnekrosen  nicht  nur  nicht  selten 
sind,  sondern  zu  sehr  häufigen  Befunden  gehören. 

Wie  zuweilen  die  klinische  Beobachtung  allein  genügen 
kann,  um  den  septischen  Charakter  einer  Krankheit  zu  er- 
kennen,  zeigt  z.  B.  die   acute  Gastroenteritis   der   Säuglinge, 

1)  Septhämie.    Deutsche  Chirnrgie  von  Billroth  und  Lücke  1882. 
Lief.  4.    S.  101. 

2)  Eulenburg'sBealencyklopädie  der  ges.  Heilk.  IL  Aufl.  XVIILHd. 
8.  869.    „Sepsis". 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    XXXIX.  29 


428  A.  Epstein: 

▼OD  welcher  ich  zanächsti  yon  klinischen  Thatsachen  aus- 
gehend, die  Meinung  ausgesprochen  habe,  dass  dieselbe  eine 
Allgemeinerkrankung  ist,  sowie,  dass  zahlreiche  Fälle  auf 
einer  septischen  Infection  beruhen  und  dass  bei  Kindern  der 
ersten  Lebenswochen  die  Septicamie  in  dem  Bilde  einer  acuten 
Gastroenteritis  ihren  einzigen  Ausdruck  finden  kann.  Zu  dieser 
Ansicht  muss  man  gelangen,  wenn  man  die  Aufeinanderfolge 
der  Erscheinungen:  die  gastrointestinale  Störung,  die  Nephritis, 
die  cerebralen  Erscheinungen,  die  Hautexantheme,  die  Herz- 
schwäche, die  lobuläre  Pneumonie  als  einen  zusammengehörigen 
Sjmptomencomplez  betrachten  lernt,  der  sich  yon  jenem  der 
manifesten  Pyo-Septhämie  nur  durch  das  wegen  des  rapiden 
Verfalles  bedingte  Ausbleiben  der  Eiterherde  unterscheidet 
Uebrigens  fehlt  es  in  manchen  und  besonders  protrahirten 
Fällen  auch  nicht  an  solchen.  Man  darf  nur  nicht,  wie  dies 
bisher  oft  geschehen  ist,  die,  wenn  auch  seltener  auftretenden, 
entzündlichen  Processe  in  anderen  Organen,  die  hämorrha- 
gischen Zustände,  die  Thrombosen,  die  Gangrän  etc.  als  Ck>m- 
plicationen  oder  als  marantische  Folgezustände  der  Gastro- 
enteritis betrachten,  sondern  muss  sie  als  zur  Krankheit  ge- 
hörige und  durch  die  AUgemeininfection  bedingte  Symptome 
derselben  würdigen.  Diese  ans  klinischen  Erfahrungen  ge- 
wonnene Anschauung  über  die  septische  Natur  der  acuten 
Gastroenteritis  ist  durch  die  von  Rud.  FischP)  ausgeführten 
anatomisch-bacteriologischen  Untersuchungen  an  Einderleichen 
gestützt  und  am  beweiskräftigsten  durch  die  bacteriologischen 
Blutuntersuchungen  dargethan  worden,  welche  Czerny  und 
Moser*)  &n  lebenden  Kindern,  die  an  acuter  Gastroente- 
ritis erkrankt  waren,  vorgenommen  haben. 

Nach  dieser  allgemeinen  Erörterung,  die  mir  für  den 
Zweck  meiner  Mittheilung  nicht  überflüssig  schien,  wende  ich 
mich  zu  den  septischen  Affectionen  der  Mund-  und  Rachen- 
schleimhaut. Diese  können  entweder  primär  aus  Localinfec- 
tionen  dieser  Schleimhaut  hervorgehen  oder  sie  etabliren  sich 
auf  derselben  secundär,  unter  Vermittlung  der  Blut-  oder 
Lymphcirculation  in  Folge  einer  septischen  AUgemeininfection, 
gleichgiltig,  woher  dieselbe  ausgeht.  Ist  die  AUgemeininfection 
von  einem  inficirten  Herde  der  Mund-Rachenhohle  ausgegangen, 
dann  können  daselbst  die  primären  und  die  secundären  Er- 
scheinungen der  septischen  Infection  ineinander  übergehen 
und  sind  dann  um  so  schwerer  zu  differenziren,  wenn  Local- 
und   AUgemeininfection    rasch   aufeinander  folgen.     Es  giebt 

1)  Zeitschr.  f.  Heilkunde  Bd.  XY. 

2)  Jahrbuch  f.  Kinderheilknude  Bd.  XXXVIÜ.   H.  4. 


k 


Psendodiphtheritis  septhäm.  Ursprünge  b.  Neugeb.  n.  Säaglingeo.     429 

endlich  Falle  von  Pyo-Septhämie  der  NeDgeborenen,  wo  über- 
haupt die  Entscheidung  schwierig  ist  und  auch  bei  der  Sec- 
tion  nicht  gefallt  wird,  ob  in  dem  vorliegenden  Falle  die 
Infection  ausgegangen  ist  von  den  vorhandenen  septischen 
MundgeschwQren  oder  etwa  von  dem  gleichzeitig  erkrankten 
Nabel  oder  dem  Darmcanale,  oder  von  irgend  einer  anderen 
etwa  noch  vorhandenen  Herderkrankung.  Die  Entscheidung 
wird  in  solchen  Fällen  deshalb  schwierig,  weil  jede  dieser 
Erkrankungen  an  und  für  sich  zur  AUgemeininfection  führen, 
andrerseits  aber  auch  als  eine  secundäre  Erscheinung  der 
Septhämie  sich  entwickeln  kann. 

Zu  einer  primären  septischen  Infection  der  Mund-  oder 
Rachenschleimhaut  können  verschiedene  Verletzungen  derselben 
Anlass  geben,  sei  es,  dass  der  Infectionsstoff  sofort  nach  der 
Verletzung  eingeimpft  wird  oder  erst  später  in  dieselbe  ge- 
langt. Am  häufigsten  entstehen  solche  Verletzungen  bei  den 
gewaltsam  und  schablonenhaft  geübten  Reinigungen  der  Mund- 
schleimhaut, ob  nun  dieselben  aus  prophylaktischen  oder  thera- 
peutischen Rücksichten  vorgenommen  werden.  Solche  Aufschür- 
fungen des  Epithels  und  die  aus  diesen  hervorgehenden  Ulcera- 
tionen  können  an  den  verschiedensten  Stellen  der  Mund-Rachen- 
höhle zu  Stande  kommen,  so  am  Gaumengewölbe,  an  der  Raphe, 
in  der  Umgebung  der  prominirenden  Epithelperlen,  an  der  Zunge, 
dem  Zungenbändchen,  an  den  Alveolarrändern  der  Kiefer,  an 
den  vorderen  Gaumenbögen  etc.  Am  regelmässigsten  entstehen 
sie  an  den  hinteren  äusseren  Winkeln  des  harten  Gaumens, 
wo  die  zackigen  Vorsprünge  der  beiden  Hamuli  pterygoidei 
eine  Verletzung  der  Schleimhaut  besonders  begünstigen.  Die 
an  diesen  symmetrischen  Stellen  entstehenden  Nekrosen  des 
Epithels,  welche  als  Bednar'sche  Aphthen  bekannt  sind,  ver- 
wandeln sich  bei  fortgesetzten  Insulten  und  insbesondere  bei 
geschwächten  Kindern  zu  verschieden  tiefen  und  ausgebrei- 
teten Ulcerationen,  welche  sich  über  die  ganze  Breite  des 
Gaumensegels  ausdehnen  und  bis  zum  Knochen  vertiefen 
können.  Diese  Gaumen winkelgeschwüre  können,  wie  ich  dies 
wiederholt  gesehen  habe,  zum  Ausgangspunkt  einer  septischen 
AUgemeininfection  werden.^) 

1)  Die  von  mir  im  Jahre  1884  gegebene  Erkl&ning  der  Pathogenese 
der  Bedn arischen  Aphthen,  welche  ich  auf  eine  mechaniBche  Ver- 
letsung  des  Epithels  Eorückgeführt  habe,  ist  seither  von  verschiedenen 
Autoren  (v.  Engel,  H.  Neamann,  Eröss,  Banmm)  bestätigt  und 
anch  von  Anderen  angenommen  worden.  Dagegen  hat  sich  E.  Fränkel 
auf  Grund  anatomischer  Untersuchungen  dahin  ausgesprochen ,  dass  es 
sich  von  vornherein  nm  eine  mykotische  Epithelnekrose  handle,  wo- 
bei er  ebenfalls  die  Möglichkeit  einer  AUgemeininfection  von  diesen 
Stellen  aus  annimmt.  Ich  selbst  mass  darauf  beharren,  dass  die  mecha- 
nische Abschenerang  des  Epithels  die  erste  Ursache  der  Bednar'schen 

29* 


430  A.  Epstein: 

umgekehrt  kann  es  geschehen,  dass  im  Laufe  einer  be- 
stehenden Septhämie  secundäre  Nekrosen  der  Mund-  und  Rachen- 
schleimhaut auftreten,  oder  dass  zufallig  vorhandeneVerletzungen 
sich  in  septische  Geschwüre  umwandeln.  Die  Nekrose  betrifft 
in  der  Regel  nur  die  Epithelschicht  der  Schleimhaut  und  ist 
dann  eine  Theilerscheinung  jener  allgemeinen  degenerativ- 
nekrotischen  Veränderung  des  Epithels,  die  bei  der  Septhämie 
der  Neugeborenen  an  allen  epithelialen  Decken  und  ihren  Ein- 
stülpungen (Niere,  Lungenalveolen,  Darmdrüsen  u.s.w.)  nach- 
zuweisen ist  und  welche  wahrscheinlich  durch  die  septische 
Intozication  verursacht  wird.  Neben  dieser  diffusen  und  des- 
halb weniger  charakteristischen  Veranderung  der  Schleimhaut, 
die  unter  dem  Bilde  des  Eatarrhes,  wenn  auch  von  diesem 
genetisch  yerschieden,  verläuft,  sehen  wir  zuweilen  auch  tie- 
fere Nekrosen  und  Ulcerationen  an  der  Mund-  oder  Rachen- 
schleimhaut auftreten.  Nicht  selten  ist  dies  der  Fall  bei 
protrahirt  verlaufenden  Formen  der  septischen  Gastroente- 
ritis, bei  welcher  auch  in  den  übrigen  Abschnitten  des  Ver- 
dauungstractus  (Oesophagus,  Magen,  Darm)  oder  auch  an  der 
Epiglottis  und  dem  Larynzeingang  ähnliche  Schleimhaat- 
nekrosen  vorgefunden  werden  können.  Die  am  Gaumenge  wölbe 
oft  zu  beobachtenden  Blutaustritte  und  die  zuweilen  auftreten- 
den submucösen  Abscesse  in  der  Mundhohle  deuten  darauf, 
dass  solchen  secundären  Nekrosen  auch  embolische  und  meta- 
statische Veränderungen  zu  Grunde  liegen  können.  Zu  den 
secundären  Folgezuständen  der  Septhämie  gehört  endlich  auch 
die  gangränöse  Form  der  Stomatitis,  bei  welcher  es  zu  einer 
mehr  oder  weniger  ausgebreiteten  Mortification  und  zu  bran- 
digem Zerfalle  der  Schleimhaut  und  der  angrenzenden  Gewebe 
kommt.  Ich  sah  dieselbe  in  selteneren  Fällen  bei  lange  an- 
haltender Herzschwäche  an  den  Alveolarwällen  der  Kiefer, 
am  Mundboden,  den  Lippen,  am  weichen  Gaumen,  im  Oeso- 
phagus auftreten. 

Die  Nekrosen  und  Ulcerationen  der  Schleimhaut,  wenn 
dieselben  einen  grösseren  Umfang  erreichen  und  am  weichen 
Gaumen,  den  Gaumenbögen,  den  Mandeln  und  der  nächsten 
Umgebung   localisirt   sind,   erinnern  wegen  ihres  Sitzes    und 


Aphthen  and  die  Ansiedelung  der  Mikroorganismen  erst  eine  weitere 
Folge  ist,  die  dann  freilich  zur  Nekrotisirung  des  Epithels  beiträgt. 
Die  Anwesenheit  von  Mikroben  in  dem  Epithel  und  den  subepitheliaien 
Gefässen  habe  ich  schon  damals  constatirt  und  auch  besprocben.  Es 
wäre  auch  merkwürdig,  dass  sie  auf  einer  wunden  Stelle  der  Mund> 
Schleimhaut  fehlen  sollten.  Ich  bin  zu  jener  Ansicht  auf  Qrund  syste- 
matischer klinischer  Beobachtungen  und  Versuche  gelangt.  Aus  der 
anatomiechen  Untersuchung  der  Endproducte  allein  lässt  sich  dieselbe 
freilich  nicht  gewinnen. 


Pseudodiphtheritis  septhäm.  Ursprungs  b.  Nengeb.  u.  Säuglingen.    431 

der  granen  oder  graugelblichen  Färbung  des  Belages  an  Di- 
pbtheritis  und  dürften  yielleicht  manchmal  zu  einer  derartigen 
Diagnose  bei  neugeborenen  Kindern  schon  Veranlassung  ge- 
geben haben.  Wir  bezeichnen  sie  in  unseren  Krankengeschichten 
als  yyUlcera  palati'^  oder  ,,ülcera  septica  palati'^ 

Eine  viel  grössere  Aehnlichkeit  und,  wie  ich  im  Hin- 
blick auf  einzelne  Fälle  behaupten  darf,  eine  in  klinischer 
und  anatomischer  Beziehung  völlige  Uebereinstimmung  mit 
Rachendiphtberitis  ergiebt  sich  in  solchen  Fällen,  wo  es 
zur  Bildung  fibrinöser  Ablagerungen  auf  und  in  der  Schleim- 
haut kommt,  wo  sich  auf  der  Bachenschleimhaut  zu- 
sammenhängende, derb  elastische  und  sich  erneuernde 
Häute  entwickeln,  Gewebsnekrosen  eintreten  und  der  Pro- 
cess  die  Neigung  hat,  in  derselben  Form  sowohl  nach  der 
Mundhöhle  zu  als  auch  nach  dem  Bespirations  •  und  Ver- 
dauungstracte  hin  sich  zu  verbreiten. 

Schon  mein  Lehrer  und  Vorgänger  an  der  Klinik,  v.Ritter^), 
hatte  derartige  Fälle  bei  neugeborenen  Kindern  gesehen  und 
in  der  Casuistik  seiner  Jahresberichte  unter  den  Bezeich- 
nungen Croup  und  Diphtheritis  pharyngis  et  laryngis  erwähnt 
Ich  selbst^)  habe  dann  im  Jahre  1879,  als  ich  diese  Schleimhaut- 
erkrankungen in  einer  Reihe  von  Fällen  genauer  klinisch 
beobachtet  und  histologisch  untersucht,  sowie  den  Zusammen- 
hang derselben  mit  der  Septhämie  nachgewiesen  hatte,  die- 
selben unter  den  Bezeichnungen  „septischer  Croup''  und  „sep- 
tische Diphtheritis''  beschrieben. 

Die  in  früheren  Jahren  viel  häufiger  beobachtete^  Fälle 
dieser  Art  sind  gegenwärtig  viel  seltener  geworden,  was  ich 
daraus  erklären  möchte,  dass  einerseits  die  bösartigen  Formen 
der  Septhämie  in  unserer  Anstalt  überhaupt  viel  seltener  ge- 
worden, ja  manche  Typen  derselben  sogar  fast  gänzlich  er- 
loschen sind,  und  dass  andrerseits  die  früher  systematisch  ge- 
übten Muudwaschungen,  welche,  wie  oben  bemerkt  wurde, 
zu  Verletzungen  und  Infectionen  der  Mundschleimhaut  Anlass 
geben  können,  nur  bei  bestimmter  Indication  und  mit  der 
entsprechenden  Vorsicht  vorgenommen  werden. 

Ein  nach  mehreren  Jahren  wieder  beobachteter  Fall  dieser 
Art,  welcher  zu  einer  bacteriologischen  Untersuchung  Gelegen- 
heit gab,  veranlasst  mich  wieder,  auf  jene  Beobachtungen 
zurückzukommen  und  dieselben  zu  ergänzen. 

In   der  Regel  sind  es  schwer  kranke  oder  durch  Krank- 

1)  Viert eljahrschr.  f.  prakt.  Heilk.  1868.   I.  B.    S.  41  nnd  Jahrb.  f. 
Physiol.  Q.  Pathol.  des  ersten  Eindesalters.    1868.   S.  72. 

2)  Ueber   septische  Erkrankungen   der  Schleimhäute   bei  Kindern. 
Arch.  f.  Kinderheilk.  I.  Band  und  Prager  med.  Wochenschr.  1879. 


432  A.  Epstein: 

heiten  herabgekommene  Kinder,  bei  denen  die  in  Rede  ste- 
hende Rachenaffection  auftritt.  Die  Yorangehenden  Erkran- 
kungen, 80  verschiedenartig  sie  auch  zu  sein  scheinen,  tragen 
den  gemeinschaftlichen  Charakter  der  Septhämie  an  sich  und 
können  als  solche  häufig  schon  durch  die  klinische  Beobach- 
tung erkannt  werden.  Der  Ausgang  ist  in  der  Regel  ein 
letaler.  Die  Dauer  beschränkt  sich  gewohnlich  auf  wenige 
Tage. 

Bei  systematisch  und  täglich  geQbten  Inspectionen  der 
Mund-Rachenhohle  war  ich  wiederholt  in  der  Lage,  den  Pro- 
cess  Yon  seinem  Beginn  an  zu  verfolgen.  Immer  geht  eine 
Rothung  und  Schwellung  der  Mund-  und  Rachenschleimhaut 
voraus,  wobei  gewohnlich  auch  Soor  vorhanden  zu  sein  pflegt. 
Die  fibrinöse  Exsudation  beginnt  gewöhnlich  im  Bereiche  des 
weichen  Gaumens,  manchmal  einseitig  von  einem  Gaumen- 
bogen aus  oder  im  Uebergangswinkel  zwischen  dem  Ober- 
und  Unterkiefer  oder  von  einer  Bednar'schen  Aphthe.  Einmal 
begonnen,  verbreitet  sich  der  Process  rasch  auf  die  Nachbar- 
schaft, indem  sich  eine  continuirliche,  grau-  oder  grünlich- 
gelbe, mattglänzende,  gegen  die  Umgebung  scharf  abstechende 
häutige  Auflagerung  bildet,  welche  Anfangs  innig  mit  der 
Unterlage  zusammenhängt,  später  manchmal  als  eine  derb 
elastische  continuirliche  Lage  abgelöst  werden  kann,  eine  blu- 
tende, von  Epithel  entblösste  und  geschwollene  Schleimhaut 
zurQcklässt  und  sich  wieder  erneuern  kann.  Die  Ausbreitung 
und  Intensität  des  Processes  hängt  von  dem  vorhandenen 
Kräftezustande  und  der  weiteren  Lebensdauer  des  Kindes  ab. 
In  länger  dauernden  Fällen  kann  derselbe  nicht  nur  das 
Gaumensegel,  die  Gaumenbögen,  die  Mandeln,  die  hintere 
Rachen  wand  ergreifen,  sondern  auch  den  Zungenrücken,  die 
Kiefer-  und  Lippenschleimhaut  einbeziehen.  Er  kann  auf  die 
Nase  übergehen,  aus  der  sich  dann  eitrig  blutige,  zfthe,  mit 
grauen  Fetzen  untermischte  Massen  entleeren,  welche  die  Haut 
excoriiren.  Nach  abwärts  kann  sich  der  croupöse  Process 
auf  die  beiden  Flächen  der  Epiglottis  und  den  Kehlkopf- 
eingang fortsetzen,  wo  dann  ebenfalls  fibrinöse  Auflagerungen 
und  Nekrosen  gefunden  werden.  Ich  sah  ihn  jedoch  niemals 
in  den  Kehlkopf  selbst  und  in  die  Trachea  vorschreiten,  wohl 
deshalb,  weil  die  Kinder  durch  die  stets  vorhandene  lobuläre 
Pneumonie  schon  früher  getödtet  werden.  Dagegen  setzt  sich 
der  Process  manchmal  tiefer  in  den  Verdauungstract  fort,  in- 
dem nicht  nur  auf  der  Schleimhaut  des  Oesophagus,  sondern 
auch  auf  der  Schleimhaut  des  Magens  fibrinöse  Auflagerungen 
oder  Nekrosen  gefunden  werden.  Es  scheint  mir,  dass  das 
Auftreten  der  Membranbildung  einer-  und  der  Nekrose  an- 
drerseits   weniger   von    der    Art   des   Epithels,    als   von    der 


Pseudodiphtheritis  septhäm.  Ürsprange  b.  Neageb.  u.  Säuglingen.    433 

Beschaffenheit  der  Unterlage  und  der  Befestigung  der  Schleim- 
haut abhängig  ist.  Ist  dieselbe  über  Knochen  oder  Knorpel 
gespannt,  oder  auf  einem  dichten  Gefüge  aufruhend  (harter 
Gaumen,  Kehlkopf,  Trachea,  Bronchien,  Nase,  Zunge),  dann 
scheint  gewöhnlich  die  oberflächliche  Epithelnekrose  d.  i.  die 
membranose  Auflagerung  zu  überwiegen,  während  in  einer 
schlaffen,  auf  Weich theilen  aufruhenden  Schleimhaut  (weicher 
Gaumen,  Gaumenbögen,  Mundboden,  Oesophagus,  Magen)  eher 
eine  tiefere  und  mit  einem  rascheren  Zerfall  des  Gewebes 
einhergehende  Infiltration  vor  sich  gehen  kann. 

Zur  besseren  Veranschaulich ung  des  Krankheitsbildes  füge 
ich  die  Abbildung  eines  schon  vor  längerer  Zeit  beobach- 
teten Falles  bei ,  die  ich  damals  wegen  der  ungewöhnlich 
grossen  Ausbreitung  des  Processes,  der  sich  sonst  gewöhn- 
lich nur  auf  die  Rachenpartie  beschränkt,  anfertigen  Hess. 
Es  handelte  sich  um  ein  Kind,  welches  in  den  ersten  Tagen 
nach  der  Geburt  an  einer  septischen  Gastroenteritis  erkrankte. 
Die  croupös-diphtheritische  Entzündung  ging  von  einem  links- 
seitigen Gaumeneckengeschwüre  aus  und  breitete  sich  über 
einen  grossen  Theil  der  Rachen-  und  Mundhöhle,  die  Nase 
und  die  Epiglottis  aus.  Tod  am  24.  Lebenstage.  Man  wird 
zugeben  müssen,  dass  die  Aehnlichkeit  mit  echter  Diphtheritis, 
bei  welcher  insbesondere  bei  protrahirtem  Verlaufe  eine  ähn- 
liche Ausbreitung  stattfinden  kann,  eine  sehr  grosse  ist. 

Ich  habe  noch  zu  bemerken,  dass  die  Körpertemperatur, 
wie  dies  auch  bei  anderen  pyo-septhämkchen  Erkrankungen 
des  Neugeborenen  gewöhnlich  der  Fall  ist,  in  der  Regel  in 
normalen  oder  subnormalen  Grenzen  sich  bewegt.  Erhebliche 
Drüsenschwellungen  werden  in  der  Regel  nicht  beobachtet^ 
wie  denn  überhaupt  in  jenem  Lebensalter  das  Lymphdrüsen- 
system bei  verschiedenen  acuten  und  chronischen  Infections- 
krankheiten  nur  wenig  in  Mitleidenschaft  gezogen  wird.  Es 
war  ferner  eigenthümlich,  dass  solche  Fälle  nur  sporadisch 
auftraten. 

Die  Abbildung  dürfte  mich  auch  der  Mühe  entheben,  für 
jenen  ganz  besonders  eklatanten  Fall  die  Differentialdiagnose 
des  Soors  weitläufig  auszuspinnen.  Hier  wird  die  Eigenart 
der  ganzen  Erscheinung,  die  scharfe  Abgrenzung,  Solidität 
und  Dicke  der  häutigen  Auflagerungen  den  Gedanken  an  eine 
Sooreruption,  selbst  ohne  histologische  Untersuchung,  kaum 
aufkommen  lassen.  Dagegen  könnte  bei  der  Entwickelung 
inselförmiger  und  zarterer  fibrinöser  Auflagerungen,  und  ins- 
besondere, wenn  man  diesen  Process  bei  Neugeborenen  nicht 
kennt,  ein  Uebersehen  desselben  oder  eine  Verwechslung  mit 
Soor  um  so  eher  stattfinden,  als,  wie  ich  früher  erwähnt 
habe,  sehr  oft  ein  intensiver  Soor  vorauszugehen  pflegt,  wie- 


434  A.  Epstein: 

wohl  ich  andrerseits  auch  Falle  beobachtet  habe,  wo  der  Soor 
durch  seine  unbedeutende  Entwickelung  eine  ganz  untergeord- 
nete Rolle   spielte   oder   schon   in  Abnahme  oder  auch  ganz 
geschwunden  war,  als  die  fibrinöse  Exsudation  auftrat.    Das 
regelmässige  Vorangehen  des  Soors  konnte  die  Meinung  ent- 
stehen lassen,   dass  die  hier  geschilderte  Schleimhautaffection 
vielleicht  ein  directer,  wenn  auch  ungewöhnlicher  Folgezustand 
des  ersteren  sein  dQrfte.     Ich  muss  einer  solchen  Auslegung 
widersprechen  und  glaube  vielmehr,  dass  es  sich  trotz  dieses 
Zusammentreffens  um  anatomisch  und  ätiologisch  verschiedene 
Processe  handelt.     Die  Beziehungen,  welche  zwischen  beiden 
obwalten,  treffen  nur  in  dem  Umstände  zusammen,  dass  sie 
beide  zu  ihrer  Entstehung   gewisser  Vorbedingungen   sowohl 
allgemeiner  als  localer  Natur  bedürfen  oder,  in  anderen  Worten 
ausgedrückt,    dass    sie    beide    secundäre   Erkrankungen   sind. 
Auch  der  Soor  ist  eine  solche,  da  er  weder  bei  einem  voll- 
kommen gesunden  Kinde  noch  auf  einer   normalen  Schleim- 
haut entsteht.     Es  ist  wohl  möglich,  dass  die  vorangehende 
Soorentwickelung    den    Boden    vorbereiten    hilft,    indem    das 
zwischen  und  unter  dem  Epithel  wachsende  Soorgeflecht  die 
Ernährung  des  Epithels  behindert  und  eine  Nekrose  desselben 
befördert.    Aber  es  bedarf  noch  eines  besonderen  Reizes,  und 
dieser  wird  hier  ohne  Zweifel  durch  die  Septhämie   erzeugt, 
um  die   fibrinöse  Transsudation  auszulösen.     Diese  letz- 
tere kommt  aber  dem  Soor  nicht  zu.     In  den  von  mir  unter- 
suchten   septisch -croupösen  Auflagerungen   waren   oft  weder 
Fäden  noch  Sporen  von  Soor  zu  finden,  und  wenn  auch  solche 
zu  finden  wären,  so  hat  dies  f&r  die  Deutung  des  Processes 
ebenso  wenig  Bedeutung,  als  etwa  die  Auffindung  von  Soor- 
fäden  bei  gangränöser  Oesophagitis  oder  von  Leptothrixfaden 
bei    echter   Diphtherie.      Der   wesentlichste   Unterschied    der 
septisch -croupösen  Rachen-   und  MundentzQndung  beim  Neu- 
geborenen  ist  eben  die  fibrinöse  Auf-  und  Einlagerung,  die 
sich    übrigens    häufig    schon   mikroskopisch    von   dem    Soot- 
belage  auffällig   unterscheidet.     Ueberhaupt   scheint   mir  der 
bei   der  Beschreibung   des  Soors  manchmal    gebrauchte  Aus- 
druck „membranöse^^   oder   „pseudomembranöse  Auflagerung"' 
unrichtig  angewendet.     Das   mit  der  Pincette  losgelöste  und 
im  Wasser  sich  vertheilende  Klümpchen,  oder  der  kleine,  ein- 
gerollte Epithelfetzen  verdient  diese  Bezeichnung  um  so  weniger, 
wenn  man  dieselben  Ausdrücke  auch  bei  Croup  und  DiphÜie- 
ritis   anwendet.     Der  Gebrauch   derselben   für  den   Soorbelag 
entstammt  noch  den  älteren  Schilderungen  des  Soors  bei  den 
französischen   Autoren  (Billard,   Valleix),   welche  die   Pilz- 
natur  des  Soors  noch   nicht  kannten,  denselben  für  das  Pro- 
duct    einer    entzündlichen   Absonderung    ansahen    und    unter 


PseudodiphtheritiB  septh&m.  ürsprangs  b.  Neageb.  u.  Säagliogen.    435 

dieaerVoraussetznng  auch  wirkliche  Entzündungen  der  Sehleim- 
häate  mit  einbezogen.^) 

Von  den  sonstigen  Mundaffectionen,  welche  bezüglich  der 
Differentialdiagnose  in  Frage  kommen  konnten,  wäre  noch  die 
Stomatitis  aphthosa  zu  erwähnen,  welche  zuweilen,  insbeson- 
dere bei  kachektischen  Kindern  und  wenn  die  Plaques  con- 
fluiren,  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  diphtheritischen  Pro- 
ducten  annehmen  kann.  Ganz  abgesehen  von  den  wesentlichen 
unterschieden  des  klinischen  Erankheitsbildes  wird  hier  die 
Stomatitis  aphthosa  um  so  eher  auszuschliessen  sein,  als  die- 
selbe, wenigstens  nach  meinen  persönlichen  Erfahrungen,  bei 
Kindern  der  ersten  Lebenswochen  überhaupt  nicht  vorkommt. 

Die  histologische  Untersuchung  der  erkrankten  Schleim- 
haut ergab,  von  dem  bacteriologisehen  Verhalten  abgesehen, 
eine  ziemliche  Uebereinstimmung  mit  den  Veränderungen,  wie 
sie  bei  Diphtheritis  vorgefunden  werden.  Das  Wesentliche 
des  Processes  besteht  in  einer  Auflagerung  fibrinöser  Massen 
von  verschiedener  Mächtigkeit.  Manchmal  ist  die  ganze  Epithel- 
schicht in  der  Fibrinschicht  aufgegangen,  sodass  dieselbe  un- 
mittelbar der  Schleimhaut  anliegt,  während  an  anderen  Stellen 
die  tiefere  cylindrische  Lage  des  Epithels  mehr  oder  weniger 
deutlich  und  zusammenhängend  erhalten  ist.  In  den  Maschen 
des  faserstoffigen  Balkenwerkes  lagern  nekrotische  Epithelien, 
daneben  zerstreut  oder  in  Gruppen  angeordnet  finden  sich 
Kerne  von  Leukocyten,  welche  besonders  in  den  tieferen 
Schichten  der  Auflagerung  reichlicher  vorhanden  sind  und 
sich  an  manchen  Stellen  zwischen  der  Fibrinlage  und  der 
Schleimhaut  so  dicht  anhäufen,  dass  die  erstere  dadurch  ab- 
gehoben erscheint.  Die  Schleimhaut  selbst  und  insbesondere 
die  Papillen  sind  von  erweiterten,  dicht  gefüllten  Geföss- 
schlingen  durchzogen.  Im  Gewebe  derselben  und  besonders 
in  der  Umgebung  der  Gefässe  sind  zahlreiche  Leukocyten  an- 
gehäuft. Stellenweise  ist  das  Faserstoffnetz  zerklüftet  und 
darunter  das  Gewebe  der  Schleimhaut  selbst  im  Zerfalle.  Ge- 
wohnlich  ist   die  fibrinöse  Auflagerung  vorherrschend,  doch 


1)  Nach  der  Beschreibung,  welche  Billard  von  der  „malignen** 
Form  des  Soors  entwirft  und  in  welcher  er  erwähnt,  dass  es  bei  dem- 
selben in  Folge  einer  intensiven  Entzündang  der  Mandschleimhant  an- 
statt der  gewöhnlichen  „schleimigen  Absondernng**  zur  Ausscheidung 
von  Fibrin  aus  den  Oefässen  kommen  kann,  ist  es  mir  wahrscheinlich, 
dass  er  zuweilen  croupöse  Formen  von  Stomatitis  und  Pharyngitis  beob- 
achtet haben  dürfte.  Billard  ist  es  auch,  welcher  die  Specificität  des 
Bretonneau^schen  Croup  leugnete  und  annahm,  dass  es  sich  bei  diesem 
nur  um  eine  intensivere  katarrhalische  Entzündung  der  Schleimhaut  mit 
Fibrinbildung  handelt,  wobei  er  auf  die  analogen  Yerh&ltnitise  beim 
Soor  hinweist.  (Traitä  des  mal.  des  enfans  nouveau-n^s.  1885.  S.  126 
and  S.  282.) 


436  A.  Epstein: 

giebt  es  Fälle,  wo  der  nekrotische  Zerfall  der  Schleimhaut 
rascher  um  eich  greift  and  die  erstere  mehr  in  den  Hinter- 
grund tritt.  Dies  scheint  namentlich  dann  der  Fall  zu  sein, 
wenn  der  Process  bei  sehr  geschwächten  nnd  schon  dem  Tode 
nahen  Kindern  eintritt. 

Die  bacteriologische  Untersuchung  jener  Fälle^  welche 
meiner  ersten  Mittheilung  zu  Grunde  lagen,  geschah  zu  einer 
Zeit,  wo  die  derzeit  gangbaren  Culturmethoden  noch  nicht 
eingeführt  waren.  Trotzdem  möchte  ich  derselben  doch  nicht 
allen  Werth  absprechen.  Die  mikroskopische  Untersuchung 
wurde  in  dem  hiesigen,  damals  von  Prof«  Elebs  geleiteten 
pathologisch-anatomischen  Institute  vorgenommen,  welcher  zu 
jener  Zeit  schon  die  Diphtheritis  als  eine  eigenartige  bacilläre 
Erkrankung  erkannt  und  beschrieben  hatte,  wobei  er  aller- 
dings, wie  auch  noch  späterhin^),  die  Meinung  aussprach, 
dass  es  fibrinöse  Exsudationen  der  Racbenschleimhaut  mit 
gleichen  anatomischen  Eigenschaften  gebe,  welche  durch  Mikro- 
kokken  erzeugt  werden.  In  den  von  mir  untersuchten  Fällen 
waren  nur  Kokken  vorhanden.  Sie  fanden  sich  in  den  fibri- 
nösen Auflagerungen,  sowie  auch  im  Gewebe  der  Schleimhaut. 
Am  zahlreichsten  und.  zuweilen  eine  continuirliche  Lage  bil- 
dend, bedeckten  sie  die  oberst^e  Lage  der  Fibrinschicht.  Den 
Epithelien  folgend  waren  sie  auch  in  den  tieferen  Fibrin- 
lagen zu  sehen  und  fanden  sich  zahlreich  in  nekrotisirenden 
Herden  der  Schleimhaut. 

Zu  jener  Zeit,  wo  die  anatomische  Veränderung  allein 
f&r  die  Diagnose  Croup  und  Diphtheritis  maassgebend  war, 
war  es  wohl  gerechtfertigt,  die  von  mir  beobachteten  Affec- 
tionen  in  diese  Kategorie  einzureihen.  Nachdem  femer  die 
klinischen  Beobachtungen  und  die  Sectionsbefunde  einen  ätio- 
logischen Zusammenhang  mit  einer  septischen  Infection  an- 
nehmen Hessen,  so  habe  ich  die  beobachteten  Fälle  als  „sep- 
tischen Croup^'  und  „septische  Diphtheritis''  beschrieben,  wobei 
ich  nur  bemerken  möchte,  dass  diese  Ausdrücke  damals  in 
einem  andern  Sinne  gebraucht  wurden,  als  dies  gegenwärtig 
üblich  ist  Was  den  Zusammenhang  der  Rachenaffection  mit 
der  septischen  Infection  betrifft,  so  habe  ich  in  meiner  Mit- 
theilung die  Beantwortung  der  Frage,  ob  es  sich  um  eine 
primäre  septiriche  Infection  der  Schleimhaut  oder  um  ein  secun- 
däres  Product  einer  septischen  AUgemeininfection  handle,  ofiFen 
gelassen. 

Der  nach  einer  mehrjährigen  Pause  wieder  beobachtete 
Fall  hat  mir  Gelegenheit  gegeben,  eine  genauere  bacterio- 
logische Untersuchung  vorzunehmen  und  über  die  Pathogenese 


1)  Allgem.  Pathologie  L  Bd.    8.  198  n.  ff. 


Psendodiphtheritis  septhäm.  Ursprungs  b.  Neugeb.  u.  Säuglingen.    437 

des  Processes  Aufschlnss  zu  gewinnen.  Hierbei  wurde  ich 
durch  einen  besonders  glücklichen  Zufall  unterstützt,  wel- 
cher darin  bestand,  dass  bei  dem  Einde  eine  bacteriologische 
Untersuchung  des  Blutes  vorgenommen  worden  war,  bevor 
noch  die  Pbarynxerkrankung  auftrat. 

Der  Fall  betrifft  ein  20  Tage  altes  Eind  und  unterscheidet 
sich  von  den  früher  beobachteten  durch  seine  Beschränkung 
auf  den  weichen  Gaumen,  durch  seinen  kurzen  Verlauf,  durch 
die  geringere  fibrinöse  Exsudation  und  die  dafür  intensivere 
Nekrose  der  Schleimhaut.  In  ätiologischer  Beziehung  ist  er 
den  anderen  gleich  zu  stellen. 

Agnes  S.,  Prot.-Kr.  9008,  geboren  am  20.  Januar  1894,  wurde  am 
1.  Februar  1894  auf  die  Kinderklinik  der  FindelaDstalt  aufgenommeD. 
Das  Eind  ist  normal  gebildet,  schwächlich,  abgemagert.  Körpergewicht 
2700  g,  Kopfumfang  84  cm,  Brnstomfang  29,6  cm.  Wird  von  seiner 
Matter  gestillt. 

2.  Febr.  Kg.  2620  g.  Im  Laufe  der  letzten  24  Stunden  16  dünn- 
flüssige, spritzende,  hellgelbe  Stühle.  Ist  verfallen,  Herztöne  schwach, 
Aftertemperatur  Abends  38,0. 

8.  Febr.  Das  Kind  trinkt  schwach.  4  wässerige  Stühle.  Herz- 
töne dumpf.  BHO.  Percufisionsschall  verkürzt.  Der  Harn  trüb,  enthält 
viele  Urate  und  Phosphate,  Eiweiss,  sehr  zahlreiche  Cylinder.  Kg.  2400, 
Temp.  37,6—87,6. 

4.  Febr.    Unverändert.    Kg.  2300.    Temp.  86,8—87,0. 

6.  Febr.  6  dünnflüssige,  hellgelbe  Stühle.  KHO.  verkürzt,  nach 
abwärts  tympanitisch.  Beginnendes  Sclerem  an  den  Unterschenkeln. 
Kg.  2200,  Temp.  87,6—87,6. 

6.  Febr.    6  zähe,  hellgelbe  Stühle.    Kg.  2160,  Temp.  38,0,  37,2. 

7.  Febr.  Gestern  Abend  angeblich  blutiger  Harn.  Hauch  auf< 
getrieben,  Respiration  sehr  frequent,  Herztöne  schwach,  Sclerem  der 
unteren  Extremitäten  und  am  Rücken.  Die  täglich  inspicirte  Mund- 
und  Rachenschleimhaut  bisher  von  normaler  Beschafi^enheit,  kein  Soor. 

8.  Febr.  Morgens.  An  der  Zungenspitze  und  den  Rändern  spärliche, 
punktförmige  Soorvegetationen.  Am  Gaumen  die  Schleimhaut  ecchy- 
mosirt.  Das  Gaumensegel  und  die  vorderen  Gaumenbögen 
mit  einer  mattglänzenden,  grauen,  zusammenhängenden, 
fest  haftenden  Auflagerung  bedeckt,  welche  nach  vom  scharf 
abgegrenzt  ist.  Die  Gegend  unter-  und  oberhalb  des  linken  Unter- 
kieferastes stark  geschwollen  und  infiltrirt.  Respiration  stark  beschleu- 
nigt. Das  Inspirium  von  einem  laut  hörbaren,  stenotischen  Gei'äusche 
begleitet.    Herzaction  schwach. 

Im  Laufe  der  Nacht  Zunahme  der  Laryngostenose.  Tod  2^  Uhr 
Morgens. 

Klinische  Diagnose:  Gastroenteritis  acuta,  Nephritis,  Sclerema, 
Pneumonia,  Necrosis  palati  mollis. 

Die  pathologisch-anatomische  Diagnose  (Herr  Prof.  Chiari) 
lautete:  Pneumonia  lobul.  bilat.,  Inflammatio  acuta  palati  mollis,  De- 
generatio  parench.  hepatis  et  renum,  Tumor  lienis  acutus,  Gastroente- 
ritis, Infarctus  aciduricus  renuro.  Bezüglich  der  Rachenaffection  wurde 
Folgendes  notirt:  „Die  Schleimhaut  im  Bereiche  der  beiden  Gaumen- 
bögen  und  im  Pharynx  missfarbig  und  mit  einem  grauröthlichen  Be- 
lage versehen.  Solche  Beläge  auch  an  der  Epiglottis  und  den  aryepi- 
glottischen  Falten." 


438  A.  Epstein: 

Die  in  meiner  Klinik  yorgenommene  bacieriologische  Untennchnng 
erstreckte  »ich  anf  das  Blut  nnd  den  Bachenbelag  des  lebenden  Kindes. 
Die  Untersuchung  des  Blutes  geschah  noch  vor  dem  Auftreten 
der  Rachen  äff  ection.  Sie  war  mit  Rflcksicht  auf  die  vorhandene 
Gastroenteritis  Torgenommen  worden,  welche  sich  als  eine  infectiOse 
Allgemeinerkrankung  auch  dadurch  documentirt,  dass  im  Verlaufe  der- 
selben oft  schon  im  circulirenden  Blute  Bacterien  nachgewiesen  werden 
können.  Am  S.,  4.,  6.,  6.  nnd  8.  Februar  wurden  vom  Blute  des  Kindes 
Impfungen  anf  Agar,  Olycerinagar  und  Oelatine  vorgenommen.  Anf  dem 
am  6.  Februar  geimpften  Röhrchen  gingen  swei  Colonien  von  Strepto- 
kokken auf.  Dieselben  verhielten  sich,  wie  Parallelversache 
seigten,  morphologisch  und  biologisch  vollkommen  gleich 
den  später  aus  dem  Rachenbelage  gezüchtetenStreptokokken. 
Am  8.  Febroar  4  Uhr  N.  M.  wird  von  dem  Rachenbelage  auf  Blut- 
serum und  Glycerinagar  abgeimpfk  und  die  Culturen  bei  87*  C.  ein- 
gestellt. 

10.  Februar.  Auf  allen  N&hrböden  reichliche  Entwickelang  von 
verschiedenen  Colonien,  von  denen  jedoch  keine  fSr  Löüler- Bacillen 
charakteristisch  ist. 

Mikroskopisch:  Streptokokken,  Staphylokokken  und  lange 
Stäbchen. 

Die  durch  das  Plattenverfahren  isolirten  Streptokokken  erweisen 
sich  morphologisch,  biologisch  und  beim  Thierezperiment  identisch  mit 
den  aus  dem  Blute  des  Kindes  gezüchteten  Streptokokken. 
Sie  wachsen  auf  Agar  in  kleinen,  scharf  circumscripten ,  runden  und 
durchscheinenden ,  weissgrauen  Colonien.  Mikroskopisch  untersucht 
zeigen  sie  sehr  lange  Ketten,  auch  beim  Wachsthum  auf  Agar.  In 
Bouillon  rasches  Wachsthum  in  langen  Ketten.  Auf  Kartoffeln  makro- 
skopisch ein  Wachsthum  nicht  constatirbar.  In  Gelatine  (Stich)  bei 
Zimmertemperatur  war  ein  Wachsthum  nicht  su  erzielen.  Sie  sind  nach 
Gram  sehr  gut  ftrbbar.  Intravenös  rufen  sie  beim  Kaninchen  keine 
Erscheinungen  hervor.  Nach  subcutaner  Injection  in  die  Ohren  ent- 
9 tobt  beim  Kaninchen  eine  erysipelatöse  Röthung,  welche  die  Injections- 
stelle  weit  überschreitet  und  nach  2  —  8  Tagen  wieder  verschwindet. 
In  die  vordere  Augenkammer  von  Kaninchen  eingebracht,  entsteht  da- 
selbst eine  intensive  Eiterbildung. 

Von  den  Staphylokokken  Hessen  sich  zwei  Arten  unterscheiden, 
welche  nach  ihren  Eigenschaften  als  Staphylococcus  pyogenes  albus 
und  aureus  bestimmt  wurden.  Beide  verfliissigen  Gelatine.  Der  Sta- 
phylococcus aureus  bildet  nach  einigen  Tagen  am  Boden  des  Ver- 
flüäHigungstrichters  sein  orangefarbenes  Pi^ment,  während  der  Staphylo- 
coccus albus  seine  weisse  Farbe  beibehielt.  Beide  sind  nach  Gram 
sehr  gut  nirbbar.  Auf  Agar  zeigen  beide  sehr  rasches  Wachsthum, 
der  Staphylococcus  aureus  producirt  wieder  sein  orangegelbes  Pigment 
Auf  Kartoffeln  wachsen  beide  in  Form  eines  dünnen,  weissUchen  Be- 
lages, der  Staphylococcus  aureus  nimmt  nach  kurzer  Zeit  die  intensive 
oran^egelbe  Farbe  an.  Die  Colonien  auf  Blutserum  zeigen  die  gleichen 
Verhältnisse  wie  auf  Agar.  Die  Bouillon  trübt  sich  bereits  innerhalb 
der  ersten  24  Stunden.  Beide  Staphylokokkenarten,  in  die  Blntbahn 
von  Kaninchen  eingebracht,  tödteten  die  Thiere,  St  aureus  in  24  Stunden, 
St.  albus  in  48  Stunden.  In  die  vordere  Augenkammer  gebracht ,  er- 
zeugten beide  Pan Ophthalmitis. 

Mit  diesen  in  der  Klinik  gewonnenen  Ergebnissen  stimmt  die  im 
pathologisch  -  anatomischen  Institute  vorgenommene  bacteriolo^ische 
Untersuchung  an  der  Leiche  überein.  Sie  ergab  in  Bezug  auf  LöfiTIer- 
Bacillen  einen  ebenfalls  negativen  Befund.  Impfungen  vom  Gaamen- 
bt'lage  auf  Agar  erwiesen  Streptococcus  pyogenes  und  Staphylococcus 


Psendodiphtheritis  septh&m.  ünpnings  b.  Nengeb.  n.  Säuglingen.    439 

pyogenes.    Vom  Langensafte  wurde  Streptococcus  pjogenes  ge- 
wonnen. 

Die  histologische  Untersuchung  der  mir  von  Herrn  Prof.  Chiari 
überlassenen  Orgamtücke  ergab  in  Kurzem  Folgendes:  Die  untersuchte 
Gaumenpartie  ist  des  Epithels  verlustig,  die  ganze  Mucosa  zum  Theil 
kleinzellig  dicht  infiltriit,  zum  Theil  in  eine  aus  einem  feinsten  Netz- 
werke bestehende  Masse  umgewandelt,  welche  bei  Weigert'scher  Fär- 
bung einen  bläulichen  Farbenton  annimmt,  keine  Kerne  zeigt,  und  aus 
welcher  sich  die  gut  färbbaren  Schleimdrüsen  scharf  abheben.  Die  er- 
wähnte Masse  ist  besonders  nahe  der  Oberfläche  dicht  von  Kokken 
durchsetzt.  An  manchen  Stellen  reichen  die  Kokkenhaufen  bis  in  die 
Muscularis.  In  der  Lunge  eine  vorwiegend  hämorrhagische  Infiltration 
sichtbar,  in  welcher  an  vielen  Stellen  Mikroorgauismenhaufen  zu  er- 
kennen sind.  Am  Lebergewebe  sind  keine  Veränderungen  wahrzunehmen, 
nur  hie  und  da  finden  sich  die  Gapillaren  auf  kleine  Strecken  hin  voll- 
ständig von  Mikroorganismen  ausgefüllt.  Die  Milz  zeigt  in  der  Pulpa 
zahlreiche  pigmentführende  Zellen  und  vereinzelte  grosse  Kokkenhaufen. 
In  der  Niere  fallen  die  gewundenen  Cauälchen  in  Schnittpräparaten  da- 
durch auf,  dass  die  Epimelkerne  daselbst  weniger  Farbstoff  aufnehmen 
als  jene  der  Tubuli  recti.  Die  Epithelzellen  der  gewundenen  Canälchen 
sind  vergrössert,  granulirt.  In  zahlreichen  Canälchen  sind  hyaline  Cy- 
linder  sichtbar,  die  Glomeruli  sind  unverändert.  In  den  Schnitten  sind 
keine  Mikroorganismen  nachzuweisen. 

Wenn  man  den  klinischen  Verlauf,  das  anatomische  Ver- 
halten und  die  bacteriologische  Untersuchung  des  hier  er- 
örterten Falles  zusammenfasst,  so  lässt  sich  derselbe  bezüglich 
der  Art  und  Pathogenese  der  Rachenaffection  folgenderweise 
kurz  charakterisiren :  Bei  einem  drei  Wochen  alten  Kinde  tritt 
im  Verlaufe  einer  Gastroenteritis  eine  Rachenaffection  auf, 
die  sich  klinisch  und  anatomisch  wie  eine  Diphtheritis  ver- 
halt, jedoch  nicht  durch  Löffler- Bacillen,  sondern  durch  sep- 
tische Kokken  veranlasst  ist.  Dieselbe  ist  eine  secundäre 
Folge  einer  Septhämie,  welche  hier  wahrscheinlich  vom  Darm- 
tracte  ausgegangen  ist.  Da  die  zuerst  aus  dem  Blute  und 
die  aus  dem  später  auftretenden  Rachenbelage  gezüchteten 
Streptokokken  vollkommen  identisch  sind,  so  ist  es  wahr- 
scheinlich, dass  die  Rachenaffection  durch  Infection  der  Schleim- 
haut auf  dem  Wege  der  Blutbahn  erfolgt  ist. 

Es  liegt  somit  eine  „Pseudodiphtheritis  septhämischen 
Ursprungs"  vor,  mit  welchem  Namen  ich  deutlicher  als  in 
meiner  ersten  Mittheilung  einerseits  den  bacteriologischen 
Unterschied  von  der  Diphtherie,  sowie  andrerseits  die  Patho- 
genese des  Processes  zu  bezeichnen  glaube.  Mit  dem  Aus- 
drucke „septhämisch*^  wird  die  Septhämie  als  die  eigentliche 
Ursache  der  Rachenaffection  betont  und  dem  etwaigen  Miss- 
verstandnisse  begegnet,  als  ob  es  sich  um  eine  septische 
Local-  oder  Secundärinfection  der  Rachenschleimhaut  direct 
von  Aussen  her  handeln  würde.  Diese  Bezeichnung  dürfte  für 
alle  jene  Fälle  von  fibrinöser  oder  nekrotisirender  Pharyngitis 
anzuwenden   sein,    welche   durch   eine   bestehende   Septhämie 


43  u^gepüAm.  UrsprangB  etc. 

j     A.  ^f^     't^'/tfgf  ^^  ^^®  letztere  zu  Stande  ge- 

^if*f,  ^^^i^ßierhei  aach  an  manche  Formen  so- 

^'^^ii   ^'^-  f^/>^theriti8   bei  Variola,  Typhus,  Cho- 

ko'^'^^J^f  ^^"^^jgch   u.  8.  w.     Hier  kann   entweder   eine 

f^^^ßfäi^' L^erJtis  vorliegen,  in  welchem  Falle  man  die- 

^!^*i/r\"^^^ .  f  »l8  eine  Mischinfection,   als   eine  „seeundäre 

^he  ^'^l'ff  ga  bezeichnen   hat     Es   giebt   aber  noch   eine 

Dipf^^K^fOi  foD  Rachenaffectionen  im  Verlaufe  der  genann- 

r^^'jf^fibeiten,  welche   sich   sowohl    durch   den    klinischen 

^'^j   fgls  aach  durch  das  Fehlen  von  Loffler- Bacillen  von 

^echten  Diphtheritis  unterscheidet.     Es  ist  wahrscheinlich, 

ifL  dieselbe    der   Ausdruck    einer    aus   der   Grundkrankheit 

.  ^^j-gegangenen   Septhämie  ist,   und  auch  für  solche  Falle 

^gre  dann  die  Bezeichnung  „Pseudodiphtheritis  septhämischen 

Ürtprungs"  gerechtfertigt« 


XXIL 

Berieht  der  Kinderspitäler  0  ttber  das  Jahr  1893. 

Von 
Dr.  EiSBMSOBm  in  Wien« 

1.  St.  Annen-Einderspital  in  Wien. 

Verpflegt  wurden  1565  Kinder:  804  Knaben,  751  Mädchen. 

Geheilt  wurden  823,  gebessert  100,  nngeheilt  oder  auf  Verlangen 
entlassen  73,  gestorben  469  (81,2%),  91  inneäalb  der  ersten  24  Standen 
des  Spital anfenthaltes.     Verblieben  81. 

Es  standen  im  Alter:  bis  zum  1.  Jahre  100,  Tom  1. — 4.  J.  568,  vom 
4.-8.  J.  505,  vom  8.— 12.  J.  306. 

An  Diphtherie  wurden  behandelt  668,  davon  geheilt  821,  gestorben 
290  (45,6  %),  67  während  des  I.Tages  des  Spitalaufenthaltes,  verblieben  83. 

1)  Tracheotomirt  (schwerste  Fälle):  133,  gestorben  128, 
intubirt  (primäre  Fälle): 
nur  intubirt  (prim.  Fälle): 
intubirt  mit  nachfolg.  Tracheot. 

2)  Nach  secund.  Masem-Croup ; 
nur  intubirt: 

intubirt  und  tracheotomirt: 
nur  tracheotomirt: 

3)  Diphth.  nach  Scharlach  tracheot. 

Die  Zahl  der  Verpflegstage  betrug  25  542 ;  ein  Verpflegstag  kostete 
ca.  1,20  fl. 

2.  St.  Josefs-Einderspital  zu  Wien. 

Verpfleg^  wurden  961:  498  En.,  463  M.,  geheilt  wurden  539,  ge- 
bessert 46,  nngeheilt  20,  gestorben  311  (33,9%),  sterbend  aberbracht 
wurden  80.    Verblieben  45. 

« 

Es  standen  im  Alter  bis  zu   1  Jahre    50,  gestorben  84  (68%) 

von  1—4  Jahren  451,  „       212  (48,6%) 

5-8       „       275,  „         53  (20,7%) 

9-12     „       185,  „         12  (6,9%). 

Die  PP.  Directoren  von  Einderspitälern  werden  höflichst  um  mög- 
lichst rasche  Zusendung  der  Jahresberichte  ersucht.  Eef. 


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74,  und  zwar 

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442  Dr.  EiMnschiti: 

An  Diphtherie  and  Croup  wurden  behandelt  867,  davon  starben  1S8 
(62,2%),  56  sterbend  überbracht. 

Tracheotomirt  wurden:  66,  gestorben  58 
Intubirt  „  84,  „         50 

Inlubirt  und  tracheot:  18,  „         17. 

Die  Zahl  der  Verpflegetage  betrug  19  057,  im  Durchschnitt  för  ein 
Kind  19,8  Tage,  ein  Verpflegstag  kostete  1,29  fl. 

8.  Leopoldst&dter  Kinderspital  eu  Wien. 

Verpflegt  wurden  780:  681  Kd.,  164  M.,  geheilt  wurden  588,  ge- 
bessert oder  auf  Verlangen  entlassen  43,  gestörten  164  (22,0%),  sterbend 
überbracht  22.     Verblieben  86. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu     1  Jahre        6,   gest    3, 

▼on    1—4  Jahren  286,     „      94, 

11      * — 8     »1        Ä^^i     «t      W, 
„       8-18    „         192,     „       12. 

Ad  Diphtherie  und  Croup  wurden  behandelt  218,  davon  starben 
97  (44,5%),  16  sterbend  überbracht. 

Primär  tracheotomirt :  14,  gestorben  18, 

Intubirt:  47,  „         82, 

Intubirt  und  tracheotomirt:  12,  „  11, 

8ecQodftr  tracheotomirt:  2,  „  1, 

Secundär  intubirt:  10,  „         10. 

Die  durchschnittliche  Behandlnngsdauer:  15  Tage. 
Ein  Verpflegstag  kostete  1,16  fl. 

4.  Kronprini  Budolf-Kinderspital  zu  Wien. 

Verpflegt  wurden  607:  272  Kn.,  286  M.,  geheilt  wurden  841,  ge- 
bessert  12,  ungeheilt  entlassen  8,  gestorben  118  (24,05%),  22  Kinder  starben 
in  den  ersten  24  Stunden  des  Spitalaufenthaltes.     Verblieben  28. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu  1  Jahre  10,  gest.  6, 
„  „  „  „  von  1—4  Jahren  156,  „  69, 
n  11         II       11        II     ^ — 8        11      1^7,      „      27, 

n  11  II        11  II     ' — 1^      »1      ^'^1       11       ^^' 

An  Diphtherie  behandelt  112,  davon  starben  41  (86,5%). 
Tracheotomirt:  6^  gestorben  4. 

Intubirt:  34,  „        20. 

Intubirt  und  tracheotomirt:    9.  „         9. 

An  Masern-Croup !    1  Irach.,     1  gestorben, 

18  intub.,  13        „ 

Zahl  der  Verpflegstage  12  049,  ein  Verpflegstag  kostete  1,876  fl. 

6.  Carolinen-Kinderspital  lu  Wien. 

Verpflegt  wurden  468:  286  Kn.,  223  M. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu  2  Jahren  18,  gest  56, 
11  II  ,1  »1  von  2—4  Jahren  120,  „  42, 
11  II         11        II        11      *    ®      »        ^^^     II       29, 

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I»  II  II        »I        I»  12     1*      II  28,     „        2. 

Geheilt  entlassen  219,  gebessert  68,  ungeheilt  auf  Verlangen  14,  ge- 
storben 137  (30,5%).     Verblieben  26. 


Berioht  der  Kinderapit&ler  über  das  Jahr  1898.  443 

An  Cronp  and  Diphtheritis  behandelt  188,  davon  gestorben  88, 
iracheotomirt  wurden  62,  intnbirt  28. 

Zahl  der  Verpflegstage  11840.   Ein  Verpflegstag  kostete  ca.  1,40  fl. 

6.  Kaiser  Frans-Josef-Kinderspital  sa  Prag. 

Verpflegt  worden  1146:  614  Kn.,  682  M.,  geheilt  warden  572,  ge- 
bessert 224,  nngeheilt  oder  anf  Verlangen  entlassen  56,  gestorben  225 
(20,9%),  67  sterbend  überbracht.    Verblieben  69. 

Es  standen  im  Alter  bis  sa    1  Jahre    116, 
„         „        „       „     von  1—4  Jahren  521, 

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An  Diphtheritis  behandelt  287 ,  davon  gestorben  96. 
Traoheotomirt  warden  2,  beide  gestorben. 

Intnbirt  und  traoheotomirt  151  von  diesen  117  Operlrten   sind   ge- 
Intnbirt  102  J  gestorben  68,  von 

den  15  Secundärtracheotomirten  14,  von  den  102  Intabirten  64. 

Zahl  der  Verpflegstage  22  668,  ein  Verpflegstag  kostete  1,859  fl. 

7.  Badener  Spital  für  arme  scrofnlöse  Kinder. 

W&hrend  einer  Saison  von  129  Tagen  warden  verpflegt  70  Kinder: 
40  Kn. ,  80  M.,  entlassen  worden  25  geheilt,  88  gebessert,  7  an- 
geheilt. 

Die  Summe  der  Verpflegstage  betrag  8406,  die  mittlere  Verpflegs- 
daoer  48,6  Tage. 

Ein  Verpflegstag  kostete  ca.  0,81  fl. 

Das  Alter  der  Verpflegten  schwankte  zwischen  4  ond  18  Jahren, 
fast  die  Hälfte  der  Aufgenommenen  war  10 — 12  Jahre  alt. 

8.  St.  Ludwig-Kinderspital  zu  Krakau. 

Das  Kinderspital  besitzt  seit  1.  März  1889  eine  neu  organisirte  Ab- 
theilong  für  Brostkinder  sammt  Ammen,  bestehend  aus  10  Betten  und 
10  Wiegen. 

Verpflegt  wurden  1035  Kinder:  517  Kn.,  618  M.,  geheilt  604,  ge- 
bessert 48,  auf  Verlangen  entlassen  56,  gestorben  278(28,2%),  ver- 
blieben 49. 

Von  971  Kindern  standen  im  Alter  bis  zu  1  Jahre     16, 

von  1 — 8  Jahren  295, 
4—7  „  837, 
8—12      „      828. 

Nicht  geimpft  waren  21  der  Kinder. 

An  Croup  und  Diphtheritis  wurden  behandelt  174,  gestorben  95; 
im  Spitale  entwickelt  9. 

Traoheotomirt  primär:  25,  gestorben  20 

„          secnndär:  4,             „  8 

Intnbirt  primär:  68,            „  88 

„        secundär  8,            „  1. 

Verpflegt  wurden  auf  der  Säuglingsabtheilung  268  Säuglinge:  209 
kranke,  59  gesunde;  59  Mütter,  58  Ammen. 

Von  den  209  Säuglingen  sind  98  gestorben,  9  verblieben. 

Jahrbnoh  f.  Kinderheilkimde.   N.  P.  XXXIX.  SO 


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444  ^'  Eisenachiti; 

Anf  der  Kinderabtheilnng  26  886  Yerpflegetage ,  auf  der  Abtheiloog 
für  Säuglinge  fflr  diese  7484  Verpflegstage. 

Ein  Yerpflegttag  kostete  darohBchnittUch  0,62  fl. 

Ansaerdem  yerbrachten  78  Kinder,  80  Kn.,  48  M.,  8224  Verpflegs- 
tage  in  der  dem  Spitale  adjangirten  Sommercolonie  für  Bcrofalöse 
Kinder  im  Badeorte  Babka,  für  diese  Kinder  kostete  ein  Verpflegstag 
sammt  Beisespesen  and  Ansrüstang  0,406  fl. 

9.  Anna-Kinderspital  in  Graz. 

Behandelt  wnrden  666  Kranke:  820  Kn.,  846  M.  Entlassen  worden 
898  med.  Kranke:  geheilt  62,0%,  gebessert  12,1%,  ungeheilt  6,8%, 
transferirt  0,4%,  gestorben  28,0%,  verblieben  6,7%. 

Entlassen  227  chiror.-oculistische  Kranke:  geheilt  61,2%,  gebessert 
22,1%,  ungeheilt  2,0%,  transferirt  0,4%,  gestorben  6,9%.    Verblieben 

An  Diphtherie  behandelt  wnrden  40,  dayon  gestorben  14. 

Die  durchschnittliche  Verpflegsdauer  aller  Kranken  betrag  28,7  Tage, 
der  med.  Kranken  22,6  Tage,  der  chir.-ocul.  Kranken  26,8  Tage.  Ein 
Verpflegstag  kostete  0,796  fl. 

10.  Armen-Kinderspital  in  Budapest 

Verpflegt  wurden  1442:  767  Kn.,  686  M.,  geheilt  oder  gebessert 
entlassen  917 ,  angeheilt  71 ,  gestorben  898  (27,4%) ,  sterbend  über- 
bracht  22,  yerblieben  81. 

Es  standen  im  Alter  bis  su    1  Jahre    142, 

yon  1—8  Jahren  872, 
3—7  „  482, 
7—14    „        446. 

An  Croup  und  Dipbtheritu  behandelt  862,  gestorben    194. 
Tracheotomirt  wurde  9  mal,  intubirt  206  mal,  gestorben  61. 
Hamsteinoperationen  20. 
Zahl  der  Verpflegstage  36  278.    Kosten  eines  Verpflegstages  0,62  fl. 

Die  Anstalt  hat  überdies  102  Begleiterinnen  yon  8&ugltngen  durch 
1100  Tage  yerpflegi. 

11.  Kinderheil-  und  Diakonissen-Anstalt  an  Stettin. 

Verpflegt  wnrden  898  Kinder:  218  Kn.,  180  M.,  geheilt  wurden 
111,  gebessert  entlassen  87,  angeheilt  8,  gestorben  98  (27,7%),  ster- 
bend über  bracht  14,  yerblieben  44. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu    1  Jahre    66,  davon  gest.  41, 

„         „        „       „      yon  1—3  Jahren  80,      „  „    27, 

n           »»         I»        I»         t»     °     6       „         98,       „  „     16, 

M           n         ti        i>         M     6—12     „       116,       „  „     10, 

»          ««        H       11    flher  12  Jahre        46,      „  „      6. 

An  Croap  und  Diphtheritis  wurden  behandelt  78,  gestorben  28. 
Tracheotomirt  wurde  87  mal,  20  mal  mit  Erfolg. 

Die  mittlere  Verpflegsdauer  betrag  SS  Tage,  ein  Verpflegstag  kostete 
ca.  1,62  Mark. 


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Bericht  der  Kinderspüftler  Aber  das  Jahr  1898.  445 

19.  Einderheilanstalt  zu  Dresden. 

Verpflegt  wurden  816  Kinder,  426  En.,  889  M.,  entlassen  wurden 
767,  gestorben  281  (80%),  verblieben  68. 

An  Croup  und  Diphtherie  wurden   behandelt  368,   gestorben  160. 
Tracheotomirt  199,  gestorben  48,7%. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu    1  Jahre      88,  gest.  40, 

von  1—4  Jahren  874,    „  187, 

4-8       „        288,     „     44. 

8—12     „        102,     „       9. 

12—16     „  28,     „       1. 

Die  mittlere  Yerpflegsdauer  betrug  26,6  Tage,  ein  Yerpflegstag 
kostete  ca.  8,4  Mark. 

18.   Abtheilung  fflr  kranke  Kinder  an  der  Charit^  zu  Berlin. 

Vom  81.  III.  1892  bis  81.  III.  1898. 

Behandelt  1286  Kinder:  geheilt  oder  gebessert  entlassen  668,  un- 
geheilt  60,  aestorben  621  (46,6%),  yerblieben  64. 

An  Diphtherie  und  Croup  behandelt  124,  gestorben  72  (68%). 

14.  Elisabeth-Kinderhospital  Berlin. 

1.  IV.  1898  bis  81.  IH  1894. 

Behandelt  wurden  877  Kinder:  198  Kn.,  179  M.  Entlassen  wurden: 
als  geheilt  199,  als  ungeheilt  81,  gestorben  63  (20,6%),  9  Kinder  ster- 
bend überbracht,  verblieben  84. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu  1%  Jahr              41,  gestorben  12, 

von       l^A— 4  Jahren  168,          „  88, 

6-8       „      103,          „  18, 

9—12     „        60,          „  4. 

über                12     „          6,          „  1. 

Die  mittlere  Verpflegsdauer  betrug  76  Tage,  ein  Verpflegstag  kostete 
ca.  1,76  Mark. 

16.  Neues  Kinderkrankenhaus  zu  Leipzig. 

Verpflegt  wurden  auf  der  med.  Abtheilung:  799  Kinder:  427  Kn., 
372  M.,  auf  der  chir.  Abth.  204  Kinder:  127  Kn.,  77  M. 

Entlassen  wurden  von  1:  geheilt  878,  gebessert  66,  ungeheilt  64, 
gestorben  260,  verblieben  42.  Von  2:  geheilt  182,  gebessert  28,  un- 
geheilt 10,  gestorben  26,  verblieben  14. 

Es  starben  also  von  947  Entlassenen  286  (80%). 

Es  standen  im  Alter  bis  zu  1  Jahre  282, 
„  „  „  „  von  2—6  Jahren  462, 
11         1»  11       fi         11     6—10      „        220, 

yt  fi  11        II  11    ll-^Iß       11  89. 

Die  mittlere  Verpflegsdauer  betrug  24,4  Tage.  Ein  Verpflegstag 
kostete  8,21  Mark. 

An  Diphtherie  behandelt  wurden  280  Kinder,  davon  starben  106, 
108  wurden  intubirt,  von  denen  80  geheilt  wurden,  2  primftr  Tracheot. 
geheilt;  von  6  seound&r  Traoheotomirten  1  geheilt. 

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446  !)>'•  Eisenscbiis: 

16.  Kaiserliches  EiDderheim  %u  Graebsohen-Breslan. 

Im  Jahre  1898  kamen  87  Matter  und  87  Kinder,  46  Kn.,  41  M.,  snr 
Aufnahme,  yon  den  letzteren  erhielten  84  die  Bmst,  8  die  Flasche,  die 
mittlere  Dauer  des  Aufenthaltes  fiir  Mutter  und  Kind  betruff  8—4  Wochen 
und  die  Verpflegung  kostete  per  Tag  und  Kopf  58  Pf.  Qestorben 
1  Kind. 

Während  des  ISjfthrigen  Bestandes  des  Kinderheimes  kamen  743 
Mfltter  und  766  Kinder  zur  Aufnahme,  you  den  letzteren  wurden  668 
an  der  Brust  und  92   künstlich   ernährt,   und   starben   im  (Jansen  22. 

In  allen  12  Jahren  wurden  880  Mütter  als  Ammen  Terdungen,  166 
in  yersohiedene  Dienstplätae. 

Die  Mütter  wurden  1898  am  6. — 89.  Tage,  nach  der  Entbindung 
mit  ihren  Kindern  aufgenommen. 

Die  fiander  hatten  bei  der  Aufnahme  ein  durchschnittliches  Gewicht 
von  ca.  8000  g,  sind  also  schwache  Kinder  und  nahmen,  entsprechend 
den  dürftigen  ErDähruogsyerhältnissen  der  Mütter,  in  den  ersten  2  bis 
8  Wochen  wöchentlich  nur  100— 140  g  zu. 

Die  Anstalt  ist  bestrebt,  auch  die  Mütter  vor  ihrer  Entlassung  aus 
der  Anstalt  möglichst  zu  versorgen,  durch  Yerdingung  als  Ammen  (42) 
oder  Dienstmädchen  (10)  und  die  Kinder  bei  bekannten  Kostfrauen  unter- 
zubringen. 

17.  Wilhelm-Augutta-Hospital  in  Breslau. 

Verpflegt  wurden  468  Kinder:  218  Kn.,  260  M.,  geheilt  entlassen 
wurden  860,  gebessert  60,  gestorben  20  (4,8  %)t  im  Spital  verblieben  12, 

Es  standen  im  Alter  bis  zu    1  Jahre    18, 

Ton  1—8  Jahren  88, 
8—5  „  52, 
5-14      „    815. 

Die  mittlere  Verpflegsdauer  betrug  15,8  Tage,  die  Kosten  eines 
Verpflegstages  2,5  Mark. 

18.  Dr.  Christas  Kinder-Krankenhaus  und  Entbindungsanstalt 

an  Frankfurt  a/M. 

Verpflegt  wurden  469  Kinder:  229  Kn.,  280  M.,  geheilt  entlaaaen 
269,  gestorben  156  (87,6%),  verblieben  44. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu    1  Jahre      28, 

von  1—5  Jahren  351, 

.,    6—10      „       188. 

über       10      „        44. 

An  Diphtheritis  wurden  behandelt  290,  davon  gestorben  117. 
Die  outtlere  Verpflegsdauer  betrug  84,2  Tage. 

19.  Olga-Heilanstalt  in  Stuttgart 

Verpflegt  wurden  750  Lehrlinge,  604  Kinder.  Entlassen  warden 
712  Lehrlinge,  488  Kinder,  gestorben  sind  180  (10,1%),  4  Lehrlinge,  186 
Kinder  (22,8%).    Verblieben  waren  89  Kinder  und  84  Lehrlinge. 

Von  den  Verpflegten  standen  267  im  Alter  bis  zu  1  Jahr,  1185  im 
Alter  von  1^-4  Jahren ,  230  im  Alter  von  5 — 8  Jahren ,  281  im  Alter 
von  9 — 12  Jahren,  952  im  Alter  von  12—18  Jahren. 

An  Diphtherie  und  Croup  behandelt  wurden  287,  davon  starben  ISO. 


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über 

Bericht  der  Einderspit&ler  über  das  Jahr  1898.  447 

Tracheotomirt  wurden  161,  davon  62  genesen. 
Mittlere  Yerpflegsdaner  27,3  Tage.    Kosten  eines  Verpflegstages  ca. 
1  Mk.  68  Pf. 

20.  Nürnberger  Einderspital. 

Im  Jahre  1898  verpflegt  298  Kinder:  146  Kn.  und  162  M.,  geheilt 
wurden  129,  gebessert  84,  angeheilt  entlassen  21,  gestorben  80  (29,6%), 
verblieben  28. 

An  Croup  und  Diphtheritis  behandelt  wurden  68,  davon  gestorben  28. 

Tracheotomirt  wurde  6 mal,  intubirt  21  mal,  tracheotomirt  und  in- 
tubirt  7  mal.  Von  allen  Operirten  starben  28,  das  Mortalitätsverhältniss 
bei  den  Tracheotomirten  und  Intubirten  war  gleich. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu     1  Jahre  86, 

1—4  Jahren  92, 

4-8         „  68, 

8-12       „  40, 

12       „  22. 

Die  mittlere  Yerpflegsdaner  betrug  27,72  Tage. 
Ein  Yerpflegstag  kostete  ca.  2,1  Mark. 


21.  Anna-Hospital  zu  Schwerin. 

Verpflegt  wurden  111  Kinder  (49  Kn.,  62  M.),  entlassen  wurden 
82,  gestorben  8  (9,7%),  verblieben  21. 

Das  Alter  der  im  Spitale  Verpflegten  ist  nicht  ersichtlich  gemacht. 

An  Diphtheritis  und  Croup  wurde  behandelt  1. 

Tracheotomirt  wurde  1,  gestorben  1. 

Die  mittlere  Verpflegsdauer  betrug  66,0  Tage. 

Ein  Veroflegstag  kostete  ca.  1,8  Mk. 

Einige  Kinder  an  Scrofulose  behandelt,  wurden  ans  dem  Spitale 
in  das  Seehospiz  zu  Grossmüritz  abgegeben. 


22.  Kinderhospital  zn  Lübeck. 

Verpflegt  wurden  174  Kinder  (99   Kn.,  76   M.),  entlassen  wurden: 
geheilt  107,  gebessert  4,  ungeheilt  8 ;  es  starben  34  (28%),  verblieben  26. 

Es  standen  im  Alter  unter     1  Jahre     18,  gestorben    6, 

von     1 — 4  Jahren  72,        „  16, 

6 — 8       „        48,         „  6, 

8-12     „         81,        „  4, 

12—16     „         16,         „  8. 

An  Diphtherie  und  Croup  behandelt  wurden  48,  davon  gestorben  14. 
Tracheotomirt  wurden  28,    davon  geheilt  18,  intubirt  Imal  mit  Erfolg. 
Die  mittlere  Verpflegsdauer  betrug  66,7  Tage. 
Ein  Yerpflegstag  kostete  ca.  1,4  Mk. 


28.  Kinderspital  (Eleonoren-Stiftung)  in  Hottingen 

bei  Zürich. 

Behandelt  wurden  414  Kinder,  neu  aufgenommen  367:  186  Kn.,  181  M. 
Geheilt  entlassen  180,  gebessert  121,  ungeheilt  14,  gestorben  66  (14,8%). 
Terblieben  44. 


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448     Dr.  Eisenachiti:  Berioht  der  EindenpitAler  über  das  Jabr  1898. 

Es  standen  im  Alter  bis  su    1  Jahre      60,  gest  18, 
„        „  „      „    TOn     1—4  Jabren   187,     „      28, 

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„        „  „      „  über  12  Jahre  „  28,     „        0. 

An  Diphtberitis  behandelt  worden  76,  davon  starben  29. 

Tracheotomirt  16,  gestorben  16.  Die  Zahl  der  secandären  Traoheo- 
tomien  ist  nicht  angegeben.    Intubirt  16,  gestorben  8. 

Die  mittlere  Verpflegsdaner  betrag  46,6  Tage.  Ein  Verpflegstag  kostete 
2,74  Fr. 

24.  Einderspital  in  Basel. 

Verpflegt  wurden   401  Kinder:   208  En.,    198  M.,   geheilt   worden 
260,   gebessert  83,   angeheilt  entlassen  28,  gestorben  66  (16,4%),  Ter 
blieben  89. 

Es  standen  im  Alter  bis  an    1  Jahre     88, 

Ton  1—6  Jahren  164, 

„    6-10      „      107, 

über      10      „        67. 

An  Croup  und  Diphtberitis  worden  behandelt  87,  davon  gestorben  16. 

Tracheotomirt  wurden  21,  6  mit  Erfolg,  intubirt  8,  geheilt  1;  in- 
tubirt und  tracheotomirt  6,  geheilt  8. 

Die  mittlere  Verpflegsdaner:  88,2  Tage.  Kosten  eines  Verpflegs- 
tagea  4,26  Fr. 

26.  Luisenheilanstalt  für  kranke  Kinder  in  Heidelberg. 

Verpflegt  wurden  487  Kinder:  286  Kn.,  261  M.  Entlassen  wurden: 
268  geheilt,  96  gebessert,  ungeheilt  44,  gestorben  sind  47  (10,4%). 
verblieben  80. 

Es  standen  im  Alter  bis  zu     1  Jahre     76, 

von  1 — 4  Jabren  166, 

„     6—8        „        84, 

„    9-12      „        92, 

über        12      „        76. 

An  Croup  und  Diphtherie  wurden  behandelt  84,  davon  gestorben  16, 
tracheotomirt  wurden  16. 

Die  mittlere  Verpflegsdaner  betrug  ca.  80  Tage. 
Die  Kosten  eines  Verpflegstags  ca.  1,6  Mark. 


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Recensionen. 


C  am  er  er,  Wilhelm,  Der  Stoffwechsel  des  Kindes  von  der  Geburt  bis 
zur  Beendigung  des  Wachsthums,  meist  ncuih  eigenen  Versuchen  dar- 
gesteUt.  Tübingen  1894.  Laupp*8che  Bachhandlung.  VllI,  160  S. 
Grr088  8*. 

^Terfasser  hat  sich  durch  die,  zahlreiche  Jahre  hindurch  mit  un- 
yerdroBsener  Mflhe  fortgeführten,  Stoffwechseluntersach ungen  an  den 
eigenen  Kindern  schon  längst  einen  hochgeachteten  Namen  anter  den 
Fachgenossen  erworben.  Wer  mit  seinen  Arbeiten  vertraut  war,  be- 
dauerte nur,  dass  sie  in  den  verschiedensten  Jahrgängen  von  wissen- 
schaftlichen Zeitschriften,  namentlich  derjenigen  für  Biologie  und  im 
Jahrbache  für  Kinderheilkunde,  zerstreut  und  nicht  zu  einem  einheit- 
lichen Gesammtbilde  verarbeitet  waren.  Das  Buch,  welches  uns  der 
verdiente  Autor  unter  dem  obigen  Titel  bietet,  hilft  dem  eben  berührten 
Mangel  in  trefflichster  Weise  ab.  In  übersichtlicher  Darstellung  findet 
man  nun  die  Resultate  jahrelanger  mühsamer  Arbeit  aneinander  ge- 
reiht, und  ist  in  den  Stand  gesetzt,  aus  der  Fülle  der  nach  den  Me- 
thoden ezacter  Forschung  gewonnenen  Zahlen  über  die  meisten  Fragen 
des  kindlichen  Wachsthums,  der  Normen,  nach  denen  dasselbe  sich 
regelt,  nach  denen  es  die  Zufuhr  verwerthet  und  umgestaltet,  für  die 
verschiedenen  Lebensalter  so  klare  Vorstellungen  zu  gewinnen,  als  es 
nach  dem  Stande  unserer  Kenntniss  möglich  ist.  Gerade  für  den  Prak- 
tiker, der  die  Ernährung  seiner  kleinen  Schutzbefohlenen  zu  überwachen 
hat,  der  helfen  soll,  einen  Schwächling  zu  kräftigen,  einer  falschen 
Richtung  in  dem  Stoffansatz  Einhalt  zu  thun  etc.,  wird  dieses  kleine, 
aber  inhaltreiche  Buch  eine  Fundgrube  nützlicher  Belehrung  bilden. 
Es  wird  ein  Wegweiser  für  geschlossene  Anstalten,  Pensionate,  &anken- 
h&user  u.  dergl.  werden,  welche  über  die  Bedürfnisse  des  wachsenden 
Organismus  hier  eigentlich  zum  ersten  Male  an  der  Hand  genauer  Beob- 
achtung sich  unterrichten  können. 

Die  Arbeit  stellt  sich  würdig  den  Leistungen  an  die  Seite,  welche 
für  das  erwachsene  Alter  von  der  Yoit^schen  Schule  ausgegangen  sind. 
Es  ist  ja  wohl  möglich,  dass  die  für  das  spätere  Kindesalter  au 
einer  Familie  gewonnenen  Erfahrungen  noch  manchen  individuellen 
Zug  an  sich  tragen,  dass  man  die  von  C  am  er  er  gewonnenen  Ergeb- 
nisse noch  nicht  ohne  Weiteres  als  Gesetz  wird  ansehen  können,  aber 
sie  werden  zweifellos  das  Fundament  bilden,  auf  welchem  zukünftige 
Arbeiten  getrost  weiter  bauen  können. 

Am  Wenigsten  befriedigend  stellen  sich  —  der  Natur  der  Sache 
nach  -~  noch  die  Betrachtungen  über  den  Gesammtstoffweshsel  im 
Säuglingsalter.  Hier  haben  die  Bemühungen  des  Verfassers  noch  nicht 
vermocht,  eine  Reihe  von  unbekannten  Grössen  auszuschalten.  Deshalb 
wird  wohl  hier  noch  Manches  anders  sich  gestalten,  als  C.  es  dar- 
stellt.   Wir  gehören  zu  demjenigen  Lesern  des  Camerer^schen  Buches, 


460  Reoensionen. 

Yon  denen  der  Yert  Seite  46  selbBt  TermnÜietj  dass  sie  die  Anfetellnng 
Tollständiger  Stoffwechaelbilanzen  beim  Sänglinff  noch  etwaa  tu  kflhn 
finden.  Und  iwar  deshalb,  weil  wir  dreierlei  Unterlagen  derselben  ftlr 
noch  nicht  genügend  bekannt  halten:  erstens  die  Znsammensetsunff  der 
natürlichen  Nahrung,  der  Muttermilch,  zweitens  die  Ansfahr  des  Stick- 
stoffs im  Urin  und  Roth,  nnd  drittens  die  Zusammensetznog  der  im 
SänglingRkÖrper  cum  Ansats  kommenden  Substanz.  Letztere  nach  den 
beim  Kalbe  gefundeneo  Werthen  zu  schätzen,  geht  doch  nicht  ohne 
Weiteres.  Und  was  ersteren  Punkt  betrifft,  so  wird,  wenn  die  exacten 
Untersuchungen  sich  mehren,  welche  den  Eiweissgehalt  der  Muttermilch 
erheblich  niedriger  erweisen,  als  man  bisher  annahm,  auch  Camerer 
sich  eben  entschliessen  müssen  seine  Bilanzen  umzugestalten,  und  wenn 
die  Beunruhigung  auch  noch  so  gross  ist.  Ich  komme  auf  diesen  Punkt 
an  anderer  Stelle  zurück. 

Mag  man  den  theoretischen  Theilen  der  Camerer*schen  Ausfüh- 
rungen seinen  yollen  Beifall  schenken  oder  nicht,  jeder  Freund  der 
Kinderheilkunde  muss  das  Buch  wegen  der  ungemeinen  Fülle  positiTer, 
für  immer  giltiger  Grundlagen  zur  Beurtheilung  der  Entwickelung  des 
Kindes  mit  Freude  und  Dank  begrüssen.  la  der  Physiologie  des  Kindes- 
alters  wird  dasselbe  dauernd  eine  hoch  angesehene  Stelle  einnehmen. 


Lehrbuch  der  Kinderkrankheiten.  Granz  neu  bearbeitet  Ton  Dr.  Philipp 
Biedert.  11.  Aufl.  1894.  661  S.  Verlag  yon  Ferdinand  Enke, 
Stuttgart. 

Diese  bereits  nach  yier  Jahren  nothwendig  gewordene  neue  Auf- 
lage des  beliebten  Yogerschen  Lehrbuchs  der  £nderkrankheiten  hat 
durch  den  Verf.  eine  so  gründliche  und  eingehende  Umgestaltung  er- 
fahren, dass  Verf.  das  Werk  nunmehr  mit  Recht  als  sein  geistiges 
Eigenthum  betrachtet  wissen  will  und  kann.  Es  ist  der  Gegenstand  in 
jeder  Weise  erschöpfend  bearbeitet  worden  und  sogar  die  Grenzgebiete 
zwischen  der  Kinderheilkunde  und  der  Geburtshilie  (Krankheiten  des 
Keugeborenen)  einerseits  und  der  Chirurgie  (Orthop&die  etc.)  anderer- 
seits haben  eine  möglichst  eingehende  Besprechung  gefunden  und  sind 
in  der  neuen  Auflage  vielfach  umgearbeitet.  Auch  viele  andere  Capitel« 
unter  denen  besonders  das  Über  Diphtherie  hervorzuheben  sei,  sind 
neu  bearbeitet  und  mit  Ergänzungen  versehen  worden:  s&mmtliolie 
neuere  Arbeiten,  so  die  von  Roux  und  Yersin,  Martin,  Henbner, 
Escherich  u.  A.  haben  Berücksichtigung  gefunden. 

Ob  die  Beibehaltung  der  alten  Eintheilun^  des  Stoffes  —  wohl  aus 
Pietät  gegen  den  ursprünglichen  Autor  —  ein  Vortheil  für  das  Buch 
ist,  möchte  ich  dahingestellt  sein  lassen ;  auf  alle  FUle  ist  es  nach  dem 
heutigen  Stande  der  Dinge  befremdend,  wenn  die  Diphtherie  neben  dem 
Betropharyngealabscess,  unter  den  Krankheiten  des  Pharynx  und  Oeso- 
phagus, die  acuten  Exantheme  unter  den  Hautkrankheiten  abgehand^t 
werden,  das  Erysipel  zu  den  vorwiegenden  Localleiden  der  Haut  ge* 
rechnet  wird.  (Ref.hat  aus  einem  Retrophaiyngealabscess  nach  Erynpel 
Fehleisen'sche  Streptokokken  gezüchtet  I) 

Ausstattung  und  Druck  sind  gui  CABflTSMs. 


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