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Iland XXXVm.
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JAHRBUCH
KINDERHEILKUNDE
UND
PHYSISCHE ERZIEHUNG.
Neue Folge.
Hemasgegeben yon
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Dr. Biedert in Hagenau i. E., Prof. Binx in Bonn, Prof. fiökai in Pest, Dr. BisenBohits
in Wien, Prof. A. Bptt^A in Pra«, Prof. Ssoherioli in Orax, Dr. K. Fitohl in Pragr,
Dr. K. Foltanek in Wien, Dr. B. Vönter in Dresden, Prof. Gsaghofiur in Frag,
Prof. eerhurdt in Berlin, Dr. H. Gn&ndiogtr in Wien, Prof. E. Hagenbmeh-Bnrokhardt
in Basel, Prof. Hennig in Leipzig, Prof. Henooh in Berün, Prof. Henbner in Berlin,
Dr. ▼. HüttonltrenBer in Wien, Prof. A. Jacobi in New-Tork, Prof. ▼. Jaksob in Prag,
Prof, SAisowito in Wien, Prot Xohta in Straesburg, Dr. Emil Pfeifter in Wiesbaden,
Prof. Pott in Balle, Prof. H. ▼. Bänke in München, Dr. C. Banchfoas in St. Petersburg,
Dr. H. Bahn in Frankfort a. M., Prof, A. SeeUgmueller in Halle, Dr. Seibert in
New-Tork, Dr. Silbermann in Brealau, ProC Boltmatin in Breslau, Dr. A. Steffen
in Stettin, Prof. Tboinaa in Preiburg i. Br., Dr. Umnh in Dresden, Dr. TTnterhoimer
in Wien, Dr. B. Wagner in Leipzig, Dr. Wertheimber in Manchen, Prof. ▼. Widerhof er
in Wien und Prof. Wyss in Zürich
nnter Eedaction von
0. Heubner^ A. Steffen, H. t. Widerhofer.
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XXXVIII. Band. 1. Heft.
Ausgegeben 6. Juni 18^4.
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LEIPZIG,
DRUCK UND VERLAG VON B, G. TEUBNKK.
1894.
MattonPa GlesshQbler reinster alkaliecher Sauerbrunn ist nacli den
übereinstimmenden Anssprdcben ärztlicher Autoritäten als ein
kräftig alkaligirendes Mittel vorzQglich beivährt bei Bildung Ober-
aobüasioer S&ore Im Körper, bei allen katarrhalischen Erkranluingen
der Athmengs- nnd Yerdauungsorgane (Magenkatarrh, Sodbrennen,
Appetitlosigkeit); bei Husten, Heiserkeit, in letzteren Fällen mit
Mi£:h vermischt. Für Beconyalescenten, sowie in der Kinderpraxis
ist das Wasser besonders empfohlen.
Der besondere Vorzug der Giesshübler Wässer liegt in der
unvergleichlich günstigen Zusammensetzting ihrer mineralischen
Bestandtheile , in dem geringen Vorhandensein von erdigen und
schwefelsauren Salzen, bei vorwiegend grossem Gehalt an Na-
triumbioarbonat, sowie darin, daes das Wasser von Natur aus mit
Kohlensäure vollstibidig gesättigt Ist Letzteres verdient aus-
drOokllch hervorgehoben zu werden, denn es ist einleuchtend, dass
kOnstlioh mit Koniensäure nnd anderen Zuthaten versetzte Wäsaer,
welohe Jetzt In den Handel kommen » einen solehea rein natOrllcben
Sanerbrunn niemals ersetzen können.
Mattoni's GiesshQblsr Sauerbrunnen sind die Hauptrepräsan-
tauten Jener Quellen, die bei ausgesprochen kräftiger HelMrkuag
eine solche Reinheit des Geschmackes und einen derartigen Gehalt
an freier Kohlensäure besitzen, dass sie als diätetisches Tiaeli-
Getränk die ausgedehnteste Verwendung finden.
Vermöge seines grossen Gehaltes an fi-eier und gebundener
Kohlensäure übt dieser Sauerbrunn eine geradezu belebende
Wirkung auf den menschlichen Organismus und ist daher ein
Erfrischunqs- und Tisch-Getränk ersten Ranges, an Wohlgeschmack
und diätetischer Wirksamkeit von keinem anderen Mineralwasser
übertrofFeu. Zur Mischung mit Wein, Cognac oder Fruchtsä.fte°.
ist derselbe vorzüglich geeignet.
Vorrätbigist Mattoni's Giesshübler in allenMineralwasserhand-
lungen und Apotheken, ferner direct zu beziehen durch den Besitzö'^
HEINRICH UnOII, HoÜiel^rU ÜIESSHOBL^UCHSTEIN
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Prospecte gratis und ffrunoo.
JAHRBUCH
f6r
KINDERHEIL KUNDE
ÜMD
PHYSISCHE ERZIEHUNG.
Neue Folge.
Herausgegeben von
Dr. Biedert in HAgeiiAa i. E., Prof. Bim in Bonn, Prof. Bdkai in Pest, Prof. Csemy in
Pra;, Dr. Xiiensohiti in Wien, Prof. A« Bpiteia in Prtg, Prot Bteherieli in Orai,
Dr. B. Fisehl in Prag, Dr. K. Foltanek in Wien, Dr. B. Vönter in Dresden, Prof.
Gmagbefiiar in Prag, Prof. Gerhardt in Berlin, Dr. H. Gn&ndinger in Wien, Prof.
E. Hageabeeh-Biarokhardt in Basel, Prot Hennig in Leipzig, Prof. Heaooh in Meran,
Prot Henbner in Berlin, Dr. ▼• Hüttenbrenner in Wien, Prof. A. Jaoobi in New-Tork,
Prot ▼. JaJcieh in Png, Prot Kessowiti in Wien, Prot KohU in Strassburg, Dr. Emil
PMffsr in Wiesbaden, Prot Pott in Halle, Prot H. ▼. Hanke in München, Dr. 0. Hanch-
ftus in St. Petersburg, Dr. H. Behn in Frankftirt a. M., Prot A. Seeligmneller in Halle,
Dr. Beibert in New-York, Dr. Bilbermann in Broslau, Prot Boltmann in Breslaa,
Dr. A. Steifen m Stettin, Prot Thomas in Froibnrg i. Br., Dr. Unrah in Dresden,
Dr. Unterholsner in Wien, Dr. B. Wagner in Leipzig, Dr. Wertheimber in München,
Prot ▼. Widerhofer in Wien und Prot Wyss io Zürich
unter Bedaction Ton
O. Henbner, A. Steffen, H. y. Widerhofer.
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LEIPZIG,
DRUCK UND VEBLAG VON B. G. TBUBNER.
1894.
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Inhalt.
Saite
I. Anorexia cerebralis xmd centrale Nutritionsneurosen. Von
0. Soltmann in Breslau 1
IL Casuistischer Beitrag zar Frage vom „Drüsenfieber** (Emil
Pfeiffer). Von Dr. Ernst Hoerschelmann 14
UL Eine Masern- und Röthelnepidemie. Beobachtungen aus dem
Hospitale der Kinderheüanstalt zu Dresden. Von Dr. Claus,
ehem. Assistent 87
lY. Die centrale Innervation der Saugbewegungen. Von Dr. Karl
Basch in Prag 68
Y. In welchem Verhältnisse findet bei der ö'Dwyer'schen
Intubation die Hinabstossung der Pseudomembranen und die
Verstopfung des Tubus statt und welche Bedeutung haben
diese Gomplicationen ? VonDr. JohannBökai,a.o. Professor
an der Universität und dirigirendem Primararzt des Stefanie-
Einderspitals zu Budapest 82
VL Zur bacteriologischen und klinischen Diagnose und Therapie
der Diphtherie. Mittheilungen aus der bacteriologischen
Abtheilung des Laboratoriums der Strassburger medic. Klinik
und der Kinderklinik. Von Dr. Karl Roth, prakt. Arzt 96
Vn. Bericht der Kinderspitäler über das Jahr 1892. Von
Dr. Eisenschitz in Wien 136
Vlll. Ueber die Diazoreaction und ihre diagnostische und pro-
gnostische Bedeutung am Krankenbette des Kindes. Aus
dem klinischen Elisabethhospital zu St. Petersburg. Von
Dr. Wilhelm Nissen 146
IX. Zur Frage über die 'Anwendung hoher Clysmen bei Kindern.
Von Dimitry Ssokolow, Priyatdocent der kaiserl. med.
Akademie in St. Petersburg 186
X. Arbeiten aus der pädiatrischen Klinik zu Leipzig:
1. üeber die Anwendung des Heilserums bei der Diphtherie.
Vortrag gehalten auf dem XI. internationalen Gongress
zu Bom iu der Section für Sinderheilkunde. Von
0. Heubner 221
2. Bacteriologische Untersuchungen über die sogenannte
septische Diphtherie. Von Dr. Gustav Genersich,
Assistenten der medic. Klinik der üniversitöt Kolozsvär
(Klausenburg), s. Z. Volontärarzt der Leipziger Kinder-
klinik 288
IV
Seit«
X. Arbeiten aus der pädiatrischen Klinik zn Leipzig:
3. Ueber das Verfahren der Intubation bei der diphthe>
rischen Kehlkopfstenose. Von Dr. CaretenSf^nterim.
Oberarzt der innem Abtheilung am Leipziger Kinder-
krankenhanse 269
4. Beobachtongen über Indicanausscheidang bei Kindern,
speciell bei der kindlichen Tnbercalose. Von Dr. med.
Gehlig, früherem Volontärarzt der jAdiatr. Klinik zn
Leipzig, jetzt prakt. Arzt in Neisse 286
6. Weitere Mittheilongen zur Kenntniss der cy kuschen
Albuminurie. Von Dr. Carl Beckmann, aus Bner in
Westphalen (gewesenem Volontärarzt der Kinderklinik
zu Leipzig) 318
6. Ueber den Verlauf der Schutzpockenimpfung bei einer
Reihe abnorm schwächlicher Säuglinge und Kinder.
Von Dr. med. J. H. Friede mann in Erfurt, firfiberem
Assistenzarzt der Klinik 324
7. Ein Fall yon Vergiftung mit Stechapfelsamen. Von
Dr. med. J. H. Friedemann 354
8. Ein Fall von Tumor cerebelli. Von Dr. med. Max
Brückner in Dresden, früherem Assistenzarzt der
pädiatrischen Klinik in Leipzig 359
9. Ein neues Messer zur Erüffiiung retropharyngealer
Abscesse. Von Dr. Carstens, interim. Oberarzt am
Kinderkrankenhaus zu Leipzig 373
XL Kleinere Mittheilungen:
1. Ein weiterer Fall Ton Barlow'scher Krankheit. Von
Dr. T. Starck, Kiel • , . 376
2. Aus dem Kinderspital zu Stettin. Von Dr. Wilhelm
Steffen 377
Recensionen 391
XII. Zur Frage der Kinderernährung: „Üeber die Verdaulichkeit
der steriHsirten und nichtsterilisirten Milch." (Aus dem
thierphjsiologischen Laboratorium der königL landwirth-
schaRlichen Hochschule.) Von Dr. Bernhard Bendix-
Berlin 393
Xni. Klinische Beobachtungen an magendarmkranken Kindern
iin Säuglingsalter. Aus Professor Epstein's Kinderklinik
in Prag. Von Docent Dr. Ad albert Czernj und Dr.
Paul Moser 430
Analecten 490
I.
Anorexia cerebralis
und centrale Nntritionsnenrosen.
Von
0. SOLTHANN
in Brotlaa.
Wiewohl die Anomalien in Starke und Qualität des £m-
pfindungsapparates im Kindesalter den Motilitätsstörangen
gegenüber bedeutend in den Hintergrund treten, so hat dies
doch nur im Allgemeinen Giltigkeit für die cutauen Sensi-
bilitaisstorungen, für die eigentlichen Neuralgien in der ersten
Kindheit, nicht aber auch für die visceralen Neurosen der
Sensibilität. Ja wir wissen im Gegen theil, dass eine Reihe
derselben mit besonderer Vorliebe auch schon im frühesten
Lebensalter in die Erscheinung tritt, vornehmlich die des
Magen- und Darmtractus. Ich erinnere an die Gastralgie
(Cardialgie), Enteralgie (Kolik) etc.
Mit dem Abschluss der Gehirnentwickelung aber (um das
7. Lebensjahr) bis zur Zeit der Pubertätsentwickelung treten
auch die übrigen Neurosen des Empfindungsapparates, wenig-
stens einige bestimmte Neuralgien, insbesondere bei anämischen,
chlorotischen, scrophulösen Individuen in grösserer Häufigkeit
und Harbiäckigkeit auf, wenn auch die visceralen Neurosen
nicht nur wegen ihrer Häufigkeit, sondern namentlich wegen
ihrer Intensität und folgeschweren Bedeutung für den Gesammt-
organismus unsere ärztliche Thätigkeit besonders in Anspruch
nehmen.
In erster Linie sind es die Störungen der gewöhnlichen
Magensensibilität (Anästhesie, Parästhesie und Hyperästhesie),
die wir im Auge haben, neben ihnen aber müssen uns die
Störungen der speci fischen Magensensibilität bei der heran-
wachsenden Jugepd um so mehr interessiren, als sie gewöhn-
lich den seelischen Zustand des Kindes ebenso gewaltig beein-
flussen als den der Ernährung. Es sind dies also Störungen
des Ernährungsgefühls, des Gemeingefühls, Anomalien des
jAbxbaeh t KiBdarbailkonde. K. F. XXXVUI. 1
^ 0. Solimann:
Uuu^rs und Durstes, die uns mahnend die Nothwendigkeit
«spunden lassen sollen, neues Ersatzmaterial zur Erhaltung
d^ Körpers durch die Nahrung aufzunehmen.
Diese Sensibilitatsstörungen des Magens, in so weit sie
sich auf den fiunger beziehen, werden gemeinhin als Par-
orexie, Hyperorexie, Anorexie bezeichnet. Die häufigste
und bekannteste Form unter ihnen ist die erste. Sie wird
gewöhnlich unter dem wunderlichen Namen Pica beschrieben,
vielleicht deshalb, weil die Elster (pica) in ihr Nest die
wunderbarsten und zum Nestbau unzweckmässigsten Dinge
zusammentragt und sich die mit Pica behafteten jugendlichen
Individuen infolge einer perversen Geschmacksribhtung
zu ihrer Nahrung die abenteuerlichsten, nicht selten wider-
wärtigsten und unverdaulichsten, zur Nahrung untauglichen
Stoffe aussuchen. Die Neurose wurde von Volpato^) unter
dem Namen Allotriophagia beschrieben und durch mehr als
200 Fälle illustrirt. In Westindien kommt sie endemisch vor
und wird nach der Art der perversen Geschmacksrichtung
Dieteating, Clay-eating (Koth -Erde-Essen) genannt.
Meist verfahren die mit dem perversen Appetit behaf-
teten Kinder mit ausgesuchtem Raffinement, um ihren sonder-
baren Gelüsten zu fröhnen. Die Stoffe ihres pathologischen
LustgefQhls sind gewöhnlich Kalk, Kreide, Lehm, Sand, Asche,
Holz, Essig, Talg, Stearin, Kaffeebohnen, Reiskörner, Siegel-
lack, Wolle, Haare. Die Literatur ist reich an den sonder-
lichsten Beispielen. So verzehrte Bohn's^) Mädchen ihr
eigenes blondes Haupthaar, nachdem sie es sich vorher vor-
sichtig in lange einzelne Strähnen zusammengelegt und aus-
gerissen hatte. Die Dejectionen wiesen die verzehrten, zu
dicken Knäueln verfilzten Haarbüschel auf; sie ging atrophisch
zu Grunde. De Bilgny') erzählt von einem Mädchen mit
trübsinnigem Naturell, das mit grossem Behagen in Zurück-
gezogenheit Kleiderfetzen, Lumpen, Zwirnsföden u. dgl. mehr
verschlang, die man nachträglich im Stuhlgang wieder fand.
Moreau^) berichtet von einem 14jährigen chlorotischen Mäd-
chen, das mit Gier nach jeder Gelegenheit, Menschen blut zu
trinken, haschte; ,,sie sog gern vom Blute, das aus frischen
Wunden quoll". Virchow*) erwähnt in seinen ärztlichen
1) Volpato, Hirsch* geographiscLe Pathologie. — Fost, DubL
qnaterl. Journ. of med. so. May 1867. Joam. f. Kinderkr. XLIX. S. 243.
— Eowatsch, Memorabilien XXIV. 1879. 8.
2) Bohn, Jahrbuch f. Kinderheilkunde 1870. UI. S. 46.
3) De Bügny, Journ. de m^d. I. p. 262.
4) Moreau, Der Irrsinn im Eindesalter (Gallatti 1889). S. 107.
nach Legrand du SauUe 1864. p. 320.
5) Realencyklopädie Bd. VI. S. 18 (Wernich).
Anorexia cerebralia und centrale Nutritionsneiirosen. 3
Erlebnissen in der Troas einen siebenjährigen Jungen^ der
mit besonderer Vorliebe die aus 'kalkhaltigem Thon bestehende
Erde zu essen pflegte, trotzdem ihm reichlich vorzügliche
Milch gereicht wurde. Ich^) selbst habe einen sehr merkwür-
digen Fall im Jahre 1882 beschrieben , er betraf einen vier-
jährigen, hochgradig abgemagerten, mit fungoser Eniegelenks-
entzündung behafteten Knaben, dem das Kniegelenk resecirt
werden musste. Bald nach der Operation wurde beobachtet,
dass derselbe, der schon vorher eine eigene Idiosynkrasie
gegen die Spitalskost gezeigt hatte, seine eigenen Excremente
verzehrte. Dabei ertappt, hatte er nach dem ersten Verband-
wechsel die harten Scybala in raffinirter Weise unter den
Verband zu schieben gewusst, um sie sich als Leckerbissen
zu bewahren. Eiue colossale Verjauchung der Wunde war
die Folge. Trotz der geringen Aussicht auf Erhaltung des
Lebens machte ich die hohe Oberschenkel -Amputation und
trug Sorge, dass der Verband für die Hände des Patienten
unerreichbar war. Die Wunde heilte und der Knabe war
gleichzeitig von seiner Pica befreit Er kam nach einem
halben Jahr wieder ins Hospital und ging an Phthise zu
Grunde.
Trotzdem wir über die Pathogenese jener eigenthümlichen
Natritionsneurose nichts Sicheres wissen, so spricht doch der
Umstand, dass der professionsartige Consum jener wunder-
lichen Stoffe gerade bei anämisch -chlorotischen, neurasthe-
uischen und hysterischen Individuen mit besonderer Häufig-
keit vorkommt, und dass der Ausbruch derselben nicht selten
direct unter dem Einfluss stark deprimirender Gemüthseindrücke
stattfindet, nach Angst, Kummer, Sorge, Entbehrung, Heim*
weh etc., für die Annahme, dass es sich hierbei ätiologisch
um abnorme, centrale, vielleicht corticale Erregungen der
Geschmacksnerven handelt.
Nicht selten finden wir die Parorexie mit Hyperorexie
oder Anorexie gepaart. Das Wehgefühl im Magen (Pyrotis,
Sodbrennen), das fast wie eine echte Neuralgie in Paroxysmen,
mit Exacerbationen und Remissionen auftritt, die nagende
Empfindung von Leere des Magens, die uns plötzlich, un-
motivirt und unwiderstehUch zum Essen reizt (Bulimie,
Heisshunger) und bei denen man gewöhnlich annahm, dass
die centripetal leitenden Nerven sich im Zustand excessiver
Erregbarkeit befinden, sie sind die häufigsten Begleiter der
Parorexie.
Aber man muss bei der Hyperorexie wohl unterscheiden
1) Soltmann, Brealaner ärztliche Zeitung 1888. Bd. V. Nr. 6.
S. 55.
4 . > O. Soltmann:
zwischen Steigerang des Hungergefühls und des Appetits.
Bei der Bulimie werden wir gewaltsam zum Essen ge-
zwangen, kleine Quantitäten genügen^ den Hunger zu stilleD,
aber bald kommt die Hungerempfindung mit ungestümer Ge-
walt von Neuem. Bei der Polyphagie hingegen werden
oft und jedesmal ganz enorme Massen verzehrt^ ohne dass
das Gefühl der Sättigung einträte. Rosenthal betrachtet die
Bulimie als eine Hyperästhesie der gastrischen Vagusceniren
und die Polyphagie nicht wie Romberg als abgestumpfte
Erregbarkeit der peripheren gastrischen VagusfaserU; sondern
als eine Anästhesie der die Sättigung yermittelnden Yagas-
centren. Die ControTcrsen hierüber werden noch lange be-
stehen bleiben, da die Physiologie bisher uns überhaupt noch
nicht Aufschluss gegeben hat, ob der Vagus oder derSym*
pathicus (plexus coeliacus, solaris) die Hungerempfindung ver-
mittelt Immerhin müssen wir festhalten, dass das Sättigungs-
gefühl erst eintritt, wenn der Magen bis zu einem gewissen
Grade gefüllt ist d. h. durch die Nahrungsaufnahme eine er-
hebliche Ausdehnung erfahren hat Damit hängt es denn
auch zusammen, dass die mit chronischem Darmkatarrh be-
hafteten anämischen und rachitischen Kinder, die gewohnlich
stark abgemagert, mit Oedemen an den Extremitäten, mit
greisenhaftem und faltenreichem Gesicht in die ärztliche Be*
handlung kommen, deren Magen durch verkehrte, meist amylum-
haltige Stoffe zum Nachtheil des erkrankten Yerdauungsorgans
weit über Gebühr ausgedehnt ist, wenn sie nun eine ratio-
nelle mehr eiweisshaltige Kost, namentlich Milch, be-
kommen, fast nie das Gefühl der Fülle ihres Magens haben,
unaufhörlich nach Nahrung verlangen und gar nicht zu sät-
tigen sind. Andrerseits aber dürfen wir nicht vergessen, dass
wiederum auch ohne Füllung des Magens, wenn die
Nährstofflosungen direct in die Venen injicirt werden, that-
sächlich das Sättigungsgefühl eintritt, also trotz leeren Magens
das Hungergefühl verschwindet Wenn wir endlich bedenken,
dass der Hunger d. h. die Esslust wenigstens durch bestimmte
Sinnesvorstellungen (Gesicht, Geruch, Geschmack) sehr erheb-
lich angeregt wird und dass unter dem Eindruck gewisser
psychischer Affecte das Hungergefühl sehr rege sein und um-
gekehrt gänzlich verschwinden kann, so ist es ganz zweifellos,
dass im Magen allein die Ursache des Hungergefühls nicht
liegen kann, dass vielmehr das Centralorgan die wichtigste Rolle
hierbei spielt und die Magennerven nur als Vermittler der
Hungerempfindung fungiren. Das müssen wir sicher bei der
rein neurotischen Hyperorexie annehmen, wie wir sie nicht
selten bei exaltirten hysterischen und chlorotischen jungen
Mädchen finden. Die Mädchenpensionate liefern uns hierfür
ADorezia cerebralis und centrale Nutritioiisnearosen. 5
eine reiche Ausbeate. Eine Anzahl dieser jungen Damen
pflegt nie das Bett aufzusuchen^ ,,ohne heimlich Essbares mit-
zonefamen^ und ich kannte eine junge Schneiderin, die jeden
Tag in der Woche bei einer andern Familie im Hause arbei-
tete, und eigentlich den ganzen Tag über, trotz reichlicher
Mahlzeiten, die sie zu sich nahm, an einer Brotrinde oder
einem Cakes herumknabberte. Es war ihr dies, wie sie selbst
äusserte, ein dringendes Bedürfniss, es überfiel sie sonst eine
solche Schwäche, dass sie nicht arbeiten konnte. Im yer-
gangenen Jahre beobachtete ich einen, wiederholt von Malaria
(Intermittens tertiana) heimgesuchten jungen anämischen, sehr
reizbaren Secundaner, bei dem der Essensdrang, namentlich
wenn er aus der Schule heimkehrte, mit so elementarer Ge-
walt sich einstellte, dass er zu den heftigsten Wuthausbrüchen
führte, wenn er nicht alsbald befriedigt wurde, und bei dem
gleichzeitig die Massenhaftigkeit der aufgenommenen Nahrungs-
mittel jeder Beschreibung spottete. Er hatte schliesslich da-
durch eine hochgradige Magendilatation bekommen, litt an
chronischem Magenkatarrh und Obstructio alvi. Magenaus-
spulungen und eine Carlsbader Cur brachten ihm Heilung.
Yiel häufiger und von viel einschneidenderer Bedeutung
ist die Anorexia. Auch hier finden wir dieselben Contro-
versen. Stiller^) z. B. hält sie für eine Anästhesie der
fraglichen Hungemerven, BosenthaP) dagegen für eine
Hyperästhesie der peripheren Magennerven. Ohne auf die
widerstreitenden Ansichten näher eingehen zu wollen, müssen
wir auch hier wohl unterscheiden, ob wir es mit einer wirk-
lichen Verminderung des Hungergefühls zu thun haben oder
mit einem Mangel an Esslust (want of appetite), und ob
diese mit oder ohne Abscheu von den Speisen, mit Ueblich-
keit, Erbrechen oder Ekel verbunden sind oder nicht. Die
dyspeptische Anorexie, die als Symptom und Folge eines
kranken visceralen Organs auftritt, ist im Kindesalter nament-
' lieh zwischen dem zweiten und siebenten Lebensjahr bei fehler-
haft ernährten, verzogenen, verzärtelten Kindern gerade der
besseren Gesellschaftclassen enorm häufig. Selten dagegen,
wenigstens bei uns, ist die Anorexia nervosa, wie sie als
eine reine Neurose, bei Abwesenheit jedweder nachweisbaren
Orgauerkrankung bei neuropathisch hereditär belasteten Knaben
und Mädchen in die Erscheinung tritt. Bei dieser kommt
es nicht selten im weiteren Verlauf fast zu völliger Nahrungs-
abstinenz, sie führt zuweilen zu den höchsten Graden der
Inanition und selbst zum Tode, wenn nicht, wie allerdings in
1) Stiller, Die nervösen Magenkrankheiten 1884. S. 62.
2) Rosentbal, Magenneurosen und Magenkatarrh 1886. S. 13.
6 0. Soltmann:
der Mehrzahl der Fälle schliesslich und endlich, eine lang-
same Besserung unter allmählicher Nahrungsaufiiahme Ton
Seiten der Kranken eintritt und dann auch eine vollkommene
Heilung statthahen kann. FQr diese Form der Anorexia müssen
wir gewiss im Centralorgan, im Gehirn selbst den Quell
des Leidens suchen. Welcher Art die Veränderungen im Ge-
hirn sind, lässt sich nicht bestimmen, und mQssen wir uns
auch hier, wie bei vielen anderen cerebralen Neurosen, mit
der Annahme von „inpalpablen Ernährungsstörungen^ des Ge-
hirns begnügen, wahrscheinlich auf der Basis von functioneller
Hyperämie, Anämie und Stase der Blutbahn in gewissen
Rindenbezirken und deren Folgen. —
Daher denn auch unter der Wirkung stark deprimirender
psychischer Einflüsse, in Folge mehr oder weniger ausgepräg-
ter Verlangsamung des Blutstroms, vasomotorischer Blutsperre
in den Geßssterritoricn der Rinde und deren Einwirkung auf
den Stoffwechsel der Ganglienzellen, die Gemeingefühle von
Hunger und Durst so merklich* abgeschwächt werden. Die
Sorge, die am Korper nagt, der Kummer, der uns den Magen
zusammenschnürt, der Aerger, der wie ein Centner auf den
Magen drückt etc., sie werden um so mehr uns den Appetit
benehmen, den Hunger unterdrücken, je intensiver und
nachhaltiger sie auf uns wirken. Ganz Aehnliches beob-
achten wir. bei geistiger und körperlicher Ueberanstrengung.
Die Verfolgung eines wichtigen Planes, das Vertiefen in eine
fixe Idee kann die Magennerven plötzlich anästhetisch machen
(Stiller). Bekannt sind jedem Praktiker die anämischen, ab-
magernden, übereifrigen Schulknaben, die ,,über dem Schul-
gedanken und aus überspanntem Pflichtgefühl*^ notorisch das
Essen verlernen, niemals Hunger haben, stets zum Essen
ermahnt und selbst gezwungen werden nnd endlich von der
Schule ganz entfernt gehalten werden müssen.
Wenn nun derartige Einflüsse schon unter physiologischen
Verhältnissen innerhalb der Breite der Gesundheit sich gel-
tend machen, um wie viel mehr muss dies der Fall sein und
folgeschwer fOr den Gesammtorganismus, wenn derartige Ver-
anlassungen an ein neuropathisch belastetes neurasthenisches
Individuum herantreten, wo wir doch gezwungen sind, ge-
wisse, wenn uns auch unbekannte perennirende VeiiLnderungen
in dem Centralorgan anzunehmen und wo vasomotorische Ein-
flüsse die Ernährung, den Stoffwechsel der Ganglienzellen und
Gewebselemente nachhaltig verändern und dem entsprechend
die specifische functionelle Energie derselben gewaltig schä-
digen müssen. So dürfen wir es wohl bei der schweren
Form der nervösen Anorexie annehmen, über die ans die
Franzosen und Engländer berichtet haben, namentlich
Anorexia cerebralia und centrale Nutritionsneurosen. 7
Lasegne'), Gull*), Fenwick'), Charcot, Huchard a. A.,
wahrend dieselbe in den deutschen Handbüchern mit Still-
schweigen übergangen wird. Nur schüchtern finden wir die
Anorexia nervosa, gravis, mentalis hie und da in den Schriften
über Hysterie und Neurasthenie erwähnt. Eine dankenswerthe
Ausnahme machen Stiller^) (Budapest) und Rosenthal^)
(Wien). Ersterer theilt uns gleichzeitig drei eigene Beobach-
tungen mit (weibliche Individuen im Alter von 25^ 19 und
15 Jaliren), die in schwerer Weise Inanition als Folge der
Nahrungsabstinenz darboten, und Rosenthal erzählt von einem
17jährigen Mädchen, das bei fast vollständiger Nahrungs-
verweigerung bis zum Skelett abgemagert, endlich „unter den
Erscheinungen von Kurzathmigkeit, Dysphagie und Atelie
als Zeichen von Anämie der bulbären Gentren'' dem Inanitions-
tode erlag. Lasegne hatte übrigens unter mehr als 240
Kranken keinen einzigen Todesfall zu verzeichnen.
Bei der Seltenheit der Beobachtungen hierorts, will ich
einen kürzlich von mir genau verfolgten Fall ausführlich mit-
theilen ^ der durch das jugendliche Alter des Patienten, die
Art seines Auftretens und Verlaufs und die wahrscheinliche
Heilung mancherlei Interesse darbietet:
Es handelt sich um einen 12 jährigen israelitiBchen Knaben, der
seit 3 Jahren eine stetig zanehmende Nahmngsabstinent beobachtet
und dabei erheblich abgemagert ist. Er stammt aus einer stark nenro-
pathisch belasteten Familie. Die Mutter ist hysterisch, religiös über-
Bpannt, liegt öfter Nachts stundenlang betend wach und leidet an hef-
tiger Eifersucht, mit der sie den äusserst verstiludigen Mann auf das
EotsetBlichte peinigt und su den nnglanblichsten Familienscenen Ver-
anlassung giebt Unser Knabe war, ohne dass die Eltern es wussten,
Zeuge einer solchen Scene, nnd die stürmischen und leidenschaftlichen
Eifersnchtsergüsse machten anf den bis dahin „ganz ffesnnden" Knaben
einen so tiefen deprimirenden Eindruck, dass derselbe von da ab in
seinem ganzen Wesen, in Haltnng, Sprache, Verkehr mit den Eltern
und der Umgebung gänzlich verändert war, und vor AUem — die
Nabmng verweigert. Qefragt, warum er nicht essen wolle, ^ebt er an,
er habe keinen Hnnger und brauche nicht zu essen. Wird er zum
Essen gezwungen, ist er sehr aufgeregt, später wird er gleichgiltig, ge-
niestt zweimal etwas Brot und Käse am Tage, auch wohl etwas Choko-
lade and Caviar nnd dergleichen, nicht weil ihm das schmeckt, sondern
weil er davon nnr wenig zu essen braucht und sich ohnehin noch unter
vorherigen Versprechungen ein Geldstück verdient. Alles weitere Zu-
reden ist vergeblich, „er habe keinen Hunger, sei satt, wolle auch nicht
essen, fühle sich wohl, man solle ihn zufrieden lassen, er sei nun mal
ein Sonderling". Von Hause treibt es ihn fort, er benatzt die gesam-
1) Las^^ne, Archives g^n^rales de m^d. 1878.
8) Fenwick, On atrophy of the stomacs and on the nervous affec-
tions of the digestive organs. London 1880.
3} Gull, Medic. Times et Gazette 1878.
4) Stiller a. a. 0. S. 69.
5) Bosenthal a. a. 0. 8. 16.
8 0. Soltmann:
melten Geldgeschenke, um auf der Eisenbahn sn fahren. Als er polisei-
lieh daran gehindert wird, ist es ihm auch recht, er bleibt zu Hause,
thut seine Schuldigkeit, spielt fleissig ClaTier und Violine, ist aber ein-
silbig und zieht sich von Eltern und Gescbwistern zurück. Unter der
Bchwachen und nachsichtigen, verkehrten Erziehung von Seiten der
Mutter ninunt seine „fixe Idee'*, nicht essen zu wollen, weil er keinen
Hunger habe, mehr und mehr zu, er magert sichtlich ab, wird schwach
und hinfallig, und der Vater entschliesst sich, mit ihm zum Zweck
seiner Heilung nach Berlin zu fahren. Vergeblich, mit Mähe gelingt
es, dem Knaben ein geringes Quantum von Nahrung beizubringen. Mit
demselben negativen Erfolg verlässt er hier zwei Krankenhäuser nach
kurzer Zeit. Auch die Hypnose wird vergeblich in Anwendung ge-
bracht
Anfangs November bringt der Vater den Knaben zu mir. Auf
meine Fragen antwortet er mir ganz so, wie oben angegeben. Als ich
ihm sage, dass er sterben mässe, wenn er keine Nahrung zu sich nehmest
sagte er: „0 nein, ich esse ja etwas!'* Ja damit kannst du aber nicht
leben. „0 ja, ich brauche nicht mehr zu essen, wenn ich keinen Hanger
habe!'* Schmeckt dir das Essen nicht? „Es ist mir gleichgiltig I** Hast
du Schmerzen beim Essen? „Nein!" Empfindest du Widerwillen, Ekel
vor den Speisen? „Nein!** Ist dir übel oder musst du brechen da-
nach? „Nein! Ich habe nur keinen Hunger, fühle mich wohl und bin
nun mal solch Sonderling!**
Wenige Tage darauf (am 16. XI.) bringt mir der Vater auf mein
Zureden den Knaben, gegen den Willen der Mutter, in das Hospital.
Er ist seinem Alter entsprechend gross, schlank, sein Schädel normal,
G esichtsausdmck missmuthig, von blasser Farbe. Thorax schmal mid
flach, Muskulatur schlaflf, Abmagerung bedeutend. Organe geaond,
gastrische Erscheinungen fehlen; Zunge, Stuhl, Urin normal. Helminthen
ausgeschlossen. Halcnng, Bewegung, Gang sind schlaff und träge,
Sprache langsam, leise in gedrückter Stimmung und bei geneigtem
Kopf Sensibilität normal, Patcllarreflcxe erhöht, Achillessehnenreflex
schwach ,• Muskelkraft gering, elektrische Erregbarkeit normal. Die
Geschmacksprüfung zeigt nichts Abnormes. Chinin, Essigsäure, Salz,
Zucker werden normal empfunden, auch bei der elektrischen Prüfung
— wenn man den Strom quer durch die Mundhöhle gehen Hess —
wird auf der Wange die Anode richtig mit säuerlich, die Kathode mit
salzig angegeben. Das Einzige, was auffällt, ist eine gewisse Verlang-
samung der Geschmacksempfindung, sie wird stets richtig angegeben,
aber es vergeht eine Zeit, ehe er sich äussert. Doch ist bei der Tt&g-
heit seiner Antworten überhaupt darauf kein Gewicht zu legen. Uebrigens
ist der Knabe sonst geistig geweckt und hat ein gutes Auffassungs-
vermögen, schreibt und rechnet gut, spielt hübsch Ciavier und Geige.
Vom ersten Tage seines Sxntalaufenthaltes an nimmt er nur zwei-
mal am Tage minimale Mengen von Milch und Semmel zu sich. Alles
Zureden ist TOrgeblich, er schluckt nicht und kaut nicht, wenn man
ihm den Bissen in den Mund schiebt und zum Essen zwingt. Als man
ihn mit Gewalt füttert, schlägt er Tablett mit Tasse und Teller in die
Luft; er sei satt und brauche nichts zu essen. Am 20. November wird
ihm ohne jede Schwierigkeit, ohne Brechreiz die Nahrung mit der
Schlundsonde eingeflösst. Von dem Tage an verweigert er jedwedes
selbständige Essen überhaupt, „er habe das nicht nöthig, da er es ja
doch mit der Sonde erhalte**. Er erhält einen ganzen Tag daraufhin
1) Charcot heilte eine Kranke dadturch, dass er derselben, wenn
ttie nicht anfi&nge zu essen, einen sicheren Tod unter den fürchterlich-
sten Qualen in Aussicht stellte.
Anorexia cerebralis und centrale Nutritionsneurosen. 9
überhaupt keine Nahrang, verlangt aber auch gamiohts. Da aber
die Schwäche und Abmagerung erheblich zunimmt — er hat in wenigen
Tagen um mehr als ein Pfand abgenommen — wird wieder die Schlnnd-
Bonde genommen, diese verstopft er einige Tage darauf und i&eint am
3. XII., wie er es schon oft gethan, wenn er eine Aenderung seiner
Sitnaiion wünscht, er werde zweimal etwas essen. Von dem Tage ab
wird er töglich elektrisirt and zwar mit dem faradischen Strom, die
eine Elektrode wird auf Hinterhaupt und Nackengegeod aufgeeetzt, die
andere vom auf Schl&fen- oder Scheitelbein, um durch Beschlennigung
der (^culation die Blutzafahr zam Gehirn za erhöhen. Von welcher
Bedeutung dies gerade bei neurasthenischen und anämischen, hereditär
belasteten Individuen sein kann, ist bekannt. Ich verweise darüber
auf die von Erb^ gemachten Mittheilungen, der ausdrücklich hervor-
hebt, dass unter solchen Umstunden, ebenso wie mit der von feard
und Rockwell*) eingeführten „allgemeinen Faradisation*' schnell, oft
überraschend schnell, Schlaf, Appetit, Körpergewicht, Verminderung
der gemüthlichen Depression, regere Muskulatur erzielt wurde.
Der Erfolg war hier ein ül^rraschender.- Der Strom wurde nicht
nur gut vertngen, sondern der Knabe fing von dem Tage an seine
Mahlzeiten zu sich zu nehmen und zwar reichlich und in steigendem
Maasse. Er trank Milch, Cacao, nahm Mehl- und Beissuppe mit und
ohne Brot, ass Bindfleisch, Braten, Wurst, Schinken, Nudeln, Kartoffeln,
kurz Alles, was im Speiseprogramm der Spital sküche vorgesehen; auch
wurde er gesprächiger^ theilnehmender und war guter Lanne. Als ich
ihn Abends in der Klinik den Studirenden zum zweiten Male vorstellte,
▼ersehrte er mit grosser Schnelligkeit und ohne jede Widerrede eine
grosse Doppelsemmel mit Braunschw'eiger Wurst und trank dazu ein
ganzes Glas Milch (% 1).
Die Eltern, über den Erfolg hoch beglückt, verlangten den Knaben
nun heraus. Die Mutter konnte ihn in ihrer üeberschwenglichkeit nicht
mehr missen und der Knabe sehnte sich natürlich nach den schwachen
Zngeln der nachsichtigen mütterlichen Erziehung. So gab der Vater
Dach. Ich warnte ihn, denn als er am 13. XII. kam , um den Knaben
abzuholen, ass dieser zwar die gewünschte und vorgeschriebene Portion,
aber die Gegenwart des Vaters beeinflusste ihn schon so, dass er nur
langsam und zögernd den Löffel zum Munde führte und in Haltung,
Miene und Blick dieselbe gedrückte Stimmung bekundete, wie dereinst.
Der Vater nahm den Knaben heraus mit dem ausdrücklichen Bemerken
ihm gegenüber, dass er sofort wieder ins Hospital müsse, sobald das
alte Leiden von Neuem begönne. Wie zu erwarten, geschah. All-
mählich, unter dem Einfluss des für seine Erziehung verderblichen
socialen Mediums, das ihn mehr zu Widersprach als Gehorsam reizte,
fing er bald von Neuem an die Nahrung zu verweigern, und wenn er
diese annahm, wusste er sich dadurch neue Concessionen zu erzwingen.
Er nahm aber immerhin zweimal Nahrung am Tage zu sich, verklei-
nerte jedoch die Nahrungsmenge so, dass der Vater ihn von Neuem
in meine Behandlung brachte. Bei der nunmehr erfolgten Aufnahme
müssen wir aber constatiren, dass sein Ausgehen viel frischer und besser
ist als ehedem, und dass sein Körpergewicht sogar noch um etwa 100 g
seit der Entlassung aus dem Hospital zugenommen hatte. Auch ist er
theilnehmender und freundlicher zu den gleichaltrigen Kindern und hat
1) Erb, Handbuch der Elektrotherapie 1882 (Ziemssen III).
S. 268.
2) Board and Bockwell, A practical treatise on the medical
and surgical nser of electricity including localised and g^neral electri-
zation. New-Tork 1871.
10 0. Soltmann:
bei seiDem ersten Debnt gestern Yerh<nissmässig gut die ihm gebotene
Nabrang angenommen nnd hat sich anf einem Spaziergang in der Stadt
in Begleitung einer der Diaconissen mit dieser gans mnnter unterhalten,
Somit sind wir sicher auf dem Wege der Besserung und darf die
völlige Heilung erwartet werden, wenn er nipht der consequenten
diätetischen und medicameniOsen Behandlung und unseren strengen i^da-
gogischen Händen durch die häusliche Intenrention entzogen wird.
Der Fall bietet nach rielen Beziehungen Interessantes.
Erstlich kann es keinem Zweifel unterworfen sein, dass wir
es mit einer im Sinne der Engländer und Franzosen beschrie-
benen Form von Anorexia neurotica^ nervosa, gravis,
mentalis etc. zu tbun haben. Mit Rücksicht auf das oben
Mitgetheilte mochte ich dieselbe lieber als Anorexia cere-
braus und zwar corticalis bezeichnet wissen. Wir haben
CS mit einem jungen ' mannlichen Individuum zu thun, das
anämisch und von nervöser Constitution ist, bei dessen An-
gehörigen in aufsteigender Linie Nervenkrankheiten familiär
sind. Scheinbar gesund, verweigert er unter der Einwirkung
fehlerhafter Erziehung plötzlich unter dem Einfluss eines
intensiven deprimirenden Gemüthseindrucks bei melancholischer
Gemüthsstimmung die Nahrungsaufnahme unter Abwesenheit
jeder gastrischen oder anderweitigen Organerkrankung. Aber
die Anorexia zeichnet sich femer durch die Besonderheit aus,
dass sie als einzige krankhafte Erscheinung unveränder-
lich fortbesteht, ohne Ueblichkeiten, ohne Widerwillen und
Ekel vor den Speisen, ohne Erbrechen und Meteorismus, bei
normaler Verdauung, ohne Globus, Ructus, Singultus oder
irgend eine andere nervöse Erscheinung, die sie uns als
ein Symptom der Hysterie erscheinen lassen könnte. Die
vorübergehende Neigung, das Elternhaus zu verlassen, findet
seine Erklärung in den häuslichen Scenen, die sich dort ab-
spielen, in den verkehrten Versuchen, die mit ihm angestellt
werden, um ihm Nahrung beizubringen. Er giebt diese Nei-
gung sofort auf, ohne je wieder darauf zurückzukommen, als
er sich polizeilich controUirt sieht Die Anorexie besteht aber
weiter und führt unter mehr und mehr zunehmender Nahrungs-
abstinenz zu einem nicht unbedenklichen Zustand von Ab-
magerung, Schwäche und Inanition. Die versuchten Heilungen
sind vergebliche, zum Theil wohl, weil man ihn unter er-
wachsene psychische Kranke unterbrachte, die ihn verspotten
und necken; auch die Hypnose erweist sich als wirkungslos,
und ein Versuch, bei uns im Hospital mit der Schlundsonde
schlägt fehl, weil er nun meint, er brauche nicht mehr
zu essen, da ihm die Nahrung eingeflösst werde, und die
^Nahrungsaufnahme gänzlich verweigert; dann verstopft er die
Sonde, um auch so die Nahrungszufuhr zu verhindern. Da
Anorexia cerebral is und centrale Nutritionsnearosen. H
wird er elektrisirt und von dem Moment an tritt dann Besse-
rung ein, die wohl zu dauernder Heilung geführt hätte, wenn
der Knabe nicht der Behandlung entzogen wäre.
Eine solche Anorexie, wie sie geschildert, kann nach ihrer
{]^zen Entstehung, ihrer hartnäckigen Beständigkeit, ihrer
Selbständigkeit, mit der sie die ganze Situation beherrscht,
als einzige Krankheitserscheinung nur als eine cerebrale und
zwar corticale angesehen wetden, da das GemeingefGLhl , die
Huugerempfindung in der Gehirnrinde als dem Bewusstseins-
centrum yertreten sein muss. Wo dasselbe liegt, ist noch
nicht mit Sicherheit anzugeben. Ferrier^) behauptete zwar
bekanntlich, dass Thieren, denen er die Hinterhauptlappen
entfetnt hatte, das Verlangen nach Nahrung vollständig yer>
leren gegangen sei, während die Begierde zum Trank erhalten
blieb, und Ferrier hebt heryor, dass diese Thiere unter
dieser Nahrungsverweigerung in einem Zustande grosser De-
pression und Apathie bald an Inanition zu Grunde gingen.
Er localisirte die Gentren der Geruchs- und Geschmacks-
empfindung, sowie des Hungers im Hypocampus major und
Gyrus hypocampii resp. in der Rinde des Occipitallappens.
Und wenn auch die Untersuchungen Ferrier's von Luciani,
Sepilli')y Tamburini'), Munck^) u. A. stark angezweifelt
und zum Theil als „Phantasiegebilde'' bezeichnet wurden, so
glauben doch Alle heute, dass die Binde der. unteren (basalen)
Fläche des Gehirns das Centrum des GemeingefQhls, des
Hangers enthalte.
Von allen diesen Erwägungen geleitet, versuchte ich bei
nnserm Knaben die Anwendung des elektrischen Stromes auf
den Schädel. Erb hatte ja gezeigt, dass dabei weder eine
Gefahr f&r das Gehirn noch f&r die Sinnesorgane vorliege,
und ich kann es aus einer Anzahl von Fällen, wo ich bei
Kindern den elektrischen Strom vorsichtig benutzte, bestätigen,
.dass es fast ausnahmslos gut vertragen und auch von den-
selben — wenigstens der faradische Strom — nicht sehr un-
angenehm empfinden wird. Aber Erb hatte auch weiterhin
gezeigt, dass der elektrische Strom vom Schädel aus das Ge-
hirn sehr wohl erreicht und die Circulation in demselben ge-
waltig beeinflussen kann, nicht blos im Sinne einer Beschleu-
nigung oder Yerlaiigsamung der Blutbahn, sondern dadurch
1) Ferrier, Die Functionen des QebirnB (Obersteiner) 1879.
ö. 200—214.
2) Lnciani und Sepilli, Fanctionslocalisation (Fränkel) 1886.
S. 137 seq. (HE) 166.
3) Tambarini, Biv. d. Freniatr. 1880.
4) Manck, üeber die FuDctionen der Orosshirnrinde. 1881. (Berlin,
Hirschwald) Nr. 7. S. 121 seq.
12 0. Soltmanii:
wieder darch Modification der Emährangsverhäitnisse und
Stoffwechselvorgänge im Gehirn. Und so ist es denn begreif-
lich, warum gerade bei cerebralen Neurosen die functionelle
Störung der betreffenden Ganglienzellen nicht selten in kurzer
Frist verschwindet, zuweilen nach wenigen Sitzungen und in
wenigen Tagen, wovon wir eine Reihe zuverlässiger Beobach-
tungen bei Erb, Arndt, Remack, Jelly u. A. finden können.
Bei der Anorexie ist die cerebale Elektricitat meines Wissens
noch nicht in Anwendung gezogen.
In unserem Fall hatte ich die Sitzung taglich nicht über
zwei Minuten ausgedehnt, und um die hintere Schädelgrnbe,
d. h. das Occipitalhirn zu treffen, habe ich abwechselnd den
Strom quer durch die hintere Ohrgegend geleitet^ oder wie* oben
augegeben schräg durch den Kopf, die Anode des secundäreu
Stroms hinten, die Kathode vorn, um die Blutzufuhr zum Ge-
hirn zu erhöhen. So durfte ich hoffen, durch die Beeinflussung
der cortialen Girculation und Besserung der loealen Ernährungs-
verhältnisse auch eine Anregung des Hungergefähls herbei-
zufQhren. Mit welch' günstigem Erfolg, habe ich ausfÜhrUch
mitgetheilt.
Zum Schluss noch einige Worte über die Behandlung der
nervörsen Anorexie überhaupt Die Ansichten darüber sind
sehr getheilt. Darüber sind freilich alle einig, daas, wenn
irgend möglich, die Entfernung des Patienten aus dem socialen
Medium möglichst schnell zu veranlassen ist Dies ist schon
deshalb nöthig, weil die Angehörigen selbst in der Mehrzahl
der Fälle zumal bei dem jugendlichen Alter der Patienten
etwaigen strengen Vorschritten des Arztes den grössten Wider-
stand euts:regeuiu$etzen pflegen und den Verbündeten g^en-
über Macht und Thätigkeit des Arztes scheitern winL Die
frühzeitige Intervention eines energischen in der Diirehfuhrung
seiner einmal gemachten diätetischen und medieamentösen
Verordnungen consequenten Arztes ist eine conditio sine qua
non. Bezüglich der Diät bcechrinke man sich Anfangs auf
eine eiwe)$:$ureiche blande Nahrung. Milch in kleinen Qoan*
titäten (^Weinglas voll) aber häufig, unter Zasals einiger
Tropfen Oognac oder Rum, Fleischpeptone anf kleine ge-
röstete Semmelschnittchen gestrichen geniigen. Eier vermeide
man gan«^ die meisten Kranken verweigern sie um jeden Preis.
Weingelee vrird gewöhnlich willig angenommen. Erst all-
mählich wihle man consisteutere Nahrung 1 — 2 Mal am Tage,
bestehe aber darauf« dass die vorge$eae Kc^i genommen wird,
und vertaosche sie nicht mit einer anderen: jede Concession dem
Kranken ge$s«ndbef ist gefährlich. Von Fletsch^eisen em-
pfiehlt sich aoGüiglioh P^kelrin^ierbrust^ ganz {ein mit Butter
gerieb<aDi, auf Brv>t gestrichen» dann er^t wihle man Flusch-
Anorexia cerebralia nnd centrale Nntritionsneurosen. 13
pureesnppen und gehe allmählicli zu Braten über, weisses
Fleisch, Taube, Huhn, Kalbfleisch, Fasan. £ndlich nehme man
die gewöhnliche Hausmannskost mit Gemüse und Kartoffeln.
Als Getränk vermeide man Bier. Weine sind gestattet, doch
nicht die schweren südlichen süssen alkoholreichen, sondern
leichte Mosel- und Rheinweine und Bordeaux. Fenwick will
die Alkoholica und speciell Wein ganz, aus dem Speiseprogramm
gestrichen wissen. Stiller hält sie im Gegentheil für er-
wünscht und führt einen Fall von Quain an, der — ein
Knabe von 11 Jahren — durch Fleischbrühe und Alkohol,
die er parfümirt aus der Apotheke holen Hess, geheilt wurde.
Unwillkürlich wurde ich hier an das Experiment Ferrier's
erinnert. Ein einziges Thier von allen, denen er die Hinter-
hauptslappen entfernt hatte und die dauernd die Nahrung
verweigerten, nahm wieder Nahrung zu sich, nachdem ihm
eine Orange angeboten war und so auf dem Wege der Asso-
ciation durch Anregung von Geruch und Geschmack das
Hungergefühl wieder erwachte. Abgesehen von dem zweifel-
haften Werth, den das Ferrier'sche Experiment für die
Localisationslehre in der Rinde beanspruchen sollte, kann es
keinem Zweifel unterliegen, dafs gewisse Functionen bestimmter
üimtheile nach deren Ausschaltung von anderen, die zu diesen
in enger Beziehung stehen, übernommen werden können. So
könnte vielleicht die Erhaltung der Rinde des Gyrus hypo-
campi, die nach einer exacten Beobachtung Munck's das
Riechcentrum enthält, hierfür in Anspruch genommen werden.
Mit der hydriatischen Behandlung empfiehlt sich bei
jagendlichen Individuum jedenfalls grosse Vorsicht. Kalt-
wasserkuren sind nicht zu empfehlen, wohl aber können
warme Bäder (28 Grad) mit warmer Regeudouche wohlthätig
wirken.
Zur Magensonde wüi^de ich mich nur entschliessen, wenn
die Einflössung der Nahrung zur Erhaltung des Lebens nothig
ist^ zum Zweck der Heilung aber, weil sie die örtliche üeber-
empfindlichkeit der Magenschleimhaut abstumpfen solle, kann
ich mich nicht entschliessen, da ich an eine solche, wie
es Rosenthal meint, nicht glaube. Unser Versuch schlug
gänzlich fehl.
Von Medicamenten ist nichts zu erhoffen. Der Elektri-
cität aber kann auch hier nach dem vortrefflichen Erfolge in
vorliegendem Fall, ebenso wie bei gewissen Psychosen, die
auf functionellen und nutritiven Störungen im Gehirn beruhen,
gewiss eine segensreiche Prognose verhiessen werden.
Breslau, 20. Februar 1894.
IL
Casaistiscber Beitrag zw Frage vom „Drosenfleber"'
(Emil PfeilTer).
Von
Dr. Ernst Hoerschelmann.
Bei der Pfeif fernsehen Abhandlang über DrQsenfieber*)
sind bestätigende Mittheiiungen gemacht worden Ton Heubner ^)y
V. Starck^), Kanchfass^) und Protassow^). Weitere Aeusse-
rangen in dieser Frage, sei es Bestatigaugen oder Wider-
legungen der Pfeiffer'schen Ansicht, habe ich nicht finden
können.
Es liegen somit die Beobachtangen von nnr 5 Autoren
Tor und ist das Ton ihnen gelieferte Material selbstTerstand-
lieh noch xu gering, um die Frage zu entscheiden, „ob'V^i^
Pfeiffer sagt, ,ywir es mit einem besonderen Krankheits-
instand, einer Krankheit sui generis, zu thun haben, oder ob
das Drüsentieber nur der Abortiv zustand aaderer Krankheits-
processe ist**.
Seine Mittheilun^ hat tunaehst nur den Zweck gehabt,
die Colle^^n auf das an^etuhrte Krank hei tsbild anfmerksam
7U macheu« uud erscV.eiut es infolge dessen wunschenswerth,
da^s alle einschlairivren Beobachtungen zur alUremeinen Kennt-
niss gebracht wurden. Dieser Umstand hat mich Teranlasst,
der iudirecten Auffordenuiij Pfeiffers FoLze zu leisten und
in Nachstehcndim eiuige Krankheit^^schichten mitzutheilen,
die, wie e* mir scheint, wohl in die Kategorie der von ihm
be<schriebonen Falle eiuiurvThen w^ren.
In den seit Vervt^ent!:ch,:rg der Pfr^iftVr 'sehen Arbeit
Terdosseneu *V^ Jahren sind uiir derart! ire l^Ie in der Praxis
luvht aufi»estossen, wenigstens nicht bewu>5t, diher ist es
mir av.t*Ä^*uIlen, am Eiuie des rori^eu Jjihres •^l'^'V^'i einer
verhihui:v^xis>:geu Hi-ifur.^ solcher, wie es rcix scliemt, un-
«weifelhAft als Druser*r.:fber tu Wieictr.-c:-.ir;r Falle zn be-
gti::iett. Ich mus:$ gv^:eieu, cas* mir i:: crr; IrUten Jakren
tu. XXXll ;^ «X
E. Hoenchelmauti : CunütiBcher Beitrag etc. ]5
seit dem Auftreten der lufluenza wohl 9ft«ra ErkriuikuDgeQ
bei Kindern vorgekommen sind, über die ich mir nicht ganz
klar geworden bin, fieberhafte Erkrankungen, die nur wenige
Tage dauerten und in denen sieb eigentlich keine rechte Er-
klärung für das Fieber und die Erkrankung Gnden liesa. Es
fragt sich , ob nicht wenigstens ein Theil dieser Fälle bei
genügender Beriicksichtigung der Haladrasen, die wohl nur
EU häufig Tersäumt worden ist, als DrDBeDfieher aufzufassen
gewesen und mithin nicht unklar geblieben wäre.
Was nun die mitzutheilendeo Krankheitageschichten be-
trifft, so handelt es sich um 16 Fälle, von denen die 7 ersten*)
fast in denselben T^en, die 9 folgenden später zu meiner
Beobachtung gelangten.
F»ll 1 betrifft meine 6jahrige Tochter, die gasi plOtiUch am
1. Dec. 1892 nach guter Nacht mit Kopfach merzen, KBJte und all-
gemeiner Abgeschlagen heit erkrankte.
Temp. Morgens nicht gemessen. Keine Fall 1.'
Schmenen beim Schlucken, wohl aber December 1892.
Klagen über Schmerxen rechte am
Qalse, namentlich bei Bewegungen
des Kopfes. Im Bachen bis aaf kanm
erwUuenBwerthe EUlthe der Oanmen-
bOgen nichts Abnormes. Rechts unter
der oberen Partie des Eopfnickers
Endet sich eine ca. kleinwallnoss-
gtoMe, harte , empfindliche Drüse,
ebenso sind die Drüsen am hinteren
Kande des MnskeU geschwellt und
drackempfindlich. Links die Drüsen
kaum geschwellt, aber auch leicht
empEDillich. Zunge etwas belegt,
Leib leicht dtuckerapfindlich, aber an
keiner bestimmten Stellej Leber leicht
TergcOsaert. Nach Lavement guter
Stahl, am Abend eiumal ErbrecbeD.
Temp, 37,8—39,9.
a. Dec. Temp. 38,6 — 37,7—36,2.
Stad idem.
3. Dec. Temp. normal , Drüsen
immer noch geschwellt und em-
pfindlich.
4. Dec. In der Nacht h&nfige blntig-
scbleimi^e Stühle mit Tenesmen. Bechta
Drüsen im Abschwellen, links nutei
and Tor dem oberen % des st, d. k Antipytin 0,!6. '
mastoid. eine ziemlich grosse, etwa
mandelgrosse, harte empfindliche Drüse, dann noch kleinere am vor-
deren und hinteren Rande des Muskels. Temp. 3e,2~SB,6— 3S,7.
6. Dec. Temp. normal, Zunge noch belegt, Drüsen wie gestern,
enteritiscbe Erscheinungen im Schwinden.
1) Ueber diese 7 FUfe bähe ich im December 1892 kurz im Vere
St. Petersburger Aerzte berichtet.
16
E. Hoenehelmami:
7. Dec. Kind mimier. Drüsen alle im AbechweUen, weniger em-
pfindlich; Stnhl normal Temp. Morgens normal« dann 37,8 — 37,9. Die
Verdaaung blieb normal, die geschwellten Drosen verMhwanden in den
lAchsten IVigen, womit anch die Temp. rar Norm inrfickkehrte. Die
Kleine eiholte sich bald gans.
Fall 8. Mittwoch, den 2. Dec Abends klagte die kleinere 4j&h-
rige Schwe&ter Aber Sehmenen im Halse. Bei der Untersnchnng des
Bachen« war nichts an sehen, we-
Fall 2. der an B5the noch Sehwellnng.
December 1892. '* ^^^^ ^^ redite Tordere Gaa-
menbogen leicht gerOthet, keine
SdiweUongdes Rachens y Schlncken
schmenlos. Beiderseits Druck aof
den Hals empfindlich, nnter dem
oberen V, ^^ ™- stemocL m. eine
geschwellte empfindliche Drüse. An
sonstigen Organen nichts Abnormes
nachsnweiien. Temp. 37,8—38,3.
4. Dec Röthe im Bachen wie
gestern, Tonsillen nicht ge-
schwellt, nicht geröthet, wohl
aber finden sich aof der rechten
Tonsille einselne kleine weisse Flecke
Ton der Grösse eines kleinen
Stecknadelkopfes. - Keine Schluck-
beschwerden. Links Bachen normal.
Die Drüsen beiderseits unter und
vor dem Kopfnicker geschwellt und
sehr empfindlich, mehr rechts als
links. Temp. 37,8—38,3—37,6.
6. Dec Drüsen links mehr ge-
schwellt, sehr empfindlich, auf
beiden Seiten anch submaxillare
Drüse geschwellt und empfindlich.
Hente anch der linke Ganmenbogen
leicht geröthet, auf der absolut nicht geschwellten und ge-
r5theten linken Tonsille eben solche weiese Flecke, wie sie
gestern rechts waren, welche letatere heute kanm mehr an sehen sind.
Temp. 38,5—38,7—38,9.
6. Dec. Röthe und weisse Fleckchen rechts im Bachen fiut ganz
geschwunden, links wie gestern. Beiderseits die Drüsen namentlich
unter dem oberen * , des Kop&iickers und rechts hinter demselben oben
sehr bedeutend geschwellt und empfindlich; ebenso beiderseits eine
Drüse im Winkel swischen Kopfnicker und Kieferraad geschwellt und
empfindlich. Sonst Alles gut, Stuhl spontan, aber tiftge. Temp. 39,2
—39,9—39,3.
7. Dec Bechts Bachen gans normal, links Ganmenbogen kaum
geröthet, aof der nicht geschwellten und nicht gerütheten Ton-
sille noch 9 kleine weisse Pünktchen. Drüsen wie gestern, hinza-
gekommen eine Beihe kleinerer empfindlicher Drüsen am hinteren Band
des rechten Kopfnickers. Mils und Leber etwas TergrÜssert Temp.
88,4—37,6-39,1.
8. Dec Nacht, wie stets bisher, ausgeseichnet geschlafen. Kind
munter, jedoch etwas blass. Bechts Drüsen weniger geschwellt und
weniger empfindlich, links Drüse Tor dem st. d. m. bedeutend grOsser,
etwa Ton der GrCsse einer grossen Mandel, aber heute auch die Drüsen
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CutÜBtUcher Beitrag sar Frage t. DrSeeofieber (Emil Pfeiffer). 17
am hinteren Riude des Maskele in einer Reihe seachwellt nad em-
pfindlieh. Bachen kaum mehr gerOtbet, beide Toasülen, auch die linke,
nicht geechwelli, nicht gerDtb et 'J, veiase Fleckchen verschwanden.
Leber überragt um ca. 1 Qaerfiuger den Bippenrand, iit bei Drack
leicht empfindlich, Hilz bei tiefer Inapiratioii palpabel. Im Urin kein
Eiwebi. Temp. Morgens 38,0, dann 38,2—40,2.
9. Dee. Bachen leicht gerOtbet, die rechte ToDsiUe etwas ge-
schwellt, jedoch sehr nnbedeatend — mm ersten Hai wahrend der
KmnkheiL DrQsen im ÄbgcbwelleD nnd weniger empfindlich. Milc
nicht palpabel, Leber wie gestern. Temp. 88,5—39,3—89,2.
10. Dec. Temp. normal, Bachen nicht gerOthet, Tonsille kaum mehr
geschwellt, Leber kleiner. Drfieen nehmen an Scbwellang nnd Em-
pfindlichkeit ab. Von jetst ab blieb die Temp. normal, die Schwellnng
nud Empfindlichkeit der Drfisen nahm langsam, aber stetig ab nnd es
trat Töllise Oeneanng ein, wenn anch die Kleine noch einige Zeit
blase blieb.
Anfallend war ganz besondere in diesenl Fall bei den doch recht
hohen Temperatnreu das suttJectiTe Wohlbefinden der Kleinen mid die gu-
ten, ungeatCrtenN&ch-
t*. Die Kleine machte Fill 8. December 1392.
flberhaupt nicht den
Eindmck eines kran-
ken Eindea, war wo-
möglich noch lebhaf-
ter nnd ansgelaasener
als sonst nnd nahm die
ganze Zeit von ihrem
Beliehen ans an den
Spielen der Geschwi-
ster lebhaften Antbeil.
In den folgenden
Tagen erkrankten anch
der kleine 2% j&hrige
Bruder, sowie die Äl-
teste tOj. Schweet«ri
bei beiden handelte
ea sich allerdings nm
gani leichte F&Ue, in
denen die Tp. nicht
Über 38,0 anstieg und
die Sohwellnng und
Empfindlichkeit der
Drfisen eine verh&It-
nisam&ssig geringe,
wenn auch sicher nach-
weisbare war bei Feh-
len sonstiger ki&nk-
hafter Erscheinungen.
Fall 8. A. W.,
etwas blasser Knabe
*«a I Jahr 9 Hon. Er-
krankte am 30. Not. , AnUnvrln ni9
Cremp.Ab.39,2). Auch " A°*'Py"° »■'2-
1) Ich habe absichtlich immer wieder die Abwesenheit von BOthe
nad Schwellung der Tonsillen betont, nm damit zu constatiren, dass
jegliche cbaraIrtBristitche Erscheinung far eine Angina im gewöhnlichen
Sinne fehlte.
|«< E. Hoerschelmann :
ui ai«fKi>iu >*»U war die wesentlichste Krankheitserscheinuog das Aja-
v^ii^va^ MHi die grosse Empfindlichkeit der Cemcaldrüsen. Es ist
Uir <>tuA»^ Fall unter meinen 16, in welchem die Schwellang der
l'laa*^tt $0 »tark war, dass die obere Partie des Eopfnickers wie abge-
O^^be« und die gante Gegend auch für das Auge als arg geschwellt er-
»cbi^u. Hie Leoer war sehr bedeutend (bis zur Nabellmie reichend)
\e();v^«^rt, ^^^ ^^^ druckempfindlich, aber nicht an einer bestimmt-en
^wll«^. Kntsprechend dem sehr hohen Fieber waren auch die DrüBen-
«^^hw«»llungen sehr stark ; so waren beispielsweise am 4. Dec. links
hinter der oberen Partie des Kopfnickers deutlich 2 etwa bohnengrosae
Drüsen nachiuweisen; am 6. Dec. waren sie noch grösser, etwa wie
Mandeln, sehr hart und empfindlich. Die obere befand sich dicht unter
dem proc. mast., die sweite nach abwärts von ihr. Am 6. Dec. fand
sich hinter dieser zweiten noch eine dritte, fast ebenso grosse Drüse,
die gleichfalls sehr druckempfindlich war. Rechts nahmen die Drüsen
nicht so grosse Dimensionen an. Sonstige Krankheitserscheinungen
fanden sich keine.
Bis sum 9. Dec. hatten die Drüsen an Schwellung und Empfindlich-
keit abgenommen, die Temp. war zur Norm zurückgekehrt, die Leber
finff an sich zu verkleinem — und das Kind wurde wieder munter
nnd kräftig. Seit dem Tage habe ich Patienten nicht mehr gesehen.
Temp.:
1. Dec. 88,2
40,1
41,2.
40,2.
2. Dec. 36,7
40,0*
39,0.
8. Dec. 37,2 37,0
38,4*
37,8
38,1
39,6*.
4. Dec. 88,7* 37,2
88,7
38,0
38,2*
38,7*.
6. Dec. 38,0
38,3
88,2,
6. Dec. 37,7
38,1
.
37,8.
7. Dec. 87,5
87,7.
8. Dec. 86,7
37,0.
9. Dec. 86,7
86,7.
(Die * bedeuten Gaben von Antipyrin 0,12.)
Fall 4. E. S., kräftiger gesunder Knabe von 7 Jahren, bishei
stets gesund gewesen.
Mittwoch, den 2. Dec. kehrten die Eltern spät Abends nach Hause
und fanden das Kind, das den Tag über gesund gewesen und noch zur
Schule] gegangen war, stark fiebernd, schlafend vor. 2 mal hatte es
Erbrechen, einige Tage schon leichter Husten. Nacht unruhig, Kind
phantasirte viel.
8. Dec. Kind munter, Temp. scheinbar normal, leider nicht ge-
messen. Klagen über Kopfschmerzen und Schmerzen ausser lieh am
Halse, namentlich bei Bewegungen des Kopfes. Schlucken schmerzlos.
Rechts unter dem oberen Theil des Kopfnickers eine geschwellte, druck-
empfindliche Drüse; sonst keine vergrösserten Dräsen nachzuweisen,
sowie nichts Krankhaftes. Temp. Abends 88,0.
4. Dec. Nacht gut, Temp. Morgens 87,0. Kind munter, Drüsen
kleiner und weniger empfindlich. Uachen ziemlich stark geröthet,
Husten stark, trocken. Li der rechten Lunge hinten unten seltenes,
grobblasiges Rasseln. Kein Schnupfen. Abends Temp. 37,0.
6. Dec. Husten leichter, Rasseln R. H. U. geschwunden, Kaohen
kaum geröthet. Die Drüse unter dem st. d. m. kaum mehr zu fühlen
dafflr vor dem Muskel im Winkel zwischen ihm und dem Kieferrand
eine etwa erbsengrosse , recht empfindliche Drüse, eben solche Drüsen
am hinteren Rande des Kopfnickers. Temp. normal.
Caanistiacher Beitrag zdt Frage t. Dragenfieber (Emil Pfeiffer). 19
Im Laafe der oiVchBten Tage hOtte der Hapten ganz anf, die Temp.
blieb norm&l, die Rdtbe im Bachen gab aicb Bcboell nnd die DrOgen
kehrUn b«ld wieder xor Norm zurück.
tnnd geweien, erkrankte gleichzeilig mit dem Brader am Abend i
t Dec mit Fieber nnd Erbrechen.
3. Dec. Temp. 89,1. Klagen Ober Schmerzen rechts am Halse.
ZiiDge belegt, Rachen ncbedeutend gerOthet, ziemlich starker Hasten,
hangen frei, ünterleibsorgane normal. Bechta unter dem oberen '/> ^^'
it cl. mast eine liemUcb stark geschwellte, recht empfindliche harte
DriUe, desgleichen am hinteren Rande des Muskels viele kleine ge-
Kbvellte, empfindliche Drüsen. Linbs nur unter dem Hnskel eine
wtnig geschwellte und leicht empfindliche DrOse. Temp. Abends 38,6.
*. Dee. Temp. 87,3—37,0.
6. Dee. Temp. normal, Allgemeinbefinden gat, Bachen nicht mehr
gerOthet. Die bisherigen ge-
icbwellten Drüsen fast ganz pall &. December 1898.
geechwonden, aber beiderseits
im Wbkel zwischen Eieferrand 1
imd Unskel eine etwa basel- I
Dusgroste Drüse, leicht em- '
pfindlicb, nemlich hart. Temp. '
S7,0.
Dil mm 9. Dec. Pat. naa
nicht gesehen. Nach Ansaage
der Elt«m klagt« Pat. am
6. Dec. über Schmerzen im
Unken Ohr, die auf Einträufe-
Ibde von warmem Oel sich
bald gaben. Temp. 37,0 ~
Abeodi 87,8.
Am 7. Dec. Temp. 37,S,
Schmerten im Ohr geringer;
Abenda Temp. 88,4.
8. Dec. Keinerlei Klagen,
d^nTagabetPat-monter. Stnhl
iTit. Qegen Abend Kind matt.
Temperatnr Morgens 37,6, Abends 38,4.
9. Dee. Temp. 37,8. Zum giouen Schreck der Eltern auf Brnst,
Leib and RQcken ein feiner AnsBchlag, dabei Klagen flbei Frösteln und
Schmenen beim Schlucken, sodass rat. nichts zu sich nehmen wollte.
Am Tage Temp. 39,4. Bei der UnterBDChune fand ich die Drüsen
beiderseits am Halse noch etwas geschwellt, kaum mehr empfindlich.
Beide Tonsillen stark KeechwoUen, geröthet, rechts mehr als links.
Auf der rechten Tonsille mehrere leichte Beläge, lum Theil rundlich,
«Dm Theit streifig, ganz weiu. Bis hinunter auf die obere innere
Partie der Oberschenkel, am Rücken bis zu den Nates eiu*'klein-
fleckiges, etwa« erhabenes blassrothes Exanthem; dasselbe ähnelt, flüch-
tig gesehen, Scarlatina, erscheint bei genauerer Ansicht jedoch mehr
wie Bobeola. Kein Husten, in Lungen nichts. Abend-Temp. 38,0.
10. Dec. Nacht gut, Temp. 37,7. Zunge etwas belegt. Becbte
ToDiille noch stark geschweUt, Oberfl&che sehr zerklüftet, keine Be-
l^i linke Tonsille weniger geschwellt. Stuhl normal. Exanthem
«ollitändig Terschwnnden, nur ist die Haut noch grütsig, rauh. Schlucken
kaum mehr achmerzbaft; Ensten sehr gering; lieber, Milz normal; im
Urin kein Biweies. Temp. 87,6.
20
B. Hoerachelmann :
December l8Sa.
11. Dec. Temp. 87 0. Keine EUgen, Kind mDnter, Tonsillen weni^r
geschwellt, Rachen kaam gerOthet, Drßsen noch leicht empfindlich,
namentlich 2 kleine hinter dem rechten Kopfnicter. Vom AusechUg
oichta >n sehen. Haut glatter. Temp. Abends ST,9.
Die Temp. war von nun an normal. Die DtOaen eracbienen ini
Laufe der nSchiten Tage tnm Theil wieder etwa» mehr geschwellt
und empfindlicher, RCthe und Schwellung im Bachen gaben sich bald
ganz, das Allgemeinbefinden war ein gutes. Nni sehr langsam aind
dann, wie ich spS.tet hOrte, die DrOsen gaoi cur Norm EurOckgekehrt,
Abichuppung hat sich nirgends geieigt.
Im FaU 6 handelt es sich um einen ktfiftigen, gesunden, ISj&h-
rigen Knaben St. J. , der in der Nacht Tom 5. inm 6. Dec. mit Kopf-
schmerzen, Frost und Hitze erkrankt«.
6. Dec Heftige Kopfschmerzen, scheinbar hohe» Fieber (leider
nicht geroesHen), Schmerlen in der rechten Halsseite bei Bewegungen
des Kopfe«; Uebelkeit, Schlucken
frei. Bechts unter dem Kopfnicker
und vor ihm die Drüsen stark ge-
schwellt, seht empfindlich. Links
nar eine geschwellte, empfindliche
SabmazillaTdrfise. Die inneren Or-
gane alle normal.
Am folgenden Tage waren rechU
c wischen Kiefer wiukel nnd Kopf-
uicker 8 grosse, sehr schmershafte
Drflsen nachzuweisen, eine A. unter
dem st. cl. most. Temp. niedriger,
Kopfechmenen geringer. Dann tra-
ten am 8. Dec lukerseits eine grosse
Drase vor dem Eopfnicker, mehrere
erhsengrosse an seinem hinteren
Bande auf; Temp. hSher, sonst All-
gemeinbefinden ausgezeichnet.
Da der Knabe so munter, hatten
die Eltern ihn am 9. Dec. aufstehen
lassen; er fQhlte sich wohl bis auf
die NächUi, in denen er über Kopf-
schmerieu klagte. In der Nacht
vom 10. auf den 11. December waren
die Sehmerzen sehr arg, wieder Hitze und Frosti am 11. Dec. Temp.
37,7, Abends 37,0; Schnupfen, kein Hugten. DrQsen links kanm mehr
empfindlich, noch wenig geschwellti rechts Drüsen TOr und unter dem
Kopfhicker im AbBchwellen begriETen; nen geschwellte, schmerzhafte
Drüsen au aeiuem hinteren Rande. Nachdem nun noch am IK. Deo.
vorübergehend die Drüsen am hinteren Rande des linken st. cl. mast.
wieder mehr geschwellt und empfindlicher waren, hatte der Process
' 1 Ende gefunden und kehrten ohne Unterbrechung die DrSsen nun
" "' '"' r Norm inrück.
alle allm&hljch
Temperatur
6. Dec 38,8 88,7.
7. Dec. 8S,B ST,1 38,3.
8. Dec 37,S 38,1 S9,l.
9. Dec. ST,6 37,0.
11. Dec 87,5 37,7 87,0. Normal.
P. A., blasser, maisig genährter, leicht ecrophulSaer
( Jahren, leidet au leichter Prurigo.
Caauistischer Beiti&g eui Frage v. DrSBeofieber (Emil Preiffar). 21
HanUg, 30. Nov. Klagen ge-
gen Abraid dber Koprachmenen,
Scbmenen in der rechten Halt-
tdto, Fieber, HnUigkeit. T. 38,6.
i. Dec Am Abend vorher %,
Taiiip.39,0, heaU Morgens S8,g. ■*
Bechta anter dem oberen '/, des g
m. st. ol. m. eine geiobvellte, ^
etwabaMtnnMgToueempfindlicbe '^
Dnüe, detgleicben wn hinteren 9
Bande de» UuBkela eine Reihe O
kleinerer empfindlicher DrQten.
Anchbeim Kieferwinkel eine Snb- ^
tna.il lanlriirm geecfawellt. Links g
keine Drüsen nachinweieen. Mili m
reicbt bis lam R.-Band, bei tie- ä
fer Inspiration palpabul; sonst a
sm Pstnichte Krankhaftes nach- 'S
nweisen, Trots Anwendang von . «
Anüpyrin (»ergl. Temp.-CQfve), g ,g
Nstr. salicjl. und Compresaen « g
Tollte das Fieber nicht nach- ^ bi
lassen. W&hrend in den folgen- g ■
den Tagen die DrSsen rechts in- 3 ^
nickgingen, traten neue Drüsen "^
links anf, die GaninenbOgen wa- "^
ren leicht gerOthet, Pat hustete -S
etwas, Longen gans frei. Stnbl
trlge. Am 6. Dec. trat einmal a
Erbiecheu ein, vielleicht infolge S
tu reichlicher Nohrnngaanfiiahme. u
Die folgenden S Tage war das .o
Fieber etwas niedriger, Allge- ^
ineinbefiDden gnt, die Drüsen g
bald mehr, Md weniger ge- Q
■chwellt und empfindlich. Hosten ,
sehr gering. Im Urin kein Bi weiss. ^^
Wahrend am 3. Dec. der Hosten S
etwas ftrger wnrde nnd die Temp. ^
mehr anstieg, klagte Fat am
Abend über Schmenen im lin-
ken Ohr, weniger über das
tecbta. Trotz Anwendnng TOn
TqL opii mit Oel und Tct Jodi
(lästerlich hinter dem Obi) hiel-
ten die Scbmenen in den Ohren
an. Beiderseits, namentlich links,
wu «ne verbreitete Bronchitis,
riel Bosseln, jedoch nirgenda ^
Djmpfong. —
Am 11. Dec. Hasten leichter, '§
Bosieln geringer, fencht. Con- S
■ulUtion wegen der Ohren: beide ^
TTammelfclIe stark gerOthet, her- ^
TO^wdUit, mehr links als rechts ; "
Ordb.: Atropin 0,1 : Cocaini 0,3
~ A(]. deat. 10,0 — in die Ofaten.
22 £<• Hoerschelmann:
18. Dec. Temp. m&ssig, seit gestern wieder Tct opii mit Oel in
die Obren; heute mehr Klacren über das rechte Ohr. Hasten gering,
leicht; Lungen fast frei. Mils und Leber Yergrössert, Drüsen noch
dmckempfindlich.
18. Dec. Während der Hasten gans aufhörte, die Langen ganz
frei waren, steigerte sich das Fieber, die Schmerzen in den Ohren, nun
wieder mehr im linken, nahmen zu; die Drüsen, namentlich links, wsjren
wieder mehr druckempfindlich und am 17. Abends trat eitriger Aos-
fluss aus dem linken Ohr ein, worauf Nachlassen der Schmerzen. Die
Temperatur fiel nun ein wenig, um dann aber in den nächsten Tagen
ihr höchstes Maximum während der ganzen Krankheit mit 40,8 am
20. Dec. zu erreichen; denn schon am 19. Dec. hatten sich die ersten
Symptome einer beginnenden Nephritis gezeigt: Schmerzen im Penis
beim Uriniren; dunkler, blutig tingirter Urin mit braunem, flockigem
Niederschlag — Quantum vermindert. Mikroskopisch: viel rothe Blut-
körperchen, sehr viel Blutcy linder^ keine hyalinen. Beim Kochen, nach
Filtriren nur leichte Trübung.
Fat. transpirirt viel, kla^ über nichts Besonderes. Leber überragt
den B.-Band, Milz immer leicht yeigrössert, bald palpabel, bald nicht.
Drüsen immer noch leicht geschwellt und druckempfindlich. Herz
noimal, nicht yergrössert, Töne rein. Beide Ohren, namentlich aber
das rechte, noch empfindlich bei Druck, aus dem linken reichlicher
Ausfluss (Ausspritzen mit warmer Borlösung). Puls ca. 120, regel-
mässig. ^
Am 22. Dec. Urin 400, gestern hat Fat. nach Ol. Bicini 4 Aus-
leerungen gehabt. Urin auch nach dem Filtriren intensiv roth gefärbt
(Hämoglobinurie), Bodensatz und mikroskopischer Befund wie früher;
seit gestern infolge einer Consultation eines CoUegen allgemeine feuchte
Einwickelangen. Schmerzen in den Ohren gering, Ausfluss links vor-
handen, aber weniger.
26. Dec. Gestern warmes Bad von 29 ^ darauf stark transpirirt.
Urin heute nur 250 ccm, immer noch blutig tingirt, Bodensatz geringer,
Blutkörperchen und Gylinder weniger, Ohren kaum schmerzhaft, Di&en
heute wieder links mehr empfindlich. Extract. secal. com. fluid! c.
Extr. chin.
28. Dec. Stat. idem. Urin 400 ccm, ziemlich unverändert. Puls im
Schlaf 96, gut, regelmässig, Herz nicht vergrössert, Spitzenstoss im
4.Intercostalraum in der linken Linea mammillaris. Keine Oedeme, kein
Ascites. Secal. com. fortgelassen, statt dessen Sol. acid. nitric. dil.
Bäder.
29. Dec. Urin 600 ccm, weniger rothbraun, sondern mehr dunkel-
gelb gefärbt. Linkes Ohr wieder mehr schmerzhaft, Ausfluss hat nicht
sistirt
Urinuntersuchung, ausgeführt am 29. December 1892
im analytischen Laboratorium von Chemiker
Dr. phil. J. Biehl:
Farbe roth, 1000 = 32.
Klarheit trübe.
Reaction sauer.
Specifisches Gewicht ... 1,016.
Albumin 0,146 in 100 Theilen.
Zucker, Gallenfarbstofie. . nicht vorhanden.
Hämoglobin vorhanden.
Indican-Urobilin nicht vermehrt.
CasoisÜBcher Beitrag mr Frage y. Drüsenfieber (Emil Pfeiffer). 23
Mikroskopische üntersachung:
Sediment reichlich.
Hyaline Cylinder nicht vorhanden.
Grannlirte nnd Epithelcy linder. . ziemlich reichlich.
Cylindroide nicht vorhanden.
Platten -Epithelien vereinzelt.
Rnnde una elliptische Epitbelien . nicht vorhanden.
Eckige Epithelien vereinzelt.
Lenkocyten zahlreich.
Rothe Blntkörpercben äusserst zahlreich.
Ausserdem enthält der Bodensatz sehr zahlreiche Eiterkörperchen
und Blutkörperchen einschliessende Cylinder.
In den folgenden Tagen steigerten sich die Klagen über das linke
Ohr, Ausfloss reichlicher, besonders empfindlich der Drnck auf den
proc. mast. Haut hinter der Ohrmuschel nicht verändert, erst am
1. Jan. 1893 ödematöse Schwellung hinter dem Ohr, am Tage darauf
Hdthe. Die Erscheinungen von Seiten der Nieren waren besser, der
Urin nach dem Filtriren nicht mehr roth, sondern hellgelb, Bodensatz
bedeutend geringer, Quantum am 30. Dec. 450 ccm; deutlicher, aber
geringer Niederschlag von Eiweiss. Keine Oedeme der Knöchel. Pat.
ist fast beständig in leichter Transpiration.
2. Jan. 1893. Nacht unruhig. Urin 700 ccm, bedeutend heller,
beim Kochen kaum Trübung, Blutkörperchen und Cylinder bedeutend
geringer. Um 2 Uhr wird unter Chlor oformnarcose Trepanation des
proc. mast. sin. vorgenommen. Beim Schnitt bis auf den Knochen,
parallel und etwa 1 cm hinter dem Ansatz der abgezogenen Ohrmuschel
entleerte sich ca. ein TheelÖffel guten dicken, nicht übelriechenden
Eiters. Nach Abhebelong des Periost erweist es sich^ dass die Corticalis
ad maximum verdünnt und siebförmig durchlöchert ist, sodass es leicht
gelingt, mit dem scharfen Löffel alles Krankhafte zu entfernen. Das
Tegmen tympani ist zerstört und stösst man mit dem scharfen Löffel
nach oben innen auf die Dura mater. Nur an einzelnen Stellen kommt
der Meissel in Anwendung, um die Ränder des Knochendefects abzu-
glätten. Nach dem Beinigen der Wunde zeigt sich nirgends ein Hervor-
quellen von Eiter. Die Wunde wird sorgfältig desinficirt, ziemlich fest
mit trockener Jodoform- Watte tamponirt und verbunden; in den äusseren
Gehörgang wird leicht Jodoform -Watte eingeführt. Die Narcose war
gat Dauer der Operation vom Beginn der Narcose 25 Minuten.
Abends Temp. 88,2. Kind sehr verdriesslich , Puls etwas klein,
ca. 120, regelmäosig; weder Uebelkeit noch Erbrechen gewesen.
3. Jan. Nacht gut geschlafen, keine Klagen über Schmerzen. Temp.
Morgens 37,2. Mittogs 37,6. Watte im Ohr trocken. Marlybinden des
Verbandes trocken, die untere Partie des Verbandes etwas blutig
getränkt, jedoch schon trocken. Keine Empfindlichkeit bei Druck
auf den Verband. Da kein Stuhl gewesen, Calomel 0,06. Abends
Temp. 38,8.
4. Jan. Nacht unruhig, ab und zu über Kopfschmerzen geklagt
Temp. 37,8. Puls 120, gut, regelmässig. Kind verdriesslich. Um 12 Uhr
Temp. 37,6. Urin 600 ccm, ziemlich hell, jedoch noch leicht blut-
haltig.
Um 3^^ Uhr nach einstündigem ruhigen Schlaf heftiger eklamp-
tiacher Anfall. Wie die Eltern sagton, sind die Zuckungen besonders
stark in der rechten Gesichtshälfte und im rechten Arm gewesen,
weniger im linken Arm und in den unteren Extremitäten.
1
E. Hoerschelmann:
. , l &^ lüiMBd ich Fat ToUkommen bewosstios, Btarke Zaeknngen
\ V .c« 4*^^ r^^ts ond des rechten Anne«, nur ab und zu Zuckun^n
i.^^M* ActtfeM und der beiden unteren Extremitäten. Papillen ad
vv^^^ Jl.Uüti, ToUkommen reactionaloe, Strabismns convergens, ster-
v.s>««.» A^^vMtB. Pols nicht zn bestimmen wegen der Zuckungen. So-
« . « \ ^^«adwechBel. Die Marlybinden des Verbandes leicht mit Blut
^u.\4tHUkt, trocken, der Tampon in der Wunde festsitzend, ganz
«vkIv«. LOeung desselben ohne Blutung, die obere zur mittleren
X'^d^lgTube gerichtete Kuppe des, wie gesagt, trockenen und harten
VVM»pons mit einer einige Millimeter dicken Schicht guten Eiters, wie
MÜ einer Mfltze bedeckt. Die Wunde rein, Umgebung kaum geschwellt,
nicht gerOthet Neuer Verband, Wunde ganz leicht mit Jodoform-Marly
hunponirt. Auf der Marly im meat. audit. ein wenig Eiter.
Bald nach dem Verbandwechsel, kaum 10 Minuten, hören die
Zuckungen auf, Bewusstlosigkeit dauert fort. Nach kurzer Ruhe treten
wieder leichte Zuckunsen, nun fast ausschliesslich des linken Armes
ein, die aber sehr bald nachlassen. Eis auf den Kopf, Calomel zwei-
stündlich 0,016, Ghlorallavement (0,5).
Abends 9 Uhr. Ruhiger Schlaf, keine Zuckungen gewesen. Puls
182, ziemlich klein, aber regelmftssig. Respiration 40, gleiohm&asig.
Temp. 89,4.
Abends 11 Uhr. Alles gut, ruhiger Schlaf.
6. Jan. Zweite Hlklfte der Nacht gut geschlafen. Temp. 87,1. Be-
wusstsein ganz klar, Pat. zeigt Theilnahme. Urin bis 12 Uhr Mittags
260 ccm; während des Anfalls hatte Pat. jedoch reichlich Urin unter
sich gelassen« Urin hell, ziemlich klar, Bodensatz hell, schleimig,
Eiweiss sehr wenig. Verbandwechsel, Wunde rein, sehr wenig Eiter,
Ohr trocken. Puls regelmftssig 120, Pupillen von mittlerer Weite, gleich,
reagiren prftcise. Blase geffillt. Oleich nach dem Verband reichliche
Urinentleemng. Medicatio: Calomel, Kali Jodati, Sol. acid. nitric. dil.
6. Jan. Temp. normal, Nacht gut, aind munter. Wunde rein,
wenig Eiter. Urin 660 ccm.
Urinuntersuchung Tom 6. Januar 1803:
Farbe dunkelgelb, 1000 — 8.
Klarheit trflbe.
Reaction sauer.
Specifisches Gewicht 1,016.
Albumin 0,0218 in 100 Theilen.
Zucker, Gallenfarbstoffe, Indican. nicht vorhanden.
Urobilin nicht vermehrt.
Hftmoglobin nicht vorhanden.
Reaction auf Jodsalze sehr deutlich.
Mikroskopische Untersuchung:
Sediment ziemlich reichlich.
Hyaline, granul. Epithelcy linder . nicht vorhanden.
Cylindroide nicht vorhanden.
Pflaster- Epithel ien wenig zahlreich.
Runde Epithelien vereinzelt.
Elliptische, eckige Epithelien . . nicht vorhanden.
Leokoc^ten ziemlich zahlreich.
Rothe JBlutkörperchen vereinzelt.
Bacterien äusserst zahlreich.
Von nun an blieb die Temp. normal. Die Urinmenffe stieg con-
sequent auf 860 ccm (7. Jan.), 1200 ccm (8. Jan.) und hielt sich nun
Casnistischer Beitrag zur Frage ▼. Drasenfieber (Emil Pfeiffer). 25
in diewr normalen Höhe. Wunde füllte sich mit Granulationen ans,
Eiter ziemlich viel. Das Allgemeinbefinden des kleinen Pat war aus-
gezeichnet, es stellte sich Appetit ein, nur war die Verdauung sehr
trSge, die Stahle ganz acholisch, Leber vergrössert, etwas druckempfind-
lich, was auf Anwendung von Gompressen und Massage der Leber sich
aUm&hlich gab. Der Process in den Drflsen hatte ganz ausgespielt.
Die Wunde zeigte starke Tendenz zum Heilen, wurde jedoch am Ver-
heilen verhindert. Der Urin zeigte am 16. Jan. bei der Untersuchung
folgenden, so gut wie normalen Befund:
Farbe sattgelb.
Klarheit .' trübe.
Reaction schwach sauer.
Specifisches Gewicht 1,018.
Albumin, Zocker nicht vorhanden.
Hämoglobin, Gallenfarbstoffe . . nicht vorhanden.
Indican stark venkiehrt.
ürobilin nicht vermehrt.
Mikroskopische Untersuchung:
Sediment nicht wahrnehmbar.
Qylinder, Cjlindroide nicht vorhanden.
Platten -Epithelien vereinzelt.
Runde, ellipt., eckige Epithelien . nicht vorhanden.
Leukocyten, Schleimkdrperchen . sehr wenig zahlreich.
Rothe Blutkörperchen nicht vorhanden.
Bacterien zahlreich.
Die Wunde schloss sich definitiv Anfang April und Hess am Knaben
bis auf die Narbe hinter dem linken Ohr nichts mehr auf die über-
standene schwere Krankheit sohliessen.
Fall 8. H. J., 9 Jahre alte Schwester des Knaben in Fall VI;
war am 7. Jan. ganz gesund.
8. Jan. In der Nacht Kopfschmerzen, Fieber, 8 mal Erbrechen.
Temp. Morgens 38,0, Schmerzen bei Bewegungen des Kopfes rechts am
Halse. Hier hinter dem st cl. mast. 2 Drüsen von der Grösse einer
Mandel, hart, sehr empfindlich bei Druck. Am hinteren Bande des
linken Kopfhickers mehrere kleinere, geschwellte, aber nicht empfind-
liche Drüsen. Mitti^^ Temp. 88,8, dann 38,2. Abends 37,0. Sonst
Alles normal.
10. Jan. Temp. normal, Allgemeinbefinden gut, Drüsen ziemlich
onvei&ndert. Sonst nichts Krankhaftes nachzuweisen«
Patientin nicht weiter gesehen.
Fall 9. M. V„ 8y. jähriges Mädchen, erkrankte am 8. März 1893
ohne Vorboten mit Fieoer und heftigen Kopfschmerzen. Temp. Mit-
taj^ 38,6, Abends 39,4. Bis auf leichte Röthe der chronisch hypertro-
phischen Tonsillen und leicht belegte Znnge war nichts Besonderes nach-
saweisen. Am nächsten Tage Klagen über Schmerzen im Halse äusserlich
Hei Bewegungen des Kop^s und Berührung; beiderseits am hinteren
Bande des mute. st. cL m. geschwellte, druckempfindliche Drüsen. Die
heftigen Kopfschmerzen hielten an. Die Schmerzen der rechten Hals-
seite waren ärger als linkerseits, zugleich bildete sich rechter Torti-
collis aus. Die geringsten Versuche, den Kopf nach links zu wenden,
waren sehr schmerzhaft. Innere Organe normal.
Unter Antipyringebrauch (0,4 mehrere Male am Tag) ging die
26
K. HoerschelioanD:
Temp. herunter; jedoch halten Kopfschmerzen nnd TorticoUifi noch
an, ehenso sind die Drüsen am hinteren Bande der mnacali si d. m.
noch recht empfindlich«
Seit dem 14. Man keine KopfschmerseD, Temp. so gnt wie normal,
TorticoUis gerineer, Bewegungen des Kopfes freier. Jeisä, deutlich nach-
zuweisen eine bedeutend geschwellte, sehr empfindliche Drüse unter
und Tor dem oberen y, des rechten st. cl. m., sowie kleinere Drüsen
an seinem hinteren Rande.
Bis zum 18. März hatten die Drüsen bedeutend an GrOsse und Em-
pfindlichkeit abgenommen, der Kopf wird frei bewegt, jedoch noch
Fall 9. März 1898.
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etwas nach rechts gebeugt gehalten. Temp. Morgens normal 87,0, Vor-
mittags Klagen über heftige Schmerzen im rechten Ohr; zugleich Auf-
treten von einer Keihe geschwellter, sehr empfindlicher Drüsen am hin-
teren Bande des linken st. cl. m. Temp. 89,0—39,0.
19. März. In der Nacht Eiterausfluss aus dem rechten Ohr, worauf
Schmerzen nachlassen. Temp. 87,1—87,8—38,7.
Während die Temperatur noch am folgenden Tage bis auf 38,6
stieg, war das Ohr bei Druck nur sehr wenig empfindlich, wohl aber
hielt die Schwellung und Empfindlichkeit der linken Drüsen noch an.
In den nächsten Tagen Hessen alle Erscheinungen nach, die Tem-
peratur war normal, Ausfluss aus dem Ohr gering, Druckempfindlich-
keit des Ohres und der Drüsen schwand, leUtere kehrten langsam zur
Norm zurück, während der eitrige Ausfluss aus dem Ohr unter Bor-
säureausspritzungen Terhältnissmässig schnell sich gab. Allgemein-
befinden gut.
Cunistiicher Beitrag inr Frage v. Drttseiifieber (Emil Pfeiffer). 27
TeiDp. 8. Man 38,6 39,4.
16. Uän
37,1
37,3
37,8.
9. „ 39,1 39,4 40,0.
16. „
86,8
37,6
87.7.
10. „ 38,7* 38,4 S8,6*.
17. „
36,8
36,5
36,9.
11. „ 37,8* 87.6 37,0*.
18. „
37,0
39,0
39.0.
12. „ 38,3« 37,6* 37,8.
19. „
37,1
87,8
38,7.
18. „ 37,5 81,6 37,8.
20. „
37,4
88,0
38,6.
H. „ 87,3 87,7.
21. „
37,0
37,0
normal
Die • bedeoten Gaben Tot
AotipyriD
0,12.
Fall 10. H. V., 7 Jalire alter Brader der Torigeo, erkrankte am
15. Hän Morgens mit befligen Kopfs cbmeraen , Froat nnd Hitse, «in-
■nal Erbrecben. Klagen Qber Schmerzen des Haltes änsseilich bei Be-
wegodgen, nicbt beim ScbluckeD. Beiderseits die Drüseu im Winkel
tviscben it. cl. m. and Kiefer geschwellt nnd recht dmckempfindlich.
ÜoDit nichts Dachsn weisen. Rainen nicht gerOthet, kein Schnupfen.
Die heftigen Kopfschmenien hielten an, es trat fQr kurze Zeit
trockener Hosten nad etwas nabelnde Sprache auf. Die Drfiaen hielten
*ii FkU 10. Mära 1893. Fall 11. März 1893.
■ich einige Tage wie am Anfang, Husten war nicht Torhanden, dagegen
tinmal Klage Qber Dmckempflndlicblieit des Leibes iwischen Nabel
um] Symphyse. Bald liessen die Kopfachmenen nach, die Temp. kehrte
im Norm Earflck, Schwellung nnd Empfindlichkeit der DrOsen gab sich
and in knrser Zeit war Fat. gesnnd.
Temp. IS. Hüte 38,7 88,9 38,6 18. M&rz 37,8 38 88,2.
16. „ 39,1 39,1 39,6 1». „ 37,3 37,4 37,3.
17. „ 88,8 87,6 87,8 SO. „ 87,0 37,3 36,5.
Fall 11. R. T., 4 Jahre alt, Bruder des vorigen, erkrankte in
der Nacht vom 14. aof den 15. März. Bei ihm Hessen sieb bei einer
froheren Untersuchung die Cervicaldrüseu als etwas vergrOesert, jedoch
■bwlot schmerzlos nachweisen.
28 E- HoencbelmanD:
Heftige KopfichmeneD , Dmckempfindlichkeit de« Leibe» iwiichen
Sympbjie and Nabel, tot Allem aber beidersaita un binteren Rande
dei iL cl. m. Die DrQecn geicbwellt, bit baBeluDMgroaa, lehr empfind-
lich. Stahl tTfiffe.
El trat nocb am folgeoden Tage leichte BOthe dei BacbenB, lebr
unbedentender trockener Scbnapfen aa£ Klagen Aber Leibachmenen
■poutau. Die Eopfachmenen hielten an.
Am dritten Tage lieuen die DrSseu am hinteren Rande dea m. et.
cl. m. dentlichea AbBchwellen and geringer« EmpSndlichkeit erkennen,
w&hrend nun aoch die Drüwn anter und Tor dem oberen '/■ der mnscali
lt. cl. m. beiderseib stark getchwetlt and empfindlich waren. Leib auf-
getrieben, Bchmenhaft, Tiel Gaae. Kein Sohnapfen und Hosten.
Nun lieuen alle Encheinnngen nacb, die Temp. war and blieb
normal, die DrOsen schwollen ab, waren kanm mehr empGadlieh; daa
Allgemeinbefinden war gut and der Knabe bald ToUkommen geneeen.
Temp. 16. H&n S9,0 39,4 39,6.
16. „ 38.0 9B.7 39,4.
17. „ 88,6 38,0 87,0.
Fall IS. A. L., ISj&hrigea anUmischee, etwaa nerrftaes HUcben;
erkrankte mit Eopfschmersen, Froat und Uitie.
11. Härx. Horgeui Temp. 38,1. Schinenen bei Bewegongen dea
Eopres, Uebelkeit, doch kein Erbrechen. Abends Temp. 89,1.
Aach hier waren es hanptaächlich die Drflaen vor and nnter dem
Kopfnicker, iowio die am binteren Hände des rechten Muakela, die an-
achwollen und druckempfindlich waren bei Fehlen
Fall 12> eonatiger krankhafter Erscheinungen. Temp. am
Man 1893 ^^- ^^^ 3^>^> ^^'^' ^^•*> ^^fi- ^''' '''emp. fiel
schon am uilchBten Tag bia rar Norm, die Drfisen
nahinen an Schwellang und Kmpfindlichkeit ab,
bis Eum 86. H&ra war an Fat. noeh eine gewioae
Mattigkeit und Appetitlosigkeit la bemerken, dann
kam die Erholung achneller.
Am 29. HKrx wieder in die Familie gebeten,
fand ich die Drüaen wohl noch etwas geacbwellt,
jedoch gani achmenloa.
Am 19. Hart hatte die kleine 4 jUir. Schwester
D. aber Schmerzen im linken Ohr geklagt. Die
Hutter hatte anch bei ihr geacbwellte and em-
pfindliche Drfiaen am Holae nachweiaen kOnnen,
das Fieber hielt sich einige Tace nm S8,B. In
wenigen Tagen trat Tfitligea Wohlbefinden ein.
Am 84. Man fühlte die Hutter der Kinder
aioh aehr unwohl; Kopfacbmeraen, Fieber, Nacken-
lohmerzen, deasleicben Schmenen bei Bewegungen
dea Kopfes mit in das linke Ohr anastrahlenden
Schmenen. Die Fr»a ist sehr corpalent, hat einen
karten, fleischigen Hala, eodaaa ich am 89. Harr
keine Drfiaen nachweiaen, wohl aber noch leichte Druckempfindlichkeit
vor and hinter den moacnli at. cl. m. conatatiren konnte.
In der Nacht vom 36. M&n auf den S6. erkrankte die 9j&hrige
Tochter M. L. mit Koprachmerseo und starkem Fieber. Die Temp. Im-
trog am Se. M&n SSfi , in welcher Hohe aie sich den Tag über hielt;
die Fat. klagte über Schmerzen bei Bewegongen dea Kopfes, aowie bei
Druck aaf die &uaaeren Halspartien. Da ich am 89. H&ra noch ge-
acbwellte und empfindliche Drüsen beiderseits unter dem m. st cl. m.
und am hinteren Bande dea rechten Uuakela nachweisen konnte, han-
CuiÜBtücher Beitrag zur Frage r. Drüsenfieber (Emil Pfeiffer).
Fall IS. April 1808. Fall 15. April— Mai 1893.
Fall 14. April 1893. FaU 16. Um 189S.
tn den FülleD 13, 14, 16 and IB handelte es ucb am ner
Gacbwirter, von denen der ISjlbrige A. F. am Abend des 16. Mira
30 £. HoerschelmanD :
erkrankte, E. P., 10 Jahre alt, in der Nacht vom 26. anf den 27. M&rz,
die Schwester E. P., 7 Jahre alt, in der Nacht vom 27. anf den 28. M&rz,
der 14 jährige Brnder A. P. am 1. Mai. Die drei ersten Fälle haben
nichts Besonderes aufzuweisen, es handelte sich wieder nm die um den
m. st. cl. m. gelegenen Drflsen, indem es bald die vor und nnter ihm,
bald die am hinteren Rande waren, die anschwollen und empfindlich
wurden. Die Temp. hielt sich 2 — 3 Tage auf verschiedener Hohe, beim
10 jährigen Knaben stieg sie auf 40,5. Das Madchen hatte einige Male
starkes Nasenbluten. In dem letzten Fall handelte es sich neben der
Drasenaffection um doppelseitige Parotitis. Obgleich von Anfang an
die Gegend der Parotis linkerseits leicht empfindlich und geschwellt
war, trat die stärki<te Schwellung erst am 6. Mai auf, nachdem die
Temp. am 2. Mai 39,2, 39,2, 39,8, 39,8 betragen hatte, am 3. Mai 37,8,
37,5, 37,5, 37,7 und von da ab normal war und der Process in den
DrQsen schon am 4. Mai anfing abzuklingen, indem hier die Empfind-
lichkeit schon geringer war. In den drei ersten Fällen trat in wenigen
Tagen, im letzteren Falle in etwas längerer Zeit Genesung ein«
Abgesehen von besonderen therapeutischen Maassnahmen bestand
in allen, so zu sagen schnlgerechten Fällen die Behandlung in inner-
licher Darreichung von Natr. salicyl. und äusserer Anwendung von
Compr. echauff. oder Massage, Bettruhe. Nach Nothwendigkeit wurden
Abfflnrmittel verabfolgt, Diät beobachtet; in drei Fällen Antipyrin ver-
sucht.
Gehe ich nun zur Besprechung der einzelnen Erankeits-
geschichten über^ so mochte ich mit Fall 2 anfangen.
Bei der Erkrankung des vierjährigen Kindes sticht als
Hauptsymptom das ca. achttägige Fieber mit gleichzeitiger
Schwellung und Empfindlichkeit der Halsdrüsen hervor. Diese
beiden Symptome, die in innigem Zusammenhang mit ein-
ander stehen, vrie er sich bei Ergriffen werden einer neuen
Gruppe von Drüsen in gleichzeitiger Temperatursteigerang
ausspricht, so z. B. am 7. und 8. December, beherrschen so
sehr das Bild der Krankheit, dass wir sie als das Wesent-
liche derselben auffassen müssen. Die Erscheinungen yon
Seiten des Rachens waren die ganze Zeit über so geringe,
dass sie wohl kaum das Fieber hervorrufen und nicht ein-
mal als Angina aufgefasst werden konnten^). Herz und Lungen
waren die ganze Zeit normal, die Verdauung nicht wesent-
lich gestört Vergrösserung von Leber und Milz gehören
zum Bild der uns beschäftigenden Krankheitsform, die Func-
tion der Nieren war normal.
»
Ein leichtes typhöses Leiden, sowie Angina, Diphtheritis,
Influenza lassen sich wohl ohne Weiteres ausschliessen. Da
ich aber den Fall in keinem der uns bekannten Krankheits-
1) Ob und welch eine Bedeutung den kleinen, auf den im Uebrigen
normalen Tonsillen sitzenden weissen Fleckchen zuzusprechen ist, ist
schwer zu entscheiden und lasse ich dahingestellt.
Casaistischer Beitrag znr Frage y. Drosenfieber (Emil Pfeiffer). 31
bilder nnterbriDgen kann^ mochte ich ihn wohl den von
Pfeiffer mitgeläeilten Fällen anreihen.
In Fall 1 hatte die acute Enteritis wohl kaum einen
direcien Zusammenhang mit der Drüsenaffection, Fall 3 u. 4
weisen nichts Besonderes auf. Ob in Fall 5 das Exanthem,
dessen Charakter schwer zu bestimmen war^ mit dem Drüsen-
leiden in Zusammenhang stand oder nicht, ist schwer zu
sagen. Auch Heubner^ erwähnt eines Falles, in dem am
dritten Tag der Erkrankung ein Exanthem auftrat, das mit
Unterbrechungen vier Tage anhielt und das mehr Urticaria
als Scarlatina^ Morbillen oder Rubeola ähnelte.
Am complicirtesten und schwersten war der Verlauf in
Fall 7.
Die Berechtigung, auch diesen Fall den Pfeifferschen
zurechnen zu dürfen, glaube ich in dem Umstände zu finden,
dass die ersten acht Tage der Erkrankung ausser der charak-
teristischen Drüsenaffection mit dem begleitenden Fieber an
dem Fat. kaum etwas Abnormes nachzuweisen war, femer,
dass dieser Process in den Drüsen auch noch weiterhin, nach-
dem die Complicationen zum Theil schon abgelaufen, zum
Theil neue aufgetreten waren, immer fortspielte« Die voll-
ständige Abwesenheit einer irgendwie wesentlichen Erkran-
kmig des Rachens schliesst eine secundäre Erkrankung der
Drasen aus. Für ein tiefer greifendes, primäres Ergriffensein
des Nasenrachenraums fanden sich absolut keine Anhalts-
punkte; Scarlatina konnte, trotz der folgenden Nephritis, mit
Sicherheit ausgeschlossen werden, da nichts zur Annahme des-
selben berechtigte-, endlich findet der vorliegende Fall eine
Analogie in den als Drüsenfieber beschriebenen Fällen von
Heubner, v. Star&k und Rauchfuss.
In Fall 9 sind erwähnenswerth die sehr heftigen Kopf-
schmerzen, die Otitis med* suppur. und der TorticoUis. Ob
die Temperatursteigerung am 18. März, sowie die noch er-
höhte Temperatur am 19. und 20. März auf die Otitis oder
auf die neue Anschwellung der Drüsen auf der linken Seite
zu beziehen sind, lässt sich schwer entscheiden. Bei dem
starken Anstieg der Temperatur am 18. März von 37,0 auf
39,0 spielt wohl die Otitis die Hauptrolle, jedoch möchte ich
die erhöhte Temperatur an den zwei folgenden Tagen mehr
auf die Drüsenschwellung beziehen, da der eitrige Ausfluss
ans dem Ohre bereits in der Nacht vom 18. auf den 19. März
sich eingestellt hatte.
Fall 10 und 11 waren die einzigen, in welchen präcise
1) 1. c. S. 267.
32 £• Hoenchelmann :
Druckempfiüdlichkeit des Leibes zwischen Nabel und Sym-
physe angegeben wurde^ wie Pfeiffer es betont.
In Fall 16 ist die complicirende Parotitis zu erwähnen.
Aus meinen ausführlichen, an den Krankenbetten ge-
machten Notizen ergiebt sich, dass, abgesehen Yon der allen
Fällen zukommenden Anschwellung uad Schmerzhaffcigkeit der
Drüsen, sowie dem Fieber, am häufigsten Constipation^)
(13 Fälle), belegte Zunge (13 Fälle) und Klagen über schmerz-
hafte Bewegungen des Kopfes (13 Fälle) vorkamen; in zweiter
Linie standen leichte ßachenaffectionen (11 Falle), sowie Kopf-
schmerzen (10 Fälle), dann folgen Erbrechen (7 Fälle), Husten
(7 Fälle), Leibschmerzen (5 Fälle) und Uebelkeit (4 FäUe);
gleichfalls in nur 4 Fällen waren Leber und Milz vergrossert.
Fasse ich nun zum Schluss die von mir mitgetheilten
Krankheitsgeschichten zusammen, so handelt es sich in allen
als erstes und überhaupt als Hauptsymptom, wie Pfeiffer
es angiebt, um eine mit mehr oder weniger hoher Temperatur
einhergehende Schwellung und Empfindlichkeit der Halsdrüsen,
vornehmlich der vor, unter und hinter den Kopfnickern ge-
legenen. In den leichten Fällen der Erkrankung bleibt es,
abgesehen von unwesentlichen Nebenerscheinungen, wie Kopf-
schmerz, Uebelkeit mit oder ohne Erbrechen und träger Ver-
dauung, bei diesen hervorstechenden Symptomen. Das Fieber
währt nur wenige Stunden oder Tage, die Empfindlichkeit
der Drüsen lässt bald nach und mit dem schnelleren oder
langsameren Abschwellen der vergrosserten Drüsen ist der
Krankheitsprocess abgelaufen. Zu dieser Kategorie der Krank-
heit möchte ich rechnen Fall 1, 4, 6, 8, 10, 11, 12, 13,
14, 15.
In einer zweiten Reihe von Fällen, die ich als mittel-
schwere bezeichnen mochte, handelt es sich nm längere
Zeitdauer der Krankheit, innerhalb welcher die betreffenden
Drüsen in verschiedenen Gruppen anschwellen, empfindlich
bleiben und im Zusammenhang damit das Fieber auch länger
anhält. Letzteres nimmt hier einen mehr remittirenden Cha-
rakter an, entsprechend dem Abspielen des Processes in den
zuerst ergriffenen Drüsen fällt die Temperatur ab, um dann
mit dem Ergriffenwerden von anderen Drüsen wieder anzu-
steigen (die von Pfeiffer angeführten Nachschübe). Dabei
ist es nicht ausgeschlossen, dass Drüsen, die bereits abge-
schwollen und weniger oder garnicht empfindlich geworden
waren, aufs Neue wieder anschwellen und empfindlicher werden.
1) In allen v. Starck'Bchen Füllen litten die Kinder an chronischer
Obstipation cf. 1. c.
IT
Caetiisiischer Beitrag zur Frage v. Drüsenfieber (Emil Pfeiffer). 33
Auch mit leichteren Complicationen combinirte Fälle würde
ich hierher rechneD. Von meinen Fällen könnte man zu
dieser Kategorie zählen Fall 2, d, 5, 9 und 16.
Zur dritten Gruppe endlich, zu den schweren Fällen,
gehört Fall 7.
Der Beginn der Krankheit scheint meist ein plötzlicher,
ohne Vorhoten, zu sein, desgleichen scheint die Temperatur
in den uncomplicirten Fällen meist steil abzufallen, öfters
unter die Norm.
Auffallend ist das subjective Wohlbefinden der kleinen
Patienten selbst bei anhaltend und länger dauernder hoher
Temperatur^ wie es besonders deutlich hervorgeht aus Fall 2.
Auch ich möchte, übereinstimmend mit Bauchfuss, auf-
merksam machen auf die geringe Affection der Nasen- und
Rachenorgane, die in gar keinem Verhältniss vteht zur ver-
breiteten und intensiven Erkrankung der Drüsen.
Ich habe es leider bisher versäumt hei den verschiedenen
Formen von Angina, sowie bei Diphtheritis speciell auf die,
wie es scheint, in unseren Fällen eine besondere Bolle spie-
lenden glandulae cervicales superficiales meine Aufmerksam-
keit zu richten. In dieser Beziehung habe ich wenig in der
Literatur finden können. Bauchfuss negirt in seiner oben
angeführten Mittheilung das Ergriffenwerden dieser Drüsen
bei Anginen und Diptheritis. Nach Kohts^) sind bei An-
schwellung der Mandeln die subma:xillaren Lymphdrüsen meist
in Mitleidenschaft gezogen; dieselben sind schmerzhaft und
mehr oder weniger geschwellt. Die Lymphdrüsen des Cer-
vicalstranges sind oft geschwellt und auf Druck schmerzhaft
(Cap.: Pharyngitis acuta und Tonsillitis). Bei Betropharyn-
gealabscess wird der Cervicaldrüsen nicht erwähnt, obwohl
ja die Vaaa eCTerentia der Glandulae retrophar. zu den Glan-
dulae cervicales führen.
Bei Bouchut^) heisst es im Capitel Angina pharyngea:
„Dabei sind die Drüsen des Halses und am Winkel des Unter-
kiefers meist geschwollen und schmerzhaft bei Druck." Nach
d'Espine und Picot^) sind die Cervicaldrüsen bei Pharyn-
gitis und Tonsillitis acuta oft angeschwollen. Uffelmann'^)
sagt bei der Entzündung der Mandeln: „Auch die Berührung
der Mandelgegend von aussen macht Schmerzen, man trifft
hier die etwas geschwellten Lymphdrüsen^. Henoch^), Vogel ^),
1) Gerhardt, Handbach der Einderkrankheiten 1880, Bd. IV.
2) Handbuch der Kinderkrankheiten, II. Aufl.
3) Grundriss der Einderkrankheiten.
4) Kurz gefasstes Handbach der Einderheilkunde 1893.
6) Einderkrankheiten.
6) Lehrbuch der Einderkrankheiten, IV. Aufl.
Jahrbuch £ Kinderhoükimde. K. F. XXXYIII 3
34 S> HoerschelmanD:
*
Gerhardt^), Steiner*) und Baginsky') erwähnen die Cer-
vicaldrüsen überhaupt nicht; auch bei jenen ersten Autoren
handelt es sich ja immer um intensive entzündliche Processe
im Rachen in erster Linie und werden die Drüsen nur bei-
läufig erwähnt
Wo man die Eingangspforte für den Infectionserreger zu
suchen hat, ist schwer zu sagen, da die gland. cervical. superf.
ihre vasa afferentia aus den gland. auricul. ant. et post, den
gland. faciales profund., den gland. submax. und den gland.
retrophar. beziehen. Für die Mundhohle neben vielleicht noch
anderen Stellen spricht das öftere Ergriffensein der gland.
submax., welche ja die Saugadern des Bodens der Mundhohle,
der Zunge und der Weichtheile des Gesichts aufnehmen. Gegen
den Nasenrachenraum als Eingangspforte konnte vielleicht* die
Abwesenheit von nachweislich stärkerem Ergriffensein des-
selben sprechen: dem entsprechend finde ich in meinen Notizen
auch nur in vier Fällen Schnupfen erwähnt.
In keinem Fall habe ich Periadenitis oder Vereiterung
der Drüsen beobachtet, stets waren die vergrosserten Drüsen
leicht beweglich und scharf abzugrenzen.
Was den Schmerz im Leibe betrifft, wie Pfeiffer ihn
in die Mitte zwischen Nabel und Symphyse verlegt, wie er
auch von Rauahfuss und Protassow in einem der ange-
führten Fälle angegeben wird, so mochte ich ihm keine Be-
deutung beilegen, da ich ihn nur in zwei Fällen beobachtet
habe und es sich zudem in dem zweiten Falle um einen
kleinen sehr geföhrlichen Pat. handelte.
Da es sich in fast allen Fällen um Hausepidemien han-
delte, lassen sich aus den Erkrankungen auch Schlüsse auf
die Incubationsdauer der Krankheit ziehen. Es stellt sich
nun heraus, dass diese Zeit in ziemlich bedeutenden Grenzen
schwankt. Zwischen der Erkrankung meiner beiden ersten
Kinder (Fall 1 u. 2) und der der Geschwister mögen 10
bis 12 Tage vergangen sein. Bei den Geschwistern J. (Fall 6
u. 8) lag ein Monat zwischen den Erkrankungen, bei den
Geschwistern V. zwischen Erkrankung der Schwester (Fall 9)
und der der Brüder (Fall 10 u. 11) 8 Tage; in der Familie L.
(Fall 12) betrug die Zeit 5—10 Tage, endlich in der Familie P.
zwischen dem ersten und zweiten Fall 10, zwischen dem ersten
und letzten Fall 15 Tage. Da die Möglichkeit nicht von der
Hand zu weisen ist, dass in Fall 8 es sich um eine ganz
neue Infection, unabhängig von der Erkrankung des Bruders,
1) Lehrbuch der Kinderkrankheiten in. Anfl.
2) Compendium der Einderkrankheiten, III. Aufl.
3) Lehrbuch der Kinderkrankheiten ISSS.
d
Casuistischer Beitrag zar Frage v. Drüsenfieber (Emil Pfeiffer). 35
bandelte^ duss ferner der Knabe in Fall IG sich yielleicht
nicht gleich in den ersten Tagen der Erkrankung des Bruders
(Fall 13) von diesem inficirt hat, so würde ich die In-
cobationsdauer der Krankheit auf 8 — 10 Tage festsetzen mit
etwaigen Grenzen von 5 — 15 Tagen. ^)
Endlich muss ich noch anführen, dass auch in den leich-
ten Fällen fast immer nach Schwinden des Fiebers und der
Empfindlichkeit der Drüsen — die Schwellung derselben geht
Tiel langsamer zurück — y eine gewisse Mattigkeit und Anämie
zurückzubleiben scheinen, wie ich es wenigstens bei meinen
Kindern gesehen habe und es auch von den anderen Autoren
angegeben wird.
Dass es sich nm eine Infectionskrankheit yerhältniss-
mässig leichten Grades handelt, dafür scheint mir, abgesehen
Yom Verlauf, ganz besonders der Umstand zu sprechen, dass
es sich in meinen 16 Fällen, mit Ausnahme von nur zweien
(Fall 3 und 7), wie gesagt, um Hausepidemien handelt.
Bei der, wie es scheint, im Ganzen leichten Erkrankungsform
muss doch das Vorkommen derartiger Fälle, wie Fall 7,
zur Vorsicht mahnen.
Was nun die Behandlung betrifft, so scheinen Arzneien
nicht yiel Einfluss auf den Krankheitsprocess in Betreff der
Dauer und Intensität auszuüben, ebenso wenig Compressen
nnd Oeleinreibungen (Massage). Es hat auf mich den Ein-
druck gemacht, als ob Compressen (compr. echauff.) doch noch
am besten wirken, indem sie den kleinen Patienten angenehm
sind und, wie es scheint, die Schmerzhaftigkeit der Drüsen
herabsetzen.
Sieht man die Temperatur-Cunren an, so konnte es bei-
nahe scheinen, als ob der Verlauf durch Antipyrin abgekürzt
würde; jedenfalls würde es sich empfehlen, in ähnlichen Fällen
dasselbe in Anwendung zu bringen. Im Uebrigen aber will
es mir scheinen, dass die Krankheit eine gewisse Zeit er-
fordert, um dann, entsprechend der schwächeren oder stär-
keren Infection, in kürzerer oder längerer Zeit von selbst in
Genesung überzugehen.
Das bisher noch so geringe Beobachtungsmaterial reicht
noch nicht aus und ist noch zu lückenhaft, um daraufhin die
Eigenartigkeit der Krankheit sicher zu stellen; jedoch dürf-
ten die von mir mitgetheilten Fälle im Verein mit den früher
bekannt gegebenen dieser Ansicht zur Stütze dienen, wobei
1) In den von Pfeiffer mitgetheilten Fällen lagen zwischen Er*
krankong des ersten nnd des andern Kindes 10 resp. 16 Tage. In den
Rauch fnss^schen Fällen erkraokte die Schwester am 4. Fiebertage des
Bruders.
36 £• Hoerschelmann: CasniBtiBcher Beitrag etc.
ich die Aufmerksamkeit ganz besonders auf die mit Nephritis
complicirten Fälle lenken mochte , deren mit meinem Fall 7
bis jetzt 5 Fälle beschrieben worden sind: von Heubner 2,
y. Starcky Ranchfuss nnd mir je 1 Fall.
Erwiese sich in der Znkmift , vielleicht gestützt auf bac-*
teriologische Untersuchungen, die ich zu machen nicht in der
Lage war, diese Annahme über das Drüsenfieber als Erkran-
kung sui generis als richtig, so würden die Fälle gewiss ge-
ringer werden, in denen wir uns über das Wesen einer Krank-
heit nicht ganz klar geworden sind und die, um das Gewissen
zu beruhigen, als Influenza, Febricula etc. bezeichnet wurden.
IIL
Eine Masern- nnd RKtlielnepideniie.
Beobachtungen aus dem Hospitale der Einderheilanstalt
zu Dresden.
Von
Dr. Claus,
ehem. Asiiitent.
Masern und Rothein — beide Krankheiten sind für den
Beobachter oft genug die Veranlassung gewesen, die Feder
zum Entwurf ihres klinischen Bildes in die Hand zu nehmen.
Und doch kann bis jetzt nur dasjenige der Masern als im Allge-
meinen fertig angesehen werden, während das Bild der Böthein
noch manches an Deutlichkeit und Klarheit zu wünschen
übrig lässt Deshalb dürfte es sich trotz der früheren reichen
Arbeit auch jetzt noch empfehlen, zum Schaffen eine^ vorwurfs-
freien Gemäldes y zur Fertigstellung eines abgeschlossenen
Ganzen Hilfe zu leisten.
Diese Ueberlegung, vor Allem aber die Aufforderung und
Unterstützung meines hochverehrten Lehrers und Chefs, des
Herrn Hofrath Dr. Unruh, sind für mich die Veranlassung
gewesen, die während der vom Winter 1892 bis Sommer 1893
anhaltenden Dresdner Masemepidemie im Hospitale der Kinder-
heilanstalt zu Dresden-Altst. gemachten Erfahrungen und Be-
obachtungen der Oeffentlichkeit zu übergeben.
L
I. Fall 1. Am 26. Januar d. J. warde der dreijährige Knabe Otto
Föcäter aus einer Einderbewahranstalt, in der bereits Fälle von Masern
Torgekommen sein sollten, wegen schwerer Scrophulose ins Hospital,
ond zwar wegen gleichzeitig bestehender undentlicher Angina in die
Quarantainestatjon aufgenommen. Noch am 27. and 28. Jan. bestand ge-
nnges Fieber nnd nndentliche Angina, da aber am 30. Jan. eine An-
steckangsgefabr für die übrigen Kinder nicht mehr befi^rohtet wurde,
kam Patient zu den in Station IIa (mittleres Krankenzimmer des ersten
Stockwerkes) untergebrachten chirurgischen oder nicht infectiOsen in-
38
Dr. Claas:
Deren Kranken. Hier trat nun am 8. Febr. Abends plötzlich hofaeB
Fieber ein und die Untersuchung ergab geringe Angina, aber kein
Gzanthem. Fat. wurde wieder nach der Quarantaine gebracht und hier
zeigte flieh am 10. Febr. ein aus kleineren und grösseren, weniger runden
als gezackten, für Masern als charakteristisch beschriebenen Flecken
bestehendes Exanthem, das sich in kurzer Zeit nicht so sehr am Ge-
sicht als auf Brust und Nacken verbreitete und hier theil weise con-
T. Fall 1.
Februar 1893.
fluirte. Dazu kam stark beschleunigter Puls, schwere Conjunctivitis
und Bronchitis, benommenes Sensorinm. Während der nächsten drei
Tage bestanden die katarrhalischen Erscheinungen und das Exanthem
fort, am 14. Febr. aber begann das letitere abzablasseu. In den fol-
genden Tagen zeigte sich eine geringe Abschuppnng, in den nächsten
Wochen aber stellten sich die Symptome einer Miliartuberculose ein,
welche nach dem am 20. Mai erfolgten Tod durch die Autopsie be-
stätigt wurde.
Die mindestens IStägige Incubationszeit — eine Ansteckung im
Hause war, 'da keine Masern- oder Rötheinkranken vorhanden, aus-
geschlossen — , das bereits am Ende des zweiten Fiebertages voll ent-
wickelte Exanthem legte die Vermuthung nahe, dass es sich um einen
durch die schwere Scrophulose veränderten Fall von BOtheln handeln
könnte, und es wurde diese Annahme noch bestärkt, als ohne jedes
vorhergegangene Unwohlsein die Oberschwester G. (I. Fall 2), welche
im 11. Jahre Masern durchgemacht und in der Quarantaine das Kind
Förster gepflegt hatte, am 22. Febr. frflh mit einem masemähnlichen
bereits Gesicht, Rumpf und Extremitäten einnehmenden, während der
Nacht entstandenen Exanthem erwachte, welches unter massig hohem
Fieber und allmählichem Erblassen bis 26. Februar bestand.
I. Fall 3. Schon Tags vorher, am 21. Febr., war Schwester U.,
welche den Knaben Förster auf Station IIa bis zum Ausbruche des
hohen Fiebers und der verdächtigen Angina gepflegt hatte, wegen eines
masemähnlichen Ausschlages bettlägerig geworden. Dieselbe, ' welche
als Kind ebenfalls bereits Masern überstanden hatte, war schon einige
Tage vorher nicht ganz wohl gewesen. Das Exanthem selbst, das ein
massig hohes Fieber bedingte, begann am 23. Febr. zu erblassen und
war am 25. Febr. bereits vollkommen verschwunden.
Sprach nun bei der Annahme^ dass eine zweitmalige Er-
krankung an Masern etwas sehr Seltenes sei, in beiden Fällen
Eine MMSrn- nud ROthelaepidemle. 39
die Anamoese, dazn bei der Oberschwester G. das plötzliche
Erscheinen des Ausschlages ftir „Röthein", so war doch
aufßltig, daas sich direct an das Abblassen des Exanthems
der Schwester G. eine zweitägige starke Urticaria und an die
Erkrankong der Schwester U. eine langsame ReconTalescenz
und eiae unter theilweise hohem Fieber verlaufende und circa
S Tage anhaltende scorbntische Affection des Zahnfleisches,
bei beides aber eine nicht unbeträchtliche Abschuppnng an-
schloss. Nicht mehr aufrecht zu erhalten aber war die erste
Diagnose, als auf die drei erwähnten Fälle noch weitere und
theils ziemlich schwere folgten, deren Krankengeschichte ich
zum Theil kurz berichten möchte.
Zunächst erkrankten alle fdnf Kinder, welche mit dem
Knaben Förster zusammen auf Station IIa gelegen hatten,
und zwar zwei, welche Morbillen noch nicht durch-
t;emacht hatten, und drei, welche laut Anamnese
bereits darcbmasert waren.
I. Fall i. Budoir Hiehscb, 2 Jahre alt, anfgenommen w^en
Ftact fem. dextr., hat mit l'/^ Jabr Keachhuaten darchgemacbt und
ist jetit ein hrUtiges, woblentwickeltes Eind. Am 19. Febr. Deginn
der Prodrome. Am 28. Febr. masemäbnlicbea Ezaetbem im GeBicht,
du lieb am 23. Febr. über Brust, Bauch und iieture Eitremit&leD aaa-
1. Fall 4.
17. Febraar bü 9. M&rz 1S93.
breitet Am 24. Febr. EzanUiem im Gesicht schw&cher, aoort unver-
ftndert Am Nachmittag werden anf den Banchdeohen in der Gegend
des Nabele mehrere qner verlanfende, dem Fingerdroek nicht weichende
blanrothe Hämorrbagien sichtbar, deren Zahl sieb Abendi noch ver-
mehrt Am 26. Febr. frtlh ist die gante Baacbgegend nnd die Imien-
leite der OberBcheukel in ein groueB, blanroth gefUrbtAs Feld ver-
wandelt, daa durch dicbt^drKDgte Sagillate dargestellt wird. Daneben
beiteht starke Trockenheit der Lippen und der Zunge, starke Corunnc-
tivitii, diffnae Bronchitis, rubrähnliche Diarrhoe, sehr beschleunigter
Pnli (170 — IBO), groue Unrahe. In den nächsten Tagen bessern sich
die aobweren BegleitevBcheinnngen liemlich rasch, dagegen verschwinden
die Hämorrhagien nur sehr langsam. Dieselben machen aber scheinbar
nicht die Farbennnancen eines sich in charakteiisti scher Weise resor-
birenden Blateivuases durch, sondern werden von Tag EU Tag etwas
undentlicher nnd sind erst am i. März nicht mehr tn erkennen.
40
Dt. ClAua:
1. Fall 6. LoiuBe Pilz, S% Jahre, aafgenommeii am 8. Febr. 1893
wagen Ekiema capit. chron. Am 22. nad S3. Febr. lUtthnog dee weichen
Gaameiu, der hiutereD Rochenwand and der wenig ^echwollenen Ton-
■illen, anf deuea veieinielte gelbe P&Opfcheu sichtbar sind. Da-
neben dick belegte Znnge, Diarrhoe. Am S4. Febr. leigt rieh im Ge-
richt, am HaU nnd Rücken ein aoa ttecknadelkopf- bia linsen^aaen
Effloreacenten beatehendee Eiauthem, daa am S6. and S6. Febr. im Ge-
richt und an den gedrückten Partien des BSckeug dnrch VergrUsseniDg,
yermehrong und theilweise Conflacni der nnumehr erhaben and nn-
T^elmftuiger eracheinenden Flecken deutlicher wird. Am !7. Febr. ist
die Augina bedentead gebesiert, doa ExanUiem im Oeiioht gan« ver-
acbwanden nnd am KOrper uar noch nndentlich sichtbar. Zugleich ist
I. Fall K.
90. Febraar bis 6. Uän 1893.
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der vom Beginne der Krankheit ao bestehende HnstenreiE fast toU-
kommen beseitigt. Am 1, H&rz ist vom Exanthem niehte mehr lu
aehen, daa AUgemeiahefinden gut.
In beiden eben erwähnten Fällen ergab die Anamnese,
dass eine Erkrankung an Masern oder Kdtheln frQher noch
nicht stattgefnnden hatte , während bei den übrigen drei
Eindem der Station IIa das frühere Ueberstehen der Mor-
billen nachgewiesen war. Die Krankengeschichten der letzteren
stimmeD nun insofern ToUkommen Uberein, als ohne jede
deutliche katarrhalische Begleiterscheinung, vor Allem aach
ohne Fieber ziemlich plötzlich ein ans etwa linsen grossen,
meist rnnden und ziemlich isolirt stfihenden, wenig erhabeoen
und rosa gefärbten Efflorezcenzen bestehendes Exanthem im
Gesicht, anf Brust und Rficken sichtbar wurde, das, ohne sich
u verdichten oder intensiver zu werden, 1—2 Tage
ind zuerst wieder im Gesicht erblassend in einem
is ganzen Tage vollkommen verschwand.
,11 6, Lonise Pietscb, 7 Jahre alt, machte am Ende ihres
Masern nnd Keuchhusten durch, war aber aonat bis anf ihr
Biden — Empyems prooest. mastoid. sin. — im Wesentlichen
Eine Haseni- nud RoUieloepidemie. 41
getond. Aufgenommen am S. Febinar und operirt un 4. Febniar. Fut
fieberloMr Vorlauf.
Am Sl. Febr. Exanthem im Oencbt nnd am Bumpre, am 22. Febr.
auch au der Innenseite der
Obenchenkel deotUch. Seine I. Fall 6.
Angina, keine sonstigen kn- Februar 1893.
tarrhaliechen Erscheinunj^cii.
Am S3. Febr. ist das Kian-
Üiem vollkommen verschwun-
den, daaAllgcmeiubefindi'c Lin-
iert dert gnt.
I. Fall 7. Bernhard
Rdltier, 13 Jahre alt. Aaf-
genommen wegen Osteom 7»-
litii; hatte Maaem mit 6
Jshrso. Am 21. Febr. frQh plfltilich Exanthem — sehr sp&rlich — im
Gesicht, etwas dichter auf Brost und Nacken. Am 26. Febr. Exan-
them noch beatehend. Am 26. Febr. Beginn des Erblaasens. Am
ST. Febr. Haotbedeckung normal. Verlauf vollkommen Geberlos.
I. Fall 8. Dasselbe Bild bot als Dritter der wegen Coxitii ainiatr.
ufgenommene und operiite Enabe Arthur Wachtel, 12 Jahre alt, der
ebenfalls in seinem 6. Jahre Uasem überstandaa hatte. Anob bei ihm
eiscbien der Ausschlag ohne jede Steigerung seines leichten, remit-
tiieaden Fiebers nnd ohne begleitende Hatarrhalische Affectioneu, be-
stand vom 6. bis 7. Man nnd war am 8. Mära wieder vollkommen ver-
tdi wunden.
Im Anscblass an diese sechs Fälle der Station IIa er-
folgten 13 weitere Erkrankangen in den übrigen noch im
ersten Stockwerk gelegenen Stationen I (11 — 12 Betten) und
Üb (6 — 7 Betten), welche zur Zeit zueammen mit 17 Eindem
belegt waren, während ein Uebergreifen auf die im zweiten
Stockwerk gelegene gewShnlicli mit 9 — 10 Kindern belegte
Station lY nicht etattraud. Es blieben demnach in den in-
ficirtes Krankensinben fHnf Kinder verschont, die — im
Alter Ton 10 — 14 Jahren — frtiher »ämmtlich die Masern
schon fiberatandeo hatten.
Unter den 13 auf Station I und IIb erkrankten Kindern
waren nan noch zwei, bei denen die Anamnese die frQhere
Erkrankniig an Morbillen ergab, und ich m&chte die Kranken-
geschichte derselben im Anschlusa an obige drei Fälle an
dieser Stelle berichten:
I, Fall 9. Hannchen Erfurt, 5'/, Jahre alt, erkrankte im Februar
189! an Masern, nach welchen sich eine schon vorher coustatirtc links-
seitige Colitis 80 verachlimmerte , dana die Resection nOthig wurde.
Am 26. Febmar anohieneii nun ohne Fieberateigerucg varicellenähii-
hebe BiAschen auf dem Rumpf nnd der loneneeite der Überschenkel
nnd am it. Febmar frOh worden, ohne dasa deutliche katarrhalische
Encheinongen nebenbei sich eingestellt hUtten, linsengrosse oder etwas
kleinete hellrothe, in einem gewissen AMande voa einander stehende
Hecken im Gesiebt, auf dem Bunipf uod den Extremitäten sichtbar.
sodau neben diesem EiontfaeiD dei theilweUe schon in Borkenbüdon^
abergegancene variceltenlLbnlicbe Auucblag beetaod. Fieber wat dabei
am S7. Februai nur in geringem Grade torbanden. Sobon am nUcbsten
I. Fall 9.
10. Februar bin 8. U&n 1892.
Tage war kanm noch etwai TOm F.xanthem %a leben und am 1. Mära
war es Tollkommen versch wanden. Das Wohlbefinden des Kindes wurde
in keiner Weise alterirL
Der zweite Fall war maofern noch tod Wichtigkeit, als
sich bei ihm die IncubationRzeit fast mit absoluter Sicherheit
feststellen Hess, da eiue Infectiou vor der Aufnahme ins
Hospital bei dem TollHtändigeu EVhlen von Masernerkraokungeii
ia dem Ueimathaort des Patienten als ganz unwahrscheinlich
anzusehen war.
1. Fall 10. Bruno Hfibler, 6 Jahre alt, war bis zum 2. Jahre, in
welchem er mit Geschwiatem Masern nnd Keuchhusten darchmachtc,
und von da an wieder vollstfindig gesnnd bis October 1898, in welcher
Zeit sieb sein Kniuleideu — FuDf^ua gen. dextr. — entwickelte. Fat.
wurde am 21. Febr. behufs Vornahme der ResectiOD aufgenommen nod
in der damals noch nicht inficirlen Station I nntergebracht. Vor der
am n^bsten Tage lorgenommeneu Operation kam er nun wahcscheiu-
lieb infolge eines Veraehena mit einem der oben erwähnten Eum Ver-
binden in das Terbandzimmer gebrachten Kinder lusammen. Ubne daas
nun vorher irgend welche Fieberateigerung
I. Fall 10. Q^e,. katarrbalische Erscheinungen hatten
März 1 B93. beobachtet werden kOnnen, erschienen plOb*.
lieh mit einer abendlichen Steigerung bis
30,2" am 9. MKn Eahlreiche ca. Unaengroeae,
Bcharf abgegrenite, hellrothe Flecken im
Geeicht und auf dem llumpfe , weniger an
den £xtremiULten. Dieses Exanthem er-
blaaate allmählich am niU^hBlen und über-
nächsten Tage und war am 12. Mära voll-
ständig verschwunden. Er waren demnach
bis zum Äuabruche des Ausschlags 16 Tage
vergangen, während dieser seibat nur drei
Tage bestand.
Von den restirenden 10 Fällen sei uns gestattet, nur noch
fünf, denen ein gewisses Interesse nicht abgesprochen werden
kann, anzuführen, und zwar möchte ich gleich an dieser Stelle
eines Falles gedenken, der zwar erst am Schlüsse der Eaus-
epidemie zur Beobachtung kam, sich aber, weil er ebenfalls
Eine Hueni- und BOtbetnepidemie. 43
hinsichtlich der Dauer der Incubation von Bedeutung ist, leicht
an den zuletzt citirten Fall aoreihen läest
T. Fall 11. Karl Ganbe, 1 Jahre alt, worde am 14. UHte znr
Atbtodeie (partielle Lähmung nach PolioiDjel. ac. ant.) anrgenoimnen
ocd während der Daaer des Eotkleidens durch das Teraeben der pfle-
genden Schwester in die. Nähe des während der HauBepidemie tuletst
erkrankten Eiades Qertrad Gross (Fall 16) gebracht. Während nnn
der Verlauf nach der am 15. Häir volkogenen OperatioQ — hie anf
«ine geringe Fieh erste! gern Dg am IG. und 17. Marx — absolut fieberloa
war. kam es ptotilfch am 2S. März in einer abendlichen ErhShnng bis
anf 98,4*. Pat. fShlte sich dabei wohl und es liess sich auch ohjec-
tiT nicht Abnormes, besonder« anch keine Angina oachweisen. Am
39. IKtz Mittags war die Temp. auf 38,3 gestiegen nnd jetzt wurde
SDcfa eine Btlthang im Rachen und an den QaumenbOgen sichtbar. Da
die Eltern da» Kind gern nach Hause nehmen wollten, wurde es noch
an diesem Tage entlassen. Nach Beriebt des intelligenten nnd glnnb-
«ördigen Vaters worden nun am 1. April die ersten punktrCrmigen
Flecken im Gesicht bemerkt und am 2. April war der ganze Körper
mit einem starken, vom Arat für Masern erklärten Ausschlag über-
logen, der bis zum 7. April allmählich verschwand. Es siiid demnach
in diesem Falle bis Enm Beginn des hier viertügigen Prodrom alstediums
Kenan 14 Tage, bis zum Sichtbarwerden des Exanthem* aber 17 bis
18 Tage Terstriehen.
I. Fall 13. Hans Weise, 6 Jahre alt, aufgenommen und operirt
*^en Palat. fiesum. Fast vollkommen fieberloaer Verlauf. Am 3, Härx
plötzlich Fiebersteigemng ohne nachweisbare Ursache. Am 4. März ge-
rillt Angina. Am B. Hän grosse Apathie, ConjunctiTitia , Ktainitis,
«plriiahM kleinfleckiges Exanthem im Gesicht. Am 6. März ist das
Ezantiiew im Gesicht etwas dichter geworden, hat sich aber noch nicht
weiter rat breitet. Starke Apathie, schwere katarrhalische Erscbei'
Bongfln. Am 7. Hän hat sieh das Exanthem, jetzt groesfleckig, dicht
nnd tbeilweiBe conflnirend, Aber den ganzen Körper ausgedehnt. Am
I. Fall 13.
Se. Februar bis 12.'H&ra 1899.
S. lOn beginnt der Ausschlag abzublassen nnd ist am 10. Märe nicht
mehr zu sehen. Gleichzeitig haben sich die schweren Begleiterschei-
nungen gebessert und Patient befindet sich am 12. Harz wieder voll-
kommen wohl.
44
Dr. Claus:
I. Fall 18. Curt Blechschmidt, ly, Jahr alt, aufgenommen am
23. Febr. wegen Rachitis und Bronchitis. Am 5. März plötzlich Tem-
peratursteigerung bis 40,0 ^ Am 6. bis 7. März Diarrhöe, die bestehende
Bronchitis stärker. Am 7. März Abends werden vereinzelte hirsekom-
grosse und etwas
I. FaU 18. grössere rothe Ef-
\rn 4o<^o florescenzen im
März 1898. Gesicht bemerkt
und am 8. und
9. März hat sich
das Exanthem mit
nunmehr betracht-
licheren und ge-
zackten Flecken
über den ganzen
Körper ausgebrei-
tet. Am 10. März
beginnt das Exan-
them abzublassen
und dabei treten
an beiden Ober-
und Unterschen-
keln dunkelblaue Hämorrhagien auf, die den am 13. März wieder
vollkommen verschwindenden Ausschlag überdauern und erst am 18. März
nicht mehr zu erkennen sind.
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I. FaU U.
März 1893.
I. Fall 14. Dora Breitfeld, iV^Jahr alt, aufgenommen am 11. Febr.
1893 wegen Lymphadenitis ingum. sin. purul., ist ein sonst ge-
sundes, kräftiges und mit einem guten Fettpolster ausgestattetes Kind.
Am 16. März gei-inge CoDJunct., Rhinitis, Bronchitis, geringe Röthnng
im Rachen. Am 17. Märii werden einzelne dunkelrothe, unregelmässige,
Zweimarkstück-
grosse nrtica-
riaähnliche
Flecken im Ge-
sicht neben diffu^
ser heller, mit
einzelnen dunk-
leren, etwa linsen-
grossen Flecken
durchsetzter Bö-
thung sichtbar.
Der Puls ist stark
beschleunigt. Am
18. März breitet
sich ein schon
ausserordentlich
i^iich tes, aus grosse -
ren und unregel-
mässigen Flecken
bestehendes Exan-
them über den ganzen Körper aus, erscheint am 19. März noch deutlicher,
dichter, confluirt besonders an den abhängigen und gedrückten Par-
tien (Schulter- und Glutäalgegend , Beugeseiten der unteren Extremi-
täten) zu dunkelrothen, handtellergrossen Flächen und ruft an den-
selben Stellen ein gewisses starres Oedem der Haut hervor. Am 20. März
ist das Exanthem nur wenig blässer geworden, in der Glutäalgegend
Eine Masern- uad Bothelaepidemie. 45
ftber nnd an den Beagaaeiten der Ober- nnd Unterechenkel aiod jetzt
deaUicbe grosse ürticariatjnaddela zn bemerken, w&brend am
Baoche und besonders an denjenigen Stellen, an welchen der Verbaod
gesessen bat, sowie an beiden Ober- und ünterartneD zahlreiche, theil-
weUe ineinander tibergebende Sagillationen sichtbar sind. Am
ig. Min ist das Exanthem, wenn auch noch deutlich erkennbar, doch
im Zorflckgeben begrifien, die Drticariaquaddeln aber und die Hämor-
rfaagien sind nnrer^ndert. Am SS. Harz ist das dnrcb Ecbwcre Begleit-
encbeinnngen geatCrte Allgemeinbofiaden fast vollkommen wieder nor-
m»l. Tm Gesiebt nnd am Bnmpfe ist starke Abschappnng za bemerken,
die Urtic&riaqaaddeln sind verHchwiiadeD. Die B&morrbogien bekleben
noch, ihre Farbe wird aber ganz allmählich schwächer und erat aui
10. April ist jede Spnr derselben Terwiacht.
I Fall 16. Badolf WeiM, 11 Monate alt. Anbeuommen den
17. April wegen Fractnra femor. sin. Fast vollkommen fieberloser Ver-
luif. Am S6. April geringe FieberBteigerung, Bronchitis diffusa, die
wUrend der n&chaten Tage anhält und am 29. April in eine Paeoni.
cataiih. flbei^eht. (Dämpfung rechts hinten unten .) Am 30. April
leigen sich neben
leichter Angina vorein- I. , P«ll 15.
lelte ca. hii«ekom- 25. April bia 6. Mai 1893.
greise Flecke im Ge-
liebt, die sich am
1. Mai noch aber Bmat
QDd Backen ansbreiten,
hier grOsaer eracheinen
und eine roehnackige
Geitalt annehmen. Jetzt
aach Dämpfung links
hinten nnten- Athmung
und Pols stark beecbleu-
aigt, Cyatkoae. Am
i. Mai beginnt das
Exanthem abzub lasse o,
die Dämpfong Ober den
Lnngeo wird geringer,
die CTanose verschwindet, nnr der Pols ist noch stark besohlen d igt.
Am 3. Mm ist das Exaathem fogt gani verschwanden , das Allgemein-
befinden besaer. Am 6. Mai ist vom Ausschlag nichts mehr sichtbar,
uch ist eine Dämpfong nicht mehr nachEUweisen ; ea beateht nur noch
leichte Bronchitis bei vollkommenem Wohlbefinden.
Während bei dieBem Einde trotz der Jageod nnd der
schweren Begleiterscheinungen doch noch dauernde Heilung
eiatrat, erfolgte in dem nächsten Falle, welcher wegen der
wohl selten beobachteten Ursache zar Aufnahme ins Hospital
allein schon erwähnt zu werden verdient, der Tod noch
während dea Abblassens des Ssanthems.
L Fall 16. Oertmd Gross, 1 Jahr alt Am 14. oder 15. Februar
benotite die Mutter doaaelbe Wasser, in welchem TOrber die am 7. Febr.
geimpfte kleine Schwester mit ihren gut entwickelten Impfpusteln ge-
badet worden war, anch zum Reinigen unserer Patientin, welche da-
msli an einem nicht nnbeträchÜichen Ekzem der rechten Gesichtahälfte
nnd des rechten Ohres litt Die Folge davon war, daaa am 31. Febr.
liemlicb plStxlicb an der Stelle dea Ekzems nnd besonders an seiner '
Rtadzone anter Fiebereracheiouogen und intentiver Bdthung and Schwel-
46
Dr. Claus:
lang dor Umgebung wässerige ßläschen sich bildeten, deren Inhalt unter
stärkerer Infiltration der ganzen erkrankten Gegend allmählich eitrige
wurde. Am 26. Febr. wurde «das Kind in die Poliklinik gebracht und
während der nächsten Tagen daselbst bebandelt. Da aber Besserung
nicht eintrat, wurde es am 28. Febr. in das Hospital aufgenommen und
bot folgenden Befund dar: Pai ist ein massig kräftiges Kind mit ge-
ringer Bronchitis. Die rechte Gesichtshälfte ist durch Confluiren der
Pusteln in ein eitriges, zum Theil noch mit Haut und Borken bedecktes
Feld verwandelt. Auch in der Umgebung, welche selbst intensiT ge-
röthet und geschwollen ist, finden sich vereinzelte, mit Eiter gefiUlte
Bläschen. Temp. 38,6. Puls beschleunigt.
Während der nächsten Tage gehen die EntsündungserscheinuDgen
und mit ihnen das Fieber zurück. Am 10. März plötzlich eine Fieber-
steigerung (39,0^, doch ist ausser geringer Diarrhöe, welche auch wäh-
rend der nächsten Tage anhält, nichts Abnormes nachweisbar. Am
13. M&rz neben
I. Fall 16. Diarrhoe auch
März 1898. Bronclütis. Am
14. und 16. März
Angina catarrh.,
Durchfall stärker.
Am 16. März end-
lich punktförmi-
ges blassrothea
Exanthem im Ge-
sicht und am
Halse. Am 17.Marz
Exanthem auch
auf dem Rumpfe
sichtbar, wo es
sich theils aus
rundlichen, iheiU
aus gezackten,
hier und dort con-
fluirenden Ef-
florescenzen zu-
sammensetztw Di-
arrhöe geriüger. Athmung und Puls stark beschleunigt Neben fiber
beiden Lungen hörbarem feinblasigen Rasseln Dämpfung links hinten
oben, welche am 18. März auch nach unten hin zunimmt. Am 19. März
Dämpfung auch rechts hinten unten. Während der nächsten Tage der
selbe Lungenbefund neben eklamptischen Anfällen und zunehmender
Cyanose. Am 22. März Exitus letalis.
Es würde zu weit fuhren, über die noch fehlenden fönf
Falle, welche nichts Besonderes bieten und in ihrem Verlaufe
dem Fall 11 und 12 am meisten ähnelten, Bericht zu er-
statten, auch glaube ich, sind die citirten Krankengeschichten
vollkommen genügend, um den Beweis, dass es sich in der
That um Masernerkraukungen handelt, zu bringen und um
ein klares Bild von der Art der Epidemie, von ihrem Genius
epidemicus zu geben. Aber nicht darin allein mochte ich den
Werth der erwähnten Fälle suchen, sondern vielmehr darin,
dass sie uns zum Nachdenken Veranlassung geben, und dass
sie, weil vom ersten Tage an im Hospital und von mehreren
Eine Masern- nnd Bötheinepidemie. 47
Aerzten gleichzeitig beobachtet^ auch eine demeutsprechende
genaue Beurtheilung gestatten.
Wie oben bereits mitgetheilt, wurde das Masemgift von
dem zuerst erkrankten En. Förster (Fall 1) auf die beiden pfle-
genden, mit ihm in directe Berührung gekommenen Schwesterq
und auf die in Station IIa mit untergebrachten Kinder über-
tragen. Aber mit diesen erkrankte auch schon auf Sta-
tion U b , die von der Station II a nur durch ein einfen-
striges für die beiden Pflegerinnen bestimmtes Zimmer getrennt
ist, Hannchen Erfurt (Fall 9).
Diese Infection zu erklären, liegen drei Möglichkeiten
vor: entweder war das betr. Mädchen mit dem Knaben F.
zusammengebracht oder das Gift war durch eine pflegende
Schwester übertragen worden, oder endlich das flüchtige
Masern virus hatte sehr schnell durch den nach Station IIa und
IIb fast stets offenen Zwischenraum den Weg gefunden. Da
die ersterwähnte Art der Ansteckung absolut auszuschliessen
war, so bleiben nur die anderen Möglichkeiten übrig. Welcher
aber Ton beiden die Schuld beizumessen war oder ob beide
zugleich sich gegenseitig unterstützend die Infection ermöglicht
hatten, wird sich hier ebensowenig entscheiden lassen wie im
Falle 12, wo das betreffende Kind nach Station IIb aufge-
nommen wurde, als zwar dieses Zimmer noch frei, aber die
Station II a bereits durchseucht war. Erwähnen aber möchte
ich gleich an dieser Stelle, dass während der ganzen Be-
obachtungsreihe sowohl der Hausepidemie als der zahlreichen
später dem Hospitale aus der Stadt überbrachten Fälle nie
eine Uebertragung durch eine Mittelsperson oder durch Gegen-
stände sich nachweisen Hess, obwohl von Seiten der seine
Instructionen nicht immer so genau einhaltenden Personales
als yon Seiten der zum Verkehr auf allen Stationen ge-
zwungenen Aerzte oft genug die Gelegenheit hierzu gegeben
worden war. Und so durfte wohl auch bei der Ansteckung
der auf Station IIb untergebrachten Kinder in der Flüchtig-
keit des Maserngiftes die Ursache zu suchen sein. Interessant
aber ist es, dass von den fünf Kindern der Station IIa zu-
nächst nur vier erkrankten und wahrscheinlich erst durch
diese wieder inficirt nach ca. 15 Tagen als letzter der Knabe
Wachtel (Fall 8) vom Exanthem befallen wurde. Will man
hierzu eine Erklärung, so dürfte dieselbe wohl dahin abzu-
geben sein, dass das Gift im Anfang nicht dicht genug war,
um auch bei diesem Knaben inficirend zu wirken, dass es
hierzu vielmehr erst mehrerer ziemlich zu gleicher Zeit er-
folgender Neuerkrankungen und einer hierdurch bedingten
stärkeren Anhäufung des Masernvirus bedurfte. Als ganz
besonders wichtig aber erscheint mir die Beobachtung, dass
50
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Wahrscheinlichkeit am
nächsten, und zwar er-
giebt derselbe für die
erste Frist 15, fQr
die zweite Frist 16,
und für die Incn-
bationszeit 12Tage,
wobei zu beachten ist,
dass letztere Zahl
grosseren Schwankun-
gen untworfen zu sein
scheint, während die
beiden anderen
scheinend mehr
stante und für
Berechnung des
steckungstages wichtige
Grossen sind. — Die
Prodrome, soweit
solche zur Beobach-
tung kamen, nahmen
fast ausschliesslich
Zeitraum Ton 2
an-
con-
die
An-
eioen
bis 3 Tagen ein, und
nur einmal wurden 4
(Fall 11) und einmal
sogar 6 Tage (Fall 16)
gezählt. Hierbei kommt
fireilich in Betracht^ dass
im ersteren Fall der
Vater die Angaben ge-
macht hatte, und dass
im letzteren (Falle 16)
das Kind bereits er-
krankt und die bei ihm
einsetzende Diarrhoe
vielleicht noch nicht auf
Rechnung der Masern-
erkrankung zu setzen
war. Es dürfte deshalb
diesen beiden Fällen
kein zu grosses Gewicht
beigelegt werden kön-
nen. Die Symptome,
welche den Beginn
der Krankheit mel-
Eine Masern- und Bötheinepidemie. 51
deten^ waren meist recht deutlieh ausgesprochen: Mehr oder
minder hohes bisweilen plötzlich einsetzendes Fieber und ein
beschleunigter Puls, meist Katarrh sämmtlicher Schleimhäute,
so dass neben dem gewöhnlich starken Hustenreiz eine — in
mehreren Fällen sogar recht beträchtliche — Diarrhöe nicht«
Seltenes war. Die katarrhalische Affection des Gaumens und
Rachens fehlte nie, auch konnte man meist ein gewisses
fleckiges Aussehen besonders des weichen Gaumens, das sog.
Schleimhautexanthem, constatdren, doch war dasselbe in
manchen Fällen nur sehr wenig ausgesprochen oder als solches
nicht zu erkennen.
Diesen mit deutlichen Prodromalerscheinungen einher-
gehenden Fällen stehen nun einmal fünf gegenüber, bei
denen ein Vorläuferstadium vollkommen fehlte (Fall 2,
6, 7, 8, 10), und dann zwei (Fall 3 und 9), bei welchen es
als zweifelhaft angesehen werden muss, ob die einige Tage
vor dem Ausbruche des Exanthems bestehenden Beschwerden,
resp. ob der spärliche yaricellenähnliche Ausschlag mit der
Krankheit selbst in Zusammenhang zu bringen sind. Konnte
also im Allgemeinen yon einem vollständigen Fehlen des
Prodromalstadiums und von einem plötzlichen Erscheinen des
Exanthems die Rede sein, so zeichnete sich das letztere noch
weiter dadurch aus, dass es entweder nur geringes oder, wie
es meist geschah, gar kein Fieber bedingte, dass es meist
ohne jede katarrhalische Begleiterscheinung verlief, und dass
es, gewissermaassen in seinem Beginne stehen bleibend
und aus wenig zahlreichen, scharf abgegrenzten, massig er-
habenen blassrothen Effiorescenzen sich zusammensetzend, in
kurzer Zeit wieder verschwand, so dass sich dem Beschauer
das Gefühl, als habe das Gift nicht Kraft genug, um einen
stärkeren Katarrh und ein typisches Exanthem hervorzubringen,
unwillkürlich aufdrängen musste. Grosse Bedeutung nun ge-
wann diese Beobachtung, als bei jedem derartigen Patienten
die Anamnese das frühere U eberstehen der Masern ergab und
es sich demnach um eine zweitmalige Masernerkrankung,
die ich der Kürze wegen als Masernrecidiv bezeichnen
möchte, handeln musste. Freilich gilt obige Beschreibung
des Exanthems nur für die zum zweiten Male erkrankten
Kinder, nicht aber für die beiden Schwestern, deren Ausschlag
sich aus grösseren, unregelmässiger gestalteten, dunkleren
Flecken zusammensetzte, mit leichtem remittirenden Fieber
verlief und so den Charakter eines Masernexanthems trug.
Sollte hier vielleicht ähnlich wie hei den Pocken durch die
Lauge der Zeit der Schutz, der durch das einmalige Ueber-
stehen der Masern geboten wird, allmählich schwächer werden
und sollten die zur Neuerkrankuug Neigenden um so stärker
4*
52 Dr. Claofl:
befallen werden, je weiter die erste Erkrankung zeitlich zurück-
liegt? Wie dem aber auch sein mag, sicher ist, dass eine
absolute Immunität durch das frühere Ueberstehen
der Masern nicht geschaffen wird, und dass sowohl vor
ganz kurzer Frist oder vor sehr langer Zeit Durchmaserte vor
dem Recidiv nicht geschützt sind. (Fall 9 — 2, 3.) Ja, es
ist bei Berücksichtigung der Hausepidemie, in der yon
22 Patienten sieben zum zweiten Male erkrankten, sogar wahr-
scheinlich, dass eine zweitmalige Erkrankung an Morbillen
viel häufiger vorkommen mag, als man anzunehmen gewohnt
ist, und dass mancher solche Fall wegen des leichten Ver-
laufes kurzweg den Röthein zugezählt worden sein dürfte, so-
bald nur durch die Anamnese die frühere Masernerkrankung
festgestellt war. Und es darf uns dies nicht Wunder nehmen,
da wohl nur unter Umständen, wie sie uns das Hospital zu
bieten vermag, nicht aber in den wechselnden Verhältnissen
der Stadt- und Landpraxis der sicherste Beweis, dass es sich
in der That nur um eine Maserninfection handelt, gebracht
werden kann. Ob es trotzdem möglich ist, allein aus der
Beurtheilung der Symptome die richtige Diagnose: Masern-
recidiv oder Röthein zu stellen, auf diese Frage möchte ich
nach Besprechung der letzteren noch einmal zurückkommen.
Der Verlauf der im Hospitale selbst aufgetretenen
Masernerkrankungen war im Allgemeinen nicht ungünstig zu
nennen, wenn auch das Fieber im Eruptions- wie Prodromal-
stadium bisweilen eine beträchtliche Höhe erreichte und
Anomalien nicht fehlten. Unter letztere möchte ich be-
sonders die Fälle 4, 13, 14 rechnen, die sich durch die reich-
lichen Hämorrhagien , resp. durch die einmal auftretende
ruhrähnliche Diarrhöe auszeichneten. Von Complicationem
aber müssen die zweimal beobachtete Urticaria (Fall 2 und 14),
ferner die bereits im Prodromalstadium aufgetretene und in
Heilung übergegangene Pneumonie des Falles 15, sowie die-
jenige, aber tödtlich verlaufene des Falles 16 genannt werden.
Als Folge der Erkrankung endlich bedarf der Erwähnung
die starke Stomatitis der Schwester U. (Fall 3), sowie die
Miliartuberculose des Knaben Förster (Fall 1) und eines
anderen oben nicht mit erwähnten an doppelseitigem Fang,
pedis leidenden Kindes Willy Rupprecht.
Bei den übrigen aus der Stadt in das Hospital aufge-
nommenen Kindern wurden von Nachkrankheiten nur eine
geringe iSahl beobachtet, doch häuften sich dieselben in der
Poliklinik. Und hier waren es vor Allem stärkere Bronchitiden,
katarrhalische Pneumonien, Keuchhusten und acut oder chronisch
verlaufende Lymphdrüsenaffectionen , welche ärztliche Hilfe
erforderten, doch kamen auch mehrere Fälle von acuter eitriger
Eine Masern- und Bdtheluepidemie. 53
Gelenkentzündang (Ellbogen- und Hüftgelenk) und Yer-
schlimmerangen von Knochentuberculose vor.
' Hiermit erschöpft sich freilich das Heer der die Masern
complicirenden^ Verlauf und Beconvalescenz beeinträchtigenden
und gefährdenden Erkrankungen nicht, und wie in jeder
grosseren Masemepidemie andere acute Exantheme^ vor allen
aber als schlimmste Feinde Diphtherie und Group sich dem
Masemgift zum Streite gegen den zarten und jugendlichen
menschlichen Organismus anschliessen können, so geschah
dies auch wahrend der Zeit der von uns angestellten Be-
trachtungen« Und da der Fälle, in denen dieser Kampf ge-
fuhrt wurde^ nicht wenige waren und da leider nur zu oft
die kleinen Patienten dem mächtigeren Gegner unterliegen
mussten, so mochte ich die dabei gemachten Beobachtungen
etwas ausführlicher zur Sprache bringen.
Vom September 1892 bis einschliesslich Mai 1893 wurden
wegen Diphtherie und Croup auf der Isolirstation des Hospitales
270 Kinder verpflegt, und unter diesen waren es 20, bei denen
eine der beiden genannten Erkrankungen im Gefolge der
Morbillen sieh eingefunden hatte. Und zwar liessen sich bei
drei derselben deutliche diphtheritische Beläge im Rachen
nachweisen, während die übrigen 17 — bis auf eine geringe
Zahl, bei denen ausser der immer vorhandenen Hyperämie
des Gaumens und der Bachenorgane nur noch geringe Reste
eines seiner Natur nach nicht mehr sicher zu erkennenden,
aaf einer oder beiden Tonsillen haftenden Belages nachweis-
bar waren — ausschliesslich durch die mehr oder minder
starke Stenose sich auszeichneten.
Die . drei durch die deutliche diphtherische Rachen-
affeciion charakterisirten Fälle theilten sich wiederum in zwei,
bei denen ein Fortschreiten nach dem Kehlkopfe nicht ^stattfand,
während in dem dritten eine nicht unbeträchtliche Stenose sich
einstellte. Die ersteren Beiden, Mädchen und Geschwister im
Alter von fünf und sechs Jahren, bei denen während des Er-
blas^tas des Exanthems die Diphtherie nachgewiesen und die
sofortige Ueberfbhmng ins Hospital angeordnet worden war,
wurden nach zwolftägigem Aufenthalte hierselbst auf speciellen
Wunsch der Mutter ungeheilt entlassen und starben kurze
Zeit darauf ausserhalb der Anstalt, während die Erkrankung
des dritten Kindes unter spontaner Besserung der Stenose
und unter allmählichem Schwinden der Beläge nach Verlauf
von drei Wochen in vollständige Genesung überging.'
Von den übrigen wegen Stenose aufgenommenen Kindern
mnssten 11 wegen bedrohlicher Athemnoth tracheotomirt
werden; sie gingen aber sämmtlich nach kürzerer oder längerer
Frist zu Grnnde. Yon den restirenden nicht tracheotomirten
54 I Dr. Claus:
sechs Kindern endlich starb eines noch am Tage der Auf-
nahme plötzlich ohne nachweisbare Ursache, ein anderes nach
Vorübergehen der Stenose noch am 10. Tage nach der Auf-
nahme an absteigendem Croup , während die letzten vier
Patienten nach spontaner Besserung der durch den Kehl-
kopf-Croup bedingten Athemnoth geheilt entlassen werden
konnten:
20
Masern -^ Diphtherie oder Croup
3 17
Masern- Diphtherie Masem-Croup (Stenosen)
2 1 11 e
ohne Stenose mit Stenose tracheotomirt nicht trach.
2 1 U 2 4
gestorben geheilt gestorben gest geh.
(nicht tracheotomirt) ^
Schon die obigen Ausführungen, noch deutlicher aber das
der besseren Uebersicht wegen beigefügte Schema zeigen uns
die grosse Mortalität der mit Diphtherie oder Croup compli-
cirten Masernerkrankungen, vor Allem aber die absolute Sterb-
lichkeit der wegen bedrohlicher Stenose tracheotomirten
Kinder, eine Wahrnehmung, die um so mehr ins Gewicht fallt,
als die übfigen in der entsprechenden gerade noch die für
die 'Prognose ungünstigsten Monate einschliessenden Zeit Yor-
genommenen Tracheotomien 35% 'Heilungsfalle ergaben.
Bei der Frage nach der Todesursache mussten Sepsis und
sonstige Complicationen vollkommen ausgeschlossen werden
und da ab-, resp. aufsteigender Croup nur dreimal beobachtet
wurde, so konnte nur noch die durch das doppelte Gift herbei-
geführte allmähliche Erlahmung dei Herzens in Frage kommen.
Und dass hierin die Hauptursache zu suchen war, darauf
deutete die meist schon bei der Aufnahme des Kindes be-
obachtete schlechte Beschaffenheit des Pulses. Derselbe« war
fast immer sehr irequent und klein, bisweilen auch unregel-
mässig und ungleich. Und wenn sich auch sein Zustand
nach der gewohnlich bald nothig gewordenen Tracheotomie
und der hierdurch bedingten stärkeren Sauerstoffzufuhr für
einige Zeit besserte, so kehrte doch die mangelhafte Herzaction
und mit ihr die abnorme Frequenz und Kleinheit des Pulses
zurück. Dud so war es nicht zu yerwundern, dass dem ent-
sprechend der ganze Krankheitszustand sich verschlimmerte,
die Athmung oberflächlicher und beschleunigter wurde, Appetit-
losigkeit, mhrungsverweigerung, rasche Abmagerung und*
Apathie sich einstellte, und der Tod meist schon nach 2, 3,
Eioe Maaern* und Böthelnepidemie. 5ö
5 Tagen, seltener (in drei Fällen) erst nach 3 — 4 Wochen
wegen Herzschwäche nnd Entkräftung trotz aller Analeptica
eintrat
Wenn nun auch während des Sommers, d. h. nach der
hier in Betracht kommenden Zeit, die Resultate günstiger
und die Aussichten bei dem wegen Maserncronp ausgeführten
Luftröhrenschnitt nicht mehr so trostlos waren, so sehen wir
doch, welche Gefahren bei eii^er Masernerkrankung Diphtherie
und Croup als Gomplicationen bringen können und wie
ausserordentlich ungünstig sich besonders dis Lage der Tracheo-
tomirten den Nichtoperirten gegenüber gestaltet, und ist es
gewiss angezeigt, — im Gegen s atze zn den nicht durch
Masern complicirten Stenosen — hier mit der Tra-
cheotomie so lange als möglich zu warten und nach
erfolgter Operation auch dann noch, wenn der Ver-
lauf scheinbar günstig ist und sich in die Länge
zieht, eine mindestens zweifelhafte Prognose zu
stellen.
Ausser diesen eben erwähnten Fällen, in denen Group
und Diphtherie secundär auftraten, bedürfen der Vollständig-
keit halber noch fünf wegen diphtherischer Stenose
tracheotomirte Kinder der Erwähnung, welche im
Laufe der Nachbehandlung an Ma.sern erkrankten.
Hier war das Verhältniss ein viel günstigeres. Von den be-
treflPenden Patienten wurden drei vollständig geheilt entlassen,
während einer ungeheilt abgeholt wurde und im Eltern-
hause genas und der letzte, nachdem er die Masern bereits
überstanden, an einem Diphtherierecidiv verstarb. Freilich
kommt dabei in Betracht, dass alle Kinder bereits in der
Reconvalescenz begriffen, fieberlos oder fast fieberlos und
ohne Canüle waren, und es dürfte wohl mit Recht anzu-
nehmen sein, dass die Prognose sich um so ungünstiger
gestalten wird, ja schneller auf den Beginn der Diphtherie
oder des Croups die Masernerkrankung folgt.
Aus drei Beobachtungen von Scharlach und Masern
einen Schluas zu ziehen, wäre gewagt, doch scheint hier die
Prognose ebenfalls nicht ungünstig zu sein, da sowohl in
den zwei Fälleh, in denen kurz nach dem' Verschwinden des
Scharlachexanthems und Fiebers, als auch in dem dritten
Falle, in dem während des Abblassens des Ausschlages unter
erneutem Aufflackern desselben die Masernefflorescenzen sich
ausbreiteten, Heilung erfolgte.
56 I>r. ClaoB:
IL
Wie schon Anfangs erwähnt wurde, bot die Diagnose bei
der langen Incubationszeit des zuerst erkrankten Kindes, bei
den die frühere Masemerkrankung bezeugenden anamnestischen
Angaben der beiden miterkrankteu Schwestern und endlich
bei den darauf zunächst folgenden so sehr leicht verlaufenden,
erst später als Masemrecidi? angesehenen Fällen, mannigfache
Schwierigkeiten dar. Allein nicht nur hier, sondern auch bei
den aus der Stadt aufgenommenen Kindern, die bald als
Maseru-, bald als Rötheinkranke dem Hospital übergeben
wurden, war oft die momentane Entscheidung, ob es sich um
Morbillen oder Rubeolen oder vielleicht um Morbillenreeidiv
handelte, nicht möglich, und erst der weitere Verlanf und
die spätere Sichtung der einzelnen Fälle konnte genauen Auf-
schluss darüber bringen.
Die Zahl der hier in Frage kommenden aus der Stadt
aufgenommenen Kinder betrug 61. Für genaue und frühe
Beobachtung war aber hierbei von ganz besonderem WerÜi,
dass das infectios erkrankte Kinder sehr rasch isolirende und
zur Behandlung dem Hospitale übergebende Findelhaus zwei
Drittel der Fälle (41) stellte. Und gerade diese Patienten
waren es, die infolge der Art des Exanthems und des so ver-
schiedenen Verlaufes, vor Allem aber infolge -der in einigen
Fällen bald nach der Entlassung von Neuem sich einstellenden
Erkrankung besonderes Interesse beanspruchten. Deshalb
habe ich auch aus ihnen allein die folgenden Beispiele aus-
gewählt. Und so sei es mir gestattet, zunächst einige theils
leichte theils schwere F^le zu citiren, ohne denselben vor-
läufig einen Namen beilegen zu müssen.
A. Leichte KnmklieitHfom.
IL Fall 1. Otto HOphier, 4 Jahre alt, wurde am 18. Mai auf-
genommen, nachdem er Tags vorher unt^r einer Temperatareihöhung
von 8S,6 einen kleinfleckigen Anttchlag im Gesicht und am Bampfe
dargeboten hatte. Bei der Aufnahme ist derselbe dentjlich nur noch
an aen Beinen, weniger scharf am Rumpfe sichtbar, nnd twar sind es
kaum linsengrosse, meist runde Efflorescenien. Daneben besteht ge-
rinf^r Schnupfen und Hnstenreit, mlUsige Rötfaung des harten nnd
weichen Gaumens. SO, HaL Exanthem vollkoaiimen venchwnnden, Reste
der Angiaa noch sichtbar. St. Mai. Angina ebenfalls beseitigt S4. Mai.
Befinden w&hrend der gansen Zeit &st nnveriuidert gut, kein Fieber,
keine Abschuppung, Sntlassnng.
11. Fall %. £ma Dieti, 5 Jahre alt. Pat. wurde, nachdem er am
Abend vorher mit Fieber vS^6'"' erkrankt war, am 9. Juni angenommen
und swar fisnd sich ausser einer Temp. ron SS,l*, geringer Lichtscheu
and m&ssig^m Schnupfen eine nwhx uubctrru utliche KOthung der Schleim-
haut des Gaumens und Kachens, D^ Exanihem, hier snch besonders
Eine Mawra- and BOthelnepidemie. 57
d«nUic1i im Gesicht, wftr aocb schon Ober Rnmpf und GitTemitäten aus-
gebreitet und bestand am blaBerotheu, ieolirt stebeoden, regelroäuig
lieformteD , c». binekorugiotaen oder etwas f^rOsseren Efflorescenzen.
Am lO.Jnni begann bei Tolltt&ndifrem Wohlbefinden — mit dem Eiaken
der Temperatur cur Norm — das Exanthem zd erblassen und der Ea-
tatrh xQTJlokznfreheit. Am 11. Juni war der Anaachlag nicht mehr sicht-
bar. 13. Juni EnUasgung.
B. Soliwere Srankheitsform.
II. Fall 3. Arthur Heine, 4 Jahre alt, aufgenommen ). April.
Anamnese fehlt. Status: Pat. itit ein massig kräftiger, einen siemltch
acbweren Erankheitseindmck machender Knabe. Es besteht Lichtscben,
Schnupfen und trockener Hosten. Die Zunge ist stark beleift, der harte
Gaumen blass, der weiche Gaumen daf;e(;en zeigt ponktfBrmige, in-
ceinen hinteren Partien diffuse Rflthuug. Gesicht, H'iU, Racken, weniger
Bnist nnd Bauchdecken sind
mit einem am- kleinen hine- II. Fall S,
kora- bis linsen grossen, April 1893.
■cbon ziemlich dicht steheu-
deo, wenig erhabenen Efflo-
rescenzen bestehenden Eian-
tbem bedeckt, das in den
nftcbsf'>D beiden Tagen neben
dem Fortbestehen der Angina
schon etwas absablassen be-
ginnt, am 4. April aber nach
einer sehr unruhigen Nacht
noch einmal, besondere im Ge-
sicht sehr dentlich aufflackert.
Am 5. und 6. April blaast der
Anaichlaff ab, auch besgem sich die anfänglich vorhandenen katarrha-
lischen Erscheinungen. Am 7. April wird eine ziemlich starke Absehup-
pnng im Gegicht und den Streckseiten der oberen and unteren Extremi-
täten bemerkt nnd eine rechtsseitige Otitis media nachgewiesen. Beide«
hält sich noch mehrere Tage, am 17. April aber kann Fat geBi&d nach
dem Findelltanse entlassen werden. ' '
n. F»n 4. Martha Naumann, 3 Jahre alt, aufgenommen den
S. April. Status: Krftftiges, gut genUhites Eind, ist apathisch nnd
weinerlich gestimmt. Geringe Con- n n j
iunctiTitia n, BhinitiB. Znnge mäasig "• ''^ *•
be)^ Schleimhaut des harten Gau- April 1893.
mens ist blase, diejenige des weichen
Ganmens aber zeigt erweiterte nnd
itfifker durchscheinende Blntge^se,
während ihr dem Isthmiis zugewen-
deter Rand diflus gerGthet isL Ge-
ringer Hustenreiz. Im Gesicht, Bru''
nnd Backen rereinzelte rotho K.
florescenzen sichtbar, die am 1. April
besonders am Rumpfe mehr poly-
gonale nnd zackige Gestalt ange-
nommen und nun auch die ßitretni-
Uten ergriffen haben. Gleichieitig
ist eine Bronchitis sicca nachweisbar. Tn den nUchsten beiden Tagen
wird das Allgemeinhe&nden bodeatend besser, das Exanthem blaast ab
58
Dr. ClauB:
IL Fall 5a.
April 1998.
uod ist am 9. April mit Hinterlassung einer massigen Abechuppung yer-
Bcbwnnden. Es bestand nur noch eine siemlich starke und hartnackige
Stnhlyerstopfnng, die wahrscheinlich das noch bestehende Fieber bedingte,
in kurzer Zeit aber beseitigt war. Am 16. April konnte das Kind ge-
heilt entlassen werden.
Dieser yerschiedenartige Verlauf, den wir hier bei ver-
schiedenen Individuen beobachten konnten, kehrte nun in
einer Reihe von Fällen bei ein und demselben Kinde wieder.
Und ich fQge deshalb die hierüber gemachten Beobachtungen
obigen Krankengeschichten an:
C. Doppelerkrankungen.
n. Fall 5a. Woldemar Trautmann, 4 Jahre alt, aufgenommen
den 8. April. Massig krfiftiffes Kind. Im Gesicht (Wangen und Stirn)
nur undeutliches, am Halse dentiiches punktförmiges Exanthem. Keine
Co^jancti?itis, stärkere Rhinitis, Hustenreiz. Zunge wenig belegt. Ge-
ringe ROtbunR des Rachens und weichen Gaumens. Massige Apathie
und Schlafsn<mt Puls regelmässig, 140. Am 4. April ist das Exanthem
im Gesieht deutlicher, die Zunge stärker belegt.
Harter, besonders aber weicher Gaumen zeigt eine
Eunktfbrmige Röthung, die sich nach den Gaumen-
ogenrändem und nach der Uvula hin su diffuser
Röthung Terdichtet. Daneben starker Schnupfen
und Husten. Das Exanthem, aus hirsekomgrossen
und noch grösseren, unregelmässig geformten, wenig
confloirenden Flecken bestehend, hat sich jetzt
Ober den ganzen Körper ausgebreitet. Am 5. und
6. April blasst der Ausschlag allmählich ab; es-
besteht nur noch geringer Schnupfen und ein
massiger Hnstenieis. Gaumen und Rachen sind
weniger geröthet Am 7. April ist vom Exanthem
nichU mehr zu sehen. Zunge ohne Belag, feucht.
9. April Schnupfen und Husten verschwunden,
Rachen i>las8. Es besteht nur noch massige Diarrhöe, die während der
nächsten Tage noch anhält, aber allmählich sich bessert und die Ent-
lassung am 17. April gestattet
IL Fal I 6 b. Derselbe Patient wird wieder aufgenommen am
17. Mai, nachdem derselbe am 16. Mai Abends leicht gefiebert (8S,5)
und einen kleinfleckiffen undeutlichen Ausschlag im Gesicht dargeboten
hatte. Am Morgen des Aufhahmetages ist das Exanthem, das sich aus
kleinen und kleinsten blassrothen, punktförmigen, wenig erhabenen
Fleckchen zusammensetzt, fiber den ganzen Körper ausgebreitet. Der
weiche Gaumen ist weni^ geröthet. Daneben besteht geringer Husten-
reiz, gerin£[e Corgunctivitis und Rhinitis. Temp. 88,0 ^ Schon am Nach-
mittag be^nt der Ausschlag vom Gesicht aus abzublassen, sodass er
am ll. Mai nur noch an den unteren Extremitäten schwach zu erkennen
ist. Kein Fieber. Am 19. Mai ist vom Exanthem keine Spur mehr vor-
handen. Pai befindet sich wohl und geht bereits am 80. Mai geheilt ab.
II. Fall 6a. Anna Hirschmann, 4 Jahre alt, aufgenommen den
4. April, nachdem dieselbe schon am Abend yorher hoch gefiebert haben
soll. Der Bef^ind ist folgender: Neben gleich massiger Röthun|^ dea
Rachens und der Gaumenbögen, massiger Bronchitis und genngem
Schnupfen lässt sich ein über Gesicht, Rumpf und Extremitäten ans-
IT
Eine Maaern- und RCtbebepidemie. 59
f^breitete«, &iie ca. binekom- bü linsengroaseu, bräuulich-rotben, wcni;;
conBoireadeD Flecken tueammengeaetitea EzanUieiii erkenDen. Dmselbe
hält aicb nnter Fortbestehen der katarrbalischeo Er-
echeiDDDgen bis sum nächsteD Nochraittag, an wul* II- Fall 6a.
Aem es bereits im Gesiebt abzablBssen beginnt. Am April 1893.
7. April ist die Angin» hat gons Teiscbwnnden nnd
der Ansscblag ist nnr noch an einzelnen Stellen des
Rampfea ondeDtlich sichtbar. Geringer Schnopfen and
LaftrChrenkatairb besteht noch. 9, April Eatanh ge-
hoben. Woblbefindeo. 10. April Entlassnng.
n. Fall 6b. PatientJD wird wieder aargenom-
men am 14. Hai N. Dieselbe befindet aich anschei-
nend gana wohl , obgleich weicher tind hinterer Theil
des hart«n ' Gaomens , sowie Bachen gerSthet und
Geiieht, Rnmpf und Extremisten mit einem klein-
Beckigen Eianthem fiberiagen sind, dessen einielne
blauTothe Emptianen fast dnrcbgängig isolirt 8t«hen nnd nur im Oe-
■icht, beaondeis am Mund und Nase , zu einer mehr gleichmB^sigen ROthung
Anlan geben. Temp. 37,5 Am 15, Jnni früh hat sich der Ausschlag, nach-
dem er im Geeicht schon ondeutUcher geworden, anch aber den ganien
KSrper aasgebreitet nnd ^gt am Nachmittag auch am Rumpfe an ab-
rablaesen. Daneben besteht leichter Bindebautkatarrh und Eustenreis.
Temp. DonnaL Appetit nnd Allgemeinbefinden gut. Am 16. Mai ist nnr
SD den nnteren EztremitStcn ein Rest des Ausschlages sichtbar, am
n. Hai aber ist gar nicbta mehr davon m sehen. 16. Mai Entlassung.
H. Fall 7a. Martha Bunte), 6 Jahre alt, aufgenommen den
H. April, ist ein kräftigee, gut genährtes Kind. Im Qesioht, das selbst
etwH gerOthet erscheint, und zwar besonders am Einu und Wangen,
iioliit stehende, dnnkelroth gefärbte, rundliche Fleckchen Ton verschie-
deaeiGrCase. Ilachen und weicher Gaumen gleichmUssig gerOthet. Binde-
hactkatarrh. 26. April Exanthem auch auf Hals nnd RQcken an-
gedeutet. Lippen nnd Zunge trocken, dazu, letztere belegt. Hustenreis,
itaike Diarrhoe. In der Nacht rom 36. zum 86. April grosse Unruhe,
leichte Delirien. Am S6. April ist das Exanthem über Rumpf uad obere
Extremitäten ausgebreitet. Mehrmals Erbrechen, Diarrhoe geringer.
Am !7. April steht der Ausschlag , dessen einzelne EfBoresceozen noch
tagsvorher isolirt waren, jetst aber nnregelmässig geformt sind und be-
■onders am Rumpf con&niren, in voller BlQlhe. Am 33. April im Ge-
sicht neben den Resten des verschwindenden Ausschlages geringe
Schnppung. Katarrh gebessert. Am 39. April
ist der Ausschlag fast ganz erblasst. Wohl- II. Fall 7 a.
befinden. Am 1. Mai starke kleienfOrmige April 1S93
Abtchappong am ganzen KOrper, b. Mai
EnUaesnng.
II. Fall 7b. PatientiD, welche sich in
der Zwischenzeit vollkommen wohl befand,
erkrankt am 14. Mai wieder mit einem Ans-
scblag nnd wird deshalb noch am selben
Mittag dem Hospital abergeben. Der AIl-
Kemeinxustand ist fcaam gestOrt. Leichte
Conjunotivitia und Angina. Im Qeaichtf, am
^se und an den obersten Partien der Brost
ist ein kleinfleckigee blasses Exanthem sicht-
liar, dos aich am folgenden Tage unter Steigerung der katarrhalischen
Encbeioongen nnd der aonst normalen Temperatnr bis eu 38,4* Aber
62
Dr. Claas:
tivitis, RhiniÜB and Bronchitis. Am 22. Mai ist das Exanthem über
den ganten Körper ausgebreitet, die katarrhalischen. Affectionen sind
st&rker geworden. Am 23. Mai beginnt mit der Besserung des Ka-
tarrhes das Abblassen des Exanthems, aber erst am 26. Mai ist es
ganz verschwunden. Abschuppung wird nicht beobachtet. 29. Mai
Entlassung.
IL Fall IIa. Kurt Henke, 3 Jahre alt, aufgenommen den 6. Mai,
ist ein grosser kräftiger Knabe.
II. Fall IIa.
Mai 1893.
Im Gesicht desselben bemerkt man
ein kleinfleckiges, nur auf Stirn
und Wangen mehrfach zusammen-
fliessendes Exanthem von lebhaf-
ter Färbung. Dasselbe ist am
Rumpf durch zerstreute, ganzblass
aussehende, kleine runde Flecke
nur angedeutet. Starke Lichtscheu,
beträchtliche katarrhalische An-
gina, geringe Bronchitis. Am 7. Mai
ist der Ausschlag am Rumpf und
an den Armen deutlicher^ während
die Beine noch frei sind. Am
8. Mai ist das Exanthem am Ge-
sicht schon etwas abgeblasst, auch
am Rumpf hat die lebhafte rothe
Färbung einem helleren Bräunlich-
roth Platz gemacht, doch stehen
die einzelnen, ca. linsengrossen , meist runden Flecke viel dichter und
confluiren auf den oberen Partien der Brnst, auf dem Röcken und den
abhängigen Theilen des Bauches. Die katarrhalischen Erscheinungen
bestehen unvermindert fort. Am 9. Mai breitet sich das Exanthem
auch über die bis dahin frei gebliebenen unteren ExtremiUlten aus.
Am 10. Mai nehmen die katarrhalischen Erscheinungen zu, ohne dass
ein Symptom auf ein hervorragend betheiligtes Organ hinweist, und
gleichzeitig tritt am Nachmittag der schon erblasste Ausschlag im Ge-
sicht und auf der Brust wieder deutlicher hervor. In den nächsten zwei
Tagen verschwindet das Exanthem wieder vollständig, auch der Ka-
tarrh geht zurück, und am 16. Mai kann die Entlassung des Pat. er-
folgen.
II. Fall IIb. Aber schon 14 Tage später, am 19. Mai, wird Pat.
wieder ins Hospital gebracht und es findet sich bei der Aufnahme
neben einer Temp. von 39^, leichtem Schnupfen, geringer Lichtschea
und massiger Angina ein über Hals nnd Brust, besonders aber ^t^r
Rücken und Beugeseiten der Arme und Beine ausgebreitetes, aus kleinen
und kleinsten rundlichen, isolirt und mehr oder weniger dicht ste-
henden, blassrothen Fleckchen sich zusammensetzendes Exanthem, das
bereits am 30. Mai unter Sinken der -Temp. zur Norm und unter Nach-
lassen der geringen, durch den Katarrh bedingten Beschwerden zu er-
blassen beginnt und am 1. Juni nicht mehr sichtbar ist. Entlassung
am 2. Juni.
IL Fall 12 a. Hannchen Henke, 2 Jahre alt, aufgenommen den
6. Mai, ist ein mittelkräftiges Kind, das neben geringer Fieberatei-
gerung (38,2), Conjunctivitis, Angina catarrhalis und leichtem Husten-
reiz im Gesicht und auf der Brust ein deutliches, aus punktförmigen
oder etwas grösseren isolirten rothen Flecken bestehendes Exanthem
aufweist. Das letztere breitet sich am nächsten Tage unter einer Tem-
peratnr von 38,0 auch über den übrigen Körper ans, beginnt am 8. Mai
im Gesicht abzublassen und ist am 9. Mai nicht mehr zu sehen, i^h-
Eine Huern- nnd RCthebepideinie. 63
itoi der Rachen noch getOthet iat. Am 12. Hai ist auch die Angina
(«rgebinuden und Pkt wird am 12. Mai geheilt entlasBen.
II, Fall ISb. Aber schon am 83. Mai wird daaoelbe Kind wieder
dem Hotpital flbergeben, nachdem et bereite am Abend Torhei mit
einem an der Brnst tnerst eracheinendec Auaschlag erkrankt war. Bei'
der am S2. Hai frQh erfolgten Anftiabme zeigt das Exanthem, im ge-
daBieoen Gesicht am mnden Effloreacenzen bestehend, am Kampf
und an den oberen Extremitäten mehr gezackte, anregetmSaüg ge-
tormte und theilweiee Eneammen&ieBaende Flecken , wird Abends noch
deaUidier und lebhafter gefärbt nnd greift auch anf die anteren Es-
tremitUen Ober. Besondera auffällig aber ist die starke Ujperfimie' des
Oanmen* und Bacheoa und die beden-
leode BOthong nnd nicht nnbeträcbt- [f, i^^H 12b.
liihs Sehwelloug der Handeln, ■owie w ■ -.„,
die mit einem iwar tonlosen, aber doch
necb nicht ausgesprochenen cronpSsen
Balten einbergebende Heiserkeit. Die
am Tage beobachtete Unruhe macht
Abends einer gewissen Somnoleni Ptati.
Am 28. Hai fiQh ist das Exanthem
im Gesicht etwaa undeutlicher , am
Sbiigeo KOrper im selben Zuatande wie
tagiTOrher. Der Befimd im Rochen, in
dem lieh nirgends ein Belag sehen
lirat, ist onverilndert; aber die vorher
beslebeade, in Heiserkeit sich documen-
tiiende Kehlkopfaffection hat jetzt zu einer sich rasch TerschUmmem-
deo Slenose geführt, welche wegen mehrmals sich wiederholender Stiok-
uifStle bereits Hittag 1 Uhr die Tracheotomie nOthig macht. Wäh-
rend der nächsten Tage bleibt das Fieber mit geringen Romissionen
hoch nnd es erfolgt mit innebmender Schwäche des immer sehr be-
Kbleanigten Pnlses der Tod am 27. Hai, ohne dasa absteigender Croup
oder Sepsis «ingetreten war.
Gilt es jetzig die letzterTr ahnten Fälle (Fall II, 1—12) zu
Bichten und die Art der Erbranknag festzustellen, so kann es
meiner Ansicht nach keinem Zweifel unterliegen, dasg es sich
hier um zwei verschiedene Frocease, um zwei ael batständige
nnd eigenartige Erankheitsformen handelt. Deuten darauf
schon die als leichte und schwere Formen beschriebenen Fälle,
so sprechen doch noch vielmehr dafür die ganze Reihe der
dtirten Doppelerkrankungen. Aber auch diese könnten ja für
manchm Skeptiker noch nicht überzeugend sein, sofern immer
erst eine schwere und dann eine leichte Erkrankung — viel-
leicht Masern nnd Masemrecidiv — dasselbe Eind befallen hätte.
Da aber ebenso die umgekehrte Reihenfolge beobachtet wurde,
da man sehen konnte, wie erst ein Eind an einem äOchtigen
mit leichten katarrhalischen Begleiterscheinungen und geringem
Fieber ein hergehen den Exanthem erkrankte, um nach kurzer
Zeit einen neuen Ausschlag mit einem für Masern als typisch
beschrietwnen Verlaufe durchzumachen, so musste sich auch
dem vollständig neutralen Beschaner die Ueberzeugung auf-
G4 Dr. Claus:
dräugen, dass hier neben einander Masern und die viel-
nmstrittenen Böthein das Feld behaupteten. Eine Ver-
wechselung der letzteren mit Scharlach^ die bei Beurtheilung
des Exanthems an sich einige Male vielleicht hätte vorkommen
können^ war deshalb nicht möglich, da bei allen Kranken
das Gesicht mit ergriffen und meist zuerst, oft sogar nicht
unbeträchlich befallen war, da ferner katarrhalische Affec-
tionen der Luftwege, mochten sie auch noch so geringen
Grades sein, nie ganz fehlten und endlich eine für Scarlatina
charakteristische Angina und Abscbuppung nie beobachtet
wurde.
Stand somit die Diagnose Rubeolen fest, so hatten wir
an den hier angeführten und an den übrigen während der
Epidemie beobachteten Fällen genügende Gelegenheit, über
das Wesen dieser Krankheit Erfahrungen zu sammeln, deren
Resultat ich in Kürze berichten möchte:
1. Die Röthein, die als eine selbständige neben Masern
und Scharlach vorkommende Krankheit angesehen werden
mussten, zeigten nicht die grosse Contagiosität der Morbillen,
auch wurde eine zweitmalige Rubeolenerkrankubg nicht beob-
achtet.
2. Die Incubationszeit liess sich in unseren Fällen nie
mit absoluter Genauigkeit berechnen, doch schien sie zwischen
2—3 Wochen zu schwanken.
3. Der Verlauf war ein ausnahmslos leichter. Das be-
fallene Kind erkrankte fast immer ohne jedes kurze vorher-
gegangene Unwohlsein mit einem plötzlich einsetzenden und
zwar meist sofort seine höchste Steigerung, aber selten einen
sehr hohen Grad erreichenden Fieberanfall. Gleichzeitig wurde
im Gesicht (besonders Stirn, Wangen, Kinn) sowie am Hals
(hier bisweilen undeutlicher) das Exanthem sichtbar. Während
nun die Temperatur meist in einem halben oder ganzen Tage,
seltner in 30 — 48 Stunden zur Norm sank, überzog der Aus-
schlag den übrigen Körper. Derselbe war aber selten ganz
und in gleicher Weise befallen ; denn meist war das Exantnem
im Gesicht schon verschwunden oder im Abblassen begriffen,
wenn es die unteren Extremitäten einnahm.
4. Gewöhnlich liess sich mit dem Beginne der Krankheit
auch schon eine Angina nachweisen, und zwar waren fast
immer zuerst der weiche Gaumen und die Tonsillen geröthet,
und erst dann nahm auch die Schleimhaut des harten Gaumens
an dieser Röthung theil. Diese selbst wurde bedingt durch
bald mehr bald weniger dichte unregelmässige erweiterte
Schleimhautgefässchen, seltener durch als Exanthem anzu-
sehende punktförmige Fleckchen und Spriesseln. Diese
Eine Masern- und Rötheinepidemie. 65
Rothong nahm nun fast immer von Torn nach hinten an
Intensität zu, um an der hinteren Randzone des weichen
Gaumens zu einer mehr gleichmässigen Röthung Anlass zu
geben. Dieser Katarrh der Rachenorgane hielt sich meist in
sehr engen Grenzen, so dass eine Angina lacunaris nie zur
Beobachtung kam. In der Art der Angina selbst etwas für
die Röthein Charakteristisches zu finden, haben wir uns yiel,
aber vergeblich bemüht, auch konnten wir in den von manchen
Autoren für Röthein als typisch beschriebenen Lymphdrüsen-
schwellungen kein sicheres Symptom sehen, da sie hier ebenso
gut Yermisst wie bei Masern nachgewiesen werden konnten.
5. Leichte Conjunctivitis war häufig, nie aber fehlten
die katarrhalischen Affectionen der Luftwege, mochten die-
selben auch nur unbeträchlich sein und sich durch einen
massigen Schnupfen, geringe Heiserkeit, oder durch einen,
ohne objectiv nachweisbare Ursache bestehenden Hustenreiz
auszeichnen.
6. Die Zunge war fast in jedem Falle am ersten Tage
trocken und stark belegt, der Belag selbst in fast charakte-
ristischer Weise von wenigen stark gerötheten Papillen über-
ragt. Mit dem Nachlassen des Fiebers und mit dem Er-
blassen des Exanthems wich auch allmählich meist von den
Bandern aus der Belag der immer mehr sichtbar werdenden
feuchten Zungenschleimhaut. Eine stärkere Affection des Ver-
dauungstractus aber oder eine Nierenerkrankung kam nicht
vor, auch wurden Complicationen und Anomalien wie Urticaria,
Hämorrhagie etc. und vor Allem auch Nachkrankheiten nicht
beobachtet, alles Zeichen für die leichte Natur der Erkrankung.
•
7. Das Exanthem selbst zeichnete sich, mochte auch ein
gewisser kleinfieckiger Typus vorherrschen, durch seine Ver-
schiedenheit aus. Die einzelnen in einem gewissen Abstände
von einander stehenden meist blassrosa geförbten Ef&ores-
cenzen waren gewöhnlich hirsekorn- bis linsengross. Es
kamen aber auch Fälle zur Beobachtung, in denen die einzelnen
Fleckchen kaum Stecknadelkopfgrösse überstiegen oder sich
durch ihre Grösse und unregelmässig zackige Gestalt aus-
zeichneten. Gesellte sich nun hierzu noch eine gewisse Nei-
gung zur Confluenz und eine von dem gewöhnlichen blassen
Roth abweichende mehr intensive oder dunklere Färbung, so
kam die schon bestehende Aehnlichkeit mit einem Scharlach-
oder Masemausschlag noch mehr zur Geltung.
Steht somit fest, dass ein für alle Rötheinerkrankungen
gleiches und charakteristisches Bild des Exanthems nicht
existurt und dass das proteusähnliche Auftreten der
JahrlMioh t Kinderh^üknnde. N. F. XXXVIII. ^
IV.
Bie centrale Innerration der Saog^bewegniigen.
Von
Dr. Karl Basch in Prag.
Unter den coordinirten Bewegungen des Neugeborenen
ist wohl keine so vollkommen wie die des Saugens. Be-
trachten wir den Mechanismus desselben, sowie das zu diesem
Zwecke so genau ineinander greifende Spiel der verschieden-
fachen Muskel gruppen, so drängt sich uns die Anschauung auf^
dass diese complicirte motorische Leistung von einem beson-
deren nervösen Apparate aus geleitet wird^ und es ergiebt
sich hieraus weiter das Problem^ an welcher Stelle des Nerven-
systems dieses Centrum zu verzeichnen wäre.
Bis in die jüngere Zeit war dem Mechanismus des Sau-
gens von Seiten der Physiologen nur wenig Beachtung ge-
schenkt worden. Nachdem sich durch Jahrhunderte die Vor-
stellung erhalten hatte, dass die Wangen infolge einer activen
Function des Buccinator besondere Saugorgane seien, war mau
seit der Zeit Haller's^), welcher eine derartige Thätigkeit
dieses Muskels widerlegte, wohl darüber einig, dass das physi-
kalische Princip beim Saugacte in einer Verdünnung der
Mundhöhlenluft und der Gegenwirkung des äusseren Druckes
bestehen müsse, bezüglich der Form Veränderung und der
Muskelaction aber, durch welche diese Luftverdünnung in der
Mundhöhle hergestellt werden sollte, sind im Laufe der Zeit
verschiedene Anschauungen hervorgetreten.
Eine Reihe von Autoren, denen Burdach*), Funke ^)
angehören, begnügte sich damit, die Saugbewegung einfach
als eine modificirte Form der Inspiration aufzufassen.
1) F. Haller, Elementa pbysiologiae t. IV, p. 37. Git. n. Auerbacb.
2) Burdach, Die Physiologie als ErfahrnngswiBseDSchaft. Leipzig
1840.
S) Funke, Lehrbach der Physiologie.
E. Basch: Die centrale Innervation der Saugbewegnngen. 69
Eine andere Reihe yon Autoren, wie Meissner^), Ali-
son*), Herz^)y Allix^) yerglicli wiederum beim Saugacte die
Wandungen der Mundhöhle mit dem Stiefel einer Saugpumpe,
während die Zunge den Dienst eines Saugkolbens versehen
sollte.
Auch in der Theorie des Saugens, welche Donders^)
im Jahre 1875 entwickelte, bildet die active Rückwärtsbewegung
der Zunge noch einen hervorragenden Bestandtheil. Donders
geht bei der Entwicklung seiner Theorie von der Beobach-
tung aus, dass bei geschlossenem Mund die obere Fläche der
Zunge dem harten Gaumen dicht anliegt, während das Gaumen-
segel dem Zungengrunde angeschmiegt sei. Es bliebe dann
nur zwischen dem hintern Theil der Zunge und dem wei-
chen Gaumen ein Spaltraum frei — der hintere Saugraum
Donders' — , dessen Erweiterung, durch eine Rückwärts-
bewegung der Zunge vermittelt, beim Saugacte das wirk-
same Moment darstellen sollte. Donders unterscheidet noch
noch einen zweiten Saugraum zwischen der Unterfläche der
Zunge und dem Boden der Mundhöhle, den sog. vorderen
Saugraum, der beim Saugact in gleichem Sinne aspirirend
wie der vorige wirken soll.
In der Folge wies aber Biedert^) für den Erwaclisenen,
Vierordt^) für das kindliche Alter darauf hin, dass die zum
Saugen nothwendige Luftverdünnung in der Mundhöhle nicht
durch eine Action der Zunge, sondern ausscliliesslicli durch
die Abwärtsbewegung des Unterkiefers herbeigeführt werde,
wodurch die Mundhöhle in ihrem senkrechten vDurchmesser
ausgiebig vergrössert wird, während ihr wagrecMer Durch-
messer durch Einsenken der Wangen etwas abnimmt.
Nach der Darstellung Vier ordt's), welche sodann in der
pädiatrischen Literatur am meisten Ausbreitung gewann, um-
fassen die Lippen des Säuglings mittelst der Thatigkeit ihres
Ringmuskels den Grund der Brustwarze; die Zunge bildet
eine nach oben ausgehöhlte Rinne zum Ablaufen der Müch,
während die nöthige Luftverdünnung allein durch Abwarts-
senken des Unterkiefers hergestellt wird. Auf jedes aspi-
ratorische Abwartssenken desselben erfolgt alsbald eine Schling-
bewegung, bei welcher das Gaumensegel erhoben und das
Athmen unterbrochen wird.
1) Meissner, Lehrbuch der Kinderkrankheiten 1838.
2) Alison, Outlines of human phyBiologie 1839.
8) Hers, Das Sangen der Kinder. Jahrbncb 1 Kinderhlkde. 1865.
4) Allix, Etüde sur la physiologie. Paris 1867.
5) Donders, üeber den MechaniBmua des Sangens. füüger a Archiv
f. Phjsiolojfie Bd. X. . .__^
6) P. Biedert, Arch. f. kliniBcho Medicin. >®J,®- , ,., _. ^
7) Vierordt, Physiologie des KindeealterB in Gerhardt b Handbxxcl^
70 K. Basch:
Erst Auerbach^) hat im Jabre 1888 darch seine gand-
legende Arbeit: „Zur Mechanik des Saugens und der Inspi-
ration^' den Mechanismus des Saugens , vorwiegend beim Er-
wachsenen klargestellt; indem er Yorerst die beiden Haupt-
arten des Sangens, die bisher vielfach miteinander vermengt
wurden y charakterisirte, und eine Methode angab, welche es
ermöglicht, die Vorgänge in der Mundhohle direct zxx in-
spiciren. Die beiden Hauptarten des Saugens sind: Das in-
spiratorische Saugen und das sogenannte Mund- oder Zungen-
saugen.
Das inspiratorische Saugen, welchem Burdach und Funke
das kindliche Saugen zuzählten, ist eine erworbene Fähigkeit
und wird nur vom Erwachsenen, z. B. beim Ansaugen einer
Pipette, eines Stechhebers geübt Es geht bei offener Com-
munication der Mundhohlenlufb mit der Lufb der Bronchien
vor sich, indem durch eine vertiefte Inspiration, durch eine
Erweiterung des Brustraumes, die Luft in der Mundhohle
verdünnt und so die Flüssigkeit angesaugt wird;
Beim Trinken und Rauchen des Erwachsenen, beim Saugen
des Kindes kommt ausschliesslich das sog. Mund- oder Zungen-
saugen in Betracht. Bei diesem wird unabhängig von der
Einathmung in der nach rückwärts abgeschlossenen Mund-
höhle die Luftverdünnung erzeugt durch eine Erweiterung
ihres Innenraums und diese wiederum bewerkstelligt durch
das Zusammenspiel eines combinirten Muskelapparates, der
sich zusammensetzt: aus der Muskulatur der Lippen, der Zunge
und der gesammten Muskulatur, welche sich von der Zunge
bis zum Brust- und Schlüsselbein heraberstreckt. Die Zunge
wird beim Saugen des Erwachsenen nicht zurückgezogen, wie
man es sich oft vorgestellt, es bleibt vielmehr die Spitze
derselben ruhig an den Schneidezähnen liegen, während die
Zunge als Ganzes eine Herabziehung und Abplattung erfährt,
sodass ein Theil des Zungenfleisches formlich aus dem Be-
reiche der Mundhohle, nach Abwärts, heraustritt, und des-
halb kann der sog. vordere, richtiger untere Saugraum Don-
ders' beim Saugacte überhaupt nicht in Betracht kommen.
Der auffalligste Unterschied zwischen der Saugbewegung
des Erwachsenen und der des Kindes besteht darin, dass das
Kind beim Saugen den Unterkiefer stetig mitbewegt. Der Er-
wachsene bedient sich nur ausnahmsweise der Mitbewegung
des Unterkiefers, wenn mit einem Zuge möglichst viel in den
Mund gezogen werden soll, sonst ist er im Stande, an jeder
Stelle des Mundes, z. B. einer Zahnlücke, zu saugen. Das Plus
1) L. Aaerbaoh, Zur Mechanik des Saugena und der Inspiration.
Da Bois' Archiv f. Physiologie 188S.
Die centrale Innervation der Sangbewegungen. 71
der durch Mitbenutzung des Unterkiefers erzielten Leistung
bestimmte Auerbach auf % der Gesammtleistung.
Gleichgiltig aber, ob bei bewegtem oder bei festgestell-
tem Unterkiefer gesaugt wird, immer entsteht der wahre Ort
des Saugraums im vorderen Teil der Mundhohle, zwischen
Zangenoberfläche und hartem Gaumen, nicht, wie D o n d e r s es
annahm ; zwischen dem hintern Theil der Zunge und dem
weichen Gaumen. Die Binnenbildung der Zunge, welche
Vierordt beim kindlichen Saugen beschreibt, hält Auer-
bach für eine Erscheinung von ganz passiver Natur, in-
dto beim angestrengten, vergeblichen Saugen alle weichen,
beweglichen Organe soweit wie möglich in den Saugraum
hineingedrängt werden.
Angesichts der Controverse der Zungenbewegung beim
^ugling unternahm ich es, den Mechanismus des Saugens
bei demselben vergleichsweise mit dem des Erwachsenen zu
prüfen. Es hat nämlich Escherich^) in Anknüpfung an
einen Bericht über die Auerbach'sche Arbeit von Neuem be-
tont, dass das kindliche Saugen abweichend von dem des
Erwachsenen nur durch die Eaumuskulatur bewirkt werde, und
dass hiernach die Mitwirkung der Zungenmuskulatur für den
Effect des Saugens von untergeordneter Bedeutung sei.
Ich bediente mich zur Prüfung des kindlichen Saug-
mechanismus des gleichen Mittels, welches Auerbach für
den Erwachsenen empfahl, indem ich aus einem grösseren
Ohrentrichter, der nach vorn mit einer Glasplatte verschlossen
war, einen Saugspiegel improvisirte, dem ich durch Armirung
mit einem Kautschukschlauch die beiläufige Dicke einer Brust-
warze gab. Zwischen Trichter und Kautschukrohr brachte
ich ein dünnes Metallröhrchen, das zu einem kleinen Ballon
führte, um während des Saugens auch Flüssigkeit eintreten zu
lassen. Durch Vor- und Zurückschieben dieses kleinen Appa-
rats konnten verschiedene Partien der Mundhöhle eingestellt
werden, die mittelst eines Reflectors beleuchtet wurden.
Es gelang nun, besonders bei engerem Trichter, den-
selben behutsam zwischen die normaler Weise etwas von ein-
ander abstehenden Kiefer des Kindes einzuführen, ohne vorläufig
Saugbewegung zu veranlassen. Dabei konnte man unter-
scheiden, dass in der Ruhelage die vordere Hälfte der Zunge
mit ihrer stark convexen Oberfläche etwa im Niveau des
Unterkiefers steht, während die hintere Hälfte derselben
dem harten Gaumen dicht anlag. Löste man jetzt durch
eine kräftigere Berührung der Zunge mit dem Saugspiegel
1) Edcherich, üeber die Saugbewegung beim Neugeborenen. Ver-
hAodlungen der GesellBchaft f. Morphologie u. Physiologie. München 1888.
74 K. BASch:
als reine Reflexerscheinung macht Frey er vorwiegend gel-
tend, das8 nur der hungrige oder nicht völlig gesättigte
Säugling anhaltend saugt , während der satte die Brustwarze
gewaltsam ausstosst. Dieses Verhalten entspricht aber nur
der Erscheinung y dass der Saugreflex im. Hungerzustande
schon auf minimale Reize prompt und lebhaft eintritty wäh-
rend die Auslosung desselben beim Gesättigten stärkerer Reize
bedarf. Es kommt dem Hungergefühle und der Sättigung
als den elementarsten Gemeingefühlen, welche schon in der
ersten Lebenszeit vorhanden sind, das eine Mal ein bah-
nender (beschleunigender), das andere Mal ein hemmender
Einfluss zu, sowie wir auch bei den übrigen Reflexmecha-
nismen in den subcorticalen Gentren und in der Hirnrinde
solche die Reflexbewegung beeinflussende Stätten anzunehmen
genothigt sind. Der Auffassung der Saugbewegung als Instinct-
beweguug stehen die Versuche am enthirnteu Thiere unver-
mittelt gegenüber.
Der streng harmonische Charakter der Bewegung beim
Saugen lässt einen präformirten bilateralen Nervenmechanis-
mus voraussetzen, welcher derselben vorsteht und dessen Sitz
von vornherein in der Medulla oblongata vermuthet werden
kann, da die bei der Saugbewegung zur Thätigkeit gelan-
genden Nerven dort ihren Ursprung nehmen und die Medulla
oblong, vermöge ihrer zahlreichen Quercommissul^n ganz be-
sonders im Stande ist, eine grosse Reihe von Muskeln auf
beiden Seiten des Körpers gleichmässig und gleichzeitig zu
innerviren.
Betrachten wir, um einen weiteren Gesichtspunkt für die
Localisation dieses Apparats innerhalb des Centralorgans zu
gewinnen, jene Nerven, welche beim Saugen, sofern wir von
der Schlingbewegung gänzlich absehen, zur Action gelangen,
so sind dies: der motorische Ast des N. trigeminus, der N.
facialis und der N. hypoglossus. Als Empfindnngsnerv kommt
der sensible Ast des Trigeminus hinzu..
Auf dem Gebiete der bei der Saugbewegung zur Thätig-
keit gelangenden Muskeln innervirt der motorische Ast des
Trigeminus hauptsächlich die Kaumösknlatur, dann noch den
M. mylohyoideus, den vorderen Antheil des Biventer und den
Tensor palati. Der N. facialis versorgt die Muskulatur der
Lippen, den hinteren Antheil des Digastricus und den Stylo-
hyoideus, der N. hypoglossus steht den Bewegungen der Zunge
vor und innervirt im Verein mit den in die Ansa hypoglossi
eintretenden Cervicalnerven die Muskulatur zwischen Zungen-
bein und Kehlkopf bis hinab zum Schlüsselbein.
Orientiren wir uns über den Ursprung dieser Nerven
und ihr Verhalten innerhalb der Medulla oblongata, so be-
Die centrale Innervation der Sangbewegongen.
75
steht der Trigeminns ans einer hinteren sensiblen nnd einer
vorderen motorischen Wurzel, deren Kern (Vm) am äusseren
Winkel des 4. Ventrikels liegt und bis zum Eingang des
Aquaeductus Sylyii zu yerfolgen ist. Die sensible Wurzel
bietet 3 Abtheilangen dar. Die obere cerebrale Abtheilung (Yi )
erstreckt sich bis ins vordere Vierhügelpaar; der Kern der
mittleren Abtheilong (Vii) liegt im Pons an der Theilungs-
stelle des Trigeminns und die untere spinale Abtheilung (Vm)
steigt durch die Brücke und das verlängerte Mark bis zur
Hohe des 2. Cervicalnerven herab und geht fast mit allen
Nerven des Sinus quartus Verbindungen ein, wodurch der
Trigeminns als ein Reflexnerv ersten Ranges erscheint. Die
Kerne des N. facialis und hypoglossus liegen beide dicht
neben der Raphe der Rautengrube^ der Hypoglossus mehr in
ihrer hinteren Spitze.
So lehrt schon eine Betrachtung der Topographie der
hier in BerQcksicbtigung kommenden Nerven, wie sie das bei-
gegebene Schema (nach
Zcwftion .
Tniffe
lofspl
fh.
V(tg
US.
nvj^9M:
T,
Erb) veranschaulicht,
dass dieselben zu ein-
ander in naher Be-
ziehung stehen und
recht wohl geeignet
sind, ein in sich ge-
schlossenes System zu
formiren, das den Saug-
bewegungen vorsteht.
Die fonctionelle Zu-
sammengehörigkeit die-
ser Nervengruppe und
ihre Geschlossenheit in
Bezog auf den Saug-
act geht aus Versuchen
hervor, welche über den
Weg der zuleitenden Er-
regung belehren sollten
und welche weiter zeig-
ten, dass dieser Nervenmechanismus bereits soweit consolidirt
ist, dass auch bei Ausschaltung des einen oder anderen peri-
pheren motorischen Antheils die rhythmische Thätigkeit un-
beirrt weiter geht und das Oesammtbild der centro motorischen
Bewegung nicht wesentlich verändert ist.
Ebenso wie beim Kinde durch Einführen des Fingers in
den Mund Saugbewegung ausgelöst werden kann, gelingt dies
beim neugeborenien Thiere, oder vielmehr noch sicherer. Bei
jungen Kaninchen kann durch eine umschriebene, punktför-
76 K. Basch:
mige Berührung jeder Stelle der Mandschleimhaat im Yor-
deren Äntheil der Mundhohle Saugbewegung ausgelöst werden,
während yorsichtige Berührung der Lippen allein nur Be-
wegung in diesen, aber keine Yollkommene Saugbewegung rer-
anlassi
Am raschesten und kräftigsten stellt sich der Sangreflex
ein auf Berührung der Zangenoberfläche, hiernach auf Be-
rührung der Schleimhaut des harten Gaumens, und relativ
am spätesten erscheint er bei gleicher Reizstärke auf Berüh-
rung der übrigen Mundhöhlenschleimhaut. Es erfolgt auf eine
einzelne Reizung meist eine Reihe Ton 4, 5, oft noch mehr
Saugbewegungen, deren sichtbares Zeichen im Auf- und Ab-
gehen des Unterkiefers und jener Bewegung der Zunge besteht^
die an früherer Stelle beschrieben wurde. Es wäre möglich,
dass der zunächst ausgelöste Saugreflex für die noch fol-
genden Saugbewegungen dadurch eine Reizerneuerung darstellt,
dass bei der Lageveränderung der Zunge und der damit yer-
bundenen Berührung anderer Stellen der Mundschleimhaut dem
Reflexapparat des Saugens neue Tasteindrücke zugeführt werden,
die als weiterer Reiz wirken und so den Eindruck einer auto-
matischen Bewegung entstehen lassen.
Ich suchte mich zunächst darüber zu informiren, ob der
Trigeminus die zuleitende Bahn zum Reflexapparat des Saugens
darstellt, und bediente mich zu diesem Zwecke der Ausschaltung
dieses Nerven. Da es experimentell nicht möglich ist, den
sensiblen Ast des Trigeminus allein zu zerstören, ohne die
motorische Wurzel mit zu verletzen, so half ich mir in der
Art, dass ich diesen Nerven durch Gocainisirung der Mund-
höhle zeitweise unempfindlich machte und dann das Verhalten
des Saugreflexes prüfte.
Man könnte aber noch daran denken, dass beim Saugen
ausser vom sensiblen Aste des Trigeminus, der den Tastreiz
der Zunge und Mundhöhlenschleimhaut vermittelt, vielleicht
von anderen Sinnesorganen herzuleitende Bahnen bestehen,
welche die Erregung auf die gleiche Gruppe motorischer Nerven
übertragen, oder es wäre möglich, dass erst durch eine Ver-
knüpfung mehrerer Sinnesgebiete, durch die Mitthätigkeit der-
selben als Hilfsorgane die Saugbewegung zu Stande käme.
Es würde in dieser Richtung insbesondere zu berück-
sichtigen sein: der Geruch und der Geschmack, während das
Gesicht hier nicht besonders in Frage kommt, weil blinde
Thiere ja ebenso kräftig saugen als sehende.
Ich glaube aber nach den einschlägigen Thierversuchen
sagen zu können, dass der sensible Ast des Trigeminus aus-
schliesslich den Reiz zum Reflexapparate des Saugens zuträgt
und dass der Saugreflex auch nicht in irgend welcher Ab-
Die centrale Innervation der Sangbewegnngen. 77
häogigkeit von diesen Sinnesorganen zu stehen scheint So
gedieh ein Kaninchen, dem in der ersten Lebenswoche der
Bulbus olfactor. zerstört worden war, in gleicher, zufällig so-
gar noch besererer Weise als die übrigen Thiere des gleichen
Wurfs, und bei einem zweiten Thiere, dem ebenfalls zu einer
Zeit, wo es noch nicht sehen konnte, neben dem Olfactorius
aach beide N. glossopharyngei durchschnitten worden waren,
war der Saugreflex auf jegliche Berührung der Zunge mit der
gleichen Intensität auslösbar wie bei den unoperirten Thieren,
nnd er blieb erst weg, wenn ebenso wie bei den letzteren
der sensible Ast des Trigeminus durch Coca'inisirung der
Mundhöhle leitungsunßihig gemacht wurde.
Bei der Cocainisirung der Zunge und der Mundhöhlen-
schleimhaut (2 — 3 maliger Auspinselung mit 3 — 5 %iger Lösung)
erlosch der Saugreflex bei jeder Yersuchsanordnung für kurze
Zeit und zwar anscheinend am spätesten über der Zungen-
spitze, und wurde dort am raschesten wieder wach im Ver-
gleiche mit den übrigen Stellen der Mundschleimhaut. Von
der Menge des aufgewendeten Cocains und der durch das-
selbe bewirkten Anästhesie der Mundschleimhaut hiiig auch
die Dauer des Wegfalls des Saugreflexes ab. Als ich bei
einem Thiere durch fortgesetzte Einpinselung, im Ganzen
waren etwa 0,01 g Cocain verbraucht worden, für längere
Zeit Stillstand des Saugreflexes herbeigeführt hatte, ging dieser
Zustand unter allgemeinen tonischen Krämpfen jäh in das
Stadium der Intoxication über, in welchem dann bei leisester
Berührung der Mundschleimhaut stürmische Bewegungen in
der Zunge auftraten.^)
Ich habe mich bemüht, ausser der Feststellung der zu-
leitenden Bahn im Reflexbogen des Saugens zu erheben, ob
etwa durch Ausschaltung eines oder mehrerer motorischer
Antheile der Rhythmus der übrigen noch innervirten Bewe-'
guogen irgendwie gestört würde. Da sich die motorische
Action. der Saugbewegungen aus der Wirkung des Facialis,
Hjpoglossus und motorischen Astes des Trigeminus zusammen-
setzt, ordnete ich meine Versuche so an, dass ich je einen
oder mehere dieser Nerven (die Ausschaltung des Trigeminus
ersetzte ich durch Ausschneiden von ihm versorgter Muskeln:
Masseter, Digastricus) ein - oder beiderseitig resecirte ; so
lange aber der sensible Ast des Trigeminus erhalten blieb,
trat auf Reizung desselben stets dieselbe Reaction ein, es er-
folgte beim Saugen, abgesehen von dem durch die Resection
1) Später überzeugte ich mich an juDgen saugenden Meerschwein-
chen, dass von denselben bei gleichem Effect aar den Stillstand des
Sangreflexes^ ohne Schaden viel grossere Gaben von Cocain vertragen
werden als von jungen Kaninchen.
80 K. Basch:
Innerhalb dieses Systems wären die Leitongswege der-
artig zu denken, dass der sensible Ast des Trigeminns einer-
seits durch seine obere und mittlere Abtheilung die Anregung
zur Bewegung auf die mit ihm organisch verbundene moto-
rische Trigeminuswurzel übermittelt, während durch die untere,
bis in das Cervicalmark absteigende Abtheilung der mit der-
selben verbundene Facialis - und Hypoglossuskeru, sowie jene
Gervicaläste erregt werden, welche durch die Ansa hypo-
glossi die motorischen Fasern zu den Muskeln am Hals esenden,
welche bei der Saugbewegung mit zur Action gelangen. Die
an den Saugact sich anschliessende Schlingbewegung wird
durch Miterregung des Schluckcentrums ausgelöst, welches,
da es ebenfalls vom sensiblen Äste des Trigeminus seine Zu-
leitung erhält, formlich in der Bahn des Saugcentrums ge-
legen ist
Die vorgetragene Anschauung wird nun weiterhin darch
einen Versuch unterstützt, in welchem der gesammte peri-
'phere Apparat des Saugens intact belassen und nur an dem
vorausgesetzten Centrum eine kleine Läsion gesetzt wurde.
Ich habe diesen Versuch in der Ferienzeit in Gemeinschaft
mit Herrn Docent Dr. Münzer beobachtet^ dem ich auch für
die freundlich gewährte Mitbenutzung der einschlägigen ana-
tomischen Präparate zu danken habe. Ich beabsichtige , bei
sich darbietender Gelegenheit die in dieser Richtung begon-
nenen Versuche wieder aufzunehmen.
Bei einem 3 Wochen alten Kaninchen, das bisher lebhaft
gesaugt hatte und vorzüglich gedieh, war nach Abtragung des
linken Kleinhirns in der Med. oblong, neben dem Corpus resti-
forme dieser Seite mit einem kleinen Loffelchen an der Stelle
der Trigeminuskerne eine kleine Läsion gesetzt worden. Das
Thier überstand den Eingriff und wurde noch weitere 3 Wochen
am Leben erhalten, in deren Verlaufe sich am linken Auge
eine eitrige Keratitis einstellte. Zunächst hörte das spontane
Saugen bei dem Thiere ganz auf und es musste fortab künst*
lieh ernährt werden. Der Saugreflex war nun auf der Seite
der Läsion vollkommen erloschen, während er auf der rechten
Seite, wo das Gebiet des Saugcentmms nicht verletzt wurde,
erhalten blieb, und die Begrenzungslinie dieser beiden Ge-
biete lag in der Mittellinie des Korpers.
Bei der genaueren anatomischen Untersuchung, welche
au Schnittserien durch die ganze — nach Marchi behan-
delte — Medttlia oblongata vorgenommen wurde, ergab sich,
dass die Läsionsstelle dem Boden der Rautengrube in ihrer
linken oberen Hälfte entsprach oberhalb der Austrittssielle
dos Trigeminus und Facialis, welch letzterer durch eine Ver-
letzung in seinem Kuiestüeke periphere Degeneration zeigte.
Die centrale Innervation der Sangbewegungen. 81
Weder der motorische noch der sensible Ast des Trigeminus
waren degenerirt; der Hypoglossuskern der linken Seite, so-
wie die ganze Gruppe der Nervenkerne des rechten Saug-
centrums waren intact. Die Läsion erstreckte sich von der
Hohe des linken Äcusticus vorwiegend in das Gebiet des
Trigeminus und zwar in den Abschnitt zwischen seinem moto-
rischen und seinem sensiblen Kern, etwa in der Weise^ wie
ich es in dem früher abgebildeten Schema in der fein aus-
gezogenen Linie einzuzeichnen versuchte. Accidentell waren
nochy was aber für die uns interessirende Frage iiicht in Be-
tracht kommt, der linke Acusticuskern^ sowie die Abducens-
kerne verletzt.
Der hier geschilderte Befund legt «nun die Annahme nahe,
dass der den Saugbewegungen vorstehende Nervenapparat sich
in der Medulla oblongata aus zwei symmetrischen, .an der
Innenseite des Corpus restiforme und des Bindearms gelegenen
sjnergisch wirkenden Nervenstrecken zusammensetzt, welche
die früher genannten Nervengruppen des Trigeminus, Facialis
und Hypoglossus umfassen uud deren Knotenpunkt, deren
engeres Centrum, wahrscheinlich in der Substanz zwischen
dem sensiblen und motorischen Kern des Trigeminus gelegen
isty da von dort die Saugbewegung ausgeschaltet werden konnte.
Ich habe meine Versuche über die Saugbewegung vor-
wiegend auf das Gebiet des Saugreflexes eingeschränkt, da
der Einblick in diese Thätigkeit ein einfacher und klarer ist,
Fasst mau das Saugen im weiteren Sinne als eine Theil-
erscheinung der gesammten psychomotorischen Thätigkeit des
Kindes in der ersten Lebenszeit, dann treten bei der Auslosung
desselben eine Reihe neuer Momente hinzu, welche den ursprüng-
lich rein reflectorischen Charakter des Saugens verwischen und
dasselbe allmählich zu den gewollten Bewegungen hinüberleiten.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Knoll
als Vorstand des Instituts für experimentelle Pathologie für
das liebenswürdige Entgegenkommen zu danken, mit welchem
er mir gestattete, diese Versuche in seinem Laboratorium
ausführen zu dürfen.
Jahrbuch f. KiDderheilkande. N. F. XXXVIII.
6
V.
In welchem Verhältnisse findet hei der O'Dwyer'schen
Intobation die Hinabstossnng der Psendomembranen nnd die
Verstoffnng des Tnbns statt nnd welche Bedeutung haben
diese Coniplicationen?0
Von
Dr. Johann Bökai,
a. u. Profeitor »u dar UnlToraitAt uod dirifflrimdem Primanni doa Stofanie-Kinder-
spitaU SU Badapett.
Meine Herren! So oft zwischen Tracheotomie und In-
tubation eine Parallele gezogen wird, pflegen die Anhänger
der Tracheotomie die Möglichkeit der Membranenhinabstossung
und der Tubusverstopfiing als einen grossen Nachtheil der
Intubation besonders hervorzuheben. Ich habe mir diesmal
die Behandlung dieser aus praktischen Gesichtspunkteo wich-
tigen Frage zur Aufgabe gestellt und glaube keine nutzlose
Arbeit zu vollbringen, indem ich diese Frage zu beleuchten
trachte.
Seitdem man sich in der Literatur mit der O'Dwy er-
sehen Operation befasst^ finden wir in fast allen Mittheilongen
der Anhänger der Intubation die Bemerkung, dass während
der Intubation Pseudomembranen hinabgestossen und der
O'D wy er'sche Tubus durch Pseudomembranen verstopft werden
könne. Schon die ersten Forscher, so J. O'Dwyer und
Francis Huber, ebenso Dillon Brown, lenkten im Jahre
1887, gelegentlich ihrer Vorträge in der „Akademie of
Medicine^ in New-York*), als sie das Intubations-Verfahren
bekannt gaben, die Aufmerksamkeit der amerikanischen Col-
1) Vorgetragen in der königl. Gaselbchaft der Aente in Budapest
am t\, October 1893.
%) The Medical Reeord, Jnne 18, %6 and Jaly SS, 1887.
J. B6kai: HiuabsioMung der Pseadomembranea etc. 83
legen aaf diesen Umstand hin, ja gerade die Beobachtung dieser
Möglichkeit veranlasste O'Dwyer, die Aerzte schon bei dieser
Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen, dass sie bei Vor-
nahme der Intubation auch zur Tracheotomie Tollständig bereit
sein mögen. Und der gewissenhafte Rath O'Dwyer's wird von
den Intubirenden stets getreulich befolgt, obschon, wie wir
sehen werden, eine Nothwendigkeit der Tracheotomie unmittel-
bar nach der Intubation selten eintritt. Ich selbst habe in
meiner Spitalsprazis schon während der ersten Intubationen
solche Verfügungen getroffen, dass im Diphtherie-Parillon die
Tracheotomie zu jeder Zeit ausgeführt werden kann, und so
oft ich in meiner Privatpraxis zur Intubation aufgefordert
werde, nehme ich alle zur Tracheotomie nothigen Instrumente
mit und werde dies auch in der Zukunft vor Augen halten.
Da es also den Intubatoren nie eingefallen ist, die Mög-
lichkeit des Membranen -Hinabstossens — während der In-
tubation — und der Tubus -Obturirung zu bestreiten, kann
nur das die Frage sein, wie oft diese Complication eintrete
und von welcher Bedeutung sie sei, ob sie wirklich so
häufig vorkomme und so gefährlicher Natur sei, dass
aus diesem Grunde der Tracheotomie gegenüber der
Intubation Üer Vorzug gebühre?
O'Dwyer*), Fr. Huber«), Dillon Brown»), Waxham*),
V. Banke^), Ganghofner^, Baer^), Naughton^> betonen
Alle, dass ihnen Fälle von Pseudomembranen -Hinaostossung
nur ausnahmsweise vorgekommen sind. Die Tubus-Verstopfung
durch Pseudomembranen wird von den Intubatoren ebenfalls
nur selten erwähnt; so äussert sich v. Ranke, der Bahn-
brecher der Intubation in Deutschland, folgendermaassen:
„Während .... ohne Zweifel bei liegender Tube
sich plötzlich eine Erstickungsgefahr einstellen kann,
muss ich doch die auffallende oeltenheit dieses Vor-
kommnisses nach unseren Münchener Beobachtungen
hervorheben, und stimmt dies auch mit den in Amerika
gesammelten Erfahrungen überein.''
Die auf theoretischer Grundlage gemachten Einwendungen
wurdeo demnach durch die Praxis nicht gerechtfertigt; ja die
1) The Medical Record 1887. S) Ibid. 8) Ibid.
4) The Joarnol of the American Medical Association 1892.
5) Verhandlungen der Gesellschaft für Kinderheilkunde in Heidel-
berg 1889. 6) Ibid.
7) Deutsche Zeitschrift f. Chirargie 1892.
8; The Brooklyn Medical Joamal 1898.
«♦
84 J. Bökait
Erfahrung hat unzweifelhaft erwiesen, dass wir den in Rede
stehenden Complicationen nur sporadisch begegnen.
Und warum ist das Hinabstossen der rseudomembranen
während der Einführung der O'Owyer'schen Tube so selten,
wo doch dies, aus rein theoretischem Standpunkte betrachtet,
als eine häufig vorkommende Complication gedacht werden
müsste? Selten ist diese Complication: a) weil das untere
Ende der Tube abgerundete Ränder hat und, wenn
die Tube mit dem Obturator richtig montirt durch
die Stimmritze gebracht und nicht zu frQh Yom Obtu-
rator befreit wird, die Möglichkeit des Abreissens
der Pseudomembranen infolge des ganz abgerundeten
unteren Endes sehr gering ist; b) weil starke Pseudo-
membranen in grosser Ausdehnung selbst bei den
bösartigsten Epidemien sich nur äusserst selten
bilden, dünnere Pseudomembranen aber selbst in
grosserer Ausdehnung verhältnissmässig leicht den
Tubus passiren, demnach die Mobilmachung dieser
als Complication kaum in Betracht kommen kann;
c) wenn auch starke Membranen sich in den oberen
Luftwegen befinden, so nehmen diese zumeist unter*
halb der Stimmbänder ihren Ursprung und der Tubus
dringt in diesem Falle leicht in das Lumen der Pseudo-
membran ein; wenn aber dieselben an den Stimm-
bändern haften, so sind sie an dieser Stelle besser
fixirt (Birch-Hirschfeld^)), sodass der Tubus bei ge-
hörig vorsichtiger Einführung kaum zwischen die
Pseudomembran und die Tracheawandung gelangen
kann; d) weil die besorgnisserregenden Athem-
beschwerden — selbst bei den schwersten Croup-
fällen — nicht blos durch das Fibrinexsudat bedingt
sind, sondern der in der Regel vorhandenen subglot-
tischen Schwellung zuzuschreiben sind (Rauchfuss)').
Und warum ist die Obturation der Tube mittelst Pseudo-
membranen eine seltene Erscheinung?
Weil 1. stärkere Pseudomembranen, wie oben er-
wähnt, sich nur selten in grösserer Ausdehnung bil-
den und losgerissene dünne Fibrinhäutchen, beson-
ders in Abrissen, verhältnissmässig leicht durch die
Tube dringen, und weil 2., wenn der Groupprocess
nicht rasch descendirt oder, besser gesagt, auf die
Luftröhre localisirt bleibt, das fibrinöse Exsudat bei
1) Birch-Hirschfeld, Lehrbach der paih. Anatomie.
2) Compte rendu des iravaaz de la Section de Pädiatrie, Copen-
hagae 1886.
Hinab stotsong der Pgeadomembranen and Verstopf ang deg Tubus. 85
rationeller Behandlung (Einathmen warmer Wasser-
dampfe, Qaecksilbertherapie) zerfällt und vom Kran-
ken als zähflössiges Secret expectorirt wird und dieses
Beeret die Tube nie obturiri
Wir wollen nun aus den uns zur Verfügung stehenden
Mittheilungen untersuchen, wie viel es solcher Fälle giebt,
wo durch infolge Hinabstossung der Pseudomembran eingetre-
tene. Lebensgefahr eine nachträgliche Tracheotomie nothig ge-
worden ist.
Solche Fälle kamen folgenden Beobachtern Yor:
1887: Fergusson*) (New-York) 1 Fall.
1888: Th ier sc h*^ (Leipzig) unter 31 Beobachtungen 1 ,,
1888: Gräser^ (München) ,, 4 ,, 2 Fälle.
1889: Guyer*) (Zürich) „ 27 „ 1 Fall.
1889: Ganghofner*) (Prag) „ 41 „ 6 Fälle.
1889: Ranke^) (München) ,, 6ö „ 2 „
1890: Widerhofer^ (Wien) „ 42 „ 1 Fall.
1892: ^- ^'^^^^l^^^ „ 74 „ 1 „
1892: Naughton») (Kew-York) „ 143 „ 1 „
unter 498 Beobachtungen 18 Fälle.
Unter 498 Intubationsfallen wurde demnach bei 3Vi %
eine sofortige Tracheotomie nothwendig. ^^) Unter diesen
Fällen wurde — meines Wissens — durch die Tracheotomie
nur zweimal die Asphyxie nicht behoben und die Kranken
gingen infolge der Pseudomembran-Hinabstossung zu Grunde.
Einer dieser Fälle kam in der Praxis des Dr. v. Muralt vor,
der andere bei Naughton. Bei v. Muralt (mitgetheilt von
Baer) wurde die Intubation in der Agonie vollzogen und die
1) New-Tork Med. Journal 1887.
5) Verhahdl. der dentBchen Geaellachaft f. Chirnr^e 1888.
a) Mfinchener Med. Wochenschrift 1888.
4) Correspondensblatt f. Schweizer Aerzte 1889.
5} Verfaandl. d. Gesellscbaft f. Kinderheilkunde. Heidelberg 1889.
6) 1. c.
7) Pädiatrische Arbeiten. Henoch- Festschrift.
8) Deutsche Zeitschrift f Chirurgie 1892. 9) 1. c.
10) Jahrbach f. Kinderheilkande 1898.
11) In diesem Aufsätze konnte ich nur jene Mittheilungen ver-
werthen, in welchen die F&lle von Pseudomembran -Verschiebungen
direct erwfthnt sind.
86 J' B6kai:
Section eonsiatirte nebst Pseudomembran-HinabstosBung: Bron-
chitis crouposa und ausgedehnte Lungenentzündung. Dass
übrigens trotz der Hinabstossung dicker Pseudomembranen
eine Tracheotomie nicht in allen Fällen unbedingt nothweudig
erscheint^ wird durch die von den Intubatoren verofifentlichte
ausgedehnte Gasuistik zur Genüge erwiesen. Die sofortige
Extubation führt, wie dies O'Dwyer*),. Dillon Brown*)
und Waxham') betonen, in den meisten Fällen zum Ziele,
indem gleichzeitig mit dem Tubus oder unmittelbar danach
die abgestossene Pseudomembran unter heftigem Husten jent-
femt wird. In einigen Fällen wurde die Herausbeförderung
der abgestosseuen Pseudomembranen durch künstliches Ath-
men ermöglicht. In anderen Fällen wurde die Expectoration
der Pseudomembran durch rasche Verabreichung starker Spiri-
tuosen (Brandy) und dadurch erregten heftigen Husten er-
leichtert. (Die Spirituosen werden nämlich Ton dem schwer
athmenden Kranken aspirirt, wodurch derselbe zu heftigem
Husten gereizt wird.)
Denjenigen, die sich Tor dem Hinabstossen der Pseudo-
membranen in der Intubationspraxis so sehr ängstigen, möge
zur Beruhigung dienen, dass (VDwyer und Dillon Brown^)
unter ihren mehr als 600 Intubationsfällen bis 1891
keinem einzigen Todesfall, verursacht durch Er-
stickung in Folge Pseudomembranen-Hinabstosseus,
begegnet sind, und dass O'Dwyer^) unter seinen ersten
200 Fällen nur zweimal Pseudomembranen hinabgestosseu
hat mit darauffolgender Asphyxie, welche jedoch durch die
nach sofortiger Extubation erfolgte Expectoration der Pseudo-
membran schleunigst behoben wurde.
Dass selbst im Falle Pseudomembranen-Hiuabstossens ein
brillantes Resultat erzielt werden kann, beweist O'Dwyer's^)
folgender classischer Fall, welchen wir in Kürze mittheilen:
O'Dwyer Tollsog bei eioem 3% j&hrigen Kinde lotobaiioa und
zwar wegen einer sehr schweren, durch diphtheritischen Cioup be-
dingten Stenose. Durch Pseudomembran -Hinabstossung tritt Asphyxie
ein. Unmittelbar nach sofortiger Extubation wird eine umfangreiche,
den Abdruck der Luftröhre seigende Pseudomembran ezpectorirt, worauf,
da das Athmen kaum leichter wurde, eine Relntubation Ton^enommen
wird. Nach der Intubation wird die Athmung Tollkommen frei. Nach
26 Stunden wird die Tube vom Kranken expectorirt, eine s weite In-
tubation ist nicht mehr noth wendig.
1) 1. c. a) 1. c.
8) The Journal of the American Medical Association 1898.
4) Transaction of the American Pediatric Society 1891. p. 24.
6) J. Bull, Intubation of the Larynz, London 1891. p. 24.
6) N. T. Medical Journal 1888.
HioabstoBsoog der PseadomembraneD und Verstopfang des Tubus. 87
Das Psettdomembranen-Hmabstossen als häufige Gom-
plication wird nur von Denjenigen erwähnt, die sich
mit der Intubation nur selten beschäftigen, daher in der
Operation nicht gehörig eingeübt sind, und Dillon Brown^)
hält es für wahrscheinlich, dass die angeblichen Pseudo-
membranen-Hinabstossungen eigentlich keine Hinabstossungeu,
sondern in Folge prolongirter, daher ungeschickter
Tubnseinführungen entstandene Asphyxien sind, („I ven-
ture to State, that the great majority of deaths^ which have
been reported as due to pushing down membran, was the
result of unskilled efforts and due either to apnoea from
proloDged attempts at introduction, or to asphyxia forcing
the tube through a false passage/')
Ueber die Tubusobturirung durch Pseudomembranen kanu
ungefähr das Gleiche gesagt werden, was wir soeben über
die Pseudomembranen-Hinabstossung ausgeführt haben. Hie
und da wird sie beobachtet, jedoch nicht häufig. Eine
Gefahr kann hieraus nur bei ungenügender Controle d. h. bei
jenen Kranken entstehen, wo die sofortige Extubation ver>
säumt wird. Uebrigens entsteht in solchen Fällen häufig
eine spontane Extubation. Der Kranke stosst mittelst hef-
tigen Hustens den Tubus und mit ihm gleichzeitig die obtu-
rirende Membran heraus. Es ist unzweifelhaft, dass die
O'Dwy er' sehen Tuben verhältnissmässig eng sind (enger als
die Trachealcanülen), dass aber trotzdem Pseudomembranen
von bedeutendem Dmfange durch diese Tuben herausbefordert
werden, wird von den hervorragendsten Intubatoren bestätigt.
So — um nur aus der deutschen Literatur zu citiren —
theilt Baer*) (v. Muralt, Züricher Kinderklinik) mehrere
Fälle mit, wo der Kranke einige umfangreiche Pseudomem-
branen durch den Tubus expectorirte.
Ein neanj&hriges Kind z. B. bat in 9 Tagen Pseudomembranen
von ey,, d, 5, 3 cm Länge grösstentheils durch den Tubus czpectorirt.
Der Tabns lag insgesammt 18 Tage und 4 Stunden. Zahl der In-
tubationen 34; 16 mal hustete es seinen Tubus aus. Genesen.
In einem anderen Falle expectorirte ein vierjähriges Kind 8 Pseudo-
membranen von bedeutendem Umfange, zumeist durch den Tubus. Zahl
der Intubationen 9. Insgesammt lag der Tubus 146y, Stunden. Ge-
oesang.
Wir betonen, dass eine secundäre Tracheotomie iu keinem
dieser Falle vorgenommen wurde. Wenn Escherich') be-
hauptet, der grosste Nachtheil der Intubation wäre die hoch-
1) Transaction of the American Pediatric Society 1891. 2) 1. c.
3) Wiener klinische Wochenschrift 1891.
90 J- BöUh
meinbnui (■. Fig. 8) iat 13 cm lang, leigt den Abdruck dar LufttOhie,
die BifiircKtioD und die BronchieoiBte 2., 8. und 4. Bao^c*. Nach
HerauibeiOrderung der PBendomembraD ist die Athmang frei, der Tubna
jedoch wird nenerdiuga eingeführt. Am Morgen de« 37. Febnur —
da troU der liegenden Tobe Atbembeicb «erden eintreteii — wird eine
•eenodBre Tracheotonie vorgenommen, jedoch ohne Erfolg; am 28 Febr.
Irah tritt — Symptome einer BronchiUi
Pi(. I, cronpoaa und Lnn^eaeDtzQadiuig waren vor-
handen — exitoi letal)« ein. Sectiona-
befnnd: Dipbtheiitii inperficialia
faaciam, Larjrngo-tracheitie et bron-
ohiti« fibrinoia, Fneumonia ctod-
poBK lob. Bnp. et medii pnlmonis
dettri cum plearitide fibrin. ejntdem
laterii.
ErwähneoBwerth isfc, dass in dcii
Luftwegen die vollstÄndige Copie der
ausgehusteten Pseudomembrati gefan-
den wurde, was unzweifelhaft darauf
hinweist, dass bei so besonders schwe-
ren Fällen eine Neubildung der Pseudo-
membranen sehr rasch eintreten
kann.
8, Serena B., Kjährigfli UBdchen
am S4. Au^nit IBBS ins SpitÄl aufgenom-
men, itt aeit Tier Tagen krank, klagt über
HalMchmenen. Tor drei Wochen QberitMid
es Maiern. Neben hochgradiger BleooBe
mftssige RAchendiphtherie. Pnt. wird kurx
nach der Aufnahme intubirt, wonach dio
Respiration nur tbeilweise befreit erscheint.
Am 2&. Augnit früh nm 7 Dbr wird aio
wegen aufgetretener Cvanose extubirt, wo-
rauf Fat. eine dicke Piendomembran ani-
bnatet (i. Fig. 3. S. 91), die 9 cm lan^ iit
nnd den Abdruck der LnftrOhre, die Bifnr-
catioo und BronchienUtta S. and 8 Ranges
seigt. Darauf wird sie relntobirt, wonach
die Athmnng g&oilich frei wird. lu der
Nacht vom K. auf den Se. Angnit wird
dai Kind in Folge neuerdings eingetretener
Cjanoie abermals extubirt, doch erfolgloi,
daher wieder intubirt. Der Intubation folgt
Aaphjxie, daher abermali Eitabation, doch
ohne Erfolg, die Aipbjxie wird endlich dorch
kOnatlichei Atbmen beseitigt. Pitt, beginnt
alsbald in hurten nnd befördert eine dioke
Pseudomembran heraus, worauf die Athmans frei wird. Die Lftnge der
Membran {s. Fig. 8, S. 91) ist IS cm, dieselbe seigt den Abdrnck der
Luftröhre bis la den Bronchien ästen 8., 4., ja sogar 6. Grade*. Am
86. August wird der ZuitAod, trott neuerlicher Intubation, ein ftuiierst
kritäscher, nud am Nachmittag desselben Tages tritt unter Symptomen
einer Bronchilii oroaposa und Langeneotxliadaug der Tod ein.
BiiulMtOMiing der PMadomembraueu und Verstopf ong d«B Tobna. 91
In diesem Falle hatten wir wieder Gelegenheit gehabt,
die rasche Neubildung der Paendomembran zn sehen.
S. Marie S., lOjährigeB Hädcheo, am 1. October 189S aufge-
aommen, 8eit Tter Tagen EaUschmenen. Id Bachen und Naae ein
ttark Basgebreiteter dipbtberitiecher Pioceaa nebat bochgradlKerPharfos-
*tenoM. Uebler Gerach ans dem Monde, Stimme verscDleiert. Am
1. October Heiserkeit auffallender. Am 8. October eine sich raschjent-
viekelnde LarjautenoM, am 4 Uhr Naohmittags noter heftigem Hneten
Aaawnrr einer Paendomembran (a. Fig. 4, erat« Hembran, 8. 92), worauf
die Athmnog frei wird; Intubation lat nicht nöthig. Die Membran ist
S cm lang, stammt aua der Luftröhre. Am Morgen des 4. October
tritt nenerdinga Stenose ein, ireahalb Fat. intubirt wird; darwif lol^t
Aspfaysie; nach der sofort vorgenommenen Extabaüon hattet Fatientin
eine Paendomembran ana, worauf die Athmung frei mrd. Dieselbe
(». Fig. 4 , tireite Membran , S. 6S) atammt aui der Lnftröhre , lat
10 cm lang. £a tritt alsbald wieder stenotiaohea Athmen em, Be-
94 J. B6kai:
in der Regel die schleunige Eztubation; wenn bei rascher
Entfernung der Tube das Membrangebilde nichtzugleich heraus-
befördert wurde, hustete der Patient es fast unmittelbar dar-
auf aus. Einen todtlichen Ausgang in Folge Obturirung der
Tube habe ich selbst nie beobachtet.
Da in dem unter meiner Leitung stehenden Spitale die
Extubation Ton Anfang her mittelst des im Tubus belassenen
Fadens vollsogen wird, so wurde dieselbe bei momentaner Ge-
fahr nicht selten Ton der inspectionirenden f^flegeschwester
▼ollzogen und der Inspectionsarzt ist erst nach erfolgter Extu-
bation wegen eventuell nöthiger Reintubation davon verstan-
digt worden.
Meinerseits bin ich der festen Ueberzeugung, dass bei
continuirlicfaer Aufsicht und Belassen des Fadens eine Obtu-
rirung der Tube mit fatalem Ausgange kaum vorkommen
kann. Die Extubation mittelst des im Tubus belassenen
Fadens wurde zuerst von Guyer^) in ZQrich angewandt, ihm
folgte Qanghofner; auf ihren Rath wandte auch ich es an.
Es gereicht mir zur Freude, dass auch schon die Amerikaner
die systematische Anwendung des Extubators vermeiden.
Nach all' diesem kann ich mich, gestützt auf meine
Erfahrungen, bezüglich der vorliegenden Fragen folgender-
massen äussern:
1. Die Hinabstossung der Pseudomembranen —
wahrend der Intubation — ist verhaltnissmässig sel-
ten zu beobachten und verhängnissvoll wird sie nur
in den seltensten Fällen. Die eingetretene Asphyxie
kann durch schleunige Extubation meistens besei-
tigt werden, indem die mobil gemachte Pseudo-
membran nach Entfernung der Tube sozusagen so-
fort expectorirt wird. Wenn dies aber nicht der Fall
wäre, so ist die künstliche Athmung einzuleiten respec-
tive die secundäre Tracheotomie auszuführen.
2. Die Obturirung der Tube durch Pseudomem-
branen ist keine häufige Erscheinung und wird, im
Falle sich dieselbe ereignet, meist durch Expecto-
ration des Tubus unschädlich. Damit die even-
tuelle Obturation nicht verhängnissvoll werde, ist
continuirliche Aufsicht respective die ununterbro-
chene Aufmerksamkeit eines geschulten. Pflegers un-
umgänglich nothwendig.
Die Belassung des Fadens und dessen Fixirung
1) Corretpondensblatt f. Schweiier Aente 1889.
HiiiabBt088iiDg der Pseudomembranen und VerstopfaDg des Tubna. 95
am Halse ermöglicht es, im Falle einer Obturirong,
die schleunige Extubation eventuell auch durch einen
Laien Torzunehmen.
Meine Herren! Das Hinabstossen der Pseudomembranen
und die Tubnsobtnrirung durch Pseudomembranen bildet
zweifellos eine Schattenseite des O'Dwyer'schen Verfahrens,
doch müssen diese verhältnissmässig seltenen Complicationen,
im Vergleich zu den durch die Intubation erreichten brillanten
Erfolgen, bei Beurtheilung der Operation in den EUntergrund
treten; kann ja doch die einfachste chirurgische Operation in
ihren Folgen für den Kranken gefährlich werden . . . Und
wenn wir die Intubation der Tracheotomie gegenüberstellen
und die durch 4ie beiden Operationsmethoden erreichten Er-
folge vor Augen halten, so müssen wir einsehen, dass die
Tracheotomie als operatives Verfahren viel mehr Gefahr in
sich birgt als die Intubation.
Wie Ferdinando Massei, der italienische Laryngolog,
bemerkt, „ist die Möglichkeit der Pseudomembranen- Hinab-
stossung ein unzweifelhafter Beweis dafür, dass die O'Dwy er-
sehe Operation, wiewohl ein unblutiges Verfahren, nicht ganz
nngeßfarlich ist'';^) diese Schattenseite aber darf uns — meiner
Ansicht nach — nicht abhalten, diese geniale und segens-
reiche Operation in je weiteren Kreisen auszuüben.
1) ^Guesto pericolo rappresenta la larva oho ogni operatore si trova
daTftnti ed ä la dimostrazione irrefragabile che la intubazione, ben cbö
incmenta, non h Bcevra di pericoli/* L'intabazione della laringe.
Napoli.
VI.
Zar baeteriologischen and klinischen Diagnose
and Tlierapie der Diphtherie.
MiitheiluDgen aus der bacteriologischen Abtheilung des Labo-
ratoriums der Strassburger medic. Klinik und der Kinderklinik.
Von
Dr. Eakl Roth,
prakt. Ant.
Soweit bekannt, ist die Diphtherie im frohen Alterthum
von Aegypten durch Colonisten oder durch Gegenstande, die
mit dem contagiosen Virus behaftet waren, in Griechenland
eingeschleppt worden. Genaue Daten hierQber besitzen wir
nicht, wie denn Oberhaupt die ersten Aufzeichnungen über
die betreffende, damals noch als ^ägyptische*' bezeichnete
Krankheit erst aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. von
jenem berQhmten Arzte Aretäus aus Cappadocien, einem
Zeitgenossen von Galen, auf uns überkommen sind. Auch
Galen selbst scheint diese Krankheit nicht unbekannt ge-
wesen zu sein, wenn er die Expectorationen von Pseudo-
membranen durch Räuspern und Husten beschreibt. Weitere
Aufzeichnungen ähnlichen Inhalts sind auf uns Qberkommen
aus dem vierten und fünften Jahrhundert, indem Aetius vor
dem Abreissen von Membranen warnt. Spärlich sind dagegen
die literarischen Ueberlieferuugen Ober das Vorkommen dieser
Krankheit im Mittelalter. Alayma, ein palermitanischer
Arzt, schreibt im sechszehnten Jahrhundert von ägyptischen
Geschwüren und will darunter die verschiedenen Formen von
Diphtherie verstanden wissen. In Deutschland beschrieb am
Anfange des achtzehnten Jahrhunderts Wendel dieselbe
Krankheit Fast um dieselbe Zeit kommen auch Mittheilungen
über das Vorkommen der Diphtherie aus England. Home^),
1) Ueber die Natur, Ursache und Heilung des Croup. 1766.
K, Roth: Zar bact. etc. Diagnose u. Therapie der Diphtherie 97
einem schottischen Ärzte^ verdanken wir es^ dass eine be-
stimmte Krankheitsform bis auf den heutigen Tag als Croup
bezeichnet wird. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts
ist Yon einem italienischen und zu gleicher Zeit von einem
spanischen Arzte über grosse Diphtherieepidemien berichtet
worden, die das südliche Europa im Anfange des sechzehnten
Jahrhunderts heimsuchten.
Der Name Diphtheritis stammt erst von Bretonneau,
Chefarzt* des Hospitals zu Tours, der vor ungefähr 70 Jahren
seine berühmte und mustergiltige Schilderung über diese
Krankheit lieferte. Er war es, der in seiner Schrift „Traite
de la diphth^rite'^^) über das Zustandekommen der Krank-
heit, ihre Uebertragung von einem Individuum auf das an-
dere, ihre Entstehung bei vielen Individuen gleichzeitig aus
gemeinsamer Infectionsquelle, die Ursache des Aufhorens und
Wiederkehrens der Epidemien, über die vermehrte oder ver-
minderte Empfänglichkeit, über Heilung und Immunisirung
genaue Angaben gemacht hat. Er kam auf Grund seiner
epidemiologischen Studien über die Natur der Diphtherie zu
der richtigen Anschauung, dass wir es bei ihr mit einer con-
tagiosen Infectionskrankheit zu thun hätten; die classische
Schilderung, welche Bretonneau von der Diphtherie gab,
ist eine auch heute noch unbedingt in allen Punkten geltende.
Hierdurch angeregt, haben seit jener Zeit viele Forscher mit
Energie sich damit beschäftigt, die Aetiologie dieser Krank-
heit klar zu stellen, aber trotz alledem war es ihnen nicht
vergönnt, dass ihre Untersuchungsergebnisse sich allgemeiner
Zustimmung erfreuen durften. Aus diesem edlen Wettstreite,
an dem sich Männer fast aller europäischen Länder bethei-
ligteu, ist als Resultat ihrer fast sechzigjährigen Thätigkeit
nur Folgendes zu verzeichnen: Alle haben in den diphthe-
ritischen Membranen Bacterien gesehen, ob constant oder nicht,
darüber wurde keine Einigkeit erzielt, ebensowenig über die
Art derselben. Vorherrschend war das Auffinden von Mikro-
kokken. Der Nachweis von Bacterien in inneren Organen
war ein sehr unsicherer. Reinculturen von den gefundenen
Bacterien konnten nicht erzielt werden und sind also dem-
zufolge die mit solchen Organismen angestellten Impfversuche
nicht beweiskräftig. Das ganze Forschungsgebiet über unsere
Mikroorganismen befand sich in der damaligen Zeit nocH zu
sehr in den Anfangsstadien, sodass mit Recht diesen Ergeb-
1) Des inflammations speciales du tissu muqueux et en particulier
de la diphthörite, on inflammation pelliculaire, comme boub le npm de
Croup d angine maligne, d'angine gangr^neuse etc. Par P. Breton-
oeaii, m^decio en chef de Thöpital de TourB.
Jfthrbneb f. Kifld«rheUkiuide. H. V. XXXVin. 7
98 K. Roth:
nissen die Bedeutang eines befriedigenden Abschlasses nicht
zuerkannt werden kann.
Löffler gebührt das Verdienst, in der Erforschung der
Aetiologie der Diphtherie in seinem Bacillus den specifischen
Erreger dieser Krankheit erkannt zu haben. Zwar hat schon
Klebs, damals in Zürich, bereits ein Jahr vor jenem einen
Diphtheriebacillus richtig gesehen und beschrieben, der wahr-
scheinlich mit dem Loffler'schen identisch ist, aber Elebs
ist es nicht gelungen, Reinculturen von ihm anzulegen, noch
bei Uebertragungsversuchen diesen Bacillus als Erreger der
gleichen oder einer ahnlichen Krankheit bei Thieren sicher
nachzuweisen.^)
Bevor wir auf die von Löffler gemachten Funde ein-
gehen, wollen wir noch kurz jener Untersuchungen Erwäh-
nung thun, welche über die pathologisch-physiologischen Be-
dingungen der Entstehung von Schleimhautveränderungen, wie
sie ja bei der Diphtherie vorkommen, Licht verbreitet haben.
Die Eingangspforten und die Hauptentwickelungsstätten für
den diphtheritischen Infectionsstoff bilden ja nach Henoch
die localerkrankten Schleimhautstellen der Mundhohle, Con-
junctiva, der Genitalien, daneben sind Gesicht und Ohren,
besonders bei vorhandenen Ekzemen, ferner die übrige Haut
und endlich Zunge und Oesophagus als solche zu nennen.
Yirchow war es, der die verschiedenen Formen der
Schleimhautveränderungen zuerst scharf präcisirte und in ka-
tarrhalische, fibrinöse und diphtheritische unterschied. Weigert,
der die fibrinöse Schleimhautentzündung Virchow's noch in
eine croupöse und pseudodiphtheritische unterscheidet^ hat das
Verdienst, die Bedingungen für die Entstehung der verschie-
denen Formen der Schleimhautveränderungen experimentell
festgestellt zu haben.*) Er sagt: „Eine katarrhalische Erkran-
kung entsteht, wenn die Schleimhaut ein Reiz trifiFt, der zwar
die Epithelschicht krankhaft modificirt, aber nicht vollständig
zerstört Ist das Epithel zerstört, die Schleimhaut aber in-
tact, so entsteht die croupöse oder pseudodiphtheritische Form.
Bei der eigentlichen Diphtheritis, dem specifischen Absterben
von Gewebstheilen der Schleimhaut selbst, wird das unter-
gehende Gewebe in eine derbe, dem geronnenen Fibrin ähn-
liche Substanz umgewandelt Neben der Nekrose hat also
hier noch eine Durchtränkung dieser nekrotischen Theile durch
fibrinogenhaltige Lymphe stattgefunden. Die Wirkung des
Diphtheritisvirus an diesen Stellen stellt er sich als von aussen
nach innen vorschreitend vor«
1) Verhandlungen für innere Medicin II. Abtheilang.' Wiesbaden
1883, S. 148. 2) Virchow'a Archiv Bd. 70 u. 72.
r
Zar bacteriol. and klin. Diagnose and Therapie der Diphtherie. 99
Versuche der künstliclien Erzeugung von diphtheritischen
SchleimhautveräDderungen sind von verschiedenen Forschern
mit Erfolg ausgeführt worden. Schon Bretonneau gelang
es durch Injection von Cantharidentinctur in die Trachea
eines Hundes .eine pseudomembranöse Entzündung zu erzeugen,
und späteren Autoren, wie Delafond, Beitz und Oerte],
ist es gelungen^ ähnliche Erfolge mit Chlor, Schwefelsäure
und Ammoniak zu erzielen.
Die Diphtherie, zunächst also eine locale Erkrankung,
wie auch 0er tel in seinen Untersuchungen^) treffend nach-
gewiesen hat, verbreitet sich dann in kürzerer oder längerer
Zeit über den inficirten Korper, zerstört immer grössere Par-
tien seiner Gewebe, bis sie als allgemeine Infectionskrankheit
durch Blutvergiftung die Lebensfähigkeit des Organismus auf-
hebt und den Tod herbeiführt. Trendelenburg') machte zum
Beweise, dass es sich bei der Diphtherie zunächst um eine
locale Erkrankung handle, Experimente, indem er Kaninchen
und Tauben Theile von diphtheritischen Membranen in die
Trachea brachte, und er hatte hierbei unter 68 Versuchen bei
11 den positiven Erfolg, bei diesen Thieren in der Luftröhre
pseudomembranöse Entzündungen hervorgerufen zu haben.
Dass man es bei der Diphtherie mit einer Localerkran-
kung zu thun hat^ wird auch durch diejenigen Fälle bewiesen,
in welchen an anderen Körperstellen eine Infection statt-
gefunden hat, in deren Gefolge die charakteristischen Lähmungs-
erscheinungen sich einstellen, ohne dass zu irgend einer Zeit
eine Betheiligung der Rachenorgane sich nachweisen lässi
Durch diese Untersuchungen von Trendelenburg und Oertel,
denen beiden unbedingt das Verdienst zugesprochen werden
muss^ den experimentellen Beweis für die Uebertragbarkeit
der Diphtherie erbracht zu haben, war es jedoch nicht ge-
lungen den lebenden Erreger der Krankheit aufzufinden.
Löffler war, wie schon erwähnt, der erste, der aus Mem-
branen den richtigen Bacillus züchtete. lü seinen anfänglichen
Untersuchungen, die er im Jahre 1884 zum Abschluss brachte,
gelang es ihm zwar, in den meisten typischen Diphtheriefallen
Stäbchen nachzuweisen, in manchen jedoch musste er sie ver-
missen. Mit Rücksicht auf letzteren Umstand, sowie darauf,
dass er mit den gefundenen Bacillen Thierversuche anstellte,
die am Orte der Injection keine Einlagerungen, sondern nur
Auflagerungen zur Folge hatten, drückte er sich sehr reservirt
1) Zar Aetiologie der Infectionskrankheiten etc. Vorträge gehalten
in den Sitzungen des ärztUchen Vereins zu München im Jahre ibbO.
München 1881.
2) Archiv f. klinische Chirurgie X. 720. 1869.
7*
100 • K. Roth:
aus und schloss daraus^ dass sein gefundener Bacillus nicht
mit absoluter Sicherheit als der eigentliche Erreger der Diph-
therie zu betrachten sei. Bei seinen Thierexperimenten, bei
denen er sich seiner gewonnenen Bouillon- Beinculturen be-
diente, fand er, dass gewisse Thierspecies, wie Batten und
Mäuse, sich völlig refractär erwiesen, wähirend Meerschwein-
chen und kleinere Vögel sehr empfanglich bei Impfungen
waren. Er machte die betreffenden Einspritzungen subcutan
und fand hierbei, dass die Thiere nach kurzer Zeit starben
und dass sich an der Impfstelle Exsudate mit weit sich aus-
breitenden Oedemen des Unterhautzellgewebes einstellten« In
die eröffnete Trachea gebracht, riefen sie hier Pseudomembra-
nen hervor, ebenso auf der scarificirten Augenbindehaut und
am Eingange der Vulva. Daneben kamen noch blutige Oe-
deme, Hämorrhagien in dem Lymphdrüsengewebe vor und
Ergüsse in die Pleurahöhlen, Wirkungen, die auf Gefäss-
Verletzungen zurückzuführen sind. Beim Suchen nach Bacillen
fand Löffler dieselben nur an dem Orte der Inoculation in
den daselbst hervorgerufenen Veränderungen und Neubildungen,
die inneren Organe waren stets frei davon, wie denn auch die
Untersuchungen beim Menschen, post mortem vorgenommen,
im Blute und in der Lunge, Milz und Lymphdrüsen, stets
einen negativen Erfolg aufweisen konnten, während an der
Stelle der localen Infection immer Bacillen gefunden werden.
Wenn nun auch durch neuere Untersuchungen von Frosch^)
im bacteriologischen Institut von Koch in 10 von 15 zur
Section gekommenen Fällen das Vorhandensein von Bacillen
in inneren Organen als gesichert gelten könnte, so ist daraus
noch nicht ein constanter Befund abzuleiten, da ja diese sich
vielleicht erst in der Agone dort entwickelt haben dürften.
Die von Löffler fast regelmässig bei seinen Untersuchungen
neben den Bacillen in den Membranen gefundenen Strepto-
kokken hatten für ihn absolut keine ätiologische Bedeutung,
da Impfversuche mit Reinculturen, welche er an Thieren
machte, keine Veränderungen hervorzurufen im Stande waren,
welche Aehnlichkeit hatten mit denen, wie sie beim Menschen
in Folge der Diphtherie zur Beobachtung kommen. 3ei man-
chen Thieren traten, mochten die Einspritzungen mit diesen
Kokken nun subcutan, oder in die Augenbindehaut, oder direet
in die Trachea gemacht werden, absolut keine Wirkungen
auf, andere starben allerdings bei Verabreichung grosser
Mengen, bei manchen riefen sie, in die Bauchhöhle einge-
spritzt, Peritonitis hervor, andere bekamen erysipelasähnliche
Processe an der Haut, und in die Blutbahn direet eingebracht
1) Zeitschrift f. Hygiene Bd. 13. 1892.
Zur bacteriol. und klin. Diagnose und Therapie der Diphtherie. 101
verorsachteu sie mitunter Gelenkaffectionen. Das Vorbanden-
sein dieser Streptokokken neben den specifischeu Dipbtberie-
bacillen fasste nun L off 1er als eine Complication auf. Diesen
ßesultaten stimmt auch Escberich bei, indem er sagt, dass
die bei epidemischer Diphtherie gefundenen Streptokokken fQr
den Verlauf^ yielleicht auch für die Disposition zur Erkran-
kung Yon hervorragender Bedeutung seien , aber als Erreger
des diphtheritischen Processes nicht angesehen werden könnten.
Derselbe hat in Fällen, die später an Diphtherie erkrankten^
auf der Rachenscbleimhaut in grosser Menge Streptokokken
nachweisen können, so dass nach seiner Ansicht vielleicht die
Anwesenheit derselben die Ansiedelung der Löffler'schen
Stäbchen begünstigte oder überhaupt ermöglichte. Umgekehrt
hat er nach Schwund der Diphtheriemembranjen sogar noch
nach Wochen diese Kokken finden können. Aehnliche Befunde
hatten die Untersuchungen von Netter,^) Black') und Bi-
ondi'), welche schon in normalen und fast constant bei
katarrhalischen Zuständen der Rachenschleimhaut die Strepto-
kokken gefunden haben, während bei Scharlach dieselben auch
von Löffler, Heubner und Barth*), Fränkel und Freu-
denberg ^), ßaskin^), Babes ') und Klein®) und bei
katarrhalischen Anginen von Fränkel, Kurt und Prudden^)
nachgewiesen worden sind. Löffler fand bei seinen Unter-
suchungen in einem Falle in der Mundhöhle eines gesunden
Kindes dieselbe Bacillenart, welche, in Reinculturen auf Meer-
schweinchen verimpft, dieselben Erscheinungen hervorrief, wie
seine aus den Diphtheriemembranen gezüchteten Stäbchen. Ein
Beweis, dass dessen Untersuchungen sich grösster Objectivität
und Genauigkeit erfreuen dürfen, möchten wir doch eine gleiche
Erscheinung in Zeiten von herrschenden Diphtherieepidemien,
ohne dass Krankheitserscheinungen irgend welcher Art an den
Tag traten, vielleicht nicht als vereinzelt vorkommend bezeichnen,
indem wahrscheinlich die Bacillen bei unverletzter Schleimhaut
ganz wirkungslos bleiben, während sie auf günstigem Boden
ihre Virulenz erlangen, ihr Gift entwickeln und somit den Or-
ganismus durchdringen können. Auf diese Weise werden sich
die sogenannten autochthonen Infectionen erklären lassen, die
1) Balletin medic. Annäe IL IBBS.
2} Citirt nach Müller, Die MikroorgaDismen der Mondhöhle 1889.
3) Breslauer ärztliche Zeitschrift 1887. Nr. 18.
4) Berliner klin. Wochenschrift 1884. Nr. 44,
5) Centralblatt fOr klin.. Medicia 1885. Nr. 46.
6) Centralblatt für Baoteriologie 1889. Bd. V. S. 433.
7) Die septischen Processe des Eindesalters 1889.
8) On Scarlatina. Proceedings of the R. Society. Tom XII.
9) On the Etiologie of Diphtheria. Amereric. Journ. of the Med.
Sciences 1889.
104 K. Roth:
nen Arbeit „Contribution ä Fetude de la diphtherite'^ nicht
nur sämmtliche von L off 1er zu Tage geforderten Befunde
bestätigten, sondern ihnen gelang es durch die Isolirung und
durch das Studium der yon den Bacillen producirten 6ift>
Stoffe das Wesen und die klinischen Symptome der Krankheit
in überraschender Weise zu klären und unserm Verständnisse
näher zn rücken. Dieselben erzeugten nämlich beim Thier-
experimente neben den von L off 1er her?orgerufenen Wir-
kungen ausserdem wirkliche Lähmungen.
Diphtheritische Lähmungen waren ja ärztlicherseits schon
in früheren Zeiten beobachtet worden. So finden wir solche
schon erwähnt um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts
von einem italienischen Arzte Ghisi. Dieser schreibt in
seinem berühmten Briefe aus dem Jahre 1749, dass sein
eigner Sohn, nachdem derselbe von der häutigen Bräune fast
vollständig geheilt war, von einer Gaumenlähmung befallen
wurde, und fügt hinzu, dass die Heilung dieser merkwürdigen
Nachkrankheit, welche man bei Personen so oft zu beobachten
Gelegenheit hat, gewohnlich dann erst eintritt, wenn solche
▼on der ursprünglichen Krankheit wieder hergestellt sind.
Auch gab Chomel in demselben Jahre in seiner Dissertation
„Sur le mal de gorge gangreneux'^ eine naturgetreue Schil-
derung solcher Gaumenlähmungen. Ferner werden Lähmungs-
erscheinungen fast zu gleicher Zeit von amerikanischen Aerz-
ten, so von Samuel Bard erwähnt. Maingault bringt in
seiner umfangreichen Monographie über diphtheritische Läh-
mungen Auszüge von Krankenbeobachtungen verschiedener
französischer Zeitgenossen, von welchen ausser Gaumenläh-
mungen auch Taubheit und Sehstörungen, ferner Muskel-
schwäche und Zittern der Extremitäten, sowie sogar tabische
Erscheinungen bemerkt wurden. Auch Bretonneau hat seine
reichen Erfahrungen in diesem Specialgebiete der Diphtherie
in seiner Arbeit „Memoire sur les moyens de prevenir le de-
veloppement et les progr^s de la diphtherie^' 1855 ausführ-
lich niedergelegt. Henoch in seinem Lehrbuche über Kinder-
krankheiten sagt darüber: „Die diphtheritische Lähmung ist
eine so häufige Nachkrankheit der Diphtherie, dass man in
jedem Falle auf dieselbe gefasst sein muss. Ich selbst sah
die Lähmungen immer nur im Gefolge der Rachendiphtherie
auftreten. Andere wollen sie auch nach der Diphtherie der
Haut beobachtet haben.''
Roux und Tersin waren die ersten, welche beim Thier-
versuche paralytische Symptome hervorbringen konnten, die
mit den beim Menschen vorkommenden grosse Aehnlichkeit
haben. Ihre Inoculationen, welche sie mit Reinculturen in
Bouillon in die Trachea oder subcutan bei Thieren machten^
Zor bacteriol. und klin. Diagnose and Therapie der Diphtherie. 105
hatten zunächst bei einer Taube den Erfolg, dass das Thier
zuerst Erscheinungen der Dyspnoe und drei Wochen nach der
Impfang nach erfolgter Heilung Lähmung des einen Flügels
darboi Das Thier wurde nach dieser Zeit schwach^ hielt
sich kaum aufrecht und starb fünf Wochen nach der In-
jection. Ein Kaninchen, dem es nach der Impfung anfangs
ganz gut ging, wurde am sechsten Tage gelähmt und starb
bald nachher; die Lähmungen, die bei letzterem eintraten,
machten sich zuerst am Hinterkörper bemerkbar und er-
streckten sich nachher über den ganzen Körper. Intravenöse
Impfungen bei Kaninchen hatten den Erfolg, dass die Thiere
nach Ablauf von einigen Tagen starben. Vor dem Tode
zeigten dieselben alle Lähmungen. Konnten sie die Thiere
länger am Leben erhalten, so stellten sich die Lähmungen
langsamer ein; bei Tauben wurden sogar mitunter Heilungen
solcher Lähmungen beobachtet, während sie bei Kaninchen
immer tödtlich verliefen.
Fragen wir nun, wodurch diese Lähmungen hervorgerufen
werden, so müssen wir nach den hierüber gemachten Unter-
snchungen von Roux und Yersin annehmen, dass es sich
dabei um eine Wirkung der durch die Bacillen producirten
toxischen Stoffe auf das Nerven- und Muskelsystem handelt.
Genannte Autoren charakterisiren diese Stoffwechselproducte
in üebereinstimmung mit Löffler als ferment- oder enzym-
haltige Substanzen. Brieger und Fränkel rechnen dieselben
nach neueren Untersuchungen zu der Classe der Toxalbumine.
Ueber die chemische Natur dieses Giftes, das nach neueren
Untersuchungen von Guinochet*) auch bei der Cultiviruug
des Diphtheriebacillus in sterilisirtem Urin gebildet wird,
wobei die resultirende giftige Gulturfiüssigkeit absolut keine
Eiweissreaction zeigt, sind bis jetzt die Acten noch nicht
geschlossen.
Besser steht es dagegen mit der Kenntniss der functio-
ncllen Eigenschaften des Diphtheriegiftes, indem ja nicht
allein bei der Diphtherie, sondern bei den Infectionskrank-
heiten überhaupt durch die Erkenntniss der Specificität der
Giflwirkung ein vollkommener Umschwung in den Studien
ober die Entstehung der Krankheitserscheinungen zu Stande
gekommen ist Specifisch nennen wir das Gift der Diphtherie
deswegen, weil es im ThierkQrper ganz besondere locale und
allgemeine Veränderungen hervorruft und weil es manche
Thierarten giebt, die auf sehr geringe Mengen gifthaltiger
Diphtherie- Bacillen -Culturen entweder mit Krankheit oder mit
1) Arch. de med. ezper. t. 4. 1892. S. 494.
108 K. Roth:
die betreffenden Culturen gewachsen sind. Diesen Unter-
schieden, die sowohl die Form der Bacillen als das ver-
schiedenartige Verhalten gegenüber ihrer Färbung betreffen,
misst der Verfasser nach seinen eigenen Angaben nur die
Bedeutung bei, dass wir es im ersten Falle bei den von der
normalen Form abweichenden lediglich mit Inoculationsformen
zu thun haben, während bei üngleichmässigkeiten in Bezug
auf die Färbung der Bacillen es sich nur um eine ungleiche
Vertheilung des Protoplasmas innerhalb der Zelle handeln dürfte.
In biologischer Hinsicht fand er bei seinen angelegten
Culturen ein gutes Wachsthum derselben auf Agar bei Tem-
peraturen von 35^ C, ebenso auf Gelatine bei 24^ C; auf der
gekochten Kartoffel, die ja sauer reagirt, ist das Wachsthum
bei 35^ ein langsameres als auf der alkalisch gemachten; in
der Bouillon bildet der Bacillus bei 35^ G. kleine weisse
Klümpchen, die theils in der Kuppe liegen, theils an der
Wand des Glases hängen. Die Cultur wird schon am zweiten
Tage sauer.
In der Milch vermehren sich die Bacillen sehr stark und
bleiben daselbst lange lebensfähig. Wichtig bei dem Wachs-
thum der Bacillen ist die Reaction der Nährboden. Am
besten gedeihen sie bei alkalischen, wenigen gut bei säuern.
Escherich's Ergebnisse schliessen sich dem Befunde
von Löffler, Kolisko, Paltauf und Zarniko direct an,
indem er in 15 Fällen echter Diphtherie den Loffler'schen Ba-
cillus durch Culturen stets nachweisen konnte, und bei seinen
Thierversuchen wurde auch die Identität der aus den Mem-
branen isolirten Stäbchen mit dem Löffler'schen sicher fest-
gestellt
Sind nun auch die bis in die Jetztzeit erschienenen Ar-
beiten über die Frage nach der Aetiologie der Diphtherie,
ihre Verbreitung und Heilung sehr zahlreiche und ist die
Literatur hierüber zu einem solch' grossen Umfange ange-
schwollen, dass sie wahrscheinlich von der keiner anderen
Infectionskraukheit erreicht werden dürfte, wobei einzelne der
Autoren dieser Forschungen noch in schroffen Gegensatz zu
den bisherigen Resultaten in diesen Fragen getreten sind, so
ist doch zur Zeit die herrschende Ansicht eine solche, dass
speciell die Frage nach der Aetiologie fraglicher Krankheit
im Sinne von Löffler, Boux und Yersin als gelost zu be-
trachten sein dürfte, d. h. die von diesen Autoren gefundenen
und gezüchteten Bacillen sind als die Urheber der Diphtherie
zu betrachten, während Jahreszeit, Klima, Temperatur für
ihre Entstehung nur eine untergeordnete Rolle zu spielen ge-
eignet sind. Dieses Resultat kann für den Bacteriologen und
pathologischen Anatomen nicht mehr sein Interesse in An*
Zur bacteriol. und klin. Diagnose uod Therapie der Diphtherie. 109
Spruch nehmen, als es dies naturgemäss auch für den Kliniker
nnd praktischen Arzt thut, denn gerade für letztere wird ja
die ausschlaggebende Entscheidung über Begriff, Wesen,
Diagnose, Verbreitung, Therapie und Prophylaxe dieser mör-
derischen Krankheit in vielen Fällen schliesslich doch von
dem Resultate der diesbezüglichen bacteriologischen Unter-
suchung abhängig gemacht werden müssen. Von diesem Ge-
sichtspunkte geleitet, nahm ich nachfolgende Untersuchungen
in Angriff, welche mir, trotz vorhandener Ueberzeugung von
der ätiologischen Bedeutung des Loffl er' sehen Bacillus, doch
gerade mit Büchsicht auf gegentheilige Ansichten lehrreich
genug und nicht überflüssig erschienen. Je grösser ja die
Reihe der Untersuchungen ist, die, an verschiedenen Orten
und mit verschiedenartigem Material epidemischer Diphtherie
angestellt, das constante Vorkommen des Löffler'schen Ba-
cillus bestätigen, desto wichtiger ist der Beweis für seine
ätiologische Bedeutung, gar nicht zu erwähnen der Vortheile,
die ein solcher Nachweis für die Diagnose, das wissenschaft-
liche Verständnis, Verhütung und Therapie dieser hervor-
ragendsten und schrecklichsten Seuche unseres Zeitalters ge-
währen muss.
Bei meinen Untersuchungen Hess ich mich von den
Gesichtspunkten leiten: Ist die Diphtherie eine durch Mikro-
organismen bedingte Krankheit, so müssen sich für sie auch
diejenigen Postulate erfüllen, die zum stricten Beweise der
parasitären Natur einer solchen Krankheit absolut nothwendig
sind, d. h. es müssen in den local erkrankten Theilen Orga-
nismen constant nachgewiesen werden können, denen für die
Entstehung und Veränderung dieser Theile eine Bedeutung
beizulegen ist, diese müssen isolirt und rein gezüchtet werden
und dann müssen mit diesen Reinculturen experimentell die-
selben oder ähnliche Krankheiten wieder erzeugt werden können.
Diesen Postulaten gerecht zu werden, ist die Aufgabe meiner
Untersuchungen, deren Resultat, sowie eine dementsprechende
rationelle Behandlungsweise in nachfolgenden Zeilen einer
kurzen Besprechung unterzogen werden soll.
Die Untersuchungen wurden im Laufe des letzten Som-
mers in der unter Leitung des Privatdocenten Dr. Levy ste-
henden bacteriologischen Abtheilung des Laboratoriums der
medicinischen Klinik mit Krankenmaterial der medicinischen
Kinderklinik, in der ich zur Zeit als Assistent beschäftigt
war, ausgeführt. Den Directoren der beiden Kliniken, Herrn
Geheimrath Professor Dr. Naunyn, als meinem früheren
hochverehrten Lehrer, und Herrn Professor Dr. Kohts, als
meinem dermaligen hochverehrten Chef, spreche ich hiermit,
sowohl einerseits für die ertheilte Erlaubniss, m dem betret-
110 K. Roth:
fenden Laboratorium die Untersuchungen ausführen zu können,
als auch andererseits für die Ueberlassung des Erankenmaterials,
nochmals meinen verbindlichsten Dank aus. Herrn Privat-
docenten Dr. Leyj, der mir in Anleitung und Förderung der
Arbeiten in bereitwilligster Weise stets zur Verfügung stand,
bin ich zu ganz besonderem Danke yerpflichtet, den er hier-
durch gütigst entgegennehmen wolle.
Bevor wir mit der Besprechung der untersuchten Fälle
beginnen, wollen wir auf diejenigen Punkte eingehen, welche
für die Diagnose der Diphtherie im pathologisch-anatomischen
und im klinischen Sinne maassgebend sind, daneben kurz die-
jenigen A£fectionen erwähnen, die difPerential- diagnostisch in
letzterer Beziehung mit der Diphtherie in Betracht kommen
können.
Sitz der Diphtherie ist ja, wie bereits oben erwähnt, vor-
zugsweise die Schleimhaut des Respirationstractus. v. Reck-
linghausen unterscheidet bei den Entzündungen der Schleim-
häute drei Formen:
a) die katarrhalische <= Katarrh.
b) die fibrinöse oder croupöse »^ Croup.
c) die diphtheritische «= Diphtherie.
Bei der katarrhalischen Entzündung handelt es sich um
eine Schwellung, Röthung, Hyperämie und stärkere Secretion.
Das gelieferte Secret kann von verschiedener Beschaffenheit
sein. Eine Veränderung der Gewebe tritt bei dieser Form
der Entzündung nicht ein und erfolgt die Heilung hierbei
derart, dass nur in den seltensten Fällen Defecte zurück-
bleiben.
Bei der croupösen Entzündung werden Membranen ge-
bildet und diese bestehen aus Fibrin. Das Fibrin wird ge-
bildet aus dem Protoplasma der Zellen. Die Croupmembran
sitzt also nie auf der unverletzten Schleimhaut, sondern an
der Stelle des ganz oder zum Theil zu Grunde gegangenen
Epithels. Dieses Epithel wird bei der Heilung wieder her-
gestellt, sodass ein Defect nicht entsteht.
Bei der diphtheritischen Entzündung bilden sich auch
Pseudomembranen, dabei findet aber nicht allein ein Epithel-
verlust, sondern auch ein Substanzverlust des darunter lie-
genden Bindegewebes statt. Die diphtheritische Pseudomembran
ist nicht frei abgelöst oder gelockert, sondern sie ist stets
in Verbindung mit dem Bindegewebe. Erst wenn die demar-
kirende Eiterung auftritt, löst sich dieselbe ab und es bleiben
alsdann Buchten und Defecte zurück und findet die Heilung
hier nur durch narbiges Bindegewebe statt. Treten bei der
Zur baoteriol. and klin. Diagnose und Therapie der Diphtherie. 111
diphtheritischen Entzfindang tief eingreifende Zerklüftungen
der in Betracht kommenden Gewebe auf, so nennen wir diese
alsdann Diphtheritis gangraenosa.
Wir verstehen also vom pathologisch-anatomischen Stand-
punkt aus anter Diphtherie einen KrankheitsprocesSi der sich
meistens an den Schleimhäuten und zwar wiederum vorzugs-
weise denen der Bachenhohle abspielt, bei der ein echtes
diphtheritisches Exsudat in der Schleimhaut entsteht, bei der
in der Beconvalescenz die nekrotischen Theile alsdann durch
demarkirende Eiterung abgelost werden und bei der die Hei-
lung durch Narbenbüdung erfolgt Man unterscheidet bei
derselben zwischen einer reinen diphtheritischen und einer
gangränösen Form.
Klinisch verstehen wir unter Diphtherie etwas ganz An-
deres, denn hierbei sind nicht die anatomischen Veränderungen
der Schleimhaut, sondern die ätiologischen Momente entschei-
dend. Es ist hiernach die Diphtherie eine contagiose, durch
Einwirkung des Diphtheriegiftes hervorgerufene, meist mit
Fieber verbundene Krankheit, welche am Häufigsten den Rachen
und den obersten Abschnitt des Bespirationstractus befallt,
mit Bildung von grauweissen, gelbgrauen oder graubraunen
in die Schleimhaut eingelagerten Membranen einhergeht und
durch Infection des Gesammtorganismus allgemeine deletäro
Wirkungen zur Folge haben kann.
Tritt der Process primär im Larynx auf, wobei es meist
zu den Erscheinungen der Larynxstenose kommt, so sprechen
wir von Croup. Diese primäre Larynxdiphtherie wird zwar
von manchen Autoren in Abrede gestellt; so sagt beispielsweise
Henoch in seinem Lehrbuche der Kinderkrankheiten, dass
wahrscheinlich in denjenigen Fällen, in denen es sich um
primäre Diphtherie des Larynx handeln soll, das Nichtvor-
handensein von diphtheritischen Membranen in der Bachen-
hohle entweder darauf zurückgeführt werden kann, dass der
betreffende Process hier schon abgeheilt ist, oder dass in sol-
chen Fällen meist in Folge der Ungunst der zu besichtigen-
den afficirten Bachentheile die daselbst befindlichen Membranen
leicht übersehen werden. Henoch, der eher glaubt, dass der
Infectionsstoff in den Falten der Pharynxschleimhaut einen
sehr günstigen Boden für seine Existenz findet, hier den
Krankheitsprocess hervorruft, welcher alsdann auf den Larynx
fortschreitet, giebt aber trotedem die Möglichkeit zu, dass der
Infectionsstoff ohne Effect den Bachen zu passiren und erst
im Larynx seine Wirkungen zu entfalten vermag.
Nach unserer Ansicht können wir einen echten, einen
diphtheritischen und einen Pseudocroup unterscheiden.
Unter echtem Group verstehen wir eine acute, mit Bit-
112 K. Roüi:
duug einer der Schleimhaut aufliegenden Membran einher-
gehende^ nicht contagiose Entzündung des JLiarynx (Uffel-
mann). Entscheidend für die betreffende Diagnose sind der
plötzliche Beginn und besonders das frühzeitige Auftreten von
Athembeschwerden, der klanglose, trockene Husten, die klang-
lose Stimme, das fast oder gänzliche Fehlen des Fiebers, das
Fehlen von schmerzhafter Lymphdrüsenschwellung der Nach-
barschaft des Larynx, das nicht epidemische Auftreten und
endlich die Nichtcontagiosität.
Für die Diagnose des diphtheritischen Group ist ent-
scheidend: erhebliches Fieber, sowohl im Beginn als Verlaufe
der Krankheit, das Auftreten harter schmerzhafter Anschwel-
lung der Lymphdrüsen in der Regio submaxillaris, das Fehlen
des croupösen Hustens und der Beengung des Athmens im
Beginne der Krankheit, das epidemische Auftreten und end-
lich die Contagiosität (Uf fei mann).
Unter Pseudocroup yersteht man eiue acut auftretende
Entzündung der Schleimhaut des Larynx, bei der Membranen
nicht gebildet werden.
Nach Uf feimann sind charakteristisch hierfür der Be-
ginn mit Niesen, Schnupfen und Katarrhhusten, der geringere
Grad der Beengung, der raschere Verlauf und das Fehlen von
Membranen.
Das klinische Bild der acuten Larynxstenose wird also
bedingt entweder durch eine rasch zunehmende katarrhalische
Schwellung der Schleimhaut, oder sie beruht auf einer fibri-
nösen Auf- oder Einlagerung der entzündeten Schleimhaut
oder endlich auf einer serös-purulenten Infiltration der Ligam.
ary - epiglottica und ihrer Umgebung. In letzterem Falle
sprechen wir dann klinisch von Oedema glottidis, für welches
charakteristisch sein soll neben den anderen Erscheinungen,
dass die Beengung des Athmens nur beim Inspiriren, nicht
auch beim Exspiriren stattfindet.
Haben wir den klinischen Symptomencomplex, wie er
uns für gewohnlich entgegentritt und sich documentirt in
Heiserkeit, rauhem Husten, Empfindlichkeit des Larynx und
der Trachea gegen Druck, geräuschvoller In- und Exspiration,
Cyanose der Lippen und des Gesichts, Bewegung der Nasen-
flügel, Mitbewegen des Kopfes beim Athmen, Einziehung des
Jugulum, Epigastrium oder der ganzen unteren Thoraxpartie,
dabei ergiebt die Untersuchung der Rachenhohle nichts Charak-
teristisches, was auf eine bestimmte Diagnosenstellung be-
rechtigen Hesse, und auch eine sorgfältig angestellte Anamnese
lässt in dieser Beziehung völlig im Stich, so wird als ein-
ziges zuverlässiges diagnostisches Kriterium entweder eine
auszuführende laryngoskopische Untersuchung oder die beim
Zar bacteriol. und klin. Diagnose und Therapie der Diphtherie. 113
Husten herausbeforderten Pseudomembranen und deren bacte-
riologische Untersuchung betrachtet werden müssen.
Die Symptome der Diphtherie lassen sich eintheilen in
allgemeine und locale. Zu den erster en sind zu zählen: all-
gemeines Unwohlsein, Mattigkeit und Abgeschlagenheit in den
Gliedern^ Theilnahmlosigkeit , mfirrisches Wesen, Frost und
Hitze, Appetitlosigkeit y vermehrtes Durstgefühl und Fieber.
Was das Fieber anbetri£Ft; so ist die Hohe desselben kein
sicherer Gradmesser für die Schwere der LocalafiPection. Wich-
tiger ist das Yerhältniss des Fiebers zum Pulse, d.h. die Har-
monie oder Disharmonie des letzteren mit ersterem. Ist die
Temperatur massig oder niedrig, der Puls sehr frequent und
klein, so stellt sich die Prognose schlecht, ist dagegen die
Temperatur hoch, der Puls aber nicht sehr frequent und
kraftig, so braucht man die Prognose noch nicht schlecht zu
stellen.
Die ortlichen Erscheinungen sind: Schmerzhaftigkeit im
Halse, sowohl beim Schluckacte als auch bei äusserem Drucke,
Terschiedengradige Rothe der Rachenschleimhaut, Schwellung
der Tonsillen, membranose Beläge, die von verschiedener Farbe
and verschiedener Ausdehnung sein können, Drüsenschwellung
and meist auch Foetor ex ore. Dass die Drüsenschwellung
bei der Diphtherie als ein constanter Begleiter, wie dies von
manchen Autoren zu geschehen pflegt, hinzustellen sei, dürfte
mindestens gewagt erscheinen, ebenso muss das Vorhanden-
sein von Membranen als nothwendiges Erforderniss angesehen
werden, da beispielsweise eine Rachendiphtherie ohne Beläge
in der Form einer einfachen Angina, wie dies zu geschehen
pflegt, nicht angenommen werden kann.
Je nach Yerschiedenheit der Localisation der Diphtherie
werden noch entsprechende andere Symptome hierfür in Be-
tracht kommen. So wird als wichtiges Symptom beginnender
Nasendiphtherie stets ein mehrtägig bestehender Schnupfen
sehr in die Wagschale fallen müssen. Ist das dabei entleerte
Secret ein dünnes eitriges, mitunter von Blut untermischtes,
schnarcht der Patient beim Schlafe und athmet er durch den
Mund, auch im wachenden Zustande, sind Oberlippe und
Nasengänge geröthet oder erodirt und erhält man aus der
Nase Fetzen vom Membranen, so ist die Diagnose gesichert.
Die Diphtherie im klinischen Sinne wird eingetheilt von
Henoch: in eine leichte, mittelschwere und schwere Form.
Eine Eintheilung, die der Autor selbst nicht als genügend
bezeichnet, da ja jederzeit die eine Form in die andere über-
gehen könne.
Baginsky unterscheidet:
1) die localisirte diphtheritische Aflfecfcion,
Jahrbneh f. XSiid«rhemraiid6. K. F. XXXVIU. 8
114 K. Roth:
2) die diphtheritische AUgemeininfection,
(3 "
3) die septicamisclie Diphtherie.
Diese Eintheilong charakterisirt im Wesentiichen die hervor-
stechenden Eigenschaften der Einzelfölle.
Nil Filatow unterscheidet je nach dem Grade der localen
und Allgemeinsymptome die drei Formen:
1. die punktirte \
2. die membranSse [Diphtherie.
3. die septische f
Kohts unterscheidet mit Bücksicht auf die Form der
diphtheritischen Membranen, d. h. ob dieselben in dicken
speckartigen Auflagerungen oder in einer mehr infiltrirten
Form uns zu Gesicht kommen: eine Plattenform gegenüber
einer mehr infiltrirten schleierartigen Form. Daneben nimmt
er noch die sogenannte septische Form an.
Die letztere Eintheilung ist bei der Besprechung der zur
Untersuchung gekommenen Fälle als Bichtschnur genommen
worden.
Differential -diagnostisch kommen bei der gewöhnlichen
Bachendiphtherie folgende Affectionen in Betracht:
1. Die Angina follicularis. Wichtig ist zwischen beiden
Affectionen das Fieber, denn während die Angina meist mit
hohem Fieber einsetzt, haben wir bei der Diphtherie Schwan-
kungen zwischen 38,0 und 39^ mit abendlichen Steigerungen.
Dann kommt in Betracht die Follikeleruption selbst, bei denen
die Flecken eine stets regelmässige Form mit fast stets
gleicher Grosse haben ^ wobei dieselben nie über den Bereich
der Tonsillen hinausgehen, Symptome, die wir bei der Di-
phtherie ia solch ausgesprochener Form nicht finden.
2. Die Angina lacunaris. Hier ist maassgebend, dass bei
der Diphtherie das Exsudat auf den conyexen Stellen der
Tonsillen, während es bei der lacunären Angina, wie ja schon
der Name besagt, in den Vertiefungen der hypertrophischen
Tonsillen sitzt. Das diphtheritische Exsudat hat Neigung,
sich in die Fläche auszudehnen, wodurch alsdann mehrere
vorhanden gewesene kleinere Plaques zu einem einzigen grosse-
ren confluiren können. Bretonneau sagt schon, die Ver-
breitungsweise der diphtheritischen Entzündung schreitet in
ähnlicher Weise vor wie ein Flüssigkeitstropfen, der in die
Umgebung sich imbibirt und an abhängiger Stelle herunter -
gleitet. Wichtig ist ferner noch die Anzahl der Flecken und
hierfür giebt auch Bretonneau schon Anhaltspunkte, indem
er sagt: „Sieht man mehr als drei gesondert neben einander
liegende hautähnliche Flecken, so wird die Diagnose auf Di-
phtherie ausgeschlossen werden können/'
Zar bacteriol. und klin. Diagnose nnd Therapie der Diphtherie. 115
In Betracht zu ziehen ist endlich noch das Fieber, das
bei der Angina lacunaris meist ein sehr hohes ist, wobei
Temperaturen von 40^ vorkommen können.
3. Die Angina parenchymatöse Bei der Entscheidung,
die oft zweifelhaft sein kann, kommt in Betracht die Farbe
des Belages, hier ist er weiss, während bei der Diphtherie
der Belag grau, gelb oder mehr graubraun ist Die Con-
iouren bei letzterer sind selten regelmässig und gehen auch
über die Mandeln hinaus. Endlich ist noch Rücksicht zu
nehmen auf das gleichzeitige Bestehen einer Hausepidemie.
4. Die Angina fibrinosa. Als Stützpunkte, die klinische Dia-
gnose der sehr seltenen, von Elebs als locale, nicht contagiöse
Erkrankung der Rachenmukosa beschriebenen Affection auszu-
schliessen, sind zu nennen das Vorhandensein von Diphtherie-
fallen in der Familie, Verlauf der Krankheit ohne oder mit
nur geringem Fieber, die Art der Ausbreitung über die Ton-
sillen hinaus, das Vorhandensein von Albumen imd später
eintretende Lähmungen.
Was endlich die Diphtherie bei Scharlach und Masern
anbetrifft, so ist es jedenfalls rathsamer, die bei diesen Krank-
heiten Yorkommenden, fast als gewöhnlich zu bezeichnenden
Erscheinungen nach dem Vorbilde massgebender Autoren besser
als diphtheritische Nekrosen und als echten Croup zu bezeich-
nen. Damit wird nicht bestritten, dass das Vorkommen von
Scarlatina und Masern complicirt mit echter Diphtherie gerade
zu den grossten Seltenheiten gehöre, denn die klinische Be-
handlung hat ja, vielfach schon durch die Ungunst der Räum-
lichkeiten hervorgerufen, Beispiele jederzeit hiervon aufzuweisen,
dass das gleichzeitige Bestehen von Infectionskrankheiten bei
einem Individuum vorkommen kann. Ebenso wie aber nun
die nekrotisirende Entzündung nicht allein bei obigen Krank-
heiten, sondern auch bei Dysenterie, Pyämie, Typhus vor-
kommen kann und wie die Pseudomembranen, wie wir sie in
ihrem anatomischen Bilde vor uns haben, ausser durch den
Diphtheriebacillus auch, wie wir bereits oben gesehen, durch
Aetzmittel, dann durch Hitze und Kälte erzeugt werden
können, bei denen die Aehnlichkeiten dieser anatomischen
Producte noch nicht die Identität der Krankheitsprocesse be-
weisen, ebenso kann ja auch das Exsudat, was die Anatomen
als diphtheritisch beschreiben, durch verschiedene Ursachen
hervorgerufen werden. Will man also klinisch bei solch vor-
kommenden Fällen eine absolut sichere Diagnose stellen, so
wird man für gewöhnlich mit der einfachen Inspection un*
möglich auskommen und nothwendiger Weise doch stets die
bacteriologische Untersuchung zu Hilfe nehmen müssen. Die
Frage bleibt alsdann die: Können wir mit Hilfe der anzustel-
8*
116 K. Roth:
lenden bacteriologischen Untersuchung die Diagnose frühzeitig
genug stellen? Dieselbe muss entschieden bejaht werden, denn
bei dem heutigen Stande der bacteriologischen und mikrosko-
pischen Untersnchungsmethoden und deren Ergebnissen wird
dasselbe stets und zwar spätestens nach Verlauf von 24 Stunden
möglich gemacht werden können.
Hierzu wird natürlich vorausgesetzt, dass die nothigen
Isolirräume zur Verfügung stehen, in welchen die Patienten
bis zur Beendigung der bacteriologischen Untersuchung unter*
gebracht werden. Leider ist allerdings dieses Bedüifniss in
manchen Krankenhäusern bis jetzt noch stets ein frommer
Wunsch geblieben. Wird auch diese Isolirung sowie die
bacteriologische Untersuchung sämmtlicher aufzunehmender
Patienten von Manchen als überflüssig und nicht nothwendig
bezeichnet, indem die Anzahl der mit Diphtherie inficirten
Patienten, welche auf Grund einer falsch gestellten Diagnose
in der Diphtherieabtheilung Aufnahme finden, eine verschwin*
dend kleine sei, so wird, selbst letzteres vorausgesetzt, doch
für jeden Fall, in dem klinisch eine absolut sichere Diagnose
auf Diphtherie nicht gestellt werden kann, diese Isolirmass-
regel und die sich daran anknüpfende bacteriologische Unter-
suchung stets ein nothwendiges Erforderniss bleiben müssen.
Zweifelhafte Fälle von Diphtherie, bei denen eine sichere
Diagnose makroskopisch nicht zu stellen ist, werden dem-
genigen viel mehr zu Gebote stehen, der in diesem Gebiete
berade eine reichere Erfahrung hat und dem es nicht erspart
bleiben dürfte, dass die für jeden Diphtheriefall ausgeführte
jacteriologische Untersuchung seine gestellte Diagnose häufig
hinfällig machen wird. Die hiesige Kinderklinik hat im Laafe
des letzten Winters die traurige Erfahrung machen müssen,
dass gerade wegen Mangels solcher Isolirränme in Fällen von
Larynxstenose vor dem Masem-Exanthem- Ausbruche die Masern
in die Diphtherieabtheilung eingeschleppt wurden, welche als-
dann unter den zur Zeit in sehr grosser Anzahl vorhandenen
und durchweg doppelt gebetteten Patienten eine reiche Beute
von todtlich verlaufenden Opfern forderten. Die Gefahr eines
mit einer zweifelhaften Diagnose auf Diphtherie belasteten
Patienten wird durch die Aufnahme in solche Isolirräume
jedenfalls nicht in Vergleich gezogen werden können gegen-
über der Gefahr, welche die Verbringung eines Patienten, der
in einem Masern- oder Scharlachprodromalstadium sich be-
findet, auf die Diphtherieabtheilung für die hier Befindlichen
in sich birgt.
Zar bacieriol. und klin. Diagnoae und Therapie der Diphtherie. 117
üntersnohte Fälle d. h. baoteriologiBoh nntersuclite.
Von einer Wiedergabe der Erankengeschiebten in toto
ist Abstand genommen worden^ weil sonst wegen der vielfach
vorhandenen Uebereinstimmung des klinischen Verlaufs Wieder-
holungen unvermeidlich gewesen wären. Nur zwei Fälle sollen
mit BQcksicht auf den langandauemden und hartnäckigen Ver-
lauf der Krankheit, sowie wegen ihrer Becidive, die bald nach
ihrer Entlassung aus der Klinik auftraten, wodurch eine noch-
malige Verbringung beider Patienten in die Kinderklinik iiothig
wurde, in toto beigefugt werden. Eine tabellarische Zusammen-
stellung ist zur Gewinnung einer raschen üebersicht noch bei-
gefögt.
Zur Untersuchung kamen 25 Fälle, die theils aus Strass-
bürg, theils aus benachbarten Orten kommend, in hiesiger
Kinderklinik Aufnahme fanden. Das Alter dieser Patienten
schwankte zwischen 1 und 12 Jahren, die Krankheitsdauer
vor Aufnahme in's Spital, soweit es anamnestisch festgestellt
werden konnte, zwischen 1 und 10 Tagen. Verschiedene von
ihnen waren schon zu Hause in ärztlicher Behandlung ge-
wesen. Fast allen Patienten gemeinsam waren Beläge, die
sich teils auf den Tonsillen allein, theils in Gemeinschaft mit
solchen auf dem weichen Gaumen und der hinteren Pharynx-
wand vorfanden. Einmal war der Belag bis auf den harten
Gaumen ausgedehnt. In zwei Fällen konnte, trotz genauester
Untersuchung, in der Mundhöhle kein Belag constatirt werden.
Vorherrschend unter diesen waren die prognostisch nicht so
günstigen, infiltrirten, schleierartigen Formen, während die
speckflürtigen dicken Formen mit gelbgrauen Membranen sei*
teuer und solche mit ausgesprochen schmutziggrauer FarVe
nor zweimal vertreten waren. Bei neun war der Krankheits-
process schon bei ihrer Aufnahme in die Klinik auf den La-
rynx und eventuell auch die Trachea ausgedehnt, wie die bei
ihnen vorhandenen Erscheinungen deutlich erkennen Hessen.
Diphtherie der Nase war in fdnf Fällen mit der Rachen-
Affection complicirt, bei drei von diesen war die Nasen-
Affection das primäre Leiden. — Die älteren Patienten machten
ihre Angehörigen fast durchweg durch Klagen über Schmerzen
im Halse, besonders beim Schlucken, auf ihr Leiden aufmerk-
sam, bei anderen bestand nur Husten, der vorzugsweise bei
jflngeren die Scene eröffnete; bei anderen wurde die Krank-
heit durch allgemeines Unwohlsein, Apathie, Anorexie und
einige Male auch durch Erbrechen eingeleitet. Schwellung der
Lymphdrüsen und des Halses konnte bei den Meisten nach-
gewiesen werden. Fieber war bei der Aufnahme bei Allen
vorhanden. Die Fiebercurven schwankten zwischen 37,9 und
120 K. Roth:
28. YIII. Belaff Yergchwundeii.
6. IX. Patientin verlässt das Bett, sie klagt über Bchwäche in
den unteren Extremitäten und Schmerzen in den beiden Fussgelenken,
sodass das Gehen sehr beschwerlich ist.
Ord.: Ruhe und roborirende Diät
9. IX. Geheilt entlassen.
Wiedereintritt am 21. IX. 1893. Erkrankt am 18. IX. 1898 mit Er-
brechen, hohem Fieber und Halsschmerzen. Die Behandlung bestand
in GurgeluDgen mit Salzwasser. Priessnitz um den Hals, Temperatur
39,9. Beim Eintritt in die Klinik besteht geringe Heiserkeit, rauher
Husten, starke Lymphdrüsenschwellung in der Regio submaxillaria, rechts
ist der Hals stark infiltrirt und bei leichtem Drock sehr schmerzhaft
Der l^aseneingang und die Oberlippe stark gerOthet, aus der Nase ent-
leert sich reichlich seröses Secret. Leichte Cyanose der Lippen. Die
Tonsillen stark geröthet und geschwollen, zwischen ihren medialen
Flächen ist kaum noch ein fingerbreiter Spalt vorhanden; tief dunkel-
rothe Färbung der Rachensohleimhaut; die ganze Rachenhöhle ist, so-
weit dieselbe bei vorhandener Schwellung sichtbar ist, mit dicken gelb-
grauen Belägen bedeckt. Starker Foetor ex ore. üeber den Lungen
reichliches rfeifen und Giemen. Geringe Apathie. Temperatur 38,8,
Puls 108. Arterienwand ^nt gespannt Kein Albumen.
Ord.: Eiscravatte, Pnessnitz um die Brust, Einpinseln mit Carbol-
Papayotin und Glyoerininhalationen.
24. IX. Belag nur noch auf der rechten Tonsille und Uvula vor-
handen. Die linke Tonsille zeigt sehr stark zerkldfbete lacnnäre Ver-
tiefungen, die Schwellung ist zurückgegangen; Röthe der Rachenschleim-
haut und Tonsillen, Temperatur 87,1.
2. X. Geringer Belag der rechten Tonsille, die im unteren Theile
sitzt Temperatur 36,8.
16. X. Belag verschwunden. Die rechte Tonsille ist noch ver*
grössert.
28. X. Geheilt entlassen.
Dauer der ersten Aufnahme 90 und der zweiten 39 Tage.
Hermann Z., 10 Jahre alt, erkrankt am 27.yn. 1893 mit Halsschmerzen.
Eintritt ins Spital am 31. VIL 1893. Eine j fingere Schwester liegt da-
selbst krank an Diphtherie. Gut entwickelter Knabe. Die Rachen-
Bchleimhaut tief dunkelroth und stark geschwollen, die linke Tonsille
stark vergrösser t, sie ragt wallnnssgross in die Rachenhöhle hinein.
Auf beiden Tonsillen sind schleierförmige Beläge, links stärker als rechts
vorhanden, diese lassen sich schwer von ihrer Unterlage abheben.
Starke Lymphdrüsenschwellangen am Halse. Die inneren Organe er-
geben nichts Anormales.
Temperatur 37,9. Puls 104. Kein Albumen.
Ord.: Eiscravatte, Glyoerininhalationen , Gnrgelung mit Kali chlor.
Einpinselung mit Carbol - Papayotin und zwar in den ersten beiden
Stunden alle 10 Minuten, und nachher zweistündlich zu pinseln. Eis-
schlucken.
3. YIII Der Belag Unks erstreckt sich Über beide Gaumenbögen
hinaus, rechts geht er jetzt bis an die hintere Pharyuxwand und er-
streckt sich hier tief nach unten. Gegen die Umgebung sind die Mem-
branen nicht scharf abgegrenzt, sondern sie schicken kleine, fetzen-
förmige Ausläufer in dieselbe hinein. Die Schleimhaut, bei der leisesten
Berührung mit dem Pinsel sehr schmerzhaft, blutet leicht Lymph-
drüsenschwellung stark. Kein Albumen. Temperatur 37,4.
10. Vni. Der Belag auf der rechten Seite ist jetzt nur auf der
Tousille zu sehen, links hat er eine mehr graugelbe Farbe, lässt sich
Zar bacteriol. und klin. Diagnose und Therapie der Diphtherie. 121
hier bei jedesmaliger Pinselung leicht wegwischen. Die Schleimhaut
ist stark Ödematös geschwollen. Kein Albumen.
25. YIII. Rechts kein Belag mehr vorhanden, links bedeckt er
noch den ganzen hinteren Bachenbogen. Schleimhaut noch stark ge-
röthet, die linke Tonsille ist yergrössert. Die Lymphdrüsen in der
Sobmazillargegend gut fühlbar. Temperatur 87,2.
5. IX. Die Bel&ge sind geschwunden, die Schleimhaut der Rachen*
hohle noch stark geröthet.
8. IX. Auf der linken Tonsille, in dem hinteren Gaumenbogen ist
wieder ein dünner, schleierförmiger Belag yorhanden. Die linke Ton-
sille hypertrophisch, die Schleimhaut stark geröthet. Keine Temperatur-
erhöhung, kein Albumen.
15. IX. Der Belag ist geschwunden, die Rachenschleimhaut noch
geröthet.
25. IX. Leichte Röthe der Nasenschleimhant und der hinteren
Pharynxwand. Temperatur 86,5.
8. X. Geheilt entlassen.
Wiedereintritt am 4. X. 1898. Patient erkrankte in der Nacht vom
3. X. cum 4. X. mit Fieber von 40^1 \ sehr starken Schmerzen im Halse,
dabei war er über den ganzen Körper stark geröthet. Der Eintritt
in die Klinik erfolgte am 4. X. Starke erythematöse Röthe der Haut,
starker schmieriger Belag auf der Zunge. Die Rachenhöhle ist init
einem gelbgrauen Belag überzogen, der l^ide Tonsillen, die beiden hin-
teren mumenbögen mit Uvula und die hintere Rachenwand derart be-
deckt, dasB die darunter liegende Schleimhaut in der ganzen Ausdeh-
nung nicht zu sehen ist. Der Belag setzt sich scharf gegen die üm-
gebong ab. Beide Tonsillen sind vergrössert, die Lymphdrüsen des
Halses geschwollen und schmerzhaft. Keine Milzvergrösserung , Herz-
töne rein. Ueber den Lungen ^normale Athmungsgeräusche. Das Ab-
domen leicht aufgetrieben und bei der Betastung empfindlich. Kein
Albumen, Temperatur 39,3, Puls 124, Respiration 36.
Ord.: Die n&mliche Therapie wie oben, nur wird nach Ablauf von
zwei Stunden alle Stunden gepinselt.
7. X. Bel^ auf der linken Tonsille noch sichtbar. Starke Rötbe
der Bachenschleimhaut.
10. X. Status idem. Temperatur 87,9.
16. X. Ungeföhr linsengrosser Belag auf der linken Tonsille, der in
einer stark lacun&ren Vertiefung sitzt Keine Temperaturerhöhung.
28. X. Der Belag ist verschwunden, die Rachenscbleimbaut leicht
geröthet
5. XL Geheilt entlassen.
Zum ersten Male im Spital 66 Tage, zum zweiten Male 43 Tage.
Von allen Patienten wurden bei Lebzeiten kleine Stücke
von Pseudomembranen^ theils aus der Mundhöhle, theils nach
Tracheotomien aus der Trachea genommen. Zur Entnahme
bedienten wir uns einer gut geglühten Pincette, brachten unter
den nothigen Cautelen die sich meist leicht und ohne Schmerz-
äusaerüng der Patienten von ihrer Unterlage ablosenden Mem-
branstücke in gut sterilisirte, luftdicht abschliessende Was-
achaalen. Zurück blieb eine stark gerötliete, bei Manchen
sogar leicht blutende Schleimhautfläche. Von dem aul üiese
Weise gewonnenen Material wurde ein Theilchen vermittels
eines geglühten Platindrahtes abgelöst und mit jenem jeüea^
124 K. Eoth:
membranen gehandelt haben, in denen nach Beobachtungen
von Oertel sehr häufig die specifischen Erreger überhaupt
nicht gefunden werden.
Fassen wir nochmals das Resultat des oben Mitgetheilten
und der beigefügten tabellarischen üebersicht zusammen , so
ergiebt sich, dass von 22 Fällen echter epidemischer Diphtherie
mit zwei ßecidiven, Ton denen der eine am 18. Tage nach
geschwundenem Belage wieder mit Prodromal -Erscheinungen
erkrankte und am 21. Tage mit ausgesprochenen Symptomen
echter Diphtherie uns wieder zugeführt wurde; der zweite
auch am 18. Tage begann, aber schon am 19. Tage starke
Diphtherie der Rachenhöhle darbot, in 21 Fällen von primärer
Diphtherie und in den beiden Recidivfällen der LSffler'sche
Diphtheriebacillus durch die Culturmethoden und das Mi-
kroskop nachgewiesen worden ist. Das Resultat dieses Be-
fundes könnte vielleicht im Stande sein, Zweifel an den Con-
stanz und der Bedeutung des Elebs-Löffler'schen Bacillus
zu erwecken, wenn man nicht das Fehlschlagen dieser einen
Cultur auf Kosten oben angeführter Zufälligkeiten zurückführen
dürfte und somit auch unsere Untersuchungen nur einen wei-
teren positiven Beweis f&r die Behauptung von der Constanz
des Diptheriebacillus bei der epidemischen Diphtherie be-
gründet haben können.
Sind wir somit durch diesen Befund den beiden ersten
zum Beweise der uns gestellten Aufgabe nothwendigen Postn-
laten gerecht geworden, so bleibt uns als drittes Requisit des
vollen Beweises noch das Thierexperiment übrig. Hierzu be-
dienten wir uns der von Löffler als bequemste und beste
Objecte bezeichneten Meerschweinchen, bei denen wir nur intra-
peritoneale Impfungen mit Bouillonculturen vornahmen. Die
letzteren stellten wir derart her, dass wir von unseren ge-
wonnenen Glycerin-Agar-Strichculturen Ueberimpfungen auf
Bouillon vornahmen, dieselben alsdann in den Brütofen brachten
und sie hier mindestens zehn Tage bei einer Temperatur von
37^ erhielten. Schon am zweiten Tage zeigte sich die Bouillon
getrübt^ und in derselben konnten reichliche krümelige Massen,
die sich sowohl an den Wänden als auch an der Kuppe des
Reagenzröhrchens ansetzten, beobachtet werden. Beim leichten
Umschütteln wurde die Bouillon jetzt iu eine molkig aus-
sehende, mit Flocken und Fäden durchsetzte Flüssigkeit ver-
wandelt, deren Trübung taglich stärker wurde. Die Reaction
der Bouillon wurde schon mit dem dritten Tage nach der
Ueberimpfung eine saure. Für jedes unserer 21 Yersuchsthiere
injicirten wir 1 ccm Culturflüssigkeit in das Peritoneum. Nach
Ablauf von 15 Stunden zeigten sich schon bei neun Krank-
heitserscheinungen, die sich erkennbar machten durch trauriges
Zur bacteriol. und klin. Diagnose nnd Therapie der Diphtherie. 125
Aussehen, Geradstehen der Haare, geringe Esslust und geringen
BewegQDgstrieb. Die Tbiere sassen meist zusammengekauert
da and machten von Zeit zu Zeit zuckende Bewegungen. Nach
Ablauf von 24 Stunden waren diese neun bereits gestorben,
sechs weitere erkrankten unter denselben Symptomen, wie die
ersten, nach 24 Stunden und starben nach 30 Stunden, drei
weitere erkrankten nach 36 und starben nach 43 Stunden;
die drei letzten erkrankten nach ungefähr 40 Stunden, blieben
in diesem Sjrankheitsstadium zwei Tage und waren nach dieser
Zeit wieder anscheinend gesund. Nur war die geringe £ss-
losi der Thiere etwas auffallend. Am elften Tage zeigten
sich bei dem einen von den dreien wieder heftigere Erank-
heitssymptome, denen dasselbe auch an demselben Tage erlag.
Das eine der beiden noch lebenden Thiere zeigte ebenfalls am
elften Tage wieder Verschlechterung seines Zustandes. Am
zwölften Tage konnte man bei demselben deutliche Athemnoth
ond geräuschvolles In- und Exspiriren beobachten. Sämmt-
liehe Athmungsmuskeln wurden in Thätigkeit gesetzt, und
wurden bei der Athmung recht ergiebige Bewegungen mit
dem Kopfe ausgeführt. Das Thier war stark abgemagert und
beim Laufen wurden die hinteren Extremitäten nur wenig be-
wegt Dieselben befanden sich in starker Contractionsstellung
ond war die linke Extremität ausserdem noch deutlich abducirt.
Da Erstickung drohte, wurde die Tracheotomie bei ihm aus-
geführt. Dasselbe starb aber zwei Stunden nach der Operation.
Das letzte der geimpften Thiere befindet sich zwar noch am
Leben, ist aber stets sehr traurig, nimmt wenig Nahrung zu
sich und ist demzufolge auch stark abgemagert. An den hin-
teren Extremitäten kann man leichte Paresen beobachten.
Bei den Sectionen war das Bild derjenigen Thiere, die
imierhalb zweier Tage nach der Injection starben, ein fast
gleiches: Wir fanden in der Bauchhöhle stets eine Yermeh-
mng der Flüssigkeit, dieselbe war serös bis blutig geförbt.
Das Peritoneum, meist glatt und glänzend, zeigte in allen
Fallen zahllose Ecchymosen von yerschiedener Grösse. Die
Blu^efasse des Darmes stets gut bis stark injicirt. Die
Meaenterialdrüsen nur bei einzelnen geschwellt. Zahllose
ausgedehnte Ecchymosen waren durchweg in der Serosa des
Zwerchfells zu sehen.
Die Flüssigkeitsmengen in den Pleuren, mitunter farblos
bis blutig gefärbt, waren meist vermehrt. Im Pericardium
Würde bei einzelnen ebenfalls deutliche Vermehrung der Flüssig-
keit beobachtet, bei anderen war dieselbe jedoch normal. Das
rechte Herz vielfach durch leichtflüssiges Blut mit einigen
Blutgerinseln stark ausgedehnt, ebenso der linke Vorhof; der
linke Ventrikel war fest contrahirt. Die Lungen, blutreich,
128 K. Roth:
Ideal eines Heilmittels in Händen. Leider besitzen wir ein
solches Mittel bis jetzt noch nicht, welches diesen Anforde-
rungen genügen könnte. Wohl in Betracht zu ziehen und
nicht hoch genug anzuschlagen sind bei der Auswahl unserer
Mittel neben ihren guten Eigenschaften ihre sich entweder
auf den ganzen Organismus oder nur auf einen localen Korper-
theil geltend machenden schädlichen Nebenwirkungen^ und
gerade diese bedingten es vielfach , dass eine grosse Anzahl
der von ihren Autoren sehr gepriesenen und mit einem ge-
wissen Nimbus umgebenen Mittel sich keines allgemeinen
Ansehens, aber einer kurzen Dauer erfreuen durften. Soll die
Heilkraft eines Mittels beim erkrankten Menschen erprobt
werden, so muss nothgedrungen dessen Wirksamkeit auch
schon vorher auf den isolirten Krankheitserreger sichergestellt
sein. Anscheinend dürften ja in dieser Beziehung die Ver-
hältnisse anderswo kaum günstiger liegen, als gerade bei der
Diphtherie, wo wir ja in der Lage sind, ein Heilmittel direct
auf die isolirten Erreger der Krankheit einwirken lassen zu
können, wodurch alsdann die durch das Experiment gewon-
nenen Erfahrungen auf den menschlichen Organismus über-
tragen werden könnten.
Dieser letzteren Möglichkeit stehen jedoch so mancherlei
Hindernisse im Wege, die den gehofften Erfolg sehr beein-
trächtigen. Vor Allem ist es das bei der Diphtherie am
häufigsten erkrankte Organ, welches der regelrechten localen
Application eines anzuwendenden Mittels Schwierigkeiten ent-
gegensetzt, wodurch alsdann der Krankheitserreger gar nicht
beeinflusst wird. Die Brutstätten der specifischen Bacillen
sind ja die oberflächlichen Schichten der Membranen, in denen
die Stoffwechselproducte gebildet und von hier aus in den
Körper gebracht werden.
Soll der Zweck, den Diphtheriebacillus uuschädlich zu
machen, erreicht weden, so kann dies ja auf yerschiedene
Weise geschehen, entweder man beseitigt mechanisch die Mem-
branen oder man wendet starke kaustische Mittel und unter
diesen auch das Glüheisen an, oder man geht antiseptisch
l gegen diese Krankheitserreger vor. Dem Gebrauche des ersten
I Verfahrens steht die Erfahrung entgegen, dass jeder gewaltsame
I Eingriff so viel als möglich vermieden werden soll, da durch
I das Abreissen der Membranen stetz neue Eingangspforten für
die Bacillen geschaffen werden. Ueber die kaustischen Mittel
kann schliesslich fast nur dasselbe gesagt werden. Wenn
I auch die von Bloebaum^) veranlasste warme Empfehlung
zum Gebrauche der Galvanokaustik und in neuerer Zeit wieder
1) Deatsche med. Zeitang 1885 Nr. 88. 1886 Nr. 89.
Zur bacterioL und klin. Diagnose und Therapie der Diphtherie. 129
die von Hagedorn^) damit erzielten Erfolge zu weiteren
Versuchen aufmunterten^ so werden doch gerade die Schwierig-
keiten, die sich der Ausführung eines solchen Verfahrens,
das doch immerhin schon als ein recht energischer Eingriff
angesehen werden muss, entgegenstellten, die Bedenken recht-
fertigen, gemäss deren zu grosser Vorsicht gemahnt wird,
und die auch eine Erklärung dafür abgeben dürften, dass sich
eine solche Therapie allgemeine Anerkennung bis jetzt noch
nicht erwerben konnte.
Einer grosseren Beliebtheit dürften sich die antiseptischen
Mittel er&eaen, für deren Anwendung ja auch schon Löffler
eintrat Ein gewisses Hinderniss für sie besteht zwar in der
Gefahr des Eintritts schädlicher Nebenwirkungen, sowie darin,
dass dieselben nur schwer unverändert bis zum Orte ihrer
Wirksamkeit hingelangen können. Eingeschränkt in ihren
g^stigen Wirkungen werden sie ja schon durch den vorhan-
denen Mundspeichel, und durch Versuche ist ausserdem fest-
gestellt worden, dass die in den diphtheritischen Membranen
vorhandenen Eiweissstoffe die Desinfectionskraft der Antisep-
tica sehr abschwächen. Demzufolge wurde nach Heilmitteln
gesucht, welchen eine die Membranen auflösende Wirkung zu-
kommt. Bossbach war der Erste, welcher im Papayotin ein
Mittel fand, welches in kurzer Zeit Croupmembranen au&u-
lösen im Stande war, und Eohts') gebührt das Verdienst,
durch die mit diesem Mittel angestellten Versuche dasselbe
in die Therapie eingeführt und ihm bis jetzt einen dauernden
Erfolg gesichert zu haben. In der von Eohts als zweckmässig
gefundenen 5%igen Lösung wurde es in den letzten Jahren
stets, wenn auch nicht ausschliesslich, auf der Diphtherie-
abtheilung der hiesigen Einderklinik zur Anwendung gebracht
Auf Vorschlag des Privatdocenten Dr. Levy wurde nun
seit October 1892 in der betreffenden Abtheilung' ein, com-
binirtes Mittel in Gebrauch genommen. Die experimentellen
Prüfungen über die Einwirkung dieses combinirten Mittels auf
das Diphtheriegift sind von dem Privatdocenten Dr. Levy*) und
Assistenzarzt Knopf vorgenommen und auch des Näheren
behandelt worden. Ueber seine Wirksamkeit am Kranken-
bette wurden mit Einwilligung des Directors der Kinderklinik
Versuche gemacht. Auf dessen Anordnung wurden die Pa-
tienten mit Lösungen beifolgender Zusammensetzung:
Papayotin 10,0
Add. carbol. liqnef. pur. 6,0
Aq. deatill. 100,0.
1) Deutsche med. Wochenschrift 1891 Nr. 28, 29.
2) Zeitschrift für klinische Medicin Bd. V. H. 4.
8) Berliner klinische Wochenschrift.
Jahrlmeh f. Kinderhoilkimde. N. F. XXXYIII. ^
1
130 K. Roth:
derart behandelt, dass in den ersten 2 Stunden des Beginns
der Behandlung alle 10 Minuten und später alle 2 Stunden
Einpinselungen vorgenommen wurden. Die Membranen wurden
mit grossen Rachenpinseln durchschnittlich vier- bis fünfmal
hintereinander leicht bestrichen und jede Schleimhautyerletzung,
soweit es thunlich war, vermieden. Da ja das Bild des Einzel-
falles verschieden ist, je nach dem Stadium, in dem er zu un-
serer Beobachtung gelangt, oder je nach der Bösartigkeit der
Epidemie und nach dem Alter der Patienten, so hat sich der
Erfolg unserer Einpinselungen auch wesentlich nach diesen
drei Gesichtspunkten bemessen. Mitunter war er ein solcher,
dass die Membranen schon nach einigen Wiederholungen
kleiner wurden und dass nach zwei bis drei Tagen dieselben
derart beeinflusst waren, dass sie mit einer jedesmaligen Ein-
pinseluug verschwanden, um jedoch in der Zwischenzeit sich
meist wieder zu bilden, bis sie schliesslich nach Verlauf von
einer Woche nicht mehr sichtbar waren. In anderen Fällen
war die Wirkung eine solche, dass die Beläge zwar am ersten
Tage sich nicht merkbar veränderten, dagegen meist ein
Zurückgehen von Allgemein- und Localsjmptomen, wie Ab-
nahme des Fiebers, Zunahme des Appetits, Abschwellen der
Lymphdrüsen, Nachlassen der Schluckbeschwerden, deutlich zur
Beobachtung kam. Völlig unbeeinflusst von dem eingelei-
teten Verfahren blieb kein Fall, selbst diejenigen nicht, die
als schwere zu bezeichnen waren; die von ihnen tödtlich ge-
endeten Fälle lieferten bei den Sectionen hiervon die über-
zeugendsten Beispiele. Dass durch die günstigen Heilerfolge
der Erankheitsprocess in den meisten Fällen doch rasch zum
Stillstande gebracht und selbst die Ausführung nothwendig
erschienener Tracheotomien sogar zu verschiedenen Malen
nicht mehr nöthig wurde, spricht schon genug für die Wirk-
samkeit dieses Mittels. Hartnäckig erwiesen sich gegenüber
dieser Behandlung besonders diejenigen Fälle, die wir nach
dem Vorbilde von Eohts oben bereits als infiltrirte Formen
bezeichnet haben, während die Platteuformen weniger wider-
standsfähig waren. Bemerkt wird noch, dass die Fälle nicht
ausgesucht wurden, sondern dass sämmtliche Patienten, bei
denen Membranen zu sehen waren, mit diesen Einpinselungen
behandelt wurden. Die Dauer der Krankheit bis zur erfolg-
ten Heilung war sehr verschieden, sie schwankte, wie wir ja
bei unseren bacteriologisch untersuchten Fällen auch gesehen
haben, innerhalb weiter Grenzen. Die Resultate werden weiter
unten bei Besprechung der Tracheotomien folgen.
Legten wir Membranstücke direct in die betreffenden
Lösungen, so wurden dieselben aufgelöst, hierzu war jedoch
meist eine Zeit von mindestens 24 Stunden nöthig.
Zur bacteriol. nnd IcUd. Diagnose und Therapie der Diphtherie. 131
Ausser seinem Vorzüge^ direct auf die Membranen günstig
einzuwirken, hat das Mittel auch noch den Vorzug, nicht
schlecht zu schmecken, wodurch die entsprechenden Einpinse-
lungen von den Kindern nicht gefürchtet wurden, ferner ist
bei längerem Gebrauch eine schädliche Nebenwirkung niemals
zur Beobachtung gekommen.
Für seine Verbreitung und Anwendung entschieden nach-
theilig ist aber sein hoher Preis, welcher es demzufolge leider
zunächst noch zu einer Domäne gut situirter Krankenanstalten
und bemittelter Patienten stempelt.
Neben der localen Behandlung durch Einpinselung ist
aber der Werth der Inhalationen nie zu unterschätzen und
gerade bei widerspenstigen und der Einpinselung wenig ge-
neigten Kindern kann diese Therapie nicht hoch genug in
Anschlag gebracht werden. Inhalirt wird am Besten mit
einer Losung von Glycerin mit Wasser im Verhältniss von
1:4 mit Zusatz von 0,5% Natrium chloratum, wie dieselbe
in hiesiger Klinik schon seit langer Zeit im Gebrauch ist.
Man sieht dabei die Membranen sich lockern und leichter
abstossen, welches nach Tracheotomien fdr die tief in der
Trachea sitzenden mitunter sehr wichtig ist.
Um die meist vorhandenen starken Schwellungen und
Bothungen der Pharynxschleimhaut zu bekämpfen, genügt es,
ohne Unterbrechungen Eiscravattan um den Hals tragen zu
lassen, daneben kann noch Schlucken von Eisstücken ver-
ordnet werden. In späteren Stadien des Krankheitsprocesses,
wo keine Membranen mehr sichtbar und die Entzündungs-
erscheinungen im Schwinden sind, können an Stelle der Eis-
cravatte die Priessnitz'schen Umschläge treten. Grossere
Kinder lasse man ausserdem noch gurgeln in zwei- bis drei-
stündigen Pausen mit Lösungen von cali chloric. 30/1000.
Von der Verabreichung innerer Mittel, welche die Krank-
heit beeinflussen sollen, ist nur abzurathen, da ein Erfolg
dadurch nicht zu verzeichnen ist, es sei denn, dass eine vor-
handene Complication, wie Nephritis, Pneumonie etc., eine
entsprechende Indication hierzu giebt. Diese werden alsdann
nach den allgemeinen Regeln der Therapie zu behandeln sein.
£Sin grosser Werth wird auf die Ernährung der Patienten
gelegt werden müssen, welche stets eine roborirende sei und
der Hauptsache nach sich aus Bouillon, Milch, Eiern, Fleisch
nnd Wein zusammensetze.
Die bei der Rachendiphtherie so häufig vorhandene, pro-
gnostisch meist ungünstige Diphtherie der Nase wird am
zweckmässigsten durch häufiges Reinigen und mittels Aus-
spülungen indifferenter Flüssigkeiten, wie lauwarmen Wassers,
behandelt Bei letzterer Manipulation ist allerdings stets
9*
132 K. Roth:
grosse Vorsicht am Platze wegen der Gefahr der Yerachlep-
pung des Erankheitsprocesses in die Tuba Eastachii und folge-
weise einer Krankheit des Ohres. Sollen differente Flüssig-
keiten zu Ausspülungen genommen werden, so sind sehr ver-
dünnte Losungen von Sublimat oder Carbol zu nehmen. Soweit
sich die Innenflächen der Nase erreichen lassen, können natür-
lich auch hier Einpinselungen mit Carbol -Papayotin vorge-
nommen werden.
Dass nach der Natur der Krankheit strengste Isolirong
der Patienten y energische Desinfection ihres AuswurCs und
ihrer etwa ausgehusteten Membranen erfolgen muss, daneben
aber auch für gründliche Reinhaltung sämmtlicher mit den
Kranken in Berührung gekommener Gegenstände und für gute
Lüftung der Krankenzimmer Sorge zu tragen ist, bedarf wohl
keiner weiteren Begründung.
Neben der localen Behandlung der Rachendiphtherie mit
Garbolpapayotin verdienen nach unserer Ansicht das Ghinolin
und Liquor ferri sesquichlorati die grosste Beachtung. Mit
ersterem, einem Bestandtheile des Steinkohlentheers, hat
Seifert in WQrzburg ausgedehnte Versuche angestellt, bei
denen er zu folgenden Resultaten gekommen ist: ,,Die an
und ftir sich leichten Fälle von Diphtherie werden in kür-
zester Zeit zur Heilung gebracht und bei schweren wurde
zum mindesten eine drohende Steigerung der Krankheits-
erscheinungen verhindert.«
Das Mittel wurde von uns in einer 5%igen alkoholischen
Lösung derart zur Anwendung gebracht, dass täglich dreimal
die mit Membranen bedeckten Theile leicht gepinselt wurden.
Daneben blieben die oben erwähnten anderen therapeutischen
Anordnungen, wie Eiscfavatte, Gurgelungen, gute Diät, auch
noch im Gebrauch.
Liquor ferri sesquichlorati wurde in der von Rehn em-
pfohlenen Weise zur localen Application verwendet Die Ein-
pinselungen wurden damit täglich dreimal und zwar drei Tage
lang mit unverdünntem Liquor ferri, nachher aber mit Ver-
dünnungen im Verhältniss von 1:1 bis 1 : 5 vorgenommen.
Die Erfolge der mit beiden Mitteln behandelten, aller-
dings nicht sehr grossen Anzahl von Patienten waren zu-
friedenstellende, und fordern dieselben zu weiteren Ver-
suchen auf.
Ueber die Frage der Behandlung der Fälle mit Larynx-
Stenose ist nach unseren Beobachtungen Folgendes zu sagen:
Dem Verfahren, durch Brechmittel die Membranen aus dem
Kehlkopfe zu entfernen, ist ein nennenswerther Erfolg nicht
beizumessen, im günstigsten Falle kann wohl eine momentane
Erleichterung damit erzielt werden, während für gewöhnlich
Zor bacteriol. und klin. Diagnose und Therapie der Diphtherie. 133
die betreffende Cur eine erfolglose und für den Patienten
äusserst quälende ist. Mehr Erfolg hatten wir dagegen mit
einer regelrecht eingeleiteten symptomatischen Behandlung,
und leisteten hierbei die Inhalationen mit Papayotin- oder
Glycerinlösungen mit Zusatz von Kochsalz entschieden gute
Dienste. In yielen Fällen sahen wir hierbei die Heiserkeit
rasch abnehmen und sogar Membranen wurden beim Husten
leichter herausbefördert. Machtlos standen wir jedoch in
vielen Fällen auch hier der Weiterverbreitung des Krankheits-
processes in die Respirationswege gegenüber bei welchen
durch die Erscheinungen drohender Erstickung wir schliess-
lich als letzte Hilfe doch zur Vornahme der Tracheotomie
ansere Zuflucht nehmen mussten. An die Ausführung der
Tracheotomie schliessen sich eine Reihe von Fragen, die stets
noch discutirt werden. Eine der wichtigsten ist die: Wann
soll operirt werden? Im Allgemeinen wird man nicht fehl
gehen, wenn man anhaltenden Stridor beim Athmen, crou-
posen Husten, Einziehung des Jugulum und der unteren
Kippen als das wichtigste Zeichen der beginnenden Er-
stickimgsgefahr und den Zeitpunkt ihres Erscheinens zur Vor-
nahme der Operation für geeignet ansieht. Eon ig nennt
dieses Stadium das active, in dem noch Sauerstoff genug und
noch keine Eohlensäureüberladung im Blute vorhanden sei.
Ist starke Cyanose, Orthopnoe vorhanden, fühlen sich die
Extremitäten schon kühl an, so soll man auch hier von der
Operation nicht abstehen. Ist prognostisch das Bild auch
schon sehr getrübt, wenn man bereits vor der Operation eine
Complication, wie Pneumonie, Nephritis etc., sicher nachweisen
kann, so darf auch dieses trotzdem kein Grund sein, auf die
Operation zu verzichten, da dieselbe auch hier noch erfolg-
reich verlaufen kann. Das Alter der Patienten betreffend,
machten wir keinen Unterschied, nun war uns keine Gelegen-
heit gegeben, Operationen vorzunehmen bei Patienten unter
einem Jahre, die auszuführen wir auch kein Bedenken ge-
tragen hätten.
Sind ja allerdings die Aussichten auf Heilung vom dritten
Jahre an bessere zu nennen, so verfügen wir doch auch über
solche bei Kindern zwischen dem ersten und zweiten Jahre.
Dem Beispiele von König folgend, der in seinem Lehrbuche
S. 547 ff. sagt, dass der Chirurg nicht nur die Berechtigung,
sondern auch die Verpflichtung habe, dem durch diphtheri-
tische Stenose erstickenden Kranken zu helfen, so lange er
noch kann, hielten wir es stets für unsere Pflicht, den An-
gehörigen die Operation vorzuschlagen, selbst in denjenigen
Fällen, in welchen der Exitus letalis fast mit unumstösslicher
Sicherheit vorausgesagt werden kann, einfach von dem Ge-
134 K. Roth:
danken geleitet, dass das Sterben nach der Operation fast
stets leichter ist, als die Erstickung bei unerö&eter Trachea.
Von grosser Wichtigkeit ist die Nachbehandlung bei der
Tracheotomie. Hierbei leisteten uns die Inhalationen mit
Glycerinlösungen und bei schlechter Expectoration das zeit-
weise Einträufeln von je einigen Tropfen einer 5% igen Pa-
payotinlosnng gute Dienste. Machten sich die mit Recht so
gefürchteten Schlucklähmungen geltend, so wurde der Ernäh-
rung mit festen Nahrungsmitteln vor der mit flüssigen stets
der Vorzug gegeben, im ungünstigsten Falle ernährten wir
unsere Patienten mittelst Schlundsonden oder Nährclystiere.
Waren die Patienten nicht schon durch die Kohlensäure-
intoxication betäubt, so wurden unsere Operationen stets in
der Chloroformnarcose gemacht, da ja eine gut geleitete Nar-
cose weniger gefahrlich, aber für die Operation sehr nützlich
ist. Die Heilungen bei den Tracheotomirten sind wesentlich
abhängig vom Alter der Patienten, von den vorhandenen Com-
plicationen und von dem Charakter der Epidemien. So wurden
beispielsweise auf der hiesigen Abtheilung für Diphtherie vom
1. October 1892 bis dahin 1893 an Diphtherie und Larynx-
Croup insgesammt behandelt 233 Patienten. Davon musste
bei 112 die Tracheotomie vorgenommen werden. Dieselben
befanden sich im Alter von 1 bis 11 Jahren, und erzielten
wir von Letzteren 59 Heilungen, also 53% der Operirten,
während von der Gesammtzahl 149, also 60% geheilt wurden.
Von den Nichtoperirten wurden mit Carbolpapayotin behan-
delt 87. Davon wurden 72, also 83% geheilt. Im Ganzen
entliessen wir von den Nichtoperirten 90 als geheilt «»74%
von 121 Patienten, üeber die Behandlung der Larynxstenose
durch die 0. Dwyer'sche Intubation kann ein Urtheil aus
eigner Beobachtung nicht gegeben werden. Die B.esultate,
welche uns aus Deutschland darüber zur Verfügung stehen,
sind immerhin noch recht verschieden und ermuthigen gerade
nicht sehr, dieselbe als normale Behandlungsmethode bei der
primären Larynystenose einzuführen. So lange ihre eifrigsten
Verfechter noch zugestehen müssen, dass die Erfolge, welche
damit erzielt werden, die der Tracheotomie noch nicht er-
reichen und deren spätere Vornahme stets noch in Aussicht
stellen, ist ein Bedürfniss in hiesiger Diphtherieabtheilung bis
jetzt noch nicht danach empfunden worden, zumal mit der
daselbst im Gebrauche stehenden Therapie noch stets be-
friedigende Resultate erzielt worden sind. Nach unserem Er-
messen ist das Verfahren jedoch geeignet^ grössere Dienste zu
leisten bei Larynxstenosen, die bei erschwertem D^canulement
sich einstellen.
Was schliesslich die Behandlung der Lähmungen anbe-
Zur bacterioL und klin. Diagnose und Therapie der Diphtherie. 135
trifft, so müssen wir ja unterscheiden zwischen Früh- uud
Spätlähmungen. In Bezug auf die ersteren wird fast stets
eine sorgfaltig geleitete Ernährung die besten Dienste zu
leisten im Stande sein. Handelt es si^h um drohende Herz-
erscheinungen, so kann man es versuchen mit subcutanen
Injectionen von Campherol und Aether, und zwar täglich
mehrere Injectionen. Bei Spätlähmungen wird das Haupt-
augenmerk auf eine roborirende Diät gerichtet sein müssen.
Bei Lähmungen der Extremitäten ist jede Ueberanstrengung
fern zu halten, dagegen kann eine vorsichtige Massage und
Elektricität gute Dienste leisten. Will man hierbei innerlich
etwas verabreichen, so empfehlen sich die Eisenpräparate
hierzu am besten.
Am Schlüsse unserer Betrachtungen stehen wir bei der
Frage: Besitzen wir ein wirklich specifisches Heilmittel bei
der Diphtherie? vorerst noch vor der traurigen Noth wendig-
keit, dieses entschieden verneinen zu müssen. Der zeitige Stand
der Behring- Diphtherie -Heilserumstherapie scheint jedoch
der Hoffnung Baum zu lassen, dass vielleicht in dem Blut-
serum von Thieren, die gegen sehr grosse Dosen von Diphtherie-
gift immonisirt sind, in nicht allzuferner Zeit ein derartiges
Heilmittel, für die reinen uncomplicirten Fälle wenigstens
gewonnen wird.
Literatur.
Einführang in das Stadiam der Bacteriologie von Dr. Günther.
Yorlesongen über Kinderkrankheiten von Dr. Eduard Henooh.
Lehrbuch der Einderkrankheiten von Dr. Adolf Baginsky.
Handbuch der Kinderkrankheiten von Dr. J. üf fei mann.
Mitiheilnngen ans dem Kaiserlichen Gesundheitsamte IT. Bd 1884.
üntersnchnngen über die Bedeutong der Mikroorganismen für die Ent-
stehung der Diphtherie von Dr. Friedrich Löffler.
Semiotik und Diagnostik der Kinderkrankheiten von Nil-Filatow.
Ceniralblatt fflr Bacteriologie und Parasitenkonde, Bd. YII. 1890. Nr. 1.
— , Bd. II. 1887. Nr. 4.
— , Bd. VI. 1889. Nr. 6-8.
AnnaleB de Tinstitat Pasteur 1888.
Contribntion ä Tätude de la diphtbörie. Par E. Roux et A. Yersin.
Die Geschichte der Diphtherie von Professor Dr. Behring.
ArchiT für Kinderb eilknnde Bd. XIII.
Lehrbuch der speciellen Pathologie und Therapie von Dr. Adoli
Strümpell.
140 Di** Eisenechitz:
An Diphtherie warden behandelt 409, daron gestorben 187.
Tracheotomirt wurden 192, davon geheilt 81.
Die mittlere Yerpflogsseit betrag 27,2 Tage, ein Yerpflegstag kostete
ca. 3 Mark.
18. Abtheilung für kranke Kinder an der Charit^ zxx Berlin.
Vom 81. IIL 1891 bis 81. lU. 1892.
Behandelt 1282 Kinder: 612 Kn., 670 M., geheilt oder gebessert ent-
lassen 488, angeheilt 89, verlegt 12, gestorben 691 (66,4%), verblieben 57.
Aufgenommen warden 21 gesunde Kinder, die von ihren kranken
Müttern nicht gepflegt werden Konnten, von diesen starben 0.
An Diphtherie und Croup behandelt 106, gestorben 61.
14. Elisabeth-Kinderhospital Berlin.
1. IV. 1892 bis 81. IIL 1893.
Behandelt wurden 368 Kinder; 173 Kn., 196 M. Entlassen wurden:
als creheilt 211, als ungeheilt 36, gestorben 39 (13,7%), verblieben 82.
Tracheotomirt warden 8, gestorben 2.
Die mittlere Yerpflegsdauer betrag 77 Tage, ein Yerpflegstag kostete
ca. 1,7 Mark.
16. Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhans
in Berlin (Reinickendorferstr. 32).
l.YIII. 1891 bis 31. XII. 1892.
a) 1. YIIL 1891 bis 31. XII. 1891.
Aufgenommen warden 416 Kinder: 219 Kn.^ 196 M., geheilt ent-
lassen warden 200, gebessert 29, angeheilt 12, gestorben 86 (26%), ver-
blieben 89.
12 starben in den ersten 24 Stunden des Spitalaufeuthaltes.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 64, davon gestorben 30,
von 1—4 Jahren 166, „ „ 82,
4—10 „ 160, „ „ 21.
10-14 „ 36, „ „ 2.
An Diphtherie warden behandelt 76, davon gestorben 27, tracheo-
tomirt wurden 23, intubirt 4.
Die mittlere Yerpflegsdauer betrag 24,4 Tage, ein Yerpflegstag kostete
3,43 Mark.
b) 1. I. bis 31. XII. 1892.
Aufgenommen wurden 1436 Kinder: 769 Kn., 666 M., geheilt ent-
lassen wurden 866, gebessert 99, angeheilt 66, unbekannt 4, gestorben
812 (28,6%), darunter 60 in den ersten 24 Stunden, verblieben 109.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 131, davon gestorben 84,
von 1—4 Jahren 287, „ „ 167,
4-10 „ 240, „ „ 68,
10-14 „ 96, „ „ 8.
An Diphtherie wurden behandelt 241, davon gestorben 121, tracheo-
tomirt 108, intubirt 19; ausserdem wurden noch 11 von 191 Scharlach-
kranken tracheotomirt.
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Bericht der Kinderspit&ler über das Jahr 1892. 141
Die mittlere Verpflegsdaner betrog 26,6 Tage, ein Yerpflegstag kostete
2,87 Mark.
16. Neues Kinderkrankenhaus zn Leipzig.
1. X. 1891 bis 81. XII. 1892.
Aufgenommen wurden 767 Kinder: 878 Kn., 889 M. Entlassen wurden:
geheilt 836, gebessert 84, ungeheilt 66, gestorben 248 (84,1%), 6 Kinder
wurden sterbend flberbracht, verblieben 49.
Es standen im Alter unter 1 Jahre 223,
i 327,
164,
68.
An Diphtheritis wurden behandelt 164, davon gestorben 89.
An Scharlach und Diphtherie „ 20, „ „ 7.
Tracheotomirt wurden 89, davon geheilt 4.
Intubirt wurden 41, „ „ 9 (6 noch in Behandlung).
Die wAinzahl der factisch aufgenommenen Kinder betrug 702, im
Krankenberichte erscheint dasselbe Individuum 2—8 mal, wenn es gleich-
zeitig oder nacheinander an 2 — 8 von einander unabhängigen Krank-
heiten litt.
Die mittlere Verpflegsdaner betrug 28,4 Tage.
Ein Yerpflegstag kostete 4,61 Mark.
17. Kaiserliches Kinderheim zu Graebschen-Breslau.
Im Jahre 1892 kamen 98 Matter und 100 Kinder, 46 Kn., 64 M., zur
Aufnahme, von den letzteren erhielten 98 die Brust^ 2 die Flasche, die
mittlere Dauer des Aufenthaltes fflr Mntter und Kind betrug 6—6 Wochen
und die Verpflegung kostete per Tag und Kopf 64 Ff.
W&hrend des 11jährigen Bestandes des Kinderheimes kamen 679
Mfitter und 666 Kinder zur Aufnahme, von den letzteren wurden 684
an der Brast und 89 künstlich ernährt, und starben im Ganzen 21,
davon in den ersten 2 Jahren des Bestondes 11 (künstlich Ernährte).
64 Mütter wurden am 8.— 11. Tage, 23 am 11.— 16. Tage, 13 am
16. — 2 I.Tage und 4 in der 4. — 14. Woche und darüber nach der Entbin-
dung mit ihren Kindern aufgenommen. 68 Kinder standen im.Alter bis
KU 10 Tagen, es starben von allen Kindern in der Anstalt 2, die krank
aufgenommen worden waren, und 9% ausserhalb der Anstalt, gegen
12—18% in früheren Jahren.
Die Kinder hatten bei der Aufnahme ein durchschnittliches Gewicht
von weniger als 3000 g, sind also schwache Kinder und nahmen, ent-
sprechend den dürftigen Ernährungsverhältnissen der Mütter, wöchent-
lich nur 140 g zu.
Die Ans€dt ist bestrebt, auch die Mütter vor ihrer Entlassung aus
der Anstalt möglichst zu versorgen, durch Verdingung als Ammen (42)
oder Dienstmädchen (14) und die Kinder bei bekannten Kostfrauen unter-
zubringen.
18. Wilhelm-Augusta-Hospital in Breslau.
Verpflegt wurden 438 Kinder: 211 Kn., 227 M., geheilt entlassen
wurden 349, gebessert 64, gestorben 22 (5,2%), im Spital verblieben 13.
Infectionskranke werden nicht aufgenommen.
142 I^r. EisenschitE:
Es standen im Alter bis sn 1 Jahre 19,
„ „ „ „ Ton 1 — 8 Jahren 82,
f» fi I» 11 n •' " fi • •»
«I «I 11 f« if 6—14 n 260.
An Groap behandelt 3, davon gestorben 1.
Die mitUere Verpflegsdauer betrag 16,2 Tage, die Kosten eines
Verpflegstages 2,0 Mark.
19. Dr. Christas Kinder-Krankenhaus nnd Entbindnngsgstalt
zu Frankfurt a/M.
Verpflegt wurden 446 Kinder: 218 Kn., 228 M., geheilt entlassen
247, gestorben 165 (40%), verblieben 34.
Es standen im Alter bis eu 1 Jahre 42,
„ „ „ „ von 1—6 Jahren 298,
If » i> >, », 5-10 „ 122.
„ „ „ „ über 10 „ 64.
An Diphtheritis wurden behandelt 301, davon gestorben 102.
Tracheotomirt wurden 78 , davon gestorben 67.
Die mittlere Verpflegsdauer betrug 86,0 Tage.
20. Olga-Heilanstalt in Stuttgart
Verpflegt wurden 774 Lehrlinge, 1168 Kinder (674 Kn., 684 M.).
Entlassen wurden 752 Lehrlinge, 798 Kinder, gestorben sind 282 (16%),
9 Lehrlinge, 273 Kinder (25,4%). Verblieben waren 84 Kinder und
21 Lehrlinge.
Von den Verpflegten standen 237 im Alter bis zu 1 Jahr, 266 im
Alter von 1 — 4 Jahren, 212 im Alter von 6—8 Jahren, 168 im Alter
von 8 — 12 Jahren, 994 im Alter von 12—18 Jahren.
An Diphtherie und Groap behandelt wurden 876, davon starben 182.
Tracheotomirt wurden 196, davon 120 gestorben.
Mittlere Verpflegsdauer 21,6 Tage. Kosten eines Verpflegstages ca.
1 Mk. 87 Pf.
21. Nürnberger Kinderspital.
Im Jahre 1892 verpflegt 819 Kinder; 176 Kn. und 144 M., geheilt
wurden 174, gebessert 27, ungeheilt entlassen 12, gestorben 83 (21,1%),
verblieben 28.
Das Alter der im Spitale Verpflegten ist nicht ersichtlich gemacht.
An Croup und Diphtheritis behandelt wurden 67, davon genesen 85.
Tracheotomirt wurden 25, davon genesen 1.
Die mittlere Verpflegsdauer betrug 83,1 Tage.
Ein Verpflegstag kostete ca. 2 Mark.
22. Anna-Hospital zu Schwerin.
Verpflegt wurden 84 Kinder (39 Kn.,' 46 M.), entlassen wurden
67, gestorben 7 (8,7%), verblieben 27.
Das Alter der im Spitale Verpflegten ist nicht ersichtlich gemacht.
An Diphtheritis und Croup wurden behandelt 0.
Die mittlere Verpflegsdauer betrug 83 Tage.
Ein Verpflegstag kostete ca. 1,60 mk.
23. Kinderhospital zu Lübeck.
Verpflegt wurden 140 Kinder (72 Kn., 68 M.), entlassen wurden:
geheilt 86, gebessert 6; es starben 26 (22,4%), verblieben 24.
Bericht der Einderspit&ler über das Jahr 1892. 143
Eb standen im Alter unter 1 Jahre 11, gestorben 6,
„ „ „ „ von 1 — 4 Jahren 97, „ 18,
n n >f i> it •* ° 19 *"• II 4|
tt if n n ti 8 — 12 „ 28, „ 2,
I» II W »I 9^ *^* *^ II **> II — •
An Diphtherie nnd Cronp behandelt worden SS, davon gestorben 10.
Tracheotomirt wurden 19, davon geheilt 0.
Die mittlere Yerpflegsdaner betrug 63,9 Tage.
Ein Yerpflegstag kostete ca. 1,3 Mk.
24. Einderspital (Eleonoren-Stiftung) in Hottingen
bei Zürich.
Behandelt wurden 881 Kinder, neu aufgenommen 341: 190 En., 161 M.
Geheilt entlassen 140, gebessert 107, ungeheilt 32, gestorben 60 (16,6%).
verblieben 38.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 61, gesi 17,
„ „ „ „ von 1—4 Jahren 99, „ 17,
I» II II II II 4 o „ 97, „ 14,
II »I 11 II II " 1* it "^'i 11 !•
„ „ „ „ Über 12 Jahre „ 26, „ 1.
An Diphtheritis behandelt wurden 48, davon starben 20.
Tracheotomirt 1, gestorben 1, intubirt 20, gestorben 17.
Die mittlere Verpflegsdauer betrog 60,6 Tage. Ein Yerpflegstag kostete
2,78 Fr.
26. Einderspital in Basel.
Yerpflegt wurden 882 Einder: 211 En., 171 M., geheilt wurden
262, gebessert 83, ungeheilt entlassen 12, gestorben 46 (13,4%), ver-
blieben 39.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 62,
von 1—6 Jahren 166,
„ 6-10 „ 99,
über 10 „ 66.
An Croup nnd Diphtheritis wurden behandelt 82, davon gestorben 13.
Tracheotomirt wurden 24, mit Erfolg 11. 2 Fälle iutubirt und
tracheotomirt, 1 geheilt.
Die mittlere Yerpflegsdaner: 89,8 Tage. Eosten eines Yerpflegs-
tages 3,63 Fr.
26. Luisenheilanstalt für kranke Einder in Heidelberg.
Yerpflegt wurden 1892 608 Einder: 228 En., 280 M., entlassen
wurden geheilt 846, gebessert 68, ungeheilt 24, gestorben 61 (11,9%),
verblieben 80.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 80,
„ von 1 — 4 Jahren 146,
„ „ 6-8 „ 90,
„ „ 9-12 „ 110,
„ über 12 „ 82.
An Croup und Diphtherie wurden behandelt 80, gestorben 16.
Tracheotomirt wurde 16 mal.
Die mittlere Yerpflegsdaner betrug 26,8 Tage.
Ein Yerpflegstag kostete ca. 1,60 Mark.
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144 Dr. Eisenschitz: Bericht der Kindempii&ler über das Jahr 1892.
87. Kinderklinik des BürgerhospitalB in Strasabnrg.
1889—1892.
Die Kinderklinik besteht ans 68 Betten: 48 auf der mediciniachen
and 10 auf der Hautabtheilnng. ^
Aufgen. wnrden 1889 1890 1891 1892
470 Kd. 476 Kd. 694 Kd. 668 Rd.
226KD.246M. 288Kn.843M. 298Kn.296M. 310Kd.258M.
Entlassen wurden 1889 828, transf. 20, gest 84 (26,6%), verblieben 88.
„ 1890 869, „ 11, „ 67 (13,4%), „ 39,
„ 1891 467, „ 17, „ 77 (14.4%), „ 43,
„ 1892 446, „ -, „ 122 (21,6%), „ -.
An Diphtheritis behandelt 1889 146, operirt 76 (gest, 80), geheilt 106,
1891 120, „ 66 ( „ 21), „ 92.
1892 148. „ 91 ( „ 41), „ 94.
^
vm.
lieber die Diazoreaction und ihre diagnostische nnd
prognostische Bedentnng am Krankenbette des Kindes.
Aus dem klinischen Elisabetbhospital zu St. Petereborg.
Von
*
Dr. Wilhelm Nissen.
Ehrlich^) hat im Jahre 1882 nach Analogie der in der
Technik üblichen Gewinnung von gelben , orangerothen und
braunen Farbstoffen durch Vereinigung von Diazoverbin-
dungen mit zahlreichen Körpern der Phenolgruppe und ver-
schiedenen Mono- und Diaminen der aromatischen Reihe diese
Reaction auch einer medicinischen Anwendung zugänglich ge-
macht und durch Vereinigung der Diazobenzolsulfosäure mit
menschlichem Harn eine Farbenreaction gefunden , die durch
ihre Schärfe für klinische und diagnostische Zwecke durch-
aus verwerthbar erschien. Dabei ergab sich, wie bekannt^ die
Thatsache, dass normaler Harn nach Zusatz seines Reactivs
entweder gar nicht verändert oder gelb und zuweilen orange
wird, während gewisse pathologische Harne eine Roth- bis
Purpurfärbung zeigen. Hinsichtlich dieser Rothfarbung — der
sog. Diazoreaction — stellt Ehrlich folgende Sätze auf:
1. Bei gesunden Leuten findet sich nie diese Reaction und
ist mithin das Vorhandensein derselben stets ein Zeichen
einer Erkrankung. 2. Fieberlose Krankheiten rufen dieselbe
nur ganz selten und dann auch nur in scliwaelier Weise hervor
(wie vorgeschrittene Herzfehler, spätere Stadien der Leukämie,
kalte Abscesse etc.). 3. Fälle fieberhafter Erkrankungen zer-
fallen in ihrem Verhalten zu dieser Reaction in 3 Gruppen:
a) in solche, in denen sie fast regelmässig zu fehlen pflegt,
wie Rheumatismus, Meningitis, Erysipelas; b) in solche, in
1) Ehrlich, üeber eine neue Harnprobe. Zeitschr. f.klin. Med. V,
S. 285. 1882.
jAhrbnoh f. Kinderhoilkond«. N. F. XXXVHT. ^^
148 W. Niseen:
ersehe, über die Diazoreaction keine Untersachungen yor,
die sich speciell auf das Eindesalter mit seinen mannigfachen
Erkrankungen beziehen. Und doch scheint, wie meine Unter-
suchungen gezeigt haben, die Ehrlich'sche Beaction gerade
bei der Diagnostik der Einderkrankheiten eine brauchbarere
und dankbarere Yerwerthung finden zu können als am Kranken-
bette Erwachsener. Die Vornahme einer Prüfung der Diazo-
reaction bei Krankheiten der Kinder schien mir aber schon
aus dem Grunde lohnend genug, als die grosse Mortalität
im Kindesalter und dementsprechend häufig vorkommende
Sectionen der untersuchten Kranken eine sichere objec-
tiye Controle in Relation zur gefundenen Reaction gewähr-
leisteten.
Meine Beobachtungen umfassen einen Zeitraum von über
2 Jahren. Im Ganzen wurde in dieser Zeit auf der internen
Abtheilung des klinischen Elisabethhospitals der Urin von
462 stationären kranken Kindern mit dem genau nach Ehr-
liches Vorschrift frisch angefertigten, d. h. höchfitens zwei,
drei Tage alten Beagens untersucht. Die Schwierigkeit des
Hamsammelns namei^tlich bei kleinen Kindern erklärt es, dass
ich natürlich nicht über ganze Beihen fortlaufender, täglicher
Harnprüfungen bei den einzelnen Kranken verfüge, wie sich
das bei Erwachsenen ja leicht ausführen lässt, zumal ich
vom Catheterisiren nur äusserst selten und nur hei coma-^
tosen und moribunden Eand6m Gebrauch machte. Der Harn
wurde meist Morgens bei kleinen Kindern vermittelst Harn-
recipienten gesammelt, bei grösseren dagegen durch Aufforde-
rung zu uriniren erhalten. Die Gesammtzahl der von mir
angestellten Einzeluntersuchungen beträgt über 2500.
Zu bemerken habe ich noch, dass ich bei der charakte-
ristischen Bothfärbung, wenn sie vorhanden war, nur zwei
Stufen unterschied, starke Bothfärbung bis zu Burgunder-
roth BB und deutliche Bothfärbung bis himbeerensaft-
f arbig B. Schwache Bothförbung, wie sie noch Ehrlich u. A.
unterscheiden, habe ich nicht als zum Begriff der eigentlichen
Beaction gehörig angesehen, weil sich ein gewisser, schwer
differenzirbarer Stich ins Bothe dann und wann auch bei ver-
muthlich nicht pathologischen Urinen einstellt — zugleich
mit dem Gelb resp. Orange dieser Harne. Ausschlaggebend
war für mich immer der nach Zusatz des Beactivs-]- Ammoniak
durch Schütteln des Harns über demselben entstandene Schaum,
welcher auch selbst nach 2 — 3 minutenlangem Stehen noch
deutliche Both- resp. Bosafärbung aufweisen musste. Harne,
die als vorübergehenden Befund nur jenen offenbar nicht
charakteristischen Stich ins Böthliche zeigen, färben zwar
auch häufig den Schaum mit einem Anflug von Bosa, das
üeber die Diazoreaction etc. 149
aber^ sobald der Schaum sich etwas gesetzt hat, sofort einem
reinen Weiss oder Gelb das Feld räumt.
Ehrlich hatte noch hervorgehoben, dass die erhaltene
rothe Farbe des Urins beim längeren Stehen schwindet und
einer grünen Verfärbung der oberen Schichten des im Reagens-
glase sich bildendisn Niederschlages Platz macht. Spiethoff^)
ging sogar soweit, diesen grünen, nach 24 Stunden entstan-
denen Niederschlag, der stets da ausfalle, wo wahre Reaction
vorhanden ist, einzig und allein für die Diagnostik zu ver-
werthen. Auch Escherich^) und Mehlenfeldt^) haben ihre
Schlüsse blos auf diesen grünen Niederschlag basirt. Doch
scheint mir das unbedingt zu Irrthümern führen zu müssen
insofern, als die Bildung des mit dem veränderten Farbstoff
gewissermassen durchsättigten Niederschlages ganz und gar
abhängig ist von der jeweiligen Quantität und Qualität der
Salze in einem Urin, femer von der Reaction dieses letzteren
sowohl vor als nach Zusatz des Reactivs -)- mehr oder weniger
Ammoniak etc. Bei Einderharn mit seinem hohen specifischen
Gewicht resp. geringem Salzgehalt kommt überdies nur sel-
ten, trotz schon ausgesprochener Reaction, ein Absetzen von
Salzen im Reagensglase vor. Ich habe daher diesem Factor
selbstredend keinerlei entscheidende Bedeutung zugemessen.
Das Alter der von mir untersuchten Patienten (Knaben
und Mädchen) umfasst sämmtliche Altefsclassen der Kindheit
von yk Jahr bis hinauf zu 16 Jahren:
Anzahl der
Alter der Kinder: untersachten Kinder:
1^ 1 Jahr
11
1—2 Jahre
66
2—8
69
3-4
56
4—6
87
6—8
62
8— io
44
10-12
34
12-14
18
14—16
16
462
Von 462 untersuchten Kindern sind 165 im Hospital ge-
storben und in 113 Fällen von diesen hat die Diagnose durch
stattgehabte Obduction verificirt werden können.
Ich gebe nun im Folgenden tabellarisch zunächst diejenigen
Krankheiten an, bei denen unter Ausschluss anderweitiger
ASectionen keine Diazoreaction beobachtet wurde (Tab. I):
1) Spiethoff 1. 0. 2) Esoherich 1. c. 3) Mehlenfeldt 1. c.
150
W. Nusen:
Tabelle I. Keine Diasoreaction vorhanden.
Krankheitafotm
Anzftlü der
untenuch- i Gestorben
ten Kranken!
Dyspepsia. Catarrhas inte-
stinaliB. Catarrbaa gastroin-
teetinalis acntne. ColitiM. Ca-
tarrbua yentriculi. Typhlitis
Bronchitis
Pertnasis
Pnenmonia catarrh. uni et bilat.
Rachitis
Angina follicul. . ... . .
Vitium cordis. Endo- et Pericarditis
Meningitis supporativa
Meningitis cerebrospinalis ....
Yaricellae
Keratitis pblyct. et ulcer
Eczema univers
Psoriasis Tulg. Urticaria
Nephritis ac
Pelioais rheumatica
Polyarthritis rheam. ac
Polyarthritis suppur
Morbus maculosas Werlhofii . . .
ScorbutuB
Anaemia
Malaria
Icterus
Chorea • • ;
Tumor abdominis (Sarcoma) . . .
Ambustura
Gangraena polm
Gangraena scroti
Coxitia
Gonitis tub
Septicaemia. Pyaemia . . .
26
9
24
49
14
6
9
3
3
4
5
4
ö
1
1
1
3
1
4
1
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2
1
1
3
6
4
4
20
5
4
3
2
1
1
Bection
2
2
14
2
4
3
o
1
1
1
1
Zu bemerken habe ich, dass in vier von diesen Fällen
Reactiou zum Theil wohl vorhanden war. Drei von ihnen
betreffen die Erankheitsform Pneumonia catarrhalis und einer
fallt auf die Rubrik Vitium cordis.
Ea zeigte nämlich ein 6 jähriges, schwächliches Mädchen (Prot.-Nr.lOS),
das fiebernd unter der Diagnose Pnenmonia cat. aufgenommen wurde,
an den beiden ersten, der Aufnahme folgenden Tagen starke Reactiou,
die sodann völlig schwand bis zu dem schon nach 10 Tagen auf Wunach
des Vaterd erfolgten Austritt dea Eindea aua dem Hospital. Anamne-
stiach war erhoben worden, dasa die Mutter der Pat. an Tuberculose
gestorben aei, und daaa daa Kind achon längere Zeit kränkele und huate.
Dieser Umatand, aowie irregulärea Fieber und daa Auaaehen dea Kindes
legten den Verdacht der Phthiaia nahe, wenn auch die Eracheinungen
im oberen Lungenlappen aich nicht unmerklich gebeasert hatten
üeber die Diazoreaction etc. 151
Der 2. Fall betrifft ein 10 monatlichea Kind (Prot.-Nr. 388), auf-
irenommen mit doppelseitiger cat Pneumonie, das in den ersten zwölf
Tagen wiederholt (5 mal) keine Reaction aufgewiesen hatte und alsdann
die nächsten 10 Tage bis zum Tode starke Reaction (RR) zeigte. Die
Section ergab doppelseitige kat. Pneumonie, keinerlei Miliartuberkel,
wohl aber geschwollene und käsig zerfallene Bronchialdrüsen.
Der 3. Fall, ein dreijähriger Knabe (Prot.-Nr. 167), wies bei den
Erscheinungen dissem. katarrh. Pneumonie während des ganzen nur
7 t&gigen Verbleibens im Hospital die Reaction R auf, Abends bestand
an einigen Tagen nur geringes Fieber. Durch Entfernung des Kindes
aus dem Hospital seitens der Eltern entzog es sich einer weiteren ge-
nauen Beobachtung.
Es sind also diese drei Fälle des Verdachtes der Taber-
culose nicht bar und ist das Vorhandensein von Reaction
Yielleicht aus diesem Grunde bei ihnen zu erklären. Ich werde
noch des Genaueren auf die Diazoreaction bei Lungenaffec-
üonen zurückzukommen haben.
Der 4. Fall betrifft einen zweijährigen Knaben (Prot.-Nr. 230) mit
diagnosticirter Apertura septi ventriculorum, der suffocatorisch zu Grunde
ging und bei dem sich 1 Tag vor dem Tode deutliche Reaction ein-
stellte, während dieselbe früher gefehlt hatte. Die Section ergab:
Apertura septi yentriculorum, Anomalia yasorum, Haemorrhagia cerebri.
Auf den Umstand, dass Herzfehler gegen das Ende hin
Diazoreaction aufweisen können^ haben einige Autoren, wie
auch Ehrlich selbst aufmerksam gemacht.
Ich gehe nun zu den Krankheiten über, bei denen Diazo--
reaction vorkam. Wir können hier analog dem, wie es bei
Erwachsenen gemacht worden ist, 2 Gruppen unterscheiden:
1. solche Krankheiten, bei denen Diazorection nur bei
einer grösseren oder geringeren Anzahl von Patienten beob-
achtet wurde, während dieselbe bei den übrigen mit gleichem
Leiden behafteten Kranken fehlte (Tab. II, S. 152), und 2. solche
Krankheiten, bei denen während einer gewissen Zeitdauer fast
constant die Diazoreaction beobachtet wurde (Tab. III, S. 152).
Zur Erläuterung dieser beiden Tabellen habe ich zu er-
wähnen, dass die Diazoreaction, wo sie vorhanden war, nur
eine gewisse, späterhin näher zu erörternde Zeitdauer bestand,
oder von einem gewissen Zeitpunkte ab einsetzte und bis
zum Tode hin anhielt — wie z. B. bei der dissemin. Miliar-
tuberculose (Tab. III).
Bei der chronischen Pneumonie (Tab. II) ist die Reaction
eher nicht als wohl vorhanden. Bei der croupösen Pneumonie
habe ich die Reaction fast ebenso häufig angetroffen wie sie
dabei auch zu fehlen pflegte. Entsprechend dem Verhalten
dieser beiden Krankheiten reihen sich auch die Pleuropneu-
152
W. Nissen:
moniO; Pleuritis und Laryngitis ihnen an^ die, soweit sie nicht
auf nachweisbar tuberculoser Basis oder auch auf Grundlage
einer croupösen Pneumonie bestehen , meist keine Reaction
zeigen, während im entgegengesetzten Fall bei gleichzeitig be-
stehender crouposer Pneumonie oder Phthisis Reaction eher
vorhanden sein wird. So waren jene 5 Falle von Pleuro-
pneumonie, die Diazoreaction zeigten, offenbar mit crouposer
Pneumonie vergesellschaftet, bei zum Theil ausgesprochen
kritischem Verlauf und glatter Heilung; einer derselben kam
zur Section. Die übrigen 7 Fälle ohne Reaction machten in
Tabelle II. DiaBoreaoÜon theils vorhanden, theils nicht.
KranklieitsfoTm
Pneumonia chronica. Hypertrophia et de-
generatio glandulär, bronch
Pneumonia cronposa
Pleuropneumonia
Pleuritis (sicca, serosa, pnmlenta) . . .
Laryngitis
Meningitis tnberc
Diphtheritis
Erysipelas
Caries costar
Scarlatina (in allen Fällen von Scarlatina
nur während der ersten 2 Tage des
Bestehens der Erkrankung untersucht)
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0
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Sah
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m
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o
8 7
TT
7 6
6 6
Tabelle IIL Diazoreaotion fast oonstant vorhanden.
Krankheltflfonn
Aniahl der unter-
sachten Kinder
Geetorben
Typhus abdominalis
Morbilli
Tuberculosis miliaris
24
36
42
1
10
41
Sedrt
3
33
ihrem Verlauf eher den Eindruck, dass sie mit katarrha-
lischer oder chronischer Pneumonie einhergingen.
Unter den in Tab. II angeführten 16 Fällen von reiner
Pleuritis (sicca 5, serosa 4, purulenta 7) zeigten jene 2 Pleuri-
tiden mit vorhandener Diazoreaction, die auch zur Section
kamen, in dem einen Fall (Empyem mit Resection) käsige
Degeneration und Erweichung einer Bronchialdrüse, sowie
eitrige Peribronchitis, in dem anderen Falle bei doppelseitigem,
fibrinösem Exsudat eitrige Bronchitis und Bronchiolitis. Von
den übrigen 14 nicht mit Diazoreaction einhergegangenen Pleuri-
Ueber die Diazoreaction etc. 153
tiden entbehrten 6 zur Section gekommene Fälle jeglichen
Verdachtes der Tubercnlose; 2 von ihnen waren übrigens
Theilerscheinung einer Pyämie.
Unter 9 Fällen von Laryngitis finden sich, wie Tab. II
zeigt; 2 mit Diazoreaction. Beide verliefen letal. Die Sec-
tion ergab in dem einen Fall Laryngotracheobronchitis fibri-
nosa et Pleuropneamonia duplex, in dem anderen, der nicht
zur Section kam, hatte sich die Laryngitis zu einer post mor-
biliös bestehenden Pneumonie hinzugesellt; die ihren etwas
protrahirten Ausgang offenbar in disseminirter Miliartuber-
cnlose fand.
Ich erlaube mir nun auf die einzelnen Krankheitsgruppen;
bei denen die Ehrlich'sche Reaction in Betracht kommt; des
Näheren einzugehen zur Veranschaulichung dessen; wieweit
das Auftreten resp. Verhalten der Diazoreaction bei diesen
Erankheitsformen im Kindesalter diagnostisch und prognostisch
rerwerthbar ist.
In den Kreis dieser Erörterung ziehe ich folgende Krank-
heiten: Morbilli; Scarlatina, Typhus abdominalis; Lungen-
affectionen und Meningitis.
L MorbUli«
In der einschlägigen Literatur; die ja hinsichtlich der
Diazoreaction ausschliesslich nur Erkrankungen Erwachsener
zum Gegenstand hat; finden sich im Allgemeinen nur mehr
oder weniger beiläufige Angaben über das Verhalten der
Reaction bei Masern und Scarlatina. So führt Goldschmidt ^)
an; ;;dass die Reaction bei Masern zuweilen nachweisbar isf'.
Fischer*) erwähnt; dass er in 9 Masernfallen constant die
Reaction fand. Ebenso Taylor^). Brewing^) beobachtete;
dass unter 4 Fällen 2 die Reaction boten; die bei diesen
Kranken jedesmal von kürzerer Dauer wie bei Scarlatina war
und in der Acme des Exanthems yerschwand. Unter 6 Fällen
von Scarlatina wurde 3 mal die Reaction beobachtet. Ueber-
all; wo die Reaction sich fand, war die stärkste Intensität
bei Eintritt der Eruption des Exanthems vorhanden und es
yerschwand dieselbe mit Beginn der Desquamation. Ehrlich
selbst zählt die Masern zu der Kategorie von Krankheiten;
welche die Reaction fast constant aufweisen; während sie bei
Scharlach bald vorkommt; bald nicht etc.
Ich habe im Ganzen den Harn von 36 masemkranken
1) Goldschmidt 1. c. 8) Brnno Fischer 1. c. 3) Howard
Taylor 1. c. 4) Brewing 1. c.
154 W. Nissen:
Kindern im Alter von 1 — 16 Jahren, vielfach den ganzen
Erankheitsverlauf hindurch untersucht und, um es gleich voraus
zu nehmen, in allen Fällen die Ehrlich'sche Reaction in scharf
ausgesprochenem Maasse angetroffen. Nur ein Mädchen von
14 Jahren, welches im Anschluss an Nephritis Masern zum
zweiten Mal in leichter Form acquirirte, bot in ihrem Harn
keine oder nur andeutungsweise Reaction dar. Da auf unserer
ziemlich stark frequentirten internen Abtheilung des Hospi-
tals, die zwar räumlich getrennt, aber dennoch in demselben
Gebäude mit der Masernabtheilung befindlich ist, sporadische
und epidemische Masemerkrankungen nicht selten vorkommen,
so war mir durch fortlaufende Harnprüfungen der stationären
Kranken ebenso, wie auch namentlich der Reconvalescenten,
deren Temperatur gleichwohl täglich gemessen wird, die Mög-
lichkeit geboten, in einer ganzen Reihe von Fällen das Ver-
halten der Reaction theils bis zum Auftreten des Exanthems,
als auch nach Ausbruch desselben bei erfolgter Ueberführung
der Kranken auf die Masemabtheilung eingehender zu beob-
achten. 25 solcher „intern'' entstandener Masemfalle habe
ich tabellarisch zusammengestellt unter Berücksichtigung ver-
schiedener einschlägigen Fragen. (S. Tafel A auf Seite 155,
Tabelle IV auf Seite 156—157.)
Bei Einsicht in diese Tabelle IV ergiebt sich als Pro-
dromalstadium — also jene Periode vom Eintritt des Fiebers
bis zum Auftreten des Exanthems — ein Zeitraum von 2 bis
5 Tagen, im Mittel 3 Tage. Während dieser Zeit ist die
Diazoreaction manchmal schon 1 — 2 Tage vor dem Exanthem-
ausbruch vorhanden, am häufigsten tritt sie zugleich, d. h. an
demselben Tage wie das Exanthem auf, seltener 1 Tag oder
gar 2 — 3 Tage später, wie letzteres nur in 2 Fällen vorkam,
die sich durch auffallend protrahirten Beginn oder vielmehr
Ausbruch des Exanthems auszeichneten (cf. Tab. IV, Fall 2
u. 15). Die Diazoreaction pflegte stets recht intensiv zu sein
gleich von Anfang an und nur in ganz besonders leicht ver-
laufenden Fällen erreichte sie nicht ihren Maximalausdruck RR.
Die vorhandene Reaction hielt sich 3 — 8, durchschnittlich
5 Tage. Sie überdauerte dabei stets um einige Tage das
Maximum des Ausschlags und das Fastigium der Temperatur,
welche beide auf den 1. bis 3. Tag fielen, und verschwand
meist kurz vor der vollständigen Entfieberung des Kranken:
die Reaction hielt im Durchschnitt, wie erwähnt, 5 Tage an,
das Fieber dagegen, vom Prodromalstadium abgesehen, 5 bis
6 Tage. Da die Diazoreaction bei Masern dem Lauf des Fie-
bers durchaus die Parallele hält, so ist sie im Allgemeinen
auch prognostisch für den Masernverlauf selbst nicht von
Ueber die Diazoreaction etc.
155
T&fel A.
/. Felitgeja O, 4f. a. n. Morbilli JJi 1892,
Fe b T wa r
2: Boris W ^^ an: Morbilli * iS93,
3. Karl R. 6a,n. Nephritis MbrbiUi ^4
Jan u a T
1693,
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Ueber die Diazoreaction etc.
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158 W. Nisaen:
wesentlicher Bedeutung: die Beaction steht und fallt gewisser-
maassen mit dem Fieber. In einem Falle, wo das Fieber bei
einer geschwächten Typhusreconvalescentin (Tab. IV, 12) ganze
13 Tage nach dem Ausbruch des Masernexanthems fortbestand,
dauerte auch die Diazoreaction 14 Tage.
In gewissen Fällen könnte unter Umständen bei lange
Zeit fortbestehender Reaction mit oder ohne Fieber der Ver-
dacht einer beginnenden Tuberculose im Anschluss an Masern
nahe gelegt sein.
Nicht ohne Bedeutung jedoch ist die Beaction jeden-
falls in diagnostischer Hinsicht. Bei Kindern bekommt
man ja so häufig verschiedenerlei Exantheme zu Gesicht^
die, ich erinnere an Bubeola, Miliaria, leicht eine Ver-
wechselung mit Masern aufkommen lassen können. In
solchen Fällen oder wo es sich um Erhärtung der Diagnose
„Masern" handelt, z. B. behufs üeberführung eines frag-
lichen Kranken in die Masernabtheilung, dürfte die Ehrlich-
sche Beaction nicht unbeachtet bleiben. Bubeola sowohl
wie Miliaria geben, wie ich mich des Häufigen anf der
Abtheilung überzeugen konnte, keine Diazoreaction.
* 2. Soarlatina.
An Scarlatina kamen 23 Fälle zur Beobachtung, die fast
durchweg auf der Station entstanden waren. Die Dauer des
Initialstadiums, das sich durch das plötzlich einsetzende hohe
Fieber in einer Beihe von Fällen genau bestimmen Hess, be-
trug hier 1 — 3, im Durchschnitt 2 Tage. Von sämmtlichen
23 Fällen war die Beaction am 1. Tage des auftretenden
Exanthems nur 8 mal vorhanden — und zwar in massiger
Intensität, 15 mal dagegen fehlte sie. In 3 von diesen letzt-
genannten Fällen trat die Beaction am 2. Tage auf, während
sie in 4 Fällen auch am 2. Tage nicht angetroffen wurde.
Ueber das sonstige weitere Verhalten der Beaction im Ver-
lauf des Scharlachs habe ich keine Erfahrung sammeln können,
weil die Kranken jedesmal sofort auf die isolirte Scharlach-
abtheilung übergeführt wurden und sich meiner weiteren Beob-
achtung entzogen. Doch scheint mir, dass, wenn die Diazo-
reaction für den Scharlach einige Bedeutung hat^ der Haupt-
werth gerade in dem Verhalten der Beaction während des
Beginnes der Erkrankung liegt, wo ja nicht selten differenzial-
diagnostische Zweifel hinsichtlich des Charakters des Exan-
thems bestehen — namentlich, ob dieses scarlatinöser oder
morbillöser Natur ist.
VPährend nun bei Morbilli, wie wir gesehen haben, die
Beaction meist am ersten Tage des bestehenden Ausschlages,
üeber die Diazoreactdon etc. 159
zuweilen auch schon gegen Ende des Prodromalstadiums
vorhanden ist^ haben wir im Beginn des Scharlachs, d. h.
während des ersten und zweiten Tages des bestehenden
Exanthems die Diazoreaction in der Mehrzahl der Fälle
nicht zu erwarten y und wenn sie vorhanden ist, so ist
sie in der Regel weniger intensiv ausgesprochen als man
es bei Masern zu sehen gewohnt ist. Ein Fehlen oder
nur schwaches Ausgesprochensein der Reaction dürfte dem-
nach bei vorhandenem Exanthem ceteris juvantibus eher
fQr Scharlach als für Masern sprechen.
Eine Erklärung, warum bei Masern schon frühzeitig und
intensiv die Diazoreaction im Harn auftritt und beim Schar-
lach das weniger der Fall ist, liesse sich vielleicht in der
Thatsache finden, dass die Nieren, wie Thomas^) u. A. dar-
auf hinweisen, „schon im Initialstadium der Scarlatina, wenn
auch nur in Form des Hamcanälchenkatarrhs krankhaft affi-
cirt sind, da der spärlich und concentrirt gelassene Harn in
dieser Zeit mitunter ganz leicht blut-, öfters etwas eiweiss-
haltig ist^'. Dieses Moment dürfte meiner Ansicht nach wegen
der in der Niere acut veranlassten Störungen der Ausschei-
dung des SchUrlachgiftes, denn auf dieses müssen wir ja wohl
die Diazoreaction im Harn zurückführen, der Reaction im
Anfang des Scharlachs nur eher hinderlich als förderlich sein.
Andrerseits aber kann ich nicht verschweigen, dass ich
in vielen Fällen, z. B. bei Tuberculose, öfters neben vorhan-
denem Eiweissgehalt im Urin die Ehrlich'sche Reaction in-
tensiv genug auftreten gesehen habe. Von 2 Masernerkran-
kungen, die sich an bereits bestehende acute Nephritis, einmal
an eine leichte Form, ein anderes Mal an eine schwere Form
anschlössen, ergab der erste Fall (cf. Tab. IV, 13 u. Taf. A, 3)
in keinerlei abweichender Weise die gewohnte Diazoreaction,
während der andere bei schwerer Nephritis keine Reaction
aufwies. Es ist dies jenes 14jährige Mädchen, dessen ich
oben als einzigen Ausnahmefalls 'für Masern ohne Reaction
bereits erwähnt habe.
8. Typhus abdominalis.
Hinsichtlich des Verhaltens der Diazoreaction beim Typhus
ist die einschlägige Literatur ziemlich reichhaltig. Alle Autoren
geben einstimmig mit Ehrlich ihr Urtheil dahin ab, dass
die Reaction bei Typhus constant vorkommt und nur in ganz
leicht verlaufenden Fällen zu fehlen pflegt. Ehrlich äusserte
1) Thomas, Uandb. der spec. Path. u. Therap. v. Ziemssen 1874.
II. Theil: Acute Infectionskrankheiten.
162
W. Nissen:
Tabelle V. Typhus
Tag der Erkrankung:
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
1) 2. Mädchen
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2) 153. Knabe
5 a. n. 3. VI.— 30. VI 92
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3) 111. Mädchen
10 a. n. 9. m. 19. IV. 92
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4) 444. Knabe
5. a. n. 26. III.— 30. IV. 93
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5) 101. Mädchen
11 a.n. 28. IL— 19. III. 92
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6) 287. Mädchen
9 a. n. 12. 1.— l.HI. 93
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7) 14. Mädchen
11 a.n. 3. XII. 91— 17.1.92
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8) 123. Mädchen
3 a. n. 80. IV. 91— 12. V. 92
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9) 77. Mädchen
13 a. n. 8. IL— 16. IIL 92
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10) 160. Mädchen
4 a.n. 28. IV.— 16. V. 92
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11) 431. Mädchen
11 a.n. 5.VI.— 1.VIL93
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12) 386. Mädchen
11 a.n. 19.IV.— 6. V. 93
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18) 119. Knabe
10a.n.lO.V.91— 15.VL92
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14) 408. Mädchen
7 a.n. 7.V.-3.VL 92
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15) 162. Knabe
6 a.n. I.V.— 21. V. 92
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16) 136. Mädchen
12 a. n. 14. IV.— 26. V. 92
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17) 7. Mädchen
10 a.n. 22. L— 9. II. 92
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18) 15. Mädchen
7 a. n. 5. L— 18. L 92
0
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19) 316. Mädchen
6 a. n. 1. IIL— 9. IL 93
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20) 394. Mädchen
6 a.n. 21. IV.— I.V. 93
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die t^ reicht bis zu 39^ oder darüber hinaus,
die t® ißt unter 39<*.
Aufhören des Fiebers,
starke Reaction.
R deutliche Reaction.
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163
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19.
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23.
24.
25. 26.|27. 28. 29. 30.31. Ausgang
PnenmoD
0 0 1
.sin.
Piie
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Verlauf oomplicirt m.
Pemphigus n. Pneu-
monie; genesen.
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Genesen.
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Verlauf oomplio. mit
Pnoumonia ; genesen.
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Genesen.
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Entlassen.
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auf
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rn fi(
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id au
isges
chrie
ben.
achwankungen bis zum 21. Tage an, fast ebenso lange un-
gefähr bestand auch die Ehrlich'sche Reaction. 2 Fälle (3 u. 5),
allerdings mit Pneumonie complicirt, reichen mit ihrem höheren
Fieber noch länger hinaus — bis zum 25. und 26. Tage.
Einer endete letal. Die Reaction hatte in diesen Fällen schon
11*
164 W. NisBen:
frQher aufgehört und scheint überhaupt, auch bei den schwer-
sten Typhen, die dritte Woche nicht zu überschreiten. In
6 Fällen (1, 9, 11, 12, 13 u. 20) reichen die höheren Tem-
peraturen bis zum 14. und 15. Tage, in 4 Fällen (15, 16,
17 u. 18) bis zum 11. und 12., in 2 Fällen (14, 19) nur bis
zum 10. Tage. Die Reaction hielt in all' diesen Fällen meist
ebenso lange an als die höheren Temperaturschwankungen
überhaupt, seltener überdauerte sie dieselben um 1 — 2 Tage
oder hörte auch um 1 — 2 Tage früher auf.
Der Schwerpunkt der Diazoreaction beim Typhus der
Kinder liegt nun keineswegs darin, dass uns aus der Dauer
und dem Verhalten der Reaction prognostische Schlussfolge-
rungen gestattet würden auf die Schwere der Erkrankung
oder den zu erwartenden Ablauf des Fiebers, als vielmehr
darin, dass uns durch die Diazoreaction gerade im Beginne
des Typhus der Kinder ein zuverlässiges diagnostisches Hilfs-
mittel geboten ist. Aus der Tabelle V geht hervor, dass die
Reaction manchmal schon am 4., jedenfalls aber am 6. bis
8. Fiebertage beim Typhus der Kinder intensiv ausgesprochen
vorhanden ist Wenn nun auch zu dieser Zeit oftmals die
Diagnose Typhus abdominalis unter der Berücksichtigung des
gesammten Symptomencomplexes gewiss gestellt werden kann,
so entbehren wir doch häufig jener objpctiven Symptome: der
Roseola und des nachweisbaren Milztumors beim Kinder-
typhus, sodass uns jeder anderweitige objective Hinweis, wie
die Diazoreaction, von nicht zu unterschätzendem Werth
sein muss. Dieselbe tritt so constant beim Typhus mittleren
oder schweren Grades auf, dass ich sie unter sämmtlichen
24 Fällen mit 4 — 2 wöchentlichem Gesammtfieberverlauf nur
einmal nicht beobachtet habe.
Ganz leichte Typhusformen — abortive Typhen — geben
ebensowenig wie fieberhafte Intestinalkatarrhe die Ehrlich-
sche Reaction. Ist daher in einer scheinbar typhösen
Krankheit zu Ende der ersten bis Anfang der zweiten
Fieberwoche die Diazoreaction nicht vorhanden, so geht
daraus so gut wie sicher hervor, dass im gegebenen Falle
überhaupt kein oder nur ein sehr leichter Typhus besteht.
Durch medicamentöse Behandlung wird die Ehrlich'sche
Reaction, wie überhaupt, so auch beim Typhus keineswegs
behindert. Die Reaction hält gewöhnlich so lange an, als
die hohen Temperaturen oder Temperaturschwankungen
bestehen, ihre Gesammtdauer kann demnach, je nach der
Schwere des Falles, bis zum 9. Tage, ja bis zum Ende
der 3. Woche hinausreichen, ohne jedoch diese äusserste
Grenze zu überschreiten.
r
Ueber die Diazoreactioa etc. 165
4. Lungenaffeotionen.
Die Diazoreaction hat für das grosse Gebiet der Luugen-
erkrankungen des Kindesalters ein besonderes Interesse. Das-
selbe liegt schon darin begründet, dass wir mit Hilfe der
Diazoreaction einen grossen Theil aller tuberculösen Processe
durch Vorhandensein der Reaction von nicht tuberculösen
unterscheiden können. Ich werde unten des Näheren darauf
einzugehen haben. Nebenbei mochte ich jedoch erwähnen,
dass, wenn mir auch zu Anfang meiner Untersuchungen das
Auftreten der Diazoreaction bei Lungenkrankheiten einer ge-
gewissen Willkür unterworfen zu sein schien, sich doch all-
mählich durch Ansammeln von Material und häafige Auf-
klärungen durch Sectionsbefunde eine gewisse Gesetzmässig-
keit in grosseren Zügen wohl eruiren liess.
Mir stehen im Ganzen bei 228 auf die Ehrlich'sche Reaction
hin beobachteten lungenkranken Kindern 77 Sectionen zur
Seite. Die Mehrzahl der untersuchten Patienten fällt auf
chronische Pneumonie und Miliartuberculose, ferner auf rein
katarrhalische Pneumonien, croupose Lungenentzündung, Keuch-
husten u. s. w. — Affectionen, wie sie bereits weiter oben in
Tabelle I, II u. III je nach ihrem Verhalten zur Diazoreaction
summarisch zusammengestellt sind. Indem ich hier nur der
Uebersicht wegen recapitulire, dass die Reaction bei Bron-
chitis (9 Fälle), Pertussis (24 Fälle), Pneumonia catarrhalis
simplex und duplex (49 Fälle mit 14 Sectionen) garnicht auf-
zutreten pflegte (Tab. I), bedingungsweise dagegen, wie oben
des Näheren erörtert, bei Pleuropneumonie, Pleuritis und
Laryngitis (Tab. 11), möchte ich nun in Kürze auf die crou-
pose Pneumonie eingehen und sodann auf das Verhalten der
Diazoreaction bei der Phthisis pulmonum.
a. Pneumonia crouposa.
Ehrlich zählte in seiner ersten Veröffentlichung die crou-
pose Pneumonie zu denjenigan Krankheiten, bei denen die
Diazoreaction im Allgemeinen nicht vorzukommen pflege. Sein
Schüler Brecht^) fand dagegen unter 68 Pneumonien in
16 Fällen die Reaction, Fischer^) unter 49 Fällen 9 mal.
Beide vertreten die Ansicht, dass die Reaction bei Pneumonia
crouposa, wenn sie auftritt, auf Complication hindeutet, und
behaupten, dass solche Fälle ihrer Erfahrung nach eine grössere
Sterblichkeitszahl liefern. Ehrlich schloss sich dieser An-
1) Brecht 1. c. 2) Bruno Fischer 1. c.
166 W. Niaeen:
Sicht an. Penzoldt*) pflichtete dem nicht bei. Er sah unter
7 Fällen die Reaction 3 mal auftreten, ohne dass diese Fälle
einen besonders schweren Verlauf nahmen. Georgiewsky*)
beobachtete acht croup5se Peumonien, von denen nur eine
Reaction zeigte; der Verlauf ging ohne Complication von
Statten. Brewing*) endlich führt 14 Fälle an. Die Reaction
fehlte während des ganzen Verlaufs bei 9. Die 5 Fälle mit
Reaction wichen in ihrem Verlauf aber nicht von der Norm
ab etc.
Ich verfüge über 30 Fälle crouposer Pneumonie, die so-
wohl ihrem typischen Fieberverlauf nach als auch entsprechend
dem objectiven Lungenbefund als croupöse Lungenentzündung
anzusehen waren. 22 von ihnen verliefen mit typischer Krisis
am 7. — 9. Tage, 2 Fälle endigten lytisch und zu 6 gesellten
sich, theils nach erfolgter Krisis, zum Theil aber schon, ehe
es zu dieser kam, pleuritische Erscheinungen hinzu, die den
Temperaturablauf mehr oder weniger modificirten.
Unter meinen 30 Pneumonien fand sich auf der Hohe
des Fiebers die Reaction in 16 Fällen, in 14 dagegen war
sie während des ganzen Verlaufs der Erkrankung nicht an-
getroffen. Früher als am dritten Fiebertage hatte ich nicht
Gelegenheit die Diazoreaction bei Pneumoniekranken anzu-
stellen. Die Reaction fand sich aber, wo sie überhaupt vor-
kam, um diese Zeit schon ausgesprochen. Sie hielt sich dann
durchschnittlich fast genau bis zur Erisis, meist horte sie
ziemlich scharf mit derselben auf, seltener überdauerte sie die
Erisis um 1 — 2 Tage in schwächer ausgesprochener Form.
Zu den mit Reaction einhergegangenen Fällen zählen 5 Pneu-
monien, die mit pleuritischen Erscheinungen complicirt waren^
ebenso gehorten auch die einzigen 2 letal verlaufenen Fälle
zu denjenigen, die Diazoreaction aufwiesen. Daraus mochte
ich jedoch noch nicht den Schluss ziehen, dass croupöse Pneu-
monien, die die Ehrlich'sche Reaction zeigen, durchweg einen
schweren Verlauf erwarten lassen, da ebenso auch leichtere,
durchaus normal von Statten gegangene Pneumonien die Reaction
ergaben, und andrerseits wiederum einige jener Pneumonien,
die keine Diazoreaction darboten, auch von relativ schwerem
Verlauf waren mit hohem Fieber und stärkerer Inanspruch-
nahme des Sensorium oder auch mit pleuritischen Erschei-
nungen complicirt wie in einem Falle.
Immerhin ist aber die Thatsache auffallend, dass bei ein
und derselben klinisch gekennzeichneten Affection die Diazo-
reaction im Harn bald vorkommt, bald nichi Und es drängt
sich einem unwillkürlich dabei die Frage auf, ob nicht zwei
1) Penzoldt 1. c. 2) Georgiewsky 1. c. 8) Brewing 1. c.
Ueber die Diazoreaction etc. 167
Falle, deren Gleichartigkeit klinisch durch Percussion und
Auscultation^ sowie durch den Fieberverlauf festgestellt ist,
trotzdem von einander verschieden sind hinsichtlich des in-
fectiosen Agens der Erkrankung, dessen Anwesenheit im Or-
ganismas in dem einen Fall im Harn die Diazoreaction be-
dingt, in dem anderen aber nicht.
Für die Diagnose einer croupösen Pneumonie im kli-
nischen Sinn hat die Diazoreaction , die bald angetroffen
wird, bald nicht, demnach keinen besonderen Werth. Ist
die Reaction vorhanden in einem Fall, der uns als crou-
pose Pneumonie imponirt, so kann unsere Diagnose da-
durch wohl erhärtet werden und die Reaction uns even-
tuell sogar einen schwereren Verlauf prognosticiren, fehlt
sie aber, so wird unsere Diagnose dadurch keineswegs um-
gestossen.
b. Phthisis pulmonum.
Ueber das Auftreten der Diazoreaction bei der Phthisis
pulmonum herrscht in der einschlägigen Literatur ziemlich
übereinstimmend die Angabe, dass die Reaction im Verlauf
dieser Erkrankung sehr häufig vorzukommen pflegt, wenn auch
nicht in so regelmässiger Weise wie etwa beim Typhus oder
bei Morbillen.
Ich will hier aus der Reihe der Autoren einige mir
wichtig erscheinende Angaben speciell hervorheben.
Escherich^) fand unter 89 auf der medicin. Station
überhaupt untersuchten Kranken 12, welche positiven Befund
hinsichtlich der Diazoreaction ergaben. Sämmtlich gehörten
sie vorgeschrittenen Fällen von Phthisis pulmonum mit Com-
plicationen an. 6 andere Phthisiker zeigten während eines
kurzen Zeitraumes der Untersuchung keine Reaction. In wei-
teren 20 Fällen von Phthisis wurde der Harn einige Wochen
hindurch untersucht^ wobei nur 4 Kranke die Reaction nie-
mals aufwiesen.
Brewing^) führt an, dass unter 8 Phthisikern 6 Patienten
Reaction zeigten. 4 dieser Phthisen mit Reaction befanden
sich in extremis und verliefen letal; die beiden anderen mit
Reaction betrafen Phthisis incipiens und ,;War die Diazo-
reaction dem Anfangsstadium entsprechend bei diesen In-
dividuen nur schwach entwickelt'^
Grundies^), der das Hauptgewicht bei Bestimmung der
Intensität der Reaction auf den innerhalb 24 Stunden ent-
standenen Niederschlag legte, untersuchte 64 Lungenschwiud-
1) Escherich 1. c. 2) Brewing 1. c. 3) Grandios 1. c.
168 W. Nissen:
sfichtige, Yon denen 34 ihrer Lungenaffection während der
Beobachtungszeit erlagen, lieber Sectionsbefunde finden sich
jedoch ebenso wie bei den meisten anderen Autoren keine
näheren Angaben. Escherich's 64 Kranke hatten zuneh-
mende und starke Diazoreaction gegen den tödtlichen Aus-
gang hin, mindestens 4 — 5 Tage vorher. 6 Fälle waren mit
überwiegend starker Reaction, von denen nur einer wahrend
der ganzen Zeit kein Fieber hatte. 12 Phthisiker hatten nie
Reaction (trotz 50— 73 maliger Untersuchung) und befanden
sich relativ ganz wohl während dieser Zeit, darunter waren
auch Kranke mit Höhlenbildung. Tuberkel bacillen waren fast
durchweg in allen Fällen wiederholt nachgewiesen. Die Stärke
der Reaction stand aber in keiner ersichtlichen Beziehung
weder zur gefundenen Bacillenmenge noch zu der Hohe der
Temperatur.
Gold Schmidt^) führt an, dass die Reaction constant
bei der Miliartuberculose auftritt, während sie zuweilen nach-
weisbar ist bei der Tuberculose. Hier scheine ihr Auftreten
ein prognostisch ungünstiges Zeichen zu sein.
Ehrlich*) hatte schon gleich in seiner ersten Veröffent-
lichung darauf hingewiesen, dass 1. das Auftreten von Reaction
bei Phthisis pulmonum von übler Vorbedeutung sei und dass
2. lauge andauernde Reaction ohne Fieber auf Lungenschwind-
sucht hindeute. Später^ führte er des Weiteren an, die Re-
action pflege bei Phthisis pulmonum rrnd zwar gerade in
schwereren Fällen ein ausserordentlich häufiges Vorkommniss
zu sein und bieten die Fälle, die anhaltend lange Reaction
zeigen, eine schlechte Prognose. Ehrlich^) hat sich auch
die Frage vorgelegt, von welchen Factoren das Auftreten der
Reaction bei Phthisis pulmonum abhänge? Vom Fieber ist
sie nicht abhängig, da auch schwere, afebril verlaufende
Phthisen wochenlang ausgeprägte Reaction zeigen können.
Ebenso wenig stehe die Reaction in Zusammenhang mit der
Entwickelung von Miliartuberkeln.
Auch Georgiewsky*) erwähnt, dass es ihm „trotz ca. 100
vorgenommener Harnproben leider nicht gelang, die Bedin-
gungen des Auftretens der Reaction aufzuklären'^* y,die Reaction
tritt bei den chronischen Erkrankungen des Lungengewebes
in den einen Fällen ein, in den anderen nicht. Bei ein und
demselben Kranken ist die Reaction bald vorhanden, bald
schwindet sie. Zwischen Gegenwart von Bacillen im Sputum
1) Goldschmidt ]. c.
2) Ehrlich, Ueber eine neae Harnprobe. Oharitö-ADnalen VIII. Bd.
issa.
3^ Ehrlich, Deutsche med. Wochenschr. 1884. S. 419. 4) Ibid.
6) Georgiewsky 1. c.
Ueber die Diazoreaction etc. 169
und Auftreten der Reaction stellte sich auch kein directer
Zusammenhang heraus.
„In einem Fall; der an Miliartubercülose zu Grunde ging
mit relativ geringfügigem Lungenbefund, aber mit einer Menge
von Bacillen im Sputum, war die Reaction purpurfarbig.
„Ein Kranker mit käsiger Pneumonie, der bei der Auf-
nahme erhöhte Temperatur hatte, im Sputum viele Bacillen
aufwies, ergab im Harn einfach rothe Reaction. Nach drei
Wochen, als Pat. entlassen wurde, verschwand die Reaction
im Harn. ' Bacillen im Sputum vermochte man nicht mehr
zu finden. Ein Zusammenhang zwischen Anwesenheit der
Reaction und dem Fieberzustand Hess sich nicht constatiren,
denn mehrere phthisische Kranke, welche fieberten, ergaben
keine Reaction, andrerseits bestand Reaction bei solchen, die
wiederum nicht fieberten/'
Diese Aeusserungen Georgiewsky^s schildern gewisser-
maassen treffend jene Willkür, mit der, wie ich oben hervor-
hob, auch mir anfangs das Auftreten der Diazoreaction bei
Phthisis pulmonum verknüpft zu sein schien. Und doch lässt
sich trotz alledem, wie ich gleichzeitig erwähnte, eine ge-
wisse Gesetzmässigkeit, ein bis zu gewissem Grade typisches
Verhalten der Reaction im Grossen und Ganzen bei den ver-
schiedenen Formen der Phthisis durchaus wohl eruiren.
Das geeignetste Material, an dem sich nach dieser Rich-
tung passende Beobachtungen anstellen lassen, ist aber das
Krankenmaterial des kindlichen Alters, wo man den ganzen
Ablauf phthisischer Lungenprocesse gewissermaassen vom ersten
Anbeginn bis zum tödtlicben Ausgang oft in rascher Folge
an demselben Individuum beobachten kann — anders, als
einem das bei erwachsenen Hospitalkranken 'geboten ist. Von
wesentlichem Werth ist dann natürlich noch die sich so häufig
darbietende Section.
Meine Harnuntersuchungen beziehen sich im Ganzen auf
78 Falle von „Phthisis", worunter 47 zur Section kamen. Die
bei Weitem grössere Mehrzahl der untersuchten Kranken fallt
auf das 1. bis 6. Lebensjahr — die übrigen bis zum 14.
36 Kranke mit 14 Sectionen hatten chronische Pneumonie,
42, die sämmtlich letal endeten, wiesen bei 33 Sectionen
Miliartubercülose auf.
Ich muss nun hier gleich hervorheben, dass der Begriff
„Phthisis pulmonum'' hinsichtlich der Diazoreaction ein zu
weit gefasster ist. Wenigstens gilt das für Kinder.
Will man hier das verschiedenartige Verhalten der Re-
action im Yerhältniss zum klinischen oder besser zum patho-
logisch-anatomischen Befund analysiren, so hat man im Wesent*
170 W. Nissen:
liehen, wie ich das auf Grund meiner Beobachtungen anführen
kann, drei yerschiedene Gruppen auseinander zu .halten:
I. Die Reaction wird während einer längeren Beob-
achtungszeit garnicht oder nur hin und wieder vorüber-
gehend angetroffen und meist nicht in sehr starker Inten-
sität.
Das ist der Fall bei der chronischen käsigen Pneu-
monie, soweit sie als solche unter Bildung Ton käsigen
Herden und Cavernen ohne Tuberkeleruption allmählich
ihren letalen Abschluss findet Dieses Verhalten -trifft
man mehr bei grosseren als bei kleinen Kindern.
IL Die Reaction tritt zeitweilig auf, bleibt sodann
• wiederholt aus, stellt sich wieder ein, um endlich einige
Tage bis Wochen vor dem letalen Ausgang ziemlich in-
tensiv ausgesprochen zu persistiren.
Das ist der Fall bei chronischen käsigen Pneumonien,
die mit Tuberkelbildung, Miliartuberculose, vergesellschaftet
einhergehen. Diese Form, die Orth^) nicht mit Unrecht
pathologisch-anatomisch als „tuberculöse käsige Pneumonie''
bezeichnet wissen will, kommt überaus häufig vor.
III. Die Reaction ist anfangs bei etwa klinisch kaum
nachweisbaren bronchitischen oder pneumo-katarrhalischen
Erscheinungen nicht vorhanden, tritt dann aber plötzlich
und sehr intensiv auf und verharrt so bis zu dem oftmals
in kurzer Zeit erfolgenden Exitus letalis.
Dieses Vorkommen findet sich in denjenigen Fällen, die
sich uns pathologisch -anatomisch als typische allgemeine
Miliartuberculose zu erkennen geben. Es tritt diese Form
namentlich bei kleinen Kindern sehr häufig auf, da ja
Kinder, wie s. Z. bereits Michael, Weigert u. Biedert
darauf hingewiesen haben, beim Vorhandensein irgend
welcher localtuberculoser Herde für eine acute allgemeine
Eruption mehr disponirt sind als Erwachsene.
Ich habe meinen Protokollen eine Anzahl von Kranken-
geschichten entnommen und sie tabellarisch zusammengestellt.
Ein Einblick in die Tabellen VI, VII, VIII wird den Versuch
jenes von mir aufgestellten Schemas der Gruppirung von
tuberculösen Kranken je nach dem Verhalten der Diazoreaction
rechtfertigen:^
1) Orth, Lehrb. d. speciellen Pathologie u. Anatomie 2. Lief.
S. 426 u. f.
Ueber die Diazoreaction etc.
171
Tabelle VI. L Fneumonia chronica caseosa.
1} Anna Schamachin 13 a. n. No. 91. 17.11. — 10. V. 1892.
17. II.
3. III.
4. III.
5. iir.
8. III.
17. III.
20. III.
29. III.
30. III.
12. IV.
13. IV.
24. IV.
3.V.
4.V.
10. V.
2 Monate krank. Starker Hnaten, Fieber. —
Rechts Tom iofraclaviculär und in fossa
snpraspin. dextra Dämpfung, bronch.
Athmen und conson. Bassein.
In fossa suprasp. d. hat das Bassein metall.
Charakter angenommen.
Im Sputum Bacillen.
Sichtlich zunehmende Schwäche. In beiden
Lungenspitzen hinten und vom Dämpfuog
abwechselnd mit tjmpan. Schall, cons.
Rasseln, bronch. Athmen und öfters am-
phor. Athmen.
Exitus letalis.
0
0
0
R
0
0
0
R
R
0
0
0
0
0
38,7
Temp.
bis z.
normal
2. III.
39,5
40,0
38,0
38,8
38,0
39,4
38,4
38,6
38,6
40,1
38,8
38,7
Abendtemp.
schwanken
zwischen
38,7 40,6
Section: Pneumonia chronica cas. Cavernae in apicibus. Pleuritis
adhaeaiva dextra. (Sämmtliche Organe frei von Tuberkeln.)
2) Marie Waninen 15 a. n. No. 17. 6. XL 1890 — 24. IL 1891.
22. L
25.1.
4. IL
11. IL
14. n.
23. II.
24. n.
Seit langer Zeit schon krank. Stark re-
ducirter Eörperzust. In beiden Lungen-
spitzen die Erscheinungen von Gavemen-
bildung.
Im Sputum reichl. Bacillen.
Rapide Abmagerung und Verfall derEörper-
kräfte.
Exitus letalis.
BR
37,4 37,8
R
37,2
39,9
R
38,0
39,0
R
39,5
39,5
0
38,7
39,0
0
39,0
—
0
Section: Pneum. chron. (Cavernae in apicibus). Ulcera ilei et
colonis. Perihepatitis et Perisplenitis. Degeneratio caseosa glandul.
bronchial, et mesent.
172
W. Niasen:
S) Iwan Moloahawsky 6 a. n. No. 139. 17. IL — 6. V. 1892.
19. II.
Exquisite Atrophie. Lymphdrüsen des
Halses nod der Inguinalgegend stark ge-
schwellt. Unter der r. Scapnla Dämpfung
und verschärftes Athmen. Trockene
Rasselgeräusche.
0 ' 37,3 37,3
20. IL
24. IL
6. IIL
13.IIL
14. III. Am 23. IIL wird Patient in ziemlich decre-
pidem, wenn auch etwas gebess. Zustand
ausgeschrieben. Am 4. Y. wird er mori-
I bnnd ins Hospital gebracht.
6. V. I Exitus letalis.
Section: Enteritis foUic. intestini crassi. D
gland. bronch. et mesenter. Pneum. cat. pulmonum.
0
37,8 37,4
0
37,6 38,8
0
37,0 —
0
fieberfrei
0
fieberfrei
0
fieberfrei
3ffene
ratio caseosa
4) Pelageja Parfirjew 3a.n. No. 362. 2.IV. — 8.IV.1893.
4. IV. Schwaches, atroph. Kind mit ödematösen ' 0 |- 38,3 38,9
Hantdecken. Unter der rechten Scapula
tympanitisch - gedämpfter Percussions-
schall, bronch. Athmen, metall. klingen-
des Rasseln.
Starke Dyspnoe und Cyanose. Ueber der
ganzen r. Lunge tymp. Schall. Athmungs-
geräusch hier abgeschwächt mit amphor.
Beiklang etc.
Exitus letalis.
Section: Pneumothorax d. Pneum. chron. caseosa. Caverna lobi inf.
pulm. dextrae. Hypertrophia et deg. caseosa gland. bronch. et mesent.
Tubercula caseosa hepatis, splenis et rennm. Enteritis follic. chronica.
6. IV.
7. IV.
0
37,8 39,5
0 J 36,0 —
6) Darja Schipowalow 14a.n. No. 171. 16. IX. 1892 — 8. L 1893.
37,0 88,0
18. IX.
R
In beiden Lungenspitzen besonders rechts
supra- und infraclaviculär gedämpfter
Percussionsschall, bronchiales Exspirium
und cons. Rasseln. Patient ist sehr anä-
misch aussehend und abgemagert. Kör-
pergewicht 33,6 Kilo.
21. IX. Im Sputum reichl. Bacillen. R
22. X. Allgemeinzustand bessert sich wesentl. 0
Körpergew. 36,6 Kilo. Zunahme 3,0 Kilo.
4. Xn. Zunehmende , auffallende Besserung. In t O
beiden Lungenspitzen Dämpfung und ver>
schärfbes Athmen, aber kein Rasseln.
Körpergewicht 42,0 Kilo.
4. J. Körperffew. 44,0 Kilo. Zunahme um 10 Kilo ! ! 0
8.1. In beiden Lungenspitzen neben gedämpf- 0
tem Percussionsschall verschärftes Athmen.
Kein Rasseln.
Entlassen mit wesentL Besserung. Körpergewichtszunahme um
10 Kilo. Nach 4 Monaten, im Mai 1893, stellte Pat. sich ambulatorisch
vor: Ernährungszustand wieder stark reducirt. In beiden Lungenspitzen
vorn und suprascapulär Dämpfung u. reichl. conson. Rasselgerilusche.
37,1 38,2
Begelm&uig
Abends Fiebet
Torbanden bis
sum 1. Not. 9i.
FieberfreL
Ueber die Diazoreaction etc.
173
6) Alexander Kubjakow 4a.D. No. 193. 20. X. 92 — 7. III. 93.
6.x.
12.x.
16.x.
17.x.
22.x.
17. XI.
9. XII.
3.1.
18.1.
Knabe yon mittl. ErDährnngszustand mit
starker Drüsenscbwellung am Halse nebst
Narbenbildnng. Eitriger Obrenflass. Ueber
der recbten Lunge zerstreutes trockenes
und feuchtes Rasseln. Im Gebiet der
rechten und linken Scapula und intra-
scapulär Broncbialathmen. Unter der
1. Scapula feuchtes Rasseln.
ECrperge wicht 13 Kilo.
Unterhalb der rechten Clavicnla bruit de
pot fäl^ und bronch. Athmen.
16.11.
i.m.
7.m.
Lautes Broncbialathmen hinten intrasca-
pulär und vorn auf dem Stemum. Starke
•Schmerzen im r. Hüftgelenk. Coxitis d.
•
Ueber der r. Clavicnla, im Gebiet der r.
Scapula sowie intrascapulär gedämpfter
Percussionsschall und bronch. Athmen.
Starker Husten.
Schmerzen und Schwellung des r. Hüft-
gelenks geschwunden. AlTgemeinzustand
bessert sich unter zieml. gleicbbleibcnder
Persistenz der Lungenerscheinungen.
Körpergewicht 12,6 Kilo.
Wird nach Hause genommen.
0
38,0 37,4
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
37,5
37,8
37,3
37,7
37,0
36,2
37,0
37,8
38,0
37,6
37,2
39,0
38,0
37,4
37,9
Fieberfrei.
Entlassen ohne wesentliche Besserung.
Tabelle YII. IL Pnenmonia oaseosa -f- TnberculoBis miliaria
(,^neumonia caseosa tuberculosa'^).
1) Wera Bulanow 6a.n. No. 311. 6.in. — 1. VIL 1893.
6. m.
8.ni.
20. UI.
21. lU.
22. UI.
25. IIL
30. III.
l.IV.
6. IV.
8. IV.
10. IV.
15. IV.
Abgemagertes M. Ueber der ganzen rechten
Lunge vom und hinten Dämpfung. Stark
abgeschwächtes Athmen in den unteren
Partien, in der Gegend der Spina scap.
Broncbialathmen. Hier sowie vorn links
supraclaviculär conson. Rasseln.
RR
Probepunktion: serös
exsndat rechtsseitig.
fibrinöses Pleura-
In der linken Lungenspitze hinten und
vom knisternde trockene Rasselgeräusche.
0
RR
0
0
0
RR
R
RR
0
R
R
37,ö
38,0
36,5
36,3
38,4
38,8
38,8
38,6
39,4
39,5
38,1
38,8
37,7
37,4
37,0
38,2
37,5
38,3
37,8
39,0
39,0
38,8
174
W. Nissen:
24. IV.
8.V.
24. V.
8. VI.
9. VI.
16. VI.
16. Vf.
19. VI.
1. VII.
Fast über der ganzen linken Lunge ge-
dämpfter Schall mit conson. Bassein.
Drüsen Schwellung des Halses. Zunebm.
Schwäche.
Exitus letalis.
RR
R
0
0
0
RR
RR
R
38,6
38,6
38,8
38,0
38,0
87,7
39,3
39,2
38,0
38,6
38,0
39,3
36,0
38,8
38,3
38,1
Section: Pneum. -caseosa duplex. Pleurit. haemorrh. sin. Tuber>
cula miliaria et caseosa disseminata hepatis et lienis. Degenerat. et
Hypertroph, gland. bronch. et mesent.
21.1.92
24.1.
8. II.
2) Sergej Efimow 6 a. n. No. 13. 20. X. 91 — 24. IV. 92.
I Patient hat im Hospital die Masern durch-
I gemacht und wird unter der Diagnose
Pneumon. cat. post morbillos der internen
Abtheilung übergeben. Starke Schwellung
der Lymphdrüsen am Halse.
In beiden unteren Lungenpartien hinten
Dämpfung, klingendes Rasseln und am-
phonsch. Athmen.
20. II.
7. m.
14. III.
16. III.
16. III.
29. m.
30. III.
8. IV.
11. IV.
22. IV.
23. IV.
24. IV.
Amphor. klingendes Athmen geschwunden,
blos cons. Rasseln in massiger Quan-
tität hinten in beiden Lungen neben
bronch. Athmen.
Fortdauernde Lymphdrüsenschwellnng. In
den Lungen stat. idem.
Seit heute Coma, Gheyne- St. -Athmen,
Pupillenerweiterung. Irreg. Puls. Me-
ningitis.
Exitus letalis.
R
R
0
0
0
R
0
0
R
R
RR
RR
RR
RR
38»0 38,6
39,1
37,6
37,2
38,7
39,3
39,9
39,1
39,2
89,7
40,4
88,5
88,2
38,6
88,0
37,9
37,0
38,6
40,1
38,6
38,0
39,0
39,0
38,3
37,1
37,8 37,0
Section: Pneumonia chronica caseosa sin. et dextra. Meningitis
tuberculosa. Tuberculosis miliaria universalis (pulmonum, hepatis,
cordis, lienis).
y
3) Ai
18. V.
8. VI.
3. VI.
9. VI.
12. VI,
18. VI.
16. VI.
18. VI.
26. vm.
28. vm.
2. IX.
*.IX.
5. IX.
Geber die Diazoreaction etc.
la MadialewBkj l2a.D. No. 4SI. 10.'
Mädchen gracilea KOrperbaneB — aafge-
DommeD mit deo ErBcheiaatigen Ton
Scoibnt. Milzach wel lang. IndeDLau^eu
normaler Befand. EOrpergew. 26 Kilo.
ErBcbeiDUDgeti v. Scorbnt zmtickgegaDgeD.
Beginnen der Husten.
In beiden Longen trockenes Bassein. Hin-
ten rechts sabscapulSr abgeschwächtes
Athmen. EOrpergew. S6 Kilo.
In der linken Lange supraclavicnlüre und
in foBsa ■apraspin. am. sonore Rassel-
gerSnsche. Hinten rechts in der Oegend
des n.~IV. Bnutwirbels recht verschärf-
tes Athmen. FercnSBionsschall nirgends
wesentlich verändert.
Patientin wird zur Erholung aufs Ltfnd
geschickt. Eflrpergew, 8&,G Kilo.
Patientin ist in recht schw&chl.jZustand vom
Lande snrQckgekehrt — mit redncirtem
Körpergew. 24,6 Kilo.
Fm Gebiet der linken Scapnla Dämpfung
nnd snbcrepitirendeB Rasseln. Ebenso
vom in beiden fossoe aubclaviculares.
Haemoptoe.
Starke, znnehmende Schwäche.
ComatOaer Znstand.
Eiitns letalis.
Section: Poenmonia caseosa. Peribronohitis
tabercnloBa basilaris. Perihepatitis j Tobercnla miliaris
caseosa lienis. Degen, glanoolanim broncb. caseosa.
Iril
39,0 39,7
39,4 40,0
39,2 40,0
39,0 39,C
Meningitis
hepatis. Tubercula
i) Nadeshda Ensmin 2 a. 3 m. No.822. 21.XI.S
23. XI. Seit 6 Monaten krank — nach Masern.
Es besteht Hnsten nnd Durchfall.
Ueber der rechten Lnnge besteht ge-
dämpfter Schall; hinten sind leichl.
COnson.BasselgeränBchhOrbar, zamTheil
auch links hinten.
8.XIL
16. XII.
20. XH.
30.XIL
RR
RR
S8,I
Exitus letalis.
ction: Pleuropneomonia caseosa tnbercolosa deitra omninm
1 et sinistra loci inf. Deg. cas. gland. bronch. Caverna pntm.
ercnlosis miliaris hepatis, lienis, rennm.
178
W. Nissen:
7) Wladimir Shirokow 8a. n. No.8. 8. XII. 91 - 17.1.92.
8.1.
4.1.
6.1.
7.11.
10. II.
12. II.
13. IL
17. II.
Ziemlich wohlgenährter Knabe — idiotisch.
In den Lungen die Erscheinung von difiP.
Bronchitis. Otitis m. d.
Ausschlag Ton Varicellen.
Abtrocknen der Pusteln.
In Anbetracht der Persistenz des Fiebers
(keine palpable Milz) wird an Typhus
gedacht Der Longenbefnnd ziemlich
negativ.
0
RR
RR
RR
RK
89,1 89,2
38,7
40,2
40,0
39,6
39,6
39,4
89,6
88,7
40,0
40,2
39,0 39,8
Exitus letalis.
Section: Tuberculosis miliaris uniTersalis (pulm., hepatis, splenis,
pancreatis, intestinorum). Oedema meningum.
8) Katharine Zink 2 a. n. No.26L 7. L — 8. IL 93.
7.L
8. L
16. L
19. L
22. L
26. L
27. L
3. IL
Schwächl. gebautea und ernährtes Mädchen.
In beiden Lungen hinten massiges mittel-
grossblas. Rasseln.
Stärkerer Husten. In beiden Lungen hinten
subcrep. Rass. Percussion unTeränderi
Zunehmende Schwäche. In der rechten
Lunge Percussionsschall gedämpft —
cons. Rasseln.
RR
RR
R
R
R
RR
RR
RR
37,2
38,0
89,0
37,8
37,8
38,8
38,2
37,4
87,4
38,2
40,3
38,4
88,1
88,3
88,0
6. IL RR 88,3 39,6
8. IL Exitus letalis.
Section: Tuberculosis miliaris univers. (hepatis, lienum, rennm).
Pneum. cas. lobi inf., pulm. dextr. Pleuritis adbaesiva dextra. Deg,
cas. gland. bronch.
Ich kann noch hinzufügen, dass es ans öfters gelang,
geradezu nur auf Grund der mit der Diazoreaction gesam-
melten Erfahrung durchaus latent verlaufende und jedenfalls
als Tuberculose nicht direct erkennbare Processe zeitig als
solche zu diagnosticiren. — Einige Beispiele dafür in aller
Kürze mögen hier genügen:
261. Katharine Zink, 2 a. n. (cf. Tabelle VIII, 8) wird am 7. Jan.
1893 bei schwächlichem Ernährungszustand unter den Erscheinungen
der Bronchitis aufgenommen. Es besteht kein starker Husten, hinten
sind in beiden Lungen mittelgrossblasige Rasselgeräusche in nicht be-
deutender Menge hörbar. Der Harn, der am ersten und zweiten Tage
der Aufnahme geprüft wird, zeigte starke Diazoreaction. Temp. in den
ersten paar Tagen normal, nicht über 37,4. Bald erhebt sich sodann
die Temp. bis zu 38,4, der Husten nimmt zu. Um ca. 1 Woche, am
Ueber die Diasoreaction etc. 179
19. Jan., sind in beiden Lungen hinten snbcrepitirende Rasselgeräusche
hörbar, der Percnssionsschali ist dagegen unverändert, die Temp. ist
am 19. Jan. Abends auf 40,8 gestiegen. Der Harn ergiebt deutliche
Beaction (R). Diagnose: Tubercnlosis miliaris. Von da ab bleibt
die Temp. ziemlich constant auf 38—89,6 mit Morgenremissionen bis
zu 87,8. Reaction im Harn dauert fort, indem sie vom 26. 1. ab wieder
ntikx intensiv (RR) wird. Am 8. Februar ist der Percnssionsschali über
der rechten Lunge gedämpft, consonirendes Rasseln. Zunehmende
Schwäche. Die Reaction hält sich in intensiver Weise bis zu dem am
8. Febr. — also um 1 Monat nach der Aufnahme — erfolgten Exitus
letalis. Die Section ergab: Tuberculosis miliaris universalis (pulm.
hepatis, lienit et renum). Pneumonia cat. lobi inf. pulmonis deztr.
Pleuritis adhaesiva deztra. Hypertrophia et degeneratio glandnl. bronch.
caseosa.
338. Michael Wassiljeff, 2%a.n., von schwächlicher Constitution
und Ernährung — aufgenommen am 16. März 1898 unter der Diagnose
Pertussis et Pneum. cat. dupl. In der rechten Scapulargegend deut-
liches Bronchialathmen, links unterhalb der Scapula subcrepitirendes
Rasseln. Das Athmen ist sehr erschwert und frequent, Temp. 89,2.
Der Husten tritt in typischen Keuchhustenanfällen auf. Unter der Zunge
ein kleines Geschwürchen, Der sofort nach der Aufnahme untersuchte
Harn ergiebt starke Ehrlich'sche Reaction. Dieselbe hält sich in gleicher
Weise bis zu dem nach drei Tagen erfolgten Exitus letalis. Temp.
am Morgen des 20. März 37,8. Section: Tuberculosis miliaris pul-
monum, hepatis et splenis. Pneumonia lobularis deztra et pneumonia
lobi medii pulmonis sin. Degeneratio caseosa gland. bronch.
369. Semjen Brewnoff, 2 a. n., aufgenommen am 6. April 1898' mit
den Erscheinungen einer linksseitigen katarrhalischen Pneumonie. Links
in Fossa supraspinata gedämpfter Percnssionsschali, verschärftes Athmen
und subcrepitirendes Rasseln. Der am 10. April zum ersten Mal unter-
suchte Harn ergiebt starke Diazoreaction RR. Temp. Morgens 87,6,
Abends 39,0. Am 12. April Reaction R. Am 14. April treten epilepti-
forme Krämpfe mit Zuckungen in der rechten Körperhälfte auf. Am
16. April Reaction RR, Temp. 38,6 , Abends 87,7. vollständiges Coma,
irreguJärer irequenter Puls. Ungleichheit der Pupillen etc. — Menin-
gitis. Am 16. und 17. April Reaction immer RR. Das Sensorium ist
n-eier. Fortbestehendes irreguläres Fieber. Am 18. April wird Pat.
wegen scarlatinOsen Ausschlages in die Scharlachabtheilung übergeführt
— Reaction RR. Am 20. April wiederholen sich die Krämpfe und es
erfolgt der Exitus letalis. Section: Tuberculosis miliaris universalis.
Meningitis cerebri tuberculosa.
421. Anna Madzalewsky (cf. Tab. VII, 3), 12 a. n. Gracil ge-
bautes Mädchen von schwachem Ernährungszustand, aufgenommen den
10. Mai 1893 unter der Diagnose Scorbutus. In den Lungen wird nichts
von der Norm Abweichendes gefunden. Milz ziemlich stark vergröesert.
Massige Halsdrüsenschwellung. Körpergewicht 26 Kilo. Am 18. Mai,
wo die Erscheinungen des Scorbnts schon bedeutende Besserung auf-
weisen, ergiebt der Harn die Reaction R, ebenso am 22. Mai. Am
* 24. Mai wird keine Reaction angetroffen. Seit der Aufnahme bis jetzt
hat leichtes Fieber bestanden mit Abenderhebungen bis zu 88,8. Vom
24. Mai ab setzt ein besonderer Fiebertypus ein: Morgens und Abends
ist die Temperatur normal, während von 2 Uhr Nachmittags ab bis 4
und 6 Uhr N^achmittags ziemlich hohes Fieber besteht zwischen 88,4
bis 39,4. So Tags aus, Tags ein. Es wird anfänglich an Latermittens
12*
180 W. NiBsen:
gedacht. Vom 2. Juni ab beginnt das Mädcben etwas zn hnsten. Im
Uebrigen bessert sich ein wenig ihr Allgemeinsnstand. Der Harn er-
giebt aber sehr starke Diazoreaction (RR). Am 9. Juni sind in beiden
Lungen zahlreichere, zerstreute trockene Rasselgeräusche zu hören und
rechts subscapulär abgeschwächtes Athmen. Starke, andauernde Diazo-
reaction RR bis zum 16. Juni, wo die Reaction wieder verschwindet.
Inzwischen ist der Husten stärker geworden, der intermittirende Fieber-
typus hält immerfort an und muss Fat. täglich von 2 bis 6 J. A. die
Bettlage einnehmen. Diagnose: Tuberculosis pulmonum. Fat erhält
Kreosot. Am 16. und 18. Juni ergiebt der Harn keine Diazoreaction.
Die Untersuchung der Lungen weist dagegen in der linken Fossa supra-
«pinata, sowie links vom snbclaviculär zahlreiche feuchte, etwas con-
sonirende Rasselgeräusche auf. Der Fercussionsschall beider Lungen
ergiebt keine merkbaren Differenzen.
Am 8. Juli zeigt der Harn wieder die Reaction R. Am^ 1. August
wird Fat. mit einem Körpergewicht von 25,4 Kilo, also bei Zunahme
von im Ganzen 0,i Kilo aufs Land geschickt.
Am 23. August kommt Fat. in ziemlich entkräftetem Zustand ine
Hospital zurück. Der intermittirende Fiebertypus ist einem constanten
Fieber von 37,9 — 40^ gewichen. Fat. ist sehr schwach. Der Harn er-
giebt starke Diazoreaction (RR). In der linken Lungenspitze hat sich
nunmehr deutliche Dämpfung etablirt mit reichlichem, kleinblaaigem
Rasseln. Ebenso rechts vorn snbclaviculär. Es tritt Hämoptoe ein.
Diazoreaction RR hält dauernd an bis zu dem unter zunehmender
Schwäche am 6. September erfolgenden Exitus letalis. Sectio n: Fnen-
monia caseosa. Feribronchitis caseosa. Meningitis basilaris tubercul.
Ferihepatitis. Tubercula miliaris hepatis. Tnbercula caseosa lienis.
Degeneratio gland. bronch.
Ich will mich hier auf die Anführung dieser wenigen
Krankengeschichten, die die Verwerthbarkeit der Diazoreaction
diagnostisch und prognostisch genügend darlegen, beschränken,
umsomehr, als auch die beigefögten Tabellen VI, VII u. VIII
in Kürze gleiches Material aufzuweisen im Stande sind.
Wichtig für uns ist jedenfalls die Thatsache, dass uns
mit dem positiven Ausfall der Diazoreaction ein wesentlicher
objectiver Factor an die Hand gegeben ist, durch wieder-
holte Prüfung des Harns tuberculose Lungenprocesse zu
unterscheiden, was namentlich werthvoU ist bei kleinen Kin-
dern — bei Fehlen der Sputa, bei Fehlen des Hustens ^ ja
oftmals auch des Fiebers und bei nur geringem oder gar
negativem Lungenbefund.
Während die Diagnose der chronischen käsigen Pneu-
monie, bei der gerade die Diazoreaction uns mehr im Stiche
lässt, schon aus der hartnäckigen Persistenz der nachgewie-
senen Infiltrate, aus der zunehmenden Abmagerung, dem
atypischen Fieber und auf Grund des eventuellen Nachweises
von Cavernenbildung sich uns leichter ergiebt, sind es ge-
rade jene latent verlaufenden miliartuberculösen Processe
ohne nachweisbare localtuberculösen Herde, höchstens unter
den Erscheinungen einer Bronchitis oder auch katarrhalischen
Pneumonie acut ablaufend, welche uns besondere Schwierig-
Ueber die Diazoreaction etc. 181
keiten in der Diagnose bereiten , ja dieselbe überhaupt nur
erst durch den letalen Ausgang sicher stellen. Hier leistet
die Ebrlich'sche Reaction entschieden Ersatz für das Fehlen
greifbarer Symptome in diagnostischer und dadurch auch in
prognostischer Hinsicht.
Mir scheint es nun unzweifelhaft, dass das vorüber-
gehende oder das persistirende Vorhandensein der Reaction
im Harn weitaus in der Mehrzahl der Fälle mit der Bil-
dung einer localisirten oder auch einer allgemeinen disse-
mimrten Miliartuberculose im Zusammenhang steht. Es
entspricht gewissermaassen das Auftreten der Reaction
mit darauffolgenden reactionslosen Intervallen den wieder-
holten Nachschüben der Tuberkel eruption bei subacutem
Verlauf der Miliartuberculose, während plötzliches, persi-
stirendes Auftreten bei zunehmendem Eräfteverfall der
acuten Miliartuberculose correspondirt.
Dass aber Eruption von Tuberkeln und Reaction im Harn
zu gleicher Zeit zusammenfallen, scheint durchaus nicht wahr-
scheinlich zu sein, da nicht alle Fälle, die etwa unter dem
Bilde einer katarrhalischen Pneumonie zu Grunde gingen und
bei der Section ganz frische graue Knotehen in nicht sehr
zahlreicher Form aufwiesen, die Diazoreaction vor dem Tode
ergeben hatten (cf. Tab. VIH, 4). Ist auf dem Wege der Blutbahn
ein Import von Bacillen erfolgt, die etwa bronchialen Lymph-
drüsen oder einem sonstigen tuber culosen Herde entstammen „und
durch acute Entzündungsprocesse mobil gemacht worden sind''
(Orth), ist durch einen solchen Bacillenimport in diesem oder
jenem Organ die Entstehung miliarer Knötchen veranlasst
worden, so muss wohl erst eine gewisse Spanne Zeit ver-
streichen, bis dieselben sich genügend entwickeln, ihre Ba-
cillencolonien anwachsen und nun erst die StofFwechselproducte
letzterer in reichlicher und vermehrter Weise in den Säfte-
strom und von hier in den Harn gelangen. Hat das eine
Zeitlang angedauert, so hört wahrscheinlich unter fortwäh-
render Umbildung der Knotehen bei fortdauernder genügender
Resistenz des Organismus der rege Austausch zwischen er-
kranktem und gesundem Gewebe auf — und der Harn zeigt,
soweit nicht neue Nachschübe Platz finden, keine Reaction.
So sah ich z. B. ein dreijähriges Mädchen (Nr. 862, cf. Tab. VI, 4),
das in äusserst decrepidem Znstand unter den Erscheinungen der chro-
nischen Pneumonie mit Cavemenbildung im rechten Unterlappen auf
die Abtheilung aufgenommen wurde. Der Tod erfolgte nach 6 Tagen
infolge hinzugetretenen rechtsseitigen Pneumothorax. Der Harn batte
diese wenigen Tage hindurch kerne Reaction ergeben, während die
Section den angerahrten klinischen Befund bestätigte und ausserdem
eine Masse in yerschiedenen Organen (Lunge, Leber, Milz, Niere) zer-
182 W. NiBsen:
streuter, veralteter Tnberkel aufwies von gelbgraaer Farbe, hirsekom-
bis erbsengroBB (wie s. B. in der Leber).
Ein ähnliches Verhalten zeigte auch ein anderer Fall.
In den übrigen 31 Fällen, die als Miliartuberculose zur Section
kamen, hatte fast constant die Reaction sowohl bei subacutem
wie acutem Verlauf 2 — 30 Tage und darüber vor dem Tode
ununterbrochen und recht intensiv ausgesprochen bestanden«
5, Meningitis.
Ueber die Meningitis tuberculosa kann ich mich^kurz
fassen. Aus dem Gesagten lässt sich a priori erwarten, dass
die tuberculöse Meningitis, sofern sie als Theilerscheinung
einer, gewisse Zeit bestehenden, allgemeinen Miliartuberculose
auftritt^ Diasoreaction im Harn ergeben wird.
Anders verhält es sich, wenn sie als rasch ablaufender
Endeffect zu einer chronischen käsigen Pneumonie hinzutritt
oder wenn sie ihren primären Ausgangspunkt einzig und
allein käsig degenerirten Bronchialdrüsen entnimmt Hier
wird, wenn namentlich die Eruption von Tuberkeln eine be-
schränkte ist, bei relativ raschem Fortschritt und bei Prä-
valiren von entzündlichen Erscheinungen im Allgemeinen auch
keine Reaction im Harn zu erwarten sein.
Ich verfüge über 15 Fälle von Meningitis tuberculosa
cerebri. Die Patienten standen im Alter von 1 Jahr 2 Mo-
naten bis zu 13 Jahren. Sämmtlich bis auf 1 Fall kamen
sie zur Section. Ihr Verhalten zur Diazoreaction war fol-
gendes:
zam Theil schon längere Zeit vor dem Aasbruch
ausgesprochener meningitischer Reie- oder
L&hmungBerscheinangen 2 Fälle
zum Theil 4, 6 und 8 Tage vor dem Ausbruch
ausgesprochener meningitischer Reiz - oder
Lähmangsersoheinangen 7 Fälle
1 Patient zeigte Diazoreaction erst 4 Tage nach
d. Ausbrach ausgesprochener meningitischer
Beizerscheinungen 1 Fall.
6 Fälle (bei 8, in 1 Falle sogar bei IStägiger Erankheitsdauer nach
Verl, oh ne< Auftreten der ersten ausgesprochenen meningitisohen £r-
Diazoreact. l scheinungen.
10 Fälle
verliefen
mit Diazo
reaction
Die 10 Fälle, welche mit Diazoreaction einhergingen,
wiesen, abgesehen von demjenigen, der nicht zur Section kam,
durchweg ausgebreitete Miliartuberculose mehrerer Organe
auf. Es bestand also die Meningitis hier als Theilerscheinung
einer Tuberculosis miliaris universalis. Von den übrigen
5 Fällen ohne Reaction waren 3 mit frischer, zum Theil
Ueber die Diazoreaction etc. 183
grau darchscbimmemder Enötchenbildung auch anderer Or-
gane vergesellschaftet, einer mit oberflächlichen, circumscripten
käsigen Infiltraten der Lunge und einer mit exquisit chro-
nischen verkästen Miliartuberkeln anderer Organe.
Ich habe das Verhalten der Diazoreaction ferner noch
geprOft in 3 Fällen von eitriger Gehirnentzündung , Menin-
gitis Simplex, sowie in 3 Fällen von Meningitis cere-
brospinalis epidemica, von welch letzteren ein öjähriges
Mädchen mit Zurückbleiben von Harthörigkeit genas. Die
5 anderen Fälle kamen zur Section.
Die Diazoreaction hatte ich weder im Verlauf der Menin-
gitis Simplex noch der Meningitis cerebrospinalis beobachtet.
Es war der Harn bei der eitrigen Gehirnentzündung in 2 Fällen
gelbrothlich verfärbt, beim Schütteln aber bildete sich nur
ein tief gelbgesättigter Schaum.
fVagen wir uns* nun nach dem diagnostischen und
prognostischenWerthder Diazoreaction bei derMenin-
gitis, so haben wir negatives und positives Verhalten der
Reaction auseinander zu halten:
Negatives Verhalten der Reaction spricht bei Schwierig-
keit der Differentialdiagnose zwischen Meningitis und
Typhus vor allen Dingen gegen letztere Affection, die ja
so gut wie stets mit Reaction einhergeht.
Besteht im Verlauf einer cerebralen Affection positive
Reaction, so spricht dieselbe bei Ausschluss von Typhus
und etwaigen exanthematischen Erkrankungen für die tuber-
culose Form der Meningitis, und die Prognose kann un-
bedenklich letal gestellt werden.
Negatives Verhalten der Reaction im Verlauf einer menin-
gitisartigen Erkrankung schliesst weder tuberculöse, eitrige,
cerebrospinale Meningitis noch sonstige cerebrale Affectionen
leichteren Charakters aus und lässt bis auf Weiteres in
prognostischer Hinsicht wenigstens die Möglichkeit einer
Heilung den Angehörigen gegenüber offen.
Zum Schluss noch ein Wort darüber, worauf das Auf-
treten der Diazoreaction im Harn zurückzuführen
ist? Wohl jeder der Autoren hat sich diese Frage zur Be-
antwortung vorgelegt. Ehrlich war ihr sogar auf mühe-
voll cliemischem Wege nachgegangen, ohne jedoch mit un-
seren vorläufig nicht ausreichenden Hilfsmitteln ein erwünschtes
Resultat zu finden. Es ist daher verständlich, dass dort, wo
uns der Boden objectiven Nachweises fehlt, die Hypothese
ihren freien Lauf nimmt Im Allgemeinen sind sich die Autoren
darüber einig, dass die Reaction vom Fieber an und für sich
184 W. NiBsen:
jedenfalls nicht abhängt ^ da sie ja, wenn auch an acut ver-
laufende Krankheiten zumeist gebunden^ hier auch öfters ohne
das bestehende Fieber vorhanden ist. Escherich*) nimmt
an, es handle sich gewiss um einen nur unter veränderter
Stoffwechselbedingung zur Ausscheidung kommenden Körper.
Brewing') fuhrt die Beaction, speciell bei Phthisis pul-
monum, auf die Resorption zerfallener Stoffe aus den Lungen
zurück. Ehrlich hatte sich schon früher in Bezug auf die
Phthisis pulmonum dahin ausgesprochen, dass der die Beaction
bedingende Körper oder eine Vorstufe desselben innerhalb der
Lungen in den käsig infiltrirten Partien sich bilde und durch
Resorption in die Blutbahn gelange. Indem Ehrlich^) die
Beaction als von der Entwicklung der Miliartuberkel ab-
hängig negirt, nimmt er an, dass bei der Phthisis aus zer-
fallenen Elementen, z. B. Eiterkörperchen, sich der Stoff bildet,
der bei günstigen Diffusionsbedingungen' zwischen Zerfall und
normalem Lungengewebe in die Blutbahn gelangt. Zum Zu-
standekommen der Beaction müssen also die ergriffenen Par-
tien mit der Umgebung in engem Stoffwechsel stehen und
nicht, wie etwa bei ausgedehnten Cavernen (wo vielfach keine
Beaction im Harn vorhanden), durch festes Bindegewebe ge-
schieden sein. So richtig dieser letztere Hinweis ist, so wenig
scheint mir aber ein aus dem Zerfall von Eiterkörperchen
gebildeter Stoff die eigentliche Ursache des Auftretens der
Beaction bei Phthisis zu sein. Und wie wollte man sich dann
die Beaction bei den anderen Infectionskrankheiten erklären,
z. B, bei Masern, Typhus etc.? Mit grösserer Wahr-
scheinlichkeit scheint mir, wie ich schon oben ge-
legentlich dessen erwähnte, das Eintreten der Be-
action auf die Ausscheidung von bacteriellen Stoff-
wechselproducten im Harn zurückgeführt werden zu
müssen. Der nämliche Factor also, auf dessen Anwesenheit
im Säftestrom des Organismus wir ja all' die sonst charak-
teristischen Erscheinungen der acuten Infectionskrankheiten
in neuerer Zeit zurückzuführen gewohnt sind, kann uns ebenso
gut und einheitlich auch die vorläufige Erklärung abgeben
flir das Zustandekommen der Diazoreaction im Harn. Eine
Beobachtung von Feer^) scheint mir diese Annahme zu be-
stätigen. Fe er prüfte das Verhalten des Harns bei tuber-
culösen Kindern, welche mit Koch'scher Lymphe behandelt
wurden und vorher keine Beaction zeigten. Er fand, dass in
einer Anzahl von Fällen fast nach jeder Injection des Tuber-
1) Escherich 1. c. 2) Brewing 1. c. 8) Ehrlich 1. c. D.
med. Wochenschr. 1884.
4) Emil Feer, Auftreten der Diazoreaction im Harn etc. Jahrbuch
f. Kinderheük. Bd. XXXIII, H. 3.
Ueber die Diazoreaction etc. 185
culins Diazoreaction im Urin auftrat, in anderen nur verein-
zelt und dann meist nach den ersten Injectionen. Der Höhe-
punkt der Reaction trat gewohnlich in den ersten 24 Stunden
nach der Injection ein. Die Reaction dauerte nur 1 — 2 Tage
und schwand dann bis zur nächsten Reaction. -Diese Beob-
achtung, die Fe er zu anderem Zwecke herstellte, kann sehr
wohl für die Annahme verwerthet werden, dass die im er-
krankten Organismus vorhandenen bacteriellen Stoffwechsel-
producte bei ihrer Ausscheidung durch den Harn die Diazo-
reaction veranlassen.
IX.
Zar Frage Ober die Anwendang hoher Clysmen
bei Kindern.
Von
DlMlTBY SsOKOLOWy
PrivAtdooent der kalMrl. med. Akademie In St Petonbnrg.
Meine Herren I Za einer Zeit^ wo wir eben eine Cholera-
epidemie durchgemacht haben und uns von Neuem zur Be-
gegnung dieses unheimlichen Gastes rüsten, dürfte Alles, was
irgend welche Beziehungen zur Therapie der Cholera hal^ von
grossem Interesse sein.
Bekanntlich haben sich in letzter Zeit bei der Behand-
lung der Cholera die hohen Eingiessungen , die sog. Entero-
clysmen nach Cantani eingebürgert. Der Zweck dieser Ein-
giessungen besteht darin, dass die betreffenden Medicamente
durch den Dick- in den Dünndarm gerathen und hier ihre
Wirkungen auf die Darmwand oder den Darminhalt entfalten
können. Das ist nun ein weiter Weg, den die Infusions-
fiüssigkeit zurückzulegen hat, bevor sie an den Ort ihrer
eigentlichen Wirksamkeit, in den Dünndarm gelangt Irgend
welche Hindemisse zur Fortbewegung findet die Flüssigkeit
im normal entwickelten Dickdarm nicht vor; erst an der
Grenze zwischen Dick- und Dünndarm findet sich ein natür-
liches Hemmniss — die sog. Bauhin'sche Klappe, die Valvula
ileo colica, ileo-coecalis. Noch bis jetzt herrscht eine grosse
Meinungsverschiedenheit in der Frage, ob die erwähnte Klappe
ein unüberwindliches Hinderniss für den Durchgang von festen,
flüssigen und gasförmigen Stoffen darstelle, oder ob sie so
mangelhaft sei, dass dieser Durchgang frei von Statten gehen
kann. Für das kindliche Alter ist diese Frage noch weniger
entschieden als für Erwachsene, es wird deshalb Ihnen viel-
leicht nicht uninteressant sein, wenn ich meine diesbezüg-
lichen Untersuchungen und Ergebnisse mittheile. Dabei soll
picht nur der Endpunkt des Dickdarms, also die Bauhin'sche
D. Ssokolow: Anwendang hoher Clyemen bei Kindern. 187
Klappe berücksichtigt werden , sondern ich werde den ganzen
Weg vom Anus bis zam Ooecum verfolgen und dabei die Be-
sonderheiten im anatomischen Bau des kindlichen Dickdarms
gegenüber dem der Erwachsenen hervorheben.
Meine Untersuchungen stellte ich hauptsächlich an Leichen
an und zwar an Einderleichen unter einem Jahre im St. Peters-
burger Findelhause (200 Leichen) und an den Leichen älterer
Kinder im Elisabeth-Kinderspital (76). Bei ganz kleinen Kin-
dern (unter einem Jahre) notirte ich mir nach Eröffnung der
Bauchhohle den Situs des Dickdarms ^ insbesondere des Rec-
tums und S romanum, sodann nahm ich die Därme heraus,
brachte sie mit dem Krahn der Wasserleitung in Verbindung
und fällte dieselben mit Wasser, endlich versuchte ich noch
den ganzen Darm vom Dickdarmende aus aufzublähen. Bei
älteren Kindern liess ich zunächst die Bauchdecken intact,
setzte ein gewohnliches Clysma, wobei ich das Schlauchende
möglichst weit in den Darm einzuführen bestrebt war, und
brachte das Wasser unter verschiedener Druckhohe hinein.
Das Schlauchende war aus gewöhnlichem rothen Kautschuk,
sein Lumen 5 mm im Durchmesser, seine Wände 2^ mm
dicky sodass es nicht leicht einknickte und sogar bei einer
Knickung noch Wasser hindurchlassen konnte. Der Schlauch
wurde mit der Wasserleitung in Verbindung gesetzt, in den
Darm (dabei mit Vaselin beölt) eingeführt und nun öffnete
ich allmählich den Krahn, füllte auf diese Weise den"*^ Dick-
darm mit Wasser. Am leichtesten floss das Wasser in den
Darm hinein, wenn die Leiche auf dem Rücken mit erhobe-
nen Kreuz und Hinterbacken lag. In anderen Fällen, wo
ich die ursprüngliche Lage der Därme und die unter dem
Einflüsse der Wasserinfusion auftretenden Lageveränderungen
beobachten wollte, trennte ich die Bauchdecken in der Linea
alba; nach Aufnahme des Status vereinigte ich die Schnitt-
ränder mittelst Klemmpincetten und führte erst dann die
weitere Infusion aus. Damit das Wasser nicht wieder aus
dem Anus herausfliesse, drückte ich die Hinterbacken fest
aneinander oder führte in den Anus gleichzeitig, je
nach der Weite der Oeffhung, mit dem Schlauch den Zeige-
oder Mittelfinger ein, die sehr gut die zu diesem Zwecke em-
pfohlenen Obturatoren ersetzten.
Ins Rectum gleitet der Schlauch ziemlich leicht hinein,
weiter aber stösst er auf Hindernisse, die er nicht immer
zu überwinden vermag, er bleibt dann stehen und bei Ver*
suchen, ihn weiter zu schieben, rollt er sich zu einem Knäuel
auf und dilatirt das Rectum im hohen Grade. Die Ursache
hierfür ist in den Besonderheiten der anatomischen Lage des
Rectums und des S romanum im Kindesalter zu suchen.
188 D. Ssokolow:
Diese Besonderheiten sind von vielen Autoren bereits hervor-
gehoben worden, haben auch specielle Bearbeitung in Disser-
tationen gefunden (Bourcart, De la Situation de S'iliaque
chez le nouveau - ne dans ses rapports avec l'etablissement
d'un anus artificiel. These de Paris 1863).
Was das Rectum anlangt, so ist hervorzuheben, dass bei
Kindern seine Lage im kleinen Becken sehr unbestimmt ist^
bald liegt es mehr auf der rechten Seite, bald mehr auf der
linken, zuweilen auch ganz in der Mitte. Steffen^) behauptet,
dass das Rectum ebenso häufig auf der rechten wie auf der
linken Seite liegt, am seltensten in der Mitte; da es bei Er-
wachsenen in der linken Seite des kleinen Beckens liegt, so
wäre es, wie Steffen ausführt, interessant, zu erfahren, in
welchem Alter die linksseitige Lage zur Regel werde. Nach
Jacobi') findet sich das Rectum sehr häufig in der Mitte
oder in der rechten Beckenhälffce. Indem ich in jedem Falle
die Lage des Rectums feststellte, kam ich zu denselben Resul-
taten wie Steffen', nämlich bei Kindern bis zu einem Jahre
fand ich den erwähnten Darmtheil in 37,5% der Fälle in
der rechten Korperhälfte, und in ebenso viel Fällen in der
linken; in 22,5% lag er in der Mitte und endlich in 2,5%
befand sich das Rectum theilweise in der rechten, theil weise
in der linken Beckenhälfte. — Viel häufigere Lageverände-
rungen hat die Flexura sigmoidea aufzuweisen. Im All-
gemeinen zeichnet sich der kindliche Dickdarm durch seine
bedeutende Länge im Yerhältniss zur Korperlänge aus. Nach
Jacobi^) übertrifft die Länge des Colon der Neugeborenen
die Kdrperlänge um 2% mal, während bei Erwachsenen das
Colon nur die doppelte Länge des Korpers besitzt; nicht im
Einklänge damit stehen die späteren Messungen von Severi^),
welcher folgendes Yerhältniss der Korperlänge zur Dickdarm-
länge feststellte:
Im dritten Monat 0,5:1, im vierten Monat 0,7:1, im
fünften Monat 0,9 : 1, im sechsten Monat 0,9 : 1, im siebenten
Monat 1 : 1, im achten Monat 1 : 1, im neunten Monat 1,1 : 1,
zu einem Jahre 1,1 : 1, zu zwei Jahren 1,1 : 1.
Dank der Länge des Dickdarms, namentlich des abstei-
1) Steffen, Beiträge znr Physiologie und Pathologie des Mast-
darms. Jahrbuch f. Einderheilkunde V, 1872. S. 126—162.
2) Jacobi, Tho american Journal of ostetrics and diseases of
women and children. Mai 1869, ref. Journ. f. Einderheilk. LIII, 1869.
S. 189.
3) Jacobi 1. c. S. 189 und Jung, üeber die Ursachen der Stuhl-
verstopfaDg bei Kindern. Wiener med. Blätter 1888. 21. Juni.
4) Severi, Lo sperimental. Maggie 1884, S. 482 citirt nach
Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der gesammten
Medicin 1884. XIX, 1. S. 447.
Zor Frage über die Anwendang hober Glysmen bei Kindern. 189
genden Theiles^ welcher eigentlich den Unterschied in der
relativen Länge des ganzen Dickdarms bedingt^ entstehen statt
der einen S-formigen Flexur viele Windungen, und diese Krüm-
mangen nehmen eine ganz verschiedenartige Lage ein. Jacobi
findet, dass die Flexara sigmoidea, ebenso wie das Rectum,
häufig in der Mittellinie oder in der rechten Beckenhälfte
liegt, er räth auch deshalb einen künstlichen After bei Kin-
dern statt linkerseits auf der rechten Seite anzulegen.
Schon 1858 hat Hnguier^) auf diese Besonderheit auf-
merksam gemacht und zuerst die Anlegung eines Anus praeter-
naturalis auf der rechten Seite empfohlen, solch eine Lage
des S romanum erklärt dieser Autor dadurch, dass während
des intrauterinen Lebens der Dickdarm und namentlich dessen
unterer Abschnitt als Reservoir für das Meconium dienen,
daher werden sie dilatirt und erlangen dabei eine so grosse
Länge und Breite, dass sie in der linken Fossa iliaca keinen
Platz mehr finden, daher nach der rechten Seite gedrängt
werden. Dem gegenüber betont jedoch Bourcart in seiner
oben erwähnten Dissertation, dass die quere Lage des S romanum
nur in Ausnahmefallen beobachtet werde, gewohnlich finde es
sich in directem Contact mit den Bauchdecken, etwas ober-
halb der Spina superior anterior sinistra (unter 150 Fällen
144 mal)'). Steffen erklärt sich mit diesen Schlussfolge-
rungen nicht einverstanden; sie stehen auch mit meinen Unter-
suchungen in Widerspruch. Unter 200 Leichen im Alter von
einigen Stunden bis zu einen^ Jahre fand ich in 110 Fällen,
also in 55%, das S romanum auf der rechten Seite, in
48 Fällen (24%) auf der linken, in 36 Fällen (18%) in der
Mitte und in 6 Fällen (3%) theilweise in der rechten, theil-
weise in der linken Seite. Bei Kindern über einem Jahre
ändert sich dieses Yerhältniss, bei ihnen fand ich die Flexura
sigmoidea rechterseits nur in 27% der Fälle, während linker-
seits und in der Mittellinie sie in 36,5% zu finden war.
Dieser eben erwähnte Dickdarmtheil, der sich durch seine
bedeutende Länge und durch ein ebenso langes Mesenterium
auszeichnet, erweist sich recht beweglich und seine verschie-
dene Lage im Leibe hängt wohl ausser von der Länge seines
Mesenteriums auch von der Quanti- und Qualität des Darm-
inhalts ab, und zwar sowohl des S romanum als auch des
1) Huguier, Discüssions bot TanaB artificiel. Bulletin de TAca»
demie imperiale de m^decine 1868—1859. 24. S. 445.
2) Ciürt nach der früher erwähnten Arbeit von Steffen. Ba-
ginskj giebt in seiner Arbeit („Zur localen Behandlung der unteren
armabechnitte im kindlichen Alter**. Jahrbuch f. Kinderheilkunde IX,
S. 395) an, dass Bourcart an 140 Leichen 111 mal das S romanum
links fand, 6 mal im kleinen Becken und 38 mal in Querlage.
190 D. Ssokolow:
übrigen Dickdarms und besond^s des Dünndarms. Ist die
Flexara sigmoidea leer oder schwach gefällt mit einem dünn-
flüssigen oder dickflüssigen Inhalte^ besteht deshalb keine
Spannung ihrer Wand, so stellt sie mehrere Schlingen dar,
die entweder nebeneinander liegen oder aber die eine Krüm-
mung liegt mehr rechts, die andere mehr links ; solcher Win-
dungen können drei oder vier existiren. In anderen Fällen
sinkt das S romanum als Schlinge in das kleine Becken
herab, kommt neben dem Rectum zu liegen, zuweilen auch
nach rechts oder links von letzterem, und steigt als zweite
Schlinge nach oben, um in der rechten oder linken Fossa
iliaca Platz zu finden. Besonders häufig fand ich bei ganz
kleinen Kindern das S romanum in der rechten Fossa iliaca
unter dem Ooecum, wobei bei linksseitiger Lage des Rectums
nur eine Schlinge gebildet wurde, bei rechtsseitiger Lage
jedoch fanden sich zwei bogenförmige Abschnitte, die eine
mit der Convexität nach links, die andere, etwas höher ge-
legene, mit der Convexität nach rechts, sodass die Mittellinie
dreimal durchkreuzt wurde. Wird nun das S romanum mit
Luft gefüllt, so ändert sich sofort seine Lage, die Schlingen
und Krümmungen nehmen an Zahl ab, es steigt höher neben
dem Becken hinauf und legt sich entweder nach rechts ober-
halb des Coecum oder erstreckt sich bis zum Nabel; in Fällen
hochgradiger Ausdehnung reicht es bis an den Magen heran,
legt sich an dessen vordere Fläche oder aber unter die Leber,
ja sogar auf deren vordere obere Fläche. So fand ich in
6 Fällen das S romanum auf der vorderen Fläche der Leber,
in 5 Fällen unterhalb derselben und 3 mal unterhalb des
Magens. Jedoch ist zu solchen bedeutenden Verschiebungen
des S romanum nothwendig, dass die übrigen Darmabschnitte
nicht besonders ausgedehnt und gespannt seien; denn sind
diese schon vor dem S romanum durch Luft gebläht^ so kann
letzteres nicht nach oben steigen und bleibt entweder im
unteren Abschnitte des Leibes über der Symphyse oberhalb
oder vor der Harnblase liegen, oder aber es bildet durch
Kreuzung des Anfangs- und Endtheiles einen geschlossenen,
nach rechts gerichteten Ring, oder endlich, wie ich es in
einem Falle beobachtet habe, legt es sich hinter dem Coecum
auf die vordere Fläche der rechten Niere. — - Ebensolche Lage-
veränderungen erleidet das S romanum, wenn es mit Wasser
gefüllt wird, was für uns insofern von Wichtigkeit ist, weil
dieser umstand in • der Frage, wie weit man den Clystier-
schlanch in den Dickdarm hineinführen kann, maassgebend ist.
Schon 1871 berührt Fleischmann^) diese Frage in seiner
1) Fleischmaniif Zur Anwendung des Glysmas bei Kindern. Jahr--
buch f. Kinderheilkunde IV. S. 276.
Zar Frage über die Anwendnng hoher Clysmen bei Eindera. 191
Abhandlung: ^^Znr Anwendung des Clysmas bei Kindern^. Er
brachte einen der Erenzbeinkrümmung entsprechend ange-
passten Schlauch ins Rectum und dieser Schlauclk erreichte
nur den Anfangstheil der S- formigen Flezur, über deren
unterste Schlinge hinaus der Schlauch sogar bei den aller-
günstigsten Momenten, bei eröffneter Bauchhöhle, nicht hinaus-
kam. In die unterste Schlinge (bei Kindern von 2—3 Jahren
2V^ Zoll lang) gelangte der Schlauch nur in denjenigen Fällen,
wo das S romanum nicht genügend ausgebildet, unter stumpfem
Winkel zum Rectum geneigt war, oder aber, wo es sich nach
oben mit geringer seitlicher Abweichung erstreckte. In den
meisten Fällen wurde aber bei weiterer Verschiebung des
Schlauches die gegenüberliegende Wand der Darmschlinge
divertikelartig vorgetrieben und bildete auf diese Weise ein
Hinderniss für die zu infundirende Flüssigkeit Dieser Um-
stand in Verbindung mit der geringen physiologischen Breite
des kindlichen Darms und der Kürze des Beckens kann,
nach Fleischmann, den Nutzen des Clysmas vereiteln.
Weitere Angaben über diese Frage (Erwachsene betref-
fend) finden wir in dem Vortrage von Simon^): „lieber die
Einfiihrung langer elastischer Röhren und über forcirte Wasser-
injectionen in den Darmcanal''; dieser Autor gebrauchte einen
mit der Mayer'schen Clysopompe in Verbindung gesetzten
ScUauch von 5 Fuss Länge und Kleinfingerdicke. Aus allen
seinen Beobachtungen, sowohl an Lebenden als auch an
Leichen, schliesst 8., dass der Schlauch nie bis zum Colon
transversnm gelange, ja sogar häufig nicht bis zum Colon
descendens vorgeschoben werden könne; hiermit widerspricht
der Autor der von Wachsmuth^) ausgesprochenen Ansicht,
dass man bei Lebenden einen 5 Fuss langen Schlauch wohl
bis zur Valvula Bauhini vorschieben könne, weil das ganze
Colon, nach den Untersuchungen der Anatomen, nicht länger
als 5 Fuss ist.
Nach Simon gelingt es wohl, einen 5 Fuss langen
Schlauch in den Darm einzuführen, doch nicht über das S ro-
manum hinaus, da der Schlauch in diesem langen Dickdarm-
abschnitte (2—3 Fuss lang) sich je nach der Lage und Form
desselben einknickt und einrollt. Bei bogenförmiger Windung
des S roms^um gelangt der Schlauch bis in das Colon descen-
dens, bei einer achtförmigen bleibt er jedoch in der Flexura.
Besonders interessant sind für uns die Resultate der Ba-
1) Simon, Ueber die Einfahning langer, elastischer Röhren und
aber forcirte Wasserinjectionen in den Darmcanal. Yerhandlnngen der
dentschen Gesellschaft für Ghimrgie. I. Congress 13. April 1882.
8) Wachsmnth, Yirchow's Archiv XXIil. S. 184.
192 D. Saokolow:
ginsky 'sehen Untersachungen.^) In seiner Abhandlung: ^,Zar
localen Behandlung der unteren Darmabschnitte im kindlichen
Alter'' tritt Baginskj entschieden für die Anwendung von
Clysmen im Eindesalter ein und wundert sich sehr über den
Widerspruch y den seine Erfahrungen gegenüber denen von
Fleischmann und Steffen in der Frage über den Efifect
der hohen Wassereingiessungen bei Kindern bieten. Ba-
ginskj bediente sich eines elastischen Katheters, den er
schon bei 6 — 7 wöchentlichen Kindern in den Darm 15 cm
und noch hoher einzuführen vermochte, wenn er den Katheter
langsam vorschob und den Darm nur ganz allmählich mit
Wasser füllte. Die Experimente an Leichen können nach
Baginsky für die Entscheidung der Frage nach der Anwend-
barkeit und dem eventuellen Effect seiner Methode nicht
maassgebend sein, da die Schlussföhigkeit des Sphinkters eine
grosse Rolle spielt^); die Versuche, die B. dennoch an vier
Leichen ausführte, ergaben, dass in zwei Fällen der Katheter
bei eröffneter Bauchhohle auf 14 — 17 cm vorgeschoben werden
konnte, in zwei anderen Fällen nur auf 4—5 cm.
Monti') stimmt auf Grund seiner langjährigen Erfah-
rung vollständig Baginsky bei, dass man bei Anwendung
der von Letzterem empfohlenen Methode ziemlich weit den
Schlauch einführen könne; wenngleich der gut beölte Katheter
nur 4— 5 cm weit ins Rectum anstandslos vorgeschoben werden
kann, so überwindet er doch leicht die Hindernisse bis auf
15 cm und noch weiter, wenn gleichzeitig Wasser langsam
in den Darm hineinfliesst. Auch Pollak^) führte bei seinen
Leichenexperimenten den Schlauch auf gleicher Höhe (15 cm)
bis zur Flexura sigmoidea ein.
Während ich ähnliche Experimente an Kinderleichen aus-
führte, fand ich, dass man in verschiedenen Fällen den
Kautschukschlauch auf verschiedene Höhe einführen kann; es
kommen dabei verschiedene Momente in Betracht, namentlich
der physikalische Zustand des Dick- und Dünndarms, ja auch
des Magens. Natürlich bieten die Fäcalmassen dem Vorrücken
des Schlauches schon an und für sich ein Hinderniss, doch
auch bei leerem Darm geht das Schlauchende leicht nur 4
bis 5 cm weit bis zur ersten Biegung des Rectums, hier wird
1) A. Baginsky, Zur localen Behandlang der unteren Darm-
abschnitte im kindlichen Alter. Jahrbach f. Einderheilk. IX. S. 395.
2) Meiner Meinung nach ist dieses Argument nicht stichhaltig, da
man an den Leichen die Thätigkeit des Sphinkters leicht durch Obtu-
ratoren oder durch Andrücken der Hinterbacken oder endlich durch
Einführung eines Fingers in den Anus ersetzen kann.
3) Monti, Archiv f. Einderheilk. 1886. VII. S. 161.
4) PoUak, Wiener medic. Presse 1870. S. 781.
Znr Frage über die Anwendang hoher Clysmen bei Kindern. 193
es häufig aufgehalten. Zieht man es nun etwas zurück und
schiebt aufs Neue vor^ bringt man jetzt noch ein wenig
Wasser hinein, so geht gewöhnlich der Schlauch weiter 10
bis 15 cm hoch, wo er wieder aufgehalten wird. Dieses
zweite Hinderniss ist viel schwerer zu überwinden; es ist
nämlich der Uebergang des Rectums in die S-förmige Plexur.
Wie ich bereits erwähnt habe, ist dieser Dickdarmabschnitt
bei Kindern besonders lang und gewunden, namentlich wenn
er leer oder schwach gefüllt ist. An die Einbiegung des
Bectums in das S romanum angelangt, stösst das Schlauch-
ende an die obere Wand des letzteren an, bei weiterem Vor-
schieben biegt sich der Schlauch, legt sich in 2 — 3 Reihen,
indem er dabei das Rectum stark ausdehnt Wird nun Wasser
in dasselbe infundirt und dadurch dessen Wände gedehnt, so
können die Biegungen ausgeglichen werden, was für das wei-
tere Vorschieben des Schlauches sehr wesentlich ist. Wir
müssen also, nachdem der Schlauch 10 — 15 cm weit ein-
geführt worden ist, den Wasserzufluss und den Druck steigern,
gleichzeitig durch Aneinanderdrücken der Hinterbacken oder
durch Verstopfen des Anus mit dem Finger den Rückflnss
des Wassers verhindern. Das S romanum wird allmählich
stark aufgebläht, verändert dabei seine Lage und seine Form
und erst dann gelingt es, den Schlauch in diesen Darm-
abschnitt einzuführen. Doch nicht immer treten diese Form-
und Lageveränderungen ein, denn sind die anderen Dickdarm-
partieen und besonders auch der Dünndarm gefüllt, die
Bauchwand also gespannt, so verhindert letztere die freie
Bewegung des S romanum und dieses muss dann die frü-
heren Biegungen beibehalten. In einzelnen Fällen macht sich
ein kurzes Mesenterium des S romanum als Hinderniss gel-
tend, oder, wie ich es au zwei Leichen beobachtet habe, ziem-
lich dünne, aber doch genügend feste, kürzere und längere
Stränge, die von irgend einem Theil des S romanum zur
seitlichen Beckenwand ziehen und die freie Beweglichkeit
dieses Darmtheils hemmen. In einem dieser Fälle ging der
Schlauch zunächst 18 cm weit hinein, verblieb aber dann
in dem Abschnitte des S romanum, wo es in Folge solch'
einer bandförmigen Adhäsion, trotz Wasseranfüllung, sich nicht
strecken konnte; erst bei noch stärkerer Anfüllung des Darms
und gleichzeitiger Massage der Bauchwand konnte der Schlauch
weiter vorgeschoben werden, aber nur auf 35 cm, bis zur
Uebergangsstelle des S romanum in das Colon descendens.
Im zweiten Falle, wo das S romanum sehr geringe Beweg-
lichkeit besass, weil auf seiner ganzen Strecke viele Stränge
existirten, welche den ganzen Darmabschnitt in zwei unbeweg-
liche, mit der Convexität nach links gerichtete und eine be-
Jahrbach f. KinderheUknnde. K. V. XXX VIII. 13
194 D. Ssokolow:
wegliche, mit der Convexitat nach rechts gerichtete bogen-
förmige Partie theilten, ging der Schlauch nur 11 cm weit
hinein; bei ferneren Versuchen, ihn vorzuschieben, rollte er
sich im Rectum auf. Auch in vielen anderen Fällen fand
ich, nachdem der Schlauch bei intacten Bauchdecken 40 — 50 cm
weit eingef&hrt worden war, nach Erofihung der Bauchhöhle
das Schlauchende an der Uebergangsstelle des Rectums in
das S romanum eingeklemmt, wobei der Schlauch in meh-
reren Reihen eingerollt im stark ausgedehntem Rectum Platz
fand. Dessen ungeachtet floss das Wasser allmählich weiter
in den Darm hinein; das Schlauchende hatte nämlich noch
eine seitliche Oeffnung und das Umknicken des Endtheiles
hielt Dank der bedeutenden Dicke der Schlauchwandung den
Wasserstrom nicht auf, namentlich wenn der Druck ein star-
ker war. Wir können somit nach der Länge des in den
Anus eingeführten Schlauches (bei Lebenden) nicht den Punkt
bestimmen, bis zu welchem der Schlauch vorgerückt ist, um
so weniger, als auch die Betastung durch die Bauchdecken
irgend welche sichere Hinweisung nicht giebt, namentlich in
zweifelhaften Fällen, wo der DQnndarm aufgebläht oder mit
Fäcalmassen gefüllt ist und wo die Bauchdecken stark ge-
spannt sind — wo wir somit eine Knickung des Schlauch-
endes vermuthen können. Andrerseits können wir uns auch
nicht durch Verringerung der Elasticität des Schlauches,
z. B. durch Einführung eines Mandrins in denselben helfen,
im Gegentheil, wir würden dann bei den starken Windungen
des Darms den Schlauch noch weniger tief einführen können.
Den von mir angewandten Schlauch mit dem vorhin erwähn-
ten Elasticitätsgrade und ohne Mandrin konnte ich sehr weit
in den Darm vorschieben, besonders in Fällen, wo die Bauch-
decken weich und nachgiebig waren, wo man durch dieselben
den Schlauch durchfühlen und sogar ihn leiten konnte. So
z. B. ging der Schlauch bei einem zweijährigen, an Masern
verstorbenen Knaben (Körperlänge 81 cm) bei eingefallenen
Bauchdecken 103 cm tief hinein. Die ursprüngliche Form
des S romanum stellte zwei mit der Convexitat nach rechts
gerichtete bogenförmige Abschnitte dar, die in der rechten
Seite lagen. An der Uebergangsstelle des Rectums in das
S romanum blieb der Schlauch zunächst stehen, jedoch bei
allmählichem Zufiuss von Wasser konnte er leicht weiter
dirigirt werden, blieb abermals bei der Wendung des ersten
bogenförmigen Theiles stecken, bei weiterer Wasserinfusion
wurde er noch auf 31 cm vorgeschoben bis zur Uebergangs-
stelle des S romanum in das Colon descendens, sodann aber
gelangte der Schlauch bei leichter Massage des Leibes in der
Gegend der Fossa iliaca sinistra in das Colon descendens,
Zar Frage über die Anwendung hoher Clysmen bei Kindern. 195
hier gleitete er ganz ohne Hindemisse vorwärts in das Colon
transversum und endlich in das Colon ascendens bis zum
Coecnm; auf diese Weise durchzog der Schlauch den ganzen
Dickdarm, eine Länge, die 1,25 mal grösser ist als die Körper-
lange (103 : 81). In anderen Fällen gelang es nicht, den
Schlauch so weit einzuführen, er blieb gewöhnlich an der
Uebergangsstelle des S romanum in das Colon descendens
stecken , glitt auf diese Weise nur 30 — 40 cm tief hinein.
Jedenfalls ist das zu betonen, dass, wenn der Schlauch erst
in das Colon descendens hineingeglitten war, er sehr leicht
vorwärts in das Colon transversum und ascendens geschoben
werden konnte, da eben diese Dickdarmpartieen genügend
weit sind nnd keine Hindemisse an den üebergangsstellen
des absteigenden Schenkels in den horizontalen und dieses
letzteren in den aufsteigenden Schenkel vorhanden sind. Der
Uebergang' des einen Theiles in den anderen geschieht ge-
wöhnlich unter stumpfem oder geradem Winkel, obgleich zu-
weilen Abweichungen vorkommen, so z. B. in Fällen, wo das
Colon transversum ein langes (9 — 10 cm) Mesenterium be-
sitzt, dann gleitet dieser Darmtheil nach unten und kann so-
gar in der unteren Hälfte des Leibes Platz finden; er stellt
dann einen mit der Convexität nach unten gerichteten Bogen
dar. Nicht immer kann* auch der Schlauch aus dem Colon
transversum in den aufsteigenden Schenkel hineingleiten, so
z. B. in Fällen, wo in Folge einer Anomalie des Mesenteriums
Coecum und Colon ascendens ihre Lage gegenüber dem Colon
transversum verändert haben. Der aufsteigende Colonschenkel
ist bei Kindern fast immer mehr oder weniger fixirt und un-
beweglich, das Coecum aber meistentheils frei und beweglich,
seine grössere oder geringere Beweglichkeit hängt davon ab,
in welch grossem Abstände vom Boden des Blinddarms der
aufsteigende Schenkel an der hinteren Bauchwand befestigt
ist Das Coecum ist fast immer allseitig vom Peritoneum
bedeckt, und nicht nur das eigentliche Coecum, also der
unterhalb der Einmündung des Dünndarms in den Dickdarm
gelegene Theil, sondern auch ein Theil des Colon ascendens
ist in grösserem oder geringerem Umfange allseitig vom Peri-
toneum überzogen; dieser Bauchfellabschnitt ist in Form eines
Mesenteriums an der hinteren Bauchwand befestigt, oder an
der vorderen Fläche der rechten Niere, oder sogar an der
Porta hepatis genau im Winkel, der durch den Uebergang
des Colon ascendens in das Colon transversum gebildet wird.
Dank dieser Eigenthümlichkeit ist das Coecum zuweilen so
beweglich, dass es nicht an seinem gewöhnlichen Orte — in
der rechten Fossa iliaca — vorgefunden wird, sondern irgend
wo an einem ganz anderen Theil der Leibeshöhle. Häufig
13*
196 D. Ssokolow:
biegt die untere Hälfte des aufsteigenden Colonscbenkels nach
innen zur Mittellinie uro, sodass das Coecum quer über der
Harnblase zu liegen kommt, sogar über die Linea mediana
hinaus bis zur linken Fossa iliaca, wobei der Dünndarm nicht
von innen, sondern von oben in den Dickdarm einmündet.
Eine solche Lage des Coecum verhindert durchaus nicht das
Eintreten des Schlauches aus dem Colon ascendens, zuweilen
aber kann ein langes Mesenterium die Lage des Coecum yer-
ändern, wenn ein Hindemiss für das Durchtreten des Schlauches
aus dem Colon ascendens in den Blinddarm bereits vorhanden
ist. In Fällen, wo der stark gefüllte oder geblähte Darm
das Hinüberrücken des Blinddarms nach links verhindert,
bleibt derselbe zwar rechts, doch erfährt er verschiedene Bie-
gungen und Krümmungen und legt sich mit der vorderen
Fläche auf die vordere Fläche des aufsteigenden Colons, in-
dem er seine hintere Fläche nach vorn wendet. Je hoher
das Colon ascendens befestigt ist, um so höher liegt auch
der Blinddarm; wir finden auf diese Weise zuweilen das
Coecum mit seinem Boden nach vorn gewandt und dabei
doch in der Fossa iliaca dextra liegend, zuweilen aber finden
wir an dieser Stelle Dünndarmschlingen, etwas hoher die Bie-
gung des absteigenden Schenkels, und endlich noch höher,
dicht unter der Leber, den mit seinem Boden nach oben ge-
wandten Blinddarm. Bei noch längerem oder, was richtiger
wäre, bei noch höherem Mesenterium, wo nur die Ueber-
gangsstelle des Colon ascendens in das Colon transversum
befestigt ist, finden wir das Coecum weder in der rechten
Lendengegend, noch im rechten Hypochondrium, vielmehr er-
weist es sich links unter dem Rippenbogen, mit seinem Boden
nach links zur Milz gerichtet, sodass das Colon ascendens,
mit seiner hinteren Fläche nach vom gerichtet, quer, von
rechts nach links, und parallel dem Colon transversum ver-
läuft, gleichsam ein zweites Colon transversum darstellend.
In einem Falle endlich fand ich den ganzen Dickdarm in der
linken Hälfte des Leibes, den Dünndarm in der rechten; das
Coecum lag links mit seinem Boden nach links und unten
gerichtet, in der Mittellinie zwischen dem Rande der falschen
Rippen und der Spina anterior inferior und zwar in der Höhe
der Spina anterior superior; das Colon ascendens zieht nach
oben und wendet sich, am Rippenbogen angelangt, zunächst
nach rechts, dann aber biegt es, ohne die Mittellinie zu er-
reichen, wieder nach links und unten um und steigt in die
linke Fossa iliaca herab, wo es in das S romanum übergeht,
dessen eine Schlinge in der Fossa iliaca dextra zu liegen
kommt; von hier aus geht der Darm in das nach links ge-
legene Rectum über. Es sei hier erwähnt, dass in diesem
Zur Frage über die Anwendung hoher Glysmen bei Kindern. 197
Falle auch der Magen verlagert war; seine obere Curvatur
war nach links oben gerichtet, seine untere nach rechts unten,
sodass der Pylorus links lag und auch der Anfangstheil dos
Duodenum nach links gerichtet war. Freilich stellt dieser
Fall eine Anomalie, vielleicht auch eine seltene, dar; hierher
gehört auch ein Fall von sehr langem und beweglichem Colon
ascendens. Bei einem vierjährigen, an eitriger Cerebrospinal-
Meningitis verstorbenen Knaben verlief dieser Darmabschnitt
zunächst parallel dem Colon transversum bis zur Mittellinie,
wo er nach unten aussen bog, sich an der unteren Hälfte der
Yorderfläche der rechten Niere anheftete und endlich wieder
nach oben bog, sodass das Coecum, mit seiner hinteren
Fläche nach vorn gewandt, unter der Leber zu liegen kam.
Im Ganzen fand ich Lageveränderungen des Blinddarms in
Folge von Einbiegungen des aufsteigenden Colons unter
76 Fällen 13 mal ; doch im Allgemeinen erwies sich das
Coecum sehr häufig beweglich, weil das Colon ascendens 7 —
8 — 10 cm hoher als der Boden des Blinddarms befestigt war.
Turner^) erwähnt auch in seiner Dissertation diese ano-
male Lage des Coecum; bei 7 Neugeborenen fand er eben-
falls eine Umbiegung des aufsteigenden Colonschenkels, 'so-
dass der Blinddarm nach vorn und oben gewandt war.
Auch bei Erwachsenen kommen solche Lageveränderungen
des Dickdarms vor. Poljakow^ fand in 21 Fällen folgende
Verhältnisse: 1. Das Colon transversum bildete eine nach
unten gerichtete Schlinge; 2. die Flexura sigmoidea ist ver-
längert, bildet eine von der linken Fossa iliaca nach oben
zum Mesogastrium gerichtete Schlinge, die auf der vorderen
Fläche der Dünndarmschlingen verläuft, oder aber die Schlingen
des S romanum ziehen nach unten ins kleine Becken; 3. das
Colon descendens ist verlängert, verläuft über der Harnblase
nach der rechten Lendengegend und kehrt wieder nach links
zurück; 4. oder aber es zieht nach der rechten Lendengegend,
bildet dort eine S-förmige Krümmung und geht ebenfalls
rechts in das Rectum über; 5. der absteigende Schenkel zieht
direct aus dem linken Hypochondrium in die rechte Fossa
iliaca und verhält sich weiter analog 4; 6. der Dickdarm
zieht, nachdem er im rechten Hypochondrium die Flexura
hepatica gebildet hat, in einer Diagonale nach unten direct
in die linke Fossa iliaca und endigt normal; 7. der Blind-
darm liegt im kleinen Becken oder im rechten Hypochon-
drium.
1) Turner, Zar Anatomie des Blinddarms and des Warmforfcsatzes
in Hinsicht der Pathologie der Perityphlitis. Disseri 1892 (rassisch).
2) Poljakow, Medicinischcr Bericht der kaakasischen medicinischen
GeselUchaft 1891 (rassisch).
198 D- Ssokolow:
Aus diesen verschiedenen Anomalien bei firwachsenen,
die ich absichtlich hier angeführt habe, können wir den
Schluss ziehen, dass die oben angeführten Lageveränderungen
des Dickdarms bei Kindern^) viel häufiger anzutreffen sind
als bei Erwachsenen. Dies wird auch durch die Arbeit des
Dr. Turner bestätigt, der Lageanomalien des Blinddarms nur
in 5 Fällen beobachtet hat: bei 3 Männern fand er die Fossa
iliaca dextra vom Dünndarm eingenommen, das Colon ascen-
dens biegt auf der Höhe der Crista ilei quer nach links, so-
dass der Blinddarm bis zur Mittellinie reicht; ferner war in
einem Falle das Colon ascendens nach hinten gewandt, so-
dass das Coecum hinter dem Colon .ascendens zu liegen kam,
und endlich in einem Falle lag dieser Darmabschnitt vor der
Flexura sigmoidea, die die Fossa iliaca dextra eingenommen
hatte. Diese Anomalien wurden unter 104 Leichen gefunden,
während bei Neugeborenen und Kindern unter einem Jahre
unter 28 Leichen 9 mal Lageanomalien des Coecums beob-
achtet wurden: in 7 Fällen war das Colon ascendens nach
vorn hinübergebogen, in 2 Fällen lag es quer nach links zur
Mittellinie verlaufend. „Auf Grund dieses Befundes'', sagt der
Autor, „kann man annehmen, dass mit der Vergrösserung der
Leibeshohle eine Streckung des Colon ascendens Hand in
Hand geht und das Coecum nimmt dann seine gewohnliche
Lage mit nach unten gerichtetem Boden ein'' (1. c. S. 69).
Wir wissen somit jetzt, welche Lagebedingungen des Dick-
darms dem hohen Einführen des Schlauches förderlich und
welche hinderlich sind. Wir haben gesehen, dass ich in Aus-
uahmsfallen den Schlauch sogar bis in den Blinddarm vor-
schieben konnte; es ist aber nun die Frage, ob wir wirklich
immer bestrebt sein müssen den Schlauch womöglich tiefer
einzuführen, oder aber ist dies gar nicht nothwendig?
Dnser Endziel ist: die Flüssigkeit in den Dünndarm zu bringen,
deshalb wäre es interessant, zu wissen, ob die Flüssigkeit
wenigstens bis ans Coecum gelangt, wenn wir den Schlauch
nicht tief einführen, und das ist in der That der Fall; in
dieser Hinsicht ist die Tiefe, bis auf welche wir den Schlauch
einführen, von geringerer Bedeutung als die Druckhöhe, unter
welcher die Flüssigkeit in den Darm fliesst, und hauptsäch-
lich auch die Möglichkeit, dieselbe im Darm zu behalten, sei es
dadurch, dass der Patient selbst den Sphinkter anstrengt, sei
es, dass die Hinterbacken aneinander gepresst werden, oder
endlich ein Obturator oder der Fingerdruck angewandt werden.
Schon bei den Leichen, wo ja die Anspannung der Bauch-
1) Natürlick sind alle diese verschiedenartigen Lagen des Darms
in der Frage über die Massage des Leibes zu berücksichtigen.
Zur Frage über die Anwendnog hoher ClyBinea bei Eindera. 199
presse und die in Folge der Beizung auftretende verstärkte
Dickdarmperistaltik wegfallen, fliesst die Flüssigkeit wieder
heraus, wenn die Analöffnung nicht irgendwie verschlossen
wird; bei Lebenden, und namentlich bei Kindern, geschieht
dies noch viel schneller. Ist es nun doch möglich, das
ZurQckfliessen zu verhindern, so füllt die Flüssigkeit allmäh-
lich, wenn auch der Schlauch nicht tief eingeführt worden
ist, den ganzen Dickdarm und gelangt bis ins Goecum (natür-
lich, wenn keine Darmobturation oder ringförmige Contractur
besteht). Die Tiefe, bis zu welcher der Schlauch eingeführt
ist, ist nur in dem Sinne von Bedeutung, als die Flüssigkeit,
wenn der Schlauch nicht tief, z. B. bis zur Biegung des Rec-
tums vorgeschoben worden ist, zunächst das Rectum füllt,
und erst, wenn das letztere stark ausgedehnt worden ist und
der Flüssigkeitsdruck grösser als der intraabdominale Druck
wird, weiter fliesst. Dazu ist aber oft eine sehr starke An-
füllung des Rectums noth wendig; die dadurch bedingte Rei-
zung ruft eine Verstärkung der Bauchpresse und der Darm-
peristaltik hervor, weshalb die Flüssigkeit die Tendenz zurück-
zufiiessen erhält. Daher ist eine womöglich tiefere Einfüh-
rung des Schlauches erwünscht, um nicht den unteren Ab-
schnitt des Dickdarms zu stark auszudehnen, (Bei Erkran-
kungen des Dickdarms ist die tiefe Einführung des Schlauches
nicht nöthig, da die Flüssigkeit leicht in den Dickdarm hinein-
gelangt, selbst wenn der Schlauch nicht tief eingeführt worden
ist, andrerseits könnte der Versuch, denselben weiter vorzu-
schieben, eine stärkere Reizung der lädirten Schleimhaut be-
dingen.)
Dabei tritt nun eine weitere Frage an uns heran, welche
Lage der Patient bei der Operation einzunehmen hat. Hegar^)
empfiehlt die Knie-Ellenbogenlage, bei der die Flüssigkeit am
leichtesten in cfen Darm gelange, oder die Lage bei erhöhtem
Becken. Wir berühren hier somit die Frage über den intra^
abdominellen Druck, die erst in jüngster Zeit durch Arbeiten
rassischer Autoren aufgeklärt worden ist ( Wa g n e r *), R e p r e w ^ j) ;
die bereits vor diesen erschienenen Arbeiten ausländischer For-
scher widersprechen sich, theil weise sind sie auch unvoll-
kommen, weil die Experimente nicht ganz richtig angestellt
worden sind. So hält Hamernich^) den intraabdominellen
Druck für negativ, Braune^) setzt ihn gleich Null, nur dann
1) Hegar, Ueber Einführung von Flfissigkeiten in Harnblase and
Darm. Deutsche Klinik XXV. 1873. Nr. 8.
2) Wagner, Wratach 1888. 12—14.
3) Reprew, Wratach 1890. 18—22.
4) Citirt nach Beprew.
5) Braune, Centralblatt für die medic. Wissenchaften 1866.
200 I>. Saokolow:
werde er positiv, wenn die Bauchdecken bei ihrer Oontraction
als Presse wirken; Schatz^), Quincke'), Leyden*) halten
den Druck för positiv. Reprew, der seine Beobachtungen
an lebendigen und todten Hunden angestellt hat, gelangt
zum Resultate, dass der allgemeine Druck im Abdomen dem
atmosphärischen nahe kommt, Schwankungen nach der posi-
tiven Seite gingen bis zu 3, nach der negativen bis 4 cm
einer Wassersäule; der Druck im Rectum bei horizontaler
Rückenlage erwies sich entweder gleich dem atmosphärischen
oder häufiger positiv, seltener negativ. Constanter sind die
Resultate von Wagner, welcher bei gesunden Leuten den
Druck im Rectum vermittelst eines mit einem Manometer
verbundenen Gummiballons zu bestimmen sucdte. Er fand
in der Mehrzahl der Fälle einen positiven Druck (-[- 10 und
mehr), nur in 2 Fällen war der Druck = 0, dabei wächst der
Druck mit der AnfQllung des Abdomens. Wagner nahm
als Druckeinheit den Druck bei Lage des Patienten auf dem
Rücken mit angezogenen Knien an; bei Aenderung der Lage
Consta tivte er folgendes Verhalten: am geringsten war der
Druck bei der Lage ä la vache (6 — 26), dann bei Lage auf
der rechten Seite (4 — 16) und endlich auf der linken Seite
(0-14).
Also bei Lebenden entspricht die von Hegar empfohlene
Lage ä la vache am meisten dem zu erzielenden Effect; bei
Kindern aber kann nur die Kückenlage mit erhöhtem Becken
angewandt werden, da die Knieellenbogenlage unbequem ist,
um so mehr, als nach Mosler^) bei der Rückenlage ebenso
viel Flüssigkeit und ebenso weit hineinfliesst als bei der
Knieellenbogenlage. Fleischmann ^) zieht die Lage auf der
rechten Seite vor, die Rückenlage sei weniger günstig und
ganz ungünstig sei die linksseitige Lage. M^nti (1. c.) hat
mit Erfolg die Rückenlage mit stark an den Leib heran-
gezogenen Beinen und erhöhtem Becken bei Kindern ange-
wandt. Bei dieser Lage floss auch bei meinen Leichenexperi-
menten das Walser ziemlich leicht durch den ganzen Dick-
darm bis ins Coecum, selbst bei verhältnissmässig geringem
Druck (1 — 1V4 m der Wassersäule)*).
1) Schatz, Archiv f. üyn&kologie 1872. IV.
2) Quincke, Dentsches Archiv f. klinische Medicin 1878. XXI. S.459.
5) Leyden, Charitd-Annalen 1878. III.
4) Mo sie r, Dentsches Archiv f. klinische Medicin XV. 1876. S. 223
bis 243.
6) Fleisohmann, Jahrbuch f. Einderheilkunde 1871, IV.
6) Bei lebenden Kindern scheint mir am günstigsten die Lage auf
der rechten Seite, da derjenige, die die Infusion ausführt, auf der
rechten Seite des Kindes steht und, mit seiner linken Hand die Hinter-
backen anpressend, den Schlauch mit der rechten Hand einführt.
Zar Frage über die Anwendang hoher Clysmen bei Kindern. 201
Wir sehen also, dass die Flüssigkeit ziemlich leicht bis
ans Coecnm gelangt, weiter aber, d. h. in den Dünndarm,
fliesst sie durchaus nicht immer, und zwar nur unter einigen
besonderen Bedingungen. — Bekanntlich findet sich an der
Einmündungsstelle des Dickdarms in den Dünndarm eine eigen-
thümliche Bildung, die sog. Valvula ileo-coecalis oder Bau-
hinii. Wie Debierre^) uns mittheilt, führt diese Klappe den
Namen des Anatomen, der die Entdeckung derselben sich im
Jahre 1579 zugeschrieben hat^), obgleich sie eigentlich schon
von Varole') gesehen wurde, der die Klappe als Operculum
ilei bezeichnete. Fabricius ab Aquapendente^) hat zu-
erst darauf hingewiesen, dass die Klappe das Hinüberströmen
Ton Luft aus dem Dickdarm in den Dünndarm verhindert,
nach einigen Jahren fand Riolan^) dasselbe auch für Wasser;
nach diesen haben sehr viele Autoren diese Fähigkeit der
Klappe hervorgehoben, obgleich andere an der Richtigkeit
dieser Thatsache zweifelten. So z. B. weisen Cloquet^),
Lauth^, B^clard»), Faulet^), Sappey^«) die Möglichkeit
des Uebertretens flüssiger, gasförmiger und fester Stoffe aus
dem Dickdarm in den Dünndarm absolut von der Hand.
„Merito dubitatur'', sagt Lieberkühn"), ,yan uuquam ex
crassis in tenuia aliquid redire possit, nisi destructa sit val-
vula", während Cruveilkier^*) dies nur für feste Körper
gelten lässt, für flüssige und gasförmige Stofie hält er die
Klappe insufficient. Richet^^) meint, dass die Klappe nur
für Gase durchlässig ist, Luschka^*) und Hyrtl^*) erklären das
facale Erbrechen durch die Fähigkeit der Klappe, auch feste
Stoffe durchzulassen.
In Anbetracht solcher Widersprüche hat Prof.T r a u t v e tt e r^^)
1) Debierre, Lyon mddicale 1885. 46. S. 800.
2) Bauchin^ Theat. anat. Francfurti p. 121, tab. XX. 1606.
3) Varole, Anat. hnm. 1673. Citirt bei Debierre.
4] Hieronymi Fabricii ab Aquapendente opera omnia anato-
mica et physiologica. Lngdnni Batavonim 1738.
6) Riolan, Enchirid. anat. Lugd. 1649. p. 106. Citirt bei Debierre.
6) Gloqnet, Anatomie de Tbomme. Paria 1831. V. p. 681.
7) Lanth, Manuel de Tanatomiste Paris. Strasbourg 1836. p. 306.
8) B^clard, Dictiounaire en 30 v. XVII, Paris 1837. p. 461.
9) Panlet, Anatomie topographique Paris 1867—1870. p. 451.
10) Sappey, Anatomie descriptive 3 ^d. 1877. IV. p. 263.
11) Lieberkühn, De valvula coli et usu processus vermicularis
1782. Citirt nach Dissertation Turner S. 69.
12) Crnveilbier, Anatomie descriptive 2. ^d. Paris 1843. III. p. 332.
13) Riebet, Anatomie cbirurgicale 4. ^d. Paris 1878. 8. 419.
14) Luschka, Die Anatomie des menschlicheD Bauches. Tübingen
1863. S. 202.
16) Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie (russische Üebersetzung).
16) Trautvetter, Wie weit können Flüssigkeiten in den Darm-
canal per anum hinaufgespritzt werden? Deutsches Archiv f. klinische
Medicin 1868. S. 476.
202 D. Seokolow:
1868 Untersuchungen in dieser Richtung angestellt. Er in-
jicirte an Lebenden Ferricyankali- Lösung, und nachdem die
Betreffenden gestorben waren, schnitt er den Darm auf, brachte
eine Losung von Ferrum sesquichloratum hinein und be-
stimmte nach der bekannten Verfärbung, wie hoch die Flüssig-
keit in den Darm hineingelangt war. Im Ganzen wurden
19 Leichen untersucht, nur zweimal gelangte die Flüssigkeit
bis ans Coecum, in den anderen Fällen war sie durchaus nicht
so tief hineingeflossen, bei Hunden dagegen gelangte sie zu-
weilen doch in den Dünndarm, ja sie kam sogar bis in den
Magen und in den Mund. Weitere Untersuchungen in dieser
Richtung enthält die Arbeit von Pollak^), der nur an Einder-
leichen experimentirte. Er brachte Amylumkleister hinein und
bestimmte mittelst Jodtinctur, wie hoch der Kleister in den
Darm gelangte. Gewöhnlich ging die Masse bis zum Coecum
und nur bei sehr starkem Druck und bei maximaler Füllung
des Blinddarms gelangte sie in den Dünndarm. Die Passive
der Flüssigkeit aus dem Coecum in den Dünndarm ist nach
PoUak entweder sehr erschwert oder ganz versperrt: die
Lippen der Yalyula Bauhinii bilden ein Dreieck, dessen Basis
dem Dünndarm, dessen Spitze dem Coecum zugekehrt sind;
bei starker Spannung des Coecums stellen sich die Lippen
vertikal oder so, dass das Dreieck mit seiner Spitze sich dem
Ileum zuwendet und daher Flüssigkeit durchlässt.
Etwas andere Resultate bekam Fleischmann (1. c.), der
sowohl lebende als auch todte Kinder daraufhin untersuchte.
Um die Höhe der Flüssigkeitsäule, die in den Darm bei
Lebenden hineingelangt, zu bestimmen, wandte F. Tannin-
clysmen an, als Reagens gebrauchte er Ferrum sesquichlo-
ratum; Amylumkleister soll deshalb nicht anwendbar sein,
weil das Amylum sich mit den unverdauten Stärkeresten
mischen könnte, namentlich in Fällen, wo die Substanz durch
die Klappe hindurch in das Ileum gelangt. Die Injectionen
wurden mittelst einer Clystierspritze (von 140 ccm) ausgeführt,
wobei in der Mehrzahl der Fälle die Hälfte des Clysmas bis
zum Colon ascendens vordrang, das ganze Clysma bis zur
Klappe, und zwar um so häufiger, je jünger das Kind war;
bei 6 Kindern drang die Flüssigkeit in das Ileum ein: 1. bei
einem 9 monatlichen 36 Zoll über die Klappe hinaus, 2. bei
einem 9 monatlichen 12 Zoll, 3. bei einem 13 Monate alten
Kinde 30 Zoll, 4. bei einem 2Vijährigen 12 Zoll und 5. bei
einem 5^ jährigen 6 Zoll weit. Weitere Untersuchungen in
dieser Richtung sind nur an Erwachsenen angestellt worden.
Simon (1. c.) hält das Uebertreten von Fäcalien aus dem
1) Po Hak, Wiener med. Presse 1870. S. 781—784.
Zur Frage über die Anwendung hoher Clysmen bei Kindern. 203
Dickdarm in den D&nndarm in den meisten Fällen für mög-
lieb, da bei seinen neun Leichenexperimenten das Wasser
leicht durch die Valvula Bauhinii in den Dünndarm gelangte.
Mo sl er jedoch gelang es nicht, bei Leichen die in den Darm
hineingebrachte Flüssigkeit über die Yalvula hinaus in das
Ileum zu schaffen, was seiner Meinung nach damit zusammen-
hängt, dass man bei Leichen nicht so viel Flüssigkeit in den
Darm hineinbringen kann wie bei Lebenden; bei Hunden ge-
langte die PlüsBigkeit sehr leicht ins Ileum, etwas schwie-
riger schon bei Meerschweinchen.
1878 empfahl Prof. Cantani^) die Clysmen mit hohem
Druck, die sogenannten Enteroclysmen. Leider finden wir
in dieser Arbeit keine Beweise dafür, dass Flüssigkeiten durch
die Klappe hindurchdringen können; diesen Beweis führen
die späteren Arbeiten des Professors und seiner Schüler, so
z. B. beschreibt Cantani^) zwei Fälle, wo 1^/^ 1 Oel ins
Rectum hineingebracht worden waren und nach einer Stunde
erbrochen wurden; einen ähnlichen Fall publicirte Bianchi')
und noch zwei Fälle Muselli^). In einem Referate über
diese Fälle (im Wratsch 1883, p. 649) sagt Prof. Manassein:
„Beim Menschen können weder gewohnliche Clystiere (mitr
telst Eautschukballons, Spritzen und Elysopompe), noch die
Hegar'schen die Bauhin 'sehe Klappe überwinden; es ist
dies festgestellt durch die Experimente von Moschkow an
Leichen und von Krusenstern und Bubnow durch kli-
nische Beobachtungen; letztere Autoren brachten Schwind-
1) Cantani, Le indicazioni deir enteroclismo nelle malattie io-
testioali. U Morgagni 1878. 20. p. 273.
2) Cantaui, Dao case di Yomito d'olio dopo Tapplica zione deir
olio per l'ano mediante renterocliamo II Morgagni 1879. 4. p. 241.
3) Bianchi citirt bei Maselli.
4) Muselli, L'enteroclisme et ses indications. Journal de m^de-
eine de Bordeaux 1883. p. 73. Septembre. — Muselli sagt, dass die
Enteroclysmen 1878 von Gantani empfohlen wurden, während Frat-
tini das Jahr 1869 angiebt; Cantaui selbst weist in seiner „Vor-
lanfigen Mittheilung" im „Geniralblatt für die medicinischen Wissen-
schanen** 1884, 44 auf das Jahr 1870 hin. Leider konnte ich nicht die
Arbeit, in welcher C. zuerst die Anwendung der Enteroclysmen em-
pfohlen hatte, eruiren. Auch die Arbeit von Frattini ^Gazzetta degli
Ospitali 1890) 1^ mir nicht im Original vor, sondern m einem Re-
ferat aus dem Wratsch 1890, Nr. 8, in welchem erwähnt wird, dass
yermittelst des von Gantani angegebenen sehr einfachen Instruments
man Flüssigkeiten leicht durch die Bauhini'sche Klappe in den Dünn-
darm bringen kann. Für Kinder von 12 — 15 Jahren sollen 1—1 Vi ^
nOthig sein, yon 6—12 Jahren V|— 1 1; für Neugeborene 200—300 ccm.
In seiner Abhandlung über die Therapie der Cholera sagt Gantani:
^,Man kann annehmen, dass die Bauhinrsche Klappe kein besonderes
Hindemiss bietet, und es ist jetzt bereits experimentoll erwiesen, dass
das Hindemiss leicht überwunden werden kann."
204 D. Ssokolow:
süchtigen einige Stunden vor ihrem Tode Milch in den Darm
hinein und constatirten bei der Section, dass die Milchcoagula
nur bis zur Klappe gefunden werden konnten/' — Aber schon
1885 giebt Manasseiu^) im Anlass der Olivieri'schen')
Arbeit kund, dass in seiner Klinik yon Dr. Sigrist eine Reihe
von Eingiessungen verschiedener farbiger und färbender Lö-
sungen an Verstorbenen ausgeführt worden ist. Diese Flüssig-
keiten drangen unbedingt bis in den Magen hinein, ohne den
Darm, der mit tuberculösen Geschwüren besäet war, zu
lädiren.
V. Ziemssen') berührt ebenfalls in seiner Abhandlung
„Ueber die artificielle Füllung des Dickdarms zu diagnostischen
und therapeutischen Zwecken'' die Frage nach der Möglich-
keit des Uebertretens von Gasen aus dem Dickdarm in das
Ileum. Er führte einen Schlauch 15 cm weit in den Darm
ein und injicirte zunächst eine Sodalösung und darauf eine
Weinsäuresolution. Die dadurch entstehende Kohlensäure wurde
bei den experimentellen Untersuchungen an Hunden und Ka-
ninchen im Magen und sogar über denselben hinaus con-
statirt. Dieselben Untersuchungen stellte v. Z. an lebenden
Menschen und an Leichen an, wobei es sich ergab, dass bei
frischen Leichen die Bauhini'sche Klappe hermetisch schliesst,
selbst bei sehr starkem Gasdruck, nur in seltenen Fällen ge-
langte der gasförmige Körper in den Dünndarm. Bei lebenden
gesunden Leuten fand v. Z. dieselben Verhältnisse vor: das
feste Schliessen der Klappe war die Regel, nur in Ausnahme-
fallen lag, wenn auch keine freie Passage, so doch die Mög-
lichkeit des Uebertretens von Gasen in den Dünndarm vor.
„Es ist klar," sagt der Autor, „dass bei solchen Individuen die
Klappe bei sehr starker Spannung insufficient werden kann,
doch sobald etwas Gas in den Dünndarm hineingelangt, wird
die Klappe wieder schlussfahig.'^ v. Ziemssen hat ferner
den Einfluss der Chloroformnarcose auf die Function der
Klappe zu eruiren gesucht; es hat sich feststellen lassen, dass
unter diesen Umständen die Klappe insufficient wird, und der
Dünndarm leicht mit Gasen gefüllt werden kann; daraufhin
empfiehlt v. Z. in Fällen, wo man in den Dünndarm irgend
einen gasförmigen Stoff einführen will, vorher die Narcose
einzuleiten. Auch Debierre (1. c) weist auf den Einfluss des
Chloroforms hin. Die Ergebnisse seiner experimentellen For-
schungen veranlassen ihn zu folgenden Schlussfolgerungen:
1. in einigen Fällen gehen gasförmige Stoffe durch, Wasser
' *
1) 8. Wratsch 1885. p. 632. Anmerkung.
2) Oli Vieri, La eemaine mädicale 1886, 23. September.
3) Y. Ziemssen, Deatsches Archiv für klin. Med. XXXIII. 1883.
S. 235.
Zur Frage über die Anwendung hoher Clysmen bei Eindem. 205
aber nicht; 2. in anderen Fällen passiren sowohl Gase als
aach Wasser die Klappe und endlich kommen Fälle vor,
wo weder Gase noch Wasser hindurchtreten können und die
Klappe einem Druck von 3 — 4 m widersteht. Dabei ist die
Yaivula häufiger sufficient, wenn der Darm auf seinem Platze,
also im Abdomen liegt; viel seltner ist sie schlussfähig, wenn
der Darm herausgenommen worden ist (2:3); überhaupt sind
die Schlussfähigkeit und die Insufficienz der Klappe von der
anatomischen Lage der letzteren abhängig.
Wir sehen also^ dass die Meinungen der verschiedenen
Autoren über diesen Gegenstand sich sehr widersprechen, des-
halb dürften auch meine Forschungsresultate von Interesse
sein. Wie ich bereits früher erwähnt habe, können alle meine
Untersuchungen in zwei Gruppen getheilt werden: Zur ersten
Gruppe gehören diejenigen Experimente, wo ich die Schluss-
fähigkeit der Valvula ileo-coecalis in loco zu eruiren suchte,
d. h. ohne das Coecum herauszunehmen; zur zweiten Gruppe
diejenigen, wo ich den Darm herausnahm und dann vom Dick-
darm aus das Coecum mit Wasser füllte. Nachdem ich auf
die eine oder andere Weise die Schlussfahigkeit der Klappe
gegenüber dem Wasser festgestellt hatte, wusch ich den
Darm gründlich mit Wasser aus, schnitt das Coecum mit dem
Colon ascendens und einem Theil des Dünndarms aus, brachte
eine Ligatur an dem abgeschnittenen Ende des Ileums an,
nachdem ich zuvor es an diesem Ende leicht aufgebläht hatte,
dann blies ich Luft in das Colon von dem abgelösten Ende
hinein und beobachtete, ob die Luft durch die Klappe hindurch-
ging; endlich Hess ich dann den mit Luft aufgeblähten Darm
austrocknen, um die Beschaffenheit der Klappe später näher
zu bestimmen. Die vorhergehende Aufblähung des Dünn-
darms war deshalb nöthig, weil in Fällen, wo die Klappe
absolut sufficient war, die Luft aus dem Dickdarm in das
Ileum nicht hineingelangen konnte, letzterer Darmabschnitt
blieb deshalb unaufgefaltet, trocknete ein, schrumpfte zu-
sammen, sodass später das Verhalten der Valvula Bauhinii
von der Dünndarmseite aus nicht festgestellt werden konnte.
Auf Trockenpräparaten gelingt es, wenn man auf der der
Klappe gegenüberliegende Wand des Coecums eine Oeffnung
anbringt, die Lage der Klappe bei geblähtem Coecum zu
bestimmen; man kann ferner feststellen, ob sie sufficient ist
oder nicht, und in letzterem Falle, wie stark die Insufficienz
ist und worauf sie beruht.
Auf diese Weise habe ich 200 Präparate aus Kinder-
leichen getrocknet und untersucht, 130 entstammen Kindern,
die jünger als ein Jahr waren, und 70 entsprachen einem
Alter von 1 — 12 Jahren. Wie ich bereits erwähnt habe,
206 D. Ssokolow:
füllte ich den Dickdarm, bevor ich ihn eintrocknen liess, mit
Wasser, welches zunächst unter schwachem Druck einlief,
dann aber steigerte ich allmählich den Druck, indem ich den
Erahn der Wasserleitung mehr öffnete. Es erwies sich, dass
zu Anfang das Wasser unter einem Druck yon 1—1 Vi m in
den Darm hineinfloss, dann aber, wenn die Flüssigkeit bis an
das Coecum gelangt war, steigerte ich den Druck bis zu
3 m, was die Darmwand ziemlich gut vertrug, sie riss nie ein,
obgleich gewohnlich bei solch einem Druck durch Zerreissung
verschiedener Bauchfellbrücken an der Oberfläche des Blind-
darms und des aufsteigenden Colonschenkels ein Knistern zu
hören war. Sogar in Fällen, wo tuberculöse Geschwüre im
Dickdarm vorhanden waren, hielt die Darmwand den hohen
Druck aus, worauf bereits Professor Manassein auf Grund
der Sigrist'schen Untersuchungen aufmerksam machte. Ge-
wöhnlich aber fanden sich auch in solchen Fällen auf der
Yalvula Bauhinii Geschwüre mit ausgenagten Rändern; wahr-
scheinlicherweise beruhte darauf die Insufficienz der Klappe,
die ihrerseits dazu beigetragen hat, dass der Druck auf die
Dickdarmwand kein zu grosser wurde, da die Flüssigkeit
ohne Hindemisse in den Dünndarm fliessen konnte. ' So z. B.
war bei einem dreijährigen Mädchen die Klappe durch ein
tuberculöses Geschwür, das an der Grenze zvrischen Dickdarm
und Ileum lag, völlig zerstört. Das Geschwür nahm den
ganzen Umkreis des Dünndarmendes ein (4^ cm), seine Länge
war 3^ cm. In diesem Falle floss das Wasser per rectum
bis in den Magen.
Wir finden also, dass bei Anf&llung des Dickdarms mit
Wasser oder bei Aufblähung desselben mit Luft das Wasser
in einer Reihe von Fällen den Dickdarm stark ausdehnt und
dann in den Dünndarm hinübertritt — und in diesen Fällen
hängt es natürlich von dem Inhalt des Dünndarms und von
der Menge der infundirten Flüssigkeit ab, wie weit das Wasser
in den Dünndarm hineinfliessen wird, denn ist einmal die
Klappe insufficient, so kann das Wasser bei leerem Dünn-
darm und bei grosser Menge der eingeführten Flüssigkeit bis
in den Magen gelangen und sogar weiter bis in den Mund
— was ich in einigen Fällen beobachtet habe. Das waren
aber vielleicht pathologische Zustände, wo die Yalvula ileo-
coecalis nicht normal, pathologisch verändert war, und viel-
leicht ist dieser Umstand allein för das Uebertreten von Flüssig-
keiten aus dem Dickdarm in den Dünndarm verantwortlich
zu machen? Möglicherweise haben auch die anderen Autoren,
die ähnliche Beobachtungen gemacht haben, mit pathologischen
Zuständen zu thun gehabt Das ist nun durchaus nicht der
Fall, denn es erweist sich, dass die Yalvula ileo-colica nicht
Zur Frage über die Anwendung hoher Clysmen bei Einderzi. 207
nur in pathologischen^ sondern aach in ganz normalen Fällen
insufficient sein kann ; ja ich kann auf Grund der 200 Unter-
suchungen behaupten, dass bei Kindern die Insufficienz der
Klappe ebenso häufig wie die völlige Schlussfähigkeit vor-
kommt, und im frühesten Kindesalter ist sogar die Durch-
lässigkeit häufiger als die vollko^nmene Undurchlässigkeit.
Um wieder auf meine Beobachtungen zurückzukommen: von
200 Leichen, die ich daraufhin untersucht habe, gehorten 130
dem frühesten Kindesalter (unter einem Jahre) an und bei
ihnen wurde die Yalvula Bauhinii vollkommen schlussfähig
nur in 27 Fällen gefunden, in 103 Fällen ging das Wasser
in den Dünndarm frei hinein, also die Klappe war in 20,8%
vollkommen sufficient, in 79,2% aber insufficient. Bei Kin-
dern von 1 — 12 Jahren finden wir nicht mehr ein solches
Ueberwiegen der Insufficienz, von 70 Fällen bestand letztere
nur 37 mal, in 33 Fällen schloss die Klappe hermetisch. Wenn
wir noch jene 4 pathologischen Fälle hinzurechnen, so er-
giebt es sich, dass die Klappe ebenso häufig schlussfähig wie
insufficient war. Dabei findet man, dass in einigen Fällen
die Flüssigkeit leicht in den Dünndarm gelangt, ohne be-
sonders starke Ausdehnung des Goecums; in anderen Fällen
gelangt sie nicht in das Ileum, wenn die Wände des Blind-
darms schwach gespannt sind, erst bei stärkerem Druck fliesst
sie in den Dünndarm hinein. Ist aber die Klappe vollkom-
men schlussfähig, so füllt sich der Dickdarm immer mehr
und mehr, ohne dass auch ein Tropfen der Flüssigkeit über
die Klappe hinauskommt; steigert man nun noch den Druck
(über 3 m), so beobachJtet man entweder ein Platzen der
Darmwand oder aber eine Zerreissung der Klappe. Nach
Morgagni^), Winslow*), Albinus*) entsteht die Klappe
durch Hineinzwängung des Ileums in das Goecum und zwar
der Schleimhaut und der Bingmuskulatur. Nach Luschka
stellt die Yalvula ileo-coecalis die Darmwandduplicatur vor,
welche in das Lumen des Dickdarms hineinführt; die Klappe
ist dabei nicht kreisförmig, wie der Pylorus, sondern stellt
zwei nebeneinander gelegene Zipfel dar. Wenn wir auf frischen
Präparaten die Klappe von der Goecalseite betrachten, so
finden wir, dass sie einen Reifen darstellt, der den kreis-
förmigen Rand des Dünndarmendes einnimmt und nach dem
Lumen des Goecums gerichtet ist. Bei Anfüllung des Blind-
darms mit Wasser oder bei Aufblähung desselben mit Luft
1) Morgagni, Advenaria anatomica. III. 1719. Citirt bei Debierre.
2) Winslo"^, Ezpositio anatomica stmctarae corporis hnmani.
Francfurti 1763. IV. p. 48.
3) Albini, Aeademicarum annotationum liber tertius. Leidae 1754.
Cap. II. p. 14—28.
208 D. Ssokolow:
wird dieser reifenförmige VorsproDg alimählich gedehnt, und
in Fällen von vollkommener Schlassfahigkeit der Klappe kann
man sie in der stark gedehnten, gestreckten Lage sehen,
natürlich nur von der Dünndarmseite. Die Klappe stellt dann
zwei mit den convexen Flächen nebeneinander liegende Halb-
kugeln vor, sodass man von einer oberen und unteren Halb-
kugel sprechen kann, dabei sind sie nicht immer ganz sym-
metrisch, bald springt die obere, bald die untere Halbkugel
mehr vor. Wird der Druck in dem Dickdarm noch gestei-
gert, so spannen sich die Wände der Halbkugeln immer
stärker an, verdünnen sich und legen sich noch fester neben-
einander; und wird endlich der Druck sehr hoch, so hört
man ein Knistern, das von der Zerreissung der Darmserosa,
die in Form eines dicken und kräftigen Ringes die Grenze
zwischen Dünndarm und Dickdarm umgiebt, herrührt, dabei
wird die Einmündungsstelle des Dünndarms weiter; dasselbe
geschieht auch mit der Serosa des Coecums und des auf-
steigenden Colonschenkels. Die Klappe erweist sich dann als
insufficient, zwischen beiden Halbkugeln entsteht eine OeS-
nung, die flüssigen und gasförmigen Stoffe treten alsdann
unbehindert in den Dünndarm, der Dickdarm fällt zusammen.
Es ist mir dabei nie gelungen, die von Pollak erwähnte
Möglichkeit des Umwendens der Klappe von dem Dick- nach
dem Dünndarm zu sehen. Die Klappenwandungen bestehen
bekanntlich aus Schleimhaut und Ringmuskelfasern, deshalb
sind sie ziemlich stark und können länger Widerstand leisten;
viel früher reisst die Serosa des Dickdarms, bedingt dadurch
die Klappeninsufficienz, und damit fällt sofort der Druck im
Dickdarm, bevor noch eine Zerreissung oder eine Umwendung
der Klappe stattfinden kann. Wir sehen also, von welch'
grosser Wichtigkeit die Serosa für das vollkommene Schliessen
der Klappe ist. Femer kann dieselbe Valvula Bauhinii, welche
bei normaler Lage des Darms im Abdomen und bei un-
versehrten Bauchdecken hermetisch den Eingang in den Dünn-
darm verschliesst, insufficient werden, sobald wir den Darm
herausnehmen. Weiterhin kann die sogar nach Herausnahme
des Darms sufficiente Klappe schlussunfähig werden, wenn die
Serosa entfernt wird. Jedoch kommt es vor, dass die Klappe
ungeachtet aller dieser Manipulationen häufig noch hermetisch
schliesst und eher platzt, als irgend welche Substanz aus dem
Dick- in den Dünndarm hindurchtreten lässt oder gar sich in
das Lumen des Dünndarms umstülpt.
Welche Form die Valvula Bauhinii auf frischen Präpa-
raten bei aufgetriebenem Darm und in Fällen von Insufficienz
besitzt, ist natürlich unmöglich zu sagen, wir können nur
nach den getrockneten Därmen unsere Vermuthung aussprechen.
Zur Frage aber die Anwendang hoher Clysmen bei Kindern. 209
Wird an solchen Präparaten eine Oeffnung in der Dickdarm-
wand gegenüber der Klappe angelegt, so sieht man, dass
letztere nicht in dem ganzen Umkreise der Dünndarmmündung
angeordnet ist, sondern nur oben und unten in Form zweier
Zipfel, eines oberen und unteren, die mit ihren Enden vorn
und hinten aneinanderstossen. Jeder Zipfel besitzt am häu-
figsten die Form eines gleichschenkligen Dreieckes, dessen
Grundlinie nach dem Lumen der Klappe, dessen Spitze nach
dem oberen resp. unteren Winkel, die durch die Einmündung
des Dünndarms in den Dickdarm gebildet werden, gerichtet
sind. Alle Schenkel dieser Dreiecke sind etwas gebogen. In
einer Reihe Ton Fällen liegen diese Dreiecke mehr horizontal,
in einer anderen Reihe mehr vertical. Das obere Dreieck ist
am häufigsten horizontal gelagert und stellt nach seiner Ls^e
und Form gleichsam eine stärker ausgeprägte Duplicatur
der Dickdarmschleimhaut — frenulum Morgagni — vor. In
Wahrheit ist es bekanntlich keine einfache Schleimhaut-
dnplicatur, denn im oberen KlappenzipfeH) findet sich ausser
Schleimhaut noch Muskelfaser; nur der vordere und hintere
Winkel des oberen Dreiecks gehen in eine reine Schleimhaut-
falte über; daher nimmt der obere Zipfel einen viel grösseren
Umkreis des Darms ein als der untere. Die Grundlinie des
oberen Dreiecks ist, wie ich bereits erwähnt habe, gekrümmt,
und zwar mit der Concavität nach dem Lumen der Klappe,
doch ist gewohnlich diese Krümmung nicht stark ausgesprochen.
Das untere Dreieck liegt häufig mehr vertical als horizontal,
weil der Dünndarm nicht perpendiculär in den Dickdarm ein-
mündet, sondern unter einem scharfen Winkel in der Rich-
tung von unten nach oben. Der Boden des unteren Dreiecks
ist kürzer als der des oberen, seine Endpunkte sind häufig
nicht an den Endpunkten des oberen, sondern an seiner
unteren Fläche befestigt. Der Ausschnitt am freien Ende des
unteren Zipfels ist gewöhnlich viel grosser als am oberen
Zipfel, sodass in Fällen von Klappeninsufficienz als Ursache
hierfür hauptsächlich dieser grosse Ausschnitt am Boden des
1) In der Bildung beider Zipfel nehmen in gleichem Maasse so-
wohl der Dünndarm als auch der Dickdarm Theil and zw^ar deren
Schleimhaut- und RingmuBkelfaserschicht (Luschka), obgleich andere
Autoren der Meinung sind, dass der obere Zipfel nur vom Dickdarm,
der untere nur vom Dünndarm gebildet werde; noch andere meinen,
bei der Bildung der Klappe bet heilige sich ausschliesslich der Dünn-
darm. Nach der Formbildung der Klappe zu schliessen, muss man
wohl Luschka Recht geben: die Fläche, die nach dem Lumen des
Dickdarms schaut, ist mit dessen Schleimhaut ausgekleidet, dagegen
ist die nach dem Ileum gerichtete mit Dünndarmschleimhaut bedeckt,
am freien Rande der Klappe gehen diese Schleimhautflächen inein-
ander über.
Jahrbuch f. Kitiderheilknnde. N. F. XX.XYIII. 14
210 D. Ssokolow:
unteren Dreiecks zu beschuldigen ist. In Fällen von Durch-
lässigkeit der Klappe sehen wir zwischen ihren beiden Zipfeln
ein Lumen entweder in Form einer kleinen schlitzförmigen
Oeffnung oder eines mit dem breiten Theil nach vorn ge-
richteten Eies. Dagegen sieht man, wenn die Klappe voll-
kommen undurchlässig ist, kein Lumen; der untere Zipfel
liegt dem oberen fest an, sodass beide an Trockenpräparaten
miteinander verwachsen erscheinen; dabei liegt nicht der
obere Zipfel dem unteren an, sondern im Gegentheil, der
untere drückt sich an den oberen an: der obere bleibt wie
zuvor, in horizontaler Lage, der untere jedoch geht aus der
geneigten in die horizontale Lage. über. Es erweist sich so-
mit, dass die Insufficienz hauptsächlich auf das Verhalten des
unteren Zipfels beruht, wobei nicht nur die Grosse seines
Randausschnittes in Frage kommt, sondern auch die Länge
der Dünndarm wand, die in den Dickdarm hineingestülpt ist.
In der That sehen wir in einigen Fällen, dass die Klappe
dank der bedeutenden Länge des unteren Zipfels schluss-
fähig ist, trotzdem ein grosser Randausschnitt vorhanden ist.
Debierre sagt, dass die Ansicht verschiedener Autoren
über die Grösse der beiden Zipfel verschieden ist. Sappey
(1. c. S. 262) hält den unteren Zipfel für länger, Adelon^)
für breiter, dagegen halten ihn Oruveillier, Morel und
Mathias Duval^) für kürzer. Debierre fand die Klappe
sufficient in Fällen, wo beide Zipfel gleich lang waren oder
der untere länger, insufficient dagegen, wo der untere Zipfel
kurz war oder einen grossen Ausschnitt besass.
Ich habe bereits der Bedeutung der bandförmigen Bauchfell-
ligamente am Dickdarm, besonders in der Gegend der Ein-
mündungssteile des Dünndarms Erwähnung gethan. An dieser
stelle geht vom Dünndarm auf den Dickdarm ausser Peri-
toneum noch eine Längsmuskelfaserschicht über, die sich nicht
bei der Bildung der Klappe betheiligt. Dank diesem Um-
stände wird die Befestigungsstelle beider Zipfel besonders
resistent, weniger dehnbar, deshalb auch die Klappe schluss-
fähig. Auf Grund dessen ist die Erklärung, die Pollak für
die Insufficienz der Klappe bei starkem Druck im Coecum
gegeben hat, nicht stichhaltig. Auf welche Weise kann denn
die Valvula sich in das Lumen des Dünndarms umstülpen?
Der obere Zipfel ist, wie wir gesehen haben, genügend be-'
festigt und bei starkem Druck, also auch stärkerer Span-
nung der Colonwände, wird er sich mehr in seiner horizon-
talen Lage dehnen, um so mehr, als zuweilen verticale Falten
1) AdeloD citirt bei Debierre.
2) Mathiae Dnval, Manael de ranatomiste 188S. Paria, p. 1034.
Zur Frage über die Anwendimg hoher Clysmen bei Kindern. 211
vorhanden sind, die jedes Ausbiegen des freien Randes nach
unten verhindern; der untere Zipfel liegt, wenn er genügend
lang ist, fest dem oberen an und wird sich natürlich bei
stärkerem Coecaldruck noch^fester an den oberen anschmiegen.
Jetzt verstehen wir auch, weshalb die Ansichten der ver-
schiedenen Autoren über die Möglichkeit des Uebertreteus
von Dickdarminhalt in das Ueum so Verschieden sind. Alles
beruht hier, wie wir sehen, auf individueller Verschiedenheit
der Entwickelung beider Elappenzipfel, oder richtiger, nur
des unteren, am häufigsten die Insufficienz bedingen kann.
Wir können nie mit Bestimmtheit aussagen, ob in dem ge-
gebenen Falle die per Rectum eingeführte Flüssigkeit in den
Dünndarm hinübertreten werde. Nehmen wir meine Zahlen
zu Hilfe, so können wir sagen, dass bei Kindern, die älter
als 1 Jahr sind, wir in der Hälfte der Fälle Flüssigkeiten
in den Dünndarm per Rectum hineinbringen können, bei jün-
geren Sandern (also bis zu 1 Jahr) in % aller Fälle. Diese
Resultate müssten uns veranlassen, in jedem Falle einen Ver-
such, die Flüssigkeit in den Dünndarm hineinzubringen, zu
machen, um so mehr, als diese Versuche den Kindern keinen
Schaden verursachen können. Nur muss man im Auge be-
halten, dass der Druck nicht zu hoch sein darf), denn ist
die Klappe insufficient, so ist gar kein hoher Druck zum
Hineingelangen der Flüssigkeit in den Dünndarm nothwendig;
schliesst aber im Gegentheil die Klappe hermetisch, so wird
ein Steigern des Druckes eher den Verschluss noch fester ge-
stalten. Ich habe gewöhnlich einen Druck von 1% — 2 m
einer Wasseräule angewandt-, ein stärkerer Druck (3—4 m)
führte in Fällen von hermetischem Verschluss der Klappe
eine Ruptur des serösen üeberzuges des Dickdarms herbei.
Ausserdem muss noch in Betracht gezogen werden, dass bei
Vorhandensein irgend eines ulcerösen Processes im Darme
ein zu hoher Druck die Ruptur der ganzen iDickdarmwand
zu Folge haben kann. Ich habe bereits die Arbeit von
Sigrist erwähnt, der die Beobachtung machte, dass Flüssig-
keiten aus dem Dickdarm in den Dünndarm, sogar in den
Magen hineingelangen können, ohne den mit tiefen tuber-
culösen Geschwüren besäten Darm zu lädiren. Diese Beob-
achtungen sind an Leichen Erwachsener gemacht worden,
leider fehlen Angaben über die Höhe des angewandten Druckes
und über das Verhalten der Klappe. So viel ich bei Kindern
beobachtet habe, kommt sehr häufig bei Darmtuberculose eine
Affection der Klappe vor, in manchen Fällen findet man so-
1) Natürlich nicht einen Druck von 7 m, wie ihn Frattini bei
Invagination und Torsion empfiehlt.
14*
212 D. Ssokolow:
gar beide Zipfel durch Ulcera völlig zerstört; bei solch einer
Insufficienz der VaWula Bauhinii ist der Durchgang in den
Dünndarm vollkommen frei, deshalb ist ein starker Druck
gar nicht nothig. Dennoch bekam ich in einem ähnlichen
Falle eine Ruptur des Darms, und zwar des Dünndarms, wo-
bei die Flüssigkeit leicht in den letzteren eindrang und an
der Stelle eines kleincB tuberculösen Geschwüres den Darm
perforirte. Ich erwähne diesen Fall deshalb, weil man meiner
Meinung nach, bei Vermuthung eines ulcerosen Processes im
Darm, besonders vorsichtig mit der Anwendung eines hohen
Druckes sein muss, namentlich, wenn noch ein Obturator ver-
wendet wird.
Die von Baginsky empfohlene locale Behandlung der
Erkrankungen des kindlichen Darms ist überhaupt von grosser
Bedeutung, worauf auch namentlich Prof. Monti^) aufmerk-
sam gemacht hat Er wendet die Clysmenbehandlung bei
Dyspepsie, Koprostase, bei Katarrhen des Dick- und Dünn-
darms, bei Cholera infantum, bei der Magen -Darmatrophie,
Dysenterie, Typhus abdominalis, bei beginnender Typhlitis
und Perityphlitis, Darminvagination und endlich noch bei
Helminthiasis (Taenia und Ozyuris) an. Auf diese Weise
wurde also fast bei allen Darmerkrankungen, die ja im kind-
lichen Alter so häufig sind, die Clysmenbehandlung mit Er-
folg durchgeführt; ausserdem aber kann diese Therapie auch
bei Affectionen anderer Organe von Nutzen sein, wie es Mu-
selli bei Erwachsenen beobachtet hat. Er empfiehlt die
Enterociysmen bei entzündlichen und nervösen Erkrankungen
des Darms, bei Verschluss desselben, ausserdem aber noch
zur Ernährung der Kinder: bei Trismus, bei Erkrankungen
des Kehlkopfes (Läsionen des Kehldeckels, Paralyse der Kehlkopf-
muskulatur), bei Dysphagie (Ulcera und Narben des Magens,
Stenose der Speiseröhre durch einen Tumor, geschwürige und
narbige Stricturen, Divertikelbildung), endlich in Fällen von
Erkrankungen des Magens, wo Buhigstellung des Magens er-
wünscht ist.*)
Wir sehen also, wie häufig die Glysmen bei Kindern
Anwendung finden können, und deshalb muss auch die Ent-
scheidung der Frage von dem Durchgang verschiedener Flüssig-
keiten durch die Bauhini'sche Klappe von grosser Wichtig-
keit sein.
1) Monti, Ueber Darmirriffationen und ihren therapeutiflchen Werth
bei BehandluD^ von Darmkrankheiten im Kindeaalter. Wien.
2) Frattini empfiehlt die Clysmenbehandlung bei allen fieber>
haften Erkrankungen (Eiady stiere), bei Einklemmung von Hernien, bei
Blutwallungen mm Gehirn und anderen Organen.
1
Zar Frage über die Anwecdnog hoher Clyemen bei Eindem. 213
Nachdem ich nun diese Frage erledigt habe, möchte ich
Einiges über das Coecum und den Wurmfortsatz, die gerade
in der Pathologie des Eindesalters eine grosse Rolle spielen,
hiusufügen.
Tschernow^) hat im vorigen Jahre eine Arbeit publi*
cirt, die fQr jeden Einderarzt von Interesse sein dürfte. Nach-
dem dieser Autor einen historischen Ueberblick über die Ent-
Wickelung der verschiedenen Ansichten betreffend die Patho«
genese der Perityphlitiden gegeben hat, gelangt er zum
Resultate, dass man jetzt die Frage nach der negativen Rolle
des Dünndarms in der Aetiologie der Perityphlitis als ent-
schieden betrachten könne, worauf auch die Statistik von
Barney und Weyr') hindeute« Der erste Autor fand auf
einen Fall von primärem Durchbruch im Coecum 100 Fälle
von Perforation des Wurmfortsatzes, der letztere fand unter
300 Fällen von Perityphlitis nur 3 Fälle von Perforation des
Blinddarms, sodass die Hauptrolle bei der Entstehung dieser
Erkrankung dem Processus vermiformis zukommt. Ueberhaupt
kommt die Perityphlitis im Eindesalter nicht seltener als bei
Erwachsenen vor. Tschernow giebt folgende Zahlen an:
Nach Volz (1846) kamen von 38 Fällen 12 auf das kind-
liche Alter (1 Fall: 7 Jahre, 11 Fälle: 8—14 Jahre), nach
Vollert (1891) waren von 63 Eranken 27 jünger als 20 Jahre
(1 Fall: 10 Jahre, 26 Fälle: 11—20 Jahre). Balzer») weist
auf 21 Beobachtungen von Gerhardt hin, auf 19 Fälle
(von 38) von Meigs und Pepper, auf 6 Fälle (von 47) von
Lewis, auf 2 Fälle (von 73) von Bamberger, auf 6 Fälle
von Paulier, auf 1 Fall von Barthez (Perforation des Wurm-
fortsatzes bei einem 7 Monate alten Kinde). Balzer selbst
fand in 2 Fällen (bei Enaben von 10 und 13 Jahren) Per-
foration des Processus vermiformis. Auf Grund dieser That-
sachen müssen wir Tschernow und Balzer beipflichten, dass
die Perityphlitis durchaus keine seltene Erkrankung des kind-
lichen Alters darstellte, deshalb werden wohl auch meine ana-
tomischen Befunde von Interesse und Bedeutung sein, nament-
lich* weil die neuerdings erschienene umfangreiche Arbeit von
Dr. Turner sich auf ganz jugendliche Einder (28 Leichen
von 8 — 348 Tagen) und dann auf das Alter von 14 — 80 Jahren
(104 Leichen) bezieht ; das uns am meisten interessirende
Alter von 1 — 14 Jahren ist somit nicht berücksichtigt worden.
1) Tschernow, Perityphlitis und Paratypblitis bei Kindern (rus-
sisch). Kiew 1892.
2) Citirt nach Tschernow p. 12.
8) Balzer, ObserrationB et recherches pour servir rhistoire des
inflammations da coecum chez Tenfant. GazettB mMicale de Paris 1879,
16. 19. 26.
214 ^' Ssokolow:
Besonders wichtig ist die Frage, wie sich das Bauchfell zum
Blinddarm und zum Wurmfortsatz verhalte; diese Frage ist
ganz verschieden beantwortet worden. DupuytenyVelpeau,
Roser, Malgaigne, Quain, Hyrtl, Tillaux und andere
Autoren behaupten, dass der Blinddarm auf seiner hinteren
Fläche kein Peritoneum besitze, sondern direct dem Zell-
gewebe der Fossa iliaca anliege, dagegen stellen Luschka,
Langer, Treves, Tuffier, Bardeleben und Tarenetzki
als Regel hin, dass sowohl beim Kinde als auch beim Er-
wachsenen der ganze Blinddarm und der Anfangstheil des
Colon ascendens bis zur Einmündung des Ileums allseitig vom
Peritoneum überzogen und frei beweglich sind. Turner
selbst fand, dass unter 94 Fällen bei Erwachsenen in 91 Fällen
(also 96%) der Blinddarm allseitig vom Bauchfell bedeckt
war; unter 28 Einderleichen fand er nur in einem einzigen
Falle den oberen Abschnitt des Coecum und des Colon ascen-
dens fixirt, in den übrigen 27 Fällen erwiesen sich der Blind-
darm und ein grösserer oder geringerer Abschnitt des auf-
steigenden Colonschenkels völlig frei. Meine Beobachtungen
stimmen mit diesen fast überein. Mich interessirte besonders
dieses Verhalten des Darms bei Kindern von 1 — 14 Jahren;
in 76 Fällen untersuchte ich sorgfältig die Lage des Coecum
und sein Verhalten zum Peritoneum, wobei, wie ich bereits
erwähnt habe, das Coecum und ein Theil des Colon ascen-
dens fast immer ausserordentlich beweglich waren, was da-
mit zusammenhängt, dass diese Darmabschnitte allseitig vom
Peritoneum überzogen sind. Die Stelle, an welcher der auf-
steigende Schenkel an der hinteren Bauchwand befestigt ist,
ist sehr variabel; häufig fand ich sie an der Uebergangsstelle
des Colon ascendens in das Colon transversum; Dank diesem
Umstände waren der Blinddarm und der ganze aufsteigende
Colonschenkel frei beweglich, und deshalb konnten auch solche
Lageveränderungen zu Stande kommen, wie z. B. unter der
Leber, in der linken Fossa iliaca, im linken Hypochondrium etc.
Von den 76 Fällen erwies sich in 6 Fällen der Blinddarm
mit seiner hinteren Fläche an der rechten Fossa iliaca völlig
fixirt und erforderte zu seiner Trennung eine Kraftanwendung,
was Prof. Tarenetzki nie beobachtet hat Was das jüngere
Alter anlangt, so kann ich aus meinen Beobachtungen am
Findelhause (200 Leichen) schliessen, dass in der Mehrzahl
der Fälle der Blinddarm und das Colon ascendens allseitig
vom Peritoneum überzogen sind, obgleich Fälle vorkamen, wo
das Coecum ziemlich fest in der Fossa iliaca fixirt war. Auf
Grund meiner Beobachtungen muss ich mich somit der Mei-
nung derjenigen Autoren anschliessen, die die völlige peri-
toneale Auskleidung des Blinddarms als Regel hinstellen.
Zur Frage über die Anwendung hoher Glysmen bei Kindern. 215
Auch über den Wurmfortsatz« gehen die Meinungen der
Autoren auseinander: die einen (Tillaux, Roser, Albrecht,
Dautel, Sonnenburg, Krafft) sind der Ansicht, dass der
Processus vermicularis zur Hälfte oder zum Drittel kein Peri-
toneum besitzt, während Ejorte und Roux das Gegentheil
behaupten. Ich muss mich der Meinung letzterer Autoren
anschliessen, da in der Mehrzahl der Fälle der Wurmfortsatz
allseitig mit Peritoneum ausgekleidet war; im Alter von 1
bis 14 Jahren (76 Leichen) fand ich ihn nicht ein einziges
Mal frei vom Peritoneum, in jüngerem Alter unbedeckt nur
in einzelnen Fällen und zwar an seiner Spitze. Gewöhnlich
befand sich der Anfangstheil des Wurmfortsatzes an der
inneren Fläche des Goecums, etwas unterhalb der Einmündungs-
stelle des Ileums, von hier aus erstreckte er sich nach oben
und aussen hinter dem Dünndarm und legte sich an die hin-
tere Fläche des Colon ascendens^); unter 76 Fällen wurde
diese Lage in 56 Leichen gefunden, wobei in einem Falle
der Processes vermicularis gestreckt und fest an der hin-
teren Wand des allseitig mit Peritoneum ausgekleideten Colon
ascendens fixirt war. In den übrigen Fällen verlief der Wurm-
fortsatz dreimal nach innen unten hinter der Harnblase ins
grosse und sogar ins kleine Becken; viermal 1^ er auf der
Vorderfläche des Blinddarms, nach oben und aussen verlau-
fend, und endlich in 13 Fällen (wobei die oben erwähnten
anomalen Lagen des Goecums und Colon ascendens beob-
achtet wurden) befand sich der Wurmfortsatz entsprechend
den Lageveränderungen des Colons: in Fällen von einfacher
Umbiegung des aufsteigenden Schenkels verlief er entweder
auf der hinteren Fläche des Goecums nach unten und aussen
oder, wie ich es in einem Falle beobachtet habe, nach oben
und aussen zum rechten Hypochondrium; war das Coecum
nach dem linken Hypochondrium verlagert, so zeigte der
Wurmfortsatz solch eine Lage, dass er bei Zurücklagerung
des Goecums in die Fossa iliaca dextra die gewöhnliche
Richtung nach oben, hinten und aussen hinter dem Dünn-
darm auf der Hinterfläche des Colon ascendens einnehmen
würde.
1) Professor Tarenetzki fand unter 100 Leichen verschiedenen
Alters in 7, aller Fälle den Wurmfortsatz statt mit seinem Ende frei
nach unten hängend, mit seinem ganzen Körper nach oben verlaufend,
wobei er mit der hintern Wand des Goecums und Colon ascendens
mehr oder weniger verwächst (Wratsoh 1883 p. 364). Auch Turner
schliesst sich auf Grund seiner Beobachtungen der Ansicht von Yel-
peau, Luschka, Gruveillier, Henle und Tarenetzki an, dass
die Lage des Wurmfortsatzes im kleinen Becken die typische sei. Da-
gegen hält Steiner solch eine Lage nur bei Erwachsenen für typisch,
bei Kindern liege der Wurmfortsa^ normal in der Fossa iliaca.
216 D- Saokolow:
Noch einige Worte über den Anfang des Processus yermi-
cularis. Bei älteren Kindern (d. b. älter als 1 Jahr) beginnt
er fast immer seitlich , von der inneren Fläche des Blind*
darms, was jedoch bei Kindern unter einem Jahre nicht zn-
trifft; hier beginnt er sehr häufig am Boden des Coecums,
und je jünger das Kind ist, um so häufiger wird dies beob-
achtet. Von 120 Coecumpräparaten, die ich im Findelhause
gesammelt habe, befand sich der Anfang des Wurmfortsatzes
38 mal am Boden, 4 mal an der hinteren Fläche des Blind-
darms. Bei näherer Betrachtung des Wurmfortsatzes auf
frischen und getrockneten Präparaten gelangte ich zu der-
selben Ueberzeugung, welche schon von Steiner, Tarenetzki
und Turner ausgesprochen worden war, dass eine Gerlach-
sehe Klappe im eigentlichen Sinne des Wortes nicht existire.
An Trockenpräparaten sehen wir freilich meist eine Erhebung
am oberen Halbkreise der Mündung, jedoch ist dies haupt-
sächlich durch den schrägen Verlauf des Wurmfortsatzes nach
oben bedingt, werden jedoch der Blinddarm und der Wurm-
fortsatz vom Peritoneum getrennt, darauf mit Luft aufgebläht
und erst dann getrocknet, so findet man keine Falte an der
Mündung des Wurmfortsatzes, dieselbe ist ganz offen. In
einigen wenigen Fällen bleibt doch noch eine kleine Falte
am Rande der Mündung bestehen, doch nimmt diese Falte
durchaus nicht den ganzen Umkreis ein, vielmehr nur einen
kleinen Theil desselben, dabei ist ihre Lage so beschaffen,
dass sie durchaus nicht irgend ein Hinderniss für den Aus-
tritt aus dem Processus yermicularis bieten kann, dagegen
kann sie wohl den Eintritt in den Fortsatz verhindern, was
noch unterstützt wird dadurch, dass der Wurmfortsatz häufig
unter einem Winkel nach oben verläuft: bei Erhöhung des
Druckes im Coecum kann dessen Wand den Wurmfortsatz
platt drücken, sodass er sein Lumen einbüsst. Dieser Schluss
widerspricht der Meinung von Tarenetzki, welcher Fol-
gendes behauptet (1. c): „Wird das Coecum bei gewöhn-
licher hängender Lage des Wurmfortsatzes mit Wasser oder
Luft gefüllt, so ist ein beträchtlicher Druck zum Uebertreten
des Coecalinhaltes in den Fortsatz nothwendig. Verläuft
jedoch der Wurmfortsatz nach oben, hinter dem Coecum, so
kann schon bei ganz geringem Druck der Inhalt in den Pro-
cessus vermicularis eintreten, da bei solch einer Lage des
letzteren der Blinddarm gewöhnlich mangelhaft entwickelt ist
und häufig nur ein trichterförmiges Ansatzstück des Fort-
satzes darstellt Solch einen trichterförmigen Abschnitt des
Wurmfortsatzes fand ich gewöhnlich in denjenigen Fällen, wo
der Processus vermicularis am Boden des Coecums entsprang;
sonst aber fand ich ihn nur sehr selten, trotz der früher er-
Zur Frage über die Anwendung hoher Clyamen bei Kindern. 217
wähnten Häufigkeit des Verlaufes des Processus yermicularis
nach oben hinter dem Coecum.
Nun noch Einiges über die Messungen des Processus
▼ermicularis. Im Ganzen wurden von mir 255 Messungen
ausgeführt, von diesen kommen 200 auf das erste Lebens-
jahr (113 bis zu einem Monat, 36 yon 1 — 2 Monaten^ 51
Ton 2 Monaten bis zu einem Jahre), die übrigen betrafen
Kinder von 1 — 14 Jahren. Bei den kleinen Kindern betrug
das Minimum der Länge 2,2 cm, das Maximum 9,4 cm, im
Durchschnitte 5,44 cm *bei einer mittleren Körperlänge von
46,5 cm. Bei den älteren Kindern war das Minimum 4,8 cm,
Maximum 13 cm, im Durchschnitte 7,95 cm bei einer mitt-
leren KSrperlänge von 82 cm. Wie wir sehen, nimmt die
absolute Grosse des Wurmfortsatzes mit dem Alter zu, je-
doch nicht im Verhältnisse zum Körperwachsthum, denn im
ersten Lebensjahre nimmt der Wurmfortsatz % der Körper-
länge ein, während er in späteren Jahren nur etwa V,o der
Korperlänge betrifiFt. Im weiteren Wachsthum des Körpers
nimmt, wie wir aus den Zahlen von Tarenetzki (8,6 cm)
und Turner (9 cm) ersehen, das Yerhältniss der Länge des
Wurmfortsatzes zur Körperlänge noch mehr ab — 1 : 18 bis
1 : 20. Fast dasselbe ist über die Breite des Fortsatzes aus-
zusagen: bei Kindern bis zu einem Jahre fand ich das
Maximum 0,6 cm, das Minimum 0,2 cm, im Durchschnitte
0,36 cm; bei älteren Kindern das Maximum 0,6 cm, das
Minimum 0,15 cm, im Durchschnitte 0,43 cm; bei ganz kleinen
Kindern betragt somit das Yerhältniss der Breite zur Länge
des Wurmfortsatzes 1 : 15, bei älteren Sandern 1 : 18 (nach
Turner betrifft bei Kindern bis zu einem Jahre die Breite
[0,2—0,5] ViQ der Länge des Wurmfortsatzes). Vergleichen
wir diese Zahlen mit den von Tarenetzky und Turner
fttr Erwachsene eruirten, so müssen wir uns der Ansicht
dieser Autoren von der progressiven Atrophie des Wurm-
fortsatzes anschliessen: diese beginnt zu 20 Jahren, wo die
Breite 0,7 cm betrifll, zu 50 Jahren ist dann die Breite des
Processus vermicularis zuweilen noch geringer als bei Neu-
geborenen, darauf beruht auch wahrscheinlich die Thatsache,
dass im reiferen Alter Perityphlitis seltener auftritt. Nach
Tarenetzki fällt das Maximum der Länge des Wurmfort-
satzes auf das 13. Jahr, von dieser Zeit an vermindert sich
die Länge im Verhältnisse zur Körperlänge. Das Gegentheil
beobachten wir beim Coecum. Sein Umfang und seine
Länge nehmen bis ins hohe Alter zu, zuweilen sogar so,
dass der ganze Blinddarm aus der Fossa iliaca ins kleine
Becken tritt. Schon Herlin betonte 1768 dieses verschie-
f'/rt***j5^j* t-r.d a/-f GiTiJid dewen er^lirt «r ösa Warmfort'
i^U u.k\.\ i^if *i'/*rH!'^BiIg, %or.c*tTi iaa G€««2ii*£l for emen
^ .f<.r.:ii'^« D/>fr,wi(rrj':ig#rDy merkw^rdigfA Mech&idfsi^is^ Die im
(,^/*rfMfn ii^eod^m l^Malien mausen, cm ins Ccl:ii zn gelangen,
'J'ff r^hfrer* ^mt^egen nach oben steigen, wobei die moto*
nH4.\tH Kraft auf «ie tettlicb einwirkt: hieraus folge, dass ein
7>j«il d^r Faealien auf den Boden des Blinddmnns zorQck-
fall^ tniUne, wo sie den Cnterstutzongspunkt finden. Offen*
(/ar m^Utui der Boden des Coecums dadurch Terlängert ond
arißttuUiri werden , er wQrde aaeh bald Terdünnt^ ond endlich
durchbohrt werden, wenn die Natur nicht dadurch Abhilfe
K<;M^:haffen hätte, dass sie ein Anhängsel schuf, das dem
drucke nai;hgiebt, selbst yersch windet und dadurch den Blind-
darm y«;rgr5ssert. Wenn der Wurmfortsatz nicht am Boden
di$s (UmcutUH entspringt, so ist er gewöhnlich länger, als
Wf*nn er dircct rom Boden ausgeht, und je länger er ist, um
HO dünner sind die Wände des Coecums.^) Eine solche Er-
klilrung int natürlich schon deshalb probabel, weil dadurch
die Meinung von der völligen Nutzlosigkeit des Wurmfort-
satzes wegilillt; jedoch muss man dagegen einwenden, dass
dor Wurmfortsatz nur eine relative Abnahme mit dem Alter
xoigt; keine absolute« Ausserdem konnte ich in meinen Präpa-
raten keinen solchen Einfiuss der Lage des Wurmfortsatzes
auf seine Länge und auf die Länge des Blinddarms Con-
sta tiren.
Ich will hier nicht näher die Pathologie des Wurmfort-
Hai'/os berühren, die von Turner und Tschernow sorgfältig
bearbeitet worden ist, möchte nur zum Schluss die von mir
im vorigen Jahre beobachteten Fälle erwähnen. Balz er sagt
in seiner oben citirten Arbeit, dass die Erkrankungen an
Perityphlitis gewöhnlich serienweise zur Beobachtung gelangen,
einige Fülle hintereinander, dann kommen wieder Jahre lang
keine Fälle vor. Das ist natürlich nur ein Zufall; aber auch
während meiner vierjährigen Thätigkeit am Elisabeth -Kinder-
hospitale und auch früher im Findelhause, kam mir nicht
ein eiu&iger Fall von acuter Perityphlitis zur Beobachtung.^)
Hei Sectiouen fand ich zuweilen pathologische Veränderungen
im Wurmfortsatz, doch waren dieselben tuberculoser Natur,
O Horlin, Jounial de m^eoine, Chirurgie, pharmacie etc. 1786,
\\l\, iVu^Vrw p. Säl.
^^ hu K>.«abetb*Kinderho»piUl kamen frah«'r in den Jakren 1868
In* lS5>i^ T KiUle Yv^n IVritvphUtis rur Hooba^htunp, von diesen ging
ovuor an IVriorAtion dv^i \V-.iruit'ori*At;es i;i i*nirUt\ ein anderer Faß
tAhrto ^um AS-c<**^. *;or Jurxh don Nalvl n^ch *r.<*en perforirte und
vm4 d.4naK'h Au>UoiUe.
Zur Frage über die Anwendung hoher GIjsmen bei Kindern. 219
entweder waren beginnende Ulcerationen nachweisbar oder es
war schon zu umgrenzter Peritonitis und localen Adhäsionen
gekommen y oder aber es bestand bereits allgemeine tuber*
culoce Peritonitis. Dagegen sind mir im vorigen Jahre in
der Priyatpraxis 2 Falle von Perityphlitis zur Beobachtung
gelangt, von denen einer radch zum Tode führte, der andere
ausheilte. Leider wurde im ersten Falle die Section ver-
weigert, die wohl sehr interessant gewesen wäre, da der
Exitus letalis ausserordentlich rasch eintrat (zunächst locale
Peritonitis in der Fossa iliaca und dann allgemeine).
Ein fün^ähriger Knabe, Sohn intelligenter and reicher Eltern, er-
krankt plötzlich an heftigen Schmerzen in der rechten Lendengegend;
trotz anfönglich angewandter Abführmittel und späterer Narcotica brei-
teten sich die Schmerzen aaf den ganzen Leib aus; schon am dritten
Krankheitstage starb der Knabe. Nach Angaben der Matter fnnc-
tionirte der Darm bis zum Tage der Erkrankung ganz normal, auch
soll die Nahnmg eine leichte gewesen sein. Einige Tage vor der Er-
krankung bemerkte die Mutter, dass der Knabe einige kleine Steinchen
im Munde hielt, dieselben wurden sofort entfernt; es ist nun doch sehr
möglich, dass em Steinchen verschluckt worden war, möglicherweise
gelangte es in den Wurmfortsatz und führte zur Perforation.
In dem anderen Falle, einem achtjährigen Knaben, begann die Er-
krankung mit leichter Stuhlverstopfung ; nach leichten Abführmitteln
trat Stuhlgang ein; doch stellten »ich bald Schmerzen und Spannung
in der rechten Lendengegend ein. Die Schmerzen verstärkten sich bald,
nachdem einige Löffel einer Mandelemulsion mit Belladonnaeztract
verabreicht worden waren, sie verbreiteten sich auch nach links; es
traten Auftreibung des Leibes und Erbrechen ein, Pulsverlangsamnng,
Temperatursteigerung etc. Die Schmerzen wurden so arg, dass der
Knabe unaufhörlich Tag und Nacht schrie, trotzdem, dass eine Eis-
blase auf den Leib gelegt und Opiumtinctur (6 Tropfen vierstündlich)
verabreicht worden war Am dritten Krankheitstage wurde ein hohes
Clysma applicirt, es wurden grosse Mengen stark stinkender Fäcalien
entleert, wonach die Schmerzen sofort nachliessen und der Junge sich
bald erholte.
Wir müssen nun annehmen, dass es sich im ersten Falle
um Perforation oder Nekrose des Wurmfortsatzes gehandelt
habe, im anderen Falle gelangten wohl Fäcalien in den Pro-
cessus vermicularis hinein und führten eine starke Reizung
herbei; durch das hohe Cly stier wurden dieselben entfernt,
wonach der entzündliche Process rückgängig wurde. In diesem
Falle hat die Wassereingiessung einen eclatanten Erfolg ge-
habt, und ich glaube, dass man diese Therapie bei solchen
Erkrankungen besonders empfehlen kann. Natürlich muss die
Wassereingiessung sehr vorsichtig ausgeführt werden, es darf
kein hoher Druck angewandt werden, auch muss zuvor der
Darm durch Narcotica ruhig gestellt werden. Ist der Darm
atonisch, sind keine Hindernisse für das Einfliessen der Flüssig-
keit im Wege, etwa in Folge häufiger Darmcontractionen, so
220 ^' Ssokolow: Anwendang hoher Clysmen bm Kindern.
wird die Flüssigkeit bei geringem Druck viel weiter eia-
fliessen und Yiel langer im Darm zurückgehalten werden
k&nnen; sie kann dann sowohl auf die ^ankheitsursacBe,
als auch auf die Folgen einwirken, d. h. sie erweicht die
Fäcalien und wirkt gleichzeitig auf die entzündete Wand des
Darms und des Wurmfortsatzes ein.
Wir gelangen somit zum Resultate, dass die Clysmen
im Eindesalter eine äusserst zweckmassige Behandlungsmethode
darstellen; sie sollen nicht nur bei allen Erkrankungen des
Dickdarms Verwendung finden, sondern auch bei Affectionen
des Dünndarms, namentlich bei der Cholera infantum, die ja
für das kindliche Alter äusserst deletär ist
r
X.
Arbeiten aas der pädiatriscben Klinik zn Leipzig.
I, ITeber die iLiwendimg des HeüBenimB bei der Diphtherie.
Vortrag gebalten auf dem XI. interDationalen Congress za Born
in der Section für Kinderheilkunde. ^
Von
0. Heü^ner.
Es ist Ihnen bekannt, meine Herren, dass seit drei Jahren
ein neuer therapeutischer Gedanke zur Bekämpfung einiger
Infectionskrankheiten aufgetaucht ist. Derselbe stammt von
Behring und erwuchs auf dem nämlichen Boden, welchen
Pasten r und Koch durch ihre grossen Entdeckungen und
ihre neuen Heilversuche bereits erschlossen hatten. Er be-
ruhte auf der von dem erstgenannten Forscher entdeckten
Thatsache, dass das Blutserum von Thieren, welche gegen
ein bestimmtes Krankheitsgift künstlich unempfänglich ge-
macht worden waren, eine ganz specifische Heilkraft besass.
Dasselbe vermochte nämlich , anderen Thieren einverleibt,
diese nicht nur auch unempfänglich gegen die nämliche In^
fection zu machen, sondern sogar die schon ausgebrochene
Krankheit zu heilen.
Anmerkung. Obwohl die in der obigen Abhandlung nieder-
gelegten Beobachtungen mit einem weit weniger krSjftigen Heüsemm
angesteUt worden sind, als jetzt (im Frühjahr 1894) von den Herren
Professor Behring nnd Professor Ehrlich gewonnen wird, nnd ob-
wohl die von mir erhaltenen Resultate von den mit dem wirksameren
Semm ersielten erbeblich übertroffen zu werden scheinen, mOchte
doch die Mittheilnng meiner Erfahrungen nicht ganz überflüssig sein,
insofern, als sie zn einem Vergleiche mit den folgenden Veröffent-
lichnngen über die Frage benntäar sind und als die zur Elarlegung
der Tnatsachen benutzte Methode wohl als einwurfsfrei betrachtet
werden darf.
222 O. Heubner:
Insbesondere gelang es Behring, ein solches Heilserum
gegen die Diphtherie der Thiere zu gewinnen, d.h. gegen
diejenige todtliche Krankheit, welche z. B. bei Meerschwein-
chen durch das Einimpfen von Reinculturen der Diphtherie-
bacillen hervorgerufen werden konnte. Die von ihm gelie-
ferten experimentellen Unterlagen für die eben behauptete
Thatsache sind so einwurfsfrei, dass man diese als feststehend
bezeichnen kann. Die Diphtheriebacillenkrankheit der Meer-
schweinchen wird selbst in ziemlich vorgeschrittenem Stadium
durch das Behring'sche Heilserum geheilt, während sie ohne
therapeutisehen Eingriff unfehlbar todtlich verläuft. Die 6r5sse
der Dosis Heilserum, welche zur Erzielung des Heilerfolges
nothig ist, richtet sich nach dem Grade der Immunität, welche
dem das Heilserum liefernden grösseren Thiere (Schafe z. B.)
durch Einimpfung immer stärker virulenter Diphtheriebacillen-
culturen beigebracht worden ist.
Diese Versuche erweckten die Hoffnung, dass es viel-
leicht möglich werden würde, auf gleichem Wege auch die
Diphtherie des Menschen in ihrem Verlaufe zu beeinflussen,
wenn nicht gar zu heilen. Um zu einem solchen Schlüsse
zu gelangen, war freilich vor Allem der Vordersatz anzu-
erkennen, dass die Diphtheriebacillenkrankheit des Thieres
im Wesen mit der Krankheit des Menschen, insbesondere
der Kinderwelt, die wir Diphtherie nennen, identisch ist.
Es mag wohl noch Äerzte geben, denen dieser Satz noch
nicht genügend bewiesen erscheint. Aber auch dieses zu-
gegeben, war noch immer fraglich, ob der menschliche Or-
ganismus, nachdem er der Diphtherieinfection verfallen, in der
gleichen Weise würde zu beeinflussen sein, wie derjenige
eines kleinen Säugethieres. Hierüber konnte nur der thera-
peutische Versuch entscheiden. Ehe aber zu einem solchen
geschritten werden durfte, war vorher mindestens die Frage
zu erledigen, ob die Einverleibung von B e h r i n g'schem
Diphtherieheilserum beim Menschen in keiner Weise eine
schädliche Nebenwirkung haben könnte. Diese Frage war
von Behring^), dem sich später Henoch') anschloss, in be-
jahendem Sinne entschieden. Nunmehr hielt ich es nicht nur
für erlaubt, sondern sogar für meine Pflicht, einer Krank-
heit gegenüber, welche in meiner Heimath Leipzig mit be-
sonderer Bösartigkeit aufzutreten pflegt und gegen welche
alle unsere sonstigen Maassnahmen als erfolglos oder min-
destens von höchst zweifelhaftem Werthe sich erwiesen haben,
1) Die praktischen Ziele der Blutserumtherapie I. Leipng. Thieme
1892. S. 7 u. 8.
2) Deutsche med. Wochenschrifb 1898. Nr. 2. S. 41.
üeber die Anwendnng des HeilBernms bei der Diphtherie. 223
versuchsweise eise Heilmethode anzuwesden^ welche jedenfalls
aus dem Boden gewissenhafter^ ernster wissenschaftlicher For-
schung herausgewachsen war.
Ich wandte mich zu diesem Zwecke im Juli 1892 mit
der Bitte an Herrn Professor Behring, mir, wenn möglich,
Proben seines Heilserums zur Anwendung bei diphtheriekranken
Kindern zu überlassen. Herr Behring war so gütig, mir
vom November 1892 an bis Anfang Juni 1893 von Zeit zu
Zeit grossere Quantitäten seines Heilserums zu übersenden,
wofür ich ihm auch an dieser Stelle meinen aufrichtigsten
Dank ausspreche.
Die anfänglich gesendeten Sorten des Serums waren nach
dem von Behring für jede Probe angestellten Thierexperi-
mente noch nicht von der gleichen Heilkraft wie die späteren.
Zu der Zeit, in welche meine Beobachtungen fallen, drückte
der genannte Forscher den Heilwerth eines Serums in Zahlen
ans, welche dadurch gewonnen wurden, dass an einzelnen
der todtlichen Diphtheriebacilleninfection, später der gleich-
namigen Intoxication ausgesetzten Thieren experimen-
tell festgestellt wird, wie gross im Yerhältniss zum Ge-
wicht des Thieres die Menge Serum sein muss, um jene
todtliche Erkrankung zu heilen. Also der Heilwerth 1 : 1000
eines Serums bedeutete, dass, um eine (möglichst frische)
Diphtherieinfection zu heilen, man soviel Bruchtheile oder
Vielfache eines Gramme s des Heilserums einverleiben musste,
als der betreffende Organismus Bruchtheile oder Vielfache eines
Kilos wog.
Der Heilwerth des anfänglich gesendeten Serums betrug
nach Behring 1 : 500, war also relativ niedrig. Die Ein-
verleibung musste in nicht langem Zeiträume (binnen 24 bis
36 Stunden) geschehen; es waren also innerhalb dieses Zeit-
raumes bei einem 10 Kilo wiegenden Kinde 20 Gramm, bei
einem 20 Kilo schweren 40 Gramm (oder Cubikcentimeter)
des gedachten Serums einzuverleiben. Später, vom Januar
ab, bekamen wir Serum vom doppelten Werthe und zeit-
weilig auch von noch höherem.
Trotzdem, dass wir so sparsam wie möglich mit dem
Serum umgingen und auch die kleinsten Reste zu verwerthen
suchten, gelang es doch nicht, alle während der Periode
der Serumsendungen aufgenommenen Kranken der specifischen
Behandlung theilhaft zu machen, weil eben die verfügbaren
Quantitäten nicht ausreichten. Es wurden aber natürlich
immer diejenigen Fälle zur Behandlung ausgesucht, die uns
die schlechtere Prognose zu geben schienen, während die
leichteren Fälle ausgelassen wurden. Auch kam es öfter
während der Monate November 1892 bis Juni 1893 vor, dass
224 0. Henbner:
eine oder auch mehrere Wochen dazwischen fielen, wo kein
Serum vorhanden war, wir also die Fälle wie frQher behan-
deln mussten. — *Je nachdem man nun blos die Serumfalle
oder alle während der Perioden, wo uns Heilserum zur Ver-
fügung stand, beobachteten Fälle oder endlich die Gesammt-
zahl aller vom November 1892 bis Juni 1893 aufgenommenen
Diphtheriekranken stiitistisch zu analjsiren sucht, wird das
Resultat verschieden aussehen.
Die klarste Antwort auf die Frage, ob in meinem Wir-
kungskreis das Behring'sche Heilserum einen wesentlichen
Einfluss auf den Verlauf der Krankheit gehabt habe, würde
wohl aus einer genauen Analyse jedes einzelnen Falles sich
ergeben. Es würde dann jeder Fall auf Grund von sorg-
faltigst aufgenommener Anamnese und Status praesens mit
Berücksichtigung des Alters, der Krankheitsdauer u. s. w. in
dem Momente zu schildern sein, in welchem er sich .bei Be-
ginn der Heilserumbehandlung befand; es würde aus allen zu
dieser Zeit vorhandenen Merkmalen eine Prognose zu formu-
liren sein, wie sie auf Grund früherer Erfahrungen für den
vorliegenden Fall sich ergäbe, und sodann zu fragen sein, ist
die Prognose durch den Verlauf bestätigt oder nicht bestätigt
worden. Wir haben in dieser Weise in der That zur Zeit
der Serumbehandlung jeden einzelnen Fall analysirt und haben
ganz entschieden eine Reihe von Fällen beobachtet, bei denen
wir uns zur Stellung einer schlechten Prognose auf Grund
der bisherigen Erfahrungen berechtigt glaubten, wo es aber
unter der Anwendung des Heilserums eutgegen unserer Er-
wartung zu einem günstigen Ausgange kam.
Abgesehen aber davon, dass diese Art der Betrachtung
sich zum Mindesten nicht für einen kürzeren Vortrag eignen
würde, steht ihr noch besonders der umstand hinderlich im
Wege, dass auch der erfahrenste Arzt gerade in Beziehung
auf die Prognose der diphtherischen Einzelerkrankung durch-
aus nicht unfehlbar ist, mit anderen Worten, dass ein auch
aus der sorgfältigsten Analyse hervorgehendos Urtheil über
den muthmaasslichen Ablauf der Krankheit keinen sicheren
Maassstab für den Werth einer Heilmethode darbietet Ich
muss also auf diese Form der Einzelbetrachtung verzichten,
werde Ihnen aber nachher wenigstens für die Serumperiode
einen Ueberblick über unsere Beurtheilung der Einzelfälle
im Vergleich zu den erlangten Resultaten geben.
Somit bin ich also in der Hauptsache auf die einfache
statistische Methode angewiesen. Diese aber hat^ wie ich gar
nicht verkennen will, immer ihr Missliches, so lange es sich
nicht um sehr grosse Zahlen handelt. • Und so möchte ich
denn überhaupt meine Mittheilung keineswegs als eine solche
Ueber die Anwendung des Heilsemma bei der Diphtherie 225
betrachten, die ein entscheidendes Urtheil über den Werth
des bisher dargestellten Diphtherieheilserums sprechen dürfte.
Vielmehr wünsche ich lediglich , Ihnen über unsere Erfolge
in Zahlen zu referiren, meine persönlich gewonnene Meinung
darüber auszusprechen und Material zu liefern, welches mit
dem von Behring u. Ä. gewonnenen zusammen zu einer
grosseren Statistik sich verwerthen lässt.
Wie schon oben hervorgehoben, war die Heilserumbehand-
lang der Diphtherie in unserem Erankenhause nur eine epi-
sodische, weil wir nur bis zum Juni 1893 durch die Güte
des Herrn Professors Behring mit dem Mittel versorgt
werden konnten. Von da an brauchte Behring das von ihm
bereitete Serum selbst vollständig zu anderen Zwecken und
wir mussten wieder zur früheren Behandlungsweise zurück-
kehren. Für eine vergleichende Beurtheilung gerade
dieser Episode war aber dieser Umstand von Werth. Da
ich nämlich in dem Ende 1891 eröffneten Einderkraukenhaus
schon vor der genannten Periode eine grosse Zahl von
diphtheriekranken Kindern behandelt hatte und nach der-
selben wieder (von Juni bis Ende December 1893) ungefähr die
gleiche Zahl wie in dem ersten Jahre zugeführt wurden, so
ergeben sich drei hintereinander liegende Beobach-
tangszeiten, deren mittlere durch die Anwendung des
Heilserums charakterisirt war.
Es wurden nämlich behandelt:
vom 6. Xn. 1891 bis Mitte XI. 1892 = 113 Fälle ohne,
von Mitte XL 1892 bis Anfang VI. 1893 = 129 Fälle
(davon 79 mit Heilserum),
von Anfang VI. 1893 bis Ende XII. 1893 = 118 Fälle
ohne Heilserum.
Wir wollen nun diese drei Perioden mit den Ziffern I,
II, UI bezeichnen und unter verschiedenen Gesichtspunkten
mit einander vergleichen. Die Zahl II bedeutet hier also stets
die Heilserumsperiode.
Stellen wir zunächst einmal die Zahlen der drei Perioden
ganz roh, in Bezug auf ihre Mortalität nebeneinander, so er-
giebt sich folgendes Resultat:
Tabelle I.
Periode aufgenommen gestorben MoriAÜtät
I 113 73 6M%
II 129 55 48,6%
III 118 54 4ß,7%.
Diese Zahlen besagen zunächst ganz allgemein, dass die
Heilserumperiode in Bezug auf ihren Charakter die mildeste
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. XXXVTn. 1 5
226 0. Heubner:
and günstigste der gesammten Beobachtungszeit war. Wie
ich schon früher mehrfach hervorhob, besitzt die Diphtherie
in Leipzig einen durchschnittlich bösartigeren Charakter, als
an vielen anderen Orten, was ja schon aus der absoluten
Höhe der obigen Mortalitäten hervorgeht. Ein ganz gewal-
tiger Abfall findet aber hier zwischen den Perioden I und II
statt, während in der dritten die MortaliiSt annähernd nicht
wieder zu der früheren Hohe emporschnellt.
Ehe wir hierauf weiter eingehen, ist es aber doch nothig,
die drei Perioden noch etwas detaillirter zu betrachten.
Wir hatten nämlich auch während der Heilserum-
periode nicht Serum im Ueberfluss, sondern zu wenig; es
kamen wochenlange Zeiträume vor, wo uns kein Serum ge-
liefert werden konnte. Es konnten nur 79 Fälle in Behand-
lung genommen werden, während 50 ausser Behandlung blieben.
Nun leuchtet es ein, dass — die Wirksamkeit des Heilserums
vorausgesetzt — von den nicht behandelten 50 Fällen viel-
leicht noch eine gewisse Zahl genesen, statt gestorben wären,
wenn sie specifisch hätten behandelt werden können.
Also wird die Mortalität der zweiten Periode, wenn man
alle Fälle mitrechnet, möglicherweise ungerechter Weise
erhöht.
Ferner wurde auch in den Zeiträumen, wo das Heilserum
zur Verfügung stand, doch nicht jeder Fall injicirt, sondern
aus Mangel an genügend reichlichem Stoffe wurden nur die
Fälle specifisch behandelt, die uns die schwereren schienen.
Es müssen also, um ein ganz klares Bild zu erhalten, eigent-
lich auch aus Periode I und III die leichteren Fälle ab-
getrennt werden. Letzteres ist aber nicht wohl thunlich, da
es hier immerhin sehr schwer ist eine genaue Grenze zu ziehen.
Jedenfalls aber ist ein Vergleich der eigentlichen Heil-
serumzeiten während der Periode II mit den Perioden I und
III möglich. Es kamen nämlich während der Zeiträume, wo
wir Serum in den Händen hatten, im Ganzen 96 Fälle zur
Beobachtung (von welchen 17 leichte nicht injicirt wurden).
Wir ziehen nun zum Vergleiche mit diesen 96 Fällen die un-
mittelbar vorausgegangenen 96 Fälle der Periode I und die
unmittelbar folgenden 96 Fälle der Periode III heran und
gewinnen folgende
Tabelle IL
Periode aufgenommen gestorben Mortalität
I (16.1.— 15.XI.92) 96 60 62,5%
II (16.XI.92— 6. VI. 98) 96 37 88,5%
III (6.VI.-4.XII.98) 96 47 49,0%.
Es wird bei dieser Zusammenstellung das Resultat ein
für die Heilserumperiode noch erheblich günstigeres.
üeber die Anwendung dee Heilserams bei der Diphtherie. 227
Vergleichen wir jetzt die drei Perioden zunächst, wenn
ich mich so ausdrücken darf, brutto in Bezug auf die Zahl
der YorgenommeDen Operationen und die Mortalität der letz-
teren und hernach wieder unter Zusammenstellung der je
96 Fälle, so ergiebt sich folgendes Resultat:
Periode
I
II
III
Periode
1
II
m
Tabelle III.
aa^en. operirt in % d. Aufg.
113 67 (Traoh.) 60,4%
129 52 (Intnb.) 40,3%
118 66 (Intnb.) 66,9%
Tabelle IV.
aafgen.
96
96
96
operirt
42 (Trach.)
44 (Intnb.)
64 (Intnb.)
in % d. Aufg.
43,7%
46,7%
66,2%
Mortalität d. Operirten
- 87,7%
= 69,2%
« 63,7%.
Mortalität
= 88%
= 68,1%
= 63,3%.
Man ersieht aus diesen beiden Tabellen, dass die Heil-
serumperiode ohne Einfluss auf die Zahl der nothig gewor-
denen Operationen gewesen ist. Das ist auch gar nicht zu
verwundern^ denn fast alle Kinder, bei denen die Operation
(Intubation in unserem Erankenhause) nothwendig ist, kommen
bereits im Zustande der Kehlkopfstenose ins Haus, der Procent-
satz der erst im Hause stenotisch werdenden Kinder ist ein
sehr geringer. Bei uns aber ist die absolute Anzahl der
behufs Operation ins Haus gesendeten Kinder in den drei
Perioden überhaupt gewachsen.
Aber auch die Mortalität der Operirten ist, wie es
scheint, durch das Heilserum nicht beeinflusst worden; aller-
dings erfolgte von der ersten Periode zur zweiten eine ganz«
bedeutende Besserung derselben. Würde man also nur diese
beiden Zeiträume vor sich haben, so würde man sehr geneigt
sein, dieses günstige Resultat auf Rechnung des Heilserums
zu schieben. Aber die Periode IH, wo wir dieses Heilmittels
nicht theilhaftig waren, belehrt uns eines Besseren: in dieser
wird die Mortalität eine noch günstigere I Man muss für diese
letzte Periode — verglichen mit der ersten — also einen ent-
schieden milderen Charakter der Epidemie, eine Veränderung
des Genius epidemicus voraussetzen; und es beweist also diese
Erfahrung wieder einmal recht schlagend, wie äusserst vor-
sichtig man in der Beurtheilung von Heilmitteln der Diphtherie
verfahren muss. Denn wenn die Periode HI, bei nicht wesent-
lich anderer Behandlung als die Periode I, also in Folge einer
Aenderung des Krankheitscharakters soviel milder sich ge-
staltete, so entsteht nun die Frage, ob nicht die gleiche
Aenderung des Krankheitscharakters auch das günstigere Ver-
ls*
228 0. Heubner:
halten der Periode II bedingt hat. In letzterem Falle würde
also die Heilserumbehandlang als irreleTant für den Krankheits-
▼erlauf angesehen werden müssen.
Um nun der Losung dieser Frage etwas näher zu kommen,
bieten glücklicher Weise gerade unsere Leipziger Verhältnisse
eine ffeeigneie Handhabe. Aus denselben Bevolkerungsklassen
und den nämlichen Wohnstätten wie in das Einderkranken-
haus werden auch eine grosse Zahl schwerer, rasche Operation
erheischender Fälle in die chirurgische Klinik des städtischen
Krankenhauses aufgenommen. Dort aber war zu keiner Zeit
Heilserum bei der Erankenbehandlung der Diphtheriekinder
in Anwendung gekommen. Es war nun von grosstem Inter-
eiise, die dortigen Resultate zum Vergleiche herbeizuziehen.
Herr Geheimrath Thiersch hat die grosse Liebenswürdig-
keit gehabt, mir hierüber durch seinen Assistenten Herrn
Dr. Meyh die erbetenen Mittheilungen zukommen zu lassen.
Beiden Herren spreche ich dafür meinen yerbindlichsten
Dank aus.
Die Sache stellte sich also im Jakobshospitale folgender-
maassen, wobei die Zahlen I, II, III wieder die nämlichen
Zeitperioden wie bei den früheren Tabellen bezeichnen (1. De-
cember 1891 bis November 1892; Mitte November 1892 bis
1. Juni 1893; 1. Juni bis 1. December 1893).
Tabelle V.
Tracheotomien Mortalität
I
II
111
128 71,09
69 66,22
68 64,16.
Wenn auch die Amplitude der Zahlen im Kinderkranken-
hause eine grössere ist^ als auf der chirurgischen Klinik, so
zeigt sich doch in beiden Statistiken insofern eine auf-
fallende Uebereinstimmung^ als der Abfall der Morta-
lität der Diphtheriefälle mit Larynxstenose von der Periode I
zur Periode II ein sehr viel grösserer ist, als derjenige
von Periode II auf IIL
Dieses sehr interessante Verhalten spricht doch mit mehr
als blosser Wahrscheinlichkeit dafür, dass wir hier einen
deutlichen Ausdruck einer Aenderung des Erankheits-
Charakters vor uns haben. Die Diphtherie in Leipzig ist
ganz offenbar gerade in jener Epoche, wo wir das Behring-
sehe Heilserum zur Verfügung hatten, durch unbekannte
Momente eine mildere geworden, als in der vorhergegan-
genen Periode. Es würden also, das muss unbedingt zuge-
geben werden, auch ohne jene neu hinzukommende Behand-
üeber die AnwoDdung des Heilserums bei der Diphtherie. 229
lung unsere Resultate in der Periode 11 unzweifelhaft besser
gewesen sein, als in Periode I.
Sehen wir uns aber nunmehr, mit besserem Verständniss
über den ursprünglichen Charakter unserer drei Diph-
therieperioden ausgerüstet, noch einmal die Tabellen I und II
an, so fallt doch etwas auf, was man, gestützt auf die Hei-
lungsresultate der Operirten, von vornherein nicht erwartet
hätte. Letztere besagen, dass von I auf II der Krankheits-
charakter sich ganz erheblich zum Besseren verändert hat,
dass aber auch von II auf III noch eine weitere Mil-
derung in der Bösartigkeit der Krankheit Platz, gegriffen
hat, sicherlich keine Verschlimmerung aufgetreten ist.
Das entspricht auch durchaus dem Gesammteindruck,
den der Gang der Diphtherie während der in Frage kon^men-
den 2 Jahre auf Herrn Thiersch sowohl (nach dessen güti-
ger mündlicher Mittheilung), wie auf mich gemacht hat: dass
der schlimme Winter 1891/92 einem besseren 1892/93 Platz
gemacht hat, die zweite Hälfte 1893 aber noch bessere und
mildere Fälle den Krankenhäusern Leipzigs zugeführt hat.
Wie stellt sich nun dagegen die Gesammtmortalität
unserer Perioden im Kinderkrankenhaus? Danach (vgl. Ta-
belle I und II) ist nicht die letzte, sondern die mittlere
Periode, II, also die Heilserumperiode, die günstigste gewesen.
Besonders die Tabelle II, wo nur die Fälle der Heilserum-
zeiten mit gleichviel Fällen vor- und nachher verglichen sind,
zeigt eine ganz auffällige Bevorzugung der ersteren. Während
eine Curve, die aus den Heilresultaten der Operirten gezogen
würde, einen geradlinigen Verlauf mit anfangs steilem,
nachher langsamem Abfall besitzen würde, würde die Morta*
litatscurve der drei Perioden im Kinderkrankenhaus eine starke
Knickung zeigen, entsprechend dem Abfall von 24% in
Periode II und nachherigem Wiederanstieg um 9,5% in Pe-
riode III. Ich weiss in der That nicht anzugeben, auf welche
andere Weise dieses eigenthümliche Verhalten der Diphtherie
im Kinderkraukenhause zurückgeführt werden konnte, als eben
auf die angewandte Behandlung, und mir wenigstens scheint
es danach doch recht wahrscheinlich, dass die Anwendung
dieses merkwürdigen Heilmittels einen wenn auch nicht durch-
schlagenden, so doch merkbaren Einfluss auf den Krankheits-
charakter gehabt hat.
Man kann zur weiteren Bekräftigung dieser Anschauung
noch folgende Betrachtungen anschliessen. Wie schon oben
gesagt, hatten wir auch während der Periode II nicht immer
Heilserum zur Verfügung. Wir hatten es öfters mit Inter*
Valien zu thun, wo wir die zuwachsenden Fälle in der früher
230 0« Heubner:
geübten Weise behandelm mnssten. Wenn auch die Zahlen
klein sind, so lassen sich doch die während derselben
Zeitperiode 11, also bei gleichem allgemeinen Krank-
heitschar akter, mit und ohne Serum behandelten Fälle
gegenüberstellen. Diese Fälle haben insofern als Vergleichen
objecte vielleicht einen etwas höheren Wierth, als, wie oben
bemerkt, jeder einzelne Fall während dieser Periode gleich
bei der Au&ahme in einer besonderen Erwägung daraufhin
beurtheilt wurde, ob er als schwer, mittelschwer oder leicht
anzusehen sei.
Es wurden also während der Periode II behandelt:
schwere FSlle mittelschwere leichte
mit HeiUeram 66 19 4 » 79
ohne „ 24 9 17 = 50.
Die mittelschweren und leichten Fälle bleiben ausser
Betracht.
Die Mortalit&t der 66 schweren Heilsernmfölle war ■»■ 62,5%.
„ „ „ 24 „ Nicht- Heilsernmfälle „ » 79,1%.
Also auch hier ergiebt sich ein bedeutender Unterschied zu
Gunsten der Heilserumbehandlung. Ja selbst die absolute Sterb-
lichkeit der Serumfölle 44,3% war noch günstiger als in III.
Noch interessanter ist aber nachstehende Gegenüber-
stellung. Die anfänglich von Professor Behring uns über-
sendeten Serumarten gehorten noch nicht zu den hervor-
ragend kräftigen. Sie besassen meist einen Heilwerth Yon
1 : 500^ d. h. es war auf das halbe Kilo Körpersubstanz des
Thieres schon 1 g Seruni nothig, um eine Heilung des Thieres
zu erzielen. Hiervon mussten wir also grösseren Kindern 30,
40 und mehr Gramm einspritzen. Erst vom Februar 1893
an erhielten wir sogenanntes Normalserum im Heilwerth von
1 : 1000 bis 1 : 1500. Vergleichen wir nun die Fälle, die mit
minderwerthigem Serum bebandelt werden, und diejenigen mit
voUwerthigem, so ergiebt sich
Tabelle VI.
behanifelt gestorben Mortalität
Minderwerthiges Serum 40 21 « &2»5%.
Voilwerthigea „ 89 14 =35,9%.
Somit ergiebt sich die interessante Thatsache, dass das
voUwerthige Serum erheblich mehr geleistet zu haben scheint,
als das minderwerthige.
Ueber die Anwendung des HeilserumB bei der Diphtherie. 231
Der einzige nnd allerdings sehr wichtige Einwarf, den
man der Beweiskraft des hier vorgetragenen Materiales machen
kann, ist der, dass die Zahlen, welche ich zu meiner Statistik
verwerthen konnte, noch wesentlich zu kleine sind. Das ist
auch der Grund, weshalb ich mich immerhin noch vorsichtig
aussprechen möchte. Diesem Umstände konnte ich leider
nicht abhelfen, hielt es aber trotzdem fQr erlaubt, einen Be-
richt über unsere Erfahrungen zu erstatten.
In einer Beziehung ist aber, glaube ich, die Zahl meiner
Beobachtungen eine bereits vollauf genügende; nämlich um das
ürtheil zu rechtfertigen, dass die Einverleibung des Heilserums
ohne jeden Schaden für die Kranken erfolgt. Wir waren in
mehreren Fällen, namentlich während der ersten Periode ge-
nothigt, 40 und selbst noch mehr Gramm im Verlaufe von
24 Stunden zu injiciren, mit Ausnahme des Stiches der Canüle
hatten die Kinder gar keine (localen) Beschwerden davon.
Die Resorption des Serums ging mit Leichtigkeit vor sich,
und ohne dass Massage angewendet wurde. Anfangs ver-
theilten wir das eingespritzte Serum durch leichte Massage
im Unterhautzellgewebe, sind aber bald davon zurückgekommen,
weil wir fanden, dass die massirten Injectionsstellen eher
etwas schmerzhaft wurden, als die .völlig sich selbst über-
lassenen. Niemals ist bei gegen 200 Einzelinjectionen ein
Abscess, stärkere Hämorrhagien, Hautknoten oder dergleichen
entstanden. Als Ort der Einspritzung wählte ich gewöhnlich
die Oberbauchgegend (linkes oder rechtes Hypochondrium).
Auch die gleichzeitig mit eingespritzte Carbolsäure, die
wir anfangs etwas fürchteten, hat in keinem Falle irgend
welche Erscheinungen gemacht; nicht einmal Carbolurin, ob-
wohl die Quantitäten, welche z. B. mit 40 g des Serums ein-
verleibt werden, nicht ganz gering sind. Dasselbe wird durch
Zusatz von 0,5 Phenol zu 100 Flüssigkeit haltbar gemacht.
Also in 20 g ist 0,1 Phenol enthalten; mit 40 g werden in
24 Stunden 0,2 einverleibt. Für einen Organismus von 20 Kilo
ist damit immerhin die Maximaldosis der Pharmacopoe erreicht.
Je kräftiger aber das Serum ist, um so kleinere Mengen des-
selben sind nöthig, um so niedriger ist dann auch der Werth
der gleichzeitig eingespritzten Carbolsäure.
Einer Erscheinung möchte ich aber noch gedenken,
welche namentlich in der s&weiten Hälfte der Serumperiode
so regelmässig vorkam, dass ich doch einen Zusammenhang
derselben mit dem angewandten Mittel annehmen möchte.
Es trat nämlich ganz regelmässig am 8. oder 9. Tage
nach dem Injectionstag bei den behandelten Kindern eine
Urticaria auf, die manchmal zuerst in der Gegend der In-
jectionen, manchmal aber auch zuerst im Gesicht begann, und
232 0. Heubner: Ueber die Anwendung des HeilsenunB etc.
in einzelnen Fällen eine ganz bedeutende Ausdehnung und
Heftigkeit erlangte. Von Fieber oder sonstigen Störungen
des Allgemeinbefindens war dieselbe nicht begleitet^ auch
/ ging sie stets in wenigen Tagen vorüber.
Die Technik des Verfahrens ist eine sehr einfache. Das
Serum hat eine dunkelbräuulich oder gelblichrothe, meist
etwas trübe y aber leicht flüssige Beschaffenheit, wurde bei
mehrfachen Züchtungsversuchen stets völlig bacterienfrei be-
funden und lässt sich sehr leicht in eine Spritze aufziehen.
Benutzt wurde eine Eoch'sche Ballonspritze, wie sie
Ihnen vom Tuberculin her bekannt ist, von 10 — 12 ccm In-
halt; die auf einmal eingespritzte Menge betrug gewöhnlich
10 ccm.
Strengste Asepsis wurde natürlich stets eingehalten.
Als Schlussresultat meiner Mittheilung möchte ich die
Meinung äussern, dass mir das Heilserum von Behring in
unseren Beobachtungen einen wenn auch nicht durchschla-
genden, doch merkbaren Einfluss auf den Charakter der be-
handelten Fälle ausgeübt zu haben scheint und dass eine
Fortsetzung der Versuche entschieden zu wünschen ist.
2. BaoteriologiBohe UnterBuchnngen über die sogenannte
septiaehe Diphtherie.
Von
Dr. Gustav Genersich,
AtiistenUn der medie. Klinik der UniTersit&t Kolour&r (Klausenbarg),
d. Z. VolontärarBt der Leipziger Kinderklinik.
Es wird sehr häufig sowohl in der Praxis als auch in
der Literatur von septischer Diphtherie gesprochen ^ werfen
wir aber einen Blick in die diesbezüglichen literarischen Daten,
so ersehen wir aus denselben^ dass nicht alle Autoren das-
selbe darunter verst-ehen.
Um nur hervorragendere Meinungen über dieses Thema
zn berühren , erwähnen wir die Namen Henoch, Heubner,
Francotte, Baginsky, Vogel.
H e n o c h ^) beschreibt neben der schweren Form von
Diphtherie mit hocheinsetzendem Fieber, ungewöhnlicher Puls-
frequenz, grosser Apathie, Somnolenz, vollständiger Anorexie,
Erbrechen, fötidem Ausfluss aus der Nase, Schwellung der
Nase und Augenlider, fötidem Geruch aus dem Munde, Speichel-
fluss, starker harter Schwellung der Halslymphdrüsen, Blu-
tungen aus der Nase und den Rachentheilen, Petechien, Nephritis
— unter septischer Diphtherie ein Erankheitsbild, welches auf
die denkbar schwersten Fälle der Diphtherie zustimmt.
Es tritt Erbrechen auf. Die Kinder deliriren, die meisten
liegen schlaff, in einem soporösen Zustand mit fahlgelblichem
Antlitz, starren, halb geöffneten Augen und sind kaum er-
weckbar. Andere sind . bei vollem Bewusstsein. Kühle Ex-
tremitäten, erloschene Stimme, schwacher Herzstoss, unter
dem Finger schwindender, manchmal unregelmässiger Puls,
gesunkene Zahl der Respiration, fötider, selbst gangränöser
Geruch aus dem Munde, gangränöser Zerfall der Beläge sind
die übrigen Symptome.
Ich habe selbst während meines Berliner Aufenthaltes
auf der Henoch'schen Klinik einen solchen Kranken gesehen,
1) Vorlesnngen über Einderkrankheiten 1890.
234 0. Genenich:
horte die Aeasserung H e n o c h 's , dass es sich um eine
septische Form handelt ^ sodass ich hervorheben kann, dass
Henoch nur diese Fälle als eigentlich septische ansieht.
Herr Professor Heubner^) legt bei der Diagnose der
septischen Diphtherie das Hauptgowicht auf die Combination
gewohnlich schwerer Localsymptome mit ausserordentlich
schweren Allgemeinerscheinungen. Nach ihm treten als All-
gemeinerscheinungen die eigen thümlich bleiche, bleigraue Ver-
erbung des Gesichtes, der ängstliche oder apathische Gesichts-
ausdruck, die grosse Prostration, die hochgradige Herzschwäche
mit elendem, kleinem fadenförmigem Puls, die Nephritis hervor,
als Localsymptome: gangränöser oder fade riechender Ge-
ruch aus dem Munde ; stinkender, braungelber Ausfiuss aus
der Nase, schmierige, bröcklige, zum Theil durch Hämorrha-
gien verfärbte Beläge auf Tonsillen und Gaumentheilen, Drüsen-
Schwellung, Oedem in der Umgebung der Drüsen, in manchen
Fällen Croup im ersten Stadium.
Francotte*) versteht unter septischer Diphtherie (Forme
toxique d'embl^e) eine Erankheitsform, bei welcher sofort All-
gemeinerscheinungen zum Ausdruck kommen, und das ganze
Bild beherrschen, bei welcher die Augen matt, mit blauen
Ringen umgeben sind, der Gesichtsausdruck verfallen ist, die
Adynamie und Prostration sehr hochgradig erscheint. Das
Bewusstsein ist meistens erhalten, doch kann auch Somno-
lenz und Coma bestehen. Der Puls ist frequent und klein.
Das Fieber steigt rasch, ein ander Mal fällt die Temperatur im
Gegentheil, um gegen Ende des Lebens subfebril zu werden.
Die Extremitäten sind kühl. Es besteht tiefe Anorexie. Immer
ist Albuminurie vorhanden. Die Pseudomembranen können
ein gutartiges Aussehen haben oder sind gangränös und aus
dem Munde kommt ein pestartiger Geruch, die Drüsenschwel-
lung ist beträchtlich. Ausser der Nase, dem Kehlkopf können
auch andere Körperstellen befallen werden. Blutungen kommen
in den von Diphtherie befallenen Gebieten, wie auch in ab-
gelegenen Theilen häufig vor. Der Tod kann schon in 24
bis 48 Stunden erfolgen, bevor der Localprocess noch eine
grössere Ausbreitung genommen hat.
Vergleichen wir aber die angegebenen Symptome mit
denjenigen seiner zweiten, „infectiös'' genannten Form, so
sehen wir, dass zwischen den beiden eigentlich nur graduelle
Unterschiede bestehen und dass dieselben nur insofern von
einander unterschieden werden, dass in der infectiösen die All-
1) Mündliche Mittheilung.
2) Die Diphtherie, ihre UrsacheD, ihre Natur und Behandlung.
Deutsche Uebersetzung von Dr. Spengler. Leipzig 1886.
Bacteriolog. UnterauchnDgen über d. sog. septische Diphtherie. 235
gemeinerscheinnngeD Anfangs fehlen können, der Verlauf weniger
rapid ist.
Auch bei der infectiösen > Form kann die Hautfarbe erd-
fahl, die Lippen bleich , die Gesichtsfarbe verfallen sein, die
Pseudomembranen können schmutzig, ja gangränös werden,
nach Abstossen derselben bleiben Substanzverluste zurück.
Der Athem verbreitet einen grässlichen Gestank, die Drüsen-
schwellung ist beträchtlich, das periglanduläre Gewebe öde-
matös, die Temperatur hoch, der Puls klein, es besteht Appetit-
losigkeit, häufig ist Albuminurie und Lungencomplication
vorhanden.
Nach Baginsky^), der neben einer localisirten diphthe-
rischen Affection, eine diphtherische Allgemeininfection und
eine septicämische Diphtherie annimmt, bietet letztere fol-
gendes Bild: Die Affection kann einen gangränösen Charakter
zeigen, aus der Nase fliesst seröse Jauche, die Lippen sind
blutig, rissig, die Zunge trocken, die submaxillaren Lymph-
drüsen sind beträchtlich geschwollen, die Kinder sehen tief
elend, seltsam pastös aus, die Gesichtsfarbe ist tiefbleich, die
Extremitäten fassen sich kühl an. Der kleine Puls wird
kaum zählbar. Der Stuhlgang ist diarrhöisch ; das Sensorium
schwer benommen, die Kinder sterben unter tiefster Apathie.
In • manchen Fällen treten auf der Haut und den Schleim-
häuten Blutergüsse auf oder es gesellt sich die Erkrankung
des Larynx mit Stenose hinzu.
Während die bisherigen Autoren dennoch nur die schwe-
ren Fälle von Diphtherie der septischen Gruppe anreihen,
theilt YogeP) die Diphtherie in eine einfache und eine sep-
tische ein und bezeichnet mit letzterer alle Fälle, bei welchen
die Allgemein Vergiftung des Körpers die örtlichen Symptome
überwiegi
Es gab Zeiten, wo man den Ausdruck „septisch'' noch
gar nicht gebrauchte, und es schien uns von Interesse, die
Frage aufzuwerfen, o1) es schon damals dieses klinische Bild,
das wir heute darunter verstehen, gegeben hat?
Wenn man bei Erledigung dieser Frage in die früheren
Jahre zurückgreift, kann man es nicht unterlassen, Bre-
ionneau zu erwähnen, den Forscher der zwanziger Jahre,
durch dessen Scharfsinn die Diphtherie zuerst in ein klares
Licht gestellt wurde.
Aus seinen Schilderungen») geht hervor, dass die Krank-
1) Lehrbuch der Einderkrankheiten 1892. S. 223.
2) Vogel-Biedert, Lehrbuch der Kinderkrankheiten 1890.
S) Des inflammations speciales du tissu muqueux et en. partioulier
de la diphth^rite, op inflammation pelliculaire, comnue sous le nom de
Croup d*angine maligne. Paris 1826.
236 Gt' Generaich:
heit, welcher er den Namen Diphth^rite gab, schon damals
und früher in bösen Formen auftrat, von Anderen aber je
nach den in den Vordergrund tretenden Localerscheinungen
als Angine maligne, Gangräne pharyngieune bezeichnet
wurde. Es kostete ihm viel Mühe, die Selbständigkeit dieser
Formen, welche von anderen Autoren behauptet wurde, zu
bestreiten. Von einer selbständigen, schwersten, septischen
Form war bei ihm allerdings noch nicht die Bede, doch ver-
gegenwärtigte er sich schon die schweren Allgemeinerschei-
nungen durch die Wirkung eines ihm unbekannten Giftes,
welches er als das Wesen der Krankheit und als Ursache so-
wohl der localen als auch der allgemeinen Symptome be-
trachtete.
Spater finden wir Andeutungen, welche darauf hinweisen,
dass die Autoren bei Diphtherie ähnliche Allgemeinerschei-
nungen beobachteten, welche denjenigen der Sepsis ähnlich
sind*, doch war auch hier noch nicht die septische Diphtherie
als selbständige Form, wie heut zu Tage, aufgestellt.
Gubler^), der übrigens noch als Gegner Bretonneau's
die Selbständigkeit der gangränösen Angina bestreitet, erwähnt
einen Fall, wo eine gravide Frau mit Halsschmerzen und
Drüsenschwellungen erkrankte. Es bildeten sich eine grau-
liche Haut auf der rechten Seite des Schlundes und in der
Nase gelbliche Membranen. Sinken der Eräfke, Ohrenschmerzen,
Collaps, kalte Haut, Sinken der Pulsfrequenz, starker Eiweiss-
gehalt des Urins, freie Intelligenz, bildeten die schweren All-
gemeinsymptome der Krankheit welche auch heute als schwerste
Form der Diphtherie angesehen werden würde. Er schlägt
dennoch dafür den Namen Angina maligna vor, und sagt:
„Auch bei ihr findet man dieselben Allgemeinerschei-
nungen, die sich nur auf eine septische Blutmischung wie
bei der Angina gangraenosa beziehen und nur so den
so oft eintretenden Tod ohne locale Ursachen erklären.*'
Andererseits werden die schwersteti Formen auch mit
dem Namen „typhos '' oder „adynamisch^' belegt.
Ein Referat') aus Schmidts Jahrbüchern, dessen Anfang
fehlt und deshalb der Titel und Autor nicht angegeben werden
kann, unterscheidet neben der croupösen und scarlatinösen
Angina auch eine diphtheritische und bezeichnet als eine Unter-
art derselben die Angina diphtheritica maligna, welche gleich
Anfangs mit schweren Allgemeinerscheinuugen auftritt oder
sich langsam entwickelt und folgenden Charakter bietet:
1) Ueber Angina maligna gangraenosa. (Referat in Schmidt's Jahr-
büchern Bd. XCV. S. 46 [1867)1.
2) Schmidt 'b Jahrbücher Bd. XCV.
Bacteriolog. üntersachnngen über d. sog. septische Diphtherie. 237
Grosse Schwellung, Eiterung und Brand des Rachens,
der Unterkiefer- und Halslymphdrüsen, jauchiger Schnupfen,
unerträglicher Kopfschmerz, starke Aufregung, typhose und
adynamische Erscheinungen, Tod ohne Suffocation. Der
Autor bemerkt noch, dass bei dieser Angina der Tod stets
durch Blutvergiftung erfolgt, die sich durch völlige
Verflüssigung des Blutes (?) charakterisirt.
Eine Bericht des Wiener allgemeinen Krankenhauses vom
Jahre 1865^) erwähnt furchtbare Allgemeinstörungen bei Di-
phtherie und liefert auch Aufschluss über die damalige An-
sicht von Rilliet und Barthez^ die von einer typhoiden
oder adynamen Form der Pharyngitis pseudomembranacea
sprechen und die diphtherische Septicämie durch eine
Vergiftung erklären wollen, welche infolge von Einführung
fauler Secrete der Schleimhaut in dem Magen entstanden ist.
Trousseau^) hat für die schwersten Formen der
Diphtherie die Bezeichnungen: „Angine couenneuse maligne,
maux de gorge grangr^neux'^ und sagt bei der croupösen
Form: „wohl zu unterscheiden von der malignen Form der
Diphtherie, welche den Tod infolge von Blutvergiftung, wie
bei septischen und pc^startigen Krankheiten herbeiftlhrt/' Was
er unter dieser Form versteht ^ zeigen am besten die ange-
gebenen Symptome, wie starke Drüsenschwellung, erysipela-
tose Röthung der Haut, Ausbreitung des Exsudats in die
Nase, Eustachische Röhre, auf die Augen, Nasenblutungen,
anderweitige Hämorrhagien, Anämie, Appetitlosigkeit, Erkal-
tung der Haut, Aufregung, Bangigkeit oder Apathie, plötz-
licher CoUaps.
Oppoltzer^) hebt hervor, dass die Diphtherie unter den
Symptomen einer acuten Infection verlaufen kann, wobei neben
localer Angina maligna auch gangraenosa typhoide Erschei-
nungen auftreten.
Derjenige, der sich über die nahe Verwandtschaft der
schweren Diphtherie mit den septischen Krankheiten bestimmter
äussert, war Billroth^), doch spricht auch er nur über die
Identität der Symptome, welche bei Diphtherie durch ein
toxisches Gift bedingt sind, das ein Product der intensiven
Gewebszersetzung ist und vom localen Herd aus ins Blut ge-
langt.
Der Erste jedoch, der die Benennung „septische Diphtherie''
1) Schmidt's Jahrbücher Bd. CXXXVIII, S. 124.
2) Cliniqne mddicale 1861. I. p. 813 a. 363.
3) Mittheilong nach klin. Vorträgen. Wiener med. Wochenschrift
Bd. XVm. 72—89. 1868.
4) Die Beziehung der Elachendiphtherie zur Septhämie und Pyämic.
Wiener med. Wochenschrift Bd. XK. 7 u. 8. 1870.
238 O. Generfiich:
selbständig gebraucht und beschreibt, ist Wertheimber^) im
Jahre 1870.
Seit dieser Zeit wird der Ausdruck weiter gebraucht, es
scheint demnach von Interesse zu sein, hier kurz zu erwähnen,
was Wertheimber unter septischer Diphtherie beschrieb und
verstand.
Nach ihm bietet die Diphtherie zwei Formen: 1. die
einfache, 2. die septische oder typhoide. Die einfache
Form kann umschrieben sein und zeigt ^ann gewöhnlich
keine Allgemeinsymptome, oder sie wird diffus, nimmt nicht
nur an Ausdehnung in der Flache, sondern auch in der
Tiefe zu, verbreitet sich oft auf den Kehlkopf oder geht in
Sepsis über.
Die septische Diphtherie kann aber auch von Anfang
her mit dem unverkennbaren Gepräge der Blutvergiftung auf-
treten und verläuft in solchen Fällen sehr fulminant.
Schliesst sich die Sepsis später oder secundär der diffusen
Form an, so ist es besonders das Steigen der Drüsenschwel-
lung am Halse, was die Verschlimmerung andeutet Beschleu-
nigung des Pulses mit Kleinheit und Leere verbunden, hohes
Fieber, kühle Extremitäten sind die zunächst folgenden All-
gemeinerscheinungen. Dann tritt Adynamie auf. Die Gesichts-
züge nehmen einen stumpfen, gleichgiltigen Ausdruck an,
die Wangen werden bleich, manchmal wächsern oder livid,
die Lippen bläulich, die Augen hohl einge&Uen. Das Be-
wusstsein kann bis zu Ende ungetrübt sein, doch in jedem
Falle ist eine gewisse Indolenz der Kitfder, das Fehlen der
Klagen und ihrer früheren Widersetzlichkeit, ganz charak-
teristisch.
Gänzlicher Verlust des Appetits, Erbrechen, Durchfall,
Zeichen von Nephritis entwickeln sich gewöhnlich, seltener
Hämorrhagien der Haut
Dabei spricht sich gewöhnlich die Malignität des Pro-
cesses schon in den örtlichen Erscheinungen aus. Die di-
phtherische Infiltration wird tiefer, verändert sich und zieht
eine grössere Betheiligung des lymphtischen Apparats mit
sich. Erkrankung der Nasenhöhle, Verjauchung der Pseudo-
membranen, saniöses Secret, Excoriationen, penetranter, aas-
hafter Geruch, Substanzverluste nach Zerfall der Infiltrate im
Rachen, Eiterung der Mandeln, oder sogar sphacelöse Zer-
störung derselben, Blutungen aus den erkrankten Schleimhaut-
partien, Ecchymosen der Schleimhaut, entzündliche Schwel-
lung der Lymphgefasse und Lymphdrüsen, und in schwersten
1) Die Schlunddiphtherie. Manchen. Verlag J. A Finsterlin.
1870.
Bacteiiolog. üntersachungeii über d. sog. aeptische -Diphtherie. 239
Fällen des periglandulären Gewebes sind die gewöhnlichen
ernsten Localsymptome.
Wir ersehen daraus, dass Wertheimber schon im Jahre
1870 das Bild der septischen Diphtherie auf Grund kli-
nischer Beobachtung derartig umschrieb^ wie es noch heute
geschieht, und dass es sich damals um einen rein kli-
nischen Begriff handelte und das blieb derselbe noch eine
Reihe von Jahren.
Als aber durch die zunehmenden bacteriologischen For-
schungen die Ansicht der älteren Autoren in Bezug auf schlechte
Blutmischung und Blutvergiftung wesentliche Veränderungen
erlitt, als es sich herausstellte, dass die Sepsis eine Era^uk-
heit ist, welche durch das Eindringen lebender Mikroorganis-
men oder deren giftigen Producte verursacht wird, wurde der
bis dahin auf klinischer Beobachtung beruhende Begriff der
Sepsis ein bacteriologischer, und es lag sehr nahe, die kli-
nisch als septisch bezeichnete Diphtherie ebenfalls auf In-
fection von Mikroorganismen zurückzuführen, die auch bei
anderen Krankheiten septische Symptome hervorrufen.
Ja, man könnte sagen, dass analog wie vor Jahren der
klinisch begründete Begriff der Diphtheritis Breton-
neau's von 'Yirchow auf einen anatomischen Process
übertragen wurde, so verwandelte sich der ursprünglich
rein klinische Begriff der septischen Diphtherie in einen
rein bacteriologischen.
Wenn wir aber in der Literatur nachsehen, wie und
wann dieser engere bacteriologische Begriff der sep-
tischen Diphtherie auftauchte und entstand, sehen wir,
dass das nur allmählich geschah.
Erst waren es bacteriologische Befunde von Streptokokken.
Schon Löffler^) fand in einem Fall von schwerer Allgemein-
infection (Fall 23) in den Lymphdrüsen und in allen inneren
Organen Streptokokken.
Beck^ fand nur das Blut frei von Mikroorganismen,
während Schnitte, von Organen septischer Fälle Streptokokken
ergaben.
Prudden^ sah bei 17 Bronchopneumonie -Fällen nach
Diphtherie Streptokokken, während bei 10 ControUfallen, wo
1) ünterBuchungen über die Bedeutung der MikroorganiBmen. Mit-
theilangen .ans d. kais. Gesimdheitsamte. Bd. IL 1884.
2) Bacteriologische Untersnchnngen über die Aetiologie der mensch-
lichen Diphtherie. Zeitschrift f. Hygiene Bd. YIII. S. 484.
8) Stadies of the etiology of .the Pneamonia compleating diphtherie
in children. American jonmal 1889 Jnni (Yirchow-Hirsch's Jahres-
berichte.)
I
24C • ö. Generaich:
die Pneumonie nicht einer Diphtherie gefolgt war, keine
Streptokokken nachzuweisen waren.
Auch v.Lingelsheim^), Martin*), Schmorl'), Canon*),
Frosch*) trafen die Streptokokken, seltener die Staphylo-
kokken bei schweren Fällen von Diphtherie.
Während jedoch Goldscheider^) sich darauf beschriLnkt,
das Vorhandensein von Streptokokken als für die Wirksam-
keit des Diphtheriebacillus nicht gleichgültig zu erklären, und
C. FränkeP) hervorhebt, dass durch die Streptokokken even-
tuell nur die Virulenz des Löffler'schen Bacillus gehoben
wird, sprechen Ändere von einer Streptokokkeninfection, welche
auf Grund des durch Diphtherie erkrankten Rachens und der
darauf folgenden schwächeren Resistenz des Organismus sich
entwickelt und neben der toxischen Wirkung des Diphtherie-
giftes septische Erscheinungen hervorruft, dass es sich also
um eine Mischinfection zweier oder mehrerer Bacterienarten
handelt, welche auch Secundärinfection genannt wird, da die
Streptokokkeninfection augenscheinlich erst später erfolgt.
Schon V. Lingelsheim^) ist der Meinung, dass für die
schwere Form von Secundärinfection nach Diphtherie die
Streptokokken das ätiologische Moment abgeben.
Beck^) hält das Eindringen von Streptokokken für die
Ursache der erfolgten septischen Erscheinungen.
Barbier^^) nimmt sogar an, dass, während die Diphtherie-
fälle mit fortschreitendem Group durch den Löffler'schen
Bacillus entstehen, die andern schweren, septischen Formen
durch die Complication des Diphtheriebacillus mit einem von
ihm gezüchteten Streptokokkus ß hervorgerufen werden, und
nennt diese Art: „Diphtherie Streptococci que'^ im Gegensatz
zur „Diphtherie pure'*.
Auch Martin ^^) macht einen ähnlichen Unterschied zwi-
1) Experimentelle Untersnchungen über morphologische, cnlturelle
and pathogene Eigenschaften verschiedener Streptokokken. Zeitschrift
f. Hygiene nnd Infectionskrankheiten Bd. X. S. 881—867.
2) Examen clinique et bactäriologique de deux cents enfants entr^s
au pavillon de la diphth^rie k THöpital des enfants malades. Annales
de i'institnt Pasteur. Mai 1892.
5) Vortrajg in der med. Gesellschaft zn Leipzig am 8. Nov. 1892.
4) Bacteiiol. Untersuchungen bei Sepsis. Deutsche med. Wochen-
schrift 1898. Nr. 48.
6) Die Verbreitung des Diphtheriebacillus im Körper d. Menschen.
Zeitschrift f. Hygiene. Bd. XIII. S. 49—64.
6) Bacterioskopische Untersuchungen bei Angina ton^Uaris und
Diphtherie. ZeiUchrift f. klin. Medicin Bd. XXI. 1898.
7)Ueber das Vorkommen Löffler'scher Diphtheriebacillen. Berliner
klin. Wochenschr. 1898. Nr. 11.
8) 1. c. 9) 1. 0.
10) Archiv de mäd. experimental 1891. Nr. 8. S. 361. 11) L c.
Bacteriolog. ÜnterBnchüDgen über d. sog. septische Diphtherie. 241
sehen y^Angine diphtherique pure'' und ,^ngine diphtherique
avec associations microbiennes''.
Nach Siebenmann^) bedeutet die Einwanderung der
Streptokokken im spätem Abschnitt der Krankheit den Beginn
der septischen Infection.
Ausser dem schon erwähnten Barbier ist es neuerdings
Behring^); der mit vollster Schärfe die klinische Be-
nennung yySeptische Diphtherie'' mit der bacteriolo-
gischen Bedeutung derselben identificirt.
Behring unterscheidet 1. Fälle von Sepsis mit Fäulniss
und Gangrän im Munde und Rachen; 2. Complicationen mit
Streptokokken, wobei auch ohne Mundfäulniss hohes re-^ und
intermittirendes Fieber auftritt, und sich Zeichen von Blut-
vergiftung darbieten; 3. schwere Fälle von Diphtherie ohne
Sepsiß und Pyämie. Die Fälle 1. und 2. werden als septische
Form zusammengefassi
Wie ausführlich und schön auch diese Eintheilung vom
bacteriologischen Standpunkte aus ist, zeigt sie sich dennoch
als lückenhaft fQr klinische Zwecke. Es fehlt vor Allem die
klinische Symptomatologie der einzelnen Formen, als auch
die Begründung der einzelnen Formen.
und wahrlich, wenn wir auch die andern angeführten
Daten durchblicken, sehen wir, dass dieselben beinahe
ausnahmslos die bacteriologischen Befunde in Betracht
ziehen, auf die klinische Seite der Frage jedoch gar nicht
oder höchstens im Allgemeinen Acht nehmen.
Man hat noch nicht gefragt,
ob in Wahrheit die bisher klinisch als „septisch" be-
zeichneten Diphtheriefälle mit den bacteriologisch als sol-
chen aufgefassten congruent sind?
Es blieb bei der klinischen Sepsis und bei dem bacterio-
logischen Befund meistens von Streptokokken, so dass der
Zusammenhang der beiden auch in der letzten Auflage des
Baginsky'schen Lehrbuches^) eben nur angedeutet wird.
Einen Beweis dafür, dass auch Kliniker, die andrerseits
tüchtige Bacteriologen sind, die klinische Diagnose der Sepsis
bei Diphtherie aufstellen, ohne den bacteriologischen Beweis
dafür zu liefern und zu suchen, die klinische und bacteriolo-
gische Diagnose in Einklang zu bringen, giebt Escherich.
1) Beiträge zar ^Frage d. Betheiligung von Mikroorganismen bei
Otitis media diphthentica. Zeitschrift f. Otologie Bd. XX. 3. 1.
2) Zar Behandlung der Diphtherie mit Diphtheriebeilserum. IV.
üeber sog. „septische** Fälle von Diphtherie. Deutsche med. Wochen-
schrift 1898. Heft 23. S. 543.
3) Lehrbach der Einderkrankheiten 1892.
Jahrbneh f. Kinderheilkunde. X. F. XXXym. 16
242 ^- Generaich:
In seiner Arbeit ,,Ueber die ortliche Behandlung der
Rachendiphtherie" ^) erwähnt er auch einen Fall mit klinisch-
septischen Symptomen y wie: grosse Unruhe, kühle Extremi-
täten, livide Verfärbung der Haut/ Oedem der Halsgegend,
starre Infiltration nud nekrotischer Zerfall der Rachenorgane,
foetor ex ore, Herzschwäche, Nephritis, Hämorrhagien der
Serösen und Schleimhäute (8. 85—37 des Separatabdnickes).
Wenn man aber die bacteriologischen Untersuchungen in
Anbetracht zieht, könnte man darauf schliessen, dass es sich
nicht um eine Streptokokkeninfection handelte. Escherich
fand im Rachen keine Streptokokken und fasst das Entstehen
des nekrotischen Zerfalls der Rachenorgane derart auf, als
wie wenn derselbe nicht durch Streptokokken bedingt wäre,
wie es allgemein angenommen wird, sondern durch ein tieferes
Eindringen der Diphtheriebacillen.
Der Umstand, dass die Gongruenz der klinisch-septischen
Diphtherie mit dem bacteriologischen Begriff noch nicht ge-
nügend erörtert wurde, bestimmte Herrn Professor Heubner
diesbezüglich Untersuchungen machen zu lassen, um so mehr
als er schon in der dem Vortrage Schmorl's angeknüpften
Discussion^) seine Meinung dahin aussprach, dass die Misch-
infection nach seinen klinischen Beobachtungen nicht oft vor-
kommt, viel seltener jedenfalls als bei Scharlach. Die hygie-
nischen Verhältnisse des Leipziger Einderkrankenhauses schie-
nen für die Erledigung der Frage besonders günstig zu sein,
da es beinahe auszuschliessen war, dass die Krankheit durch
äussere Umstände beeinflusst wird.
Mein hochverehrter Herr Chef war so gütig, die Bear-
beitung dieses Themas mir zu überlassen, und stellte mir
nicht nur sein werth volles Material und sein Laboratorium
zur Verfügung, sondern unterstützte mich bei meiner Arbeit
dermassen, dass ich es nicht unterlassen kann, ihm auch an
dieser Stelle meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen.
Unsere Untersuchung bezweckte den Nachweis von Bacte-
rien in den innern Organen, speciell im Blute; da ferner bei
der Beurtheilung der Mischinfection von den meisten Forschern
die Hauptrolle den Streptokokken zugetheilt wird, war es an-
gezeigt, besonders dieselben in Anbetracht zu ziehen, und
Methoden zu gebrauchen, welche zum Züchten derselben als
günstigste bekannt sind.
So kam eine Reihe an Diphtherie verstorbener Kinder
1) Wiener klin. Wochenschrift 1898. Nr. 7, 8, 9, 10.
2) Schmidt*8 Jahrbücher 1892. Bd. 237.
Bacteriolog. UnterBuchangen Über d. sog. septische Diphtherie. . 243
zur Untersuchung. Mit dem 25. Fall musste ich wegen Mangels
an Zeit die Beobachtung abschliessen.
Das Krankenhaus ist in der besonders günstigen Lage,
die Sectionen möglichst schnell machen zu können. Die bacte-
riologlsche Untersuchung konnte desswegen meistens bald
nach dem Tode, oder nur wenige Stunden darnach vorgenom-
men werden; dadurch fiel die Verunreinigung mit Fäulniss-
erregern von selbst weg.
Nach erfolgtem Bauchschnitt wurden zuerst Milz und
Niere herausgenommen und auf 10 — 15 Minuten in eine
1 — ^2^00 Sublimatlösung gelegt. Darauf wurde die Leber
mittels eines Schwammes aus der Bauchhöhle heryorgedrängt,
ihre Oberfläche mit Sublimat und Alkohol abgewaschen, der
Alkohol in der Richtung des zu machenden Schnittes mit
einem glühenden Messer entfernt. Dann wurde mit einem
sterilen Messer ein tiefer Schnitt gemacht, und in die Fläche
desselben noch mehrmals eingeschnitten und mit dem Messer
an den Schnittflächen viel Gewebe abgekratzt. Der blutige
Saft wurde sogleich verimpft.
Das Gewinnen von Herzblut geschah meistens bei un-
eröffnetem Thorax mittelst einer grossen Koch 'sehen Spritze,
deren Nadel in einem Rippenzwischenraum bis ins Herz ge-
stochen wurde. Oft jedoch entfernte ich das Sternum, denn
es verstopft sich etliche Mal die Nadel beim Durchstechen der
Thoraxwand. Es wurde im Minimum 1 ccm Blut entnommen,
wovon ungeföhr % ccm auf die verschiedenen Nährböden ver-
impft wurde. ^ ccm bekam eine weisse Maus subcutan ein-
gespritzt.
Zuletzt erfolgte das Verimpfen von Milz und Niere —
welche Organe bis dahin im Sublimat gelegen hatten — nach
denselben Massregeln, wie bei der Leber. Ich achtete immer
darauf, reichliches Material zu verimpfen.
Als Nährboden diente in den ersten Fällen Gelatine, von
welcher Platten gegossen wurden, nachdem die eine Portion
mit einer, die zweite mit drei grossen Oesen des Materials
beimpft war. Da aber die heisse Jahreszeit dem Arbeiten
mit Gelatine hinderlich war^ und auch zur Entwickelung der
Streptokokken mehrere Tage erforderlich waren, wählte ich
Agar-Agar, und vom Fall VIII an hauptsächlich eine Bouillon,
welcher ich 1% Traubenzucker zufügte, und deren Alcalicität
ziemlich stark war, weil ich nach Angabe v. Lingelsheim's
auf 1 1 Bouillon 25 ccm einer Normalnatronlauge zum Alka-
lisiren gebrauchte. Der Trübung beugte ich durch Zusatz
von lVi% Pepton vor.
Mit Hilfe dieses Verfahrens stellte sich das Resultat schon
nach 24 Stunden heraus^ und war ein Gemisch von Bacterien
16*
244
G. Gtenemch:
gewachsen^ konnten dieselben mittelst PlattenTerfahren leicht
von einander isolirt werden. Allerdings war die Gefahr nicht
ausgeschlossen, dass die Beurtheilung eventneller Verunreini-
gung erschwert wurde, was aber nicht so sehr in die Wag-
schale fiel, da es sich höchstens auf die minder wichtigen
Staphylokokken beziehen konnte.
Um die Promptheit des Verfahrens zu erproben, wurden
verschiedene andere Fälle von Streptokokkeninfection abgeimpft
und überall, wo nach klinischer Beobachtung grQndlicher Ver-
dacht auf Streptokokken vorlag, wurden dieselben massenhaft
gewonnen. So in Fällen von Secundärinfection nach Schar-
lach, von Pyämie, von septischen Blutungen bei Säuglingen etc.
Um aus der Reihe der Fälle und Untersuchungen eine
Uebersicht zu gewinnen^ fassen wir dieselben tabellarisch zu-
sammen:
Fall
II:
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIll
XIV
XV :
XVI
XVII '
XVIIl
XJX
XX
XXI
XXII
XXIII
XXIV
XXV
Charakter d. KrankheitobUdet
Group.
Schwerste (sept.) Diphth.
Schwere genaine Diphth.
oach Scharlach.
Croap.
Schwerste (eept.) D. .
Croup.
Schwerste (sept.) D.
Schwere D. Group.
do.
Group. Pneumonie.
Schwere D. Croup.
Croup.
do.
do.
do.
Schwerste (sepi.) D.
do.
Croup.
Schwerste (sept.) D.
Group. Nephritis.
Schwere Diphtherie.
Schwerste (sept.?) D.
Schwere D.
Bactoriolog. Befund
Impfvenaoh
mit weisaeu M&asen
Nicht geimpft.
Maus t nach 8 Tgn.
Bact.-Befund negat.
Group,
do.
Streptococcus
longus.
In d. Leber: St. alb.
Streptococcus
longuB.
In d. Milz u. Niere
Staph. alhus.
In d. Niere: St. alb.
Ind. Leber: St alb.
Streptococcus
longUB.
In d. Niere: St. alb.
I.Niere u. Leb. St. alb.
In d. Milz: St. alb.
I.Niere u. Leb. St. alb.
I.d.Leb. St.citreus(?).
In allen Organen
Staphylococcus alb.
Streptococcus 1.
u. Staphyl. albus.
Ind. Niere: St. alb.
Maus tf ii^ allen
Organen Streptoc. 1.
Maus t, in allen Or-
ganen Strept. long.
MauB t, in allen Or-
ganen Str. long.
Maus t» in allen Or-
ganen St. alb.
Maus f. In Herzblut
u. Milz ausser Str. 1.
auch St. a., in Niere
u.Leb.kurz. dick.Bac.
Bacteriolog. üntersnchapgen Aber die sog. septische Diphtherie. 245
Die Classificimng wurde im Sinne der von Herrn Pro-
fessor Heubner vertretenen Ansicht durchgeführt:
1. Croup. Die Krankheit verläuft unter dem Bilde der
acuten Larynxstenose und descendirenden Croups. Es waren
jedoch auch hier Allgemeinsymptome bis zu gewissen Graden
ausgeprägt.
2. Schwere Diphtherie. Ausgeprägte und schwere
Rachensymptome , auch Croupsymptome, die Allgemeinsymp-
tome sind jedoch vorherrschend.
3. Schwerste (septi-sche) Diphtherie. Combination
meist schwerer Localsymptome mit ausserordentlich schweren
Allgemeinerscheinungen
4. Leichte Diphtherie. Leichte Rachenaffection schein-
bar ohne Allgemeinsymptome.
Aus der Zusammenstellung ist ersichtlich, dass die bacterio-
logische Untersuchung entweder ganz negativ ausfiel oder in
einzelnen Organen, vorwiegend in der Niere und Leber, Sta-
phylokokken gefunden worden sind. Nur in 4 Fällen waren
Streptokokken vorhanden und zwar waren dieselben nicht
nur in allen drei .untersuchten Organen, sondern auch im
Herzblut der Leiche und in der jedesmal erlegenen Maus ge-
funden.
Was nun die Staphylokokken anbelangt, gehörten die-
selben meist der Gruppe des Staphylococcus albus an. Nur
in einem Falle fand ich den Staphylococcus citreus (Fall XXI).
Die Wichtigkeit der weissen Staphylokokken ist eine bis-
her nicht genügend erörterte Frage, im Allgemeinen wird
ihnen keine besondere Giftigkeit zugesagt. Auf das allein möchte
ich noch kein besonderes Gewicht legen, würde ich die Sta-
phylokokken im Herzblut und in allen inneren Organen ge-
fdnden haben. Doch war in einem einzigen Fall (Fall XXH)
der Organismus von Staphylokokken übersäet, der l&ranke bot
das klinische Bild einer schweren Rachendiphtherie mit Croup.
Die mit Herzblut geimpfte Maus erlag und ihr Inneres war
ebenfalls mit denselben Kokken durchseucht. Meistens fand
ich nur in einzelnen Organen Haufenkokken und zwar vor-
wiegend in der Niere und Leber, dreimal in der Milz. In
allen diesen Fällen fehlten dieselben im Herzblut.
Dieser Befund lässt uns gegen die Specificität der gefun-
denen Kokken, die andererseits auch Verunreinigung sein
konnten, gerechte Zweifel aufkommen, der Fall XXII drängt
ans aber, die Rolle der weissen Staphylokokken als eine offene
Frage zu behandeln und es dahin gestellt sein zu lassen, in wel-
chem Zusammenhang dieselben mit der Schwere des Falles
and mit dem Herbeiführen des Todes stehen, und inwiefern
246 ö. Genewich:
hier im Allgemeinen von einer Misch- oder Secundärinfection
die Rede sein könnte.
Umsomehr Gewicht müssen wir auf die gefundenen Strepto-
kokken legen^ welche, in den Organismus eingedrungen, den-
selben nie unbeschädigt lassen.
Die Hauptaufgabe unserer Arbeit richtete sich auch be-
sonders auf den Nachweis von Streptokokken, weil in den
citirten Artikeln der einzelnen Forscher die Frage der sep-
tischen Infection beinahe ausschliesslich mit Streptokokken
in Zusammenhang gebracht wird.
Erledigen wir vorerst die bacteriologische Seite der Sache,
so ist zu erwähnen, dass wir in allen Fällen lange, schon
geschlängelte Ketten bekamen. Die Bouillon wurde nicht ge-
trübt, sondern es bildeten sich an der Wand des Reagenz-
glases und am Boden desselben bei Bruttemperatur schon in
24 Stunden reichliche Flocken oder Bröckel, welche jedoch
nie eine derartige Haut bildeten, wie sie Kurth^) bei seinem
Streptococcus conglomeratus beobachtete. Der gebildete Boden-
satz Hess sich, ohne besondere Fäden zu ziehen, leicht auf-
wirbeln, die Bouillon wurde auch dabei nicht trüb.
Mit der Eintheilung der Streptokokken befassen sich die
ausführlichen und gründlichen Arbeiten v. Lingelsheim's
und Eurth's.
V. Lingelsheim') unterscheidet: 1. einen nicht patho-
genenStreptococcusbrevisund2.einenpathogenenStrepto-
coccus longus. Als Unterarten der letzteren sind: a) der
Str. erysipelatus, b) der Str. pyogenes angeführt. Nach
dem Umstand, ob die Maus schnell getödtet wird und ob
auch Eiterherde vorhanden sind, sind weitere Abarten des
pyogenes: a) der Str. murisepticus und ß) der im engeren
Sinn genommene Str. pyogenes.
Kurth^) berücksichtigt das Verhalten in der Bouillon-
cultur und stellt nach der Form des Bodensatzes und dem
mikroskopischen Befund folgende Eintheilung auf:
1. Getrennte oder locker zusammenhängende Streptokokken,
welche wenig -gliedrig, nicht geschlängelt, nicht verfilzt sind.
2. a) Schleimig- fadenziehende, reichgliedrige, massig ge-
schlängelte, meist nicht verfilzte.
b) Schleimig-fadenziehende, reichgliedrige, massig ge-
schlängelte, locker verfilzte.
3. Haut-, schuppen- oder 'bröckelformige, reichgliedrige,
1) Ueber die Unterscheidung der Streptokokken und über das Vor-
kommen derselben, insbesondere des Str. conglomeratas bei Scharlach.
Arbeiten ans d. kais. Gesundheitsamt 1891. Bd. VII.
3) 1. c. 3) l. c.
Bacteri'olog. Untersacbungen über d. sog. septisohe Diphtherie. 247
sehr geschlängelte; dicht verfilzte Streptokokken, mit Bildung
fester Haufen bei fast völligem Fehlen freiliegender einzelner
Ketten.
Nach dem Grade der Schlängelung nimmt er anderer-
seits: Streptococci rigidi (<=> Gruppe 1) und Streptococci flexu-
osi (= Gruppe 2 a + b, 3) an.
Diese Benennungen decken sich mikroskopisch als auch
culturell mit dem Streptococcus brevis und Streptococcus longus
Lingelsheim's.
Die von uns gefundenen Streptokokken können zu dem
Str. longus (Lingelsbeim) oder Sti:. flexuosus (Eurth)
• gezählt werden und würden im letzteren Fall der Gruppe
2 b der Eintheilung Eurth's angehören.
Dass es sich nicht um einen Str. erysipelatus handelt,
geht schon aus dem Fundort hervor, ferner könnte noch als
Beweis dienen, dass der Bodensatz immer sehr stark war,
während derselbe bei dem Str. erysipelatus gering zu sein
pflegt. Ausserdem spricht noch dagegen die Virulenz unserer
Streptokokken weissen Mäusen gegenüber.
Das Herzblut wurde von den meisten Forschern gar nicht
untersucht, nur Beck^) und Oapon') machten davon Ge-
brauch.
Beck fand das Herzblut solcher Fälle, bei welchen er in
den inneren Organen Streptokokken constatirte, frei davon.
Canon konnte dieselben aach aus dem Blute herauszüchten.
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen bestätigten die
Angaben Canon's, denn so oft wir in den inneren Organen
Streptokokken fanden, waren dieselben auch im Herzblute vor-
handen. ^
Einen weiteren Beweis dafür lieferten uns die Impf-
versuche mit weissen Mäussen, denon wir, wie schon oben
erwähnt, ^ ccm Herzblut subcutan einspritzten. In allen
Fällen, in denen aus der Leiche Streptokokken gezüchtet
wurden^ ging die entsprechende Maus zu Grunde und zeigte in
allen inneren Organen, sowie auch im Herzblute ebenfalls
Streptokokken.
Die Autoren, die sich mit der Streptokokken frage be-
fassten, gebrauchten nicht einen derartig ausgeführten Control-
versuch mit Mäusen. Wir legten auf diese Impfung bei der
grossen Ueberein Stimmung der Resultate mit denjenigen der
Sulturversuche einen grossen Werth und sahen darin einen
Beweis für die Sicherheit des Verfahrens.
Um nun aber auf unsere Fälle zurückzukommen und den
1) 1. c. 2) 1. c.
248 G' Oenersich:
bacteriologischen Befund mit der klinischen Beobachtung ver-
gleichen zu können, wollen wir zunächst sehen:
ob die Streptokokkenfälle alle auch klinisch den sep-
tischen Charakter zeigten?
Die Antwort auf diese Frage werden uns die 4 Strepto-
kokkenfölle unserer Untersuchungsreihe Fall VII, X, XVI und
XXIII liefern.
1) Fall VII.
L. E., 4 Jahre alt, anfgenommen 4. IX. 1898. f am 6. IX. 6 Uhr
p. m. Ixnpfang nach 1 Stande.
Das bieher gesnnde, aber blasse Kind erkrankte, von einer Reis«
heimgekehrt, plötslich am 17. VIII. und war vom Anfang her schwgr
krank. 8 Tage sp&ter soll im Gesicht diffuse Röthung aufgetreten sein.
Am 1. IX. Erbre^en mit Blut, am 2. IX. Auftreten von Ecchymosen in
der Haut des Halses und der Beine. •
Das fflr sein Alter nur massig entwickelte Kind ist auffallend bleich,
waohsähnlich , zeigt am ganzen Körper zerstreut, besonders unterhalb
des Nabelniveaus, zahlreiche oberfl&cnliche Hautecchymosen. Eine ein-
zige ist grösser und sitzt im Unterhautzellgewebe am äusseren Ende
des rechten Augenbrauenbogens.
Das Kind macht einen schwerkranken Eindruck, ist sehr matt, liegt
bei vollem Bewusstsein gewöhnlich auf der Seite mit offenem Munde
und athmet schnarchend, wobei aus dem Mund^ und dem linken Nasen-
loch dunkles Blut hervoraickert. Aus dem rechten Nasenloch flieset
gelbliches, saniöses Secret, amSeptum narium ist ein gelblich weisser
Belag. Starker Blutgeruch aus dem Munde. Die Mundschleimhaut ist
mit blutigem Schleim bedeckt, das Zahnfleisch ist theilweise aufgelockert
und blutet ebenfalls. Die Hauptmasse des Blutes kommt jedoch aus
dem Rachen. Die Uvula ist an ihrer Vorderfl&che mit Blutgerinnsel be-
beckt. Auf den Tonsillen und GaomenbÖgen ist ein schmieriger, undeut-
lich begrenzter Belag. Die pastös verschwollene Kieferwinkelgegend
enthält vergrÖBserte druckempfindliche Drüsen. Die Stimme ist schwach
und klingt nasal. Die Herztöne sind schwach und dumpf. Der Puls
ist sehr klein, kaum fühlbar; Frequenz nur 84. Temperatur subnormal.
Milz nicht palpabel.
Die Blutung besteht trotz Darreichung von Atropin und Seeale cor-
nutum. Tod.
Section: Gangr&nescirende Nasen-, Baohendiphtherie. Diphtherie
der Tonsillen und des Larjnxeinganges. Hochgradiges Oedem des Hals-
bindegewebes und der Halslymphdrüsen. Multiple lobuläre Infiltration
beider Lungen. Eitrige Bronchitis. Trübung des Myocards. Septische
Milz und Niere. Trübung und Oedem der Leber. Acuter Magenkatarrh.
Schwellung der Mesenterialdrüsen.
Bacterio logischer Befund: Sowohl auf dem Agar, als auf den
Gelatineplatten wachsen Streptokokken in Reiacultur. Die (mit nur
0,2 ccm Herzblut geimpfte) Maus wird am Morien des dritten Tages
todt aufgefunden in der typischen zusammengekauerten Stellung, in
welcher sie sich schon vorigen Tag hindurch befand.
Im Ausstrichpräparat der einzelnen Organe, sowie in Schnitten sind
meistens einzelne und höchstens viergliedrige Ketten, in Bouillon und
auf dem Agar ausgesprochen geschlängelte, lange Streptokokken.
Epikrise: Wir sehen, dass dieser Fall, welcher
baeteriologisch septisch war, auch klinisch die Zeichen
Bacteriolog. ünterBuchungen fiber d. sog. septische Diphtherie. 249
der septischen Diphtherie bot. Besonders hervorragend
waren die Schleimhaut und Hautblntungen, die Gangrän des
Rachens und der Nase, die ödematöse Schwellung der Hals-
lymphdrüsen, Herzschwäche, also neben schweren Localerschei-
nungen ungemein schwere AUgemeininfection.
2) Fall X.
Fr. A., 3 Jahre alt, aufgenommen am 18. IX. 1898. f am 24. IX.
Sonntags Nachmittag 2^^ Uhr. Abgeimpft nach 19 Stunden.
Aufnahme mit m&ssigen Stenosenerscheinnngen. Die Haut ist blass,
im (Besicht etwas geröthet und cyanotisch. Belag nur auf der rechten
Tonsille. Dräsenansch wellung ist massig. Die Athmung wird nach der
Intubation ruhiger, bleibt aber noch immer jagend und deutet auf ein
tieferliegendes Hinderniss. Einziehungen sind nur im Jugulum. Ueber
den Lungen hört man zahlreiche Basseigeräusche, besonders B. H. 0.
und in der rechten Achselhöhle. Respirationsfreqnen^. 66. Herzd&mpfung
normal. Herztöne etwas dumpf. Puls frequent (160), noch regelmässig
and kmftig. Milz nicht palpabel. Temperatur 88,9.
Im weitem Verlauf entwickelt sich im rechten überlappen eine
grosse Infiltration, am 23. IX. auch links Zeichen von Pneumonie. Am
21. und 22. IX. diphtheritisohe Beläge der Lippen. Trotz hohen und
schwankenden Fiebers sind die Extremitäten kühl, cyanotisch und etwas
ödematös. Der Puls wird am 23. IX. klein und unregelmässig, die
Athemnoth immer grösser. Patient stirbt wegen zunehmender Herz-
schwäche.
Section: Diphtherie der Unterlippe, der Tonsillen, des Larynx,
der Trachea bis in die feinsten Bronchien. Beiderseitige Pneumonie.
Trübung des Myocards. Hyperplasie der Milz. Yenöse Hyperämie und
Oedem der Leber und der Nieren.
Bacteriologische Untersuchung: Aus dem untersuchten Leichen-
material wachsen lange Streptokokken, die geimpfte Maus ist gleich
traurig, bewegt sich träge^ kauert sich zusammen und wird am 8. Tage
todt aufgefunden. Die »tichgegend ist bis nach vorne zu den Vorder-
beinen blutig unterlaufen, der Bauch zeigt subcutanes Oedem. Pleura
frei. Milz gross, etwas weich.
In den Culturen aus den Organen Streptococcus longus.
Epikrise: Der bacteriologisch septische Fall bot
klinisch das Bild einer Diphterie mit Croup, welche
descendirte und zu ausgebreiteten, beinahe lobulären
Pneumonien führte. Die Herzschwäche stellte sich nur
mit dem Fortschreiten der Pneumonie ein, sonst waren
klinisch keine septischen Symptome vorhanden.
8) Fall XVI.
D. H., 6 Jahre alt, aufgenommen am 11. X. 1893. t &™ I^- X'
Abgeimpffc nach 2 Stunden.
Erkrankung am 8. X. mit Schlingbeschwerden, Belägen auf den
Mandeln und Fieber. 10. X. Abends gesellte sich Husten und Heiser-
keit hinzu.
Der zarte Knabe mit sehr bleicher, lividgrauer Gesichtsfarbe liegt
ganz apathisch darnieder. Am Hals bis zum Obern Theil des Sternums
starkes Oedem. Die Nasenöffnungen sind excoriirt, lassen ein dünnes,
missfarbiges Secret ausfliessen. Der Mund wird offen gehalten, die
250 0. Genenich:
Lippen sind blaes, trocken und rissig. Die GaomenbOgen nnd üynla
sind stark geschwollen, von einem unregeimässig begrenzten schmutEig-
erauen Bel^ bedeckt. Ebenso enthalten die geschwollenen und gerö-
theten Tonsifien kleinere graue Beläge. Der Herzstoss ist kaum fOhlbar.
Die Herztöne sind leise, der Puls klein, ungleichmässig, unregelm&ssig.
Im Urin Eiweiss.
Der Patient verfällt trotz Wein und* Eampher immer mehr, ver-
breitet einen cadaverOsen Geruch, der Puls wird kaum fühlbar, das
Fieber steigt von 88,2 auf 89,6, f&Ut dann wieder auf 88,4, worauf der
Tod unter Circnlationsschw&che eintritt.
Section: Derbe Membranen am weichen Gaumen, auf den Ton-
sillen, dem Pharynx und Larynx. Halslymphdrüsen geschwollen, Oedem
der Haut des Halses und der oberen Stemidgegend. Im schlaffen Herz
dunkles schwarzrothes flüssiges Blut. Subpleurale und subpericardiale
Blutungen. Beginnende Degeneration des Henmuskels. Stauungsleber.
Hyperplastische Milz. Membranen in allen Bronchien.
Bacteriologischer Befund: Der Impfversuch aus dem Leichen-
material ist positiv. In allen vier Bouillonportionen wachsen schöne
lange Streptokokken, die Maus erliegt am dritten Tag nnd ans den
Organen derselben können auch Streptokokken gezüchtet werden. Die
Section der Maus ergab ausser Milzvergrösserung nichts Besonderes.
Epikrise: Der Fall bot auch klinisch septische
Symptome, besonders ausgeprägt war hier das Oedem,
welches sich auf die Sternalgegend fortpflanzte. Die Herz-
action war vom Anfang her sehr schlecht, die Haut 'miss-
farbig, die Beläge im Rachen stark ausgebreitet und verfärbt
Hier würde also der bacteriologische Befund mit
der klinischen Beobachtung zusammenfallen.
4) Fall XXÜI.
N. H., 2*/« Jahre alt, aufgenommen 12. XI. 1898. f 16. XI. Abgeimpft
nach 9y, Stunden.
Das Kind erkrankte am 6. XI. mit Schnupfen, Fieber; am 10. XI.
soll eine neue Fieberattaque hinzugekommen sein, seit dieser Zeit be-
stehen Halsschmerzen und Schwellung der Submazillardrüsen.
Patientin ist gut entwickelt, hat reichliches Fettpolster. Zeichen
von Rachitis. Die Haut ist blass, aber nicht missfarbig. Foetor ex ore,
Tonsillen und Z&pfcben geschwollen, auf denselben, wie auch auf den
Gaumenbögen dicke, grauweisse Membranen. Eiefcrwinkel- und Hals-
lymphdrüsen sind geschwollen, aber nicht ödematös. Herzaction be-
schleunigt, aber kräftig, Puls frequent, regelmässig, kräftig. Milz nicht
palpabel. Urin eiweissfrei. Die Kranke wird dreimal täglich mit Hy-
drargyram c^anatum nach Escherich buhandelt.
Die Bacillen schwinden zwar nicht und die abgetupfben Membranen
bilden sich aufs Neue, erstrecken sich nach vorne bis zum harten Gaumen ;
Verschlimmerung trat jedoch erst am 15. XI. ein. Der Kehlkopf wurde
etwas schmerzhaft, beim Schreien trat ab und zu Verengerung der
Stimmritze ein. Der Urin enthält Spuren von Eiweiss. Gegen Abend
stellten sich erhebliche Athembeschwerden ein, so dass eben zur Intu-
bation vorbereitet wurde, als die Patientin auf einmal collabirte.
Nach sofortiger Intubation, wobei eine dicke Membran herausgehustet
wurde, musste noch 10 Minuten lang kfinstliche Athmung erhalten werden,
bis die Kranke sich einigermassen erholte. Der Puls blieb aber klein,
die Herzaction wurde trotz Strychnin und Kampher immer schwächer
und 4 Stunden nach dem Anfall trat der Tod ein.
Bacteriolog. üntersncbiiDgen über d. sog. septische Diphtherie. 251
Section: Dicke Membranen der Uvula, der Tonsillen, des weichen
Gaumens. — Die Epiglottis und der La^nzeingang ist zwar stark ge-
schwollen, aber ohne Beläge, ebenso die Kehlkopf- und Trachealschleim-
haut. Nekrose in den geschwollenen Lymphdrüsen. Bronchopneumonien
in den Unterlappen. Verknöcherte tuberculOse Herde in der Lingnla.
Tuberculöse Geschwüre im Dünn- und Dickdarm. Verkäste Bronchial-
und Mesenterialdrüsen. Trübung des Myocards Anämie der Leber
mit Nekrosen in Parenchym. Hyperplasie der Milz. Nephritis paren-
chymatosa.
Bacteriologischer Befund: Das Resultat fällt zwar positiv aus,
weicht aber von dem vorigen ab. Die BouillonrOhrchen von Leber und
Niere bleiben steril, aus Herzblut und Milzsafb wachsen lange Strepto-
kokken und Staphylococcus albus.
Die Maus bekommt einen Abscess in der linken Lendengegend und
erliegt erst am 8. Tag nach der Impfung. Sowohl im Abscesseiter als
auch in den innem Organen sind Streptokokken vorhanden, neben wel-
chen in den Culturen von Herzblut und Milz Staphylococcus albus
and in denjenigen von Niere und Leber kurze dicke Stäbchen gezüchtet
werden.
Epikrise: Wenn wir die klinischen Symptome dieses
Streptokokkenfalles in Augenschein nehmen-, so erkennen
wir in denselben eine schwerere Bachendiphtherie,
aber keineswegs eine septische Form. Der Fall schien
eben deswegen zur Escherich'schen Behandlung geeignet
zu sein. Der Tod kam ganz unverhofft. Aus der vorhandenen
DrGsenschwellung allein Hess sich nicht auf eine Strepto-
kokkeninfection deuten. Nur nachträglich konnte darüber an-
genommen werden, dass die später eintretende Schwellung
des Rachens und des Kehlkopfes eventuell durch Strepto-
kokkeninvasion erfolgte.
Fassen wir nun alle vier Streptokokkenfälle zusammen,
so sehen wir, dass nur in zwei Fällen auch klinisch so-
genannte septische Symptome ausgeprägt waren, im dritten
beherrschte eine Pneumonie, im vierten eine Rachendiphtherie
das Erankheitsbild. Man kann demnach sagen, dass nicht
alle Streptokokkenfälle auch klinisch den septischen Cha-
rakter zeigten. Es besteht somit kein Einklang zwischen
der klinischen Beobachtung und der bacteriologischen Unter-
suchung.
Unter Verwerthung unserer übrigen 21, keine Strepto-
kokken enthaltenden Fälle wollen wir jetzt folgende Frage
aufstellen :
Enthalten nicht die „Nichtstreptokokkenfälle'^ kli-
nisch als septisch zu bezeichnende Diphtherien?
Unter den 21 Fällen sind es besonders die Fälle II, V,
XVII, XIX, XXII, welche das Bild einer schweren Erkran-
kung darbieten:
252 O. Oenersich:
1) Fall II.
K. E., S Jahre alt. Das Kiod kam am 8. Rrankheitstage in fieber-
losem Zustande, mit grosser Prostration, starker Blässe und Oedem des
Gesichtes, besonders der Augengegend, nekrotisch zerklüfteten Tonsillen,
schorfigen Lippen, starkem Geruch aus dem Munde, erheblich geschwol-
lenen Halslymphdrüsen, fliessender Nase, eitriger Conjunctivitis, sehr
schwacher Herzaction und acuter Nephritis ins Krankenhaus.
Der Zustand wurde immer trostloser, es trat Nasenbluten und Er-
brechen auf; der Puls schwand allmählig dem Gefühl.
Section: Diphtheriemembranen auf den gangränösen Tonsillen,
am Zungengrunde, im Nasenrachenräume und am weichen Gaumen.
^ämorrhagien und Nekrosen in den Halsljmphdrüsen. Parenchym. De-
generation des Myocards, der Leber und der Nieren. Milzschwellung.
Bämorrhagien in der geschwollenen Magenschleimhaut.
Epikrise: Trotzdem der bacteriologische Befund negativ
war, müsste dieser Fall vom klinischen Standpunkt aus ganz
entschieden unter die septischen gerechnet werden.
2) Fall V.
G. L., 13 Jahre alt. Fat. macht einen schwerkranken Eindruck,
liegt mit offenem Munde laut schnarchend und somnolent darnieder.
Die Hantfarbe ist fahl, die trockene Zunge stark belegt. Rachen und
Uvula ödemfttös geschwollen, auf dpr Uvula und der rechten Tonsille
graugrünliche, nur nach vorn begrenzte schmutzige Belä^. Aus dem
Munde kommt ein übler, süsslicher Gestank. Die rechte Kieferwinkel-
gegend ist OdematGs angeschwollen und enthält grosse, harte schmerz-
hafte Drüsen. Fat. kann nur durch den Mund Athem holen. Die
Herzdämpfung ist etwas verbreitert, die Herztöne sind dumpf, der Fnls
klein frequent, die Milz vergrössert Im Urin Eiweiss und Cylinder.
Anorexie und Erbrechen. Temperatur 88,8 ^
Im weiteren Verlauf tritt Heiserkeit auf, Fat. hustet mehrmals
grosse Traohealmembranen aus, ohne dass es zur Stenose kommt. Zu-
letzt entwickelt sich noch eine Fneumonie des rechten Unterlappens.
Das Fieber steigt bis 41,6. Fat. wird sehr unruhig, wirft sich im Bett
herum und stirbt dann ganz plötzlich.
Die Sectio i^ ergiebt ausser Bestätigunff der klinischen Beobach-
tung: Aspirationspnenmonie in beiden Unterlappen, rechtseitige hämo-
rrhagische Fleuritis, septische Milz und Nieren, parenchymatöse Myo-
carditis. [Es war auch Tnbercnlose vorhanden, (öehirn, Darm, Mesen-
terialdrüsen.)]
Epikrise: Dieser Fall gehörte zu den schwersten
Fällen, welche man bei Diphtherie beobachtet, und
bot klinisch septische Erscheinungen in ganz exqui-
siter Ari
3) Fall XVII.
G. M., 4 Jahre alt. Das Kind kam mit starker Stenose herein und
musste sofort intubirt werden.
Doch anch^ nachdem die Athemnoth gehoben worden, besiaand
schreckliche Leichenblässe. Ausserdem kleiner, elender Fuls, stinkender
Qornch auR dem Munde, grau verförbte Beläge auf beiden Tonsillen,
welche nächsten Tag auch die Gaumenbögen umfassten, starke Schwel-
lang der Halslymphdrüsen, Blutungen auf den unteren Extremisten.
Bacteriolog. Untersuchungen über d. sog. septische Diphtherie. 253
Bei der Section fand man noch Blutungen im Subpericard der
Vorhöfe und in der Magenschleimhaut. Dann hämorrhagische Pneu-
monie im linken Unterlappen, parenchymatöse Degeneration des Herzens,
septische Milis, beginnende parenchymatöse Nephritis.
Epikrise: Abgesehen davon, dass in diesem Fall
auch acut verlaufender descendirender Croup vor-
handen war — was bei septischen Fällen nicht oft vor-
kommt — waren ebenfalls ganz ausgesprochene sep-
tische Erscheinungen ausgeprägt.
4) Fall XIX.
B. H., 7 Jahre alt. Patient kommt in fast moribundem Znstande
ins Hausy mit halb erloschenem Bewusstsein. Die Haut ist auffallend
bleich, am Unterkiefer und Hals, bis zur Mitte der vorderen Thoraz-
fl&che herab, starkes Oedem. Conjanctiven cyanotisch. Nasenöffnungen
excoriirt und lassen ein übelriechendes, missfarbiges Secret ausfliessen.
Die Lippen sind trocken und borkig. Starker Foetor ex ore. Schleim-
haut der Mundhöhle and des Rachens stark geröthet und geschwollen,
der weiche Gaumen , die Tonsillen und die Ovula sind von morschen,
bräunlichen, übelriechenden Belägen bedeckt, in dem gangränösen Ge-
webe Hämorrhagien. Die Kieferwinkeldrüsen sind stark geschwollen.
Die Stimme ist heiser, die Herzdämpfung etwas breiter, die Herztöne
schwach, der Puls sehr klein, kaum fühlbar. Erbrechen von missfar-
bigen^ übelriechenden Massen, Entleeren von dunkelbraunem, stinkendem
Koth. Kühles Gesicht und Extremitäten neben Temperatur von 38
bis 39 ^
Epikrise: Ein Krankheitsbild, welches überaus
reich ist an septischen Symptomen und unter diesen
die odematöse Schwellung der Hals- und Sternal-
gegend ganz besonders ausgeprägt enthält.
5) Fall XXII.
B. £., 2V, Jahre alt. Ausser den exquisiten Groupsymptomen mit Aus-
husten von grossen, auch die Bronchienverzweigung enthaltenden Mem-
branen sind noch ^folgen de Erscheinungen vorhanden:
Die Haut ist blass, aschgrau, im Gesicht um die stark fliessende
Nase herum zahlreiche Excoriationen. Aus den Nasenlöchern entleert
sich saniöser Eiter. Aus beiden Ohren fliesst übelriechendes Secret,
beiderseits Perforation des Trommelfells. Der Mund wird halb geöfifhet
gehalten, die Lippen sind rissig und mit Membranen belegt, die Gaumen-
bögen geröthet und geschwollen, die Tonsillen mit übelriechenden grauen
Bellen bedeckt. Urosse Anorexie. Die Herzaction ist sehr schwach.
Im Harn Yg Volumen Eiweiss.
Später verschlimmert sich besonders die Ohrenaflfection , die rechte
Ohrmuschel wird dunkelblau, es bilden sich auf derselben schmutzige,
schmierige Beläge. Auch der Foetor ex ore wird beinahe aashaft, das
Nasensecret jauchig. Das Fieber ist zwar nicht hoch, um 39^ herum,
zeigt aber nnregelmässige Schwankungen.
Epikrise: Der Fall konnte auch noch in die zweite
Gruppe unserer Eintheilung gehören^ die jauchige Natur
des Ohren- und Nasensecrets, die schmutzigen, bei-
nahe gangränösen Beläge der Ohrmuschel hilden je-
254 G. Generflich:
doch klinisch septische Erscheinungen. Die Section
ergab: Gangränöse Diphtherie, septische Milz, starke
Nephritis.
Alle übrigen Fälle unserer Untersuchungsreihe können
wir bei Beurtheilung der aufgeworfenen Frage ausser Acht
lassen, aus den citirten fünf Fällen jedoch geht hervor, dass
bei genauer Erwägung der klinischen Symptome
auch unter den Nichtstreptokokkenföllen solche vor-
handen waren, welche klinisch einen septischen Charakter
boten, und zwar waren es 5 Fälle unter 21.
Diese fünf Fälle mit klinisch-septischen Symptomen, aber
ohne Streptokokkenbefund, stehen nun den zwei Streptokokken -
fallen gegenüber.
Wir bekamen also schon bei einer so geringen Anzahl
von Fällen vorwiegend solche septische Fälle, bei welchen
nur von klinischer Seite von Sepsis die Rede sein kann,
die bacteriologische Untersuchung bestätigte die klinische
Diagnose unter sieben Fällen nur zweimal.
Daraus Hesse sich der Schluss ziehen,
dass, wenn es sich auch nicht leugnen lässt, dass bei
schwerer Diphtherie Streptokokkeninfection (d. h. Misch-
oder Secundärinfection) vorkommen kann, andererseits be-
sonders hervorgehoben werden muss, dass dieselbe bei der
Mehrzahl der Fälle fehlt. Es kann unsererseits behauptet
werden, dass sich der klinische Begriff der septischen
Diphtherie mit demjenigen einer bacteriellen Mischinfection
absolut nicht 'deckt.
Denn es kommen Fälle vor mit exquisiten klinisch septi-
schen Erscheinungen, ohne dass es sich um eine Streptokokken-
iufection, also um eine bacteriologische Sepsis .handeln würde.
Andererseits ergab die bacteriologische Untersuchung Strepto-
kokken, wo am Krankenbett von Sepsis nicht gesprochen
werden konnte.
Es muss vielmehr angenommen werden, dass der Di-
phtheriebacillus an und für sich die ausgeprägtesten, kli-
nisch als septisch bezeichneten Symptome hervorrufen
kann, ohne hierbei — wie dies allgemein angenommen
wird — auf eine Streptokokkenmischinfection angewiesen
zu sein.
Die Streptokokken spielen demnach nicht in allen Fällen
die wichtige Rolle, welche ihnen besonders von bacterio-
logischer Seite zugetheilt wird;
wir haben gesehen, dass eine Streptokokkeninfection erfolgt
sein kann, ohne dass sich klinisch septische Symptome ent-
Bacteriolog. UnterBnchungen über d. sog. septische Diphtherie. 255
wickelt hätten^ und es sind solche ausgeprägt, ohne dass es
sich um eine Streptokokkeninfection gehandelt hätte.
Wenn nun aber das Diphtheriegift an und für sich die
Ursache der bisher septisch genannten Erscheinungen der
Loffler'scheu Diphtherie sein kann und wirklich ist, so
taucht unwillkürlich die Frage auf:
Warum gebraucht man zur Bezeichnung dieser schwersten
Formen gerade den Namen „septisch", eine Benennung,
welche in der heutigen bacteriologischen Äera nicht nur
auf das Vorhandensein von Streptokokken schliessen lässt,
sondern zugleich bedeutet, dass hier die Streptokokken
auch die Ursache der Krankheit, der Schwere des Sym-
ptomencomplexes sind, welchem man auch in solchen Zeiten
den Namen septisch gab, als dessen bacteriologischer Sinn
überhaupt noch nicht vorhanden war?
Diese Benennung bringt Zweifel und Irrthümer in die
Praxis, und es. wäre demnach viel zweckmässiger, dem ein-
heitlichen Begriff der L off 1er' sehen Diphtherie viel dienlicher,
den Namen „septisch'' ganz fallen zu lassen und für
die schwersten Formen der Diphtherie die Benennung:
schwerste toxische Diphtherie oder Diphtheria
gravissima anzunehmen.
Der Name „septisch^' würde nur da an Ort und Stelle
sein, wo man durch Blutuntersuchungen das Vorhandensein
einer Streptokokkeninfection nachzuweisen im Stande ist, und
wenn man zur Ueberzeugung gelangt, dass mit dem Ein-
wandern der Streptokokken auch jene Symptome sich ent-
wickelten, welche dem klinischen Begriff der Sepsis ent-
sprechen.
Wenn auch die Streptokokkeninvasion bei Diphtherie viel
seltener vorkommt, wie es ohne Berücksichtigung der von
uns hervorgehobenen Congruenz der klinischen Beobachtung
und bacteriologischen Untersuchung angenommen wird, hat
dieser Umstand dennoch seine praktische Bedeutung.
Es handelt sich darum, woraus wir die Mischinfection
am Krankenbett erkennen und was wir zur Verhütung der-
selben thun können und sollen?
Behring^) nimmt vier Stufen der Streptokokken-
infection an:
1. AUgebieinverbreitung und schneller Tod ohne Organ-
Veränderungen.
1) 1. c.
256 G. Genonich:
2. Tod nach einer Reihe von Tagen, wobei kleine Eiter-
herde in den innem Organen sind.
3. Es bilden sich Bronchitiden und BronchopneamonieD,
welche prognostisch nicht eben trostlos sind.
4. Die Streptokokken vereitern die dein Rachen nächst-
liegenden Lymphdrüsen und eliminiren« sich auf diese Weise.
Unsere Fälle sind zwar nicht zahlreich genug, um die
Berücksichtigung aller dieser Formen zu ermöglichen, bieten
aber dennoch gewisse Anhaltspunkte. Es scheint übrigens,
dass obige Eintheilung mehr dem theoretischen Thierexperi-
mente, als dem praktischen Leben entnommen ist.
Die einzelnen Formen in umgekehrter Reihenfolge berück-
sichtigt, begegnen wir zunächst der Vereiterung der Hals-
lymphdrüsen. Dazu kam es nur in einem ausserhalb der
Versuchsreihe stehenden Fall in der Zeit meines hiesigen
Aufenthaltes. Im Eiter waren Streptokokken vorhanden. Die
Seltenheit der Drüseneiterung wird auch von andern Klinikern
bestätigt. Die Fälle mit Drüseneiterungen und Streptokokken-
befund im Eiter würden aber ganz bestimmt auf eine, wenn
auch nicht weit geschrittene Streptokokkeninvasion deuten.
Was die Bronchitiden und Bronchopneumonien anbelangt,
so beobachteten wir dieselben auf der Klinik sehr oft und
fanden sie auch häufig am Sectionstisch. Wenn aber auch
Prudden^) bei Pneumonien nach Diphtherie in der Lunge
viel häufiger Streptokokken fand, als bei Pneumonien anderen
Ursprunges, so kann vom klinischen Standpunkte das Vor-
handensein einer. Pneumonie noch nicht für die Diagnose einer
Streptokokkeninfection verwerthet werden, wir beobachteten
hämorrhagische Pneumonien sehr oft bei Diphtherie, besonders
bei Croupfällen, ohne in den inneren Organen Streptokokken
gefunden zu haben, und Barbier') schliesst bei Croupfällen
überhaupt die Streptokokken aus der Aetiologie aus.
Wir beobachteten nur einen einzigen Pneumoniefali unter
den 25 zur Section gelangten Fällen, bei welchem auch ander-
wärts Streptokokken gefunden wurden.
Ebenfalls selten ist das Vorkommen von kleinen Eiter-
herden in den innem Organen, wir beobachteten es unter den
25 Fällen kein einziges Mal.
Kommen aber eitrige Metastasen in der Lunge, in den
Nieren, eitrige Pleuritis, Gelenkseiterungen zur Beobachtung,
so kann man daraus auf eine Streptokokkeninvasion schliessen,
wie es bei Scharlach ziemlich häufig gethan wird.
Die am meisten heimtückische Art der Streptokokken-
«
1) 1. c. 2) 1. c.
Bacteriolog. ÜnterauchuDgen über d. sog. septische Diphtherie. 257
infection, die schnelle Allgemeinverbreitung ohne Organver-
änderangen beobachteten wir yiermal. Wenn wir aber auf-
richtig sein wollen^ müssen wir sagen, dass wir die Diagnose
im Lebenden nar in zwei Fällen stellen konnten, in den zwei
anderen überraschte uns das Resultat der bacteriologischen
Untersuchung.
Weiter oben war erwähnt, dass die Symptome der
schwersten Diphtherie auch einzig und allein die Folgen der
Diphtheriebacillen sein können. Dieser Umstand erschwert
die Verwerthung der einzelnen schweren Symptome zu Gunsten
der Streptokokkendiagnose.
Betrachtet man die Haut- und Schleimhautblutungen,
welche bei schwerster Diphtherie vorkommen, so hatten wir
unter unsern Kranken zwei Repräsentanten dieses Symptoms,
es sind dies die Fälle VII und XVII. Wir fanden jedoch nur
in dem einen Fall Streptokokken, in dem andern entstanden
die Blutungen unter der Wirkung des Diphtheriegiftes.
Die odematose Anschwellung der Lymphdrüsen beobach-
teten wir einige Mal, am besten war sie in den Fällen XVI
und XIX ausgeprägt Es war nicht nur die Eieferwinkel-
und Halslymphdrüsengegand geschwollen, sondern das Oedem
erstreckte sich bis auf die obere Hälfte des Sternums. Kli-
nisch war Verdacht auf Streptokokken, erwies sich aber nur
in dem Fall XVI als gerechtfertigt.
Starker Fötor, Gangrän der Rachentheile scheinen eben-
falls ohne Streptokokkeninfection vorkommen zu können.
Eben so verhält es sich mit der Blässe, der misslichen
Farbe der Haut, dem soporösen oder schwer adynamischen
Zustand, der Herzschwäche und Nephritis.
Es bliebe nur noch die Betrachtung des Fiebers übrig.
Im Allgemeinen Hess sich aus keiner unserer Fiebercurven
auf eine Streptokokkenkrankheit schliesseu. Nur zweimal
beobachteten wir unregelmässiges Fieber mit grossen Schwan-
kungen. In dem Fall X, wo allerdings Streptokokken ge-
funden worden sind, war auch Pneumonie vorhanden, welche
das Krankheitsbild complicirte, und in dem Fall XXII, wo
wir in allen Orsanen Staphylokokken fanden, waren ausser-
dem keine anderen positiven Symptome vorhanden.
Excessiv hohe Fiebersteigerungen beobachteten wir fünf-
mal (Fälle III, V, VI, XII, XXV). Nur der Fall V bot uns
klinisch septische Symptome und auch da war der Strepto-
kokkenbefund negativ.
Man konnte etliche schwere Symptome, wie die starke
Anschwellung der Drüsen, Vereiterung, eitrige Metastasen,
Blutungen für die Diagnose der Streptokokkeninvasion ver-
werthen, einzig sicher wäre aber nur der Nachweis von
Jfthrbnoh f. Kinderheilkuud«. N. F. XXXVUI. 17
258 O. Gener rieh: BaH. Unten, ober d. sog. teptk^e Diphtherie.
Streptokokken in dem Blute, wa« nach den Ergebnissen
Canon's dorchf&brbar zu sein scheint.
Was die Verhfltüng der StreptokokkenioTasion anbelangt,
so stimmen wir Behring insofern zn, dass daxa reine, hygie-
nisch eingerichtete Erankenraume nothig sind nnd in den-
selben eine mit peiDÜchster Reinlichkeit gepaarte Behandlung
erforderlich ist
Vor der Localbehandlang ist man aber heute abgekommen
und zwar, weil man davon mehr Schaden als Nutzen sah.
Unser Fall XXIII liefert ein Beispiel, dass auch die modernste
und gründlichste Desinfection des Rachens (nach Escherich)
nutzlos sein kann und auch in hygienischen Erankensälen,
wie die unsrigen sind, der Streptokokkeninvasion nicht vor-
zubeugen mag.
M
3. Ueber das Verfahren der Intubation bei der diphthe-
risohen EehlkopfiBtenose,
Von
Dr. Carstens,
intaiim. Obersnt der Innern Abtheilang »m Leipiiger KlnderkrankenhAoee.
Im Laufe der letzten Jahre haben sich die Arbeiten über
die Behandlung der Kehlkopfstenose mit der O'Dwy er' sehen
Intubation und über die Vorzüge dieser unblutigen Methode
gegenüber der Tracheotomie derart gehäuft, dass es nunmehr
überflüssig ist, über die Berechtigung dieser Behandlungs-
weise sich des Weiteren zu verbreiteD. Es ist vielmehr jetzt
die Aufgabe derer, die sich entschlossen haben yon der Intu-
bation bei der in Rede stehenden Erkrankung den ausgiebig-
sten Gebrauch zu machen, die besonderen Erfahrungen, die
bei Anwendung der Intubation gemacht werden, und die dar-
aus resnltirenden praktischen Winke zu Teröffentiichen, um
der Intubation immer neue Freunde zuzuführen.
Im hiesigen Kinderkrankenhause, wo seit September 1891
bereits über 200 Fälle von durch Diphtherie bedingter Kehl-
kopfstenose intubirt sind, haben wir in mancherlei Hinsicht
interessante und zum grossen Theil auch praktisch wichtige
Erfahrungen gesammelt, mit deren Veröffentlichung mein ver-
ehrter früherer Chef, Herr Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Heubner
mich beauftragt hat; demselben sage ich an dieser Stelle für
die Anregung und Unterstützung bei der Arbeit meinen ver-
bindlichsten Dank.
Diese unsere Erfahrungen erstrecken sich einmal auf die
Technik der In- und Extubation, deren leichtere Ausführbar-
keit wir durch geeignete Vorübungen und durch zweckent-
sprechende Aenderungen an den Instrumenten erreicht haben,
dann aber auch auf die Behandlung und Pflege des intubirten
Kindes, auf die Präcision der Indicationen für die secundäre
Tracheotomie, auf die Stellung der Prognose etc.
Es sind für die vorliegende Arbeit die ersten 100 Intu-
bationsfölle speciell verwerthet, von denen ich 75 Fälle selbst
genau zu beobachten Gelegenheit hatte.
17"
260
Dr. Caratens:
^
Bevor ich zu dem eigentlichen Gegenstand der Abhand-
lung komme, sei es mir gestattet, einige statistische Daten
über das zu Grunde gelegte Material zu geben; der besseren
Uebersicht halber gebe ich diese Daten in mehreren Tabellen
wieder.
Alter in Jahren
Anzahl der Fälle
Geheilt . . .
Gestorben . .
Tabelle L
4 6 6
17 11 7
5 4 4
12 7 3
1
2
8 i
3
20
32
—
4
12
8
16
20
7
6
1
4
8
4
9V,
1
4
1
100
30
70.
Das jüngste Kind, das geheilt wurde, war 1^ Jahr alt.
In der folgenden Tab. II bedeuten die romischen Ziffern
in der ersten Reihe die Erankheitstage, an welchen die Kinder
aufgenommen wurden, in der vierten Reihe, an welchem Tage
diejenigen Kinder intubiri wurden, die nicht am Tage der
Aufnahme intubirt sind.
Tabelle IL
Krankheitstag . . . .
Aufgenommen . . . ,
Am Beiben Tag intubirt
Spater intubirt . . .
Geheilt
Gestorben
I.
II.
III.
IV.
V.
' VI.
6.
13.
13.
18.
15.
9.
3.
5.
10.
14. 11.
6.
1.11.
I.IV.
8. III.
2.1V.
I.V.
3.V. 3. VI. ^ -yu
l.VI. i.xi.^-^'^-
—
3.
6.
4.
2.
2. '
6.
10.
8.
14.
13.
7.
VII.
7.
6.
.VIII,
XIV.
4.
3.
Krankheitstag ....
Aufgenommen ....
Am selben Tage intubirt
Später intubirt ....
Geheilt
Gestorben
VIII.
8.
7.
l.IX.
4.
4.
IX.
1.
1.
1. —
X.
XI.
XII.
XIIL !
2.
5.
2.
1.
1.
5.
1.
—
l.XI.
^—
l.XV.
l.XIV."
8.
1.
1.
2.
2.
1.
iXV.
1.
1.
— 1.
Aus diesen beiden Tabellen geht hervor, dass von den
100 Fällen (54 Mädchen und 46 Knaben) 30 geheilt wurden,
und 70 starben. Mit eingerechnet in diese Zahlen sind so-
wohl die Fälle, bei denen die secundäre Tracheotomie gemacht
wurde, als auch diejenigen, bei denen die Intubation die Stenose
nicht behob, sondern nachdem die Canüle nur wenige Secunden
gelegen hatte, tracheotomirt wurde. Unter den 7 Tracheo-
tomien 1 Heilungsfall.
Ferner ist von Interesse, wie oft die einzelnen Fälle in-
tubirt sind, wie lange die Canüle im Ganzen lag und wie
sich in dieser Hinsicht Heilung und Mortalität verhielt: hier-
über geben Tabellen III und IV Auskunft
Verfahren d. Intubation bei d. diphtherischen Kehlkopfstenose. 261
Wie oft intnbirt?
Anzahl der Fälle
Geheilt . . .
GeBtorben . .
Tabelle
m.
1
2
3 4
5
6
7
8
9
10
12
30
35
14 6
6
3
1
1
1
1
1
9
12
4 3
—
—
1
—
—
1
21
23
10 3
6
3
—
1
1
1
—
23 mal
1
— 1
Tabelle IV.
Canüle lag
Anzahl der Fälle
Geheilt . . .
Gestorben . .
unter
iTag
28
1—2
2-8
3—4
4-6'6-6
6—7
7—8 9—10
10-1111—12
24
21
8
3 4
3
3
2
1
2
2
6
8
6
2 4
2
—
' 1
—
26
19
13
2
1 —
1
3
1
1
2
16 ^T.
1
Bei den geheilten Fällen lag, abgesehen von dem einen
bereits oben erwähnten, der durch Tracheotöiüie geheilt wurde,
die Canüle: 4; 26%; .40; 43%; 45%; 48; öOy,; 53%; 54;
56Vj; 63; 66; 67%; 72; 78%; 80; SOy^; 81%; 90; 92; 96%,
99%; 123; 123; 125; 132; 160%; 161% und 249 Stunden.
In welch schwerem' Zustand zum grossten Theil die Kinder,
die bei uns starben, in^s Haus gebracht wurden, geht daraus
hervor, dass 9 noch nicht einmal 24 Stunden aufgenommen
waren, 27 waren noch 1—2 Tage, 10 2—3 Tage, 22 länger
als 3 Tage verpflegt worden.
Die Erlernung der Intubation wurde durch die Vor-
übungen an dem von Heubner angegebenen Phantom^) be-
deutend erleichtert; wenn auch die Einführung der Canüle
am Lebenden selbstredend mehr Schwierigkeiten bietet als am
Phantom ; hauptsächlich in Folge der Unruhe des Kindes, so
kann man doch an dem in geeigneter Weise befestigten Kehl-
kopf die hauptsächlichsten Handgriffe erlernen, vor Allem die
Aufrichtung der Epiglottis, die oft genug grosse Schwierig-
keiten bietet, femer, wie man den linken Zeigefinger, mit dem
man die Epiglottis fixirt, halten muss, um entweder zwischen
diesem und der hinteren Fläche der Epiglottis oder seitlich
am Finger entlang (Fig. 1 S.262) mit der Canüle in den Kehlkopf
zu gelangen. Diese Fixation der Epiglottis durch den mög-
lichst tief in den weit geöffneten Mund des Kindes hinein-
gebrachten Finger lässt sich am besten an einem durch Kopf
und Hals gelegten Medianschnitt demonstriren. Herr Geh.-Rath
His hat mir mit dankenswerther Bereitwilligkeit einen der-
artigen Medianschnitt zur Verfügung gestellt und Herr Dr.
1) Die genane Beschreibung des Phantoms findet sich: dieses Jahr-
buch Bd. XXXVI. Seite 161.
^^
Terbbren d. Intubation bei d. diphtfaeriachen KehlkopfstenOBe. 263
Mai Lauge hatte die Freundlichkeit, diesen Medianschnitt, an
dem ich die Stellung der Hände sowie des mit der CanQle
armirteB Intuhators in dem Augenblick, wo man die auch an
der Seite des Fingers liegende Canüle mit diesem io den
Larynx hineioBcbieben musB, markirte, abzuzeichnen.*) Fast
noch besser als die Intubation. lassen sich an dem Heubner-
schen Phantom die für die Estubation nothwendig werdenden
Handgriffe erlernen.
Eine fernere Erleichterung bei der Ausführung der Intu-
bation haben wir dadurch erzielt, das» wir den Intubator in
verschiedener Hinsicht abänderten. In dem O'Dwyer'schen
Bestück sind die Instrumente bo eingerichtet, dass man den
in der Canale als Mandrin dienenden Obturator an den In-
tubator anschrauben muss (Fig. 2 a). Es wird bei Öfterem
Gebranch die kleine Schraube sehr bald rtg. i.
defect, sodass bei der Intubation die
Canüle sehr leicht mittels des Fadens
quer gezogen wird, wodurch die Ein-
fQbrnng ganz wesentlich erschwert ist.
Einmal ist es vorgekommen, dass der
Obturator im Munde des Kindes vom
Intubator abfiel , aber hervorgeholt
wurde, bevor das Kind denselben ver-
schlucken konnte. Es bat ferner diese
Einrichtung den Nachtheil, daas, wenn
der Obturator, so lange die Schraube
nicht abgenutzt iet, einmal zu fest an
den Intubator angeschraubt ist und die
Pflegerin ihn schnell abschrauben soll,
der Obturator in dem an demselben
befindlichen Chamiergelenk (Fig. 3 b) in
einen rechten Winkel gebracht und so
das untere Ende als Hebel zum Lockern
der Schraube benutzt wird. Die Folge
davon ist, dass das Chamiergelenk ver-
bogen wird, sodass der Obturator dann "
nicht mehr in der CanOle glatt hin- und herbewegt werden
kann.
Diesen üebelständen haben wir dadurcb abgeholfen, dass
vor den Obturator mit dem Schaft des Intubators verschmolzen
haben (Fig. 2c). Der Mandrin (Obturator + Schaft des In-
tubators), wie ich diesen Theil des Instrumentes nennen möchte,
wird in einen mit viereckigem Lumen versehenen Griff
264 I>T- Carstens:
(Fig. 2d u. 5a) eingelassen, in dem er durcli eine klüftige
schraube mit grossem, bequem anzufaesendem Kopf fixirt wird.
Die Schiebevorricbtung zum Abstossen der Caniile haben wir
bereits zur Zeit unserer ersten Intubationsfälte weggelassen;
wir stossen, wie das auch schon von anderer Seite empfohlen
ist, mit dem Finger, unter dessen Führung die Operation ge-
macht wird, die CanOle vom Mandrin ab. Wie aus Fig. 3a
zu ersehen ist, ist die Abänderung so gemacht, dass die CanUIe
bia dicht unter den längeren Theil des Mandrins reicht; ea
wird dadurch der Theil, an dem die Cantile sitzt, ca. um 1 cm
kürzer als beim ODwyer'schen Instrumeut (Fig. 3b), ein Vor-
tfaeil, der namentlich bei der Intubation kleinerer Kinder sowie
bei engem Pharynx nicht hoch genug anzuschlagen ist. Es
kann auch jetzt die Caniile, wenn an dem Faden etwas ge-
zerrt wird, sich nicht mehr quer^tellen, wodurch die Operatioo
bedeutend leichter ausführbar wird. Ausserdem fallen die
beim O'Dwyer'schen Intubator resp. Obturator häufig noth-
wend ig werdenden Reparaturen weg, da jene minutiöse Schraube
eliminirt ist und das Charniergelenk nicht mehr belästigt wird.
„,„ , Es ist natürlich nothwcudig, dass,
wie zu jeder Ciinüle ein Obturator
gehörte, jetzt ein Mandrin angefertigt
^ jj^ - wird. Man ist durch die beschriebene
'SiiiMaaMkA Abänderung , die übrigens ähnlich
gleichzeitig in Zürich eingeführt wurde,
I in der Lage, das Instrument schneller
zur Intubation fertig zu machen als
wo man noch den Obturator mittels
der kleinen Schraube am Intubator
befestigen musste.
Was nun die Art und Weise be-
trifft, wie das Kind bei der Intuba-
tion gebalten wird, so haben wir län-
gere Zeit hindurch in der bisher üb-
lichen Weise das Kind in ein Betttuch
eingewickelt und dasselbe dann von
einer Pflegerin auf dem Schoosse hal-
ten lassen, so dass dieselbe die Beine
des Kindes zwischen ihren Knieen und
den Kopf mit den Händen fixirte.
Später haben wir die Intubation so-
wohl wie die Extubation stets bei dem im Bett in Rücken-
lage sich befindenden Kinde gemacht; es wird dann von
einer am Kopfende des Bettes stehenden Pflegerin das Kind
mit seinen eigenen über seinem Kopf emporgeschlagenen
Armen fixirt, der Arzt kniet mit dem rechten Bein auf der
T
Yerfahren d. Intubation bei d. diphtherischen Eehlkopfstenose. 265
und kann dann bequem die Intubation
Bei sehr widerspenstigen Kindern müssen
Fig. 4.
Fig. 6.
rechten Bettkante
ausführen (Fig. 4).
dann allerdings
Ton einer dritten
Person die Beine
gehalten werden;
die ganze Proce-
dur dauert in der
Regel kaum eine
halbe Minute.
Für den Fall,
dass die Kinder
die Zahnreiheu
fest aufeinander
beissen^ ist eine
kleine Sperrzange
(Fig. 5b) nothwendig, da man mit der O'Dwyer'schen sonst
so vorzüglichen Mundsperre nicht zwischen die Zahnreihen
gelangt. Die Kon ig 'sehe Mundsperre
thut denselben Dienst, lässt sich aber
wegen ihrer Grösse und Form nur
schwer in einem Besteck unterbringen.
Beim Gebrauche nimmt man die
kleine Sperrzange in die rechte, die
O'Dwyer'sche in die linke Hand; so-
bald man mit der ersteren den Mund
geöffnet hat, schiebt man die letztere
in den rechten Mundwinkel, und öff-
net weit.
Was die Indication zur Intu-
bation betrifft, so haben wir uns
genau an die für die sogenannte
Spättracheotomie allgemein bekann-
ten Symptome gehalten; nicht bei
den ersten Zeichen der Stenose wurde
intubirt, sondern mit einer Ein-
schränkung, auf die ich unten zurück-
komme, stets so lange gewartet, bis
das stenotische Stadium seinen Höhe-
punkt erreicht hatte und die Ein-
ziehungen tief und anhaltend waren, damit der Vorwurf, wir
hätten frühzeitig intubirt und dadurch vielleicht bessere Resul-
tate erzielt, uns nicht gemacht werden könnte. In 16 Kranken-
geschichten ist es besonders hervorgehoben, dass „zwar er-
hebliche Gene bei der Respiration, exquisiter Crouphusten und
leichte Einziehungen im Epigastrium bestehen, aber wegen
266 Dr* Carstens:
Mangels jeglicher schwererer Stenosenerscheinnng und weil
der Pals kräftig ist, zunächst nicht intubirt wird'^ In der
That haben wir des Oefteren erlebt, dass, wo der Zustand
des Herzens diese Maassnahme gestattete, durch energische
Schwitzcuren der Croup zurückging, ohne dass es zur In-
tubation kam. Ob es richtig ist, mit dem gegenüber der
Tracheotomie ungleich harmloseren Eingriff, der Intubation,
so lange zu warten, möchte ich dahingestellt sein lassen;
denn schon bei beginnender Stenose, beim Uebergang des
ersten in's zweite Stadium des Croup, leidet das Kind oft
so erheblich, dass die Intubation yor Eintritt hochgradiger
Stenose geboten scheint. Es ist unruhig, ängstlich und kann
nicht schlafen, aber sobald die Canüle eingelegt ist, tritt Ruhe
und erquickender Schlaf ein. Oft beobachtet man auch schon
im stenotischen Stadium den Puls klein und ungleichmässig
werden; alsdann ist es ebenfalls rathsam, nicht erst den Ein-
tritt schwererer Stenosenerscheinungen abzuwarten, sondern
sofort zu intubiren; bleibt der Puls nach der Intubation un-
gleichmässig oder unregelmässig, so haben wir darin ein pro-
gnostisch ungünstiges Symptom zu erblicken.
Ist die Intubation ausgeführt, dann ist es zunächst wich-
tig, sich über die Lage der Epiglottis zu orientiren, da bei
dem Hineingleiten der Canüle in den Larynx die Epiglottis sich
sehr leicht zwischen Canüle und vorderer Kehlkopfwand ein-
klemmt; sie ist, wenn das der Fall ist, durch leichten seit-
lichen Druck auf dieselbe, ohne grosse Schwierigkeit aufzu-
richten.
Gleich hier will ich bemerken, dass in drei Fällen die
Intubation zur Hebung der Stenose nicht genügte. In dem
ersten Falle handelte es sich um ein Sjähriges Mädchen, bei
dem mit Anwendung von etwas Druck die Canüle durch die
Glottis gebracht war; als 2Vi Tage später nach einer probe-
weisen Entfernung der Canüle wieder Stenose eintrat, war die
Intubation überhaupt nicht ausführbar; man fühlte deutlich,
wie das untere Ende auf die vermuthlich im Erampfzustand
sich befindende Glottis aufstiess; da bei der ersten Intubation
eine nicht ganz unerhebliche Blutung eingetreten war, wurde,
wie das überhaupt bei der Intubation dringend zu fordern
ist, von Anwendung jeglicher Gewalt abgestanden und sofort
tracheotomirt. Das Kind lebte noch 5 Tage; bei der Section
war kein Grund für die Unausführbarkeit der Intubation,
speciell auch kein Oedem zu finden; es bleibt wohl nichts
Anderes übrig, als dieses Vorkommen auf einen plötzlich ent-
stehenden Stimmritzenkrampf zu beziehen. Bei dem zweiten
Fall handelte es sich um einen 2jährigen Knaben, der voll-
ständig collabirt, apnoisch und pulslos in's Haus gebracht
Yerfahren d. Intnbaiion bei d. diphtherisohen Eehlkopfstenose. 267
Würde; die Intubation gelang nicht und die Tracheotomie
wurde sofort ausgeführt. Nachdem längere Zeit künstliche
Athmung gemacht war, kehrten Puls und spontane Respiration
wieder; das Kind erholte sich, schluckte mit seiner Tracheal-
canüle ganz gut^ aber schon am folgenden Tage stellten sich
Drüsenschwellungen an den Eieferwinkeln ein, der Puls wurde
klein, unregelmässig, das Aussehn schlechter und am dritten
Tag post operationem starb Patient. Der dritte Fall kam in
ähnlichem Zustand in's Haus, die Intubation gelang zwar,
aber die Stenose verschwand nicht, deshalb Tracheotomie,
Heilung.
Bei der Obduction des zweiten Falles zeigte sich ein
recht seltsamer Befund; im Sectionsbericht heisst es: „Tra-
cheotomiewunde unterhalb des Ringknorpels. 2 mm dicke
feste Diphtheriemembranen auf sämmtlichen Rachenorganen.
Epiglottis durch derartige ;Massen fast völlig über dem Kehl-
kopfeingang fixirt, so dass zwischen den den Kehlkopf und
die Epiglottis bedeckenden Membranen nur für eine Sonde
von 1 — 2 mm Durchmesser ein Durchgang bleibt. In der
Hohe der Stimmbänder ist die Trachea völlig verschlossen ,
feste Membranen in der Trachea, zum Theil erweichte in den
Bronchien etc.''
Es leuchtet ein, dass hier die Unmöglichkeit vorlag, die
Canüle in den Kehlkopf zu bringen. Glücklicher Weise sind
derartige Fälle selten ; wären sie es nicht, dann müssten solche
Kinder, die collabirt in's Krankenhaus gebracht werden, besser
gleich tracheotomirt werden;
Da aber die Intubation schneller als die Tracheotomie
und ohne grösseren Apparat ausführbar ist — ja, wir haben
bisweilen schon im Aufnahmezimmer intubiren müssen — ist
meiner Meinung nach die Intubation gerade hier besonders
am Platze. Für solche Fälle ist es allerdings sehr er-
wünscht, dass der Operateur die Methode sicher beherrscht,
da einmal eventuell zuviel Zeit vergehen könnte bis zur Hebung
der Stenose und da ferner die Einführung der Canüle in den
schlaffen Kehlkopf eines collabirten Kindes nicht ganz leicht
ist. Gleich nach der Einführung muss natürlich künstliche
Athmung eingeleitet werden.
Bei dem ältesten Kinde, das wir intubirten, einem Mäd-
chen von 9V2 Jahren, entstand eine Schwierigkeit bei der Ein-
führung, weil die Canüle (für Kinder zwischen 8 und 12 Jahren)
etwas gross war und durch die nächst kleinere die Stenose
nicht gehoben wurde. Es wäre ganz wünschenswerth, wenn
zwischen den beiden grössten Canülen eine mittlere zur Ver-
fügung stände.
Nach Ausführung der Intubation wird gewöhnlich Schleim
268 Dr. Carstens:
oder Membranstückchen heraufgehustet , die am besten mit
einem gestielten Tupfer aus der Mundhöhle entfernt werden
(ebenso ist es empfehienswerth, wenn man, nachdem vergeb-
liche IntubatioDBversuche gemacht sind, die Schleimhaut des
Pharynx und der Epiglottis mit einem solchen Tupfer reinigt^
damit dieselbe ihre Schlüpfrigkeit verliert und so das Auf-
rieb teu der Epiglottis erleichtert wird. Letzteres gehört, be-
sonders wenn der Kehlkopf tief liegt und der Arzt kurze
Finger hat, zu den grössten Schwierigkeiten in der Technik
der Intubation).
Die E&ziehuDgen im Epigastrium, Jugulum etc. ver-
schwinden in den meisten Fällen nicht sofort, da das Eind
sich erst an die Canülenathmung gewöhnen muss und von
der Intubation her noch etwas aufgeregt ist, aber nach Ver-
lauf weniger Minuten, wenn das Eind sich beruhigt hat und
der Hustenreiz, der oft beobachtet wird, vorüber ist, wird die
Athmung ruhig und die Stenosenerscheinungen verschwinden;
bleibt dagegen die Athmung frequent oder wird sie frequent,
dann muss man befürchten, dass die Membranbildung bereits
tiefer in die Luftwege vorgeschritten ist. In anderen Fällen
wurden die Stenosenerscheinungen hochgradiger, ein Zeichen,
dass Membranen losgestossen sind und. die Trachea zum Theil
verlegen; alsdann muss man sofort die Ganüle entfernen, und
wenn dann die Membran nicht herausgehustet wird, kann
man noch den Versuch machen, die bereitgehaltene nächst
grössere Canüle einzusetzen. Glaubt man jedoch die Eräfte
des Eindes dadurch zu sehr zu er-
Fiff- 6. schöpfen oder befürchtet man einen
Collaps, so wird am besten mit der
Tracheotomie nicht länger gezögert.
Selbstredend kann auch, während
die Ganüle liegt, dieselbe durch Mem-
branen verstopft werden und so
die sofortige Extubation nothwendig
werden, ein Umstand, der mit Recht
dafür angeführt wird, dass man den
Faden in der Canüle liegen lassen solle. Allerdings wird die
Canüle, wenn sie sich plötzlich verstopft, meistens ausgehustet^
aber darauf kann man sich namentlich bei der verbesserten
O'Dwy er' sehen Canüle (Fig. 6b) nicht verlassen. Für solche
Fälle ist nun eine geübte und zuverlässige Pflegerin, wie wir sie
auf der Diphtberieabtheilung haben, von ungeheurem Werth (es
sollten zur Pflege intubirterEinder überhaupt nur einigermaassen
intelligente Pflegerinnen Verwendung finden). Dieselbe ist vor
Allem genau instruirt, auf was sie bei Intubirten zu achten hat;
so z. B. kommt es bei Fällen, die zu starker Membranbildung
Yerfabren d. Intubation bei d. diphtberiscben Eeblkopfstenose. 269
neigen, nicht ganz selten vor, dass man unter der Canüle eine
Membran flottiren hört, ein Umstand, der natürlich zur ganz
besonderen Wachsamkeit auffordert. Bisweilen hört man bei
einem Kind, das die Canüle trägt, wenn es tief respirirt, einen
hellen pfeifenden Ton, alsdann kann man annehmen, dass ein
gelockertes Stück Membran entweder die obere oder die untere
OeSnung der Canüle yentilartig zeitweilig schliesst, ja, man
kann sogar, wenn das Pfeifen beim Inspirium beobachtet wird,
vermuthen, dass die Membran von der Epiglottis herunterhängt
und beim Einströmen der Luft sich vor den grösseren Theil
der oberen OefiPhnng legt; wird das Pfeifen beim Exspirium
gehört, da liegt das Hinderniss an der unteren Oeffnung. Im
ersten Fall haben wir die Membran mit dem Finger von der
Epiglottis entfernt, im letzteren Fall darf wiederum die Pflegerin
keinen Augenblick das Bett des Kindes verlassen, damit sie
in dem Moment, wo die Gefahr der Erstickung durch in die
Canüle hineingelangte Membranstücke droht, die Canüle am
Faden herausziehen kann.
Das Losstossen der Membranen mit der Canüle hat man
gegen die Intubation zu Gunsten der Tracheotomie angeführt,
wogegen kürzlich in einer Abhandlung dieses Jahrbuchs^)
Bökai aufgetreten ist; nach unseren Erfahrungen können wir
uns den Ausführungen des genanuten Autors voll und ganz
anschliessen. Es dürfte doch auch noch fraglich sein, ob es
wirklich als ein Vortheil anzusehen ist, wenn bei der Tracheo-
tomie „die Membranen mit der Taubenfeder'', wie ein Fach-
mann sich kürzlich mir gegenüber ausdrückte, „herausgewickelt^^
werden. Es wird doch sicher nicht nur die Membran, soweit
sie sich spontan losgelöst hat, entfernt, sondern auch dort,
wo sie noch festhaftet, losgerissen. Und wie schnell sich be-
sonders an diesen letzten Stellen Membranen von Neuem
bilden, das hat man nur zu oft erfahren. Bei der Intubation
v^ird von vornherein die Canüle in die röhrenförmige Membran
geschoben und diese eher an die Wandung angedrückt als
gelockert; wir sind es ganz zufrieden, wenn die Membranen
nicht ausgehustet werden, sondern einschmelzen und dann als
Sputum expectorirt werden, sind doch auch die meisten
Aerzte für die expectative Behandlung der Rachendiphtherie
oder wenigstens gegen eine mechanische Entfernung der mem-
branartigen Beläge auf Mandeln, Uvula, weichem Gaumen
u. s. w.
Ueber die Ausdehnung der Membranbildung in Kehlkopf
und Trachea wird man in einigen Fällen durch zwei Symptome
1) Bd. XXXyill. S. 82.
270 ^r. Carstens:
unterrichtet; einmal durch die Starke des Hustenreizes un-
mittelbar nach der Intubation; fehlt derselbe oder ist er ge-
ring, so kaun man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass
die Canüle in der Hauptsache nicht der Trachealschleimhaut
anliegt sondern einer Membran, hierfOr spricht auch der lang-
anhaltende Husten bei intubirten Masemcroup-Kindem; dann
aber auch durch die Länge der Zeit, welche bei der Auf-
nahme geringer Flüssigkeitsmengen yom Schlingact bis zur
Auslosung des Hustens vergeht. Dieser Zeitraum dauert bis-
weilen 5 Secunden und länger, so dass man, ohne dass etwa
abgeschwächtes Athem Aber der einen oder der anderen Stelle
der Lungen dem Untersucher yom Fortschreiten der Bronchitis
fibrinosa bis in die feinsten Bronchien Kunde giebt, öfter
daraus einen Schluss auf das Ergriffensein der ganzen Trachea
und eventuell auch der grosseren Bronchien machen kann.
Es lässt sich diese Beobachtung wohl so erklären, dass die
kleine Quantität Flüssigkeit, die in die Trachea durch Yei^
schlucken gelangt, erst dann einen Reflex auslöst, wenn sie
an eine Stelle des Bronchialbaums gelangt ist, die nicht mit
Pseudomembranen ausgekleidet ist Hier wird der Reflex um
so leichter ausgelöst, als doch meistens eine einfache Bron-
chitis in diesen Fällen besteht und die Schleimhaut der Luft-
wege sich in einem hyperämischen und deswegen besonders
empfindlichen Zustand befindet.
Das Hineingelangen von Flüssigkeit in den Kehlkopf
beim Trinken ist bei intubirten Kindern leider nichts Sel-
tenes; es geht zwar die Ernährung tracheotomirter Kinder
nicht immer ohne Schwierigkeit vor sich, aber es hat
doch den Anschein, dass bei der Tubage das Schlucken
und infolge dessen die Ernährung des Kindes öfter er-
schwert ist Bei unseren Patienten trat dieser Fall häufig
ein. Wir nahmen deshalb, sobald beim Schlucken viel ge-
hustet wurde, zur Ernährung mit der Schlundsonde unsere
Zuflucht, bei der die Kinder durchschnittlich nur wenig ab-
nahmen, wenn man das fast stets auch vorhandene Fieber
mit in Betracht zieht
Bei 30 Fällen habe ich genaue Wägungen der vollständig
entkleideten Kinder unmittelbar nach der Intubation und der
Extubation angestellt, um die Ernährungsverhältnisse bei
liegender Canüle genau beurtheilen zu können. Fehlerquellen
in Folge von Nahrungsaufnahme sind so gut wie ausgeschlossen,
da beide Operationen, wenn möglich, vor derselben gemacht
werden müssen, um keinen Brechact auszulösen und so die
Aspiration von Speisetheilen zu begünstigen. Dass diese
Wägungen nicht bei mehr Fällen gemacht wurden, lag zum
Theil daran, dass die Kinder nur kurze Zeit im Krankenhause
Yerfalireii d. Tntobation bei d. diphtheriscben Kehlkopf sten ose. 271
waren (s. S. 261),
andererseits dar-
an, dass nach der
Extubation die
absoluteste Rnbe
für das Eind das
Beste ist und dass
jede Aufregung
yermieden werden
mnss. Die Resul-
tate der Wägun-
gen giebt die Ta-
belle V wieder.
Aus dieser Ta-
belle geht her-
vor, dass unter
den 30 Kindern
4 an Gewicht zu-
nahmen und 2
auf ihrem Gewicht
stehen blieben,
wahrend 24 ab-
nahmen. Von den
ersten 6 starb 1
Kind (Nr. 3)
6 Tage nach der
Extubation an
Pneumonie ; von
den 24 starben
9 und 15 wur-
den geheili Bei
den 9 Todesfallen
schwankte der
Verlust an Kör-
pergewicht pro
24 Stunden Intu-
bationsdauer
zwischen 39 und
164 ff (also
durchschnittliche
Abnahme 98,2 g),
bei den 15 Ge-
heilten zwischen
22 und 237 g
in derselben Zeit
(durchschnittlich
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272 I^r. Carstens:
119,8 g). Mir ist zwar nicht bekannt, ob genauere üntersuchan-
gen darüber vorliegen, wie sich das Körpergewicht bei Kindern
speciell während acuter Infectionskrankheiten verhält, glaube
aber annehmen zu dürfen, dass eine Abnahme von 100—120 g
in 24 Stunden, auch wenn der Nahrungsaufnahme nichts im
Wege steht, nicht etwas Unerhörtes ist. Wir brauchen somit
in den meisten unserer Fälle den Verlust an Körpergewicht
nicht auf eine durch das Liegen der Canüle bedingte schlechte
Ernährung zurückzuführen, sondern können die Abnahme eher
als durch die fieberhafte Krankheit selbst bedingt erklären.
Um jedoch das immerhin für das Kind etwas lästige
Sondiren möglichst einzuschränken und das häufige Ver-
schlucken der Kinder zu beheben, haben wir an der Canüle
eine Aenderung angebracht, die gleichzeitig auch in einem
Züricher Krankenhaus erprobt worden ist. Versucht man
nämlich an einem aus der Leiche herausgenommenen Kehl-
kopf, in welchen man eine 0*Dwyer'sche Canüle hineingelegt
hat, den Verschluss der oberen Canülenöffnung, wie er beim
Schlingen durch die Epiglottis erwünscht ist, durch Nieder-
drücken derselben auf die Canüle nachzuahmen, so sieht man,
dass zwischen der an ihrer hinteren Fläche mit einer seichten
concaven Rinne versehenen Epiglottis und dem Kopf der
Canüle ein Spalt bleibt, gross genug, um flüssige und auch
kleinere feste Nahrungsbestandtheile in die Canüle hinein-
gelangen zu lassen. Dadurch nun, dass wir auf dem im Kehl-
kopf nach hinten gelegenen, an die Aryknorpel anstossenden
Theil des Canülenkopfes etwas mehr Metall auftragen liessen,
sodass derselbe nach vorn zu stärker abßLllt als bei der
O'D w y e r 'sehen (Fig. 3c u. d und Fig.Gb u.c), erreichten wir, dass die
Epiglottis, deren Beweglichkeit natürlich stark eingeschränkt
ist, sich doch beim Schlingact besser an die Canüle anlegt.
Ausserdem ist das Lumen in der O'Dwyer'scheu Canüle im
Kopf derselben noch nach hinten weiter ausgebohrt, wodurch
die obere Oeffnung grösser als die untere wird, eine Vor-
richtung, die ebenfalls das Verschlucken begünstigt, ohne den
Vortheil zu bieten, dass Inspirationsluft in grösseren Mengen
und bequemer in die Lungen hineingelangen kann. Bei
unserer Canüle ist auch das vermieden. Es ist allerdings
darauf zu achten, dass die vordere Wand der CanQle oben
nicht zu dünn ausfällt, da an derselben sonst, wenn öfter die Ex-
tubation vorgenommen ist, der obere vordere Rand der Canülen-
öffnung dem Drucke des Extubators nachgiebt und scharf
wird. Die Canülen sind im Gegensatz zu den vergoldeten
O'Dwyer'schen vernickelt; liegen dieselben längere Zeit im
Kehlkopf, so werden sie in Folge einer sich bildenden unschäd-
lichen Schwefelverbindung schwarz, aber sie werden nicht
Verfahren d. Intubation bei d. diphtherischen Kehlkopfs tenose. 273
raahy wie das bei den vergoldeten O'Dwyer'schen Canülen öfter
beobachtet wird. Die vernickelten Canülen werden gewisser-
maassen patinirt und man könnte diese Patine, glaube ich,
ohne den Kindern zu schaden, an den Canülen sitzen lassen.^)
Der Schaft der Canüle ist vollständig dem der modificirten
O'Dwyer'schen nachgebildet (Fig. 6).
Seitdem wir diese Canülen regelmässig anwenden, ver-
schlucken sich die Kinder nicht mehr so viel wie früher; am
besten werden die Speisen in breiiger Consistenz gegeben.
Dass das eine Kind besser schluckt als das andere, liegt eines
Theils daran, dass die Epiglottis bei den einzelnen Kindern
sehr verschieden gebaut ist, namentlich in ihrer Länge sehr
variirt; in einem Falle, wo die Epiglottis stark verdickt war,
schluckte das Kind besser mit der nächstgrosseren Canüle. An-
dererseits stehen überhaupt noch eine grössere Menge von
verschieden grossen Canülen zur Verfügung, da 6 Grössen
für die verschiedenen Lebensalter von 1 — 12 Jahren nicht
recht genügen. Es kann sicher bisweilen eine kleine Diffe-
renz in der Grösse ein besseres oder schlechteres Schlucken
bedingen. Da die mittleren Canülen viel häufiger gebraucht
werden als die kleinste und die grössten, haben wir die
Canülen 2, 3 und 4 doppelt anfertigen lassen.^)
Nehmen die Kinder, trotzdem sie sich weniger ver-
schlucken, dennoch nicht genug Nahrung zu sich, so wird ihnen
eine Nährlösung ron Milch, Ei, Zucker, etwas Butter und
Pepton zugeführt, indem ein kleiner Nelatonkatheter durch
die Nase in den Oesophagus eingeführt wird. Dadurch dass
wir durch die Nase sondiren, vermeiden wir meistens das
beim Herausziehen der durch den Mund eingeführten Magen-
sonde so oft ausgelöste reflectorische Brechen. Als Pepton
benutzen wir das Denayer'sche Präparat, mit dem wir im
Ganzen zufrieden sind, bisweilen erlebten wir, dass das Brechen,
das längere Zeit nach dem Sondiren eintrat, aufhörte, wenn
wir der Lösung kein Pepton ;Busetzten. War der Widerstand
von Seiten der Kinder gross oder brachen die Kinder immer
wieder, wurde aufs Sondiren verzichtet und Nährklystiere
applicirt. Sehr oft gingen wir — nicht zum Schaden der
kleinen Patienten — auf die Wünsche derselben in Bezug auf
Essen und Trinken ein; sie bekamen Bier, auch Apfelsinen
1) Wir haben die Canülen stets in der Weise gereinigt, dass sie
sunächst abgeseift wurden, dann wurden sie mit Putzpomade und
Schlemmkreide behandelt, wieder abgeseift, in Sodawasser gekocht und
dann abgetrocknet.
2) Das Besteck, das genau nach unseren Angaben von Alezander
Schädel in Leipzig gemacht ist, enthält 9 CanüTeo, 6 Mandrins, t Griff,
1 Extubator, 2 Mundsperren.
Jahrbaoh f. KinderheiUnuide K. F. XXXym. 18
274 Dr. Cantens:
und Aepfely nachdem die Kerne aus dem Obst sorgfaltigst
entfernt waren. Wenn man' die Kinder trinken lässt, so ist
esy wie das auch schon anderweitig erfahren wurde, besser,
die Kinder schnell einige Schluck hintereinander trinken zu
lassen, da sie sich dabei nicht stärker verschlucken als beim
langsamen Trinken. Die in Amerika gemachte Erfahrung,
dass die Kinder bei tiefliegendem Kopf besser trinken, können
wir nicht bestätigen. Besser schlucken einige Kinder auch,
wenn die Canüle ohne Faden liegt
Auf die praktisch auch nicht unwichtige Frage, ob nach
Einführung der CanüLe der Faden herausgenommen
werden soll oder nicht, in welch letzterem Fall derselbe an
der Wange des Kindes mit Heftpflaster befestigt werden muss,
sei es mir gestattet, hier kurz einzugehen. Es lässt sich diese
Frage nicht direct mit ,Ja'' oder „nein^' beantworten. A priori
leuchtet es ein, dass das Liegenlassen des Fadens zunächst
das Rationellste ist und grosse Vortheile bietet, vor allen
den, dass die Pflegerin im Stande ist, die Canüle zu ent-
fernen für den Fall, dass sich eine Membran vorlegen sollte;
Schleim allein verstopft die Canüle nicht so schnell, als dass
nicht rechtzeitig der Arzt zu der ohne Faden liegenden Ca-
nüle gerufen werden könnte. Hat man sehr widerspenstige
Kinder vor sich, die, trotzdem sie eingebunden sind, dennoch
mit der Backe, an der der Faden befestigt ist, so lange am
Deckbett oder am Kopfkissen reiben, bis die Canüle gelockert
und entfernt ist, so halte ich es für besser, den Faden dann
bei einer wieder nothwendig werdenden Intubation heraus-
zunehmen, wobei die Canüle mit dem linken Zeigefinger im
Kehlkopf fixirt wird. Das Kind braucht dann nicht gefesselt
zu werden, und man spart ihm die öftere Wiederholung der
Intubation. Will man die Canüle überhaupt nicht ohne Faden
liegen lassen, so muss selbstredend auch jedes Mal sofort ex-
tubirt werden, wenn der Faden zernagt ist (vgl. unten), da
durch die Schluckbewegungen, die das Kind unwillkürlich
macht, der an der Canüle hängende Theil des Fadens sehr
schnell in den hinteren Partien der Mundhöhle, resp. in der
Speiseröhre, verschwindet. Andererseits tritt bisweilen, wenn
das Kind sich selbst die Canüle herausgezerrt hat (vgl. unten),
auch sehr schnell eine, die sofortige Intubation erheischende
schwere Stenose ein, ein Umstand, der bei der Anwendung
der Intubation im Privathause doch sehr überlegt sein will.
In derartigen Fällen ist es auch besser, bei der eventuell
wieder nothwendig werdenden Intubation den Faden von vorn-
herein zu entfernen. Bei verständigen Kindern, die weder
am Faden zerren, noch ihn zernagen, ist das Liegenlassen
desselben allerdings das Beste.
Verfahren d. Intubation bei d. diphtherischen Eehlkopfstenose. 275
Ganz interessant ist die Untersuchung, weshalb bei den
Fällen^ die einer wiederholten Intubation unterzogen wurden,
die Canüle vorher entfernt war. Im Ganzen wurde 283 mal
intubirt; zieht man davon die 100 ersten Intubationen ab,
so bleiben 183 Intubationen übrig, welche gemacht werden
mussten, weil die Oanüle aus irgend einem Grunde aus dem
Kehlkopf entfernt war und wieder Stenose eintrat:
Probeweise war die Canüle entfernt 32 mal.
(theils am Faden, theils mit Extubator)
Wegen sofort eintretender schwerer Cyanose . . 6maL
Wegen allmählich eintretender Stenose .... 31 mal.
Der Faden war abgebissen und Extubation vorgen. 27 mal.
Die Canüle war vom Kinde herausgerissen . . . 26 mal.
Die Canüle war ausgehustet 51 mal.
Kein Grund in den Krankengeschichten angegeben 10 mal.
183 mal.
In den 30 Heilungsfällen war ausserdem
6 mal die Canüle am Faden entfernt (darunter auch der
eine Fall, bei dem sofort die Tracheotomie ange-
schlossen war),
2 mal der Faden abgebissen und Extubation gemacht,
7 mal die Canüle ausgehustet^
2 mal die Canüle vom Kinde herausgerissen,
13 mal die ohne Faden liegende Canüle extubirt.
30 mal.
Bei näherer Betrachtung der zuletzt gegebenen statisti-
schen Daten dürfte es von Interesse sein, auf drei bei dieser
Gelegenheit erwähnte Dinge noch einmal näher zurückzukom-
men, nämlich
1. ob die allmählich eintretende Stenose, wegen der die
Canüle 31 mal entfernt werden musste, vielleicht in einer
mangelhaften Expectoration der schleimigen Secrete der Tra-
cheal- und Bronchialschleimhaut ihren Grund hat und ob
femer eine eventuelle mangelhafte Expectoration mit der Ent-
stehung von Pneumonie in einem ursächlichen Zusammen-
hang steht;
2. das Aushusten der Canüle;
3. die Extubation.
üeber die Expectoration finden wir bei 42 Fällen in den
Krankengeschichten Notizen; dieselben beziehen sich ent-
weder auf das Vorhandensein von Membranstücken in der
Canüle, welche entweder durch Hustenstosse entfernt werden
oder zur Stenose führen, die ihrerseits die Entfernung der
Canüle noÜiwendig macht, dann aber auch auf ein gutes
18*
276 Dr. Carstens:
oder schlechtes Herausbefördern der Tracheal- und Bronchial-
secrete aus den Luftwegen. Es geht aus diesen Notizen her-
vor, dasB eine gute Expectoration die Prognose entschieden
günstiger gestaltet, denn von 27 Fällen, bei denen dieselbe
als schlecht bezeichnet ist, sind 22 gestorben und nur 5 ge-
heilt, dagegen von den 12 Fällen, bei denen sie als gut be-
zeichnet ist, sind 4 gestorben und 8 geheilt, bei den noch
übrig bleibenden 3 Fällen heisst es, dass ein- oder zweimal
Membranstücke durch die Canüle ausgehustet sind. Dass das
Eintreten einer Stenose mit der schlechten Expectoration zu-
sammenhangt, geht aus den Krankengeschichten keineswegs
hervor, sondern daran war meistens die Bronchitis fibrinosa
Schuld, und wo die Membranbildung bis in die feineren Bron-
chien fortgeschritten ist, da tritt Athemnoth ein, auch wenn
die Canüle, sei es nun Laryngeal- oder Trachealcanüle, die
Luft noch so gut eintreten lässt. Etwas anders scheint es
sich mit der Beziehung der schlechten Expectoration zur Ent-
stehung einer Pneumonie zu verhalten: Von den 22 Todes-
fällen bei schlecht expectorirenden Kindern sind 21 secirt (ein
mal wurde die Section verweigert).
Es fand sich:
Pneumonie mit Bronchitis fibrinosa 6 mal.
(darunter Imal Bronchialdrüsentub.).
Pneumonien allein (meist hämorrhag. lobulär) . . 5 mal.
Bronchitis fibrinosa allein 9 mal.
(darunter 2 mal BronchialdrQsentub.).
Ausgedehnte Tuberculose (Cavernen etc.) .... Imal.
Die Section der 4 gut expectorirenden Kinder ergab nur
einmal Pneumonie, die aber schon bei der Aufnahme des
Kindes nachgewiesen worden war; zweimal wurde fibrinöse
Bronchitis constatirt, in beiden Fällen aber daneben auch
Bronchialdrüsentuberculose gefunden und einmal fibrinöse
Bronchitis ohne Tuberculose.
Obwohl die Zahlen viel zu klein sind, um aus ihnen all-
gemein gültige Schlüsse zu ziehen, so kann man doch Ange-
sichts der mitgetheilten Thatsachen sich dem Eindruck nicht
ganz verschliessen, dass eine schlechte Expectoration bei in-
tubirten Kindern die Entstehung einer Pneumonie begünstigen
kann, was bei der Stellung der Prognose, auf welche ich
nachher noch einmal zurückkomme, wohl zu beachten ist.
Ob aber für die schlechte Expectoration die Intubation an-
zuschuldigen ist, möchte ich hier nicht entscheiden, glaube es
aber nicht, da auch bei unseren Tracheotomirten die Expecto-
ration sehr zu wünschen übrig Hess. Immerhin müssen wir
aus diesen Beobachtungen die Lehre ziehen, die Expectoration
Verfahren d. Intabation bQi d. diphUierischen Kehlkopfstenose. 277
gleich nach der Intubation kräftig zu unterstützen. Bei
manchen Kindern lässt sich in dieser Hinsicht durch häufiges
Zureden von Seiten einer verständigen Pflegerin etwas er-
reichen, bei anderen Sandern wird ein lauwarmes Bad mit
kühler Uebergiessung die Ezpectoration gut anregen; von den
sonst üblichen medicamentösen Expectorantien (rad. Ipecac,
Apomorphin etc.) sahen wir keinen Nutzen.
Das Aushusten der Canüle wurde im Ganzen 57 mal
beobachtet und zwar 42 mal bei 13 Fällen zu jener Zeit, wo
wir noch mit der alten O'Dwyer' sehen Canüle intubirten
(Fig. 6 a S. 268), während die an ihrem unteren Ende modi-
ficirte Canüle (Fig. 6 b S. 268) ebenfalls bei 13 Fällen nur 15 mal
ausgehustet wurde. Die Modification besteht darin, dass das
untere Ende nicht konisch sich verjüngt, sondern ausgeschweift
ist, sodass gewissermaassen ganz unten wieder eine kleine
Anschwellung sich befindet, wie in der Mitte der Canüle. Es
wird dadurch erreicht, dass die Canüle an zwei Stellen von
der Trachea fixirt wird, während die alte Canüle nur in der
Mitte fixirt wird. In der beschriebenen Modification ist des-
halb eine ganz wesentliche Verbesserung des Instruments
zu erblicken, da der Arzt früher dem intubirten Kinde kaum
den Rücken kehren konnte, ohne zu befürchten, dass er viel-,
leicht bei der jeden Augenblick eventuell wieder nothwendig
werdenden Intubation einmal zu spät kommen könnte. In
dem einen Fall, bei dem 23 mal intubirt wurde, war die Ca-
nüle 18 mal, in einem andern, wo 12 mal intubirt werden
musste, 6 mal herausgehustet; es war in beiden Fällen stets
die alte Canüle eingeführt Wird die modificirte Canüle aus-
gehustet, dann beobachtet man öfter, dass die Stenose nun-
mehr dauernd behoben ist (bei jenen 13 Fällen 5 mal),
andererseits wird man dadurch auf das Bestehen einer ge-
vrissen Schlaffheit des Kehlkopfs aufmerksam gemacht, die
für den Fall, dass man an einem derartigen Kehlkopf die
Canüle mit dem Extubator entfernen muss, zu besonderer
Vorsicht auffordert
Einmal war bei dem Versuch der Extubation die Ca-
nüle in die Trachea geglitten, und wurde bei der sofort aus-
geführten Tracheotomie entfernt; in einem zweiten Fall, wo
die Canüle mit dem Finger nicht mehr zu fühlen war, gelang
es mir noch durch vorsichtiges Eingehen in die Trachea mit
dem Extubator dieselbe hervorzuholen. Jedenfalls ist es rath-
sam, bei einem derartigen schlaffen Kehlkopf den Faden an
der Canüle zu belassen.
Solche Unglücksfälle, dass man die Canüle mit dem Ex-
tubator in die Trachea stösst, können nie vorkommen, wenn
man im Anfang, wo man die Technik der Extubation noch
278
Dr. Cantens:
nicht ganz beherrscht, die, nebenbei bemerkt, mir persönlich
leichter ausführbar erscheint, als die Intubation, den Exta-
bator nicht in die volle Faust nimmt, sondern ihn in der
Weise, wie Fig. 7 ^) zeigt, zwischen dem Daumen und den
anderen Fingern pendeln lässt, man wird so nie irgend welche
Gewalt anwenden, und der Extubator fallt, wenn man die
Epiglottis auf-
*^ ■'• gerichtet hat,
in Folge seiner
eigenen Schwere
in die Ganüle
hinein. Wäh-
rend man bei
der Intubation
besser zunächst
die Epiglottis
fixirt, und dann
erst das Instru-
ment in die
Mundhöhle des
Kindes führt, ist es bei der Extubation zu empfehlen, das
Instrument gleich unter dem Schutze des linken Zeigefingers
bis an die Epiglottis zu führen, dann mit dem Finger
die CanQIen5£fnung zu palpiren und in diese den Extu-
bator hineingleiten zu lassen. Alsdann lockert man durch
leichtes Heben des Extubators die Canüle in der Richtung
ihrer Längsaxe und erleichtert dadurch, dass man mit dem
Finger, der nicht etwa aus dem Munde herausgezogen werden
darf, wenn man den Extubator richtig in die CanQle hinein-
geführt zu haben glaubt, unter den Kopf der Canüle fasst,
und mit demselben ebenfalls hebende Bewegung macht, das
Herausbef3rdem der Canüle. Letztere sitzt bisweilen sehr
fest, besonders wenn sie vielleicht etwas zu * gross war für
den Kehlkopf. Unter den 75 Extubationen, welche bei 39 Fällen
gemacht wurden, hat, abgesehen von der bereits oben erwähn-
ten, keine eine besondere Schwierigkeit gemacht. Nur einmal
gelang mir die Extubation überhaupt nicht. Es handelte sich
hier um ein ^Jähriges Mädchen, das, als man die Sonde
Zwecks Zuführung von Nahrung in die Nase einführen wollte,
collabirte. Allerdings benutzte ich zunächst einen Extubator,
der für diese kleinste Canüle nicht passte, aber bei dem
gleich darauf angestellten Versuch mit dem richtigen Extu*
1) Herrn Dr. Max Seiffert, welcher die Photographien anfertigte,
nach denen die Abbildung 2—7 gemacht sind, sage ich hier meinen
verbindlichiten Dank.
Verfahren d. Intubation bei d. diphtherischen Eehlkopfetenose. 279
bator gelang es nicht, die Canüle zu entfernen, weshalb sofort
die Tracheotomie gemacht wurde, aber der Herztod war be-
reits eingetreten. Weshalb hier die Extubation nicht gelang,
kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, glaube aber doch,
dass bei dem ersten Versuch mit dem falschen Extubator die
Canüle etwas tiefer zu liegen kam, so dass ich sie nachher
bei der starken Schwellung der Schleimhaut nicht mehr fassen
konnte. Dass hier höchst wahrscheinlich der Tod vom Herzen
ans erfolgt war, und nicht durch Erstickung, dafür spricht
der Sectionsbericht, den ich der Wichtigkeit der Sache^ wegen
im Auszug wiedergebe: Tracheotomie wunde in der Hohe des
ersten Tracheairinges. Diphtheriemembranen in Rachen, Kehl-
kopf, Trachea und Bronchien. Bronchopneumonien in beiden
Lungen und ausgedehnte Atelectasen. Hydropericard. Fleckige
and streifige parenchymatöse Degeneration des Myocards. Ne-
crosen in der Leber. Trübe Schwellung der Nieren. Hyper-
plastische, anämische Milz, Magen-Darmkatarrh. Mesenterial-
drüsentuberculose.
Wenn nach Entfernung der Canüle aus dem Kehlkopf
nicht sofort wieder eine Indication für erneute Einführung
der Canüle vorliegt, ist die Hauptsache, dass das Kind Ruhe
hat, ja es ist sogar erwünscht, dass es schläft; wird der
kleine Patient jedoch aus irgend welchem Grunde unruhig,
sei es aus Furcht vor erneuter Athemnoth, sei es in Folge
starken Hustenreizes, so haben wir zu Narcoticis unsere Zu-
flucht genommen und zwar hat Heubner das Natrium
bromatum in ziemlich grossen Dosen (bei Kindern von drei
bis vier Jahren: 2 — 3 g pro die) in diesen Fällen für be-
sonders geeignet gehalten. Seit October vorigen Jahres wird
das Bromnatrium bei uns fast in jedem Falle systematisch
angewendet; es wird das Kind post extubationem gewisser-
maasen in einem leichten Bromrausch gehalten. Diese thera-
peutische Maasanahme, die in ähnlicher Weise (Chloralhy-
drat) auch von anderer Seite empfohlen wird, bekommt dem
Kinde gut und es erträgt leichter geringere Grade von Ste-
nose, die ja sehr oft, wohl in Folge der zunächst wieder ein-
tretenden Schwellung der Schleimhaut, nach der Extubation
beobachtet wurde.
Es erübrigt jetzt noch, zwei Fragen etwas näher zu er-
örtern, die praktisch von grosSer Bedeutung sind:
1. Wie lange soll man den Tubus liegen lassen?
2. Wann soll man zur sogenannten secundären Tra-
cheotomie schreiten?
Bei den ersten Intubationsfällen haben wir den Tubus
stets nur kürzere Zeit liegen gelassen, fast nie länger als
280 ^' Carstens:
24 Stunden^ später liessen wir ihn nach der ersten Intubation
meistens drei Tage liegen^ wenn nicht durch irgend welche
Umstände die Extubation geboten schien; einmal lag er sogar
4 Tage und 6 Stunden; wenn dann wieder die Intubation
nöthig wurde, nahm man den Tubus schon etwa nach wei-
teren 24 Stunden heraus. Es lassen sich hierfür schwer Re-
geln aufstellen; bald wird man den Tubns probeweise ent-
fernen, wenn das Allgemeinbefinden des Kindes sich gebessert
hat, bald, wenn der Puls besser wird, bald, wenn die
Temperatur heruntergeht etc.; ich möchte fast sagen, es ent-
scheidet hier oft das eigene Gefühl und der Eindruck, den das
Kind auf den Arzt macht.
Anfanglich haben wir auch immer wieder intubirt, ohne
darauf Rücksicht zu nehmen, wie lange der Kehlkopf im Ganzen
die Canüle getragen hatte, wozu wir uns um so mehr be-
rechtigt glaubten, als unser vierter Intubationsfall, der 12 mal
intubirt war und die Canüle im Ganzen 10 Tage und 9 Stunden
gehabt hatte, geheilt wurde, als ferner auch bei solchen Fällen,
wenn sie zur Section kamen, kein oder nur geringer Decubi-
tus beobachtet wurde; ja wir haben in zwei Fällen, wo die
Canüle kürzere Zeit gelegen hatte (90 und 69 Stunden), grosseren
Decubitus gesehen, als bei jenen vorhin erwähnten, wo der
Tubus länger lag. Bei dem einen Fall sagt der Sections-
bericht: „dem unteren Ende der Canüle entsprechend Decu-
bitus bis auf den Knorpel'^; bei dem zweiten: „Canülendecu-
bitus von Kirschkerngrösse am Ringknorpel und drei senkrecht
untereinander stehende, an der vorderen Trachealwand liegende
viereckige Plaques, welche die ganze Schleimhaut durchsetzen.^^
Es handelt sich in diesen Fällen höchstwahrscheinlich um
Secundärinfection mit Streptokokken. Ausser diesen beiden
Fällen beobachteten wir bei unserer 51. Intubation, bei wel-
cher die Canüle 12 Tage 23 Stunden gelegen hatte, einen
schweren Decubitus und einen prälaryngealen Abscess; seit
der Zeit entschlossen wir uns, wenn nach 5 bis höchstens
6 Tagen die Canüle nicht entfernt werden kann, die sogenannt«
secundäre Tracheotomie zu machen; dieselbe wurde bis zur
100. Intubation 5 mal ausgeführt, stets mit tödtlichem Aus-
gang.^) Ein leichter Decubitus, der meist in Erosion be-
stand und höchstens bis in die Submucosa reichte, wurde
9 mal bei Sectionen constatirt; die Canüle hatte in diesen
1) Bei dem zweiten Handert (60 Knaben und 50 Mädchen) wurden
86 Heilungen und 64 Todesfälle beobachtet; die sec. Tracheot wurde
7 mal ausgeführt, 4 mal mit Ausgang in Heilung. Aufs Alter vertheilen
sich die 7 Fälle folgendermaassen: 1—2, 2, 2—3, 3, 3—4 (2 mal), 4—5.
Die Tracheotomien wurden stets auf liegender Intubationscanüle aus-
geführt, was sehr zu empfehlen ist.
Verfahren d. Intubation bei d. diphtherischen Eehlkopfstenose. 281
Fällen: 4 Stunden, löVi Stunden, 65 Stunden, 100% Stunden,
6 Tage 3 Stunden, 8 Tage 1\ Stunden, 11 Tage 13% Stunden,
12 Tage 7 Stunden und 15 Tage 21 Stunden gelegen. An
die Ausführung der secundären Tracheotomie hat man auch
dann zu denken, wenn das Kind nach längerem Tragen der
Canule entweder spontan oder auf Druck Schmerzen in der
Kehlkopfgegend äussert^ und diese nicht, wie man das zwar
oft beobachtet, auf einfache Priessnitz'sche Umschläge um
den Hals zurückgehen.
So wenig, wie die Länge der Intubationsdauer in jedem
Fall maassgebend für die Entstehung eines Decubitus oder
für die Grösse desselben ist, ebenso wenig ist dieselbe bei den
Heilungsfällen maassgebend für die Wiederkehr der Phona-
tion. In 26 Krankengeschichten finden sich ziemlich genaue
Angaben über das Nachlassen der Aphonie nach der Extu-
bation; der besseren Uebersicht halber habe ich auch diese
Angaben wieder in Form einer Tabelle zusammengestellt.
Tabelle VI.
Laof. Nr. 1. 2.
3.
4.
5- 1
6.!
1
I
7. 8. 9.
10. 11.
12.
13. 14.
16.
Intubations-
daner in St.
40
99 V4
48
72
96V,
90
80
123
4 ,67 V,
132
66
81% 126
123
Wie viele
Tage post
ext. wurde
wieder phon.
10
16
4
11
4
10
17
spät
6
1
2
2
spät »)
11
4
Lauf. Nr.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
26.
26.
Intubations-
d«aer in St.
161%
63
78»A
8iy,
64
66%
50%
43V3
92
66%
63%
Wie viele
T^e poet
ext. wurde
wieder phon.
18
8
4
10
3
6
4
4
5
9
14
Wir ersehen aus dieser Zusammenstellung, dass, um die
extremen Fälle herauszugreifen, in dem Fall, wo die Canüle
132 Stunden, also über 5 Tage, lag, schon 2 Tage nach der
Extubation das Kind zu phoniren im Stande war, während
das Kind, das 40 Stunden die Canüle trug, erst 10 Tage
später zu phoniren begann. Von ganz besonderer Bedeu-
tung für die Wiederkehr einer normalen Stimme ist natür-
lich das eventuelle Eintreten von Lähmungszuständen so-
wohl im Gebiet der Pharynx- wie der Larynx-Musculatur;
wenn am 7. Tage etwa nach der Extubation noch Heiserkeit
besteht, so kann man mit grosser Wahrscheinlichkeit das Vor-
1) Bei der EntlaesDDg azn 7. Tag post eztubationem noch heiser.
282 'Dt. Carstens:
handensein oder die EntstehuDg einer Lähmung diagnostieiren,
resp. vorhersagen; mehrfaches Verschlucken^ näselnde Sprache
deutet dann bereits auf das Bestehen einer Parese. Durch
einen eigenthQmlich kraftlosen und hohl klingenden Husten
wird man auch bisweilen auf die im Anzug befindliche Kehl-
kopflähmung (speciell die Posticus*Lähmung) aufmerksam ge-
macht
Es würde mich hier zu weit f&hren, wenn ich über die
Complicationen ausführlich berichten wollte; der Vollständig-
keit halber sei nur Folgendes angeführt.
Abgesehen von einer Urticaria mit Quaddeln von über
Handteller Grosse, die bei den zugleich mit Heilserum be-
handelten Fällen zur Beobachtung kam, wurde mehrere Male
das meistens bei prognostisch ungünstigen Fällen vorkom-
mende infectiose Erythem gesehen; einmal Pemphigus.
Pneumonien sowohl croup5ser wie katarrhalischer Natur
kamen auch bei Heilungsfallen mehrfach vor.
Die parenchymatöse Myocarditis wurde bei den Sectionen
fast stets gefunden, beim Lebenden konnte Verbreiterung der
Herzdämpfung nach rechts, sowie an den Herztönen Abwei-
chungen von der Norm hie und da constatirt werden. Es
waren zwar keine deutlichen Geräusche zu hören, aber bald
waren die Töne dumpf, bald gespalten (eine Art Galopp-
rhythmus), bald langgezogen etc.
Auf Nephritis konnte in 61 Fällen untersucht werden:
es fand sich schwere Nephritis mit grösseren Eiweissmengen
(bis zu % und % Vol.) in 25 Fällen, Spuren von Eiweiss bei
24, kein Eiweiss bei 7 Fällen. In den 30 Fällen, die geheilt
wurden, hatten zwei kein Eiweiss, 20 Spuren und 8 grössere
Mengen von Yg bis Vß Vol. Eiweiss.
Zwei Fälle von Ataxie kamen zur Beobachtung.
Bei der bekannten Beziehung der Tuberculose zur
Diphtherie dürfte es von Interesse sein, was über den
diesbezüglichen Befund die Sectionsberichte aussagen: Bei
65 Sectionen wurde 20 mal Tuberculose constatirt, und zwar
17 mal Bronchialdrüsentuberculose (darunter 3 mal mit schwerer
Phthise und 2 mal mit Mesenterialdrüsentuberculose zusammen),
2 mal Mesenterialdrüsentuberculose allein und Imal schwerste
Phthise allein.
Zum Schlüsse sei es mir noch gestattet, die überaus wich-
tige und schwerwiegende Frage zu streifen, welche subjectiven
und objectiven Symptome uns die besten Anhaltepunkte für
die Stellung einer richtigen Prognose beim intubirten Kinde
geben.
Für denjenigen, der eine Reihe von Groupfällen beobachtet
hat, ist wohl das Aussehen des Kindes und der allgemeine
Verfahren d. Intabation bei d. diphtherischen Eehlkopfsienose. 283
Eindrack, den der kleine Patient macht^ das am meisten Aus-
schlag gebende Moment; die Blässe allein lässt zwar die Pro-
gnose, nicht immer ungünstig erscheinen ^ gesellt sich aber
dazu die geringste liyide Verfärbung, auch wenn die Lippen
noch roth aassehen, dann wird die Prognose schlechter; die
Augen sind halonirt, auf den weissen Wangen kommen die
kleinsten Blutgefässe zum Vorschein und heben sich gegen
die Umgebung ab, der Gesichtsausdrnck wird ängstlich und
die Augen scheinen tiefer zu liegen. Bei ganz jungen Kindern
(etwa bis zum Alter von 1% Jahren) darf ein gutes Aus-
sehen den Arzt nicht gar zu vertrauensselig machen; wir
haben es des Oefteren erlebt, dass derartige Patienten früh
noch vorzüglich aussahen, munter waren, ihre Milch aus der
Flasche tranken und noch am Abend starben; so junge Kinder
„verändern^' sich oft binnen wenigen Stunden.
Auf die Bedeutung der Expectoration für dief Prognose
habe ich bereits oben aufmerksam gemacht.
Die Temperatur kann man prognostisch so gut wie gar
nicht verwerthen, da einerseits grade sehr schwere Fälle mit
mittlerem oder auch ohne Fieber verliefen, andererseits ge-
ringf&gige Gomplicationen, so z. B. eine Otitis, ein Magen-
katarrh, eine beginnende Nephritis Temperatursteigerungen
machen können. Auch auf ein Ansteigen der Temperatur
nach der Intubation, die bei uns fast stets beobachtet wurde,
darf man nicht zu viel geben. Von viel grosserer Bedeutung
ist eine genaueste Beobachtung des Pulses, der uns von dem
Znstande des Herzens Kunde giebt, sowie eventuelle Schwan-
kungen in der Qualität der Herztone: eine Unregelmässigkeit
oder Ungleichmässigkeit des Pulses namentlich in der Zeit
bis zum 7. oder 9. Krankheitstage etwa ist stets als ein
ernstes Symptom aufzufassen, ohne damit gesagt haben zu
wollen, dass ein kleiner, unregelraässiger Puls in der so-
genannten Beconvalescenz (aber bei noch bestehender Ne-
phritis) zu unterschätzen ist. Auch der sogenannte Galopp-
rhythmus ist stets ein Zeichen von Herzschwäche.^) Bisweilen
fand ich, dass, wenn man das Kind im Bett si^h aufsetzen
liess, der Puls unregelmässig und frequenter wurde.
Fast noch mehr als auf den Puls ist auf das Verhalten
der Respiration zu geben; eine ruhige, tiefe', nicht sonderlich
frequente Athmung, d. h. nicht über 32—36, bei kleinen
Kindern nicht über 40 — 44 Respirationen in der Minute, ist
1) ÜnterBncht man den Puls eines Kindes znm ersten Male und
findet ihn klein, so ist es ratbsam, bevor man sich ein ürtbeil über
die Qualität des Pulses bildet, auch die Radialarterie der anderen Seite
za palpiren, da doch Varietäten im Verlauf der Art. radialis nicht so
gar selten zu sein scheinen (bei den 100 Fällen 2 mal).
284 Di^* Carstens: Verfahren der Intubation etc.
dann als ein günstiges Symptom anzusehen, wenn Aussehen
und Puls nicht einen schlechten Ausgang beffirchten lassen.
Wenn dagegen die Respirationsfrequenz hoher steigt^ etwa
auf 50 und darfiber^ dann sinkt mit einem Schlage die Hoff-
nung auf Heilung ganz gewaltig, und man kann behaupten,
dass ein wiederholtes Steigen der Athemzüge auf über 50 in
der Minute fast mit Bestimmtheit den Ausgang in Tod be-
deutet. Es handelt sich dann in den meisten Fällen um die
den Kindern fast stets verderblich werdende Bronchitis fibri-
nosa, sowie um ausgedehnte lobuläre, meist hämorrhagische
Pneumonien.
Von der allergrössten Bedeutung für die Prognose ist
ferner das Verhalten der Nahrungsaufnahme, von der zum
Theil natürlich das Aussehen abhängt: sobald die Kinder die
spontan aufgenommene oder per Sonde beigebrachte Nahrung
nicht behalten und ihre ominösen Klagen über den Leib vor-
bringen, trübt sich die Prognose sehr.
Weniger wichtig als das bereits Angeführte ist für die
Stellung der Prognose der Verlauf des diphtheritischen Pro-
cesses im Munde; es kommen todtlich verlaufende Croupfälle
vor bei geringer oder fehlender Rachendiphtherie und umge-
kehrt werden Croupfölle mit ausgedehnter Rachenaffection
geheilt.
Ein Herpes labialis wurde des Oefteren bei günstig ver-
laufenden Fällen beobachtet.
Auf eine Behandlang des diphtheritischen Processes im
Rachen haben wir meistens verzichtet, sobald der Tubus lag;
wir haben alsdann unser Hauptaugenmerk darauf gerichtet,
das Kind möglichst gut zu nähren und Alles zu vermeiden,
was das Kind aufregt und seine Kräfte aufreibt. Wir haben
oft mehrere Tage hintereinander das Kind nicht untersucht,
um es nicht zu erregen; besonders wenn ein intubirtes Kind
schläft, ist es weder Zwecks Untersuchung, noch um ihm
Nahrung zuzuführen, noch gar Zwecks Darreichung von Medi-
camenten etc. zu wecken. Sobald die Herzkraft sank, haben
wir uns nicht gescheut, grosse Dosen von Campher, sowie
sonstige Excitantien zu geben; bei Säuglingen ist in Bezug
auf die Anwendung von Campher Vorsicht geboten.
4. Beobachtungen über Xndioanansscheidnng bei Eindenii
Bpeciell bei der kindlichen Tnberonlose.
Von
Dr. med. Gehlig,
iraherem Yolont&nirst der p&dlfttr. Klinik zu Leipsig, jeisi prakt. Aizt in Keine.
Bereits im Jahre 1844 hatte Heller^) zuerst im Haro
Cholerakranker, später aber auch im ganz normalen Harn
Uroxanthin gefunden, eine Substanz, die sich durch Salz-
säure in einen blauen und einen rothen Farbstoff zerlegen
liess, die er Uroglaucin und Urorhodin nannte. 1854 fand
Gubler^ bei hoch fiebernden Kranken, die an Cholera asia-
tica, profusen Diarrhoen, Scarlatina und Typhus litten , dass,
wenn er zu dem eiweisshaltigen Urin langsam Salzsäure zu-
setzte, eine blaue Färbung entstand. Dieselbe führte er auf
die Bildung eines von Indigo abzuleitenden blauen Farbstoffes
zurück. 1857 stellte Seh unk mit Bestimmtheit den Satz auf,
dass in jedem Harn constant eine Substanz vorkäme, die beim
Kochen mit Mineralsäuren oder bei gährungsartigen Zer-
setzungen Indigoblau lieferte. Er versuchte dieselbe aus dem
Harn zu isoliren und nannte sie Indican. Interessante Unter-
suchungen von Baum an n^, die er an Hunden vornahm, indem
er sie mit Indol fütterte und dabei die gepaarten Schwefel-
säuren auf das 24 fache erhöht fand, liessen diesen Forscher
zu der Annahme gelangen, dass Indican eine gepaarte Schwefel-
säure, ein Oxydationsproduct des Indol, Indoxyl, sei, und dass
Indicanlosungen bei Erwärmen mit verdünnter Salzsäure ge-
spalten würden in Schwefelsäure und einen in Älcohol mit
rother Farbe sich losenden Farbstoff der Indigogruppe. Durch
die Untersuchungen von Salkowski, Baumann, Brieger
und Jaffe wurde nachgewiesen, dass das Indican ein Fäulniss-
1) Heileres Archiv f. physiol. u. path. Chemie u, Mikroskopie 1845.
S. 161.
2) Schmidt's Jahrbücher 1859.
8) Pflflger'a Archiv Bd. XIII. S. 807. — Zeitechrift f. physiol.
Chemie I. S. 60.
286 Dr. Gehlig:
product sei, .dessen Muttersubstanz das Indol ist, welches sich
neben Phenol und Scatol als Endproduct der Pancreasver-
dauung der Albuminate im Darmkanal unter Mitwirkung von
Fäulnisbacterien bildet. Das im Yerdauungstractus gebildete
Indol wird nicht vollständig mit den Fäces ausgeschieden,
sondern ein Theil gelangt im Dünndarm zur Resorption; er
wird im Körper zu Indoxjl oxydirt und verbindet sich mit
Kalium und Schwefelsäure zu indoxylschwefelsaurem Kali,
dem Indican, welches im Harn durch chemische Reactionen
nach Behandlung mit oxydirenden Substanzen in Form eines
blauen Farbstoffes nachgewiesen werden kann.
Nachdem Schunk mit Bestimmtheit erklärt hatte, dass
das Indican zu den normalen Bestandtheilen des Harns ge-
hört, und diese Behauptung auch durch die Befunde von
Hoppe-Seyler ihre Bestätigung erfahren hatte, fanden Sal-
kowski und Jaffe einen deutlichen Zusammenhang zwischen
Indicanausschetdung und dem Stickstoffgehalte der eingeführten
Nahrung, indem der Indicangehalt des Harns bei Verabreichung
von stickstoffhaltiger Nahrung sehr reichlich, bei stickstoff-
armer Kost und im Hungerzustande dagegen sehr gering war.
Ferner stellte Jaffe fest, dass bei schweren Erkrankungen
des DQnndarms, bei Stenose oder experimenteller Unterbindung
desselben, vor Allem aber in Krankheiten, bei denen sich ein
schneller und starker Fäuluissprocess entwickelte, bei Typhus
und Brechdurchfall, der Indicangehalt des Urins eine bedeu-
tende Zunahme erfuhr, während Stenose des Dickdarms, Unter-
bindung desselben, Dysenterie, Dickdarmkatarrh nicht zu einer
gesteigerten Indicanausscheidung führten. Nach Ortweiler^)
fand sich physiologisch relativ höchster Indicangehalt bei
Fleischgenuss, eine Vermehrung des Indicans bei verschiedenen
Verdauungstörungen, bei Typhus, Ileus, Carcihom, Darmtuber-
culose, Peritonitis, Pleuritis putrida. Hennige') beobachtete
starken Indicangehalt bei Peritonitis, Cholera, acuten und
chronischen Gastrointestinalerkrankungen; keine Vermehrung
der Indicanmenge bei Miliartuberculose, Anämieen und hämor-
rhagischen Erkrankungen, Obstipation^ Icterus, Lebercirrhose.
Bei Lungenschwindsucht war der Indicangehalt des Harns
nur dann vermehrt, wenn Durchfälle bestanden.
Nach diesen bei Erwachsenen gewonnenen Resultaten
schien es Hochsinger wichtig, schon vom rein physiologi-
schen Standpunkt aus zu untersuchen, ob die Verdauungs-
und Ernährungszustände des Kindesalters, die doch von denen
1) üeber die physiol. und pathol. Bedeaiang des Harn -Indicans,
Inaug.-Disseri. Wfirzburg 1886.
2) DeaUches Archiv f. klin. Medicin XXIII.
M
IndicanauBBcheidaog b. Kindern, apec. b. d. kindl. Tuberculose. 287
des höheren Lebensalters wesentlich abweichen, einen Einfiuss
auf die Indicanausscheidung hätten. Durch seinen auf der
Naturforscherversammlung in Bremen 1890 gehaltenen Vor-
trag: „lieber Indicanurie im Säuglingsalter^'^) gab er Veran-
lassung, dass man sich eingehender mit der Lehre der Indican-
ausscheidung bei Kindern zu befassen begann. Und zwar war
dies um so nothwendiger, als Hochsinger bemerkt zu haben
glaubte^ y dass Säuglinge mit Lungen-Peritoneal* und Me-
ningealtuberculose, ganz gleichgQltig, ob Störungen im In-
testinaltraotus bestanden oder nicht, ganz enorme Indican-
reactionen im Harn aufwiesen, so wie map sie bei Erwachsenen
nur bei Garcinom und Ileus beobachtet hatte. Auch tubercu-
lose Kinder höherer Altersperioden sollten diesen starken In-
dicangehalt im Urin zeigen. In der bald darauf erschienenen
ausführlichen Arbeit von Kahane^) ,,Ueber das Verhalten
des Indicans bei der Tuberculose des Kindesalters'' veröffent-
lichte derselbe seine am ambulanten Materiale des I. öffent-
lichen Kinder-Krankeninstitutes in Wien gemachten Unter-
suchungen. Uebereinstimmend mit Hochsinger kam er
zu dem Schluss, dass zwischen Indicanausscheidung im Harn
und der Tuberculose des Kindesalters eine derartige Beziehung
bestände, dass in diagnostisch zweifelhaften Fällen die Diagnose
auf Tuberculose gestellt werden könnte, wenn der Indican-
gehalt deutlich vermehrt wäre. Diese Behauptung, fQr die
Diagnostik der kindlichen Tuberculose sowohl für den Kli-
niker, als ganz besonders für den praktischen Arzt von emi-
nenter Wichtigkeit, bedurfte genauer Nachprüfungen. Denn
da es, wie ja allgemein bekannt, im Kindes-, speciell im Säug-
lingsalter ausserordentlich schwer, ja bisweilen fast unmög-
lich ist, die sichere Diagnose „Tuberculose'^ aus dem ob-
jectiven Befund zu stellen, da dieselbe ja meist Ton den
Bronchialdrüsen ihren Ausgang nimmt und von da in ver-
heerender Weise um sich greift, da sehr oft percutorische
und auscnltatorische Erscheinungen vollständig fehlen, die
Untersuchung des mühsam gewonnenen Sputums auf Tuberkel-
bacillen sehr häufig negative Resultate liefert und schwere
anämische, rachitische und atrophische Zustände unter dem
der Tuberculose sehr ähnlichen Bilde des Hinsiechens ver-
laufen, so war man für den Fall, dass sich die Befunde
späterer Beobachter mit denen Kahane's decken würden, in
der Diagnose der Tuberculose einen bedeutenden Schritt weiter
gekommen. Denn dann konnte man ja, wenn schliesslich alle
1) Wiener med. Presse 1890. Nr. 40 u. 41.
^) Ibid. Nr. 41. S. 1619.
8) Beiträge zur Kinderheilkunde. Neue Folge IL
288 I>r. Oehlig:
diagnostischen Hülfs mittel im Stich Hessen, aus dem gestei«
gerten Indicangehalt des Urins die Diagnose stellen. Auf
Veranlassung meines hochverehrten Chefs , des Herrn Pro-
fessor Dr. Heubner, dem ich für die Anregung zu dieser
Arbeit und die Ueberlassung des Materials ergebenst danke,
setzte ich die von meinem Vorgänger begonnenen Indican-
Untersuchungen auf der Säuglings- und gemischten Station
des Leipziger Einderkrankenhauses fort. Während ich meine
Untersuchungen anstellte, erschien die Arbeit von Momid-
1 o w s k i *) , nachdem bereits 1891 Steffen's*) „ Beiträge
zu Indicanausscheidungen bei Kindern'' veröffentlicht waren.
Bevor ich auf dieselben im Laufe dieser Arbeit zurückkomme,
und meine eigenen Beobachtungen mittheile, sei es mir ge-
stattet, über die Gewinnung des Harns, sowie über die ange-
wandten Reactionen einige Worte zu bemerken.
Die Untersuchungen wurden meist an männlichen Indi-
viduen angestellt, bei denen der Urin mit den in der Klinik
in Gebrauch befindlichen Recipienten gesammelt wurde. Die
Anwendung des Katheters bei weiblichen Säuglingen wurde
absichtlich vermieden und nur auf die unbedingt wichtigsten
Fälle beschränkt, weil es doch durch die öfter wiederholte
Katheterisation sehr leicht möglich ist, Reizungen der sehr
zarten weiblichen Urethralschleimhaut oder gar trotz aller
Vorsicht und Antisepsis eine Cystitis hervorzurufen, welche
für die ohnehin schwächlichen und elenden Kinder sehr leicht
die Ursache einer allgemeinen Sepsis abgeben konnte. Von
einer Unmöglichkeit, weibliche Säuglinge zu katheterisireo,
von der Kahane spricht, weil bei ihnen das orificium urethrae
externum zu versteckt liege und zu klein wäre, kann gar
keine Rede sein; im Gegentheil gelang auch mir die Ein-
führung selbst verhältnissmäsig dicker, sterilisirter Metall-
katheter in die Harnröhre weiblicher Säuglinge ohne alle
Schwierigkeit.
Zur qualitativen Indicanbestimmung des so erhal-
tenen Harns beu utzte ich Anfangs die Jaffe'sche und
die Obermayer'scho Reaction. Gleich Kahane und Mo-
midlowski überzeugte ich mich aber bald von der weit
grösseren Genauigkeit der Obermayer' sehen Reaction.
Mehrere Male fiel die Jaffe'sche Probe in Säuglingsharnen
mit schwachem Indicangehalt negativ aus, während die Ober-
mayer'sche noch eine deutliche Reaction gab; während ich
bisweilen mit Jaffe nur geringe Mengen Indican nachweisen
konnte, wo bei Obermayer ganz intensive Reaction sich zeigte.
1) Jahrbuch f. Kinderheilkunde Bd. XXXVI. S. 192. 2) Ibid.
Bd. XXXIV. S. 18.
Indicanaosscheidung b. Eindem, spec. b. d. kindl. Tubercnloae. 289
Die J äffe' sehe Probe musste auch sehr genau angestellt
werden y da der Chlorkalk in sehr starker Weise organische
Farbstoffe bleicht, infolge dessen man bei schwachem Indican-
gehalt des Urins sehr oft negative Resultate erhielt. Ein
Üeberschnss des Oxydationsmittels , wodurch das Indigo sehr
rasch zu einem farblosen Körper, dem Isatin oxydirt wird,
beeinträchtigt die Probe bis zur Werthlosigkeit derselben.
Wenn auch die Obermayer'sche Reaction wegen des langen
SchQttelns der Mischung mehr Zeit in Anspruch nimmt, und
die sich entwickelnden Dämpfe der rauchenden Salzsäure die
Äthmungsorgane belästigen, so stimme ich doch vollständig
Kahane bei, wenn er trotzdem der Obermayer'schen
Reaction den Vorzug giebt. Dieselbe wurde, um bei
allen Urinen ein qualitativ vergleichbares Resultat zu er-
zielen, in folgender Weise von mir vorgenommen.
10 ccm Urin wurden im Reagensglase mit 10% Bleiessig
zunächst sorgfältig ausgefällt, und zwar so lange, als auf
weiteren tropfenweisen Zusatz von Bleiessig kein Niederschlag
mehr eintrat. Sodann wurde durch ein Doppelfilter filtrirt
and das erhaltene, vollständig farblose Filtrat, 6 ccm, mit
dem gleichen Volumen Obermay er' sehen Reagens in einer
Concentration von 1,5 Eisenchlorid : 500 rauchende Salzsäure
versetzt. Diese Mischung wurde nun 1 Minute im Reagens-
glase intensiv geschüttelt, hierauf 40 Tropfen Chloroform zu-
gesetzt, einige Secunden geschüttelt und absetzen gelassen.
Die sehr schönen Farbenreactionen, welche das Indigo-
blau im Chloroform gab, theilte ich in fünf Abstufungen, die
ich auch im Verlauf meiner Beobachtungen beibehielt, und
bezeichnete dieselben mit '
Nr. I wobei eben ein blauer Schimmer im Chloroform
sichtbar war (Spur).
„ II mattblau (geringer Indicangehalt).
„ III himmelblau (mittelstarker Indicangehalt).
„ IV dunkelblau (starker Indicangehalt).
„ V schwarzblau (intensiver Indicangehalt).
Der Unterschied zwischen Nr. IV und V bestand darin,
dass ich die Bezeichnung V (intensiv) nur dann gebrauchte,
wenn bei weiterem Zusatz von Chloroform noch eine dunkel-
blaue Färbung bestehen blieb.
Quantitative Bestimmungen des Indicangehaltes anzu-
stellen, hielt ich nicht für nothig, einmal, weil es nicht auf
die Menge des im Verlaufe einer bestimmten Zeit ausgeschie-
denen Indicans ankam, dann aber, weil eine derartige Be-
stimmung zu zeitraubend und umständlich ist und zu ihr eine
grossere Menge Harn gehört, als man gewohnlich von Kindern
JaOirbnch t KindarIwiUnmde. N. F. XXXVHL 19
290 Dr. Gehüg:
erhalten kann, da der Urin stets möglichst frisch von mir
untersucht wurde.
Wahrend unsere Untersuchungen ganz in derselben Weise
vorgenommen wurden wie die von Kahane, d. h. neben Älter
und Geschlecht ein besonderes Augenmerk gelegt wurde auf
den Ernährungszustand y die Nahrung und das Verhalten des
gesammten Verdauungstr actus , unterscheiden sich doch die-
selben ganz wesentlich von einander, indem unsere Unter-
suchungen an klinischen Kranken ausgeführt wurden^ der Urin
wiederholt untersucht und genau dabei die genossene Nahrung
und die Beschafifenheit der Stühle controlirt wurde. Momid-
lowski^) glaubt bei der Art der Durchführung der Kahane-
schen Untersuchungen an der Berechtigung der erhaltenen
Resultate zweifeln zu dürfen, wenn er sagt: „Die Schattenseite
dieser Untersuchungen liegt darin, dass dieselben an ambula*
torischen Kranken ausgeführt wurden, dass der Urin in ge-
wissen Fällen nicht wiederholt und durch eine bestimmte Zeit,
sondern nur einmal untersucht wurde, weiter, dass unter diesen
Verhältnissen von einer Controle der genossenen Nahrung,
wie auch der Beschaffenheit der Stühle keine Rede sein kann.
Aussagen der Mutter sind in dieser Hinsicht nicht ausreichend.
Das letztere betrifft besonders die Säuglinge und jeder Arzt,
der diesbezüglich Erfahrungen gesammelt hat, muss ein-
gestehen, dass genaue Daten nur bei strenger klinischer
Beobachtung erhältlich sind. Was Kahane's Arbeit- an-
langt, so muss man ihr überdies eine gewisse Einseitigkeit
vorwerfen, und zwar sowohl die Nichtberücksichtigung des
Indicans im Harn gesunder Kinder, als auch das Ueber-
gehen der so sicheren Methode, 'welche uns den Nachweis
der Tuberkelbacillen ermöglicht, und welche als Controle
der auf Tuberculose gestellten Diagnose nicht unterlassen
werden darf."
Um mich nun zu überzeugen, ob das Indican ebenso wie
beim gesunden Erwachsenen auch bei Kindern zu den nor-
malen, wenn auch häufig in seiner Menge sehr schwankenden
Besiandtheilen des Harns gehorte, unternahm ich es, den Urin
bei 22 Kindern zu untersuchen, deren Respirations- und Di-
gestionstractus vollständig gesund war und die dem Kranken-
hause wegen Larynzaffectionen, Idiotie, Chorea, cerebraler und
spinaler Kinderlähmung, Eczemen, traumatischer Neurose zu-
geführt worden waren. 16 von ihnen standen im Alter von
1 Vi bis 6 Jahren, während sechs das 6. Lebensjahr über-
schritten hatten. Da während dieser Untersuchungen genau
die zugeführte Nahrung und die Stühle controlirt wurden,
1) Jahrbuch f. Einderheilkunde Bd. XXXVI. S. 193.
Indicanausscheidung b. Kindern, spec. b. d. kindl. Tubercaloae. 291
SO überzeugte ich' mich, dass die gesteigerten Indicanausschei-
dungen bei völlig gesandem Intestinaltractas auch hier wie
beim Erwachsenen bei reichlich stickstoffhaltiger Kost auf-
traten. Geringe Mengen Indican waren auch unter ganz ge-
wohnlichen Verhältnissen zu constatiren, nur war zu ver-
wundern, dass gerade bei Kindern unter 6 Jahren bei an
mehreren Tagen nach einander vorgenommenen üntersuchxmgen,
selbst bei Verabreichung derselben Nahrung ziemliche Schwan-
kungen in der Indicanausscheidung auftraten. Von den 79 an-
gestellten Einzeluntersuchungen fielen nämlich nur fünf voll-
ständig negativ aus, während sechsmal Spuren, siebzehnmal
geringer, achtunddreissigmal mittelstarker, dreizehnmal starker
Indicangehalt nachzuweisen war, die letzteren Befunde bei
reichlicher Fleischnahrung und Genuss von Eiern. Meine Er-
gebnisse stimmen daher mit denen Hochsinger's nicht
überein, welcher bei älteren Kindern mit normaler Verdauung
fast immer jegliche Spur von Indigoreduction im Harn vermisste,
obwohl bei ihnen die Fleischnahrung schon im vollen Gange war.
Was meine Beobachtungen an Säuglingen im 1. Lebens-
jahre anlangt, die wegen verschiedener Darmaffectionen der
Klinik zugeführt worden waren, so erstrecken sich dieselben
auf 18 Fälle von Dyspepsie, sechs von chronischem Darm-
katarrh, zwei von Cholera infantum und drei von Enteritis acuta.
Urin von Neugeborenen zu untersuchen, hatte ich keine
Gelegenheit, doch leuchtet es nach unseren jetzigen Kennt-
nissen von der Entstehung des Indicans im Darmkanal von
vornherein ein, dass, da der Darm des Neugeborenen frei von
Fäulnisserregern ist und eine Nahrungsaufnahme noch nicht
stattgefunden hat, der Urin frei von Indican sein wird,
eine Thatsache, welche auch durch die Untersuchungen von
Senator, Hochsinger, Steffen und Momidlowski be-
stätigt worden ist. Nach Escherich ^) kann man schon
einige Stunden nach der Geburt die Entstehung von Fäulniss-
bacterien mikroskopisch beobachten, und so gelang auch mir
der Nachweis von Spuren von Indican bei einem Säugling
am dritten Lebenstage.
Alle unserer Klinik zugeführten Säuglinge wurden mit
sterilisirter, dem Alter des Kindes entsprechend verdünnter
Kuhmilch ernährt. Daher war es mir leider nicht möglich,
den Urin von normal verdauenden Brustkindern einer Unter-
sachung zu unterziehen, was ich gern gethan hätte, da die
Meinungen der Beobachter in diesem Punkte divergiren. Denn
während bei den 13 Fällen Hochsinge r's und den fünf Fällen
von Steffen stets eine negative Indicanreaction gefunden
1} Dr. Th. Escherich, Die Darmbacterien des S&aglings. 1886.
19 ♦
292 Dr. Gehlig:
wurde, konnte Momidlowski unter 37 Säuglingen bei elf
derselben mehr oder weniger deutliche Indicanurie nachweisen.
Wenn auch im Darm des normal verdauenden Brust-
kindes hauptsächlich nur das bacterium lactis aerogenes und
das bacterium coli commune vorhanden sind, von denen das
letztere sich ausschliesslich im Dickdarm findet und infolge
dessen keinen wesentlichen Einfluss auf die Milchverdauung
mehr hat, da die Resorption der Eiweisskorper der Mutter-
milch im Dünndarm des Säuglings fast abgeschlossen ist, so
ist es doch nicht ganz undenkbar, dass die Wirkung des bacte-
rium lactis durch diejenige von Fäulnissbacterien, wenn auch
nicht ganz aufgehoben, so doch in einigen Fällen und wenig-
stens vorübergehend brachgelegt werden kann. Infolge dessen
könnten dann die durch Einwirkung des bacterium lactis auf
die Zersetzung des Milchzuckers entstandenen Gährungspro-
ducte, die Milch- und Essigsäure, nicht mehr den Nahrungs-
brei im Dünndarm sauer erhalten. Sobald aber erst der
Nahrungsbrei neutral oder alkalisch reagirt, so ist auch hier
die Möglichkeit der Entstehung von Indol im Dünndarm des
eigentlich noch normal verdauenden Brustkindes gegeben; ist
die Fäulniss der Albuminate und in Folge dessen auch die
Menge des gebildeten Indols eine nur sehr geringe, so kann
es, wie Momidlowski^) annimmt, zur sofortigen Resorption
der gelieferten Producte kommen, und man kann vorüber-
gehend ludican, wenn auch nur in geringeren Mengen, im
Harn constatiren, ohne dass eine deutlich nachweisbare Stö-
rung von Seiten des Intestinaltractus zu bemerken ist.
Nach Hochsinge r^) soll es auch beim künstlich ge-
nährten Säugling nicht zu erheblicher Indicanausscheidung
durch den Harn kommen, wenn nicht grobe Verdauungs-
störungen bestehen, welche Nahrungsfäulniss im Darmkanal
nach sich ziehen, oder Eiweisskorper eingeführt werden, welche
minder leicht verdaulich sind als das Casein und durch längeres
Verweilen im Darmkanal zu Fäulnissvorgängen Anlass geben.
Während von den Hochsinger'schen 29 Fällen nur drei
minimale Spuren von Indicanurie darboten, alle übrigen voll-
kommen negative Reactionen lieferten, konnte ich in den drei
von mir untersuchten Fällen viermal ein negatives Resultat
constatiren, viermal waren Spuren und zweimal geringe In-
dicanmengen nachzuweisen. Die Kinder erhielten sterilisirte
Wassermilch (Kuhmilch 1 : Wasser 1), es bestanden keine
gröberen Verdauungsstörungen, die Stühle waren gelbbreiig,
nie durchfällig, zeigten nur dreimal neutrale bez. schwach
alkalische Reaction.
1) Jahrbach f. Kinderheilkunde Bd. XXXVI. S. 200.
2) Wiener med. Prease 1890. Nr. 40. S. 1678.
IndicananBBcheidaiig b. Eindeni, spec. b. d. kindl. Taberculose. 293
i
Dagegen war der Zusammenhang zwischen schweren
Darmerkrankungen und deutlich vermehrter Indicanausschei-
dung ein ziemlich constanter. Zwei Fälle von Cholera infantum
ergaben in sechs Einzeluntersuchungen einmal intensiven, drei-
mal starken und zweimal mittelstarken Indicangehalt. Ein
ähnliches Resultat wurde bei den chronischen Darmkatarrhen
gefunden, indem unter sechs Fällen mit 15 Einzelunter-
suchungen nur zweimal ein negatives Resultat sich ergab,
zweimal Spuren, dreimal mittelstarker, siebenmal starker und
einmal intensiver Indicangehalt nachgewiesen wurde.
Ausser bei den Brechdurchfällen und den chronischen
Darmkatarrhen konnte ich auch in den fünf Fällen von Ty-
phus abdominalis, die allerdings nicht mehr Säuglinge, sondern
Kinder betrafen, die das 8. Lebensjahr überschritten hatten,
constatiren, dass mit der vermehrten Fäulniss des Darminhalts
reichlichere Resorption der Fäulnissproducte und in Folge
dessen stärkere Indicanausscheidungen auftraten. Auf der
Hohe der Krankheit, wo charakteristische erbsengelbe durch-
fallige Typhusstühle vorhanden waren, war neben der nach-
weisbaren Diazoreaction auch ein deutlich gesteigerter In-
dicangehalt im Urin vorfanden (einmal intensive Reaction,
siebenmal stark, sechsmal mittelstark). Beim Nachlassen der
acuten Darmerscheinungen Hess auch meistentheils der In-
dicangehalt nach (viermal geringe Reaction, dreimal Spuren,
viermal negativ). In einem Falle, bei dem nur noch geringe
Mengen Indican nachzuweisen gewesen waren, trat eines Tages
sehr gesteigerte Indicanurie auf, die ein Recidiv einleitete.
Bei der Dyspepsie zeigte sich unter 18 Fällen mit
49 Untersuchungen einmal intensiver, achtmal starker, zehn-
mal mittelstarker, siebenmal schwacher Indicangehalt, sieben-
mal Spuren und sechzehnmal negative Reaction. Bei diesen
dyspeptischen Erkrankungen kommt es, wie Hochsinger
meint, nicht zu einer hochgradigen alkalischen Eiweissfäulniss,
so dass die vorhandenen gesteigerten peristaltischen Bewe-
gungen des Darms ein Hinderniss abgeben für eine aus-
reichende Resorption der gebildeten Fäulnissproducte. Dass
aber trotz beschränkter Eiweisszersetzung und vermehrter
peristaltischer Bewegungen dennoch geringe Mengen der ge-
bildeten Fäulnissproducte auch bei der Dyspepsie resorbirt
werden können, wie aus dem Auftreten der verschiedenen
Indicanreactionen hervorgeht, erklärt Momidlowski in ganz
zutreffender Weise damit, dass, da sowohl die Länge des
Darmtractus bei Säuglingen im Verhältniss zur Körperlänge
als auch die Capacität desselben im Verhältniss zum Korper-
gewicht eine grössere sei, auch die Resorptionsfläcbe des Darms
beim Säugling eine grössere ist als beim Erwachsenen.
294
Dr. Gehlig:
Bei der acuten Enteritis follicularis fand sich in drei
Fällen bei sieben Untersuchungen dreimal mittelstarker, zwei-
mal geringer, zweimal negativer Indicangehali
Was die anderen Erkrankungen anlangt, bei denen der
Indicangehalt des Harns untersucht wurde, so Hessen sich
keine bestimmten Beziehungen zwischen der Indicanausschei-
dung und den einzelnen Krankheiten feststellen. Dieselben
betrafen:
0
1
9
1
1
1
1
•
1
**•
•4
CroupOse Pneumpnie (11 Fälle, 19 Untersuchungen)
Inflnensa ( ^ n ^ >* )
Lnes ( 6 „ 11 „ )
PertassiB ( 8 „ 28 „ )
Gastrodnodenalkatarrh ( 2 „ 4 „ )
Atrophie ( 7 ,, 14 „ )
i
4
31
0
9
0
1
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1
1
1
1
1
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6
2
2
11
1
1
6
1
3
6
2
0
2
0
0
1
0
0
In den von mir beobachteten Empyemföllen, fünf an der Zahl^
war der Indicangehalt bei einem fünfmonatlichen Kinde in
vier Einzeluntersuchungen stets negativ; im zweiten Falle vor
dem operativen Eingriff nach Bülau stark (Nr. IV), dabei
bestanden aber grüne durchfallige Stühle. Während des Eiter*
abflusses sank der Indicangehalt auf Spuren, gleichzeitig wurden
auch die Ausleerungen normal. Im dritten und vierten Falle
waren die Befunde ganz schwankend, zum Theil negativ,
gering, mittelstark. Im fünften Falle, welcher einen bereits
zwölQährigen Knaben betraf, war der Indicangehalt des stets
sehr concentrirten sauren Harns ein wesentlich anderer, indem
bei 15 Untersuchungen nur einmal ein Ausbleiben der Beaction
zu constatiren war, zweimal war geringer, einmal mittelstarker,
neunmal starker und zweimal intensiver Indicangehalt vor-
handen.
Die Eiterung in der Pleurahöhle schien also, wenigstens
in den vier ersten Fällen, keinen wesentlichen Einfluss auf
die Indicanausscheidung zu haben.
Durch die Freundlichkeit des Herrn CoUegen Dr. Schäfer^
welcher nach mir die Indicanuntersuchungen noch einige Zeit
fortsetzte und mir seine Resultate zustellte, wofQr ich ihm
an dieser Stelle meinen besten Dank ausspreche, bin ich in
der Lage, noch einige Mittheilungen machen zu können. Von
den 60 von Schäfer klinisch beobachteten und auf Indican
•
untersuchten Fällen, die zum grössten Theil mit meinen Er-
gebnissen übereinstimmen, greife ich die sieben Fälle von
Tuberculose heraus, die ich später (s. Tabelle Fall 27—33)
IndicanaasBcheidimg b. Kindem, spec. b. d. kindl. Taberculose. 295
anffihren^ werde. In den zwei Fällen von Empyem bei einem
zweijährigen Knaben und einem secbsmonatlicben Säugling
konnte Schäfer aach Veine deutliche Steigerung der Indican-
ausscheiduDg in Folge der putriden Eiterung der Pleurahöhle
nachweisen; denn in den 29 Einzeluutersuchungen ergab sich
Imal negativer Indicangehalt, 15 mal Spuren, 11 mal geringe
und 2mal mittelstarke Beaction. Dagegen will Schäfer etwas
abweichende Resultate Ton meinen Beobachtungen beim Ab-
dominaltyphus gefunden haben, bei dem er in seinen beiden
Fällen, die Kinder von 10 und 13 Jahren betrafen, in 38 Qnter-
suchungen nur 7 mal einen mittelstarken Indicangehalt sah,
9 mal geringen, 18 mal Spuren und 4 mal negative Beaction.
Vielleicht liesse sich diese Differenz mit meinen Resultaten aus
dem leichteren Verlauf der letztgenannten Typhen erklären.
Bevor ich nun zu den von mir erhobenen Befunden der
Indicanurie bei der Tuberculose des kindlichen Alters komme,
mochte ich zunächst auf den Bacillennachweis im Sputum
etwas näher eingehen. Da, wie bekannt, Säuglinge und junge
Kinder überhaupt kein Sputum expectoriren, so wurde auch
in unserer Klinik das Verfahren angewandt, dass mit einem
elastischen Katheter bis zum aditus laryngis gegangen und
das durch den reflectorisch ausgelösten Hustenanfall in die
grosse Ausflussoffnung des Katheters geschleuderte Sputum
der mikroskopischen Untersuchung unterzogen wurde. Wenn
auch diese Methode zur Feststellung der Diagnose bei den
auf Tuberculose verdächtigen Kindern in unserer Klinik nie-
mals versäumt wurde, so gelang es uns trotz wiederholt bei
demselben Kinde vorgenommener, sehr eingehender Unter-
suchungen doch nicht, in allen Fällen, namentlich bei Säug-
lingen, die charakteristischen Krankheitserreger mikroskopisch
nachzuweisen. Die Section klärte uns . in den meisten dieser
Fälle darüber auf, dass dieses negative Resultat eine anato-
mische Ursache hatte.
Die primäre Tuberculose entwickelt sich im kindlichen
Alter am häufigsten im Knochensystem und den Lymphdrüsen.
Während bei ersterem meist die Wirbelsäule und die langen
Rohrenknochen ergriffen werden, zeigen von letzteren gerade
die Halslymphdrüsen, die Bronchial- und Mesenterialdrüsen
die Eigenthümlichkeit, besonders leicht tuberculos zu erkran-
ken. Die in den Organismus durch Inhalation aufgenommenen
Tuberkelbacillen können in den betreffenden Alveolen selbst
schon Veränderungen in Form von Lobulärpneumonien hervor-
rufen. Da es sich zunächst aber immer um das Hinein-
gelangen von geringen Mengen von Lifectionskeimen handeln
dürfte, so wird, wenn überhaupt eine örtliche Reaction ein-
tritt, auch die primäre tuberculose Lobulärpneumonie nur auf
296 Dr. -Gehlig:
einzelne kleine Herde sich beschränken; meistens werden ein-
zelne Bacillen, ohne eine örtliche Reaction an der Eintritts-
pforte verursacht zu haben, aus den Alveolen in die Lymph-
bahn fortgeführt und gelangen nach dem Lungenbindegewebe.
Nun werden aber die Tuberkelbacillen nur an den Stellen ihre
Wirksamkeit entfalten, wo sie haften bleiben, und in Folge
dessen Gelegenheit haben, sich zu yermehren. Es kann daher
schon an bestimmten Stellen der Lymphkanäle zu einer knötchen-
förmigen Lymphangitis kommen. Da nun die grösseren Lymph-
bahnen vorzugsweise im perivasculären und peribronchialen
Bindegewebe verlaufen, so erklärt es sich sehr leicht, dass
die Tuberkelknötchen zunächst immer peribronchial auftreten;
es entwickelt sich also eine tuberculöse Peribronchitis. Die
tuberculöse Wucherung greift nun entweder die Bronchial-
wand von ihrer Peripherie aus an oder sie setzt sich auf die
angrenzenden Alveolarsepta fort und ruft nun ausser der
Peribronchitis Bronchopneumonie hervor.
Oder die Tuberkelbacillen gelangen mit dem Lymphstrom
in die kleinen, im Lungengewebe zerstreut liegenden peri-
bronchialen Drüsen, aus diesen in die Bronchialdrüsen. Die
befallenen Drüsen schwellen an; es treten mattgraue oder
weisse Knötchen auf; an einigen Stellen, meist im Centrum,
kommt es zur Verkäsung, welche durch allmähliches Zusam-
menfliessen der Herde schliesslich die ganze Drüse ergreift.
Sehr häufig erweichen die käsig metamorphosirten Massen
vom Centrum nach der Peripherie fortschreitend und man
findet bei Sectionen von jüngeren Kindern sehr oft Drüsen-
cavernen mit eiterähnlichem Inhalt, die aber keine Communi-
cation mit einem Bronchus zeigen. In Folge von Durchbruch
einer derartig erweichten Drüse kommt es dann secundär im
Anschluss an die Lungendrüsentuberculose zur Lungentuber-
culose, wiewohl zugegeben werden muss, dass auch primäre
Lungentuberculose im Kindesalter in Form zunächst vereinzelter
tuberculöser Herde vorkommt, die dann zur Bildung grösserer
käsiger Herde und umfangreicher Zerstörung von Lungengewebe
führt. Ein Nachweis vonTiiberkelbacillen im Sputum von Kindern
wird also nur dann gelingen, wenn entweder eine käsig zer-
fallene Drüse in die Bronchien durchgebrochen, oder wenn es
nach einer tuberculösen Peribronchitis zu einer käsigen Lo-
bulärpneumonie gekommen ist. Auf jeden Fall muss eine
Communication des infectiösen Herdes mit einem Bronchus
vorhanden sein. Da dies bei einigen Sectionen von tubercu-
lösen Kindern nicht der Fall war, hatten wir deshalb auch
intra vitam keine Bacillen im Sputum nachweisen können.
Ich schliesse nun hier die von mir (Nr. 1 — 26) und Herrn
Dr. Seh äf er (Nr. 27-33; S.297-306) klinisch beobachteten Fälle
iDdicanauSBcheidnng b. Kindern, spea b. d. kindl. Tnbercolose.
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Tuberculose!
Hyperämie und Oedem der weichen Geh
ura der linken Lunge. Adhäsive Pleuritis
itrige Bronchitis. Atelectaaen in den ün
snOae Hyperämie der Leber. Milz und Niere
lectasen in beiden Lungen. Anämie der
kelacbwellung im Dickdarm. Nirgends T
Tnberculose beider Lung-m. Pleuritis tnb
gen ohne Ergusa. Hydropericard. Bronchial
M. Bronchitis. Laryngo-Tracheitia tuberc.
en Tnberkelknötchen. Anämie und Verfettn
Nephritis der rechten Niere mit tuberc. '
00. Durmkatatarh. Tuberc. Meningitis der
BimhChlen, nirgends Solitärtnberkel.
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VenOse
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IndicflnansBcheiiluag b. Eindeni, spec. b. d. kindl. Tuberculose. 305
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Jkhiblub f. KliuUrlidlkBiids K. F, XXXVtn. 2<
ä08 Dr. QehÜgi
weise durch den abnorm hohen lodicangehalt des Harns
noch unterstützt wurde^ doch bei der Obduction keine Spur
von Tuberculose zu entdecken war. Zwei derartige Fälle
(Nr. 25 und 26) gelangten auch bei uns zur Beobachtung.
Das erste Kind (Fall Nr. 25); welches mit den Erscheinungen
einer schweren Capillärbronchitis der Klinik zugeführt wurde,
bekam am zweiten Tage nach der Einlieferung (19. VL 1893)
tonisch- klonische Zuckungen der linken Körperhälfte, die sehr
lange Zeit anhielten. Darauf stellten sich linksseitige Con-
tracturen ein. Bei der klinischen Vorstellung wurde darauf
hingewiesen, dass es sich hier nicht allein um Capillärbron-
chitis, sondern wahrscheinlich auch um Tuberculose, eventuell
Solitärtuberkel im Gehirn handeln könnte. Im Sputum waren
keine Tuberkelbacillen nachzuweisen. Am 23. YL traten
wieder Convulsionen auf, die diesmal Torwiegend das Grebiet
des Facialis und den rechten Arm betrafen. Der allgemeine
Befund machte es immer wahrscheinlicher, dass es sich um
acute Miliartuberculose handele. Der Indicangehalt war an
den beiden Untersuchungstagen deutlich vermehrt und trotz-
dem war bei der Section nirgends eine tuberculose Erkran-
kung nachzuweisen.
Auch im Fall 26 war die Wahrscheinlichkeitsdiagnose
während der kurzen klinischen Beobachtungszeit auf latente
Tuberculose gestellt worden; auch hier war starke Indican-
urie vorhanden, und doch fand sich bei der Section nirgends
Tuberculose.
Ebenso wenig als ich einen Zusammenhang zwischen
gesteigerter Indicanausscheidung und der Tuberculose in-
nerer Organe nachzuweisen vermochte, gelang mir dies
bei den kleinen Patienten mit chirurgisch-tuberculösen
Erkrankungen, die ich auf der Abtheiluug des Herrn Pro-
fessor Dr. Tillmanns zu beobachten Gelegenheit hatte
Diese Fälle, welche 8 Kinder mit 65 Untersuchungen betrafen,
zeigten zwar nur 21 mal normale und 44 mal gesteigerte In-
dicanausscheidung, doch schienen mir die pathologischen
Mengen von Harnindican nicht durch die tuberculösen
Knochenerkrankungen an sich, sondern vorzüglich durch die
Beschaffenheit des Darms bedingt zu sein.
Nr. 1. Martha E. 4 Jahre. Leidlich gen&hrtes Mädchen.
DiagDOBe: Spondylitis tuberculosa.
DAtom
Indioan-
gohalt
Betcbaffenhoit der Stflhle
B«merknDg«n
1. VII. Nr. II. I Die Stflble waren Biets gut;
5. „ III. niemals DurchßlUe.
12. I „ 0. do.
IndicananBScheidung b. Kindern, spec. b. d. kindl. Tuberculose. 309
DfttBm
Indioan-
gehAlt
BesohafFenheit der Stflhle
Bemerkungen
19. VIF.
26.
26.
4. vni.
29.
26. IX.
26.x.
2. XI.
7.
12.
16.
21.
29.
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Nr. 1.
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IV.
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III.
Die Stahle waren stetB gut;
niemals Dnrchf&IIe.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
Kr. 2. Walter D. 2% Jahre. Eräftigery wohlgenährter Knabe.
Diagnose: Fungas pedis dextri.
^■*^ ; gehalt
BetohAffenheit der StQhle
Bemerkungen
27. Vir.
7. VIII.
8.
9.
10.
Nr. IV.
V.
m.
III.
IV.
II
Gut.
Breiig.
Normal.
do.
do.
Keine scrophul. Eracfa.
Lnngenbfnnd normal.
Nr. 3. Martha Seh., 4 Jahre. Blasses, sehr schlecht genährtes Kind.
Diagnose: Spondylitis taberculosa. Seokangsabscess.
Datum
! Indlcan-
gehalt
Beechaffenheit der Stöhle
Bemerkungen
4. VII.
Nr. ly.
Darchfall.
11.
„ IV.
do.
18.
,, I.
Ganz normal.
26.
„ IIL
1 dnrchfälliger Stahl.
26.
„ IV.
3 dnrchAll., 1 breiiger Stahl.
7. VIII.
„ III.
1 breiiger Stuhl.
8.
„ II.
Normal.
9.
„ n.
do.
10.
„u.
Kein Stuhl.
Nr. 4. Alfred B. 2<4 Jahre. Massig gut genährt.
Diagnose: Multiple Haut- und Knochentnberculose.
Dutum
Indioan-
gehalt
Beschaffenheit der Stühle
Bemerkungen
4. VII. i Nr. m.
11.
19
IV.
1 breiiger Stuhl.
2 dflnnbreiige Stühle.
310
Dr. Gehlig:
Datam
Indloan-
gehalt
18. VII.
Nr. II.
86.
.. I.
27.
„ III.
7. VIII.
„ III.
8.
„ III.
9.
„ II.
10.
„ II.
Beiohaffenbeit der Stflhle
1 breiiger Stahl.
2 gelbe normale Stühle.
Normal,
do.
do.
do.
do.
Bemerkungen
Nr. 6. Emil S., 2 Jahre. Gut genährter Knabe.
Diagnose: Spondylitis tubercnlosa. Senkangsabscess. Multiple Haat-
tubercnlose.
■■SS9!
Datum
26 VII.
27.
7. VIII.
8.
9.
10.
Indlcan-
gehalt
Betchaffenheit der Stühle
Nr. V.
1»
II.
V.
III.
IV.
V.
vom 24.-26. kein Stuhl in-
folge Opiumwirkung.
1 breiiger Stuhl.
3 dünne breiige Stühle.
Normal.
1 dünner Stuhl,
do.
Bemerkungen
Nr. 6. Ida 6., 4 Jahre. Stark abgemagertes, verfallen aussehendes Kind,
Diagnose: Fungus cubiti sinistri; Tuberculosis digiti quarti sinistr.
Datum
3. VII.
13.
18.
19.
1. VIII.
7.
8.
9.
10.
Indioan-
gehalt
Beechaffenbelt der Stühle
Nr. IV.
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I»
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V.
V.
V
V.
IV.
III.
II.
Durchfall.
6 stark durchfällige Stühle.
3 durchfällige eitrige Stühle.
do.
Eiter im durchfälligen Stuhl.
do.
4 durchfällige Stühle.
1 breiiger Stuhl.
Bemerkungen
Nr. 7. Alma S., 2^^ Jahre. Sehr schwächliches, abgemagertes Kind.
Diagnose: Fungus genus deztri.
Datum
4. VII.
12.
18.
19.
Indican- *
gebalt
Betchaffenheit der Stühle
Bemerkungen
I
1. VIII. I " IV.
Nr. IV. 1 dünner Stuhl. , Diagnose durch Am-
„ IV. 7 massig durchföUige Stühle. , pu^tio femoris be-
1 breiiger Stuhl. stätigt.
do.
6 durchfällige Stühle.
,. 111.
III.
IndicaDansBcheidung b. Kindern, spec. b. d. kindl. Taberculose. 311
Datam
Indioan-
geball
Besehitfenheit der Stuhle
Beinerkangen
7. Vlll.
8.
9.
10.
Nr. III.
III.
II.
U.
»1
19
»>
1 dorchfäl liger, 1 breiiger St.
do.
2 breiige Stahle.
1 geformter Stahl.
Nr. 8. Else S., 10 Monate. Schlecht genährtes, abgemagertes' Kind.
Diagnose: Parese des rechten, Paralyse des linken Facialis, Caries
beider Felsenbeine.
Satum
Indican-
gehalt
Beiohaffenhelt der Sttthle
BemerkuDgen
6. VII.
6. VII.
Nr. II
Trepanation beider
Warzenfortsätze.
Stahle stets dickbreiig, gelb.
Ein. Stunden vor dem Exitus
Durchfall.
Exitus letalis. Section: Caries beider
pyämie. Eitrige Bronchitis. Verkäste tuberculöse peri-
bronchitische Uavemen. Tuberculose der Bronchial- und
Mesenterialdrasen. Septische Milz. Nephritis parenchy-
matosa. Frischer Magendarmkatarrh.
Felsenbeine. Septico-
Nehmen wir in diesen FälloD primäre intestinale Eiweiss-
faulniss zur Zeit des Auftretens der schlechten Stühle an, so
erklaren sich die hochgradigen Indicanreactionen von selbst.
Aber selbst wenn wir mit Hochsinger annehmen^ dass durch
das tuberculose Gift die Leistungsßlhigkeit des kindlichen Or-
ganismus herabgesetzt wird, speciell die secretorische und
resorptive Thätigkeit des Darmdrüsenapparates derart dar*
niederliegt, dass Resorption, Assimilation und Ausnützung des
Nahrungsbreies so Ycrlangsamt werden, dass mit den auf-
gesaugten Stoffen des Darminhalts auch die inzwischen ge-
bildeten Spaltungsproducte der Eiweissfaulniss in die Circu-
lation gelangen, so hätte doch der Indicangehalt bei den
tuberculösen Kindern beständig vermehrt sein müssen, wie
dies bei den von Hochsinger beobachteten Fällen that-
sächlich zutraf. Da ich aber einen ständig hohAi Indican-
gehalt nur in einem Falle (Nr. 2) nachweisen konnte, der
einen kräftigen Knaben betraf mit gutem Appetit und nor-
malen klinischen Symptomen der Darmthätigkeit, während
sonst der Indicangehalt stets zur Norm zurückkehrte, wenn
die Stühle gut waren, auch bei den Seite 307 erwähnten
17 Fällen gesteigerte Indicanurie niemals stattfand, so kann
ich, übereinstimmend mit Steffen und Momidlowski, zwi-
schen Tuberculose und vermehrtem Indicangehalt keinerlei
Zusammenhang constatiren.
312 Dr. Gehlig: IndicanausscheidaDg b. Kindern etc.
Fassen wir zum Schluss noch einmal die Befunde, von
sämmtlichen 39 Fällen von Tuberculose zusammen, so ergiebt
sich unter 181 Untersuchungen:
Negativer Indicangehalt . . 27 mal
Spuren 36 mal
Geringer Indicangehalt . . 36 mal
Mittelstarker Indicangehalt . 36 mal
Starker Indicangehalt . . . 81 mal
Intensiver Indicangehalt . . 17 mal.
*
Da also 98 mal normaler und 83 mal pathologisch ver-
mehrter Indicangehalt gefunden wurde, so ist es unmöglich,
der Indicanurie eine diagnostische Bedeutung für die Beurthei-
lung des einzelnen Falles zu Gunsten einer bestehenden tuber-
culösen Erkrankung zuschreiben zu wollen.
Ich resümire das Ergebniss meiner Beobachtungen in
folgenden Sätzen:
Säuglinge, welche mit sterilisirter Kuhmilch genährt
werden, zeigen trotz normaler Verdauung doch bisweilen ge-
ringe Indicanmengen im Urin.
Ist die Verdauung gestört, so kann man fast immer In-
dican im Harn nachweisen; mit der Schwere der Darmaffection
steigt auch der Indicangehalt des Harns namentlich bei den
chronischen Darmkatarrhen, der Cholera und dem Typhus.
Bei älteren Kindern mit intacten Verdauungsorgsinen ge-
hören geringe Mengen Indican zum normalen Befunde ebenso
wie bei Erwachsenen. Bei reichlicher Zuführung Von stick-
stofifhaltiger Nahrung, namentlich von Fleisch und Eiern, liess
sich oft gesteigerte Indicanausscheidung constatiren.
Zwischen dem Bestehen einer tuberculösen Erkrankung
und vermehrter Indicanausscheidung war kein für die Dia-
gnostik verwerthbarer Zusammenhang zu constatiren.
'i
6. Weitere Mittheiltingen zur KenntniBs der oyklischen
Albniniiiiirie.
Von
Dr. Carl Reckmanm
atu Baer i. Westphalen
(gewesenem ^olontftrarsi der KinderkÜDik m Leipsig).
Im Nachstellenden möge es mir erlaubt sein, zwei Fälle
von Albuminurie zu veröffentlichen , die im hiesigen Kinder-
krankenhause beobachtet wurden, und die deswegen von In-
teresse sind, weil ich hier einem Falle von echter cjklischer
Albuminurie einen zweiten gegenüberstellen kann, in dem
zwar das Verhalten der Eiweissausscheidung dem bei der
cyklischen Albuminurie ähnlich ist, in der That aber eine
wirkliche Nephritis zu Grunde liegt.
Da nun in diesem Jahrbuche vor Kurzem erst die cy-
klische Albuminurie eingehend besprochen wurde , will ich
mich nur darauf beschränken, folgende charakteristische Merk-
male anzufahren, die Heubner fQr diese Art der Eiweiss-
ausscheidung angiebt — Zur Kenntniss der cyklischen Albu-
minurie im Eindesalter. Von 0. Heubner. Henoch's Fest-
schrift 1890 — , und die fast allgemein anerkannt werden.
1. Die cyklische Albuminurie ist eine besondere und
eigenthümliche Form einer langanhaltenden Eiweissausschei-
dung durch die Nieren.
2. Dieselbe hängt nicht von einer geweblichen Erkran-
kung der Nierensubstanz ab.
3. Sie ist an eine bestimmte Entwickelungsperiode des
Organismus geknüpft
4. Sie vnrd durch den Wechsel von der liegenden zur
aufrechten Körperstellung hervorgerufen, und dauert dann eine
kürzere oder längere Zeit an, um auch bei aufrechter Stellung
meist wieder am selben Tage zu verschwinden.
5. Sie ist der Ausdruck eines allgemeinen Schwäche-
zustandes des Organismus, der zunächst noch nicht zu er-
klären ist.
314 Dr. Beckmann:
6. Ihre Prognose ist gut, vorausgesetzt, dass dem Er-
krankten die nöthige Pflege zu Theil werden kann.
Aber, wie gesagt, nicht alle Autoren erkennen die Lehre
von der cyklischen Albuminurie an.
Senator ^)y der die Eiweissausscheidung bei gesunden
und kranken Menschen sehr eingehend studirt hat, hat ge-
funden, dass diese eigenthümliche Art der Albuminurie so-
wohl unter physiologischen, wie auch pathologischen Bedin-
gungen zu Tage treten kann.
Da nämlich jeder Harn Eiweiss enthält, wenn auch aller-
dings oft nur in so geringen Mengen, dass diese nur durch die
genauesten Untersuchungs -Methoden nachgewiesen werden
können, und da diese physiologische Eiweissausscheidung durch
verschiedene Einflüsse, wie Muskelarbeit, Verdauung, geistige
Anstrengung und Gemüthserregung, gesteigert wird, so erklärt
er auf diese Weise eine Zunahme der Eiweissausscheidung zu
einer Zeit, wo mehrere dieser Einflüsse auf den menschlichen
Körper — also namentlich am Morgen — einwirken.
Innerhalb welcher Grenzen die physiologische Eiweiss-
menge des Harns schwankt, hierüber sind die Meinungen ver-
schieden.
Schreiber') glaubt jede, mit den gebräuchlichsten Rea-
gentien nachweisbare, als Coagulum sich repräsentirende Albu-
minurie als krankhaftes Symptom ansehen zu müssen.
Leube') lässt bis zu 0,1% zu, während Senator 0,4 — 0,5
pro Mille als äusserste Grenze bezeichnet.
Darin aber stimmen alle drei Autoren überein, dass man
stets in Fällen, wo Eiweiss im Urin auftritt, auf ein Nieren-
leiden fahnden soll. Senator weist in seinem Buche über
Albuminurie und auch gelegentlich einer Discussion über
cyklische Albuminurie darauf hin, dass leichtere Fälle von
acuter Nephritis besonders nach Infectionskrankheiten , wie
Scharlach, und Fälle von chronischer Nephritis das Bild der
cyklischen Albuminurie darbieten können. Wenn man nämlich
die Patienten zu einer Zeit aufstehen lässt, wo sie recon-
valescent sind, so bekommen sie Albuminurie, die wieder
schwindet, wenn sie sich niederlegen.
Es folgen jetzt die Krankengeschichten beider Fälle.
I. Fall.
Patient, 10 V, Jahre alt, stammt von sehr nervösen Eltern. Der
Vater desselben wt früher stets gesund gewesen und ist erst nach dem
1) Senator, Albuminurie in physiologischer und klinischer Be-
ziehung und ihre Behandlung.
2) Schreiber, üeber physiologische Albuminurie. Berliner klinische
Wochenschr. 1888.
8) Leube, Virchow's Archiv Bd. LXXII. 1878.
Zar Eeontniss der cyklischen Albaminarie. 315
letzten Feldaage in Folge der damals durchgemachten Strapazen nen-
rasthenisch geworden. Er leidet seitdem an. heftigen Neuralgien, Ischias,
häufifir auftretenden Bronchialkatarrhen und nervöser Dyspepsie. Auch
die Mutter ist hochgradig nervös; 2 Brüder der Mutter sind an Phthise
gestorben, einer befindet sich gegenwärtig in einer Lungenheilanstalt.
Drei Geschwister des Patienten sind gesund, ein Kind ist an Krämpfen
gestorben.
Patient wurde bis zu V, Jahr von der Mutter gestillt, dann künst-
lich ernährt. Er entwickelte sich, sehr gut, bekam mit vier Monaten
die ersten Zähne und lernte sehr zeitig sprechen und laufen. Mit einem
Jahre überstand er Masern.
Im dritten Lebensjahre bekam Patient ebenso wie seine Geschwister,
als sie drei Jahre alt waren, Bronchitis, deren Spuren jetzt noch zu
constatiren sind. Im sechsten Lebensjahre stürzte er von einer stei-
nernen Treppe herab und zog sich eine Commotio cerebri zu, in Folge
dessen er mehrere Tage im Goma lag. November 1891, im 10. Lebens-
jahre, bekam Patient eine sehr heftige Diphtherie mit Nephritis, an der
er drei Monate litt. Dazu gesellte sich eine hochgradige Debilitas
cordis, so dass Patient schon beim Aufsitzen im Bett starkes Herz-
klopfen bekam, ausserdem Gaumen- und Angenmuskellähmung und eine
Schwerbeweglichkeit des rechten Fusses. Ende März 1892 machte Pa-
tient einen schweren Scharlach durch, an den sich Anfang Mai aber^
mals eine Nephritis anschloss, die den Patienten 4 Wochen ans Bett
fesselte. Im Juni wurde Patient als geheilt entlassen und besuchte im
Juli das Seebad Golberg. Mitte August, nachdem Patient im Seebade
sich sichtlich erholt hatte, bemerkte der Vater, dass Patient nach
grösseren Anstrengungen Eiweiss im Urin hatte. Mehrere Aerzte be-
stätigten den Befund des Vaters. Das Eiweiss trat periodisch bis De-
cember auf und verschwand wieder, so dass Tage lange eiweissfreie
Intervalle beobachtet wurden. Anfang Februar 189S bemerkten die
Eltern, dass Patient blass wurde und sehr unruhig in der Nacht schlief.
Ende Februar trat nun wieder periodisch Eiweiss im Harn auf, bald
in grösseren, bald in geringeren Mengen, und hat sich dieser Zustand
bis heute, 7. April, wo der Vater den Patient behufs genauer Beobach-
tung dem Erankenhause zuführt, noch nicht geändert.
Status praesens 7. IV. 1893. Kräftiger Knabe, Schleimhäute roth,
Augen, Nase, Ohren ohne Besonderheiten. Lippen etwas trocken, Zunge
feucht, Mundhöhle rein. Rachentheile blass, Stimme frei, keine auf-
fallenden Drüsensch wellungen am Körper.
Thorax ziemlich lang, zeigt Spuren überstandener Rachitis. Spitzer
epigastrischer Winkel, Intercostalräume weit.
Lungengrenzen in der ParaSternallinie am oberen Bande der VII.
Rippe, in der Mammillarlinie im VII. Intercostalräume.
Thorax wird gut ausgedehnt.
Auf den Lungen überall reines verhältnissmässig leises Vesiculär-
athmen. Keine Rasselgeräusche.
Herzgrenzen: tiefe am oberen Rande der HL Rippe und Mitte des
Stemums, oberflächliche am oberen Rande der IV. Rippe und linkem
Stemalrand.
Herzstoss im V. linken Intercostalraum , V, Finger breit einwärts
der Mammillarlinie. Herztöne rein; II. Pulmonalton gespalten. Puls
schnellend, von mittlerer Füllung und guter Spannung, regelmässig,
gleichmässig.
Leber überragt den Rippenbogen um Fingerbreite.
Milz weder durch Palpation noch durch Percussion als vergrössert
nachzuweisen.
Patient bleibt vorläufig zu Bett. Temp. 37,4. Puls 72. Resp. 20.
316
Dr. fieokmaoii:
8- IV.
D ßiwaisiDieQgeD fettstellen
Bo können, wird der Urin alle S Stunden nntenncbt, ond ewat Mn
8. IT.— 1». IT. am 8 und 11 Uhr HorKens, 2 und 6 Uhr Nachmittag!,
8 and 11 Uhr Abends, vom 19. IT.— 6. T, 6 Uhr, 0 Uhr, li Uhr Hitt&gs;
S Uhr, 6 Uhr, 9 Uhr Abendi. Um «teta die gleiche Menge Urin lar
ünterinchnng su haben, werden die für die Unteranchang beatimmten
BeaKenigUeer anf 10 ccm Inhalt gradnirt. Nachdem der Urin gekocht,
werden denuelben 10 Tropfen Salpeteraftnre angeaetit nnd noch */, Min.
gekocht. Die Menge dei EiweiMes wird dorch genaue MeiBang der Drin-
■Unle bestimmt.
Patient erhält vom 6. IT. bii S4. IT. folgende Nahrung:
FrQh T Dbr 860 g Hilch nnd GO g Bnttereemmel,
„ 9 Uhr 500 „ „ „ „ „ and 1 Ei,
Mittags Vi 12 Uhr *00 „ Milchreii and 360 g Milch,
Nachm. S Uhr SOO „ Milch und 60 g Battersemmel,
Abend« 6% Uhr 800 „ Schleim- und Grieaauppe.
«.IT.
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VioSp
Bettmbe.
Bettruhe.
Betteahe.
Ton 7 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abende Patient
aoeser Bett B. Bodenaati.
Bettrahe.
Bettruhe.
Einmal in der Nacht, einmal aro Horgeu Erbrechen.
Der Nachtnrin trObe, im Sediment Hamaftare-
kr^italle und hamiaDrei Natron. 10 Dhr Moi^na
Bad; Bettruhe.
Der Morgenham trflbe mit Bodenaati, ap&rliche
Leucocjtea und HamaKurekryatalle, keine Epithe-
lien oder C^linder. 7 Uhr Horgena iat Patieot
6 Minuten hemmgelaufen, 10 Uhr Moi^ena wnrdea
im Tornaaal paasive Bewegungen TOrgenommeD;
nachher Bettrahe.
Bettmbe.
10 Uhr Morgena macht Patient IG Minuten lang Tarn-
abnngen an Leitet und Seh we beringen.
Patient iat om 7 Dhr Horgena auaaer Bett gewesen.
Bettruhe.
I :>' B' f J f !
19.1T.|1A00:1032 0 '/, Bp 0 i vJ 0 Patient von V.e Uhr Morgena bia 6 Uhr Abende
I aneaer Bett, Uuft herum und spielt.
20. I 6001021 0 8p yjBpB 0 Patient wie gestern von V,8 Morgens bia 6 Ubr
I I I I ! I I I I Abenda auuer Bett.
Znr Eenntniss der cyklischen Albnminaxie.
317
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21.1VJ 800
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BemerkaDgen
B
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um 7,10 Uhr Morgens werden an dem im Bette
liegenden Patienten 10 Minuten lang passive Be-
wegungen vorgenommen; der Urin wird von 11 Uhr
Morgens bis 9 Uhr Abends stündlich untersucht
und zeigt ausser 6 Uhr Abends noch um 7 Uhr
Abends eine Spur Eiweiss; in den übrigen Stunden
kein Eiweiss.
%S Uhr Morgens bekommt Patient ein warmes Bad
von 28^ und viertelstündiger Dauer. Bettruhe.
Patient war im Bade unruhig.
y,ll Uhr Morgens Bad von 28^ und viertelstündiger
Dauer, sonst Bettruhe. Patient war im Bade ruMg.
Von nun an folgende Kost:
7 Uhr Morgens 360 g Eafifee, 60 g Semmel, 10 g Butter.
9 Uhr „ 0,3 1 Fleischbrühe mit 2 Eiern, 60 g Brod, 10 g Butter.
8 Uhr Mittags 160 g Fleisch, 0,3 1 Gemüse oder Brei.
, 3 Uhr „ 0,3 1 Kaffee, 60 g Semmel, 10 g Butter.
6 Uhr Abends 0,3 1 Suppe, 100 ^ Schwarzbrod, 10 g Butter, 60 g
kalter Braten, 2 Eier.
D»t.
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u
A
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P
A
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Bemerkungen
24.1V.
25.
26.
27.
28.
29.
600
1200
1024
1016
900
1000
1019
1015
760 1016
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30. 1600
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2. 11200
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Bettruhe.
%8 Uhr Abends Einwickelung des Patienten in
nasse Tücher, die in Wasser von 28^ getaucht
sind^ V4 Stunde lang.
Patient bleibt so lange ausser Bett, bis Eiweiss im Urin auftritt,
geht dann zu Bett, bis es wieder verschwunden ist. 6 Uhr Mor-
gens ist der Urin eiweissfrei. 8 Uhr Morgens steht Patient auf.
9 Uhr Urin eiweissfrei, 11 Uhr ^g Vol. Eiweiss, Patient geht zu
Bett; 1 Uhr Nachmittags Urin eiweissfrei. 2 Uhr steht Patient
wieder auf, 4 Uhr Urin eiweissfrei, 4—7 Uhr Spaziergang. 8 Uhr
kein Eiweiss^ 9 Uhr Spur von Eiweiss.
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Patient steht um 9 Uhr Morgens auf und ist den
ganzen Tag ausser Bett.
V,8 Uhr Morgens steht Patient auf und ist den
Ygll Uhr Morgens
V^7 Uhr Abends Bad
ganzen Tag ausser Bett.
Turnen y. Stunde lang.
in Stassfurter Salz 28 ^
7,8 Uhr steht Patient auf. V,ll Uhr Turnen; bis
Abends ausser Bett.
VtB Uhr steht Patient auf. \1 Uhr Abends Bad.
% 8 Uhr steht Patient auf. V, 6 Uhr Abends Salzbad.
Va 8 Uhr steht Patient auf. 10 Uhr Morg. Freiübungen.
318
Dr. Reckmann:
Dat.
S.V.
4.
5.
' a
I ^
o
ö5?
4 %
fO
a, d c3
&• er pf
Bemerkungen
1000 1016:6 Uhr Morgens kein Eiweiss, %8 Uhr Morgens steht Patient auf,
8 Uhr kein Eiweiss, 10 Uhr Spur Eiweiss. 10 Uhr geht Patient
ins Bett. 12 Uhr kein Eiweiss, 12 Uhr steht Patient wieder auf.
2 Uhr kein Eiweiss, 4 Uhr kein Eiweiss, 6 Uhr Bodensatz. 6 Uhr
geht Patient wieder zu Bett. 8 Uhr kein Eiweiss.
850 1015 0 ' 0 0 0 B 0 y, 8 Uhr steht Patient auf und ist den ganzen Tag
I I ausser Bett.
800 1016 6 Uhr Morgens kein Eiweiss, y,8 Uhr steht Patient auf. 8 Uhr
ViQ Vol. Eiweiss, 10 Uhr kein Eiweiss, Patient steht auf, 12 Uhr
kein Eiweiss, 2 Uhr Spur Eiweiss, y,S Uhr geht Patient zu Bett.
4 Uhr kein Eiweiss. Patient steht auf. 6 Uhr kein Eiweiss. Patient
geht zu Bett. 8 Uhr kein Eiweiss.
Das Allgemeinbefinden des Patienten war w&hrend der ganzen
Beobachtungszeit ein gutes^ nur in der Nacht vom 13. zum 14. IV.
klagte Patient über unruhigen Schlaf und Kopfschmerzen, in der Nacht
und am Morgen des 14. IV. trat auch je einmaliges Erbrechen auf.
Das Körpergewicht, welches am 7. IV. 27 660 g betrag, war am 6. V.
bis auf 28 000 g gestiegen. Temperatur, Puls und Respiration bewegten
sich in normalen Grenzen, nur am Abend des 18. IV. oetrug die Temp.
88,1, der Puls 116, die Respiration 16.
Medicamente erhielt Patient vom 3. V. an und zwar dreimal täglich
1 Theelöffel Liqu. ferri mang. pept.
Ziehen wir nun aus Vorstehendem unsere SchlQsse, so
finden wir Folgendes:
1. Patient ist nach der Nachtruhe stets eiweissfrei, am
11., 15. und 18. IV.; wo sich am Morgen Eiweiss fand, ist
Patient aufgestanden.
2. Patient ist eiweissfrei, wenn er den ganzen Tag zu
Bett liegt und möglichst wenig active Bewegungen macht.
Vgl. 8., 9., 10., 12., 13., 16., 18. IV.
Die am 21., 23. und 24. IV. um G Uhr Abends bemerkten
geringen Eiweissmengen sind vielleicht darauf zurückzuführen,
dass Patient nicht ruhig gelegen hat.
3. Passive Bewegungen, die mit denl Patienten im Turn-
saal am 15. IV. vorgenommen werden, haben keine Steigerung
der durch das Aufstehen um 7 ühr Morgens bedingten Eiweiss-
ausscheidungen zur Folge; am 21. IV. tritt 6 Uhr Abends
etwas Eiweiss auf, welches wohl nicht mehr auf die Vi 10 Uhr
Morgens vorgenommenen passiven Bewegungen zurückzu-
führen ist.
4. Ist Patient längere oder kürzere Zeit auf, so findet
sich sofort Eiweiss im Urin. Vgl. IL, 15., 18., 19., 20., 26,,
27., 28., 29., 30. IV., 1,, 2., 3. und 5. V.
Zur KenntnisB der oyklischen Albnminiirie. 319
Ob die am 4. Y. um 6 Uhr Abends auftretende geringe
Ei weiss menge noch auf das Aufstehen zurückzuführen ist^ ist
fraglich.
5. Das Eiweiss tritt meist bald nach dem Aufstehen ein,
am 11., 15^ 18., 19., 20., 28. und 30. IV., 2. und 5. V. schon
schon nach 1 resp. iVi Stunde; am 26. IV. nach 2 Stunden,
am 3. V. nach 2% Stunden und am 29. IV. und 1. V. nach
4^ Standen.
6. In den Vormittagsstunden ist der Eiweissgehalt am
grossten, am Abend ist er mit Ausnahme des 11., 17. und
26. lY. ganzlich geschwunden.
7. Die Eiweissausscheidung findet ganz unregelmässig
statt, aber immer nur nach dem Verlassen des Bettes; ein
etwa einer typischen Gurre entsprechendes Ansteigen und
Wiederabfallen des Eiweisses ist nicht zu constatiren.
8. Dem Turnen ist ein bestimmter Einfluss auf die Eiweiss-
ausscheidung nicht zuzuerkennen. Am 28. IV. und 2. Y. war
dieselbe nach dem Turnen geringer, am 29. IV. trat sie nach
dem Tomen ein, während am 17. IV. dasselbe gar keinen
Einflnss hatte.
Eine Yermehrung des vorhandenen Eiweisses durch Turnen
wurde nicht beobachtet.
9. Bäder haben auf die Eiweissausscheidung keinen deutr
liehen Einfluss. Am 14., 23., 28., 30. lY. und 1. V. verläuft
das Bad reactionslos, da Patient beobachtet wird und ruhig
im Wasser liegen muss. Das am 22. lY. aufgetretene Eiweiss
ist jedenfalls durch die vielen Bewegungen des Patienten im
Wasser verursacht Auch die am 25. IV. vorgenommene nasse
Einwickelung scheint diese Annahme zu bestätigen. Salzbäder
haben keinen Einfluss.
10. Yermehrte Eiweissaufnahme hat auf die Eiweiss-
ausscheidung keinen Einfluss, wenn Patient zu Bett lag, vgL
24. und 25. lY., keine Zunahme zur Folge, wenn Patient den
ganzen Tag über auf ist, vgl. 26. lY.— 5. V.
11. Eine Erkrankung des Nierengewebes konnte nicht
nachgewiesen werden; denn es gelang bei keiner der zahl-
reichen Untersuchungen des Sediments, auch während der Al-
buminurie Epithelien, Blutkörperchen oder Gy linder nachzu-
weisen.
12. Patient wurde im Alter von 10 Jahren von dem
Leiden befallen, nachdem er vor circa einem Jahre an Di-
phtherie mit Nephritis und vor circa einem halben Jahre an
Scharlach mit Nephritis complicirt gelitten hatte.
Fall a
Patient, Robert F., ist 14 Jahre alt; sein Vater und eine Schwester
sind gesnnd, seine Matter hat in den letzten Jahren an Pleuritis gelitten.
322 Dr. Beckmann:
4. Der Abendurin enthalt zweimal ziemlich beträchtliche
Mengen Ei weiss, neunmal gar nichts, sonst nur Spuren. Der
Einfluss der Bäder, des Turnens, der passiven Bewegung, der
eiweissreichen und eiweissarmen Nahrung auf die Nephritis
konnte leider bei der kurzen Zeit, die Patient zur Beobach-
tung im Erankenhause yerweilte, nicht studirt werden.
Wir sehen also, wie in beiden Fällen das Ei weiss ganz
schwindet oder nur in Sparen auftritt^ wenn Patient ruhig im
Bett liegt; wie es alsbald auftritt, resp. sich vermehrt^ wenn
Patient das Bett verlässt; wie die Eiweissmengen zu ver-
schiedenen Tageszeiten verschieden sind, und zwar so, dass
sie zum Abend hin abnehmen.
Im ersten Falle trat die Albuminurie ein, nachdem das
vorhergegangene Nierenleiden abgeheilt war; bei dem zweiten
Patienten bestand die Nephritis seit der Scharlacherkran-
kung fort.
Wir haben also in der zweiten Beobachtung einen Fall
vor uns, welcher sich der Auffassung von Senator ganz
entsprechend verhält. Denn wenn auch von einem Recon-
valescenzstadium bei dem betreffenden Knaben noch nicht die
Rede sein kann, sondern eine noch fortdauernde Nierenerkran*
kung vorliegt, so darf dieselbe doch mit Berücksichtigung
aller Erscheinungen noch als eine leichte chronische Nephritis
angesehen werden, deren schliessliches Ausklingen in Genesung
wohl nicht ganz von der Hand gewiesen zu werden braucht.
Hier aber finden wir nun in der That auch ein gewisses
cyklisches Verhalten der Albuminurie, dadurch gekennzeichnet,
dass durch ruhige Bettlage während der Beobachtungszeit (und
auch später) die Ausscheidung von Eiweiss — soweit dieses
durch die gewöhnlichen klinischen Metboden nachweisbar war
— hintangehalten werden konnte, während der Wechsel der
Lage, das Verlassen des Bettes, alsbald Albuminurie zur Folge
hatte; dass diese aber auch hier, wie bei der echten cykli-
schen Albuminurie, mehrere Male im Laufe des Tages, brotz
fortgesetzten Aufbleibens, wieder zurückging.
Trotzdem aber kann nach meiner Meinung der durch-
f reifende Unterschied zwischen beiden oben mitgetheilten
allen nicht verkannt werden. Denn während in meiner
ersten Beobachtung eben nur die eigen thümliche, und auch
in sehr geringen Grenzen sich haltende Albuminurie nach-
weisbar war, ohne dass auch nur ein einziges Mal die ge-
formten Bestandtheile des Sedimentes sich hätten finden lassen,
welche doch eigentlich erst mit Sicherheit die Diagnose einer
Nephritis gestatten — so verhielt sich der zweite Fall bei
genauerem Zusehen doch ganz anders. Er zeigte bei jeder
Zar KenniniM der cyklischen Albominnrie. 323
Untersachimg, die yorgenommen wurde, die charakteristischen
Befände des Sedimentes, sowohl rothe und weisse Blatzellen,
wie auch Terschieden gestaltete Hamcylinder. Auch bot die
Eiweissausscheidung eine grössere Hartnäckigkeit dar, als im
ersten Falle, und trat einmal während der Beobachtungszeit
doch auch schon bei der ersten Tagesprobe trotz streng ein*
gehaltener Bettruhe auf Wenngleich also die intermittirende,
ja zu gewissen Zeiten fast cyklische Albuminurie auch bei
wirklichen Nierenerkraokungen vorkommen kann, so thut diese
Thatsache doch der anderen keinen Eintrag, dass es eine reine
Form cyklischer Eiweissausscheidung beim Menschen giebt,
welche mit einer anatomischen Nierenerkrankung nicht in
Zusammenhang gebracht werden kann.
tl
6. Ueber den Verlauf der Sehntzpookeniiupfaiig bei einer
Beihe abnorm sohw&ohlicher S&nglinRe und Kinder.
Von
Dr. med. J. H. Fbiedemann.
Als im Januar 1893 in unmittelbarer Nähe unseres
Krankenhauses ein Pockenfall vorkam, trat an uns die Frage
heran ; ob wir nicht verpflichtet wären, die in der Anstalt
anwesenden ungeimpften Kinder durch schleunige Impfung
vor einer Pockenansteckung zu bewahren. In dieser Er-
wägung nahm mein hochverehrter Chef, Herr Professor
Dr. Heubner, am 3. Februar die Vaccination an 6 schwäch-
lichen Säuglingen oder dem Säuglingsalter nahestehenden Kin-
dern vor.
So klein nun auch das Beobachtungsmaterial ist, welches
diese 6 Impffälle bilden, so zeigen dieselben doch genug
des Interessanten, um die Veröffentlichung und Besprechung
derselben an dieser Stelle zu rechtfertigen.
Sehen wir uns zunächst die einzelnen Krankengeschich-
ten an:
Fall I. Cart H., Kaufmanns Sohn aus Leipzig, am Tage der Im-
pfung 90 Tage alt. Eltern gesund. Das 1. Kind kam, 7 Wochen za früh,
todt zur Welt. Vater der Mutter an Lungenschwindsucht gestorben.
Fat. konnte nur die drei ersten Lebenswochen von der Mutter ge-
stillt werden, bekam dann verdünnte Kuhmilch, sp&ter auch Hafer-
mehl.
Seit der Qeburt Schnupfen und yiel Niesen, ausserdem häufiges
Erbrechen (bald nach dem Trinken); dabei gute Nierenth&tigkeit (das
Kind macht täglich ca. 80 Windeln naes), aber hartnäckige Verstopfung
und seit Ende December 1892 beim Stuhlpressen Vorfall des Mas^
darms beobachtet. Appetit stets gut, trotzdem seit Ende December
TOr. Jahres stärkere Aoniüime des Körpergewichts.
Am 7. L 1898 wurde Patient zum ersten Male in die Kinderklinik
aufgenommen und zeigte folgenden wesentlichen Befund:
Blasses Kind von greisenhaftem Aussehen. Körperlänge 51 cm,
Kopfumfang 85 cm, Körpergewicht 2560 g. Haut rein, nur in der Um-
Sebung des Afters leicht geröthet. Extremitäten kühl. Lippen und
unge etwas trocken. Mundhöhle rein. Rachentheile blass. Drüsen
an den Kieferwinkeln und den mm. stemocleidomastoideis erbsengross,
Stimme kräftig, nicht belegt. Auf den Lungen überall YoUer Schall,
H. Friedemann: Schatzpockenimpfang b. S&ogliiigeii u. Kindern. 325
■
YesicaläratbmeD. Herz- and GefässtOne rein. Puls ziemlich kr&ftig,
regelmässige gleichmässig. Temp. 36^6. PüIb 104. Besp. 40.
Abdomen ohne Besonderheiten. Stahl gelb, breiig, ohne jede ab-
norme Beimengung. Ausser Herabsetzang der motorischen Function
keine auffallende Störung der Magentbätigkeit nachzuweisen.
Dem Kinde wurde nur einmal (am selben Nachmittag der Auf-
nahme in der Poliklinik) der Magen ausgespült (mit Besorcinlösung 1 : 6000) ;
als Nahrung wurde yerdünnte Wassermilch (mit Milchzuckerzusatz) ge-
reicht. Eigentliches Erbrechen wurde in der Folgezeit nie beobachtet.
Appetit stets gut. Das Körpergewicht hob sich und betrug am 8. I.
2580 gv am 10. L 2720 g, am 12. I.: 2810 g. Auffallend war allerdings,
dass Fat. durchschnittlich 6—7 Stühle täglich hatte von wechselnder
Beaction,' welche zuweilen an der Luft rasch grün sich färbten, aber
stets gut yerdaat sich zeigten. Die Körpertemperatur bewegte sich
innerhalb der Grenzen you 36,4 — 37,6° (ohne regelmässigen Tjpas).
Am 13. 1. wurde Fat. entlassen.
Wiederaufnahme am 19. 1. Fat. hat, wie die Mutter meint, in Folge
unzureichender Milchqnalität, inzwischen an Körpergewicht abgenommen,
würgt nach jedem Trinken und ist sehr unruhig. Stuhl soll gelb bis
gelblich - grün sein, einmal des Tages gewöhnlich ergiebig, ausserdem
aber öfter noch in kleinen Mengen grieslicher gehackerter Massen er-
folgen.
Bei der Aufnahme: Temp. 86,8, Pals 128, Besp. 62. Gewicht:
2780 g. Im übrigen Körperbefund keine Aenderung zu constatiren.
Am 21. 1. beträgt das Körpergewicht 2830 g, dagegen am 23. I. 2650 g.
Fat. bekommt nunmebr statt Wassermilch Yoltmer's Muttermilch. Trotz-
dem bleiben die Stühle tou schlechter Beschaffenheit; nachdem am
22.1. neun gelbgrüne, breiige, sauer reagirende Stühle erfolgt waren^
hatte das Kind am 25. I. elf, am 26. I. zwölf Stühle, darunter zwei
bez. drei ganz durchfällige. Körpergewicht am 25. I. 2720 g, am 27. I.
2770 g.
Am 27. 1. ziemlich starker Soorbelag im Monde.
Urinuntersuchung am 28. I. ergiebt: normale Farbe und Reaction,
geringen Indicangehalt, kein Eiweiss oder Zucker. Stühle werden etwas
besser, bleiben aber noch zahlreich (6— 9 täglich).
Gewicht am 29. I. 2930 g, am 31. I. 2940 g, am 2. II. 3040 g.
Urinuntersuchung am 2. II.: Urin klar, von gelber Farbe,
schwach saurer Beaction, zucker- und eiweissfrei; keine Diazo-, starke
Indicanreaction. Soor seit 31. I. geheilt.
Am 3. Februar 1893 Vormitt^s zwischen 10 und 11 Uhr Impfung
(je drei Schnitte an den Oberarmen) mit animaler Lymphe aus dem
königl. Impfinstitut (Sanitätsrath Dr. Chalybaeus) in Dresden.
Den Temperaturverlauf zeigt Curve I (s. S. 326).
Stühle hatte Pat. Tom 2. — 3. II. 7 gelbbreiige sauere,
3. 4. 7 „ »» »
4. 0. 7 „ M »
5.-6. 6 „ „ and 1 gelh-
grünen breiigen sauren.
Körpergewicht am 4. II. 3000 g.
6. U. Augen, Nase und Ohren o. B. Lippen und Zunge feucht.
Mundhöhle rein. Bachentheile blass. Stimme stark belegt. Auf den
Lungen überall voller Schall, Vesiculärathmen; rechts hinten unten
ganz yereinzeltes Schnurren. Herz o. B.
Abdomen stark aufgetrieben. In der Umgebung des Afters geringer
Intertrigo.
An zwei Impfstellen des rechten Arms papulOse Erhebungen. Nicht
die geringste entzündliche Beaction in der Umgebung. Am Körper
326
H. Friedemann:
bisher nirgends Exantheme beobachtet. Appetit gut. Körpergewicht
2920 g.
Vom 6. — 7. II. hatte Fat. 7 gelbbreiige saure StGble,
„ 7.—«. „ „' 6 „ and 2 darchföllige gelbe,
„ 8.-9. „ „9 „ und 1 durchf&Uig. sauren St.
Körpergewicht am 8. II. 2720 g.
9. II. Im rechten Conjanctivalsack eine massige Menge Schleim.
Nase 0. B. Lippen trocken. Zunge feucht. Rachentheile blass. Stimme
schwach belegt. Auf beiden Lungen, besonders aber der rechten un-
teren Partie gröbere und feinere Rasselgeräusche. Herz o. B. Puls
wenig kräftig; die feineren Einzelheiten desselben wegen Unruhe des
Kindes nicht zu constatiren. Abdomen o. B. Kein Intertrigo.
Von den Impfstellen sind nur am rechten Arm zwei verändert:
an einer Stelle zeigt sich eine kaum linsengrosse, blassrothe, deut-
lich begrenzte Erhabenheit, in deren Mitte Bildune eines Vaccine -
bläschena angedeutet ist; oberhalb derselben eine ^enso grosse Er-
Cur?e I.
JSO
hebung, welche aus einem deutlichen Vaccinebläschen mit blass
rothem Saum besteht. In der Umgebung keine entzündliche Re-
action.
Urin gelb, sauer, klar, zucker- und eiweissfrei. Keine Diazo- und
keine Indicanreaction.
Voltmermilch wurde in den letzten Tagen schlecht getrunken;
Wassermilch, welche seit heute gereicht wird, wird besser genommen.
Am 10. II. frflh ziemlich rasch> Exitus letalis , nachdem das Kind
ca. ^L Stunde zuvor noch leidlich getrunken hatte.
Die Section ergab ausser Anämie der inneren Organe und eitriger
Bronchitis im rechten Unterlappen nichts Besonderes, insbesondere keine
Tuberculose und nicht das geringste Zeichen für die Einwirkung einer
infectiösen Erkrankung.
Fall II. Eichard B., Handarbeiters Sohn aus Lindenau bei Leipzig,
am Tage der Impfung 118 Tage alt. Vater und 8 Geschwister gesund.
Die Mutter soll mehurmals fehlgeboren haben; sie ist Anfang Octob^
Schatspockenimpfang b. abnonn schwäohl. Säaglingen u. Kindern. 327
1892 an Kindbettfieber gestorben. TubercnlOae Familienbelastung
nicht nachzuweisen.
Fat. soll mit einem Körpergewicht von 12 Pfand zur Welt ge-
kommen sein, wurde die ersten 14 Tage gestillt, dann mit Kahmilch
geirrt.
Am 10. XI. 1892 wurde Fat. wegen Keuchhusten und Dyspepsie in
die Kinderklinik gebracht. Der Keuchhusten war von massiger Intensität
und Ycrlief ohne Complicationen. Die Dyspepsie besserte sich unter
zweckmässiger Ernährung bald und Fat. konnte am 20. I. 1893 völlig
geheilt entlassen werden.
Am 26. I. wurde Fat. wieder ins Haus gebracht, weil er noch starke
Hustenanfälle mit Erbrechen haben sollte. Das Körpergewicht betrug
an diesem Tage 8440 g. Der Status weist folgenden wesentlichen Be-
fund nach: Blasses, leidlich genährtes Kind. Körperlänge 66,6 cm.
Kopfumfang 37^0 cm. Grosse Fontanelle 4 cm lang, 8*^ cm breit. Sa-
gittalnaht bis zum Hinterhaupt ziemlich weit offen stehend. Conjunc-
tivae palpebramm leicht iigicirt, Augenlider leicht gedunsen. Nase o. 6.
Lippen etwas trocken. Noch kein Zahn. Mund- und Bachenhöhle rein.
Drüsen an den Kieferwinkeln bis erbsengross. Stimme frei. Brust- und
Baachorgane zeigen nichts Bemerkenswerthes. Appetit gut. Stühle gelb,
breiig. Fat. bekommt Yoltmermilch.
HustenanWle wurden in der Anstalt niemals beobachtet, daher
konnte Fat. am 28. 1. unbedenklich von der Keuchhustenstation nach
der inneren Abtheilung verlegt werden.
Am 28. 1. einmal Erbrechen, weshalb sofort eine Magenausspülung
vorgenommen wurde. Danach blieb die Verdauung, abgesehen von einem
leicht schleimigen Stuhl am 81.1., ohne Störung; die Anzahl' der Stühle
betrug in den nächsten Tagen 2 — 4; das Körpergewicht war am 28. I.
8690 g, am 29. I. 8670 g, am 81. I. 3730 g, am 2. II. 8760 g.
Vom 1.— 2. II. hatte Fat. 6 gelbgrüne, saure breiige Stühle. Eine
Urinuntersuchung am 2. II. ergab: Urin klar, sauer, zucker- und
eiweissfrei; starker ^dicangehalt; keine Diazoreaction.
Am 8. II. Impfung wie bei Fall I. Den Temperaturverlauf s.
Gurve II.
J6.0
Stühle vom 2.-3. ü. 8 gelbbreiige, alkalische,
3.— 4. 4 „ 9* f
4.-6. 1 gelber, 4 gelbgrüne breiige saure,
6.-6. 8 gelbe, 2
•>
1»
•)
ti
328 H. Friedemum:
Körpergewicht am 4. II. 8680 g. Fat. bekommt vom 4. IL an Warner-
milch.
6. II. Augen und Ohren o. B. Lippen und Zunge feucht Am
Zahnfleisch des Oberkiefers mädeige Röthung und Schwellung, daseibat
eine kleine, strichförmige, graue Auflagerung an einer Stelle. Auf der
Schleimhaut der linken Oaumenhälfte (harter Gaumen) ein halblinsen-
groBses, roth geränderte?, gelb belegtes Geschwür. Stimme frei. Brnst-
organe o. B.
Impfstellen ohne Reaction. Bisher nirgends am Körper ein
Exanthem zu sehen gewesen. Körpergewicht 3150 g.
Vom 6.^7.11. 5 gelbbreiige saure Stühle.
Am 7. IL an den Impfstellen, mit Ausnahme einer Stelle, be-
ginnende Bläschenbildung.
Vom 7.-8. 6 gelbbreiige saure Stühle.
8. II. Urin klar, schwach sauer, eiweiss- und zuckerfrei. Geringer
Indicangehalt, keine Diazoreaction. Gewicht 3400 g. Fat bekommt
Wassermilch mit Butterzusats.
9. II. Augen, Nase, Mund und Rachen o. B. Stimme frei. Lungen :
überall voller Schall, Vesicul&rathmen, keine Rasselgeräusche. Herz
u. B. Fuls weich, regelmässig, gleichmässig. Abdomen o. ß.
An drei Stellen des linken Arms sind kaum linsengrosse , am
rechten Arm zwei etwa bohnengrosse , ziemlich flache Vaccine-
bläschen mit klarem Inhalt gebildet, welche von einem blassrothen,
kaum 1 mm breiten Saume umgeben sind. In der Umgebung
nicht die geringste entzündliche Reaction. Kein Erbrechen. Appe-
tit gut.
Vom 9.— 10. IL 5 gelbbreiige saure Stühle.
10. II. Inhalt derVaccinebläschen verfärbt sich gelblich.
Achseldrüsen nicht geschwollen. Gewicht 3620 g.
Vom 10.— 11. II. 6 gelbbreiige saure Stühle,
II. xi, 6 „ „ „ ,
12.— 13. 6 „ „ „ ,
xo. 14. 4 „ ,, „ .
Gewicht am 12. IL 3490 g, am 14. II. 3660 g.
14. II. Urin hellgelb, ohne Eiweiss und ohne Zucker. Indican-
reaction sehr schwach. Keine Diazoreaction.
Vom 14.— 16. II. 3 gelbbreiige saure Stühle.
16. II. Augen, Nase und Ohren o. B. Mund- und RachenhOhle
rein. Lungen: überall reines Vesiculärathmen. Herz o. B. Abdomen
o. B. Impfpusteln trocknen ein. Achseldrüsen gering geschwollen.
Appetit gut.
Vom 16.—16. IL 3 gelbbreiige saure Stühle.
Am 16. IL Körpergewicht 3660 g.
Vom 16.— 17. IL 6 gelbbreiige Äühle,
17.— 18. 1 gelbbreiiger Stuhl.
Am 18. IL Körpergewicht 3720 g.
Vom 18.— 19. IL 4 gelbbreiige saure Stühle.
19. IL Augen, Nase und Ohren o. B. Mund- und Rachenhöhle rein.
Brust- und Bauchorgane o. B. Schorfe vom rechten Oberarm ab-
gefallen.
Vom 19.— 20. IL 4 gelbbreiige saure Stühle. Körpergewicht am
20. IL 3620 g.
Vom 20.— 21. IL 2 gelbbreiige saure Stühle.
Vom 21.— 22. IL 6 „ ), „ , 1 gelber durchfäl liger.
Gewicht am 22. IL 3480 g.
Fat. bekommt vom 22. II. an Vollmilch (ohne Zusatz).
Scbntzpockenimpfnng b. abnorm schw&cbl. 8&aglingen a. Kindern. 329
Vom 22.— 28.11. 4 gelbbreiige, 1 gelbgrüner sanrer Stabl.
Vom 23.— 24.11. 3 „ ,1 gelbgrfiner breiiger nnd 1 gelb-
grüner dnrchfälliger Stuhl. Körpergewicht am 24. II. 8660 g.
Vom 24. — 25.11. 2 gclbbreiige, 2 gelbgrüne saare Stühle.
26. II. Appetit und Allgemeinbefinden gut. An den inneren Or-
ganen nichts Abnormes. Durchföllige Stöhle traten nicht wieder auf.
Das Körpergewicht betrug am 26.11. 8630 g, am 28.11 3670 g, am 2.111.
3770 g, am 4. III. 3780 g. Urinuntersuchung ergab am 4. III. ausser
sehr geringem Indicangehalt nichts Bemerkenswerthes. Gewicht am
6. III. 3860 g, am 8. III. 3920 g.
8. IIL Appetit gut. StOhle völlig homogen, von goldgelber Farbe.
10. III. Gewicht 3860 g. Augenlider leicht geröthet und gedunsen.
Nase und Ohren o. B. Lippen blass, trocken. Mundhöhle rein, Bachen-
theile blass. Stimme frei. Auf den Lungen überall Veeiculärathmen.
Herz und Puls o. B. Abdomen ziemlich stark aufgetrieben, weich. An
den Impfstellen finden sich tief eingezogene Narben.
12. m. Gewicht 3870 g.
13. in. Urin sauer, eiweiss- und zuckerfrei; ganz schwache In-
dican-, keine Diazoreaction. Das Körpergewicht betr> am 14. III.
3930 g, am 16. 3990 g, am 18. 4000 g, am 20. 4020 g, am 22. 4040 g,
am 24. 4090 g, am 26. 4100 g, am 28. 4070 g, am 30. 4070 g. P. wird
am 80. III. entlassen.
Fall ni. Alfred St., Arbeiterin Sohn aus Sellerhausen bei Leipzig,
am Tage der Impfung 180 Tage alt. Illegitimes Kind. Mutter soll
schwindsüchtig sein. Das Kind wird von seiner Ziehmutter wegen
starken Wandseins am 16. I. in*s Ejrankenhaus gebracht. Appetit und
Stuhl soll bisher gut gewesen sein.
Status praesens: Blasses, aber gut gen&hrtes Kind. Körper-
gewicht am 16. I. Ahends 4970 g. Körperlänge 68 cm ; Kopfumfang
40,26 cm. Grosse Fontanelle 2^ cm lang und breit. Augen o. B. An
den Kaseneingängen eingedicktes graugelbes Secret. Lippen trocken.
Zunge fencht. Mundhöhle rein. BAchentheile blass. Noch kein Zahn.
Eczema capillitii. Starkes intertriginöses Ekzem am Hals, Nacken,
Achselhöhlen, Unterleib, Genitalien bis herab zu den Unterschenkeln.
Drüsen am Hals nnd Nacken erbsengross, ebenso in der rechten Achsel-
höhle, in der Inguinalgegend fast bohnengross. Thorax gnt gebaut.
Lungen: überall voller Schall, Vesiculärathmen; r. h. u. etwas Schnurren.
Herz o. B. Puls kräftig, regelmässig, gleich massig. Abdomen leicht
aufgetrieben, weich; keine Tumoren zu fühlen. Stuhl gelb, breiig. Pat.
bekommt sterilisirte Wassermilch. Der Krankheitsverlauf war bis zum
Tage der Impfung kurz folgender: Das Ekzem heilte iu den ersten
8 Tagen rasch ab; die Beschaffenheit der Stühle blieb durchaus gut,
dagegen schwankte ihre Anzahl zwischen 2 und 8(!) in 24 Stunden.
Vom 19. L an bekommt Pat Wassermilch mit Butterzusatz. Das Körper-
gewicht betrug am 18. I. 4840 g, 19. 4810 g, 20. 4820 g, 23. 4960 g,
26. 4930 g, 27. 4810 g, 29. 4730 g, 81. 4760 g, 2. IL 4880 g. Seit 27. 1.
erhält Pat. Vollmilch (ohne Zusate).
28. L Urin klar, gelb, sauer, eiweiss- und zuckerfrei Mittelstarker
Indicangehalt.
28. L Urin gelb, sauer, ohne pathologische Bestandtheile. Indican-
gehalt eben sichtbar.
2. IL Urin zucker- und eiweissfrei. Keine Diazoreaction. Starker
Indicangehalt. An Brust- und Bauchorganen zeigte sich ebenfalls bis
xum 2. n. nicht die geringste pathologische Veränderung. Vorüber-
gehend zeigte Pat. am 31. I. schwachen Soorbelag an der rechten Wange,
welcher rasch verschwand mid ohne Einfluss auf den Appetit und das
830
H. Friedemann:
Allgemeinbefinden geblieben ist Die Temperatur stieg nur iweimal
etwas an (ohne besondere nachweisbare Ursache): am 28. 1. Abends 87,9®
nnd am 1. IL Morgens 88,0. Vielleicht ist der Nahrungsweohsel am
87. I. dabei von Emflnss gewesen.
Am 8. IL Vormittags Impfung wie bei Fall I und IL Tempe-
raturverlanf zeigt
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Gew. am 4. IL 4920 g
Gew. am 6. IL 4940 g.
6. n. In den Conjunctiven geringe Men^e Schleim. Nase und
Ohren o. B. Lippen trocken, mindhöhle rein. Rachentheile blass.
Auf den Langen überall voller Schall, Vesicnl&rathmen. Hers und
Puls 0. B. Abdomen stärker aufgetrieben, bietet aber sonst keine Be-
sonderheiten. Appetit gut. An den Impfstellen, besonders links, papu-
lüse Erhebung. In der Umgebung des Afters stärkerer Intertrigo mit
Pustelbüdung.
Vom 6.-7. n. 8 gelbbreiige saure Stühle,
7.-8. 6 „ „ „ — Gew. am 8. IL 4980 g.
8. IL Urin klar, gelb, schwach sauer; weder Eiweiss noch Zucker.
Keine Diasoreaction. Indicangehalt mittelstark. — Fat. bekommt täg-
lich einmal Bouillon mit Ei eu.
Vom 8.-9. IL 8 gelbbreiige Stühle.
9. IL Augen, Nase o. B. Lippen trocken, Zunge feucht. Mund-
höhle rein; Rachentheile blass. Stimme frei. Lungen: überall voller
Schall, Vesiculärathmen, keine Rasselgeräusche. Hers o. B. Puls liem-
lich kräfüg, regelm&ssig, gleichmässig. Abdomen o. B. Sämmtliohe
Impfstellen, besonders am linken Arm, seigen verhältnissmässig hohe,
wasserhelle Vaccinebläschen, welche von blassrothem Saum
umgeben sind. In der Umgebung keinerlei entaündliche Beaction.
Appetit gut.
Vom 9 —10. IL 10 gelbbreiige saure Stühle. — Gewicht am 10. IL
4880 g.
10. IL Befund, besonders an den Impfstellen, wie gestern. Drüsen
in den Achselhöhlen nicht geschwollen. Bouillon wird schlecht ge-
nommen: Fat. bekommt deshalb täglich 1 Ei mit Zucker und 8 mal
Schntzpockenimpfung b. abnorm sohwäcbl. S&aglingen u. Kindern. 331
tftglicli 1 Kaffeelöffel Denayer'scbes Pepton. -— Inhalt der Yaccine-
blftschen verfärbt sich gelblich.
Vom 10.— 11. li. 8 gelbbreiige saure Stfihle,
11.-12. 7 „ „ „ — Gew. am 12. II. 4790 g.
12.— 18. 0 „ if „
18.— 14. 3 „ „ ,, —Gew. am 14. II. 4990 g.
14. II. Urin klar, schwach saaer, ei weiss- and zackerfrei. Keine
Diazoreaction. Indicanreaction eben sichtbar.
Vom 14.— 16.11. 6 gelbbreiige Stahle.
15. IL An den Aagenlidem wenig eingetrockneter Schleim. Nase,
Mond- nnd BachenhOble o. B. Stimme frei. Auf den Langen überall
Toller Schall, Veaicalärathmen, kein Bassein. Herz-, Bauchbefund un-
verändert. Unterste Impfpustel am rechten Arm trocknet ein. Drfisen
in den Achselhöhlen bedeutend geschwollen: rechte eine ca. haselnuas-
grosse, links eine bohnengrosse Drüse. Appetit gut.
Vom 15.— 16. II. 5 gelbbreiige Stfihle, — Gew. am 16. II. 4970 g.
16. — 17. 8 „ „ ,
17.— 18. 8 „ w , — Gew. am 18. 11. 5060 g.
18.— 19. 4 „ ,2 gelbgrüne breiige saure Stühle.
19. II. Augen, Nase, Ohren o. B. Lippen trocken; Zunge feucht.
Mundhöhle rein. Rachentheile blass. Stimme frei. Lungen: überall
Yesiculärathmen, r. h. u. ganz selten Schnurren. Herz o. B. Abdomen
0. B. Pusteln alle eingetrocknet, aber noch kein Schorf abgefallen.
Drüsen in den Achselhöhlen wenig yerkleinert, nicht druckempfindlich.
Die Beschaffenheit der Stühle blieb in der Folgezeit dieselbe wie bisher.
Am 20. II. früh hatte Fat. 88,2^ Temp. ohne ersichtliche Ursache.
Gewicht am 20. IL 4950 g.
21. II. Urin zucker- und eiweissfrei; keine Diazo-, keine Indican-
reaction. Gewicht am 22. IL 4960 g.
28. IL Geringer Schnupfen. Appetit gut. Impfstellen unverändert
geblieben. Gewicht am 24. IL 4990 g.
25. IL An den inneren Organen nichts Besonderes. Am rechten
Oberarm zwei Impfschorfe in Ablösung begriffen. Appetit und All-
gemeinbefinden gut.
27. IL Morgens Temp. 88,1. 28. II. Gewicht 4840 g.
2. UI. Gewicht 4670 g. Morgens Temp. 88,0; Abends Temp. 88,4.
Bouillon ndt Ei ab. — Urin: deutliche Diazoreaction; starker Indican-
gehalt; Spur Eiweiss.
8. ni. Von gestern zu heute 1 gelbbreiiger, 8 gelbgrüne breiige
saure Stühle. Urin: undeutliche Diazo-, starke Indicanreaction. Kein
Zucker, y^. Vol. Eiweiss. Morgens Temp. 88,7; Abends Temp. 87,8.
4. HI. 1 gelbbreüger, 8 gelbgrüne breiige Stühle. Gewicht 4680 g.
Urin: schwache Diazoreaction, mittelstarker Indicangehalt; kein Zucker.
Spur Eiweiss. Im mikroskopischen Bilde keine nephritischen Elemente.
Morgens Temp. 88,2; Abends Temp. 87,5. Appetit war in den nächsten
Tagen gut fiiweissgehalt im Urin am 9. IIX. Terschwunden.
10. III.. Auffen, Ohren und Nase o. B. Lippen trocken, sehr blass.
Zunge feucht. Mundhöhle rein. Rachentheile blass. Stimme frei. Auf
den Lungen überall Yesiculärathmen. Herz und Puls o. B. Abdomen
stark angetrieben, gespannt. Nur massiger Intertrigo. Impfstellen
noch nicht völlig Yemarot. Am rechten Oberarm sind noch zwei Impf-
schorfe Yorhanden.
18. IIL Urin enthält wieder Eiweiss (Spur). Kein Zucker. Keine
Diazo-, starke Indicanreaction. Seit dem 2. UI. hat Fat ein unregel-
mässiges, nicht erhebliches (höchste Temperatur am 18. III. Abends 89^
Fieber gehabt. Die Zahl der Stühle schwankte zwischen 4 und 8 in
24 Stunden: dieselben waren an einzelnen Tagen (11. und 18. lU.) zum
334 *H. Friedemann:
»Qsserdem 3 mal taglich 1 TbeelGflFel Leberthran, 2 mal täglich 1 Einder-
löffel Pepton, 3 mal täglich fiO gtt. Liq. ferr. albnm.
Vom 5.-6. II. 3 gelbe, 2 gelbgrüne breiige saure Stühle. — Ge-
wicht am 6. II. 6780 g.
6. II. Augen o. 6. Aus der Nase reichlichere Secretion. Aus dem
linken Ohre säxkere Eiterung: auch heute keine Trommelfellperforation
nachzuweisen. Lippen und Zunge trocken. Zunge massig belegt Mund-
höhle rein. Bachentheile blass. Lungen o. B. Herz und Puls o. B.
Abdomen etwas eingesunken. Appetit gering. Pat. wird öfter sondirt,
bricht aber danach. An den Impntellen noch keine Beaction sichtbar.
Pat. wird ausschliesslich mit Leguminose und Pepton, sowie Tokajer-
wein (2 mal täglich 1 Kaffeelöffel) ernährt.
Vom 6. — 7. II. 1 gelbbreiiger, 1 schleimiger, 4 grüne breiige neu-
trale Stühle.
7. II. Bläschenbildung an den Impfstellen des linken Arms.
Vom 7.-8. II. 1 gelbgrüner, 2 grüne schleimige Stühle. — Ge-
wicht am 8. II. 7060 g.
8. II. Urin hellgelb, klar, schwach sauer, ei weiss- und zackerfrei
Keine Diazo-, starke Indicanreaction. Pat. bekommt 3 mal täglich Wein
und Liq. ferr. mang. 10,0. Sol. Fowler. 0,6 3 mal täglich 10 ^t
Vom 8. — 9. II. 3 gelbgrüne, 2 grüne breiige saure Stühle.
9. II. Blutuntersuchung: Hämo^lobingehalt 86 7^, Zahl der
rothen Blutkörperchen 3 880 000, der weissen 18 800; Verhältniss der
weissen zu den rothen 1 : 206. Im gefärbten Präparat zahlreiche Makro-
cyten; Ppikilocytose; spärliche eosinophile Zellen (polynucleär). Aus
dem linken Ohre keine Eiterung mehr.^ Normaler otoskopischer Befund.
Appetit schlecht Pat. hat Mittags einmal erbrochen (nach Leguminose).
Am linken Arm 3 fast bohnengrosse , am rechten Arm eine reiskom-
grosse Vaccineblase mit klarem Inhalt und schmalem rothem Saum.
Vom 9—10. II. 3 gelbbreiige, 1 grüner schleimiger StuhL — Ge-
wicht am 10. II. 6920 g.
10. II. Inhalt der Yaccinebläschen schwach gelblich geerbt Drüsen
der Achselhöhle nicht geschwollen oder druckempfindlich. Appetit ge-
ring. Pat. bekommt Leguminose mit Pepton und sterilisirte Vollmilch
abwechselnd.
Vom 10.— 11. II. 2 ffelbgrüne, 3 grüne breiige saure Stühle.
11. II. Pat. hat wiederholt erbrochen. Magenausspülong. Nestle,
Wein.
Vom 11.— 12. II. 1 gelbgrüner, 2 grüne breiige und 1 grüner durch*
Alliger Stuhl.
12. n. Appetit gering. Gewicht 6730 g. Vaccinebläschen links
stärker eitrig verfärbt. Keine entzündliche Beaction in der Um-
gebung.
Vom 12.— 13. II. 3 gelbbreiige, 1 gelbgrüner Stuhl.
14. II. Seit gestern kein Stuhl wieder. Appetit noch schlecht.
Pusteln trocknen ein. Brust- und Bauchorgane, Mund- und Rachen-
höhle 0. B. Urin eiweiss- und zuckerfrei; keine Diazo-, schwache In-
dicanreaction.
15. II. Seit Torgestem erst einmal wieder Stuhl. Augenlider heute
morgen ziemlich fest durch gelbliche Borken verklebt, ebenso ein-
Setrocknetes Seoret in den Naseneingängen. Lippen blass und trocken,
lundhöhle rein. Rachentheile blass. Stimme frei. Lungen: überall
reines Athmen; Tom einzelne trockene bronchitische Gezäusche. Bauch-
befund unverändert. Appetit schlecht, weshalb regelmässige Sonden-
emährung nöthig wird. Pusteln trocknen gut ein. Keine entzündliche
Reaction der Umgebung; keine DrÜsenschwellnngen in der Achselhöhle
wahrnehmbar.
Scbutspockenimpfang b. abnorm Bchwächl. Säoglingen u. Kindern. 335
Vom 15.— 16. IL 2 gelbbreiige saure Stüble. — Gew. am 16. 11. 6610 g.
1 6.-17. 4 „ ,1 gelbgrüner schleimiger StahL
17. IL Keine besondere Ursache für das Fieber aufzufinden. M&ssige
Bronchitis. Fat. bekommt Eismilch und Opelt*Bchen Nährzwieback. Die
Beschaffenheit der Stühle bleibt bis zum 25. II. im Ganzen dieselbe;
das Körpergewicht sank bis auf 6040 g (am 24. IL). Vom 25. IL an
lösen sich die Impfschorfe ab; unter ihnen befinden sich gute Narben.
Die Urinuntersuchung am 22. IL ergiebt ausser mittelstarkem Indican-
gehalt nichts Abnormes.
23. IL Lungen: in der rechten fossa supraspinata verkürzter Schall,
daselbst Bronchialathmen ; über der ganzen rechten Lunge vereinzelte
feinere und grobe Rasselgeräusche. Kein ausgesprochenes Nasenflügel-
und Flankenathmen. Aus dem linken Ohre wieder stärkere Eiterung.
25. II. Kein Bronchialathmen mehr. Lockere Ezpectoration.
26. IL Eiterung aus dem linken Ohr fast verschwunden. Inspection
des Trommelfells nicht vollständig möglich. Keine Pnlsation, dagegen
kommt beim Ausspritzen des Ohres Flüssigkeit aus der Nase. Die
Stühle bessern sich jetzt, sind ziemlich homogen, von guter Farbe und
ohne abnorme Beimengungen. Appetit wurde leidlich. Am 4. III.
brachen die oberen mittleren Schneidezähne durch, am 1. lY. der linke
obere äussere, während die äusseren unteren Schneidezähne gleich-
zeitig im Durchbrechen sind. Erst seit ca. 20. III. begann eine fast
ungestörte Beconvalescenz Platz zu greifen, nachdem am 18. IIL noch
ein aus unbekannter Ursache entstondener periproktitischer Abscess
(vielleicht von einem leichten Ekzem in der Nachoarschafb ausgehend)
hatte eröffnet werden müssen.
Am 23. ly. wurde Fat. mit einem Gewicht von 7220 g entlassen.
Fall Y. Max Seh., Griminalschutzmanns Sohn aus Leipzig- Anger-
Crottendorf, am Tage der Impfung 1 Jahr und 167 Tage alt. Yater
gesund. Mutter an Schwindsucht gestorben; dieselbe hatte einmal fehl-
geboren, und ein Kind starb klein an unbekannter Krankheit. Ein
noch lebender Bruder des Fat. soll gesund sein. Fat wurde im Säug-
lingsalter künstlich ernährt. Wann die ersten Zähne kamen, ist nicht
festzustellen. Das Kind spricht und läuft angeblich noch nicht, soll
stets viel gekränkelt haben und immer schwächlich gewesen sein, hat
früher einmal an Ohrenlanfen gelitten, andere sog. „scrophulöse** Er-
scheinungen aber nie gezeigt. Im ersten Lebensjahre öfter Krämpfe;
im Juni 1892 vorübergehend einige Zeit starke Kurzathmigkeit. Im
letzten Halbjahre soll Fat. ca. 4— 5mal an Nasenbluten gelitten haben.
Seit Anfang October 1892 stärkere Abmafferung. Seit Mitte Januar
Schnupfen. Yon Zeit zu Zeit Durchfall (orann, übelriechend, ohne
Schleimbeimengung) abwechselnd mit 3 — 4lAgiger Yerstopfnng. Seit
längerer Zeit unruhiger Schlaf. Fieber nicht beobachtet. Leib stets
aufgetrieben gewesen. Am 1. 11. wurde Fat. in das Krankenhaus auf-
genommen.
Status praesens (2. IL): Schwächlicher Knabe. Geringes Fett*
polster. Schwache Musiulatur. Körperlänge 65 cm, (Gewicht 6470 g.
Aopfumfang 43,25 cm. Grosse Fontanelle 2,5 cm lang und breit. Schädel-
decke hart. Tubera frontal ia und parietalia stark prominirend. In der
Umgebung der Nase und Oberlippe geringe Hautabschilferung. Am
Bücken einzelne blassrothe, leicht pigmenti^ Flecke. Geringer Inter-
trigo. Augen 0. B. Naseneingänge mit eingetrocknetem Secret bedeckt.
Lippen trocken. Fat. besitzt die oberen Schneidezähne sämmtlich sowie
die mittleren unteren, von welchen der linke vor der Zahnreihe steht,
der rechte erst 1 mm weit aus dem Zahnfleisch hervorragt. Drüsen an
den Eiefexwinkeln und im Nacken linsen-, bis erbsengross. Zunge
342 H. Friedemaxm:
anderen Fragen der Impflehre gegenüber bisher hat zurück-
stehen müssen, erkennen wir aus der ungenauen, zum Theil
geradezu unrichtigen Schilderung, welche das Yaccinefieber
noch in den neuesten Abhandlungen über die Impfung erfahrt;
so schreibt selbst Fürbringet^): ,,Zugleich mit der Areola
entwickelt sich unter Achseldrüsenschwellung ein massiges
Fieber, das durchschnittlich zwei Tage andauert, um mit
dieser zweitägigen Periode und der Areola zu erloschen/'
„Nur ausnahmsweise überschreitet die Körperwärme
39V Und RosenthaP) sagt darüber: „Zwischen dem
10. und 12. Tage ist gewohnlich ein leichtes Fieber
vorhanden"
y. Jacksch fand bei seinen 19 Impflingen in den ersten
Tagen nach der Impfung kein Steigen, öfter sogar ein Sinken
der Temperatur (bis 36,0^ C); die erste Fiebersteigerung
beobachtete er bei seinen zweistündlichen Messungen (an-
scheinend nur Achselhöhlenmessungen) in den uncomplicirten
Fällen zwischen der 45. und 164. Stunde nach der Impfung.
Die Temperatur stieg dann treppenförmig, dabei gewöhnlich
' sehr rasch an, so dass die höchste Erhebung oft noch am
selben Tage erfolgte. Das Fieber, welches bis 40,5^ betrug,
dauerte 1 — 11, meist jedoch nur 4—6 Tage. „Der Gang des-
selben war deutlich remittirend und geradezu charakteristisch;
in allen, auch in den durch anderweitige Erkrankungen com-
plicirten Fällen war ausgeprägt der treppenformige, stets bis
unter die Norm erfolgende Abfall des Fiebers."
Im Gegensatz zu v. Jaksch erhielt Peiper bei seinen
23 Impflingen (Messungen Morgens 7 Uhr und Abends zwischen
7 und 8 Uhr im After vorgenommen) 6 mal bereits innerhalb
der ersten 3 Tage Temperatursteigerungen, meist zwischen
^ 37,9— 38,5^ Imal jedoch bis 39,0 und Imal bis 39,6<>; abnorm
niedrig war die Temperatur in der Incubationszeit niemals.
Die eigentliche Fieberperiode begann 6 mal am 4., 7 mal am
5., 4mal am 6., 6mal am 7. Tage. Gleich y. Jaksch
beobachtete Peiper ein langsames, treppenförmiges Ansteigen
der Temperatur; die Acme wurde meist erst nach mehreren
Tagen erreicht und zwar 7mal am 7., 11 mal am 8., 3mal
am 9., Imal am 10. und Imal am 11. Tage; sie lag zwischen
38,2 — 40,0° C. Das Fieber dauerte bei normalem Verlauf
meist nur 2yj— 4% Tage. „In keinem Falle erfolgte ein
plötzliches Sinken, die Temperaturen zeigten vielmehr einen
1) EnlenburgB Realencyklopädie der gesammten Heilkunde X.:
Impfung. II. Aufl. 1887.
2) Vorlesungen ober d. öffentliche und priyate Gesundbeitspflege.
11. Aufl. 1890.
Schntzpockenimpfang b. abnorm schw&chl. Sänglingen u. Kindern. 343
remittirenden Typus. Ein Herabgehen bis unter die normale
Grenze Hess sich nicht erkennen/'
Wir sehen^ in den Hauptzügen stimmen unsere Beobach-
tungen mit denen v. Jaksch's und Peiper's überein, aber
ein Unterschied ergiebt sich sofort; nämlich die Verschieden-
heit der Fieberdauer: dieselbe fand v. Jaksch in der
Mehrzahl der Fälle 4-6, Peiper 2%-4%, wir 5-9 (Imal
5, Imal 6; 2mal 7, Imal 9) Tage. Vergleichen wir, indem
wir unsere eigenen Fälle ausser Betracht lassen, die Beobach-
tungen von Y. Jaksch und Peiper, die sich ja auch an
Zahl nahe stehen (19 : 23), mit einander, so müssen wir sagen,
dass der Unterschied in der Fieberdauer nicht auf Zufall be-
ruhen kann, und wir finden bei näherem Zusehen ein Moment,
welches für die Beurtheilung des Vaccinefiebers zweifellos von
hoher Bedeutung ist. Während nämlich Peiper nur Kinder
im Alter von 3 — 12% Monaten (ein einziges war 18 Monate
alt) impfte, waren die Impflinge v. Jaksch's durchweg älter
als die Mehrzahl der Erstgeimpften zu sein pflegt: nämlich
2 Kinder waren 12 Jahre, 1 Kind 8, 1 = 6, 1 = 5%. 1=5,
1 = 4%, 1 = 4y^ 2 = 4, 2 = 3, 3 = 2, 1 = 1 Jahr alt; bei
3 Kindern ist das Alter nicht angegeben. Den schlagendsten
Beweis für den Einfluss des Alters auf die Fieber-
reaction finden wir in der hochinteressanten Thatsache, dass
die Impfung neugeborener Kinder niemals von Fieber
gefolgt ist.
Impfungen bald nach der Geburt sind gelegentlich
schon früher vorgenommen und mitgetheilt worden, u. A. von
Bousquet, Büchner, Reiter, Friedberg, jedoch gebührt
das Verdienst genauer klinischer Beobachtung neueren Auto-
ren: Gast^), Behm^), ganz besonders aber Wolff.^) Letzterer
impfte 57 Neugeborene im Alter von 8 Stunden bis zu 6 Tagen,
und zwar 42 davon mit humanisirter, 15 mit animaler Lymphe.
Der Erfolg war ein vollkommener: es entwickelten sich ty-
pische Impfpocken in ganz gleicher Weise und Zeit wie bei
den älteren Erstimpflingen; auch der Ausfall von Impfschnitten
war durchaus nicht häufiger als bei den letzteren. In einer
Anzahl von Fällen zeigten sich sogar bedeutende locale
Reactionserscheinungen in Gestalt starker, die Pusteln
1) Schmidt'8 Jabrbacher 1879. S. 201: Experimentelle Beiträge
zur Lehre von der Impfang.
2) Zeitschrift f. Geburtahilfe und Gynäkologie VlII. 1. 1882: Ueber
intrauterine Yaccination, €ber Schutzpockenimpfung Schwangerer und
Neugeborener.
3) Virchow'B Archiv für pathol. Anatomie und Physiologie etc.
Bd. 117. 1889. S. 867: Ueber Vaccination neugeborener Kinder. -*
S. femer dasselbe Archiv Bd. 112. S. 183.
348 H. Friedemann:
zeigt Eigenschaften sehr ähnlich denen, welche der fiebernde
Mensch während der Daner seines Fiebers ofiPenbart, und wir
dürfen wohl annehmen, dass gerade der concentrirte Zu-
stand seines Blutes das neugebome Kind befähigt, acuten
Infectionskrankheiten siegreichen Widerstand entgegenzusetzen:
in derselben Baumeinheit findet sich eben eine wesentlich
grössere Menge der den Bacterien und ihren Stoffwechsel-
producten feindlichen Gewebselemente vor, als bei dem schon
einige Wochen alten Säugling. Wir müssen uns also vor-
stellen, das resorbirte, an den Impfstellen gebildete Vaccine-
gift verursacht, sobald es in die Blutbahn gelangt und hier
auf unvollkommenen Widerstand trifft, eine häufig mit Fieber
und sonstigen Allgemeinerscheinungen einhergehende Reaction
des Körpers, welche dahin zielt, die Widerstandsfähigkeit des
Blutes zu erhöhen. Es ist wahrscheinlich, aber freilich noch
nicht bewiesen, dass die fiebernden Vaccinanden in ähnlicher
Weise Blutveränderungen zeigen, wie wir sie im Fieber
anderer acuter Infectionskrankheiten beobachten, und es ist
möglich, dass den Durchfallen, den katarrhalischen Abson-
derungen im Respirationstractus u. s. w., die so oft im Ver-
laufe der Impfpocken auftreten, die Bedeutung zu Grunde
liegt, durch eine hierdurch herbeigeführte Verdichtung des
Blutes den erfolgreichen Kampf gegen das eingedrungene
Virus zu ermöglichen. Wenn also ein Kind an sich schon
vermöge einer besonderen, vielleicht scrophulösen oder rachi-
tischen Grundlage, zu derartigen Katarrhen disponirt ist, so
werden wir uns nicht wundern, dass die Natur auch diese
Wege benutzt, um die erforderlichen Blutveränderungen bei
dem Impfling zu Stande zu bringen. Dass derartig organi-
sirte Individuen dabei leicht excessiv reagiren und unter dem
Einfiuss secundärer Schädlichkeiten im Anschluss' an eine
Vaccination ernster erkranken können, kann uns nicht über-
raschen. Fehlen derartige, von der Impfung unabhängige
Schädlichkeiten, dann gehen die Katarrhe und Durchfälle etc.,
wie u. A. schon Hebra bemerkt, und wie theilweise unsere
Fälle V und VI zeigen, nach Beendigung des Vaccinations-
processes meist von selbst vollständig zurück.
In wie weit die Lymphdrüsen, die ja oft sehr bedeu-
tende Schwellung zeigen, bei den Immunisirungs Vorgängen
mitwirken (vielleicht im Sinne der Metschnikoff^scheo
Phagocytentheorie?), das entzieht sich vorläufig unserer Beur-
theilung. Proportionale Beziehungen zwischen dem Grade
der Lymphdrüsenschwellung und der Fieberhöhe bestehen jeden-
falls nicht (vgl. Fall V und VI)-, das wusste schon Bednar^),
1) Die Krankheiten der Neugeborenen und Säuglinge vom klinlBchen
und pathologisch-anatomiBchen Standpunkte. 1860-53. IV. Theil. 8.86.
Schatzpockenimpfnng b. abnorm schwächL Säuglingen u. Kindern. 349
welcher fiber die ^^acute Intamescenz der Lymphdrüsen'^ im
Verlaufe des Vaccineprocesses sieh folgendermaassen ans-
spricht: „Die Drüsengeschwulst erreicht die Grösse einer
Haselnuss bis die einer Wallnuss in einem Zeitraum von
12 Stunden bis von 4 Tagen, und zwar geschieht dieses am
1. bis 13. Tage nach der Vaccination bei Säuglingen von 4
bis 12 Wochen unter merklicher Fieberbewegung, wenn ein
Lungenkatarrh sich gleichzeitig entwickelt, oder die Fieber-
bewegung findet nicht statt. Die Dauer bis zur yölligen
Verkleinerung der Drüsen beträgt 4 bis 18 Tage/' Immerhin
ist es denkbar, dass die Lymphdrüsen-Betheiligung bei den
Kindern vom 2. Jahre ab einen Einfluss auf die Dauer des
Vaccinefiebers hat. Denn von dieser Zeit an bis etwa zum
15. Lebensjahre finden wir eine besondere Disposition des
kindlichen Organismus zu lymphatischen Erkrankungen, die
im ersten Lebensjahre in viel geringerem Maasse existirt. So
finden sich auch wesentliche Drüsenschwellungen nach der
Impfung bei Säuglingen erheblich seltener als im späteren
Alter: Peiper berichtet nur von seinem ISmonatlichen Impf-
ling „erhebliche Achseldrüsenschwellung'^ und auch bei un-
seren Fällen zeigte sich eine solche erst mit dem zunehmenden
Alter.
Werfen wir jetzt noch einen Blick auf die einzelnen
Fälle unserer Beobachtung, insbesondere auf die dabei
notirten Allgemeinerscheinungen, so müssen wir zunächst
bei dem ersten Fall verweilen. Ganz abgesehen davon, dass
die Obduction nicht den geringsten Anhalt dafür ergeben hat,
dass der Tod etwa durch die Vaccination verursacht sein
könnte, so müssen wir einen derartigen Zusammenhang schon
deshalb für unwahrscheinlich halten, weil die Gewichtsabnahme
bereits zu einer Zeit auftrat, wo von einer Allgemeinwirkung
der Vaccine noch nicht die Rede sein konnte, und weil ferner
der Tod erfolgte, als der Vaccineprocess im Beginn, nimmer-
mehr aber auf der Hohe stand. Es ist bisher auch in der
Literatur kein Fall bekannt geworden, wo die Impfung als
unmittelbare Todesursache aufgefunden worden wäre: stets
fanden sich andere, letale Veränderungen an den lebenswich-
tigen Organen. Immerhin empfiehlt es sich nach den bis-
herigen Erfahrungen der Wissenschaft, derartige atrophische
Kinder zur Zeit einer Pockenepidemie nicht zu impfen,
so lange sie sich in dem Seucheherde aufhalten; es ist besser,
sie erst an einen pockenfreien Ort zu bringen, und hier nicht
eher zu impfen, als bis der Ausbruch der Pocken bei dem
Kinde mit Sicherheit nichl mehr zu erwarten ist. Rilliet^)
l)B.u.Barthez, Handb. der Kinderkrankheiten. II.Theil. 1844. S.361.
368 M. Brückner:
WetzcH) ersehe ich, dass von 148 Fällen von Kleinhirn-
tumoreu 41 auf Kinder kommen. Von diesen erwiesen sich
12 <= 29 % als tuberculos. — Von der Annahme eines Abscesses
sahen wir bei dem Fehlen von Fieber, einer Ohreneiterang
oder eines sonstigen ätiologischen Anhaltspunktes ab. Andre
Möglichkeiten (Cysticercus, Hämatom, G4iom u. s. w.) konnten
jeden Falls keinen grösseren Grad von Wahrscheinlichkeit
beansprachen, als der Tuberkel. Für Syphilis fehlte jeder
Anhalt. Die Section ergab ein Gliom mit Cystenbildung.
Dieses Vorkommniss ist im kindlichen Alter auch kein sel-
tenes. Unter den oben erwähnten 41 Fällen fanden sich
Gliome, Gliosarkome, Gystogliome und verwandte Geschwülste
in circa 35%, also entgegen den Angaben Anderer sogar noch
häufiger als der Tuberkel.
Wenn ich mich jetzt zu der BVage wende, wie weit sich
die intra vitam beobachteten Symptome aus dem Sections-
befunde herleiten lassen, so will ich auch hier mit dem-
jenigen Symptome beginnen, welches dem Krankheitsbilde ein
80 charakteristisches, eigenthümliches Gepräge verlieh, mit
der Coordinationsstörung.
Es wird sich dabei um Erörterung der Frage handeln:
Hängt die als cerebellare Ataxie bezeichnete Coordinations-
störung direct von einer Zerstörung des Kleinhirns und zwar
speciell des Kleinhirnmittellappens ab, oder sind noch andere
Erklärungen möglich beziehentlich wahrscheinlich?
Dass Affectionen der Kleinhirnhemisphären ohne Coor-
dinationsstörung, ja ohne jedes Symptom verlaufen können,
ist bereits genugsam bekannt.*) Es hat sich aber auch die
Annahme NothnageTs, dass eine Zerstörung des Kleinhim-
wurms noth wendigerweise cerebellare Ataxie zur Folge haben
müsse, nicht in ihrem vollen Umfang bestätigt. Bernhardt
fand das Symptom nur bei 77%, Wetzel nur bei 73% von
Kleinhirntumoren unter Betheiligung des Wurms. Bernhardt
erklärt sich das Verhältniss aus der „Resistenz der nervösen
Gebilde gegen langsam einwirkende Schädlichkeiten^. Diese
Erklärung erscheint nicht sehr befriedigead. Haben wir im
Wurm wirklich ein Centrum für die Erhaltung des Körper-
gleichgewichtes, so muss man doch erwarten, dass mit der
Vernichtung dieses Centrums die Coordinationsstörung auf-
tritt. Sonst müsste man annehmen, dass gewisse TheUe des
Wurms vicariirend für andre eintreten können. Etwas plau-
Handbach 6 I, 1. S. 549, 561. — Sobotka, Pniger medie. Wochen-
schrift 1891. Nr. 80.
1) Wetzel, Zur Diagnostik der Kleinhimtamoren. Halle 1890.
2) Bernhardt 1. c. 8. 24S. — Macdonald, Brain, Spring-
n amber 1890 u. a. m.
Ein Fall von Tamor cerebelli. 369
sibler erscheint die Erklarang WetzeTs, nach welchem es
darauf ankommt, welche Theile des Wurms zerstört sind.
Er hält die hinteren Partien desselben für besonders wichtig.
Die mir zugänglichen, in der Literatur niedergelegten Beobach-
tungen vermögen allerdings diese Behauptung nicht zu stützen.
Auch in der neuesten Zeit sind wiederum symptomlos
verlaufene Fälle von Wurmtumoren veröffentlicht worden. So
fand Becker^) bei der Section einer an Pneumonie Verstor-
benen den Wurm durch 2 Cysten zerstört, ohne dass während
des Lebens irgend welche auf ein Hirnleiden zu beziehende
Symptome vorhanden waren. Becker hält die cerebellare
Ataxie ftlr nicht abhängig vom Kleinhirn. Er legt Werth
darauf, dass diejenigen Theile, welche nach Edinger wichtig
fQr die Erhaltung des Eörpergleichgewichts sind, in seinem
Falle unversehrt waren. (Kleinhimseitenstrangbabnen, Olive,
gekreuztes corpus restiforme, Yliess, Bindearme, rother Kern.)
— Leimbach ^) fand bei einem an Meningitis tuberculosa
verstorbenen Manne einen Tuberkelknoten im Oberwurm,
welcher keinerlei Erscheinungen während des Lebens gemacht
hatte. Leimbach meint, dass bei seinem Patienten keine
cerebellare Ataxie beobachtet wurde, weil nur „der Abschnitt
entsprechend dem culmen mouticuli dem Untergange anheim-
gefallen war.*' — Eine dritte Mittheilung findet sich im
Glasgow medical Journal.^) Ein junges Mädchen litt an hef-
tigen, intermittirenden Kopfschmerzen. Die Section ergab
eine Zerstörung des Kleinhirnwurms durch cystöse Bildungen.
Es ist aus der Mittheilung nicht zu erkennen, wie viel vom
Wurm zerstört war. Die Frage der cerebellaren Ataxie ist
nicht weiter erörtert. Auch Ackermann^) vermisste bei
einem Kleinhimtumor mit fast vollständiger Zerstörung des
Wurms die cerebellare Ataxie.
Fehlt die cerebellare Ataxie bei Wurmerkrankungen einer-
seits zuweilen, so findet sie sich andererseits in einer Reihe
von Fällen, in denen das Kleinhirn nicht vom Krankheits-
processe ergriffen war. Der Monographie Bernhardts, in
welcher mit ausserordentlichem Fleisse hierher gehöriges Mate-
rial zusammengetragen und gesichtet ist, entnehme ich Fol-
gendes: Es findet sich verzeichnet schwankender, taumelnder
Gang, Gang eines Betrunkenen u. s. w. unter 11 Vierhügel-
tumoren 6 mal, unter 19 Briickentumoren 2 mal, unter 21 Tu-
moren des verlängerten Markes 4 mal, unter 124 Tumoren der
1) Becker, Virchow'a Archiv CXIV. 1. S. 178. 1888.
2) Leimbach, Deutsche Zeitschrift f. Kerirenheilkande I. 8 n. 4.
3) Glasgow Medical Journal 1898. .Heft 1.
4) Ackermann, Deutsche med. Wochenschrift XIX. 22. S. 618.
JahrbuohlKindwheilkimdt. H. P. XXXVIIL 24
370 M. Brfickner:
Hemisphären 11 mal. Für die Tamoren der hinteren Schädel-
grübe muss in allen Fällen die Möglichkeit einer indirecten
Betheiligung des Kleinhirns zugestanden werden. Für die
Hemisphärentnmoren ist dies nicht ohne Weiteres möglich.
Bruns^) hat neuerdings vier Fälle von Stirnhirntumoren yer-
öfiPentlicht; bei welchen der Sjmptomencomplex der cerebella-
ren Ataxie in ausgezeichneter Weise zu beobachten war. In
einem Falle war die Coordinationsstörung neben tiefem Sopor
sogar das einzige Symptom, welches auf ein Hirnleiden
schliessen Hess. Bruns hält dennoch vor der Hand an der
Existenz einer wirklichen cerebellaren Ataxie im Nothnagel-
schen Sinne fest, constatirt das häufige Vorkommen eines
gleichen Symptomencomplexes bei Stimhirntumoren und giebt
Anhaltspunkte in Bezug auf die Differentialdiagnose (Be-
nommenheit, Paralysen bei Stimhirntumoren, frühzeitige
Stauungspapille bei Eleinhirutumoren).
Ich mochte aus dem Vorhergehenden folgenden Schluss
ziehen: Soweit wir die Pathologie der Hirntumoren zu Grunde
legen, erscheint es noch nicht absolut sicher, dass die als
cerebellare Ataxie bekannte Coordinationsstörung den Werth
eines Herdsymptomes beanspruchen darf, dass sie pathogno-
monisch für Erkrankungen des Eleinhimwurms ist.
Immerhin sei aber doch hervorgehoben, dass unser Fall
einerseits eine ganz hervorragend starke Ataxie, besonders
auch der Rumpfmusculatur, erkennen liess, andererseits
durch eine ganz vollständige Zerstörung des Wurmes
und der zugehörigen weissen Markmasse ausgezeich-
net war.
Vielleicht wäre es dankbar, die Fälle von Atrophie des
Kleinhirns mit Rücksicht auf Coordinationsstörungen einmal
zusammenzustellen. Ich will hierzu nur erwähnen, dass Se-
nator^) neuerdings die Friedreich'sche £j-ankheit als eine auf
congenitaler Atrophie des Kleinhirns beruhende Störung auf-
fasst, und dass Menzel^) in einem Falle von hereditärer Ataxie
Atrophie des Kleinhirns fand. Er fasst dieselbe in seinem
Falle als eine Entwickeluugshemmung auf, deren Entstehung
er in den .7. bis 8. Monat des embryonalen Lebens verlegt
Von Seiten der Physiologen ist bisher die coordinatorische
Function des Kleinhirns, sowie die Lehre von der cerebellaren
Ataxie anerkannt worden. Durch eine neue Arbeit von Lu-
1) Bruns, Deutsche med. Wochenschrift 1892. Nr. 7. — Berliner
klin. Wochenschrifb 1886. Nr. 21 u. 22.
2) Senator, Berliner hlin. Wochenschrift XXX. Nr. 21. 1893.
3) Menzel, Archiv f. Psychiatrie o. Nervenkrankheiten. XXII. 1.
S. 160. 1890.
Ein Fall Yon Tnmor cerebelli. 371
ciani^) wird diese Lehre, wenigstens f&r den thierischen Or-
ganismus, erschüttert. Derselbe kommt auf Grund von Ex-
perimenten an Hunden und Affen nach langjährigen Beob-
achtungen zu dem Ergebniss, dass Verletzungen des Kleinhirns
bewirken: 1. Asthenie (Muskelschwäche), 2. Atonie (verringerte
Muskelspannung), 3. "Astasie (unregelmässige Aufeinanderfolge
der einzelnen Muskelcontractionen). Nach Luciani übt jedes
Segment des Kleinhirns dieselbe Function aus, wie das ganze
Organ.
Luciani fasst den Symptomencomplex der cerebellaren
Ataxie auf als eine Combination von Ausfallserscheinungen,
die bedingt sind durch eine Läsion des Kleinhirns, und von
functionellen Compensationserscheinungen von Seiten des Gross-
hims. Demnach wäre das Kleinhirn kein Coordinationscentrum
im bisherigen Sinne, die cerebellare Ataxie keine reine Coor-
dinationsstörung.
Mag man aber das Zustandekommen der cerebellaren
Ataxie auf die eine oder andere Weise erklären, so lehrt
unser Fall doch ohne Zweifel, dass ausgebreitete Zerstörungen
des Kleinhirns, insbesondere die totale Zerstörung des Ober-
wnrms eine ganz exquisite Ataxie^ die insbesondere auch die
Bumpfmuskulatur mit einschliesst, zur Folge haben kann:
denn in dem beschriebenen Falle lässt sich das beherr-
schende Symptom doch auf keine andere Läsion zurückführen
als eben auf die Kleinhirnerkrankung. Der blosse Hydro-
cephalus würde das Symptom keinenfalls erklären.
Die übrigen Erscheinungen, welche unser Patient darbot,
lassen sich kürzer abhandeln. Der Kopfschmerz, das Er-
brechen, die Stauungspapille sind Symptome des gesteigerten
Himdrucks. Die Stauungspapille stellt sich, wie schon oben
erwähnt wurde, bei Kleinhirntumoren besonders frühzeitig ein,
da diese leicht die y. magna Galeni zu' comprimiren und
damit Hydrocephalus zu veranlassen vermögen. Auch das
Erbrechen ist bei den Geschwülsten des Kleinhirns ein früh-
zeitiges und constantes Symptom.
Die Facialislähmung und die Yagusparese, welche ihren
Ausdruck in der später auftretenden Schlinglähmung fand,
bin ich geneigt, auf die Compression zu beziehen, welche die
austretenden Nervenstämme durch die Geschwulst erleiden
mussten. Doch ist wohl nicht sicher zu entscheiden, wie viel
von diesen Erscheinungen ebenso wie von den Sphincteren
Lähmungen auf Rechnung des Hydrocephalus zu setzen ist.
Die Sprachstörung ist nicht leicht zu erklären. Langsame
1) Das Kleinhirn. Nene Stadien znr normalen und pathologischen
Physiologie von Luigi Lnciani. Bef. in Schmidt's Jahrbüchern B. 242.
S. 208.
24*
376
Kleinere Mittheilungen.
1. XL 1898. Schwellung an den Tibien stärker; gleiche Schwel-
lungen an beiden Unterarmen, Radius und ülna, bis kq '/^ des Schaftes.
Phosphor weiter, daneben Calomel 2 mal 0,01.
6. XI. 1893. Zustand im Gänsen unverändert, in den letzten Tagen
mehrfaches Erbrechen ohne nachweisbaren Grund. Fleisch- und Frucht-
saft verweigert. Kleine H&morrhagien an beiden Unterschenkeln.
Urin eiweissfrei, enthält wenig Indican, viel Urobilin.
Temperatur dauernd erhöht, leider vom 86. X. bis 1. XI. keine
regelmässigen Messungen. Fflr die Temperatursteigerung eine Ortliche
Ursache nicht zu finden.
12. XI. 1893. Anschwellung der Diaphysen viel geringer, ebenso
die locale wie allgemeine Empfindlichkeit. Rachitische £[nochenverände-
rungen bestehen fort. Appetit etwas besser. Temperatur wieder normal.
Der Befund am Zahnfieiscn unverändert. Urin reich an Urobilin.
Die Untersuchung des Blutes im hängenden Tropfen wie an ver-
schieden geübten Trockenpräparaten, die an diesem Tage wie auch
am 5. XL voagenommen wurde, ergab ausser einem massigen Grad von
Leukocytose nichts Abnormes, speciell wurden Mikroorganismen nicht
gefunden.
Was den weiteren Verlauf angeht, so schwanden die Schwellungen
an den Diaphvsen in ca. drei weiteren Wochen ganz. Die hämorrha-
gische Schwellung des Zahnfleisches dagegen besteht noch jetzt, und
vor jedem durchbrechenden Zahn tritt eme neue derartige Schwellung
auf. Die rachitischen Veränderungen haben sich sehr zurfickgebiidet
unter andauerndem P.- Gebrauch. Calomel wurde im Ganzen nur acht
Tage gegeben. Ob demselben eine Wirkung bei der Besserung zuzu-
schreiben, lasse ich dahingestellt; es wurde nur versuchsweise gegeben
mit Rücksicht auf, frühere Erfahrungen und in Anbetracht der grossen
Verbreitung der congenitalen Lues hier am Ort.
Bemerkenswerth erscheint mir dieser Fall einmal wegen des
zweifellos acuten Auftretens der rachitischen Knochen-
veränderunngen, dann wegen der beinahe gleichzeitig ein-
setzenden Symptome der sog. Barlow*sohen Krankheit. Dann
hat vielleicht diese Temperaturcurve, wenn sie auch nicht die
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ganze Erankheitszeit begreift, ein gewisses Interesse, wie auch der
negative Befund der Blutnntersuchung, der mit dem von Rehn
(dieses Jahrbuch Bd. XXXVII, S. 108) fibereinstimmt, endlich der starke
Urobilingehalt des Harns, der sich durch die Resorption des extra-
vasirten Blutes erklärt.
Es gehört also der vorliegende Fall zu den selten vorkommenden.
Ans dem Eindenpital sn Stettin. 377
in welchen die raobitischen Symptome, wenigstem die charakteristischen
Enocbenver&ndernngen, acat auftreten. Ein massiges, nnregehnftssiges
Fieber ging damit Hand in Hand, nnd fast gleichseitig setzten die Er-
scheinnngen einer hämorrhagischen Diathese ein, welche dann das Bild
der sogenannten Barlow'schen Krankheit hervorriefen. Die Ursache der
h&morrhagischen Diathese wird man hier kanm anf die Ernährung allein
zurückführen kOnnen, wenigstens war dieselbe als künstliche nicht un-
sweckmässig und auch nicht ganz einseitig, immerhin war sie künstlich,
und das Kind von Tomherein nicht recht dazu geeignet, da es trots»
aller Mühe und Sorgfalt der Mutter nicht ganz gedeihen wollte. Da-
gegen dürfte man dem acuten Einsetzen der Rachitis wohl eine wesent-
liche Bolle bei dem Auftreten der hämorrhagischen Diathese zuschreiben
können. Lues congenita hat bei dem Kinde wahrscheinlich nicht be-
standen. *
2.
Ans dem Einderspital zu Stettin.
Von
Dr. Wilhelm Stbfpeh.
I. Lnngentabercnlose. Tassis eonyalslya. Tödtllche Hämoptoe.
Krankengeschichte.
Fritz B., 4<4 Jahre alt, wurde am 16. Juli 1892 aufgenommen.
Schwächlicher Knabe. Massig starke Dämpfung in beiden Spitzen, da-
selbst deutliches kleinblasiges Kasseln, ebenso verbreitete Rasselgeräusche
in beiden Lungen. Die Untersuchung tou Herz, Leber und Milz ergab
nichts Abnormes. Urin frei Ton Eiweiss. Puls 100. Temp. 86,6. Resp. 82.
Therapie: Gute Pflege. Inhalationen Yon Ol . Terebinthin. Liq . Ammon.
anisat. In der Folge änderte sich der Befund der Lungen kaum. In
dein meist schleimigen Sputum wurden am 20. Juli keine Tuberkel-
bacillen gefunden. Am 80. Juli zeigte sich geringer Durchfall. Puls,
Temperatur, Respiration und KeuchhustenanTälle gestalteten sich fol-
gendermaassen:
Puls Temp. Resp. Keuchhusten -Anfälle
M.
A.
M.
A.
M.
A.
17.
Juli.
100
116
88,6
87,9
40
82
18.
120
180
88,6
89,0
40
44
34.
19.
120
120
88,1
40,1
88
42
88.
20.
122
180
88,4
40,0
88
84
22.
21.
142
180
39,8
89,6
42
36
23.
22.
184
188
88,9
40,0
42
44
16.
28.
146
180
89,4
39,6
66
38
27.
24.
180
118
88,6
89,4
64
42
22.
26.
126
180
88,8
40,0
44
40
21.
26.
128
188
88,8
40,4
42
42
18.
27.
188
182
89,6
89,4
46
44
14.
28.
140
182
89,8
89,9
60
60
10.
29.
188
140
88,4
40,6
38
64
12.
80.
146
89,0
44.
378 Kleinere Mittheilnngen.
Das Befinden des Knaben war im Ganzen leidlich, der Appetit
ziemlich gnt Am Morgen des SO.Jnli trat beim heftigen Husten plötz-
lich eine hochgradige Hämoptoa ein nnd nach wenigen Secunden der
Exitus letalis; die Menge des entleerten Blutes betrag etwa ^1. —
Aus äusseren Gründen konnte leider die Section nicht gemacht werden.
So häufig erwachsene Phthisiker an Blutsturz zu Grande ^ehen, so
selten trifft dies im kindlichen Alter zu. Hoffnung hat m seiner
Dissertation (Üeber Hämoptoe bei Kindern, Berlin 1885) 7 bezügliche
•Fälle zusammengestellt. Ich habe in der Literatur noch 6 weitere
Beobachtungen niedergelegt gefunden, wo bei Lungenschwindsucht tödt-
liche Hämoptoe auftrat, und zwar je eine bei Hennig^), Barthez
etRilliet*), West"), d'Espine et Picot«) und zwei bei A. Steffen»).
Wir haben also im Ganzen die nur geringe Zahl Ton dreizehn Fällen,
zu denen der unsere als vierzehnter hmzutritt. Die Sectien wurde acht-
mal ausgeführt, dreimal (Carr^e cit. bei Hoffnung, West, 1 Fall
A. Steffen) konnte trotz genauester Durchforschung die Ursache der
letalen Hämorrhagie nicht ermittelt werden, in den übrigen Malen war ein
kleines Aneurysma eines Astes der Lungenarterie in eine grössere oder
kleinere, mit den Bronchien communicirende Gaverne geplatzt. Vier
von diesen interessanten Sectionsbefunden theilt Hoffnung ausführlich
mit; besonders lehrreich ist der dort herangezogene eine Fall von
Rasmussen, wo es erst nach Durchsuchung sehr feiner Lungenschnitte
möglich war, denürsprang der tödtlichen Blutung festzustellen. Barthez
et Rilliet geben „Torminale Hämorrhagie in Folge einer Lungen-
caverae** an, ich entnehme daraus, dass es sich um denselben anato-
miechen Process gehandelt hai Die Frage, weshalb in allen diesen
Cavernen Gefässerweiternngen entstanden sind, beantwortet Hoffnung
mit der von P. Meyer näher studirten und klar gelegten Thatsache
des Auftretens von Hyalin in Gefässen, deren Wände entzündlich oder
tuberculös verändert sind; das Hyalin ersetzt allmählich die ganze
Wandung und durch diese stattgehabte Umwandlung ist es dem stetig
wirkenden Blutdruck ein Leichtes, eine Ausbuchtung des Gefässrohres
zu Stande zu bringen.
Diesen seltenen Befunden gegenüber stehen auf der anderen Seite
die zahlreichen Sectionsergebnisse von Lungentuberculose, wo eine
tödtliche Hämoptoe nicht aufgetreten ist. Der Grund hiervon ist leicht
einzusehen. In den verkästen Knoten und ihren secundären Erweichungs-
herden oder in wirklichen Cavernen — erstere aus katarrhalischer Pneu-
monie hervorgegangen, beherrschen nach Wyss das Bild der Phthise
bei Kindern bis zum 6. Lebensjahre, letztere zeigen sich im späteren
Kindesalter mehr der Phthise Erwachsener entsprechend — sind die
Gefässe meist obliterirt, zum Mindesten stark comprimirt, sodass durch
dieses Verhalten eine grössere Blutung ausgeschlossen ist. Hier und
da begegnet man jedoch Ausnahmen, wo in Höhlen oder deren directer
Nähe die Gefässe völlig normal functioniren, ohne die vorher erwähnte
Anlage zur Aneurysmenbildung zu zeigen, und doch keine Blutung er-
folgt. Ich glaube, in diesen Fällen lässt sich für das Ausbleiben der
1) Hennig, Lehrbuch der Krankheiten des Kindes 1856. S. 265.
2) Barthez et Rilliet, Handb. d. Kinderkrankheiten. Deutsch
von Hager. HL Bd. 1856. S. 823.
8) West, Pathologie und Therapie d. Kinderkrankheiten. Deutsch
von Weguer 1860. S. 307.
4) d Espine et Picot, Grundriss d. Kinderkrankheiten. Deutsch
von Ehrenhaus 1878. S. 461.
5) A. Steffen, Klinik der Kinderkrankheiten. L Bd. 1865. S.242
u. 423.
Ans dem Kinderspital zu Stettin. 379
etalen Hämoptoe folgendea Argument anfahren. Wie bekannt, nimmt
das Herz im kindlichen Alter eine mehr horizontale Lage ein nnd
richtet sich dann mit den Jahren allmählich anf, um beim Erwachsenen
in eine mehr verticale Lage überzugehen. Hiemach kann man sich
Torstellen, dass das vom landlichen Herzen ans in das Gefässsystem
geschleuderte Blut unter normalen Verhältnissen anfangs einen grösseren
Widerstand zu überwinden hat und in der Folge unter einem weniger
hohen Druck steht; mithin werden die Lungenarterien nur eine mittlere
Spannung zeigen und dem phthisischen ulcerirenden Process des Ge-
webes länger widerstehen als prall mit Blut gefüllte Gefässe. Aller*
dings muss man bei dieser Hypothese von den ersten Lebenswochen
absehen, wo die Lnngenarterie weiter ist als die Aorta und die Wan-
dungen des linken Ventrikels den rechten an Dicke noch nicht über-
treffen, also durch diese veränderten anatomischen Verhältnisse die
Lungen überhaupt mehr Blut enthalten als später.
Was die tödtliche Blutung in unserem Fall anlangt, so ist es
müssig, ohne gegebene anatomische Daten sich in theoretische Betrach-
tungen über den Ursprung derselben zu yerlieren; ich will nur hervor-
heben, dass schon Barthez und Rilliet und nach ihnen Gerhardt
(Lehrbuch der Kinderkrankheiten 1861, S. 218) darauf aufmerksam ge-
macht haben, dass bei BronchialdrSsentuberculose zuweilen letale Blu-
tungen aus den Luftwegen auch ohne Verbindung zwischen Gefässen
und Bronchien durch heftige körperliche oder psychische Erregungen
— wahrscheinlich verursacht durch Compression der Lungenvenen durch
verkäste Drüsen — zu Stande kommen können. So liesse sich bei An-
nahme gleichzeitig bestehender Lungen- und Bronchialdrüsentuberculose
auch hier der heftige Stickhustenanfall vielleicht in diesem Sinne für
den tödtliohen Ausgang verwerthen.
Das anhaltende Fieber, die abendlichen Steigerungen und morgend-
lichen Remissionen sind durch den tuberculösen Process bedingt. Der
Keuchhusten, der nach Aussage der Eltern vor dem Eintritt ins Spital
schon etwas im Abnehmen war, hatte sich, wie aus der Tabelle er-
sichtlich, vielleicht günstig beeinflusst durch die Terpenthin-Einathmungen,
in den 14 Tagen in der Zahl der Anfälle bedeutend gebessert, an In-
tensität dagegen nur wenig.
IL Angeborene Hjpertropliie der einen KSrperhftlfle.
Im 27. Jahresbericht aus dem Jenner*schen Kinderspital beschreibt
Demme einen Fall von angeborener halbseitiger Maskelhypertrophie
bei einem zweimonatlichen Mädchen. Kurz nach Erscheinen des Be-
richtes hatten wir in unserer Anstalt Gelegenheit, einen ähnlichen Fall
zu beobachten.
Krankengeschichte.
Max H., 11 Wochen alt, wurde am SO. November 1890 aufgenom-
men. Die Anamnese ergab: Protrahirte, doch im Ganzen leichte Ge-
burt des Kindes, der Kopf kam zuerst. Sofort nach der Geburt zeigte
der Knabe an verschiedenen Stellen des Körpers blaurothe Flecke, am
zweiten Tage ist den Eltern die etwas stärkere Entwickelung der rech-
ten Körperhälfte aufgefallen. Die Ernährung bestand in Milch, Beis-
und Haferschleim. Die Eltern sind vollkommen gesund, ebenso die Ge-
schwister. Missbildnngen sind in der Familie nicht vorhanden.
380 Kleinere Mittheiliingeii.
Statut praesens am 1. Oecember: Ziemlich gut gen&hrtes
Kind mit deutlichen Zeichen von Rachitis (grosse Fontanelle, Rosen-
kranz, Epiphysenaaftreibang an Unterarmen und Unterschenkeln). Bläulich-
rothe Flecke von verschiedener Grösse auf dem Sternum, der rechten
Vorderh&lfte des Rumpfes, der linken Bauchwand vom Nabel abw&rte
und auf dem linken Handrücken. An der Hinterfläche des Rumpfes
diffuse rothbrftunliche Verfärbung der Haut. Diese Hautaffectionen liegen
in demselben Niveau mit der gesunden Haut, auch erleiden sie durch
Weinen, Schreien u. s. w. weder ein anderes Aussehen ihres Colorits,
noch irgend eine Anschwellung. — Massig starke Kyphose der unteren
Brust- und oberen Lendenwirbelsäule. Geringe Nabelhernie, hoch-
gradige Phimose. Die Untersuchung der Brust- und Bauchorgane er-
glebt nichts Abnormes. Urin frei von Eiweiss. Temp. 36,8. Puls 86.
esp. 80. — Die obere und untere Extremität der rechten Seite sind
etwas voluminöser als die linke. Der rechte Oberarm, in der Mitte ge-
messen, hat einen UmfiEuig von 11cm, der linke von 10,6 cm; der rechte
Unterarm misst in der Mitte 12 cm, der linke 11,85 cm; der rechte
Oberschenkel in der Mitte 20 cm, der linke 17,6; der rechte Unter-
schenkel in der Mitte 15 cm, der linke 13 cm. Eine Verdickung und
Verlängerung der einzelnen Knochen rechterseits besteht nicht. Die
Haut ählt sich auf beiden Seiten gleichmässig dick an, die Musku-
latur rechts fester und derber als links. Der Kopfumfang beträgt 38 cm,
beiderseits 19; der Brustumfang beträgt 87 cm, beiderseits isy, cm;
der Bauchumfang Aber dem Nabel gemessen 87 cm, rechts 19 cm, links
18 cm. Beide Augen sind gleich gross, die Lidspalten sind gleich weit,
die rechte Pupille ist etwas weiter als die linke. Das rechte Ohr hat
eine Länge von 4 cm, das linke von 8,8 cm. An den Wangen und der
Zunge ist ein Unterschied nicht vorhanden.
Eine erneute Messung nach 6 Wochen ergiebt folgende Resultate;
cm cm
rechter Oberarm in der Mitte ... 9 links 8,6
„ Unterarm in der Mitte . . . 10,2 „ 9,6
„ Oberschenkel i. oberen Drittel 16 „ 14
„ in der Mitte 15 n 18
„ im unteren Drittel .... 18,6 „ 12
rechtes Kniegelenk 15,5 „ 18
rechter Unterschenkel in der Mitte 12,5 „ 11
Brustumfang 85 cm, beiderseits 17,5 cm.
Bauchumfang über dem Nabel 87 cm, rechts 19 cm, links 18 cm.
Die geringeren Maasse sind durch die allgemeine Kräfteabnahme,
insbesondere durch den Schwund des Pannicul. adip. bedingt.
Das Kind acquirirt eine rechtsseitige Streifenpneumonie von län-
gerer Dauer, sowie einen periproctitischen Abscess, und geht am 23. Jan.
1891 EU Grunde.
Section am 24. Januar:
Hochgradig abgemagerte, dem Alter eines 4 — 5 monatlichen Kindes
entsprechend grosse männliche Leiche. Geringe Starre. Zahlreiche
Todtenflecke auf der Rückseite des Körpers. 1 cm neben dem Anns
auf der rechten Seite eine kleine Schnittwunde, welche in eine über-
wallnussgrosse Höhle führt. Leib stark eingesunken. Ziemlich hoch-
gradige Phimose. Beide Hoden im Hodensack fühlbar. Epiphjsen an
Unterarmen und Unterschenkeln ziemlich stark aufgetrieben. Brustkorb
an den oberen Partien etwas vorgewölbt, an den unteren und seitlichen
abgeflacht und leicht eingezogen. Rachitische Auftreibung der Rippen-
Aus dem Eioderspital zu Stettin. 381
«
knorpel. M&ssige ETphose der unteren Brost- und oberen Lenden-
wirbel. — Schädeldach nicht ganz symmetrisch , indem rechts die
vorderen, links die hinteren Partien mehr hervortreten. Die grosse
Fontanelle misst in der L&nge 5, in der Breite 8,5 cm. Eopfomfang
88 cm, beiderseits 19 cm. Am Gesicht kein besonderer Unterschied er-
kennbar. Augen beide gleich gross. Mund geschlossen, an der Zunge
keine Asymmetrie. Rechtes Ohr 4 cm lang, 1,5 cm breit; linkes Ohr
8,8 cm lang, 2,4 cm breit. Der rechte Oberarm hat in der Mitte einen
umfang von 8 cm, links 7,5 cm. Unterai*m rechts im oberen Drittel
9,5 cm, links 9,2 cm. Oberschenkel rechts in der Mitte 12,5, links 11 cm.
Unterschenkel rechts in der Mitte 10 cm^ links 9,2. Der Umfang des
Leibes fiber dem Nabel beträgt 26,5 cm, rechts 13,5 cm, links 13 cm.
Kopfhöhle: Hinterhauptsknochen dünn, durchscheinend, Stirnbeine
dick, besonders das linke, von bläulicher Farbe. Dura mit dem Knochen
fest zusammenhängend, mit Ausnahme einer fünfmarkstückgrossen Stelle
am linken Stirnbein. Sämmtliche Sinus massig stark mit Blut gefüllt.
Liquor cerebrospinalis nicht vermehrt, nicht getrübt. Pia massig in-
jicirt. Gehirn im Ganzen gross. Rechte Hemisphäre 14,5 cm lang, in
der Mitte 7 cm breit, linke Hemisphäre 18 cm lang, in der Mitte 6 cm
breit; die hintere Partie links ist im Ganzen deutlich gleichmässiger
breit als rechts. Windungen auf beiden Seiten gut ausgesprochen. Die
untere Fläche des GeKims ist abgeflacht, hier ist der rechte Stirntheil
etwas stärker entwickelt; beide Hemisphären gleichen sich auf diese
Weise aus. Seiten Ventrikel etwas erweitert, Flüssigkeit leicht vermehrt.
Auf Durchschnitten des Gehirns zahlreiche Blutpunkte, die graue Sub-
stanz sieht etwas gallertig aus. Gehirn schneidet sich massig fest, von
etwas teigiger Beschaffenheit. Die grossen Ganglien, Pons, Kleinhirn,
Med. o6l. ohne Besonderheit.
Bei Eröffnung des Wirbelcanals und Herausnahme des Rückenmarkes
Allt eine Verschiedenheit beider Seiten nicht auf. Rückenmark von
normaler Farbe und Consistenz, makroskopisch keine Veränderungen.
Einlegen in Müller*8ohe Flüssigkeit.
Normale Lage der Einffeweide. Sämmtliche Gedärme sehr blass.
Abdomen frei von Flüssigkeit. Musculus rectus rechts stärker entwickelt
als links. Die Pectoralmuskeln auf beiden Seiten gleich. Pannic. adip.
an Brust und Bauch fast geschwunden. Rippen rechts und links sym-
metrisch.
Zwerchfellstand beiderseits 5. L C. R. Bei Eröffnung der Brust-
höhle liegt das Herz in gewöhnlicher Weise von Lunge unbedeckt vor.
Beide Lungen nirgends adhärent. Pleurahöhlen frei von Flüssigkeit.
Pericardialflüssigkeit nicht vermehrt. Herz klein, schlaff. Klappen-
apparat überall normal. Muskulatur von blassbrauner Farbe.
Linke Lunge im Unterlappen gering hyperämisch, im Uebrigen
normaL
Rechte Lunge zeigt über den hinteren Partien des Unter- und
Oberlappens, mit Ausnahme der Spitze, das deutliche Bild der Streifen-
pneumonie.
Milz klein, von blau-brauner Farbe auf dem Durchschnitt. Follikel
wenig deutlich.
Linke Niere 4,5 cm lang, 2 cm breit. Kapsel leicht abziehbar.
Organ zeigte auf dem Durchschnitt die Zeichen der Stauung.
Rechte Niere 4,5 cm lang, 2,5 cm breit, im Uebrigen dieselben
Verhältnisse wie links.
Leber von normaler Ghrösse. Organ auf dem Durchschnitt von
blau - brauner Farbe. Blutgehalt vermehrt. Läppchenzeichnung un-
deutlich.
382 Kleinere Mittheilangen.
• Magen-Darmcanal ohne Anomalie.
Ans beiden Unterarmen and Oberschenkeln werden mehrere kleine
Stücke Yon entaprechenden Mnskeln nnd Nerven heraasgeschnitten und
zur Härtung in MüUer^sche Flfissigkeit gebracht, ebenso aus beiden
Musculi recti abdom. Das ünterhautfettgewebe an den Unterarmen
beinahe geschwunden, an den Oberschenkeln in geringem Grade beider-
seits gleichmässig stark Torhanden. Zwischen den einzelnen Muskeln
findet sich keine Fettablagerung. Die Knochen beider Seiten zeigen
keine Verschiedenheiten.
Mikroskopischer Befund:
Die Untersuchung mehrfacher Schnitte aus Hals-, Brust- und Lenden-
mark lassen keine Unterschiede beider Seiten erkennen. Ebenso zeigen
die peripheren Nerven beiderseits ein gleiches normales Verhalten.
An Muskel schnitten vom rechten Unterarm, Oberschenkel und M.
rectus abdom. — verglichen mit keine Anomalie darbietenden gleichen
Schnitten der linken Seite — ist an einigen Stellen die Querstreifung
der Primitivbündel undeutlich resp. verloren gegangen und die Muskel-
kerne geschwunden, körniger Zerfall oder fettige Entartung ist nir-
gends nachzuweisen. Im Üebrigen ergeben Längs- und Querschnitte
der Primitivbündel durchaus normale Bilder, eine Hypertrophie der
Primitivfibrillen besteht nicht Das interfibrilläre und interstitielle Ge-
webe ist nicht verilndert oder vermehrt.
Das Mikroskop hat weder eine Muskelhjpertrophie im engeren
Sinne noch eine Pseudohypertrophie erkennen lassen, wir haben es fiast
durchweg mit normalen Verhältnissen zu thun, nur hie und da findet
sich beginnende Atrophie mit Verlust der Querstreifung und Schwand
der Kerne, jedoch ohne körnigen Zerfall oder fettige Entartung. Da
nun die Knochen nichts Auffälliges bieten und die Haut beiderseits
eine gleichmässige SÜürke besitzt, so kann die Hypertrophie der Ex-
tremitäten und des Abdomens rechterseits nur auf einer angeborenen
Vermehrung des normalen Muskelgewebes an sich, auf einer Hyper-
plasie desselben beruhen. Hiermit stimmt das normale Verhalten des
Kückenmarks und der peripheren Nerven sehr gut überein.
In dem oben erwähnten Demme*8chen Fall, welcher in der Disser-
tation von Bornand (Observations hiatologioues sur un cas d'Hyper-
trophie musculaire unilaterale ou Maladie de Thomsen. Dissertation in-
augurale. Lausanne 1891} ausführlich beschrieben worden, ist die ganze
linke Seite von der st&rkeren Entwickelung betroffen. Letztere ist recht
bedeutend und die Unterschiede der Messungen treten noch schärfer als
bei uns hervor, so beträgt der Umfang des Oberarms (Mitte des Biceps)
links 13, rechts 11,6 cm; Umfang des Vorderarms (oberes Ende des
unteren Drittels) links 14 cm, rechts 11 cm; Umfang des Oberschenkels
(oberstes Ende) links 26, rechts 20 cm, über der Patella gemessen links
17 cm, rechts 16 cm; Umfang des Unterschenkels links 16,6 cm, rechts
12,6 cm.
Auch in diesem Fall beruht die Hypertrophie neben einer solchen
des Pannicul. adip. in Veränderungen der Muskulatur, und zwar be-
stehen dieselben in einer deutlichen Hypertrophie der Primitivfibrillen
und Vermehrung der Sarcolemkerne neben Verlust der Querstreifung
und körniger Entartung der Primitivbundel. Das interstitielle Gewebe
ist meist normal, manchmal finden sich Anhäufungen von Zellen, grösser
als weisse Blutkörperchen und eigenthümlich geformt, welche Bornand
als aus einer Wucherung des Gewebes hervorgegangen ansprechen zn
können meint, als Begleiter dieser Zellenhaufen erscheinen häufig em*
bryonale Muskelelemente. . Im linken Hypoglossuskem und im linken
Ans dem Einderapital zu Stettin. 383
Vorderhorn des Bückenmarks sind die Ganglienzellen an Zahl gegen
rechts vermehrt. Gehirn, Backenmark nnd Nerven zeigen sonst nnr
anwesentliche Abweichungen yon der NomL
In den Arbeiten von Isidore Geoffroy St. Hilaire nnd von
Tr^lat et Monod scheinen bezügliche Fälle von Maskelhypertrophie
der einen Eörperhälfte beschrieben zu sein, doch ist das Nähere aus
der Bornand'schen Dissertation, welche dieselhen citirt, nicht zu er-
sehen; die Originale waren mir nicht zugänglich.
In der übrigen Literatur habe ich nur noch zwei Beobachtungen
gefunden, mit denen unser Fall fernerhin Aehnlichkeit besitzt, eine
ältere von James Finlayson und eine neuere von Biegel.
Finlayson (Ein Fall von angeborener einseitiger Hypertrophie.
Glasgow Medic. Joum. Novmbr. 1884. Bef. im Jahrbuch f. Einderheil-
kunde Bd. XXIV, 8. 284) beschreibt ein 18 Monate altes Mädchen,
bei dem die Hypertrophie die rechte Seite des Gesichts, sowie rechten
Arm und Bein betraf und zwar sowohl die Weichtheile als die Knochen.
Interessant war ausserdem, dass in der rechten Körperhälfte bereits
8 Zähne zur Entwickelung gekommen waren, während auf der linken
Seite noch kein Zahn durchgebrochen war. „Eine weitere Eigenthüm-
lichkeit, die auch gleich bei der Geburt auffiel, betraf eine zeitweise
auftretende, dunkel- bis blaurothe Verfärbung der Bauchhaut, besonders
in der Gegend des Nabels und in keiner Weise auf eine Seite be-
schränkt; es zeigten sich vielmehr solche Flecke auch auf der Seiten-
fläche und Hinterseite des rechten Schenkels, auf der rechten Bücken-
hälfte, ebenso auf dem linken Arm und Schenkel. Die Hautverfärbung
trat besonders zu Tage beim Weinen, Schreien, Gemüthsbewegungen
überhaupt; künstlich konnte die Verfärbung hervorgerufen werden durch
warme Bäder. Beim Schreien wurden die angeführten Hautbezirke tief
dunkelroth bis blau, sodass sie aussahen wie ein stark entwickeltes
Muttermai, dabei erschien die Haut nicht erhaben und fühlte sich
durchaus weich an. Sobald das Kind wieder ruhig wurde, nahm die
Büthung ab^ sodass man nachher nichts Auffallendes mehr an der Haut
wahrnehmen konnte; nur am rechten Bein Hessen sich rothe Ver-
ästelungen als Beste der abgelaufenen Hautcongestion nachweisen/' Von
Section und mikroskopischer Untersuchung verlautet in dem Beferat
nichts. — Die beschriebene Hautaffection erinnert in der Farbe und in
der unregelmässigen Ausdehnung über den KOrper sehr an die in der
Krankengeschichte erwähnten &utver^bungon unseres Kindes, doch
bilden sie bei diesem ein constantes Merkmal, während sie bei jenem
erst eines verschiedenartigen Anstosses bedürfen, um sichtbar hervor-
gerufen zu werden; aus diesem Grunde beruhen sie sicher dort auf
vasomotorischen Störungen, in unserem Fall dagegen handelt es sich
direct um eine angeborene Anomalie der Haut. Ob irgend ein gene-
tischer Zusammenhang hier mit der Hyperplasie der Muskulatur be-
steht, möchte ich bezweifeln, da die Haut an den betreffenden Stellen
ausser der Verfärbung makroskopisch wenigstens — eine mikrosko-
pische Untersuchung konnte nicht ausgeführt werden — keine weitere
Veränderung, namentlich keine Verdichtung zeigt.
Biege! stellte in der medicinischen Gesellschaft zu Giessen (Bef.
in der deutschen med. Wochensohr. 1892, Nr. 40, S. 901) ein sieben-
jähriges Mädchen vor mit angeborener Hypertrophie der ganzen rechten
Körperhälfte; dieselbe betraf Haut, Muskulatur und theil weise auch das
Knochensystem. Arm und Bein der afficirten Seite waren nicht nur an
Umfang dicker, sondern auch länger als die der anderen.
Ueberblioken wir kurz die vier Fälle, so haben sie die angeborene
stärkere Entwickelung der einen Seite gemeinsam; in unserem Falle
384 Kleinere Mittbeilungen.
betrifft die Zanahme Extremit&ten und Abdomen, bei Finlayson Ex-
tremit&ten und Gesicht, bei den anderen die gante EOrperhälfte. Bor-
nand, Finlayson und Riegel beobachteten Hypertrophie der Haut
und der Muskulatar, die beiden letzteren ansBerdem auch der Knochen,
w&hrend bei unserem Kinde die Affection auf die Muskulatur sich be-
schränkte. Dreimal «rar die rechte Seite betheiligt, einmal die linke;
die Kinder standen im Alter von 2 , S'/i ^^^ ^^ Monaten und tou
7 Jahren, und betrafen einen Knaben (uneer Fall) und drei Mädchen.
Die mikroskopische Untersuchung wurde von Bornand und mir unter-
nommen und brachte yerschiedenarti^e Resultate; Bornand sah deut-
liche wirkliche Hypertrophie der einzelnen Primitivfibrillen und Ver-
mehrung der Sarcolemuskeme; ich fand normale Verhältnisse, die mich
zur Annahme einer Hyperplasie des Muskelgewebes fährten. Die beiden
anderen Fälle sind nicht zur Section gekommen und lassen daher die
Frage, ob Hypertrophie im engeren Sinne, ob Hyperplasie oder auch
ob Pseudohypertrophie Torliegt, offen. — Die Deutung dieses merk-
würdigen Krankheitsbildes ist schwer, wie schon aus den verschiedenen
Ansichten der Autoren hervorgeht. Nach dem anatomischen Ergebniss,
der gefundenen wahren Muskelhypertrophie und der Vermehrung der
Sarcolemkerne betrachtet Bornand seinen Fall, obgleich die charakte-
ristischen tonischen Krämpfe in willkürlich bewegten Muskeln bei dem
Kinde nicht beobachtet wurden, als Thomsen'sche Krankheit, während
Demme ihm mehr eine „gesonderte Stellung** zuweisen m6chta —
Ueber Finlayson's Auffassung ist in dem Referat nichts angegeben.
— Da in der BiegeTschen Beobachtung neben der allgemeinen ein-
seitigen Hypertrophie eine geringe Atrophie der langen Bückenmuskeln
derselben Seite bestand, so zog derseloe wegen dieses letzteren Um-
standee die juvenile Muskelatrophie zum Vergleich heran.. — Was un-
seren Befund anlangt, so zeigt er zwar manche Aehnlichkeit mit den
Übrigen Fällen, jedoch auch wieder Verschiedenheiten; in den Rahmen
bekannter Krankheitsbilder lässt er sich nach meiner Meinung nicht
einfügen.
III» Chronlgche Cygto-Pyelo-Kephritls.
Krankengeschichte.
Mit beträchtlichem Intertrigo der äusseren Genitalien und ihrer Um-
gebung bis zum Anus wurde die 10 Jahre alte Amanda G. am 16. Febr.
1892 im Spital aufgenommen. Die Anamnese ergab, dass beide Eltern
gesund sind. ' Als kleines Kind ist Fat. nie krank gewesen und hat
sich kräftig entwickelt. Vor 8 Jahren war sie längere Zeit leidend zu-
sammen mit einer Schwester, welche an der Krankheit starb. Welcher
Art diese Krankheit gewesen ist, konnte nachträglich nicht mehr fest-
gestellt werden, da zwei von den drei GoUegen, welche nach Aussage
des Vaters die Kinder damals behandelt haben sollen, dies direct in
Abrede stellten und der dritte GoUege sich des Falles nicht mehr ge~
nügend erinnerte. Hieraus ergiebt sichj dass die Angaben der Eltern
Überhaupt mit Vorsicht aufzunehmen smd. — Seit Mai 1891 soll die
Kleine angefangen haben Über Stiche und Schmerzen in der linken
Seite des Leibes zu klagen, die ungefähr alle zwei oder drei Tage
anfallsweise auftraten und unter Retention des Urins mehrere Stunden
dauerten. Dann trat plötzliche Euphorie ein mit Entleerung reichlicher
Mengen trüben Harnes. An den freien Tagen wurde gelblicher Urin in
Ad8 dem Kinderspital zu Stettin. 385
normaler Weise entleert. Seit dem October ist Incontinenz eingetreten
und hat Fat. angefangen langsam abzamagem. Appetit und Verdauung
waren gut.
Die Untersuchung des im Ganzen abgemagerten Mädchens ergab
bei der Aufnahme ausser dem erwähnten Intertrigo Folgendes: Die
Percussion und Auscnltation der Lungen zeigen normale Verhältnisse,
die Herzdämpfong ist nicht vergrössert, die Töne sind rein, der Puls
kräftig, die Temperatur normal. Leber und Milz ohne Anomalie. Die
Nieren bei Percussion nicht empfindlich, das Abdomen bei Druck nir-
gends schmerzhaft. Das Hymen fehlt. Das Kind kann den Urin nicht
halten, derselbe ist von gelblicher Farbe, trübe, reagirt alkalisch und
enthält mittlere Mengen Eiweiss. Mikroskopisch finden sich im centri-
fugirten Urin mittlere Menge Eiterkörperchen und rothe Blutkörper-
chen, vereinzelte grosse Plattenepithelien, zahlreiche Tripelphosphate,
keine Cylinder. — Wenn man die Kleine fragt, wie ihr jetziges Leiden
begonnen habe, so wird sie scheu und verlegen und giebt ausweichende
Antworten.
Der Intertrigo wurde binnen Kurzem mit Bleiwasserumschlägen ge-
heilt. Die weitere Behandlung bestand in krilftiger Ernährung, zwei-
mel täglich 6 Tropfen Liq. ferri sesquichlorati und Ausspülung der
Blase mit Höllensteinlösung (0,06 : 100), nachdem eine Untersuchung mit
der Steinsonde keine Steine ergeben hatte. Die Ausspfilungen geschahen
anfangs, da das Kind ausserordentlich empfindlich war, in Narcose
und zwar täglich, später jeden zweiten oder dritten Tag ohne Narcose.
In den ersten Wochen war der Urin in Bezug auf Reacüon, Farbe,
chemisches Verhalten und bei der mikroskopischen Untersuchung, von
massigen Schwankungen abgesehen, wenig anders als bei der Aufnahme .
Die Heaction war stets alkalisch, der Urin sah bald mehr grau, bald
rOthlich, bald rein eitrig aus und war häufig mit Flocken untermischt;
der Eiweissgehalt betrug eine mittlere Menge, kein Zucker; der mikro-
skopische Befund zeigte Eiterkörperchen, rothe Blutkörperchen, grosse
Plattenepithelien und mehr rundliche Epithelien, Tripelphosphate, Bac-
terien und Detritusmassen. Einmal wurden wenige, ganz kleine sandige
Concremente herausgespült, die aus phosphorsaurer Ammoniak -Magnesia
bestanden. Dachziegelförmig angeordnete oder geschwänzte Epithelien
wurden bei häufigen Untersuchungen nicht gefunden, desgleichen nie
Cylinder. Eine öftere Färbung auf Tuberkelbacillen und Gonokokken
erg:ab immer ein negatives Besaltat. — Mitte April besserte sich der
Urin im Ganzen etwas, doch hielt dieser Zustand nur etwa 14 Tage an.
Der Dämpfnngsbezirk der Blase war stets klein, eine Schmerz-
hafligkeit derselben bestand nicht, ebenso wenig in beiden Nieren-
gegenden, nur am 10. März wurde eine vorübergehende Empfindlichkeit
der rechten Nieren^egend bei Druck und Percussion constatirt. Der
Urin ging unfreiwillig fort. Die nach der Anamnese auf Hydronephrose
zu scbliessenden Erscheinungen wurden während des Spitalaufentbaltes
nicht beobachtet. An den übrigen Organen zeigten sich keine Ver-
änderungen, namentlich am Herzen ergaben Öftere Percussion und Auscnl-
tation nichts Abnormes. Am 13. und 14. März betrug die abendliche
Temperatur ohne nachweisbare Ursache 88 und 38,2, sonst bestand nie
Fieber. Das Kind hatte im Ganzen guten Appetit, das Gewicht nahm
jedoch allmählich ab. Vierzehn Tage vor dem Tode traten Durcheile
auf, verbunden mit heftigen Schmerzen im ganzen Leibe. Am 21. Mai
erfolgte ohne weitere besondere Erscheinungen der Exitus letalis.
Die Diagnose war im Allgemeinen auf Cystitis und Nephritis aus
unbekannter Ursache — vielleicht Stuprum — gestellt worden, umso-
mehr durfte man gespannt sein, welchen Aufschluss die Obduction
eventuell der mikroskopische Befund bringen würden.
Jahrbvoh f. Kinderheilkimde. N. F. XXXYIU. 25
386 iQeinere MittheiliiDgeiu
Seetion am 22. Mai 1802. Ich hebe ans dem Protokoll nur das
Wichtigste herror. Die Urogenitalorgane wurden im Zusammenhang
herausgenommen. Beide Nebennieren nicht verändert.
Linke Niere 9'/. cm lang, 4 cm breit, 4 cm hoch. Kapsel im
Ganzen leicht abzienbar, nicht verdickt. Die Oberfl&che seigt An-
deutungen fötaler Lappung, ausserdem sind an verschiedenen Stellen
kleine uDregelm&ssige Hervor Wölbungen des (Gewebes von weiss -röth-
lieber Farbe sichtbar, an anderen Steflen bestehen geringe Einsiehungen.
Die Stellulae Verheynii sind deutlich ausgesprochen, die Farbe der
Oberfl&che ist im Gänsen rOthlich-gelb. Die Consistens des Organs
etwas weich. Auf dem Durchschnitt bietet sich eine beträchtliche Er-
weiterung des Nierenbeckens dar, dasselbe ist von graugelblich -schwärz-
licher Färbung und enthält einige kleine sandige Concremente und De-
tritusmassen; die Schleimhaut ist verdickt und vielfach mit kleineren
und grösseren krisseligen und membranähnlichen Auflagerungen bedeckt.
Die NierensubstauE deutlich verschmälert — die breiteste Stelle misst
2,1 cm, die schmälste 1 cm, die Pyramiden abgeflacht und an derSpitse
sum Theil gering zerstört, die CaUces minores in grössere und kleinere
Höhlen verwandelt, die sich mehr oder weniger weit in das Parenchym
hineinerstrecken. Die Rinde im Gänsen verschmälert, die Strichelang
verwischt Auf Durchschnitten sieht tian bäuflg, namentlich in der
Corticalsubstani, gröbere und feinere grau-gelbliche Streifen. Das Ge-
webe am Hilus sehr fettreich.
Der linke Ureter stark erweitert und verdickt, die Schleimhaut von
derselben Farbe und Beschaffenheit wie die des Nierenbeckens. Die
Erweiterung betrifft den ganzen Ureter vom Nierenbecken an bis dicht
über dem Eintritt in die Harnblasenwand; die obere Hälfte ist ein
wenig weiter als die untere und hat ein Lumen von über 1 cm. Die
Einmündungsstelle zur Blase kaum erweitert, mit einer gewöhnlichen
Stricknadel kann man gut hindurch gelangen. Die Verdickung der
unteren Wand ist besonders am Uebergang sum Nierenbecken und zur
Blase auffällig und beträgt an diesen Stellen 0,4 — 0,6 cm, an den
fibrigen Abschnitten durchschnittlich 0,8 cm. Der Uceter hat eine
Länge von 12 Vi cm.
Rechte Niere 9 cm lang, 4 cm breit, 3 cm hoch. Auch hier
zeigen sich dieselben Veränderungen wie links, bald mehr, bald weniger
ausgesprochen ; so ist die Erweiterung des Nierenbeckens etwas geringer,
dagegen besteben etwas grössere Zerstörungen an den Pyramiden und
den Kelchen. An der Spitze der Niere an der unteren Seite hängt die
Kapsel mit der Oberfläche auf Fünfzigpfennigstuckgrösse fest zusammen ;
beim Loslösen reisst das Gewebe ein und es entleert sich graugelb-
licher Eiter aus einer haselnussgrossen Abscesshöhle. Auf dem Durch-
schnitt misst die breiteste Stelle 2 cm, die schmälste 1,1 cm. Auch
hier das Fettgewebe am Hilus stark entwickelt.
Der rechte Ureter von derselben Beschaffenheit wie links, doch
sind die Erweiterung und Verdickung nicht ganz so bedeutend, die
Durchschnittsmaasse betragen für das Lumen 'A cm und för die Wan-
dung 0,2—0,8 cm. Der Uebergang vom Nierenbecken zum Ureter etwas
enger als der Ureter selbst; der Eingang zur Blase ist entschieden ver^
engt, da es nur mit Mühe gelingt eine dünne Stidcnadel hindurchzn-
führen. Der Ureter ist 18 cm lang. Beide Ureteren sind in sehr fett-
reiches Gewebe eingelagert.
Die Blase contiahir^ klein, stark verdickt, von etwas über Wallnusa-
grosse. Die Schleimhaut bietet dasselbe Bild wie dasjenige der Nieren-
becken und Ureteren. Im Innern finden sich 10 g trüben, mit eitrigen
Flocken vermischten Urins. Das Organ ist ebenfalls von reichlichem
Fettgewebe umgeben.
Aus dem Einderapital zu Stettin. 387
Die ürethralschleimhant gewulstet, von gpnabninner F&rbang.
Das Hymen fehlt, die Vagina zeigt eine blaurOthliche Farbe. Üterns
klein, ohne Besonderheit, ebenso beide Tuben und Eierstöcke.
Herz etwas schlaff, Ton normaler Grösse. Elappenapparat überall
intact. Linker Ventrikel gering dilatirt und hypertrophisch. Musku-
latur von etwas heller brauner Farbe, nicht Terminderter Consistenz.
Im üebrigen fanden sich geringe Bronchitis, Stauung von Milz und
Leber und massiger Diokdarmkatarrh.
Mikroskopische Untersuchung.
Aus verschiedenen Stellen beider Nieren, Nierenbecken, üreteren
und der Blase, aus je einer Stelle der Harnröhre, Vagina, Portio und
Corpus uteri, Tuben und Ovarien werden sehr zflJilreiche Schnitte an-
gefertigt und mit Alauncarmin oder Bismarckbraun gef&rbt.
Nieren: Ein kleiner Theil der Schnitte zeigt normales Gewebe,
der grössere dagegen folgende mehr oder minder hochgradige Verände-
rungen. Die Tunica albuginea ist im Allgemeinen deutlich verdickt
und vielfach von erweiterton und mit rothen Blutkörperchen angefüll-
ten GefiUsen durchzogen. Die Corticalsubstanz ist an zahlreichen
Stellen, namentlich im interstitiellen Gewebe, mit Körnchen und Rund-
zellen durchsetzt, die nicht selten kleinere und grössere, hie und da
unter einander zusammenhängende und sich durch stärkere Färbung
auszeichnende Infiltrate bilden. Diese Zellanhäufongen liegen theilweise
in den Harncanälchen und bilden die makroskopisch erwähnten Streifen.
Die Membranae propriae sind oft dicker als gewöhnlich, die Canälchen
verengt, die EpiÜiehen mehr oder weniger atrophisch — oder die Ham-
canälchen sind überhaupt geschwunden; daneben finden sich jedoch
auch normale Canälchen. An anderen Partien der Bindenschicht, auch
längs der Oberfläche, herrscht die Bindegewebseotwickelung vor, na-
mentlich in der Umgebung der G^efässe, jedoch im Ganzen in geringem
Maasse. Das neugebildete Gewebe ersetzt zum Theil völlig das unter-
gegangene Parencnym, zum Theil lässt es in seinen Maschen einige
übrig gebliebene euffe Harncanälchen erkennen. Die Malpighi*schen
Körperchen sind bald normiJ, bald mehr oder minder in Schrumpfung
begriffen, das äussere Blatt der Bowman^schen Capsel ist verdickt; ein-
zelne der Malpighi'schen Körperohen erscheinen als undeutlich con<^
centrisch geschichtete Kugeln.
In der Marksubstanz bestehen die erwähnten Anhäufungen von Leuko-
cyten bedeutend seltener, dagegen finden sich hier sehr viel neugebil-
detes Bindegewebe und ausgedehnte atrophische und in Nekrose be-
griffene Partien des Gewe^s mit Kemverlust, Undeutlichkeit der
Zellcontouren und Zusammensickem der Epithelien zu einer krisseligen
oder homogenen, sehr wenig färbbaren Masse. In dem Bindegewebe
sieht man öfter erhalten gebliebene Harncanälchen, die theilweise,
namentlich die Sammelröhren, erweitert und geschlängelt sind und auf
Durchschnitten unregelmässige Figuren ergeben ; die Cylindere^ithelien
der letzteren, deren Kerne eine tiefe Färbung zeigen, sind in einzelnen
Canälchen im deutlichen Stadium der Wucherung begriffen..
Die Gefässe haben durchschnittlich verdickte Wandungen, besonders
die Venen; eine grössere Vene zeichnet sich durch colossale Wuche-
rung ihrer drei Schichten, hauptsächlich der Muscularis aus.
Nierenbecken: Die Schleimhaut ist im Ganzen verbreitert und
vielfach, bald circumscript, bald diffus mit Enndzellen durchsetzt, da«
Epithel zu Grunde gegangen, die Oberfläche häufig nekrotisch, bie und
da kleine Ulcera. Die Muscularis in ihren beiden Schichten whi breit,
enthält ebenfaUs eingestreute Eundzellen, einsieliie Muskelbünaei schiebesn
26»
388 Kleinere MittbeiluDgen/
sich zwischen das Nierengewebe hinein. Die Faserhant dicker als ge-
wöhnlich.
üreteren: Die drei Schichten zeigen dieselben Ver&Ddemngen
wie beim Nierenbecken, doch ist das Epithel theilweise recht gat er-
halten, deutlich geschichtet and etwas verbreitert, an anderen Stellen
'wiederum ist der grOsste Theil der Schleimhant zu Qrnnde gegangen.
In der Submucosa mehrere grössere Gef&sse mit verdickter Wandung,
bei einigen tritt die Wucherung der Intima deutlich hervor. In der
Muscularis zahlreiche Capillaren.
Blase: Die Schleimhaut bietet dasselbe Bild wie eben beschrieben.
Die Muscularis ist hier ganz besonders hypertrophisch.
Die makroskopisch hervorgehobenen membranähnlichen Auflage-
rungen der Schleimhaut des Nierenbeckens, der Üreteren und der Blase
werden mikroskopisch durch die mehr oder weniger erhaltenen Par-
tien der Mucosa gebildet.
Urethra, Vagina, Uterus, Tuben und Ovarien ergeben keine
Anomalie.
Ausser dieser auf die Gewebsveränderung im Allgemeinen irerich-
teten Untersuchung wird anderen zahlreichen Schnitten aus den Nieren,
Nierenbecken, Üreteren, Blase und Urethra eine sorgföltige Aufmerk-
samkeit zugewandt in Bezug auf folgende Punkte; 1) Bacterien im All-
gemeinen, 2) Tnberkelbacillen, 3) Gonokokken.
1. Färbung nach Gram. Ausser wenigen Fäulnissbacterien finden
sich keine anderen Bacterien durch die Tinction hervorgehoben.
2; Mittelst der Gabbet'schen Färbung gelingt es nicht Tuberkel-
bacillen nachzuweisen; ebensowenig werden
8. mittelst der Gram^schen Methode und Nachf&rbung mit Bismarck-
braun Gonokokken gefonden.
Section und mikroskopischer Befund zeigen das Bild einer schweren
chronischen Entzündung der Harnorgane. Es wird nun darauf an-
kommen, zu entscheiden, von welchem Organ diese Prooesse ihren Aus-
gang genommen haben und auf welcher Grundlage sie beruhen. Da
die anamnestischen Daten nicht einwandsfrei erscheinen, so können
wir nicht allzuviel Gewicht auf dieselben legen, doch lassen sich immer-
hin die Angaben Aber die Art der Entleerung des Urins durch das Ob-
ductionsergebniss erklären. Die mehrere Stunden unter Stichen und
Schmerzen andauernde Anurie mit plötzlichem Abgang grösserer Mengen
trfiben Urins ist auf die Erweiterung der Nierenbecken und der
Üreteren zu beziehen, es haben sich hier grössere Hamquantitäten an-
gesammelt, die dann plötzlich mit ziemlicher Vehemenz dureh die
hypertrophische Muskulatur in die Blase getrieben wurden, und da diese
nur klein war, alsbald in die Urethra gelangten. Hat nun eine pri-
märe Fyelitis bestanden oder sind die Veränderungen der Nierenbecken
und Üreteren Folgezustände anderweitiger Einflüsse? Die erstere Art
ist äusserst selten, die secundäre Pyelitis kommt nach Monti fHand-
bush der Kinderkrankheiten von Gerhardt Band IV, Abth. 8, 8. 426)
durch mannigfache Ursachen zu Stande — durch Hamconoremente, Zer-
setzungen des sich stauenden Urins bei Nieren- und Blasensteinen, fort-
geleitete Entzfindung bei Erkrankungen der Nieren und der Blase, zer-
feilende Geschwülste, Parasiten, allgemeine Krankheitsprooesse (Schar-
lach, Masern, Pocken etc.). Von diesen ätiologischen Momenten kommt
hier nur die fortgeleitete Entzündung bei Krankheiten der Niere oder
der Blase in Frage, da für die anderen sich keine Anhaltspunkte er-
geben. Nun kann man ein ursprüngliches Nierenleiden sicher aus-
Aus dem Einderspital ssa Stettin. 389
Bcbliessen, da Proeease, wie sie in onserem Fall Torliegen — eitrige
interstitielle Nephritis mit üebergang in Schmmpfnng — stets foä-
geleitet and secandärer Natnr sind. Wir müssen mithin den Herd der
ganzen Erkrankung in einer prim&ren Affection der Blase suchen.
Ich denke mir den Hergang folgendermaassen: Es hat ursprüng-
lich ein ürethralkatarrh bestanden und zwar höchst wahrscheinlich auf
gonorrhöischer Basis, wenigstens best&rken mich in dieser Annahme ein-
mal das sich stets gleich bleibende scheue Verhalten des MBdchens,
wenn sie nm den Anfang des Leidens befragt wurde, femer das fehlende
Hymen und drittens der umstand, dass wir sehr bald nach dem Tode
des Kindes dnrch einen Verwandten der Familie darauf hingewiesen
wurden, dass der eigene Vater die Tochter gemissbraucht haben sollte.
Natürlich liess sich bei so lange bestehender Krankheit zu Lebzeiten
ein solcher Zusammenhang nicht mehr nachweisen; in dem alkalischen
Urin konnte man keine Gonokokken mehr erwarten, doch war es ja
nicht undenkbar, dass in den Schleimhautfolten der Blase oder der
ÜT^teren einzelne dieser Mikroorganismen yersteckt gewesen wären, und
aus diesem Grunde erfolgte die bezfigliche mikroskopische Untersuchung
zahlreicher Schnitte, die freilich zu keinem positiren Resultat führte.
— Der Katarrh der Urethra hat sich nach oben auf die Blase fort-
gesetzt nnd eine acnte Cystitis hervorgerufen, die später in einen chro-
nischen Zustand überging mit Hypertrophie der Muskulatur, Zersetzung
des stagnirten Urins und Ulcerationen der Schleimhaut. Dnrch Fort-
schreiten der Entzündung auf Ureteren und Nierenbecken ist es hier
zu denselben Veränderungen gekommen. Der Abfluss des Urins in die
Blase ist dnrch die Entzündung an den Orificien behindert gewesen , in
Folge dessen haben sich die Ureteren und Nierenbecken dilatirt und
endlich hat die Harnstanung Atrophie und Schrumpfungsprocesse der
Nieren zum grössten Theil verursacht: nur ein kleinerer Theil dieser
letzteren Veränderungen ist wohl als Folge der durch die Entzündung
von den Ureteren und Nierenbecken fortgeleiteten interstitiellen eitrigen
Nephritis aufzufassen. Letztere hat nur in einem circumscripten Ab-
schnitt an der Oberfläche der rechten Niere zur Abscessbildung geführt.
Anfihllend bleibt, dass bei Durchmusterung yielfacher Präparate aus
verschiedenen Theilen der Harnorgane nur wenige Fänlnissbacterien
angetroffen wurden.
Drei Pnnkte sind es, die mir in diesem Fall, abgesehen von dem
ursächlichen Moment, besondere interessant erschienen:
1. Die Weite der Ureteren nnd die Verdickung der Wandungen.
Während nach Hoff mann (Lehrbuch der Anatomie des Menschen 2. A.)
bei Erwachsenen das Lnmen der Harnleiter zwischen 0,4 und 0,7 cm
schwankt, so zeigt hier der rechte Ureter ein Lumen von 0,76 cm und
der linke ein solches von etwas über 1 cm. Die Dicke der Wand be-
trägt beim Erwachsenen durchschnittlich 1,67 mm, in unserem Fall
auf der rechten Seite 2 — 8 mm, links sogar bis gegen 6 mm. Wenn
man bedenkt, dass beide Factoren an einem Mädchen von demselben
Alter wie das unsrige mit gesunden Hamorganen gemessen, 0,26 cm
für die Weite und 1 mm für die Dicke betrugen, so sieht man ans
diesen Vergleichungen, welche Anforderungen an die Ureteren unseres
Kindes gestellt worden sind und wie bedeutender Entzündnngs- und
Stauungsreize es bedurft haben muss, um diese veränderten Verhältnisse
zu Wege zu bringen. — Nach Angabe der Autoren differirt die Länge
beider Ureteren meist um einige Centimeter zu Gttnsten des linken, auch
können beide gleich lang sein, höchst selten kommt eine Verlängerung
des rechten vor; diese Anomalie zeigt sich in unserem Fall, indem der
rechter Ureter 18 cm lang ist, der linke nur 12^ cm.
390 Klein. Mittheilnngen. Ans d. Eindenpital zu Stettin.
S. Die Dilatation yon Harncao&lohen in der MarkBubstans der
Nieren. Schnitte aus der Marksabstanz ergeben an vertchiedenen Stellen
Bilder, auf denen man, nmgeben von Bindegewebe, Darchschnitte znm
Theil recht weiter Drüsencanftle, davon einige mit stark aewachertem
Cyliderepithel erblickt. Die Drüsencanäle sind bio und da geschl&n-
gelt, ausgebnchtet und stellen dadurch onregelmässige Figuren dar, so-
dasB man beim oberflächlichen Betrachten unwillkürlich glaubt, eine
Drflsengeschwulst, ein Adenom vor sich zu haben. Sieht man die Prä-
parate genauer an, so merkt man sehr bald, dass man es mit keiner
Geschwulst zu thun hat, da die näheren Attribute fdr ein Nierenadenom
vollkommen fehlen, so die LaffO unter der Nierenkapsel, die Fettinfil-
ration der Zellen und die ^dung einer abschliessenden deutlichen
bindegewebigen Kapsel. Die weiten Drüsencanäle bedeuten nichts an-
deres als die dilatirten Hamcanälchen, insbesondere die Sammelröhren,
deren Epithelien in Wucherung begriffen sind. — Da eine grosse An-
zahl Harncanälchen der Marksubstans zu Grunde gegangen sind und
durch Bindegewebe ersetzt wurden, so begreift man, wie die übrig-
gebliebenen Canälchen yicariirend für diese eingetreten und in Folge
der gesteigerten Ansprüche zu den beschriebenen, immerhin nicht häu-
figen Veränderungen gekommen sind«
8. Die geringe Hypertrophie des linken Ventrikels. Bei so hoch-
gradigen Schrumpfungsprocessen der Nieren und der langen Krankheits-
dauer muss es auffallen, dass das Hers nicht mehr in Mitleidenschaft
gezogen wurde als es thatsächlich der Fall ist Die geringe, bei Leb-
zeiten nicht nachweisbare Hypertrophie des linken Ventrikels lässt sich
nur dadurch erklären, dass einzelne der erhaltenen Glomeiuli und Ham-
canälchen, wie eben erwähnt, die Leistungen der anderen mit über-
nommen haben und so die Ursachen zu einem gesteigerten arteriellen
Druck grÖBstentheils fortgefallen sind. Dass das Herz trotz bedeutender
Nierenveränderungen im Ganzen wenig afficirt werden kann, ist bei
schwächlichen und heruntergekommenen Personen manchmal beobachtet
worden.
Reeensionen.
M. Kaaaowits. VarUsunpen über Kinderkrankheiten im Alter der Zäh-
nung, Leipzig n. Wien 1892. Im Verlage yon Franz Denticke.
Bekanntlich hat früher die Lehre von der Zahnung die ganze
Pathologie des Kindesalters heherracht^ aher auch jetzt noch werden
von mancher Seite verschiedene Krankheiten mit der Dentitio difficilia
in cansale Besiehung gebracht. Daher hat sich in vorliegender Arbeit
der Verf. die Aufgabe geatellt, auf Grund langjähriger Beobachtung
eines grossen Krankenmaterials den Nachweis zu führen, daaa der Den-
titionsprooeaa ein rein phyaiologiacher Vorgang iut und an aich zu gar
keinen Störungen im Befinden des zahnenden Kindes fuhrt.
Zuerst sucht Verf. die Beflextheorie zu widerlegen. Wodurch soll
der Reflex ausgelöst werden? Die Zahnentwickloog kann es nicht sein,
da dieselbe in einem frühen Fötalleben beginnt, während des spätem
Fötallebens und der ganzen zahnlosen Zeit fortdauert.
Vor dem Dnrchbruche dea Zahnes durch die Alveolen findet eine
Resorption der Knochenaubstanz der Alveolarwände statt, und erst, wenn
die Krone des Zahnes den Rand des Alveolus überschritten, geht die
Verengerung der Alveolarmündung durch Apposition nener Knochen-
snbstamz vor eich. Der Durchbruch des Zahnes kann es mithin nicht
sein, welcher den Reflex auslösen sollte. Das Zahnfleisch und die Schleim-
haut desselben atrophirt durch den langsam sich steigernden Druck des
vorrückenden Zahnes, es wird also weder gedrückt noch sezerrt und ist
demnach das Zustandekommen eines Reflexes auf diese Weise für den
Verf. ganz ausgeschlossen.
Für die Unempfindlichkeit des Zahnfleisches gegen Druck sprechen
schon die Angaben der Autoren, dass vorgenommene Incisionen an dem-
selben schmerzlos sind, und dies eben rührt davon her, weil tias Zahn-
fleisch sehr spärlich mit Nerven versehen ist; also würde auch ein
Druck auf diese Theile keinen Reflex hervorbringen.
Fieber während der Zähnung, nur als durch dieselbe bedingt, stellt
Verf. vollständig in Abrede. Dass aber von verschiedener Seite der
Zähnung ein Fieberverlauf, der bald continuirlich , bald intermittirend
oder remittirend sein soll, zugeschrieben wird, beruht für den Verf. auf
einem diagnostischen Irrthum. Pneumonien, und vorzugsweise bei cen-
tralem Sitze, Abdominaltyphoid, Malariaerkianknngen, Otitis media etc.
werden häufig in ihrer wahren Natur verkannt und haben so Anlass zur
Annahme eines Dentitionsfiebers gegeben. £ine Stomatitis dentalis exi-
stirt nicht, da, wo sie vorkommt und nicht artificieller Natur ist, liegt
ihr eine bestimmte Ursache» nämlich eine Infection mit Mikroorganis-
men zu Grunde.
Stillstand oder gar Abnahme des Körpergewichts, um von tro-
phischen Störungen sprechen zu können, macht Verf. durch Torge-
nommene Wägungen zahnender Kinder sehr unwahrscheinlich. Verf.
hat während dieser Periode nicht nur keine Abnahme, sondern viel-
mehr eine glasende Zunahme des Körpergewichts zu verzeichnen gehabt.
Der Zahndnrchbroch erfolgt schmerzlos, von einer Odontalgie ist
keine Rede. Convulsionen als Folge der Zahnung werden geleugnet,
392 Eeoenaioneii.
eine ge wisse Ursache lässt sich fast immer nachweisen. So bedarf es
bei sehr jungen Kindern wegen ihrer grossen Neigung za Krämpfen nur
einer geringen Steigerung der Innentemperator, um Convulsionen hervor-
Eurufen. Daher unterscheidet Verf. Convulsionen febriler und afebriler
Natur, und bei letzterer Form sind die Convulsionen entweder der Aus-
druck einer greUbaren anatomischen Veränderung des Centraineryen -
Systems oder der floriden Rachitis. Die entzflndliche Hyperämie der
ScMdelknochen — für den Verf. ist diese Hyperämie das Wesentliche
bei der rachitischen Knochenerkrankung — übt direct oder indirect
durch Fortsetzung derselben auf die Meningen einen Druck auf die
oberflächlich gelegenen Hirncentra imd ruft so die Convulsionen hervor.
Den Liaryngospasmus führt Verf. auf dieselbe Ursache, nämlich die
Kachitis zurück; werden umbchriebene Stellen am Stirnhim — hier durch
die Hyperämie der Schädelknochen — gereizt, so tritt eine vollständige,
bilaterale Addüctionsstellung der Stimmbänder, also ein Glottisverschluss,
ein. DasB nur die Rachitis die Grundursache der Convulsionen, des
Laryngospasmus, des verspäteten Zahndurchbruchs etc. ist, ist für den
Verf. um so wahrscheinlicher, als eine eingeleitete Phosphorbehandlung,
wodurch ein sklerosirender Process am rachitischen Knochen herbei-
geführt wird, die gesammten Erscheinungen rasch zu beseitigen vermag.
Die Diarrhöen während der Zahnung haben, wie ausserhalb dieser
Periode, eine bestimmte anderweitige Ursache. Entweder wird die
Quantität der genommenen Nahrung überschritten, was bei stillenden
Kindern sich noch häufiger als bei nicht stillenden ereignet, oder die
Qualität der zugeführten Nahrung ist eine fragliche.
Nur die lebenden Keime, nicht aber ihre Stoffwechselproducte , die
sich vorher gebildet haben, künnen durch das Sieden resp. Sterilisation
der Milch vernichtet werden. Dieser Umstand wird wenig berücksich-
tigt^ aber zahlreiche Diarrhöen resultiren daraus. Bei etwas älteren
Kindern handelt es sich um grobe Diätfehler, z. B. Darreichung von
Fleisch, Gemüse etc.
Manche Autoren sprechen auch von einem Zahnhusten und bringen
ihn mit der Zahnung in causale Beziehung. Dagegen spricht 1. dass
der Husten in den ersten Lebensmonaten, wo doch von einem Ein-
flüsse Seitens der Zahnung nicht die Rede sein kann, viel häufiger
auftritt als in den spätem; 2. dass der Husten der Kinder unverkenn-
bar an gewisse Zeitabschnitte gebunden ist. Dadurch und mit Zuhilfe-
nahme eigener Beobachtung und Erfahrung gelangt Verf. zu dem Resul-
tate, „dass alles das, was man als Zahnhusten bezeichnet, nichts An-
deres ist als die Folge einer Schnupfinfection". Hat einmal eine iK)lche
Schnupßnfection stattgefunden, so bleibt sie bei jungen Kindern für ge-
wöhnlich nicht auf die obersten Respirationswege beschränkt, greift viel-
mehr auf den Larynx, die Trachea, feinste Bronchien über und führt,
je nach dem Grade des Reizzustandes, zu einem Husten mit oder ohne
nachweisbare physikalische Erscheinungen Seitens der Respirationswege.
Dass die Zannung auch Hautexantheme hervorzurufen vermag, wird
von keinem erfahrenen Pädiater heutzutage ernstlich behauptet, doch
unterzieht auch dieses Thema der Verf. einer eingehenden Besprechung
und sucht die Unhaltbarkeit der hier und da auftauchenden Behaup-
tung, als stände wirklich ein Hautekzem, Prurigo, Liehen etc. zur Zah-
nung in causaler Beziehung, klar zu legen.
So widerlegt Verf. auf das Entschiedenste Alles, was sich nur an
die Zahnung in Bezug auf ihre ätiologische Bedeutung knüpft. Dadurch,
dass er der Zahnungsperiode gar keine Bedeutung, nicht mal eine Prä>
disposition, nicht mal eine Rückwirkung auf den Organittnus zuerkennt^
begegnet er wohl dem Widerspruche Seitens anderer Pädiater.
■^-♦-p
xn.
Zur Frage der Kinderemaliruiig: „üeber die Verdaulichkeit
der sterilisirten und nichtsterilisirten Hilch'^
(Aus dem thierphysiologischen Laboratorium der königl. land-
wirthscbaftlichen Hochschule.)
Von
Dr. Bebnhard BENDix-BerÜD.
Die Milch der eigenen Mutter ist das natürliche und
zweifellos auch das beste Nahrungsmittel für das Kind. Ist
aber diese natürliche Nahrungsquelle aus irgend welchen
Gründen nicht gegeben, und will die Mutter ihre Zuflucht
nicht zu einer Amme nehmen, ein Ausweg, der oft, wie jüngst
erst Häuser^) wieder hervorgehoben hat, mit vielen ünzuträg-
lichkeiten verknüpft ist, so halten wir für den besten und
jedenfalls für das Gros der Bevölkerung in Betracht kommen-
den Ersatz der Muttermilch die künstliche Ernährung des
Kindes mittelst Eubmilch.
Es besteht indessen, abgesehen von den Ungleichheiten
chemischer Natur, ein eminent wichtiger Unterschied zwischen
Muttermilch und Kuhmilch darin, dass die erstere keimfrei
ist und zwar hauptsächlich deshalb, weil sie vom Säugling
direct von der Mutterbrust, ohne erst mit der stets keim-
haltigen Luft in Contact zu kommen, abgesogen wird, während
die Letztere durch Gährungserreger, Zersetzungsproducte und
Mikroorganismen, die theils von der Luft, theils von dem
Schmutz der Umgebung herstammen, stark verunreinigt ist,
und oft selbst pathogene Bacterien (Perlsucht, Maul- und Klauen-
seuche, Cholera, Tuberculose etc.) enthält*).
1) 0. üauser, Eine neue Methode der SS^aglingser näh rang. Berl.
klin. Wochenschrift XXX. Jahrg. 1898. Nr. 33. S. 797.
*) Selbst bei der grössten Sauberkeit und Vorsicht, wie oie heute
in einigen Molkereien Berlins und anderer grossen Städte geübt wird,
in denen die Euter der Kühe und die Hände der Melker vor dem
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. XXXVni. 26
394 B. Bendix:
Diesen Nachtheil , der der Kuhmilch im Vergleich zur
Frauenmilch anhaftet, müssen wir durch eine passende Be-
handlung auszugleichen suchen.
Wir erreichen die Vernichtung der Keime in der Milch
am besten durch Einwirkung der Hitze auf dieselben, nnd
wenden wir diese entweder nach dem Princip des ,,Pa8teuri-
sirens'' oder des ,,SteriIisirens'* an.
' Beide Methoden unterscheiden sich vor Allem durch die
Höhe der angewandten Temperatur, indem man beim Pasteu-
risiren Hitzegrade von 70 — 75® C. ca. 30 Minuten und beim
Sterilisiren Hitzegrade von 100—102® (—120®) C. ca. % bis
1 Stunde einwirken lässt.
Wenngleich die letzte Methode allgemeine Verwerthung
findet, so wird doch auch die erste von mancher Seite warm
empfohlen, so dass Bitter^) z. B. die ausschliessliche Durch-
führung des Pasteurisirens und zwar in der von ihm ver-
besserten Form im Gegensatz zur Sterilisation für dringend
wünschenswerth erachtet.
Vor ihm hatte man nach dem Vorgang von Pasteur^),
nach welchem das Verfahren seinen Namen hat^ und von
dem es ursprünglich im Jahre 1868 zur Verhütung der Nach-
gährungen im Wein und zur Tödtung der Pilze in demselben
mit einem Hitzegrad von 55® C. eingeführt war, die Milch in
besonders für diesen Zweck construirten Pasteurisirapparaten
— ich erwähne als den brauchbarsten den ThieTschen —
schnell auf ca. 70® C. (60—80® C.) erwärmt und dann sofort
wieder auf 8® C. abgekühlt.
Man verfuhr so in der Meinung, dass, entsprechend den
Erfahrungen Pasteur's beim Wein, hierdurch auch in der
Milch alle Gährungserreger und Bacterien sicher abgetödtet
Melken gewaschen, der Stall aufs Sorgfältigste gelüftet nnd gereinigt
wird, die Milcbgef&sse , welche mit einem übergreifenden Deckel ver-
sehen sind , vor dem Gebrauch mit heissem Wasser ausgespült werden,
bleibt eine Verunreinigung der Milch sonst gesunder Kühe durch Ein-
wandern von Pilzen in die Milchgänge unvermeidlich.
Diese bacterielle Verunreinigung wird noch gesteigert durch die
Keime, die aus der atmosphärischen Luft in die Milch beim Einlaufen
derselben in die Milchgefässe hineingelangen.
Vollkommen steril ist nach Bumm und in üebereinstimmung mit
diesem nach Neumann (Virchow's Archiv Bd. 126) auch die Frauen-
milch nicht, indessen ist die Menge der Keime, die von Aussen in die
Brustdrüse eingewandert sind, so gering und ausserdem nur in den su-
erst entleerten Mengen der vollen Brust vorhanden, dass sie weder eine
nachweisbare Zersetzung der Milch, noch eine Schädigung des Säug-
lings hervorrufen.
1) H. Bitter, Versuche über das Pasteurisiren der Milch. Zeit-
schrift f. Hygiene 1890. Bd. 8. S. 840—286.
2) Pasteur, ^tudes sur le vinaigre etc. Paris 1868.
Ueber d. Verdaulichkeit d. sterilisirten u. nichtbterilisirten Milch. 395
wQrdeiL Bitter^) bewies jedoch^ dass die Leistungen der
bisherigen Pasteurisirapparate, was Keimfreiheit der Milch
anbetrifft, vollkommen Ungenügendes leisteten^ und zwar haupt-
sächlich aus dem Grunde, weil es nicht möglich war, in ihnen
die Milch schnell auf beliebige Temperatur zu erwärmen und
sie dann beliebig lange genau auf dieser Temperatur zu er-
halten. Zugleich erblickte er in der eventuellen Reinfection
auf dem Kühler und den Transportapparaten einen grossen
Mangel. Diesen Unzulänglichkeiten der früheren Methoden
ging Bitter durch Verwendung des von Seidensticker an-
gegebenen Apparates aus dem Wege, mit dem man in der
That im Stande ist, grosse Quantitäten von Milch gleich-
massig auf 75^ C. zu erhitzen und 30 Minuten oder länger
auf dieser Temperatur zu erhalten und sie dann plötzlich auf
10 — 12^ C. abzukühlen. Wenngleich auch durch diese ver-
besserte Art des Pasteurisirens sicher nur die pathogenen
Mikroorganismen y dagegen von den anderen Bacterien sicher
nicht die Sporen, und von ihnen selbst nur ein kleiner Theil
abgetodtet wird, so wird doch die Zähl derselben immerhin
so vermindert, dass die Methode, wie Bitter meint, wo es
sich darum handelt, Milch fttr eine kurze Dauer (ca. 1 — 3 Tage)
zu conserviren, als geeignet zu empfehlen ist Bei den von
Bitter^) angestellten Versuchen waren die Keime in der
Milch unmittelbar nach dem Verlassen des Pasteurisirappa-
rata von 26000 — 100000 pro ccm auf 0 — 40 pro ccm ge-
sunken; die Haltbarkeit war beim Aufbewahren der Proben
bei 35^ C. um einige Stunden, bei 22^ C. um 20 Stunden
und bei 15® C. um 50 — 70 Stunden gegenüber der rohen
Milch verlängert.
Beim Sterilisiren wird nach dem Soxhlet'schen Princip')
die Milch in mit Gummischeiben verschlossenen Flaschen,
welche gerade das Quantum einer Mahlzeit (150 — 200 ccm)
enthalten, 45 Minuten bis 1 Stunde lang im siedenden Wasser-
bade durchgekocht. Darauf werden die mit Milch gefüllten
Flaschen bis zum Gebrauch verschlossen gehalten, wobei dann
der Gummiverschluss entfernt und durch ein gut gereinigtes
Saughütchen ersetzt wird. Eine derartig zubereitete Milch
bleibt bei 35® C. im Brutofen 30 Tage, bei niederer Tem-
peratur 2 Monate und darüber unzersetzt. In ihr sind fast
sämmtlicbe Keime, sowohl die pathogenen Mikroorganismen, als
auch ein grosser Theil der eigentlichen saprophytischen Bac-
1) Bitter 1. c. S. 267.
2) Bitter, Zeitschrift f. Hygiene 1890. S. 272. Tab. II.
8) F. Soxhiet, Münch. med. Wochenschr. 1886. Nr. 16 u. 16:
Ueber Kindermilch nnd Sänglingaernahrung. ibid. 1891. Nr. 19 u. 20:
£in verbessertes Verfahren der Milchsterilisirang.
26*
396 B. Bendix:
ierien zerstört , ausser dem bacillus fluoresceDS liquefaciens,
dem Vibrio des Eäsestoffes, dem bacillus subtilis und dem
bacillus amylobacter. Diese werden erst unter hohem Dampf-
druck bei einer Temperatur von 105—106® C. abgetödtet*).
Ganz genaue Angaben, durch welche altes zum Theil bestätigt^
zum Theil berichtigt wird, finden wir darüber in einer wäh-
rend des Druckes dieses erschienenen Arbeit von Flügge^).
Das Soxhlet'sche Verfahren verhütet aber auch zugleich das
Ilineingelangen von Bacterien in die Milch nach dem Auf-
kochen. Soxhlet macht ausserdem darauf aufmerksam, dass
nicht jede Milch gleich leicht zu sterilisiren sei, sondern dass oft
die eine einen höheren Hitzegrad bis zur Erzielung der voll-
kommenen Eeimfreiheit beanspruche, als die andere. Es sei
daher richtig, sich eine, wie er sie nennt, „leicht sterilisir-
bare'' Milch zu verschaffen und zur Sterilisation zu verwerthen.
Diese Soxhlet'sche Erfahrung wird von anderen Autoren und von
vielen Molkereibesitzem bestätigt; und nehmen die meisten an,
dass die leichtere oder schwerere Sterilisirbarkeit der Milch im
Zusammenhang mit dep Fütterung der Kühe stehe, je nach-
dem Trocken- oder Grünfutter gefüttert wird. So schreibt
Flügge*) darüber: „Im Winter bei Trockenfutter verunrei-
nigen sich die Kühe weniger, und eine Reinhaltung der Euter
während des Melkens ist leichter als während der Grünfutter-
periode, wo die meisten Thiere häufige und dünnfiüssige Ent-
leerungen haben. Ausserdem sind die Excremente in der
letzteren Periode erheblich reichlicher an Sporen, weil diese
in ungleich grosserer Zahl mit dem frischen Futter eingeführt
werden; an diesem haften Massen von fertigen, unfertigen und
in Keimung begriffenen Sporen, während im Trockenfutter
die nicht fertig ausgebildeten oder im Anfang der Keimung
befindlichen Sporen durch Austrocknen zu Grunde gegangen
sind."
Und nach Soxhlet^) begünstigen „Futtermittel, welche
häufige Entleerungen eines dünnen Koths hervorrufen, selbst-
redend die Verunreinigung der Milch, indem sie die Rein-
haltung der Thiere erschweren. Dahin gehören z. B. saure
Schlempe, Rübenblätter, Rübenschnitzel. Femer machen z. B.
die in der Kartoffelschlempe hitzebeständigen Kartoffelbacillen
die Milch zu abnormen Gährungen geeignet; der Heustaub
ruft eine ähnliche Verschlechterung der Milch hervor".
1) yinay-Lyon, üeber fiterilisirte Milch und deren Nährwerth für
Säuglinge. Lyon Medical Jnli 1891. Bef. Jahrbach f. Einderheilknnde
Bd. XXXV. 1898. S. 888.
2) Flagge, Zeitschrift f. Hygiene 1894. Bd. 17. 8) Ibid.
4) Soxhlet, Mfinch. Med. Wochenbl. 1891. Nr. 19 u. 20.
üeber d. Verdaulichkeit d. sterilisirien u. nichtsterilisirten Milch. 397
Auerbach^) bekam Dach Zusatz von frischem Oras und
Heu zu sterilisirter Milch stets Buttersäure^hruDg, dagegen
nach Zusatz von 6 Wochen altem Heu nicht mehr, sodass
die betreffenden Erreger durch Austrocknen binnen 6 Wochen
abzusterben scheinen. Bei Kühen traten nach dem Ueber-
gang zu GrQnfutter zunächst" für 2 — 3 Tage Diarrhöen ein,
und die dann gewonnene Milch war besonders zu Buttersäure-
gahruDg disponirt. ^^AUerdings ist damit nur ein Zusammen-
hang zwischen Fütterung der Kühe und dem Auftreten ge-
wisser Gährungserreger in der Milch nachzuweisen; ob diese
irgend etwas mit den Darmkrankheiten der Säuglinge zu thun
haben, das muss vorläufig dahin gestellt bleiben/^
So sehr auch die Soxhlet'sche Methode filr den Haushalt
im Kleinen zu empfehlen ist, so wird sie doch immer nur Kin-
dern etwas besser gestellter Familien zu Gute kommen können.
Die Gründe dafür liegen sehr nahe, weil der ganze Apparat für
eine arme Familie einigermassen kostspielig, und die Säube-
rung der Flaschen zu zeitraubend ist; selbst in besser situirten
Familien ist eine gewissenhafte Durchführung aller nothwen-
digen Vorschriften nicht immer durchzusetzen. Man musste
daher daran denken, dem grossen Publicum die Gelegenheit
zu geben, stets keimfreie Milch möglichst billig zur Hand zu
haben In Wien hat somit Hochsinger') zu diesem Zweck
den Soxhlet'schen Milchkochapparat in's Grosse übertragen,
allerdings mit der Modification, dass er die Milch in einem
Dampfkochtopf 40 Minuten bis auf 120 ^ C. erhitzt erhält
wodurch er eine Milch gewinnt, die thatsächlich frei ist von
allen pathogenen Bacterien und sämmtlichen Gährungs- und
Zersetzungserregern. In ähnlicher Weise werden in Berlin in
dem Apparat von Neuhaus, Gronwald und Oehlmann 240
Flaschen auf einmal durch auf 120^ C. erhitzten Wasserdampf
25 — 30 Min. lang sterilisiri Diese durch hohen Dampfdruck er-
reichte vollkommene Sterilisation, die immerhin nur durch kost-
spielige Apparate erreicht werden kann, ist in den meisten
grösseren Sfödten ersetzt durch die einfache Sterilisation durch
längeres Erhitzen auf 100^ G., eine Methode, die leichter durch-
zuführen ist und sich bedeutend billiger stellt. So sterilisiren die
Anstalten in Leipzig, Dresden, Frankfurt a/M. die Milch in einer
Temperatur von 100^ C. oder etwas höher; in München wird
die Milch in der von Eseherich ins Leben gerufenen Sterili-
sationsanstalt eine Stunde im Dampfstrom erhitzt In Berlin
1) Auerbach, Berliner klin. Wochenschr. 1893. Nr. 14.
2) Hochsinger, lieber SAugliDgeemährang mit keimfreier Milch
und eine MilchBteriliürungsanstfilt nach Soxhlet'schen Principien. Wien
1889.
398 B. Bendix:
wird diese Art der Sterilisation in grossem Umfange in den
Musteranstalten von Grub, Bolle, Hellersdorf und Hart-
mann angewendet, um die Stadt mit guter und für die Säug-
lingsemährung genügend keimfreier Milch zu versorgen. Die
Hohe der Temperatur und die Dauer der Einwirkung der
Hitze bei diesem Verfahren variirt in den einzelnen Anstalten.
Da indessen nirgends unter 100^ C. Hitze angewendet werden^
wobei nach dem heutigen Stand der Wissenschaft die patho-
genen Bacterien resp. Sporen und fast alle Gährungs- und
Zersetzungserreger allerdings bei Resistenz eines Theils ihrer
Sporen abgetödtet werden^ so haben wir hierin bei Beobach-
tung gewisser nicht ausser Acht zu lassenden Yorsichtsmaass-
regeln die Garantie für eine genügend gute Säuglingsmilch.
Meistentheils wird sogar die Sterilisationstemperatur etwas
höher gewählt als Soxhlet's Vorschlag ist. In der Bolle-
sehen, in der Hellersdorfer und Hartmann'schen Meierei zu
Berlin z. B., deren Milch ich bei meinen Versuchen verwer-
thete, beträgt sie 102^ C, auch die Zeit, die für die Sterili-
sation angewendet wird, währt meist länger als beim Soxhlet-
princip, bei Bolle % Stunden^), bei Hartmann und Hellers-
dorf ca. 40 Minuten.
In einem während der Correctur meiner Arbeit erschie-
nenen Aufsatze von Flügge^ sucht derselbe an der Hand
eingehender Untersuchungen über die Bacterien der Milch
nachzuweisen, dass die in den Grossmolkereien nach den ge-
wohnlichen Sterilisirungsmethoden von 100 — 102^ C. conser-
virte und bisweilen unter der Flagge „keimfreie Dauermilch^'
in den Handel gebrachte Säuglingsmilch diesen Namen ent-
schieden mit Unrecht führt; und ,,dass eine derartig angeprie-
sene Milch, dadurch, dass die Mütter, in dem festen Glauben
an die vollkommene Keimfreiheit derselben, jede weitere Vor-
sicht ausser Acht Hessen, den Kindern direct gefahrbringend
werden könne'^ Die Beobachtungen Flügge's scheinen mir
deshalb sehr erwähnenswerth , weil ich für meine sämmt-
liehen Versuche ausnahmslos Milch verwendet habe, die mit-
telst der einfachen Methode im Dampfstrom von 102^0. steril
gemacht worden war.
Flügge's Resultate sind nun, was die Bacterien der
Milch anbetrifft, in Kurzem folgende:
Einmal bestätigt er durch seine Forschungen die be-
1) P. Schupp an, Die Bacteriologie in ihrer Beziehung zur Mitch-
wirthBchaft. Centralblatt für Bacteriologie und Parasitenkunde 1893.
Bd. Xm. Nr. 16 u. 17.
2) Flügge -Breslau, Die Aufgaben und Leistungen der Milchsterili-
sation gegenüber den Darmkrankheiten der Säuglinge. Zeitsohr. für
Hygiene 1894. Bd. 17.
Ueber d. Yerdanlichkeit d. sterilisirten n. nichtgterilisirten Milch. 399
kaunte Thatsache, dass die eigentlichen pathogenen, für die
menschlichen Infecidonskrankheiten in Betracht kommenden
Mikroorganismen, sowohl die in der Milch seuchenkranker
Euhe a priori vorhandenen (wie die der Perlsacht, Maul- und
Klauenseuche), wie auch die der Milch erst secundär durch
die Berührung mit der Luft mitgetheilten (von Cholera, Tuber-
culose, Typhus ; Diphtheritis) schon bei Temperaturen von
ca. 70^ C. abgetödtet werden. Von den Saprophyten gehen
alle Milch säurebacterien, Proteusarten, die meisten Bacterien
coli durch Temperaturen von 90 — 95^ C. sicher zu Grunde. Die
übrigen classificirt er in anaerobe, unter denen er die ver-
schiedenen Butyricusarten beschreibt, und in aerobe Bacterien.
Erstere sind die, welche früher meist als Buttersäureerreger
beschrieben worden sind, während letztere wohl identisch sind
mit den schon von Anderen angeführten „Bacterien der bit-
teren Milch" (Hueppe, Loeffler, Duclaux).
Von diesen Saprophyten wusste man schon im Allgemeinen,
was Flügge jetzt für die einzelnen Formen im Speciellen
präcisirt hat, dass alle durch die gewöhnliche Sterilisation
nicht zu Grunde gehen, sondern dass ihre Zahl nur auf ein
Minimum reducirt wird, und ein Theil ihrer Sporen erhalten
bleibt (cf. S. 395) ; indessen hat man sie bisher für den kind-
lichen Darm für ziemlich unschuldig gehalten.
Von den Anaeroben glaubt auch Fl. noch, „dass dieselben,
wenn sie auch nicht ganz harmlos zu nennen sind, doch kein
ätiologisches Moment zur Erzeugung von Darmkrankheiten
zu liefern scheinen. Dagegen sieht er in einer durch die
aeroben Bacterien verunreinigten Milch grosse Gefahren für
die Ernährung des Säuglings. Den Charakter erkannt und
die Gefahren beim Vorhandensein derselben in der Milch be-
tont zu haben, ist das unzweifelhafte Verdienst Flügge's.
Nach ihm sind diese Bacterien durch folgende Eigenschaften
ausgezeichnet. Da ihr Vorkommen weit verbreitet ist (im
Kuhkoth, Heu-, Stall-, Strassenstaub), so finden sie sieb in
jeder rohen Milch. Ihre Sporen sind resistent gegen Tem-
peraturen von 100— 102^ C. und gelangen schon nach einigen
Tagen beim Eintritt leicht gegebener Bedingungen, nämlich
bei Temperaturen von über 22 — 25^ C, zur Entwickelung.
Sind sie in grösserer Menge vorhanden (also nach einigen
Tagen der Entwickelung 7.-14. Tag), so zersetzen sie das
Casein der Milch und verwandeln dieselbe in eine &erumähn-
liche Flüssigkeit, in eine sogenannte Peptonlösung; man be-
zeichnet diese Fähigkeit als ihr Peptonisirungsvermögen und
die Bacterien werden daher auch „peptonisirende^' genannt.
Die Milch nimmt durch diesen Process einen bitteren Ge-
schmack an. Zugleich entwickelt sich meist noch eine Lab-
400 B. Bendix:
production, durch dessen Anwesenheit beim Erwärmen das
noch restirende Gasem in ein dickflockiges Gerinnsel ver-
wandelt wird.
In der Combination alF dieser^ den Aeroben zukommen-
den Eigenschaften sieht Flügge, und wohl mit Recht, Fac-
toren, ;,wie sie für die Erregung von Darmkrankheiten recht
geeignet zu sein scheinen^. Dass Peptonnahrung (Albumose
4- echtes Pepton) fQr den thierischen Darm nicht gleichgiltig
ist, wissen wir aus den Untersuchungen von Zuntz^), Munk^),
Pfeiffei:^) und Neumeister^), die nachgewiesen haben, dass
nach längerer Darreichung Ton Peptonpräparaten eine heftige
Darmreizung hervorgerufen wird, die sich klinisch durch ziem-
lich dünnbreiige bis diarrhöische Stühle zu erkennen giebt.
Dieselbe Wirkung nimmt Flügge auch für die peptonisirende
Milch, die übrigens in ihren Anfangsstadien fQr den Laien
ein kaum verändertes Aussehen gegenüber der rohen zeigt, —
auch die Geschmacksyeränderung ist nicht immer gleich
vorhanden, in Anspruch und weist bei dreien der peptoni-
sirenden Bacterien mit Bestimmtheit eine Toxinbildung nach.
Wenigstens erkranken Mäuse und Kaninchen mit Reinculturen
injicirt, an profusen Diarrhöen, die bisweilen zum Tode führen.
Fl. hält nach alledem eine durch diese Bacterien verun-
reinigte und nach kurzer Zeit echtes Pepton (Eühne'sches)
liefernde Milch für die Säuglingsernährung entschieden für
bedenklich, und im Hinblick auf die toxinbildende Eigen-
schaft einiger Bacterien unter ihnen direct für gefährlich.
Und nach diesen Explicationen scheint es in der That zweifel-
los zu sein, dass eine derartige Milch, die zuweilen falschlich
unter dem Namen Dauermilch verkauft worden ist, eine solche
im eigentlichen Sinne des Wortes, eine „unbegrenzte Zeit halt-
bare und ohne Schaden die Tropen passirende^ nicht gewesen
ist, indessen scheint uns trotzdem die Forderung Flügge's,
die bis heute geübten, sogenannten einfachen Sterilisations-
methoden als vollkommen unbrauchbar zu verwerfen und die
mit ihnen gewonnene Milch als den Säugling schädigend er-
klären zu müssen, zu weit zu gehen. Wir stehen vielmehr
nicht an 9 zu hehaupten^ dass die bisher geübten Methoden der
Herstellung sterillslrter Hileh unter gewissen Cantelen voll*
Itommen ausreichend sind, wenngleich auch wir zugeben wollen,
dass bei einem Verfahren, welches mit so vielen Com-
1) Zuntz, Archiv fflr ges. Physiologie XXXYIL
2) J. Munk, Therapeut Monatah. 1888; Deatsche Med. Wochen-
aobrift 1888.
8) Pfeiffer, Berliner klio. Wochenschr. 1888.
4) Neumeister, Lehrbuch d. phjsiolog. Chemie 1892. S. 249;
Deutsch, med. Wochenschr. 1893.
Ueber d« Verdaulichkeit d. steriliBirten u. nichtsterilisirten Milcli. 401
plicationen zu kämpfen hat; gewiss noch manche Verbesserung
angebracht sein mag; und jedes zu diesem Zwecke vorgeschla-
gene Mittel ist mit Freude zu begrüssen.
Flügge selbst giebt zu, dass es ausser den beiden be-
kannten sicheren Wegen, um alle Bacterien der Milch zu
todten, der discontinuirlichen Einwirkung von Dampf von 100^
oder des Erhitzens von gespanntem Dampf von 120^ C. und
mehr noch ein drittes Mittel giebt, um völlig sterile Milch
zu erzielen. ^^Richtet man nämlich die Euhställe so ein, dass
sie meist vollständig gereinigt werden können, sorgt man für
stete Entfernung allen Schmutzes und für das Vermeiden von
Staub, wird das ganze Jahr Trockenfutter gereicht, und zwar
nach vorheriger Anfeuchtung, damit das Stauben vermieden
wird, lässt man vor jedem Melken die Eater der Kuh sorg-
faltig abwaschen (ebenso die Hände der Melker, mochte ich
hinzufügen), den Schwanz festbinden; lässt man ferner die
erste Milch portion, welche aus den mit Bacterien durch-
wucherten Milchgängen stammt, wegfliessen, beseitigt man
den etwa noch vorhandenen Milchschmutz durch Centrifugiren
und sorgt dafür, dass die Milchgefässe stets mit kochender
Sodalosung gereinigt werden, — dann ist die Milch meistens
leicht sterilisirbar, und ein einstündiges Erhitzen von Dampf
in 100° C. genügt, um totale Sterilisation zu erzielen/' (Siehe
Flügge 311.)
Nach diesem von Fl. als Reform vorgeschlagenen Regime
bemüht man sich in Berlin (z. B. bei Grub u. Hellersdorf)
und sicher auch in anderen Städten in den grosseren Sterili-
sationsanstalten zu arbeiten (cf. auch S. 393 dieser Arbeit),
um durch Verbesserungen in der Handhabung aller zur Me-
thode gehörigen Mittel mit Ausschaltung der vielen kleinen
Mängel und Fehler eine absolute Sterilisation zu erzeugen.
Und wir sind der Ansicht , dass, je mehr das Princip der
penibelsten Sauberkeit in den Anstalten durchgeführt wird,
um so leichter die Milch zu sterilisiren sein wird, um so
eher wird sie die Forderungen, die man an eine keimfreie
Dauermilch stellen muss, erfüllen.
Auf der anderen Seite haben wir für ge wohnlich, was
auch Flügge zugeben muss, absolut sterile Milch nicht
einmal nöthig; und kann eine Milch, in der noch eine ge-
ringe Zahl von Sporen vorhanden ist, dem Säugling nach
praktischen Erfahrungen ohne jede Gefahr als Nahrung ver-
abreicht werden, wenn auf zwei, allerdings sehr wichtige Punkte
Acht gegeben wird. Entweder muss eine derartige, nur relativ
vollkommen sterile, Milch innerhalb 12 Stunden aufgebraucht
werden, damit die zurückgebliebenen Sporen keine Zeit zur
Keimung haben. Dies geschieht meist in den Fällen, wo die
402 B. Bendix:
Milch gleich nach der Sterilisation frisch an die Kinder für
den Tagesgebrauch abgegeben wird; sollten übrigens in der
That Sterilisationsanstalten existiren, wo, wie mir eine Autori-
tät auf dem Gebiete der Kinderheilkunde mündlich mittheilte,
die Milch nach der Sterilisation bis zum definitiven Verkauf
noch 1--3 Tage zur Beobachtung in ziemlich warmer Tem-
peratur aufbewahrt wird, so wäre dies nach den allgemein
übereinstimmenden Erfahrungen in der That für die Säuglings*
nahrung geradezu gelFahrlich, und müsste hier sofort Abhilfe
geschafft werden. Oder die zweite Vorsichtsmassregel ist die,
dass die Milch vom Momente der Sterilisation an bis zum
Gebrauch kühl gehalten wird in Temperaturen unter 20^0.,
sodass den etwa vorhandenen Keimen und Sporen die fQr
ihre Entwickelung nothwendige Bedingung der höheren Tem-
peratur (von 24 — 54^ C.) fehlt. Sowohl das schnelle Auf-
brauchen der Milch als auch das Kühlhalten derselben (auf
Eis oder im Keller) durch niedere Temperaturen sind Schutz-
vorschriften, die in jedem Haushalt erzielt werden können
und in allen besseren Hausständen schon immer geübt worden
sind. Natürlich wird dabei vorausgesetzt, dass die Milch,
nach der Sterilisation bis zur Ablieferung, in den Anstalten
selbst und auf dem Transport kühl gehalten wird; dies wird
meist erzielt durch Aufbewahrung in kühlen Kammern, wo,
wie ich mich überzeugen konnte, Temperaturen sicherlich unter
15^ C, bisweilen auch unter 10^ C. vorliegen, ausserdem
durch Eiskühler in Transportwagen (Bolle-Berlin). Eine
unserer grossten Anstalten in Berlin wird, wie mir mitgetheilt
wurde, in allernächster Zeit noch besondere Kühlapparate in
den Aufbewahrungsräumen anlegen lassen, um die sterilisirte
Milch dort bis zum Transport in noch niedrigeren Tem-
peraturen als 10^ C. aufzubewahren.
Zum Schluss möchte ich noch anführen, dass der Beob-
achtung Flügge's, dass seit Einführung der sterilisirten Milch
keine merkliche Abnahme der Darmkrankheiten der Säuglinge
stattgefunden habe, eine ganze Reihe guter Beobachter, Leiter
grosser Kinderspitäler und viel beschäftigter Aerzte, gegenüber
stehen, die die Erfahrung gemacht haben, dass seit dieser
Zeit die Darmerkrankungen an Zahl und Intensität geringer
geworden sind, ja dass man dieselben sogar nach Darreichung
von sterilisirter Milch zum Aufhören bringen konnte. Wenn
wir nun nach unseren Erfahrungen die einfach sterilisirte
Milch für die Säuglingsernährung nicht zu perhorresciren
brauchen, so vertritt Flügge seinerseits darin entschieden
einen berechtigten Standpunkt, dass es noth wendig sei, der
relativ . sterilen Milch die falsche Etiquette der „keimfreien
Dauermilch*' abzureissen und das Publikum durch kurzgefasste
Ueber d. Verdaalichkeit d. sterilifiirten u. nichtsteriliairteu Milch. 403
Yorschriften darauf aufmerksam zu machen , wie die bei
102^ C. sterilisirte Milch im Hause zu behandeln ist.
Im Uebrigen halte ich es durchaus nicht für undarch-
fQhrbar, auch für den Grossbetrieb durch fractionirtes
Sterilisiren bei 102^ G. mit nicht zu grossen Kosten
eine absolut sterile Dauermilch zu erzeugen.
Bei dem zweiten sicheren Mittel , zur Erzielung einer
vollkommenen Sterilisation, bei Anwenden des Dampfstroms
von 120^ C, muss erst nachgewiesen werden, dass die hohen
Temperaturen der Verdaulichkeit der Milch keinen Einhalt thun.
Wenn Soxhlet in der früher citirten Arbeit sehr dringlich
vor höheren Hitzegraden als 100^ C. warnt, so thut er dies
in der Meinung, dass durch die erhöhte Temperatur und zu-
gleich durch die verlängerte Einwirkung derselben andere
wichtige Eigenschaften der Kuhmilch, die ebenso sehr als die
Keimfreiheit den Werth der Milch als Ersatzmittel der natür-
lichen Säuglingsnahrung bedingen, geschädigt werden.
Der Gedanke, dass die Kuhmilch durch ein so energisches
Verfahren wie das der Sterilisation Veränderungen erleiden
könnte, die sie minderwerthig macht, liegt nahe, wenn man
auf einige Erscheinungen, die die Milch nach der Sterilisation
zeigt, acht giebt. Wir beobachten nämlich, dass der Ge-
schmack und die Farbe der Milch durch die Sterilisation
sich verändern. Das Aroma der rohen Milch geht durch die
Sterilisation verloren, und sie nimmt dafür den bekannten,
etwas bitteren Geschmack der lange gekochten Milch an, und
die weisse Farbe ändert sich, wohl durch die theil weise
Karamelisirung des Milchzuckers, in eine gelbliche bis bräun-
liche Verfärbung um. Die Geschmacksveränderung tritt, wie
Duclaux^) behauptet, schon bei 70^ C. plötzlich ein. Da
indessen Geruchs- und Geschmacksemptindungen beim Säug-
linge und jungen Kinde noch zu wenig entwickelt sind, so
kommen diese Veränderungen der Milch wohl kaum in Betracht.
Auffallender und gewichtiger erscheint die Beobachtung,
dass sich auf der Oberfläche von Milch, die durch Erhitzen
über 100^ C. oder durch längeres Erjytzen bis 100® C. steril
gemacht worden ist, wenn man sie längere Zeit ruhig stehen
lässt, eine feste Fettschicht als Rahm bildet, der sich durch
heftiges Schütteln nur schwer wieder auseinanderreissen lässt
und dann in grosse und grobe Klumpen zerfällt. Dagegen
bildet sich bei roher oder einmal aufgekochter Milch beim
Kühlstehen ein lockerer Rahm, der sich durch Schütteln
wieder in feine Partikelchen in der Milch auflöst. Jene schon
für das blosse Auge zu Tage tretende Erscheinung ist der
1) Duclaax, Annal. de Tinst. Pasteur. 1888. Tit. 111. p. 36.
404 B. Bendü:
Ausdruck fOr die Veränderung des EmulaionazustandeB des
Milchfettes , welche dasselbe durcli die Sterilisation erfahrt.
Dieser makroskopische Befund wird durch das mikroakO'
pische Bild bestätigt, indem bei der rohen, respective auf-
gekochten Milch sich die Fettkflgelchen fein vertbeilt als
kleine helle Tropfen in der Milch finden (a. Fig. 1), dagegen
zeigen sich in der sterilisirten Milch neben vereinzelten hellen
Fettkügelchen hauptsächlich zu gröseeren und gröberen Klumpen
verschmolzene Haufen derselben (s. Fig. 2). Herr Dr. Engel
war 80 liebenswürdig, die Photogramme herzustellen, wofflr
ich ihm au dieser Stelle meinen Dank ausspreche.
Diese so in die Augen springende Veräuderung der Kuh-
milch durch die Sterilisation rief bei vielen Autoren die gewiss
berechtigte Vorstellung hervor, ob nicht durch eine derartige
Umwandlung des Milchfettes aus dem Zustande der feinen
Emulsion in den der gröberen und in die sich daran an-
schliessende Klumpenbildung die Resorption desselben er-
schwert wflrde. Trotz dieser auffallenden Erscheinung giebt
es aber auch einige Forscher, die neben der Keimfreiheit und
der dadurch bedingten grösseren Haltbarkeit als besondere
Vorzflge der sterilisirten Milch vor der rohen auch noch die
leichtere Verdaulichkeit und ihre bessere Verworthung fflr
den kindlichen Organismus hervorheben.
Diese Annahme wird gestützt durch die Behauptung ver-
schiedener Forscher, „dass das Caseiu der gekochten Milch
in zarteren Flocken gerinne, als das der nicht gekochten,
und dadurch gekochte Milch erheblich leichter verdaulich sei
als rohe und in ihrem Verhalten dem Magensafte gegenüber
s/ch der Frauenmilch nähere". Eine solche Bdiauptung
Ueber d. Verdaulichkeit d. sterilisirten u. nichtaterillBirten Milch. 40Ö
findet sich bei Albu^); Soltmann'), Munk^), H off-
in a n n ^).
Reichmann^) folgert dasselbe aus dem Umstände, dass
gekochte Milch früher aus dem Magen ausgeschieden wird
als rohe, üffelmann^) jedoch konnte durch zahlreiche Ver-
suche diese Behauptung entkräften, indem er durch die mittelst
seiner künstlichen Verdauungsversuche gewonnenen Resultate
den Beweis lieferte, „dass die gekochte Milch keine dünn-
flockigeren Gerinnsel bildete und nicht rascher oder voll-
ständiger peptonisirte'^
Von den Autoren, die für die Anwendung der sterilisirten
Milch nicht allein durch den Vorzug der Eeimfreiheit, sondern
auch durch ihren grosseren Nährwerth bestimmt werden, citire
ich Vinay^), der die sterilisirte Milch als bestes Nahrungs-
mittel für Säuglinge empfiehlt und diese ausschliessliche An-
wendung durch Wägungsresultate zu begründen sucht. Ferner
fuhrt ühlig^) an, dass sich bei kranken und geschwächten
Kindern, die an der Mutterbrust, bei roher Kuhmilch oder
Kindermehlen nicht vorwärts kamen, nach der Durchführung
der Ernährung mittelst sterilisirter Milch der Ernährungs-
zustand und die Gewichtszunahme wesentlich hob. Umstände,
die, wie er meint, sehr zu Gunsten der besseren Resorption
der sterilisirten Milch zu sprechen scheinen. . Auf der anderen
Seite jedoch darf es uns bei den so charakteristischen Ver-
änderungen, welche die Kuhmilch durch die Sterilisation er-
fahrt^ gewiss nicht Wunder nehmen, wenn es Autoren giebt,
und zwar sind es gerade die, welche sich in der jüugsten
Zeit mit dieser Frage beschäftigt haben, die der Ueber-
zeugung sind, dass die gekochte Milch hinsichtlich der Ver-
daulichkeit keinen Vorzug vor der ungekochten hat^ , ja
sogar, dass die sterilisirte Milch sowohl schlechter vertragen
als auch schlechter resorbirt und ausgenutzt wird, als die
nicht sterilisirte. So behauptet Raudnitz^^), dass das
Eiweiss der gekochten Milch schwerer verdaulich sei, als das
1) Alba, Die Beschaffenheit ffuter Kahmilch. 1880.
2) Soltmann, Brealauer ärztl. Zeitschrift 1881. Nr. 11, 12.
8) Mnnk, Deatsche med. Wochenschr. 1881. S. 36.
4) M. Hoffmann, Verdaulichkeit des Caseins etc. Diss. Berlin 1881.
5) Reichmann, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 9. 8.565.
6) J. üf feimann, Pfläger^s Archiv 29. Bd. 1882. 8. 367.
7) Vinay-Lyon, Üeber sterilisirte Milch und deren Nährwerth für
S&Qglinge. Lyon m^dical, Jnli 1891. Referat Albrecht, Jahrbuch f.
Kinderheilkunde XXXV. Bd. 1893. 8. 883.
8) Rudolf Uhlig, Ueber Versuche einer Ernährung kranker Säug-
linge mittelst sterilisirter Milch. Jahrbuch f. Kinderheilkunde B. XXX.
1889. 8. 88.
9) Uffelmann, Archiv f. Physiologie 1882. Bd. 29. 8. 368.
10) Raudnitz, Zeitschrift f. physiol. Chemie Bd. 14.
406 B. Bendix:
der rohen. — Mit dieser Auffassung stimmt die Anschauung
der meisten älteren Aerzte überein, dass kuhwarme Milch
leichter verdaulich sei als gekochte. — Unruh^) ist der
Meinung y dass die Sterilisirung die Milch so zu verändern
vermag, dass sie auf einzelne Säuglinge Dyspepsie-erzeugend
wirkt. Derselbe hat nicht so selten beobachten können, dass
nach längerem Gebrauch steriiisirter Milch dieselbe Form der
Dyspepsie entsteht, wie sie sich unter dem Genuss zu wenig
verdünnter Milch entwickelt. Die Säuglinge werden trotz
reichlicher Nahrungsaufnahme bleich und nehmen nicht so
zu, wie es die verabreichten und anscheinend gut vertragenen
Nahrungsmengen und das sonstige Befinden erwarten lassen.
Diese auffallende Thatsache lässt sich nach Unruh nur
durch eine mangelhafte Verarbeitung des Caseins erklären,
,yund wirklich zeigen auch die Entleerungen einen Ueberschuss
unverdauten Caseins, unverdaut wohl deshalb, weil die Ver-
dauungsfähigkeit des Caseins durch das anhaltende Kochen
gelitten haV.
Ferner weist Renk') „auf die noch wenig gewürdigte
Beobachtung hin, dass sterilisirte Milch nach mehrtägiger
oder mehrwöchentlicher Aufbewahrung eine Veränderung er-
fährt, dahingehend, dass ein Theil ihres Fettgehaltes aus der
Form kleinster Kügelchen in die grösseren Tropfen übergeht,
sodass, wenn man solche Milch auf 40^ oder darüber an-
wärmt, auf der Oberfläche der Flüssigkeit Fettaugen schwimmen,
die sogar schliesslich zu einer zusammenhängenden Fett-
schicht sich vereinigen können. Die Fettaugen lassen sich,
entgegen den häufig zu vernehmenden Anpreisungen von
Lieferanten steriiisirter Milch, nicht mehr in die Form der
Emulsion zurückzufahren, weder durch Schütteln noch durch
Erhitzen. Da oft beträchtliche Mengen Fett so aus-
geschieden werden, so erleidet die Mich eine tief-
greifende Veränderung, welche auf die Verdaulich-
keit unbedingt von Einfluss sein muss. Positive
Erfahrungen über schädliche Wirkungen des aus-
geschiedenen Fettes liegen allerdings noch nicht vor.''
Einen weiteren Beitrag für die Ansicht, dass sterilisirte
Milch schlechter resorbirt wird als nicht sterilisirte, liefert
Leeds^), der durch eigene Versuche mittelst auf 100^ C. eine
1) Unruh, Die Dyspepsie im Säuglin^alter. Sonderabdmck auä
dem Jahresbericht der Gesellschaft f. Natur- und Heilkunde su Dresden
1889-1890. S. 9.
2^ Renk, Ueber Fettansscheidnng aus steriiisirter Milch. Archiv
für Hygiene. Bd. 17. S. 818. — Referent: Emmerich, Jahrb. der
get. Medicin XVEI. Jahrg. S. 569.
8) Albert Leeds and Edward Davis: The chemistry and cli-
üeber d. Verdaulichkeit d. Bteriiisirten n. nichtaterilisirten Milch. 407
Stunde lang erhitzter Milch, abgesehen von anderen Ergebnissen,
die uns hier nicht interessiren, zu folgenden Schlüssen kam:
1. Das Casein wird durch die Hitze nicht verändert,
gerinnt indessen weniger leicht durch die Einwirkung des
Lab und lost sich langsamer und unvollständiger bei künst-
licher Verdauung mit Pepsin und Paucreatin.
2. Die Emulsion der Fettkügelchen wird durch die Hitze
zum Theil zerstört, und es ist sehr wahrscheinlich, dass
dadurch die Resorption des Milchfettes wesentlich erschwert
wird.
3. Im Ganzen ist sterilisirte Milch weniger leicht und
weniger vollständig verdaulich als rohe.
In üebereinstimmung mit dieser theoretischen Schlass-
folgerung befindet sich Davis') mit seinen klinischen und
poliklinischen Beobachtungen, die er am Säuglingshospital zu
Philadelphia mittelst sterilisirter Milch zu machen Gelegen-
heit nahm.
Seit Einführung der sterilisirten Milch nahm zwar die
Zahl der Darmerkrankungen ab, indessen wiesen die Kinder
nunmehr eine schlechtere Ernährung und bedeutend geringere
Gewichtszunahme auf, und viele der von einem acuten Brech-
durchfalle Genesenen gingen später unter den Erscheinungen
der Inanition zu Grunde.
Zusätze von Pancreatin, Malzextract, Soda, Beigaben von
Eiweiss, Beismehl, Leberthran blieben meist erfolglos; erst
durch den Genuss von frischer nicht erhitzter Milch anstatt
der sterilisirten wurde in vielen Fällen rasche Besserung erzielt.
Der Referent Escherich*) macht sehr trefifend hierzu
folgende kritisirende Bemerkung: „Es ist bedauerlich, dass
Verfasser bei der Constatirung einer so wichtigen, aber un-
seren bisherigen Erfahrungen widersprechenden Beobachtung
es versäumt, objective Zahlen und Vergleichungspunkte mit
der vorausgehenden Periode zu geben, um so mehr, als er
augenscheinlich unter dem Eindrucke der seitens seines Mit-
arbeiters auf theoretischem Wege gezogenen Schlüsse steht/'
Es giebt zwar einige Autoren, die das vortreffliche Gedeihen
einzelner mit einer bestimmten Nahrung aufgezogenen Kinder
als einen voUgiltigen Beweis für den hohen Nährwerth und
die gute Ausnutzung derselben auffassen. Und diese Forscher
nical value of Bterilked milk. The americain joarnal of the medical
Sciences. Jone 1891. Beferat Escherich, Jahrbach f. Einderheilkande
1893. Bd. XXXllI. S. 217.
1) Leede and Davis 1. c. S. 218.
2) Ibid. S. 218.
422
B. Bendiz:
Damach stellt sich für den II.
folgendermaassen :
, Versuch (Kind Anders)
die Bilanz
L Periode.
IL Periode.
(6 Tage nicht steril. Milch.)
(Sterilisirte MüCh.)
TftgL NahrongB-
einfahr
an H.
an Fett
Tftgl. Nahrnngs-
einfahr
an N.
an Fett
pro die
in 6 Tagen
8,06 g
48,86 g
42,8 g
253,8 g
pro die
in 6 Tagen
8,06 g
48,86 g
42,3 g
253,8 g
Aaagabe in
6 Tagen im Ge-
tammtkoth
Ton 1U8,7 g
4,09
22,25
Aiugabe in
6 Tagen im Ge-
sammtkoth
Ton 94,33 g
4.4
22,75
Aufnahme .
44,27 g
281,65
Aufnahme .
48,96
231,05
Resorpt. in %
Verlust in %
»1,64%
8,46%
»1,2%
8,8%
Resorpt. in %
Verlust in %
90,9%
V%
»1%
»%
Der VoUstäudigkeit wegen läse
vorgenommenen W&gongen folgen:
e ich hier die Zahlen der I^Hch
Gertrud Anders:
16.11.— 11,
17. «= 11,
18. — 11,
19. = 11,
20. = 11,
21. — 11,
12 kg
29 kg
27 kg
25 kg
88 kg
17 kg
22. II. «
28. «•
24. =
25. —
26. =
27. «
11,59 kg 28. IL »11,45 kg
11,56 kg 29. » 11,64 kg.
11,28 kg
11,39 kg
11,68 kg
11,25 kg
Wenn der Verlust an Eiweiss und Fett im Versuch II
für den Organismus ziemlich bedeutend ist und hoher, als ihn
sonst die Autoren bei der Milchnahrung beim Kinde finden,
so liegt dies an der verminderten Gallenausscheidung bei dem
Versuchskinde, indessen er, resp. die Resorption ist doch in
beiden Reihen sowohl bei der Darreichung von „sterilisirter''
als von „einfach aufgekochter'' Milch so wenig verschieden,
dass man von einer schlechteren oder besseren Verwerthung
der einen oder der anderen Milchart nicht sprechen kann.
Bei der Fettresorption beträgt die Differenz 0,2% und bei
der Stickstoffresorption 0,64% zu Gunsten der „aufgekochten''
Milch. Da ich es indessen in Versuch II mit einem nicht
ganz gesunden Kinde zu thun gehabt hatte, bei dem Zeichen
von Rachitis vorhanden, und die Verdauung nicht ganz in
Ordnung war, so stellte ich, um jedem Einwand aus dem
Wege zu gehen, noch einen III. Versuch an.
Dem Versuche III lege ich aus dem Umstände eine be-
sondere Wichtigkeit bei, weil ich ihn an meinem eigenen 1%-
jährigen Kinde Edith B. anstellte. Ich wusste, dass ich es
mit einem normal entwickelten, vollständig gesunden Kinde
zu thun hatte. Dasselbe war rationell ernährt worden; es hatte
Ueber d. Verdaulichkeit d. sterilisirteo n. nichtsterilisirten Milch. 423
bis zum 9. Monat eine Amme und von dieser Zeit Hellers-
dorfer Milch als Vollmilch erhalten. Der Appetit und die
Verdauung der Kleinen waren in bester Ordnung.
Die Nahrungszufuhr, die wieder genau geregelt war,
konnte ich; da ich das Kind unter meiner Obhut hatte,
strenger noch, als in den beiden ersten Versuchen controliren.
Der III.YersQCli dauert 8 Tage; es fallen hiervon 4 Tage anf die
I. Periode, in der die Kleine 82,6 g Weissbrod und 1500 ccm „einfach
aufgekochter" Milch erhielt, und 4 Tage auf die 11. Periode, in der
neben bleichen Mengen Weissbrod wie in Periode I wieder 1500 ccm
Milch aber in „sterilisirter" Form gereicht wurden. Ich gab dem Kinde,
wie in Versuch II, in beiden Perioden nicht blos der Menge nach,
sondern auch analytisch genau zusammengesetzt dieselbe Milch. Ich
erreichte diesen Zweck ebenso wie in Versuch II, indem ich t&glich 8 1
Milch von derselben Mischmilch erhielt, davon IV, 1 verfütterte und die
übrig gebliebenen ly, sterilisirte, und für den gleichen Tag der II. Pe-
riode zurückstellte.
Die Sterilisation besorgte ich in diesem Falle selbst, so dass ich
ganz sicher ging, in beiden Perioden dieselbe Milch, nur in anderer
Zubereitung zu reichen. Ich sterilisirte in derselben Weise, wie es in
der Hellersdorfer Molkerei geübt wird, bei 102^ G. 40 Minuten im
strömenden Wasserdampfe, und zwar stellte ich die Flaschen geöffnet
in den Sterilisationsapparat, schloss sie aber wenige Minuten, nachdem
Temperatur von 102^ CS. erreicht, fest zu.
Mein Kind hatte zwar in den letzten Monaten schon gemischte Kost
erhalten, es nahm indessen die reine Milchnahrung mit der Beigabe
von Weissbrod wieder sehr gerne; sein Appetit war gut, und wurde durch
die gereichte Nahrung vollkommen befriedigt. — Verdauungsstörungen
traten nicht ein. Dass das Nahrungsbedüifniss vollkommen gedeckt
wurde, dafür sprechen die Wägungszahlen während des Versuchs
(s. W^ngstabelle S. 426).
Der Koth (niemals diarrhöisch) war von normaler Gonsistenz, weich
und meist wurstförmig, die Farbe war gelb, die des gewöhnlichen Milch-
koths. Die Eeaction war alkalisch.
Die mikroskopische Untersuchung der Faeces ergiebt keine Nah-
rungspartikelchen, nur ganz vereinzelt mal einen Fetttropfen. Ferner
amorphen Schleim in Perlenschnur- und Streifenform angeordnet, ausser-
dem Fettsäurenadeln und Sargdeckelkrystalle von phosphorsaurer Ammo-
niak-Magnesia.
Die Abgrenzung der L Periode und zwischen der I. und
IL Periode bewirkte ich durch Preisseibeeren mit Zucker
gemischt| und da ich in den früheren Versuchen die Beob-
achtung gemacht hatte, dass die Abgrenzung präciser wird,
je weniger Preisseibeeren man reicht, so gab ich diesmal nur
ii Theelöffel, und bekam dadurch eine sehr scharfe Abgren-
zung. Von der geringen Menge der ausgeschiedenen Preissei-
beeren, zwischen und um die verhältnissmässig nur wenig
Koth gelagert war, rechne ich, wie auch früher, die eine
Hälfte zu Periode I, die andere zu Periode II. Den Schluss
des Versuchs grenzte ich durch Gacao ab, der nach der acht-
424
B. Bendiz:
tägigeu MilchnahnoDg mit gelbem Stuhl den typischen braunen
Cacaostuhl lieferte.
Am Abend vor dem Beginn des eigentlichen Versuchs
erhielt Edith um 6 Uhr ihre Nachtmahlzeit und hungerte
während der Nacht; am andern Morgen erhielt sie als Erstes
um 7 Uhr ]4 Theeloffel Preisseibeeren, dann eine Tasse dünnen
TheeS; gegen 11 Uhr erhielt sie die erste Tasse Milch mit
Weissbrod; in derselben Weise vermochte ich zwischen I. und
II. Periode und zum Schlüsse des Versuchs eine gute Ab-
grenzung zu erzielen. Jeder Versuchstag reicht von dem
einen Morgen 8 Uhr bis zum nächsten Morgen 8 Uhr.
Die Analysen der aufgenommenen Kahranff und der Faecea worden
wieder nach den üblichen und bei Yersucli I genauer ans einander*
gesetsten Methoden ausgeführt.
Die Kohlehydrate des Weissbrods and des Müchsuckers sind anch
hier ebensowenig wie in Versach I nnd II bei der Ausnatznngstabelle
besonders hervorgehoben, weil sie so vollkommen resorbirt werden, dass
der Roth weder eine Reaotion auf St&rke, noch auf Zacker giebt
Die Nahrungsanalyse für beide Perioden stellt sich
folgendermaassen :
ni. Yersach.
(Edith B., IV4 Jahr, vom 12.— 19. IV. 1894.)
iTigl. eingoftthrte Nahrnng
Elw«iu
Stiok-
■toff
Feti
Kohle-
hydrate
Calorien
1600 ccm Miloh^) ......
82,6 g Weissbrod«)
47,38
8,9
7,68
IM
42,76
72
46,8
Samme
66,28
230,76
9,02
42,76
397,68
117,8
483,0
Calorien : .
1111
Diesen Einnahmen stellen sich folgende Ausgaben durch den Kolli
gegenüber in der
Die Analyse ist in derselben Weise wie in Versach II vereinfacht.
1) Milchanalyse:
a) in 4 ccm Darohschnittsmilch sind enthalten « 0,0199164 g Stickstoff,
- 0,60% N.
b) in 4 ccm „ „ „ -. 0.0208816 g N.
"0,61% N.
Mittel — 0,606% N.
Fett Aach zur Bestimmung des Fettgehaltes machte ich eine
Analyse der Durchschnittsmilch, indem ich tftglich 6 com auf Seesand
Eum Trocknen brachte, sodass ich am Schluss 4x6 » 20 ccm auf See-
sand getrocknet sur Eztraction brachte:
Ucber d. Verdaulichkeit d. sterilisirten n. Dichtsteriliairtea Milch. 425
I. Periode.
Da tarn dor Yenuchstage
4 Tage (nicbtsteril.
Milch 12.— 16. IV.
In der
Menge d. GeMinintkoths
in g
feucht 1)
296,8
trocken
Aaageschied.
Fett») in g
62,2
II. Periode.
10,9
Ausgeaohied.
N.») in g
2,74
Datam der Venuchttage
4 Tage (steril. Milch)
16.— 19. IV. 1894.
Menge d. Gosammtkotlu.
m g
feucht*) j trocken
263,8
Ö4,5
Ansgeschied.
Fett *)
8,7
Auigeschied.
2,61
Anmerkg. zu S. 424.
a) 20 com Durchschnittsmilch enthalten 0,5806 g Fett » 2,9% Fett
b) 20 ccm „ „ 0,665 g „ ^ 2,8% „
Mittel = 2,86% „
Kohlehydrate s. J. Mnnk II. Auflage: Ernährung des gesunden
nnd kranken Menschen 1891. S. 121 =» 4,8%.
2) Weissbrod-Stickstoff:
a) 1,566 g treck. Weissbrod » 1,916 feucht (26,48 feucht «-20,6 g
trock.Weissbrod) enthalten » 0,0344784 g N.
= 1,77% N.; in 82.6 g
[= 1,46 g N.
b) 1,1296 trock. Weissbrod ^ 1,404 feucht Mittel »1,44 g N.
enthalten « 0,0250099 g N.
— 1,71% N. in 82,6 = 1,41 g N.
♦»
=- 1,74% N.
Kohlehydrate s. Munk 1. c. S. 160. 66,6%.
1) Das Gewicht des feuchten Koths betrug pro die in der I. Periode
a) 119,0 g
b) 63,8 g
c) 76,0 g
d) 88,0 g
Gesammtgewicht: 296,8 g feucht == 62,2 g Trockenkoth.
2a) 4,1446 g Trockenkoth enthalt. 0,7211 g Fetti
62,2 g Gesammtkoth „ 10,82 g »> l w f i
2b) 6,1892 g Trockenkoth enthalt. 1,0918 g „ Mittel« 10,9 gFott.
62,2 g Gt'Fanimtkoth „ 10,97 g „ /
Anmerkg. 8), 4), 6), 6) s. folgende Seite (426).
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. K. F. XXXYIII
28
426
B. Bendiz:
i
Danach läset sich für den III. Versuch (Edith B.) folgende Bilanz
ziehen :
I. Periode.
1
II.
Periode
»
(4 Tage einfach aufgekochte Milch.)
1
(4 Tage sterilisirte Milch.)
Tftgl NabroDgi-
einfahr
an N.
1 9,02
36,08
au Fett
42,75
171,0
Tägl. Nabrunga-
einfuhr
an K. an Fett
1
pro die
in 4 Tagen
pro die
in 4 Tagen
9,02
36,08
42,76
171,0
Anigabe
in 4 Tagen
Im Geiammt-
koth von 62,8 g
2,74
10,9
Anigabe
in 4 Tagen
im <iesammt-
koth Ton ^4,6 g
2,61
8.7
Aufnahme .
83,34 g
160,1 g
Aufnahme .
33,67 g 162,3 g
Resorpt. in %
02,4% 98,6%
Resorpt. in %
»8% 9*,»%
Verlust in %
7,e% M%
Verlust in %
7%
6,1%
Die t&glich vorgenommenen Wägungen ergaben folgende Zahlen:
1. IV. 11,8
2. 11,S
3. 12,0
4. 12,0
6. 12,0
7 kg
>6 kg
16 kg
3 kg
^9-
16. IV. 12.06 kg
17. 12,16 kg
18. 12,0 kg
19. 12,07 kg
Auch der Versuch III^ gegen den sich in keinerlei Weise
ein Einwand erheben lässt, bestätigt die beiden ersten Ver-
suche^ indem von einer Minderwerthigkeit in Bezug auf die
3 a) 1,2134 g Trockenkoth enthalt. 0,06263386 g N.
62,2 g Qesammtkoth „ 2,69 g N.
3 b) 0,9541 g Trockenkoth „ 0,0427716 g N.
62,2 g Qesammtkoth „ 2,79 g N.
Mittel» 2,74 gN.
4) Das Gewicht des feuchten Koths betrug an den einzelnen Tagen der
II. Periode:
a) 26,1 g
b) 67.3 g
c) 96,8 g
d) 84,6 g
Summe: 263,8 g feucht £. » 64,6 Trockenkoth.
6 a) 6,4036 g Trockenkoth enthalt 0,8281 g Fett
64,6 g Qesammtkoth „ 8,36 g „
6 b) 6,7867 g Trockenkoth „ 0,9699 g „
64,6 g Qesammtkoth „ 9,04 g „
6 a) 1,4666 g Trockenkoth enthalten 0,06814066 g Stickstoff
64,6 g Qesammtkoth ,, 2,63 g N.
6 b) 1,6814 g Trockenkoth „ 0,0766316 g N.
64,6 g Qesammtkoth „ 2,49 g N.
Mittel» 8,7 gFett
Mittel « 8,61 gN.
Ueber d. Verdaulichkeit d. sterilisirien n. nichtsterilisirten Milch. 427
Ausnutzung der einen oder der anderen Milch keine Rede sein
kann. Die Differenzen von 0,6% für N. und von 1,3% für
Fett zu Gunsten der sterilisirten Milch sind so unbedeutend,
dass sie für die Ernährung des Kindes so gut wie gar nicht
in Betracht kommen. Der Uebersicht wegen stelle ich die
Resorptions- resp. Verlustwerthe der drei Versuche nebenein-
ander:
LI
^eriode.
IL
Periode.
(Einfach aufgekochte Mllcli.) (Sterillsirte MUch).
I. Versuch (Götz).
N.
Fett
N.
Fett
AnsnntzuDg:
Verlust:
84,7%
15,3%
90,9%
V%
Ausnutzung:
Verlust:
84,3%
16,7%
91%
8,9%
IL Versuch (Anders).
N.
Fett
N.
Fett
Ausnutzung:
Verlast:
91,6%
8>6%
91,2%
8.8%
Ausnutzung:
Verlust:
90,9%
9,1%
91%
9%
III. Versuch (Bendix).
N.
Fett
■
N.
Fett
Ausnutzung:
Verlust:
92,4%
7,6%
93,6%
6.4%
Ausnutzung:
Verlust:
98%
7%
94,9%
6,1%.
Wenngleich sich gegen Versuch I und II aus den an-
geführten Gründen Einwände erheben lassen, so ergiebt sich
doch, sobald man aus den 3 Versuchen die Ausnutzungsmittel-
werthe für den Stickstoff und das Fett zieht, eine so gleich-
massige Uebereinstimmung in der Ausnutzung beider Mileh-
arten, dass man annehmen darf, dass die geringen Differenzen
in den Zahlen auf Zufälligkeiten und kleinen Fehlerquellen
der Untersuchungen beruhen.
Mittel N. (I. Periode):
I
II
m
16,8
8,5
7.6
31,4
Verlust N. 10,6%
Mittel N. (IL Periode):
I
II
III
16,7
9.1
7,0
31,8%
Verlust N. 10,6%
Mittel Fett (L Periode):
I 9,1
II 8,8
III 6,4
24,S
8,1% Fett
Mittel Fett (U. Periode)
I 8,9
II 9,0
m 6,1
23,0
7,7% Fett.
28
428 B. Bendix:
Ich fasse nun zum Schiuss dieser Arbeit meine durch
(las Experiment am Kinde gewonnenen Resultate und Beob-
achtungen in folgende Sätze zusammen:
1. Mögen wir einem gesunden Kinde „aufgekochte^'
oder yySterilisirte'' Milch als Nahrung reichen, ein Unterschied
in der Verwerthuog des Stickstoffs und des Fetts zu Gunsten
der einen oder der anderen dieser beiden Milcharten existirt
nichi Daraus folgt, dass die Verdaulichkeit und die Resorbir-
barkeit der ,,sterilisirten'' Milch hinter der der ^^nichtsterili-
sirten'' Milch nicht im Mindesten zurückbleibt.
2. Auch beim kranken Kinde, bei dem (durch ver-
minderten Gallenzufluss) zum Speisebrei die Verdauung dar-
niederliegt, walten die gleichen Verhältnisse ob; zwar ist die
Resorption natürlich eine herabgesetzte gegenüber dem nor-
malen Organismus, und zwar fiir den N. um 0,9—2,1%, für
das Fett von 2,4—3,8% (Versuch III: Versuch II), aber sie ist
bei beiden Milcharten eine gleichmässig herabgesetzte.
3. Der Geruch und Geschmack der Milch bleibt auch
nach der Sterilisation, wenngleich verändert gegenüber dem
der rohen Milch, durchaus gut; und die sterilisirte Milch wird
von den Kindern ebenso gern genommen als die einfach auf-
gekochte.
Im Gegensatz zu Kalischer^) muss ich constatiren, dass
die bräunliche Farbe der sterilisirten Milch kein Grund für
Kinder, wenigstens der ersten Lebensjahre war, dieselbe zu
verweigern. Auf der andern Seite muss ich zugeben, dass
Kinder, die Monate lang an einfach aufgekochte Milch oder
an gemischte Nahrung gewöhnt waren, bei einem plötzlichen
Uebergang in der Nahrung zur sterilisirten Milch, am ersten
Tage dieselbe etwas widerwillig nahmen, ohne sie indessen
ganz zurückzuweisen; schon am zweiten Tage jedoch, an den
Wechsel gewöhnt, tranken sie die sterilisirte Milch ebenso
gern, wie vordem die aufgekochte resp. wie die gemischte Kost
Diese anföngliche Ablehnung der sterilisirten Milch habe ich
jedoch nie bei Kindern beobachten können, die von Anfang
an, ohne den Geschmack der rohen Milch zu kennen, mit
sterilisirter Milch aufgepäppelt wurden; sie tranken dieselbe
stets gern und mit grossem Appetit.
4. Die Gesundheit des Kindes störende Erscheinungen,
besonders von Seiten des Digestionstractus, sah ich nach dem
Genuss von sterilisirter Milch niemals auftreten, im Gegen-
1) Schupp an, Die Bacteriologie in der Milchwirthscbaft. Yer-
bandlung der „Deutechen Gesellschait f. öffentliche Gesundheitspflege**
1893.
Ueber d. Verdaolicbkeit d. steriÜBirten u. Dichtsterilisirten Milcb. 429
theil, das AUgemeiubefinden und der Appetit und Zunahme
der Kinder waren gut, die Entleerungen normal , Erbrechen
trat niemals ein, das Gewicht der Versuchskinder blieb wäh-
rend der Yersuchstage constant oder stieg an.
5. * Da die Gefahren der Uebertragung schwerer Krank-
heiten vom Thier auf den Menschen in Folge der bisweilen
in der Milch vorhandenen pathogenen Keime durch die Ab-
todtung der Bacterien mittelst der Sterilisation beseitigt und
die Erzeugung anderer Erkrankungen, besonders des Darm-
canals, durch Vernichtung der Gährungs- und Zersetzuugserreger
verhütet wird, so ist es unsere Pflicht als Arzt, in all den
Fällen, wo wir aus irgend einem Grunde gezwungen sind, von
der natürlichen Ernährung des Kindes zur künstlichen über-
zugehen, darauf zu dringen, dass allein die „sterilisirte^^
Milch angewendet wird, da uns die aufgekochte Milch diese
Garantien der Reinheit nicht liefert.
6. Zugleich habe' ich durch die Resultate meiner Unter-
suchungen die Ueberzeugung gewonnen, dass die auch noch
jüngst wieder von Kramsztyk*) angeregte Frage, ob „Pasteu-
risiren" oder „Sterilisiren" als Conservirungsmethode für die
Milch angewendet werden soll, dahin beantwortet werden
muss, dass das „Sterilisiren** dem „Pasteurisiren" bei Weitem
vorzuziehen ist, da bei der Erhitzung bis zu 102^ C. nicht
blas die Verdaulichkeit der Milch nicht leidet, sondern diese
Methode uns bei genügender Vorsicht auch noch die sichere
Gewähr der Abtödtung fast aller schädlichen Bacterien und
Keime leistet, während beim „Pasteurisiren" die Vernichtung
derselben, vor Allem aber der Sporen, immer eine weit un-
vollkommenere bleibt.
1) J. Eramsztyk, Pastenrisation oder Sterilisation? Jabrbuch
f. Kinderbeilkande 1894. Bd. XXXVII. S. 249.
xni.
Klinische Beobaclitnngen an magendarmkranken Kindern
im Sänglingsalter.
Aus Professor Epstein's Kinderklinik in Prag.
Von
Docent Dr. ÄD albert Czerny und Dr. Paul Moser.
Die gesammten Magendarmaffectionen im Säuglingsalter
lassen sich vom klinischen Standpunkte aus in zwei grosse
Gruppen theilen: Die eine umfasst jene Kinder, bei welchen
nur der Magendarmtractus erkrankt ist, während alle anderen
Organe normal bleiben und intact functioniren. Die zweite
Gruppe wird von solchen Fällen gebildet, bei denen es wäh-
rend des Bestandes der Magendarmerkrankung zu sogenannten
Complicationen kommt d. h. einer mehr oder minder typischen
Erkrankung anderer Organe. Auf die Zusammengehörigkeit
der Magendarmaffectionen und der sogenannten Complicationen
weist schon die grosse Häufigkeit des Zusammentreffens beider
hin. Jede dieser Gruppen lässt sich wieder theilen in eine
solche mit acutem und solche mit chronischem Verlauf. Bei
der ersten Begutachtung eines Falles ist es durch die kli-
nischen Untersuchungsmethoden möglich, diesen in eine der
geschaffenen vier Yeriaufsformen einzureihen. Bei fortlaufen-
der Beobachtung hat man dagegen häufig Gelegenheit, lieber-
gänge einer Form in die andere zu sehen, nämlich den Ueber-
gang einer acuten in eine chronische Form oder einer ein-
fachen in eine complicirte.
Um eine Abgrenzung der ersten Haaptgruppe zu ermög-
lichen, ist es mit Bücksicht auf die bestehenden Literatur-
angaben nöthig, zuerst sich darüber auszusprechen, wann man
ein Kind als magendarmgesund zu bezeichnen hat. Wir nehmen
letzteres dann an, wenn ein sonst gesundes Kind bei regel-
mässig fortschreitender Körpergewichtszunahme, bei ein- bis
dreimaliger Entleerung eines normal beschaffeneu Stuhles
A. Czerny und P. Moser: Eliniscbe Beobachtungen etc. 431
innerhalb von 24 Stunden kein Erbrechen und Aufstossen
zeigt und nach jeder Nahrungsaufnahme in einem mehrstün-
digen, tiefen, ununterbrochenen Schlaf verharrt. Auf die letz-
tere Bedingung legen wir deshalb besonderes Gewicht, weil
der Beichte und in kurzen Intervallen unterbrochene Schlaf
das erste Symptom einer gestörten Magendarmfunction ist,
zu einer Zeit, wo wir noch keine weiteren Stützpunkte für
eine solche Diagnose besitzen. Ein physiologisches Erbrechen
im Säuglingsalter anzunehmen, halten wir nicht für gerecht-
fertigt, weil ein normaler Mageninhalt kein Erbrechen aus-
lost und eine Unterscheidung eines physiologischen und patho-
logischen Erbrechens undurchführbar ist.
Wir sprechen von normaler Beschaffenheit der Stühle,
wenn dieselben von gleichmässig breiiger Consistenz und gelber
Farbe sind und ausserdem auch keinen Fäulnissgeruch auf-
weisen. Letzterer Umstand ist besonders bei der Ernährung
mit Kuhmilch zu berücksichtigen. Denn ein Kind, bei dem
die Zahl, Consistenz und Farbe der Stühle entsprechend sind,
die Stühle jedoch stinken, können wir keinesfalls als gesund
betrachten, weil das Vorhandensein einer Darmfaulniss beim
Säugling nicht als physiologisch aufgefasst werden darf. Eine
Grün- oder Braunfärbung des Stuhles lässt ceteris paribus
nicht auf eine Magendarmerkrankung des Kindes schliessen.
Ernährt man z. B. einen Säugling mit Colostrum, so zeigt
der Stuhl immer eine derartige Farbe, welche sofort der nor-
malen gelben weicht, sobald das Kind Muttermilch von ge-
wöhnlicher Beschaffenheit erhält. Diese Erscheinung findet
ihre Erklärung nur in der Weise, dass die Ursache der Stuhl-
verfarbung nicht durch eine Erkrankung des Kindes, sondern
durch die Art des Nahrungsmittels bedingt war. In ähn-
licher Weise sehen wir den Stuhl des Kindes in seinem Aus-
sehen sich immer mehr dem des Meconiums nähern, wenn
dem Kinde zu wenig Nahrung zugeführt wird; gleichzeitig
tritt eine Verminderung der Zahl der Entleerungen ein, welche
manchmal soweit geht, dass eine Obstipation vorgetäuscht
werden kann. Also eine zweite Möglichkeit eines abnormen
Aussehens des Stuhles, ohne dass eine Magendarmerkrankung
des Kindes vorliegt Vor einer Verwechselung des Hunger-
zustandes mit einer Obstipation schützt uns bei der Inspection
die Einziehung der Bauchdecken, bei der Palpation des Ab-
domens der Befund des leeren Darmes und endlich die Körper-
gewichtsabnahme oder die fehlende Körpergewichtszunahme.
Bei der Besprechung der Erkrankungen von Seite des
Magendarmtractus wollen wir zunächst hervorheben, dass uns
die klinischen Beobachtungen dazu drängen Magen und Darm
immer als gleichzeitig erkrankt anzusehen. Denn auch in
432 A. Cierny und P. Moser: •
jenen Fällen, wo sich bei bestehenden Darmsymptomen keine
sichtbaren Zeichen einer Magenerkrankung zeigen, können
wir durch Untersuchung des Mageninhaltes eine Functions-
Störung des Magens nachweisen. Andererseits ist es bei
Symptomen einer Magenerkrankung immer möglich, wenn
auch mitunter geringe, so doch deutliche Darmsymptome zu
beobachten. Es ist leicht vorstellbar, dass ein pathologischer
Factor, z. B. eine zersetzte Nahrung, durch welchen der Magen
geschädigt wurde, auch im Darm eine Wirkung äussert^ um-
gekehrt müssen wir wieder annehmen, dass belebte oder un-
belebte Schädlichkeiten^ welche den Darm irritiren, zuvor den
Magen bei ihrem Durchgange beeinfiiusst haben.
Zu der ersten Hauptgruppe rechneu wir also diejenigen
Kinder, bei welchen wir pathologische Erscheinungen der
Magendarmfunction, mit Ausschluss jeder anderweitigen, da-
durch bedingten Organerkrankung, constatiren können. Wir
fassen der Kürze halber diese Gruppe von Erkrankungen unter
dem Namen Dyspepsie zusammen. Die Erscheinungen der
Dyspepsie differiren klinisch insofern, als bald die Magen,
bald die Darmsymptome vorwiegen, oder auch beide gleich-
zeitig intensiv auftreten. Eine weitere Eintheilung der Dys-
pepsie in besondere Formen, wie es Lesage versuchte, hal-
ten wir weder für nöthig noch für praktisch bedeutend. Als
Begründung dafür mag der Umstand dienen, dass die Sym-
ptome, deren Aetiologie stets dieselbe ist, in jedem einzelnen
Falle mannigfache Abwechselung zeigen, welche jedoch die
Prognose und Therapie nicht weiter beeeinflusst.
Von den Symptomen der Dyspepsie wollen wir zunächst
auf die Anorexie hinweisen. Das an Dyspepsie erkrankte
Kind nimmt spontan bei jeder einzelnen Mahlzeit weniger
Nahrung auf als früher im gesunden Zustande. Aufmerksame
Mütter, Ammen oder Pflegerinnen berichten dem Arzte oft
diese Beobachtung, deren Richtigkeit sich durch Feststellung
der aufgenommenen Nahrungsmenge mittelst der Wa^e leicht
erproben lässt. Die genannte Beobachtung erleidet jedoch
vielfach eine Missdeutung in der Weise, dass die verminderte
oder in schweren Fällen fast gänzlich verweigerte Nahrungs-
aufnahme seitens des Kindes als Abneigung desselben für
das bisher dargereichte Nahrungsmittel gedeutet wird. Wir
konnten beispielsweise wiederholt von Müttern berichten hören,
ihr Kind hätte sich selbst abgestillt, d. h. die Brust ver-
weigert, so dass die Mütter sich genothigt glaubten das Kind
gewaltsam füttern zu müssen. Immer handelte es sich in
solchen Fällen um chronische Dyspepsie. In gleicher Weise
muss auch die Anschauung als irrig bezeichnet werden, dass
das Verweigern der Nahrung durch ein zu kurzes Zungen-
Klin. Beobftcht. an magendarmkranken Kindern i. S&aglingsaltcr. 433
bändchen bedingt sein könne. Es wäre an der Zeit, dass
endlich die überflüssige und auf fehlerhafter Beobachtung ba-
sirende Operation des Durchschneidens des Zungenbändcheus
aufgegeben würde.
Ein zweites Symptom bildet das Erbrechen. Dieses er-
folgt entweder unmitt.elbar nach beendeter Nahrungsaufnahme
oder einige Zeit nach derselben. Die erstere Eventualität ist
der Ausdruck einer schwereren Erkrankung des Magens, da
sie eine raschere und intensivere Zersetzung der Nahrung
voraussetzen lässt. Das Aussehen der erbrochenen Massen
hängt vor Allem von der Art der aufgenommenen Nahrung
ab. Handelt es sich um Brustkinder, so kann die Milch,
wenn sie sehr bald nach der Nahrungsaufnahme erbrochen
wird, nur morphologisch unverändert regargitirt werden, da
zur Bildung von Labgerinnseln in der Frauenmilch saure
Reaction und eine längere Zeit der Einwirkung des Lab-
enzyms nothwendig ist« Eine Ausnahme kann nur eintreten,
wenn die Nahrungsaufnahme zu einer Zeit stattfand, wo
noch Reste der vorhergegangenen Milchmahlzeit im Magen
vorhanden waren. Wird jedoch der Mageninhalt längere Zeit
nach der Nahrungsaufnahme erbrochen, so zeigt auch die
Frauenmilch regelmässig ziemlich grobe Gerinnsel. Bei der
Ernährung der Kinder mit Kuhmilch zeigt der erbrochene
Mageninhalt stets mehr oder weniger zahlreiche Flocken,
weil die Labwirkung an der Kuhmilch rasch und bei jeder
Reaction eintritt. Die Grösse der Flocken nimmt zu mit der
Zeit, die yerstrichen ist seit der Nahrungsaufnahme, und mit
der Schwere der Erkrankung. Denn die Labgerinnsel in der
Kuhmilch werden grösser mit der Herabsetzung der Motilität
des Magens. Letztere sinkt umsomehr, je schwerer die Er*
krankung des Magens einsetzt. — Bei acuten Fällen konnten
wir wiederholt beobachten, dass das Erbrochene gelb gefärbt
war. Dies ist bedingt durch Gallenfarbstoff, welcher durch
den Brechact aus dem Duodenum mit in den Magen hinein-
gepresst wird. In chronischen Fällen sind die erbrochenen
Massen reich mit Schleim vermischt. In dem Secrete des
kindlichen Magens nicht lösliche Nahrungsmittel, z. B. Fleisch,
werden lange im Magen zurückgehalten, während stundenlang
später zugeführte flüssige Nahrung bereits in den Darm über-
getreten ist. Erstere können deshalb sehr spät, bei einem
eventuell eintretenden Erbrechen, zu Tage gefördert werden.
Zweimal erbrachen Säuglinge der ersten Lebenswoche platt
cylindrische Gebilde, welche Ausgüssen von röhrenförmigen
Hohlräumen glichen, von blassgelblicher Farbe, weicher,
elastischer Consistenz waren und die Grösse von ausgewach-
senen Tänienproglottiden besassen. Die mikroskopische Unter-
434 A. Czerny und P. Moser:
Buchung lehrte, dass diese Gebilde aus wenig yeränderten
Darmepithelien bestanden , welche durch ein fibrinartiges,
Mikrokokken und Schollen von GallenfarbstofiP einschliessen-
des Netzwerk zu soliden Körpern vereinigt waren. Eine Er-
klärung des Zustandekommens dieser Gebilde können wir
nicht geben und begnügen uns deshalb mit der Erwähnung
derselben, mit Rücksicht auf die naheliegende Verwechslung
mit Darmparasiten. In einem Falle von Dyspepsie eines
künstlich ernährten Kindes, welches in ambulatorischer Be-
handlung stand, konnten wir in dem erbrochenen Magen-
inhalte einmal Fliegenlarven nachweisen. Bei einer sichtbaren
Beimengung von Blut zum erbrochenen oder ausgeheberten
Mageninhalte ist es nöthig, auf etwa vorhandene Rhagaden
an der Brustwarze der Stillenden zu achten, um sich vor einer
Verwechslung mit einer Magenblutung zu sichern. Das Er-
brechen kann im Verlaufe einer Dyspepsie einmal oder
wiederholt vorkommen, in chronischen Fällen auch wochen-
lang andauern. Das Erbrechen geringer Mengen ist häufig
durch Gasentwickelung verursacht, indem bei dem Entweichen
von Gasen aus dem Magen durch den Oesophagus (Ructus)
Mageninhalt mit herausgeschleudert werden kann. Es wird
jedoch auch sehr oft Aufstossen ohne Erbrechen beobachtet
und dann kann Ersteres in manchen Fällen neben der Un-
ruhe des Kindes das einzige dem Laien auffällige Symptom
der Dyspepsie bilden. — Gleichwie die Gesichtsfarbe eines
Erwachsenen oft einen chronischen Magenkatarrh verräth,
so lässt häufig das blasse, gelbliche Colorit der Haut bei
manchen Säuglingen die chronische Dyspepsie auf den ersten
Anblick vermuthen. — Die belegte Zunge, einen werthvollen
Behelf der Diagnostik der Magenerkrankungen beim Erwach*
senen, vermissen wir bei der Dyspepsie des Säuglings. Die
sehr häufige Entwicklung von Soor im Verlaufe einer Dyspepsie
setzt jedoch eine Veränderung der Mundhohlenschleimhaut
voraus, welche während des Bestandes der Krankheit sein
Wachsthum möglich macht, andererseits aber mit dem Er-
löschen der Dyspepsie wieder verschwindet, so die Weiter-
entwickelung des Soorpilzes verhindert und dessen spontane
Abheilung bedingt. Auf die Art der Veränderung der Mund-
höhlenschleimhaut wollen wir hier nicht des Näheren ein-
gehen. Die Erscheinungen von Seite des Abdomens äussern
sich bei der Dyspepsie des Säuglings zumeist als leichter
Meteorismus, in chronischen Fällen durch eine deutliche Er-
schlaffung der Bauchdecken, treten jedoch am prägnantesten
bei mit Kuhmilch oder anderen Surrogaten genährten dyspep-
tischen Kindern hervor. Bei diesen kann ein andauernder
Meteorismus zu den constantesten Erscheinungen der Dyspepsie
Elin. ßeobachi. an magendarmkrankeu Kindern i. Säoglingsalter. 435
«
gezahlt werden« Das Anziehen der Beine beim Schreien der
Kinder als Ausdruck Ton kolikartigen Schmerzen aufzufassen,
scheint uns eine willkürliche Annahme, welche sich weder
beweisen noch widerlegen lässt. Gesunde Kinder im Säuglings-
alter zeigen dieses Phänomen beim Schreien, aus welcher Ur-
sache immer, in gleicher Weise.
Die Veränderungen des Stuhles bei der Dyspepsie sind
mannigfaltige. Bei den Brustkindern beobachtet man vor
Allem eine Zunahme der Zahl der Stühle in 24 Stunden.
Hierdurch nimmt die Gonsistenz der Stühle ab, sie werden
dünnflüssiger und enthalten makroskopisch verschieden grosse
Caseinklümpchen, welche sich durch ihre hellere Farbe von
der übrigen Masse deutlich abheben. Die Farbe des Stuhles
bei der Dyspepsie kann gelb bis dunkelgrün sein. Es er-
scheint nicht nöthig, auf Grund der verschiedenen Stuhlfarben
mehrere Spielarten der Dyspepsie zu unterscheiden, weil man
häufig genug raschen Wechsel der Stuhlfarbe bei ein und
demselben dyspeptischen Kinde beobachten kann. Ausserdem
ist der Verlauf der Dyspepsie nicht abhängig von der Farbe
des Stuhles. Der dyspeptische Stuhl ist in intensiveren Fällen
im geringen Grade übelriechend. Relativ selten sind in Stühlen
von dyspeptischen Brustkindern kleine Blutspuren sichtbar, in
welchen sich wohlerhaltene rothe Blutkörperchen nachweisen
lassen. Diese müssen daher dem untersten Darmabschnitte
entstammen.
Bei an Dyspepsie erkrankten Kindern, welche mit Kuh-
milch oder deren Ersatzmittel ernährt werden, kann die Zahl
der Stühle gegen die Norm erhöht oder vermindert sein. Die
beiden Zustände, die Diarrhöe und die Obstipation,
sind zwar Symptome ein und derselben Erkrankung
des künstlich ernährten Kindes, jedoch nicht gleich-
werthig. Hierbei ist die Obstipation, wie wir später er-
örtern wollen, gegenüber der Diarrhöe der schwerere Zustand.
Bei der Verminderung der Zahl der Stühle, welche so be-
deutend sein kann, dass nur jeden zweiten oder dritten Tag,
und da erst nach Clysmen, Stuhlentleerung erfolgt, ist der
Stuhl so fest und wasserarm, dass er die Bettwäsche kaum
beschmutzt und bei Druck in grobbröckelige Massen zerfallt.
Diese Stühle verbreiten immer einen mehr oder weniger inten>
siven Fäulnissgeruch. Die grossen Mengen von unverdauten
Gaseinmassen aus der Kuhmilch bedingen eine grauweisse
Farbe der Stüble. Wenn jedoch solche Kinder gemischte
Nahrung zugeführt bekommen, so tritt an Stelle der grauen
eine braune bis schwarze Farbe des Stuhles. Die Grösse und
Härte der Scybala ermöglicht es, dieselben manchmal durch
die Bauchdecken zu tasten, und hat zuweilen die Entstehung
436 A. Czerny und P. Moser:
von hartnäckigen Analfissuren zur Folge. Verläuft die Dyspepsie
bei künstlich ernährten Kindern unter dem Bilde der Di-
arrhoe, so zeigt der Stuhl, wie bei dyspeptischen Brustkindern,
dieselbe Mannigfaltigkeit und Consistenz, nur der intensive
Fäulnissgestank ist prägnant für diese Ernährungsweise. Bei
acuten Formen kann man beim Stuhlabsetren mitunter den
Prolaps einer kleinen Partie der Rectalschleimhaut beobachten,
welcher sich jedoch stets spontan reponirt. Ein weiteres be-
merkenswerthes Symptom bei dyspeptischen Kindern bildet
die Flatulenz, welche bei den Fällen mit Obstipation am
intensivsten in Erscheinung tritt Die Entwickelung abnormer
Zersetzungsvorgänge der unverdauten Nahrungsreste, welche
beim gesunden Brustkinde vollständig fehlt, lässt sich durch
die Untersuchung des Harns feststellen, nachdem eines der
Endproducte der DarmHlulniss, welches als Indican^) im Harn
leicht nachweisbar ist, bei normalen Brustkindern nicht vor-
kommt, dagegen bei dyspeptischen Kindern. Der grösste In-
dicangehalt findet sich bei jenen Formen der Dyspepsie, welche
mit Obstipation einhergehen, 'weil in diesen Fällen die Zer-
setzungsproducte in grossen Mengen zur Resorption gelangen.
Letztere wird bei den diarrhöischen Formen in Folge der
schnellen Entleerung des Darmiuhaltes wesentlich herabgesetzt
Die Obstipation ist somit als eine schwerere Begleiterscheinung
des Dyspepsie anzusehen.
Der Harn ist bei der letzteren Erkrankung noch nach
einer zweiten Richtung hin von Interesse. Bei Brustkindern,
nach unseren Erfahrungen jedoch nicht bei künstlich ernähr-
ten Kindern, tritt in manchen Fällen von Dyspepsie Zucker
im Harn auf. Dies ist nach den Untersuchungen von Grosz^)
bedingt durch Milchzucker, dessen Escheinen im Harn auf ein
Sinken der Assimilationsschwelle für Milchzucker bei dyspep-
tischen Kindern zurückzuführen ist. Die Lactosurie verschwindet
daher mit dem Aussetzen der Brustnahrung und fehlt bei der
Ernährung mit Kuhmilch wegen des geringen Milchzucker-
gehaltes derselben. Albumen oder sonstige pathologische Be-
standtheile finden sich bei der Dyspepsie nicht im Harn« .
Die hierher gehörenden Krankbeitsformen, deren Erschei-
nungen sich vorwiegend am Darme äussern, können zu der
Frage Veranlassung geben, ob es sich in solchen Fällen nicht
um eine Erkrankung des Darmes allein handle. Wenn also
die oben angeführten, äusserlichen , selbst dem Laien wahr-
1) Dr. St. Moxnidlowaki, Jahrbuch f. Kinderheilkunde B. XXXVI.
1893. S. 192.
2) Dr. Jal. GrÖBz, Jahrbuch f. Einderheilkande Bd. XXXIV. 8.83.
1892.
Elin. Beobdiplit. an magendannkranken Kindern i. Säaglingsalter. 437
nehmbaren Symptome von Seiten des Magens bei einer Dyspep-
sie fehlen, so kann man durch üntersachong des Magen-
inhaltes dennoch stets den Beweis erbringen ^ dass bei sol-
chen Kindern nicht nur die Motilität des Magens je nach
dem Grade der Erkrankung herabgesetzt ist, sondern dass
auch ebenso die Salzsäuresecretion in der Zeiteinheit ver-
mindert ist^ der Magen somit in gleicher Weise erkrankt ist
wie in jenen Fällen, wo Erbrechen, Aufstossen u. s. w. vor-
handen ist. Wir müssen daher in allen Fällen die
Dyspepsie als eine Erkrankung des Magens und Dar-
mes auffassen.
Es erübrigt noch, das Korpergewicht der Kinder im Ver-
laufe der Dyspepsie einer Erörterung zu unterziehen. Der
Umstand, dass trotz des Bestandes dieser Erkrankung das
Körpergewicht mitunter eine stetige Zunahme aufweisen kann,
bringt es mit sich, dass bei dem Vorhandensein nur einzelner
Symptome solche Kinder nicht als krank betrachtet werden.
Es genügt als Beispiel hierfür, auf das ,,habituelle Erbrechen^'
der Kinder im Säuglingsalter hinzuweisen, welches an sich
ebenfalls noch nicht als Krankheitssymptom aufgefasst wird.
Die Korpergewichtszunahme beobachtet man bei den Formen
von Dyspepsie mit Obstipation oder mit nur unbedeutender
Veränderung der Zahl, der Consistenz und des Aussehens der
Stühle. In den Fällen, welche mit stärkerer Diarrhöe einher-
gehen, finden wir bei täglicher Wäguncr Körpergewichtsstill-
stand o^er Körpergewichtsabnahme. Letztere ist am Auf-
fallendsten in acuten Fällen. Körpergewichtsabnahme jedoch
ohne täglich erfolgende Stuhlentleerung und ohne Erbrechen,
lediglich bedingt durch ungenügende Zufuhr von Nahrung
überhaupt, darf niemals mit Dyspepsie in Zusammenhang ge-
bracht werden.
Wie wir anfangs behufs Präcisirung der Dyspepsie die
Bedingungen anführten, unter welchen wir ein Kind im
Säuglingsalter als gesund betrachten, so müssen wir anderer-
seits auch fordern, dass ein Kind, welches an Dyspepsie er-
krankt war, nicht früher als gesund zu betrachten sei, bevor
nicht alle angeführten Magendarmsymptome geschwunden sind,
die Körpergewichtszunahme stetig vorwärts schreitet und das
Kind mehrstündigen, tiefen, ruhigen Schlaf wiedererlangt hat.
Die Dyspepsie kann unter den mannigfaltigsten Symptomen
verlaufen, sie kann durch das Auftreten eines oder anderer-
seits vieler Symptome gleichzeitig charakterisirt sein, sie kann
acut einsetzen oder sich durch allmählige Entwicklung der
Symptome kennzeichnen. In allen Fällen bleiben aber
die Erscheinungen der Dyspepsie immer auf den
Magendarmtractus beschränkt.
440 A. Czerny nnd P. Moser:
iri88t zu einer Zeit, wo dieselben den Wasserverlust des Blutes
nicht mehr ausgleichen können.
Die Erscheinungen seitens des Magendarmtractus bei der
Gastroenteritis sind zunächst denen der Dyspepsie gleich, er-
reichen jedoch besonders in den acuten Fällen viel höhere
Grade: das Erbrechen kann jeder Nahrungsaufnahme folgen,
die Zahl der Stühle kann eine so grosse sein, dass die Inter-
valle zwischen den einzelnen Stuhlentleerungen sehr klein
werden und die Consistenz der Stühle geradezu der des Was-
sers gleich wird. Die Kinder sind dabei ausserordentlich un-
ruhig, schreien stundenlang fast ununterbrochen und verwei-
gern die Nahrungsaufnahme. Abgesehen von diesen Erschei-
nungen, welche sich nur in der Intensität von denen der
Dyspepsie unterscheiden, finden sich bei der Gastroenteritis
auch Symptome eigener Art von Seite des Magendarmtractus.
Die Mundhöhlenschleimhaut ist in den acuten Fällen auf-
fallend stark geröthet und zwar fällt die Röthung umsomehr
auf, je jünger das Kind ist. In Folge des hohen Wasserverlustes
orHcheint die Zunge sehr trocken, in den chronischen Fällen
jedoch, wo der Organismus Zeit hat seinen Wassergehalt aus-
zugleichen, tritt die Trockenheit an der Mundhöhlenschleim-
liaut nicht so hervor.
Der Soor, der auch bei längerem Bestände der Dyspepsie
immer nur die oberflächlichen Schichten des Epithels durch-
setzt, wächst bei der Gastroenteritis bis in die Mucosa der
Zunge hinein. Hierbei geben Erosionen der kleinen Gefässe
/u geringen Blutungen in das Soorgewebe und in die Epithel-
scbicht Veranlassung, in Folge dessen ein dicker, rothbrauner
Helag auf der Zunge entsteht. In anderen Fällen können
«liose Erosionen zu einer diffusen Blutung in die Muudhöhle
führen. Während wir bei der Dyspepsie den Soor stets nur
auf die Rachen- und Zungenschleimhaut beschränkt finden,
seilen wir ihn in schweren, leta.1 verlaufenden Fällen von
<Tastroenteritis iu der Epitheldecke des Oesophagus bis zum
Magen weiterwuchern. Dieser Pilz, der sich fast regelmässig
i)ei der Gastroenteritis von Kindern der ersten Lebenswochen
iindet, tritt nur selten bei älteren Säuglingen auf. Diese Er-
scheinung ist jedoch nicht bedingt durch eine Verschiedenheit
der Erkrankung, sondern wahrscheinlich durch die üngleich-
artigkeit des Epithels bei älteren und jüngeren Kindern. Das
seltenere Vorkommen des Soors im späteren Alter lässt sich
in gleicher Weise erklären wie die Abnahme der Disposition
/ii Magendarmerkrankuugen mit zunehmenden Jahren, näm-
lich durch die steigende Alcalescenz des Blutes und der Ge-
webe mit dem Wachsthum des Kindes. Auf diese Erschei-
nung wollen wir jedoch hier nicht näher eingehen. In chro-
Eliii. Beobacht. an magendarmkranken Kindern i. Säaglingsalter. 441
nischen Fällen von Gastroejiteritis findet der Soor auch im
Magen -Darminhalte einen günstigen Nährboden zur Weiter-
entwickelung. Bei solchen Kindern kann man den Stuhl von
Soorpilzhaufen durchsetzt beobachten. Als A£fection im Be-
reiche der Mundhöhle bei schweren Fällen möchten wir noch
das Auftreten von Petechien in der Gaumenschleimhaut er-
wähnen. Von den klinisch wahrnehmbaren Symptomen, die
uns der Magen bei der Gastroenteritis bietet, sei zunächst die
starke Schleimsecretion hervorgehoben. Diese verräth sich
beim Erbrechen, besonders deutlich in chronischen Fällen, und
lässt sich, falls das Erbrechen fehlt oder nicht beobachtet
wurde, bei der Vornahme einer Magenausspülung, wie schon
Epstein^) angiebt, beobachten. Das Erbrochene weist einen
mehr oder weniger intensiven Geruch von -Fettsäuren auf,
deren Auftreten und Zunahme in solchen Fällen Heubner^)
durch qualitative und quantitative Untersuchungen festgestellt
hat. Auch in schweren Fällen von Gastroenteritis kann das
Erbrechen fehlen oder nur vereinzelt vorkommen. Durch
Untersuchung des ausgeheberten Mageninhaltes lässt «ich
jedoch stets zeigen, dass auch bei solchen Patienten der
Magen gleich schwer erkrankt isi Im Verlaufe einer Gastro-
enteritis sind im Mageninhalte zuweilen kleine Blutspuren
nachzuweisen, unter Umständen kann die Blutmenge eine
dunkelbraungraue Verfärbung des Mageninhaltes bewirken,
noch seltener ist die Blutung aus der Magenschleimhaut so
intensiv, dass das Blut in wenig verändertem Zustand aus-
gebrochen wird. Nachdem man verschiedene quantitative Ab-
stufungen von Magenblutungen in den einzelnen hierher ge*
hörigen Fällen beobachten kann und eine Hämatemesis in
jedem Stadium der hier beschriebenen Magendarmerkrankung
auftreten kann, so erscheint es uns nicht berechtigt, die Fälle
selbst mit intensiver Magenblutuug als besondere Erkrankung
abzugrenzen, sondern vielmehr auch sie als in das Bereich
der Gastroenteritis gehörig zu betrachten. Von dem Erbrechen
ist wohl zu unterscheiden das Ausfliessen des Mageninhaltes
aus Mund und Nase im schweren Collapsstadium der Gastro-
enteritis. Diese Erscheinung, welche durch das Erlöschen
der Cardiafunction bedingt ist, kann, durch Tieflageruug des
Kopfes hervorgerufen, durch Hochlagerung desselben besei-
tigt werden.
Oft kann man bei der Inspection des Abdomens, ent-
sprechend dem Situs des Magens, eine mehr oder minder
1) Epstein, Archiv f. Kinderheilk. Bd. IV 1888. S. 382. — Jahr-
buch f. Kinderheilkunde Bd. XXVII. 1888. S. 122.
2) Heubner, Jahrbuch f. Kinderheilkunde Bd. XXXII. S. 27. 1891.
Jahrbuch f. Einderheükiinde. N. F. XXXVni. 29
442 A. Czerny und P. Moser:
scharf begrenzte Vorwolbung wfthrnehmen, welche mittelst
der Percussion als durch Gasansammlung bewirkt erscheint
und durch versuchsweise Füllung des Magens mit Wasser als
dem Magen angehörig erwiesen werden kann. Die Erschlaf-
fung der Magenmuskulatur, eine Folge der langen Retention
der Nahrung im Magen, führt bei chronischem Verlaufe zu
einer Dilatation dieses Organes, über deren Grosse uns die
Untersuchungen von HenscheP) Aufschluss geben. Wie bei
der Dyspepsie, so finden sich auch bei der Gastroenteritis
bald Meteorismus, bald hochgradig erschlaffte Bauchdecken
vor. Der Meteorismus erscheint noch dadurch interessant,
dass er auch bei sehr zahlreichen Stühlen fortbestehen kann,
solche Formen von Gastroenteritis geben nach unserer Er-
fahrung auch eine besonders ungünstige Prognose. Sehr häufig
findet sich bei der Gastroenteritis eine Erschlaffung der Bauch-
decken, welche mit der Intensität und der Dauer der Erkran-
kung zunimmt, ja solche Grade erreichen kann, dass sich die
Darmcontouren an den Bauchdecken ausprägen und die peri-
staltischen Bewegungen des Darmes verfolgen lassen. Bei
der Palpation ist es an solchen Kranken leicht, die Wirbel-
säule durch die Bauchdecken zu tasten, häufig ist ein lautes
Gurren hierbei wahrnehmbar.
Als different von der Dyspepsie kommt am Stuhle bei
der Gastroenteritis ausser der quantitativen Steigerung der
dyspeptischen Symptome desselben nur die Darmblutung in
in Betracht. Bei einer dunklen Verfärbung des Stuhles, welche
durch Blutgehalt desselben bedingt sein kann, ist darauf Rück-
sicht zu nehmen, in welcher Form der Blutffarbstoff in den
Stühlen enthalten ist. Denn nur bei Blutungen aus dem
Rectum oder bei sehr acuten aus den oberen Darmabschnitten
ist es möglich, wohlerhaltene rothe Blutkörperchen im Stuhle
nachzuweisen. In den übrigen Fällen der Magen- und Darm-
blutungen kann gleichwie bei allein bestehender Magenblutung
der Stuhl wohl in der Farbe verändert sein, ohne dass es
möglich wäre mit Hilfe des Mikroskopes die Formbestand-
theile des Blutes zu erkennen. Manchmal sind solche Stühle
dicht durchsetzt von Hämatoidinkrystallen. Erwähnenswerth
erscheint es uns, dass in schweren Fällen von Gustroente-
ritis die Zahl der Stühle eine sehr grosse sein kann, auch
wenn die Nahrung vollständig ausgesetzt wird, eine Er-
scheinung, die auf eine starke Secretion der Darmschleimhaut
zurückzuführen ist. In manchen Fällen sieht man die Gon-
sistenz und die gelbe Farbe des Stuhles der Norm gleich-
1) H. Henschel, Archiv far Kinderheilkunde Band XUl, S. 32.
1891.
KHd. . Beobacht. an magendarmkranken Kindern i. Säuglingsalter. 443
kommen^ während die Zahl and der Geruch der Stühle uns
die Erkrankung verrathen. Dies möchten wir deshalb er-
wähnen, um auf die geringe klinische Bedeutung der Farbe
der Stühle allein hinzuweisen. Bei chronischem Verlauf der
Erkrankung, besonders häufig bei künstlich ernährten Kin-
dern, kann Vermehrung der Zahl der Stühle mit Obstipation
alterniren, wobei der feste wie auch der dünnflüssige Stuhl
sich stets durch eine gleiche Erscheinung, d. i. den Gestank
Yon Fäulnissproducten, charakterisiren. Die andauernden ab-
normen Zersetzungsvorgänge des Darminhaltes bei der Gastro-
enteritis fordern besondere Beachtung mit Rücksicht auf den
daraus resultirenden Allgemeinzustand der Kranken, welchen
man mit dem Namen der Atrophie bezeichnet. Ein derart
krankes Kind nimmt bei einer Ernährung, bei welcher ein
gleichalteriges oder, besser gesagt, ein gleichentwickeltes, ge-
sundes Kind erfahrungsmässig normal gedeiht, continuirlich
an Korpergewicht ab, bis nach Erreichung der höchsten Grade
von Abmagerung schliesslich der Tod das Krankheitsbild be-
endet. In Folge einer beabsichtigt oder zufällig richtigen
Therapie können die Erscheinungen der Krankheit jedoch
auch allmählich, langsam verschwinden. Um zu einem rich-
tigen Verständnisse dieses eben beschriebenen Krankheitsbildes
zu gelangen, genügt folgende Beobachtung: Ernährt man ein
solches Kind mit einer so kleinen Menge von Kuhmilch, wie
sie hinreicht für ein Kind in den ersten Lebenstagen, so
beobachtet man Abnahme des Körpergewichtes, ohne dass
das Kind erbrochen hätte, bei nur einem Stuhl in 24 oder
gar nur 48 Stunden, also ein Zustand, der nur durch unge-
nügende Nahrungszufuhr erklärlich erscheint. Steigert man
bei demselben Kranken die Milchquantität bis zu jener Grösse,
welche dem Anscheine nach für die Ernährung eines solchen
Kindes hinreichen müsste, so nimmt das Kind abermals an
Körpergewicht ab, ohne dass eine andere Erscheinung am
Kinde auftritt, ausgenommen die, dass die Stühle nicht an
Zahl, sondern an Menge zunehmen. Die Untersuchung eines
solchen Stuhles lehrt^ dass das Milchfett und der Milchzucker
aufgebraucht wurden, während das Plus von Gasein, welches
dem Kinde jetzt mehr eingeführt wurde, die Mengenzunahme
des Stuhles bedingt Daraus geht schon hervor, dass es sich
bei der sogenannten Atrophie nicht um eine gleichmässige
Herabsetzung aller Resorptionsvorgänge im Darme handelt,
sondern um eine Störung der Eiweissverdauung. Die Fäul-
niss der solchermaassen mangelhaft ausgenützten Eiweiss-
körper hat zur Folge die Entstehung toxischer Substanzen,
deren Resorption wiederum eine Reihe von Krankheitssymp-
tomen bedingt, welche wir später erörtern wollen. Die Auf-
29*
452 A. Czerpy nnd P. Moser:
ist als beim Brustkinde. Die Yerringerang der Harnmenge
und die daraus resultirende Goncentration des Harns machen
in vielen Fällen das Centrifugiren resp. Sedimentiren über-
flüssig. Die verschiedenen Hambefunde bedingen jedoch im
Uebrigen keine anderweitigen differenten klinischen Symptome.
Die Nierenaffection beeinflusst nach unserer Erfahrung die
Prognose nicht besonders ungünstig, wir sahen auch die lang-
dauernden und sehr schweren Formen in Heilung ausgehen,
und nur jene Fälle bildeten eine Ausnahme, bei welchen die
Obduction eine Thrombose der Nierenvenen ergab. Oedeme
treten bei den die Gastroenteritis begleitenden Nierenaffeo^
tionen nur selten auf, wir vermissten sie stets bei den Gastro -
enteritiskranken der ersten Lebenswochen. Die Nephritis als
Theilerscheinung der Gastroenteritis nimmt mit dem Alter der
Kinder an Häufigkeit ab.
Zur Erklärung der Genese dieser Nierenerkrankungen lie-
fert die pathologisch -anatomische Untersuchung der Nieren
werth volle Anhaltspunkte. Nach unseren eigenen Untersuchungen
ist der häufigste Befund an den mikroskopischen Präparaten
von der Niere der, dass die Epithelzellen der gewundenen
Canälchen stark vergrossert sind, ihr Protoplasma granulirt
erscheint und ihre Kerne gegenüber den übrigen auffallend
schwach gefärbt sind. Die Malpighi'schen Korperchen und
die geraden Canälchen heben sich durch ihre intensive Fär-
bung scharf von den erkrankten, gewundenen ab. In dem
Lumen der Canälchen, sowohl in der Rinde als in der Pa-
pille, finden sich an manchen Stellen Cjlinder vor. Das
interstitielle Gewebe zeigt nichts Abnormes. In einer Reihe
von Fällen finden wir eine herdweise Infiltration der Nieren-
rinde, entweder nur aus Rundzellen oder aus Rundzellen und
rothen Blutkörperchen bestehend. Wir möchten besonders be-
tonen, dass wir niemals eine auf die ganze Nierenrinde sich
erstreckende, diffuse Infiltration beobachtet haben. Im Be-
reiche der angeführten herdförmigen Infiltrate, welche manch-
mal scharf abgegrenzt erscheinen, sind die betroffenen Canäl-
chen und Glomeruli oft soweit destruirt, dass sich dieselben
mitunter nur noch unbestimmt erkennen lassen. Bei ent-
sprechender Färbung kann man in diesen Infiltraten stets
grössere oder kleinere Gruppen von Mikroorganismen wahr-
nehmen. Als das wichtigste erscheint uns jedoch der Befund,
dass man in solchen Herden Blutgefässe, streckenweit voll-
ständig ausgefüllt von Mikroorganismen, nachweisen kann.
In den seltenen Fällen von Thrombose der Nierengefasse
kann man den Thrombus sich direct an solche Embolien von
Mikroorganismenhaufen anschliessen sehen. Der genannte Be-
fund von Bacterien in der Blutbahn giebt uns einen weiteren
Klin. Beobacht. an magendarmkranken Kindern 1. Sänglingsalter. 453
Anhaltspunkt für die Entstehung der Nierenerkrankungen und
muss unsere Aufmerksamkeit überhaupt auf einen zweiten
Modus der Genese von complicirenden Erkrankungen bei der
Gastroenteritis lenken. Das Vorkommen von Mikroorganis-
men nur an den erkranktefi Partien der Niere, noch vielmehr
in solcher Menge, dass sie kleine Gefassbezirke vollständig
ausfällen, lässt es als unzweifelhaft erscheinen, dass es sich
hier um eine Ansiedelung von Bacterien intra vitam handle.
Ist dieser Beweis erbracht, so erscheint die Eintheilung der
Symptome der Gastroenteritis in dem Sinue^ wie wir es bis-
her gethan haben, noth wendig. Wir unterscheiden demnach
eine Reihe solcher Erscheinungen, welche sich allein durch
die Resorption toxischer Substanzen aus dem Darme erklären
lassen, und solcher, welche durch das Eindringen von Bacterien
in den Organismus verursacht sind.
Ehe wir auf die Frage eingehen, woher die Bacterien
in den Organismen eindringen, ehe wir die Frage erörtern,
welche Bacterien an diesem Processe betheiligt sind, wollen
wir zunächst die weiteren diesbezüglichen klinischen Symp-
tome erörtern. Von diesen beanspruchen die Lungenerschei-
nungen schon darum ein besonderes Interesse, weil sie die
Prognose der Krankheit wesentlich beeinflussen und von den
die Gastroenteritis complicirenden Theilerscheinungen die häu-
figsten sind.
In acuten Fällen von Gastroenteritis, in denen die schein-
bar geringen Symptome der vorangegangenen Dyspepsie regel-
mässig nicht beachtet werden, gelangt man leicht zu der
falschen Annahme, dass die Lungenerscheinungen mit den
acuten Magendarmsymptomen gleichzeitig einsetzen können.
Die Beobachtungen von subacut oder chronisch verlaufenden
Formen lassen jedoch mit Sicherheit die Behauptung auf-
stellen, dass die Lungenerscheinungen immer die secundären
sind. Wir müssen diese Thatsache besonders hervorheben
mit Rücksicht; auf die häufigen lobulären Pneumonien im
Säuglingsalter, welche sich bei eingehender Aufnahme der
Anamnese und genauer Untersuchung regelmässig als mit
Magendarmkrankheiten vereint erweisen und zu der Ansicht
drängen, dass im Säuglingsalter eine primäre, lobuläre Pneu-
monie überhaupt nicht vorkommt Wir können sonach fest-
stellen, dass die Magendarmsymptome den Lungenerscheinungen
bei der Gastroenteritis stets vorangehen und dass das Auf'
treten von lobulären Pneumonien verhindert werden kann,
wenn die Magendarmaffectionen möglichst rasch beseitigt
werden. Da wir ferner, bei bereits bestehenden secundären
Lungenerkrankungen, dieselben rasch heilen sehen, wenn wir
die pathologischen Vorgänge im Darmcanale beseitigen, und
454 A. Czerny und P. Moser:
andrerseits selbst Monate lang fortbestehen können, wenn man
die letzteren nicht berQcksichtigt, so sind dies Gründe genug,
um einen Zusammenhang der Lungenerkrankungen mit den
Darmerscheinungen zu erschliessen und nicht in der Lunge,
sondern im Darme die Entstehungsursache beider zu suchen.
Erwähnenswerth erscheinen uns die statistischen Daten von
Miller^), welche sich auf 15000 Fälle von Pneumonien im
Säuglingsalter mit 1000 Obdnctionen stützen, und aus wel-
chen hervorgeht, dass zwei Drittel aller Fälle als secundäre
Pneumonien bei Darmkrankheiten aufgefasst werden müssen.
Eine consequent durchgeführte Untersuchung der Lungen bei
magendarm kranken Säuglingen ergiebt wichtige Anhaltspunkte
für die Entstehung dieser Pneumonien. Die ersten klinischen
Symptome sind Beschleunigung der Respiration und thora-
cale Athmung. In den Anfangsstadien ergiebt die Percussion
zumeist einen mehr oder weniger deutlichen tympanitischen
Percussionsschall und nur relativ selten eine Verkürzung des-
selben über dem einen oder anderen Lungenlappen. Da im
Beginne einer derartigen Pneumonie niemals bronchitische Er-
scheinungen wahrzunehmen sind und ferner geringe Qrade
von bronchialem Athmen von puerilem Athmen nicht zu
unterscheiden sind, so kann man das Resultat der Auscul-
tation in diesem Stadium als völlig negativ bezeichnen. Ist
die Lungen affection von grosserer Ausbreitung, so zeigt sich
sofort inspiratorische Einziehung der Rippenbogenfurche und
im Bereiche der Intercostalräume. Mit dem Einsetzen der
Lungenerkrankung tritt oft eine hohe, aber kurz andauernde
Temperatursteigerung ein, Husten fehlt zu dieser Zeit voll-
ständig. Hat man es sich zur Gewohnheit gemacht, die Lunge
der magendarmkranken Säuglinge stets zu untersuchen, so
kann man mit Sicherheit behaupten, niemals Symptome,
welche eine Erkrankung der Bronchien erschliessen lassen,
im Anfangsstadium der Pneumonie wahrzunehmen. Die an-
geführten Lungensymptome lassen sich nur als Ausdruck cen-
traler oder peripherer, lobulärer Herde deuten, welche plötz-
lich auftreten, durch das vicariirende Emphysem jedoch bei
der Percussion zumeist verdeckt werden. Erst später, wenn
die einzelnen Herde an Grosse zugenommen haben oder sie
sehr dicht aneinander lagern, können sie eine Verkürzung
des Percussionsschalles bedingen. Das plötzliche Auftreten
der pneumonischen Herde, ohne vorangehende Bronchialerachei-
nungen, die häufigere Erkrankung der rechten Lunge lassen
schon aus der klinischen Beobachtung allein vermutben, dass
diese Pneumonien nicht durch Infection von den Luftwegen aus,
1) Miller, Wratsch 1892. Nr. 14. S. 862.
Klin. Beobacht. an magendarmkranken Kindern i. Sänglingsalter. 455
sondern auf embolischem Wege durch die Blutbahn zu Stande
kommen. Diese Annahme findet noch eine weitere Stütze in
dem tJmstande, dass die bereits besprochenen Nierenerschei-
nungen gleichzeitig mit den Lungenerscheinnngen einsetzen
können.
Sowie der Beginn der Lungenerkrankung* in klinischer
Beziehung wichtige Anhaltspunkte abgiebt fiir die Erklärung
des Zustandekommens dieser Affection, so sind andererseits
die klinischen Beobachtungen im weiteren Verlaufe der
Lungenerkrankungen leicht Ursache für eine irrthümliche
Auffassung der Processe. Es kann z. B. die Yercrrosserung
der kleinen Herde zu einer Verschmelzung zahlreicher solcher
Herde führen^ sodass der Percussions- und Auscultationsbefund
nicht mehr eine lobuläre, sondern lobäre Pneumonie erschliessen
lässt. Dies ist um so mehr der Fall, wenn die Lungen-
erscheinungen sehr acut verlaufen und nicht gleichmässig über
beide Lungen vertheilt sind. Da ferner die Herde, entspre-
chend ihrer ungleichen Entwickelung, zu verschiedenen Zeiten
in Lösung übergehen und erst zu dieser Zeit Husten aus-
gelöst wird, welches Symptom für den Laien doch zumeist
die erste Veranlassung abgiebt, sich an den Arzt zu wenden,
da sich ferner in diesem Stadium der Krankheit Percussions-
differenzen und durch die Auscultation Rasselgeräusche, Schnur-
ren und Pfeifen nachweisen lassen, so ist es leicht verständ-
lich, dass diese Processe in den Lungen als Bronchopneu-
monien bezeichnet werden. Nachdem mit dieser Benennung
jedoch stets eine aus einer primären Bronchialerkrankung
hervorgegangene lobuläre Pneumonie verstanden wird und
klinisch ein dififerenzielles Symptom zwischen einer , solchen
Bronchopneumonie und dem eben geschildertem Stadium der
Pneumonie bei Gastroenteritis nicht existirt, so müssen wir
es für wünschenswerth halten, um wenigstens eine Verstän-
digung zu ermöglichen, eine analoge Bezeichnung, wie sie die
Schüler von Dr. Sevestre (I.e.) vorschlagen („Bronchopneu-
monies infectieuses d'origine intestinale chez Tenfant'^), zu ge-
brauchen. Wir weisen jedoch mit Rücksicht auf die be-
stehende Nomenclatur nochmals darauf hin, dass in den hier-
her gehörenden Fällen die Invasion der Krankheitserreger in
die Lunge nicht auf dem Wege der Bronchien, sondern auf
dem Wege der Blutbahn« erfolgt.
Es ist klar, dass das klinische Bild der Lungenerkran-
knng ein sehr mannigfaltiges sein kann. Die Erkrankung
kann sich auf einen oder mehrere Lungenlappen erstrecken,
sie kann auch beide Lungenflügel gleichmässig befallen. Die
Herde können sehr klein bleiben oder auch weniger rasch
confluiren. Bei chronischem Verlaufe bieten die Herde ver-
456 Aj Czerny und P. Moser:
schiedener Entwickelung gleichzeitig verschiedene Erscheinimgen.
Die Lungenerscheinongen können im G-esammtkrankheitsbilde
der Gastroenteritis prävaliren oder eine kleinere Bolle spielen.
Selbst bei der Losung zahlreicher Herde und reichlichem
Husten wird von den Säuglingen niemals ein Sputum aus der
Mundhöhle ausgeworfen, sondern immer geschluckt. Fängt
man nach einem Hustens toss die Sputa im Bachen auf, so
kann man sich, gleichwie auch durch eine Magenausspülung
des betreffenden Kindes, überzeugen, dass die Sputa eitrig
sind. Niemals konnten wir jedoch ein rostfarbenes Sputum
beobachten. In chronischen Fällen kann es bei Kindern, welche
bereits die unteren Schneidezähne entwickelt haben, in Folge
der langen Dauer des Hustens und des hierbei erfolgenden
^^orstossens der Zunge wie bei Pertussis zu einer Ulceration
des Zungenbändchens kommen. Das Verhalten der Körper-
temperatur ist kein typisches, jedoch lässt sich soviel sagen,
dass es nie ein constantes oder constant remittirendes ist
und somit einen wichtigen Behelf für die Differentialdiagnose
zwischen der Pneumonie bei chrom'scher Gastroenteritis und
einer Tuberculose bildet. In jenen Fällen, wo die Lungen-
erkrankung beide Lungen befallen hat und das vicariirende
Emphysem in Folge dessen bedeutend zunimmt, kommt es
zu einer Form Veränderung des Thorax, welche um so deut-
licher hervortritt, je jünger das Kind ist und sich in der
Weise äussert, dass der Thorax an seiner vorderen Fläche
hoch gewölbt erscheint Mit der Ausdehnung der Lungen-
erkrankung wächst die Dyspnoe der Kinder. Als Zeichen für
die letztere wollen wir besonders die Nasenflügelathmung
hervorheben, ferner die eigene Art der Orthopnoe im Säuglings-
alter. Diese äussert sich in der Weise, dass die Kinder, bei
stark zurückgebeugtem Kopf, die Wirbelsäule hochgradig biegen,
wodurch das Bild eines Opistothonus zu Stande kommt. Der
Nacken wird dabei derart starr gehalten, dass in diesem Sta-
dium die Annahme einer Meningitis leicht Platz greifen kann.
In noch schwereren Fällen tritt an Stelle dieser Orthopnoe
eine vollkommene Erschlaffung der Extremitätenmuskulatun
Die Kinder liegen dann ganz bewegungslos da, hebt man
eine von ihren Extremisten empor, so fällt sie, wieder frei-
gelassen, wie bei einem Narkotisirten in Folge der Schwere
schlaff auf ihre Unterlage zurück.» Cyanose an den peri-
pheren Theilen und an den Lippenschleimhäuten verräth
schon bei der Inspection den schweren Grad der Dyspnoe.
Der grosse Widerstand, welchen die Circulation in Folge der
Lungenerkrankung erleidet, führt rasch zu einer Insufficienz
der Herzaction, welche, wenn sie nicht durch therapeutische
Maassregeln behoben wird, zu der raschen Entstehung eines
Elia. Beobacht. an magendarmkranken Kindern i. Säuglingsalter. 457
Lungenödems führt. Dieses ist zumeist die unmittelbare Todes-
ursache in solchen Fällen und lässt sich klinisch erkennen an
einem an den Lungenrandern auftretenden und rasch nach
oben fortschreitenden dichten, kleinblasigeu Rasseln, ferner
an der schaumigen, blutigen Flüssigkeit, welche bei forcirten
Exspirationen durch Mund und Nase entleert wird.
Gegenüber der Häufigkeit der lobulären Pneumonien kommt
es in verhältnissmässig wenigen Fällen zu pleuritischen Er-
scheinungen bei der Gastroenteritis. Relativ am häufigsten
finden sie sich bei Kindern des jüngsten Alters, bei denen die
Infection nicht nur leichter zu Stimde kommt, sondern auch
viel schwerer verläuft als bei Kindern des späteren Alters.
Obzwar Gerhardt^) angiebt, dass beim Säugling schon ein
Exsudat von 100 g merkliche Dämpfung hervorruft, so kommt
der klinische Nachweis der Pleuritis im Verlaufe einer Gastro-
enteritis doch nur selten zu Stande. Dieses beruht darauf,
weil das Exsudat in solchen Fällen viel weniger als hundert
Gramm beträgt, und darauf, weil manchmal nur eine geringe
fibrinöse Auflagerung auf der Pleura zu Stande kommt. Wie
erwähnt, lässt sich schon aus den klinischen Beobachtungen
allein eine Abhängigkeit der Lungenerkrankung von den Darm-
erscheinungen erschliessen und für die Annahme einer immer
zufallig von den Luftwegen aus hinzutretenden Lungenerkran-
kung bei der. Gastroenteritis kein Anhaltspunkt gewinnen.
Diese Anschauung wird auch durch die pathologisch • anato-
mische Untersuchung der Lunge bestätigt. Hierfür geben
acut verlaufende Fälle, wie es a priori zu erwarten ist, die
brauchbarsten Objecte ab. An einem grossen Mikrotomschnitte
durch eine solche Lunge zeigt sich das Lungengewebe von
mikroskopisch kleinen, scharf begreiftten Infiltrationsherden
durchsetzt, zwischen welchen die freigebliebenen Alveolen em-
physematos erweitert sind. Die Bronchien zeigen keine patho-
logische Veränderung. Die Infiltrate bestehen aus Rundzellen,
zumeist vermengt mit zahlreichen rothen Blutkörperchen und
desquamirten Lungenepithelzellen. Die Anordnung der Herde
iQ einem solchen Uebersichtspräparate lässt sich nur ver-
gleichen mit der Anordnung miliarer Tuberkel im Lungen-
gewebe, also einer Lungenerkrankung, welche gleichfalls auf
dem Wege der Blutbahn zu Stande kommt. Auch ein Ver-
gleich dieser Präparate von den Lungen Gastroenteritiskranker
mit solchen von Thieren, wo bei den einen durch Inhalation,
bei den anderen auf dem Wege der Blutbahn experimentell
eine Infection der Lunge erzeugt wurde, lässt eine Deutung
1) C. Gerhardt, Deutsche Chirurgie von Billroth nnd Luecke,
Lief. 48. 1892. S. 24.
Jahrbuch f. Klnderheflkimde. K. F. XXXYTIL SO
462 ^ Czerny and P. Moser:
Lungen- und Nierenerscheinungen bei dem Kinde schon intra
yitam auf eine Allgemeininfection vom Darme aus schliessen
Hessen, so ist es leicht vorstellbar; dass die Mikroorganismen
auch an der Fracturstelle einen günstigen Ort für ihre An-
siedelung fanden. Sowie in diesem Falle die traumatische
Circulationsstörung Veranlassung gab zur Localisation der
Krankheitserreger, so geben bei Kindern in den ersten Lebens-
Wochen die bei der Geburt plötzlich aus dem Kreislaufe aus-
geschalteten Nabelgefösse häufig bei eintretender Gastroente-
ritis eine Localisationsstelle für die pathogenen Mikroorga-
nismen ab. Da der Yernarbungsprocess des Nabels in den
ersten Lebens wochen ablauft, so ist es klar, dass patho-
logische Processe an den Nabeigefassen eine Theilerscheinung
der Gastroenteritis nur in dieser Lebenszeit ausmachen können.
Die Nabeigefasse aus der Circulation als plötzlich ausge-
schaltet zu betrachten, erscheint gerechtfertigt mit Rücksicht
auf die feststehende Thatsache, dass die Nabeigefasse keine
Yasa yasorum besitzen.
Befremden muss die relative Seltenheit der Peritonitis
bei der Gastroenteritis. ^) Die klinischen Beobachtungen lehren,
dass die Peritonitis immer nur den Abschluss schwerster
Magendarmerscheinungen beim Säuglinge bildet und stets
auch noch anderweitige Localisationen des Krankheitsprocesses
eine Allgemeininfection vom Darmtractus aus erschliessen
lassen. Kassel') berichtet über drei solche Fälle von acuter
Peritonitis in Folge von Verdauungsstörungen bei Neugebo-
renen.
Zu den, gegenüber Lungen-, Nieren- und Nabelgefass-
erkrankungen, seltenen Theilerscheinungen der Gastroenteritis
müssen wir die Eiterprocesse rechnen, welche sich fast au
allen Körperregionen localisiren können. Von diesen sind vor-
erst zu berücksichtigen die Eiterungen in den Gelenken und
Knochen, in Folge welcher es mitunter zu Epiphysenablö-
sungen kommen kann, welche leicht einen unbegründeten Ver-
dacht auf Lues erwecken könnten. Am häufigsten ist dabei
das Hüft- und Schultergelenk betroffen. Da diese Processe
2ll ihrer Heilung viel längere Zeit brauchen als die Gastro-
enteritis, so ist gerade bei diesen Erkrankungen nur eine
klinische Beobachtung vom Beginne der Krankheit an im
Stande, die Aetiologie dieser Gelenks- und Knocheneiterungen
richtig zu erfassen. Die im Verlaufe einer Gastroenteritis
an einer oder mehreren Körperstellen plötzlich auftretenden
Phlegmonen, für welche eine locale Entstehungsursache nicht
1) Widerhof er, Jahrbuch f. Kinderheilkunde 1862. Bd. V. S. 205.
2) Kassel, Berlioer klinische Wochenschrift XXIX. 42. 1892.
Elin. Beobacht. an magendormkranken Eindem i. Säuglingsalter. 463
aufzufinden ist, sprechen, wie die vorher erwähnten Eiterungs-
processe, ebenfalls für eine von dem erkrankten Darmcanal
aus erfolgte Allgemeininfection. Als eine specielle Form einer
solchen Allgemeininfection müssen wir die universelle Furun-
culosis oder Folliculitis im Säuglingsalter auffassen. Dieselbe
wird nur bei der chronischen Gastroenteritis beobachtet und
gelangt nur dann zur Abheilung, wenn es gelingt die Gastro-
enteritis zu beheben. Dass man auf der Haut dieselben Bac-
terien nachweisen kann wie in den kleinen Hautinfiltraten,
ist kein Widerspruch, da aus diesem Befunde allein sich
nicht erschliessen lässt, ob die Bacterien von der Haut aus
eingedrungen sind oder aus dem Organismus auf die Haut-
oberfläche ausgeschieden wurden. Zu den hierher gehörenden
metastatischen Eiterungsprocessen muss auch die Meningitis
gezählt werden, abgesehen jedoch von jener, welche ihre Ent-
stehung Yon der bei Gastroenteritis sehr häufig vorkommen-
den Otitis media herleitet. Viel prägnanter als die Menin-
gitis spricht die in seltenen Fällen von Gastroenteritis auftretende
Encephalitis für eine Infection auf dem Wege der Blutbahn.
Die Form der Encephalitis ist es nämlich, welche durch ihr
Auftreten in circumscripten, disseminirten Herden auf den In-
fectionsweg schliessen lässt. Die klinischen Erscheinungen
der Encephalitis werden oft durch die Somnolenz der Kranken
vollständig verdeckt. Nur in den Fällen, wo ein oder der
andere Herd die motorischen Hirngebiete occupirt, treten ent-
sprechende Symptome auf, welche die klinische Diagnose mög-
lich machen.
Wir wollen noch einer klinischen Erscheinung Erwäh-
nung thun, welche gut geeignet ist die Entstehung der secun-
dären Theilerscheinungen der Gastroenteritis auf embolischem
Wege darzuthun. Es sind dieses die in schweren Fällen
plötzlich auftretenden Blasenbildungen am Fersenhöcker oder
die scharf circumscripte Gangrän der Haut daselbst. Auch
die Entstehung des Decubitus an jenen Hautstellen, welche
dauerndem Drucke ausgesetzt sind und woselbst in Folge
dessen die Girculation gehemmt ist, wird leicht verständlich
mit dem Hinweis auf unsere oben erwähnten Auseinander-
setzungen betreffend die Nabelgefässerkrankungen.
Ein sehr ungleiches Verhalten zeigt bei der Gastroente-
ritis die Milz. In einzelnen Fällen ist sie vergrössert, in
anderen, selbst lange andauernden Fällen bleibt sie klein.
Da die unmittelbare Ursache der Milzschwellung bei Infec-
tionskrankheiten bisher nicht bekannt ist, so wollen wir dieses
Symptom nicht weiter discutiren.
Die Veränderungen, welche die Leber bei der Gastro-
enteritis erleidet, bedingen an sich keine klinischen Symptome.
464 A. Czeroy and P. Moser:
Nur bei andauernder Herzschwäche und ausgedehnter Langen-
erkrankung lässt sich bei der Palpation die in Folge der
Stauung bedingte Vergrosserung der Leber durch die schlaffen
Bauchdecken leicht constatiren. Pathologisch-anatomisch zeigt
dagegen die Leber oft schwere parenchymatöse Degeneration.
Was uns dabei jedoch speciell interessirt^ ist der häufige Be-
fund von Mikrokokkenembolien in den Lebercapillaren.
Schon die Mannigfaltigkeit der angeführten Erscheinungen,
welche im Verlaufe einer Gastroenteritis auftreten können
und das Erankheitsbild so verschiedenartig zu gestalten ver-
mögen, macht es unwahrscheinlich, dies Alles auf die Wir-
kung eines einzigen Mikroorganismus zurückzuführen. Wenn
wir aus den klinischen Beobachtungen weiter zu der An-
nahme gedrängt werden, dass Mikroorganismen aus dem Darm
in die Lymph- und Blutbahn gelangen , so ist es a priori zu
erwarten y dass die geschädigte Darm wand aus der grossen
Zahl der im Darm enthaltenen Bacterien nicht einer bestimm-
ten Art, sondern allen im gleichen Maasse die Möglichkeit
des Eindringens in den Organismus bietet. Schon aus den
bisher vorliegenden bacteriologischen Untersuchungen geht
hervor, dass sowohl im Blute als in den Organen entweder
mehrere Bacterienarten gleichzeitig vorhanden sind oder ein-
zelne, jedoch verschiedenartige Bacterien in den jeweiligen
Fällen nachweisbar sind. Da bei der Untersuchung am Leichen-
material der Uebelstand hinzukommt, oft nicht mit Sicherheit
entscheiden .zu können, was postmortal entstanden ist und
was bereits intra vitam da war, so versuchten wir, durch
bacteriologische Untersuchung an Lebenden den Beweis
für die Richtigkeit unserer Auffassung der Gastroenteritis als
einer Allgemeininfection des Körpers vom Darm aus zu er-
bringen. Der aus den angeführten klinischen und pathologisch-
anatomischen Beobachtungen hervorgehenden Anschauung fol-
gend, dass die Verbreitung des Krankheitsprocesses zum grossen
Theile auf dem Wege der Blutbahn vor sich geht, gingen
wir darauf aus, die im Blute kreisenden Mikroorganismen
nachzuweisen. Da die Erfahrung lehrt, dass die mikrosko-
pische Untersuchung des Blutes vom Lebenden auch in jenen
Krankheitsfällen,- wo sicher Bacterien im Blutkreislauf nach-
gewiesen wurden, eine sehr unzuverlässige ist, so haben wir
von derselben vollständig abgesehen und uns auf das Cultur-
verfahren bei der bacteriologischen Untersuchung des Blutes
beschränkt.
Zu unseren Untersuchungen haben wirausschliess-
lich nur solche an Gastroenteritis leidende Kinder
herangezogen, bei welchen keine Complication vor-
lag, welche auch nur die Möglichkeit einer Infection
u
Kilo. Beobacht. an magendarmkianken Kiadem i. Säoglingsalter. 465
von einer anderen Eörperstelle (z. B. von der Haut
oder vom Nabel) als vom Darm aus erschliessen Hess.
Unsere Erfahrungen über die Gastroenteritis sind zum Theil
an dem Krankenmaterial der Einderklinik der Landesfindel-
anstalt, zum Theil am Ambulatorium derselben Klinik ge-
sammelt. Aus diesem gesammten Material wurden auch die
Fälle ausgewählt^ welche wir zur bacteriologischen Unter-
suchung herangezogen haben, und fühlen wir uns an dieser
Stelle veranlasst^ Herrn Professor Epstein für die vollstän-
dige Ueberlassung des Materials unseren besten Dank auszu-
sprechen.
Wir waren nicht in der Lage, in dem Wesen der Er-
krankung Unterschiede zn constatiren zwischen den in der
Anstalt internirten Kindern und denen, welche aus der Stadt
zur ambulatorischen Behandlung in die Klinik eingebracht
wurden.
Wir mochten daher auch ausdrücklich daraufhin-
weisen, dass zwischen der Gastroenteritis im und
ausserhalb des Findelhauses kein principieller Unter-
schied besteht, welcher eine Trennung dieser Krank-
heitsfälle rechtfertigen würde.
In der Findelanstalt hat man allerdings häufig Gelegen-
heit, schwere Gastroenteritiden besonders im jüngsten Säuglings-
alter klinisch zu beobachten, die Krankheit an und für
sich bleibt jedoch dieselbe, wie und wo sie allent-
halben beobachtet wird.
'Dass sie gerade in Findelhäusern häufig zu beobachten ist^
erklärt sich theilweise aus der grossen Zahl der daselbst an-
gesammelten Säuglinge, zum Unterschiede von den anderen
Kinderkliniken, in welchen die Säuglinge nur einen kleinen Bruch-
theil des Materials bilden. Ferner ist zu beachten, dass die
meisten Findelanstalten in Bezug auf Wartepersonal und Zahl
der Aerzte, im Verhältniss zur Zahl der Kranken, weit hinter
den meisten Kinderkliniken zurückstehen. Die Findelanstalt
muss weiter magendarmkrank eingebrachte Kinder aufnehmen,
während sie von der Mehrzahl der Kinderspitäler überhaupt
nicht oder nur ausnahmsweise in den Krankenstand eingereiht
werden. Wir mochten schliesslich noch darauf aufmerksam
machen, dass die Mütter oder Ammen der unehelichen Kinder
nicht immer das Interesse haben, an der Erhaltung des Kindes
mitzuwirken. Da übrigens diese Frage zu den Untersuchungen
über das Wesen der Krankheit in keinem engen Gonnex steht,
so wollen wir dieselbe auch nicht weiter erörtern.
Die Methode unserer Untersuchung war folgende: Die
Haut einer Zehe wurde in üblicher Weise mit Aether, Subli-
mat, schliesslich nochmals mit Aether gründlichst gereinigt
466 A« Csernj und P. Moser:
und sodann mit einer sterilisirten Lanzette ein Einstich ge-
macht, durch welchen ein Blutstropfen leicht hervorquellen
konnte. Es wurde nun möglichst rasch mit einer Oese Blut
auf schräg erstarrten Agar oder Glycerinagar Obertragen.
Behufs Controle wurden stets mindestens zwei Nährboden be-
schickt. Da es a priori vorstellbar war, dass das Blut nicht
so von Mikroorganismen durchsetzt zu sein braucht, dass die
selben in jedem Blutstropfen vorhanden sein müssen, so wurde
durch wiederholte Versuche eine grössere Sicherheit in der
Beurtheilung sowohl positiver als negativer Befunde ange-
strebt. Um selbst einen Maassstab zur Beurtheilung der Ton
uns angewandten Methode zu besitzen, versuchten wir uns
vorerst an einer Zahl von gesunden Kindern zu überzeugen,
mit welcher Sicherheit wir auf die angegebene Weise vom
Blute abimpfen können, ohne Verunreinigungen aus der Luft
oder von der Haut fürchten zu müssen.-
Die zu dem Zwecke herangezogenen 30 gesunden Kinder
waren Säuglinge von verschiedener Entwickelung und ver-
schiedenem Alter, welche in der Zeit, während welcher sie
itir unsere Untersuchungen auf der Klinik in Beobachtung
standen, in allen Punkten den zu Beginn unserer Arbeit an-
geführten Bedingungen entsprachen, sodass wir die Kinder
als magendarmgesund bezeichnen mussten. Auch sonst Hessen
dieselben keine Erkrankung an sich wahrnehmen. Von diesen
30 Kindern wurden im Ganzen 60 Blutproben entnommen
und auf Agar oder Glycerinagar übertragen. Alle Nährböden
wurden durch mehrere Tage im Brutschranke belassen * und
beobachtet. Nur auf zweien derselben entwickelte sich je
eine Colonie. Eine von diesen Hess sich bei näherer Unter-
suchung als Sarcina lutea feststellen und muss sonach als
eine Verunreinigung aus der Luft aufgefasst werden« Die
andere Colonie, von einem zweiten Falle herrührend, bestand
aus Kokken, welche sich nach Gram färben Hessen, Gelatine
langsam verflüssigten, keinen Farbstoff producirten und für
Kaninchen nicht pathogen waren. Das Ergebniss der Vor-
untersuchung erschien uns genügend und erscheint uns um
so wichtiger, wenn wir die Resultate unserer Untersuchungen
an kranken Kindern damit in Vergleich ziehen. Denn wie
wir hier vorweg kurz hervorheben wollen, ergaben unsere
wiederholten bacteriologischen Untersuchungen nur einmal ein
positives Resultat bei 11 djspeptischen SäugHngen, dagegen
12 mal ein solches bei 15 Kindern, welche an Gastroenteritis
erkrankt waren. Um unsere Befunde an kranken Säuglingen
genauer analysiren zu können, sehen wir uns genöthigt, die
einzelnen Fälle in extenso zu besprechen:
Elin. Beobacht. an magendarmkranken Kindern i. Säaglingsalter. 467
Baoteriologisohe üntersnohmigen an Säuglingen mit
Dyspepsie.
I. Fall. Prot-Nr. 9766, Initialgewicht 3700 g, Eörperlänffe 68 cm,
lahme in die Anstalt am 12. Lebenstage (14. fV. 94), BrasU^ind.
Aafiaahme
D«taxn
Körper-
gewicht
Krankheitssymp tome
BaoteriologiBch wurden
untersucht
16. IV.
3800 > Keine.
16.
3800
2 Stühle mit nnverd. Milchresten.
17.
3870
2 do. , Schlaf unruhig.
18.
3840
6 do. , Soor oris.
2 Blutprob. Bes.neg.
19.
3860
4 do. , do.
20.
3900
Stuhl normal, do.
Wie der Auszug aus der Krankengeschichte zeigt , handelte es sich
hier um eine Dyspepsie mit geringer Körpergewichtsabnahme, ver-
mehrter Zahl der Stühle, gestörtem Schlaf und Soor oris. Die bacterio-
logische Untersuchung wurde an dem Tage vorgenommen, an welchem
die Krankheitssymptome ihren Höhepunkt erreichten, und ergab ein
vollständig negatives Resultat.
II. FalL Prot.>Nr. 96*28, Initialgewicht 3630, Körperlänge 60 cm,
Aufnahme in die Anstalt am 3. Lebenstage (31. III. 94), Brustkind.
nfttnm
Körper-
gewicht
Krankheitesymptome
BacteriologiBch wurden
untersacht
1. IV.
3630
Keine.
2.
3630
Norm. AbÜEill des Nabelstrangrestes
3.
3600
Stuhl m. grob. Caseinklumpen verm.
4.
3600
6 wäss. St, Erbr., Kind schreit viel.
2 Blutprob., neg.Res.
6.
3460
7 Stühle, Erbrechen hat aufgehört.
do.
6.
8360
6 do.
7.
8270
4 do.
t
8.
8230
4 do.
2 Blutprob., neg. Bes.
9.
3190
2 do.
do.
10.
8120
8 do. Soor oris.
2 Blutpr.,Entw.e.Col.
11.
3000
8 do. do. Erbrechen.
12.
3000
Norm. St., Soor oris, Erbr. hat aufg.
13.
3020
Keine.
Das Kind verblieb bis zum 26. IV. in der Anstalt, zeigte vom
18. IV. an regelmässige Körpergewichtszunahme, sodass es mit einem
Körpergewicht von 3600 g die Anstalt verliess. Die Magendarm erschei-
nungen und die Gewichtsabnahme waren in diesem Falle so bedeutende,
dass nur der durch die klinische Beobachtung mögliche Ausschluss aller
Erscheinungen, welche auf eine allgemeine Infection oder Intoxication
hätten schliessen lassen können, die Diagnose Dyspepsie rechtfertigten.
Auf den 10 Nährböden, auf welchen die an verschiedenen Tagen ent-
nommenen Blutproben vertheilt waren, gelangte nur eine ganz verein-
.zelte Colonie zur Entwickelung, welche als Sarcina lutea bestimmt
werden konnte. Wir sehen uns veranlasst, diesen Befund als zufällige
Verunreinigung des Nährbodens aufzufassen, umsomehr, da die Sarcina
lutea in unserer Anstaltsluft regelmässig nachzuweisen ist Das Gesammt-
resultat der bacteriologischen Untersuchung muss demnach auch in
468
A. Czerny und P. Moser:
diesem Falle als ein negatives betrachtet werden. Dies ist am so be-
merkenswerther, weil gerade bei diesem Kinde in verschiedenen Sta-
dien der Krankheit Blutproben entnommen worden.
III. Fall. Prot -Nr. 10 158, Initialgewicht 2180 g, Eörperl&nge
44,5 cm, Aufnahme in die Anstalt am ersten Lebenst^e (28. V. 94),
Brustkind.
Datum
Körper-
gewicht
Krankheltsiymptome
untersaoht
24. V.
2050 Keine.
26.
2050
Dyspeptische Stühle.
26.
2050
do.
*
27.
2050
do.
28.
2050
Norm, abgenabelt, dysp. Stahle.
29.
2020
DyspeptisSie Stahle.
80.
2020
do.
31.
2000
do. Soor oris.
1. VI.
2000
2 Stahle. Erbrechen. do.
2 Blutpr., neg. Res.
2.
2050
Erbrech, hat aufgehört, do.
8.
2070
Stuhl normal. do.
4.
2100
do. Soor geheilt.
Dieser Fall betraf sonach ein neugeborenes, sehr schwaches Kind,
bei welchem die dyspeptischen Erscheinungen am 3. Lebenstage ihren
Anfang nahmen und ununterbrochen bis sum 10. Lebenstage andauerten.
Am letztgenannten Tage, an welchem die Krankheitssymptome ihren
Höhepunkt erreicht hatten, wurden 2 Blutproben zur bacteriologischen
Untersuchung herangezogen und ergaben ein negatives Resultat. Die
weitere klinische Beobachtuog zeigte vom 11. Lebenstage an ein rasches
Verschwinden der Symptome der Krankheit, sodass das Kind am
14. Lebenstage als gesund bezeichnet werden konnte.
IV. Fall. Prot.-Nr. 10 167, Initialgewicht 8830 g, Körperl&nge 51 cm,
Aufnahme in die Anstalt am 10. Lebenstage (25. V. 94), Brustkind.
Datum
Körper-
gewicht
3810
KrankheiteiTmptome
Baoteriologleoh worden
vutersvtoht
26. V.
Keine.
26.
3290
Dyspeptischer Stuhl.
27.
3270
4 dyspeptische Stühle, unnihig.
28.
8270
4 do. do.
29.
3280
4 do. do.
80.
8260
4 do. do.
31.
3260
5 do. do.
2 Blutpr., neg. Bes.
1. VI.
8280
4 do. do.
do.
2.
8230
4 do. do.
Die Dyspepsie dieses Kindes äusserte sich in der beständigen Körper-
gevrichtsabnahme, in der abnormen Beschaffenheit und vermehrten Ziüil
der Stühle. Die bacteriologische Untersuchung des Blutes wurde an
zwei aufeinander folgenden Tagen vorgenommen. Die Dyspepsie be-
stand da schon sechs Tage hindurch und war, wie wir aus dem Körper-
gewicht entnehmen können, wahrscheinlich auch bereits vor dieser Zeit
vorhanden. Der Ausgang der Erkrankung ist uns unbekannt, weil das
Klin. Beobacht. an mageDdarmk ranken Kindern i. S&uglingsalter. 469
Kind ans der Anstalt genommen wnrde. Die Nährboden mit allen
4 Blutproben blieben steril.
y.Fall. Prot.-Nr. 9192, Initialgewicht 2660 g, Körperlänge 47,5 cm,
Anfnahme in die Anstalt am 4. Lebenstage, Brustkind. Das Kind wurde
krank eingebracht und hatte bereits in den Tier ersten Lebenstagen
530 g seines Gewichtes verloren. Die Schädelknochenränder waren
übereinander geschoben, das Gesicht greisenhaft faltig, die Mundhöhlen-
Bchleimhaut gerOthet, die Banchdecken schlaff, der Nabelstrangrest noch
nicht abgestossen.
Datum
Körper-
gewicht
JCrankheittsymptome
Bacteriologltch wurden
untersucht
18. IL
2130
4 Stahle.
19.
2160
4 do. Erbrechen.
2 Blutpr., neg. Bes.
20.
2180
4 do. do.
21.
2190
Erbrechen hat aufgehört.
22.
2160
Abfall des Nabelstrangrestes.
23.
2120
3 Stühle, Erbrechen.
24.
2120
3 do. Kein Erbrechen.
25.
2120
26.
2150
Soor oris.
27.
2170
do. Stuhl normal.
Die Schwere der Dyspepsie des Kindes hatte zur Folge, dass das
Kind erst am 30. Lebenstage sein Liitialgewicht wieder erreichte. Die
Körpergewichtsabnahme war eine so hochgradige, wie sie in Fällen von
Gastroenteritis oft nicht bedeutender ist. Nur die Tbatsach^, dass sich
klinisch blos die Magendarmsjmptome und die Abmagerung feststellen
Hessen, charakterisirt diesen Fall als Dyspepsie. Das Blut wurde am
19. IL zur bacteriologischen Untersuchung herangezogen, also mitten im
Bestände der Krankheit. Beide Proben blieben steril. Das Kind wurde
mit einem Körpergewicht von 3100 g am Ende der 7. Lebens woche aus
der Anstalt entlassen, nachdem es von der 3. Lebenswoche an eine ste-
tige Zunahme zeigte und keinerlei Krankheit^symptome mehr auftraten.
VL Fall. Prot.-Nr. 9807, Initialgewicht 2530, Körperlänge 46 cm,
Aufnahme in die Anstalt am 8. Lebenstage (20. lY. 94), Brustkind.
Datum
Körper-
gewicht
KrankheitBBymptome
Baoteriologisoh wurden
untenncht
20. IV.
2440
2 Stühle mit unverd. Milc.hresten.
21.
2460
3 St. mit unverd. Milchrest. Erbr.
22.
2480
4 St. do. do.
2 Blutpr., neg. Res.
23.
2460
3 St. do. do.
24.
2450
25.
2480
26.
2480
4 Stahle, Erbrechen.
27.
2490
2 Stühle, kein Erbrechen.
28.
2520
29.
2530
30.
2580
I.V.
2580
2.
2600
8.
2580
4 Stahle, Erbrechen.
2 Blutpr., neg. Res.
4.
2590
3 Stühle, Erbrechen. Soor oris.
470
A. Czerny and P. Moeer:
«•*- Ät'
KnnkheitMynptomo
Bftotoilologisch wnrdoa
untorsuobt
6. V.
6.
7.
8.
2610 I 2 Stahle, Erbrechen. Soor oris.
2680 1 Stahl do. do.
2660
2680
8 Stühle do. Soor geheilt.
St. normal, Erbr. hat aufgehört
In diesem Falle von Dyspepsie bildete das Erbrechen die wesent-
lichste nnd hartnäckigste Ersoheinang. Die Krankheit ist dareh ein
Intervall von 6 Tagen, während welcher Zeit das Kind nichts Abnormes
darbot, in swei Perioden getheilt. In jeder derselben wurden an einem
Tage, an welchem die klinischen Erscheinungen sehr intensiv waren,
Blutproben der bacteriologischen Untersuchung unterworfen, jedoch stets
ohne Erfolg.
VII.Fall. Prot-Nr. 9881, Initialgewicht 8760 g, Körperlänge 60,6 cm.
Aufnahme in die Anstalt am 6. Lebenstage (28. l v. 94), Brustkind.
Datum
gewioht
KrankheilHTniptoin«
Bacteriologisoh wurdam
nntenaoht
1. V.
2.
8.
4.
8870
8900
3900
3930
Keine .
6 dOnDflüssige Stähle, Erbrechen.
8 Stühle, kein Erbrechen.
Ein normaler Stuhl.
2 Blatpr., neg. Ben.
Ein leichter Fall von Dyspepsie, welcher wegen des plötalichen
und intensiven Einsetzens der Erkrankung gleich am ersten Tage sur
bacteriologischen Untersuchung he Angezogen wurde, jedoch kein posi-
tives Ergebniss lieferte. Die Erscheinungen, welche in diesem Falle so
acut einsetzten, gelang es rasch zu beseitigen, sodass das Kind schon
am 4. y. als gesund bezeichnet werden konnte und es auch verblieb.
VIII.FalL Prot-Nr. 9761, Initialgewioht 2620 g, Körperlänge 48 cm,
Aufnahme am 16. Lebenstage (14. IV. 94), Brustkind.
Dfttam
KOrper-
gewloht
Knuikheltisymptomo
Baotoriologfsoh wiudoa
Qiitarsaoht
27. IV. 2780 ; Keine.
28.
2700
8 dyspeptische Stühle, unruhig.
29.
2700
8 do. do.
80.
2720
8 do. do.
I.V.
2700
6 dysp. St., Erbrechen. Soor oris.
2 Blutpr., Bes. neg.
2.
2800
2 Stühle, Erbr. hat aufg. S. oris.
8.
2900
2 normale Stühle.
4.
2960
2 do.
Eine Dyspepsie leichten Grades, das Blut wurde am 1. V. ent-
nommen, also zu einer Zeit, wo die Erscheinungen der Dyspepsie ihren
Höhepunkt erreicht hatten. Die beschickten Nährböden bueben keim-
frei. Das Kind wurde in der 6. Lebenswoche mit einem Körpergewicht
von 8100 g als gesund entlassen.
IX. Fall. Prot-Nr. 9112, Initialgewicht 8210 g, Kdrperlänge 60,6 cm,
Aufnahme in die Anstalt am 11. Lebenstage (11. II. 94), Brustkind.
Kilo. Beobacht. an magendarmkranken Kindern i. Säaglingsalter. 471
Datum
Körper-
gewicht
Krazücheitsaymptome
Baoterioiogisoh wurden
nntersncht
16. IL
8210
•
Keine.
17.
8280
6 St. mit unverd. Milchresten , Erbr.
2 Blutpr., kein Bes.
18.
3180
6 St do. do.
19.
3190
Das Kind ist sehr unruhig.
20.
3190
Erbrechen hat aufgehört.
2k
3160
6 dyspeptische Stühle.
22.
3070
6 do.
23.
3090
8 dyspeptische Stühle, Erbrechen.
24.
3100
2 do. Kein Erbr.
26.
3000
2 do.
26.
3060
2 do.
27.
3060
1 normaler Stuhl.
28.
3070
1 do.
1. III.
3140
1 do.
Die angeführten Magendarmerscheinungen und die Körpergewichts-
abnahme charakterisiren den Fall als eine schwere Dyspepsie. Zur
bacteriologischen Untersuchung des Blutes wurde das Kind am ersten
Krankheitstage herangezogen, beide Proben ergaben ein negatives Re-
sultat. Die Symptome blieben im ganzen Krankheitsverlaufe auf den
Magendarmcanal beschränkt.
X. FalL Prot.-Nr. 9343, Initiakre wicht 3620 g, Körperlange 61 cm,
Aufnahme in die Anstalt am 12. Leoenstage (4. lÜ. 94), Brustkind.
Datam
Körper-
gewicht
KrankheitMymptome
Baoteriologiioh wurden
nntersacht
•4. m.
3060
2 dysp. Stuhle, sohl. Schlaf. Erbr.
6.
3030
3 do. do. do.
6.
2940
2 do. do. do.
2 Blutpr., neg. Res.
7.
2910
5 do. do. do.
2 do.
8.
2930
3 do. do. do.
2 do.
9.
2900
3 do. do. do.
10.
2900
1 grün. Stuhl, Erbr. hat aufgehört.
11.
2900
1 do.
12.
2940
1 do.
13.
2960
Soor oris.
14.
3050
do. Stuhl normal.
16.
3100
do. do.
16.
3160
Soor geheilt, do.
Der Beginn der Erkrankung muss, wie aus dem Körpergewicht zu
erschliessen ist, in die Zeit vor der Aufnahme des Kindes in die An-
stalt verlegt werden. Die Intensität der Magendarmerscheinungen findet
ihren Ausdruck in dem hochgradigen Körpergewichteverluste des Kindes.
Die bacteriologische Untersuchung des Blutes wurde an drei aufein-
ander folgenden Tagen, im Höhestadium der Erkrankung, vorgenommen,
die Nährböden blieben steril. Auch in diesem Falle blieb die Erkran-
kung auf den Magendarmtractus localisirt, obzwar die Erscheinungen so
intensiv waren, dass der Eintritt einer Allgemeininfection befürchtet
werden musste.
XI. Fall. Prot.-Nr. 10 107, Initialgewicht 2810 g, Körperlänge 48,6 cm,
Aufnahme in die Anstalt am 11. Lebenstage (20. V. 94), Brustkind. In
474
A. Cserny and P. Moier:
Beetätigang in dem Reroltate der bacteriologischen Unteranchnng des
Blutee, welche am leisten Lebenstage bu verschiedenen Tageszeiten
vorgenommen wurde. Auf allen Nährböden entwickelten sich sahlreiche
Colonien von gleichem Anssehen and Wachstham, welche bei längerem
Bestände eine intensive oran^erothe Färbung annahmen. Mikroskopisch
liess sich feststellen, dass die Colonien aas Kokken bestehen, die sich
nach Oram intensiv färbten. Gelatine - Stichculturen zeigten massig
rasche, trichtexiT^rmige Yerflüssigang der Grelatine mit intensiver Färb-
stoffprodnction der Kokken an der Spitee des Trichters. Aof Kartoffel
bildeten die Kokken einen nicht sehr Aber die Impfstelle hinaus-
wachsenden feinen Uebersug von orangegelber Farbe. In der Bouillon
erfolgte (bei Körpertemperatur) rasches Wachsthum anter TrSbung der-
selben innerhalb von 24 Stunden. Von einer nur 1 Tag alten Bouillon*
cultur wurde einer weissen Maus subcutan injicirt, das Thier seigte
jedoch an den folgenden Tagen weder locale noch allgemeine Reactions-
erscheinungen. Eine Aufschwemmung einer 2 Tage alten Agar-Strich-
cultur in physiologischer Kochsalzlösung, in die Jugularis eines Kanin-
chens eingebracht, führte den Tod des Thieres innerhalb von 86 Stunden
herbei. Intru vitam liessen sich am Thiere nur Diarrhöen beobachten.
Aus dem Herzblute des Thieres wurden die gleichen Kokken in Bein-
cultur wieder erhalten. Die angeführten Eigenschaften rechtfertigen es,
wenn wir diesen Coccus als Staphylococcus pyogenes aureus be-
zeichnen. Das Blut des Kindes muss stark von demselben durchsetzt
gewesen sein, da aus jedem einzelnen Blutstropfen zahlreiche Colonien
hervorgingen. Dass auf allen Nährböden dieselben Kokken gefunden
wurden, sichert umsomehr die Richtigkeit des Befundes.
Fall II. Prot. -Nr. 8645, Initialgevricht 2960 g, Körperlänge 48 cm,
das Kind wurde mit der Diagnose Gastroenteritis in die Anstalt ein-
gebracht und hatte zu dieser Zeit ein Körpergewicht von 2840 g, also
ein Gewichtsverlust von 620 g. Brustkind. Die Hautdecken waren
leicht icterisch verfärbt, der Nabelstrangrest noch adhärent, die Ath-
mung thoracal, mit leichter Einziehung der Zwischenrippenfurchen. Me-
teorismus.
Datum
Körper-
gewicht
26. XII.
26.
27.
28.
2330
2850
2820
2800
29.
2280
SO.
81.
1. L 94
2.
8.
2280
2280
2250
2220
2220
4.
5.
6.
2200
2200
2200
Krankheitasjmptome
Baot wurden
uatersncht
Zahlreiche, dflnnflüss. Stühle. Herzschwäche.
Zahlr. dünnfl. St. Im Harn Eiweiss-Cylinder.
10 Stühle. do.
8 St. Abfall des Nabelstrangrestes. Im Harn
Eiweiss-Cylinder. Erbrechen.
8 Stühle. Erbrechen. Soor oris. Im Harn
Eiweiss-Cylinder. Herztöne sehr dumpf.
Erbrechen hat aufgeh., sonst Status idem.
8 dünnflüssige Stühle, do.
2 Stühle, do.
Soor intensiv, do.
Erbrechen, links hinten unten gedämpfte
Percussion über der Lunge, daselbst ab-
geschwächtes Athmen bei d. Auscultation
wahrnehmbar. Soor oris. Die Nieren-
symptome dauern fort.
8 Stühle, sonst Status idem.
Status idem.
do.
r
Kilo. Beobachi. an magendarmkraDken Kindern i. Sänglingsalter. 475
Datum
Körper-
gewicht
KrAnkheitssymptome
Baot. warden
naterancht
7. I. 94
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
2200
2200
2200
2150
2100
2100
2200
2180
8 Stühle, im Harn anch Zucker nachweis-
bar, sonst Statas idem.
Hasten, h. r. o. verkürzter Percnssionsschall
über d. Longe, Herzschwäche, sonst St. id.
Meteoriamus, Herztöne sehr dumpf, Status
vom 8. fortbestehend.
4 Stühle, sonst Status idem vom 9. I.
Rechts hinten oben Rasselgeräusche über d.
Lunge, Status idem vom 10. I.
Spärl. Harnentleerung, die übr. Krankheits-
symptome unverändert fortbestehend.
Starke Dyspnoe, sonst Status vom 12. L
Collaps, Athmung sehr unregelmäss. , aus-
setzend. In der Nacht unter zunehmen-
der Dyspnoe Exitus letalis.
2 Blntprob.
2 do.
2 do.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis, Pneumonia lobularis bila-
ieralis, Nephritis, Soor oris.
In diesem Falle traten klinisch neben den Magendarmerscheinungen
besonders die Lungen- und Nierenerscheinungen stark in den Vorder-
grund. Die bacteriologische Untersuchung des Blutes wurde an drei
aufeinander folgenden Tagen und zwar im weit vorgerückten Krankheits-
stadium vorgenonunen , blieb jedoch in allen Fällen erfolglos. Die Er-
klärung dieses negativen Resultats wollen wir später erörtern.
Fall III. Prot.-Nr. 9008, Initialgewicht 2760 g, Körperlänge 48,6 cm.
Aufnahme in die Anstalt am 12. Lebenstage (1. II. 94), Brustkind. Bei
der Aufnahme am Kinde abjectiv keine pathologischen Erscheinungen
nachweisbar, sein Körpergewicht betrag an diesem Tage 2700 g.
BAtom
Körper-
gewicht
Krankheiteiymptome
Bact. wurden
nnterinoht
1.IL 94
2.
3.
4.
6.
2700
2620
2400
6.
2300
2220
2160
2100
16 dünnflüssige Stühle, Herztöne kaam hör-
bar. Körpertemperatur 38 ^ C.
4 Stühle. Im Harn Ei weiss und zahlreiche
Cy linder. Ueber d. Lungen r. h. o. ver-
kürzte Percussion. Körpertemperatur am
Morgen 87,6, Abends 37,6^ C.
Temperat. Morgens. 36,6, Abends 37 ^ Sta-
tus idem.
6 Stühle, beginnendes Sclerem, über beiden
Oberlappen hinten verkürzter Percussions-
Bchall, über den Unterlappen tympani-
' tischer Schall.
6 St., Temp. Morgens 38 ^ Abends 37,2 ^
Angeblich blutiger Harn.
Temp. Morg. 36,2, Abends 36,8 °, Sclerem in
Zunahme, Herztöne schwach, Respiration
sehr frequent, Bauch leicht aufgetrieben,
Lungen- und Nierenerscheinungen besteh,
unverändert fort.
31*
4 Blutprob.
4 do.
2 do.
2 do.
476
A. Cserny nnd P. Moser:
Datum
Körper-
gewicht
8. II.
Krftiüüielt«syinptom6
B»ct. worden
nntenacht
2 Blatprob.
2160 Temp. a. m. 36,4, p. m. 85,8, 7 Stühle, i. der
Schleimhaut des hart. Gaumens Petech.,
d. weiche Gaumen in seinem ganzen hint.
Abschnitt grauroth verfärbt. In der Gebend d.
link. Unterkieferastes e. Anschwellng. Das In*
spurium von e. weit hörbaren schnarch. GeiAusch
begleitet. Die Besp. ist sehr beschleun., Herz-
action unregelmässig, Percussionsschall üb. beid.
Lungen gedämpft tymp., hocbgrad. Sclerem, die
Nierenerscheinungen unverändert fortbestehend.
2% Uhr Nachts Exitus letalis.
ElinischeDiagnose: Gastroenteritis, Sc)erema, Pneumonia lobu-
laris bilateralis, Nephritis, Necrosis palati mollis.
In diesem acuten Falle zeigen uns die klinischen Symptome deut-
lieh die Verbreitung des Processes über den ganzen Organismus. An
6 Tagen wurden Blutproben zur bacteriologischen Untersuchung heran-
gezogen. Von 14 beschickten Nährböden blieben 18 steril, auf einem
vom 6. .II. kam es zur Entwickeluug von zwei gleichen kleinen Colo-
nien. Dieselben erwiesen sich in ihrer Znsammensetzung als aus lange
Ketten bildenden Kokken bestehend, welche sich nach Gram intensiv
färbten. Der Coccus wuchs bei Körpertemperatur gut auf Glycerinagar
und in Bouillon, konnte dagegen in Gelatine-Stichculturen (bei Zimmer-
temperatur) nicht zum Wachsen gebracht werden. Auf Kartoffeln war
man nicht im Stande makroskopisch ein Wachsthum festzustellen. In
die Ohrmuscheln zweier Kaninchen geimpft, bewirkte der Streptococcus
erysipelatöse Röthung daselbst, welche nach 4 Tagen spontan zurück-
gegangen war. Einem dritten Kaninchen, welchem die in physio-
logischer Kochsalzlösung aufgeschwemmten Streptokokken in die Vena
jugularis injicirt wurden, zeigte keine Beactionserscheinungen. Bei einem
vierten Kaninchen, in die vordere Augenkammer eingebracht, verur-
sachten sie eine acute Panophthalmitis. Es handelte sich somit in
diesem Falle um einen pathogenen Streptococcus. Von einer wei-
teren Differenzirung des Streptococcus nehmen wir Abstand mit Bück-
sicht auf die jdngsten Angaben von Alessandro Pasquale^), welcher
die Methoden zur Unterscheidung von Streptokokkenarten systematisch
prüfte und dabei zu dem Schlüsse gelangte, dass eine Trennung der
Streptokokken nach Arten bisher nicht möglich sei.
Fall IV. Prot. -Nr. 9020, Initialgewicht 2960 g, Körperlänge 47 cm.
Brustkind. Eingebracht am 4. Lebenstage (1. II. 94) mit der Diagnose
Atrophie und einem Körpergewicht von 2400 g, also einer Abnahme
von 660 g. Leichter Icterus, Meteorismus.
Datum
2. n.
8.
4.
Körper-
gewicht
2480
2600
2400
Krankheitisymptome
Baot. wurden
untersucht
8 Stahle, Soor oris.
4 Stühle, Soor oris.
14 St, Soor oris, anhält. Schreien^ an mehr.
Stellen üb. d. Dornfortsätzen d. Wirbel u.
i. d. Sacralgegend Suffus., Haut graugelb.
2 Blutprob.
1) Pas quäle, Vergleichende Untersuchungen über Streptokokken.
Beiträge z. path. Anatomie u. z. allg. Pathologie v. Ziegler. B.XII. S. 438.
E^Iin. Beobacht. an magendarmkranken Kindern i. Sänglingsalter. 477
Datum
Körper-
gewicht
Krankheltiaymptom«
Baot. warden
nnteriacht
6. II. 8200 Im Harn makro- und mikroskopisch Blut 2 Blutprob.
nachweisbar y Stflhle sind gelb, sonst Sta-
tus idem vom 4. II.
6. 2100 8 St. von dunkelbrauner Farbe, Herztöne
sehr dumpf, starker Meteorismus, sonst
Status idem vom 4. II.
7. 2100 2 St., Herztöne sehr schwach hörbar. Ab- 2 do.
dornen sehr stark aufgetrieben, im Harn
kein Blut, jedoch viel Eiweiss u. zahlreiche
Gylinder. Soor besteht fort, desgl. d. Suff
8. 2100 3 Si, PercussionsBchall über beid. Lungen 2 do.
laut tympan., Athm. thoracal und frequ.,
Soor hat zugen., sonst Stat. id. Tom 7. II.
9. 2100 Status id. yom 8. U. Die H&nde sind in d. 4 do.
Badiocarpalgelenken maximal gebeugt u. i.
d. Metacarpophalangealgelenk. liberstreckt.
10. 2050 6 stink. St., Corneae matt, Augenlidränder 2 do.
geröthet, Soor intensiv, Herztöne kaum
hörbar, Athmung sehr firequ., mit starker
Einziehung der Rippenbogenfurchen, r. h.
unten verkürzter Percnssionsschall über
der Lunge, Sclerem, Meteorismus, Beflex-
erregbarKeit herabgesetzt. 2 ühr Nachts
Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis, Soor oris, Pneumonia lobu-
laris, Nephritis, Sclerema, Suffosiones.
In diesem schweren Falle von Gastroenteritis war es uns möglich,
schon am ersten Tage der acuten Magendarmerscheinungen das Blut
bacteriologisch zu untersuchen. Die entsprechenden Proben ergaben
jedoch ein negatives Resultat. Das Blut wurde am nächsten und in
den weiteren 4 Tagen des Krankheitsverlaufes nochmals untersncht.
Aus den Blutproben vom 6. II. entwickelten sich auf jedem Nährboden
mehrere Colonien, welche jedoch kein gleichartiges Aussehen unterein-
ander zeigten. Die einen waren weiss, undurchsichtig, rund und scharf
begrenzt, die anderen waren ebenfalls weiss, jedoch durchscheinend und
zeigten ausgebuchtete Ränder. Die ersteren erwiesen sich mikroskopisch
aus Kokken zusammengesetzt, welche sich nach Gram färben Hessen,
die anderen bestanden aus kurzen, ziemlich lebhaft beweglichen Stäb-
chen, welche oft zu zweien angeordnet waren. Die auf Nährböden
übertragenen Blutstropfen vom 7. und 8. II. blieben steril. Dagegen
entwickelten sich aus dem Blute vom 9. und 10. auf fünf Nährböden
gleichartige Colonien, welche denen vom 5. II. makro- und mikro-
skopisch, sowie in ihrem Wachsthum vollkommen glichen. Die Kokken
zeigten folgendes Verhalten: Bei Köi-pertemperatur rasches Wachsthum
auf schräg erstarrtem Agar; in Gelatine (Stich) bei Zimmertemperatur
reichliche Entwickelung von Colonien im Impfstich, kein Oberflächen-
wachsthum, späte und langsame Verflüssigung der Gelatine; auf Kar-
toffeln bildet sich ein langsam wachsender, weisslicher, schwer sicht-
barer Belag. Die Impfung dieser Kokken in die vordere Augenkammer
eines Kaninchens verursachte anfangs Trübung der Cornea, hierauf
Hypopjon; in die Blutbahn eines Kaninchens gebracht, rufen sie keine
Erscheinungen hervor. Die aus dem Blute gezüchteten Stäbchen
wuchsen bei Körpertemperatur rasch auf schräg erstarrtem Agar. In
478
A. Czemy und P. Moser:
Gelatine -Stichcnltiiren zahlreiche Colonien l&ngs des Impfstiches sicht-
bar, auf der Oberfl&che des betrefifenden N&hrbodens ein zarter, un-
regelmässig begrenzter Rasen. Auf Kartoffeln entwickelte sich ein
erbsengrosser Belag. Im Traubenznckeragar reichliche Entwickelung
von Gasblasen innerhalb 24 Stunden. Beim Wachsthnm der Bacillen
in Peptonlösnng ist Indolbildnng nachweisbar. Der mit den Bacillen
y ersetzte sterile Harn zeigt nach 24 Standen starke Trfibong nnd reich-
liehen Bodensatz, die Beaction des Harnes ist schwach alkalisch. Lakmas>
bonillon nimmt nach 24 Stunden Rothf&rbung an. Milch wird nicht zur
Gerinnung gebracht Ein Kaninchen, welchem die Bacillen in die Blat-
bahn eingebracht wurden, ging nach sechs Wochen unter Diarrhöen und
Abmagerung zu Grunde. Bei zwei Meerschweinchen rief die subcutane
Injection einer Aufschwemmung dieser Bacillen Abscessbildung hervor,
in dem Eiter waren die Bacillen in Beincultur nachweisbar. Bei einem
Thiere heilte der Eiterangsprocess aus, das andere ging, infolge Durch-
braches des Abscesses in die BanchhOhle, zu Grande. Die Impfung der
im Blute des Kindes gefundenen Bacillen in die vordere Au|^nkammer
eines Kaninchens rief nach zwei Tagen eine Panophthalmitis hervor.
Aus dem vereiterten Bulbus konnten die St&bchen in Beincultar ge-
züchtet werden. Alle morphologischen und biologischen Eigenschaften
dieser Stftbchen stimmen demnach überein mit denen des Bacterium
coli commune Escherich' s. Eine diesbezügliche Ausnahme machen
unsere Bacillen jedoch insofern, als sie die Milch nicht zur Gerinnung
bringen. Wir müssen jedoch diesen Umstand, mit Bücksicht auf eine
später zu erörternde Beobachtung, als keinen Widerspruch betrachten.
Der wiederholte Befand der gleichen Bacillen und Kokken läset in
diesem Falle keinen Zweifel aufkommen, dass dieselben aus dem Blute
stammen.
Fall y. Prot.-Nr. 8864, Initialgewicht 2720 g, Körperlänge 46 om,
Aufnahme in die Anstalt am 7. Lebenstage (17. 1. 94), JBrustkind. Das
Kind hatte am 17. I. ein Körpergewicht von 2050 g. Die Hautdecken
icterisch, an den unteren Extremitäten Sclerödem, Scbädelknochen>
ränder übereinander geschoben, Athmung thoracal, über der rechten
Lunge hinten verkürzter Percussionsschall, Herztöne kaum hörbar, Bauch-
decken sehr schlaff.
Datom
18. L
19.
20.
21.
22.
Körper-
gewicht
2060
2000
1960
1900
1900
Krankheiteiymptome
B«ot. wnrdea
untersucht
S Blutprob.
4 do.
4 do.
4 do.
4 do.
4 Stühle, Erbrechen, Herzschwäche.
12 Stühle, über beiden Lungen bei tiefer
Inspiration Knisterrasseln hörbar.
9 Stühle, Somnolenz, Bulbi beständig nach
abwärts gedreht.
Sclerem, Uorneal- und Gaumenreflex stark
herabgesetzt.
Athmung aussetzend, oberflächlich; nur d.
2. Herzton hörbar, d. Corneae zeigen ober-
flächliche Eintrocknung d. Epithels, intens.
Soor, Alles wird erbrochen, Bauchdecken
so schlaff, dass durch dieselben d. Darm-
contouren wahrzunehm. sind. D. Lungen-
erscheinuDgen bestehen unverändert fort.
10 Uhr Abends Tod.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis, Pneumonia lobul., Sclerema,
Soor oris.
Klin. Beobacht. an mageDdannkranken Eindem i. Sftaglingsalter. 479
An diesem Kinde traten die IntozicationBerscfaeinungen mehr hervor
als die InfectionseiBcheinungen. Letztere können wir jedoch ans den
beobachteten Lungensymptomen deutlich erschliessen. Ob die Niere in
diesem Falle erkrankt war, können wir nicht beantworten, da wir das
Kind (Mädchen) nicht katheterisiren wollten. Die bacteriologische
Untersuchung des Blutes, welche täglich Torgenommen wurde, ergab
constant ein negatives Resultat.
Fall VI. Prot.-Nr. 9176, Initialgewicht 3370 g, Eörperlänge 48 cm,
Aufnahme in die Anstalt am 1. Lebenstage (16. IL 94). Gut entwickeltes
Brustkind, Herzspitzenstoss vom linken Stemalrand bis zur Mammilla
tastbar, Herztöne rein.
16. IL 8200 Keine. 2 Blutprob.
17. 8100 6 dünnflüss. Stflhle, keine weit Erschein. 2 do.
18. 3080 7 dilnnflüss. Stühle, Unruhe des Kindes. 2 do.
19. 8020 6 dünnflüss. Stühle, inspirator. Einziehung 2 do.
der Rippenbogen- und Intercostal furchen,
tymp. rercussionsschall üb. beid. Lungen,
im Harn Eiweiss, im Sediment desselben
hyaline und grannlirte Cylinder.
20. 8000 3 Stühle, Dyspnoe nimmt zu, sonst Status 2 do.
idem vom 19. II.
21. 2960 3 Stühle, Resp. sehr frequent, Nasenflügel- 2 do.
athmung, bei der Auscultation dichtes
Knisterrasseln, Herztöne kaum hörbar.
10 Uhr Vormittags Tod.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis , Pneumonia lobularis,
Nephritis.
Der Umstand, dass wir bei diesem Kinde bereits am 2. Lebenstage
das Blut zur Untersuchung heranzogen, also zu einer Zeit, wo noch
keine krankhaften Erscheinungen am Kinde wahrnehmbar waren, macht
das Ergebniss der regelmässig bis zum Tode vorgenommenen Unter-
suchungen des Blutes bemerkenswerth. Die Blutproben vom 2. Lebens-
tage sowie vom 8., an welchem bereits Darmsymptome auftraten, blieben
steriL Die Butnntersuchungen am 4. Lebenstage, an welchem die Darm-
Symptome bereits intensiv in Erscheinung traten, ergaben einen positiven
Befund. Auf einem Nährboden von diesem Tage entwickelten sich
mehrere untereinander gleiche Colonien. Die Nährboden vom 19. und 20.
blieben keimfrei. Dagegen konnte man auf einem Nährboden vom 21.
mehrere Colonien, jedoch von verschiedenartigem Aussehen beodachten.
Aus dem Blute vom 4. Lebenstage wuchsen auf Agar rasch wachsende,
durchscheinende, weisse Colonien, welche aus Staphylokokken be-
standen, die sich nach Gram gut färben Hessen. Makro- und mikro-
skopisch diesen vollständig gleiche Colonien fonden sich auch in dem
Blute vom letzten Lebenstage. Die Identität der Kokken von beiden
Tagen wurde qoch bestätigt durch gleiche biologische Eigenschaften
derselben. In der Gelatine-Stichcultur wuchsen dieselben längs des
Impfstiches, zeigten jedoch kein Oberflächenwachsthum und verflüssigten
die Gelatine sehr spät und langsam. Auf Kartoffeln bildeten. die Kokken
einen dicken, grauen, über die Impfstelle hinauswachsenden Belag mit
ausgebuchteten Rändern. Für Kaninchen erwiesen sich die Kokken als
nicht pathogen. — Ausser diesen Kokkencolonien gingen aus dem Blute,
480 ^' Cserny nnd P. Moser:
welches am leisten Lebenstage eDtnommen wurde, noch eine sweite Art
von Colonien hervor, welche aus beweglichen, nach Gram gut färbbaren
St&bchen bestanden, die l&ogere and kfirzere Formen erkennen Hessen.
Auf schräg erstarrtem Agar bildeten diese Bacterien einen undurch-
sichtigen, Tichtgelben Belag. In Gelatine-Stichculturen nur Wachsthum
längs des Impfstiches, kein Oberfiächenwachsthum^ keine Verflflssigung
zu coDstatiren. Auf Kartoffeln wird ein lichtgeiber, auf die Impfstelle
beschränkter Belag gebildet. Im Traubensuckeragar erfolgt keine Gas-
entwicklung. Milch bringen die Bacillen nicht sur Gerinnung. Beim
Wachsthnm in PeptonlOsun^ lässt sich keine Indolbildung constatiren.
Lakmusbouillon wird nach einigen Tagen roth gefärbt. Die geschilderten
Bacillen erwiesen sich für Kaninchen als nicht pathogen.
Fall Vn, 7 Monate altes Kind, wurde am 20. II. 94 mit einem
Körpergewichte yon 3460 g zur ambulatorischen Behandlung in die
Anstalt gebracht
Anamnese: Das Kind wurde durch 7 Wochen an der Brust ernährt
und soll während dieser Zeit gesund gewesen sein. Nach Angabe der
Mutter soll sich das Kind selbst abgestillt haben, d. h. mit anderen
Worten die Brust verweigert haben, und musste deshalb von der achten
Woche an mit Griesbrei und Kuhmilch ernährt werden. Bei dieser
Ernährung wurde es bald krank und blieb es die ganze folgende Zeit
hindurch.
Status: Stark abgemagert, Hautdecke blass, Fontanelle eingesunken,
HerztOne dumpf; Athmung thoracal mit Einziehung der Intercostal-
furchen, Percussionsschall über beiden Lungen tjmpanitisch. Bei der
AuBCultation über den Lungen verschärftes Athmen ohne Rasselgeräusche
wahrzunehmen. Bauchdecken schlaff und eingesunken. Beobachtet wird
häufiges Erbrechen und Aufstossen. Der Stuhl enthält unverdaute grobe
Massen und viel Schleim. In den vorhergegangenen letzten 24 Stunden
erfolgten zehn Stuhlentleerungen.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis chronica, Pneumonia lobu-
laris bilateralis.
Am genannten Tage wurden von dem Kinde zwei Blutproben ent-
nommen. Aus beiden entwickelten sich weisse, circumscripte, durch-
scheinende, aus Kokken bestehende Colonien. Die Kokken waren zu-
meist zu Zweien angeordnet, rund und nach Gram gut tärbbar. In
Gelatine-Stichculturen bestand Wachsthum längs des Impfstiches, kein
Oberfläohenwachsthum. Die Verflüssigung der Gelatine erfolgte spät
und langsam. Auf Kartoffeln bildeten die Kokken einen grauweissen,
über die Impfstelle hinauswachsenden Belag, für Kaninchen waren sie
nicht pathogen.
Am 27. II. wurde das Kind wieder vorgestellt, sein Körpergewicht
betrug 8620 g. Das Kind soll nach Angabe der Mutter wieder munterer
sein, mehr Schlaf haben. Das Erbrechen hat aufgehört, das Aufstossen
besteht jedoch fort. Die tägliche Zahl der Stuhle beträgt 5. — Objectiv
lässt sich constatiren, dass die Dyspnoe geringer ist, die Athmung ist
jedoch noch thoracal. Die Herzaction ist kräftig, Meteorismus leichten
Grades vorhanden. Auch an diesem Tage wurden zwei Blutproben ent-
nommen. Es entwickelten sich abermals Colonien, welche von Kokken
gebildet wurden; dieselben waren jedoch mit denen vom 20. II. nicht
identisch. Sie bildeten auf Bchräg erstarrtem Agar runde, scharfrandige
Colonien, deren anfangs weisRC Farbe nach einigen Tagen einer gelben
Färbung gewichen war. In Gelatine entwickelte sich längs des Impf-
stiches üppiges Wachsthum, an der Oberfläche war jedoch hiervon nichts
zu constatiren. Unter dem Bilde eines allmählichen, centralen Einsinkens
der Gelatine ging die langsame Verflüssigung derselben vor sich. — Die
Elin. Beobacht. an magendarmkranken Kiadem i. Säagiingsalter. 481
EartofFeln seigien einen gl&nzenden, wachsgelben Belag. Für Kaninchen
waren die Kokken nicht pathogen.
Am 13. IIL hatte das Kind bereits ein Körpergewicht von 3760 g. —
Drei Tage vorher erfolgte der Durchbrach zweier Schneidezahne im Unter-
kiefer. Zeitweilig tritt noch Aufstossen ein. Täglich 4—6 stinkende
Stühle. Der objective Befnnd hatte sich insofern gebessert, als die
Lnngenerscheinnngen verschwunden waren. Zwei an diesem Tage ent-
nommene Blutstropfen enthielten keine Mikroorganismen.
Fall YIII. Prot.-Kr. 9507, Initialgewicht 2990 g, Körperlänge 49 cm,
eingebracht am 13. Lebenstage (21. III. 94) mit einem Körpergewicht
von 2360 g und der Diagnose Gastroenteritis. — Abgemagertes
Kind, Mundhöhlenschleimhaut intensiv geröthet, Athmung thoracal. Per-
cussionsschall über beiden Lungen tympanitisch, Auscultationsbefund
negativ, Herztöne dumpf, Bauchdecken schlaff. Brustkind.
Datum
Kftrper-
gewioht
Kraukheitesymptome
Baot. wardea
onterBUoht
4 Blutprob.
21. in. 2360 4 dünnflüss. St., Herzaction sehr schwach,
im Harn Eiweiss und Cylinder, Körper-
temperatur 37 ^ C.
22. 2270 1 Stuhl, Erbrechen, Temp. a. m. 36,8, p. m.
37,2 ^ Nierensymptome nnveränd. fortbest.
23. 2300 Somnolenz, aus der Zungenschleimhaut ge-
ringe diffuse Blutung, hocbgrad. Dyspnoe,
starke inspirat. Einzieh. d. Rippenbogen-
furchen, üb. d. ünterlappen d. beid. Lungen
hinten verkürzter PercussionsschalL Um
3 Uhr Nachts Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis , Pneumonia lobularis,
Nephritis.
Am letzten Lebenstage wurden von diesem Kinde 4 Blutproben zur
bacteriologischen Untersuchung herangezogen. Auf allen Nährböden
entwickelten sich vollkommen gleiche, langsam wachsende, weisse,
kreisrunde, scharfkantige Colonien, welche von Streptokokken ge-
bildet wurden. Auf Agar blieben die Ketten sehr kurz, erreichen
jedoch in Bouillon eine bedeutende Länge. Im Stichcanal der Gelatine-
cultur, welche kein Oberflächenwachst^um zeigte, zahlreiche kleine
Colonien sichtbar. Die Gelatine wurde nicht verflüssigt. Die Kartoffeln
zeigten einen gleichmässigen , dünnen, hellgrauen, matten Belag. Der
Streptococcus färbt sich nach Gram sehr intensiv. Subcutan in die
Ohrmuscheln von zwei Kaninchen geimpft, rief er keine Erscheinungen
hervor. Einem dritten Kaninchen intravenös beigebracht, verursachte er
den Tod des Thieres nach 6 Ta^en, aus der Milzpulpa und dem Herz-
blute wurden die Streptokokken in Reincultur wieder gewonnen. Einem
vierten Kaninchen wurde der Coccus in die vordere Augenkammer geimpft
und rief nach 2 Tagen ein bedeutendes Hypopyon hervor. In dem Eiter
konnten mikroskopisch und bacteriologisch nur die Streptokokken nach-
gewiesen werden. — Der in diesem Falle gefundene Streptococcus
kann wegen seiner differenten Eigenschaften nicht mit dem im Falle III
gefundenen identificirt werden.
Fall IX. Prot.- Nr. 8803, Körperlänge 50 cm, wurde mit einem
Körpergewicht von 3020 g am 13. Lebenstage (10. I. 94) in die Anstalt
aufgenommen wegen Erkrankung der Mutter an Sepsis puerperalis.
482
A. Czerny und P. Moaer:
Das Kind zeigte bereÜB deutliche Abmagening, eingesunkene Fontanelle
und Soor oris.
DAtmn
Körper-
gewioht
Krankheitetjrmptome
12.
13.
I.
14.
15.
16.
2900
2770
2650
2670
Baoi. wurden
nntenaoht
I
2630
2 Blutprob.
2 do.
4 do.
4 dyspeptische Stühle, Erbrechen.
6 St, Erbrechen, im Harn Ei weiss, Zucker
u. zahlreiche Cylinder. Temp. a. m. 88 ^
p. m. 38,2 ^
6 St, Erbrechen dauert an, Herzschw&che,
intens. ROthong d. MundhOhlenschleimhaut,
Soor besteht fort
Tp. a. m. 37,8 ^ p. m. 37,6; 4 St., Haut-
decken grau, HerztCne kaum hörbar, über
beid. Lungen hinten u. oben, jedoch auf
d. recht Seite weit nach abwärts reichende
Dämpfung d. Percussionsschalles.
Tp. a. m. 89 ^ p. m. 88,2 ^ Pupillen sehr
weit, reactionslofl, Fontanelle tief einge-
Bunken, Athm. thoracal, frequ., oberflächl.
1 Herzton nicht hörbar. Sclerem, Nieren -
erscheinungen besteh, fort, desgl. d. Soor.
4 Uhr Morgens Exitus letalis.
Klinische Diagnose: (Gastroenteritis, Pneumonia lobularis,
Nephritis, Sclerema, Soor oris.
An drei Yorsohiedenen Tagen wurden in diesem Falle Blutproben
bacteriologisch untersucht, jedoch sämmtliche als steril befunden.
Fall X. Prot-Nr. 9263, Initialgewicht 3270 g, Köiperlänge 49,6cm,
eingebracht mit der Diagnose Gastroenteritis und mit einem Körper-
gewicht Ton 2620 g am 10. Lebens tage (24. U. 94^. Es bestand also
bereits eine (Gewichtsabnahme von 760 g. — Die blassen Hautdecken
icterisch verfärbt, l. y. o. über der Lunge verkürzter Percussionsschall,
an den Lungenrändern Knisterrasseln, die Bauchdecken schlaff. Brustkind.
Dmtnm
Körper-
gewicht
24. IL
2620
26.
2600
26.
2600
27.
2460
28.
2460
1. IIL
2460
2.
2420
3.
2430
4.
2460
6.
2460
6.
2470
7.
2500
8.
2600
ö i
2480
XO. 1
2480
Krsnkheitsiymptome
Baoi. worden
nntemicht
6 dyspeptische Stühle.
6 St, im Harn viel Eiweiss u. zahlr. Gyl.
4 Stühle.
6 St., inspirat. Einziehung d. Rippenbögen.
3 dunkelgrüne St., Husten, r. h. o. verkürzter
Percussionsschall über der Lunge.
4 Stühle.
3 Stühle.
3 Stühle, Lungen- u. Nierenerscheinungen
dauern noch an.
2 Stühle, Erbrechen.
3 Stühle, Erbrechen besteht fort. Soor oris.
Herzschwäche.
3 St, Erbrechen hat aufgehört Soor oris.
Starker Husten. Soor oris.
4 St., Herzaction wieder kräitig. Soor oris.
4 Stühle, Soor in Heilung.
1 Stuhl, Otitis media sin. lat
2 Blutprob.
2 do.
2 do.
2
2
do.
do.
2 do.
2 do.
2 do.
EÜB. Beobacht. an magendarmkranken Eindern i. Säuglingsalter. 483
Die Langen- nnd Nierenencheinungen waren erst am 20. III. voll-
ständig geschwunden. Von dieser Zeit an erfolgte ständige Zunahme
des Körpergewichtes.^ Das Kind verblieb von da an bis zu seiner Ent-
lassung am 29. IV. YoUständig gesund und verliess die Anstalt mit einem
Körpergewichte von 4260 g.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis, Pneumonia lobularis,
Nephritis, Soor oris, Otitis media.
Von dem Kinde wurde während des Bestandes der Krankheit das
Blut 8 Mal bacteriologisch untersucht. In zwei Blutproben, und zwar
in einer vom 28. II. und einer vom S. III., entwickelten sich Staphylo-
kokkencolonien, welche sich in allen ihren Eigenschaften als voll-
ständig gleich erwiesen. Alle übrigen Blutproben blieben ebenso steril,
wie zwei weitere Blutproben von demselben Kinde vom 28. und 31. III.,
dies ist zu einer Zeit, wo das Kind bereits wieder gesund war. Die
erwähnten Kokken Hessen sich nach Gram färben. Sie wuchsen (bei
Bruttemperatur) auf schräg erstarrtem Af^ar rasch als weisser, leicht
durchscheinender Belag mit unregelmäasigen Contouren. In Gelatine
beschränkte sich das Wachsthum der Colonien nur auf den Impfstich.
Die Verflüssigung der Gelatine erfolgte langsam unter Bildung eines
Trichters. Auf £[artoffeln entwickelte sich ein massig dicker, weiss-
frauer, mattglänzender Belag mit mannigfaltig ausgebuchteten Bändern,
ür Kaninchen sind die Kokken nicht pathogen.
Fall XI.^ Prot.-Nr. 9327, Initialgewicht 2260 g, Körperlänge 46 cm,
Aufoahme in die Anstalt am 7. Lebenstage (3. III. 94) mit einem Körper-
gewichte von 1990 g. Brustkind.
DAtam
Körper-
gewicht
Erankheitssymptome
Baot. worden
onieraacht
6.
7.
8.
9.
10.
2 Blutprob.
4. III. 2000 Stuhl dyspeptisch.
6. 2020 3 dyspeptische Stühle.
2020 3 do.
1900 6 Stühle, Erbrechen, Herzschwäche.
1800 Status idem vom 7. III.
1760 3 Stühle, Erbrechen, Blutung a. d. linken
äuss. Gehörgang und aus d. Nase, rechts
von den Dornfortsätzen d. Lendenwirbel
eine kreuzergrosse Suff., über d. rechten
Lunge hint. Dämpfung, b. d. Auscultation
spärliches Knistern.
1700 2 St., Erbrechen nach jeder Nahrungsauf- 4 do.
nähme, Atbmnng oberflächl., durch lange
Pausen hindurch aussetzend, b. Schreien
bleibt die l. Gesichtshälfte in Buhe, die
Lider des 1. Auges verschliess. dass. nicht
mehr, d. Pup. sind ena contrah. D. Nasen
spitze ist violett veiiärbt, am l. Nasen
flugel kleine Suff. Der vorgezeigte Stuhl
enthält Blut, die Blut, aus d. 1. Ohre und
aus d. Nase dauern fort. An d. Lungen-
rändern dicht. Basseln. 11 Uhr Vorm. Tod.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis^ Pneumonia lobularis, Paresis
n. facialis later. sin., Haemophilia.
In dem vorliegenden Falle erscheint es erwähnenswerth, dass keinerlei
Anhaltspunkte für die Diagnose einer congenitalen Lues bestanden. Die
484 A. Cserny und P. MoBer:
Blatangen traten zu einer Zeit bei dem Kinde anf, wo eine allgemeine
Intoxication und Infection bereits ans den ErankbeitsBjmptomen er-
BcblosBen werden konnte. Zur bacteriologiacben UnterBnchnng wurde,
wie bei allen anderen Kindern, Gapillarblat auB den Zehen entDommen*
In einer Blutprobe vom 9. III. kam eB cur Entwicklung yon Bacillen,
welche Bich morpholog^iech und in ihren Gnltnreigenthümlichkeiten als
identisch mit dem Bacterium coli comm. Escherich erwiesen. Be-
merken swerth scheint nur, dass dieses Bacterium ebenso wie das im
Falle IV gefundene die Milch nicht zur Gerinnung brachte. Als wir
das Bacterium in die Blutbahn eines Kaninchens einbrachten, ging das
Thier unter diarrhöischen Erscheinungen innerhalb von 6 Tagen zu
Grunde. Die aus dem Herzblute und aus der Milch in Reincultur wieder
gewoxmenen Bacillen brachten jedoch jetzt die Milch unter Säurebildung
m 86 Stunden zur Gerinnung. Wir wollen hervorheben, dass wir die
Section des Thieres und die Abimpfung sofort nach eingetretenem Tode
vornahmen. Unsere Bacillen haben somit erst beim Durchzuge durch
den ThierkOrper die für sie charakteristische Eigenschaft, die Milch zur
Gerinnung zu bringen, erlangt. Mit Rücksicht auf diese Erscheinung
halten wir uns für berechtig, die von uns gefundenen Bacterien mit
dem Bact. coli comm. zu identificiren, nachdem sie in ihren übrigen
Erscheinungen diesem vollkommen entsprachen. In die vordere Augen-
kammer eines Kaninchens gebracht, bewirkten sie daselbst eine intensive
Eiterung. In dem vereiterten Bulbus Hessen sich mikroskopisch und
durch das Culturverfahren nur die genannten St&bchen nachweisen. Aus
s&mmtlichen dem Kinde am 10. III. entnommenen Blutproben gingen
zahlreiche, gleichartige Colonien auf, welche aus lebhaft beweglichen
St&bchen bestanden. Dieselben liessen sich nach Gram nicht r&rben.
Die Culturen auf schräg erstarrtem Agar waren scharfrandig, kreisrund,
grünlich durchscheinend. An den folgenden Tagen zeigte der Nährboden
m der Umgebung derselben eine lauchgrüne Verfärbung. Die Gelatine
erfährt unter intensiver GrünfUrbung eine sehr rasche Verflüssigung.
An der Oberfläche der verflüssigten Gelatine kann man eine Kahmhaut
constatiren. Bei Züchtung in Peptonlüsung ist Indolbildung nachweisbar.
Auf Kartoffeln bildet sich unter Grünfärbung des Nährbodens ein rost-
brauner Belag. Die Impfung von Milch mit den Bacillen bewirkt Ge-
rinnung, unter grünlichgelber Verfärbung und alkalischer Reaction des
Milch Serums. Im Tranben zu ckeragar tritt keine Gährung, sondern nur
Farbstoffproduction ein. Die Bouillon wird rasch getrübt unter gelb-
grünlicher Verfärbung und Bildung einer Kahmhant. Einem Kaninchen
wurden die Bacillen intravenös applicirt, dasselbe starb unter starken
Diarrhöen nach 4 Tagen. Der mit dem Herzblute und der Milzpulpa
beschickte Nährboden wies die Bacillen in Reincultur auf. In die
vordere Augenkammer eines Kaninchens geimpft, bewirkten sie nach
Ablanf von 24 Stunden Panophthalmitis. Nach den angeführten Eigen-
schaften dieser Stäbchen erscheint es uns gerechtfertigt, dieselben mit
dem Bacillus pyocyaneus zu identificiren.
Fall XII. Prot.-Nr. 9837, Initial gewicht 8920 g, KOrperlänge 52 cm,
in die Anstalt eingebracht am 13. Lebenstage (23. IV. 94) mit einem
Körpergewicht von 2830 ff, somit einem Gewichtsverlust von 1090 g.
Die beigegebene Diagnose lautete anf Pneumonie. — Status vom 23. IV.:
Abgemagertes Kind, Hautdecken grau, an den Extremitäten Sclerem in
Entwicklung. Grosse Fontanelle eingesunken, Somnolenz, Mundhöhlen-
Bchleimhaut dunkelroth, Athmung sehr ^frequent mit inspiratorischer
Ginziehung der Rippenbogenfurchen und der Intercostalräume. Üeber
beiden Lungen hinten, rechts bedeutender als links, verkürzter Per-
cussionssohail, vorne über der Lunge tympanitischer Percussionsschall-
KÜD. Beobacht. an magendarmkranken^Kindern i. SäuglingBalter. 485
Bei der Auscaltation versch&rftes Ezspirium ohne Rasselgeräusche.
Banchdecken sehr schlaff.
Baittm
~j^^' Krankheitesymptome
Bact.wurdea
ontersaoht
24. IV.
25.
2860
2850
Temp. a. m. 36,6, p. m. 37,4. 8 dünnflass.
Stühle, erbricht Alles, Anurie. Sclerema
in Zunahme.
Temp. 88,2. Kein Stahl, kein Harn, Cor-
neal- und Gaumenreflex erloschen, Ath-
mung oberflächl., Herztöne kaum hörbar.
9 Uhr Vormittags £zitus letalis.
2 Blutprob.
Elinittche Diagnose: Gastroenteritis, Pneumonia lobular, bila-
teralis, Sclerema.
Aus den am 24. IV. entnommenen Blutproben gelangten zweierlei
Mikroorganismen 2ur Entwicklung. Die einen erwiesen sich mikroskooisch
als Staphylokokken, welche sich nach Gram gut färbten una auf
schräff erstarrtem Agar orangegelbe, kreisrunde, undurchsichtige und
Bcharnrandige Golonien bildeten. Die Gelatine wurde von diesen Kokken
rasch verflüssigt Auf Kartoffeln bildeten sie einen dünnen, |;elben
Belag, der nur wenig über die Impfstelle hinauswuchs. Ein mit den
Kokken iutrayenös geimpftes Kanindien ging in 24 Stunden zu Grunde.
Aus dem Hensblute und der Milzpulpa desselben wurden die Kokken in
Beincultur wieder erhalten. In die vordere Augenkammer eines Kaninchens
gebracht, bewirkten sie daselbst Eiterung. Aus dem enudeirten Bulbus
liessen sie sich in Beincultur züchten. Nach den angefahrten Eigen-
schaften muss dieser Coccus als Staphylococcus pyogenes aureus
bezeichnet werden.
Die anderen im Blute des Kindes gefundenen Mikroorganismen
waren dicke, kurze, unbewegliche Stäbchen, welche sich nach Gram
nicht färbten. Ihre Colonien auf schräg erstarrtem Agar waren weiss,
undurchsichtig, scharfrandig und von unregelmässiger Form. Im Trauben-
zuckeragar riefen sie intensive Gasentwicklung hervor. In Gelatine ent-
wickelten sich längs des Impfstiches zahlreiche Colonien, an der Ober-
fläche zeigte sich eine gleichmässige Ausbreitung in der Umgebung der
£instichöffnuD|^. Auf Kartoffeln bildeten die Stäbchen einen dicken,
weisslichen, mit Gasblasen stark durchsetzten, über die Impfstelle hinaus-
wachsenden Belag. In Peptonlösung erfolgte Indolbildung. Die Milch
wurde innerhalb von 24 Stunden zur Gerinnung gebracht. Intravenös
einem Kaninchen beigebracht, bewirkten sie dessen Tod in 10 Tagen.
Bei der Section zei^n sich die Follikel des Dünndarmes stark ge-
schwellt, in den meisten derselben fanden sich Blutungen vor. In die
vordere Augenkammer eines Kaninchens gebracht, bewirkten sie keine
Erscheinungen. Auf Grund der aufgezählten Eigenschaften dieses Mikro-
organismus glauben wir ihn mit dem Bactdrium lactis aerogenes
Escher ich*s identificiren zu dürfen.
Fall Xin. Prot.-Nr. 9812, Initialgewicht 2760 g, Körperlänge 60 cm,
Aufnahme in die Anstalt am 8. Lebenstage (1. Ul. 04) mit einem Körper-
gewicht von 8010 g. — Gut entwickeltes Brustkind.
DAtnm
8. III.
4.
6.
KruikheiUflymptome
Bact. wurden
ontersacht
2920
2800
2760
2 Stühle.
6 Stühle, Erbrechen.
8 Stühle, Erbrechen, Meteorisrnns, Herz-
schwäche. Im Harn Zucker, Eiweiss u. Gyl.
2 Blutprob.
486
A. Czeray nnd P. Moser:
Datum
6. III.
7.
8.
9.
10.
Körper-
gewicht
Krankheitsiymptome
2700
2700
2700
2700
2720
Status idem.
Erbrecheii hat aufgehört, Hersschwftche
dauert fort.
Hersaction kräftig, Soor oris.
2 Stahle. Soor oris.
1 Stahl, aus dem L Ohr eitriger AuBfluss.
Soor oris.
Baet. müden
notenucht
2Blntprob.
2 do.
2 do.
2 do.
Vom 10. III. an begann das Kind an Gewicht regelmäesig suzo-
nehmen, so dass es am 20. III. mit einem Körpergewichte yon 3100 g
entlassen werden konnte. Die Nierenerscheinungen waren am 13., der
Soor erst am 17. III. yerschwunden.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis, Nephritis, Soor oris, Otitis
media sin. lat.
In diesem Falle wurde das Blut während des Bestandes der Er-
krankung an 6 Tasen hintereinander nntersncht, ausserdem auch einmal
nach Ablauf der Erkrankung und swar am 18. III. Die Blu^roben yom
letztgenannten Tage blieben steril. In den im Verlaufe der Erkrankung
entnommenen Blutproben entwickelten sich in je einer vom 6. und 9. III.
Colonien Yon Staphylokokken, welche morphologisch, biologisch und
beim Thierexperimente ein Yollkommen analoges Verhalten zeigten, wie
die im Falle A gefundenen«
Fall XIV. Am 1. IIL 94 wurde ein 14 Wochen altes Elnd TOm
Lande zur ambulatorischen Behandlung in die Anstalt gebracht Nach
Angabe der Mutter soll dasselbe bis zur 9. Woche an der Brust ernährt
worden sein, litt jedoch schon bei der Brustnahrung seit der 4. Lebens-
woche beständig an Erbrechen. Das Erbrechen des Kindes veranlasste
die Mutter anzunehmen, dass ihre Milch „zu stark^* sei, und sie entschloss
sich deshalb, das Kind abzustillen. Das Kind wurde nun von da an mit
verdünnter Kuhmilch ernährt, magerte aber dabei sichtlich ab. Sein
Körpergewicht betrug am 1. IIL 2540 g.
Status des Kindes vom 1. III.: Hochgradig abgemagert, die Haut-
decken lassen sich in grossen, schlaffen Falten abheben. Der Gesichts-
ausdruck des Kindes erscheint greisenhaft, dasselbe liegt, die unteren
Extremitäten im Hüft- und Kniegelenk stark flectirt, ruhip, fast be-
wegungslos da. Die Herzaction ist regelmässig und kräftig; die Athmuog
ist thoracal, frequent, oberflächlich, bei der Inspiration eru>lgt Einziehung
der Zwischenrippenfurchen. Der Percussionsschall über beiden Lun^n
ist laut tympanitisch. Bei der Anscultation scharfes Respirium, es smd
keine bronchitischen Geräusche zu constatiren. Durch die schlaffen
Banchdecken sind die Contouren des aufgetriebenen Magens nnd dessen
peristaltische Bewegungen sichtbar. Lehmartiger, fester, stinkender Stahl.
KlinischeDiagnose: Gastroenteritis chronica, Pneumonia lobularis.
Das Kind wurde am 18. III. wieder vorgestellt und zwar mit einem
Körpergewicht von 2670 g. — Nach Angabe der Mutter hat das Kind
täglich einen festen, übelriechenden Stuhl, zeitweilig Erbrechen. Die
Haut ist trocken und schuppend. Der übrige Status ist unverändert
Auch am 19. HL, • an welchem das Kind ein Körpergewicht von 2620 g
hatte, zeigte sich keine Aenderung in dem Befinden. Erst von da an
begann sich das Kind zu erholen, so dass es am 24. IV. als geheilt aus
der Behandlung entlassen werden konnte. Sein Körpergewicht betrag
an diesem Tage 2970 g, — Das Blut des Kindes wurde drei Mal und zwar
Elin. Beöbachi. an magendarmkranken Kindern i. Säaglingsalter. 487
am 1., 13. and 19. III. bacteriologisch untersucht und jedesmal entwickelten
sich ans demselben Staphylokokkencolonien, welche sich unter-
einander als vollkommen identisch erwiesen. Morphologisch und in
ihrem Verbalten auf den verschiedenen Nährböden glichen diese Kokken
den in den Fällen X und XIII gefundenen. Eine DifPerenz zeigte sich
nur beim Thierversnche insofern, als ein Kaninchen, welchem die
Staphylokokken dieses Falles in die Blutbahn gebracht wurden , nach
24 Tagen zu Grunde ging. Während der ganzen Zeit, von der Impfung
an bis zu seinem Tode, verhielt sich das Thier auffalleud ruhig, liess
immer die Ohren hängen und zei^ ein struppiges Fell. Bei der Seciion
fand sich in der rechten Lunge ein pneumonischer Herd. Im Blute des
Thieres konnten jedoch keine Mikroorganismen nachgewiesen werden.
Fall XV. Prot. -Nr. 9840, Initial gewicht 8180 g, Körperlänge 48 cm,
Aufnahme in die Anstalt am 8. Lebenstage (24. IV. 94) mit einem Körper-
gewichte von 2490 g, somit eine Abnahme von 690 g. Brustkind; soll
nach Angabe der Mutter durch 3 Tage sehr unruhig gewesen sein und
an Diarrhöen gelitten haben. Die Abmagerung war bereits deutlich an
dem Kinde sichtbar, die Hautdecken waren icterisch verfärbt. Soor
oris, Reflezerregbarkeit herabgesetzt, Herztöne dumpf, Athmung thoracal,
mit inspiratorischer Einziehung der Rippenbogenfurchen. In der Gegend
der rechten Scapula stark gedämpfter Fercussionsschall. Meteorismus.
Datum
Körper-
gewicht
Kraokheitiijrmptome
Bact wurden
nnterenoht
24. IV.
25.
26.
2430
2420
2450
2 Stühle, Erbrechen, im Harn Eiweiss u.
Cylinder.
Intensiv. Soor, stark. Meteorismus, Somno
lenz, Hantdecken eraugelb verfärbt. Er-
brechen fortdauernd.
5 Stühle, Alles wird erbrochen, hochgrad.
Dyspnoe. Herztöne kaum hörbar. In der
Nacht Exitus letalis.
2 Blutprob.
2 do.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis, Pneumonia lobul. Nephritis,
Soor oris.
Das Blut dieses Falles wurde an zwei Tagen bacteriologisch unter-
sucht In einer Blutprobe vom 24. IV. waren schlanke,. massig beweg-
liche, oft zu zweien angeordnete Stäbchen nachweisbar. Dieselben
färbten sich nicht nach Gram und besassen alle Eigenschaften des
Bacterium coli commune, ausgenommen die der Milchgerinnung.
Intravenös beigebracht, tödteten sie Kaninchen innerhalb von 5 Tagen.
Aus dem Herzblute und der Milzpulpa wurden diese Stäbchen wieder
in Reincnlturen gezüchtet. In die vordere Aogenkammer eines Kanin-
chens gebracht, verursachten sie daselbst eine Panophthalmitis , der
Eiter enthielt nur die Stäbchen, welche in Reincnlturen ans demselben
gewonnen worden.
Fassen wir die Resultate unserer bacteriologischen Unter-
suchungen bei den an Gastroenteritis erkrankten Kindern zu-
sammen, so ergiebt sich zunächst die Thatsache, dass wir in
12 von 15 untersuchten Fällen Mikroorganismen im Blute
nachweisen konnten. Zieht man dieses Ergebniss in Vergleich
mit dem der Blutuntersuchungen an 30 gesunden Kindern,
bei welchen wir nur in 2 Fällen je eine Colonie vorfanden,
488 A. Cserny und P. Moser:
und dem Ergebniss der Blntuntersuchungen an 11 dyspep-
tischen Kindern , bei denen wir nur ein einziges Mal eine
Colonie vorfanden^ berücksichtigt man auch ferner, dass wir
in allen Fällen in gleich strenger Weise die Cntersuchungs-
methode handhabten , so genügt der Hinweis auf die Häufig-
keit der Befunde, um den Einwand zu entkräfken, es konnte
sich auch in den Fällen von Gastroenteritis nur um tech-
nische Fehler handeln. Der in einzelnen Fällen sich wieder-
holende Befund eines und desselben Bacteriums in dem zu
verschiedenen Zeiten entnommenen Blute, oder auch in meh-
reren gleichzeitig angelegten Blutproben, sowie die zuweilen
sehr grosse Zahl der Colonien im Verlaufe des Impfstiches
liefern eine weitere Stütze für die Reinheit der Befunde. Be-
rücksichtigung verdienen hierbei auch die bereits früher er-
wähnten Angaben anderer Autoren über die bei gleichen
Krankheitsfällen post mortem vorgenommenen bacteriologischen
Untersuchungen des Blutes und der Organe. Das Ergebniss
dieser Untersuchungen stimmt überein mit den von uns ge-
machten Beobachtungen bei an Gastroenteritis erkrankten
Kindern während ihrer Lebenszeit Wir können somit fest-
stellen, dass bei der Gastroenteritis im Säuglingsalter
Mikroorganismen bereits intra vitam im Blute der
Kinder kreisen. Woher die Bacterien ins Blut gelangen,
erschliessen wir aus den klinischen Beobachtungen. Es sei
hier nochmals hervorgehoben, dass wir für unsere Unter-
suchungen nur solche Fälle auswählten, welche keinerlei
Affectionen an der Haut oder am Nabel nachweisen liessen
und somit eine Infectionsmöglichkeit von der Korperoberfläche
ausgeschlossen werden konnte. Da bei der Gastroenteritis die
Magendarmsymptome stets diejenigen klinischen Krankheits-
erscheinungen sind, welche der Allgemeininfection vorangehen,
so müssen wir den Darm intra vitam bereits als Eintritts-
pforte der Mikroorganismen in die Blutbahn betrachten. Diese
Annahme findet eine weitere Begründung durch unsere bacte-
riologischen Befunde. Die gefundenen Bacterien sind, soweit
sie sich mit bisher bekannten identificiren liessen, Staphylo-
kokken, Streptokokken, Bacterium coli commune,
Bacillus pyocyaneus, Bacterium lactis aerogenes, so-
mit Bacterien, deren Vorkommen im Darminhalte bereits be-
kannt ist. Die Mannigfaltigkeit der bei Gastroenteritis im
Blute gefundenen Bacterien steht im Einklänge mit der über-
aus grossen Mannigfaltigkeit der Symptome dieses Krankheits-
processes. Letztere macht es auch geradezu unmöglich, die
zahllosen Varianten und Complicationen der in Kede stehenden
Erkrankung erschöpfend darzustellen. Wir haben Grund, an-
zunehmen, dass bei fortgesetzten Untersuchungen noch ander-
Klin. Beobacht. an xnagendarmkranken Kindern i. Säuglingsalter. 489
weitige Darmbacterien im Blute nachgewiesen werden konnten.
Durch diese Vermuthung, sowie durch die Thatsache, dass
wir z. B. auch zwei Bacterien gleichzeitig im Blute vorfanden,
wird die Mannigfaltigkeit der Krankheitsbilder noch verstand-
licher. Aus unseren Versuchen geht hervor, dass mitunter
auch bei wiederholter Blutentnahme das Resultat der bacterio-
logischen Untersuchung ein negatives blieb oder nur ein oder
das andere Mal zum Ziele führte. Dieses Ergebniss findet
seine Erklärung in dem Umstand, dass die zur Untersuchung
verwendete Blutmenge eine sehr kleine war. Ein wiederholter
und grosser Bacterienbefund in einer so geringen Blutmenge
lässt eine sehr erhebliche Anzahl von Bacterien im Gesammt-
blute voraussetzen. Dass die im Blute vorhandenen Bacterien
nicht in allen Fällen und auch nicht in allen Stadien des
einzelnen Krankheitsfalles immer in gleicher Menge vor-
handen sind, wird durch die Verschiedenheit der Intensität
der Krankheitsprocesse und durch die Art der Aufeinander-
folge der jeweiligen Symptome dargethan.
Wir glauben durch unsere Untersuchungen nicht nur die
Symptomatologie der Gastroenteritis erweitert zu haben, son-
dern versuchten es auch, das Wesen der Krankheit klar zu
stellen. Die Gastroenteritis im Säuglingsalter muss demnach,
wie es schon Epstein^) ausgesprochen, als eine Infections-
krankheit und zwar nach unseren Beobachtungen als eine
vom Darm ausgehende AUgemeininfection aufgefasst
werden. Als solche ist sie jenen Erkrankungen des Magen-
darmtractus im Säuglingsalter gegenüber zu stellen, welche
lediglich auf diesen allein beschränkt bleiben und die wir mit
dem Namen Dyspepsie bezeichnen. Aus der Auffassung der
Gastroenteritis als einer Allgemeininfectionskrankheit des Kör-
pers folgt, dass wir als die wesentlichsten therapeutischen
Maassnahmen gegen diese Krankheit die prophylactischen be-
trachten müssen. Die Erfolge dei" Therapie bei bereits be-
stehender Erkrankung werden jedoch stets von der Art und
der Intensität der AUgemeininfection abhängig sein.
1) Epstein, Pädiatrische Arbeiten. FeBtschrift 1890. 8. 880.
Jabrbuch f. KlndwheUkimde. N. F. XXXVin.
32
Analeeten.
(FortMtxang.)
IX. Krankheiten der Neugeborenen.
üeber angeborene Lehensschwäche mü Beschreibtmg einer neuen Wärm-
wanne. Von Vitale Tedeschi. Archivio italiano di Pediatria
1892 p. 162 ff.
In der Einleitung erörtert Verf. zunächst die Frage, was unter
LebeuBschwäohe zu verstehen ist, und kommt zu dem Schiasse, dasa
zwischen Frühgeburten und reifen Früchten, welche durch irgend welche
Ursache schwache und unvollkommene vitale Functionen zei^n, keinerlei
Unterschied besteht. Das gemeinschaftliche Merkmal ist die auffallende
Neigung zu Wärme Verlusten, ein Moment, das noch nicht zur Genüge
aufgeklärt ist: theils ist es die mangelhafte Entwickelung des Fett-
gewebes, theils ein Fehler in der Organisation des Wärmecentrums im
Gehirn; vielleicht spielen auch noch andere Factoren dabei mit. Die
fehlende Wärme spricht sich auch darin ans, dass fieberhafte Krank«
heiten, Pneumonie, Sepsis, bei lebensschwachen Säuglingen ohne Tarn-
peratursteigernng verlaufen können. Sehr häufig und mit besonders
langwierigem Verlauf tritt der Icterus neonatorum bei diesen Kindern
auf; dabei beobachtet man oft eine ganz besondere Apathie derselben,
vielleicht erklärlich durch die Einwirkung der Gallens&nren auf das
Gehirn. Ferner ist der Abfall der Nabelschnur abnorm : er findet meist
erst am 10. oder 12. Tage oder noch später statt; auch ist die Form
der feuchten Gangrän hier besonders häufig mit ihren nachtheiligen
Folgen, der langsamen Vernarbung, der leicht eintretenden Sepsis , der
mangelhaften Involution der Nabelgefässe, von welcher letzteren wieder
die Melaena neonatorum ihren Ursprung nehmen kann. Die Stimme ist
sehr schwach, oft unhörbar, die Athmung oberflächlich, die Lungen zum
grossen Theil atelek tatisch; die Athmung wird dann indirect durch die
offengebliebenen Communicationen, ductus Botalli und foramen ovale,
bewirkt. Weiterhin sind durch Stt^nation des Secretes in den Bron-
chien, sowie durch Eindringen von Speisetheilen in die Luftwege Pneu-
monien ein häufiges Vorkommniss. Die Soorpilze finden in Mund nnd
Speiseröhre sehr günstigen Nährboden. Die Nahrungsaufnahme ist
wesentlich durch die Schwäche des Saugens beeinträchtigt, die Ver-
dauung geht nur unvollkommen und langsam vor sich. Die Harnsäure-
infarcte können soweit überhandnehmen, dass sie zu Nierenentzündungen
und urämischen Anfällen Veranlassung geben. Endlich sehen wir
häufig das Bild des Sklerema auftreten mit seinen Temperaturen bis zu
22<> herab.
Zwei Ziele sind hauptsächlich bei der Pflege im Auge zu behalten:
die Ernährung und die Zuführung der nöthigen Wärme. Für erstere
wird man häufig zu künstlicher Einflössung mittelst des Katheters seine
Analecten. IX. Krankheiten der Neugeborenen. 491
Zuflucht nehmen müssen, wie dies besonders Tarnier bei seinem
„Gavage*' ausgeführt hat. Den zweiten Zweck, die Erwärmung, sucht
man seit einer Reihe von Jahren mit günstigem Erfolg durch die
W&rmewannen („Couveüse") zu erreichen. In der That ist es gelungen,
die Mortalität der frühgeborenen Kinder mit Hilfe dieser Apparate um
mehr als 20% herunter zu bringen. In der Matemit^ in Paris stellte
sich heraus, dass in den ersten fünf Jahren der Anwendung der
Wärmewanne yon sechsmonatlichen Frühgeburten 30% gegen 0, von
siebenmonatlichen 63,7% gegen 39, yon achtmonatliche 85,9% gegen
78 lebend entlassen wurden. Auch Cred€ hat eine eigene derartige
Wanne angegeben. Prognostisch wichtig ist es, ob die Temperatur des
Kindes sich sofort nach Einbringung in den Apparat hebt; eine Körper-
wärme von 86^ giebt bereits eine gunstige Prognose. Die Nachtheile
der Apparate beruhen noch auf der Schwierigkeit, grössere Temperatur-
Sprünge zu vermeiden; um dem abzuhelfen, hat Verf. ein neues Ver-
fahren angewandt, welches mit Hilfe von selbstthätigen Klappen und
Thermometern einerseits eine möglichst constante Temperatur erzeugt,
andererseits jede doch eintretende Schwankung sofort durch ein elektri-
sches Signal zu erkennen giebt Billigkeit und geringer Verbrauch von
Brennmaterial, gute Ventilation mit genügender Anfeuchtung der Luft
sind V ortheile, welche Verf. an seiner Wärmewanne rQhmt. Die aus-
führliche Beschreibung (eine Abbildung ist leider nicht dabei. Ref.)
mu88 im Original nachgelesen werden. Toeplitz.
Erfolgreicher Belebwngsoerswih an einem asphyctischen Neugeborenen
(Methode Labor de). Gazette m^dicale de Paris vom 14. Januar
1898.
Bei schweren Fällen von Asphyxie Neugeborener fasst Dr. Labord
in Biarritz die Zunge des Kindes mittelst einer Zance, zieht dieselbe in
rhythmischen Zügen heraus, iäsHt sie in demselben Tempo wieder
zurücksinken und erreicht hierdurch in zehn Minuten natürliche Atbem-
bewegiingen.
Einen hierauf bezüglichen Fall theilte Dr. Christoyanaki in der
Sitzuuff der „Academie de Mädecine** von Anfang Januar 1893 mit.
Ein vollkommen asphyctisch geborenes Kind konnte trotz ly^stündiger
künstlicher Athmung nicht zum Leben zurückgerufen werden. Im
letzten Momente erinnerte er sich der Methode Laborde. Mit einem
Schieber fasste er die Zunge des Kindes und hatte die Freude, nach
kurzer Zeit spontane Athmungsbewegungen zu constatiren. Das sehr
schwache, nur 1460 g wiegende Kind wurde dann in den Brutschrank
gebracht und gedieh dort vortrefflich. Albrecht.
Asphydische Zustände bei Säuglingen. Von Dr. Paul Meyer. Deutsche
med. W. Nr. 36. 1893.
Bei einem anscheinend g^nz normalen 14 Tage alten Mädchen
entwickelte sich in der Nacht ein höchst bedrohlicher Zustand von
Asphyxie. Ein warmes Bad und kalte Begiessungen bewirkte vorübergehend
selbständiges Athmen, aber im Verlaufe der nächsten zwölf Stunden
hatten sich derlei schwere Anfälle von Apnoe vielfach wiederholt. Als
Ursache dieser Asphyxie vermuthet Dr. M. eine centrale, das Athem-
centrum beeinflussende Einwirkung, deren Natur er aber nicht kennt.
Eisenschitz.
Zur Wiederbelebung Neugeborener. Von Dr. Oehlschläger. CentralbL
f. Gynäkologie. Nr. 31. 1893.
Der Autor spricht die Ansicht aus, dass eine häufige Ursache von
Miflserfolgen bei Wiederbelebungsversuchen an asphyctischen Neugebo-
32*
492 Analecteo.
reDen in dem Umstände txx suchen sei, dass die Zunge nach rückw&rts
gesunken und dadurch die Glottis yerschlossen sei
Hervorziehen der Zunge eventuell mit gleichseitigem Einblasen von
Luft in die Lungen erzielt Erfolg.
Bei Asphyctischen mit erlahmender Herzthätigkeit, welche im
Gegensätze zu denjenigen mit behindertem Lufteintritte nicht cjanotisch,
sondern blass und coUabirt sind, ist ein gutes Unterstützungsmittel bei
den Wiederbelebungsversuchen, die Herzgegend im Bythmns des Pulses
(120 in der Minute) zu comprimiren. Eisenschi tz.
D(M Sklerem der Neugeborenen. Von G. Somma. Vortrag, gehalten auf
dem II. Congress der italienischen Kinderärzte 1892. r^eapel, stabil,
tip. deir Unione 1892. 84 S.
„Das Sklerem ist eine ausschliesslich bei Neugeborenen vorkom-
mende Kenrose der wärmeregulirenden Centra; bei derselben erfolgt
zunächst eine schnell fortschreitende Herabsetzung der Körpertemperatur
und im Anschluss daran entweder eine Odematöse Infiltration des sub-
cutanen Fett- und Bindegewebes, oder eine Verhärtung demselben, oder
beide Formen gemeinschaftlich."
Mit diesen Worten definirt der Verfasser in seiner aueführlichen und
mit eingehend t^ter Literaturkenntniss geschriebenen Arbeit die seit 175
Jahren in der mediciniscben Wissenschaft bekannte, aber in ihrem Wesen
und ihren Urspiün^en doch noch räthselhafte, in der Mehrzahl der Fälle
verderbliche Krankheit der Neugeborenen und bezeichnet damit seine,
von der Mehrzahl der Autoren abweichende Stellung; zu der offenen
Frage. Während er auf diesem Wege von vornherein fcbtstellt, dass
zwischen Sklerema neonatorum und Sklerodermia adultorum keinerlei
Zusammenhang besteht, vielmehr gänzlich verschiedene Prozesse Tor-
liegen, betont er zugleich, dass das Oedema neonatorum nur gradaell
vom Sklerem verschieden ist, aber gänzlich gleiche Vei^nderun^en zeigt.
Er unterscheidet drei verschiedene Formen der Krankheit: 1) die ödema-
töse Form, mit Vorwiegen des Oedems in den ergriffenen Theilen; 2) die
harte Form mit Induration des subcutanen Zellgewebes, und 8) die ge-
mischte Form, bei welcher sich beide Veränderungen neben einander
nachweisen lassen.
Nach einer historischen Uebersicht, welche von Uzembezius (1718)
bis auf die neueste Zeit sich erstreckt, bringt Verf. die Beschreibung
der klinischen Symptome. Als Vorläufer bezeichnet er die schwächliche
Körperbeschaffenheit, die mangelhafte Wärmebildung und das Darnieder-
liegen aller Eörperfunctionen. Der Beginn der Erscheinungen an der
Haut findet sich fast ausnahmslos an den Füssen und an den Wangen;
weiter fortschreitend ergreift das Leiden die Waden, die Schenkel, so-
dann Hände, Arme, Rücken, in den schwersten Fällen auch die Banch-
wandungen; meibtens sind beide Seiten gleichzeitig befallen, aber so,
dass die Stelle, auf welcher das Kind liegt, einen höheren Grad von
Schwellung zeigt. Dieselbe ist horizontal ziemlich sohiurfrandig ab-
gegrenzt Die Farbe der befallenen Theile ist rOthlich, bisweilen cya-
nodsch; auf Fingerdruck verschwindet die liöthe, um bald wieder su
erscheinen. An den erkrankten Theilen zeigt sich eine Zunahme des
Volumens, insbesondere an den Extremitäten, weniger an den Wangen;
dieselbe ist eine Folge des Hautödems, welches die meisten Fälle be-
gleitet, aber nicht unbedingt erforderlich ist Die Consistenz ist die-
jenige des Anasarka, bisweilen auch prall-elastisch, wie ein Lipom. Die
Haut ist auffallend kOhl, ja in vorgeschrittenen Fällen eiskalt, wie an
der Leiche; dabei ist sie so straff gespannt, dass es nicht gelii^, eine
Falte aufzuheben, und ihre Sensibilität ist stark herabgesetzt, ^on den
IX. Krankheiten der Neugeborenen. 493
allgemeinen Symptomen ist am auffallendsten die Herabsetzung der
Körperwärme; keine andere Erkrankung zeigt so tiefe absolute Tem-
peraturen, wie das Sklerem. Dieselben schwanken zwischen 36^ und
23^ ja es sind noch tiefere Temperaturen beobachtet worden. Die Ab-
kühlung tritt bald langsam, im Verlauf vieler Tage, bald schnell in
zwei bis drei Tagen ein; letzteres findet sich bei den schweren und
weitverbreiteten Formen der Krankheit. Dabei ist noch zu bemerken,
dasR die Aussentemperatur (Handteller, Achselhöhle) und die in ge-
schlossenen Höhlen (Rectum) völlig gleich sind, und dass der Abfall der
Temperatur schon mehrere Stunden vor dem Auftreten der ersten Haut-
symptome beobachtet und diagnostisch verwerthet werden kann. Der
Puls ist verlangsamt bis auf 80—90 Schläge in der Minute, zeigt .aber
sonst keine Abnormität; man fühlt ihn am besten an der Fontanelle.
Das Körpergewicht zeigt in der Regel eine Abnahme. Die Athmuog ist,
wie der Pulsschlag, verlangsamt bis auf 18, selbst 14 in der Minute,
die Stimme schwach und wimmernd; eine Reihe von pathologischen
Processen in der Lunge können als Complicationen auftreten. Als
Störungen der Circulation sind beobachtet: Cyanose, EpistaxiR, systoli-
sches Blasen am Ursprung der Pulmonalis als Erscheinungen eines offe-
nen Ductus Botalli; (jommunication der Vorhöfe und Kammern, Hydrops
pericardii, Fettdegeneration des Herzfleisches entziehen sich meist der
Diagnose, sind aber anatomisch nachgewiesen. Die Verdaunngsorgane
bieten ausser hartnäckiger Verstopfung meist noch Beschwerden beim
Saugen und beim Schlucken, häufig Icterus und Leberanschwellung. —
Die mikroskopische Untersuchung der Haut zeigt bei der harten Form
eine Vermehrung des subcutanen Bindegewebes mit Abnahme des Fett-
gewebes; weniger auffallend, aber auch nachweisbar ist derselbe Befund
bei der Ödematösen Form, dabei theils Stauungshyperämie, theila auch
Anämie, gleichzeitig hat das ünterhautfettgewebe eine offenbar durch
chemische Veränderungen bedingte auffallend harte Consistenz. Die
übrigen Körperorgane zeigen sehr verschiedene, theils entzündliche,
theils durch andere Processe bedingte Veränderungen. — Ueber die
Natur der Krankheit sind die allermannigfachsten Vermuthungen auf-
gestellt worden. Verf. sucht nun die zwei Hauptsymptome, Abkühlung
und Schwellung, bez. Verhärtung in ursächlichen Zusammenhang zu
bringen, indem er die veranlassende Läsion in das Wärmecentrum, in
die nervösen Centralorgane verlegt, indem von hier aus reflectorisch
die Wärmebildung vermindert, gehemmt, die allgemeine Körpertempe-
ratur herabgesetzt wird, sei es nun unter dem Einflüsse kalter Aussen-
temperaturen , Bäder, Waschungen, ilberreichlicher Ventilation, oder
anch herabgesetzter Vitalität durch schlechte Ernährung, frühzeitige
Geburt, angeborene Ejrankheiten oder organische Fehler, treten in der
Haat, bez. den oberflächlichsten Muskelschichten circulatorische Ver-
änderungen auf: Ischämie der Hautcapillareo, Hyperämie der inneren
Organe, tiefe und eingreifende Störungen sämmtlicher Organfunctioncn.
Für die Verhärtung des Fettgewebes dient dem Verf. zur Stütze seiner
Anschauung, dass nach Längeres Untersuchungen das Fett der Neu-
geborenen einen weit höheren Schmelzpunkt hat, als bei Erwachsenen,
also bei niedrigen Temperaturen auch viel früher feat wird. Endlich
erklärt Verf. die Localisation an den Extremitäten dadurch, dass die
Gefäflse derselben am entferntesten vom Herzen liegen und somit von
der abgeschwächten Herzthätigkeit zuerst betroffen werden. Was die
Aetiologie des Leidens betrifft, so ist zunächst als prädisponirend an-
zusehen: das Alter der Kindei zwischen dem 2. und 20. Lebenstage, früh-
zeitige Geburt, allgemeine Lebensschwäche; von angeborenen Krank-
heiten Veränderungen der Lungen, des Herzens und der grossen GefäsBö.
AeuBsere Einflüsse, die das Sklerem begünstigen, sind: schlechte to-
494 Analccten.
n&hrungBverhältnisse, mangelhafte WohniiDgeti , unzureichende Nahrung.
Auch klimatische Einflfisse sind nicht auBzuschliesBen , denn w&hrend in
Frankreich und Italien, besonders in Neapel und Rom, das Leiden
ausserordentlich h&ufig ist, kommt es in England und Deutschland nur
sehr selten zur Beobachtung. Als ErkJ&rung dient die Eigenthfimlich-
keit, dass im südlichen Klima die Temperaturwechsel viel sprunghafter
und unvermittelter auftreten, als im Norden, üeberall aber ist es die
kalte Jahreszeit, welche die Mehrzahl der Erkrankungen zeitigt. Weniger
wichtig erscheinen dem Verf. schlechte Pflege und Unsauberkeit, mehr
noch die fehlerhafte Nahrung mit ihrem Gefolge von Dyspepsien und
Darmkrankheiten. Als Hauptursache tritt aus sämmtlichen Berichten
mit seltener üeberein Stimmung die Abkühlung der Haut in den Vorder-
grund, hauptsächlich in solchen Fällen, in denen die Kinder direct der
kalten Luft ausgesetzt gewesen sind; diese und die angeborene Lebens-
schwäche scheinen sich in die Aetiologie des Leidens zu th eilen. Diffe-
rentialdiaguostisch wichtig ist die Unterscheidung von der Sklerodermie:
Hier spiolt das höhere Alter, der Ort des ersten Auftretens, der lang-
same Verlauf, das Fehlen des Oedems bei der Sklerodermie eine ent-
scheidende Rolle. Schwierig ist bisweilen an der Leiche die Unter-
scheidung des eigentlichen Sklerems Ton der agonalen oder postmortalen
Verhärtung des subcutanen Fettgewebes (Leichenstarre? Ret); wesent-
lich ist das Verschwinden letzteren Symptomes mit dem Fortschreiten
der Verwesung.
Die Prognose ist eine sehr zweifelhafte; sie ist wesentlich abhängig
von der Außdehnung der anatomischen Veränderungen und von dem
Grade der Abkühlung; bei Temperaturen unter 30^ C. ist eine Heilung
nicht zu erwarten. Die Zahl der empfohlenen Heilmittel ist sehr gross —
die der damit erzielten Erfolge um so kleiner. Verf. empfiehlt den
Aufenthalt in hellen, luftigen Zimmern mit einer constanten Temperatur
von mindestens 22^ C, in schweren Fällen 24^ Ganz besondere Sorg-
falt erheischt die Ernährung der kleinen Patienten, und zwar wenn
irgend möglich mit Muttermilch, welche in kurzen Intervallen und kleinen
Quantitäten zu verabfolji^en ist. Li schweren Fällen, wenn das Saugen
unmöglich ist, muss die Milch mit dem Löffel oder selbst mit Hilfe
einer Schlundröhre eingeflösst werden. Das Kind muss in warme Win-
deln, bez. in Watte eingepackt und regelmässig heiss (32 bis 35^ G.)
gebadet werden; subcutane Injectioncn von Coffein und Aether werden
analeptisch wirken, auch Sauerstoff! nhalation dient zu demselben Zweck.
Von innerlichen Medicamenten ist ein Erfolg nicht zu erwarten.
Toeplitz.
Beobachtungen über Icterus der Net^geborenen, Von Dr. A. Schmidt.
Archiv f. Gynäkologie 26. B,, 2. H.
Von 149 Kindern wurden 60 sofort, die übrigen erst nach Abgang
der Placenta (10 — 30 Minuten) abgenabelt. Von diesen 149 Kindern
wurden 80 icterisch oder nach Abrechnung von 36 Frühgeborenen, von
114 reifen Kindern, 63 icterisch. Es war schon früher bekannt, dasa die
Zahl der Icteriechen mit dem Gewichte der Neugeborenen umgekehrt
proportional ist.
Auch die EntwicklungsfUhigkeit der Kinder in den ersten 14 Tagen
war dabei von Einfiuss, wobei es allerdings zweifelhaft blieb ob nicht
eben der Icterus die Entwicklung gestört habe.
Wenn man die Kinder, welche mehr als 3300 g Anfangsgewicht
hatten, in solche mit und solche ohne Icterus abtheilt, so überwiegt
die Gewichtszunahme der letztt^ren über die der ersteren in den ersten
zwei Lebenswochen um ca. 96 g.
IX. Krankheiten der Neugeborenen. 495
Hervorgehoben ¥nrd, dasB die relative Zahl der icterischen Knaben
grösser war als die der Mädchen, obgleich jene ein grösseres Darch-
schnittsgewicht haben.
Intensiver Icterus wnrde nur an 11 Kindern beobachtet. Der Icterus
begann 69mal am 2.-4., 8mal am 5.-7. nnd 6mal am 1. Lebenstage
und dauerte durchschnittlich Ofi Taj^e. Der Icterus kam bei den sofort
abgenabelten Kindern in 72%, bei den spät abgenabelten nur in 42,2%
vor und die ersteren zeigten auch die schwersten Fälle und die längste
Daner und einen etwas- früheren Beginn.
Auf die Entwicklung der Kinder in den ersten 14 Tagen war die
Zeit der Abnablnng von keinem besondem Einflüsse, es ergab sich nur
ein geringes Plus zu Gunsten der sofort abgenabelten, beide wogen
übrigens noch weniger als unmittelbar nach der Geburt.
Eisenschitz.
Studien vStfer Icterus neonatorum. Von N. A. Quisling. Norsk Mag. f.
L^evidensk. 8. 148. 226. 1893. — Nord. med. ark. N. F. 111. 4. Nr. 22.
S. S5. 1893.
Qu. theilt 50 Fälle von Icterus neonatorum mit einem Todesfall an
Pleuritis drei Tage nach der Geburt mit. Aus der Betrachtung dieser
Fälle entwickelt er das Krankheitsbild. Ausser der icterischen Färbung
der Haut finden sich Krankheitserscheinungen von Seiten der Ver-
dauungsorgane, von leichter Dyspepsie bis zu ausgeBprochener Gastro-
enteritis, bei manchen Kindern besteht Sopor, bei andern Unruhe; Fieber
ist in 50% der Fälle vorhanden. Bei der Untersuchung findet man
meteoristische Aufbreibung des Leibes mit Verschiebung der Leber-
dämnfnng. Die Krankheit kam im Gebärstift zu Christiania bei 26%
der Neugeborenen zur Beobachtung, in der Privatpraxis nach auf Qu.'s
Veranlassung von den Hebammen angestellten Untersuchungen bei nur
5%, was ein gewisses ätiologisches Interesse hat. Die icterische Fär-
bung trat am häufigsten zwischen dem 1. und 3. Tage (in 78% der
Fälle) auf, am 1. Tage blos in 6%, nach dem 3. Tage in 16%, auch
die Schleimhäute, besonders in der Mundhöhle, sind oft icterisch gefärbt.
Bei der Section des gestorbenen Kindes fand sich icterische Färbung
des plenritischen Belags an der Oberfläche der Lungen, auch die Hirn-
masse war gleicbmässig, wenn auch nur schwach, gelb gefärbt. Die
Erkrankung dauerte in 60% 4—6 Tage, in 30% 7—9 Tage, nur in 2%
bis 14 Tage. In 38% zeigten die Gewichtsverhältnisse (unabhängig von
der Zeit der Abnabelung) schlechtere Ernährungs Verhältnisse als bei
gesunden Kindern. Bei der Section des gestorbenen Kindes fand sich
der Ductus choledochus von zum Theil ungefärbten stecknadelkopf-
grossen Schleimklumpen angefüllt, zwischen denen etwas zähe, hellgelbe
Flüssigkeit sich befand. Qu. stellt deshalb den Icterus neonatorum in
dieselbe Kategorie mit dem katarrhalischen Icterus bei älteren Personen
und nimmt an, dass ihm ein Gastroduodeiialkatarrh zu Grunde liegt,
der sich auf den Ductus choledochu» fortpflanzt. Hierzu kommt viel-
leicht als disponirendes Moment eine fötale Verengung der Mundnng
des Ductus, die sich besonders bei nicht ganz ausgetragenen Kindern
geltend macht, bei denen der Icterus häufiger ist. Die Ursache zu
diesem Katarrh liegt nach Qu/s Meinung in der erwachenden Ver-
dauungsthätigkeit mit bedeutendem Blutzufluss, speciell zum M»gen und
Dünndarm, in denen selbst die natürliche Nahrung, die Muttermilch,
im Beginne als ein Hyperämie, vermehrte Scbleimsecretion und einige
Anschwellung der Schleimhaut erzeugender Reiz wirken mnss. In einer
grossen Anzahl von Fällen, besonders bei künstlicher Ernährung, nimmt
diese physiologische Hyperämie einen pathologischen Charakter an und
es treten Symptome Tom Dyspepsie auf. Nebenbei können sich auch
496 Analecten.
leicht bacterielle Facioren fi^eltend machen. Auch yon den nicht icte-
rischen Neugeborenen leidet nach Qu. eine Anzahl in den ersten Tagen
an VerdanungBstörnngen. Zeitige oder späte Unterbindung der Nabel-
schnur hat keinerlei Eiofluss auf die Entstehung des Icterus neonatorum,
wovon Qu. durch Experimente sich überzeugt hat. In Bezug auf die
Therapie soll man den dyspeptischen Symptomen, wie Qu. meint, mehr
Aufmerksamkeit schenken, als bisher. Walter Bergen
Ueher zwei Endemien von Icterus afehrHia neonatorum cum HaemoglO'
hinuria, genannt die WinckeV sehe Krankheit Von Prof.Wolczynski.
Internat, klin. Rundschau Nr. 26 u. 88. 1898.
Verf. hatte Gelegenheit, diese {lusserst selten Torkommende Krank-
heit endemisch in Ewei aufeinander folgenden Jahren (1892 und 189d)
in der Landesgebär- und Hebammenanstalt zu Czernowitz zu beobachten.
Im Jahre 1892 (15. Januar bis 2. April) erkrankten sechs Kinder und
starben alle, im Jahre 1893 (vom 20. Januar bis 7. Februar) Erkrankten
sechs und genas eins. Alle Erkrankten waren durchaus gut entwickelte,
SOOO g und darflber schwere Kinder. Sie sind sämmtlich am 2. und am
Ende des 8. Tages erkrankt. Die Mütter der erkrankten Kinder waren
durchaus p^esund, der Gesundheitszustand in der Anstalt seit Jahren ein
sehr günstiger, Puerperalprocesse sind gelegentlich von Aussen eingeschleppt
worden, Erkrankungen der Kinder, ausser an Sklerema neonatorum,
nicht vorgekommen.
Die Erscheinungen, unter denen die Kinder erkrankten, waren
folgende: Am 2. — 4. Tage p. p. werden die Kinder unruhig, verweigern
die Nahrung und die Haut bekommt eine leicht icterische Färbung; die
letztere wird allmählich, besonders um den Mund und die Nase, an den
Genitalien und den Extremitäten grau-cyano tisch. Die Kinder scheinen
benommen, mitunter stellt sich leichtes Erbrechen ein oder es zeigt
sich gelblicher Schleim zwischen den Lippen. Der Stuhl wird, falls er
schon gelblich gefärbt war, bräunlich und schwärzlich, schleimig,
meconiumartig. Der Harn ist dunkel violett bis dnnkelschwarz, ist an
Menge gering und wird mit Anstrengung entleert; er färbt die Windeln
auffallend dunkelblau und die Färbung lässt sich nur schwer durch
wiederholtes Auswaschen entfernen. Dabei magern die Kinder rasch und
intensiv ab — in einem Falle betrug der Gewichtsverlust in 3 — 4 Tagen
1000 g — , bekommen ein greisenhaftes Aussehen. Sie fahren bei Be-
rührung zusammen, verdrehen die Augen und bekommen leichte convuU
sivische Anfälle. Die Temperatur schwankt zwischen 36,6—37,5* C. und
hat in keinem Falle 38* erreicht.
Aus einem ausführlich mitgetheilten Sectionsbefunde sei Folgendes
hervorgehoben: Gehirn etwas ödematös, Ventrikel erweitert Auf der
Vorderfläche des Unterlappens sehr zahlreiche subpleurale Ecchymosen,
einige kleine, steck nadelkopfgrosse auf der vorderen Fläche des Herzens.
Vorhöfe prall gefüllt, die fötalen Canäle durchgängig. — Bauchhöhle
leer. Milz auf das Dreifache vergrüssert, derb, dunkelblau violett; das
Parenchym leicht abstreifbar, unter der Kapsel eine mit klarem Serum
gefüllte Cyste. — Leber bedeutend ver(p*Ossert, hellockergelb, markig,
brüchig. — Magen enthält 20 — 30 g eines dunkelbraunen, schwarzen,
theerartigen, am Fundus fest haftenden Contentums, das sich bis ins
Duodenum erstreckt, um sodann gelblich, gelbgrünlich gefärbt zu
werden. Peyer'sche Plaques nnbedentend geschwellt, leicht injicirt, des-
gleichen die Mesenterialdrüsen. Nieren massig vergrössert, die Ober-
fläche mit zahlreichen feinen Ecchymosen bedeckt. Corticalis und
Pyramiden röthlich violett, die Grenze verwischt, blos die Pyramiden-
spitzen dunkelröthlich braun gefärbt. Harnblase enthält wenig röthlich
gelbbraunen üam. Blasenschleimhaut deutlich icterisch gefärbt
IX. Krankheiten der Nengeborenen. 497
lieber die histologiBcb-bacteriolo^nsche ünteTsncbung (Dr. Kamen)
TgL das Original. Es bat fdch ans derselben ergeben , dass der ans den
inneren Organen (Leber, Milz, Nieren) in Reincaltnren gewonnene Mikro-
organisnius das Bacterinm coli commone ist, ond dass die WinckeVscbe
Krankheit daher als eine Infectionskrankheit aufzufassen ist. Als die
Quelle der Infection wurde, nach Ausschluss aller anderen Möglich-
keiten, das Anstaltswasser (Brunnenwasser) erkannt, in welchem das
Bacterium coli commune nachgewiesen wurde und welches somit als der
Tr&ger des Infectionsstoffes aufgefasst werden musste. Das Wasser
konnte nur entweder durch das Bad oder beim Waschen und Beinigen
des Mundes die Gelegenheit zur Infection abgeben. Der erstere Weg
konnte ausgeschlossen, der letztere hingegen als der wahrscheinlichere
angesehen werden, da es nicht zu vermeiden ist, dass der zum B«inigen
mit dem Wasser benutzte Leinwandlappen zu nass wird, Wasser aus
dem Lappen ausgedrückt und von dem Kinde Yerschluckt wird; es
könnte aber auch durch zu starkes Reiben das Epithel von der Schleim-
haut abgerieben und die pathogenen Keime in das Gewebe geradezu ein-
geimpft werden. Eine Bestätigung für diese Annahme liegt in dem
Umstände, dass, als der Anstaltsbrunnen geschlossen und zum Reinigen
des Mundes nur noch sterilisirte 1% Borsäure lösang verwendet wurde,
Erkrankungen nicht mehr vorgekommen sind. Dem letzterkrankten
Kinde wuide am Abend p. p. der Mund noch mit dem Anstaltswasser
gereinigt, später mit der sterilisirten Borlösung. Es erkrankte zwar
(7. Febr.), aber unter leichteren Erscheinungen und konnte am 17. Febr.
geheilt entlassen werden. — Verf. seh li esst seine interessante Mitthei-
lung mit der Bemerkung, dass die Reinigung des Mundes neugeborener
Kinder in Hinkunft nur mit sterilisirtem Wasser zu geschehen habe;
denn dieselbe ganz zu unterlassen gehe wohl nicht an, weil dies die
Disposition zu anderen Krankheiten der Neugeborenen vermehren würde.
Unger.
2Xe WinekeVscJie Krankheit der Neugeborenen (Cyanosis afebrilis perni-
ciosa icteriea cum Haemoglobinuria). Von S. Ljwow. Medicinskoje
Obosrenje Nr. 14. 1898.
VerfiEuser hat in den beiden ersten Monaten des Jahres 1898 auf der
Lieh atsche waschen geburtshiflichen Station zu Kasan sieben Fälle von
WinckeV scher Krankheit beobachtet. Der erste Fall wurde am 17. Januar
constatirt: Siebentägiger ^7. Jan. 1893), kräftiger Knabe. Mutter gesund.
Behandlung des Nabelschnurrestes mit Glycerin. Nabelwunde rein.
Kein Icterus. Am 16. Januar trat bei der Matter auf der linken Brust
eine Lymphangoitis ein mit geringer Temperatursteigerung, der Säugling
wurde von der Mutter gestillt. Am 17. Januar entwickelte sich bei
dem Säuglinge eine Cyanose. Haut und Schleimhäute werden trocken,
geringe Somnolenz, beschleunigte Herzthätigkeit. Temperatur in ano
86,8. Kein Erbrechen. Die Nabelwunde verheilt. Häufiges Üriniren;
der Urin blauroth, die Ausleerungen braun. Rasches Sinken des Körper-
gewichts. Verfall der Kräfte, Zunehmen der Cyanose, leichte Convul-
sionen. Tod am 20. Januar. Die Section ergab: icterische Verfärbung
der Haut, venöse Hyperämie der Milz, Blutaustritte in den Harn-
canälchen. Im Urin waren geringe Eiweissmengen und Hämoglobin
nachweisbar. — Nach diesem Fall wurde ein Monat lang keine Er-
krankung, weder bei den Wöchnerinnen, noch bei den Säuglingen be-
obachtet. Mitte Februar traten leichte puerperale Erkrankungen bei
den Wöchnerinnen auf, gleichzeitig wurden bei sechs Säuglingen
Krankheitserscheinungen constatirt, die ganz an das Bild der oben be-
schriebenen Affection erinnerten. Von diesen sechs starben zwei, vier
erholten sich. Die Section ergab auch in diesen zwei Fällen: icterische
4P8 Analocten.
Yerf&rbang der Hant und der inneren Organe, Staunngsbyperämie,
Schwellung der Corticalis der Nieren mit kleinen Blotaustritten, An-
füllnng der Hamcan&Iohen in den Pyramiden mit Hämoglobinschollen,
Blatangen auf der Pleura, dem Endo- und Pericard, der Magenschleim-
haut etc. In der Leber und dem Herzen — Fettdegeneration. Nur in
einem Fall bestand eine Erkrankung der NabelgefSsse. — Auf Grund
seiner Beobachtungen hält Verf. die Winckersche Krankheit fSr eine
septiBche Infection (das Fehlen der Temperatursteigerung spreche nicht
gegen diese Anschauung, weil Temperaturmessungen bei Säuglingen
nicht immer mit genügender Exactheit ausgeführt werden können, und
es sehr wahrscheinlich sei, dass zu Anfang der Erkrankung Fieber vor-
handen war). Was die Frage anlangt, auf welchem Wege die Infection
stattfindet, Bo meint L., dass der erste Fall in dieser Beziehung sehr
instructiy sei: das Kind brachte das infectiöse Agens mit der Mutter-
milch in seinen Magen. Ausserdem müsse noch in Betracht gezogen
werden, dass, wie Epstein gezeigt hat, die Schleimhaut der Mund-
höhle der Säuglinge m den ersten Lebenstagen im Zustande der Des-
quamation sich befindet und deshalb einer Infection leicht ausgesetzt
ist. Für die anderen Fälle müsse der Umstand, in Betracht gezogen
werden, dass 1) alle sich in einem Erankensaal ereigneten, und 2) dass
die Mütter gleichzeitig an leichten puerperalen Affectionen laborirten.
Verf. Bchliesst sich der Küstner^schen Hypothese au, dass die Infection
Ton der Lufb aus stattfinden könne. Abel mann.
Septische Infection eines Neugeborenen mit gangränöser Zerstörung der
Haut und des ünterhautzellgetoebes mit Ausgang in Heüung. Von
Dr. F. Theodor in Königsberg i. Pr. Arch. f. Kinderh. 16. Bd. 1898.
A. L., 14 Tage alt, stammt von gesunden Eltern, sieht kräftig und
wohlgenährt (Brustnahrnng) aus. Am 9. Nov. unter Stöhnen plötzlich
Nahrungsverweigerung. Temperatur 38,6^ C. Sonst keine Störung nach-
weisbar. Auf Darmausspülung einige Stunden Ruhe, nachher wieder
Stöhnen. Im Laufe des Tages Schwellung und Böthung der grossen
Labien, die am folgenden Tage schon sich hart infiltrirten, cyanotisch
verfärbt und auf Druck sehr schmerzhaft wurden. Unter zunehmender
Unruhe wurde die Schwellung grösser und am 7. Krankheitstage wurden
zahlreiche Incisionen in die linke Labie und darauf Umschläge aus
Sublimat (1 : 2000) gemacht. Eiter entleerte sich nicht, doch wurde
das Kind vollkommen ruhig und nahm gierig Nahrung zu sich. Die
Schwellung nahm ab, hingegen schwollen beide Unterschenkel gleich*
massig vom Knie herab bis zu den Zehenspitzen an. Neben den Tibien
trat bläuliche VeriUrbung mit teigiger Weichheit der Schwellung auf,
letztere nahm zu, am Fussrücken entwickelten sich mit Serum gefüllte
Blasen, die schon am folgenden Tage blutigen Inhaltes waren und am
nächstfolgenden zu kreisrunden gangränösen Zerstörungen der Haut und
des Zellgewebes von der Grösse eines Zwanzigpfennigstückes führten.
Auf dem rechten Fussrücken erstand bald nach dem ersten Geschwür
ein zweites längliches mit unterminirten Bändern und schmierig gelb-
lichem Belag. Beide Fn^srnoken stark geschwollen und blauroth ver-
färbt. — Am 14. Krankheitstage auf den Vorderseiten beider Unter-
schenkel zahlreiche tiefe Incisionen, nachdem Fluctuation deutlich fühlbar
wurde. Es entleerten sich geringe Eitermengen, das Fieber (89^) fiel
ab und die Sublimatumschläge wurden nach einigen Tagen durch solche
aus essigsaurer Tbonerde prRetzt. Die tiefen gangränösen Geschwüre
wurden mit dem scharfen Löffel ausgekratzt, fingen an sich zu reinigen,
so dass sie nach vierwöcheutlicher Behandlung mit neuer Haut bedeckt
waren und das Kind vollständig geheilt entlassen werden könnt«.
Als Eingangspforte für das septische Gift konnte, nach Ansicht des
IX. Erankheiten der Neugeborenen. 499
Verf., nur die Vaginalschleimhant in Betracht kommen. Trotz genauester
Untersuchung waren jedoch weder Schrunden noch auch sonst die ge-
ringsten Veränderungen darin zu finden und es waren diese Partien
beim Kinde überhaupt nicht im Mindesten geröthet. Gleichwohl zählt
Verf. den eben mitgetheilten Fall zu der von der Schleimhaut der
Genitalien hervorgerufenen Form der Sepsis. Ünger.
Hemorrhagies gagtrointegtinales chez le nouveau-ne. Von Herrgott
(Nancy). Progräs mädical 1893. Nr. 15. p. 283.
Der Vortragende bespricht diese so seltene Afifection, deren Aetio-
logie noch ^nz dunkel ist. Nach seinen Beobachtungen scheinen
manche Familien öfters befallen zu werden, so erwähnt er eine Familie,
in der drei Kinder an Blutungen zu Grunde gingen. Die Blutunter-
Buchungen Hessen keine Abweichungen von der Norm erkennen, während
die Schleimhäute des Darmes sehr roth aussahen. Doch glaubt H.
darin nicht das Wesentliche der Erkrankung zu sehen. Eine Diagnose
schon während der Schwangerschaft zu stellen ist nicht möglich, häufig
ist das Fruchtwasser sehr stark vermehrt. Die Krankheit wurde von
H. zweimal bei 3000 Kindern beobachtet, während Ddsser die Affection
einmal bei 1000 sah.
In der Discussion spricht Bar die Ansicht aus, dass die Blutungen
durch mechanische Insulte hervorgerufen würden. Er fand in dem
Blut« von drei Kindern, die an ausgedehnten Hämorrhagien litten,
Streptokokken. Piccard fand bei drei Sectionen die von Herrgott er-
wähnte starke Röthung der Schleimhäute. Nicht immer wurde ein
tödtlicher Ausgang beobachtet. Fritzsche.
Die Ülceratianen an den Fersen und Knöcheln der Neugeborenen und
Säuglinge, Von Di Lorenzo, vorgetragen bei dem 2. Coogress
ital. Kinderärzte in Neapel 1892. Archivio italiano di Pediatna
1893 p. 17flF.
Verf. hatte Gelegenheit, in der Station für Hantkrankheiten und
Syphilis eine Reihe von nlcerativen Processen bei Neugeborenen und
Säuglingen zu beobachten, deren Beschreibung er in den bekannten
Werken vermisst. Bei 471 kranken Kindern fand Verf. die Affection
68 mal (18 m., 50 w.), darunter 12 hereditär-syphilitische Kinder. An
den Fersen fanden sich die ülcerationen 84 mal (26 mal doppelseitig,
5 mal rechts, 8 mal links), am Malleolus internus 26 mal (24 doppel-
seitig, je eine nur rechts oder links), an beiden Stellen 8 mal, das
älteste Kind war 2 Monate alt. Der klinische Verlauf ist folgender:
zunächst oberflächliche erythematöse Röthung an der Ferse, welche
sich in verschiedenem umfange am Fusse ausbreitet; bisweilen ist die
Temperatur der Haut erhöht, bisweilen auch herabgesetzt. Nach einigen
Tagen erscheint eine kleine Grube, an deren tiefster Stelle sich die
Haut ablöst, um dort ein flaches Geschwür zu bilden. Dasselbe kann
sich nach allen Seiten hin vergrössern, zeigt meist eine uuregelmässig
runde Form und verschiedene Tiefe. Der Grund ist gewöhnlich ziem-
lich trocken oder nur mit einer dünnen Eiterschicht bedeckt. Bei ge-
nügender Reinlichkeit und indifferenter Behandlung kann der Process
bald zum Stillstand kommen und unter Grannlationsbildung schnell
ausheilen, es bleibt dann nur eine flache, etwas dunklere pigmentirte
Stelle oder eine wenig vertiefte Narbe. Wird das Kind aber vernach-
lässigt, so gewinnt der geschwürige Process an Ausdehnung, die Se-
cretion nimmt zu. Insbesondere bei Constitutionen kranken Kindern
gewinnt das Bild einen anderen Charakter, die Ränder werden steil ab-
fallend, der Grund speckig, die Secretion eitrig. Der Knochen kann
500 ADalecten.
eDtblöset nnd in Mitleidenschaft gezogen werden. Die bo schwer er-
krankten Kinder gehen meist an ihrem Allgemeinleiden za Grande oder
die in seltenen Fällen eintretende Heilung nimmt eine sehr lange Zeit
in Ansprach. Die Geschware an den Enöchebi sind gewöhnlich kleiner,
oberflächlicher nnd heilen schneller ab.
Als befördernde Momente sind zu nennen: frflhes Lebensalter, zarte
nnd empfindliche Haut, constitationelle Anomalien (Syphilis, Atrophie,
Lebensschwäche), ünsauberkeit, za feste Binden, Kälte.
Von den 68 Behandelten starben 28 = 41%.
Die Behandlang ist eine sehr einfache: Reinlichkeit and Anwendung
von Antisepticis in starker Verdünnung. Toeplitz.
Ein Fall wm acuter Nephritis heim Neugeborenen. Von G. Frees in
Giessen. Zeitschr. f. Gebartsh. 26. Bd. 2. H.
Ein frühgeborener, 2850 g schwerer Knabe einer gesunden Mutter
zeigt am dritten Lebenstage Oedeme der Unterschenkel und einen bis
zum zehnten Lebenstage dauernden Icterus. Das Oedem verbreitet
sich bis zum Scrotum und Hypogastrium, es entsteht am rechten Scheitel-
bein ein ca. taubeneigrosses Kephalhämatom.
Die Urinuntersuchung vom 7.-28. Lebenstage ergiebt stark ver-
minderte Diurese» specif. Gewicht 1027, sehr Btsak eiweisshaltig, im
Sedimente hyaline, kömige und epitheliale Cylinder.
Das Allgemeinbefinden nchwer afficirt, Körpergewicht bis zum
21. Lebenstag auf 1590 g absinkend. Temp. subnormal.
Vom 28. Lebenstage an rasche Bedserang, am 40. Lebenstage 2070 g
nnd gesund entlassen.
Fr. ist geneigt, das spät auftretende Kephalhämatom als Folge
der parenchymatösen Nephritis aufzufassen. ßisenschitz.
OenitalbliUung bei einem neugeborenen Mädchen. Von Dr. Engström.
Finska läkaresällsk. handl. XXXV. 5. S. 391. 1893.
Bei einem neugeborenen Kinde, das am 16. Jani 1888 früh geboren
worden war, wurde am Abend desselben Tages ein blutig gefärbter
schleimiger Ausflass aus der Vagina bemerkt. Am nächsten Tage fand
E. dünnen, mit Schleim gemischten blutigen Ausfluss aus der Vagina
Die normal entwickelten äusseren Genitalien zeigten keine Hyperämie,
auch die Vagina erschien nicht geröthet. Die Blutung dauerte 8 Tage
lang fort, danach folgte kein schleimiger oder eitriger Ausfluss aus den
Genitalien. Der Zustand des Kindes war stets ganz normal und es
konnten keine Zeichen irgend einer andern Krankheit nachgewiesen
werden, auch weder Icterus noch Bronchialkatarrh. Der Nabelstrang
war am vierten Tage abgefallen und es hatte sich keine Biatung oder
Eiterbildung am Nabel, auch keine Röthung um denselben gezeigt.
Auch in den folgenden drei Wochen befand sich das Kind wohl nnd
gedieh gut. — Ein Trauma, Katarrh in den Genitalorganen, Fettdegene-
ration konnten vollständig ausgeschlossen werden. Vielleicht war die
Blutung menstrueller Natur, für eine derartige Annahme findet sich
aber kein Beweis, weil über den späteren Verlauf des Falles nichts
bekannt geworden ist«
Im Anschluss an E.*8 Mitthoilung erwähnte Hein ricius einen gleichen
von ihm beobachteten Fall, in dem er die Ursache der Blutung in der
bei Neugeborenen nicht selten vorkommenden Congestion in den Brast-
drüsen und in den Genitale rüsen in den ersten Tagen nach der Geburt
suchen zu müssen glaubte. * Walter Berger.
X. Hautkrankheiten. 501
üeber die beste Behandlungsmethode des Näbelstrangrestes. Von Ljwow.
Medicinskoje Obosrenje Nr. 3. 1898.
Verf. hat bereits 1888 eine Behandlongsmethode angegeben (Be-
streanng mit Magist. Bismuth. 10 Theile, Jodoform 1 Theil, darauf
Marljcompressen) , doch erwies sich diese insofern unpraktisch, als der
mumificirte Rest selten vor dem 7. — 10. Tage abfiel. Ferner haben die
Untersuchungen Yon Cholmogorow und Artemjew ergeben, dass
streng desinficirende Mittel unnütz sind. L. hat deshalb versucht, den
Nabelstrangrest mit Glycerin zu behandeln, indem hygroskopische Watte
in Glycerin getränkt auf den Rest gelegt wird. 4—6 Tage bleibt der
Verband liegen, das Kind wird dabei nicht gebadet. Schon am fünften
Tage fällt der mumificirte Best gewöhnlich ab. Diese Methode scheint
dem Verf. am praktischsten. Abelmann.
Lähmung heider Arme hei einem Neugeborenen. Aus dem geburtshilf-
lichen Institut zu Perugia. Von Yicarelli. Archivio italiano di
Pediatria 1891, S. 218 ff.
Eine 30 jährige Ilpara, welche 2 Monate vorher wegen florider
Syphilis behandelt worden war, gebar am 2. April 1891 nach normaler
Entbindung ein ausgetragenes Kind, 2300 g schwer, mager, mit faltiger
Haut, ohne irgendwelche Exantheme oder Narben; Stimme schwach,
rauh, näselnd. Beide Arme atrophisch oder vollständig gelähmt, ohne
irgendwelche Verletzung, die bei dem schnellen und naturgemässen
Verlauf der Geburt ohnehin ausgeschlossen war. Um die Diagnose einer
Lähmung auf hereditär - luetischer Basis sicher zu stellen,' wurde zu-
nächst 20 Tage massirt, sodann ebenso lange faradisirt, ohne irgend
welchen Erfolg. Jetzt stellten sich noch die Erscheinungen eines bul-
lösen Syphilids ein. Nun wurde die Mutter, welche das Kind selbst
nährte, einer Jod-Quecksilbercur unterworfen und schon nach 4— 6 Wochen
war die Beweglichkeit der Arme völlig wiedergekehrt. Nach weiteren
4 Wochen wog das Kind 4100 g und war vollständig gesund.
Toeplitz.
X. Hautkrankheiten. "
Impetigo des enfants considSr^ comme une affeciion coniagieuset in-
oeulabe, microbienne. Von L e r o u x. Le progr^s m^dical 1892.
N. 44.
Bei einem Beobachtungsmaterial von 750 Fällen konnte L. 220 mal
eine Ansteckung nachweisen, sowohl in derselben Familie, wo mehrere
Kinder befallen waren, als in verschiedenen, wo Erwachsene und Kindei
die Ejrankheit hatten. Unter 120 Impfversuchen konnte der Autor bei
79 (65,8%) einen positiven Erfolg erzielen. 'Die Impetigo lässt sich
also durch Impfung übertragen. Bei der von selbst entstehenden Krank-
heit fand sich bei der bacteriologischen Untersuchung der Staphylo-
coccus aureus, albus und citreus, während bei der Impfimpetigo sich
nur Diplokokken, Mikro- und Streptokokken erkennen liessen. Gultur-
versuche auf Gelatine und Agar liessen Streptokokkencolonien wachsen,
welche die Gelatine nicht veässsigten.
Bei Impfversuchen mit inficirter Bouillon entstand zuerst ein Bläs-
chen, dann eine Borke. Die Impetigo scheint demnach einem Mikro-
organismus ihr Entstehen zu verdanken, den der Autor im Streptococcus
502 Analecten.
impetiginis gefunden haben will. Die Staphylokokken sind nor zuf&l-
lige Beimengungen, die secandären Infectionen ausuflchreiben sind.
FritzBche.
Two eases of hvXlow eruptian in ehüdren checked completely hy arsenic.
By L. Dancan Backley. Archives of pediatrics Jan. 1893.
Ein fanfjähriges Mädchen leidet seit 16 Monaten an Blasenernp*
tionen. Die Eruption der mit wasserheliem Inhalte gefüllten Bläschen
begann um den Mund heram, verbreitete sich Ton hier über die Ex-
tremitäten, Bchlieaslich auch über Abdomen, Rücken und Brust. Bei
der ersten Eruption vor 16 Monaten hatte das Kind an Asthma gelitten,
von dem es seither verschont geblieben. Keine ähnliche HantäTection
bei den Geschwistern zu finden. Beidemale waren von der Eruption
der Bläschen verschont geblieben: Kopfhaut, Handteller, Fusssohlen.
Die Bläschen waren in keiner bestimmten Weise gruppirt, die Haut
zwischen denselben war roth und mehr oder weniger schuppig. An
manchen Körperstellen, z. B. am Abdomen und den Pubes, standen sie
auf deutlich gerötheter Basis. Sie enthielten helles Serum, doch sollen
sie anfangs bei ihrem Entstehen blutigen Inhalt besessen haben ('?).
Einige erreichten eine beträchtUche Grösse. An ihrer Stelle blieben
hie und da Pigmentflecke zurück.
Im Beginne der Eruption Jucken. Das Kind war wohlgenährt und
sonst scheinbar vollständig gesund.
Bei einem anderen 19 Monate alten Kinde handelte es sich um
Eruption von Bläschen und Quaddeln an den Extremitäten, mit Ver-
schonung des Stammes, die sehr stark juckten und ohne Pigmentirung
schwanden. Die Affection scheint eine leichte Prurigo oder ein Liehen
gewesen zu sein.
In beiden Fällen schwinden die Eruptionen rasch nach Verabreichung
von Tinct. arsenic. Fowler. Leider ist in keinem der beiden Fälle
eine bestimmte Diagnose gestellt worden und aus der gegebenen Be-
schreibung lassen sich nur Vermuthungsdiagnosen machen. Loos.
Prurigo der Kinder und ihre Behandlung. Von E. Iwanow. Westnik
obschtschestwennoj Gigieny Juli 1892.
Verf. wendet bei Prurigo vera folgende Therapie mit zufrieden-
stellendem Erfolge an: Zur Hebung der Hauternährung erhalten die
Kinder fette Diät. Als besonders geeignet hat sich ein Gemisch von
einem Esslöffel geschmolzenen Schweineiettes und einem Glase Milch er-
wiesen. Etwas älteren Kindern wird ausserdem noch Leberthran ge-
reicht. Gegen das Jucken kommen Einreibuugen von Carbol (8 — 6%)
oder Eisessig (6^10%) in wässeriger oder Glyoerinlösung zur Anwen-
dung. Die wässerigen Lösungen verdienen nur in vernachlässigten
Fällen mit starkem Juckreiz den Vorzug wegen ihrer schnelleren Wir-
kung. Dieser Behandlung geht ein Bad voraus mit Zusatz irgend eines
aromatischen Krautes (Bidens tripart., Radic. Calami oder dergl.). Seife
wird vermieden und durch Eigelb ersetzt. Häufige Bäder wirken nach-
theilig. Dagegen scheinen seltene (1—2 mal wöchentlich), kurzdauernde
(10 — 16 Minuten) Bäder mit unmittelbar darauf folgender Einreibung
der Glyoerinlösung die Cur zu unterstützen. Nach Beseitigung des
Juckens werden zweimal tägliche Glycehneinreibungen verordnet, diese
müssen monatelang fortgesetzt werden. Verf. ist genei^, dem Glycerin
bei Prurigo vera eine geradezu specifische Wirkung beuumeBsen.
Abelmann.
X. Hauikrankheiteo. 503
Vier Fälle von Hydroa vacdniforme (Bazin), Sommereruptionj (Jonathan
Hutchinson), Von Dr. C. Bock. ArchiY f. Dermatologie 26. Bd.
1. Heft.
Der Name Hydroa Tacciniforme wurde von Bazin vor mehr als
30 Jahren in die Dermatologie eingeführt. Jonathan Hutchinson
hat dieselbe Krankheit im Jahre 1888 als ,ySommereruption** beschrieben.
Bock theilt neuerdings vier Fälle dieser Krankheit mit, yon denen
drei je einen 9, H% und 12 Jahre alten Knaben betreffen.
Der 1. Fall, bei dem sich die Eruption bereits in drei aufeinander
folgenden Sommern gezeigt hatte, zeigt, symmetrisch vertheilt auf beiden
Wangen, spurweise auf der Stirn und vorzugsweise auf beiden Ohren
Bläschen und Blasen, vereinzelte Bläschen findet man auch auf einem
Handrücken. Neben den Blasen und Bläschen entdeckt man als Spuren
früherer Eruptionen ziemlich tiefe Narben.
Die Blasen schwanken von Nadelkopf- bis Erbsengrösse.
Der 2. Fall war heftiger. Zur Beobachtung kam die 8. Eruption,
nach der Aussage jedesmal hervorgerufen durch directe Einwirkung der
Sonnenstrahlen.
Dieser Fall zeichnete sich dadurch aus. dass neben den Bläschen
hämorrhagische Papeln vorkamen, grosse Blasen, die zur Bildung von
Schorfen führten, die von einem weisslich - gelben Limbus umgeben
sind und dass die Eruptionen drei Wochen lang dauerten.
Der 8. Fall hatte schon durch vier Jahren Eruptionen erlitten, so-
dass das Gesicht wie von Yariolanarben durchsetzt erschien.
Ein 4. Fall, ein 27 Jahre altes Mädchen und zwar zum ersten Male
betreffend, war nach ca. sechswOchentlicher Dauer noch nicht beendet.
Dr. Bück empfiehlt zur Behandlang dieser Fälle mittelst der An-
wendung von curcumagefärbten Schleiern die Einwirkung der chemisch
wirkenden ultravioletten Strahlen des Sonnenlichtes theilweise auszu-
schalten und die von Stamm er empfohlene Anwendung wässeriger Chinin-
lüsungen und Chinin - Glycerinsalben und die von Bock selbst erprobte
Anwendung von Bleiwasser und Bleiwasserpasten. Eisens chitz.
Favus mit ungewöhnlich grosser Ausbreitung. Von Sederhol m. Hygiea
LV, 6. Sv. läkaresällsk. fürh. S. 27. 1893.
Ein in schlechten Verhältnissen lebender, 10 Jahre alter Knabe
litt seit zwei Jahren an Favus, der während einer Behandlung von un-
gefähr <4 Jahr rasch verschwand, aber nach Aussetzen der Behandlung
sofort wieder erschien; er nahm fast die ganze behaarte Kopfhaut ein,
den Jäumpf und auch die Extremitäten, an manchen Stellen hatten sich
die Schorfe abgelüst und neue waren im Begriff sich zu bilded. Bei
der Untersuchung der Haare von diesen Stellen fanden sich in ihnen
Myeclien von Achorion. Von den Nägeln waren nur die des Daumens
und des kleinen Fingers der rechten Hand befallen, auf dem Daumen
war der Process am weitesten vorgeschritten. Hohlhände und Fuss-
sohlen waren vollkommen frei. Die Haut war ungewöhnlich stark be-
liaart. Der Knabe war im äussersten Grade verwiwrlost, lag seit langer
Zeit im Bett, das von Schmutz starrte. Waschen oder Bäder wurden
nie angewendet. Von den 12 Geschwistern des Kranken litten noch
2 an Favus, aber nur am Kopfe. Walter Berger.
Ueber Liehen scrofidosorum. Von Prof. Dr. Lukasiewicz. Arch.. f.
Dermatologie 26. B. 1. H.
Der Autor charakterisirt die Krankheit folgend ermaassen : Auf
der meist trockenen Haut befanden sich, räunilich mit stetiger haupt-
504 Analecten.
Bächlicher Localisatioii am Stamme, lebhaft bis dunkelbraan rothe,
schlappe, alsbald ein dünnes fettiges Schüppchen oder ein winziges
Pnstelchen tragende hirsekom- bis stecknadelkopfgrosse, meist in krenxer>
bis thalergroBse Haufen gestellte, einzeln auch discrete oder in Kreis-
linien angeordnete Knötchen, dsineben fanden sich häufig eigenthüm-
liche Eczeme an der Regio pub. nnd ing. and Acne cachecticoram an
den unteren Extremitäten.
Der Liehen scrofulosorum hat bei einfacher roborirender Behand-
lung die Tendenz, in 2—8 Wochen abzuheilen, local verwendet die
Hebräische Schule Leberthran, Zinkpasta, Borsalbe, Ichthyol, Bäder.
Die histologische Untersuchung ergab als häufigen AuBgaagspunkt
die Haarbälge und zwar um die Talgdrüsen herum. In den jüngsten
Knötchen findet sich junges GranalationsgewebOi in vorgeschritteneren
Stadien auch kleinere Riesenzellen.
Die Granulationen bilden Infiltrate, welche sich an den den Haar>
bälgen benachbarten Papillen fortsetzen. Immer sind die Enäueldrüsen
am Processe mit betheiligt.
Die histologische Untersuchung gestattet aber nicht, die Infiltrate
bei Liehen scrofulosorum mit wahren Tuberkeln zu identificiren, wo-
gegen auch der ganze Verlauf der Dermatose spricht, ebenso die Ab-
wesenheit von Tuberkelbacillen und die negativen Impf versuche. Es
handelt sich vielmehr um einen Entzündungsprocess, als Ausdruck einer
Ernährungsstörung, wie sie bei Scrofulösen und Tuberculosen vor-
kommt. Eisensohitz.
A ease of dlopecia of the entirt «colp. By E. Mausel Sympson. The
archives of pediatrics Nov. 1892.
Es handelt sich um einen zehnjährigen Knaben, bei dem die Krank-
heit ohne irgend eine besondere Veranlassung vor drei Jahren schon
begann. Er verlor sämmÜiche Haare des Kopfes, der Augenlider,
Augenbraunen.
Keine hereditäre Belastung, desgleichen keine ähnlichen Erkran-
kungen in der Familie. Die mikroskopische Untersuchung der Haare
erwies normale Beschaffenheit derselben. Es sind auch keine Sensi-
bilitätsstörungen vorhanden, desgleichen fanden sich gar keine Be-
weise für eine parasitäre Erkrankung der Kopfhant vor. Ein Jahr,
nachdem die Augenbrauen und Wimpern gefehlt hatten, fingen die
letzteren an sich wieder einzustellen. Ihre Farbe ist weiss, mre Be-
schaffenheit ausserordentlich zart und fein.
Therapie bestand ausser in Waschungen des Kopfes mit Tinci.
cantharid. spirit. aromat, Lösungen von Liquor, am. caustic, in der
internen Verabreichung geringer Mengen von Pilocarpin.
Im Hinblick auf cue Restitution der Augenwimpern und -brauen ist
die Prognose keine schlechte. Loos,
Fall von Xanthoma muUipUx planum und papulo- tuberosum im frühen
Kindesalter, Von Dr. Ludw. Nielsen. Hosp.-Tid. 4. R. L Sl.
1893.
Ein 14 Monate altes Mädchen, das künstlich genährt worden und
vorher gesund gewesen war, namentlich keine Symptome von Syphilis
gehabt natte, bekam im Alter von fünf Monaten drei Flecke an der
rechten Schulter, die später durch Auftreten neuer Efflorescenzen zu-
nahmen, einige Flecke sollen früher mehr erhöht gewesen sein, sich
aber später abgeflacht haben. Bei der Untersuchung am 27. Februar
1892 fanden sich theils zerstreute, theils gruppenweise angeordnete
Efflorescenzen, ohne stark ausgesprochene Symmetrie, spärlich am
X. Hantkrankheiten. 505
Rumpfe, reichlich und gruppenweise angeordnet am Nacken, sehr reich-
lich an den Extremitäten, besonders an den Beinen, am meisten an der
Innenseite des rechten Schenkels, an den Oberarmen waren sie sehr
reichlich, besonders in der Umgebung der Schaltergelenke. Die Efflo-
rescenzen bestanden theils aa<3 Flecken ohne deutliche Infiltration, theils
(und zwar am häufigsten) aus etwas erhabenen, flachen, ziemlich festen
Infiltrationen in der Haut, manchmal mit unebener Oberfläche (aus
dicht zusammenstehenden kleinen Knoten zusammengesetzt). Die ein-
zelnen Flecke und Papeln, die ziemlich scharf begrenzt und gewöhn-
lich von rundlicher Form waren, hatten die Grösse von Hanfkömem,
Erbsen oder Bohnen und waren von natQrlicher Haut bedeckt, ohne
Schuppen oder Schorfe; die Farbe war strohgelb oder mehr bräunlich-
gelb; hyperämische Bandzonen bestanden nicht, nur einige kleinere
Flecke an der linken Fusssohle waren leicht röthlich, erschienen aber
nach Druck gelblich gefärbt. An der rechten Schulter fand sich eine
glatte, erhöhte Infiltration von der Grösse einer Erbse, die einer ge-
spannten Pastel glich, die aber, wie ein Einstich ergab, von fester Con-
sistenz war, wie die übrigen Efflorescenzen. Empfindlichkeit bestand
nicht, aber etwas Jucken. Ausserdem fand sich eine geringe Krüm-
mung der Tibiae, aber sonst nichts Bemerkenswerthes, namentlich kein
Icterus. Walter Berger.
üeber Purpura ecchymotica infecHosa, Von G. Somma. S.-A. aus Arch.
ital. di Pediatria X, 1. 1892.
Im Anschlüsse an einen Fall seiner Beobachtung sucht Verf. in
ausführlicherweise die von seinem verstorbenen Vetter L. Somma auf-
gestellte neue Biankheitsform der „Purpura" zu ergänzen und in ihrer
Pathogenese zu erklären. Die Beobachtung betrifft das achtmonatliche
Kind eines CoUegen; dasselbe, obgleich an der Mutterbrust aufgezogen
und von jeder hereditären Belastung frei, litt von den ersten Lebens-
wochen ab an dyspeptischen Erscheinungen, welchö nahezu vier Monate
dauerten. Auch weiterhin machte es wiederholt leichte gas tro -intesti-
nale Störungen durch. Im Alter von acht Monaten erkrankte es unter
leichten Fieberbewegungen an einem ernsten Brechdurchfall, welcher
mehrere Tage in erheblichem Grade anhielt. Am 7. Tage erschien unter
leichter Besserung der Verdauungsstörung eine schwarze Ecchymose
auf der Stirn, welcher im Laufe der nächsten Tage noch viele weitere
am ganzen Körper nachfolgten, während gleichzeitig das Allgemein-
befinden zu leiden begann; das Kind wurde matt und magerte ab.
Eine genaue Untersuchung ergab in den Organen nichts Abnormes,
nur unveränderte Diarrhöe und bisweilen Erbrechen der coagulirten
Milch. Nachdem sich noch wiederholtes, aber nicht sehr intensives
Nasenbluten zugesellt hatte, wurde das Kind aufs Land gebracht, wo
es ausser der Muttermilch noch Eselinnenmilch erhielt; von Arznei-
mitteln wurde Ergotin, Pepsin, Ac. gallicum, Salzsäure, Eucalyptus und
bittere Mittel verabfolgt. Nach fünfwöchentlicher Dauer verschwand
die Krankheit vollkommen und die Genesung hielt Bestand. — In aus-
führlichster Weise bes4)richt der Verf. die Differentialdiagnose dieser
Affiection von den übrigen Blutungen, Scorbut, Hämophilie, Syphilis
haemorrhagica, Peliosis rheumatica, Erythema nodosum, um dann die
infectiöse Natur des Processes aufs Eingehendste zu erklären und zu
beweisen, soweit ihm dies ohne anatomische und bacteriologische Prü-
fung möglich ist; seine Schlussfolgerungen lauten folgendermaassen :
1. Unter den hämorrhagischen Krankheiten des frühen Kindesalters
ist der Purpura ecchymotica als einer neuen Krankheitsgattung ein
eigener Platz einzuräumen.
Jahrbuch f. KindarheUkimde. N. F. XXX vm. 33
506 Analecien.
2. Sie ist in der kliniflohen Beobachtang selten aniutreffen; ihr
Vorkommen fällt besonders in die Zeit Ton der Gebart bis sor Ent-
wöhnung.
8. Klinische Betrachtung, Pathogenese und Aetiologie lassen sie als
eine Krankheit sui generis auffassen.
4. Sie ist gekennzeichnet: a) durch das Auftreten oberflächlicher
Blutungen unter die Haut, von verschiedener Grösse und Form; b) durch
die Schnelligkeit und das )>lOtzliche Erscheinen derselben: c) durch den
Mangel irgend eines organischen Leidens; d) durch völlige Apjrexie;
e) durch das Fehlen irgend welcher constitutioneller oder hereditärer
Diathese; f) durch das vorhergehende oder gleichzeitige Auftreten von
Verdauungsstörungen.
5. Die wahrscheinlichste Ursache ist das Eindringen eines patho-
genen Mikroorganismus aus dem erkrankten Darmcanal in die venöse
lutbahn, sowie dadurch erzeugte multiple Embolien der Hautcapil-
laren, Nekrose der Wandungen derselben und Hämorrhagien.
6. Als Name schlägt Verf. vor: Purpura ecohymotica infectäosa.
7. Nicht völlig auBzuschliessen sind pathologische Veränderungen
der Kreislaufsorgane, sei es durch angeborene Disposition, sei es durch
histologische Veränderungen der Gefösswandnngen, welche selbst bei
genauer Untersuchung nicht nachweisbar sind.
8. Die Prognose ist stets reservirt zu stellen.
9. Für die Behandlung ist diejenige der infectiösen Processe über-
haupt maassgebend: die beste Hygiene, die antiseptischen und toni-
sirenden Mittel werden meistens eine Heilung herbeirühren.
Toeplitz.
Nephritis acuta hei Ekzem, eine nicht seltene Ursache überraschender
Todesfälle bei Kindern, Von Guaita (Mailand). Archivio italiano
di Pediatria 1890. p. 258 ff.
Verfasser hatte Gelegenheit, zwei Kinder, welche an ausgedehnten
Ekzemen des Kopfes und Gesichtes litten, unter den Erscheinungen des
plötzlichen Collapses und eklamptischen Zufällen sterben zu sehen. Im
ersten Falle fand sich in den letzten 48 Stunden fast völlige Anurie,
im zweiten Falle erheblich verminderte Diurese, wobei die Anwesen-
heit von grossen Mengen Eiweiss, hyalinen und körnigen Cylindern und
spärlichen rothen Blutkörperchen nachgewiesen werden konnte.
In beiden Fällen waren auch leichte Oedeme zu beobachten.
In zwei weiteren Fällen, welche später vom Verfasser beobachtet
wurden, fand sich derselbe Befund. Toeplitz.
XI. Vergiftimgen.
Drei Fatle von Vergiflung durch Ätropin, Von C. Binz. Cenlralbl.
f. klin. Med. S. 1898.
Binz berichtet über drei Vergiftungen mit Atropin, wovon zwei
an Kindern, welche die Thierversuche von E. Vollmer bestätigen, dass
die Wirkung von Atropin und Morphin im Anfange und bei nicht über-
mässigen Gaben eine gegensätzliche sei, resp. dass das eine als Anti-
dot des andern gelten könne.
Ein sieben Jahre alter Knabe, der ca. 0,05 Atropini snlf. auf ein-
mal nahm, bekam sofort schwere Intexicationserscheinungen: Tobsucht,
XI. Vergiftangea. 507
jagenden Athem; 1,0 Tannin % Stunde nach dem Auftreten derselben
änderte nichts an dem Krankheitsbilde. Der tobende Znstand blieb un-
vermindert zwei Tage lang, nahm dann allmählich ab, am vierten Tag
tiefer Schlaf und Genesani^.
Das Tannin konnte nicht wirken, weil das Atiopin schon resorbirt
war. In diesem Falle war vom behandelten Arzt Morphin nicht an-
gewendet worden.
In einem 2. Falle, einen drei Jahre alten Knaben betreffend, der
von einer durch einen Augenarzt verschriebenen Atropinlösung zwischen
8 nnd 9 Uhr Morgens eine nicht näher zu bestimmende Dosis genom-
men hatte, kam Morphin zur Anwendung.
Drei Stunden nach der Vergiftung mit sehr heftigen Erscheinungen
wird die 1. Injection von 0,003 Morphini, nur ohne Erfolg, % Stunde
später eine 2. von 0,006 gegeben, worauf die Unruhe schwindet und
Schlaf eintritt, der S^/g Stunden dauert; der Knabe erwacht, ist wieder
unruhig und verwirrt.
Eine Stunde nach dem Erwachen die 3. Injection von 0,003 Morphin,
die Ruhe, aber keinen Schlaf bringt. Der Knabe schläft erst 6 Stunden
später spontan ein und schläft 6 Stunden^ erwacht wieder sehr unruhig,
aber das Sensorium ist frei geworden. Genesung am dritten Tage.
Der Knabe mit einem Körpergewicht von 27 Pfund hat in zwei
rasch aufeinander folgenden Injectionen die grosre Dosis von 0,008
Morphin bekommen und sehr gut vertragen, ebenfO wie die ca. 2 St.
später injicirtcn 0,003.
Diese Toleranz beweist schon an und ffir sich die antidotische
Wirkung der beiden Alcaloide und noch mehr beweisen ihr analoge
Versuche an Atropinvergiftungen bei Erwachsenen. B. spricht sich
gegen das schablonenhafte Verabreichen von starkem Kaffee bei Atropin-
vergiftungen aus^ der die vom A tropin bewirkte Erregung und darauf-
folgende Erschöpfung des Herzens noch vermehi-tw
Auch das Pilocarpin ist als Antidot des Atropin nicht zu empfehlen,
weil es trotz seiner antagonistischen Wirkung die Schwächung des Her-
zens und den Kräfteverfall befördert.
Es ist ferner zu beachten, dass das Morphin als Antidot des Atropin
nur im Stadium der Erregung angewendet werden soll und dem ähn-
lich wirkenden Cbloralhydrat vorzuziehen ist wegen der schwächenden
Nebenwirkung des letzteren auf das Herz. Eisenschitz.
Vergiftuna mit Atropin bei einem Mädchen von drei Jahren. Von
Monteverdi. Archivio italiano di Pediatria 1893 p. 119 ff.
Verf. beschreibt einen Fall, in welchem ein dreijähriges Mädchen
sich eine schwere Atropinvergiftung zuzog. Das Kind trank eine Flasche
mit Angenwasser, enthaltend Atropin und Coca^'n ana 0,05 auf 15 Wasser,
ganz aus. Danach spielte sie noch eine halbe Stunde ganz wie vorher,
plötzlich fiel sie ohnmächtig zu Boden und lag bewnsstlos mit beschleu-
nigter, stertoröser Athmung. Sie kam bald wieder zu sich, war sehr
unruhig, taumelte beim Gehen, tastete wie eine Blinde, sprach wirre,
unverständliche Worte, fing abwechselnd an zu lachen «und zu weinen,
zitterte mit den Gliedern und hatte wiederholte Zuckungen, die sie bei-
nahe zum Fallen brachten. Ins Bett gelegt verfiel sie sofort in Schlaf.
Verf. fand die Kleine in Rückenlage^ er beobachtete wiederholtes Zu-
zammenschrecken, abwechselnd mit klonischen Zuckungen von kurzer
Dauer. Puls schwach, sehr beschleunigt, Extremitäten Kuhl , Athmung
schnell nnd oberflächlich, Temperatur normal. Sie öffnete die Augen
nur bei lautem Anrufen, bei der leisesten Berührung dagegen zuckte,
sie heftig zusammen. Die Zunge ist trocken, die Gorgunctivae geröthet,
38*
508 Analecten.
die Papillen ad maximum erweitert, reagiren gar nicht auf Licht. Verf.
macht sofort eine subcatane Injection von Morphium 0,01, gleichseitig
mit Abreibungen von Essig und ezcitirenden Clystieren. Schon nach
einer halben Stande beruhigt sich das Kind, der Puls wird klüftiger.
Nach weiteren zwei Stunden schl&ft das Kind fest, der Puls ist viel
kr&ftiger und langsamer, die Papillen kleiner, die allgemeine Hyper-
listhesie beseitigt. Am nächsten Tage nur noch Schwäche, etwas Zit-
tern, am 8. Tage völlige Herstellung.
Nachdem Verf. in der Epikrise sunächst die Betheiligung des Cocain
an den Vergiftungserscheinungen ausgeschlossen hat, nimmt er für den
vorliegenden Fall eine ausgesprochene Atro^jinvergiftung an: die Er-
weiterung der Pupillen, die ligection der Conjunctivae, die Tachycardie,
die Trockenheit der Zunge, die Kühle der Extremitäten, die Ohnmacht,
die Athembeschwerden, die Sehstörung, der taumelnde Gang, Alles sind
charakteristische Eigenheiten der Atropin - Intoxication. Die schnelle
Besserung und Heilung schreibt Verf. ausschliesslich der Wirkung des
Morphiums zu, dessen antagonistische Eigenschaft gegen das Atropin
zwar häufig bezweifelt worden ist, durch solche FäUe, wie der gegen-
wärtige, aber doch sehr «Wahrscheinlich gemacht wird. Toeplitz.
Ein Faü von Brom -Acne, Von Galatti. Archivio italiano di Pe-
diatria 1891 p. 178 ff.
Ein sechsjähriges Mädchen wurde dem Verf. wegen eines lang-
wierigen und jeder Behandlung trotzenden Ausschlages zugeführt. Der-
selbe hatte beide Unterschenkel und in geringerem Umfange die Ober-
schenkel befallen, dauerte bereits vier Monate und war durch Jacken
und Schmerzhaftigkeit für das Kind äusserst quälend. Verf. schwankte
zwischen „Scrofuloderma*' und einem syphilitischen Exanthem und be-
handelte das Kind mit Sublimatbädem. Erst nach einigen Wochen
konnte die Diagnose gestellt werden, als die Mutter erzählte, dass das
Kind wegen hystero - epileptischer Anflllle 6 Monate lang grosse Dosen
Bromkalium genommen habe; während des letzten Monats dieser Cur
war der Ausschlag sichtbar geworden, hatte aber nicht nachgelassen,
trotzdem jetzt bereits drei Monate lang kein Brom mehr verabfolgt
worden war. Die nunmehr auf Brom -Acne gestellte Diagnose wurde
noch dadurch bestätigt, das im Urin erhebliche Quantitäten von Brom
bei der Untersuchung nachgewiesen wurden.
Im weiteren Verlauf ist nichts Bemerkens werthes. Eine gute Chromo-
lithographie ersetzt die Beschreibung des Ausschlages. Toeplitz.
XII. Therapeutisches.
Üeber die Dosirung der Arzneimiitel für Kinder. Von Troitzky. Ar-
chivio italiano di Pediatria 1898, p. 1 ff., 67 ff.
Schon seit langen Jahren wird immer von Neuem von den ver-
schiedensten Gesichtspunkten aus die Arbeit unternommen, allgemeine
Vorschriften für die Mengen der im Kindesalter zu verabreichenden
Arzneimittel festzustellen. Verf. hat sich die Aufgabe gestellt, die
hauptsächlichsten bisher geltenden Grundsätze nebeneinander zu be-
trachten, zu vergleichen und ihren Werth festzustellen: 12 Tabellen ans
der alten und neuen Literatur zeigen die colossalen Unterschiede, welche
XII. Therapeutisches. 509
YOQ den Autoren bezüglich der Dotirung gemacht wurden. Im All-
gemeinen ffingen alle von mathematischen Berechnungen aus, indem sie
die Dosis rar einen Erwachsenen >»- 1 setzten und fflr die verschiedenen
Altersstufen Brnchtbeile dieser Dosis festsetzten.
Mit Recht rügt Verf., dass diese achematische Berechnung zu ganz
falschen Ergebnissen führte; er erwähnt, dass Kinder bekanntlich von
Quecksilberprftparaten, insbesondere von Calomel relativ grosse Dosen,
von Opium und seinen Derivaten aber nur ganz unyerhältnissm&asig
kleine Oaben zu vertragen im Stande sind, sodass ein für alle FSlle
giltiges Zahlen verhältniss überhaupt nicht denkbar ist. Verf. belegt
dies weiterhin noch durch eiue Reihe von Tabellen, in denen die nach
obigen Vorschriften berechneten Dosen für die verschiedenen Alters-
claesen von der Geburt bis zum 16. Lebensjahre für die gebräuchlich-
sten Arzneimittel (Bromkalium, Ferrum lacucum, Chininum muriaticum,
Tartarus stibiatus, Opium etc.) in Zahlen angegeben sind und aus wel-
chen sich die ganz unglaublichen Differenzen entnehmen lassen. Die
Schlussfolgemngen des Verf. lauten folgendermaassen: 1. Die Dosirung
der Arzneimittel muss für die einzelnen Phasen des Eindesalters auf
die Grundlagen der neuesten Forschungen basirt werden. 2. Die bis-
herigen Angaben zeigen sowohl in Bezug auf die absolute Höhe der
festflestellten Arzneigaben, als auf die zu diesen Feststellungen die-
nenden Anhaltspunkte (Alter, Constitution, Körpergewicht o. s. w.) die
grOflsten Unterschiede und Widersprüche. 8. Von allen früheren An-
gaben zeigen, trotz mannigfacher Lücken, die Tabellen von Gaubins,
Hufeland, Young und Cowling die rationellsten Grundlagen. 4. Eine
Zusammenstellung der nach den Grundsätzen früherer Autoren berech-
neten Arsneidosen zeigt deutlich die Unzulänglichkeit der angewandten
Principien. 5. Dieselben beweisen klar, dass die Tabellen ohne Berück-
sichtigung der praktischen Erfahrungen auf rein willkürlichen Be-
rechnungen beruhen. — Eine Elarlegung seiner eigenen Verbesserungs-
vorschläge behält sich der Verf. für eine spätere Arbeit vor.
Toeplitz.
Arsenik als Prophylakticum gegen InfecHonskrankheiien. Von Dr. G.
Bryan. Ref. der AUg. med. Central -Zeit. 6. 1893.
Eine Mittheilung, die dahin ging, dass Arsenik nehmende Personen
Segen Pockenimpfung sich immun verhalten sollten, bewog den Autor,
as Mittel als Irophylakticum gegen Scharlach anzuwenden.
Er berichtet, während einer Epidemie dadurch den Scharlach von
einer Anstalt fem gehalten zu haben und ebenso zu wiederholten Malen
von solchen Familien, in welchen ein Kind von Scharlach befallen
worden war.
Er verabreichte Acid. arsenicosum in Pillen 0,001 pro dosi oder
8 Tropfen Liq. arsenicalis, dreimal täglich in der 1. Woche, später nur
zweimal täglich. Eisenschitz.
Aeusserlicher Weg des Einfahrens von Chinin in der Kinderpraxis, Von
J. W. Troitzky. Archiv f. Kinderhlk. 1. u. 2. H. 16. B.
Troitzky hat folgende Versuche mit Einreibungen von salzsaurem
Chinin bei gesunden Kindern im Alter von 6 Monaten bis 10 Jahren
gemacht Es wurden Spiritu»- oder Spiritus-GlycerinlOsungen 1 : 80 ge-
macht (20 Th. Spir., 10 Th. Glycerin), die Versuche mit Chininsalben
wurden bald aufgehoben.
Die Einreibungen wurden am Rücken gemacht mit der Handfläche,
vor der Einreibung wurde gebadet oder die Haut nur mit warmem
Wasser und Seife gereinigt und zwar wurde 1 — l^ii Theelöffel der
510 Analecten.
LÖRanff täglich zweimal eingerieben, bis die Haut txooken war. Bei
deaBeloeD Kindern wurden ControWersacbe mit innerlicher Verabreichung
von Chinin mur. zweimal lAglich 0,06—0,18 gemacht.
Die Hamprobe wurde nach Brand t'soher Methode (Thalleiochin-
reaction) gemacht, niemals gab der Harn nach der ftusserlichen An-
wendung des Chinins eine charakteristische Beaction, wenn kleine Por«
tionen des Harns 4—6 Stunden nach der Einreibung untersucht worden
waren.
Bei 6 Kindern wnrde der ganze Harn einer Einreibnngsperiode ge-
sammelt, bei diesen gelang der Nachweis, am deutlichsten bei Kindern
im Alter Ton 4 — 7 Jahren, weniger bis zum Alter von 4 Jahren und
am schwächsten bei mehr als 7 Jahre alten Kindern.
Die Menge des sich im Harn abscheidenden Chinins nach äusserer
Anwendung ist nicht ausreichend, um auf einen therapeutischen Effact
rechnen zu können. Eisenschi tz.
Voxyghne che» Us nouveau-m^s. Von Frl. C. Laurais. Referat im
Progr^s medical 1898. Nr. 21. S. 405.
Die unter der Inspiration Bonnaire's verfasste Arbeit spricht über
die Nützlichkeit der Sauerstoffinhalationen bei schwächlichen Kindern.
Der Sauerstoff wirke aseptisch. Die mit Ozon versetzte Luft sei reiner,
sie würde aber durch die Ueberozydation noch besser. Der Sauerstoff
wird entweder in gasförmigem oder in gelöstem Zastande angewendet.
Die Verfasserin bespricht eingehend die Indicationen für die Sauerstoff-
behandlung der Neugeborenen, die verschiedenen pathologischen Zu-
stände, in denen sich seine Anwendung empfiehlt, seine Vorzüge und
seine Nachtheile. Besonders sei sein Nutzen bei frühgeborenen, schwäch-
lichen Kindern eclatant. Verfasserin hegt für die weitere Verbreitung
der Sauerstoffbehandlung grosse Hoffnungen. Der französische Referent
Merle ist entgegengesetzter Ansicht, der auch wir uns anschliessen.
Fritzsche.
Bas Ichthyol und seine Wirkung bei einigen Hautkrcmkheiten. Von
Di Lorenz 0. Archivio italiano di Pediatria 1891. p. 241 ffl
Verf. hat mit einer 10% igen Ichthyol- Qlycerinsalbe in einer grossen
Reihe von Hautaffe ctionen aer Kinder Versuche angestellt und zum
Tbeil vorzügliche Resultate erzielt. Insbesondere waren es die häufigen
Erytheme des Säugliogsalters, sowie die Intertrigo inguino-cruralis und
axillaris, die subacuten Ekzeme im Gesicht und am Stamme, eine Reihe
von polymorphen Syphiliden und juckenden Ausschlägen (Scabies, Pru-
rigo), in denen der Erfolg ein zweifellos günstiger war. Die Heilung
erfolgte bei nur einmal am Tage wiederholter Anwendung in kürzester
Zeit; besonders auffallend * war die austrocknende und die schmerz-
lindernde Wirkung in allen Fällen.
Ausserdem ist die Anwendung des Ichthyols ganz besonders zu em-
pfehlen bei den Rhagaden der Brustwarzen stillender Frauen; auch hier
ist die schmerzstillende Wirkung eine fast augenblickliche.
Toeplits.
Das Ouajacol und seine äusserlidie Anwendung bei JUndem. Von Fede-
rici. Referat von Paohb in Lo Sperimentale 1898, Nr. 11 p. 974.
In Anbetracht der Schwierigkeit, den Kindern Arzneimittel inner-
lich beizubringen, versuchte Verf., das Gui^acol in ftuMeriioher Anwen-
dung einzuführen, wie es Sciolla bei Brwachienen angegeben hat. Er
unternahm zu diesem Zwecke bei Kranken, deren Temperatur min-
destens einige Tage zuvor genau beobachtet worden war. Einpinselangen
\M
XII. Therapentiflches. 511
mit 8 — 8ccm Grnajacol an Tenchiedenen Körpentellen, meist an der
Vorderfl&che der unteren Extremitäten; bisweilen liesa er Einpacknngen
folgen, meistens aber nicht. Nach Anföhrnng einiger Krankengeschichten
pr&cisirt er seine Erfolge in nachstehenden 8&tze: 1. Erhebliche Herab-
setenng der Temperatur (3— sy,^; 2. dieselbe dauert 4 — 6 Stunden;
8. Beginn des Abfalls Va Stunde nach der Pinselung, Maximum nach
ungefähr 3 Stunden ; 4. meistens starker Schweiss nach 1 Stunde, Dauer
2—4 Stunden; 5. das Guajacol ist nach 2 Stunden im Urin (durch
Destillation) nachweisbar; 6. subnormale Temperaturen sind nicht beob-
achtet (Minimum 36,4); Puls und Respiration stehen immer im normalen
Yerhäl^iiss zur Körperwärme; 7. das Allgemeinbefinden während der
Apyrezie ist immer ein sehr gutes; 8. in keinem Falle, auch nicht bei
Scharlachfieber, hatten die wiederholten Quajacol-Einpioselungen eine
Albuminurie im Qefolge.
Verf. schliesst daraus, dass die Application der Arzneimittel auf
die Haut in der Kinderpraxis noch eine grosse Zukunft hat.
Toeplitz.
D<i8 Saccharin ah ÄntisepHcum für die Mundhöhle der Kinder. Von
Dur ante. Bacteriologische Untersuchungen aus der üniversitäts-
Einderklinik in Neapel. La Pediatria, Monatsschrift ffir Kinder-
heilkunde, redigirt von Prof. Fe de, Director der Kinderklinik der
Universität Neapel. Jahrgang I, Heft 3. 20. UI. 1898. p. 68 ff.
Die Bedeutunj^ der mannigfachen, in der Mundhöhle yegetirenden
Mikroorganismen ist ron yielen Autoren, insbesondere in neuerer Zeit
von Boux und Ter sin gelegentlich ihrer Untersuchungen fiber Di-
phtherie, von Netter u. A. gebührend gewürdigt worden. Die bisher
dagegen empfohlenen Zahnpulver, Mundwässer u. s. w. sind alle im
Kindesalter schwer oder gar nicht zu verwenden. Verf. suchte nun die
Behauptungen von Paul Aber die antiseptischen Eigenschaften des
Saccharins nachzuprüfen, da dasselbe durch den süssen Geschmack und
die Unschädlichkeit ffir die Kinderpraxis besonders verwerthbar erschien.
Es giebt im ELandel 2 Arten Saccharin: das chemisch reine von saurer
Reaction und ein weniger gutes, welches neutral reagirt; nur das Erstere
ist verwendbar. Dasselbe ist rein weiss, fein pulverförmig, in 260
Theilen kalten, 30 Theilen heissen Wassers löslich; bei Zusatz von
Natron bicarbonicum löst es sich unter Aufbrausen leicht. Die Yer-
brennunff hinterlässt keinen Rückstand. Das neutrale Saccharin sieht
scbmutzig-weisB aus, ist feinkörnig, in Wasser leicht löslich^ hinterlässt
einen {geringfügigen dunkel gef£*bten Rückstand, dieses letztere hat
gar keinen Einfluss auf die Entwickelung der Bacterien, während das
reine Saccharin ganz erheblich entwickelungshemmend wirkt. Die Resul-
tate, welche Yerf, bei seinen Versuchen erzielte, waren folgende: Wenn
er die Nähr^elatine mit 1% Saccharin versetzte, so entwickelten sich
die gewöhnlichen Bacterien der Mundhöhle, die Bacterien der Milch-
säuregähmng gar nicht, der Bacillus subtilis und tetragenus entwickeln
sich mangelhaft; nur der Soorpilz zeigt selbst bei 2% Saccharin keine
Störung der Entwickelung. Wurde zu der Saccharingelatine noch
Natron bicarbonicum zugesetzt, so entwickelten sich alle genannten
Mikroben, wenn auch langsam; es scheint also die saure Reaction wich-
tig zu sein. Wurde das Saccharin im Verhältniss von 1% zu Bouillon-
culturen derselben Mikroorganismen zugesetzt, so behielten dieselben
noch eine Stunde lang ihre Lebensfähigkeit und wuchsen, auf Gelatine
gebracht, ungestört; nach Ablauf einer Stunde blieben alle Impfungen
steril. Verf. kommt zu folgenden Ergebnissen:
1. Das Saccharin hat eine sichere zerstörende Wirkung auf die Bac-
terien der Mundhöhle gesunder Menschen. 2. Es muss zu seiner ent-
512 AnalecteiL
wickelnngshemmenden Thätigkeit eine bestimmte Zeit hindurch in Wir-
kung Bein. 8. Das Natron bicarbonicum vermindert die Wirksamkeit
des Saccharins. Verf. empfiehlt Einpinselun^en der Mundhöhle mit einer
Lösung von 1 Theil Saccharin auf 60 Theile Glycerin. Toeplits.
Aloü pidum als iherapeiUüches MiUeh Von G. Bodionow. Busskaja
Medicina Nr. 27. 1803.
Verf. hat das Mittel bei Behandlung der Lungentuberculose an-
gewandt. Statt des in Deutschland bekannten sympartigen Präparates
(mit Honig zubereitet) liess er direct die Blätter auspressen und von
dem frischen Saft 6—8 Tropfen in Wasser 3 — 4 mal täglich gebrauchen.
Die Besultate einer solchen Behandlung waren sehr gute. Zuerst wurde
der Appetit bei den Patienten gehoben (was Verf. auf die Wirkung des
in den Blättern vorhandenen Bitterstoffes bezieht), das Körpergewicht
stieg bedeutend, dann aber machte sich eine Besserung des objectiven
Befundes geltend, Bluthusten, Nachtschweisse verschwanden, häufig
wurde sogar völlige Sistirung des Hustens und der Schleimabsonderung
beobachtet; auch der auscultatorische Befund besserte sich bedeutend.
Verf. meint, Aloö pictum müsse in die Reihe der officinellen Mittel auf-
genommen werden. Abel mann.
üeber die B^utndhmg der Mälarta mit MeUt^fiehblau und desscH locale
Anwendung hei Diphiheritis. Von Dr.A.Ka6em-Beck. CentralbL
f. kL Med. 25. 1898.
Methylenblau (Merck) in Dosen von 0,1 c. pulv. p. nuc. moschati 0,16
in Kapseln, 4 — 6 Dosen stündlich genommen, hat in 80 Fällen von
Intermittens verschiedenster Form, darunter auch recht hartnäckige
Fälle, sehr ^te Erfolge erzielt, nur ein Fall recidivirte nach 2 Monaten,
dieses Reddiv konnte durch Methvlenblau nicht überwunden werden.
In wenigen Fällen erzeugten die ersten Dosen Erbrechen, zuweilen
Ekel und Scnwindel, oft vermehrten Drang zum Hamen, nur ausnahms-
weise Strangnrie.
Gegen Diphtheritis wurde das Methylenblau 14 mal angewendet,
darunter war 1 Fall von Laiynxdiphtheritis bei einem 14 Jahre alten
Knaben.
Es wurden mit einer wässerigen Lösung 1 : 9 2—8 mal täglich die
erkrankten Stellen benetzt und diamach nicht ^^epinselt.
Das Fieber verschwand nach 2—8 Tagen, die locale Besserung war
schon nach einem Tage erkennbar. Der Harn wird darnach blau oder
gräulich.
Nebenbei wurde 8 mal täglich 0,008—0,005 Pilocarpin gegeben.
Alle mit Methylenblau behandelten Fälle heilten.
Eisenschitz.
Intubation bei einem Kinde mit Sp<i8mu8 gloUidis. Von Dr. Pott.
Münchener med. W. 16. 1898.
Pott hat es viermal erlebt, dass Kinder beim Einführen des Mund-
spatels, behufs Inspection des Rachens, einen Anfall von Stimmritzen-
loampf bekamen und, trotzdem sofort Hilfe geleistet wurde (Tracheo-
tomie), im Anfalle zu Qrunde gingen.
In einem fünften Falle, bei einem 1^ Jahre alten, ebenfalls an
Stimmritzenkrampf leidenden Kinde, trat der Anfall auf der Klinik
auf, in welchem höchst bedrohliche Erscheinungen sich entwickelten
und trotz sofortiger Anwendung künstlicher Athmnng, das Hers abeolut
stille stand.
Nach kurzen, etwa 4 — 6 Minuten dauernden Vorbereitungen, w&k-
XII. Therapeatisches. 513
rend welcher die künstliche Athmung fortgesetzt worden war, wurde
eine entsprechende Tube eingeführt, welche keine Reflexe auslöste.
Aber nunmehr strömte bei der künstlichen Athmung die Luft pfei-
fend ans und fünf Minuten später wurden schwache Herztöne hörbar,
etwas später der Puls fühlbar, nach zehn Minuten spontane Athem-
bewegungen, nach ^^ Stunde wurde die Tube entfernt.
Eisenschitz.
Einblasungen von Sozojodöl - Natrium in die Nasenhöhle gegen Keuch-
husten. Von P. Gut mann. Therap. Monatsblätter 1. 1893.
P. Gutmann hat mit dem von Dr. Schwarz angegebenen Ver-
fahren nicht 60 rasche und augenfällige Resultate gehabt wie dieser.
Im ersten Versuche bei Gutmann wurden Einblasungen gemacht
mit einer Mischung yon 96 Theilen Sozojodol- Natrium und 5 Theilen
Fr. M;^robalanL
Diese letztere Beimischung wurde als unwesentlich weggelassen und
dann nur reines Sozojodol-Natrium verwendet.
Als gut gelungen sah man die Einblasung (ca. 0,26 g jedes Mal)
an, wenn etwas Pulver durch das andere Nasenloch herauskam^ ge-
wöhnlich wurde in beide Nasenlöcher eingeblasen.
In der Regel erfolgte sofort ein heftiger Anfall und dann wieder-
holte man die Einblasung nach einiger Zeit.
Im Ganzen wurden so 80 Kinder behandelt, 6 im Krankenhause,
24 poliklinisch.
Eine Coupirung der Krankheit wurde niemals erreicht, aber un-
leugbar eine günstige Einwirkung.
Bei den 6 im Krankenhause behandelten Kindern war der Verlauf
der folgende:
1. 2 Jahre altes Kind, vierwöchentliche Dauer vor Beginn der Ein-
blasungen, Zahl der Anfälle 6— 10 mal täglich. Nach Beginn der Be-
handlung nehmen die AnföUe ab, nach 1 Woche hören sie auf.
2. 6 Jahre altes Kind, vier Wochen Keuchhusten mit täglich 10
bis 12 Anfällen vor Beginn der Einblasungen, nach achttägigem Ein-
blasen Abnahme. Heilung nach fünfwöchentlicher Gesammtdauer.
In den übrigen vier Fällen meist nach 3^6 Tagen Abnahme der
Frequenz und Intensität der Anfälle.
Aehnlich sind die minder gut controlirbaren Erfolge bei den ambu-
lanten Kranken. Eisenschitz.
Ueiber einen mit Heilserum behandelten Fäll von Tetanus beim Menscfien.
Von Prof. Dr. Moritz. Münchener med. W. 30. 1892.
Prof. Dr. Moritz benutzte zur Behandlung eines Falles von Tetanus
bei einem 12 Jahre alten Knaben ein von Behring bezogenes Heil-
»eram vom Immunisirungwerthe von 1 ; 10 Millionen.
In Behandlung kam der Kranke am dritten Tage seiner Krankheit
mit starkem Trismus, krampfhaftei Stellung der Augenlider, Temperatur
87,4 » R.
Am 6. Krankheitstage: Allgemeine]: tonischer Krampf des Rumpfes
und der Extremitäten, ausgesprochene starke Reflezerregbarkeit. Temp.
88,4, Puls 140, Resp. 31—48.
In den nächsten Tagen fortschreitende Verschlimmerung bei wenig
erhöhter Temperatur und Cyanose.
SerumLojectionen am 8. Krankheitstage und zwar 2 Injectionen von
je 20 und 1 Ii^jection von 10 ccm, ausserdem dreimal täglich 0,6 Chloral
und Abends 6—7*/^ mg Morphin.
Am 9. Tag keine Besserung, 2. Injection von 20 und 10 ccm Serum.
514 Analecten.
Nnn bessert sich der Zustand, am 10. Erankheitstage eine letzte
Injeotion Yon 15 ccm, die Emähran^möglichkeit ist viel besser, die
Erscheinungen nehmen allmählich ab, am 17. Krankheitstage die letzten
Erampfanfälle, am 80. Tage vollständige Heilung, die Fatellarreflexe
noch gesteigert.
Die Incubationsdauer in diesem Falle blieb unbekannt, ebenso die
Eingangspforten des Giftes, aber mit Rflcksicht auf die geringe Basch-
heit der Steigerung der Erscheinung erschien die Prognose nicht un-
günstig zu sem, aber es waren auch ungünstige Erscheinungen yor-
banden; grosse Frequenz der Respiration und des Pulses, Cyanose und
doch keine Fieberlosigkeit.
Das durch Venesection gewonnene Blut des Kranken erwies sich bei
(Jeberimpfnng auf Mäuse als giftfrei.
Dr. Moritz hält es für wahrscheinlich, dass die Heilserumtherapie'
in seinem Falle einen Einfinss auf den günstigen Ausgang hatte. Der
Knabe yon SOkp^ Körpergewicht hatte 96 ccm Serum i.e. aas 8000 fache
der zur Immunisirung nothwendigen Menge erhalten, während nach
Behring die 1000 fache Menge ausreichen soll.
In der im „Münchner ärztlichen Verein** nach der Mittheilung yon
Moritz sich entwickelnden Discussion erwähnt:
Ranke eines Falles an einem 7 Jahre alten Knaben, der nach
Injeotion yon 66 ccm Serum, die ganz gut vertragen wurde, genas.
R. hält den Fall für nicht beweisend, weil die Prognose a priori
günstig war.
Buchner polemisirt gegen die Bezeichnung „Heilserum", man
könne nur von einer Heilpotenz reden, denn das vorhandene Gifb und
die vorhandenen Symptome werden dadurch nicht weggebracht, sondern
nur neu auftretendes Gift immunisirt. Es folgt daraus die Noth wendig-
keit möglichst rascher Anwendung.
Oertel stellt in Aussicht, Versuche mit Heilserum gegen Diphtherie
zu machen und die Ergebnisse mitzutheilen ; zu erwarten ist davon
höchstens, aber das ist immerhin viel, bei frühzeitiger Anwendung eine
Paralysirung der durch das diphtheritische Gift gesetzten Allgemein-
erkrankung.
Ziemssen theilt einen Fall mit günstigem Ausgang von Tetanus
und Brunn er einen mit ungünstigem Ausgange in einem schweren
Falle mit. Eisenschitz.
Xm. Hygiene, Statistik, Einderspitaler.
The sterilization of milk (ü low temperaturea and ihe experiment of
Mük'lahoratories for infant fecding, By Henry Kopliok. The
New -York Medical Journal. February 4. 1898.
Verf. legt grossen Werth darauf, dass bei der Sterilisirung der
Milch die Temperatur von 90^ nicht überschritten wird, da bei höherer
Temperatur Veränderungen in der Milch eintreten sollen, welche ihren
Nährwerth beeinträchtigen. Um dieses wichtige diätetische Heilmittel
der armen Bevölkerung zugänglich zu machen, ist mit dem Bastern
Dispensa^ in New-Tork, an dem der Verf. thätig, eine Anstalt yer-
bunden, in welcher sterilisirte Milch nach Sozhlet^s System in Fläsch-
chen abgetheilt im Grossen hergestellt wird. Die vorher im Trocken-
schrank erhitzten Flaschen werden mit Milch gefüllt und unverschloesen,
jedoch mit einem Flanell bedeckt in den Dampfsterilisator gesetzt. Der
XIII. Hygiene, Statistik, Einderspitftler. 515
letztere unterBcheidet sich von den sonst gebr&uchliohen nur dadurch,
dass der Dampf den übereinander stehenden Abtheilungen durch eine
besondere Leitunp^sröhre zugeführt wird. Nachdem die Temperatur 86*
erreicht, wird sie eine hsQbe Stunde auf dieser Höhe erhalten, die
Flaschen noch heiss herausgenommen und mit sterilisirten Gummi-
stopfen verschlossen. Die Verdünnung der Milch geschieht mit 4%
Milchzucker nach den vom Ref. angegebenen Vorschriften.
In zwei Sommern wurden 97000 Portionen an 1268 Patienten yer-
theilt. Das Resultat war ein befriedigendes. Schliesslich giebt Verf.
Vorschriften, wie man auch im Haushalte die Sterilisiruug der Milch
bei einer 90^ nicht übersteigenden Temperatur vorehmen kann.
Escherich.
Lau aterilise emphyS dam ValimentaHon infantile. Von Bluze. Progrds
m^cal 1893. Nr. 16. S. 807 u. f.
Von SO Kindern einer Kleinkinderbewahranstalt, bei denen die steri-
lisirte Milch zur Anwendung kam, waren 19 vorher gestillt worden.
Von diesen schienen 9 durchschnittlich 3^^ Monate alte Kinder bei
dieser Ernährung sich nicht wohl zu fühlen, 4 siebenmonatliche zeigten,
wie die wOchenÜichen Wägungen ergaben, normale Zunahmen, während
6 Kinder im Durchschnittsalter von 7^^ Monat ganz entschiedene Fort-
schritte machten. Die 11 übrigen waren Flaschenkinder. Bei diesen
war der Vortheil der neuen Nahrung unverkennbar, alle nahmen be-
deutend zu. Besonders eclatant .war dies der Fall bei einem Kinde,
das bei seiner Aufnahme 5900 g wog. Nach 14 Tagen hatte es 800 g
zugenommen. Die Anstalt wurde 14 Tage geschlossen und das Kind
kam wieder in die früheren Verhältnisse. Die Zunahme, die dabei nur
96 g betrug, stieg, als das Kind wieder sterilisirte Milch erhielt, auf
fast 20 g täglich. Keines der mit sterilisirter Milch ernährten Kinder
erkrankte an Darmkatarrh. Die Folgerungen, die der Vortragende zieht,
sind die, dass die Brustnahrung die beste sei, dass Brustkinder von
7 Monaten mit Zusatznahrung von sterilisirter Milch ein übernormales
Wachsthum zeigen, dass die sterilisirte Milch den Vorzug vor der ge-
wöhnlichen verdient und dass die sterilisirte Milch vor den Katarrhen
schütze. Fritz sehe.
SUrüiBotion du lait Von Dr. Ledä. Progr^s mädical 1893. Nr. 16.
S. 807 u. f.
Der Vortragende bespricht einen Apparat zur Sterilisirung der Milch,
der den Vorzug grosser Billigkeit vor anderen ähnlichen besitzt. Die
90 g haltenden flaschen, wie sie in den Apotheken gebräuchlich sind,
werden je nach dem Alter der Kinder mit 60 bis 90 ccm Milch be-
schickt und kommen dann in ein Körbchen, das in einem bis zur Höhe
der Milch mit Wasser gefüllten Topf steht. Dies Wasser wird 45 Mi-
nuten im Kochen erhalten, dann wird der Korb herausgenommen,
wobei die Flaschen mit Leinwandpfröpfen geschlossen werden. Nach
ihrem Erkalten kommen sie in ein Gefäss mit frischem Wasser. Die
80 sterilisirte Milch soll sich mehrere Tage halten. Vorm Gebrauch
werden die Flaschen erwärmt. Die so sterilisirte Milch ist den Kindern
besonders zuträglich. Fritzsche.
Sur Vallaitement. Von Budin. Progr^s m^dical 1893. Nr. 10. S. 177
bis 182.
Die Arbeit des Verfassers, der sich auf dem Gebiet der Kinder-
emährnngsfrage schon mehrfach bethätigt hat, beschäftigt sich mit der
Anwendung der sterilisirten Milch als Säuglingsnahrung. An einer An-
516 Analecten.
aahl von Carven, die sich über eine mehrmonatliche Beobachtimg er-
strecken, zeigt er den Nutzen dieser Em&hrung im Gegensatz zur ge-
wöhnlichen Milchnahrung. Er giebt auch dem Neugeborenen von An-
fang an nnyerdannte Kuhmilch, da das Casein der auf 100^ erw&rmten
Milch gewisse Modificationen eingehe, die es auch für den Magen des
Neugeborenen verträglich machen. Bei Wasserzusatz müssteu die Kinder
zu grosse Mengen zu sich nehmen, um ihr Nahmngsbeddrfniss zu be-
friedigen. Er giebt darauf folgende Berechnung, die den Nachtheil
der yerdünnten Ifilch beweisen soll:
Die Frauenmilch enth< 871 g Wasser und 128 g feste Bestand -
theile (Eiweiss, Gasein, Butter, Zucker, Salz) im Liter.
Die Kuhmilch hat 865 g Wasser und 135 g trockene Rückst&nde.
Verdünnt man 1 l Kuhmilch mit 2 Theilen Wasser, so erhält man
an Wasser 870 + 2000 « 957 g,
8
an trockenen Substanzen 185 »-45 g.
~Y
Bei 500 g dieser Mischung bekommt das Kind in Wirklichkeit nur
22,5 trockene Rückstände gegen 61,5 bei 500 g Frauenmilch.
Im ersteren Falle hat es 478,5 Wasser, im letzteren 435,5.
Diese Reflexionen scheinen die Darreichung reiner Milch zu recht-
fertigen. Die Milch muss aber sterilisirt werden und zwar giebt er da-
bei dem Soxhletverfahren gegenüber dem von Escherich den Vorzug.
Zum SchluBs bespricht der Verfasser noch eine von ihm angegebene
Verbesserung des Verschlusses der Flaschen. Da die Gummiplatten des
neuen Flaschenschlusses nach Soxhlet sich schnell abnutzen und infolge
davon ihren Zweck nicht mehr erfüllen, hat Budin Kautschukhütchen
construirt, die ähnlich einem Fingerhut sind und an der Seite 2 Löcher
enthalten. Unter dem Einfluss der Hitze wird der Boden der Kautschuk-
hülse gehoben y bis durch die emporgetriebenen Löcher die Luft ent-
weichen kann. Nach dem Erkalten wird der weiche Gummi in den
Flaschenhals durch die verdünnte Luft hereingezogen.
Der Nutzen der sterilisirten Milch ist auch nach den Erfahrungen
des Autors ein sehr grosser. Fritzsche.
üeber sterilisirte Milch behufs Ernährung des Neugeborenen, Von Dr.
A. Chavano, Spitalassistent in Paris. Gazette m^dicale de Paris
vom 10. Juni 1898.
Gestützt auf seine Studien, welche Verfasser als Assistent der
Pariser Gebäranstalt und der Charit^ machte, kommt er zu folgenden
Schlüssen:
Die Ernährung an der Mutterbrust ist die allein natürliche. Der
Arzt soll alle Vorkehrungen treffen, um dieselbe zu ermöglichen.
Nur wenn die Mutter nicht selbst stillen kann, soll eine Amme an
deren Stelle treten.
In gewiesen Fällen, wo die Mutterbrust nicht ausreicht, ist es vor-
zuziehen, dem Kinde neben der Brust Thiermilch zu verabreichen.
Wie gering auch die Menge Muttermilch sein mag, so ist dieselbe
nicht zu unterschätzen und immer einer ausschliesslich künstlichen Er-
nähnmg vorzuziehen. Oft nimmt übrigens die Milchmenge im Laufe
des Saugens zu.
Was die Wahl der Thiermilch anbelangt, so wäre die Eselinnen-
milch öin vorzüglicher Ersatz für Muttermilch. Leider zersetzt sie sich
aber rasch, sie ist sehr theuer und in vielen Fällen unmöglich zu be-
schaffen.
XIII. Hygiene, Statistik, EinderapitUer. 517
Die Kahmilch bat verschiedene Nachtheile, wovon der achlimniBte
der Reichthnm an Gähran^serregem iat.
Das Aufkochen beseitigt sie zam Theil, aber nach dem gewöhn-
lichen Kochen wird sie wieder keimhaltig. Besser wirkt hierfür das
Erhitzen im Wasserbade anf 100 ^ C, das Steriliairen. Es sind hierfür
bequeme Apparate erfanden worden, wovon besonders diejenigen von
Soxhlet zu nennen sind. Der Hauptvortheil deraelben besteht darin,
dass die Milch in einzelnen Trinkportionen gesondert steril isirt wird.
Verf. räth, die so sterilisirte Milch unverdünnt zu verabreichen (wohl
nur für ältere Kinder rathsam, Anmerkung des Referenten). Die ein-
zelnen Flaschen sollen nur geöffnet werden im Momente der Verab-
reichung und nach vorhergehender Erwärmung. Durch eine Geschmacks-
probe soll die Kinderwärterin vor der Untersuchung die Güte der Milch
und ihre Temperatur prüfen. Eine einmal geöffiiete Flasche soll nicht
ein zweites Mal zur Verwendung kommen. Ungenügend verschlossene
Flaschen sollen vom Gebrauche ausgeschlossen werden.
Vom Tage der Geburt an sollen die Kinder eine ihrem Anfangs-
gewicht entsprechende Menge Milch erhalten. Es wird hierdurch dem
Gewichtsverlust der ersten Lebenstage gesteuert (? Referent).
Die richtig sterilisirte Milch sichert dadurch eine leichtere Ver-
dauung, dass die Milch relativ keimfrei direct von der Flasche in den
Mund des Kindes gelangt.
Ohne Wägungen kann keine Ernährung richtif;^ beurtheilt werden.
Die Waage allein kann darüber entscheiden, ob die Ernährung an der
Mutterbrust ausreichend ist oder ob sie durch künstliche Ernährung
unterstützt werden oder ob letztere allein zur Anwendung kommen soll.
Die Wägungen sollen täglich und zur selben Stunde vorgenommen
werden (etwas hochgespannte Forderung für Privatverhältnisse, Ref.).
Verf. fügt seiner Arbeit hinzu, dass in einzelnen Fällen den Säug-
lingen von vornherein nur sterilisirte Milch verabreicht und sehr gut er-
tragen worden sei (wir Kinderärzte wissen dies schon lange, Ref.).
Albrecht.
üeber Productüm von Kindennüch ufid Müehsterüiainmg. Von Dr.
N. Auerbach. Deutsche med. W. 10. 1893.
Auerbach bespricht in der Sitzung der Berliner med. Gesellschaft
vom 1. März 1898 die Wichtigkeit der näheren Umstände der Milch-
gewinnung und insbesondere der Beschaffenheit des Futters der Kühe
TCJr die Beurtheilung der diätetischen Beschaffenheit der Müch für
Säuglingsemährung. Er sieht die Bedeutung des sogenannten Trocken-
fntters nicht in dem Gleichbleiben der Milch an ihren chemischen Be-
standtheilen , sondern in dem Fernbleiben von gewissen Gährungs-
erreffem mit bedenklichen Eigenschaften, insbesondere im Fehlen des
Baculus butyricus (Botkin). Auerbach hat durch Impfen von steri-
lisirter Milch mit frischem Wiesenheu dieselbe Zersetzung hervorgebracht,
trotzdem noch nachträglich 40 Minuten lang bei 100^ sterilisirt worden
war; als frisch galt das Wiesenheu innerhalb sechs Wochen nach dem
Mähen.
Anerbach konnte auch nachweisen, dass die widerstandsfähigen
Mikroben des Futters lebenskräftig in den Fäces der Kühe wieder er-
scheinen.
Der Bacillus butyricus (Botkin) und dessen Zersetznngsproducte
wirken schädlich auf den Säuglingsdarm, wie auch die Kühe dadurch
an Diarrhöe erkranken, noch leichter die Pferde. Um die Milch voll-
ständig zu sterilisiren, genügt die Zeitdauer von 40 Minuten häufig nicht,
sondern sind 80 Minuten dazu erforderlich. Eisenschitz.
520 ADalecten.
LeMrinnen MailandB gehalfcen hat Er fährt zunftcbst aus, wie wichtig
die Eenntniss der kindlichen Hygiene sei, bespricht die Verwandten -
Ehen mit ihren Nachtheilen, das günstigste Alter eu heirathen, sowie
die grossen Vorzüge und die Wichtigkeit des Selbststillens der Mütter.
Im zweiten Vortrap^ wird znnächst ein knrzer Abriss der Anatomie
und Physiologie des Kindes TOransgeschickt; darauf folgt die Hygiene
der Bewegung, des Wachsthnms, der Intelligenz, der Sinnesorgane.
Verf. spricht sodann von den hygienischen Anfordemngen an die Schule:
deren Lage, Eintheitung, Lehrplan, Elassenrftume, Luftgehalt, Ventilation,
Heizung, Beleuchtung, Einrichtung, Schulmaterial, Lehrweise; daran
schliesst sich eine kurze Erörterung über die Bchnlstrafen.
In einem weiteren Vortrag beschäftigt sich Verf. mit drei besonders
wichtigen Gegenständen: mit aem schädlichen Einfluss der UeberbÜrdung
auf den Verstand des Kindes, mit dem grossen Nutzen eines geregelten
Turnunterrichtes und mit den für die Kindheit geeigneten Spielen.
Weiterhin werden die Krankheiten geschildert, welche durch den Schal-
besuch Terbreitet werden, sowie diejenigen^ welche in der Schule be-
fördert bez. vorbereitet werden. Die Maassregeln zur Verhütung werden
aufs Eingehendste geschildert. Endlich werden auch die hygienischen
Anforderungen an Kinderasyle und Kindergärten festgestellt und eine
Beihe von Qrundsätzen der Schulhygiene m anschauücher Weise for-
mulirt. Toeplits.
Hygiene des KindeaaUers und prjSboeniive Bthandlung, Monatsschrift für
Familien, Schalen und praktische Aerzte. Herausgegeben von Celli,
Sergi, Blasi und Ruggieri. L Jahrgang. Born 1898.
Seit dem Mai des Torigen Jahres erscheint in Rom obige neu begrün-
dete Monatsschrift, welche sich zum Zweck der Popalarisirung hygie-
nischer Maassnahmen fürs Haus und für die Schule eine Beihe von
Aufgaben gestellt hai In den mir vorliegenden Heften 4 bis 7 finden
sich meist populär geschriebene Artikel über brennende Fragen der
Hygiene, z. B. über den schädlichen Einflass grosser Hitze auf den
Schulunterricht, die Nachtheile des übermässigen Küssens der Sander,
über Brechdnrchfälle infolge verdorbener oder fehlerhaft zubereiteter
Milch, die Wichtigkeit regelmässiger Wägungen, Schule und Myopie,
Vorträge über Schulhygiene u. s. w.
Die Form und Ausstattung ist. gefällig und ansprechend, der Inhalt
stellenweise etwas kindlicher als für den gewünschten Zweck erforder-
lich, zum Theil aber mit grösstem wissenschaftlichen Ernst geschrieben.
Wie es aber zu rechtfertigen ist, dass neben den ausdrücklich für
Laien geschriebenen Artikeln in jeder Nummer auch eine ganze Beihe
von Becepten stehen (Scilla, Digitalis, Pilocarpin u. s. w.), das haben
die Herausgeber nicht gesagt. Toeplitz.
üeber die XJreachen der Kindersterblichkeit im ersten lASbensjahre und
die Mittel zu ihrer Bekämpfuna. Eröffnungsrede, gehalten bei dem
IL Congress italienischer Kinderärzte in Neapel (80. X. 1898) von
G. Somma. Neapel, stab. tip. dell* Unione 1898, 18 S.
Nach einer schwungvollen Einleitung, welche vorzüglich dem An-
denken L. Somma^s gewidmet ist, bespricht Verf. in eingehendster
Weise die Ursachen, welche die grosse Sterblichkeit im ersten Lebens-
jahre herbeiführen. Diese wichtige Frage, welche schon seit Jahr-
hunderten die Gesetzgeber beschäftigt hat, ist auch heute noch un-
gelöst: sie ist eine Frage der Wissenschaft, eine Frage der Gksellschaft,
der Familie, eine Frage der allgemeinen Moral, denn die unehelichen
Geburten sind eine Hauptnrsache der grossen Sterblichkeit; es ist eine
XIII. Hygiene, Statistik, Einderspitäler. 521
wichtige Angelegenheit för die Nation, fSr den Staat, för die ganze
Menachheil Viele haben sich damit getröstet, dass es sich nm eine
Natomoth wendigkeit, um ein unabänderliches Gesetz handle; aber da-
mit ist nicht geholfen und nichts erklärt. Auch die Darwin^sche Hypo-
these vom „Kampf ums Dasein'* ist sicherlich unhaltbar, wenigstens fär
die hoher organisirten Wesen.
Die Gründe der Eindersterblichkeit sind zunächst im kindlichen
Orjgfanismus gelegene, organische : hierher gehören die angeborenen Krank-
heiten, die Herzfehler, das Offenbleiben des Foramen ovale, des Ductus
BotaUi, die Bildungsfehler; ferner die ererbten fijrankheiten: Skrophu-
lose, Tuberculose, Syphilis; sodann die durch den Geburtsact erwor-
benen: Asphyxie, Fracturen, Luxationen, KepHalhämatome, Lähmungen;
am wichtigsten ist hier die uneheliche Geburt mit den schlimmen Ein-
flüssen einer verheimlichten Schwangerschaft, mit verbrecherischen Maass-
nahmen behufs Herbeiführung eines Abortes, mit den Leiden, Entbeh-
rungen, Misshandlnngen der Mutter seitens der Angehörigen und Fremden,
mit den Gefahren, welche den Neugeborenen erwarten, vor Allem in
den Findelhäusem in ihrer bisherigen Gestalt. Hierher gehört ferner
noch die angeborene Schwäche der Kinder, wie sie als Folge zu nie-
drigen oder zu hohen Alters der Eltern, üble Gewohnheiten (Alcoholis-
mus!) derselben auftritt, sowie die Gefahr, die jedem Neugeborenen
droht infolge der plötzlichen Veränderungen seiner Circulation und
seines gesammten Stoffwechsels. — In zweiter Reihe stehen femer die
äusseren Ursachen der Sterblichkeit: ungünstige Einflüsse der Witterung,
fehlerhafte und mangelhafte Ernährung der Säuglinge, Armutb und
Mangel bei den Eltern, die oft für den eigenen Unterhalt zu sorgen
kaum im Stande sind, sodann die Krankheiten der ersten Lebenswoohen,
späterhiii die epidemischen und contagiösen Krankheiten des Kindes-
alters, sowie die Unwissenheit der Eltern und Pfleger in Allem, was
die kindliche Hygiene anbetrifft. Hieran schliessen sich noch eine
ganze Beihe mehr allgemeiner Ursachen, welche weniger das Kind direct
treffen : Allzugrosse Altersdifferenz zwischen den Eltern des Kindes,
ungünstige sociale Stellung derselben, übermässige Entwickelung der
Jndostrie, welche um des Geldgewinns wegen die Matter vom Kinde
entfernt, die grossen ökonomischen Krisen; hierher gehört wieder die
Blutsverwandtschaft der Eltern mit ihren nachtheiligen Einflüssen auf
den kindlichen Organismus; die Anhäufung der Säuglinge in den Findel-
häusern, die fehlerhafte Ammen wähl, die mangelnde Ueberwachung der
in Aufisenpflege gegebenen Findlinge I Und für alle diese vielen Ge-
fahren, die dem kindlichen Organismus drohen, habe Verf. vor Allem
das eine Heilmittel vorzuschlagen : allgemeine Verbreitung und Ver-
tiefung der Kenntniss von dem, wessen das Kind bedarf. Es müssen
Kinderhospitäler, Kinderkliniken eingerichtet werden, Ambulatorien für
Säuglinge und grössere Kinder; es muss auf allen Universitäten und
Schulen die Hygiene des Kindesalters gelehrt werden; es muss für die
Findlinge durch grosse wohlthätige Gesellschaften zum Schutze der
Kindheit gesorgt werden; die Mütter müssen Belehrung empfangen, wie
sie ihr Kind zu ernähren und zu pflegen haben, vor Allem, dass es
keine Nahrung giebt, welche auch nur entfernt der Muttermilch gleich-
kommt. Auch der Staat hat seine Aufgabe zu erfüllen: die Armuth
und das Elend zu bekämpfen, die Lebensbedingungen zu erleichtem,
die Zölle anf Lebensmittel abzuschaffen, die Pflege- und Haltekinder in
angemessener Weise zu beaufsichtigen. „Wir können,'* sagt Verf. am
Schlüsse, „nicht verhindern, dass Kinder geboren werden, aber wir
können verhindern, dass sie sterben!'* Toeplitz.
Jahrbuch f. Kinderheilkimdo. N. F. XXXVIII 84
522 Analecien.
L'Assüftance maritime des enfanta ek les hopitaux marins. Von Dr.
Leroux. Referirt in Progr^s m^dical 1898. Nr. 2. S. 42.
Der Yerfasaer schildert im Eingänge seiner Arbeit die Verwfistangen,
die Scrophulose, Tabercolose und Rachitis in der BevOlberong Frank-
reichs anrichten, und erblickt in der Behandlung durch Seebäder ge-
eignete Prftventiymaassregeln. Er bespricht sodann die Indicationen
und Contraindicationen der Seebehandlung und giebt darauf eine ein-
gehende Schilderung der Seehospize. Fruikreich yerfügt danach über
1700 Betten, die nach Ansicht des Verfassers bei weitem nicht ausreichen.
Er wendet sich an die öffentliche Wohlthätigkeit um Abhilfe und sdüiesst
mit einem Project für ein Sanatorium. Fritssche.
■m
Der AufenthaU scraphulöser Kinder in Snogebäk im Jahre 1893. Von
J. C. Gerner. Ugeskr. f. Lager 4. R. XXVIU. 22. S. 617. 1893.
Die Gesammtzahl der Kinder betrug 85 (79 Scrophulose und 6 Recon-
valescenten), der Aufenthalt und die Bäder dauerten von Ende Juni
bis Mitte September. Die Gewichtszunahme betrug im Durchschnitt
8,74 Pfimd (8,80% des Körpergewichts), bei über 9 Jahre alten Scrophu-
lösen 6,27 Pfund (10,14% des Körpergewichts). Sie war etwas geringer
als im Jahre 1892 [vielleicht weil der Aufenthalt abgekürzt werden
musste wegen rauher Witterung im September].
Walter Berger.
Die Poliklinik des Marthaheims in Kopenhagen, 1890^1893. Von Dr.
med. H. Adsersen. Ugeskr. f Läger 4. B. XXVIII. 17. 1898.
Die in der Anstalt behandelten Kinder gehören wesentlich dem
Proletariat an, dessen Kinder die grösste Procentzahl zur Morbidität wie
zur Mortalität liefern, und zwar gehören sie fast ausschliesslich den
ärmsten Classen an. Von 1890 bis 1898 wurden 4141 Kinder in 17 263
Consultationen behandelt; 708, die an Zahnoaries litten, kamen nur ein-
mal zur Aufnahme, über die übrigen 8488 sind die Aufzeichnungen fort-
laufend von einem Jahre zum andern vorhanden. Von diesen starben
120 an der Krankheit, wegen welcher sie zuerst aufgenommen wurden,
80 (66,7%) im 1. Leben^ahre^ 88 (27,6%) vom 2. bis 6. Lebensjahre
7 (6,8%) bis zum 16. Leben^ahre; in ganz Kopenhagen beträgt die
Sterblichkeit in diesen 8 Lebensaltern 68,6%, 80,4% und 11,1%. Von
den 8488 Kindern waren 1716 Knaben, 1728 Mädchen. Die Morbidität
war am grössten im 1. Lebensjahre, nahm im 2. Lebensjahre stark ab
und von da an allmählich weiter bis zum 6. Lebensjahre, im 7. Lebens-
jahre begann eine Steiserung, die ihren Höhepunkt im 9. Leben^ahre
erreichte, erst im 12. Leben^ahre wurde die Morbidität wieder so gering,
wie sie im 6. Lebensjahre gewesen war. Die Morbidität war im All-
gemeinen bei den Mädchen etwas ^össer als bei den Knaben, mit Aus-
nahme der beiden ersten Lebensjahre, in denen sie bei den Knaben
grösser war. Die Sterblichkeit, die im 1. Lebensjahre am grössten war,
nahm im 2. Lebensjahre bedeutend ab, und zwar bedeutender als die
Morbidität, von da an nahm sie gleichmässig ab bis zum 16. Lebens-
i'ahre. Von den Erkrankungen der einzelnen Organe waren Hautkrank-
leiten am häufigsten, MnsKelkrankheiten am seltensten. Im 1. und
2. Lebensjahre herrschten die Krankheiten der Verdauungsorgane vor;
Krankheiten des Gefösssjstems, des Blutes und der Milz waren am
häufigsten im 2. Lebensjahre, acute Infections- und Augenkrankheiten
im 2. und 8. Lebenejahre. Eine erhöhte Morbidität im schulpflichtigen
Alter fand wohl statt, aber sie fällt nach A. nicht der Schule zur Last,
da die Zunahme sich schon vorher bemerkbar machte.
Walter Berger.
XIV. Physiologie und allgemeine Pathologie. 523
XIY. Physiologie und allgemeine Pathologie.
Beiträge zur Kenfäniss des tnensehlichen Milchapparates. Von Dr. K. B a b c h.
Archiv f. Gynäkologie 44. Bd., 1. H.
Der Abhandlung geht eine ins Weite gehende Darstellnng der Ana-
tomie und Physiologie der Brustwarze Torans, bezflglich der wir auf das
Original verweisen mfissen.
Von Difformitäten der Brustwarze werden hervorgehoben:
Kleinheit der Warzen, MikrotheUa, die Mammilla fissa, mit oberer
und unterer Lippe, die hOckrige Warze, die Hohlwarze und zwar die
Papilla circumvail. aperta, bei welcher die ffutentwickelte Warze in
einem Hofe lie^, und die Papilla circumvail. obtecta, bei welcher die
kleine, kurze Warze in dem verdickten Warzenhofe verborgen liegt.
Diese letztere Form führt nach Kehr er auch den Namen der Papilla
invezüta.
Alle diese Difformit&ten stellen Entwicklungshemmungen dar. Die
Papilla invertita entspricht der normalen Bildung beim Neugeborenen,
ist stets mit einer verkümmerten Warze combinirt, es fehlt bei ihr der
grösste Theil der Innenmusculatur der Papille, w&hrend die Musculatur
der Warzenhofes überentwickelt ist. Dieses Missverhältniss wird durch
die Schwangerschaft noch gesteigert.
Wie weit das Miedertragen auf Entstehung der Formfehler Ein-
fluss hat (Mensinga, bleibt noch zu ergründen, jedenfalls ist die
Entstehung derselben schon in die erste Lebenszeit zu versetzen. Dr. B.
meint, dass man in jenen F&llen, in welchen frühzeitig sich auf der
Brustwarze starke Auflagerungen von Homschichten entwickeln, durch
üeberschläge von 1 — 2%iger Natronlauge nütze, das mechanische Aus-
drücken der HompfrOpfe soll aber vermieden werden, weil diese Procedur
die Drüse schädigt
AU operatives Verfahren gegen die schon ausgebildete Hohlwarze
schlägt Dr. B. vor: 1) die subcutane Myotomie der Warzenhofmusculatur,
in der man mittelst eines schmalen Tenotoms den strictuirenden Muskel-
ring mit Schonung der Haut durchschneidet, 2) eine darauffolgende
Orthopädie der Warzen, bestehend in häufigem Hervorziehen in die
Stellung einer Papilla plana, eventuell Fizirung in dieser Stellupg durch
die Naht
Die Operation sollte während der Mädoheigahre oder in einem sehr
frühen Stsidium der Schwangerschaft gemacht werden.
Messungen an 200 Schwängern am Ende der Gravidität haben er-
geben, dass je hoher die Warze, desto kleiner im Allgemeinen der
Warzenhof ist und umgekehrt, es schwankt die Höhe der Warze zwischen
0,0 und 1,4 cm, die Breite des Warzenhofes zwischen 3,8 und 8,0 cm,
die Dicke der Warze zwischen 1,1 und 1,8 cm, nach der Schwanger-
schaft involvirt sich die Warze nicht mehr vollständig, die Entwicklung
Bchreitet mit jeder Schwangerschaft fort.
Die Erection der Warze wird nach B. nur durch die Contraction
der Musculatur des Warzenhofes und der Papilla bedingt und der
GefHAsapparat spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.
Aul experimentellem Wege weist Dr. B. nach, dass die Aspirations-
kraft des Säuglings nicht ausreicht zur Ueberwindung des normalen
Tonus der Brustwarzenmusculatur, sie kann die Brustwarze bloss tiefer
in den Mund hineinziehen, die Compression des Warzenhofes ist eine
wesentliche Hilfsaction und wird von den Kiefern, Lippen und den
Seitentheilen der hohlgekrümmten Zunge geliefert.
34*
530 Analecten. XIV. Physiologie und allgemeine Pathologie.
Diphtheria Digestion.
Primary infectiye Secundary infective DigesÜTe prodacts
^ent A^ent
Bacillus Diphtheria ferment Hetero-albamose ) »^ «„n«>»«»««
diphtheriae. (Roox' and Yersin's Proto-albumose |A«imemDrane.
poison) in the Deatero-albamose I 1» .^,_
membran. Organic acid j^ ^^y-
Die im KOrper ffefundenen Verdaanngsproduote sind nicht oder nur
zam kleineren Theile direct ans der Membran resorbirt Sie werden
vielmehr durch das aus der Membran resorbirte Ferment im Körper
selbst gebildet und es scheint, dass die in der Mik aufgehäuften Zier-
setzungsproducte des Eiweisses, wie Harns&nre, Xanthm etc., diesen
fermentatiyen Vorgang begünstigen.
In ähnlicher Weise hat der Verf. die Albumosen eines Falles von
infectiöser Endocarditis, yon Milzbrand und Tetanus stadiri Ihre Wir-
kungen Terhielten sich, mit Ausnahme der Veränderung an den Nerren,
ähnlich denjenigen der bei Diphtherie gefundenen. Betreffs dieser muss
auf das Original verwiesen werden. Verf. betont, dass man in dem
Nachweise derartiger durch ihre physiologischen Wirkungen wohl charak-
terisirten KOrper ein neues und werthvoUes Hilfsmittel zur Erkennung
der infectiösen Erkrankungen im Allgemeinen besitzt, auch dann, wenn
der Bacillus bereits wieder verschwunden oder noch gar nicht ge-
funden ist. Es eher ich.
Inlialtsübersiclit der Analecten.
IX. Krankheiten der Neugeborenen«
Tedeschi, Angeborene Lebensschwäohe 490
Ghriatoyanaki, Belebangeversuch an einem asphyctischen Neu-
feborenen 491
Meyer, Asph^ctische Znetände bei Säuglingen 491
Oeblachl&ger, Wiederbelebung Neugeborener 491
Somma, Sklerem der Neugeborenen 492
Schmidt, IcteruB der Neugeborenen 494
Quisling, Icterus neonatorum 495
Wolczynski, Winckersche Krankheit 496
Ljwow, Winckersche Krankheit 497
Theodor, Gangränöse Zerstörung der Haut eines Neugeborenen. 498
Herrgott, H^morrhagies gastrointestinales chez le nouveau-n^ . 499
Lorenzo, Ulcerationen an den Fersen und Knöcheln der Neu-
geborenen 499
Frees, Acute Nephritis beim Neugeborenen 500
Engström, Grenitalblutung bei einem neugeborenen Mädchen . . 500
Ljwow, Beste Behandlungsmethode des Nabelstrangrestes. . . . 501
Vicarelli, Lähmung beider Arme bei einem Neugeborenen . . . 501
X« Hantkrankheiten.
Lerouz, Inip^tigo considär^e comme une affection contagieuse . 501
Buckley, BuUous eruption in children ohecked completely by
arsenic 502
Iwanow, Prurigo der Kinder und ihre Behandlung 502
Bock, Sommereruption 503
Sederholm^ Favus 508
Lukasiewicz, Liehen scrofulosorum 503
Sympson, Alopecia of the entire scalp 504
Nielsen, Xanthoma multiplex planum und papulo- tuberosum im
frahen Kindesalter 604
Somma, Purpura ecchymotica infectiosa 505
Guaita, Nepnritis acuta bei Ekzem 506
XI. Yerglftnngen.
Binz, Vergiftung durch Atropin. ,. .' 506
Monteverdi, Vergiftung mit Atropin ^07
Galatti, Brom-Acne 608
532
Inhaltflberaioht der Analecten.
8«1W
XEL TherapentltelieB.
Troitzky, Dosiroiig der Anneimittel 608
Bryan, Anenik als Prophylakticum gegen Infectioiiskrankheiten . 609
Troitzky, Aeasserlicher Weg des EiuuiUirens von Chinin in der
Kinderpraxis 609
Laarais, L*ozyg4ne chez le« nouTeaa-n^s 610
Lorenzo, Ichthyol und seine Wirknn^ 610
Federici, Gaajacol and seine äusserhche Anwendang b. Kindern 610
Dur ante, Saccharin als Antisepticum für die Mundhöhle der
Kinder 611
Rodionow, Aioö piotom als Uierapentisches Mittel 618
Kasem-Beck, Behandlung der Malaria mit Methylenblau und
dessen locale Anwendung bei Diphtheritis 618
Pott, Intubation bei Spasmus glottidis 618
Gntmann, Einblasungen von Sozojodol- Natrium in die Nasen-
höhle 618
Moritz, Mit Heilsemm behandelter Fall v. Tetanus b. Menschen 613
Xin. Hygiene, Statistik, KinderspitUer.
Koplick, Sterilisation 614
Bluze, Lait st^rilis^ 616
Led^, Sterilisation du lait 616
Budin, Sar Tallaitement 616
Chayano, Sterilisirte Milch 616
Auerbach, Production von Kindermilch und Miichsterilisirung . 617
Soxhlet, Chemische Unterschiede zwischen Kuh- und Frauen-
milch und die Mittel zu ihrer Ausgleichung 618
Hornef, Weitere Verbesserung des Muttermilchersatzes 619
Hauser, Neue Methode der S&uglingsem&hrung 619
Guaita, Ueber Hygiene des Kindesalters 619
Celli, Sergi, Blasi und Ruggieri, Hygiene des Kindesalters . 620
Somma, Ursachen der Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahre
und die Mittel zu ihrer Bekämpfung 680
Lerouz, L'Assistance maritime des enfants et les hopitanz marins 688
Gerner, Aufenthalt scrophulöser Kinder i. Snogebäk L Jahre 1893 688
Adsersen, Poliklinik des Marthaheims in Kopenhagen 688
XIT« Pliygiologie imd ailgemeiiie Pathologie.
Basch, Beitrage zur Kenntniss d. menschlichen Milchapparates . 68S
Tedeschi, Uebergane einiger Medicamente in die Milch .... 684
Brieger und Ehrlicn, Uebertragung v. Immunit&t durch Milch. 684
Bunge, Aufnahme des Eisens in den Organismus des S&uglings . 686
Guidi, Pathologie des Waohsthums 686
Lancereaux, Glandes vasculaires sanguines; leur röle pendant
la croissance 687
Brieger u. Wassermann, Ueber d. Auftreten von Tozaibuminen
beim Menschen 687
Martin, On the chemical pathology of Diphtheria 688
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1
Inhalt.
Seite
I. Ein Beitrag zur Aetiologie der Leptomeningitis puralenta
bei Säuglingen. Aus der k. k. böhmischen Universitäts-
klinik des Prof. Dr. Schwing in Prag. Von Dr. Franz
Seh er er, Assistenten an der genannten Klinik 1
IL Ueber die intermittenten Formen der fibrinösen Pneumonie.
Mittheilung aus dem Stephanie-Kinderspital in Budapest.
Von Dr. Nicolaus Berend, Secundararzt daselbst ... 12
III. Zur Theorie der Rachitis. Nach einem Vortrage, gehalten
in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden.
Von Dr. Wachsmuth 24
IV. Ein Beitrag zur Statistik der Erkrankung an Scharlach
mit besonderer Berücksichtigung der ßecidive und Pseudo-
recidive. Von Theodor Hase, ordinir. Arzt am Elisabeth-
Kinderspital zu St. Petersburg 58
V. Ueber Gewicht und Wuchs der Kinder der Armen in
Warschau. Mitgetheilt von Dr. Wiktoryn Kosmowski,
Kinderarzt in Warschau 70
VI. Ueber die Verhältnisse der Neugeborenen in Entbindungs-
anstalten und in der Privatpraxis. Von Docent Dr. Julius
Eröss 77
VII. Ein Fall von Situs transversus viscerum, beobachtet im
Wilhelm -Augusta- Hospital zu Breslau. Von Paul Ga-
linsky, Assistenzarzt 91
VLU. Kleinere Mittheilungen:
1. Ueber eine irrthümliche Darstellung eines physio-
logischen Vorganges in einigen Lehrbüchern der Kinder-
krankheiten. Von Dr, med. Arved Berteis in Riga 103
2. Vni internationaler Congress für Hygiene und Demo-
graphie in Budapest (1.— 10. September 1894). Referat
aus der V. Section (Kinderhygiene). Von Dr. G.
Genersich (Kolozsvar) 104
Recensionen 112
IX. Ueber Oxyuris vermicularis bei Kindern und die Behand-
lung mit Naphthalin. (Aus der med. Kinderpoliklinik zu
Bonn.) Von Aurel Schmitz aus Mülheim an der Euhr 121
X. Ueber subcutane Injectionen von Chininum bimuriaticum
bei Keuchhusten. Von Heinrich Laubinger 141
XI. Ueber Geschmacksempfindungen rachitischer und nicht-
rachitischer Kinder. Aus dem Kinder-Ambulatorium zu
Bonn a. Rh, Von Heinrich Büssem aus Viersen (M.-Glad-
bach) 16Ö
2 * F. Scherer:
perimente an Thieren und der bacteriologischen Untersuchungen
gewisse Schlösse daraus zu ziehen.
Fall I.
Das Kind K. E. wurde am 7. September 1898 auf der böhmischen
geburtshilflichen Klinik für Aerzte geboren. Qleich nach der Gebart
betrug das Gewicht desselben 2660 g, bei der Aufnahme auf der Klinik
der böhmischen Landeefindelanstalt SS60 g. Die Länge des Köi-pers
47 cm, die Insertion der Nabelschnur 2 cm unterhalb der Mitte der
Längsaze des KOrpers. Der Umfang des Kopfes misst 32 cm, jener
der Brust SO cm. Die Mutter des Kindes ist eine 27 Jahre alte Erst-
gebärende: dieselbe ist eine yollkommen gesunde, zum Stillen geeig-
nete Person. Das Kind zeigt keine angeborenen Anomalien, ist aber
in Folge seines schwächeren ErnährungszuBtandes, sowie in Folge des
schwach gebauten Skelettes in die Reihe der schwächeren Kinder zu
rechnen. Die Haut am ganzen Körper ist leicht icterisch gefärbt Rund
herum um den normal yernarbten Nabel finden wir einige zerstreut
liegende kleine Pemphigusbläschen. Bei der näheren Untersuchung der
Lunge, des Herzens, sowie der übrigen Organe ist man nicht im Stande,
irgend welche pathologische Veränderungen zu constatiren. Die Schleim-
haut der Mundhöhle rein, der Stuhl von normaler Farbe und Gonsistens,
2 — 8 mal täglich. Das Kind nimmt in den ersten Tagen regelmässig die
Brust, ohne aber an Gewicht zuzunehmen: dasselbe bHrägt beständig
2370 g. Die Körpertemperatur normal.
22. X. 1893. Der Icterus der Haut wird intensiver, ohne Hinso-
treten sonstiger Ve Änderungen. Es wurden warme Bäder und inner-
lich Acid. muriat. (0,6 : 120) verordnet. ^ *
25. X. Bei stets zunehmender icterischer Färbung der Haut nimmt
man beim Kinde eine grosse Unruhe, Schlaflosigkeit und diffuse Stuhl-
entleerungen wahr. Die Körpertemperatur normal (37—37,2—37,5). Zu-
weilen hört das Kind auf, die Brust zu nehmen; die beiden Kiefer sind
zeitweilig fest aneinander gepresst in dem Grade, dass die Untersuchung
der Mundhöhle unmöglich wird, zeitweilig wieder ganz lose, zuweilen
ist eine ziemlich deutlich ausgesprochene Contraction der Kaumuskeln
beiderseits wahrnehmbar. Das Körpergewicht beträgt 2380 g.
2. XI. Die Körpertemperatur erhöht. 38,4—38,6—38,8—88,7—38,8.
Das Kind nimmt plötzlich um 150 g am Gewichte ab. An Stelle der
Durchfälle tritt eine hartnäckige Verstopfung ein. Das Kind nimmt
nicht mehr die Brust, das Aneinanderpressen der Kiefer deutlich be-
merkbar. Des Kindes bemächtigt sich eine starke Unruhe und gänz-
liche Schlaflosigkeit. Die Herzaction ungemein unregelmässig, zuweilen
beschleunigt, zuweilen retardirt. Die Eefc-piration sehr unregelmässig.
(Tct Valerianae.)
29. XI. Ein wiederholtes Sinken des Gewichtes um 80 g. Des
Kindes bemächtigt sich eine bedeutende Somnolenz, die Nacl^enmusku-
latur stark contrahirt. Zeitweilig stellen sich beim Kinde klonische
Convulsionen der oberen und unteren Extremitäten ein. Die Kiefer
sind fest aneinander gepresst, der Gesichtsansdruck auffallend grinsend.
Die Pupillen beiderseits stark contrahirt, starr. Ein massig ausgespro-
chener x^ystagmus, welcher zeitweilig dem Strabismus convergens weicht.
Die Convulsionen wiederholen sich immer öfter, die Temperatur be-
träjgft 36 — 35,9 — 37,5. In einem tiefen Coma tritt am selben Tage der
Exitus letalis ein. Die klinische Diagnose lautet: Leptomeningitis puru-
lenta. Icterus gravis (septicus).
Die Seotion der Leiche wurde am 30. IX. im k. k. böhmischen
pathologisch - anatomißchen Institute vom Assistenten Dr. Kimla aus-
Zur Aetiologie der LeptomeniDgitis purolenta b. Säuglingen. 3
geführt nnd hierbei Folgendes in das Sectio nsprotokoll aufgenommen:
Die Leiche eines normal entwickelten, stark in der Ernährang herab -
gekommenen Kindes von grazilem Skelettbau. Die Haut am ganzen
Körper, sowie die sichtbaren Schleimhäute intensiv icterisch. Die
Schleimhaut der Lippen leicht violett. Aus den Gesichtshöhlen findet
kein Ausfluss statt. Die Todtenstarre deutlich ausgeprägt. Sonst ausser-
lieh nichts Abnormes.
Die weichen Kopfdecken feucht, blutreich. Die Schädeldecke sym-
metrisch, leicht, die grosse Fontanelle eingesunken, die Nähte scharf
kenntlich. Die Dura mater glatt, ziemlich blutreich, in den Blutleitem
dunkle compacte Blutgerinnsel. In den weichen Hirnhäuten finden wir
sowohl auf der Convexität als auch auf der Basis längs der Gefässe
und meistens in den Furchen, im Subarachnoidalraum und den Lymph-
bahnen ein starkes, leicht gelbes, compactes, eitrig - fibrinöses Exsudat,
welches die beiden Hemisphären wie eine Haube bedeckt; die verschont
gebliebenen Theile der weichen Hirnhäute sind schwach icterisch ge-
färbt. Die Gehimsubstanz noch nicht differenzirt, die Marksubstanz
blassroth, die Corticalsubstanz lichtgrau, blässer. Im Dache der dritten
Gehirakammer findet man in der Tela chorioidea ein eitriges Infiltrat.
Die Gehirnkammern von normaler Breite. Das Rückenmark normal.
Das Unterhautgewebe fettarm, der Brustkorb breit, das Zwerchfell rechts
bei der 6., links bei der 4. Rippe. Im Herzbeutel eine kleine Menge
von reiner seröser Flüssigkeit. Die beiden Lungen frei, die Pleura zart;
das Lungengewebe lufthaltig, von normaler Blutfülle, normal.
Das Herz normal gross. Das Peri- und Epicard zart, die Coronar-
gefösse gefüllt, ^ie Kammern, Vorkammern, sowie der Klappenapparat
ohne Verilnderuni^en. Der Ductus Botalli, sowie das Foramen ovale
offen. Die Schleimhaut des Rachens, des Kehlkopfes, der Speiseröhre
und der Luftröhre leicht röthlich, sonst normal.
Die Lage der Eingeweide normal. Die Milz grösser, die Kapsel
glatt, das Gewebe rothbraun, fest, die Pulpe spärlich, die Follikel un-
kenntlich. Die Nieren von normaler Grösse, die Kapsel glatt, leicht
lösbar, die Oberfläche gelappt. Die Rindensubstanz und die Pyramiden
normaler Configuration; das Gewebe fest. Die Harnblase leer, contra-
hirt; die Schleimhaut blass. Die Genitalien normal. Die Leber von ge-
wöhnlicher Grösse, Serosa glatt, gespannt, das Gewebe brüchig, blut-
reich, gelbbraun. Der Magen, dessen Schleimhaut normal ist, ist leer.
Die Schleimhaut des Dünn- und Dickdarms blassroth.
Der Nabel vernarbt, die Nabeigefasse leer. Das linke Mittelohr
mit eitriger Flüssigkeit erfüllt.
Die Sectionsdiagnose lautet: Leptomeningitis purulenta baseos
et convexitalis. Otitis media suppur. lateris sinistri. Tumor lienis.
Hyperaemia organorum abdominalium. Icterus.
Das Exsudat in den Meningen wurde nun bacteriologisch unter-
sucht.
In den frisch angefertigten Deckglaspräparaten (s. Abbildung S. 4),
welche mit Carbol-Fuchsin behandelt wurden, findet man ausschliesslich
ziemlich lange und breite Bacillen, welche ungleichmässig gefärbt sind,
nach G r am m'schem Verfahren aber vollkommen entfärbt werden. Das
Wachsthnm auf Agar ziemlich rasch ; binnen 24 Stunden bei Temperatur
von 37 ^ entsteht ein sehr mächtiger, graugrüner, intensiv glänzender
Belag, dessen Ränder leicht gekerbt sind. Derselbe Belag binnen
24 Stunden auf Brot- und Erdäpfelagar, nur ist das Wachsthum hier
etwas langsamer als beim gewöhnlichen Agar. Mikroskopisch findet
man, dass alle diese drei Beläge von kürzeren, ziemlich breiten, am
Ende abgerundeten Bacillen gebildet werden, welche ungleichmässig ge-
färbt sind und hie und da längere Fäden bilden.
1*
14 N. Bereod:
gegebenen Falle mit einer genuinen, fibrinösen Pneumonie
oder aber mit einer Febris intermittens larvata zu thun haben
Frison^) behauptet von dieser yjntermittens perniciosa
pneumonica'', dass sie in malarischen Gegenden , zumal im
Frühjahr und Herbst auftritt und zumeist malarisch-kachektische
Individuen befallt. Bezeichnend för den Verlauf derselben ist
nach Frison, dass sie anfanglich mehrere Tage hindurch die
Form der Tertiana oder Quotidiana annimmt, während dessen
Bronchialkatarrh oder Pneumonie sich entwickelt. Meist wird
der linke untere Lappen ergriffen, wiewohl erfahrungsgemäss
auch andere Lungenlappen afficirt werden.
Einige Aehnlicbkeit mit dieser Entwickelungsart scheint
auch die Influenzapneumonie zu haben. Nach Frison endet
diese Form, wenn keine Chininbehandlung stattfindet, letal.
Mastian beschrieb einen, Gazon') zwei hierher ge-
hörige Fälle.
Giampietro^ theilt 9 Fälle mit, die malarischen Ur-
sprungs zu sein scheinen und die mit Milztumor, leichtem
Icterus und cephalischen Erscheinungen einhergingen; die
localen Ersdheionngen schienen während der Apyrexie zurück-
zutreten. Von Wichtigkeit ist der Umstand, dass in seinen
Fällen am Beginn der Erkrankung das Fieber schon inter-
mittirend und nicht constant war.
Wunderlich^) erwähnt ebenfalls der intermittirenden
Pneumonie; er nimmt dreierlei Formen an:
1. Die erste, wobei die localen Erscheinungen während
des Fieberanfalles constant sind;
2. Die zweite, wobei die primäre Infiltration während
des Fieberanfalles sich plötzlich steigert;
3. Die dritte, wobei während der einzelnen Anfälle die
Infiltration auf andere Stellen überspringt (Pneumonia erratica).
Alle diese Fälle hält Wunderlich für malarischen Ur-
sprungs.
An einer anderen Stelle erwähnt Wunderlich^), dass
die intermittirenden Pneumonien nach dem 2. — 3. Anfalle. in
spontane Heilung übergehen, was bei wirklicher Malaria ohne
Chinin zu den Seltenheiten gehören würde. In diesen Fällen
1) Fr i 8 OD, De la fi^vre pnenmo-palad^enne. ß^crit d. mem. de
m^d. milit. 1866. p. 97. (Virchow-HirBch, Jahresbericht)
2) Gazon, M^d. Times Juli 1886. (Virchow - Hirsch, Jahres-
bericht)
3) Giampietro, Poche operationi salla pulmonite miasmatica pa-
lustre 1871. p. 667. (Virchow- Hirsch, Jahresbericht)
4) Wunderlich, Beiträge zur Beurtheilung Pneumooiekranker.
6J Wunderlich, Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheifeen.
Leipzig 1868.
üeber die intermittenten Formen der fibrinösei) Pneamonie. 15
endet die Krankheit entweder auf die Weise, dass nach einer
Deferyescenz keine neuere Steigerung eintritt, oder der inter-
mittirende Charakter verwischt sich und es tritt die Heilung
auf kritischem Wege ein; tödtlicher Verlauf wurde nicht
beobachtet. *
In einem Falle Hildebrand 's ^) trat nach dem zweiten
Fieberanfalle auf Chininbehandlung eine rasche Rückbildung
der entzündlichen Erscheinungen ein.
Dumeige^) beschreibt 4 Fälle, die er nicht nur nach
dem Fieberverlaufe; sondern auch auf Grund des Milztumors
für malariachen Ursprungs hält.
Romaldi^) beschreibt 2 intermittirende Fälle; in dem
einen stieg die Temperatur nach der am dritten Tage er-
folgten Pseudokrise noch einmal unter Schüttelfrosterschei-
nungen an; die objectiven Symptome steigerten sich im ersten
Falle bei jeder Fieberezacerbation, während sie im zweiten
Falle stets conatant blieben.
Scholtz*) beschreibt 2 Fälle von Pneumonie mit inter-
mittirendem Verlauf, die er aber mit keiner Intermittens in
Connex bringt.
Nach Hirsch^) kommen diese Fälle häufiger vor in
Algier, Indien, Toscana und in einzelnen Gegenden Nord-
amerikas.
Koranji theilt in der Realencyclopädie im Artikel über
Pneumonia fibrinosa vier von ihm beobachtete Fälle mit, die
er für malarischen Ursprungs hält; in drei Fällen war nach-
weisbar Milztumor vorhanden. Die Chininwirkung war eine
prompte. Zumeist gingen Prodromalsymptome voran.
Die Eoränzi'schen Fälle zeigten insofern eine Abweichung
von dem durch Frison beschriebenen Typus, als in drei
Fällen die Infiltration nicht in der linken, sondern in der
rechten Lunge localisirt war; femer zeigte das Fieber zwei-
mal den Typus der Quotidiana und einmal der Tertiana duplex,
überhaupt aber schon bei Beginn der Krankheit den inter-
mittirenden Charakter. Während ein grosser Theil der Autoren
die langsame, progressive Entwicklung der Infiltration betont,
entwickelte sich dieselbe in Eoränzi's Fällen rasch und genau
nachweisbar.
1) Hildebrand, Deatsche med. WochenBchrifb 1880. Nr. 49.
2)Diimeige, De la congestion pulmonaire d^origine palnd^enne
1885. (Virchow-Hirsch, Jahresbericht.)
3) Bomaldi, Sulla forma intermittente di alcune pneumoniti. 1885.
(Virchow-Hirsch, Jahresbericht.)
4) Scholtz, Zwei Fälle von intermittirender Poeamonie. Inaugur.-
Dissert. Würzbarg.
5) Hirsch, Handbuch d. histor.-geogr. Pathol. Bd. II. B. 97.
44 Dr. Wachsmuih:
keiner Richtung hin in Widerspruch sich befinden, sondern
dieselben nur in anderer, und, wie es mir scheinen will, in
ungezwungenerer Weise deuten und erklären.
Für die Rachitis würde sich aus dieser Deutung der ana-
tomischen Verhältnisse ergeben, dass die Bedingungen für die
Präcipitation der Kalksalze einerseits durch eine Stauung der
Gewebskohlensäure in der Umgebung der enorm erweiterten
und vermehrten Blutgefösse, andrerseits durch eine vermehrte
Wucherung der kleinzelligen Enorpelelemente, die bei der
enormen Zellenvermehrung und Zellentheilung nur an wenigen
Stellen ihre definitive Grösse erreichen, wesentlich ungünstiger
sind als in dem normal wachsenden Knorpel und Knochen.
Man konnte nun allerdings einwenden, dass gar kein Grund
abzusehen sei, warum nicht bei der Rachitis ebenso gut wie
im gesunden Korper die doch an sich nicht vermehrte Gewebs-
kohlensäure des Stoffwechsels durch das Blut wieder fort-
geschafft und durch die Lungen exhalirt werden soll. Eine
Stauung der CO, in den Geweben kann doch erst dann statt-
finden, wenn die Spannungsdifferenz zwischen der Gewebs-
kohlensäure und derjenigen des Blutes eine geringere wird,
somit also bei gleichbleibender CO, des Stoffwechsels, wenn
die CO, des Blutes vermehrt ist. Es würde sich also fragen,
ob wir Grund zu der Annahme haben, dass die freie und
locker chemisch gebundene CO, des Blutes bei der Rachitis
durch irgend welche Momente erhöht sein kann. Wenn wir
diejenigen Schädlichkeiten, welche nach den Erfahrungen der
klinischen Beobachtung in der Aetiologie der Rachitis eine
ursächliche Rolle spielen, durchmustern, so werden wir nun
in der That finden, dass diese hygienischen und diätetischen
Schädlichkeiten sehr wohl zu einer Quelle der CO, -Vermeh-
rung und Anhäufung im Blute werden können. W^hl all-
gemein anerkannt ist, dass die Rachitis in der ärmeren Classe
der Bevölkerung mit den ungesunden Wohnungsverhältnissen
und hygienisch ungünstigen Lebensbedingungen weitaus am
häufigsten und intensivsten auftritt, dass die schwereren Fälle
von Rachitis sich vorzugsweise bei Kindern unbemittelter
Eltern zeigen. Verdorbene Luft in engen, von vielen Menschen
bewohnten Räumen, mangelhafte Ventilation bedingen aber,
wie wir wissen, eine Vermehrung der Kohlensäuremenge in
der Luft dieser Räume und dadurch eine verminderte Ab-
gabe der auszuathmenden CO, aus dem Blute derjenigen
Menschen, welche solche Räume bewohnen. Weiter ist be-
kannt, dass die Rachitis in den grossen Städten mit dicht-
wohnender Bevölkerung häufiger ist als auf dem Lande, und
dass ihre Frequenz im Frühjahr und Anfang des Sommers
nach dem langen winterlichen Aufenthalt in der Zimmerluft
Zur Theorie der Rachitis. 45
eine erhebliche Steigerung erföhrt. Es tri£Pt also hier eben-
falls die Häufigkeit der Rachitis mit denjenigen Momenten
zusammen, welche eine Steigerung des Eohlensäuregehaltes
der uns umgebenden Luft herbeiführen. Inwieweit klima-
tische Verhältnisse direct oder indirect in ähnlicher Weise
wirken könnten , will ich hier unerortert lassen, da wir über
den Einfluss klimatischer Factoren noch sehr wenig wissen.
Es sei hier nur angeführt, dass im Allgemeinen die Rachitis
seltener ist in wärmeren Klimaten als in den Gegenden der
gemässigten und kühleren Zone, und dass mit der Hohe über
dem Meeresspiegel die Häufigkeit der Rachitis abnimmt, in
Davos z. B., nach VoUand, unter den Einheimischen un-
bekannt ist. Wenn man gegen diese Ausführungen zu be-
denken geben will, dass die Rachitis doch auch bei Kindern
der besser situirten Bevolkerungsclassen, und zwar nicht eben
selten vorkommt, so müssen wir doch andrerseits zugeben,
dass unsere Wohnräume und deren natürliche und künstliche
Ventilation in Bezug auf den GOg-Gehalt der Luft doch weit
davon entfernt sind, immer und überall den idealen For-
derungen der Hygiene gerecht zu werden, ja, dass selbst der
▼on Pettenkofer aufgestellte Grenzwerth für gute Luft (von
0,7 per Mille an Kohlensäure) doch eben nur eine weit-
gehende Concession an das praktische Leben ist, und end-
lich, dass doch schliesslich überall in mancherlei unumgäng-
lichen Verhältnissen, z. B. in den Einflüssen der Heizung und
Beleuchtung auf den CO,- Gehalt der Luft, sowie in dem
gerade im ersten Lebensjahr und besonders in der Winters-
zeit durch die verbreitete Furcht vor Erkältung noch befor-
derten Vorurtheil gegen den ausgiebigen Genuss frischer Luft,
dass in allen diesen Verhältnissen, sage ich, genug Quellen
der Luftverderbniss in Bezug auf den CO^ - Gehalt der uns
^Umgegenden Luft gegeben sind. Weiterhin aber lässt sich
beobachten, dass die Rachitis sich nicht eben selten direct
im Anschluss an länger dauernde Krankheiten, besonders
solche der Luftwege, an lang dauernde Bronchitiden, an Keuch-
husten rasch und intensiv entwickelt und dass sie scheinbar
durch mangelhafte Ausbildung des Thorax auch ohne schon
bestehende rachitische Verbildung desselben begünstigt wird.
Alle diese geschilderten Verhältnisse, die sich vielleicht
noch weiter exemplificiren Hessen, bedingen mehr oder minder
direct eine verminderte Abgabe der COg durch die Lungen,
und diese verminderte Exhalation der COg hat weiterhin eine
Stauung der COg im Blut und noch weiter rückwärts in den
Gewebssäften zur Folge. Aber nicht blos die Abgabe der
COg durch die Lungen kann erschwert, auch die Zufuhr kann
erhöbt sein und* zwar von Seiten des Magendarmcanals; dies
48 ^^' Wachsmnth:
gar kein Recht. Wenn man die von E. gegebene Scbil-
derung des anatomischen Zustandes im Knorpel und ELnochen
Rachitischer mit unbefangenem Auge prüft, so bekommt man
immer nur den Eindruck, dass wir es hier lediglich mit einer
Hyperämie, und zwar im Wesentlichen mit einer capillaren
und venösen Hyperämie zu thun haben. Von eigentlichen
Entzündungserscheinungen, von einem Austritt weisser Blut-
körperchen, von einer Exsudation, oder von entzündlicher
Gewebsneubildung findet sich bei der Rachitis nicht die
Spur. Eassowitz spricht übrigens bei der Beschreibung
dieser „entzündlichen'' Hyperämie von Gefässen, „die zum
Theil ganz wandungslos, zum Theil von einem äusserst zarten
Endothel bekleidet sind'', er spricht „von einer Ausdehnung
dieser Gefässe, die manchmal geradezu an cavernöse Blut-
räume erinnert". Nun, das ist nicht das Bild einer arte-
riellen, congestiven, „entzündlichen", sondern vielmehr einer
venösen oder venös -capillaren Stauungshyperämie. Easso-
witz bedarf denn auch zur Erklärung seiner „entzündlichen
Vascularisation" eines entzündlichen Irritaments. Welcher Art
dieses hypothetische entzündliche Irritament sein müsste, lässt
sich aber nach der Yerschiedenartigkeit der ätiologisch wirk-
samen Schädlichkeiten auch nicht einmal andeutungsweise ver-
muthen. Dass es aber nur eine Umschreibung und keine
Erklärung ist, wenn man ganz allgemein von einem „con-
stitutionellen entzündlichen Reiz*' spricht, liegt auf der Hand.
Fassen wir aber die Hyperämie im Enochensystem bei der
Rachitis als eine venös-capillare, als eine Stauungshyperämie
auf (und die äusserlich sichtbaren Venen der Eopfhaut rachi-
tischer Einder z. B. beruhen doch zweifellos auf Stauungs-
hyperämie), so würde bei Annahme der Eohlensäuretheorie der
Einfluss der CO, auf die Entstehung dieser Stauungshyperämie
wenigstens nicht ganz ausser dem Bereiche der Möglichkeit
liegen und wir brauchten dann auch nach keinem hypothetischen,
constitutionellen Entzündungsreiz zu suchen. Die CO, -Anhäufung
im Blut ruft bekanntlich eine Verengerung der kleinen Ar-
terien hervor und durch die Verengerung der kleinen Arterien
wachsen nach Thiry und Ludwig die Abflusswiderstände
für das Blut, der verminderte Zufluss zu den Capillaren hat
aber eine verminderte Geschwindigkeit in diesen und den
Venen zur Folge; es entsteht also secnndär eine Stauung.
Die Anhäufung der CO, im Blut und weiterhin in den
Gewebssäften würde uns also gleichzeitig die zweifellos vor-
handene Hyperämie, welche nach Eassowitz das anatomisch
wichtigste Symptom der Rachitis ist, erklären und dieselbe
als eine venös - capillare Stauungshyperämie charakterisiren.
Ja, noch mehr, diese Stauungshyperämie und die Anhäufung
Zar Theorie der Rachitis. 49
der CO2 im Blut als deren Ursache würde uns auch für die
venösen Stasen in anderen Organen^ in der Kespirations-
Schleimhaut y in der Milz, in den Venen der Kopfhaut ^ viel-
leicht auch in den Venen nnd Capillareu des ganzen Haut-
organs, wobei ich an die Eopfsch weisse und allgemeinen
Schweissausbrüche bei rachitischen Kindern denke, eine be-
friedigende Erklärung geben. Aber selbst wenn man an dem
Ausdruck ^^entzündliche Hyperämie'* festhalten wollte, so wissen
wir doch, dass auch bei der congestiven, entzündlichen Hyper-
ämie zwar im Anfang der Entzündung die Girculation be-
schleunigt ist, aber im weiteren Verlaufe der Entzündung,
besonders bei längerer Dauer derselben, sich verlangsamt.
Dann begreife ich aber wiederum nicht, wie bei dieser ver-
langsamten Circulation (und mit länger dauernder Hyperämie
haben wir es bei der Rachitis doch zweifellos zu thun) die
extravasculäre Saftstromung, die Energie und Geschwindig-
keit der Plasmastromung in der Umgebung der Blutgefässe
gegenüber der Norm vermehrt sein soll.
Wie steht es nun aber mit der fötalen und congenitalen
Rachitis?
Sie erinnern sich wohl, meine Herren, dass Herr Hofrath ünrnh^),
dessen Beobachtungen sich ja auf ein ansserordentlich zahlreiches Ma-
terial stützen, in einem Vortrag in dieser Gesellschaft vom Jahre 1886
die Ansicht aasgesprochen hat, dass es keine acqairirte Rachitis im
früheren Sinne giebt, dass die Rachitis immer eine congenitale Erkran-
kung ist, insofern, „als die Rachitis nicht im 2. oder 8. und 4. Quartal
des ersten Lebensjahres oder gar noch später ihren Anfang nimmt , son-
dern, dass die Kinder, welche man am Ende des ersten Lebensjahres
als ausgesprochene Rachitiker zu betrachten Veranlassung hat, die
ersten Spuren dieser Erkrankung bereits in den ersten Lebenswochen,
ja Lebenstagen zeigen, sie also nicht durch die verabreichte Nahrung
acquirirten, sondern mit auf die Welt gebracht hatten**. Wenn es sich
nur darum handelte, die frühere alimentäre Theorie zu entkräften,
oder darum, den künstlichen Unterschied zwischen fötaler, congeoitaler
und acquirirter Rachitis als unhaltbar fallen zu lassen (und wenn ich
Herrn Hofrath Unruh richtig verstanden habe, so war es ihm nur um
' die Hervorhebung dieser beiden Punkte zu thun), so liesse sich gegen
diesen Satz absolut nichts einwenden. Indess gegen eine etwa daraus
entnehmbare Verallgemeinerung der Art, dass jede Rachitis eine con-
^enitale Erkrankung sei, erhebt sich mir doch die Frage: sind alle
jene Beobachtungen, welche die Rachitis auch in ihren ersten An-
fängen im 3. oder 4. Quartal des ersten Lebensjahres, also im Alter
der beginnenden Dentition, oder sogar noch später im zweiten Lebens-
jahr entstehen sahen, auf Täuschung beruhend? Es ist ja wohl ganz
zweifellos, dass, wenn man in der Hauptsache nur das enorme Material
grosser Krankenanstalten und Findelhäuser im Auge hat, die aus-
gesprochenen Erscheinungen mittlerer und schwerer Rachitis schon in
einer so frühen Altersperiode zur Beobachtung kommen, dass der Ge-
l) Jahresbericht d. Gesellschaft für Natur- und Heilkunde 1887.
Jahrbnoh f. Kinderheilkunde. N. F. XXXIX 4
52 Dr/ WachBinnth :
strittene Eicfluss der Phosphardarreichung auf die RQckbil-
düng aller rachitischen Symptome und Erscheinungen erklaren?
EasBOwitz hat die frdher erwähnten Wegner*8chen Venuche der
Phosphorffitternng bei Kaninchen wiederholt nnd dabei darch mikro-
skopische Untersuchung gefunden, dass die durch die Phosphorfütterung
hervorgebrachte Verdichtungsschicht an der Verkalkungsgrenze der sog.
Enorpelfuge ,,niohtB Anderes ist als die enorm verbreiterte Zone der
Knorpelverkalkung, der primären Markräume und der metaplastischen
Ossification des Knorpels*^ „Ausser der bedeutenden VergrOsserung der
Höhendimension hat diese Phosphorschicht auch noch andere Verände-
rungen in ihrer Structur aufzuweisen. Denn die ungemein verlängerten
Markräume siud erstens viel schmäler resp. enger als de norma, zwei-
tens sind sie in viel grösseren Distanzen von einander angeordnet, und
drittens laufen die Gefässe ihrer ganzen Länge nach unverzweigt, so-
dass die vielfachen seitlichen Anastomosen, die sie sonst unter einander
eingehen, hier nahezu vollständig entfallen." „Wir haben es also," *bo
schliesst KasBOwitz hieraus, „offenbar mit einer Verzögerung nnd
Hemmung in der ReBorption und Markraumbildung, also in letzter In-
stanz mit einer Hemmung in der Gefössentwickelung zu thun." So-
weit wäre dieser Schluss nicht zu beanstanden. Kassowitz hatte aber
weiterhin beobachtet, dass bei Erhöhung der Dosis Phosphor auf die
doppelte bis vierfache Menge und längerer Fortreichung dieser erhöhten
Gaben geradezu die entgegengesetzten Erscheinungen auftraten, dass
hierbei, um wieder wörtlich zu citiren, „die obersten Kuppen der pri-
mären Markräume nicht, wie bei den übrigen Kaninchen in einer
strengen Linie hinter der Verkalkunggrenze zurQckblieben, sondern im
Gegentheil die meisten der zuletzt gebildeten Markräume in ihrer Ent-
wickelung beschleunigt und bis nahe an die Verkalkungsgrenze vor-
genickt erschienen, ihre Verrücknngslinie also unregelmässig war; die
Markräume selbst waren an ihren oberen Enden erweitert, von un-
regehnässiger Gestalt und mit Blutkörperchen vollgepfropft, das Fett-
mark schien durch ein rothes, blutstrotzendes Mark ersetzt, kurz die
typischen Veränderungen der Rachitis.*'
Kassowitz glaubt nun, „dass wir in dem Phosphor, und, wie es
Gies wahrscheinlich gemacht habe, auch in dem Arsen Substanzen
vor uns haben, die, ms Blut aufgenommen, eine Einwirkung auf die
GefäsBwände in dem Sinne ausöben, dass sie die letzteren in einen Zu-
stand der Contraction versetzen*'. „Und zwar, da bei den kleineren
Dosen in den älteren Theilen der Spongiosa und in der Markhöhle
selbst Alles beim Alten blieb, die Wirkung sich also nur in den neu
apponirten Schichten, wo sich noch ganz wandungBlose GeAsse be-
finden, zu erkennen gab, so müsse man annehmen, dass der Phosphor
und wohl auch der Arsenik gerade hier am leichtesten das reizungs-
fähige Protoplasma in Contraction versetze, während die Btraffer und
complicirter organisirten Wände der älteren Gefässe der Wirkung wenig-
stens dieser ungemein verdünnten Substanzen noch widerstehen und
erst von den grösseren Mengen in Mitleidensch^t gezogen würden.
Eine solche Contractionsfähigkeit des Protoplasma hält Kassowitz
mit Rücksicht auf die an Amöben und an weissen Blutkörperchen beob-
achteten Bewegungen, sowie nach den Beobachtungen von Stricker
über die Contractilität der Capillaren für durchaus möglich." Hier-
gegen ist aber daran zu erinnern, dass wir meines Wissens eine solche
lortdauernde, ununterbrochene, ich möchte vergleichsweise sagen , teta-
nische Contraction protoplasmatischer Substanz oder des zarten En-
dothels capillarer Gefässwände sonst durchaus nicht kennen, und eine
solche fortdauernde, chronische Contraction der Gefässwände mSssten
Zur Theorie der Rachitis. 53
wir bei der lapgen Dauer der Rachitis doch wohl annehmen; die an
Amöben and weissen Blutkörperchen beobachteten Bewegungen sind
denn doch wohl hieryon grundverschiedene Dinge. — Weiterhin hatte
aber Eas^owitz beobachtet, dass die compacte Phosphorschicht auch
bei denjenigen Versuchsthieren zu Stande kommt, denen neben der
Verabreichung kleiner Phosphordosen gleich im Beginn des Versuchs
der IschiadicuB durchschnitten worden war. Da nun aber eine Durch-
schneidung dieses Nerven eine Erweiterung des ganzen Blutgefäss
Systems in der gelähmten Extremität mit allen consecutiven Erschei-
nungen zur Folge hat, so hätte Kas so witz folgerichtig zu dem Schlüsse
kommen müssen, dass der Phosphor eben unmöglich dadurch wirken
könne, dass er die Gefässe, und seien es auch nur die wandungslosen
jüngsten Oefässsprossen, in Contraction versetzt. Statt dessen sucht
sich Eassowitz damit zu helfen, dass er meint, „in der gelähmten
Extremität eines Phosphorthieres finden gewissermaassen zwei einander
entgegengesetzte Einwirkungen statt, indem in Folge der Nervendurch-
schneidung sich das ganze Gefässsjstem der gelähmten Extremität er-
weitere, während der Phosphor eine Verengerung nur in den jüngsten
Gefösssprossen der primären Markräume hervorrufe**. Eine solche Er-
klärung, welche auch direct conträr sprechende Versuchsresaltate einer
vorgefassten Präsumption adoptirt, halte ich denn doch für sehr be-
denklich. Bezüglich der entgegengesetzten Wirkung grösserer Dosen
Phosphor, welche an den Appositionsstellen des Enochens eine erhöhte
Vabcnlarisation ganz ähnlich der bei der Rachitis beobachteten hervor-
ruft, äussert sich Eassowitz dahin, .dass diese grösseren Dosen einen
Zerfall detjenigen Gewebselemente, auf welche die im Blute circulirende
Substfgiz direct einwirken könne, also der feinsten Gewebabeatandtheile
der G^fässwände und der die jüngsten wandungslosen Qef&aaBcbläuche um-
gebenden protoplasmatischen Substanz hervorrufen. Er folgert dies aus
dem bei grösseren Phosphorgaben experimentell gefundenen gesteigerten
Eiweisszerfall.
Meines Erachtens würde die Erklärung der Phosphor-
Wirkung plausibler werden, wenn wir dieselbe in beiden
Fällen, bei kleineren und bei grösseren Do^en, auf den er-
höhten Eiweisszerfall zurückführen, welcher durch den Phosphor
hervorgerufen wird, Es ist nämlich durch die sorgfilltigen
Untersuchungen von Bauer in Voit's Laboratorium nach-
gewiesen worden: 1. dass bei Phosphordarreichung (die- Dosis
ist nicht angegeben) ein erhöhter Siweiaszerfall stattfindet,
welcher sich in einer Steigerung der ausgeschiedenen Harn-
stofifmenge kundgab, 2. aber, dass gleichzeitig weniger Sauer-
stoff angenommen und weniger CO^ producirt werde, und
zwar betrug die Ahnahme der Kohlenaaureausscheidung 47%^
die der SauerstofFaufnahme 45%. Bauer schliesst aus seinen
Untersuchungen, dass, „trotzdem bei Phosphorvergiftung me\iT
Fett als gewöhnlich wegen der grosseren Eiweisszersetzun^
entsteht, doch weniger aus dem Eiweiss entstandenes 1?%t\.
verbrannt werde wegen der geringern Sauerstoffaufnahme. Ü^^
Modus des Eiweisszerfalls sei hier der nämliche wie iiOTcm«i\
nur könnten gewisse Spaltungsprodncte, der geringern ^a\x^T
stoflfeufuhr halber, unverändert Y>leiben-, immer ge8chei\i^ ^- "
bei der Phosphorvergiftung mit dem im Körper sch^^r i^xj^-
54 Dr. Wachsmnth:
baren Fett/' Man konnte sich nun leicht vorstellen^ dass bei
den geringen Gaben von Phosphor nur circulirendes Eiweiss
in etwas höherem Masse als normal zerfalle, aber nicht bis
zu den normalen Endproducten des Zerfalls, sodass auch das
aus dem circulirenden Eiweiss entstandene Fett nicht bis zu
Kohlensäure verbrannt werde, also im Stoffwechsel weniger
Kohlensäure gebildet werde; da wir aber die Kohlensäure des
Stoffwechsels als das losende Princip fdr die Kalksalze kennen
lernten, so erklärt sich hieraus die vermehrte Präcipitation
der Kalksalze, die Entstehung compacter Substanz an Stelle
spongioser. Eine directe Einwirkung auf die Blutgefässe fände
dann nicht statt, sondern diese würden dann, wie normaler
Weise, eingehen, obliteriren. Bei grosseren Dosen von Phosphor
aber und bei länger fortgesetzter Darreichung mittlerer Gaben
würde nicht blos ein erhöhter Zerfall von circulirendem Eiweiss,
sondern auch von Organei weiss stattfinden, die verminderte
Bildung von COj durch Verbrennung würde hier nicht in
Betracht kommen wegen des zerstörenden Einflusses des Phos-
phors auf das Organeiweiss. Wird das organische fibrilläre
Gewebe in der Umgebung der Gefässe durch den Einfluss
des Phosphors zerstört, so können sich auch keine Kalksalze
ablagern, die Erweiterung der Blutgefässe würde auch hier
eine secundäre sein. Eine Stütze würde diese Anschauung
in einer Bemerkung Bauer's finden, worin er sagt, „dass
auch bei der Fettdegeneration der Organe durch Phosphor-
Vergiftung das Fett wohl anfangs wie normal aus dem Vor-
rath'des circulirenden Eiweiss hervorgehe, später aus dem
Organeiweiss wie beim Hunger und schliesslich bei inten-
siver Erkrankung auch aus dem geformten Eiweiss, wodurch
die Zelle zerstört wird und nicht mehr restituirt werden kann".
Eine weitere Bestätigung der angeführten Ansicht lässt sich
endlich auch in der Thatsache finden, welche Kassowits
selbst, anführt, dass auch bei hungernden Thieren, bei denen
also ebenfalls eine Zersetzung von Organeiweiss stattfindet,
eine Erweiterung der Blutgefässe im Knochensystem beob-
achtet wird.
Die soeben vorgetragene Vermuthung über die Theorie
der Phosphorwirkung will ich natürlich noch nicht als eine
sicher fundirte und absolut giltige bezeichnen; dazu fehlen
vor Allem noch weitere experimentelle Untersuchungen dar-
über, ob auch und in welchem Maasse die kleinsten, thera-
peutisch verwendeten Dosen von Phosphor eine Einwirkung
auf den Eiweisszerfall und die Kohlensäureausscheidung in
der angedeuteten Richtung bewirken; immerhin erscheint mir
diese Hypothese bis jetzt plausibler, als die meinem Verstand-
niss unerklärliche Contractionswirkung auf die Gefasswände
Zar Theorie der Rachitis. 55
redp. auf da8 die wandungslosen Gefasse umgebende Zell-
protoplaama.
Auf die Therapie der Rachitis will ich heute nicht ein-
gehen, nur mochte ich mir die eine Bemerkung gestatten,
dass wir in dem Phosphor zwar ein mächtiges und ausser-
ordentlich wiksames Mittel gegen die rachitische Erkrankung
besitzen, jedoch ein Mittel, welches, nach den bisherigen ex-
perimentellen Ergebnissen zu urtheilen, eine sehr differente
Wirkung auf den Stoffwechsel ausübt, und dass es deswegen
fUr die Zukunft yielleicht räthlich erscheinen mag, wenig-
stens für die leichteren und mittelschweren Fälle nach einem
Mittel zu suchen, welches nicht wie der Phosphor eine ver-
minderte COg-Bildung im Stoffwechsel, sondern eine erleich-
terte Entfernung der im Blute und in den Gewebssäften bei
der Bachitis überschüssig vorhandenen CO, durch die Ath-
mung zur Folge hat; wissen wir doch, dass die leichteren
Grade der Rachitis bei Versetzung in bessere hygienische Ver-
hältnisse, besonders in reiner guter Lufb, bei einem längeren
Landaufenthalt im Sommer etc. oft genug von selbst heilen.
Bezüglich der Prophylaxe werden wir bei Annahme der Eohlen-
säuretheorie, da wir in der CO, das eigentliche schädliche Agens
kennen gelernt haben, mit noch ganz anderem Nachdruck
und vielleicht auch mit noch besserem Erfolg als bisher die
schon jetzt anerkannte Forderung guter, reiner Luft durch-
zusetzen versuchen.
Efl erübrigt mir nur noch, zum Schlass anszaBprecheo, dass der Ge-
danke, die CO, fflr die AaflOsung und Entfernung der K^ksal-^e bei
Rachitis verantwortlich sn machen, dorchaoB nicht neu ist, dass z. B.
Senator dieser Theorie einige Wort im begünstigenden Sinne widmet,
dass femer namentlich auch Tillmanns dnrch seine erwähnten Ünter-
snchnngen auf die Eohlens&nre als Lösungsmittel der Kalksalze im
lebenden Knochen aufmerksam gemacht hat. Weiterhin führt Alexander
in einer Dissertation aus der Kieler Poliklinik Beobachtungen von
Edlefsen und Than an, wonach diese Autoren in den Wohnungen
rachitischer Kinder wiederholt einen enorm hohen Kohlens&oregehalt
in der Zimmerlnft nachgewiesen haben , Iftsst es jedoch dahin gestellt
sein, ob die dadurch bewirkte Kohlensäureanh&ufung im Blnt der Kinder
an sich eine AuflOsang der Kalksalze hervorrufe oder nur einen all-
gemeinen Krankheiteznstand erzeuge. Senator erw&hnt unter Anderem ,
daaa in entzündeten Geweben die Kohlens&orespaonang nach Ewald
beträchtlich zunimmt, und dass Friedleben in der That den Kohlen-
säoregehalt rachitischer Knochen mei^t etwas höher fand als normal.
Endlich Hesse sich hier noch anführen, dass Rindfleisch schon
Tor längerer Zeit bezüglich des Knochenschwnndes bei der Osteo-
malacie die Hypothese ausgesprochen hat, dass hier yielleicht durch
eine enorme Vermehrung der CO, die Auflösung der Knochensalze yer-
aalassi werde.
Mehr als aphoristische Andeutangen über die gedachte
Wirkung der CO, habe ich jedocb in der Literator bislajii»
60
Th.
Hase:
bis zu
einem Jahre
6M%
von
1-
-2 Jahren
ES
6M%
1»
2
-4
1»
«=.
41,8%
ti
4
-6
»»
OS
31,6%
über
6
11
es
11%.
Das Maximum der Mortalität föllt somit auf das Alter
von 1—2 Jahren, das Minimum auf das Alter über 6 Jahre
hinaus.
Tabelle B.
Aufganommen
0«iimd
entlatien
Oesiorben
Jahr
jflnger
all 1 J.
1— 1 J.
t—i3.
4^6 J.
ftltor
als6 J.
jflng.
alilJ.
1— «J.
2— 4J.
4~6 J.
ftlt«r
9lmBJ,
K.
M.
K.
M.
K.
M.
K.
M.
K.
M.
K.
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M.
K.
M.
K.
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K.
IL
K.
IL
18711
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1872,
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1
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11
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1873!
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1874
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1876
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1882
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17
16
12
16
10
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—
2
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6
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1883
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10
6
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1884
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1886
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—
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1
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1
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1886
2
1
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16
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1887
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6
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6
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42, 48
40
42
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77
134
3 2
10,11
19
17
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1891
6
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7
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39| 27
30
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10
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4; 4
12
13
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1892
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13
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66
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11
4
14
20
16
: 3
1|3
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48 37
162|144
304 861
266
"öl
321
205|616
608
;i076|28jl8|97;76
126 160|86
100|3ä 69
86
2
96
6(
S6
8!
20
583
4
16
1
73
2
76
11
85
91
Procent der Sterblichkeit nach dem Alter 64,1 68,4 41,3 81,5 11,0
Die Complicationen des Scharlachs wurden für das letzte
Decennium berechnet^). (8. Tabelle C, Seite 61).
Bei Angina necrotica (807 Falle, 46,9%) wurden in 28
Fällen Larynxaffectionen mit Stenosenerscheinungen beobachtet^
in 8 Fällen Paralyse des weichen Gaumens. Die Nephritis be-
theiligte sich mit 14,7% (253 Fälle), von denen zu schweren
1) Gesammtcahl der Erkrankangen : 1720.
Ein Beitrag zar Statistik der Erkraabnog an Scharlach etc. 61
urämisclieu Erscheinungen 33 Fälle (13%) fahrten. Von den
33 UrämiBcheD genasen 15, starben 18, und swar: von 8 Fällen
im Alter unter 4 Jahren starben 6; im Alter von 4 — ti Jahren
genasen 3 und starben 3; im Alter über 6 Jahre genasen 10,
starben 9.
Tabelle C.
Angina necrotica
Dipbtheritis nasi
Lymphadenilie .
Otdtis media . .
Nephritis . . .
Uraemia . . .
Poeumonia oronpoH
„ catarrhalii
Pleuritia exsudativa .
Erkrankniig dei Heneaa
Arthritis scarlatinoBa
„ purnleota
Septicaemia . . ,
Not
86 S
861C
61 <
Paraljrtia palati mollis
Bei einer Anzahl von Scbarlachkranken trat das Exan-
them bald nach Ablauf oder sogar noch während des Be-
stehens einer anderen Infectionakrankheit anf, insbesondere
waren es Masemkranke, die während des Spitalaufenthaltes
mit Scharlach inficirt worden waren. ^) Folgende Tabelle giebt
die Morbidität und Mortalität dieser eben angeführten com-
plicirten Erkrankungen an:
Kenchhusteo
Typh-
TfphoB abdominalii
Intennittens . . .
TjrphaB petechialis
Variola vera . .
HorbiUi ....
Wir sehen aus dieser Tabelle, dasa die vorangegangene
Infection keinen besonderen Einäuss auf den Verlauf des
Scharlachs gehabt hat. Von Interesse ist das Verhältniss
1) Die Abtheilnng für Scharlach befindet sich gans getrennt von
der Maaem-AbtheiliiDg, in einem beHonderen Steinbaii, eodasa Infectionen
uar sehr selten Eur Beobachtang gelangen kOonen.
62 Th. Hase:
zwischen den Masern und dem Scharlach: in denjenigen Fällen^
wo die Masern dem Scharlach vorangegangen waren, ergab
sich eine Mortalität yon 35,1%, dagegen war die Mortalität
in den Fällen, wo Masern nach dem Scharlach auftraten, viel
grösser (43,8%), der Verlauf der Erkrankung ein viel schwe-
rerer (von 110 Fällen starben 48). Katarrhalische Pneumonie
wurde in den Fällen der ersten Kategorie nur dreimal beob>
achtet, dagegen in den Fällen der zweiten Kategorie neun-
undzwanzigmal.
In 10 Fällen waren Masern und Scharlach zu einer Zeit
ausgebrochen; von diesen starben 8 und genasen 2. Die Fälle
verliefen recht schwer mit starkem Fieber und vielen erusten
Complicationen.
Wenden wir uns nun zu dem interessanten Capitel der
Recidive. Bekanntlich theilt Thomas dieselben in 3 Kate-
gorien ein: 1. Pseudorecidive , 2. Recidive und 3. erneuerte
Scharlachinfection. Als Pseudorecidive bezeichnet er diejenigen
Fälle, wo, bei anhaltendem Fieber und Vorhandensein anderer
Scharlachsymptome, in der zweiten oder dritten Woche der
Erkrankung das bereits verschwundene Exanthem wieder auf-
tritt; das Exanthem nimmt einen grossen Theil der Korper-
oberfläche ein, hat alle Merkmale des Scharlachausschlages
und darf nicht mit einem einfachen Erythem verwechselt
werden. Die wahren Recidive treten analog den Typhus-
recidiven in dem Reconvalescenzstadium ein: die primären
Krankheitssymptome sind bereits verschwunden, es ist bereits
Abschuppung eingetreten oder sogar vollendet, plötzlich setzen
wieder alle Scharlachsymptome ein, Fieber, Ex- und Enanthem,
und zwar häu6g in viel stärkerem Grade als beim primären
Scharlach. Die zweite Infection tritt ganz selbständig auf
ohne jede Beziehung zum primären Scharlach, gewöhnlich
lässt sich auch eine erneuerte Ansteckung nachweisen. Zwischen
der ersten und der zweiten Infection können Monate und Jahre
verstreichen.
Pseudorecidive.
In der Literatur sind nur wenige Fälle von Psendoreci-
diven zu finden, wahrscheinlich, wie Körner behauptet, aus
dem Grunde, weil man sie häufig nicht beachtet, das Exan-
them nur kurze Zeit besteht und weil sie fCbr gewöhnlich
keine besonderen Störungen im Organismus hervorrufen. Ein-
gehende Beschreibung solcher Fälle nebst Literaturangaben
finden wir bei Körner^). Dieser Autor hat 6 Fälle zu-
sammengestellt. In einem Falle beschreibt Thompson 2P8eudo-
1) Ueber Scharlachrecidive. Jahrbuch f. Kinderheilkande 1876.
Ein Beitrag zur Statistik der Erkrankung an Scharlach etc. 63
m
recidive, eins am 21. und eins am 37. Erankheitstag. Thomas
beschreibt 5 Fälle, bei denen das secundare Exanthem am
17., 13., 13., 14 und 6. Tag der Erkrankung auftrat. 2 Fälle
endeten letal. Der secundare Ausschlag hielt 2—3 Tage an.
Die ersten 3 Fälle kamen in einer Familie zur Beobachtung.
Im Elisabeth'Kinderhospital wurden von mir während der
Jahre 1885 — 1893 6 Fälle von Pseudorecidiven beobachtet
(unter 1664 Scharlacherkrankungen). Nach den Jahren ver-
theilen sich die Fälle folgendermaassen: 1885 von 78 Kranken
kein Fall; 1886 von 162 Fällen 1 Pseudorecidiv ; 1887 von
126 Fällen 1 Pseudorecidiv; 1888 von 175 Fällen kein Pseudo-
recidiv; 1889. von 245 Fällen 2 Pseudorecidive; 1890 von
322 Fällen 1 Pseudorecidiv; 1891 von 224 Fällen kein Fall;
1892 von 141 Fällen 1 Pseudorecidiv; 1893 von 191 Fällen
kein Pseudorecidiv.
Die & Fälle waren folgende:
1. 9j&brige8 Kind, leichte Form des Scharlachs, Exanthem massig,
besteht 8 Tage; nach dem Abblassen Sinken der Temperatur, Ver-
schwinden des Exanthems. Am 6. Krankheitstag Temperatur 38,5 , er-
neuerter Ausbruch des Scharlachexanthems und Enanthems, dieselben
bestehen 7 Tage lang. Später Nephritis. Ausgang in Heilung.
2. Kind von 1^ Jahren, wird ins Hospital mit einer Temperatur
von 38,6 hineingebracht. Exanthem und Enanthem massig ausgesprochen,
verschwinden nach 6 Tagen. Die Temperatur bleibt erhöht (38^6). Am
7. Tag tritt wieder ein Ausschlag auf, ROthung und Schwellung des
weichen Gaumens. Das secundare Exanthem besteht 2 Tage. Com-
plication: Lymphadenitis, Enteritis acuta. Tod.
3. 8 jähriges Kind. Bei der Aufnahme massiges Exanthem, Röthung
und Schwellung des weichen Gaumens, Angina necrotica. Temperatur
39, t. Nach 6 Tagen schwindet der Ausschlag. Die Temperatur 39 bis
40.Am 10. Krankheitstag Temperatur 39,6, Auftreten eines zweiten
Scharlachexanthems, am 11. Tag Masernausschlag, Anhalten der Necrosen.
Genesung.
4. 3% jähriges Kind. Schwerer Scharlach sog. Scarlatina variegata,
Temperatur 40. Lymphdrüsenschwellung. Der Ausschlag verblasst nach
2 Tagen, die Temperatur bleibt bis zum 20. Tag hoch, an diesem Tag
40^ und Ausbruch eines zweiten Exanthems, das 8 Tage lang anhält.
Exitus letalis.
6. 3^4 jähriges Kind. Temperatur 38,6. Exanthem massig ausgeprägt,
starke RöÜiung und Schwellung des weichen Gaumens. Nach 8 Tagen
verblasst der Ausschlag, doch bleibt das Fieber bestehen. Abschuppung.
Am 12. Tag Temperatur 40,2; zweites Exanthem, besteht 2 Tage, nach
demselben tritt Otitis mit Caries ossis temporum auf. Ausgang un-
bekannt.
6. ejähriges Kind. Massig ausgeprilgtes Exanthem, verblasst am
6. Tag, Temperatur sinkt zur Norm. Am 8. Tag secundärer Ausschlag,
dabei kein Enanthem. Dauer des zweiten Exanthems 5 Tage. Aus-
gang in Genesung.
64 Tb. Hase
Recidive.
Körner hat ein ziemlich grosses Material zusammen-
gestellt; dasselbe umfasst Beobachtungen von 29 Autoren.
Es würde uns zu weit führen, wollten wir hier alle berück-
sichtigen. Im Allgemeinen kann man aussagen , dass in den
meisten Fällen der primäre Scharlach ein ziemlich milder war,
die Becidive traten gewöhnlich Ende der zweiten, dritten, ja
sogar der vierten Woche ein, der zweite Ausschlag be-
stand 2 — 4 Tage, die meisten Fälle endeten mit Genesung;
meist wurden die Recidiye bei älteren Kindern beobachtet,
nur ein Fall (Schingleton) bei einem Kinde von 1 Jahr
und 9 Monaten. Thomas macht besonders aufmerksam, dass
die Recidiye häufig an Mitgliedern einer Familie beobachtet
werden; auch Hütten brenn er ^) hat diese Beobachtung machen
können, so z. B. erkrankten zwei BrQder an Scharlach, und
bei beiden trat ein Recidiy ein. Dieser Autor betont mit
Rechl^ dass man bei der Diagnose eines Scharlachausschlages
sehr vorsichtig sein müsse, namentlich könnte der nach einer
Verbrennung oder einer chirurgischen Operation zuweilen auf-
tretende Ausschlag mit einem scarlatinösen Exanthem ver-
wechselt werden. Meine Erfahrungen stimmen hiermit völlig
überein; es ist häufig sehr schwer, das Exanthem, das zwei
oder drei Tage nach einer stattgehabten Verbrennung auf-
tritt, vom Scharlach zu unterscheiden. Manuing erwähnt,
dass die bei schweren Scharlach- und Diphtherie-Erkrankungen
auftretenden sog. septischen Ausschläge zuweilen Anlass zur
Verwechselung mit Scharlachrecidiven geben können. Hier-
mit kann ich mich nicht einverstanden erklären. Die sep-
tischen Ausschläge, die auf der Scharlachabtheilung gar nicht
selten zur Beobachtung gelangen, sind eher dem Masern-
exanthem ähnlich, sie haben eine bestimmte Localisation, werden
nur bei schweren Scharlachcomplicationen beobachtet (bei
ausgiebigen Zerstörungen im Rachen, besonders auch bei Mit-
betheiligung der Nasenhöhle, bei Caries des Processus mastoi-
deus, bei eitrigen Gelenkafiectionen u. s. w.) und geben eine
schlechte Prognose.
Im Elisabeth-Kinderhospital wurden von mir während der
Jahre 1885—1893 15 Fälle von Recidiven beobachtet:
1885 .
78 Erkrankungen,
2 Becidive
1886 .
. 162
1 Recidiv
1887 .
126
3 Reeidive
1888 .
176
2
1889 . .
246
2
1) Ueber zweimaliges Auftreten von acnten Exanthemen, insbeson-
dere von Scharlach. Jahrbuch f. Kinderheilkunde 1876.
Ein Beitrag zur Statistik der Erkrankung an Scharlach etc. 65
1890 . . 322 Erkrankungen, 1 Becidiv
1891 . . 224 „ 1 „
1892 . . 141 „ 1 „
1898 . . 191 „ 2 BecidiYC.
1. 9 jähriges Eind, kommt mit schwerer Scharlachform ins. Hospital.
Temperatur 39,8, das Exanthem dunkel yiolett, BOthnug und Schwel-
lung des weichen Gaumens. Complication mit croupGser Pneumonie
nnd Lymphdrüsenabscess. Einige Tage vor dem zweiten Exanthem kehrte
die Temperatur zur Norm zurück und begann die Abschuppnng. Am
37. Krankheitstag: Temperatur 39,0, Ausbruch eines zweiten Scharlach-
auBschlages, im Rachen tritt nicht nur Röthung und Schwellung auf,
sondern es kommt zu Nekrosen. Das Exanthem besteht 8 Tage. Aus-
gang in Genesung.
2. 3j&hriges Kind, wird ins^Hospital in der fQnften Krankheitswoche
mit bestehender starker Abschuppung und katarrhalischer Pneumonie
aufgenommen. Temperatur 40. In der sechsten Woche steigt die Tem-
peratur auf 40,3 und es bricht ein Exanthem aus, das 2 Tage besteht,
daneben Angina necrotica scarlatinosa. Exitus letalis.
3. 1 Jahr und 2 Monate altes Kind, aufgenommen im Stadium der
AbschuppuDg, ll^ Wochen nach dem ßegian der Krankheit T während
dieser Zeit wurde das Kind priratim von mir behandelt). Am Tage
der Hospitalaufnahme: erhöhte Temperatur, Bronchitis, Lymphadenitis
und Angina necrotica. Dauer des ersten Ausschlages 6 Tage. Am
17. Krankheitstag Temperatur 38,7, erneuter Ausbruch des Scharlachs,
das Exanthem besteht 2 Tage. Complicationen nach dem zweiten Aus-
schlage: Otitis, Pneumonia catarrhalis. Exitus letalis.
4. 4*^ jähriges Kind. Bei der Aufnahme: stark ausgeprägter Scharlach-
ausschlag, Temperatur 39,6, Röthung und Schwellung des weichen
Gaumens, Nekrosen. Dauer des Exanthems 5 Tage. Am 21. Krankheits-
tag steigt die Temperatur auf 39,0, es tritt wieder ein Scharlach -
exanthem auf, ebenso erscheinen die bereits gewichenen Affectionen
des Rachens. Der secundäre Ausschlag besteht 6 Tage. Complication:
Nephritis; Ausgang in Genesung.
6. 7 jähriges Kind. Bei der Aufnahme: Massig ausgeprägtes Exan-
them, Temperatur 39,0®. Angina scarlatinosa. Nach 3 Tagen schwindet
der Ausschlag, die Temperatur kehrt a'llraählich zur Norm zurück. Am
17. Krankheitstage zweites Exanthem, Temperatur 39,0, wieder Röthung
und Schwellung des Rachens. Dauer des Exanthems 2 Tage. Nach
dem ersten Ausschlage Complicationen: Lymphadenitis, nach dem zweiten
Nephritis. Ausgang in Genesung.
6. 5 jähriges Kind, Scharlach von mittlerer Schwere. Temperatur
39,0. Dauer des Ausschlags 6 Tage. Später fällt die Temperatur zur
Norm, es tritt Abschuppung ein. Am 19. Krankheitstag Auftreten emes
zweiten Exanthems, Angina scarlatinosa. Temperatur 40,0 <>. Nach dem
zweiten Ausschlage Nephritis. Ausgang in Genesung.
7. öjähriges Kind. Temperatur 39,4. Stark ausgeprägtes scarla-
tinöses Exanthem und Angina scarlatinosa. Dauer des Aussschagea
7 Tage. Temperatur fällt zur Norm, Abschuppung.* Am 34. KrankheiU-
tag zweiter Schariachausschlag, Temperatur 39,2, Angina scarlatinosa.
Am 26. Tag Nephritis. Nach dem zweiten Ausschlag croupöse Pneu-
monie und Lymphadenitis. Exitus leialis.
Jahrbuch t Kinderheilkuade. N. ¥. XXXIX. ö
66 Th. Haae:
8. 2 ^jähriges Kind, cachektisch, wird ins Hospital in der dritten
Krankheitswoche aufgenommen. Abschnppang. An der üvala Rand-
oekrosen, Ausfluss ans der Nase. Schwellung der Halsljmphdrfisen.
Temperatur 38,5. 3 Tage nach der Aufnahme tritt im Rachen wieder
eine Scharlachröthe auf und bricht ein Scharlachezanthem aus. Am
4. Tag Exitus letalis.
9. 6 jähriges Kind. Temperatur 39,1. Scharlachezanthem und -enan«
them, Nekrosen auf den Tonsillen. Dauer des primären Ausschlags
9 Tage. Am 29. Krankheitstag steigt die bereits zur Norm gefallene
Temperatur wieder auf 38^6, dabei tretep ein Scharlachausschlag und
Varicellen auf, Angina scarlatinosa. Dauer des zweiten Scharlachezan-
them s 2 Tage. Genesung.
10. 8 jähriges Kind. Wird mit Keuchhusten und schwerer Form des
Scharlachs aufgenommen. Temperatur 40,1. Exanthem stark aus-
geprägt, besteht 8 Tage. Temperatur fällt allmählich zur Norm. Am
23. Krankheitstag, 1 Tag vor dem Auftreten einer Nephritis, abermaliger
Ausbruch des Exanthems, Angina scarlatinosa, Temperatur 39,0. Com-
plication : Nephritis, Otitis, Eclampsia. Genesung.
11. 6 jähriges Kind. Leichte Form des Scharlachs, massiges Exan-
them und Enanthem, Temperatur 39,7. Dauer des Ausschlags 6 Tage.
Am 23. Krankheitstag Temperatur 40,6 (Tag vorher 36,8), Ausbruch des
zweiten Exanthems, das 3 Tage besteht. Ausgang in Genesung.
12. 6jähriges Kind. Leichte Scharlachform, Temperatur 38,0. Tem-
peratur fällt nach 5 Tagen zur Norm, das ExanÜiem blasst nach 2 Tagen
ab. Abschuppung. Am 22. Krankheitstag auf der linken Mandel ein
grauer Belag, am 23. Tage Scharlachausschlag. Das Exanthem besteht
2 Tage, der Belag 3 Tage. Am 28. Tage Nephritis. Genesung.
13. 1 Jahr altes Kind. Mittelschwerer Scharlach. Angina scarla-
tinosa und massiges Exanthen. Temperatur 39,3. Nach 3 Tagen Ab-
blassen des Ausschlages, Temperatur fällt allmählich zur Norm. Am
14. Krankheitstag Auftreten eines zweiten Scharlachexanthems. Angina
scarlatinosa. Temperatur 40,6. Ex- und Enanthem bestehen 6 Tage.
Genesung.
14. Tjähriger Knabe, wird mit leichtem Scharlach ins Hospital auf-
genommen. Der Ausschlag besteht 3 Tage. Am 4. Tage Temperatur
37,6. Am 14. Krankheitstage Temperatur 39. Ausbruch eines zweiten
Scharlachexanthems mit RCthung und Schwellung des Rachens. Be-
steben des Exanthems 4 Tage, des Enanthems 3 Tage.. Ausgang in Ge-
nesung.
Die jetzt folgenden 2 Fälle bieten ein besonderes Inter-
esse in der Hinsicht, als zwischen dem primären Scharlach
und dem Recidiv ein anderer infectioser Ausschlag auftrat;
im 1. Falle Varicellen, im 2. Falle, den ich ambulatorisch
behandelt habe, Masern.
16. 2 jähriges Kind, aufgenommen 2 Wochen nach dem Abblassen
des Exanthems. Bei der Aufnahme: Otitis, Nephritis, Abschnppung
und Windpocken. Am 25. Ta^ des Hospitalanfenthalts, also in der
5. Krankbeitswoche, Temperatur 39,2. Ausbruch eines Scharlachexan-
thems. Am 26. Tag abermaliges Auftreten von Windpocken, beide
Ein Beitrag zur Staüstik der Erkrankung an Scharlacb etc. 67
Ausschläge bestehen zu einer Zeit, daneben Röthung und Schwellung
des Rachens. Ein Tag vor dem Ausbruch des Scharlachrecidivs war
die Temperatur 37,6. Ausgang in Genesung.
16. Am 26. März 1890 wurden zu mir ins Ambulatorium des Elisabeth-
Einderhospitals 3 Kinder einer Familie gebracht, das ältere (Knabe)
7 Jahre alt, das zweite (Knabe) 3 Jahre und ein Mädchen 1 Jahr alt.
Beim ältesten coustatirte ich starke Abschuppung, Angina scarlatinotta
mit schmutzig-grauen Belägen, fluctuirende Schwellung der ünterkiefer-
drüsen. Nach den Angaben der Mutter erkrankte der Knabe an Schar-
lach am 18. März. Bei den anderen beiden Kindern bestanden: Fieber,
Mattigkeit und starke Röthung des Rachens. Exanthem war nicht zu
constatiren. Der älteste Knabe wurde ins Hospital aufgenommen, die
beiden anderen nahm die Mutter nach Hause, dabei wurde ihr anem-
pfohlen, die 6jährige Tochter, die völlig gesund geblieben war, zu iso-
liren. Am 27. März coustatirte ich bei den beiden Kindern, die wieder
ins Ambulatorium gebracht worden waren, ein stark ausgeprägtes
Scharlachezanthem , daneben Röthung und Schwellung des Rachens.
Bis zum 6. April sah ich sie nicht, die Mutter gab aber an, dass der
Scharlach einen sehr milden Verlauf genommen hatte. An dem ge-
nannten Tag wurde ich ins Haus gerufen: sowohl der 3 jährige Knabe
als auch das 1jährige Mädchen zeigten am ganzen Körper einen Masern-
ausschlag, daneben war bei dem Jungen eine katarrhalische Pneumonie,
bei dem Mädchen eine capilläre Bronchitis zu constatiren. Die Masern
nahmen ebenfalls einen milden Verlauf und nach 2 Wochen erholten
sich beide Kinder. Am 27. April wird der älteste Knabe aus dem
Hospital entlassen und auch die bis dahin isolirt gewesene Tochter zu
den anderen Kindern gebracht. Am 2. Mai sah ich das 3 jährige und
das 1jährige Kind wieder im Ambulatorium und coustatirte: starke
Mattigkeit, Schwäche, häufiges Erbrechen, Scharlachezanthem und
Schwellung und Röthung des weichen Gaumens; daneben erkrankte
auch die früher isolirt gewesene Tochter. Am 6. V. bei dem 3jährigen
Knaben: Starke Schwellung der Halsljmphdrfisen und derbe Infiltration
des Halszellgewebes, schmutziggraue Beläge auf den Mandeln, starke
Secretion aus der Nase; soporöser Zustand, Tod am 7. V. Bei dem
jüngsten Kinde, verlief das Recidiv milder, das Exanthem bestand 6 Tage,
der Allgemeinzustand war ein guter. Bei dem älteren Mädchen war
jedoch der Scharlach viel schwerer, es kam zu Nekrosen im Rachen,
zu Infiltration des Halszellgewebes mit Ausgang in Eiterung; jedoch
genas schliesslich das Kind. Es sei hier noch bemerkt, dass die Woh-
nung 2 Wochen nach dem primären Scharlach auf das Reinlichste des-
inficirt und remontirt worden war.
Wenn ich nun jetzt meine Beobachtungen über die ver-
schiedenen Recidiyformen zusammenfassen soll, so ergiebt sich
Folgendes:
1. Das Alter spielt bei der Häufigkeit der Recidive keine
Rolle: es wurden Fälle bei Kindern von 1—9 Jahren beob-
achtet.
2. Der primäre Scharlach war in den meisten Fällen ein
leichter oder mittel schwerer, nur in 3 Fällen schwer.
3. Das Eintreten der Recidive brachte gewöhnlich ausser
der Temperatursteigerung keine besondere Complicationen mit
68 Th Hase:
sich. Ausnahme machten nur 3 Falle: a) bei einem Kinde
von 1 Jahr und 2 Monaten trat katarrhalische Pneumonie
hinzu, b) bei einem Kinde von l^ Jahren eine acute Ente-
ritis und endlich c) bei einem dreijährigen Kinde ; das vor-
her Masern durchgemacht hatte ^ bedingte das Recidiv den
letalen Ausgang.
4. Der primäre Ausschlag war in 12 Fällen massig aus-
geprägt, in 5 Fällen intensiv, in 1 Falle vom Charakter der
sog. Scarlatina variegata. Das secundäre Exanthem war immer
weniger intensiv als das primäre, hielt 2 — 8 Tage lang an
(häufiger 2 Tage) und währte gewohnlich kürzere Zeit als das
primäre.
5. Das Exanthem, das gewohnlich bereits völlig ver-
schwunden war, kehrte wieder und zeigte dasselbe Bild wie
beim primären Scharlach.
6. Die Temperatursteigerung war bei Auftreten der Reci-
dive zuweilen hoher, zuweilen aber auch niedriger als beim
primären Scharlach.
7. Nierenerkrankungen sind in den betreffenden Fällen
häufig verzeichnet worden (8 mal).
8. Die Zeit des Auftretens der Recidive: Die Pseudo-
recidive setzen gewöhnlich zu Ende der ersten oder Mitte der
zweiten Woche der Erkrankung ein, die Recidive dagegen
viel später — in der dritten bis sechsten Woche.
9. Erbrechen wurde beim Ausbrechen der Recidive nicht
constatirt.^)
Als Anhang zu dieser Arbeit erlaube ich mir.noch Einiges
über Masernrecidive hier mitzutheilen. Bekanntlich werden
dieselben nur selten beobachtet: in den Krankenjournalen des
Elisabeth-Kinderspitals von 1885—1892 fand ich nur 2 Fälle.
Auch in «der Literatur ist darüber nicht Vieles bekannt. Hebra
und Kaposi bezweifeln sogar, ob überhaupt Masernrecidive
vorkommen, und sind eher geneigt, die von Peter Frank
and Will an beschriebenen Fälle als Urticaria oder Roseola
zu deuten. Eine genaue Zusammenstellung der Masernrecidive
finden wir bei Thomas im Ziemsse naschen Handbuch. Die
Zeit zwischen dem ersten und zweiten Exanthem wird ver-
schieden angegeben, so in den Fällen von Düben und Malm-
stein 1 oder 2 Tage, in den Fällen von Spiess 1 — 2 Monate,
Schilling und Wendt geben 6 Wochen an, Steiner und
Wunderlich 8 Wochen. Lippe fand eine Zwischenzeit von
3 — 4 Wochen und constatirte, dass, je leichter die primären
1) Zahl der Erkrankungen: 470.
Ein Beitrag zar Statistik der Erkrankung an Scharlach etc. 69
Masern verliefen^ um so intensiver die secundären waren.
Sei dl beschreibt 3 Fälle, in welchen zwischen der ersten
Erkrankung und dem Recidiv 4 — 6 Wochen vergangen waren,
die primären Masern waren leichte, dagegen verliefen alle
3 Fälle der Recidive sehr schwer, 2 Fälle endeten sogar
letal. Trojan owski hat ebenfalls Masernrecidive beobachtet,
er bezeichnet dieselben mit dem Namen „Recurrensform^^ Die
Recidive setzten mit rasch steigender Temperatur ein, die-
selbe erreichte das Maximum am 3. Tage, zu gleicher Zeit
trat das Masernexanthem auf, die Milz war stark geschwellt.
Die Attaque dauerte 6 — 8 Tage. In der afebrilen Zeit schwoll
die Milz wieder ab. Die Zeit zwischen den einzelnen Anfällen
betrug 8 Tage.
Folgende 2 Fälle wurden von mir im Hospital beobachtet:
1. 5 jähriges Mädchen, wird mit deutlichen Zeichen der Masern
anfgenommen. Exanthem und Enanthem stark ausgeprägt. Temperatur
40,3. Bronchitis. Der Ausschlag und die erhöhte Temperatur dauern
5 Taj;e. Am 9. Erankheitstage beiderseitige Otitis, am 13. Erankheits-
tage Temperatur Morgens 39, Abends 40. Diphtheri tischer Belag auf
der linken Mandel und Schwellung der Unterkieferdrüsen, am 15. Tage
auf beiden Mandeln diphtheritische Beläge, dieselben schwinden nach
12 Tagen. Am 20. Erankheitstage tritt auf dem harten und weichen
Gaumen wieder das charakteristische Masernexanthem auf. Die Tem-
peratur steigt auf 39,6 und am ganzen EOrper ist wieder ein Masern-
ausschlag bemerkbar. Derselbe besteht 3 Tage. Ausgang in Genesung.
2. 3 jähriger Enabe, wird am 21. October 1889 in der Scharlach-
abtheilung aufgenommen. Temperatur 39,1. Böthang und Schwellung
des Bachens, Scharlachexanthem am ganzen Körper. Am 23. Rand-
nekrosen am weichen Gaumen und der Uvula. Bronchitis. Am 26.
schwindet der Ausschlag und frühzeitig tritt starke Abschuppung ein.
Am 29. fällt die Temperatur zur Norm. Am 4. November steigt die
Temperatur wieder auf 40,6, starker Ausfluss aas der Nase, Ausbruch
eines prägnanten Masernausschlages, der am 8. wieder schwindet. 10. No-
vember Pneumonia catarrhalis dextra, Lymphadenitis cervicalis. Tem-
peratur 39,2. Am 16. Nov. löst sich die Lungenentzündung, der AU-
gemeinzustand wird ein hesserer. Am 23. Nov. treten Varicellen auf.
Die Temperatur hält sich zwischen 37,0 und 38,5. Es wird ein Abscess
am Halse eröflfoet. Am 4. December steigt die Temperatur auf 89,6, es
tritt wieder Coryza, Conjunctivitis ein, allmühlicli kommt em erneuter
Masemausschlag zum Ausbruch und die katairbalische Pneumonie setzt
wieder ein. Am 6. December nimmt das Exanthem einen cyanotisoben
Timbre an, in beiden Lungen katarrhalische Pneumonie. Am 6. Dec.
Exitus letalis.
V.
Ueber Gewicht und Wachs der Kinder der Armen
in Warschan.
Mitgetheilt von
Dr. WiKTORYN EoSMOWSKIy
Kindersrat in Wurtohao.
Im Bareau der Sommerferien-Colonien bat sich im Ver-
laufe einiger Jahre ein ziemlich bedeutendes Material an-
gehäuft, bestehend aus Gewichts- und Körperlängenmessungen,
welche an den Kindern der ärmsten Warschauer Beyolkerungs-
classen vorgenommen wurden. Dieses Material, Teryollstän-
digt mit meinen aus eigener Praxis entnommenen Daten, er-
gab die Zahl von einigen tausend Kindern verschiedenen
Alters. Diese Zahl genügt, im Vergleich mit den im Aus«
lande zu solchen Untersuchungen gebräuchlichen Zahlen, um
dieselbe in gewisse Gruppen einzutheilen und entsprechende
Zahlentabellen aufzustellen. Aus diesen Zahlentabellen können
wir schon gewisse Beobachtungen und Schlüsse über die
Körperentwickelung der Kinder der arbeitenden Classen in
Warschau ziehen.
Im Ganzen wurden 3438 Kinder untersucht, d. h. 1540
Knaben und 1898 Mädchen. Das Alter dieser Kinder reicht
vom 8. bis zum 15. Lebensjahre, umfasst also die Periode der
zweiten Kindheit (pueritia, seconde enfance). Die Jahre jedes
Kindes wurden auf Grund des Taufscheines aufgestellt. Beim
Zusammenstellen der Altersgruppen folgte ich dem Beispiel
Axel Key's, d.h. jedes Lebensjahr plus einige Monate wurde
zum folgenden Jahre hinzugezählt; z. B. wenn ein Kind
8 Jahre und 7 Monate alt war, wurde es der Gruppe des
neunten Jahres zugeschrieben.
Das ganze untersuchte Material war möglichst gleich-
förmig, dessen nicht alle derartigen Untersuchungen sich
rühmen können. Alle Kinder stammen aus der armen und
ärmsten Bevölkerungsciasse Warschaus, d. h. hauptsächlich
W. EosmowBki: lieber Gewicht und Wuchs der Kinder etc. 71
Yon den Bewohnern der Souterrains und der Dachwohnungen,
was ebenfalls wiederholt von dem Bureau der Sommerferien-
Golonien verificirt worden ist. Der grösste Theil dieser Mes-
sungen wurde in derselben Jahreszeit^ nämlich in den Monaten
April und Mai, und gewöhnlich um ein und dieselbe Tages-
zeit, d. h. Abends vorgenommen, was den von Mailing-
Hansen aufgestellten und auf den sogenannten Wachsthums-
perioden begründeten Anforderungen entspricht. Der Gesund-
heitszustand der Kinder, welche dem Bureau der Sommer-
ferien-Colonien als Candidaten vorgestellt wurden, war relativ
gut. £ventuelle Fehler in den Messungen sind von keiner
Bedeutung in Betracht dessen, dass jede Durchschnittszahl
aus einer Zahl von über ein paar Hundert Individuen er-
halten wurde. Der individuelle Unterschied verschwindet schon
bei dieser Anzahl von Untersuchungen. Die Messungen wurden
von competenten Personen, hauptsächlich von den Doctoren
des Bureaus der Sommerferien -Colonien, vorgenommen. Es
muss jedoch noch hinzugefügt werden^ dass zu den vorliegen-
den Untersuchungen nur die Zahlen benutzt worden sind,
welche vor dem Aufenthalt der Kinder auf dem Lande fest-
gestellt wurden, weswegen uns auch dieselben die Verhält-
nisse, in welchen sich diese Kinder gewöhnlich befinden, an-
zeigen.
Den absoluten Wuchs und das absolute Gewicht der
Knaben und Mädchen gebe ich in folgender Zablentabelle,
gleichzeitig mit den jährlichen Gewichts- und Längenzunahmen
des Körpers an.
Tabelle L
Warschau. Knaben und Mädchen der armen BevOlkerongsclasBe. Mitt-
lere EOrperlänge und mittleres Gewicht nebst jährlichen Längen- und
Qewichtszunahmen in cm und kg.
Alter
Alten-
jahr
Lebern-
jähr
Körperlftnge
in om
M.
Gewicht
In kg
7—8
8-9
9—10
10-11
11-12
12—13
13—14
14—15
8
9
10
11
12
13
14
15
116,4
117,8
121.6
126,7
130.9
135,8
138,5
150,0
110,8
116,6
120,2
125,2
130,2
135,1
138,4
144,0
JTtthrllohe Zunahme
Iiftnge I Gewicht
Anzahl der
lUntereuohten
Aus der Tabelle I ersehen wir, dass der mittlere W\ieVxE
der Knaben grösser ist als der mittlere Wucts der Madcli^xi,
72 W. Eosmowski:
Das mittlere Gewicht der Knaben der Armen in Warschau
ist bis zum 13. Lebensjahre grosser als das mittlere Gewicht
der Mädchen, und erst zwischen dem 13. und 14. Jahre über-
steigt das Gewicht der Mädchen dasjenige der Knaben. Diese
Thatsache wiederholt sich auch in anderen Ländern, jedoch
mit dem Unterschiede, dass gewöhnlich das Uebergewicht an
Körperlänge und Gewicht des weiblichen Geschlechts Aber
das männliche früher, z. B. im 11. oder 12. Lebensjahre, zum
Vorschein kommt. Die maximalen Gewichts- und Körper-
längenzunahmen, welche den Anfang der Pubertätsperiode be-
zeichnen, beginnen bei den Knaben der Armen in Warschau
erst mit dem 14. Lebensjahre, wo die jährlichen Gewichts-
zunahmen von 1 — 2 kg auf 4,6 steigen und die Längen -
zunahmen auf 11,5 cm. Bei den Mädchen beginnen die grösse-
ren Zunahmen schon im 12. Lebensjahre. Im Allgemeinen
jedoch unterliegt auch in Warschau die Pubertätsperiode der
Kinder der armen Bevölkerungsciasse unregelmässigen Schwan-
kungen in den jährlichen Gewichts- und Längenzunahmen des
Körpers.
Für uns ist es interessant, das absolute Gewicht und die
absolute Körperlänge der Kinder der Armen in Warschau mit
den an den Kindern der Armen in den Städten des Aus-
landes vorgenommenen Messungen zu vergleichen. Specielle
derartige Untersuchungen sind in Stockholm, Boston, Turin
und London vorgenommen worden. Indem ich von denselben
Gebrauch mache, stelle ich hier eine entsprechende Zahlen*
tabelle auf, sowohl für Knaben wie auch für Mädchen. Da
sich unser Material nur auf Kinder vom 8. bis zum 15. Lebens-
jahre inclusive bezieht, so füge ich aus den ausländischen
Daten nur die Zahlen hinzu, welche sich auf diese Alters-
periode beziehen.
Die Anzahl der untersuchten Kinder von 8. — 15. Lebens-
jahre beträgt:
in Warachan Knaben 1640 und M&dchen 1898
„ Stoekholm (Axel Key) „ 1867 „ „ 2026
„ Boston (Bowditch) . „ 7661 „ „ 6072
„ Turin (Pagliani) . . „ 390 ,, „ 428
„ London (Eoberts) . „ 9066 „ „ — .
Die Gewichts- und Längenmessungen in London sind in
englischen Pfunden und Zollen angegeben, die anderen in kg
und cm.
Siehe Tabelle II auf Seite 73 , Tabelle III und IV auf
Seite 74 und Tabelle V auf Seite 75.
Ueber Gewicht und Wachs der Kinder der Armen in Warschau. 73
Beim Be-
trachten der Ta-
bellen II— V
gelangen wir
zu folgenden
ScblQssen:
a) Die abso-
lute Körper-
länge und das
absolute Ge-
wicht der Kna-
ben der Armen
in Warschau ist
geringer als die
absolute Länge
und das abso-
lute Gewicht
der Knaben der
armen amerika-
nischen Bevöl-
kerung in
Boston und der
schwedischen
in Stockholm,
jedoch grösser
als die der ita-
lienischen in
Turin. Erst
zwischen dem
14 und 15. Jahre
übertreffen die
Knaben der Ar-
men in War-
schau die schwe-
dischen an
Wuchs und
kommen bei ge-
ringerem Ge-
wichte den ame-
rikanischen
gleich. Mit den
Mädchen ist es
anders. Diese
stehen in War-
schau bis zum
15. Lebensjahre
n
a
ea
0
9
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CX)
3
7G W. Kosmowski: Ueber Gewicht und Wachs der Kinder etc.
Ohne weitgreifende Schlösse zu ziehen^ können wir* auf
Grundlage oben angeführter Daten behaupten: dass die
Kinder der Armen in Warschau im Allgemeinen hin-
sichtlich der Körperentwickelung den Kindern der
Proletarier in Stockholm nachstehen, besser als die
italienischen in Turin entwickelt sind, aber bedeu-
tend in dieser Hinsicht niedriger als die ameri-
kanischen und englischen stehen. Mit wenigen Aus-
nahmen betrifft dies sowohl Knaben wie auch Mädchen.
Endlich habe ich auch eine Zahlentabelle aufgestellt, welche
den Unterschied an Gewicht und Körperlange der Kinder der
Armen der jüdischen und der christlichen Bevölkerungsclasse
in Warschau illustrirt:
Knaben '1 Mädchen
Alter
der Unter- Lftnge in cm ,t v« *
suchten ^ ^«
Alter
Anaabi
d. Unter-
suchten
Lftng« in cm
Gewicht
in kg
Alten-
Jahr
Lebens-
jahr-
1
Jaden
Christen
Jaden
Christen
0
Juden
Alten-
Jahr
o
o
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g.
•
p
Christen
Juden
1 '
7—8
8
39
36
116,6 —
22,721,6
7-8
8
40
67
110,7 110,9
___
18,8
8-9
9
160
68
117,6 116,6
22,821,9
8—9
9
160 102
116,8117,7
20,8.21,4
9—10 10
180
76
121,2 121,1
23,8 28,6
9—10
10
208120
120,7,119,1
22,6.21,4
10-11 11
201
102
127,0; 126,9
26,0 26,6
10—11 11
268! 119
126,2 126,0
24,7,24,6
11—12 12
164
112
131,8130,6
28,4 28,2
11—1212
1
239 89
130,2,130,4
27,2 27.9
12-13 13
161
110
136,2 136,7
80,6 81,6 12— 13il8
233! 87
136,6 134,8
30.6 30,4
13-14 14
62
40
139,6
—
32,7 — 13-14 14
77 47
138,6! 137,8
32,431,9
14—16 16
36
34
—
—
— —
14—16 1^
40 32
144.0i -
38.1, -
Gesammt-
Gesammt-
zahl der
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•
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1
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BUCht
en:
973
667 .
« 15-
10.
snchtei
i: ]
1246
653
«- 1898.
Beim Betrachten dieser Tabelle sehen wir, dass die
Durchschnittszahlen beinahe in allen Lebensjahren der von
uns untersuchten Altersstufen sehr einander genähert sind,
Die Unterschiede treten kaum in Brüchen auf und bilden
nirgends ein Ganzes der Maasseinheit. Das allgemeine Ueber-
gewicht sowohl an Wuchs als auch an absolutem Gewicht ist
mit überaus kleinen Ausnahmen auf Seiten der christlichen
Kinder.
VI.
üeber die Verhältnisse der Nengeborenen in Entbindungs-
anstalten und in der Privatpraxis.
Von
Docent Dr. Julius Eb5ss.
Vorliegende Abhandlung dient nicht dem Zwecke, über
Ertrebnisse wissenschaftlicher Forschungen zu berichten, ich
habe mir vielmehr die Aufgabe gesteUt, in Verfolg jener
klinischen und statistischen Studien , die ich theils in dieser
Zeitschrift, theils in anderen Fachorganen publicirt habe,
einige die neugeborenen Kinder betreffende Fragen ins ge-
hörige Licht zu stellen, die mir viel zu wichtig erscheinen,
als dass sie nicht wiederholt aufgeworfen und ins praktische
Leben verpflanzt werden sollten.
Die Morbiditäts- und Mortalitatsverhältnisse der neu-
geborenen Kinder, die Pflege, Beaufsichtigung des Neugebo-
renen, die Behütung vor Krankheiten, die Erkenntniss und
Heilung seiner Krankheiten in Entbindungsanstalten, sowie
in der Privatpraxis, der Wirkungskreis des Arztes und der
Hebamme dem Neugeborenen gegenüber, das Einfügen der
Kenntnisse über Neugeborene in den Rahmen des üniversitäts-
Unterrichtes: sind sämmtlich Fragen, auf denen eine gewisse
Gleichgiltigkeit selbst bis zum heutigen Tage noch lastet, die
aber einer Besprechung dringend bedürfen; denn nur durch
Reformen in dieser Richtung wird die Besserung jener über-
aus grossen Erkrankungs- und Sterblichkeitsverhältnisse er-
reicht werden können, welche uns die Statistik überall mit
unerbittlicher Einmüthigkeit darbietet.
Laut der Sterbestatistik der grossen europäischen Städte
erreichen — wie ich in einer Abhandlung mit bis in die
Millionen reichenden Ziffern nachgewiesen^) — von den lebend
1) Die Verhältnisae der MortÄÜtÄt in den ersten vier Lebenswocben.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. ^d. XXXV.
80 J- Eröss: lieber die Verhältnisse der Neugeborenen
Es könnte überflQssig erscheinen, heute , wo die Lehre
der sog. Wundinfectionskrankheiten der jüngeren Generation
ins Blut übergangen, diese Lehre in Bezug auf die Neugebo-
borenen noch besonders zu betonen. In der Wirklichkeit
sollte es so sein, aber bleiben wir nur der Wahrheit treu
und sprechen wir es offen aus, dass das neugeborene Kind
in unserer ärztlichen Praxis eine Sonderstellung einnimmt, es
ist uns fremd; als ob der Mensch nicht hier begänne. Wahr-
lich, es fällt uns der Spruch der Romer ein: „infans autem
homo nondum est'^
Wenn ich behaupte , dass das neugeborene Kind in un-
serer ärztlichen Praxis eine Sonderstellung einnehme, so will
ich dieses Exceptionelle nicht blos auf die sogen, ärztliche
Privatpraxis bezogen wissen, sondern in ebensolchem Maasse
auch auf die Gebärhäuser. Denn in diesen herrscht traditio-
nell das Princip — ich werde wohl hier und dort auf Wider-
spruch stossen, die factischen Verhältnisse geben aber mir
Recht — , dass die Gebärhäaser sich um die Gebärenden und
Wöchnerinnen zu kümmern haben, die neugeborenen Kinder
aber kommen weniger in Betracht, höchstens werden sie der
Obhut des untergeordneten Personals überantwortet, wobei
aber von einer ärztlichen Gontrole entweder gar nicht die
Rede ist, oder wenn ja, diese nur ungern und lax geübt wird.
Betrachten wir nun näher die Position der Neugeborenen
in den Entbindungsanstalten und jene Anforderungen, die wir
an diese Aiistalten stellen dürfen.
Ich berühre zuvörderst die Frage der Competenz. Seit-
dem die Theilung der medicinischen Wissenschaften in Special-
facher auch in der Praxis Eingang gefunden, hörten wir wieder-
holt die Behauptung, dass die Neugeborenen nicht in den
Rahmen der Geburtshilfe gehören und dass sich mithin die
Geburtshelfer mit ihnen nicht befassen können; sie können
aber auch in den Rahmen der Pädiatrie nicht eingereiht werden,
denn die zur Heilung oder Pflege der Kinder dienenden An-
stalten können schon zufolge ihres Zweckes und ihrer
Einrichtung dem an die Mutter gebundenen Neugeborenen
keine Aufnahme gewähren.
Dieser Streit geht von keiner richtigen Grundlage aus.
Die wahre Quelle liegt vielleicht darin, dass die eine Partei
die Last loswerden will, die andere aber keine Gelegenheit
hat, die Last auf sich zu nehmen. Nun ist aber das neu-
geborene Kind mit der Mutter eng verbunden, und dieses
natürliche, unlösliche Band ist stärker als das Separations-
bestreben der medicinischen Wissenschaften. Diese Zusammen-
gehörigkeit, Untrennbarkeit allein ist die richtige Basis, auf
der diese Frage beurtheilt werden kann, und dieser Ausgangs-
in EntbindoDgaaiiBtalten und in der Priratpraxis. 81
punkt präcisirt von selbst die Aufgabe der Entbindungs-
anstalten auch dem neugeborenen Kinde gegenüber. Und wo
bleibt denn das höchste Princip der moralischen Verantwort-
lichkeit?! Jene Anstalt; die zufolge ihres Berufes und ihrer
Einrichtung Gebärende, Wöchnerinnen und Neugeborene pflegt,
kann eben unter dem Drucke dieser moralischen Verantwort-
lichkeit nicht einseitig vorgehen in der Erfüllung ihrer Auf-
gaben. Und mag man nyt moralischen oder juridischen Ent-
schuldigungen kommen, keine einzige vermag jene Auffassung
zu unterstützen, dass, während die Anstalt der Gebären-
den und Wöchnerin die weitestgehende Aufmerksamkeit an-
gedeihen lässt, alle Hebel der Wissenschaft in Bewegung setzt,
um sie vor Erkrankungen zu schützen , in ihrer Krankheit
aber ihr treu zur Seite steht, sie das neugeborene Kind sich
selbst überlässt und von seinen Krankheiten sich vielleicht
nicht einmal Kenntniss verschafft
Ich klage nicht an, indem ich dies ausspreche; ich be-
handle nur aufrichtig die Frage, so wie sie von Altersher
steht. Allgemein herrscht die Auffassung, und diese Auffas-
sung theilen die meisten Aerzte, dass die Sanitätsverhältnisse
des neugeborenen Kindes ausgezeichnete seien und das Recht
der Erkrankung erst dem späteren Alter vorbehalten bleibe.
Dieser allgemeinen Ansicht widerspricht wohl am schreiend-
sten jene grosse Mortalität der Neugeborenen, die ich Ein-
gangs mit einigen Daten beleuchtet; da aber auch hiervon
nur Wenige Kenntniss haben, finden sie es schier unglaub-
lich, dass diese grosse Sterblichkeit der Ausfluss der grossen
Morbidität sei. Diese Auffassung, richtiger gesagt, Beruhigung
über die bestehenden Verhältnisse erklärt es auch, dass be-
züglich der Gesundheits- bezw. Kr ankheits Verhältnisse der Neu-
geborenen selbst von jenen Instituten nicht alle richtige Be-
griffe hatten — und vielleicht auch noch haben — , in denen
sich Neugeborene aufhalten und die für den Neugeborenen
moralisch ebenso verantwortlich sind wie für seine Mutter.
Sobald wir nun erfahren, dass der Neugeborene während
der kurzen Zeit, die er in den Entbindungsanstalten verbringt,
leicht und häufig erlnranken kann, und dass ein an Zahl wie
auch an Bedeutunji^ sehr beträchtlicher Theil dieser Krank-
heiten auf Infection zurückgeführt werden kann: entsteht auch
allsogleich die Anforderung, dass der Neugeborene unter
ebenso ständige Aufsicht und Controle gestellt werde, wie
die Mutter. Nachdem die Beobachtung und Controle sich
hauptsächlich auf Erkrankungen identischen Ursprunges (In-
fectionen) bezieht, für die der Säugling zweifellos viel mehr
empfänglich ist als die Mutter, erscheint hinsichtlich der
Beobachtung jenes Hilfsmittel in erster Reihe unentbehrlich,
Jahrbach f. Kinderheilkuudo. K. F. XXXIX. 6
82 J. Eröss: üeber die YerhältniBse der Neugeborenen
vermittelst dessen wir uns über das ständige, wenn ancli nicht
obligate Symptom dieser Infectionen, über das Fieber Kennt-
niss verschaffen können. Die Nothwendigkeit der systema-
tischen Therraometrie der Neugeborenen kann nicht oft ge-
nug wiederholt werden. Ein nützlicheres Mittel zur Feststellung
des krankhaften Zustandes des Neugeborenen besitzen wir
kaum, es durfte das Jedermann einsehen, der es in Gebär-
anstalten einführt. Aber auch Beobachtungen in anderer Rich-
tung, insbesondere mit Rücksichtnahme auf die physiologischen
und pathologischen Verhältnisse des Neugeborenen sind un-
erlässlich.
Und diese Beobachtungen müssen mit dem Moment der
Geburt des Kindes beginnen uud sind anhaltend fortzusetzen,
bis es die Anstalt verlässt. Zahlreiche Anstalten haben ihr
eigenes Verfahren, welches sie in der Pflege der Neugeborenen
anwenden, richtiger, durch die Hebammen anwenden lassen:
und bezüglich der Richtigkeit dieses Verfahrens bekommen
wir in den Fachpublicationen nicht selten den durch nichts
erwiesenen Satz zu lesen, dass dieses oder jenes Verfahren
ein vollkommen zufriedenstellendes sei. Nun, daran konneu
wir schon theoretisch nicht zweifeln, dass es Verfahren geben
mag, ja sogar auch giebt, deren Anwendung in dieser oder
jener Richtung befriedigende oder zumindest relativ bessere
Resultate erzielt als audere; doch müssen wir dem gegenüber
hervorheben, dass gerade in Bezug auf die Infectionen der
Neugeborenen keinerlei Verfahren die Entbindungsanstalten
der Verpflichtung entheben kann, die Neugeborenen unter
continuirliche Beobachtung zu stellen. Zur Verhütung der
Infection von Gebärenden und Wöchnerinnen sind ja bereits
Verfahren festgestellt, mittelst deren die Anstalten glänzende
Erfolge aufzuweisen haben: und doch ist keine Anstalt ganz
sicher darin, dass das von ihr eingeschlagene Verfahren sich
auch in jedem Falle bewähre, und überlässt sich nicht jenem
Nichtsthun, das die Beruhigung gewährt, sondern nimmt —
trotzdem sie von der Vortrefflichkeit ihres Verfahrens über-
zeugt ist — bei jeder Gebärenden und Wöchnerin doch zwei-,
dreimal täglich das Thermometer zur Hand. Diese Thatsache
bedeutet so viel, dass es kein Verfahren gebe, welches uns
gänzliche Beruhigung bietet, und dass jedwedem Verfahren
gegenüber die Skepsis nicht nur berechtigt, sondern auch
nothwendig und nützlich sei. Dieser Wahrspruch, abgeleitet
aus der Observation und Prophylaxis der Gebärenden und
Wöchnerinnen, muss per analogiam und in seiner ganzen Be-
deutung auch auf jene Regeln übertragen werden, die bezüg-
lich der Obhut, Pflege und Aufsicht der Neugeborenen auf-
gestellt uud in Anwendung gebracht werden sollen. Ich sehe
in EntbindungBanstalten and in der FmakpnxlM, ^^^
z. B. nicht ein, warum es gestattet sein solle, zu sagen^ d^^
an irgend einer Anstalt ein bestimmtes Verfahren zor Be^
handlung des Nabels sich als gut erwiesen und deshalb die
Controlbeobachtung überflüssig sei« Die Genügsamkeit kann
hier ebenso viel Böses und Verhängniss volles zeitigen, wie
die ständige Skepsis all dies zu verhüten vermag.
Die Gebärhäuser haben daher nach meiner erfahrungs-
gemässen, festen Ueberzeugung die unerlässliche Aufgabe, das
neugeborene Kind nach jeder Richtung unter systematischer
Aufsicht zu halten und der Erfüllung dieser Aufgabe eine
ebensolche Gewissenhaftigkeit entgegenzubringen, wie sie sie
den Wöchnerinnen angedeihen lassen.
Meiner Meinung nach werden auch Andere zu derselben
Ueberzeugung kommen, die sich zur ständigen, systematischen
Beobachtung der Neugeborenen entschliessen und sich mit
dieser Arbeit nicht blos aus Amtspflicht, sondern auch aus
Neigung für die darin enthaltenen Fragen befassen.
Ohne Zweifel bedeutet dies eine Erweiterung d« ^TEt-
liehen Wirkungskreises, aber es muss auch endlich die Zeit
heranbrechen, wo die Gebäranstalten die unter ihrer m***-
lischen Verantwortung stehenden Neugeborenen nkte nAr
ihrem eigenen Schicksale überlassen, es nicht mehr dem Zu-
falle anheimstellen, ob der Neugeborene gesund bleibe oder
erkranke, und mit den Krankheiten selbst fertig werfe; be-
züglich der Geltendmachung der individuellen Blechte nn»»
der Neugeborene endlich auf dieselbe Hohe gestelh w«rfeB
wie die Mutter.
Ob für diese Ausdehnung des Wirkungskreiaee & f*f*°'
wärtigen Verhältnisse auch geeignet sind, ob aci an^lnunr^
esse des Aerztepersonals der Gebäranstalten — mit es««' äcbntt
zur Verbesserung der Lage der Neugeborenen — tk wei^t^ren
Kreisen und in solchem Maasse ^wachrufen l»a». »«• ^.V^^^^
Interesse, über den gewiss nirgends fehlca»oei rase ^^Ul*:u
hinaus, das Gebiet der Action betrete: das zc :::kS^ '*} t.'-:-X
überflüssig in einer Zeit, wo Geburtshüie imi ryTÄOC'^.oz.*-
ein gemeinsames Heim gefunden und des. iÖ!«iÄ2«* '*^ <.'.n
wirkenden Aerzte die operative Vrmxxe^aakJJEDOit «-^ «>^*''^ir-
derer Vorliebe beschäftigt. Ich kann nar wui.^ r»a Z *-t ▼- r-
stellen, dass dieser neueste Wirknngekr» vs irwt^^\.TTTj^ '^ ^
gleichzeitige Erfüllung jenes älterem Wäiihcbc*-*^'* x«:.i^*._
wegs behindert, ich besitze ao^mr ^^iiiini» ^-'5. zi»*-. ^^-r^»
stalten^), wo nebst dem mit ciarnwiifiiig -^w*^ ^-^^r x^^ ^
erfallten chirurgischen Wirkon^Bkre» ck «mu: r»r i.— - J]
Beobachtung der NeugeborencÄ «cxi mäaaaa. ^ t-. r ^--l . -^ -^
1) Wahrscheinlich g^ebt
84 J- ErÖ08: üeber die Verhältnisße der Neugeborenen
misirt ist: und doch befürchte ich, dass die gegenwärtigen
Verhältnisse für die Durchführung des eben ausgesprochenen
Wunsches keinen grösseren Erfolg versprechen und zwar mit
Hinblick auf jene Reaction, die die Entwickelung der Yom
fortschreitenden Zeitalter aufgeworfenen und mit besonderer
Sympathie aufgenommenen Fragen auf das Interesse für an-
dere, minder sympathische oder geradezu gleichgiltig auf-
genommene Fragen ausübt Für die Unzufriedenheit über
diese ungünstigen Ansichten bietet nicht einmal das Genug-
thuung, dass in diesem Falle eine gute Sache der anderen
keinen Raum gewähren kann. Und doch wäre es wünschens-
werth, dass jener edle Wettstreit, dessen wir Zeugen waren,
als es sich darum handelte, die Infectionen der Gebärenden
nnd Wöchnerinnen aus den Gebäranstalten zu verbannen, sich
erneuere im Interesse der Prophylaxis der Neugeborenen.
Was wir f&r die Gebärhäuser als wüuscheuswerth er-
scheinen liessen, das wird geradezu zur zweifachen Forderung
an jene Gebärhäuser, die zugleich als Lehranstalten f&r Aerzte
dienen. Denn diese Anstalten sind berufen, Muster zu lie-
fern; was der Schüler hier sieht, das nimmt er als Arzt mit
hinaus ins Leben; die Eindrücke, die er so ziemlich ohne
Kritik empfängt, trägt er hinaus in die Praxis mit der Ueber-
zeugung, dass er das in der Lehranstalt Gesehene und Ge-
hörte nicht zu überschreiten brauche.
Der erste Eindruck, den der Hörer in einem grossen
Theile dieser Anstalten — denn ohne Zweifel giebt es Aus-
nahmen — empfängt, ist derselbe, den ich oben bei Behand-
lung der Competenzfrage erwähnt habe: dass nämlich die
Gebäranstalten sich nur mit den Gebärenden und Wöchnerinnen
befassen, die Neugeborenen aber der Obhut der Hebammen
überantwortet sind, diese finden seitens des Aerztepersonals
kaum Beachtung. Und aus dieser Thatsache, die sich von
Tag zu Tag während des Cursus vor ihm abspielt, erhält er
den Eindruck, dass dies noth wendigerweise so sein müsse.
Betrachten wir uns einmal eine Visite an der Klinik, die
Lehrer und Hörer gemeinsam mitmachen; in diesem Besuche
wiederspiegelt sich all das, was ich soeben gesagt. Es wird
von Bett zu Bett gegangen, der Zustand der Wöchnerin wird
ausführlich besprochen, der Neugeborene aber, um nicht zu
belästigen oder durch sein Weinen den Unterricht zu stören,
von den Hebammen in den dritten — vierten Saal gebracht.
Unter diesen Schreihälsen, Jeder kann sich davon überzeugen,
giebt es nicht nur einen kranken, und diese werden bei Seite
geschoben, um die Aufmerksamkeit der Hörer nicht abzulenken.
Und wenn schon einmal auch ein neugeborenes Kind vorgestellt
wird, so widerfuhrt dieses Glück zumeist jenen nicht gerade
in Entbindnngsanstalteii und in der Privatpraxis. 85
Glücklichen ; die \vährend des Geburtsactes YerletzaDgen er-
littcD; aber selbst diese werden nicht so sehr zu dem Zwecke
demonstrirt, das an ihnen sichtbare Erankheitsbild zu ent-
roUen, als viel eher^ um den Mechanismus der Geburt oder
des künstlichen Eingriffes zu beleuchten.
Mit einem Worte, allem Anderen begegnet der Hörer an
der Klinik eher als dem Neugeborenen. Ja es geht ihm so-
gar auch das subjective Motiv ab, sich mit demselben zu be-
fassen, denn das neugeborene Kind übt auf uns nicht jenen
gewinnenden Eindruck, mit dem uns grossere Kinder unwill-
kürlich fesseln, sondern macht auf die meisten Menschen viel-
mehr einen fremdartigen Eindruck, der eher abstösst, als an-
zieht. Und die Bedeutung dieses Umstandes subjectiver Natur
ist durchaus nicht zu unterschätzen, denn er unterstützt^ stei-
gert instinctiv jenen Indifferentismus, den der Hörer sowohl
von Seite des Lehrers, als auch allgemein vom klinischen
Aerztepersonal dem Neugeborenen gegenüber nach jeder Rich-
tung hin an den Tag legen sieht.
Die Hörer schaffen sich also nicht nur davon keine Ueber-
zeugung, dass der Neugeborene ebenso wie die Mutter dem
Arzte überwiesen ist, sondern verlassen im Gegentheil die An-
stalt mit der Auffassung, dass das neugeborene Kind den
Arzt je weniger angehe, und im praktischen Leben betrachten
die meisten Aerzte mit ebensolcher Gleichgiltigkeit, wie sie
es an der Klinik gethan, dass der eigentliche Arzt des Kindes
die Hebamme sei. Hier wurde nicht gelehrt, dass der Wirkungs^
kreis des Arztes sich auch auf den Neugeborenen erstrecke,
weshalb ihm dieses Gebiet auch in der Praxis vollkommen
fremd bleibt, auf dem er nur ungern arbeitet, ja vielleicht
in Folge seiner diesbezüglichen mangelhaften Kenntnisse nicht
einmal zu wirken vermag. Hierin liegt der Grund, warum
in der allgemeinen Praxis der Arzt der Hebamme gegenüber
eine nahezu inferiore Stellung einnehme.
Und hierfür sind nicht die Aerzte verantwortlich, son-
dern das System, wonach Behütung, Pflege, Krankheiten der
Neugeborenen u. s. w. in den Rahmen des üniversitÄtsunter-
richtes nirgends eingefügt sind, mit Ausnahme jener wenigen
grossen Städte, die zugleich auch Findelhäuser besitzen, in
denen für den klinischen Unterricht und wissenschaftliche
Cultivirung dieses Specialfaches besondere Lehrkanzeln er-
richtet sind, und hie und da eine Universität, an deren Gebär-
klinik aus besonderem Eifer auch praktische Vorträge über
Neugeborene gehalten werden. a u i
Auf was die Aufmerksamkeit der Aerzte in der Schule
nicht wachgerufen wurde, wessen Bedeutung sie dort nicht
erlernt haben: für das bleibt ihr Sinn stumpf. Die Kampfe
86 J* Erosa: Ueber die VerhUtniBBe der Neugeborenen
des praktischen Lebens eignen sich nicht — oder wenigstens
nur für sehr wenige Menschen — dazu, dass der Arzt aus
eigener Erfahrung sich von der Wichtigkeit eines wissen-
schaftlichen Faches üeberzeugung schaffe^ sich dieses anzu-
eignen und anzuwenden bestrebe.
Ja^ die continuirliche, wissenschaftliche Selbstbildung des
praktischen Arztes [und diese bilden ja das Hauptcontingent
der Aerzte], die Beachtung der Fachliteratur bewegen sich im
praktischen Leben zumeist auf solchen Gebieten, auf denen
er sich während seiner Universitatsstudien gewisse Grund-
kenntnisse angeeignet; er verbringt seine Zeit aber nur un-
gern mit dem Studium solcher Werke, die ein ihm fremdes,
selbst von der Universität unbeachtet gelassenes Gebiet betreten.
In der That, wenn wir zwischen Ursache und Wirkung
eine Harmonie suchen, finden wir sie kaum vollkommener aus-
gesprochen als zwischen dem Unterricht der Kenntnisse Qber
Neugeborene und dem diesbezüglichen Wissen der Aerzte.
Und diesem bedauerlichen Umstände kommt eine hohe
Bedeutung zu; denn in der allgemeinen Praxis sind die Neu-
geborenen dem Wirkungskreise des Arztes sozusagen entrückt,
und dieser Wirkungskreis besteht doch nicht nur in der Er-
kenntniss und Heilung der Krankheiten, sondern — und viel-
leicht hauptsächlich — in der Geltendmachung der zur Verhütung
von Krankheiten nothwendigen und erfolgreichen Maassregeln.
Niemand wird es in Abrede stellen, dass, wenn die Mor-
talität der Neugeborenen eine so grosse, wie sie die Statistik
überall aufweist , wenn die Zahl der unter vier Wochen gestor-
benen Kinder nicht weniger als 10 Procent der gesammten Sterb-
lichkeit und nahezu den vierten Theil der Kindermortalitat
(bis zum 5. Lebensjahre) beträgt: die Krankheiten der Neugebo-
renen einen genug bedeutenden Theil der ärztlichen Praxis
bilden sollten, denn bevor so massenhaft Neugeborene sterben,
müssen sie doch vorher auch krank gewesen sein. Nun, sie
waren auch wirklich krank, aber von ihrer Krankheit wurde
nur ausnahmsweise Kenutniss genommen; und ist so ein Neu-
geborener gestorben, so erklärt die Todesursache der stets
zur Hand bereite deus ex machina: die angeborene Schwäche.
Ich glaube nicht, dass es eine CoUectivdiagnose gebe, die
mehr umfassen konnte als die Debilitas congenita!
Den Beweisen, dass der Neugeborene so ziemlich ausser-
halb des Wirkungskreises des Arztes liegt, begegnen wir in
der Praxis auf Schritt und Tritt, und gar oft würde es uns
viel Ueberwindung kosten, unserer Indignation hierüber keine
Luft zu machen, wenn wir nicht wüssteu, dass für all' dies
die Schule verantwortlich ist. Ein Beispiel, das mir schon
wiederholt begegnet und ohne Zweifel auch Anderen, die sich
in Entbindangsanstalten and in der Privatpraxis. 87
mit diesem Fache beschäftigen. Gelegentlich einer Consul-
tation stellen wir eine schwere septische Infection mit mehr-
fachen Localisationen fest; und der Nabel zeigt auf den ersten
Blick Erscheinungen , die darauf schliessen lassen, dass hier
die Eingangspforte der Infection sei. Der behandelnde Arzt,
hierauf über die Verhältnisse der Eintrocknung , Abfall der
Nabelschnur u.s.w. befragt, ruft aus dem Nachbarzimmer die Heb-
amme herbei, damit sie die gewünschten Aufschlüsse ertheile.
Dieses Beispiel zeigt treffend, dass der Arzt im prak-
tischen Leben genau denselben Standpunkt einnimmt, den er
sich an der Klinik, wo er gelernt, angeeignet hat: nament-
lich, dass, wenn er seinen täglichen Besuch bei der Wöchnerin
macht, er es auch nur mit der Wöchnerin zu thun habe.
Daran hat man ihn gewöhnt, den Zustand der Wöchnerin zu
controliren, prophylaktische Maassregeln zu dictiren und die-
selben durchfahren zu lassen, aber dass er sich auch mit
dem Neugeborenen und mit auf denselben bezüglichen, wesent-
lich identischen Fragen zu befassen habe, das hat man ihm
nicht gelehrt.
Wahrlich, uuermesslich weit liegen von einander die
Kenntnisse der Lehren * von den Infectionskrankheiten und
deren Verhütung bei den Wöchnerinnen und den Neugebo-
renen. Die Lehre von der Puerperalinfection ist bereits eine
derart gefertigte, ruht sogar praktisch auf solch sicherer
Basis, dass die vorkommenden Fälle nicht nur unter behörd-
licher Evidenz gehalten werden, sondern auch schon die Straf-
codexe für die Bestrafung derjenigen vorgesorgt haben, durch
deren Pflichtversäumniss die Wöchnerin in Gefahr geräth.
Ich will hieraus nicht die Consequenz ziehen, dass ähnliche
behördliche bezw. legislative Verfügungen betreffs der Infec-
tionen von Neugeboreqen getroffen werden sollen, das wäre
heute noch zu verfrüht, doch will ich die Parallele oder rich-
tiger den Gegensatz aufstellen, der zwischen zwei, wesentlich
identischen und gleich bedeutsamen Dingen besteht, von denen
das eine einen hohen Cultus erreicht und in seinen Erfolgen
das Schönste ist, was Menschengeiat nur schaffen konx£U;^
während das andere zwerghaft bliela , weil man sich dafür ni:^
wenig interessirt und es nur von Wenigen cultivirt ^^--^J
Und doch besteht kein Zweifel darüber, und ich ^
aus vieltausendfacher Erfahrung sagen, und es
Andere, die ihre Thätigkeit dieser Frage widmen,
rend eine Frau in Folge Infection erkrankt,
fach mehr Neugeborene in Gefahr gerathen,
Infection zufolge.
Die grosse Zahl der Kranklieiten to« Sencv%0v
wie ihre grosse Sterblichkeit fordern, i»» ^n. i^ .^^ ^- . v
90 J* £rÖ86: üeber die Verhältnisse der Neugeborenen etc.
geborenen Kinde gegenüber sieht. Hat die Hebamme ans der
Schule die Lehre mitgenommen^ dass die Pflege und Behand-
lung der neugeborenen Kinder bis zu einem gewissen Grade
ihr übertragen sei, so macht sie im praktischen Leben die
Erfahrung y dass der Neugeborene ganz ihr angehöre. Wie
oft sah ich nicht in der Praxis, dass über einzelne, wichtige
Fragen der Pflege, z. B. über die Frage der Nabelbehandlung,
der Arzt weniger orientirt ist als die Hebamme; das aber ist
etwas ganz Alltägliches, dass der die Wöchnerin besuchende
Arzt sich nach dem Kinde gar nicht erkundigt Einen un-
serer meist beschäftigten Geburtshelfer fragte ich, und dieses
Beispiel ist doppelt charakteristisch, wie oft er in seiner
Privatpraxis den Nabel des Neugeborenen angeschaut, und er
gestand ganz offen: kein einziges Mal.
Ich bin davon überzeugt^ dass, wenn wir auch jedem Neu-
geboreuen einen Arzt beistellen, wir die Neigung zu üeber-
griffen der Hebammen auch dann nicht ganz unterdrücken
können; aber auch davon bin ich überzeugt, dass, wenn wir
ihnen gänzlich freie Hand lassen, dies das Uebel nur stei-
gern werde. Und dass das Uebel schon sehr stark eingerissen,
fühlt Jedermann. Die Hebamme ist dem Neugeborenen nicht
nur eine Wärterin, sondern auch Rathgeberin und behan-
delnder Arzt. Und dies ist bereits so sehr in die allgemeine
Gewohnheit übergangen, dass bezüglich des Neugeborenen
sehr oft nicht der Arzt, sondern die Hebamme befragt wird.
Wendet man sich schon an den Arzt, dann steht es zumeist
sehr schlimm. Diese Uebelstände bestehen selbstverständlich
in gesteigertem Maasse — und da ginge es sehr schwer,
Erfolg versprechende Gegenmaassnahmen zu ergreifen — auf
dem Lande, wo die Hebamme den Verhältnissen zufolge die
Situation vollkommen beherrscht, sowohl der Wöchnerin als
auch dem Kinde gegenüber.
Aber gerade dieser grosse Wirkungskreis involvirt die
Forderung, dass bei der Ausbildung der Hebammen — leider
ist das Bildungsniveau des Materials in dieser Richtung nir-
gends befriedigend — ihnen nicht nur das eingeprägt werde,
wie sie die Mutter vor der Infection zu beschützen haben,
sondern auch, dass beim Neugeborenen dieselbe Infection noch
leichter und auf mehreren Wegen stattfinden könne als bei
der Mutter, und dass sie für das Entstehen solcher Infectionen
ebenfalls verantwortlich seien. Das ist die schwierigste und
zur Zeit sehr geringe Aussicht zur Besserung bietende Frage
der Infection der Neugeborenen.
/
VIL
Ein Fall von Situs transversos viscernm, beobachtet
im Wilbelm-Augnsta -Hospital zu Breslau.
Von
Paul Galinsky,
AasiBteniMTit.
Fälle von Situs viscerum transversus, d. h. Fälle von
Umlagerang der Eingeweide der Art, dass ein Spiegelbild der
normalen Lage entsteht, sind seit alten Zeiten beobachtet
worden. Schon Aristoteles kannte das Vorkommen dieser
eigenthümlichen Verlagerung der Organe, denn er sagt in
seiner Schrift: „De generatione animalium'^ an einer Stelle:
,,Jam locis etiam permutatis jecur latere sinistro, lien
dextro contineri yisus est."
Durch die Fortschritte, welche die Medicin im Laufe der
Zeiten in der Diagnose der inneren Zustände des mensch-
lichen Körpers gemacht hat, ist man allmählich dazu gelangt,
diese Bildungsvarietät mit grosser Sicherheit bereits während
des Lebens feststellen zu können. In früheren Zeiten stützte
man die Diagnose des Situs transversus fast nur auf den Um-
stand, dass die Herzbewegungen anstatt auf der linken Thorax-
bälfte auf der entsprechenden rechten Seite zu fühlen waren.
Begreiflicherweise liefen hierbei oft grobe IrrthQmer unter,
denn das Herz konnte durch pathologische Veränderungen,
z. B. durch Geschwülste, Exsudate, eine rechtsseitige Lage er-
halten haben; auch blieb man über die Lagerung der Bauch-
eingeweide, insbesondere der Leber, der Milz und des Magens,
während des Lebens des betreffenden Individuums ganz im
Ungewissen, und nur die Section allein vermochte ein klares
Bild über die Lage sämmtlicher Organe zu geben. Als aber
im Anfang unseres Jahrhunderts durch die Entdeckung neuer,
nur auf physikalischen Gesetzen beruhender Untersuchungs-
methoden die Diagnostik der inneren Beschaffenheit des Kör*
160
H. Laabinger:
etwa drei biB Tier Wochen geschah, bildeten sich sehr rasch gesunde
Granulationen an den betreifenden Stellen, anch der Epithelübersng
wurde sehr bald regenerirt. Offenbar waren diese Nekrosen so su Stande
gekommen, dass beim Hineindrücken der Lösung in das subcutane Ge-
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webe sich die Nadel infolge des Widerstrebens des Knaben — derselbe
mneste immer von zwei Personen gehalten werden — Terschob, und so
die Losung nicht mehr subcutan genug kam.
Wollen wir das Ergebniss der im Vorstehenden mitge-
theilten Beobachtungen zusammenfassen; so ergiebt sich zu-
nächst, dass in allen Fällen mit Ausnahme des Falles V mit
Beginn der Chinininjectionen eine sofortige Abnahme der An-
zahl der Anfalle zu verzeichnen ist. In Fall V tritt zunächst
eine Steigerung in der Zahl der Anfalle ein; erst am siebenten
Tage erfolgt eine rasch zunehmende Verminderung derselben.
In sämmtlichen übrigen Fällen zeigt sich schon in den ersten
Tagen, ja schon einen Tag nach Beginn der Injectionen eine
erhebliche Abnahme in der Zahl der Anfälle. In Fall I, II,
III, IV, VI, VII und VIII hält die günstige Beeinflussung der
Zahl der Anfälle an, in keinem dieser Fälle ward wieder die
Höhe der Zahl der Anfälle erreicht, die das Kind bei Beginn
der Behandlung hatte. Besonders eclatant ist die Abnahme
der Zahl der Anfälle in Fall I, II, III und IV. Freilich ist
Subcutane Iigectionen y. Cbininam bimuriaticum b. Eeuchhasten. 161
in allen diesen Fällen nicht die Verminderung der Zahl der
Anfalle im weiteren Verlauf der Behandlung eine gleich-
massige, wohl tritt in einzelnen Fallen, so in Fall I am vierten
Tage, in Fall III am fünften Tage, in Fall VII am fünften
Tage eine kleine Steigerung in der Zahl der Anfalle ein, um
dann rasch wieder einer weiteren Abnahme Platz zu machen.
In Fall I und Fall III fällt diese Zunahme der Anfalle damit
zusammen, dass am Tage vorher anstatt zwei nur eine In-
jection gemacht worden war; in den anderen Fällen tritt die
Steigerung allerdings ein, ohne dass die Zahl der Injectionen
vermindert worden war.
Während so die Zahl der Anfälle in den Fällen I bis
VIII erheblich herabgemindert wurde, ist dies in den Fällen
IX bis XII nicht der Fall, wohl tritt in all diesen Fällen
auch auf die ersten Injectionen ein Abfall ein, aber in den
nächsten Tagen steigert sich die Zahl der Anfälle wieder und
erreicht sogar eine Höhe, die sie vor Beginn der Injectionen
nicht gehabt hat. Auf diesen Hohen verharrt die Zahl der
Anfälle freilich auch in diesen Fällen nicht lange-, nachdem
die Steigerung erreicht ist, tritt ziemlich rasch eine Abnahme
in der Zahl der Anfälle ein.
Bemerkenswerth ist noch, dass in Fall I, II, III, IV und
VII namentlich eine Abnahme in der Zahl der zu Nacht auf-
tretenden Anfalle zu beobachten war.
Nicht aber nur die Zahl der Anfälle wurde in den Fällen
I bis VIII günstig beeinflusst, auch in der Heftigkeit der ein-
zelnen Anfälle trat nach Application der Chinininjectionen
ofifenbar eine Milderung ein. In Fall I, II, III, IV, VI, VH
und VIII erfolgte dieselbe zu gleicher Zeit mit der Abnahme
der Zahl der Anfälle. Die Milderung war in diesen sieben
Fällen schon nach den ersten Injectionen am zweiten Tage zu
beobachten; in Fall V war auch schon in den ersten Tagen
die Abnahme der Heftigkeit der Hustenanfälle deutlich zu be-
merken, wenn auch die Zahl derselben sich noch nicht min-
derte, vielmehr noch während fünf Tagen in der Zunahme be-
griffen war.
Selbst in den Fällen VIII bis XII, in welchen eine gün-
stige Einwirkung auf die Anzahl der AnßLlle zunächst we-
nigstens nicht zu constatiren war, war eine Abnahme der
Heftigkeit der Anfälle jedoch nicht zu verkennen.
Besonders bemerkenswerth ist, dass in allen Fällen die
Besserung sich auch darin aussprach, dass das Erbrechen bald
viel seltener wurde oder ganz verschwand, dass sich der Appetit
der Kinder hob und das Allgemeinbefinden derselben eine deut-
liche Besserung aufwies, kurz, dass in allen Fällen schon
162 H. Laabioger:
kurze Zeit nach Beginn der Injeetionen das ganze Bild nicht
mehr das einer schweren Erkrankung war.
Was nun die Zeitdauer, welche zwischen Beginn der Be-
handlung der Fälle mit subcutanen Chinininjectionen und der
Heilung derselben liegen, anbelangt, so ist dieselbe freilich
nur in Fall I eine bemerken swerth kurze. In diesem Fall war
bereits 10 Tage nach Beginn der Chinininjectionen, und wenn
man den Anfang des Stadium spasmodicum gemäss der Aus-
sage 5 Tage früher annimmt, also 15 Tage nach Beginn dieses
Stadiums Heilung erzielt worden. Weniger rasch erfolgte
völlige Heilung in den übrigen Fällen. So mussten in Fall 11
und III die Injeetionen 20 Tage, in Fall VII 24 Tage, in
Fall VI 28, in Fall V 30, in Fall VIH 33, in Fall IV sogar,
in welchem sich eine Bronchitis hinzugesellt hatte, 45 Tage
fortgesetzt werden. Doch ist bei diesen Zahlen zu berück-
sichtigen, dass wir, so lange auch nur ein an und für sich
unbedeutender Anfall beobachtet worden war, eine Heilung
nicht annahmen und mit der Behandlung fortfuhren. Fast in
allen Fällen war schon viel früher die Zahl der Anfalle, wie
dies auch die Curven ergeben, eine so geringe und hatte die
Heftigkeit der Anfälle, wie erwähnt , bereits so nachgelassen,
dass das eigentliche Stadium spasmodicum schon um diese
Zeit als beendet angesehen werden -konnte.
Spricht diese längere Dauer der Behandlung etwa gegen
den Werth der Chiuinbehandlung bei Keuchhusten, und im Spe-
ciellen die Behandlung desselben mit subcutanen Injeetionen
des Chininum bimuriaticum? Zur Beantwortung dieser Frage
seien aus der Abhandlung Ungar's^) folgende Sätze angeführt:
„Wer von dem Heilmittel verlangt, dass dasselbe die Krank-
heit in einigen Tagen ausheile, wird sich freilich von den Re-
sultaten der Chininbehandlung nicht befriedigt sehen. Wohl
vermögen, wie ich mich einige Male überzeugen konnte, in
der oben beschriebenen Weise dargereichte grossere Chinin-
gaben zuweilen die Krankheit so günstig zu beeinflussen, dass
in der That in wenigen Tagen die eigentlichen Husten-
paroxysmen gänzlich verschwunden sind und bei weiterer Dar-
reichung kleiner Dosen nicht wiederkehren. So rasche Hei-
lungen gehören aber zu den selteneren Vorkommnissen. Die
Regel bildet, dass, nachdem das Chinin einige Tage genommen
wurde — und diese Zeit schwankt zwischen drei und sechs
Tagen — die Heftigkeit der einzelnen Attaquen nachlässig
was besonders auch an dem Seltenerwerden des Erbrechens
zu merken ist. Gleichzeitig erfährt meist die Anzahl der An-
1) Ungar, üeber die Behandlung des Keuchhustens mit Chinin.
Deutsche med. Wochenschrift. 1891. Nr. 18.
Subcutane Injectionen v. Chinin um bimuriaticum b. Keuchhusten. 163
falle eine VermindeniDg. In selteneren Fällen macht sich zu-
nächst hauptsächlich eine Abnahme der Frequenz der Anfälle
bemerklich, während die Intensität derselben langsamer nach-
lässt. Umgekehrt kann auch die Zahl der Anfälle zunächst
noch unbeeinflusst bleiben, während die Heftigkeit der einzel-
nen Anfälle eine deutlich geringere geworden ist. Sei es nun,
dass mehr die Frequenz der Anfälle, sei es, dass mehr die In-
tensität derselben eine Abnahme zeigt, der ganze Erankheits-
verlauf hat einen zweifellos milderen Charakter angenommen;
mit kleinen Schwankungen macht dann die Besserung meist
rasch weitere Fortschritte, so dass etwa 14 Tage nach Be-
ginn der Ghininbehandlung gewöhnlich nur noch vereinzelte
und meist sehr geliode Anfälle das Bestehen das Keuchhustens
erkennen lassen, oder eigentliche Anfälle überhaupt nicht mehr
beobachtet werden. In anderen aber selteneren Fällen hat
die Erkrankung zwar zweifellos einen milderen Charakter
angenommen, aber hierbei bleibt es und lässt sich eine
deutliche Abkürzung des ganzen Erankheitsverlaufs im Ver-
hältniss zur Durchschnittsdauer des Keuchhustens nicht er-
kennen.''
Wer an die Chininbehandlung nicht grossere Ansprüche
stellt, als solche, die den im Vorstehenden ausgesprochenen
Grundsätzen entsprechen, wird auch in diesen Fällen, wenig-
stens in den acht ersten derselben, einen Erfolg der Chinin-
behandlung erkennen. Wenn in den Fällen IX bis XII die
Zahl der Anfälle trotz Chininbehandlung anfangs stieg und
auch später, nachdem ein Abfall erzielt war, noch eine ver-
hältnissmässig hohe blieb, so dass, als die Behandlung ab-
gebrochen wurde, die Zahl eine nicht unbedeutende war, so
war doch auch in diesen Fällen nicht zu verkennen, dass der
Charakter der Anfälle trotz ihrer Zunahme ein milderer war.
Aber selbst wenn in diesen Fällen ein Erfolg nicht zu ver-
zeichnen wäre, so würde das nicht gegen den Werth der Be-
handlung des Keuchhustens mittelst subcutaner Injectionen
des Chininum bimuriaticum sprechen. Ebenso wenig wie man
den Nutzen des Chinins bei Intermittens, die günstige Beein-
flussung der Syphilis durch Quecksilber, die heilsame Wirkung
des Natr. salicylic. bei acutem Gelenkrheumatismus leugnet,
weil auch diese Behandlungsmethoden in vielen der betre£fendeu
Fälle im Stiche lassen, wird man den Werth dieser Behand-
lungsmethode des Keuchhustens geringschätzen dürfen, weil
dieselbe nicht in allen Fällen von einem eclatanten Erfolge
begleitet war.
Legen wir uns jetzt noch die Frage vor, ob sich das
Chininum bimur. wirklich als zur subcutanen Injection geeignet
erwiesen hat, so dürfen wir dieselbe wohl mit Ja! beant-
164 U. Laabinger:
Worten. Wohl kam es in Fall V, IX und X zur Abscess-
bildung, doch darf dies der Injection des Chin. bimnr. als sol-
cher nicht zur Last gelegt werden. In allen drei Fällen war
eine Losung verwandt worden, die sich auch kurz darauf als
unklar und verunreinigt erwies. Offenbar war es diese Yer-
unreinigung, welche die Abscedirungen im Gefolge hatte. Es
dOrfte sich deshalb empfehlen, zu diesen subcutanen Injectionen
Losungen zu benutzen, bei denen durch Sterilisirung die Gefahr
einer Infection beseitigt ist Im Fall* VIII und XII kam es
freilich auch an Stellen der Haut, an welchen die Injectionen
gemacht worden waren, zur circumscripten trockenen Nekrose.
Die Ursache war wohl in dem Umstände zu suchen, dass die
Cbininlosung, bei der Unruhe der Kinder, in die Cutis selbst
gerieth. In beiden Fallen war ausserdem die starke Losung
10 : 10 benutzt worden. Vielleicht dürfte diese nicht genügend
zur Resorption gelangt sein und dadurch, dass sie an Ort und
Stelle liegen blieb, das Absterben der Cutis herbeigeführt
haben. Es scheint sich deshalb überhaupt mehr zu empfehlen,
sich der weniger concentrirten Losungen zu bedienen und
lieber eine grössere Flüssigkeitsmenge zu injiciren. Hierzu
dürfte auch der Umstand ins Gewicht fallen, dass sich noch
in mehreren der Fälle, in welchen die starke Lösung benutzt
worden war, Indurationen in der Umgegend der Injections-
stellen ausbildeten. Hatten diese auch keine weiteren unan*
genehmen Folgen, so erscheint es doch immerhin wünschens-
werth, dass auch sie vermieden werden, schon weil durch sie
eine Fortsetzung der Injectionen erschwert wird.
Empfiehlt es sich nun, alle Fälle von Keuchhusten mittelst
subcutaner Injectionen von Chiniuum birouriaticum zu behan-
deln? Diese Frage dürfte wohl mit Nein! zu beantworten
sein, denn abgesehen davon, dass diese für den Arzt zeit-
raubende Behandlungsmethode für den beschäftigten Praktiker
schwer durchzuführen sein würde, auch bei vielen Eltern auf
Hindernisse stossen dürfte, bietet dieselbe vor der Behandlung
des Keuchhustens mit per os gegebenem Chinin, vorausgesetzt,
dass dieses auch wirklich eingenommen wi)rd und zur Re-
sorption gelangt, keine nennenswerthen Vortheile. Zu dieser
Methode wäre also nur in den Fällen zu greifen, in denen
das Chinin auf keine andere Weise beigebracht werden kann
oder wieder erbrucheu wird, so dass eine genügende Chinin-
wirkuug nicht eintreten kann, sodann, wie dies schon Per-
vers hervorgehoben hat, in den Fällen, in denen die Hoch-
gradigkeit der Symptome eine rasche Hülfe erheischt. Für
diese letzteren Fälle wäre dann allerdings diese Behandlungs-
methode von unschätzbarem Werth, da sich ja gerade bei ihr,
wie sich aus unseren Versuchen ergiebt, eine solch rasche
»
Subcutane Injectionen v. ChininTim bimuriaticnm b. Keuchhusten. 165
Herabminderung aller Krankheitssjmptome einzustellen pflegt^
wie dies bei keiner andern Methode der Fall|ist.
Am Schlüsse dieser Arbeit ist es mir eine angenehme
Pflicht, Herrn Medicinalrath Prof. Dr. Ungar für die An-
regung zu dieser Arbeit sowie für die freundlich gewährte
Unterstützung bei Anfertigung derselben meinen verbind-
lichsten Dank auszusprechen.
XL
üeber Geschmacksempflndungen rachitischer und niehtr
rachitischer Kinder.
Aus dem Kinder -Ambulatorium zu Bonn a. Bh.
Von
Heinrich Büssbm
aai Vierten (M-OUdbaoh).
Den Anlass zu nachfolgender Arbeit gab eine Abhand-
lung, betitelt: ^^Ueber Geschmacksempfindungen gesunder und
rachitischer Kinder", welche Dr. A. Lichtenstein im
XXXVII. Bande (l. Heft) des Jahrbuchs für Kinderheilkunde
y eröffentlich te. Der Inhalt derselben sei der Haupisache nach
hier kurz wiedergegeben. Verfasser sagt, man hätte im Laufe
der Zeit bemerkt, dass manche Kinder schlecht schmeckende
Medicamente ohne irgend ein Zeichen des Missfallens oder
Ekels zu sich nähmen. Diese Beobachtung hätte ihn be-
wogen, eine Anzahl von Kindern auf ihren Geschmacksinn hin
zu untersuchen und, da das auffällige Benehmen besonders bei
rachitischen Kindern häufig bemerkt worden sei, vor Allem
eine grossere Anzahl von letzteren zu den Untersuchungen
heranzuziehen. Er untersuchte im Ganzen 87 Kinder, Ton
denen 38 rachitisch waren, und zwar prüfte er dieselben auf
die vier Geschmacksqualitäten: SQss, Bitter, Sauer, Salzig. Das
Resultat war folgendes: Die nichtrachitischen Kinder rea*
girten mit Ausnahme von zwei Idioten und einem Imbecillen
sämmtlich normal; dagegen reagirten von den 38 rachitischen
nur 12 normal; die übrigen wichen von der Norm ab, so
zwar, dass 15 Kinder verminderte Geschmacksempfindungen
zeigten, die übrigen 11 die applicirten Substanzen überhaupt
nicht schmeckten. Verfasser glaubt annehmen zu können,
dass der rachitische Krankheitsprocess und die verminderte
resp. aufgehobene Perception der Geschmackseindrücke in Zu-
sammenhang stehen. Die Geschraacksstörungen brauchten bei
H. BüBsem: Geschmacksempfind. racbit. u. nicbirachit. Kinder. 167
Rachitis niclit immer vorhanden zu sein, sondern könnten
ebenso gut fehlen, wie andere Symptome z. 6. Kopfschwciss,
Krämpfe u. s. w. Die Ursachen der Störungen führt er auf
cerebrale Vorgänge zurück.
Das Resultat dieser Untersuchungen war so überraschend
und auffällig, dass es der Mühe werth erschien, in gleicher
Weise, wie es Lichtenstein gethan hat, Untersuchungen bei
Kindern anzustellen. Auf Anregung von Herrn Prof. Ungar
unternahm ich es daher, eine grössere Anzahl von Kindern,
die wegen yerschiedener Leiden dem Kinder- Ambulatorium
zu Bonn zugeführt wurden, sowie eine Anzahl von Kindern
der Kinderheilanstalt zu Godesberg am Rhein auf die hier in
Betracht kommenden Fragen zu untersuchen. [Dem Leiter
letzterer Anstalt, Herrn Dr. Brockhaus, sei an dieser Stelle
für die Freundlichkeit, mit der er die Untersuchungen zu
machen gestattete, bestens gedankt.]
Bevor wir auf die Resultate der Untersuchungen näher
eingehen, wollen wir einige Bemerkungen über die verschie-
denen Geschmacksarten, über die Wahl der angewandten
schmeckbaren Lösungen und über den Gang der Untersu-
chungen vorausschicken. Es wurde auf die vier Geschmacks-
qualitäten Süss, Bitter, Sauer, Salzig geprüft. Mehr Ge-
schmacksqualitäten nehmen die neueren Autoren nicht au.
Man hat sich lange Zeit hindurch über die Anzahl der Ge-
schmacksarten gestritten. Es kam dies nach v. Yintschgau^)
daher, weil man nicht sicher war, ob verschiedene Substanzen,
welche man für gewöhnlich als schmeckbar bezeichnete, wirk-
lich auf den Geschmackssinn wirken, oder ob man es nicht
vielleicht mit einem blossen Gefühls- oder Geruchseindruck
zu thun habe.
V. Vintschgau macht auf die Schwierigkeit aufmerksam,
die Geschmacksempfindung von anderen Sinnesempfindungen
zu unterscheiden, indem er sagt:
„Die Geschmacksempfindungen sind mit anderen Sinnes-
emfindungen meist so innig verknüpft, dass es uns sehr oft
nicht gelingt, beide Gruppen im Bewusstsein getrennt zu
halten, und man kann wohl die Behauptung aufstellen, dass
manchmal Empfindungen als Geschmäcke bezeichnet werden,
bei welchen die Geschmacksnerven gar nicht oder nur in sehr
untergeordnetem Grade erregt worden sind. Am meisten und
intensivsten werden unsere Geschmacksvorstellungen von den
Gefühls- und Geruchsempfindungen beeinflusst, obwohl man
auch dem Gesichtssinn einen Einfluss auf dieselben nicht ab-
1) V. VintBchgaii, Physiologie des Geschmackes, im Handbncb
der Physiologie von Hermann.
168 H. Bfissem:
sprechen kann; da wir im Dunkeln oder mit geschlossenen
Augen weniger sicher Ober Geschmäcke urtheilen.''
Bezüglich des sauren und des salzigen Geschmackes ist
nach y. Vintschgau hervorzuheben, dass man bei der Prü-
fung derselben sich nicht zu concentrirter Losungen bedienen
darf, da sonst neben den Geschmacksnerven auch die Gefühls-
nerven erregt werden.
Das Laugenhafte, Herbe, Adstringirende, Metallische u. s. w.
hat man bei der Aufstellung der Geschmacksarten unberück-
sichtigt gelassen, da die betreffenden Empfindungen sich zu
weit von reinen Geschmacksempfindungen entfernen und mehr
ein Gemisch von Geschmacks -, Geruchs- und GefQhlsempfin-
düngen darstellen.
Zur Prüfung der vier Geschmacksarten wählten wir nach
Vorgang von Lichtenstein die vier Lösungen:
Saccharin 0^25%, Chin. sulfur. 2%,
Acid. muriat. 2%, Natr. chlorat. 5%.
Sämmtliche Losungen sind so intensiv, dass der Er-
wachsene bei Application derselben eine deutliche, angenehme
resp. unangenehme Empfindung verspürt Die Application
geschah nicht, wie man es sonst wohl zu thun pflegt, mit
einem Pinsel, sondern mit einem kleinen Löffel, dies in der
Absicht, jegliche Alteration der sensiblen Theile der Mund-
höhle durch das zuführende Instrument zu verhindern.
Auch konnte eine Betheiligung der Geruchsnerven aus-
geschlossen werden, da alle vier Lösungen völlig geruchlos
sind, ebenso eine solche des Gesichtssinnes, da wir es mit
farblosen Substanzen zu thun haben. Es wurde weiterhin
darauf geachtet, dass die Menge der in die Mundhöhle ge-
langenden Flüssigkeit nicht zu gering war, da ja der Ge-
schmackssinn um so schwächer ausfallt, je kleiner die erregte
Fläche, je kleiner also im Allgemeinen die Quantität der er-
regenden Substanz ist. Ferner wurde vermieden, dass die
Flüssigkeit direct in den Rachen geschüttet wurde; es ward
darauf geachtet, dass dieselbe möglichst mit den Geschmacks-
flächen der Mundhöhle in Berührung kam, da ja Substanzen,
welche rasch verschluckt werden, den Geschmackssinn gar
nicht oder nur wenig erregen. Was das Alter der Kinder
anbetrifl't, so wurden solche im Alter von wenigen Monaten
bis zu acht Jahren untersucht. Eine besondere Auswahl be-
züglich des Befindens der Kinder wurde nicht getroffen, son-
dern es wurden dieselben herangezogen, wie sie zum Ambu-
latorium kamen, mit Ausnahme der stark Fiebernden und
aller solcher, bei denen eine Erkrankung der Mund- oder
Rachenhöhle vorlag. Nur wurde dafür gesorgt, dass möglichst
viele rachitische zur Beobachtung kamen.
üeber Geschmacksempfindungen racbit. und aichtrachit. Kinder. 169
Die Temperatur der angewandten Lösungen schwankte
sodann zwischen 10 und 20® C. Ist die Temperatur höher
ö<Jer niedriger, so kann leicht durch den Kälte- oder Wärme-
eindruck die Reinheit des Mienenspiels, das durch den Ge-
schmack allein hervorgerufen wird, verwischt werden. Auch
tat Camerer^) festgestellt, dass bei einer Temperatur von
lö — 20® C. am besten geschmeckt wird.
Wenden wir uns jetzt zu den ausgeführten Untersuchungen,
Im Ganzen wurden 195 Kinder den Geschmacksprüfungen
unterzogen. Von diesen waren 105 rachitisch. Es sollen
zuerst die Ergebnisse mitgetheilt werden, die sich bei den
Untersuchungen der letzteren herausstellten. Es lassen sich
hier drei Gruppen aufstellen. Zur ersten gehören die, welche
normale Geschmacksempfindungen zeigten, zur zweiten die,
welche herabgesetzte Geschmacksempfindungen hatten, zur
dritten die, welche überhaupt nicht schmeckten. Als zur
ersten Gruppe gehörig fanden sich 87 rachitische Kinder. Sie
seien hier der Reihe nach angeführt mit Angabe von Alter,
Gesehlecht, von Krankheiten, die ev. neben Rachitis noch be-
standen, und der rachitischen Symptome:
Alter
Knmkheilen,
o^ , , . ^ die eT, neben
GewAlecht Bacbitii noch
bestanden
Bachitiiobe Syniptonie
1 15 MoD. Knabe
2 3 Jahr
3 2 Jahr
4 11 Mon.
ö 2 Jahr
6 1 Jahr
7 9 Mon.
» 21 Moi..
d 10 HoD.
10 4 Jahr
11 3 Jahr
1:2 16 Mon.
13 8MoD.
Knabe
Knabe
Knabe
Knabe
Mädchen
Mn dcfaeo
Knabe
Mädchen
Mä jchen
Mädchen
Mädchen
Knabe
j Chron, Darm«
! k»Urrh
Pertussis
Pertossis
Trauma a. d.
rechten Hand
Pertussis
Pertussis
Oxjnren
T«e carrAe, abnorm gro»i« StimfontAneUe,
rachil B<ienkr»n*, Epivhjmmnttrejbmg
a. d ob.Kxtrem., FeeUu carln*fcnm, begta-
nende ScoUom, KopfichweiM.
0«in Taram. rachit. Eowmkraas, Kopf.
•cbweiM, kann nicht Uufen.
Rachit. BoMnkrana, Pecto» carinAl, »«»^
grosse Sürnfontonoll«, EpiphjswiÄttftwIb.
a d- ob. Extremit. a*i—
Rachit. Eoeenkran», abnonne gro»§s »um-
foüUn«Ue, Kopfcchweiaa, EviphymMuttr.
T«te carr««, rachit. BoMnkrans, Bpipbjten-
aaftreib. •. d. ob. Extrem-, Pectua ctfinatnm,
Rachit. Rownkran«, rergiötafrU SÜnton'
tanellf», genn Tarum, hat noch keine ^•'^f-
Pettu* carinatum, Kplphjienanftrrfb. a d oh.
VL unt. JExtremititen, abnorm groM« »ttm-
fontanelle, offez»« Dambdanaht.
Rachit Rosenkran*, abnorm groiae »™'
fontanelle, EpiphjMrnAoftr. a. d. ob. Kxtr.
Abnorm grosse ötirnfontanell*, rachit. Kosen-
kranx, Pectos carinntom, Kjrpbr^t«.
Ttte carrf-«, B^lpbys«Mllftr. »- d. ob. Extrem.
rachit. Rosenkr., kaui nicht mehr Inofen.
£pipbjs«naaflreib. a. d. ob n. unt. Extremit.
b. ginnende Kjrpbos«. rachit. Boeenkranx.
Rachit. Rosenkzanx, Ep physcnaoftrcib^ >. d.
ob. a unt. Kxtreitit , genn Tal^om, Peel««
caiinatam^ Bronchitis.
Florides Stadium : CnniOtabea, abnorm cmM«
Stizn^oiitan«;!« , tete carri«, Bronddtift
racLit. Rosenkranx.
Ij Handonch der Phrcologie von Hermann.
C KiaderheOknnde. -K. ¥. XXXIX.
12
170
H. Büsseni:
M ! Alter
14 11 Mon.
16l 8 MoD.
16 ly.Jahr
17
18
19
2 Jahr
26 Mon.
(HMhlecht
Mädchen
Mädchen
Mädchen
Knabe
Knabe
KrAnkheiten,
die er. neben
Raohitii nooh
bestanden
Bacfaititche Symptome
Pertussis
Pertui'sis
3 Jahr t Knabe
20 1 7 Mon. Mädchen
21
1 Jahr . Mädchen
22 1 Jahr
23 15 Mon.
24 2VtJahr
251 21 Mon.
Knabe
Mädchen
Mädchen
Knabe
26 8 Mon. I Mädchen
27 3y,Jahrl Knabe
28 > 20 Mon. I Mädchen
I
I I
29 j 1 Jahr ' Knabe
so! 15 Mon. i Knabe
Knabe
Knabe
31 öy, Jahr
32! 13 Mon.
33
34
20 Mon. Mädchen
4 Jahr ' Mädchen
85 5 Jahr
86 17 Mon.
87
88
89
Knabe
Knabe
14 Mon. ' Knabe
20 Mon. ' Mädchen
2 Jahr Knabe
40 ly.Jahrj Mädchen
41' 2% Jahr I Mädchen
42 2 Jahr Mädchen
43. 8y, M. Knabe
abgelanf.
Pertussis
Oxyuren
Pectos carLnatum, Bronchitii, raob. Boeenkr.,
abnorm grosse Stimfontan., Kopfschweiae.
Oaniotabes, abnorm grosse Stimfontanelle,
Lambdanaht offen, EpipbTsenanftreib. a. d.
ob. Extremitäten.
Epiphysenauftreib. a. d. ob. n. nnt. Extremii.,
raeb. SovenkranSf noch ohne Zthne.
Tit'to carr^e, rhaohit. Bosenkrana, Feetos ca-
rinatnm, Bronchitis, Kopfschweiss.
— Florides Htadium : Starke Epipbj-senaoftreib.
a. d. ob. u. nnt Extremil, rachit. Boscn-
krans, offene Stlmfontanelle, Kopfschwriss«
Spasmus glottidis.
— i.piphysenaoftr. a. d. ob. Extremlt., rachit.
Kosenkrans, tAte carröe.
E'ertuSS.incip. Abnorm grosse Stimfontanelle, Pectas cari-
natum, rachit. Bosenkrana.
Florides Stadium: abnorm grosse Stimfon-
tanolle, rachit. Bosenkrans, noch ohne
Zfthue, Fpiphysenauftreib. a. d ob. n. unt.
ExtroDiitätcD.
T^te carr^e, abnorm grosse Stimfoataaelle,
rachit Bosenkrans, EpiphTsenanftreib. a.
d. ob. Extremitftten.
Florides Stadium : offene Lambdanaht, alRiorra
grosse Stirnfontau., Kopfschweiss, Kypho-
ScoUose, Epiphysenauftreibong a. d. ob. n.
uut. Extremitäten.
Bachit. Boseokrans, offene Stimfontanelle,
kann nicht laafen.
Leichte Kyphose, Pootus oarinatum, rachit.
Bosenkrans, noch keine Zfthne.
Abnorm grosso Stimfontanelle , Bpiphysca-
auftreib. a. d. ob. u. unteren Extrem itftten.
T^te carr^e, rachit Bosenkrans, genn Tamm.
Florides Stadium: starke Epiphysenauftreib.
a. d. ob. u. unt. Extrem., rachit Bosenkrans,
Kopfachweisi , abnorm grosse Stimfontaa.
Florides Stadium : tdte carr6e, Spasmus glott,
rachit. Uosenkr., abnorm grosse Stirntoat
Floridas Stadium: BronohiÜs, Kopfschweiss.
abnurm grosso Stimfontan., rachit Bosen-
krans, noch ohne Zfthne.
Bachit. Bosenkrans, Epiphysenauftreib. a. d.
ob. u. unt Extremitäten.
Abnorm grosse Stimfontan., offene Lambda-
naht, noch ohne Zähne.
Florides Stadium: Pectus carinatom, T^te
carröe, starke Epiphysenauftreib. d. ob. a.
unt Extremitäten.
Bachit Rosenkr., Kyphose, kann nicht laufen.
Toto carr^<^, offene Stimfontan , genu rarum,
rachit Kosenkrans.
Rachit. Bosenkrans, noch ohne Zähne, ab-
norm grosse StirnfontauoUe.
Florides Stadium : Tete carr^ abnorm grosse
Stimfontan., Bronchitis, Kyphose, starke
Epiphysenauf treibung.
Epipl^sonauftreib. d. ob. Extrem., racbit
Rosenkrana, Spasmus glott, abnorm grosse
Stimfontanelle.
Räch. Bosenkrana, starke Epiphysenauftreib.
a. d. ob. u. mit. Extremitäten.
TiHe carree, räch Bosenkrana, Kopfschweiss.
Hachit Bosenkrans, Kypho-Scoliose, Epi'
physenauttr. a. d. ob. u. unt. Extremitäten.
Bachit. Rosenkrans, offene Stlmfontandle.
kann nicht laufen.
Florides Stadium: Bronchitis, Bosenkrana
Kopfschweiss, abnorm grosse Stimfontan
Oiynren
Pertussis
abgelaufene
Pneumonie
I.
üeber GeBcbmacksempfinduDgen rachit. und nicbtrachit. Kinder. 171
M
Alter
48
49
60
51
52
53
54
55
5C
67
68
69
60
61
62
63
64
ßb
66
67
68
69
70
71
72
78
74
76
76
77
Geschlecht
I Krankheiten,
j die ev. neben
Bachitii noch
bestanden
Bachitlsche Symptome
44' 4 Mon.
45 10 Mon.
46 1 Jahr
47 15 Mon.
2 Jahr
1 Jahr
9 Mon.
Knabe
Knabe
Knabe
Mädchen
Mädchen
Knabe
Knabe
15 Mon. I Knabe
9 Mon.
13 Mon.
1 Jahr
2 Jahr
15 Mon.
14 MoD.
8 MoD.
5 Mon.
11 Mon.
5 Mon.
7 Mon.
15 Mon.
10 Mon.
18 Mon.
14 Mon.
8 Mon.
2 Jahr
19 Mon.
5 Jahr
3 Jahr
3 Jahr
5 Jahr
Mädchen
Mädchen
Mädchen
Mädchen
' Mädchen
Mädchen
Knabe
Knabe
Mädchen
Mädchen
Knabe
Mädchen
Mädchen
Knabe
Knabe
Knabe
Knabe
Knabe
Knabe
Knabe
Knabe
Mädchen
5 Jahr ! Mädchen
3 Jahr ' Madchen
4 Jahr | Mädchen
4 Jahr Mädchen
Pertussis
Florides Stadium: Graniotabes, Bronchitis,
rachit. Hosenkrans, Kopfschweiss.
Noch keine Z&hne, abnorm grusse Stimfon-
tanelle , Epiphysenanfir. a. d. ob. Extremit.
Abnorm grosse Stirnfontanelle, Bronchitis,
Pectus oarln., noch keine Zähne.
Epipbysenaaf treibung , genu valgum, t^te
oarr^e, rachit Bosenkrans.
Florides Stadium: räch. Bosenkrans, starke
Epipbysenauf treib., ofifene Stirn fontanelle.
Töte carr6e, Kopfschweiss, Pectus oarinitum.
; Florldes Stadium : Craniotabes, abnorm grosse
Stirn rontanelle (deutl Henrortreibung von
innen durch Hydrops), Kyphose.
Tete carr^e, abnorm grosse Stimfontanelle,
Epipbysenauf treibung d. ob. Extremitäten.
Cran'otabes, grosse Stimfontanelle, rachit.
Kosenkranz . Epiuhysenauftr. a. d. ob. Extr.
Florides Studium: starke Epiphysenauftreib.,
pectus carinatum, rachit. Bosenkranz, ab-
norm grosse Stimfontanelle, tete carr6e.
Florides Stadium : starke Epiphysenauftreib.,
rachit. Bosenkrans, Kopfschweiss.
Offene Stirafontanelle , noch keine Zähne,
rhachit. Bosenkranz.
Craniotabes, starke Epiphysonauftr., abnorm
grosse Stimfontanelle, erst 4 Zähne.
Keine Zähne, tete carröe, starke Epiphysen-
anftrelbung, Bronchitis.
Bachit. Bosenkranz, Kopfschweiss, Bronchitis,
Epiphyseiiauftreibung d. ob. Extremitäten.
Floridos Stadium: t^te carr^e, pectus carinat,
Bronchitis, rhach. Bosenkranz.
Pectus cariD., rachit. Bosenkranz, noch keine
Zähne, Bronchitis.
Epiphysenauftreib. d. ob. Extremität., rachit.
Bosenkranz, Kopfschweiss.
Bachit. Bosenkranz, Pectus carinat, Bron-
chitis, abnorm grosse Stimfontanelle.
Florides Stidlum: Kyphose, tHe carr6e,
Craniotabes abnorm grosse Stirn fontanelie,
Infraction des rechten Unterarmes.
Töte carr^e, abnorm grosse Stimfont^inelle,
Epiphysenauftreib. d. ob Extremitäten.
Epiphysenauftreibung, abnorm grosse Stim-
fontitnelle, Kronchitis, rachit. Bosenkranz.
Tdte carröe. Pectus carin., Bronchitis, abnorm
grosse Stimfontanelle.
BroiiChitis, Spasmus glott., Epipbysenauf tr.
a. d. ob. u. unt. Extremitäten.
Starke Kyphose, rachit. Bosenkranz, t^te
carr6e, offene Stirufoutanelle.
Florides Stadium: Kypho Scoliose,tdtecarröe,
rachit. Bosenkranz, Kopfschweiss.
Florides Stadium, starke Extremitätenrer-
krUmmung, offene Stimfontanelle, rachit.
Abdomen.
Florides Stadium: sehr starkes Heryortretea
der tub front, et parlet., weit offene Stim-
fontanelle, Pulsiren derselben.
Kyphose, töte carröe, rachit. Bosenkranz,
Epiphysenauftreit ung.
Starke Epiphysenauftreibung, genu Talgom,
rachit. Rosenkranz, kann nicht laufen.
Genu rarum, töte carröe, kann nicht laufeit,
offene Stimfontanelle.
Genu varum, töte carröe, kam nicht laufen
Tete carröe, geim valgum, räch. Bosenkrans.
Genu valgum, räch. Bosenkranz. kann nlc1b%
laufen.
12*
172
H. Büssem:
M
mmea
Alter I OMchleobt
L_
Krankheiten,
die er. neben
Baohitii noch
beetenden
BAohitieohe Bsrmptome
78 1 8 Jahr
79| 8 Jahr
80 6 Jahr
81 3 Jahr
82| 8 Jahr
83 2% Jahr
84^ 3 Jahr
85* 2 Jahr
86 2 Jahr
I Mädchen
I Madchen
I Knabe
! Mädchen
Mädchen
Knabe
Knabe
Knabe
Mädchen
87 1 6 Jahr 1 Mädchen
Töte oarr^ starke Epipfayaenaaftr. a. alL Extr.
Epiphyaenauftr., töte carr^ kann nicht lanüaii.
G«na ▼arum, rachit. Boeenkrani, kann
nicht laufen.
Kyphose, offene Stirnfontanelle, staike £pi-
physenanftreibong an allen Extremitäten.
'Töte carr^e, Epiphysenanftreibung, kann
I nicht laufen.
Töte carröe, offene Stiznfontanelle, TacfaiL
Bosenkrans.
Baohit. Bosenkrans , Epiphysenauftreibung
I a. d. ob. u. unt. Extremitäten.
'Epiphysenauftreib., Pect oarinai.^ Bronchitia.
Offene Stimfontanelle , rachit. Boaenkxanc,
genu Tarum, rachit. Bauch.
Töte carröe, genu varumi, kann nicht laufen.
Es sei jetzt des Näheren auseinander gesetzt, wie die
Kinder, die im Vorhergehenden aufgezählt sind, auf die ein-
zelnen dargereichten Losungen reagirten. Wir begannen meist
mit der süssen Lösung. Wurde die Spitze eines TheelöffeLs
Sacchariulosung applieirt, so fingen die Kinder an, lebhafter
zu werden. Aus ihrem Mienenspiel konnte man das Gefühl
des W^ohlbehagens herauslesen. Die jüngeren machten Saug-
bewegungen, streckten die Händchen aus und richteten ihren
Blick auf den LofiFel. Die älteren Kinder brachten einem
Misstrauen entgegen, wenn man ihnen sagte, sie sollten etwas
einnehmen, sie wollten ungern heran. Hatte man ihnen dann
das Saccharin beigebracht, so waren sie plötzlich ganz um-
geändert. Sie verzogen ihre Mienen zum Lächeln, antworteten
auf die Frage, wie es geschmeckt habe, mit „gut'' oder „süss*'
und weigerten sich durchaus nicht» eine zweite Dosis zu nehmen.
Ein ähnliches Resultat erzielte Kussmaul^) schon bei
Neugeborenen: „Wurde Zucker in den Mund gebracht, so
wölbten die Kinder die Lippen schnauzenformig hervor, pressten
die Zunge zwischen die Lippen und begannen behaglich zu
saugen oder zu schlucken."
Genzmer^), Preyer^) und Lichtenstein sahen Aehn-
liches.
Ein gerade entgegengesetztes Bild boten diese Kinder,
wenn ihnen einige Tropfen Chininlösung dargereicht wurden.
Die jüngeren verzerrten ihr Gesicht, wurden unruhig, fingen
an zu weinen, mit den Beinen zu strampeln, warfen ihr Kopf-
1) KuBsmaul, Ueber das Seelenleben Nengeborener. S. 17.
2) A. Genzmer, Untersuchungen über die Sinneswabrnehmungen
des neugeborenen Menschen. Inaug.Dissert. Halle 1873.
3) W. Preyer, Die Seele des Kindes. Leipsig 1890.
w
Ueber Geschmacksempfindnogen rachit. und nichtrachit. Kinder. 173
chen hin und her, spuckten das Dargereichte aus und weigerten
sichy weitere Gaben zu nehmen. Manche mussten sogar auf
Chinin erbrechen. Die etwas älteren Kinder verzerrten auch ihr
Gesicht y machten eine ganze Anzahl von Schluckbewegungen
rasch nach einander, offenbar, um die schmeckbare Substanz
möglichst schnell aus dem Munde zu entfernen. Viele riefeui
es mochte doch nichts mehr davon gegeben werden, andere
bedienten sich des Ausdruckes ,^bah'', sobald ihnen die Em-
pfindung des Bitteren zum Bewusstaein gekommen war. Wieder
andere antworteten auf die Frage, wie es schmeckte, mit
schlecht".
Genzmer fand bei Darreichung von Chinin an Neu-
geborene Folgendes:
„Applicirt man ihnen eine Chininlösung von etwa 3 bis
5%, so verziehen die Kinder das Gesicht, kneifen die Augen
zusammen, der Schlund wird krampfhaft zusammengezogen,
der Mund weit geöffnet, die eingebrachte Flüssigkeit mit
dem reichlich ergossenen Speichel ausgestossen , kurz, es
werden dieselben mimischen Bewegungen hervorgerufen, die
man beim Erwachsenen als , bitteren Gesichtsausdruck' be-
zeichnet.^'
Eine ähnliche, jedoch nicht gerade so deutliche Reaction
wurde bei Darreichung von Natr. chloratum beobachtet.
Auf Acid. muriat. war die Reaction etwas anders. Die
Kinder empfanden auch das Saure im Allgemeinen sehr un-
angenehm, fingen an zu weinen und unruhig zu werden. Sie
verzerrten auch ihr Gesicht, aber meistens in einer ganz cha-
rakteristischen Weise, so dass man aus dem Mienenspiel fast
mit Bestimmtheit schliessen konnte, dass etwas Saures ge-
geben war. Sie zeigten das saure Gesicht, wie man es auch
heim Erwachsenen sieht, wenn er eine stark saure Substanz
geniesst. ^
Auch Genzmer fiel es auf, dass die Kinder bei Dar-
reichung von Säuren ein ganz charakteristisch saures Gesicht
machten, das nach seiner Ansicht besonders darin besteht,
dass die Kinder Würgbewegungen machen und zu gleicher
Zeit die Mundwinkel stark in die Höhe und zur Seite ziehen.
Es sei an dieser Stelle hervorgehoben, dass das Mienenspiel
nach Darreichung irgend einer der Lösungen bei jüngeren Kin-
dern viel ausgeprägter und deutlicher ist als bei älteren, dass
es infolgedessen für den Experimentireuden viel leichter ist,
bei jüngeren Kindern sich ein richtiges ürtheil über den wirk-
lichen Zustand zu bilden, als bei älteren, welch letzteren es
die Natur bereits in die Hand gegeben hat, willkürlich ihren
Gefühlen nach aussen hin Ausdruck zu verleihen oder sie zu
unterdrücken.
174
H. B^ssem:
Kussmaul sagt mit Bezug auf das Mienenspiel bei Neu-
geborenen nach Darreichung schmeck barer Substanzen:
„Das Mienenspiel erscheint bei den Neugeborenen in über-
raschend scharfer Ausprägung und kann zugleich nur hier in
seiner ganzen Reinheit studirt werden, da es in späteren Lebens-
epochen durch den Willen bald in Form von Selbstbeherr-
schung, bald in Form von Uebertreibung vielfach verfälscht
wird"
Zu der zweiten Gruppe von rachitischen Kindern, also zu
denjenigen, deren Geschmackseniptiudungen entschieden her-
abgesetzt waren, gehören von den 105 mit Rachitis behafteten
im Ganzen 12. Es sind dies die folgenden:
I I
.\j Knabe | Oetehleoht
Krankh«it«n,
die er. neben
Bftohitii nooh
bestanden
Baohitiache Symptome
1 27, Jahr Knabe
2 2 Jahr Mädchen i Pertussis
Si 22 Mon.
2 Jahr
5 18 MoD.
6 11 MoD.
7 13 Mon.
Mädchen
Knabe
Knabe
Mädchen
Knabe
Knabe
9 14 Mon. Knabe
10 U Mon. i Knabe
11 1 2 Jahr Mädchen
12 6 Jahr Mädchen
8
2 Jahr
Pertusbis ine Bpipbytenauftreibasg a. d. ob. Kxtr, Kypho:«,
räch. Rosenkranc, off. StimfontaneUe.
Offene StlrnfontanoUe, beginn. K} pliOf e, Kopf-
•cbwfiaa, hat erat 6 Zähne.
Floridea Stadiam: tt^te caiT<*e. räch. Rotee-
krans, Kpiphysenauftreibttiig, abnorm
grosse Stimfontanelle.
Floridea Stadium: offene Stimfontanelle,
rachit. Rosenkrana, Epipbyaenaufireibang,
t^te carrfe.
Noch keine Zahne, räch. Roeenkraiu, gross«
Stirn fontanelle.
Bronchitis P^ctus carin., Bronchitia, räch. Roaenkranz,
Kopfe oh weiss.
Oaniotabes, Kyphose , rachit. Roaenkranv,
< Btarke Kpiphysenanftreibong a. ob. u. unt.
Kxtremitäten.
— Florides Stadium: t6te carr^e, Pe«tna carin.,
Efiiphy^enanftreihnng, Kopfachweiss, kann
nicht laufen.
,KopfBoh weiss, abnorm grosse Stimfontanell«,
t^te carr^e, rachit. Roaenkr&ns.
— Starke h pipbysenauftreibung , räch. Roaen-
i kraus.
T^te carr^o, offene Stimfontanelle, reripat.
Zahiiunff.
ScrOphulose Starke Epiphyaenauftreibnng, rachit Roeen-
krans. kann nicht laufen.
Das Verhalten dieser Kinder bei den Geschmacksprüfungen
war ungefähr folgendes:
Gab man irgend eine der vier Lösungen, so konnte man
bei ganz genauer Beobachtung nur eine sehr geringe Reaction
merken. Die Kinder dieser Gruppe hatten zwar Geschmacks-
empfindungen, jedoch so abgeschwächte, dass ihnen das An-
genehme resp. Unangenehme der dargereichten Lösungen nur
wenig zum Bewusstsein kam. Gab man Saccharin, so ver-
hielten sie sich ganz ruhig, schluckten dasselbe herunter, als
ob es Wasser gewesen wäre. Bei Darreichung von Acidum
Ueber GeschmacksempfindangeD rachit. und nichtrachit. Kinder. 175
mur. und Natr. chlorat. war das Verhalten ähnlich. Sie wei-
gerten sich nicht; von Neuem zu nehmen, nur, dass sie manch-
mal verwundert aufschauten. Etwas intensiver wirkte das
Chinin bei diesen Kindern, jedoch lange nicht so, wie bei sol-
chen mit normaler Geschmacksempfindung. Es war oft sehr
schwierig, zu entscheiden, ob bei diesen Kindern wirklich noch
Geschmacksempfindungen vorhanden waren oder nicht. Wir
mussten die Untersuchungen häufig wiederholen, wir mussten
durch mancherlei Hilfsmittel uns zu überzeugen suchen, wie
die Sache jedesmal stand. So z. 6. versuchten wir bei man-
chen Kindern, bei denen wir auf andere Weise nicht zum
Ziele kommen konnten, auf folgende Art und Weise uns
Sicherheit zu verschaffen: Wir nahmen irgend ein süsses Con-
fect, das ausgehöhlt war, und gaben es mehrmals nacheinander
zu essen. Sie wurden dadurch so weit gebracht, dass sie eine
freundliche Miene aufsetzten. Gaben wir nun eines, in das
wir aber vorher, ohne dass es die Kinder merkten, irgend
eine der unangenehm schmeckenden Losungen hineingegossen
hatten, so nahmen sie dasselbe ebenso bereitwilligst, wie die
ersteren, zerkleinerten es im Munde, stutzten dann aber plötz-
lich, schauten verwundert auf, hielten mit den Kaubewegungen
an und spuckten das Ganze aus, so dass wir daraus schliessen
konnten, dass ihnen das Unangenehme zum Bewusstsein ge-
kommen war. Dasselbe Experiment hatte bei den normal
reagirenden natürlich einen viel eclatanteren Erfolg.
Manche Kinder waren so ängstlich, dass sie es geradezu
nicht wagten, zu weinen oder auf die Frage, wie es schmecke,
mit „schlecht" zu antworten, trotzdem mehrmals die betreffen-
den schlecht schmeckenden Substanzen gegeben wurden. Manch-
mal gelang es, diese Schwierigkeit dadurch zu überwinden,
dass wir der Mutter eines Kindes auftrugen, die Lösungen
dem letzteren einzugeben, während wir von irgend einem Ver-
steck aus das Mienenspiel des Kindes beobachteten. Wir
konnten so verschiedentlich die Beobachtung machen, dass
Kinder, die bei unseren Untersuchungen vorher alle Lösungen
ruhig ohne Aeusserung eines Affectes zu sich nahmen, auf
die Lösungen deutlich reagirten, wenn sie von der Mutter in
unserer Abwesenheit applicirt wurden.
Was nun die dritte Gruppe von Kindern anbelangt, die-
jenigen nämlich, welche von den vier Lösungen gar nichts
schmeckten, so gehören dazu 6 rachitische:
176
H. BÜssem:
M Altar a«MhlttCbt
Krankheiten,
die eT. neben
Baohitie noch
beetenden
Baohitieche Symptome
17 MoD. Knabe
2 18 Mon. Knabe
3 2 Jahre , Mädchen
4 3 Jahr ' Mädchen
Oxyuren
6 U Mon.
6 1 Jahr
Knabe
Knabe
Floridei Stediam: beginnende Kjpbose, ab-
norm grotee Rtimfontanelle, tMe earr^
rachit. Boaenkraju, Eplphjtenaaftreilmng
an allen ExtremitAten.
Florides Budiom: Kopfnfthte nicht rer-
wacheen, t£te carrte, Spaemue (rlottidie,
rachit. Boeenkrana, Bronchitle, EpiphyBen-
aaftreibong a. d. ob. Extremit&t«n.
Epiphysenanftreibong an allen ExtremitAten,
lachit. BoaenkranB, grosae Stirafontanelle.
Flnride« Stadium: atarke Epiphfaennnfkrei-
bung an den ob. n. nnt. Extremitfttan,
räch. BoBonkrani, Kopfichweias , Bron-
chitia.
Tt^te oarr^e, Epipbyaenanftreibnn? an allen
Kxtremitaten, Kopfnohwelae, rachit Boeen>
krana.
Noch keine Zähne, raohit Boaenknuia, groase
Stimfontanelle, Pectai carinatnm.
Diesen Kindern konnte man geben , von welcher Losung
man wollte, sie nahmen bereitwillig ohne Aeusserung eines
Affectes, sie machten Saugbewegungeu sowohl bei Saccharin,
als bei Chinin, Chlornatr. und Acidum muriaticum. Man
konnte deutlich ihrem Gesichte ansehen, dass es ihnen gleich-
gültig war, was sie bekamen, und mithin, dass sie keine Em-
pfindung des Angenehmen resp. Unangenehmen hatten. Es
war auch hier zuweilen schwer, sich ein richtiges ürtheil über
den wirklichen Zustand zu bildon, theils wegen der Aengst-
lichkeity theils wegen des unruhigen Verhaltens einiger Kinder.
Es wurde daher jedes dieser Kinder drei- bis viermal, und
zwar zu verschiedeneu Zeiten, untersucht, um völlige Sicher-
heit zu haben, dass diese Kinder von den dargereichten Lo-
sungen auch nicht das Geringste schmeckten.
Bei zwei rachitischen Kindern, die bei der ersten Ge-
schmacksprüfung ein negatives Resultat lieferten, machten wir
noch die Beobachtung, dass bei ihnen, als wir nach drei bis
vier Monaten die Untersuchungen wiederholten, eine Ver-
änderung eingetreten war insofern, als sie jetzt vollständig
normales Verhalten bezüglich der Geschmacksempfindungen
zeigten. Man sieht also, dass eine Besserung der Störungen
bald eintreten kann; die Rachitis selbst hatte sich in dieser
Zeit gar nicht geändert
Wie wir im Vorhergehenden gesehen haben, litten von
105 rachitischen Kindern 18 an Geschmacksstörungen, bei
zwei von letzteren war freilich bei späterer Untersuchung
wieder normales Verhalten eingetreten.
Vergleichen wir mit diesem Resultat die Ergebnisse der
Untersuchungen bei den nichtrachitischen Kindern. Es lassen
Ueber GeschmackBempfindungen rachit. und nicbtrachit. Kinder. 177
sich auch hier wieder die früher genannten drei Gruppen auf-
stellen. Von den 90 nichtrachitischen Kindern reagirten näm-
lich 77 normal. Ich lasse sie nachstehend folgen:
M > Alter
Ge-
lohleehfc
erent. Krankheit
.\f Alter
Oe-
aehleoht
OTent. Krankheit
1 7 Mon.
2 6 Jahr
3 2 Mon.
4 6 Jahr
ö7V,Jahr
6 3 V, Jahr
7 3 Jahr
8 5 Jahr
9 6 MoD.
10 5 Jahr
11 2 Jahr
12 7 Jahr
13 8% Jahr
14 8 Jahr
15 4 MoQ.
16 22 Mon.
17 3 Jahr
18 3 Jahr
19 8 Mon.
20 1 Jahr
21 6 Jahr
22 19 Mon.
23 2 Jahr
24 6'/' Jahr
26 3 Mon.
26 13 Mon.
27 6 Jahr
28 4 .Tahr
29 17 Mon.
80 3'/, Jahr
31 2 Jahr
32 3 Jahr
33 2 Jahr
34 8 Mon.
36 6 Jahr
36 13 Mon.
37 4 Jahr
38 6 Jahr
39! 2 Jahr ,
Eine
unter den
Mädch.
>i
1»
»»
»I
«I
II
n
n
1»
Knabe 'Bronchitis
Mädcb. Bronchitis
„ , Pertussis
f, Bronchitis
Knabe Pertussis
Pertussis
Oxyuren
Enteritis
Pertussis incip.
jOxynreo
.Oberarmfractur
(gesund
Pertussis
Nephritis
abgelauf. Enterit.
Knabe (Pertussis
Mädch. Bronchitis
Arthritis genu
gesund
Unterarm fraktnr
Enteritis
gesund
Enteritis
Pertussis incip.
Ekzema capitis
Bronchitis
Knabp | Bronchitis
Mädch. ! Oxyuren
Knabe | Bronchitis
Mädch. (Pertussis incip.
Pertussis incip.
Bronchitis
,, Bronchitis
Knabe Enteritis
., Pertussis
„ Pertussis incip.
Knabe (Pertussis
I Pertussis
'.1
Knabe
Mädch.
II
II
II
40|2V,Jahr
41 137, Jahr
42 2 Jahr
43" 5 Jahr
44
46
46
47
48
49
50
61
62
63
64
6f)
66
67
68
69
60
61
62
63
64
66
66
67
68
69
70
71
Mädch. Pertussis
„ 'Pertussis
Knabe gesund
Pertussis
»»
5 Jahr
2 Jahr
4y,Jahr
4 Jahr
2 Jahr
7 Jahr
14 Mon.
13 Mon.
26 Mon.
4 Jahr
7 Jahr
iV^Mon.
17 Mon.
6 Jahr
6 Woch.
6 Jahr
6 Jahr
6 Jahr Mädch.
Mädch.
Knabe
Mädch.
»I
j»
II
Knabe
>»
II
II
II
Mädch.
II
Knabe
II
I»
II
Knabe
Mädch.
2'/, Jahr
6 Mon.
4 Jahr
7 Jahr
26 Mon. Knabe
2 Jahr
1 Jahr
t«
II
II
Pertussis
Pertussis
Pertussis
Phthisis incip.
gesund
gesund
Oxyuren
Pertussis
Pertussis
Oxyuren
pfesund
Ekzema capit.
Pertussis
gesund
Pertussis incip.
Ekzema capit.
Oxyuren
Phthibis incip.
Pertussis
Pertussis
Bronchitis
gesund
Bronchitis
Bronchitis
Pertussis
I
1 7, Jahr; Mädch. Pertussis
6 Jahr
3 Mon.
72 1 187, M.
731 7 Jahr
fi
Knabe
Mädch.
II
Pertussis
Pertussis
Bronchitis
Parotitis idiop.
74167, Jahr! Knabe [Bronchitis
75 6 Jahr Mädch. Pertussis
7647gJahr
77! 6 Jahr
•Pertussis
Knabe 'Pertussis
Mädch. j Oxyuren
Abstumpfung der Geschmacksempfindungen zeigten
nichtrachitischen 10 Kinder:
M Alter
Ge-
•chlecht
erent. Krankheit
l|272Jahr Knabe Ekzema capitis
21 3 Jahr .. i Augina tonsillar
3
4
2 Jahr
2 Jahr
4 Jahr
II
V
II
I»
Bronchitis
iPertubsis
Oxyuren
M Alter
6
7
8
Ge-
■chleoht
event. Krankheit
6 Jahr
6 Jahr
4 Jahr
9J4y,Mon.
10372Jahr
T'
Mädch. .Enteritis
Knabe I Pseudocroup
Oxyuren
Ekzema capitis
Bronchitis
11
Mädch.
178
H. Bfl88em:
Völlige Aufhebung des Geschmackii war bei drei nicht-
rachitiseben Torhanden:
.\f I Alter
._1 _
i
Oeiohlecht erent. Krankheit
1
2
3
Koabe 'Bronchitis
„ iPertoBsis
2 Jahr \
2 Jahr '
2 y« Jahr | MUdchen 'Ozyaren^Idiot
Von den 90 nichtrachitischen Kindern litten also 13 an
Geschmacksstörungen, oder procentualisch ausgedrückt, 14%,
darunter freilich ein Idiot, während, wie wir gesehen haben,
von den 105 rachitischen 18, gleich 17%, daran litten.
Bezüglich der drei Gruppen der nichtrachitischen Kinder
gilt dasselbe, was oben für die einzelnen Gruppen der rachi-
tischen Kinder angeführt ist. Es soll nur noch bezüglich der
ersten Gruppe sowohl der rachitischen wie nichtrachitischen
Kinder einiges nachgeholt werden. Wenn bei dieser Gruppe
von normaler Reaction gesprochen wurde, so ist das so auf-
zufassen, dass die einzelnen Kinder im Allgemeinen eine gleiche,
präcise Reaction zeigten, dass jedoch hier und da geringe
Abweichungen von der Norm vorkamen, die man aber noch
nicht als eine Störung des Geschmackes ansehen kann. So
fand sich eine Reihe von Kindern, die im Uebrigen normalen
Geschmack hatten, nur für saure Sachen besondere Vorliebe
an den Tag legten. Bei Natr. chlorat. und Chinin verzogen
sie ihr Gesicht, Saccharin nahmen sie mit Wohlbehagen und,
was auffallend war, auch Acid. muriaticum. Wir konnten
auch meistens von den Müttern den Befund bestätigt finden,
indem diese angaben, dass die Kinder zu Hause saure Speisen
den anderen vorzögen. Eine andere Reihe von Kindern zeigte
die Eigenthümlichkeit, dass sie auf die unangenehm schmecken-
den Substanzen in abnorm starker Weise reagirten, so dass
man eine Steigerung der Geschmacksempfindungen annehmen
konnte. Sobald nämlich eine der drei Lösungen (Acid. mu-
riat, Natr. chlorat. oder Chinin) applicirt war, traten solche
Zeichen der Unlust, des Missbehagens zu Tage, dass eine
weitere Untersuchung geradezu unmöglich war. Weinen, Würg-
bewegungen, Erbrechen, Schütteln mit dem Kopf, Abwehiv
bewegungen mit Händen und Füssen, Ausspucken der ein-
gegebenen Lösung, alles dieses konnte man sofort nach der
Darreichung bei diesen Kindern beobachten. Chinin wirkte
dabei meist am intensivsten.
Bei manchen Kindern konnte eine Nachwirkung einzelner
Geschmäcke constatirt werden. War z. B. Chinin gegeben,
und gab man dann sogleich Saccharin, so entstand dieselbe
Ueber GeBchmacksempfindungen rachit. und nichtrachit. Kinder. 179
Gesichtsverzerrung, vfie sie bei Chinin eintritt; dieselbe blieb
oft noch bestehen, wenn sofort eine zweite oder dritte Qabe
Yon Saccharin hinzugefügt wurde, bis dann nach einiger Zeit
das verwunderte und später freundliche Gesicht der Kinder
anzeigte, dass ihnen das Süsse zur Empfindung gekommen
war. Umgekehrt ging es, wenn zuerst Saccharin^ dann Chinin
gegeben wurde. Der Umschlag des freundlichen Gesichtes in
das Gegentheil war hier in der Regel deutlicher als in dem
ersten Falle zu erkennen.
Alle vier Lösungen wurden bei den meisten Kindern der
ersten Gruppe bedeutend besser geschmeckt, wenn man vor
Darreichung einer der Lösungen Wasser eingab.
Allzulanges Experimentiren rief fast immer Abstumpfung
der Geschmacksempfindungen hervor.
Es ist viel darüber gestritten worden, ob die Kinder, be-
sonders die aus den ersten Lebensjahren, das Süsse bereits
als etwas Angenehmes, das Bittere, Saure, Salzige dagegen
bereits als etwas Unangenehmes empfinden oder ob der Ge-
schmackssinn der Kinder nur in ganz unbestimmter Weise
functionire und die mimischen Ausdrücke einfache Reflex-
erscheinungen seien, die durch einen geringeren resp. stärkeren
Reiz hervorgebracht würden. Für die erstere Ansicht spricht
sich A. Kussmaul aus. Er machte zahlreiche Experimente
und fand als Endresultat: erstens, dass der Geschmackssinn
bereits bei Neugeborenen in seinen wesentlichen Empfindungs-
formen thätig zu sein vermag, zweitens, dass mit bestimmten
Geschmacksempfindungen bestimmte mimische Ausdrücke ver-
knüpft sind.
Magendie*), Vierordt*) und Preyer theilen die Mei-
nung KussmauTs.
Ebenso konnte Lichtenstein aus seinen Untersuchungen
den sicheren Schluss ziehen, dass den Kindern der Geschmack
von Süss, Bitter, Sauer, Salzig bestimmt zur Perception komme.
Die zweite Ansicht vertreten unter anderen Bichat^) und
Genzmer.
Bichat lässt alle Sinne, also auch den Geschmackssinn,
in unbestimmter Weise functioniren:
„Les sensations, d'abord confuses, ne tracent ä Tenfant
que des images g^nerales; Foeil n'a que le sentiment de
lumiere, Toreille que celui du son, le goüt que celui de
1) Magendie, YorlesuDgen über das NervenBystem und seine Er<
krankanfi^en. Uebersetzt von Dr. Jos. Krupp. Leipzig 1S41.
2) Handbuch der Kinderkrankheiten. Herausgegeben von Gerhardt.
3) Bichat, Recherches physiologiques sur la vie et la mort. P. l.
Ari Vin. §. 8.
180 H. Büssem:
saveur, le nez que celui d'odeur; rien encore n'est distinct
dans ces affectioDS g^nerales/'
Genzmer sagt:
„Ob die Kinder bei der Einwirkung der bitteren und
sauren Losungen schon Ekel empfinden, ist schwer erweislich.
Wir sehen mir Reflexe, deren Eintreten beim Erwachsenen
mit Ekelgefölil verbunden zu sein pflegt; beim Erwachsenen
sind aber auch die Brechbeweguugen mit hochgradigem Ekel-
gefühl verbunden, während sich der Säugling selbst durch
wiederholtes Erbrechen durchaus nicht in dem Geschäft der
Nahrungsaufnahme stören lässt. Wahrscheinlich kommt dem
Neugeborenen der Geschmack des Süssen und Bitteren erst
mit der Zeit, nach öfterer Wiederholung des Reizes zum Be-
wusstsein."
Zur weiteren Erklärung führt Genzmer an: „Werden
die Geschmacksnerven in einer massigen Weise erregt, so er-
folgen Saugbewegungen als einfacher Reflex; ist der Ge-
schmacksreiz ein zu starker, so erfolgt Speichelfluss und Würg-
bewegung, ebenfalls als einfacher Reflex. Letzteres kann wohl
nur bei der Application von bitteren und sauren Losungen
der Fall sein, da der süsse Geschmack nie so penetrant, so
kräftig ist, um die zweite Reihe von Reflexen auslosen zu
können. Den differenten Gesichtsausdruck erkläre ich mir
durch einen von den Tastkörperchen percipirten Reiz, den die
Säure vermöge ihrer adstringirenden Eigenschaft ausübt.''
Die Beobachtungen, die wir bei unseren Untersuchungen
an den jüngeren Kindern der ersten Gruppe machten, brachten
uns zu der Ueberzeugung, dass die Ansicht der zuerst ge-
nannten Autoren die richtige ist. Mit Recht sagt Preyer,
bezugnehmend auf die Worte Genzmer's: „Wenn jede be-
liebige, massige Reizung der Geschmacksnerven als einfacher
Reflex Saugbewegungen bewirkte, jede beliebige, starke Reizung
derselben dagegen ebenfalls als einfacher Reflex Würgen, so
müsste auch der intensivste süsse Geschmack nur als massiger
Reiz angesehen werden, und es wäre unverständlich, dass
unter sonst gleichen Umständen die Mimik bei Bitter eine
andere, als bei Sauer und als bei Süss ist, wenn die ent-
sprechenden Reize stark genug sind/'
Man kann weiterhin gegen die Worte Genzmer' s noch,
anführen, dass es auch viele Erwachsene giebt, die gleich nach
dem Erbrechen mit Appetit wieder Nahrung zu sich nehmen
können. Sieht man überhaupt ganz von den Würgbewegungen
und dem Erbrechen ab, so bleibt noch eine ganze Reihe von
Zeichen, die deutlich dafür sprechen, dass bei den Kindern
unangenehme Empflndungeu statthaben, wir meinen das Wei-
üeber OeschmacksempfiDdiingen rachit. und nichtrachit. Kinder. Igl
nen, die AbwehrbewegangeD, das Schütteln mit dem Köpf-
chen u. s. w.
Kommen wir nun wieder auf die mit Geschmacksstörungen
behafteten Kinder zurück. Vergleichen wir die Zahl derselben
mit derjenigen y die sich bei den Untersuchungen Lichten-
stein's herausstellte, so sehen wir zuerst, dass der Procentsatz
der abnorm reagirenden rachitischen Kinder bei Lichten-
stein grösser ist als bei uns (68%: 17%).
Ferner beobachten wir, dass von den nichtrachitischen
Kindern Lichten stein's, abgesehen von drei Idioten, keines
eine Geschmacksanomalie zeigte, während bei den von uns
untersuchten, nichtrachitischen Kindern der Procentsatz der
an Geschmacksstörung leidenden fast ebenso gross ist, wie bei
den rachitischen (14% : 17%).
Aus unseren Untersuchungen ergiebt sich also deutlich,
dass bei Kindern, sowohl bei rachitischen als nichtrachitischen,
Geschmacksstörungen, sei es nun vollständige Aufhebung des
Geschmackes oder Abstumpfung desselben, nicht allzuselten
angetroffen werden. Bisher hat man von diesen Anomalien
wenig Keuntniss gehabt. Hier und da findet man in der Litte-
ratur vereinzelte Fälle angeführt, ohne dass aber die betrefiPen-
den Autoren näher auf die Aetiologie eingehen.
A. Genzmer berichtet von einem Falle, wo ein Mädchen
am ersten Lebenstage wie in der sechsten Woche an einer
5% igen Chininlösung saugte, ohne irgend ein Zeichen des Miss-
fallens von sich zu geben. Auch Kussmaul sah ein ähn-
liches Verhalten mehrer Kinder bei Darreichung einer 4% igen
Chininlösung. Der erste, der nach dieser Richtung hin um-
fangreichere Untersuchungen anstellte, war Lichteustein.
Letzterer zieht aus dem Befunde, dass die Mehrzahl der rachi-
tischen Kinder Geschmacksstöruugen zeigten, während die nicht-
rachitischen, mit Ausnahme der drei Geistesschwachen, normal
reagirten, den Schluss, dass der rachitische Krankheitsprocess
und die verminderte resp. aufgehobene Perception der Ge-
schmackseindrücke in Zusammenhang stehen. Er führt die
bei den rachitischen Kindern gefundenen Geschmacksstöruugen
auf cerebrale Vorgänge zurück. Er sagt:
,,Die Retardation der verschiedensten Functionen bei Ra-
chitis ist in letzter Linie auf cerebrale Vorgänge zurQckzu-
iühren. Die Mehrzahl der Rachitiker überragt das geistige
Durchschnittsmaass nicht, im Gegentheil bleibt hinter dem-
selben zurück (Verzögerung der Dentition, der Sprache, der
coordinirten Locomotion, schwieriges Haftenbleiben seelischer
Eindrücke, spärlichere Aeusserungen der Psyche, des Intellectes,
des Willens). Als anatomisches Substrat sind zweierlei Arten
von Störungen anzuführen:
182 H. Bfissem:
1. überstarke VascalarisatioD des Gehirnschädels, die nicht
nur Haut^ Knochen und Dura betrifft^ sondern auch Pia, Hirn*
rinde, so dass die betreffenden Centren leicht afficirt werden
können.
2. Vermehrung des liquor cerebro-spinalis'mit der daraus
resultirenden Druckwirkung und Ernährungsstörung/'
Auf Grund unserer Beobachtungen kann man jedoch, da
sich Geschmacksstörungen bei nichtrachitischen Kindern fast
ebenso häufig vorfanden, als bei rachitischen und da zudem
nur ein verhältnissmässig kleiner Procentsatz der rachitischen
Kinder eine Geschmacksanomalie erkennen Hess, der Schluss-
folgerung Lichtensteiu's nicht zustimmen. Keineswegs darf
immer eine bei Kindern sich vorfindende Geschmacksanomalie
als directes Symptom von Rachitis angesehen werden.
Auf Grund unserer Beobachtungen erscheint es fernerhin
nicht statthaft, für die bei Kindern sich vorfindende mangel-
hafte Entwickelung des Geschmackssinnes jene von Lichten-
stein angenommenen cerebralen Vorgänge verantwortlich zu
machen. Wenigstens fehlt für die nichtrachitischen Kinder,
bei denen sich in unseren Fällen Störungen des Geschmacks-
sinnes vorfanden, jeder Anhaltspunkt für derartige cerebrale
Vorgänge, wie sie Lichtenstein annimmt.
Es giebt nun eine ganze Reihe von Krankheiten, bei
denen mehr oder weniger häufig Geschmacksstörungen — so-
wohl Abstumpfung als völlige Aufhebung — vorkommen, so
z. B. bei Hysterie, Epilepsie, Tabes dorsalis, bei traumatischen
Neurosen, Litoxication durch Grubengas. Jedoch konnten
diese Erkrankungen, von denen ja ein Theil bei Kindern über-
baupt selten auftritt, bei der Frage, welches in unseren Fällen
die Ursachen der Geschmacksstörungen seien, völlig ausge-
schlossen werden.
Anästhesien der Geschmacksnerven kommen weiterhin
noch vor:
1. bei Erkrankung der peripheren Endorgane der Ge-
schmacksnerven (Erkrankung der Zungenschleimhaut);
2. bei Affection (Compression) des nervus glossopharyngeus;
3. bei Erkrankungen des n. lingualis und Trigeminus inner-
halb der Schädelhöble;
4. bei Affection der Chorda tympani (Mittelohrerkran-
kungen);
5. bei Affection des nerv, facialis vom Eintritt der Chorda
tympani an bis zum Ganglion geniculi.
Sodann sind centrale Geschmacksstörungen bei Erkran-
kungen des hinteren Abschnittes der inneren Kapsel beobachtet
worden.
Ueber Geschmacksempfindnngen rachit. uod nichtrachit. Kinder. 183
Dafür, dass eine von diesen Erkrankungen vorlag, fehlte
uns jeder Anhaltspunkt
Es erscheint uns überhaupt zweifelhaft, ja nicht einmal
wahrscheinlich, dass in den Fällen, in denen wir eine Ge-
sclimacksstorung constatirten, krankhafte Processe im engeren
Sinne die Ursache dieser Störungen bildeten. Jedenfalls ist
mit der Möglichkeit zu rechnen, dass es sich bei jenen Kin-
dern nicht etwa um eine Beeinträchtigung des bereits ent-
wickelten Geschmackssinnes durch krankhafte Processe handelte,
dass vielmehr bei ihnen der Geschmackssinn nicht genügend
oder überhaupt noch nicht zur Entwickelung gelangt war.
Zum Schluss erfülle ich die angenehme Pflicht, meinem
hochverehrten Lehrer Herrn Prof. Ungar für die Anregung
zu dieser Arbeit, sowie für die freundliche Unterstützung bei
Anfertigung derselben meinen herzlichsten Dank auszusprechen.
xn.
Zur Epidemiologie der Diphtherie im Sfiden Rasslands.
Von
Prof. Nil FiLATOW
iit Moskau.
Zu Ende der 70 er Jahre wurden die sQdlichen Gouver-
nements Uusslands bekanntlich von der epidemischen Di-
phtherie arg heimgesucht. Es ist schwer zu sagen, wann die
Krankheit dort ausgebrochen ist und wie sie sich verbreitet
hat, denn es fehlt an den dazu erforderlichen positiyeu Daten.
Man nimmt an, dass die Diphtherie im Jahre 1873 aus
Bessarabien ins Cherson'sche Gouvernement verschleppt worden
ist, sich allmählich im Verlaufe der folgenden Jahre in der
Richtung nach Norden und Osten verbreitet und auf diese
Weise die Gouvernements Podolien, Taurien, Jekaterinoslaw,
Tschernigow, Woronesh, Poltawa, Charkow, Kursk, Orel und
das Land der Don'schen Kosaken eingenommen hat Das ist
jedoch nicht richtig, denn es existiren Angaben, dass die Di-
phtherie an diesen Orten schon viel früher sporadisch beob-
achtet worden ist. So wird z. B. in den Sanitätsberichten
des Gouvernements Poltawa schon zu Beginn der 60er Jahre
der Diphtherie als in einigen Bezirken vorkommend erwähnt;
Bebse hat in dem Kursker ärztlichen Vereine im Jahre 1862
über epidemische Diphtherie Mittheilung gemacht, und Pu-
zeuko giebt an, dass er in den Jahren 1863 — 1864 ebenfalls
im Kursker Gouvernement ganze Dörfer angetroffen habe, die
von einer sehr schweren Diphtherie heimgesucht waren; dies
bestätigt auch Harrison, der zu derselben Zeit dort thätig
war. Popow beruft sich auf eine Schrift von Markewitsch
„Ueber die Bevölkerung des Gouvernements Poltawa", die
1855 in Kiew erschienen ist und u. A. die Angabe enthält,
dass die Diphtherie eine hervorragende Rolle unter den Krank-
heiten gespielt habe, welche am meisten Opfer unter den
Zar Epidemiologie der Diphtherie im Sflden RosslandB. 185
Kindern einiger Ortschaften des GoaTernements in den 50 er
Jahren gefordert habe.
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Diphtheritis im
Süden Russlands ebenso wie im westlichen Europa bald nach
dem Krimkriege aufgetreten^ aber lange Zeit unbemerkt ge-
blieben, denn einerseits entwickeln sich die Diphtheritisepi-
demien überhaupt äusserst langsam, und vom Auftreten der
ersten Fälle bis zur Entwickelung der Epidemie vergehen
bisweilen Jahre ^), andrerseits gab es zu jener Zeit dort fast
gar keine Aerzte und von genauen Sanitatsberichten konnte
keine Rede sein. (Trotz des heftigen Wüthens der Epidemie
kam zu Ende der 70 er Jahre in jedem der genannten Gou-
vernements je 1 Arzt auf 50 — 100000 Einwohner, die über
einen Flächenraum von 1500 — 2000 qkm verstreut waren.)
Um einen Begriff von der Heftigkeit der Epidemie zu
geben, wollen wir hier einige die Mortalität an Diphtherie be-
treffende Zahlen angeben. Am meisten officielle Angaben
giebt es über das Gouvernement Poltawa. Hier sind 1875
nur 480 TodesföUe vorgekommen, doch stieg die Sterblichkeit
später von Jahr zu Jahr und erreichte 1879 ihren Höhepunkt,
wie dies aus folgenden Zahlen ersichtlich ist: es starben an
Diphtherie:
1876 1876 1877 1878 1879 1880 . ^ «„ ^«.
1 in Samma 72 986.
480 4936 11071 21011 20376 15113
In vielen Bezirken reichte die Sterblichkeit an Diphtherie
bis zu 127oo heran und ging in anderen sogar noch hoher
hinauf. So starben z. B. im Mirgorod'schen Kreise im Ver-
laufe von 4 Jahren 11291 oder 2850 jährlich, was bei der
Bevölkerung von 180 000 Einwohnern fast 16 ^^ ergiebt. Be-
1) So wurden z. B. im Gonvernement Tschemigow die ersten F&Ue
▼on Diphtherie im Jahre 1879 angezeigt, doch blieh die Krankheit
8 Monate hindurch sporadisch; im Oharko waschen zeigten sich, wie
Gatoba anhebt, vereinzelte Fälle im Jahre 1869, die meist in Ge-
nesung ausgingen, und erst 1877 häuften sich die Erkrankungs- und
Sterbei&lle; im Poltawa'schen wurden in den 60 er Jahren die ersten
FftUe bekannt, doch ist eine Epidemie erat 1875 constatirt worden;
in diesem Jahre erreichte die Mortalität an Diphtherie im Mirgorod-
schen Kreise das Yerhältniss von 61 auf 1000 und 1876 Ton 66 auf
1000, während die Zahl der Geburten zu den Todesfällen sich wie
lOO : 130 verhielt (Ksensenko). Dasselbe wird auch in solchen Gou-
▼eniementa beobachtet, die weniger von der Epidemie zu leiden hatten,
wie z. B. im Ssaran'schen Kreise des Gouvernements Pensa, wo, wie
Chlebnikow angiebt, über den ganzen Kreis verstreute sporadische
Fälle von Diphtherie im Verlauf von 5 Jahren (von 1879 an) vorkamen,
and 1886 ohne nachweisbare Einschleppung plötzlich eine Epidemie im
Dorfe Romodanow ausbrach, die in wenigen Monaten 166 Kinder ins
Grab brachte. ^
Jahxbnch f. Kinderheilkande. K. F. XXXIX ^^
186 Nil Filatow:
rücksichtigen wir einzelne Dörfer, so stellt sich die MortaliiSt
bisweilen noch hoher: in Ssaratschinzjr z. B. erkrankten yon
9740 Einwohnern im Jahre 1876 2710 (28%) und starben
770; d. h. 797oo) ^^^ Epidemie dauerte hier 4 Jahre an und
in dieser Zeit erkrankten 3284 und starben 1009, d. h. % der
Bevölkerung war erkrankt und fast % gestorben. Im Dorfe
Sujewzy erkrankten 1877 von den 3387 Einwohnern 482
(14,2 %o oder 1 von 7) und starben 291 (86 7oo), im Ver-
laufe von 4 Jahren sind aber 1012 erkrankt und Ö19 ge-
storben (fast Ve ^^^ Gesammtbevolkerung).
Im Gouvernement Cberson erkrankten von 1875 — 1880
25900 Menschen und starben 9342, während im Jahre 18ä7
allein gegen 15000 an Diphtherie zu Grunde gingen. In
Charkow starben 1878 ca. 5000 Menschen, 1879 21571,
1880 11261. Aehnlich sah es in den übrigen inficirten
Gouvernements aus. Gegenwärtig nimmt die Diphtherie im
Gouvernement Ssaratow merklich überhand; sie trat hier 1890
auf und ergab in vier Jahren (von 1890—1893) 12813 Fälle,
▼on denen auf 1893 allein 8521 kommen.
Die Mortalität an Diphtherie schwankte an den einzelnen
Orten von 8 bis 16 % der allgemeinen Mortalität^ war jedoch
in einzelnen Kreisen bedeutend grosser, so z. B. im Senko-
wezky'schen Kreise des Gouvernement Poltawa, wo sie 25%,
und im Mirgorod'schen Kreise, wo sie 33 % der allgemeineu
Mortalität ausmachte.
Im Allgemeinen war die Epidemie um so intensiver, je
kleiner die Ortschaft, sodass die Morbidität beispielsweise in
Städten nicht 3^^^ überstieg, während sie in Dörfern das Ver-
bal tniss von 947oo ei^eichte (Molle sson).
Die Bedeutung der Diphtherie als eines die allgemeine
Sterblichkeit steigernden Factors ist so gross, dass sie an
einigen Orten fast alle Kinder hinraffte und dass in vielen
Kreisen die Anzahl der Todesfälle diejenige der Geburten be-
deutend überstieg. Zur Illustration des Einflusses der Di-
phtherie auf den Zuwachs der Bevölkerung föhrt Sawalewsky
eine Tabelle für 16 Dörfer mit 20377 Einwohnern an. 1879
fanden in diesen Dörfern 2343 (15,5 % ) Geburten und 2543
Todesfölle statt (darunter 1137 speciell in Folge der Diphtherie),
also 200 Geburten weniger als Todesialle; ja in einzelnen dieser
Dörfer überstieg die Zahl der durch Diphtherie bedingten
Todesfälle allein die Anzahl der Geburten, wie z. B. in
Ostanja, wo bei 3046 Einwohnern 286 Geburten und 441
Todesfölle, darunter 294 allein an Diphtherie, verzeichnet
werden mussten, und im Dorfe Koleniki, wo sich bei einer
Einwohnerzahl von 836 nur 96 Geburten, dagegen aber 155
Todesfälle und zwar 116 in Folge von Diphtherie ereigneten.
Zur Epidemiologie der Diphtherie im Süden RasBlands. 187
Die Ursachen, welche eine so weite Verbreitung der
Epidemie ermöglichten, sind sehr mannigfach. Ich will hier
nur auf einige Eigeuthümlichkeiten hinweisen, die namentlich
die ganz besondere Lebensweise und die materielle
Lage der Bauern jener Gegend betreffen.
Die Hütten sind meistentheils nicht von Holz oder Stein,
sondern werden einfach aus einem Gemisch von Lehm, Stroh
und Mist aufgeführt; eine Diele wird durch den glattgestampf-
ten Erdboden ersetzt. Gewöhnlich hat die Hütte nur ein ein*
ziges Zimmer von 3,5 bis 4,5 m Länge, 3 bis 4 m Breite
und etwa 1,5 m Hohe; die Fenster sind klein. In diesem
Zimmer lebt die ganze Familie, die oft aus 5 bis 7 Gliedern
besteht; hier wird das Essen bereitet, hier werden zur kalten
Jahreszeit auch junge Thiere (Kälber, Lämmer, Ferkel und
Hühner) untergebracht. Zur Beleuchtung dient ein Holzspan
oder in Schälchen gefüllter Talg, oder auch ein Petroleum-
lämpchen ohne Cylinder. Aborte sind nicht vorhanden, aller
ünrath von Mensch und Thier häuft sich direct auf dem
Hofe zu einer dicken Schicht an, die zur Regenzeit, nament-
lich im Herbste, eine weiche Masse bildet, in welcher der
Fuss bis zum Knöchel einsinkt. Die Luft ist so verbraucht
und erstickend, dass es Dr. Demidowitsch, wie er selbst
angiebt, in einigen Hütten unmöglich war, auch nur zehn
Minuten zu verbleiben, und doch lagen dort zwei, ja drei
Diphtheritiskranke zusammen.
Nach der Berechnung Gawrilow's kommen in wohl-
habenden Familien 6 cbm auf 1 Einwohner (mit Ausschluss
der Thiere), in armen Familien höchstens 3 cbm.
Zur Nahrung dienen ausschliesslich Brod und Gemüse,
Fleisch wird nur bei relativ Reichen angetroffen, und zwar
nur an Feiertagen; Milch und Eier haben lange nicht Alle.
Da nur die arbeitenden Familienglieder mit warmer Klei-
dung ausgestattet sind, die kleinen Kinder aber nicht, so ver-
bringen die letzteren oft den ganzen Winter in der Hütte.
Unter diesen umständen wird die Bevölkerung des Pol-
tawa'schen und anderer Gouvernements nicht nur von der
Diphtherie, sondern auch von verschiedenen anderen Epi-
demien arg decimiri Man kann, wie stud. Gawrilow an-
giebt, leicht den Kirchenbüchern entnehmen, dass diese oder
jene Epidemie in den Dörfern nie ausgeht. In einigen Ge-
meinden starben die Kinder noch vor Ausbruch der Diphtherie
in der Anzahl von 30 bis GOy^ an Scharlach, Masern und in-
fectiösen Fiebern. Durch das heftige Wüthen des Typhus,
der Dysenterie und anderer Krankheiten ist die Diphtherie
m vielen Dorfschaften ganz in den Hintergrund gedrängt
worden.
13 ♦
188 Nil Filaiow:
Wir sehen also die erste Vorbedingung zur schranken-
losen Verbreitung der epidemischen Diphtherie in der Ueber-
füllung der Wohnräume und in der Armuth und Unrein-
lichkeit der Dorfleute.
In zweiter Reihe ist die Unwissenheit der Beyolke-
rung und der damit verbundene vorurtheilsvolle Aber-
glaube anzuführen. Anfangs glaubten die Leute nicht an
die Ansteckungsfahigkeit der Diphtherie^). Die Epidemie wurde
von Vielen als eine Strafe Gottes betrachtet und alle gegen
dieselbe gerichteten Maassregeln wurden daher für Sünde,
d. h. für den Wunsch, gegen den Willen Gottes zu handeln
erklärt. So ist es begreiflich, dass jeder Versuch einer Iso-
lation und Desinfection mit unüberwindlichen Schwierigkeiten
zu kämpfen hatte, während Gewaltmaassregeln zu Aufleh-
nungen gegen die Obrigkeit führten.
Eine grosse Rolle spielten in dieser Hinsicht auch einige
Sitten und Gebräuche. Bei der Beerdigung zu fehlen, am
Todtenmahl nicht theilzunehmen, kein Andenken aus der Hinter-
lassenschaft des Verstorbenen anzunehmen, wird als höchst
anstössig betrachtet.
Nicht ohne Einfluss auf die Morbidität war auch der
eigene Altersbestand der dortigen Kinder weit. Die Sache
ist die, dass in den südlichen Gouvernements die Sterblich-
keit der Kinder im ersten Lebensjahre in Folge von Sommer-
diarrhöen relativ gering ist und dass es daher viel mehr
Kinder im Alter von 1 bis zu 15 Jahren giebt, die bekannt-
lich das Hauptcontingent für die Krankheit liefern.
Indem wir nun zur Beleuchtung einiger Daten aus der
Aetiologie der Diphtherie übergehen, wollen wir vor Allem
die Frage erörtern, ob diese Krankheit eine rein contagiose
oder eine contagiös- miasmatische ist. Mit ihrer Beantwortung
hängt die Wahl der Mittel gegen die Verbreitung der Di-
phtherie eng zusammen.
1. An der Ansteckungsfähigkeit der Diphtherie
kann nicht gezweifelt werden. In den Rechenschafts-
berichten der Aerzte vom Schauplatze der Epidemie sind eine
Menge von Thatsachen niedergelegt, die zweifellos beweisen,
dass die Diphtherie nicht nur leicht vom Kranken aaf Ge-
sunde, die das Zimmer mit ihm theilen, übertragen wird, son-
dern auch durch Mittelpersonen und durch Sachen, und zwar
selbst dann, wenn solche nicht in directe Berührung mit dem
1) Es ist u. A. vorgekommen, daes eine Mutter, deren Kinder er-
klang waren, zum Beweise dessen, dass die Krankheit nicht ansteckend
sei, eine abgelöste Membran verschluckte; da sie in der Folge nicht er*
krankte, so trag dieser Fall nicht wenig znm Unglauben des Yolkes
bei (Tschenykajew).
bi
Zar Epidemiologie der Diphtherie im Süden RasBlands. 189
Kranken gekommen waren^ sondern sich nur in dassen Zimmer
befanden hatten. Hierher gehört z. B. der Fall Gutoba's
(Aerztecongress in Charkow ^ S. 97):
In einer wohlhabenden Familie erkrankte ein Kind an Diphtherie
und starb am dritten Tage. Nach seinem Tode siedelten die Eltern
desselben in ein von Diphtherie freies Dorf über und nahmen einige
Sachen mit, die mit dem Kranken nicht in Berührung gewesen waren.
(Aus seiner nächsten Umgebung war Alles verbrannt worden.) Sie yer-
schenkten diese Sachen und bald darauf brach die Diphtherie im Dorfe
aus, und zwar zuerst in den fünf Familien, an welche diese Sachen ge-
rathen waren.
Es sind viele derartige Vorfalle notirt und nach den über-
einstimmenden Angaben der auf dem Schauplatze der Epi-
demie arbeitenden Aerzte hat die Sitte, aus der Hinterlassen-
schaft des Verstorbenen Sachen unter dessen Spielgefährten
zu vertheilen, sehr viel zur Verbreitung der Diphtherie bei-
getragen. Die Uebertragbarkeit der Krankheit durch Sachen
wurde Anfangs von den Bauern absolut nicht anerkannt;
späterhin überzeugten sie sich jedoch davon und verwertheten
sie zu verbrecherischen Zwecken. So versuchten z. B. die
Eltern zweier Idioten Yon 5 und 7 Jahren, bewogen durch
den Wunsch, sich von ihnen zu befreien^ dieselben mit Di-
phtherie zu inficiren (eigenes Geständniss der Eltern), sie
Hessen sie deshalb auf Kissen von Diphtheriekranken schlafen
und gaben ihnen inficirte Kleider, jedoch ohne Erfolg: beide
blieben gesund (Orlow, Bericht über die Diphtherie im Gou-
vernement Poltawa 1891, S. 242). In einem andern Falle
besuchte ein Weib, das an einer Verwandten Rache üben
wollte, das Todtenmahl in einem mit Diphtherie inficirten
Hause, brachte von dort Zuckerbrod mit und gab dieses den
Kindern ihrer Verwandten zu essen, die wirklich auch alle
an Diphtherie erkrankten und starben. Ein anderes Weib
brachte gleichfalls mit böswilliger Absicht Speisen und Win-
deln aus einem inficirten Hause und verursachte dadurch den
Tod von vier Kindern, darunter zwei ihrer eigenen. (Mit-
getheilt durch die Aerztin Popow aus dem Balascho waschen
Eüreise des Gouvernements Ssaratow. Wratsch 94, Nr. 8.)
Wie lange des Contagium der Diphtherie sich an Stichen
erhalten kann, beweist folgender, von Ulianowsky beschrie-
bene Fall (Bericht über die Epidemie von Poltawa, S. 223):
Im Oetober 1879 verlor ein Geistlicher drei Kinder an Diphtherie,
die beiden übrigen befanden sich damals in Poltawa; nach dem Tode
wurden di^ Sachen der Kinder vernichtet und das Haue desinficirt. Im
April 1880 traf die zwölfjährige Tochter aus Poltawa ein. Einige Tage
darauf fand die Frau des Geistlichen auf dem Boden ein Halstuch,
welches von einem der verstorbenen Kinder während der Krankheit be-
nutzt und gleich nach dem Tode des Kindes auf den Boden geworfen
190 Nil Filatow:
worden war, wo es den gansen Winter über (bei einem Froate, der
80° erreichte) gelegen hatte. Sie brachte es am 18. April vom Boden,
um es tu verbrennen, hierbei trat sufällig die Tochter anf sie so,
nahm das Tuch in die Hand nud betrachtete es einige Zeit. Am Abend
desselben Tages begann sie über Schlingbe!<ch werden cn klagen und
Tags darauf stellte sich bei ihr Diphtheritis heraus. Zu dieser Z«^it
gab es dort notorisch keine Diphtherie, weder in der N&he des Hantes
des Geistlichen, noch überhaupt in den benachbarten Dorfschaften.
Die Gontagiosität der Diphtherie documentirt sich mit
besonderer Deutlichkeit beim ersten Beginn der Epidemie in
einem gegebenen Dorfe. Zur Illustration geben wir hier die
Beschreibung des Beginns einer Epidemie im Dorfe Byk im
Ssaratow'schen Gouyernement (Tschenykajew): Die Krank-
heit war hierher aus dem benachbarten grossen Dorfe Schat-
newka yerschleppt worden. Der erste Kranke war ein 19-
jähriger Arbeiter, der mit krankem Halse aus Schatnewka,
wo er gearbeitet hatte, nach Hause zurückgekehrt war. Nach
viertägiger schwerer Krankheit genas er, jetzt aber erkrankte
seine zwolQährige Schwester an Diphtheritis. Bald darauf
wurden von derselben Krankheit ihre jüngeren Geschwister,
5^ und 3 Vi Jahre alt, befallen, die in den ersten Tagen des
December starben. Bei der Beerdigung waren drei Weiber
anwesend: die Faraskina mit einem siebenjährigen Sohn, die
Ischakowa und die Issajewa mit ihrer Tochter. Drei Tage
nach der Beerdigung erkrankte der nicht zugegen gewesene
jüngere Sohn der Taraskina, und darauf der siebenjährige
ältere Sohn und eine Enkelin, alle drei mit todtlichem Aus-
gange. Am 4. December erkrankte todtlich an Diphtherie
ein Kind im Hause der Ischakowa, welches gleichfalls nicht
bei jener Beerdigung zugegen gewesen war. Die Tochter der
Issajewa, die am entgegengesetzten Ende des Dorfes lebte,
starb nach zehn Tagen und nach ihr noch ein einjähriger
Bruder; durch sie inficirten sich wiederum die Kinder zweier
Brüder der Issajewa. Am 20. December zeigte sich eine
äusserst schwere Erkrankung an Diphtheritis wieder an einem
andern Ende des Dorfes in der Familie Steklow: es erkrankte
ein 19jäbriger Sohn, der am 24. December starb; seine Mutter
war bei Tarassenkow am 10. December zum Todtenmahle ge-
wesen. Unabhängig von diesen Fällen erkrankte in einem
noch nicht inficirten Theile des Dorfes ein achtjähriges Mäd-
eben, Minajewa, die am 31. December starb; die Krankheit
war ihr gleichfalls aus Schatnewka durch ihren Grossvater
übermittelt, der dort seine Tochter besucht hatte, welche
ihrerseits in der ersten Hälfte des December vier Kinder an
Diphtherie verloren hatte.
Die Frage, ob die Diphtherie sich ausschliesslich auf dem
Wege der directen oder indirecten Uebertragung des An-
Zur Epidemiologie der Diphtherie im Süden RuselandB. 191
steckuDgsstoffes yerbreitet, oder ob zum Entstehen einer Epi-
demie die Verschleppung des Contagiums genügt, muss in
verneinendem Sinne beantwortet werden, denn es giebt eine
Menge factischer Daten, die auf die Abhängigkeit der
Epidemie von Zeit und Ort hinweisen: 1. Wenn Di-
phtheritisepidemieu schon durch die Verschleppung des Con-
tagiums in irgend eine Ortschaft entständen, so könnte wohl
kaum das von allen Äerzten für den Süden Russlands fast
einstimmig festgestellte Factum beobachtet werden,
dass an vielen Orten noch längst vor dem Entstehen
der Epidemie die Diphtheritis nur in Form von einzelnen
Fällen beobachtet worden ist,
und dass diese Krankheit Jahre hindurch sporadisch bestehen
kann, bis endlich aus unbekannter Ursache die Fälle sich zu
häufen beginnen und auf diese Weise die Epidemie ausbricht.
Schon zu Beginn unserer Mittheilung sagten wir, dass es in
verschiedenen Gouvernements schon längst Ansteckungsherde
gegeben hat, hier wollen wir aber noch eine von Rudow
im Lande der Don'schen Kosaken gemachte Beobachtung an-
führen. Von 1876 — 1878 war hier kein einziger Fall von
Diphtherie verzeichnet worden; 1878 wurden in fünf Dorfern,
die nicht weniger als 20 km von einander entfernt waren,
13 sporadische Fälle bekannt, und erst Ende October 1879
trat eine kleine Epidemie (10 Fälle in kurzer Zeit) in einem
dieser Dörfer auf, während die richtige Epidemie erst Anfang
1880 ausbrach. Im Dorfe Beschetilowka (Gouvernement Pol-
tawa) starben 1868 an Diphtherie 307 Kranke, 1869 250,
1871 wurde die Krankheit gar nicht beobachtet, während das
Jahr 1873 sich wieder durch 65 Todesfalle auszeichnete; in
diesem Jahre herrschte die Diphtherie also recht stark und
sie hätte sich von hier aus über den Kreis oder das ganze
Gouvernement ausbreiten können, wenn die Vorbedingungen
dazu günstig gewesen wären; dieselben fehlten aber noch zu
jener Zeit.
Kurz, ge wohnlich
bleibt die Diphtherie, trotz Einschleppung des Ansteckungs-
stoffes, vor der Hand eine sporodische Krankheit und wird
plötzlich aus unbekannter Ursache epidemisch,
in vielen Fällen ohne bestimmte Ansteckungsquelle ^) und an
solchen Orten, wo die Krankheit vorher nicht beobachtet wurde.
1) Untit und Tchorahnitsky stellen in Bezug auf die Infections-
quelle folgende Tabelle auf:
192
Nil Filatow:
2. Die Morbidität und die Mortalität an Diphtherie
hängen intim mit den Jahreszeiten zusammen (Diagr. I
auf S. 192, Diagr. II auf S. 193, Diagr. III auf S. 194).
Wir ersehen
^^*^- ^' aus unseren Dia-
DiphtheritiB- Morbidität. grammen, dass
sich in einem
beliebigen klei-
nen Dorfe ganz
ebenso wie in
ganzen Kreisen
und in Gouver-
nements (ebenso
in Moskau) eine
Reihe Ton
Jahren hindurch
stets ganz die-
selben Curven
wiederholen. Sie
beweisen, dass
die Diphtheritis-
epidemien im
Herbste (im
October oder
November, sel-
tener im Sep-
tember) ihr
Maximum er-
reichen, wäh-
rend das Mini-
mum auf den
Sommer fallt
(vorherrschend
auf den Juni).
Dieses Verhal-
ten der Diphthe-
ritisepidemien
wird von allen
Autoren ein-
stimmig bestä-
tigt, so für das
JuiU J'ebr.Jtörc ^^w^
lorü Abii 'fvcMi %Juii A^ui, Sepi..OcL
L_.i . l ■
_i..
Xov. Dec-
'ÜMiKunsk fSSi /^WK 7)ot^ mdJrstr rvohwnfZ^nO
Moskttu nS(/ JXg syo'i/r- Oouv.atenon fd77 (JÖSbK)
Angeflteokt als HausgenoBsen der Kranken
,, von Kranken im Nachbarhanse
518
317
11
im Naohbardorfe 97
durch Kleider oder Mittelpersonen 78
InfectiouBquelle unbekannt 819
1329.
Zur Epidemiologie der Diphtherie im SOden BuBelondB.
193
GouTeraement Poltawa von Kseosenko, für Woronesh
TOD Telitschej e w, fQr Orel von Radu 1 o w i tsc h, fOr
Eurek von Untit, fQr Cheraon von Silbersteio, Uwaroff
Q. Ä., fQr das Gebiet der Don'schea Kosaken vod Budow etc.
Ferner sehen wir, dass im Beginne des Jabres die Mortalität
aber der Morbidität steht, d. h. dass die Epidemien im Winter
verderblicher sind ali
Mai, zuweilen
aber anch im
Juni, eine ge-
ringe Erhebung
der Morbiditäts-, fg
bisweilen auch
der Mortalitats-
curven vor-
kommt.
Die Anhäufung
der Erankheite-
und Todesfälle
im Herbste ist
weniger durch
eine Verschlim-
merung der Epi-
demie in den
inficirten Dßr-
fem, als durch
die Verbreitung
der Diphtherie
auf neue Ort-
schaften bedingt.
So giebt z. B.
fOr den Odes-
saer Ereis K a r-
manenko
folgende Ta-
belle:
, Herbste und dass im April oder
Diagr. II,
DiphtberitiB - Hortalit&t.
April, Mai, Juni 601 247 8,4
Juli, Anguat, September ... 707 884 2,6
October, November, December . 17S1 608 8,0
Janasr, Februar, März .... 1806 466 2,6.
Hieraus folgt, dasa die Diphtherie im Herbste sich leicht
Ober ein weiteres Territorium aasbreitet.
Nach der Ansicht Ton Prof. Jacobi ist die Steigerung
198
NU Filaiow!
allen gegen die Epidemie gerichteten Maassregeln. In yielen
Kreisen des Gouvernements Poltawa ging die Epidemie 1880
bedeutend zurück, obgleich noch keinerlei ernstliche Schritte
gegen sie gethan waren und durchaus kein Mangel an Kranken-
material vorlag; eine deutliche Abnahme der Epidemie wurde
auch in Kreisen beobachtet, in denen sie (wie z. B. im Kobel-
jansky'schen und Kons tan tinogradsky 'sehen) überhaupt nicht
stark geherrscht und wenig Todesfalle verursacht hatte.
Das lange andauernde Bestehen der Diphtherie in Form
Diagr. lY.
Verlauf der Diphtherie -Epidemien (Periodicit&t).
^
,J3<z»^nuuicv ^üez» Chersoil
von sporadischen Fällen, der ausgesprochene Zusammenhang
der Epidemien mit den Jahreszeiten, der Einfluss der localen
Verhältnisse, die verschiedene Intensität der Epidemien eines
gegebenen Ortes in den einzelnen Jahren, ihr paralleler Ver-
lauf an verschiedenen Enden eines colossalen, aus mehreren
Gouvernements bestehenden Territoriums (die Acme der Epi-
demien 1878 und 1879 in den Gouvernements Poltawa, Char-
kow, Tschernigow u. a.), das in weiten Abstanden verstreut«
gleichzeitige Auftauchender Krankheit an verschiedenen Punkten,
der Umstand, dass in der Mehrzahl der Fälle die Verschlep-
pung oder directe Uebertragung des Contagiums nicht nach-
gewiesen werden kann und häufig auch ganz unwahrscheinlich
ist, — das Alles weist darauf hin,
dass die Entwickelung der Diphtheritisepidemien durch
Znr Epidemiologie der Diphtherie im Süden Rnsslande. 199
klimatische und locale Verhältnisse beeinfiusst wird, und
dass UebertraguDg und Verschleppung des Ansteckungs-
stoffes eine zwar wichtige , aber doch nur vermittelnde
Rolle spielen.
Verhält es sich so, so werden Quarantaine und Desinfection
an sich, wenn sie auch wirklich in gehöriger Weise durch-
geführt werden konnten, die Epidemie wohl abschwächen, nicht
aber ihre Verbreitung verhindern können.
Einfluss des Alters. Da Alle darüber einig sind, dass
die Diphtherie vorherrschend Kinder befällt, und diese An-
sicht durch die Daten aus der Epidemie im südlichen Russ-
land auch vollkommen bestätigt wird, so werden wir uns
auch ausführlich nur mit dem Eindesalter beschäftigen und
uns darauf beschränken, einige wenige, jedoch sehr über-
zeugende Ziffern und Diagramme anzuführen.
Das Resultat der von den Eursker Aerzten eingereichten
1433 Anzeigekarten ist auf folgender Tabelle verzeichnet:
Alter Erkrankt Gestorben
0—2 Jahre 99 40,4%
2-6 „ 346 61,8%
6—10 „ 547 42,2%
10—15 „ 276 80,0%
15 und mehr 166 1M%-
Ksensenko vertheilt seine 1603 Kranken in der Ort-
schaft Ssorotschinzy tabellarisch in folgender Weise:
Alter Erkrankt Genesen I Gestorben
0-1 13 8 5
1—2 67 20 87
2—8 154 39 115
3—4 184 69 115
4—5 160 69 91
6-6 178 85 98
6-7 157 64 98
7—8 ,116 77 , 39
8—9 97 58 39
9—10 57 44 18
10-11 90 72 18
11—12 52 38 14
12-18 68 51 12
13—14 42 32 10
14—15 25 23 2
15—16 . 155 137 1 18
Verkürzt stellt sich diese Tabelle dar wie folgt:
Alter
Erkrankt . . . .
Oestorben . . . .
^— 1 1—8 ] 3 — 5 1 5—10 ; 10—16 16 u. mehr J.
1^ «11 1 844 I 605 ' 272 i 165
^ I 162 206 277 , 56 | 18
SterbUchkeitsproc. 88 T^ \ ^9% , \V.8 1 llfi \ 11,6.
«4.6,
Eine ähnliche Tabelle giebt Beljakowsky aaf Grund
1 14S7 Fällen fQr das GouTemement Poltawa:
Alter I
Erkrankt . . . .
Gestorben ....
Sterblichkeit«proc. j
— 1
1—3
3—6
6—10
10—
1»
89b
.138
M7
807
f<
367
1S4
ao2
45
SU
m
M,4
39
21
la.
ÄUB dieser tabellariBchen Ueberaicht geht hervor, dasa die
Morbidität und Mortalität od Diphtherie bei Kindern Ton
1 — 5 Jahren am gröasten ist, nächatdem im Alter von 5
bis ZQ 10 Jahren;
im Säuglingsaltet erkranken nicht nur weniger Einder, gon-
dern ist anch das Mortalitätsprocent geringer als im späteren
Kindesalter (s. Diagramm Nr. V).
Diagr. V.
Eioflots deB Altera anf die Diphtheritis- Mortalität.
? 1
6s
s
^i^
- f
Zur Epidemiologie der Diphtherie im Sfiden Bottlandt. 201
Was die Morbidität an Diphtherie in yerschiedenen Alters-
stufen im Verhältniss zam Altersbestande der BeTSlkerong be-
trifft, so giebt Esensenko folgende Tabelle:
Von 100 Einwohnern im Alter von 0—4 Jahren erkrankten 45,4%
59,7
71,9
50.2
23,6
17,1
9,9
4,9.
da
5-9
do.
10—14
do.
16—19
do.
20—29
do.
30 39
do.
40-49
do.
60—79
Die Tabelle betrifft 4 Dörfer, die unter der Diphtherie
stark gelitten hatten; da aber die Ansteckungsgefahr ffir Kinder
gleichen Alters Terschieden ist, je nachdem sie in inficirten
oder in gesunden Häusern leben, so darf angenonunen werden,
dass die Kinder im Alter Ton 10 bis zu 14 Jahren bei Ksen-
senke eine besondere Morbidität aufiriesen, weil sie mehr
Gelegenheit hatten sich zu inficiren; das Resultat wäre Tiel-
leicht ein ganz anderes gewesen, wenn er das Mortalitäts-
proeent einerseits f&r alle Kinder des infidrten Dorfes nnd
andrerseits für solche Kinder bestimmt hätte, die in inficirten
Häosem lebten und in Folge dessen Gelegenheit hatten sidi
direct zu inficiren. Eine derartige, Tergleiehende Berechnung
hat Tschenjkajew f&r das Dorf Bjk angestellt und es hat
sich dabei auch richtig ein bedeutender Unterschied heraus-
gestellt:
AHer
Eusvokoenahl d. Dorf ei >>
Einvch-ienahl der 4S i»-
^sinem Bä:»er . . .
\ku d.KrMMkem in dufs^tn
48 mntfiii, ....
a- Eizvckaer
des D^rte» .
lil
-1
!— 3
3 9
o— 10
10—16
16 a. aMrtf J,
>>
Ä|
V*
167
117
716 « 1191
1«
17
30
64
31
19^ » 34^
1
17
26
37
11
IS — 1 /7
u»
21
3^,4
2^ t
M
t4-9
M 1 xar EiLvcrs
e w I der iu
£-i I EXcKT fi ;v.O i^XO 4^,0 %&J, S — y/.7
Ans di<*<rT Tah-elle ist. ei>tn**j wie a:» den dr«rri er*t^i--
crsicktlicr, da.»« die gross:« Difpo^iT^os f^lr die Dij^Ltier;*
bei Ki^iem tob 1 bi« is 5 Jarr*!: ::r,d ii zweh«r Lijcie i:^
AUer Ton 5 ci» 10 Jahres aaz^tr^f« iäX.
Ifsdirid:;^::* D:fp:*f;:on ssi zatirii.Le Ix=.:J'
nitit geg^n Dif L^reri*. L»as» i*cL irf= lo. I>^-ji^:L»j^ire
die IlisfÄF^iti^a ir.r ^.;:c.-i.«r* Zß^i^^*jtz.i a.'.-i=Liit, i*^ K,£'.t
bei oberf5/,i-i^^^ B^rr^i-inrzr ier aiz^- --i^^*^ Tai^-.*s *t.',ia
•, dv.i: li4*t fiii_ 'ij» Yr^z^. et «dse —
206 Nil Filatow:
Schliesslich wollen wir noch eine Thatsache anf&hren,
welche die Bedeutung des Wassers als Erankheitsyermittlers
beleuchtet Tchorshnizky theilt folgenden Fall mit:
Die Matter einer im Dorfe Bassowo autgestorbenen Familie wasch
die Wäsche ihrer yerstorbenen Kinder in einem kleinen FlQsschen, in
dem sich vier aas yerschiedenen Familien des Nachbardorfes Jassenky
angehOrige £inder in der] Nähe badeten. Zwei Tage daraaf erkrankten
diese Kinder gleichseitig and starben nach weiteren 2 bis 8 Tagen.
Die Bedeutung der materiellen Verhältnisse wird
von den Autoren verschieden beurtheilt. Die Mehrzahl neigt
zu der Ansicht, dass die Diphtherie zwischen Arm und Reich
keinen unterschied macht, dass zur Zeit der Epidemie die
Einen wie die Andern in gleichem Maasse erkranken, dass
aber die sporadische Diphtherie bei schlechten hygienischen
BedinguDgen häufiger angetroffen wird. Wir fähren ein Dia-
gramm von Popow an, aus dem hervorgeht, dass die Mor-
bidität in wohlhabenden und armen Häusern fast ganz die
gleiche war, die Mortalität aber bei den letzteren bedeutend
Qberwog (Diagramm Nr. VI, Seite 207). Auf der linken Seite
der Figur ist die Morbidität und Mortalität der armen, auf
der rechten der wohlhabenden Häuser verzeichnet; die Greuze
der Mortalität ist durch den weissen Strich angedeutet. Das
Diagramm ist für einige Dörfer des Schtschigrow'schen Kreises
zusammengestellt.
Die ohnehin sehr grosse Mortalität an Diphtherie con-
centrirt sich besonders im Herbste, und diese Jahreszeit ver-
ändert daher in auffallender Weise die allgemeine Mortalitäts-
curve; eine Diphtheritisepidemie bringt in der allgemeinen
Mortalität derartige Veränderungen hervor, dass man nach
diesen nicht nur auf das Vorhandensein einer Epidemie, son-
dern auch auf den Intensitätsgrad derselben schliessen kans.
Eine Eigenthümlichkeit der Diphtheritisepidemien besteht darin,
dass sie nur für das Eindesalter die Mortalität er-
höhen, und zwar nur zu gewisser Jahreszeit.
Die bedeutende Steigerung der Mortalität im Kindesalter
tritt auf den von Popow für den Krementschug'schen Kreis
aufgezeichneten Gurven deutlich hervor. Wenn wir die Mor-
talität in verschiedenen Altersstufen zur Zeit des ärgsten
Wüthens der Epidemie mit der Mortalität eines epidemie-
freien Jahres in ein und demselben Kreise vergleichen, so
sehen wir vor Allem, dass die Mortalitätscurve der Kinder
unter einem Jahre zur Zeit der Epidemie die charakteristische
Herbststeigerang nicht aufweist, sondern sich fast auf derselben
Höhe hält; das Säuglingsalter hat also nicht besonders von
der Diphtherie zu leiden, die Mortalitätscurve der Kinder von
1 bis zu 10 Jahren verändert sich im Gegentheil stark im
Zar Epidemiologie der Üiphtberie im SQden BasalaudB. 207
1
■s ^
^1, asasi
ISSSlätSä
llsss
s s s ® 5 s ;
^•8
!X,
TT 1 i : , , M
IUI
1 1 11 1 11
*1
Mi lliiilMlilillMlllll
220 J. Lange:
einem zur Aufnahme des kleinen männlichen Glieder geeigneten HaIsc
leicht um die Hüften befestigte. Ferner hat Gruse') den Urin in mit
weichen Gummiringen am Penis fizirten sog. Condoms aufgefangen.
Schliesslich hat Epstein einen dem Poliak'schen Verfahren nachgebil-
deten Recipienten angegeben. Derselbe besteht aus einer möglichst
schmalen Flasche, über deren Hals ein vorne abgeschnittenes Gnmmi-
sanghütchen gezogen wird. Letzteres wird über den Penis gestülpt und
mittelst Bandage und Schenkelriemen in seiner Lage erhalten. Diese
Methode bietet die relativ besten Garantien und belästigt das Kiod am
wenigsten. Bei meinen Bemühungen erwies sich dies Verfahren als das
einfachste und sicherste. Selbstredend passirt es auch hier sehr oft,
dass bei grosser Unruhe des Kindes sich die Bandage lockert und Harn
verloren geht, da man aber stets durch die iDspection der Windeln
dieses controliren kann, so kann ein solcher Versucbstag als ungenau
erkannt und als verfehlter Beobachtungstag ausser Betracht gelassen
werden, immerhin verheble ich mir nicht, dass alle diese Methoden
relativ unvollkommen sind.
Aus air diesen Darlegungen geht zur Evidenz hervor^
dass Stoffwechsel- resp. Ausnützungsversuche beim Säugling
mit annähernder Sicherheit nur in der eigenen Familie oder
in geschlossenen Anstalten, und auch dann nur bei zuverläs-
sigem Wartepersoual und ausreichenden Hilfsmitteln möglich
sind. Mir stand hierzu das Material der Säuglingsstation des
Leipziger Kinderkrankenhauses zur Verfügung. Bei den Ver-
suchen wurde selbstverständlich von allen Kindern, die wegen
Erkrankungen des Verdauungsapparates, Diarrhöen, Erbrechen
u. s. f. in Behandlung waren, abgesehen. Aber auch bei den
Kindern, welche wegen anderer Leiden zur Aufnahme ge-
kommen waren resp. bereits vollständig gesund waren und
deswegen für meine Versuche geeignet erschienen, traten häu6g
Unterbrechungen der Beobachtungsreihen ein. Daher steht
mir wohl eine relativ zuverlässige, aber sehr beschränkte Serie
von Beobachtungen zur Verfügung.
Es wird von Interesse sein, behufs späterer Vergleiche mit der Kuh*
milchausnutzung des Säuglings, die Ergebnisse kennen zu lernen, welche
bei Darreichung von Kuhmilch am Erwachsenen gefunden wui'den.
Beim Erwachsenen untersuchte Rubner') zunächst während dreier
Tage bei einem Individuum die Ausscheidungen bei Darreichung von
reiner Milch.
Es wurden genossen am
1. Tage . . 2600 ccm
^. fi . . . a2oö )f
0> ft • • • «*vO )|
im Mittel 2438 ccm Milch;
ausgeleert wurden
Harn am Darin N.
1. Tage . . 1665 ccm . . 15,6
2. „ . . . 2080 „ . . 10,S
3. „ . . . 1630 „ . . U.7
im Mittel 18,6 N.
1) Jahrb. f. Kinderheilk. N. P. Bd. XI.
2) Zeitschr. f. Biologie Bd. XV. 1879.
Ueber d. Stoffwechsel d. SäugliogB b. ErDährang m. Kuhmilch. 221
Eoth wurde ausgeleert an den 3 Tagen 287,0 g, trocken 74,5,
taglich im Mittel 96,3 „ „ 24,8.
Genotsen
Ausgeleert
im Koth I im Harn
an Trockensubstanz 315,0
„ Stickstoff 15,4
»»
II
Fett 95,1
Zucker 102,4
Asche 17,8
Demnach war
die Trockensubstanz
der Stickstoff . .
das Fett ....
und die Asche . .
24,8
1.0
4,66
8^7
13,5
zu
92.2 % ,
1»
98 :j „
ft
96 7 „
11
61.'-' „
ausgenützt. Die betreffende Person befand sich dabei ann&hemd im
Stickstoffgieichgewicht. — Bei drei weiteren nur eint&gigen Versuchen
ergaben sich folgende Werthe:
Einnahmen:
Veriuchi-
perton
A.
B.
C.
Milch
friich
2050
3075
4100
Milch
trocken
Darin N. Fett
264,9
397,3
529,7
12,9 79,9
19,4 119,9
25,8 '. 160,0
Zucker
' 86,1
I 129,1
t 172,2
Aeoh«
15,0
22.4
29,9
Ausgaben:
Verancht-
perton
A.
B.
0.
Koth
trocken
22,3
40,6
50,0
Darin N. i Darin Fett
0,9
1,6
3,1
6|7
6,7
7,4
Asche
7,0
10,9
13,3
Ham-
menge
26,10
22,25
N. im Harn
12,6
16,6
Es waren also ausgenützt
A.
B.
an Trockensubstanz
Stickstoff . .
11
„ Fett
11
Asche
91,6%
93,0%
92,9%
63.2%
89,8%
92,3%
9M%
51,8%
90,6%
88,0%
95,4%
55,5%
Er folgert aus seinen Versuchen, dass bei Steigeruog der täglichen
Milchgaben zwar die absolute Menge von N., Fett und Asche im Eothe
zunimmt, dagegen die proceutige Ausnutzung des Eiweisses merklich
schlechter, die des Fettes und der Asche jedoch sich günstiger gestaltet.
Beim Säugling, der Tag für Tag dieselbe, oder doch in Qualität und
Quantität nur um ein Geringes schwankende Nahrung zu sich nimmt,
ist es ganz etwas anderes, als beim Erwachsenen, der an eine absolute
Milchdiät gar nicht gewöhnt ist.
222 J. Lange:
Pransnitz^) giebt folgende Daten, die er bei einem dreittgigen
Versuche am Erwachsenen erhielt:
Einnahme: Ausgabe:
täglich 8000 ccm Milch im Roth
Darin g
Trockensubstanz . . . 850,6 81,48
N 18,28 1,14
Eiweiss 80,06 . —
Fett 111,79 I 6,66
Milchzucker 119,79 —
Organische Substanzen . 827,26 22,76
Asche 28,86 | 8,66
Demnach ist ausgenützt:
Trockensubstanz zu 91,04%
Stickstoff „ 88,82%
Fett „ 94,96%
Asche „ 62,92%
Zucker „ 100,00%
W&hrend sich die Ausnutzung der Trockensubstanz und ct. aach
des Fettes gut mit den Rubner'schen Zahlen deckt, finden wir eine
schlechtere Ausnützung des Stickstoffs, wie sie Rubner nur bei seinen
gröesten Milchmengen fand. Dann ist auch die Asche auffallend besser
ausgenützt Der Milchzucker schliesslich wird vollständig resorbiri.
Uf fei mann') hat an sich selbst Milchausnützungsversuche ausge-
führt; leider sind hierbei, da er Gewicht auf die Menge des Eiweisses
legte, keine N.-Bestimmungen, sondern Eiweissbestimmungen durch Esaig-
säuref&Uun^, die nicht ohne weiteres mit den oben angeführten Resul-
taten verglichen werden können, gemacht worden.
Ausserdem sind Uf feimann 's Versuche derart angestellt, dasa er
zunächst Fleisch und Grobbrod ass, dann nach 6 Stunden ausschliesslich
Milch zu sich nahm, dann wieder 12 Stunden fastete, wieder Fleisch
und Grobbrod ass und nunmehr die Fäces sammelte, deren helle Partien
dem Versuche mit der Milch entsprachen. — Die Dauer des einzelnen
Versuches ist nicht angegeben, scheint aber demnach nur ganz kurz ge-
wesen zu sein.
Beim ersten Versuch war also ausgenützt:
Eiweiss zu 98,7 % ,
Fett 93.4 „
Salze „ 44,2 „
Zucker „ 100,0 „
GesammttrockenBubstanz zu . 90,0 „
Beim zweiten Versuch:
Eiweiss der Milch zu ... 98,4 %,
r ett .... ,, . . . 96,6 ,,
oalze .... „ . . . 66,6 ,,
Zucker ... „ . . . 100,0 .,
Gesammttrookensubstanz zu . 91,6 „
Beim dritten Versuch war ausgenutzt:
1) Zettschr. für Biologie XXV.
2) Pflüger's Arbeit für Physiologie Bd. XXIX. 1882.
Ueber d. Stoffwechsel d. Säuglings b. Ern&bniDg m. Enhmilcb. 223
Eiweiss zn 99,2 % ,
Fett , 93,6 „
Salze „ 66,2 „
Zucker ,, 100,0 „
Trockensubstanz zu . . . . 91,7 „
Fassen wir die Versuche yon Rubner, Prausnitz und Uffel-
mann zusammen, so werden bei reicher Milchnahrung von Erwachsenen
ausgenützt:
Trockensubstanz der Milch zu 91,09 % ,
Eiweiss 98,77 „
resp. Stickstoff . .
Fett
Zucker
Asche resp. Salze .
90,06 „
94,61 „
100,0 „
63,96 „
An älteren Kindern sind Milchausnützungs versuche nur von Camerer
vorgenommen worden. Dieselben haben auch insofern besonderes Inter-
esse, als man annehmen könnte, dass der noch wachsende Organismus
die Milch anders ausnützt, vielleicht besser als der erwachsene.
Camerer stellte seine Untersuchungen an seinen eigenen fünf Kin-
dern an, die im Alter von 12, 10, 678, 6Va und 4y, Jahren standen.
Die Versuche wurden 4 Tage lang fortgesetzt und wurde, um die Milch-
diät so lange durchführen zu können, dünner Kaffee als Oeschmacks-
corrigens gegeben. Ich lasse die Camerer 'sehen Tabellen folgen:
Tabell
e I.
24
stündige
Zufuhr:
Ver-
Milch
1 Gesammt-
Die Fixa enthielt
sacha-
im
znfuhr
im Mittel ,
Fixa
N.
Fett
MUoh-
sucker
Aiohe
penon
Mittel
ccm
1
8
g
g
g
g
1
1790
1 1916 !
224
10,21
- 1
63,7
94,0
12,5
2
• 1914
2039
239
10,91
67,4
99,0
13,6
3
1959
2086 .
238
9,21
74,6
98,9
11,8
4
1720
1 2082
209
8,09
65,4
82,6
10,8
6
1864
1964
226
8,71
70.2
89,4
11,1
Ver-
snoha
penon
Tabelle IL
24 stündige Ausscheidung:
Menge
1
2
8
4
5
1470
1670
1608
1636
1443
Speo.
Gewicht
1011
1008
1009
1007
1008
Urin:
Hamitoff
19,0
18,9
21,2
16,9
16 3
Ges. N.
9,68
9,63
20,80
8,60
8,29
Penpir.
insen-
sibilifl
Koth
Ver-
Anderonga-
gewioht
des Körpen
641
478
629
434
435
67
70
72
18
70
— 160
— 182
— 122
— ö
4- 6
224
J. Lange:
Der 248ttlndige Roth enthielt:
Sfciokitoff
Fix»
bei Veraachsperson 1
. 0,68
16,9
2 .
. 0,36
10,8
3 .
. 0,61
16,4
4 .
. 0,64
14,3
6 .
. 0,80
16,1
Demnach enthielten
die Zufahren
und
die
AuBBcheidangen
bei 1 . . . 10,21 N.
10,21 N.
2 . . . 10,91 „
9,99 „
S . . . 9,21 „
11,31 „
4 . . . 8,09 „
M4 „
6 . . . 8,71 „
».09 „
Das DarchschnittBkind hat täglich yeraehrt 9,48 N., durch Kotfa und
Urin ausgeschieden 9,97 N., hat also um 0,64 N. mehr ausgeschieden
als aufgenommen.
Vier der Kinder nahmen dabei an Gewicht ab, nur das fSnfte 6 g
in 4 Tagen zu. Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass eine aWo-
lote Milchnahrung bei älteren Kindern nicht genQf;t, bez. dieselben beim
Uebergang von gemischter Kost zu reiner Milchnahrung an Gewicht
verlieren.
Die Ausnützung an Trockensubstanz betrug hier bei reiner Milch-
zufuhr im Mittel für 84 Stunden
die des Stickstoffs
die des Fettes
die der Asche
beim Erwachsenen
«U09%,
90,06 „
94,61 „
63,96 „
=- 93,76 % ,
- 94,01 „
- 94,1 „
- Ö2,l „
Die Milch wird also beim älteren Kinde besser antgenützi, als beim
Erwachsenen und zwar bezieht sich diese bessere Ausnutzung nur auf
die stickstoffhaltigen Substanzen.
Wenn wir nunmehr zur Betrachtung der Milchernährung
des Säuglings übergehen, so ist unsere heutige Kenntniss vom
Eiweissumsatz des Säuglings zum grossen Theil das Resultat
der Arbeiten Camerer's*). Er war es, der zuerst nach-
wies, dass der Stoffwechsel des Kindes in den ersten Lebens-
tagen sich genau wie der eines Hungernden verhält.
Um sich ein Bild vom Stoffwechsel des Säuglings machen zu können,
stellte er folgende Rechnung auf: 1000 g Muttermilch im zweiten Monat
enthalten ca. 20,0 g EiweiBS, durch deren Genuss pro die ca. 60 g
Körperaubstanz gebildet werden, die ca. 10,0—12,0 g Eiweiss enthalten.
Da auf 1000 g Muttermilch ca. 7,0 Fäces und ca. 700 g Harn kommen,
und erstere ca. 0,1 g Stickstoff enthalten, verbleiben für den Harn noch
1,2 g Stickstoff» 017%, was Camerer*) für ffut möglich hält Ga-
me r er rechnet mit Durchschnittszahlen, sowohl was die genossene
Nahrungsmenge, als auch die Menge der Ausscheidungen betrifft, ebenso
auch bei Angabe des Stickstoffgehaltes.
1) Zeitschr. f. Biologie Bd. XIV.
2) Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. Bd. XXII.
L
Ueber d. Stoffwechsel d. SäugliDgs b. Ern&bniDg m. Eubmilcb. 225
in 24 0 Zuwachs Best: Perspiratio insensibilis
0,77 N. 2,88 N.
Noch anders stellt sich die Sache aber dar, wenn wir für den ein-
zelnen Fall den ziffermässigen Nachweis für die Richtigkeit des Ezempels
führen wollen. Ich muss gestehen, dass Camerer*s oben citirte Be-
rechnung mir auch besonders deswegen auffällig erscheint, da er selbst
bereits im Jahre 1878^), also 7 Jahre früher, darch den Versuch zu
ganz anderen Ergebnissen gekommen ist. Es handelt sich hierbei um
ein Kind, das wfiJirend des ersten Versuches mit Muttermilch aufgezogen
wurde, beim zweiten Versuche Kuhmilch erhielt. Der erste Versuch
von fünftägiger Dauer, am 180. bis 186. Lebenstage, ergab Folgendes:
Für je 1000 g getrunkene Muttermilch erhielt Garn er er 680,0 Urin,
7,0 g Fäces und 24,0 Zuwachs; in der Nahrung waren enthalten:
4,78 N. entsprechend 80,64 Ei weiss,
w&hrend
in Harn und Fäces
1,077 N.
0,962 + 0,116,
und weiter bei demselben Kiode bei Kuhmilchemährung am 204. bis
206. Tage für 1000,0 getrunkene Milch
660,0 Harn — 40,0 Koth und 11,0 Zuwachs.
Darin N in
Nahrung Harn und Koth 11,0 Zuwachs Rest: Persp. insensibilis
6,19 N. 2.866 0,86 8,46 N.
=« 89,97 1,869+0,606 =- 2,8 Eiweiss.
Eiweiss.
Ca m er er sagt hierzu: „Das Kind hätte demnach dreimal soviel
resp. doppelt so viel Urin entleeren müssen, um sämmtlichen N. der
Zufuhr auszuscheiden, welche nicht für Fäces und Zuwachs in Rechnung
zu bringen ist." — Sehr auffallend ist, dass C am er er das riesige
N.- Deficit durch Pert^piratio insensibilis zu erklären scheint; genauere
Angaben macht er allerdings nicht. Ich komme weiterhin auf diese
Frage noch zurück.
Weiter hat Forster*) den Eiweissbedarf bei einem yiermcmathchen
Kinde, das mit condensirter Milch aufgezogen wurde, einen Monat hin-
durch controlirt, und nahm das Kind durchschnittlibh in einem Tage
21,28 g Eiweiss ein, oder 8,4 g Stickstoff.
Analysen und Ausleerungen hat Forster zu diesem Versuche nicht
publicirt.
Sodann hatUffelmann") an Säuglingen Eiweissausnützungsversuche
bei Kuhmilchnahrung ausgeführt. Es handelt sich um vier Säuglinge
von a) 67^ Monaten, b) 6 Wochen, c) 1 Monat und d) 11 V« Monaten:
bei Kind a) \
_ .^^
0)
d)
im Mittel
1
Eiweiss zu 99,4%
98.2%
99,2%
98,5%
98,82%
Fett „ 94,9
94,8
92,2
93.3
93,8
Salze „ 61,0
63,3
45,4
67,0
51,7
Zucker „ 100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
Trockensubstanz „ 94,0
1
93,7
90,0
92,3
92,6
1) Zeitschrift für Biologie Bd. XIV.
2) Zeitschrift für Biologie Bd. XV.
8) Pflüger's Archiv Bd. XXIX.
226 J. Lange:
AuB diesen Zahlen gebt das bemerkenswerthe Resultat hervor, dass
beim Silagling Kuhmilch aosgenüizt wird in der Art, dass vom Eiweiss
98,82 % im KCrper yerbleiben, somit nur 1,2 % im Eoth wieder aus-
geschit'den werden, dass von dem genossenen Zucker Alles resorbirt
wird, nichts im Koth erscheint,
vom Fett 93,8% aufgenommen werden, aber 6,2% verlustig gehen,
nur von den Saieen erscheinen fast 60% wieder im Eoth.
Leider ist ein Vergleich mit anderen Untersuchungen, namentlich
mit Camerer*s Angaben, nicht möglieb, da ein Vergleich der ans
geschiedenen Stickstoff- und Eiweissmengen nicht ohne Weiteres zu-
lääsig ist.
Interessant ist der Vergleich der Stickstoffausnützung beim Er-
wachsenen bei Milchnahrnng, beim grösseren Kinde und beim S&uglinge
an der Mutterbrust.
Der Erwachsene resorbirt 90.06% Stickstoff
Das ältere Kind „ 94.01% „
und der Säugling (Brustkind) 97,67% m
Ich komme hierauf bei meinem eigenen Versuch zurück.
N.-Ausscheidung durch den Koth. Bevor ich nun
meine eigenen N.-Stoflfwechsel versuche zum Vergleiche heran-
ziehe, möchte ich eine Arbeit, die Tschernoff vor wenigen
Jahren veröffentlicht hat, heranziehen:
Tschernoff*) hatte versucht, durch Vergleichung der 24 stündigen
N.-Mengen im Sänglingskoth unter normalen und pathologischen Ver-
hältnissen Abweichungen je nach der Intensität der Erkrankung des
Darmcanals festzustellen. £r fand, dass gesunde Säuglinge procentual
mehr N. ausscheiden als kranke.
Fing der Darm an wieder besser zu fnnctioniren , so stieg der K.*
Gehalt der Fäces sofort wieder, event. bis zur selben Höhe, wie bei
normalen Kindern. Noch eclatanter waren die unterschiede bei Brust-
kindern. Tschernoff schlieest aus seinen Untersuchungen, dass patho-
logische Fäces weniger Procent N. enthalten als normale, aber er er-
klärt dieses scheinbar paradoxe Factum aus einer relativen Vermehrung
des Fettgehaltes der Fäces, und nicht etwa aus einer vollkommenen
Assimilation. Tschernoff ist übrigens einer der Ersten, der die N.-
Bestimmungen direct nach der Kjeldahrsohen, von Boro d in modi-
ficirten Melhode ausführte.
Eigene N.- Bestimmungen im Eoth. Ich habe, ge*
wissermaassen als Vorarbeit, ebenfalls eine Reihe von N.-
Bestimmungen im Sänglingskoth aufgeführt. Aehnlich wie
bei Tschernoff, waren es rein äusserliche Verhältnisse, die
mich zunächst zwangen, von Stoffwechselversuchen abzusehen.
Immerhin ergaben diese Bestimmungen interessante Resultate.
Hier sei auch gleich die Methode des Kothsammelns erwähnt,
wie sie stets gehandhabt wurde. Der 24 stündige Eoth wurde
immer möglichst sofort nach der Ausleerung von der Windel
1) Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. Bd. XXVHI.
üeber d. Stoffwechsel d. S&DglingB b. Ernährung m. Kuhmilch. 227
abgeschabt und sofort in eine tarirte Porzellanschale, die
wieder in einem gut schliessenden Präparaten glas, auf dessen
Boden einige ccm Chloroform gegossen waren, mit einer
ebenfalls gewogenen Menge angesäuerten Wassers vermengt.
Nachdem der 24stündiore Koth gesammelt war (in einigen
Fällen wurde 2 — 4x24 Stunden lang gesammelt und die
durchschnittliche Tagesmenge verrechnet), wurde er gewogen
und getrocknet, anfangs auf dem Wasserbade, dann im Trocken-
schrank bei ca. 100 — 110® C. bis zum constanten Gewicht.
Hierauf der trockene Koth gepulvert, wieder getrocknet und
gewogen, um etwaige Verluste zu bestimmen , und gut ver-
schlossen aufgehoben. Die N.-Bestimmung wurde nach Kjel-
dahl mit der Modification von Argutinsky^) ausgeführt und
zwar wurden von jedem Roth mindestens zwei, meist auch
drei Proben verarbeitet.
Ich gebe nun in folgender Tabelle die erhaltenen Resul-
tate. Das eine Brustkind, welches darin figurirt, ist nur des
Vergleichs halber mit herangezogen:
Nr.
Alter
2l8tUndige
Kothmenge
In fiy trocken
bei 100 <» C.
Darin N. in g N. in Frocent
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
xxin.
XXIV.
2*^ Mon.
6
5
1
1
1
2
4
2
2
1
2%
7
7
4
8%
2%
2%
6
6%
II
»»
I»
if
»I
n
n
I*
t»
II
)l
Gruppe A:
5,78
6,25
2,015
3,45
3,96
4,26
2,32
7,83
6,34
3,70
2,96
6,08
2,83
7,81
Grappe B:
10,44
13.71
11,39
9,15
11,27
4,86
6,46
9,4
7,71
Gruppe C:
8,79
0,142
0,174
0,077
0,156
0 081
0,114
0,089
0,108
0,149
0,109
0,081
0.144
0,083
0,166
2,46
2,78
3,82
4,51
2,04
2 67
3,88
1,38
2,34
2,94
2,73
2,43
2,92
2,18
0,145
1,22
0,289
2,03
0,251
2,20
0,217
2,38
0,267
2,18
0,114
2,34
0,141
2,19
0,116
1,23
0,160
2,08
0,093
1,06
1) Pflöger'B Archiv Bd. XL VI,
228 J. Lange:
Unter Gruppe A mit 14 Fällen sind Kinder mit annähernd
normalen Ausleerungen bei künstlicher Ernährung rubricirt,
Gruppe B sind 9 Fälle von künstlich genährten Kindern mit
massig dyspeptischen Stühlen und Fall XXIV ist ein gesundes
Brustkind.
Wir erhalten für Gruppe A und B folgende Mittel werthe:
T
248tüDdige Kothmenge trocken
Darin N. in g '
N. io %
4,6
0,105
2,78
9,5
0,189
1,98
8,79
0,093
1.06
^v
Vergleichen wir nun die erhaltenen Werthe untereinander,
so lässt sich zunächst eine auffallende Constanz der 24 stün-
digen Kothmengen nachweisen , je nachdem das betreffende
Versuchskind über einen besser oder schlechter functionirenden
Verdauungsapparat verfügte. Wahrend die Tagesmenge der
„Kothfixa" bei den Kindern mit annähernd normaler Verdauung
noch nicht ganz 5 g beträgt, so ist die durchschnittliche Koth-
menge bei den dyspeptischen fast doppelt so gross = 9,5 g.
Die in 24 Stunden ausgeschiedenen Stickstoffmengen lie-
fern bei den Ersteren ein Mittel von 0,105, bei den Letzteren
von 0,189 g, also entsprechend der grosseren Kothmenge auch
mehr N., aber wenn wir uns die procentischen Verhältnisse
ansehen, so finden wir, dass die Fäces der gut ausleerenden
Säuglinge 2,78 % N. enthalten, während die der dyspeptischen
nur einen Gehalt von 1,98% aufweisen. Das heisst, während
also der absolute tägliche Stickstoffgehalt beim dyspeptischen
Säugling um ca. 30 % grösser ist als beim annähernd normal
ausleerenden, ist der procentuale N.-Gehalt der dyspeptischen
Fäces fast um ebensoviel £reringer. Das ist eine sehr auffal-
lende Thatsache, auf die zuerst hingewiesen zu haben Tscher-
noff das Verdienst gebührt. Ich mochte noch nachtragen,
dass es sich bei meinen dyspeptischen Kindern unter Gruppe B
nicht etwa um extrem schwer kranke, etwa an acutem Brech-
durchfall leidende Kinder handelt, vielmehr sind es lauter
einfache, mittelschwere Entero- und Gastroenterokatarrhe.
Ausnützung des Eiweisses beim dyspeptischen
Säugling. Es sind dieses Verhältnisse, über die der prak-
tische Arzt im Allgemeinen nicht genilgend orientirt ist. Es
würde ja auch ganz einleuchtend sein, wenn wir in den
Fäces des an Durchfällen resp. Verdauungsstörungen leidenden
Kindes sehr grosse Massen der Trockensubstanz und auch
des Stickstoffs der aufgenommenen Nahrung finden würden,
besonders, wenn wir uns die häufigen, oft copiösen Auslee-
Ueber d. Stoffwechsel d. Säaglings b. Ernährnng m. Kahmilch. 229
rungen vergegenwärtigen. Ja man könnte glauben, dass der
grösste Theil der Nahrung unverdaut abginge, — dem ist
aber nicht so. Wohl finden wir in den Ausleerungen mehr
Kothfixa und auch mehr StickstofiP; als bei gut verdauenden
Säuglingen, aber die Ausnützung der Milch und besonders
ihres Eiweisses ist immer noch als eine ganz vorzügliche zu
bezeichnen. Das Sinken des Stickstoffprocentes im Kothe
der Dyspeptischen ist hierbei nach den Untersuchungen von
Biedert^), Demme^) und Tschernoff*) zum grössten Theil
auf den grösseren Fettgehalt derselben zu schieben. Dabei
braucht man die Biedert'sche „Fettdiarrhöe" gar nicht heran-
zuziehen. Es stimmt das mit Tschernoff's Angaben voll-
ständig überein.
Andrerseits entspricht die mehr als doppelt so grosse
Menge der Kothfixa bei dem schlecht verdauenden Säuglinge
den C am erer 'sehen Angaben. Ich glaube, dass in letzterer
Beziehung besonders die eine Bestimmung am Brustkinde
nicht gut mit zum Vergleich herangezogen werden darf, die
Eothmenge ist relativ gross, aber es ist das wohl nur als
Zufälligkeit aufzufassen; die Stickstofiausnützung ist ebenfalls
eine sehr gute. — Die verhältnissmässig geringe Menge der
Kothfixa bei den künstlich genährten Kindern erklärt sich
daraus, dass dieselben meist Reconvalescenten waren und nur
soviel Nahrung erhielten, als normale Kinder, die gleiche Ge-
wichte haben, erfahrungsgemäss consumiren. Sie bekamen
durchschnittlich ca. 600 g sterilisirte Milch (Soxhlet) täglich.
YollständigeStickstoff wechselversuche. Ich komme
nun zu den von mir ausgeführten, vollständigen Stickstoff-
wechselversuchen. Es sind im Ganzen an 19 Kindern Beob-
achtungen angestellt worden, schliesslich konnte ich aber nur
9 verwerthen, da bei den übrigen mehr oder weniger grosse,
nachweisbare Versuchsfehler vorlagen. Es ist ausserordent-
lich schwierig, derartige Untersuchungen im Krankenhause
vorzunehmen, da wir es ja fast nie mit absolut gesunden,
besten Falls nur mit reconvalescenten Kindern zu thun haben.
Dann muss fortwährend darauf Rücksicht genommen werden,
dass das Kind nicht zur Anstellung von physiologischen Ver-
suchen, sondern zwecks Heilung resp. Behandlung einer Krank-
heit im Hospitale ist und selbstverständlich andere Rücksichten
auf das Wohlergehen desselben genommen werden müssen,
als etwa beim Versuchsthiere. Es kommen hauptsächlich
1) Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. XII.
2) Jahresbericht über das Jenner^scho Kinderspital. 3) 1. c.
230 J. Lange:
zweierlei Factoren störend fQr den Versuch in Betracht:
1. Wechsel der Kost, Verabreichung von Medicamenten etc.,
bedingt durch irgend welche Störungen des physiologischen
Verhaltens, und 2. Schädigung des Kindes durch die Sammel-
methoden, besonders Auftreten von Intertrigo durch die den
Harnrecipienten fixirenden Bandagen, die eine Unterbrechung
des Versuchs bedingen.
Diese 9 Fälle möchte ich wieder in zwei Gruppen theileu:
A. in eine solche von 4 Fällen, bei denen meiner Ueberzeugung
nach keine vermeindbaren Versuchsfehler vorliegen, d. h. ea
ging beim Trinken keine Milch verloren, wurde nicht regur-
gitirt, Urin und Koth konnten vollständig gesammelt werden
und die betreffenden kleinen Versuchsobjecte bekamen keiner-
lei Medicamente, und B. eine zweite Gruppe von 5 Fällen,
bei denen minimale Mengen, die allerdings nur hätten ge-
schätzt werden können, verloren gegangen sind. Ich habe
in den Tabellen bei jedem Falle das Nähere vermerkt, von
einer Schätzung der Verluste aber lieber abgesehen, da da-
durch wieder neue Fehlerquellen erwachsen konnten.
Diese 5 Fälle sind aber meines Dafürhaltens recht gut
zu verwerthen, besonders da auch die Resultate gut mit
denen der Gruppe A stimmen — die übrigen 10 Fälle konnte
ich erst während der Sichtung des Materials elimiuiren.
Methoden. Das Sammeln des Harns geschah stets mittelst des
Epstein'schen Recipienten — die Versuchskinder waren sämmtlich
Knaben — und gelang es in 7 von den 9 F&llen den Harn vollitftn-
dig aufzufangen. Freilich gehört eine ganz ausserordentliche Sorgfalt
hierzu.
Bei Fall VII und IX sind je ein- und zweimal ganz geringe Mengen
Harn beim Umbetten verloren gegangen, doch handelte es sich aller-
höchstens nur um einige Cubikcentimeter. Was die Fäces anbetrifit.
so konnten sie nur auf die oben beschriebene Weise mittelst Abaohabens
der frisch entleerten Koth mengen von den Windeln mit Spatel gesam-
melt werden, da die Kinder aber sämmtlich wenig wasserreiche Stahle
producirten, so habe ich geglaubt, den immerhin nur geringen Verlast
ignoriren können zu dürfen.
Geringe Nahrungsmenge. Auffallen wird zun&chst die geringe
Meuge Nahrung, welche die Kinder in 24 Stunden erhielten; wie ich
bereits oben bemerkte, wurde auf der Säuglingsstation eine möglichst
geringe, gerade nur ausreichende Nahrungsmenge gereicht. Dem ent-
spricht auch die sehr geringe Harnmen^e, die infolge des wohl etwas
grösseren Wasserbedürinisses relativ klem ausfiel.
Allgemeinbefinden der Versuchskinder. Betreffs des All-
gemeinbefindens der Versuchskinder handelte es sich bei 5 Fällen um
abgeheilte leichte Magen-Darmstörungen, Kinder, die täglich S — Smal
ausleerten und dabei bei gutem Appetit an Gewicht zunahmen. Es ist
das der Fall I, V, VI, VII und IX. Bei Fall II um einen abgeheUten
Pemphigus non syphiliticus, bei Fall III um einen Microcephalos mit
leichtem Bronchialkatarrh, Fall IV ist ein Kind mit Hasenscharte, das
üeber d. Stoffwechsel d. S&Qglings b. Ernäbrang m. Knhmilcb. 231
etwas atrophisch war, bei guter Ernäbrang aber gut gedieh, und
Fall VIII endlich war ein Racbitiker mit massigem Bronchialkatarrh,
aber gutem Appetit und ungestörter Verdauung. Ich möchte übrigens
betonen, dass fast alle Kinder mehr oder minder schwer rachitisch
waren, am stärksten Fall I und II, sowie VIII. Ich komme hierauf
noch zurQck. Abgesehen davon handelt es sich jedenfalls um ver-
häitnissmässig normal verdauende Säuglinge, die alle, bis auf Fall lil,
eine gleichmässige, einheitliche Nahrung erhielten. Diese Nahrung be-
stand in im Soxhlet'schen Apparat sterilisirter Milch und habe ich der
Einfachheit halber den Durchschnittsgehalt dieser Misch milch aus vier
Analysen als Norm angenommen, da der N. -Gehalt nur um 0,008 g in
100 ccm schwankte.
Beschaffung der Nahrung. Betreffend die Beschaffung und
Herätellung dieser Mischmilch nur kurz Folgendes: die Milch wird aus
dem Musterätall der landwirthschaftlichen Versuchsstation der Univer-
sität, die nur 5 Minuten vom Kinderkrankenhause entfernt ist, geliefert
und haben wir es daher mit einer relativ guten Milch zu thun. Die
Milch enthielt durchschnittlich
3,376% EiweibB
und SM % Fett.
Die Leipziger Polizeiverordnung verlangt einen Fettgehalt von min-
destens 3 %.
Zusammensetzung der Nahrung Die Mischmilch wird nun
in der Weise hergestellt, dass je zwei Theile Milch mit einem Tbeil
einer 12,3% Milchzuckerlödung gemischt und sodann vorschrifts massig
im Soxhlet sterilisirt wird. Diese Milchmischung enthiült nun im
Durchschnitt:
2,25% Eiweiss » 0,363 g N. in 100 ccm
2,16% Fett
und 7% Milchzucker.
Zusammensetzung der Frauenmilch. Da die Muttermilch im
Durchschnitt
1,03% Ei weiss
4,07% Fett
7,03% Zucker (F. Hofmann)
enthält, so sehen wir, dass unsere Mischmilch zu viel Eiweiss, be-
deutend zu wenig Fett, dagegen viel Milchzucker enthält, wenigstens
gegenüber der älteren Analysen, die nur ca. 6% Zucker angeben und
auf welche sich das Folgende bezieht. Letzteres ist beabsichtigt. Da
wir nämlich nicht im Stande sind den hohen Fettgehalt der Mutter-
milch zu ergänzen, so bleibt nur übrig, dafür ein Aeqnivalent zu
schaffen, und haben wir nach den Publicationen von Soxhlet*) die
Möglichkeit, diesem Mangel durch Erhöhung des Milchzuckergehaltes
abzuhelfen.
„Die VertretungsfUhigkeit des Fettes durch Kohlenhydrate nach
Maassgabe ihres Brennwerthes ist wahrscheinlich eine absolute, sodass
der Mensch ebenso gut von Eiweiss -f- Fett, wie von Eiweiss -|- Kohlen-
hydrat leben kann" (v. Noorden)*).
Der Milchzuckergehalt dürfte daher eher noch grösser sein.
Das eine Kind (Nr. III) erhielt an einem der beiden Versuchstage
Reismehl schleim und zwar 300,0 g, ist auch das einzige, welches ab-
1) Münchener med. Wochenschrift 1893.
2) Orundriss einer Methodik der Stoffwechseluntersuchungen 1892.
232 J. Lange:
nahm. Ich hätte diesen Versuch ebenfiills eliminiren können, doch
waren bei diesem Kinde gerade absolut keine Verluste Torgekommen
und dann seigt es trotz der starken GrewichtsabDahme gerade das
Stickstoffdeficit in eclatanter Weise.
Folgende Tabellen auf Seite 233 geben die näheren ein>
zelnen Daten der Versuche, sowie bei Gruppe B auch die Be-
merkungen betreffs der vorgekomuienen Versuchsfehler.
Nach diesen Tabellen finden wir bei den neun Säug-
lingen den Stickstoff der Milch ausgenützt bei:
I au 93,2 % Rest C,8 %
II „ 93,93 „ 6,07
III „ 94,79 „ 6,21
IV „ 92,6 „ 7,4
V „ 96,6 „ 3,4
VI „ 95/28 „ 4,72
VII „ 95,87 „ 4,18
VIII „ 96,3 „ 3,7
IX „ 95,4'i „ 4,52
also im Mittel zu 95,46% ausgenützt Vergleichen wir noch
einmal die Ausnutzung des Stickstoffs bei reiner Milchnahrung
in den verschiedenen Lebensaltern, so zeigt sich, dass der
Erwachsene 90,6 % ausnüzt, demnach 9,4 % durch den Roth
abgehen, während halbwiichsige bez. Kinder, die das vierte
Lebensjahr überschritten haben, 94,01% ausnützen, also 5,99%
durch den Koth abgeben, dagegen künstlich mit Kuhmilch
genährte Säuglinge 95,46 % ausnützen^ demnach 4,54 % un-
resorbirt lassen und schliesslich der mit Muttermilch genährte
Säugling 97,57% resorbirt, also 2,43% im Koth ausscheidet
oder vielmehr, wenn wir nur 1,03% Eiweiss in der Mutter-
milch rechnen, gar ca. 98,8% resorbirt und nur 1,2% im Koth
ausscheidet.
Demnach stellt sich heraus, dass wohl die Muttermilch
vom Säuglingsdarmcanal bei Weitem am besten aufgenommen
wird, was ihren Stickstoffgchalt anbetrifft, dass aber eine ge-
nügend verdünnte und mit genügender Menge Milchzucker
versetzte, keimfrei gemachte Kuhmilch ebenfalls ganz ausser-
ordentlich gut vom Säuglinge ausgenützt wird. Man kann
dieses mit um so grösserer Wahrscheinlichkeit annehmen, da
meine Versuchskinder immerhin als geschwächte Organismen
zu bezeichnen sind. Auffallend gut wird der Milchstickstoff
von älteren Kindern verwerthet, wogegen die Ausnützung
desselben beim Erwachsenen als eine verhältnissmässig schlechte
zu bezeichnen ist, was auch Prausnitz in seiner oben
citirten Abhandlung bestätigt, dass die Kuhmilch von allen
animalischen Nahrungsmitteln vom Erwachsenen am schlech-
testen ausgenützt wird.^)
1) £b darf hierbei nicht übersehen werden, dans der Erwachsene
bei absoluter Milchdiät sich unter absolut abnormen Verhältnissen befindet
üeber d. StoflPwechsel d. Slaglings b. Emährang m. Kubmilch. 233
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234 J. Lange:
Erläuterung zu den Tabellen. Zur Erläuterung der
Tubellen möchte ich noch kurz Folgendes hinzufügen: Die
Versuche I — IV waren von zweitägiger Dauer, die Versuche
V — IX nur eintägig. Da die Nahrung qualitativ und mit ge-
ringen Schwankungen auch quantitativ gleich blieb, so glaube
ich doch, dass die Resultate trotzdem gut verwerthbar sind.
Aus den oben besprochenen Gründen war es mir leider nicht
möglich, die Versuche länger durchzuführen. Die Wägungen
wurden bei allen Säuglingen regelmässig zweitägig ausgef&hrt,
und habe ich die Durchschnittszahlen für die 24 stündige Zu-
nahme angenommen. Tägliche Wägungen sind, wie schon
Camer er nachweisen konnte, absolut nicht verwerthbar, wir
müssen stets Mittelwerthe benutzen. Bei Nr. III habe ich
die 300,0 Reisschleim nicht in N. umgerechnet, da mir keine
Analyse zur Verfügung stand. Reis ist an und für sich
stickstoffarm und enthält in der starken Verdünnung als
Schleim sicher nur sehr wenig N. Ausserdem hätte sich ja
der StickstoflPverlust nur höher stellen müssen.
Geringe Wasserabgabe durch den Harn. Ausser-
ordentlich auffallend ist auf den ersten Blick die geringe
Wasserausscheidung durch den Harn. Besonders bei Fall I
und II sehen wir einer Wasserzufuhr von ca. 760 respective
850 ccm eine Harnausscheidung von nur 137,5 und 155,0 ccm
gegenüberstehen, dann auch noch bei Fall VUI ca. 570:
195,0 ccm. Der Gedanke an einen groben B'ehler liegt hier
sehr nahe. Trotzdem halte ich einen solchen hier für aus-
geschlossen.
Ich will zunächst die Zahlen von C r u s e ^) , der die
meisten und wohl auch genauesten Harnanalysen bei Säug-
lingen gemacht hat, heranziehen:
Tabelle III von Cruse:
Mutieret
Mittlere tag-
Mittlere a4atflii>
auf 1 010 Th«üe
Alter
K(>ri»ergewicht
Ucho Milch-
dige Hammenge
Milch komxBt
in g
sufahr in g
in ccm
Harn:
2 Tage
3283
335
130
388
3 ..
3495
365
208
569
* .1
3361
370
210
567
6 .,
3363
380
226
594
5—10 „
3431
420
310
738
10—30 „
3791
540
369
683
30—60
4397
660
417
631
1) Jahrbuch f. Kinderheilkunde N. F. XI.
üeber d. Stoffwechsel d. Säuglings b. Ernährung m. Kuhmilch. 235
und
Tabelle V von Cruse:
Alter
Zahl der
BeobAchtuDgs-
tAge :
1 .
Mittl. ipecif.
1 Gewicht
du Hama:
1
2 Tage
3 „
6
7
1005,4
1004,57
4 „
10 u
6
6
14
1005^0
1004,25
1008,57
30 „
60 „
1 28
1 23
1003,78
1003,62
5
10
80-
Versuch einer Erklärung der geringen Wasser-
abgabe durch den Haru. Er ßndet daher, dass ein besser
entwickeltes Kind mehr Harn secernirt als ein schlecht ent-
wickeltes. Das würde für unsere Fälle zwar herangezogen
werden können, aber zur Erklärung nicht genügen. Aber
wir finden bei Betrachtung der specifischen Gewichte aller-
dings Abweichungen von den Cruse'schen Zahlen:
Nr.
Spec. Gewicht
Np.
spec. Gewicht
1
1008
1
VI
1003,6
II
1010
VII
1004
III
1006
VIII
1005
IV
1004,6
IX
1004
V
1004
Der Harn weist fast in allen Fällen eio höheres spe-
cifisches Gewicht auf, besonders aber in Fall I und II. Ich
glaube nun, dass sich diese Verhältnisse dadurch erklären
lassen, dass wir es mit rachitischen Kindern zu thun haben,
die, wie jeder Praktiker weiss, an ganz exorbitanten Schweissen
leiden, besonders des Hinterkopfes, und halte ich es für sehr
gut möglich, dass durch diese profusen Schweisse der an-
scheinisnd riesige Wasserverlust sich erklärt.
Auf alle Fälle bleibt uns eine grosse Differenz zwischen
aufgenommenem und ausgeschiedenem Stickstoff. Einen Theil
derselben können wir durch Stickstoffansatz des wachsenden
Organismus erklären.
N.-Gehalt des Säuglingsorganismus. Es ist nur
die Frage, wie sollen wir den Gehalt der Gesammtzunahme
an N. ersetzen? Der Gesammtorganismus des Erwachsenen
soll nach Moleschoff^) in 100 Gewichtstheilen ca. 20 Gewichts-
theile Eiweisskörper und sonstige stickstoffhaltige Substanzen
enthalten. Der Organismus des Säuglings ist aber wohl sicher
bedeutend wasserreicher. Leider liegen hierfür nur die Au-
1) Citirt nach Vierordt, Physiologie des Kindeealters.
16*
236
J. Lange:
gaben von Fehl in g^) betreffend drei Neugeborene vor. Er
fand 11,8%, 12,6% und 17,8% Eiweisskorper und N.- haltige
Substanzen, v. Vierordt hat daher für das erste Lebensjahr
14% als Mittel angenommen. Mit Recht wohl blos für die
ersten Lebenswochen. Immerhin bleibt mir in Ermangelung
anderer Zahlen nur übrig, seinem Beispiel zu folgen. Da-
nach entsprachen 100,6 Zuwachs <=» 14,0 g Eiweiss oder
2,24% Stickstoff.
Wir würden folgende Uebersicht erhalten:
Nr.
Tftgl. ZunAhme
I
11
+ 16,0
+ 30,0
K.-Antftti
0,336
0,672
Differoiu
swlichaa Ein«
nähme und Aus-
gab«
K.-Deflcit
2,196
1,967
1,760
1,295
III
— 66,0
0,216
0,216
IV
+ 27.6
0,616
1,109
0,493
V
+ 17.5
0,392
1,675
1,183
VI
+ 25,0
0,660
1,360
0,800
VII ,
+ 6.0
0,112
1,296
1,184
VIII
+ 12,5
0,280
1,277
0,997
IX
+ 15,0
0,336
1,983
1,647
Im Mittel
+ 11.4
0,867
1,064
Wir ersehen hieraus , dass entsprechend den Angaben
Tou Camerer ein sehr grosser Theil des aufgenommenen
Stickstoffs in den Ausscheidungen nicht wieder zum Vorschein
kommt, und zwar schwankt dieaea/Deficit zwischen ca. 20
und 65%. Weiterhin können wir seinen Verbleib auch nicht
durch eine Gewichtszunahme erklären. Sogar, wenn wir die
ganze Zunahme nur auf Muskelfleisch bezogen, würden wir
nicht in allen Fällen das Deficit vermissen; dazu sind wir
aber sicher nicht berechtig. Zudem finden wir ja sogar in
dem einen Falle, wo das Kind stark atrophisch war und am
Gewicht abgenommen hatte, ein ganz erhebliches N.- Deficit
Dieses in allen Versuchen wiederkehrende N.- Deficit ist, wie
Camerer und nach ihm Vierordt meinen, so gross, dass
man es für den Säugling nicht in Abrede stellen kann, selbst
wenn man ganz unwahrscheinlich grosse Fehlerquellen an-
nimmt.
Thierversuche. Da nun aber doch beim Sammeln
der Ausscheidungen der Säuglinge auch bei der grossten Sorg-
falt Verluste vorkommen können und wir nicht in der Lage
sind, am Kinde vollständig exacte Versuche auszuführen, so
wiederholte ich den Versuch an jungen Hunden. In diesem
1) Arch. f. Gynäkologie XI. 1877.
i
lieber d. Stoffwechsel d. Säuglings b. Ernährung m. Kuhmilch. 237
Falle konnte natürlich in viel exacterer Weise verfahren
werden.
Methode. Nachdem eine genügende Menge Milch im Sozhlet-
apparat sterilisirt war, wurden die 14 Tage alten Hunde erst 2x24
Stunden lang mit dieser Milch genährt und zwar durch die Flasche,
bis sie fast ohne Verlust zu trinken gelernt hatten. Am Morgen des
dritten Tages wurde jeder der beiden Hunde in einen Glaskasten ge-
setzt, der mit Abflussrohr versehen war. Die Thiere sassen dabei auf
verzinkten Drahtgestellen, die ca. 6 cm über dem Boden des Glas-
kastens erhöht standen. Der Harn und auch der grössere Theil der
halbflüssigen bis weichen Fäces lief direct in die untergestellten Sammel-
flaschen, in denen sich etwas mit H^SO^ schwach angesäuertes Wasser
befand. Am Morgen des 6. Tages wurden die Hunde mit lauwarmem,
destillirtem Wasser abgewaschen und gleichzeitig die Glaskästen ge-
reinigt. Auf diese Weise erhielt ich sämmtliche Ausleerungen, zugleich
mit den abgestossenen Haaren, also eher mehr N.-haltiger Substanz,
in — wie ich glaube — einwandfreier Weise. Die Hunde erhielten
tS glich 6 mal ihre Flasche und ging nur ausnahmsweise etwas verloren.
Die verlorenen Milch mengen konnten allerdings nur geschätzt werden,
doch sind diese Schätzungen entschieden eher zu hoch als zu niedrig
ausgefallen und daher wohl nicht als Fehlerquelle im Sinne der
Folgerungen aufzufassen. Ich lasse nun die tabellarische Uebersicht
folgen:
1.
Nr.
Alter
8.
Anfangs-
gewicht
e
4.
Tägl.
Zunahme
Tägl.
MUch-
snftihr
6.
N. der-
■elben
7.
8.
K. dei-
selben
9.
Diffe-
rena
Ton
6—8.
I
II
14 Tage
14
>•
1866
1490
+ 37.6 614,6
+ 26,26 637,0
1,779
1,866
6,81 0,409
6,09 ' 0,887
1,37
1,47
Im Mittel
1422,6 ; + 31,88 | 626,76 1,817 6,46 | 0,898 | 1,42
Da mir für den Eiweissgehalt'^es Hundekörpers eben-
falls keine Daten zur Verfügung stehen, so will ich der
Oleicbmässigkeit halber ebenfalls denselben Stickstoffgehalt
annehmen und ergiebt sich dann Folgendes:
1
Nr.
1
1
Tägl. Zunahme
1
1 =^=
N.-Anaats
Dlfferena |
▼on Rin- > N. Deficit
und Ausfuhr |
I
II
+ 37,6
+ 26,26
0,84 1,37
0,698 1,47
0.68
0,872
Im Mittel + 31,88
0,719
1,42
0,701
Resultat des Thierversuchs. Mit anderen Worten,
das Resultat des Thierversuchs ergiebt, dass beim ganz jungen
Hunde, analog wie beim menschlichen Säugling, ein Stickstoff-
deficit vorhanden ist, für welches wir zunächst keine aus-
reichende Erklärung haben.
Zu bemerken ist, dass die Hunde^ wie nicht anders za
238 J* Lange:
erwarten war, sehr viel kläfften und schrien, besonders Hund II,
Yielleicht hängt damit und mit der damit verbundenen Un-
ruhe die geringere Zunahme desselben zusammen.
Ob ein Quantum yon ca. 500 cbcm Wassermilch pro Tag
für einen Hund von ca. 1500 g Gewicht eine genügende Er-
nährung ist, will ich weder behaupten noch bestreiten, die
Zunahme spricht dafür; ich kann aber constatiren, dass die
beiden Thiere die Milch sehr gern annahmen, und ihnen stets
soviel verabreicht wurde, als sie trinken wollten. Die ge-
ringere Gewichtszunahme von Huud II wäre event noch da-
durch zu erklären, dass er am zweiten Versuchstage schlechten
Appetit zeigte.
Das Stickstoffdeficit Wie soll nun dieses in jedem
Falle, wie wir gesehen haben, auch beim jungen Hunde, vor-
handene Stickstoffdeficit erklärt werden? Schon v. Vierordt^)
bekräftigt Camerer's Meinung, dass es sich nicht um Versuchs-
fehler handeln könne, kann aber ebenso wenig wie letzterer
eine Erklärung fQr dieses Phänomen finden. Camerer hat,
soviel ich aus seinen mir zur Verfügung stehenden Arbeiten
ersehen kann, zweimal angedeutet, wie er sich diesen Ver-
bleib vorstellt. Das eine Mal, auch bei Vierordt^) citirt,
ist das N.-Deficit einfach unter „Perspiratio insensibilis^' rubri-
cirt. Nähere Angaben habe ich hierüber nicht finden können.
Dem widerspricht nun zunächst die Angabe von v. Vierordt')
selbst, der bei Besprechung der Bilanz der Einnahmen und
Ausgaben folgenden Grundsatz aufstellt: j,T)ie Grösse der
Perspiratio insensibilis ist sehr annähernd «=> der Menge der
durch Lungen und Haut ausgeschiedenen Kohlensäure plus der
Menge desauf denselben Wegen austretenden Wassers, minus dem
{Sauerstoff der Kohlensäure.'' — Lässt man diesen Satz zu
Recht bestehen, so kann das N.-Deficit auf diesem Wege
nicht erklärt werden. Abgesehen hiervon haben aber be-
kanntlich V. Pettenkofer und v. Voit*) entgegen Reignault
und Reiset nachweisen können, dass beim Menschen und
beim Fleischfresser keine gasförmige Stickstoffexhalation statt-
findet, ebenso wenig haben Pflüger und Leo^) beim Kanin-
chen eine nachweisbare Stickstoffexhalation finden können.
Dann hat Camerer^) ein anderes Mal die Vermuthang
ausgesprochen, dass dieses N.-Deficit vielleicht als ein Aequi-
valent vermehrter Arbeitsleistung des Darmes aufzufassen wäre.
Im Allgemeinen steht ja fest, dass Mehrangebot von Nah-
1) I. c. 2) conf. oben. 3) 1. c.
4) u. 6) citirt nach Hammaraten, Lehrb. d. physiol. Chemie.
6) Jahrb. f. Kinderkrankheiten. N. F. Bd. XXX.
i
Ueber d. StoflPwechsel d. Säuglings b. Ero&brung m. Kubmilcb. 239
rung keine Mehrzersetzung im Gefolge hat. Wird aber ein
grosseres Quantum von Nahrung verabreicht, so erfordert die
Verdauung auch die erhöhte Darmarbeit und kann dafür nach
V. Noorden^) bis 10 und mehr Procent der zugeführten
Calorien eingefordert werden. Da hierbei aber hauptsächlich
Fett und Kohlehydrate eintreten würden und der Stickstoff
doch irgendwo nachzuweisen sein müsste, so genügt diese
Erklärung meiner Meinung nach auch nicht, um ein derartiges
Deficit zu erklären.
Von einem anderen Gesichtspunkte aus versucht Biedert*)
der Frage näher zu treten, er glaubt zunächst vielleicht einen
Verlust durch Verwandlung des N. in flüchtige, nicht auf-
fangbare Substanzen annehmen zu dürfen. Sodann aber nimmt
er eine Zersetzung oder Zerlegung des Eiweisses der genos-
senen Kuhmilch durch Bacterien an und sucht den Beweis
hierfür dadurch zu erbringen, dass die Eiweisskörper einen
Haupttheil der Nahrung für die Pilze darstellen und ja auch
bei Kuhmilchstuhl viel mehr überschüssiges Eiweiss vorhanden
ist. Nun ist ja bekannt, dass Bacterien Stickstoff bilden,
der gasformig entweichen kann. Immerhin glaube ich be-
zweifeln zu dürfen, dass dieses in derartigen Mengen ge-
schieht, da ja beim Erwachsenen wohl dieselben Bacterien,
aber kein N.- Deficit sich finden. Also auch diese Erklärung
scheint mir nicht genügend zu sein. Es handelt sich doch,
und darauf möchte ich den Schwerpunkt legen, um relativ
ganz beträchtliche Verluste, und nehmen wir selbst 50 % der
Werthe auf Rechnung von Versuchsfehlern und auf Rechnung
der Biedert' sehen Erklärung, so ist derselbe immer noch
so gross, dass wir nach anderen Gründen zu suchen ge-
zwungen sind.
Viel wahrscheinlicher scheint es mir, dass wir es hier
mit einer Eigenthümlichkeit des schnell wachsenden jungen
Säuglingsorganismus zu thun haben, die vielleicht in einer
Eiweissersparniss zu suchen ist, bedingt durch die ausser-
ordentlich grosse Menge neugebildeter Zellen, die der rapid
wachsende Organismus aufbaut, ähnlich wie wir es beim
Reconvalescenten sehen. Das würde im Allgemeinen der An-
schauung V. Noorden's^) entsprechen, der Folgendes fest-
stellte: „Man kann N.- Ansatz bei einer Kost constatiren, die
dem Gesunden N.- Verluste eintragen würde, und zwar ist das
der Fall bei Reconvalescenten, die erhebliche Einbusse an
Zellmaterial erlitten haben und bei denen das Regenerations-
bestreben der Zellen ein sehr grosses ist, und bei sehr schnel-
lem Wachsthum, wie wir es im Säuglingsalter haben; der
1) Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. Bd. XXVIII. 2) u. 3) 1. c.
240 J- Lange: Ueber den Stoffwechsel des Sftaglings etc.
geschwächte OrganismuB ergänzt sunächst seinen wichtigen
Eiweissbestand und giebt zunächst das leicht ersetzbare
Eörperfett frei/' Oder für unseren Fall angewendet: der
Körper setzt Beserveeiweiss an, während er in der schnell-
sten Wachsthumsperiode begriffen ist.
Schlusssätze:
Aus den vorstehenden Untersuchungen dürfen wir schliessen:
1. Dass die N.> Ausnützung der Kuhmilch, wenn dieselbe
gehörig zubereitet (d. h. verdünnt, mit Milchzucker versetzt
und sterilisirt) ist, eine annähernd ebenso vollkommene ist,
wie die der Muttermilch;
2. ist die Menge der ausgeschiedenen Kothfixa beim
dyspeptischen Säugling etwa doppelt so gross wie beim ge-
sunden Säugling;
3. dem entsprechend ist auch die 24 stündige N.- Menge
der Fäces bei Dyspepsien grosser, dagegen
4. der procentuale N.-Gehalt der dyspeptischen Auslee-
rungen etwa um ebenso viel kleiner, als bei normaler Func-
tion des Magendarmtractus;
5. der mit Milch ernährte Säugling befindet sich nicht
im Stickstoffgleichgewicht, sondern er behält N. in grösserer
Menge zurück und zwar meist bedeutend mehr als der gleich-
zeitigen Gewichtszunahme entspricht, und
6. das Stickstoffdeficit kann vielleicht am ehesten da-
durch erklärt werden, dass der ausserordentlich schnell wach-
sende Körper des jungen Kindes eine erhebliche Menge von
Zellen neu bildet und hierzu den Stickstoff zurück behält^ —
ohne in Abrede stellen zu wollen, dass ein kleiner Theil des-
selben vielleicht auf Rechnung der vermehrten Darmarbeit
gramerer, v. Noorden) oder durch Bildung freien N. durch
armbacterien (Biedert) erklärt werden kann.
Zum Schlüsse fühle ich mich veranlasst, meinem hoch-
verehrten Lehrer und damaligen Chef, Herrn Geh. Med.-Uath
Prof. Heubner, für die Anregung zu dieser Arbeit und
Ueberlassung des Materiales seiner Klinik, wie Herrn Geh.
Med.-Rath Prof. F. Hofmann, Director des hygienischen In-
stituts, in dessen Laboratorium die chemischen Analysen
ausgeführt wurden, für die rege Antheilnahme und Unter«
Stützung, sowie Herrn Geh. Rath Prof. Ludwig für so
manche Anregung, und meinem verehrten Chef, Herrn Med.-Rath
Prof. So It mann für das bewiesene Interesse meinen tief-
gefühlten Dank auszusprechen.
Leipzig, den 27. Juli 1894.
XIV.
Kleinere Mittheilungen.
Zu der ,,irrthüinliclieii Darstellung eines physiologischen Vor-
gangs in einigen Lehrbüchern der Einderkrankheiten**
(Dr. Bebtelb in Riga in Heft 1 des XXXIX. B. d. Jahrbuchs)
bin ich in der für das ,fbekannte Bieder tische Lehrbuch der Kinder-
krankheiten*' angenehmen Lage, eine erheblich anders geartete Sach-
lage constatiren zu können.
Sachlich und selbst wOrtlich gehört die gerügte Anschauung über
die Vorgänge beim ersten Athemzng dem Vogerschen Lehrbuch (von
dessen 1. Auflage an bis zu der 9. und 10. von mir unter dieser Be-
zeichnung weiter bearbeiteten) an, nicht mehr aber der 11., unter
meinem Namen Anfang 1894, ^j^ Jahr vor der Bemerkung von Dr. Be rtels ,
erschienenen Auflage.
Ich muss allerdings bekennen, dass ich den Lapsus VogeTs in
jenen ersten Bearbeitungen übersehen hatte. Ich hatte ausserordentlich
yiel zu ändern und neu hinzuzuthun, und da las ich leider etwas rascher
über Stellen, wie diese, die altfeststehende physiologische Dinge ent-
hielten und mir somit keinen Verdacht auf Correcturbedürfniss ein-
flÖBsten, hinweg. Das soll mich be- und entschuldigen!
In der 11. Auflage, die unter meinem Namen gehen sollte, hielt
ich mich für verpflichtet, die Reste des alten Buches noch einmal ge-
nauer zu fassen, und war sehr verwundert, diesen kleinen Gallimathias
noch im 36. Jahre seines Alters lebendig vorzufinden. Ich gab ihm
dann in der 11. Auflage S. 1 von Zeile 2 ab folgende Gestalt:
„ — — — contrahiren sich die Inspirationsmuskeln, und es dringt
zum ersten Mal atmosphärische Luft in die Lungenbläschen. Die hier-
auf erfolgende Ausdehnung der Langen bedingt nach aussen Ver-
grösserung des Brustkorbs, nach innen eine Erweiterung des
Stromgebietes des ganzen Blutkreislaufes verbunden mit
neuen und regelmässig fortdauernden Druckschwankungen
in Herz und grossen Gefässen, femer eine Herabrückung des
Zwerchfells und dadurch Einengung des Bauchraums. Diese
Veränderung, welche die Unterbrechung des Blutkreislaufs
in den Nabelgefässen begleitet, wirkt in radicaler Weise auf
den Blutumlauf der einzelnen Organe, und es schliessen sich in der
That folgende Blutbahnen "
So verhält sich nun die Sache in der That und, ohne dass auf
sonst bekannte Einzelheiten des Vorgangs hier näher einzugehen ge-
wesen wäre, ist mit der durch Sperrdruck bezeichneten neuen Fassung
die falsche Vorstellung von einem excentrischen Druck der inspi-
rirenden Lunge ausgemerzt. Ich hoffe, Herr Bert eis wird damit zu-
frieden sein, dass ich schon 1 Jahr vor seiner Mittheilung ihm in dieser
Weise Recht gab.
Ha genau i. E., December 1894. Dr. Biedebt.
Analecten.
I. Infectionskrankheiten.
1« Mmsern.
Ein Fafl von Masern, unmittelhar nach Röthein. Von Dr. F. Theodor
in Königsberg i. Pr. Arch. f. Kinderh. 16. Bd.
Ein 6 Jahre alter Knabe erkrankt ohne Prodrome und Fieber mit
einem kleinfleckigen Ansechlage im Gesicht. Verf. findet kleine, kaum
linse Dffrosse, hellrothe« unregelmässig gestaltete Flecken, die sich nicht
über das Niveau der Haut erheben und TOn vollständig normalen Hantr
stellen unterbrochen sind. Conjunctivae leicht geröthet, keine Licht-
scheu, keine Röthung der Gkiumenschleimhaut, kein Hasten, noch Reis
dazu. Beiderseitige starke DrQsenschwellungen am Halse, sonst reine
Zunge, grosser Appetit, grOsstes Wohlbehagen. Am zweiten Ta^
intensivere Röthung des Exanthems and Verbreitung auf den übrigen
Körper. Temp. 37,8. Drüsen erheblich kleiner. Appetit und Wohl-
befinden. Am dritten Tage Röthung fast geschwunden, hin und wieder
(Gesicht) kleienförmige Abschuppung. Am nächsten Tage Rückgang
sämmtlicher krankhafter Symptome, Abends Reinignngsbad.
Die auf das Bad folgende Naht sehr unruhig. Am Morgen starkes
Erbrechen und hohes Fieber (38,9^), apathisches Dohinliegen. Neben
stark saurem Geruch aus dem Munde bestand grosse Lichtscheu mit
starker Röthung der Conjunctivae, starker Schnupfen, intensiv belegte
Zunge. Die beiden folgenden Tage Status idem. Erst am dritten T^e
trat im Gesicht ein aus mittelgrossen, zackigen, leicht über das Niveau
der Haut erhabenen Flecken bestehender Ausschlag anf. Gaumen -
Schleimhaut fleckig- streifig geröthet, Zunge granweiss belegt, fliessende
Nase, thränende Augen, quälender Husten. Drüsenschwellungen waren
nicht mehr zu fahlen. Im weiteren Verlaufe stieg die Temp. auf 40,5^
Tags darauf kleienförmige Abschnppung des Gesichtes ohne Fieber-
abfall. Bei zunehmender Unruhe trat am folgenden Tage unter De-
lirien varicellaartiger BläBchenausbruch am Rücken und ganzen Körper
auf, darnach Kieberabfall auf 86,6^, Schlaf und völlig dauerndes Wohl-
befinden. 14 Tage später erkrankten die anderen Geschwister des Kindes
an Masern.
Der mitgetheilte Fall liefert, nach der Annahme des Verf., einen
geradezu frappanten Beweis von der Selbständigkeit der Rötheln.
ünger.
Hecidive de rougeoJe, Von Diamantberge r. Le Progr^s m^ical 1893.
Nr. 18.
Diamantberger berichtet Ober einen interessanten Fall von Masem-
recidiv, das er innerhalb von 6 Monaten bei einem 2% jährigen Kinde
Analecten. I. Infectionskrankheiten. 243
beobachten konnte. Die zweite Erkrankung, die zum Tode führte, war
durch eine Broncbopnenmonie complicirt. Der Verfasser ist der Mei-
nung, dasB jeder, der einmal masernkrank gewesen ist, besonders wenn
er an einer Erkrankung der Luftwege leidet, vor einer Neuinfection zu
schützen ist, da derartige Kranke besonders empfindlich für das Masorn-
gift seien. Fritzsche.
2. Scharlach.
Zur Frage des Scharlachtyphoid, Von Dr. M. Brück. Pester med.-
chir. Presse Nr. 80. 1898.
B. ist geneigt, die nachfolgenden zwei Fälle als Typhusinfection
nach Scharlach anzunehmen:
I. Ein 6^^ Jahre altes Mädchen erkrankte am 4. December an
Scharlach. Verlauf ohne Besonderheiten. Am 13. und 14. December
Spuren von Abschuppung. Temp. normal. Am 20. Dec. Fat. fieber-
haft, schlecht gelaunt, appetitlos, ist matt, somnolent und klagt über
Kopfschmerzen. Untersuchung negativ. An den Extremitäten massige
Abechuppung. Temp. 39,5 ^ Am 21.— 23. Dec. Mattigkeit gesteigert,
Nachts wilde Delirien. Klagen über Schmerzen in der Nabelgegend
und Symphyse, Bauch meteoristisch , auf Druck überaus empfindlich.
Obstipation. Harn ohne Eiweiss.
26. Dec. Nachts ruhiger. Zunge trocken, glänzend. Die Milz über-
ragt den Rippenrand um 2 Querfinger.
26.-28. Dec. Milztumor grösser. Die Mesentcrialdrüsen sind als
nussgrosse, leicht bewegliche Knoten durch die Bauchdecken zu paU
piren. Täglich 2 — 3 diarrhöische Entleerungen.
29.— 31. Dec. Befinden besser. Milztumor weniger deutlich. Er-
hebliche Morgenremissionen.
1. — 3. Januar. Milztnmor kaum palpirbar. Rechtsseitige Otorrhöe.
Ausgeprägte Desquamation. Urin albuminfrei.
4—5. Jan. rat. fieberfrei. Otorrhöe kaum bemerkbar. Langsame
Reconvalescenz und Heilung.
Die Fiebercurve entsprach einem Typhus abd. lev. gradus.
II. Ein 6 Jahre alter Knabe erkrankt an Scharlach am 29. Februar.
Verlauf zeigte keine Anomalien. Am 8. März Temp. 38,4, innere Unter-
suchung ergiebt normale Verhältnisse. Am Halse beiderseits geschwellte
Drüsenpackete.
14. März. Zunehmendes Fieber, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit.
Geringe Abschuppung. Obere Augenlider etwas gedunsen. Harn eiweiss-
frei. In den folgenden Tagen (16.— 16. März) Fieber etwas gefallen.
17. — 19. März. Abendliche Fiebererpcheinnngen. Nachts massige
Delirien. Milz unter dem Rippenbogen palpirbar. Täglich 2—3 diar-
rhöische, sehr übelriechende Entleerungen.
20. März. 6 mal Diarrhöe. Volliefe Appetitlosigkeit.
21.— 23. März. Täglich 3 — 4 schleimige Entleerungen. Befinden
etwas besser. Milz noch palpirbar. Harn eiweissfrei.
24.-26. März. Erhebliche Morgenremissionen mit geringen abend-
Uchen Steigerungen. Entleerungen breiig.
28. — 29. März fieberlos. Hochgradige Schwäche mit starkem Tremor
in den oberen Extremitäten. Langsame Reconvalescenz. Furunculose.
Die Fiebercurve zeigte auch hier typhösen Charakter. Unger.
La pepionurie dans la scarlatine. Von Dr. Ervant Arslan. Progr^s
mädical 1893. Nr. 6. S. 102.
Das Vorkommen der Peptonurie bei Scharlach ist nach dem Vor-
trage Arlan*s vor der biologischen Oesellschaft noch wenig stndirt.
244 Analecten.
Und doch ist gerade die Peptonnrie ein Bignum mali ominia, wie die
Untenacbangen des Vortragenden, die er als dirigirender Ant der
Scharlachabtheilang in der Kinderklinik Grancher's an 21 Kindern
Torgenommen hat, ergeben haben. Elf der Kranken, die frei von Pep-
tonnrie waren, zeigten einen regulären Krankheitsverlaaf. Bei den zehn
anderen, bei denen sich Peptone im Urin fanden, war steta der nor-
male Verlauf durch Complicationen (schwere Streptokokkenangina, Ery-
theme, Epididymitis etc.) gestört. Der Vortrageode gelangt zu folgen-
den Schlüssen: 1. Peptonurie fehlt bei Scharlach mit regulärem, gut-
artigem Verlauf; 2. bei Complicationen ist Peptonurie stets vorhanden,
oder geht dem Eintritt der Verschlimmerung voran; 3. die Anwesen-
heit einer bemerken swerthen Menge ?on Peptonen im Harn ist stets ein
prognostisch ungünstiges Zeichen ; 4. die Peptonurie hat keine Be-
ziehung zur Albuminurie, aber kommt 6. bei schweren FUlen häufig
mit Indicanurie zusammen vor. Fritz sehe.
lieber septische Scharlfichnephritis, Von Dr. Aufrecht Deutsches Archir
f. klin. Med. 62. Bd. 8. u. 4. H.
Friedländer stellte neben der initialen katarrhalischen Nephritis
und der Glomerulonephritis eine dritte Form der Nephritis im Ver-
laufe des Scharlachs auf: die grosse schlaffe, hämorrhagische Niere, die
interstitielle septische Nephritis. Dieselbe kommt in der 1.— 4. Krankheits-
woche vor, verhältnissmässig selten.
Die Nieren sind Tcrgrössert, schlaff, in der Rindensubstanz ist die
Zeichnung verwischt, die Glomeruli sind verwischt, die Nieren von
Hämorrhagien und hämorrhagischen Infiltraten, das interstitielle Ge-
webe von massenhaften Rundzellen durchsetzt, die Epithelien wenig
verändert.
Der Verlauf ist sehr acut, die Krankheit nicht nur bei Scarlatina
vorkommend.
Dr. Aufrecht berichtet über 8 Fälle dieser Art: bei 2 Erwach-
senen und einem 6 Jahre alten Kinde, alle drei mit t($dtlichem Ausgange.
Hervorgehoben wird der frühzeitige Eintritt der Complication (Tod
am 3., 6. und 10. Krankheitstage) und Einsetzen der Krankheit mit
hohem Fieber.
Aus dem mikroskopischen Befunde wären zu betonen: Namhafte
Coagulationsnekrose der Epithelien in den Canälchen der Rinde (in zwei
Fällen), Ausfallen der Epithelien ans einer grossen Zahl derselben,
llarncylinder können reichlich vorhanden sein, aber auch ganz fehlen,
analog wie bei der acuten Nephritis in Folge einseitiger üretherenunter-
bindung.
Auffällig ist die bedeutende Erweiterung der Harncanälchen der
Nierenrinde und der Verstopfung der Henle*schen Schleifen und der
Sammelcanäle in der Marksubstanz.
Der Befund wäre zu deuten als eine wesentlich die Epithelien der
Harncanälchen betreffende entzündliche Veränderung in der Nieren-
papille mit consecutiver Harncylinderbildung in diesen Canälchen, die
Erkrankung der Niere wäre dann eine Folge der Verstopfung der Heule-
sehen Schleifen durch Harnstauung.
Im Zusammenhange ständen die Thatsachen so, dass der Infections-
stoff zunächst in der Nierenrinde auf die Epithelien wirkt, dann setzt
die entzündliche Veränderung der Epithelien in den Papillen ein, welche
das Krankheitsbild nunmehr beherrscht und die Stauungserscheinungen
hervorruft.
Die Erscheinungen der interstitiellen Nephritis, Rundzellenanhäufung
ist eine Theilerscheinung derselben Veränderungen, wie sie gleichzeitig
auch in der Leber und in der Milz vorkommen. Eisenschitz.
I. Infectionskrankheiten, 245
MeningUis hei ScharlacMcranken. Von Dr. S. Z. Bendel. Wiener med.
Presse Nr. 28. 1894.
Eine durch das Scharlach virus bedingte Entzündung der serösen
Häute wurde schon mehrfach beobachtet. Dass derselbe Process sich
auch in den serösen Hirnhäuten abspielen kann, beweisen folgende
Beobachtungen :
I. M. K., 4 jähriges Kind, erkrankte am 30. November zur Zeit,
als in demselben Hause schon einige Kinder an Scharlach damied'er-
lagen. Die Krankheit begann mit Schüttelfrösten, Fieber und Erbrechen.
Am 1. December Temp. 39,6, Puls 130, klein, Somnolenz, trübes Sen-
Borinm. Kein Exanthem, keine Angina. Am 2. Dec. Temp. 39,6, aus-
setzender Puls, Benommenheit, träge Reaction der Pupillen, Nacken-
starre, Cri hjdrocephalique, Hauthyperästhesie. Am 3. Dec. Status idem.
Am ganzen Körper reichliches Scharlachexanthem, entzündliche Angina.
Am 4. Dec. Status idem. Rechts Facialisparese. Abends tonische Krämpfe
und Tod.
II. u. IIL Im Dorfe erkrankten am 2. und 3. Januar die zwei
Töchter des Dorfrichters an Scharlach. Die Krankheit begann bei beiden
plötzlich mit Frösteln, Hitze und Erbrechen. Am 3. Januar zeigte die
ältere (12 Jahre) reichliches Exanthem und Angina. Am 4. Januar Be-
nommenheit, Temp. 39,0®, Puls 140, klein, Goma, Trismus, Nacken-
starre, Nachts tonische und clonische Krämpfe und Tod. Die jüngere
(9 Jahre) starb ebenso zwei Tage später.
IV. S. R., 4 jähriges Kind, erkrankt am 19. December. Temp. 39,8 °.
Puls 110. Scharlachexanthem, Angina. In den ersten fünf Tagen leich-
ter Verlauf. Am 8. Tage Temperatur 40,0 <^, Puls 130, Sopor. Am
28. Dec. Status idem. Pupillen ohne Reaction, Nackenstarre, kahnför-
miger Bauch, Aufschreien. Am 29. Dec. links Facialisparese. Am
31. Dec. Nacblass, Erholung, leichte Facialisparese besteht noch.
V. L. S., 6 jähriges Kind, erkrankt am 6. Januar. Bis 12. Januar
normaler Scharlachverlanf. Alsdann Delirien, Somnolenz, Temp. 40,1 ^
aussetzender kleiner Puls. Am 13. Januar Röthung und Schwellung
beider Eilbogengelenke. Bleibt in weiterer Beobachtung.
Die Prognose anlangend, endeten fast alle Fälle, wo die Menin-
gealaffection mit dem Beginne des Scharlachs einsetzte, letal, wo sie
in späteren Stadien des Scharlachs hinzutrat, hatte vorsichtige hydro-
pathische Behandlung in der Mehrzahl die besten Resultate erzielt.
ünger.
8« Pocken.
Ueber die Pockenepidemie in Göteborg 1893—1894, Von Hönric B encke rt.
Hygiea LVl. 7. S. 1. 1894.
Die Krankheit wurde mit Sicherheit Yon England eingeschleppt
durch zwei Seeleute, der eine Ton ihnen hatte unzweifelhaft in Eng-
land die Pocken gehabt und wohnte kurze Zeit in einer Familie in
Göteborg, in der die Hausfrau bald nach seiner Abreise nach Norwegen,
am 14. April, sammt ihren zwei Kindern erkrankte; die Kranken wurden
am 18. April in das Epidemiehospital gebracht mit noch einem dritten
Kinde, das am 30. April ebenfalls erkrankte. Eine andere Familie, die
mit den Erkrankten im Verkehr gestanden hatte, wurde am 20. April
im Krankenhause aufgenommen, wo am 22. und 30. April zwei von den
Kindern erkrankten. Mit dieser letzteren Familie hatten zwei Kinder
im Verkehr gestanden, die am 28. April erkrankten, aber erst am 4.
und 18. Mai im Krankenhaus aufgenommen wurden. Gleichzeitig mit
246 Analecten.
diesen letzteren beiden Kindern erkrankten zwei Prostituirte , die die
Krankheit weiter verbreiteten. — Der zweite Seemann erkrankte in
seiner Familie am 4. April , warde aber erst am 6. Mai mit seiner
Frau und seinen beiden Eandern aufgenommen, die ebenfalls erkrankt
waren. Von diesen beiden Herden aus verbreitete bich die Krankheit
und es kamen im Ganzen 88 Fälle von Pocken vor (39 im Mai, 36 im
Juni, 8 im Jali), am 2. August wurde der letzte Fall isolirt, im August
un^ September traten keine neuen Erkrankungen auf und man hielt die
Epidemie schon für abgeschlossen. Am 8. October erkrankte aber wieder
ein Maurer, der am 18. October aufgenommen wurde; die Quelle der
Ansteckung liess sich in diesem Falle nicht erforschen, die Hausgenossen
des Erkrankten worden zugleich mit ihm isolirt und gründliche Des-
infection durchgefdhrt. Nach drei Wochen traten zwei neue Fälle auf,
vom 12.— 22. November fünf, in der letzten Woche des November und
in den zwei ersten Wochen des December kamen weitere Erkrankungen
vor in 21 von einander weit entfernten Wohnungen. Trotz der vielen
zerstreuten Herde gelang es doch, die Ausbreitang so weit zu be-
schränken, da SS in der Regel nicht mehr als ein Fall in einer Wohnung
vorkam. In der Woche vor Weihnachten schien die Epidemie bedeutend
abgenommen zu haben, da nur drei Fälle bekannt waren; bald wurden
aber neue Herde entdeckt und in der Woche nach Weihnachten wurden
12 Pockenkranke aufgenommen (darunter 10 Kinder, von denen kein«
geimpft war). Die Zahl der im Jahre 1893 Erkrankten betrug 147
(darunter 48 Kinder; bei 33 während des Sommers erkrankten Kindern
waren die VaccinationB Verhältnisse nicht sicher festzustellen, unter 15 in
den letzten Monaten erkrankten Kindern waren 18 nicht geimpft) mit
10 TodcHfäUen. In den ersten vier Monaten des Jahres 1894 erkrankten
noch 129 mit 15 Todesfällen. Von 35 im Jahre 1894 erkrankten Kin-
dern waren 21 sicher nicht geimpft, bei 14 war darüber keine sichere Auf-
klärung zu erhalten. Unter den 25 Todesfällen, die während der ganzen
Epidemie vorkamen, betrafen 14 Kinder (8 im Jahre 1893, die alle nicht
vaccinirt waren ; 6 im Jahre 1894, von denen 5 nicht vaccinirt waren).
In der im Herbst erneuerten Epidemie liess sich der Ursprung schwer
nachweisen; der Umstand, dass viele von der ArbeiterbevOlkerung im
Frühjahr ihre Kleider im Leihhaus versetzen, macht es wahrscheinlich,
dass der Ansteckungsstoff sich in den Kleidei*n befand, die im Herbst
wieder eingelöst wurden, wofür auch der Umstand si)richt, dass zu An-
fang der neuen Epidemie sich viele unter den Kranken befanden, die dem
Schneidergewerbe angehörten. Eine neue Einschleppung im October
kann nicht ausgeschlossen werden, aber das gleichzeitige Auftreten an
verschiedenen Stellen spricht dagegen. Die Vorkehrungsmaassregeln
waren umfassend (769 Personen wurden isolirt, die Krankheitsherde
wurden durch die Polizei aufgesucht), aber schwierig durchzuführen und
begegneten vielem Widerstand vou Seiten der Bevölkerung. Durch
polizeiliche Nachforschung wurde festgestellt, dass 2712 im impfpflich-
tigen Alter befindliche Kinder noch nicht geimpft waren, von 12 446
Schulkindern waren 513 (4,1%) nicht geimpft. Walter Berger.
Ueber eine kleine Pockenepidemie im Län Skaraborg im Somtner 1893.
Von Jakob Bergqvist. Hygiea LYI. 3. S. 215. 1894.
Der erste Erkrankte war ein Soldat in einem Feldlager, der am
25. Juni erkrankte; er wurde sofort isolirt und das Zelt, in dem er mit
15 anderen Soldaten gelegen hatte, wurde niedergerissen und sammt
der darin befindlichen Einrichtung desinficirt; von den 15 Zeltgenossen
des Erkrankten erkrankte keiner, dagegen traten später noch 17 wei-
tere Erkrankungen (16 Soldaten, 1 Arbeiter) auf, über deren Entstehung«-
I. Infectionskrankheiten. 247
weise sich nichts Sicheres feststellen Hess. Alle Erkrankungen traten
zwischen dem 17. und 26. Juli auf, 7 davon am 22. Juli, wahrscheinlich
stammte, bei diesen die Ansteckung aus derselben Quelle, die sich aber
nicht nachweisen Hess. Die einzelnen Kranken, die an verschiedenen
Stellen im Län lagen, wurdeu nach Möglichkeit isolirt, zugleich mit
den Personen, die mit ihnen die Wohnung theilten; die Kranken blieben
in ihren Wohnungen, die abgesperrt wurden, mit Ausnahme derjenigen
Fälle, in denen die Isolirung unmöglich war. Bevaccinationen undVacci-
nationen wurden in grosser Ausdehnung ausgeführt. Die Schule wurde
geschlossen und Versammlungen wurden verboten. Es gelang auf
diese Weise, eine grössere Ausbreitung der Epidemie zu verhüten, nur
11 Erkrankungen traten noch in Folge von Ansteckung durch die zu-
erst Erkrankten auf; von diesen 11 Kranken war nur ein 1 Monat alter
Knabe ungeimpft, der starb. Die übrigen Erkrankungen verliefen alle
gelind. — Die Durchführung der Vorbeugungämaassregeln machte viele
Schwierigkeit, sie geschah aber mit aller möglichen Genauigkeit.
Walter Berger.
Pockenepidemie im District Ockelbo zu Anfang des Jahres 1893. Von
Dr. M. Stendahl. Hygiea LVI. 1. S. 36. 1894.
Die Ursache der Epidemie konnte nicht sicher festgestellt werden,
es wurde angenommen, dass sie durch einen Herumreisenden eingeschleppt
worden sei, der aber selbst erst später erkrankte, sodass er auch von
dem zuerst Erkrankten angesteckt worden sein konnte. Die erste Er-
krankung trat am 16. December 1892 auf, auf ihrer Höhe war die Epi-
demie, die sich auf mehrere Ortschaften verbreitete, im Januar und
Februar, dann nahm die Zahl der Erkrankungen rasch ab und im April
erlosch die Epidemie. Im Ganzen erkrankten 68 Personen, von denen
3 starben (2 unvaccinirte Kinder von 9 Monaten und ^^ Jahr und ein
16 Jahr alter Geimpfter). Die Incubationszeit betrug 11 bis 19 Tage,
das Prodromalstadium 1 — 3 Tage, am häufigsten 3 Tage. Fast alle
Erkrankten waren geimpft, nur 2 ungeimpfte Kinder erkrankten und
starben. Die meisten Erkrankten (44 von 68) waren zwischen 11 und
40 Jahren alt. Das jüngste erkrankte Kind (die beiden ungeimpften
nicht mitgerechnet) war 9 Jahre alt, aber dieses zeigte nur Prodrom al-
symptome; das jüugste wirklich an Pocken erkrankte Kind war ein
10 Jahre altes Mädchen, das mit seiner erkrankten Mutter in dem-
selben Bett schlief. Daraus kann man schliessen, dass die im zweiten
Lebensjahr ausgeführte Yaccination bis ungefähr in das 10. Lebensjahr
Schutz gewährt. Die meisten Erkrankten standen im lebhaften Ver-
kehr mit einander, verspätete Anmeldung, Nachlässigkeit der Be-
völkerung und ungünstige Wohnungsverhältnisse begünstigten die Aus-
breitung der Krankheit. Die DurchführuDg der zur Bekämpfung der
Epidemie nöthigen Vorschriften stiess auf viele Schwierigkeiten. Als
die nöthigen Desinfectionsmaassregcln durchgeführt werden konnten,
Vaccinationen und Revaccinationen in ausgedehntem Maasse ausgeführt
und Pockenhäuser eingerichtet worden waren, hörte die Epidemie auf,
sich weiter auszubreiten. Walter Borger.
PocJceninfection durch eine gerissene Hautwunde. Allgemeines Exanthem.
Beitrag zu den seltenen Vorkommnissen in der Kinderpraxis. Von
Pestalozza. Archivio italiano di Pediatria 1892. p. 6 ff .
Verf. behandelte in einem Hause während einer Variolaepidemie
ein Kind an leichten Pocken. Während des Stadiums der Eintrocknung
hat eine fünQährige Schwester der Erkrankten das Unglück, in der
Stube zu fallen und sich an dem nackten rechten Knie auf dem un-
248 AnalecieD.
ebenen and sohlecht gereinigten Fusaboden eine Riss wunde Kozuiiehen,
welche von den Eltern schleunigst mit einem Stücke Speck bedeckt
und verbunden wurde. Verf. wurde erst am zweiten Tage zugezogen,
reinigte und desinficirte die Wunde, sodass dieselbe in vier Tagen
schmerzlos war und durch Eiterung zu heilen begann. An demselben
Tage (dem 6. nach dem Falle) fing das Kind ohne bekannten Grund
an zu fiebern und klagte über Uebelkeiten; nach weiteren 3 Tagen ent-
stand rings um die Wunde ein maculo ' papulöses Exanthem, welches
bald das Bein, die Brust, den Rücken und den Unterleib überzieht; ans
den Papeln werden Bläschen mit Delle, umgeben von einem rothen
schmalen Hofe ; bei einigen wenigen tritt noch Eiterung ein. Am
8. Tage föngt der Ausschlag an einzutrocknen und ist am 20. ganz ab-
geheilt. Die Wunde selbst ist unteriessen vernarbt, ohne dass sich
auf derselben eine Spur von Ausschlag gezeigt hätte; die nächsten
Pusteln waren mindestens 1 cm von der Wunde entfernt.
Im Anschluss an diesen Fall nimmt Verf. Veranlassung, die Frage
von der Natur des Pockengiftes einer Erörterung zu unterziehen. In
ansführlicher Weise bringt er die Ansichten der verschiedenen Autoren
— Italiener, Deuuche, Franzosen, Engländer — zum Vergleich heran
und folgert daraus zunächst, dass eine allgemeine Üebereinstimmung
nicht vorhanden ist. Während die Einen diese oder jene Form der
Kokken oder Bacterien bescholdigen, wollen Andere nur ein flüchtiges
chemisches Agens gelten lassen. Jedenfalls ist aber experimentell fest-
gestellt, dass eine Einimpfung des Pockeninhaltes auf eine wunde Fläche
sowohl eine locale als eine allgemeine Eruption zur Folge hat, bewiesen
durch die früher in so ausgedehntem Maasse geübte Variolisation , die
Vorstufe der Vaccination. Auf Qrnnd dieser Thatsachen schlicFst nun
Verf., dass in dem vorliegenden Fall eine Einimpfung des Pockengiftee
in die Wunde wahrscheinlich ' von dem beschmutzten Fussboden aus
stattgefunden hat, welche von dort aus eine Allgemeinerkrankun^ und
Variola erzeugt hat. Toeplitz.
Ueber Behandlung der Pocken durch Au88chli*S8 der chemischen LidU-
strahlen.
In einem Aufsätze „über die Einwirkungen des Lichtes auf die Haut"
hat Niels R. Finsen (Hosp.-Tid. 4. B. I. 27. 1893) auf Grand meh-
rerer englischer Beobachtungen den Vorschlag gemacht, die Pocken
durch Ausschluss der chemischen Lichtstrahlen (Verhängen der Fenster
durch rothe Gardinen, Einsetzen von rothem Glas in die Fenster) zu
behandeln. Diese Behandlung hat Dr. Svendsen THosp.-Tid. 4. R. I.
44. 1893) während einer Pockenepidemie in Bergen oei vier ungeimpf-
ten Kindern versucht. Er Hess die Fenster mit dicken, rothen wollenen
Decken verhängen und schärfte den Pflegerinnen ein, auf keine Weise
Tageslicht eindringen zu lassen. Das klinische Krankheitsbild zeigte
bei dieser Behandlung insofern Abweichungen, als das Suppur&tions-
Stadium in Wegfall kam und keine Temperatursteigerung eintrat. Das
Stadium der Blasenbildung, das Svendsen etwas protrabirt vorkam,
ging rasch in die Reconvalescenz über, ohne Narbe abildung. Die Be-
handlung mu&s vor dem Eintritt des Suppurationsstadiums begonnen
werden, Sv. glaubt, dass sie später keinen Vortheil mehr bietet Einen
interessanten Co otrol versuch stellte Sv. in der Weise an, dass er einen
Pat., als die Exsiccation überall eingetreten war, nur an den Händen
noch nicht ganz, wo sich noch einige Bläschen befanden, dem Tages-
licht aussetzte; die noch vorhandenen Bläschen an den Händen gingen
in Suppurütion über und hinterliessen Narben; in einem anderen der-
artigen Versuche ergab sich dasselbe Resultat.
I. Infectioiiskrankheiten. 249
In historiBcher Beziehung bemerkt zu dieser Behandlongsart Prof.
Jul. Petersen (Hosp.-Tid. 4. R. I. 45. 1898), dass schon im 12. Jahr-
hundert die rothe Farbe bei Behandln og der Pocken angewendet worden
ist und diese Behandlung die Anerkennung ärztlicher Schrifteteller er-
fahren habe; Gaddesdon (ungeföhr um das Jahr 1800) liess um das
Bett eines pockenkranken englischen Eönigssohncs herum Alles roth
machen und erzielte gute Heilung, ohne Narben. Diese Behandlungs-
weise bewahrte Jahrhunderte lang ihren Ruf, bis in das 18. Jahrhundert
hinein, erst später wurde sie als alter Aberglaube bei Seite geworfen.
Mit Bezug auf diese Mittheilung Petersen *s unterscheidet Finsen
(Hosp.-Tid. 4. R. I. 52. 1893) drei verschiedene Perioden, in denen yer-
schiedene Modificationen der Behandlung zur Anwendung kamen. In
der ersten Periode verwandte man rothes Bettzeug und rothe Bett-
vorhänge, in der zweiten Periode (1867 — 1871) wurde ein schädlicher
Einfluss des Lichtes überhaupt angenommen und die Kranken wurden
vollständig mit Dunkelheit umgeben; diese Dunkelbehandlung scheint
aber nicht genflgend durchgedrungen zu sein. Erst in der neueren Zeit
(der dritten Periode) hat man als wesentlich die Einwirkung der che-
mischen Lichtstrahlen erkannt und deren Ausschluss empfohlen. Die
Behandlung mit Jodtinctur fuhrt Finsen auf dasselbe Princip zurfick,
durch die gelbe Färbung der Epidermis werden die chemischen Licht-
strahlen zurückgehalten; ebenso beruht die Bepinselung mit Höllenstein-
lösung nur auf Abhaltung des Lichtes. Auch bei der Anwendung von
mit verschiedenen Substanzen getränkten Compressen ist nach Finsen
die Flüssigkeit bedeutungslos, die Hauptsache sind die Compressen, die
das Licht abhalten.
Mit Bezug auf die wenig günstigen Resultate, die Juhel*Renoy
(Bull, de la Soc. mäd. des höp. de Paris. Dec. 14. 1898) erhalten hat
(von 12 Patienten starben 2, 4 bekamen Narben, 6 bekamen keine
Narben), nimmt Finsen (HoBp.-'nd. 4. R. II. 10. 1894) an, dass der
Abschluss der chemischen Strahlen nicht vollständig gewesen und in
manchen Fällen nicht zeitig genug zur Anwendung gekommen sei, und
giebt für die Anwendung der Behandlung folgende Regeln an: 1. Der
Abschluss der chemischen Strahlen des Tageslichtes muss absolut sein;
die Dicke der Schicht, durch welche das Licht an Fenstern und Thüren
gedämpft wird, ist verschieden bei verschiedenen Stoffen; von Papier
und dünnem Baumwollstoff braucht man wenigstens vier Lagen, bei
einigermaassen dickem Flanell kann man mit einer Lage auskommen;
am besten ist es, rothes Glas anzuwenden, das aber sehr dunkel sein
muss. Um sicher zu gehen, kann man den Stoff spektroskopisch unter-
suchen. Von künstlichem Licht darf man elektrisches oder anderes grelles
Licht nicht anwenden; Schirm und Cylinder der Lampen müssen roth
sein. Eine vorübergehende Beleuchtung durch ein Stearinlicht, soweit
sie für die Handtirungen im Krankenzimmer unerlässlich ist, scheint
unschädlich zu sein. 2. Die Behandlung muss ohne die geringste Unter-
brechung durchgeführt werden, bis die Blasen eingetrocknet sind; selbst
eine kurze Einwirkung des Tageslichtes kann Suppuration mit ihren
Folgen herbeiführen. 3. Die Behandlung muss so zeitig als möglich
(mit Erscheinen des Exanthems) beginnen, je näher die Suppuration
bevorsteht, desto weniger Aussicht auf Erfplg ist vorhanden. 4. Die
Methode schliesst andere passende therapeutische Eingriffe nicht aus.
5. TodesßQle an Pocken (namentlich im Suppurationsstadium) können
natürlich durch die Behandlung nicht verhindert werden. 6. Wenn die
Patienten zeitig genug in die Behandlung kommen und die angege-
benen Regeln genau befolgt werden, wird nach den bisherigen Erfah-
rungen die Suppuration und die Narbenbildung vermieden; dass dieses
Resultat ohne Ausnahme in allen Fällen erreicht werden kann, ist in-
J»hrlmoh f. Kinderheilkund«. N. F. XXXIX. 17
250 Analecien.
desaen kanm wahrscheinlich ; die Erfahrung mnss erst zeigen, wie häufig
Aasnahmen ▼orkommen werden, bis zur Zeit ist aber Finsen noch
keine bekannt
Während einer kleinen Pockenepidemie in Kopenhagen im Januar
und Februar 1894 hat Prof. C. Feilberg (ÜOBp.-Tid. 4 K. II. 27. 1894)
die Methode in der Weise angewendet, dass er die Fennter mit drei
Lagen rothem ond 1 Lage gelbem Shirting (sogen. Buchbindershirttng)
Terhftngte, die Gasflammen mit dunkelrotbem Glas (wie es die Photo-
graphen zu diesem Zwecke anwenden) verdeckte. Auch die Corridor-
fenster wurden mit rothem Zeug, die Thüren mit Portieren verhängt;
wenn Licht unvermeidlich war, wurde Stearinlicht gebrannt Rothe
Glasscheiben wurden versucht, aber da es sich bei der spektrosko-
pischen Untersuchung erwies, dass bei Sonnenschein gröne Strahlen
hindurchgingen, wurden rothe Vorhänge augebracht; Feil her g behan-
delte auf diese Weise 14 Fälle von Pocken, von denen 9 zeitig, 5 erst
mehrere Tage nach Ausbruch des Exanthems in die Behandlung kamen ;
von den letzteren 6 verliefen 8 (darunter ein ungeimpfbes Kind) ohne
Suppuration, die 3 übrigen Kranken bekamen theilweise Suppuration und
deutliches Suppurationsfieber, die 9 anderen Fälle verliefen ohne Suppu-
ration, im Ganzen verliefen also 11 ohne Suppuration und darunter
waren 8 ungeimpfte Kinder. Die Modification des Krank beitsbildes in
diesen 11 Fällen entsprach ganz den Angaben Svendsen's, doch
schien nur in manchen Fällen das Bläschenstadium verlängert, nur ein-
mal stieg die Temperatur vorübergehend etwas. Auch in den Fällen, in
denen es zur Suppuration kam, zeigte sich eine günstige Einwirkung
der Behandlung, aie Eiterung war gering, ging rasch vorüber und das
Suppurationsfieber dauerte nur wenige Tage. Von den erst spät auf-
genommenen Kranken bekamen zwei am 6. und 7. Tage aufgenom-
menen keine Suppuration, wohl aber drei am 7. Krank beitstage auf-
genommenen, und zwar war die Suppuration stärker im Gesicht, wo
sich das Eianthem oft rascher entwickelt, als an den Händen; auf
schwach beginnende Suppuration übte die Behandlung in einem Falle
einen günstigen Einfluss aus. Nach Feilberg muss die Behandlungs-
weise als ein nicht geringer therapeutischer Fortschritt betrachtet werden,
sie macht die Krankheit weniger schmerzhaft, kürzt ihren Verlauf ab
und hält die mit der Eiterung verbundenen Complicationen fem.
Henrich Benckert (Hygiea LYI. 7. S. 11. 1894) behandelte in
der Epidemie von Güteborg gegen das Ende derselben 17 Fälle (IS Va-
riola Vera, 6 von Variolois) durch Ausschluss der chemischnn Licht-
strahlen. In einem Falle, in dem die Aufnahme erst am 9. Tage beim
Beginn des Suppuration sstadiums stattfand und der nur des Vergleichs
halber auf diese Weise behandelt wurde, war keine günstige Wirkung
wahrnehmbar; in den meisten der übrigen Fälle kam es nicht zur Suppu-
ration und das Fieber blieb in der Regel aus, nur in einem Falle wurde
das Exanthem pustulös (schwere pustulöse hämorrhagische Pocken mit
hohem secundären Fieber, in dem Pat. starb). Narben bildeten sich
nicht, nur in zwei Fällen in geringem Maasse. Die Eintrocknung der
Borken ging zeitiger vor sich und die Krusten lösten sich schneller als
bei anderer Behandlung. Es starben zwar drei von den Kranken, aber
einer nach ohne Suppuration überstandenen Pocken an Pyämie, einer
(Variola haemorrhag.) vor dem Suppurationsstadinm , nur einer, wie er-
wähnt, am Suppurationsfieber. Der charakteristische Geruch war in
dem Krankenzimmer verhältnissmässig unbedeutend. Bei Variolois schien
die Wirkung der Behandlung geringer zu sein, doch ging die Eintrock-
nung rascher vor sich und auch die Krankheitsdauer wiwie abgekürzt
Walter Berger.
I. InfectionskrankheiteD. 251
3 a. Taccine.
Immunite foetale par la Vaccine ou la variole pendant la grossesse. Von
Hervieuz. Archives gdndrales de medicine. September 1893.
p. 860 u. folg.
Die Frage, ob eine während der Schwangerschaft geimpfte oder
von den Pocken befallene schwanffere Frau immun werde, beantwortet
H. dahin, dass eine congenitale, durch Impfung hervorgerufene Immu-
nität wohl zu den Ausnahmen gehören dürfte, während durch die
Pockenerkrankung der schwangeren Frau Immunität des Fötus als
Regel anzusehen sei. Ueber die Frage der Ueberwanderung der Mikro-
organismen von Mutter zu Kind gehen die Ansichten zur Zeit noch
auseinander. Während Davaine, Jollinger, Ahlfeld u. A. die Pla-
centa als Filter betrachten, der die schädlichen Stoffe zurückhalte, sind
Andere, so AUoing, Chamberland u. s. w., yon der Möglichkeit der
Ueberwanderung mütterlicher Erankheitsstoffe auf den Fötus überzeugt.
Nach Malvos sei dabei aber eine Läsion der Plaoenta erforderlich.
Fritzsche.
Zweiter Jahresbericht des „Parc vaccinogene zu Weltevreden", Von Dr.
J. J. £ilerts de Haan. Geneesk. Tijdschr. voor Nederl. Indi3
XXXIII. 3. blz. 399. 1893.
Im Ganzen wurden im Jahre 1892 285 Kälber geimpft und 2658
Gläschen Lymphe versendet, in Park selbst 732 Europäer und 852 Ein-
geborene geimpft. Von den 732 Europäern wurden 307 vaccinirt, und
zwar alle mit animaler Lymphe (bei allen bis auf 7 schlug die erste
Impfung an), 268- re vaccinirt (61% mit Erfolg). Von den Eingeborenen
wurden 557 geimpft und 245 re vaccinirt; von den zum ersten Male Ge-
impften wurden 183 mit animaler (97 % Erfolg) , 205 mit conservirter
(94,2% Erfolg), und 160 mit humanisirter Lymphe (98,8% Erfolg) ge-
impft; von den Revaccinirten wurden 117 mit animaler (56,6% Erfolg),
99 mit conservirter (45,8% Erfolg) und 29 mit humanisirter Lymphe
(25,5% Erfolg) geimpft. In Bezug auf die Möglichkeit des Uebergangs
von Variola in Vaccina theilt E. de H. unter Anderem Versuche an
Affen mit, aus denen hervorgeht, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit
das von Menschen stammende Variolagift nach verschiedenen Durch-
gängen durch den Körper von Affen sich in Vaccine umwandelt, aber
„wir haben keine vollkommene Sicherheit über den Augenblick, wo die
Variola genug abgeschwächt ist, um als Vaccine aufzutreten, ohne Ge-
fahren zu bringen". Walter Berger.
Erfahrungen Über anitnale Vaccination, nebst Bericht Über die Herstel-
lung und Anwendung der animalen Vaccine in Dänemark in den
Jahren 1887 — 1892. Von Dr. J. Bondesen. ügeskr. f. Läger
4. R. XXVIIL 10-13. 1893.
In den Jahren 1887 — 1892 wurden in der königl. Vaccinations-
anstalt im Ganzen 284 Kälber geimpft, von denen aber 44 nicht zur
Abimpfnng benutzt wurden. Im Durchschnitte wurden von jedem Kalbe
1450 Portionen Vaccine genommen; diese Ausbeute hat mit jedem Jahre
zugenommen, wie auch die Zahl der geimpften Kälber; während im
Jahre 1887 von einem Kalbe im Durchschnitte 1086 Portionen Vaccine
genommen worden waren, ergaben sich im Jahre 1892 bei einem Kalbe
un Durchschnitt 1932, im Jahre 1893 bis zur Zeit der Mittheilung mehr
als 2000 Portionen. In gleichem Maasse hat auch der Verbrauch der
animalen Lymphe zugenommen. Mit Ausnahme des Sommers 1891, wo
in Folge von dauerndem Fehlschlagen der Impfungen die Thätigkeit
17*
252 Analecien.
einige Zeit hat eingestellt werden müssen, hat die Anstalt den an sie
gestellten Anforderungen stets tu genfigen yermocht In den ersten
Yier Jahren nahm der Verbrauch an animaler Vaccine stetig £n, im
Jahre 1891 steigerte er sich aber in Folge einer kleinen Pockenepidemie
in Kopenhagen so verhältnissmässig rasch, dass den Anforderungen an
die Anstalt nicht immer Genüge geleistet werden konnte; nm dies rasch
wieder zu können, wurde mitunter Lymphe yersendet, deren Wirksam-
keit nicht vorher erprobt worden war und die dann in praxi oft sich
als ungenügend herausstellte. Im Jahre 1892 wnrde erprobte Ljmphe in
genügender Menge yorräthig gehalten. Waren trotsdem die mit der
Lymphe gewonnenen Resultate nicht immer gut, so lag dies an ge-
ringerer Haltbarkeit; durch Versuche wurde festgestellt, dass animale
Lymphe 3 — 4 Monate lang ihre Wirksamkeit erhalten kann, dass sie
dies aber durchaus nicht immer thut, besonders kräftige Vaccine h<
sich läi^er wirksam als schwächere, und in der heissen Jahreszeit
ist die Haltbarkeit geringer. Unter Berücksichtigung dieser Verhält-
nisse wurde die zur Versendung bestimmte Lymphe strenger Controle
unterworfen und nach Maassgabe der Jahreszeit rascher versendet, so
dass die Erfolge vollständig zufriedenstellend eich gestalteten. Von den
prakticirenden Aerzten haben sich seit 1898 mindestens 80% ausschliess-
lich der animalen Vaccine bedient. Walter Berger.
•
Die BesulUUe der animalen Vaccination mit einem Bericht über die
königl. dän, VaccinationaanstaU im Jcüire 1893. Von Dr. J. Bon-
desen. Ugeskr. f. Läger 6. it. L 18. 19. 1894.
Im Jahre 1893 wurden in der Vaccinationsanstalt 61 Kälber ge-
impft, von denen 6 wegen Erkrankung oder mangelhafter Entwickelung
nicht zur Entnahme von Lymphe benutzt wurden. Es wurden ins-
gesammt 99 406 Portionen animale Vaccine gewonnen, von einem Kalbe
durchschnittlich 2161 Portionen. Versandt wurden 66 529 Portionen;
allen Ansprüchen konnte vollkommen Genüge geleistet werden; in der
Anstalt selbst wurden 3336 Kinder geimpft, davon 1626 mit humani-
sirter, 1709 mit animaler Lymphe; von den Impfungen mit animaier
Lymphe schlugen in der Anstalt 99,8 % an ; im Ganzen waren Kach-
richten über den Verlauf von 24 336 Impfungen zu erlangen, davon war
in 23 138 der Erfolg gut (95,8%), die Erfolge bei den öffentlichen
Vaccinationen und in der Privatpraxis waren ziemlich gleich (noch nicht
^/i% Unterschied). Im Allgemeinen kann zwar nach den gesammelten
Erlahrangen der einzelnen Impfstellen die animale Vaccine als ziemlich
inconstant in ihrer Wirkung bezeichnet werden, aber die von demselben
Kalbe gewonnene Vaccine als ein ganz ausserordentlich constantes Pro-
duct. Bei den Eevaccinationen im Heere ergab sich in 73,17% posi-
tives, in 26,83% negatives Resultat. Walter Berger.
Die Empfänglichkeit für Vaccinaiion mit animaler Vaedne. Von Dr.
H. Adsersen. Ugeskr. f. Läger 6. K. L 23. 1894.
A. hat nach den Ergebnissen der öffentlichen Vaccination auf
NOrrebro und Österbro vom Mai 1893 bis März 1894 gefunden, dass
sich für die verschiedenen Altersclassen der Kinder eine gewisse Gesetz-
mässigkeit geltend macht. Bei derselben Anzahl von Impfschnitten ent-
wickeln sich nach animaler Vaccination bei im 1. Lebensjahr stehenden
Kindern bedeutend weniger Pusteln als in irgend einer der übrigen
Altersclassen (bis 8 Jahre); die Zahl der entwickelten Pusteln steigt
dann gleichmässig vom 2. bis 6. Lebensjahr und nimmt im 7. und
8. Lebensjahr wieder ab. Die benutzte Vaccine stammte zwar von 20
verschiedenen Kälbern, stimmte aber in ihrer Wirkung ganz fiberein,
\
I. Infectionskrankheiten. 253
BodasB der Unterschied nnr in der verschiedenen Empfänglichkeit liegen
kann. Die Zahl der geimpften Kinder (2421) war gross genug und die
Vertheilung derselben anf die verschiedenen Lebensjahre gleichm&ssig
genag (auch die sociale Stellung der Familien, aus denen die Kinder
stammten, war ziemlich gleich), um einen Schlnss zu gestatten. Im
1. Lebensjahr entwickelten sich nur % der Impfschnitte gut, im 2. Lebens-
jahr 84,4% und so wurde das Verh<niss immer günstiger bis zum
9. Lebensjahr. A. schliesst auf Qrund seiner früheren Untersuchungen
über die Häufigkeit des Vorkommens acuter Infectionskrankheiten in
verschiedenen Altersclassen der Kinder auf eine gewisse Beziehung
zwischen der Empfänglichkeit für Krankheiten und der Empfönglich-
keit für die Vaccination, und zwar entspricht nach ihm eine grosse all-
gemeine Morbidität einer geringen Empfänglichkeit für die Vaccination
mit animaler Lymphe und abnehmende oder steigende Morbidität ent-
spricht zunehmender oder abnehmender Empfänglichkeit für Vacci-
nation. Auf diesen Umstand muss man, wie A. meint, Rücksicht
nehmen, wenn man eine animale Vaccine probiren will, man muss bei
der Beurtheilnng des Resultates die Altersclasse der Geimpften berück-
sichtigen. Walter Berger.
Zur Kenntniss des Vaccineprocesaes. Von Dr. J. Sobotka. Zeitschr.
f. Heilkunde XIV B. 6. u. 6. H.
Die vorliegende klinische Studie stammt aus Prof. Ganghofner^s
Klinik in Prag.
Die Zahl der der Arbeit zu Grunde liegenden Impflinge nach Aus-
scheidung aller schon vorher Fiebernden betrug 884, und zwar 44 voU-
gtändig normale, 46 mit nicht fieberhaften, Processen behaftete Kinder und
solche, welche in der Reconvalescenz, im Beginne oder zufällig im
Incubationsstadium anderer acuter Infectionskrankheiten standen. Die
Kinder standen im Alter von 4 Monaten bis 14 *^ Jahren.
Gemessen wurde die Temperatur in der Re^el zweistündlich, sel-
tener vierstündlich und ausnahmsweise nur zweimal täglich, die Mes-
sungen begannen mehrere Tage vor und endeten 16 — 18 Tage nach
der Impfung.
Das Gesammtergebniss der Messungen bei 24 Normalfällen war:
1. Es fieberten am zweiten Tage nach der Impfung 4 (37,7 -> 88*), am
dritten 10 (37,7—38,1*), am vierten 9 (37,7—88«), am fünften 16 (37,7
—38,4), am sechsten 15 (37,7—38,6*), am siebenten 21 (87,7—89*), am
achten 24 (38,4—39,9*), am neunten 24 (37,7-40*), am zehnten 20
(37,7—89,2), am elften 14 (37,7-38,4*), am zwölften 7 (87,7—39,9), am
dreizehnten 6 (37,8—38*), am vierzehnten 2 (37,7*), am fünfzehnten 1
(87,8*), am sechzehnten keiner.
Die Fieberacme trat achtmal am 9., sechzehnmal am 8. Tage ein,
die niedrigste Acme war 88,5, die höchste 40,0*.
Bei den folgenden 17 Fällen, die nur zweimal täglich gemessen
worden waren, ergaben sich ziemlich analoge Verhältnisse, nur kam
einmal die Fieberacme erst am 10. Tage, und war hier die höchste Acme
39,9, die niedrigste 88,3.
In der Regel kam es in den ersten drei Tagen zu keiner Tem-
peratursteigeruDg , am 3. und 4. Tage beobachtete man schon Öfters
über 37,6, am 5.-7. Tage höhere, remittirende Fiebertemperaturen, am
S.Tage die Acme, in Va aller Fälle nicht unter 39,0, welche 2— 8 Tage
dauerte, vom 10. Tage an Absinken, vom 14. Tage an meist normal.
Der 8. Tag zeigte Fiebertemperaturen auch bei solchen Impflingen , die
bis dahin fieberfrei waren.
Der Gang der Temperatur war unabhängig von der Zahl der ent-
254 Analecten.
wickelten PoBteln, der Inteneität des localen Proceesea, der Art der
Lymphe, toh den Torgenoinmenen NachimpftiDgeii, ErOffhnng oder Auf-
kratien der PnBteln and TOm Alter der Impflinge.
Die Nachimpfungen wurden am 6. — 8. Tage, yon denen als sp&tette
eine am 6. Tage noch haftete, vorgenommen, nnd verliefen in der be-
kannten, sich rasch sarückbildenden Weise.
Abweichend war der Verlauf bei vorher leicht erkrankten, recon-
Talescenten, chronisch kranken, wenn auch fieberfreien Kindern, der Fieber-
verlauf ist mehr arisch.
Bei Fällen, welche luf&llig im Incubationsstadium oder w&hrend
des Anftretens acuter Exantheme vaccinirt worden waren, regab sich,
dass weder die Entwickelang der Pasteln gestOrt, noch im Allgemeinen
der typische Gang des Vaccinefiebers wesentlich geändert werde, nur
hat sich mitunter der Tnrgor der voll entwickelten Pasteln rascher ver-
loren und der Hof der Pasteln mangelhaft entwickelt.
üeber Puls und Resniration ist nichts Bemerkenswerthes lu be-
richten, auch nicht von den vom Fieber und nicht vom Localprocease
abhängigen AllgemeiustOrnngen.
Anschwellung und Schmerzhaftigkeit der Achseldrfisen fehlten fast
immer, waren aber häufiger beobachtet worden bei den ambulato-
rischen Impflingen, dürften also anf mangelhafte Hygiene and an-
dere Schädlichkeiten, nicht auf die Viralem des Vaccinecontagiams ta
schieben sein.
Die Revaccinirten verhielten sich ziemlich genau so wie die Vacci-
nirten, die Acme fiel auch auf den 8.^9. Tag, war nor weniger hoch,
wie überhaupt die Fiebererscheinungen weniger ausgeprägt waren.
Weitere Untersuchungen beschSftigen sich mit der Frage, ob dem
fesetzmässigen Fieberverlaufe bei der Vaccination auch entsprechende
chwankungen in der Stickstoifausscheidnng entsprechen. An 7 ver-
werthbaren Fällen fand Dr. 8.: die Hamm enge zeigte nie ein für die
Vaccine charakteristiBches Verhalten, das specifische Gewicht war ge-
wöhnlich während der Fieberperiode etwas erhöht, der Harn enthielt
niemals Eiweiss, es ergab sich auch keine irgendwie charakteristische
StOruDg der Chlorausscheidung, die täglich ausgeschiedenen Stickstoff-
mengen ergaben eine Störung des vor der Impfung bestehenden Stickstoff-
ffleichgewichtes, das Maximum der Ausscheidung fiel fast immer auf
deo 10. Tag und die vermehrte Ausscheidung dauerte gewöhnlich vom
8.— 11. Tage.
Auf die Vermehrung der Stiokstofikusscheidun^ folgte regelmässig
auch die Verminderung und in der Nachfieberpenode r^eUos wieder
beträchtliche Steigerungen.
Der vermehrten Stickstoffausscheidung geht regelmässig eine Ver-
mehrung der weissen Blutkörperchen voran und hört mit dem Eintritt
der ersteren wieder auf, das Verhalten des Blutes ergab in 32 unter-
suchten Fällen verwerthbare Resultate: die Vaccine erzeugt regelmässig
Leukocytose, welche am häufigsten am 3. und 4. Tage nach der Impfang
auftritt, am 7.-8 Tage wieder absinkt, oft bis unter die Norm. Dieee
Abnahme dauert 3—8 Tage.
Am 10. — 12. Tage tritt neuerdings Leukocytose auf, die 2—6 Tage
dauert. Die Höhe der 1. Leukocytose ist 12000—23000, der zweiten
10000^17600, das Minimum 3500; die erste geht den localen Erschei-
nungen und dem eigentlichen Vaccinefieber voraus, die oft eintretende
Verminderung unter die Norm fällt zusammen mit dem Höhepunkt des
Vaccineprocesses.
Die beobachtete Leukocytose war stets polynucleär.
Die Zahl der rothen Blutkörperchen zeigte während des Verlaufes
r
j
I. Infectionskrankheiten. 255
der Vaccine kein apecifisches Verhalten and die Untersuchungen auf
den Hämoglobingehalt gaben keine regelmässigen Resultate.
Auf Grund von wenigen Untersuchungen vermuthet Dr. 8., dass
auch im Prodromalstadium der Variola Leukocytose auftreten würde
und dass mit oder unmittelbar yor Eintritt des Initialfiebers der Va-
riola die Zahl der weissen Blutkörperchen absinkt, woraus ein gewisses
analoges Verb alten bei der Vaccine und bei der Variola abzuleiten
wäre.
Die Analogie zwischen Variola und Vaccine wird noch weiter be-
leuchtet durch den Gang der Temperaturen der beiden Processe und
der Qbrigen kÜDischen Erscheinungen.
Es wird auch insbesondere auf die üeberein Stimmung hingewiesen,
welche zwischen dem im Beginn des Initialfiebcrs der Variola nicht
selten auftretenden Rash und der ähnlichen Erscheinung am 8. — 9. Tage
der V&ccination besteht, aaf die Uebereinstimmung des historisch be-
kannten Verlaufes der inoculirten Variola und der Vaccine.
Ans 14 Fällen von postvaccinalen Eruptionen dedacirt Dr. S., dass
es während des Verlaufes der Vaccine in manchen Fällen zur Entwicke-
ln ng eines fleckigen Exanthems kommt, welches zuerst auä kleinen
rothen Stippchen besteht, die sich zu grösseren oder kleineren, unregel-
mässigcn, nicht scharf begrenzten, rundlichen, rothen Flecken entwickeln.
In der Mitte dieser Flecke kommt es mitunter zur Bildung eines Knöt-
chens und weiterhin mitunter auch eines gedellten Bläschens, oder es
kommt in der Mitte des Fleckes zur Bildung eines graurothen Feldes
um ein central gelegenes Knötchen.
Dieses Exanthem, im Verlaufe des tO. Tages der Vaccination auf-
tretend, erinnert lebhaft an das morbillöse Exanthem bei beginnender
Variola und an ähnliche Vorkommnisse bei der inoculirten Variola.
Diese postvaccinalen Exantheme sind ein Ausdruck der durch die
Vaccine erzengten Allgemeinerkrankung, welche sich in dem regel-
mässigen Auftreten des vaccinalen Nachfiebers gleichfalls äussert.
Das postvaccinale Exanthem ist weder übertragbar noch überimpf-
bar, stellt quasi eine abortive Form der Vaccinekrankheit vor.
Für das Verhältniss der Variola zur Vaccine kommt das Verhalten
der Fötus in Betracht, deren Mütter an der einen oder andern Infection
leiden.
Die Variola der Mutter giebt vermöge ihrer grösseren Virulenz zu-
weilen Anla&s zur Infection des Fötus, aber meist geht das Variolagift
von der Mutter nicht auf das Kind über, gerade so wie bei der Vacci-
nation.
Dr. S. berichtet einen Fall, in welchem ein Kind am 7.-8. Tage
nach der Variolainfection vaccinirt wurde und Variola und Vaccine sich
nebeneinander entwickelten, eine Erfahrung, die übrigens bereits viel-
fach notirt wurde.
Aus 2204 fast ausschliesslich mit animaler Lymphe gemachten Vacci-
nationen ergiebt sich, dass die besten Impfresnltate bei Kindern im
Alter von 6—18 Monaten erzielt wurden.
Vom Jahre 1860 — 1890 kamen 8061 an Variola erkrankte Sünder
zur Anfnahme, unter diesen waren 120 (8,9%) nachweisbar Vaccinirte,
mit Hinzurechnung der ambulanten Kranken, von 6690 Variolakranken
nur 237 (4,24%) nachweisbar Vaccinirte.
Von den 2941 nicht vaccinirten Variolakranken des Spitals starben
46,93%, von 120 Vaccinirten 9,1%.
Üeber das Schicksal der ambulatorisch zur Beobachtung gelangten
Variolakranken fehlen die Daten. Eisenschitz.
256 Analecten.
Ueher die Wirksamkeit der Vaecination während einer Podtenepidemie.
Von Regoli. Archivio iialiano di Pediatria 1892. p. 83 ff.
Im Mai 1890 beobachtete Verf. in einem Dorfc eine kleine eng be-
grenzte Pockenepidemie. Dieselbe verdankte ihre Entstehung folgendem
Hergang: Während im Nachbarorte die Pocken herrschten, führte eine
Frau ihre neunjährige Tochter dorthin eu einem Pockenkranken und
impfte sie mit dem Inhalt von Pockenpusteln; das Kind erkrankte nach
einigen Tagen an schweren confluirenden Pocken, genas aber. Von
ihr impfte die Mutter wieder ihre beiden jüngeren Töchter (7 und
6 Jahre): beide erkrankten und starben. Von diesem Hause aus ent-
wickelte sich eine Epidemie im Orte: von 40 Erkrankungen betrafen
34 Kinder unter 16 Jahren. Da eine Absonderung der Erkrankten aus
localen Ursachen unmöglich war, impfte Verf. alle Bewohner des Dorfes
mit Lymphe aus dem staatlichen Impfinstitut und machte dabei fol-
gende Beobachtungen: In zwei F&llen entwickelten sich beide In-
fectionen gleichseitig und unabhängig Yon einander, ohne scheinbar
gegenseitig irgend einen Einfluss auszuüben. In 4 Fälle a entstand die
Variola am Tage nach der Vaecination: es entwickelte sich in allen
Fällen eine schwere Form der echten Pocken, aber in einem Falle, in
welchem die Variola erst am 6. Tage bei roll entwickelten Vaccine-
Pusteln auftrat, erschienen nur vereinzelte Pusteln, die in wenigen Tagen
abgetrocknet waren.
Verf. plädirt dringend für sofortige Vaecination, wenn sich Flüle
▼on echten Pocken zeigen. Toeplitz.
Die OesundheiUschädigungen hei Gelegenheit der Impfung und die sanüäU'
poligeiliehen Macusnahmen sur Verhütung derselben. Von Dr. F. S c h r a -
kamp. Archiy f. Kinderh. 16. Bd.
Sohrakamp fasst das Ergebniss seiner Untersuchungen dahin au-
sammen, dass in der That unter gleichen Umstanden ernstliche Schä-
digungen bei Qelegenheit der Impfung eintreten können, falls dieselbe
nicht unter Beobachtung dar nöthigen Vorsichtsmaassregeln ausgeführt
wird. Diese Schädigungen sind folgende:
I. Bei Verwendung von Menschenljmphe ist die Gefahr der üeber-
tragung von Syphilis, obwohl ausserordentlich gering, doch nicht
ganz ausgeschlossen. Durch die gröss'te Sorgfalt in der Wahl der
Stammimpflinge wird eine absolute Sicherheit gegen die Syphilis
nicht gewonnen, ebensowenig durch die Art der Aufbewahrung, noch
durch irgend welche Zusätze zu einer Menschenlymphe. Es ist daher
statt der Menschenlymphe ausschliesslich Thierlymphe zu verwenden.
Durch Desinfection des ImpHnstrumentes vor jeder Impfung ist eine
Syphilisinfection durch die Impfung nicht möglich. Accidentelle An-
steckung des Impflings von der Wunde aus durch syphilitische Menschen
seiner Umgebung, ferner Manifestwerden einer bis dahin latenten Sy-
philis nach der Impfung kann gelegentlich vorkommen, jedoch nicht
als Gesundheitsbescbädigung durch die Impfung bezeichnet werden.
IL Hauterkrankungen verschiedener Art können gelegentlich
der Impfung entstehen, und zwar:
1. Phlegmonöse Hautentzündungen (Impf rothlauf) durch den
Import septisch-infectiöser Stoffe in die Wunde und zwar sowohl durch
die Lymphe und den Impfact selbst, als auch durch die sfiAtere Be-
handlung resp. Misshandlung der Impfwunde. Vorsichtsmaassregeln:
Zur Verwendung darf nur frische, von gesunden Individuen entnommene
Lymphe gelangen. Auch hier ist Thierlymphe der Menschenlymphe
vorzuziehen. Die Lymphe ist nicht früher zu verwenden, bevor die
I. Infecüonakraiikheiten. 257
Tbiere, Ton denen sie gewonnen ist, geschlachtet and gesond erkannt
worden sind. Aeasserste Reinlichkeit beim Impfacte, sorgfältigster Schutz
der Impflinge vor Insulten jeder Art.
2. Impetigo und pemphignsartige Erkrankungen. Die
Aetiologie derselben ist noch nicht ganz sicher bekannt, es scheint
aber, dass gewisse bei Thieren und Menschen bestimmte Erkrankungen
bewirkende Pilzkeime, wenn sie mit der Lymphe übertragen werden,
jene Affectionen hervorrufen. Vorsichtsmaasregeln: Sorgfältigste Aus-
wähl der Lymphe liefernden Thiere, sorgföltigste Reinigung der reifen
Postelfläche vor der Abimpfung, sorgfältigste Auswahl nur ganz nor-
maler Pusteln zur Gewinnung des Impfstoffes.
3. Lepra kann durch die Impfung übertragen werden. Da die
Lepra bei Thieren nicht vorkommt, auf dieselbe auch nicht abergeimpft
werden kann, so bildet die ausschliessliche Impfung mit Thierlymphe
die erfolgreichste und einfachste Maassregel zur Verhütung jener In-
fection.
Alle anderen der Vaccination gemachten Vorwurfe sind unberechtigt.
Rachitis, Scrophulose und Tuberculose können durch die Im-
pfung nicht übertragen werden. Dass zuweilen bei vorher gesund schei-
nenden Kindern nach der Impfung Erscheinungen yon Scrophulose auf-
treten, ist nicht als eine Uebertragung durch die Impfung aufzufassen,
vielmehr anzunehmen, dass durch den schwächenden Einfluss der letz-
teren ebenso wie durch andere fieberhafte Krankheiten bei scrophnlös
veranlagten Kindern die bis dahin latente Krankheit zum plötzlichen
Ausbruch kommen kann. Scrophulose Kinder sollen daher in der Regel
nicht geimpft werden. — Masern, Scharlach und Diphtherie können
durch die Impfung nicht übertragen werden. Eine Uebertragung der-
selben während der Impftermine durch Kleider u. s. w. ist dagegen
leicht möglich. Es sollen daher dort, wo derlei Epidemien herrschen,
während deren Dauer für gewöhnlich keine Impfungen yorgenommen
werden. — Dass seit Einführung der Imnfung eine Zunahme der Ge-
sammtsterblichkeit als Folge derselben eingetreten sei^ ist ab-
solut nicht nachweisbar und ebenso unrichtig, dass die Sterblichkeit
in ungünstiger Weise zum Schaden der productiven Altersclasse de-
placirt sei.
Die Gefahr der Gesundheitsbeschädigung durch die Vaccination ist
demnach unter Beobachtung der nöthigen Vorsichtsmaassregeln ganz
ausserordentlich gering, ja nahezu ausgeschlossen. Unger.
Acute Nephritis ncich Schutzpockenimpfung, Von Dr. L. Perl. Berliner
klin. W. 28. 1893
Von vier gleichzeitig mit Thierlymphe vaccinirten Kindern er-
krankte eins, 2% Jahre alt und früher gesund gewesen, am fünften
Tage nach der Vaccination an acuter Nephritis, welche nach sechs-
tägigem Bestände und bei sonst normalem Ablauf der Vaccineblasen ab-
gelaufen war.
„Vaccinale Nephritis** mit leichten Erscheinungen könnte auch
wohl öfter übersehen werden. Eisenschitz.
Impfung mit sterilen Instrumenten. Von Dr. Lindenborn. Berliner
klin. W. 1. 1894.
Um den strengsten Forderungen nach einem aseptischen Vaccinations-
instrumente zu genügen, hat Dr. L. ein Messerchen aus Platiniridinm
construiren lassen, welches in 6 Secuuden in der Spiritusflamme glüht
und in 8 Secunden wieder abkühlt, allerdings nicht die Schärfe eines
258 Analectea.
StahlinstrumenteB bat, aber bei etwas st&rkerem Andrücken für die
Vaccination ganz brauchbar ist.
Das Instrument liefert Dröll in Frankfurt a/M. um 3,60 Mark.
Eisenschits.
4. Tarieellen.
Unität oder Duplicitäi fnm Variola und Varicella? Von Gaidi. Ar-
chivio italiano di Pediatria 1892. p. 98 f.
Dasselbe. Von Hennig. Ebenda 1892. p. 192 f.
In einem offenen Briefe an die Heraasgeber wendet sieb Verf. gegen
die wiederholt aasgesprochene Ansicht Hennig *8, dass Variola ond
Varicella einerlei Infection ihren Urspraog verdanken. Verf.*B Versuche
geben ihm folgende Ergebnisse: 1. Wenn er nngeimpfte Kinder un-
mittelbar nach abgelaufenen Varicellen mit Vaccine impfte, hatte er
stets vollen Impferfolg. 2. Bei 19 Kindern, theils vaccinirt, theils auch
nicht, impfte er Varicellen ohne jeglichen Erfolg. S. Bei 7 von diesen
entstanden die Varicellen, nachdem sie mit anderen an Varicellen er-
krankten Kindern iu Beziehung gekommen waren. Verf. schliesat dar-
aas, dass die Varicellen eine Krankheit sui generis sind, mit Variola
nichts gemein haben, und dass die Beobachtungen Hennig^s auf un-
genauer Diagnose beruhen müssen.
Hennig verwahrte sich gegen diese Annahme und hält seine An-
sicht von der ünität des Giftes voll aufrecht. Toeplitz.
Ueher einen Fall von Varicellen, complicirt mit HaUbräune und Hoden-
entzundtmg. Von Dr. J. Girode. Revue mensuelle des maladies
de Tenfance, Augustheft 1893.
Zur Zeit des Streites bezüglich der Trennung von Windpocken und
Blattern hoben die Anhänger der Trennung gern den einfEUshen Verlauf
der Windpocken und ihre Gutartigkeit gegenüber den vielfachen Com-
plicationen und der Bösartigkeit der echten Blattern als Stütze und
Beweis für ihre Anschauungen hervor. Nachdem, Dank der Autorität
Trou88eau*8, der Streit ausgefochten war zu Gunsten der Verschieden-
artigkeit beider Krankheiten, die Windpocken somit nicht mehr da-
standen als eine einfach abgeschwächte Form von echten Blattern, son-
dern als eigenartige, mit Blattern in keiner Beziehung stehende Krank-
heit, so sah man doch andrerseits ein, das« die Windpocken nicht
immer so unschuldig und in ihrem Verlaufe so einfach seien, sondern
es häuften sich zahlreiche Beweise für deren eventuelle Bösartigkeit.
Hierauf fassend, citirt Verf. folgenden Fall:
Viexjähriger gesunder Knabe erkrankte in der Nacht vom 10.
auf den 11. Januar 1892 mit Fieber, Kopfschmerz und Brechreiz. Am
18. Januar deutlicher Ausschlag von Windpocken, doch ist die Zahl der
Pusteln gering. Am 14. Morgens heftiger Schluckschmerz. Beide Man-
deln sind stark geschwellt und berühren sich fast. Auf der rechten
sowohl als auf der linken sind Pseudomembranen aufgelagert, welche
sich mit dem Charpiepinsel nicht abwischen lassen. Die Unterkiefer-
drüsen geschwellt, sehr schmerzhaft auf Druck. Trotz antiseptischen
Betupfens haben sich am 16. Jan. die Pseudomembranen ausgebreitet.
Unterkieferdrüsen immer sehr schmerzhaft. Es besteht Stuhl verhaltung.
Urin sparsam, dunkel, leicht alburainhaltig. Am 16. Jan. ist femer eine
deutliche Schwellung des rechten Hodens zu constatireo. Erguss in die
Tunica vaginalis. Berührung schmerzhaft. Am 19. Januar fingen so-
wohl Angina als die Hodenentzündung an abzunehmen, die Recon-
valescenz nahm aber mehrere Wochen in Anspruch. Das Eind musste
I. Infectionskrankheiten.
259
bis Ende Febrnar wegen Hinfälligkeit, äasserster Blässe und Appetit-
losigkeit das Bett hüten. Albrecht.
5. Diphtherie«
Die GetvinniMg der Bluiantitoxine und die Classifieirung der Heübestre-
hungen hei ansteckenden Krankheiten, Von Prof. Dr. Behring.*)
Dentsche med. W. 48. 1893.
1. Feststehend ist es, dass die krankheitserregenden Mikroorga-
nismen dnrch ihre Giffc Wirkung gefährlich werden.
Wir suchen jetzt nicht sowohl nach parasiticiden , sondern nach
antitoxischen Mitteln, wenigstens im lebenden Organismus haben wir
bisher wenig Erfolge mit parasiticiden Mitteln zu verzeichnen.
Das Experiment hat vielfach gezeigt, dass die bösartigsten Mikro-
organismen Individuen, welche gegen das betreffende Gift geschützt
sind, nicht schaden.
Die Giftunempfindlichkeit kann von Natur bestehen und vererbbar
sein, wie etwa bei weissen Mäusen gegen Diphtheriegift und ist durch
Transfusion von Blut nicht einem andern Individuum übertragbar.
Der Giftschutz kann aber auch erworben werden und zwar, wie
die Versuche mit Tetanusgift lehrten, sowohl durch Production eines
Antitoxins, als auch durch Beeinflussung lebender Theile des EOrpers
gegenüber dem Tetanusgift, welche letztere Veränderung noch fort-
bestehen kann, nachdem bereits alles Antitoxin aus dem Blute aus-
geschieden ist.
Diese letstere Art der Giftunempfindlichkeit durfte derselben Art
sein, wie die schon von Natur aus bei einzelnen Individuen bestehende
nnd ganz verschieden von der Antitoxinimmunität, welche auch nicht
vererbbar ist; die erstere (Gewebsimmunität) ist dauernd, die letztere
(Antitozinimmunität) ist trän si torisch.
Neben der Antitoxinimmunität besteht sogar in vielen Fällen eine
üeberempfindlichkeit des If^benden Organismus gegen das betreffende
Gift i. e. das Thier erzeugt enorme Mengen von Antitoxin, kann aber
durch kleinste Mengen des Giftes getOdtet werden.
Es ist fj^eradezu ein Ziel, seine Versuchsthiere so lange als möglich
reactionsföhig zu halten, um möglichst lange die Antitoxinproduction
bei denselben zu erhalten.
2. Dr. B. entwirft folgendes Schema zur Classifieirung der Heil-
bestrebungen bei ansteckenden Krankheiten:
Aetiologisohe Therapie der ansteckenden
Krankheiten.
Specifische Therapie.
antitoxische :
direct: indirect:
Jodoform bei Tuberculin
Sepsis (local) gegen
Blutserum bei Tuberculose.
Diphtherie
und Tetanus
(allgemein).
ftntiparatit.:
Chinin
gegen
Malaria.
Nichtspec.
Therapie.
09
a
0
O
a
^ a §
'S g öp
Therapie:
1) Symptomatische.
2) Diätetische.
8) Klimatische.
4) Suggestive.
1) Üeber die früheren Arbeiten Behring's über Immunität und
Heilung der Diphtherie vergl. dieses Jahrbuch Bd. XXXIV. S. 288
u. 289. Band XXXVI. S. 446, 448, 460.
260 Analecten.
Der Endzweck der Utiologischen Therapie wftre, das in Frage kom-
mende Erankheitsgift nnBch&dlich zu machen dnrch Blatsemm (spe*
cifiBch-ätiologische Therapie), durch locale Desinfection.
Speoiell bei den durch Bacteriengifte heryorgerafenen Krankheiten
liegt die Aufgabe nahe, eine ätiologische Therapie dadurch anzubahnen,
daBS man die in den Organiemus eingedrungenen Bacterien tödtet oder
ihre Vermehrung oder die Bildung krankmachender Gifte hiodert.
Das Tuberculocidin und das Antidiphtherin (Klebs) erfüllen nach
Behring diese Ansprüche absolut nicht.
Wir kennen nur ein einziges Mittel, das direct vom Blute ans
lebende Organismen beeinflusst, Chinin. Dabei handelt es sich um an-
dere Organismen als Bacterien. Eisenschitz.
lieber die quantitcUive Bestimmung van DiphUierie-AntitoxinlosungeH.
Von B.e bring und Bo3r. Deutsche med. Wochenschrift 1894
Nr. 21.
Die Arbeit schildert unter Hinweis auf die zumeist in Behring* s
gesammelten Abhandlungen befindlichen ausführlichen Mifctheilungen
den Gang, den die Versuche zur Herstellung und zur Werthbestimmung
des Heilserums genommen. Die Wirkung des Normalserums wird fol-
gendermassen definirt:
a) 1 cm* Normalserum hat bei getrennter Einspritzung Ton Gift
und Antitoxin lebensrettende Wirkung gegenüber der zehnfach tödt-
liehen Dosis einer 48stündigen Diphtheriebacillencultnr bei einer so
grossen Zahl von Meerschweinchen, dass deren Gesammtge wicht 5 Kilo
betr>.
b) 1 cm ' Normalsernm schützt 100 g lebend Meerschweinchengewicht
gegenüber dem zehnfachen der tüdtlichen Giftdosis bei getrennter
Einspritzung von Gift und Antitoxin.
c) 0,1 cm' Normalserum neutralisirt im Reagensglase mindestens
das Zehnfache der tödtlichen Minimaldosis von Diphtheriegifb für Meer-
schweinchen bis zu 400 g bezw. 800 g Gewicht.
Der Schluss klingt in eine Polemik gegen ein tou der Schering-
sehen Fabrik in den Handel gebrachtes Diphtherie-Antitoxin aus, welches
nicht wie die Aufschrift lautet ein 20fache8, sondern nur 6^ faches
Normalserum darstelle. Escherich.
lieber Gewinntmg und Verwendung des Diphtherieheilserums, Von
P. Ehrlich, H. Kossei, A. Wassermann. Deutsche med. Wochen-
schrift 1894 Nr. 16.
Als Versuchsthiere für die Gewinnung der Blutantitoxine haben die
Verf. Ziegen gewählt. Nachdem diese durch Einverleibung getddteter
Dipbtherieculturen eine Grundimmunität erreicht hatten, wurde die
letztere durch eine Serie von steigenden Mengen höchst virulenter
Culturen in die Höhe getrieben. Die Prüfung der antitoxischen Fähig-
keit des Blutserums geschah in der Art, dass Gift und Gegengift schon
ausserhalb des Körpers auf einander einwirkten und erst die Mischung
der beiden durch lupeotion in den ThierkÖrper geprüft wurde. Als
Testgift dient ein mittels Zusatz von %% Carbol conservirtes , altes
Bacillenfiltrat, von dem 0,3 : 100 g Körpergewicht die tÖdtUche Dosis
darstellt. Als Normal- Antitoxinlösuns; wird jene bezeichnet, welche in
der Menge von 0,1 cm' im Stande ist, das Zehnfache der zur Tödtnuf^
eines Meerschweinebens ausreichenden Menge obiger Giftlösung, d. L
0,8 (•» 1,0 cm' Behring's Normalgift) vollständig zu neutralitiren.
Der in einem Cubikcentimeter einer solchen Normalantitoxinlötung enthal-
tene Immunisirungswerth wird als Einheit (I.-E.) bezeichnet. Die zu
L InfectioDskrankheiten. 261
therapeatifichen Zwecken benntzten AntitoxinlösuDgen sind erheblich
stärker als diese Normallösang. Bisher ist es gelungen, ein COfaches
Normalantitozin herzustellen, d. h. in einem Cabikcentimeter dieses
Serums ist ebenso yiel Schntzkraffc enthalten wie in 60 Cubikcentimeter
Normalantitoxin, also 60 I.-E.
Mit den besten Serumsorten wurden in den Berliner Spitalern Ver-
suche angestellt an in Summa 220 Patienten. Es wurde das recht
günstige Ueilungsprocent von 76,4, bei den Tracheotomirten von 65,1
ersdelt. Einen wahren Einblick in den Nntzeffect der Injectionen erhält
man aber erst, wenn man die Fälle nach den Krankheitetagen gruppirt :
Krankheitstag.
Behandelt.
GeheUt.
Gestorben.
Heilung in %.
I
6
6
—
100
II
66
64
2
97
TIT
29
28
4
86
IV
39
30
9
77
V
23
13
10
56,5.
Man sieht, dass die Sicherheit des Erfolges der Serumbehandlung
wesentlich abhängig ist von dem Zeitpunkt nach der Erkrankuog, an
dem die Behandlung begonnen wurde, und dass in den ersten Tagen
Resultate erreicht wurden, wie sie bisher noch nicht beobachtet sind.
Die Dosis des Diphtherieheilserums betrug 130—200 I.-E., somit
3 — 4 cm' jenes oben erwähnten 60 fachen Normalserums, es ist jedoch
zweckmässig, mindestens 200 bei allen Tracheotomirten 400 I.-E. zu inji-
ciren. Die Behandlung muss so frühzeitig aid möglich gemacht werden.
Eine jüngste Reihe von Fällen, die mit wiederholten Injectionen be-
handelt wurden, ergaben noch günstigere Resultate: von SO Fällen,
worunter 16 Tracheotomirte, nur 4 Todte. Man soll deshalb die Serum-
behandlnng au demselben oder dem nächsten Tage fortsetzen, wenn es
die Schwere des Falles erfordert und kann bis 1000—1500 I.-E. in-
jiciren. Nachtheilige Folgen der Injectionen werden nicht beobachtet.
Escherich.
Ueher die Behandlung der Diphtherie des Menschen mit DiphtherieheH-
Serum. Von Dr. H. Kossei. Zeitschrift f. Hygiene u. Inf. -Kr.
Bd. XVII 1894.
Die Gefahren, welche der diphtherische Process durch die früh-
zeitig, schon vor Beginn der Behandlung einsetzende parenchymatöse
Degeneration der Nerven und der Organe, durch die mechanische Ver-
legung der Luftwege seitens der Membranen, durch das secundäre Ein-
dringen anderer Bacterien mit sich bringt, sind so mannigfaltig, dass
es auf den ersten Blick kaum wahrdcheinlich erscheint, dass überhaupt
ein einziges, wenn auch noch so vorzügliches Mittel Heilung bringen
kann. In der That ist dies auch nicht in allen Fällen und nur da mög-
lich, wo die durch den Krankheitsprocess gesetzten Veränderungen nicht
schon zu weit vorgeschritten sind. Immerhin ist die diphtherische In-
toxikation das primäre und ausschlaggebende Moment und der Erfolg
zeigt, dass mit der Beseitigung derselben durch die Serumtherapie in
der That sehr günstige Heilresultate bei Diphtherie erzielt werden. Der
Mittheilung K.'s liegen 233 Fälle zu Grunde, die er theils in den Ber-
liner SpitiUern, theild in dem Institut für Infectionskrankheiten beob-
achtete. Die Krankengeschichten der letzteren sind am Schlüsse aus-
führlich mitgetheilt. üeber die Hälfte der Fälle war weniger als 5 Jahre
alt. Geheilt wurden 179 «=» 77 % ; von den 72 tracheotomirten genasen
41 »= 57 %. Nach Krankheitstagen geordnet ist von den am 1. Tag in
262 Analecten.
Behandlung getretenen Kindern keines, von den 71 des 2. Tages zwei,
▼on den 80 des 8. Tages vier gestorben. Analoge Erhebungen im Kranken-
hause Friedrichsbain ergeben, dass von den innerhalb der ersten drei
Krankheitetage Behandelten immerhin noch 34% erlagen. Eine an-
schauliche Curve illustrirt das Gesagte; erst am 6. — 6. Krankheitstage
schneiden sich die Cnrven.
Die Injectionen hatten in frischen Fällen ein kritisches Absinken
der Temperatur und Pulsfrequenz zur Folge. Die Membranbildung
sistirte, so dass es in keinem einzigen Falle, in dem zur Zelt des Be-
ginnens der Behandlung nicht schon Larynxsjm^tome bestanden, solche
später hinzugetreten sind und dass bei vielen Kindern, bei welchen zar
2ieit des Beginnens der Behandlung der Kehlkopf schon mehr oder
weniger stark ergriffen war, die anscheinend unvermeidliche Tracheo-
tomie unterbleiben konnte. Auch die Analyse der 23 Todesfälle eigiebt,
dass ungefähr bei der Hälfte derselben aie Behandlung erst in einem
so späten Stadium begonnen werden konnte, dass man fast von vorne-
herein an einem glücklichen Ausgang zweifeln musste. Zweimal wurden
Recidive beobachtet, sämmtlich nach einer einmaligen Injection in der
Höhe von 160 I.-E. Escherich.
1) Ueher die mit Behring- Ehrlich' achem DipfUherieheUserum genuichten
Erfahrungen. Aus der chirurgischen Abtheilung des Prof. Rinne
im Elisabethkrankenhause in Berlin. Von Dr. Schubert.
2) Eesültate der Heüserumiherapie bei Diphtherie. Aus dem städtischen
Krankenhause am Urban in Berlin. Von Dr. Voswinkel. Deutsche
med. Wochenschrift 1894 Nr. 22.
Die erstere Mittheilung berichtet über 34 Fälle, darunter 20 Tra-
cheotomien, die im Zeitraum von 5. II. — 4. V. zur Behandlung kameu.
Es wurden Mengen von 13—- 70 cm* iigicirt. Die Injectionen wurden
am Rücken, später am Oberschenkel vorgenommen. Als einzige lä-
stige Folgeerscheinung traten sechsmal scharlachähnliche Exantheme, ein-
mal Urticaria auf. Die localen Erscheinungen besserten sich rascher,
auffallend war die belebende Wirkung, die Besserung des Allgemeia-
befindens und der Herzschwäche. Sechs Kinder starben; es waren dies
solche, die erst in sehr vorgeschrittenem Zustande zur Behandlung ge-
kommen waren.
Aehnlich sind die Resultate bei den 60 Fällen des Krankenhauses
am Urban. Es waren darunter
30 schwere 16 mittelschwere 14 leichte,
davon geheilt 50% „ 81% „ 100% „ , insgesammt
42 oder 70%. Auch hier zeigten die in den ersten Krankheitstagen Be-
handelten die weitaus besten Resultate. Auffallend ist die geringe
Mortalität des iweiten LebenBJahres (das erste Leben^ahr ist in der
Statistik nicht vertreten). Sämmtliche fünf Erkrankte, worunter zwei
tracheotomirte, werden gerettet. Der Autor bringt dies in Zusammen-
hang mit dem Umstände, dass diese, auf das Körpergewicht bezogen,
die grOssten Mengen Heilserum erhielten. Ein Einfluss der Injectionen
auf die Temperatur war nicht zu constatiren, ebenso wenig auf die
Membranen. Doch waren die Heilerfolge ent-schieden günstiger als in
der Zeit, in welcher ohne Serum behandelt wurde. Es che rieh.
Zur Diphtheriebehandlung mit Heilserum, Von Dr. Canon. Deutsche
med. W. 23 1894.
Im städtischen Krankenhause Moabit wurden mit Diphtherieheil-
serum (Behring-Ehrlich) Versuche gemacht ausschliesaUch bei Kin-
I. Infectionskrankheiten. 263
dem unter IS Jahren, und zwar im Juni 1893 an 16, von denen drei
starben, eins an Sepsis, eins an Herzlähmung und ein oeunmonatUches
tracheotomirtes Kind an absteigendem Croup, andere sieben tracheoto-
mirte Kinder wurden geheilt.
Vom 1. XIL 1893 — 22. III. 1894 wurden 44 Kinder behandelt, von
diesen starben elf, siebzehn wurden tracheotomirt, von denen neun ge-
heilt wurden. Unter den zwölf Gestorbenen waren vier moribund auf-
genommen worden, eins hatte bereits Sepsis bei der Aufnahme, eins
starb an Meningitis nach Otitis med., vier an parenchymatöser Ent*
zändung innerer Organe oder Herzlähmung, und endlich eins an Pneu-
monie.
Das bei der zweiten Gruppe angewendete Heilserum hatte nur selten,
das bei der ersten Gruppe oft einen Ausschlag hervorgerufen. Reci-
diven nach je 8 und 14 Tagen kamen zweimal vor. Etwaiges Auftreten
von Albuminurie war uuabhängig von den Injectionen.
Die InjectionsflüsBigkeit der zweiten Gruppe hatte bei acht recht
schweren Fällen in einer Dosis 160 — 200 Immunitätseiobeiten, von diesen
starb eins nach 4 wöchentlich er Krankheit au Herzlähmung.
In der Zeit vom 1. VII. — 1. XII. 1893 wurden ohne Serum 66
Kinder behandelt, von welchen 20 starben. Darunter waren 36 Tracheo-
tomirte mit 22 Heilungen, von 7 Nichttracheotomirten, die gestorben,
hatten sechs Sepsis.
Unter den nicht mit Serum Behandelten gab es nur einen Fall von
Tod durch Herzl&hmung, eine grosse Zahl von Tracheotomirten , und
zwar darunter 12 Kinder im Alter unter zwei Jahren, ohne Serum-
behaudlung 70%, mit Serumbehandlung 76% Heilungen, wobei im
Allgemeinen die nichttracheotomirten Fälle die schwereren waren.
Wahrscheinlich ist zu erwarten, dass grosse Dosen Serum in be-
ginnenden Fällen, bei zweckentsprechender localer Behandlung den Ein-
tritt von Gangrän und Sepsis verhüten können. Eisenschitz.
lieber Anwendung des JDiphtherieantiioxins, Von Ehrlich und Kos sei.
Zeitechrift f. Hygiene Bd. XVII 1894.
Eine Zusammenstellung der schon an anderen Orten erwähnten
Vorschriften über die zu injicirenden Antitoxinmengen. Dieselbe soll
für leichte 400, füre schwere Fälle 1000—1600 I.-E. betragen.
Escherich.
Weitere Untersuchungen Über Diphtherie und das Diphtherieantitoxin.
Von Dr. H. Aronson. Berlin, klin. Wochenschrift 1894 Nr. 16.
Gegenüber der Anschauung Behring*s, dass die Schutz- und
Heilwirkung des Serums der gegen Diphtherie immunisirten Thiere durch
eine directe Zerstörung des im Körper kreisenden Giftes zu erklären
sei, hat Buchner die These aufgestellt, dass die sog. Antitoxine iden-
tisch sind mit den im ßacterienleibe enthaltenen i mm unisir enden Sub-
stanzen, und dass die Wirkung derselben als eine Immunisirung der
noch nicht erkrankten Organe zu deuten sei. Aronson zeigt nun, dass
die im Beagensglas bei directer Berührung vor sich gebende Paraly-
sirung des Giftes eine sehr viel intensivere ist, als wenn die beiden
Sabstanzen unter Einschaltung des Organismus auf einander einwirken.
Das Diphtherieantitoxin zerstört also das Gift und führt seinen Namen
mit vollem Rechte. Escherich.
264 Analecien.
Weitere Unleriuchungen über Diphtherie und das Diphtherieantitoxin.
Von H. ArooBon. II. Mittheilung. Berliner klin. Wochenschrift
1894 Nr. 18.
Die von Aronson Eur Gewinnung von Heilserum verwendete Me-
thode besteht darin, dass er verschiedene Thiere, Rinder, Ziegen, Pferde,
Schafe zunächst durch Injection alter auf 70^, dann 68^ erhitster Cul-
turen immunibirte und dann den (behalt des Blutserums durch Injection
immer grösserer Dosen von hoch virulenten Bacillen steigerte. Die Ge-
winnung stark virulenter Culturen und Fil träte gelang ihm unter An-
wendung der Oberflächencultur der DiphtheriebacÜlen in Bouillon. Elr
erhielt so Culturen, von denen 0,001—0,002 cm' mittelgrosse Meer-
schweinchen in 2 Tagen tödteten. Jedoch ist die Gefahr, durch su rasche
Steigerung der Dosis die schon immunisirten Thiere zu verlieren, hier
eine sehr grosse. Zur Prilfung des Schutzwerthes des Serums benutzt
er die Ehrlich *sche Mischungdmethode. Die höchsten Werthe gab ihm
ein Serum, das dem 200 fachen Behring' sehen Normalserum entspricht
und wovon 0,0005 die für Meerschweinchen sicher tödtliche Dosis von
0,7 Diphtheriegift bei der Mischung paralysirt. Escherich.
Weitere üntersuchunaen über Diphtherie und das Diphtherieantitoxin. Von
H. Aronson. ill. Mittheilung. Berliner klin. Wochenschrift 1894
Nr. 19.
In dem ersten Theile berichtet Verf. über eine Methode zur Dar-
stellung des Antitoxins in fester Form. Bisher geschah dies stets durch
AustdlluDg sämmtlichcr EiweisskÖrper mit dem Serom. A. hat jedoch
zuf&Uig die Beobachtung gemacht, dass die Aufschwemmung colloider
T bonerde mit bacterienhaltigen Bacillencul turen nicht nur wie er erwartet
die Bacterien zu Boden reisst, sondern dass die darüberstehende klare
Flüssigkeit auch frei ist von den toxischen Stofien, die vorher darin
enthalten waren. Die Thonerde hält die Toxine so fcbt, dass sie
selbst durch WasseräpOlung kaum entfernt werden kann. Trennt man
jedoch den Niederschlag und laugt ihn mit schwach alkalischer Flüssig-
keit aus, so gehen 96 % des Antitoxins in Lösung, die dann mit Alkohol
gef&llt und als ein weisses Pulver dargestellt werden können. Je
grösser die Menge der Antikörper, um so mehr Thonerde bedarf man;
am wirksamsten ist die Ausfällung, wenn der Niederschlag in dem
Serum selbst Aluminiumsulfat durch Zusatz von Aluminium hydrozyd +
Ammoniak erzengt wird. Aus dem Niederschlag wird das Antitoxin
mittels alkalischen Wassers extrahirt und die Flüssigkeit im Yacunm
eingeengt. £s lässt sich durch diese Methode eine weitere Concentri-
rung des wirksamen Stoffes auf den hundertsten Theil des früheren Vo-
lumens erreichen. Auch kann derselbe durch Eindampfen bis zum
Trocknen oder durch AusßLllen mit Alkohol in fester Form als weisses
Pulver dargestellt werden. 0,000016 g derselben reichen zur Paraljsi-
rung der sicher tödtlichen Dosis für Meerschweinchen aus.
Mit den erhaltenen Antitoxinen wurden bereits praktische Versuche
angestellt, zunächst in ca. 100 Fällen zu Immunisirungsz wecken bei
diphtheriebedrohton Kindern — mit Ausnahme eines Falles, in dem
sehr schwach wirksames Serum zur Verwendung kam, ist niemals eine
Erkrankung der geimpften Kinder vorgekommen. 0,005 der verwendeten
Lösung paraljsirte die bekannte Giftdosis. Neuerdings wird ein 5 fach
stärkeres Präparat hergestellt. Die Dauer des Impfschutzes veranschlagt
Ä. auf S — 4 Monate. Heil versuche bei erkrankten Kindern sind im
Kaiser- und Kaiserin* Friedrich-Krankenhause angestellt worden mit
einem Serum, wovon 0,0()0*25cm^ zur Paralysiruog von 0,7 cm^ seines
Diphtheriegiftes genügt. Escherieb.
I. InfectioDskrankbeiten. 265
Zur Anktitoxiribehandlung der Diphtherie, Von 0. £atz. Berliner klin.
Wochenschrift 1894 Nr. S9.
Die Mortalität an Diphtherie stellte sich bei 1081 Fällen bisher im
Baginsky^schen Krankenhause auf 88,9%, unabhängig von der gerade
angewendeten Behandlungsmethode. Von Morz bis Juni 1894 wurden
Versuche mit dem von Aronson hergestellten Antitoxin angestellt.
Leichte Fälle erhielten 6 — 7, schwerere 20 cm.' am ersten Tage; am
folgenden Tage, wenn noch keine Besserung zu constatiren, ev. eine
zweite Dosis. Bei den 128 so behandelten Kindern ergab sich 13,2%,
mit Hinzuzählung einiger nicht injicirter Fälle dieser Periode 16,5 %
Sterblichkeit, somit ein erheblich günstigeres Resultat, als es jemals
bisher erhalten worden war. Ein Einfluäs des Mittels auf die bestehen-
den Beläge war nicht zu constatiren; doch ist in keinem Fall der
diphtherische Process nach der Aufnahme noch auf den Pharynx über-
gegriffen. Auf die Nierenentzündung schien es eher einen günstigen
Einfluss auszuüben. Als Folgeerscheinung der Injectionen sah er scharlach-
äholiche Exantheme 9 mal und Urticaria 4 mal. Zweimal stieg die Tem-
peratur nach der Injection und sank dann wieder rasch znr Norm. Die
Geschwister der Kinder, die an Diphtherie erkrankt eingeliefert wurden,
wurden täglich untersucht und beim ersten Beginn der Erkrankung in-
jicirt. Von diesen sind sämmtliche Fälle genesen, in keinem Falle kam
es zur Entwicklung schwerer Erscheinungen. Escherich.
Experimentelle Studien über die Frage der Miachinfection bei Diphtherie,
Von Dr. Funk. Zeitschrift f. Hygiene Bd. XVII 1894.
Man nimmt allgemein an, dass die Combination der Diphtherie-
bacillen mit Streptokokken die Prognose des Diphtheriefalles ver-
schlechtere, und führt dies nach Roux und Yersin auf eine Steige-
rung der Virulenz der Diphtheriebacillen durch diese Symbiose zurück.
F. cucht diese Frage durch folgende Versuchsanwendung zu entschei-
den. Meerschweinchen erhalten steigende Dosen Antitoxin und 24
Stunden später eine constante Menge 0,85 cm ^ Diphtheriegift, die
nicht Yorbehandelte Thiere mit Sicherheit tödtet. In einer zweiten
Reihe erhalten die in gleicher Weise vorbehandelten Thiere gleichzeitig
mit dem Diphtherietoxin je 1,0 cm* Streptokokkenbonilloncultur, von
einer schwach virulenten Cultnr stammend, welche bei Meerschweinchen,
selbst in der doppelten Menge eingespritzt, weder Ortliche noch allge-
meine Krankheitserscheinungen hervorruft. Die mit den kleineren Anti-
toxinmengen vorbehandelten Thiere gingen ein, die mit den grösseren
blieben am Leben, in beiden Reihen ganz in gleicher Weise, so dass
sich wenigstens in dieser Versnchsanordnung ausschliessen lässt, dass
die Streptokokkenmischinfection die Empfänglichkeit des Meerschwein-
chens für das Diphtheriegift erhöhe.
Anders waren die Resultate, wenn statt der Giftlösung lebende Gnl-
turen 0,1 cm ' verwendet wurden. Während von den nur mit Diphtherie
injicirten Thieren ebenso wie früher die mit kleineren Serummengen
vorgeimpften erlagen, die mit den grösseren Mengen vorgeimpften da-
gegen die Infection ohne Erkrankung überstanden, sind in diesem Falle
sämmtliche gemischt inficirte Thiere erkrankt und zum Theil gestorben.
Erst wenn die Serummenge auf ca. das Doppelte gesteigert wurde,
blieben noch die gemischt inficirten Thiere am Leben. Es spricht dies
dafür, dass der Einfluss der Streptokokken sich in einer gesteigerten
Wirkung der Diphtheriebacillen äussert. Versuche, die mit (für Mäuse)
hochvirulenten Streptokokken angestellt wurden, hatten das gleiche
Resultat. Schluss: Sicherlich üben bei gleichzeitiger Injection die
Streptokokken auf Diphtheriebacillen einen Einfluss der gesteigerten
Jahrbuch f. Kiuderheilknnde N. F. XXXIX. 18
266 ÄDalecien.
Oiftbildanff »as. Dieser Einflass ist aber nicbt so betcftcbüicb, wie die
Aatoren bisher angenommen haben. Auch hindert die gleichseitige An-
wesenheit von Streptokokken in keinerlei Weise die specifische Beein-
flussung des Diphtheziegiftes. Escherich.
Zur Pathogenese der Diphtherie, Vortrag in der p&diatr. Section des
XI. internationalen Congresses in Rom. Von Dr. Th. Escherich.
Wiener klin. Woch. Nr. 22. 1894.
Eine Reihe bacteriologischer und experimenteller Untersuchungen
haben E. sur Aufstellung nachfolgender Thesen geführt:
1. Zum Zustandekommen der diphtherischen Erkrankung ist ausser
dem Bacillus und der Möglichkeit seiner Invasion noch das Vorbanden«
sein einer specifischen Empfänglichkeit seitens des Oewebes des su in-
ficirenden Organismus erforderlich. (Die Disposition kann eine örtliche
und allgemeine sein und beide können sich yerschieden verhalten.)
2. Das Verhalten der örtlichen und allgemeinen Disposition, erst in
zweiter Linie die grössere oder geringere Virulenz des Bacillus sind
maassgebend für den Verlauf der Einzelerkrankung. (Bei vorhandener
allgemeiner Disposition — Giftempfänglichkeit — erfolgt der Tod in
der Regel durch die seitens des resorbirten Giftes in den lebenswich-
tigen Organen erzeugten parenchymatösen Veränderungen.)
8. Auch andere und selbst saprophytische Bacterien, sowie deren
Stoffwechselprodocte können von Einfluss sein auf die Ausbreitung und
den klinischen Verlauf des Processes. (Die durch Secundärinfection mit
Streptokokken entstehende septische Diphtherie scheint in einer Durch-
seuchung des Körpers mit der ersteren, r^sp. mit deren Stoffwechsel-
producten und in der dadurch erhöhten Empfänglichkeit des Körpers
für das Diphtheriegift begründet zu sein. Umgekehrt scheinen gewisse
Staphylokokken sich zu verhalten.)
4. Die Heilung des Krankheitsprocesses erfolgt durch Immunität
des erkrankten Organismus, sodass die früher vorhandene Disposition
beseitigt ist, ja in das Gegentheil verwandelt wird. (Die durch das
Ueberstehen des diphtherischen Processes erworbene Immunität ist eine
kurzdauernde; sie vermag nicht vor einer zweiten Erkrankung zu
schützen wenn auch diese letztere dann meist leichter verläuft als die
erste.) Unger.
Zur KenfUniss der DipJUheriebaciüen. Nachweis von Diphtheriebacillen
in den ersten Wegen eines Diphtherie-Kecocvalescenten bis zum 65.
Ta^e nach Ablauf der Racbenerkrankung. Beobachtungen über
Rhinitis fibrinosa. Von Dr. Abel. Deutsche med. Wochenschrift
1894 Nr. 86.
Inhalt aus dem Titel ersichtlich. Die beiden Fälle von Rhinitis
fibrinosa sind dadurch bemerkenswerth , dass die Membranen sich nur
auf einer Nasenhälfte befanden, während die Impf uns in beiden Nasen-
hälften Bacillen nachwies. Im Rachen bestand weder Röthung noch
Belag. Escherich.
Zur Aeliologie und Statistik des Diphtherie. Von Dr. P. Philip. Archiv
f. Kinderheilkunde Bd. XIV 1898.
Verf. berichtet über die Resultate der baoteriologischen Unter-
suchung bei den vom 1. Augast 1891 bis 81. Dec. 1892 in das Kaiser-
und Kaiserin Friedrich-Krankenhaus aufgenommenen diphtheriekranken
oder diphtherieverdächtigen Kindern. Es sind 420 Patienten, 876 der-
selben wurden bacteriologisch untersucht. Es wurden gefunden:
I. InfeciionBkraDkheiten. 267
beim ersten Aasstrich BeinculturoD Ton Diphtheriebacillen 91 mal
„ „ „ fast Beincultnren „ „ 54 mal
„ ,, ,1 reichlich Bacillen neben vielen Kokken 181 mal
erst bei wiederholtem Ausstrich Bacillen 6 mal
nur Kokken 44 mal.
Von den 332 Fällen, in welchen die Untersuchung die Anwesenheit von
Löffler 'sehen Bacillen ergab, wurden geheilt 208, was einer Mortalität
Ton 39,3 % entspricht. Um 10 % günstiger war dieselbe , wenn nur
diejenigen Fälle ausgewählt wurden, in welchen Geschwister erkrankten.
Das Biesultat ist wohl dadurch veranlasst, dass die der ersten nach-
folgenden Erkrankungen früher beachtet und behandelt wurden. Von
343 Fällen wurden 123 b» 36,1 % tracheotomirt oder intubirt; von diesen
32 » 25 % geheilt. Lähmungen kamen in 60 Fällen >» 17,4 % zur Be-
obachtung. Escherioh.
Aetiologische und klinische Beiträge eu/r Diphtherie, Aus dem Kinder-
spital zu Basel. Von Dr. Emil Feer. Separatabdruck aus den
Mittheilungen aus Kliniken und medicinischen Instituten der Schweiz.
I. Beihe, Heft Vll, 1894.
Der erste bacteriologische Theil der Arbeit enthält die Besultate
der Züchtungsversuohe, welche der Verf. als langjähriger Assistent des
Kinderspitales seit dem Februar 1892 bei den eingebrachten Diphtherie-
kranken angestellt hat. Es fanden sich darunter neben 38 Fällen ba-
cillärer Diphtherie 6 mal membranöse, von echter Diphtherie klinisch
nicht zu unterscheidende Anginen, in denen der von Boux, Martin,
Barbier beschriebene Coccus, dagegen keine Diphtheriebacillen vor-
handen waren. Unter elf als lacunäre Anginen bezeichneten Fällen waren
zwei diphtherischer Natur. Endlich wurden gelegentlich einer im Kinder-
spital ausgebrochenen Hausepidemie einmal auf normaler, einmal auf
katarrhalisch gerOtheter Schleimhaut virulente Diphtheriebacillen ge-
funden.
Dem epidemiologischen Theil liegt das Material zu Grunde, das
durch die seit dem Jahre 1875 für Basel eingeführten, obligatorischen
Infectionsanzeigen geschaffen wurde. Es sind im Ganzen bis zum Jahre
1891 4073 Diphtheriefälle mit ca. 13 % Mortalität oder 47 Todesfällen
pro 100 000 Einwohner. Unter kritischer Würdigung der bei den In-
fectionsanzeigen unterlaufenden Fehlerquellen und gestützt durch ge-
naue Localkenntniss führt dann Verf. die Verbreitungs weise der Diphtherie
in Basel vor. Die Contagion spielt dabei nur eine nebensächliche Bolle
und wird durch die Seltenheit der Disposition sehr otfc vereitelt. Als
eigentliche Infectionsherde sind dagegen die durch die Answurfsstoffe
der Erkrankten durchseuchten Wohnungen und Häuser zu betrachten,
in denen das Gift unter dem begünstigenden Einfluss von Unreinlich -
keit, Feuchtigkeit, Dunkelheit sich durch lange Zeit lebensfähig erhalten
kann. Insbesondere sind die Kinder in dem zweiten bis sechsten Lebens-
jahre gefährdet, in welchem Alter sie die bedenkliche Neigung haben,
alle in ihrem Bereich befindlichen Gegenstände zu betasten und die-
selben, oder die beschmutzten Hände zum Munde zu führen.
Trotzdem entstehen (infolge der Seltenheit der Disposition) nur
ausnahmsweise plötzliche Massenerkrankungen in einem solchen durch-
seuchten Hause. Die grossen Zahlen von Erkrankungen in einem Hause
entstehen vielmehr erst langsam im Laufe der Jahre durch immer
wiederholtes Hinzutreten neuer Fälle.
Das dritte Capitel ist der Betrachtung der im Baseler Kinderspitale
ausgeführten Tracneotomien gewidmet. Es ergiebt sich dabei die er-
freuliche Tbatsache, dass von 333 dem Erstickungstode Verfallenen 136
18»
268 Analecten.
s» 40% gerettet worden. Verf. schreibt dieses günstige Resultat dem
«ni Ideren und langsameren Verlaufe der Diphtherie und dena selteneren
Hinzutreten septischer Complicatiooen zu. Die Fälle ohne Betheiligung
der Rachenorgane boten eine 20 % gCInstigere Mortalität als die Bachen-
diptbherien. Nachdem bezfiglich des späteren Schicksales der durch
Tracheotomie geretteten Kinder verschiedene Meinungen bestehen, hat
er die Gelegenheit wahrgenommen, 80 der im Kinderspitale Operirten
genau zu untersuchen. Er fand 68 derselben normal, in gutem Ernäh-
rungszustände, bei 22 geringfügige Störungen der Stimmbildung und der
Respiration. Es waren dies vorzugsweise solche, die mittels Dnrch-
schneidnng des Bingknorpels operirt worden waren. Es erwies sich also
auch in dieser Richtung Cricotracheotomie als die minderwerthige
Operationsmethode gtgenüber der reinen Tracheotomia superior oder
der inferior. Die gründliche, anregend geschriebene Studie sei Allen,
die sich für die Frage interessiren, wärmstens empfohlen.
Escherich.
Koplik: Acute lacunar diphtheria of the t&nsils wiih studies on ihe re-
lation of ihe recU to ihe Pseudohacülua diphtheriae, New- York, Me-
dical Journal March 1894.
Verf. berichtet über eine Reihe von Fällen, in welchen eine durch
den bacteriologischen Nachweis sichergestellte Diphtherie unter dem
Bilde der acuten, lacunären Mandelentzündung verlief. In drei Fällen
war die Affection so leicht, dass sie ohne zufdllige Inspection der
Rachenhöhle kaum bemerkt worden wäre. In drei weiteren Fällen be-
standen ausgesprochene, entzündliche und AUgemeinsjmptome, weisse
Pfropfe in den stark geschwellten Tonsillen, aber keine zusammen-
hängende Membran. Zwei der Patienten hatten auch leichte croupöae
Erscheinungen. In dem siebenten Falle schien im Beginn gleich£üls
nur eine heftige lacunäre Tonsillitis zu bestehen, bis sich am dritten
Tage Ausfluss aus der Nase und Erscheinungen einer septischen Diphtherie,
Lymphdrüsenschwellung etc. hinzugesellte, welcher das Mädchen erlag.
Verf. zieht den Schluss, dass die diphtherische Natur derartiger Fälle
nur durch bacteriologische Untersuchung erkannt werden kann, die
deshalb auch vom praktischen Arzte erlernt und geübt werden sollte.
In dem zweiten, bacteriologischen Theil seiner Arbeit führt K. aus,
dass die Schwere des Falles unabhängig ist von dem Virulenzgrade der
Bacillen; bei den leichtesten Fällen werden hochvirulente Bacillen ge-
funden. Als interessanter Beitrag zur Fra^e über das Verhältniaa de«
Pseudodiphtheriebacillus zum echten Löttler'schen Bacillus berichtet
er Über das Vorkommen des ersteren bei zwei Kindern, welche drei resp.
vier Wochen früher eine unter dem Bilde der katarrhalischen Angina
verlaufene Diphtherie mit virulenten Bacillen überstanden hatten. Der-
selbe war selbst in der Menge von 8 cm ' eingespritzt für Thiere nicht
pathugen und besass die dem Hoff man n-Löfflcr*8cben Bacillus zu-
kommenden Wachsthumseigenthümlichkeiten: üppige Entwicklung auf
Agar, keine Säuerung der Bouillon. Verf. neigt zu der Annahme, dass
bei dem wochenlangen Aufenthalt des Diphtheriebacillus in der Tiefe
der Schleimhautlacnnen die Virulenz desselben durch die schädlichen
Einflüsse der Körpersüfte oder der Leukocyten abgeschwächt werde.
Escherich.
Die bacteriologische Diaanose der Diphtherie und ihre praktische Bedeu-
tung. Von Peter F. HolBt. Norsk Mag. f. Lägevidensk. S. 325. —
Nord. med. ark. N. F. III. 6 Nr. 34. S. 6. 1893.
Vf. bat elf Halsaffectionen untersucht, die mehr oder weniger Aehn-
lichkeit mit Diphtherie hatten; in drei Fällen fSemd sich der Löff 1er 'sehe
I. Infeotionskrankheiten. 269
Bacillns, in den übrigen fanden sich Terschiedene Mikroorganismen ,
wesentlich Staphylokokken und Streptokokken; in einem dieser letzteren
F&Ile waren alle Erscheinungen einer typischen Diphtherie vorhanden,
der spätere Verlauf aber entsprach der bacteriologischen Diagnose.
Walter Berger.
Angines pseudo-diphUritiques. Von M. Lebon. Gkueette des höpitaux
1898 Nr. 109.
Das Wesen der pseudo-diphtheritischen Anginen, in deren Gefolge
keine Lähmungserscheinungen auftreten, ist erst seit wenigen Jahren
bekannt. Doch schon Bretonneau schied die dipbtheritische von der
Scharlachangina, und auch Trousseau war von der Verschiedenheit
beider Entzündungsformen überzeugt. Doch erst der bacteriologischen
Untersuchung sollte der definitive Nachweis der Verschiedenheiten beider
so ähnlichen Erankheitsformen vorbehalten sein. Die Structur der Pseudo-
membranen ist immer dieselbe. Stets besteht die Membran aus Epithel-
Zeilen von un regelmässiger Gestalt, die in ein Netzwerk von Fibrin-
Aden eingelagert sind. Die von den Membranen bedeckte Schleimhaut
ist häufig völlig gesund, doch bisweilen ist sie auch der Sitz lebhafter
Entzündungen, wobei das Epithel zu Grunde gegangen ist. Bei der
Diphtherie findet man stets, oft allein, oft in Gemeinschaft mit Strepto-
kokken oder anderen Kokken, die Löff 1er 'sehen Bacillen. In den
pseudomembranösen Anginen nicht diphtheritischer Natur fehlen die
L ö ff I er* sehen Bacillen; bei ihnen sind Strepto- oder Staphylokokken,
selbst Pneumoniekokken vorhanden. Alle diese Mikroorganismen, die
sich auch im gesunden Zustande im Munde aufhalten, bedürfen zu
ihrer Entwickelang jedenfalls noch besonderer Bedingungen, hauptsäch-
lich einer Verletzung der Schleimhäute des Mundes und des Rachens,
BO bei Lues, bei Verbrennungen, Tonsillotomien etc. In anderen Fällen,
bei Scharlach, Typhus und Pocken treten die Pseudomembranen nicht
selten bei einfachen Anginen auf. Man theilt demnach die Anginen in
zwei grosse Gruppen, in ursprünglich und secundär auftretende. Die
ersteren sind ziemlich häufig; so fand Baginsky von 164 Fällen mit
Pseudomembranen 86 die nicht diphtheritischer Natur waren ^ und
Martin, der 200 Kinder untersuchte, 86 ohne Löff 1er 'sehe Bacillen.
Der Verfasser bespricht nun die einzelnen Formen der Anginen, je nach
den Mikroorganismen, durch die sie hervorgerufen worden sind. Er
unterscheidet folgende primäre Formen:
1. Angines ä coccns. 2. Angines ä staphylocoques. 3. Angines ä
streptocoques, und 4. Angines ä pneumocoques.
Die erste Form ist zuerst von Bouz und Ter sin beschrieben
worden, die sie 8 mal beobachteten. Der Verlauf ist nur selten schwer,
trotzdem dass das Fieber zwischen 39 und 40^ schwankt. Eine Eigen-
thümlichkeit dieser Erkrankung sind die vielen Becidive. Die Kokken
erscheinen in drei Arten: am näufigsten ist ein kleiner Coccus (häufig
Diplococcns), der nach Roux und Ter sin auf Serum und Nährgelatine
am besten gedeiht in zahlreichen transparenten Colonien.
Die zweite Form ist häufiger; es finden sich hierbei sowohl der
Staphylococctts albus wie aureus. Auch diese Form verläuft meist gut-
artig. Am häufigsten wird die dritte Form beobachtet, die im Allge-
meinen auch in Heilung ausgeht und nur in seltenen Fällen zum Tode
führt (dann meist nach Verlauf von 4—6 Tapfen). Diese Art hat die
grösste Aehnlichkeit mit Diphtherie und nur die bacteriologische Unter-
suchung schützt vor Irrthum. In den schweren Formen finden sich
nicht selten, wie bei der toxischen Diphtherie, an den Extremitäten und
am Stamm scharf umschriebene, rothe Flecken oder ein scharlaohähn-
270 Analecten.
liebes Exanthem. Die bacteriologische Untersiicbüiig seigt bei Cnlior-
versucben eine grosse Zabl kleiner, paDktfSrmiger Colonien, der darin
entbaltene Streptococcus bat jj^ans die Eigenscbaften des Streptococcus
pyogenes and erysipelatos. Die Angina mitPneumokokken ist nnr
einmal TOn Jaccond bei einem 19j&brigeu jungen Mann beobachtet
worden, der mit den Erscheinungen schwerer Diphtherie in das Hospital
kam. Am 9. Tage ffing das höbe Fieber cur Norm zurflck. Die bacte-
riologische Untersuchunff ergab das fast ausschliessliche Vorhandensein
des FränkeTschen DipTococcns pneumoniae.
Die secundären pseudo-diphtheritischen Anginen zerfallen in die
Scharlacban^na, die Angina bei Masern, bei Syphilis, bei Tonsillotomie
und die Angina herpetica.
Die Scharlachangina ist mit der diphtheritischen keineswegs iden-
tisch, eine Ansicht, die wohl jetzt als allgemein feststehend angenommen
werden darf. Sie ist durch Streptokokken hervorgerufen, nie durch die
Löffle r 'sehen Bacillen, deren Vorhandensein als eine Infection eui
generis anzusehen ist Häufig finden sieh noch der Staphylococcus
aureus und albus und des Bacterium coli commune, bisweilen auch ein
Streptococcus, der dem Streptococcus pyogenes sehr ähnlich ist (Löffler),
und ein dem Streptococcus des Erysipels nahestehender (Heubner).
Bei der Masemangina fand Boulloche Streptokokken, bei der Laryn-
gitis nach Pocken Netter den Staphylococcus pyogenes. Bei der Sy-
philis hat die Untersuchung der Pseudomembranen noch nicht zu einem
abschliessenden Resultate geffihrt, während bei den Anginen nach Ton-
sillotomie Streptokokken und in seltenen Fällen auch Staphylokokken
die Krankheitserreger waren. Aehnliches zeigten auch die Pseudomembra-
nen am Frenulum linguae der keuchhustenkranken Kinder. Auch bei
der Angina herpetica, bei der oft grosse Pseudomembranen vorkommen,
ist nie der LO ff 1er 'sehe Bacillus beobachtet worden.
Im Anschluss an die Schilderung der verschiedenen Anginen spricht
der Verfasser von der Nothwendigkeit der baoteriologischen Unter-
suchung mit Bflcksicht auf Prophylaxe und Isolirung. Als bestes
Mittel gegen die nicht diphtheritische Angina schlägt er Gurgelungen
mit V, pro miUe Sublimatlösung vor. Die Membranen sollen durch
Wattetampons entfernt werden. Fritzsche.
Le» angines ä fausses men'hranes. Von Dr. P. Boulloche. Bes. in
Progräs m^dical 1893 Nr. 24.
In einer Monographie bespricht der Verfasser diejenigen Entzfin-
dungsformen des Halses, die durch Bildung von Pseudomembranen aus-
Sezeichnet sind. Die häufigste und wichtigste Erkrankung ist die
iphtheritische. Doch es giebt noch genug andere, die wohl der Di-
Shtherie gleichen, aber doch nicht diphtherische Anginen sind. Es ist
eshalb mit Rficksicht auf die Therapie und Prophylaxe sehr wichtig,
diese Pseudodiphtherie möglich frühzeitig zu erkennen. Mit Hilfe der
Mikroskopie, durch die bei der echten Diphtherie die bekannten Stäb-
chen nachgewiesen werden können, ist der Arzt schon frühzeitig in der
Lage, die richtige Diagnose stellen zu können. Es wird daher die leicht
vorzunehmende mikroskopische Untersuchung der suspecten Anginen
warm empfohlen. Fritzsche.
Zur Wirkung des Lichtes auf den Diphtheriebaciüus, Von Dr. Ledoux-
Ledard, Chef des bacteriologischen Laboratoriums des „Pariser
Kinderspitales**. Revue mensuelle des maladies de Tenfancc. Februar^
heft 1894.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass das Licht auf die Lebens-
fähigkeit der Bacterien im Allgemeinen schädigend einwirkt und da-
I. Infectionskranklieiten. 271
durcli SU einem wirksamen Prophylaciicum wird. Dieser allgemeinen
Begel entzieht sich anch der Dipntheriebacillus nicht, wie die Arbeiten
von D^Espine und Marignac nnd von Boox und Tersin nachge-
wiesen haben. Um diese Thatsachen nachsuprflfen, unternahm Verfiuser
eine Reihe von VerBUchen und kommt zu folgenden Schlüssen:
Die Wirkung des diffusen Lichtes auf Diphtheriebacillen in neu-
traler Fleischbrühe ist null, gross dagegen bei directem Sonnenlichte. Auf
solche in destillirtem Wasser snspendirt, wirkt diffuses Licht ebenfalls
vernichtend. In letzterem Falle wirken diffuses Licht und destillirtes
Wasser gemeinsam.
Trockene Diphtheriebacillen, in dünnen Schichten ausgebreitet,
werden in weniger als zwei Tagen durch diffuses Licht getödtet.
Sonnenlicht wirkt noch schneller als diffuses Licht.
Die baoterientödtende Wirkung des Lichtes kommt fast ausschliess-
lich den am stärksten brechenden Strahlen zu^ wogeffen die schwach
brechenden Strahlen fast keinen Einfluss haben. Yerrasser brachte zu
diesen Versuchen die zu beleuchtenden Bacterienaufschwemmungen in
5 mm dicke Böhrchen, welche er in 8 cm dicken Röhren befestigte,
wovon die einen mit Wasser, die andern mit Lüsung von Eapfer-
sulfat und wieder andere mit chromsaurem Kali gefüllt waren.
Das Licht kann also bei der Desinfection von mit Diphtheriebacillen
inficirten Localen günstig mitwirken, aber nicht allein, sondern nur als
Adjnvans.
Den in PFeudomembranen verl)orgenem und dem Lichte ausge-
setzten Diphtheriebacillen kann letzteres nur schwer beikommen. Sie
behalten ihre Virulenz bei. (Wo die Sonne nicht hinkommt, kommt der
Arzt hin. Anmerk. des Referenten.) Albreoht.
Note sur un tnode de propagation de la diphtherie. Von Deschamps
Progräs mädical 1898 Nr. 8 p. 147.
Li der Gesellschaft für öffentliche Medicin und Gesundheitspflege
theilt der Vortragende folgende zwei Fälle von Spätübertragung der
Diphtherie mit:
Ein diphtheriekrankes Kind wird in das Spital gebracht, das es
nach drei Wochen gesund verlässt. Sechs Tage nach seiner Rückkehr
erkrankt sein Bruder und stirbt. Im zweiten Falle erkrankt und stirbt
auch das zweite Kind, nachdem das erste nach 8 wöchentlichem Kranken-
hausaufenthalte gesund der Familie zurückgegeben war. In beiden
Fällen handelt es sich nicht etwa um üebertragung des Krankheits-
Stoffes durch Kleider oder Spielsachen der zuerst erkrankten Kinder,
denn diese Dinge waren im Krankenhause gründlich desinficirt worden,
sondern vielmehr um Ansteckung durch die noch in der Mundhöhle des
Genesenen enthaltenen Bacillen. Es müssen also bei dem langen Ver-
weilen der pathogenen Keime in dem Munde des scheinbar Geheilten
mindestens 1 bis 2 Monate vorübergehen, ehe die Diphtherie-Reconvales-
centen wieder in ihre Familien zurückkehren dürfen
Am besten dürften dafür bestimmte Stationen für Reconvalescenten
eingerichtet werden. Fritzsche.
Diphtherie \md Epidemiegesetze, Von Biering. Ugeskr. f. Läger 6.
R. L 28. 1894.
B. erkennt an, dass die neueste dänische Gesetzgebung in Bezuff
auf ansteckende Krankheiten wohl den früheren umständlichen und
langsamen Geschäftsgang zum Theil gründlich geändert habe, er
meint aber, dass eine resolute und ezacte Durchführung der AnstiJten,
die die Bevölkerung wirksam gegen die Ausbreitung ansteckender
272 Analecten.
Krankheiten schützen sollen, noch nicht erreicht sei Im Jabxe 1861
fanden sich in D&nemark 650 Fälle von Diphtherie in dem Jahresbericht
des GesondheitsGolleginrns anfgeseichnet, in den folgenden fOnf Jahren
stieg die Zahl bis naheza 18000 im Jahre 1866, von da an sank sie
wieder bis anf circa 2000 im Jahre 1872, dann stieg sie wieder binnen
drei Jahren anf circa 4000, in den folgenden 11 Jahren schwankte sie
Bwischen 5000 nnd 9000, stieg dann wieder bis anf circa 19 000 im
Jahre 1893. Walter Berger.
A Cantribution to the paihology of experimenial DipMheria, with spedai re-
fertnce to the appearence of secondary foci in the internal organs.
By A. C. Abbott and A. A. Ghriskey. The John Hopkins
Hospital Bulletin Nr. 80. April 1893.
Bei Untersuchung der durch Diphtheriebacillen getödteten Meer-
schweinchen wurden Verf. auf eine bisher noch nicht beschriebene Ver-
änderung im grossen Netse aufmerksam. Es sind dies kleinste Knöt-
chen, die grössten an der Greose der makroskopischen Sichtbarkeit, die
meisten erst bei mikroskopischer Untersuchuug erkennbar, die aus einer
Anh&ufuDg von polynucleären Leukocyten bestehen. Die Mehrsahl dieser
Zellen enthält Bacterien, die morphologisch als Diphtheriebacillen an-
zusprechen sind. In einem Falle gelang es noch ans einem ungewöhn-
lich grossen Knoten dieselben in Reincmtar und in virulentem Znstande
zu zSchten. Sie liegen vorzugsweise am freien Rande des Netzes unter
der Serosa, oder noch in den Lymphränmen zwischen den Schichten des
Peritoneums. Von dem umgebenden Gewebe sind sie meist scharf ab-
gegrenzt; dieses selbst nicht weiter verändert. Bei mehreren Thieren
fand sich eine lebhafte Injection und diffuse Infiltration des Netzes;
dabei wurden sowohl die oben erwähnten Knötchen als die Bacillen
vermisst. In manchen Knötchen konnten keine Bacillen nachgewiesen
werden; diese sind dann schwer zu unterscheiden von kleinsten, im
Netze gelegenen Lymphfollikeln, die gleichfalls unter dem Einflüsse des
diphtherischen Virus anschwellen können. Zum mikroskopischen Nach-
weis der Bacillen bedienten sich die Verf. folgender Methode: Die
Schnitte oder Quetechpräparate wurden in einer wässerigen Lösung von
Bismarckbraun vorgefärbt und dann die Bacillen durch Anwendung der
Gram* sehen Methode sichtbar gemacht. Dadurch daas hier die im Ge-
webe gelegenen Kerne den braunen Grundton behalten, treten die violett
gefärbten Bacillen sehr viel deutlicher hervor.
Bei den ersten drei Fällen, in denen die Knötchen gefunden wurden,
waren die Thiere durch subcutane Injection am Bauch getödtet worden.
Es war klar, dass die Bacillen von der Injectionsstelle anf dem Wege
der Lymphbahnen durch die retroperitonealen und inguinalen Drüsen
in das Netz gelangt waren, obgleich die mikroskopische Untersuchung
derselben keine Bacillen entdecken liess. Bei späteren, in gleicher
Weise angestellten Versuchen gelang dies jedoch nicht mehr. Die
Muskelfasern an der Injectionsstelle waren hyalin deg^nerirt und Haufen
von Bacterien waren in die Lymphspalten, ja in die Muskelfasern selbst
eingedrungen; allein es gelang nicht mehr, die früher geschilderten
Knötchen zu finden. Dieser Misserfolg war die Veranlassung, dass Verf.
nunmehr die Ii^ection der Bacillencultnren in die Hoden der Meer-
schweinchen vornahm mit dem Resultate, dass diejenigen Thiere, welche
0,6 und 0,7 cm' erhielten, bei der Autopsie sehr zahlreiche derartige
Herde im Netz aufwiesen, während sie bei den mit 0,4 resp. 0,6 cm*
iniicirten in geringerer Menge bei einem auch ohne nachweisbare Ba-
cillen vorhanden waren. Auffallend war in diesen Fällen, dass das
Oedem an der Injectionsstelle an Hoden gering, dagegen an den Unter-
I. InfectionskrankheiteD. 273
leibsorganen um so st&rker war. in zwei Fällen fand sich neben einem
flüssigen Exsudat in die Bauchhöhle eine Anffillung der Därme mit
Flüssigkeit und Oedem der Wandnngen. Die retroperitonealen Lymph-
drüsen waren insbesondere auf der Seite, wo die Injection gemacht
worden war, beträchtlich vergrössert. Wider Erwarten konnten jedoch
keine Bacillen darin gefunden werden. Doch zweifeln die Verf. nicht,
dass dieselben auf dem Wege der Lymphbahnen und hauptsächlich
durch wandernde Phagocyten von der Ituectionsstelle nach den inneren
Organen verschleppt werden. Der Abhandlung sind einige colorirte
Abbildungen beigegeben, welche die Lagerung der Bacillen in den
Knötchen sowie das Eindringen derselben in die Muskel veranschaulichen.
Escherich.
Acute and ulceraiive endocarditis due to ihe bacillus dipMheriae, By
W. T. Howard. The Johns Hopkins Hospital Bulletin Nr. 30,
April 1898.
Ein 44jähriger Arbeiter, vordem gesund, erkrankt mit Schüttel-
frost, Erbrechen, Schwäche und Herzklopfen, und wird sieben Tage
später in's Spital aufgenommen. Während der 17 Tage, die er [dort
zubrachte, bestand unregelmässiges Fieber, der Puls war anfangs gut
gefüllt, 90 Schläge in der Minute, später sehr schwach und frequent.
Fat. starb in CoUaps.
Bei der Section erschien das Herz dilatirt. Das Myocard fest, eher
blass. Der Mitralklappe ist, von oben gesehen, ein mächtiger, weiss-
rother Thrombus in der Dicke von 0,2 — 1 cm aufgelagert, der an der
Basis der Klappensegel beginnt und dieselben vollständig überdeckt und
fest an denselben adhärirt. Auf der unteren Fläche des hinteren Klappen-
segels finden sich nur kleine ulcerirte Stellen, die mit den gleichen
fibrinösen Massen bedeckt sind. Das Endocard der Klappen liegt nach
Entfernung der Thrombnamassen rauh, ulcerirt, mit Hämorrhagien durch-
setzt vor. Ausserdem finden sich nur an der ventriculären Fläche der
Aortenklappen einzelne ähnliche Vegetationen. Die Leber ist gross und
blutreich, Milz stark vergrössert und mit Infarcten durchsetzt. In den
beiden Nieren die Zeichen einer acuten Nephritis und gleichÜEills Sitz
zahlreicher Infarcte. In Deck^laspräparaten der Thrombusmasse , aus
Milz und Nieren war ausschliesslich ein mit dem Diphtheriebacillus
durchaus übereinstimmendes Stäbchen vorhanden. Dasselbe wurde auch
aus Lunge, Leber, Milz, Nieren sowie dem Qewebe der Mitralklappe in
Beincultur erhalten.
Die erhaltenen Culturen stimmten morphologisch in der Cultur
durchaus mit dem echten Diphtberiebacillus flberein, waren jedoch ohne
jede pathogene Wirkung gegenüber Meerschweinchen und Kaninchen.
Schnitte durch die erkrankte Klappe zeigen, dass da, wo der
Thrombus aufsass, die Muskelfasern hyalin degenerirt sind. Das Epithel
fehlt und starke entzündliche Reaction des Gewebes besteht Dieselbe
ist stellenweise bis zur Bildung von kleinen Eiterherden vorgeschritten.
Der Oberfläche ist unmittelbar aufgelagert ein fibrinöses Exsudat, in
welchem eine grosse Zahl von Bacillen enthalten ist. Der Thrombus
besteht auf mehreren Schichten; an der Oberfläche eine dicke aus-
schliesslich aus Bacillen bestehende Lage, darunter eine Schicht von
Fibrin arm an Zellen und durchzogen von streifenförmig angeordneten
Haufen von Bacillen.
In einem Anhang bemerkt Prof. Welch, dass er auf Grund der
Untersuchungen von Roux und 1 er sin den in diesem Falle gezüch-
teten Bacillus trotz der fehlenden Virulenz für den echten Löf Her sehen
Diphtheriebacillus hält und dass hier zm ersten Male der Nachweis
einer echten diphtherischen Endocarditis geliefert sei. Escherich.
274 Analeoten.
Diphtheria vnih bronehopnewnoma* By Simon Flexner M. D. The
Jobn Hopkins Hospital BalletiD Nr. 30 April 1893.
Verf. hat zwei F&lle von Bronchopnenmonie im Gefolge von ab-
steigender Diphtherie untersacht. In dem ersten waren in den Herden
Dipntheriebacillen sowohl mikroskopisch, wie in der Cnltur nachweis-
bar. Sie lagen, wie die mikroskopische Üntersnchang ergab, vorsngs-
weise in den kleinsten Bronchien, nnd zwar nicht nur in den Mem-
branen, sondern anch in dem zelligen Exsndate, welches das Lamen
derselben aasfüllte. Auch hier waren die Diphtheriebacillen meist in
Eiterzellen eingeschloBsen , einzelne derselben dicht damit erfflllt. An
zwei Stellen fand er auch Diphtheriebacillen im Lumen der Alveolen,
jedoch nur vereinzelt nnd jedenfalls in sehr viel geringerer Zahl als die
gleichzeitig FränkeT sehen Pneumoniekokken. In einem zweiten Falle
konnten sowohl in Cultur als im Schnitt nur diese letzteren nachge-
gewiesen werden.
Im AnschluBs daran berichtet er Aber das Schicksal der subcutan
in den Körper injicirten, todten Diphtheriebacillen. Wurden dieselben
allein, resp. in Salzwaseremulsion eingespritzt, so entstand an der In-
jectionsstefle ein kleines Knötchen, das nach einem oder zwei Tagen
schrumpfte und schliesslich verschwand. Wurde jedoch gleichseitig mit
den todten Bacillen das Filtrat einer wirksamen Diphtheriebonillon-
cultnr injicirt, so erlag das Thier der diphtherischen Intozication nnd
an der Injectionss teile fand sich ein Knötchen, das ebenso wie die von
Abbott beschriebenen aus einer Anh|lufung von Leukocyten bestand,
deren Protoplasma von Diphtheriebacillen erfüllt war.
Escherich.
Beiträge zur Anatomie der diphtherititehen Lähmungen, Von Dr. H. Pre j s z,
Pcbter med. chir. Presse Nr. 11. 1894.
P. hat bei drei an Diphtherie verstorbenen Kindern das Rücken-
mark, mehrere periphere Nerven, die Rachenmnskeln und -Nerven, den
N. vagus, phrenicus und andere Nerven untersucht. Im Rflckenmark
waren Atrophie, stellenweise Zerstörung der Nervenzellen, Wucherung
der Qliazellen, auch Blutungen, in einem Falle ausserdem hoch^^radige
Degeneration der GolTschen Stränge auf der einen, mindergradige auf
der anderen Seite vorhanden. In einem Theile der vorderen und hinteren
Nerven wurzeln wurden Degeneration, stellenweise Ezsudationskerne con-
statirt, in den meisten peripheren Nerven (Vagus, Reccurrens, Phrenicus)
selten bedeutendere Degeneration, stellenweise hochgradige Erweiterung
des perineuralen Baumes und in demselben mit Yacuolen versehene
Zellen.
Dem Verf. erscheint die nachgewiesene Entartung der B. M. wurzeln
und der GolTschen Str&nge in anatomischer und klinischer Beziehung
insoferne wichtig, als einerseits die diphtheritische Lähmung gleich-
zeitig das periphere und centrale Nervensystem, wenn auch nicht mit
der gleichen Intensität, befällt, andererseits das häufige Fehlen des
Kniepbänomens und das Auftreten der Ataxie durch die Degeneration
der Hinter8tränge erklärt erscheinen. Der unerwartete Tod manches
Diphtherie-Reconvalescenten scheint P. von einer hochgradigen Degene-
ration des Va^s herzurfihren.
In der Discussion bemerkt Pertik, dass die anatomischen Verän-
derungen bei diphtheritischen Lähmungen der Neuritis parenchymatosa
entsprechen, und Ketli, dass die diphtheritischen Lähmungen doch zu-
meist in der Nachbarschaft des Krankheitsprocesses aufzut^ten pflegen,
man daher dieee Lähmungen als periphere auffassen dar! Unger.
I. InfectionskrankheiteD. 275
Ein Fäll von diphtheritischer Hemiplegie. Von Dr. J. Donath. Neurolog.
Gentralbl. 10. 1893.
Der Fall einer durch Himhämorrhagie bedingten diphtheritiechen
L&hmuDg betrifft einen acht Jahre alten Banemknaben.
Nach 14tAgiger Krankheitsdauer und am dritten Tage der Recon-
yalescenz erfolgte Nachts plötzlich eine rechtsseitige Hemiplegie mit
starker Facialisbetheiligung und completer Aphasie.
Im Anfange nach 8— 4 wöchentlicher Daner besserten sich Facialis-
l&hmnng und Aphasie, in den nächsten zwei Monaten blieb aber der
Zustand stationär.
Eine darauf eingeleitete farado-galvanische Behandlung und Verab-
reichung von Strychnin besserte wohl etwas in Bezug auf die Gehfähig-
keit, aber es blieben Gontracturen im gelähmten Arm.
Eisenschitz.
Ein FaU van halbseitiger Lähmung nach Diphtherie. Von Prof. Dr.
J. G. Edgren. Deutsche med. W. 36. 1893.
Ein 10 Jahre alter Knabe bekommt drei Wochen nach dem Beginne
einer schweren Diphtherie, yon der er vollkommen genesen war, eine
complete rechtsseitige Hemiplegie und Aphasie. Die Lähmungen besserten
sich zwar nach einigen Wochen, blieben aber dann stationär. Drei
Monate nach Eintritt der Lähmung war der Knabe fost vollständig
hergestellt.
Diagnosticirt wurde mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Blutung
in die linksseitige innere Kapsel, bedingt durch eine von der Diphtherie
abzuleitende Veränderung der Gefässwandungen. Nephritis war in diesem
Falle nicht vorhanden. Eisenschitz.
Ein weiterer Beitrag sur Conjunctivitis diphtheritiea. Von' Prof. W. üht-
koff. Berl. klin. W. 87 u. 88. 1894.
Die Publication bezieht sich auf vier Fälle von Conjunctivitis
diphtheritiea bei Kindern im Alter von 1, 6, 67s und 1^« Jahren. Alle
drei Fälle endeten mit vollständiger Genesung und ohne wesentliche
Schädigung des Auges. Ein Kind von iV^ Jahren ging nach Ablauf
des Processes am Auge an Bachen- und Larynzdiphtherie zu Grunde,
ein zweites wurde von Nasendiphtherie befallen und genas. Li allen
Fällen war der Zusammenhang mit einer Diphtherieepidemie (Erkran-
kung von Geschwistern) constatirt.
In allen drei Fällen blieb die Erkrankung auf ein Auge beschränkt,
in einem Falle war der Process schon bei der Aufnahme doppelseitig.
Eine wesentliche Infiltration der Conjunctiva war in keinem Falle vor-
handen.
In drei Fällen wurde die bacteriologische Untersuchung und die
Impfung mit positivem Erfolge durchgeföhrt.
In einem Falle wurde der Inhalt des erkrankt gewesenen Conjunc-
tivalsackes 14 Tage nach der Genesung, 4 Wochen nach Beginn der
Erkrankung, neuerdings bacteriologisch untersucht mit dem Ergebniss,
dass Haufen von morphologisch von virulenten Löf Herrschen Bacillen
nicht unterscheidbaren Stäbchen gefunden wurden, aber alkal. Lakmus-
bouillon nicht roth färbten und beim Impfversuche keinen positiven Er-
folg gaben. Eisenschitz.
Ein FaU von Bhinitis fibrinosa. Von Scheinmann. Deutsche med.
Wochenschr. 84. 1898.
In der Sitzung des Vereins für innere Medicin in Berlin am 2. VII.
1894 berichtet Scheinmann über einen Fall eines drei Jahre alten
276 Analecten.
KindeB mit dem ausgeprftgteD Bilde der Rhinitis fibrinosa, welche Bchon
seit drei Wochen bestaDden hatte.
Die bacteriologische Untersachting ergab den Befund von Diphtherie-
bacillen, Streptokokken und Staphylococcns alba«.
Die Erfahrung lehrt, dass die Prognose bei der Rhinitis €brinosa
eine durchwegs gute und der Verlauf ein chronischer ist, und dass sie
in der Regel sich nicht als contagiOs erweist.
Allein die ImpfTersnche haben auch in diesem Falle die Virulenz
der Bacillen ergaben. Eisensohits.
Ueber die chronische NasenäiMherie, Von Concetti. Archivio italiano
di Pediatria 1898 p. 21 n. (Dasselbe in Archivii italiani di Larin-
gologia.)
Bezngnebmend auf eine frühere Beobachtung, welche in die Zeit
Tor Entdeckung des LOff 1er 'sehen Bacillus fällt, nimmt Verf. Veran-
lassung, die Natar der chronischen membranösen Rhinitis und ihr Ver-
hältnis zur Diphtherie su besprechen. War man frfiher geneigt, den
chronischen Diphtherien der Nase eine Sonderstellung einsuränmen, bez.
sie ganz von der eigentlichen Diphtherie zu trennen, so musste man
sich doch öfters ron der Unrichtigkeit dieser Schlussfolgerung über-
zeugen, wenn sich als Nachkrankheit die bekannte typische L&hmnng
der Schlundmusculatur oder anderer Muskelgruppen entwickelte, oder
wenn die Geschwister oder Angehörigen des Kranken sich durch ihn
in6cirten und an ausgesprochener Rachendiphtherie erkrankten. Heute
ist durch unsere bacteriologischen Untersuchungen erwiesen, dass auch
die chronischen membranösen Entzündungen der Nasenschleimhant zu
den diphtherischen Processen gehören, und man ist in der Lage, schon
nach 1 — 2 Tagen die sichere Diagnose zu stellen. Die Behandlung,
welche Verf. empfiehlt, besteht in copiösen Irrigationen der Nase mit
Lösungen von Borsäure oder verdünnter Salzsäure, wodurch er mecha-
nisch die Entfernung der Exsudate bezweckt. Toe plitz.
Hin Fall von Wunddiphtherie mü Nachweis von DiphiheridMeiHen,
Von Abel. Deutsche medic. Wochenschr. 1894. Nr. 86.
Ein 7 jähriges Mädchen erkrankt an einer leichten Form yon Rachen-
diphtherie, die in wenigen Tagen heilt. Einige Tage später bildet sich
auf einer frischen Wunde am Finger ein cronpöser Belag, aus dem
zahllose Diphtheriebacillen gezdchtet werden konnten. Imp^ngen, die
zu gleicher Zeit aus dem belagfreien Rachen Torgenommen wurden,
ergaben anch hier Diphtheriebacillen. Im ThierTersuche waren beide
schwach virulent. Die mit Liquor fern behandelte Wunde heilte in
wenigen Tagen. Escherich.
Eine weitere Beobachtung von Wunddiphtherie, Von Dr. Conrad
Brunner. Berliner klin. W. 18 1894.
Der Fall betraf ein 13 Jahre altes Mädchen, das sich am Ring€nger
der rechten Hand einen kleinen Ritzer zugezogen hatte, der auf eine
nicht erweisbare Weise nachträglich diphtheritisch inficirt wurde.
Es entwickelte sich ein mit schmutzig grauem Belag bedecktes 6e-
schwQr, unter dem Belag war ein eitriges Secret und in der Umgebung
eine Gewebsinfiltration. Keine Lymphangitis , aber bei Druck scnmerx-
hafte Gubitaldrüsen.
Eine nachträglich aufgetretene Angina, ohne Belang, konnte nicht
sicher als diphtheritisch diagnosUcirt werden.
Die bacterioskopische Untersuchung des Secretes liees nachweisen:
Staphylococcus aureus, Streptococcus pyogenes nnd unzweifelhaft auch
H
I. Infectionskrankheiten. 277
den L0ffler*8chexiDipbtheriebacilla8, dessen Reincaltnr im Hygienischen
Institut von Prof. LOffler als echte DiphtheriebaciUen erkl&rt wurden.
Eisenschitz.
Ein neuer Vorschlag zur Prophylaxis gegen Diphtherie, Von Dr. J. Berg-
mann. Allg. med. Central- Zeit. 1. 1893.
Alle bisher vor^^eschlagenen oder angewendeten prophylaktischen
Mittel gegen die Diphtherie haben sich als problematisch erwiesen.
Das von Dr. Bergmann empfohlene Mittel, dem er den viel verspre-
chenden Namen Diphthericid giebt, wird der Schleimhaut durch
einen sozusagen normalen, physiologischen Act, nämlich durch Kaueu
übermittelt. Das Mittel ist wohlschmeckend, wird also von den Kin-
dern gern genommen und besteht aus einer Combination von Natron benzoi-
cum und Thymol und wird mit dem Speichel vermischt in innigen Con-
tact mit der Schleimhaut, insbesondere den Tonsillen gebracht, ohne die
Integrität derselben irgendwie zu beeinträchtigen.
Jede Pastille enthält 0,02 Thymol und 0,2 Natron benzoicum, die
Combination beider Mittel ist das Resultat mühevoller Versuche, ihre
unbestrittene Wirksamkeit wird durch die Beigabe von 0,015 Saccharin
noch verstärkt.
Die Pastillen sind von zäher, gummiartiger Consistenz und können
y^ Stunde und darüber gekaut werden, ihre Hauptmasse besteht aus
einer Mischung von reinem Guttapercha und Damaraharz.
Das Diphtfaericid wird im chemisch-bacteriologischen Laboratorium
des Herrn Dr. A. Kirchner in Worms a. Rh. hergestellt und zunächst
nur an Aerzte abgegeben. Es dürfte genügen, in 24 Stunden 8— 4mal
eine Pastille zu verabreichen; es soll nachgewiesen sein, dass im Speichel
6 Stunden nach energischem Verkauen einer einzigen Pastille noch anti-
septische Wirksamkeit vorhanden ist Eisenschitz.
Ueher die Bedeutung der diphiherüischen Membranen in Bezug auf die
Therapie. Von Prof. Oertel. Berliner kl. W. 13 u. 14. 1893.
Es sind zwei Typen der Membranbildung bei der Diphtherie scharf
von einander zu trennen.
Der erste Typus, die primäre Membran, entsteht zumeist auf
der Mandel in Form von stecknadelkopfgrossen oder wenig grösseren
Auflagerungen, zu denen sich zunächst zarte Beläge dazu gesellen,
welche zusammenfliessen und sich ausbreiten. Sie entstehen an der
Oberfläche und greifen erat secundär in die Tiefe, bestehen aus Epi-
thelien, Leukocyten, Haufen der verschiedensten Bacterien, erst zuletzt
treten Fibringerinnsel dazu. Diese primären Membranen sind das Pro-
duct der directen Infection, der unmittelbaren Einwirkung der in der
Mond- und Rachenhöhle sich bildenden Bacillen und des von ihnen er-
zeugten Giftes.
Der zweite Typus, die secundäre Membran, aber nimmt ihre Ent-
wicklung von der Tiefe der Schleimhaut her, gelangt bei noch voUstän-
ständiger Integrität des Epithels erst allmählich an die Oberfläche der
Schleimhaut, von welcher sie demnach auch nicht ohne Beschädigung
der letzteren abgelöst werden kann.
Sie besteht in ihrer Hauptmasse aus Fibrin, an der Oberfläche aus
durch das Vordringen des Processes zerklüftetem und degenerirtem
Epithel und aus nur spärlichen charakteristischen Löffle r'schen Stäb-
chen; die secundäre Membran ist der Ausdruck einer allgemeinen Er-
krankung, gleichzeitig mit ihrer Entwicklung hat sich das Diphthero-
toxin durch Lymph- und Blutbahnen weithin im Organismus ausgebreitet.
Die primären Membranen sind es, die vorzugsweise der localeu
278 Analecten.
Antiseptik bedfirfen, wobei ihre Wirkung sich aber weit hin über die
erkrankt erscheinenden Schleimhautherde erstrecken mnss.
Weder Gurgeln noch Bepinselnngen erzielen eine ausreichende Anti-
septik.
Oertel benutzt fast ausschliesslich Irrigationen einer 8— 5% igen
CarbollOsung vermittelst des Dampfsprays, 2 — 8 stündlich durch 8 — 4
Minuten, wobei das zuleitende Glasrohr tief in die Mundhöhle hinein-
ragen muss und die abflieasende, verunreinigte Flüssigkeit in einem Ge-
f^Me angefangen wird.
Vor bedenklicher Intoxication mit Carbol schützt man die Kranken,
indem man deren Harn, und zwar die Tages- und Nachtmengen geson-
dert, durch 24 Stunden stehen läset und, sowie die charakteristische
graue oder graugrüne Farbe entsteht, sofort anstatt des Carbols solange
eine 4% ige Bors&ure anwendet, bis die Carbolerscheinungen im Harne
wieder geschwunden sind.
Die directe Behandlung der secundären Membran bleibt erfolglos,
weil sie nicht in die Tiefe gelangt und höchstens die weitere Resorption
von der Oberfläche etwas beschriLnken kann.
Die Wirkung der sogenannten lösenden Mittel ist höchst proble-
matisch, kann vielleicht etwas desinficirend wirken, den Uebergan^ in
Sepsis hemmen, thnt aber dies viel weniger sicher als die wirkliche
Antiseptik.
Fruchtlos und sogar schädlich sind die Aetzungen mit allen Arten
▼on Aetzmitteln, ganz besonders auch mit Galvanokaustik.
Das schon resorbirte Gift zu bekämpfen, sind wir vorerst nicht im
Stande. Die Blutserumtherapie eröffnet in dieser Beziehung einige
Aussicht, ist aber noch nicht soweit gediehen, dass sie praktisch Ter-
werthet werden könnte.
Von inneren Mitteln dürfte den Quecksilberpräparaten, insbesondere
dem Cy an- Quecksilber eine gewisse Bedeutung nicht abzusprechen sein,
vielleicht auch dem Chinin, obwohl wir die Art der Wirkung nicht zu
erklären vermögen. Das chlors. Kali hat nach Oertel als internes
Mittel bei der Diphtherie keine Bedeutung. Eisenschitz.
Kritische Bemerkungen und praktische Erfahrungen Ober das Änii'
diphtherin Klebs, Von Vulpins. Deutsche medio. Wochenschr.
1894 Nr. 6.
Nach einer scharfen Kritik der theoretischen Grundlagen, von denen
Kleb 8 bei der Herstellung des Mittels ausgegangen, sowie der Erfolge,
die damit erzielt werden, berichtet V. über 19 an der Heidelberger
chirurgischen Klinik damit behandelte Diphtheriefälle, die eine Mor-
talität von 62 % ergaben und keinen günstigen Einflass auf das Yer-
halten der Membranen erkennen Hessen. Von Stellen, die wiederholt
mit dem Mittel bepinselt worden waren, ergaben die Culturversuche
noch wachstbumsfähige Diphtheriebaciilen. Auch die Application stiess
begreiflicher Weise auf energischen Widerstand seitens der kleineren
Patienten. Escherich.
Zur Beuriheüung therapeutischer Maassregeln, Ein Beitrag zur Anü-
diphtherinbehandlung. Von £. Klebs. Deutsche med. Wochen-
schrift 1894. Nr. 18.
Der Entdecker des Antidiphtherins vertheidigt sich gegen die von
Vulpius erhobenen Einwürfe. Die schlechten Resultate, welcher dieser
mit dem Mittel erhalten, sollen durch zu seltene und unrichtige Appli-
cation (mit dem Pinsel statt mit Wattebausch) veranlasst sein. Neue
Beobachtungen oder Experimente werden nicht mitgetheilt
Escherich.
I. Infectiontkxaiikheiteii. 279
Leber die HeOwirimng äis Aniidipläherin» (KUb$). Vod Dr. F. Zappert.
Wiener med. Woch. Nr. 13—17. 1894.
YerL stellte sich bei Prfifang der therapeutischen Wirksamkeit des
Klebs^schen Mittels folgende xwei Grondbedingongen: 1. die Locali*
sation des diphtheritischen Processes anf den Bachen nnd 2. den posi-
tiyen Nachweis des Klebs-Löf Herrschen Diphtheriebacillas in den
Hachenbelägen. Von diesen beiden Bedingungen wnrde nnr in je einem
Falle eine Ansnahme gemacht Die Behandlang geschah Torachrifts-
m&ssig in der Art, dass xweimal t&glich mittelst eines um ein Hols-
atäbchen gerollten Wattebansches, der mit der Lösung getr&nkt war,
die erkrankte Stelle bepinselt und mit einem zweiten die Bachen-
fechleimhant leicht überfahren wnrde. Eine Localbehandlang des Kehl-
kopfes bei beginnender Laijnxdiphtherie, wie sie Klebs Torschreibt,
bat Z. nnterlMsen. Versacht worden hingegen Eintranfelongen des
Mittels and Aospinseln der zng&nglichen Luftwege nach der Tracheo-
tomie, desgleichen Auspinselnngen der Nase. Als Material dienten
15 Kinder ans dem Carolinen -Kinderspitale im Alter von 11 Monaten
bis xn 8 Jahren. Das Besaltat war folgendes:
Von den behandelten 15 Fällen wurden 11 geheut, 4 starben. Mit
Ausnahme eines waren sämmtliche Fälle reine Bsusheodiphtherien. Wäh-
rend der Behandlung kam es einmal zu absteigendem Croup und Tracheo- '
tomie. Septische Symptome wurden sechsmal beobachtet: bei den
4 Verstorboien und bei 2 nach längerer Daner Geheilten. — Massige
Albuminurie glrtch im Beginne wnrde dreimal beobachtet; swei
dieser Fälle heilten, der dritte starb unter zunehmender Eiweissaus-
scheidnng. Während der Behandlung trat einmal Albuminurie au^ die-
selbe war in einigen Fällen sehr haitnäckig und hochgradig. — Plötz-
licher Tod durch Herzstillstand trat einmal ein.
Das Klebs*6che Mittel war daher, nach Z., nicht im Stande, irgend
eine dieser CompUcationen (absteigenden Croup, Sepsis, Albuminurie,
Herztod) zu verhüten.
Zu gleicher Zeit mit der Antidiphtherinbehandlung wurden 10 Kinder^
mit Bachendiphtherie im Alter von 2% — 8 Jahren ohne irgend welche
Auswahl mehr expectativ, resp. mit Jodoformeinblasungen, Gurgelungen
und innerlicher Verabreichung you Kali chloricum behandelt und die
Bemltate tabellarisch einander gegenüber gestellt Aus dem Vergleich
beider Tabellen geht nicht hervor, dass die Abstossung der Beläge nnd
der Abfall der Temperatur unter der Antidiphtherinbehandlung rascher
Tor sieh gehen würde, als in anderweitig behandelten Fällen. Z. meint
diiher, dass die Hoffnung, in dem Klebs" sehen Mittel ein Verfahren
kennen gelernt zu haben, welches, wenn auch keine Complicationen zu
yerhüten, so doch wenigstens im Stande gewesen wäre, den Kraokheits-
Terlanf rasch nnd gunstig zu beeinflussen, sich nicht erfüllt habe.
Unger.
OamMmrU Behandlung der Diphtherie mä Papayoiin und Carbohäure.
Von Dr. £. Lewj und Dr. H. £. Knopf. Berliner klin. W. 32.
1893.
Die Autoren ezpenmentirten an Meerschweinchen mit einem nach
dem Vorgange von Behring und Wernicke dargestellten Diphtherie-
giUe. Wenn man zu diesem Gifte, Ton welchem 0,5 ccm ein aus-
irewäcbsenes Meerschweinchen in zwei Tagen sicher tödtet, etwas Papa-
yotin (Gehe) zusetzt und bei 37 • zwei Tage stehen lässt, so vertragen
gleichartige Verauchsthiere Dosen bis zu 2 ccm, sie werden schwer
krank, aber genesen nnd sind nicht immun gegen Diphtherie.
280 Analeoten.
Nach Angaben von Gamaleia haben aach Pepsin nnd Ttypsin
einen ftfanlichen (Terdaaenden) Einflass auf das Diphiheriegift.
Es worden nun auf Koht^s Klinik Veranche mit folgender Mischang
gemacht: Papayotin (Gehe) 10,0, Acid. carbol. cryat. liquef. 6,0, Aq. dest.
100,0. (Vor dem Gebrauche umzuschüttein.)
In den ersten zwei Stunden wurde nach je 10 Minoten eine Ein-
pinselung gemacht, nichts dabei vom Belag weggerieben, nachher nur
aller zwei Stunden.
Der Erfolg war ein sichtlich gQnstiger auf den Localprocess , in
den schlimmsten Fällen verschwanden die Pseudomembranen nach swei
bis drei Tagen.
Daneben kamen zur Anwendung: Eiscravatte, Inhalationen, viel Wein.
Mitunter wurde dadurch (es kamen auch ganz schwere Falle zur
Behandlung) eine drohende Tracheotomie nnnOthig.
Von 51 so behandelten Fällen heilten 36 und starben 15 (5 nach
Tracheotomie), 3 von den Gestorbenen erlagen Complicationen , einmal
mit genuiner Pneumonie, einmal mit Lungentuberculose, einmal mit
wiederholten Blutungen aus der Tracheal wunde. Eisenschitz.
Die Behandlung der Diphtherie mü Liq. ferr, sesquiMor. Von Dr.
£. Hühner. Therapeut. Monatshefte 12. 1892.
Auf Rath des Herrn Dr. Rehn, des eifrigen Vertheidigers der Be-
handlung der Diphtherie mit Eisenchlorid, versuchte Dr. Hübner das
Mittel bei einem besonders schweren Fall mit Er(olg und seither 52
anderen Fällen (mit 2 Todesfällen).
Unt^ diesen 52 Fällen waren 6 von solcher Schwere, wie sie H.
bei seinen früheren Behandlungaweisen stets zu Grunde gehen sah; es
breitete sich der Belag rasch aus, wurde missfarbig und es entwickelte
sich ein intensives Oedem in der Umgebung. Diese 6 Fälle wurden ge-
rettet
Die Beseitigung des Fötors nnd die Reinigung ,,der Oberfläche der
Membranen" ist der erste augenfällige Erfolg der Eisenchlorid-Behand-
lung, die Drüsen werden nicht intensiv inficirt und der Larynx bleibt
oft verschont.
Die Pinselungen mit Eisenchlorid werden 2 — 3 mal ^glich, anfangs
unverdünnt, nach und nach mit Verdüonunjg von 1:1 bis 1 : 5 gemacht.
„Einen nachtheiligen Einfluss des Eisenchlorids auf die gesunde
Umgebung wurde nicht beobachtet.**
(Ref. hat das Eisenchlorid gegen Diphtherie schon vor mehr als
25 Jahren angewendet und damit die möglichst abschreckendsten Ermah-
nungen gemacht.) Eisenschitz.
Eisenchlarid gegen Diphtherie, Von Dr. N. Rosenthal. Therapeut.
Monatsblätter 12. 1892.
Auch Dr. Rosenthal hat gefunden: „Das Eisenchlorid ist ein un-
fehlbares Mittel, das Fortschreiten der Rachendiphtherie auf den Kehl-
kopf zu verhindern.**
Er giebt es in 2%iger Lösung mit Glycerin, stündlich einen Thee-
bis Esslöffel voll, Tag und Nacht.
Der Verlauf gestaltet sich typisch: Nach 24 Stunden kein Fieber,
normaler Puls, gutes subjectives Befinden, reger Appetit und die Mem-
branen stossen sich in wenigen Tagen ab.
Unter 79 Behandelten waren 44 leichte, 28 mittelschwere und
7 schwere Fälle. Diese 7 Fälle sind gestorben und zwar 5 an Herz-
paralyse, 2 an Nephritis ; keiner von den 79 Fällen erkrankte an Larynz*
diphtherie.
I. Infectionskrankheiteii. 281
11 Fälle kamen mit bereits entwickelter Larynzdiphtherie sur Be-
handlung, von diesen starben 9 und zwar 6 Tracheotomirte und 8 Nicht-
tracheotomirte, die 2 Oenesenen waren beide tracheotomirt worden.
Eisenschitz.
Pyoctanin gegen Diphtherie. Von Dr. HO ring. Memorabilien 8. H.
1898.
Dr. Höring wendet das Pyoctanin in S9(^iger LCsung an, täglich
2— 8 mal bepinselt er damit den Rachen, möglichst tief nach unten.
Das Mittel tödtet nicht nur den eigentlichen Diphtheriebacillus,
sondern auch Streptokokken und die durch sie erzeugten Toxine.'
Neuerdings lässt Dr. H. nach der sogar häufiger geflbten localen
Anwendung des Pyoctanins nicht gurgeln, sondern das Ueberfliessende
schlucken.
Er bezeichnet das Mittel uneingeschränkt als Specificum gegen
Diphtherie.
Neben dem Pyoctanin wird mit Ealkwasser und Aq. dest. (1 : 2)
gegurgelt und innerlich Natr. salicyl. verabreicht, eventuell werden
ryoctanin-Wattebäuschchen in die Nase eingelegt und die Nasenhöhlen
mit Ealkwasser ausgespült.
Von 110 Fällen von Diphtherie, die seit ca. 1 Jahr mit Pyoctanin
behandelt wurden , ist kein einziger gestorben, obwohl darunter viele
schwere Fälle waren. Eisenschitz.
Zur Behandlung der Diphtherie. Von Dr. G. Engstrand. Eira XVIII.
2. 1894.
unter den Mitteln, die E. gegen Diphtherie angewendet hat, hat
sich ihm am meisten das benzoSsaure Natron (nicht auf gewöhn-
liche Art, sondern von £. Schering in Berlin aus BenzoSharz bereitet)
bewährt, das er für ebenso unfehlbar hält, wie die Salicylsäure gegen
Gelenkrheumatismus und das Chinin gegen Wechselfieber und Typhus,
nur bei schweren Halsdrüsengeschwülsten hilft es nicht. Narcotica
sind nach E. durchaus contraindicirt bei Diphtherie. E. wendet das
benzoSsaure Natron täglich vier- bis sechsmal innerlich an und fährt
damit bis zu 6 Wochen fort, wodurch die nach Diphtherie so häufigen
Lähmungen vermieden werden, ausserdem lässt er alle Stunden mit
Lösung von übermangansaurem Kali (1 : 50) , Lösung von Hydrarg.
cyanatum und Fliederthee gurgeln. Walter Berg er.
üeher die Behandlung der Diphtherie. Von Dr. Takäcs. Fester med.-
chir. Presse Nr. 19. 1894.
Die von Takäcs seit 10 Jahren geübte Methode besteht in Fol-
gendem:
Da das Kalium chloricum (nach Ansicht des Autors) nicht sowohl
local, als vielmehr durch Unschädlichmachen der ins Blut aufgenom-
menen Toxine wirkt, hält es T. für nothwendig, dasselbe mit irgend
einem Quecksilberpräparate zu verbinden. T. empfiehlt daher, zu einer
Fiüssigkeitsmenge von 200 g Kai. chlor. 4,0 und Quecksilberchlorür 0,04
zu geben. Von dieser Mischung soll Tag und Nacht bis zum Ver-
schwinden der Beläge ^y^ stündlich ein Kaffeelöffel gereicht werden und
nachher noch einige Tage lang ein- und zweistündlich. Auserdem drei-
stündlich Priessnitz'sche Umschläge und nur flüssige Nahrung stets vor
Verabreichung des Medicaments. Unger.
Jalirbuoh f. Kinderheilkunde. N. F. XlXl£. 19
282 Analecten.
lieber die Veneerihung des Opiums bei der Behandlung der Lcuynz-
Stenosen im KindesäUer, Von Dr. C. Stern. Therapeut ModaIb*
hefte Mai 1894.
Dr. Stern geht von der Erfahrang aus, dass Kinder mit Larjnx-
Stenosen unter dem Einflüsse psychischer Erregung eine wesentliche Zu-
nahme, nach eintretender Beruhigung und im Schlafe relativ eine Ab-
nahme der Dyspnoe zeigen, von der weiteren Erfahrung, dass bei
tracheotomirten Kindern, bei welchen der Process in den Bronchien
fortschreitet, die Athembeschwerden durch Opium gemildert werden.
Er wendet das Opium an in Fällen von Laxynzstenose, die für
die Tracheotomie „reif* waren, mit dem Effecte, dass der Hustenreiz
gemildert und die Athmung eine ruhigere und gleichmässige wurde,
die Gjanose abnahm.
Dass bei der ^durch die Opiumbehandlung) ruhiger gewordenen Ath-
mung sich auch die Kohlens&ureintozication bessert, ist ebenfalls leicht
erklärlich, sagt der Autor, für insbesondere wirksam hält er dabei das
Ausfallen des Hustenreizes.
Beleuchtet wird dieser therapeutische Vorschlag durch die Beob-
achtung an einem 16 Monate alten Kinde, bei dem es fast unzweifel-
haft ist, dasB es an acuter Laryngitis (Pseudocroup) gelitten habe, und
durch zwei andere Fälle, die allerdings behufs Vornahme der Tracheo-
tomie zugeschickt worden waren, bei welchen aber offenbar eine schwere,
durch Membranen bedingte Obstruction nicht vorhanden war.
Dr. Stern meint auch, dass selbstverständlich das Opium die Tracheo-
tomie nicht ersetzen könne, aber es sei doch oft zu versuchen, ob es
die Operation entbehrlich machen könne, selbst in schweren Fällen, in
welchen es wenigstens die unmittelbare Gefahr zu mildem und die Vor-
nahme der Tracheotomie hinauszuschieben vermag.
Die Opiumbehandlung habe überdies den Vortheil, dass die zur
Operation gelangenden Kinder weniger Chloroform für die Narkose ver-
brauchen.
Dr. Stern verabreicht den Kindern, je nach dem Alter, die Opium-
tinctur in Dosen von 2 — 6 Tropfen und kann diese Dosen dreimal täg-
lich wiederholen.
Es scheint nicht überflüssig zu sein, zu bemerken, dass man besser
daran thut, bei wirklichen, durch Membranbildung bedingten Stenosen
nicht durch den Scheinerfolg, den Opium etwa erzielen könnte, die
kostbare Zeit zu verlieren (Ref.). Eisenschitz.
Beridii Über 53 Tracheotamien bei Croup, Von Mattucci. Lo Speri-
mentale 1898. Nr. 14'. p. 818 f. (Sitzungsbericht der Accademia
medico-fisica fiorentina vom 20. VI. 1893.)
Von den im Jahre 1892/1893 operirten 63 Kinder sind 23 (»46%)
gestorben, darunter 19 unter drei Jahren; 81 mal wurde die Tracheo-
tomia superior, 22 mal die Tracheotomia inferior gemacht, von wel-
cher letzteren Verf. glaubt, dass sie zu unbeliebt ist und zu selten
gemacht wird. In zwei Fällen sah sich Verf. genöthigt, die Aspiration
von Pseudomembranen und Schleim massen mit Hilfe des Catheters vor>
zunehmen. Blutungen traten nur dreimal auf. In drei Fällen trat
während der Operation plötzlich Stillstand der Athmung ein , es wurde
schleunigst die Canüle eingeführt und die kdnstliche Athmung ein-
geleitet. Einer dieser Fälle war noch durch eine heftige venöse Blu-
tung erschwert.
In einem Falle, welcher am 27. Tage nach der Operation geheilt
entlassen war, trat am 49. Tage in Folge allgemeiner LSJimungen der
Tod ein. Als ein schlechtes prognostisches Zeichen bezeichnet Verf. die
I. InfectioDskrankheiteD. 283
spontane oder künstliche Entleerung yerzweigter Pseudomembranen in
Form von Abgüssen der Trachea und der grossen Bronchien, sowie das
Fehlen einer Kxpectoration durch die CaniUe.
Von Complicationen beobachtete er 12 mal Bronchopneumonie (ge-
storben 9) und 11 mal Nephritis (gestorben 5); die meisten Todesfälle
erfolgten durch die diphtherische lufection selbst und nicht später als
60 Stunden post operationem.
Erwähnt wird zum Schlüsse ein Fall von langdauernder Diphtherie,
welcher in Zeit von 1^ Mouat dreimal operirt werden musste; jedes-
mal konnte die bacteriologische Untersuchung das Vorhandensein der
Löffler'schen Bacillen nachweisen. Toeplitz.
Die Amoendung der Ö'Dwy er' sehen Intubation hei Laryngitis erouposa.
Von Dr. S. Grosz. Pester med.-chir. Presse Nr. 89. 1894.
Verf. stellt die V ortheile und Nachtheile der Methode einander
gegenüber.
Als Vortheile sind anzusehen: 1. dass die Angehörigen leichter
ihre Einwilligung zur Operation geben, 2. dass diese selbst rascher, ein-
facher und ohne grössere Assistenz ausführbar ist , 3. dass die Couti-
nuität der Luftwege erhalten bleibt und keine neuen Infectionswege ent-
stehen, 4. dass der Tubus in vielen Fällen schon nach % — 48 Stunden
entfernt werden kann und 6. dass endlich die Nachbehandlung ein-
facher ist und weniger Ruhe erfordert.
Nachtheile der Methode sind: Ldass in der Privatpraxis die be-
ständige ärztliche Ueberwaohung schwer durchfahrbar ist, 2. dass die
Ernährung des Kranken vielen Schwierigkeiten begegnet und 8. end-
lich die Möglichkeit der Entstehung von Decubitus.
G. bemerkt noch, dass bei grossen Oedemen des Eehlkopfeinganges
und bei Pharynzstenose ausschliesslich die Tracheotomie anzuwenden ist.
Die statistischen Angaben stammen ans dem Stefanie -Kinderspitale
in Budapest. Unger.
Die Indieatian eur Tracheotomie, Von Dr. Cnopf. Münchener med. W.
Nr. 19. 1894.
Dr. Cnopf macht auf die Verschiedenheit des Verhaltens der oberen
und unteren Lungenpartien bei der Laiynxstenose der Kinder aufmerk-
sam; die oberen vorderen, unter günstigen inspiratorischen Bedingungen
stehend, müssen in den Zustand der Blähung, die unteren, unter gün-
stigeren ezspiratorischen Bedingungen stehend, müssen in den Znstand
der Atelectase gerathen.
Die Beobachtung des Dorsaltheiles des Thorax bei 80 laryngosteno-
tischen Kindern hat gelehrt, dass die Laryngostenose immer von einem
Tiefstande des Zwerchfells begleitet war. Das Diaphragma stand drei-
mal an der 10., 13 mal an der 11., 13 mal unter der 11. und 38 mal
an der 12. Bippe; in der Mehrzahl der Fälle war der Tiefstand des
Zwerchfells schon beim Eintritt in das Kinderspital eine vollendete
Thatsache.
Die Percussion ermittelte aber nicht nur den Tiefstand des Zwerch-
fells, sondern ergab auch, dass dasselbe constant auffallend hell und
voll blieb, trotz stürmischer In- und Exspiration L e. dass sich die
Lungengrenze kaum vorschob, das Diaphragma krampfhaft festgehalten
wurde.
Wird die Laryngostenose beseitigt oder hört sie spontan auf, so
steigt in der Mehrzahl der Fälle unmittelbar nachher die Lungengrenze
um 1—2 Rippen.
Dr. Cnopf schliesst daraus, dass der jeweilige Stand des Zwerch-
19*
284 Analecien.
felis am Dorsaltheile des Thorax ein Gradmesser ffir die Höhe der
Stenose sei. Eisenschita.
üeber die IntubaHon des Croup. Von Aaser. Eira XVIII. 4. 1894.
Nach Aaser^s Erfahmngen ist die Intubation yiel leichter auszo«
ffihren als die leichteste Tracheotomie und bereitet dem Pat nicht viel
Schmerlen; sie wird Ton den Eltern, die sich der Tracheotomie wider-
setzen oder sie erst zulassen, wenn der Zustand nahezu hoffhungsloa ist,
in der Regel zugegeben; sie ist unblutig und es kann deshalb keine
secundäre Infection durch die Wunde erfolgen; die Nachbehandlung ist
leichter als nach der Tracheotomie. Walter Berger.
6. Tjphns abdominalis.
Gleickeeitige Erkrankung an Typhus abdomiwiUa und Meningitis cerebro-
spinaiis bei einem 3^^ jährigen Kinde. Von Dr. B. Drews. AUg.
med. Central-Zeitg. 10. 1894.
Ein 8^ Jahre nlter Knabe, der schon seit ca. 4 Wochen unlustig,
gegen GerftuFche hyperftsthetisch ist, erkrankt unter heftigem Fieber,
hat starke Kopfschmerzen, eine Tergrösserte Milz und StuhWerstopfiang.
Am 6. Erankheitstage plötzlich heftiges Erbrechen und allgemeine
Gonvulsionen, unregelmässigen Puls und unregelm&ssige Respiration und
tiefes Coma.
Am 6. Krankheitstage linksseitige schlaffe Hemiplegie, Ptose und
Facialisparese.
Das tiefe Coma wird am 9. Krankheitstage von neuerlichen wieder-
holten Convulsionen unterbrochen, welche sich nunmehr täglich bis
zum 19. Krankheitstage einstellten — zwischendurch Roseola.
Am 22. Krankheitstage Opisthotonus, am 26. Krankheitstage starb
das Kind. Keine Section.
Dl. Drews diagnosticirt mit Sicherheit: Typhus abdominalis und
Menin^tis cerebrospinalis.
Die Frage, ob es sich um subacute Tubercnlose gehandelt haben
könnte, wird nicht erörtert Eisenschitz.
7. Malaria.
Ueber die Behandlung der Malaria mit Methylmblau und über die
loeale Anwendung desselben bei Diphtherie. Von Kasem-Beck^
Wratsch Nr. 23—27. 1893.
Verf. hat das Methylenblau mit sehr günstigen Resultaten in der
Kinderpraxis angewandt; die interne Dosis betrug 0,25 pro die. Neben-
erscheinungen, wie etwaige Uebelkeit, Erbrechen, Harndrang u. s. w.,
wurden nicht beobachtet In einigen Fällen, wo das Chinin die An-
fälle nicht zu unterdrücken vermochte, gdang es Verf., dieselben mit
Methylenblau zu beseitigen. Es schien sogar, dasä Kinder das Mittel
besser vertragen als Erwachsene. In 12 Fällen von Diphtherie wandte
Verf. Methylenblau in einer Lösung von 1 : 10 local an. Der Erfolg
war ein sehr eclatanter. Der Üarn wurde nach 24 Stunden dunkelblau.
AbelmauD.
8. CerebrospinalneniBgltis.
IHe epidemische Genickstarre. Von Dr. OttoLeichtenstern. Gentralbl.
f. allg. Gesundheitspflege 6. u. 7. H. 1893.
Die epidemische Cerebrospinalmeningitis begann in Köln zu Anfang
des Jahres 1886, diese Epidemie war seit den Jahren 1864/65 über-
I. InfectioDskrankheiten. 285
haupt in Deatschland nicht gesehen worden, mit Ansnahme ganz kleiner
Herde in den Jahren 1871 und 1879^0.
Bald darauf kamen Berichte über Epidemien derselben Art aus Pom -
mern, der Rheinprovinz und Westphalen.
In Westphalen war und zwar in Dorsten a. d. Lippe auch im Jahre
1822/23 eine solche Epidemie beobachtet worden.
In den Jahren 1864/66 dagegen war die Epidemie hauptsächlich
über den Norden, Süden und Südwesten Deutschlands ausgebreitet.
Die Schilderung der Epidemie in Köln basirt auf dem Beobachtungs-
material des Bürgerhospi&ls, in welches auch Kinder ohne jede Be-
schränkung aufgenommen werden, allerdings doch nicht in einem der
Zahl der yorkoromenden Erkrankungen entsprechenden Verhältnisse.
Dieses Material ergänzte der Autor durch Fragebogen an sämmt-
liche in Köln die Praxis ausübende Aerzte.
Es kamen im Jahre 1885 im Spitale 63 Fälle, 13 mit tödtlichem
Ausgange, und in der Privatprazis 48 Fälle, 24 mal mit tödtlichem Aus-
gange vor; die Ziffern aus dem Jahre 1886 im selben Sinne lauten: 26
und 9, die Ziffern ans der Praxis im Jahre 1886 sind unTollständig.
Die grosse Mortalität der Fälle aus der Praxis scheint darauf zu
beruhen, dass nur die schwersten, also ganz sicher diagnosticirbaren
Fälle in die Statistik aufgenommen wurden.
Die Morbiditätsziffer, auf die Gesammtbevölkerun^ berechnet, be-
stimmt Dr. L. auf l7oo* durchschnittlich betrug sie in anderen Epi-
demien 8~67oo 1 ^^ einzelnen selbst 127oo; auch die Mortalität ist im
Durchschnitte grösser als die in Köln, beträgt nach Hirsch 377^.
Von 194 Fällen Ton epidemischer Meningitis in Köln (1885 — 1892)
standen 22 im Alter von 1 — 6, 21 von 6 — 10, 17 von 11 — 15, 79 im
Alter von 16—25 Jahren, sodass also das Alter von 16—25 Jahren am
häufigsten befallen war; unter den Erkrankten waren 114 männlich und
80 weiblich.
L. hat den Eindruck, dass vorzugsweise kräftige und gesunde In-
dividuen befallen wurden, aber dass dies^ durchaus nicht immer die
Krankheit leichter durchmachen als die schwachen.
Die Verbreitung der epidemischen Meningitis über die Stadt Köln
war eine ausserordentlich gleich massige, eine Neigung zur Bildung von
Krankheitsherden fehlte absolut. Eisenschitz.
9« Influenza«
Influenza, Von Prof. A. Baginsky. Arch. f. Kinderheilk. 16. Bd.
Unter den in der medicinischen Abtheilung des Kaiser- und Kaiserin-
Friedrich - Kinderkrankenhauses in Berlin zur Beobachtung gelangten
Fällen von Influenza erscheint der folgende mit schwerer, von amyo-
trophischer Lähmung begleiteter Ischias einhergehende Fall von Inter-
esse: Derselbe betrifft einen 10 Jahre alten Knaben, der ausserhalb
Berlins unter Kopfschmerzen und hohem Fieber an Influenza erkrankte
und am 8. Tage der Erkrankung eine Lähmung am rechten Schenkel
zeigte, sodass das Gehen verhindert war. Die Lähmung war von hef-
tigen Schmerzen begleitet. Vier Wochen nach der Influenzaerkrankung
kam Pat. zur Untersuchung. Es wurde dabei eine ziemlich weit fort-
geschrittene Atrophie der Muskulatur des rechten Ober- und Unter-
schenkels constatirt, sodass das rechte Bein in der ganzen Ausdehnung
ge^en das linke um 8^— 4^)^ cm an Umfang zurückgeblieben ist. Das
Bein fühlt sich schlaff an, besonders der Quadriceps des Oberschenkels
und der Triceps surae, und wird beim Versuche, auszuschreiten, nur
mühsam nachgeschleppt, wobei der Fuss voll mit der ganzen Sohle
aufgesetzt wird, mit gespreizten Zehen auftritt und sich nur ganz
292 Analecten.
auch auf den Kopf verbreitete and aus sehr zahlreichen, gleiehm&ssig
serstrent stehenden, rothen Flecken besteht, in deren Mitte ein derbes
Knötchen — niemals Bläschen — von Hirsekomgrösse sitst. Beim Be-
streichen fflhlt sich die Haut sehr rauh an. Das Exanthem conflnirt
nicht, verblasst schon nach wenigen Stunden, worauf sich heftiges, oft*
mals unerträgliches Jucken, verbanden mit starker Schweissbildung ein-
stellt. Die Temp. ist im Floritions - Stadium nicht erhöht, die Zunge
rein, keine Angina, keine Schleimhauteruption, kein Durst, Appetit und
relatives Wohlbefinden sind vorhanden. Nach 1 — 8 Tagen beginnt eine
feine kleienartige Abschuppang, die in höchstens acht Tagen be-
endet ist, zuweilen aber auch fehlt. Die Dauer der Krankheit betrug
im Maximum 14 Tage, gewöhnlich viel weniger. Schwäche in den
Beinen und Neigung su SchweissauabrÜchen bleiben längere Zeit sorfick.
Complicationen wurden nur selten, und alsdann DrOsensch wellungen oder
Abscesse beobachtet. — Modificationen des Verlaufes, wie Fehlen des
Exanthems, abortive Formen etc. wurden beobachtet, namentlich dann,
wenn, wie es Öfter geschah, dasselbe lodividuum während der herr-
schenden Epidemie wiederholt von Schweissfieber befallen wurde. Wäh-
rend der Miliariaepidemie kamen gleichzeitig einzelne Fälle von Schar-
lach — Scharlach schützt nicht vor Schweissfieber und umgekehrt —
und Varicellen vor; ersterer war der Epidemie meistentheils vorange-
gangen, letztere zeigten sich erst während derselben. In zwei Fällen
konnte Mischinfection mit Varicellen und Schweissfieber eonstatirt werden.
Als Incubationsdauer konnten 8— 14 Tage bestimmt werden. — Die
Prognose konnte stets gfinstig gestellt werden, die Behandlung be-
stand in Zimmerarrest und kühlem Verhalten, Einstäuben der Haut mit
Amylum, zum Schlüsse Bäder. Von sanitätspolizeilichen Maassnahmen
kamen als wirksam in Betracht: Isolirnng der Kranken und laue Seifen-
bäder, Desinfection der Wäsche, Kleider and Betten, Enthebung der
schulpflichtigen Geschwister vom Schulbesuch. ünger.
üebtr Glotaitis und Mundseuche. Von Dr. Siegel. Deutsche med. W. 48.
1898.
Dr. Siegel hatte in Nr. 49 der Deutschen med. W. aus dem Jahre
1891 eine Arbeit publicirt: „Die Mundseuche des Menschen (Stomatitis
epidemica) , deren Identität mit der Maul- und Klauenseuche der Haus-
thiere und beider Krankheiten gemeinsamer Erreger*^ Seine damaligen
Beobachtungen hatten sich auf eine Epidemie im Berliner Vororte Britz
bezogen.
Die beobachteten Krankheitsbilder, nach einer 8 — 10 Tage dauern-
den Incubation, bestehen: 1) aus 8—8 Tage dauernden Prodromen mit
ziemlich schweren Störungen des Allgemeinbefindens, Schüttelfrösten,
Unbehagen, Kreuzschmerzen, Schwindel, Fieber bis zu 89,6*; 2) der dann
auftretenden Stomatitis, mit einem gelblichen bis schwarzen Zungen-
belage, starker Schwellung des Zahnfleisches, Lockerung der Zfilme,
foetor ex ore, Petechien. Heilung nach 8 — 14 Tagen, langsame Recon-
valesccDz.
Schwere Complicationen kOnnen entweder der fi[rankheit einen bös-
artigen Verlauf geben , oder mitunter kann der Verlauf recht chronisch
sein, die Krankheit 1 — 1<^ Jahre dauern.
Bei schweren Formen kommt es zu einer mit bedeutender Schwel-
lung einhergehenden Glossitis, zu vehementen, sogar gefährlichen Blu-
tungen aus dem Zahnfleische, zu Pneumonien, Myocarditis, sehr oft zu
Leberschwellungen, zu bedenklichen nervOsen Störungen.
Die directe Gontagiosität ist unzweifelhaft
Siegel behauptete schon damals auf Grund seiner Untersuchungen
i
I. iDfectioDskrankheiteD. 293
die bacteriologische Identit&t dieser Krankheit mit der Maul- und Klaaen-
senche der Haustbiere.
In der Sitzung der freien Vereinigung der Chirurgen Berlins vom
10. Juli 189S behandelte Dr. Siegel im Anschluss an einen von Rose
berichteten tödtlichen Fall von Glossitia neuerdings diesen Gegenstand
und wir (Ref.) werden über diesen Vortrag berichten, wenn die in Aus-
sicht gestellte ausfuhrliche Publication erfolgt sein wird.
Lindner hat in einem Saale seiner Einderstation eine 2 Monate
lang dauernde Epidemie einer eigenthümlichen Wundaffection beob-
achtet, mit auffölligen Uloerationen an den Lippen, Fieber, Durchfall
und Magenstörungen. Sicher war die Affection ansteckend.
Köber hebt hervor, dass die von Siegel beschriebene Epidemie
im Gegensatze zu den anderweitig beobachteten, stets benignen Epide-
mien am Menschen als eine ausnahmsweise schwere anzusehen sei.
Siegel giebt nachträglich auf Anregung Köber's den Aufschluss,
dass seine Impfungen mit Reinculturen , wenn sie cutan vorgenommen
wurden, negative, wenn intraperitoneal vorgenommen, positive Ergeb-
nisse (Bläschenaufschwellung am Maule) brachten. Wahrscheinlich er-
zeugt die Uebertragung durch Milch und Berührung kranker Thiere
am Menschen nur leichte, die Ansteckung von schwer erkrankten Men-
schen hat aber gewöhnlich schwere Erkrankungen zur Folge, auch
scheint die Ansteckung von Men&ch auf Mensch leichter erfolgen zu
können, als vom Thier auf den Menschen.
üeber eine kleine Familienepidemie derselben Art berichtet S. Kamp e r,
diese Familie bezog die Milch aus dem Epidemieorte.
Langenbuch hat eine kleme Reihe von hierher gehörigen Fällen
beobachtet und erzählt, dass in einem Falle von schwerer Glossitis, bei
dem zur Lebensrettung schon die Tracheotomie erwogen wurde, auf
Rath des Generalarztes Keil eine grosse Gabe von Tart. emet. und
ebenso noch in 2 — 8 anderen Fällen Hilfe brachte. Eisenschi tz.
La füvre gangliormaire. Par le doctenr Comby. La m^decine infaütile
1874 p. 1.
C. würdigt übersichtlich, was Filatow, Pfeiffer, Stark, Pro-
tassow, Moussous, Neumann über das „Drüsenfieber** gesagt haben,
und wendet sich gegen die Auffassung dieser Krankheit als allgemeine
Infection mit BetheUigung der Leber, Milz, Mesenterial- und Bronchial-
drüsen, und ebenso gegen die Verwechslung derselben mit secundären
Adenopathien der Kiefer-, Nacken-, Clavicular- und Nickergegend, auf die
sich, aber als primäre Erkrankung, diese Affection localisire. Die Rachen-
schleimhaut, insbesondere die Mandeln, bilden die Eingangspforte des
Virus, vielleicht eines Streptococcus, um den Verlauf einer echten In-
fectionskrankheit herbeizuführen. Ausgang in Suppuration bemerkte C.
wiederholt. Sommer- Stuttgart.
BrüsenfUhtr. Von Prof. Andreas Moussous in Bordeaux. Revue
mensuelle des maladies de Tenfauce, Juniheft 1893.
Anlehnend an die von Pfeiffer und Starck im Jahrbuch für
Kinderkrankheiten (Jahrgänge 1889 u. 1890) aufgestellte Bezeichnung
bespricht Verfasser zwei eigene Fälle, betreffend Knaben von 8 und 12
Jahren.
Nach kurzem allgemeinem Unwohlsein gastrischer Art tritt unter
starker nächtlicher Aufregung, Erbrechen und Kopfschmerz ein intensives
Fieber auf. Local findet man die Nacken- und Unterkieferlymphdrüsen
geschwellt und empfindlich, während die Achsel- und Leistenlymph-
drusen frei bleiben. Die afficirton Drüsen verschmelzen nicht in einen
294 Analecten.
allgemeinen DrÜsentamor, sondern bleiben yereinzelt. Es kann nur
eine Seite ergrL£fen werden, meistens aber ist die Affection von Torne-
herein bilateral. Mund- und Racfaenschleimhaat geröthet. Entweder
gehen nach einigen Tagen die Fieberbewegungen zurück oder bestehen
fort. In diesem Falle tritt ein keuchhnstenartiger Husten auf und
klagt das Kind über Schmerzen am Nabel und im Unterleib. Das Er-
scheinen dieser Complication lässt an Mitergriffenwerden der Peri-
tracheal- und Mesenterialdrüsen denken.
Im zweiten citirten Falle (Knabe von 18 Jahren) schloss sich das
Drüsenfieber an eine Masemerkrankung an, hielt sich lange auf der
Höhe und führte zu einer sehr sich in die Länge ziehenden Recon-
yalescenz. Schliesslich yöliige Heilung. Albrecht.
13. Keuohiiasten.
Miologie de la cogueluche. Sitzung der Akademie vom 29. September.
Archives g^närales de M^decine. Januar 1893. S. 91.
Im Namen des Professors der Thierarzneischole von Lyon, Galtier,
überreicht Weber eine Denkschrift über die Aetiologie des Keuch-
hustens. Danach ergiebt sich aus den Beobachtungen und Thierexperi-
menten: 1) dass der Keuchhusten eine von Mikroorganismen hervor-
gerufene Krankheit ist; 2) dass der Mikrobe zu den ASroben gehört
und sich leicht züchten l&est, hauptsächlich in den zähen Auswurfs-
producten sich findet und eine rundliche Form hat; 8) daas besonders
Einathmungen von Terpentin nützlich sind, und dass endlich 4) die
Uebertragbarkeit auf gewisse Thiere (Kaninchen, Meerschweinchen, Hunde
und Hühner), besonders Hunde und Hühner leicht gelingt
Fritzsche.
Ein Fall von Bronchiektasie fMch Keuchhwten. Von M. Abelmann.
Bolnitschnaja Gasetta Botkina Nr. 45—46. 1893.
Bei einem 7jährigen Mädchen, das einen schweren Keuchhusten
durchgemacht hatte, entwickelte sich allmählich ein Symptomencomplex,
der auf Bronchiektasie hindeutete : maulvolle Ezpectoration übelriechen-
der Sputa, die die bekannte Dreischichtung aufwiesen, Höhlensjmptome
im Unterlappen der linken Lunge, Fehlen von Tnberkelbacillen. In
weiterem Verlauf der Krankheit gesellte sich eine chronische käsige
Pneumonie hinzu, der schliesslich das Kind erlag. Bei der Section fand
man den ganzen linken Unterlappen durchsetzt von grösseren und kleineren
bronchiektatischen Cavernen, so dass die Lunge ein groblöcheriges Aus-
sehen zeigte, im Oberlappen — käsige Pneumonie. Verfasser erklärte
die Entstehung der bronchiektatischen Cavernen durch die häufigen
und schweren KeuchhustenanfäUe , die zunächst Atelektasen schaffen.
Durch die Unwegsamkeit und Verödung einer Anzahl kleiner Bronchen
und Alveolen wird der intrabronchiale Luftdruck gesteigert, und ist die
Bronchial wand durch den vorangegangenen Katarrh erschlafft, so sind
damit Momente gegeben, die eine Bronchiektasie leicht zu Stande
bringen. — Bei der Behandlung des Keuchhustens sind wir verpflichtet»
Alles anzuwenden, um die heftigen und häufigen Paroxysmen zu mildem,
namentlich muss die Zahl der Anfälle herabgesetzt werden, damit den
Lungen Zeit gegeben wird die Störungen, welche der Paroxysmus her-
vorruft, auszugleichen. Es sollen die Narcotica und Sedativa in erster
Keihe berücksichtigt werden, in nöthigen Fällen soll man vor dem
Morphium oder Codein nicht zurückschrecken. Erwünscht sind weitere
Versuche mit Einathmung comprimirter Luft in pneumatischen Kam*
mern. Abelmann.
J. Infectionskrankheiten. 295
Zur Chinxnbthandlwug des Keuchh%uien8, Von Dr. S. Baron. Berliner
kl. W. 48. 1898.
Dr. Baron hat ca. 60 Fälle von Keachhnsten mit Chinin (Binz-
Ungar) behandelt. Bei einer kleinen Anzahl von Kranken trat schon
am 2. oder 8. Tage Besserung ein, sicher am 6.-6. Tag. Die Ge-
sammtdaner der Krankheit beträgt durchschnittlich 8 Wochen, in ver-
einzelten Fällen wirkt das Chinin geradezu coupirend und eigentliche
BackföUe werden dabei nie beobachtet.
£inen ganz besonderen Werth hat das Chinin in Fällen von Keuch-
husten, welche mit acuten Lungenkrankheiten complicirt sind, und man
ist berechtigt zu meinen, dass es sogar das Eintreten solcher Compli-
cationen zu verhüten vermag •
Dr. B. verordnet Chinin mur. 0,01 pro Monat und 0,1 pro Jahr 3 mal
taglich. Die Maximaldose auch für ältere Kinder 8 mal täglich 0,4; mit
fortschreitender Besserung kann man die Dosen verringern.
Bei gestörtem Appetit ist etwas Salzsäure nachzunehmen, bei grosser
Brechreizung ist das Chinin mit Brausepulver vermengt zu geben.
Eisenschitz.
lieber Keuchhusten und dessen Behandlung. Von Dr. 8. Schwarz.
Internat. kL Bundsch 2. 1898.
Der Angriffspunkt für die Behandlung des Keuchhustens ist die
Nase. Man kann wohl von einer Behandlungsmethode des Keuchhustens
nicht mehr verlangen, als Dr. Schwarz mit der seinigen erzielt zu
haben angiebt: Von 67 Fällen von Keuchhusten heilten alle ohne Aus-
nahme in 8 — 6 Tagen.
Die Methode: Ein Pulverzerstäuber für den Kehlkopf, mit einem
16—20 cm langen weichen Kautschukrohr armiit, wird mit 80—36 ctg
eines Pulvers, gemischt aus Kohle, Schwefel, Myrobalan und Sozojodol
geladen, mit der Concavität nach oben 2 — 8 cm tief in das eine Nasen-
loch — nach vorheriger gründlicher Reinigung der Nase — eingeführt
und eingeblasen, immer einmal täglich; auch prophjlactisch wirkt die
Methode ganz sicher.
Zuweilen erfolgt nach der ersten Einblasung eine vorübergehende
Verschlimmerung, nach der zweiten, längstens dritten, tritt auffallende
Besserung ein, nach höchstens sechs Einblasungen war der Process vor-
über und man bläst nur mehrere Male ein, um einen Rückfall zu ver-
hindern.
In Berlin (Henoch und P. Guttmann) wurde mit derselben Me-
thode kein ganz so guter, aber immer auch ein sehr beachtenswerther
Erfolg erzielt, i. e. Heilung nach 8—12 Tagen. In Wien (Monti) ge-
langten die Versuche nicht zum Abschlüsse, die Kinder blieben aus; in
der Privatpraxis wurden Heilungen nach 6—8 Tagen erzielt.
Die Kinder müssen während der Behandlung das Zimmer hüten,
das gut zu lüften ist.
Statt des schwer aufzutreibenden Myrobalan wird jetzt dasselbe
Medicament von der chemischen Fabrik von H. Trommsdorf in Erfurt
unter den Namen Coelyt geliefert. Eisenschitz.
lieber Naphthalin beim Keuchhusten, Von N. Korolew. Medicinskoje
Obosrei^e Nr. 21. 1898.
Verfasser hat im Chludo waschen Kinderspitale zu Moskau die von
Chavernac empfohlene Behandlungsmethode mit Naphthalindämpfen
erprobt. Die Einathmung geschah 4 — 6 mal täglich, wobei 16 — 20,0 ver-
braucht wurden ; sehr zu achten ist, dass die Substanz nicht anbrenne.
Die Resultate waren insofern zufriedenstellend, als es in einigen Fällen
296 Analecien.
gelang, die Anfälle zu coupiren, daneben waren aber auch F&Ue, wo
diese Therapie gar keinen Nutzen brachte. Abelmann.
14. ParotitiB epidem.
1) Udier den snbmaxiUaren Mumps. Von Dr. Wertheimber. Mfin-
oheuer med. W. 86. 1893.
2) Oontmgiöse Schwellung der gl, submaxiü. Von Dr. Wacker. Ibid.
1) Dr. W. hat drei F&lle beobachtet, in welchen der Mumps auf die
Unterkieferlympbdrüse bedchr&nkt war; viel seltener scheint die Be-
schränkung der Krankheit ausschliesslich auf die Subungualis ▼orzu*
kommen, noch seltener auf die cervicalen Lymphdrüsen oder nur auf
die Hoden.
Einen Fall Ton submaxillarem Mumps bei einem sy, Jahre alten
Knaben theilt W. mit, der mit ziemlich hohem Fieber und erheblichen
Störungen des Allgemeinbefindens verlief.
Die DifPerenzirung der Krankheit Ton sympathischer Schwellung
der Submaxill. und der ihr anliegenden Lymphdrüsen ist meist bald
zu machen. Die Periostitis des Unterkiefers ist markirt durch Einseitig-
keit, Stärke der Geschwulst und grössere Druckempfindlichkeit.
2) Der Fall von Dr. Wacker betrifft ein 6 Jahre itltes Kiod.
Im ersten Fall inficirte sich die Mutter, und im zweiten die Mutter
und auch drei andere Personen an gut charakterisirtem Mumps.
Eisenschiti.
IL Chronisohe Infeotioiis- und AUgemeinkranklieiten.
1. Tnberculose«
Contributian ä Vetude de la tuherculose du premier dge. Von A. Lesage
und J. Pascal. Archives gänäraies de mädecine. März 1898. S. 270
—308.
Die Tuberculose ist nach den Untersuchungen von Parrot, Lan-
douzy, Aviragnet u. a. besonders häufig bei Kindern im frühsten
Alter, vor der Entwöhnung, und zwar hauptoächlich die tuberculose Er-
krankung des lymphatischen Syetemes, wobei man weder die Lungen
noch das Peritoneum oder das Gehirn befallen findet Nach der Mei-
nung von Aviragnet und Cornet scheine eine tuberculose Erkrankung
der Drüsen ohne Verletzung der Schleimhaut der Lunge denkbar, indem
die BacUlen die Schleimhaut passirteu und sich in den Drüsen fest-
setzten. Anch Dobroklowsky ist zu denselben Resultaten gelangt,
während andere Autoren den Standpunkt vertreten, dass eine tobercu-
löse Erkrankung der Drüsen ohne vorherige oder gleichzeitige Organ-
erkrankung nicht denkbar sei. Aus den Beobachtungen der Autoren bat
sich nun ergeben , dass eine Drüsentuberculose ohne vorhergegangene
Organerkrankung möglich ui. Nicht gar selten bilden die Leisten-
drüsen den Ausgangspunkt der Krankheit, möglicherweise handelt es
sich dabei um directe Ueberwanderung der Bacillen von der Mutter auf
den Fötus, ohne dass, wie die Untersuchungen von Lesage und
Bruygues von 32 Placenten ergeben, der Nachweis von Bacillen in den
Placenten gelungen wäre. Die pathologisch- anatomischen Veränderungen
der Drüsen bestehen in einer volumensunahme und in einer gewissen
Härte; auf dem Durchschnitt findet sich die Drüse mehr oder weniger
II. Chronische Infections- und AUgemeinkrankheiten. 297
eiterig zerfallen. In den käsigen Massen finden sich die Bacillen. Die
Symptome der Erkrankung sind deutlich ausgesprochen, sie bestehen in
einer rasch vorwärts schreitenden Kachexie, in der allgemeinen Drüsen-
Schwellung, in der Abwesenheit visceraler Erkrankungen und in dem
Fehlen von Ernährungsstörungen. Die Kachexie schreitet trotz ge-
nügender Nahrungsaufnahme uingsam vorwärts und verleiht den Kin-
dern ein greisenhaftes Aussehen. Dabei ist die Temperatur normal.
Der Verlauf der Krankheit erstreckt sich nicht selten über drei und vier
Monate. Dabei sind oft sämmtliche Lymphdrüsen geschwollen und ver-
grössert, bisweilen beschränkt sich die Erkrankung aber auch auf ver-
einzelte Drüsengebiete. Die Diagnose ist nach dem eben Gesagten
meist leicht zu stellen. Differential-diagnostisch könnte noch Lues in
Frage kommen, doch sind dabei für den Erfahrenen soviel chatakte-
ristische Zeichen, dass ein Irrthum kaum möglich ist.
Nach Mittheilungen von acht genau beobachteten und durch die
Section bestätigten Fällen kommen die Verfasser zu folgenden Schlüssen:
I. Es giebt im frühsten Kindesalter eine wohlcharakterisirte Form
der TuberculoBO.
II. Die Drüsen enthalten den Bacillus der Tuberculose.
III. Der l^d erfolgt dnrch allgemeine fi[achexie oder unter der
Form der tnberculösen Meningitis. Fritzsche.
üther Tubereulose im Kindes- und SäuglingsdUer, Von Dr. R. Heck er.
Münchener med. W. 20 u. 21. 1894.
Unter 700 Kindersectionen, die von April 1888 bis Februar 1892
im Münchener pathologischen Institute gemacht worden waren, fand H.
in 18,9% Tuberculose und in 38,1% Diphtherie und Croup, Müller da-
gegen hatte am selben Institute von 1882—1888 unter den Kinder-
sectionen in 30% Tuberculose und in 27,2% Diphtherie und Croup ge-
funden.
Den Grund dieses Widerspruches kennt H. nicht, er könnte in der
grossen Zunahme der Diphtherie liegen oder in einer durch Koch an-
gebahnten wirksameren Prophylaxe gegen die Tuberculose (?Ref.).
Von allen 1200 Kindersectionen (H. -{- M.) kommen auf Diphtherie
und Croup 33,8%, auf Tuberculose 20,5%.
Die zahlreichsten Befunde von Tuberculose fallen auf das 2. — 4,
Lebensjahr. Die beiden Geschlechter verhalten sich der Krankheit
gegenüber ziemlich gleich; die grösste Mortalität an Tuberculose traf
auf den Winter und Frühling.
Die Lymphdrüsen waren befallen in 90%, die Lungen in 76,2%,
die Meningen in 26,8%, die Leber in 24,7%, der Darm in 22,7%,
die Milz in 20,6%, Knochen und Gelenke in 10,3%, Gehirn in 9%,
Peritoneum in 7,2%, die Dura in 6,2%, das Pericard in 4%, die männ-
lichen Genitalien in 2,1 % , der Magen in 2,4 % , Tonsillen und grosses
Netz in je 1 % aller Fälle.
Müll er 's Zahlen differiren vielfach von denen Hecker 's.
In den Lungen findet sich die Tuberculose 27mal als käsige Pneu-
monie , 18 mal als acute Miliartuberculose und 20 mal als chronische
Phthise.
Latent, d. h. am Leben nicht beobachtet oder wenigstens nicht als
Todesursache angegeben oder im Stadium der Heilung (narbiger Ver-
dichtung oder Verkalkung) wurde die Tuberculose in 65 Fällen gefunden,
am häufigsten in den Bronchialdrüsen, 80 mal, den Lungen 20 mal, den
Mesenterialdrüsen 6 mal.
unter 700 Fällen von Tuberculose fanden sich nur 10 im 1 . Lebens-
jahre und nur 7 im Säuglingsalter, Ziffern, die übrigens wahrschein-
Jahrbuoh f. KinderheUkunda. N. F. XX XIX. 20
298 Analecten.
lieh deshalb, weil die Aufnahme der Kinder im ersten Lebensjahr in
das Kinderspital sehr beschränkt ist, thats&chlich viel sa klein sein
dürften.
Dr. H. berichtet hiebe! über einen Fall von Tuberculose an einem
S^ Monate alten Knaben, der an Caries des Warzenfortsatses gestorben
war und die Krankheit wahrscheinlich von seinem tubercnlösen Vater
überkonunen hatte, und über noch andere neun Fälle von Tuberculose
im 1. Lebensjahre.
Als besondere Merkmale der Säuglingstuberculose seiner näheren
Beobachtung hebt Dr. H. hervor: die überwiegende Betheiligung der
Lymphdrüsen, die Neigung zur Ausbreitung auf mehrere Organe und der
meist nachweisbare Ausgangspunkt der Lungentuberculose in den Bron-
chialdrüsen, und das Fehlen fibröser Producte, implicite jeder Tendenz
zur Heilung.
Zugleich bei der Lungentuberculose der Säuglinge wird noch her-
vorgehoben, dast nicht die käsige Pneumonie, wie im späteren Kindes-
alter, so vorwiegend ist, sondern mehr die Bildung von Ideioen Caverneu
wie beim Erwachsenen. Eisenschitz.
Zwr Caamtiik der T%fbeTcuio9e im KindesaUer, Von Dr. Goldschmidt
Münchener med. W. 62. 1893.
Dr. G. nimmt in folgenden Fällen mit Wahrscheinlichkeit eine ute-
rine Oebertragung von Tuberculose an.
In dem ersten Falle, ein 1^ Jahre altes Kind betreffend, das he-
reditär stark belastet ist, fand man bei der Obduction ausser einer vor-
geschrittenen Lungen- und Drüsentuberculose, an der Unterfläche der
Leber, in der Substanz derselben und durch die Serosa durchscheinend
an der linken vorderen Längenfurche, da wo das Lig. teres in die
Leber eintritt, einen tubercnlösen Herd.
Aus der fötalen Beziehung des Lig. teres zur Vena umbilicalis
schliesst Dr. G. in diesem Falle auf intrauterine Infection des Fötus.
Im zweiten Falle, ein S Monate altes Kind betreffend, fand man, nebst
ausgebreiteter Lungen-, Drüsen- und Darmtuberculose, in der Leber an
der Eintrittsstelle des Lig. teres einen hirsekomgrossen Tuberkel und
schliesst auch hier aus diesem Befunde auf intrauterine Infection.
In einem dritten Falle, ein 6 Wochen altes Kind betreffend, das
eine ausgebreitete Tuberculose in den Lungen, Bronchialdrüsen, in den
Nieren, der Leber, Milz und in den Mesenterialdrüsen aufwies, schliesst
er ans der grossen Verbreitung auf eine längere Krankheitsdauer und
daraus auf wahrscheinlich intrauterine Infection, Eisenschitz.
Anaemia of TMbereuiom, By B. K. Bachford. Archives of pediatrics
Nov. 1892.
B. hatte an 166 Mädchen Blutuntersuchnngen gemacht und zwar
Bestimmungen des Hb. und der Zahl der rothen Blutkörperchen. Die
Methode, nach welcher er arbeitete, ist nicht angegeben. Er wurde
zu diesen Untersuchungen veranlasst durch einen schweren Fall von
Anämie, der mit Tbc. hereditär belastet war, sich ausserdem in der
Umgebung Tuberculöser aufgehalten hatte, der schliesslich nach Ein-
nahme von Eisen rasch und constant sich besserte, und dessen Kranken-
geschichte ausführlich wiedergegeben ist. Uns macht der Fall den Ein-
druck einer gewöhnlichen Chlurose, auch insbesondere seines Verlaufes
wegen. Die Mädchen, welche R. untersucht hatte, sind Institutskinder
im Alter von 12—18 Jahren. In 78 dieser Fälle fand sich anamnestisch
festgestellte Tuberculose, in einer grossen Zahl konnte nichts Bestimmtes
festgestellt werden. Der durchschnittliche Hb.- Gehalt der Belasteten
II. Chronische Infections- und Allgemeinkrankheiten. 299
betrug 78f( %, der der Unbestimmten 86^ %t ^^' ^^^ Nicbtbelasteten
88 %. Ausführliche Tabellen geben über diese Zahlen weitere Aus-
küxifte.
R. schliesst aus seinen Untersuchuugen, dass es abgesehen von der
durch die Tuberculose selbst bedingten Anämie Beziehungen
Bwischen Blutarmuth und Tuberculose gäbe. Er führt folgende Ta-
bellen an: Von 68 Fällen von Anämie mit weniger als 75% Hb. waren:
Nicht belastet 7^ %, belastet 76%, unbestimmt 28%.
Von 114 Fällen, nicht anämisch, mit mehr als 76% Hb. gehörten
in die erste Kategorie 23%, in die zweite 87%, in die dritte 89%.
£r schliesst daraus, dass die tuberculose Belastung einer der wich-
tigsten Factoreu der Anämie sei.
Er meint weiter, dass vor Allem tuberculose Lymphdrüsen Anämie
erzeugen, während dies z. B. bei Tuberculose der Lungen durchaus nicht
stets der Fall zu sein braucht.
EL. glaubt weiter folgern zu dürfen, dass eine ausgesprochene
Anämie, deren Ursache nicht klar zu Tage liegt, sehr suspect sei wegen
latenter Tuberculose. Schwerlich wird Jemand mit der Ansicht des
Verf. übereinstimmen in Bezug auf die Bedeatung, die er den Drüsen-
schwellungen, insbesondere den peripheren beimisst. Er hält sie fast
ausschliesslich für Zeichen von Tuberculose, auch wenn sie nach mehr
oder weniger langem Bestände schliesslich wieder verschwinden. Weiter
hält er nicht dafür, dass die Tuberculose sich eventuell auf anämischer
Basis leichter entwickeln könne, sondern glaubt, dass die Anämie, von
der er spricht, ein Zeichen tief gelegener tuberculöser oder scrophulöser
Lymphdrüsen sei.
Nach des Verf. Zählungen und Hb.-Bestimmungen handelt es sich
bei diesen Anämien um ein wirkliches Abnehmen auch der rothen Blut-
körperchen gleichzeitig und parallel mit dem Hb. gehalten, also nicht
um ein Verhältniss zwischen beiden wie bei der Chlorose. Loos.
Beitrag zur Lehre van der Tuberculose im frühesten Kindesalter. Von
Dr. 6. Wassermann. Zeitschr. f. Hygiene etc. 17. B. 2. H.
Eine kritische Prüfung der in der Literatur niedergelegten Fälle
von erblicher Tuberculose ergiebt, dass nur wenige Fälle als zweifellos
erblich angesehen werden können.
Als einen sicheren Fall muss man den von Schmorl und Birch-
Hirschfeld ansehen, in welchem im Fötus einer mit acuter Miliar-
tuberculose behafteten Frau zwar nicht tuberculose Veränderungen, wohl
aber Tuberkelbacillen in den (befassen der Leber gefunden wurden (De-
fect des Placentarepithels).
Als sicher anzunehmen ist auch ein Fall von Rindfleisch und
von Johne (Kalb).
Es existiren in der menschlichen Pathologie bis jetzt im Ganzen 2,
in der des Thieres 9 sichere Fälle.
Der von Wassermann beobachtete Fall betreffend ein ca. 6 Wochen
altes Kind, das immer sehr schwach gewesen, stammte von einer ge-
sunden Mutter.
Es leidet an einer eitrigen Mittelohrentzündung und stirbt ca. 6
Wochen nach der Aufnahme in das Institut für Infectionskrankheiten in
Berlin.
Die Obduction ergab eine über viele Organe ausgebreitete Tuber-
culose.
Die nachträglichen Erforschungen ergaben, dass Vater und Mutter
frei von Tuberculose waren, dass aber das Kind vom 9.— 17. Lebens-
tage in einem Baume mit einem schwer tuberculösen und viel ezpecto-
20^
300 Analecien.
rirendea Manne gelebt habe und bald nach Verlassen dieses Baumes er-
krankt sei.
Dr. W. sieht in diesem Falle einen yerlässlichen Beweis für die
Contagiosit&t der Tnberculose. Eisenschits.
2. Syphilis bereditaria.
Die Syphilis des Herzens bei enoorbener und ererbter Lues, Von Dr.
F. Mracek. Archiv f. Dermat. u. Syphilis 8. IL 1893.
Die Arbeit bezieht eich auf das im pathologisch-anatomischen In-
stitute SU Wien gesammelte Material. Das Beferat bezieht sich nur
auf den die ererbte Lues berührenden Theil, und zwar nur auf die
eigenen Beobachtungen, mit Uebergehung der ans der Literatur gesam-
melten Daten.
Ueber syphilitische Affectionen bei congenitaler Syphilis 6nden sich
in der Literatur nur spärliche Angaben. Mracek fand bei 160 Fällen
syphilit. Kinder aus der ersten Lebenswoche 29 mal das Herz yeriLndert,
aber nur 4 mal darunter typische Processe der Syphilis.
In 80 Fällen fanden eich anämische Flecke oder parenchymatöse
Trübung mit feinsten Fettmolecülen ün Herzfleisch, Degenerationen, die
allerdings von der Syphilis influenzirt sein können und vieUeioht mit
eine Ursache der bei der Syphilis haemorrhagica so häufigen venösen
Thromben sein dürften.
Die directen Producte der Syphilis im Herzen heredit syphilitischer
Kinder stellen sich dar, entweder als gummöse Myocarditis L e. mehr
oder weniger umschriebene Herde interstitieller Bindegewebswucherung mit
Verschmäler ang, Atrophisirung oder Zerfall der Muskelfasern, haben
ihren Sitz in der Wand des linken Ventrikels, sind erbsen- bis ^kreuzer-
gross. Die beiden anderen Fälle von Mracek zeigten sehr schwere
Veränderungen einer acuten interstitiellen Myocarditis. Sie stellen wohl
das Anfangsbtadium einer Erkrankung vor, die bei der acquirirteu Sy-
philis zur gummösen oder fibrösen Degeneration führt. Das Herz ist in
toto vergrössert, dessen Wandungen verdichtet, von kleinen Herden,
insbesondere in der Nähe der feinsten Gefösszweige infiltrirt, welche
Localisation der Infiltrate an und um die Gefässe der heredit» Syphilis
eigenthümlich ist
Ein 6. von Mracek publicirter Fall zeigt vorzugsweise Verände-
rungen der Gefilsswand, Verdickung der Adventitia der art. coronar.
und kleinerer Ge&se im Myocardium mit Hämorrhagien , während die
Muskelsubstanzen im Wesentlichen gesund sind. Eisenschitz.
lieber Knochendeformitäten bei Lues congenita. Von JoachimsthaL
Arch. f. Dermatologie 27. B. 1. H.
Joachimsthal stellte in der Sitzung der Berliner dermatologischen
Vereinigung vom 14. November 1893 einen 8 Jahre alten Knaben vor,
von dem die Mutter berichtete, dass derselbe nach der Geburt einen
Ausschlag, sowie eine Nasenaffeciion mit beständigem Schnupfen und
öfter FluBS gehabt habe.
Das Skelett dieses Knaben zeigte vielfache Veränderungen: Starke
Prominenz der tubera frontalia bei Vergrösserung des ganzen Schädeki
die rechte Tibia hatte nach oben hin eine starke schmerzhafte Auf-
treibung und Verbreiterung, ebenso war das untere Ende der Fibula,
die rechte Ulna in der Mitte, der rechte Badius am unteren Ende ver-
dickt und auf Druck schmerzhaft; der Badius war so verlängert, dass
dadurch der Vonlerarm radialwärts convez verkrümmt war (Varus-
steUung der Hand). Aehnliche und noch verstärkte Verhältnisse be-
1^^^^^
ir. Chronische Infectione- und ÄllgemeinkraDkheiten. 301
standen am linken Vorderarme, complicirt mit starker Sohmerzhaftig-
keit der Drehbewegungen im Ellbogengelenke.
Unter dem Gebrauche von Jodkali besserten sich die Knochendefor»
mit&ten.
Verlängerung des Knochens in Folge von Lues, wahrscheinlich auf
Betheiligung des Epiphysenknorpels zurückzuführen, hat auch Schede
im J. 1877 bei einem löjührigen luetischen Mädchen an einer Tibia de-
monstrirt.
In der Discussion giebt Grimm an, dass er eine Verlängerung ein-
zelner Knochen bei Lues der Kinder wiederholt beobachtet habe.
Eisenschitz.
Die syphilitische Arthropathie hei kleinen Kindern. Von Dr. H. Adser-
sen. Hosp.-Tid. 4. R. 11. 5. 1894.
A. theilt 4 Fälle von Gelenkleiden bei kleinen Kindern mit; in den
beiden ersten Fällen, von denen der eine tOdtlichen Aasgang hatte, so
dass eine genaue anatomische Untersuchung der erkrankten Gelenke
möglich wurde, waren zu der Zeit, wo das Gelenkleiden auftrat, keine
von den gewöhnlichen unzweifelhaften Zeichen von Syphilis vorhanden
(nur eine Augenaffection im ersten Falle könnte vielleicht dafür ange-
sehen werden), dagegen waren im 1. Lebensjahre im 1. Falle unzweifel-
hafte Symptome von hereditärer Syphilis vorhanden gewesen, im 2.
war die Diagnose von Prof. Hirschsprung auf Syphilis gestellt worden.
Die Gelenkleiden waren in beiden Fällen ohne jede bekannte Veranlas-
sunff spontan aufgetreten und hatten sich acut oder subacut ent-
wickelt. Im 1. Falle war das linke Schultergelenk erkrankt, im 2. das
rechte Schultergelenk und das linke Kniegelenk, in geringerem Grade
das rechte Kniegelenk. Acute Osteomyetitis und Tuberculose konnten
ausgeschlossen werden, so dass nur ein syphilitisches Gelenkleiden vor-
liegen konnte. Bei der Section im 2. Falle fand sich im rechten
Schultergelenk kein Eiter, der Knorpel am Caput humeri uneben und
perforirt, der Epiphysenknorpel zu einer dünnen Schale umgewandelt,
der der Diaphyse zunächst liegende Theil der Epiphyse nach innen zu
zerstört, die dadurch entstandene Höhlung enthielt grützige Masse und
einen kleinen Sequester von spongiösem, aber ziemlich hartem Knochen-
gewebe (Epiphy Senkern), nach aussen zu, dem Tuberculum majus ent-
sprechend, war der Verknöcherungsgürtel von graulichem Aussehen
und etwas weich. Im linken Kniegelenk fanden sich keine wesentlichen
Veränderungen der Kapsel, die Ligamenta cruciata etwas injicirt, am
Condylus intern, tibiae war der Knorpel röthlich und missfarbig. Im
Condylus internus femoris, näher an dem Epiphy senkern als an der Peri-
pherie^ fand sich eine kleine, mit Eiter geftlllte Höhle, die sich nach
unten gegen die Ligg. cruciata in der Fossa intercondyloidea fortsetzte;
der Knorpel in der Wandung der Höhle war röthlich, missfarbi^ und
uneben, der Boden der Eiterhöhle wurde nach unten zu aus Penchon-
drium und den Ligg. cruc. gebildet, nach oben bin führte ein feiner
Canal zum Epiphysenkem. In der Tibia fand sich eine stärkere Hype-
rämie des obem Theils der Diaphyse, die Epiphy senlinie zeigte aber
nichts Abnormes; der Rand des Verknöcherungsgürtel s war stark un-
eben, zackig, an der Mittellinie des Epiphy senkerns stärker hervorragend,
wo ein kleiner Theil im Verknöcherungs- und Verkalkungsgürtel sehr
dunkel, blutreich und morsoh war, darüber fand sich eine kleine, mit
Eiter gefüllte Höhle; der Epiphysenknorpel zeigte Blutpunkte, der Epi-
physenkem war durchaus weich, am meisten in der Mitte, stark roth ge-
färbt, mit unregelmässigen Contouren, ausgebuchtet nach dem Knie-
gelenk hin. Der Knorpel oberhalb des Epiphysenkernes gogen die Ge-
lenkfläche hin war röthlich grau; nur durch ziemlich dünnes Gewebe
302 Aoalecten.
von dem Gelenk getrennt, fand sich eine kleine, mit Eiter gefüllte
Hohle. Die Affection der Synovia nnd in der GtelenkliOlile war offenbar
secund&r nach der Affection des Knochens nnd dee Knorpels. Das
Leiden ist nach A.^s Meinans als Osteochondritis syphilitica aufirafaseen,
die durch Bildung von Sypnilomen in der Wachsthumssone der Epi-
phyaen entsteht Walter Berg er.
S. Baehltls.
De 1a nature du rctchitisme, Par le Dr. E. Chanmier-Tonrs. La m^-
decine infantile 1894. p. 843. Mittheilnng anf dem Congress zn
Rom 1894.
Gh., welcher mit vielen, besonders italienischen Collegen fiber Ver-
breitung und Auftreten der Rachitis correspondirt hat, triH kiAftig mit
der Ansicht hervor, dass dieselbe eine mikro-parasit&re Volkskrankheit
mit ausgesprochen epidemischem Charakter sei. Zur Zeit Glisson *s
schon habe sie einselnen Beobachtern als ansteckend imponirt, Thier-
epidemien echter Rachitis z. B. (unter Ferkeln im D^p. Indre-et-Loire,
pathologisch -anatomisch untersucht von Du bar) seien zweifellos. Es
spricht, sagt Gh., der cyklische und typische Ablauf, die verschiedene
H&ufigkeit in verschiedenen Jahrgängen, die Erblichkeit in den Fa-
milien, das Haften an Localitäten (?) fBr diesen Charakter der Krank-
heit; der starke Einfluss hygienischer Verhältnisse auf ihre Verbreitung
und Schwere spricht nicht dagegen; Verdauungsstörungen, üeberproduc-
tion an Milchsäure, mangelhafte Assimilation der Phosphate haben sich
als unzureichende GMnde und variable Momente erwiesen; die Den-
tition spielt Oberhaupt keine Rolle; die nervösen Symptome sind eine
Sache rar sich; und die EntzQndungstheorie von Kassowitz entwickelt
nur ein pathologisch-anatomisches Bild, dessen Ursache eben in Gestalt
eines Mikroben zu suchen ist, den man auch finden werde.
Es verkümmert den charakteristischen Eindruck des Krankheits-
bildes, dass von den unzähligen Fällen verhältnissmässig wenige und
diese meist nur in abgerissenen Epochen sich dem Arzte zeigen.
Sommer.
I
Bapporis entre le rachiHtme et Us aceidents convuUifs che$ les enfants.
Par le Dr. Com by- Paris. Mittheilung auf dem Congress zu Rom
1894. La mädecine infiEmtile 1894. p. 187.
Der Spasmus glottidis, dem C. hier seine Aufmerksamkeit zuwendet,
scheint in Frankreich seltener als z. B. in Deutschland. Die Dentition
spielt, sagt C, bei demselben gar keine Rolle, aber auch die Rachitis
nicht, auch nicht, wenn dieselbe entschiedene und schwere Craniotabes be-
dinge, nnd C. giebt hiefflr zahlreiche casuistische Belege. Der Spasmus
flott, ist, wie andere Convulsionen , ein Symptom der Dyspepsie und durch
ntointozication in Folge abnormer Vorgänge im Verdanungscanal be-
<^ü>gt, gefordert durch neuropathische Anlage. Mit der Skeietterkraa-
kung habe der Spasmus glottidis nur vielleicht dieses ätiologische Mo-
ment gemein, bilde aber nicht mit dieser zusammen einen specifischen
Symptomencomplez. Sommer.
Zur Frequenz der Rachitis in den versdiiedenefi Zeiten des Jahres. Von
Dr. Wallach. Mänchener med. W. 29. 1898.
Im Frankfurter Kinderhospitale kamen von 1880—1892 unter 15848
kranken Kindern 2219 Bachitiker vor, welche sich, nach Monaten ge-
ordnet, folgendermaassen vertheilten:
II. Chronische Infections- nnd AUgemeinkrankheiten. 303
Janaar Febrnar März April Mai Juni Jnli Angnst September
468 250 235 244 283 216 78 156 86
18,4% 15,3% 17,4% 17,9% 16,8% 14,7% 10,1% 11% 8%
October November December
99 78 76
8,9% 8,2% 9,6% aller Kranken.
Mit Ansschlnss des Januar, wegen üebertra^ng vieler alter Kranken
auf das neue Jahr, und des Juli, wegen vorzeitigen Schlusses des Am-
bulatoriums, blieben 12 550 Kranke mit 1673 Rachitikern, wovon 57,5%
aller Kranken auf die erste, 42«4% auf die zweite Hälfte fiillen, da-
gegen 70,4% der Racbitiker auf die erste und 29,5% auf die zweite
Hälfte (August bis December).
Durch Snmmirung der Fälle von Kassowitz, Fischl und Wallach
erhält man 72 716 Erkrankungen, von denen 52,7% auf die erste und
47,8% auf die zweite Hälfte fallen. Eisenschitz.
4. Blatkrankheiten.
Fall von Pwrpu/ra rheumatica. Von Clopatt. Finska läkaresällsk. handl.
XXXV. 12. S. 929. 1893.
Der 1 Jahr 7 Monate alte Knabe, der vorher gesund war, im Alter
von 4 Monaten den Keuchhusten bekommen hatte, zog sich am 7. Öct.
1892 durch Fall eine kleine Wunde über dem rechten Auge zu und er-
krankte am 8. October mit Frost, Fieber, Erbrechen und Durchfall. Am
9. Oct. Morgens bemerkten die Eltern auf dem Gesicht des Kindes und
am KOrper dunkle Flecke. Am Abend reagirte das Kind nicht auf
Anrufen, lag theilnahmlos da, warf sich herum und stöhnte mitunter;
die Haut, namentlich an den Extremitäten, weniger am Gesicht und
Bumpf, war mit zahlreichen Eccbymosen bedeckt, die sich am nächsten
Morgen vermehrt hatten und grösser geworden waren. Unter Anwendung
von Salzsäure innerlich wurde das Kind etwas ruhiger im Laufe des
Tages, Abends nahm aber die Unruhe wieder zu, Zuckungen in den Ex-
tremitäten stellten sich ein und der Kopf wurde stark hintenüber ge-
beugt. Die Temperatur betrug 89,2^ C, der Puls hatte 150 Schläge.
Nach Chloral hatte das Kind in der Nacht mehr Ruhe, auch Durchfall
und Erbrechen hörten auf. Am 11. Oct. war Abends die Temperatur
wie der Puls auf ziemlich gleicher Höhe wie am vorhergehenden Abend.
Am 12. Oct. war der Nacken noch fortwährend steif, die Flecke an den
Extremitäten erblassten, ohne dass neue erschienen, die rechte Hand
schwoll an, die Temperatur war noch immer 39,1 ^ Nach Anwendung
von salicylsaurem Natron besserte sich der Zustand, aber der Nacken
blieb steif, erst am 15. Oct. konnte der Kopf unbehindert nach vorn
und hinten bewegt werden, die Geschwulst an der Hand nahm ab, die
Temperatur war auf 88,5^ gesunken. Am 24. Oct. traten wieder Er-
brechen und Hitze im Körper auf und kehrten in der folgender Woche
mehrere Male wieder, dazwischen befand sich das Kind aber gut. Perioden
von Wohlbefinden wechselten mit Fieber und Erbrechen ab noch im
December; erst im Januar 1893 trat dauerhafte Genesung ein.
Walter Berger.
•
Zwei Fälle von Barlow* scher Krankheit. Von Dr. L. Cornitzer. Mfln-
chener med. W. 11 u 12. 1894.
1) Ein 9 Monate altes Mädchen, von gesunden Eltern abstammend,
aber selbst zart und schwächlich bei kunstlicher Ernährung. Seit
5 Wochen schreit das Kind viel, schwitzt stark am Kopfe, beide Beine
304 Analecten.
Bind angescb wollen und änsBent empfindlich. Diese Schwellung, so-
wohl den Ober* als Unteracbonkel betreffend, ist cylindrisch und be-
trifft vorzuf^weise die Diaphysen. Die Unterschenkel sind weich and
biegsam wie Wachs, die Beine werden immer ruhig gehalten. Der
Harn enthält Eiweiss, Blut und Cylinder.
Hochgradige Rachitis und Oedem im Gesicht, kein Fieber, keine
Lues.
Unter roborirender Behandlang besserte sich der Zustand, nament-
lich, als das Kind viel ins Freie gebracht werden konnte, und nach
einigen Wochen waren alle Krankheitserscheinungen geschwunden.
2) Ein 11 Monate alter Knabe, künstlich em&hrt, ist seit 6 Wochen
sehr unruhig, hat Schmerzen bei Bewegungen und Berflhmngen der
Beine, schwitzt stark am Kopfe, das Zahnfleisch über den bereits durch-
gebrochenen inneren unteren Schneidezähne ist geschwollen und bläu-
lich gef&rbt, ebenso über der Durcbbruchsstelle der mittleren oberen
Schneidezähne. Hochf^radige Rachitis. Die unteren Extremitäten werden
regungslos gehalten, sind stark geschwollen und zwar betrifft die Schwel-
lung sowohl den Knochen als die Weich theile, die Knochen sind weich
und biegsam. Keine Lues.
Audi dieser Fall heilte unter zweckmässiger Ernährung und Auf-
enthalt in frischer Luft nach ca. 5 Wochen. Auch in diesem Falle
war eine Nephritis nachweisbar, aber von viel grösserer Intensität als
im 1. Falle, dagegen konnte eine „scorbutische" Veriüaderung des Zahn-
fleisches nur im 8. Falle constatirt werden.
Die weiteren Auseinandersetzungen des Autors beziehen sich auf
die bisher in dtr Literatur auffindbaren gleichartigen Fälle. Nach dem
klinischen und pathologisch - anatomischen Befunde müsste man die
Krankheit „Osteopathia haemorrhagica infantum^* nennen.
Eisenschitz.
Ein Fall von pemiciöser Anämie. Von A. Baginsky. Berl. klin. W. 20
1894.
In der Sitzung der Berliner med. Gesellschaft vom 7. Februar d. J,
demonstrirte Baginsky die Präparate eines Falles yon pemiciöser
Anämie, Ton einem 8% Jahre alten Kinde herrührend.
Das Herz ist erweitert, dessen Muskulatur schlaff, stark yerfettet;
die Leber sehr ^oss und fettreich , ebenso die sehr anämischen Nieren
▼erfettet; die Milz gross, derb, der Darm dünn, blass (atrophisch?); das
Gehirn blass, das Knochenmark makroskopisch nicht verändert
Das Kind stammte aus gesunder Familie, von Lues ist nichts be-
kannt geworden, fieberte hochgradig und hatte eine Pneumonie, war
enorm blase und hatte nur 2 680 000 rothe Blutkörperchen im cmm
Blut und nur 17% Hämoglobingehalt ^Fl ei sohl). Das spec. Gewicht
des Blutes 1037, das VerhiUtniss der weissen zu den rothen Blutkörper-
chen 1 : 100.
Das mikroskopische Bild des Blutes: Poikilocyten mit ungleich
yertheiltem Hämoglobingehalt und stark veränderten Formen der
Körperchen, Megalobl asten, zahlreiche Zerfallsproducte von rothen Blut-
körperchen , spärliche multinucleäre Leukocyten, zahlreiche grosskemige
LeuKOCyten und kernhaltige rothe Blutkörperchen — keine eosinophilen
Zellen.
Das Kind soll schon 1 Jahr vor seiner Aufnahme Erscheinungen von
Hämophilie gehabt haben. Eisenschitz.
n. GhroDische InfectionS' nnd Allgemeinkrankheitex). 305'
Ein FaJl van paroxysmaler Hämoglobinurie hei einem achtjährigen , mit
congenitaler Syphilis behafteten Knaben, Von C. Flensburg. Nord,
med. ark. XXIII. Nr. 31. 1891.
Der Knabe, dessen Mutter 15 Monate vor der Gebort des Kindes
Syphilis erworben hatte, litt im Alter von 1 Jahr an Rachitis und sn
gleicher Zeit an Masern mit Nephritis; im Alter von 3 Jahren an Pneu-
monie, die recidivirte, seitdem an Anföllen von Hämoglobinurie, die
anfangs bei raschem Temperaturwechsel (Abkühlung) auftraten, bei all-
mählicher Abkühlung der Luft seltener, aber auch nach Aufenthalt im
kalten Zimmer auftraten; die Anfälle begannen mit Frost, bläulicher
Oesichtsfarbe, vermehrtem Durst und verliefen mit Fieber, Erbrechen,
Kopfschmerz; Harndrang. Der Harn war anfangs dunkelroth, wurde
aber dann immer heller. Urticaria war dabei nicht vorhanden. Manch-
mal enthielt bei den Anfällen der Harn kein Blut, sondern nur Eiweiss,
Albuminurie ging fast immer der Entleerung von sanguinolentem Harne
voraus und folgte ihm. Leber und Milz waren nach den Anfällen nicht
vergrössert, der Angengrund war normal, auch während der Anf&Ue;
auch Pupillencontraction war während derselben nicht vorhanden. Die
Zahl der rothen Blutkörperchen war manchmal gegen Ende der An-
fälle etwas vermindert. Der Knabe war anämisch, evidente Zeichen
von Syphilis waren nicht vorhanden. Im Cubikmillimeter Blut waren
3 200 000 rothe BlntkOrperchen vorhanden , sie zeigten weder während,
noch ausserhalb der Anfälle mikroskopische Veränderungen, die Unter-
suchung mit dem Hämatometer (von Fleisch 1) ergab 70% Hämoglobin.
Der Harn enthielt manchmal auch zwischen den Anfällen Eiweiss, er
enthielt keine Cylinder, die Acidität des Harns und die gewöhnlichen
Hambestandtheile zeigten sich quantitativ normal. Bei Untersuchung
des Blutes mit dem Hämatokriten fand sich in dem Serum auch wäh-
rend der Anfälle keine Spur von Hämoglobinfärbung. Wenn der Arm
des Kranken, mit einer elastischen Schlinge ligirt, in Schnee gebettet
wurde, zeigten sich, so lange die Schlinge am Arm blieb, keine Symp-
tome des Anfalls, nach Entfernung der Schlinge traten alsbald Frost
und Erblassen ein, Blutreaction und Temperatursteigerung aber erst
nach einer Stunde; bei einem Versuche wurde der Harn nicht san-
guinolent, sondern nur eiweisshaltig. Antisyphilitische Behandlung
(Inunction) hatte überraschenden Erfolg. Nach Beendigung der Cur
war die Zahl der rothen Blutkörperchen um 1 Million gestiegen, der
Hämoglobingehalt von 70 auf 105%, die abendlichenTemperatursteigerungen
hörten auf, die Anftllle konnten nicht mehr durch Abkühlung hervor-
femfen werden, der Kranke wurde temporär geheilt entlassen; einige
eit später traten wieder Anfälle auf, aber viel schwächer als ^üher.
Walter Berger.
Patient mit kolossaler Milzhypertrophie, Von Dr. H. Köster. Göteborg^s
läkaresällsk. förh. S. 18. -- Nord. med. ark. N. F. III. 6. Nr. 28.
S. 23. 1893.
Der 8 Jahre alte Knabe zeigte seit 4 Jahren eine Milzvergrösserung,
er hatte seit frühester Kindheit an fünf- bis sechsmal täglich wieder-
kehrenden Stuhlentleerungen gelitten; die Milz, die den Bauch sehr
bedeutend auftrieb, konnte bis 6 cm nach rechts vom Nabel palpirt
werden, ihre untere Grenze reichte bis 3 cm oberhalb der Spina ilei
anter. superior. Sie war glatt, unempfindlich, etwas teigig, bei der
Auscultation über ihr hörte man sausende Geräusche. Die Leber war
normal. Bei der Blutuntersuchung fanden sich 4 260 000 rothe Blut-
körperchen, die Zahl der weissen war normal, ausserdem fanden sich
zahlreiche Poikilocyten und Mikrocyten.
308 ADaleeieo.
Beugeconiraciur, in geringerem Grade Bengecontractar im linken Ell-
bogengelenk.
Viel später entwickelte sich eine Deformität im linken Schalter-
gelenke, es springen der Proc. coracoideus und das Acromion stark vor,
anter dem letzteren tastet man die leere Gelenksgrabe , während der
Oelenkskopf unterhalb and hinter dem Acromion steht.
Diese Lazatio retroglenoidalis sabacromialb ist durch die Maskel-
contractnr zn Stande gekommen, vorzugsweise des Pectoralis bei auf-
gehobenem Widerstände seitens des TricepB. Die Laxation ist vorüber-
gehend, darch Lagerung der Vorderarme auf den Rücken leicht repo-
nirbar. Eisenschits.
Ueb^r familiäre Formen van cerebralen Diplegien, Von Dr. S. Freud.
NeuroL Centralbl. 15. 1893.
Zwei Kinder eines Arztes, der seine Nichte geheirathet hatte, zeigen
die Erscheinungen der cerebralen Diplegie. Ein drittes Kind scheint an
derselben Affection gelitten zu haben. Hereditäre Belastung fehlt, die
Mutter scheint vor der Verheirathung etwas hysterisch gewesen zu sein.
Ans der Ehe stammten noch vier Kinder, von denen das erste eine
Frühgeburt im Alter von drei Monaten, das fünfte Kind im Alter von
zehn Monaten, das sechste, eine Frühgeburt, nach wenigen Stunden ge-
storben waren; nur das vierte Kind ist völlig normal.
Das ältere (zweite) Kind, 6^4 Jahre alt, normal geboren, erscheint
sofort krank, reagirte nicht auf JLicht, zeigte mit drei Monaten Njstag-
mus, lernte nie ohne Unterstützung gehen und stehen. Der Schädel
kaum abnorm, beim Fixiren alternirender Strabismus convergens, Atrophia
n. opt. utriusqne (Königstein). Die Arme werden gut gebraucht,
zeigen nur eine Spur von Spasmus und deatlichen Intentionstremor.
An den Beinen etwas Parese und massiger Grad von Starre, weniger
Starre am Nacken, Patellarreflex rechts gesteigert, beiderseits Fuss-
phänomen, deutlicher spastischer Gang ohne Spitzfussstellung und ohne
Üeberkreuzung.
Die Articulation ist gedehnt, lange Pausen zwischen den einzelnen
Silben und Worten, die Sprache monoton. Die Intelligenz normal.
Bei dem um 17 Monate jüngeren Bruder dieselben Störnngen ge-
ringeren Grades, nur entwickelte sich hier die Krankheit des bis dahin
normal erscheinenden Knaben erst gegen Ende des 8. Leben^ahres.
Trotz der Aehnlichkeit der Erscheinungen mit der Fried reich 'sehen
Krankheit werden als different hervorgehoben, das Fehlen der tabischen
Symptome und das Vorhandensein der Reflex Steigerung und Starre, da«
Fehlen der cerebellaren Schmerzen, die Progression der Erscheinung.
Von multipler Sclerose hebt sich das Krankheitsbild ab wegen det
congenitalen Ursprunges, wegen des Mangels an Nachschüben und von
Progression. .
Freud fasbX; die Fälle als familiäre Form der cerebralen Diplegie
(LitÜe'scbe Krankheit) auf und kommt auf die Begründung dieser Dia-
gnose in seiner Monographie: „Cerebrale Diplegie" zurück.
Eisenschits.
IHe Läsion der Ceniralorgane bei der Geburt als Ursache der Melaena
neoneUorum, Von F. v. Preuscher. Centralbl. für Gynäkologie 9.
1894.
Ein Fall von Melaena neonatorum- Von A. Schütze. Ibid.
1) Ueber die Ursachen der Melaena herrschen ganz verschiedene
Meinungen, keine ist befriedigend. Als Ursachen werden angenommen:
Hämorrhagische Diathese, Texturerkrankong der Gefässe, acute Fett-
III. Krankheiten des NerTensystems. 309
degeneration, Erblichkeit^ vorzeitige Unterbindung der Nabelschnur, Yer-
schlucken von corrodirendem Fruchtwasser, fötale Magenentzündung,
Embolie von Magen- oder Darmarterien etc.
Die Beobachtung eines Falles von Melaena, bei welchem sich eine
ausgedehnte Blutung auf der rechten Eleinbirnhemisphäre gefunden
hatte und die schon aus dem Jahre 1845 datirende Angabe von Schiff,
dass gewisse Hirnverletzungen Erweichung und Hämorrhagie der Magen-
schleimhaut bedingen, veranlassten Verf. in Gemeinschaft mit Dr. Po-
morski die Sache auf experimentellem Wege anzogreifen. Sie fanden,
dass bei einseitiger Läsion der Ala cinerea, der Crura cerebelli ad
pontem et ad corp. quadrigemina fast regelmässig Blutungen in der
Magenschleimhaut auftreten.
V. Pr. wiederholte dieselben Versuche, nachdem er bei einer zweiten
Section eines an Melaena gestorbenen Kindes wiederum eine inter-
cranielle Blutung und zwar auf der Grosshirnhemisphäre gefunden hatte.
Er machte nun eine grössere Zahl von Thierversuchen nach einer bes-
seren Methode. Er injicirte mit einer feinen Injectionsnadel in die zu
untersuchende Hirnpartie den Bruchtheil eines Tropfens einer gesät-
tigten Chromsäurelösung bei 4 — 6 Wochen alten Kaninchen.
Es gelang, Melaena durch Läsion der verschiedensten Hirnpartien
zu erzeugen, in vielen Fällen combinirt mit Lungeninfarcten.
Die Magenblutungen traten mitunter schon 2^/^ Standen nach Be-
ginn des Versuchs auf.
Die Hirnläsionen, welche Magenblutungen bedingten, sassen in den
vorderen Vierhügeln, im Ped. cerebri, Thalam. opt., im Ammonshom;
besonders starke Magenblutungen erzeugten Läsion im Boden des Vorder-
horns und im Stimlappen.
Eine ausführliche Pnblication folgt nach.
2) Dr. A. Schütze berichtet über eine am zweiten Lebenstage
tödtlich endende Melaena, bei welcher die Obduction keinen Defect an
der Darm wand nachwies; auch für die Annahme einer Sepsis, Syphilis
oder acuten Fettdegeneration lag kein Grund vor.
Es blieb allenfalls das ätiologische Moment der Hämophilie in dem
zum Theil mangelhaft entwickelten Individuum. Eisenschitz.
Der Symptamencomplex der sogen, sptut. Spinalparalyse als Theüerschei-
nung einer hereditär-syphilitischen Affection des CentrcUnervensystems.
Von Prof. J. Hoffmann (Heidelberg). Neurolog. Centralbl. 13.
1894.
Bei einem 14 Jahre alten Knaben, aus einer syphilitischen Familie
stammend und mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit
selbst hereditär-syphilitisch gewesen, hatte sich im 12. Lebensjahre lang-
sam Steifigkeit in den Beinen und reissende Schmerzen im Fussrücken
entwickelt.
1 % Jahr nach Beginn der Krankheit traten Sehstörungen auf, nach
2 Jahre dauernder Krankheit zeigt der Knabe den charakteristischen
spastischen Gang, ohne Ataxie und ohne Verlust motorischer Kraft, die
Pdtellarreflexe und der Fussclonns sehr lebhaft, die Sensibilität nicht
gestört; an den Armen gesteigerte Sehnenreflexe und geringe Steifigkeit.
Die linke Pupille etwas weiter als die rechte, beiderseits refiec-
torische Pupillenstarre, Mydriasis, keine Reaction bei Convergenz der
Bulbi, starke Accommodationsparese.
Die Intelligenz des Kindes ist herabgesetzt und abnehmend.
Es handelt sich in diesem Falle um die Folgen einer Entwickelungs-
hemmung gewisser Gebiete des Centrainer vensystems einerseits und um
310 Analecien.
später dazu gekommene active SürankheitsprocesBe aadreneitB, welche
letzteren auf die Wirkung hypothetischer Syphilistozine lorückgefährt
werden könnten.
Die activen Krankheitsprocesse müssen localisirt sein in der Gross-
hirnrinde, den Pyramidenbahnen in toto oder nur in den Seitensträngen,
analog wie bei der Dementia paralytica.
Der Fall hat eine gewibse Aehnlichkeit mit der Little'schen Krank-
heit, gehört aber nicht in diese Beihe, sondern wäre als ein Parallel-
fall SU den im Kindesalter selten vorkommenden Fällen von Tabes dor-
salis anxosehen. Eisenschiti.
£in Fall von diffuser Periencep?idlü%$ und disseminirter Hinisklerwe bH
einem zehn Jahre alten Knaben mit congenüaler Syphilis; Tod in
Folge von actUer gelber Leberairophie, Von Dr. D. £. Jacobson.
Hosp.-Tid. 4. K. 11. 17. 1894.
Pat., der in seinen ersten Lebensjahren gekränkelt hatte, wurde im
Alter von vier Jahren plötzlich von einem üimleiden mit Lähmung der
linken Extremitäten und des linken unteren Facialisgebietes befallen;
die linke Pupille war grösser als die rechte; unter Behandlung von Jod-
kalium verloren sich die Lähmungserscheinungen, aber die Pupilleo-
di£ferenz blieb. Der Knabe entwickelte sich normal, war lebh^ und
lernte gut. Vor einem Jahre erkrankte erst das linke und dann aucii
das rechte Auge und es entwickelte sich eine sehr bösartige diffuse
Keratitis auf beiden Augen. Dabei entstanden Drasengeschwfliste am
Halse und in den loguinalgegenden. Da hereditäre Syphilis ansnnehmen
war, wurde eine lounctionscur eingeleitet. Abgesehen von dem Augen-
leiden befand sich Pat. ganz wohl und war munter. Am 7. December
1893 trat Icterus auf, der zunahm. Die Leberdämpfung reichte in der
Papillarlinie 1 bis 2 Finger breit unter den Ripp^bogen. Quecksilber
und Jodkalium, das ausserdem innerlich gegeben worden war, warden
weggelassen. Am 18. December wurde Pat. verdriesslich , dann un-
rumg, warf sich hin und her, sprach und antwortete nicht, stiess aber
mitunter laute Klageschreie aus, schlug um sich, war verwirrt und
schien ausser Rapport mit der Aussenwelt. Das Oesicht war verfallen.
Haut und Schleimhäute waren stark icterisch, der Harn sauer, stark
icterisch, mit Spuren von Fiweiss. Die Körpertemperatur war herab-
gesetzt. Ohne Veränderung in dem Zustande starb der Knabe am
23. December Abends. Bei der Section fand sich diffuse Meningo-
encephalitis corticalis, disseminirte Hirnsklerose, chronische intersUtieUe
und acute parenchymatöse Hepatitis, fibröse Perihepatitis, Hyperplasie
der Milz, fibröse Perisplenitis, parenchymatöse Nephritis (diffuse Fett-
entartung). Die parenchymatösen Verändernngen in der Leber waren
von der Art, dass sie eine entschiedene Atrophie herbeigeführt haben
würden, wenn nicht eine chronische interstitielle Hepatitis vorhanden
gewesen wäre, die so bedeutend war, daas die Atrophie nicht aagen-
fällig werden konnte. Die Pathogenese des Leberleidens lässt sich swar
nicht mit positiver Gewissheit feststellen, J. hält es aber für wahr-
scheinlich, dass es auf einer Quecksilbervergiftung in Folge der Schmier-
cur (es waren 49 Finreibungen von je 8 g angewendet worden) beruhte.
Der Beginn des Himleidens ist schwer su bestimmen, J. ist aber ge-
neigt, anzunehmen, dass es durch die Himaffection im Alter von vier
Jahren eingeleitet wurde, die zweifellos syphilitischer Natur war.
Walter Berger.
III. Krankheiten des NervenBystems. 311
Äbseess im reMen Stirnlappen des Gehirns. Von v.Bonsdorff. Finska
läkaresällsk. handl. XXXVI. 4. S. 804. 1894.
Ein 12 Jahre alter Knabe hatte am 9. Mai 1893 durch einen Huf-
Bchlag an der rechten Seite der Stirn eine Fractur erlitten, am 17. Mai
bekam er plötzlich einen Krampfanfall, dem bald ein zweiter folgte,
der mit Verziehen des Mundes nach links begann; unmittelbar nach
dem Anfall stellte sich Erbrechen ein, der Kranke war bei Bewusst-
sein, aber somnolent. Störungen der Motilität und Sensibilität bestanden
nicht. Bei der Trepanation fand sich eine Impression, in deren Mitte
sich abgerissene Stücke der Dura mater und zerrissene Hirnmasse
zeigten. Nach Entfernung aller lockeren Splitter der Tabula interna
fand sich eine wallnussgrosse Eiterhöhle, die durch einen Kreuzschnitt
in der Dura mater zugänglich gemacht wurde, worauf ein mit Jodoform-
gaze umwickeltes Drainrohr eingeführt wurde. Das Kind beüand sich
im somnolenten Zustande, auf lautes Anrufen antwortete es einige Worte,
nahm, wenn es aufgefordert wurde, Nahrung zu sieb, verfiel aber so-
fort wieder in Schlaf. Krämpfe und Erbrechen waren nach der Ope-
ration nicht wiedergekehrt, auch Störungen der Motilität und Sensi-
bilität waren nicht vorhanden, Temperatur und Puls waren herabgesetzt.
Allmählich besserte sich der Zustand, die Wunde, deren Heilung durch
Gangrän der Händer verzögert war, wurde durch autoplas tische Ope-
ration nach König geschlossen und heilte dann per primam inten-
tionem; der Defect war gut gedeckt. In der Folge genas Fat. voll-
ständig ohne Störung der psychischen Functionen.
Walter Berger.
Zwr differentiellen Diagnostik zwischen den Tumoren des Kleinhirns und
der Vierhügeh Von Dr. L. Bruns. Neurolog. Centralbl. 1. 1894.
In der Sitzung vom 11. December 1893 der Berliner Gesellschaft
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten berichtete Bruns über fol-
gende zwei Fälle von Hirntumoren:
1) Ein ca. 2 J. alter Knabe, der im Alter von '/^ J. Masern überstanden
hatte, auf welche eine chronische linksseitige Ohreneiterung gefolgt war,
bekam eine linksseitige Ptosis, einen Monat später constatirte Bruns
eine beiderseitige, links stärkere Ptosis und eine beiderseitige, gleich-
falls links stärkere Lähmung der Interni; 7i ^^^ später bestand eine
doppelseitige Lähmung aller vom Oculomotorius versorgten äusseren und
inneren Augenmuskeln, statische Ataxie (breitbeiniges Stehen), Inten-
tionszittern der oberen Extremitäten, scandirende Sprache, Schmerz-
gefühl vorhanden, Reflexe ziemlich lebhaft. Man diagnosticirte jetzt
an dem scrofulOsen Individuum einen Tumor imVierhügel.
Einen Monat später Stauungspapille , Erbrechen , niemals Kopf-
schmerzen, häufig auftretende und nach Stunden wieder verschwindende
rothe Flecke an der Stirn und den Extremitäten, Temperaturerhöhungen
und Cyanose.
Bei der Obduction fand sich eine Geschwulst in den Vierhügel-
ganglien und in der Kemregion des Oculomotorius, parallel betroifen
waren die Schleife und der rothe Haubenkern. Der Hirnschenkelfuss
war frei. Die Diagnose rechtfertigte die Annahme von Nothnagel:
Ein Tumor, der eine der cerebellaren Ataxie gleichendem Bewegungs-
störung und beiderseitiger Augenmuskellähmung, aber nicht Lähmung
aller Augenmuskeln bewirkt, sitzt im Vierhügel.
2) Der zweite Fall widerlegt aber diese Annahme. Ein 11 Jahre
alter Knabe erkrankt an Kopfschmerzen, Erbrechen und wird atactisch.
Nach einem Falle, drei Monate später, wird er vollständig comatös und
hatte Cheyne-Stoke'sches Athmen.
312 Analecien.
Im weiteren Yerlanf, nach Schwinden dei Coma: Beiderseitige
Abducensl&hmunff, beiderseitige, rechts stärkere Ptose, Ataxie sehr stark«
Patellarreflexe soiwach, endlich werden am rechten Auge alle Augen-
muskeln gelähmt, es tritt Nackenstarre auf. Diagnose: Kleinhirntumor,
durch die Autopsie bestätigt.
Bruns meint, dass bei der Combination von AugeomuskellähmuDg
und Ataxie die Wahrscheinlichkeit für Vierhügelläsion spricht, wenn
die erstere, für Kleinhimläsion, wenn die letztere zuerst auftritt.
Die Ataxie bei Vierhügelläsion kann auch durch Druck auf die
Kleinhimstiele und das Kleinhirn oder auf die MeduUa ersengt werden.
HerTorzuheben ist an dem zweiten Falle noch das Fehlen des Pa-
tellarreflexes bei Kleinhirnläsion. Eisenschi tz.
De la forme infantile de la paralysie generale, Par le Dr. Moussons,
Prof. de Bordeaux. La m^ecine infantile 1894. p. 449.
M. beobachtete zwei Fälle von chronischer Meningo - Encephalitis,
die histologisch ganz das Bild der allgemeinen Paralyse des Erwach-
senen ergaben. Das eine Kind war hereditär luetisch, das andere war
durch die Lippen ioficirt worden. M. spricht für Aufstellung einer
„kindlichen Form der allgemeinen Paralyse". Sommer.
A case of sporadic congenital cretinism. By Ch. Townsend. Arch. of
pediatrics Nov. 1892.
Der Fall scheint nach der Beschreibung Ton T. ein echter Cretin
zu sein. Der Vater ist in Guttenberg in Schweden, die Mutter in Chri-
stiania in Norwegen geboren, beide gesund, hereditär nur mütterlicher-
seits phthisisch belastet.
Das Kind ist jetzt 20 Monate alt, war Zangengeburt, schwächlich,
18 Monate Brustkind. Nie krauk, kann nicht sitzen, nicht den Kopf
gerade halten, sich nicht irgendwie behelfen« Fast täglich giebt ea
Perioden bis zu Stundendauer, während welcher das Kind wie regungs-
los, wie todt daliegt. Das Kind ist nicht grösser wie ein zehnmonat-
licbes, wie Vergleichsmaasse , die T. anführt, zeigen. Augen klein,
schmal, Gesichtshaut verdickt, ödematös (wohl Myxödem, Ref.). Ein-
gedrückte, breite Sattelnase, dicke, aus der Mundhöhle protrudirte Zange,
halb offener Mund, stets fast leichte Salivation. Reiche Fettansamm-
lung am kurzen, dicken Halse, keine Schilddrüsenvergrösserung, keine
sonstigen Drüsen vergrösserungen. Kurze, dicke, leicht rachitisch ver-
änderte Extremitäten. Haut hat gelbliches Colorit, sehr niedrige Tem-
peratur, sehr langsamer Puls, äusserst träge Lebensfunctionen.
Nach Bury soll gerade dieses psychische Verhalten zum Unter-
schiede von Idiotie für Cretins charakteristisch sein; wir halten die be-
schriebene somatische Beschaffenheit des Kindes in der That für der-
artig, dass man an Cretinismus denken muss. Sie stimmt fast in Allem
mit dem neuestens durch v. Wagner gezeichneten Bilde dieses Zu-
standes überein. Loos.
Möglichkeit der Annahme einer Infeetion bei Chorea. Von Dr. H. Tri-
boulet, ehemal. Assistenzarzt. Revue mensuelle des maladies de
Tenfance, Maiheft 1898.
Nachdem Verf. die verschiedenen Anschauungen, welche hinsicht-
lich der Aetiologie der Chorea herrschen, besprochen und über zwei
Serien einschlägiger Infections- und Culturversuche berichtet, kommt
er zum Schlüsse, dass die Chorea nicht einem bestimmt definir-
baren Mikroorganismus zuzuschreiben sei, sondern durch verschie-
III. Krankheiten des NeryenBjBtems. 313
dene infectiöse Agentien yernrsacht sein kann. Die Infection führt
aber nur bei Disponirten su dieser sonderbaren StOrang des Nerven-
systems, so dass man sagen kann: „es hat nicht Jeder Veitstanz «"^der
Wim Albrecht
Unsere Behandlungsmethode der Chorea. Casuistisches aas der Wasser-
heilanstalt des Prof. W. Winternitz in Kaltenlentgehen. Von
Dr. A. Pick und Dr. Kraus. Bl&tter f. klin. Hydrotherapie Nr. 4.
1898.
1) Ein 10 Jahre altes Mädchen, aus nerröser Familie stammend,
hat seit 10 Tagen choreatische Bewegungen, die nach einem heftigen
Schreck entstanden, anfänglich auf das Gesicht beschränkt blieben,
alsbald aber den ganzen Körper ergriffen und zu einer solchen Muskel-
anarchie fahrten, dass weder Stehen noch Gehen, noch Essen, noch
auch irgend eine geordnete Verrichtung mOglich war und das Kind im
Bett durch Kissen und Matratzen vor Verletzungen geschfitzt werden
musste. Im Schlafe, der indesa kaum einige Stunden andauerte, hörten
die choreatischen Bewegungen auf. Die Behandlung bestand darin, dass
Pat. auf ihrem Lager sanft fizirt und über Gesicht, Kopf, vordere
Körperhälfte und Extremitäten lange leichte Streichungen (Effieurage)
langsam, aber continuirlich (etwa ^ Stunde) ausgeführt wurden. Die
Manipulation wurde täglich zweimal wiederholt und der Erfolg war
regelmässige Beruhigung auf kürzere oder längere Zeit. Nach einigen
Tagen wurden zu diesen passiven Streichungen passive Bewegungen
der einzelnen Fingergelenke, Finger, Handwurzeln, Zehen und Fuss-
wurzeln, später der Ellenbogen- und Kniegelenke, und ganz allmählich
auch der Schulter- und Kniegelenke hinzugefügt; endlich wurden active
Widerstandsbewegungen in der gleichen Reihenfolge und mit allmäh-
lich steiffpnder Dosirung eingeleitet und von hydriatischen Procednren,
die in nlüblung der Wirbelsäule mittelst Kautschnckschlauches mit
durchfliessendem Wasser 1—2 Stunden lang 1—2 mal täglich bestanden,
unterstützt. Nach acht Tagen nahm die Intensität der Bewegungen
ab, Gehen, Stehen, Essen wurden möglich. Nunmehr wurden tonisirende
Halbbäder von 20—18° und 2 — 3 Minuten Dauer und alsbald vor diesen
^ stündige feuchte Einpacknngen angewendet, Pat. gut genährt und in
nicht ganz sechs Wochen war Pat. von der Chorea vollkommen ge-
heilt.
2) In einem zweiten Falle, ein 8 Jahre altes Mädchen betreffend,
bei dem gleichzeitig Insufficienz der Mitralis bestand, wurde unter der-
selben Behandlungsmethode (Gymnastik und Rückenkühlung) und in an-
nähernd der gleichen Zeit die Chorea völlig geheilt. Unger.
Infantiie Neurosen. Von Paul Winge. Norsk Mag. f. lÄgevidensk.
S. 1225. 1892. — Nord. med. ark. N. F. III. 4. Nr. 22. S. 84.
1893.
Von vier Fällen, die W. mittheilt, war in drei reine Hysterie vor-
handen, im vierten war die Diagnose zweifelhaft, da Symptome vorhanden
waren, die auf ein organisches Hirnleiden hindeuten konnten. In den
drei ersten Fällen war die Erkrankung zurückzuführen auf schwächende
Momente, Influenza, Rheumatismus, langjährige Durchfälle mit nach-
folgender Anämie, im vierten bestand starke nervöse Belastung. Der
srste Fall war der am meisten typische, es bestand ausgeprägtes hyste-
risches Temperament mit Nahrungsverweigerung, KrampfantUUen von ver-
echiedener Art und Dauer, hysterische Zonen, Mutismus, Taubheit und
Herabsetzung des Sehvermögens auf dem linken Auge, Parese der ünter-
extremitäten; Anästhesie konnte nicht nachgewiesen werden. Im zweiten
Jahrbuch f. Kindorhoilktinde. N. F. XXXIX. 21
314 Analecten.
Falle bestanden auch KrampfanfiLlle, hysterische Zonen nnd Paresen,
aber kein hysterisches Temperament, Iceine sensorieUen Symptome, keine
Anästhesie. Im dritten Falle bestanden hysterisches Temperament,
Nahrnngsver Weigerung, Erampfanf&lle, vollständige Anästhesie, Matis-
mus und Qesichtshallucinationen , Katalepsie und Parese der Unter-
extremitäten. Im vierten Falle waren die trophischen Störungen und
die paralytischen Symptome mehr vortretend als in den anderen. Die
Behandlung bestand in Entfernung aus den heimischen Umgebungen,
Anwendung der Suggestion im wachen Zustande und Roborantien. Ge-
legentlich wurden Chloral und prolongirte laue Bäder angewendet, in
einem Falle ein Zeit lang Elektricität. Walter Berg er.
Zwei FälU von Hysterie bei Kindern. Von Edv. Bull. Norsk. Mag.
i. Lägevidensk. S. 1261. 1892. ^ Nord. med. ark. N. F. DI. 4.
Nr. 22. S. 34. 1893.
Die beiden Kinder waren Geschwister, ein Mädchen von 11 Jahren
und ein Knabe von 10 Jahren, letzterer war deutlich von seiner Schwester
angesteckt; es bestand insofern erbliche Belastung, als der Vater
31 Jahre älter als die Mutter war und diese an Neurasthenie litt.
Bei dem Mädchen war die Hysterie nach einer Angina mit Durchiall
und Magenschmerzen aufgetreten und zeigte sich besonders in Chorea-
ähnlichen Bewegungen mit einer Art periodischem SomnambuHsmus,
während dessen sie mit geschlossenen Augen durch Gemächer ging,
ohne sich zu stossen, ab und zu traten eklamptische Anfälle, perio-
dische kataleptische Zustände, bis zu drei Tage dauernd, und psychische
Alteration auf. Bei dem Knaben brach die Hysterie ungefähr 1% Wochen
danach aus, als die Schwester ihre Anfälle bekommen hatte, sie
äusserte sich bei ihm besonders durch häufige und heftige Krampf-
anfälle mit benommenem Sensorium bei und nach denselben. Die Be-
handlung bestand darin, dass die Kinder von einander getrennt wurden,
in lauen Bädern mit kalten Uebergiessungen und Suggestion im wachen
Zustande. Die Symptome besserten sich, aber die nervösen Anfälle be-
hielten Neigung zu recidiviren bei Grelegenheitsursachen.
Walter Berger.
FdU van infatUHer Hysterie mit LoealisaHon in der Urinsphäre, Von
L. Schibbye. Norsk Mag. f. Lägevidensk. S. 1266. 1892. —
Nord. med. ark. N. F. III. 4. Nr. 22. S. 35. 1893.
Ein 9 Jahre altes Mädchen begann, wahrscheinlich nach Influenza,
an Zeichen einer eigenthflm liehen nervösen Erschwerung bei der Harn-
entleerung zu leiden. Zu bestimmten Zeiten (dreimal täglich) wurde
sie unruhig, stand bald auf dem einen, bald auf dem andern Beine und
jammerte sehr; wenn sie auf dem Nachtstuhle sass, drehte sie den
Oberkörper nach allen Seiten, danach trat Congestion im Gesicht auf,
die Augen wurden glänzend und schliesslich ging unter anhaltendem
Schreien der Harn ab, wonach sie sich vollkommen schmerzfrei erhob.
Seh. fasst diese Erscheinungen als hysterisch auf, vielleicht combinirt
mit Masturbation oder als eine Folge derselben. Dass die Erschei-
nungen noter wesentlich suggestiver Therapie zurückgingen und eine
Zeit lang fast vollständig ausblieben, spricht ebenfalls dafür, dass die
Affection rein nervös war. Die Untersuchung des Harns und der Blase
ergab nichts Abnormes. Walter Berger.
m. Krankheiten des Neirensystems. 315
Contribution ä Yäude de Vathetose double. Par le Dr. Bdzy, Touloase.
La m^decine infantile 1894. p. 194.
• Die Mittheilung betrifft einen zehnjährigen Knaben, der, frei von
hereditärer Belastung, seit seiner im 18. Monat stattgefundenen Ent-
wöhnung bei fast normaler Intelligenz und kaum auffallenden Degene-
rationszeichen am Skelett, langsam gesteigerte Bewegungsstörungen,
Contractnr der unteren Extremitäten, Aufhebung des Patellarreflexes
zeigt. Die Athetose manifestirt sich, wenn der Knabe einige Schritte
gemacht hat und nun welter will unter Congestion gegen das Gesicht,
und verschwindet in der Ruhelage wieder.
Es wird an der Hand reichlicher Literatur Pathogenese und Ciassi-
ficirung dieses Symptomencomplexes discutirt. Sommer.
Caracteres des urines dam Ja Utanxe infantile. Par lea DDr. Oddo
et Sarles, Marseille. La mädecine infantile 1894. p 483.
Bei normaler Nierensecretion war der Urin des 18 Monate alten
Kindes bis zur Bildung von allgemeinem Oedem durch Sphinkterkrampf
zurückgehalten. Für die Annahme eines urämischen Zustandes sprach
nichts. Der Spasmus vesicae war das erste Symptom der Tetanie ge-
wesen. Bei völliger Abwesenheit von Eiweiss enthielt der Harn jedoch
beträchtliche Mengen von Indican, und es legt sich die Frage nahe, ob
die Verdauungsstörung, der man dieses Symptom verdankt, nicht auch
die Tetanie durch Production von Giften im Sinne Ewald*s hervor-
gerufen hat. ^
Auffallend ist die Menge der Phosphors&ure , die das 18 monatliche
Kind ausschied: 3 g pro 1, und zwar zeigte das Verhältniss der Alkali*
zu den Erdphosphaten jene Umkehrung zu Gunsten der Erdphosphate,
welche von einer Reihe von Autoren bei verschiedenen nervösen Er-
krankungen beobachtet worden ist. Sommer.
Paralysie spinale aigue swreenue chez un enfant tubercuJetuc atteint de
troMes digestifs chroniques ä la suiie d'une vnricelle et d'une otite
tnoyenne. Von Mafran. Progräs m^dical 1893 Nr. 11 p. 200.
Es handelt sich um ein 9 monatliches Ziehkind in schlechten hy-
gienischen Verhältnissen mit Tuberculose und öfteren Durcheilen. Das
Kind erkrankte an Varicellen, die keinen normalen Verlauf hatten.
Einen Monat später zeigte sich eine vollständige Lähmung des linken
Armes, als Ausdruck einer Poliomyelitis anterior acuta, die unter hohem
Fieber zur L&hmung geführt hatte. Am folgenden Tag wurde die Ohr-
eiterung entdeckt und einen Tag später erfolgte 'der Durchbruch des
ersten Zahnes. Es sind somit aUe Ursachen für die acute spinale Läh-
mung gegeben. Doch scheint auch einer Infection die Poliomyelitis zu-
geschrieben werden zu können. Aber diese Infection ist nicht speoi-
nscher Art, vielleicht kann man die Localisation der Mikroben oder der
durch sie gebildeten Toxine in der grauen Substanz der Vorderhömer
auf Vererbung der neuropathischen Constitution schieben.
Fritzsche.
Experimentelle Beiträge zur Lehre vom Bronchospasmus bei Neugebore-
nen. Von Dr. Emil Berg grün. Centralblatt für Physiologie vom
8. Juni 1893 Heft 6.
Die Versuche, über die Verf. in seiner kleinen Abhandlung be-
richtet, bestanden darin, dass er bei ganz schwach curarisirten jungen
Hunden den Vagus peripher reizte: es wurden die Atbmungsexcursionen
kleiner und die Lunge grösser; ersteres sieht Verf. für den directen
21*
316 Analecten.
Ansdrock der durch den Spasmas herTorgerafenen Luagenbläliiiiig an.
Diese Beoliachtang wird auf den Menschen übertragen und die Meinong
ausgesprochen, dass der Bronchospasmus bei Kindern nicht so sehr
selten und dass vielleicht mancher Laryngospasmus in Wirklichkeit ein
Bronchospasmus sei. Carstens.
Beobachtungen über Laryngospasmus. Von 6. G. Stage. Bibl. f. L&ger
7. E. IV. 8. 268. - Nord. med. ark. N. F. III. 6. Nr. 28. S. 22. 1898.
St. hat 88 F&lle von Laryngospasmus selbst beobachtet und theilt die
daraus gewonnenen Erfahrungen mit Der Ausgangspunkt des Leidens,
bei dem Erblichkeit einen gössen Einflnss ausübt, ist im Darmcanal
zu suchen, die Krankheit, die im eigentlichen Sinne eine Kinderkrank-
heit ist, hängt von mehr oder weniger eingreifenden Verdauungs-
stürungen ab und kann deshalb rasch beseitigt werden, wenn diese ge-
heilt worden. Die Krankheit steht nach St. dadurch sugleich in naher
Beeiehun^ cur Rachitis, die ganz von denselben Ursachen abhängt.
Eine Beziehung zu dem Zahndarchbruch lässt sich dagegen nicht nach-
weisen. St. schreibt dem Laryngospasmus eine nicht geringe Bedeutung
als directe Todesursache in manchen Fällen zu, hebt aber auf der an-
deren Seite die raschen und guten Resultate hervor^ die man mit einer
rationellen Behandlung erzielen kann, die so gut wie ausschliesslich in
zweckmässiger Regelung der Diät besteht und nur zum geringsten Theil
medicamentOs zu sein braucht. Walter Berg er.
üeber ein Symptom, das häufig die Enuresis noct. der Kinder begleitet.
Von Dr. S. Freud. Gentralbl. f. Neurologie 21. 1898.
Etwa die Hälfte aller mit Enuresis nocturna behafteten Kinder
zeigt eine Hypertonie der unteren Extremitäten ohne sonstige Functions-
Störung.
Bei dem Versuche, die bei den Füssen gefassten Beine zu abduciren,
erfährt man anfangs einen starken, allmählich abnehmenden Widerstand,
der an das Verhalten der Kinder mit fälschlich sog. spastischer Spinal-
paralyse erinnert (Contractnr der Adductoren).
Die auseinander gehaltenen Beine schnellen, wenn sie losgelassen
werden, rasch zusammen. Auch am Qnadriceps cruris lässt sich die-
selbe Hypertonie nachweisen, wenn man rasch den Unterschenkel gegen
den Oberschenkel beugt.
' Die in Rede stehende Spannung der Muskeln ist, wie man sich
überzeugen kann, keine willkürliche, etwa eine Folge von Angst oder
Scham haflijB^keit, es bandelt sich bei näherer Beobachtung auch sicher
nicht um Rudimente der spast. Spinalparalyse.
Es sollen erst weitere Beobachtungen lehren, ob diese Hypertonie
nur bestimmten Formen der Enuresis zukommt. Es ist auch der
Nachweis nicht gelungen und es ist nicht einmal wahrscheinlich ge-
worden, dass die Hypertonie regelmässig mit jenen Charakteren zu-
saramenföllt, welche die Auffassung der Enuresis nocturna als Aequivalent
eines epileptischen Anfalles begründen. Diese Charaktere wären: Auf-
treten aer Enurese bei schon vorher rein gewesenen Kindern und zwar
nicht jede Nacht, dann aber mehrmals in einer Nacht oder nach Pausen
von einigen Wochen, und endlich der günstige Einfluss der Brom-
behandlung.
Intensität der Hypertonie und der Enuresis nocturna sind durchaus
nicht proportional, die erstere überdauert auch wohl die letztere.
Die Aufklärung dieser Hypertonie fehlt vorerst noch, vielleicht ist
sie eine Theilerscheinung spinaler Ueberinnervation, die andrerseits auch
den Detrusor vesicae betrifft. Eisenschitz.
III. Eraukheiten des Nervensystems. 317
üeher den btdbären SymptamencompUx im KindesaUer. Von N. Filatow
(Professor). Medicinskoje Obosrenje Nr. 1. 1894.
Verf. giebt zon&chst eine Uebersicht über die Terschiedenen For-
men der Baibär- Paralyse, die im Eindesalter beobachtet werden, und
beschreibt einen Fall, der in seiner Elinik ear Beobachtung gelangte.
Ein Enabe mit klarem Sensorium und normaler Intelligenz zeigte fol-
genden Symptomencomplez : leichter Nystagmus, Parese im Gebiete des
oberen Facialis, Paralyse im Gebiete aes unteren und mittleren Astes,
Bewegung der Lippen behindert, Lippenbuchstaben können nicht aus-
gesprochen werden, feste Speisen müssen mit der Hand in den Mund
geschoben werden, Eaumuskelm functioniren normal, dagegen kann der
[nahe den Unterkiefer weder seitlich, noch nach yome bewegen.
Zunge vollkommen unbeweglich, doch nicht atrophisch, Anarthrie; das
Velum unbeweglich, Schlucken ungestört. Die elektrische Erregbar-
keit im Gebiete des Facialis, des Hypoglossus und der motorischen
Trigeminuszweige ist normal. Die oberen und unteren Extremitilten sind
im spastischen Zustande, Intentionszittern vorhanden: L&hmungen werden
nicht beobachtet. Auf Jodkalium trat erhebliche Besserung ein; die
Sprache wurde deutlicher, die Zunge konnte wieder bewegt werden,
wenn auch nicht so ausgiebig, wie normal. Verfasser schliesst bei
Stellung der Diagnose Neuritis und chronische Basilarmeningitis aus,
Der Nystagmus und der Spasmus der Extremitäten lassen sich nicht
durch die Annahme einer einfachen Läsion des verlängerten Marks er-
klären; Verf. ist genei^, eine disseminirte Solerose anzunehmen. Die
Aetiologie des Falles ist ziemlich dunkel. Da in der Anamnese Hin-
weise auf hereditäre Lues vorhanden sind, da ferner bei dem Patienten
eine sehr grosse Milz zu constatiren war, so glaubt F., dass möglicher-
weise die hereditäre Syphilis beschuldifft werden könne, dafür spreche
auch die günstige Wirkung des Jodkaliums. Abelmann.
Vorstellung eines Knaben mit spinaler Kinderlähmung der unteren Ex-
tremitäten und des Rumpfes^ welcher sich mit Hilfe der Hände fort-
bewegt. Von Joachimsthal. Berliner kl. W. 48. 1893.
Prof. Gluck hatte einen Enaben vorgestellt, der trotz completer
Lähmung der unteren Extremitäten, sich auf die Hände stützend, nach
Art eines Quadrupedanten sich rasch fortbewegte. Der Enabe benutzte die
kräftige Bückenmusculatur dazu, das Becken und die unteren Extremi-
täten vom Boden zu heben. Ein ähnlicher Fall wurde von Dr. Wiliard
(Philadelphia) demonstrirt.
Als Analogen demonstrirt Joachimsthal in der Sitzung der Berl.
med. Ges. vom 8. Nov. 1898 einen 6 jährigen Enaben, der seit 6y^ Jahren
an completer spinaler Paraplegie nnd Lähmung des Rumpfes leidet und
Beugecontracturen im rechten Enie und in beiden Hüftgelenken hat.
Dieser Enabe bewegt sich behende ausschliesslich unter Benützung
der kräftigen Arm- und Schultermusculatur, indem er bei etwas nach
vorn geneigter Wirbelsäule beide Oberschenkel stark flectirt und ad-
ducirt, das linke Enie unter und hinter das rechte Enie stemmt und
dann mit beiden Händen die Füsse umgreift und abwechselnd nach vorne
hebt, also gleichsam die eigenen Beine als Stelzen benützt, was durch
dos beiderseitige Genu valgum erleichtert wird.- Eisenschitz.
Ueber Poliomyelitis, Von Dr. G. Goldscheide r. Zeitschrift für klin.
Med. 23. B. 6. u. 6. Heft.
Nach einer historischen Uebersicht, die von der Publication Heine 's
1840 bis in die neueste Zeit reicht, berichtet Dr. G. über eine eigene
Beobachtung.
318 Analeoten.
Dieselbe betrifft ein 2y, Jahre altes M&dcben, welches 12 Tage
vor der Aufiiahme unter Fiebererseheinmigeii parapleg^sch worde and
am 18. Krankheitstage einer diffusen Bronchitis und Bronchopneamonie
erlag.
Das Rückenmark zeigte, firisch nntersacht, anf einem durch das
Lendenmark gelegten Querschnitte eine diffuse tiefrothe E^bung in der
Region der Yorderhömer, die Substanz quillt stark vor.
Im Abstrichpr¶te in derselben QnerschnitthOhe zeigen sich
"runde granulirte Qebilde, einzelne Eömchenzellen, zahlreiche Rundzellen
mit grossem Kern und platte, epithelförmige Zellen mit grossem Kerne,
femer Gomplexe yon stark ausgedehnten Gapillaren, umhflllt und be-
deckt Ton Bundzellen, und eigenthümliche gl&nzende grosse Gebilde
(Gangliensellen), gequollene NerTenfasem oder Wurzelfasem (Deiters-
sche Azencylinderfortsätze) — keine Mikroorganismen.
Die aus der Lendenanschwellung austretenden vorderen Wurzeln
sind leicht zerreisslich ; mit Osmium behandelt, sind die Fasern vielfach
in Zerfall begriffen.
Am gehärteten Lendentheile: Die Gefässe der Pia mater sind im
ganzen Umfange des Rfickenmarkes , besonders aber vom, stark gefüllt,
das Pr¶t etwas reicher an einkernigen Rundzellen.
Die Oef&sse im Sulcus longit. ant. sind besonders stark gefSUt, in
ihrer Wand und in ihrer Umgebung zahlreiche einkernige Rundzellen,
insbesondere Venen und Gapillaren.
Der Hauptherd der Geiassver&nderung ist das Vorderhom, weniger
der Vorderseitenstrang und noch seltener der Rfickenstrang.
Die VorderhOmer selbst sind allenthalben mit Rundzellen besät und
erstrecken sich durch das ffanze Gewebe.
Die Ganglienzellen sind an Zahl vermindert und vielfach verftndert,
zum Theil vergrOssert, blase gefärbt (in beginnender Auflösung begriffen)
oder verkleinert, geschrampft, die Kerne h&ufig geschwunden, die Fort-
sätze entweder ganz fehlend oder es blieb nur ein varicOs veAnderter
Azencylinderfortoatz.
Die feinen Nervenfasern der vorderen grauen Substanz sind spär-
lich, zum grossen Theile untergegangen.
Die Veränderungen in den übrigen Theilen des Rückenmarkei
gleichartig, aber von geringerer Intensität (med. obl., Nerven und Mus-
keln konnten nicht untersucht werden).
Es zeigen sich im Ganzen die Charaktere einer echten Entzfindung,
primär ausgehend von einem Reizzustand in den Geßissrändem, die
Veränderungen der Ganglienzellen und der feinen Nervenfuem und se-
cundärer Natur.
Nimmt man ältere Processe zur Untersuchung, so ist bei ihnen der
vasculäre Charakter nicht mehr in die Äugten springend, aber doch ist
noch immer die Grappirung der degenerativen Veränderang um ver-
änderte Gefässe Überall nachzuweisen.
Dr. H. geht nunmehr auf die acute und subacute Poliomyelitis der
Erwachsenen über und kommt zu dem Schlüsse, dass beim Erwach-
senen ausser der vasculären acuten Erkrankung des Vorder*
hornes noch eine von den Ganglienzellen ausgehende mehr
oder weniger chronische vorkommt.
Ebenso gpebt es disseminirte Formen von Myelitis und Scle-
rose, die pnmär vom Gefässsysteme ausgehen.
G. will überhaupt nachweisen, dass die von den Gefässen ausgehenden
Entzündungsformen vielfacher Art sind und sich in verschiedenartiger
Ausbreitung und Localisation, sowohl diffus wie herdförmig, im Rfleken-
marke und im Gehirne, in der grauen und in der weissen Substanz vor-
finden.
in. Krankheiten des Nervensystems. 319
Die Wände der Blat- and LymphgefUsse spielen dabei eine wesent-
liche Rolle, nnd gelangen vom filate ans reizende Stoffe in die Gewebe
nnd regen Zellenproliferation an.
Ein besonderer Localisationstypns ist in der Poliomyelitis gegeben,
indem hier das Gebiet des Tractas arteriös, ant. und namentlich das
der Centralarterien betroffen ist
Dr. G. verweist dabei neuerdings auf die mit dieser Anschauung
stimmende Behauptung von der infectiOsen Natur der Krankheit.
Im Anhange zur Arbeit findet sich ein eingehender biologischer
Bericht über die Schnittserien -Untersuchung des mitgetheilten Falles
von spinaler Kinderlähmung, betreffs dessen wir auf das Original ver-
weisen. Eisenschitz.
Die paihologische Anatomie der spinalen Kinderlähmtmg, Von Prof. Dr.
Siemerling. Archiv f. Psychiatrie 26. B. 1. H.
Prof. Siemerling hatte neuerdings Gelegenheit, einen Fall von
spinaler Kinderlähmung zu untersuchen, der am 8. Tage der Krankheit
einer Bronchopneumonie erlegen war. Die acht Tage vor dem Tode
plötzlich eingetretene Lähmung hatte alle 4 Extremitäten befallen, nur
das linke Bein und die rechten Zehen zeigten eine Spur von Beweg-
lichkeit. Die Diagnose an der Leiche lautete: Poliomyelitis acuta an-
terior cervicalis et Inmbalis. Bronchopneumonia multipla.
Etwa 6 cm vom oberen Ende des Bückenmarkes beginnt in beiden
VorderhOmem eine RGthung, die weiter abwärts etwas stärker ward,
etwa 2 cm Ausdehnung hat. Etwa 18 cm tiefer findet sich ein zweiter
Herd von 6 cm Länge mit gleichfalls hämorrhagischer Infiltration bei-
der Vorderhömer.
Die mikroskopische Untersuchung ergiebt bei schwacher Vergrösse-
rung, und zwar nicht blos in der grauen Substanz, eine deutliche
schwarze Punktirung, am stärksten im Centrum der Vorderhömer und
Vorderseitenstränge , namentlich im Verlaufe der vorderen Wurzeln,
dann der Hintersträoge, am wenigsten ausgepiAgt in den Pyramiden-
strängen.
Bei stärkerer VergrÖsserung sieht man in der weissen Substanz:
Zerfall der Marksnbstanz, gequollene Azencylinder und neben den,
den ganzen Querschnitt betreffenden, myelitischen Veränderungen in
beiden VorderhOmem central wärts ausgesprochene Herdläsionen.
Der grösste Theil der Vorderhömer ist von einem Bluterguss aus-
gefüllt, am meisten am innem Saum der grauen Substanz.
Neben massenhaften Kömchenzellen, Leukocyten, Blutkörperchen
und Pigment, Trümmern von Nervenfasern und Ganglienzellen, an ein-
zelnen Stellen massenhafte neugebildete, mit Blut prall gefüllte Gefässe.
Selbst an Stellen (innerer Saum der grauen Substanz), wo die
Ganglienzellen noch gut erhalten sind, ist das interstitielle Gewebe von
Rundzellen durchsetzt und sind die Gefässe prall gefüllt.
Es liegt noch die Untersuchung eines zweiten Falles von spinaler
Kinderlähmung vor, einen 8 Monate alten Knaben betreffend, der nach
etwa 2nionatlicher Dauer gleichfalls au multipler Bronchopnenmonie
gestorben war.
Die Lähmung hatte ursprünglich beide Beine betroffen. Der patho-
logisch-anatomische Befund war mit geringen Abweichunsren , die sich
vä Verschiedenheit der Intensität und die längere Dauer aer Processes
beziehen, in den Hauptzügen derselbe, wie im ersten Falle: Acute
Myelitis mit vorwiegender Betheiligung der Vorderhömer, starke Be-
theiligung des interstitiellen Gewebes: lebhafte Vascularisation, Verän-
derung der Gefässe mit Anschoppung der perivasculären Räume, Bin-
320 Analecten.
taugen nnd CtoflUsDeubüditDg. In beiden F&llen hat insbetondere das
Gebiet der Art. spin. ant. ffelitten.
Prof. Siemerlinff gelangt bu dem Schlusee, dau in der Patho-
genese der spinalen Kinderl&nmung die entzündliche Erkrankung des
interstitiellen Gewebes im Anschlass an die Gef&ssausbreitnng, nament-
lich der art. spin. ant. die Hauptrolle spielt und schliesst die primäre
Erkrankung der Ganglienzellen (Charcot) aus. Eisenschits.
IV. Krankheiten der Respirationsorgane.
lieber die BronehialdrüsenUiberctdase und ihre Beeidungen sur Tuber^
euloM im KindeeaJter, Von H. Neumann. Deutsche med. W.
9—17. 1898.
Die Bronchialdrflsentuberculose ist im Kindesalter sehr häufig, bei
Torhandener Tuberculose überhaupt selten fehlend.
Scrofnlose und Tuberculose sind identisch. Vererbt im engeren
Sinne des Wortes ist die Bronohialtuberculose nur sehr ausnahmsweise,
sie ist gemeinsam entstanden durch Eindringen des Tuberkelbacülus in
die Lungen, tou wo aus sie in die Bronchialdrüsen gelangen.
Von den Drüsen geht meist erst die Tuberculose der Lungen und
anderer Orte aus, so auch nach Masern, wo aus den Drüsen die Ba>
cillen in das erkrankte Lungenparenchym gebracht werden. Die Tuber-
culose nimmt sa von der Mitte des 1. bis zum 10. Lebensjahre, nimmt
dann bis zum 16. Jahre wieder ab.
Ueber die Behelfe zur Diagnose der Bronchialdrüsentuberculose wird
nichts Neues beigebracht Eisenschitz.
Empyema duplex bei einem 13 Wochen aUen Kinde, doppels. OperaHon.
Von Dr. CasseL Deutsche med. W. 82. 1898.
Das in poliklinischer Beobachtung stehende Kind hat Tor 10 Wochen
Influenza gehabt, hat jetzt ein doppelseitiges Empyema (Probepunction),
wahrscheinlich abgekapselt. Es wird der Thorax beiderseits, ohne
Riopenresection , im 6. Intercostalraume in der Scapularlinie erOfinet,
linKB wnrden % , rechts ^k l Eiter entleert. Wegen Verschlimmerung
des Processes wurde 7 Wochen später die Bippenresection nachgetragen,
11 Ta^e später tödtlicher Ausgang.
Die Leiohendiagnose : Phthisis pulm. utriusque ulcerosa, Pleuritis
supp. duplex. Eisenschitz.
Die Bdwndiung der Lungentubercuioee mit Oreoaoiearhonat. Von Dr.
Edmond Chaumier aus Tours. Gazette mödicale de Paris vom
1. Juli 1898.
Verfasser zeigt an acht Fällen von Lungentuberculose, worunter
mehrere Kinder , dass sowohl die localen Lnngenersoheinnngen anter
dem Gebrauche von Creosotcarbonat (carbonate de cr^osote) zurück-
gehen, als Tor allem das Körpergewicht sich hebt. Von Holscher im
Jahre 1891 entdeckt, stellt das Creosotcarbonat einen sirupOsen, je nach
der Lufttemperatur mehr oder weniger flüssigen EOrper dar, von gelber
Farbe, leicht nach Creosot riechend und nach Theer schmeckend. Er
ist unlöslich in Wasser, aber löslich in Alkohol und enthält 94%
Creosot. Es wird von den Kranken gut ertragen und gewöhnlich ohne
Zubereitung in Naturform genossen. Kindern verabreichte Verfasser
V. Krankheiten der Circulationsorgane. 321
hieyon 1 bis 5 g, Erwachsenen 10 bis 16 g täglich. Je nach der genossenen
Dosis wird der Urin dunkelgelb bis grünschwarz geflirbt. Der Athem
riecht nach Greosot. Die Verdanungsorffane bleiben unbel&stigt. Auf-
fallend rasch, besonders bei Kindern, hob sich die Esslust und derselben
entsprechend das Körpergewicht. Während der Behandlung mit dem
Präparate ist Schonung und eine vernünftige Diät wichtig, aber selbst
da, wo diese Vorbedingunffeo nicht erfüllt werden konnten, hatte Ver-
fasser noch befriedigende Resultate. Albrecht.
V. Krankheiten der Circnlationsorgane.
Morh. Basedotoii hei einem 12 jährigen Kinde und dessen Mutter, Von
Dr. P. Kronthal. Berliner kl. W. 27. 1893.
Ein 12 Jahre altes Kind leidet seit einigen Monaten an Herzklopfen,
Schwindel, Ohrensausen, Angstgefühlen. Herztöne rein, Herzgrenzen
normal, Schilddrüse, namentlich rechts vergrössert, die Augen prominent,
mangelnder Lidschlag (Stellwag'sches Symptom), Reflexe normal.
Nach längerem Bestände entwickelt sich bei dem Kinde eine Psychose,
einerseits Heftigkeit, andererseits grosse Empfindelei, Zweifel dar-
über, ob die Mutter wirklich die Mutter sei.
Das Graf" sehe Symptom, mangelhafte Lidsenkung beim Blick nach
unten, und das Möbius'sche Symptom, Insufficienz der Convergenz, fehlen.
Ein ätiologisches Moment ist nicht auffindbar.
Auch die Mutter leidet an einer fragmentären Form derselben
Krankheit. Eisenschitz.
Des renseiffnements foumis par VauscuUation dans les maladies congeni-
täles du coeur. Par le Dr. Moussous, Bordeaux. La Mädecine in-
fantile 1894 p. 67.
Der Aufsatz sucht die Anhaltspunkte zu gruppiren, welche man der
französischen Forschung der letzten Jahrzehnte für die Erkennung der
angeborenen Herzfehler verdankt. Von Monstruositäten wird abgesehen
und ebenso ausgeschieden, was das neugeborene Kind an Producten
intrauteriner Herzentzündungen in's Leben mitbringen kann ; ferner wird
daran erinnert, wie im Verlaufe der Beobachtung dazwischen tretende
Endocarditis das Bild des angeborenen Herzfehlers stört.
An die Spitze wird die Schilderang Boger's von der uncompli-
cirten Communication der Ventrikel gestellt und durch einen ty-
pischen Sectionsbefund von Ernest Duprö (1891 Sociät^ anatomique
de Paris) erhärtet: bei Abwesenheit jeder Functionsstörung hört man,
so oft man untersucht, am stärksten im oberen Drittel der Präcordial-
gegend ein gleichmässiges, streng locales, die Herztöne dort andauernd
▼erdeckendes Geräusch, ähnlich dem Katzenschnurren. — Im Gegensatz
zu dieser continuirlichen Erscheinung zei^ femer das starke systolische
Geräusch, welches man beim Offenbleiben des Botalli' sehen Canals
(Franc. Franck, Assuc. fran^. pour Tavanc. des sciences 1876) beson-
ders auf dem Rücken, links vom 3.-4. Dorsalwirbel vernimmt, eine in-
spiratorische Verstärkung, während zu gleicher Zeit die Pulswelle , unter
der gegebenen Voraussetzung von der Druckverminderung im Gebiet
des Lungenkreislaufs beeinflusst, kleiner wird, um während der Ex-
spiration wieder zu wachsen. — Das ebenfalls systolische Geräusch,
welches zischend von der der Herzbasis entsprechenden Gegend aus das
322 Analecten. V. Krankheiten der CircnlationBOrgane.
ganze Präcordinm bei Verengerang der Palmonalarterie be-
herrscht, hat Constantin Paul (Soci^t^ m^d. des H5p. 1871) insbe-
sondere auf einer Linie gehört, die im zweiten Intercostalraam rom
linken Stemalrand gegen das Schlüsselbein und l&ngs dem unteren Bande
seiner zwei Äusseren Drittel hingeht; M. fflg^ hinzu, dass man es be-
sonders deutlich wahrnehme zwischen Wirbelsäule und linker Scapula.
Congenital kommt jedoch die Verengerung der Pulmonalarterie nie
allein vor und die Schwierigkeit der Erkennung des angeborenen Herz-
fehlers beim Lebenden liegt eben in den fast stets concurrirenden Gom-
plicationen. M. glaubt nicht, dass der Befund von Fran9. Franck
bei offenem ductus Botall i zu OehOr komme ohne Mitwirkung einer Ver-
engerung der art pulm. und dass das Roger 'sehe Gerilasch fehlen
kann, während die Ventrikel doch communiciren — wenn n&mlich dank
einer concentrischen Hypertrophie der rechten Kammer und einer Dila-
tation der Aorta, deren Ursprung die Gommunicationsstelle meistens
benachbart liegt, die Behinderungen des Blutstroms auegeglichen sind;
bei Verengerung der art. pnlmonalis, wo sich diese beiden Verhältnisse
fast immer ausbilden, lässt sich deshalb fast nie ein gleichzeitiger
Septumdefect erkennen.
Eine gleichmässig^ Verkleinerung des Kalibers der art pulm. gab
Variot und Ghambord (Soc. mäd. des höp. 1890) bei schwerer Qra-
nose gar keinen auscultatorischen Befund.
Anlässlich einiger Worte über Insufficienzerscheinnngen wird noch
einer Arbeit von Vimont (^tude sur les souffles du r^tr^cissement et
de rinsuffisance pulmonaire. Th^se de Paris 1882) gedacht.
Sommer.
Inlaaltstibersiolit der Analecten.
I« Infeetionskrankheiten.
1. Masern. Seite
Theodor, Masern anmittelbar nach Röthein 242
Diamantberger, R^cidive de rongeole 242
2. Scharlach.
Brfick, Scharlachtyphoid 248
Arslan, Peptonnrie dans la scarlatine 243
Aufrecht, Septische Scharlachnephritis 244
Bendel, Meningitis bei Scharlachkranken 245
8. Pocken.
Benckert, Pockenepidemie in Göteborg 246
Bergqyist, Pookenepidemie im Län Skaraborg 246
Stendahl, Pockenepidemie im District Ockelbo , 247
Pestalozza, Pockeninfection dnrch eine gerissene Hautwunde. . 247
Svendsen, Behandlung der Pocken durch Ausschluss der che-
mischen Lichtstrahlen 248
8a. Vaccine.
Heryieuz, Immunit^ foetale par la Vaccine ou la variole pendant
la grossesse 261
Eilerts de Haan, „Paro vaccinogenetze Weltevreden" 261
Bondesen, Animale Vaccination 261
— , Animale Vaccination 252
Adsersen, Empfänglichkeit fär Vaccination m. animaler Vaccine 262
Sobotka, Zur Kenntniss des Vaccineprocesses 268
Begoli, Wirksamkeit der Vaccination während einer Pocken-
epidemie 266
Schrakamp, Gesundheitsscbädigungen der Impfung 266
Perl, Nephritis nach Schutzpockenimpfung 267
Lindenborn, Impfung mit sterilen Instrumenten 267
4. Varicellen.
Guidi-Hennig, Unität oder Dnplicitöt von Variola u. Varicella? 258
Girode, Varicellen, complicirt mit Halsbräune und Hodenent-
zündung 268
6. Diphtherie.
Behring, Gewinnung der Blutantitozine . . .* *. * ^^^
— und Bo8r, Quantitative Bestimmung von Diphtherie -Antitoxin-
lösungen 260
324 InbalUübersicbt der Analecten.
8«lto
Ehrlich, Kossel, Waisermann, Gewinnung und Verwendung
des Diphtberieheilterams 860
KoBsel, Behandlung d. Diphtherie des Menseben m. Diphtherie-
heilserum 261
Schubert, Ueber die mit Behring - £hrlich*8chem Diphtherie-
beilsemm gemachten Erfahrungen 262
Yoswinkel, Heilsemmtherapie bei Diphtherie 262
Canon, Diphtheriebehandlnng mit Heilserum 262
Ehrlich und Kossel, Anwendung des Diphtberieantitoxins . . . 268
Aronson, Weitere Untersuchungen über Diphtherie und das
Diphtherieantitozin 268
— , Eweite Mittheilung 264
— , dritte Mittheilung 264
Eati, Antitoxinbehandlnng der Diphtherie 265
Funk, Experimentelle Studien Ober die Frage der Mischinfection
bei Diphtherie 265
Escherich, Pathogenese der Diphtherie 266
Abel, Zur Eenntniss der Diphtheriebacillen 266
Philip, Zur Aetiologie und Statistik der Diphtherie 266
Feer, Aetiologische und klinische Beiträge lur Diphtherie . . . 267
Koplik, Studios on the relation of the real to the Pseadobacillas
diphtheriae 268
Holst, Bacteriologische Diagnose der Diphtherie 268
Lebon, Angines psendo-dipht^ritiques 269
Boulloche, Les angines k fansses membranes 270
Ledoux-Ledard, Wirkung des Lichtes auf den Diphtheriebaciltus 270
Deschamps, Sar un mode de propagation de la diphtb^rie. . . 271
Biering, Diphtherie und Epidemiegesetse 271
Abbott and Ghriskey, Contribution to the pathology of experi-
mental Diphtheria, with special reference to secondary foci . 272
Howard, Acute and ulcerative endocarditis due to the bacillus
diphtheriae 278
Flexner, Diphtheria with bronchopnenmonia 274
Preyss, Zur Anatomie der diphtheritischen Lähmungen 274
Donath, Fall von diphtheritischer Hemiplegie 275
Edgren, Halbseitige L&hmnng nach Diphtherie 275
Uhtkoff, Beitrag Eur Conjunctiyitis diphtberitica 275
Soheinmann, Rhinitis fibrinosa 275
Concetti, Chronische Nasendiphtherie 276
Abel, Wnnddiphtherie mit Nachweis von Diphtheriebacillen . . 276
Conrad, Wunddiphtherie 276
Bergmann, Zur Prophylaxis gegen Diphtherie 277
Oertel, Bedeutung der diphtheritischen Membranen in Bezug auf
die Therapie 277
Vulpius, Kritische Bemerkungen über das Antidiphtherin Klebs. 278
Klebs, Beurtheilung therapeutischer Maassregeln 278
Zappert, Heilwirkung des Antidiphtherins 279
Lewy u. Knopf, Behandlung der Diphtherie mit Papayotin und
Carbols&ure 279
Hübner, Behandlung der Diphtherie mit Liq. ferr. sesquichlor. . 280
Rosenthal, Eisenchlorid gegen Diphtherie 280
HOring, Pyoctanin gegen Diphthene 281
Engstrand, Behandlung der Diphtherie 281
Tak&cs, Behandlung der Diphtherie 281
Stern, Verwerthnng des Opmms bei der Behandlung der Larynx-
Stenosen 282
Inhalisübersicht der Analecten. 325
Seit«
Mattucci, 63 Tracheotomien bei Croup 282
Grosz, O'Dwyer'sche Intubation bei Laryngitis crouposa .... 288
Cnopf, Indication zur Tracheotomie 283
Aaser, Intubation des Croup 284
6. Typhus abdominalis.
Drewö, Typhös abdominalis und Meningitis cerebrospinalis . . . 284
7. Malaria.
Easem-Beck, Behandlung der Malaria mit Methylenblau. . . . 284
8. Cerebrospinalmeningitis.
Leichtenstern, Epidemische Genickstarre 284
9. Influenza.
Baginsky, Influenza 286
10. Rheum. Infection.
Kissel, Rheumatismus nodosus infantum 286
Hock, Arthritis blennorrhoica 286
11. Tetanus.
Henoch, Vier Fälle von Tetanus 287
y. Hacker, Tetanus traumaticua mit Antitoxin behandelt .... 288
£scherich, Vier mit Tizzoni^s Antitoxin behandelte Fälle von
Trismus et Tetanus neonatorum 289
Celli, Ueber einen schweren Fall von Tetanns, subcutane Injection
von Sublimat, Heilung 290
12. Infectionen verschiedenen Charakters.
Fischl, Septische Infection des Säuglings mit gastro- intestinalen
Symptomen 290
Schaff er, Miliariaepidemie in Aussee 291
Siegel, Glossitis und Mundaeuche 292
Comby, Fiävre ganglionnaire 293
Moussons, Drüaenfieber 293
13. Keuchhusten.
Weber, Ätiologie de la coqueluche 294
Abel mann. Ein Fall von Bronchiektasie nach Keuchhusten . . . 294
Baron, Chininbehandlung des Keuchhustens 295
Schwarz, Kenchhnsten und dessen Behandlung 296
Korolew, Naphthalin beim Keuchhusten 296
14. Parotitis epidem.
Wertheimber, Submaxillarer Mumps 296
Wacker, ContagiOse Schwellung der gl. submaxill 296
II. Chronische Infeetiong- und AUgemeinkrankheiteD.
1. Tuberculose.
Pascal, Tuberculose du premier äge 296
Hecker, Tuberculose im Kindes- und Sänglingsalter 297
326 InhaltBübersicht der Anajecten.
Goldschmidt, GasaiBtil der Tubercalose im Eindesalter. . . . S98
Rachford, Anaemia of Tabercnlosis 298
Wassermann, Beitrag z. Lehre von der Tabercalose i. frühesten
Kindesalter 299
2. Syphilis hereditaria.
Mracek, Syphilis des Herzens bei erworbener and ererbter Lues. 300
Joachimsthal, Enochendeformitäten bei Lues congenita .... 300
Adsersen, Syphilitische Arthropathie 301
3. Rachitis.
Chaumier, Nature da rachitisme 302
Comby, Rachitisme et les accidents convulsifs chez les enfants . 302
Wallach, Rachitis in den verschiedenen Zeiten des Jahres . . . 802
4. Blatkrankheiten.
Clopatt, Purpara rheamatica 303
Cornitzer, Barlow'sche Krankheit 303
Baginsky, Pemiciöse Anämie 304
Flensbarg, Paroxysmale Hämoglobinurie bei einem achtjährigen,
mit congenitaler Syphilis behafteten Knaben 305
Kost er, Patient mit kolossaler Milzhypertrophie 305
6. Melliturie.
Bätz, Melliturie und Albuminurie im Kindesalter 306
III. Krankheiten des NerTeuystens.
Eigenbrodt, Meningocele spuria 306
KGnig, Seltene Form der cerebralen Kinderlähmung 307
Remak, Luxation des Schultergelenks bei cerebraler Kinder-
lähmung 307
Freud, Fkmiliäre Formen von cerebralen Diplegien 306
V. Preuscher, Läsion der Centralorgane bei der Geburt als Ur-
sache der Melaena neonatorum 308
Hoffmann, Spastische Spinalparalyse als Theilerscheinung einer
hereditär-syphilitischen Affection 309
Jacobson, Diftase Periencephalilis und disseminirte Hirnsklerose 310
y. Bonsdorf f, Abscess im rechten Stirnlappen des Gehirns ... 311
Bruns, Zur differentiellen Diagnostik zwiscben den Tumoren des
Kleinhirns der Vierhagel 311
Monssous, Forme infantile de la pajralysie gän^rale 312
Townsend, Gase of sporadic congenital cretiniem 312
Triboulet, Möglichkeit der Annahme einer Infection bei Chorea 312
Pick u. Kraus, Behandlungsmethode der Chorea 313
Winge, Lüfantile Neurosen 313
Bull, Hysterie bei Kindern 314
Sohibbye, Infantile Hysterie mit Localisation in der Mundhöhle 814
Bezy, L*athetose double 315
Oddo et Sarles, Caract^res des urines dans la tdtanie infantile. 315
Mafran<, Paralysie spinale aigue chez un enfant tuberculeux. . . 315
Berggrün, Zur Lehre vom Bronchospasmus bei Neugeborenen . 315
Stage, Beobachtungen über Laryngospasmus 316
Freud, Symptom, das häufig die Enuresis noct. der Kinder be-
gleitet 316
Inhaltsflbersicbt der Analecten. 327
Seit«
Filatow, Bulbärer Symptomencomplex im Kindesalter 817
Joachimsthal, Spinale Einderlähmang d. unteren Extremitäten
und des Rumpfea 317
GoIdBcheider, Üeber Poliomyelitis 317
Siemerling, Anatomie der spinalen Kinderlähmung 319
lY. Krankheiten der Bespiratlonsorgane.
Nenmann, Bronchialdrüsentuberculose 320
Cassel, Empyema duplex bei einem 13 Wochen alten Kinde . . 320
Chaamier, Behandlung d. Lungentuberculose m. Creosotcarbonat 320
y. Krankheiten der Cirenlationgorgane.
Kronthal, Morb. Baeedowii bei einem 12jährigen Kinde .... 321
MouBBOUB, L'auscnltation dans les maladiea cong^nitalea du coenr 321
Reeensioneit
Escherich, AeHologie und Pathogenese der ^idemied^en Diphtherie.
I. Der Diphtheriebacillue, Wien 1894. Alfred HOlder. Gros« 8^
VIII, 294 S.
Der verdiente Grazer Pädiater war einer der ersten Aerzte in Deutsch-
land, welche an die klinische Prüfung der von den Bacteriologen , ina-
besondere von der Koch'schen Schule, ausgegangenen Entdeckung über
den Krankheitserreger der Diphtherie heraogingen. Er bietet in der
oben angekündigten Schrift sowohl eine ausführliche Darstellung des
Entwickeln ngsganges, den die Forschung über den Diphtheriebacillus
genommen, als auch eine Zusammenfassung der eigenen zahlreichen
Untersuchungen auf diesem Gebiete.
Nichts kann erwünschter sein, als dass gerade im jetzigen Zeit-
punkte ein Führer auftritt, welcher auf dem noch immer durch viel-
fache Zweifel für den Unerfahrenen unsicher gemachten (Gebiete die
feste Leitung übernimmt Und zwar ein Führer, der nicht nur Anderen
nachredet, sondern der selbst auf vielfach domigen und steinigen PfisuleD
in neues Land mit vorgedrungen ist. Angesichts der praktischen Wich-
tigkeit, welche die ganze moderne Lehre von der Diphtherie durch die
Behring'sche Entdeckung gewonnen hat, dürfte es vielen Aerzten
sehr am Herzen liegen, über die Bedeutung des Diphtheriebacillus, über
die gesicherten Thatsachen, die mit seiner Entdeckung zusammenhängeo,
ebenso wie über die Controversen, welche unter den SachversUndigen
in der einen oder anderen Beziehung noch vorhanden sind, in so-
sammenh&ngender Weise sich unterrichten zu lassen. Diesen möchten
wir das eingehende Studium des Esche rich*schen Buches auf das An-
gelegentlichste empfehlen. Aber auch der „llitreisende^* wird mannig-
fache Anregung und Belehrung ans dem Werke schöpfen.
Das erste Capitel beschäftigt sich mit dem vorkommen des
LöfflerbacilluB in den diphtherischen Membranen, und giebt eine Üeber-
sicht über die nunmehr bereits in einer grossen Anuhl von Kliniken
vorliegenden Angaben darüber, ob das Auftreten dieses MikroorganismoB
ein constantes sei. Den Klinikern ist es längst bekannt, dass es eine
recht erhebliche Anzahl diphtheroider Erkrankungen giebt, welche
anfangs nicht von dem Bilde der Diphtherie sich unterscheiden, deren
weiterer Verlauf aber dem Beobachter zei^t, dass es sich nicht am
echte Diphtherie gehandelt hat. Die bactenologische Bereicherung der
klinischen Methodik hat diese Anschauung voll bestätigt. Es zeigte
sich auf allen Kliniken übereinstimmend, dass die diphtheroiden Er-
krankungen viel früher, als bisher, von den echt diphtherischen Erkran-
kungen eben durch den Nachweis oder das Fehlen des Diphtheriebacilliu
unterschieden werden können. Denn alle nachträglich durch den Ui-
nischen Verlauf als echte Diphtherien sich kennzeichnenden Fälle waren
durch die Anwesenheit des Löfflerbacillus charakterisirt , wo er fehlte,
Recensionen. 329
Beigte der nacbherige kliniBclie Verlauf fast ohne AusDahme, dass keine
echte Diphtherie vorhanden gewesen war. Im selben Capitel werden
dann die Untersnchnngen Aber das Vorkommen anderer Mikroorganismen
in den localafficirten Stellen des Or^nismns und ihrer Bedentung ffir
die Gestaltung der Oerammtkrankheit erörtert: eine besonders seh wie-
rige und noch vielfach umstrittene Materie. Ein Ueberblick über S% eigene
Beobachtungen giebt namentlich interessante Aufschlüsse über das
gegenseiti|?e Verhalten dieser verschiedenen Mikroorganismen im
Verlauf der Krankheit. Constant war in allen F&llen nur der Diphtherie«
bacillu«, alle anderen Formen waren inconstant.
Im «weiten Capitel wird die Morphologie und Biologie des
Diphtberiebacillns ausffihrlich geschildert und schon hier auf die
Wachsthumsdifferenzen des sogenannten Psendodiphtheriebacillus hin*
gewiesen.
Das dritte Capitel ist der Darstellung der fundamentalen Ent-
deckungen von Roux und Yersin über das Diphtherietoxin ge-
widmet; jener Forschungen, die fär den Kliniker erst den Zusammen-
hang zwischen dem Auftreten des Mikroorganismus und den Erschei-
nungen am Krankenbett verständlich gemacht haben. Im Anschluss
daran wird die wichtige Frage der ImmuDisirung, wie es uns deucht,
etwas zu stiefmütterlich behandelt.
Praktisch von erheblicher Wichtigkeit ist das vierte Capitel, in
welchem es sich um die Giftigkeit der Diphtheriebacillen in ihrer
Beziehung zu der klinischen Symptomatik handelt Verf. hat viel
Mühe auf eine sorgfältige Bestimmung der Virulenz der in den ein-
zelnen Krankheitsfällen und den verschiedenen Phasen der Krankheiten
den Rachentheilen entnommenen Bacillen verwendet. Als Maass be-
nutzt er diejenige in Procenten des Körpergewichts ausgedrückte Menge
einer 248tfindigen Bouilloncultur, welche hinreicht, ein Meerschweinchen
an acuter Diphtherie eingeben zu machen. In 40 untersuchten Fällen
zeigte sich im Allgemeinen eine Congruenz zwischen der Schwere des
Krankheitsfalles und der Giftigkeit der aus dem nämlichen Falle ge-
züchteten Bacterien; aber freilich mit erheblichen Ausnahmen. Nament-
lich konnte er bei leichten Fällen mehrfach das Vorhandensein von
hoch virulenten Bacillen nachweisen. Fraglich dürfte den hieraus ab-
geleiteten Betrachtungen gegenüber nur der Umstand sein, ob der Grad
der Virulenz der Bacillen beim Meerschweinchenversuch ohne Weiteres
auch als Maass der Virulenz beim Menschen benutzt werden kann.
Wäre es nicht denkbar, dass bei den Methoden zur Reinzüchtung der
Bacillen durch noch nicht beherrschbare leichte Verschiedenheiten der
Nährböden, der Temperatur oder dergl. die Virulenz bald in positivem,
bald in negativem Sinne sich ändert? Und wenn man dieses nicht für
wahrscheinlich hält, ist eine bestimmte Menge von Bouilloncultur als
ein brauchbares Maass anzusehen?
Aehnliche Bedenken stossen auch bei den Ausführungen des fünften
Capitels auf, das wieder gerade für den Kliniker von grossem Interesse
ist £s erörtert die Frage von dem Pseudodiphtheriebacillus , über
welche auch unter den Bacteriologen von Fach Meinungsverschieden-
heiten herrschen. Escherich ist der Ansicht, dass eine unschuldig
Art von Bacillen existire, welche von dem Di phtheriebaciUus völlig
verschieden sei. Wir können doch nicht sagen, dass uns hier seine ge-
wiss sehr sorgfältige Beweisführung überzeugt habe. Der Umstand, dass
sein Pseudodiphtheriebacillas doch einige Male chronisches Siechthum
mit schliesslich tödtlichem Ausgang zu erzeugen mochte, desgleichen
femer, dass bei einem leicht kranken Bruder zweier Schwerdipntherie-
kranker nur der Pseudobacillus sich fand, erweckt doch einen gewissen
Jfthrbach f. Kinderheilkunde. N. F. XXXIX. 22
330 Receoeioneii.
Zweifel darflber, ob der letztere nicht in engere Besiehnng sam echten
Diphtberiebacillns zu bringen sei, als E. aozanehmen geneigt ist.
Das sechst^) Capitel behandelt die Verbreitung des Diphtheriebacillas
im KOrper nnd, besonders wichtig, ausserhalb desselben. Die Auaffihmngen
dieses Abschnittes lassen die viele d Lficken, die eiaerseita in Besag auf
den Znsammenhang zwischen den krankhaften Erscheinungen und der
Einwirkung des Bacillus, und andrerseits über des letzteren esoterische
Schicksale, seine Beziebnngen zur Epidemiologie der Diphtherie, Tor-
banden sind, sehr lebhaft erkennen. Es ist der bonteste und am wenig-
sten befriedigende Tbeil des Buches, was aber dem Gegenstande, ni<£t
dem Autor zur Last fftllt
Das letzte, siebente, Capitel des Boches ist der Widerlegung der
Einwände gewidmet, welche gegen die Beweittkraft der fftr die ätio«
logische Bedeotnng des LOfflerbacillus ins Feld geführten experi-
mentellen und klinischen Thatsachen erhoben worden sind. Dieselbe
hätte yielleicht in mancher Beziehung noch etwas ausführlicher und
eindringlicher sein kOnnen. Aber der Stoff ist doch so klar und objectiv
discutirt, dass wir den weniger Eingeweihten gerade auch auf dieses
Capitel mit Nachdruck hinweisen mOchten. Man studire in diesen Aus-
einandersetzungen „Rede** und „Gegenrede** und man wird ein eigenes
Urtbeil darüber gewinnen, ob man, wie sich noch manche Praktiker
ausdrücken, „an den Diphtheriebacillus glauben soll, oder nicht". Da
E. die Roux-Fränkersche Auffassung des Pseudobacillus nicht theilt, so
hat er es nicht für nOthig gefunden, darzulegen, dass auch selbst für
den, welcher jene Anschauung acceptirt, die Specificität des Krankheits-
erregers durchaus unangetastet bleibt. Vermuthlich wird der Verfasser
in dem zweiten Bande seines breit angelegten Werkes gerade auf diese
Punkte näher eingehen, wenn er seine Forschungen über die Disposition
des menschlichen Organismus zur Erkrankung mittheilen wird. Die-
selben werden gewiss mit gleicher Anerkennung wie dieser erste Band
Ton der ärztlichen Welt entgegen genommen werden. HKcmirnL
Die otiiischen Erkrankungen des Hirns, der Hirnhäute und der Blut-
leiter, Von Dr. 0. KOrner, Frankfurt a/M. (jetzt Professor der
Laryngologie in Greifswald). Mit einem Vorwort von E. t. Berg*
mann. 1894. Verlag von J. Alt, Frankfurt a/M.
In ebenso umfassender als übersichtlicher Weise behandelt Verf.
das so schwierige Capitel von den intracraniellen Complicationen der
Ohr- und Scbläfebeineiterungen.
Nach einer eingebenden Darlegung der anatomischen Verhältnisse,
welche den Uebergang von Eiterungen aus dem Schläfebein in die
Schädelhöhle vermitteln, gelangen die tuberculOsen und eitrigen Er-
krankungen der verschiedenen Bimhäute, Himabscess, Phlebitis, Sinus-
thrombose, Hirnembolie etc. zur Bef^prechung, wobei der durch das
Lebensalter bedingten Verschiedenheit der Localisation und Symptome,
insbesondere auch stets der Verhältnisse des Kindesalters gedacht wird.
Bei der Unmöglichkeit, den reichen Inhalt auch nur andeutungs-
weise wiederzugeben, sei hier nur der leitende Gedanke der ganzen
Schrift erwähnt, welcher die chirurgische Behandlang der Ohr-
und Schläfebeineiterungen als die wirksamste Prophylaxe der otitischen
Hirnkrankheiten bezeichnet, ebenso wie durch ein operatives Vorgehen
die letzteren am sicherBten zu bekämpfen seien.
Zahlreiche ausführlich gebrachte Fälle aus der Literatur, femer
persönliche Beobachtungen des Verf.*s beleben die Darstellung, welcher
kein Geringerer als E. v. Bergmann eine Empfehlung mit auf den
Weg gegeben hat. Cahen-Bbach, Frankfurt n/M,
XV.
Ueber die Veränderungen der morphologischen Bestand-
theile des BIntes bei verschiedenen Krankheiten der Kinder.
Vortrag gehalten auf der 66. Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte in Wien am 27. September 1894.
Von
Dr. JoH. Loos,
AuiBtent an der Kiaderklinik in Grus.
Meine Herren! Gestatten Sie mir, Ihnen im Nachfol-
genden über eine Reihe von Blut-Untersuchungen Bericht zu
erstatten, die ich im Laufe der letzten Jahre ausgeführt habe.
Es handelt sich um histologische Untersuchungen des Blutes
bei verschiedenen Krankheiten des Kindesalters. Ich habe es
mir zur Aufgabe gestellt, festzusetzen, ob es gewisse morpho-
logische Veränderungen des Blutes im Kindesalter giebt, die
bestimmten pathologischen Processen in dieser Periode ent-
sprechen, ob gewisse morphologische Bestandtheile des 6IuteS|
die wir unter normalen Verhältnissen nicht antreffen, unter
bestimmten pathologischen Bedingungen auftreten, ob dieselben
stets unter den gleichen Bedingungen auftreten, ob wir also
im Stande sind, aus der genauen und sorgfaltigen Unter-
suchung eines Blutpräparates Schlüsse zu ziehen auf Ver-
änderungen im Organismus des Blutspenders, mit anderen
Worten, ob es möglich ist, einen pathologiBchen , histo-
logischen Blutbefund zu bestimmten diagnostischen Zwecken
zu Terwerthen.
Erst seit Ehrlich uns gelehrt hat, das auf Deckgläschen
ausgestrichene getrocknete Blut zu färben und mittelst be-
stimmter Farbenreactionen die verschiedenen morphologischen
Elemente des Blutes, vor Allem die verschiedenen Arten der
Leukocyten mit Leichtigkeit zu erkennen und zu differenziren,
erst seit dieser Zeit sind systematische Untersuchungen des
Blutes dieser Art möglich und ohne Schvfierigkeit durch-
Jabrbnoh t Kladerktilkande. N. V. XXXIX. 23
386 J. Loos:
Neugeborenen Werthe von 3^25 — 10,25 fA aufgefunden zu haben.
Allein stets handelt es sich hier um einzelne Erythrocyten,
die von der gewöhnlichen Form und Grösse abweichen. Was
wir jedoch hier meinen, sind diejenigen Bilder, wo fast kein
Blutkörperchen dem andern gleich zu sein scheint, zahlreiche
Mikro- und Megalocyteu vorkommen, jedes Gesichtsfeld in
gleicher Weise sich bezüglich der Grössenunterschiede gleich
bunt darbietet Vereint mit diesen ganz ungemein reichen
und grossen Unterschieden in der Grösse ist stets Poikilocytose,
eine ganz ausgesprochene Mannigfaltigkeit der Form dieser Ge-
bilde. Diese Symptome sind sichtbar am frischen Blutstropfen,
der ohne jede Zusatzflüssigkeit untersucht wird, sie sind ebenso
vorhanden bei Untersuchung in Hayem'scher Lösung und
offenbaren sich eigentlich am besten am getrockneten und
gefärbten Präparate.
Man hat früher diese Erscheinung für charakteristisch
für perniciöse Anämie gehalten. Dann hat G r a e b e r die
Poikilocytose für Kunstproduct erklärt und wollte ihr jede
Bedeutung absprechen. Es ist jedoch keinem Zweifel unter-
worfen, dass wir es hier mit pathologischen Zuständen der
rothen Blutkörperchen zu thun haben, welche nur unter ge-
wissen Bedingungen auftreten.
Silbermann fand Poikilocytose bei Neugeborenen, S t e f f e n
giebt Grössenunterschiede an bei Blut von Kranken mit Pur-
pura, V. Jaksch bei Anämien, besonders bei Anaemia in-
fantum pseudoleucaemica, wie später auch Monti und Berg-
grün U.A. Escherich fand in einem von ihm mitgetheilten
Falle von perniciöser Anämie 4,2 — 12 (i als Grenzwerthe,
Hayem giebt sie für Anämie mit 2,2-^14 f» an, ich konnte
bei einem Falle schwerer Anämie in Folge von Lues solche
von 1,39—15,29 ^ finden.
Es wurden auch procentische Berechnungen der Mikro-
und Megalocyten vorgenommen, doch halte ich solche f&r
überflüssig bei einem Symptome, zu dessen Constatirung ein
Blick auf ein mikroskopisches Präparat bereits genügt
Ich fand nun dieses Symptom der Polymorphie der Ery-
throcyten in ganz ungewöhnlichem Maasse ausgepriiigt bei
folgenden AfiPectionen im Kindesalter. Bei:
Anaemia pBeudolencaemica (14 Fälle, alle nnteraachteo),
Anaemia in Folge von Lues bereditaria (7 F&lle),
RachiÜB verschieden schwerer Art (19 Fälle),
Tubercolose und An&mie (6 Fälle, Mb. 40%, 26%),
Chlorose (6 Fälle),
Lymphoma (1 Fall, Hb. 28%),
Osteomyelitis et Rachitis (1 Fall),
Malaria-Anämie (1 Fall),
Anämie aas verschiedenen anderen Ursachen (2 Fälle),
Erysipel, Sepsis u. starke Blatyerlaste infolge y. Hämorrhagien (1 Fkll).
Verändernngen der morphol. Bestandtbeile des Blutes etc. 337
In weniger ausgesprochenem Maasse, jedoch noch immer
80 aufFallend; dass der Befund notirt werden musste, in
drei weiteren Fällen von Lues hereditaria und je einem Fall
von Prurigo, Scrophulose, Rachitis und einem Fall von Ne-
phritis, nachdem bei letzterem eine Venaesectio vorgenommen
werden musste. Dies letztere stimmt mit den Beobachtungen
von Laache, Buntzen und Malassez, die nach Blutunter-
suchungen bei Erwachsenen im Stadium der Regeneration der
rothen Blutkörperchen eine beträchtliche Zahl von blos 5 fi
und weniger betragenden Blutkörperchen constatirt haben.
Es sind also vorwiegend anämische Zustände und
zwar solche allerlei Art, bei denen wir das in Rede stehende
Symptom vorfinden. Ich glaube, wir haben alle Veranlassung,
es fQr ein abnormes zu halten und ihm unsere Aufmerksam-
keit zuzuwenden. ^
Eine weitere Eigenschaft der rothen Blutkörperchen, von
der ich hier sprechen möchte, ist deren Verhalten gegen
Farbstoffe, die Dichromatophilie derselben oder die Poly-
chromatophilie.
Unter gewöhnlichen Verhältnissen nimmt ein normales
rothes Blutkörperchen aus einer Lösung basischer und saurer
Farben nur die letzteren in sich auf, tingirt sich also nur mit
Eosin in den gewöhnlichen Gemischen von Eosin -Methylen-
blau oder Eosin -Hämatoxylin, nur mit Aurantia in der von
Ehrlich angegebenen Mischung von Aurantia- Eosin -Indulin
u. s. w. Nun giebt es jedoch Erythrocyten, die sich durch
ein anderes Verhalten auszeichnen und deshalb geeignet sind,
unser Interesse zu erregen. Wenn man nämlich ein nach
Ehrlich erhitztes Blutpräparat mit einer Losung basischer
Farbstoffe tingirt, so färben sich die rothen Blutkörperchen
gar nicht, sondern erscheinen nach dem Abspülen der Farbstoff-
lösong in ihrer natürlichen gelben Farbe. Die poly- oder
dichromatophilen Erythrocyten jedoch haben die Eigenschaft,
sowohl basische als auch kernfärbende Farbstoffe auf-
zunehmen, und erscheinen dem entsprechend mehr oder minder
intensiv mit diesen gefärbt Sie nehmen nie viel i'arbstoff
auf, die Färbung erscheint also nie sehr intensiv, nie so stark
wie 2.B. die Kerne der Leukocyten. Weiter zeigen sie sehr ver-
schiedene Grade der Tinctionsfahigkeit, von sehr schwachen,
gerade noch erkennbaren, bis zu solchen, bei welchen dieser
Zustand über jeden Zweifel erhaben ist. Aus Gemischen
saurer und basischer Farben nehmen sie stets beide au£ Auf
diese Weise entstehen Farbentone, die dieser Mischung ent-
sprechen. Im ersten Momente ist man versucht, diese Ge-
bilde für Artefacte zu halten. Der Umstand jedoch, dass sie
sich zumeist mitten unter normal gefärbten rothen Blut-
342 J. Loos:
2 Fälle von Lues mit hohem Gehalte an Hb. mit nicht
reJucirter Blutkörperchenzahl zeigten sie nicht, ebenso nicht
viele Neugeborene und Säuglinge, sodass ich sie nicht f&r
einen normalen^ sondern blos mitunter vorkommenden Befund
bei diesen halten kann«
Es sind also, wie bereits erwähnt, fast stets anämische
Kinder, bei denen diese, wohl immer als pathologisch zu
nehmenden Gebilde auftreten. Sie stehen mit der jeweiligen
Aetiologie der Anämie in keinem directen Zusammenhange,
treten reichlich nur bei höheren Graden der Anämie auf und
mit Vorliebe, wie aus der oben angefahrten Aufzählung za
ersehen ist, blos bei gewissen Formen derselben. Ihre Be-
deutung dürfte die gleiche sein wie die der dichromatophilen
Zellen, Einschwemmung unfertigen, wohl auch ungenügend
functionirenden Materials in den Kreislauf aus ihren Bildungs-
stätten, als deren wichtigste wohl das Knochenmark anzusehen ist.
Ich will mit der Pathologie der Erythrocyten nicht
schliessen, ohne des Plasmodium Malariae, dieses jetzt
bereits so gut studirten Parasiten und Zerstörers derselben
zu gedenken, dessen leicht zu erbringender Nachweis heute
wohl ebenso zur Diagnose dieser Krankheit gehört wie der
des Tuberkelbacillus zu der der Tuberculose.
Auf die Bedeutung der oft beschriebenen Schatten rother
Blutkörperchen, gewisser Nekrosenerscheinungen in denselben,
Vacuolenbildung u. s. w., will ich nicht zu sprechen kommen,
weil ich glaube, dass diesen Gebilden, vorläufig wenigstens,
kein besonderes Gewicht beizumessen ist.
Verlassen wir hiermit die rothen Blutkörperchen und
wenden wir uns den Leukocyten zu. Ich will auch hier
versuchen, blos nicht normale Zustände zu besprechen, soweit
dieselben heut zu Tage Gegenstand unseres Interesses sind.
Die Leukocyten haben in zweifacher Beziehung die Auf-
merksamkeit des Klinikers erregt: Erstens in Bezug auf ihre
Form resp. die Beschaffenheit ihres Protoplasmas, der in ihm
enthaltenen specifischen Granulationen und die Form ihres
Kernes, zweitens in Bezug auf ihre Zahl und deren Vermeh-
rung und Verminderung gegenüber den als Mittel- und Normal-
werthen angegebenen.
Im normalen Blute können wir stets folgende Formen
weisser Blutkörperchen vorfinden:
1. Mononucleäre Leukocyten (sogenannte Lymphocyten),
Zellen mit runden, meist intensiv gefärbten Kernen, deren
Protoplasma bei einer Gruppe blos einen schmalen Hof bildet^
oft nur an einer Seite der Zelle wie eine Sichel sichtbar,
die kleinen Formen, oder bei einer anderen Gruppe in reich-
VeräoderuDgeD der morphol. Beatandtheile des Blates etc. 343
licher Weise den Kern umgiebt; die grossen mononuclearen
Leakocyten.
2. Die Uebergangsforraen, grosse Zellen mit reichem Proto-
plasma und einem grossen, ein- oder mehrmals gelappten,
massig intensiv geßLrbten Kerne.
3. Die poljnucleären Leukocjten, die gewöhnlichsten
Formen, besser polymorphkernig genannt, weil an guten
Hämatozylinpräparaten mit starken Yergrösserungen stets zu
sehen ist, dass die einzelnen Eerntheile durch feine Yerbindnngs-
fäden mit einander iu Zusammenhang stehen.
4. Kommen im normalen Blute eine wechselnde Menge
eosinophiler Zellen vor.^)
So viele Zählungen und procentische Berechnungen auch
für die einzelnen Arten der Leukocyten bereits existiren^ so
sind dieselben heute noch nicht absolut sicher zu irgend
welchen diagnostischen Schlüssen verwerthbar, weil noch be-
stimmte Angaben über die Werthe in verschiedenen Alters-
stufen und unter verschiedenen physiologischen Verhältnissen
nicht in genügender Zahl vorhanden sind.
Für das erste Kindesalter scheint es festzustehen, dass
unter normalen Verhältnissen die Zahl der mononuclearen
Leukocyten die der polynucleären überwiegt, im Gegensatze
zu gesunden Erwachsenen, wo die polymorphkernigen ca. 70%
der weissen Blutkörperchen ausmachen.
Beginnen wir mit der Besprechung der eosinophilen
Zellen, der grobgranulirten Leukocyten Max Schultzens,
der oxyphile Granulationen führenden Leukocyten Ehrliches.
Diese an ihren hellglänzenden, grünlich -gelb erscheinenden
Granulis schon in ungefärbten Präparaten nicht schwer zu
erkennenden weissen Blutkörperchen sind schon zu wieder-
holten Malen Gegenstand lebhaften Interesses gewesen. Die
des normalen Blutes zeichnen sich durch eine lebhafte Be-
weglichkeit auf dem heizbaren Objecttische aus, die mir leb-
hafter und länger dauernd vorkam, als die sämmtlicher an-
deren Leukocyten. Man hat eine Zeitlang gehofft, sie mit
zur Diagnose verschiedener Blutkrankheiten, z. B. der Leu-
kämie verwerthen zu können, eine Hoffnung, die sich nicht
erfüllt hat. Man legt heute Gewicht auf Vermehrung der-
selben, theils procentische, theils absolute. Diese Vermehrung
hat man durch viele Berechnungen zu constatiren gesucht.
So thaten dies Müller und Rieder in einer grossen Unter-
1} Man Dimmt an, dass die verschiedenen Formen der Leukocyten
insofern in einem gewissien Zusammenhange stehen, als die mODonuclären
die Jugendformeo vorstellen, aus denen sich die polymorphkernigen ent-
wickeln. Ein Reifestadium dieser letzteren sollen die eosinophilen Zellen
bilden.
344 J* Looi:
suchuDgsreihey und in jüngster Zeit Zapp er t, der sie zum
Gegenstände eingehender Untersnehungen gemacht hat. Ihre
Vermehrung ist auch bei Betrachtung gefärbter Präparate
zu constatiren, wenigstens ihre absolute. Die meisten der-
selben sind polynucieäre Lenkocyten, den neutrophiku in
Grösse and Kernform völiig entsprechend, doch kommen auch
bei manchen schweren Anämien mononucleäre vor, denen Wel-
leicht grössere Bedeutung zuzusprechen ist. Nicht allzu selten
findet man die Zelle zersprengt, die Granula in deren an-
mittelbarer Umgebung zerstreut, wohl ein bei der Ausbreitung
des Blutes hie und da eintretender Zufall. Weder die Grosse
der Granula, noch der FQllungsgrad der Zelle mit diesen,
chemisch bis heute noch nicht analysirten Gebilden ist ein
gleicher in allen Fällen.
Trotzdem ihre diagnostische Yerwerthbarkeit wohl gleich
Null ist, bleibt es sicherlich wegen einer Reihe anderer Fragen,
die sich an ihr Vorkommen knQpfen, von Interesse, die
Krankheitsfälle zu notiren, bei denen sie in besonderer Beich-
haltigkeit sich vorfinden.
Unter den von mir untersuchten Fällen, blos Kinder be-
treffend, sind dies:
18 Falle von Eksem,
11 „ „ Prurigo,
11 ,, „ Lues (7 heredit, 4 aequisite in der Regel snr Zeit
der Syphilide),
8 „ „ Impetigo,
8 „ „ Liehen Btropholns,
1 Fall „ Sklerem,
1 „ „ Seborrhoea,
4 Fälle „ BachiÜB,
2 „ „ Anaemia psendoleac.
Je einer von Chlorose, Tetanie, Tuberculosis pulm. u. Scrophaloee.
Dem gegenüber stehen zum Theil gleiche Erkrankungen
mit wenig eosinophilen Zellen im Blute, 'und zwar:
£kBema, Impetigo je dreimal, Prurigo mitis gradus viermal, Lues
neunmal, Purpura haemorrhagica, Anaemia psendoleucaemica je dreimal,
Rachitis zweimal, desgleichen Tetanie, Nephritis, Tuberculosis pulmonum,
Scabies, Leukämie je einmal.
In je einem Falle von Leukämie, Anaemia psendoleucaemica , Te-
tanie, Malaria, Impetigo, Seborrhoea, sowie bei mehreren Fällen von
Pneumonie sur Zeit starker Leukocytose fehlten sie fast völlig.
Rieder und MüUer^Vierordt, Schlesinger und Hock,
desgleichen Zappert geben übereinstimmend an, dass sich
das Eiudesalter durch einen erhöhten Reichthum eosinophiler
Zellen auszeichnet. Schlesinger und Hock geben sogar
weiter an, dass mit zunehmendem Alter der Kinder dieser
Reichthum abnehme. Betrachten wir jedoch die Zahlen, die
Zappert für normale Kinder anführt, so finden wir recht be-
Ver&Ddeningen der morphol. Bestandtheile des Blutes etc. 345
trachtliche Schwankangeii; von 1,53 — 19,54% oder yon 116
bis 1360 der auf 1 cmm berechneten Menge derselben. Diese
Gesetze stehen also heute noch durchaus nicht fesi Da-
gegen ist eine andere Thatsache nicht ohne Interesse. Neusser,
Canon, Zappert, Rille und ich bereits früher einmal an
anderer Stelle haben übereinstimmend auf das auffällig reich-
liche Vorkommen dieser Zellen bei so vielen Dermatosen hin-
gewiesen, und der erste der angeführten Autoren hat an
diese Befunde die Idee geknfipft, dass wir wahrscheinlich
verschiedene Bildungsstätten für diese Zellen annehmen müssen,
für deren eine er die Haut bei den oben erwähnten Krankheits-
gruppen annimmt, nicht blos das Sjiochenmark. Meine hier
angeführten Befunde sprechen zu Gunsten der Auffassung
Neusser's. Dazu möchte ich mir noch einige Bemerkungen
erlauben.
Ich habe in mehreren Fällen, nicht in allen, in dem unter
Impetigoborken befindlichen serös -eitrigen Secrete einen auf-
falligen Reichthum an eosinophilen Zellen, nebst Haufen eosino-
philer Granula gefunden und glaube in einigen Fällen con-
statirt zu haben, dass mit Abheilen der Dermatosen der
Reichthum des Blutes an diesen Zellen schwand. Zur Elar-
legung dieser Verhältnisse sind gewiss weitere Untersuchungen
nothwendig.
Zum Schlüsse dieses Capitels mochte ich noch anführen,
dass ich diese Zellen entweder völlig vermisste oder höchst
vereinzelt vorfand im Eiter von Bronchialsecret, z. B. nach
Tracheotomien, in dem von Empyemen, dem von Abscessen,
dass ich sie einige Male, nicht regelmässig, reichlich fand in
dem Eiter von Vulvovaginitis blennorrhoica von kleinen Mäd-
chen und zwar in diesen Fällen durch längere Zeit und bei
wiederholten Untersuchungen, desgleichen einmal im Sputum
eines tuberculösen Kindes und unglaublich reichlich im Spu-
tum eines achtjährigen Patienten, der an Asthma litt. Das
Sputum wurde mir von Prof. Escherich zur Verfügung ge-
stellt. Als Curiosum sei der gleiche Befund in den eitrigen
Entleerungen eines IVi Jahre alten Kindes mit Enteritis folli-
cularis mitgetheilt.
Eine andere Gruppe von Lenkocyten, welche sich eben-
falls durch grobe Granulationen auszeichnet, sind die Mast-
zellen oder die basophilen Leukocyten. Die Granula dieser
Zellen sind noch etwas grösser, nicht so regelmässig rund
wie die der eosinophilen Zellen. Die Zellen entsprechen in
ihrer Grösse den eosinophilen, sind jedoch weit ärmer an
Granulationen als diese. Ihr Kern ist entweder gleich dem
der polymorphkernigen weissen Blutkörperchen oder sie ent-
halten blos einen, wenig intensiv farbbaren gelappten Kern.
348 J- Loot:
ausgeht. Selten sind in dieses Netz kleinere , gleichfalls
homogen aussehende Partien eingestreut. Es ist bei Betrach-
tung und Yergleichnng vieler solcher Gebilde unschwer, zu
der Uebersengung zu kommen, dass man es hier mit zu
Grunde gehenden weissen Blutkörperchen zu thun hat. Da
man solche Bilder inmitten YöUig wohl erhaltener und tadel-
los gefärbter Leukocyten vorfindet, so ist es nicht denk-
bar, vielleicht ihre Entstehung auf die Methode der Prapara-
tion allein zu schieben, sondern es dQrfte sich um besonders
leicht labile Leukocyten handeln, an denen manches Blut auf-
fallend reich ist. Im frischen Präparate konnte ich sie nicht
sicher nachweisen, was mir bei der Feinheit ihrer Stmctor
nicht unbegreiflich erscheint. Uebrigens hatte ich sie bisher
nicht absichtlich darin gesucht.
Klein hat Gebilde beschrieben, die er Leukocyten-
schatten nennt, in ähnlicher Weise deutet, und von denen
ich glaube, dass sie mit den hier erwähnten identisch sind.
Von den Aenderungen der quantitativen Verhältnisse
der weissen Blutkörperchen erweckt mit Recht unser Interesse
in erster Linie die Vermehrung derselben, die Lenkocytose.
Wir verstehen darunter eine meist vorübergehende einseitige
Vermehrung der normaler Weise im Blute vorkommenden
Leukocyten und sprechen von Lymphocytose, wenn es sich
um eine Vermehrung der mononucleären Formen handelt. Zur
einwandsfreien Feststellung dieses Symptomes sind Zählungen
der weissen Blutkörperchen unumgänglich nothweudig, doch
macht meiner Meinung nach v. Jak seh mit Recht darauf
aufmerksam, dass man mit einiger Uebung höhere Grade von
Leukocytose, worum es sich wenigstens in den diagnostisch
zur VerwerthuDg kommenden Fällen stets handelt und handeln
muss, auch aus der einfach mikroskopischen Betrachtung eines
Blutpräparates erkennen kann. Es handelt sich dann um die
Vergleichung der normaler Weise im Gesichtsfelde bekannter
Grösse unter gesunden Verhältnissen vorkommenden Menge
weisser Blutkörperchen mit pathologisch gesteigerter Menge.
Ich möchte diese Methode selbstverständlich nur fQr sehr mar-
kante Difierenzen empfehlen. Ich habe zur Erläuterung des
Gesagten Folgendes zu erwähnen: Wenn man die Zahl der
Leukocyten in einem Falle zählt, wenn man weiter im selben
Falle aus einer grösseren Reihe von Gesichtsfeldern die pro
Gesichtsfeld durchschnittliche Menge der Leukocyten berechnet,
dann erhält man Zahlen, welche für den vorliegenden Zweck
mit einander verglichen und in Parallele gestellt werden
können, und ich glaube, dass sich aus einer grossen Reihe
solcher Zählungen eine Tabelle construiren Hesse.
Yerftodenrngen der morphol. Bestandtheile des Blutes etc. 349
Ick fand z. B. auf diese Weise folgende Werthe: Bei
einer Leukocytenzahl von 58000 im cmm kamen auf ein
Gesichtsfeld dnrchschnitUicli 10 Leakocyten, bei 38 000 — 7^
bei 14000 — 1,6 pro Gesichtsfeld. Gezahlt wurden stets
ca. 100 Gesichtsfelder und zwar, da solche Zählungen leicht
nur an Trockenpräparaten ausfahrbar sind, solche in beiden
Deckglaspräparaten y weil man sich mit Leichtigkeit davon
überzeugen kann, dass öfter an solchen Präparaten die Ver-
theilung der weissen Blutkörperchen eine durchaus nicht gleich-
werthige ist.
Eine so eingehende und in jeder Richtung ausführliche,
die mannigfaltigsten Fragen berücksichtigende Zusammenstel-
lung der Leukocytose und ihres Vorkommens, wie sie für
Erwachsene z. B. in den Arbeiten von Rieder, Limbeck,
Klein u. s. w. niedergelegt ist, existirt für das Eindesalter
noch nicht. Die bisher bekannten Resultate sind in der
Arbeit Gundobin's verwerthet und zusammengestellt. Im All-
gemeinen lässt sich sagen, dass die für die Erwachsenen bei
pathologischen Processen gefundenen Thatsachen für die gleichen
Processe des kindlichen Organismus, wie dies ja a priori auch
nicht anders erwartet werden konnte und kann, volle Werthig-
keit besitzen.
Ueber eine Reihe physiologischer und pathologischer
Formen der Leukocyten im Kindesalter sind wir genau unter-
richtet. Zu den ersteren möchten wir die durch vielfache
Untersuchungen festgestellte Leukocytose der Neugebo-
renen zählen, bei der es sich nach G und obin's Untersuchungen
um eine vorwiegende Zunahme der für Jugendformen gel-
tenden mononucleären Zellen handelt, weiter kennen wir die
hierher zu rechnende, bei den anderen Processen stets zu be-
rücksichtigende Verdauungsleukocytose, die bei Säug-
lingen ca. 6 Stunden nach der Nahrungsaufnahme die höch-
sten Werthe erreicht.
Wir kennen weiter die bei Erwachsenen so gut studirte
entzündliche Leukocytose auch bei den mannigfaltigsten
Processen des Kindesalters — sie wird von Rieder als Schutz-
vorrichtung des Organismus aufgefasst Bei der entzündlichen
Leukocytose handelt es sich stets um eine Vermehrung der
neutrophile Granulationen führenden polymorphkernigen weissen
Blutzellen. Auf ihr Vorkommen bei croupöser Pneumonie im
Kindesalter und die diesbezügliche Analogie mit dem gleichen
Processe bei Erwachsenen hat schon vor längerer Zeit v. Jaksch
aufmerksam gemacht Sie gehört jetzt mit zu den diagnostisch
verwerthbaren Symptomen dieser Krankheit. Ich habe sie bei
23 untersuchten Fällen nie vermisst. Sie ist wohl die mar-
kanteste und constanteste Form der Leukocytose. Der höchste
24 ♦
360 V. Bänke:
Die Anftmoete ergkb Folgende! :
Lniae F., 10<4 Monftte alt, iit dat vierte Snd Mmet Eltara. Kt
drei aDderen Kieder lind anftmiieli, lotut aber Keiiuid. Ala epedelln
Uiologiecbei Momeot fflr den BydrocepbmliM konnte nelleicht der
AltennDtenofaied der Eltern nnd der Beiuf des Taten in Betnckt
kommeD. Der Tater, ein Weinhtodler, war nämlich CS, die Matter
2» Jahre alt
Pat. wurde nach T^ monatlicher Schwangerechaft anicheinend gt-
■nnd geboren,
inebtwondere
wurde nienuli
Lnea in den-
teudea Sjmp-
tom beob-
achtet.
Ton der
6.Lebeni«ochF
an bemerktIB
die Eltern.
daai dar Kopf
nnTerhiltsiu-
nehme. Stet
Angabe dn
BaoMnle*
hatte der Kopf-
nmfiuig Eode
Morenbei
64 cm b«ti*-
gen, war d«im
bie Februu
■lieh aiemljcli
gleich gebli«'
b«D, Wie
aber leitileK
wieder be-
tiftcfatlich in-
genomnieD.
Kklamptiicli«
oder «pilep-
tiache AnAUe
waren niemiU
beobachtet
worden. Ali Therapie hatte Dr. W. anfange KalkeiMaa^riip, t^^
Jodkali, beides ohne ErTolg, angewendet
Statni praetens. Ziemlich gnt entwickellei Rind in gut«» E^-
nah rnogiEU Bland, mit reichlich entwickeltem Fettpolster. EUrpergevicbt
9400 g, Lftnge 69 cm, Bruetamfang 48 cm.
Der «tark TergrOseerte Sch&del ergab folgende Mbbbk:
Jodisjection in den Qebirnventrilcel b. Hydrocephalas chron. ini 361
GrOsste Circnmferenx 58 cm
Von der Spitze eines Proc. mastoid. zam andern , über
dem Scheitel gemesBCn 46 cm
Von der Nasenwarzel bis zur Protub. occipitalis über den
Scheitel 44 cm
GrOsster L&ngendorchmesser 18,26 cm
GrOsster Querdurchmesser 17 cm
Nach dem bekannten Typus des sich Öffnenden Blumenkelches sind
das Stirnbein stark nach vom, die Scheitelbeine seitlich auseinander
gedrängt. Die erweiterten subcutanen Venen der Kopfhaut schimmern
blau durch. Grosse Fontanelle weit geöffnet, die Suturen auf zwei
Fingerbreit klaffend. Fontanelle und die Zwischenräume zwischen den
Suturen vorgewölbt, elastisch, deutlich fluctuirend. Pat. vermag den
Kopf nicht aufrecht zu halten, ohne Stütze schwankt derselbe hin
und her.
Intelligenz zurückgeblieben. Blick starr. Augenbefund: Orbitaldach
nach abwärts gedrängt, obere Lider zurückgezogen, Bulbi nach unten
gerichtet, Pupille theilweise unter dem unteren Augenlid verborgen,
trabismus divergens geringeren Grades, Pupillen gleichweit, auf Licht-
einfall reagirend. Papillen sehr blass, etwas atrophisch. Netzhant-
gefässe sämmtlich auffallend dünn.
Die oberen und die unteren Extremitäten befinden sich zeitweise in
einem Zustande von Erschlaffung, zeitweise zeigt ihre Muskulatur spa-
stische Rigidität. Patellarrefleze gesteigert. Der Muse, rectus contra-
hirt sich schon beim Bestreichen der Haut des Schenkels. Harn eiweiss-
frei. An den inneren Organen keine pathologische Veränderung nach-
weisbar.
Die Frage; ob in diesem Falle überhaupt operirt werden
dürfe, WELT nach den Indicationen, welche Viktor v. Brons
für die Paracentese des chronischen Wasserkopfes aufstellt
(Zusammendrückbarkeit und Verschiebbarkeit der Knochen des
Schädelgewölbes, guter Ernährungszustand, dem Alter ent-
sprechende Entwickelung, Abwesenheit von Lähmungen und
fortdauernde Zunahme der Wasseranhäufung in den Hirn-
hohlen), zu bejahen; zudem fiel hierbei der Wunsch und die
Bitte der Eltern entscheidend ins Gewicht.
Es handelte sich also nur noch um die Wahl des ein-
zuschlagenden Verfahrens.
Aus der zur Entscheidung dieser Frage wichtigen Literatur sind
besonders hervorzuheben:
1.^ Ueber die Function des chronischen inneren Wasserkopfes. Von
Dr. Friedr. Wilhelm Oppenheim, Arzt in Hamburg. In Rust's Magazin
f. d. gesammte Heilkunde. 24. Bd. 1827.
2. Die Doctordissertation eines Chirurgus Leg[ionarius primarius,
loannes F. C. Stark: „De Hjdrocephali paracentesi^S Bostochii 1841.
8. Viktor T.Br uns: Die chirurgischen Krankheiten und Verletzungen
des Gehirns und seiner Umhüllungen. Tübingen 1854. S. 672 n. fi.
4. Beely, Krankheiten des Kopfes. Gerhard t*s Handbuch der
Kinderkrankheiten 6. Bd. II. Abth. S. 34. Tübingen 1880.
6. Huguenin, y. Ziemssen's Handbuch der spec. Pathologie und
Therapie. Snpplementband 1878.
6. Richard Pott, Ein Beitrag zur operatiyen Behandlung des
Hydrocephalus chronicus. Jahrbuch f. Kinderheilkunde XXXI. Bd. 1890.
S62 ▼. Ranke:
^FQr die Wahl des OperatioDsyerfahrens kamen demnach
aaf Grand der yorhandenen Erfifthrong, abgesehen von der
blossen Compression der Schädelkapsel ^ in Betracht:
1. Wiederholte einfache Paracentese.
2. Paracentese mit nachfolgender Jodinjection.
3. Paracentese mit Einlegong eines permanenten Drains,
wie sie neuerdings wieder Pott in Vorschlag bringt
Ich bespreche zunächst das letztere Verfahren« Herr
College Pott fflaubt ^^auf den dauernden Abfluss der
cerebrospinalen FlQssigkeit besonderen Werth und Nachdruck
legen za müssen, da ja bei allen Heilungsfallen, nach spon-
taner Berstung des Hydrocephalussackes, gerade das continuir-
liehe, massenhafte Aussickern der Flüssigkeit besonders be-
tont wird und man diese Naturheilungsprocesse möglichst
nachzuahmen sich veranlasst sehen wird/'^)
Nun ist aber doch herrorzuheben, dass dieser Vorschlag
ein sehr alter ist, dass derselbe aber auf Grund allgemeiner
Erfahrung über die Schädlichkeit einer plötzlichen, massen-
haften Entleerung der hjdrocephalischen Flüssigkeit schon im
vorigen Jahrhundert wieder aufgegeben wurde, damit nicht
,^lü8Bigkeit und Leben zugleich entfliehet
Schon Ausgangs des 16. Jahrhunderts hebt Forestus
hervor, dass „veteres in eo consensuisse, ne aqua una vice,
sed sensim evacueretür'^')
Abgesehen aber von dem Bedenken gegen einen ungehin-
derten Abfluss der Flüssigkeit durch einen Drain ist gegen
das Pott'sche Verfahren geltend zu machen, dass das Liegen-
lassen eines Drains die Möglichkeit einer Wundinfection ganz
besonders nahe legt.
Der von Pott behandelte Fall ging durch Wundinfection
zu Grunde. Auch der französische Chirurg le Gat, welcher
schon im Jahre 1744 eine eigene Canüle construirt hatte,
welche, sorgfaltig in der Stichöffnung befestigt, einen regulir-
baren Abfluss der hydrocephalischen Flüssigkeit ermöglichen
sollte, sah seinen Patienten, einen Knaben von 3Vi Monaten,
schon nach wenigen Tagen sterben.') Und Starck kommt
auf Grund der vorliegenden Literatur zu dem Urtheil: Nulla
autem commendatione dignum est, canulam in apertura relinqui,
quippe quae irritatione continua facilius inflammationem pro-
vocet et plus detrimenti importet, quam punctio saepius re-
petita.*)
1) a. a. 0. 8. 44.
8) Starck a. a. 0. S. 71.
8) Le Cat: A new Trocwrt for te pnnctare of HydrocepbalaB etc.
PhiloBOpbical Tranaaetioni Vol. XLVU. 176S. 4) a. a. O. 8. 78.
JodiDJection in den Gehimventrikel b. HydrocephaluB chron int. 363
Wenn nun auch in unserer Zeit der aseptischen Wund-
behandlung sich die Verhältnisse fiir ein derartiges Verfahren
wesentlich günstiger gestaltet haben, so scheint mir doch bei
aller Vorsicht die Gefahr einer Infection durch den Drain
noch immer so gross^ dass ich nicht wagen möchte, es nach-
zuahmen.
Wenn mit Recht als die beiden Hauptaufgaben bei der
Behandlung des chronischen Wasserkopfes hingestellt werden :
I. Umstimmung und Beschränkung der secretori sehen
Thätigkeit der Auskleidung der Gehirnhöhlen ^ neben
IL gleichzeitiger, allmählicher Entfernung der bereits
abgesetzten, wässerigen Flüssigkeit, so schien eine metho-
dische forcirte Compression des Schädels, mit welcher Trous*
seau die bekannte üble Erfahrung gemacht hat, indem er
bei einem 5 Monate alten hydrocephalischen Kinde das Sieb-
bein sprengte, sodass unter plötzlichem Äbfluss des Wassers
der Kopf wie eine Blase zusammenfiel imd der Tod sofort
eintrat^), ebenso aber auch die einfache wiederholte Function,
wenn auch gefolgt von massiger Compression, kaum einen
Erfolg zu versprechen.
Die Erfüllung der ersten Indication: die Umstimmung
und Beschränkung der secretorischen Thätigkeit des Ventrikel-
ependyms^ findet dabei zu wenig Beachtung.
Dagegen schien es wohl, dass wiederholtes Abzapfen der
Flüssigkeit, mit darauffolgender Jodinjection und sorgfaltiger,
massiger Compression, beiden Indicationen am besten ent-
sprechen könne.
Bekanntlich wird unter den spärlichen Heilungen des
chronischen Hydrocephalus ein Fall von Tournesco an-
geführt, in welchem durch Injection von verdünnter Jod-
tinctur dauernde Heilung erreicht worden sein soll.
Ich bin diesem Fall genauer nachgegangen und erlaube
mir, Ihnen kurz mitzutheilen, wie sich die Sache verhält:
Tonrnesco, Chirurg am stAuMschen Civilhospital in Bukarest,
berichtete im Jahre 1866 an die Society de Chirurgie in Paris (mit-
getheilt in Gazette des Uopitaux 1856. Nr. 123) Folgendes:
Einem zwei Mouate alten Knaben mit einem Eopfumfang von
56^^ cm wurden bei einer ersten Function 11 Unzen (830 ccm) Serum
ausgelassen; nach 24 Stunden hatte sich die Flüssigkeit wieder voll-
kommen ersetzt, 2 Tage später erfolgte eine zweite Function, bei
welcher 24 Unzen (720 ccm) Serum entleert wurden, unmittelbar darauf
Ii\jection einer Mischung, bestehend aus 12 ccm Jodtinctur und 24 ccm
destillirtem Wasser.
Das Kind erblasste und stiess einige Schreie aus. Die folgenden
Tage hatte es Fieber und litt an Verstopfung, wogegen Calomel ver-
1) Trousseau: Clinique Medical de Tfiötel Dieu de Faris 4. Edit.
Tome IL p. 321.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. XXXIX. 26
364 T. BanVe:
ordnet wurde. Nach 10 Tagen hörte das Fieber auf nnd am 88. Ta^
nach der Jodinjection hatte der Kopf nnr noch einen umfang von 44 cm,
war also um 12^ cm zurückgegangen. Derselbe Kopfumfang tod 44 cm
wurde auch noch bei einer zweiten Untersuchung 14 Tage sp&ter ge-
funden.
Die Mittheilang Tournesco's an die Society de Chirur-
gie war am 38. Tage nach der Operation geschrieben. «Ueber
den weiteren Verlauf des Falles wurde nichts mehr bekannt;
das scheint freilich darauf hinzudeuten, dass der schliessliche
Ausgang den Hoffnungen anf eine dauernde Heilung nicht
entsprochen haben dürfte.
Die Redaction der Gazette des Hopitaux reiht an diesen
Fall Tournesco's die Besprechung eines weiteren Falles,
des einzigen ähnlichen ihr bekannten, über welchen Daniel
Brainard, Professor der Chirurgie am Rush Medical College
in Chicago, zwei Jahre vorher (1854) gleichfalls an die Societe
de Chirurgie in Paris berichtet hatte.
Ein Mädchen von 4 Wochen hatte einen Kopfumfang von 19 Zoll.
Im Verlauf von 7 Monaten wurden 21 lojectionen gemacht, die tu*
Bammen 6,25 g Jod und 18,35 g Jodkalium enthielten. Bei den ersten
Operationen war nur immer so viel Serum ausgezogen worden, als Jod-
lösong injicirt werden sollte; bei den sp&teren worden 180 bis 360 g
Serum eztrahirt und bis ku 80 g Jodlösung injicirt Die erste Injection
hatte nur 3 m^ Jod und 6 mg Jodkalium enthalten, während sp&ter
als grösste Dosis einmal 60 cg Jod und 1,80 Jodkalium injicirt wurden.
Die lujectionen wurden anfangs in Pansen von 14 Tagen bis 3 Wochen,
später alle 6 oder 6 Tage wiederholt und niemals verursachten die-
selben Schmers oder bedenkliche Zust&nde.
Während der ersten <5 Monate der Behandlung verbesserte sich der
Gesundheitszustand des Kindes in auffallender Weise, der Kopf hatte
sich nach jeder Injection etwas verkleinert und war fast auf seine nor-
male Grösse zurücKgegangen.
Schliesslich aber im 7. Monate der Behandlung war dennoch der
Tod eingetreten: „avec les symptömes charact^ristiqnes de la derni^re
Periode de THydrocephalie.**
Diese beiden Fälle beweisen übrigens jedenfalls , dass
man mit der Injection von jodhaltigen Flüssigkeiten in die
hydropischen Gehimventrikel nicht gar zu ängstlich zu sein
braucht und dass dieselben in der That im Stande zu sein
scheinen, die secretorische Thätigkeit des Ependyms der Ven-
trikel zu beschränken.
Ich beschloss daher , faute de mieuz, dem Verfahren
Tournesco's zu folgen.
Von einer möglichst genauen klinischen Beobachtung
aller eintretenden Erscheinungen war zu hoffen, dass selbst,
wenn der Fall einen ungünstigen Ausgang nehmen sollte,
doch unsere Erfahrungen über die Wirkung der Jodinjection
bei chronischem Hydrocephalus eine wünschenswerthe Be-
reicherung erfahren würden.
Jodinjection in den Gehimventrikel b. Hjdrocephalas chron. int. 365
Zunächst sollte meine kleine Patientin vor der Operation
einige Tage in der Anstalt beobachtet werden, um den Tem-
peraturverlauf unter normalen Verhältnissen festzustellen. Wie
die Curve auf Seite 366 zeigt, war die Temperatur vom 11.
bis zum 16. Mai fortdauernd eine normale, um 37^, niedrigste
37^, höchste 37,3 ^
Am 16. Mai morgens 11 Uhr, nachdem Tags vorher der ganze
Kopf rasirt worden war, achritt ich zur Operation, welche ohne Nar-
coae, mit sorgfältig sterilisirten Instrumenten, ausgeführt wurde.
Ein 2 mm starker Troicart eines Potain'schen Aspirators wurde in
der linken Eranznaht, ca. 8 cm seitlich von der Pfeilnaht, 4 bis 5 cm
tief eingestochen und wurden 32(f com eines schwach gelblich ge-
färbten, klaren Serums entleert.^)
Der Kopf war nach dieser Flüssigkeitsentziehung ziemlich stark
eingefallen und machte in Folge des Einsinkens der Nähte und des
Vorstehens der Enochenkanten einen eigenthümlich dilapidirten Ein-
druck.
Sofort wurden 30 ccm einer sterilisirten, auf 37 ^ erwärmten Lösung,
bestehend aus 10 g Jodtinctur und 20 g Wasser, injicirt, die'Wunde mit
Jodoformgaze bedeckt und der ganze Eopf mit ca. 3 cm breiten Heft-
pflasterstreifen massig fest umwickelt.
Die Temperatur wurde während der ersten drei Tage stündlich, an
den folgenden Tagen, bis zur Entlassung, zweistuudlich gemessen.
Unmittelbar nach der Operation erfolgte ein leichter GoUapszustand,
die Gesichtsfarbe wurde biass und leicht cyanotisch, die Gesichtszüge
traten mehr markirt hervor, besonders die Nasolabial falte; die Tem-
peratur sank auf 36 \ Pupillenreaction gehörig. Die Extremitäten fühlen
sich kühl an, werden jedoch kräftig bewegt und Fat. schreit ziem-
lich laut.
Dreiviertel Stunde nach der Operation zweimaliges Erbrechen, das
sich während des Tages noch einige Male wiederholt. Fat. nimmt
einige EaffeelöfEel Wein zu sich und saugt kräftig an einem Saug-
gummi. Der Puls hebt sich allmählich wieder, bleibt aber immer noch
klein und weich; Hautfarbe noch blass. Die Temperatur, die um
12 Uhr Mittags, 1 Stunde nach der Operation, auf 86^ gefallen war,
steigt bis 4 Uhr Nachmittags auf S8,'9.
Fat. nimmt Wein und Milch zu sich und ist ganz ruhig. Urin-
entleerung gehörig, kein Stuhl. Seit 6 Uhr Nachmittags sistirt das
Erbrechen.
Die Nacht vom 16. auf den 17. verlief, während die Temperatur
allmählich auf 40^ anstieg, unruhig; Patient weinte öfters und der
Schlaf war vielfach unterbrochen.
1) Die chemische Untersuchung dieser Flüssigkeit wurde in dem
Laboratorium des Herrn Geheimrath v. Yoit, durch dessen L Assi-
stenten Herrn Privatdocent Dr. G r e m e r ausgeführt und ergab fol-
gende Zahlen:
In 1000 Theilen waren enthalten:
Wasser . . .
989,9
Feste Stoffe. .
10,1
Eiweiss . . .
0,71
Extractivstoffe
0,75
Salze . . . .
8,44.
25
T. Eanke:
Cnrre voa Laiie F.
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I - 1
Lid
Jodinjection in den Gehirnventrikel b. Hjdrocephalas chron. int. 367
Am Morgen erfolgte spontan ein weicher breiiger Stuhl von grau-
grflner Farbe.
Pai stöhnt häufig, schreit auch öfters laut auf. Von Zeit zu Zeit
stellen sich Streckkrämpfe ein, wobei die Hand, mit eingeschlagenem
Daumen, sich zur Faust ballt und die oberen und unteren Extremitäten
auf kurze Zeit in tonische Starre yerfallen, um bald wieder zu er-
schlaffen.
Mittags 12 Uhr: Es trat wieder Erbrechen ein, die Streckkrämpfe
wiederholen sich häufiger und dauern länger an. Nystagmus, Temp.
40,3 ^ 7 Uhr Abends: Das Erbrechen hat nachgelassen, Pat. stöhnt
viel. Die Bnlbi scheinen tiefer eingesunken, Pupille von dem unteren
Augenlide vollständig verdeckt. Puls klein, freqnent, regelmässig; Tem-
peratur 38,0.
18. y. Nacht ruhiger, doch schreit Pat. Von Zeit zu Zeit laut
auf. Extremitäten kühl, Puls kaum fühlbar. Die Temperatur bewegt
sich um 38 ^
Ord.: Wärmflaschen. Wein, Eampher. Im Laufe des Tages blieb
der Puls sehr freqnent, klein, kaum fühlbar und Hess eine deutliche
Irregularität erkennen; Athmung gleichfalls nicht regelmässig, indem
oberflächliche Athemzüge mit seufzenden Inspirationen wechseln. Zu-
weilen noch lautes Aufschreien, Nystagmus.
Das Erbrechen hat zwar aufgehört, Patient verweigert aber die
Nahrung. Die Extremitäten zeigen andauernd einen geringen Grad
tonischer Starre, fieflexerregbarkeit erhöht, Pat. zuckt bei jeder Be-
rührung zusammen, ebenso bei jedem lauten Geräusch; streicht man
mit der Hand über die Haut der ESxtremitäten, so nimmt die Rigidität
und Contractur der Muskulatur zu.
Ord.: Eisbeutel auf den Kopf, Calomel 0,05, worauf zwei weiche
Stühle.
19. V. Nacht im Ganzen ruhig, noch immer aber hie und da lautes
Aufschreien. Für kurze Zeit steigt die Temperatur in den Morgen-
stunden auf 40,8 und sinkt dann allmählich wieder. Die Gesichtsfarbe
hat heute etwas Wachsartiges, Gesichtsausdruck starr, etwas schmerz-
haft verzogen. Pat. ist sehr ruhig, seufzt nur zuweilen auf. Die Ex-
tremitäten zeigen noch immer eine gewisse tonische Starre. Puls sehr
freqnent (162), deutlich unregelmässig, während die Athmung nichts
Charakteristisches bietet. Die Nahrungsaufnahme erfolgt wieder ge-
hörig, kein Erbrechen, weicher Stuhl. Augenbefund unverändert, wie
vor der Operation. Nachmittags Erbrechen, leichte Diarrhöe.
20. V. In der Nacht schrie Pat oft längere Zeit und schlief sehr
wenig. Im Laufe des Morgens nochmaliges Erbrechen, Puls noch un-
regelmässig, sehr frequent; Athmung regelmässig, Temperatur um 38 ^
Zeitweise besteht Strabismus divergens. Die Extremitäten, wie früher,
leicht rigide. Geringe Diarrhöe. Patient wechselt öfter die Farbe. Im
Harn Jod noch deutlich nachweisbar.
21. V. Nacht ruhig, das Aufschreien hat nachgelassen. Pat. sieht
heute entschieden besser aus und nimmt reichlich Nahrung; kein Er-
brechen mehr.
Seit heute früh treten etwa alle fünf Minuten leichte klonische
Zuckungen in den oberen Extremitäten auf. Die Arme werden von
der Bettunterlage gehoben, die Finger etwas gespreizt, die ganze Ex-
tremität verfällt in einen kurz andauernden Tremor; zu gleicher Zeit
stellt sich wieder Nystagmus ein, manchmal auch Aufschreien. Puls
frequent (156), regelmässig, Athmung ruhig. Stuhl diarrhöisch. Tem-
peratur in den Morgenstunden 39,9.
Am 22. y. zeigte sich das Körpergewicht auf 8700 g vermindert.
Die Nacht war ruhig verlaufen, nur zuweilen erfolgte lautes Aufschreien.
368 V. Ranke:
Eine erhöhte Empfindlichkeit gegen Hassere Reise (Berfihmng oder €re-
rausche) besteht noch und äussert sich jetzt h&optsftchlicli durch sehr
kr&ftiges, lautes Geschrei. Wenn kein Äusserer Reis einwirkt, ist Patient
ruhig und lutscht an dem Gummi. Die Lidspalte wird wieder weiter
geöffnet, Pupille nicht mehr Tom unteren Augenlide bedeckt. Puls fre-
quent(160), noch leicht unregelm&ssig; Athmung regelm8a8ig(30), Tem-
peratur meist unter 38. Stuhl diarrhöiach. Die Muskeln der Extremi-
täten fortdauernd in einem Zustand von Rii<idit&t
Der seitliche rechte obere Schneidesahn ist durchgebrochen, der
correspondirende untere im Durchbruche begriffen.
28. V. Nacht sehr unruhig, Pat. schrie sehr viel, auch stellte
sich wieder Erbrechen ein. Puls regelmässig (120), Athmun? rahig (32),
die Temperatur steigt während der Morgenstunden nochmals auf 39,5
und fällt gegen Abend jähe ab, auf 37,2.
Die Rigidität der Muskulatur besteht fort, ebenso die grosse Reiz-
barkeit. Patient schreit laut und lange.
Im Harn noch Jod nachweisbar.
24. V. In der Kacht schrie Pat häufig sehr laut Erbrechen
nur noch selten. Stuhl normal. Puls 124, regelmässig. Athmung 36;
die Temperatur erreicht um 8 Uhr Morgens nochmau 39^ und fällt
dann bis Abends 7 ühr auf 37 ^ Appetit gut. Noch immer besteht
Sosse Erregbarkeit gegen äussere Reise, ebenso die Rigidität der
uskulatur. Der rechte seitliche untere Schneidesahn ist durch-
gebrochen.
26. V. Pat schreit noch viel und laut, Puls regelmässig, 124,
Respiration 30, Temperatur schwankt um 38 ^ Sonst Status idem.
Im Harn noch deutlich Jod nachweisbar.
26. y. Nacht unruhig, kein Erbrechen. Der ganse Zustand des
Patienten scheint sur früheren Norm surückzukehren. Puls regelmässig,
126, Respiration 82, höchste Temoeratur Nachmittags 2 Ohr 38,4 ^
27. V. Nacht unruhig. Nanrungsaufnahme reichlich, ohne Er-
brechen. Im Harn noch Jod nachweisbar.
Der Heftpflasterverband wird abgenommen. Die Einstichstelle ist
reactionslos verheilt Die Eopfbant fhhlt sich wenig gespannt und sehr
weich an.
Die Messung ergiebt folgendes Resultat: Vor der
Operation
Circumferens 56 cm 68 cm
Von der Spitse eines Proc. mast sum anderen über
den Scheitel gemessen 44 46
Von der Nasenwursel bis su den Protub. occip. . . . 38,5 44
Grösster Längen durchmesser 17,5 18,25
Grösster Querdurch messer 17,0 17,0
Bis auf den grössten Querdurchmesser, welcher unTerändert ge-
blieben, seigen also alle Maasse eine nicht unbeträchtliche Verminde-
rung; am erheblichsten ist die Verminderung von der Nasenwursel über
den Scheitel bis sur Protuberans des Hinterhauptes.
Neuer Verband, diesmal mit Zinkmullpflaster, um die Kopfhaut
nicht SU reisen. Es wird wieder die ganze Schädelkapsel durch ca. 8 cm
breite, siemlich fest angelegte Pflasterstreifen umgeben.
28. V. Patient schuef ruhig, nahm reichlich Nahrung, hatte kein
Erbrechen mehr. Stuhl breiig. Während sich früher t^im Schlafen
die Augen niemals ganz schlössen, werden dieselben im Schlafe jetst
von den Lidern vollkommen bedeckt.
Im Harne noch Spuren von Jod vorhanden. Temperatur zwischen
37,0 und 38 ^
JodiDJection in den Gehirn ventrikel b. Hydrocephalus chron. int. 369
29. y. Keine Störung im Befinden , alle Functionen wie vor .der
Operation. Temperatur normal.
30. y. Status idem. Heute kein Jod mehr im Harne nachweifibar.
Körpergewicht 8000 g.
1. yi. Links oliMen und unten ist je der I. Prämolarzahn durch-
gebrochen.
3. yi. Nahrungsaufnahme und Stuhl gehörig. Im Harn zeigen sich
geringe Spuren von Eiweiss und die beiden Knöchel sind leicht öde-
matös geschwellt; sonst Status idem.
4. yi. Wohlbefinden, yerbandwechsel. Kopfhaut unter dem yer-
bande reactionslos, nur wenig gespannt; die Knochen an ihren Rändern
leicht verschieblich.
Die Kopfmaasse ergaben wieder genau dieselben Zahlen vne am
27. y. Körpergewicht 7800 g. Temp. seit dem 28. y. normal.
Auf Wunsch der Eltern wird das Kind nun entlassen, um auf das
Land gebracht zu werden.
Es wird vereinbart, dass die Mutter bei einer etwa eintretenden
Störung im Befinden des Kindes sofort Nachricht gebe, yon einer wei-
teren Function wurde einstweilen abgesehen.
Die Sache ging aber anders, als es damals den Anschein hatte.
Während der ersten zwei Tage nach der Entlassung befand sich
das Kind noch wohl, dann aber stellte sich, vielleicht im Zusammen-
hang mit dem Milch Wechsel, ein heftiger Darmkatarrh ein, mit höchst
übelriechenden Entleerungen, zugleich stieg die Temperatur auf 40® und
aus einem, an dem untern Theil der rechten Ohrmuschel bestehenden
Eczem entwickelte sich ein Geschwür.
Als ich das Kind am 8. VL im Gonsilium wieder sah, war es be-
reits hochgradig verfallen.
Am 9. yj. verweigerte es die Nahrung und die Schwäche nahm
rapid zu.
Am 10. yi. erfolgte der Tod unter den Erscheinungen von Er-
schöpfung.
Die Obduction wurde am 11. Juni von dem I. Assistenten des pathol.
Listituts, Herrn Privatdocent Dr. Schmaus, ausgeführt. Aeussere Be-
sichtigung:
Geringes Fettpolster. Muskulatur massig entwickelt. Schädel sehr
stark vergrössert, Augen tiefliegend, Stime vorgewölbt, Gesicht ver-
hältnissmässig klein. Am rechten Ohr, am hinteren und unteren Theil
der Ohrmuschel eine, ein paar Centimeter lange, rothe bis graurothe,
eingetrocknete, offenbar nekrotische Stelle. Todtenstarre und Todten-
flecke vorhanden.
Nervensystem: Schädel sehr ausgedehnt, Circumferenz 58 cm. Fon-
tanelle und Nähte weit klaffend, grosse Fontanelle von unregelmässig
dreieckiger Form, 10 cm im Quer-, 6 cm im Sagittaldurchmesser. (S.Ab-
bildung S. 870).
An der Stimnaht das linke Stirnbein über das rechte Scheitelbein,
in der Pfeünaht das linke Scheitelbein etwas über das rechte ver-
schoben. In den beiden Scheitelbeinen einige, bis 20 pfennigstückgrosse
Knochendefecte mit membranösen Stellen statt des Knochens. Schädel-
knochen dünn, durchsichtig. Diplöe blass. Scheitelbeine in der Gegend
der Scheitelbeinhöcker stark vorgebuchtet, ähnlich die Stirnbeine an
den Stirnbeinhöckern. Dura mit dem Schädeldache verwachsen, sehr
trocken, matt glänzend. Beim Einstechen in die rechte Hemisphäre
entleert sich reichlich wasserklare, etwas gelblich gefärbte Flüssigkeit,
im Ganzen ungefähr iL— Hemisphäre in der Scheitelbeingegena un-
372 V. Ranke:
Gehirnsymptome und Ism^er dauerndes Fieber hervorrief, dass
aber diese Wirkungen 14 Tage nach der Operation YoUkommen
Terschw\inden waren.
Vierzehn Tage nach der Operation war auch im Harn
kein Jod mehr nachweisbar, ebenso wurde in dem bei der
Obduction entleerten Ventrikelwasser keine Spur von Jod
mehr vorgefunden.
Bei seinem Durchpassiren durch die Nieren hatte, wie
es scheint, das Jod in diesen Organen einen leichten Beiz-
zustand hervorgerufen, der sich am 3. Juli durch Spuren von
Eiweiss im Harn und leichte Enöchelschwellung manifestirte.
Auch bei der Section wurde in den Nieren „eine leichte,
trübe Schwellung^' gefunden, die möglicherweise noch als Jod-
wirkung aufzufassen ist, keinesfalls aber als Todesursache
angesprochen werden kann.
Der Tod trat ein in Folge eines acuten Darmkatarrhs,
der die Kräfte des Kindes rasch erschöpfte.
Dabei verhehle ich mir jedoch keineswegs, dass der Tod
durch die neu eintretende Schädlichkeit um so leichter herbei-
geführt werden konnte, als das Kind durch die Operation ge-
schwächt und durch das sich daran anknüpfende Fieber in
seinem Körpergewicht wesentlich reducirt worden war.
Aber selbst, wenn diese Schwächung durch die Jod-
injection zugegeben werden muss, so bleibt doch immer noch
die relative Toleranz der erweiterten Gebimventrikel gegen
grosse Dosen Jod als eine beachtenswerthe biologische Er-
scheinung bestehen.
Wie die Untersuchung der Auskleidungsmembran des in-
jicirten Ventrikels beweist, hatte das Jod in demselben eine
Art von Adbäsiventzündung erzeugt, zugleich das Quantum
der ergossenen Flüssigkeit etwas vermindert und den Eiweiss-
gehalt derselben wesentlich erhöht.
Als unmittelbare Jodwirkung ist demnach eine Adbäsiv-
entzündung der Ventrikelwand mit einer Tendenz zur Ver-
kleinerung der Höhle zu constatiren.
Von den klinischen Begleiterscheinungen dieses entzünd-
lichen Vorganges im Ventrikel ist besonders der Verlauf des
Fiebers, wie er in der Curve sich darstellt, beachtenswerth.
Die Ausscheidung des Jods durch die Nieren hatte, wie
es scheint, einen gewissen Grad von Nierenreizung verur-
sacht
Die Nachweisbarkeit des Jods im Harn währte 14 Tage
und das Verschwinden des Fiebers fiel mit dem Verschwinden
des Jods im Harn zeitlich zusammen.
Jodinjection Id den Gehirn Ventrikel b. Hjdrocephalus chron. int. 373
Das ist wohl in Kürze das Wesentlichste , was der mit-
getheilten Beobachtung zu entnehmen ist
Fragen Sie mich nun, ob ich bei einem zweiten sich
etwa in Zukunft mir bietenden, ähnlich gelagerten Falle mich
berechtigt halten wQrde, wieder ähnlich zu verfahren, so ant-
worte ich: ja.
Ich Würde zwar jedenfalls mit schwächeren Injectionen
beginnen, aber, so skeptisch ich an die Sache herantrat, so
scheint doch wirklich die Möglichkeit vorzuliegen, das Epen-
djm des erweiterten Gehirn Ventrikels, ohne dabei das Leben
zu sehr zu gefährden, durch Jodinjection in ähnlicher Weis*
zu beeinflussen^ wie wir z. B. bei Hydrocele die secretorische
Thätigkeit der Tunica vaginalis, durch Einleitung von Ad-
häsiventzündung, zu beseitigen im Stande sind.
Natürlich wird von den Jodinjectionen bei Hydrocephalus
nur dann etwas zu erwarten sein, wenn das Leiden noch nicht
gar zu weit vorgeschritten ist.
Was freilich damit erreicht sein würde, wenn es wirk-
lich gelänge, den Wassererguss in die Gehirnventrikel zu be-
seitigen oder doch wesentlich zu beschränken, wie dann die
Gehirnfunctionen sich entwickeln würden, darüber fehlen zur
Zeit alle Anhaltspunkte.
Axel JohanDeBsen: Studien z. Secretionsphysiologie d. Frauenmilch. 381
der Secretion selbst in jedem Augenblick wird verändern
können.
Es versteht sich von selbst, dass man in der kurzen
Zeit, welche hier auf dem Congresse einem Vortrag zugemes-
sen ist, nur ganz flüchtig einzelne der gefundenen Resultate
wird skizziren können, welche ich übrigens; obwohl meine
Untersuchungen sich bereits über ein halbes Jahr ausgedehnt
haben; noch ferner zu erweitern suche, namentlich um Auf-
schlüsse zu gewinnen über die Menge des Secrets und dessen
Beziehung zur Ernährung.
Als Material habe ich Frauen benutzt, die mit ihren er-
krankten kleinen Kindern die üniversitätspoliklinik für Kinder-
krankheiten zu Kristiania; besucht haben. Untersucht wurden
im Ganzen 25 Frauen in einem Alter von 20 — 46 Jahren,
von Ipara zu VIII para, vom 1. bis zum 13. Monat der Stil-
lung, eine im 19. und eine sogar im 21. Monat.
Von den untersuchten Frauen waren 8 Brünetten, 11 Blon-
dinen, 6 hatten dunkles Haar und blaue Augen. Eine war
unverheirathet, die übrigen verheirathet mit Arbeitern, Hand-
werkern oder Kaufleuten. Eine war vom Lande, die übrigen
wohnten in Kristiania und zwar meistens in dürftigen Ver-
hältnissen.
Bei den meisten wurden die Untersuchungen täglich Mo-
nate hindurch vorgenommen, andere konnten nur mit kür-
zeren oder längeren Unterbrechungen untersucht werden, ein*-
zelne nur einige wenige Male.
Die Untersuchungen wurden auf folgender Weise aus-
geführt: Zuerst wurde die Frau untersucht, ihr Körperbau,
die Brüste, die Warzen; es wurde eine genaue Anamnese auf-
genommen über ihre Ent Wickelung, Kindbetten und Krauk-
heiteu. Sodann wurde das Kind untersucht, seine Entwicke-
lung, Gesundheitszustand, Maass und Gewicht. Femer wurde
angemerkt, was die Mutter in den letzten 24 Stunden ge-
nossen hatte, sowohl an Qualität als an Quantität. Um
genaue Bestimmungen des Gewichts der genossenen Nahrungs-
mittel zu erhalten, assen die Frauen sehr oft im Kranken-
hause, wo die Speisen abgewogen oder zugemessen wurden.
Nachdem die Frau zum letzten Mal vor 3 — 4 Stunden
die Brust gegeben hatte, oder bei den kleinsten Kindern vor
2-^3 Stunden, wurde das Kind an die Brust gelegt, und
man liess es 1 — 2 mal saugen, darauf wurde zuerst an der
rechten, dann an der linken Warze ein Saugglas applicirty
welches 50 — 60 ccm aufnahm und mit einem Guttapercha-
schlauch mit Mundstück versehen war. Bei der Verbindung
zwischen dem Schlauch und dem Saugglas war etwas ge-
reinigte Watte. Durch den Schlauch sog dann die Mutter
26*
XIX.
Beobaehtangen ttber Darminvagination bei Kindem.
Vortrag gehalten in der Gesellschaft für Kinderheilkunde
in Wien 1894.
Von
Prof. H. HiRSGHSPRUNG, Kopenhagen.
Mit Tier Tafeln.
Die Darminvagination ist eine Krankheit, die durch ihr
häufiges Vorkommen im Kindesalter, und zwar vorzugsweise
bei kleinen Kindern, dem Kinderarzte ein ganz ungemeines
Interesse darbietet, eine Krankheit von so eminenter Bedeu-
tung fQr das Leben des befallenen Kindes, dass das nie ge-
schwächte Interesse mit jedem neuen Falle wiederum erregt
wird. Ob die Natur, sich selbst überlassen, die Heilung je
bewerkstelligen könne, wird immer in hohem Grade zweifel-
haft bleiben; der Einsatz ist in jedem vorkommenden Falle
das Leben des Kindes.
Schon früh ward meine Aufmerksamkeit auf diese Krank-
heit hingelenkt. Im Jahre 1877 veröffentlichte ich eine Reihe
von acht Fällen, und im Jahre 1884, beim internationalen
ärztlichen Congress zu Kopenhagen, brachte ich, an neun-
zehn von mir selbst beobachtete Fälle anknüpfend, die Häufig-
keitsverhältnisse der Krankheit zur Discussion. Während der
seitdem vergangenen Zeit sind neue Fälle fortwährend zu-
geströmt. Im Juli 1873 behandelte ich meinen ersten Fall,
und am Abschluss der vorliegenden Arbeit, im Juli 1894,
also nach 21 Jahren, verfüge ich über nicht weniger als
64 Fälle bei 61 Kindern (bei drei Individuen wiederholte
sich die Krankheit mit Zwischenräumen von Monaten bis zu
einem Jahre). Die Mehrzahl der Fälle wurde im Kinder-
hüspitale beobachtet und behandelt, nur einige in der Privat-
praxis. In jedem einzelnen Falle ist die betreffende Kranken-
geschichte an sich hinlänglich bezeichnend, jo^eschweige denn
die oftmals am Sectionstische erhaltene Bestätigung der Dia-
i
Invaginaüo ileo-coecalis.
11 Fälle.
IHt, Graefnnüsr in allai f'äBai im. Lebm. naduforiett
JiJirb.i:Biiäa*allaiiidi,Bil.imX.
h
Invaginalio coli
7 Fälle.
Tafel n.
•44.
1 @
« v:
S2.
5U.
se.
Geschwulst in aßen Fällen, fujuh^ewrusen, am, SxtnkenJbett
* Ve. Gesdorulst, sehr hewetfHih.
'.Binmrr
Jahrb. f.Mmderhalkuiide . Bd^lSSXEK.
Jith.Ansl r.t'Kir.t.
Tafel M.
Iiivaginalio ilii .
6 Pälle .
•/;:
30.
51.
61
«e.
^oül: Gesdcsndst erst heb der Sektion^ rvou^ewteseju.
* ij. J)it> Gesdamlst sehr hetngUdh/.
fM K CBüimtr.
Jahrb. f.mndaitalhm£bb,BdxJXinC.
2ä1LAi£t^.CM
400 H. HirachspraDg:
des Misslingens mu88 hauptsächlich in den kleinen Dimen-
sionen der Geschwulst gesucht werden. Dies gilt beson-
ders Yon der Inv. ileo-colica: in drei Fällen war die bei der
Section nachgewiesene Länge nur resp. 6, 8, 10 cm. Bei der
Inv. ilei war sie durchschnittlich etwas grosser: in vier Fällen
zwischen 8 und 10 cm. Bei dem opiumvergifteten Kinde hatte
die Geschwulst eine Länge von 14 cm, und hier war der
Nachweis gelungen.
In beiden Formen der Dünndarminvagination wird die
Geschwulst in der rechten Seite zu sucheu sein, es giebt
aber Ausnahmen. Unter 6 Inyaginationes ilei fand man
sie viermal in der rechten Seite, was darauf zu beziehen
ist, dass 8ich die Invagination am häufigsten im untersten
Theile des lleums bildet —, einmal über dem Nabel, aber in
solchem Maase beweglich, dass sie manchmal in der rechten
Seite gefunden wurde, wo sie zweifelsohne ihr Domicil hatte,
und einmal in der linken Seite, weil, wie schon erwähnt,
im oberen Theile des Dünndarms entstanden. Unter den
5 Fällen von luv. ileo-colica war die kleine Geschwulst
viermal in der rechten Seite des Unterleibes belegen, einmal
aber links, wo sie bei der Laparotomie gefunden wurde.
Da der unterste Theil des lleums es ist, welcher darch
die Klappe dringt, wird es nicht überraschen können, dass
die Geschwulst am häufigsten rechts gefunden wird. Besinnt
man sich indessen auf die grosse Beweglichkeit des kind-
lichen Blinddarms und geht man von der Voraussetzung aus,
eine gewisse Festigkeit der Lage des Blinddarms sei die Be-
dingung, dass der Darm sich durch die Klappe hinunterschiebe,
dann muss es eher Wunder nehmen, dass diese Form der
Invagination überhaupt zu Stande kommen kann. In der
That war auch in den beiden ersten Fällen das Coecum durch
ein ganz kurzes Gekröse straff befestigt Spätere Erfahrungen
haben jedoch zur Genüge bewiesen, dass die Voraussetzung
nicht stichhaltig ist^ und dass das Ileum sich den Weg durch
ein flottirendes Coecum unschwer bahnen kann. Es soll
hinzugefügt werden, dass bei keinem der betreffenden In-
dividuen die Klappe mangelhaft gefunden wurde, das Gegen-
theil ist vielmehr der Fall gewesen.
Aus der obigen Auseinandersetzung wird man sich von
der hervorragenden Bedeutung überzeugt haben ^ welche zur
Lösung der Aufgabe, am kindlichen Krankenbette die ver-
schiedenen Formen der Invagination zu unterscheiden ^ der
Geschwulst beizulegen ist. Die Lage der Geschwulst, ihre
Grösse, ihre Form, ob sie leicht oder etwa gar nicht nach-
gewiesen werden kann, die übrigen Eigenthümlichkeiten, welche
Beobachtungen über Darminvagination bei Kindern. 401
sie darbietet; das sind die Momente, aus welchen mau seine
Schlussfolgerungen zieht. Auch von anderer Seite empfangt
man ja Beiträge , deren Bedeutung für eine so schwierige
Aufgabe nicht unterschätzt werden darf« Alles wohl über-
legt, wird es vielleicht nicht zu dreist erscheinen, als das
Resultat dieser Erwägungen auszusprechen, dass es manch-
mal möglich sein wird, mit grosser Wahrscheinlichkeit
die differentielle Diagnose zwischen der Invaginatio ilei
upd der Invaginatio ileo-colica auf der einen, der Invagi-
natio ileo-coecalis und der Invaginatio coli auf der andern
Seite zu machen, und dass man in mehrfachen Fällen
durch aufmerksame Beobachtung die beiden letztgenannten
Formen von einander wird unterscheiden können.
Dies sind Fragen von nicht nur wissenschaftlichem Inter-
esse. Dass die Entscheidung auch von praktischer Bedeutung
wird sein können, werde ich zu berühren veranlasst werden,
indem ich jetzt zur Erörterung derjenigen Behandlung über-
gehe, welche sich in dem Erankenhause, wo ich meine Er-
fahrungen zusammengelesen, zur Methode entwickelt hat.
Das Chloroform ist ein unentbehrliches Hilfsmittel ge-
worden. Man chloroformirt auf den Verdacht hin, es liege
eine Invagination vor, um seinen Verdacht entweder bestätigt
oder entkräftet zu sehen, und man chloroformirt auch, wenn
die Diagnose völlig gesichert ist, um die Sachlage genauer
zu untersuchen. Man gebraucht ferner die fortdauernde Nar-
kose, um durch Abschwächung der Bauchpresse, vielleicht
auch der peristaltischen Bewegung der anzuwendenden Be-
handlung die günstigsten Bedingungen zu bereiten.
Bis vor wenigen Jahren war die Wassereinspritzung die-
jenige Behandlung, welche nach festgestellter Diagnose gleich
ins Werk gesetzt wurde. In den letzteren Jahren hat sich
aber die methodische Massage zur Seite der Einspritzung
zur Seite gestellt und wird jetzt in jedem geeigneten Fall zur
Anwendung gebracht. Ohne jeden Zweifel wird sich das Feld
der Massagebehandlung erweitem. Theoretisch eignet sie sich
für alle Fälle, in der Praxis hat sie aber eine gewisse Begren-
zung. Sie muss so frühzeitig angewendet werden, dass die
durch die Blutstauung hervorgerufene Intumescenz keinen un-
überwindlichen Widerstand leistet. Die Geschwulst muss leicht
zugängig sein und der Bauch so schlaff, dass sie angefasst,
manipulirt und comprimirt werden kann. Auch muss die Behand-
lung geduldig während etwa zehn Minuten fortgesetzt werden.
Auf diese Weise wurden bei uns vier Kinder zwischen vier
und 9 Monaten geheilt. Es war mein dan^iliger erster Assi-
402 H. HirBchsprong;
steDty Herr Dr. Weich mann, der die Methode in unserem
Erankenhause mit Glück inaugurirte. Ein paarmal f&hlte,
man deutlich die Reposition mit Plätschern (gargouillement)
vor sich gehen. Jedenfalls thut man am besten, das Resultat
durch eine nachfolgende Einspritzung zu sichern. Weit öfter
ivurde die Massage allerdings ohne Nutzen angewendet. Sie
ist aber so rationell, in so geringem Grad eingreifend, so
wenig irgend eine nachherige Behandlung präjudicirend, dass
sie versucht zu werden verdient. Namentlich den Dünndarms-
invaginationen gegenüber würde die Massage ausgezeichnet
an ihrem Platze sein, weil die übliche Behandlung bei diesen
Formen fehlschlagen wird. Unglücklicherweise ist gerade bei
dieser Localisation die Geschwulst in der Mehrzahl der Fälle
unzugänglich, es sollte denn sein, man wäre so glücklich,
den Kranken sehr früh in die Behandlung zu bekommen. Ist
in solchen Fällen die Massage vergebens versucht worden,
würde es meiner Meinung nach vorzuziehen sein, von jeder
anderen Behandlung abzusehen und unverzüglich zur Operation
zu schreiten.
In jedem anderen Falle geht man, wenn sich die Mas-
sage erfolglos gezeigt hat, in derselben Sitzung, während das
Kind anhaltend tief chloroformirt ist, zur Wasser ein spritzung
über. Dieselbe wird bei uns stets mit der Eljsopompe und
bei hochgelagertem Becken vorgenommen. Um das Wasser
möglichst weit hinaufzubringen, geschieht die Einspritzung
durch eine Oser'sche Rohre, die in den Mastdarm hinein-
geführt wird, während die Analöffnung von einem Gehilfen
so dicht wie möglich um die Röhre herum festgehalten wird.
Der Widerstand ist in der Regel leicht zu überwinden, so-
bald das Einströmen des Wassers beginnt; selbst die im
Rectum etwa befindliche Geschwulst weicht leicht zurück, die
Gummiröhre rückt immer weiter vor und bald spürt man
deren Spitze durch die Bauchwand. Eine auf dem Unter-
leibe angebrachte Hand sucht den Strom durch einen leichten
Gegendruck zu reguliren. Oft strömt das Wasser kurz nach
Anfang des Verfahrens mit unwiderstehlicher Kraft wieder
heraus, und die Procedur muss wiederholt werden, um dies-
mal vielleicht zu gelingen; in manchen anderen Fällen wird
der Dickdarm schnell gefüllt, es zeigt sich eine gleichmässige
Ausspannung, auch die früher vielleicht leere Partie in der
Fossa iliaca fühlt sich ausgefüllt, und der Zeitpunkt ist da,
wo eine Fortsetzung unrathsam erscheint. Das eingespritzte
und zurückgehaltene Wasser kann sich auf 10 — 1200 g be-
laufen. Das Herausströmen des Wassers lässt man langsam
und durch die zurückgelassene Röhre geschehen. Uebrigens
ist der Darm an sich geneigt, das Wasser nicht auf einmal,
BeobachtuDgen über Darminvaginatioii bei Kindern. 403
sondern stossweise auszutreiben. Macht man, während das
Wasser noch drinnen ist, eine Exploration des Mastdarms,
so wird man die Schleimhaut ad maximum aufwärts gezogen
finden. Man darf selbst nach gelungener Reposition nicht
erwarten, das zurückströmende Wasser mit Excrementen ge-
mischt zu finden; solche erscheinen in der Regel erst nach
mehreren Stunden.
Es entsteht jetzt die schwierige Frage, ob die Repo-
sition gelungen sei. In dieser Beziehung kann man im
gegebenen Äugenblicke noch nichts durchaus Sicheres wissen.
Zwar geschieht es, dass man während der Affaire durch die
bei der Reposition der Brüche bekannte Empfindung einen
bestimmten Eindruck bekommen kann, solches ereignet sich
aber höchst selten. Dass man keine Geschwulst fühlt, ist
nicht entscheidend; dieselbe konnte sich z. B. unter die Leber
erstreckt haben. Die Geschwulst könnte auch bis auf eine
ganz kleine Partie reducirt sein, den ursprünglichen, nicht
reponirten Anfang der Affection enthaltend, aus welchem sich
die Geschwulst sehr bald in der früheren Gestalt wiederum
entwickeln wird. Einen sicheren Beweis, dass die Passage
reconstruirt und die Krankheit gehoben ist, bekommt man
erst in die Hände, wenn Fäcalien den Weg nach dem Mast-
darme gefunden haben und die Geschwulst definitiv ver-
schwunden ist. Dieses muss man mit Resignation abwarten,
während man, um dem Kinde und seinem Darm Ruhe zu ver-
schaffen, eine passende Gabe Opium reicht.
Entschieden leichter ist es, festzustellen, dass die Ope-
ration misslungen ist. Spürt man, wenn der Unterleib sich
wieder durchtasten lässt, am vorigen Orte oder anderswo eine
Geschwulst, die etwa kleiner ist als die ursprüngliche, aber
zu gross, um für eine geschwollene Gekrösdrüse gehalten zu
werden, die mitunter in der Coecalgegend gefunden wird, und
die nicht länglich und dünn ist — was auf die zurückgeblie-
bene Infiltration des occupirt gewesenen Darmtheiles deuten
könnte — , dann ist zu befürchten, die Einspritzung sei miss-
lungen, und ebenso verhält sich die Sache, wenn einige Zeit
nach Abgang des Wassers wiederum blutiger Schleim in
grösserer Menge entleert wird. Die ursprüngliche Geschwulst
wird unter diesen Umständen nicht lange auf sich warten
lassen.
Demnächst entsteht die Frage, ob man einen neuen Ver-
such machen oder unaufhaltsam zum letzten Act, zum ope-
rativen Eingriff schreiten solle. Früher bin ich sehr geneigt
gewesen, den Versuch zu wiederholen. Die Erfahrung hatte
von günstigem Erfolge nach 5 — 6 Versuchen belehrt. Das
404 H. Hincbsprung:
Bestreben aber, die muthmaassliche Localitat der Krankheit
zu berQcksichtigen und die Behandlang jener anzupassen,
wird ein etwas abgeändertes Verfahren fordern. Ich habe
schon oben berührt, wie ich mich künftig bei angenom-
menen Dünndarm - Invaginationen verhalten werde. Einem
sicheren oder in hohem Grade wahrscheinlichen Falle yon
Ileo-coecal-Inyagination gegenüber, in welchem eine gründ-
liche Wassereinspritzung erfolglos gemacht ist, glaube ich
ebenfalls, es wäre rathsam, die Zeit nicht zu verlieren, son-
dern, falls die Umstände übrigens ermuthigend ^sind, so bald
als möglich den Kranken zur operativen Behandlung abzu-
geben. Dagegen meine ich, man solle sich in dieser Be-
ziehung nicht übereilen, falls man mit einer ausgemachten
Coloninvagination zu thun hat und zwar besonders mit der-
jenigen Form, die, wie es meistens geschieht, im 8 romanum
ihren Sitz hat; hier werden erneute Versuche an ihrem Platze
sein. Die Hoffnung, der Ausgang werde am Ende glücklich
sein, darf man auch in solchen Fällen hegen, die nach ver-
meintlicher Reposition sich stets reproduciren, besonders wenn
die Durchgängigkeit des Darmes nicht zu jeder Zeit ganz
aufgehoben zu sein scheint.
In Erwägung der verhältnissmässig guten Erfolge der
bisher im Krankenhause üblichen Behandlung, in welcher der
operative Eingriff eine wenig hervortretende Rolle gespielt
hat, wird es einleuchten, dass ich mich denjenigen CoUegen
nicht anschliessen kann, welche die Operation in den Vorder-
grund stellen. Bei anderen Formen der Darmocclusion —
ja! nicht aber bei der Invagination. Ich will durchaus sicher
sein, dass mit jedem anderen, zur Verfügung stehenden Mittel
das Möglichste zur Vermeidung der Operation versucht ist.
Im Kinderhospitale sind in den Jahren 1883 bis 1893 5 Laparo-
tomien vorgenommen und zwar nicht immer im letzten Augen-
blick. Die Kinder waren 4Vi bis 8 Monate alt, der Ausgang
war überall letal.
Im Kampf zwischen der Laparotomie und der Entero-
tomie bei der Invagination hat erstere die Oberhand ge-
wonnen, ein Sieg, der natürlich durch die glänzenden Resul-
tate der Unterleibschirurgie selbst bei den kühnsten Ein-
griffen herbeigeführt wurde. Moglicherweise mochte doch
die allerdings weniger radicale, aber auch viel weniger ein-
greifende Enterotomie in gewissen Invaginationsföllen zur
Rettung des Kindes berufen sein. Im Kinderbospitale ist die
eben genannte Operation zweimal vorgenommen, das eine Mal
mit glücklichem Erfolge.
V
BeobachtungeD über DarminTagination bei Kindern. 405
Es handelte sich om ein 22 Monate altes Mftdcben, dessen Krank-
heit bei der Aufnahme zwei Tage bestand. Sie litt an einer Dick-
darminvagination mit wiederholtem Prolaps. Die Form war nicht ge-
nauer bestimmt worden. Die Geschwulst erstreckte sich vom Rippen-
bogen bis in das Becken. Da die Krankheit der gewöhnlichen Be-
handlung nicht wich und der Zustand sich verschlimmerte, entschloss
man sich für die Operation und zog aus verschiedenen Gründen die An-
legung eines künstlichen Anus vor. Es strömte Luft aus dem rechter-
seits geöffneten Dünndarme, auch Darmschleim, aber keine Excremente.
Das Erbrechen liess nach, den Tag nachher gingen Excremente auf
natürlichem Wege ab, und am dritten Tage war die Geschwulst völlig
verschwunden.
In der Discussion über Ileus (Wiesbaden 1889) bemerkte
Schede, er lege in Fällen von Darmocclusion uDsieberen Ur-
sprunges immer einen künstlichen Anus in der Coecalgegend
an. Die Operation wäre nicht in allen Fällen nur palliativ
geblieben ; in drei Fällen wäre die Occlusion nach drei oder
vier Tagen gehoben gewesen. Anlässlich des soeben an-
geführten Falles sind mir Schede's Aeusserungen in den
Sinn gekommen und ich werde dieselben in künftigen Fällen
nicht vergessen.
XX.
Zur Frage Aber die Pflege der Findelkinder/)
Von
J. W. Troitzky,
PrlT»tdooont fOr KlDderhaUkunde %. d. WlAdimlr-UnlrerBittt in Kiew.
Wenn man die umfangreiche medicinische Literatur der
letzten Zeit über die yerbesserte Pflege und Obsorge der
untergeschobenen beziehungsweise der Findelkinder, welche der
SchicksalswillkQr preisgegeben sind, genau in Betracht zieht^
so kommt man zu der klaren und anschaulichen Uebei^
Zeugung, dass es dem Ende des 19. Jahrhunderts aufbe-
wahrt bleibt, die eine oder die andere Lösung dieses grossen
Problems zu finden. Nachdem die wissenschaftliche Me-
dicin aufgestellt, die unwandelbaren Wahrheiten im Sinne
der regelmässig systemisirten und moralischen Kinderentwicke-^
lung dargelegt, alle Folgen der systematischen Verletzungen
als Haupterforderniss der Gesundheitslehre vorgeschrieben sind,
so ist es die heiligste Pflicht des jetzigen, dem darauffolgen-
den 20. Jahrhundert den vollständig ausgearbeiteten Codex der
wissenschaftlichen und heilsamen Obsorge über das Wesen
und die Natur dieser Unglücklichen zu hinterlassen, da sie
in der Wirklichkeit Niemand angehören, doch aber immer
Gefahr laufen, Jedermanns Eigenthum, der es nur immer
wünscht^ zu werden.
Eine kurze Uebersicht über die frühere Thätigkeit im
Gebiete der Findelkinder -Pflege stellt ein ganz praktisches
Interesse dar, da auf diese Art durch Aufklärung der früher
begangenen Fehler immer Eingang zur Erkenntniss der Wahr-
heit gefunden wird und die Erreichungsstufe der letzteren da-
bei im geraden Verhältnisse zur Aufdeckung der ersten steht.
Vom rein historischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkte
ans hat die historische Uebersicht zum Zwecke zu zeigen,
1) Diese Arbeit wird dem YIU. internatioDalen CongreBS für ^7giene
und Demographie sa Badapeat gewidmet.
1
J. W. Troitzky: Znr Frage über die Pflege der Findelkinder. 407
wie lang schon die Idee zar unerlässlichen Sorgfalt für die
Findelkinder aufgetaucht ist, wie sich diese Idee verwirklicht
hatte, wie grausam das Alterthum in Hinsicht auf die Findel-
kinder war und welchen entsetzlichen Versuchen und Ver-
stümmelungen im Namen legaler Ausrottung diese unglück-
lichen Geschöpfe ausgesetzt waren, worin man ein gutes Werk
sah und sich um die Frage über die Resultate ähnlicher Pflege
der lebenden Kinder und um deren weiteres Schicksal gar
nicht kümmerte. Die ganze Welt, mit Ausschluss Egyptens bis
zur christlichen Aera, fürchtel;e den Ueberfluss der Bevölke-
rung, und liess daher die physisch schwachen Leute oder
Krüppel gar nicht zu, weshalb zu dessen Vorbeugung der
Kindermord ihrer eigenen Kinder durch die Eltern gar nicht
zum Verbrechen angerechnet wurde. In Rom zur Zeit der
Republik ist, sagt L. A. Montier^), das Aussetzen der
Kinder an solche Plätze, wo sie ihren Untergang unfehlbar
finden mussteo , zur- täglichen Erscheinung geworden ; wenn
sich aber Jemand solcher Kinder annahm, so geschah dies
zum Zwecke, sie zu verstümmeln, ihnen die Augen auszu-
stechen, die Füsse zu zerbrechen u. s. w. Ott hat der Vater
die Frage über die Untauglichkeit seines Kindes in Gegen-
wart von fünf Verwandten gelöst, wonach seine Existenz
für unwürdig erklärt und das Kind auf die „Columna lac-
teria", den Allen bewussten Ort getragen wurde, wo Jeder-
mann das vollste Recht hatte, sich den Findling zur Erziehung
zu nehmen (Uffelmann ^)). In Ermangelung aber der Lieb-
haber oder Menschenfreunde, sich dieses originellen Antrages
zu erfreuen, mussten die Kinder oft vor Hunger sterben (Silber-
schlag*)).
Unter allen Nationen der alten Welt waren die Griechen
die ersten, welche in Einklang mit SoIod's Bestimmungen
die allgemeine Kinderpflege der im Kriege gefallenen Väter
in Ausübung brachten, wobei die Erziehung nahe an 20 Jahre
fortgesetzt wurde, wenn die Kinder in den Besitz der von
den Eltern ihnen zur Verfügung gestellten Verlassenschaft
getreten sind. Die allgemeine Obsorge für arme Kinder war
schon zur Zeit Trajan's mit der ehren werthen Ziffer von
5000 Pflegebefohlenen in der einzigen Stadt Rom zum Aus-
druck gebracht, woran in dieser Beziehung auch die Privat-
1) ContribntioD ä Thistoire de la protection de Tenfance k Rome.
These de Paris Nr. 866. 1884. p. 85.
2) Handbuch der privaten und Öffentlichen Hygiene des Kindes.
Leipzig 1881. S. 9.
8) Ueber die Kindermorde im Alterthnme nnd über die Pflege
der sogenannten Haltekinder in heutiger Zeit. Deutsche Vierteljabr-
schrift für öffentliche Gesundheitspflege 1881. Band XIII. Heft 2. S. 199
—208.
408 J. W. Troiteky:
wohlthätigkeit ihren wannen Antheil nicht wenig nahm (Galli-
canuSy Caelia, Macrina, Plinius).
Die Regierangsobsorge fUr die Kinder dauerte unter der
Regierung desAntoninusPius und Alexander Severus noch
mit grösserer Energie fort (Uffelmann^)). Constantin der
Grosse, beseelt für den Absolutismus des Ohristenthums,
nahm sich vor, die Kinder der armen Leute auf Staatskosten
erziehen zu lassen, allein dieser im Grunde geniale Gedanke
zeigte sich vom finanziellen Standpunkte aus als unausführbar.
Aus dem Gesagten geht nun deutlich heryor, dass die
classische Welt nicht mehr f&r die Findelkinder als fQr die
Armen überhaupt Sorge getragen hatte, wobei die ersteren
nach Erreichung des reifen Alters als Sklaven anerkannt und
erst um das Jahr 529 nach Christi Geburt vom Kaiser Jasti-
nianus in Freiheit gesetzt wurden.
Unter dem Einflüsse derselben christlichen Lehre fingen
an zeitliche Zufluchtsstätten für Findlinge -und ganze Anstalten
mit besonderem Charakter zu erscheinen, obwohl uns die
Geschichte zum grossen Leidwesen keine näheren Daten Qber
ihre Thätigkeit hinterlassen hatte. Es unterliegt de facto
keinem Zweifel, dass das vom Archidiaconus Datheus zu
Mailand errichtete Erziehungshaus 787 nach Christi Geburt
als die erste Anstalt dieser Art anerkannt werden muss.
Was die Kirche anbelangt, so kam sie viel früher, be-
reits im 5. Jahrhundert mit Diensterweisungen für Findlinge
zum Vorschein, indem sie bei den Tempeln sogenannte conchae
marmorae zu deren Aufnahme frei und ungehindert organi-
sirte. Im Laufe des 11. — 14. Jahrhunderts fing man an in
verschiedenen Städten Frankreichs und Italiens Zufluchtsstätten
für Findlinge zu organisiren, wobei sich die Zahl solcher An-
stalten, besonders zu Ende des Mittelalters, vergrösserte.
Die ganze Angelegenheitspflege lag in den Händen bischof-
licher Directoren, die man zu jener Zeit „brephotrophi" nannte.
Wie sehr die Kirche darum bekümmert war, womöglich eine
grosse Zahl von Pfleglingen zu erhalten, ist daraus zu er-
sehen, dass im 12. Jahrhundert in der Stadt Mailand eine
besondere Brüderschaft existirte, deren Mitglieder ausschliess-
lich mit Aufnahme der Kinder und deren Uebergabe an die
Freistatte beschäftigt waren (üf feimann')).
Um die Parallele zu einer so ausgedehnten Anwendung
des evangelischen Gebots in Bezug auf die Findelkinder zu
ziehen, liefert uns die Geschichte ein Bild ganz anderer Eigen-
1) Handbuch der privaten und öffentlichen Hygiene etc. 1. c. 8. 6,
8, 10, 11.
2) Handhuoh 1. c. S. 18—14.
Zur Frage über die Pflege der Findelkinder. 409
thümlichkeit. In dem gegen das Ende des 12. Jahrhunderts
zu Montpellier gegründeten Erziehungshause finden anfangs
die Findlinge ohne alle Ausnahme ihre Aufnahme in der Frei-
stätte, aber seit dem 15. — 16. Jahrhundert an wurde beschlossen,
nur den ehelichen Kindern Aufnahme zu gewähren. Auf diese
Art kamen durch das Resultat eines so herzlosen Experiments
eine Unzahl von Findlingen in den Gassen und in der Nähe
der Tempel zum Vorschein. Dank dem Einflüsse des mild-
thätigen, seiner Zeit allbekannten Vincenz de Paul und des
Ministers Colbert auf Ludwig XIV., von denen der letz-
tere mit allen ihm zu Gebote stehenden Kräften bemüht war,
die Bevölkerung Frankreichs zu erhohen, wurde in Paris mit
Edict von 1670 beschlossen, ein Hospital für Findelkinder auf
Staatskosten (hopital des enfants trouv^s) errichten zu lassen.
Um ihnen den freien Zutritt in diese Anstalt zu verschaffen,
war daran zu deren Aufnahme ein Behältniss in Form einer
Muschel angebracht. Was kam aus dieser Maassregel heraus?
Die Zahl der in die Freistätte aufgenommenen Kinder er-
reichte eine so hohe Ziffer, dass man daran denken musste
einem solchen Anschwemmen irgend ein wirksames Gegen-
mittel aufzustellen. Man fing an die Findlinge aus dem
Erziehungshause nach den entlegensten Departements Frank-
reichs zu bringen, weshalb die Mütter bemüssigt waren, ihre
Kinder aus Furcht, sie nimmer mehr wiederzusehen, zurück-
zunehmen (EngeP)).
Neapel hatte im 16. Jahrhundert einen Wohlthätigkeits-
Gesellschaftsverein von alten Weibern und alten Jungfern unter
dem berühmten und einflussreichen Namen „Conservatorio''
errichtet. Die Findlinge waren mit Hilfe dieses Vereins nach
den Dorfern abgeschickt, wo barmherzige Schwestern und
selbst auch gewesene Findlinge dann und wann Aufsicht über
sie üben sollten. Die für den Lebensunterhalt aufgebrach-
ten Gelder wurden auf die gottloseste Art gestohlen, und die
zur Pflege dem „Conservatorio^' übergebenen Kinder sollten an
dem Hungertuche nagen. Die ganze Thätigkeit dieser Ge-
sellschaft war demnach im strengsten Sinne des Wortes eine
negative. Zur schändlichen Schmach unseres Jahrhunderts
war in demselben Neapel vom moralischen Standpunkte aus
beinahe eine Scene empörendster Art entstanden. 1854 wurde
beschlossen, die am Leben gebliebenen und erwachsenen Findel-
mädchen mit einer hinlänglichen Anzahl von Männern auf
die unbewohnten Inseln zum Zwecke deren Ansiedelung abzu-
1) Zeitschrift des königl. preassisclien Bareaus. 17. Jabrg. 1877.
— Beiträge 81—83. L. Seh. Wospitatelnie domä Rossii. — Russky
Wiestnyk 1889. Dek. Str. 178—188.
410 J. W. Troitzky:
schicken. Allein die Vorsehung hat diesen inquisitorischen Plan
dadurch vereitelt, dass sie einen schrecklichen Seesturm herab-
sandte (R. Raudnitz^)). Zu Anfang des 16. Jahrhunderts
geht die Führung dieser Pflege über die Findlinge fast aus-
schliesslich in die Amtsthätigkeit der Clerisei, in die Regie-
rungshände, in Gemeinde- und Privatpersonen über unter
der juridischen Controle der Civil behörden. Dieser Ueber-
gang fand so rasch statt , dass nicht der geringste schäd-
liche Einfluss auf die Findlinge dabei entstehen konnte, die-
jenigen aber, die es traf, Dank dem raschen Aufhören der bei
diesen speciellen Einrichtungen functionirenden Beamten ge-
riethen in Armenhäuser ohne alle Nahrungshilfe und Auf-
sicht, und selbstverständlich gingen diese Unglücklichen massen-
haft zu Grunde. Ein unmögliches System vom Standpunkte des
Princips^ bei welchem die Fürsorge der Waisen und Findlinge
nur den einzigen Pflegerzweig darstellt, fand in der Person
des Einzigen Josef den wärmsten Vertheidiger, der auf
diese Weise darauf ausging , soviel wie möglich abgeson-
derte Leben fQr das Wohl des Ganzen zu schützen, um da-
durch gesunde kräftige Unterthanen zu erhalten. — Der im
Voraus markirte Zweck, Herr des ganzen Weltalls zu sein,
flöäste Napoleon I. den Gedanken ein, mehr Soldaten zu er-
ziehen. 1811 wurde in allen Departements Frankreichs an-
geordnet, Muscheln zur ungehinderten Aufnahme für Find*
linge einzurichten. Das Beispiel dieses grossen Mannes rief
Nachahmung in allen römischen Provinzen hervor (R. Raud-
nitz^)), und die Gefahr, unterzugehen, war Dank dieser Maass-
regel auf das Minimum reducirt.
Wie gut und heilsam die hygienischen und diätetischen
Erziehungshäuser in früheren Zeiten waren, zeigen uns fol-
gende Facta.
Von den Hunderten der in der Dubliner Freistätte auf-
genommenen Kinder lebten eine Zeitlang nur zwei, denn eine
solche Pest dauerte — horribile dictu — beinahe ein ganzes
Jahrhundert (Pfeiffer«)). Zur Zeit Ludwig's XIV. beziflFerte
sich in der Anstalt bei ihrer Uebersiedelung in die elyseischen
Felder die Sterblichkeit mit 90%^); im Londoner Erziehungs-
hause, in der Periode von 1741 — 1774 überlebten das fünfjäh-
rige Alter davon nur 16%, und 84% starben während dieser Zeit
1) Origine vicende storiche e progreesi della Real. s. casa deir Ad-
nunciata in Napoli. Deutsche Vierteljahrschrift f. Öffentliche (Gesund-
heitspflege 1884. Band XVI. H. 4. SS. 625—627.
2) Die Findelpflege 1. c. S. 11.
8) Eindersterblichkeit. Gerhardts Handbuch der Kinderkrankheiteo
I. Bd. 2. Abth. 1882. S. 296.
4) Dictionaire encjclop^dique des sciences medicales. Paris. T. IX.
2me Serie. 1879. p. 498.
Zur Frage über die Pflege der Findelkinder. 411
rüffelmann^)). Das neapolitanische Erziehungshaus lieferte
(1795—1830) 80% an Sterblichkeit (Raudnitz^)), das Brüs-
seler (1811) 79%, das Wiener 72% (Pfeiffer»)).
In Neapel wollte man 1809 die Pflege der Findelkinder
durch Aufenthalt ausserhalb des Erziehungshauses ersetzen,
man erhielt dabei kein ausgezeichnetes Resultat — 81,42 %
sind zu Grunde gegangen. So dauerte das Factum bis 1841.
Als man aber ans Werk ging, die Findlinge ausserhalb der
Anstalt zur Verpflegung unterzubringen, da hat sich die Sterb-
lichkeit aus dieser Ursache auf 21 % redncirt. Denselben
Versuch führte man im Prager Erziehungshause aus, wo im
ersteren Falle die Sterblichkeit 66,3% und im zweiten 31,1%
erreichte.
Bei ausschliesslicher Pflege in der Freistätte zu Dresden
war die Sterblichkeit mit 92,3 % beziffert ; als man aber
die Erziehungsart ausserhalb der Anstalt erweiterte, da fingen
die Kinder bei Weitem an in geringerer Zahl zu sterben; die
Hälfte von ihnen blieb unter den Lebenden. In Brunn und
Olmütz yergleichsmässig war man unlängst bemüssigt, die
Freistätte für die Findlinge ganz und gar zu sperren, so gut
waren die Vortheile der Fürsorge (ßaudnitz*)).
Die an den unglücklichen Findlingen ausgeführten Ex-
perimente hatten ihnen nur den Tod gebracht Uffelmann^)
erzählt, dass man in einer Proyinzial- Freistätte Frankreichs
die Findlinge mit Kuh- und Ziegenmilch aufziehen wollte,
wobei es sich zeigte, dass allemal auf diese Art genährte
Kinder mit Ende des 4. Monats ihres Lebensalters starben.
In den fünfziger Jahren vorigen Jahrhunderts hatte das
Stockholmer Erziehungshaus seine Findlinge mit einer zur
Hälfte mit Wasser vermischten Kuhmilchsuppe und einem
Zusatz von Zwieback aus Roggenbrod aufgezogen; obwohl
man bemüht war Zwieback von besserer Qualität anzuwenden,
so starben dessen ungeachtet die Kinder selbstverständlich in
Folge der Magendarmzerrüttung.
In Ronen ging man noch schöner zu Werke: 132 Kinder
wurden ausserhalb der Stadt wie in eine Sanitätsstation ab-
geführt und dort der frischen Luft ausgesetzt, um sie mit
Kuhmilch zu ernähren. Das Experiment erwies sich vortreff-
lich, binnen zehn Monaten sind von der obangeführten Zahl
nur 13 am Leben geblieben.
In den italienischen Erziehungshäusern giebt man den
1) Handbuch 1. c. 8. 82.
2) Origine vicende etc. 3) 1. c.
4) Die Findelpflege 1. c. SS. 64, 78—74.
5) Handbach 1. c. SS. 32—88.
Jahrbuch f. Kinderheilknndo. N^. F. XXXIX. 28
412 J. W. Troitiky:
kleinen Kindern angenOgend mit Wasser vermischte Milch
(Dffelmann^)) und die ungeheuer grosse Sterblichkeit in
den Freistätten Griechenlands (A. Zinnis*)) ist ganz natQr-
lich, wenn man in Erwägung zieht, dass die Findelkinder mit
^yin Oel gekochtem Griesbrei'' aufgefüttert wurden (Raud-
nitz^).
Wie aus den wissenschaftlichen Daten des Herrn Dr. M.
D. van Puteren*) zu ersehen ist, dauern die Experimente,
ohne alles Recht dazu, sogar zur jetzigen Zeit noch fort.
Die im „Höpital des enfants malades'' (Paris) unter Ob-
sorge und Pflege befindlichen Kinder, die ein besseres Loos
verdienen, werden aus Furcht hartnäckig mit roher Kuhmilch
genährt, damit die letztere ihrer Lebenskraft nicht beraubt
werde. Sonderbar! die Kuhmilch wird der Lebensfähigkeit
halber bewahrt und die Kinder sollen eins nach dem andern
sterben.
Im Brüsseler „Hopital des enfants assist^s'^ werden alle
Kinder bald jede halbe, bald jede Stunde ohne alle Beweg-
gründe genährt. Die unglücklichen Kinder der Pariser werden
im ,,Hospice des enfants assistes'' in Entfernung von 4 Ellen
vom rothglühenden Ofen dicht nebeneinander untergebracht,
und wenn sie, wie mein verehrter College mir versichert,
keinen Schnupfen oder Bronchitis bekommen, so ist es ein-
fach darum, weil sie auf einmal Lungenentzündung erhalten.
Das Waisendepot zu Berlin lässt seine Findlinge ohne alle
Aufsicht, sie liegen in nassen, schmutzigen Windeln, begossen
mit Milch, nahe aneinander, die ihnen ausschliesslich zur Nah-
rung dient, da man für überflüssig hält, Ammen ftlr sie
aufzunehmen. Alles dies wegen des fin du si^cle, welch ein
tröstliches Bildl Zum Schiasse, in Oesterreich ist die Auf-
sicht über die nach den Dorfern expedirten Kinder so vor-
trefflich, dass der Director des Erziehungshauses sogar nicht
weiss, womit die unglücklichen Findlinge daselbst genährt
werden.
In den zu Russland befindlichen Erziehungshäusern wird
im Allgemeinen dasselbe wiederholt, was auch in den west-
lichen europäischen Anstalten dieser Art geschieht, nur mit
dem einzigen Unterschiede, dass man hierselbst wenig Selbst-
1) Oeffentliche Fürsorge für Kinder. Denteche Yierteljahrschriil für
öffentliche Gesundheitspflege Bd. XI. 1879. SS. 681—591.
2) Principale cause de TezceBsiTe mortalitä chez les enfants troUT^s.
Äthanes 1881.
8) Die Findelpflege 1. c. S. 32.
4) Künstliche Fürsorge für Kinder an der Brust im Aailande. Bote
der öffentlichen Hygiene der gerichtlichen und praktischen Medicin.
St. Petersburg 1891.
Zur Frage über die Pflege der Findelkinder. 413
ständigkeit findet^ weil das blinde Nachahmungs werk zum Westen
geübt wird. Wir haben auch unseren Datheus in Person
des Nishni- Nowgoroder Metropolitan Hiob, der seiner Zeit
in seiner Eparchie die erste Freistätte für Findlinge erbauen
Hess. Acht Jahre später hatte Peter der Grosse ein Er-
ziehungshaus als eine Special Freistätte für Findlinge errichten
lassen und das mit der grössten Ausdehnung für Einderauf-
nahme durch's Fenster, damit man das Gesicht der das Kind
zubringenden Person nicht sehe. Indem man fElr nicht legi-
timirte Kinder Freistätten bauen liess, ward Peter I. nicht
nur durch Humanitätszwecke, sondern auch von dem Wunsche
beseelt, auf diese Art die Yolkszahl zu erhöhen, dazu be-
wogen. Die durch einen so grossen Wohlthätigkeitssinn er-
langten Resultate erwiesen sich jedoch mehr als trostlos, da
nach dem vierjährigen Bestehen des St. Petersburger Erzie-
hungshauses von jedem Hundert der daselbst aufgenommenen
Findlinge zum grossen Bedauern mehr als 98 starben.
Seit dem Tode des genialen Kaisers fing man die Pflege-
angelegenheit nach und nach zu vergessen, die zu deren Aus-
übung bestimmten Anstalten wurden geschlossen und zur Zeit
der Thronbesteigung Katharina's II. gab es in Russland keine
einzige Freistätte für Findlinge mehr. VortreflFlich vertraut
mit den moral -physiologischen Ideen ihres berühmten Jahr-
hunderts, rief die Kaiserin neuerdings Freistätten ins Leben,
Nach dem von Betzky vorgelegten Plane war der Wirkungs-
kreis der Freistätten ausgedehnt: in selbe konnten daher
nur Kinder unter strenger Beobachtung des Aufnahmegeheim-
nisses, sowohl eheliche als auch uneheliche Kinder ein-
treten. Nachdem er sich zur Hauptaufgabe gestellt, womög-
lich das Verderben der auf die Gasse geworfenen Kinder zu
beseitigen, hatte Betzky in seinem Plane den Paragraphen
eingebracht, nach welchem Jedermann, der ein Kind der
Freistätte zugeführt hatte, mit 2 Rubel dafür entschädigt
werden solle. Der Zweck Betzky's war vollständig er-
reicht; die Findelkinder fingen an in ungeheuer grosser Menge
in die Freistätte einzutreten, wo ihre Lage insofern gut war,
als der Moskauer Vormundschaftsrath im Jahre 1768 sich
veranlasst fühlte, diese Maassregel in Betreff der Kinder*
vertheilung auf die Dörfer unbedingt anzunehmen. Bald in
der Praxis angewandt, brachte diese Maassregel äusserst didac-
tische Resultate zum Vorschein. Die bis dahin im Erziehungs-
hause bestehende hohe Sterblichkeit von 76,11%— 98,67% ver-
minderte sich in der That auf weniger als die Hälfte, aber in
den Dorfern kam, Dank der grossen Verletzungen der Grund-
regeln in Hinsicht auf Ernährung und Aufsicht, das Verderben
der Kinder mit gar nicht geringer Sterblichkeit zum Ausdruck,
28*
414 J. W. ▼. Troiteky:
wo die letztere öfters 80% und sogar noch mehr erreichte.
Auf diese Art hatten die Findlinge in Hinsicht auf die Er-
haltung der Gesundheit ihres Lebens gleichfalls nichts ge-
wonnen: am Ende hatte sie der Tod doch erreicht, nur anter
anderen Umstanden und in Folge, wenn es beliebt, etwa an-
derer oder der Veränderung ausgesetzter Ursachen. So stand
in dieser Beziehung die Sache bis zum Jahre 1809, als üerr
Villamow mit einem Berichte vor die Kaiserin Maria Theo-
dorowna trat und in ihrem Namen die gänzliche Schliessung
der Erziehungshäuser veranlasste, die als Anstalten nach dem
Charakter ihrer Thätigkeit und dem Mangel an der nöthigen
Eigenschaft den höchsten Punkt erreicht hatten, nachdem er
auf diesen traurigen Fall dabei hingewiesen hatte, dass zur
Zeit des Bestehens des Moskauer Erziehungshauses Yon den
daselbst aufgenommenen Kindern weniger als 10% am Leben
geblieben sind. Die September-Verfügung von 1810 wegen
Aufnahmebeschränkung der Findlinge durch Registratur und
Einholung politischer Erkundigungen hatte einigermaassen
zur Verminderung der Einlieferung der Kinder an die Anstalt
beigetragen, aber hiermit hat sich zugleich die Gefahr dieser
Kinder bedeutend vergrössert, in den gar nicht so seltenen
Fällen auf die Gasse geworfen zu werden, weil man die
Registratur und Erkundigung mehr als die Gewissensbisse
fürchtete, das Kind der Schicksalswillkilr überlassen zu haben.
Dieses System dauerte nur 4Vi Jahre und nachher hat sich
neuerdings die Thür ins Asyl geöffnet (A. Zabjelin^)).
Die russischen Freistätten für Findelkinder blieben hinter
den westeuropäischen mit Hinsicht auf die Endresultate gar
nicht zurück. 1767 erreichte die Sterblichkeit in dem zu Moskau
errichteten Erziehungshause 98,5 % , d. h. von zweihundert
waren kaum drei gerettet (N. Jablokow'j). Nicht weniger
kamen trostlose Erscheinungen in den Laudesanstalten ahn-
lieber Art zum Vorschein. Für die Zeitperiode 1867^-1872
iu der Freistätte von Kursk starben gewohnlich mehr als 85%,
und zu Cherson im ersten Lebensjahre mehr als 86%. Gün-
stigere und tröstlichere Resultate erzielte man zu Sympheropol
und Odessa in der Landesfreistätte, wo die Sterblichkeit um
65% herum beziffert wurde (M. Raschkowitch^)). Die Sterb-
lichkeit der vor Kurzem noch von den hauptstädtischen Hau-
1) Wiekowje Opiti naschich wospitatelnych domnow. Grashdanin
1890. Nr. 844 -S60.
2) 1. Congress der moskowitsch-petenbargischen Aerste. „Ruaski^a
mial" 1886. Nr. 4. S. 101—102.
8) Die VerhandlQDgen des VI. Congresses der mssiBchen Aente
1. cit.
Ml
Zar Frage über die Pflege der Findelkinder. 415
Sern auf die Dörfer gänzlich abgeschickten Findlinge betrug
85,7% (N. Michailow*)).
Zur gegenwärtigen Zeit kommen drei Hauptsysteme der
Fürsorge für die Findlinge zur Anwendung (R. Raudnitz*)):
1. Ihre Aufnahme ohne Hinderniss in hierzu besonders
eingerichteten Anstalten durch Drehladen^ wo die erste durch
lunocentius III. 1198 zu Rom aufgestellt wurde. Diese
Aufnahmsart wird in den Colonien Spaniens, in Griechenland,
in besonderen Theilen Italiens und Portugals, in Dalmatien
und Südamerika angewandt.
2. Das romanische System mit Einderaufnahme durch's
Bureau und ebenfalls in hierzu besonders eingerichteten An-
stalten wird in Frankreich, zum grossen Theil in Spanien
und Portugal, in Russland und in der geheimen Abtheilung
Wiens zur Ausübung gebracht
3. Die deutsche oder lutherische Findelpflege, bei welcher
ausser der Fürsorge für Findlinge auch ein Theil der Pflege
für die Armen besteht. Auf diese Art geht man in Deutsch-
land, Oesterreich- Ungarn, in der Schweiz, Belgien, in den
Niederlanden, in Grossbritannien, in Scandinavien und den
Nord-Amerikanischen Staaten vor.
Die zur gegenwärtigen Zeit bei ans in Anwendung ge-
brachte Aufnahmsweise der Findlinge in die Freistätten, welche
von dem Gollegium der allgemeinen Fürsorge abhängig sind,
kann man unter kein System einreihen. Auf Grund der Clau-
sein 542, 543 und 544 des Gesetzbuches (Band XIII, Aus-
gabe 1857) wird die Aufstellung neuer Freistätten für Findel-
kinder verboten, wo aber solche bereits bestehen, da soll die
Einderaufnahme in dieselben nur durch die Polizei bewerk-
stelligt werden, wobei der letzteren als Pflicht die Unter-
suchung der Eltern unter Zuziehung derselben zur Verant-
wortung auferlegt wird.
Tritt das Findelkind in eine besonders für selbe ein-
gerichtete Anstalt durch's Bureau ein, so wird es darin nicht
lange gehalten und desto früher an Privatpersonen zur wei-
tern Pflege für einen bestimmten Preis übergeben. Je länger
es ausserhalb dem Schoosse der Freistätte verlebte, um so ge-
sünder ist es und je besser «gefüttert erscheint es.
Bei den Neugeborenen, wenn sie auch gesund sind, wurde
bestimmt, sie eine Zeitlang in der Freistätte mit Hinsicht auf
die Möglichkeit der Bntwickelung der diesem Alter ausschliess-
lich eigenthümlichen Zerrüttungen oder der Aeusserung der
1) Die Verhandlangen des 11. CongresseB der russischen Aerzte zu
Moskau. Bd. 2. S. 64-82. 1887.
2) Die Findelpflege 1. c. S. 12.
416 J. W. Troitiky:
hereditären Krankheiten zu halten. Die Abgabsschnelligkeit
der Findlinge anfs Land ist eine falsche, ausserdem steht sie
im geraden Abhängigkeitsverhältnisse zu deren EintrittszifPer
in die Freistätte. Ist einmal die letztere ^ross und droht der
Anstalt eine Ueberfüllung mit allen üblen Folgen, so müssen
die Kinder schneller and eifriger an die Dörfer abgegeben
werden als in den Fällen, wo die Vollzähligkeit der Findlinge
mehr oder weniger normal ist. Die Gefahr einer übermässigen
Ueberfüllung und Anhäufung von Kindern ist so gross and
bis zu einer solchen sichtbaren, von Allen anerkannten Stufe
gebracht, dass man zur gegenwärtigen Zeit allenthalben da-
hin strebt, womöglich die Pflegeangelegenheit der Freistätten
nach Aussen auszudehnen, indem man den letzteren die Rolle
eines Asyls von kurzer Dauer gewährt und wo man die
vor Kälte erstarrten, schmutzigen und hungrigen Kinder er-
wärmen, abwaschen und gehöriger Maassen füttern kann.
Dieser schöne Gedanke a priori kann weit entfernt nicht
auf alle in die Freistätten eintretenden Kinder verwirklicht
werden, weil die Mehrheit oder wenigstens die Hälfte der
letzteren unter bestimmten, oft sehr ernsthaften Krankheiten
oder unter Vorstellung der allgemein ausgedrückten Armoth
und Schwäche in die Freistätten aufgenommen wird, wovon
bei Zufluchtsstätten von kurzer Dauer gar keine Rede sein
kann; die Freistätte trägt den Charakter eines Hospitals, aus
welchem die Abgabe aufs Land erst nach gänzlicher Her-
stellung der Gesundheit erfolgen kann. Ein starkes Bestreben,
die Kinder ausserhalb der Anstalt aufziehen zu lassen, be-
merkt man in Frankreich, England, Belgien. In den abgeson-
derten Provinzen Portugals, ganz Norwegen und den Nieder-
landen wird ausschliesslich diese Findelpflege practicirt, bei
welcher die Kinderpflege und deren Aufsicht auf diese oder
jene Art, übrigens öfters de jure als de facto controlirt wird.
Endlich wurde die Untauglichkeit des protestantischen
Systems anerkannt, da die durch dasselbe in der Praxis er-
langten Resultate sich mehr als trostlos erwiesen hatten.
Die in der letzten Zeit sich mehr ausbreitende Pflegeart,
bei welcher die Gesellschaften oder Privatpersonen eine ma-
terielle, mehr oder weniger das Dasein der Mutter sicher-
stellende Hilfe gewähren (secours ä domicile), damit sie selbst
ihr Kind füttere, liefert insofern gute Resultate, als in vier
Pi;evinzen Portugals, wo man eine solche Art anwendete, das
Sterblichkeitsprocent in den zwei ersten Lebensjahren die
Mittelzahl 7,2% nicht übersteigt (R. Raudnitz^)). Die
Resultate der privaten Gesellschaften für die Unterstützung
1) Die Findelpflege 1. c. S. 860.
Zur Frage über die Pflege der FiDdelkinder. 417
der Mütter in Frankreich — Societe protectoire de Tenfance
ä Ni^vre^), Sociät^ matemelle, S. pour la propagation de
Tallaitement maternelle — sind so sehr befriedigend, dass die
Maximalsterblichkeit unter den sich der Fürsorge erfreuen-
den Kindern nicht 1 1 % übersteigt (Uffelmann^)). In
Frankreich existiren mehr als 80 Gesellschaften ähnlicher
Art; in denen die zu erzielenden Resultate desto besser
sind, je aufmerksamer die Einderernährung unter gleicher
Aufsicht gehandhabt wird. Die allgemeine mittlere Sterblich-
keit für enfants assist^s aller Altersclassen ist nicht grosser
als 4,5 %. Der Wohl thätigkeits verein zu New- York, „american
female guardian Society^' führt seine Angelegenheit zu einer
solchen Stufe tadellos, dass die Sterblichkeit der Findlinge
jedes Alters auf der Höhe von 2,3 % gehalten wird (A. Ja-
cobi)^). Bei der hinreichenden materiellen Hilfe für die Mütter,
welche ihre Kinder selbst mit der Brust säugen, hatte man
in Brüssel noch bessere und schlagende Fortschritte erlangt
(R. Raudnitz^)). Kinder, welche auf allgemeine Rechnung
erzogen werden, geben ein kleineres Procent an Sterblichkeit,
als die Anstalten, deren Kinder für Bezahlung an Privat-
personen zum Erziehen auf eine Zeit lang abgegeben werden
(Kostkinder, Haltekinder, nach deutscher Terminologie); in
Frankreich sterben von den Ersten dreimal weniger (Terme
et Montfalcon*)). Nach üffelmann®) wird dieser unter-
schied in einem schwächeren Grade ausgedrückt, wobei in
andern Oertern die erzielten Resultate mit ihrer Strenge einen
ganz bestürzt machen; so z. B. von den auf Rechnung Paris'
abgegebenen Kindern in dem Departement Seine starben im
Alter von Oeburt bis 12 Jahren 42%, und in Strassburg
nach den Angaben Yillemin's von den an Privatpersonen
abgegebenen und aufgezogenen Kindern 87 %. Bei Betrach-
tung des Schicksals der Findlinge macht daher Silberschlag ^)
die Bemerkung: was ist es denn besser als die Lage jener
Kinder, „die man im Alterthume den Götzen von Kanaan
opferte'^? Ferner sagt der Autor, dass der so rasch auf diese
Weise erfolgte Tod der mit Blumen bekränzten Kinder weniger
marternd war, als deren langsames Hinscheiden in den Händen
der Privatpersonen, wo der Tod in seiner Grausamkeit jener
1) Dictionaire encyclop^dique 1. c.
2} Ueber in fremder Pflege eto. 1. c.
8) Inaugaral adress InclndiDg a paper on Infant AByloms. Oester-
reichische Jahrbücher für Pädiatrie. Bd. III. S. 139.
4) Die Findelpflege 1. c. S. 69.
6) Dictionnaire encyclop^diqae des sciences mädic. t. XIII, 2^me
Serie, 1879. p. 442—443.
6) Ueber in fremder Pflege etc. 1. c. 7) 1. c.
418 J. W. TroitBkj:
Art, durch das freiwillige umbringen der von Natur schwachen
Kinder, die man in Rom practicirte, gar nichts nachgiebt
In den von Gesellschaften und Privatpersonen errichteten
Anstalten ist die Sterblichkeit desto hoher, je bedeutender
die Ziffer der unter der Obsorge befindlichen Kinder und je
schlechter die Ordnung gehandhabt wird. Das Erziehungs-
haus der barmherzigen Schwestern zu New -York: „Findling
Asylum of the sisters of charity'' giebt von der allgemein
festgesetzten Zahl von 2Vi Tausend Findelkindern 19% Sterb-
lichkeit (A. Jacobi^), während man in der in bescheidenen
Dimensionen nahe bei Wien errichteten Anstalt „Kinder-Asyl
Humanitas'' von der allgemeinen Zahl ungefähr 150 Kinder
weniger als 1% Sterblichkeit in Hinsicht jeden Alters erhalt.
Andrerseits in dem zu Bonn von der Frau Lungstras er-
richteten Versorgungshause sterben die Kinder in der Zahl
von 25 — 30% (E. Du hoc')), hingegen in dem zu Berlin durch
die Frau Lina Morgenstern erbauten Versorgungshause
werden mehr als die Hälfte der daselbst aufgenommenen
Kinder in jene Welt expedirt und es hat in der That das-
selbe seine Thätigkeit deshalb eingestellt (J. Albu')).
In Bezug auf russische Anstalten für Findlinge hat man
folgende Daten (N. Michailow^), M. Raschkowitch, Kur-
kutow^)) von den zu St. Petersburg und Moskau befindlichen
Versorgungshäusern. Die mittlere Sterblichkeit fflr alle Alters-
classen der Findlinge in Russland ist 34,41%, die grösste
Sterblichkeit kommt auf die Charkower Wohlthätigkeits-Gesell-
Schaft und auf Irkutsk: 62,86% im ersten Falle und 51,73%
im zweiten. Unter der zu meiner Verfügung gestellten Kenntniss-
uahme von der Thätigkeit der auswärtigen, provinzialen An-
stalten giebt die Kiewer Fi;eistätte fflr Findlinge die meist
bescheidene allgemeine Sterblichkeit von 13,28%.
Die allgemeine mittlere Sterblichkeit der Residenz-Ver-
sorgungsanstalten schwankte in den letzten zehn Jahren zwischen
20-30%.
Die mittlere Sterblichkeit der Findelkinder zur Zeit ihres
Aufenthaltes in den Freistätten beträgt 22,09%, auf Irkutsk
kam ihr Maximum, auf Kiew ihr Minimum (50 und 6,98%).
Die Sterblichkeit der auf die Dörfer vertheilten Findlinge ist
bedeutend höher: sie gleicht in der Mittelzahl 26,60%. Ihre
Schwankung ist gross genug: namentlich 42% für die Or-
lower Freistätte und 12,29% für die Kiewer.
1) 1. c.
2^ Beioch im Versorgshause zu Bonn. Hamburg 1884.
3} Ueber Berliner Bestrebungen für Einderschats. Bitter 's Jahrb.
für P&diatrik Bd. III. 4) 1. c.
6) Yerhandlangen des II. CongreBses der rassischen Aerste 1887.
Zur Frage über die Pflege der Findelkinder. 419
Was die Sterblichkeit der durch die zwei Residenz- Anstalten
aufs Land übergebenen Kinder anbelangt, so ist sie sehr hoch
(85% nach Sabjelin*)), wenn man sie fQr das erste Lebens-
jahr nimmt, obwohl auf die Dorfer drei Viertel aller sterben-
den Pflegekinder kommt (P. Fridolin')).
Wenn man die Sterblichkeitsdaten russischer Anstalten
fQr Findlinge mit denen von S. Hügel und R. Raudnitz
in Bezug auf Westeuropa und Neue Welt vergleicht, so
kommt man zu dem Schlüsse, dass im Schwankungsgrade
gar kein Procentunterschied sei: hie und da sind diese Schwan-
kungen in einer hohen Stufe ausgedrückt. Wenn man das
allgemein mittlere Procent an Sterblichkeit einerseits in un-
seren Freistätten Und die oben angeführten Daten im Sinne
Europas und Amerikas andrerseits nimmt, so zeigt sich, dass
wir noch weit zurück hinter der Verbesserungslage der Find-
linge binnen der fünfziger Jahre sind.
Auf Grund alles dieses oben Angeführten über die Find-
linge des unlängst vergangenen als auch des gegenwärtigen
Zustandes über deren Pflegeangelegenheit kann man den
Schluss ziehen, dass die gegenwärtige Lage unvergleichlich
besser ist als die Geschichte erzahlt, dass aber das gewünschte
und mögliche Ideal nur in manchen Anstalten bisher erreicht
wurde. Nach dem Zustand vieler der gleichzeitigen Anstalten
für die Findlinge kann man sich gänzlich auf den strengen,
jedoch gerechten Schluss des L. Guyot') über das Schicksal
der Findlinge berufen: „Leur accuraulation dans les maisons
speciales en fait une necropole, leur envoi ä la campagne
chez des pajsans peu aises, aptes au lucre, sans surveillance
serieuse, est de la barbarie'^
1) 1. c.
2) Porjadok wimiranja pitomzew petersburkago wospitatelnago doma.
Wratsch 1890. Nr. 18. S. 309.
8) Hjgiäne et protection des enfants du premier age. Paris 1878«
pp. 86-87.
f?^
XXL
üeber Pseudodiphtheritis septhämischen Ursprangs bei
Neugeborenen und Säuglingen.
Von
Prof. Alois Epstein.
(Mit 1 Tafel.)
Die Entdeckung des Diphtheriebacillus durch Elebs and
Loffler bat dem langst gefühlten Bedürfnisse nach einer
ätiologischen Sonderung der exsudativen Rachenerkrankuugen
den Weg geebnet. Indem man in diesen Bacillen das spe-
cifische Merkmal der Diphtheritis anerkennt, ist man gegen-
wärtig geneigt y nur diejenigen Erkrankungen als Diphthe-
ritis zu bezeichnen, in deren Verlaufe virulente Löffler-Bacillen
nachzuweisen sind. Der Diphtheritis gegenüber stehen die
übrigen mannigfaltigen Affectionen der Tonsillen und des
Pharynx, in deren Auflagerungen Löffler-Bacillen fehlen, da-
gegen Kokken verschiedener Art nachgewiesen werden können.
Man fand Streptokokken, Staphylokokken, Pneumokokken, da£
Bacterium coli commune, eine eigenthümliche Art von Diplo-
kokken und andere nicht näher bestimmte Eokkenformen in
den entzündlichen Producteu der Rachenschleimhaui
Man hatte Anfangs geglaubt, dass das der Diphtheritis
eigenthümliche Erankheitsbild, die Gefährlichkeit und dieUeber- J
tragbarkeit nur der bacillären Infection zukomme, wogegen
die nicht-bacillären Formen als begrenzt bleibende und mild
verlaufende Erkrankungen anzusehen seien. Fortgesetzte bac-
teriologische Untersuchungen, die an grossen Reihen bais-
kranker Kinder und an verschiedenen Orten vorgenommen
wurden, haben jedoch ausser Zweifel gestellt, dass es ZQ-
weiien Fälle giebt, bei denen keine Diphtheriebacillen, son- J
dern ausschliesslich nur Kokkenformen gefunden werden, welche
aber trotzdem das klinische Bild der echten Diphtheritis io
mehr oder weniger ausgeprägtem Orade darbieten können
Es kommt auch hier zur Bildung zusammenhängender fibn*
A. Epstein: Pfleudodiphtheritis septhäm. Ursprungs etc. 421
D5ser Pseudomembranen, die nicht auf die Tonsillen allein
beschränkt bleiben , sondern auch die Gaumenbogen , die
Uvula, ja sogar die Nasen- und Eehlkopfschleimhaut ergreifen,
von Foetor ex ore und beträchtlichen Schwellungen der Hals-
lymphdrilsen begleitet sind, wobei die Krankheit einen protra-
hirten und schweren Verlauf nehmen und selbst zum letalen
Ausgange f&hren kann. Auch Albuminurie und larjngosteno-
tische Erscheinungen, welche die Tracheotomie oder Intubation
nothig machten, wurden beobachtet. Der Tod erfolgt an
lobulärer Pneumonie oder in Folge eitriger Entzündungen der
serösen Häute oder unter dem Bilde einer septischen Allgemein-
infection. Wie es also einerseits Fälle giebt, die klinisch
eine leichte katarrhalische Angina vortäuschen können und
sich bei der bacteriologischen Untersuchung als diphtheri-
tischen Ursprungs erweisen, so giebt es andrerseits schwere
Erkrankungen, die klinisch als Diphtheritis imponiren, aber
den Befund der Diphtheriebacillen während ihres ganzen Ver-
laufes durchaus vermissen lassen.
Beobachtungen der letzteren Art gehören allerdings zu
den Ausnahmen, aber sie liegen bereits in so hinlänglicher
Anzahl vor und sind auch von so zuverlässigen Autoren
(Boux und Yersin, Prudden, Park, Martin, Baginsky,
Escherich u. A.) mitgetheilt worden, dass der etwaige Ein-
wand eines Beobachtungs- oder Untersuchungsfehlers nicht
mehr statthaft ist. Bezüglich der Literatur verweise ich auf
die Arbeit Concetti's*), welcher selbst über einige Fälle
eigener Beobachtung und über eine kleine, auf der chirur-
gischen Abtheilung des Einderspitals Bambino Gesü vorgekom-
mene Epidemie von Streptokokken - Anginen mit mehreren
Todesföllen berichtet. Auch ein Fall mit Lähmung des Gaumen-
segels findet sich darunter. Prudden*) beobachtete in einem
New- Yorker Einderasjle eine Hausepidemie von schwer ver-
laufender Diphtheritis; bei 24 nach dem Tode bacteriologisch
untersuchten Fällen wurden auf den erkrankten Schleimhäuten
und mitunter auch in den inneren Organen Streptokokken,
daneben in mehreren Fällen Staphylokokken, niemals LöfiPler-
Bacillen gefunden. Park^) fand unter 159 ins Hospital auf-
genommenen Diphtheriefällen nur 54 (34%) bacilläre. Bei
den übrigen nicht-bacillären war der Verlauf im Allgemeinen
ein viel günstigerer; dennoch war in 16 Fällen die Intubation
noth wendig (5 Todesfälle). Es ist wahrscheinlich, dass in
1) Stodi clinici e ricerche sperimentali Bulla difterite. Borna 1894.
2) The American Joamal of the medical Bciences May 1889 und
Medical Becord 1891, 18. April.
8) New-York med. Record July 80, August 6, 1892.
422 A. Epstein:
dieser Beziehung locale und vielleicht auch zeitliche Verhält-
nisse eine Rolle spielen. Nach den Torliegenden Berichten
zu schliessen, scheinen diese nicht-bacillären Diphtherien jen-
seits des Oceans yerhältnissmässig häufiger yorzukommen als
in Europa. Aber auch aus Berlin wurde über letal yerlau-
fende Fälle dieser Art von Baginskj^) berichtet. Feer*)
scheidet die durch den LöfiTler-Bacillus verursachten Diphthe-
rien von den Kokken -Diphtherien und berichtet über sechs
schwere Fälle der letzteren Art mit einem Todesfall (Tracheo-
tomie)y von welchen einige im Baseler Einderhospitale selbst
aufgetreten waren. Aus Graz berichtet Escherich'), dass,
obwohl bezüglich der Aufnahme auf die Diphtheriestation mit
möglichster Strenge verFabren wird, dennoch nahezu ein Viertel
der im Jahre 1893 aufgenommenen Fälle sich als nicht diphthe-
ritisch erwies; es scheine ihm die Zahl der diphtheroiden,
zur Verwechslung mit Diphtherie Veranlassung gebenden Er-
krankungen im Verhältniss zu den echten Diphtheriefallen in
Graz eine sehr viel grössere zu sein als in anderen Städten«
Löffler^) selbst betont, dass nicht selten Erkrankungen vor-
kommen, welche klinisch als echte Diphtherien imponiren,
welche aber durch, andere Organismen (Streptokokken, Sta-
phylokokken, Pneumokokken) hervorgerufen sind und welche
leicht oder schwer verlaufen können, wie die echte Diphtherie.
Bezüglich der Terminologie ist eine Einigung noch nicht
erfolgt. Manche (Escherich, Baginsky) bedienen sich des
von französischen Autoren schon seit langer Zeit eingeführten
Namens „diphtheroide Erkrankungen*'; welcher aber unwill-
kürlich an die Deutung erinnert, als ob es sich um eine mit
der Diphtheritis ätiologisch identische, jedoch abortiv verlau-
fende Erkrankung handeln würde. Andere gebrauchen die
Bezeichnung „Pseudodiphtherie'^, welche den Vortheil hat^ dass
in dem Vorworte die ätiologische Verschiedenheit und in dem
Grundworte die klinische Aehnlichkeit des Verlaufes zum Aus-
drucke kommt. Von demselben Gesichtspunkte ausgehend
wird von Anderen die Bezeichnung ^nichtrbacterielle Diphthe-
ritis^' oder auch „Kokkendiphtheritis'' angewendet.
Zu dieser eben gekennzeichneten Art der diphtherieähn-
lichen Rachens ffectionen gehört eine eigenthümliche und noch
wenig bekannte Erkrankung der Rachen- und Mundhöhle,
welche ich bei jungen Säuglingen bis etwa zur 10. Lebens-
1) Zar Aetiologie der Diphtherie. Berliner klin. W. 1892, Nr. 9.
2) Aetiol. und klin. Beitr&ge s. Diphtherie. 1894.
8) Aetiologie und Pathogenese der epidemischen Diphtherie. I. Bd.
1894.
4) Verhandl. des internat. Congr. f. Hygiene und Demographie in
Budapest 1894.
Psendodiphtheritifl septhäm. ürsprangs b. Neageb. u, Säaglingen. 423
woche beobachtet habe. Die Mittheilung dieses Gegenstandes
scheint mir aus einem doppelten Grunde zeitgemäss zu sein:
einmal, weil derzeit die Aetiologie der Diphtheritis und der
verwandten Erkrankungen in lebhaftester Erörterung steht
und einschlägige Untersuchungen zur Klärung beitragen können;
ein weiterer Grund ist die Absicht, wieder einmal die Septi-
cämie der Neugeborenen in Erinnerung zu bringen und aus
dem mannigfaltigen Symptomenbilde derselben eine seltenere
Erscheinung hervorzuheben.
Den vorliegenden Statistiken zufolge sind Diphtheritis
des Rachens und Larynxcroup bei Kindern der ersten Lebens-
wochen so selten, dass man daraus den Schluss gezogen hat,
dass der Neugeborene für Diphtheritis nicht empfänglich sei
und die Dispostition sich allmählich erst später, etwa im zweiten
Halbjahre, herausbilde. Auf Grund der vorliegenden Unter-
suchungen (Brieger u. Ehrlich) konnte zur Erklärung dieses
Verhaltens daran gedacht werden, dass, da die meisten Frauen
bereits gegen Diphtheritis auf natürlichem Wege immunisirt
sind, der in ihrem Blute kreisende Schutzkorper dem Fötus
mitgetheilt werde, dass ferner der in der Milch immuner
Mütter enthaltene Schutzkörper beim Säuglinge vom Darme
her immunisirend fortwirke, dass aber diese Immunität des
Kindes nur eine relativ kurze Zeit andauere.
Die wenigen casuistischen Mittheilungen über Diphtheritis
und Group bei Neugeborenen entstammen der älteren, vor-
bacteriologischen Zeit, in welcher nur die anatomische Ver-
änderung der Schleimhaut für die Diagnose bestimmend war.
Interessant ist jedoch die Angabe Monti's^), dass im ersten
Lebensjahre die Diphtheritis in den ersten drei Lebensmonaten
relativ häufiger sei als zwischen dem 3 — 10. Monate, und
eine ähnlich lautende Angabe Jacobi's^), dass von denjenigen
Kindern, welche vor dem 7. oder 8. Monate befallen werden,
die Mehrzahl noch unter drei Monaten sei. Die Erklärung
dieses sonderbaren Verhaltens dürfte zum Theil in meinen
später folgenden Erörterungen, welche auf das Vorkommen
pseudodiphtheritischer Rachenaffectionen bei Kindern der ersten
Lebenswochen hinweisen sollen, gefunden werden.
Aus neuester Zeit liegen, abgesehen von dem sofort zu
erwähnenden Berichte SchlichtePs, keine weiteren Mittbei-
lungen über Rächend iphtheritis bei Neugeborenen und jün-
geren Säuglingen vor, wiewohl sich annehmen lässt, dass jene
Autoren, welche sich mit der Bacteriologie der Diphtheritis
beschäftigten, bei verdächtigen Mundaffectionen kleiner Kinder
1) Croup und Diphtheritis, Wien und Leipzig 1884. S. 38 u. 187.
8) Diphtherie. Gerhardts Handb. d. Kinderkrankh. JI. Bd. 8. 701.
424 A. Epfteb:
die Untersuchung ebenfalls vorgenommen haben. Löffler')
zählt das Auftreten der Diphtheritis bei Säuglingen „zu den
seltensten Vorkommnissen^'. Dass dieselbe aber auch im zar-
testen Alter vorkommen kann, beweist der von Czemetschka^
mitgetheilte Fall von Rhinitis diphtheritica bei einem 19 Tage
alten Säuglinge meiner Klinik.
Schlichter') berichtete im Jahre 1892 Ober 21 Fälle
von angeblich echter Rachendiphtheritis, welche er im Laufe
von drei Jahren unter 21000 in der Wiener Findelanstalt
verpflegten Kindern beobachtete. Bei 14 derselben traten, wie
aus Krankengeschichten ersichtlich ist, die Beläge und Ne-
krosen innerhalb der ersten zwei Wochen nach der Geburt,
bei 5 in der dritten und vierten, bei 1 in der fQnften und
bei 1 in der neunten Lebenswoche auf Die wegen der be-
trächtlichen Anzahl der beobachteten Fälle interessante Mit-
theiluDg leidet jedoch an dem Umstände, dass die Diagnose
nicht genügend begründet ist, indem eine bacteriologische
Untersuchung unterlassen wurde. Nur nebenbei wird bemerkt,
dass bei „einem der oben geschilderten Kinder^' (wir erfahren
nicht einmal, bei welchem) in den Membranen Loffler'sche
Diphtheriebacillen gefunden wurden. Der hingestellte Wahr-
scheinlichkeitsschluss, „dass, wenn auch die Untersuchung nur
bei einem Kinde vorgenommen wurde, doch kein Grund zu
zweifeln sei, dass auch bei allen übrigen Fällen der gleiche
Bacillus vorhanden war'', ist nicht einmal nach arithmetischen,
geschweige denn nach bacteriologischen Regeln zulässig.
Schlichter gelangt zur Diagnose Diphtheritis nicht auf dem
Wege der objectiven Thatsachen, d. i. der bacteriologischen,
anatomischen und klinischen Befunde (er begnügt sich in
letzterer Beziehung mit der einfachen Constatirung eines
Rachenbelages oder Nasenausflusses), sondern er bemüht sich,
dieselbe hauptsächlich dadurch zu beweisen, dass er einen
causalen Zusammenhang und eine Continuität der in der An-
stalt vorgekommenen Erkrankungen annimmt Da aber zwischen
den einzelnen Erkrankungen zuweilen Pausen von 2, 3, 7 und
selbst 15 Monaten lagen, so wird der supponirte Zusammen-
hang recht bedenklich. Wenn wirklich, wie Schlichter an-
zunehmen geneigt ist, eine durch drei Jahre anhaltende
Diphtheritis -Epidemie in der Wiener Findelanstalt bestanden
hätte, dann würde sie, wie Anstaltsendemien lehren, wahr-
1) Untersuchangen über die Bedeataog der MikroorgaDismen für die
Entstehung d. Diphtherie. Mittheilgn. a. d. kaiserl. Gesund heitsamte.
11. Band.
2) Ein Fall von Rhinitis diphther. (Aus Prof. Chiari's Institut in
Prag.) Prager med. Wochenschr. 1894.
8) Arch. f. Kinderheilk. 1892. XIV. Bd. S. 189.
m
Psendodiphtheritis Bopthäm. Ursprungs b. Neugeb. n. Sänglingen. 425
scheinlich ganz andere Verheerungen angerichtet haben. Merk-
würdigerweise blieben die vielen Hunderte älterer Kinder,
welche sich während dieser Zeit in der Anstalt aufhielten,
bis auf eines (leichte Erkrankung — nicht bacteriologisch
untersucht) und ebenso auch die Tausende von Ammen bis
auf zwei, bei welchen nur Beläge an den Tonsillen ohne
weitere bacteriologische Untersuchung constatirt wurden, un-
behelligt. Von 21 000 Kindern erkrankten nur 21 an der
angeblichen Loffler-Diphlheritis. Es handelte sich zumeist um
lebensschwache oder durch vorausgegangene schwere Krank-
heiten erschöpfte Kinder, welche von der Bachenaffection be-
fallen wurden. Schlichter meint, dass die vorhergehenden
Krankheiten die individuelle Disposition hervorgerufen hätten.
Die Annahme einer speciellen Disposition zu Diphtheritis ist
gewiss berechtigt. Aber es widerspricht der Erfahrung, dass
diese Disposition an vorhergehende Erkrankungen gebunden
sei. Vielmehr gehört es zur Regel, und dies macht eben
diese Krankheit so furchtbar, dass sie bis dahin gesunde
Kinder befallt und in kurzer Zeit hinwegrafft. Hier war aber
die Frage naheliegend, ob nicht die vorangehenden oder, rich-
tiger gesagt, die bestehenden schweren Erkrankungen in einer
directen ursächlichen Beziehung zu den Rachenaffectionen ge-
standen sind. Diese Frage wurde von Schlichter nur allzu
flüchtig gestreift, wie er denn überhaupt ein näheres Ein-
gehen auf eine Differentialdiagnose und die Berücksichtigung
der einschlägigen Literatur für überflüssig hielt. Nach meiner
Meinung ist für die in der Wiener Findelanstalt vorgekom-
menen Fälle von echter Diphtheritis bei neugeborenen Kindern
diese Diagnose nicht nur zweifelhaft, sondern es liegen selbst
in den kurz gehaltenen Krankengeschichten genug Anhalts-
punkte für die Vermuthung vor, dass es sich bei manchen
derselben um secundäre Nekrosen der Rachenschleimhaut bei
vorhandener Septhämie gehandelt haben dürfte. Schon das
häufige Vorkommen der eitrigen Entzündungen des Nabels
und der Nabelgefässe, der Enteritis u. s. w. wird an einen sol-
clien Zusammenhang erinnern müssen.
Es würde sich schon mit Rücksicht auf meine eigene
Mittheilung die Nothwendigkeit ergeben, auf jene Infections-
zustände des Neugeborenen, die wir unter dem Namen der
Septicämie zusammenfassen, und auf die eigenartige Actio-
logie und den Polymorphismus der septischen Erkrankungs-
formen beim Neugeborenen des Näheren einzugehen. Die
Weiterungen dieses Gegenstandes vermeidend, verweise ich
auf meine füheren einschlägigen Arbeiten. Wiewohl sich in
den letzten Jahren die Lehre der septischen Infection des
Neugeborenen wesentlich erweitert hat, so ist doch die Be-
426 A. Epstein:
deutung derselben fQr die Pathologie des jüngsten Eindes-
alters und für die Mortalität der ersten Lebensmonate noch
lange nicht erfasst worden. Als Maassstab hiefür dürfen die
kurz und aphoristisch gehaltenen Abschnitte über die so-
genannte Puerperalinfection der Neugeborenen in unseren
Lehrbüchern angesehen werden — eine viel zu enge Bezeich-
nung, welche von der veralteten Theorie der Abhängigkeit
der septischen Erkrankung des Kindes Yon der puerperalen
Erkrankung der Mutter ausgeht, und den viel zahlreicheren
und bedeutungsvolleren Infectionen^ welche vom Kinde erst
nach der Geburt erworben werden, keine Rechnung trägt.
Sie sollte endlich durch die Bezeichnung ,,Septicämie der
Neugeborenen '' ersetzt werden, unter deren Titel eventuell
auch die nur eine geringe Rolle spielende puerperale, d. i. intra-
uterine Infection des Kindes zu fallen hätte.
Die Verallgemeinerung der Lehre von der Septicämie
beim Neugeborenen wird durch eine Reihe von äusserlichen
Umständen hintangehalten. Gewohnheitsgemäss und vom Er-
wachsenen her associirt sich der Begriff ISeptico-Pyämie mit
dem Gedanken an eine vorausgegangene Verletzung oder Wunde.
Die Symptome derselben beim Erwachsenen sind mehr oder
weniger durch typische, locale und allgemeine Erscheinungen
und häufig auch durch eine bestimmte Aufeinanderfolge der-
selben charakterisirt, so z. B. durch die sichtbaren Vorgänge
an der Wunde selbst, durch das etappenmässige Fortschreiten
des Processes, den Schüttelfrost, das continuirliche Fieber,
die eitrigen Metastasen u. s. w. Aehnliche Verhältnisse eines,
wenn ich so sagen darf, mehr chirurgischen Verlaufes der
Septico - Pyämie beobachten wir zuweilen auch beim Neu-
geborenen, wenn eine sichtbare und mehr umschriebene
Ausgangsstelle der Infection vorhanden ist oder wenn durch
das Auftreten multipler Eiterungen die Diagnose offenbar wird.
Fälle dieser Art bilden jedoch beim Neugeborenen nicht die
Regel und sie sind auch, wie ich nebenbei bemerken möchte,
prognostisch nicht gerade die ungünstigsten. In der grossen
Mehrzahl der Fälle erfolgt die Infection von unscheinbaren
Substanzverlusten oder im Innern des Körpers vorhandenen
Herden aus oder sie schliesst sich den diffus verbreiteten
katarrhalischen Processen der Schleimhäute an. So können
die Nabelwunde und die Nabelgefässe, der Magen und Darm,
die Mund- und Rachenhöhle, die Urogenitalorgane, kleine Ver-
letzungen oder geringfügige Entzündungsherde, Excoriationen
und U Icerationen an der Haut und den Schleimhäuten und
möglicherweise auch das unversehrte Epithel zu Ausgangs-
punkten und Ursachen der septischen Allgemeininfection werden.
So ist es wohl erklärlich, dass zahlreiche Fälle von Septd-
Pseadodiphtheriiis septhäm. Ursprangs b. Neugeb. n. Säaglingen. 427
cämie der Neugeborenen unter jener Form verlaufen, welche
als interne oder spontane, oder kryptogenetische Sepsis be-
zeichnet warde, die beim Erwachsenen zu den ungewöhn-
licheren Vorkommnissen gehört, während sie hier an der Tages-
ordnung ist Derartige Fälle von Septhämie der Neugeborenen,
insbesondere solche, welche ohne nachweisbare Localinfection
und selbst ohne eine vorausgehende nachweisbare Organerkran-
kung unter dem Bilde einer hämorrhagischen Diathese oder
unter acut und bösartig verlaufenden septischen Allgemein-
erscheinungen verlaufen, können in die Gruppe der „primären
septischen Allgemeininfectionen^' Gussenbauer's^) eingereiht
werden, welcher sich dahin ausspricht, „dass es für die ätio-
logische Auffassung der septhämischen Allgemeinerkrankung
gleichgiltig ist, ob die Fäulnissorganismen in Folge einer
Continuitätstreunung der Eörperoberfläche oder durch die nor-
malen Auskleidungen der Eorperh'öhlen in das Blut gelangen^^
In der That fährt die klinische Beobachtung mancher
Erkrankungen und Symptomencomplexe beim Neugeborenen
zur Auffassung derselben als Septicämien, trotzdem die patho-
logisch-anatomischen Leichenuntersuchungen diesbezüglich oft
nur eine geringe Ausbeute liefern. Elebs^) hebt mit Recht
hervor, dass bei der Sepsis neugeborener Kinder embolische
Processe und metastatische Eiterungen in inneren Organen
selten sind und die Kinder unter dem Einflüsse allgemein-
septischer Infection zu erliegen scheinen. Dies mag darauf
beruhen, dass die mangelhafte Reactionsfähigkeit des neu-
geborenen Kindes, die sich auch klinisch z. B. in dem so
häufigen Fehlen eines continuirlichen Fiebers kundgiebt, der
Ausbildung typischer anatomischer Veränderungen ein Ziel
setzt und dass die absolut geringere Ausbreitung der Ver-
änderungen in den kleinen Organen um so eher ein Ueber-
sehen derselben verschuldet. Eingehendere pathologisch-histo-
logische Untersuchungen der Organe des Neugeborenen, die
allerdings erst eine tiefere Kenntniss der normal histologischen
Verhältnisse voraussetzen, werden vielleicht genauere Auf-
schlüsse liefern als die einfache makroskopische Besichtigung.
Dabei dürfte es sich auch herausstellen, dass capilläre Mikro-
kokkenembolien und Gewebsnekrosen nicht nur nicht selten
sind, sondern zu sehr häufigen Befunden gehören.
Wie zuweilen die klinische Beobachtung allein genügen
kann, um den septischen Charakter einer Krankheit zu er-
kennen, zeigt z. B. die acute Gastroenteritis der Säuglinge,
1) Septhämie. Deutsche Chirnrgie von Billroth und Lücke 1882.
Lief. 4. S. 101.
2) Eulenburg'sBealencyklopädie der ges. Heilk. IL Aufl. XVIILHd.
8. 869. „Sepsis".
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. XXXIX. 29
428 A. Epstein:
▼OD welcher ich zanächsti yon klinischen Thatsachen aus-
gehend, die Meinung ausgesprochen habe, dass dieselbe eine
Allgemeinerkrankung ist, sowie, dass zahlreiche Fälle auf
einer septischen Infection beruhen und dass bei Kindern der
ersten Lebenswochen die Septicamie in dem Bilde einer acuten
Gastroenteritis ihren einzigen Ausdruck finden kann. Zu dieser
Ansicht muss man gelangen, wenn man die Aufeinanderfolge
der Erscheinungen: die gastrointestinale Störung, die Nephritis,
die cerebralen Erscheinungen, die Hautexantheme, die Herz-
schwäche, die lobuläre Pneumonie als einen zusammengehörigen
Sjmptomencomplez betrachten lernt, der sich yon jenem der
manifesten Pyo-Septhämie nur durch das wegen des rapiden
Verfalles bedingte Ausbleiben der Eiterherde unterscheidet
Uebrigens fehlt es in manchen und besonders protrahirten
Fällen auch nicht an solchen. Man darf nur nicht, wie dies
bisher oft geschehen ist, die, wenn auch seltener auftretenden,
entzündlichen Processe in anderen Organen, die hämorrha-
gischen Zustände, die Thrombosen, die Gangrän etc. als Ck>m-
plicationen oder als marantische Folgezustände der Gastro-
enteritis betrachten, sondern muss sie als zur Krankheit ge-
hörige und durch die AUgemeininfection bedingte Symptome
derselben würdigen. Diese ans klinischen Erfahrungen ge-
wonnene Anschauung über die septische Natur der acuten
Gastroenteritis ist durch die von Rud. FischP) ausgeführten
anatomisch-bacteriologischen Untersuchungen an Einderleichen
gestützt und am beweiskräftigsten durch die bacteriologischen
Blutuntersuchungen dargethan worden, welche Czerny und
Moser*) &n lebenden Kindern, die an acuter Gastroente-
ritis erkrankt waren, vorgenommen haben.
Nach dieser allgemeinen Erörterung, die mir für den
Zweck meiner Mittheilung nicht überflüssig schien, wende ich
mich zu den septischen Affectionen der Mund- und Rachen-
schleimhaut. Diese können entweder primär aus Localinfec-
tionen dieser Schleimhaut hervorgehen oder sie etabliren sich
auf derselben secundär, unter Vermittlung der Blut- oder
Lymphcirculation in Folge einer septischen AUgemeininfection,
gleichgiltig, woher dieselbe ausgeht. Ist die AUgemeininfection
von einem inficirten Herde der Mund-Rachenhohle ausgegangen,
dann können daselbst die primären und die secundären Er-
scheinungen der septischen Infection ineinander übergehen
und sind dann um so schwerer zu differenziren, wenn Local-
und AUgemeininfection rasch aufeinander folgen. Es giebt
1) Zeitschr. f. Heilkunde Bd. XY.
2) Jahrbuch f. Kinderheilknude Bd. XXXVIÜ. H. 4.
k
Psendodiphtheritis septhäm. Ursprünge b. Neugeb. n. Säaglingeo. 429
endlich Falle von Pyo-Septhämie der NeDgeborenen, wo über-
haupt die Entscheidung schwierig ist und auch bei der Sec-
tion nicht gefallt wird, ob in dem vorliegenden Falle die
Infection ausgegangen ist von den vorhandenen septischen
MundgeschwQren oder etwa von dem gleichzeitig erkrankten
Nabel oder dem Darmcanale, oder von irgend einer anderen
etwa noch vorhandenen Herderkrankung. Die Entscheidung
wird in solchen Fällen deshalb schwierig, weil jede dieser
Erkrankungen an und für sich zur AUgemeininfection führen,
andrerseits aber auch als eine secundäre Erscheinung der
Septhämie sich entwickeln kann.
Zu einer primären septischen Infection der Mund- oder
Rachenschleimhaut können verschiedene Verletzungen derselben
Anlass geben, sei es, dass der Infectionsstoff sofort nach der
Verletzung eingeimpft wird oder erst später in dieselbe ge-
langt. Am häufigsten entstehen solche Verletzungen bei den
gewaltsam und schablonenhaft geübten Reinigungen der Mund-
schleimhaut, ob nun dieselben aus prophylaktischen oder thera-
peutischen Rücksichten vorgenommen werden. Solche Aufschür-
fungen des Epithels und die aus diesen hervorgehenden Ulcera-
tionen können an den verschiedensten Stellen der Mund-Rachen-
höhle zu Stande kommen, so am Gaumengewölbe, an der Raphe,
in der Umgebung der prominirenden Epithelperlen, an der Zunge,
dem Zungenbändchen, an den Alveolarrändern der Kiefer, an
den vorderen Gaumenbögen etc. Am regelmässigsten entstehen
sie an den hinteren äusseren Winkeln des harten Gaumens,
wo die zackigen Vorsprünge der beiden Hamuli pterygoidei
eine Verletzung der Schleimhaut besonders begünstigen. Die
an diesen symmetrischen Stellen entstehenden Nekrosen des
Epithels, welche als Bednar'sche Aphthen bekannt sind, ver-
wandeln sich bei fortgesetzten Insulten und insbesondere bei
geschwächten Kindern zu verschieden tiefen und ausgebrei-
teten Ulcerationen, welche sich über die ganze Breite des
Gaumensegels ausdehnen und bis zum Knochen vertiefen
können. Diese Gaumen winkelgeschwüre können, wie ich dies
wiederholt gesehen habe, zum Ausgangspunkt einer septischen
AUgemeininfection werden.^)
1) Die von mir im Jahre 1884 gegebene Erkl&ning der Pathogenese
der Bedn arischen Aphthen, welche ich auf eine mechaniBche Ver-
letsung des Epithels Eorückgeführt habe, ist seither von verschiedenen
Autoren (v. Engel, H. Neamann, Eröss, Banmm) bestätigt und
anch von Anderen angenommen worden. Dagegen hat sich E. Fränkel
auf Grund anatomischer Untersuchungen dahin ausgesprochen , dass es
sich von vornherein nm eine mykotische Epithelnekrose handle, wo-
bei er ebenfalls die Möglichkeit einer AUgemeininfection von diesen
Stellen aus annimmt. Ich selbst mass darauf beharren, dass die mecha-
nische Abschenerang des Epithels die erste Ursache der Bednar'schen
29*
430 A. Epstein:
umgekehrt kann es geschehen, dass im Laufe einer be-
stehenden Septhämie secundäre Nekrosen der Mund- und Rachen-
schleimhaut auftreten, oder dass zufallig vorhandeneVerletzungen
sich in septische Geschwüre umwandeln. Die Nekrose betrifft
in der Regel nur die Epithelschicht der Schleimhaut und ist
dann eine Theilerscheinung jener allgemeinen degenerativ-
nekrotischen Veränderung des Epithels, die bei der Septhämie
der Neugeborenen an allen epithelialen Decken und ihren Ein-
stülpungen (Niere, Lungenalveolen, Darmdrüsen u.s.w.) nach-
zuweisen ist und welche wahrscheinlich durch die septische
Intozication verursacht wird. Neben dieser diffusen und des-
halb weniger charakteristischen Veranderung der Schleimhaut,
die unter dem Bilde des Eatarrhes, wenn auch von diesem
genetisch yerschieden, verläuft, sehen wir zuweilen auch tie-
fere Nekrosen und Ulcerationen an der Mund- oder Rachen-
schleimhaut auftreten. Nicht selten ist dies der Fall bei
protrahirt verlaufenden Formen der septischen Gastroente-
ritis, bei welcher auch in den übrigen Abschnitten des Ver-
dauungstractus (Oesophagus, Magen, Darm) oder auch an der
Epiglottis und dem Larynzeingang ähnliche Schleimhaat-
nekrosen vorgefunden werden können. Die am Gaumenge wölbe
oft zu beobachtenden Blutaustritte und die zuweilen auftreten-
den submucösen Abscesse in der Mundhohle deuten darauf,
dass solchen secundären Nekrosen auch embolische und meta-
statische Veränderungen zu Grunde liegen können. Zu den
secundären Folgezuständen der Septhämie gehört endlich auch
die gangränöse Form der Stomatitis, bei welcher es zu einer
mehr oder weniger ausgebreiteten Mortification und zu bran-
digem Zerfalle der Schleimhaut und der angrenzenden Gewebe
kommt. Ich sah dieselbe in selteneren Fällen bei lange an-
haltender Herzschwäche an den Alveolarwällen der Kiefer,
am Mundboden, den Lippen, am weichen Gaumen, im Oeso-
phagus auftreten.
Die Nekrosen und Ulcerationen der Schleimhaut, wenn
dieselben einen grösseren Umfang erreichen und am weichen
Gaumen, den Gaumenbögen, den Mandeln und der nächsten
Umgebung localisirt sind, erinnern wegen ihres Sitzes und
Aphthen and die Ansiedelung der Mikroorganismen erst eine weitere
Folge ist, die dann freilich zur Nekrotisirung des Epithels beiträgt.
Die Anwesenheit von Mikroben in dem Epithel und den subepitheliaien
Gefässen habe ich schon damals constatirt und auch besprocben. Es
wäre auch merkwürdig, dass sie auf einer wunden Stelle der Mund>
Schleimhaut fehlen sollten. Ich bin zu jener Ansicht auf Qrund syste-
matischer klinischer Beobachtungen und Versuche gelangt. Aus der
anatomiechen Untersuchung der Endproducte allein lässt sich dieselbe
freilich nicht gewinnen.
Pseudodiphtheritis septhäm. Ursprungs b. Nengeb. u. Säuglingen. 431
der granen oder graugelblichen Färbung des Belages an Di-
pbtheritis und dürften yielleicht manchmal zu einer derartigen
Diagnose bei neugeborenen Kindern schon Veranlassung ge-
geben haben. Wir bezeichnen sie in unseren Krankengeschichten
als yyUlcera palati'^ oder ,,ülcera septica palati'^
Eine viel grössere Aehnlichkeit und, wie ich im Hin-
blick auf einzelne Fälle behaupten darf, eine in klinischer
und anatomischer Beziehung völlige Uebereinstimmung mit
Rachendiphtberitis ergiebt sich in solchen Fällen, wo es
zur Bildung fibrinöser Ablagerungen auf und in der Schleim-
haut kommt, wo sich auf der Bachenschleimhaut zu-
sammenhängende, derb elastische und sich erneuernde
Häute entwickeln, Gewebsnekrosen eintreten und der Pro-
cess die Neigung hat, in derselben Form sowohl nach der
Mundhöhle zu als auch nach dem Bespirations • und Ver-
dauungstracte hin sich zu verbreiten.
Schon mein Lehrer und Vorgänger an der Klinik, v.Ritter^),
hatte derartige Fälle bei neugeborenen Kindern gesehen und
in der Casuistik seiner Jahresberichte unter den Bezeich-
nungen Croup und Diphtheritis pharyngis et laryngis erwähnt
Ich selbst^) habe dann im Jahre 1879, als ich diese Schleimhaut-
erkrankungen in einer Reihe von Fällen genauer klinisch
beobachtet und histologisch untersucht, sowie den Zusammen-
hang derselben mit der Septhämie nachgewiesen hatte, die-
selben unter den Bezeichnungen „septischer Croup'' und „sep-
tische Diphtheritis'' beschrieben.
Die in früheren Jahren viel häufiger beobachtete^ Fälle
dieser Art sind gegenwärtig viel seltener geworden, was ich
daraus erklären möchte, dass einerseits die bösartigen Formen
der Septhämie in unserer Anstalt überhaupt viel seltener ge-
worden, ja manche Typen derselben sogar fast gänzlich er-
loschen sind, und dass andrerseits die früher systematisch ge-
übten Muudwaschungen, welche, wie oben bemerkt wurde,
zu Verletzungen und Infectionen der Mundschleimhaut Anlass
geben können, nur bei bestimmter Indication und mit der
entsprechenden Vorsicht vorgenommen werden.
Ein nach mehreren Jahren wieder beobachteter Fall dieser
Art, welcher zu einer bacteriologischen Untersuchung Gelegen-
heit gab, veranlasst mich wieder, auf jene Beobachtungen
zurückzukommen und dieselben zu ergänzen.
In der Regel sind es schwer kranke oder durch Krank-
1) Viert eljahrschr. f. prakt. Heilk. 1868. I. B. S. 41 nnd Jahrb. f.
Physiol. Q. Pathol. des ersten Eindesalters. 1868. S. 72.
2) Ueber septische Erkrankungen der Schleimhäute bei Kindern.
Arch. f. Kinderheilk. I. Band und Prager med. Wochenschr. 1879.
432 A. Epstein:
heiten herabgekommene Kinder, bei denen die in Rede ste-
hende Rachenaffection auftritt. Die Yorangehenden Erkran-
kungen, 80 verschiedenartig sie auch zu sein scheinen, tragen
den gemeinschaftlichen Charakter der Septhämie an sich und
können als solche häufig schon durch die klinische Beobach-
tung erkannt werden. Der Ausgang ist in der Regel ein
letaler. Die Dauer beschränkt sich gewohnlich auf wenige
Tage.
Bei systematisch und täglich geQbten Inspectionen der
Mund-Rachenhohle war ich wiederholt in der Lage, den Pro-
cess Yon seinem Beginn an zu verfolgen. Immer geht eine
Rothung und Schwellung der Mund- und Rachenschleimhaut
voraus, wobei gewohnlich auch Soor vorhanden zu sein pflegt.
Die fibrinöse Exsudation beginnt gewöhnlich im Bereiche des
weichen Gaumens, manchmal einseitig von einem Gaumen-
bogen aus oder im Uebergangswinkel zwischen dem Ober-
und Unterkiefer oder von einer Bednar'schen Aphthe. Einmal
begonnen, verbreitet sich der Process rasch auf die Nachbar-
schaft, indem sich eine continuirliche, grau- oder grünlich-
gelbe, mattglänzende, gegen die Umgebung scharf abstechende
häutige Auflagerung bildet, welche Anfangs innig mit der
Unterlage zusammenhängt, später manchmal als eine derb
elastische continuirliche Lage abgelöst werden kann, eine blu-
tende, von Epithel entblösste und geschwollene Schleimhaut
zurQcklässt und sich wieder erneuern kann. Die Ausbreitung
und Intensität des Processes hängt von dem vorhandenen
Kräftezustande und der weiteren Lebensdauer des Kindes ab.
In länger dauernden Fällen kann derselbe nicht nur das
Gaumensegel, die Gaumenbögen, die Mandeln, die hintere
Rachen wand ergreifen, sondern auch den Zungenrücken, die
Kiefer- und Lippenschleimhaut einbeziehen. Er kann auf die
Nase übergehen, aus der sich dann eitrig blutige, zfthe, mit
grauen Fetzen untermischte Massen entleeren, welche die Haut
excoriiren. Nach abwärts kann sich der croupöse Process
auf die beiden Flächen der Epiglottis und den Kehlkopf-
eingang fortsetzen, wo dann ebenfalls fibrinöse Auflagerungen
und Nekrosen gefunden werden. Ich sah ihn jedoch niemals
in den Kehlkopf selbst und in die Trachea vorschreiten, wohl
deshalb, weil die Kinder durch die stets vorhandene lobuläre
Pneumonie schon früher getödtet werden. Dagegen setzt sich
der Process manchmal tiefer in den Verdauungstract fort, in-
dem nicht nur auf der Schleimhaut des Oesophagus, sondern
auch auf der Schleimhaut des Magens fibrinöse Auflagerungen
oder Nekrosen gefunden werden. Es scheint mir, dass das
Auftreten der Membranbildung einer- und der Nekrose an-
drerseits weniger von der Art des Epithels, als von der
Pseudodiphtheritis septhäm. Ürsprange b. Neageb. u. Säuglingen. 433
Beschaffenheit der Unterlage und der Befestigung der Schleim-
haut abhängig ist. Ist dieselbe über Knochen oder Knorpel
gespannt, oder auf einem dichten Gefüge aufruhend (harter
Gaumen, Kehlkopf, Trachea, Bronchien, Nase, Zunge), dann
scheint gewöhnlich die oberflächliche Epithelnekrose d. i. die
membranose Auflagerung zu überwiegen, während in einer
schlaffen, auf Weich theilen aufruhenden Schleimhaut (weicher
Gaumen, Gaumenbögen, Mundboden, Oesophagus, Magen) eher
eine tiefere und mit einem rascheren Zerfall des Gewebes
einhergehende Infiltration vor sich gehen kann.
Zur besseren Veranschaulich ung des Krankheitsbildes füge
ich die Abbildung eines schon vor längerer Zeit beobach-
teten Falles bei , die ich damals wegen der ungewöhnlich
grossen Ausbreitung des Processes, der sich sonst gewöhn-
lich nur auf die Rachenpartie beschränkt, anfertigen Hess.
Es handelte sich um ein Kind, welches in den ersten Tagen
nach der Geburt an einer septischen Gastroenteritis erkrankte.
Die croupös-diphtheritische Entzündung ging von einem links-
seitigen Gaumeneckengeschwüre aus und breitete sich über
einen grossen Theil der Rachen- und Mundhöhle, die Nase
und die Epiglottis aus. Tod am 24. Lebenstage. Man wird
zugeben müssen, dass die Aehnlichkeit mit echter Diphtheritis,
bei welcher insbesondere bei protrahirtem Verlaufe eine ähn-
liche Ausbreitung stattfinden kann, eine sehr grosse ist.
Ich habe noch zu bemerken, dass die Körpertemperatur,
wie dies auch bei anderen pyo-septhämkchen Erkrankungen
des Neugeborenen gewöhnlich der Fall ist, in der Regel in
normalen oder subnormalen Grenzen sich bewegt. Erhebliche
Drüsenschwellungen werden in der Regel nicht beobachtet^
wie denn überhaupt in jenem Lebensalter das Lymphdrüsen-
system bei verschiedenen acuten und chronischen Infections-
krankheiten nur wenig in Mitleidenschaft gezogen wird. Es
war ferner eigenthümlich, dass solche Fälle nur sporadisch
auftraten.
Die Abbildung dürfte mich auch der Mühe entheben, für
jenen ganz besonders eklatanten Fall die Differentialdiagnose
des Soors weitläufig auszuspinnen. Hier wird die Eigenart
der ganzen Erscheinung, die scharfe Abgrenzung, Solidität
und Dicke der häutigen Auflagerungen den Gedanken an eine
Sooreruption, selbst ohne histologische Untersuchung, kaum
aufkommen lassen. Dagegen könnte bei der Entwickelung
inselförmiger und zarterer fibrinöser Auflagerungen, und ins-
besondere, wenn man diesen Process bei Neugeborenen nicht
kennt, ein Uebersehen desselben oder eine Verwechslung mit
Soor um so eher stattfinden, als, wie ich früher erwähnt
habe, sehr oft ein intensiver Soor vorauszugehen pflegt, wie-
434 A. Epstein:
wohl ich andrerseits auch Falle beobachtet habe, wo der Soor
durch seine unbedeutende Entwickelung eine ganz untergeord-
nete Rolle spielte oder schon in Abnahme oder auch ganz
geschwunden war, als die fibrinöse Exsudation auftrat. Das
regelmässige Vorangehen des Soors konnte die Meinung ent-
stehen lassen, dass die hier geschilderte Schleimhautaffection
vielleicht ein directer, wenn auch ungewöhnlicher Folgezustand
des ersteren sein dQrfte. Ich muss einer solchen Auslegung
widersprechen und glaube vielmehr, dass es sich trotz dieses
Zusammentreffens um anatomisch und ätiologisch verschiedene
Processe handelt. Die Beziehungen, welche zwischen beiden
obwalten, treffen nur in dem Umstände zusammen, dass sie
beide zu ihrer Entstehung gewisser Vorbedingungen sowohl
allgemeiner als localer Natur bedürfen oder, in anderen Worten
ausgedrückt, dass sie beide secundäre Erkrankungen sind.
Auch der Soor ist eine solche, da er weder bei einem voll-
kommen gesunden Kinde noch auf einer normalen Schleim-
haut entsteht. Es ist wohl möglich, dass die vorangehende
Soorentwickelung den Boden vorbereiten hilft, indem das
zwischen und unter dem Epithel wachsende Soorgeflecht die
Ernährung des Epithels behindert und eine Nekrose desselben
befördert. Aber es bedarf noch eines besonderen Reizes, und
dieser wird hier ohne Zweifel durch die Septhämie erzeugt,
um die fibrinöse Transsudation auszulösen. Diese letz-
tere kommt aber dem Soor nicht zu. In den von mir unter-
suchten septisch -croupösen Auflagerungen waren oft weder
Fäden noch Sporen von Soor zu finden, und wenn auch solche
zu finden wären, so hat dies f&r die Deutung des Processes
ebenso wenig Bedeutung, als etwa die Auffindung von Soor-
fäden bei gangränöser Oesophagitis oder von Leptothrixfaden
bei echter Diphtherie. Der wesentlichste Unterschied der
septisch -croupösen Rachen- und MundentzQndung beim Neu-
geborenen ist eben die fibrinöse Auf- und Einlagerung, die
sich übrigens häufig schon mikroskopisch von dem Soot-
belage auffällig unterscheidet. Ueberhaupt scheint mir der
bei der Beschreibung des Soors manchmal gebrauchte Aus-
druck „membranöse^^ oder „pseudomembranöse Auflagerung"'
unrichtig angewendet. Das mit der Pincette losgelöste und
im Wasser sich vertheilende Klümpchen, oder der kleine, ein-
gerollte Epithelfetzen verdient diese Bezeichnung um so weniger,
wenn man dieselben Ausdrücke auch bei Croup und DiphÜie-
ritis anwendet. Der Gebrauch derselben für den Soorbelag
entstammt noch den älteren Schilderungen des Soors bei den
französischen Autoren (Billard, Valleix), welche die Pilz-
natur des Soors noch nicht kannten, denselben für das Pro-
duct einer entzündlichen Absonderung ansahen und unter
PseudodiphtheritiB septh&m. ürsprangs b. Neageb. u. Säagliogen. 435
dieaerVoraussetznng auch wirkliche Entzündungen der Sehleim-
häate mit einbezogen.^)
Von den sonstigen Mundaffectionen, welche bezüglich der
Differentialdiagnose in Frage kommen konnten, wäre noch die
Stomatitis aphthosa zu erwähnen, welche zuweilen, insbeson-
dere bei kachektischen Kindern und wenn die Plaques con-
fluiren, eine gewisse Aehnlichkeit mit diphtheritischen Pro-
ducten annehmen kann. Ganz abgesehen von den wesentlichen
unterschieden des klinischen Erankheitsbildes wird hier die
Stomatitis aphthosa um so eher auszuschliessen sein, als die-
selbe, wenigstens nach meinen persönlichen Erfahrungen, bei
Kindern der ersten Lebenswochen überhaupt nicht vorkommt.
Die histologische Untersuchung der erkrankten Schleim-
haut ergab, von dem bacteriologisehen Verhalten abgesehen,
eine ziemliche Uebereinstimmung mit den Veränderungen, wie
sie bei Diphtheritis vorgefunden werden. Das Wesentliche
des Processes besteht in einer Auflagerung fibrinöser Massen
von verschiedener Mächtigkeit. Manchmal ist die ganze Epithel-
schicht in der Fibrinschicht aufgegangen, sodass dieselbe un-
mittelbar der Schleimhaut anliegt, während an anderen Stellen
die tiefere cylindrische Lage des Epithels mehr oder weniger
deutlich und zusammenhängend erhalten ist. In den Maschen
des faserstoffigen Balkenwerkes lagern nekrotische Epithelien,
daneben zerstreut oder in Gruppen angeordnet finden sich
Kerne von Leukocyten, welche besonders in den tieferen
Schichten der Auflagerung reichlicher vorhanden sind und
sich an manchen Stellen zwischen der Fibrinlage und der
Schleimhaut so dicht anhäufen, dass die erstere dadurch ab-
gehoben erscheint. Die Schleimhaut selbst und insbesondere
die Papillen sind von erweiterten, dicht gefüllten Geföss-
schlingen durchzogen. Im Gewebe derselben und besonders
in der Umgebung der Gefässe sind zahlreiche Leukocyten an-
gehäuft. Stellenweise ist das Faserstoffnetz zerklüftet und
darunter das Gewebe der Schleimhaut selbst im Zerfalle. Ge-
wohnlich ist die fibrinöse Auflagerung vorherrschend, doch
1) Nach der Beschreibung, welche Billard von der „malignen**
Form des Soors entwirft und in welcher er erwähnt, dass es bei dem-
selben in Folge einer intensiven Entzündang der Mandschleimhant an-
statt der gewöhnlichen „schleimigen Absondernng** zur Ausscheidung
von Fibrin aus den Oefässen kommen kann, ist es mir wahrscheinlich,
dass er zuweilen croupöse Formen von Stomatitis und Pharyngitis beob-
achtet haben dürfte. Billard ist es auch, welcher die Specificität des
Bretonneau^schen Croup leugnete und annahm, dass es sich bei diesem
nur um eine intensivere katarrhalische Entzündung der Schleimhaut mit
Fibrinbildung handelt, wobei er auf die analogen Yerh<nitise beim
Soor hinweist. (Traitä des mal. des enfans nouveau-n^s. 1885. S. 126
and S. 282.)
436 A. Epstein:
giebt es Fälle, wo der nekrotische Zerfall der Schleimhaut
rascher um eich greift and die erstere mehr in den Hinter-
grund tritt. Dies scheint namentlich dann der Fall zu sein,
wenn der Process bei sehr geschwächten nnd schon dem Tode
nahen Kindern eintritt.
Die bacteriologische Untersuchung jener Fälle^ welche
meiner ersten Mittheilung zu Grunde lagen, geschah zu einer
Zeit, wo die derzeit gangbaren Culturmethoden noch nicht
eingeführt waren. Trotzdem möchte ich derselben doch nicht
allen Werth absprechen. Die mikroskopische Untersuchung
wurde in dem hiesigen, damals von Prof« Elebs geleiteten
pathologisch-anatomischen Institute vorgenommen, welcher zu
jener Zeit schon die Diphtheritis als eine eigenartige bacilläre
Erkrankung erkannt und beschrieben hatte, wobei er aller-
dings, wie auch noch späterhin^), die Meinung aussprach,
dass es fibrinöse Exsudationen der Racbenschleimhaut mit
gleichen anatomischen Eigenschaften gebe, welche durch Mikro-
kokken erzeugt werden. In den von mir untersuchten Fällen
waren nur Kokken vorhanden. Sie fanden sich in den fibri-
nösen Auflagerungen, sowie auch im Gewebe der Schleimhaut.
Am zahlreichsten und. zuweilen eine continuirliche Lage bil-
dend, bedeckten sie die oberst^e Lage der Fibrinschicht. Den
Epithelien folgend waren sie auch in den tieferen Fibrin-
lagen zu sehen und fanden sich zahlreich in nekrotisirenden
Herden der Schleimhaut.
Zu jener Zeit, wo die anatomische Veränderung allein
f&r die Diagnose Croup und Diphtheritis maassgebend war,
war es wohl gerechtfertigt, die von mir beobachteten Affec-
tionen in diese Kategorie einzureihen. Nachdem femer die
klinischen Beobachtungen und die Sectionsbefunde einen ätio-
logischen Zusammenhang mit einer septischen Infection an-
nehmen Hessen, so habe ich die beobachteten Fälle als „sep-
tischen Croup^' und „septische Diphtheritis'' beschrieben, wobei
ich nur bemerken möchte, dass diese Ausdrücke damals in
einem andern Sinne gebraucht wurden, als dies gegenwärtig
üblich ist Was den Zusammenhang der Rachenaffection mit
der septischen Infection betrifft, so habe ich in meiner Mit-
theilung die Beantwortung der Frage, ob es sich um eine
primäre septiriche Infection der Schleimhaut oder um ein secun-
däres Product einer septischen AUgemeininfection handle, ofiFen
gelassen.
Der nach einer mehrjährigen Pause wieder beobachtete
Fall hat mir Gelegenheit gegeben, eine genauere bacterio-
logische Untersuchung vorzunehmen und über die Pathogenese
1) Allgem. Pathologie L Bd. 8. 198 n. ff.
Psendodiphtheritis septhäm. Ursprungs b. Neugeb. u. Säuglingen. 437
des Processes Aufschlnss zu gewinnen. Hierbei wurde ich
durch einen besonders glücklichen Zufall unterstützt, wel-
cher darin bestand, dass bei dem Einde eine bacteriologische
Untersuchung des Blutes vorgenommen worden war, bevor
noch die Pbarynxerkrankung auftrat.
Der Fall betrifft ein 20 Tage altes Eind und unterscheidet
sich von den früher beobachteten durch seine Beschränkung
auf den weichen Gaumen, durch seinen kurzen Verlauf, durch
die geringere fibrinöse Exsudation und die dafür intensivere
Nekrose der Schleimhaut. In ätiologischer Beziehung ist er
den anderen gleich zu stellen.
Agnes S., Prot.-Kr. 9008, geboren am 20. Januar 1894, wurde am
1. Februar 1894 auf die Kinderklinik der FindelaDstalt aufgenommeD.
Das Eind ist normal gebildet, schwächlich, abgemagert. Körpergewicht
2700 g, Kopfumfang 84 cm, Brnstomfang 29,6 cm. Wird von seiner
Matter gestillt.
2. Febr. Kg. 2620 g. Im Laufe der letzten 24 Stunden 16 dünn-
flüssige, spritzende, hellgelbe Stühle. Ist verfallen, Herztöne schwach,
Aftertemperatur Abends 38,0.
8. Febr. Das Kind trinkt schwach. 4 wässerige Stühle. Herz-
töne dumpf. BHO. Percufisionsschall verkürzt. Der Harn trüb, enthält
viele Urate und Phosphate, Eiweiss, sehr zahlreiche Cylinder. Kg. 2400,
Temp. 37,6—87,6.
4. Febr. Unverändert. Kg. 2300. Temp. 86,8—87,0.
6. Febr. 6 dünnflüssige, hellgelbe Stühle. KHO. verkürzt, nach
abwärts tympanitisch. Beginnendes Sclerem an den Unterschenkeln.
Kg. 2200, Temp. 87,6—87,6.
6. Febr. 6 zähe, hellgelbe Stühle. Kg. 2160, Temp. 38,0, 37,2.
7. Febr. Gestern Abend angeblich blutiger Harn. Hauch auf<
getrieben, Respiration sehr frequent, Herztöne schwach, Sclerem der
unteren Extremitäten und am Rücken. Die täglich inspicirte Mund-
und Rachenschleimhaut bisher von normaler Beschafi^enheit, kein Soor.
8. Febr. Morgens. An der Zungenspitze und den Rändern spärliche,
punktförmige Soorvegetationen. Am Gaumen die Schleimhaut ecchy-
mosirt. Das Gaumensegel und die vorderen Gaumenbögen
mit einer mattglänzenden, grauen, zusammenhängenden,
fest haftenden Auflagerung bedeckt, welche nach vom scharf
abgegrenzt ist. Die Gegend unter- und oberhalb des linken Unter-
kieferastes stark geschwollen und infiltrirt. Respiration stark beschleu-
nigt. Das Inspirium von einem laut hörbaren, stenotischen Gei'äusche
begleitet. Herzaction schwach.
Im Laufe der Nacht Zunahme der Laryngostenose. Tod 2^ Uhr
Morgens.
Klinische Diagnose: Gastroenteritis acuta, Nephritis, Sclerema,
Pneumonia, Necrosis palati mollis.
Die pathologisch-anatomische Diagnose (Herr Prof. Chiari)
lautete: Pneumonia lobul. bilat., Inflammatio acuta palati mollis, De-
generatio parench. hepatis et renum, Tumor lienis acutus, Gastroente-
ritis, Infarctus aciduricus renuro. Bezüglich der Rachenaffection wurde
Folgendes notirt: „Die Schleimhaut im Bereiche der beiden Gaumen-
bögen und im Pharynx missfarbig und mit einem grauröthlichen Be-
lage versehen. Solche Beläge auch an der Epiglottis und den aryepi-
glottischen Falten."
438 A. Epstein:
Die in meiner Klinik yorgenommene bacieriologische Untennchnng
erstreckte »ich anf das Blut nnd den Bachenbelag des lebenden Kindes.
Die Untersuchung des Blutes geschah noch vor dem Auftreten
der Rachen äff ection. Sie war mit Rflcksicht auf die vorhandene
Gastroenteritis Torgenommen worden, welche sich als eine infectiOse
Allgemeinerkrankung auch dadurch documentirt, dass im Verlaufe der-
selben oft schon im circulirenden Blute Bacterien nachgewiesen werden
können. Am S., 4., 6., 6. nnd 8. Februar wurden vom Blute des Kindes
Impfungen anf Agar, Olycerinagar und Oelatine vorgenommen. Anf dem
am 6. Februar geimpften Röhrchen gingen swei Colonien von Strepto-
kokken auf. Dieselben verhielten sich, wie Parallelversache
seigten, morphologisch und biologisch vollkommen gleich
den später aus dem Rachenbelage gezüchtetenStreptokokken.
Am 8. Febroar 4 Uhr N. M. wird von dem Rachenbelage auf Blut-
serum und Glycerinagar abgeimpfk und die Culturen bei 87* C. ein-
gestellt.
10. Februar. Auf allen N&hrböden reichliche Entwickelang von
verschiedenen Colonien, von denen jedoch keine fSr Löüler- Bacillen
charakteristisch ist.
Mikroskopisch: Streptokokken, Staphylokokken und lange
Stäbchen.
Die durch das Plattenverfahren isolirten Streptokokken erweisen
sich morphologisch, biologisch und beim Thierezperiment identisch mit
den aus dem Blute des Kindes gezüchteten Streptokokken.
Sie wachsen auf Agar in kleinen, scharf circumscripten , runden und
durchscheinenden , weissgrauen Colonien. Mikroskopisch untersucht
zeigen sie sehr lange Ketten, auch beim Wachsthum auf Agar. In
Bouillon rasches Wachsthum in langen Ketten. Auf Kartoffeln makro-
skopisch ein Wachsthum nicht constatirbar. In Gelatine (Stich) bei
Zimmertemperatur war ein Wachsthum nicht su erzielen. Sie sind nach
Gram sehr gut ftrbbar. Intravenös rufen sie beim Kaninchen keine
Erscheinungen hervor. Nach subcutaner Injection in die Ohren ent-
9 tobt beim Kaninchen eine erysipelatöse Röthung, welche die Injections-
stelle weit überschreitet und nach 2 — 8 Tagen wieder verschwindet.
In die vordere Augenkammer von Kaninchen eingebracht, entsteht da-
selbst eine intensive Eiterbildung.
Von den Staphylokokken Hessen sich zwei Arten unterscheiden,
welche nach ihren Eigenschaften als Staphylococcus pyogenes albus
und aureus bestimmt wurden. Beide verfliissigen Gelatine. Der Sta-
phylococcus aureus bildet nach einigen Tagen am Boden des Ver-
flüäHigungstrichters sein orangefarbenes Pi^ment, während der Staphylo-
coccus albus seine weisse Farbe beibehielt. Beide sind nach Gram
sehr gut nirbbar. Auf Agar zeigen beide sehr rasches Wachsthum,
der Staphylococcus aureus producirt wieder sein orangegelbes Pigment
Auf Kartoffeln wachsen beide in Form eines dünnen, weissUchen Be-
lages, der Staphylococcus aureus nimmt nach kurzer Zeit die intensive
oran^egelbe Farbe an. Die Colonien auf Blutserum zeigen die gleichen
Verhältnisse wie auf Agar. Die Bouillon trübt sich bereits innerhalb
der ersten 24 Stunden. Beide Staphylokokkenarten, in die Blntbahn
von Kaninchen eingebracht, tödteten die Thiere, St aureus in 24 Stunden,
St. albus in 48 Stunden. In die vordere Augenkammer gebracht , er-
zeugten beide Pan Ophthalmitis.
Mit diesen in der Klinik gewonnenen Ergebnissen stimmt die im
pathologisch - anatomischen Institute vorgenommene bacteriolo^ische
Untersuchung an der Leiche überein. Sie ergab in Bezug auf LöfiTIer-
Bacillen einen ebenfalls negativen Befund. Impfungen vom Gaamen-
bt'lage auf Agar erwiesen Streptococcus pyogenes und Staphylococcus
Psendodiphtheritis septh&m. ünpnings b. Nengeb. n. Säuglingen. 439
pyogenes. Vom Langensafte wurde Streptococcus pjogenes ge-
wonnen.
Die histologische Untersuchung der mir von Herrn Prof. Chiari
überlassenen Orgamtücke ergab in Kurzem Folgendes: Die untersuchte
Gaumenpartie ist des Epithels verlustig, die ganze Mucosa zum Theil
kleinzellig dicht infiltriit, zum Theil in eine aus einem feinsten Netz-
werke bestehende Masse umgewandelt, welche bei Weigert'scher Fär-
bung einen bläulichen Farbenton annimmt, keine Kerne zeigt, und aus
welcher sich die gut färbbaren Schleimdrüsen scharf abheben. Die er-
wähnte Masse ist besonders nahe der Oberfläche dicht von Kokken
durchsetzt. An manchen Stellen reichen die Kokkenhaufen bis in die
Muscularis. In der Lunge eine vorwiegend hämorrhagische Infiltration
sichtbar, in welcher an vielen Stellen Mikroorgauismenhaufen zu er-
kennen sind. Am Lebergewebe sind keine Veränderungen wahrzunehmen,
nur hie und da finden sich die Gapillaren auf kleine Strecken hin voll-
ständig von Mikroorganismen ausgefüllt. Die Milz zeigt in der Pulpa
zahlreiche pigmentführende Zellen und vereinzelte grosse Kokkenhaufen.
In der Niere fallen die gewundenen Cauälchen in Schnittpräparaten da-
durch auf, dass die Epimelkerne daselbst weniger Farbstoff aufnehmen
als jene der Tubuli recti. Die Epithelzellen der gewundenen Canälchen
sind vergrössert, granulirt. In zahlreichen Canälchen sind hyaline Cy-
linder sichtbar, die Glomeruli sind unverändert. In den Schnitten sind
keine Mikroorganismen nachzuweisen.
Wenn man den klinischen Verlauf, das anatomische Ver-
halten und die bacteriologische Untersuchung des hier er-
örterten Falles zusammenfasst, so lässt sich derselbe bezüglich
der Art und Pathogenese der Rachenaffection folgenderweise
kurz charakterisiren : Bei einem drei Wochen alten Kinde tritt
im Verlaufe einer Gastroenteritis eine Rachenaffection auf,
die sich klinisch und anatomisch wie eine Diphtheritis ver-
halt, jedoch nicht durch Löffler- Bacillen, sondern durch sep-
tische Kokken veranlasst ist. Dieselbe ist eine secundäre
Folge einer Septhämie, welche hier wahrscheinlich vom Darm-
tracte ausgegangen ist. Da die zuerst aus dem Blute und
die aus dem später auftretenden Rachenbelage gezüchteten
Streptokokken vollkommen identisch sind, so ist es wahr-
scheinlich, dass die Rachenaffection durch Infection der Schleim-
haut auf dem Wege der Blutbahn erfolgt ist.
Es liegt somit eine „Pseudodiphtheritis septhämischen
Ursprungs" vor, mit welchem Namen ich deutlicher als in
meiner ersten Mittheilung einerseits den bacteriologischen
Unterschied von der Diphtherie, sowie andrerseits die Patho-
genese des Processes zu bezeichnen glaube. Mit dem Aus-
drucke „septhämisch*^ wird die Septhämie als die eigentliche
Ursache der Rachenaffection betont und dem etwaigen Miss-
verstandnisse begegnet, als ob es sich um eine septische
Local- oder Secundärinfection der Rachenschleimhaut direct
von Aussen her handeln würde. Diese Bezeichnung dürfte für
alle jene Fälle von fibrinöser oder nekrotisirender Pharyngitis
anzuwenden sein, welche durch eine bestehende Septhämie
43 u^gepüAm. UrsprangB etc.
j A. ^f^ 't^'/tfgf ^^ ^^® letztere zu Stande ge-
^if*f, ^^^i^ßierhei aach an manche Formen so-
^'^^ii ^'^- f^/>^theriti8 bei Variola, Typhus, Cho-
ko'^'^^J^f ^^"^^jgch u. 8. w. Hier kann entweder eine
f^^^ßfäi^' L^erJtis vorliegen, in welchem Falle man die-
^!^*i/r\"^^^ . f »l8 eine Mischinfection, als eine „seeundäre
^he ^'^l'ff ga bezeichnen hat Es giebt aber noch eine
Dipf^^K^fOi foD Rachenaffectionen im Verlaufe der genann-
r^^'jf^fibeiten, welche sich sowohl durch den klinischen
^'^j fgls aach durch das Fehlen von Loffler- Bacillen von
^echten Diphtheritis unterscheidet. Es ist wahrscheinlich,
ifL dieselbe der Ausdruck einer aus der Grundkrankheit
. ^^j-gegangenen Septhämie ist, und auch für solche Falle
^gre dann die Bezeichnung „Pseudodiphtheritis septhämischen
Ürtprungs" gerechtfertigt«
XXIL
Berieht der Kinderspitäler 0 ttber das Jahr 1893.
Von
Dr. EiSBMSOBm in Wien«
1. St. Annen-Einderspital in Wien.
Verpflegt wurden 1565 Kinder: 804 Knaben, 751 Mädchen.
Geheilt wurden 823, gebessert 100, nngeheilt oder auf Verlangen
entlassen 73, gestorben 469 (81,2%), 91 inneäalb der ersten 24 Standen
des Spital anfenthaltes. Verblieben 81.
Es standen im Alter: bis zum 1. Jahre 100, Tom 1. — 4. J. 568, vom
4.-8. J. 505, vom 8.— 12. J. 306.
An Diphtherie wurden behandelt 668, davon geheilt 821, gestorben
290 (45,6 %), 67 während des I.Tages des Spitalaufenthaltes, verblieben 83.
1) Tracheotomirt (schwerste Fälle): 133, gestorben 128,
intubirt (primäre Fälle):
nur intubirt (prim. Fälle):
intubirt mit nachfolg. Tracheot.
2) Nach secund. Masem-Croup ;
nur intubirt:
intubirt und tracheotomirt:
nur tracheotomirt:
3) Diphth. nach Scharlach tracheot.
Die Zahl der Verpflegstage betrug 25 542 ; ein Verpflegstag kostete
ca. 1,20 fl.
2. St. Josefs-Einderspital zu Wien.
Verpfleg^ wurden 961: 498 En., 463 M., geheilt wurden 539, ge-
bessert 46, nngeheilt 20, gestorben 311 (33,9%), sterbend aberbracht
wurden 80. Verblieben 45.
«
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 50, gestorben 84 (68%)
von 1—4 Jahren 451, „ 212 (48,6%)
5-8 „ 275, „ 53 (20,7%)
9-12 „ 185, „ 12 (6,9%).
Die PP. Directoren von Einderspitälern werden höflichst um mög-
lichst rasche Zusendung der Jahresberichte ersucht. Eef.
179,
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74, und zwar
94,
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442 Dr. EiMnschiti:
An Diphtherie and Croup wurden behandelt 867, davon starben 1S8
(62,2%), 56 sterbend überbracht.
Tracheotomirt wurden: 66, gestorben 58
Intubirt „ 84, „ 50
Inlubirt und tracheot: 18, „ 17.
Die Zahl der Verpflegetage betrug 19 057, im Durchschnitt för ein
Kind 19,8 Tage, ein Verpflegstag kostete 1,29 fl.
8. Leopoldst&dter Kinderspital eu Wien.
Verpflegt wurden 780: 681 Kd., 164 M., geheilt wurden 588, ge-
bessert oder auf Verlangen entlassen 43, gestörten 164 (22,0%), sterbend
überbracht 22. Verblieben 86.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 6, gest 3,
▼on 1—4 Jahren 286, „ 94,
11 * — 8 »1 Ä^^i «t W,
„ 8-18 „ 192, „ 12.
Ad Diphtherie und Croup wurden behandelt 218, davon starben
97 (44,5%), 16 sterbend überbracht.
Primär tracheotomirt : 14, gestorben 18,
Intubirt: 47, „ 82,
Intubirt und tracheotomirt: 12, „ 11,
8ecQodftr tracheotomirt: 2, „ 1,
Secundär intubirt: 10, „ 10.
Die durchschnittliche Behandlnngsdauer: 15 Tage.
Ein Verpflegstag kostete 1,16 fl.
4. Kronprini Budolf-Kinderspital zu Wien.
Verpflegt wurden 607: 272 Kn., 286 M., geheilt wurden 841, ge-
bessert 12, ungeheilt entlassen 8, gestorben 118 (24,05%), 22 Kinder starben
in den ersten 24 Stunden des Spitalaufenthaltes. Verblieben 28.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 10, gest. 6,
„ „ „ „ von 1—4 Jahren 156, „ 69,
n 11 II 11 II ^ — 8 11 1^7, „ 27,
n 11 II 11 II ' — 1^ »1 ^'^1 11 ^^'
An Diphtherie behandelt 112, davon starben 41 (86,5%).
Tracheotomirt: 6^ gestorben 4.
Intubirt: 34, „ 20.
Intubirt und tracheotomirt: 9. „ 9.
An Masern-Croup ! 1 Irach., 1 gestorben,
18 intub., 13 „
Zahl der Verpflegstage 12 049, ein Verpflegstag kostete 1,876 fl.
6. Carolinen-Kinderspital lu Wien.
Verpflegt wurden 468: 286 Kn., 223 M.
Es standen im Alter bis zu 2 Jahren 18, gest 56,
11 II ,1 »1 von 2—4 Jahren 120, „ 42,
11 II 11 II 11 * ® » ^^^ II 29,
f> 11 »I II 11 ® 12 I» ^°i 11 ^1
I» II II »I I» 12 1* II 28, „ 2.
Geheilt entlassen 219, gebessert 68, ungeheilt auf Verlangen 14, ge-
storben 137 (30,5%). Verblieben 26.
Berioht der Kinderapit&ler über das Jahr 1898. 443
An Cronp and Diphtheritis behandelt 188, davon gestorben 88,
iracheotomirt wurden 62, intnbirt 28.
Zahl der Verpflegstage 11840. Ein Verpflegstag kostete ca. 1,40 fl.
6. Kaiser Frans-Josef-Kinderspital sa Prag.
Verpflegt worden 1146: 614 Kn., 682 M., geheilt warden 572, ge-
bessert 224, nngeheilt oder anf Verlangen entlassen 56, gestorben 225
(20,9%), 67 sterbend überbracht. Verblieben 69.
Es standen im Alter bis sa 1 Jahre 116,
„ „ „ „ von 1—4 Jahren 521,
>i »f »t II ti 4 o „ 811,
M II «I »» II 8 14 „ 198.
An Diphtheritis behandelt 287 , davon gestorben 96.
Traoheotomirt warden 2, beide gestorben.
Intnbirt und traoheotomirt 151 von diesen 117 Operlrten sind ge-
Intnbirt 102 J gestorben 68, von
den 15 Secundärtracheotomirten 14, von den 102 Intabirten 64.
Zahl der Verpflegstage 22 668, ein Verpflegstag kostete 1,859 fl.
7. Badener Spital für arme scrofnlöse Kinder.
W&hrend einer Saison von 129 Tagen warden verpflegt 70 Kinder:
40 Kn. , 80 M., entlassen worden 25 geheilt, 88 gebessert, 7 an-
geheilt.
Die Summe der Verpflegstage betrag 8406, die mittlere Verpflegs-
daoer 48,6 Tage.
Ein Verpflegstag kostete ca. 0,81 fl.
Das Alter der Verpflegten schwankte zwischen 4 ond 18 Jahren,
fast die Hälfte der Aufgenommenen war 10 — 12 Jahre alt.
8. St. Ludwig-Kinderspital zu Krakau.
Das Kinderspital besitzt seit 1. März 1889 eine neu organisirte Ab-
theilong für Brostkinder sammt Ammen, bestehend aus 10 Betten und
10 Wiegen.
Verpflegt wurden 1035 Kinder: 517 Kn., 618 M., geheilt 604, ge-
bessert 48, auf Verlangen entlassen 56, gestorben 278(28,2%), ver-
blieben 49.
Von 971 Kindern standen im Alter bis zu 1 Jahre 16,
von 1 — 8 Jahren 295,
4—7 „ 837,
8—12 „ 828.
Nicht geimpft waren 21 der Kinder.
An Croup und Diphtheritis wurden behandelt 174, gestorben 95;
im Spitale entwickelt 9.
Traoheotomirt primär: 25, gestorben 20
„ secnndär: 4, „ 8
Intnbirt primär: 68, „ 88
„ secundär 8, „ 1.
Verpflegt wurden auf der Säuglingsabtheilung 268 Säuglinge: 209
kranke, 59 gesunde; 59 Mütter, 58 Ammen.
Von den 209 Säuglingen sind 98 gestorben, 9 verblieben.
Jahrbnoh f. Kinderheilkimde. N. P. XXXIX. SO
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444 ^' Eisenachiti;
Anf der Kinderabtheilnng 26 886 Yerpflegetage , auf der Abtheiloog
für Säuglinge fflr diese 7484 Verpflegstage.
Ein Yerpflegttag kostete darohBchnittUch 0,62 fl.
Ansaerdem yerbrachten 78 Kinder, 80 Kn., 48 M., 8224 Verpflegs-
tage in der dem Spitale adjangirten Sommercolonie für Bcrofalöse
Kinder im Badeorte Babka, für diese Kinder kostete ein Verpflegstag
sammt Beisespesen and Ansrüstang 0,406 fl.
9. Anna-Kinderspital in Graz.
Behandelt wnrden 666 Kranke: 820 Kn., 846 M. Entlassen worden
898 med. Kranke: geheilt 62,0%, gebessert 12,1%, ungeheilt 6,8%,
transferirt 0,4%, gestorben 28,0%, verblieben 6,7%.
Entlassen 227 chiror.-oculistische Kranke: geheilt 61,2%, gebessert
22,1%, ungeheilt 2,0%, transferirt 0,4%, gestorben 6,9%. Verblieben
An Diphtherie behandelt wnrden 40, dayon gestorben 14.
Die durchschnittliche Verpflegsdauer aller Kranken betrag 28,7 Tage,
der med. Kranken 22,6 Tage, der chir.-ocul. Kranken 26,8 Tage. Ein
Verpflegstag kostete 0,796 fl.
10. Armen-Kinderspital in Budapest
Verpflegt wurden 1442: 767 Kn., 686 M., geheilt oder gebessert
entlassen 917 , angeheilt 71 , gestorben 898 (27,4%) , sterbend über-
bracht 22, yerblieben 81.
Es standen im Alter bis su 1 Jahre 142,
yon 1—8 Jahren 872,
3—7 „ 482,
7—14 „ 446.
An Croup und Dipbtheritu behandelt 862, gestorben 194.
Tracheotomirt wurde 9 mal, intubirt 206 mal, gestorben 61.
Hamsteinoperationen 20.
Zahl der Verpflegstage 36 278. Kosten eines Verpflegstages 0,62 fl.
Die Anstalt hat überdies 102 Begleiterinnen yon 8&ugltngen durch
1100 Tage yerpflegi.
11. Kinderheil- und Diakonissen-Anstalt an Stettin.
Verpflegt wnrden 898 Kinder: 218 Kn., 180 M., geheilt wurden
111, gebessert entlassen 87, angeheilt 8, gestorben 98 (27,7%), ster-
bend über bracht 14, yerblieben 44.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 66, davon gest. 41,
„ „ „ „ yon 1—3 Jahren 80, „ „ 27,
n »» I» I» t» ° 6 „ 98, „ „ 16,
M n ti i> M 6—12 „ 116, „ „ 10,
» «« H 11 flher 12 Jahre 46, „ „ 6.
An Croap und Diphtheritis wurden behandelt 78, gestorben 28.
Tracheotomirt wurde 87 mal, 20 mal mit Erfolg.
Die mittlere Verpflegsdauer betrag SS Tage, ein Verpflegstag kostete
ca. 1,62 Mark.
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Bericht der Kinderspüftler Aber das Jahr 1898. 445
19. Einderheilanstalt zu Dresden.
Verpflegt wurden 816 Kinder, 426 En., 889 M., entlassen wurden
767, gestorben 281 (80%), verblieben 68.
An Croup und Diphtherie wurden behandelt 368, gestorben 160.
Tracheotomirt 199, gestorben 48,7%.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 88, gest. 40,
von 1—4 Jahren 874, „ 187,
4-8 „ 288, „ 44.
8—12 „ 102, „ 9.
12—16 „ 28, „ 1.
Die mittlere Yerpflegsdauer betrug 26,6 Tage, ein Yerpflegstag
kostete ca. 8,4 Mark.
18. Abtheilung fflr kranke Kinder an der Charit^ zu Berlin.
Vom 81. III. 1892 bis 81. III. 1898.
Behandelt 1286 Kinder: geheilt oder gebessert entlassen 668, un-
geheilt 60, aestorben 621 (46,6%), yerblieben 64.
An Diphtherie und Croup behandelt 124, gestorben 72 (68%).
14. Elisabeth-Kinderhospital Berlin.
1. IV. 1898 bis 81. IH 1894.
Behandelt wurden 877 Kinder: 198 Kn., 179 M. Entlassen wurden:
als geheilt 199, als ungeheilt 81, gestorben 63 (20,6%), 9 Kinder ster-
bend überbracht, verblieben 84.
Es standen im Alter bis zu 1% Jahr 41, gestorben 12,
von l^A— 4 Jahren 168, „ 88,
6-8 „ 103, „ 18,
9—12 „ 60, „ 4.
über 12 „ 6, „ 1.
Die mittlere Verpflegsdauer betrug 76 Tage, ein Verpflegstag kostete
ca. 1,76 Mark.
16. Neues Kinderkrankenhaus zu Leipzig.
Verpflegt wurden auf der med. Abtheilung: 799 Kinder: 427 Kn.,
372 M., auf der chir. Abth. 204 Kinder: 127 Kn., 77 M.
Entlassen wurden von 1: geheilt 878, gebessert 66, ungeheilt 64,
gestorben 260, verblieben 42. Von 2: geheilt 182, gebessert 28, un-
geheilt 10, gestorben 26, verblieben 14.
Es starben also von 947 Entlassenen 286 (80%).
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 282,
„ „ „ „ von 2—6 Jahren 462,
11 1» 11 fi 11 6—10 „ 220,
yt fi 11 II 11 ll-^Iß 11 89.
Die mittlere Verpflegsdauer betrug 24,4 Tage. Ein Verpflegstag
kostete 8,21 Mark.
An Diphtherie behandelt wurden 280 Kinder, davon starben 106,
108 wurden intubirt, von denen 80 geheilt wurden, 2 primftr Tracheot.
geheilt; von 6 seound&r Traoheotomirten 1 geheilt.
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446 !)>'• Eisenscbiis:
16. Kaiserliches EiDderheim %u Graebsohen-Breslan.
Im Jahre 1898 kamen 87 Matter und 87 Kinder, 46 Kn., 41 M., snr
Aufnahme, yon den letzteren erhielten 84 die Bmst, 8 die Flasche, die
mittlere Dauer des Aufenthaltes fiir Mutter und Kind betruff 8—4 Wochen
und die Verpflegung kostete per Tag und Kopf 58 Pf. Qestorben
1 Kind.
Während des ISjfthrigen Bestandes des Kinderheimes kamen 743
Mfltter und 766 Kinder zur Aufnahme, you den letzteren wurden 668
an der Brust und 92 künstlich ernährt, und starben im (Jansen 22.
In allen 12 Jahren wurden 880 Mütter als Ammen Terdungen, 166
in yersohiedene Dienstplätae.
Die Mütter wurden 1898 am 6. — 89. Tage, nach der Entbindung
mit ihren Kindern aufgenommen.
Die fiander hatten bei der Aufnahme ein durchschnittliches Gewicht
von ca. 8000 g, sind also schwache Kinder und nahmen, entsprechend
den dürftigen ErDähruogsyerhältnissen der Mütter, in den ersten 2 bis
8 Wochen wöchentlich nur 100— 140 g zu.
Die Anstalt ist bestrebt, auch die Mütter vor ihrer Entlassung aus
der Anstalt möglichst zu versorgen, durch Yerdingung als Ammen (42)
oder Dienstmädchen (10) und die Kinder bei bekannten Kostfrauen unter-
zubringen.
17. Wilhelm-Augutta-Hospital in Breslau.
Verpflegt wurden 468 Kinder: 218 Kn., 260 M., geheilt entlassen
wurden 860, gebessert 60, gestorben 20 (4,8 %)t im Spital verblieben 12,
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 18,
Ton 1—8 Jahren 88,
8—5 „ 52,
5-14 „ 815.
Die mittlere Verpflegsdauer betrug 15,8 Tage, die Kosten eines
Verpflegstages 2,5 Mark.
18. Dr. Christas Kinder-Krankenhaus und Entbindungsanstalt
an Frankfurt a/M.
Verpflegt wurden 469 Kinder: 229 Kn., 280 M., geheilt entlaaaen
269, gestorben 156 (87,6%), verblieben 44.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 28,
von 1—5 Jahren 351,
., 6—10 „ 188.
über 10 „ 44.
An Diphtheritis wurden behandelt 290, davon gestorben 117.
Die outtlere Verpflegsdauer betrug 84,2 Tage.
19. Olga-Heilanstalt in Stuttgart
Verpflegt wurden 750 Lehrlinge, 604 Kinder. Entlassen warden
712 Lehrlinge, 488 Kinder, gestorben sind 180 (10,1%), 4 Lehrlinge, 186
Kinder (22,8%). Verblieben waren 89 Kinder und 84 Lehrlinge.
Von den Verpflegten standen 267 im Alter bis zu 1 Jahr, 1185 im
Alter von 1^-4 Jahren , 230 im Alter von 5 — 8 Jahren , 281 im Alter
von 9 — 12 Jahren, 952 im Alter von 12—18 Jahren.
An Diphtherie und Croup behandelt wurden 287, davon starben ISO.
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über
Bericht der Einderspit&ler über das Jahr 1898. 447
Tracheotomirt wurden 161, davon 62 genesen.
Mittlere Yerpflegsdaner 27,3 Tage. Kosten eines Verpflegstages ca.
1 Mk. 68 Pf.
20. Nürnberger Einderspital.
Im Jahre 1898 verpflegt 298 Kinder: 146 Kn. und 162 M., geheilt
wurden 129, gebessert 84, angeheilt entlassen 21, gestorben 80 (29,6%),
verblieben 28.
An Croup und Diphtheritis behandelt wurden 68, davon gestorben 28.
Tracheotomirt wurde 6 mal, intubirt 21 mal, tracheotomirt und in-
tubirt 7 mal. Von allen Operirten starben 28, das Mortalitätsverhältniss
bei den Tracheotomirten und Intubirten war gleich.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 86,
1—4 Jahren 92,
4-8 „ 68,
8-12 „ 40,
12 „ 22.
Die mittlere Yerpflegsdaner betrug 27,72 Tage.
Ein Yerpflegstag kostete ca. 2,1 Mark.
21. Anna-Hospital zu Schwerin.
Verpflegt wurden 111 Kinder (49 Kn., 62 M.), entlassen wurden
82, gestorben 8 (9,7%), verblieben 21.
Das Alter der im Spitale Verpflegten ist nicht ersichtlich gemacht.
An Diphtheritis und Croup wurde behandelt 1.
Tracheotomirt wurde 1, gestorben 1.
Die mittlere Verpflegsdauer betrug 66,0 Tage.
Ein Veroflegstag kostete ca. 1,8 Mk.
Einige Kinder an Scrofulose behandelt, wurden ans dem Spitale
in das Seehospiz zu Grossmüritz abgegeben.
22. Kinderhospital zn Lübeck.
Verpflegt wurden 174 Kinder (99 Kn., 76 M.), entlassen wurden:
geheilt 107, gebessert 4, ungeheilt 8 ; es starben 34 (28%), verblieben 26.
Es standen im Alter unter 1 Jahre 18, gestorben 6,
von 1 — 4 Jahren 72, „ 16,
6 — 8 „ 48, „ 6,
8-12 „ 81, „ 4,
12—16 „ 16, „ 8.
An Diphtherie und Croup behandelt wurden 48, davon gestorben 14.
Tracheotomirt wurden 28, davon geheilt 18, intubirt Imal mit Erfolg.
Die mittlere Verpflegsdauer betrug 66,7 Tage.
Ein Yerpflegstag kostete ca. 1,4 Mk.
28. Kinderspital (Eleonoren-Stiftung) in Hottingen
bei Zürich.
Behandelt wurden 414 Kinder, neu aufgenommen 367: 186 Kn., 181 M.
Geheilt entlassen 180, gebessert 121, ungeheilt 14, gestorben 66 (14,8%).
Terblieben 44.
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448 Dr. Eisenachiti: Berioht der EindenpitAler über das Jabr 1898.
Es standen im Alter bis su 1 Jahre 60, gest 18,
„ „ „ „ TOn 1—4 Jabren 187, „ 28,
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«I »1 1» »I 1» 8 — 12 „ 64, „ 6.
„ „ „ „ über 12 Jahre „ 28, „ 0.
An Diphtberitis behandelt worden 76, davon starben 29.
Tracheotomirt 16, gestorben 16. Die Zahl der secandären Traoheo-
tomien ist nicht angegeben. Intubirt 16, gestorben 8.
Die mittlere Verpflegsdaner betrag 46,6 Tage. Ein Verpflegstag kostete
2,74 Fr.
24. Einderspital in Basel.
Verpflegt wurden 401 Kinder: 208 En., 198 M., geheilt worden
260, gebessert 83, angeheilt entlassen 28, gestorben 66 (16,4%), Ter
blieben 89.
Es standen im Alter bis an 1 Jahre 88,
Ton 1—6 Jahren 164,
„ 6-10 „ 107,
über 10 „ 67.
An Croup und Diphtberitis worden behandelt 87, davon gestorben 16.
Tracheotomirt wurden 21, 6 mit Erfolg, intubirt 8, geheilt 1; in-
tubirt und tracheotomirt 6, geheilt 8.
Die mittlere Verpflegsdaner: 88,2 Tage. Kosten eines Verpflegs-
tagea 4,26 Fr.
26. Luisenheilanstalt für kranke Kinder in Heidelberg.
Verpflegt wurden 487 Kinder: 286 Kn., 261 M. Entlassen wurden:
268 geheilt, 96 gebessert, ungeheilt 44, gestorben sind 47 (10,4%).
verblieben 80.
Es standen im Alter bis zu 1 Jahre 76,
von 1 — 4 Jabren 166,
„ 6—8 „ 84,
„ 9-12 „ 92,
über 12 „ 76.
An Croup und Diphtherie wurden behandelt 84, davon gestorben 16,
tracheotomirt wurden 16.
Die mittlere Verpflegsdaner betrug ca. 80 Tage.
Die Kosten eines Verpflegstags ca. 1,6 Mark.
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Recensionen.
C am er er, Wilhelm, Der Stoffwechsel des Kindes von der Geburt bis
zur Beendigung des Wachsthums, meist ncuih eigenen Versuchen dar-
gesteUt. Tübingen 1894. Laupp*8che Bachhandlung. VllI, 160 S.
Grr088 8*.
^Terfasser hat sich durch die, zahlreiche Jahre hindurch mit un-
yerdroBsener Mflhe fortgeführten, Stoffwechseluntersach ungen an den
eigenen Kindern schon längst einen hochgeachteten Namen anter den
Fachgenossen erworben. Wer mit seinen Arbeiten vertraut war, be-
dauerte nur, dass sie in den verschiedensten Jahrgängen von wissen-
schaftlichen Zeitschriften, namentlich derjenigen für Biologie und im
Jahrbache für Kinderheilkunde, zerstreut und nicht zu einem einheit-
lichen Gesammtbilde verarbeitet waren. Das Buch, welches uns der
verdiente Autor unter dem obigen Titel bietet, hilft dem eben berührten
Mangel in trefflichster Weise ab. In übersichtlicher Darstellung findet
man nun die Resultate jahrelanger mühsamer Arbeit aneinander ge-
reiht, und ist in den Stand gesetzt, aus der Fülle der nach den Me-
thoden ezacter Forschung gewonnenen Zahlen über die meisten Fragen
des kindlichen Wachsthums, der Normen, nach denen dasselbe sich
regelt, nach denen es die Zufuhr verwerthet und umgestaltet, für die
verschiedenen Lebensalter so klare Vorstellungen zu gewinnen, als es
nach dem Stande unserer Kenntniss möglich ist. Gerade für den Prak-
tiker, der die Ernährung seiner kleinen Schutzbefohlenen zu überwachen
hat, der helfen soll, einen Schwächling zu kräftigen, einer falschen
Richtung in dem Stoffansatz Einhalt zu thun etc., wird dieses kleine,
aber inhaltreiche Buch eine Fundgrube nützlicher Belehrung bilden.
Es wird ein Wegweiser für geschlossene Anstalten, Pensionate, &anken-
h&user u. dergl. werden, welche über die Bedürfnisse des wachsenden
Organismus hier eigentlich zum ersten Male an der Hand genauer Beob-
achtung sich unterrichten können.
Die Arbeit stellt sich würdig den Leistungen an die Seite, welche
für das erwachsene Alter von der Yoit^schen Schule ausgegangen sind.
Es ist ja wohl möglich, dass die für das spätere Kindesalter au
einer Familie gewonnenen Erfahrungen noch manchen individuellen
Zug an sich tragen, dass man die von C am er er gewonnenen Ergeb-
nisse noch nicht ohne Weiteres als Gesetz wird ansehen können, aber
sie werden zweifellos das Fundament bilden, auf welchem zukünftige
Arbeiten getrost weiter bauen können.
Am Wenigsten befriedigend stellen sich — der Natur der Sache
nach -~ noch die Betrachtungen über den Gesammtstoffweshsel im
Säuglingsalter. Hier haben die Bemühungen des Verfassers noch nicht
vermocht, eine Reihe von unbekannten Grössen auszuschalten. Deshalb
wird wohl hier noch Manches anders sich gestalten, als C. es dar-
stellt. Wir gehören zu demjenigen Lesern des Camerer^schen Buches,
460 Reoensionen.
Yon denen der Yert Seite 46 selbBt TermnÜietj dass sie die Anfetellnng
Tollständiger Stoffwechaelbilanzen beim Sänglinff noch etwaa tu kflhn
finden. Und iwar deshalb, weil wir dreierlei Unterlagen derselben ftlr
noch nicht genügend bekannt halten: erstens die Znsammensetsunff der
natürlichen Nahrung, der Muttermilch, zweitens die Ansfahr des Stick-
stoffs im Urin und Roth, nnd drittens die Zusammensetznog der im
SänglingRkÖrper cum Ansats kommenden Substanz. Letztere nach den
beim Kalbe gefundeneo Werthen zu schätzen, geht doch nicht ohne
Weiteres. Und was ersteren Punkt betrifft, so wird, wenn die exacten
Untersuchungen sich mehren, welche den Eiweissgehalt der Muttermilch
erheblich niedriger erweisen, als man bisher annahm, auch Camerer
sich eben entschliessen müssen seine Bilanzen umzugestalten, und wenn
die Beunruhigung auch noch so gross ist. Ich komme auf diesen Punkt
an anderer Stelle zurück.
Mag man den theoretischen Theilen der Camerer*schen Ausfüh-
rungen seinen yollen Beifall schenken oder nicht, jeder Freund der
Kinderheilkunde muss das Buch wegen der ungemeinen Fülle positiTer,
für immer giltiger Grundlagen zur Beurtheilung der Entwickelung des
Kindes mit Freude und Dank begrüssen. la der Physiologie des Kindes-
alters wird dasselbe dauernd eine hoch angesehene Stelle einnehmen.
Lehrbuch der Kinderkrankheiten. Granz neu bearbeitet Ton Dr. Philipp
Biedert. 11. Aufl. 1894. 661 S. Verlag yon Ferdinand Enke,
Stuttgart.
Diese bereits nach yier Jahren nothwendig gewordene neue Auf-
lage des beliebten Yogerschen Lehrbuchs der £nderkrankheiten hat
durch den Verf. eine so gründliche und eingehende Umgestaltung er-
fahren, dass Verf. das Werk nunmehr mit Recht als sein geistiges
Eigenthum betrachtet wissen will und kann. Es ist der Gegenstand in
jeder Weise erschöpfend bearbeitet worden und sogar die Grenzgebiete
zwischen der Kinderheilkunde und der Geburtshilie (Krankheiten des
Keugeborenen) einerseits und der Chirurgie (Orthop&die etc.) anderer-
seits haben eine möglichst eingehende Besprechung gefunden und sind
in der neuen Auflage vielfach umgearbeitet. Auch viele andere Capitel«
unter denen besonders das Über Diphtherie hervorzuheben sei, sind
neu bearbeitet und mit Ergänzungen versehen worden: s&mmtliolie
neuere Arbeiten, so die von Roux und Yersin, Martin, Henbner,
Escherich u. A. haben Berücksichtigung gefunden.
Ob die Beibehaltung der alten Eintheilun^ des Stoffes — wohl aus
Pietät gegen den ursprünglichen Autor — ein Vortheil für das Buch
ist, möchte ich dahingestellt sein lassen ; auf alle FUle ist es nach dem
heutigen Stande der Dinge befremdend, wenn die Diphtherie neben dem
Betropharyngealabscess, unter den Krankheiten des Pharynx und Oeso-
phagus, die acuten Exantheme unter den Hautkrankheiten abgehand^t
werden, das Erysipel zu den vorwiegenden Localleiden der Haut ge*
rechnet wird. (Ref.hat aus einem Retrophaiyngealabscess nach Erynpel
Fehleisen'sche Streptokokken gezüchtet I)
Ausstattung und Druck sind gui CABflTSMs.
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