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QUELLENSCHRIFTEN
ZUR
GESCHICHTE DES PROTESTANTISMUS
ZUM GEBRAUCH IN AKADEMISCHEN ÜBUNGEN
IN VERBINDUNG MIT ANDEREN FACHQENOSSEN
HERAUSQEOEBEN VON
Prof. JOH. KUNZE und Prof. C. STANGE.
FÜNFTES HEFT.
DIE APPELLATION UND PROTfiSTATION
DER EVANGEUSCHEN STÄNDE AUF DEM REICHSTAGB
ZU SPEIER 1529.
LEIPZIG.
A. DEICHEBT'SCHE VERLAGSBUCHH. NACHF.
(GEORG BÖHME).
1906.
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DIE
APPELLATION UND PROTESTATION
DER EVANGELISCHEN STÄNDE
AUF DEM
REICHSTAGE ZU SPEIER 1529.
HERAUSGEGEBEN
VON
D. JULIUS NEY,
OBERKONSISTORIALRAT IN SPEIER.
-<8»-
LEIPZIG.
A. DEICHEBT'SCHE VERLAGSBUCHH. NACHF.
(GEORG BÖHME).
1906.
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Alle Rechte vorbehalten.
Lippert d Co. (0. F&ts*toho Buchdr.). Kaomborg a. S.
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i 44 6 v^>
JUL 1 > 191M
5-0
Einleitung.
Unter den Quellenschriften zur Geschichte des Prote-
stantismus ist die auf dem Reichstag zu Speier im Jahre 1589
von den evangelischen Ständen eingelegte Pi'otestation und.
Appellation, von welcher im nachstehenden ein Neudruck ge-
geben werden soll, schon deshalb eine der wichtigsten, weil
der Protestantismus ihr seinen Namen verdankt.
Das Verständnis derselben ist durch die Kenntnis der
geschichtlichen Umstände bedingt, unter denen sie entstand.
Da der Beschluß, gegen den die Protestation sich wendet, in
seinem ersten Absätze bestimmt, daß diejenigen Stände, welche
bisher bei dem Wormser Edikt geblieben seien, bis zu dem
künftigen Konzile dabei verharren sollten, muß das am Schlüsse,
des Wormser Reichstags am 26. Mai 1521 von Karl V. unter-
zeichnete, aber vom 8. Mai datierte kaiserliche Mandat den
Ausgangspunkt unserer Erörterungen bilden. Die hier vorr
nehmlich in Betracht kommenden Stellen dieses Edikts haben
nachstehenden Wortlaut:^)
„Und (wir) gebieten darauf euch allen und jedem insonder-
heit bei den Pflichten, damit ihr uns und dem heiligen Reiche
^) Das Zitat ist nach einem in einem Sammelbande (H. ref. 287) der
kgL Hof- und Nationalbibliothek Mttnchen sich findenden Originaldracke
aiu dem Jahre 1521 gegeben.
Key, AppeUation nnd Protestation. 1
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verwandt seid, auch Yenneidang der poenae criminis laesae
majestatis und unserer and des Reichs Acht und Aberacht . . .
von römischer kaiserlicher Macht eiiistlich mit diesem Brief
und wollen, daß ihr samtlich und sonderlich nach Yerschei-
nung der obberührten zwanzig Tage, *) die sich auf den vier-
zehnten Tag dieses gegenwärtigen Monats Mai enden, den
vorgemelten Martin Luther nicht hauset, hofet, ätzt, tränket,
noch enthaltet, noch ihm mit Worten oder Werken, heimlich
noch öffentlich, keinerlei Hilfe, Anhang, Beistand noch Für-
schub beweiset, sondern wo ihr ihn alsdann ankommen und
betreten und deß mächtig sein mögt, ihn fänglich annehmet
und uns wohlbewahrt zusendet oder das zu tun bestellet oder
uns das zum wenigsten, so er zu Händen gebracht würde,
unverzüglich verkündet und anzeiget und ihn dazwischen also
gefänglich behaltet, bis euch von uns Bescheid, was ihr femer
niach Ordnung der Hechte gegen ihn handeln sollt, gegeben
und ihr um solch heilig Werk, auch euerer Mühe und Kosten
ziemliche Ergötzlichkeit haben werdet."
„Aber gegen seine mitverwandten Aufhänger, Enthalter,
Fttrschieber, Gönner und Nachfolger und derselben bewegliche
und unbewegliche Güter sollet ihr in Kraft der heiligen Kon-
stitutionen und unserer und des Reiches Acht und Aberacht
dieser Weise handeln, nämlich sie niederwerfen und fahen
und ihre Güter zu euern Händen nehmen und die in euem
eigenen Nutz wenden und behalten, ohne männiglichs Ver-
hinderung, es sei denn daß sie durch glaublichen Schein an-
zeigen, daß sie diesen unrechten Weg verlassen und päpst-
liche Absolution erlangt haben."
Schließlich wird in dem Edikte noch „bei den vorge-
schriebenen Pönen" geboten, „daß euer keiner des obge-
nannten Martin Luthers Schriften von unserem heiligen Vater
Papst wie obsteht verdammt, und alle andere Schriften, die
in Latein oder Deutsch oder in anderer Sprache bisher durch
^) Es gmd die zwanzig Tage freien Geleites gemeint, welche ihm der
Kaiser am 25. April noch weiter bewilligte.
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ihn gemacht sein oder hinfür gemacht werden, als bOs, arg-
wöhnig nnd verdSchtlich und von einem offenbaren hart-
nickigen Ketzer ausgegangen, kaufe, verkaufe, lese, behalte,
abschreibe, drucke oder abschreiben oder drucken lasse, noch
seiner Opinion zufalle, die auch nicht halte, predige noch be-
schirme, noch das in einigem andren Wege, wie Menschen-
simi das bedenken kann, unterstehe.'' Auch wenn etwas
Gutes in diesen Schriften stttnde, sollten sie doch von aller
M^sscben Gedächtnis abgetan und vertilgt werden, damit sie
niemand schaden oder ihn ewiglich töten. Deshalb sollte
allenthalben im römischen Reiche geboten werden, alle solche
re^ftete Schriften und Bächer Luthers „in Gottes Kirchen
mit dem Feuer zu verbrennen und in dem oder anderem Wege
gänzlich abzutun und zu vernichten^. Den hiezu verordneten
Kommissarien der päpstlichen Heiligkeit sollten die Stände
bei Vermeidung der obberflhrten Strafen hierin allen Beistand
tun. Das gleiche soll mit anderen, nicht in Luthers Namen
ausgegangenen, vergifteten Schriften wider unseren heiligen
Vater Papst, Prälaten, Fürsten, hohe Schulen usw. geschehen.
Solche Schriften solle man nicht mehr dichten, schreiben,
drucken, malen, verkaufen, kaufen, noch heimlich oder öffent-
lich behalten. Zur Durchführung dieser Bestimmung wird
geboten, „daß hinfßro kein Buchdrucker oder Jemand anderer,
er sei wer und wo er wolle im heiligen römischen Reich, . . .
keine Bächer noch andere Schriften, in denen etwas begriffen
würde, das den christlichen Glauben wenig oder viel an-
rühret, zum ersten Druck nicht drucke ohne Wissen und
Willen des Ordinarien desselben Orts oder seines Substituten
und Verordneten mit Zulassung der Fakultät in der heiligen
Schrift einer der nächstgelegenen Universitäten^. Auch Bacher
anderen Inhalts sollten nur mit Wissen und Willen des Ordi-
nwien gedruckt und verkauft werden dürfen. Wenn aber
jemand gegen die vorstehenden Anordnungen dieses Edikts
in irgend einer Weise handeln würde, „wider dieselben wollen
wir, dafi mit den vorgeschriebmien, auch den Pönen in den
1*
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Hechten einverleibt, and nach Form und Gestalt des Bannes
und kaiserlicher Acht und Aberacht gehandelt, prozediert und
fargefahren werden soll."
Wäre dieses Mandat vollzogen worden, so wäre es nach
menschlichem Ermessen um die Sache der Eeformation ge-
schehen gewesen. Aber als es erlassen wurde, war Luther
bereits auf der Wartburg in Sicherheit, und als er 1522 dieses
Asyl verließ, fand die Acht keinen Vollstrecker mehr. Die
neunjährige Abwesenheit Karls V. von Deutschland machte
ihm auch in den nächsten Jahren die Durchfuhrung des Edikts
unmöglich. Der erste Nürnberger Reichstag von 1522/23
lehnte den Vollzug desselben sogar ausdrücklich ab und forderte
die Berufung eines freien Konzils in einer deutschen Stadt.
Der zweite Nürnberger Reichstag von 1524 beschloß zwar,
daß die Stände das Edikt ausführen sollten, brach aber diesem
Beschlüsse durch den Zusatz „soviel als möglich" die Spitze
ab. Zugleich wiederholte er die Forderung eines Konzils und
verlangte zu dessen Vorbereitung eine Nationalversammlung
in Speier, die jedoch an dem Verbote des Kaisers scheiterte.
Auf dem Speierer Reichstage von 1526 sollte nach dem
Befehl des Kaisers, der nach der Gefangennahme des Königs
Franz L und dem Madrider Friedensschlüsse die ersehnte freie
Hand zu haben schien, endlich die Ausführung des Wormser
Mandats beschlossen werden. Da war es Papst Clemens Vn.
selbst, der durch seine feindliche Haltung gegen den Kaiser,
wider den er eben während des Reichstags seihe Heere sandte,
am meisten dazu beitrug, daß der Reichstagsabschied Be-
stimmungen traf, welche jenem Befehle des Kaisers direkt
zuwiderliefen. Nach Wiederholung der Bitte um baldige Be-
rufung eines freien Generalkonziliums oder mindestens einer
Nationalversammlung bemerkt dieser Abschied wörtlich weiter:
„Demnach haben wir" (die kaiserlichen Kommissäre), „auch
Kurf&rsten, Fürsten und Stände und derselben Botschaften
uns jetzo allhie auf diesem Reichstag einmtttiglich verglichen
und vereinigt, mittler Zeit des Konzilii oder aber National-
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Tersammlang nichts desto weniger mit nnsern Untertanen in
Sadien, so das Edikt, dnrch kaiserliche Majestät anf dem
Reichstage zu Worms gehalten ansgangen, belangen möchten,
far sich also zu leben, zu regieren nnd zu halten, wie ein
jeder solches gegen Gott nnd kaiserliche Majestät hoffet nnd
vertrauet zu verantworten."
War dieser Beschluß zunächst auch nur ein Auskunfts-
mittel der Verlegenheit, durch welches die endgiltige Ent-
scheidung vertagt werden sollte, so war damit doch eine ge-
setzliche Grundlage geschaffen, auf welche gestützt die der
Beformation geneigten Fürsten und Stände in den nächsten
Jahren die Neuorganisation des Kirchenwesens in ihren Ge-
bieten in Angriff zu nehmen sich berechtigt hielten. Das
von dem Beichstage verlangte Konzil war noch nicht ge-
kommen, ebensowenig die Nationalversammlung. Da sie sich
nun in ihrem Gewissen verbunden fühlten, dem Worte Gottes
in ihren Landen freie Bahn zu schaffen, waren sie dies jeder-
zeit gegen Gott und den Kaiser zu verantworten bereit. Nach-
dem die kaiserlichen Kommissäre kraft der ihnen erteilten
kaiserlichen Vollmacht diesen einstimmigen Beschluß der Reichs-
stände im Namen des Kaisers bestätigt hatten, bestand der
Beichstagsbeschluß so lange zu Recht, bis das Konzil oder
die Nationalversammlung zustande gekommen war oder der
Kaiser mit den Reichsständen eine neue reichsgesetzliche Ver-
einbarung getroffen hatte.
Dem Kaiser selbst mochte freilich dieser von seinen Voll-
machtträgem genehmigte Beschluß ebensowenig gefallen haben,
wie seinem nicht minder eifrig katholischen Bruder Ferdinand,
dem 1527 zum Könige von Böhmen und Ungarn erhobenen
kaiserlichen Statthalter. Aber die politischen Verhältnisse,
der Krieg gegen Frankreich und gegen den Papst und die
Österreich bedrohende Türkengefahr, nötigten beide, die evan-
gelischen Stände im Reich bis auf weiteres gewähren zu
lassen. Endlich kam eine Zeit^ in der ihnen die Möglichkeit
gegeben zu sein schien, ihren nie aufgegebenen Entschluß aus-
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mfiUuren, „der verpestenden Krankheit des Luthertums ent*
gegenzuwirken und die Irrenden zur wahren christlichen Kirche
zurttckzuffthren.^ Sowohl mit dem Papste, dem Karl Y. seine
1627 verlorene Freiheit schon nach wenigen Monaten wieder-
g^eben hatte, als mit Franz I. von Frankreich waren
Friedensunterhandlungen im Gange, die zwar erst am 29. Juni
und 6. August 1529 in den Frieden von Barcelona und Cambray
zum völligen Abschlüsse kamen, aber von Anfang an das
Versprechen der endlichen Unterdrückung der lutherischen
Ketzerei, in Deutschland zur Voraussetzung hatten. Da auch
im Reiche die Gegner der Eeform durch das tibereilte Vor-
gehen des Landgrafen Philipp von Hessen in den Packschen
Händeln erbittert und zum Einschreiten gegen das Luthertum
eher geneigt waren, so schien dies jetzt nicht mehr ganz
unausf&hrbar zu sein.
So lagen die Verhältnisse, als am 30. November 1528 das
Ausschreiben zu dem Reichstage erlassen wurde, welcher am
16. März 1529 im Rathofe zu Speier eröflfhet wurde. Als
Motiv zur Berufung des Reichstags wurde im Eingange des
Ausschreibens unter anderm bezeichnet, daß sich „über viel ge-
machte Reichsabschiede die Irrtum und Zwietracht, welche bis-
her unter den Gliedeni und Ständen des heiligen Reichs, für-
nehmlich unseres heiligen Glaubens und christlicher Religion,
auch anderer Sachen geschwebt haben, zu wenig, ja schier
gar keiner Besserung, sondern mehr Mißverstand, daraus Auf-
ruhr, Widerwärtigkeit, tätige und gewaltige Handlungen wider
unsem und des heiligen Reichs aufgerichteten Landfrieden
uns zu Ungehorsam gefolgt sein, welche nicht wenig den
Widerstand gegen den Türken verhindert, geschickt und er-
zeigt haben sollen." Deshalb solle darüber beraten und be-
schlossen werden, wie „die Irrung und Zweiung im heiligen
Glauben und christlicher Religion bis auf ein künftiges Kon-
zilium, das auf solchem Reichstag in alleweg zu halten und
förzunehmen beschlossen werden soll, in Ruhe und Frieden
gestellt" werden könne.
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In welcher Weise der Kaiser aber diese Rahe hergestellt
sehen wollte, das sagte die in ungewöhDlich schroffer Form
abgefaßte Instruktion der kaiserlichen Bevollmächtigten, welche
noch am 15. März den Ständen als „kaiserliche Proposition^
zur Kenntnis gebracht wurde. In derselben wird zunächst
das Mißfallen des Kaisers über die ^bösen, schweren, sorg-
lichen und verderblichen Lehren^ ausgesprochen, die in Deutsch-
land entstanden und immer weiter ausgebreitet worden seien
und zu Empörung und Aufruhr Anlaß gegeben hätten. Es
wird hinzugefügt, der Elaiser sei keineswegs gewillt, dem
femer zuzusehen. Sodann wird das von den Ständen ge*
forderte Konzil in Aussicht gestellt, dessen Berufung der
Kaiser bei dem Papste betreiben werde. Bis zum Konzile aber
befehle der Kaiser ernstlich einem jeden, geistlichen und welt-
lichen, hohen und niederen Standes, daß keiner „den andern
mit der Tat des Glaubens halben mit Einziehung und Ent-
wehrung geistlicher oder weltlicher Obrigkeit und Qüter, altem
Gebrauch und Herkommen zuwider, nicht vergewaltige oder
dringe, sich zu unrechten oder fremdem Glauben zu geben
oder den neuen Sekten anhängig zu machen, wie bisher an
etlichen Orten geschehen sein mag^. Wer dem zuwiderhandle,
solle ohne weitere Deklaration in des Reiches Acht und Aber-
acht gefallen sein. Wenn sich trotzdem neue Vergewaltigung
zutragen sollte, sollen die Nächstgesessenen dem Vergewaltigten
zu Hilfe kommen.
In der Proposition wird dann weiter der Bestimmung
des vorigen Speierer Reichstags gedacht, nach welcher sich
jeder in Sachen des Wormser Edikts so verhalten solle, wie
er es gegen Gott und kaiserliche Majestät zu verantworten
hoffe, und wörtlich fortgefahren: „Desselbigen Artikels, daß
der bishero bei vielen aus den Ständen des heiligen Reichs
ihres Gefallens verstanden, ausgelegt und erkläret, daraus
trefflicher großer Unrat und Mißverstand wider unsem heiligen
christlichen Glauben, auch gegen die Oberkeiten Ungehorsam
von ihren Untertanen und viel anderes Nachteiliges gefolgt
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ist, trägt ihre kaiserliche Majestät nicht kleine Befremdang.
Damit aber in künftiger Zeit derselbige Artikel nicht weiter
nach eines jeden Gefallen angenommen und ausgelegt und
das, so bishero unserem heiligen Glanben zuwider daraus er-
folgt ist, verhütet werde, so hebt ihre kaiserliche Majestät
angezeigten Artikel, wie der in gedachtem Abschied begriffen
ist, hiemit auf, kassiert und vernichtet denselben jetzo als
•dann und dann als jetzo, alles aus kaiserlicher Machtvoll-
kommenheit, und ist ihrer kaiserlicher Majestät Befehl, daß
an desselbigen statt der jetzt verlesene Artikel, was den
Glauben belangt, gestellt und in künftigen Eeichsabschied
lauter und klar gebracht und dawider bei Vermeidung der
Strafe, Pön und Buße obgemeldet von niemand gehandelt
werde."
Mit Erlassung dieser Instruktion hatte der Kaiser ohne
Zweifel in die Rechte der ßeichsstände eingegriffen. Denn
er war weder befugt, einen mit Zustimmung der Stände ge-
faßten und von seinen Eommissarien auf Grund der ihnen
erteilten Vollmacht genehmigten Reichstagsbeschluß einseitig
aufzuheben, noch war er berechtigt, den Ständen einfach zu
befehlen, was sie an dessen Stelle zu beschließen hätten.
Auch wäre es unmöglich gewesen, diesen Befehl des Kaisers
in seinem vollen Umfange auszuführen und das Wormser
Edikt im ganzen Reiche zu vollziehen, wie das der Kaiser,
wenn auch nicht mit ausdrücklichen Worten, verlangte. Konnte
doch die evangelische Predigt, welche überall im Reiche ab-
geschafft werden sollte, nicht einmal während des Reichstags
am Sitze desselben, in Speier, verhindert werden, wo wie
schon 1526 die Prediger der evangelischen Fürsten unter
außerordentlichem Zulaufe des Volkes regelmäßig das ge-
läuterte Evangelium verkündigten. Aber dem so entschieden
ausgesprochenen Willen des mächtigen Kaisers wollten doch
auch viele gemäßigt denkende Fürsten und Stände soweit
immer mOglich entgegenkommen. Darum stellten auch sie
sich auf Seite der Gegner der Reform, die auf diesem Reichs-
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tage aber die große Mehrheit verffigten. So kam es, daß
unter den achtzehn Mitgliedern des am 18. März zur Vor-
beratong der kaiserlichen Vorlagen eingesetzten „großen Aus-
schusses^ nur drei, Kurfürst Johann von Sachsen, Jakob Sturm
von Straßbnrg und Johann Tetzel von Nürnberg, evangelisch
waren. Einige weitere waren einer Vermittlung nicht ab-
geneigt, alle anderen waren mehr oder weniger päpstlich ge-
sinnt und ließen sich im Ausschusse völlig von Johann Faber
und Leonhard von Eck leiten, welche als fanatische Gegner
des Luthertums bekannt waren.
Unter diesen umständen setzte die streng katholische
Partei im Ausschusse trotz des Widerspruchs der Evangelischen
bald ihren Willen durch. Schon am 22. März beschloß der-
selbe mit Stimmenmehrheit, bei dem Reichstage die Aufhebung
der fraglichen Bestimmung des vorigen Speierer Reichstags
und die Ersetzung derselben durch die in der kaiserlichen
Proposition geforderten Artikel zu beantragen. In einer
späteren Sitzung wurde der Antrag formuliert und dann am
3. April dem Plenum der Stände zur Kenntnis gebracht. Nach
dem Herkommen hatten nun die drei Kollegien der Kur-
fürsten, der Fürsten und der Städte darüber gesondert zu
beschließen. Im Kurfürstenrate, in welchem am 6. April
darüber verhandelt wurde, stand Kurfürst Johann mit seinem
Widerspruche gegen den Ausschußantrag allein. Auch in der
Sitzung des Fürstenrates (7. April) beschwerten sich nur
wenige, insbesondere Landgraf Philipp von Hessen, dagegen.
Da diese aber entschieden erklärten, sie würden sich von dem
vorigen Speierer Abschiede nicht dringen lassen, beschlossen
beide fürstlichen Stände doch, das Gutachten zu nochmaliger
Erwägung und Milderung einiger Ausdrücke an den Ausschuß
zurückzugeben. Ausdrücklich wurde aber bemerkt, daß die
^Substanz^ des Gutachtens nicht geändert werden solle. In-
folgedessen beriet der Ausschuß am 8. und 9. April noch-
mals über seinen Antrag, blieb aber in allein Wesentlichen
bei demselben. Nur eine bemerkenswerte Änderung nahm
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er vor. Nach seinem ursprünglichen Vorschlage sollte, wie
die kaiserliche Proposition verlangte, geboten werden, daß
kein Stand den anderen „mit Entziehung und Entwehrung
der Obrigkeiten, Beut, Zins und Herkommen mit der
Tat zu keinerlei Weise vergewaltigen solle." Hier waren
den Evangelischen die Worte Obrigkeit und Herkommen an-
stößig, weil sie, wie es in der kaiserlichen Proposition aus-
drücklich gefordert worden war, auch auf die geistliche Obrig-
keit zu beziehen waren. Dadurch wäre die Jurisdiktion der
Bischöfe über die Geistlichen wiederhergestellt worden. Alle
ehemaligen katholischen Priester, die sich der Eeformation
angeschlossen hatten und nun in evangelischem Sinne wirkten,
hätten dann den Bischöfen auf ihr Verlangen zur Bestrafung
ausgeliefert werden müssen und bei ihrer weltlichen Obrigkeit
keinen Schutz finden können. Da auch unter den katholischen
Ständen einzelne, z. B. Kurfürst Ludwig von der Pfalz, an
dieser Bestimmung Anstoß nahmen, beschloß der Ausschuß die
Streichung der Worte Obrigkeit und Herkommen aus seinem
Antrage, der im übrigen fast unverändert blieb. Alle Be-
mühungen, weitere wesentliche Besserungen herbeizuführen,
blieben erfolglos. Am 10. April wurde der Antrag in seiner
neuen Fassung den beiden fürstlichen Kollegien zur Kenntnis
gebracht. Obwohl darauf ein kursächsischer Rat alsbald er-
klärte, daß sein Herr gegen die etwaige Annahme des An-
trags protestiere und bei dem vorigen Speierer Abschiede
bleiben werde, wurde derselbe in einer weiteren Sitzung
beider Kollegien am 12. April mit Stimmenmehrheit ange-
nommen und beschlossen, ihn den kaiserlichen Kommissären
zur Aufnahme in den Reichstagsabschied zu übergeben.
Nach der üblichen Geschäftsordnung nahmen die Ver-
treter der Städte an den Sitzungen der fürstlichen Kollegien,
in denen über den Inhalt der Reichstagsbeschlüsse beraten
und entschieden wurde, nicht teil und konnten deshalb nur,
wenn wie diesmal ein „großer Ausschuß" gebildet wurde, durch
zwei in diesen entsendete Vertreter einen Einfluß auf die
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Ausschoßbeschlüsse ansfiben. Sobald aber der Aasscha£ seine
Anträge g^estellt und an das Plennm gebracht hatte, konnten
die Städte ihre Wünsche fiber die zu fassenden Beschlüsse
nur noch dnrch „Supplikationen" an die f&rstlichen Stände zum
Ausdruck bringen. Ob und inwieweit sie diese Wünsche be-
rücksichtigen wollten, blieb den f&rstlichen Kollegien über-
lassen, welche ohne Zuziehung der Städte weiter verhandelten.
Wenn dann die Beschlußfassung der fürstlichen Stände erfolgt
war, wurden die Städte vor die Wahl gestellt, ob sie die
fertigen Beschlüsse annehmen oder verwerfen wollten. Dabei
waren sie seit langer Zeit gewohnt, unter sich fest zusammen-
zuhalten und, sobald eine einzelne Stadt gegründete Beschwer-
den hatte, einmütig für dieselben einzutreten. Diesem alten
Herkommen entsprechend hatten die Städte auch auf diesem
Reichstage die Beschwerde der evangelischen Städte gegen
den Ausschußantrag zu einer gemeinsamen Sache aller ge-
macht und der Haltung ihrer Vertreter Sturm und Tetzel zu-
gestimmt, welche im Ausschusse im Namen aUer Städte dagegen
Tdderspruch erhoben. Diese Einigkeit hielten sie sogar noch
fest, nachdem am 3. und 4. April König Ferdinand selbst sie
durch Drohungen und Versprechungen gefügig zu machen ver-
sucht hatte. Noch am 8. April baten die Städte in einer ge-
meinsamen Supplikation die Stände dringend, es bei den be-
währten Bestimmungen des vorigen Speierer Abschieds zu be-
.lassen.
Aber nicht bei aUen Städten hatten die Einschüchterungs-
versuche Ferdinands ihre Wirkung verfehlt. Dies zeigte sich,
als der von den fürstlichen KoUegien gefaßte Beschluß in der
Sitzung vom 12. April durch den Mainzer Kanzler den zu
diesem Zwecke vorgerufenen Vertretern der Städte mitgeteilt
wurde. Bevor diese sich aber über ihre Stellung zu diesem
Beschlüsse äußern konnten, trat ein kursächsischer Rat her-
vor und erklärte, daß der Kurfürst von Sachsen und mehrere
andere Fürsten jenem Beschlüsse nicht zugestimmt hätten
und ihn nicht annehmen könnten. Nach kurzer Beratung der
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Städtegesandten richtete dann deren Wortführer Sturm die
Bitte an die Stände, es bei dem vorigen Abschiede bleiben
zu lassen, da sich andernfalls viele Städte beschwert fühlten
und den Abschied gewissenshalber nicht annehmen könnten.
Aber unmittelbar darauf trat Konrad Mock, der Gesandte
von Eottweil, hervor und bemerkte, es seien auch Städte vor-
handen, die sich durch den Beschluß nicht beschwert fühlten.
Und auf die Aufforderang an die einzelnen Städte, sich über
ihre Stellung zu erklären, entschloß sich unter dem Drucke
des Königs und der katholischen Reichstagsmehrheit in der
Tat teils alsbald, teils in den folgenden Tagen die Mehrzahl
der Städte zur Annahme des Beichstagsbeschlusses.
In der Plenarsitzung vom 12. April machten die evan-
gelischen Fürsten noch einen Versuch, die übrigen Stände
zu einer Änderung ihres Beschlusses zu bewegen, indem sie
durch den kursächsischen Eat Minkwitz eine Denkschrift ver-
lesen ließen, in welcher sie eingehend die Gründe darlegten,
aus denen sie in den Beschluß nicht willigen könnten und
nochmals um dessen Zurücknahme baten. Dieselbe wurde zu
den Beichstagsakten genommen und später der Appellations-
urkunde als erstes Aktenstück einverleibt.
Auch dieser Schritt blieb erfolglos. Die Beschwerdeführer
erhielten nur (am 13. April) die Antwort, man habe den Be-
schluß samt ihrer Beschwerde den kaiserlichen Kommissären
übergeben und es ihnen anheimgestellt, was sie tun wollten.
In den nächsten Tagen wurde über andere ßeichsangelegen-
heiten beraten und beschlossen. Auf den immer noch erhofften
günstigeren Bescheid auf ihre Beschwerde warteten aber die
evangelischen Fürsten und Städte vergebens.
Erst in der am Montag nach Jubilate, dem 19. April, im
Rathofe stattfindenden feierlichen Reichstagsitzung erhielten
sie eine Antwort. Im Namen des Königs Ferdinand und der
übrigen kaiserlichen Kommissarien erklärte Pfalzgraf Fried-
rich, daß sie den Mehrheitsbeschluß der Stände, obwohl er
nicht alle in der kaiserlichen Instruktion gestellten Forde-
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rangen erfülle, kraft ihrer Vollmacht im Namen des Kaisers
annähmen. Der Beschluß sei deshalb jetzt in die Form eines
Beichstagsabschieds zu bringen. Die erhobene Beschwerde
ließen sie „in ihrem Werte bleiben" und versähen sich zu
den Beschwerdefahrem, daß sie den mit großer Mehrheit ge-
faßten Beschluß jetzt auch nicht weigern würden, unmittelbar
nach Verlesung dieses Bescheides verließen die kaiserlichen
Kommissäre den Sitzungssaal, ohne die Erwiderung der zu
einer kurzen Beratung in ein Nebenzimmer getretenen evan-
gelischen Fürsten abzuwarten. So blieb diesen nichts übrig,
als gegen den Beschluß feierlich und öffentlich zu protestieren.
Sie kehrten in den Sitzungssaal zurück, in welchem Kurfürst
Johann von Sachsen, Markgraf Georg von Brandenburg, Land-
graf Philipp von Hessen, Fürst Wolfgang von Anhalt und
für die Herzöge Ernst und Franz von Lüneburg, die erst
tags darauf, am 20. April, eintrafen, deren Kanzler Dr. Johann
Förster zuerst mündlich protestierten und dann die in die
Appellationsurkunde aufgenommene, von dem sächsischen
Kanzler verfaßte, kurze Protestationsschrift vom 19. April,
welche mittlerweile angefertigt worden war, zu den Akten
des Reiches übergaben. Darauf erhob auch Sturm im Namen
der sich beschwert fühlenden Städte fönnlichen Protest gegen
den Keichstagsbeschluß und erklärte deren Anschluß an die
Eechtsvei*wahrung der Fürsten.
Alsbald nach Schluß der Sitzung ließen die evangelischen
Fürsten eine zweite ausführlichere Protestationsschrift aus-
arbeiten, zu welcher zunächst der kursächsische Kanzler einen
Entwurf anfertigte. Derselbe wiederholte jedoch im wesent-
lichen nur, großenteils wörtlich, was die am 19. April über-
gebene Protestation enthalten hatte, und fand, wie es scheint
aus diesem Grunde, die Billigung der protestierenden Fürsten
nicht. Nun wurde die Abfassung eines neuen Entwurfs dem
trefflichen brandenburgischen Kanzler Georg Vogler über-
tragen, welcher in der Eile ein, 16 Folioblätter enthaltendes,
neues Konzept ausarbeitete, welches in den Brandenburger
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Akten des Kgl. Bamberger Archivs noch vorhanden ^) ist. Die
fiir die kaiserlichen Kommissäre bestimmte, in gleicher Eile
hergestellte, Reinschrift wurde von dem Kurfürsten Johann
von Sachsen, dem Markgrafen Georg von Brandenburg, dem
inzwischen in Speier eingetroffenen Herzog Ernst von Lüne-
burg, dem Landgrafen Philipp von Hessen und dem Fürsten
Wolfgang von Anhalt eigenhändig unterzeichnet und Dienstag,
den 20. April, nachmittags zwei Uhr, dem Könige Ferdinand
überreicht, aber von demselben sogleich wieder zurückgesandt.
Dieselbe bildet jetzt einen der interessantesten Schätze des
kgL Staatsarchivs zu Marburg.*) Die näheren Umstände
unter denen die Zurücksendung di^es Schriftstücks geschah,
sind in der Appellationsurkunde erzählt. Es kann deshalb
an dieser Stelle auf die Schilderung derselben verzichtet werden.
Ein von zwei gemäßigten Fürsten der Reichstagsmehrheit,
dem Markgrafen Philipp von Baden und dem Herzoge Heinrich
von Braunschweig, noch in letzter Stunde gemachter Versuch,
eine Verständigung mit den protestierenden Fürsten herbei-
zuführen, fand zwar bei diesen bereitwilliges Entgegenkommen
und führte wirklich zu dem Entwürfe eines Abschieds, zu
dessen Annahme sich die evangelischen Stände trotz aller
Bedenken aus Friedensliebe bereit erklärten. Aber sowohl
König Ferdinand als auch die Beichstagsmehrheit wies diese
Vorschläge unbedingt zurück. Ohne Bücksicht auf die erhobene
Protestation wurde der inzwischen ins reine geschriebene Reichs-
tagsabschied in der Sitzung vom 22. April durch die dazu
bestimmten Stände unterzeichnet und besiegelt. Selbst die
Bitte der evangelischen Fürsten, ihre Protestation den Reichs-
1) Rep. 63, Sammelband 13, Fol 123—138. Ebendaselbst Nr. 16,
Fol. 78 f. findet sich auch der erwähnte erste Entwurf mit der Übersehrift
yon Voglers Hand: „Wie der Sechsisch Cantzler erstlich ein Protestation
begriffen, davon es nachmals nf eine bessere kommen ist.** Voglers Kon-
zept schließt sich großenteils an die Beschwerde Tom 12. April an, deren
Verfasser wohl auch Vogler ist.
*) Beichstagsakten, Politisches Archiy, Nr. 235, Fol. 285 ff.
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— 15 —
tagsakten einzuverleiben, wurde völlig abgewiesen. — Die
protestierenden Färsten nahmen an dieser Sitzung keinen
Anteil mehr und erschienen auch nicht, als am 24. April der
feierliche Schluß des Beichstags stattfand. Das Ansinnen des
Königs Ferdinand, noch nachträglich den Abschied anzu-
nehmen, damit kein Zwiespalt erschalle, lehnten sie ebenso
entschieden ab, wie das Begehren, die Veröffentlichung ihrer
Protestation zu unterlassen, ließen ihm jedoch erklären, daß
sie sich auf Grund des Abschieds von 1526 auch in der Folge
gegen alle Stände friedlich, nachbarlich und freundlich halten
wollten. Da die in den Tagen vom 22. bis 24. April hier&ber
gewechselten Erklärungen mit den deshalb gepflogenen Ver-
handlungen dem Appellationsinstrumente einverleibt wurden,
braucht hier nicht darflber berichtet zu werden.
Dagegen ist zum Verständnisse der Protestationsschrift
die Kenntnis der auf die Glaubensfrage sich beziehenden
Stellen des nunmehr endgiltig angenommenen Reichstags-
abschieds erforderlich. In den Eingangsworten bemerken die
kaiserlichen Kommissäre ^) nach Bezugnahme auf das Reichs-
tagsausschreiben und ihre VoDmacht („Gewalt"): „So haben
wir laut und vermöge desaelbigen unseres Gewalt und Be-
fehls, desgleichen Kurf&rsten, Fürsten, Prälaten, Grafen und
Stande des heiligen Reichs, so in tapferer Anzahl persönlich
allhie erschienen, und der Abwesenden Botschaften obgemelte
and andere Punkte und Artikel mit zeitigem tapferm Rat er-
messen und uns darauf sämtlich eines Abschieds derselbigen
Batsdüäge vereinigt und verglichen, wie derselbige von Artikel
zu Artikel hernach folgt."
') Es waren dies nach der Tom 1. Aognst 1528 ans Yalladolid datierten
VoUMaeht der ftroder des Kaisers und kaiserliche Statthalter Ferdinand,
König Ton Ungarn nnd Böhmen, der kaiserliche General-Orator und Vize-
kanzler Balthasar Märklin, Propst Ton Waldkirch, Bischof Ton Malta, geh.
1471, gest 1531, Pfalzgraf Friedrich, geb. 1482, gest. 1556, Herzog Wilhehn
Ton Bayern, geb. 1493, gest. 1550, Herzog Erich Ton Brannschweig,
geb. 1470, gest 1540, und Bischof Bernhard Ges Ton Trient, gest. 1539.
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— le-
in dem ersten Artikel wird an die Zasage des Kaisers
erinnert, daß er das von mehreren Reichstagen zur Hinlegung
des Zwiespalts im christlichen Glauben erbetene General-
konzilium fördern wolle, und dann fortgefahren: „So haben
Kurfürsten, Fürsten und Stände ihrer Majestät auf solche
ihre Vertröstung nochmals aufs untertänigste tun schreiben,
ersuchen und erinnern, daß ihre kaiserliche Majestät als der
Oberst, Haupt und Vogt der Christenheit solchen schweren
Fall und Obliegen gemeiner deutscher Nation und daß die
Händel keinen langen Verzug mehr erleiden mag, gnädiglich
beherzigen, daran sein und fördern wollten, damit zum ersten
als immer möglich ein frei christlich Generalkonzilium und
ungefährlich aufs längste in einem Jahr nach dato aus-
schreiben und darnach zum längsten in einem Jahr oder
anderthalben angefangen und in deutscher Nation in den
hiebevor bestimmten Plätzen, als zu Metz, Köln, Mainz,
Straßburg, oder in einer anderen gelegenen Malstatt in der-
selben Nation gehalten, damit deutsche Nation im heiligen
christlichen Glauben vereiniget und der bei ihr schwebende
Zwiespalt erörtert werden möge."
Im zweiten Artikel wird gebeten, daß, wenn das General-
konzilium zu obbestimmter Zeit seinen Fortgang nicht haben
möchte, „alsdann ihre Majestät eine gemeine Versammlung
aller Stände deutscher Nation und anderer, so dazu zu er-
fordern die Notdurft erheischen wird, auf angeregte Zeit und
obbestimmter Malstatt eine in Deutschland ausschreiben ließe.
Und daß ihre Majestät als das Haupt bei solcher Versammlung
aller Sachen zu gut eigner Person auch sein wollt und solches
alles dermaßen fördern und in wirkliche Vollziehung bringen,
damit es ohne einige Verlängerung und Weigerung, wie das
die höchste Notdurft erfordert, seinen gewissen Fortgang
erreiche."
Die folgenden Bestimmungen des Abschieds lauten wört-
lich: 3. „Und nachdem in dem Abschied des gehaltenen Reichs-
tags allhie zu Speier ein Artikel begriffen, inhaltend, daß
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sidi Knrfarsten, Fürsten und Stände des Beichs und derselben
Botschaften einmfitiglich verglichen und vereinigt haben, mittler
Zeit des Konzflinms mit ihren Untertanen in Sachen des
Edikts dnrch kaiserliche Majestät anf dem Reichstage zu
Worms gemacht berührend, zn leben, zn regieren und zu
halten, wie ein jeder solches gegen Gott und ihrer Majestät
hofft und trauet zu verantworten**,
4. „Und aber derselbige Artikel bei vielen in einen großen
Mißverstand und zu Entschuldigung allerlei erschrecklichen
neura Lehren und Sekten seither gezogen und ausgelegt hat
werden wollen : Damit dann solches abgeschnitten und weiterem
Abfall, Unfrieden, Zwietracht und Unrat fürkommen werde,
so haben wir uns samt Kurfürsten, Fürsten, Prälaten, Orafen
und anderen Ständen entschlossen, daß diejenigen, so bei ob-
gedachtem kaiserlichen Edikt bis anher blieben, nun hinfüran
auch bei demselben Edikt bis zu dem künftigen Eouzilio ver-
harren und ihre Untertanen dazu halten sollen und wollen.
Und aber bei den andern Ständen, bei denen die andere Lehre
entstanden und zum Teil ohne merkliche Aufruhr, Beschwerde
und Gefährde nicht abgewendet werden mögen, soll doch hin-
für alle weitere Neuerung bis zu künftigem Konzilio so viel
mSglich und menschlich verhütet werden."
5. „Und sonderlich soll Etlicher Lehre und Sekten, so
viel die dem hochwürdigen Sakrament des wahren Fronleich-
nams und Bluts unsers Herrn Jesu Christi zugegen, bei den
Ständen des heiligen Reichs deutscher Nation nicht angenommen
noch hinfüi*an zu predigen gestattet oder zugelassen, des-
gleichen sollen die Ämter der heiligen Messe nicht abgetan,
auch niemand an den Orten, da die andere Lehre entstanden
und gehalten wird, die Meß zu hören verboten, verhindert,
noch dazu oder davon ^) gedrungen werden."
*) In dem ersten Entwürfe des Aosschoübedenkens hieß es nur: „noch
daTon". Die Worte: „dazu oder" wurden nachträglich am 8. April ein-
gefügt hatten aber, da die Bestimmung nur für die Orte gelten sollte^
„da die andere Lehre entstanden'^, keine reale Bedeutung.
Hey« Appellation und Protestation. 2
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Von den übrigen Bestimmungen des Abschieds hängt mit
der Glaubensfrage noch die in Artikel 6 gegen die Wiedertäufer
getroffene zusammen. Danach sollten „alle und jede Wieder-
täufer und Wiedergetaufte, Mann- und Weibspersonen, yer-
ständigs Alters vom natürlichen Leben zum Tod mit dem
Feuer, Schwert oder dergleichen nach Gelegenheit der Per-
sonen, ohne vorgehende der geistlichen Richter Inquisition,
gerichtet und gebracht werden''. Das soll namentlich gegen
die „Friedbrecher, Hauptsächer, Landläufer und die aufrühre-
rischen Aufwiegler des berührten Lasters des Wiedertaufs,
auch die, so darauf beharren oder zum andemmal umge-
fallen'', streng gehandhabt werden, während solche, die ihre
Irrsal bekennten, ihn zu widerrufen und Strafe darüber an-
zunehmen willig seien und um Gnade bäten, begnadigt werden
mögen. Dabei soll nach Artikel 7 keiner des anderen Unter-
tanen, die wegen der Wiedertaufe von ihrer Obrigkeit ge-
wichen, bei sich leiden oder dulden.
In Artikel 8 werden die auf beiden Eeichstagen zu
Nürnberg erlassenen Anordnungen erneuert, nach denen alle
Prediger in ihren Predigten vermeiden sollten, was zu Be-
wegung des gemeinen Manns wider die Obrigkeit Ursache
geben möchte, und „allein das Evangelium nach Auslegung
der Schriften, von der heiligen christlichen Kirche approbiert
und angenommen, predigen und lehren", disputierliche Sachen
zu predigen sich enthalten und des Konzils Entscheidung ab-
warten sollten.
Endlich ist hier noch die in Artikel 10 gegebene Vor-
schrift zu ei^wähnen, welche in ihrer schließlichen Fassung
wörtlich lautete: „Wir, auch Kurfürsten, Fürsten, Prälaten,
Grafen und Stände, haben uns einmütiglich verglichen und
einander in guten wahren Treuen zugesagt, daß keiner von
geistlichem oder weltlichem Stand den andern des Glaubens
halben vergewaltigen, dringen oder überziehen, noch auch
seiner Renten, Zinsen, Zehnden oder Güter entwehren" solle.
Gegen diese in der erzählten Weise umgestaltete Bestimmung
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erhoben die evangelischen Stände keinen Einspruch mehr.
Anch eine in Artikel 10 enthaltene weitere Anordnung, nach
welcher ,,keiner des andern Untertanen und Verwandte des
Glaubens und anderer Ursachen halben in sondern Schutz
und Schirm wider ihre Obrigkeit nehmen^ sollten, beanstan-
deten sie nicht
Die Protestation der evangelischen Stände richtete sich
nur gegen die vier in Artikel 4 und 5 des Reichstagsabschieds
enthaltene Bestimmungen.^) Zuerst dagegen, daß diejenigen,
die bisher bei dem Wormser Edikt geblieben waren, bis zum
Konzile dabei verharren und ihre Untertanen dazu halten
sollten. Was das Wormser Edikt befiehlt, ist oben berichtet.
Wer es halten wollte, war verpflichtet, nicht nur gegen Luther
selbst in der in dem Edikt näher angegebenen Weise vorzu-
gehen, sondern auch gegen seine „Anhänger, Enthalter, Fflr-
schieber, Gönner und Nachfolger". Er war gehalten, die-
selben „niederzuwerfen und zu fahen, ihre Güter zu seinen
eigenen Händen zu nehmen und in seinen Nutz zu wenden
und zu behalten ohne männiglichs Verhinderung". Wer
dieses — tatsächlich auch von den meisten katholischen
Ständen nicht befolgte — Edikt bisher gehalten hatte, sollte
es auch ferner und selbst in dem Falle tun, daß er, zu besserer
Einsicht gelangt, es fQr unrecht erkannt hätte, in solcher
Weise gegen die Anhänger Luthers zu verfahren. Es ist
klar, daß es fOr die evangelischen Stände unmöglich war,
^) Janssen (Geschichte des deutschen Volkes, Band III, S. ym, vgl.
8.132 ff. nnd 138) bemerkt Ton der Protestation : ,,Die nengläubigen Stände
Terweigem zn Speier die verlangte Duldung der Katholiken in ihren Ge-
bieten und reichen eine Protestaüon dagegen ein.** Die übrigen Beschwerde-
punkte der eTangelischen Stände übergeht er mit fast TöUigem Stillschweigen.
Da Ton katholischer Seite diese DarsteUung Janssens immer wiederholt
und die von den Eyangelischen in Speier bewiesene Unduldsamkeit gegen-
über der angeblichen Toleranz der katholischen Stände als yerabscheuungs-
würdig gebrandmarkt wird, so ist es nicht überflüssig, hier klarzulegen,
wogegen sich die Protestation tatsächlich richtete. Das Urteil über die
Bereehtigimg derselben wird sich daraus Ton selbst ergeben.
2*
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- 20 -
diesen Beschloß anzunehmen^ und Gewissenspflicht, dagegen zu
protestieren.
Die weitere Vorschrift des Abschieds, daß bei den anderen
Ständen alle weitere Neuerung verhütet werden solle, war für
die evangelischen Stände schon wegen ihrer kränkenden Fassung
unannehmbar. Denn in ihr war die verletzende Forderung
enthalten, daß die „andere Lehre^ überall abzuschaffen sei,
wo sie „ohne merkliche Aufruhr, Beschwerde und Gefährde"
abgewendet werden könnte. Ein Blick auf den Wortlaut
dieser Bestimmung lehrt auch die Unrichtigkeit der Behaup-
tung,^) dieselbe habe den Evangelischen „ausdrücklich" die
Beibehaltung des neuen Eirchenwesens bis zum Konzile ge-
stattet. Höchstens stillschweigend konnte aus ihr gefolgert
werden, daß die im Kultus bereits vollzogenen Änderungen
vorläufig nicht rückgängig gemacht werden müßten. Aber
selbst dieses indirekte Zugeständnis wird durch die spätere
Bestimmung, daß die Messe nicht abgetan werden dürfe, teil-
weise illusorisch gemacht. Was jener Artikel jedoch positiv
enthält, ist nicht eine Erlaubnis, sondern das Verbot
jeder weiteren Neuerung bis zum Konzile. Auch dies konnten
die evangelischen Stände schon deshalb nicht annehmen, weil
dadurch die gerade damals an vielen Orten eben begonnene,
aber nicht vollendete gründliche Durchführung der Refor-
mation ausgeschlossen worden wäre.
Die dritte Bestimmung, gegen die die Prote^tation sich
richtete, verlangte, daß die Lehren und Sekten, welche dem
Sakramente des wahren Leibes und Blutes Christi entgegen
seien, bei den Ständen nicht angenommen würden. Da die
protestierenden Fürsten mit der Mehi^zahl der sich ihnen an-
schließenden Städte bekanntlich der hier gemeinten Zwingli-
schen Abendmahlslehre nicht huldigten, war ihr Protest da-
gegen ein schlagender Beweis für die Unrichtigkeit der Be-
hauptung ihrer „Unduldsamkeit gegen alle Andersgläubigen".^)
^) Janssen a. a. 0., S. 132. Vgl. hiezu die trefflichen AnsfQhningen
von W. Walther: Fttr Luther wider Rom. HaUe 1906, 8. 321 ff.
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Die vierte in Betracht kommende Anordnung zerf&Ut
offensichtlich in zwei Teile. Zuerst wird durch sie gefordert,
daß die Ämter der Messe nicht abgetan werden sollen. Wenn
diese Vorschrift Geltung erhielt, durfte nirgends, auch dort
nichts wo kein Mensch etwas von der Messe wissen wollte,
wo die ganzen Gemeinden mit ihren Geistlichen evangelisch
waren, die Messe abgeschafft und durch die evangelische
Abendmahlsfeier ersetzt werden. Dann mußten die evan-
gelischen Geistlichen, soweit sie in katholischer Zeit die
Priesterweihe erhalten hatten, obwohl dies ihrer Überzeugung
zuwiderlief, nach wie vor die von ihnen „aus göttlicher Schrift
au& höchste angefochtenen und niedergelegten päpstlidien
Messen'', auch die Seelenmessen, halten und durften nicht an
dessen Stelle „das edel köstlich Nachtmahl unsers lieben
Herrn und Heilands Jesu Christi'' aufrichten. Eine genauere
Betrachtung der einschlägigen Stellen der Protestationsschrift
laßt zweifellos erkennen, daß die evangelischen Stände sich
gegen diese Zumutung in erster Linie verwahren. Und wenn
sie mit Beziehung darauf erklären: „So hat es des Artikels
halben die Meß berührend dergleichen und viel mehr Be-
schwerung'', so zeigen sie damit keine Unduldsamkeit, son-
dern protestieren gegen eine Intoleranz, welche ihnen und
ihren Geistlichen verwehren will, in diesem Stücke nach
ihrem Gewissen zu handeln.^)
In seinem zweiten Teile bestimmt der von der Messe
handelnde Artikel des Abschieds, daß „niemand an den Orten,
da die andere Lehre entstanden und gehalten wird, die Messe
zu hören verboten, verhindert, noch dazu od^ davon ge-
drungen werde''. Auch hiegegen erhoben die evangelischen
Stinde ihren Widerspruch. Daß sie es taten, wird als ein
abeizeugender Beweis f&r ihre Unduldsamkeit hingestellt
Dieselben Historiker, welche nichts dagegen zu erinnern haben
*) Dieser wichtige Poukt wird aach Ton evangelischeii Histonkem
meist übersehen. Auch Walther berührt ihn a. a. 0. nicht.
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und es als selbstverständlich betrachten, daß die katholischen
Stände das Wormser Mandat vollziehen, die Anhänger Luthers
verfolgen und der evangelischen Lehre keine Dnldnng ge-
währen, entrosten sich fiber die von den Evangelischen damit
bewiesene Intoleranz. Nnn ist es zwar rfickhaltslos zuzugeben,
daß die evangelischen Stände damals ebenso, wie die katho-
lischen, von einer Toleranz im Sinne der heutigen Zeit nichts
wußten. Wohl erhoben sich einzelne erleuchtete Geister^)
schon in jener Zeit zu der Idee einer solchen. Auch in der
Protestationsschrift finden sich Stellen, aus denen sich die
gegen jedermann zu übende Duldung als notwendige Eonse-
quenz ergeben wfirde. Aber ausdrücklich zogen die pro-
testierenden Stände diese Folgerung nicht Daß sie es nicht
taten, daß sich die Protestationsschrift in diesem Stücke über
die Anschauungen jener Zeit nicht erhebt, wird heute jeder
Protestant aufrichtig bedauern. Aber er wird dennoch die
Beschwerde der Evangelischen auch gegen diese Bestimmung
schon deshalb für nicht unberechtigt halten können, weil sie
nur auf die Gebiete der evangelischen Stände Anwendung
finden sollte, während man doch „billig die Gleichheit hätte
bedenken" und ihnen ebenso zugestehen sollen, in bezug auf
die Duldung der Messe nach ihrem Gewissen zu handeln, wie
sich die katholischen Stände hinsichtlich der Duldung der
Evangelischen nichts von diesen einreden ließen.
Nachdem der Beichstag am 24. April geschlossen, der
Mehrheitsbeschluß desselben in die rechüiche Form gebracht
und der Protestation der evangelischen Stände in dem Ab-
schiede mit keinem Worte gedacht worden war, mußten nun
auch diese ihren Protest in aller Form notariell beglaubigen
lassen. Dies geschah in der Appellationsurkunde, welche am
Sonntage Kantate, dem 25. April, in der Wohnung des Kap-
lans Peter Mutterstadt zu Speier vor den kaiserlichen Notaren
^) VgL E. B. das Ende März von den Nttmberger Theologen nach
Speier gesandte Gutachten in meiner Geschichte des Beichstags zu Speier
im Jahre 1529, S. 144 fr.
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Leonhard Stettner nnd Pankratias Salzmann aufgenommen
wurde. Vierzehn Reichsstädte^) erklärten hier ihren An-
schluß an die Protestation der evangelischen Ffirsten. Da
dieser Schrift sämtliche während des Reichstags gewechselte
Aktenstäcke einverleibt wurden und die äußeren Umstand^
unter denen die Appellation geschah^ im Eingange und am
Schlüsse derselben genau geschildert werden, braucht hier aut
sie nicht näher eingegangen zu werden.
Vor Schluß des Reichstags hatten die protestierenden
Stände beschlossen, die Appellationsschrift dem Kaiser durch
eine eigene Gesandtschaft überreichen zu lassen. Es ist be-
kannt, daß dieser Beschluß später wirklich ausgeführt wurde,
und welchen ungnädigen Bescheid ihre Abgeordneten am
13. Oktober 1529 in Piacenza empfingen. Doch gehört die
DarsteQung der interessanten Begebenheiten bei Ausführung
dieser Gesandtschaft nicht in den Rahmen der vorliegenden
Schrift
Nach ihrer Rückkehr in die Heimat veröffentlichten die
protestierenden Fürsten, wie sie angekündigt hatten, alsbald
ihre Protestation. Schon am 5. Mai 1529 erschien im Auf-
trage des Landgrafen Philipp eine fünf Quartseiten ent-
haltende Schrift im Druck: „Landgreuisch gemeine auß-
schreyben, Protestation und vrsach, das sein F. G. ... in
jüngsten des Reichs zu Speyer beschehen Abschied Christ-
lichen Glawben belangend, nit haben gehellen noch bewilligen
wollen.'' In dieser noch in demselben Jahre mehrfach nach-
gedruckten Schrift wird die Tatsache der Protestation zur
allgemeinen Kenntnis gebracht und ein kurzer Auszug aus
der Protestationsschrift vom 19. April gegeben. Acht Tage
später, am Donnerstage nach Exaudi (13. Mai), ließ Kurfürst
Johann aus Weimar eine ebenfalls mehrfach nachgedruckte
kleine Schrift gleichen Inhalts folgen mit dem Titel: „Des
^) Es waren Straßbnrg, Nürnberg, Ulm, Konstanz, Lindan, Memmingen,
Kempten, Nördlingen, Heilbronn, Bentlmgen, Isnj, Sankt Gallen, Weißen-
borg im Nordgan and Windsheim.
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Cbttrf&rsten zu Sachsen abscfaiedt auf ytzigem gehalten Reychs-
tag zu Speyer Anno 1529." Es folgte dann die wörtliche
Veröflfentlichung der ausfahrlichen Protestationsschrift vom
20. April unter der Überschrift: „Der Durchleächtigsten,
Durchleuchtigen, Hochgepomen Fürsten und Herren, Herrn
Johannsen usw. andere und endliche Protestation auff dem
jfingstgehalten Reichstage zu Speyer" usw. Auch diese Schrift
wurde noch 1529 mehrfach neugedruckt Endlich wurde
bald danach das ganze Appellationsinstrument vom 25. April
1529 mit allen dazu gehörigen Aktenstficken dem Drucke
übergeben. Nach einem Exemplare des Weimarer Archivs
hat J. J. Müller in seiner 1705 zu Jena herausgegebene
„Historie von der Evangelischen Stände Protestation ui^
Appellatiim" usw. dieses Dokument wieder veröffentlicht. Seit-
dem sind mehrere Neudrucke, teils der ganzen Appellations-
schrift, teils der Protestationsschrift vom 20. April, erschienen,
unter denen außer dem in Walchs Schriften Luthers Band 16,
S. 366 — 420, sich findenden besonders der sorgfältige von
A. Jung in seiner 1830 herausgegebenen Geschichte des Reichs-
tags zu Speyer im Jahre 1529 (S. LXXVIIff.) gegebene Ab-
druck des ganzen Appellationsinstruments hervorzuheben ist
Der Text der im nachstehenden vollständig abgedrucktai
Appellationsurkunde ist einem Exemplare des erwähnt^i
Originaldruckes von 1529 entnommen, welches sich in den
Heilbronner Akten des kgl. Württembergischen Haus- und
Staatsarchivs findet und mit dem von J. J. Müller benutzten
völlig übereinstimmt. Die Orthographie dieses Druckes ist
beibehalte. Nur sind die darin vorkommenden Buchstaben-
häufung^ wie „auf^ inn, SchrifFt", vermieden und die Buch-
staben i (statt j), u, V und w in der heute üblichen Weise (also
„und" statt „vnd", „unvermeydlich** statt „vnuermeydlich^,
„euer" statt „ewer") gesetzt. Die großen Anfangsbuchstaben
werden nach der heutigen Schreibweise angewendet Endlich wird
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znr Erleichtenuig des Verständnisses die nenere Interpunktion
gebraucht Im Original fett gedruckte Stellen werden ge-
• sperrt gegeben, vorkommende offenbare nennenswerte Druck-
fehler in den Anmerkungen verzeichnet
Auch die dem Instrumente einverleibte erweiterte Pro-
testatioQ ist nach dem genannten Originaldrudce wiederge-
geben. Hier wurde jedoch auß^ zwei in der Münchener kgL
Hof- und Staatsbibliothek vorhandenen gleichzeitigen Druckm
dieser Protestation noch das von fünf Fürsten eigenhändig
unterzeichnete Original im kgl. Staatsarchive zu Marburg
(vgL S. 14) genau verglichen und jede darin sich findende
nicht bloß orthographische Abweichung in den Anmerkungen
vermerkt Auch das ebenda erwähnte, von Vogler ge-
schriebene, Konzept dieser Protestation wurde zu Rate ge-
zogen. Dasselbe unterscheidet sich formell von der Reinschrift
und dem Drucke dadurch, daß darin König Ferdinand nirgends
direkt angeredet wird, da Vogler offenbar nur daran dachte,
daß die von ihm ausgearbeitete Schrift den Reichsständen
übergeben werden sollte. Erst nach Anfertigung des Konzepts
entschloß man sich, die Schrift dem Könige Ferdinand selbst
zu überreichen. !bifolgedessen werden im Konzepte überall
nur die Kurfürsten, Fürsten und anderen Stände angeredet,
niemals aber der König, von dem stets nur in der dritten
Person die Rede ist So heißt es z. B. gleich im Eingange
des Konzepts: „Nachdem wir uns uf Römischer Kays. Mayst,
unsers allergnedigsten Herrn, Erfordern und daneben KönigL
Durchleuchtigkeyt zu hungern und beheim, unsers
lieben undgnedigenhernOheymen und Seh wegers,
freundtlich Beschreyben^ usw., während in der Reinschrift ein-
fach bemerkt ist: „uf Rom. Kays. May. usw. und daneben e wer
Kön. Durchl.** usw. Im weiteren Texte fehlen deshalb im
Konzepte an allen Stellen, in denen das Original sagt: „Euer
KönigL Durchleuchtigkeyt, Liebden und ir, die Andern'', die
Worte „Königl. Durchleuchtigkeyt". Die übrigen Abweichungen
sind im aUgemeinen nur geringfügig, werden aber in den
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Anmerkungen, soweit sie nicht rein orthographischer Natur
oder ganz unwesentlich sind, angegeben. Vieles ist im Kon-
zepte im Interesse größerer Deutlichkeit erst am Rande nach-
träglich beigefügt, nicht selten zum Schaden des Stils. Die
Abweichungen des Konzepts sind in den Anmerkungen mit K,
die Zusätze am Bande desselben mit „Zus. in K" bezeichnet,
der Text des Originaldrucks mit D, das Original der er-
weiterten Protestation mit 0.
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Im Namem nnsers Herrn Jesu Christi. Amen. Und
nach desselben nnsers lieben Herrn nnd Heylands Geburt
tansent f&nfhnndert nnd im 29. Jam, in der andern Römer
Zal Indicion^) genant, bey Re^erong des Allerdnrchlench-
tigisten, Oroßmechtigisten Fürsten nnd Herrn; Herrn Caroli
des Fünften, erweiten Römischen Kaysers, zu allen Zeyten
Merer des Reichs, in Germanien, zu Hispanien, beyder Sicilien,
Jerusalem, Hungern, Dalmatien, Croatien usw. König, Eitz-
bertzogen zu Osterreych und Hertzogen zu Burgundi usw., nnsers
allergnedigsten Herrn, und auf dem Reychstag, so in irer
Eayserlichen Maiestat Namen gegen Speyer auf Suntag
Reminiscere obberürts Jars ausgeschrieben, Seind der Durch-
leuchtigisten Hochgebomen Fürsten und Herrn, Herrn Jo«
hansen, Hertzogen zu Sachsen und Churfürsten usw., Herrn
Georgen, Marggrafen zu Brandenburg usw., Herrn Ernsten,
Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg, Herrn Philipsen,
Landgrafen zu Hessen usw., und Wolfgangen, Fürsten zu An-
^ Indiktion oder Bömer-Zinszahl nannte man die Art, die Jahre zu
Bihlen, ta denen das Ansagen oder die Indiktion gewisser von den BOmem
«De 16 Jahre zu entrichtenden Steuern (Zinsen) Anlaß gah. Die Indik«
tioiien umfassen demnach einen Zeitraum von je 15 Jahren und begannen
Bit dem Jahre 318 n. Chr. Im ganzen Mittelalter wurde die Indiktion in
wichtigeren Öffentlichen Urkunden der gewöhnlichen Jahrzahl beigefügt.
Dm 1528 eine neue Indiktion angefangen hatte, war das Jahr 1529 das
zweite (andere) Jahr.
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halt usw., unser gnedigst und gnedigen*) Herrn, verordente
Bathe und Bevelhaber am Suntag Cantate, welcher was der
25. Tag des Monats Aprilis, in des wirdigen Herrn Petem
Muterstats, Caplan in Sanct Johanskirchen daselbst zu
Speyer Behausung, in yetzgemelter Sanct Johansen Gassen
gelegen, unten in einem kleinen Stüblein, *) bey einander ver-
samblet gewest, die haben anstat irer Churförstlichen und
Fürstlichen Gnaden uns beyde hernach geschribne Notarien
und Gezeugen dahin für und zu sich erfordert und mit Für-
haltung einer Schrift, so auf etliche papirene Pletter gefast,
erzelt, wie vil trefflicher und mercklicher Beschwerungen
irer Churfürstlichen und Fürstlichen Gnaden, auch allen Den-
jhenigen, so yetzt und zukünftiger Zeyt der Predigt götlichs
Worts und Warheyt und mit Abthuung gotloser Preuche
und Wideraufnchtung christenlicher Ceremonien verwandt,
auf angezeygtem Reychstag begegnet weren. Derhalben und
von sollicher Beschwerden und Ursachen wegen, so ir Chur-
fürstlichen und Fürstliehen Gnaden in berürte Schrieft, welche
die gemelten Eethe gegenwertigklich in Händen hetten, bringen
lassen, wurden ir Churfürstlich und Fürstlich Gnaden höchlich
und unvermeydlich gedrengt, von denselben Handlungen und
ervolgten vermeintem neuen Abschied (als inercklich be-
schwerd) an die hochgedacht Bömisch Kay. May. und ein
frey christenlich Ck)ncilion usw. zu appellim, wie sie dann
hiemit in der besten, bestendigisten und kreftigisten Weyß,
^) Hier und in der ganzen Protestation sind nach dem höfischen
Sprachgehranche jener Zeit die Kurfürsten stets als „gn&digste", die
Fürsten als „gnädige" Herren bezeichnet. Kurfürst Johann ist also der
„gnädigste**, die übrigen protestierenden Fürsten sind die gnädigen Herren.
Herzog Franz von Lüneburg, der nur Mitregent seines Bruders Ernst war,
ist hier nicht mitgenannt, da die „vercHrdenten Räte" als Beamte des Her-
zogs Ernst galten. *) Peter Mutterstadt, auch Domvikar in Speier,
kommt als solcher bereits 1510 vor. Er starb 1633. Die Johaaniskirche
grenzte unmittelbar an den Manlbronner Hof, in welchem Kurfürst Johann
von Sachsen bei den Reichstagen von 1626 und 1529 wohnte, und lag gegen-
über dem Absteigquartiere des Landgrafen Philipp.
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Form und Gestalt, so ir Chnrfilrst und F. G. von Recht und
Billigkejrt wegen thun solten und möchten, vor uns vorge-
nanten Notarien und Gezeugen (dieweyl ir Churfärstlich und
F. 6. vor und in Gegenwart Eönigklicher Dui-chleuchtigkeyt,
Kay. May. Oratom und Commissarien/) auch der andern
Churf&rst, Fürsten und Stenden des Beychs, auß Ursach, so
zu gelegner bequemer Zeyt so vii noht^) deducirt solten
werden, dasselbig der Zeyt füglich nit thun könten noch
möchten^ gethan, auch solcher irer Churfftrstl. und F. G. Ap-
pellation, Aposteln ") und Abschiedsbrief, sambt rechtmessiger
Anhangung und Adherentz, ersucht, reqnirirt und begert
wolten haben. Mit Vorbehalt, Bedingung und Protestation,*)
solche ire getane Appellation zu mindern und meren, auch
sunst alles anders zu thun und f&rzunemen, das derhalben
irer Churfurstlichen und F. G. Notturft sein wurdet. Und
nach solcher Anzeyg und Erzelung haben obgemelter irer
Churf&rst. und F. G. verordente Bethe uns beyden Notarien
dieselbige ire gethane Appellation, auf etliche papirene Pletter
(wie oben berürt) verfast, Überantwort und zugestelt, welche
Ton Wort zu Wort hernach volget:
Nachdem in allen beschriben Bechten das Mittel
der Appellation und Berufang zu Aufenthalt derer, die be-
schwerd sein oder förchten sie künftigklich beschwerd zu
werden, außgesatzt und einem yeden gebürt, auch dermaß
befreyt ist, das *) dieselbig von keinem Gewalt abgethan, noch
darüber geschritten oder derselben zuwider gehandelt noch
attentirt soll werden: Hierumb in Willen und Meynung, von
etlicher vill hoher, dapferer und wichtiger Beschwerd wegen,
welche uns von Gots Genaden Johannsen, Hertzogen zu Sachsen,
des heyligen Bömischen Beychs Ertzmarschalck und Chur-
*) Die Namen des Orators und der Kommissäre s. Anm. 1 zu S. 15
te Vorworts. *) In D Druckfehler : noch. *) Apostel ist im juristischen
^raehgebraoch jener Zeit ein Bericht an einen höheren Bichter. ^) Die
etjmologische Bedeutung des Wortes Protestation » Bezeugung tritt hier
deutlich herror. *) rJ^*^ ^i^ ^^ üheraU in der Appellation fttr „daß**.
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- 30 —
forsten, Landgrafen in Döringen nnd Marggrafeu zu Meyssen,
Georgen, Marggrafen zu Brandenburg, zu Stettin, Bomem,
der Cassuben und Wenden usw. Hertzogen, Burggrafen zu
Nttrmberg und Fürsten zu Bugen auf Oderburgk usw., Ernsten
und Franciscen Gebrüdern, Hertzogen zu Braunschweyg und
Lunenburg, Philipsen, Landgrafen zu Hessen, Grafen zu Katzen-
ebipogen, zu Dietz, Ziegenheym und Nidde, und Wolfgangen,
Fürsten zu Anhalt, Grafen zu Aßkeinen und Herrn zu Bemburg,^)
in gesambt und sunderlich und unsem christlichen Unterthanen,
auch gemeinlichen allen denen, die yetzt und künftiglich dem
heyligen Glottes Wort verwandt,*) auf disen Reychstag, der
im yetztlaufenden 29ten Jam der wenigem Zal*) zu Speyer
gehalten, begegend und zugestanden seind, von und wider die
Durchleuchtigist, Großmechtigen, Hochwirdigist, Hochgebomen,
Wolgebomen, Edeln und Wirdigen*) Herm Ferdinandum, zu
Hungern und Beheym König und Römischer Kay. May., unsers
allergnedigsten Herrn, Statthalter im Reych Teutscher Nation,
Printzn und Infanten in Hispanien, Ertz-hertzogen zu Oster-
reych usw., unserm besundem lieben Herm Oheymen und
Gnedigen Herrn, sampt hochgemelter Römischer Kay. May.
Oratorn und verordenten Commissarien, auch Churfürsten,
Fürsten und Stenden, so auf diesem Reychstag zu Speyer
versamblet gewesen (derer aller Liebden und der andern
Namen wir hiemit voraußgedmckt nnd benandt haben wollen),
zu appellim, provocim und zu berufen, auch alles und yedes
mer zu thun, so uns die Recht in dem Fall geben und zu-
lassen, Protestim und bedingen wir anfangs öffentlich vor
Gk)tt und menigklich, dem dise unsere Appellation und Be-
') Hier in der feierlichen Appellation werden aUe protestierenden
Fürsten, auch Herzog Franz Ton Lünehnrg, mit ihren voUständigen Titeln
genannt, die einer weiteren Erlftatenmg nicht hediirfen. *) Es ist zn
beachten, daß die protestierenden Fürsten auch für ihre Untertanen und
andere Gleichgesinnte mit appellieren. ') Oft gebrauchte Abkürznng
für fünfzehnhundert. ^) AUe diese Prädikate beziehen sich auf die
verschiedenen Fürsten und Stände des Reichs je nach den ihnen gemäß
ihrem Bange gebührenden Titeln. Vgl. S. 32, Anm. 2.
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— 31 —
rufimg zu lesen oder hörn fflrkumpt, das unser Will, Gemüt
imd Meynong änderst nicht stehet, noch ist, dann allein die
Eer Gottes Aes Allmechtigen, seines heyligen Worts nnd nnser,
anch menigklichs Seelen Seligkeyt zu suchen, auch nichts
anders dadurch zu handeln, dann was uns das Gewissen auß-
weyset und leret, und das jhenig, so wir vor Gott dem All-
mechtigen, sunder menigklichs YOTkleinerung, Schmehung oder
Verachtung, zu thun schuldig und billich thun.^) Dann
alledieweyl die Becht, auß dem, das die Natur zwischen allen
Menschen ein natürlich Verwandtnuß gewürckt, zulassen,
das sich einer des andern, der zu zeytlichem Tod vemrteylt
wirdet, auch ausserhalb Vollmacht, anzunemen und von des-
selbigen wegen zu appelliren und sein pestes zu schaffen hat:
Wie viel mer will uns als Gtelidem eins geistlichen Leybs des
Sun Gottes, unsres Heylands Jesu Christi, und geistlichen
Kindern und gesipten Bi*üdem eins unsers geistlichen und
bymelischen Vaters wol zustehen, gebüm und fügen, dergleichen
in solchem hochwichtigen Handel zu Verhütung unser und
unsers Nechsten ewigen Urteyls dasselbig auch zu thun und
dieselben unsere Nechsten sich dises unsers rechtlichen Schutzs
mit zu freyen und zu gebrauchen. ^) Und sagen, obgedachter
Königlichen Durchleuchtigkeit sampt JB^ay. May. Oratom und
Commissarien, auch Churfürsten, Fürsten und den andern von
Stenden sey wissendt, was mercklicher und dapferer Be-
schwerungen durch uns und die unsem von unsem wegen, ^)
Tast vom Anfang dieses yetzigen Speyrischen Eeychstags biß
zum Ende, derhalben seind ffirgewandt worden, das unter-
standen hat wollen werden, dieweyl*) auch (wiewol mit der
That allein) beschehen, den Abschied, so auf vorigem Beichs-
tag zu Erhaltung Prides und Eynigkeyt im Beich in mitler
Zeyt des künftigen Concilion oder Nacional-Versamblung auß
1) Ende der langen Periode. *) Zu beachten ist die theologfische
BegrOndmig des Bechtee, anch für andere mit zn appellieren. ') Dnrch
die Bäte der protestierenden Fürsten in deren Auftrag. ^) Dieweyl hier
«=E seitdem.
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— 32 —
viel bestendigen und hohen Bedencken allhie za Speyer in
nechstverschinem 26ten Jar einhellig beschlossen^ Tolzogesi
nnd an%erichty so viel den Artickel des schwebenden Zwi-
spalts in unser heyligen Religion anlanget, zn verendern, ja
auch gentzlich aufzuheben und daneben auf etliche Artickel
und Punct zu schliessen, dadurch, so wir derselbigen mit
ejnig weren, wir wider die christliche, götliche und evan-
gelische Leere, die wir in unsem Färstentumen, Landen,
Herrschaften und Gebieten nach Außweysung der heyligen
götlichen Schrift predigen und verkündigen lassen und fQr
Gottes Wort und Warheyt erkennen und unzweyfenlich auch
vestigklich glauben, in Grundt selbst handelten, bekenten und
theten, welche vorgemelte unsere Beschwerungen wir in
Schriften haben fürtragen, auch öffentlich verlesen und volgends
zu den Reychshendeln und Acten antworten lassen, und
volget Inhalts hernach:
Fürtragen zu Speyer vor Churfürsten, Fürsten und
allen Stenden öffentlich verlesen und Überantwort. ^)
Hochwirdigisten, Hochwirdigen, Hochgebomen,
Erwirdigen, Wohlgebornen und Edeln, lieben Herrn Oheymen,
Vettern, Freunde und Besundern, Euer Lieb und ihr ^) tragen
") Beschwerde der eyangelischen Fürsten vom 12. April. S. Vorwort
S. 12. Jung, Gesch. des Beichst. zn Speyer im Jahre 1529, S. LXXX und
J. T. Müller 57 fügen hier bei: „Montags nach Misericordias Domini".
*) Da die Beschwerde an die Stände gerichtet ist, wird König Ferdinand
nicht mit angeredet. Schon Ranke (Deutsche Gesch. 3. Ausg. Bd. 3, S. 127)
macht auf die Sorgfalt aufmerksam, mit welcher die protestierenden
Fürsten unter steter Wahrung der eigenen fürstlichen Würde die verschie-
denen Stande des Beichs in der nach der Sitte der Zeit jedem einzelnen
gebührenden Weise anreden. Während sie die Fürsten stets euer Lieb
oder euer Liebden nennen, wenden sie sich an die anderen Stände mit der
Anrede: ihr oder ihr andern. Die Hochwflrdigsten sind die geistlichen
Kurfürsten, die Hochwürdigen die Bischöfe, die Hochgeborenen die welt-
lichen Kurfürsten und Fürsten, die Ehrwürdigen die Äbte und Prälaten, die
Wohlgeborenen und Edeln die Grafen und Freiherren. Alle Fürsten werden
als Oheime nnd Vettern, die übrigen Stände als Freunde und Besondere
angeredet. Die Fürsten werden freundlich gebeten, an die übrigen wendet
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— 33 —
sonders Zweyfel gleich uns in gutem Gedechtnuß, wie anfangs
dises Beychstag, als R5. Kay. May., unsers allergnedigsten
Herrn, Gewalt und dameben ein Schrift in Gestalt irer K.
May. Instruction ^) euer Lieb, uns und allen Stenden fürge-
tragen und verlesen, das derwegen von Euer Lieb, uns und
gemelten Stenden einhellig für nottürftig und gut angesehen
ist worden, einen Außschuß zu Fürdrung der Hendel zu ver-
ordnen und zu machen, ') welcher Außschuß den Artickel, den
Zwispalt in unserm heyligen Glauben berürent, so in berürter
Instruction der ander gesatzt, erstlich füi^ die Handt nemen,
denselbigen erwegen und davon reden selten, wie soUichs Zwi-
spalts halben in mitler Weyle eins Concili zwischen den
Stenden im Keych Frid und Eynigkeyt erhalten möcht werden,
doch auf Maß so viel den ersten, nemlich die Tfirckenhilf,
belanget hat, wie euer Lieb, wir und andere Stendt des
snnder Zweyfels noch alle auch wohl eingedenck sein. So
wissen auch euer Lieb und ir andere, die neben etlichen auß
uns zu dem Außschuß verordent worden, das es*) im selben
Außschuß sunderlich dafür angesehen und gehalten ist worden,
wo nit von ersten gemelts Artickels halben den Zwispalt be-
langend ein Maß gemacht, das on^) dasselb schwerlich Frid
und Eynigkeyt im Reych erhalten möcht werden, das auch
den Stenden von allen Teylen schwer sein wolt, in einiche
Hilf oder anders, so die andern zwen Artickel in der Instruc-
tion verfast berurten, zu willigen oder einzügen, ^) es wttste dann
ein yeder zuvor, wie er bey seinem Nachtpaum seß und wie
er mit demselbigen Friden haben möchte, und das derhalb
man sich mit gnädigem Gesinnen. Das Entgegenkommen jener will man
nm die FQnten frenndlich verdienen, das der anderen mit günstigem
WiUen erkennen. Die Beachtung aller dieser Unterschiede macht die
Schrift ohne Zweifel schwerfäUig and umständlich. Gleich der Protestation
sind die Aktenstücke jener Zeit üherhaupt, wie Bänke sagt, ,,weit entfernt,
schön oder klassisch genannt werden zu können, aher sie sind den Umständen
angemessen und hahen Charakter: wie die Menschen selbst, so alles, was sie
tun". *) S. Einleitung 8. 7 ff. «) S. Einleitung S. 9. •) In D
Druckfehler: er. *) In D Druckfehler: an. *) = einzugehn.
Mey, AppeUation and Protestation. 3
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— 34 —
im Außschuß der gemeine Beschluß gewest, dieweyl geredt
worden und die Instruction auch etwas Meldung davon thete,
als solt der nechst^) allhie zu Speyer aufgerichter Abschid
in einen Mißverstandt gefftrt sein worden, daß solchs Miß-
verstands halben ein Milterung und Erklerung gemacht und
begriffen solt werden. Nun betten wir uns gentzlich
und unzweyfenlich versehen, berürte Handlungen würde dem-
nach zu angezeygtem Zyl, nemlich zu Erhaltung Fridens und
Eynigkeyt in mitler Zeyt des Concilii und zum andern auf
Wege einer Milterung oder Erklerung, da Mißverstandt in
nechstem Abschid fürgefallen were, im Außschuß und nach-
volgends bei euer Lieb und den andern als Stenden des Reychs
gericht und gefordert*) sein worden. Wir haben aber nach-
volgends befunden, das euer Lieb und etliche andere von
Stenden auf solche Artickel, wie in einen Begriff bracht und
nun zum andernmal den Stenden verlesen seind worden, über
alles das, so durch etliche auß uns von ersten im Außschuß
und nachvolgends unter den Stenden zu mercklicher und
unleydlicher Beschwerd und üngelegenheyt dises Teyls ist
angezeygt worden, so vil die Substantz derselben belanget,
vermainen zu verharren, unangesehen, das solche Ai'tickel
zum Teyl auß fürgewandten Ursachen zu Erhaltung ange-
zeygts Fridens und Eynigkeyt im Reych nicht dienstlich und
zum Teyl auch, wo anders nicht alle, keine Erklerung des
nechsten allhie zu Speyer gemachten Abschids, sunder mehr
ein gentzliche Aufhebung und Abthuung desselbigen seind.
Und wiewol wir wissen, das wir in allem dem, damit
wir uns auß *) schuldigem und Pflichtigem Gehorsam gegen den
verstorbnen und yetziger Rö. Kay. May. usw. zu halten
schuldig gewest, oder was wir irer Kay.*) May., auch des
Reychs Eeren, Wolfart und Pesten ye zu Zeyten haben zu
fordern*) wissen, das wir solchs mit gantz treuer, williger
und bereyter Underthenigkeyt allweg dermassen gethan, das
') = letzte. ') = gefördert. *) In D Druckfehler: auch.
*) In D Druckfehler: Kö. ») = fördern.
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— 35 —
wir sunder Rum, auch on menigklichs Verkleinerung, nie-
mands in dem sunders zuvorzugeben wissen, wie wir dann
hinfuran biß in unser Endt und Gruben vermittelst der
Gnaden Gottes uns in allen schuldigen und müglichen Dingen
gegen Römischer Kay. May., unserm allergnedigsten Herrn,
Leybs und Guts ungespart, gehorsamlich und willig, auch
gegen euer Lieb als unsern lieben Herrn und Freunden
freündtlich und den andern Stenden gnediglich zu halten
willig und geneygt, so seind doch diß Sachen, wie euer Lieb
und ir andern wissen, die Gots Eere und unser Seelen Heyl
und Seligkeyt angeen und betreffen, darinnen wir unser Ge-
wissen halben Gott vor allen anzusehen verpflicht, das wir
gantz ungezweyfelt seind, euer Lieb und ir, als wir auch
freündtlich gebetten und günstigklich und gnedigklich ge-
sunnen wollen haben,') werden uns darinnen bey euch selbst
wissen entschuldigt zu haben, das wir mit euer Lieb und euch
obberürter Artickel halber in dem nicht eynich, noch dem
Meren, wie etliche mal auf diesem Reychstag hat wollen
furgewendt werden, zu dem, das wir auß vilen dapferen und
bewegenden Ursachen dasselb nit schuldig, stat geben mögen.
Und damit euer Lieb und ir andern unser Beschwerden
nochmals*) und eygentlich zu vememen, so ist nicht zu ver-
laugknen, das der Leer halben in unser christlicher Religion
in vilen Artickeln ein Zeit here ein Zwispalt gewest. Woher
sich aber derselbig verursacht, wollen wir dem Gericht Gottes,
dem alle Ding wissend seind, dißmals heymgestelt haben,
dann allein das auf gehaltenem Reychstag zu Nünnberg in
des Bäbstlichen Legaten damals gethan Werbungen ein An-
zeygung derhalb beschehen,*) die wir dißmals dabey lassen.
») Vgl. hiezu das S. 32, Anm. 2 Bemerkte. *) In D Druckfehler:
nachmals. *) Es ist das bekannte Breye des Papstes Hadrian VI vom
25. November 1522 gemeint, welches der päpstliche Legat Chieregati am
3. Jannar 1523 dem Nürnberger Eeichstage mitteilte. Hadrian bekennt
darin, daß Gott seiner Kirche die Verfolgung wegen der Sünden der
Menschen, besonders der Priester und Prälaten, schicke. Viel Verabscheu-
ungswürdiges sei am heiligen Stuhle getrieben worden, Mißbrauche in
3*
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— 36 —
Und wiewol allerley Wege darin betrachtet und er-
wogen ^), so ist es doch zuletzt einhellig dafür angesehen worden,
das den Sachen zu allen Seytten nicht bequemlicher wolt
Maß zu finden sein, dann das ein gemein frey christlich Con-
cilium gemacht und außgeschriben würdt. Und das *) zeygen
wir frettndtlicher und guter Meynung yetzt darurab an, das
euer Lieb und ir andern, auch menigklich, darauß abzunemen
und euch selbst zu erinnern habt, da einem Teyl Abstand
oder Verurteylung der Leere, so er als für christlich füret •)
und in seinen Landen und Gebieten füren lest, vor solchem
Concilio aufzulegen hette mögen für bequem, fttrtreglich, nutz
oder gut angesehen werden, das durch Churfürsten, Fürsten
und Stende sambt Kay. May. yedesmals verordenten Oratom
und Commissarien auf die vorige gehaltne Reychstäge nicht
würde so oft von obgemeltem Concilio geredt und gehandelt
sein worden.
Das uns aber yetzo auf disem Teyl nach Meynung und
Inhalt der Punct, so des Zwispalts und Fridens Artickel
halben yetzt gestalt, solcher Abstandt und Verurteylung be-
gegnen und schweygend aufgelegt wolt werden, ist auß nach-
volgender Anzeygung zu vememen:
Dann es begreift der Eingang dise Meynung, als hetten
sich Churfürsten, Fürsten und Stende eins solchen Abschieds
entschlossen, in welchem Entschliessen wir gleich euer Lieb
und euch stehen und gemeint sein musten, als nemlich, das
diejhenigen, so bey dem Kayserlichen Edict zu Wurms biß
anher blieben, nun hinfüran bey demselben biß zu dem künf-
tigen Concilio auch verharren und ir ünderthanen darzu
halten solten und weiten.
heiligen Dingen, Übertretungen der Gebote. Von dem Haupte habe sich
die Krankheit auf die Glieder, von den Päpsten an! die anderen Prälaten
verpflanzt. Er werde ton, was er könne, daß zuerst der römische Hof
gebessert werde, von welchem Tielleicht das ganze Übel aasgegangen seL
^) In D Druckfehler: erwegen. *) das: fehlt in D. •) In D Druck'
fehler: frewet.
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— 37 —
Nun wolte uns das vor 6ot, unser Gewissen halben, gar
hoch beschwerlich sein, das yemands, hochs oder nider Stands
durch unser Mitentschliessung von der Leere, die wii* für
götlich und christlich achten, abgesundert und auf das an-
gezogen Edict solt verhaft werden.
Wiewol war, das uns nicht zustehet zu verfechten, als
wir auch zu thun gar nit geneygt seind, wie es ausserhalb
bemelter unser Mitvergleichung ein yeder unter euer Lieb
und euch nach dem Edict oder sunst für sich selbst oder mit
den Iren halten will. Dann nachdem die Leere, darumb yetzt
der Zwispalt ist, in vilen gegen einander, solten wir der
Meynung mit schlässig sein, so wolt ja erfolgen und uns zu
Schulden aufzulegen, auch wider unser eygen Gewissen, der
eins war sein, eintweder, das wir die Leere, die wir für
christlich achten, nun bereyt an selbst als unrecht urteylten,
wie dann dasselb auß dem nachstvolgenden Punct in diesen
Worten: und aber bey den andern Stenden, bey denen die
andere Lere entstanden und zum Teyl on mercklich Aufrur,
Beschwerdt und Geverde nicht abgewendt werden möcht usw.,
auß dem Widersynn solcher Wort klerlicher zu vememen sein
wolt, oder aber wir mosten schweygendt einreumen und bekennen,
das sie zu beyten Seyten recht gegründet und also nicht nöttige
Artikel oder Punct im Glauben weren, welchs wir doch, wir
werden es dann in einem künftigen Concilio mit Schrift anders
gewisen, diser Zeyt gar nicht zu thun wissen.
So hette es dergleichen und viel mer Beschwerung des
Puncts halben die Meß berürendt. Dann wir seind unge-
zweyfelt, euer Lieb und ir haben vor dieser Zeyt zu Notturft
vemummen, welcher Gestalt unser Prediger die Messen, wie
die ein Zeyt here gepraucht und gehalten seind worden, mit
gotlicher heyliger Schrift aufs höchst angefochten und nider-
gelegt Solten wir nun in einen solchen Begriff, wie er ge-
melter Messen halben gefast, gehellen, ^) wie möcht es anders
*) Gebellen oder gehelen = einwiUigen.
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— 38 —
verstanden werden, dann als ob wir gemelter Leere, die wir
für christlich nnd bestendig halten, nun widerumb zuwider
sein und dieselb als unrecht urteylen wolten, das doch durch
die Verleyhung der Gnaden Gottes unser Gemüt gar nit ist,
noch mit Gewissen geschehen mag.
Das aber von euer Lieb und euch andern die berürten
Messen, wie die ein Zeyt here gehalten und gepraucht seind
worden, gemeint und der Begriff von denselben auch ver-
standen muß werden, haben wir auß dem leichtlich abzunemen,
das gemelter Begriff nur auf^) die Örter gericht, do die
andere Leere, wie sie genant wirdet, entstanden.
Und ist dannoch aller Gelegenheyt nach uns nicht un-
billich befrembdlich, das euer Lieb und ir fiirgenummen habt,
uns und andern diser Leere in dem ein Maß unser Under-
thanen halben zu setzen, welche euer Lieb und ir im Gegenfall
der Iren halb ungern, auch, darfür wir achten, gar nicht,
würdet leyden wollen. So wir uns doch versehen hetten, wii*
selten nicht unbillich in dem bedacht sein worden, auch noch-
mals bedacht werden, als wie®) vielleicht euer Lieb und ir
in im Oberkeyten unter iren Underthanen allein von wegen
der herkumenden Gepreuche beyderley Messen, nemlich die
Opfer und christliche Nachtmals Messen, zuzulassen beschwert,
das es uns Chiisti, unsers Heylands, offenbaren Einsatzung
halben seiner Meß und Nachtmals viel beschwerlicher, etwas,
das derselben götlichen Einsatzung zuwider und nur auf Her-
kumen und Menschen Satzung gegründet mag werden, zuzulassen.
Dieweyl nun die Leere auf unserm Teyl in unsem Landen
und Oberkeyten mit göttlicher Schrift dermaß gegründet, daß
sie christlich, und die Schrift wider solche Messen ein Zeyt
here öffentlich gefüiii und aber solcher Artickel und Leere
des Stücks halber unter andern nicht das geringstest, das in
einem künftigen christlichen Concilio wil zu handeln sein, so
hetten wir uns, zu dem das das Äußschreiben, so zu disem Reychs-
') In D Druckfehler: „auch auf". *) In D Druckfehler: wir.
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— 39 —
tag in Kay. Ma. Namen beschehen und außgangen ist, und die
verleßne Instruction nichts von disem oder andern dergleichen
Artickel melden, das über unser hievor vilmals gethane An-
zeygung dermaß darauf het sollen verharret werden, gar nicht
versehen.
Wiewol auch öffentlich am Tag, was wir in unsem
Landen und Oberkeyten des Sacraments halben des Leybs
und Bluts unsers Herrn und Heylands Jesu Christi predigen
und halten lassen, das derwegen weytleuftige Anzeigung zu
thun on Not, so wissen wir doch gleichwol, wie wir uns hie-
vor auch haben vernemen lassen, auß vilfaltigen Bedencken
und Ursachen nicht für bequem oder furtreglich anzusehen,
das der Leer halben, so darwider, ein soUiche Verordnung,^)
wie der Begiiff veimag, yetzo auf disem Reychstag gemacht
werde, und sunderlich, dieweyl Kay. May. Außschreyben davon
nichts meldet, auch diejhenigen, so dieselbigen Sach berüm,
derhalben nicht erfordert noch verhört worden sein. Zu was
Glimpf uns allen auch dasselb, dieweyl es unverhört und
ausserhalb des künftigen Concilii fflrgenummen (wir wollen
anderer Unrichtigkeyt, so derhalb ervolgen möchten, ge-
schweygen), gedeutet möcht werden, ist leychtlich zu bedencken.
Das aber auch vilgem elter Begriff zu Erhaltung Fridens
und Eynigkeyt im Reych in mitler Zeyt des Concilii nicht
dienstlich seyn wolt, ist hieraus klerlich abzunemen. Dann
der berürt Begriff vermag im ersten Punct, daß diejhenigen,
so biß anhere bey Kay. May. Edict blieben, nun hinfüran
darbey auch verharren sollen und wollen, und wirdet kein
ünterschid gemacht, wie weyt und ob sich solche Verpflich-
tung auf die Peen des angezogenen Edicts erstrecken sol oder
nicht, wie es dann von wegen der gemeinen Wort, damit der
Artickel verfast, nicht anders kan vemummen werden.
Dieweyl dann unser etlicher*) Qeystlichen von andern Ober-
keyten bereyt an gemelts Edicts halben begegendt, nachdem
^) In D Druckfehler: Vorordennuag. •) In D Druckfehler: yetlicher.
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— 40 —
es von inen nicht dermaß, wie sie *) dem Edict nach vermeinen,
gehalten wirdet, daß sie sich und über den nechsten Spey-
rischen Abschid unterstanden, denselben ire Renth und Zins
zu hemmen und vorzuhalten lassen, so ist wol zu erachten,
was in Gleychnuß weyter unter demselben angemasten Schein
•unterstanden und fiirgenummen möcht werden, das dann zu
Erhaltung Fridens und Eynigkeyt wenig, auch gar nichts
dienen würdt. Wellichs aber durch den nechsten allhie zu
Speyer gemachten Abschid verhütet, also das niemands ge-
fügt, solchs oder dergleichen oft gemelts Edicts halben fürzu-
nemen, dieweil die Peen desselbigen, dadurch das ein yede
Oberkeyt mit iren ünderthanen in mitler Zeyt des Concilii*
in Sachen das Edict belangend also solt zu leben und zu re-
gieren haben, wie sie solchs gegen Gott und Kay. May. ver-
trauet zu verantworten, suspendirt worden.
Darauß dann klerlich zu vememen ist, daß der nechst
Abschid zu Friden und Eynigkeyt mer dienstlich, wie er dann
auch vermög der Instruction, so nechst an die Römisch Kay.
May. daneben begriffen,^) durch Churfürsten, Fürsten und Stende
dafür ist angesehen worden. Dann ist solchs, wie' vor an-
gezeygt, über den nechsten Abschid, da sichs gar nit ge-
pürt hat, unser Geystlichen halben nicht verblieben, was wolt
yetzo, so der Abschid auf Meynung des BegriflFs gericht solt
') In D Druckfehler: es. ^) Es ist die von dem Eeichstage am
21. August 1526 beschlossene Instruktion gemeint, welche der an den
Kaiser abzuordnenden Gesandtschaft mitgegeben werden soUte. In der-
selben wird der Kaiser gebeten, mit dem Papste wegen baldigster Be-
rufung eines gemeinen freien Konzils in deutschen Landen ins Benehmen
zu treten, wenn sich das aber durchaus nicht erreichen lasse, eine in Gegen-
wart des Kaisers abzuhaltende freie Versammlung aller Stände des Beichs
zu berufen. Bis dahin möge der Kaiser aber die Durchführung des
Wormser Edikts mit Bücksicht auf die schweren Zeiten „gnädiglich in
Buhe steUen^, da der Vollzug desselben den einen aus Gewissensgründen,
den anderen aber deshalb unmöglich sei, weil sie sonst eine Empörung zu
befürchten hätten. — Doch kam der Beschluß des Beichstags, eine Gesandt-
schaft an den Kaiser zu schicken, nicht zur Ausführung.
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— 41 —
werden und nns auf disem Teyl benummen sein solt, in an-
gezeigten Sachen das Edict berürendt es dermaß zu halten,
wie wir solchs gegen Gott, dem Allerhöchsten, und auch in
seinem Gericht, auch hie zeytlich gegen Römischer Kay. Ma.
als unser ordenlichen weltlichen Oberkeyt, verhoffen zu ver-
antworten, ervolgen und beschehen? Welchs auch, wieyetzo
angezeygt, ye nicht solche Wort seind, die im nechsten Ab-
schid verleybt, dadurch einem yeden zugelassen sein wolt, als
dann durch etliche, denen die Sach höher dann wol die Not-
turft allweg zu Gemüt gereycht, geredt wil werden, in
mitler weyl eins Concilii alles nach eygenem Gutduncken oder
Gefallen zu thun und fiii'zunemen. Wer auch demnach den
nechsten Speyrischen Abschid mit angezeygtem Fürhalten der
Zins miBpraucht und zu entgegen gehandelt, geben euer Lieb
und euch andern wir selbst zu bedencken.
Item, es ist auch hierauß gnugsam zu vermercken, wo
die vilberürten Wort, das es ein yede Obrigkeyt in mitler
Weyl des Concilii in Sachen das Edict belangend usw., yetzo
herauß gelassen und an derselben stat solche Wort, wie in
dem yetzigen Begriff steen, nemlich: und aber bei den andern
Stenden usw. gestelt selten werden, das solcher fürgenummener
Abschid nit ein Erklerung, sunder ein gantze Aufhebung der
Substantz des nechsten Abschids, so vil den Zwispalt belangt,
sein wolte, in welchen uns zu bewilligen, dieweyl der nechste
Abschid durch Kay. May. Stathalter und Commissari in kraft
Kay. ^) May. GewaJts und Volmacht, auch Churfürsten, Fürsten
und Stende einhellig, als solchs der Buchstabe klerlich mit-
bringt, mit Verpflichtung, denselben vest und unverprochenlich
zu halten, auch dawider nichts zu thun und fürzunemen oder
außgeen zu lassen, bewilligt und mit Sigillen bevestigt, nicht
unbillich höchlich beschwerlich sein wolt. 2)
*) In D Druckfehler: Kön. *) Dies bezieht sich auf die üblichen
Schlußworte der Beichstagsabschiede, die sich auch in § Bl und 32 des
Speierer Abschieds von 1526 finden. Die einschlägigen Stellen werden in
der Protestationsschrift vom 20. April (S. 55 f.) fast wörtlich wiedergegeben.
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— 42 —
Und zu dem, daß wir simder Rum menigklich darumb
Antwort zu geben ungescheuet, wo uns aufgelegt wolt werden,
als solte der nechst Abscliid von uns in einen MüJverstandt
gezogen und dadurch mißbraucht sein worden, so können wir
doch auch bey uns nicht ermessen, das die Notturft sey oder
erfordere, des angezogenen Mißverstands halben solche yetz-
gemelte Aufhebung des nechsten Abschids zu thun. Dann
wiewol wir kein Wissen tragen, welcher Gestalt solcher Ab-
schid zu einem Deckel neuen Leeren seyther solt gezogen
sein worden, so solt doch unsers Ermessens demselben hin-
füran durch ein solche Erklerung, so zum Teyl in dem BegriflF
gesetzt und auf Meynung unsers übergeben Artickels, den ^)
wir euer Lieb und euch andern yetzo nochmals*) zu erwegen
wollen zugestelt und uberantwort haben, gemiltert ist worden,
in dem, das es die Obrigkeyten in iren Oberkeyten vermög
des nechsten Abschids zu halten und fortan ^) weiter Neurung
oder Secten des Glaubens halb so vil menschlich und müglich
verhütet solt werden, nottürftiglich begegend und Fiirsehung
Hier sei nur noch bemerkt, daß sowohl Erzherzog Ferdinand für die kaiser-
lichen Kommissäre, als auch Beauftragte der Stände, wie am Schlüsse des
Abschieds ausdrücklich gesagt wird, zu Urkunde dessen ihre Siegel „an den
Abschied hängen" ließen. ') In D Druckfehler: denen. Im „großen
Ausschusse" hatte der Kurfürst Ton Sachsen, nachdem alle Versuche, mehr
zu erreichen, gescheitert waren, den Vorschlag gemacht, den vorigen
Speierer Abschied in nachstehender Weise zu erläutern : „daß diejenigen, so
bis anhero bei den hergebrachten Kirchenordnungen und Bräuchen" (nicht
bei dem Wormser Edikt) „büeben, auch hinfüro bei denselben bis zu dem
künftigen Konzile verharren und ihre Untertanen dazu halten mögen. Aber
die andern, Kurfürsten, Fürsten und Stände, mögen nach Inhalt des ge-
meldeten letzten Speierer Abschieds in Sachen die Religion betreffend, ein
jeder für sich und mit den Ihren, in ihren Obrigkeiten sich nichts minder
auch halten, also leben und regieren, wie sie das gegen Gott und römische
kaiserliche Majestät vertrauen zu verantworten, und soU hinfürder weitere
Neuerung oder Sekten im Glauben aufzurichten, so viel möglich und mensch-
lich, verhütet werden." Aber dieser Vorschlag wurde sowohl im Ausschüsse,
als auch später im Plenum zurückgewiesen. Vgl. meine Gesch. des Reichs-
tags zu Speier im Jahre 1529, S. 140. *) In D Dnickfehler: nachmals.
•) In D Druckfehler: voran.
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— 43 —
darwider gethan, auch gantz on Not sein solt, den nechsten
Abschid derhalben dermassen wie^) berfirt aufzuheben.
Dieweyl wir dann auch zu der Römischen Kay. May.,
unserm allergnedigsten Hen^n, der ungezweyfelten und gantzen
Zuversicht sein, wo ir Kay. May. der Ding, wie die zum Teyl
yetzo von uns erzelt, und sunst ferner bericht worden weren,
zu dem das irer May. Außschreyben, so zu disem Reychstag
beschehen und am Dato jünger und neuer ist, zusampt dem
Kay.*) Gewalt, welcher im Anfang dises Reychstags durch
irer May. Stathalter und Commissarien, unser besunder lieben
und gnedigen Herrn und Freund, euer Lieb, uns und allen
Standen fürgetragen ist worden, als wir nicht andei-s wissen,
klerlich mitbringen, daß davon geredt, gehandelt und gerat-
schlagt solt werden, wie Frid und Eynigkeyt im Reych möcht
erhalten werden, darauf dann auch euer Lieb, wir und die
andern von Stenden alle Handlung, so vil gemelten Friden
belanget, furgenummen, — dann wo es die Meynung gehabt, das
es bey der verlesen Instruction des Artickels halben bleyben
zu lassen für nütz, gut oder bequeme het angesehen mögen
werden, so hette es solcher Beratschlagung und Erwegung
gar nicht bedürft — , die hochgemelte Römische Kay. May. würde
sich zu dem, wie die gelesen Instruction berürts Artickels
halb vermag gar nicht haben bewegen lassen.
Und ist dem allem nach an euer Lieb und euch andern
als unser lieben Herrn Vettern, Oheymen, Freund und Be-
sunder unser freündtlichs Bitten und günstigs, auch gnedigs
Gesynnen, dieselbigen und ir wollen Gelegenheyt der Sachen
nochmals zu Gemüt füren und dieselbigen zusampt obange-
zeygten und dergleychen unseren Beschwerungen, so wir der
angezognen Punct und Artickel halben in dem gefasten Ab-
schid haben, erwegen und betrachten, und uns derselbigen
insunderheyt auf den Wege, das es bey dem neclisten Ab-
schid, wie derselbig dazumal einhellig gewilligt, beschlossen,
») wie: fehlt in-D. *) In D Druckfehler: Kön.
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— 44 —
angenummen und volzogen ist worden, bleyb oder aber auf
Meynung, wie euer Lieb und ir hievor verstanden und auß
diser unser Schrift weiter zu vernemen haben, frettndtlich
und gutwillig entheben und sich mit dem, als ob euer Lieb
und ir andern das merer soltet haben, vilberiirter nechst
allhie von Kay.^) May., euer Lieb und unser aller wegen ge-
machten, bewilligten, entschlossenen und versigeltem Abschid
zuwider nicht bewegen lassen, als wir dann auch auß ange-
zeygten und ander mer Ursachen und zu voran nach Gestalt
und Gtelegenheyt diß Handels die Gewissen und der Seelen
Heyl belangend demselben gar nicht wissen, noch unsers Er-
achtens schuldig seind statzugeben.
Dann was ferner die Artickel angehet, so der Wider-
taufer, der Prediger und Drucks, dergleychen des Fridens
halben bedacht und begriffen seind worden, auch was dar-
nach weyter die andern zwen Hauptartickel •) berüren ist,
wollen und verhoffen wir uns mit euer Lieb und euch andern
dermaßen zu vergleychen, das an uns in keinem, so gemeiner
Christenheyt und dem Reich Teutscher Nation zu Nutz, Wol-
fart und Gutem und insunderheyt zu Friden gereychen sol,
zu der Billigkeyt sol Mangel gespürt werden.
Das alles geruhen euer Lieb und ir zu unser hohen Not-
turft und zu der Billigkeyt zu vermercken, auch freündtlich
und gutwillig darinnen zu erzeygen. Das seind wir umb euer
Lieb mit besundern freündtlichen Fleyß in allweg zu ver-
dienen und gegen euch andern in Gunst, Gnaden und allen
Guten zu erkennen geneygt. Und bitten freündtlich und be-
gem günstigklich hierauf euer Lieb und euer andern unver-
züglich, freündtlich und ersprießliche Antwort, uns unser Not-
turft nach deshalben femer haben zu vernemen lassen usw.
») In D Druckfehler: Kön. «) Der Türkenhilfe und Unterhaltung
des Eeichsregiments und des Kammergerichts.
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- 45 -
Wiewol wir uns nun zu Churfiirsten, Fürsten und Stenden
gantz unzweyfenlich versehen hetten, dieselben würden ange-
zeygte unsere großwichtige und merckliche Beschwerungen
zu Gemüt gefast haben und, auf das niemand etwas, so wider
sein Gewissen were, und bevor, ausserhalb, auch vor einem
künftigen gemeinen und freyen Concilium oder Nationalver-
samblung aufgelegt würde, in den Dingen ein unbeschwerliche,
billiche und christliche Enderung gemacht haben : So seind doch
ihre Liebden und sie auf ihren Vorhaben bestanden, allein
das uns von dem Außschuß, so ir Liebden und sie derhalben
verordent gehabt, darnach ist angezeygt worden, wie ir Lieb-
den und sie bedechten, das die gestelten Artickel Königklicher
Durchleuchtigkeyt als Kay. May. Stathaltern und irer May.
verordenten Orator und Commissarien selten fürzutragen seyn,
ob ir Durchleuchtigkeyt und Liebden Mittel zu bequemer
Vergleychung finden möchten, welchs wir uns und das Königl.
Durchleuchtigkeyt samt den Oratom und Commissarien dar-
auf zu bequemer Vergleychung handelten, uns auch nicht
haben mißfallen noch zuwider sein lassen, in freundlicher
Zuversicht, solche Handlung würde fürderlich und unverzogen-
üch ervolget und furgenummen sein worden.
Es ist aber gleichwol und über das es die Meynung im
Anfang dises Reychstags nit gewesen, fort und zu den andern
Artickeln, so in der Schrift außgedrückt, welche in berürtem
Anfang dises Reychstags in Gestalt einer Kayserlichen In-
struction verlesen und fürgetragen, geschritten worden. Die-
weyl uns aber nach etlichen verschinen Tagen von Königklicher
Durchleuchtigkeyt und Kay. May. Orators und Commissarien
wegen, ob und wann wir, wie vorstehet, ferner Handlung
gewarten solten, nichts angesagt, haben wir zum allerwenigsten
zwir^) bei Kön. Durchleuchtigkeyt durch etliche der unsem
dammb Anregen und Erinnerung thun lassen. Aber so wir
uns vermüg obgemelts Abschids, den wir mit dem verordenten
») SS zweimal.
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— 46 —
Außschuß, Churfiirst, Fürsten und Stenden genummen, weyter
Unterhandlung und Unterrede vei-sehen, haben König. Durch-
leuchtigkeyt sampt dem Oratoni und Commissarien Montags
nach Jubilate nechst verschinen vor Churfürsten, Fürsten und
allen Stenden, ausserhalb und on alle weytere Unterhandlung,
auch aller unser obberürten hochbetranglichen Beschwerden
unangesehen, ire Meynung öffentlich auß einer Schrift ver-
leßen lassen, sonder Zweyfel der Meynung,^) als ob uns ir
Kön. Durchleuchtigkeyt und Liebden damit einen entlichen
Bescheyd angesagt und gegeben wollen haben, wie her-
nach folgt:
Vermeinter Bescheyd, so Königkliche Durch-
leuchtigkeyt, Kay. M. Orator und Commissarien in Versamb-
lung der Reychstende öffentlich haben verlesen lassen. ^
Der R. K. M., unsers allergnedigsten Herrn, Stathalter,
Orator und Commissarien, haben der Churfürsten, Fürsten,
Prelaten, Grafen und Stende des heyligen Reychs und der-
selbigen Botschaften Schrift, die sie auf die drey Artickel
irer, der Kay.') Stathalters, Orators und Commissarien, mündt-
lichen und schriftlichen Fürtrags in Namen hochgedachter
Kay.^) May. in Anfang gegenwürtigs Reychstags beschehen,
verfasset und gestellet und inen, den Kay. ') Stathalter, Orator
und Commissari vergangner Tag übergeben ist, nach leng
hörn lesen und darauf solche Schrift gegen irem Fürtrag in
kraft ires vollkummenden habenden Gewalts dem Kay. Auß-
schreyben dises Reychstags gemeß gestelt übersehen.
Und wiewol in solche der gedachten Churfürsten und Fürsten
und der andern Stende gestelte Schrift der drey er Artickel des
bemelten Kay. ^) Stathalter, Orator und Commissari beschehen
Fürtrag nach zu Erfüllung und Gnugthuung der gedachten
Ka. May, unsers allergnedigsten Herrn, Willen und Meynung
^) Die bei MüUer und Jung sich findenden, Worte „öffentlich bis
Meynung" fehlen, offenbar infolge eines Druckversehens, in D. ') Vgl.
Einleitung S. 12 ff. Bei Jung LXXXVÜI und MüUer 72 ist beigefügt:
„den 19. Aprilis". ») In D Druckfehler: Kön.
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— 47 —
gegründt und gnngsam Einrede zu haben weien, so bedencke
doch die Kay. Stathalter, Orator und Commissarien, das Chur-
fftrsten und Fürsten, auch andere Stende des heyligen Reichs
und der andern anwesenden Botschaften auf solchen iren
Furtrag die Artickei nach einander begriffen, nach gehaltem
zeytigem Bath von wegen Gelegenheyt gegenwüi^tiger Lettfte
und Zeyt irem höchsten Verstandt nach, Gott dem Allmech-
tigen zu Lob und Eere und gedachter Kay. May. zu under-
thenigster Gehorsam und zuforderst zu Erhaltung unsers
christlichen Glaubens, auch Frid und Eynigkeit im heyligen
Reych christenlich, vemünftigklich, weyßlich und wol gestelt
und verfast haben, welchs auch zuvorsichtigklich und sunder-
lich deijhenigen, die on^) das Gott und die Kay. May. vor
Augen haben, darfur verstanden und dem zuwider nicht ge-
handelt wirdet.
Und lassen demnach die gedachten Kay. Stathalter, Orator
und Commissarii inen derselben Churfürsten und Fürsten, auch
der andern Stende gestelte Begriff der dreyer Artickei irs
Teyls durchauß gefallen, nemen auch in Namen gedachter
Kay. May. und für sich selbst dieselben Artickei an, wollen
solche inhalt ires Gewalts anstat genanter Kay. May., auch
für sich selbst, das die also in ordenlicher Form eins Ab-
schids bracht werden, hiemit bewilligt haben und sagen von
gedachter Kay. Ma., auch ir selbst wegen, denselben Chur-
fürsten und Fürsten und den andern Stenden und Botschaften
irer christlichen, getreuen und embsigen Handlungen, obge-
melter massen ffirgewandt, sunder fleißigen, freundlichen und
gnedigen Danck und wollen das alles Kay. May. berümen,
die wirdet sunders Zweyfels solchs mit Gnaden gegen allen
Stenden erkennen und sie, die Kay.^) Stathalter, Orator und
') In D Druckfehler: an. Man achte auf die Zusammenstellung: „Gott
und die Eaiserl. Maj. vor Augen hahen", sowie auf die beleidigende
Fassung, nach welcher die evangelischen Fürsten nicht zu denen gehören,
welche Gott und die kais. Maj. vor Augen haben. *) In D Druck-
fehler: Kön.
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— 48 —
Commissarien, solchs auch für sich selbst frettndtlich und
gnedigklich beschulden.
Dann so haben dieselben Stathalter, Orator und Commis-
sarien die Schrift, so der Churfürst zu Sachsen usw., Marg-
graf Georg von Brandenburg usw., Landgraf von Hessen usw^
Fürst von Anhalt und der Luneburgisch Cantzler gemeiner
Reychsversamblung wider den ersten gestelten Artickel, unsem
christlichen Glauben belangen, übergeben haben, auch ver-
nummen und lassen dieselb Schrift in irem Werdt bleyben.
Dann dieweyl dem großen Außschuß, nachmals Churfürsten
und Fürsten und andern Stenden des heyligen Reychs solch
Schrift fürtragen und verlesen ist und geraeine Versamblung
nachmals, altem löblichen Herkummen und Geprauch, auch
irer Conscientz und Gewissen nach, in dem Artickel den
Glauben berürn das viel mer mit iren Stimmen gemacht, dar-
auf beschlossen, und sie, die Kay. ^) Stathalter, Orator und
Commissarien auf im Gewalt anstat vilgemelter Kay, ^) May.,
auch für sich selbst als Mitglider des heyligen Reychs
solchen gestelten Artickel, wie obstet, angenummen haben: So
wollen sich dieselben Kay. ^) Stathalter, Orator und Commis-
sarii gentzlich versehen, der gedacht Churfürst von Sachsen
und die andern Fürsten und Botschaften obgemelt, so bißher
in dem Beschließ angezeygts Artickels Einrede gesucht haben,
werden den Abschid, obgemelter Massen gemacht, auch nicht
wegem, angesehen, das nicht allein, wie obstet, durch vil den
merem Teyl Churfürsten und Fürsten, auch ander Stende des
Reychs altem löblichen Geprauch nach aufriebt,^) ordenlich
und wie sichs gepürt bey disem Reychstag gehandelt und
procedirt worden ist, sunder das auch die Kay. ^) Stathalter,
Orator und Commissari nichts anders fürpracht und gehandelt
haben, auch weyter fümemen, handeln, bewilligen und be-
schliessen, dann das sie in kraft obgemelts ires Gewalts gut
Fug, Macht und Recht haben und gegen gedachter Kay. May.
') In D Druckfehler: Kön. *) = aufrichtig.
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— 49 —
wol und gnugsam zu verantworten wissen. Das haben dan-
noch^) die Kay. Statbalter, Orator und Commissarii, Chur-
fürsten und Färsten und den andern Stenden des Reychs auf
solche ubergebne Schrift freündtlicher und gnediger Meynung
nicht verhalten wollen.
Und als wir uns aber desselbigen gar nit versehen
und derhalben zu einer kurtzen Unterredung mit einander ent-
wichen und uns gar nit vermutet, das Kön. Durchleuch. mit
gedachten Oratom und Commissarien nicht die kleine Weyl
würden verzogen und abgeharret haben, das wir ein kurtz
Gesprech betten halten und irer Kö. Durchleuch. und Liebden,
auch Churfarsten, Fürsten und Stenden unser Notturft wider-
umb furtragen mügen, seind doch ire Eon. Durchlenchtigkeyt
und vilgemelte Oratom und Commissarien, unser unerwartet,
aufgestanden und auß des Reychsstende Versamblung vom
Hauß unversehen herabgezogen. Wiewol wir auch ire Kö.
Durchlenchtigkeyt und Liebden aufs frettndtlichst durch et-
liche unsere Eethe, die wir zu irer Durchlenchtigkeyt und
Liebden geschickt, haben bitten lassen, unbeschwert zu sein,
neben Churfursten, Fürsten und Stenden unser Notturft auf
den verleßnen Fürtrag widerumb zu hörn, so hat es doch bey
irer Durchlenchtigkeyt, auch dem Oratorn und Commissarien
nicht verfahen wollen, sunder den Unsern ist zu Antwort
gefallen, die Artickel weren beschlossen usw. Seind derhalben
wider den vermeinten Beschluß, so durch die obberürten
Stende in kraft eins angemasten und doch gantz undienst-
lichen, unerheblichen und unverbindlichen Merem unterstanden,
und was mit Kön. Durchlenchtigkeyt, auch des Oratorn und
Commissarien obgenanter verlesen Meynung und Antwort
darauf weyter ervolget ist, vor Churfursten, Fürsten und
') Bei Jung XC und MüUer 75: demnach. Die Varianten bei Müller,
dem Jung überall folgt, beruhen durchweg auf handschriftlichen Korrektureu
und Zusätzen, welche MtUler in dem Weimarer Exemplare des Original-
drucks anbrachte.
Key, Appellation and Protestation. ^
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— 50 —
Stenden öffentlich zu protestirn und dieselbig in Schriften zu
übergeben verursacht Welcher Protestation ungeverlicher')
Inhalt hernach außgedruckt volget.
Protestation vor Churfürsten, Fürsten und
Stenden öffentlich verlesen und zu den Actendes
Reichs uberantwort.
Euer Liebden und ir, lieben Herrn Vettern, Oheymen,
Freündt und Besundem wissen, was Beschwerung wir die
vergangen Tag dises gehaltnen Reychstags mündtlich und
schriftlich wider etliche Punct in dem Artickel Erhaltung
Fridens und Eynigkeyt von wegen des schwebenden Zwispalts
der Religion im Reych mitler weyls des Concilii belangendt
haben fürtragen lassen. Und wiewol wir in Betrachtung, das
wir nichts angezeygt, dann was unser Gewissen zu Gottes
Eere, Lob und Heyligung seins Namens, auch von gemelts
Friden und Eynigkeyt wegen im Reych die höchste unmeyd-
liche Notturft erfordert, uns versehen hetten, euer Lieb und
ir andern würden die Weg fürgenummeu haben, das wir uns
mit euer Lieb und euch andern zu Erklerung des nechsten
Speyrischen Abschids, wo derselbig durch ungleichen Ver-
standt solte mißpraucht worden sein, mit gutem Gewissen und
on Beschwerung hetten vergleychen mögen, also das der ge-
melt nechste Abschid sunst allenthalben, wie billich und der-
selbig zuvor einhellig beschlossen worden, in esse und seiner
S.ubstantz blieb, wie dann auch wir Hertzog Johanns, Churfürst
zu Sachsen, auf des grossen Außschuß gethanen Fürschlag ein
schiedliche Meynung, die angezogne Mißbrauchung und Er-
haltung gemelts Fridens anlangend, haben begreyfen und
darnach gemeltem Außschuß widerumb zustellen und euer
Lieb und euch nechst anderweyt auch übergeben lassen, in
*) Vgl. Einleitung S. 13. Die protestierenden Fürsten behielten offenbar
kein Konzept der in der Eile niedergeschriebenen und dem Reichstag
überreichten Protestation zurück. Deshalb konnte in das Appellations-
instrument nur der „ungefähre" Inhalt der am 19. April übergebenen
Protestation aufgenommen werden.
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— 51 —
Zuversicht, derselb Begriff, würde von euer Lieb und euch
für ein gleichmessige und schiedliche Erklerung bedacht und
angenummen sein worden.^)
Dieweyl wir aber befanden, das euer Lieb und ir auf
irem Vorhaben in dem vermeinen zu verharren und aber uns
auß furtragnen dapfern Ursachen und Beschwerden, die wir
yetzundt allenthalb widerumb erholet und erneuet wöUen
haben, beyde der Gewissen halben, auch das solch euer Lieb
und euer Fümemen von wegen obgemelts schwebenden Zwi-
spalts zu Erhaltung Fridens und Eynigkeyt in mitler Weyl
des CJoncilii nicht dienstlich, keinswegs fügen noch zu thun
sein will, das wir darein gehelen oder willigen solten, zudem
das wir nach Gestalt des Handels und bevor über den ob-
berürten nechsten Speyrischen Abschid dasselb nicht verpflicht
seind, sunderlich on^) unser Mitbewilligung auß gemeltem
nechsten allhie zu Speyer gemachtem und versigeltem Ab-
schid von wegen der heinachbeschriben stracken verpindt-
lichen Clausulen und Wort, so zu Ende desselben Abschids
verfast seind, zu schreyten, nemlich: Darauf so gereden und
versprechen wir Ferdinand, Printz und Infant in flispanien
usw^ und wir Churfürsten, Fürsten usw., Prelaten, Grafen und
Herren usw.:') so bedencken wir, das der vilberürten Be-
schwerungen halben unsere hohe und unmeydliche Notturft
erfordert; wider angezeygt euer Lieb und euer als von wegen
gemelts nechsten Abschids nichtig und machtloß und unser,
auch der unsem und menigklichs halben unpündig Fümemen
öffentlich zu protestirn, als wir auch hiemit gegenwürtigklich
thun, und das wir auß fiirgewandten Ursachen darein nit
wissen, können noch mögen gehelen, sunder gemelt euer Lieb
und euer Vorhaben für nichtig und unpündig halten, gegen
euer Lieb und euch hiemit protestirt haben. Und wollen
uns gleychwol in den Sachen der Religion in mitlerweyl ge-
melts gemeinen und freyen christlichen Concilii oder Nacional-
') Vgl. S. 42, Anm. 1. «) In D Druckfehler : an. ^ Vgl. S. 41, Anm. 2.
4*
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— 52 —
versamblimg vermittelst götlicher Hilf, vermög und Inhalts
des vilberürten nechsten Speyrischen Abschids in unser Ober-
keyten, auch bei und mit unsern Underthanen und Ver-
wandten, also halten, leben und regieren, wie wir das gegen
Gott dem AUmechtigen und Römischer Kay. May., unserm
allergnedigsten Herrn, vertrauen zu verantworten. Was auch
der Geystlichen Zinß, Eent, Güld, Zehend und den Friden
belanget und in vilgemeltem nechsten Speyrischen Abschid
verfast und außgedruckt ist, wollen wir uns in allweg auch
unverweyßlich erzeygen und halten. So wollen wir, was die
nachvolgenden Punct als die Wiedertauf und den Druck berürt,
wie wir allwegen auf disem Reychstag verstanden seind, mit
euer Lieb und euch auch einich sein und uns Inhalts der-
selbigen Punct in allweg auch gepürlich zu halten wissen.
Und ist dem allem nach an euer Lieb und euch unser
freündtlich Bitt und gnedigs Gesynnen, die wollen dise unsere
Protestation zu unser unmeydlichen Notturft vermercken und
derselbigen ingedenck und insunderheyt daran sein, wo hier-
über solche Meynung, wie von euer Lieb und euch fürge-
nummen, zum Abschid dises Reychstags, als wir uns doch
gar nit versehen, zu setzen unterstanden wolt werden, aut
das angezeygte unser Protestation ires Inhalts darbey und
neben euch eingeleybt und gestellet, und werden verursacht,
unser yetzt gethan Protestation sambt unsern Beschwerungen,
die wir wider solchen Artickel nechst in Schriften fürgetragen
haben, an die Kay. May. zu gelangen, auch sunst öffentlich
aufgehen zu lassen, damit menigklich Wissens haben und
empfahen müg, das wir und warumb in solche Meynung nicht
gehellet, sunder vor euer Lieb und euch öffentlich dawider
protestirt haben. Behalten uns auch bevor, vilberürte unsere
Beschwerungen und Protestation fenier zu extendim und uns
derselbigen gegen euer Lieb und euch andern, auch sunst zu
unser Notturft vememen zu lassen.
Das alles wollen euer Lieb und ir andern im pesten und
wie gemelt zu unser hohen Notturft und nicht anders ver-
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— 53 —
stehen^ seind wir umb euer Lieb freftndtlich zu yerdienen und
gegen euch andern mit gänstigem und gnedigem Willen zu
erkennen geneygt
Und auf das die Kön. Durchleuchtigkeyt sampt dem
Oratom und Ck)mmissarien, auch Churf&rsten, Fürsten und
Stenden unserer Beschwerungen nochmals und zum Überfluß
erinnert wurden, ob ir Kön. Durchleuchtigkeyt und Liebden,
auch ChurfÜrsten, Fürsten und Stende des Reychs nochmals
betten wollen erweicht und bewegt werden, die Sachen weyter
und dahyn zu bedencken, damit wir allerseyts zu billicher und
unbeschwerter Vergleichung des furgefallen Zwispalts kummen
möchten, so haben wir die obgemelten unser Beschwerungen
noch einst ^) mit weyter nottürftigen Extension und anhengen-
der Protestation zusammenziehen und in Schriften bringen
lassen und etlich unser Käthe damit abgefertigt, Kön. Durch-
leuchtigkeyt und vilberürtem Oratori und Commissarien die-
selb fürzutragen und schriftlich zuzustellen, wie dann be-
schehen. Aber dieselben unsere Geschickten haben uns zu
irem Widerkummen bericht, wiewol Kön. Durchleuchtigkeyt
angezeygte unsere in Schriften verfaste Notturft im ersten zu
irer Durchleuchtigkeyt Händen genummen, so hette sie doch
inen die wider zuzustellen und zu angezeygter weytem billichen
Bewegung bey irer Durchleuchtigkeyt und dem Oratori und
Commissarien nit behalten wollen. Auch do sich die unsem
beschwerdt, vilgemelte Schrift on und ausserhalb unsers Be-
velchs wider zu sich zu nemen,^) ist uns dieselb gleichwol
bey etlichen Kön. Durchleuchtigkeyt Eäthen zu vorigen Be-
schwerden wider zugesandt worden. Was wir auch in solcher
Schrift angezeygt und fürgewandt haben, ist auß nachver-
zeychenten derselben Schriften Inhalt zu vememen.
Die Beschwerung und Protestation anderweyt
1) = einmal. *) Bei MüUer 80 und Jung XCm finden sich hier
noeh die in D fehlenden Worte: sondern selbige in des Köni^ Gemach
niedergelegt Vgl. Einleitung S. 14.
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— 54 —
zusamen gezogen und Kon. Durchleuchtigkeyt,
d^n kayserlichen Oratorn und Commissarien zu-
gestellt.^)
Durchleuchtiger König, auch Hochwirdigisten, Hochwir-
digen, Hochgebomen, Erwirdigen, Wolgebornen und Edeln,
lieben gnediger Herrn Oheymen, Vettern, Schweger, Freunde
und besunder Lieben. ^ Nachdem wir uns auf Rö. Kay. May.,
unsers allergnedigsten Herrn, Erfordern und daneben eur
Kön. Durchleuchtigkeyt freündtlich Beschreyben derselben
irer *) May. zu undertheniger Gehoi'sam und euer Kön. Durch-
leuchtigkeyt zu freündtlichem und dienstlichem Gefallen, auch
gemeiner Christenheyt und dem heyligen Reych zu gut hieher
zu disem Eeychstag verfugt und nun neben euem Lieben
und euch den andern die verlesen Instruction sampt dem Ge-
waltsbrief, in Kay. May. Namen auf euer Kön. Durchleuchtig-
keyt und ander irer Kay. Ma. verordente Commissarien ge-
stelt, angehört uns auch daneben ia Kay. May. Außschreyben
dises Reychstags mit Fleyß ersehen und funden, das die Sachen
durch unbequem Practick dahin gericht gewesen sein, das
der Artickel *) in dem Abschid des vor hie gehalten Reychstags,
unsem heylichen christlichen Glauben und desselben Religion
oder Ceremonien belangend aufgehaben und dagegen ander
gantz beschwerlich Artickel gestelt werden solten;
Dieweyl sich aber euer Kön. Durchleuchtigkeyt und ander
euer Kön. Durchleuchtigkeyt Zugeordente als Kay. May. ge-
walthabende *^) Stathalter und Commissarien, auch alle Chur-
^) Vgl. Einleitung S. 13 f. «) Zu der Anrede vgl. S. 32, Anm. 2. König
Ferdinand wird nur Durchleuchtigkeit genannt, da der Titel Majestät dem
Kaiser und dem römischen Könige vorbehalten blieb. Daß und warum
König Ferdinand in dem Voglerschen Konzepte nie angeredet, sondern nur
in der dritten Person von ihm gesprochen wird, ist in der Einleitung S. 25
bereits bemerkt. Die hiedurch bewirkten Abweichungen des K von D und
0 sind hier nicht weiter berücksichtigt. •) In 0 ist beigefügt: Kayser-
lichen. *) In 0 fehlen die Worte: durch unbequeme usw. bis Artickel.
*) K: Durchleuchtigkeit mit verwandte als Kay. May. verordente gewalt-
habende.
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- 55 —
fursten, Fürsten und Stende des Reychs und derselben Bot-
schaften des gemelten Artickels auf vorgehaltem Reychstag
hie zu Speyer auß guten christlichen Ursachen zu Erhaltung
Frideüs und Eynigkeyt im heyligen Reych einmütigklich ver-
glichen und vereynigt haben des Inhalts, wie hernach folgt:
Das mitler Zeyt eins general Concilions oder National-
versamblung ein yetlicher Churfürst, Fürst und Stand des
Reychs mit seinen Underthanen in Sachen, so das Edict,
durch Kay. May. auf dem Reychstag zu Wurms außgangen,
belangen möchten, für sich also leben, regieren und halten
mög, wie ein yeder solchs gegen Gott und Kay. May. hofft
und getraut zu verantworten;
Und nun^) euer Kön. Durchleuchtigkeyt als derselben
Zeyt und yetzt Kay. May. Stathalter sampt andern iren be-
nannten*) hievor zugeordneten Mitcommissarien in kraft ires
dazumal übergeben, mit Kay. May. Händen underschriben und
besigelten, Gewalts von Römischer Kay. Ma. wegen im Be-
schluß obberurts Abschids geredt und versprochen*) haben.
Alles und Yedes, so im gemeltem Abschid geschriben stehet
mid Kay. May. berüren mag, vest, unverprochenlich und auf-
richtigklich zu halten und zu volziehen, dem gestracks und
ungewaigert nachzukummen und zu geleben, dawider nichts zu
thun,^) fürzunemen und zu handeln oder außgehen zu lassen,
noch yemandt anderm von iren wegen zu thun zu gestatten
sunder alle Geverde;
Desgleichen auch euer Lieb, wir und ander Churfüreten,
Füret^n, Prelaten, Grafen, *) Herrn, auch der Churfürsten und
Fürsten, Prelaten, Grafen und des heyligen Römischen Reychs
frey und Reychsstette gesandte Botschaften und Gewalthaber,
') Zus. in K statt der durchstrichenen Worte: Es haben sich auch
kö. Durchl. usw. Vogler hatte überhaupt in richtigem Stilgefühl in seinem
Konzept mehrfach einen neuen Satz begonnen, den er dann durchstrich,
um wieder in die Periode zu f aUen und im Nebensatze fortzufahren. *) 0 :
miti^enannten. •) K. beschlossen. *) „Zu thun": fehlt in 0.
*) 0: und Herrn.
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— 56 —
in dem Äbschid mit Namen benandt, darin öffentlich bekandt,
das alle nnd yede geschribne Punct und Ai-tickel mit unser
aller gutem Wissen, Willen und Rat fürgenummen und be-
schlossen sein, das auch wir alle dieselben sampt und sunder-
lich in kraft des Briefs gewilligt und in rechten guten waren
Treuen geredt und versprochen haben, alle Punct und Artickel
in dem Abschid geschriben, so vil einem yeden sein Her-
schaft oder Freund, von den er geschickt oder gewalthabendt
ist, betrifft oder betreffen mag, war, stet, vest, aufrichtig und
unverprochenlich zu halten, zu volziehen und dem nach allem
unserem Vermögen nachzukummen und zu geleben sunder
Geverd ;
Wie dann mergemelter Abschid vorigs ^) gehaltens Reychs-
tags also verbrieft und von Kay. May. Stathaltem, Chur-
ffirsten, Fürsten und andern Ständen des Reychs besigelt ist,
solchs mit klaren außgedrückten Worten in sich helt, will
und vermag;
So haben wir, in Betrachtung solchs vor aufgerichten,
verpflichten, verbrieften und versigelten AbschidS; auch ^) auß
hemachfolgenden gegründten Ursachen, die dann^) euer Kön.
Durch., Lieb und euch den andern am zwölften Tag dises
Monats Aprilis zum teyl in Schriften auch angezeygt seind,
in Aufhebung des vorgesatzten einmütigklich bewilligten und
zu halten verpflichten Artickels, noch auch in die derhalben
begriffen vermeinten, und doch an ir selbst kein, gethan
Milterung nicht willigen können noch mögen:
Nemlich zum ersten auß der gegründten Ursach, das wir
unzweyfenlich dafür halten, Kay. May. als ein löblicher,
gerechter und christenlicher Kayser und*) allergnedigster
Herr, auch euer Kön. Durchleuchtigkeyt und andere ire Mit-
commissarien, dergleichen auch der merer Teil auß euem der
andern Lieben seyen nichts weniger dann wir des kay. und*^)
') 0 Schreibfehler: vor euch. «) auch: fehlt in 0. *) 0 Schreib-
fehler: ir. *) 0: unser. *) In 0 fehlt: und.
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— 57 ~
kön., charfurstlichen, fürstlichen und erbarn, auMchtigen,
bestendigen Gemüts und Willens, was die alle, als obgemelt,
einmal und mit uns einmütigklich bewilligt, verpflicht, ver-
brieft und versigelt haben, also laut des Buchstabens stet,
vest und unverprochenlich zu halten, zu volziehen und darin ')
gar nichts zu grübeln, noch mit ichte *) dawider zu sein noch
zu thun. Darin wir nun nit allein unser, sunder zuforderst
Kay. May^ auch euer Kön. Durchleuchtigkeyt, Liebden und
unser aller Eere, Lob, Glimpf und Fug^ bedencken und
suchen.
Zum andern wissen*) wir auch solchs, wie vor und her-
nach gemelt würdet, mit gutem Gewissen gegen*) Gott, dem
Alhnechtigen, als dem eynigen Herrn, Eegierer und Enthalter
unsers heyligen christlichen seligmachenden Glaubens, noch
auch gegen Kay. May. als einem christlichen Kayser in keinem
Wege zu verantworten.*)
Dan wiewol wir wissen,^ das unsere Voreltern, Gebrü-
dere und wir in allem dem, damit wir uns auß schuldigem
und pflichtem ^ Gehorsam gegen den verstorben und yetziger
regierender Römischen Kay. May. zu halten schuldig gewesen
oder zu irer Kay. May. und des Reychs Eere, Wolfart und
Festem ye zu Zejrten haben fürdem mögen, das gedachte unsere
Voreltern, Gebrüder und wir solchs mit gantzer, getreuer,
williger und bereyter Underthenigkeyt allwegen dermassen
gethan, das wir sunder Rum, auch on mennigklichs Verklei-
nerung niemandt in dem ichts bevor zu geben wissen, wie
wir dann auch hinfüro biß in unser Ende und Gruben mit
') 0: darumb. ') = irgend etwas. *) 0: Gefug. *) 0:
wisten = wüßten. ^) 0: mit. *) In K standen hier ursprünglich
die nachträglich dnrchstrichenen Worte : „Dann als durch etliche des Auß-
schus in ihrem erstgesteUten und den zehenden Tag dieses Monats Aprilis
zum teil geenderten begriff under andern gesetzt ist.^ ') Das hier
Folgende ist, wie manche weiter folgende SteUen großenteils wörtlich der
Beschwerde vom 12. April entnommen. Vgl. S. 34 ff. *) K und 0:
piichtigen.
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— 58 —
Hilt gütlicher Gnaden in allen schuldigen und möglichen
Dingen gegen Komischer Kay. May. als unserm allergnedigsten
Herrn ungespart Leybs und Guts gehorsamlich und willigklich,
auch gegen euer Kön. Durchleuchtigkeyt und Lieben als
unsern lieben und gnedigen Herrn Oheymen, Vettern, Schwe-
gem, Freunden und andern des heyligen Reychs Stenden
freund tlich, gnedigklich gleichhellig zu halten gewilt und ge-
neygt seind;
So seind doch dises solch Sachen, wie euer Kö. Durch-
leuchtigkeyt, Liebden und ir die andern wissend, die Gottes
Eere und unser yedes Seelen Heyls und Seligkeyt angehen
und betreffen, darin wir auß Gottes Bevelch unser Gewissen
halben denselben unsern Herrn und Gott als höchsten König
und HeiTU aller Herrn in der Tauf und sunst durch sein
heyligs götlichs Wort') vor allem anzusehen verpflicht und
schuldig seyen, der unzweyfenlichen Zuversicht, euer Kön.
Durchleuchtigkeyt, Liebden^) und ir die andern werden uns,
als wir auch hievor freündtlich gebeten haben, darin freündt-
lich, gnedigklich ^) und gutwilligklich entschuldigt halten, das
wir mit euem Kön. Durchleuchtigkeyt, Liebden und euch*)
andern obberiirter Artickel halben in dem nicht eynich sein,
noch in^chem dem merem, wie etlich mal uf disem Reychstag
hat fürgewandt werden, gehorchen wollen, in Bedacht und
angesehen, das wir °) solchs vermög des vorigen Speyrischen
Reychsabschid, der sunderlich in dem angezogen Artickel
lauter darthut, das solcher Artickel durch ein einmütige Ver-
einigung, und nicht allein den merer Teil, also beschlossen
worden, darumb auch ein solcher einmütiger Beschluß von
Erberkeit, Billigkeyt und Rechts wegen änderst nichts dann
widerumb durch ein einhellige Bewilligung geendeit werden
soll, kan oder mag, zusampt dem,^) das auch on das in den
^) in der Tauf usw. . . . Wort: Zus. in K. ') Liebden: fehlt in 0.
') gnedigklich : fehlt in K, weil König Ferdinand hier nicht angeredet wird.
*) K: euch den andern. '^) 0: das je wir. *) der sunderUch . . .
bis zusampt dem: Zus. in K.
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— 69 —
Sachen Gottes Eere und ^) unser Seelen Heyl und Seligkeit ^)
belangend ein yeglicher für sich selbs vor Gott stehen und
Kechenschaft geben muß, also das sich des Orts keiner auf
ander minders oder merers Machen oder Beschliessen ^) ent-
schuldigen kan, und auß anderen redlichen gegründten guten
Ursachen zu thun nit schuldig sein.
Und damit euer Kö. Dui'chleuchtigkeyt, Liebden, auch
ir die andern und sunst menigklich, an die dise Handlung
gelangen möcht, unser Beschwerden, auch Grund und Ur-
sachen, *) warumb wir uns in berürten Sachen mit euem Kön.
Durchleuchtigkeyt, Liebden und euch den andern dißmal nit
vergleichen können, nochmals und eygentlich zu vernemen
haben, so ist öffentlich am Tag und nit zu verlaugnen, das
der Leer halben in unser christlichen Religion von vil Stück
und Artickel wegen ein Zeyt lang biß here Zwispalt gewest.
Woher aber solcher Zwispalt verursacht und geflossen, das
waiß Gott zuforderst, des Gericht wir auch alle Sachen heym-
stellen, und ist zum teyl auf dem Reychstag zu Nürm-
berg durch den bäbstlichen Legaten laut seiner Werbung und
Instruction ^) damals gethan und übergeben, auch sunst durch
vil Churfürsten, ®) Fürsten und andere Stende des Reychs, die
doch zum teil auch euers') Teyls sein, selbs bekandt, wie
dann auf gemeltem Reychstag zu Nürmberg von den welt-
lichen Reychsstenden unser aller Beschwerden in achtzigk
Artickel verzeichend und gedachtem bäbst. Legaten uber-
antwort®) die auch fürter öffentlich im Druck außgangen,
*) Gottes Eere und: Zus. in K. *) 0: unser Heil und Zelen Selig-
keit. *) Machen oder Beschliessen: Zus. in K. *) auch Grund und
Ursachen: Zus. in K. *) Vgl. S. 35, Anm. 5. **) 0: und Fürsten.
^ In D Druckfehler: eins. *) Die Beschwerden der weltlichen Stände
waren auf dem Nürnberger Reichstage zwar (etwa am 8. Februar 1523)
noch vor der Abreise des päpstlichen Legaten (16. Februar) fertig gesteUt
worden, wurden ihm jedoch nicht mehr persönlich übergeben. Sie wurden
ihm aber nachgeschickt. Vgl. 0. Redlich, Der Reichstag von Nürnberg
1522-23, S. 144 f.
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— 60 —
wie dann dieselben Beschwerden und Mißpreuch noch nicht
abgethan und der noch viel mer vor Augen') seind.
Und obwol zur selben Zeyt und hernach, *) auch yetzt
hie auf allerley Wege gedacht, so ist doch auf allen Eeychs-
tägen allzeyt') dafar angesehen worden, das den Sachen zu
allen Seyten nicht bequemlicher Mittel und Maß weiten*) zu
finden sein, dann das ein frey gemein christlich Concilion
oder zum wenigsten*) Nationalversamblung aufs ehest ge-
macht und außgeschriben würde. Und das zeygen wir yetzt
keiner andern dann getreuer, christlicher,*) freündtlicher,
dienstlicher ') guter Meynung und darumb an, das euer Kö.
Durchleuchtigkeyt, Liebden und ir die andern, auch mennigk-
lich darauß abnemen und sich selbst erinnern mögen, wann
sich gezymmet oder gepüret,®) einem Teyl Abstandt und*)
Verurteylung der Leere, zu Gottes Eere und der Seele ^®)
Heyl und Seligkey t gehörig, ^^) die er als für^*) christlich
heltet, fürt und in seinen Landen und Gebieten füren und
geen leßt, vor einem freyen christlichen general Concilion auf-
zulegen, das durch Kay. May. verordente Stathalter, Com-
missarien, Oratores, auch Churfur., Fürsten und andere
Stende des Reichs nit so oft und statlich von gemeltem Con-
cilion geredt und gehandelt worden were und noch würde,
die zwispaltigen als zweifenlich Leren und Sachen, die*^
sie selbst nit gewiß sein, zu hörn'*) und zu handeln.^*)
Das uns aber yetzt auf unserm Teil nach Inhalt und
Meynung etlicher Puncten und Artickel, so diß Zwispalts im
Glauben und Fridens halben gestelt, solchs begegend und nit
allein schweygend, ^®) sunder auch offenbarlich wolt aufgelegt
*) wie dann usw. bis vor Augen: Zus. in K. •) 0: darnach.
•"O 0: also. *) 0 Schreibfehler: wol. *) 0: zum wenigsten ein.
•) getreuer christlicher: Zus. in K. ') dienstlicher: fehlt in K. *) wann
usw. bis gepttret: Zus. in K. ») 0: oder. *®) 0 Schreibfehler:
derselben. »') zu Gottes usw. bis gehörig: Zus. in K. ") 0: vor.
") 0: der. ") 0: verhorn. ") die zwispaltigen usw. bis handeln:
Zus. in K. >«) 0: stilsweigendt.
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— 61 —
werden, ist auß nachvolgender Anzeygung gnug zu ver-
mercken und za verstehen:
Dann also haben etliche^) im Außschuß in irem erst-
gesteltem und den zehenden Tag dises Monats Aprilis wider ^)
übersehen, auch in etlich andern Stücken geendertem Begriff
gesatzt, das sich ChnrfEirsten, Fürsten und ander Stende,
unter welchen wir gleich euem Liebden und euch den andern ')
begriffen und gemeint weren, yetzt hie mit einander ent-
schlossen betten, das diejhenigen, so bey dem vorbestimpten
keyserlichem Edict biß anhere blieben, nun hiufüro auch bey
demselben Edict biß zu künftigem Concilion verharren und
ir Underthan darzn halten selten und wolten usw. Das uns
ye als denjhenen, die solch*) Edict in allen Stücken mit
gutem Gewissen nicht halten noch vollziehen*) mögen, wie
dann auf vorigen Reychstägen nicht allein bey uns, sunder
anch mer andern Seychsstenden bedacht,®) zum Iiöchsten be-
schwerlich und vor Gott mit nichte zu verantworten were,
yemandt hohes oder niders Stands') durch unser Mitent-
schliessen von der Leere, die wir auß gründtlichem Bericht
Gottes ewigen Worts unzweyfenlich ^) für götlich und christ-
lich achten, abzusundern und wider unser selbst Gewissen,
als obstehet, unter das angezogen Edict zu dringen.
Aber wir untersteen uns gar nicht®) anzufechten, wie
es euer Kön. Durchleuchtigkeyt, auch ein yeder unter euern
Liebden und euch den andern ausserhalb gemelter unser Mit-
vergleychung ^^) oder Entschliessung nach dem Edict oder sunst
für sich selbst und mit den L:en halten wil, allein das wir Gott
teglich und hertzlich ^^) bitten, das sein götliche Gnad uns alle
zu sein und unser selbst rechten waren Erkantnuß erleuchten
und seinen heyligen HJeyst geben wöl, uns in alle Warheyt
*) 0 Schreibfehler: sich etliche, *) 0: widerumb. *) den
andern: fehlt in K. *) K: k. Edict. *) In D Druckfehler: ver-
ziehen. •) wie dann usw. bis bedacht: Zus. in K. ') Man beachte
das: niders Stands. •) Zus. in K. •) 0: nichts. *<>) 0:
Mitrerwilligung. ^') teglich und heitzlich: Zus. in K.
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— 62 ~
zu leyten, dadurch wir zu Einhelligkeyt eins rechten, waren,
liebreychen, seligmachenden christlichen Glaubens kummen')
durch Christum, unsem eynichen Gnadenstul, Mitler, Für-
sprecher und Heyland. Amen.-)
Dann nachdem der Zwispalt öffentlich vor Augen und
wie obgemelt durch den Gegenteyl zum teyl selbst bekandt,
das der auß irem Verursachen entsprungen ist, das auch von
gemeltem Widerteyl selbst gestanden und nicht verneynt
wurdet, das die Leere bey uns in vil Stücken, die doch das
kayserlich Edict auch anrürt, gerecht sey und allein in
etlichen Puncten und Artickeln wider einander streyte, hat
menigklich erbars Verstands und Gemüts leichtlich zu er-
messen, wann wir euer Kön. Durchleuchtigkeyt, euer Lieb
und euer der andern*) yetz begriffen Meynung mit euer
Kö. Durchleuchtigkeyt, euer Lieb und euch den andern*)
beschliessen solten, das darauß ervolgen und uns aufgelegt
würde, das wir wider unser eygen Gewissen die Lere, so
wir bishere unzweyfenlich für christlich gehalten und noch
dafür achten,'^) nun selbst als unrecht urteyln, dieweyl wir
mit beschlussen, das wider*) dieselben das kayserlich Edict
stat haben solt. ')
Welchs dann noch klerlicher auß des angehenckten Punc-
ten Widersyn ®) vermerckt wirdet, der also laut : Und aber
bey den anderen Stenden, bey denen die ander Leere ent-
standen und zum teyl on mercklich Aufruren, Beschwerdt
und Geverde nicht abgewendt werden mag, sol doch hinfüro
alle weyter Neurung biß zu künftigem Concilion sovil möglich
und menschlich verhüt werden usw. Wie dann mennigklich
darauß arguirn und sagen möcht, wir hetten durch solchen
^) In K steht hier noch der Znsatz : und darin ewiglich besteen mögen.
*) Man beachte die hier ausgesprochene Ton wahrer christlicher Toleranz
zeugende Gesinnung. ') Kön. Durchl. usw. bis anderen: fehlt in K.
*) Statt: euer Kön. Durchl. usw. bis andern st^ht in K einfach: euch.
*) dafür achten: fehlt in K. «) In D Druckfehler: wir. ') Der Schluß-
satz: dieweyl wir ... bis solt: fehlt in K. *) Widersyn: Zus. in K.
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— 63 —
Abschid bekendt, das unser christliche Leere, Meynung und
Haltung so unrecht und dermaßen gestalt weren, wann die
on mercklich Aufruren, Beschwerd und Geverde abgestelt
werden möchten, das es billich geschehen solt, oder wir müsten
zum wenigsten stilschweygend ^) einreumen und bekennen,
das wir nicht recht gegründet oder also nötig Punct und Artickel
im Glauben betten. Das wir aber, wir werden dann zu
einem künftigen Concilion oder sunst mit heyliger, reyner,
göttlicher-) biblischer Schrift änderst gewisen, diser Zeyt
gar nicht zu gestehen^) noch zu thun wissen.
Was were auch das anders, dann nicht allein still-
schweygendt, sunder öffentlich unsers Herrn und Heylands
Christi und seins heyligen Worts, das wir on allen Zweyfel
pur, lauter, reyn und recht haben, *) verlaugendt und dem Herrn
Christo Ursach geben, uns vor seinem hymelischen Vater auch
zu verlaugnen und nicht zu bekennen, das er uns von Sünden,
Todt, Teufeln und der Helle erlöst hette, wie er dann allen
den, die inen und sein heylig Wort nit frey und öffentlich vor
den Menschen bekennen, im Evangelio*) erschröckenlich
troet. So stehet die recht Bekantnuß nicht allein in plossen
Worten, sunder in der That, wie zur Notturft weyter dar-
gethan werden mag.®)
Zu was mercklicher und verdümblicher Ergernuß ') und
Abfall*) dann solchs nicht allein bey unsem christlichen,
sunder auch bey des Gegenteyls guthertzigen Underthanen das
*) zum welligsten stüschweygendt : Zus. iu K. ^) göttlicher: Zus.
in K. ') In D Druckfehler: geschehen, zu gestehen: Zus. in K.
*) das wir usw. bis haben: Zus. in K. In 0 lautet der Satz: das wir on
aUen Zweyfel vor lauter, reyn vnd recht halten. Im Konzept stand hier
nach „seins heiligen Worts" der nachträglich durchstrichene Satz : das doch
ein IgÜcher Christ bei yerlust (am Bande statt dessen: als blieb ihm)
seiner seien selickeit vor allen menschen und zu allen Zeiten frei und
öffentlich bekennen soU. *) Im Evangelio: Zus. in K. ^) Der Satz:
So stehet ... bis werden mag: Zus. in K. ") 0: verdumlicher Er-
genmg. ^) und AbfaU: Zus. in E.
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— 64 —
gedeyen und reychen würde, wann sie hörten, das wir uns
mit euer Kön. Durchleuchtigkeyt, Liebden und euch den an-
dern entschlossen hetten, das ir bey dem Edict verharren und
euer Underthan auch darzu halten solt, also ob gleich Gott
der AUmechtig yemandt zu Erkantnuß seins heiligen allein
seligmachenden Worts erleuchtet, das der oder dieselben das-
selbig nicht annemen solten oder dörften, das kan ein yeder ^)
christlicher Biderman nit schwer bedencken und erkennen, ^
als sich auch etlich Oberkeyten euers Teyls gegen im Under-
thanen damit zu beschönen unterstehen möchten, das wir uns
eins solchen mit euern Kö. Durchleuchtigkeyt, Liebden und
euch den andern hetten entschlossen, dainimb so mußten sie
es also halten und thun.
Wo wir uns auch mit euern Kön. Durchleuchtigkeyt,
Liebden und euch den andern des entschlössen, das die jhenen,
so bißhere bey dem Edict blieben sein, hinfuro biß auf ein
künftig Concilion auch darbey verharren solten usw., bekendten
wir wie vorgemelt nit allein, das euers Teyls Meynung ge-
recht, sunder auch das*j das Edict noch in esse were und
sein solt, das doch durch den vorigen Speyrischen Reychs-
abschid, wie sich aus aller Handlung erfindet, suspendirt und
aufgehaben ist, also das sich ein yeglicher Reychsstand *) in
solchen Sachen das Edict berürend für sich selbst mit den
Seinen also halten, leben und regieren mag, wie er das zu-
forderst*) gegen Gott und Kay. May. hoff zu verantworten.
Darumb wir uns mit solchem unverschuldten Joch des Edicts
nicht mer beschweren lassen könnten.
Wir seind auch ungezweyfelt, es sey Kay. May. Will,
') 0: iglicher. •) das kau usw. bis erkennen: Zus. in K.
•) K: daß auch. *) Reychsstand: Zus. in K. "*) Man beachte das
„zuforderst^. Das erinnert an die bei dem Reichstage von 1526 von dem
großen Ausschusse zuerst vereinbarte Fassung der bekannten Klausel, in der
es ausdrücklich heißt : „gegen Gott z u v o r a b und darnach gegen kaiser-
liche Majestät". Vgl. meine Schrift: Der Reichstag zu Speier 1526, Ham-
burg 1889, S. 39 f.
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- 65 —
Gemüt oder^) Meynung Dicht, wie wir dann unser Leeren,
Leben, Regieren, Thun und Lassen in solchem gegen Gott
dem Ällmechtigen und irer Kay. Ma. als einem chiistlichen
Kayser auf waren gründtlichen Bericht der Sachen wol zu
verantworten hoffen und vertrauen.
So hat es des Artickels halben die Meß berürendt der-
gleichen und vil mer Beschwerung. Dann wir seind unge-
zweyfelt, euer Kön. Durchleuchtigkeyt, Liebden und ir die
andern haben vor dieser Zeyt zur Notturft gehört und ver-
nummen, welcher gestalt unsere Prediger und Leerer die
bäbstlichen Meß, wie di ein Zeyt lang bißhere gepraucht und
gehalten worden seind, mit heyliger, götlicher, unüberwindt-
licher, bestendiger ^ Schrift aufs höchst angefochten und nider-
gelegt, auch dagegen das edel köstlich Nachtmal unsers lieben
Herrn und Heylands Jesu Christi, so die evangelisch Meß
genannt würdet, nach Christi, unsers eynichen Meysters, Ein-
satzung und Exempel, auch seiner heyligen Apostel Gebrauch *)
aufgericht haben. Solten wir nun in einen solchen Begriff
oder Beschluß, wie der im Außschuß der Meß halben gestelt
ist, gehelen oder willigen, möcht abermals kein *) anders ver-
standen werden, dann das wir unser Prediger Leeren, die
wir doch für christlich und besten dig halten, in dem Stück
als wol als in dem vorigen*) zuwider weren und dieselben
als unrecht urteylen hülfen, das doch durch Verleyhung der
Gnaden Gottes unser Gemüt gar nicht ist, auch mit keinem
guten Gewissen geschehen kan, ®) Euer König. Durchleuchtig-
*) 0: und. *) unüberwindlicher bestendiger: fehlt in K.
^ nach Christi usw. ... bis Gebrauch: Zus. in K. *) 0 Schreibfehler:
ein. *) 0: andern vorigen. *) Die vorausgehenden Worte zeigen
klar, daß die evangelischen Fürsten bei ihrer Verwerfung des Artikels
von der Messe das Hauptgewicht auf die Bestimmung legten : „Desgleichen
sollen die Amter der belügen Messe nicht abgetan" werden. Die evan-
gelischen Fürsten hatten in ihren Gebieten mit Zustimmung der meisten
Geistlichen und zur Freude des größten Teües der Gemeinden die Ämter
der Messe (SeelenSmter usw.) abgetan und statt derselben das h. Abend-
Ney, Appellation nnd Protestat ion. ^
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— 66 —
keyt, Liebden und ir die andern, ja menigklich mOgen auch
wol bedencken, wann wir in unsern Stetten, Flecken und
Gepieten zweyerley einander widerwertig Messen halten
lassen würden, obgleich die bäbstisch Meß nicht wider Qott
und sein heyUges Wort were, welchs doch nymermer mag
erhalten werden, ^) das dannocht auß solchem bey dem ge-
meinen Mann, sunderlich bey den jhenen, die ein rechten Eyfer
zu Gottes Eere und Namen haben, nichts weniger dan wider-
wertigs Predigen, Widerwertigkeyt, Aufrur, Entpörung und
alles tJnglfick volgen und gar zu keinem Frid noch Eynigkeyt
dienen wfirde.
Das aber von euem Kön. Durchleuchtigkeyt, Liebden und
euch den andern die berurten bäbstischen Messen, wie die
ein Zeyt lang bißhere gehalten und gepraucht worden seind,
gemeint sein und der Begriflf von denselben verstanden werden
muß, haben wir aus dem leychtlich abzunemen, das der gemelt
Begriflf allein auf die Örter gericht, da die ander Leere, wie
sie genandt wUrdet, entstanden, und gar nicht auf euer Eon.
Durchleuchtigkeyt, Liebden und euer der*) andern Obrig-
keyten und Gepiete.
Und darumb uns nicht unbillig befrembd, das euer Kön.
Durchleuchtigkeyt, Liebden und ir die andern fürnembd, uns
und andern, so diser Leere, das ist dem lautem reynen Wort
Gotts, anhangen, in dem ein Maß unser Underthan halben zu
setzen und in unsern Stetten, Flecken und Gepieten Ordnung
und Regiment zu machen, *) welchs euer Kön. Durchleuchtig-
keyt, Liebden und ir die andern im Gegenfall ungern, auch
mahl in evangelischer Weise eingeführt. Sie verwahren sich nun — gewiß
mit aUem Bechte — dagegen, daß der neue Abschied ihnen dies verbietet
Und gewiß ist es nicht Intoleranz, die sie zu ihrem. Proteste hiegegen be-
wegt (Vgl Einleitung S. 21 f.) *) obgleich usw. ... bis werden: Zus.
in K ') der: fehlt in 0. ') und in usw. bis machen: Zus. in K.
Diese nachträgliche Einfügung gibt ein nicht unwichtiges Motiv zu dem
Proteste der evangelischen St&nde an, die in der Bestimmung über die
Messe einen Eingriff in ihre — von aUen Beichsständen sehr hochgehaltenen
— obrigkeitlichen Bechte erblickten.
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darf&r wirs achten, gar nit würdet leyden wollen. So ir doch
billich die Gleycheit bedencken und vil weniger^) wider das
sein solt^ das wir uns mit den Unsem in unsem Stetten,
Flecken, Obrigkeyten nnd Gepieten*) des Nachtmals Chiisti
als der evangelischen und allein in gOtlicher Schrift ge-
grondten Messe nach *) desselben unsers Heylands Jesu Christi
offenbaren und unwidersprechlichen Einsatzung einhelligklichen
gebrauchen, dann das ir ungern het oder*) gedulden würdet,
euem Liebden und euch den andern in iren Stetten und
Flecken die bäbstischen Messen oder etwas anders dergleichen,
das götlicher Einsatzung, auch aller seiner heyligen Apostel
Geprauch*) zuwider und allein auf Menschen Gedicht und
Erfindung gegründet ist, weren oder daran eynich Verhinde-
rung thun zu lassen.^)
Derhalben und dieweyl die Leere auf unsem Teyl in un-
sem Landen und Oberkeyten mit götlicher ') unüberwundener
Geschrift gegründet, wider die bäbstischen Messen obgemelter
Massen gefurt und nun solcher Artickel nicht der geringst
ist, so in einem christlichen Concilion zu handeln von nöten
sein will, so betten wir uns, zu dem das auch das Auß-
schreyben zu disem Reychstag in Kay. May. Namen beschehen
und außgangen, welchs auch am datum jünger ist, dan der
vorgemelt Gewaltsbrief und die Instmetion, ®) noch dieselb •)
verlesen Instraction nichts von disen oder andern dergleichen
Artickeln melden, gar nit versehen, das über unser hievor
^) vil weniger: Zus. in E. *] in unsem nsw. ... bis Gepieten:
Zus. in K. . •) In D Druckfehler: noch. *) 0: und. *) auch
aller usw. ... bis Geprauch : Zus. in K. ^) Die hier gebrauchte Fassung
(vgl das „wider das sein sollt, das wir uns . . . gebrauchen" und „ir ge-
dulden würdet, • • . euem Liebden und euch die bäbstischen Messen . . .
weren und daran eynich Verhinderung thun zu lassen") beweist
meines Erachtens unwidersprechlich, daß die ey. Stände gegen den Artikel
"wegen der Messe besonders deshalb protestierten, weil sie in dem Verbot
des Abtuns derselben zugleich ein Verbot der eyangelischen Abendmahls-
feier erblickten. ^ 0: und unüberwundener. ^) und die InstiHk-
tion: fehlt in K *) E: die.
6*
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vilmals gethan Anzeygen und christlich Erinnerung ob dem
dermassen solt gehaft werden.
Wiewol auch öffentlich am Tag ligt, was wir in unsem
Landen und Obrigkeyten des heyligen Sacraments halben des
Leybs und Bluts unsers Herrn und Heylands Jesu Christi
predigen und halten lassen, das derhalb weytleuftig Anzey-
gung zu thun on not, so wissen wir doch gleychwol nochmals,
wie wir uns hievor auch haben vememen lassen, auß vil-
faltigem Bedencken und guten christlichen Ursachen nit für
bequem oder flirtreglich anzusehen, das der Leere halben, so
dawider, ein solch Vorordnung oder wie der Begriff vermag
yetzt auf disem Reychstag gemacht werden solt, und sunder-
lich dieweyl Kay. May. Außschreyben auch nichts davon
meldt, das auch die jhenen, so dieselben Sach berliren, nicht
erfordert noch verhört worden seind. Und ist warlich wol
zu bewegen und zu betrachten, wann solche schwere und
wichtige^) Artickel ausserhalb des künftigen Concilion für-
genummen oder darin on nottürftig und gebttrlich*) Verhöre
aller der, so die Sach berürt, ein Erkantnuß oder Ordenung
zu machen unterstanden, zu was Glimpf und Unrichtigkeit
solche Kay. May., euem Kön. Durchleuchtigkeyt, Liebden, uns
und andern Stenden des Reychs gekert und verstanden^)
werden möcht
Item als weyter in des Außschuß Begriff gesetzt ist, das
die Prediger das heylig Evangelien nach Außle^ng der
Schriften von der heyligen christlichen Kirchen approbirt und
angenummen predigen und leeren sollen, das ging wol hyn,*)
wann wir zu*) allen Teylen eynig weren, was die recht
heylig christlich Kirch. Dieweyl aber derhalben nicht der
kleinst •) Streyt und kein gewiser Predig oder Leere ist, dann
allein bey Gottes Wort zu bleyben, als auch nach dem Be-
*) schwere und wichtige: Zus. in K •) In D Drnckfehler: un-
gebttrlich. ') and verstanden: Zns. in E. ^) Vogler hatte in K
zuerst geschrieben: das were wol recht. *) 0: in. •) 0: nit
ein klein.
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velch Gottes nichts anders gepredigt werden sol/) und da
einen Text heyliger götlicher*) Schrift mit dem andern zu
erklem und aufzulegen, wie auch dieselbig heylig göttlich
Schrift in allen Stocken, den Christenmenschen zu wissen
von nötten, an ir selbst klar und lauter gnug erfunden würdet,
alle Finstemuß zu erleuchten, so gedeneken wir mit der
Gnad und Hilf Gottes entlich ') bey dem zu bleyben, das
allein Gottes Wort und das heylig Evangelion alts und neus
Testaments in den biblischen Büchern verfast lauter und reyn
gepredigt werde und nichts, das dawider ist. Dann daran
als an der eynigen Warheit und dem rechten Richtscheyd
aller christlichen Leere und Lebens^) kan niemandt irren
noch feien, und were darauf bauet und bleybt, der bestehet
wider alle Porten der Hellen, so doch dagegen *) aller mensch-
licher Zusatz und Thand fallen muß und vor Gott nicht be-
steen kan.*)
Das aber auch vorgemelter Begriff zu Erhaltung Frids
und Eynigkeyt im Eeych mitler Zeyt des Concilion nit fürder-
lich noch dienstlich, sunder gestracks dawider, ist auch auß
dem klerUch abzunemen, das, wie hievor gemelt,^) im ersten
Punct gesetzt würdet, daß die jhenigen, so biß anhere bey
dem Kay. Edict blieben, nun hinfuro auch darbey verharren
sollen und*) wollen, und wirdet darinnen kein ünterschid
gemacht, ob und wie weyt sich solche Verpflichtung auf die
Feen des angezogen Edicts erstrecken sol, wie es dann nach
laut der gemeinen Wort änderst nicht kan verstanden werden.
Als dann etlichen unsem Geystlichen von andern Obrigkeyten
berejrt an im Schein gemelts Edicts ') begegend, dieweyl sie
sich irs Gewissens halben auf Gottes Wort gegründet dem
') als auch usw. ... bis 8oU: Zus. in K. •) In 0 fehlt: götlicher.
•) = endgiltjg, definitiv. ^) als an usw. ... bis Lebens: Zus. in K.
^) doeh dagegen: fehlt in K. *) Man beachte die dogmatische Bedeu-
tung dieser AusftUirung tfber Gottes Wort. ') wie hievor gemeh: Zus.
in K. In D rtatt: wie Druckfehler: wir. ^) 0: oder. ») K: ge-
melts Edicts halben.
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Edict nicht gemeß halten, das understanden würdet, den-
selben unsem zugehörigen Underthanen über den vorigen
Speyrischen Eeichsabschied ire Zehend,^) Renth, Zyns, GUld,
Scholdt, Erbschaft und anders in ander Obrigkeyt nnd Ge-
pieten gelegen ') on nnd wider Recht mit Gewalt ') zu nemen
nnd voi'znhalten. Und ist wol zu achten, was weyter der-
gleichen nnder demselben angemasten Schein f&rgennmmen
werden und zu Gegenhandlung Ursach geben möcht, das dan
ye zu Erhaltung Frides und Eynigkeyt wenig oder gar nichts
gedeyen, *) zu geschweygen, wann sich yemandt euers Teyls *)
unterstehen würde, im Schein des Edicts und vermeinter Acht
und Aberacht als der Peen desselben •) gegen uns oder andern
unsers Teyls mit gewaltiger That zu handeln und vermeinlich
zu nöten, das zu thun, das wider Gott, sein heyligs Wort,
unser Seelen und gut Gewissen ist.
Es kan aber') ein yeglicher wol bedencken, was einer
christlichen Obrigkeyt in solchem zu Erhaltung Gottes Worts,
Eerens und Namens, auch ir selbst und irer Underthanen
Seelen, Leybs, Lebens und Guts zu Befridung, Schutz und
Schirm zu thun®) gepüren wil. Damm es*) ye billich in
solchem bey dem Artickel in vorigen Speyrischen Reichs-
abschid verfast bleybt, der das Edict umb Frides und Eynig-
keyt willen, auch auß andern guten christlichen Ursachen
suspendirt und aufhebt
Und ^®) auß dem allem würdet nun lauter gnug vermerckt
und öffentlich erwisen, das der vorig Speyrisch Reychsabschid
zu Frid und Eynigkeyt mer dann der Begriflf des vorgemelten
Artickels fürderlich und dienstlich, wie dann solcher Abschid
^) Zehend: Zus. in K. *) in ander ... bis gelegen: Zns. in KL
In 0 fehlt: nnd. ») mit Gewalt: Zus. in K. *) In K steht
hier noch: würde. *) yemandt euers Teyls: Zns. in K. Hier ist in K
durchstrichen: einich Oberkey t. «) als der Peen desselben: fehlt in K.
') K: auch. *) zu Befridung usw. bis thun: Zus. in K. 0: Schreib-
fehler statt „Schutz und": so tzum. •) In 0 Schreibfehler: Darum
ist es. 10) Und: Zus. in K
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— 71 —
vermag der Instruction, so dazumal an die Kay. May. be-
griffen, durch Churfürsten, Fürsten und alle andere Stende
des Eeychs hievor dafür augesehen worden.^) Und so über
solchen vorigem lautem Abschid, darin das kayserliche Edict
wie obstehet suspendirt, *) nit überblieben oder unterlassen')
ist, in vermeintem Schein desselben den Unsem das Ir mit
Gewalt oder on Recht*) in ander Obrigkeyt Gepieten*) zu
nemen und aufzuhalten, was wolt dann yetzt von unsem
Widerwertigen, so zum Teyl on das Widerwillen,*) Zanck,
Hader und keinen Friden suchen, geschehen, wann inen die
Thür des Edicts halben, wie der gestelt Begilff will, wider
geöffendt und von dem vorigen fridlichen Spejrischen Ab-
schid'O gegangen würde?
Es können auch euer Kön. Durchleuchtigkeyt, Liebden
und ir die andem nicht erhalten, wann die Wort in vorigem
Speyrischen Eeychsabschid begriffen, das ein yeglicher Reychs-
stand mit seinen Underthanen^ mitler Zeyt des Concilion in
Sachen das Edict belangend für sich also leben, regieren und
halten mög, wie er das gegen Gott, dem allerhöchsten und
in seinem Gericht, auch hie zeytlich gegen Kay. Ma. als
unser ordenlichen weltlichen Oberkeyt, hofft und vertraut zu
verantworten, yetzt nicht, sunder die vorgemelten Punct oder •)
Artickel gesetzt werden, das dadurch voriger Reychsabschid
nicht aufgehaben, sunder allein erklert sei. Dann es öffentlich
ein gantze Aufhebung vorigs Artickels und allen christlichen
Reychsstenden nicht mer zugelassen were, das sie sich in
allen Stücken nach Gottes Wort und ihrem rechten guten
Gewissen halten dörfen, wie sie solchs gegen Gott und Kay.
May. wol zu verantworten hofften und vertrauten, und mag
mit keinem Grundt angezeygt werden, das es solche Wort
') Vgl. S. 40, Anm. 2. *) darin das usw. ... bis snspendirt:
Zus. in K. *) oder unterlassen: fehlt in K. ^) 0 statt on Recht:
Unrecht. •) in ander Oberkeyt Gepieten: Zus. in K. •) Wider-
wiUen: fehlt in E. ^ In K fehlt: fridlichen. In 0 heißt es: Reichs-
Abschied. ^) mit seinen Underthanen: Zus. in K. *) 0: und.
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— 72 —
sein, die einem jeden sollen zulassen,^) mitlerweyl eins
Concilions alles nach eygenem Gutbeduncken und Gefallen
fiirzunemen oder zu thun, wie etlich, die-) on Zweyfel nit
vil von Gottes gerechten*) und gestrengen Gericht, dahin
solch Verantwortung zuforderst *) gehört, halten oder wissen, *)
davon reden. So ist auch vor angerürt, wer den Speyrischen
Abschid *) mißpraucht oder dawider gehandelt hat.
Wir mögen auch gegen einem yeglichen, der uns auf-
zulegen vermeint, als solt oftgemelter Keychsabschid durch
uns mißbraucht sein, an allen Enden, dahin wir ordenlich
gehören. Recht ') und alle Billigkeyt wol leyden, darzu wir
uns hiemit vöUiglich erpieten. ®) Uns ist auch nit entgegen,
wann man ye besorgen, •) das mer berürter Artickel zu einem
Deckel neuer unchristlicher Leere gezogen werden wolt, das
der, inmassen wir auf eur Lieb und der andern Zulassen
unvorgriflTenlich ^^) ein christliche Erklerung gestelt und in
großen Außschuß geben *^) haben, erklert und nicht, wie euer
Concept vermag, an seiner rechten Substantz so gantz ^^) auf-
gehaben werde, sunder nach dem Buchstaben bei Wirden und
Kreften bleyb.
Und dieweyl wir dann zu Römischer Kay. May. als einem
christlichen Kayser und unserm allergnedigsten Herrn der
*) 0: zulassen soUten. *) 0 Schreibfehler: der. *) 0 Schreib-
fehler: gerichten. *) Vgl S. 64, Anm. 5. Die obige Ausiegang des
Abschieds Yon 1526 zeigt klar, welche Tragweite die eyangeiischen Fürsten
demselben beimaßen. *) gerechten usw. ... bis gehört: ist in K ein
nachträglicher Zusatz am Bande. Statt gerechten stand hier zuerst Ge-
richten. Man fühlt Vogler die sittliche £utrü9tung über eine solche Aus-
legung des Abschieds von 1526 ab. Offenbar ist aber ähnliches damals
mehrfach in Speier geäußert worden. ^) 0: Eeichs Abschied. ') 0
Schreibfehler: Gerecht *) darzu usw. ... bis erpieten: fehlt in K.
Die eyangeiischen Fürsten mögen erst bei Diktierung der Protestation die
Vollmacht zu dieser Beifügung ihres Erbietens zu gerichtlichem Austrage
gegeben haben. •) K: besorgen wolt. ^^) unvorgriffenlich : Zus.
in K. In D Druckfehler: un vergriff enlich. '0 ^^^ hi großen Außschuß
geben: Zus. in K »*) so gantz: Zus. in K. Vgl. hiezu S. 42, Anm. 1.
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— 73 —
gantzen unzweyfenlichen und tröstlichen^) Zuvei'sicht sein,
wo ir*) Kay. May. der Ding, wie die zum teyl yetzt von
uns*) erzelt und sunst ferner mit rechtem Grundt*) weren
bericht worden, ir Kay. May. würden sich zu dem, wie die
verlesen Instruction berttrts Artickels halben*) vermag, mit
nichte haben bewegen lassen, wie dann auß irer Kay*) May.
Außschreyben und Gwalt, als wir nicht anders wissen, lauter
gnug erfunden wurdet, das in allweg') davon geredt, gehan-
delt und geratschlagt werden sol, auf das Frid und Eynigkeyt
im Eeych meg erhalten werden. Darauf wir neben euer Kon.
Durchleuchtigkeyt, Liebden und euch den andern Stenden
alle unser färgenummene Handlung und in allem unserm
Thun *) nichts dann vor allen Dingen Gottes Eere, auch unser
aller Seelen Seligkeyt, christlichen Frid und Eynigkeyt ge-
sucht haben und noch nichts anders begern. Das*) können
und wollen wir mit Gott, dem Allmechtigen und eynigen
Erforscher und Erkenner aller Hertzen, bezeugen. Der-
halben und wo es die Meynung gehabt, das es von wegen
vilgemelts Artickels bey der verlesen Instruction föglicher
und bequemer Weyß^^) bleyben sollen, het es dises Falls
des Außschuß, auch solcher Beratschlagung, Bewegung und
Hsmdlung gar nicht bedörft, damit ir doch auch euers Teyls
von der fürgelegten oder verlesen Instruction, darzu auch
sunst von Kay. May. Außschreyben gangen seyt.^^)
Dem allem nach wollen wir uns zu euer Kön. Durch-
leuchtigkeyt, Liebden und euch den andern als unsem lieben
-) und tröstlichen: fehlt in 0. *) 0 Schreibfehler: ewer. •) von
und: Zus. in K. In 0: itzt zum Teyl von uns. *) mit rechtem Gnindt:
fehlt in K. ^) berürts Artickels halben: Zus. in E. ^) In D Druck-
fehler: KCn. ^ in aUweg Zus. in E. ^) in allem . . . Thun: Zus,
in E. ») 0 Schreibfehler: Dan. ^^) füglicher . . . Weyß: Zus.
in K *') damit ir usw. ... bis seyt: Zus. in E. — Treffende Be-
merkung gegenüber der während des Reichstags sicher mehrfach gefaUenen
Äußeningy die Stände müßten den in der Instruktion ausgesprochenen
WiUen des Eaisers einfach erfüUen.
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— 74 —
und gnedigen*) Herrn Oheymen, Vettern, Schwegern, Freun-
den^) und besunder Lieben versehen, als wir auch abermals
freündtlich bitten und gütlich begeren, ir werdet und wollet
Gelegenheyt der Sachen nochmals zu Gemüt füren und unser
Beschwerung, auch derselben Grundt und Ursachen mit Fleyß
betrachten und euch wider den vor einmütigklich *) beschlossen,
verpflichten, verbrieften und besigelten Abschid mit nichten
bewegen lassen noch handeln, wie dann niemandt ^) desselben
auß angeregten*) und andern gegründten Ursachen, die wir
dißmals um des pesten willen zu melden unterlassen, Fug,
Macht oder*) Recht hat.
Und wo aber ye dises dritt Anzeigen unser mercklichen
Beschwerden bey euern Kö. Durchleuchtigkeyt, Liebden und
euch den andern kein Stat finden noch haben wolt, so pro-
testirn und bezeugen wir hiemit öftentlich vor Gott, unseren
eynigen Erschaffer, Enthaltern,') Erlösern und Seligmachem,
der wie vorgemelt allein unser aller Hertzen erforscht und
erkendt, auch demnach recht richten würdet, *) auch vor allen
Menschen und Creaturn, das wir für uns, die Unsem und
aller menigklichs halben®) in alle Handlung und vermeint^**)
Abschid, so wie ^^) vorberürt in gemelten oder andern Sachen ^*)
wider Got, sein heyligs Wort, unser aller Seelen Heyl und
gut^*) Gewissen, auch wider den vorigen angezognen Spey-
*) und gnedigen: fehlt in K. Vgl. S. 58, Anm. 2. •) Schwegem
fehlt in K. In 0 statt Freunden Schreibfehler: freuntlich. ') vor
einmtitiglich : Zus. in K. In D Druckfehler: wider der dem. *) nie-
mandt: Zus. in K. '') 0: angerürten. •) K und alte Drucke: und. —
Am Bande in K steht hier von Voglers Hand: No. Nurmbergsch rat-
schlag. Vgl. den Auszug aus den Gutachten der Nürnberger Rechts-
gelehrten und Theologen in meiner Qesch. des Eeichst. zu Sp. 1529,
S. 142—148. Dieselben hatten schon im März erklärt, daß man, wenn
alle Vorstellungen bei der Eeichsmehrheit erfolglos blieben, gegen die
Mehrheitsbeschlüsse protestieren und appellieren müsse. ^ 0: Erhaltern.
®) der wie vorgemelt usw. bis würdet: fehlt in K •) für uns usw. . . .
bis halben: Zus. in K '®) vermeint: Zus. in K. '>) In 0 Druck-
fehler: wir. **) in gemelten und andern Sachen: Zus. in K. *•) gut:
fehlt in K.
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— 75 —
rischen Keychsabschid f&rgenammen, beschlossen und gemacht
worden, nicht gehellen noch willigen, sunder auß voi^esatzten
mid andern redlichen gegründten Ursachen für nichtig und
unpündig halten, das wir auch^) dawider unser Notturft
öffentlich anßgeen lassen und der BOmischen Kay. May.,
nnserm allergnedigsten Herrn, in disem Handel weyter gründt-
lichen und warhaftigen Bericht thun, *) wie wir uns desselben
gestern nach gegebnem vermeintem Abschid alßbaldt durch
unser in der Eyle gethane Protestation, die wir auch hierait
wider erholen, offenlich vememen lassen und dameben erpoten
haben, das wir uns nichts destweniger mitler weyl gemelts
gemeinen und freyen christlichen Concilion oder National-
versamblung vermittelst götlicher Hilf vennög und inhalts
des vilberürten vorigen Speyrischen Beychsabschid in unsern
Oberkeyten, auch bey und mit unsern Underthanen und Ver-
wandten, also halten, leben und regieren, wie wir das gegen
dem allmechtigen Gott und Eömischer Kay. May., unserm
aUergnedigsten Herrn, als einem christlichen Kayser hoffen
und getrauen') zu verantworten. Was auch der Geystlichen
Eenth, Zins, Gttld, Zehenden und den Friden belangt, wie
das im vorigem Speyrischen Beychsabschid verfast und auß-
gedmckt ist, das wir uns darin auch unverweyßlich halten
und erzeygen. Und dergleychen wollen wir auch die nach-
volgenden Puncten, als die Widertauf und den Druck be-
rurendt, wie wir allwegen auf disem Beychstag verstanden, *)
mit euer Kön. Durchleuchtigkeyt, Liebden und euch den
andern eynich sein, auch Inhalt derselben Punct in allweg
auch gepürlich zu halten wissen. Wir behalten uns auch
bevor, vüberiirt unser Beschwerungen und Protestation ferner
zu extendim und was sunst in dem allem unser weyter Not-
turft erfordert.^)
') auß vorgesetzten usw. ... bis wir auch: fehlt in K. *) and
warhaftigen: fehlt in E, ebenso aUes Folgende von: wie wir nns nsw.
bis Nottnrft erfordert. Und. ') 0: vertrawen. *) 0: verstanden sein.
•) Wir behalten nsw. ... bis erfordert : nachträglicher Zns. in 0.
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— 76 —
Und wollen uns') auf das alles unzweyfenlich versehen
und getrösten, die*) Römisch Ka. Ma. werden sich gegen
uns als ein christlicher, Got über alle Ding liebender'*)
Kayser und unser allergnedigster Herr in Ansehung unsers
christlichen, erbarn, redlichen und unwanckbaren Gemüts und
schuldiger Gehorsam*) gnedigklich halten und erzeygen*
Warinnen wir dann euer Kön. Durchleuchtigkeyt, Liebden
und euch den andern als unsem lieben und gnedigen *) Herrn
Oheymen, Vettern, Schwegem,*) Freunden und besundem
Lieben sunst freündtlich und gutwillig "O Dienst, günstigen
und gnedigen Willen thun und beweysen ®) mögen. Das seind
wir aus Freündtschaft, auch gutwilliger Gehorsam, •) Gnaden
und christlicher Lieb und Pflicht zu thun gutwillig und
geneigt. ^^)
») uns: fehlt in 0 durch Schreibfehler. «) 0: ire. In K fehlt
Komisch. •) K: statt Gott . . . liebender: gottliebender. *) Statt:
in Ansehung usw. . . . Gehorsam: Zus. in K: in Ansehung unsers christ-
lichen Gemüts und schuldiger Gehorsam. '') und gnedigen: fehlt in E.
Vgl. S. 58, Anm. 2. *) Schwegem: fehlt in K. ") und gutwillig:
fehlt in K. •) thun und beweysen: Zus. in K •) auch gut-
williger Gehorsam: fehlt in E. Freündtschaft, . . . Gnaden: Zus. in E.
*®) In 0 und den nur die Protestation vom 20. April enthaltenden alten
Drucken folgen hier noch die Worte : „Actum Speir am tzwantzigsten Tag
Aprilis nach Christi unsers lieben Herrn und Heilands Gepurt xyjC und
im neun und zweintzigsteu Jare.^ Es folgen dann die eigenhändigen Unter-
schriften: „Johans E (Eurfürst) Georg marggraf usw. Ernst H(elrzog)
m(anu) propria Philips L(andgraf) z(u) Hessen usw. s*st (subscripsit) Wolf
Fürst zu Anhalt" Vgl. die dieser Schrift beigefügte verkleinerte Nach-
bildung. In E fehlt, wie in S. 75, Anm. 2 bemerkt, ein längerer
Passus. Statt dessen steht nach „Fug, Macht und Recht hat": „Was
aber in den andern Artickeln der Thurckenhilf, Unterhaltung des Re-
giments und Camergerichts, der Widertaufe, der Truckereien, gemeinen
Fridens und anderer guter Pollicey halben im Reich bedacht und «u han-
deln fürgenomen ist, als in zeitlichen Dingen, darin wir kaiserlicher Mt
als uns von Gott geordneter weltlicher Oberkeit pillich gehorsam sein
soUen und wollen, verhofifen wir uns mit e Liebden und euch den andern
dermassen zu vergleichen, das an uns in all m dem, so Ro kaiserlicher Mt,
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— 77 —
Und als wir nun ferner unser Beschwerden kein
Verenderung noch Erlinderung mer zu versehen gehabt, ist
nicht on, das gleychwol die Kö. Durchleuchtigkeyt sampt den
Oratom und Commissarien, auch Churfursten, Fürsten und
Standen etliche ire Räthe zu uns auf Donnerstag nach Jubi-
late, den xxij Tag Aprilis, mit mündtlicher Werbung ver-
fertigt, welche wir nachvolgender Meynung ungeverlich ver-
standen haben.
Antragen König. Durchleuchtigkeyt, Kay.
May. Oratorn und Commissarien, auch Churfursten,
Fürsten, Stenden und Geschickten usw.
Auf neohst verschinen Montag hetten unser gnedigst und
gnedig Herren von Sachsen, Brandenburg, Lüneburg, Hessen
und Anhalt die Kön. Durchleuchtigkeyt, Kay. May. Oratom
und Commissarien freundlich ansuchen lassen, mit Anzeyg,
als begerten ir churfurstlich und fürstlich Gnaden bey Kön.
Durchleuchtigkeyt und den Commissarien zu sein, darauf ein
Stund auf volgenden Tag umb sechs hora emendt worden,
und hette sich Kön. Durchleuchtigkeyt samt den Oratom und
Commissarien zusammen verfügt, der Zuversicht, ir chur-
furstlich und fürstlich Gnaden würden zu Kön. Durchleuchtig-
keyt und andem kumen sein. Aber ir Gnaden hetten umb
dieselb Stund bey irer Kö. Durchleuchtigkeyt Entschuldigung
gemeiner Christenheit nnd dem Reich zu £re, Nutz^ Wolfart nnd Gutem
und insonderheit zn Friden raichen, an aller Pillicheit kain Mangel ge-
spürt werden sdl. Dann wir ans wie erst gemelt in aUen zeitlichen,
zimblichen, möglichen and schuldigen Dingen gegen hochgedachter kaiser-
licher Mt als unserm aUerg^edigsteu Herrn gehorsamlich und underthenig-
lich, auch gein e. liebden und euch den andern gern freuntlich, günstlich
und gnediglich halten, doch das wir auch in allen Anschlegen über unser
Vermögen nit beschwert und der Fride nit allein dahin gestelt werd, das
kainer den andem des Glaubens halb nit überziehen soll, sondern umb
keinerlei Sachen wiUen, den Glauben, derselben Religion und Ceremonien,
auch aUer Zeitlich belangend, uns auch hierauf der Romischen kaiserlichen
Mt hiemit und zu aUen Zeiten in aUer Underthenigkeit als die gehorsamen
getreuen Kurfürsten und Fürsten bevolhen haben."
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— 78 —
thun lassen, mit Bitt, ein andere Stande anzustellen, welchs
die König. Durchleuchtigkeyt gethan, in Zuversicht, ir chur-
f&rstlich und fürstlich Gnaden würden selbst kummen sein.
Dieweyl es aber iren churfurstlichen und fürstlichen Gnaden
nicht gelegen gewest, selbst darzukummen, haben sie die Iren
mit einer Schrift zu Kön. Durchleuchtigkeyt, den Orator und
Commissarien verordent Dieweyl aber Kö. Durchleuchtigkeyt
bedacht, das durch Schrift nichts fruchtbarß möcht gehandelt
werden, hetten Kön. Durchleuchtigkeyt und Commissarien
unsem gnedigsten und gnedigen Herrn lassen anzeygen, sie
wolten heut zwischen acht und neun Hören auf dem Hauß
bey der Hand sein, und bitten lassen, das die vilgemelte
Churfürsten und Fürsten sich dahin auch verfugen wolten,
so solt des fürgefallen Zwispalts halben und sunst dermaß
zu Beschluß gehandelt werden, damit sich Kön. Durchleuchtig-
keyt als Kay. May. Stathalter sampt den Commissarien, Chur-
fürsten, Fürsten und Stenden allerseyts miteinander verglichen
und nicht also zerteylt abschiden.
Es hetten sich aber ir churfürstlich und fürstlich Gnaden
entschuldigen lassen und die Iren verordent,^) dasselb von
Kön. Durchleuchtigkeyt zu vernemen. Nachdem aber Kön.
Durchleuchtigkeyt dafür geacht, es würde doch unfruchtbar
sein, mit den Gesandten davon zu handeln, derhalben hetten
Kön. Durchleuchtigkeyt sampt den Oratom, Commissarien,
auch Churfürsten, Fürsten und Stenden sie zu iren churfurst-
lichen und fürstlichen Gnaden abgefertigt und bevolhen,
iren churfurstlichen und fürstlichen Gnaden volgende Meynung
anzuzeygen :
Nachdem sich diser Reychstag etwas lang verzogen und
des Glaubens halben vil Disputirens fürgefallen, aber durch
das Merer auf ein Meynung beschlossen worden, wolten sich
die Kön. Durchleuchtigkeyt und Commissarien von wegen
Kay. M., auch Churfürsten, Fürsten und Stenden versehen,
*) In D Druckfehler: Terordente.
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— 79 —
yilgemelte Choriärsten und Füi*sten werden sich in Bewegung
allerley Handlung und wie es herkummen, das der minder
Teyl dem merem allwegen gevolget, dermassen auch erzeygen
und das, so der merer Teyl beschlossen, annemen, damit kein
Zwispalt erschüUe.
Geleichwol hetten ire churfürstlich und fürstlich Gnaden
daneben ein Protestation gethan, darinnen sie sich des Ab-
schids zum höchsten beschwerdt und begerdt hetten, das solche
Protestation in den Abschid dises Eeychstags gesatzt wolt
werden; dann wo das nicht beschehe, würden ire churfürstlich
und fürstlich Gnaden verursacht, dieselben zu extendim und
öffentlich aufigehen zu lassen. Aber ir churfürstlich und
fürstlich Gnaden wüsten, das biß anher dergleichen nicht
gewest, ob gleichwol ein Teyl protestirt gehabt, das solliche
Protestation in den Abschid gesatzt, und so es yetzo solt
furgenummen werden, würds einen Eingang^) gepem, der zu
viler Beschwerung gereichen würde. Darumb sich König.
Durchleuchtigkeyt von wegen Rö. E^ay. May. derselben keins
wegs versehen wolt, sunder vilmer, das die Churfürsten und
Fürsten den Abschid, wie derselb durch den merern Teyl be-
schlossen, nochmals annemen würden. Wo aber die genannten
Churfürsten und Fürsten dasselb zu thun beschwert, könt
man doch gleichwol, wie begert, die Protestation in den Ab-
schid, nachdem es dermassen nicht herkummen, nicht setzen,
sunder man het derhalb irer churfürstlich und fürstlich
Gnaden in gemelten Abschid zu setzen unterlassen und ire
Gnaden nit hynein gesatzt. *) Wo nun ir churfürstlich und
fürstlich Gnaden ir gethane Fürwendung darüber weyter
extendim und außschreyben würden, so möcht es Kay. Ma.,
unserm allergnedigsten Herren, zu mercklicher Beschwerung
reychen und irer May. Hoheyt belangen und darzu Kay.
^) = PräzedenzfaU. ') Selbstverständlich konnten die Unter-
sduriften der protestierenden Ftlrsten nicht unter den Abschied gesetzt
werden.
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— 80 —
May.^) und Commissarien, auch Churfursten, Fürsten und
Stenden mercklich Nachteyl bringen. Damit aber derhalben
nicht ünfreündtschaft ervolg, were Kön. Durchleuchtigkeyt
und der Commissarien, auch Churfürsten und Stende freündt-
lich und der andern dienstlich Bitten, das die ChurfBrsten
und Fürsten gemelter Extension und das die Protestation
öffentlich außgehen solt, sich wolten enthalten, damit Eon.
Durchleuchtigkeyt sampt den Commissarien und Stenden nicht
auch verursacht möchten werden, derhalb außgehen zu lassen,
das ünfreündtschaft geben möcht.
Und damit ir churfürstlich und fürstlich Gnaden nicht
gedencken möchten, als ob dise Handlung auf etwas scherpfers
ffirgewandt oder unfreundlich Meinung auf sich trüge, so
hetten die Kön. Durchleuchtigkeyt sampt den Commissarien,
auch Churfürsten, Fürsten und Stenden Bevelch geben, diß
wie volget weyter zu reden und ire Durchleuchtigkeyt, auch
die Geschickten zu verstendigen, ob ir churfürstlich und fürst-
lich Gnaden mit Kö. Durchleuchtigkeyt, item den Commis-
sarien und allen Stenden des Glaubens und aller zeytlicher
Handlungen halben Frid halten wollen, so wolten sich König-
liche Durchleuchtigkeyt, die Commissarien und Stende des-
selben auch also halten und keinen Unfriden derhalben für-
nemen. Dann Kön. Durchleuchtigkeyt were des entlichen
Gemüts, dergleichen die Commissarien, auch Churfürsten,
Fürsten und die Stende, mit vilberürten Churfürsten und
Fürsten in Friden und Eynigkeyt zu stehen biß auf ein Con-
cilion, in Zuversicht, es soll sich darnach zu Pesserung und
Guten schicken und aller Örter Frid gemacht werden, mit
entlicher Bitt, das sie, die Churfürsten und Fürsten, Kön.
Durchleuchtigkeyt und der andern halb mit freOndtlicher,
irer der Geschickten halben mit gnediger Antwort wolten
vernemen lassen.
*) Sic. Es sollte heißen Kön. Durchl. Zu obigen Ausführungen vgl.
S. 88, Anm. 1.
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Darauß ist gleichwol leychtigklich zu ver-
nemen, welcher Gestalt wir ferner und weyter beschwerdt
seind worden, und sunderlich in dem, das unser Protestation
zu dem vermeinten Abschid dises Seychstags zu bringen und
einzuleyben gewegert, und zum andern, das für beschwerlich
hat wollen angezogen werden, so wir unser gethane Prote-
station öffentlich würden anßgehen lassen, so es doch unsere
hohe und unvermeydliche Notturft erfordert und uns zu Recht,
auch sunst bUlich unverweystlich, sunderlich auß Ursachen,
welche sampt dem, was wir weyter und mer auf obbemelter
Kö. Durchleuchtigkeyt, Kay. May. Oratom und Commissarien,
auch Churfttrsten, Fürsten und der andern von Stenden Ge-
schickten Werbung und Antragen zu Antwort geben, und
was von uns zu beyden Sejrten ferner gegen einander derhalben
in Schriften angezeygt ist worden, das alles hernach auch
verzeychend funden würdet, eygentlich und nach der Lenge
zu vememen ist:
Ferner Antwort, Red und Gegenrede usw.
Unser, der Churfürsten undFürsten Sachsen,
Brandenburg, Lüneburg, Hessen und AnhaltAnt-
wort auf das Fürhalten, so ir, ^) die Geschickten von Kön.
Durchleuchtigkejrt zu HuDgem und Beheym als Kay. Ma.
Stathalters, Oratom und Commissarien, auch Churfiirsten,
Fürsten und Stende wegen gestern an uns gethan.^)
Wir wissen uns zu erinnern, das wir am negst ver-
schinen Montag*) etliche der Unsem zu Kö. Durchleuchtig-
keyt geschickt und dieselbig bitten lassen, auf nachvolgenden
Dienstag') ein Stundt anzusetzen, so wolten wir ire Durch-
leuchtigkeyt und Kay. Ma. Orator und Commissarien etliche
unser Beschwerden und Notturft anzeygen lassen. Das wir
*) „Ferner Antwort, Red und Gegenrede" ist die Überschrift über
die drei noch gewechselten Schriftstücke. Das Folgende : „Unser der Chor-
forsten usw. bifl Füriialten" ist die besondere Überschrift zu der Erwiderung
der eTangelischen Fürsten. Diese wurde Freitag den 23. April gegeben.
*) 19. April «) 20. April.
Hey, Appellatien und Protestation. ^
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aber auf gemelten Dienstag früe unsere Eäthe zu E5n.
DurcMeuchtigkeyt und iren Liebden nicht haben schicken
mögen, die berürte unser Notturft anzutragen, ist auß f&r-
gefallen Verhinderung geschehen,^) wie die ünsem, so wir
umb dieselb Stundt in Kön. Durchleuchtigkeyt Hof verordent,
euch Herrn Jörgen Truchseß*) angezeygt, und ir ferner an
die Eö. Durchleuchtigkeyt getragen, und mag nicht on sein,
das ir, Herr Jörg, den Unsem darauf zur Antwort wider
bracht, die Kön. Durchleuchtigkeyt sampt Kay. May. Oratom
und Commissarien weren der Entschuldigung zufriden, doch
möchten ir Durchleuchtigkeyt und Liebden wol leyden, so
es uns gelegen, das wir umb zwey hora nachmittag in eygnen
Personen bey iren Durchleuchtigkeyt und Liebden erscheinen
wolten.
Nachdem es aber die Sachen belanget hat, der-
wegen die König. Durchleuchtigkeyt sampt Kay. May. Orator
und Commissarien auf bestimpten Montag, über das wir uns
doch keins andern versehen hetten, dann ir Kön. Durch-
leuchtigkeyt, Liebden*) würden des Zwiespalts halben, so
zwischen Churfiirsten und Fürsten, auch andern von Stenden
und uns fürgefallen, zu*) bequemer und billicher Verglei-
chung gegriffen haben, wie dann auch der Handel zu iren
Kö. Durchleuchtigkeyt und Liebden nicht änderst gestelt ge-
west, ir Meynung auß einer Schi-ift, fast in Gestalt einer
angemasten Weysung, vorgedachten Churfiirsten und Fürsten,
auch den von Stenden öffentlich verlesen und darnach zu des
Eeycbs Hendeln antworten lassen, und do ir Kön. Durch-
leuchtigkeyt und Liebden, als wir darauf ein kurtz Gesprech
^) Die „Verhinderung" war ohne Zweifel dadurch bewirkt, daß die
Protestation vom 20. AprU noch nicht ins Keine geschrieben und von den
Fürsten unterzeichnet war. •) Georg, Truchseß von Waldburg, geb.
1488, gest. 1531, als Oberfeldherr des schwäbischen Bundes im Bauernkriege
bekannt, war Statthalter in Württemberg und der yomehmste der Bäte,
welche den evangelischen Fürsten das „Antragen" des Königs Ferdinand
und der kaiserlichen Kommissäre überbrachten. ') Bei Jung CYIII:
und Liebden. ^) In D Druckfehler: in.
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- 83 —
mit einander zu halten abgewichen, nnser anerwartet, auch
über unser freündtlichs Bitten, so wir durch etliche der Unsem
an ir Durchleuchtigkeyt und Liebden derwegen haben thun
lassen, gleichwol herab gezogen und uns auß dem, als wer
solcher Handel beschlossen, nicht hören wollen, so ist nit on,
das wir derhalben für nutz und bequemlich geacht, iren Durch-
leuchtigkeyt und Liebden unser Protestation, Beschwerden
und Notturft gleicher Gestalt, wie zuvor bey ChurfÜrsten,
Fürsten und Stenden beschehen, auch schriftlich zu antworten
lassen, ^) haben auch umb die angesatzte Stunde unsere Bethe
zu Kön. Durchleuchtigkeyt, Oratom und Commissarien damit
abgefertigt. Aber zu vorigen Beschwerden, so uns in disen
Handlnngen in mer dann einem Wege begegendt, haben ir
Durchleuchtigkeyt und Liebden dieselb unser schriftliche
Protestation und Notturft nicht annemen, sunder unsem Rethen
wider zustellen wollen. Und nachdem sich aber dieselben
solche Schrift auß Mangel ires Bevelchs wider zu nemen ge-
wegert und darfur gebeten, ist sie uns durch irer Durchleuch-
tigkeyt und Liebden Gesandte wider in die Herberg bracht,
und hat gleichwol, was wir mit bestendigem Grund, auch
auß unmeydlicher Notturft darin angezeygt, gar nicht wollen
betrachtet noch angesehen werden. Des wir uns und das
anstat Komischer Kay. May., unsers allergnedigsten Herrn,
uns solchs hette begegnen sollen, weniger dann gar nicht
versehen, wissen auch sunder Rume, daß wir darzu nicht
Ursach gegeben, und zweyfeln nicht, so die Römisch Kay.
May. als ein gutigster, hocblöblicher Kayser auf disem Reichs-
tags selbst gegenwertig gewest, wir würden des oder der-
gleichen gnedigklichen vertragen gewesen sein.
Es ist auch nit on, *) das Kö. Durchleuchtigkeyt zu uns.
') Die eyangelischen Fürsten betrachteten demnach ihre zweite Pro-
teetation vom 20. April, die nach dem Konzepte Voglers als nur an die
Stände gerichtet gedacht war, als in erster Linie den kaiserlichen Kom-
missären geltend. Hieraas ergab sich die Notwendigkeit der mehrerwähnten
Ändeningen der Titolatur usw. in K. ') In D Dnickfehler: an.
6*
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dem Churfürsten zu Sachsen, an nechster Mitwoch^) zu
Abendt geschickt und anzeygen lassen, ir Durchleuchtigkeyt
were willens, sampt Kay. May. Commissarien und Oratorn auf
volgenden Donnerstag*) zwischen acht und neun Hom aufm
Hauß') bey Churfftrsten, Fürsten und den Stenden zu sein,
mit Beger von Kay. Ma. wegen, das wir mit den andern
unsern Freunden alsdann auch erscheynen wolten, so wer
ir Durchleuchtigkeyt sampt den Oratorn und Commissarien
geneygt, der beschehen Protestation halben und zum Beschluß
dises Reychstags zu handeln. Darauf wir denselben Ge-
schickten unter anderm zur Antwort gegeben, und sunderlieh
weyl wir vemumen, das sie die andern unser Freund zu
ersuchen nicht Bereich hetten, so wolten wir uns mit ii'en
Lieben volgends davon unterreden und König. Durchleuchtig-
keyt derhalb vor der Zeyt Antwort geben lassen. Haben
auch darauf unsere Rethe samptlich zu irer Durchleuchtigkeyt
geschickt und ir Kön. Durchleuchtigkeyt unter anderm er-
innern lassen, welcher Gestalt wir auf das Außschreyben, so
in Namen Römischer Kay. May. an uns außgangen, Kay. May.,
unserm allergnedigsten Herrn, zu Gehorsam disen Reychstag
eygner Person besucht*) hetten, in Meynung, das neben andern
Churfttrsten, Fürsten und Stenden zu handeln und zu schliessen
helfen, so zur Fürdrung Gottes Eere, auch dem Reych zu
Friden, Wolfart und allem Guten gereychen möcht. Wie sich
') 21. April. ") 22. April. An diesem Tage wurde der Beichs-
tagsabschied, nachdem die Reinschrift angefertigt worden war, in der
Plenarsitzung der Stände vorgelesen, ohne Bücksicht auf die Protestation
definitiv genehmigt and besiegelt. Das Erscheinen der protestierenden
Fürsten in dieser Sitzung wäre zwecklos gewesen, nachdem der Vermitt-
hingsversuch des Herzogs Heinrich von Braunschweig und des Markgrafen
Philipp von Baden gescheitert war. Vgl. meine Gesch. d, Beichst zu
Speier 8. 260f. Wenn die ev. Fürsten die offizielle Mitteilung hievon auch
erst am 22. April um ein Uhr erhielten — ,,gestem nach mittem Tag** — ,
so wußten sie doch ohne Zweifel schon vorher, daß keine Aussicht auf
einen Erfolg derselben bestand. *) Im Bathofe, in dem die Beichs«
tagssitzungen stattfanden. *) In D Druckfehler; ersucht.
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— 85 —
aber die Sachen, den Zwispalt des Glaubens nnd Frid und
Ejmigkeyt im Reych in mitler Zeyt des Concilii belangendt,
allhie zugetragen, davon nun biß in die sechste Wochen ge-
handelt worden und was uns vüfaltiger Beschwerung be-
gegendt, were Kö. Durchleuchtigkeyt selbst nit verborgen.
Dieweyl uns aber solche Beschwerungen über alles unser ge-
grfindt Fürbringen begegendt und das wir uns nunmer wenig
furtreglicher Handlung zu versehen wüsten und unser Oheymen
und Vetter, Hertzog Heynrich von Braunschweig und Marg-
graf Philips von Baden, gemelts Zwispalts halben Unterhand-
lung an uns gemutet, so hetten wir iren Lieben unser Gte-
müt, so vil wir mit Gewissen hetten thun mögen, angezeygt
und, nachdem sich ir Lieben erpoten, mit Churfttrsten, Fürsten
und Stenden darauf auch zu handeln, so wollen wii* von inen
Antwort gewarten, mit disem Anhang, wo im Lieben bey
gemelten Chunürsten, Fürsten und Stenden die Handlung
entStunde, das wir die Sachen, vermüg unser nechst gethanen
Protestation, bey dem Abschid, so auf vorigem ßeychstag
allhie zu Speyer gemacht, wolten beruen lassen; weren es
aber ander Sachen, davon König. Durchleuchtigkeyt mit uns
reden wolt oder zu reden hette, wolten wir auf irer Durch-
leuchtigkeyt Anzeyg darin unbeschwerd sein.
Darzu haben wir, der Churfürst zu Sachsen, dieweyl
Kon. Durchleuchtigkeyt den Rethen im Abweychen vermeldet,
das sein Kon. Durchleuchtigkeyt mit uns zu reden hette von
Sachen und sunderlich disen Beychstag belangendt, daran
mercklich und vil gelegen usw., etliche unsere Eethe zu seiner
Kö. Durchleuchtigkeyt umb die obgemelte Stundt aufs Hauß
verordent, mit Bevelch, uns bei irer Durchleuchtigkeyt, das
wir selbst nicht hynauf kummen mochten, freundtlich zu ent-
schuldigen und daneben anzuzeygen, wo Kö. Durchleuchtigkeyt
inen die Sachen anzeygen wolt, das sie uns derselben be-
richten selten. Aber wie fruchtbar und nutz es gewesen wer,
wo \^ir gleychwol eygner Person, über das wir nach gethaner
unser Protestation zuvor bey Churfürsten, Fürsten und Stenden
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— 86 —
unsern Abschid genummen, wider hinauf gezogen weren, auch
wie weyter dann zuvorhyn zu bequemer Vergleichung, damit
wir allerseyts nicht also zerteylt^) von disem Reychstag ab-
schieden, möcht gehandelt worden sein, wollen wir yetzo
weyter nicht anfechten, sunder den Bescheyd und die Ant-
wort dasselb weysen und besagen lassen, so uns die obge-
dachten unser Oheymen und Vetter von Braunschweyg und
Baden gestern nach mittem Tag, irer furgenummenen Hand-
lung halben, haben anzeygen lassen, was sie auf ire Für-
schleg, so wir zu Verhütung zwispaltig Abschids,^) bey Kö.
Durchleuchtigkeyt, den Oratom und Commissarien, auch Chur-
fiirsten, Fürsten und Stenden hetten erlangen mögen.
Es gibt auch nicht geringe Bekreftigung zu unser yetzt
gethanen Anzeygung, als ir femer unter anderm geworben
habt, dieweyl das merer des Zwispalts halben beschlossen, so
wolten sich Kö. Durchleuchtigkeyt sampt den Commissarien,
auch Churfttrsten, Fürsten und Stenden versehen, wir würden
dasselb auch also annemen usw., so doch ir Durchleuchtigkeyt,
Liebden und die andern von Stenden auf disem gehaltnen
Reichstag zum oftermaln vemummen, aus wasen hohen, dapfem
und gegründten Ursachen wir nicht wüsten, auch nicht schul-
dig weren, dafür wirs dann nochmals on allen Zweyfel achten,
dem stat zu geben, als solt ein merers, zuvoran in solchen
Sachen und auf die Wege, darauf dem mindern Teyl ewiger
Gottes Zorn und Verderb irer selbst und viler Gk)ttes auß-
erweiten Seelen steen wolt, wider das minder zu beschliessen
und dasselbig zu Gottes Ungehorsam auf Menschen Gehorsam
zu verbinden und zu verstricken haben, so doch in Menschen
Handlungen und Sachen das merer wider das minder nicht
fttrdrücken möcht, da*) die Sach nit ir vile in ein gemein,
sunder yeden sunderlich belangt. Das aber diß Sachen seind.
*) In D Druckfehler: zurteylt. ') Hier fehlt in D offenbar ein
Wort: gethan oder gemacht. •) = wenn. Man beachte in Obigem die
nny erkennbare Anspielung auf Apostelgesch. 4, 19 und 5, 29.
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— 87 —
die einen yeden sunderlichen angeen, wirdet on^) Zweyfel
niemands widersprechen. So besagt es die götliche Schrift*),
das ein yeder seine Bürde tragen wirdet
Und wir haltens darfür, wann wir auch in solche Hand-
langen mit gewilligt hetten oder willigten, das nns gleichwol
vor Gott und der Welt nit anders gebären wolt, dann der-
selbigen unser Verpflichtung forderlich und unverzüglich
widemmb.abzusteen und uns seins götlichen Worts zu halten.
Zu dem, so seind diß Sachen, darein sich nicht die wenigsten
Zwispaltspunct, so yetzt vor Augen schweben, ziehen, davon
aber in einem künftigen gemeinen freyen christlichen Concilio
gehandelt sol werden; und wer solch angemast Fürdrücken
des merem unsers Ermessens nichts anders, dann als ob Chur-
fürsten, Fürsten und Stende außerhalb gemelts Concilii und
der Meynung, darumb dasselb fürgenummen für notwendig
bedacht, zuwider in gemelten Artickeln, und sunderlich als
der ein und Gegenpart zu urteylen selten haben.
Item es were auch nicht allein dem Rechten, sunder auch
aller natürlichen Billigkeyt ungemeß, do zwo Partheyen eins
Handels strittig, das ein Teyl des andern Richter und Urteyler
sein solt und mit dem merem oder sunst über den andern
furzudrucken haben, und würde sunders Zweyfels, wo den
Dingen gründtlich nachgedacht wolt werden, das irer Lieben
und der Stende Gemüt und Meynung nicht sein.
Wir wollen auch wol darffir halten, wo auf disem Reychs-
tag der Ti*ost nicht so gantz aufs merer gestanden, unser
götliche bestendige und gegrfindte Anzeygung, die wir der
beschwerlichen Artickel halben vilmals gethan, würden baß
zu Gemüt gefast sein und solchen Zwispalt weniger auf der
andern Seyten verursacht haben. Welchem Teyl auch, so ein
Zwispalt im Reych erschölle, dasselb am billichsten aufzulegen,
das er darzu Ursach sey, wollen wir dem allem nach, wie
angezeygt, in unser aller und eins yeden selbst eygnen Ge-
*) In D Druckfehler: an. *) öal. 6, 5.
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— 88 —
wissen gesetzt haben. Hetten uns auch nicht versehen, das
von Kö. Durchleuchtigkeyt sampt den Commissarien und
Stenden unser Protestation, so wir auß hoher und betrang-
Ucher Notturft gethan, in den Abschid zu verleyben solt ge-
wegert worden sein. Dann ob wii* gleichwol in den Abschid
nit gesetzt werden, wie ir anzeygt habt, dieweyl man aber
nochmals auf das merer vermüg euer gethanen Werbung ver-
meint zu haften und dann solch merer auß den untergeschriben
Namen der Stende, so darein gewilligt, leychtlich zu ver-
mercken sein wolt, so haben ir und zuvoran die Kön. Durch-
leuchtigkeyt sampt den Commissarien, auch Churfiirsten,
Fürsten und den von Stenden leychtlich selbst zu bedencken,
wie wir zu unser Notturft dardurch versorgt weren.
Item es möcht auch von uusern Mißgünstigen, die Gestalt
und Gelegenheyt der Sachen nit Wissen trügen, gesagt und
fürgewant werden, wir hetten zu Unbilligkeyt und on gepür-
liche und bestendige Ursachen in die vilberürte beschwerliche
Artickel zu willigen gewegert, darauß uns dann mercklich
Ergernuß, ünglimpf und Auflegung volgen würde, welchs uns
so viel müglich zu verhüten gepüm will.
So ist auch unser Gemüt, Will noch Meynung nicht,
yemands zu Unfreuntschaft damit Ursach zu geben oder zu
verkleinen und bevoran der Rom. K. M., unsers allergnedigsten
Herrn, Hoheyt^) zuwider zu handeln, sunder allein die Eere
Gottes, seins heyligen Worts und unser aller Seelen Seligkeyt
zu suchen, auch nichts anders damit zu handeln, dann was
unser Gewissen weist, und do wir der beschwerlichen Ver-
ursachung hetten wollen entladen werden, solt an uns dasselb
oder dergleychen zu unterlassen kein Mangel gewest sein.
Darzu so wissen die Kö. Durchleuchtigkeyt und Orator
sampt den Commissarien, auch Churfürsten, Fürsten und
Stenden, was der Protestation Art und Eygenschaft, auch
*) Antwort auf die Bemerkung im Antragen (S. 79 f.), das Ausschreiben
der Protestation möchte des Kaisers Hoheit belangen oder es könnte Un-
freundschaft daraus erfolgen.
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— 89 —
warumb dieselb erfunden und in Kay. May. Eechten darvon
Fursehung gethan ist, ^) das wir hoffen, wir seind darumb
nicht zu verdencken, es sey uns auch bey Kay. May. und
menigklich zu aller Billigkeyt unvei'weyßlich, ob wii' unser
Protestation und Miterzelung nottürftiger und wissentlicher
Gelegenheyt des ergangnen Handels dermaß werden außgehen
lassen.
Als aber entlich und zuletzt durch euch geworben, damit
wir nit gedencken möchten, als ob die gethan Werbung etwas
scharpf und ein unfreündtliche Meynung auf sich trüge, so
hette auch Kön. Durchleuchtigkeyt sampt den Commissarien,
auch Churfftrsten, Fürsten und die andern Stende Bevelch
gegeben, weyter zu reden und euch als Geschickten zu ver-
stendigen, ob wir mit iren Durchleuchtigkeyt, Lieben und
Stenden allerseyts des Glaubens und aller zeytlichen Handt-
lungen halben Frid halten, so wolten sich Kö. Durchleuchtig-
keyt und die Ciommissarien, auch die andern Churfttrsten,
Fürsten und Stende gegen uns auch fridlich halten und nichts
thatlichs gegen uns fümemen noch handeln biß auf das künftig
Concilium, der Hoffnung, Gott würde alsdann pessem Frid
und Eynigkeyt geben, dann ein Zeyt bißhere gewest were.
Darauf geben wir euch dise Antwort, das wir so hoch als
yemands zu Frid und Eynigkeyt geneygt seind, auch in aller
Handlung hie nichts mer dann Gattes Eere, aller Menschen
Heyl, Frid und Eynigkeyt gesucht, und dieweyl wir nun aus
Kay. May., unsers allergnedigsten Herrn, Außschreyben zu
disem Reychstag und sunst vermerken, das ire Kay. May.
gern Frid und Eynigkeyt im Reych gehalten sehen und wissen
wolt und Kön. Durchleuchtigkeyt und die andere Kay. May.
Commissarien nnd Gewalthaber, auch alle andere Churfürsten,
Fürsten und Stende uns durch euch haben zusagen lassen,
mit uns des Glaubens halben und alles zeytlichs belangend
^) Vgl. die alte Definition der Protestation: „Est denunciatio publice
facta causa juris seryandi in futurum, quod protestanti competit yel com-
petere potest."
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— 90 —
Frid und Eynigkeyt zu halten, derhalben und da wir sampt
den ünsern und menigklich, der auf disem Teyl und dem
Evangelio verwand und Oberkeyt und Regierung haben, des
Glaubens, auch der jhenigen Sachen halben, so sich in die
Artickel, davon in künftigen Concilio gehandelt sol werden,
ziehen und derselbigen anhengig und verwandt seind oder
darauß fliessen und ervolgen, auch aller anderer zeytlichen
Sachen halben, Frid haben und erlangen, wollen wir dem
allem nach vilberfirten Frid hiemit Kön. Durchleuchtigkeyt,
Kay. Ma. verordenten Commissarien, auch Churfürsten, Fürsten
und aller Stende halben auch zugesagt und gewilligt haben
und uns fridlich und dermaß halten, wie wir allesampt das-
selb in solchem Fall vor Gott, auch Römischer Kay. May.,
unserm allergnedigsten Herrn, schuldig und pflichtig. Dann
hochgedachter Kay. May. allen unterthenigen schuldigen Ge-
horsam und Kön. Durchleuchtigkeyt, Commissarien und allen
Churfürsten, Fürsten und Stenden des Reychs freündtlich und
gutwillig Dienst, Gunst, Gnad und Guts zu erzeygen sein wir
zu thun gewilligt und gantz geneygt, und bitten hierauf hyn-
wider schriftlich Antwort.
Kay. May. Stathalter, Kön. Durchleuchtigkeyt
zu Hungern und Behem usw., auch irer May. Ora-
torn und Commissarien, Churfürsten, Fürsten,
Prelaten,^) Grafen, Frey- und Reychstet seind entlich ent-
schlossen und des Gemüts, das sie sich des heyligen Reychs
Ordnungen und zu Wormbs aufgerichten Landfriden, des-
gleichen dem yetzo allhie gemachten Reychsabschid gemeß
halten, dawider auch niemands vergewaltigen und gegen dem
Churfürsten von Sachsen, den Hertzogen von Lüneburg,
Marggraf Georgen zu Brandenburg, Landgrafen zu Hessen
und Fürsten zu Anhalt des Glaubens halber hie zwischen
dem künftigen Concilio in ungutem mit der That nichts für-
') Bei Jxmg CXIII und Müller 118 steht vor diesem die in D fehlende
Überschrift: „Endtlicher Schluß Kays. Majst. Stadthalter, Oratom und
Commissarien, Churfürsten und Ständte."
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— 91 —
nemen wollen, des Versehens, yetz gedachte Churfürsten und
Fflrsten werden sich herwidemmb des Landfriedens and
Glaubens halber gegen Kay. May., Churfürsten, Fürsten und
gemeinen Eeychsstenden auch gehorsamlich, fridlich, freündt-
lich und nachtparlich eraeygen und in ungutem mit der That
nichts fumemen, sich auch ferrers Außschreybens oder Auß-
breytens ii-er übergeben Protestation, welchs dann zu Weyte-
rung und Unfrid reychen möcht, enthalten und sich, das ge-
melt Protestation bey der yetzt geübten Eeychshandlung be-
halten*) und sie dieselben Kay. May. uberschicken mögen,
benugen und bleyben lassen.
Der Churfürst und Fürsten Sachsen, Branden-
burg, Lüneburg, Hessen und Anhalt entliche Ant-
wort auf die Schrift von Kön. Durchleuchtigkeyt, Kay.
May. Oratom und Commissarien, auch Churfürsten, Fürsten
und Stenden des Reychs heüt umb ein Hora^) übergeben.
Ein Protestation außgeen zu lassen auf Meynung, wie
auß obgemelter Churfürsten und Fürsten gesterigen Schrift
vemummen, können sie sich nicht begeben, wollen sich auch
der Gepür damit wissen unverweyßlich zu halten und sich
versehen, das sich Kön. Durchleuchtigkeyt sampt Kay. May.
Orator und Commissarien, auch Churtürsten, Fürsten und
Stenden gegen inen und den Iren, auch menigklich auf irem
Teyl und dem Evangelio verwandt und Oberkeyt und Re-
gierung haben, des Glaubens, auch der jhenen Sachen halben,
^) Es handelt sich hier um die erste Protestation vom 19. April, die
bei den ßeichsakten behalten wurde, während die erweiterte Tom 20. April
Ton den Eommissarien wieder zurückgeschickt wurde. Übrigens erheUt
aus der Zusage der Beichstagsmehrheit, daß auch diese nicht die Absicht
hatten, das Wormser Edikt auszuführen, das sie verpflichtet hätte, die
Anhänger und Enthalter Luthers niederzuwerfen und zu fahen usw.
*) Samstag, 24. April, um ein Uhr wurde die Zuschrift der Stände den
Evangelischen übergeben, an demselben Tage um sechs Uhr die Antwort
der Evangelischen den katholischen Ständen.
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— 92 —
so sich in die Artickel, davon in künftigem Concilio gehandelt
sol werden, ziehen nnd denselben anhengig und verwandt
seind oder darauß fliessen und ervolgen, uuverhindert, auch
aller zeytlichen Sachen halben fridlich, nachtparlich und
freundlich halten werden, und wollen sich obgemelte Chur-
fürsten und Fürsten, Sachsen, Brandenburg, Lüneburg, Hessen
und Anhalt, Kay. May., ires allergnedigsten Herrn, halben zu
allen Pflichtigen Gehorsam underthenigklich, gegen Kö. Durch-
leuchtigkeyt, Kay. Orator, Commissarien und alle andere Chur-
fürsten, Fürsten und Stend des Eeychs, vermög Kay. May.
Landfriedens und insunderheyt des vorigen und negsten
Speyrischen Abschids, wie in irer Protestation auch berürt^
wiederumb fridlich, nachtparlich und freündtlich erzeygen,.
auch in ungutem und mit der That nichts fümemen.
Wiewol nun auch, als solchs auß o b angezeygten
Schriften helle zu versteen, die Kö. Durchleuchtigkeyt, Kay.
May. Orator und Commissarien, auch Churfürsten, Fürsten
und Stende und wir mit und gegen einander gewilligt und
uns verpflichtet, in mitler Weyl eins künftigen Concilii des
Glaubens halben in ungutem und mit der That auf keinem
Teyl nichts fürzunemen, sunder uns allerseyts gegen einander
nachtparlich, fridlich und freündtlich zu halten, darzu wir
dann zum höchsten geneygt und uns ungezweyfelt hynwider
versehen; die weyl aber dem Eechten und aller BiUigkeyt
gleichförmig und gemeß ist, da die Hauptsach, wie dits fals
der Glaub ist, in Ru und Anstand gesatzt, das alles das, so
der Haubtsachen anhengig ist oder darauß ervolgt und ent-
springt, auch ruen und der Haubtsachen Vorteyls und Frey-
heyt mit teylhaftig sein soll und wir aber, als das die obver-
melte ergangne Schriften anzeygen, sollicher Accessorien
halben kein gewise Antwort erlangt, so werden wir verursacht,
wo derhalben darüber und darwider, es were in oder ausser-
halb Rechtens, hie zwischen und obgemeltem Concilion icht
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— 93 —
was wolt fürgeniimmen werden, solchs von unser, auch aller
unser jetzigen und künftigen Adherenten wegen, jetzt als
dann und dann als yetzt, für ein tapfere Beschwerang, die
uns damit begegendte, anzuziehen, als wir auch hiemit
thun und von solcher Beschwerung hiemit auch wollen pro-
testirt haben.
Dem allem nach protestim, recusirn, provocim, appellirn,
suplicim und berufen wir, die obgemelten Churfür. und
Fürsten, für uns selbst, unsere ünderthanen und Verwandten,
auch jetzige und künftige Anhenger und Adherenten, in und
mit diser gegenwärtigen Schrift in der pesten Form und Maß^
wie wir sollen und mögen, von allen obangezeigten Beschwer-
den, so uns von Anfang dises Eejchstags biß zu Ende und
mit dem vermeinten Abschid begegendt sejn, auch aller Hand-
lung und aller andern Beschwerungen, wie die darauß ent-
springen oder hierunder gezogen oder volgen werden mögen,
sie seind hierinnen benenndt oder nit, ire Untüglichkejt und
Nullitet in allweg vorbehalten, zu und für die Komische Kay.
und christliche Maj., unsem allergnedigsten Herrn, und darzu
an und für das schirist künftig frej christlich gemein Con-
cilium und Versamblung der hejligen Christenhejt, für unser
Nationalzusammenkummen und darzu einen jden diser Sachen
bequemen unparthejischen und christlichen Eichter und unter-
werfen uns, unser Ffirstenthumb, Herrschaften, Land und
Leute, Lejb und Gut, auch alle jetzige und künftige diser
unser Appellation Anhenger, in der Kaj. Maj. und eins christ-
lichen Concilii Schutz und Schirm. Begem und bitten hierauf
von König. Durchleuchtigkejt, Kay. May. Oratom, auch Chur-
fürsten, Fürsten und euch andern des heyligen Reichs Stenden,
darzu euch ^) beyden offenbaren Notarien oder wer des Gewalt
hat, zum ersten, andern und dritten mal, fleyssig, fleyssiger
und aufs allerfleyssigst, uns solcher unser Appellation, Recu-
sation, Provocation und Suplication Zeugknuß, Apostel,*)
Abschidbrief, Listrument und alles, was zu Volziehung der-
') In D; auch. •) Vgl. S. 29, Anm. 3.
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— 94 —
selben nottürftig ist, zu geben und zu fertigen, abermals be-
zeugendt, solcher Appellation und anderm, so vil an uns ge-
legen, nachzukummen, zu volfüm und verkünden zu lassen^
an Stetten, Enden und Zeyten, so billich und recht ist Auch
behalten wir uns bevor, solche Appellation, Provocation und
Suplication zu mem, pessern, mindern oder endern, von neuen
einzulegen, als dann die gewönliche Form solchs herpracht
und zugelassen hat.
Dieweyl dann die gesandten Botschaften der
nachbenanten erbam und freyen Reychsstette, als Straßburg,
Nürmberg, Ulm, Costnitz, Lindau, Memmingen, Kempten,
Nördlingen, Haylbrunn, Reutlingen, Ißna, Sant Gallen, Weyssen-
burg und Winßheim, als die obberttrten Churfursten und
Fürsten Appellation, Aposteln und Adherentz begert und er-
fordert, gegenwertig gewesen, haben dieselben Botschaften zu
Stund diser obangezeygten Churfürst und Fürsten Appellation
adherirt, angezeygt und bedinget, das sie und ire Herrn und
Gewalthaber derselben Appellation adheriren, auch keinem
Fürnemen, damit und dadurch wider die appellirende Chur-
fürst und Fürsten oder wider ire gethane Appellation adten-
dirt und Neurung fürgenummen wolt werden, nicht anhangen
noch verwandt sein oder dawider thun wollen. Und alsbaldt
hochgenanter Churfürst und Fürsten verordente Räthe an
stat irer churfürstlichen und fürstlichen Gua. der obbestimpten
freyen und Reychsstette Appellation, so sie mer berürter
Sachen und Beschwerung halben gethan oder künftiglich
thun ^) werden, widerumb auch adherirt und bedingt, denselben
anzuhangen und nichts darwider zu handeln noch fürzunemen,
on alles Geverde, und von uns beyden nachgeschriben Notarien
sampt den Gezeugen solcher gethaner Appellation, auch An-
hengung derselben, Bedingung, Protestation und Vorbehaltung
Kundtschafts oder Gezeugknu£brief, auch ein oder mer Instrument,
so vil iren chui'fürstlichen und fürstlichen Gnaden derhalben
') In D Druckfehler: than.
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— 95 -
Ton nöten sein wfirden, gesunnen nnd begert, haben wir iren
chnrfarstlichen und f&rstlichen Gna. anß Erforderung nnsers
Notariatampts 6ezengkna£brief and dise unser ofihe Eundt-
Schäften nicht wissen zn wegem.
Geschehen zu Speyer im Jar, Indicion, Tag, Zeyt, Stundt
und Behausung, wie alles hieroben femer angezeygt ist.
Darbey seind gewest und gefordert zu Gezeugen die
erbem und ersamen Alexius Frauentraut, hochgenants unsers
gnedigen Herrn Marggraf Georgen zu Brandenburg usw.
Secretarius, Eukarius Ulrich, eins erbern Eaths zu Nürmberg
Kriegsschreyber und Burger daselbst, Veit Kemerer^) und
ander mer gnug glaubwürdiger.
Und nachdem ich Leonhart Stetner, Freysinger Bißthumbs
Lay, auß Kay. Ma. Macht und Gewalt offenbarer Notarius
und Tabellio und yetzt hochgenants meins gnedigsten Herrn,
des Churflirsten zu Sachsen usw., Cantzleyschreyber, neben
dem erbem Pangratien Saltzmann, hochgemelts meins gnedigen
Herrn Marggrafen Greörgen zu Brandenburg usw. Secretarien
als meinem Mitnotarien und den obgenanten hierzu sunderlich
erforderten Gezeugen bey angezeygter Erzelung der Beschwe-
rungen, Provocation, Appellation, Suplication und Berufung,
auch Bitt und Begerung der Apostel, Abschieds und Kund-
schaftsbrief sampt der obberürten erbem und freyen Eeychs-
stette Botschaften Adherentz, Anhangung und Bedingung,
auch Uberantwortung der Schrift, darinnen solche Beschwe-
rungen, Appellation und anders verleybt, und sunst anderm
Furtragen, so hieoben außgedrackt, personlich gegenwürtig
gewesen, das also beschehendt angehört und gesehen, so hab
^) Von den hier genannten Zeugen ist der markgräfliche Sekretär
Alexios Franentrant als Mitglied der Gesandtschaft der protestierenden
Stände an den Kaiser bekannt Außer ihm gehörte derselben noch Bürger-
meister Johannes Ehinger von Memmingen und der Nürnberger Syndikus
Michael von Eaden an. Über die anderen Zeugen und die beiden Notare
ist mir nichts Näheres bekannt.
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— 96 «-
ich neben bemeltem meinem Mitnotarien dieselb ubergebne
Schrift auß Erforderung meins Notariatampts angenummen
und in diß offen Instrument und Form gestelt und durch einen
andern, nachdem ich selbst teglicher Gescheft halben in hoch-
gedachts meins gnedigsten Herrn, des Churftirsten zu Sachsen usw.
Cantzley daran verhindert, auf zwölf Pergamentpletter
schreyben lassen, dieselben mit Fleyß überlesen und ver-
fertigt, auch meinen Tauf und Zunamen und gewönlich No-
tariatszeichen mit diser meiner eygnen Handtschrift auf diß
dreyzehendt und letzte Pergamentplat unterschriben und g-e-
zeychnet, zu Gezeugknuß und Glauben aller obgemelter Ding
hiezu sunderlich berufen, erfordert und requirirt.
Und dieweyl ich Pangratius Saltzmann, Bamberger
Bißthumbs Lay, auß Kay. May. Macht und Gewalt offenbarer
Notarius und Tabellio, obgenants meins gnedigen Herrn Marg-
giaf Georgen zu Brandenburg usw. Camer Secretari, neben
Leonharden Stettner, hochgedachts meines gnedigsten Herrn,
des Churfürsten zu Sachsen, Cantzleyschreyber als meinem
Mitnotarien, auch bey angezeygter Erzelung solcher Beschwe-
rungen, Provocation, Appellation, Suplication, Berufung, Be-
gerung der Apostel und Gezeugknüßbrief sampt der bemelten
erbern frey und Reychsstet Adherentz, Bedingung und sunst
aller Handlung, wie oben steet, neben obbestimpten meinem
Mitnotarien und darzu erforderten Gezeugen personlich gegen-
wurtig gewest, solchs alles, wie darin befunden und angezeygt,
gesehen und gehört, darumb hab ich solche Beschwerung alle,
hierinnen verleybt, durch Verhinderung anderer meiner Ge-
scheft einen andern auf zwölf Pergamentpletter schreybeu
lassen und mich darzu auf das letzt und dreyzehendt Plat
mit meinem Tauf und Zunamen und gewönlichen Notariats-
signet und diser meiner eygen Handtschrift auch unterschriben
und bezeychendt, und zu Glaubwirdigkeyt aller solcher Ding
hierzu sunderlich berufen und erfordert
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H
giji
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QUELLENSCHRIFTEN
ZUR
GESCHICHTE DES PROTESTANTISMUS
ZUM GEBRAUCH IN AKADEMISCHEN ÜBUNGEN
IN VERBINDUNG MIT ANDEREN FACHGENOSSEN
HERAUSQEQEBEN VON
Prof. JOH. KUNZE und Prof. C. STANGE.
SECHSTES HEFT.
URBANUS RHEGIUS:
WIE MAN FÜRSICHTIGLICH REDEN SOLL.
LEIPZIG.
A. DEICHEBT'SCHE VERLAGSBUCHH. NACHF.
(GEORG BÖHME).
190a
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URBANUS RHEGIUS.
WIE MAN FÜRSICHTIGLICH UND OHNE ÄRGER-
NISS REDEN SOLL VON DEN FÜRNEMESTEN
ARTIKELN CHRISTLICHER LEHRE.
(FORMULAE QUAEDAM CAUTE ET CITRA
SCANDALUM LOQUENDI.)
NACH DER DEUTSCHEN AUSGABE VON 1536
NEBST DER PREDIQTANWEISUNG HERZOG ERNST
DES BEKENNERS VON 1529
HERAUSGEGEBEN VON
LIC. ALFRED UCKELEY,
PRIVATDOZENT DER PRAKTISCHEN THEOLOGIE IN GREIFSWALD.
LEIPZIG.
A. DEICHEBT'SCHE VERLAGSBUCHH. NACHF.
(GEORG BÖHME).
1908.
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Alle Rechte vorbehalten.
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Einleitung.
Der vorliegende Neudruck der Formulae caute loquendi
des Urbanus Rhegius möchte nach zwei Richtungen hin dem
Leser einen Dienst leisten.
1. Er möchte einerseits die Kenntnis eines Schriftchens neu
beleben, das seinerzeit für die Entwicklung und Ausgestaltung
evangelischer Grundsätze eine nicht un'bedeutende Rolle ge-
spielt hat; wurde es doch für zwei lutherische Landeskirchen
der Reformationszeit ihrem „Corpus Doctrinae" beigegeben.
Als nämlich 1576 (Datum der Vorrede : 5. Mai) vom Herzog
Wilhelm dem Jüngeren für seinen Braunschweig-Lüne-
burgischen Landesteil ein Corpus Doctrinae veröffentlicht wurde,
wurde diesem als Anhang beigedruckt die schon im Jahre vor-
her bei Michael Cröner in Ulssen zu einer Ausgabe zusammen-
gefügten Formulae quaedam caute et citra scan-
dalum loquendi de praecipuis christianae doc-
trinae locis pro iunioribus verbi ministris in
Ducatu Luneburgensi D. Urbano Rhegio autore
und die von Martin Chemnitz ^) herrührenden Formulae recte
sentiendi, pie, circumspecte et citra scandalum loquendi de
») Vgl D. Joh. Kunze in Haucks Kealenzyklopädie », Bd. 3, S. 798,
36 ff. (Artifeel „Martin Chemnitz").
Uckeley, ürbanus Rhegius. 1
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— 2 —
praecipuis lioruin temporum controversiis. ^) Doch begnügte
man sich nicht mit dem lateinischen Texte beider Schriften,
sondern, vermutlich durch praktische Erwägungen bestimmt,
fügte man auf den 61 folgenden Seiten auch die deutsche
Übersetzung beider Abhandlungen bei. Beachtenswert ist
jedoch, daß die Schrift des Rhegius, ebenso wie die des
Chemnitz lediglich als Anhang, nicht als Bestandteil des
Corpus Wilhelminum gedacht ist. Beweis dafür ist das Titel-
blatt der Ausgabe, auf dem als „Summa, Form und Vorbild
der reinen, christlichen Lehre" nur die drei Hauptsymbole,
die Augsburgische Konfession und ihre Apologie, die Schmal-
kaldischen Artikel und Luthers beide Katechismen genannt
sind. Es ist demnach unrichtig oder doch wenigstens miß-
verständlich ausgedi'tickt, wenn Heppe -) sagt, das Schriftchen
des Rhegius sei in das Corpus Wilhelminum „übergegangen"
oder wenn Uhlhorn**) gar von „symbolartigem Ansehen" des
Büchleins redet, da es „Aufnahme in das Corpus doctrinae
Wilhelminum gefunden habe".
Was der Herzog von Braunschweig-Lüneburg getan, das
veranlaßte im selben Jahre der Herzog Julius in ähn-
licher Weise auch für seinen Braunschweig- W^olfenbüttelschen
Landesteil. Aber diesem Corpus Julium (Datum der Vor-
rede: 29. Juni)*) ist das Schriftchen des Rhegius ebenso wie
das des Chemnitz nur dem deutschen Wortlaute nach bei-
gedruckt. Wenngleich es hier auf dem Titelblatt im un-
mittelbaren Anschluß an Luthei^ Katechismus aufgeführt
wird, so zeigt doch der es behandelnde Abschnitt der Vor-
'j Ein Exemplar befindet sich in der Bibliotheca ministerii ecclesiastici
Gryphiswaldensis (Nr. 912). Die Ausgabe ist in Oktav gedruckt. *) Dog-
matik des deutschen Protestantismus im sechzehnten Jahrhundert. Gotha 1857,
Bd. 1, S. 60. *) Urbanus Rhegius, Leben und ausgewählte Schriften.
Elberfeld 1861. S. 225. Später redet Uhlhorn abschwächend von „halb-
symbolischem Ansehen" der Schrift. Haucks Kealenzyklopädie *, Bd. 5,
S. 476, 8. (Artikel „Ernst der Bekenner"). *) Gedruckt in der Heinrich-
stadt bey der Vestung Wolfenbüttel durch Cunrad Hörn. 1576.
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— 3 —
rede (Blatt 6^), daß auch hier von einem „deuterosymbolischen
Ansehen" des Buches nicht die Rede sein kann. Es heißt
dort nämlich: „Nachdem auch in diesen letzten zeiten zum
höchsten von nöten, das man zu Verhütung allerhand Calumnien
und Corruptelen in den Kirchen und sonderlich von etlichen
fumehmen Artikeln einerley rede führe, die der vielgemelten
reinen Lere gemes, damit die Zuhörer dadurch nicht verirret
und verwirret, den Widersachern auch kein ursach gegeben
möge werden, etwas zu calumniim, und aber weiland der
Erwirdige und Hochgelarte Urbanus Eegius, der H. Schrift
Doctor und des Fürstenthumbs Lüneburg Generalis Superin-
tendens, ein Büchlein in Druck ausgehen lassen, De Formulis
caute loquendi etc. und dasselbige unserm Corpori Doctrinae
gemes, als haben wir aus obangedeuten Ursachen und damit
jhe nichts underlassen, dadurch reine Lere vermittelst gnedigen
Göttlichen Segens durchaus und desto mehr erhalten möge
werden, zu angeregtem unserm Corpore Doctrinae auch dis
nützliche Büchlein anheften und drucken lassen."
Diese Anfügung an die zwei Corpora Doctrinae hat der
Schrift des Rhegius begreiflicherweise weitgehende Verbrei-
tung verschafft. Man trifft sie in der späteren Celler Aus-
gabe des Corpus Wilhelminum von 1621, in der Helmstedter
Ausgabe des Corpus Julium von 1603 sowie in den Braun-
schweiger Ausgaben desselben von 1690 und 1715. Natürlich
ist sie auch in den gesammelten Werken des Urbanus Rhegius
zu finden, die in Nürnberg 1562 ediert wurden, und zwar
steht sie ihrem lateinischen Wortlaute nach in den Opera
latina Pars I, Nr. 5, fol. 76* bis 87^ und dem deutschen Texte
nach in seinen „Deutschen Büchern und Schrifften" Teil 1,
Nr. 16, fol. 155* bis 173^ Dazu kommt eine Reihe von Einzel-
ausgaben, z. B. Magdeburg 1538 lateinisch — Ulssen 1575
lateinisch sowie deutsch — Helmstedt 1713 lateinisch — u. a. ^)
») Pastor H. Steinmetz hat (CeUe 1880) die Schrift des Rhegius neu
herausgegeben. Er selbst sagt (S. 78): „Es war nicht meine Absicht, des
1*
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— 4 —
Die Originalausgabe, auf die der vorliegende Abdruck
zurückgeht, ist die bei Johannes Lufft 1535 in Oktav er-
schienene des lateinischen und im folgenden Jahre (1536) eben-
dort herausgegebene des deutschen Textes. Unsere Ausgabe
bietet genau die deutsche Vorlage; der lateinische Text ist
überall verglichen und, wo er Abweichungen des Sinnes bot^
sowie auch, wo sein Wortlaut den deutschen Text dem Inhalt
oder den Worten nach zu erklären schien, in Anmerkungen
beigefügt, sodaB dem Leser nichts aus einer der beiden Aus-
gaben entgehen kann, und ihm bei der Lektüre des deutschen
Textes zugleich die Kenntnisnahme von dem Inhalt der
lateinischen Ausarbeitung gewährleistet ist.
In dem soeben von 0. Giemen (Arch. f. Ret -Gesch.,
Erg.-Bd. 2) veröffentlichten Briefwechsel Georg Helts findet
sich S. 91 die Notiz: Hausmann (in Dessau) dankt dem G. H.
(in Wittenberg) für ein Buch des ürb. Rhegius. — Der Brief
ist datiert vom 5. April 1535. Es dürfte sich nach Erschei-
nungsjahr und -ort um kein anderes Buch handeln als um
unsere „Formulae", und der Dank Hausmanns würde sich
vortrefflich daraus erklären, daß Helt ihn mit der, an seinem
Wohnorte soeben edierten buchhändlerischen Novität erfreut
hatte. Demnach wäre das Buch im ersten Quartal 1535
herausgegeben.
Aus den Angaben über die häufigen Drucke, welche die
Schrift des Rhegius in früheren Zeiten erfahren hat, dürfte
klar geworden sein, daß sie für die „Geschichte des Protestan-
Rhegins Werk mit philologischer Akribie herauszugeben." Nun würde es sich
ja ertragen lassen, wenn er nur die Orthographie modernisiert und schwer
Terständliche Sprachformen in uns geläufigere umgetauscht hätte. Allein
sein Abdruck ist, wie ich durch genaue Vergleichung festgestellt habe, in
hohem Grade flüchtig und stellenweise sogar sinnwidrig. £r läßt wesent-
liche Worte und Sätze aus (z. B. Seite 6, Zeile 17. 7, 1. 7, 28. 14, 6, 15, 1.
15, 9 usw.). Der Abdruck ist so ungenau, daß z. B. S. 74, 6 statt „erstlich*
„christlich" bei ihm zu lesen ist. Ich habe nicht eine Seite gefunden, die
nicht Fehler aufwiese. So dürfte diese Steinmetzsche Ausgabe als für
wissenschaftliche Zwecke völlig unbrauchbar angesehen werden.
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_ 5 —
tismus^ eine nicht unbedeutende Bolle gespielt hat, mithia
ihre Kenntnis zum Verständnis derEntwidklung der lutherischen
Lehraufstellungen nicht unwichtig ist.
2. Neben diesem dogmenhistorischen Interesse wird der
Leser aber auch andererseits bald ein praktisch-theologisches
Interesse an dem Buche gewinnen; handelt es sich doch in
ihm um Aufstellungen und Anweisungen, die unmittelbar auf
die Predigtmethode der Beformationszeit Einfluß üben wollten
und ihn zweifelsohne in hohem Grade gewonnen haben. Um diese
Bedeutung des Buches recht verstehen und richtig würdigen
zu können, ist es unerläßlich, sich ein Bild von den für seine
Entstehung maßgebenden näheren Verhältnissen und landes-
kirchlichen Zuständen zu entwerfen.
Zu den evangelischen Predigern Augsburgs, denen im
Jahre 1530 durch ein Kaiserliches Mandat weitere Predigt-
tätigkeit untersagt wurde, gehörte auch Urbanus Ehegius.^)
Zu unfreiwilliger Muße verurteilt, war ihm das alsbald an ihn
gelangende Anerbieten Herzog Ernsts von Lüneburg sehr will-
kommen, als Prediger in Celle in dessen Dienst zu treten^
und ei' zögerte nicht, ihm seine Zusage zu geben. So war er
für das Lttneburgische Land gewonnen, dem er von 1530 bis
an seinen, am 27. Mai 1641 erfolgten Tod als Prediger des
Evangeliums, bald auch als Landessuperintendent treu und
mit reichem Segen gedient hat. Dieser von ihm ausgegangene
Segen darf nicht in bedeutsatiien organisatorischen Leistungen
gesucht werden, die er dem Lande zu gut vollbracht hätte.
Zwar hat er auch auf solchem Gebiete sich versucht; so
empfing die Stadt Lüneburg von ihm ihre „Kirchen- und
*) Eine wertvoUe Biographie des Rhegius bietet der Artikel von
Tschackert in Hancks Bealenzyklopttdie ^^ Bd. 16, S. 734 ff. Anßerdem
ist noch za vergleichen: Heimbnrger, Urbanns Bhegios, Gotha 1851
(stellenweise überschwenglich und voreingenommen für Eh.). OttoSeitz,
Die Üieologische Entwicklung des Urbanus Megius, Gotha 1898. G. H a c c i u s ,
Urb. Rh.' Seelenarzenei, Hennannsburg 18d4. S. 1-— 3ö. Für die frühere
Periode von Rhegius' Leben vgl Friedrich Roth, Augsburgs Refor*
mationsgeschichte, Bd. 1, München 1901. S. 57 ff.
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— 6 —
Schulordnung" vom 9. Juni 1531.*) Aber seine eigentliche
segensreiche Bedeutung für das Land, dessen Superintendent
er war, liegt anderswo. Sie ist in der stillen, mehr seel-
sorgerlichen Art zu suchen, mit der Rhegius bestrebt war,
innerhalb des Fürstentums ein Pastor pastorum zu sein. Die
einzelnen, vielfach noch unbesetzten Pfarren mit tüchtigen
Predigern des Evangeliums zu versehen und die amtierenden
Prediger, die teils aus den Kreisen des früheren Klerus, teils
aus denen ehemaliger Klosterbrüder kamen, teils als Witten-
berger Studenten von Luther und Melanchthon selbst eine
theologische Ausbildung erhalten hatten, anzusporen und an-
zuweisen, wie sie sich weiterbilden und worauf sie den Schwer-
punkt bei ihren Predigten verlegen sollten, war sein Haupt-
bemühen. ^) Einer tüchtigen Ausbildung und Fortbildung
der ihm unterstellten Prediger hat er mit Mund und Feder
gedient, und einzig diesem Bestreben verdankt das vorliegende
Buch „Wie man fürsichtig reden soll" seinen Ursprung.
Er hatte es oft erfahren müssen, wie namentlich junge
Prediger ihre Predigten dadurch verdarben und der Gemeinde
dadurch Ärgernis und Anstoß bereiteten, oder gar sie in Irr-
tümer verleiteten, daß sie die Schriftwahrheit als Ganzes zu
wenig berücksichtigten und einzelne Stücke aus dem Zusammen-
hange herausrissen und ihnen dadurch, daß sie sie einseitig
betonten, eine mißverständliche Bedeutung verliehen. Ließen
sie sich dabei von der an sich verständlichen Absicht leiten,
durch schroffe, deutliche Hervorkehrung eines Stückes der
evangelischen Lehre möglichst klar und scharf das unevan-
gelische Gegenteil dieses Lehrstückes abzuweisen, so ver-
mieden sie doch oft nicht die leicht sich einstellende Gefahr,
weit über das Ziel hinauszuschießen und den Zuhörern irre-
führende Gedanken, auch ohne es zu beabsichtigen, nahezulegen.
Dergleichen nannte Rhegius „ohne Vorsicht und mit Ärgernis
*) Abgedruckt von Ubbelohde in der Zeitschrift der Gesellschaft für
niedersächsische Kirchengeschichte, Bd. 1, (1896), S. 45 ff. «) Vgl Uhl-
horn a. a. 0. S. 218.
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— 7 —
predigen". Er kannte Prediger, die von Glauben und von
Sündenvergebung zu ihren Zuhörern zu reden nicht müde
wurden, die aber nur selten von der Buße etwas sagten.
Durch derartiges wurde beim Volke die irrige Voi-stellung
erweckt, als könnte man auch, ohne Buße zu tun und ohne
Reu und Leid über die Sünden zu haben, dem Evangelium
von Christo glauben und sich der in ihm dargebotenen Ver-
gebung getrösten. Andere Prediger trieben wohl das Lehr-
stück von der Buße vor der Gemeinde fleissig und erschreckten
die Gewissen der Leute kräftig durch das Gesetz, ließen es
aber am Hervorheben des tröstlichen Moments, welches das
Evangelium darreicht, allzusehr fehlen. Einige andere wollten
in ihrer Predigt das Volk über Glauben und gute Werke
unterrichten; zu dem Zweck ließen sie sich in derartigen
Sätzen aus: „Es ist nichts mit unseren Werken; sie stinken
vor Gott. Er will sie nicht. Sie machen eitel Gleisner.
Es tut's allein der Glaube. Wenn du glaubst, so wirst du
fromm und selig." Das Ergebnis solcher Predigt konnte dann
nur sein, daß die Einfältigen sich ärgerten und zwar besonders
diejenigen, welche bisher noch nicht viel vom Evangelium
gehört hatten. Sie konnten Gefahr laufen, aus solchen Sätzen
sich die irrige Meinung zu bilden, als sollten bei den Evan-
gelischen die „guten Werke" verworfen und für zwecklos und
unwesentlich erklärt werden. An einer ganzen Reihe von
Lehrstücken führt Rhegius solche Entgleisungen der Predigt
vor und zeigt, wie „die Prädikanten zu beiden Seiten den
Holzweg ausfahren, aber auf der rechten Mittelstraße nicht
bleiben wollen", oder, wie er es an anderer Stelle ausdrückt,
wie sie „allein zerbrechen und nicht bauen".
3. Daß diese Gefahr für die evangelische Predigt nicht zu
unterschätzen sei, und daß man zurzeit dem Volke durch nichts
mehr schaden könne als durch Unbesonnenheit und stürmische
Einseitigkeiten, war schon einige Jahre, ehe Rhegius sich an
die Ausarbeitung seiner Formulae caute loquendi machte, dem
Landesfürsten, Herzog Ernst dem Bekenner, klar ge-
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— 8 —
worden und hatte ihn dazu veranlaßt, gelegentlich ^) der 1529
von ihm persönlich vorgenommenen Visitation der Stifter und
Klöster seines Landes den an allen Orten, in die er kam, von
ihm eingesetzten evangelischen Predigern einen „Kurzen
Begriff, was sie lehren sollen" in Gestalt einer all-
gemeinen schriftlichen Predigtinstruktion zu übermitteln. —
Hinweisen, die sich bei Adolf Wrede ^) finden, der einen „kurzen
Auszug" *) aus ihr seiner Darstellung einverleibt hat, nach-
gehend, habe ich ein handschiiftliches Exemplar derselben im
Königlichen Staatsarchiv Hannover unter der Sig-
natur Celle Br. Arch. Des. 50 Nr. 2, fol. 34—41 fest-
stellen können und biete es, da es, wie schon Wrede sah,
„außerordentlich charakteristisch für das besonnene und
konservative Vorgehen des Herzogs ist" und für Ehegius
„anscheinend ein Vorbild für seine Formulae caute loquendi
gewesen ist", in Folgendem zum erstenmal vollständig in
wörtlichem Abdruck. Freilich hat der Verfertiger der alten
Handschrift wohl nicht an allen Stellen das Original mit er-
wünschtem Verständnis und mit der nötigen Genauigkeit
kopiert, immerhin aber läßt sich auch an den Punkten, wo
ihm Versehen zugestoßen zu sein scheinen, Sinn und Ab-
sicht der Anweisung Herzog Ernsts unschwer und sicher er-
kennen.
Was die Datierung des herzoglichen Schriftstückes an-
langt, so hat Wrede zweifelsohne im allgemeinen richtig ge-
sehen, wenn er es in die Zeit vom Mai bis Juli 1629 rückt.
*) Vgl Havemann, Geschichte der Lande Bratmschweig und Lüne-
burg, Göttingen 1885, Bd. 2, S. 106 f. «) Die Einführung der Refor-
mation im Fürstentum Lüneburg bis zum Jahre 1530 (Göttinger philosophische
Inauguraldissertation, 1887). Neu bearbeitet und herausgegeben in den
Schriften des Vereins für Keformationsgeschichte (Jahrg. 7, Nr. 25) unter
dem Titel: Ernst der Bekenner, Herzog von Braunschweig und Lüneburg.
Halle 1888. *) Wiederum eine Verkürzung aus diesem „Auszuge**
bietet Uhlhorn in seinem Vortrag „Herzog Ernst der Bekenner**. Zeit-
schrift des historischen Vereins für Niedersachsen. Hannover 1897, S. 28.
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— 9 —
Denn die früheste Zeitgrenze ist mit der Erwähnung der
Hambuiger Kirchenordnung Bugenhagens, die am Pflngstabend,
d. i. am 15. Mai 1529, Eechtfikraft ^) durch Rats- und Bürger-
beschluß empfing, gegeben. Es dürften sogai- erst noch einige
Wochen des, wenigstens einigermaßen erfolgten Bekannt-
werdens dieser Ordnung im Fürstentum Lüneburg vor dem
Entstehen unserer Predigeranweisung anzunehmen sein. Die
andere Zeitgrenze ist mit der verbürgten Tatsache ^) gegeben,
daß Herzog Ernst sie am 13, Juli 1529 dem Benediktiner-
Kloster St. Michaelis zugesandt hat Ich glaube aus diesen
Erwägungen, daß man Grund und Recht hat, den von Wrede
für die Entstehung angegebenen Zeitzwischenraum noch zu
verengern, indem man möglichst vom Mai abrückt und erst
die Zeit von Mitte Juni bis Anfang Juli 1529 für die
Datierung in Ansatz bringt.
Die ,• Anweisung" lautet folgendermaßen:
(fol. 34 »). Wie und was wir Ernst, von gots gnaden
Hertzog zn Brannswick und Leuneborg, unsers fnrsten-
thumbs pharhem und predigem zu predigen befohlen.
Demnach mancherley kuntliche mißbrauche nun langes
her eyngerißen, die nicht leichtlich noch ohn geverdt ^) in der
eyle mögen außgereuttet ^) werden, ehe dann sie vormiddelst
heUer, unwiddersprechliger heiliger schrifft vor ungotlich er-
klert, erfoddert die billicheit und nottui^fft, hir innen eynen 5
klugkeit des geystes und Cristliger bescheydenheit zu ge-
brauchen, das erstlich eyn gutter unbewechliger grundt ge-
legt, drauff man onsorgUch bauwn und das liecht Gotlichs
worths im mittel angeßundet*) werde, dar bey die Christ-
glaubige gleich als in eynem duncklen orth mögen sehen, bey 10
^) Richter: Die evangelischen Kirchenordnongen des sechzehnten
Jahrhondertfl, Weimar 1846, Bd. 1, S. 127 (Einleitende Bemerknngen).
»j Wrede, Diss. S. 94, Anm. 6. ») Gefahr. *) ausgerottet.
*) angezündet.
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— 10 —
welchem auch berurte mißbrauche sich nicht vorstellen, sonder
an Ihn selbs der maße gebloset werden, das Irer falscher
scheyn entlichen vorlesche. ^) Sollen drumb alle und Jglige
unsers furstenthumbs pharhern und prediger nicht untzeitlich
6 noch unbescheydennlich mit ergemus der zuhorer wider
menschlige gerechtigkeit fechten, dieweill der grundtvest^)
gotliger gerechtigkeit, welcher ist Cristus, noch nicht gelegt
ist, dieweill das Evangelion so lange noch nicht geprediget ist,
das men glaub, der sundt Vergebung durch gots gnade und
10 das ewig leben nur alleyn in unnserm Hern Jesu Cristo. Ejti
nerrichter mensch bauet ane ^) grundt und flickt eyn alt kleidt
mit eynem läppen von nuwem thuch,*) fasset auch den most
in alte schleiche. Da abir die menschen angefangen, die
warhafftige ge- | (fol. 34^) rechtigkeit zu vorstehen, als dan
löwirdet die falsche gerechtigkeit leichtlich vordammet.
Erstlich sollen sie die menschen ansehen als bruder, nicht
in kappen, platten etc. als der widerwertigen vileicht durch
predig der puße van irsalen ^) und ßunden nüchtern zu reden
und durch predig deß Evangelii zu glauben und salicheit®)
20 zu entpfangen auflf die vorheißung. In Cristo wird Jnnen
got puße geben, die warheit zuerkennen und^nuchtern zu
werden von des teuffels strick, der sie gefangen hat nach
seynem willen, 2. Timoth. 2.')
Hyr Jnnen ^) aber etwas firuchtbares nach gotligem willen
25 außzurichten , sollen sie nicht ungeschigkte, noch unnutze
arbeyder seyn als Jenne, wenner®) sie ein gantze stunth^**)
geprediget auß der schrifft der gestalt, das sie nicht mögen
beschuldigt werden, als betten sie ichtwes bosses^^) gepredigt,
haben doch nichts gepredigt und die zuhorer ohn frucht hin-
30wegk gehen. Demnach da sye nichts gesatzt, das ist keyne
*) verlösche. *) die Grundfeste. ^) ohne. *) neuem Tuch,
vgl. Matth. 9, 17. *) Irrsal = Abweichung vom rechten Glauben, seductio,
haeresis. Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4, Abt. 2, S. 2174
(Bedeutung 3). «) Seligkeit. ') 2. Timoth. 2, 26. ^) Hierin.
**) wann. ***) eine ganze Stunde. *') irgend etwas Böses.
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gewisse maten^) vor sich genomen, dar uff sie reden die
beweren, ^) oder als gepurlicli dem folck Innbilden werden,
fharen sie weitlufftiglich, werffen ungeschigkt alles In eynem
hauffen, das mann nicht weis, wie hinauß, Thun datzu nu
diesses, nu Jenes, das datzu nicht gehört, waren*) zu gleich 5
de pflüg und steen odir Ja der beyder keines, da sie sich
beyderley undirstheen, *) lauffen Imer dar neben und auß der
bahn. Von diessen dorflfstu nicht erwartten eins besclus, *)
drjTinen alles, das gesagt, kurtzlich Vorgriffen und vorhält
werde. Dann diewill, was ßie Je | (fol. 35*)*) gelernt adirlO
geleßen, alles auff eyne stunt sagen wollen, werden ßie Irre
Ihnen selbs, wissen nicht, was ßie gesagt; solche mugen eynen
andern nicht lernen. Ein Bischoff aber soll lehrhaftig sein. ')
Sollen drumb nicht ubir eyne stundt predigen, vorhandlen
ichtwas®) gewisses und setzen aus der schrifft, das an- 15
zweiffentlich ®) den Zuhoreren nutze; ligt nichts drhan, ob sie
das, so der vorgenomen schrifft Inhalt erfoddert, eins mahls
nicht alles sagen.
Als dann auch schigligkeith ^^) weynig nutzet, wo sie
mitt vormugen und krafft Gotligs worts nicht untyrbauet^^)20
noch vorfügt ist; sollen die prediger dem lesen der heiliger
*) Maß, Zielpunkt. *) Hauptwort zu dem, im Sinne von „probare,
explorare, beweisen, wahr machen, dartun" oft auch von Luther gebrauchten
Zeitwort. Vgl. Luther: „Der Landgraf bewert ihm aus der Schrift, das
man die oberkeit ehren soll." „Dieser Artikel, als untüchtig zum glauben,
bedarf wohl bewerens" u. ä. Siehe die Zitate bei Grimm a. a. 0., Bd 1,
S. 1764. *) wahren, nehmen in acht. *) unterstehen. *) Be-
schluß. **) Hier ist dem Abschreiber das Versehen zugestoßen, daß er
die erste Reihe mit Worten füUt, die auf fol. 38 a gehören, und dafür die
in den Zusammenhang gehörenden Worte ausläßt. Zum Glück lassen sie
sich aus den fol. 36» der Handschrift mitgeteilten, nachher vom Schreiber
wieder durchstrichenen Sätzen rekonstruieren, sodaß trotzdem in dem Obigen
ein glatter Text dargeboten werden kann. ') 1. Timotheus 3, 2.
•) irgend etwas. ®) unzweifelhaft. *^) Wrede hat versehent-
lich „Seligkeit" gelesen, was keinen Sinn gibt. ") unterbaut. Auch
bei dem Ausdruck „vorfügt" achwebt das Bild des Bauens vor.
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schrifft und denen^ die ßie reyn und ohn menschen Znsatz
handien, hogsten äeisses obligen, auch nicht alles ohn undir-
scheit^) untir den hauffen pludern. ^) Dan nach gelegenheit
der zeit muß man der Swachen vorschonen, der unwissenden,
öwie unwillig sie seyn, sovem sie das wort hören und andere
nicht Vorursachen, das wort zuvorachten, ßunder*) auff eyne
ordenung und gewisses stellen erstlich Inen selbs, das ßie
andern f hur halten und sie bereden werden, vor allen Dingen
ohn untirlaß den hem anruffen, diessen geschefften mit Got
lOgepurlich vor zu stehen durch Jeßum Crist, unsem hern.
Und wie woll alle zuhorer Inen stetiglich zuermanen
sein, sollen doch die, so noch in menschliger gerechtic^eit
arbeiten, allermeist angehalten werden, Gottis liecht zu bitten.
Dan got als dann gewißlicken bey seynem Evangelio sein
löwirdett zu seyner Zeitt, die frucht zu geben. Sunst müssen
doch die Cristen von bitten nimmer auffhoni. Diesses sey
nun kurtzlich, wie sie sollen lehren. Folgt ein
kurtzer begreiff, was ßie leren sollen.
Rechtschaffen erkantnus der Sundt.
20 Demnach die erbawung cristligs glaubens im predigen
auff zwey Ding gericht ist, nemlich | (fol. 35^) auff pusse und
Vergebung der ßunt, Als Cristus luce am lesten*) spricht:
also muste Cristus leyden etc. und predigen lassen in seynem
namen busse und Vergebung der ßunt undir allen folckeren,
26 sollen die prediger dran sein, das die Zuhorer erkennen, das
sie warhafftiglich vordamtt seyn nicht allein umb die groben
eußerlichen sunt, welche, wollt gott, von Ihnen also gemiden
werdt, als sie die leichtfertigs urtheils vordammen, Sonndern
auch zum allermeisten der Ursachen, das ßie der Innerligen
30 des hertzen gerechticheit mangeln, und got nicht preisen
*) Unterschied. *) plaudern. •) sunder, Adverb, in der Be-
deutung: Jedoch, aber". Vgl. Schiller-Lübben, Mittelniederdeutsche«
Wörterbuch, Bremen 1878, Bd. 4, S. 470. *) Lukas 24, 46—47.
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Ro. 3, ^) welche des hertzen Gerechtigkeit und er -) Gotts das
gesetz woll foddert; gibt sie dochnit. Diesses ist die predig
des gesetzs; Das ist eyn fleissig außlegung und offenbar
Handlung der Zehen gebott, Jhe kurtzer und gewisser, Je
nutzer. Viel wort füllen den sack nicht Ein außlegung, die 5
klar und gemeinem man vorstendtlich ist, die bauet und bessert
Solch predig des gesetzs foddert kreflPbiglich Zur busse.
Keyn hoffnung in unJJ.
Ob nun durchs gesetz die Bunde woll erkant werden, sein
doch darmitt nicht hinwegk gehnomen.^) Sollen drumb die 10
Prediger Ire Zuhörer lernen, das sie durch Ire kreffte, das ist
alle mynschlige Ire vormugen,*) von ubirtrettung | (fol. 36*)
des gotlichen gesetzs, dar mit alle wir Gotte vorhafft sein,
nicht mugen erlediget werden widder*) durch Ire genugthun
odir wercke wedder durch Creature, sein heymlisch odiri5
yrdisch/) Sintemhal wir sein gefallen in gots gericht und
des gesetzs urtheill, welchs Christus mit dießen worten ap-
spricht: Thue das, so wirstu leben,') ob er sprechen sollt:
Thustu das nicht, so wirstu nicht leben. Niemants abir hats
gethan, noch wirt es thun, so du syhest, wie große Reynig-20
keit des Hertzen das gesetz erfoddert Dar her wir auch
Ingefallen sein durch ubirtrettung des gesetzs, das ist durch
die ßunde (dan wer wirt sich eyns reynen Hertzen rumen ?) %
gefallen seyn wir, Sprech ich, in des teuffels gewalt, welchen
Cristus nennet eynen fursten diesser weit. ®) Abir Zum wech- 25
nemen^^)'des erschregkenlinge gericht des hogsten Richters,
durchs welchs uns das ubirtretten gesetzt verdammet, zuent-
fliehen der gewalt so mechtigs feinds, des teuffels, was seyn
wir fleisch und bluth, mit was krefften, wercken, gerechtig-
*) Römer 3, 11 ff. *) Ehre. ') genommen. *) all ihr
Bienschliehes Vermögen. *) weder. •) himmlisch oder irdisch.
^ Lukas 10, 28. ») rühmen. ») An den drei Stellen Joh. 12,31.
14, 30. 16, 11. »0) wegnehmen.
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keiten, Ja auch Engeischen Creaturen mögen wir Avedder-
stehen? Unser Heuchley mag sich seyn untirstehen, schaffet
abir nichts. Vorblenden mag | (fol. 36^) ßie uns, nicht abir
helffen. Sonst, wen das entrynnen in uns gelegen were, was
^bedarfften wir Christo?
Werden Avir drumb vortzweiffeln ? Warlich unserthalben
müssen wir vortzweifflen, den wer mag von seyner ßundt
wegen hoffen, und menschlige rechticheit ^) tychten mher be-
trieglichen eyn hoffnung, dan das sie JJie leisten, welchs, das
10 es war-) sey, wirt der mhal aus die erschregkung Gottlichs
gerichts und entsetzung des tods ausweisen. Dann zu der
zeit wirt diesse betriegliche hoffnung dir eben eyn Hoffnung
sein als dem hungerien^) eyn essen ist malte ^) speissa
Es sey dann abir, das die mensche auff diesse weise er-
15 erkennen, was ßie seyn und was ßie aus Inen selbs vormugen,
werde nummer im gründe wedder lieben noch das Evangelion
Christi annemen. Hir sollen abir die selsorgers mit den ge-
wissen seuberlick f hären, die sie befindten albereydt er-
schrogken und rechtschaffen von wegen Irer ßunt und erkant-
20nus Ires irsals vorschembt, dann denselbigen ist noth, von
ßunt eynen Kath und Artzney des Evangelii bey zu br *^)
Vorgebung der Sundt und Ewiges leben durch
Jeßum Cristum.
Auff die vorige vordammnus, welche das ubirtretten gesetz
25trauwet, •) da aller trost unsent und unser kreffte halben
abegesclagen, ^ da die hell Iren rächen auffsperret, | (foL 37*)
uns zuvorsclinden, ^) trifft eben das Evangelion, das ist vor-
kundigung, das die ßunt durch Cristum vorgeben seyn, und
syhe die Hoffnung mitten in der Vortzweifflung, syhe das
*) Gerechtigkeit. *) wahr. ') Hungrigen. *) gemalte.
*) Mit den beiden Buchstaben br bricht die Handschrift hier den Satz
Ab. VieUeicht ist „bringen" zu lesen. *) drohet. ') unsert-
halben . . . abgeschlagen. **j verschlingen.
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Hymmellreich, eben da du bist Zur hell vordampt. Got der
Vater erkent diesse Zwey stucke, nemlich deyn vordamnus
und das du durch deyn vormugen nicht magst entrynnen.
Drumb da er sich unser erbarmt, als er dann von ewigkeit
her vorordenet, hat er seins eynigen Suns nicht vorschonet, 6
sondern vor uns allen In^) hingegeben. Bey den Cristen ist
nymant, wy heyligs und erligs lebens er Imer ist (dan wir
Ja auch in weltliger odir bürgerlicher fromigkeit sollen be-
rumbt sein, welche das scharflF recht auch von uncristen er-
foddert) nemant, sprich ich, ist, der nicht bekenne diesse lO
Worte: Cristus ist vor meyne-) ßunt,*) ob du nun in deynen
und der weit ogen, wie dir dann auch gepurt, woll bist eyn
from man, eyn erliche frau, ein zuchtig Jungfrau, in *) bedarif '^j
gesell, Jdoch bekennestu mit diessen Worten dich den aller
grossisten sunder vonn gots gsicht. Es sey dann *) du von 16
wegen diesser weit lygen ') Deyner fromigkeit In gleichßnerie ^)
vorblendet seyest, da du schauest, wie gar unschiglig®) und
streflflig ander lehut^^) gegen dich leben. Dann deyn ßunth
muß kurtz die aller gröbst und großiste seyn, welche zu vor-
telgen ") der ejugeborn ßhun Gots muste sterben.^*) Sonst 20
in ewigkeit weriestu^^) verloren, wenn du gleich zum ansehen
auflFs aller erligst lebetest. Hettystu^^j auch in ander wege
dejTi ßunt mugen hinwegthun, was theth noth so schendtlich
umbkomen den eyngeborn ßun Gotts? Her widderumb dar
mit I (fol. 37*>) du nicht vortzweiffelst, syhestu,^*^) das vor 25
deine ßunth der Allergrossiste kostung ^•j ist gegeben, nem-
lich der eyngebomen ßun Gotts, auff das du nicht zweyffelst,
ßunder aller gewissesten vortrauwens glaubst, vor deynn ßunt
*) ihn. Vgl Römer 8, 32. *) Die Handschrift hat versehentlich
„neyne". ») Ergänze: dahingegeben. *) Verschrieben ftlr ^ein".
*j Das Wort ist heutzutage nur noch in seiner Gegenteilsform gebräuchlich :
unbedarft. «) Ausgelassen ist „daß". 'j Lügen. ») Gleißuerei.
•) unschicklich. ^^} Leute. ") vertilgen. *«) Christi Tod ist Er-
kenntnisgnind für die Größe der Sünde. ") wärest du. "} hättest
du. **j siehst du. **) Bezahlung.
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sey gnug gethan, ja mher dan genug than. Dan was ist der
gantzen weit ßunde gegen den gegebenen leyb und vergossen
bluth des ßuns Gottis? Durch dießen glauben alleyn wirstu
bestehen in Versuchung und todte gegen die ßunt. Alles, das
5 du ausserhalb diesses glaubens dich untemimpt, es sey dein
selbst gedieht odir auch von andern, wie heilig sey Imer sein
auflfgenomen, ist eyttell und vorloren Ding.
Glaub.
Solliche der Sunt vorgebung und Ewigs leben, durch
loJeßum Crist mag auff erdtboden keyn Ding erlangen noch
behalten ane ^) der eyniger Cristliger glaub. Cristliger glaub
abir ist das vortrauwen nur In gottis barmhertzickeit on
eyniges unser oder annderer vordienst umb den eynigen unseren
midtler Jeßum Crist, der uns geschengkt und umb unnsem
15 willen hingeben ist.*) In welchem vortrauen wir auch den
vatter alhy für und für anruffen: vorlas uns unse schulde, als
wir vorlassen unseren schuldigers.*)
Alhir ist noth, das folck zu lernen, das diesser glaub sey
eyn erkantnus, die von menschen nicht mag begriflFen noch
20 behalten, sondern von got muß gegeben werden, auff das man
drauß nicht eyne fleischlige freyheit und mussig- | (fol. 38 «)
gang guetter wercke lehrne. Dem nach der glaub das fleisch
und seine wercke todtett, und der geist Imer und Imer
streytet gegen ßundt, teuffei und weit. Vorauß abir soll das
25 folck die krafft und gebrauch des glaubens eygentlich vomemen. *)
Krafft des glaubens.
Des glaubens krafft ist, uns rechtfertigen und mit eyner
frembden, nemlich Cristus gerechticheytt anthun, und das ist
die unaußsprechliche Gottis gab, da durch er uns in seynem
30 angepornnen ^) erlost von sunth, todt und teuffei etc.
') ohne. ») Vgl. Römer 4, 25. «) Matth. 6, 12. *) ver-
nehmen, hören. ^) eingeborenen [Sohn].
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Hirauß folget nun gewißlig, das alle unßer vorhaben
und wercke, so Zu unser und anderer rechtfertigung und er-
loßung allenthalber dorch Orden, Cermonien, Gelübde, Meß^
Walfahrte, Ablas und dergleichen erfundten, vorhmert^) und
pis*) anher vorteydigt sein ane,*) Ja widder gots worth, 5
sein alle unnutze und vorgeblich. Dann vortrauwen in die,
ist, Gottis des vaters bannhertzigkeitt und das blut Jesu
Cristi, des ßuns gottis, vorleucken. *) Hier aber ist Inen nodt
eyner Cristlichen bescheydenheit bey den, die woll das Evan-
gelien lernen, Jdoch noch nicht genugsam vorsthehen mögen, 10
das solchs alles nichts sey. Sollen doch alles In das gemein
angemrth, darnach zu gelegener Zeit mit mheren wortten
erklert und dem volck Ingebildet werden. Dan eyn getruwer
haußhalter wirt dem haußgesinde Cristi zu gepurlicher zeitt
Ire massen weitzen geben.*) 15
I (fol. 38^) Gebrauch des glaubens.
Des glaubens brauch ist, durch die lieb den anderen
dienen und hinwidder den bruder bekleyden mit unser fromig-
keit, weißheit und allen unsern wolvormugen, gleich als wir
von Cristo auflFgenomen sein, und mit seynen guedtem be- 20
kleydt und reich gemacht.
Hirauß folget nu, das der guedten wercke nodt ist, als
des Eechtschaffen glaubens, der tettigen*) lebett. Hir muß
abir auffsehen und woll gedacht werden, das die werck des
glaubens sein, nicht des Unglaubens, noch des abirglaubens. 25
Der Liebe wercke abir sein uns von got gebotten, die der
heilig geist in uns ungeheißen vorbringeth.
Untir den wercken abir sein die Ersten, der obirkeitt
und gewalt in allen Dingen negst Gott untirthan sein, den
frydt fodderen, fursten ehren und Groß achten, Bitten vor 30
alle policei und sorgfeltig sein, welcher gestalt wir Inen mugen
*) vermehrt. *) bis. *) ohne. *) verleugn^en. *) Vgl.
Lukas 12, 42. «) tätig (Adverb).
ückeley, Urbanus Rhegius. 2
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nutzen und fromen. Nebist den sein [den] Eiteren gehorsam
leysten, das haußgeßinde mit Gotts wort und leiblichen brotb
Vorsorgen und ebmeren, ^) und der gestalt in beyderleyg re-
gerung*) leybs und geists Ihnen dienen.
6 Hir muß mit lernen getrieben sein, was nach seinem
stanth eyn iglicher, der predig horeth, Zu thun schuldig, was
alte menner und weyber, was Jungling beyder kunne,') was
kinder, was eiteren, was knechte und mägde, was hern und
frouwen etc. vorpflicht sein, wie paulus und petrus | (fol. 39 »)
10 davon pflegen zuermanen. Die Epistell to Tito gedenckt gar
nha der alle. Eynen igligen ist wercks genug und abir genug
vom hern befolen, das es keyn stat noch Zeit hat, mit abir-
glaubigen wercken sich bekmnem. Ich weis, spricht Cristus,
das sein (des vaters) gebott ist das ewige leben Johann. 12. *)
15 Was der vatter nicht befolen hat, mag woU abirglaub und
strick der gewissen seyn, das ewig leben mags abir nicht
seyn. Was nicht aus dem glauben gehet, das ist Sunt. *) Das
geheth abir aus dem glauben nicht, das man sich an^) Grots
wort und geheis untirnympt. Nun ists doch das aller Jamer-
201igst, in dem stannth leben, den du mit gots worth und dem
glauben Cristi vor got nicht kanst vorteydigen.
Damach gepurt auch Eynem Cristen, seinen nachpauwm ')
und Negesten®) dienen, untir welchen die dyner des worts
sollen als die vomemisten geacht werden, das Inen Ire not-
25torfft und erlige underhaltung gepurlichen vorschaflft und sie
geeret werden, als der heilig paulus lerhnet. **)
Vor allen Dingen abir sollen sie das folck lernen, vor
alle stende, als berurt, stetiglich und fleissig bitten, weill
kuntt ist, das got solchs abirall gebeut, reychlich die erhorung
SOvorheysset und hats vor das aller angenemst. Die abirglaubige
achten viell waschen vor eyn beth,^®) wie die heyden. Der
^) ernähren. *) Eegienmg. ') kunne = Geschlecht. G r i m m a. a. 0.,
Bd. 5, S. 2665 (Bedeutung f.). Schiller und Lttbben, a. a. 0., Bd. 2,
S. 597. *) Job. 12, 50. ») Rom. 14, 23 b. «) ohne. ') Nachbarn.
*) Nächsten. ») Vgl. 1. Tim. 5, 17 und 1. Kor. 9, 11 ff. »<>) Gebet.
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glaub abir ergreuffet sein glaubig gebeth vor gottis angesicht,
wilch er allein erhortt. | (fol. 39^) Nach den wercken sollen
fiie auch predigen vom Creutz und vom starcken gemoth^)
gegen die widerwertige und alle fiendt, *) dar mit ßie wiessen,
allen Unfall zu vortragen, nicht räche suchen, sondern vor die 5
bösen bitten. Durch solliche des glauben» ubung wirt er-
langt die Sicherheit unser hoffnung, glaubens nnd berufs. Ro. 5. •)
Sacrament
Dem nach dan der barmhertziger Got zu sterckunge
und trost unser gewissen im Creutzt neben dem wortt auch 10
eusserleyche Zeichen hat gegeben, dar durch wir seiner guthe
gunste, auch unser freyheitt und gepur sollen ermanet werden,
welch da sein die sacrament, sollen sie dar von also lernen, das
sie gegeben und entpfangen sollen werden nach Insetzung
unsers Hern Cristi, welchs Insatzung wen nicht were, hetteni6
wir kein Sacrament. Ime gepurt vorzuschreiben, uns abir zu
folgen. Sollen drumb vom tauff predigen, als sie eynen untir-
richt zu lernen haben auß heyliger geschriflft in hem Jo-
hannes Bngenhagen Pomern Brunswischer ordenung,*) der
selben weise auch vom brauch des Sacraments des leibs und 20
hluts Cristi, wie das auch eyn lehr auß Insatzung unsers hem
Cristi In bemelter ordenung begriffen, dar mitt das folck lerne
efftmals und wirdiglig gotlichs tyschs messen. *) Welche aber
das Sacramenth nach der ordenung Cristi noch | (fol. 40*) nicht
mögen empfangen, die ßich nicht wider setzen auß törichter 26
vormessenheit, als Jenne, die die gewonheit großer achten
dann Cristum, sonndern*) aus unwissennheit alse schwage')
Junger Cristi, die sollen sich des Sacraments enthalten, pis
das ßie lernen, Cristus gebott und ordenung allen menschligen
») Gemüt, starker Sinn. «) Feinde. ») Römer 5, 3-5.
*) Vom Jahre 1528, abg^edrnckt bei Richter, Die evangelischen Eirchen-
ordnongen des sechzehnten Jahrhunderts. Weimar 1846. Bd. 1, S. 106
bis 120. *) VieUeicht liegt ein Schreiberversehen vor und ist zu lesen :
«ssen. •) Vgl. S. 12, Anm. 3. "^ schwache.
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geboten und gewonheiten vorsetzen. Es wirt Ja nicht schwer
sein, solchs lernen und glauben. Allein die torychte ^) vor-
messenheytt streicht Irem gotloßen weßen eyne färb an.
Von der meß abir, wie ßie ist eyn soe greulich mißbrauch
ödes Sacraments widder dye hellen Insatzung unnsers hem,
sollen sie als dan mher und vollkomliger predigen, wenner
das folck durchs worth zuvor woU untirrichtet ist, wie man
wirdiglich zu des hem tisch gehe und welch der rechtschaffen
gebrauch des Sacramentes sey nach der Insatzung Cristi und
10 Apostelscher lehr. Alß dann fundstu eynen seher, gemeinen
man vorstendtligen untirricht gegen den gothloßen mißbrauch
des Sacraments in berurter Brunßwigscher Ordnung. Abir in
dießem allen soll auff zeytt und gelegenheit der Zuhörer des
Evangelii, wie obangetzeit, getreuwlichen gemerckt werden.
16 Dan was haben wir mit den unsaligen zu schaffen, die nummer
Junger, ßundem ewige vorechter des Evangelii seyn wollen?
Ehestandt.
I (fol. 40^) Als dann auch der heyligste Ehestant drub-
sall ^) am fleysch hat und van etligen widder gott umbylche *)
20 wirt wyder fochten, Jdoch er von gott erschaffen, ingesetzt^
geheyliget und denen, die nit sonderliche gab empfangen,
beyde am leyb und geist heylig zu seyn, gebotten, sollen sie
darvon, als heyligen predigem gepurt, mit Zucht, ane schaut-
bar wort bescheydenlich predigen. In unerklerten abir und
26 Zweiffenlichen *) feilen, auch da man ßich der ergemus be-
sorgte, sollen ßie nichts handelen noch schaffen ohn radth des
Superattendenten.
Ceremonien.
Zu letzt, weill dye Cristliche samplung mit psalmen,
SOgeystlichen geßengen*) und deren gleichen Ceremonien umb-
^) törichte. *) Trübsal. ») unbillig. *) zweifelhafteu
Fällen. ^) Gesängen.
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gehet, sollen die prediger darvon lernen udir auch In gehen
«rmanen, das öffentlich bey Cristen nicht soll geßungen noch
geleßen werden, das nicht auß der heyligen schrifft ist, wie
das die Alten auffs fleissigst gehalten. Müssen darumb diö
Suffragien odir vorbitt, anruffung nnd was sich auff vordienst 6
der heyligen zeucht, entzelen^) abegethan werden, dan man
soll gott alleine anruffen, und Cristus Allein im hymmell im
aller heyligsten in des vaters angesicht (als die Episteil zun
Hebreem meldet)*) ist eyn Diener, das ist eyn vorbydder
Zwuschen got und menschen, durch welchs vordienst allein 10
wir erhortt und zalig werden.
Dusses alles werden ßie aus heyliger schrifft, gutten ge-
wiessen bescheydt finden in hern Johan | (fol. 41*) Bugen-
hagen hamburgischer ordenung.^)
Allermeist aber sollen ßie abethun unergrunde historiel5
und lugerlige *) menschen gedieht, auch die unfruchtbare auff-
satzung, dar mit man alletzeit in gotts wortt und reiner
heyligen geschriffit umbgehe. Ire Ampt ist, das folck hirinne
zu ßeiner zeit lautter untirrichten. Den Zuhörers gepurt zu
folgen und Zu thun. Als sie gelemeth werden, ßo viell gott 20
gnad vorleyhet. Es ist eyn schände, das Cristen nicht wiessen,
das in der kirchen nichts anders soll geprediget noch geßungen
werden, dan gots wort. Wiessen wir nicht, das alle kirchen-
dienste, so von menschen, als weren sie gotlich, erfunden und
nicht dorch got gebotten, von Cristo mitt diessen wortten vor- 2ö
dampt worden: Vorgeblich dienen ßie mir, dweill ßie lerhen
solliche lehr, die nichts denn menschen gebott sein, und in
Esaia, darher Cristus diesse wortt genamen,*^) drauwet*) Got
denen, die Ihn also ehren, erschrogkenliche vorblendung etc.
Das ander alle, das aus heyliger schrifft ist und nicht auffao
') einzeln. «) Vgl. Hebr. 9, 12. ») Vom Jahre 1529. Ab-
gedruckt bei Eicht er, a. a. 0., Bd. I, S. 127—134. Auch als Einzeldruck
herausgegeben von Carl Bertheau, Hamburg 1885. — Vgl Einleitung
S. 8 und 9, und Hering, Joh. Bugenhagen, 1888, S. 69 und 76. *) lügen-
hafte. *) Jesaias 29, 13 und Matth. 15, 9. «) drohet.
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eynen abegelegen frembden syn^) werdt vorweldigt, *) sollen
£ie Inen Zu lassen und gedachter gestalth mit Inn ^) handelen,
das Jüe Ire freyheytt lehrnen, nicht des fleisches sondern, die
£ie in Cristo haben, in wuchern Crist und seynnem todth £ie
6 getauft sein,0 dar mitt ßie zu letzt wießen, das ausserhalb
Cristo keyn andre gerechticheyt ist^ In dem auch leben und
sterben. Amen.
4. Es liegt in der Natui* der Sache, daß Ehegius, der Landes*
Superintendent, von dieser Predigerinstruktion seines Herzogs
Kenntnis gehabt hat. Es wäre wunderbar, wenn gerade ihm
der Wortlaut einer Anweisung unbekannt geblieben sein sollte,
die sich im allgemeinen an die evangelischen Prediger des
Landes gewandt hatte, und die einen Gegenstand behandelte,
der, wie das die Ausarbeitung seiner Formulae caute loquendi
beweist, ihm aufe höchste am Herzen lag. Werden wir aber
nach Lage der Dinge bei ihm Kenntnis der herzoglichen An-
weisung annehmen dürfen, so auch bis zu einem gewissen
Grade Abhängigkeit von ihr, so daß man den „KurzenBe-
griff" Herzog Ernsts als die Vorlage ftirRhegius*
Werk bezeichnen kann.
Diese, aus den äußeren Umständen sich ergebende Ver-
mutung glaube ich nun durch einige Einzelbeobachtungen be-
kräftigen und als zutreffend erweisen zu können.
Die Methode, die Bhegius wählte, nach einer ausführ-
lichen Einleitung eine Reihe von Einzelpunkten durchzu-
sprechen, ist genau die von Herzog Ernst eingeschlagene.
In der Anlage entsprechen sich also die beiden Schriften
völlig. Beidemal wird der Ausgang von dem Lehrstück der
Buße genommen. Bemerkenswert ist es, daß der Herzog in
der Entwickelung des Gedankens der bußfertigen Sünden-
erkenntnis von dem Bibelwort Lukas 24, 46—47 ausgeht, und
Sinn. *) vergewaltigt. *) mit ihnen. *) Vgl Römer 6, 3.
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diese Stelle in demselben Gedankenzusammenhang nnd mit
denselben Folgerungen bei Rhegius Verwendung findet. Das
Bfld des Evangeliums als einer Gewissensarzenei findet sich
angedeutet in der Predigerinstruktion Emsts; ausffthrlich ver-
wendet es Rhegius in seinem Kapitel von der Buße. Der
Herzog weist darauf hin, daß die Sünde nicht kann hinweg-
genommen werden „weder durch Kreaturen, sie seien himm-
lisch oder irdisch"; demselben Gedanken begegnet man in
ausgeführter Form im zweiten Kapitel des Rhegius. Achtet
man auf die beiderseitigen Stellen, die von den Fehlem
handeln, welche die derzeitigen evangelischen Prediger be-
gehen, so liest man das eine Mal : „Sie laufen immer daneben
und aus der Bahn", nnd bei dem andern: „Also fahren sie zn
beiden Seiten den Holzweg aus, können auf der rechten Mittel-
straße nicht bleiben." Hier scheint mir unabstreitbar ein
wörtlicher Anklang vorzuliegen. Ich weise noch auf den in
beiden Schriften vorkommenden geringschätzigen Ausdruck
„waschen" für wortreiches, aber unüberlegtes Gerede hin, und
glaube mit allen diesem genug Material beigebracht zu haben,
um die oben ausgesprochene Vermutung aufrecht erbalten und
als bewiesen ansehen zu können.
5. Rhegius hat sein Buch so disponiert, daß er der Reihe
nach behandelt hat: Buße, Glaube, Messe, Gesetz, Freier Wille,
Göttliche Vorsehung, Christliche Freiheit, Obrigkeit, Wie alle
von Gtott gelehret werden, Genugtuung, Jungfraustand, Beichte,
Menschensatzung, Fasten, Beten, Anrufung der Heiligen, Bilder,
Begräbnis. Die einzelnen Abschnitte stehen selbständig und
unvermittelt nebeneinander; Überleitungen von einem zum
andern finden sich nicht.
Eine Eigentümlichkeit der lateinischen Ausgabe ist es,
daß sich oft am Schluß der Abschnitte, oder gelegentlich
auch mitten inne eine, durch vel sie brevius eingeleitete Zu-
sammenfassung in kurze, markige Sätze findet, die dann in-
mitten des lateinischen Textes in hochdeutscher Sprache ge-
geben ist Die Zusammenfassungen sollten offenbar in dieser
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Sprachform sich fester dem Gedächtnis des lesenden Predigers
einprägen, auch ihm zur Verwendung auf der Kanzel sich un-
mittelbar brauchbar darbieten. In der deutschen Ausgabe
heben sich diese Abschnitte natürlich vom Kontext nicht
heraus ; deshalb ist ihre ausdrückliche Abzeichnung in unserm
Abdruck als unwesentlich unterblieben.
Ein eigentümliches Schicksal hat das 16. Kapitel: „Von
Anrufung der Heiligen" gehabt. Man nahm an einem Teile
seiner Ausführungen Anstoß und schied ihn in den späteren
Drucken aus. (Bedeutsam ist diese Ausscheidung besonders in
den dem Corpus Wilhelminum und dem Corpus Julium bei-
gegebenen Abdrucken.) Es ist das der hinter den Worten:
„Derselben Gedächtnis ist allezeit in der Christenheit ehrlich
gehalten worden" ansetzende Abschnitt, der Zitate aus Luther
und einer Reihe von Kirchenvätern enthält, die sich auf das
Verhalten des Christen zu den Entschlafenen beziehen, und
der bis zu der Anführung Augustins de disciplina christiana II
reicht. Die so „gereinigten" Textausgaben fahren demnach
hinter obigem Satze fort: „Siehe, also ehren wir die heiligen
Märtyrer . . ." Um die Auslassung unverdächtig erscheinen
zu lassen, hat man (ohne wörtlichen Abdruck) die SteUen-
angabe eines der Zitate, nämlich Augustinus contra Faustum
Manichaeum lib. 20 cap. 21, stehen lassen, ohne es jedoch
zu erreichen, daß diese Auslassung nicht schon frühzeitig
wahrgenommen und z. B. handschriftlich auf dem Titelblatt
der Exemplare vermerkt wurde.
6. Für ein bestimmtes Gebiet scheint mir die Schrift des
Rhegius in besonderem Maße Beachtung zu verdienen, näm-
lich für das wichtige Gebiet der Erforschung der religiösen
Vorstellungswelt unseres Volkes d. h. des „kleinen Mannes"
im Reformationszeitalter, Daß hierfür gerade in der erhaltenen
Predigtliteratur und in allem, was damit zusammenhängt,
eine inhaltreiche Fundgi'ube vorhanden ist, scheint zui'zeit
viel zu wenig beachtet zu werden. Wie der „kleine Mann"
die evangelischen Predigten, die er holte, auffaßte, und welche
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— 25 —
Gedankenentgleisungen ihm besonders leicht dabei vorkamen,
und wie das Volk sich den kirchlichen Lehrinhalt praktisch
znrecht zu legen liebte, kann man aufs sicherste und zu-
treffendste aus der vorliegenden Schrift des Rhegius ent-
nehmen. Gerade, da£ uns aus ihr ein Bild der damaligen
„Durchschnittspredigt" entgegentritt, und nicht sonderlicher
homiletischer Musterleistungen, macht sie uns als Geschichts-
quelle in hohem Grade wertvoll.
Endlich wird — mutatis mutandis — Rhegius auch den
modernen Homileten Wichtiges zu sagen oder wieder in die
Erinnerung zu rufen haben. Er hat richtig erkannt und in
den Formen seiner Zeit es ausgedrückt, daß die Predigt vor-
sichtig einhergehen müsse und das „Bauen", nicht das „Zer-
brechen" als ihre Aufgabe zu erkennen habe. Frömmigkeit
soll sie erwecken, hegen und fördern, nicht aber theologische
Gegensätze, vor allem nicht in einer, den Laien mißverständ-
lichen Schulsprache, auf die Kanzel bringen. Stets soll sie
den Blick auf das Ganze der christlichen Weltanschauung
gerichtet halten und das Einzelne, was sie gerade darzustellen
hat, vom Ganzen aus beleuchtet sein lassen. Nur so erscheint
jedes, was sie darzustellen unternimmt, in seiner rechten Be-
deutung und bekommt die ihm gebührende Stellung, nicht zu
hoch und nicht zu tief; nur so wird die Predigt der Gefahr
entgehen, sich in unerquickliche, „unerbauende" Einseitigkeiten
d. h. in unevangelische Art zu verirren.
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Die dankenswerten Bemühungen des „Ausknnftsbnreaas der
deutschen Bibliotheken zu Berlin" haben mich in den Stand ge-
setzt, folgende Bibliotheken als Besitzer des lateinischen Druckes von
1535 angeben zu können: KgL Bibl. Berlin, Kaiser Wilhelm-BibL Posen,
Univ.-Bibl. Tübingen, Kiel und Königsberg, Herzogliche BibL Gotha, KgL
Landesbibl. Stuttgart, Stadtbibl. Hamburg und Hannover, Bibl. des Kgl.
Domgymnasiums in Halberstadt, BibL des Geistlichen Ministeriums in Greifs-
wald. — Der erste deutsche Druck von 1536 befindet sich in der Univ.-
Bibl. Kiel, KgL BibL Dresden, Herzoglichen BibL Wolfenbttttd, ßtadtbibL
Lübeck und Nürnberg.
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Wie man fursichtiglich und on ergemis reden sol
von den fomemesten Artikeln Christlicher lere.
Fnr die jungen einfeltigen prediger.
D. Urbani Regü.
1536.
Der Titel der lat. Ausgabe lantet: Formolae quaedam cante
et dtia scandalnm loqnendi de praedpois Christianae doctrinae locis pro
nmioribiiB Verbi Ministris in Dncatu Limebnrgensi. ürbano Eheg. Ant.
1. Cor. 10.
Tales estote, et nnllnm praebeatis offendicnlam
Ecdesiae Dei.
Auf der Schlnfiseite: Vitebergae apnd Johannem Lnfft.
1535.
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Ab die Jnngen prediger des Eyangelii im Fnrstenthnm
Lfinebnrg.
D. Urbani Regii
Vorrede.
Wie wol nicht allein *) ein Christen, sondern ein iglicher
vemnnflFtiger mensch sol mit grossem vleis war nemen und
acht haben, was er redet, das es nicht ehe aus dem munde,
denn aus dem hertzen gehe, und nichts reden, das er nicht
zuvor bedacht habe, noch on alle Ordnung daher wasche, was 6
im einfeilet, doch sollen viel mehr die prediger des Evangelii,
was sie für der gantzen Christlichen Gemeine reden wollen,
zuvor mit allem vleis betrachten und auffs ordentlichste aus
reden, damit sie dem einfeltigen und unverstendigen kein
ergemis geben. 10
l)enn es ist (wie die gantze Schrift zeugt) gar ein schwer
ampt, voller sorgen und fahr, öffentlich reden und leren inn
der Kirchen oder Gemeine Gottes, darin on zweivel Gottes
kinder sitzen und zu hören, welchen die lieben Engel dienen,
und Gott selbs als inn seinem Tabernakel alda gegenwertig 16
ist, und allenthalben auffschauet sampt seinen Engeln, und
Gottes wort von allen creaturen mit grosser ehrbiet ung ge-
') Text. Iftt. hat die Fonn der Steigerang des Gedankens: Etsi in
omni sermone viro pmdenti, nedum Christiano, stunma cnra cavendom
est
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— 30 —
höret wird. Denn also helt der Christliche glaube, das alle
ding Gottes wort (dadurch sie geschaffen sind) ehren und für
äugen haben, on allein der mensch und der Teuffei, welche
durch greuliche undanckbarkeit die obren dagegen zustopffen
6 und nichts davon hören wollen.
Drumb hat auch S. Hieronimus recht und wol gesagt: Es
hat gar grosse fahr, inn der Christlichen kirchen reden oder
predigen, das nicht etwo durch falsche auslegung aus dem
Evangelio Christi werde ein Menschlich Evangelium oder, das
10 noch erger ist, des Teuffels Evangdium.
Das wil auch der Heilig apostel S. Paulus mit so ernst-
lichen vermanungen als 1. Cor. 14. Wenn ir zu samen kompt^
so lassets alles zur besserung geschehen.*) Und Coloss. 4:
Euer rede sey alle zeit lieblich und mit saltz gewürtzet. *)
16 Item 2. Timoth. 2: Befleisse dich selbs, Gotte zu erzeigen
einen rechtschaffen unstrefflichen Erbeiter, der das wort der
warheit recht teüe. *) Denn hie wil S. Paulus nichts anders
leren, denn das man bedechtiglich und mit grossen sorgen und
vleis das erschreckliche geheimnis des worts Gottes handeln
20sol, oder wie S. Ambrosius sagt, das man zu rechter stet und
zeit und mit bescheidenheit von dem glauben rede. Denn
wo durch unsern unvleis die lere unsers glaubens nicht lauter
und rein gehandelt, oder nicht gantz und völlig dem volk für
getragen und nicht recht geteilet wird, so werden wir gar
25 schwere straff dafür leiden müssen an jenem tage des Herrn,
wenn wir rechenschafft geben sollen von unser haushaltunge
für dem Richtstuel Gottes.
Derhalben, auff das die jungen prediger und so noch nicht
gnug inn der Schrifft geübt sind, deste leichter sich hüten
30 mögen, das sie inn der lere niemand ergernis geben, wil ich
hiemit eine kurtze form und weise stellen, wie man
fursichtiglich reden sol von den furnemesten Ar-
tikeln der Christlichen lere, welche ich auch selbs
') 1. Kor. 14, 26 (gekürzt). «) Kol. 4, 6. «) 2. Timoth. 2, .15.
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— 31 —
im predigen halte, weil ich nu viel jar, mit grosser be-
schwerong, an vielen orten ^) gesehen und gehört habe, wie
die einfeltigen oflEt schwerlich sind geergert worden durch un-
geschickte, unordenliche, grobe und unbesonnen predigten
etlicher unffirsichtigen, unzeitigen Elüglinge, die sich selbs 5
für gelert halten, und nicht achten, was oder wie oder ftar
welchen sie reden.
Ich mus aber etliche solcher ungeschickter, ergerlicher
rede zum Exempel setzen, damit man sehe, wie durch die
selben der einfeltigen sinn verruckt und viel vom EvangeliolO
abgeschreckt werden.
Etliche sagen gar selten etwas von der busse, wenn
sie reden vom glauben und Vergebung der sunde, gleich als
fcondten die, so nicht busse thun, dem Evangelio gleuben und
Vergebung der sunde empfahen, so doch das Evangelien beides 15
zu gleich innhellt, als inn einer summa, nemlich busse und
Vergebung der sunden, wie Luce ultimo stehet: Also ists ge-
schrieben, und also muste Christus leiden und aufiferstehen von
den todt^ und predigen lassen inn seinem namen Busse und
Vergebung der sunde unter allen völckem etc.^) Da sihestu20
die Ordnung, so Christus selbs stellet, das man sol zum ersten
von der Busse predigen, darauff sol denn folgen die predigt
von Vergebung der sunde.
Etliche treiben wol die Busse und schrecken die leute
feindlich mit dem Gesetz, können sie aber nicht wider trösten 2fr
mit dem Evangelio. Solche leren nur ein stück von der Busse
und verstümpeln sie. Das ich aus eigener erfarung dafür
halte, wer den Artikel von der Busse nicht recht verstehet, das
der der Christenheit so nütz ist, als ein wolff unter den schafen. ^)
») Text lat. hat den Zusatz: Gennaniae. *) Lukas 24, 46—47.
Text lat. zitiert nnr Y. 47 : oportebat predicari in nomine Christi poenitentiam
et remissionem peccatornm. incipiendo a Jerosolyma nsqne in omnes gentes.
*) Text. lat. faßt das Bild etwas anders: . . . pastorem, qoi locam de
poenitentia ignorat, tarn ntilem esse ovili Christi, quam utiiis est lupns
caolis oTiam.
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— 32 —
Widerumb sind etliche, wenn sie das volck richtig und
klar unterrichten sollen vom glauben und guten wercken, so
faren sie daher mit solchen Worten: Es ist nichts mit unsern
wercken. Sie sollen nichts. 0 Sie stincken für Gott. Er wil
6ir nicht. Sie machen eitel gleißner. Es thuts allein der
glaube. Wenn du glaubst, so wirstu from und selig. Solchs
reden sie so stumpf und unbesonnen dahin, thun gar kein
saltz dazu, damit die wort erkleret würden, wie sichs gebürt.
Darumb ist nicht wunder, das die einfeltigen sich daran
10 ergern, sonderlich die, so zuvor nicht viel das Evangelion
predigen gehört haben. Denn sie meinen, man rede also vom
glauben, als solten die werck gar verworffen und kein nütz
sein. Darumb dencken sie bald: Solcher prediger mus ein
loser, verzweivelter Bube sein, als der gute werck verdamme,
16 welche doch Christus selbs gethan hat und von uns foddert,
und halten also unser gantzen lere für unchristlich und ver-
furisch.
Also reden auch etliche unfursichtiglich von der Messe
on alle erklerung, so inn solchem wichtigen artikel von nöten
20 ist; plaudern schlecht also daher: Die Messe ist ein greuel
für Gott Man sol und mus sie fliehen bei verlierung ewiger
Seligkeit. Die pfaffen creutzigen Christum noch einmal inn
der Messe. Die Messe ist kein opffer uberal. Es ist des
Bapst lere und fündlin. Bey diesen Worten lassen sie es
25 bleiben und stecken, on alle weitere erklerung.
Wenn nu ein einfeltiger nicht weiter höret, denn diese
wort, so allein zubrechen ^) und nicht bauen, was kan er anders
denken, denn das alles, was inn der Messe gehandelt wird,
*) Das absolute „sollen" ohne weitere Bestimmung, doch stets nrft
einer Negation, wird in dem Sinne von „helfen, nützen, taugen, wert sein"
gebraucht. Dieser Gebrauch ist freilich auf das ältere Neuhochdeutsch
(16. Jahrhundert) beschränkt, dort jedoch ungemein häufig, namentlich im
alemannischen Sprachgebiete. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 10,
Abt. 1, S. :
destruunt.
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— 33 —
nichts und vergeblich sey? Daraus denn folget, das er auch
das heilige Abendmal des Herrn verachtet als ein unnötig
Diug. Zu solcher unchristlichen Verachtung geben diese un-
geschickte, tolle Prediger Ursache, die nicht wissen, wie man
ßol weit unterscheiden den mißbrauch von dem wesen, sondern 5
umb des misbrauchs willen auch das wesen, so an im selbs gut
ist, hinweg werffen und thun gerade, als wenn jemand ein
köstlich eddelstein, im kot gefunden,^) wider hinweg würffe,
als were es kein nütz mehr, umb des kots willen, so daran
klebte, und künde nicht solch eddelstein von dem kot fegen 10
und rein behalten.
Darumb seit man hierin fursichtiglich faren und des
HERRN Abendmal wol unterscheiden von dem menschen-
thand,*) so durch der papisten aberglauben und geitz daran
geschmirt ist, damit das volck klerlich verneme, das wir allein 15
verdammen den zusatz, durch menschen dran gehengt zu
wider dem glauben, und nicht die Heilige Messe Christi und
der Apostel, welche wir nennen das Abendmal des Herrn oder
das hochwirdig Sacrament des Altars.
Etliche, wenn sie sollen die lere S. Pauli von dem 20
Gesetz Gottes und seinem ampt dem volck furlegen,
leren sie unverschampt also: Die zehn gepot sind uns nicht
gegeben, das wir sie halten sollen. Brechen flugs hiemit
abe und fallen auff ein anders, da man solte wol und reich-
lich aus streichen, wo zu das Gesetz gegeben sey, weil es 25
nicht kan den sunder from und gerecht machen. Wer nu
solchs höret und S. Paulum nicht wol verstehet, der mus
durch solche rede geergert werden. Denn er fasset so bald
solche gedancken daraus, das man nicht durffe sich üben im
ge«etz und guten wercken und möge hinfort stelen, ehebrechen 30
und morden etc. Denn solche woii; höret man öifentlich von
etlichen, die solche ungeschickte prediger gehört haben.
Vom freyen willen plaudern etliche auch grob und
*) Im Text steht: gefuden. ^) Text. lat. : inventiones.
Uckeley, Urbanos Rheglus. 3
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— 34 —
ungeschickt gnug für dem pobel, so da sagen: Wir haben
keynen freyen willen überall. Was wir thun, das müssen wir
thun etc. Und sagen nichts weiter dazu, das man solche
rede künde leiden, sondern fladdern davon und lassen solche
östefift inn der einfeltigen hertzen stecken,') das sie müssen
dencken: Ist das war, das ich alles, was ich thu, aus not
thun mus, was bin ich denn besser denn ein vihe ? Und wie
kan ich mich für sunden hüten ? So ich sundigen mus, warumb
straffet mich Gott? etc. Also geben solche unfursichtige
lOwescher*) dem pobel ursach, das sie halten, Gott sey ein
ursach der sunde, welches ist eine Gotteslesterung. Denn
Gott ist gar nicht ein ursach der sunden, sondern hat uns
dagegen seinen willen offenbart im gesetz, das er die sunde
hasset, weil er sie so ernstlich und strenge verbeut und dazu
15 straffet, beide zeitlich und ewiglich.
pjben desselben gleichen reden etliche auch von dem
hohen Artikel der Göttlichen versehung über die masse
ungeschickt und ergerlich, da sie selten bey den worten und
lere S. Pauli bleiben. Denn also reden sie unterweilen : Bistu
20 von Gott zur Seligkeit versehen, so kanstu nicht verdampt
werden, du thuest, was du wollest, böses oder guts. Davon
werden die zuhörer entweder gar wild und ruchlos, verachten
allen gehorsam, oder fallen inn verzweivelung und lestein also :
Was wolt ich mich viel mit fasten, beten, almosen geben,
25 meinem nehesten verzeihen und der gleichen guten wercken
beladen und martern? Unser pfarrher spricht, es helffe mich
nichts. Ich wil ein gut gesell sein und nichts sorgen. Bin
ich versehen, so werde ich selig; bin ich nicht versehen, so
fare ich hin mit dem grossen hauffen. Ich thue gleich, was
30 ich wolle, so gilts gleich viel. Also mus menschlich vernunfft
gewislich alzeit lestem, wenn sie höret einen solchen plauderer,
der so mit ungewaschenem mund und so unsaubem Worten
von d^m hohen heiligen geheimnis der versehung geifert und
*) Text. lat. : Hie nihil addunt, quo sermo ille mitigetur et relinqnunt
aculeos in mentibns rudium. *) Text, lat.: illi imprudentes homines.
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— 35 —
speyet*) Nein, Es gilt nicht gleich so -) viel, was du thuest;
Denn wir wissen, das Christus Matth. 25 spricht : Kompt her,
ir gebenedeyten meines Vaters, besitzt das Eeich, welchs
euch von anbegin der weit bereit ist. Mich hat gehungert
und ihr habt mir zu essen geben etc.*) Hie hörestu: Wer 6
guts thut, der wird selig; wer böses thutund darin verharret,
der wird verdampt.
Solchs geschihet auch inn dem Artikel von der Christ-
lichen freiheit, welchen die ungeleiten prediger so un-
weislich und unchristlich handien, das der grobe pobel wenet, lo
die Christen seien niemand nichts verpflicht und herren, frey
von allen geboten, keiner Oberkeit gehorsam schuldig. Item,
das alle weld,*) ecker, Weinberge, see, guter und gründe*^)
und alle ding iderman gemein sein sollen. Man durffe auch
keine zehenden noch zins bezalen etc. Und inn summa, dasiö
ein iglicher frey möge thun, was in gelüstet. Aus solchem
Unverstand dieses Artikels ist erweckt der Baurn auffrur
im 1525. jar, darin bis inn die lOOtausent man inn Schwaben,
Francken, Türingen, Elsas etc. erschlagen sind.^) Ich habe
selbs einen Magister von Paris gekennet, der einen baurenao
verteidingen wolt für der Eptisschin zu Lindau, welcher baur
ir armer man war und muste ir frönen.') Ey, gnedige frau
(sprach er), es ist nicht recht, das ir die armen leute also
*) Text, lat.: . . . quoties audit talem nugatorem, qui tarn iUoto ore,
tam indigno sermone de sacrosancto illo Electionis mysterio blat^rat
*) Der Text, lat., welcher diese Worte deutsch abdruckt, läßt das „so" aus.
») Matth. 25, 34—35. *) Wälder, vgl. Text, lat.: sUvas. ^) Text.
lat.: praedia et vUlas. ^) Vgl. zu der angegebenen hohen Zahl die
Ausführungen Luthers über „die wüthenden, rasenden und unsinnigen
Tyrannen, die auch nach der Schlacht nit mügen Bluts satt werden, . . .
denen es gleich viel gilt, sie würgen Schuldig oder Unschuldig" (Sendbrief
von dem harten Buchlein wider die Bauern 1525). Auf 100000 wird die
Zahl der Erschlagenen auch von andern angesetzt (vgl Solle, Reformation
u. Kevolution, HaUe 1897, S. 79). Genauere Zahlen bietet Nebelsieck,
Eef.-Gesch. der Stadt Mtihlhausen (Magdeb. 1905) S. 83. '; Text. lat.
erklärt: erat servus ad onera servitutis civilis obnoxius.
3*
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b^ckweret und solchen dienst von inen fordert, denn Christas
hat uns erlöset und frey gemacht durch sein Wut etc.
Sihe, dieser alter Magister und 40 jar ein prediger ge-
west,^) verstund noch nicht, was die freyheit sey, so wir
6 haben inn Christo, und menget untemander weltlicher öber^
keit regiment und das geistlich reich Christi etc., als were
Christo damit grosse ehre gegeben, das er uns hette von
eusserlichen, bürgerlichen diensten und pflicht gefreyet und
allein eine fleischliche freyheit erworben. Darumb hat dieser
10 nichts überall verstanden noch geleret von Sünde oder ge-
rechtigkeit, eben so wenig als seine Meister, die hochgelerten
inn der hohen Schulen zu Paris, die noch heutigs tags des
Endchrists diener sind. ^
Ich rede, wie ichs erfaren habe, das solche törichte, gott-
16 lose und auffrürische predigt von Christlicher freyheit viel
feiner geschickter und gelerter leut vom Evangelio ab-
geschreckt haben, wenn sie gehört haben solche Elüglinge
das Evangelium rhümen zum deckel solcher greulicher irthum,
das sie darnach von der gantzen lere des Evangelii nichts
20 gehalten haben, so doch solche tolle schwermer nicht das
Evangelion Christi, sondern ir eigen treume predigen. Denn
das Evangelion hebt nicht auff weltliche oberkeit und Ord-
nung, sondern bestetigt sie. Derhalben haben sich auch von
weltlicher oberkeit übel geleret, das sie solch ampt nicht
26 gepreiset haben als ein gut und nötig werck, sondern ge-
taddelt als ein unbillichen zwang oder tyranney.
Etliche, so sie gehöret haben, das die Christen alle von
Gott müssen geleret werden,^) wollen sie damit ir faulheit
und Unwissenheit beschützen und fahen an, alle gute lere und
30kunst als ein untüchtig ding zuverachten, blehen und brüsten
sich, als können und wissen sie alles. Und ihe ungelerter
*) Wörtlich aus dem Text. lat. übersetzt: Ecce senex iUe Magister
et 40 annorum praedieator, nondom intellexit. ... *) Text, lat be-
deutend kürzer : sunm referens Gymnasium, quod in hnnc nsqne diem servit
Antichristo. «) Vgl. Job. 6, 45.
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— 37 -
6in solcher ist, ihe herrlicher rhümet er von seinem geist,
gerade als habe der Heilige geist an seinen eigenen gaben,
nemlich knnst und Weisheit, ^) misfiallen. Ans solchem irthnmb
komets, das anch gemeine handwercks lente nnd banren vom
dorff ^) inn das predigt ampt fallen nnd geben fdr, man dnrffe 5
keines studirens dazn, denn wir werden alle von Gott geleret
Darumb weil sie sich unterstehen, die schrifft zu handien on
die gaben der weissagnng, stiften sie unzelich viel irthnmb.
Sie verachten die alten Christliche Lerer, als wnstens itzt
allein die ungelerten alles, und der meiste hauff unter inen 10
verachten auch die kinder schulen, das itzt alle schulen wüst
werden. Welche Verachtung sihet der Tenffel seer gerne,
aber Gott wird dadurch auffs höhest erzürnet.
Lieber Gott, woher sollen doch die kirchen über 20 jar
Prediger welen und beruffen? Woher sollen Fürsten und 16
Stedte Juristen und Cantzler nemen? Es werden zu letzt
die lente gar wilde als eitel unvemunfftige thier werden, und
wird aus Deutschland wider ein lauter Barbarey, wie es vor-.
Zeiten gewesen ist, und werden darnach sich wider müssen
lassen schinden und berauben durch allerley Verfurer. Denn 20
das wir den EntChrist und die Komische triegerey und unser
freiheit inn Christo erkand haben, das hat Gott alles durch
erkentnis der sprachen und heiliger schrifft ausgericht. ^)
Von der Satisfactio oder gnugthuung (so man bisher
ein stück der Busse genent*) reden auch etliche seer un-26
bescheiden, das der unverstendige pobel daraus einen wahn
fasset, man sey nicht schuldig, sich inn gute wercken zu üben
und das creutz zu tragen.
') Text, lat.: enulitionem et scientiam. YieUelcht ist an Jesaias 11^ 2
^:edaeht *) Bhegins hat die wiedertänferische 3ewega9g: im
Auge. Vgi. sa Minen Angführungen Luthers Schrift „Ton den Schleiehem
vBd Wink£lpredigem<' 1592. >) Vgl Luthers Sehrift „An die Bats-
lierra aUer StSdte dentschea Landes, dafi sie christliehe Schulen aufrichten
mid halten soUen"*. 1524. *) Die drei Stücke des römischen Bufisakra-
SMnts sind attritio resp. eontritio cordis, confessio ons, satisfactio operis.
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Von der jungfrauschafft, welche inn der schrifft fast
gelobt wird, reden etliche so schimpfflich und unzüchtig, das
viel unschuldiger hertzen durch ire unzüchtige wort verletzt
werden. Also faren sie zu beider selten den holtzweg aus, ^)
6 können auff der rechten mittel Strassen nicht bleiben, denn
der Ehestand ist on zweivel hoch und gros zu loben, doch das
damit die jungfrauliche keuscheit auch nicht geschmehet werde.
Ich höre auch, das etliche von der Beicht wenig halten
und ire scheflin nicht vleissig verhören,^) noch den Cate-
lOchismum von inen foddem, und einen gantzen hauffen, die da
beichten, zu gleich und auff ein mal unterrichten und absol-
viren. Welchs alles nicht taugt, die Christenheit zu bauen,
sondern mehr zu verstören.
Dergleichen reden auch viele gar unweislich für dem
löpobel von Menschen Satzungen; Man mus alle Menschen
Satzungen fliehen. Sie sind aus dem Teuffei. Man ist inen
keinen gehorsam schuldig. Das ist ergerlich und übel von
der sach gered.
Darumb solt man hie vleissig leren, was menschen lere
20heissen und, wie sie zu unterscheiden, welche man halten oder
verwerffen solt. So wollen sie inn hauffen und inn gemein dahin
on allen unterschied alles verdammen. Daher denn der grobe
pobel meinet, man sey niemand keinen gehorsam schuldig und
durffe gamichts mehr halten, was menschen ordnen oder gebieten^
26 Von dem Fasten narren') sie auch also: Man darflf*)
der fasten nicht. Man kan keine sunde damit büssen oder
gnug thun. Die fasten ist des Bapsts fundle etc., und brechen
gemeiniglich hiemit abe. Weil aber on das unser fleisch von
') Text. lat. deatet das Bild nur an: nbiqae vel ad dext«ram vel ad
sinistrain declinantes. ') Für die Art, wie sich in der evangelischen
Kirche aus der Ohrenbeichte eine Entwicklung zum „Glaubensverhör" als
notwendige Vorbedingung für den Abendmahlsempfang vollzogen hat, ver-
gleiche man Fischer, Zur Geschichte der evangelischen Beichte (Studien
zur Gesch. d. Theol. und der Kirche 8, 2 und 9, 4) und von Zezschwitz,
System der Katechetik I, 556 f. ') Text, lat.: ineptiunt *) = bedarf.
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natur das creutz und Casteyring fleucht und sihet wollust
und. was im sanfft thut, so mus aus solchen tollen predigten
viel ubels folgen, wie man sihet, das die leut das fasten so
herrlich verachten, als sey es gar kein nütz, und frey dahin
on alle zucht und maß schwelgen und inn vollem saus leben. 5
Darumb wird warlich Gott, der öberst Richter, das blut dere,
so durch solche törichte predigt verfurt werden, von der
Prediger hende fordern, wie er dreuet Ezechiel. 33.*)
Was sol ich weiter sagen? Vom Gebet wissen etliche
nichts zu reden, ^) denn solche törichte wort: Viel beten und 10
plappern ist ein Heidnischer irthumb und gleisnerey. Gott
hat gar keinen gefallen daran. Da brechen sie aber die rede
zu kurtz ab, da sie solten räum nemen und ordentlich handien
und ausstreichen, was zu dem Gebet gehöret, damit die leute
nicht von so nötiger Christlicher ubung des gebets durch 16
solch töricht geschrey gezogen wurden.
Von der Heiligen Anruffen reden etliche so frech
und frevel, das frome hertzen seer geergert werden an solchen
unchristlichen reden, so man doch von den Lieben Heiligen
billich sol auffs aller ehrlichste reden. Aber der Satan wolt20
gerne durch solche lose, unchristlich gewesch diesen Artikel:
Ich gleube ein heilige Christliche kirche, die gemeine der
heiligen, verachtet machen, das man wenig oder nichts uberal
von der gemeine der heiigen hielte.
Von den Bilden höret man auch dergleichen alfentzenn *^) 26
von vielen, so von der Christlichen freiheit nichts verstehen.
Item Von gemeiner Sontagsfeyer und ander fest
reden sie auch den Schwermgeistern gleich, dadurch der
pobel von Gottes wort zu hören und das hochwirdig Sacra-
ment zu empfahen, gezogen wird. 30
Also von Ceremonien oder Kirchen Ordnung
predigen sie auch nicht, wie sichs gebärt, denn von vielen
') Ezechiel 33, 8. •) Text. lat. schiebt hier die Worte ein: cum
in hunc locmn inciderint. ') Text, lat.: De imaginibas in Ecclesia
similes passim neniae a quibusdam andinntur.
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höret man nicht anders, denn solche wort: Es ist ein ver-
geblich ding mit den Ceremonien. Sie tragen nichts. ^) Was
bedarff man inn der kirchen besonderer kleider? Es ist eitel
unnütz menschen tand etc. Gleich als konde das leben on
5 Ceremonien sein. Darumb solt man wol unterscheiden zwischen
unchristlichen Ceremonien und andern, die da frey sind. Und
welche Ceremonien dazu dienen, das es ordentlich inn der
kirchen zugehe, die solt man züchtiglich halten und nicht so
frech abthun und verwerffen. Denn solche unzeitige enderung
10 der alten Ceremonien hat alle zeit viel zwitracht und unruge
inn der Christenheit gemacht.
Bey etlichen reget sich auch noch der alte Satan der
Origenisten und Sadduceem,^) das sie seer unehrlich reden
von der Christen begrebnis und kirchofen oder Gottesacker ;
löschwechen dadurch den glauben dieses Artikels: Ich gleube
eine aufferstehung der todten. So doch ein Christ sol und
mus von der begrebnis ehrlich reden, und, was dazu gehöret,
mit zacht und ehren handien von wegen der gewissen hoff-
nung der herrlichen aufferstehung, welche ist unser ewiger
20höhester trost, und kan nicht leiden, das man die leichnam
so schendlich dahin werffe an alle ehre, dere ^ sie dem leich-
nam des Herrn Christi am jüngste tage gleich werden sollen,
wie uns Gottes wort leret.
Aber wer wil oder kan alle dergleichen ertichte lere er-
25zelen? Das man aber hierin meinen vleis spüre, habe ich
etliche kurtze form und weise wollen stellen, welche ich auch
selbs brauche, wenn ich von solchen stücken predigen mus,
*) Text, lat., der diese Worte deutsch enthält, hat: sie sollen nichts.
Diese Lesart ist in der, Seite 32, Anmerkung 1 angegebenen Bedeutung
auch an dieser Stelle vorzuziehen. *) Zur Erklärung dieser Ausdrücke
vergleiche man Actor. 23, 8 und Matth. 22, 23, sowie den Artikel „Origenes"
in Haucks Protest. Realenzyklopädie *, Bd. 14, S. 487—488 und in Wetzer-
Weites Kirchenlexikon«, Bd. 9, S. 1072—1073. Zur Sache vgl den Artikel
,,Spiritualismuä" in Meusels Kirchlichem Handlexikon, Bd. 6, S. 360.
^) S. V. a.: die sie. Vgl. Text, lat.: corpora, quae conformanda esse.
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and halte dafür, Meine liebsten brüder, sie sollen anch euch
dienen, das ir sie stets for euch habet, damit durch uns
Prediger den einfeltigen kein ergemis gegeben werde. Von
Busse. Gnugthuung.
Glaube. Jungfraustand. 5
Guten wercken. Beicht.
Verdienst. Menschen Satzungen.
Messe. Fasten.
Gesetz. Beten.
Freyen wille. Heiligen anruffen. 10
Göttlicher versehung. Bilder.
Christliche freiheit. Feste oder feyertag.
Oberkeit. Ceremonien.
^'ie alle von Gott gelert werden. Begrebnis.
I. 15
Wie man recht leren sol von der Busse.
Etliche leren wol etwas von der Busse, sagen aber nicht
gnug davon, wie sichs gebürt, denn sie treiben nicht mehr,
denn den gemeinen Spruch aus Magistro Sententiarum, das
Busse sey, begangene sunde beweinen und die selben nicht 20
mehr begehen.^) Aber daraus verstehet man nicht, woher
rechte busse kome oder entspringe, noch worin sie eigentlich
stehe und was dazu gehöre. Denn Judas Ischarioth Matth. 26 *)
hat seine sunde auch ernstlich beweinet oder bereuet und
dazu öffentlich bekandt, das er das unschuldige blut verrhaten 26
hatte und hatte so grosse reu und leid, das er sich so bald
^) Hhegios hat die Sentenzen des Petras Lombardns (f 1160 oder
1164) im Auge, in denen es lib, IV. de poenit. Dist. 14, II heißt: Poeni-
tentia est virtos vel gratia, qua commissa mala cum emendationis proposito
plan^mns et odimns et plagenda ulterius committere nolumus. ') Der
Verf. zitiert aus dem Gedächtnis; es ist diese, wie erst recht die Angabe
des Text. lat. falsch. , Gemeint ist Matth. 27, 3—5.
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selbs erhenckt, hat auch solche sunde nicht mehr gethan,^)
und war doch ein vergebliche, nichtige Busse.
Aber das Evangelium leret also von der Busse, das es
sey, Hertzlich reu und leid haben vor begangene sunde und
ö ernstlich erschrecken für Gottes gericht, damit das hertz zu-
schlagen ^) und gedemütigt werde, und dameben, ungezweivelt
glauben, das alle sunde (wie viel und wie gros sie auch sind)
uns von Gott vergeben werden durch Christus verdienst,*)
welcher unser sunde selbs auff sich genomen und getragen
10 hat an seinem leibe auff dem stam des creutzes.*)
Darumb ist dis die Ordnung inn der lere von der busse.
Zum ersten: So das Gesetz recht gepredigt wird, erwechset
inn uns durch den Heiligen geist warhafftig erkenntnis der
sunden, das heissen wir Reu und Leid. ^) Zum andern: Wird
16 uns gegeben durch rechtschaffene predigt des Evangelii er-
kentnis der gnaden Gottes inn Christo, das heissen wir glauben
oder vertrauen auff Gottes gnade. •*)
Als zum Exempel, fürs erst hörestu die Zehen gepot, aus
welchen du lernest, wie gröblich du Gottes gesetz ubertretten
20 habest und nach rechtem urteil Gottes der ewigen verdamnis
werd bist. Darnach hörestu weiter solche oder dergleichen
Spruche des Evangelii: Jhesus Christus ist inn diese weit
komen, nicht das er die weit verdamme, sondern das er die
sunder selig mache, Johan. 3; 1. Timoth. 1.®) So du nu Christum
26 mit dem Glauben ergreiffest als deinen einigen Gerecht- und
seligmacher, der nicht allein S. Petri oder S. Pauli sondern
auch deine sunde tilget, so wirstu als denn getröstet und er-
*) Text, lat.: nee posthac quenquam prodidit — ein etwas platter
Gedanke! •) Vgl. oben Seite 32. ') VgL Confessio Angnstana
Art. 12: Und ist wahre, rechte Busse eigentlich Reu und Leid oder Schrecken
haben über die Sünde, und doch daneben glauben an das £yangelium und
Absolution, daß die Sünde vergeben und durch Christum Gnad erworben sei.
*) 1. Petr. 2, 24. *) Die Ausdrücke: Reu und Leid, und: Ein vertrauen
auf Gottes gnade, sind auch im Zusammenhang des lateinischen Textes
deutsch gelassen. **) Johannes 3, 17. 1. Timoth. 1, 15,
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kennest die Gnade Gottes recht, und hast also rechte Busse,
aus welcher on zweivel hernach folgen werden rechtschaffene
fruchte der Busse, das ist Besserung des lebens und gute werck.
Diese Ordnung inn der rechten Busse leren die Evan-
gelisten selbs Marci 1 : Thut busse und glaubet dem Evan- 5
gelio. ^) Dis ist die predigt des grossen Vorlauffers Christi,
S. Johannes, als solt er hiemit sagen: Vor allen Dingen er-
kennet eure sunde, hasset und fliehet die selbigen und keret
euch von euerm bösen wesen, und denn glaubet, das euch die
sunde vergeben werden umb Christi Jhesu willen, wie euch 10
das Evangelium Vergebung der sunde im namen Jhesu Christi
verkündigt.
Also hastu hie zum ersten die Reue und furcht oder
schrecken für Gott, welchs ist das erste stück der Busse;
zum andern hastu den Glauben des Evangelii, welchs ist das 15
ander stück, des Judas der Verrether nicht gehabt hat, da-
rumb er auch verzweivelt, als der der rechten busse ge-
felet hat
Hie sihestu auch, das kein rechter glaube inn einem
menschen sein kan, wo nicht zuvor Busse oder Reu und leid 20
da ist. Denn wie kann der mensch an Christum gleuben (als
der in gerecht machen sol) oder sein begeren, der -seine Un-
gerechtigkeit noch nicht erkennet, oder ihe nicht achtet?
Des nim ein Exempel. Wo einer tödlich kranck ligt
und doch seine kranckheit nicht kennet noch achten wolt, der 26
mus gewislich auch beide, den Artzt und alle ertzney, ver-
achten. Also ist die Sunde eine tödliche seuche. Der krancke
ist der Sunder. Der Artzt ist Christus. Die ertzney ist die
gnade Christi. Darumb können solche verheissene und an-
gebotene gnade nicht begeren, die verstockte oder unbusfertige 30
sunder sind, das ist, die kein reu noch leid von wegen irer
sunde haben, sondern sich derselbigen noch freuen und rhümen ;
dergleichen begeren ir auch nicht der heuchler, die sich für
') Markus 1, 16 b.
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gerecht halten on die gnade Christi. Aber solche Sunder, so
ire sunde erkennen und erzitteiii für dem schrecklichen gericht
Gottes und inn irem gewissen Gottes zom fulen, das sie den
ewigen tod verdienet haben, die selben sttflftzen mit grossem
ö sehnen und verlangen nach der gnade Christi. Den selbigen
ist ein einige Absolutio aus dem Evangelio über ire sunde
gesprochen, teurer und lieber, denn alles gelt und gut der
gantzen weit. Daher spricht Christus Matth. 11: Den armen
wird das Evangelium verkündigt,^) das ist, denen, die er-
10schix)cken und blöde gewissen haben von wegen der sunde
und sind zurschlagen und gemutigte •) hertzen. Das sind die
rechten Schüler und zuhörer des Evangelii, denn inen das
Evangelium verkündigt Vergebung der sunde durch Christum,
so begeren sie nichts hertzicher, denn Vergebung der sunde,
I5auff das sie mögen gerecht werden. Also spricht er auch
Math. 9 : Jch bin komen, zuruffen den sundem und nicht den
gerechten. *)
Dis alles magstu kurtzer fassen auff diese weise:
Erkenne, bereue und bekenne Deine sunde von hertzen.
20Gleube aber auch da bey, das Jhesus Christus, Gottes un-
flecktes Lamb,*) auch diese deine sunde getragen und ge-
büsset habe. Bezeuge auch deine innwendige Busse mit besse-
rung deines gantzen lebens. Das ist die rechte Evangelische
Busse. Reu und leid one glauben hilfft nicht. Glaube one
25 Reu und leid ist kein rechter Christlicher glaube. Reu und
Glaube müssen bey einander sein. Darurab merk vleissig,
Fromer Christ, Welcher mensch nicht zum ersten seine eigen
manichMtige sunde und daneben auch die lautere gnade Glottes
*) Matth. 11, 5. *) Text, lat.: corda contrita et humiliata.
') Matth. 9, 13. Text. lat. hat noch die Worte „ad poenitentiam." *) Text,
lat. hat diesen Abschnitt deutsch, und an Stelle des obigen Ausdrucks :
unvermasger Lamb. ,,Unvennasger" ist gleichbedeutend mit „unbefleckt";
(vgl. Maser =Flecken. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 6, S. 1700—1701.)
„Lamm-* wird, wie öfter geschieht, maskulinisch gefaßt.
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inn Christo unserm Herrn warhafftiglich one gleisnerey [nicht] ^)
kennet und glenbet, der steckt warlich noch inn seinen snnden
und unbosfertigkeit nnd ist kein Christ, wenn er schon sonst
viel vom Evangelio reden und schreiben kan.
Die einfeltigen hören itzt zu dieser zeit viel predigt vom
Glauben, aber an ettlichen orten allzu wenig von der Busse,
und lassen sich also dünken, sie gleuben recht, so doch inn
der warheit niemand recht gleubet, er habe denn auch zuvor
Kene über seine sunde.
n. 10
Wie man recht reden sol vom Glauben, Wercken
und Verdienst.
Es tregt sich oflft zu, ob gleich ein Pfarherr oder Prediger
etwas anders aus der Schrifft zuhandlen hat, das er dennoch
£Ufellig vom Glauben und guten wercken etwas sagen mus. 15
Da sol er allzeit sich fnrsehen, das er nicht kurtz und stumpf
abbreche und nichts mehr sage, denn : Der Glaube macht allein
gerecht; Unser werck sind nichts; Und also flugs auflf ein
anders Halle, sondern das er im räum neme und auff solche
weise da von rede: 20
Wol ists war, das allein der Glaube (das ist: hertzlich
vertrauen auff Gottes gnad und barmhertzigkeit, uns umb
Christi willen verheissen) oder allein Gottes gnade und barm-
hertzigkeit machet den sunder gerecht. Aber doch bleibt der
Glaube nimer mehr allein, denn der rechtschaffene Glaube ist 25
thetig durch die liebe. Galat. 5. ^) Und gleich wie ein guter
bäum gewislich fruchte bringet, *) also bringet auch der Glaube
gute werck, welche gewislich dem Glauben folgen.
Darumb, wo man keine besserung des lebens, keine furcht
») Der Text. lat. läßt mit Recht dies „nicht" aus. «) Gal. 5, 6.
*) Zum Ausdruck vgl Matth. 7, 17—19, zur Sache Luthers Vorrede zum
B^merbriel
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Gottes oder Busse, und keine gute werck spüret, da ist ge-
wislich kein Glaube oder nur ein falscher, geferbter Glaube;
und welcher noch fleischlich lebet inn fressen und sauffen,
hurerey und ehebruch, diebstal und der gleichen bösen stücken,
6 der sol sich nicht rhümen, das er den Glauben habe und ein
Christen sey, sondern wende sich vom bösen und thue gutes.
Des rechten Glaubens Exempel hastu inn Abraham. Der
gleubte warhafftig Göttlicher verheissung, und der selbige
glaube thet viel und große wunder werck, denn er war Gottes
lObefelh gehorsam, verlies sein Vaterland und zog umb inn
elend,*) war auch bereit, seinen eigen son zu opffern. Da-
gegen hastu auch ein exempel des geferbt^n oder falschen
glaubens inn Cain und Juda, denn Cain thet Gotte ein opffer,
aber sein hertz stund nicht recht gegen im ; ^) Judas war ein
15 Apostel Christi und für Christgleubig gehalten, aber sein
werck war, das er Christum verrhiet.
Das ist nu die Ordnung zwisschen dem Glauben und
Wercken. Erstlich erapfehet das hertz den Glauben aus dem
Evangelio ; der selbige macht mich gerecht, das ist, aus einem
20 sunder machet er mich from für Gott. Damach, wenn ich
also bin gerecht worden, so thue ich gute werck. Der bäum
mus zuvor gut sein, sol er gute fruchte bringen. Des hastu
ein Exempel inn S. Paulo. Sanct Paulus, ehe er bekert oder
gerecht ward, war ein sunder und böser mensch. Darumb
25 waren alle seine werck böse. Wie der bäum war, so waren
auch die fruchte. Hernach aber, da er bekert ward, da war
er gerecht. Darumb so bald er from worden war, thet er
auch gute werck, predigte Christum, und umb seines namens
willen, leid^) er Verfolgung und allerley übel, zn letzt auch
30 den tod.
Zweierley werck werden inn der Schrifft geleret, nemlich
*) Text, lat.: ivit in exilium. *) Text. lat. hat den Zusatz: ^opos
eius est homicidium", der im Blick auf den Schlußsatz unentbehrlich ist.
^) Text, lat.: perpessus est.
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zum ersten Christi, darnach unser werck. Aber zwischen
denen beiden ist grosser und weiter unterscheid, denn zwischen
himel und erden. Denn des Herni Christi werck haben uns
erlanget und verdienet ewige gerechtigkeit, leben und Selig-
keit und machen uns gerecht, so wir sie mit dem Glauben 6
fassen, denn er ist allein unser Erlöser, Versüner, Mittler,
Gerechtmacher und Heiland und kein ander, auch kein Engel,
wie die gantze Schrifft bezeuget.
Aber unser werck verdienen uns nicht solche unbegreiff-
liche, ewige Ding, machen auch nicht gerecht, doch sind sie 10
auch von nöten und haben iren nutz, als nemlich:
Zum Ersten sind sie ein gebotener schuldiger Gehorsam,
den wir Gott als unsern Schepffer schuldig sind. So sind sie
auch eine Dancksagung für allerley wolthat Gottes. Dazu
sind sie das rechte Opffer oder Gottesdienst, die im gefallen 16
umb der person willen, so an Christum gleubt.
Zum Andern, Unser himlischer Vater, wird dadurch inn
uns gepreiset, wie Christus Matth. am fünfften ^) sagt.
Zum Dritten, Unser Glaube wird durch gute werck ge-
übet und gesterckt, das er zu neme und wachse. 20
Zum Vierden, Gute werck sind ein zeugnis gegen unserm
nehesten, da durch er gebessert wird, und ein exempel, da-
durch er gereitzt wird, dem selben nach zu folgen. Dazu
wird im auch leiblich inn seiner not geholfen.
Zum Fünfften, Durch gute werck wird mir meine be-25
mffung gewis. Denn so ich meinen nehesten liebe and guts
thue, so erfare ich, das mein glaube nicht falsch, und das ich
ein rechter Christ sey.
Zum Sechsten, Unser gute werck, ob sie wol die grossen,
unaussprechlichen schetze nicht verdienen, nemlich Vergebung 30
der sunde, Gerechtigkeit, Erlösung vom Tod und Teufel (denn
das alles thut allein Jhesus Christus), so haben sie (aus Gottes
'} Matth. 5, 16.
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verheissung, aus lauter gnaden gethan) beide, leibliche und
geistliche belonung zu gleich inn diesem leben und nach diesem
leben. Nicht das uns Gott etwas dafür schuldig oder pflichtig
sey, sondern darumb, das ers verheissen und zugesagt hat
6 aus gnaden und warhafftig ist, darumb wird er solche werck
belohnen umb seines herrlichen namens willen, wie Jeremia
am siebzehenden geschrieben ist: Jch bin der HERR, der
hertz und nieren prüfet, und gebe einem iglichen nach seinen
wercken. ^)
10 Also auch Matthei am sechzehenden : Es wird geschehen,
das des menschen Son komen wird inn der herrligkeit seines
Vaters mit seinen Engeln, und als denn wird er vergelten
einem iglichen nach seinen wercken.*) Des gleichen sagt
Sanct Paulus Roma, am andern Capitel.') Jtem Matthei am
lofünff und zwenzigsten Capitel zeugt Christus gnugsam, wie
angeneme und gefeilig im seien gute werck, so aus dem Glauben
geschehen, weil er spricht: Ich bin hungerig gewesen, und ir
habt Mich gespeiset etc.*)
Und Summa, das ichs noch klerer auffs einfeltigeste sage :
20 Die Schrifft redet allenthalben herrlich und löblich von guten
wercken und gedenckt ir nimer übel. Darumb wenn man
spricht : Allein der Glaube macht from, so verwirft man nicht
die guten werck, denn es ist nur so viel gered, als ich spreche:
Allein Gottes gnade inn Christo machet uns from und selig,
25 unser wirdigkeit thuts nicht. Denn kein Creatur, weder im
himel noch auff erden, vermag solch gros, überschwenglich
Ding als verdienen Ablas der sunde, from und selig machen,
sunde und tod vertilgen. Allein unser einiger Mittler Jhesus
Christus kan und sol solchs thun, denn der Vater hat in allein
30 und sonst niemand, weder Engel noch menschen, zur erlösung
und from machung des menschlichen geschlechts verordnet
und gesand. Derhalben, wenn man den Glauben liihmet, so
*) Jer. 17, 10. Text. lat. hat den Zusatz : et iuxta fructum adinventionum
suarum. «) Matth. 16, 27. ») Römer 2, 6. *) Matth. 25, 42.
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schmehet man die werck nicht, sondern man rhümet den
rechten briinnen, daraus alle gute werck quellen. Es ist un-
inüglich, on den Glauben gute werck thun.
Das man aber so mit vleissigem unterscheid vom Glauben
und guten Wercken redet und einem jeden sein ampt zu legt, 6
das thut man darumb, das man klar sehen mag, was Christus
sey, und wie wir alles guts von Gott allein umb Christus
willen haben und empfahen und was wir von uns selbs haben
Tind thun. Solche erkentnis machet allein aus einem ver-
dampten Sunder einen seligen Christen. Darumb ist viel 10
mehr daran gelegen, das man recht unterschiedlich vom
Glauben und guten werken rede, denn die weit meinet.
Der Glaube machet uns from für Gott. Die guten werck
bezeugen aber solche innwendige frömigkeit von aussen für
unserm nehesten, welchem sie dienen sollen zur besserung inn 16
allen nöten.
Glaube one gute werck ist kein Glaube. Werck one
Glauben sind nicht gute werck. Darumb müssen diese zwey
i)ing, Glauben und gute werck thun, bey einander sein, die
weil wir leben. Wer sein leben nicht bessert und gute werck 20
thut, der sol wissen, das er kein Christ ist. Wer aber kein
Christ ist, der wird verdampt. Damach mag sich jederman
richten. Gott hats also beschlossen, also wird ers auch end-
lich volstrecken. Das ist gewis.
IIL 26
Wie man recht reden sol von der Messe.
Die Messe, wie sie im Bapstum gehalten, ist gewest ein
rechte Abominatio^) umb vieler greulicher misbreuch und
irthumb willen, so durch Menschen sind angehenget der Messe
Christi und der Apostel. Wir aber haben, was nicht gut war, 30
^) Vgl. Daniel 9, 27: erit in templo abominatio desolationis (Vnlg.)-
Uckeley, Urbaniu Rhegius. 4
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— 60 —
hinweg geworisD, das gnte aber habei wir behalten. Denn
Qottes Wort nnd Ordnung soUen sieht von menschen geendert
werden; viel weniger soi man etwas wider Oottes w<»rt nnd
einsetzong für einen Gottesdienst inn der Christenheit anff-
öwerffen.
Das ist aber der Orenel, den sie an die Messe gehengt
haben :
Zum ersten, Das die Messe sey ein solch opflFer, darinn
Gottes Son tegUch Gotte seinem Vater geopifert werde für
10 die sunde der lebendigen und der todten. Nu leret die Schriffty
das Christus sey nur ein mal gestorben und wider auiT-
erstanden und hinfürt nicht sterbe, denn er hat sich ein mal
Gotte dem Vater selbs geopfltert für uns, ein opflFer zum süssen
geruch, wie der Apostel S. Paulus leret ^) Ephes. 5, Ebr.
lö 7. 9. 10. Dis opflfer kan und sol nicht wider verneuet werden^
sondern, so es ein mal geschehen ist, gilt es imerdar und
ewiglich.
Das hat aber Christus befolhen, das wir sollen ein ge-
dechtnis halten solches einigen opflfers bis an den JUngsten
20 tag,*) und welche dem Evangelio gleuben von Christus Tod
und Aufferstehung, und die Sacrament desselbigen unsere
Herrn Christi empfahen, werden solches opflFers teilhaflPtig,
denn sie empfahen Vergebung der sunden und ewiges leben^
Damach sollen diese alle zumal teglich Gotte ir opflFer thun^
25 welche sind. Ein zurschlagen und gedemütigt hertz, Lob und
preiß Göttlichs namens, Dancksagung, AnruflFen oder Beten^
Creutz und leiden umb Christus namen und die fruchte des
Glaubens, allerley gute werck.
Zum Andern, Aus diesem irthumb von dem MesseopflFer
30 für die sunde sind komen die Winckelmessen, so man one zal
gehalten hat inn der weit one Communicanten wider Christus
wort und brauch der Ersten kirchen. Denn was könd des
») Epheser 5, 25 ff. Hebräer 7, 27; 9, 14. 25—28; 10, 10. 14. «) VgL.
LKor. U,2ö»»l Lukas 22, 19 b.
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— 51 -
Herrn Naehtmal mehr m wider gescheben, denn das nan mit
eiüem andern nenen opffer oder werck wil verdienen yet"
gebnng der snnden? So doch des Herrn Naehtmal nichts
Müiiea% ist^ denn ein gedechtnis seines tods, wacher ist das
0in%e opffier, dadurch alle sonde kondte und m&ste rersttnet 6
werd^L
Ascfa haben sie geleret, das ire zusetze als nötig mttsten
bey der Messe gehalten werden. Das ist anch ein irthnmb^
aber umb der einfeltigen willen und, anf das nach Sanct Pauli
regel (hin der ersten zun C!orintbem am vierzeheden Capitel)io
aUes fein and ordentlich zugehe inn der Gemeine ^) (nicht aus
Papistischer Supersticio und falschem Aberglauben^ behalten
wir den gew5nlichen kirchen Ornat ^) und anders, so nicht
wider Oottes wort ist.
Aber die rechte Messe Christi und der Apostel ist, desi*
HERRen Nachtmal halten inn der Gemeine, so wir nach der
einsetzung Christi und nach der Apostel brauch den Leib des
HEIBBen essen und sein Mut trincken zu seinem gedechtnis
mnd verkiffidigen den heilsamen tod des HERRn, bis er kompt^
das ist, bis an den Tag des Jttngesten gerichts. Dis ist das 20
gedechtnis seiner wunder, wie es der hundfert und eilffte
Psalm nennet,') das Er allein für uns alle gestorben ist
darumb, das wir alle gestorben sind, inn der andern zun Co-
rnthem am fftufften Capitel,*) Und ist wider aufferstanden
Ton den todten, nach. der Schrifft, und hat unser feinde, die 25
amde, den Tod und Teufel überwunden, und nu zur rechten
hand des Vaters regirt inn ewigkeit, das auch wir mit im
herrschen werden. Wie können alle Creatur imer mehr
diese überaus herrliche werck unsers einigen Erlösers Christi
') 1. Kor. 14, 40. ') Es handelt sich speziell um das Mefigewand
des römischen Bitns, die Casel. Vgl. für ihre Beschaffenheit Wetzer- Weite
Brchenlexikon. Freiburg i. B. 188B, Bd. II, S. 2045. ') Psalm 111, 4,
Daa der Text. lat. Psafan CX angibt, hängt mit der mit Luther differierenden
Zihkmg der Vnigata zusammen. Dies sei hier ein fUr allemal betreffs der
Psalmenzitate im vorliegenden Buche bemerkt. *) 2. Kor. 5, 15.
4*
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^ 52 —
guttg verwundern und preisen? Das er unser Sund durch
sein eigen blut getilget hat, unsem tod durch seinen tod ver-
schlungen und den Teufel überwunden durch sich selbs, Colo. 2. *)
Also wird itzt erfüllet, das der hundert und eilflPte Psalm
6 weissaget: Er sendet seinem volck erlösung. Er verheisst,
das sein Bund ewiglich bleiben sol.*) Denn solchen überaus
herrlichen Sieg an unsem feinden hat Gott uns gegeben durch
Jhesum Christum unsem Herrn.*)
Solchs mochtestu kürtzer fassen auff diese weise:
10 Die heilige Schrifft sagt allein von einem einigen Sund-
opflfer, das ist das besonder grosse opffer, das Gottes Son
Jhesus Christus sich selbs am Creutz ein mal dem Vater für
uns aufifgeopfifert und den bittem tod gelidden hat und damit
alle unsere sunde auff ein mal bezalt und uns Gotte dem
lö Vater widerumb versünet hat. Wer das gleubet, der wird
from und selig, denn er wird gewislich sein leben bessern
und hinfurt Christlich leben, dieweil er gleubet, das ein solche
emstlich über theure bezalung und busse hat für seine sunde
geschehen müssen, das Gottes Son selbs inn eigener person
20 sich umb unser sunde willen hat tödten lassen.
Daramb ist ein Greuel für Goit, das sich die sundigen
menschen unterstjanden, mit teglichem Meßopffer erst itzt
unser sunde zu bezalen und uns Gotte zuversünen. Die
Christenheit hat ja auch ihre opffer, als wol fals] vorzeiten die
26 Synagoga der Juden und viel besser. Aber unser einig Sunde-
und Schuldopffer ist niemand denn Christus selbs, der von
keiner sunde wüste, aber der Vater hat in*) uns zu einem
Sundopffer gemacht, spricht Sanct Paulus inn der andern zun
Corinthem am fünfften, *) auff das wir würden inn im die
30 gerech tigkeit, die für Gott gilt, das ist, das wir durch in
geheiligt und gerecht würden, nicht durch unsere werck.
») Kol. 2, 14-15. «) Psalm 111, 9. ») Text. lat. setzt die
Stelle, die der Verf. im Auge hat, ausdrücklich hinzu: 1. Kor. 15. *) Das
hier zu ergänzende „für" hat der Text, lat., der diese SteUe wieder in
deutschen Sätzen bietet. ^) 2. Kor. 5, 21.
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— 53 —
über das Sundopffer opffert die Christenheit auch itzt
bis an Jüngsten tag Danckopffer für die Eriösung inn Christo
und für alle guter Gottes. Also opflFem wir teglich ein zer-
knirscht, demütig hertz, lob und dank und alles, was wir guts
wirken, unser leben lang aus reinem Glauben. Daneben aber 5
hat uns Christus eingesetzt, mit ernst zu begehen die tröst-
liche Gedechtnis ^) seines todts oder einigen opffers am Creutz
ein mal volnbracht, das ist, sein heiliges Nacht mal, das hoch-
wirdige Sacrament seines leibs und bluts.
IUI. 10
Wie man recht reden sei von dem Gesetz oder
Zehen Geboten.
Zum Ersten, Gottes Gesetz sind wir schuldig, auffs vol-
komenst zu halten also, das auch kein buchstaben noch Titel
da Ton nachbleiben solt, denn das ist der allerheiligste Gottes 15
wiUe und das rechte. Gottselige leben. Und wo das Gesetz
nicht gehalten wird, ist die ewige Seligkeit nicht zuhoffen.
Zum andern, Aber unser natur ist durch die Erbsund
(welche durch die fleischliche geburt von Adam inn uns alle
gepflantzt ist) also verderbt, geschwecht und verblendet, das 20
sie auch Gottes Gebot aus ir selbs oder aus eigenen krefften
nicht verstehet und von natur mit unordlicher lust und be-
girde dawider geneigt ist und also von ir selbs die selbigen
nimer mehr erfüllet. Denn also beschreibt Moses unser natur
(ehe und zuvor, denn wir durch wasser und geist wider ge-25
born werden) Genesis am achten^) Capitel: Alles tichten des
menschlichen hertzen ist böse von der jugent auff. Was solt
es denn guts thijn und wircken? Darumb ist das Gesetz und
^) Text lat. hat „die tröstlichen Gedechtnis", denkt demnach, indem
die Ploralfonn gewählt wird, an die Vielheit der in der christlichen Kirche
begangenen Abendmahlsfeiem. *) Genesis 8, 21. Wenn Text. lat. Gen. 6
angibt, so ist an den ö. Vers dieses Kapitels gedacht.
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Oottes Gebot wol heilig, gerecht und ffut, zun Römern am
siebenden/) aber wir sind bdse von mutter leib au, und
werden dazu mit solcher geistlicher blindheit gebom, das wir
onser eigen bosheit nicht verstehen, und derhalben kein
5ertzney noch hfilffe dawider suchen und müsten also unsert-
halben ewiglich verderben und verloren sein.
Zum Dritten, Darumb hat auch der barmhertzige Gott
sein Gtesetz schrifPtlich gegeben, das es uns von wegen unser
Sunden straffe und erschrecke mit drenen der straffe und
XO Gottes gerichts und also uns zu erkentnis unser selbs bringe,
auff das, so wir unser bosheit und jamer erkennen, gnade
und hulffe suchen. Also spricht S. Paul. Rom. 3 : Durchs Ge-
setz wird die sunde erkandt.*) Er spricht nicht: Durdis
Gesetz wird die sunde abgethan. Denn es offenbart allein
16 unser sunde und Gottes zorn, nimpt aber die sunde nicht weg.
Darumb ist daa Gesetz dazu gegeben, das es den hotfertigen
menschen demütige, auff das, wenn er gedemütigt ist, •) gnade
und hfilffe suche.
Zum vierden, Es ist aber kein hfllfie noch rat, keine
20 gnade bey Gott, on allein inn Christo Jhesu, welcher ist unser
Mittler zwischen Got und dem menschen.*) Darumb treibt
das Gesetz die Sünder, zu Christo als zu irem Artzt zu fliehen,
welcher das Gesetz erfüllet hat und dieselbige seine erfüllung
uns schencket, wie Paulus inn der ersten zun Corin. am ei-sten
25Capit, sagt: Christus ist unser gerechtigkeit etc.*) Und
Rom. 10 : Christus ist die erfüllung des Gesetz zur gerechtig-
keit allen, die da gleuben.*)
Damach hat er auch uns verdienet den Heiligen geist,
welcher uns gegeben wird inn der Tauffe und, so wir das
80 Evangelium von der gnaden Gottes hören, durch welchen wir
anfahen, auch selbs das Gesetz zu erhalten. Wir haben aber
einen gar grossen vorteil inn dem Herrn Christo, denn wir
») Kömer 7, 12. ») Bömer 3, 20 b. ») ErgftMe „er". ♦) VgL
1. Tim. 2, 5. ^) t Kor. 1, 30. •) Römer 10, 4.
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— 65 —
siBd noch zam teil fleiseUich, die weil das fleisch lUle seit
iffider den geitt strebt und hindert, das wir das Gesetc nicht
erf&ilen. Zun Römern am siebenden/) zan Galatem am
iOmfften Capitel.^) Aber nmb Christus willen, an den wir
^lenben, vergibt nnd schenckt nns Gott die nbrigen sonde 5
im fleisch nnd rechent sie nns nicht znr ewigen verdamnis.
So haben wir auch selbs misfallen an der selbigen nbrigen
sunde und wolten gerne, das der saurteig der alten bosheit
gar inn uns ausgefegt were, welches endlich geschehen wird
inn der widdergeburt am Jüngsten tag. 10
Oder also anif kurtser weise:
Die Gebot Gottes sind uns Adamskindem zu hoch. Wir
sind empfangen inn der Erbsunde und derhalb arme ge-
bome") sunder, von jugent auff böse. Wir soUens halten,
aber wir könnens one die gnade Christi nicht halten. Was 15
nns unmöglich ist, das ist Gotte möglich. Darumb hat uns
Gott die Gebot*) aus gnedigem willen gegeben, das wir darinn
als inn einem klaren Spiegel unser sundige, verstörte natur,
unser gebrechen, sunde und Göttlich urteil lernen erkennen,
demütig werden und Christum suchen. Der allein und sonst 20
niemand hat die Gebot auffs aller volkomenest ^) erfüllet.
Solcher erfüUung geniessen wir für Gott, wenn wir an Christum
gleuben. Und Christus allein gibt uns seinen geist durch sein
wort, das wir auch verstand, willen und krafft kriegen, Gottes
Gebot zu halten. Aber die erfiillung gehet noch sehwach zu, 25
die weil wir leben, denn das fleisch hat keine lust zu Gottes
Geboten. Aber den vorteil haben wir, so wir im Christlichen
Glauben bleiben, die sunde hassen, das uns Gott imerdar die
übrigen sunde umb Christus willen verzeihet Darumb, ob
schon das Gesetz den sunder nicht fi*om machet (denn solch 30
gros ding gehört allein Christo zu •),) so bereit es in aber zur
^) Rffmer 7, Uff. *) Galater 5, 17 ff. *) d. i. von dar Gebart m.
>) Text lat hat kttn«r „sie**. «) Text. lat. hat „rein amffs Tolkomenest*'.
*) Text. lat. hat „zu eigen'*.
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frömigkeit, denn er erschrickt, wenn er seine sunde und Grottes
gericht durchs Gesetz erkennet und kreucht zum Creutz Christi,
ruffet den namen des HERRn an, begert gnade und kriegt
Ablas der sunden und GrOttes geist. Darumb, lieben freunde,
6 lernet die Zehen Gebot mit grossem vleis und bittet Gott
umb gnade, das ir sie halten muget, und umb Verzeihung, wo
ir sie ubertretten habt.
V.
Wie man recht reden sol vom Freien willen.
10 Der Mensch hat einen Freien willen inn denen Dingen,
so dis vergenglich leben betreffen. Da mag er wollen oder
nicht wollen essen, trincken, gehen, stehen, dis oder das thun
oder lassen, denn er hat das natürlich Hecht der natur und
ettlicher mas freiheit, erbarlich und frömiglich zu leben ^) für
16 der weit, wie denn viel unter den Heiden erbarlich gelebt
haben. Wir haben aber droben gesagt, das durch die Erb-
sunde alle kreffte des menschen verderbt sind, das er von
wegen der verstörten natur nicht kan Gottes Gesetz erfailen.
Denn das Gesetz ist geistlich, zun Römern am siebenden,*)
20 und foddert viel mehr, denn allein eusserliche werck. Der
natürlich mensch hat weder verstand noch lust dazu. Darumb
haben wir von natur und unser ersten geburt keinen Freien
willen, Gottseliglich zu leben für Gott und gute werck zu
thun, sondern allein durch die gnade Christi, wie Christus
2öJohannis am achten spricht: Wo euch der Son frey machet,
so seid ir recht frey, **) das ist, wo euch Christus die sunde
vergibt und also aus des Teuffels gewalt erlöset und euch
seinen Geist schencket, so seid ir nicht mehr knechte, sondern
*) Vgl. Confessio Angnstana Art. 18 : Vom freien WiUen wird gelehrt,
daß der Mensch etlichermaßen einen freien Willen hat^ äoBerlich ehrbar za
.leben und zu wählen unter den Dingen, so die Vernunft begreift usw.
^) Römer 7, 14 ») Johannes 8, 36.
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— 57 —
freie kinder und könnet gerecht nnd Gottseliglich leben, das
ist, an Christum gleuben und den Glauben durch gute werck
bezeugen.
Oder kurtzlich also:
Wir sind von natur kinder des zorns und knechte der 5
sunde und können nichts guts thun von uns selbs. Aber
wenn uns Christus wider gebiert und den Glauben und geist
gibt, denn so sind wir frey und können guts thun durch den
Heiligen geist Aber one die gnade und den geist Christi
gedencken, begeren und thun wir eitel böses, wie es der böse 10
geist haben wil. Und wir selbs thun das böse aus uns selbs,
Gott hat keine schuld daran. Er verbeut das böse und straffts
zeitlich und ewiglich. Der Teufel und unser verkerter böser
Wille sind aller sunden ursach und theter.
Und solchs ist uns von nöten wol zu verstehen, auff das 15
wir erkennen den jamer unser ersten geburt, durch welche
wir sind knechte der sunden und des Teufels eigen worden,
welcher uns gefangen helt von wegen der sunde nach seinem
willen und können aus seinen henden nicht entrinnen, es kome
denn unser starcker Hellt Christus, der den starcken gewap-^SO
neten, der sein pallast bewaret, überwinde und durch Gottes
finger, das ist, durch den Heiligen geist, den unsaubern, bösen
geist austreibe; inn der andern zum Timotheo am andern
Capitel, Luce am eilfften Capitel.^)
Wenn wir solchs wol erkennen, so werden wir auch deste 25
bas verstehen den grossen, unausforschlichen schätz der gnaden
Gottes, die wir inn Christo haben. Denn allein Christus über-
windet den Teufel und treibt in aus. Erlöset und erleucht uns
durch seinen geist, das wir lust kriegen, zu leben nach Gottes
willen. Darumb ob wol des Teufels reich starck und gros ist, 30
denn wenn er seinen Hof oder pallast (das ist, die Gottlosen)
bewaret, so bleibet das seine mit frieden, das ist, es kan im
niemand entrinnen, so ist doch Christus Reich noch stercker
») 2. Timotheiis 2, 26. Lukas 11, 20—22.
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— 58 -
und mechtiger, denn er treibt den Tenfel aus, nimpt im alle
seinen hämisch und teilet den raub aus und schaffet inn
seinem Reich ewigen friede und Sicherheit.
VI.
5 Wie man recht reden so! von der heimlichen
Versehung Gottes.^)
Das ein ewige Versehung Gottes sey, ist gewis aus Sanct
Paulo Ephe. am ersten: Er hat uns erwelet duixh Christum,
ehe denn der weit grund gelegt war.^) Item Hom. 9: Ehe
10 denn die kinder*) geborn waren und wider gutes noch böses
gethan hatten, auff das der fursatz Gottes bestünde nach der
wal, ward gesagt zu Eebecca: Der grosse sol dienstbar werden
dem kleinesten, wie geschrieben stehet Malach. 1: Jacob hab
ich geliebet, aber Esau hab ich gehasset.*)
16 Aber dieser hoher heimlicher Artikel von der Versehung
ist nicht eine milchspeise für die schwachen jungen kinder,
sondern eine staixke speise für die starcken.^) Darumb ist
hoch von nöten, das man fursichtiglich diesen Artikel handle
und nicht für idermann on unterscheid davon schwetze. Denn
20 S. Paulus leret, das unter den Christen alles zur besserung
geschehen sol, und wir sehen, wie mit grosser*) furcht und
ehrerbietung gegen Gott S. Paulus diesen Artikel handlet
Rom. 9, 10 und 11.
Darumb reden etliche übel und ergerlich davon mit solchen
26 Worten: Bistu versehen, so thu, was du wilt, Es sey guts
oder böses, so wirstu selig etc. Das ist ein Gottes lesterlicher
irthumb, sondern also soltestu sagen: Wer zum ewigen leben
versehen ist, der gleubt dem Evangelio und bessert sein
*) Text, lat.: De praedestinationis mysterio. •) Epheser 1, 4.
Text. lat. hat „pater elegit nos". *) Auch hier fOgt Text. lat. gesftuer
die beiden Namen Esau et Jacob hinzu. ^) K6mer 9, 11 - 18. Ma-
leachi 1, 2b-3a. ^) Vgl. Hebräer ö, 12—14. «) — mit wie großer.
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Jebeo, denn Gott bernfft in zu seiner zeit, einen inn der jngent,
den andern im alter nach seinem willen. Es bleibt kein Er-
weiter im nnglanben nnd sandlichem leben endlich. Welcher
aber imer hin böses thut und daraaff beharret, der wird ver-
dampt, denn er hat keinen Christlichen Glauben. Wo er 6
flenbte, so lebte er Christlich nnd besserte sein leben. Daramb,
wer endlich keine bnsse thnt, der ist gewislich der yer-
dampten einer.
Dammb ists gewis, welcher versehen ist, der thnt nicht
imerdar, was er wil, sondern wird bekert und thut darnach lo
auch, was Gott wil. Wer böses thut, der kan und sol ver-
dampt werden, wenn er im bösen verharret Gleich wie Gott
Petrum, Paulum und uns andere Christen zur Seligkeit ver-
sehen hat, also hat er auch zuvor verordnet und versehen
ire bekerung, iren Christlichen wandeP) und gute werck,l6
darinnen sie wandeln und iren beruff und Glauben bezeugen
mosten. Zun Ephesem am andern Capitel.')
Wir sollen den tieffen abgrund Göttlicher versehuiig nicht
mit menschlichem furwitz handeln, sondern thun, was uns
Gott heisst und befihlt, nemlich dem Evangelio gleuben. Wer 20
im gleubt, der ist der erweleten einer. Zun Römren am
achten, Johan. am achten.*) Wer im noch nicht gleubt, der
ist entweder nicht aus der zal der ausserwelten oder aber, es
ist die stunde seines beruffs *) noch nicht komen. Wer hie
nicht greulich fallen wil, wie Lucifer, *) der sol mit den heim- 26
liehen gerichten Gottes unverworren bleiben.
Daromb gefellet mir, das Sanct Augustin Libro de bono
perseverantie Cap. zwey und zwenzigsten die prediger warnet,
so von der heimlichen Versehung und bedachtem rat Göttlichs
willens ftar dem volck reden wollen, und spricht also:*) Wenn 30
^) Text lal fttgt in diesem Zusammenhang, den er deutsch bietet, noeh
ein: boflee. <) Epheser 2, 1—9. ') Bömer 8. 1. 38-^9. Joh. 8, 31.
*) D. L seiner Bemfong. ^) Geläufige Anspielung an Jesaias 14, Vi,
*) Migne, Patres lat., Tom. 45 ^ pag. 1029: quamris ergo haec rera
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- 60 —
wir zu der Gemeiue Christi oder den Christgleubigen reden,
«ollen wir nicht sprechen : Das ist durch bedachten rat Gött^
lichs willens endlich beschlossen von der Versehung, das etliche
aus euch aus dem Unglauben zum Glauben komen sind, da
» 6ir habt angefangen zu wollen gehorsam sein. Denn wenn wir
sagen „Etliche aus euch", so scheinets, als thun wir andern
unrecht und schliessen sie aus von der Seligkeit. Sondern
also sollen wir für der Christenheit reden: Das ist durch be»-
dachten rat Göttlichs willens beschlossen von der Versehung,
<lOdas ir aus dem Unglauben seid ;sum Glauben komen, da ir
den willen, gehorsam zu sein, von Gott empfangen habt^ und
das ir auch empfahet die gnade zu beharren und im Glauben
bleibet. Das ist, Gott hat euch den Glauben an Christum
und guten willen gegeben und gibt euch auch die gnade, das
tlöir bis ans ende im glauben verharret.
Desselben gleichen sol man auch nicht also reden für
dem hauflfen, das die andern, so inn sundlichep lüsten ver*-
harren, darumb noch nicht sind auffgestanden, weil sich Gott
durch die hülflfe der gnade noch nicht über sie erbarmet hat,
,20 sie auff zu richten. Denn aus solchen werten möcht man
meinen, das wir etlichen unter dem hauflfen die gnade der
Busse versagten. Sondern also sol man für dem volck reden:
Welche noch inn lüsten der verdamlichen sunde beharren,
die sollen die heilsame straffe oder Züchtigung Gottes er-
^greiffen. Welche aber nicht also sind, sollen nicht sich er-
heben und vermessen als von iren eigen- wercken, oder rhümen,
sint, non tarnen isto modo dicenda sunt andientibns multis, nt sermo ad
ipsos etiam convertatur, eisque dicantor illa istorum verba, quae veatriß
litteris indidistis et qnae superias interposni : „Ita se habet de praedestinatione
definita sententia Toluntatis Dei, ut alii ex vobis de infidelitate, accepta
obediendi voluntate, veneritis ad fidem." Quid opus est, dici : alii ex vobis V
Si enim Ecclesiae Dei loquimur, si credentibus loquimur, cur. alios eorum
ad lidem venisse dicentes, caeteris facere videamur injuriam ; cum possimos
■congruentius dicerci Ita se habet de praedestinatione definita sententia
Dei, ut ex infidelitate veneritis ad fidem, accepta voluntate obediendi, et
accepta perseverantia permaneatis in fide? (De bono pers. cp. 22.)
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— 61 -
als betten sie es nicht empfangen, denn Gott ists, der da Inn
euch wircket beide, das wollen und thun, nach seinem wol-
gefallen. ^)
YIL
Von der Christlichen Freiheit. 5
Christus hat uns erlöset und frey gemacht von der sunde
nnd straffe der sunden, von dem ewigen fluch oder tod und
von des Teufels gewalt, und schencket uns den Heiligen geist,
der unser hertzen vemeuet, das wir lust haben, zu wandeln
inn Grottes Geboten, und schützet uns wider des Teufels listlO
und gewalt. Des gleichen hat er uns frey gemacht von den
zweien stücken des Gesetz Mosi, die man heisst Legem Ceri-
monialem und Judicialem und von allen menschlichen auff-
setzen inn der Christenheit. Darumb alle Satzungen der
Kirchen, die da dienen zu eusserlichen Ordnungen, halten wir 15
frey und ungenötigt, damit es inn der Gemeine alles ordent-
lich zugehe, wir setzen aber kein Heiligkeit oder Gottes dienst
darein, wo man sie helt, auch keine sunde, wo man sie on
ergemis nachlest
Dis ist die überaus hohe, herrliche freiheit, die wir inn 20
Christo haben, aber ein geistliche, nicht ein fleischliche freiheit.
Darumb sol man zusehen, das man durch solche freiheit nicht
dem fleisch räum gebe, sondern durch die Liebe einer dem
andern diene, und das wir die einfeltigen unsere Brüder*)
nicht ergem, wie S. Paul, leret Gal. 5. Rom. 14. 1. Corint.8. *) 26
Man sol aus der geistlichen freiheit keine fleischliche
Sicherheit und mutwillen machen, das man wolte vogelfrey
und niemands unterworffen sein.
Nach dem fleisch können wir wol jedermans knechte und
nnterthan sein und doch im Geist frey sein und bleiben nicht 30
») Philipper 2, 13. •) Text. iat. hat nur ^simplices fratres".
*) Galater 5, 13. Eömer 14, 15. 1. Kor. 8, 11—13.
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— 62 —
TOB weltliclier oier bnrgerlicher pflidit and dienstbArkeity
sondern von d^ Sunde, Tod nnd Helle, das itzt die Sud«
und der Teufel nicht über uns herrschen wie zuvor, da wir
unter des Teufels gewalt und noch nicht inn die gnade und
5 Reich Christi genomen waren. Also sagt 8. Paulus Born. 6:
Die sunde wird nicht über euch herrschen, sintemal ir nicht
seid unter den Gresetz, sondern unter der Gnade, ^) und Johan. 8:
Wo euch der Son frey machet, so werdet ir recht frey sein etc.^)
vm.
10 Wie man recht reden sol Ton der weltlichen
Oberkeit
Weltlicher Obericeit ampt ist nicht ein Tyranney oder
frevele gewalt, sondern eine ordenliche gewalt, von Gott uns
zu nutz gegeben.
15 Die Christen sollen alleriey gesetz und Ordnungen irer
weltlichen Oberkeit mit vleis halten, wo sie nicht wider Gott
sind und zu snnden zwingen wollen, denn inn solchem fal
mus man Gott mehr gehorchen, weder den menschen.*)
Und solche Ordnungen der Oberkeit sol man nicht halten
SOfiir lauter Menschliche traditiones, denn sie haben die krafft,
das man inen gehorsam schuldig ist, on mittel*) aus Gottes
wort; inn der ersten Epistel Petri am andern Capitel: Seid
unterthan aller menschlichen Ordnungen umb des HERRN
willen, es sey dem König, als dem Obersten, oder den Heübt-
25leuten, als den gesandten von im zur räche der ubeltheter
und zu lobe den fromen. *) Denn das ist der wille Gottes,
das ir mit wolthun verstopffet die Unwissenheit der törichten
menschen, als die Freien, und nicht als bettet ir die freiheit
zum deckel der bosheit, sondern als die knechte Gottes. •)
») Römer 6, 14. «) Johannes 8, 36. *) Act. 5, 29. (Der Text,
lat. aitiert kier fälschlich Act 15.) *) Text lat.: imme^ate. *) Text,
lat.: recte agentium. •) 1. Petri 2, 13—16.
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— 63 —
Der gemeine pobel bat yon den Papisten gelernet, die
weltUcke Oberkeit verachten. Dammb mns man inen mit
yleis und oft salche vfort des heiligen Apostels einbleuen,
znn Rdm^n am dreizehenden : Jderman sey umterthan der
Oberkeit, die gewalt über in hat. Denn es ist kein Oberkeit 6
m TOB Gott. Wo aber Oberkeit ist, die ist von Gott ver-
(Nndnet Wer sich mn wid^ die Oberkeit setzet, der wid^>
strebet Gottes Ordnung. Die aber widerstreben, werden über
äek ein urteil empfahen.^) Item, Die Oberkeit ist Gottes
Dienerin, eine Rächerin zur strafe über den, der böses thut.10
So sind -) nu aus not mterthan, nicht alleine umb der straffe^)
willen, sondern auch umb des gewissens willen.
Also sol man oft vermanen, wie köstlich gut werck es
sey und Gott wolgefellig beide, das die Oberkeit Göttlich
regiere, und das die mnt^thanen irer Oberkeit willig und IS
gerne geh(»*sam leiste.
IX.
Wieman den spruch des Propheten recht handien
sol, Esaie am 54: Es werden alle deine kinder
von Gott geleret sein.*) 20
Diesen spruch zihe ich nicht vergeblich an, denn er von
vielen Ungelerten gerhümet wird, als werden darin gelobt
die, so keine schrifft lernen noch wissen, und meinen, sie
haben allhie für sich Gottes wort, dadurch alle löbliche künste,
da zu die Heilige SchriflPt, verworfen werden. Weil Christus 25
Joh. 6 spricht: Es kan niemand zu mir komen, es sey denn.
») Römer 13, 1 ff. *) Wahrscheinlich ein Druckfehler für „seid"
(Text. lat. hat: qDapropter oportet esse snbditos). *) Text. lat. lautet
„propter iram". *) Jesaias 54, 13. Als Zitat bei Joh. 6, 45. Wenn der
Text lat. „Dabo univerBOs üios tnos doctos a Domino" hat, so folgt er genau
dem Ausdrack der Prophetenstelle, während der Text der deutschen Ausgabe
T<m der Formulierung des Zitats im Johaaneseyangelium beeinflußt ist
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— 64 —
das in zihe der Vater, der mich gesand hat, und ich werde
in aufferwecken am Jüngsten tage. Es stehet geschrieben
inn den Propheten: Sie werden alle von Gott geleret sein.
Wer es nn höret vom Vater und lernets, der kömpt zu mir. *)
.6 Hie redet Christus von der gemeinen lere des Evangelii,
so jederman zur Seligkeit von nöten ist, dadurch wir Christum
lernen und erkennen, das er sey umb unser willen mensch
worden, und an in als unseni einigen Heiland gleuben. Durch
diese lere werden gewislich alle ausserwelten erleucht, und
10 wer die selbige nicht hat, der mus verloren werden.
Aber über diese gemeine lere und erkenntnis ist ein
ander kunst und sonderlicher verstand inn der Christenheit,
welchs heisst die gäbe der Weissagung, damit nicht on unter-
scheid alle Christen begnadet werden, sondern ettliche, so der
15 Christenheit fui^stehen sollen inn der lere, das sie die heilige
Schriflft auslegen, zur besserung, *) zur vermanung, zu trostung;
inn der ersten zun Corinthern am vierzehenden Capitel.')
Diese gäbe hat nicht ein iglicher Schuster oder Schneider,*)
den Apostel gleich, und welche die nicht haben, die sollen
20 nicht leren inn der Christenheit, sondern sollen die andern, so
da leren können, mit ehrerbietung hören, wie Sanct Paul, da-
selbs sagt: Wer nicht ist ein Ausleger, der schweige inn der
Gemeine, er rede aber im selber und Gotte.*)
X.
25 Wie man recht leren sol von der Gnugthuung.
Eigentlich zu reden, ist ja keine Gnugthuung für die
sunde der weit, denn der teure tod Christi. Der hat allein
für uns gnug gethan der gerechtigkeit Gottes, und uns Gotte
*) Johannes 6, 44—45. *) Text. lat. hat hier „ad aedificationem^.
') 1. Kor. 14, 3. ^) Text. lat. hat den Zusatz: Hoc donom non est
Omnibus cerdonibus, sartoribus et sutoribus. •) a. a. 0. Vers 28.
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— 65 —
Tersänet; aber der selben gnngthnimg wird nieiMiid teü-
^affüg, denn die da gleuben dem Evangelio Christi Niemand
4kber wird for gleubig gebalt^ wo er sein leben nicht bessert
ittd seinen glanben dareh gnte werck bezeuget, oder wie
Sanct Paulus redet, der da verleugnet das Gottlose wesen 5
und die weltlich» lüste und züchtig, g^echt und Gk)ttselig
lebet inn dieser gegenwertigen welt.^)
Darumb werden die fehrlich^) von inen selbs betrogen,
-die also lestem: Was ists von nöten, das ich faste, bete,
meinen leib casteie und gute werck übe? Hat nicht Christus K)
für mich dem Gesetz gnug gethan? Weil denn er es gethan
hat, was bedarflf es meiner werck?
Ja, lieber Bruder, Das ist wol war, das Christus hat der
strengen gerechtigkeit Gottes und dem Gesetz auffs aller vol-
kömlichst gnug gethan und einen unmenschlichen schätz ge-lö
geben zur bezalung, unser sunde zu tilgen. Aber der über-
reichen bezalung und gnugthaung wird niemand teilhaflftig,
er gleube denn an Christum. Die aber an Christum gleuben,
<lie sind on zweivel der sunden feind, weil für die selbige zu
Tersünen, ein solch teur opffer hat müssen geopffert werden, 20
Bnd fahen nu an, sunde zu meiden und unstrefflich zu leben.
Welche aber inn sunden verharren und nicht busse thun, die
g:leuben auch nicht, das Gottes Son für unser sunde gestorben
sey. Darumb sind sie den Heiden gleich zu halten, und sollen
noch kennen von der Gnugthuung Christi nicht rhümen. Denn 25
Er hat dich nicht dazu von sunden erlöst, das du forthin
imerdar inn sunden solt ligen bleiben, sondern das du, nach-
dem deine sunde getilget sind, solt Götlich und heiliglich
leben, gleich wie ein Wund-Artzt ein tödlich verwundten heilet
nicht dazu, das er wider sol wund werden, sondern das er 30
forthin möge gesund sein und bleiben. Also sagt Sanct Paulus
inn der ersten zun Thessalonichem am vierden : Gott hat uns
nicht beruffen zur unreinigkeit, sondern zur heiligung;*) und
») Titas 2, 12. «) öefährlitk. «) 1. Thessal. 4, 7.
Uckeley, Urbanas Rbegins. 5
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— 66 —
zun Römern am sechsten Capitel: Wir sind mit Christo be-
graben durch die Tauffe inn den tod, das, gleich wie Christus
aufferweckt ist von den todten durch die herrligkeit Gk>ttes
des Vaters , also sollen auch wir inn einem neuen leben
5 wandeln. ^)
Darumb sol ein Christen also dencken und sagen: Christus^
Mein Herr und mein Gott, ist von wegen meine sunde zu-
tilgen, gestorben und hat dafür bezalet und gnug gethan*
Darumb wil ich hinfart die sunde fliehen, als ein tödliche^
10 Hellische gifft und pestilentz, welche durch kein ertzney hat
getilget mögen werden, denn durch den unschuldigen tod des-
Sons Gottes. Hat die bezalung meiner sunde und die ver-
sünung so viel gekostet, nemlich den bittem tod meines
Gottes, so behut mich Gott für sunden.
16 XI.
Wie man recht redensolvonder Jungfrau seh äfft.
Die Jungfiauschaflft ist ein solcher stand, den Sanct Pau-
lus geraten hat denen, so die gäbe haben, ausser der Ehe
keusch zu leben. Denn solche können on grosse hindemis
20 das Evangelium leren und predigen, wie Sanct Paulus sagt:
Welche nicht freihet, die sorget, was dem HERRN angehöret,,
das sie heilig sey, beide am leibe und auch am geist etc^)
Darumb sol man also leren: Wer die hohe gnade'*) hat, also
keusch zu bleiben, der brauche der selben, denn die zeit ist
2okurtz (spricht der Apostel;, und das wesen dieser weit ver-
gehet. *) Wer aber brunst leidet *) und die selbige gäbe nicht
hat der gebe sich inn den heiligen Ehestand. Leibliche trüb-
sal müssen zwar die Eheleut haben. •) Sie sind aber inn
solchem stände, der Gott gefellet, und daraus bürgerliche
») Kömer 6, 4. «) 1. Kor. 7, 34. ») Text. lat. : donum. *) a. a. O..
Vers 29 a und 31 b. 5) a. a. 0. Vers 9. «) a. a. 0. Vers 28.
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erbarkeit inn der weit entspringet Denn die Ehe ist bey
jederman ehriich zu halten, und das Ehebette unbefleckt;
zun Ebreem am eiMFten.^) Die Hurer und Ehebrecher wird
Grott richten.
XII. 6
Wie man recht reden sol von der Beicht.
Die Beicht ist alle zeit inn der Christenheit gewesen.
Es sind aber ettliche unnötige, ja auch fehrliche ^) zusetze durch
menschen daran gehengt.
Zum Ersten haben sie gesagt, Man müsse alle sunde inn 10
der Beicht erzelen, welchs doch nicht müglicb ist.
Zum Andern, Man mflsse seinem eigenen Priester beichten,
es sey denn, das man von dem selben erleubnis habe, anders
wo zu beichten. Wßl ists gut und nützlich, das einer bey
seinem eigen pfarer rat hole, aber darinn sol man das ge-i6
wissen mit keinem gebot beschweren.
Zum Dritten, Wo man williglich eine sunde nicht erzelet
bette, so müsse man wieder auffs neu beichten.
Zum Vierden, Ist das volck inn den wahn geftiret, das
die sunde vergeben werde von wegen desselben wercks, nem- 20
lieh der beichte, und von wegen eigener Reu, und ist Christus
verdienst gar geschwigen. Solchs haben die Papisten als
nötig getrieben mit grosser fahr und schaden der gewissen.
Darumb sol ja ein Christen gerne beichten Gotte teglich
und alle zeit, da zu auch oflFt dem Priester oder Diener des 26
Worts, zum wenigsten, wenn er zu Gottes tisch wil gehen,
aufif das er aus des Dieners mund das wort Christi höre,
welcher durch desselben mund uns los spricht von unsem
sunden. Denn Christus hat seiner Christenheit gegeben die
Schlüssel desHimelreichs; die selbige befilht sie den Dienern 30
') Hebräer 13(!), Vers 4. «) Vgl. Seite 65 Anm. 2.
5*
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•
des wort»; welchen nu die selbigen sunde vergebea, denen sind
sie vergeben, and welchen sie die sunde behalten, denen sind
sie behalten.^) Dammb sollen wir festigHch der Absolntio
gleuben, nicht weniger, denn ob -) Christus selbs sichtiglicli **)
5 uns absolviret, wie er Magdalenam und den Gichtbruchtigen
absolvirt hat.
Die das hochwirdige Sacrament empfahen wollen, die
sollen zuvor inn der Beicht vleissig verhört werden, nicht
alle oder ir viel zugleich und auflF ein hauffen, sondern einer
10 nach dem andern, das ein Pfarrer könne hören, ob sie den
Catechismum können verstehen, und ob sie wissen, warumb
sie zum Sacrament gehen, und was sie im Sacrament suchen
sollen.
XIII.
löWie man recht reden sol von Menschensatzungen.
Man sol nicht on unterscheid allerley Menschliche Satzungen
verwerifen, und sonderlich mus ich vermanen, das niemand der
weltlichen Oberkeit Ordnung und gebot für traditiones oder
Menschen lere halte. Denn dieses worts (Menschen lere oder
20 Traditiones) brauchen wir allein von den Satzungen, so die
Bischove inn der Kirchen pflegen zu machen, und wir ver-
werffen allein solche Traditiones, welche entweder öffentlich
wider Gottes wort streben, als die lere von dem opffer der
Messe, das dadurch Vergebung der sunde verdienet werde, für
25 die todten und lebendigen. Item, die Lere von dem ehelosen
leben, das Priester, Mönche oder Nonnen sundigen, so sie ehe-
lich werden, Oder, wenn Bischove oder Priester gesetz oder
Traditiones machen, da mit man Gott sonderlich dienen sol,
und da durch die sunder gerecht sollen werden. Welcherley
80 menschen gesetz sind inn der Moncherey, von speisen und
^) Vgl. Johannes 20, 23. *) denn als ob. ») Text, iat :
visibiliter.
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— 6» —
»ancherley kleidangeii) damit sie gemeinet haben, das sie
Gott dieneten, und für grosse sande gehalten haben, wo je*
nand solche regel oder lere ubertrette, and da gegen ge-
rechUgkeit darein gesetzt^ so man die selben hielte.
Solche lere hat Christas Matthei am fünffsehenden Capitel 5
öffentlich verworffen and verdarapt, als er spricht: Ir Heuchler,
es hat Esaias wol von euch gesagt: Dis volck nahet sich zu
mir mit seinem münde, aber ir hertz ist ferne von mir; Ver-
geblidi aber dienen sie mir, die weil sie leren solche lere,
die nichts denn menschen gebot sind, das ist. Es ist eitel 10
vergeblicher, unnützer dienst.^)
Aber ettliche Satzungen werden gestellet inn der Christen-
heit zu gutem brauch, nemlich, das eusserlich ein gute Ord-
nung gehalten werde. Denn S. Paulus hat nicht on ursach
die Corinther vermanet, das inn der Gemeine sol alles zuchtig- 16
lieh und ordenlich zu gehen. 1. Corinth. 14. *) Inn solchen
suchen wir keine frömigkeit ftir Gott, sondern die einfeltigen
werden dadurch, als inn einer kinderzucht gehalten, das sie
sich lernen, mit zucht und scheu gegen Gottes wort und
Sacrament erzeigen. Also halten wir die gemeine Sontagsfeier. 20
Also mag ein Bischoff zur zeit eine fasten setzen, das die
leut deste geschickter seien zu beten. Item, man setzet einen
tag, daran das volck zusamenkome, Gottes wort zu hören und
die Sacrament zu empfahen, als da sind ettliche furnemliche
Feste im jar, von der Geburt und Beschneidung, Von dem 26
Leiden, Aufferstehung und Himelfart des HErrn, Von der
Sendung des Heiligen geists, Von der Engelischen botschafft, *)
Von S. Johanne dem Teuffer,^) auff das die fumemlichen
Artikel des Evangelii, so an solchen tagen gehandelt werden,
inn gedechtnis der leute hafften und bleiben mögen. 90
Wider solche Satzungen, so von eusserlichen dingen, die
da Indifferentes und frey sind, umb guter Ordnung willen
') Matth. 15, 7—9 (vgl. Jesaias 29, 13). *) 1. Kor. 14, 40. ») An-
BQBciatio Marifte, 25. März (vgl. Lukas 1, 26—38). ^) Johannistag, 24. Juni.
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eingesetzt werden, sol niemand predigen, sondern die prediger
sollen die selbigen loben, damit die einfeltigen and unversten-
digen nicht von solchen Ceremonien und Ordnungen abgescheuet
werden, und also anfahen, alle ubung des Christlichen lebens
6 zu verachten, wie es pflegt zu geschehen, wo die Prediger
on unterscheid alle Traditiones verwerffen, als man an vielen
orten sihet, das das volck nicht mehr inn die Kirchen gehet
oder, ob sie gleich hinein gehen, doch keines Christlichen
ampts, so darinn gehalten wird, nicht achten. Zu solchem
lOirthumb geben ursach ungelerte und freche Prediger, die on
mas und on auflFhören wider alle Ceremonien und Ordnungen
schreien, bis der pobel zuletzt auch die predigt und den
brauch der Sacrament hat lernen verachten.
Aus diesem ist leicht zu verstehen, wie man von Cere-
lömonien und Festen recht halten und reden sol. Die Christen-
heit, so hie noch streitet im fleisch,*) kau der Ceremonien
nicht geraten. *) Darumb, wo sie nicht oftenüich wider Gottes
wort streben, sondern umb guter Ordnung willen bisher ge-
halten sind on den unchristlichen wahn, das man dadurch
^frömigkeit für Gott erlangen solte, so sol man sie traun nicht
verwerffen, sondern umb friedes und einigkeit willen behalten,
auff das den einfeltigen kein ergernis gegeben werde. Denn
es pflegen offt grosse empörung und unzeliche ergernis zu
folgen aus zustörung und enderung solcher Ceremonien, wie
25 man inn der Kirchen Historien Eusebii und andern klerlich
lieset. Darumb sol ein fromer und kluger Hirte mit vleis
zusehen, das nicht durch plötzliche enderung solcher dinge
ergernis erwachsen.
Daher ist auch unsers Landsfursten *) gebot und befelh,
90 das man eintrechtige und gleiche Ceremonien halte und die
gewönlichen Ornat der Kirchen, so man braucht inn hand-
^) ecclesia militans im Gegensatz zur ecclesia triamphans. *) = ent-
raten. «) Das war Ernst, Herzog zu Lüneburg, „der Bekenner" (geb.
1497, gest. 1546). Er hatte 1530 die Augsburgische Konfessiou unter-
schrieben, war Mitglied des Schmalkaldischen Bundes, trat, wie 1525 gegen
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— 71 —
long der Sacrament, nicht verwerfe, soDdeni behalte umb
zucht und wolstehens willen,^) doch inn Christlicher freiheit.
Der gleichen sol man auch andere Fest oder Feiertage
nicht bald abthan, damit das volck sich gewehne ja auff ett-
liche bestimpte tage Gottes wort zu hören und Gottes dienst 5
zu halten, damit sie gereitzet werden zu Christlicher ubung. ')
XIV.
Vom Fasten.
Es ist zweierley Fasten. Zum ersten, Ein gemein teg-
lich fasten, Zum andern, Ein sonderlich geistliche Fasten. 10
Das erste ist tegliche nüchterkeit und messigkeit der Christen,
Denn sie sollen sich allzeit hüten für fressen und sauffen nach
4er vermauung Christi Luc. 21, ^) auff das sie allezeit bey
vemunfft und geschickt seien, Gottes namen zu preisen,
Solchs wird allenthalben inn der Schrifft geboten. Ephes. 5:15
Sauffet euch nicht vol weins, daraus ein wüst, unordig wesen
folget, sondern werdet vol des Heiligen geist und redet unter-
nander mit Psalmen und lobsengen und geistlichen lieblichen
lieder, singet und spielet dem HERm inn euem hertzen und
saget danck allezeit für alles Gott und dem Vater inn dem namen 20
unsers HERm Jhesu Christi.*) Rom. 13: Lasset uns ablegen
die werck der finsternis und anlegen die woffen des Hechts;
Lasset uns ehrbarlich wandeln, als am tage, nicht inn fressen
und sauffen etc.*) Inn der ei-sten zun Thessal. am funfften
Capitel: Lasset uns wachen und nüchtern sein, denn die da 26
schlaffen, die schlaffen des nachts, und die da truncken sind,
die Bauern, so 1535 gegen die Wiedertäufer kraftToll auf, war ein Freund und
eifriger (XJnner des Urbanus Ehegius, den er sich aus Augsburg geworben
hatte. (Vgl Einleitung.) ^) Text, lat.: propter decorum. ') Text,
lat.: eorumque participatione exerceantor ad pietatem. ') Lukas 21, 34.
♦) Ephe8er5, 18—20. *) Bömer 13, 13-14. Text. lat. hat noch den
Schluß des 14. Verses: et camis curam ne agatis ad coneupiscentias.
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— 12 —
die sind des nachts truncken; Wir aber, die wir des tages
sind, sollen nüchtern sein.^) Titnm am andern Capitel: Es
ist erschienen die heilsame gnade Gottes allen menschen und
züchtiget uns, das wir sollen n&chtem oder züchtig, gerecht^
5 und Gottselig leben etc.*)
Das ander sonderlich Fasten ist, so jemand inn grossem
anligen oder von wegen des Gebets einen oder mehr tage im
selbs zu fasten aufi legt, oder so ein Bischof oder Oberkeit
eine fasten auflFsetzet, wie Josaphat, der König Juda, 2. Parali-
lOpom. 20*) und der Apostel Sanct Paulus 1. Corin. 7 den
Christlichen Eheleuten solche fasten an gibt, da er spricht:
Entzihe sich nicht eins dem andern, es sey denn aus beider
bewilligung, eine zeit lang, das ir zum fasten und beten müsse
habt*) Und ich halt dafür, das die Fasten der vierzig tage
16 vor dem Osterfest aus dieser Ursachen vorzeiten inn der
Ersten Kirchen (doch mit Christlicher freiheit) gehalten seien,
das das volck durch die fasten geschickt würde, deste heflf-
tiger und vleissiger zu beten und Gotte zu danken bey des
HERrn Abendmal, beide für das bitter leiden und tod Christi,
20 dadurch wir von allem übel inn ewigkeit erlöset sind, und
für die fröliche sieghafte AufFerstehung des selben, daher
unser gerechtigkeit und aufferstehung kömpt.
Also schreibt Sauet Ignatius, des heiligen Evangelisten
Johannis jünger inn Asia und ein heiliger Merterer Christi,
26 inn der Epistel an die Philipper: Ir solt die Fasten der
vierzig tage nicht verachten, denn damit folget mau dem
exempel dere, die mit Gotte gemeinschafft gehabt haben etc. ^)
Er hat aber als ein Heiliger man die gewissen nicht be-
schweret mit solcher last, wie uns der Bapst geplagt hat,
30 welcher solch fasten hat geboten bey einer tod sunde, dazu
1) 1. Thess. 5f 6>8. Text lat. hat nur den Satz: nos, qni Bomiui.
filii Dei, sobrii umas. «) Titus 2, 11 ff. ») 2. Chronica 20, a
*) 1. Kor. 7, 5. *) Migne, Patr. graec. 5, Ö37 : rqv Teaaa^axoaTi;^' /ui^
i^ovdei'etre, fiijur^aw yäp Tieotixtt rfjg toC Kvpiov Ttokneia^ (der Philipperbrief
gehört nicht zn den echten Ignatianen).
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— 73 -
fleisch, eier, butter zu essen verboten, von welcher Sanct
Ignatios kein wort gesagt hat.
Desgleichen schreibt auch Sanct Hieronymas wider den
ketzer Montannm: Wir halten die Fasten der vierzig tage
des gantzen jars nach Ordnung der Apostel. ^) Dieser Fasten 5
wird auch von Sanct Ambrosio offt gedacht ^)
Oder kurtzlich also:
Welcher ein Christ ist, der wird gewislich vom Geist
Gottes bewegt, nüchtern und messiglich zu leben alle tage,
damit das mutwillige fleisch den geist nicht uberpoltere. 10
Auch wenn er etwas ernstlich von Gott bitten wil oder sich
zu einer dancksagung inn des HERRN Nachtmal schicken
wil, so wird er auch zuvor durch anregung des Geists •)
fiftsten oder meßiglich und nüchtern leben. Wo ers nicht thut,
so ist er noch gar fleischlich und nur ein Titel Christ. 15
Die ersten frome Christenheit vor tausent jaren hielten
die Viertzig tage Fasten, ein jeder nach seiner gelegenheit.
Was sind wir für Christen, das wir im jar nicht ein oder
zweymal wollen fasten, wenn wir zu Gottes tisch gehen sollen ?
Doch dis alles von der besondern fasten sol ein lere und ver- 20
manung sein, nicht ein gebot, das man dem gewissen keinen
strick legt.
XV.
Wie man recht reden sol von dem Gebet.
Wer da wil recht beten, der sol beten im geist und inn 25
der warheit, nicht das er allein viel mit dem maul plappere.
Das Gebet, so von hertzen und aus dem Glauben gehet,
^) Migne, Patr. lat. 22, 475 : Nos anam qnadragesimam secandam tradi-
tioiiem Apostokmm, toto nobis orbe congrno, jejanamns. (Epistola Hiero-
BjmiXLI, ad MaroeUam.) *) ^g^- die siebzehn Sermones de sancta
Qnadragesitta. Migne, Patr. lat 17, 636—671.. <) Text. lat. hat hier
in deutscher Ansfühning „Geist Christi*^.
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— 74 —
dasselb wird erhört, denn Gott hat selbs beide, geboten zu
beten, Lu. 8*), und auch verheissen zu erhören, Math. 7.*)
Darumb mustu im Gebet, nemlich*) etwas bitten von Gott
dem himlischen Vater durch Christum, es sey geistlich oder
•5 leiblich. Vor allen Dingen aber soltu bitten umb einen rechten
und festen glauben an Christum. Was du aber bitten wilt
inn den Sachen, so dis zeitlich leben belangen, als da ist ge-
sunder leib, zeitlich narung und der gleichen, so setze allzeit
daneben dis stuck : HErr, dein wille geschehe. Denn Er weis,
Iowas uns nütz oder schedlich ist.
Man sol aber imerdar anhalten mit beten, wie uns Christus
selbs ein exempel stellet, da er betet auflF dem berge und des
nachts im gebet verharret, Luce am sechsten, *) und die selige
Jungfrau und Mutter Gottes sampt den Aposteln einmütiglich
löbey einander blieben im Gebet, Actuum am ersten Capitel,*)
und Paulus inn der ersten zun Thessalonichern am fänfften
Capitel spricht: Betet on unterlas etc.®) Und Christus, Luce
am achzehenden, inn der gleichnis von der Widwen und dem
ungerechten Richter leret uns, das wir sollen alle zeit beten
^und nicht laß werden.')
Das aber Christus Matthei am siebenden Capitel®) der
Phariseer gebete verwirft, das machet ir irrige meinung und
misbrauch inn dem gebete. Beten ist gut und not. Es mus
aber geschehen nach Gottes wort. Der Phariseer gebete war
26 lauter heucheley wider Gottes wort. Denn sie suchten damit
iren rhum bey den leuten, weil sie oflFentlich auflF den gassen
stunden und betten, und war nur ein geschwetz on glauben
und an dacht des hertzens gleich wie der Papisten gemurre,
wenn sie ire Horas Canonicas hinwegschnurren on alles auff-
SOmercken und andacht. Darumb spricht er: Wenn ir betet,
») Lukas 18 (!) Vera 7 und 8. «) Matth. 7, 11. ») = mit
Worten bestimmt, ausdrücklich. Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch,
Bd. 7, S. 346 (Bedeutung II, 2 a). Der Text. lat. hat certi aüquid. *) Lu-
kas 6, 12, ^) Act. 1, 14. «) 1. Thess. 5, 17. ') Lukas 18, 1.
«) Matth. 6 (!) Vers 6.
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- 75 -
solt ir nicht viel plappern, wie die Heiden thun, denn sie
wehnen, sie werden erhöret, wenn sie viel wort machen;
dammb solt ir euch inen nicht gleichen. ^) Darumb verwirflFt
Christus nicht stettig und lang gebet, so es geschieht aus
glenbigem und andechtigem hertzen, sondern das unnütz ge- 5
plepper, da das hertz nichts ernstlich begeret, noch darauff
mercket, sondern allein die lippen plappern on verstand.
Summa, Welcher recht beten wil, der sol aus rechtem ver-
trauen inn Christum von hertzen etwas von Gott begeren,
wie ein kind von seinem lieben Vater, und sol lang oder kurtz 10
beten, nach dem in die not und andacht dringet. Wolte Gott,
das wir auch eine gantze nacht beten köndten von grund
unsers hertzens, wie Christus thet, Luce am sechsten. Aber
wenn man allein viel wort mit dem munde machen, und das
hertz kein auffmercken, noch ernstlich begird hat, etwas von 16
Gott zu erwerben, das ist ein eitel gleisnerey und Phariseisch
geschwetz, welchs Gott nicht haben, noch erhören wil, denn
Christus spricht Johannis am vierden Capitel: Die rechten
änbeter, das sind die Christen, werden den Vater anbeten im
geist und inn der warheit.*) 20
Ein Prediger sol auch das volck stettigs vermanen, ernst-
lich und on unterlas zu beten, und oflFt einbilden, *) wie krefftig
ein Christgleubig gebet sey, durch solche oder der gleichen
exempel:
Moses betet für das volck, und der HERR halff inen 25
durch die Eherne Schlange. Numeri am ein und zwenzigsten.*)
Aharon stund zwischen den todten und lebendigen und
betet für das volck, und die plage höret auif. Numeri am
sechzehenden Capitel.*)
Ezechias betet, da er todkranck lag, und erbettete noch 30
f&nfizehn jar seines lebens. Jesaie am acht und dreissigsten. ®)
Die erste Christliche Gemeine betet für Petrum, da er
•) A. a. 0. Vers 7. «) Joh. 4, 23. ») Text. lat. : saepe inculcet.
*) Numeri 21, 7. ») Numeri 16, 48 bezw. 17, 13. ») Jesaias 38, 2.
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— 76 —
f efangpen lag, und die keten fielen von im, and er ward ledig.
Act. 12.1)
Sanct Paulas betet inn dem grossen ungewitter im meer,
and er fristet zweihundert und sechs und siebenzig menschen
6 das leben. Actorum 27.^)
Cornelius betet hefftig, und ward zum ersten zu im ge-
schickt ein Engel, der sprach: Dein gebet und almosen sind
für Gott komen and gedacht worden, und bald ward zu im
geschickt Petrus, das er in im glauben Christi unterrichtet
10 und teuffete. Acto. 10.«)
Solcher exempel ist die gantze Schrifft vol. Darumb solt
ir inn alle eur not zu unseim himlischen Vater beten durch
Christum im rechten glauben, so wird er euch geben, was
eur hertz begert.
15 XVI.
Wie man recht reden sol von der Heiligen ehre.
Die gemeine, heilige, Christliche Kirche ist je des gewis^
das wir alle*) sunder geboren sind, und aus lauterer gnade
Gottes durch Christum gerecht und selig werden. Damach
20 weis und bekennet sie auch, das Jhesus Christus ist idlein
unser priester für Gott im Himel, unser Mittler und Gnaden-
stul, welcher allein hat sollen und können uns erlösen von
Sunden, Tod und des Teufels gewalt und Grotte dem Vater
versünen. Und dieweil Gott allein umb des HERRn Christi
25 verdienst uns gnedig wird und sunde vergibt,*; und die
Christenheit weis., das AnruflFen ist ein werck des andern
gebots,®} welchs Gotte allein gebürt und keiner blossen
Creatur, so sol man niemand anruffen, on den allein, an
welchen wir schuldig sind zu gleubeu, das er könne und wolle
») Acta 12, 5. «) Act. 27, 37. Text. lat. hat fälschlich die Zahl 279.
2) Act. 10, 4. *) Ergtoze „als". ») Text. lat. setzt hinza : et vitam
aeternam dat. ') Im Original Druckfehler: gebets.
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lag seMg machen. Na sollen wir allein an Gott gleuhen.
Darainb sol man anch allein in anrnffen, das er ans ron allem
nbel erlöse. Psalm am fanffiiigsten: Baffe Mich an inn der
not, so will ich dich erretten and da wirst mich preisen.^)
Und Christas spricht, Matthei am eilfften Cap.: Eompt alle 6
ZQ Mir etc.^
Also leret uns der Heilig geist dnrch sein Werckzeag
S. Paalam zan Römern am dritten: Wir werden gerecht ans
desselben gnade durch die erlösung, so durch Christum Jhesum
geschehen ist, welcl^n Gott hat far gestellet zu einem Gnaden- 10
stttl durch den glauben inn seinem blut etc.')
Daraus lernen wir, Zum Ersten, das wir umbsonst durch
lauter Gottes gnade gerecht werden, nicht durch unser ver-
dienst.
Zum Andern, So hat dennoch müssen sein eine kost *) oder 15
bezalung solcher herrlicher erlösung, und ein Mittler, durch
welchen Gott uns verstmet würde, und ein solcher schätz,
welcher, so er für uns gegeben würde, uns verdienete ver^
gebung der sunde und ewiges leben. Diese bezalung oder
dieser schätz ist unser HERR Christus Jhesus selbs, welcher 20
uns durch sein eigen blut erlöset und Gottes zom gestillet
hat. Das hette keines andern menschen blut oder tod ver-
mocht, sondern allein das blut Christi hat uns solche ewige
guter erworben.
Zum Dritten, Durch den glauben werden wir solcher 25
bezalung teilhafftig, das er ist die versünung für unser sunde;
inn der ersten Johannis am andern Cap. '^)
Daraus folget unwidersprechlich, das kein Heilige uns
erlöset hat, sondern allein Christus. Darumb wil uns Gott
durch keines Heiligen verdienst gnedig sein und selig machen, 30
sondern allein von wegen des verdiensts *) Christi, welcher ist
«) Psalm 50, 15. «) Matth. 11, 28. ») Römer 3, 24—25.
^ Teat. lat.: precium quoddam. ») 1. Joh. 2, 2. «) Text. lat.
setzt hinzu: tnfiaita (merita).
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der Heilige aller Heiligen. Derhalben sol man die Heiligen
nicht anruflfen, noch auflT ire verdienst vertrauen, denn sie
sind ja nicht Gott, sondern Gk)ttes Creatum, und haben nns
gegen Gott*) nicht versönet^ sondern allein Christus.
5 Dazu ist von anruffen der Heiligen inn der gantzen
SchriflFt kein gebot, kein rat, keine verheissung und kein
Exempel.
Die lebendigen bitten wir wol, das sie für uns beten.
Wir ruffen sie aber nicht an, vertrauen auch nicht auff ir
10 verdienst, als weren sie, die uns kondten erlösen, oder durch
welcher verdienst uns geholflfen würde, sondern wir vertrauen
allein auflF Christus verdienst, und solch gebet, so einer für
den andern betet, foddert die Schrifft, und hat desselben
beide, Exempel und verheissung, das es erhöret werde.
15 Aber das man die anruffen solle, so inn dem HERRn
entschlafen sind, da von gebeut die SchriflFt nicht, gibt auch
keinen rat, verheisset auch nichts inn irem namen, hat dazu
kein Exempel, da jemand unter den Christen, die verstorben,
angeruflFet habe^) und sey erhöret worden.
20 Sind wir Christen, warumb bleiben wir nicht bey dem
klaren wort Gottes? Warumb halten wir nicht an Christo,
dem rechten einigen Mittler und Fürsprecher bey dem Vater,
welchen auch der Vater selbs allein zu unserm Gnaden stuel
gestellet hat, und keinen andern? Denn allein in dem namen
25 Christi wird uns verheissen Gerechtigkeit und Seligkeit und
inn keines andern namen.
Nu ist der Heiligen wille und hertz gleich und einig
mit Gottes willen. Darumb begeren sie nicht von uns solche
ehre, die Gott allein gebürt, zu empfahen.
30 Wie soll man denn die Heiligen ehren?
Meine Lieben Brüder, So jemand geistlich ist, der erkenne,
was ich euch schreibe. Man sol auflfs aller ehrlichste nach
*) Text. lat. setzt hinzu: iratum (Deiun). *) Text, lat.: nW
quiapiam ex Christianis invocaverit defunctos et exauditos sit.
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— 79 —
der Schriflft von den Heiligen gedencken und reden, denn die,
so Gott selbs also ehret, die wil er on zweivel auch von uns
geehret haben. Denn also stehet im zwey und siebentzigsten
Psalm nach der Griechischen Dolmetzung von den Christen:
Ir name ist ehrlich oder herrlich für im. ^) Denn Gott der 6
Vater erkennet sie für seine kinder^ der Son nennet sie seine
Brüder und Mit Erben, der Heilige geist seinen Tempel.*)
Darumb werden uns allenthalben inn der Schrifft der Heiligen
Exempel für gehalten, das wir dieselbigen betrachten.
Die Heiligen, so in Christo entschlaflFen sind, sind onio
zweivel mit Christo. *) Darumb, wer sie nicht ehret, der un-
ehret auch Christum inn inen und verachtet Gottes gnade,
durch welche sie zu solcher herrligkeit komen sind. Lieber,
was kau der von der Heiligen Christlichen Kirchen halten,
der unser Mitglieder, die itzt mit Christo im friden sind und 15
des ewigen lebens gewis, nicht ehret? Christus spricht, das
auch die Engele im Himel sich freuen über einen sunder, der
busse thut, Luce am fünlfzehenden.^) Darumb, Lieben Brüder,
begeren die Heiligen, unsere Brüder, on zweivel mit grossem
sehnen und verlangen, das wir fodderlich*) zur Busse und 20
Seligkeit komen. Und weil die Engele für uns beten, Zacha. 1, •)
so ist wol zu gleuben, das auch die Heiligen für uns bitten,
denn ire liebe gegen uns ist ja nicht geringer, sondern grösser
worden. Aber daraus folget nicht, das man die Heiligen an-
ruffen solle, wie wir auch die Engele nicht anruffen (ob sie 25
wol für uns beten), sondern allein Christum, unsem Gott und
HERRN. ')
') Psalm 72, 14. Die LXX übersetzen %viiftop ib 6voua aHaJt^ IfcüTuov
airtoe, desgleichen die Vulgata (nomen eorum honorabile), während der
Mas. Text, nnd ihm folgend Luther, den Begriff „Bluf" haben. ^) Es
ist zu denken an Bibelstellen, wie 1. Job. 3, 1 und Römer 8, 17. Hebr. 2,
IIb und 1. Kor. 3, 16—17. ») Der Satz ist im Text. lat. als selbst-
Terst&ndlich zu bejahende Frage formuliert. *) Lukas 15, 10. ^) Text,
lat: accelerationem nostrae poenitentiae. ') Zacharja 1, 12. ') Text.
lat. hat nur „Christam, Deum nostrum^.
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Doch sollen wir die Heiligen ehren, wie sie die atte
Christliche Kirche geehret hat, welche der Heiligen gedecbtnis
ehrtich gehalten hat und Gk>tte dancksagnng gethan dafür,
das er die Heiligen erlöset und für die gnade, die inen ge-
5 geben ist, and für ire Seligkeit und für die grossen gaben,
so Gott inn der Christenheit durch sie hat ausgegossen. Denn
hat nicht Gott durch Sanct Augustin (ich wil der andern
schweigen) die Christenheit erweckt, das sie Sanct Paulas
Episteln deste bas verstehe, die weil der selbige Heilige man
10 Christum inn der Schrift so vleissig suchet und die Pela-
gianer Ketzer durch die lere Sanct Pauli so gewaltiglich ver-
legt^) und zu schänden macht?
Es sind ja die lieben heiligen schöne, helle Spiegel Gött-
licher gnaden, darinn wir sehen, was Gottes gnade vermag.
16 Denn wo wir lesen oder hören, das die, so uns aller dinge
gleich gewesen sind, so wunderbarlich und mechtiglich haben
die Sunde, die Welt und den Tod überwunden, werden wir
als bald dadurch erweckt, ein vertrauen zu schepflfen zu
solcher grossen bannherzigkeit Gottes, inn Christo verheissen
20 und dargegeben.
Darüber reitzen und entzünden uns ire Exempel, inen
nach zu folgen, das wir Gott umb solchen Glauben bitten,
und der lieben Heiligen gute werck, -) so viel unser benrff
erfoddert, nachfolgen. Also wird inn uns der Glaube an
25 Christum gesterckt, die Liebe angezündet, die hoffhung der
ewigen Seligkeit bestettigt, und gedencken, das sie nicht ver-
loren sind, sondern vorhin geschickt zum ewigen Leben, und
können diesen Artikel: Ich gleube eine Heilige, Christliche
Kirchen, mit ernst betrachten. Denn es ist einem fromen
SOhertzen nicht ein kleiner trost,') wenn es gedenckt an die,
so zuvor gleich wie wir inn diesem sterblichen fleisch wider
die sunde gestritten, nu aber erlöset und zu sicherer rüge*)
») Text, lat.: confutet. «) Text. l«t.: virtntes. ») Bedeutet:
ein nicht kleiner Trost. *) Ruhe.
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bracht sind, and das wir inen gewislich werden folgen. Denn
wir sind ja ire Brüder, Bürger mit den Heiligen, und hans*
genossen Gottes (wie Sanct Paulus zun Ephesein am andern
Capitel sagt)/) erbauet auflF den festen grund der Aposteln
und Propheten, da Jhesus Christus der Eckstein ist. 0 ein 6
selige stad Gottes, inn welcher so viel jungen kindlin, Jung-
frauen und Marterer sind eingenomen, darinnen wir ewiglich
werden sehen die Heiligen Aposteln, Propheten, Patriarchen
und alle gerechten, so von Adam an bis auff den letzten
Christen auff erden an Christum gegleubet haben, da wir auch 10
werden schauen die Chor der Heiligen Engel, *) die Hochgelobte
Mutter Christi, das edleste glied des Heiligen geistlichen leibs,
und inn summa die hoheste einige freude beide, der Engel
und menschen, Jhesum Christum selbs, den König der Ehren,
und Gott, der alles inn allen ist. Solt nu nicht durch solch 16
Christlich betrachten dieser grossen dinge der Glaube unser
herrlichen aufferstehung und des zukünfftigen lebens inn uns
erweckt, wachsen und gesterckt werden?
Darumb hat auch der Apostel uns einen schonen Cata-
logum oder Register der Heiligen (von welchen man weis aus ao
der Schrifft, das sie bey Christo sind) für äugen gemalet, zun
Ebreem am eilfften,*) da er beschreibt den glauben Habel,
Henoch, Noah, Abraham, Isaac, Jacob, Sara, Joseph, Mosi,
Eahab, Gedeon, Samson, David, Samuels etc., das wir darinn
sehen sollen*) ire ritterschafft und sieg wider die Welt^ Sund 25
und Tod, und im Glauben und hoffhung gesterckt werden.
Und zun Ebreer am dreizehenden spricht er: Gedenckt an
die, die euch das wort Gottes gesagt haben, welcher ende
schauet an und folget irem Glauben nach. ^) Und 1. Timo. 1 :
Christas Jhesus ist inn diese weit komen, die sunder selig ao
zu machen, unter welchen ich der fumemest bin. Aber darumb
*) Epheser 2, 19. *) Text. lat. hat nur : angelomm choros. •) He-
bräer 11. 4. 5. 7. 8 usw. *) Der deutsche Text läßt hier yim fidei et
gratiae Dei des Text. lat. aus. ^) Hebräer 13, 7.
Uckeley, Urbanas Bbegios. 6
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ist mir barmhertzigkeit widerfaren, auflf das an mir farnemlich
Jhesus Christas erzeigete alle gedult zum exempel denen, die
an in glauben sollten zum ewigen leben. ^)
Item, Da die Thessalonicher gleich wie die Heiden zuviel
ötraui'eten über ire todten, wil der Apostel Sanct Paul solch
bekömemis und sorge für die todten und die Christliche ge-
dechtnis dere, so inn Christo entschlaffen sind, nicht gantz
verwerffen, sondern bestettigt die selbigen und straffet allein
den misbrauch. Denn der Christgleubigen, so entschlaffen
10 sind, gedencken, ist ein werck der Christlichen liebe. Aber
die verzweivelte blindheit der Saduceer verwirfft die todten
beide zum hause und hertzen hin aus, als würden sie nimer
mehr wider leben, sondern gar mit inen aus sein, gleich wie
das vieh stirbt und verdirbt, an welchem nach dem leiblichen
lötod nichts mehr zuhoffen ist.*)
Aber last uns die schönen, tröstlichen wort des Aposteln
hören: So wir gleuben (spricht er), das Jhesus gestorben und
Aufferstanden ist, so wird Gott auch, die da entschlaffen sind
durch Jhesum, mit Im füren.*) Durch diese wort bestetiget
20 er den Glauben unser aufferstehung auffs aller gewaltigst^
als solt der Apostel sagen: Euer Freund und Brüder sind
wol aus euem äugen hinweg gerückt, aber sie sind darumb
nicht verloren, denn, so gewis Christus von todten aufferstanden
ist, so gewis werden die selbigen*) auch aufferstehen. Und
26 am ende des selben Capitels inn der ersten zun Thessalo.
spricht er: So tröstet euch nu mit diesen Worten unter-
nander. *) Was waren dieses für wort? On zweivel diese,
so kurtz zuvor stehen: Christus ist aufferstanden; die an
Christum gleuben, werden auch aufferstehen. Und wir werden
30 allezeit bey dem HERRn sein, das ist. Ob uns der leibliche
tod ein kleine zeit von ander scheidet, doch werden wir wider-
*) 1. Tim. 1, 15—16. •) Text, lat.: qnibns a morte corporis
nihil snperest. •) 1. Thess. 4, 14. *) Text, lat: vestri amici.
») A. a. 0. Y. 18.
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amb zu gleich mit einander leben nnd sampt Christo ewiglich
herrschen. Was dörfifen wir uns denn fast bekümem der ver-
storbenen halben? Müssen wir doch wider alle zusamen
komen nnd darnach hinfurt ewiglich bey einander sein, ^) inn
freude und glorie bleiben. 6
Also tröstet Sanct Paulus die Christenheit, und sie selbs
tröstet sich nach des Apostels vermanung durch die gewissen
wort von der gewissen sichern rüge, friede und Seligkeit
unserer Brüder, so inn dem HERRn entschlaffen.
Ich fasse mit vleis zusamen beide, die Heiligen, von 10
welcher Seligkeit die Schrifft zeugnis gibt, und die andern,
welche wir hoffen, das sie im Glauben Christi entschlaffen
sind. Denn die selbigen, so sie inn Christo entschlaffen, sind
auch gewislich Heiligen. Der selben gedechtnis ist allezeit
inn der Christenheit ehrlich gehalten worden. Darumb auch 16
der treue diener Gottes D. Martinus Luther, unser lieber
preceptor^) inn Christo, meinet, es sey nicht unchristlich, so
wir für unsere verstorbene ein mal oder zwey aus freier an-
dacht beten. ^) Denn die Christliche liebe ist seer ein krefftige
tugent*) und kau sich nicht enthalten, das sie nicht solt20
beide, für lebendigen und todten sorge tragen, also das sie
auch unser lieben mitgelieder, so aus diesem leben verscheiden,
durch ir Christlich gebet Christo, unserm HERRn und Gott,
inn ewigkeit gelobt, befilhet.
Und dis ist vorzeiten gewesen inn der Kirchen, und ist 25
auch noch, das gemeine Christliche gedechtnis der todten,
welchs ist ein offenbar zeugnis der Liebe und auch des
") Text, lat bietet diese Worte dentsch, läßt aber „sein" aus. *) Text.
lat.: in aetemnm obserrandns praeceptor noster. ') Lnther, Bekennt-
nis vom Abendmahl Christi, 1628. Erl Ausg. Bd. 30, S. 370—371: Für die
Todten, weil die Schrift nichts davon meldet, halt ich, daß ans freier
Andacht nicht Sttnde sei, so oder desgleichen zu bitten: Lieber Gott, hats
mit der Seelen solche Gestalt, daß ihr zn helfen sei, so sei ihr gnädig etc.
Und wenn solchs einmal geschehen ist oder zwier, so laß es gnag sein.
^) Bedeutet: eine sehr kräftige Tugend.
6*
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Glaubens von der herrlichen aufferstehung des fleischs. Und
weil es ist eine frucht des Glaubens, welcher durch die Liebe
thetig ist, wird sie niemand verwerffen, es seien denn gar
Epicurei und Saducel
6 Solche gedechtnis der todten hat die alte Christliche
Kirche gehalten, wie die alten Christlichen Lerer zeugen,
von welchen wir nicht sollen weichen, es were denn, wo sie
öffentlich wider Gottes wort lereten.
Gregorius Nazianzenus, den man nennet Theologum, hat
10 eine Orationem funebrem zu seinem bruder Cesario von seiner
mutter geschrieben, ^) darinn er zeigt, das man der todten ge-
dechtnis gehalten hat. Solchs zeuget auch Gregorius Nyssenus, *)
item Chrysostomus inn quodam Sermone, Homilia sechs und
neuntzigst. *)
16 Sanct Ambrosius von dem verstorbenen Keiser Theodosio
*) Hier liegt offenbar ein Versehen des Ehegins vor. Gemeint kann
nämlich nnr die Oratio VII. des Gregor von Nazianz (f 389 oder 390)
sein, die er als iTitrd^oe eis Kcuadpiov rdv iavrov ddsXfov, TtspiovTcav Ir*
Töiv yavitov hielt (Migne, Patr. graec, 35, 755—788). *) Vgl Gregor
von Nyssa (f ca. 395), Oratio in funere Pulcheriae und 0. in innere
Placillae imp. (Migne, Patr. graec, 46, 863-892) sowie seinen Aoyos n^s
rovg Ttevd'ovvTas inl rote dno rov Tia^ovroe ßiov Tzpog tov dlBiov /ue&iara"
fiivoie (a. a. 0. pag. 497—538). ') Das Zitat ist nicht genau angegeben.
Text. lat. variiert durch seine Angabe : homilia 69. Aber auch dies stimmt
nicht Gemeint ist zweifellos des Chrysostomus homilia in Joannem 62,
al. 61 (Migne, Patr. graec, 59, 347—348), wo es u. a. heüJt: Ovk evaart,
fiTj XvTtelo&cu. Tovro xai 6 Xpiarog idei^ev iSax^voe ydp inl tov Aa^dpov^
TovTo xai av Troirjaov' ddx^vaov^ dkX* jj^e/uay dXXd fierd tvaxtjftoavTje, dlXa
fivtC TOV foßov TOV 06OV, "Av Sax^voue ovrwe^ ovx (oe Tjj dvaordaei Sul-
TtiOTcöv TOVTO TtoteJi, dXX* dt£ ov fk^cov TOV '/^(o^iOfiov. . , . Ei fthv yd^ dfia^
TOfXos d TadvTixdiS xai TtoXld t^ ßerp Ttpooxexpovxtugy 8et dax^vetv fidV^n^
Sh ovdsv fidvov {tovto yd^ ovBev ofeios ixeinp) dXXd Ttoutp tu Bvvd/aspd
Ttra na^a^vdiav avr^ TtepiTVOirjaai^ kkerjfioovvas xai Tr^oa^opdg, ... Ei Sk
Sixeuos, dydXXtodai nXiov^ Sri kv da^aksiq tu ixeivov xelTa$ xaX dstrjl^MHtai
rijs TOV fUXkovtos ddijliag. , , ,^H ydp T«//f? t^ TETeXiVTr^xoTi ov d^fjvot xtu
oifiQfyai, d}X vfivoi xa* \paXfupditu xai ßioi aqiOTog, . . . BovXa^ Ttfirjom ror
dntXdorra; 'Eriptoe Tifirjoov (anders, als durch Lamentationen), iXeijuoavvas
notdiv^ BV6QyBolaSf XaiTOV^yiag,
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" 85 -
spricht also:^) Ich habe den Man seer lieb gehabt und ver-
traue zu Qoitj das er mein gebet anneme, so ich der fromen
Seelen nach thue: Gib deinem knecht Theodosio die ewige
rüge, auff das seine seele wider hinauff kome, da her sie
herab komen ist, da sie den Stachel des todes nicht empfinden 5
könne, da sie erfare, das dieser tod, nicht des menschens
sondern der sunde aufhören sey.
Und inn einem Concilio Aphricano Capit. VIII *) wird be-
folhen, zuhalten eine Commendatio der verstorbenen nach
Mittag, allein mit dem gebete. 10
Sanct Augustinus lib. Conf. 9, Cap. 13*) hat für seine mutter
Monica gebeten und schreibt, das die selbige begert habe,
das man ir gedencken solte für dem Altar Gottes, da das
*) Migne, Patr. lat., 16, 1397 : Dilexi (virum) et praesumo de Domino, quod
gnscipiat vocem orationis meae, qua prosequor animam piam. . . . Conteror
corde, qoia ereptns est vir, qaem vix possumos inTenire; sed tarnen tu
Bolus, Domine, inyocandns es, tu rogandus, ut eum in filiis repraesentes. . . .
Da requiem perfectam servo tuo Theodosio, requiem iUam, quam prae-
parasti sanctis tuis. Hlo conyertatur anima eins, unde descendit; ubi
mortis aculenm sentire non possit; ubi cognoscat mortem hanc non
natnrae finem esse, sed culpae. (De obitn Theodosii oratio, cp. 35—36.)
') Coliectio Canonum conciliorum diversorum Africanae provinciae, con-
tinens capitnla CY. (Mansi, Ampliss. coU. conciliorum, tom. IV, pag. 478 bis
518.) Dort lautet Cap. VIII: Ut sacramenta altaris nonnisi a jejunis
hominibus celebrentur, excepto uno die anniversario (Todestag des Heiligen
oder Märtyrers. Wetzer- Weite, Kirchenlexikon, * I, 869), quo coena domini
celebratur. Kam si aliquorum pomeridiano tempore defunctorum sive epis-
eoporum sive ceterornm commendatio facienda est, solis orationibus fiat,
si Uli, qui faciunt, jam pransi inveniuntur. — Diese Art der Zusammen-
stellung afrikanischer Canones mu£, wie die Kapitelangabe beweist, dem
Bhegins vorgelegen haben. Sie erweist sich als ein Ausschnitt — etwa
Dreiviertel — des bekannten Codex canonum ecclesiae africanae, den Diony-
sina Exiguus im Jahre 419 edierte. In ihm findet sich unser Canon unter
Nummer XLI. (Migne a. a. 0., 3, 735.) Vgl. Hefele, Conciliengeschichte,
Bd. 2, S. 112 ff. und 125, und Lauchert, Die Canones der wichtigsten
altkirchlichen Concilien (Heft 12 der G. Krügerschen Sammlung kirchen-
ond dogmengeschichtlicher Quellenschriften) S. XXVII. *) Migne,
Patr. lat., 32, 778: Augustinus erzählt von seiner Mutter Monica: Immi-
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heilige Opffer ausgeteilet wird, dadurch die haudschriffl
(welche wider uns war) aus getilget ist Und libro 20 de
Civitate Dei Capitenono^) spricht er: Die seelen der fromen,
so verstorben sind, werden nicht abgesondert von der Christen-
öheit, welche ist das Reich Christi; sonst würde ir gedechtnis
nicht gehalten für dem Altar bey der gejneinschafft des Leibs
Christi. Und libro de cura pro mortuis haben da*) Capit. 4')
zeigt er klerlich, das man die Furbitt, so mit rechtem glauben
und aus Christlicher andacht geschehen für die todten, nicht
10 nach lassen sol. Item, de LXXXVIII Heresibus ad Quodvult-
deum, Heresi LIII., schreibt er,*) wie ein Ketzer, genant
Aerius, ein Arianer, geleret habe, man solle für die todten
nicht bitten.
Des gleichen libro de cura pro mortuis habenda cap. I.*)
nente die resolutionis snae non cogitavit suum corpus sumptuose contegi,
ant condiri aromatibus, aat monumentain electum concupiyit, aut cnraTit
sepulcrum patrinm; non ista mandayit nobls; sed tantummodo memoriam
sxii ad altare tuum fieri desideravit, cui nnllins diei praetermissione servierat ;
nnde sciret dlspensari yictimam sanctam, qua deletnm est chirographum,
quod erat contrarinm nobis. (Confessiones IX, 13.)
') Migne, Patr. lat., 41, 674: Neque enim piormn animae mortaornm
separantor ab Ecclesia, qnae nunc etiam est regnnm Christi Alioqoin nee
ad altare Dei fieret eonun memoria in communicatione corporis Christi.
(De civ. Dei 20, 9, 2.) «) Text. lat. hat „gerenda**. ») Migne,
Patr. lat., 40, 596: Verum et si aliqua necessitas vel humari corpora
Tel in talibus locis humari nuUa data facuitate permittat, non sunt
praetermittendae supplicationes pro spiritibus mortuorum: quas faciendas
pro Omnibus in christiana et catholica societate defunctis etiam tacitis
nominibus eorum sub generali commemoratione suscepit Ecclesia. (De
cura pro mortuis gerenda, cap. 4, § 6.) *) Migne, Patr. lat., 42,
39 — 40: Aeriani ab Aerio quodam sunt, qui cum esset presbyter,
doluisse fertur, quod episcopus non potuit ordinari; et in Arianorom
haeresim lapsus, propria quoque dogmata addidisse nonnulla, dicens, offerri
pro dormientibus non oportere. ... (In der Anmerkung fügt Migne hinzu
„sie Mss. At editi: dicens, orare vel offerre pro mortuis oblationem non
oportere". So lag der Text offenbar auch Khegius Tor.) Ad Quodyultdeum
über, haer. 53. ^) Migne, Patr. lat., 40, 593: Sed et si nusquam in
Scripturis veteribus omnino legeretur, non parva est universae Ecclesiae.
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spricht er: Inn dem gebet des Priesters, so zu Gotte dem
HEREn für seinem Altar ausgesöhnt wird, wird auch mit
gehalten die Commendatio der todten. Sihe, das ist die alte
gewonheit der Christenheit, welche on zweivel nicht solche
ewige jar begengnis und Messen opffer für die sunde der 5
todten eingesetzt hat,*) wie der Bapst, sondern die Christ-
gleubigen aus freier Christlicher liebe Gotte befolhen hat.
Johannes Damascenus, inn Sermone De iis, qui in fide hinc
migrarunt, spricht also: *) Die Aposteln, unsers HERRN Christi
Junger, haben für gut angesehen, bey den heiligen*) Sacra- 10
menten auch das gedechtnis dere, die im Glauben verschieden
sind, zu halten, und sagt, das es der gantzen Christlichen
Kirchen gemeiner und bestettigter brauch gewesen sey.
Also hat auch die erste Christliche Kirche vleissig be-
gangen das gedechtnis der Christen, welche sie entweder aus 16
öffentlichem zeugnis der Schrifft gewis gewust, oder aus irem
erkantem Christlichem leben ungezweivelt dafür gehalten hat,
das sie bey Christo seien.
Isy chius, ein j unger Nazianzeni,*) in Leviticum lib. Capit. 19 : ^)
qnae in hac consnetndine claret, anctoritas, nbi in precibos sacerdotis, quae
Domino Deo ad ejus altare fandnntnr, locum sunm habet etiam commen-
datio mortuorum. (De cnra pro mortnis gerenda, cap. I, § 3.)
*J Das vorliegende „habt" ist Druckfehler. *) Migne, Patr. graec,
95, 250: Ol 3i ye ftvaxai, xa* avxoniat lov Xoyovt ol i6v tov noofiov yv^ov
^aty^rjoarrei fiadr^Tol tov ^ojt^^os xcti Oelot dnooTokot^ inri rtjäv tp^immv
^uu axpayrtor xal ^caoTtoidtv ftvarij^icov fitn^firjv Ttoteta&at tc5v Tiiarfläv xoi'
ftr^&ivTwv i^ioTtiaav o xal xnrixet ßeßcucas xal Xiav uvavTtpprJTafg v tov
X^totov xai &eov abto Trepdrcav oTioaroXixq xal xadoXixrj *£xxXi]oia ix jors ftix^t
tov vvv xal rrjs tov xoofiov Xrj^eate äxpt. {Hepl tcov iv TfioTet XBXoifitrjuivcav^
cap. 3.) ») Text. lat. fügt „vitalibusque" hinzu. *) Text, lat.:
Isazianzeni discipulus. ^) Migne, Patr. graec, 93, 1024: Hos racemos
sibimet colligere Judaei et in suis divitiis thesaurizare non possunt, quia
eornm yitam minime sunt zelati, pauperi autem et eos proseljto relinquunt.
Nobiscnm enim sunt prophetae, et quotquot iusti apud popuium Judaicum
fuerunt, in tantum ut memoriae eorum a nobis annis singulis honorentur,
quod apud iUos non fit, ut experimento cognoscatnr yiridicum divinum
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Bey uns (spricht er) sind die heiligen Propheten*) und die
gerechten, so bey dem Judischen volck gewesen sind, also, das
ir gedechtnis alle jar ehrlich gehalten wird.
Sanct Augustinus, de disciplina Christiana Cap. 2 : *) Haben
6 nicht die solchen tod erlidden, welcher gedechtnis wir begehen?
und contra Faustum Manicheum libro 20. Capit. 21:') Die
Christliche Gemeine begehet der Marterer gedechtnis herrlich,
beide, darumb das sie gereitzet werde, inen nach zu folgen,
und darumb, das sie auch irer geselschafft teilhafftig werde,
10 doch also, das man keinem Marterer keinen Altar aufrichte etc.
Sihe, also ehren wir die heiligen Marterer, welches ist
ein ehre der Christlichen liebe und geselschaflft, gleich wie
man die Heiligen menschen Gottes inn diesem leben ehret.
Aber mit solcher ehre (die man Griechisch nennet Latria), *)
16 welche eigentlich alleine der Göttlichen Maiestet geburt, ehren
eloqniam. {Hesychius Presbyter Hierosolymitanus, gest. ca. 430, Commentarius
in Leviticum, üb. 6, cp. 19, Ters 9—11.)
») Im Text. lat. fehlt das Prädikat „heilig". «) Migne, Patr.
lat., 40, 676: Jam tu dicis tibi: Non multi justi naufragio perienint?
. . . Non maitos jnstos bestiae laniaveront? . . . £t ego respondeo:
Haec tibi euim videtar mala mors? naufragio perire, gladio percuti, a
bestiis laniari, mors mala tibi videtur? Nonne istas mortes martyres
subierunt, quorum natalitia celebramus? (De disciplina christiana,
cap. XII, § 13.) ») Migne, Patr. lat, 42, 384: Populus autera christi-
anus memorias martyrum religiosa solemnitate concelebrat et ad excitan-
dam imitationem et ut meritis eorum consocietur atque orationibus ad-
juvetur: ita tamen ut nulli martyrum sed ipsi Deo martyrum, quamvis in
memorüs martyrum, constituamus altaria. Quis enim antistitum in locis
sanctorum corporum assistens altari, aliquando dixit: offerimus tibi, Petre;
aut, Paule; aut Cypriane; sed quod offertur, offertur Deo, qui martyres
coronavit, apud memorias eorum, quos coronavit; ut ex ipsorum locorum
admonitione major affectus exsurgat, ad acuendam charitatem et in iUos,
quos imitari possumus, et in illum, quo adjuvante possumus. Colimus ergo
martyres eo cultu dilectionis et societatis, quo et in hac vita coluntur
sancti homines Dei, quorum cor ad talem pro CTangelica veritate passionem
paratum esse sentimus. (Contra Faustum Manichaeum, lib. 20, cap. 21.)
*) Text. lat. hat den Zusatz: latine uno verbo dici non potest
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wir niemand, leren auch, niemand solche ehre erzeigen on
Gott allein. Denn auch sie, die heiligen selbs, es seien £ngel
oder menschen, wollen inen nichts gethan haben, das Gott
allein gebart
Also spricht Sanct Augustinus, libro tertio CJontra duas 6
Epistolas Pelagianorum ad Bonifacium Capite octavo:^) Alle
Heiligen (sie seien von dem Ersten Abel, bis auflf Johannem
den Teuflfer, oder von den Aposteln bis auflf diese zeit und
hinfurt bis an der weit ende) sol man preisen und loben inn
dem HERRn, nicht inn inen selbs. Denn das ist ir aller 10
eigen wort: Durch Gottes gnade bin ich, das ich bin, inn der
ersten zun Corinthem am fünflFzehenden Capitel;*) Und ist
inn gemein zu allen gesagt: Wer sich rhümet, der rhüme sich
des HERRn.«)
Item libro Confess. 10. Capit. 42.*) HERR, wo solt ich 16
jemand finden, der mich gegen dir versünete? Solt ich zun
Engeln gehen? Welcherley gebet oder was für Sacrament
solt ich für sie bringen?
Der gleichen mehr, wie man die lieben Engel ehren sol,
findet man inn Sanct Augustin, de vera religione Cap. 55:*) 20
*) Migne, Patr. lat, 44, 607 : Ae per hoc et sancti omnes, sive ab illo
antiqno Abel nsque ad Joannem Baptistam, sive ab ipsis Apostolis usqne
ad hoc tempns et deinceps usqne ad termmmn saecoli, in Domino landandi
sunt, non in se ipsis. Qnia et illornm anteriomm yox est: In Domino
landabitnr anima mea (Ps. 23, 3) et istomm posteriorum vox est: Gratia
Dei sum id qnod snm (1. Cor. 15, 10). Et ad omnes pertinet, Ut qui
gloriatnr, in Domino glorietar (Id. 1, 31), et confessio communis est omninm:
8i dixerimos, qnia peccatnm non habemns, nos ipsos sedncimns et y^ritas
in nobis non est (1. Joan. 1, 8). (Contra duas epistolas Pelagianonim,
lib. 3, cap. 8, § 24.) «) 1. Cor. 15, 10. ») 1. Cor. 1, 31. *) Äligne,
Patr. lat, 32, 807: Quem invenirem, qni me reconciliaret tibi? Ambiendnm
mihi foit ad Angelos? Qna prece? qnibns sacramentis? Mnlti conantes ad
te redire, neqne per seipsos Talentes, sicnt audio, tentavemnt haec, et
inddemnt in dedderinm cnriosamm visionnm et digni habiti sunt illusionibns.
(Confessiones, lib. 10, cap. 42, §67.) ») Migne, Patr. lat, 34, 170:
Hoc etiam ipsos optimos Angelos, et excellentissima Dei ministeria velle
credamos, nt onnm cum ipsis colamns Denm, cnins contemplatione beati
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Die Engel haben wir lieb und werd und frolocken mit inen
und ehren sie durch die liebe, nicht aus pflicht. und bauen
inen keine Tempel, denn damit wollen sie nicht von uns ge-
ehret werden.
5 Und libro 22 de Civitate Öei Capit. 10 ^) leret er, das man
den Heiligen Marteren nicht sol solche ehre oder Gottes dienst
thun, so Gott allein geburt, oder Tempel und Kirchen bauen,
des gleichen handlet er auch in lib. ^) contra Maximinum
Arianorum Episcopum.
10 Sanct Hierony., in Cap. 3. Sophonie. ^ Der Apostel namen
sunt. Neqne enim et nos videndo angelmn beati samas, sed videndo veri-
tatem, qna etiam ipsos diligimns Angelos, et bis cougratnlamnr. Nee in-
videmns quod ea paratiores vel nxdlis molestiis interpedientibos perfrunntur :
sed magis eos diligimus, quoniam et nos tale aliqnid sperare a commoni
Domino iussi sumns. Quare bonoramns eos cbaritate, non Servitute. Nee
eis templa constraimns, nolont enim se sie bonorari a nobis ; qnia nos ipsos,
cum boni sumus, templa summi Dei esse noyerunt. (De vera religione,
cap. 55, § 110.)
*) Migne, Patr. lat., 41, 772: Uli (die Heiden) diis suis et templa ae-
dificavernnt et statnerunt aras et sacerdotes institnernnt et sacrificia fecenmt
Nos antem martyribos nostris non templa sicut diis, sed Memorias sicut
bominibus mortnis, quorum apud Denm vivont Spiritus, fabricamus. Nee
ibi erigimus altaria, in quibus sacrificemus martyribus, sed uni Deo et mar-
tyrnm et nostro; ad quod sacrificium sicut bomines Dei, qui mundum in
eins confessione vicerunt, suo loco et ordine nominantur, non tarnen a
sacerdote, qui sacrificat, invocantur. (De civitate Dei, lib. 22, cap. 10.)
*) Migne, Patr. lat., 42, 760. Si autem religionem, qua colitur Dens, sicut
dignum est, cogitares, multo plus esse cerneres, quod babet Spiritus Sanctus
templum, quam si eum legeres adoratum. Et bomines enim a sanctis novimus
adoratos. Templum vero non est factum ab bominibus, nisi aut vero Deo,
sicut Salomon fecit, aut eis, qui pro diis babentur, sicut gentes, quae Igno-
rant Deum. Spiritus autem Sanctus, quod cum magno bonore de Deo
dictum est, non in manufactis templis babitat, sed corpus nostrum templum
est Spiritus Sancti. — Der Text. lat. gibt den Zusatz: lib. 1. contra Max.,
was sieb aber als Irrtum heraussteUt. Dies, bier einzig in Frage kommende
Zitat findet sich Contra Maximinum Arianorum episcopum, lib. II, cap. 3.
') Migne, Patr. lat., 25, 1386: Quotidie nominatur in Ecclesia, quotidie
magnificatur nomen eorum; non quod ipsis prosit a nobis in Ecclesia
nominari, sed quod nos magnificantes nomen eorum et, quae scripserunt.
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wird teglich genennet in der Christlichen Kirchen nnd teglich
hoch gepreiset, nicht das inen damit geholflfen werde, das sie
von uns inn der Gemeine genennet werden, sondern das wir,
so wir iren namen preisen und ire Schriflften rhumen, dadurch
zur Seligkeit komen. 6
Das magstu kurtzer also fassen:
Wir sollen Christum, unsem einigen Erlöser, Bischoflf,
Mittler und Fürsprechern im Himel bey dem Vater, anruflfen,
zu im vertraulich inn aller not fliehen als zum Gnadenstuel,
da sich Grott allein wil inn gnaden finden lassen. Denn er 10
spricht selbs Math. 11: Kompt her alle zu Mir, die ir mtihe-
selig und beladen seid, ich wil euch erquicken.^) Und die
gantze Schrifft weiset uns zu Christo, der uns allein zum
Vater bringet. Er ist allein unser barmhertziger und treuer
Hoher Priester für Gott inn den Dingen, die wir für Gott 15
zu handeln haben, Ebre. 2.^)
Aber die Schriflft leret nirgend, das wir zu denen, so im
HEREn entschlaffen sind, inn unsern nöten fliehen, sie an-
ruffen und hülffe bey inen *) suchen sollen. Die SchrilFt leret
aber, das man die Heiligen als die ausserwelten glieder Christi, 20
unsere treue Brüder, solle sonst ehren, das ist, ehrlich von
inen halten und reden, Gott inn inen preisen und sie inn
Gott loben, der inen solche überschwengliche gnade bewisen
und zu solcher herrligkeit erhöhet hat. Und lasset uns solche
gnade teglich verkünden, auff das wir durch die*) Exempel2ö
lernen, uns gleicher gnade und hülffe zu unserm treuen Gott
zu versehen, und das wir dadurch gereitzt werden, Gott mit
ernst zu bitten, das er uns armen sundem, die noch mit dem
fleisch kempffen, auch wolle einen solchen festen glauben,
liebe und hoiftiung geben, wie die lieben Heiligen hie zeitlich 30
lectitantes, conseqnamur salatem. (Comment. in Sophoniam, cap. III, zu
Vera 19-20.)
M Matth. 11, 28. «) Hebräer 2, 17. ») Text. lat. hat hier den
deatschen Zusatz: ,,hoffen und suchen". *) Text. lat. hat hier „diese".
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gehabt haben, auflf das wir auch also mögen durch Christum
unser eigen sundlichs fleisch, die weit und den bösen Geist
überwinden, und zu den lieben Heiligen komen. Das ist auch
gewislich ir hertzlich sehnen, denn sie haben uns lieb und
6 freuen sich unser frömigkeit und Seligkeit.
XVII.
Von den Bilden.
Levitici am sechs und zwentzigsten ^) verbeut die Schrifft,
Bilder zu machen, sie redet aber deutlich von solchen Bildern,
10 so dazu gemacht werden, das man sie anbete. Darumb sol
man inn der Christenheit keine solche bilder haben, die man
anbetet. Aber des HERRn Christi, der Heiligen Jungfrauen
Maria, der Patriarchen, Aposteln Bilder, zu eim gedechtnis
gemacht, mag man wol haben, denn sie dienen ja da zu, das
15 sie uns vermanen oder erinnern. Als, wenn ich sehe ein bild
des HERRN am Creutz oder der Aufferstehung Christi, so
werd ich erinnert des heilsamen tods Christi und seiner herr-
lichen AuflFerstehung, welch gedechtnis ist on zweivel nütz-
lich und not, denn also schreibt Sanct Gregorius an den
20 Bischoff zu Massilien:^) Was die Schrifft denen nützet, die
da lesen können, das nützen die bilder den ungelerten.
*) Levit. 26, 1. *) Gregor der Große, der Papst, episttilarum
lib. XI, indict. IV, epist. XHI (Migne, Patr. lat., 77, 1128): Die, frater,
a quo factum sacerdote aliquando auditnm est, qaod fecisti? Si non aliud,
vel illud te non debuit revocare, ut despectis alils fratribus solum te sanc-
tum et esse crederes sapientem? Aliud est enim picturam adorare, aliud
per pictnrae historiam, quid sit adorandnm, addiscere. Nam quod legentibus
scriptura, hoc idiotis praestat pictura cerneutibus, quia in ipsa etiam igno-
rantes vident, quid sequi debeant, in ipsa legunt, qui litteras nesciunt.
tlnde et praecipue gentibus pro lectione pictura est. — Der Brief ist ge-
richtet an Serenus, einen Bilderfeind, der vom Jahre 590 bis 601 Bischof
von Massilia war. Vgl. Wetzer und Weite, Kirchenlexikon*, Bd. 8, S. 906.
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Darumb ist im neuen Testament kein gebot, das man die
Bilder solle abthun, sondern mögen ir wol branchen aus
Christlicher freiheit, doch so fem, das kein misbrauch daraus
werde, denn wo irgend ein Bilde were, da der unverstendige
pobel und tolle heiligen ^) zu liefifen und das selbige ehreten 5
oder hulflf bey im suchten, solch bild sol die Oberkeit des-
selben orts abthun, auff das keine Abgötterey damit getrieben
werde, nach dem Exempel des Königs Ezechie, welcher die
Eherne schlänge, so Moses gemacht hatte, zubrach, um des
misbrauchs willen, weil ir der tolle pobel anfieng. Göttliche 10
ehre zu erzeigen und die selbige anzubeten, am vierden Regum
am achtzehenden Capitel.')
xvni.
Von der Christen begrebnis.
Der fumemest Artikel unsers glaubens leret uns, das 15
dieses fleisch, welchs wir itzt tragen, am Jüngsten tage werde
wider verkleret werden und auflferstehen zum ewigen leben.
Denn gleich wie Christus auferstanden ist und nicht mehr
sterben wird, also sollen alle Christen wider auflferstehen mit
irem leibe, spricht S. Athanasius inn seinem Symbolo. ^) Der- 20
halben sol das begi'ebnis bey den Christen ehrlich gehalten
werden von wegen der gewissen hoffnung der künflftigen auflf-
erstehung, also, das man der todten leiche nachfolge bis zum
grabe, *) und weil die selbige begraben wird, mag der Pfarrer
oder Prediger mit einer kurtzen vermanung das volck trösten, 25
das sie erstlich bedencken, wie wir alle inn Adam gestorben
und yerdampt sind, darnach, das wir widerumb inn Christo
') Text, lat.: rade et supentitiosnm ynlgns. *) 2. Könige 18, 4.
*) Ad Christi adventam omnes homines resnrgere habent cum corporibns
8ai8 (Satz 38» des Symbolam Qnicnnqne). *) Text, lat.: fnnera sunt
. a inis deducenda.
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alle lebendig gemacht werden, welcher alles wider hat zu
recht bracht, was zuvor Adam verderbt und verloren hat,
denn Er ist gestorben umb unser sunde willen, welche er alle
durch seinen tod versünet und da mit unsern tod vertilget
6 hat, und ist nu allen Christgleubigen worden die aufferstehung
und das leben, das, wer an in gleubet, der sol leben, ob er
auch stirbet, und ein iglicher, der da lebt und an in gleubt,
der sol ewiglich nicht sterben, Johannis am eilfften Capitel. ^)
Unsere leibe sind glieder Christi. Darumb, wie Gott Christum,
10 unsern HERRN und unser heubt, hat aufferweckt, also wird
er auch uns auflferwecken durch seine krafft, 1. Corinth. 6. 2)
Und mag der Prediger auch hie handeln den text Sanct
Pauli zun Thessalonichern am vierden Capit.: Wir wollen eucli,
Lieben Brüder, nicht verhalten von denen, die da schlaffen
15 etc.,*) Oder ein stuck aus dem fünffzehenden Cap. der 1. zun
Corinthem/) Von der herrlichen Aufferstehung Christi und
der Christen, da mit der Artikel : Ich gleube die aufferstehung
dieses fleisch, den hertzen der menschen fest eingedruckt, und
der glaube der aufferstehung gesterckt und geübt werde.
20 Denn Sanct Ambrosius hat recht und wol gesagt super
15. Capit. 1. ad Cor.:*) Alle hoffnung und trost der
gleubigen*) stehet darinn, das die todten wider aufferstehen
sollen.
Solche weise, die todten ehrlich zubegraben, ist allezeit
25 gewesen, beide inn der Synagoga und inn der Christenheit,
und ist ein zeugnis, beide unsers glaubens von der auff-
erstehung des fleisches und auch unser liebe gegen unsere
nehesten, so verstorben sind, welche wir gleuben, das sie nicht
verloren, sondern allein zuvor hin geschickt seien, und nicht
') Joh. 11, 25-26. ^) 1. Kor. 6, 14. ») 1. Thessalonicher
4, 13 ff. *) 1. Kor. 15, 20 ff. ») Migne, Patr. lat., 17, 260: ostendit
illis, qnia si in hac causa, qnae snbjecta est, a traditione eins sedacti
sunt, perdidenint qnod credidemnt; omnis enim spes credentiom in hoc
sensn est, qnia mortui resnrgent. (Ambrosius, Comm. in ep. ad Cor. I,
cap. XV, vers 1—2.) •) Text. lat. hat nur „omnis spes credentinm''.
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daran zweiveln, das wir die selben, unsere freunde, werden
wider sehen am tage des HERRn, und zugleich bey Christo
bleiben ewiglich.
Es ist auch im alten Testament ein greuliche straffe
gewesen, so jemand nicht begraben, und der leib on alle 5
ehre hin geworffen ward, wie man sihet 3. Reg. 13., 4. Reg. 9.
Jerem. 8. 14. 16. 19.^) 34. 36. Ezechiel 39. Hat nicht
unser vater Abraham seine Sara ehrlich begraben zu Hebron?
Und ist der selbige acker hernach also blieben zum begrebnis
der Heiligen Patriarchen, Gen. 23. *) 26. Der gleichen liesestu lO
von den andern Vetern, Genesis 35. 37. 38. 47. 49. 50.
Also ward der Widwen son zu Nain*) ehrlich hinaus-
getragen, Luce 7. Desgleichen auch Lazarus ehrlich begraben
zu Bethania, Johan. 11.
Man sol auch dem volck offt furhalten diese oder der 16
gleichen tröstliche wort und Sprüche.
Psalm 72: Ir Wut wird theur geachtet werden für
im. *) Denn er redet von den Christen, für welcher blut Gott
sorge tregt
Und Psalm 116: Der tod seiner Heiligen ist theur für 20
im. *) Es were aber kein theurer tod, wenn das andere teil
des menschens, nemlich der leib, nicht aufferstehen solte.
In der ersten zun Corinthem am fünffzehenden : Es wird
geseet (das ist, inn die erden begraben, gleich wie der samen
inn den acker) der sterbliche leib; Es wird geseet in Unehre; 26
Es wird geseet inn schwacheit; Aber es wird aufferstehen ein
unsterblicher leib; Es wird auffersten inn krafft und herrlig-
keit etc. ß)
Und ich vermane Euch, Lieben Brüder inn Christo,')
das ir auch von wort zu wort auswendig lernet das 15. Capit.30
>) Text lat. fügt noch „22" ein. «) Gen. 23, 19. «) Im
Druck Bteht „Naim". *) Psalm 72, 14 b. ö) Psalm 116, 15.
•) 1. Kor. 16, 42—44. ') Text. lat. bietet noch die Apposition: pri-
mitias resorgentium.
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der 1. Epi. zu den Corin^ das ir bey den sterbenden und inn
den begrebnissen allezeit daraus tröstung farhanden habt
Der HERR aber gebe euch verstand inn allen stücken.^)
AMEN.
») Vgl. 2. Timoth. 2, 7.
Gedruckt zu Wittemberg durch Hans Luflft.
Drack von Lippert ft Co. (G. Pätz'sche Büchdr.), Kaombiurg a/S.
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QUELLENSCHRIFTEN
ZUR
GESCHICHTE DES PROTESTANTISMUS
IN VERBINDUNQ MIT ANDEREN FACHQENOSSEN
HERAUSQEQEBEN VON
Prof. JOH. KUNZE und Prof. C. STANGE^
SIEBENTBS HEFT.
THEOLOGIA DEUTSCH.
LEIPZIG.
A. DEICHEBT'SCHE VERLAQSBUCHH. NACHF.
(GEORG BÖHME).
1908.
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THEOLOGIA DEUTSCH.
— <^>—
HERAUSGEGEBEN
VON
Lic HERM. MANDEL
PRIVATDOZENT AN DER UNIVERSITÄT QREIFSWALD.
Es mochte flatzlich seyn, dafs die ein-
fältige bflchleln, die Teutsche Tlieologi,
sodann Tauleri Sclirifften. aufs welclien
Cleichwul nechst der Schrifft unser tbeure
utlienis worden, was er gewesen ist, in
die hflnde der Studiosonim melir ge-
bracht und dero gebrauch ihnen recom-
mendiret wflrde.
Ph. J. Spener, Pia desideria, Frirft 1680.
p. 140.
LEIPZIG.
A. DEICHEBT'SCHE VERLAQSBUCHH.: NACHF.
(GEORG BÖHME).
1908.
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Alle Rechte vorbehalten.
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Einleitung.
1. Luthers Aasgaben und Beurteilung.
Wenn irgend eine Schrift zu den Quellenschriften ^s
Protestantismus gehört, so ist es die Epitome der deutsehen
Mystik, die „Theologia deutsch''. Dieses Büchlein fiel im
Jalure 1616 Luther in die Hände, auf welchem Wege, weiß
man nicht. Es begann mit dem 7. Kap. der vorliegenden
Ausgabe und enthielt den Text bis zum 24 Eap. einschließ-
lich. ^) Die bedeutendste Abweichung ist die Weglassung des
ganzen 22. Eap. und der letzten Zeilen des 21. Kap. ^)
Luther fand das Büchlein „ohne Titel und Namen''. So
gab er ihm den Titel : „Eyn geystlich edles Buchleynn. Von
rechter underscheyd und vorstand. Was der alt und new
mensche sey. Was Adams und was gottis kind sey und wie
Adam ynn uns sterben und Christus ersteen sali" ; Holzschnitt:
Die Kreuzigung Christi. Gedruckt zu Wittenbergk durch
Joannem Grunenbergk. Anno nach Christi geburt Tausent fünf-
*) Die inhaltlichen Verschiedenheiten dieses Textes von dem des
spftter gefondenen sind unter dem Texte bei dem Buchstaben A yermerkt.
Orthographie ist vielfach eine andere.
') Daß Luther schon 1516 das Ganze Yon 1518 gefanden und selbst
einen Auszog gemacht hätte (so J. Köstlin, Luthers Theol., 1. A. I 69. 115.
213) ist bei dem Inhalt des Weggelassenen mehr wie unwahrscheinlich
(vgL auch GLPlitt in Zs. f. luth. The. u. K. 1865 S. 58). In der späteren
Ausgabe herrscht auch in den Stücken von 1516 durchgehend eine andere
Orthographie.
Mandel, Theologia Deatsch. I
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— II —
bandert und jm sechtzenden jar am tag Barbare (4. Dez.). Bey
den Augustinern." In derselben Gestalt wurde das Bücblein
nocb einmal gedruckt: in Leipzig durch Wolfgang Stöckel, 1618.
Außerdem versah es Luther an drei Stellen mit einer kurzen
lateinischen Anmerkung (S. 30, 35, 51) und mit einer Vorrede.
In dieser bittet er, sich nicht mit dem Urteil über die Schrift
zu übereilen, weil es „ynn etlichen werten untüchtig scheynnt
oder aufi der weiße gewönlicher prediger und lerer reden".
„Ja es schwebt nit oben (d. h. in den Höhen der Spekulation)
wie schawm auf dem wasser, sunder es ist auß dem gründe
des Jordans von einem warhafftigen Israeliten erleßen, wuchs
namen Gott weyß". Wolle man aber vermuten, so sei „die
matery faßt nach der art des erleuchten doctors Tauleri.
Nu wie dem allen, das ist war, gruntlich lere der heiigen
Schrift muß narren machen adder narre werden. Als der
apostel Paulus berurt 1. Cor. 1. Wir predigen Christum, eyne
torheyt den heyden, aber eyne weyßheit gottis den heyigen."
Im Jahre 1518 konnte Luther das Büchlein in erweiterter
Form herausgeben. Es wurde in demselben Jahr in Witten-
berg (Grünenberg), Leipzig und Augsburg (Otmar) gedruckt.
Bis 1521 zählt die Weimarer Ausgabe von Luthers Werken
(I 376 f.) noch sechs Drucke. Luther gab ihm jetzt den Titel:
„Eyn Deutsch Theologia, d. i. Eyn edles Buchleyn, von
rechtem vorstand, was Adam und Christus sey, und wie Adam
yn uns sterben und Christus ersteen sali." In der Augsburger
Ausgabe von 1518 heißt es zum erstenmal : Theologia, Teütsch.
Die Vorrede aber, die Luther dieser zweiten Ausgabe mit-
gegeben hat, bringt die einzigartige Bedeutung der Theol. D.
für die Eeformation in so deutlicher Weise zum Ausdruck,
daß sie hier wiedergegeben werden muß. — Nachdem Luther
unter Hinweis darauf, daß sich Gottes Weisheit gerne in
unscheinbarer Form darbiete (1. Kor. 1, 17; 2. Kor. 10, 10) den
Leser gebeten hat, die Wirkung des Büchleins nicht durch
Ärger über „die iingefrenßeten und ungekrentzten werte" zu
verscherzen, sagt er: „Diß edle Buchleyn, alß arm und un-
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— m —
gesmnckt es ist yn Worten und menschlicher weißheit (Folie:
die umfassenden, gelehrten scholastischen Systeme der Theo-
logie), alßo und vill mehr reycher und ubirkostlich ist es in
kunst und gotlicher weißheit Und das ich nach meynem
alten narren rüme, ist myr nehst der Biblien und
S. Augustino nit yorkummen eyn buch, dar auß ich
mehr erlernet hab und will, was got, Christus,
mensch und alle dingseyn. Und befinde nu aller erst,
das war sey, das etlich hochgelerten von uns Witten-
bergischen Theologen schimpflich reden, also wollten wir
new ding farnhemen, gleych alß weren nit vorhyn und anderwo
auch leut geweßen. Ja freylich seynn sie geweßen. Aber
gottis tzoren, durch unser sund vorwircket, hatt uns nit
laßen wirdig seyn die selben zu sehen ader hören, dann am
[A ij] tag ists, das in den Universiteten eyn lang zeyt sulchs
nit gehandelt, dohynn bracht ist, das das heylig wortt gottis
nit allein under der bangk gelegen, sundemn von staub und
mutten nahend vorweßet Leß diß Buchlein wer do will
unnd sag dann, ab die Theologey bey unß new adder alt sey,
dann dißes Buch ist yhe nit new, Werden aber villeicht wie
vormals sagen, Wyr seyen deutsch Theologen, das laßen wyr
ßo seyn. Ich danck Grott, das ich yn deutscher zungen meynen
gott alßo höre und finde, als ich und sie mit myr alher nit
funden haben, Widder in lateynischer, krichscher noch hebre-
ischer zungen. Grott gebe, das dißer puchleyn mehr an tag
kumen, ßo werden wyr finden, das die Deutschen Theologen
an zweyfiell die beßten Theologen seyn, Amen. Doctor Mar-
tinus Luther, Augustiner zu Wittenbergk." Luther bezeugt
also selbst, daß er die Hauptstucke der reformatorischen, d. i.
der im Gegensatz zur Scholastik stehenden neuen Denkweise
über Religion und Christentum: die Anschauungen von Gott,
von der Welt (alle Ding), wie sie in der Eeligion beurteilt
werde (d. i. die Anschauung von dem Verhältnis Gottes zur
Welt, der Schöpfungsbegrifl), vom natürlichen Menschen und
die Christologie von der Th. D. überkommen und erlernt
I*
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— IV —
habe. So urteilt er nicht im Feuer der ersten Begeisteruag-
(1516), sondern nachdem er sich mit dieser Denkweise be*-
reits zwei Jahre beschäftigt und sie in seinen Schriften un«
ermüdlich vertreten hatte. Wenn man überhaupt der Meinung
ist, daß Luthers Worte ernst zu nehmen seien, so wird maa
nicht umhin können, den Eeformator Luther einen Schüler
der deutschen Theologie zu nennen. Schon die erste Aus-
gabe sandte er an Spalatin, der, um auf die Masse zu wirken,
einige Schriften ins Deutsche fibersetzen wollte: Mein Bat
ist: „Wenn du gerne eine reine, solide und der alten (vor-
scholastischen) möglichst ähnliche Theologie in deutscher
Sprache lesen willst, so nimm die Predigten Taulers zur
Hand, cuius (sc. Tauleri) totius epitomen ich Dir hiermit
sende. Ich wenigstens habe weder in lateinischer noch in
unsrer Sprache eine heilsamere und mit dem Evangelium
mehr übereinstimmende Theologie gesehen." (Briefe, Enders
I, 74.) Die Th. D. nennt er ein opusculum theologicissimum
(ib. 90 f.). Und in den Eesolutionen zum Ablaßstreit (1518):
„Ich weiß allerdings, daß dieser Doktor den Schulen der
Theologen unbekannt ist und sehr von ihnen verachtet wird.
Aber ich habe in ihm, mag er auch deutsch geschrieben haben,
mehr solide und reine Theologie gefunden als bei den gesamten
scholastischen Doktoren aller Universitäten gefanden wird
oder zu finden ist in ihren Sentenzen" (Weim. Ausg. 1, 557, 28).
Die Scholastik hat die lautere Theologie Taulers verjagt
(Vm, 289, 7, IX, 737, 33).
Diese Stellen wären leicht zu vermehren.^) Sie genfigen
aber zum Erweise dafür, daß Luther nach seiner eigen^i
Meinung als reformatorischer Theolog im wesentlichen nichts
anderes als ein Schüler und Vertreter der Denkweise Taulers
und der Epitome desselben war. Wie das sachlich zu ver-
stehen sei, wird die folgende (Nr. 6) Einleitung in das Ver-
*) Vgl. die stellen bis 1521 bei W. Köhler, Luther u. die Kirchengesch.
1900 S. 236 ff.
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— V —
sUadnis der deutschen Theologie andisutend zeigen, soweit
das im Rahm^ dieser Veröffentlichnng tnnlich ist
DaS Lnther sich sp&ter yon der Th. D. abgewandt habe,
ist eine nnbewiesene Behauptung.^) Ihre Grundgedanken
waren nach seinen eigenen Worten and nach seinen Schriften
za sehr mit seinem ganzen theologischen Denken verwachsen,
als dafi ihm solche Abwendung möglich gewesen wäre.
Wenn man nun die erste Ausgabe mit der zweiten ver-
gleicht, so wird in der Tat keine andere Auffassung möglich
sein als die, da£ jene ein Bruchstück von dieser ist und keines-
wegs der Grundstock, zu dem von anderer Hand Zusätze ge-
macht sind. Das Neue von 1518 ti*ägt denselben Charakter
wie das Alte. Ohne dasselbe würde das Büchlein mitten in
einem Zusammenhang beginnen und aufhören; Kap. 6, aber
nicht gut Kap. 7, könnte Anfang sein ; die in Kap. 23 be-
gonnenen Fragen würden aber ohne Kap. 27 flf. unbeantwortet
bleiben.
2. Weitere Ausgaben.
In dieser Form von 1518 hat das Büchlein viele Aus-
gaben erlebt.«) 1523 Basel, 1526 Augsburg, Nürnberg, 1528
Nürnberg. 1528 gab sie der Drucker Peter Schöffer (Worms)
heraus mit einem eigenen Vorbericht und den in den meisten
späteren Ausgaben und Übersetzungen wiederholten „Etliche
hauptreden, inn denen sich eyn ieder fleissiger schuoler Christi
') L. KeUer, Die Beformation n. die älteren Reformparteien S. 472.
Der einzige Beleg: ist ein Yöllig angenaner Hinweis auf Luthers Vorrede
zn einem Büchlein des Joh. Kymens (Ein alt ehr. Conciliom . . . Item ein
alt wnnderbarliche Geschieht 1537), dessen zweiter Teil gegen die Wieder-
tftttfer und SpIritnalisteB geht, ohne jedoch, soviel ich gesehen habe, die
Th. D. SU erwähnen. Die Vorrede aber ist lediglich für den 1. Teil in-
teressiert, der gegen Bom ist.
^) Die bibliographische Hauptquelle für das Folgende: Panzer,
AsMÜen der SHeren dentsdien Litt 1793 ff. Zum Übrigen ist zn yergleichen
die Vorrede Pfeiffers n seiner später zn nennenden Ausgabe der Th. D.
Nur m«ß eine Beihe Ton Pf. gezählter Ausgaben fortfallen : Die Schwenck-
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prüfen mag . . ." ^) Weiter: 1531, 1534, 1538 Rostock, 1546 Frank-
furt, 1552 Augsburg, 1558 Königsberg. 1558 wurde sie zugleich
zweimal französisch herausgegeben : La Theologie Germanicque
Liuret auquel est traict^ CJomment il faut d6pouiller le vieil
homme et vestir le nouveau. Der Übersetzer war Sebastian
Castellio. Derselbe hat sie 1557 in Basel lateinisch heraus-
gegeben: Theologia Germanica Libellus aureus: hoc est, brevis
et pregnans : Quomodo sit exuendus vetus homo, induendusque
novus. Ex Germanico translatus, Joanne Theophilo interprete.
Diese Ausgabe wurde oft wiederholt: 1558 Antwerpen, 1580
Lyon, 1603 München, 1625 Lyon, c. 1700 Paris, zuletzt 1730
in Leipzig durch Dr. th. Joh. Georg Pritius. 1597 Halber-
stadt war wohl die erste der von Joh. Arnd, Gen.-Sup. des
Fürstentums Lüneburg, besorgten und bevorworteten Ausgaben.
Ebenso erschien um diese Zeit eine niederdeutsche Übersetzung
und eine flämische, deren es aber mehrere gegeben hat. Weiter:
1605, 1617 Magdeburg, 1621 Hamburg, mit Kempis Nach-
folgung, als Anhang zu Taulers Predigten; 1621 Lintz, als
erstes in „vier alte und geistreiche Büchlein"; 1624 Straßburg,
1628, 1642, 1652 Lüneburg, 1631 Amsterdam, 1647 Magde-
burg, 1671 Amsterdam. Als Anhang zu Speners Ausgabe der
Taulerschen Predigten: 1681 Frankfurt, 1688 Nürnberg, 1692
Frankfurt, 1703 Erfurt, Leipzig, Halle (Waisenhaus), 1705
Halle, 1720 Frankfurt, Leipzig, Halle. Ebenso Frankfurter
Ausgaben von 1700, 1703, 1704, 1710, alle wie die Lintzsche
Ausgabe. 1722 erschien es in „theosophia teutonica, der
Seelen Adel-Spiegel" unter dem Namen des Joh. Theophilus
(s. oben) und aus dem Lateinischen zurückübersetzt, 1734
endlich in Leipzig.
1676 und 1700 hatte P. Poiret das Büchlein französisch
herausgegeben: La th^ologie r6elle, vulgairement ditte la
Theologie germanicque (Amsterdam, Wetstein).
feldsehen. Denn Schwenckfeld hat fast nur den Titel von der Th. D. über-
nommen; der Text selbst ist kaum wiederzuerkennen.
*) Über diese Ausgabe s. L. Keller, Abhdlg., unten S. 11 A. 2.
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— VII
Das Jahrhundert des Rationalismus hat nach seinem
ersten Drittel unseres Wissens keine Ausgaben hervorgebracht.
Die Th. D. war nicht nach rationalistischem Geschmack.
In dem vergangenen Jahrhundert brachte das Jahr des
Reformationsjubiläums (1817 Berlin, Reimer) die erste, besorgt
und bevorwortet von K Grell, Pastor in Berlin. Sodann 1822
Lemgo von F. K. Krüger, 1827 Erlangen von J. A. Dezer, 1837
St. Gallen mit Einleitung von Troxler, 1842 Berlin von J.
H. P. Biesenthal, mit Einleitung. Der Text war im Laufe
der Jahrhunderte naturgemäß überaus verwahrlost worden,
Zusätze und Änderungen hatte man skrupellos gemacht. Dem-
gegenüber griff die letzte Ausgabe unmittelbar auf den Text
von 1518 zurück und bot ihn übersetzt.
Da wurde eine neue, nach den beiden Lutherschen also
dritte Handschrift entdeckt, in der fürstlichen Bibliothek zu
Bronnbach, der ehemaligen Cisterzienserabtei bei Wertheim
a. d. Tauber und Main (jetzt in der fürstl. Hofbibl. zu Klein-
Heubach).^) Die Handschrift ist leider ziemlich jungen Ur-
sprungs, aus dem Jahre 1497. Die Th. D. trägt die Überschrift:
Hie hebet sich an der Franckforter und seit gar hohe und
gar schone dink von einem volkomen leben. Dann folgt: Die
vorrede über den Franckforter. Und am Ende: Hie endet
sich der Franckforter, Got dem herren si lob und ere und
der edelen koniginne und juncfrowen Marie gotes muter. Amen.
Diese dritte Gestalt der Th. D. weicht nun nicht wenig
von der zweiten ab ; es herrscht nicht allein eine ganz andere
Orthographie, auch fehlen nicht nur einige Sätze von 1518,
die dann aber meist durch andere ersetzt sind, sondern vor-
nehmlich stellt sich der neuere Fund als eine sehr starke
Erweiterung der Gestalt von 1518 dar. Die beiden letzten
Absätze von Kap. 12 sind zu besonderen Kapiteln (13 und 14)
erweitert, so daß von da an die neuere Handschrift der
*) Die erste Kunde von dieser Handschrift gab Reuß, Prof. in Wtirz-
bnrg, Zs. f. deutsches Altertum III 487.
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-^ VIII —
J[Hitberso}i6Q Zählnng zwei Kapitel voraos bat. Ebenso ist
Kap. 47, 2. Absobn. in der neueren Handscbrift ein eigenes
Kap, (60). Aber mit Kap. 48 beginnt die Luthersche Zählung
4ie andere zu überholen. Kap. 48 — 52, 1. Abschn. (L.) bilden
ein Kap. (51); Kap. 52, 2. Absehn. + 53, 1. Abschn. (L.) = Kap. 58;
K«4p. 53, 2. Abschn. bis 56, 1. Abschn. (L.) = Kap. 53, Kap. 56,
8. Abschn. (L.) erweitert zu einem eigenen, dem letzten Kap. (54).
Nach dieser Gestalt nun ist die Th. D. von Dr.
Fr. Pfeiffer im Jahre 1851 zum erstenmal herauagegeben
worden (Gütersloh, Bertelsmann), zum zweitenmal mit einer
neudeutschen Übersetzung verseben, 1854, und hat bis heute
noch zwei Auflagen erlebt (1875, 1900). Das Jahr 1854 hat
auch zwei englische Ausgaben (London) gebracht,^) die eine:
Old German Theology, a hundred years before the reformation;
With a preface by M. Luther, übersetzt von Mrs. MaJccdm,
Tochter des letzten Erzbischofe von York, gründet sich nach
klugem Urteil auf die Biesenthalsche Ausgabe, obwohl sie
die Pfeiffersche kannte. Die andere: Theologia Germanica;
Which setteth forth many fair Lineaments of Divine Truth,
wd saith very lofty and lovely things touching a perfeot
Life; übersetzt von Sus. Winkworth, mit Vorrede von Charles
Ki^gsley und einem Brief an die Übersetzwin von Bunsen,
schließt sich Pfeiffer an. Außerdem ist die Th. D. nach
1850 noch erschienen: 1858 und 1892 (Stuttgart, Steinkopf j,
1886 (Gemsbach, „nach Pf").
Nun war jene von Reuß bekannt gemachte Handschrift
wert, neben der Lutherschen uns gegeben zu werden. Aber
das Ansehen, welches ihr Pfeiffer gab, verdiente sie nicht. Es
erweckt zunächst eine falsche Vorstellung, wenn Pfeiffer
hinzusetzte: Nach der einzigen bis jetzt bekannten Hand-
sdirift herausgegeben. Wir kennen dank Luthers Bemühung
doch noch zwei andere Handschriften (1516, 1518). Ja es
*) Nach dem Vorwort der einen ^bt es auch eine englische Aasgabe
nach dem Latein yon 1648.
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— IX —
kann kdn Zweifel darüber bestehen, daß die Texte Luthers
bei weitem ursprünglicher sind. Der Text bei Pfeiffer sucht
den Lutherschen Text zu glätten und zu verdeutlichen. In
den meisten Fällen zeichnet er sich durch überflüssige Er-
weiterungen aus, so dajB der Luthersche Text den Vorzug
größerer Knappheit hat. In anderen Fällen ändert Pf. gar
den Sinn oder bringt Fremdes in den Zusammenhang.
Gleich in Kap. 1 nimmt der Einschub die Antwort vorweg.
Statt „der Sünde" ist oft von „den Sünden" die Rede, die
dann bisweilen noch einzeln aufgezählt werden. Der „Teufel"
ist ständig zum „bösen Geist" geworden. Die weitere
Prüfung bleibt dem Leser selbst überlassen. — Wenn sich
ab^ schon für das Ganze die Ursprünglichkeit des Luther-
BohesL Textes ergibt, so sind dessen Lesarten bis Kap. 24
doppelt sicher gestellt, 1518 und 1516!
Schon im ersten Bande der Weimarer Ausgabe der Werke
Luthers ist das Urteil ausgesprochen, daß „Pfeiffers Text
dem Luthers bedeutend nachstehe", indem er vielfach nur
^eine matte Erweiterung" biete und keineswegs eine „voll-
ständigere Wiedergabe der Urschrift", daß er also mit Un-
recht Luthers Ausgaben in Mißkredit gebracht habe (S. 376);
und der so urteilte (Knaake), kündigte bereits einen neuen
Abdruck der Ausgabe Luthers an (Weimar, Böhlau, 1883).
Aber dieser Abdruck ist leider unterblieben.
Nun ist während der Vorbereitung dieser Ausgabe die
Th. D. als „Das Büchlein vom vollkommenen Leben, Eine
dtsche Theologie" hrsgeg. worden, von Herm. Büttner, Jena
(bei Diederichs) 1907. Diese Ausgabe will aber Unmögliches:
den ursprünglichen Text der Th. D. wiederherstellen (Vorw.
S. 71 f.). Es ist ihr Verdienst, den Vorzug des Lutherschen
Textes vor den neueren erkannt zu haben. Aber sie macht
mit dieser Erkenntnis nicht Ernst, sondern fügt den neueren
meist unvermerkt hinein. Zur Wiederherstellung der Urgestalt
fehlen uns aber die Mittel, und so muß ein Versuch derselben
an Willkür leiden. Mithin haben wir Luthers ursprüng-
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lieberen Text noch immer nicht vor uns; zamal Büttner auch
sprachlich nicht Luthers Text bietet. So wird es endlich an
der Zeit sein, wirklich Luthers Text zu rehabilitieren, um
seines wissenschaftlichen Wertes willen zu wissenschaftlichen
Zwecken, aber auch für den populären Gebrauch.
An K.S Ausgabe ist u. a. auch der unübersichtliche Druck
zu tadeln. Der Text wird immer wieder durch die Kapitel-
überschriften unterbrochen, und besonders wird das Eindringen
in den Gedankengang erschwert durch Mangel aller Absätze.
Mitten im Satze beginnen oft neue Entwicklungen. Nun bot
der Text bei L. Einteilungen. Diese sind in unserer Aus-
gabe beibehalten, wo sie dem Sinn entsprachen. War das
offenbar nicht der Fall, so sind sie nicht markiert. Im übrigen
hoffe ich die wirklichen Einschnitte wie auch die Satzzu-
sammenhänge im ganzen getroffen zu haben.
Anderseits nun aber sind die Zusätze bei Pf. so in G^ist
und Stil des ursprünglicheren Textes gehalten, daß sie immer-
hin wert sind, dem Texte mitgegeben zu werden. Wenn man
eine Eigentümlichkeit derselben nennen will, so ist es sogar
nur ein wertvoller Zusatz: man soll das Seine und das
Kreatürliche nicht suchen „weder in natur noch in geist".
Alle Abweichungen aber zu verzeichnen, wäre untunlich und
unnötig. Denn für die Philologen kann Pf.s Text doch nicht
überflüssig gemacht werden, da er durchweg eine andere Ortho-
graphie hat. Folglich ist er nur soweit zu beachten, als der
Inhalt von Belang ist. Die meisten Abweichungen sind aber
geringfügig und von rein formeller Bedeutung.^)
*) Vgl. jedoch S. 105 ff. — Zusätze bei Pf. sind durch f, Weglassungen
durch — bezeichnet. Andere Lesarten beziehen sich, ohne Zeichen gelassen,
nur auf den einen Ausdruck, zu dem sie angemerkt sind. — Die sehr häufigen
Striche über einem Buchstaben (z. B. un) sind, wo möglich, aufgelöst;
ebenso die selteneren Haken hinter (z. B. Christ', d' = der) oder über einer
Silbe (z. B. y'spricht). Wo v für u stand, ist n, wo u für y (z. B. alsuU),
y gedruckt. In dz und wz ist das fehlende a ergänzt. — Für freundlichste
Beratung betreffs der sprachlichen Anmerkungen bin ich Herrn Prof. Dr.
Stosch, hierselbst. zu Dank verpflichtet.
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— XI —
3. Entstehung der Theologia Deutsch.
Der Verf. der Th. D. hat seinen Namen der Nachwelt
nicht aufbewahrt Das entsprach seiner Grundstimmung, die
mit derjenigen übereinstimmte, in der Luther wohl von seinem
„alten Narren" redet. Durch ihn hat der allmächtige Gott
dies Büchlein ausgesprochen. Oder ob der Name unterdrückt
wurde, um dem Büchlein göttliche Autorität zu geben? ^) — Es
bleibt mithin bei Hypothesen. Luther dachte 1516 an Tauler;
Tauler war in A noch nicht genannt. Vgl. Text S. 29. A. 4. 1518
gab sich der Verf. wenigstens als ein Deutschherr aus Frank-
furt und einer der „Gottesfreunde" (vgl. Joh. 15, 15) zu erkennen.
Gottesfreunde nannte sich eine zuerst im 12. Jahrhundert
auftretende, besonders am Rhein entlang, in den Beghinen-
und Beghardenhäusem sich ausbreitende Eichtung, die keine
Separation, sondern nur die Pflege der Frömmigkeit beab-
sichtigte, indem sie mit dem Gottesglauben Ernst machte
auf dem Gebiet des persönlichen Lebens (Nr. 6 der Einl.).
Tauler, der sich zu ihnen rechnete, verwahrt sich an einer
Stelle gegen jene falsche Auffassung ihrer Absicht und be-
fürwortet Absonderung nur in dem Sinne des religiös-sitt-
lichen Ernstes.^) Man hat von einem gewissen Eblendus
^geredet,*) aber ohne genügenden Anhalt. Auch die Durch-
sicht des großen Kopialbuches der Frankfurter Kommende
mußte vergeblich sein.*) — Wir müssen uns begnügen, den
*) L. KeUer, Die Reformation und die älteren Reformparteien 1885 S. 172.
«) Prot Real-Enc.» 17, 203 ff. Art. über Rnlman Merswin. Für die
<je8chichtsanf£a88img L. Kellers stehen die Gottesfreunde in der weiter-
reichenden Traditionslinie der altevangelischen oder Brüdergemeinden. Vgl.
das angefahrte Werk KeUers, über die Th. D. 170ff., 341 f.; dazu seine Ab-
hdlg, in „Monatshefte der Comenius-Gesellschaft" 1902, XI 145 ff.: Die
Oott«8£reande, die Th. D. und die Rosenkreuzer; ebenda 1896, V 44 ff.:
F. Thudichum, Die Th. D.
•) Placius, Theatrum anonymorum et pseudonymorum. J. Wolf, Lec-
tiones memorabü., opp. Hemipoll 1672, I. p. 742, zum Jahr 1460. Schröckh,
Kirchengesch., TL 34, S. 71 f. *) Pfeiffers Vorrede 8. 21 f.
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— xn —
ganzen Mutterboden der Th. D. und auch die Richtung zu
kennen, gegen welche außratreten die Denkweise der Th. D.
das lebhafteste Interesse hatte, weil sie aus gleichen Prinzipien
entgegengesetzte Folgerungen zog: die libertinistische Sekte
vom freien oder auch neuen Geiste, vgl S. 48f. Da die Be-
wegung der Gottesfreunde mit dem 14. Jahrhundert abnimmt^
anderseits aber die Th. D. die vollste Reife der deutschen
Mystik voraussetzt, wird sie in der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts entstanden sein.
4. Der Gedankengang
des Büchleins bedarf dringend der Darstellung. Denn er ist
nicht leicht durchsichtig. Es scheint so, als stünden die
Kapitel zusammenhanglos nebeneinander. Man hat die Th. D»
sogar für eine Sammlung von einzelnen Vorträgen gehalten
und sie zu kapitelteiliger Lesung der Erbauung empfohlen.
Für den Fortschritt der Gedanken entschädigte aber in
hohem Maße die Einheitlichkeit der verschiedenen Kapitel^
welche auf die Th. D. anwenden läßt, was man von den
Predigten Eckharts und Taulers gesagt hat: wer eine der-
selben gelesen habe, kenne alle. Es ist allerdings die Eigenart
der deutschen Theologie, daß sie nur Einen Hauptgedanken
hat und diesen unermüdlich predigt: Sei lauterlich und gänz-
lich ohne dich selbst! oder positiver: Laß dich und deinen
Willen Gotte! oder völlig positiv: Erkenne Gott als Gott an!
Dennoch aber weisen bei genauerem Zusehen mehrere
Ausführungen einen Zusammenhang auf und heben sich gegen-
einander ab. ^) Der erste Hauptteil umfaßt Kap. 1 — 22 un4
') Das hat Reifenrath, Die deutsche Theologie des Frankfurter Gottoa-
frenndes, 1. TL einer Bonner Preisschrift, bevorwortet von Tholnck, HaUe
1863, nachzuweisen yersucht. Neben dem Gedankengang (S. 8 — IG) eine
systemat. Darstellung der deutschen Theologie (8. 40—63). Er teilt ein :
Sünleitg.: Kap. 1. 2: Notwendigkeit der Vereiiiigung des Menschen mit
Gott. 1. Hpttl.: Kap. 3—12, 2. Abschn. (nach Pf. 18): Das Wesen ikeet
Yereinigunng. 2. Hpttl.: Kap. 12, 3. Abschn. - Kap. 56 Anfeng: Der
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— xni —
legt das sittlich-religidse Ideal positiv dar. Einen zweiten
Hanptteil geben die Ansffifarnngen bis Es^. 38 deutlich zb
erkennen. Dieser wendet sich gegen die Irrlehre vom freien
Geist (S. 43 f), bringt aber wertvolle positive Ausfuhmngen
hinzu. Dann folgt ein erkennbarer Zusammenhang von vier
Kapiteln^ in dem zwar die Irrlehre noch vorkommt, aber nicht
dan Rahmen f&r den Zusammenhang bildet Auf diesen Ab*
schnitt folgen wiederum vier Kapitel ohne erkennbaren Zu-
sammenhang unter sich und mit den vorigen und folgenden.
Dann aber eine geschlossene und gründliche Ausführung über
die Entstehung des Eigenwillens (47—61) und endlich (52
—54) über die mittlerische Bedeutung Christi. Diese vier
Abschnitte sind, als ziemlich genau das letzte Drittel des
Büchleins, hier zu einem dritten Hauptteil zusammengefaßt.
I« Das Büchlein beginnt mit dem für Religion und
Theologie wichtigsten Begriffe: mit dem Gottesbegriff. Gott
ist das schlechthin Vollkommene, das von allen geteilten
Einzeldingen, d. i. von den in den Begriffen ausgedrückten
dgentümlichen Wesenheiten, den Quidditäten (quid est?) der
Dinge, verschieden und über sie schlechthin erhaben ist,
welches aber anderseits die Macht, ja das Subjekt des Daseins,
der Existenz (an est?) der Dinge ist, (da ja mit keines Dinges
Qniddität oder Begriff die Existenz desselben analytisch oder
notwendig gegeben ist). Es gibt kein Sein ohne von Gott.
1) Gott an sich: das Vollkommene, 2) Gott im Verhältnis zur
Weg zur Vereinigung. Darunter a) 12, 8 — 27: der Weg ist Gehorsam;
b) 28—62, 1 : nur durch diesen Gehorsam zur Freiheit. 1) 28—37 : Wert
der äußeren Ordnungen und des Lebens Christi; 2) 38—46: Grund der
diesbezüglichen Verirrnngen; 3) 47—52: Die wahre Freiheit. Der Haupt-
fehler dieser Einteilung liegt in der Yerkennung des Einschnittes zwischen
Kap. 22 und 23 und in der etwas gewaltsamen Zusammenfassung weiter
Ansf&hrungen unter ganz individuellen Titeln. Und im einzelnen hat Beif.
der scheinbaren Gliederkrankheit des Ganzen nicht Herr zu werden ver-
mocht. Weil dies auch in der Tat nicht leicht ist und die scheinbare Ein-
tönigkeit den Geschmack an dem Büchlein verderben kann, legt diese
Ausgabe solches Gewicht auf den Gedankengang.
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— XIV —
Welt: der Schöpfer, von dem jede Wesenheit (als an sich nicht
seiende) ihr Sein hat, das ist die Grundlage des Ganzen
(Kap. 1).
a. 1. Daß der Mensch sich den Einzeldingen und aller-
meist sich selber zuwendet, daß er sich des Guten annimmt^
das ist die Sünde (Kap. 2, 3, Anfg). Diese kann nicht durch
den Menschen gebessert werden, Gott muß das Subjekt, der Herr
in dem Menschen werden (zufolge des Schöpfungsbegriffs .')^
der Mensch muß sich aufgeben und Gott leiden (3). Denn
Gott will seine Ehre an niemand abtreten; er kann es nicht
leiden, daß der Mensch des Guten sich annimmt (4). Wenn
aber verlangt wird, daß der Mensch nichts begehren und
keines Guten sich annehmen soll, so ist das nicht quietistisch
zu verstehen, sondern als das positive Verhalten, welches
der objektiven Wirklichkeit gemäß Gott als das Subjekt aller
Güter anerkennt (5).
2. Bisher war das religiöse Verhalten wesentlich nach
Maßgabe des Schöpfungsbegriffs dargestellt: Sünde = an
Stelle Gottes sich zum Subjekt des Guten machen, das richtige
Verhalten: das Gegenteil und Gott leiden. Jetzt wird die
andere Seite des Gottesbegriffs ins Spiel gesetzt: Gott in
seiner Verschiedenheit von der Welt: das Vollkommene*
Dieses nämlich, das objektiv Beste, sollten wir am liebsten
haben und danach unser Leben richten, 1. das äußere: daß
wir die Kreaturen von Gott aus beurteilten, 2. das innere:
daß uns unmittelbar Gott als das allein wahre Gut aufginge (6).
Bei Christus war das innere Leben (d. i. das „rechte Auge")
ungestört neben dem äußeren Leben (das linke) auf Gott ge-
richtet, weil ihm von Haus aus (im Anfang, da die Seele
Christi ward) diese Richtung auf Gott eigen war. Bei dem
natürlichen Menschen aber ist letzteres nicht der Fall, und
so pflegt sein äußeres Leben das innere nicht zu seinem Rechte
kommen zu lassen (7). Ja es erhebt sich die Frage, ob jener
unmittelbare Anblick Gottes (vgl. Kap. 6, Nr. 2) überhaupt in
dieser Zeit dem natürlichen Menschen möglich sei. Diese
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— XV —
Frage ist zu bejahen unter der Bedingung, daß des Menschen
Liebe und Affekt von der Welt und vom eigenen Ich befreit
werde (8). Das ist nur durch Einkehr bei sich selbst mög-
lich. Denn das Vollkommene ist ja bereits in der Seele
(zufolge des Schöpfungsbegriffs ! s. oben). Die Seligkeit liegt
also lediglich daran, daß ich mich Gott lasse (9).
3. Wir sollen Gott wie dem Menschen seine Hand werden
und gar nichts eigenes, auch keine Empfindung der Seligkeit
bei Gott suchen, sondern ihm bedingungs- und selbstlos dienen
(10). Das bewirkt wahre Reue, in der man sich selbst auf-
gibt, ja alles Leides und der ewigen Verdammnis wert hält
und selbst die Erlösung nicht begehrt. Diese Hölle der Selbst-
au%abe ist, positiv angesehen, die Anerkennung des Schöpfers,
das Himmelreich, (11) und bringt als solche Einheit mit Gott
den Frieden, der über allen äußeren Dingen liegend auch durch
Leid u. dgl. ungetrübt bleibt (12 Anfg.).
b. Nachdem nun das erste Stück des ersten Hauptteils
in diesen drei Abschnitten das vor Gott richtige Verhalten
gezeichnet hat, stellt ein zweites Stück den vorbildlichen
Typus desselben vor Augen : Christus, im Gegensatz zu Adam
Die Lehre von dem richtigen Verhalten wird zur Christo-
logie. —
1. Es ist nämlich nicht gut, den (Vor-)Bildern zu früh
Urlaub zu geben. Der Weg führt* durch Stufen (12, 2. u.
3. Abschn.). Wider Adam, den Typus der natürlichen Willens-
beschaffenheit, steht Christus, der Antitypus, wider den Un-
gehorsam der Gehorsam, wider die Selbstliebe die schlecht-
hinige Selbsthingabe, die alles Eigenen so sehr ledig steht,
daß der Mensch bloßes Haus der Gottheit wird (13). Für
das Adamskind ist also Wiedergeburt notwendig (a); wo
diese geschieht, d. h. wo der Mensch aus der Selbstliebe in
die Selbsthingabe kommt, da ist die Sünde ganz von selbst
gesühnt (b). Kurz alles, wirkliche Gerechtigkeit (a) und das
Verhältnis zu Gott (b), liegt an Gehorsam oder Ungehorsam
(welcher — b Anfg. — der Abkehr vom Schöpfer — gleich-
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— XVI —
gesetzt wird) (c). Die Folgen des Gehorsams sind nun aber
1. Vermeidung alles Unrecht- und Leid-Tuns gegen die Eben^
menschen, 2. tiefes Leid allein über eins: was wider Gott ist:
die Sande (d) (14). Über diese im Bewußtsein der Einheit
mit Gott sich auch hinwegzusetzen, ist keine wahre Freiheit,
sondern ungöttiiche Art (15).
2. Für den also Wiedergeborenen, der das eine wahre
Gut erkannt hat, ist dann das Leben Christi das beste, was
es gibt, während es dem natürlichen Menschen das bitterste
ist (16), Gelangen zu diesem Leben kann man freilich nicht
durch den Litellekt, sondern nur durch wirkliche Nachfolge
(17). Der natürliche Mensch entzieht sich aber derselben, und
die von seinen Grundsätzen geleitete Vernunft macht sich
eigene Höhen zurecht (18).
3. Wie steht es nun um einen Menschen, der in dem
wahren Licht des Lebens Christi wandelt? Äußerlich wandelt
er nach den von der empirischen objektiven Wirklichkeit ihm
vorgeschriebenen Normen. Denn sich selbst nach eigenen
Wünschen ein Sollen zurechtzumachen, dazu fehlt die Trieb-
kraft: die Selbstliebe (19). Innerlich nämlich ist er von
Gottes Geist besessen im Gegensatz zu dem vom bösen Geist
der Ichheit besessenen natürlichen Menschen (a). — „Aber
ich bin nicht bereit"! Die Bereitung ist einfach: ernstliches
Wollen und nach dem Vorbild sich richten (b, 20). Ein
anderer Weg wäre: Gott einfach zu leiden; nur führt dieser
Weg durch ein alle Kreaturen (Dinge, Verhältnisse, Menschen)
Leiden. Dieser Weg wäre allerdings köstlich (21). Der
zentralste Ausdruck für den Weg ist aber: Gott will selbst
im Menschen Wohnung machen, wie es in Christus war (a);
da war wahre Menschheit mit menschlichem Empfinden, die
Leidensscheu der Natur ausgenommen (b), da war wahre
Gottheit, indem der Mensch von keiner Ichheit wußte (c, 22).
IL Wenn nun der Mensch meint, er sei der Welt
und sich selbst gestorben und allein Gott gelassen, so ent-
steht geistliche Hochfahrt, in der sich der Mensch fiir den
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— XVII —
Gott seiner Umgebung hält, und falsche Freiheit von Schrift,
Gesetz und Sakrament (23).
a. Wo wahre Demut ist, da hält man sich für gänzlich
unwert und rechtlos und alle eigene Rede für Torheit (a),
und in der Erkenntnis eigener Untugend begreift man die
Notwendigkeit des Gesetzes (b), unter das sich selbst Christus
in der wahren Demut beugte (c), wie seine Nachfolger auch
tun (d). Leugnet man aber die Demut Christi — er habe doch
von sich selbst geredet! — so sollte letzteres nur seinen Hörern
zur Erkenntnis der Wahrheit dienen. „Es war also doch
ein Warum, ein Zweck und Streben in ihm !" Nein, sondern
sein Wirken war notwendig wie das Scheinen der Sonne
(24). Was nun das Gesetz oder die äußeren Ordnungen be-
trifft, so muß äußeres Wesen und Tun sein; allerdings liegt
die Vereinigung mit Gott nicht auf diesem Gebiete, sondern
auf dem des inneren Willensverhaltens (25). Aber der äußere
Mensch wird hin und her bewegt, ohne Warum und ohne
irgend einem Zwecke nachzugehen, vielmehr zu allem objektiv
Notwendigen bereit, weil von sich frei, in Gottes Willen ge-
gründet (26). Unempfindlich zu werden wird mit Unrecht
als das Ziel hingestellt (27). Endlich wird, wie bisher wesent-
lich die Notwendigkeit des Gesetzes, nun die relative Wahr-
heit des übergesetzlichen Ideals gezeigt : das Gesetz fällt för
den neuen Menschen weg, 1) weil er keiner Lehre über gut
und böse, 2) keines Imperativs als Antriebes bedarf^ 3) weil
es keinen Zweck gibt, dessen Erreichung die Gesetzeserfüllung
dienen könnte (28).
b. Aber Christi Leben kann nie für den Menschen über-
flüssig werden, wie die Hoffart (Kap. 23) meint. Allerdings
dmf man es nicht als Mittel zu einem Zweck (etwa die Er-
langung des Heils) ansehen. Welche Bedeutung soll es dann
aber haben? Dieses Problem findet erst Kap. 36 seine Ant-
wort und bildet also bis dahin den Rahmen. — Gott will in
der Welt (d. i. unter den vernünftigen Wesen) einen Ort
haben, wo ihm nicht der eigene Wille entgegengesetzt werde,
Mandel, Tbeolof^a Deutsch . II
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— xvin —
sondern wo er als der Herr anerkannt wird; an diesem Ort
(d. i. in Christus) will er würklich, sichtbar in der Welt werden
(29). -
1. Gott ist das einige wahre Gut (das Vollkommene,
s. Kap. 1) ; ist er auch ein Licht, das leuchten und sich be-
kennen muß (Kap. 29), so wird er sich als das wahre Gut offen-
baren, welches ohne die Ichheit der geteilten Dinge das Gute
nicht um seinet-, sondern um des Guten willen will (30). Des-
halb ist auch die göttliche Liebe durch egoistische Gründe,
dem Verhalten des Nächsten zu dem göttlichen Ich entnommen,
nicht bestimmbar; es ist eine schlechthin unbedingte, quellende
Liebe (31), die aber keineswegs das dem Menschen als Gut
Erscheinende d. i. das Angenehme gibt, sondern das an sich
Gute, und den egozentrischen Menschen so zu einem trans-
subjektiven Standpunkt emporheben will (32). Die quellende
Liebe ist die göttliche Art eines vergotteten Menschen. Es
folgt die menschliche: schlechthinige Preisgabe aUer Eigen-
heit gegen den Schöpfer: alles ist Gottes. Diese Demut beweist
sich dann gerade gegenüber den Kreaturen (vgl. Kap. 21, 24 a).
Dies alles, Liebe und Demut, vollbracht zu haben ist die
Bedeutung des Lebens Christi (33).
2. Bisher war das Leben Christi als Gottes Leben im
Menschen dargestellt ohne Rücksicht darauf, daß es in der
Schöpfung einen Gegensatz zu Gott gibt. Dies ist aber der
Fall. Freilich nur an einem Punkte; nämlich da, wo Selbst-
bewußtsein und Eigenwille sich erhebt und Gott seiner Herr-
schaft, seines Allein Subjekt und Wille Seins beraubt (34).
So ist die Sünde ein persönlicher Gegensatz gegen Gott, sie
tut ihm persönlich wehe, so sehr, daß er sterben möchte,
wenn die Sünde dadurch beseitigt werden könnte. In seiner
Erhabenheit (vgl. Kap. 1: das Vollkommene) kann er aber
kein Leid empfinden. Auch an diesem Punkte bedarf er also
eines Menschen, der sich ihm als Wohnung läßt. Das ist
die Bedeutung des Leidens Christi (35). — Folglich hat
das Leben Christi (das Leiden einbegriffen) den höchsten Wert,
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— XIX —
selbst wenn man es nicht als „Löhner" (um Heil und Seligkeit
willen) lieben darf: es ist Gottes Leben im Menschen (36)!
Zu a. Und wie das Leben Christi also geliebt werden
soU, so soll man sich auch zu allen um des äußeren Lebens
willen erforderlichen Gesetzen und Ordnungen stellen (a).
Man* soll sie weder 1. aus Zwang, noch 2. um Lohnes
willen erfüllen, noch 3. sie souverän verachten, sondern sie
aus Liebe erfüllen (b). Dann wird man die Gleichgültigkeit
der Freigeister (Nr. 3) in der Gesetzerfüllung wie die egoistisch
begründete Regsamkeit und Besorgnis der Löhner (2) in
gleicher Weise meiden (c). Gottes Lehre aber zielt auf die
innere Vereinigung mit ihm ; wo diese ist, da bedarf es keines
äußeren Gebotes (d, 37).
c. Christi Leben ist das wahre Licht. Es gibt aber auch
ein falsches Licht, welches betrogen wird (I) und betrügt (II).
L Das Wesen desselben, welches sich aus dem Gegensatz zum
wahren Licht ergibt, besteht darin, daß es a. das Gute als
solches nicht anerkennt, sondern die Selbstheit proklamiert,
b. sich für (Jott hält statt zu beachten, daß trotz der Ver-
gottung die empirische Gebundenheit (Kap. 19 !) des Menschen
bleibt, n. Die Frage, wie die betrügende Wirkung zu erklären
sei, läßt a. noch einmal seine Art darlegen : 1. die übertriebene
Klugheit, sich für Gott zu halten statt die menschlichen
Schranken zu beachten (vgl. Ib); 2. in dieser hohen Meinung
steckt nichts anderes als die Eigenliebe der Natur (vgLIa),
welche 3. Gesetz und Gewissen zu ignorieren sucht, b. Bei
diesem Charakter ist der Erfolg des falschen Lichtes wohl
begreiflich, in. Die Widerlegung a. der Meinung, was man
wünsche sei das Beste (vgl. IIa 2) b. von IIa 3, 1. Schluß
der polemischen Ausführungen (von 23 an): das wahre und
das falsche Licht (38).
III. Neue Ausführungen a. über das Verhältnis von
Liebe und Erkenntnis. Licht oder Erkenntnis an sich taugt
nichts ohne Liebe. Das bloße Wissen um 1) die Tugend,
2) die Gerechtigkeit, 3) die Wahrheit, macht den Menschen
n*
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— XX —
Hoch nicht tugendhaft usw. So ist es auch um das Wissen
von Gott. Die Liebe allein vergottet (39). Aber kann über-
haupt erkannt werden, ohne daß geliebt würde? a) Ja, wenn
Licht oder Liebe nicht wahr ist, 1) im Falle des falschen
Lichtes, welches a) sich selbst, ß) nicht das Erkannte, sondern
das Erkennen als solches liebt, y) und dies selbst im Falle der
Erkenntnis Gottes, mit dem es sich identifiziert; 2) im Falle des
rein historischen Wissens; 3) im Falle der falschen Liebe, der
Liebe um Lohn, b) Demgegenüber ist bei dem wahren Licht
Liebe die notwendige Folge (die Liebe zu Gott ist nichts
anderes als Anerkennung Gottes!); denn das wahre Licht
stellt Gott an die Stelle des natürlichen Ich (40). a) Also
liebt Gott sich selbst! Aber doch nicht als Selbstheit,
sondern als das über allem dies und das, allem Ich und Du
stehende Vollkommene (vgl. Kap. 1). b) Ebenso liebt der
vergottete Mensch allein das vollkommene Gut, ist darum
unfähig zu aller Ungerechtigkeit, beklagt nichts denn die
Sünde und liebt mit dem vollkommenen Gut alles objektiv
Gute, c) Dies ist dann das beste Leben, das Leben Christi.
Dies muß also geliebt werden, und solche Liebe wirkt alles
das Gute, vgl. b. d) Umgekehrt sucht die Natur in aUem
das Ihre und betrügt. Darum ist sie identisch mit dem Teufel.
Teufel, Sünde, Natur ist alles eins (41). Aber gibt es denn
eine widergöttliche Macht? a) Es ist nichts ohne Gott als
der Eigenwille; dieser aber, weil 1) nur mit und gemäß Gott
gewollt werden sollte, 2) alle Willen eins sein sollten in dem
Einen Willen; b) Es ist aber Torheit, 1) das eigene Gut außer-
halb Gottes zu suchen, 2) überhaupt zu meinen, man vermöge
etwas aus sich selber (42).
b. das Leben Christi, in dem Gott lebt, ist zu suchen;
nur wenn man sein Leben hat, hat man ihn selbst, Gal. 2, 20.
Christi Leben ist aber dasselbe, was sonst als Gehorsam usw.
bezeichnet ist (43). Sagt man, man solle sich an Gott ge*
nügen lassen, so ist das wahr; neben ihm ist nichts zu nennen.
Aber dann muß man auch allen empirischen Größen gegenüber
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gelassen sein, wie das Christus war; und man darf nichts
neben, sondern alles nur in Gott lieben (44) ; nur ist die Sünde
von diesem „alles" ausgenommen (45). Der Glaube, ohne den
man verloren geht, d. i. nicht der Artikelglaube, sondern der
wahre Glaube, bedingt alles Verständnis (46).
c. über den Eigenwillen. Hölle ist nichts anderes als
der Eigenwille; Paradies ist alle Kreatur, nur eins ist Gott
zuwider und im Paradies verboten: der Eigenwille (47).
Warum hat Gott ihn denn geschaffen? Solche neugierige
Frage entstammt dem Wissensstolz und ist gegen die Demut
vor Gott. Jedoch ist sie zu beantworten: Es muß Vernunft
und Willen in der Kreatur geben, damit Gott sein tatsäch-
liches Eigentum (welches er in allen Dingen hat als die Macht
ihres Seins) auch durch bewußte Anerkennung desselben wieder-
gegeben werde (48). Der ewige, göttliche Wille ist an ihm
selber ohne Werk; Werke und Wirken kann er erst in einer.
Kreatur bekommen. So wollte Gott in dem menschlichen Willen
wollen- Dann würde alles Lieb und Leid des Menschen Gott
gehören (49). Nun aber kommt Adam, der Teufel oder die
(falsche) Natur und macht sich den Willen zu eigen, 1) zum
Schaden der Menschen, 2) zu Unrecht gegenüber der edlen
Freiheit des Willens (60). 1) Wo der Wille in seiner ursprüng-
lichen Freiheit steht, da wählt er das Beste und beklagt
allein die Sünde; 2) wo man sich aber der Freiheit an-
nimmt (Freigeister), da ist keine wahre Freiheit. 3) Die
wahre Freiheit würde keinerlei Eigentum oder Eigenheit auf-
kommen lassen (51).
d. 1) Dies alles hat Christus gelehrt und mit dem Leben
vollbracht. Wir sollen ihm nachfolgen, d. i. in anbetracht
unserer Natur: unter dem Kreuze leben. 2) In diesem Sinne
kommt niemand zum Vater denn durch ihn (52). 1) Einen
andern Weg gibt es nicht. 2) Anderseits aber kommt niemand
zu Christus, der Vater ziehe ihn denn: a) der Vater ist das
einige, vollkommene Gut, vgl. Kap. 1 (53); ß) wem er als
solches aufgeht, den zieht er an. 3) Dann aber merkt der
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Mensch wiederum die Wahrheit des anderen Spruches, die
Notwendigkeit der Verleugnung aller Dinge (54).
Abschließende Zusammenfassung :
Was „hier" gesagt ist, gehört zur Bereitung. 1) Wenn
aber das Vollkommene geschmeckt wird, so wird alles zu nichte,
und Gott nimmt den Menschen in Besitz. 2) Dazu ein Weg:
Daß man das Beste für das Liebste halte (vgl. Kap. 6) a) in
den Kreaturen (65), ß) an sich selbst. 3) Alles in allem: wir
sollen selbstloses Organ Gottes werden, ohne 4) uns dessen
bewußt zu werden und anzunehmen, wie die Irrlehre es tut
(56). -
5. Beurteilung der Th. D. in der Geschichte.
Die Th. D. hat eine merkwürdige und beachtenswerte
Geschichte bis auf unsere Tage gehabt, eine Geschichte, in
der sich größere Zusammenhänge im kleinen abspiegeln.
1. Der erste, auf den sie nächst Luther Einfluß ausgeübt hat,
ist Luthers väterlich verehrter Staupitz. Wenn man urteilt,
Staupitz' Denkweise habe mit der Taulerschen Mystik keine
Verwandtschaft, da er die Aufgabe des eigenen Ich nicht
metaphysisch, sondern ethisch meine, ^) so liegt dem eine Be-
urteilung der deutschen Mystik zugrunde, die zwar verbreitet
ist, aber m. E. (s. S. 36 ft*.) der dtsch. Mystik Unrecht tut. Be-
sonders ,ist der Einfluß in der Schrift „von der Liebe Gottes",
1517, zu merken. ^) — Der dritte Schüler der Th. D. ist Karl-
stadt. Gelassenheit des Willens, der „Meinheit" und „Sich-
heit" — wofür er auf die Th. D. verweist — ist der Grundton
zahlreicher Ausführungen, besonders in den Schriften von
1523: „Von Manigfältigkeit des einfältigen einigen Willens
*) Th. Kolde, Die dtsche. Atigtistmerkong7eg:atioii u. Jo. Stanpitz 1879
S. 307 f. Ausführlicher geht auf das Verhältnis Staupitzens zur Th. D.
ein L. KeUer, J. v. Staupitz und die Anfge. der Ref. 1888, nur nicht immer
mit der wünschenswerten Genauigkeit und Schärfe.
») Seine Schriften, hrsg. Ton J. K. F. Knaake, 1. Tl. Dtsche Schriften
1867.
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— XXIU -
Gottes", und „Was gesagt ist: sich gelassen". Er identifiziert
seine Denkweise ausdrücklich mit der der Th. D.*)
2. Wenn aber Karlstadts Wertschätzung der Th. D. noch
wesentlich ebenso wie die Luthers in der tiefen Auffassung
der Keligion ihren Grund hatte, so wurde nunmehr die Th. D.
zum Feldzeichen för eine Richtung, die sich gegen die Eefor-
mation wandte: fdr den antikirchlichen „Enthusiasmus" oder
Spiritualismus der Reformationszeit. Es ist oflfenbar, daß diese
Richtung die Th. D. nicht in erster Linie um der religiös-
sittlichen Grundauffassung willen schätzte; vielmehr lag
der Grund ihrer Wertschätzung darin, daß die Th. D. keine
Heilsmittel kannte: sie hielt die bloße Predigt des reli-
giösen Grundverhaltens für ausreichend zur Entstehung des-
selben. Sie verstand es nicht, daß die göttliche Darbietung der
Sündenvergebung unter Voraussetzung der Sündenerkenntnis
allein das erforderliche Grundverhalten bewirken könne. In
diesem Punkte schlössen sich die Enthusiasten ihr an, um
so lieber, als Luther sie — um der Prinzipien der Theologie
willen — so hoch gestellt hatte. So ist es zu erklären, daß
— nach einem Kenner der spiritualistischen Literatur*) —
sich überall in den Traktaten der Täufer, in den Programmen
und erbaulichen Ansprachen der Spiritualisten und in zahl-
reichen Flugschriften die Th. D. angeführt findet.
Die Denk,») Hätzer*) und Kautz,*) Schwenckfeld «) und
Bünderlin haben sie hochgeschätzt. Auf Hätzer und Denk
geht wohl die erste bedeutsame, neuemde Ausgabe nach
Luther zurück, die Wormser von iSchöifer.') Die mit ihr ver-
bundenen und bis heute noch®) beigedruckten Hauptreden
») Vgl Herrn. Bärge, Karlstadt, n S. 25 ff., 35, 74 f.
■) A. Hegler, Sebastian Francks latein. Paraphrase der Th. D. u. seine
hoUänd. erhalt. Trakt.; Tübinger Univ.-schrift 1901 S. 6.
>) Prot. R.-E.» IV, 579, Iff.; Uhlhom, Urbanus Rhegius S. 112
*) Prot. R..E.« VII, 328, 1. *) ebda X, 193, 2 f.
«) 8. oben S. 5 A. 2. ') KeJlers u. Heglers Abhdlg S. 148f. u. 5f.
*) z. B. in den Stuttgarter Ausg. oder Keller a. a. 0. 150 f.
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haben wahröcheinlich Denk zom Verfasser.*) Insbesondere
hat sich Franck mit der Th. D. beschäftigt. Er hat sie
ins Latein übersetzt und mit Zutaten versehen, welche sie
um mehr als das Dreifache vergrößern.*) Dabei ist es der
spiritualistische Grundgedanke, der sich durch das Ganze
zieht: die Entgegensetzung des Äußeren und des Inneren
in der Religion und die Verwerfung des Äußeren. In der
Vorrede spricht er ihr die höchste Autorität nächst der Schrift
zu. Endlich ist VaL Weigel zn nennen ; ') unter allen Autoren
hat ihn am meisten die Th. D. beeinflußt; ihre Töne klingen
durch seine Erbauungsschriften. Ja er soll eine Einführung
in die Th. D. geschrieben haben.*) Die Verbreitung der
Th. D., die bis in die Mitte des Jahrhunderts viele Auflagea
erlebte, mag wesentlich in den Händen der bezeichneten
Richtung gelegen haben. Jedenfalls ist aus den späteren
Jahrzehnten keine Auflage bekannt.
3. Franck stand mit seiner Übersetzung nicht allein.
Unabhängig von ihm kam Seb. Castellio, der Vorkämpfer der
Toleranz gegen kalvinistischen Rigorismus und ciceronia-
nischer Bibelübersetzer, zu dem Plan einer lateinischen Über-
setzung der Th. D. Dieser Plan wird in einem Briefwechsel
mit dem befreundeten Bemer Staatsmann Zurkinden erörtert*)
Zur Ausführung kam er 1557 unter dem Namen des Joh. Theo-
philus, der dann später als der Verfasser angesehen wurde.®)
Die Vorrede Castellios zeugt von dem Geist der Th. D. : Gott
um seiner Wohltaten willen d. i. aus Dankbarkeit zu lieben
sei nicht vollkommen, sondern habe seinen Grund in der
») nach Arnold, Kirchen- und Ketzergesch. 1699, 2. Tl., S. 271 ; vgL
Keller a. a. 0.
^) Diese Paraphrase ist nie erschienen; sie liegt nur in einer Hand-
schrift der Bibliothek der Vereenigten Doopsgezinten Gemeente zu Amster-
dam vor. Hegler hat uns die Vorrede und Textproben gegeben.
*) J. 0. Opel, Weigel S. 264 ff., 121 ff.
*) nach Nik. Hunnius, s. unten S. 27 A. 1.
*) Vgl F. Buisson, Sebastien Castellion 1892, II, 382 ff. 99 ff. Hegler
S. 14 Anm. ^) nach G. Arnold, Kirchen- u. Ketzerhist. a. a. 0.
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Selbstliebe; Gott sei ohne Egoität und „Meität" zu lieben,
nicht weil er mir gut ist, sondern weil er an isich gut ist
So trat die Th. D. in den Gesichtskreis der Reformirten.
Ihre bisherige Geschichte macht es begreiflich, daß sie von
ihnen abgelehnt wurde. Farel spricht in einem Briefe an
BuUinger^) die Vermutung aus, sie stamme aus dem Kreise
des Erzketzers David Joris. Oporinus wird scharf getadelt,
daß er ein so gottloses Buch gedruckt habe. Wie gottlos
stehe das Deutschtum da, wenn solcher wiedertäuferischer
Wahn für Theologie der wahren Lehre des Glaubens gehalten
werde. Und wohin ziele die politia Piatonis und deliria
Dionysii? Von Gott abzuführen; zur bloßen Kontemplation,
statt durch Christum zum Vater. — Calvin spricht sich ebenso
scharf über „die Th. D. und über den neuen Menschen" aus.^)
Habe er je etwas von Gottes Wort verstanden, so wünschte
er, daß die Th. D. nicht in die Frankfurter Gemeinde, an die
er schreibt, eingeführt worden wäre. „Denn obwohl keine be-
merkenswerten Irrtümer darin sind, so sind es doch Scherze-
reien, die durch Satans Hinterlist ausgesonnen sind, um die
ganze Einfalt des Evangeliums zu verwirren. Wenn ihr aber
etwas näher zuseht, so werdet ihr finden, daß verborgenes und
totliches Gift darin ist, das ist, die Kirche zu vergiften.
Damm, meine Brüder, vor allen Dingen bitte und ermahne
ich euch im Namen Gottes, wie die Pest zu fliehen alle, die
euch mit solchen Unreinigkeiten anzustecken trachten."
Ebenso hat Beza dem Castellio neben anderen Sünden,
wie die Schrift gegen Servets Verbrennung, die Herausgabe
der Th. D. übelvermerkt.*) Bei dieser Verwerfung blieb es
in der reformirten Theologie. Ein G. Voetius, der selbst
asketischer Schriftsteller war, hält zwar mit dem Urteil über
die Person zurück, tadelt aber die gefährliche, dunkle und
») Corp. Ref. 44, p. Ö49f., 691 f.
•) ib. 441 f.; vgl Henry, Calyins Leben, III 420. Jules Bonnet, Lettres
de Calvin, U 259, Brief v. 23. 2. 1550.
») Corp. Ref. 49, 26.
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— XX\1 —
übertriebene Kedeweise entschieden;^) und sein Schüler
Joh. Hoornbeek wirft Luther gar Leichtsinn und Unklugheit
vor, daß er die Th. D. so hoch geschätzt habe und stellt sie
auf Eine Stufe mit der Empfehlung einer Schwenkfeldschen
Schrift durch Oekolampad ! ^)
4. Solches Urteil fand bei den Lutheranern natürlich
Widerspruch (s. Anm. 4). Aber die lutherische Theologie
wußte überhaupt die Th. D. erheblich besser zu schätzen,
obschon sie ihre Denkweise nicht in jedem Punkte billigen
konnte. Daß solche bessere Beurteilung nicht lediglich in
der Gebundenheit an Luther ihren Grund hatte, zeigt
M. Flacius, der sie in seinem Katalog der Wahrheitszeugen
anführt.^) Luther habe sie gelobt, weil sie in der Tat recht
lehre über Sünde, freien Willen, den ganzen alten Menschen
und wiederum über Gnade, Christus und Wiedergeburt. Nach
Kap. 9 hänge das Heil allein von Gott ab, nicht von irgend
welchen Werken unser selbst oder anderer; nach Kap. 3 bestehe
das Heil in reiner Passivität, wie auch Luther zu disputiren
pflege. So auch mache Kap. 37 u. 42 unsere Verdienste zu
nichte. Der Vf. habe gewiß mehr und Klareres über wahre
und falsche Theologie gewußt, als er auszudrücken vermocht,
beabsichtigt oder auch gewagt habe. — Nik. Seinecker, Mit-
arbeiter an der Konkordienformel, soll sie auch gelobt haben.*)
') Ascetika 1664, p. 76 ff.
•) Snmina controvereianim 2. A., 1697, p. 386.
■) Catalogns testiam yeritatis p. 756 nr. 345.
*) Nach des J. G. Pritius Vorrede (s. oben S. 6) t. J. 1730: Selneckers
Worte seien ihm nicht zur Hand. Pritius ftthrt noch an: Michael Neander,
vir de rectis stndiis praeclarissime meritus, in der Vorrede zu seinen
„Erotemata graecae ling^ae" p. 311f., wo es nach der Zitimng der Vor-
rede Luthers heiße: Kein Christ könne nicht mit Bewunderung erstaunen
über den Reichtum der Gnade und des Geistes (in der Th. D.), den Gott
mitten in dichtester Finsternis einem verachteten Kustos so reichlich ins
Herz gegeben. Luthers und Neanders Urteil bestätige auch Paulus
Egardus in seiner Apologie für Arndt, im 1. Kap. des Examens Oslanders
p. 764. Ebenso lobe die Th. D. und verteidige Luthers Urteil gegen un-
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— xxvn —
— Der Fürst der orthodoxen Theologen spricht sich zwar
nicht besonders über die Th. D. ans; aber er weist ohne
weitere Vorbehalte in dem Locus über die Vollkommenheit
Gottes auf den scharfsinnigen Gedanken der „Theologia Ger-
manica, hrsg. durch J. Amds . . . unsern besonderen Freund,"
hin, daß Gott sich selbst nicht als sich selbst liebe, sondern
als das höchste Gut, wie auch wir Gott so lieben und dadurch
allein gut werden sollen. ^) — Selbst Nik. Hunnius, der Be-
kämpfer des Weigelianismus, der sich über die Th. D. äußern
mußte, weil sie mit Tauler eine wesentliche Autorität für
Weigel war, kann nicht umhin, die Th. D. wenigstens als
ein seiner Zeit, gegenüber dem Pelagianismus , nützliches
Buch anzuerkennen, welches alle guten Werke zunichte mache,
natürliches Vermögen und freien Willen über den Haufen
werfe, was Luther der Hauptpunkt gewesen sei. Weigels
Grillen seien nicht in ihm zu finden. Allerdings sei die
Th. D. nach dem auf den Jakobusbrief von Luther ange-
wandten Kanon : daß Christi Verdienst aufs höchste zu treiben
sei, zu verwerfen, wie denn auch manche Wendungen schwer
zu entschuldigen seien, z. B. daß Gott im Frommen vermenscht
würde, daß die bloße Sinnesänderung den Teufel zum Engel
machen würde (Kap. 14), daß man zum wahren Licht und
Christi Leben nicht mit Lesen und Studieren käme, daß Gott
sich selber liebe, nur weil er das vollkommene Gut sei, daß
der Fromme keines Gebotes bedürfe, und das Ideal der Ge-
lassenheit. Zu unserer Zeit könne man solche Bücher fahren
lassen.*}
Jo. Ben. Carpzov rät, Luthers Urteil nicht absolut zu
verstehen, sondern in Vergleich mit der scholastischen Theo-
logie; so fanden sich in der Th. D. Forderungen einer nicht
gestüme Angriffe z. B. gegen den des Hoornbeek Jac. Thomasins, Origines
faistoriae philosophiae et ecclesiasticae p. 141.
») Joh. Gerhard, Loc. theol. Tom. 1 Cap. 22 § 180.
^ ChristL Betrachtg. der neuen Parazels. n. Weigelian. Theol. 1622,
8. 19—30.
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— xxvin —
gewöhnlichen Frömmigkeit, die vergeblich in der unfrucht-
baren Scholastik gesucht würden ; sie sei nicht rein mystisch^
sondern ein wunderbar gereinigtes Bächlein, gesammelt ans
den Vorschriften der mystischen Theologen, bei denen manche»
zur Stärkung unseres geistlichen Lebens Dienliche verborgen
sei. ^) Günstig urteilt endlich Fr. Buddeus: er bezeichnet die
Th. D. als „trefflich und überaus voll guter Frucht"; wenn
auch nicht alle Wendungen von allen gebilligt würden, so sei
doch das Treffliche und Wertvolle (praeclara) nicht zu ver-
werfen. Neanders und Thomasii Urteil büligt er darum.*)
5. Wie dem allen aber sei — ob mit Luther zufrieden
oder unzufrieden — so ist einmal Lutheri Sinn klar am Tage^
der etwas von der Kraft dieses Büchleins geschmecket und
daher die Edition wohlbedächtig verschaffet hat, so daß nun
kein Bemänteln oder Einschränken mehr gilt. So G. Arnold.*)
Wenn Luther, Staupitz, Karlstadt die Th. D. um ihres Grund*
gedankens, Flacius und Himnius doch um dessen ethische
Konsequenzen willen geschätzt hatte, die Enthusiasten aber
die Unmittelbarkeit des religiösen Lebens gegenüber besonderer
Heilsvermittlung hervorhoben, so wurde die Th. D. der inner-
kirchlichen Richtung auf unmittelbare Frömmigkeit in einer
neuen Weise wichtig. Daß die Th. D. das Leben betont und
nicht die Lehre, das ist nach der Vorrede zur Th. D., mit
welcher Joh. Arndt, der Verfasser der Bücher vom wahren
Christentum, seine Ausgabe geleitete,*) ihi- höchster Ruhm.
Christian Skriver, der dem Arndt nahe steht, redet in seinem
„Seelenschatz" ähnlich. *) Voll Lobes aber ist besonders Ph»
^) de religione Qnietistarum Cap. 1 § 6 p. 12.
*) Isagoge Historico-theologica libr. post. cap. 4 § 6 p. 616.
•) Kirchen- und Ketzerhist. a. a. 0. *) s. die Stuttgarter Auag.
'^) 3. Tl 13. Predigt § 19 (p. 1400). In Spenera Zeit gehört das Urteü
Yon Heinr. Morus, welches Pritius anführt ans der praefatio generaliiaima
Tomi I. Operum philosophicomm, London 1679, welches jedoch an dem an*
gegebenen Ort nicht zu finden ist. Dieses Urteil trifi^ in einziger Weise
den wirklichen Mittelpunkt: daß wir nnsem Eigenwillen vemichtigen, da-
mit wir, uns selbst tot, Gott leben, und bezeichnet diesen Kemgedanken
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— XXIX —
J. Spener, sowohl nach den Pia desideria (s. Motto) wie nach
4er Vorrede zn Tanlers Werken, denen er die Th. D. beifügte.
Er rechnet es der Stadt Frankfurt zu nicht geringer Ehre,
der Entstehungsort der Th. D.. gewesen zu sein. — Wie sehr
sich auch der reformirte Pietismus der Th. D. angenommen
hat, zeigen die französischen Ausgaben, die von dem großen
reformirten Mystiker,' P. Poiret, ausgehen und von seiner
Hochschätzung der Th. D. Zeugnis ablegen. Die Polemik
gegen Arndt, Spener und verwandte Männer nahm auch mehr-
fach auf die Th. D. Bezug und empfand dann Luthers Be-
urteilung nicht sehr angenehm und erklärte sie als relative: aus
der Vergleichung der Th. D. mit der Scholastik. So z. B. Lukas
Oslander in seinen „Theologischen Bedenken" gegen Arndt ^)
6. Daß der Rationalismus die Th. D. unbeachtet ließ, ist
kein Wunder. Das J. 1817 brachte, soviel wir wissen, nach
über 80 Jahren, die erste Ausgabe. Beachtenswerte Vorreden
gaben Troxler und Biesenthal (s. S. 7). Jener hat den för
die Th. D. allein entscheidenden ethischen Dualismus zwischen
natürlichem und „übernatürlichem" Menschen erkannt, der
den physischen Dualismus zwischen Geist und Natur in der
katholischen Anthropologie und Religionslehre kalt stellt (s.
unten S. 41). Nur faßt er den neuen Menschen als im natür-
lichen angelegt, und im Zusammenhang damit folgt er, der
schweizerische Vf. der „Kirchenverbesserung im 19. Jhrhdt",
dem Enthusiasmus. Biesenthal schreibt: „Allen Parteien der
Gegenwart kann der Inhalt natürlich nicht gleichmäßig zu-
sagen; am wenigsten dem gewöhnlichen Rationalismus"; und
zwar wegen der Idee der Gottmenschheit, die er „höchstens
als Symbol des geistigen und moralischen Verhältnisses gelten
lassen kann, in dem die Menschheit zu Gott steht". „Der
als dem Vf. mnerlichst entsprechend. — Hier ist auch Pritins selbst zn
nennen, der 2. Heraasgeber des lateinischen Textes. Er bemüht sich in
seiner Vorrede das Ansehn der Th. D. zn heben und das Anstößige in
ihrer Redeweise zn beseitigen.
>) 1628 8. 12 ff.
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— XXX —
innigen Frömmigkeit und der tiefsinnigen Spekulation unserer
Tage wird das Büchlein am willkommensten sein", sie werden
ihre Zusammengehörigkeit in der Th. D. erkennen. Die Speku-
lation werde in der Frömmigkeit der Th. D. erkennen, wie
ihre Prinzipien zu solcher Tiefe, zu Selbstverleugnung, Demut
und Gottseligkeit führen.
Ein de Wette urteilte: Eine treffliche, gesunde, körnige
Schrift, voll Geist und Leben, in einer reinen, gediegenen
Sprache geschrieben, wert, von Luther so nachdrücklich emp-
fohlen in werden.^) Der Hegelschüler Rosenkranz urteilt
ebenfalls günstig und weist auf die stete Emeuung des
Buches durch Luther, Spener, Marheineke und andere als auf
einen Beweis seines „Wertes" und seiner „ünentbehrlichkeit"
hin.*) Der Philosophiehistoriker J. E. Erdmann macht in
seinen Vorlesungen über Glauben und Wissen auf die Th. D.
aufmerksam als auf ein „Büchelchen, das mehr Tiefsinn ent-
hält als manche bändereiche Werke". F. G. Lisco, der be-
kannte Bibelerklärer, brachte seine Wertschätzung durch ein
Büchlein über „Die Heilslehre der Th. D." zum Ausdruck;
1857 (300 S., in 12»).») — Einer der ersten Zeugen für die Th.
D. ist aber Chr. K. J. Bunsen, der bekannte geistvolle Staats-
mann und Bibelerklärer. Er war es, der die englische Haupt-
ausgabe durch sein warmes Eintreten für die Th. D. veran-
laßte. Und in der Tat spricht er sich in dem Brief an die
Übersetzerin mit nicht geringem Verständnis über die „Stellung
der Schule der Th. D. in der allgemeinen Entwicklung des
*) Chr. Sittenlehre, U 2, 248 ff., §360.
*) Gesch. der deutschen Lit. 1836 S. 42 f.
») 8. S. 114. Vgl. H. Kitter, Gesch. der Phil., VIII 627 ff. Von neueren
Werken: Th. Ziegler, Gesch. der Ethik, H 3% ff., 406; 0. Pfleiderer, Gesch.
der Eeiigionsphüos., I*, 9 ff., 11, die Entwicklung des Christentums 1907,
S. 127; Bremer Beiträge 1907, 3. Heft. B. M. Mauff, der religionsphilos.
Stdpkt der sog. dtsch Theologie, mit besond. Berücksichtigung Eckharts,
Diss., Jena 1890. A Jundt, das Büchlein des Frankfurter Deutschherren
und Gottesfreundes: Eyn deutsche Theologie, neu untersucht Straßburg
1881. (Von dem Auskunftsbureau der dtsch. Bibl. nicht nachweisbar.)
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— XXXI —
christlichen Denkens", über „ihre Bedeutung für die gegen-
wärtigen Gefahren und Aussichten des Christentums, sowie
für die ewigen Interessen der Religion im Herzen" aus (59).
Ja er übertrifft Luthers Urteil : er ziehe die Th, D. Augustin
vor und gebe ihr den ersten Platz nächst der Bibel. Sie
stelle den deutschen Gegensatz zur lateinischen Scholastik
dar und sei mehr als bloße Wiederbelebung der Theologie.
Sie grabe tiefer wie irgend ein scholastisches System; sie
habe nicht nur durch Gründung der Gerechtigkeit allein auf
den Glauben der Reformation vorgearbeitet, sondern weise
auch dem philosophischen Denken eine neue Bahn. Die Denk-
weise der Th. D. aber formuliert er trefflich: „Sünde ist
Selbstsucht. Frömmigkeit ist Selbstlosigkeit. Göttliches Leben
ist die ständige Auswirkung der inneren Freiheit vom Selbst".
Und insbesondere weist er auf die Verwerfung aller Lohn-
hofihung hin. Von sich aber bekennt er, daß diese goldene
Abhandlung vierzig Jahre hindurch für ihn und manche von
ihm in sie eingeführten christlichen Freunde eine unaus-
sprechliche Stärkung gewesen sei. — Auch Ch. Kingsley be-
kennt sich zu der tiefen Einsicht (noble views) der Th. D.,
besonders in das Wesen der Gerechtigkeit und der Sünde.
Er erkennt treffend, daß die Th. D. nicht denen dienen will,
welche von der Bestrafung der Sünde nach dem Tode frei
werden, d. h. zur „ewigen Seligkeit" gelangen, sondern die
von der Sünde selbst frei werden wollen in diesem Leben.
Alle populären modernen Dogmen und Systeme solle der Leser
vergessen ; er werde in der Th. D. Keime weiterer und tieferer
Weisheit finden, als der gute Verfasser sich habe träumen lassen.
7. Was aber den Geschmack unserer Zeitgenossen für
die Th. D. angeht, so ist man ungünstig gegen sie gestimmt,
nicht aus dogmatischen Gründen, wie sie etwa bei Hunnius
zu finden sind; ihre Meinung von Christi Bedeutung sowie
ihr sublimer Nomismus würde dem modernen Denken nur
genehm sein. Aber die moderne ethische Grundrichtung, die
auf Selbstbestimmung und -behauptung des Menschen geht,
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— xxxn —
muß die Idee schlechthiniger Selbsthingabe und uninteressierter
Gottesliebe als jugendliche, unwahre Phrase verwerfen. ^)
Wertvolle Ausführungen zum Verständnis der Mystik
hat Stange .gegeben. ^) Während für die Scholastik die Gottes-
idee lediglich ein Begriff sei, der sich dem Denken in der
Kette seiner Schlüsse ergebe, mache die Mystik die unmittel-
bare Erfahrung der lebendigen Frömmigkeit zum Maßstab
der theologischen Erkenntnis. Dadurch trete an die Stelle
der Transcendenz des scholastischen Gottesbegriffs die Gegen-
wart Gottes in unserer Welt. Und diese begründe wiederum
eine ganz neue Selbstbeurteilung, deren Ideal die Hingabe
des eigenen Willens und Ichs sei, welche dem gegenwärtigen
Gott Raum mache. Neben dieser Übereinstimmung mit der
reformatorischen Denkweise wird aber auch die Differenz
erkannt (669 ff.).
Eigenartig und mit Unbesonnenem zutreffende Erkennt-
nisse vereinend ist die Th. D. von ihrem letzten Herausgeber
bevorwortet. *) Diese Vorrede ist in der Geschichte der Th. D.
einer von den Beweisen dafür, daß ein tiefgreifender Unter-
schied zwischen ihrer Denkweise und der kirchlich-scholasti-
schen vorliegen muß. Die lebendige Gegenwart Gottes hier
stehe gegen die Transcendenz, den Dualismus von Welt und
Grott, dort ; hier bloßes Sich-lassen an Gott, nach dem als der
einzigen Voraussetzung Gott von selbst im Menschen wirke
und wohne, dort künstliche Überbrückung der Elxdt zwischen
Gott und Mensch. Eine fröhliche Diesseits-Religion hier, ein
trüber, weltflüchtiger Jenseitsglaube dort. Und auch das
dürfte nicht ganz unberechtigt sein, wenn man die Eigen-
art dieser Denkweise als germanische bezeichnet (s. S. 38). Aber
>) Hernnann, Verkehr des Christen mit Gott*, S. 2ö2. K. Thieme,
Die sittl. Triebkraft des Glaubens (nach Luther) S. 19 f., 114 £f.
') Die sittl. Bedentang des Glaabens an die Person Jesu Christi,
Nene kirchl. Zs. 1906, 17, 633 ff.
*) s. oben S. 9. Eine ähnliche Denkweise vertritt E. H. Schmitt,
Die Gnosis de« MA.s und der NeoEeit. Jena (Diederichs) 1907.
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— xxxni —
nicht von wünschenswerter Einsicht zeugt es, wenn jener
Dnalismns und Deismus statt als lediglich platonisch-augosti^.
nisch-tho^istische als offenbamngsgeschichtliche Tradition
angesehen wird. Denn daß der Gott der Bibel nicht die
Züge der jenseitigen Welt reinen Seins n. dgl. trägt, sondern
gerade die des wohlverstandenen Gottesbegrifife der Th. D.
(S. 38), dürfte nachhaltigerem Eindringen nicht yersdilossen
bleiben.
8. Wie aber stellte sich der Katholizismus zur Th. D.?
Sie kam 1621 auf den Index der verbotenen Bücher. ^) Da-
durch empfing Luthers Behauptung der Verschiedenheit von
der scholastischen Lehre authentische Bestätigung. So sucht
denn z. B. ein A. Günther in ihr die Quelle alles neueren
Pantheismus. *) Ein K Werner ist ihr nicht günstig. *) Pfeiffer
hat aber volle Übereinstimmung mit der katholischen Lehre
behauptet, und der Herausgeber der „Teutschen Theologey"
Bertholds, Bischofs von Chiemsee, Reithmeier, ist Pf bei-
getreten.*) Die Neuheit ihrer Ansicht hätte sie zu einem
Beweise veranlassen müssen. Der unterblieb aber.
Die alte protestantische und katholische Anschauung von
dem Gegensatz zur katholischen Lehre vertrat dagegen Uli-
mann.^) Und zwar trifft er wesentliche Punkte: die ganze
Sichtung der Th. D. sei vorwaltend sittlich. Menschwerdung
und Erlösung, Sichaufgeben und -vergotten sei nicht wie bei
Eckhart spekulativ gemeint, sondern durch und durch sittlich.
>) F. H. Keusch, Der Index der verbotenen Bücher I 380. Im 16. Jhrhdt
hatte Plantin in Antwerpen allerdings das Privileg für eine latein. mid
französ. Ansg. Und als die Inquisitoren 1570 das Buch bei einer Haos-
snehnng fanden, wnrde es nicht nur nicht konfisziert, sondern sogar gelobt.
Erst 1680 wurde er wegen des Druckes angegriffen (a. a. 0. fi04). — Auch
Tauier kam auf den Index, 1590; Rensch, I 523. Und Eckharts Lehren
wurden bereits kurz nach seinem Tode, 1329, durch eine päpstliche Bulle
als h&retisch verworfen.
«) nach Plitt, a. a. 0. ») Der hl. Thomas von Aquino, III, 656.
*) Teutsche Theologey, Vorrede.
*) Reformatoren vor der Reformation, II 233—255.
Mandel, Theologia Deutsch. III
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— XXXIV —
Gott werde als lebendiger, allgegenwärtig wirksamer geglaubt^
sodaß der Mensch ein innerliches, nicht bloß äußerliches Ver-
hältnis zu ihm habe. Weiter werde die Gnadenb^ttrftigkeit
des Menschen anerkannt sowie Christi Bedeutung. Die Be-
kehrung sei lediglich Gottes Werk. G. L. Plitt stellt die
Th. D. zwischen protestantische und katholische Lehre. ^)
Da kam ein Thomist, den die protestantische (und von
der Indexkongregation akzeptierte) Beurteilung verdroß, weil
durch sie der deutschen Theologie neuernde Bedeutung gegen-
über seinem Meister Thomas zuerkannt wurde. Er, Denifle^
hatte von dem Begründer der deutschen Mystik, Meister Ecke-
hart, lateinische Schriften gefunden, in denen dieser in der-
selben Weise redet wie die Scholastiker. Und auf Grund
dieser Schriften sucht er nachzuweisen, daß die deutsche
Mystik keine andere Bedeutung habe als die der populären
Darbietung der thomistischen Ideen (S. 527)*). Eine Eigen-
tümlichkeit muß er allerdings anerkennen : daß Eckehart das
Verhältnis Gottes zur Welt erheblich inniger auffasse: daß
das Sein der Dinge — nicht die Dinge selbst, d. i. ihre Wesen-
heiten oder Begriffe; daß zwischen diesen und dem wirklichen
Sein der Dinge kein analytisches, sondern ein synthetisches
Verhältnis bestehe, indem kein Ding seinem Begriff nach
das Sein beanspruchen könne, war eine gemeine Erkenntnis
in der Scholastik — nach ihm gar keine Selbständigkeit habe
gegenüber dem göttlichen Sein, sondern so sehr von ihm ab-
hänge, daß es geradezu mit dem göttlichen Sein identisch,
d. h. daß Gott und nicht die Kreaturen (nach ihrer Wesen-
heit) der Inhaber des Seins der Dinge sei. Das ist nichts
anderes als der Schöpfungsglaube, der bekennt, daß die Dinge
an sich keinen Anspruch auf Dasein haben, sondern im Nicht-
sein sind, daß Gott allein notwendig, seinem Wesen zufolge,
ist und der Ursprung und Inhaber i alles Seins ist. Die tho-
') a. a. 0.
*) Archiv für Litt.- und Kirchengesch. des MA.8 U 1886, S. 417-532.
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— XXXV —
mistische Auffassung sieht die entscheidende Verbindung der
Welt mit Gtott gerade darin, daß die Wesenheiten der Dinge
ewig in Gott existieren und daß die gegenwärtige Welt ihr
Sein nicht unmittelbar Gott, sondern ihren eigenen ewigen
Ideen oder „Formen" ^) zu verdanken hat. Demzufolge kann
Denifle die Eckehartische Auffassung: „Gott ist das Sein
der Dinge", welche den Schöpfungsglauben zum Ausdruck
bringt, nur als Konfasion der Kreaturen und Gottes bezeichnen,
ohne zu beachten, daß Eckehart die Quidditäten beider durch-
aus geschieden hält. Wo Eckehart von Thomas abweiche,
sei er unklar.
Dieser tendenziösen Abhandlung des gelehrten Thomisten
hat die protestantische Forschung die auf Luther sich be-
rufende Meinung von einer Eigentümlichkeit der deutschen
Mystik opfern zu müssen gemeint, obwohl die Abhandlung in
der angedeuteten Weise selbst eine Handhabe zur Begründung
des Lutherschen Urteils bot. Man ist dem Thomisten viel-
mehr dankbar, daß er deutlich gesagt, worin das Neue der
deutschen Mystik bestehe und ist in den Dogmengeschichten
bestrebt, auch „den Schein des Irrtums zu vermeiden", als
habe sie irgend eine originelle Bedeutung; oder es bleibt nur
übrig, das Neue der deutschen Mystik darin zu sehen, daß
sie aus dem Umfang des scholastischen Systems einzelne
Dogmen ausgewählt und ausgelegt hat nach Maßgabe ihrer
Erbaulichkeit. ^)
Luthers enger Anschluß an die deutsche Mystik, dem man
ohnehin nicht günstig gesonnen war, muß bei solcher Auf-
lösung der deutschen Denkweise in die Scholastik erst recht
^) Der Begriff der Form knüpft eben das Sein an den Begriff.
*) 8. die Dogmengeschichten von Hamack und Loofs. Diejenige
A. Domers (1899) macht aber eine beachtenswerte Ausnahme. Domer er-
kennt einen grundlegenden Gegensatz zur Scholastik: an SteUe des Dua-
lismus zwischen Gott und dem Menschen samt der Welt vertrete die
dtsche Mystik die Einheit und meine sie ethisch! S. 338 ff., 341 f.; Ent-
stehung der ehr. Glaubenslehren 1906 S. 175.
m*
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— XXXVI —
befremden und kann dann nur auf die deutsche Sprache,
wie vielfach geschieht, auf einzelne Wendungen oder au-
höchst auf allgemeine religiöse Anregung zurückgef&hrt
werden. ^)
6. Einführung in die deutsche Theologie und ihre
Bedeutung.
Die Grundlage der abendländischen Theologie und Frömmig-
keit war eine dualistische Gottesanschauung. Qott war dem
Glauben nicht der in unserer Welt gegenwärtige und wirk-
same Herr, sondern eine Größe, die im Jenseits unserer Welt
liegt und ihrer Substanz nach einen scharfen Gegensatz zu
unserer Welt bildet. Augustin hatte diesen Dualismus dem
Abendlande eingeimpft. Es ist bekannt, wie ihm Gott die
unvergängliche, wahrhaft seiende Substanz ist, gegenüber der
vergänglichen Welt unseres Daseins. Augustin hatte diese
Anschauung vorgefunden in der platonischen Tradition. Zu
eigen wurde sie ihm, weil sie dem tiefen Sehnen des Menschen
nach ewig verläßlichem Halt und nach unvergänglichem
Lebensinhalt entsprach. Der Hauch solcher persönlichen Be-
gründung geht durch alle Schriften Augustins. — Thomas
von Aquino erst änderte diese Begründung und damit die
Gottesanschauung selbst, indem er vom Welterkennen aus
Gott als die erste Ursache und so grundleglich in Verbindung
mit der Welt dachte. Aber diese Auffassung, welche statt
zum Schöpfungsglauben zum Deismus führt, vertritt ja auch
eine Getrenntheit Gottes von der Welt. Und die wird zum
Gegensatz, wenn die erste Ursache als Intellekt gefaßt wird,
in dem die Ideen der Dinge gleichsam als eine Überwelt ent-
halten sind, von der die gegenwärtige Welt durch den Zusatz
der Materie verschieden ist.
*) \g[. A. W. Dieckhoff, Luthers Lehre in ihrer ereten Gestalt S. 81 f.
J. Köstlin Luthers Theol.«, I S. 107 f. Heuere Abhdlg. S. 9 ff.
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— xxxvn —
Diese Gottesanschaaune: des Mittelalters und des Eatho-
lijusmns brachte das katholische Frömmigkeitsideal hervor.
Dasselbe betrachtet Gott nicht als eine Größe, die dem Menschen
innerlich gegenwärtig ist als der Gegenstand seiner Hingabe,
als sein Herr, der dann auch als der wirksame Herr alles
Seins und Lebens in der Welt angeschaut wird, sondern als eine
äußere und von der Welt geschiedene Größe, zu der sich der
Mensch erst wie zu anderen äußeren Gegenständen in Beziehung
setzen muß, nicht ohne dadurch der Welt entfremdet zu werden.
Das Verhalten zu äußeren Gregenständen ist aber erstens
Bezeptivität : Wahrnehmung; so ist das Ideal der Religion die
Schauung Gottes. Vollendete Frömmigkeit liegt jenseits un-
seres Lebens ! Das diesseitige Surrogat ist die Kontemplation
mit der Ekstase als Höhepunkt. Die Folge ist Zerfallenheit
der religiösen Beziehung mit dem empirischen Leben und die
Flucht aus diesem in den Stand der „Religiösen", ins Kloster.
Zweitens muß sich die Aktivität des Menschen auf Gott
richten. Gott über alle Dinge zu lieben, als positive Willens-
leistung und -anstrengung gemeint, ist das Ideal für das
Wollen. Die religiöse Beziehung ist nicht als Gnade und
Gabe verstanden, sondern als Anstrengung und Aufgabe. In
diesem Ideal ist Augustin mit Pelagius eins. Soll dann der
natürliche Wille zur Gottesliebe unfähig sein, so entsteht das
große Problem der Scholastik, wie die ihn befähigende Gnaden-
wiitung Gottes zu denken sei. Und nicht nur die Kraft
der Liebe wird problematisch, sondern wie vorhin tritt auch
hier Gott in Konflikt mit der Welt, sofern sie Gegenstand
der Liebe ist; Gott allein darf um seiner selbst willen geliebt,
d. h. genossen werden; irdische Größen, der Nächste z. B.,
darf nicht um seiner selbst willen beachtet werden, sondern
wird „gebraucht", als bloßes Mittel für mich, Gott zu genießen.
Die Religion ist individualistisch und egozentrisch verstanden,
statt gerade die Voraussetzung selbstloser Zuwendung zum
Nächsten und zu allen transsubjektiven Forderungen der Welt
um mich her zu sein.
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— xxxvin —
Die religiöse Beziehung ist nicht Voraussetzung des sitt-
lichen Handelns, sondern Ziel und „Endzweck". Denn die
Vollendung derselben liegt in der Schauung im Jenseits. Die
Seligkeit ist nicht gegenwärtiger Besitz, sondern zukünftiger
Lohn. Die Werke erscheinen so fast unvermeidlich als Ver-
dienste. Sie wollen etwas erwerben.
Die deutsche Theologie vertritt eine ganz andere Gottes-
und Religionsanschauung. Gott ist ihr nicht jenseitig, sondern
diese Welt ist die Stätte seines Lebens. Sie ist nicht das
Jammertal, aus dem zu fliehen ist, sondern sie ist das Paradies
selbst, in allen Stücken gut, vom kreatürlichen Willen ab-
gesehen. ^) Und Gott ist mehr als erste Ursache: der Träger
und die Macht alles Seins und Lebens, ohne den nichts ist,
was ist, in dem lebt, was lebt. Das ist der Gedanke der
Schöpfung (aus nichts!), nach dem die Dinge ohne Gott im
Nichtsein sind, wie schon nach der Vernunft kein Ding an sich
d. h. seinem Begriffe nach Dasein oder Leben hat.
Demgemäß fällt der Religionsbegrifl* ganz anders aus.
Allerdings sind sich die deutschen Mystiker anscheinend
dessen nicht bewußt; es finden sich Reste der obigen Religions-
anschauung (z. B. Schauung). Aber die neuen Momente sind
ohne Zweifel da und überwiegen bei einem Eckehart, Tauler
und unserer Epitome. Der Kern des Religionsbegriffs ist, daß
sich der kreatürliche Wille an Gott läßt. Denn Gott ist
Träger und Macht auch seines Seins und seiner Aktivität;
der Mensch ist nur so töricht, sein Wollen und Dasein für
selbständig, sich selbst für das Subjekt desselben zu halten
^) Fragt man nach dem ürsprong, so scheint mir hier die Betonung
des Germanischen zu ihrem Kechte zu kommen. Lebensfrische NatnrvOUcer
konnten, als ihnen der christliche Glaube gepredigt wurde, unmöglich dem
weltvemeinenden Dualismus verfallen, sondern mußten, wo sie von der
Tradition unabhängig dachten, Gott als den Herrn dieser Welt vorsteUen.
JedenfaUs führt eine von der offiziellen Theologie unabhängige Traditions-
linie von Job. Skotus Erigena über die Amalrich Ton Bena und David von
Dinanto zu Meister Eckhart, dem Begründer der deutschen Mystik.
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— XXXIX —
imd sich von der schlechthinigen Abhängigkeit von Gott zu
emanzipieren. Das richtige Verhalten aber ist, sich selbst
gar nichts zuzuschreiben, sich selbst gar nicht zu kennen oder
doch nur als Gottes Geschöpf und Eigentum. An der Stelle
des Selbstbewußtseins sollte Gottesbewußtsein stehen; an
Stelle von Selbstbehauptung und -liebe schlechthinige Freiheit
von der Herrschaft des eigenen Ich in Anerkennung Gottes
als Herrn und Bestimmungsgrundes, Gelassenheit des Willens,
d. i. wahre Freiheit. Wo nur der Wille frei ist von der
Eigenheit, da nimmt Gott mit Naturnotwendigkeit den Menschen
in Besitz. Denn er ist gegenwärtig und wartet nur auf die
Gelassenheit.
Es bedarf also keines Tuns und Sichanstrengens des Men-
schen, um zu Gott zu kommen, sondern gerade des Gegenteiles
alles Tuns. Die religiöse Beziehung wird nicht in Aktivität
des Menschen wirklich, sondern in einer passio — mit Luther — ,
in Gelassenheit. Gott ist es, der tut und wirksam ist; selbst
das sein zu wollen, d. i. das natürliche Selbstbewußtsein,
welches aUe Leistungen dem Ich zum Weihrauch darbringt,
ist gerade die Sünde. Nicht Objekt des Menschen ist Gott,
sondern Subjekt, Herr. Die religiöse Beziehung ist keine
Leistung, welche dann das Problem der Gnadenwirkung ent-
stehen läßt, sondern ist selbst Gnade und Gabe. Hier erst
ist Pelagius grundsätzlich überwunden und alles Hinschwanken
zu seiner Auffassung im Keime ertötet.
Hier ist auch der Verdienstgedanke unmöglich. Ein
^Warum", d. h. einen Zweck, gibt es für das Handeln nicht,
wie oft gesagt wird. Die Seligkeit liegt nicht in der Zu-
kunft, als das Ziel des Handelns, sie geht dem Handeln vor-
aus und ist die innere sittliche Güte desselben, die Selbst-
losigkeit, welche der Gottesglaube im Gefolge hat. Wie die
Sonne umsonst scheint, so der fromme Mensch ; er muß seinem
Wesen zufolge gut handeln. Nicht die Werke machen den
Menschen gerecht, sondern die gerechte Person macht die
Werke gut. Die Ethik hat es nicht mit den Handlungen
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— XL —
und deren Endzweck zu tun, sondern mit der persönlich^i
Bestimmtheit des Menschen.
Und endlich ist der Individualismus hier durchbrochen.
Wenn die Religion nach dem Katholizismus gerade der Selbst-
liebe dient, so ist sie hier der Tod derselben. Und damit
erschließt sich hier der Blick für die transsubjektiven Forde-
rungen der objektiven Wirklichkeit, für welche der Egoismus
den Menschen blind machte. Das Kecht des anderen wird
anerkannt. Ihm Schmerz und Unrecht antun ist unmöglich;
denn egoistische Bestimmungsgründe gibt es nicht. Man lebt
nicht mehr sich selbst, sondern Gotte, jeden Tag zur völligen
Vereinigung mit ihm bereit. Vergeltung kennt man nicht
mehr, statt ihrer eine schlechterdings unüberwindliche Liebe.
Und was man noch lebt, gehört dem Nächsten. So ist hier
die religiöse Beziehung gerade die Voraussetzung des sitt-
lichen Verhaltens zum Nächsten, statt dieses unmöglich zu
machen. Gott ist nicht wie der Nächste und mit ihm kon-
kurrierend Gegenstand für den Menschen, sondern der Be-
stimmungsgrund und Herr des Menschen, der Mensch ist
bloßes Organ Gottes, die Nächsten aber der Gegenstand. Diese
Welt ist die Stätte der Religion wie des lebendigen Gottes selbst
Die neue Gottesanschauung ist heuristisches Prinzip für
einen neuen Religionsbegriff geworden. Man kann das Ver-
hältnis aber umkehren und die Ausprägung des Gottesbegrifis
an der Welt, wie sie der Schöpfungsbegriff zeigt, auf die Be-
deutung Gottes für das persönliche Leben gründen: er wird
als der Herr des Menschen, als Gegenstand der vollkommenen
Hingabe bekannt, und der dieser Art fix)mme Mensch setzt
die persönlich begründete Herrschaft oder eigentliche Gottheit
Gottes an der Welt durch! Der Schöpfungsbegriff ist die
Weltanschauung der Frömmigkeit. Diese aber wiederum ist
erforderlich zur Angemessenheit des inneren Verhaltens gegen-
über dem Gesetz, welches die Rechte und Forderungen der
empirischen Objektivität an uns zum Ausdruck bringt Ein
Weg der Apologetik!
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Was aber Gk>tt selbst angeht, so ist er hier grondleglich
als Persönlichkeit gedacht. Bei Angnstin ist er Substanz;
das Du seiner Gebete hat er nicht theologisch auszuprägen
yarstanden. Bei Thomas ist Gott allerdings Subjekt: als der
Weltdenker und -ordner. Hier aber erst ist er Wille und
gemeinschaftsfähiger Wille. Und diese beiden dem Gott der
Frömmigkeit unveräußerlichen Stücke sind mit dem Efegriff
der Persönlichkeit gemeint.
Diese Grundlegung ändert alle anderen theologischen Be-
griffe ; das soll nur angedeutet werden. Zunächst die anthro-
pologischen. Der Dualismus zwischen Geist und Natur, der,
aus der Anthropologie entlehnt, dem Dualismus zwischen Gott
und Welt zur näheren Bestimmung gedient hatte und von da
wiederum einen tiefen Riß in die Anthropologie brachte, ist
hier interesselos geworden (vgl. S. 29). Der Mensch ist nicht
aus zwei Substanzen zusammengesetzt und die Sünde ist nicht
das Übergewicht der einen Seite. Sondern der Mensch wird
einheitlich und naturwissenschaftlich so treu wie möglich auf-
gefaßt: als natürlicher Wille und natürliches Selbstbewußt-
sein. Als solcher ist sein Wille in Schuld gegenüber Gott,
in tiefem Widerspruch zu Gott, den Gott als persönliche
Kränkung empfindet.
Einen Menschen allein hat es gegeben, dessen natürliche
Haltung die entgegengesetzte war: Gelassenheit an Gott. Das
ist Christus. So wird die Christologie nach Maßgabe des
sittlichen Ideals verstanden. Wenn solches Verständnis bei
dem Charakter des vulgären moralischen Ideals die Gottheit
Christi verkürzen muß, so führt der Charakter dieses Ideals
gerade zur vollsten Anerkennung der Gottheit: Christus war
bloßes Haus und Handgezeug Gottes, sein Wille war Gottes
WiUe, sein Selbstbewußtsein Gottes Wirklichkeit unter uns.
Eäne Einigung der Extreme der physischen oder metaphy-
sischen und der moralischen Christologie!
Was Christus aber zu bedeuten habe für die Gewinnung
des Friedens mit Gott, das wird nicht erkannt. Das ist allav
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XLH —
dings noch ein Vorzug, daß mit dem Einheitsverhäitnis mit
Gott unmittelbar die neue, innere Gerechtigkeit, mit der
forensischen Rechtfertigung die effektive eins ist. Aber in
dem Verständnis der Bedeutung Christi ffir die Rechtfertigung
bleibt die Th. D. hinter ihrem Schüler Luther zurück. Von
Versöhnung und von dem bleibenden Werte Christi als Gegen-
standes des religiösen Grundverhaltens weiß sie nichts. Über
eine — freilich tiefer als gewöhnlich gefaßte — Vorbildlichkeit
kommt sie nicht hinaus. —
Die Verschiedenheit der deutschen Mystik und der
Mystik der offiziellen Theologie (die Viktoriner, Bernhard
V. Clairvaux, Bonaventura u. a.) ist schon früher erkannt
worden.^) Aber die ausführlichste Behandlung einer Ver-
schiedenheit in der Mystik (Ritschi) hat darin geirrt, daß
die quietistische (Gegensatz: spekulative) Mystik von der
Betonung des Willens bei Duns herrühren und daß die deutsche
Mystik als dominikanische zur spekulativen thomistischen
Mystik gehören soll. Letzterer Lrtum ist geradezu auffallend
angesichts der unermüdlichen Betonung des Willens bei Tauler
und erst recht in unserem Buch. Man vergleiche die Kenn-
zeichnung der quietistischen Mystik (Gesch. des Piet. I 470 f.)
und frage, ob sie nicht genau auf die genannten zutreffe. Daß
die Schauung öfter vorkommt (besonders bei Tauler), gibt kein
Recht, sie zum Zweck der Willenshingabe zu machen. Diese
wird oft genug in ihrem Selbstwert und als Vollendung der
religiösen Beziehung hingestellt. Es bleibt eine tiefe Eluft
zwischen dem Frömmigkeitsideal des platonisch-thomistischen
Dualismus und dem Frömmigkeitsideal der auf dem jung-
fräulichen Boden der Völker erstehenden Gottesanschauung,
welchen in ihrer weltbejahenden und -freudigen Stimmung
der Dualismus, den wesentlich das Verlangen nach ewigem
Halt gegenüber dieser vergänglichen Welt geschaffen hatte.
') Krönlein in Theol. Stud. u. Krit. v. 1847, S. 319f. Besds.: A. Ritschi,
Gesch. des Pietism., I 468ff. R. u. V.», I 122.
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— xLm —
keinen Geschmack abgewinnen konnte. Wo ein solcher un-
verdorbener Sinn in Sachen der Religion sich Geltung ver-
schaffte, mußte der Dualismus positiver und engster Verhältnis-
bildung zwischen Gott und Welt weichen. Und diese führte
zu dem neuen Keligionsbegriff.
Einer Richtung ist nun aber noch zu gedenken: derjenigen
nämlich, welche die Th. D. in ihrem zweiten Teile bekämpft:
die Sekte der Brüder vom freien Geiste.^) Diese hat denselben
Mutterboden wie die Th. D.: die Lebendigkeit Gottes tind den
entsprechenden Keligionsbegriff.^) Die Quellen für diese Sekte
führen manche Gedanken an, die genau mit der Denkweise der
Th. D. übereinstimmen. Dahin gehört es, daß nach ihr alles
Gott sein soll (399); daß alles aus Notwendigkeit geschehe
(399, 416) — wenigstens in dem Sinne, daß kein Sein an und
in sich selbst Bestand hat — ; daß alle Kreatur voll sei von Gk)tt ;
daß es keine Hölle, keinen Teufel noch Fegefeuer gebe (401),
sondern alles dies Erdichtung der Priester sei (S. B. A. 532f),
— weil Gott in allem ist, was ist % und weil am Eigenwillen
eine Größe gewonnen, auf welche die Hölle zurückgeführt
werden kann (vgl Th. D. Kap. 47) — ; daß der Eigenwille zu
brechen sei (zu welchem Zweck man z. B. scheußliche Speisen
vorsetze) (411), daß Gott alles im Menschen wirken solle, wozu
') Auch Tanler bekämpft sie in seinen Predigten mehrfach; Prot.
K.-E.' III 467 ff.; Preger, Gesch. der dtsch. Mystik 1874, I 166 ff. Neue
<}neUen: J. v. Döllinger, Beiträge 2ar Sektengesch. des MA. 1890, n
S. 378—416. Sitzungsberichte der Berl. Akad. 1887 (S. B. A.), S. 517 ff.
Zahlen ohne Zusatz bedeuten Döllinger.
*) Daß die Grundlage der Irrlehre in der „yiktorinischen Mönchs-
mystik", d. i. in derjenigen Frömmigkeit, welche auf dem Boden der
dualistischen Gottes- und Weltanschauung der kirchlichen Theologie genuin
war, nicht gesucht werden kann (H. Haupt, Prot. K.-E. *, III 468. Die relig.
Sekten in Franken vor der Bef. 8. 5) dürfte nach allem offenbar sein.
*) Preger deutet mit offensichtlichem Unrecht einige Aussagen der
Amalrikaner und unserer Sekte — die allerdings im wesentlichen nur
eine Fortfflhnmg von jener ist — so, daß der Dualismus herauskommt,
S. 175 f.. 207 f.
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— XLIV —
man in diesem Leben gelangen könne (396, 398), daß solcher
mit Gott einige Mensch die Seligkeit nicht erst erwarten
dttrfe, nnd daß zu dieser, znm Schauen und seligen Genuß
Gottes, nicht eine besondere Erhebung durch das Licht der
Herrlichkeit gehöre, denn wo solcher Mensch sei, da sei Gott
(S. B. A. 540) ; daß der Mensch daher auch nichts tue, um
Lohn von Gott zu bekommen, auch nicht das ewige Leben,
sondern allein damit Gott gelobt werde (390); daß Christus
nicht für uns, sondern für sich selbst gelitten habe wie jeder
andere Mensch (391), daß sein Leiden nicht zur Meidung der
ewigen Verdammnis notwendig sei, sondern dem Fortschritt
im Guten diene, in dem jeder ihm gleich sei, um dann von
Gott ebenso angenommen zu werden wie er, obwohl Christus
wahrer Gott sein soUte (416 f); es gentigt ihnen nicht das
eine Kreuz Christi, sondern mit mehreren Kreuzen zeichnen
sie „ad yisum" den Menschen, so daß sie als Nachahmer des
Kreuzes Christi angesehen würden (409). In diesem Sinne
ist auch der bei den AmaMkanern vielgerügte Satz zu ver-
stehen, daß jeder Fromme sich für ein Glied am Leibe Christi
halten müsse: sie seien „reaUter und naturaliter^^ Christus
selbst (391). —
Diese Denkweise wurde nun aber zu unsittlichem Liber-
tinismus fortgeführt. Der Mensch könne so eins werden mit
Gott, daß er ununterscheidbar sei von Gott (385 f.); daß er real
und wahrhaft Gott sei (390). Solch ein zur Umarmung der
Gottheit zugelassener Mensch sei dann über alle Bestimm-
barkeit (mutabilitas) erhaben, nichts könne ihn bewegen (ebda,
vgl. Th. D. Kap; 27), wie denn auch Christus in seiner Passion
nicht wirklich gelitten haben könne (392, 398, 401, vgl. Kap. 7);
ja er sei ein freier Herr und König über alle Kreaturen,
könne frei alles gebrauchen, was ihm gefällt und vernichten,
was ihn hindert; möge die Erde vergehen, wozu die Natur
treibt, muß geschehen (S. B. A. 539). Und mit dieser Hochfahrt
(Kap. 23, vgl. die treffliche Schilderang!) ist eine falsche Freiheit
verbunden: Freiheit von aller Ordnung und allen Gesetzen
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— XLV —
der Kirche. Zu solchen seien nur die Groben (grossi) ver-
pflichtet (886» S. B. A. 541); sie seien Aber alles Gewissen
hinaus, weil von Gott ununterscheidbar (S. B. A. 532 f.). Die
Freiheit sei gerade in ungebundener Genugtuung der Fleischea-
triebe zu beweisen (ebda). Es ist offenbar, daß bei diesem
Libertinismus auch das „Leben Christi^ als ein tieferer Stand-
punkt beurteilt wurde (oben 8. 17, b).
Die Th. D. kennzeichnet diese Denkweise gut, wenn sie
sagt: sie wolle den Menschen zum Gott in der Ewigkeit er-
beben, statt zum vergotteten Menschen, der in der Zeit lebt.
Daß aber dieser Libertinismus dem Prinzip nicht entspreche,
und gerade wieder das Ich auf den Thron setze, daß die allein
richtige Folgerung Demut und geistliche Armut und Willige
keit zu allen Pflichten, ja Liebe sei, das sind wertvolle Aus-
führungen der Th. D., die der Irrlehre, ihrer Gegnerin, zu
danken sind. —
In unserm Jahrhundert ist dieselbe Denkweise vertreten
worden wie die von der Th. D. einerseits und den Freigeistern
anderseits vertretene. Beide Seiten sind darin eins, daß in
unserm Ich und Willen ein absolutes Ich und ein absoluter
WiUe zum Leben kommen soU. Fichte ist derjenige, welcher
diese Grundanschauung zu demselben Ergebnis fortfahrt wie
die Th. D. Gott ist nach ihm der Bestimmungsgrund zu schlecht-
hiniger Selbsthingabe — wesentlich, ja lediglich dies! ') — , der
zufolge das Ich gar kein Recht hat, sich selbst zu behaupten
und zu pflegen, wenn nicht in Gott, so daß als Gegenstand oder
Gebiet des sittlichen Handelns nur noch der Nächste übrig
bleibt. Man vertiefe sich in seine Ethik und man wird
etwas von dem Geist der Th. D. verspüren.*)
Der freie Geist aber, den die Beschreibung in Kap. 23 u. 38
genau trifft, ist Nietzsche. Seine kühne Selbstbehauptungs-
') Appellation a. d. Pabl. gegen Anklage des Atheism., Ww. V bes.
214 ff.
•) System der Sittenlehre IV bes. 255 ff. Anweisung zum sei. Leben
oder Kelig.-lehre V, 402 ff., z. B. 411 ff., 472, 518 ff., 546.
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— XLVI —
lehre ist von rein empirischen Gesichtspunkten aus unerklär-
bar. Oder wie sollte man die handgreiflichen empirischen
Schranken, welche dem illusorischen Egozentrismus Gesetze
au&ötigen, so verkennen können? Jene Lehre ist nur be-
greiflich von Schopenhauers Willensmetaphysik aus: es ist
ein unbedingter, absoluter Wille zum Leben, der in dem
Einzel-Ich will. Daß sich dieser durch den Pesssimismus
nicht zur Resignation bringen läßt, ist nur ein Vorzug vor
Schopenhauer. Zugleich aber setzt er sich über die sittlichen
Schranken, welche der Nächste und die Gemeinschaft dem
Ich aufnötigt, hinweg.
Die Th. D. ist imstande, diese Denkweise zu überwinden,
wie sie nach allen Seiten die wirklich durchgreifende Apo-
logetik zu bieten vermag, freilich nur dem, der sie — wie
Luther — studiert.
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DIs Bnohleyn batt der almeohtig ewig gott aiiTs-
gesproohen duroh einen weisen vorstanden war-
hafltigen gerechten mensohen seinem freundt, der
da vor Zeiten gewesen ist ein Teutsoher herr, ein
Priester und ein Custos in der Deutschen herren
haufs zu Franokfurt, und leret manigen lieblichen
unterscheid gotlicher warheit und besunder,
wie und wo und wa mit man erkennen
müg die warhafftigen gerechten
gottes freundt und auch
die ungerechten falschen
freyen geist, die der
heyligen kirchen
gar schedlich
sindt
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Inhalts -Übersicht.
Seite
1. Zum ersten: was das yolkamen sey und die teil, und wie man
hin legt die teil, so das yolkamen knmpt 1
2. Was da sond sey, nnd wie man sich keines graten an sol nemen,
wan es allein dem waren gut za gehört 10
S. Wie des menschen fall and ahekere ma£ gebessert werden M
Adams faU 11
4. Wie der mensch darch das an nemen, das er sich etwas gatz an
nympt, tat eyn fall and greyfft gott in sein ere 12
5. Wie man das yersten soll, das man weüJIos, willoü, liebloß und
begirdloß and bekenloß and des gleichen werden soll .... 13
6« Wie man das peste and das edliste allerliebst soll haben, allein
daramb, das es das peste ist 14
7* Von zwein geistlichen aagen, mit den der mensch sieht in die
ewickeit and in die zeit, and wie eins yon dem andemn gehin-
dert wirt 16
S« Wie die seel des menschen, die weil sie in dem leib ist, mag
enphahen einen yorsmack ewiger selickeit [Aiij] 18
9. Wie dem menschen natzer and pesser sey, das er war nem, was
got mit ym wircken wolle oder war za yn got natzen woU,
denn ob er weßte, waz gott mit allen creataren ye gewarcket
hatt oder ymer warcken will, und wie selickeit allein lig an
got und an seinen wercken and nit an der creatare .... 19
10« Wie die yolkamen menschen anders nit begeren denn das sie dem
ewigen gute möchten gesein als dem menschen seyn band ist,
and wie sie yerloren haben farcht der hell und begerung des
hymelreichs 22
Mandel, Tbeologia Deutsch . 4
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— 4 —
Seit«
11. Wie der gerecht mensch yn der zeit in die hell wirt gesetzt und
mag da ynne nit getrost werden, und wie er bxlü der hell wirt
genomen nnd wirt yn das hymelreich gesetzt und mag da
ynne nit betrabt werden 25
12« Was rechter, warer, ynnerlicher frid sey, den Christas seinen
Jangeren zoletz gelassen hatt. (Pf.: 13.) Wie der mensch den
bilden etwan zn fr& arlaab gibt. (14.) Von dreyen graden, die
den menschen faeren za yolkomenheit 2B
13. Wie all menschen in Adam sint gestorben and in Christo wider
lebentig worden, and von warer gehorsam and angehorsam . 31
14« Was da sey der alt mensch, and aach was da sey der new mensch 33
15. Wie man sich des gaten nyt an nemen soll and soll sich des
p($sen schaldig geben, das man getan hat 37
16« Wie das leben Christi sey des edelst and pest leben, das ye wart
and ymer werden mag, and das raachloß, falsch, frey leben das
aller pößt leben 38
17« Wie man za dem waren liecht and za Christas leben nit koMen
mag mit tu fragens oder lesens oder mit hocher nataerlieher
kanst and vemafft, sander mit eim yorzeyhen sein selbs md
aller ding 3»
18. Seider das leben Christi aller natamn and selbheit daz aller bittent
ist, darnmb will die natar es nit an sich nemen and nympt
an sich das raachloß falsch leben, wie es ir das aller beqaem-
lichst and lostigist ist 40
19. Wie ein freont gottes yon anßen wiUicklichen volbringt mit den
wercken die ding, die da sollen and müßen sein, and mit den
abrigen bekomert er sich nit .41
20. Wie der geist gotz etwan eynen menschen besitzt and sein ge-
waltig ist and aach der pöß geist 42
21. Wer got leiden sol and gehorsam will sein, der maß alle ding
leiden, das ist: got, sich selber and alle creatar, and maß in
allen gehorsaz sein in leidender weis and aach etwan in
thnnder weis 44
22. Vier ding gehorent dar za, das der mensch enpfencklich werd got-
licher warheit und besessen werd mit dem heyigen geyst . . 45
23« Von zwein pößen frachten, die da wachsen aaß dem samen des
pGßen geists, and sindt zwo swestemn, die da gemn bey ein
ander wonent. Die ein heist geistlich reichtam and hoffart. Die
ander angeordent falsche freyheit 47
24. Von armnt des geistes and warer demtttigkeit, and wa bey man
soll erkennen die gerechten, geordenten, waren freyen, die die
• .warheit gefreyet hat 48
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25. Wie man das Tersteen sol, das Christas spricht: Man soll alle
ding lassen und Verliesen, nnd war an die war yereinnng mit
gotlichem willen gelegen sey 68
26« Wie nach der yereinong mit gotliehem willen der ynner meuseh
nnbeweglich stat und der anaser mensch her nnd dar bewegt
Wirt 53
27. Wie der mensch vor seim tod dar zu nit komen mag, das er Ton
aussen nnleidenlich und anbeweglich werd 54
28« In welcher weis man komen mag aber weise, ordnong, gesetz
nnd gepott and des gleich [Aiiij] 55
29. Wie man Christas leben nit aaff sol schatten, snnder soll es an
treiben nnd da mit nmb gen bis in den todt 57
30. Wie got ein war, einfeltig, yolkamen gnt ist, and wie er ein
liecht ist and ein yerstentnaü and alle tngent ist, nnd wie
man das aller höchste, pest gnt aller liebst haben soll ... 58
Sl. Wie in eim vergotten menschen die lieb laatter und anvermischt
ist nnd die selb lieb allen creatnren wol lieben and than will
das aller peste 61
32. Sol der mensch za dem pesten komen, so maß er seinen eigen
willen lassen, nnd wer dem menschen hilfft za seinem eigen
willen, der hilfft ym za dem aller pesten 63
33. Wie in einem vergotten menschen wäre, grantlich wesenliche
demnttigkeit sey and geistlich armnt 64
Mm Wie nit anders wider gott sey denn sundt, and was sondt sey 65
35« Wie in got, als er got ist, nit komen mag betrnbnnß, leidt, miß-
vallen and des gleich; es ist aber in einem vergotten menschen 66
36. Wie man das leben Christi an sich nemen soll von lieben and
nit amb Ion and sol es nymer hyn legen oder aaff schatten . . 68
37. Wie got ordnnng, weise, maß and des gleich in den creatnren
haben will, wan er es on creatnr nit gehaben mag, nnd vierley
menschen die Ordnung, die gesetz und die weisen handeint nnd
mit nmbgandt 69
38. Guter unterscheid von dem falschen liecht und seinem eigen . . 71
39« Wie das ein vergotter mensch heisset und ist, der da darchleuchtet
ist mit dem gotlichen liecht und erprant ist mit ewiger
gotlicher liebe, und wie liecht und bekantnuß nit taugent
on liebe 76
40« Ein frag: ob man got müg bekennen und nyt lieben, und wie
zweierley liecht und liebe ist, wäre und falsche 78
41« Wa bey man einen waren vergotten menschen bekennen mag und
was ym zu gehöre, und was eim falschen liecht oder eim
falschen freyen geist auch zu gehör 81
4*
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Seite
42* Wie nit anders wider got sey den eigener will, und wer sein
pestes sacht als das sein, der findet es nicht, nnd wie der
mensch Ton ym selber nichtz gatz weiß oder vermag .... 85
48« Wa Christas leben ist, da ist auch Christas, nnd wie Christas
leben das aller peste and edelst leben sey, das ye ward oder
ymer werden magh 87
44« Wie allein gantz genag and rüge in got sey and yn keiner crea-
taren, and wer got gehorsam will sein, der maß allen gehorsam
sein in leidender weis, and wer got lieb haben wUl, der maß
alle ding lieb haben in eym 87
45. Ob man aach sande lieb soll haben, wenn man alle ding lieb sol
haben 89
46. Wie man etlich ding von g<$tlicher warheit vor maß gelaaben,
ee man kam za einem waren wissen and befinden 90
47. Von eigem willen, and wie lacifer and Adam yon got sindt ge-
fallen darch den eigenn willen. (50.) Wie diß zeit sey ein paradis
and ein vorstat des hymelreich, and ist da ynn nit mer dan ein
baam dem menschen yerpotten, das ist eigen will 90
48. (51.) Waramb got den eigen willen geschaffen hab, wenn er im
als wider ist 91
49. (52.) Wie man die zwey wort yersteen sol, die Christas gesprochen
hatt, das ein : 'Niemant kampt za dem yater dan darch mich' ;
(53.) Das ander: 'Niemant kampt za mir, der yater ziech yn
dann\ Leret er darch sieben Capittel biß an des buchs ende . 92
(54. Wie der mensch in keinen dingen das sin sol sachen weder
in geiste noch in natnr, sander aliein die ere gotes, and wie
man darch die rechten tür, das ist darch Kristam, in sol gen
in das ewig leben.)
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[B] SAnctus Paulus spricht: *wen das volkomen kumpt, 1.
ßo vemichtiget mann dass unvolkommen unde das geteilte.'^)
Nun merck, was ist dass volkumen unnd das geteilte? Das vol-
kommen ist eyn weßenn, das yn yhm und yn seynem wesen alles
begryflfen und beschlossen hatt, und an*) das unnd außwendig 6
dem kein wars weßen *) ist, unnd yn dem alle ding jt wesen
band. Wann*) es ist aller ding wesen unnd ist yn ybm selber
xinwandelber und unbeweglich und wandelt und bewegt alle
andere ding.*) — Aber das geteilte ader das unvolkommen ist
') 1. Cor. la, 10. «) ohne.
') Wesen hier = Sein, Existenz, Leben, nicht = Wesenheit. Quiddität
(in der letzten Ausgabe, s. oben S. 9, richtig empfunden). An der Auflösung
der Qnidditftten der Dinge in Gottes Quiddität — d. i. recht eigentlich der
Pantheismus! — hatte die deutsche Mystik kein Interesse. Ihre Grund«
anschauung ist : Gott ist das Sein der Dinge (Einl. S. 13. 34). AUe Wesen
sind in Gott nicht nach ihrer unterschiedlichen Quiddität — so lehrte
Thomas mit seiner Behauptung der Idealwelt in Gott (Einl. S. 36) — ,
sondern sofern sie Sein und Leben haben — so lehrte man vor (z. B. und
besonders Alexander Halesius, Summa I q. 23 ff. II q. 3. 6) und nach Tho-
mas (ygl zu Sent. Id. 35 ff., Aureolus, Durandus, Occam, Biel n. a.).
M. a. W.: Gott ist es, der die Dinge aus nichts geschaffen hat, die
Macht ihres Daseins und Lebens. Ohne ihn sind die Dinge nichtig. Das
ist das Verhältnis Gottes zur Welt. — Zugleich aber ist in dem Begriff
des Vollkommenen sein Unterschied von ihr angedeutet: er ist nicht dies
oder das, sondern über die Welt der Quidditäten erhaben, schlechthin ein-
fach, vollkommen, weil das Wesen, das, ohne besondere Quiddität und
Selbstheit, schlechthin ist. *) wann = denn.
'») Vgl Aristot. Metaph. ni 8, 1 30f. ; Ap.-gesch. 17, 26. 28. Vgl. Luthers
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— 8 -
das, dass auß difiem yolkommenn geursprungt ist ader wirt,
recht als eyn glast ader eyn schein aufifleust ans der snnnen
adder anß eym liecht und scheint etwas, diß ader das; und
lieisset creatur. ^) — Und aller dißer geteilten ist keins das
6 volkommen. Alßo ist auch das volkommen der geteilten keins.
Die geteiltenn sind begreiffenlich, bekentlich ^) und sprechen-
lich;*) das volkumen ist allen creaturen unbegreififlich, un-
bekentlich und unsprechlich ynn dem*) als creatur. Darumb
nennet man das volkommen „nit",*) wan es ist dißer keins.
10 Die creatur als creatur mag dis nit bekennen noch begreiffen,
genennen noch gedencken.^
Nu wenn dass volkommen kumpt, ßo versmecht man das
geteilte. Wen kumpt es aber? Ich sprich: wenn es, als ferre
als"^) muglich ist, bekant und enpfunden unnd geschmeckt
lowirt yn der seel.®) Eyn Frag. Nu mocht man sprechen: seit
Gottesanschauung z. B. Ww. (Weimar) I 78. besonders aber in .De servo
arbitrio'.
^) Kreatur = das Sein nicht in sich, seinem Wesen nach haben^ Bon-
dem empfangen haben and empfangen.
*) bekennen oft == erkennen ; das ist fttr die ganze Th. D. zu merken.
^) aussprechbar. *) als (qnatenus).
^) d. h. erhaben tlber aUe besondere Quiddität und Selbstheit gegen
andere Großen. Vgl. S. 99,,«; Einl. S. 13; Eckeharts deutsche Schriften,
hrsg. V. Pfeiffer. S. 493, 26; Ö31, 13. •) ausdenken, in Gedanken fassen.
^) als ferre als = soweit als.
**) Hier schiebt Pfeiffers Text ein: wan der gebrechen [d. i. dafi es
daran gebricht] ist aller in nns und nit in im. Wan zu glicher wls, als
die sunne die ganzen weit erlüchtet und einem als n&he ist als dem andern.
sd «cht ir doch kein blinder nit. Aber das gebricht nit an der sonne,
sunder an dem blinden. Und zu glicher wis, als die sunne Iren dftren
schln nit yorbergen mag, si enmüüe [muß] die weit erlüchten (w& anders
der himel gelütert und gereinget ist), also wil sich ouch got, der das hdchtt
gftt ist. Tor nimant yorbergen, wä er anders ein andächtige s^le findet,
die d& genziich gereiniget ist yon allen cr#atüren. Wan als yil wir uns
entledigen yon den cr^atüren, als yil werden wir enpfenklich des schepfers,
und des weder minner noch m#r. Wan sol min ouge etwas sehen, so muß
es gereinget werden oder sin yon allen andern dingen; wan sol hitze uaA
liecht in g^n, so muß yon not wegen kelte und linsternis fts g^: d& ist
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- 9 —
«s nnbekentlich und unbeg:reyfflich ist von allen creaturen
nnd die seel nn creatnr ist, wie mag es den yn der seel be-
kaiit werden? Antwort: darumb spricht man: yn d^n als
creatfir. Dass meinet als vill: die creatner von yr creatur-
licbeit nnd geschaffenheyt; von yr icheyt nnd selbheyt ist es 5
yr onmfiglich.^) Wan yn wilcher creatnr diß volkommen be-
kant werden soll, da muß creaturlicheyt, geschaffenheit, idi-
e3rt, selbheyt verlören werden unde tzu nichte. Dis meint
das wort sant Pauls 'wen das volkommen kumpt, das ist: wenn
es bekant wirt, ßo wirt das geteilt, das ist: creaturlicheyt, 10
geschaffenheyt, icheyt, selbheyt, meinheit, alles verschmecht
und für nichtz nit gehalten/ Alle die weil man von dißen
icht*) heltet und dar anhanget, ßo bleibet das volkommen
unbekant. *)
Nu mocht man auch sprechen: du sprichest: außwendiglö
dißem volkommen oder on es ist nichts ; und sprichst doch, aufi
ym fließ etwas. Was nu ausgeflossen ist, dass ist außwendig
ym? Antwort: darumb spricht man: außwendig ym oder on
es ist nit war weßen. Was nu auß geflossen ist, das ist nit
war wesen und hat kein weßen anders dan yn dem volkommen, 80
sunder es ist eynn zufall *) oder eyn glast und ein schein, der
Sit anders an [das kann nicht anders sein]. — Die UrsprOnglichkeit des
Lvtherschen Textes ist deshalb offenbar, weil der andere die Antwort schon
Torwegnimmt. Aber es ist nicht zu bezweifeln, daß die Einschttbe des
Pf.sehen Textes von gleicher Denkweise zeogen. Inhaltlich ist zn beachten,
dafi Gott unentwegt Gttte ist, daß seine Haitang zum Menschen lediglich
an des Menschen Haitang za ihm liegt. — Büttner bemerkt: eine Al^
lehnang der Gnadenwahl (Prädestination).
') Die Selbheyt -— und das ist die Stbide (s. folg. S.) — ist notwendig
mit der KreatUrlichkeit, d. i. mit der des Menschen, des selbstbewafites
Geschöpfes, yerbonden.
«) = etwas (Pf.).
') Also: Gotteserkenntnis identisch mit dem der natürlichen Ichheit
entgegengesetzten persönlichen Grundverhalten.
*) 'Wesen — ZafaU' nicht = Snbstanz — Accidenz (Büttner), sondeni :
kein wahres Wesen d. h. kein solches, das seinem Begriffe nach sein müite,
indem es vielmehr sein Wesen (= Sein) in einem anderen hat (in demWeeea,
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— 10 —
nit wesen ist oder nit wesen hatt anders dann yn dez *) fewr,
da der glast auß fleusset, als yn der sunnen ader yn eym liechte.
2« I.a. Die geschrifit und gelaub und warheit spricht: Snndt
sey nit anders, dan das sich die creator abkert von dem nn-
5wandelhaftigen gnt nnnd kert sich zu dem wandelberen, dass
ist: das sie sich keret von dem yolkommen tzu dem geteilten
und unvolkommen und allermeist zu yr selber.*) Nu merck:
wenn die creatur sich an nympt') etwas gutz alß wesens,
lebens, bekennens, yermugens unnd kurtzlich alles des, das man
10 gut nennen soll, das sie das sey oder das es yr sey, ßo kert
sie sich ab. Was tett der teuffei anders, oder was was seyn
abkeren oder seyn yall anders, wan das er sich annam, er
wer auch etwas und wolt etwas seyn, und etwas wer seyn
und ym gehöret auch etwas tzu?*) Diß annemen und seyn
das seinem Begriffe nach Sein nnd Leben hat); demgegenüber ZnfaU: daß
die Kreaturen ihrem Begriff oder Wesen nach anch nicht sein können.
^] Dafür ist 'dem' zn lesen.
*) „allermeist zn ihr selber'', das ist bezeichnend für die Th. D.
nnd in aUen folgenden Ansführnngen entscheidend. Vor der Th. D.
war die Sünde kosmisch oder psychologisch begriffen: als Zuwendung
zur sichtbaren, yergänglichen Welt (Augustin) oder als verkehrtes Ver-
hältnis von Bestandteilen der menschlichen Natur (Unbotmäßigkeit des
sinnlichen Teiles gegen den Geist). Hier ist die Sünde wesentlich Selbst-
Hebe; und der Maßstab des Sttndenbegriffs liegt, wie wir weiter sehen
werden, weder im Verhältnis zu zwei Welten noch in der Psychologie,
sondern in einem Verhältnis von zwei Willen : dem göttlichen, der der Be-
stimmungsgrund, das Subjekt des menschlichen Willens sein wiU und dem
menschlichen WiUen (der yon Natur selbst Herr und Subjekt sein wiU).
*) eines Gutes annimmt, als da ist:
*) Die Neuheit des Sündenbegriffs zeigt der Vergleich mit des Teufels
nnd Adams Sünde. Von der Art der letzteren wußte man auch vorher, man
bestimmte sie als Hochmut und Selbstliebe. Und wo Augustin von diesem
Hochmut redet, kann man ähnliche Ausführungen lesen wie hier. Aber
Selbstliebe und Hochmut war nur die Sünde des Anfangs (Adams FaU)
oder rein geistiger Wesen (Teufel) ; von ihr zu unterscheiden war die gegen-
wärtige, der menschlichen Natur eigentümUche Erscheinungsform der Sünde :
die Konkupiszenz, sei es im Sinne der kosmologischen oder der psycho-
logischen Ethik.
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— 11 —
ich und seyn mich und seyn myr und seyn mein, das was
seyn abkeren unnd seyn vall. Alßo ist es noch. [Bij] Was thet8«
Adam anders dan dasselb? Mann spricht: darumb, das Adam
den Apffel aß, wer er verloren ader gefallen. Ich sprich: es
was umb seyn annemen und umb seyn ich, meyn, myr, mich, 6
und nmb des gleich. Hett er sieben apflfel gessen nnd wer
das annemen nit gewesen, er were nit gefallen. Aber do das
annemen geschach, do was er gefallen und hett er nye keyns
öpfels enpissen.
Nu dar! ich byn hundert mal tieflfer gefallen und verrer ')10
abgekert dan Adam, und Adams vall unnd seyn abkeren möchten
alle menschen nit gepessern oder widerbringen. Oder wie sol
er *) gepessert werden ? Er muß gepessert werden als Adams
und von dem selben, davon adams val gepessert warte und
yn der selben weiße. Von wem oder yn wilcher weis geschach 16
die pesserung? Der mensch mocht nit on gott und got solt
nit on menschen. Darumb nam got menschlich natur oder
menscheyt an sich und ward vermenscht, und der mensch
wart vergottet. Alda geschach die pesserung.*)
Alßo mueß auch meynn fall gepessert werden. Ich vor- 20
mag seyn nit on gott und got ensoU oder enwill nit on mich.
Bann soU es geschehen, ßo muß gott auch yn myr vermenscht
werden, alßo das got an sich nem aUes das, das yn myr ist,
von ynnen und von außen, das nichtz nit yn myr sey, das
got widderstrebe oder sein werck Jiinder. Das*) got alle 26
menschen an sich nem, die da sindt, und yn yhn vermenscht
wurde und sie yn yhm vergottet, und geschech es nit yn myr,
mein fall und mein abkeren wurd nymer gepessert, es geschech
dan auch yn myr.*)
') weiter, entfernter.
•) Pf. richtig dafür: mein Fall, und st. oder: Aber.
*) Heilsgeschichtliche Gegenüberstellung von Adam nnd Christas; die
bedeatsame Art der deutschen Christologie s. Einl. S. 41.
*) hier = wenn, ob.
*) Hier zeigt sich schon die eigentümliche, nicht befriedigende deutsche
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— 12 —
Und yn dißer widerpringung und pesserung kan ich oder
mag oder soll nichtz nit dar zn thun, snnder eynn ploß laatter
leiden, alßo das gott allein thn und wurck unnd ich leide yhn
und seyn werck und seinen willen.^) Und darumb das ich
ödas nit leiden will, sunder mein und ich und myr und mich,
das hindert got, das er nytt allein und anhinternns gewürcken
mag. Darumb bleibet auch mein fall und mein abker un-
gepessert. Sich, dis thut aUes meynn annemen.*)
4« Gott spricht: *Ich will mein ere niemantz geben.'*) Das
lOmeynet er alßo vill, das ere unde glorie gehört niemantz zu
dan got alleyn. Wan ich mich nu etwas gutes annhem, alflo
das ich sey oder vermag oder wiß ader thu adder das es meyn
sey ader von myr adder das es myr zu gehör ader mjrr sol *)
oder des gleich, ßo nem ich mich auch etwas rumes und eren
16 an und thu zway ubell. Zum ersten eynen fall und eyn
abkeren, als vorgesprochen ist. '^) Zum andermal greiflF ich
got yn seyn ere und nym mich des an, das got aUeyn zu-
gehört. ®) Wan alles das, das mann gut nennen soll, das ge-
Heilslehre : der Mensch soU wie Christas werden ; Christas hat nur die Be-
dentong, der Typas des Heilsweges eu sein, das Heil in Person daneusteilen.
Das Ideal wird unmittelbar zar Nachfolge gepredigt. Es wird nicht darauf
geachtet, daß gerade die tiefe Erfassung des Ideals die Sünde erkennen
lehrte und daß die Sündenerkenntnis den Zorn Gottes (s. S. 62 A. 3) empfinden
läßt und zur Versöhnung, zur Vergebung drängt. Die Vergebung ist in
ihrer grundlegenden Bedeutung nicht erkannt.
*) Gott ist in mir, ohne ihn habe ich kein Dasein oder Leben; so
kommt es nicht darauf an, daß ich mich zn ihm als einer außer mir be-
findlichen, mir gegenständlichen Größe in Beziehung setze, wie nach der
dualistischen Gottesanschauung der offiziellen Theologie (Einl. S. 36), sondern
daß ich ihn leide, mich ihm lasse. Dies hat Luther unermüdlich betont.
*) daß ich mich meines Tuns und Seins annehme. Sich = Siehe.
«) Jes. 42, 8. 48, 11. *) gebühre.
^) ein Abkehren von dem richtigen Znstand: daß man Gott als den
Schöpfer als die Macht alles Seins anerkennt (cap. 2); insofern verschieden
von dem folgenden tJbel.
®) Auch hierzu wären viele Parallelen bei Luther möglich : vgl. I 78,
2 ff., 16 ff.; 126, 0-8; 193, 11—24.
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— 13 —
hört niemant zu dan allein der ewigen waren gute, und wer
sich des an nympt, der thut unrecht und widder ^ott.
Etlich menschen sprechen, man sol weißlos, ^) willeloßS.
und liebloß und begirdloß und bekenneloß *) und des gleychen
werden. Das ist nit alßo, das yn den menschen keyn be- 5
kantnus sey oder got yn ym nit bekant wert oder geliebt oder
gewolt werde ader begert ader gelobt adder geeret. Wann
das wer eyn groß geprech, unnd der mensch wer als eyn vidi
ader als eyn rindt. Sunder es sol davon komen, das das
bekentnus als lautter und alßo volkommen sey.*) das da be-lO
kant werde, dass dasselb bekentnus des menschenn adder
doch der creatur nit ist,^) sunder es ist des ewigen bekent-
nusse*), das das ewig wort ist. Sich ßo ghet der mensch
ader die creatur hyn dan und nympt sich des nit an.
Und ßo sich des bekentnus die creatur ye mynder an 16
nympt, ßo es ye volkomner wirt. Alßo ist es auch umb den
willen und die liebe und begerunge und was des ist. Wan
') ohne Weisung.
*) 8. S. 8 Anm. 2. Das Ganze die Meinung des Quietismus, dessen
Ideal nicht positiv die ZurückfOhrung aller Güter auf Gott ist, sondern
rein negativ: Aufhören aUer Aktivität. Dieser Quietismus konnte ver-
mutet werden, wenn Eckehart und Tauler von einem StiUestehn aller Seelen- .
krftfte und Eingehen in den Seelengrund redeten, wo alle einzelne, konkrete
Bestimmtheit aufhört.
') Statt: 'das da — ßo gehet' Pf.: das er eigentlich in der wärheit
hekenne, das er von im selb» nicht gutes hab und vormuge und das aUe
sin bekentnis, wlsheit und kunst, sin wille, liebe und gute werk von im
nit komen und ouch des menschen nit sin noch einer cr^atür, sunder das
es aUes ist des Ewigen gotes, von dem es alles komet, als Eristns selber
«pridit 4r mugt &ne mich nicht gutes getün.' Es spricht ouch sanctus
Paulus Svas hästu gutes, das du nit von got genomen hast?' als ob er
sprühe : nichts. So du nu alle dink von got enpfangen hast : was rümestu
dich dan, als ob du es nit genomen hütest? Er spricht ouch m6r *wir
mugen von uns selber nicht gutes gedenken, sunder unser volkomenheit
ist von got.' So nu der mensche dise dink eigentlich in im erkennet, so
^t — Die SteUen sind Job. 16, 5; 1. Kor. 4, 7; 2. Kor. 3, 5.
*) Dem Menschen oder der Kreatur nicht gehört.
*) Des Ewigen Bekenntnis.
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— 14 -
ßo man sich difier mynder annympt, ßo sie edler und lauterer
und gotlicher werdent; und ßo man sich [B iij]yr ye meher an-
nympt, ßo sie ye grober und vermengter und unvolkomner
werden. Sich, alßo soU man dißer loß werden: das ist des an
önemens. Wen mann alßo dißer loß wirt, das ist das edliste
und lautriste bekenntnus, das yn dem menschen geseyn mag,
und auch die edliste, lautriste liebe unnd begerung; wan dis
ist den alles gottes alleyn. Es ist besser und edler, es sey
gottis wan der creaturen.
10 Das ich mich icht gutes an nem, das kumpt von wone ^)
es sey mein ader ich sey es. Were die warheyt*) ynn myr
bekant, ßo wurdt auch bekant, das ich es nit enpyn') adder
meyn nit ist noch von myr und des gleich, und ßo viel das
an nemen selber ab. Es ist pesser, got wert bekant ader des
löseynen, als vil es muglich ist, und geliebt und gelobet und
geeret, und das doch der mensch wene, er lob oder liebe got/)
wan das got zumal ungelobt, geliebt,*) ungeert und unbekant
were. Wan ßo der wone und unwissenheytt tzu eym wissen
unnd bekantnus der warheyt wirt, ßo velt das annemen ab.
20Szo spricht der mensch: 'sich, armer thore! ich wonte,*) ich
wer es, nu ist es und was werlich gott.'
6. Eyn Meister, Boetius') genant, spricht: 'das wir nit das
peste lieb han, das ist von geprechen.' Er hat war gesagt:
das peste solt das liebst seyn, unnd yn dißer lieb solt nit an-
26 gesehen werden nutz adder unnutz, frum ader schaden, gewyn
>) Meinung. *) d. i. eben der Schöpfungsbegriff Einl. S. 13. 34.
*) en ist Negation, pyn = bin.
*) Es ist besser^ Gott werde . . . geliebt . . . selbst wenn der Mensch
wähnte, er sei es, der Gott lobe und liebe, als daß Gott . . ., denn bei
Erkenntnis der Wahrheit fäUt dies Annehmen von selbst ab. Hierauf liegt
der Nachdruck. Für das Ganze ist der Gegensatz zum Quietismus im Auge
zu behalten. ^') ungeliebt (Pf.) *) glaubte.
') Boethius, der edle letzte Vertreter der alten Philosophie (f 525)
schrieb im Gefängnis vor seiner Hinrichtung 5 Bb. „über die Tröstung der
Philosophie** (bei Keciam), welche eine der für die Scholastik grundlegenden
Schriften wurde ; insonderheit deshalb, weil sie die Begründung des Gottes-
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- 16 —
oder vertust, ere ader unere, lob ader nnlob oder dißer keins.
Sander was yn der warheit das edliste and das peste ist, das
solt das liebste sein und nit anders denn amb das, das es
das pest und das edlist ist. Hernach mocht eyn mensch seyn
leben richten von aassen und von ynnen. ^) 5
Von außen: wan unter den creaturen ist eyns pesser
den das ander, darnach das das ewig gut ynn eym mer ader
mynder scheinet und wurcket den yn dez andern. Yn welchem
nu das ewig gutt aller meyst scheinet und leucht und wurcket
und bekant und gemeinet wirt, das ist auch das peste unter lo
den creaturen ; und yn welchem allermynst, daz ist auch das
mynste gut. Szo nu der mensch die creatuer handelt und
damit umbget und dißen unterscheidt bekennet, ßo soll ym
die pest creatur die liebst sein unde sol sich zu der halten
und sich veresmigen, und allermeyst mit den, die man gotti5
tzu eygent, das sie got tzu gehörent oder gottis sind, Als gut
glanbens auf die natürliche Art des Menschen in klassischer Weise aus-
fOhrte. „Alles Dichten und Trachten der Menschen schlage zwar äußerlich
verschiedene Wege ein^ habe aber schließlich doch ein Ziel : die Glückselig-
keit Diese wird dorch das höchste Gnt herbeigeführt, das aUes Be-
gehrenswerte in sich enthält; fehlte ihm aach nur das geringste, so wäre
es nicht das höchste Gnt^ Dieses gesuchte vollkommene Gnt kann in den
geteilten und relativen Gütern der Welt nicht gefanden werden. Das
höchste Gut zn sein und das natürliche Streben des Menschen nach Glück-
seligkeit zu befriedigen, das ist die Bedeutung Gottes! Diese individua-
listische , eudämonistische Beligionsanschauung war der Scholastik durchaus
geläufig. Wie ganz anders die Th. D.! Der Gottesglaube hat nach ihr
gerade die Bedeutung, die subjektivistische Begehrlichkeit und Selbstliebe
zu ertöten. Gottes Wesen kann nicht anerkannt werden, wenn nicht unter
Preisgabe aller Selbstheit, Meinheit usw. Die Beligion sticht hier vielmehr
den Star für die Objektivität, die die Selbstliebe verkennt (s. Einl. 40). —
Die hier angezogene Stelle ist Buch 3 Prosa 2, 3: es ist dem Menschen die
Begierde nach dem wahren Gut von Natur eingepflanzt ; sed ad falsa devius
error abducit. Wiefern die Th. D. sich diesen Satz zu eigen machen konnte,
dürfte offenbar sein.
*) 1. *Von außen^ oder das vollk. Gut in den Kreaturen, vgl. auch
Kap. 55, Abschn. 2. 2. Von innen oder das vollk. Gnt an sich selbst, vgl.
Kap. 56, Abschn. 1.
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und warheyt frid, lieb, gerechtickeyt unnd des gleich. Hie
hernach solt sich der ausser mensch richten, und was di£em
Widder were, das solt man verschmehen und fliehen.
Aber ßo der ynner mensch einen übersprang thet und
5 sprang yn das volkommen, ßo fand man und schmackte, das
das Yolkummen on maß und an end und zal edler und pesser
ist. über alle unvolkommen und geteilte und das ewig über das
zergencklich und der prann und Ursprung über alles das, das
dar außfleust oder gefliessen mag. Szo wurden die unvolkumen
10 und die teile absmeckig^) und vernicht. Dasmerck: soll das
edliste und das peste das liebste seyn, ßo muß diß geschehen.
7. Man^) soll mercken, das man lißet und spricht, die sele
Christi hett zway äugen, ein recht aug unnd ein lingk aug.*)
In dez anbegyn, do sie geschaffen wart,^) kert sie das recht
16 aug yn die ewigkeit und yn die gotheit und stund da ynn
volkumner beschawung und gebrauchung gottlichs wesens und
gotlicher volkumenheit unbeweglich und blibe do unbewegt
und ungehindert von allen zufellen unnd arbeit und bewegung,
leydes, martyr, peyn, die yn dem äußern menschen ye ge-
20 schaben. Mit dem lincken aug sähe sie yn die creaturen
und erkant da^) und nam da unterscheidt yn den creaturen,
was das pesser oder unpesser, edler oder unedler were, und
*) nnschmackhaft. *) A — : Man — das.
») Vgl. Eckehart, hrsg. v. Pfeiffer, z. B. 59, 4 (488, 30). Was im
vorigen anderer und innerer Mensch ist, sind jetzt die zwei Augen.
*) D. i. offenbar der kreatianisch gedachte Anfang des irdischen Da-
seins Christi. Es ist von hier ans auf Lengnnng der immanenten Trinität
geschlossen (Reifenrath S. 53). Und in der Tat ist zu fragen, wo der vor-
zeitliche Logos bleibt? da die in der Zeit erst erschaffene Seele Christi
nach dem Folgenden der Träger der Gottheit ist. Allerdings könnte die
Th. D. noch antworten: die göttliche Natur, in deren Gebrauchung die
Seele Christi stehe, sei gerade der Logos. Jedoch ist richtig, daß die Christo-
logie der Th. D. — Gott der Wille, der in der Menschheit Christi als bloßem
Hanse wohnt, durchaus nach Maßgabe des sittlich-religiösen Ideals gedacht
— über den Logos hinwegfiihrt und Gott selbst in Christus sieht — Büttner
macht darauf aufmerksam, daß „geschaffen'^ soviel bedeutet wie endlich.
*) Pf. f: alle Ding.
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darnaeh ward der ausser mensch Christi [B iiij] gerichtet. AlSo
stund der jmner mensch Christi nach dez rechten aug der sei yn
Yolkomner gebrauchung gotlicher natur, yn volkomner wunne
und frewde. Aber der ausser mensch und das lingk aug der
sele mit jm yn volkumnen leiden und iamer und arbeit. Und 5
di£ geschach alßo, das das ynwendig und das recht aug un-
bewegt und ungehindert und unberärt bleyb von aller der
arbeyt und leyden und marter, das yn dem äussern menschen
geschach.^) Man spricht, das Christus an der seul gegeßelt
ward oder an dem Creutz hing nach dem äussern menschen^io
da stund die sele oder der ynner mensche nach dem rechten
aug yn alßo volkomner gebrauchung wonne und frewde, als
nach der hymelfart oder als itzund. Szo ward auch der
außer mensch oder die sele nach dem lincken aug yn yren
wercken yn allem dem, das yr zugehört, tzu der außwendig-15
keyt nie gehindert oder gemindert von dem ynwendigen; yr
keins wartet auflf das ander.
Nun hat die geschaffen sele des menschen auch zwey
äugen. Das eyn ist muglichkeyt zu sehen yn die ewigkeyt;
das ander, zu sehen yn die tzeit und yn die creaturen, dar- 20
ynn unterscheid zu erkennen, als vor gesprochen ist, und dem
leybe leben zu geben. Aber diße zwey äugen der sele des
menschen mügen *) nit mit eynander yr werck geüben. Sunder
sol die sele mit dem rechten aug ynn die ewickeyt sehen, ßo
muß das linck aug aller seyner werck verzeyhen^) und sich 25
halten, als ob es tod sey. Und soll das linck aug seyn werck
äben nach der außwendigkeyt, das ist die zeit und die crea-
») Nach der Christologie der Th. D. (s. 8. 32 A. 1), welche die Gottheit
ChriBti nach ihrem ethischen Ideal d. h. als schlechthinige Bestimmtheit
dnroh Gott vorstellte and von der natnrhaften Auffassong nichts wußte,
war es unmöglich, Christas' persönliches Leben als von Gbtt verlassen zn
denken. Die Voranssetzang aber znm Verständnis der von der Christo^
logie aas aUerdings nicht za erwartenden und nar als Tatsache hinnehm-
baren Gottverlaseenheit, das Bedürfnis nach Versöhnang, fehlte der deatschen
Theologie. *) können. ') verzichten auf.
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turen handeln, ßo mnß daz recht aug gehindert werden ^) an
seiner beschawnng.*)
S. Man fragt, ob es müglich sey, das die sele, die weil sy
yn dem leyb ist, müge dar zu kommen, das sie thn ein
öanplick yn die ewigkeyt nnd da entphach ein yorschmack
ewiges lebens nnd ewiger selickeyt? Man spricht gemeyn-
lichen neyn. Und das ist war yn dem synne: All die weil
die seel eyn sehen hat anff den leib und die dingk, die dem
leib zu gehören, und auff die tzeit und sunst auff die crea-
10 turen und sich damit verbildet unnd vermanigvaltiget, ßo mag
es nit geseyn. Wan sol die sele da hin lügen ader sehen,
ßo muß sie lautter und bloß seyn von allen bilden*) und ab-
gescheiden von allen creaturen und zu fodrist von yr selber,
ünnd dis meynt man, es sey nit geschehen yn der tzeit.
16 Aber sanctus Dionisius*) der wil es möglichen;*) das
meint man auß seynen Worten, die er schreibt zu Timotheo : ^
zu der schawung gotlicher heymlichkeyt soltu lassen synn und
synlicheyt und alles, was synne begreiflfen mögen und ver-
nufft, vernuftichliche wurckung und alles, dass vemufft be-
20greiffen und bekennen mag, geschaffen und ungeschaffen, und
stand ') auff jm eym auß gang deyn selbs und yn eym unwissen
') Pf. t : an sinen werken, das ist.
') Pf. f : Dar nmb wer eines haben wil, der müs das ander laßen faren,
wan es mag nimant zwein herren gedienen. Über die Beschanong als
für die Denkweise der Th. D. unwesentliches Besidnum des katholischen
Beligionsbegriffes Einl. S. 38.
') Bilder, d. h. Anschauungen, Begriffe der Dinge. Statt „von aUen
bilden^ A: und von allen geladen.
*) A: „Der ein jünger ist gewesen deß außerweiten vas (Gefässes)
sancti Pauli, der es in der höchsten schule gelernt hat". Dionysius Areo-
pagita, nach Apg. 17, 34, nannte sich der Vf. von anfangs des 6. Jhrhdts
bekannt werdenden griechischen Schriften „über die himmlische Hierarchie**,
über die kirchliche Hier.", „über die göttlichen Namen" und „über die
myst. Theol." *) möglich machen.
^) A: „Freund Timothee"; die Stelle steht in der letztgenannten
Schrift, Kap. 1 § 1, in Mignes Patrologie Ser. gr. I, tom. 3 p. 1015 A B
Ser. lat. II, tom. 122 p. 1173A. ') Imperativ.
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alles diß vorgesprochens und kam yn die eynunge^) des, das
da ist über all weßen und bekentnus. Hielt er*) dis nit flir
mfiglich yn der zeit, waramb lernet er es adder redet eym
menschen yn der tzeit? Auch sol man wissen, das eyn Meister
spricht über sant Dionisius wort, das es muglich sey, und das 5
es auch einem menschen alßo dick') geschech, das er daryne
Wirt verwenet,*) das er das luget ader sehe, als dick*) er will.^)
Und der plick') ist kejTier, er sey edler und got lieber und
wirdiger denn alles das, das alle creatur geleisten mSgen
als creatur.*) 10
Man sol mercken und wissen yn gantzer warheyt, das 9.
aUe tugent und gut und auch das gut, das gott selber ist,
machent den menschen und die seel nymer tugentsam, gut
oder selig, die weil es außwendig der seel ist.®) In gleicher
*) A: ein eingang.
*) A : sant Dionisius der Jerarchischlerer (Jer. = Lehrer), vgl. vor. S.
Anm. 4. ') dick = oft.
*) Statt „verwenet" (d. i. verwöhnt) u. ff. A: bekennend das er
darplicket, als dick er will. *) so oft.
*) Dieses Wort eines Meisters über das dionysische Zitat habe ich
nicht feststeUen können. Pf. f : Wann denne dem ein dink zu dem Ersten
vast swdr ist und fremde und in ganz unmuglich dunket, tut er dan aUen
sSnen fliß und ernst dar zu und vorharret dar inne, so wirt im dar nÄch
gar IScht und geringe, das in vor unmuglich düchte. wan es touc (taugt)
kein anfank, er hab dan ein gut ende.
^ Der das vollkommene Gut nicht nur in den Kreaturen, sondern an
sich erkennt.
•*) Pf. f : Als balde dan der mensche wider in keret mit slnem gemüte
und mit ganzem willen und sinen geist in keret in gotes geist über die
zit, so wirt das alles wider bracht in einem ougenblicke, das e vorloren
wart. Und mocht das der mensche zu tfisent malen in dem tag getün, so
würde da allezit ein newe wäre voreinunge; und in disem liebUchen und
gotllchen werke d& ist die wäreste und lüterste voreinunge, die in diser
zit immer gesin mag. Wan wer dar zu komet, der fragt nit vorbai>
(weiter), wan er h&t gefunden das himelrich und das 6wig leben üf erden.
^) Pf. t : das ist, die wile er mit sinen sinnen und vornuft üswendig
umb gH und nit in sich selber k^ret und lernet erkennen sin eigen leben,
wer und was er sS. — ^Auswendig der Seele': wenn es bloß in den
Mandel. Tbeolo^ia Deutsch. 5
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weys ist es auch umb die sundt ader boeßheyt.^) Dammb
wie wohl es gut ist, das man fraget und erfert und auch
bekennet wirt, was gut und heylig menschen^) getan und
gelitten haben ader wie sie gelebet habenn und auch was [C]
ögott yn yhn und durch sie gewurcket hab und gewolt, doch
were es hundertfeltig peßer, daz der mensch erfure und er-
kennend wurde, was und wie sein eygen leben were und
auch, was gott yn ym were und wolte und wurckte und wo
zu yn got nutzen wolt oder nit.*) Darumb ist es auch noch
10 war, wan man spricht: Es ward nie außgang ßo gut, ynne
bleiben wer peßer/)
Kreaturen gesehen wird; oder ist an den Dualismus der katholischen An-
schauung von dem Verhältnis Gottes zur Welt gedacht?
*) Pf. f: Wan aUe snnde und hösheit machen uns nimmer böse, die
wUe si ÜBwendig uns sint, das ist : die wile si Ton uns nit vorbrächt werden
und als lang wir dar in nit vor willigen.
') Darunter könnte man auch an Christus denken, sofern die deutsche
Heilslehre den Christus für uns nicht kennt. Der Anlaß zu dieser Polemik
ist aber darin zu sehen, daß die verbreitetste Volkslektiire im MA. die
Heiligenlegenden waren; auch die Predigt erging sich in ihnen.
*) Pf. t : Wan wer sich selber eigentlich wol erkennet in der w&rheit,
das ist über alle kunst (auch = Wissenschaft im MA.), wan es ist die
höchste kunst ; so du dich selbs wol erkennest, so bistu vor got besser und
loblicher, dan das du dich nit erkentest, und erkentest den louf der himel
und aller plannten und sterne und euch aller krüter kraft und alle com-
plexion und neigunge aller menschen und die nätür aller tier und h^st
ouch dar in alle die kunst aller der, die in himel und üf erden sint. Wan
man spricht, es s! ein stimme, von dem himel komen: 'mensche, erkenne
dich selber.' — Wo man jene Stimme als himmlische bezeichnet, oder nach
Pf., der das Komma fortläßt, sagt: es sei eine Stimme vom Himmel ge-
kommen . . ., dürfte kaum festzusteUen sein.
*) Das religiöse Verhalten als Innebleiben beschreiben, kann nur die
Th. D. Augustin redet von einem Gott anhangen. Diese verschiedene
Formulierung ist bezeichnend für die Lebendigkeit Gottes in der empirischen
Welt hier, für den Deismus und Dualismus dort und in der offiziellen
katholischen Theologie. Daher ist das religiöse Verhalten hier bloßes,
passives Schmecken und Empfinden, dort Willensanstrengung und Leistung.
— Wenn es im folg. heißt: Gott sei in der Seele, so ist das auch nach
dem Schöpfungsbegriff auszulegen. Ob das nicht auch der verständige
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Auch^) ist zu wissen, daz ewige seligkeyt an ym allein
ligt und an nicht anders. Und sol der mensch oder seel
selig seyn oder werden, ßo wü und muß das ein allein yn der
seel seyn. Nu mocht man fragen : was ist aber dis eyn ? Ich
sprich: es ist gut oder gut geworden,^) und doch weder dis 5
gut noch das, das man genennen, bekennen oder gezeigen
kan, sundernn^ alle und über alle. Auch darff das nit yn
die seel kummen, wan es bereyte dynnen*) ist. Es ist aber
unbekant. Wen man spricht, man soll dar tzu kommen oder es
sol yn die sei kommen, das ist alßo vill: man soll es suchen, 10
enpfinden und schmacken. Und seyt es nu eyn ist, ßo ist
auch pesser eynickeyt und einfeltickeit den manigfeltickeit.
Wann selickeyt ligt nit an vil oder vilickeyt, sundern an eyn
und eynickeit.'^) — Auch ligt selickeit, kurtzlich zu sprechen,
an keyner creatur oder creatur werck, sunder allein an gotlö
Sinn der Reden vom Grunde der Seele u. dgl. bei anderen Vertretern der
deutschen Mystik ist? -—
Joh. Agrikola führt die Sentenz oben unter seinen 750 deutschen
Sprichwörtern an (Nr. 720) und legt sie in seiner Weise aus, ohne Rück-
sicht auf den Zusammenhang.
*) A — : „Auch — und eynickeyt".
*) D. h. zum Guten erst geworden ; denn seinem Wesen nach ist Gott
über aUe Bestimmtheit erhaben, auch über die des Gutseins; vgl. S. 8 A. 5;
Büttner verweist auf Eckeharts Schriften, seine Ausg. I S. Id6.
») Pf. f: es ist.
*) Darinnen. Mein innerstes Sein und Aktualität steht in Gottes
Hand, ist von ihm, und er ist in der innersten Aktualität der Wirkende
und Wollende. Vgl. Kap. 48, 2 f.. wie Gott gerade den Willen zu seinem
Besitz haben will.
^) Bei dieser Ausführung, daß Seligkeit an Einem und Einheit liege,
könnte man daran erinnern, daß nach den Mystikern die Vereinigung mit
Gott nicht an den einzelnen Seelenkräften, sondern an dem Einen Grand
der Seele liege (Büttner). Richtiger aber erscheint mir der Hinweis darauf,
daß in der Scholastik das Gute wie mit dem Sein so auch mit dem Unum
einsgesetzt wird [bonum et unum convertuntur, z. B. Thom. Aqu. S. th. I
q. 11). Auch dies nach Boethius, nach dem die einzelnen Güter an sich nicht
das wahre Gut sein können, sondern nur wenn alle in Einem, z. B. mit
der Zufriedenheit zugleich Macht, Achtung, Ruhm und Vergnügen gegeben
5*
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und an seinen wercken. Darnmb solt ich aUein gottis und
seines wercks warten und laßen alle creatuer mit allen yren
wercken und zu fodrist ') mich *) selber. Auch alle die werck
und wunder, die got ye gewurckt hat oder ymer mehr ge-
öwurcken mag in oder durch alle creaturen oder auch gott
selber mit aller seyner gut, als ferr es außwendig myr ist
und geschieht, ßo macht es mich nit selig. Sunder als vill
es jm myr ist und geschieht und bekent und lieb gehabt wirt
und enpfunden und gesmackt wirt.
10. Nu sol man mercken. Wo erleuchte menschen sind mit
dez waren liecht,*) die bekennen, das alles, das sie begeren
oder erwelen mügent, nichtz ist gegen dez, das von allen
creaturen, yn dem als creatur, ye begert oder erweite noch
bekant wart.*) Darumb lassen sie alle begerung und erwelung
16 und befelhen und lassen sich und alle dez ewigen gute.*^) —
sind. Einheit und Güte sind identisch. A. a. 0., 1. 3 pr. 11. Daß die Th. D.
aber nicht die endämonistische Auffassung des Gottesbegriffs teilt, sondern
sie gründlich verwirft, dürfte weiterhin klar werden.
') zn vorderst. *) A: meine.
^) Es wird zu diesem Wort abgelehnt, daß die Th. D. von anmittel-
barer Einwirkung Gottes auf die Seelenvermögen wisse (Büttner). Aller-
dings ist für ein solches Eingreifen Gottes in das Seelenleben, nach Art
seines sonstigen Wunderwirkens in der Welt, in der Th. D. keine StÄtte.
Die Th. D. hat die Religion anders begriffen: sie besteht darin, daß ich mich
an Gott lasse. Er ist in allem wirksam, als der innerste Seins- und Lebens-
^mnd. Die Frömmigkeit besteht darin, daß ich mich schlechthin hingebe
(1. i. im Glauben Gott setze. Wenn das geschieht, so ist fortan der
glaubend gesetzte G^tt der Bestiromungsgrund des Menschen. — Das wahre
Licht als „Befruchtung der Erkenntnis von der Seeleneinheit her" zu ver-
stehen (Büttner), sagt nichts über den Inhalt des Lichtes und ist insofern
zu beanstanden, als tatsächlich der Beligionsbegriff in der Th. D. aus dem
(allerdings von der Religion erst begründbaren) Schöpfungsbegriff gewonnen
ist. Das wahre Licht ist der Schöpfungsglaube.
*) d. i. das höchste Gut. Dieses oder das Gute schlechthin wurde
im MA. u. a. definiert: Gut ist, was alle Dinge (omnia) erstreben, z. B.
Thom. Aqu. S. th. I q. öa. 1, auch dies nach Boethius 1. 3 pr. 11.
*) Diese Folgerung ist der deutschen Denkweise durchaus eigentüm-
lich. Die genuine Forderung, die sich von der Idee des höchsten Gutes
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Dennocht bleibt yn yhn ein begerung, yn selbs zu einem vort-
gang und nehunge*) zu dem ewigen gute, das ist: zu einer
nehern bekentnuß und hitziger liebe und clarer beheglicheit *)
und gantzer untertenickeit und gehorsams, alßo das eyn yeg-
lich erleucht mensch mag sprechen : 'Ich wer gernn dez ewigen 5
gut als dem menschen seyn band'*) und furchtent alletzeit,
das sie dez nit genug sein, und begerent auch aller menschen
selickeyt. — Und dißer begerung Stent sie ledig und nement
sich yr nit an. Wann diße menschen bekennent wol, das diße
begerung des menschen nit ist, sunder der ewigen gute. Wan 10
aUes, das gut ist, des sol sich niemant an nemen, sunder ewigen
gute gehört es alleyn zu.
Auch Stent diße menschen yn einer freyheit, alßo das sie
vorlören haben förcht der pein oder helle und auch hoffnung
lones oder hymelreichs, *) sunder sie lebent yn lautter unter- 16
tenickeit und gehorsam der ewigen gute, auß einer freyen liebe.
Das ist in Christo gewesen yn volkumenheit und yn seynen
nachvolgernn, yn dem eynen mer, ynn dem andern mynder.
Es ist iamer, das uns das ewig gut auff das aller edlest
weiset und reitzet und wir das nit wollen. Was ist edler 20
wan wäre geistliche armut? Und wenn uns das vorgehalten
aus ergibt, ist vielmehr die, seine Handlungen auf das höchste Gat ain
Endzweck hinzuordnen, das Gat also zu erstreben. Hier der genaue
Gegensatz. *) Fortschritt and Näherung. *) Wohlgefallen.
') Die Näherung ist also keineswegs als Streben gedacht; diese Vor-
stelhmg: Hand des höchsten Gutes zu sein, bringt die Eigentümlichkeit
und Neuheit der deutschen Denkweise treffend zum Ausdruck.
*) Die Scholastik verwarf diese „knechtische Furcht" durchaus nicht.
Das vollkommene Verhalten sah sie freilich nach Augustin auch in einer
freien Liebe zu Gott. Aber jene leistete nach der Schol. vorbereitende
Dienste, sofern die Furcht vor ewiger Strafe doch den Glauben im aU-
gemeinen religiösen — freilich intellektualistischen — Sinn voraussetzte.
(VgL Hunzinger, Das Furchtproblem, von Augustin bis Luther 1906.) Hier
aber ist das religiöse Verhalten so begriffen, daß jegliche Straffurcht ab-
solut verweiflich, geradezu Sünde ist, weil sie genau so von der natttr-
liehen Selbstliebe zeugt wie andere Dinge. (Vgl. dagegen Hunzinger,
S. Ulf.)
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Avirt, ßo wollen wir sein nit. ^) Wir woUen als ^) gestrichen *)
seyn, alßo das wier yn uns großen smack und sußickeyt und
lust yn uns finden; ßo wer uns wol und hetten*) got lieb.
Wenn uns aber das enpfellet, ßo ist uns wee und vergessen
ögottes und wenen, wir sein verlören. Das ist großer prech
und eyn pöß tzeichen.^) W^an ein war liebhabender mensch
hat got oder das ewig gut gleich lieb j^n haben und yn darben,
yn suß und yn säur und des gleich.®) Hierynne merck sich
eyn iglich mensch. ')
*) Pf. f: und suchen alzit uns und das unser.
' ^) Für *al8' Pf.: alzit haben, das uns das süße umb den schnabel.
•) so gestreichelt.
*) für 'hetten — enpfellet' Pf.: meinen, unser sache si ganz schlecht.
Aber es ist noch gar wlt zu einem volkomen leben. Wan wenne uns
got zu einem hohem wil ziehen, das ist: in ein darben und abgank
des unsern in geist und nätür, und zühet sinen tröst und süßikeit
von uns.
''*) Die Geringschätzung der empfundenen Seligkeit, die Ritschi zu-
treffend als Kennzeichen der quietistischen Mystik angibt (Einl. S. 42),
ündet sich also hier!
®) Pf. t : wan er sucht alleine die ere gottes und des sinen nicht weder
in geiste noch in'nätür, und dar umb so st^t er alzit glich unbewegt in
aUen dingen. „In geist noch in natur", das aber immer nur Pf. hat,
ist bezeichnend. Auf scholastischem Boden und bei Angustin liegt die
Religion auf dem Gebiete des Geistes in seinem Gegensatz zur Natur:
der geistige, gottyerwandte Teil des Menschen ist es, der in der Religion
gegenüber der sinnlichen Konkupiscenz zu seinem Rechte kommt. Sinn
und Geltung empßlngt der Gottesbegriff auf dem Boden des Geisteslebens,
aodaß man keineswegs jenen von diesem unabhängig stellen und zu wirk-
lichem Theozentrismus gelangen kann. Hier dagegen handelt es sich nicht
um Fleisch und Geist in solchem naturwissenschaftlichen, anthropologischen
8inn. Gott und das eigene Ich sind die Angelpunkte der Religionsanschau-
ung. Die Religion ist aus der Anthropologie ausgewiesen und transsub-
jektiv, als persönliches Verhältnis, als Verhältnis zweier Willen begriffen.
Und wenn „Natur" und „Geist" vorkommen, so sind es ethische Begriffe
geworden: jener die Herrschaft des eigenen, dieser die des göttlichen
WiUens bedeutend.
^ A zieht „Hierynne ff.", hinzufügend: mit vleysse, zum folg. Kap.
Pf. t : wie er st^ gegen got s!nem schöpf er und herren.
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[C ij] Christus sele mußt j n die helle ee dann sie zu hymel 11.
kam.^) Alßo muß auch des menschen sei. Aber wie das
geschech, das merckt. Wen sich der mensch selber bekennet
und ansieht und findet sich selber alßo pöß und unwirdig alles
des guttes und trostes, das ym von got oder von den creaturen 5
geschehen mag, sunder ^) nit anders den eyn ewig verdamnenn
und verlören sein und dunckt sich auch desselben unwirdig
seyn. Ja ^) er dunckt sich unwirdig alles leidens, das ym yn
der tzeit geschehen kan, und das billich und recht sey>
das alle creatur wider yn seyn und thun ym leyden und pein 10
an, und ist des alles unwirdig. Auch dunckt yn recht, das
er ewiglich verdampt sol sein und auch ein fußschemel sol
sein aller teuffei yn der helle und dis alles noch unwirdig,*)
und wil oder mag keynes trosts oder erlößung begeren,
weder von got noch von creaturen, sunder er wil gemn un-l5
getrost und unerlöst sein, und ym ist nit leidt verdampnus
und leiden. Wann es billich und recht ist und ist nit wider
gott, sunder es ist der wille gottes ; und das ist ym lieb, und
ist ym wol da mit.*^) Im ist allein leid sein schuld und
*) Es ist nach dem folgenden Begriff von HöUe (sich von Gott
verlassen wähnen) nicht unbedingt nötig an „hinabgefahren zor HöUe''
zu denken; möglich ist auch der Hinweis auf die Gottverlassenheit am
Kreuze.
*) und findet nichts anders denn. Fltr „sunder — sein und" Pf.: so
kompt er also in ein gar tiefe d^mütikeit und vorschm^hung sin selbes,
das er sich unwirdik dunket, das in das ertrich sol tragen, und meint ouch,
das es billich si, das alle cr^atür in himel und üf erden wider in üf sten
und rechen an im iren schopfer und im alle leide an tun und in plnigen;
des alles.
') Pf. — : *Ja — alles unwirdig'.
*) St. „und dis alles noch unwirdig" Pf. : und das es recht und billich si,
und das dis alles zu wenig si gegen sinen sunden, die er so gar oft und
manigfeldiglich vorbrächt hat wider got sinen schopfer.
*) Ein Hauptargument Luthers gegen den Ablaß war der Grundsatz
seiner „Kreuzestheologie", nach der der Weg zum Heil die Kreuzigung und
schlechthinige Selbsthingabe des natürlichen fleischlichen Willens war : daß
der Mensch Strafe suchen und lieben müsse und keinen Nachlaß suchen dürfe.
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— 26 —
poßheit. Wan das ist unrecht und wider got, und da mit ist
ym wee und übel zumüt, und dis ist und heyset wäre rew
umb die sund. ^) (Und wer alßo yn der tzeyt yn die hell
kumpt, der kumpt nach der tzeit yn das hymelreych und
5 gewint sein^) yn der tzeit einen vorsmack, der übertrifft
allen lust und freude, die yn der tzeit von zeitlichen dingen
ye geward oder gewerden mag.) Und die weil der mensch alßo
yn der hell ist, ßo mag yn niemant getrösten, weder got oder
creatur. Als geschriben stet: -in der hell ist keyn erlößung*.
10 Davon sprach eyn mensch:
'Verderben, sterben,
ich leb on tröst;
außen und ynnen verdampnet,
niemant bitt, das ich werd erlöst/^)
15 Nu lest got den menschen nit yn dißer hell, sunder er
*) Die Erkenntnis der Sünde macht Ernst mit der gänzUchen Preis-
gabe des eigenen Wesens, die bis zum Verzicht auf Erlösung geht. Der
Theozentrismus duldet keinen egoistischen Vorbehalt. Wo die Vollkommen-
heit im Absterben des Eigenen besteht, ist die Frage nach dem Weg zur
Vollkommenheit leicht zu beantworten : von unvermittelt eingreifender und
darum unvorstellbarer Eingießnng der Gnade braucht da nicht mehr ge-
redet zu werden : die Sündenerkenntnis führt unmittelbar zur Vollkommen-
heit d. i. zur Aufgabe des „Annehmens", des eigenen WoUens, der Selbst-
liebe. Es fragt sich nur, ob die Sündenerkenntnis nicht Vergebung, Ver-
söhnung, notwendig macht, da sie an sich doch wohl zur Verzweiflung
führt d. i. zu einer Selbstaufgabe im rein negativen Sinn, der das neue
Subjekt fehlt, auf welches der Mensch sein Vertrauen setzen soll. Aber
da£ die Buße, d. i. das Bekenntnis zur eigenen Sünde, die grundlegende
Seite des neuen Lebens ist oder der VoUkommenheit, hat der protestantische
Lehrbegriff nie bestritten. — Das in Klammern Folgende unterbricht den
Zusammenhang und widerspricht dem Späteren, nach dem das Himmelreich
nicht im scholastischen Sinne, naturhaft und transcendent, sondern sittlich-
religiös gefaßt und darum auf die Erde verlegt wird.
*) davon.
') Aus Eckeharts Schrift: „Vom Zorn der Seele "^j die bei Pfeiffer noch
nicht vorhanden ; vgl. Eckeharts Schriften u. Predigten, hrsg. von H. Büttner,
IS. 181.
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nyiApt yn an sich,^) also, das der mensch nichtz enrucliet*)
den allein des ewiges gutes und bekent, daz dem ewigen gut
also über wol ^) ist, und sein wunne und frid und freude, rwe *)
und genügte. Und wen der mensch nit anders enruchet noch
begert den daz ewig gut und ym selbs nicht,*) ßo wirt des 6
ewigen gutes fride und freude und wunne und lust und was des
ist, alles des menschen. Und ßo ist der mensch ym hymel-
reich. Diße hell und dis hymelreich sind tzwen gut, sicher
weg dem menschen yn der tzeit, und wol ym, der sie recht
und wol findet. Wan die helle vergeet, das hymelreich besteet. 10
Auch sol der mensch mercken, wen er yn dißer hell ist, ßo
mag yn nichtz getrosten und er kan nit glauben, das er ymer
erlöst oder getrost wert. Aber wenn er yn dez hymelreich
ist, ßo mag yn nichtz betrüben oder ungetrosten und gelaubt
nit, das er betrübt oder ungetrost mag werden, wie wol er 16
nach der hell getrost und erlost werde und nach dem hymel-
reich betrübt und ungetrost. ^)
Auch kumpt dem menschen diße hell und dis hymelreich,
das er nit weiß, wo von es herkumpt, und der mensch kan
weder getun oder gelassen') oder®) nicht von dem seinen, 80
M Die Frage ist eben, wodurch? Wie soU der Mensch bei jener
„waren Reue" Mut und Vertrauen fassen auf Gott, so daß aus der Preisgabe
des £igenen das positive Verhalten der Anerkennung Gottes und der Hin-
gegebenheit au ihn werde? In der Eeue empfindet der Mensch den Zorn
Gottes, d. i. den absoluten Widerspruch des göttlichen als schlechthin be-
stimmen woUenden Wesens gegen seinen eignen Willen und seine Schuld
d. i. seinen Gegensatz zu Gott. Hier würde eben die Versöhnung und
Vergebung eintreten müssen. So trefflich der grundlegende Anfang der
Bekehrung yerstanden ist, so wenig die Vollführung.
*) begehrt, en = nicht.
^) daß es um das ewige Gut so wohl bestellt sei. *) Ruhe.
■*) Pf. f : oder des sSnen nichts suchet sunder allein die ere gotes.
*) wie es unten heißt: er kann aus dem Himmel in die Hölle fallen
und umgekehrt.
') Wenn man die Vollkommenheit so versteht, daß man die Sünden-
erkenntnis als Weg zu ihr ansehen kann, so hat man den Vorzug^ dsiß
menschhcher WiUe und Leistung für die Bekehrung gar nicht in Betracht
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da von es komme oder fare. Und der mensch kan ym selber
dißer keins gegeben oder genemen, gemachen oder entmachen, ^)
sunder als geschriben ist ^) : ^der geist geystet wa er wil und du
hörest seyn stymm (das meynet man yn der gegenwurtickeyt);
5 aber du weist nit, wa von er kommet oder wo hin er geet.'
Und wen der mensch yn dißer zweyer einem ist, ßo ist ym
recht, und er mag yn der hell als^) sicher seyn alls yn dem
hymelreich. Und alle die weil der mensch yn der tzeit ist, ßo
mag er gar dick auß einem yn das ander fallen. Ja unter
10 tag und nacht etwan^) vil, und alles on*) sich selber. Wenn
aber der mensch yn dißem keinen ist, ßo get er mit den
creaturen umb und wackelt her und dar und weiß nit, wa er
dar an ist. Doch solt er dißer beider nymer vergessen yn
seinem hertzen.
12. Es sprechent vil leut, sie habent nit frid oder rwe, sy
haben vil widerwertickeit und anfechtung und drückes und
leiden. Der nu dis yn warhejt wil ansehen und mercken:*)
ßo hett der teuffei ') auch frid. wen es ym gieng nach seynem
willen und wolgefallen. ®) Und darumb ßo sollen T^ir mercken
20 und war nemen des frides. den Christus seynen iungern [Ciii]
zu letz Heß, do er sprach ®) : *Meynen frid den laß ich euch,
meynen frid den gib ich euch, nit^®) als yn die werlt gibt;
kommt, sondern daß Gott durchs Gesetz den Menschen zerbricht und sein
Selbstbewußtsein zermalmt (sich selbst durch die Vergebung an die Stelle
setzend), ohne daß des Menschen Wille sich zu regen hätte.
®) St.: *oder — fare' Pf.: es kome oder fare hinwek.
*) vernichten. *) Job. 3, 8. *) ebenso. *) hin und wieder.
'^) A: in.
®) Pf. t : der erkennet wol, das warer f ride und rftwe nit lit an üßer-
lichen dingen. Wan were dem also,
') Pf. meist: der böse Geist.
^) Pf. t : das doch mit nichteu ist. Wan der hene sprichet durch den
prophßten 'die bösen und ungetrewen haben keinen fride' (Jes. 48, 22).
«) Job. 14, 27.
***) St.: *nit — Christus?' Pf.: In disem worte mag man wol merken,
das Kristus den liplichen und ußerlichen fride nit gemeint hat, wan
die lieben jungern und alle liebhaber und nächfolger Kristi haben Ton
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wan die werlt betreugt yn yren gaben.' Was frids meint
Christus? Er meinet den ynnerliehen frid, der da durch prech
und durch dimng durch alle anfechtung und widerwertickeit,
drucks, elends oder schmacheit oder was des ist, das man da
ynne frölich und gedultig were, als sein lieb lungern gewesen 5
seynd und nit sie allein, sunder alle außerweiten freund gottis
uBnd war nochvolger Christi. Sich und nym war, wer nu liebe,
fleiß und ernst hietzu hette , der mochte woU bekennen *)
werden den waren ewigen frid, der do gott ist, nach muglicheyt
der creatur.*) 10
b. Es *) spriclit der Taulerus : *) Es sind menschen yn der
zeit, die den Widern zu fru urlaub geben, •*) ee sie die warheit®)
ftnbegfin groß tr&bsal, Verfolgung und martir geliden, als Kristu» selber
sprach in diser zit werdet ir betwenknis haben/ Aber Kristus meint den
w&ren innerlichen fride des herzen, der sich hie an f&het und weret dort
Ewiglichen. Dar nmbe sprach er *nicht als in die weit gibt.* wan die weit
ist falsch und betrügt in iren gaben: si vorheist vil und helt w§nig. Es
lebet ouch nimant üf erden, der alwege rüwe und fride habe, an tr&bsal
und widerwertikeit, dem es allezit g^ nach sinem willen: es müs ie hie
geliden sin, man k^re es recht wie man wolle. Und so man einer an-
fechtuuge ledig wirt, komen villichte ander zwo an die stat. Dar umb so
ergib dich williglichen dar in und suche alleine den wären fride des herzen,
den dir nimant genemen mag, da mit du alle anfechtunge überwindest.
Dar umb. Citirt: Joh. 16, 33.
*) bekennend.
-) Pf . f : also das im süße wurde das im vor süre was, und das sin herze
unbewegt stünde alzit in allen dingen und nftch disem leben k^me zu dem
Ewigen fride. *) Hier beginnt nach Pf. Kap. 13.
*) A: ein lerer. Tauler, der bekannte Straßburger Prediger, f 1361.
Seine Predigten (beste neuere Ausgabe: Franckfurt 1826; eine andere,
kritische, fehlt uns noch) zeigen dieselbe Denkweise wie die Th. D. Das
hier angeführte Wort findet sich in ihnen nicht. Büttner macht aber darauf
aufmerksam, daß Kuysbroek sich so ausspreche (Ww. V 49, der hiesigen
Fassung noch näher bei Surius); jedoch ist daraus nicht auf Eckehart als
Urheber zu schließen.
*) Bilder = Vorstellungen ; hier besonders diejenigen von religiösem Wert,
wie im folgenden dievon Adam und Christus. Wo sich der Mensch wirklich
an Gott gelassen hat, bedarf es nicht mehr der Vorstellungen als Mittel.
*) Pf. t : und underscheit.
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— So-
da von geloße '), und darumb das ^ sie sich selber lösen, ßo
mugen sie kaum oder nit zu der Wahrheit gereichen. Und
darumb solt man altzeit mit fleis war nemen der werck gottis
und seiner heissunge, treibung und vermanung und nicht der
6 werck heyßung oder vormanunge des menschen.'
Nu *) sol man wissen, das niemant erleucht *) mag werden,
er sey dan vor gereynigt*), geleutert und geledigt®) Au^eh
mag niemant mit got vereyniget werden, er sey den vor er-
leucht. Und darumb sindt drey weg. Zum ersten die reynigung.
10 Zum andernn die erleuchtung. Zum dritten die vereynigung. ')
*) ehe die Wahrheit sie davon gelöst hat Luther verstand diesen
Satz unrichtig, indem er 'die Wahrheit' als Objekt faßte: am Rande: i. e.
antequam discemant inter figuram et rem figure, nondum potents separate
preciosum absconditum a vili opercolo tigure et ilii adherere.
*) St.: "das — menschen' Pf.: so mugen sie die rechten wärheit
gar küme oder villichte nimmer m^r begnfen. Wan solche menschem
die wollen nimant volgen und ligen üf irem egen sinne und wollen
Üiegen ^ das si federn gewinnen. Sie wollen eins ganges gein himel
faren, das doch Kristus nicht tet; wan nd,ch siner üferstentnis bleib er
wol vierzik tag bi sinen lieben jungem. Es mag nimant in einem tag
volkomen werden. Der mensche sol sich des Ersten sin selbes gans
vorleugen und alle dink willigüchen durch got vorlägen und sol sInen
eigen willen und alle natürliche neigung üf geben und sich ganz lütem
und reingen von allen Untugenden und sunden. Dar nach sol man d^müti^
liehen üf sich nemen das c r ü z e und sol Kristo nachvolgen. Man sol ouch
ebenbilde und underscheit wise, rät und lere nemen und enpfähen von den
andächtigen und volkomen dienern gotes und nit nachvolgen siuem eigen
heubt. So mag es ein bestant haben und zu einem guten ende komeo.
Und wenne der mensche also durchbricht und überspringt alle zitliche dink
und cr^atür, so mag er dar nach in einem bescheulichen leben volkomen
werden. Wan wer eins wil haben, der müs das ander laßen faren, da ist
nit anders an.
') Hier beginnt nach H. das 14. Kap., so daß Pf. fortan in der Kapitel-
zählung 2 voraus hat.
*) mit dem wahren Licht, s. Kap. 10 Anfang; die unmittelbare
Folge dieser Erleuchtung: daß man sich und alle Dinge dem ewigen Gut
läßt, ebda. Vgl. auch Kap. 1, S. 8, Anm. 8: Das Bild von der Sonne bei Pt
'') Durch die wahre Reue? (Kap. 11). **) befreit.
') Das erste ist Sündenerkenntnis und wahre Reue (Kap. 11), die
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Alles. ^) das yn Adam untergieng und starb, das stund 18,
yn Christo wider auflf und ward lebentig. Alles, das yn Adam
auff stund und lebentig ward, das gieng in Christo unter und
starb. — „Was was*) und ist aber das?" Ich sprich: war
gehorsam und ungehorsam. „Was ist aber war gehorsam?" 5
Ich sprich: der mensch solt alßo gar an sich sten und sein,
das ist selbheit und icheit,') das er sich und das sein als
wenig suchte und meynte yn allen dingen, als ob er nit were,
noch sein selbs als wenig enpfinden und von ym selber und
dem seinen als kleyn halten, als er nit were und als wenig *) 10
von allen creaturen. „Was ist denfi das, das da ist und da-
von tzu halten ?" Ich sprich : alleyn eins, das man gott nennet. *)
Sich, das ist war gehorsam yn der warheyt. Unnd alßo ist
es yn der seligen ewickeit. ®) Da ynne wirt nit gesucht noch
Keinigang; dann erst kann die Erleuchtung mit ihrer Folge (Kap. 10) ein-
treten. Und nach dieser erst das höchste : die Vereinigung Gottes mit dem
Menschen. Als solche ist das Ideal bisher noch nicht beschrieben. Sie
wird erst im folg. behandelt. Sie ist es eben, die zur Christologie führt.
Vgl. das letzte Kap. dieses Abschn., 22. So ist obiges Stück eine 2. Einl.
zum Folgenden, welche das Folg. mit dem Vorhergehenden zusammenschließt.
Pf. f : Die reinignnge gehöret zu dem anfähenden oder dem büßenden
menschen und geschieht in drierleie wise: mit rewe und leit umb die
sunde, mit ganzer bichte, mit volkomer büße. Die erlüchtunge gehört
zu den zunemenden menschen und geschieht ouch in drierleie wise, das
ist : in vorschm^hunge der sunde, in wurknnge der tugent und guter werk
und in willigem liden aller anfechtunge und widerwertikeit. Die vor-
einunge triffet an die yolkomen menschen und geschieht ouch in drierleie
wise, das ist: in reinikeit und lüterkeit des herzen, m götlicher liebe und
in beschowunge gotes des schepfers aller dinge.
*) A schließt diesen Abschnitt ohne Absatz dem vorigen an.
«) was = war. ^ Pf. f : mir min, mich und des glichen.
*) A: von ym selber. Pf.: ob ein ander hete alle sine werk getan.
Er solt ouch nit halden
^) Die Merkmale des Gottesbegriffs sind demnach 1. daß er der Gegenstand
schlechthiniger Hingabe sei, 2. daß er keine Größe der Welt (Kreatur) sei.
®) Das ewige Leben ist also ethisch begriffen; die naturhafte und
darum transcendente Auffassung (Schauung Gottes) tritt zufolge der ethischen
Bedeutung des Gottesbegriffs zurück.
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gemeynt oder geliebt den das ein; ßo wirt auch von nichte
gehalten denn von dez einen. Hie bey mag man mercken,
was ungehorsam sey; das ist: das der mensch von ym selber
etwas haltet und wenet, er sey und wisse und vermfig etwas,
5 unnd sich selber und das seyne sucht yn den dingen unnd sich
selber lieb hatt und dißen gleich.
Zu dem waren gehorsam was und ist der mensch ge-
schaffen und ist die gott schuldig. Und dißer gehorsaz ist
yn Adam untergegangen und gestorben und ist yn Christo
lOauff gestanden und leben tig worden; und ungehorsam ist yn
Adam aufferstanden und hatt gelebt und yn Christo gestorben.
Ja die menscheit Christi was und stund alßo gar an sich
selber unnd on all, als ye keyn creatur, und was nit anders, den
ein hauß oder eyn wonung gottes. ^) Und alles, das da gott
15 tzu gehört und das die selb menscheit was und lebte und ein
wonung was der gotheit, des nam sie sich alles nit an. Sie
nam sich auch derselben gotheit nit an, der wonung sie
was, noch alles des, das die selb gotheit yn yr wolte, tet oder
ließ, noch alles des, das yn der selben menscheit ye geschach
20 oder gelitten ward ; sunder yn der menscheit *) was weder an
nemen noch gesuch oder begird, sunder allein ein gesuch und
begird, wie der gotheyt genug geschech, und desselben nam
sie sich nit an. Von dißem synne kau man hie nu nit mer
geschreiben oder gesprechen ; er ist unsprechlich, er wardt noch
25 nie tzu grund gar auß gesprochen noch nymer wirt. Wann
er will sich weder sprechen noch schreiben laßen, weder'*)
von dem, der es ist und weiß. ^)
14. [Ciiij] Auch sol man mercken, wenn man spricht von
einem menschen, der da ist alt, und von eynem newen menschen,
*) Bemerke die eigenartige Bedeutung dieser Christologie. Die Grott-
heit Christi ist ethisch begriffen. Das war hier ohne Abschwächung der-
selben möglich, weil die Vollkommenheit als schlechthinige Bestimmtheit
durch Gott begriffen ist (Einl. S. 41).
^) sc. Christi (Pf.) •^) Pf.: sunder aHein.
*) Pf. t : das ist got selber, der alle dink yormag gar woL
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Sich, der alt ist Adam und ungehorsam und selbheyt und icheyt
und des gleich, Aber der new mensch ist Christus und gehor-
sam. ^) — Wenn mann auch spricht von sterben und von vor-
derben*) und des gleich, ßo meynt man, das der alt mensch
soll zu nicht werden.*) Und wenn und wa das geschieht yn 6
eim waren gotlichen liecht,^) ßo wirt der new mensch wider
gebomn. Mann*^) spricht doch, der mensdi sol an ym selber
sterben, das ist des menschen ®) selbheyt und icheyt ') sol sterben.
Hie von spricht Sanctus Paulus : *Legt ab den alten menschen
mit seynen wercken und ziecht an eynem newen menschen, 10
der noch ^) got geschaffen und gebildet ist.' •) — Wer yn seiner
selbheit und nach dez alten menschen lebt, der heist und ist
Adams kindt. Er mag als verr und alßo wesenlich daryn
leben, er ist auch des teuffels kind und bruder. ^") Wer aber
yn dez gehorsam und yn dem newen menschen lebt, ^^) der ist 16
Christus bruder und gottes kind. Sich, wa der alt mensch
stirbt und der new gebomn wirt, da geschieht die ander gebort,
davon Christus sprach: ^Ir werdent denn anderweit gebornn,
ßo kumpt yr yn das reich gotes nyt.' '-) Auch spricht S.* Paulus:
*Als alle menschen yn Adam ersterben, alßo werdent sie ynao
Christo alle wider lebentig.' ^'*) Das spricht also vill: Alle, die
Adam nachvolgent yn dem ungehorsaz, die sind todt und
*) Pf. t : ein vorzihen und vorlengnen sin selbes, aller zitlichen dinge
und alleine die ere gotes suchen in allen dingen.
«) S. 20, 11-14.
*) Pf. f : und des sinen nicht«« suchen weder in geist noch in nätftr.
*) S. 30 Anm. 4. *) A— : Mann — gebildet ist.
*) Pf. t : lustikeit, tröst, f reude, begirlicheit.
•) Pf. f : und was solches ist in dem menschen, dar an er haftet oder
üf dem er noch rüwet in genügsamkeit und etwas da yon helt, es si der
mensche selber oder ander creatfire, was halt das si, das muß als abe und
sterben, sol anders dem menschen' recht geschehen in der wärheit.
**) nach. «) Eph. 4, 22. 24.
'*) Daß der natürliche Mensch dasselbe sündige Wesen wie Adam und
der Teufel hat, ist der Th. D. eigentümlich; ygl. S. 10 Anm. 4.
»>) Pf. f: der da Kristus ist. '') Joh. 3, 3. »») 1. Cor. 15, 22.
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werden ns'mer lebentig denn yn Christo, das ist j^n gehorsam.
Das ist darumb, wann alle die weil daz der mensche Adam
ist oder sein kindt, ßo ist er on gott. Christus spricht: 'Wer
nit mit myr ist. der ist wider mich/^) Wer nn wider got
5 ist, der ist todt vor gott. Hiernach volget, das alle Adams
kind todt sind vor got. Aber wer mit Christo jti dem ge-
horsaz ist, der ist mit gott nnd lebet.
Auch *) ist geschriben : ') s n n d ist, das sich die creatuer
abkert von dem schepfer. Daz ist aber dißem gleich und ist
10 daßselb. Wann wer yn ungehorsaz ist, der ist yn sunden, und
die sundt wirt nymer gepüst noch gepessert den mit eim
widerkeren in den gehorsam. *) Und alle die weil der mensch
yn dem ungehorsaz ist, ßo wirt die sundt nymer gepüst noch
gepessert, er thu was er thu. Das merck, wan der ungehor-
I6sam ist selber sundt. Und kumpt er wider yn den waren
gehorsam, ßo ist es alles gepessert und gepüst und vergeben,
und anders nit. Diß ist mercklich. Und mocht der teuffei
zu dem waren gehorsam kommen, er ^) wurd ein engel und all
sein sund und pößheit wer gepessert und gepüst und wer
20 zumall vergeben. Und mocht eyn engeil zu dem ungehor-
sam kommen, er wer als pald ein teuffei, und ob er anders nit
mer tete.
Were es müglich, das eyn mensch als gar und lauterlich
on sich selber und on alle yn dem waren gehorsam were, als
25 Christi menscheit was, der mensch wer an sund und auch
eyns mit Christo, und dasselb von gnaden, das Christus
was von natur. Aber man spricht, es mug nit seyn. Darumb
spricht man auch, niemant sey on sund. Aber wie dass sey?
Doch ist dass war: ßo mann dißem gehorsam neher ist, ßo ye
aomynder sund, ßo man ye ferrer ist, ßo mer sund. Kurtzlich:
') Mt. 12, 80. *) A— : Auch — daßselb.
*) Pf. : vor gesprochen, Kap. 2, 4.
*) St. : 'den gehorsam' Pf. : got. Das geschieht mit demütiger gehorsam.
^) A— : „er — mer tete", dafür: er wer als bald kein tenffel und ob
ehr anders nicht mer thet.
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ob der mensch gut, pesser oder aller peste sey, pöß, poeser^)
oder aller pöst, sundig oder selig vor gotte, das ligt alzumal
an dißem gehorsaz und ungehorsam. Darumb ist auch ge-
schriben: So ye mer selbheit und icheyt, *) ßo ye mer sundt
un bößheit ; ßo dißes mynder, ßo auch des mynder. Auch •) ist 5
geschriben: so mein ich, daz ist icheit und selbheit, mer ab
nympt, ßo gottes ich,*) das ist got selber, mer zu nympt
yn myr.
Sich*), weren all menschen yn dem waren gehorsaz, ßo
wer kein leid noch leiden, sunder leichte, synliche leiden ; das 10
wer aber nit zu clagen; das merck man. Wan were ym alßo,
ßo weren all menschen eins und niemant tett dem andernn
1) A-
*) Luther am Bande: ichheyt i. e. si dicere liceret Meitas i. e. mei
€ommodi affectus quo ego meipenm qaaero. Qoanto decrescit ego hominis,
taiito crescit in eis Ego divinum. — Beachte die Bedentang des Gottesglanbens
für die persönliche Haltnng; er hat seinen Ort in der Sphäre des Selbst-
bewnfitseins, nicht in der des rein theoretischen Weltbewnßtseins.
') St.: 'Auch — daz' A: so manich.
*) Mit Büttner „Gottes Art" zu tibersetzen (ich = icht, etwas) ist
nicht berechtigt.
^) Dieser und der nächste Abschnitt enthalten zwei Folgen des religiösen
Grandverhaltens. Die erste ist besonders wichtig: das religiöse Verhalten
würde die Eingriffe in den Lebenskreis und die Bechtssphäre des Nächsten
d. i. das Unrecht unmöglich machen. Es ist offenbar, daß die Anerkennung
des Nächsten und so das einträchtige Zusammenleben der Menschen sicher
und dem inneren WiUen des Einzelnen nach so lange nicht gewährleistet
ist, wie der Einzelne egozentrisch gesinnt ist. Die hinter dem Gesetze
oder dem Becht stehende Gewalt und Elugheitsrücksichten mögen das
äafiere Verhalten dem Gesetze anpassen lassen; der innere Wille wird zu
einem dem Gesetze gemäßen nar durch die Bekehrung von der Selbstliebe
zur Anerkennung Gottes als des Herrn. So steht die religiöse Beziehung
auf der Seite der von dem Gesetz vertretenen empirischen Objektivität der
natürUchen Ichheit und dem natürlichen Subjektivismus gegenüber, er-
schließt den BUck für die Objektivität und befähigt den Menschen zur Ge-
meinschaft. S. Einl. S. 40. 2. Folge : Nur zu einer Größe befindet sich der
Fromme in Gegensatz: zu derjenigen, zu welcher sein Bestimmnngsgrund
und Herr in Gegensatz steht: zur Sünde.
Mandel, Theologia Deutsch. 6
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leid noch leiden an; ßo lebte oder tete auch niemant wider
gott. Wo von solt den leid oder leiden kommen? Aber nu
leyder sind all menschen und all die werlt yn ungehorsam.
Wer nu eyn mensch lautterlich und gentzlich yn dem ge-
5 horsam, als wier glauben, das Christus were und auch was (er
were anders nit Christus gewesen), [D] dem wer aller menschen
ungehorsam eyn iemerlich pitterlich leidenn. Wann all menschen
weren wider yn *), das mercket man ; wan der mensch yn dißem
gehorsaz were eins mit gott, und gott wer selber auch da der
10 mensch. Sich, nu ist alle ungehorsaz wider got und anders nichtz.
In der warheit, got ist nicht wider *), noch keyn creatuer oder
creaturen werck oder alles, das man genennen oder erdencken
kan, ist nit wider got oder got unbeheglich, denn allein der un-
gehorsam und der ungehorsam mensch. Kurtzlich: alles, das da
15 ist, behagt und gefeilet got wol und alleyn der ungehorsam und
der ungehorsam mensch behagt ym alßo übel und ist ym alßo
gar wider unnd clagt alßo sere davon, das an der stat, da der
mensch leidenlich und des befindlich und fulich ist, das ym wider
ist, *) gerner hundert tod wolt leiden, aufi* das er den ungehor-
20 sam yn eym menschen ertötet und seinen gehorsam da wider
gepernn möchte. Aber wie nu villeicht keyn mensch alßo*)
gar und lautterlichen yn dißem gehorsam ist, als Christus was,
nu ist doch müglich einem menschen also nach dar zu und bey
*) Alle Menschen, sofern sie ungehorsam sind, wären wider ihn; bei
Pf. ist das nicht verstanden. Der Satz lantet bei Pf. : Wan ob aUe Menschen
wider in weren, die mochten in alle nit bewegen oder betrüben.
*) nichts ist wider Gott.
^) während der natürliche Mensch das als schmerzlich befindet und
fühlt (fulich), was ihm selbst zuwider ist, das Leiden, würde der Gott-
ergebene lieber hundertmal sterben, wenn er dadurch den Ungehorsam emes
Menschen ertöten könnte (was er aber nicht kann ; jeder Mensch muß selbst
büßen). Bei Christus war es so. Er hat die gottergebene Gesinnung in
diesem denkbar höchsten Maße bewiesen. In diesem Sinne stellt der Tod
Christi den Gegensatz des gottergebenen Willens gegen den natürlichen
Willen aufs deutlichste ans Licht.
*) A— : alßo gar und lautterlichen.
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zu kommen, das er gotlich und vergottet heyßet und ist. Und
ßo der mensch dißem ye neher kumpt und gotlich und vergottet
wirt, ßo ym alle ungehorsam, sund und ungerechtickeit leid
ist und wirser^) tut und pitter leiden ist. Ungehorsaz und
sund ist eins. Es ist kein sund den ungehorsam und was 5
auß dem ungehorsam geschieht.
Sich, nu sagt man, es sein etlich menschen, die wenen 15,
und sprechen, sie sein alßo gar erstorben und yrselbs auß-
gangen, das sie sollen seyn und leben yn eym unleidende*)
und von nicht berurt werden, recht ob alle menschen ynlO
dißem gehorsam weren oder ob keyn creatur were ; und leben
alßo yn eym guten, leichten leben und gemüte und lassen yn
mit allen dingen wol sein, es sey dis oder das. Nein zwar *) !
ym ist nit alßo ; ym ist alßo, als vor geschriben ist. Im wer
wol alßo, weren all menschen yn dem gehorsam. Aber nu 15
ist es nit alßo, darumb ist auch dis nit alßo. — Sich, nu
mocht man sprechen : Nu soll doch der mensch alles ledig steen
und sich nichtz an nemen weder pöß noch gutz. Ich sprich:
des guten soll sich niemant an nemen, wann es ist gottes
und der gute gottes ; aber danck hab der mensch und ewigen 20
Ion und selickeyt, der da zu taug und bereyt ist und gestattet,
das er ein hauß und eyn wonung ist der ewigen gute und
gotheyt, das sie yren gewalt, willen und werck yn ym gehaben
mag on hindernuß.*) Wil man sich den entschuldigen und des
pößen auch nyt an nemen und wil es dem teufel und der 26
pößheyt aufftragen,*) so sprich ich: undanck, schänden und
*) wirs oder wirser Komparat. zu übel.
*) nicht leidenden Znstand. ') Walirlich nicht!
*•) za dem Zweck, daß sich der bereits gottergebene Mensch der Sünde
seiner Mitmenschen annehme.
*) St.: 'auftragen' Pt auflegen; Sinn: dem Teufel die Schuld an der
Sünde geben und sich so mit der Sünde als einer außerhalb menschlicher
Macht und Verantwortung liegenden Tatsache abfinden, statt sich derselben
anzunehmen in tiefem Leid und in Besserung. Dabei ist yieUeicht an die
dualistische manichäische Ketzerei im MA. gedacht. — Pf. schiebt ein:
6*
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ewig Unglück und verdampnns hab der mensch, das er dar
zu taug und bereit ist und gestattet, das der teuffei und
falscheit und lügen oder unwarheit und ander boeßheit yren
willen und gewalt, werck und wort yn ym haben mügent, und
5 das er yr hauß und yr wonung ist.
16, Auch sol man mercken und glauben und wissen, das
kein als^) edel und gut uixd gott als lieb leben ist, als das
leben Christi, und ist aller natuer und aller selbheit das
pittirst leben. Aber das rauchlos ^) frey leben ist aller natur,
10 selbheit und icheit das süßte und das lustigest leben; es ist
aber nit das pöste und das edliste. Es mag in etlichen
menschen das beste*) werden. Aber wie wol Christus leben
das pittrist sey, ßo ist es doch das aller liebste. — Das
soll man da bey mercken : *) Es ist eyn bekentnus, da von wirt
löbekant das war, einfeltig gut. Und das gut ist weder dis
noch das, sunder es ist das, da von sant Paulus sprach : *Wenn
das volkumen und das gantz kumpt, ßo wirt alle teilung und
unvolkumenheit zu nichte'.*) Das meynet alßo, daz das
gantz volkumne alle teilung übertrifft und alle teil und unvol-
20kumen nichtz sind gegen dez volkumen. Also wirt auch alle
bekentnus der teil zu nichte. Wenn das gantz bekant wirt,
und wa das gut bekant wirt, da muß es auch geliebet und lieb
gehabt werden,®) alßo das ander fD ij] liebe, da mit der mensch
sich selber unnd ander ding hatt lieb gehabt, zumal zu nicht
25 wirt. Und die bekentnus bekennet auch das peste und das
'und wU also der mensche ganz rein und unschnldik sin (als ouch t^ten
unser alderelderen, das ist Adam und £y&, dö si noch wären in dem
paradise: d& legete ie eins dem andern die schulde üf), das ist dan gar
unrecht getan, wan es st^t geschriben 'nimant lebet äne SHnde^ (1. Joh. 1, 8).
Dar umb'. Dadurch wird die Frage nach der Sündlosigkeit aufgeworfen,
die nach dem ursprtlnglicheren Text gänzlich fem liegt.
*) so. *) unbekümmert, ruchlos. ') böseste.
^) Abgeschlossen ist die Begründung erst mit dem 3. Stück des Kap.
») 1. Cor. 13, 10, s. Kap. 1.
^) Die Ausführung dieses (Gedankens nimmt Kap. 40 ein.
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edlist yn allen dingen und hat es lieb yn dem waren gut
unnd nit anders 'den umb das war gut. — Sich, wa die be-
kentnus ist, da wirt bekant, das Christus leben das peste
und das edliste ist. Und davon ist es auch das allerliebste
unnd wirt gern gehabt unnd getragen unnd nit gefraget oder 5
gerucht,^) ob es der natur oder auch ymant woll oder wee
thu, lieb oder leid sey.^) Auch^j soll man mercken, yn
welchem menschen diß war gut bekant wirt, da muß auch
das leben Christi sein und beleyben pis yn den leiplichen tod
und wer anders wenet, der ist betrogen, und wer anders 10
spricht, der leugt. Und yn welchem menschen das leben
Christi nit ist, da ward auch das war gut und die warheit
nie bekant.
Niemant gedenck, das er zu dißem waren li echte und 17.
waren bekentnus kome oder zu Christus leben mit villiö
fragen oder von hören sagen oder mit leßen oder studieren*)
noch mit großen hochen kunsten und meisterschaft oder mit
hocher naturlicher vernuflft. Ich sprich : ia mer ^), alle die weil
das der mensch von icht etwas beheltet ^) oder icht yn seiner
lieb oder meynung oder yn begirde oder gesuch handelt oder 20
vorhanden hatt, das diß oder das ist,') es sey der mensch
selber oder sey was das sey, ßo kumpt er hie zu nit. Diß
hat Christus selber gesprochen. Er spricht *) : "wiltu nach myr
komen, so verzeich®) dich deinselbs und volg myr nach; und
wer nit sein selbs und alles verzeicht und verleßt und ver-2ö
leurt, der ist mein nit wirdig noch mag mein iunger nit sein^.
Diß meynet alßo: wer nit alle ding laßet und verleust, der
^) sich um etw. kümmern.
^) Der Maßstab des Goten liegt nicht in der Beziehung zum Menschen,
sondern ist objektiv. ') Nach A Absatz.
*) Diese Stelle nahm ein Hunnios der Th. D. übel, ein Arndt lobte sie
aufs höchste (Einl. S. 27 f.).
•) Ja vielmehr. •) von Etwas etwas hält.
') dis oder das = Kreatur als das geteilte im Unterschied vom Ein-
fachen, Vollkommenen.
») Mt. 16, 24. *») verleugne dich selbst.
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— 40 —
mag mich yn warheit nymer bekennen noch tzu meynem
lebenn komen. Unnd wer diß durch menschen mnnd nye ge-
sprochen, ßo spricht es die warheyt ynn yr selber. Wann es
ist ynn der warheyt allJo. Aber die weyll der mensch die
5 teil unnd die stuck und allermeist sich selber lieb hat und
damit umb geet und da von helt, ßo ist er und wirt alßo plint,
das er von keinem guten weiß, denn das ym zu ym selber und
zu dem seynen aller nutzest und aller bequemlichst und aller
lustigst ist: das hat es füer das peste und ist ym das liebste.^)
18. Seyder nu das leben Christi aller natur, selbheit und
icheit das pitterst ist (wann zu dem waren leben Christi mueß
alle selbheit und icheit und natur gelassen und verlören werden
und sterben), darumb grawet eyner yeglichen natur
vor dem leben und dunckt sie pöß und ungerecht und ein
15 torheyt und nympt an sich ein leben, das yr bequemlich und
lustig ist und sprecht und went von yr plintheit, es sey das
aller peste. Sich, nu ist kein leben der natur als bequem und
alßo lustig als das frey rauchlos leben. Darumb helt sie sich
an dasselb und brauchet sich yr selbs und yr selbheit und yr
20 einiges*) frids und gemachs und alles des iren alda selbes.
Unnd dis geschieht aller meist, da hoch naturlich vor-
nufft ist: wan die klimmet alßo hoch yn yrem eigen liechte
und yn yr selber, das sie selber wenet, das sie das ewig, wäre
liecht sey und gibt sich da für dasselb und ist betrogen an
25 yr selber und betreugt ander mit yr, die nit pessers wissen
und auch dar zu geneyget sind.')
*) d. i. Egozentrismus. Die deutsche Denkweise hat das Verdienst,
die Religion so Terstanden za haben, daß der Egozentrismus durch die An-
erkennung Gottes mit der Wurzel entgrOndet wird, während vorher der
Egoismus in einer feineren Weise gerade in der Religion anerkannt wurde.
Hier ist dieser Blick filr die transsubjektive Wirklichkeit vorhanden, für
Gott und darum auch für die Forderungen und Rechte der empirischen
Objektivität. Der Egoismus ist „Blindheit" gegen die Objektivität, die,
vom Bannkreis des eigenen Daseins aus gesehen, einzig richtige Gesinnung,
objektiv betrachtet aber illusorischer Subjektivismus. *) einzigen.
•) Wenn nachher das falsche Licht ausführlich behandelt wird, so
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— 41 -
Nu mocht man fragen: Wie stet es umb den menschen, 19.
der nach muglicheyt diJJem waren liecht etwen nachkampt?
Ich sprich werlich: es wirt nymer recht gesagt. Wammb?
der es nit ist, der kan es nit gesagen, und der es ist und
weiß, der kan es auch nit gesagen. Denn wer es wissen wil, 5
der warte, das er es werd.^) — Doch gelaub ich, das seyn
außer wandel und weise also stee: was seyn muß und sol
sein, das müg wol da mit besteen ; aber was nit muß und sol
sein, sunder ein lautter wollen sein, das mag [Diij] da mit
nichte besteen.*) Aber der mensch macht ym selber vil muß und 10
sol sein, das doch falsch ist. Treibt den menschen sein hochfart,
geitzickeyt und ander untugent und pößheit zu thun oder zu
lassen, ßo spricht er: 'es muß und soll sein'. Treibt yn der leute
gunst und freuntschaflft oder seins leibs lust indert *) zu oder
ab, ßo spricht er: 'es muß und soll sein'. Sich, dis ist alles 15
falsch. Hett der mensch kein ander muß oder soll sein, den
fragt es sich doch, ob hier eine Antizipation vorliege. Wohl nicht, denn
der hiesige Abweg ist der der bloßen Natar. Das falsche Licht teilt aber
mit dem wahren das Prinzip: die Gotteinheit (Einl. S. 43 f.).
') Pf. t : so wirt er erkennen nnd finden, das nie keines menschen
mnnt üsgesprach.
*) Der gottergebene Mensch darf allen Ansprüchen und Verpflichtungen
der objektiven Wirklichkeit nachkommen; ja, wie oben (S. 35, vgl. S. 54)
ausgeftUirt, ist eine wesentliche Bedeutung des relig. Grundverhaltens die,
daß es zu selbstlosem d. i. zu dem allein richtigen Verhalten gegen die
empirische Objektivität befähiget; aber er wird nicht aus sich selbst, aus
eigenem Wollen die Linien für sein äußeres Leben ziehen; da die Religion
gerade von jeglichem irdischen Interesse und EigenwiUen befreit. —
Das Gesetz des sittlichen Verhaltens nötigt die äußere Erfahrungswelt der
y,blinden*' Egoität auf; aus der Idee schlechthiniger Hingabe kann es nicht
abgeleitet werden ; aber die Hingabe ist die Voraussetzung wahrhafter Er-
füUung. Dieses rein synthetische Verhältnis zwischen dem religiös-sitt-
lichen Gnmdverhalten und den einzelnen sittlichen Aufgaben liegt auch bei
Luther vor, in der „Freiheit eines Christenmenschen". Beachtet man das
nicht und verlangt ein analytisches Verhältnis, so erhebt man den Tadel,
daß das Grundverhalten den sittlichen Aufgaben entfremde!
') irgendwo, irgend.
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darzu yn got und die warheit weiset und treibet, er het etwan
mehr') zu schicken und zu tun den nu.*)
20. Man spricht, der teuffei und seyn geist hab etwen eynen
menschen besessen und behafft, das der menscli nit weiß, was
5 er tut oder leßt, und er ist seinselbs ungewaltig, sunder der
pöß geist ist sein gewaltig und thut und last*) yn dem
menschen und mit ym und durch und auß ym, was er wiL
Es*) ist war yn eym synne, das alle die werlt besessen
und behafft ist mit dem teuffei, das meinet man mit lugen
10 und mit falscheit und ander pößheit und untugent : das ist alles
tewfel, wie das*) es auch yn eym andernn syn sey. Der nu
besessen und begriffen were mit dem geist gottes, das er nit
weßt, was er tete oder ließ, und sein selbs ungewaltig wer, und
der wil und der geist gottes were sein gewaltig und wurcket
lö und tete und ließ mit ym und auß ym, was und wie er wolte :
der were der menschen einer, da von sant Paulus spricht : *die
von gottes geist gericht und gefürt werdent, die sind gottes
kinder und sint nit unter der ee',*) und zu den Christus
sprach: *Ir seyt nit die da redent, sunder der geist ewers
20vatters redet in euch\') Aber ich furcht,*) hundert tausent
oder an tzal sind mit dem teuffei beseßen, da**) nit eins mit
gots geyst besessen ist. Das ist davon, das die menschen
hand mer geleicheit mit dem teuffei denn mit gott. Icheyt
*) etwan = bisweilen. Pf. : minder ; Luthers Lesart beansprucht auch
dem Sinne nach (der äußeren Bezeugung nach : s. EinJ. S. 9) den Vorzug.
Es ist nicht im Sinne der Th. D., die Schultern dem Menschen zu leichtem.
Aber das ist eine ihrer Erkenntnisse, daß der natürUche WiUe das Auge
des Menschen erblinden läßt für die sittlichen Gebote, d. i. die Ansprüche
und Rechte der empirischen Objektivität an uns.
^) Pf. t : wan gar vil unrüwe und anfechtunge macht im der mensche
selber, der er wel überhaben und uberich w6re. *) läßt.
*) A— : „Es — syn sey." *) Pf.: wie wohL
^) Eöm. 8, 13 ; ee — lange Zeit nnd was seit langem gilt, das Gesetz.
') Mt. 10, 20.
^) Pf. t : wä ein mensche wärlich mit dem geiste gotes s! besessen, das
da wider. ») Pf—: *da — ist\
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und selbheyt das ^) gehört alles dez teuflfel zu, und deßhalben
ist er ein teuflfel. Sich, eyn einiges wort oder zwey sprechen
alles, das diße vill wort sprechent, das ist: Bis lautterlich
und gentzlich an dich selber.^) Aber^) diße vil wort
habent es mer und paß*) ercleret und bewert und unter- 6
seheiden. Nu spricht man : 'Ich byn zu dißem allemsampt nit
bereyt, darumb mag es yn myr nit geschehen', und alßo ge-
wynnet und vindet man eyn entschuldigung.^) Szo antwort man
den und spricht : Das der mensch nit bereit ist oder wirt, das
ist werlich sein schuld. Wan het der mensch anders nit zu 10
warten oder zu schicken, den daz er der bereitung war nem
yn allen dingen und wie er bereyt wurde yn der warheyt,
got solte yn wol bereiten, und got hat alßo großen fleis und
lieb und ernst zu der bereitung als zu dem yngiessen, wen er
bereit were. 15
Doch sind etlich werck hie zu, als man spricht : Wer ein
kunst lernen wil, die er nit kau, da gehörent vier ding zu.
Das erst, daz aller notest ist, das ist groeß begird und fleis
und steter ernst, wie dis geschech. Und wo dis nit ist, da
g^chicht es nymer. Das ander: das man etwas hab, daran
man gelemen mag. Das dritt: das man dem lerer eben und
wol zuseh und zu warte und ym glaub und gehorsaz sey und
0 Fttr ^das' Pf.: min, mir und des glichen.
*) Thema des ganzen Büchleins.
^ A— : *Aber — unterscheiden'. *) Komparativ zu gut.
*) Die Freigeister lehrten deterministisch: wie alles nach göttlicher
Disposition geschehe, so vermöge auch der freie Wille nichts, weder im
Guten noch im Bösen, wenn er nicht von Gott geführt werde (416, 399,
vgl. Ein]. S. 43). War diese Anschauung der Hintergrund für die vorliegende
Entschuldigung? Die Antwort der Th. D. verfällt ins andere Extrem: daß
es an des Menschen Anstrengung liege. Sie hätte aber wohl das lösende
Wort fttr den Streit zwischen Augustins Ablehnung aller Vorbereitung, die
zun Prädeterminismus ftUirte, und dem Pelagianismus geben können: daß
es aUerdings eine menschliche Bereitung gebe, daß diese aber nicht auf
dem Gebiete der Willensleistung liege, sondern auf dem der Erkenntnis:
der Erkenntnis der Stlnde aus dem Gesetz; vgl. Kap. 11.
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ym nachvolge. Das viert: das man es angreif und übe. Wa
dißer eins geprieht, da wirt die kunst nymer gelernt oder
überkommen.^) Sich, alßo ist auch yn dißer bereitung; und
wer das erst hat, das ist fleis und stete ernstliche begirde zu
odez ende, der sucht und vindet alles das, das dar zu gehört
und dar zu dienet und nutz ist. Wer aber den 'ernst und
lieb und begird nit hat, der sucht auch nit, ßo findet er auch
nit und bleibet unbereit und kumpt nymer zu dem end.
21. Auch sagt man von etlichen wegen und bereitung hie zu
10 und spricht, man sol got leiden, ym gehorsam und gelassen
und unterthan seyn. Das ist war. Wan wer tzu dez ende
keme, das man yn der zeit geliaben und überkommen mag,*) yn
demselben wer dis alles yn rechter volkommenheyt. Aber wer
got leiden sol und wil, der muß und sol alles leiden,*)
lödas ist got und sich selber und alle creaturen, nichtz [Diiij]
auß genomen. Und wer got gehorsam, gelassen und unter tan
sol und wil sein, der muß und soll allein *) gelassen, gehorsam
und unter tan sein yn leydender weis und nit yn tunder weis,
und dis all zumal yn eym sweigenden yn pleiben yn seym
20grund seiner sele und yn eym heymlichen verborgen leiden,
alles zu tragen und zu leiden und yn allem dißem kein be-
helflFung ^) noch entschuldigung noch wider rede noch rachung
zu tun oder zu begeren, sunder yn allem yn einem lieb-
habenden, demutigen, waren erbarmung sprechen : *Vatter, ver-
26 gib yn, wan si wissent nit waz sie tund.'*)
Sich, diß wer ein gut weg zu dem pesten und bereitung
zu dem letzten ende, das der mensch yn der zeit über komen
*) erlangt.
') zu der in dieser Zeit möglichen Vollkommenheit.
*) Hier tritt wiederum (vgl. S. 41. 35) die empirische Objektivität mit
dem Bestimmungsgmnd der schlechthinigen Hingabe zusammen in Gegen-
satz zum Subjekt. Die schlechthinige Hingabe hat gerade die Bedeutung,
eine wirkliche innere Zuwendung des vorher blinden Subjektes zur ob-
jektiven Wirklichkeit zu ermöglichen.
*) Pf.: allen dingen. ") Behelf.
*) Luc. 23, 34. Die Idee der Vergeltung wird hier abgelehnt.
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mag, das ist das lieblich leben Christi. Wan yn dez leben
Christ sind und werden die vorgenanten weg behalten vollick-
lich gentzlich bis yn das ende des leiplichen lebens. Darumb
za dem lieplichen leben Jhesu Christi ist kein ander, pesser
weg oder bereitnng dann dasselb leben, und sich dar yn ge- 6
übt, alß vil es muglich ist. Und was dar zu gehört, davon
ist etwas vor gesagt. Und ^) alles das, das hie und anderswa
gesprochen ist, das ist alles weg oder weg weiße zu dem
waren ende. Aber was das ende-) sey, da weyß niemant
von zu sagen. Aber wer es gern weste, der gee den rechten 10
weg dar zu, das^ ist diß leben.
Aber doch sind auch*) weg zu dem leben Christi, alß 22.
vor gesagt ist. Wan und wo got und mensch ver-
nein ig et worden sind, alßo das man yn der warheit spricjht
und die warheit bekennet sein,*^) das eines ist war, volkumen 15
gott und war, volkum meensch r- und doch der mensch gote
iils gar entweichet,^ das got alda selber ist der mensch'),
und got ist auch alda selbst und daselb ein steticklichen ®)
wurcket und tut und lesset on alles ich, mir und mein und der
gleich — sich, da ist war Christus und anders nyndert.*) 20
») A— : *nnd ff. samt^ap. 22.
') Die Vollendang der religiösen Beziehung, nicht das Lebensende
und das Leben nach dem Tode (Büttner).
') St. „das ist diß leben." Pf.: „das ist das demütig leben J§8U
Kristi; dem selben volge man n&ch mit einer steten vorhaminge, so komet
man ftne zwifel zu dem ende, das d& ewiglich weret: wan wer vorharret
bis an das ende, der wirt s^lik."
*) Pf. f: mer (der erste Weg: Kap. 20, 2. Tl.; ein zweiter: Kap. 21).
*) bekennet es; sein ist Genetiv; gemeint ist die Formel der kirch-
lichen Zweinatnrenlehre.
**) so sehr vor Gott zurücktritt.
^) Das sittliche Ideal ist eben nichts anderes als : Gottheit im Menschen ;
4aher kann der Vf. der Gottheit Christi auf ethischem Wege völlig gerecht
werden; der Unterschied ist nur, daß in Christus von Haus aus das ethische
Ideal verwirklicht war S. 34 Z. 27 f., während unsere Natur Sünde ist.
**) soU „ein" zur Geltung kommen, so etwa: einträcbtiglich.
•) nirgends.
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Seit ^) nu hie war volkumen mensch ist, ßo ist hier auch
volkumen fälen unnd enpfinden wol unnd wee, lieb nnnd leid,
und alles das, das befület und erfaren werden mag von außen
und von ynnen. Und seit denn gott alda der selb mensch ist, ßo
5 ist er auch empfindlich und erkentlich liebs und leids und des
gleich. Als ein mensch, der nit got ist, befindet und er-
kennet alles das, das dem menschen wol und wee tut und
besunder das yhm wider ist. Alßo ist es auch, da gott und
mensch eins ist und doch gott der mensch ist: da wirt alles
10 das befulet und enpfunden, das got und mensch wider ist.
Und alls da selbst der mensch zu nichte werde und got
alles ist, alßo wirt es auch umb das, das dem menschen
wider ist, und sein leiden wirt gar zu nicht gegen dez,
das got wider*) ist und sein leiden ist; und diß muß weren
15 von gott, aDe die weil das leiplich und wesenlich*) leben
wert und ist.
Auch sol man mercken, das das ein, da gott und mensch
vereyniget sind, an sich selber und an all und alles ledig steet
und ist, das ist gottes halben und nit des menschen oder der
20creaturen halben. Wann gotz eigen ist on diß und das und
on selbheyt und icheit und dem es gleich stee und sey. Aber
creaturen und naturen eygen *) ist, das sie sich selber und
das yr und dis und das hie und da suchet und wil yn
aUem dem, das sie tut oder lasset.*^) Wan nu die creature
25 oder der mensch sein eigen und sein selbheit und sich ver-
leußt und außget, da get got ein mit seim eigen, das ist mit
seyner selbheyt.®)
>) Weil. 2) wider Gott.
') wesentlich. Dieser Abschnitt hat die Bestimmtheit der inneren
€rottheit durch die Menschheit des Vergotteten (soliuige das leibliche Leben
währt !) zom Gegenstande ; der folgende den göttlichen Charakter des Ver-
gotteten, das genns maiestaticnm (das ist gottes halben!)
*) Pf.: „der cr^atüre nätnr und eig^n."
*) K. f: „iren frumen und nutz enpfähen."
^) Büttner verbessert: Seligkeit.
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n. a. Aach sol man mercken, fio der mensch alle die weg 23.
gegangen hat, die yn zu der warheit weisen, und sich da ynn
geübt hat und ist ym säur worden: als lang und als yil
das er meynet,^) es sey zumal geschehen und er sey gestorben
und sein selbs außgangen und gott gelassen, ßo seet den der 5
teuffei seinen samen daryn. Auß dem samen wachsen den
zwo frucht. Die ein ist geistlich reichtum oder geistlich
hochfart; die ander ist ungeordente, falsch freyheit.*)
Das sind zwey geswistret, die dick unnd gemn bey eyn ander
sind. Sich, dis erhebt sich also. Der teuffei bleset dem 10
menschen eyn, das den menschen duncket und er wenet, er
sey [E] auff das höchste und auff das nechste komen und darff
weder geschrifft noch diß noch das fürbaß mer unnd sey auch
zumal durftlos*) worden.
Und *) da von stet yn ym eyn frid auff und großer lust *) 15
und volget dan dar nach, das man spricht: Ja, nu byn ich
über all menschen und weiß und verstee mer dan alle
die werlt, und darumb ist biUich und recht, das ich aller crea-
turen got sey und mir all creaturen und besunder all
menschen dienen und warten und mir untertenig seyen, und 20
sucht und begert dasselb und nympt es an gemn von allen
creaturen und besunder von dem menschen und duncket sich
diß alles wol wirdig sein und man sey es ym schuldig und
heltet alle menschhen zu samen als esel oder als vich, und
auch alles, das seinem leib, seynem fleisch und seiner natur25
zu guth und zu lust, kurtzweil unnd getzlicheit geschehen mag,
das dunckt er sich alles wirdig und sucht und nympt es an,
*) wenn er es meint, d. h. wenn er sich seiner Vollkommenheit be-
waßt ist, sich ihrer als der seinigen annimmt — was ja gerade gegen die
Vollkommenheit der Hingabe ist — ; hierauf Uegt der Nachdruck, vgl. S. 103, 4 ff.
*) Der Irr- und Abweg von der mit der Th. D. gemeinsamen (s. die
Einl. des Kap.) Gmndanffassnng der Eeligion: Die Lehre der Brüder vom
freien Geiste; s. Einl. S. 43f. ') bedürfnislos.
*) Es folgt 1. die Beschreibung der Hoffart und Selbstüberhebung.
^) Für „großer lust" Pf.: ein wolgefallen sin selbes.
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wan es ym werden mag und dunckt yn alles zn kleyn, was
man ym getun mag, und er meynt, er sey sein alles wol
wirdig. Und alle menschen, die ym dienen und untertenig
sind, ob sie auch diebe oder morder weren, ßo spricht mau
5 doch, es sind edel, getrew hertzen und haben liebe und trew zu
der warheyt und zu armen menschen, und werdent gelobt von
yn und die selben suchet man und volget yn nach, wo sie
sind. Aber wer dißen hochfertigen menschen nit tut und
wartet und untertenig ist nach yrem willen, der ist auch un-
10 gelobt von yn und auch leicht gescholten und ungesucht, und
ob er auch^) als heylig wer als sant Peter.
Syder^) nu diße reiche geistliche hoffart dunckt, sie
durff nit geschrifft noch lere und des gleich, ßo werdent
da alle weis, Ordnung und gesetz und gebot der heyligen
lökirchen und die sacrament zu nichte geachtet und auch zu
einem spott und auch all menschen, die mit dißer Ordnung
umbgend und davon haltent. Hier bey merckt man wol, das
diße zwo schwesternn bey eynander wonent. Sider auch diße
reich hoffart dunckt, sie wisse und verstee mer dan alle
20 menschen, ßo wil sie auch mer claffen und reden dan all
ander menschen und wil, das yr wort und yr rede sal allein
geachtet und gehöret sein und all ander wort und redt soll
unrecht sein, und auch ein spot oder ein torheit.
24. Aber*) wa geistliche armut ist und war geist-
25iiche demuttickeit, da ist es vil anders, und dis kommet
davon, daz yn der warheit*) gefunden und bekant wirt, das
der mensch von ym selber und von dem seinen nichtz ist noch
vermag oder hat noch taug, dan allein gepresten und untugent
und poßheit. Dar nach volget, das sich der mensch zumal
30 unwirdig findet alles des, das ym von gott oder von creaturen
*) A— ; Pf.: halt. *) seit, hier = weil. Hier nun 2. die falsche
Freiheit.
*) Kap. 24 : Die richtige Konsequenz der Grundanschauung. Zu allen
Folgenden ist auf die Lehre der Freigeister (Einl. S. 44) zu achten.
*) Daß hier, in der Wahrheit, nämlich des Gottesglauhens. .
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geschehen mag, und das er schuldig ist gott und allen
creaturen an gots stat yn leydender weiß und auch etwan
yn tunder weis. ^) Und darumb hat man yn der warheit
nyndert zu -) recht und wirt da gesprochen auß eim demütigen
gemfit: *Es ist billich und recht, das gott und all creaturen 6
wider mich seien und recht über mich und zu myr haben und
ich wider niemantz sey und zu nicht recht hab'. Hie nach
volget, das der mensch nichtz pitten oder begeren bedarff oder
wil, weder von got oder von creaturen, dan ploß notdurflft,
und dasselb alles mit forchten und von gnaden und nit von 10
rechte, und lasset auch seinem leib und seiner natuer auch nit
mer zu gute oder tzu luste geschehen dan notturflft, und lasset
noch gestattet ym niemant zu helffen oder zu dienen dan yn
notturflft, und dasselb alles mit forchten. Wan er zu keim
recht haet und dunckt sich sein alles unwirdig. 15
Auch duncket disen menschen, das alle seine wort und
seine rede nichtz sey und ein torheit. Darumb redet er und
spricht nicht, iemant zu leren oder zu straffen, ynn treib dan
gotlich lieb und trew darzu, und dasselb geschieht mit forchten
und ßo es mynst^) mag. 20
Auch wirt yn dißem geistlichen armut und demütickeit
verstanden und funden, das alle menschen komment zu mal
auflf sich selber und auch auif untugent und poßheit geneigt
und gekert sind; und das darumb not und nutz ist, das Ordnung
und weis und gesetzt und gebot sind, das die blintheit *) da mit 25
geleret werd, und poß- [Eij] heit gezwungen werd zu orden-
licheit. Und were des nit, die menschen wurden vill poßer
und ungeordenlicher dan hund oder ander vich. Und wirt
auch mannich mensch durch diße weise und Ordnung gezogen
und gekert zu der warheit, das anders nit geschech. Auch*) 30
wenig menschen zu der Wahrheit komen sind, sie haben dan
*) „Gehoream und demütige Unterwürfigkeit gegen alle Kreatur um
Gottes willen" das ist Luthers Ideal, z. B. I, 263, 16.
*) zu nichts. ') so gelind er kann. *) S. 40.
*) A— : „Auch — wisten."
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— 50 —
vor Ordnung und weis angefangen und sich dar yn geübt,
dieweil sye nit anders oder pessers wisten. Sich, hiemmb
sind gesetzt^) und die gepot und Ordnung und weise yn der
demütigen geistlicheit und yn geistlichen armut nit versmecht
6 noch verspottet und auch die menschen, die da mit umb gand
und sie handeint. Sunder da wirt gesprochen yn einer lieb-
habenden erbarmung und yn eim clagenden iamer und mit-
leyden: Got*) und warheit, dir sey geclagt, und du clagest
es selber, das menschlich plintheit und geprech und poßheit
10 macht, das das not ist und seyn muß, des yn der warheit
nit not ist noch solte seyn; und") ist ein begird, das die
menschen, die nit pessers odder anders wissent zu der warheit
zu komm, das sie wissen und bekennen, warumb alle gesetzt
und Ordnung sein und geschehen. Und man*) greiftet es an
16 mit den andernn,*) die nit pessers noch anders wissent und
übet es mit yn, auff daz man sie da bey behalte, das sie nit
zu pößen dingen keren, oder ob man sie möchte zu einem
nehem prengen.
Sich, alles, das hie vor gesprochen ist von armut und
20 demüttickeit, das ist yn der warheit alßo, und man bewert
und bezeuget das mit dem leben Christi und mit seinen
Worten. Wan er hat alle werck der waren demüttickeit ge-
übt und volbraciit, als man yn seinem leben vindet; und mit
Worten spricht er es : ^Lernet von mir, das ich gutig pyn und
26 eins demütigen hertzen'.*) Er hat auch die ee und die gesetz
nit versäumt noch versmecht noch die menschen yn der ee.
^) Gesetze. '*) Af: Her.
*) St.: „und — menschen." Pf.: „Wan die da volkomen sint, die
sint nnder keinem gesetze. Dar nmb so sint ordenong, gesetze, gebot und
des glichen newer ein nnderwisange den menschen." Wenn jeder Mensch
in der Wahrheit wäre, d. h. daß er seinen WiUen Gott ließe, so würde es
znm Znsammenleben keines Gesetzes bedürfen, sondern das Eichtige würde
Ton selbst geschehen.
*) Pf.: die volkomen menschen.
*) Pf.: solchen einfeldigen menschen („homines grossi" Einl. S. 44).
«)Mt. 11,29.
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— 51 —
Er spricht wol: ^) Es were dar an nit genug: man sol forbas *)
komen, als es yn der warheit ist.*) Es ist auch geschribea
Yon S. Paulo:') 'Christus nam die ee an sich, aoff das, das er
die, die unter der ee waren, erWßet'. Das meynet er, daz er sie
tzu eynem nehernn unnd pessern brengen möchte. Er sprach 5
awh*): 'Ich byn nit komen, das man myr dyene, sunder ich
sol dienen'. Eurtzlichen, in Christus Worten und wercken und
leben yindet man nit dan war, lautter demüttickeit und armut,
und als vor hie gesprochen ist.
Und wa got der mensch®) ist und "0 wa Christus ist, da maß 10
und sol von not das seyn. Und wo die hochmütickeit ist und die
geistlich reicheit und das leicht, frey gem&te, da ist nit Christus
noch sein war nachvolgender. Christus sprach: 'Mein seel ist
betrabt pis yn den tod'.®) Er meynt den leiplichen tod; das*)
was von dem, ^®) das er von Maria gepomn ward, pis yn den 15
leiplichen tod und^^) wa von das was, das ist vor gesagt.
*) Pf. i": ^ich bin nicht komen die ß oder das gesetze zu brechen, sunder
zu erfaUen. Aber er spricht" Mt. 5, 17.
*) Pf. f: »zii einem hohern und bessern."
■) Mt. 5, 20 die Wahrheit: das vor Gott erforderliche Grandyerhalten.
Pf. f : „Es spricht 'es s! dan, das ewer gerechtikeit m^r und yoUcomener si
dan der schriber und glisner, so mögt ir nit in g^n in das rieh der himel.'
Wan das gesetze vorbüt die hosen werk, aber Kristus vordampt ouch die
hosen gedanken. Das gesetze erlenbet ouch, das man sich an den finden
rechen mag, aber Eristns gebftt die finde lieb zn haben (Mt. 5, 44). Das
gesetze erlenbet das zitlich gut, aber er rSt, man soUe es als yorsehmdhen
(Mt 19, 21 ff.), and das h&t er aUes bew§ret mit sinem heiigen leben : wan
6r hat nichtes gel^ret, er habe es dan vor yorbrächt mit den werken, und
hat doch das gesetze gehalden nnd ist im undertän gewest bis in den lib-
Üchen tot."
*)Gal.4,4f. »)Mt.20,28.
^) Bezeichnung der sittlichen Vollkommenheit, des Frommen. Lnther
am Bande: i. e. nbi devB est nostnim ego et tota intentio.
') St.: „wa Christas ist." Pf.: „der mensche ein warer nachfolger
Kristi ist."
«) Mt. 26, 38 Beachte die Auslegang. Vgl. S. 17.
•) A— : „das — gesagt." ^^) yon da an.
^^) St.: and — gesagt" Pf.: „hete er nie keinen gftten tak, sander
Mandel, Tbeologla Deutsch. 7
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— 52 —
Christus spricht: ,Selig sind die, die des geistes armm sind,
das sind die waren demutigen; wan gottes reich ist yr'.^)
Alßo spricht auch die warheit, allein es nit geschriben ist:
Unselig und vermaledeyt sindt die geistreichen und hoch-
5 mutigen, wan des teufeis reich ist yr. Sich alßo vindet
man yn der warheit, wa gott der mensch ist. Aber wa
Christus und seyn war nachvolger sind, da muß von not
war, gruntlich und geistlich demuttickeit und geistlich armut
sein und ein nidergetruckt, ynbleibendes gemüt, und das sol
10 inwendig vol heymlichs, verborgens iamers und leidens sein
bis yn den leipUchen tod. Und wer anders wenet, der ist
betrogen und betreugt ander mit ym, als vor gesagt ist.
Und darumb get alle natur und selbheit von dißem leben
und heltet sich zu dem falschen ledigen leben, als vor ge-
15 sprechen ist.
Sich, nu kumpt aber ein Adam oder ein teufel und wil
sich behelfen oder entschuldigen und spricht : „Man sagt vast,
Christus were an sich selber und der gleich: nu sprach er
doch dick von ym selber und rümte sich diß und des und
20 der gleich"! Antwurt: Wa warheit wurcken und wellen-)
sol und wil, so ist ir willen und begirde und werck umb
nicht anders, dan das warheit bekant und offenbar werd, und
diß was yn Christo. Und darzu gehörten wort und werck.
Und was darzu das nutzeste und das peste was, und was
25 des gleichen da geschach, des stundt er alles ledig als anders, ')
das da geschach. Nu sprichstu aber: „so was doch war- [Eiij]
umb*) in Christo". Ich sprich: der die sunnen fraget, warumb
scheinestu, sie Sprech: 'ich muß scheinen und vermag anders
nit, wan es ist mein eigenschafft und gehört mir zu; und
'^ der selben eigenschafft unnd des scheinens sten ich ledig.' Alßo
ist es auch umb got und Christum. Und alles, das gotlich
trübsal, liden und widerwertikeit. Dar umb so sol es ouch gar billich in
sinem diener sin."
') Mt. 5, 3. *) wollen. ■) wie anderer Dinge.
*) Ein Erreichen wollen, eine Abzweckung.
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— 53 -
ist und got zu gehört, das wil und wurckt und begert anders
nit dan als gut und umb gut, und da ist anders kein warumb.
Dar nach sol man mercken : Wan man spricht und auch 25.
Christus selber spricht|: Man sol alle ding lassen und Ver-
liesen,^) das sol man nit alßo versten, das der mensch nichtz 5
zu tun oder vorhanden sol haben. Wan der mensch muß
auch etwan etwas tun unnd zu schicken han, die weil er lebt.
Aber man sol es alßo verstee, das alles des menschen ver-
mögen, thun und lassen und wissen und auch aller creaturen
ist nit das, da die vereynigung an ligt. „Was ist nu dieia
einigung?" Nit anders dan das man lautterlichen und ein-
felticlichen und gentzlichen yn der warheit einfeltig sey mit
dem einfeltigen, ewigen willen gottes oder auch zumal on
willen sey und der geschaffen wille geflossen sey yn den
ewigen willen und daryn versmeltzet sey und zu nichtei5
worden, alßo das der ewig will alleyn daselbst wolle, thun
und laß. — „Nu warte: was mag dem menschen hie zu ge-
gedienen oder gehelffen?" Sich, das mag weder wort noch
werck adder weis, auch keiner creaturen noch aller creaturen
werck, wissen, vermügen, tun oder lassen. Sich, alßo sol man 20
alles verlyesen und lassen, das ist, das man nit wenen oder
gedencken solle, das kein werck, wort oder weiße, kunst oder
meisterschaft und kurtzlich alles, das geschaffen ist, kau hie
zu weder gehelffen noch gedienen, sunder man muß diß alles
lassen sein daz es ist, und gen yn die eynigung. Doch 25
müssent die ding seyn und muß man tun und lassen, und
besunder der mensch muß slaffen und wachen, gen, sten, reden
und sweigen und anders vil, das auch sein muß, die weil der
mensch lebt.
Auch sol man mercken yn der warheit : wa die eynigung 26.
geschieht und wesenlich wirt, da stet farbas mer der ynner
mensch yn der eynung unbeweglich und gott let^) den
1) = yerlieren. Mt. 19, 21. Die Freigeister sagten: Vollkommene
Menschen branchten sich nicht an die Arbeit zu halten, sondern dürften
feiern und sehen, wie freundlich der Herr sei (892, 409). *) läÜt.
7*
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-. 54 —
ausser menschen her und dar bewegt werden yn dem
und zu dem da ^) muß oder sol sein oder geschehen, siSkOy daz
der ausser mensch spricht und es yn der warheit also ist:
*Ich wil weder sein noch nit sein, leben oder sterben, wissen
5 oder nit wissen, tun oder lassen, und alles das dißem gleich
ist; sunder alles, das da muß und sol sein und geschehen, da
bin ich gehorsaz zu, es sey yn leidender weis oder yn thuender
weise.' Und hat der ausser mensch kein warumb oder
gesuch, sunder allein dem ewigen willen genug zu seyn. Wan
10 das wirt bekant in der warheit, das der inner mensch sten
sol unbeweglich unnd der ausser mensch muß und sol bewegt
werden. Und hat der ynner mensch yn des äußern beweglicheit
ein warumb, das ist anders nit dan eyn muß und sol sein,
geordnet von dem ewigen willen. Und wa got selber der
15 mensch were oder ist, da ist ym also. Das merckt man yn
Christo. Auch wa diß yn gotlichem und auß gotlichem liecht
ist, da ist nit geistlich hochfart noch unachtsam freyheit oder
auch frey gemut, sunder gruntlich demütickeit und ein nider ge-
schlagen, ingesuncken, betrübt gemüt, und alle ordenlicheit und
20redlicheit,*) und geleicheit und warheit, und was allen tugenden
zu gehört, das muß da sein und fridt und genügte seinent-
halben. Wa es anders ist, da ist ym nit recht, als anderswa
mer gesprochen ist und auch recht.') Alß dis oder das zu
dißer eynung nit gehelffen oder dienen kan, alßo ist auch
25 nicht, das es gehindem oder geyrren mag, dan allein der mensch
selber mit seinem eigen willen.*)
27. Es ist gesprochen und gehört,^) der mensch mug und sol
werden yn der zeit unleidenlich yn all weis, als Christus
was nach der urstend ; *) und das wolt man beweisen und be-
^) zu dem, das da. *) Veniünftigkeit.
*) und auch recht, nämUch gesprochen ist; oder znm folgenden Satz
zu ziehen: „Recht. als . . .
*) Pf. f : „der tut im disen großen schaden. Das sol man wissen."
^) von den Freigeistern, EinL S. 44.
*) Anferstehnng.
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— 55 —
weren da mit, das Christus sprach: 'Ich wil euch vor fEiiij] gen
in Gdilea ; da solt yr mich sehen' ^) und auch das er sprach :
^Ein geist hat weder fleisch oder gebein, als ir mich sechent
haben' ^; und wolt man das also glosieren: als ir mich ge-
sehen haben und mir nachyolgend sind mit eym totlichen 5
leibe und leben, also solt ir mich auch segen'), und ich sol
euch vor genn und yr mir nachvolgen in Galilea, daz ist in
einer unleidlicheit und yn einer unbeweglicheit befinden und
smacken sollent, und dar ynne leben und bliben, ee dan ir
den leiplichen todt durch gand und erleident. Und als ir mich 10
sehet fleisch und gebein haben, und ich doch unleidenlich byn,
also solt ir auch vor dem leiplichen todt in ewer leiplicheit
und yn ewer totlichen menscheit unleidenlich werden.
Sich, nu antwurt man von erst zu dißen bewerungen und
spricht, daz Christus nit gemeinet hat, das der mensch hie zu 15
kernen mag oder solle, er hab dan vor alles das durch gangen
und gelitten, das Christus durch gangen und gelitten hat Nu
was Christus nit hie zu komen, ee dan er den leiplichen tod
dnrchgangen und gelitten hat und anders, das dar zu gehöret;
al£o mag oder sol kein mensch dar zu komen, alle die weil 20
er tötlich und leidenlich ist. Wan wer diß das edlist und
daz peste, und wer es mägenlich zu geschehen und solt es sein,
daz man yn der zeit dar zu kem, als vorgesprochen ist, es
wer in Christo auch geschehen. Wan Christus leben was und
ist das edliste und daz peste und gott daz wirdigst und daz 25
liebst leben, daz ye ward oder ymer wirt. Wan es nu in
Christo nit geschehen solt oder möcht, ßo sol es auch yn
keim menschen nymer geschehen, also das es in der warheit
das peste und daz edliste sey. Man mag seyn wol wenen
oder man mag es sprechen, es ist aber nit also. 30
Man spricht auch, man sol und müg kommen über all 28.
tugent und über all weis, Ordnung und gebot, gesetz und
redlicheit, also daz man diß alles hin legen sol und sol es
>) Mt. 26, 32. «) Luc. 24, 39. ») sehen.
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— B6 —
auflfschieben und vernichten. Hie ynn ist etwas wares und
etwas unwar. Diß sol man mercken. Sich, Christus waz über
Christus leben und über all tugent, weis und Ordnung und
waz des ist, und der teufel ist auch darüber, aber mit unter-
5 scheid. Wan Christus was und ist über diß alles yn dez
vorstand: aller der wort und werck und weiße, thun und
lassen, sweigen und reden, leiden und alles, das in Christo
ye geschach, was ym nit not oder bedorflft sein nit und was
ym kein nutz zu yin selber. Sich, alßo was und ist.es auch
lOumb all tugent, Ordnung und redlicheit und des gleich: wan
was hiemit zu uberkomen ist und etwas hie mit zu über
komen were, daz ist in Christo alles vor und ist bereit
da;^) yn dißez vorstand ist es auch war. Und yn dißez
vorstand ist auch sant Paulus wort war unnd zu versten,
15 da er spricht: *die von gottes geist geweiset unnd ge-
wurcket und geleitet werden, die sind gots kind und sind
nit unter der ee;'^) yn eim^ syn, das ist: man darff sie
nit leren, was sie tun oder lassen sollen ; wan yr meister, der
geist gottes, soll sie wol leren. — Auch bedarft man yn nit
20 gepieten oder heissen wol tun oder übel lassen und der gleich ;
wan derselb, der sie leret, was gut oder ungut ist oder sey
oder das pest oder nit, der selb gepeut yn auch und heist sie
bleiben bey dem pesten und das ander lassen, und dem sind
sie gehorsam. Sich, yn dißez vorstand durflfen sie keiner ee
25 noch lernung noch gepot warten. — Auch yn eym andern ver-
stand durfFent sie keiner ee, daz sie yn selber da mit icht
uberkomen oder gewynnen oder yn selber entzwar *) zu nutze
sey. Wan was man mit disen oder auch mit allen creaturen
hilff oder rede, Worten und wercken überkommen oder ge-
30 schicken mag aufF den ewigen weg und zu dem ewigen leben,
daz hand sie alles bereyte.*^) Sich, yn dißem syn ist es war,
*) aUes zuvor und bereits da. ') Köm. 8, 14.
') betont, = ersten; es folgen zwei weitere Punkte, 8. Einl. S. 17.
*) = eteswar? = irgendwozu.
*) Pf. : bereit vor an. — Also keine Ethik des "Endzwecks. Es ist nichts
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— 67 —
das man über alle ee und tugent komen mag und auch aber
all creaturen werck und wissen und vermugen.
b. Aber das ander, das man spricht: man sol beide, Christus 29.
leben und alle gebot und gesetz, weise und Ordnung und
der gleich alles hin legen und auf schieben, und man sol 5
eir^) unachtsam sein und verschmehen und haben es zu eim
spot, das ist falsch und gelogen. Sich, nu mocht man sprechen:
[F] Seit dem mal *) beide, Christus und auch ander menschen, mit
Christus leben oder mit allen weisen, Ordnung und der gleich
nichcz über komen oder nutzes schaffen mugent, wan das da 10
mit zu uberkomen ist, das habent sie gereite,*) was sol es
yn dan fürbaß, das sie es nit unterwegen lassen sollen?*)
SoUent sie dennocht da mit umbgan und soUent es handeln
und furthin treiben?
Sich, das sol man wol mercken. Es ist zweierleylö
liecht: eyn war liecht und das ander falsch.*^) Das war
liecht ist das ewig liecht, das got ist, oder es ist ein ge-
schaffen liecht®) und ist doch gotlich, und das heist man
gnad, und dis ist alles war liecht. So ist falsch liecht natur
oder naturlich. Warumb ist aber das erst liecht war und 20
zn erreichen. Alles liegt an einem persdniichen Grandyerhalten. (Vgl.
£inl. S. 39 f.) Mit Recht \vird die Endzwecklehre als Gesetzesdienst be-
schrieben : wenn die Handlangen den Zwecken nach geregelt werden soUen, so
kommt man nie über das Gesetz, nie zu der Freiheit des Christenmenschen,
dem alles, was die empirischen Forderungen freilassen, erlaubt, weil er dem
persönlichen Verhalten nach, über und Tor allem Handeln, mit Gott eins ist.
') „eir" = 6r = ehe. *) sintemal •) bereits.
*) Diese Frage drängte sich auf, weil die Freigeister das Leben Christi
als eine niedrigere Stufe ansahen (vgl. die Lehre, die von ihnen zwar nicht,
aber Ton den Amalrikanem überliefert: daß nach der Offenbarung des
Sohnes nun im hl. Geist eine neue Offenbarungsstufe gegeben sei), und weil
die Th. D. aUerdings mit ihnen in der Ablehnung jeder mittlerischen Be-
deutung Christi, nach der durch ihn etwas zu erlangen wäre, eins war. —
Die Antwort unter ausdrücklicher Bezugnahme erst Kap. 36.
^) Das wahre Licht wird bis Kap. 37 dargesteUt, Kap. 40 das falsche.
**) wie man unterschied gratia increata, die Gnade in Gott, gratia
creata, die Gnade als Beschaffenheit im Menschen.
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— 58 —
das ander falsch? Diß sol mann paß mercken, da maHä
schreiben odder sprechen kan. Got als gotheit gehört nit
zu, weder wil noch wissen oder offenbaren noch diß noch das^
das manl genennen mag odder sprechen oder gedencken.
5 Aber gott als got gehört zu, das er sein selb veriehe') und
sich selber bekenne und liebe und sich selber ym selber
offenbar in ym selber, und diß noch alles yn got, noch alles
als ein wesen und nit als ein wurcken, die weil es on creatur
ist, und yn dißez veriehen und offenbaren wirt die person-
10 lieh unterscheid.*) Aber da got als got mensch ist oder da
gott lebet in eim gotlichen oder yn eim vergotten
menschen, gehört got etwas zu, das sein eigen ist und
*) sich bekennen.
^) Gott als Gottheit d. i. das über alle Verschiedenheit, Einfelheit
und Ichheit erhabene Vollkommene, das „Nichts*^ im Verg^leich mit aU
diesem (Kap. 1). Gott ist aber Gott d. i. selbstbewußte Person nur dadurch,
daß er, wie alles Selbstbewußtsein, sich selbst erfaßt, daß er sich gegen-
ständlich wird, sich selbst bekennt. Da wird die zweite Person der Gottheit :
das Wort (Logos). — Es ist geleugnet worden, daß der persönliche Unter-
scheid trinitarisch zu verstehen sei : die Th. D. wisse überhaupt nichts von
der Trinität; der Unterscheid bestehe darin, daß Gott nch selbst liebe als das
wahre Gut, daß er sich als solches selbst erfasse (S. 81 20 ff.; ygL S. 61 1«).
Auch der Schlußsatz des Büchleins sei daher nicht ursprünglich (Reifen-
rath, S. 52). Nun ist diese Auslegung angesichts des Sinnes von „persön-
lichem Unterscheid^ bei Tauler und Eckhart sicher unhaltbar (so schon
Maoff S. 16 f). Aber das ist zuzugeben, daß die Ohristologie der Th. D.
eigentlich die Trinität bei Seite schiebt .- nach Maßgabe des sittlich-religiösen
Ideals ist Gott selbst in Christus. Anderseits aber ist die Unterscheidung
von Gottheit und Gott aus der genuinen Gotteslehre der Th. D. immerhin
zu verstehen, wiewohl man auch sagen kann, daß sie der Trinität zu Liebe
gemacht sei. — Diese beiden Stufen nun hat Gott für sich ; bliebe es bei ihnen,
so hätte er in der wirklichen Welt keine Wirklichkeit. Nun könnte man
darauf verweisen, daß GK>tt schon als Gottheit, als das Vollkommene, zu-
gleich die Macht in aUer Wirklichkeit sei Aber es handelt sich darum, daß
Gott als solche anerkannt werde, daß er in einem bewußten und woUenden
Wesen seine volle Wirklichkeit bekomme (S. 92 ig ff., 93 1 ff.), dann erst ist
sein Sich selbst aussprechen vollendet. — Der hl. Geist spielt keine RoUe;
die Dreiheit ist: Gott in Ewigkeit, der persönliche Unterschied und Gott
als Mensch.
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— 59 —
ym allein sm gehört und nit den creatnren; und ist yn ym
8elb^ on creatur, ursprunglich und wesenlich, aber nit
förmlich oder wurcklich;*) und got wil dasselb geubet haben,
wan es ist darumb, das es gewurcket und geübet werden sol.
Und was solt es anders? solt es müssig sein, was wer es 5
dan nutz? wan was nyndert zu*) nutz ist, das ist umb sunst
und das wil gott oder die natur nit. Wil got *) nu das geübt
und gewurdLet hau, und das mag on creatur nit geschehen,
das es also seyn solle. Ja solte weder dis noch das sein,
oder were diß noch das, oder wer kein werck oder wurck-lO
licfaeit oder der gleich, was wer oder solt got auch selb^,
oder was wer er?*) Man muß hie umbkeren und beleihe:
man mocht dißem alßo vehrr nachvolgen und nach kriechen,
man weßt*) nit, wa man were oder wa man wider auß
kriechen solt. 16
1) Nu sol man mercken.*) Got als er gut ist, ßo ist er gut 30.
als gut und ist wider diß gut noch das gut. Hie merck aber
etwas. Sich was etwa ') ist, hie oder da, das ist nyt an allen
enden und über alle ende und stette ; und was etwan ist, heut
odw morgen, das ist nit alwegen und altzeit und über altzeit;ao
und was etwas ist, diß oder das, daß ist nit alle und über
alle. Sich, were nu got etwas, diß. oder das, ßo wer er nit
all und über alle, als er ist, und ßo wer er nit die war vol-
komenheit. Und darumb ist got und ist doch weder diß noch
*) Was Gott in solchem Menschen ist, das ist er in sich selbst wesent-
lich und orsprünglich, aber nicht als formierendes Prinzip einer empirischen
Wirklichkeit. ^) zu nichts. ') Pf.: Nu dar! got wil.
*) Ja nicht nur die geschichtliche Erscheinung des Wortes ist nicht
E« begreifen, wenn nicht aus der Absicht, daß das Wort wirken solle,
sondern auch Gottes Wesen nicht, wenn es nicht eine Welt gäbe, deren
Sein und Geschehen in seiner Macht stünde. Auch hienach also gehört das
Verhältnis Gottes zur Welt zur grundlegenden Stufe. Deshalb ist es nicht
besonders berücksichtigt. *) wüßte.
^) Kap. 29: Gott muß sich offenbaren. Kap. 30 ff.: als was? als das
vollkommene Gut, daher als Liebe (31) die über den egoistischen Bannkreis
hinaushelfen will (32) usw. ') irgendwo.
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— 60 —
das, das creaturen als creaturen bekennen oder genennen, ge-
dencken oder sprechen mugen. Und dammb, were got, als
er gut ist, das gut, oder diß gut, ßo were er nit alles gut
und über alles gut, und ßo wer er nit das einfeltig und vol-
ökumen gut, das er doch ist. — Sich, nu ist got auch ein
liecht und bekentnuße, ßo gehört liecht und bekentnus zu
und ist sein eigenschaflFt, das es leuchte und erleuchte, schein
und bekenne.^) Und darumb, das gott liechte und bekentnus
ist, ßo muß er leuchten und erleuchten und bekennen, und
10 alles dis leuchten und bekennen in got ist on creaturen. Es
ist nit da als ein werck, sunder als ein wesen oder ein Ur-
sprung. Sol es aber geschehen als ein werck yn wurckender
weis, das muß in creaturen geschehen. Secht,*) wa nu das
bekentnus und das liecht yn einer creaturen wurckent ist,
16 da bekennet es und leret, was es ist; und alßo ist es gut.
Und darumb ßo ist es weder diß oder das. So bekennet und
leret es auch weder dis noch das, sunder es bekennet und
leret zu erkennen das ein, war, einfeltig, volkumen gut, das
weder dis oder daz ist, sunder es ist alles gut und über alles gut.
20 Nu ist hie gesprochen, es lere daz einig gut. Was leret
es aber von ym? Dis sol man wol mercken. Sich, als got
ein gut, bekentnus und liecht ist, also ist er auch ein wille
und liebe und gerechtickeit und warheit und ist auch alle
tugent. Und ist doch alles ein wesen in got, und es mag
26 keines nymer gewurcket oder geübt werden on creature. Wan
es ist in got [Fij] on creatur nit anders dan ein wesen und
ein Ursprung und nit ei wercke. Aber wa diß eine, daz doch
dis all ist, eyn creatur an sich nympt und jt geweitig ist
und ym da zu füget und daugt,*) das es sich seins eigens da
30 bekennen mag, sich, als es dan ein wiU und liebe ist, ßo wirt
er gelert von ym selber in dem, als*) es ein liecht und be-
kenntnus ist. Es sol nichtz wollen dan das ein, das es ist.
») nach Kap. 29. «) Seht. ») taagt.
*) er d. i. der Wille, Gott wird bekannt gemacht durch ihn selber,
da ja zu leuchten und zu bekennen ihm wesentlich ist.
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— 61 —
Sich, da wirt dann furbas mer nit anders gewölt oder
gemey net dan gut als gut und umb nit anders dan darumb.
daz es gut ist, und nit darumb, das es dis oder das sej%
dißem oder dem lieb oder leid, wol oder we, süß oder säur
sey und der gleich. Dan darnach wirt nit gefraget oder ge- 5
rucht, und auch nit umb sich selber oder als sich selber.
Wann da ist all selbheit und icheit und ich und mir und
-des gleich gelassen und abgefallen. Da wirt nit gesprochen:
ich hab mich lieb oder dich oder diß oder das und der gleich.
Und Sprech man zu der lieb: *was hastu lieb?' sie Sprech: 10
^Ich hab gut lieb.' *Warumb ?', sie Sprech : ^darumb, das es gut
ist, und umb gut.' So ist es gut und recht und wolgetan, das
■es gemeynet werde, und were icht pessers dan got, daz must
geliebet werden vor got.^) Und darumb hat sich gott selber
nit lieb als sich selber, sunder als gut. Und were oder weßte 15
got icht pessers dan got, das.het er lieb und nit sich selber.
Also gar ist icheit und selbheit von got gescheiden und ge-
höret im nichtz zu, sunder alsvil sein not ist zu der per-
sonlicheit.^) Sich, diß sol sein und ist in der warheit in eim
gotlichen oder in eim waren vergotten menschen, dan er wer 20
anders nit götlich oder vergottet.
Hernach volget, daz in eim vergotten menschen die lieb 81.
ist lautter und unvermischet und gut willig zu allem und
za allen dingen. Und darumb muß alda selbst alle und alle
4ing geliebet werden und allem und allen dingen wol wollen 25
und gunnen und tun, unvermischt. Ja man tu eim vergotten
menschen waz man wil, wol oder wee, lieb oder leid, dis oder
daz: Ja, der einen vergotten menschen hundert mal tötet, und
wurd wider lebentig, er mußt den menschen lieb haben, ^) der
*) Nicht als ob das Gute über Gott stünde; Gott ist wesentlich das
-einige Gat, ist mit diesem identisch, folglich auch ohne Ichheit in dem
Sinne, daß er sich von dem einigen Gut unterschiede, um etwas yon ihm
für sich zu haben, im Gegensatz zu anderen. ^) S. 58 Anm. 2.
•) Das neue per8()nliche Grundverhalten setzt an die Stelle des natür-
lichen Grundsatzes der Vergeltung die Liebe, welche durch das Verhalten
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— 62 —
ya alßo getötet hette, ofld het ym also vil Unrechts und
ttbels und pößes getan, und mufit ym wol wollen und gunneii
und begeren und auch dem selben das aller pest tun, möcht
er es genemen ^) und enphahen. Sich, dis mag man mercke«
5 und beweisen und beweren mit Christo. Dan er sprach zu
Judas, der yn verriet: 'Freundt, warumb bistu körnen? *) ala
ob er Sprech: Du hassest mich und bist mein veindt: so hab
ich dich lieb und pyn dein freund; und du begerst und
gannest und tust mir das aller pöst, das du kanst oder magst:
10 So wil ich und beger und gan dir des aller pesten und gebe
und tete es dir gernn, möchtestu es genemen und emphahen;
gleich als gott auß der menscheit Sprech : Ich pyn eyn lautter,
eynfeltig gut, alßo mag ich auch nit wollen, begeren, ge-
gunnen, getun oder geben dan gut; sol ich dir deines ubels
15 und deiner poßheit Ionen, das muß ich mit gute thun, wan
ich pin oder hab anders nichtz. Hie nach volget, das got yn
einem vergotten menschen keiner räch begert oder wil oder
tut umb alles das übel, das man ym getun mag oder ymer
geschieht ; daz merckt man aber bey Christo, der sprach : 'Vater,.
20 vergib yn, wan sie wissent nit, waz sie tund.'')
des Anderen znm eigenen Ich nicht bestimmbar, sondern anbedingt ist, weil
ihr Bestimmnngsgrund das einfältige, lautere Gut d. h. das Gut ohne Ich-
heit ist.
») nnr (Pf.) nehmen. «) Mt. 26, 50.
») Lc. 23, 34. — Die Art der göttlichen Liebe schließt aus, daß Gott Ver-^
geltong, Bestrafung der Sünde oder Genugtuung für sie fordere. Hier liegt
der Grund dafür, daß die Th. D. nichts wissen will yon der Bedeutung des-
Todes Christi, welche ihm die übliche, anseimische Yersöhnungslehre
beimißt. Trotzdem aber weiß die Th. D. vom Zorne Gottes. Sie muft
es ablehnen, von einem solchen oder von göttlicher Strafgerechtigkeit
in Gott selbst zu reden; aber der Zorn Gottes ist ihr deshalb nicht eine
iUusorische Idee des Menschen, sondern ein reales Verhältnis: nämUch der
Gegensatz des sich selbst behauptenden menschlichen WiUens zu dem den
Menschen schlechthin bestimmen wollenden Wesen und Willen Gktttes
(s. S. 66). Von hier aus dürfte sich eine neue und bessere Venöhnungs-
lehre ergeben, welche im Tode und in der Gottverlaasenheit Christi nicht
Genugtuung für eine objektive Strafgerechtigkeit in Gott sieht, sondern
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— 63 —
Auch ist gottes eigenschaft, daz er niemant zwingt mit
gewalt^ zu thuB oder zu lassen, sunder er lafit einen yeg-
lichen menschen tun und lassen nach seinem willen, es sey
gut oder pöß, und wil niemant widersteen. Das merckt maji
aber in Christo, der wolt seinen ubeltetern nit widerstan 6
oder weren, und da yn sant Peter weren wolt, do sprach er:
Tetre, steck dein swert wider yn! Wan mit gewalt wider-
sten und weren und zwingen gehört mir nit zu noch den
meinen.' ^) Auch mag ein vergotter mensch niemant besweren
oder betrüben, das vememmet*) alßo: yn seinem willen oderio
begirde oder yn seiner meynung kumpt nymer zu tun oder zu
lassen, zu reden oder zu sweigen ienert*) einem menschen
zu leid oder zu betrfibniß.
Nu möcht man sprechen: Sider das er eym yeglichen daz 3S«
peste wil, begeret und tut, ßo solt er auch eim iechlichenlö
[Fiij] helffen und tun, das ym all sein wil vortgieng,*) als dez
einen zu dem pabstum, dem andemn zu pistum und der gleich.
Antwort: Wer dem menschen zu seim eygen willen hilfft,
der hiMft ym zu dem aller pösten. Wan ie mehr der mensch
Tolget und zu nympt yn seim eigen wiUen, ßo vil er von got 20
und dem waren gut verrer ist.*) Nu wolt gott dem menschen
gemn helffen und prengen zu dez, das an ym selber das peste
ist und auch dem menschen unter allen dingen das peste.
Und sol das geschehen, ßo muß aller eigener will abgen, als
vor gesprochen ist, und dar zu hulff got dem menschen gemn; 25
die Anfhebnng des realen Zorn- und Strafverhältnisses Gottes znm Menschen,
welche natürlich nur durch Eingehen in die Erscheinungen desselben (Tod
und Gottesfeme) und durch Anerkennung des Eechtes solcher realen Zom-
und Straferscheinungen angesichts des menschlichen WiUens ihren Weg
nehmen kann. Diese angedeutete Versöhnungslehre hat die Th. D. aUer-
dings nicht als die Folge ihres Zombegriffes erkannt. Vgl. aber Luther!
») Job. 18, 11. *) versteht. ») irgend.
*) fortginge, erftült würde.
^) Pf. t : wan es brinnet nichtes in der helle dan eigener wille. Dar
nmb spricht man: tu ab den eigen willen, so wirt kein helle.
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wan alle die weil der mensch sein pestes sucht, ßo sucht er
nit sein pestes, und findet es auch njrmer. Wan des menschen
pestes were und ist, das er weder sich noch das sein such
oder meyn,^) das lert und redet got. Und wer da wil, das ym
ögot helff zu dem pesten und zu seim pesten, der volg gottes
red unnd seiner lere und gepot, ßo wirt und ist ym ge-
holfen, und anders nit. Nu lert und redt got, der mensch
sol sich selber und alle ding lassen und im nachvolgen. Wan
wer sein sei, das ist sich selber, lieb hat und behüten und
10 behalten wil, das ist: wer sich und das seyn yn den dingen
sucht, der wirt die seel verlieren. Aber wer seiner seel un-
achtsam ist und sich selber und alles das seyn verleuset,*)
wirt die seel behüten und behalten yn das ewig leben.')
38. Auch gehört got zu yn eim vergotten menschen war,
lögruntlich, wesenlich demuttickeit, und wa die nit ist, da ist
nit ein vergotter mensch. Und das hat Christus gelert mit
Worten und mit wercken und mit leben. Und es kumpt da
von, dan*) da wirt yn dem waren liecht*^) bekant (als es yn
der warheit ist), das wesen, leben und bekennen, wissen und
20 vermugen und was des ist, alles des waren gottes ist und nit
der creaturen ; besunder ^) creatur als creatur ist oder hat von
irselber nichtz; und wan sie sich von dem waren gut kert
mit yrem willen und wercken und was des ist, ßo findet man
da nichtz dan lautter poßheyt. Und darumb ist es auch yn
25 der warheit wäre, daz creatur als creatur von irselber nichtz
wirdig ist oder zu nichte recht hat und ir niemant schuldig
ist, weder got oder creatur, und das sie von recht got sol
gelassen sein und Untertan, und das ist daz gröste und daz
') Pf. f : „in keinen dingen, weder in geist noch in nätür, sonder aUeine
das lob und die ^re gotes und sinen gotitchen willen.'^
*) Pf . t : „und üf git slnen eigen willen und alleine vorbringt gotes
willen". ») Mt. 10, 39; Mc 8, 35; Lc 9, 24.
*) Pf.: das.
») D. i. der Schöpfungsglaube (S. 22).
*) sondern.
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— 65 —
aller mercklichst.*) Waz nu got gelassen und Untertan sol
und wil sein, daz muß und sol allen creaturen Untertan sein
und kurtzlich daz nit in tuender, besonder in leidender weis,
oder es ist falsch. Und von dißer letzten sach und von dißem
letzten artickel kumpt war demüttickeit und auch von andemn 6
artickel. Und solt es yn der warheit nit sein, und wer es nit
von warer gotlicher gerechtickeit das peste, Christus het es
nit mit Worten gelert und mit leben volbracht. Und alda
wirt ein war verleben, und es ist in der warheit also: Diße
creatuer sol von gotlicher warheit und gerechtickeit got und 10
allen creaturen Untertan sein, und ir soll nichtz Untertan oder
gelassen sein, und got und all creatur habent recht über sie
und zu ir, und sie zu nichte oder über nichtz, und sie ist
aUen schuldig und ir niemant. Und dis alles in leidender
weis und auch etwander ^ in thüender weise. Und davon wirt 15
dan auch geistlich armut, da von Christus sprach : ^Selig sind
die armen des geistes, wan das reich gottes ist ir*. ^) Diß
hat alles Christus mit werten gelert und mit leben volbracht.
2) Hie sol man aber etwas mercken. Man spricht, es sey 84.
oder geschech etwas wider got und sey etwas got leid und 20
verdrieße yn. Man sol wissen, das kein creatur wider
got ist oder ym leyd oder ym verdrißlich ist in dem, daz sie
ist oder lebt, weißt*) oder vermag. Und was des ist: daz ist
alles nit wider got. Das der teufel oder mensch ist, lebt und
des gleich, daz ist alles gut und gottes. Wan*^) got ist dis 25
allzumal wesenlich und ursprunglich. Wan got ist aller
wesenden wesen und aller lebentigen leben und aller wiesen
weißheit, wan alle ding haben ir wesen warlicher in got dan
in yn selber ^) und auch ir vermugen, leben und waz des ist.
*) D. h. diese ethische Folgerung aus dem Gottesglaaben ist das
Wichtigste. *) bisweilen. ») Mt. 5, 3. *) weiß.
*) Pf.— : „Wan — ursprunglich."
•) Unter Wesen ist das Sein und Leben verstanden (s. S. 7). Hier kann
dem Leser der Unterschied Tom platonisch -augustinisch-mittelaltrigen
Dualismus klar werden.
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Oot were aoders nit alles gut, und daramb ist es altzamal gut.
Was nu gut ist, das ist got lieb, und er wil es haben, dar- [Fiiij]
umb ist es nit wider yn.
Was ist dan wider got und ym leid? das ist altein
ösunde. Waz ist aber sunde? Nichtz anders dan das die
creatur anders wü dan got und wider got, und wider got wil;
das merck ein yeglicher bey im selber. AVan wer anders wil
dan ich oder wider mich wil, der ist meyn feindt,^) und wer
wil als ich, der ist meyn frunt und ist mir lieb. Also ist es
10 auch umb got. Sich, daz ist sund und ist wider got und ist
im leid und ein betrübnus, und wer nu anders wü dan ich
oder wider mich, waz der tut oder leßt, redt oder sweigt, daz
ist alles wider mich und ist mir swer. AlBo ist es auch umb
got. Wer anders dan got oder wider got wil, waz der tut
15 oder leßt und alles, daz er zu schicken hat, daz ist alles wider
got und sund, und wilcher wiU anders wil dan got, der ist
auch wider gottes willen. Wan Christus spricht: Wer nit,
mit mir ist, der ist wider mich.*) Er meint, wer nit mit mir
wil und nit eynigwiUig mit mir ist, der wil wider mich. Hie
80 bey mag ein mensch mercken, ob er on sunde sey oder nit,
und ob er sunde thfi oder nit, und was sunde sey, und wie
oder wa mit man sunde pussen oder pessernn sol und mag.*)
Und diße widerwillickeit zu got heist man und ist ungehorsaz.
Adam, icheit und selbheit, eigenwillickeit, sund oder der alt,
25 mensch und abkeren und abgscheiden von got, daz ist alles eins.
85. Nu sol man mercken: Got, als er got ist, ßo mag weder
^) Sünde ihrem Wesen nach und unmittelbar = Feindschaft gegen Gott !
Hier dürfte sich der Begriff des Zornes Gottes ergeben, der weder den
Zorn als objektive Gerechtigkeit in Gott noch als Illnsion des Menschen
auffaßt! Zorn Gottes ist der Gegensatz, in welchem sich Gottes Wesen
d. i. der WiUe zn schlechthiniger Hingabe zn dem natürlichen Willen be-
findet. Vgl. das folgde Kap. darüber, wie Gott die Sünde empfinden muß.
«) Mt. 12, 30.
') Die Sünde ist wieder gut gemacht, wenn ich meinen Sinn ändere.
Die Vergebung hat, da Gottes Zorn nicht genügend beachtet wird (S. 27),
nur eine Bedingung: wirkliche Besserung.
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— 67 -
leid oder betrubnos oder mißval in yn komen, und wirt doch
got betrübt umb des menschen sand. So nn dis nit geschehen
mag in got on creatnr, ßo mn£ es geschehen, da got mensch
ist oder in eim vergotten menschen. Sich, da ist sund got
also leid and verdreust yn also sere, daz got alda selbs gernn 5
wolt gemartert werden und leiplich sterben; auf das er eins
menschen sunde da mit vertilgen möcht; und der zu im
Sprech, ob er lieber leben wolte, das die sund belibe, oder
sterben und die sund mit seinem tod vertilgen, er wolte ^)
sterben. Wan got ist eins menschen sunde leider und tutio
im wirser dan sein eigen marter und tod.*) T&t im nu
eins menschen sund als wee, wie tut ym dan aller menschen
sund? Sich, hie bey sol man mercken, wie der mensch got
betrübt mit seinen sunden. Und wa got mensch ist oder yn
einem vergotten menschen, da wirt anders nichtz geclagetiö
dan sunde oder ist anders kein leid. Wan alles, das da ist
oder geschhicht on sund, das wil got haben und sein. Aber
die clag und der iamer, der umb die sund ist, der sol und
muß bleiben pis an den leiplichen tod yn einem vergotten
menschen, und solt der mensch leben pis an den iungsten20
tag oder ewiglichen. Hie von was und ist Christus heymlich
leiden, davon niemant sagt oder weißt dan allein Christus;
und darumb heißt es und ist heymlich. Es ist auch ein
eigenschafft gottes, die er haben wil und ym wol gefellet yn
eim menschen, und ist wol gots eigenschafft, wan es gehört 20
menschen nit zu, und er vermag sein nit.*) Und wa got diß*)
bekomen kau, das ist jTn das liebste und wirdigest, wan es
ist dem menschen das pittrist und das swerist. Alles, das
hie geschriben ist von gottes eigenschafft, die er doch haben
wil yn dem menschen, yn dem sie geübt und gewurckt sol 30
») Pf. f: tftsentmal lieber.
*) Gott verhält sich sur Sünde nicht wie der Gesetzgeber oder Richter,
nach einer objektiven Gerechtigkeit: die Sünde ist persönliche Kränkung
Gottes. ') Gott leidet in Christus um die Sünde.
*) Leiden um die Sünde.
Mandel, Theologla Deutsch. 8
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werden, die leret das war liecht, und leret dar zu, das der
mensch, yn dem sie gewurcket und geübt wirt, das er sich der *)
also wenig an nympt, als ob er nit were. Wan da wirt bekant
also, das es der mensch nicht vermag und ym nit zu gehört.*)
6. Sich, wa ein solcher Vergotter menäch were oder ist, da
wirt oder ist das aller peste und edlist leben und gott das
würdigest, daz ye geward oder ymer gewirt. Und von der
ewigen liebe, die da liebt got als gut und umb gut und das
peste und edliste in allen dingen liebt umb gut, wirt das
10 war edel leben als sere geliebt, das es nymer mer gelassen
wirt oder auflf geschutt. Wa es ^) yn eym menschen ist, solt
der mensch leben pis an den iungsten tag, und es ist unmug-
lich zu lassen ; *) und solt der selb mensch tausent töd sterben
und alles das leiden auff yn fallen, das aufF all creaturen
15 fallen mag, das wolt man alles lieber leiden, den man das
edel leben lassen solte, und ob**) man eins engeis*) leben
dafür haben möcht.') Sich, nu ist [G] geantwurt, ßo man fragt: ®)
Wan der mensch mit Christus leben nit mer uberkomen
möchte oder keinen nutze da mit schaffen, was sol es dan
20fürbas mehr? Es wirt*^) gehabt darumb, das man nutz
da mit schaff oder etwas da mit uberkome, sunder von liebe
umb sein adel, und das es got älßo lieb und wert ist. Und
wer da spricht oder meinet, man hab sein genug oder man
sol es hyn legen, der gesmackt oder bekant es nye. Wan
25 wa es in warheit befunden oder gesmackt wirt, da mag es
nymer mer gelassen werden. Und wer Christus leben darumb
Imt, das er da mit etwas uberkomen oder verdiene, der hat
es als ein loner^®) und nit von liebe und hat sein auch zu
*) sc. Eigenschaft.
*) Pf. f : „sunder das es alles gotes aUein ist."
*) Das Leben des Vergotteten (der, oder besser: in dem Gott um die
Sünde leidet). *) sc. das Leben, Anm. 3. *) selbst wenn.
*) d. i. einer rein geistigen Substanz, die von viel höherem Wert ist
\vie die körperliche. ') Pf. f : „das nßme man nicht dar für.** ®) Kap. 29.
") Zu ergänzen: nicht.
*^j Der um Lohn dient, statt aus freier, spontaner Liebe.
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mal nicht. Und wer es nit von lieb hat, der hat sein nicht.
Er mag wol wenen, er hab es, er ist aber betrogen. Christus
hette sein leben nit umb lone, snnder von liebe. ^) Und die
liebe macht das leben leicht und nit swer und das es gernn
gehabt und willicklich getragen wirt. Aber der es nit hat 5
von liebe, sunder er wenet, er hab es umb Ion, dem ist es
swer und wer sein gernn schier ledig. Und das gehört eim
yeglichen loner zu, das er seiner arbeit gernn ein end hette.
Aber einen waren lieber*) verdreußet weder arbeit noch zeit
oder leidens. Darumb ist geschriben: Grott dienen und leben lO
ist leicht dem, der es tut. Es ist war: ;dez, der es von
liebe tut; aber der es umb Ion tut, dem ist es schwer. Und
also ist es umb all tugent und gute werck, und aLßo ist es
auch umb Ordnung und redlicheit und der gleich.^)
Man spricht und ist war: Gott ist über und on alle 37.
weise und maß und Ordnung und gibt allen dingen weiß,
Ordnung, maß und redlicheit. Das sol man also versten. Got
wil das alles haben und mag es an ym selber on creatur
nyt gehaben ; wan in got, on creatur, ist weder Ordnung oder
Unordnung, weiße oder unweise und der gleich: Darumb wil 20
er es haben, das es gesein und geschehen sol und mag. Wan
wa wort, werck und Wandlung ist, da muß es geschehen eint-
weder yn Ordnung, weis, maß und redlicheit, oder in Unord-
nung. Nu ist ordenlicheit und redlicheit pesser und edler
dan das ander. 25
Doch sol man mercken, das vierley menschen die
Ordnung und gesetz und weise handelnnt. Etlich tund es
weder umb got oder umb diß oder umb das, sunder umb die
gezwungenheit: die tund also wenigest sey*) mugent und
wirt yn säur und swer. — Die andemn die tund sie umb 30
^) Christus selbst woUte mit seinem Leben nichts erreichen.
«) Liebhaber (Pf.)
') Pf. f: Qote ist aber ein wärer liebhaber lieber dan tüsent loner oder
mietlinge. *') so wenig als sie. Pf.: sie minnest.
8*
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— 70 —
Ion; dAS sind menschen, die anders nit wissen dan dasselb,
und wenen, man sol und mag da mit hymelreich und ewig
leben uberkomen und verdienen und anders mit nichte;
Und wer sein vil thnt, der ist heilig; und wer sein icht«
5 versäumet und unterwegen la£et, der ist verloren und des
teufeis. Und die habent großenn emnst und fleis darzu und
wirt yn doch säur. — Die dritten das sind pöß, falsch geist,
die wenen und sprechen, sie sein volkumen, sie durffen sein
nit und haben es zu eim spott. — Die vierden das sind er-
10 leuchtet menschen mit dem waren liecht; die handelnn disse
ding nicht umb Ion. Wan sie wollen nichtz uberkomen da
mit oder das yn nichtz darumb werd, sunder sie tund es von
liebe, was sie dißes^) tund.
Und die haben nit also groß not,^) wie dis ding vill ge-
loschech und pald und der gleich, sunder was wol geschehen
mag und mit frid und mit muß; und wurd sein etwan ver-
säumt on geverd und der gleich, darumb werden sie nit ver-
loren : Wan sie wissen wol, das Ordnung und redlicheit pesser
und edler ist dan unredlicheit,") darumb wollen sie es halten;
20 und wissent, das auch selickeit heran nit ligt: Darumb
haben sie nit als groß not als die andemn. Und diße menschen
werden von den andern beyden parteyen gestraffet und ge-
urteilet. Wan die loner sprechen: diße menschen versäumen
sich zu mall und sprechen etwan,*) sie sein ungerecht und
25 der gleich. Und die andemn, daz sind, die ein freyen geist
haben, dise sprechent zu spotte: Sie gend mit grobheit und
mit torheit umb und der gleich. Szo haltent sie das mittel *)
und das peste: Wan ein liebhaber gottes ist pesser und got
*) von diesem. *) wie die Löhner.
') und weil sie das wissen, so haben sie darchaos den inneren WiUen
zur ErftLUong; wird aber einmal etwas versänmt, so wissen sie. daß die
Seligkeit . . .
*) versäumen sich zugleich und sagen bisweilen:
*) zwischen der Gleichgültigkeit der Freien gegen äußere Ordnungen
und der (egoistisch begründeten) Regsamkeit der Löhner.
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— 71 —
lieber dan hnndertausent loner. [6ij] AIBo ist es auch umb
yr werck.
Anch^) sol man mercken, das gots gebot und sein red
und aD seyn lere gehört zu dem ynner menschen, wie er mit
got vereynet werd. Und wa das geschieht, da wirt der ausser 5
mensch von dem ynnern wol geordnet und gelert, daz man
da keiner ausser gepot oder lere darff. Aber der leute gepot
und gesetz gehört tzu dem aussemn menschen. Und des ist
not, da man nit pessers weißt. Wan da weßt man nit, was
man tun oder lassen sol, und man wurd suste als hunde oder 10
als vich.
c Nu ist auch gedacht von eim falschen liecht; da ist 38.
etwas von zu sagen, was es sey und was im zu gehör. Sich,
alles das, das dez waren liecht wider ist, das gehört dem
falschen zu. Dem waren liecht gehört zu und muß sein, das 15
es nit tr legen wil oder mag nit wöUen, daz yemant be-
trogen werd, und es mag nit betrogen werden. Aber das
falsch liecht wirt und ist betrogen und betreuget farbas ander
mit im. Wan gott wil niemant betriegen und mag nit wollen,
das yemant betrogen werde. Und alßo ist es auch umb das 20
war liecht.
Nu merck. Das war liecht ist got oder götlich, das
falsch liecht ist natur oder naturlich. Nu gehört gott zu,
das er weder dis oder das ist oder dis noch das wil, begert
oder suchet in eim vergotten menschen, sunder gut als gut 25
und umb nicht dan umb gut. Also ist es auch umb das war
liecht. So gehört der creatur und der natur zu, das sie etwas
ist, dis oder das, und auch yn yrer meynung und gesuch etwas
hat, dis oder das, und nit lauterlich gut als gut und umb
gut, sunder umb etwas dis oder das. Und als got und das 30
*) Im folgd. wird ein nener Gegensatz gebildet : das Gesetz, das sonst
als gottgewollte Ordnung erscheint, heiiit nnn „der Leute Gebot^ ; und was
Gott wiU und lehrt, geht nur den inneren Menschen an. Doch aber, wo
dieser das richtige Verhalten hat, wird gerade „der Leate Gebot" von
selbst erfüUt.
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— 72 —
war liecht on all icheit und selbheit und on eigen gesuch ist,
also gehört der natur und dem naturlichen falschen liecht zu
ich, mir, mich und der gleich, also daz es sich und daz sein
mer suchet in allen dingen dan gut als gut. Dis ist sein
öeigenschaft und einer yeglichen natur. Nu merck man, we^)
dis vö ersten btrogen ist. Es wil oder erwelet nit gut als
gut und umb gut, sunder es wil und erwelet sich selber und
das sein das peste,*) und das ist falsch und daz ist die erst
betriegung.
10 Auch wenet es, es sey daz es nit ist, wan es wenet, es
sey gut, und ist natur; und da von, das es wenet, das es
got sey, ßo nympt es sich des an, daz got zu gehört: und
nit des, das gottes ist, alß *) got mensch ist oder in eim ver-
gotten menschen, sunder es nympt sich an des, das gottes ist
15 und ym zu gehört, als er gott ist on creatur yn ewigkeit.*)
Wan als man spricht: Got ist durftloß und bedarff keines
dinges, frey, mussig, ledig und über all ding und der gleich,
(das alles war ist) und ist unbeweglich und nympt sich nichtz
an und ist on gewissen, und was er tut, das ist wol getan:
20 -Sich, alßo wil ich auch sein', spricht das falsch liecht. * Wann
so man got gleicher ist, ßo veil pesser ist man, und darumb
wil ich got gleich sein und wil auch got sein und bey gott
sitzen, und sein ym gleich'^), recht als lucifer der teufel tet.
Gott yn ewigkeit ist on leid, leiden und betrubnus und leßt
25 ym mit nichte schwer oder leid sein, umb etwas waz da ist
oder geschieht. Aber da got mensch ist und in eym vergotten
menschen, da ist es anders. Kurtzlich : alles, daz betrogen mag
werden, das muß betrogen werden von dißez falschen liecht. Sider
nu alles das betrogen wirt von dißez, daz betrogen werden
30 mag [betrogen wirt] und alle creaturen und natur und alles,
') Pf. : wie. ^) als das Beste. Pf.— : das peste. ') sofern, wie.
*) Die Freigeister vergessen, daO der Vergottete doch Mensch bleibt
und als solcher empirisch gebunden.
*) vgl. Jes. 14, 14.
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— 73 —
das nit got oder gotlich ist, mag betrogen werden, und dis
liecht dan selber natur ist, 60 ist es müglich, das es betrogen
werde. Darumb wirt es und ist betrogen von ym selber.
Nu möcht man sprechen: Wa von ist oder kumpt das,
das von ym alles daz betrogen wirt, das betrogen werden 5
mag? Sich, es ist von seiner übrigen kundickeit. Wan es
also gar clüg und subtil und behent in ym selber ist, daz es
also hoche steiget und clymet, daz es wenet, es sey über
natur, und sey natur oder creatur unmöglich, alßo hoch zu
komen ; darumb wenet es, es sey got. Und davon so nympt es 10
sich alles des an, das got zu gehöret, und besunder als got ist
in ewigkeit und nit [Güj] als er mensch ist. Und darumb spricht
es und wenet, es sey über alle werck, wort, weise, Ordnung
und über daz leiplich leben Christi, das er yn der menscheit
het. Darumb wil es ungerürt sein von allen creaturen und 15
aller creaturen werck, es sey pöß oder gut, es sey wider got
oder nit, das ist ym alles gleich und stet sein alles ledig
recht als got in ewickeit. Und des andemn alles, das got zu
gehört und nit creaturen, des nympt es sich alles an : es gehör
ym zu, und es sey aller ding wirdig und es sey billich und 20
recht, das ym alle creaturen dienen und Untertan seyen. Und
allSo pleibt da kein leid, leiden oder betrubnus umb kein ding ^
oder Sache dan allein eyn leiplich und ein synlich enpfinden ;
das muß bleiben pis an den leiplichen tod, und was vonda
leidens komen mag. Und spricht und wenet, man sey über 25
Christus leiplich leben komen und sey und solle sein un-
leydenlich und unberürlicb, als Christus waz nach der auff-
stende, und ander manig wunderlich, falsch irtumb, die hie
von erstend und erhaben werdent.
Und sider dis falsch liecht natur ist, ßo gehört im der 30
natur eigen schafft zu, das ist: sich selber und das sein
meynen und suchen yn allen dingen und der natur und im
selber in allen dingen das beqwemest, gemachsamste und daz
lustigste. Und darumb, das es betrögen ist, ßo wenet es und
spricht, was ym das lustigste, beste und beqwemste sey, das 36
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— 74 —
sey das aller peste ; und spricht, es sey das aller peste, das ein
yegUch ym selber daz peste such und thu und well und von
anders keim guten wisse dan von seim, das ym gut ist, als es
wenet. Und wer im sagt von dem waren, einfeltigen gut, das
5 weder dis noch das ist, davon weißt es nichtz und ist ym
ein spott, und das ist wol pillich. Wan natur als natur mag
hie zu nit komen, und dan ^) dis Hecht ploß natur ist, £o mag
es auch hie zu nit komen.
Auch spricht dis falsch liecht, es sey über gewissen
10 und conscientz komen, und was es thut, das sy alles wol
getan. Ja es ward gesprochen von eym falschen freyen geist,
der yn dißer yrrung was: ertötete er zehen menschen, es wer
ym als klein gewissen, als ob er ein hund ertötet. Kurtzlich,
dis falsch betrogen liecht fleucht alles, daz der natur wider
16 und swer ist; und daz gehört ym zu, wan es nature ist. Und
sider es dann also gar betrogen ist. das es wenet, es sey got,
darumb swur es über all heiigen, es bekante ^) das peste und
sein meynung und gesuch stee auf dem aller pesten. Und
darumb mag es nymer bekert oder geweiset werden, recht
20 als der teufel. Auch sol man mercken : in dem, als dis liecht
wenet, es sey got, und sich des an nympt, so ist es lucifer
der teufel. Aber yn dem, als es Christus leben verwurffet
und anders mehr, das dem waren gute zu gehurt, das Christus
gelert und gelebet hat, so ist es ein endechrist; wan es leret
2öund lebet wider Christum.
Und als dis liecht betrogen ist von seiner kundickeit,
also wirt von im alles das betrogen, das nit got oder gotlich
ist, das ist: all menschen, die das war liecht nit erleuchtet
hat und sein lieb. Wan wa und welche die sind, die das war
30 Hecht euleucht hat, die werden nymer betrogen. Aber wer
das nit hat und sol oder wiU mit disem falschen liecht wan-
dernn und bey wonen, der wirt betrogen. Das kumpt davon,
wan all menschen, in denen daz war liecht nit ist, die sind
*) Pf.: wan. *) erkenne.
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— 75 —
awff sich selber gekert und haltent sich selber und was yn
gut und bequeme ist, fSr das peste. Und wer yn *) dan das-
selb ffir das pest gibt, vorhelt und yn darzu hilflft und leret
»ie, es zu uberkomen, dem volgent sie und haltent yn für den
pesten lerer. Nu leret dis falsch liecht alles dasselb, das 5
darzu gehört: darumb volgent im alle die nach, die das war
liecht nit wissent. Also werdent sie mit einander betrogen.
Man sagt vom endecrist, wan der kumpt, wer dan gottes
zeichen nit hat, der volgt ym nach; aber wer es hat, der
volgt im nit nach. Daz ist deßselb. 10
Es ist wol war: wer sein pestes gottes pestes-) uber-
komen mag oder kan, das ist daz peste. Aber das geschieht
nit, die weil der mensch sein pestes suchet unnd meinet : wan
sol er sein pestes finden unnd uberkomen, ßo muß er seyn
pestes Verliesen, als ^) vor gesagt ist. Und wil der mensch sein 15
[6 iiijj pestes lassen und Verliesen, auff das er seyn pestes finde,
so ist es aber falsch, und darumb mügen wenig auff dißen
weg komen. Dis falsch liecht spricht, man sol on gewiße
sein, und es sey ein torheit und ein grobheit, daz man da
mit umb get und wil das beweren mit Christo, wan er was 20
0 Urnen.
*) als Gottes BeBtes. Pf.— : gottes pestes. Vgl. S. 72 Anm. 2.
*) St. *als — weg komen' Pf. : üf das er sin bestes finde. Als oueh Kristus
spricht : Ver s!ne s§le lieb hat, der sol sie Ter]ie8en\ Das ist : er sol dem ge-
steh siner nd,tür üs g^n und ersterben and sol nit nach volgen sinem eigen
willen und der beg^e sines libes, snnder den geboten gotes und siner obersten,
und sol des sinen in keinen dingen suchen weder in geist noch in nätür, sonder
aUeine das lob nnd die ere gotes in allen dingen. Wan wer sin s^le also
Yorlüset, als hie gesaget ist, der wirt si wider finden in dem ewigen leben.
Das ist : alles das gut, liebe, hilfe, tröst und freude, das in aUen crßatüren
ist in himel nnd üf erden, das findet ein wärer Tolkomener liebhaber aUes
mit einander in got aüeine ; ja onüssprechüchen m€r und onch so yil edeler
imd Yolkomener, so yil besser, edeler nnd Tolkomener got der schepfer
ist dan die cr§atür. Aber an diesen dingen ist diO falsch liecht betrogen
und sucht newer das sin nnd sich selber in allen dingen. Dar nmb so
komet es nimer tif den rechten wek. Job. 12, 25.
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— 76 -
on gewiße. So antwurt man unnd spricht: der teufel hat
auch keyn und ist darumb dester pesser nit. Merck, was
gewiße sey. Es ist, das man bekennet, das der mensch ab-
gekert ist oder werde von got mit seinem willen (das man
ösunde heisset und ist), und das dis des menschen schuld ist
und nit gottes, wan gott unschuldig ist an der sund. Wer
ist nu, der sich unschuldig weißt, dan allein Christus, und
wenig mer?^) Sich wer nu on gewiße ist, der ist Christus
oder teufel.
10 Kurtzlich: wa das war liecht ist, da ist ein war, recht
leben, das gott werd^) und lieb ist. Und ist es nit Christus
leben in volkumenheit, ßo ist es doch dar nach gepildet und
gerichtet und Christus leben wirt lieb gehabt und alles, daz
redlicheit, Ordnung und allen tugenden zugehört; und da ist
15 und wirt verlören alle selbheit und ich und mein und des
gleich, da wirt nit gemeint oder gesucht dan gut umb gut
und als gut. Aber da das falsch liecht ist, da wirt man
unachtsam Christus leben und aller tugent, sunder waz der
uatur beqwem und lustig ist, das wirt da gesucht und ge-
20meynt. Davon kumpt dan falsch ungeordent freyheit, daz
man unachtsaz und rauchlos wirt dis und des. Wan daz war
liecht ist ein samen gots, darumb pringt es gottes frucht;
und das falsch liecht ist des teufeis samen: wa der geseet
wirt, da wechst des teufeis frucht und der teufel selber. Das
26 mag man mercken und versten in dißen vor geschriben worten
und unterscheid.
89. III. a. Man möcht fragen, welchs oder was ist ein ver-
gotter oder ein gotlicli mensch. Antwurt: Der durchleuchtet
*) Gegen das Dogma von der allgemeinen Stindhaftigkeitnach Büttner.
Man sollte aber sagen, daß die Zurückfiihrung der Sünde auf den natür-
lichen Menschen, die Einssetzung mit Adam deutlich genug bezeugte, daß
die Th. D. die Sünde für die unvermeidliche Beschaffenheit jedes Menschen
hält; Christus war, der er war, nur von Gnaden. Man wird den Znsatz
nicht pressen dürfen und die Christo Nachfolgenden darunter verstehen
müssen. -j wert.
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— 77 —
und durchglastet ist mit dez ewigen oder gotlichen liechte und
erbrant mit ewiger oder gotlicher liebe, der ist ein gotlicher
oder vergotter mensch. Und von dem liecht ist vor etwas
gedacht. Aber man sol wissen, das liecht oder bekantnus
nichtz ist oder taug on liebe. 5
Dass mag man mercken: ob ein mensch gar wol weißte,
was tugent oder untugent ist, hat er tugent nit lieb, er
wirt oder ist nyt tugentsaz, er folget der untugent nach
leJJt die tugent. Meynet er aber tugent, ßo folget er der
tugent, unnd die lieb macht, das er der untugent feint wirt 10
und mag ir nit getun oder geuben und er hasset sie in
allen menschen und hat tugent alßo lieb, das er sie nit un-
getan oder ungeübt leßt, wa er mag; und das umb keinen
Ion oder warumb, sunder aUein der tugent zu lieb. Und dem
wirt tugent zu Ion und da genügt ym wol an, und nemiö
keinen schätz oder gut für die tugent; der ist oder wirt
tugentsaz. Und wer ein war, tugentsam mensch ist, der nem
nit alle die werlt, das er untugentsam werden solte, ja er
sturb lieber eins iemerlichen tods.
Sich, alßo ist es auch umb gerech tickeit. Manig20
mensch weißt wol, was recht oder unrecht ist, und wirt oder
ist doch nit gerecht. Wan er gerechtickeit nit lieb hatt,
darumb übet er untugent, unrecht. Aber hett er gerech-
tickeit lieb, ßo möcht er keyn unrecht gethun. Wan er un-
gerechtickeit also feint wer und gram, wa das er sie be-25
kante yn eym menschen, das er gernn große ding leiden oder
tun wolte, auff das die ungerechtickeit vertilget wurde und
der mensch gerechte wörde. Und ee er unrecht wolte tun,
er wolte lieber sterben, und das alles umb nicht dan der ge-
rechtickeit zu lieb. Und dem wurd gerechtickeit zu Ion und 30
sie lonet ym mit irselber, und da wirt und ist ein gerecht
mensch, und er wolt lieber hundert vert M sterben dann un-
recht leben.
') mal.
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— 78 —
Sich, alßo ist es auch umb warheit. Das der mensch
weißt vil,^) was war oder falsch oder gelogen ist: hat er
warheit nit leeb, ßo ist er nit warhaftig; hat er sie aber
lieb, fio geschieht im als mit gerechtickeit. Von gerechtickeit
6 spricht Isaias an dez 6. capittel*): *wee, wee allen den, die
eyn zwifaltigen geist [H] haben : das sind die von aussen gut
scheinen unnd von ynnen vol lugen sind, und yn yrem mund
lugen wirt funden.' Also merckt man, das das wissen und
bekantnus on liebe nichtz wert ist. Auch merckt man es
lObey dez teufel: der weißt und bekent pöß und gut, recht
und unrecht und der gleich, und wan er nit liebe hat zu
dem guten, das er bekennet, ßo wirt er nit gut, daz doch
geschech, het er liebe zu der warheit und zu andermm gute
und tugenden, die er bekennet. Es ist wol war, das liebe
15 von bekentnus muß geweiset und gelert werden: aber volget
liebe dem bekantnus nit nach, ßo wirt nicht dar auß.
Sich also ist es auch umb got und das got zu gehört.
Das ein mensch vil bekennet von got und was gottes eigen
ist, und meinet, er wiß und bekenne auch, was got ist: hat
20 er nit liebe, ßo wirt er nit gotlich oder vergottet. Ist aber
war lieb da mit, ßo muß sich der mensch an got halten und
lassen alles, das nit got ist oder got nit zu gehört; und waz
des ist, dem ist er feint und gram und ist im wider und ein
leiden. Und dlße liebe vereyniget den menschen mit got,
26 daz er nymer mer da von gescheiden wirt.
40. Sich, hie kumpt ein frag. Wan man hat gesprochen:
wer got bekennet und nit liebet, der wirt nymer selig von
dem bekentnus. Das lautet: man mug got bekennen und nit
lieben.*) So spricht man anderswa: wa gott bekant wirt,
30 da vnrt er auch geliebet, und was got bekent, das muß yn
auch lieben.^) Wie mag diß besteen? Sich, hie sol man aber
») Ob er viel wüßte. *) Jes. 5, 20?
*; D. h. Gotteserkenntnis sei eine rein theoretische Sache (wofür
Thomas von Aquino der klassische Vertreter ist).
*) D. h. Gotteserkenntnis sei an sich selbst oder analytisch mit einem
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— 79 —
etwas mercken. Es ist vor gesprochen von zwey Hechten,
war und falsch. Alßo sol man auch merckenfi zweyeriey
liebe: war und falsch. Ein yecklich liebe muß von eim Ifeoht
oder bekentnus gelert oder geleit werdenn. Nun das war
liecht macht war liebe und falsch liecht macht falsch liebe; 5
wan was das licht für das peste hat, das gibt es der liebe
für das peste dar und spricht, sie sol es lieb haben, und die
lieb Voigt ym und thut seyn gepotte.
Nu ist vor gesagt, das das falsch liecht naturlich und
natur ist Darumb ist seyn eigenschafft und ym gehört zu 10
alles das, das der natur eigen ist und ir zu gehört, das ist:
ich, meyn, myr, dis, das, des und der gleichen. Und darumb
muß es betrogen sein an im selber und falsch. Wan es kam
nie kein ich oder mein zu warem liecht und bekantnus un-
betrogen, on eins allein, das ist yn den götlichen personen.^) 15
Und wa man zu bekentnus der eynfeltigen warheit komen
sol, da muß dis alles abgeen und verloren werden.
Und dez naturlichen, falschen liecht gehört besunder zu,
das es gernn vil weißt und gernn wissen wolte, möcht es seyn,
unnd hat grossen lust, freude und glorieren in seim wissen 20
und bekennen, und darumb begert es, alles mehr und mehr
zu wissen, und kumpt darynn nymer zu ruwe oder genugde,
und ßo es mehr und hoher bekennet, ßo es mer lustes und
gloriens hat. Und wan es also hoch kumpt, das es meinet,
es bekenne alles und über alle, ßo stet es in seinem höchsten 25
lust und glorieren, und es hat bekennen für das peste und
für das edliste, und darumb leret es die liebe, sie solle das
bekennen und wissen lieb hau für das peste und edliste.
Sich, alda wirt daz bekennen und wissen mer geliebet, den
das bekant wirt. Wan das naturlich falsch liecht liebet sein 30
bekennen und wissen, das es selber ist, mehr dan das be-
kant wirt.
persönlichen oder Willensverhalten verbunden, oder: Grotteserkenntnis sei
Sache des persönlichen Verhaltens, nicht des gegenständlichen Bewußtseins.
*) Pf.: menschen. Doch ist 'personen' wohl richtiger: allein Oottes
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— 80 —
Und wer es müglich, daz dis naturlich liecht got und
einfeltige warheit, als in got und in der warheit ist, bekante^
es ließ nit von seiner eigenschaflft, das ist: von ym selber
und dem seinen. Sich, in dißem synne ist bekantnus on lieb
ödes, das bekant ist oder wirt. Und also steiget oder clymet
es also hoch, das es wen et, es bekenne got und lautter ein-
feltige warheit, und also liebet es in im selber sich.
Und es ist war, das got von nichte bekant wirt dan
von gote; und so es wenet, es bekenne got, ßo wenet es
10 auch, es sey gott, und gibt sich für got dar und wil da für
gehalten sein, und es sey aller ding wol wirdig und hab
zu allen dingen recht, es sey über alle ding komen, hab alles
überwunden und der gleichen, und auch über Christum und
Christus leben, [Hij] und wirt alles ein spott, wan es will nit
15 Christus sein, sunder es wil got sein in ewigkeit. Das ist
davon: Wan Christus und sein leben ist aller natur wider
und schwer; darumb wil die natur nit dar an, sunder wil
got sein yn ewigkeit und nit mensch, oder wil Christus sein
nach der urstend, das ist alles liecht, lustig und gemachsam
20 der natur. Darumb hat sie es für das peste, wan sie meynt,
es sey ir pestes. Sich, von dißem falschen liecht und diser
falsche, betrogne liebe wirt etwas bekant und nit geliebet,
sunder das bekennen und wissen wirt mehr geliebet, dan
das bekant wirt.
25 Auch ist ein bekantnus, das heißt man wissen, es ist
aber nit wissen; das ist: das man von hören sagen oder von
lesen oder von großer meisterschafft der geschrift wenet, man
wisse gar vil, und es heist ein wissen und spricht: ^ich weis
dis und das/ Und wan man fragt: ^a von weistu das?,
30 ßo spricht man: *ich hab es gelesen in der geschrift,' und der
gleich. Sich, daz heist man wissen und bekennen. Es ist
aber nit wissen, sunder glauben. Sich, von disem wissen und
bekentnus wirt vil bekant und gewißt und nit geliebet.
und des Logos Ich bildet keinen Gegensatz znm ewigen Gute. VgL z. B.
Kap. 41 Anfg.
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— 81 ~
Noch ist ein liebe, die ist zumal falsch, das ist: so man
etwas liebet umb Ion, als man hat gerechtickeit lieb, nit umb
gerechtickeit, sunder das man etwas da mit uberkum und
der gleich. Und wan ein creatur die ander lieb hat umb
etwas des iren oder die creatur got umb etwas lieb hat, so 5
ist es alles falsch, und diße libe gehört eigenlich der natur
zu. Unnd natur als natur vermag oder weißt anders kein
liebe dan diße; wan wer es kan gemercken, so hat natur als
natur nichtz lieb dan sich selber. Sich, yn dißer weis wirt
etwas bekant für gut und nit liebet. 10
Aber wäre liebe wirt gelert und geleitet von dem waren
liecht und bekentnus, und das war, ewig oder gotlich liecht
leret die liebe nichtz lieb haben dann das war, einfeltig, vol-
kumen gut und umb nichtz dan umb gut und nit, das man
das zu lone haben wolle oder icht von im, sunder dez gutenl5
zu lieb und darumb, das es gut ist und das es von recht
geliebet werden sol. Und was alßo von dem waren liecht
bekant wirt, das muß auch geliebt werden von der waren
liebe. Nu mag das volkumen gut, das man got nennet, nit
bekant werden dan von dem waren liecht: darumb muß es 20
auch geliebet werden, wa es bekant wirt oder ist.
Auch sol man mercken: wa das war liecht und die war 41*
liebe ist yn eym menschen, da wirt das war, volkumen gut
bekant und geliebt von ym selber^), und doch nit also, daz
es sich selber von im selber und als sich selber, sunder ^) 25
daz war, einfeltig gut liebe. Und daz volkumen vermag und
wil anders nit lieb han, in dem als es in im liebe ist,^)
dan daz ein, war gut. Und wan es nu dasselb ist, so muß .
es sich selber lieb haben, und nit sich selber als sich selber
und nicht von ym selber als von ym selber, sunder also und 30
') sich selber. *) betont : „sich selber" „und als sich selber" ; 'sondern'
sc. so, daß es. Sinn: wo wahres Licht und wahre Liebe ist, da ist das
vollkommene Gut wirkend (Kap. 40 a. E.) : es liebt sich also selbst, aber
nicht als sich selber, sondern als Gut.
*) sofern es in sich Liebe ist.
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— 82 —
yn dem, als das ein, war gut liebet und lieb hat das ein, war,
volkumen gut, und das ein, war, volkumen gut wirt geliebt
von dem einen, waren, volkumen gut. Und in dißem synne
spricht man und ist war: Got hat sich selber nit lieb als
ösich selber. Wan wer icht pessers dan got, das het got lieb
und nit sich selber. Wan in dißem waren liecht und in diser
waren liebe ist oder beleibt weder ich noch mein, mir, du,
dein und der gleich, sunder das liecht bekennet und weiset
eyn gut, das alle gut und über alle gut ist, und alle gut
10 eines sind wesenlich in dem einen und on das ein kein gut
ist. Und darumb wirt auch nit da geliebet dis oder das,
ich noch du oder der gleich, sunder allein das eine, das weder
ich noch du, diß oder das ist, sunder es ist über aUe ich und
du, dis und das, und yn dem wirt alles gut geliebet als ein
16 gut, als man spricht: alles yn eym als ein und ein yn allen
als alle und ein und alle gut geliebt durch das eine in dem
einen und dem einem zu lieb, von der liebe, die man zu dem
einem hat. Sich, hie muß alle icheyt, meynheit und selbheit
und was des ist, zumal verloren und gelassen werden; das
90 ist gottes eigen,') on alsvil tzu der [Hiij] personlicheit gehört.
Und was yn einem waren, vergotten menschen geschieht,
es sey yn thuender oder yn leidender weis, das geschieht in
dißem liecht und in diser lieb und auß dezselben durch
dasselb wider yn dasselb. Und da wirt und ist ein genügte
26 und ein stU sten, nicht zu begeren mer oder mynder, zu
wissen, zu haben, zu leben, zu sterben, zu seyn oder nit zu
sein, und was des ist, das wirt und ist alles ein und gleich.
Und da wirt nicht geclagt dan allein sund. — Und was das
sey, das ist vorgesagt, das ist: anders wollen dan das ein-
30feltig, volkumen gut oder der ein, ewig wille, und on und
wider dasselb oder den selben einen willen wollen. Und was
hie auß geschieht, als liegen, triegen, ungerechtickeit, falscheit
') ohne Ichheit zu sein, ist Gott eigen, in dem Sinn: daß er nidits
für sich selbst besonders wiU and sich nicht als Ich liebt, abgesehen davon,
daß er das vollkommene Gut ist. Als solches liebt er sich.
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— 83 —
und alle ontagent und kurtzlich alles, das man sunde heisset
und ist, das knmpt alles davon, das man anders wil dan got
nnd das war gut. — Wan were keyn will dan der ein, ßo
geschech nymer sund. Unnd darumb mag man wol sprechen,
das aller eigen wil sund sey, und ist anders nicht; dan 5
alles das darauß geschieht.^) Und dis wirt allein geclagt in
einem waren, vergotten menschen und wirt also sere geclagt
und tut also wee, das derselb mensch, solt er hundert
schemlich, peynlich tode leiden, das wurd nit alßo sere ge-
clagt und tet nit also wee als sund; und das muß pleibenio
pis yn den leiplichen tod. Und wa das nit ist, da ist auch
nit ein war gotlich oder vergotter mensch, on zweifei.
Sider nu in disez liechte und in diser liebe alle gut in
eim und als ein und das ein in allem und in allen als ein
und als alle geliebt wirt, ßo muß alles das da geliebet 15
werden, das guten namen in der warheit hat, als tugent,
Ordnung, redlicheit, gerechtickeit, warheit und der gleichen;
und alles, das got und dem waren gut zu gehört und sein
eigen ist, das wirt da geliebt und gelobet. Und alles, daz dem
wider ist und on dis ist, das ist leiden und pein und wirt 20
geclagt als sund, wan es in der warheit sund ist.
Und in welchem menschen gelebt wirt in dez waren
liecht und in der waren liebe, das ist das aller edliste,
peste und wirdigest leben, das ye geward oder ymmer ge-
wirt. Darumb muß es auch geliebt und gelobt werden über 25
alle leben. Und dis was und ist in Christo in gantzer vol-
kumenheit, er wer anders nit Christus. Und dise liebe, da
von dis edeU leben geliebt wirt und alles gut, macht, das
alles das, das zu leiden, zu tun oder zu geschehen gepurt*)
und sein muß oder sol, das wirt alles willicklich und gernnso
gethan und gelitten, wie schwer es der natur ist. Darumb
spricht Jesus: 'Mein ioch ist suß und mein purd leicht.'^) Daz
kumpt von der liebe, die dis edel leben liebt. Dis mag man
') geschieht daraus. «) gebührt. ^) Mt. 11, 30.
Mandel, Theoloffia Deutsch.
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mercken bey den apostelnn und marteren: die lidten willick-
lich und gernn, was yn zu leiden geschach und begerten nit
von gott, das yn das leiden oder die pein kurtzer oder leichter
oder mynder wurd, sunder allein, das sie stet und bestendig
obeliben. In der warheit, alles, daz gotlicher lieb zu gehört
in eim waren vergotten menschen, das ist also gar einfeltig,
recht und schlechte, das es mit rechtem unterscheid nye
gesprochen oder geschriben ward oder auch nye bekant wart,
dan allein, das es ist und das es nit ist, da kan man sein nit
lOgelauben; wie solt man es dan wissen?
Nu ist herwiderumb naturlich leben, da ein subtile,
behende, kundige natur ist also manigfeltig und verworren
und suchet und findet also vil wiuckel und falscheit und
betriegunge, und alles umb sich selber, das es auch nit zu
15 sagen zu schreiben ist. Wan nu alle falscheit betrogen ist
und alle betriegung sich selber von erst betreugt, so ge-
schieht disem falschen liecht und leben auch also: wan wer
betrügt, der ist betrogen, davon mehr gesagt ist. — Und in
disem leben und liecht und seiner liebe ist alles, ^) das dem
20teufel zu gehört und sein eigen ist, also gar, daz da nit
unterscheid ist : dann falsch liecht das ist teufel, und teufel ist
das liecht. Das mag mau mercken. Wan gleich als der
teufel meint, er sey got, oder wer gern got und für got ge-
halten, und er in disem allem betrogen ist und ist also gar
25 betrogen, das er meint, er sey nit betrogen: Sich, also ist es
auch umb das falsch liecht und sein lieb und sein leben. Und
als der teufel alle menschen gernn betreug und an sich und
an das sein züge und ym gleich machte, und kan dar [Hiiij]
zu manig kunst und list, also ist auch in disem liecht. Und als
30 den teufel niemant auß dez seinen pringen mag, also ist ^) es
auch hie. Und kumpt alles davon, das beide, teufel und natur,
meinent, sie seyen unbetrogen und auff dem aller pesten.
0 sc. Yorhanden.
*j St. : „ist — hie". Pf. : mag ouch nimant diß falsche betrogen liecht
von siner irresal bringen.
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— So-
und das ist die aller pößlichst und schedlist betriegung. —
Danimb ist der teufel und natur eins/) und wa natur über-
wunden ist, da ist auch der teufel überwunden ; und herwider-
umb, wa natur nit überwunden ist, da ist auch der teufel
nit überwunden. Es werd auflf weltlich oder auff geistlich 5
leben gekert, so pleibt es doch alles in seiner falschen be-
triegung, beyde, das es betrogen ist und betreugt ander mit
im, wa es mag. Auß dißem vorgesprochen mag man noch
neher versten und bekennen (dan hie kein unterscheid ist),
wan und wa man spricht von Adam und ungehorsam und 10
von einem alten menschen, icheit, eigen willen und eigen
willickeit, selbwillickeit, ich, mein, natur, falsch liecht, teufel,
sund: das ist alles gleich und eins; dis ist alles wider got
und on got.
Sich, nu möcht man fragen: Ist icht wider got und das 42.
wäre gut? Mau spricht: neyn, ßo ist auch nichtz on got,
sunder allein: wollen anders dan der ewig will wil; und das
anders gewoltwirt, dan der ewig will wil, das ist wider den
ewigen willen. Nu wil der ewig will, das anders nichtz ge-
wolt oder geliebet werde dan das wäre gut. Und wan es nu 20
anders ist, daz ist im wider; und in disem synn ist es war:
wer on got ist, der ist wider gott ; aber in der warheit, so ist
nichtz wider got odder wider das war gut. Man sol es also
versten, als ob got Sprech : wer on mich will oder nit wil als
ich oder anders dan ich, der wil wider mich.^) Wan mein 25
will ist, das niemant anders wollen sol dan ich oder on mich,
und on meinen willen sol kein wille sein. Gleich als on mich
ist weder wesen noch leben noch dis oder das, also solt auch
kein wille sein on mich und on mein willen.*) — Und als
') Es sollte keines besonderen Hinweises bedürfen, daß die Natur von
der Th. D. nur in ethischem Sinne mit dem bösen Geist eingesetzt wird,
nicht in einem physischen, substanziellen.
«) Mt. 12, 30.
') Hier ist besonders deutliche Einsicht in die heuristische Bedeutung
des SchSpfungsglaubens für den Eeligionsbegriff möglich!
9*
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— so-
gleich in der warheit alle weßen wesenlich eins sind in dem
volknmen wesen und alle gut ein gut in dem einen und der
gleichen und nichtz gesein mag on das eine, also solten alle
willen ein will sein in dem eynen volkumen willen und kein
6 Wille on den einen. Und wa es anders ist, das ist unrecht
und wider got und seinen willen, und darumb ist es sund.
Sich hernach als vor,^) daz alle die willen on gottes wil (das
ist aller eigen wille) ist sund, und was auß dez eigen willen
geschieht.
10 Alle die weil der mensch sein eigen gut sucht und sein
pestes als das sein und ym selber und als von ym selber, ßo
findet er es nymer; wan alle die weil das ist, so sucht der
mensch nit sein pestes. Wie solte er es dan finden? Wan
die weil im also ist, so sucht der mensch sich selber und
l5wenet, er sey selber das peste, und sider der mensch das
peste nit ist, ßo sucht der mensch nit daz peste, die weil er
sich selber sucht. Aber in welchem menschen gesucht, geliebt
und gemeynt wirt gut als gut und umb gut und nyt anders
dan lautterlich dem gut zu liebe, nit als von mir oder als
20 ich, mein, mir oder umb mich und der gleich, da wirt es
gefunden; wan es wirt da recht gesucht, und wa es anders
ist, da ist es falsch. Und in der warheit, in dißer weis suchet,
meynet und liebet sich das war, volkumen gut, und darumb
findet es sich.
25 Es ist ein groß torheit, das ein mensch oder ein creatur
wenet, sie wiße oder vermüge von ir selber, und besunder das
sie wenet, sie wisse odder vermüge etwas gutz, da mit sie
groß verdienen odder uberkomen müg umb gott. *) Man peut
got smacheit^) da mit, der es recht vorstund. Aber daz war
30 gut übersieht eim einfeltigen albernn menschen, das nit
pessers weißt und lest im also wol geschehen als im ymmer
^) Siehe hernach, wie schon vorhergesagt ist.
*) womit sie großes verdienen oder infolge Verdienstes um Gott er-
langen möge.
') Schmach.
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- 87 —
geschehen mag, und also vil gutes er enphahen mag, das
gan^) im got zumal wol. Aber als gesprochen ist, er findet
oder enphecht seyn nit, die weil im also ist; wan die icheit
mufi hinweg, er wirt anders nichtz finden oder enpfangen.
b. [I] Wer Christus leben weiß und bekennet, der weiß und 43.
bekennet auch Christum. Und herwiderumb: wer das leben
nit bekennet, der bekent auch Christum nit, und wer an
Christum gelaubet, der glaubet, das seyn leben das aller
edlist und peste leben sey, und wer des nit gelaubet, der
glaubet an Christum auch nit. Und alsvil Christus leben 10
in eim menschen ist, alsvill ist auch Christus in ym, und als
wenig des einen, als wenig des andernn. Wan wa Christus
leben ist, da ist Christus, und da sein leben nyt ist, da ist
Christus auch nit. Und wa Christus leben ist oder were, da
wurd gesprochen, als S. Paulus spricht: 4ch leb, aber ich nit, 15
Hunder Christus lebet in mir.'-) Und das ist das edlist und
peste leben, wann wa das leben ist, da ist und lebet gott selber
und alles gut. Wie möcht ein pesser leben gesein? Merck:
Wan man spricht von gehorsam, von einem newen menschen
und von dem waren liecht und von der waren liebe und von 20
Christus leben, das ist alles eins; und wa yr eines ist, da
sind sie alle, und wa yr eins gebricht oder nyt ist, da ist
jT keines, wan es alles eins ist und werlich und wesenlich.
Und wa mit man das uberkomen möchte, das es gepornn wurd
und lebentig wurd in eim menschen, dem sol man anhafFten25
und anders nichtz; und was es yrret,^) das sol man lassen
und fliehen. Und wer das enphecht in dem heyigen sacra-
ment, der hat Christum werlich und wol enpfangen, und ßo
man sein mehr enphecht, ßo mer Christus, und ßo des mynder,
ßo mynder Christus. 30
Man spricht: wer ym an got genügen leßt, der hat genug, 44.
und das ist war. Und wem an icht genüget, das dis oder
das ist, dem genügt nichtz an got ; sunder wem an got genüget,
») gönnt. *) Gal. 2, 20. *) hindert.
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dem genügt an nichtz und an allem, das weder dis oder das
ist^) und alle ist.*) Wan got ist ein und muß ein seyn und
got ist alle und muß alle sein. Und was nu ist und nit eins
ist, das ist nit gott, und waz ist und nicht alles ist und über
5 alles, das ist auch nit got. — Wan got ist eyns und über
alles und ist all und ist über alles. Wem nu an gott genüget,
dem genügt an eim und allein in dem einem als an eim.
Und wem nicht alles eins ist und eins aUes und wem nyt
icht und nicht gleich und ein ist, dem kau an got nit ge-
10 nügen. Aber wa diß were, da wer auch genügen und anders
nyndert.
Sich, also ist es auch: wer sich got gentzlich lassen
sol und gehorsam sein, der muß allein gelassen und ge-
horsam sein yn leidender weis und auch nit wider zu sten
löoder sich zu weren oder behelflfen. Und wer also nit allem
und allen dingen gelassen und gehorsam ist in eim und
als yn eim, der ist got nit gelassen oder gehorsam. Diß
merck man bey Christo. Und wer got leiden sol oder wil,
der muß alles leiden yn eim als yn einem und keim leiden
20 mit nicht wider sten. Das ist aber Christus. Und wer leiden
widerstet und sich des weret, der wil oder mag got nit ge-
leiden. Diß sol man also versten. Man sol keim ding oder
creatur widersten mit gewalt oder mit kriegen an willen oder
an wercken. Man mag leiden wol vorkumen oder ym ent-
25 weichen und fliehen on sund.
Sich, wer nu got lieb haben will oder sol, der hat alles
lieb in einem als yn einem und alles und eins in allen als
alle yn eynem. Und wer etwas lieb hat, diß oder das, anders
dan yn dem einem und umb das ein, der hat got nit lieb,
30 wan er hat etwas lieb, das nit got ist. Darumb hat er mer lieb
dan got. Wer nu mer lieb hat dan gott oder etwas mit got,
der hat got nit lieb, wan got sol und will allein lieb gehabt
») D. i. eben Gott.
*) weil Gott das Nichts von allen empirischen Qiddditäten ist, kann
er zugleich in allen sein (als ihr Sein und Leben!).
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sein, und es solt yn der warheyt nichtz lieb gehabt werden
dan allein got. Und wa das war liecht in ein menschen ist
nnd die war lieb, da wirt anders nit lieb gehabt dan allein
got; wan da wirt got lieb gehabt als gut und umb gut und
alle gut als ein und ein als alle, wan in der warheit alles 5
ist eins und eins ist alles in gott.
[lij] Man möcht sprechen : *Sol man alles lieb han, sol man 45.
denn auch sund lieb han? Man antwurt: neyn. Wan man
spricht : 'alles', so meynet man gut ; und alles, das da ist, das
ist gut, in dem als es ist^); der teufel ist gut in dem als er 10
ist ; yn dem synne ist nichtz pöße oder ungut. Aber sund ist
anders wollen oder begeren oder lieb han den got. und
das wollen ist nit wesen^), darumb ist es auch nit gut.
Kein ding ist gut dan alsvil es in got und mit got ist. Nu
sind alle ding wesenlich in got und wesenlicher dan in ymlö
selber;^) darumb alle ding gut sind nach dem wesen; und wer
icht, das nit wesenlich in got were, daz were nit gut. Sich,
nu ist das wollen und begeren, das wider gott ist, das ist nit
in got ; wan got mag nit wollen oder begeren wider got oder
anders dan got. Sich, darumb ist es pöß oder nit gut oder 20
auch nichtes nicht. Got hat auch die werck lieb, aber nyt
alle werck. Welche dan? Die da geschehen auß der lere
und anweisung des waren liechtz und auß der waren liebe.
*) Alles Seiende ist als solches gut.
*) Das Wollen ist keine rein physische Größe. Diese Erkenntnis ist
von großer Bedeutung. In den Systemen des Dualismus ist der Wille,
wenigstens wenn er vom Guten abfäUt, einer physischen Kategorie unter-
steUt, der des Nichtseins. Der böse Wille ist nur eine Spezies des Übels.
Diese Kategorie fällt hier weg. Der Wille steht über der bloßen Natur.
') in sich selber; Sinn: jedes Ding hat sein Sein von und in Gott;
Gott ist der Schöpfer. Das Sein aber ist die innere Aktualität der Dinge,
deren tiefe, innerliche Bedeutung gerade bei dem Menschen offenbar wird.
So ist der nicht seltene Gedanke der dtsch. Mystik zu verstehen, daß Gott
den Dingen näher ist wie sie sich selbst. Sie w ä r e n eben nicht ohne Gott,
sie wären bloße Begriffe. Von hier aus ist auch die Rede der dtsch. Mystik
von dem Grunde der Seele, von der tiefen Anlage zur Religion zu verstehen.
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Und was anß difiem und yn dißem geschieht, das geschieht
in dem geiste und in der warheit, und was des ist, das ist
gottes und gefeit ym wol. Aber was geschieht auß falschez
Hecht und auß falscher liebe, das ist alles arg ; unnd besunder
5 was geschieht und getan oder gelassen, gewurckt oder gelitten
wirt auß eim andernn willen oder begirt oder ander liebe dan
auß gottes willen und seiner liebe, das ist und geschieht on
got und wider got und ist auch wider gottes werck und ist
all zu mal sund.
46. Christus spracli: ^wer nit glaubet oder nit glauben wil
oder kan, der ist und wirt verdampt und verloren.' ^) Das
ist werlich war. Wan ein mensch, der in die zeit kommen ist,
der hat nit wißen und kan zu wißen nit komen, er muß vor
glauben. Und wer wissen wil ee dan er glaubt, der kumpt
15 nymer zu warem wissen. Und man meint hie nyt die artickel
des Christen glaubens, wan die glaubet yeder man und ein
yechlich Christen mensch gemeinicklich, sundig und selig, pöß
und gut. Und man sol sie glauben und man mag sie nit zu
wissen komen. Man meynet hie etwas von der warheit: daz
20müglich ist zu wissen und zu befinden, des muß man glauben,
ee dan man es wisse oder befinde, anders es kumpt nymer
zu warem wissen. Und den glauben meint Christus.
47. c. Man spricht, es ist nichtz alßvil in der helle als
eygener will; und das ist war, und da ist nit anders dan
25 eygener will ; und wer nit eigen wil, ßo wer kein hell *) oder
kein teufel. Wan man spricht, der t^ufel lucifer viel von
dem hjTnelreicli und kerte sich von gote und des gleich, das
ist nit anders, dan er wolt seinen eigen willen haben und
nit einwillig sein mit dem ewigen willen. Und also was es
30 auch umb Adam yn dem Paradeis. Und wan man eigen
•) Mc. 16, 16.
*) Die Freigeister sagten, daß die Hölle nichts anderes sei als des
Menschen eigener Wille, weil ein natürliches Feuer dort nicht sei und
also, wenn der Mensch seinen eigenen Willen breche, so breche er aach die
HöHe (S. B. A. 536).
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willen meynet, ßo meynt man : anders wollen dan der einfeltig
ewig Wille wil.
Was ist aber das Paradeis? Das ist alles, das da ist;
wan alles, das da ist, das ist gut und lustig unnd ist auch
got lustig, und darumb heist es und ist wol ein Paradeis. Man 5
spricht auch, das das paradis sey ein voi'purch oder ein vor-
stat des hymelreichs. ALBo ist alles, das da ist, wol ein vor-
stat des ewigen oder der ewickeit und besunder, was man yn
der zeit und bey den zeitlichen dingen und in und bey den
creaturen gottis und ewigkeit gemercken oder bekennenn mag. lo
Wan die creaturen sind ein weisunge und ein weg zu got und
zu der ewigkeit. Also ist es alles ein vorpurgh und ein vor-
stat der ewigkeit, und darumb mag es wol ein paradis heissen
und sein. Und yn dissez paradis ist alles das erluabt, das
darynne ist, on ein bäum und sein frucht. Das meynt alsovil:l5
in allem dem, das da ist, da ist nicht verpotten und nicht
das got [liijj wider ist, dan eins allein: das ist eigen will oder
daz man anders wolle dan der ewig wille wil. Das ist zu
mercken. Wan got sprichet zu Adam ^) (dass ist zu eim yeg-
lichen menschen) : 'Was du pist oder lessest oder was geschieht, 20
das ist alles unverpotten und ist erlaubt, alßo das es nit auß
deim oder nach deinem willen geschech, sunder auß und nach
meinem willen.' Was aber geschieht auß deinem willen, das
ist alles wider den ewigen willen; nit das alle werck, die
also geschehen, wider den ewigen willen sein, besunder das 25
sie geschehen auß eim andernn willen oder anders dan auß
dem ewigen willen.
Nu möcht man fragen: sider das diser bäum, das ist 48.
eigen wille, got und dez ewigen willen also wider ist, war-
umb hat yn dan got geschaffen und gemacht und hat yn inao
das paradis gesetzt? Antwort: Welcher mensch oder welche
OTeatur begert zu erfaren und zu wissen den heimlichen rat
und willen gottes, also das er gemn wolte wissen, warumb got
») 1. Mose 2, 16 f.
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dis oder das thu oder lasse und der gleich, der begert nicht
anders dan als Adam und der teufel. Und alle die weil die
begerung wert, ßo wirt es nymer bekant, und der mensch ist
nit anders dan als Adam oder der teufel. Wan diße begird
5 ist selten umb andere icht, dan das man da von lust hab und
daryn gloriert, und das ist war hoffart. Eyn war, demutig,
erleucht mensch begert nit von gott, das er ym sein heim-
licheit offenbar, also daz er frage, warumb got dis oder das
thu oder verheng und der gleich, sunder er begert, wie er
10 allein an ym selber zu nichte werd und willenloß und der
ewig will in ym leb und gewaltig sey und ungehindert von
andernn willen, und wie dem ewigen willen von und in ym
genug geschech.
Doch mag man etwas anders zu diser frage antwurten
15 und sprechen. Das aller edlist und lustigiste, das in allen
creaturen ist, das ist bekentnus oder vernufft und wille.
Und diße zwey sind mit ein ander ; wa daz ein ist, da ist auch
das ander. Und weren diße zwey nit, ßo wer auch kein ver-
nufftig creatur, sunder allein vich und vichlicheit. ^) Das wer
20 ein groß geprest, und got möchte sich des seinen nyndert be-
komen und seiner eigenschafft (davon vor^) gesagt ist) yn
wurcklicher weise, das doch sein sol und gehört zu volkumen-
heit. — Sich, nu ist das bekentnus und vernuft mit dem willen
geschaffen und gegeben. Das sol dan willen leren und auch
26 sich selber, das weder bekentnus oder wille von ym selber ist,
oder das ir keins sein selbs ist oder sein sol, noch ym selber
sollen oder wollen sol oder ir keins sich selber nutzen oder
sein selbs geprauchen sol zu im selber oder umb sich selber;
sunder von dem sie sind, des sind sie auch, und dem sollen
30 sie gelassen sein und wider dar yn fliessen, und werden an
yn selber zu nichte, das ist an ir selbheit.
49. Hie sol man aber etwas mercken und besunder von dem
willen. Der ewig will, der in got ursprunglich und wesen-
») Viehische Art. ^) S. 58 f.
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lieh ist und on alle werck und wurcklicheit, derselb will ist
in dem menschen oder in der creatur wurcklich und wollende :
wan dem willen gehört zu und ist sein eigen, das er wollen
sol. Was solt er anders? Er wer anders vergebens, solt er
kein werck haben. Und dis mag on creatur nit geschehen. 5
Darumb sol creatur sein und gott wil sie haben, dass diser
will sein eigen werck dar yn hab und wurck, der in got on
werck ist und sein muß. Darumb der wil in der creature,
4en man einen geschaffen willen heist, der ist also wol gottes
als der ewig wil, und ^) nit der creaturen. Und wan nu got 10
on creatur wurcklich und beweglich nit gewollen mag, darumb
wil er es thun in und mit den creaturen. Darumb solt die
creatur mit dez selben willen nit wollen, sunder got solt und
wolt wollen wurcklichen ^) mit dez willen, der in dem menschen
ist und doch gottes ist. Und wa das lauterlich und gentzlich 15
were oder in welchem menschen, da wurd gewolt nit von dem
menschen, sunder von got, und da wer der will nit eigen wil,
und da wurd auch nit anders gewolt dan als [liiij] got will.
Wan got wolte selber da und nit der mensch, und da were
der wil eins mit dem ewigen willen und wer da in geflossen. 20
Und yn dem menschen were und belib lieb und leid, wol
und wee und des gleich. Wan da der will willicklich wil,
da ist lieb oder leid: wan ist es als der wille wil, so ist es
lieb, und was anders ist, dan der wille wil, das ist leid. Und
-diß lieb und leid ist nit des menschen, sunder gottes; wan 25
wes der wille ist, des ist auch lieb und leid. Nu ist der wil
nit des menschen, sunder gottes, darumb ist das lieb und
leid auch sein, und da wirt nit geclaget dan allein das widder
got ist. So wirt auch kein freude da dan allein von gotte
und von dem, das gottes ist und im zu gehört. Als es nu30
umb den willen ist, also ist es auch umb bekentnus, vemuft,
vermügen, liebe, und was in dem menschen ist, das ist alles
gottes und nit des menschen. Und wa das geschehe, das der
») t ist (Pf.). *) wirkend, actualiter.
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wil also got gar gelassen wer, da wurd das aoder alzu mal
gelassen und da bekeme got alles des seinen unnd der will
wer nit eigen wille. Sieh, also hat got willen geschaffen, aber
nit, das er eigen sol sein.
50. Nu kumpt der teufel und adam, das ist die falsch
natur, und nympt dißen willen an sich und macht yn ir eigen
und nutzet yn zu ir selber, zu dem iren. Und dis ist der
seh ad und das unrecht und ist der pisse, da mit Adam
den apfel peiße,^) und das ist verpotten, und das ist wider got,
10 Und alle die weil und wa der eigen will ist, da wirt nymer
mer war rwe. Das merck man bey dem menschen und bey
dem teufel. So wirt werlichen alda selbst nymer wäre
selickeit, weder yn der zeit noch yn ewickeit, wa diser eigen
wil geschieht, das ist die eigenschaft,^) das man sich des
16 willen an nympt und macht yn eigen. Und so er nit gelassen
wirt yn der tzeit, sunder das er bracht wirt auß der zeit, so
ist vorsehenlich,^) das er nymer gelassen muge werden; so
wirt auch yn der warheit daselbs nymer genugde oder frid^
rüge oder Seligkeit. Das merck man aber bey dem teufel. —
20 Wer nit vernufft oder wille yn den creaturen, werlich got
belib und wer unbekant und ungeliebt und ungelobt und un-
geeret, und all creaturen weren nichtz wert und tuchten
nyndert zu got.^) Sich, also ist geantwurt zu der frag.*)
Were yemant, der sich gepessernn möchte und wolt von dissen
26 langen vil Worten, die doch kurtz und nutz in got sind, daz
wer got lieb.
Was frey ist, daz ist niemantz eigen, und wer daz eigen
macht, der thut unrecht. Nu ist unter aller freyheyt nichtz
also frey als der wiD, und wer den eigen macht und leßt yn
30 nit an seiner edlen freyheit und in seinem freyem adel und
in seiner freyen art, der thut unrecht.*) Das thut der teufel
') biß. *) = Aneignung. *) vorauszusehen.
*) taugten Gott zu nichts.
"") Kap. 48 Anfg.
") Mit dieser Freiheit ist das Freisein vom EigenwiUen und für Gott
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und adam und all yr nachvolger. Aber wer den willen leßt
in seiner edlen freybeit, der thut recht ; und das thut Christus
und all sein nachvolger. * Wer den willen seiner edelnn frey-
heit beraubet und Inacht yn eigen, der muß zu Ion haben,
das er mit sorgen und bekummemus und mit ungenugung und 5
unfirid und unrwe und allem ungluck behangen ist und be-
leibt, all die weil das weret yn zeit und in ewickeit. Aber
wer den willen in seiner freyen art leßt, der hat genug,
fryd, rwe, selickeit, yn der zeit und in ewigkeit. Wa und
in welchen menschen der will nit geeigent wirt, sunder das 10
er bleibt in seiner edlen freyheit, da wirt und ist ein war,
frey, ledig mensch oder creatur, da von Christus spricht : *Die
warheit sol euch frey machen'. Und zu haut dar nach: 'Wilchenn
der sun frey machet, der ist werlich frey.' ^)
Auch sol man mercken. In welchen menschen der wil 51.
seiner freyheit geprauchet, do hat er sein eigen werck, das
ist wollen, und da wil er, was er will, ungehindert; ßo wil
er auch das edlist und das pest in allen dingen; und alles,
das nit edel und gut ist, das ist im wider und ist ym iamer
und clag. Und ßo der will ye freyer ist und ungehindert, so 20
im ungut, unrecht, pößheit, untugent und alles, das man sund
hisset und ist, wirs thut und großer iamer [K] und clag ist. Das
merck man bey Christo. In dem was der aller freyeste, un-
ungehinderst und ungeeygenst wiU, der jrn keinem menschen
gemeint. Sie fäUt also zusammen mit der schlechthinigen Bestimmtheit
durch Gott. Wenn diese aber als Freiheit bezeichnet werden kann, ist
zu beachten, wie wenig sie als Heteronomie empfunden wird. Der
Religionsbegrif! der Th. D. hat in der Tat den Vorzug, daß der von selten
der profanen Ethik gegen die religiöse und christliche Ethik oft erhobene
Vorwurf der Heteronomie verstummen muß. Das Verhältnis zu Gott hat
sein Wesen darin, den Willen Ton aller empirischen Gebundenheit zu
befreien und zum Organe schlechthiuiger Freiheit und Unbedingtheit zu
erheben. Von hier aus ist es zu verstehen, wenn Luther bisweilen von
der voluntas nuda redet.
») Job. 8, 32. 36.
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- 96 —
ye ward oder ymer wirt.^) So was auch Christus menscbeit
die aller freyest und ledigist creatur, und was doch die größte
clag und iamer und leiden umb sund (das ist umb alles das^
daz wider got ist), das in keiner creatur gesein mag.
5 Aber wa man sich freyheyt an nympt, alßo das da keyn
clag oder iamer sey umb sundt und was wider got ist^
sunder man will alles unachtsam und rauchlos sein und man
sol sein yn der zeit, als Christus was nach der urstend, und
des gleich : da ist nit eyn war, gotlich freyheit auß eim waren
lOgotlichen liecht, sunder da ist ein naturlich, ungerecht, falsch,
betrogen, teufeis freyheit auß eim naturlichen, falschen be-
trogen liecht.
Were nit eigen wille, ßo were kein eigenschaft. In dem
hymelreich ist nit eigens : davon ist da genug ^) und war fride
15 und alle selickeit. Und wer yemant da, der sich eigenschaft
an nem, der mußt herauß in die helle und ein teufel werden.
Aber in der helle wil yederman eigen willen haben: darumb
ist da alles ungluck und unselickeit. Also ist es auch yn
der zeit. Were aber yemant in der hellen, der on eigen
20 willen wurd und on eigenschaft, der kem auß der hellyn das
hymelreich. Nu ist der mensch in der zeit zwischen hymel-
reich und der hellen und mag sich keren, zu welchem er wil.
Wan so mer eigenschaft, ßo mer hell und unselickeit, und so
mynder eigens willen, so mynder hell und neher dem hymel-
25 reich. Und möcht der mensch in der zeit lauterlichen on
eigen willen und on eigenschaft gesein und ledig und frey
auß eim waren, gotlichen liechte^) und belib wesenlich also,
der were des hymelreichs sicher. Wer etwas eigens hat oder
haben will oder gernn hett, der ist selber eigen; und wer nit
30 eigens hat oder haben wil oder nichtz begert zu haben, der
ist ledig und frey und niemantz eigen.
52. d« Alles, das hie geschriben ist, das hat Christus gelert mit
langem leben — wan vierdhalb und dreissig iar — und mit
*) Wichtige Ergänzung zu den früheren christologischen Stellen.
^) infolgedessen ist da Genüge. *) Tgl. S. 22.
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kurtzen Worten, das ist da mit, das er spricht: *Volg mir.*
Aber wer im volgen sol, der muß alle^) lassen, wan in ym
was alles gelassenn, als gar als es yn creaturen ye gelassen ward
oder geschehen mag. Auch wer ym volgen will, der sol das
creutz an sich nemen, und daz creutz ist anders nit denn 5
Christus leben, wan das ist ein pitter creutz aller nature.*)
Darumb spricht er: *Wer nit alles das leßt und nyt das creutz
auff sich nympt, der ist mein nit wirdig und ist meyn iunger
nit und volget mir nit nach.'*) Aber die frey, falsch natur
meynt, sie hab alles gelassen: sie will aber des creutzes nit 10
und spricht, sie hab sein genug gehaben und durff sein
nymer, und ist betrogen. Wan het sie daz creutz ye ge-
smeckt, sie möcht es nymer mer gelassen. — Wer an Christum
glaubt, der muß alles das glauben, daz hie geschriben stet,
amen. 15
Christus spricht : *Niemant kumpt zu dem vater dan durch
mich.'^) Nu merckt, wie man durch Christum komen sol zu
dem vater. Der mensch sol war nemen sein selbs und alles
des seinen von innen und von aussen und sich also halten
und bewaren (alsvil es müglich ist), daz yn im von ynnen20
nymer wille noch begerung, liebe oder meynung, gedanck oder
lust auff stee oder bliben hab anders dan als got zu gehöret
und wol geczeme, ob got selb der mensch were. Und wa
man gewar wirt, daz sich anders erhebt, daz got nit zu ge-
hört und got nit wol gezemet, das sol man vertilgen und im '^5
widersteen, so man erst und pest mag. Und dasselb sol auch
sein von aussen an thun und an laßen, an reden, an sweigen,
an wachen, an schlaffen und kurtzlich an aller weise und
Wandlung, die der mensch hat zu im und mit im selber und
•)Pf.t:Dmg.
') Das Ereaz ist der symbolische Ausdruck für das religiöse Grund-
verhalten, d. i. schlechthinige Selbsthingabe. In diesem Sinne, nicht in
dem der Versöhnungslehre, hat Luther in den Anfangsjahren seine Theologie
zusammenfassend als Kreuzestheologie bezeichnet, z. B.1, 123, 35 ff. ; 101, 19 ff. ;
141, 11 ; 613, 20 ff. ; V, 85, 1-5 ff. ; 176. 31. ») Mt. 10, 38. *) Joh. 14, 6.
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zu andernn und mit anderen leuten, daz diß alles behfit sey,
das icht anders geschech, oder das sich der mensch zu icht
anders kere oder anders icht in im gestatte, auf zu sten oder
beleiben von ynnen und auß im, und durch yn geschech anders,
5 dan als got wol zu gehört und wol muglich und wol zymlich
were, ob got selber der mensch were. Sich, waß da ist oder
wer, was da wer oder ist von ynnen oder geschech von
aussen, das ist oder were alles gottes, und der mensch ist
oder wer ein nachvolger Christi nach seinem leben, da von wir
68. versteen und gesagen kunnen. [Kij] Und wer dis leben hett,
der gieng und kern durch Christum. Wan er wer Christus
nachvolger; so kem er auch mit Cliristo zu dem vater und
durch Christum, und er wer auch ein warer diener Christi.
Dann der im nachvolget, als er selber spricht : * Wer mir dienen
löwil, der volg mir nach,' ^) (als ob er Sprech: Wer myr nit volgt,
der dient mir auch nit), und wer also Christo nachvolget und
dienet, der kumpt daselbst hin, da Christus ist, daz ist zu
dem vater. Das spricht Christus selber, da er spricht: 'Vater,
ich wil, wa ich pyn, das auch mein diener daselbs sey.'*)
20 Sich, wer dißen weg get, der get durch die thür in den schaf-
stall, das ist in das ewig leben, und der törwarter schleust
ym auf.^) Und wer einen andernn weg get oder wenet, er
wol oder mug zu dem vater komen oder zu ewiger selickeit
anders dan also durch Christum, der ist betrogen ; wan er get
26 nit durch den rechten weg, auch get er nit eyn durch die
rechten tur. Darumb wirt ym nit auf getan, sunder er ist
ein dieb und ein morder, als Christus spricht. Sich, nu merck,
ob man in ungeordenter freyheit und ledickeit und Unacht-
samkeit, tugent und untugent, Ordnung und Unordnung und
30 dem gleichen, als ir woU merckent, ob man also den rechten
weg oder zu der rechten tur yn gee oder nit. Diß Unacht-
samkeit ist nit in Cliristo gewesen, [sie ist auch in keinen
seinen waren nachvolgern.
0 Joh. 12, 26. ^) Job. 17, 24. ») Job. 10, 3.
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Auch spricht Christus : *Niemant kumpt zu mir, der vater
ziech yn denn.'^) Nu merckent: bey dem vater verstee ich
daz volkumen, einfeltig gut, das da all ist und über all und
on daz und außwendig dem kein war wesen noch kein war
gut ist, und on das kein war gut werck ye geschach noch ymer 6
geschieht. Und wan es nu alle ist, so muß es auch allein
sein und über alle. Es mag auch keins der gesein, daz creatur,
in dem als creatur, begreiflfen oder versten kan. Wan was
die creatur begreifen oder versten kan als creatur (das ist
nach ir creaturlicheit), das ist alles etwas, diß oder das, und 10
das ist dan alles creatur. Und were nu das einfeltig vol-
kumen etwas, dis oder das, das creatur versteet, so were es
nit alle noch allein und were auch nit volkumen. Darumb
nennet man es auch „nit".*) Man meynet, es sey der keins,
das creatur von ir creaturlicheyt begreiflfen, bekennen, ge-16
dencken oder genennen mag. Sich, wan dis volkumen unge-
nant fleußt in ein geberende person,') da in es gepirt seinen
eingepornn sun und sich selber darinn, so nennet man es vatter.
Sich, nu merck, wie der vatter ziech zu Christo. Wen 54.
der sele oder dem menschen etwas endecket wirt und ge-20
offenbart von disem volkumen gut als in eim plick*) oder in
eim zuck,*) so wirt in dem menschen geporen ein begerung,
dem volkumen gut zu neben und sich mit ym vereinigen.
Und ßo diße begerung grosser wirt, so im mer geoffenbart
wirt; und so im mer geoffenbart wirt, so er mer begert und 26
gezogen wirt. Also wirt der mensch gezogen und gereitzet
zu der vereinung des ewigen gutz. Und diß ist des vatters
zeihen.
Und also wirt der mensch geleret von dem selben, das
yn zeuchet, das er zu der einickeit nit komen mag, er kumao
') Joh. 6, 44. «) Vgl Kap. 1.
^ D. L in einem Menschen, der, aUen Eigenwülen lassend, Gott Baom
gibt Von dem Ideal des persönlichen Gnmdverhaltens ans ist die bild-
liche Eede vom Gebären des Sohnes durchaus verständlich nnd unanstößig.
*) Blitz. ») Verzückung.
M a n d e / , Theologia Deutsch. ^^
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— 100 —
dan durch Christus leben. Sich, nu nympt er das leben an
sich, davon vor gesagt ist. Sich, nu merck diße zwey wort^
die Christus spricht: das eyn: *Niemant kumpt zu dem vatter
den durch mich,' daz ist: durch mein leben, als vor gesprochen
5 ist; das ander wort: *Niemant kumpt zu mir,' das ist: das
er sich des lebens an nem und mir nachvolg, er werd den
berurt und gezogen von dem vater, das ist von dem ein-
feltigen gut und volkumen, da von sant Paulus spricht: *Wenn
das volkumen kumpt, so wirt das geteilt alles auß gewüstef^
10 Das meinet alßo vü: in welchem menschen dasselb volkumen
bekant, befunden und gesmackt wirt, alsvil es muglich ist in
der zeit, den menschen dunckent alle geschafiie ding nichtz
sein gegen diße volkumen, als es auch in der warheit ist:
wan außwendig dem volkumen und on es ist kein war gut
16 noch war wesen. Wer denn das volkumen hat oder bekennet
und liebet, der hat und bekennet all und alles gut. Was [Küj]
solt im denn mer oder anders oder was solten im die teil, wan
die teil all in dem volkumen vereiniget sind yn eim wesen?
55. Was hie gesagt ist, das gehört alles außwendigem leben
20 zu und ist ein weg und ein zu gang zu eim waren in-
wendigen leben. Unnd das inwendig das hebet an nach dißem.
Wenn der mensch smecken wirt das volkumen, als es muglich
ist, so werden alle geschaffne ding dem menschen zu nichte
und auch der mensch selber. Und so man bekennet in der
26 warheit, das das volkumen allein all ist und über all, so
volget von not darnach, das man dem selben volkumen allein
alles guten bekennen muß und keiner creaturen, als des wesens,
lebens, bekennens, Wissens, vermügens und des gleichen. Und
darnach volget, das der mensch sich nichtz an nympt, weder
80 lebens noch wesens, vermügens, Wissens, thuens und lassens
noch alles des, das man gut genennen mag. Und also wirt
der mensch als armm und wirt auch in im selber zunichte
und in ym und mit im alles icht, daz ist alle geschafne ding.
Und so aller erst hebet sich an ein war inwendig leben. Und
36 den furbas mer wirt got selber der mensch, also das da nicht
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mer ist, das nit got oder gottes sey, und aach daz da nichtz
ist, das sich ichtes an nem. So ist und lebet und bekennet
und vermag und liebet und will und thut und lesset got, daz
ist das ewig, ein, volkumen alleine. Und also solt es in der
warheit sein, und wa es anders ist, da möcht im wol pas^) 5
und rechter sein.
Auch ist ein gut werck und zu gang, das man war nem,
das das peste das liebste sey, und daz man das peste erwele
und sich dar zu halte und sich da mit yereinige. Zu dem
ersten yn den creaturen. Was ist aber das peste in den 10
creaturen? Das mercket. Wa das ewig volkumen gut und
das seyn, daz im zu gehört, aller meist scheinet und wurcket
und bekant und geliebet wirt. Was ist aber das, das gottes
ist und im zu gehört? Ich sprich: Es ist alles das, das man
von recht unnd mit warheit gut heisset und nennen mag. Sich, 15
wenn man sich also yn den creaturen zu dem pestenn heltet,
das man bekennen mag, und bey beleibet und nit hinter sich
get, der kumpt aber zu eim pessemn und aber zu eim noch
pessemn also lang, das der mensch bekennet und schmecket,
das das ewig, ein, volkumen on maß und on zal, über aUes20
geschaffen gut ist.
Sol^ nu das peste das liebste sein und volget man dem 56,
selben nach, so sol das ewig, eynig gut über aUe und allein
lieb gehabt seyn, und das sich der mensch za dem allein halte
und sich mit ym vereinige, alsvil es müglich ist. Und sol 26
man nu dem ewigen einigen gute aUes gutes bekennen, als
man von rechte und yn der warheit sol, so muß man ym
auch von recht und in der warheit bekennen des anhebens
und Vorganges und zum ende zukomen') und muß ym auch
desselben bekennnen, auch verjehen, also das dem menschen 30
oder der creaturen nichtz nit pleibe. Alßo solt es yn der
^) soUte es wohl besser.
*) Der Torige und dieser Abschnitt haben ein ähnliches Verhältnis
Zueinander wie die in Kap. 6.
') Des VoUendens.
10*
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— 102 —
warheit sein, man sag oder singe, was man wolle. Also kem
man aber zu einem waren inwendigen lebenn. Und wie es
dan furbas ergieng, oder was da geoffenbart ward, oder wie
das gelebet wurd, da singt oder sagt nyemant von. Es ward
öanch mit mundt nye gesprochen noch myt hertzen nye be-
dacht oder bekant, als es yn der warheit ist.
Diße lange vorgeschriben rede begreiffet kurtzlichen, als
im solte von recht sein und yn der warheit, das in dem
menschen nichtz nit were, daz sich ichtes an nem noch icht
lOwolte oder begert oder liebende oder meynend were, sunder
got und die gotheit allein, das ist das ewig, einig, volkumen
gut. Und ist in dem menschen etwas, das sich an nympt
oder will oder meinet oder begert anders oder mer dan das
ewig gut, das ist zuvü und ist geprechen.^)
16 Eyn ander kurtz rede: Mag der mensch darzu werden,
das er gotte sey als dem menschen seyn hand ist so laß
er ym genügen. Und*) das sol werlich sein. Und ein yeg-
lich creatur ist dasselb von recht und in der warheyt got
^) Pf. f : und hindert den menschen eines yoikomen lebens, also daß
der mensch dis yoikomen gut nimer aber komet. er vorl&ße dan aUe dink
und zn dem Ersten sich selber. Wan nimant mag zweien herren gedienen,
die wider ein ander sint: wer eines wil haben, der ml£ das ander laßen
faren. Dar umb, sol der schepfer In, so muß alle cr^atür üs, das wisset
Tor war.
*) St.: „und — sein". Pf.: und suche nit furbas. Das rÄte ich
im mit trewen und hübe d& bi. Das ist, das man sich des sol flißen
und wenen, das man got und sinen geboten zu allen ziten und in allen
dingen also gehörsam si, das man weder in geiste noch in nätür kein
widerstant nicht finde, also das s^le und lib mit allen sinen gelidem also
willig und bereit sin, dar zu in dan got geschaffen hat, als wiüig und
bereit dem menschen sin haut ist; wan die ist in siner macht, also das er
si in einem ougenblicke wendet und k^ret wie er wil. Und w& man sich
anders findet, das sol man bessern mit ganzem fliße, und das sol geschehen
üs liebe und nicht üs forchten, und man sol ouch in allen dingen, was das
imer si, allein got meinen und s!n lob und ^re suchen. Man sol des sinen
nindert suchen weder in geiste noch in nätür, und das müs ie Ton not sin,
sol im anders recht sin.
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— 103 —
schuldig, und besunder ein [Kiiij] yeclich redlich*) creatur,
und allenneist der mensch. Das^) merckent bey eim, das ir
vorgeschriben habt.
Auch sol man mercken: Wan der mensch also verre
kumpt, daz er meynet und yn dunckt, das er hie zu komen 6
sey, ist zeit, das er sich vorsehe, das dan der teufel nyt
aschen daryn see, also das die natur ir gemach und rüge^)
und ir frid und ir wol hie ynn suche und nem und gee in
eyn törichte, ungeordente freyheit und in Unachtsamkeit, das
eim waren gotlichen leben zumal fremd und verr ist. Das 10
geschieht dem menschen, der nyt gegangen hat noch gen will
den rechten weg und zu der rechten tur yn, das ist durch
Christum, als vor gesagt ist, und wenet, er woU oder mfig
anders und einen andernn weg kumen zu der obristen war-
heyt, oder er meynet, er sey villeicht darzu komen, er dan 16
werlichen*) darzu komen ist. Das bezeugt man mit Christo,
der da spricht: *Wer anders yn gen wil denn durch mich,
der kumpt nymer zu recht yn noch zu der obristen warheit,
sunder er ist eyn dieb und ein morder.' '^)
*) Ternttnftig.
') St.: „Das — hat". Pf.: dem durch die ordennnge gotes aUe crda-
türe sint xmdertän nnd im dienen üf das, das der mensch got aUeine si
nndert&n und im diene.
*) Bnhe. *) ehe dann (sc.:) er in Wahrheit.
^) Joh. 10, 1. Pf. f : „Ein diep: wan er stilt gote sin lob nnd ^re, wan
si got alleine zn gehört; der nimpt er sich an nnd suchet nnd meinet sich
selber. Er ist ein morder: wan er mordet sin eigne s§le und nimet ir ir
leben, das ist got selber. Wan als der lib lebt von der s^le, also lebt die
s^le von got. Er ermordet ouch aUe, die im nach Tolgen, mit l^re und
mit exempel. Wan Eristus spricht 'ich bin nicht komen, das ich tue minen
wiUen, sunder den willen mines himelischen yaters, der mich h&t gesant
(Joh. 6, 38). Er spricht m6r 'was heißet ir mich herre, herre, und tut doch
nicht, was ich ftch heiße ?' (Lc. 6, 46), als ob er sprechen wolte : es hilft
üch nichts zu dem Ewigen leben. Er spricht m^r 'es wirt nit ein iegllcher
in g^n in das himelrich, der d& spricht : herre, herre, sunder der d& tut den
willen mines himelischen yaters' (Mt. 7, 21). Er spricht aber m§r 'wiltu
in g6n in das €wig leben, so halt die gebot gotes (Mt. 19, 17). Was sint
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— 104 —
Das wir uns selber ab gea und unsers eigen willen
sterben und got und seinem willen leben allein, des helff uns
der, der seinen willen seinem hymlischen vater auff geben
hat der ^) da lebt und herscht mit got dez vater in eynickeit
ödes heiigen geistes in volkumner dryvaltigkeit ewicklich.
Amen.
Gedruckt zu Wittenburg durch Joannem
Grünenberg. Nach Christ geburt Tausent
funffhundert und ym Achczehenden Jar.
aber die gebot gotes? Das ist: habe got lieb inaUen dingen von ganzem
dinem herzen und d!nen nächsten als dich selber. In disen zweien geboten
werden aUe ander gebot beslossen (Mt. 22, 37 ff.). Es ist got nicht lieben
nnd dem menschen nicht nntzers dan ein demütige gehorsam. Got ist
lieber ein gut werk, das da geschiet üs wärer gehorsam, dan hundert
tüsent, die dd, geschehen üs eigem wiUen wider die gehörsam. Dar nmb,
wer die hat, der bedarf im nicht furchten, wan er ist ftf dem rechten wege
und volget n&ch Kristo."
*) St. : „der — dryvaltigkeit". Pf. : Jßsus Kristus, unser lieber herre,
der da gebenediet ist über alle dink.
Berichtigung:
S. 31 A. 4 lies für „A: v. y. s.": Af: v. y. s. als wenig.
S. 36 A. 3 Ues für „daz'" : daz ist'.
S. 45 A. 1 füge hinzu : mit Ausnahme des letzten Satzes.
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Anhang,
Um der Vollständigkeit willen geben wir hier die unter dem Text
nicht berücksichtigten Abweichungen des Pf.-Textes Ton obigem. Letzterer
wird durch die Anfangsbuchstaben der in Frage kommenden Wörter aor
gedeutet. Fangen mehrere Wörter mit demselben Buchst, an, so bezeichnet
die in Klammem beigesetzte Zahl das gemeinte Ton diesen näher. Ist der
Buchst, trotzdem ohne Zahl gelassen, so ergibt sich die Entscheidung ent-
weder aus der Stellung innerhalb der andern zu der einen Zeile gehörigen
Buchst., oder es ist das erste der gleichanfangenden Wörter gemeint. Pia
Text steht hinter den Buchst., wenn er die angedeuteten Wörter ersetzt,
Tor ihnen, wenn er dem angedeut. Wort Torausgeht. Stehen die Buchst,
allein, so fallen die betr. Wörter bei Pf. fort.*)
S.8Z.7d.(8)sin 9u. IGnochi. 18 das d./ eben w. 22ouchn. 42wi.
S und bringen z. rechter y. 10 sint w. 21 S. Sitdem mal, das 22 so w. / e.
sin 23 d. (2) 24 u. 1. 25 g. Kristi 37 das s. 5 21. u. /w. (2) 6 hin und h./
u. d 11 a / US = seh. 14 i. (2) 17 in t. 22 und we. 24 f und ist 26 f anders
28 a. aus 33 EinG. / s. e. Ton seiner eigenschaft 35 e. enznndet 36 g. 6 7
wäre r. / allein s. 8 auch a. / creaturen g. 11 Ein frage : 0. 14 f gotlicher Wahr-
heit 18 d. m. 71 also w. 5 wesen b. 82 der da au. 4 das h. 7 aber d. 14 es
m. 9 1 nu u. 2 ein c. 4 d. als alle / y. in 5 wan y. 8 und dergllchen alles y.
12 n. (2) 13 mit liebe, freude, lust oder begirde fi. / uns d. 16 o . . n. s! kein
wesen 10 3 die w. 9 wissens b. 10 und meint d. / oder ir zu gehöre oder das es
yon ihr s! : als oft und dicke das geschiet ß. 13 u. . . s. 11 1 u. (2) 3 ouch d. (2)
5 sin m. / sin m. / und sfn m. 10 öfter und t. 14 fal u. 15 o. und 16 das merk D.
17 den m. / so na. 18 die m. 19 n. (2) 31 und ie wären u. / allen y. 32 ouch
y (3). 12 1 0. und 2o. und 3 alle dink in mir t. 4 alle s. / götlichen wi. /ü. d.
Aber so 5m... mi. ich besitze mich mit eigenschaft, als min und ich, mir und
mich und des glichen 6 lüterlich a. / alle hint. / in mir sin werk g. 7 8ob. 10 e./
lob e. / g. wirdikeit 12 es s. 13 y. m. vermüge 14 o. und / als oft und ditfke ich
das tft ß. / u. oder 15 tft ich ey. 18 yor gut helt oder gu. 13 1 d. (2) dem /
g. u. gut, das got aUein ist. Darumb 3 die sp. 5 zu vorst€n d. (2) 6 s. o.
sol sin und das / b. w. o. / 7 a. (2) und 8 gar e. / a. e. glich dem 9 a. und /
r. unyomunftiges tier 10 gar 1. / a. (2) 14 d. m. a. er und 15 s. . . c. man
«ich der ding 17 umb die b. / wa. / i. glichen 14 1 ding ie my. / ie yol-
*) Zum obigen Text ist noch zu bemerken, daß die zwecks Übersicht
über den Inhalt zum eigenen Gebrauch gemachten Unterstreichungen un-
beabsichtigter Weise durch Sperrung wiedergegeben sind. Einmal wieder-
gegeben, unterblieb ihre Aufhebung aus praktischen Gründen.
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— 106 —
komener e. / n. 1. 4 d. aller Ding ledig und 5 a. d. denne der ding / beste,
Yolkomenste e. 6 iemer g. 7 aller e. / und 1. / wille u. 8 yil b. / u. e. 10 i.
(2) nu etwas d. / (2) . . 11 e. (2) also das ich es si, das ich es get&n habe, das
ich es wisse, kunne und yermuge oder das es min st, das kompt alles Ton
gebrechen und torheit. Wan 11 recht wa. 13 no. und / nit ist und das ich
s!n nit weilt und nit kan oder Tonnag u. / u. Wenne di£ geschehe 15 uns m. /
u. (2) 16 und des glichen u./do.ouch 18 die u. (2) 19 selber a. (2) 20dand./
ich a. 22 der sp. 15 8 ouch d. / aller 1. / umb n. / allein u. 10 g. geliebet 11
dis a. / ist, d. 12 aller m. 14 ie d. / mit flis z. / d. ir 15 da mit v. 16 also d. /
g. (3) götlich / g. u. wlsheit 16 1 gütikeit, f . / und g. 2 di. diser tugent 3we.
ist / alles t. 6 alle m. / an z. 7 u. dan 8 zitlich oder z. / u. (2) oder 9 immer g. /
S. Also / d. das 10 m. wisse 11 das höchste u. 13 a (2) 14 dö k. 17 g. Ewiger
18denz. /u. b. 20 aber M. 17 4 u. / und in Ewigem fride. A. 5 Kristi stunt m. /
u. in aller trübsal 7 u. 8 u. / smerzen u. 9 ie g. 10 o. und do er / heiigen C.
12 gotlicher w. 13 er hete n. / d. siner / er i. / h&t S. 16 o. g. betrübt oder
bekumert / oage ; y. 22 und nötturft z. / und den zu richten und zu regtren
n&ch dem allerbesten. A. 23 glich mi. 25 sich d. / Torwegen und muß s. (2)
26 glich h. / U. / dan d. 27 da . . h. 18 1 ouch d. 6 des e. 7 dar zu. U.
8 ül = seh. / üf d. (3) 9 dienen und z. / s. 10 bekumert u. (2) / als lange nu das
geschiet ß. 11 e. dises / 1. a. s. komen 12 ganz 1. / ledig u. / muß ouch genz-
lieh sin a. (2) 13 z. f. des allerersten 14 m. (2) yil menschen / g. zu tun und
st unmüglich / d. diser 15 m. s! muglich 16 m. Tomimpt / a. in 17 dd er
also spricht z. / Tor = 1. 18 die s. (2) 19 w. gewerken mag das die t. 21
allein a. / y. 19 2 nu d. 3 es ey. 4 d. diser 7 t. alsd gewonet, also / d. (2) dar /
a. s. 8 d. diser edelen / ed. besser, wirdiger, hdher / u. (3) 12 6wig g. (2) 13 u.
d. s. 14 e. er / J. gl. w. des glichen 20 1 ad. und 2 nutze und g. 3 u. (2) oder
4 a. . . h. 5 habe, d. 6 so w. / h. tüsentmal / in im er. / erlemete u. 6/7 erk. w.
erkennete, wer er w§re 8 in im wu. / was er Ton im haben wo. 9 so i 10 w.
(2) das/ ein y. llvilp. 21 ly. einem 2 anders d. / 3 die s. / immer s. / wi. sol
7 es ist al. 8 b. d. itzunt dar inne 11 ey. einig 13 t. (2) an yilheit / es lit a. (2)
15 an der c. (2) / es lit a. 22 1 sd so. 2 a. (2) 3 z. f. des allerersten 7 n. nimmer
8 in mir g. / u. 1. g. geliebet 13 n. oder 14 so 1. 15 dink d. 23 6 eigene h. /
ist u. 8 ganz 1. 9 y. der / d. m. si 10 g. gutikeit 11 dkg, j sn. mit eigen-
Schaft, wan der 14 der h. 15 des h. / einer la. 16 a. e. f. in ganzer friheit in-
brunstiger 17 y. T. Tolkomelichen / ouch y. 18 d. / und y. (2) 19 j. aber wol
zu erbarmen / alzit a. / al. 20 besser und e. 24 2 s. werde / lust u. (2) 3 y.
u. f. enpfinden. Wenne uns das wirt / w. ist 4 wank und w. (2) / und kunnen
uns nindert darin schicken u. 5 und laßen Ton unser Übung u. / ganz t. / ein
gar g. 6 1. m. liebhabender / 8 in liebe und in leide u. (2) 25 3 wärlich b.
4 a. merket, wer und was er ist / gar schnöde p. 5 o. und 6 ie. g. / ist oder m.
7 u. (2) / er si. / a. d. 8 8. 1 1 d. y. r. Ißßet er sich bedunken 12 vorloren und y.
13 1. bösen geiste 14 so w. / o. und / er ouch k. 15 allen c. / die in himel und üf
erden sint s. 16 sin y. 18 u. d. darumbe so / es y. 26 2 u. 4 d. (2) dirre 5 y. d. t.
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— 107 —
6 de. diser. 7 immer g. (2) 8 o. noch die 13 bin ich y. 27 2 oder achtet d. /
d. (4) das 3 n. w. gar edel nnd übergnt / n. das / tröst n. (4) / 4 nimant durch-
gmnden noch üsgesprechen mag. U. / dan d. / e. achtet, suchet 5 allein n.
Ö/6 d. e. g. / u. 1. rüwe nnd tröst 7 dan d. (2) 9 d. (2) diser 10 d. dise / nnd d.
14 0. n. / n. er 15 n. onch / e. . . w. in nimant immer beleidigen oder betrüben
mnge / das ist, das e. 16 mag. g. 1 8 so k. / dicke di. 20 von im selber w. / o. noch
28 1 U. d. m. Er 2 e. Tortrlben 3 i stet 7 gar r. 10 e. t. etwiedicke 13 do.
dammb s6 16 sd y. / u. (2) 17 das si nit wissen w& sie dar üs sollen komen D. /
derw. 18 1. böse geist 1913. 20 eben w. / lieben i. 21 de. 29 4 Mens e. / des
glichen w. 5 s. die gew. . 7 w. (2) nnd n&chf olger Eristi gewesen sint 7 mit 1.
8 allen sinen fl. / m. w. wnrde gar schiere 9 w. / d. (3) / selber i. 11 etUche m.
12 das s. / d. 30 1 nnd nnderscheit d. / n. 9 so s. 10 m&le d. 31 2 nnd A.
4w.n. 6 frte a (2) / selber st. / 7 an s. / n. / also d. (2) 9 n. . . e. / nnd solt onch
alsw6nikT./n. (2)..10kl. lOobe. 14 y (2). 32 1 snst y. 2 alleine t. 4w.
meinet 6 meint nnd 1. / d. des 7 w. n. 8 d. onch / die von recht seh. 10 wider
a. / 1. . . 11 n. / n. . g. 13 o. a. also ledig von allen cr^atüren / y. nie / er. mensche
Uo.nnd 18dochw. 21s.. .22b. 23n(2) 24 wan e. / e. nnd 25ga./no.nnd
29 alden m. / d. . a. / e. dem 33 1 was das si S. / mensche das i. / n. (3) 2 der
w®. 3UndW./a./T.(2) öU.w.n.Wan 6ß.d& 8 so. . . 9 sp. dar zn vor-
mant nns 9 nnd spricht L. / a. Ton üch 10 allen s. 13 al . . w. onch also flißik
14 a joch / 1. bösen geistes 15 d. demütiger 16 joch C. 21 a. 22 d. höchfart,
in woUnstikeit des libes nnd in / alle an der s^le t. 34 1 da. . . g. 2 d. (4) 6 d.
w&rer 9 hie di 10 den s. 11 no. oder 12 U. Wan 13 di. sin 13/14 n. gep.
14 glich w. / das hilfet in aUes zn male nichts d. / sol man gar eben m. 15 die
8. (2) / U. Aber / e. . . wa. der mensche in die 17 t. böse geist 18 wider ei.
21 t böser geist 23 dan m. / sich sin selbes nnd aller dinge yorzüge nnd a.
24 0. . . d. lebete in / we. 25 dan C. / ganz a. 26 e. ein dink / da C. 28 f ^^
si es. 29 di. der wären / ie n. 30 nnd ß. / ir y. / ie m. 35 2 alz. alles 5 ß. . .
m. (2) 6 mir, mich d. / so das ie m. / in dem menschen a. 7 ie m. 8 m. dem
menschen 9 S. / nn a. 10 onch k. 10/11 s. . . ma. 3tf 1 o. nnd 2 o. nnd /
3 a (2) / ganze w. 4 d. 5 w. . d. 6/6 we . . d. was, im 6 m. 7 i. große / 1.
p!n / ob a. 8 d. . . m. (2) die mochten in alle nit bewegen oder betrüben
9 ei. ein dink 11 no. weder 12 der er. / o. nnd 13 alles n. 15 das b. / alles
w. / n. (2) &n 15/16 n. d. n. 16 b. der gefellet / gar nb. 17 d. (2) . . 19 g.
ob es müglich wöre, das er 19 w. möcht / die lide er alle gerne yor einen
nngehörsamen menschen a. / das e. 20 d. 21 A. . . y. Sich ! wie wol das ist,
das 22 nnd yolkomenlich y. / i. gesin mag 23 n. so / ieglichen m. / hie b.
37 1 also d. 3 bösheit n. / 1. ie leider / n. (2) . . i 5 ei. ein dink, wan / gesch. f :
Das ist alles snnde. Dar nmb ist sich allein zn hüten yor nngehörsam. 9 se.
st^n n (2) nnliden 10 also. 11 also 1. 12 a. si alzit / g. 1. 1. n. glichen 13 halt
was es si d. (2) 14 sunder y. (2) / g. gesprochen 15 So A. 15/16 n. i. e. das
16 aL ist / so L (2) / S. 17 a. ganz 18 yon allen dingen n / no. oder 19 allein go.
21 n. g. 24 alle h. / yon den snnden e. / u. also das man sich 25 wil a. (2) / e. die
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— 108 —
schulde alle / 1. . . 26 p. bösen geiste / n. (2) ew. schade 88 1 äwige t. /^be m.
2 g. das Torhenget / te. böse geist 3 n / alle a. / b. untngent 5 y. (2) 6 A.
In ganzer w&rheit / m. n. 7 ouch go. 8 doch a. / a. (2) / und ichheit d. 11 u.
d. e. / oüch i. 12 d&Q C. 15 selbige g. (2) 16 d. (2) 18 er a. 19 das a. (2)
22 begeret and ge. / n 28 1. g. alle an. 24 z. ganz 39 2 ninb a. 3 w&rlichb.
4 leben i. / so i (2) 5 wirt n. 6 a 7s... me. süre oder süite nnd des glichen.
Unddarumbe 8 volkomen und wa. 12 gwige w. (3) / n nimerm§r ]4solg./e.
man 15 w. yolkomen / mng k. 17g/grö£erm. 18h/J. s./m 19 d 20begirde
oder m. / y. b. o. 22 die cr§atür, es s. (2) 24 k. folgen / v yerleuken 25 a. y. n.
alle dink y (3) üfgibt 26 no. nnd / onch m. (3) 27 er a. / 1. vorl^t 40 1 y.
^wige 2D.nit 3 doch d. 6 etwas d. (2) / betrogen n. (3) / gar p. 7m6rw. 9 h.
helt / aller 1. (2) / f : Also kompt er zu der w&rheit nimer 13 ganz s. 15 aller b.
16 w. meinet ouch / y. 17 S / gar b. 18 a / so h. 20 ei eigenes 22 k selbige
sügt 23 zn letzte sei. (2) w meinet 24 d (2) ü£ / also b. 251ütem. 411 d.
ein solchen 3 W. Wan 4 k mag / g vorstßn noch wissen / u aber / n (2) der
5 es allein, aber d. / a / D. was es ist onüssprechlich. Dar nmb 6 w halde
sich mit ganzem fliße 6 so g. / s. eins solchen menschen wise and 7 n. w. /
frte st. 8 s 10 d. maniger 11 das merket man da b!. Wan T. 12 dar z. /
etwas za t. 13 dan d. 14 a. liebe / fintschaft and s. / und begirde i. 15 joch a.
42 4 also d. 5 o. and 9 t. bösen geiste 10 mit a. 11 t. der böse geist / d.
wol / doch a. / y. von 12 also da. 13 also s. / a. (3) sander 14 d (2) 16 d.
das 18 si s. 21 1. bösen geiste 21/22 d. (2) . . i 23 1. bösen geiste / Wan J.
43 1 u / 1. bösen geiste 2 t. böser geist 3 das d. 7 so m. 7/8 g. n / S. . . 9 s.
10 w. Yorwär newer 11 o. and / alleine d. (3) 12 gedachte dar nach mit
ganzem fliße w. / dar za b. / w. mochte werden 14 w. e. so der mensche 19 d.
g. er dise konst müge gelemen 20 g. e. n. wirt die kanst nimer gelemet. / ist : /
e. ein forme oder exemplar 21 ist : / 1. l^rmeister mit ganzem fltß 22 and mit
ernste üf in warte and merke a. / z. w. im in allen dingen gehörsam s! / g. s.
44 1 y / stucke ist d (2). / mit fliß n. 2 aber d. 8 S / es a. / y. umb / u. wan
4 ganzer f. 5 ouch u. 7 fllß 1. 8 also a. (2) / u (3) dar umb so 9 A . . m. Es
sagen etliche menschen /e. anderen und y. 12de. diser 13 menschen w. 14 dink
1. (2) 17 a ouch allen dingen 19 z / s (2). dem inwendigen 20^1 1., a. gedultf-
keit, alle dink oder widerwertikeit williglichen 21 dingen k. 23/24 y. . . d.
absit in einer lieplichen 24 e. dömütikeit 26 d. das / ein edele und sölige b.
45 2 alle volkomlich und genzlich b. 2/3 v. g 4 1. wunniglichen / und p.
6 dan m. 7 u. (2) oder 8 und geschriben i. / w. w. wise 9 w 10 volge
minem rate und g. (2) 12 A. d. Noch / a / lieplichen 1. 13 das ist W. /
genzlich y. 15 u . . s. got und der mensche sin ein dink. Das geschieht in
solcher wise. So die wärheit alzit yor g^t, also 18 der mensche g. / d. e.
dieselbige wäre einikeit da 19 u (3) / mich u. 46 2 f. Yorstentnis 3 süres
und süßes, freude und trürikeit u. / b. gemerket /e. enpfunden 5 erk. yorstent-
lich / böses und gutes u. (3) 6 er. merket 8 g^t im zu herzen und b. 10 b.
vomomen 12 allein i. 13/14 u . . i 18 a. a. u. a. aller ding 19 ob etwas d& i.
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aO e. eigenschaft / &ne da. 24 o. und / iren fmmen and nutz enpfähen W.
49 1 A . . me. / na d. (2) / 4 na m, / a / na ganz g. 5 diser weit a. / allein
g. / komet dan etwan der böse geist and s. 5/6 d. d. t. 6 d. (3) 9 a. gar 10 1.
bdse geist 11 w. meinet 12 er d. 13 na w. / d. n. d. l^re / weder äiQ noch
das and er g. 15 dan y. / falscher f. / g. 1. ein wolgefallen sin selbes 16 m,
er / oder gedenket : 18 d. dise / a / so i. / es wol b. 19 g. herre and gebieter /
das m. 20 w. o. m. 21 dan a. / a. oach gar 23 oach seh. 24 er h. / z. s. / e.
•. a. das 25 a / 8. f. and leben 26 natze, za freade and L / and za k. 27 e. a.
das 48 1 w. wfi / a. Es /oach a. / and za wenig sin w. 2 tut oder g. / a. wan /
s. a. w. noch yil m^r and größer 6ren 3 dan man im getün mttge U. / die m.
4 a. halt / w. s!n / m. er 6 solche menschen we. 7 d. s. / m. si 9 w. a. in nit / a
10 a vil 11 a halt 12 and g. 16 kristUchen k. / z. vor 17 icht d. / J. da
20 a. r. 21 oach, d. / aller y. / y 22 s. werden / menschen w. 23 ein a. / helt
a. / das Tor ei / 0. and Tor 24 g (2) * 26 i. göt / zu, a 28 u 29 so t. 30 ganz
a« / 0. and / allen c. 49 1 ie g. / ist oder geschehen m. / oach ^. 2 a (2) 3 and
oaeh in diender wise. U. / so h. 4 es w. 5 g. herzen 7 das i / oach z. 8 dan, d.
9 0. noch / den c. / allein p. 11 aUer s. (2) / a. 12 die bloßen n. 12/13 L (2) . .
z. Tortienget oach nit, das im imant 13 z. (2) / allein y. 14 lüter n. 14 k.
simant 16 a. dar amb / er s. / s. a. aller ding / a f sin 16/17 a. s. wise 17 and
werk n. / ganz ei. / so r. / w6nig a. 18 s. nimpt sich / an, i 19 a. oder / dan
aUesm. 20 oach ß. / e. er 22 eigentlich t. / k. z. m. 23a(2)/üfp. 25 a (2)/
and anwitze der menschen d. (3) / m. darch 26 das die antagent and p. /
werde ander gedroket and g. 27 U Wan 28 die h. / o. a. and das / U Es
30 a. n. säst nimmer m^r 31 rechten w. (2) 50 1 haben s. 2 o. noch / S. h.
daramb so 3 a. d. / a (2) 4 y 5 a. noch 6 1 lieblichen 7/8 a, m. G. almech-
tiger, da 6wige 9 oach s / a 12 yorst^n o. 12/13 z . . w. 14 s. u. sint / m. die
Tolkomen menschen 15 d. a. solchen einfeldigen menschen / vorst^n oder w.
17 k. komen 19 dli h. 21 reinen 1. 23 and onch alle tugent, a. / heiigen 1. /
kl6rlich y. / a. oach 24 d. wan / g / senftmatig a. 26 n. (3) oder 51 1 w. /
w. si 2 also i. / i. a. g. y. spricht auch 7 a. 8 anders d. 9 u / h 10 dar amb w.
11 esa./d.oach/U/aberd. (2) 13 s. ein / Kristi. C 15 d. (2) als 62 1 ouch:
SA... 58. 6A. Wan8a.g. 12 lüte m. 13s6g. 14frienuudl. 16 t. böser
geist 17 0. und 25 g. d. / a. ganz 26 d. d. dinge die 29 ei. eigen 30 ganz
L / and nim mich des nit an. A. 58 1 zu g. I z. I u. (2) 2 gut a. 7 a. e. ie /
za t. 9 bekentnis a. (2) 11 N. a. d. das ist 13 a. 15 s. 16 si, a. 17 w.
merke 18 wise w. (2) 19 a. w. and 20w. (2)..S. 21 dink v. 23 das k. (2),
alles h. 24 s. m. dar amb so / man d. 25 muß g. 27 and st. 28 u. a. y. essen
and trinken and yil mßr der glichen / a. doch 30 A . . w. Und 31 yn der
w&rheit u. / m. 54 1 y. d. u. yon disem 2 d. (2) Das / o. and / a. 3 oach y.
4 weder 1. 7 bereit and g. 8 also h. 12 d. a. siner 16 y. es / wol y. 18 gr.
ein grantlöse 19 und ein ges. 20 fride und genügsamkeit u. (3) / und alles
das das a. 21 n . . s. 22/23 a. m. yor 23 u. a. Wan 26 s. 27 E . . geh. Es
sprechent etlich menschen 28 d. diser 29 d. siner / w. m. wollen si da mit
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65 8 0. noch 8 y. ei. / die ir b. 9 solid. 11 i. 12 v. 13y.e. 14 S / nnd spricht
y. / n. 15 spr. 18 h. dar 19 a. d. was 21 d. das 22 onch m. / e (2) 23 e. ad
24 es i. 26 d. (4) 26 o. nnd / W. So 30 m. 32 nnd o. / n (3) 56 4 t. böse
geist 6 T. sinne / der w. (2) 7 nnd 1. 10 gesetz n. (2) 11 i. were 12 b.
Yolkomenlich 13 y. sinne / y . . 14 a. wirt da erfüllet, das / w. . . 15 e 18 das
ist d. 19 1. 1 was in not ist zn wissen 21 edel meister d. (2) 22 o / nnd si
kürzlich 16ret alle wftrheit d. (2) 23 zn 1. 24 onch g. / y. sinne / e . . 25 g. /
w f weder zu l^ren noch zn gebieten / v. sinne 26 sei. 30 d. (2) 31 b f vor an
57 6 e. sin / sol es v. / e. z. für 7 alles f. / S. 8 das b. 9 o. nnd onch / und o.
10 s. geschicken / alles d. 11 g. yor hin 14 f. 19 ein w. / das f. 58 4 o 7 &ne
crfiatüre. Und diß y. (2) 13 y. e. 12 d& g. 59 1 gewurcket und ge. 5 ü
6 so w^r es als gut, es wdre nicht, nnd besser, w. 7 o. und 9 d. so 10 weder
d. / 0. (2) nnd 11 dan o. (2) / a 12 w. wes got / u. wenden 13 wan m. 14 a . .
16 s. umb solte keren. 16 N. Kürzlich 17 doch w. 18 hie i. / h. o. und denne
21 etwan e. 23 onch n. 24 U 60 1 die c. / o 2 U / nu g. 5 8 6 ein b»/
ß . . z 7 er. 9 u. e. 13 den c. 20 h. 21 recht a. (2) 23 kurzlich al. 25 ir
k. / 0. nnd 29 d. (2) dunket 31 ein b. 61 2 g. geliebet / a. umbe 5 d. d. des /
alles n. / o. und 8 min und wir und d. 14 so h. / s. (2) 15 o. und 16 g. er /
selbige h. 19 alles s (2) 23 z . . 24 d. / so m. 25 muß a. 27 und des
glichen, d. 29 er alwege w. (2) 62 1 ofte g. / u. h. wie wol er 2 h§te u. (2)
H wünschen u. / müste a. 4 newer g. / yon im en. / S 5 d. e. der 6 d. dö er
8 n (2) 9 0 nnd 11 newer gen. 12 g. recht 13 a. dar nmb so 14 o. nnd 16 o.
und 18 das im y. (2) 19 dd s. 63 5 u. finden, die in fiengen 6 s. / e. Eristos
zu im 8 das g. 10 y. a. meint als yil 14 e. nu got 16 im t / a. (2) und ge-
schehe, also 17 d. p. b&best / p. bischof 18 A. das sol man wissen 19 i. so
20 y. (2) 21 n. / ie y 22 in p. 23 ist a. 25 riete und h. 64 2 dar umb so L /
e. a. er sin 4 r. rötet uns / U / d. nu 5 mit fliß g. (2) 6 r. r&te / sl gehorsam
sinen g. 7 r. rötet / d. dem 8 s. das er / sol L / sol i. 10 der yorlüset si, d.
11 n. hasset das 12 n. wer 13 w. / b. wirt behütet 14 g. z. y. / zu w. 15 und
w. 16 U 17 und hat'das erfüllet m. / den w. / u. m. 1. 19 u / u 20 das es
a. / g. gutes 21 die c. (2) / o. und 24 d. denne / d. mör d& 26 o. und 27 o.
noch die 65 3 u . . b. 4 aUes f . / U 5 d& k. / den a. (3) 8 dem 1. 11 und
nimant u. (3) 12 u. 13 u. (2) aber / hat z. / o . . u. recht 14 dingen s. 16 a
17 das sint die wären demütigen, w. / g. der himel 18 dem 1. 19 H. Furbas /
a. e. / Wenne M. 21 y. müe / so sol M. 22 y. y. müesam 23 kan o. (2) / U. oder
24 t böse geist / der m. 25 W. . . 26 n. (2) 29 alles i. / wissen und 1. 66 1
Wan wör das nicht, so w. G. / a. / so i. / e. a. alle cröatür 2 onch. h. 3 so L
4 ist y. 5 Das merk. Sunde ist N. 6 u. (2) w. g. 8 u 9 aber w. 10 S
12 w. . . d. anders / o. (2) / nnd desgllchen d. 14 wil d. 15 u. oder kurzlich
16 ist s. 20 itslicher m. / wol m. 24 Und dar umb A. 25 u. das / e. ein dink
26 N . . m. 67 1 0. noch 4 da got L 5 y. müet 9 er spreche e. 13 S 14 dar
umb w. 15 ist, d. 16 o. und 17 ist s. (2) 20 halt d. 21 w. u. 25 e. (2)
eigen 26 dem m. / onch n. (2) 27 k. mag / aller 1. / das w. 29 ist h. 68 1 d.
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s. oach 2 d. (3j sin 3 eigentlich b. 4 a 5 S / nu e. 8 g. gut / n (3) . . 9 g.
d& Ton 10 Kristi a. 12 halt p. / u 13 s. (2) 15 ie gefiel oder f. / das m. (3)
16 onch ei. 17 S. n. das ndme man nicht dar für. Alsd 19 s. geschicken / im
d. (2) 20 nit g. 21 s. schicke 22 und o. 23 m. w^net 24 e (2) sin 26 m.
27 wil, d. (3) 69 1 U. Wan 4 n. s. u. nimpt im alle beswämos also / gar g.
7 s. gar bitter nnd sür / L los 9 den y. 12 herte und s. 13 oach u. 14 ge-
setze XL, (2) 16 euch w. 17 r. f nnd des glichen 19 d& i. (2) / o. (3)
noch 20 weder w. / o. noch 22 w. (3) handlnng / g. sin 23 in nnredlikeit
und i. 27 die w. 28 o. noch 29 a. ie so 70 1 bessers noch a. 2 die w. /
8. n. / das h. / das e. 4 d. i. den haben si Tor / s. i. es 5 u. oder sin icht /
Q. d. t. 6 gar g. 8 s. (4) nnd 9 h. halden / z. vor 12 o. . n. nnd begeren
onch nit. das in etwas / aUeine t. 13 d. des 16 n. / guter m. (4) 19 n. e.
20 ir s. 21 sd h. / U 25 U / e 26 die h. / s. z. s. menschen vor ein spot nnd
sprechen 27 S. Aber dise erlüchten menschen / s. 28 ist onch das p. 71 2 alle
y. 6 also d. (2) 7 d. 9 d. (2) man / m. anders 10 m. (2) / s. der mensche
glich 11 ander t. 12 yor g. / y. e. worden eines / d. dar nmb so 13 d& y. /
joch s. (2) 16 0. nnd / onch n. (2) / geleidiget oder b. 17 onch n. 19 lüte m.
20 U 22 aber d. (2) 24 o. noch 26 anders d. 27 S. g. Aber / gehört z. 29 g. (2)
72 1 n / 0 3 min m. (2) 6 d. es 8 nnd im yor an d. (2) 10 doch n. 11 doch
newern. 16n.. 17d. 18goti.(2) 20S 21iegl./y.ie 22s6w. 23n..r.g6n
nnd st^n / t. böse geist 25 m. nmb / e. kein dink 27 ist, d. 29 falschen
Hechte, d. 30 n. das ist 73 1 so d. (2) 2 falsch 1. / e 9 es s. / der n. (2) / o.
und aller 12 der e. 13 gesetze nnd o. 14 d. (3) siner heiigen 15 so w. / a.
c. n. 18 r. / a (2) / alleine z. 19 n. keiner / nnd w€net : 20 onch a. 24 d& b.
25 U. Es / onch n. / m. es 26 s. n. man 27 d. siner 28 yil a. / m. / nnd f.
30 nn d. 35 w . . . 74 1 sp. 2 u. w. u. Es wil onch 4 Ewigen e. 6 w. nit
an = / die n. 7 falsche 1. 12 onch y. 13 ein k. 14 das, 17 so s. / n. bi 18 g. wlse
19 höchsten, d. / so m. / üf den rechten wek g. 20 1. böse geist 22 1. böse geist
23 m. dink / g. liecht 24 g. (2) yorbr&cht / ei. der 27 oder klügheit, a. / onch y.
.30 m^r b. 32 im w. 75 1 s. (3) yon in / nnd suchen nnd meinen sich in allen
dingen u. (2) 2 g. das süßest / das halden sie f. 3 dar g. / y. 4 nach n. (2) 5 und
wisesten 1. / a glich / d (2) nnd was 6 so y. 8 dem e. 13 n. oder 18 onch, /
consdenz nnd g. 19 ei. gr. n. onch ei. t. 76 1 oder consdenz. / 1. böse geist
3 g. conscienz 6 Sich. W. 7 der, d. 8 iemant m. / S / g. consdenz 9 t. böse
geist 10 e 15 n (2) n (3) 23 n. So ist / i / 1. bösen geistes 24 1. bösen geistes /
onch d. / 1. böse geist 28 die A. 77 1 n. oder 2 enznnt oder e. / o. nnd
3 wfiren 1. 4 das, d. 6 da bi wol me. / Wan o. 8 w. o. / dar nmb n. / wan e.
9M. HÄt/diet. (2)/Ueb, ß./d.irn&ch 10u.t. 11 onch L (2) 12erh./diet.
15 onch w. (2) / er n. 18 a / ganzen w. 19 6 1. 20 S 21 o (2) nnd 22 liebet
oderl. 23 so ü. / nnd n. (3) 24 dem. (2) 25 d. 28 das e. (2) 291.6 30 w.
wirt 78 1 S 2 0. nnd 4 der ger. 7 y. y. inwendig 9 w. i. snllen 10 t.
bösen geist 11 w. sit 13 gn. n. 17 S 19 m. wönet 22 müs 1. 23 allem f.
26 S. / k. ist 31 1. Heb haben / nn d. / S 79 1 z. zweierlei 2 das w. / das f.
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3 die w. 5 das f. 8 t. yorbringt 10 so i. (2) / y. ir 12 d. d. d. mich 13 so
m. / Bln. W 14 0 / oder mich z. / u. oder 18 f. 19 h. g. oder 21 a. ahEtt
22 es k. / 0. g. und zn benügung 23 ß. ie / n. h. b. lernet nnd erferet 26 demie
b. 27 80 1. 30 das b. 31 das b. (2) 80 1 onch m. / falsch n. 2 ^ i. 3 daii-
noch n. 4 von d. / d& i (2) / die b. 5 U / o (2) es and 6 die L 9e. nndifi
liecht 10 d. üfi / onch d (2) 11 meinet e. / aber alle dink and st a. / es k.
12 onch z. / and e. / h . . 13 g. als aber gebot, gesetze and aber alle tagest
14 im a. 15 Und D 16 d. daramb / al s. 17 sd w. / s. w. aber 18 w. 19 als
er was n. 21d..a. 24 das d. 2öe. i..26w. 27 w. meinet 29 a. oder
32 ein g. / S. and 81 5 des Iren 1. 7 ü. wan 12 o. and 13 and t. 15 anders
y. / allein d. (2) 20sdm. 22d(2) 23w(2) 24 and als sidi selber a. (2) / a
25 se. liebet 26 g. . d. / gut y. 27 1(2) 29 doch n. 30 oach n. / a.. s.
82 1 w. (2) 3 U 4 onch w. 7 mich m. 8 w. weis 9 das a (3) 24 U 27 a. L
28 die s. / d. na sonde 29 begeren oder w. 8S 4 oneh n. / kein s. / ü / so bl
8 im a. / 8. e 9 s. sm^lich and / solte, d. 10 ouch n. 18 a. (2) in 19 d (2)
22 i. yon 25 so m. 28 die m. 30 wirdiglich a (2) 31 halt d. 32 J. Kristas
84 1 lieben a. 3 o. und 8 ganz a£ g. / o. (2) . . w. 9 o. d. Wan d& 14 das
a. / and des ist so gar yil d. 15 W. So 18 oach b. (2) / yor m. 19 folsehen
1. / a. s. 1. d& 20 t. bdsen geiste 21 das f . / d. / 1. böse geist 22 da bt me. /
g. recht 23 t. böse geist / a. oder 24 so gar b. / a . . 25 b. / oach m. 26 amk
8. / 8. 27 t. böse geist / sie a. (2) 28 sie y. / gerne g. 29 falschen l (2) aOt.
bösen geist 31 das k. / a. als / 1. böse geist / die n. 32 sin a. 85 1 denne d.
(2) 2 so i. / 1. böse gst / die n. (2, 3) 3 t. böse geist 4 t. böse fint 5 halt a.
7 b. also / lüte m. 8 sinne m. (2) 9 k. / n. anterscheiden 10 a / yon a. (3)
11 and e. (2) 12 s. selbheit / mir mich, n. / f. 1. falschheit 14bl!beto. 15 S 16 fi.
es 17a..l8w. (3) 27 G. Recht 29 recht a. 861g. 4 w. (2) 7S..d.dar
amb 10 g. willen 11 a. a. 15 si. sit na 16 d. m. er oach 26 etwas yo.
30 yolkomen g. / es e. 87 2 yor ge. 4 m . . e. und selbheit sol abe, es / fanden
9 das ie wart, n. (2) 12 oach d. (2) 13 ouch C. 23 oach k. 25 mit allem
fltße a. 27 alzit f. 88 1 sanst n. / dem, da. 4 na i. (3) 6 a. ein 10 w&r g.
12 S 13 wil se. / a. oach allen dingen 14 a / dar wi. 15 o. (2) and za 17 y
18 0. and 19 a. alle dink / y. e. (2) ein 26 a. alle ding 27 y. e. eim 30 es m.
31 etwas m. 89 3 gotliche 1. 7 M. Es möcht iemant hie ein frage tun and /
S. So / ding 1. / sol h. 10 t. böse geist 14 als e. 15 in got da. 16 mnd d.
20 S / 8ö i. 22 de. 90 3 dem f. 7 a. oder begirde oder aß 8 a. joch 12 w.
w. in der w&rheit also 16 c. kristenlichen / di. den 17 c. kristenttch 18 m
(2) / 8. §r 23 i. sl 24 a. / a. wan 25 oach k. / o. and oach 26 t. böser
geist / d. t. 29 wolte n. / U 91 1 m. nennet 2 and der e. / gotes w. (2) 4 n.
(2) . . 5 u. / so h. 6 e. y. o. 14 onch s. 15 o. ftß genomen 16 ist n. (2)
17 nit d. 20 was da tust oder 1. 25 a. d& 27 and gotlichen w. 30 a. g.
31 die A. 92 2 tet a. / 1. böse geist 4 t. böse fint 6 rechte h. 9 o. nnd /
oder lä£e a. 10 got a. / mage gefallen and a. / das d. 11 sin ganz g. 12 aUen
a. /ima. (2) 17 also w. 19 and D. 25 also d. 27 Es 8. (2) / o. 28 s. s./c
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— 113 —
Ü8 / 8. äO we. 31 snllen sie z. / werden, d. 98 4 Und w^e das nicht W. / £.
S6 / a. er ganz 6 sö s. 7 doch i. 10 wa. so 13 n. w. allein 15 alleine g.
16 das w6re, d. / und doch n. 20 e. einig 24Lwü 278dL 942 sich go. /
menschen w. 3 wi / den w. ö t. böse g. 7 nnd z. (2) 9 n. d. (2) wan es
10 a. dar nmb / u. w. / etw& L 11 w&re liebe, wftrer fride w. 12 t. böse geist
13 d. 16 da. 19 oder r. / ma. / 1 bösen finde 20we.(2) 25 nnd t. 29 frier oder a.
31 bllben, d. / gar n. / te. böse geist 95 3 aber d. 4 onch z. 5 o. (2) 6 mit
n. / mit a. / das b. (2) 7a.. da. nnd 9 nnd s. / d. 13 spricht er d. 16 sich 8.
17 w. (5) welet 18 a. doch 21 nnd kurzlich alle p. 22 ie w. / im ie g. 96 2
ir do. 3 n. / die s. 6 o. nnd / die sn. 7 w. spricht man snlle / a. aller ding
8 d. (2) siner heiigen 11 nnd b. / 1. 13 onch k. 14 h. himel d& / n 15 U
16 m. wurde zuhant / gestofien i / e . . w. wurde zu einem bösen geiste 17 d&
w. 18 sö i. 20 wöre oder wu. 21 dem h. (2) 26 alle e. (2) / u. 30 o. (2) nnd
33 1. . w. Worten und h&t es onch Torbrächt mit den werken wol / er Mret uns
das m. 97 1 d . . m. / -f- n&ch 2 ding yor = / 3 w. a. waren alle ding sö /
a. g. / keiner c. 5 a üf 7 d. ding Tor = / 10 m. w^net / a. alle ding g. 12 also
i. / si b. 15 a. 19 sol si. 25 u. oder / d. dem / t . . i. 26 und sol das vor-
dilgen, s. / p. peldest 28 an gSn, an sten u. 98 4 a. tou aui^en oder in / u.
oder 6 halt g. 7 dan d. 9 wfirer n. 12 dar umb s. 13 wa. 17 im, d. 18 d.
e. 8. 25 d. / a. und / e. onch 26 sö w. / s. wan 32 nicht i. (4) 99 5 y nie /
y. nimmer 7 die c. 12 gut e. / die c. 13 a. (2) allem 15 die c. 16 nu d.
19 8 / eben w. 21 wirt v. 24 ie g. / ie m. 25 ie m. 100 2 S 5 der vater
ziehe in dan d. (2) 9 a. g. zu nichte 10 m . . y. 12 selben m. 16 an. 22 yil
e. 27b.Torjehen 33 i (8) ist 35 m. sö 101 8 alle zit d. (2) 12 das ist alles
d. (2) 15gütn./S 16 dan a. 17 da b. (2) 18a/n. 19 bis d. 21 i 23 ey.
eine 25 e. dan 26 b. Torjehen 27 doch v. 28 b. vorjehen 29 u (3) . .
30 V. 102 5 üs g. 7 V. = gesprochen 10 o. / 1. liebete / m. w. meinte in
allen dingen 11 d. g. was goüich ist / und ei 12 ü / aber i (2) / anders, d. /
er 8. / etwas a. 13 o. (2) / di£ oder das, es si was es immer si a. 14 yolkomen
e. / das got selber ist d. / großer ge. 15 £ . . r. 103 1 e . . 2 a 4 mit fliße
m. 5 und hoch k. / also d. / m. wönet / h. dar 6 sö i. / d, (3) im / 1. böse gst
7 und stnen sftmen d. 8 u. i. / i . . h. woUust dar 10 doch e. / Und D. 13 o. und
15 0. / onch y. e. (2) 8. / des e. / d. doch 16d.k.nit 18z.r. 104 1 also yorlougneu
und a. / und alle dink durch got yorl&ßen u. 2 also mügen üf geben und er =r st.
Die unter dem Text nicht berücksichtigten Abweichungen der Aus-
gabe yon 1516.
17 25 sich a. (2) 18 7 das A. 8 aufiE d. (3) 11 1. a. s. plicken 14 zu g.
16 m. nimpt 17 und spricht Freund Thimothee z. / der g. 1 9 und y. 19 3 a. r.
7 d. (2) . . 8. darplicket 8 got e. (2) 10 yn dem a. 11g. 20 2 w. e. / es i. / u.
3 b. bekennend wirt 9 n. (3) auch 21 14 die s. 22 4 m. 5 o. (2) und 10 nun e.
13 n. oder 15 u. (3) 28 11 der e. 24 3 y. u. 9 f selber mit yleysse 25 3 m.
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— 114 —
ist zu merken 4 a. siebet 5 d. (3) 14 d. u. 16 t. sein verdamnen 26 4 ewig ? h.
27 3 nnd bekennet 8. 4 dan d. 10 u. w. / und d. (2) 18 d. der / yn d. (2) / d. (3)
28 1 f. gescbecb 7 a. 9 komen und f. 10 y. dicke nnd offt 11 d. (3) disen.
19 8. 29 2d. (4) 30 6 N. 314 a. 7 an s. 8 n. oder 32 2 das eine und v.
12 w.u. 83 6 U. 6m. 15 beysset nnd i. 16 S. Und/m. 3410W. 15 dies. (2)/
w.(2) 29soi./yed. 30ymy./nndK. 36 2 d. nnd 5 yil d. / yil ist a. 7s. (2)
9 nnn a. 10 s. dan / oder liepUob leiden; d. 36 5 w. n. a. 6 selben menscb
w. (2) 8 were de. 9 so w. / er e. 15 b. gehabet 18 n. f. 23 n. b. 87 16 8.
17N.g. / 22 e (3) 26 scbaden und s. (3) 88 3 u. 1. o. 7 u. 8 a. (2) 18 auf-
hören und z. n. 22 g. u. 23 alle L 89 2 und nicht nmb ander warumb. — S.
10U..111. I60.8./0.S. 17n. . g. und /u.m.o. noch 18J. s. 20o./oy./
0. und 25 u. (2) 26 und no. 27 D. m. a. das ist 40 1 m. y. mein 4 y. d. die / a.
7 u. . 8 s. / n. a. b. wolgefellig 9 e. ehr 18 a. / r. rausch 20 ei. eygen / a. s. da-
selbs 22 steyget und k. / 1. 23 s. (3) 4t 3 J. s. So sprich ich / das er e. / w. /
gantz g. 4 wan d. / wan er weyss sein nicht u. 5 e. / es n. / geworten noch g.
7 u. w. / 8 u. oder 12 g. neyd, geyrheyt / u. p. 13 seyn u. 14 s. eygens
15 u. oder 42 3 Wer es nun als M. / das „d. / 1. u. s. bös / h. besitz und behaffte
4 b. u. b. 5 s. sein 6/7 d. m. u. ym 7 u. d. 11 D. n. wer nun das, dz der mensch
also 15 u. (3) durch yn 17 wem u. 20 i. f. es ist zu besorgen / h. 21 o. und
aber tausend 21 1. bösen geyst 22 g. g. dem geyst gottes / sey b. / i. 23 h. /
haben d. (2) 43 1 u. (2) . . 3 i. Alles dis vorgesprochen daz sprechen diß kurtze
wortauß; 4u. g./ 7undd./g. (2) 8u./e. 9d. 11 0. noch 14u.e. 44 2
0. u. 3 es a. 17 a. / und g. (2) 18 u. u. t / wurckender w (2) 22 n. oder 23 L
liebsamen 45 1 1. leyplich 4 edeln 1. / J. / noch p. g. geschriben. 46 24 n. wo
47 1 A. / auch me. 5 von g. 9 d. u. offt 13 g. schrit / a. 15 eyn g. 16 J. 21 a.
alles vor gutt und 22 n. 23 s. 24 die e. / 0. und / das y. 27 a (2) 48 2 e. 5e.
s. das sein 10 n. (3) 13 weder g. 14 d. 15 d. 18 b. mit 19 s. w. sich weyfi
20 a. 23 e. sp. 0. 30 der er. 49 3 1. dynender 6 n. (2) wider 8 b (2) getar 9 der
er. / Ha (2) 12 u. noch 17 u. dann / e. 18 0. z. s. 20 u. . ma wan ehr zu
keynem recht hat und dunckt sich alls unwirdig. 21 d. dem 22 k. 24 0.
25 u. w. u. 26 u. . w. 28 0. a. y. und unyemunfftige thir. 29 d (2) die 30 a.
sunst 50 2 S. 3dieg. 10 d. 12 o.a. 17. m (2) 18mochtp. 19 das d. 20m.
21 man d. 24e. e./d. dan 25 d. e. n. 26 n (3) 51 2 e. y. d. das die 3d(2)
9 u. / y. 52 1 d (3) 3 ob e. / auch n. / i. stund. : 5 8. und 15 s. schriben
16 S. 0. e. t 17 0. und 20 W. w. Wan die demut 21 u (2) 22 die w. 25 g (2)
d. s. e. gestund man / a. (3) aUes des andern 26 eyn w. (2) 53 2 gut a. 3 W.
so / u. als 4 a. d. alles 6 0. y. noch handeln 7 zu t 18 0. g. 19 a. noch / weder
a. (3) 22g.gelauben 23 k. 27 g. 28 a. (2) 30 y. d.w. 54 2dasdt2) 7y./
t. wurckender 11 mu. . . 12 a. yn seiner 13 e. keyn 22 a. (2) . . 23 i.
Druck von Lippert k Co. (O. P&ts*sche Bachdr.), Naumburg a. S.
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QUELLENSCHRIFTEN
ZUR
GESCHICHTE DES PROTESTANTISIDS
IN VERBINDUNG MIT ANDEREN FACHQENOSSEN
HERAUSQEQEBEN VON
Prof. JOH. KUNZE und Prof. C STANGE.
ACHTBS HEFT.
DE LIBERO ARBITRIO AIATPIBH SIVE COLLATIO
PER DESIOERIUM ERASMUM ROTERODABiUM.
LEIPZia
A. DEICHEBT'SCHE VERLAGSBUCHH, NACHF.
(GEORG BÖHME).
1910.
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f ^Y^?>vi;^e.^ 'j^r.-- -^--'v -■■,
DE
LIBERO ARBITRIO AIATPIBH
SIVE COLLATIO
PER
DESIDERIUM ERASMUM ROTERODAMUM,
HERAUSGEGEBEN
VON
Lic JOHANNES von WALTER,
•. o. PROFESSOR IN BRESLAU.
— <33—
LEIPZia
A. DEICHERT'SCHE VERLAQSBUCHH. NACHF.
(OEORO BÖHME).
1910.
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Alle Bechte yorbehalten.
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Yorbemerlning.
Die Diatribe des Erasmas kann nnr indirekt als QneUen-
schrift zur Geschichte des Protestantismus gelten. Doch ist
ohne ihre Kenntnis ein Verständnis der demnächst heraus-
zugebenden Schrift Luthers : de servo arbitrio nicht möglich,
welcher Ausgabe eine Tabelle beigefügt werden wird, die die
einander korrespondierenden Stellen der Diatribe und der
Lutherschen Gegenschrift notiert. — Die vorliegende Aus-
gabe der Diatribe ist für die Bedürfnisse von Studenten be-
rechnet: Orthographie und Interpunktion sind modernisiert,
die Stellen aus den Kirchenvätern und Klassikern sind meist
nach den Migne'schen und Teubner'schen Ausgaben zitiert,
die Schrift ist in einzelne kleine Abschnitte zerlegt. Die
Bibelzitate beziehen sich auf die Yulgata. Die Unregel-
mäßigkeiten in der Zitationsweise derselben sind auf gewisse
Unregelmäßigkeiten bei Erasmus zurückzuführen, der teils
im Texte, teils am Rande zitierte: Die Randzitate sind in
die Anmerkungen verwiesen ; alles, was bei den Bibelzitaten ein-
geklammert ist, stammt vom Herausgeber. Die Briefe des
Erasmus sind nach der Leydener Ausgabe zitiert; dagegen
wurde fclr den Hyperaspistes die Urausgabe benutzt. Der
erste Teil derselben hat bloß Bogenzählung. Es bedeutet
also etwa g 4 r oder g 4 v , daß das betr. Zitat sich auf
Bogen g, Blatt 4, recto oder verso befindet — Kurz vor der
Drucklegung konnte noch die jüngst erschienene Monographie
Zickendrahts berücksichtigt werden.
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Idteratnn
A. Freitag, Einleitung zn de servo arbitrio in der Weimarer Ausg.
Bd. XVm (Weimar 1908) p. 551 ff. — H. Hermelink, Die religiösen
Bef(»rmbe8trebangen des deutschen Hamanismns, Tübingen 1907. —
G. Kaweran, Luthers Stellung zn den Zeitgenossen Erasmus, Zwingli
und Melanchthon (DentBch-evang. Blätter 31 [1906] p. 12 ff.). — F. Le-
zius, Zur Charakteristik des religiösen Standpunktes des Erasmus, Güters-
loh 1895. — C. E. Luthardt, Die Lehre vom freien Willen und sein
Verh<nis zur Gnade, Leipzig 1868, p. 76 ff. — W. Maurenbrecher,
Geschichte der katholischen Beformation, Bd. I p. 119 ff., 242 ff. NOrdlingen
1880. — M. Bichter, Die Stellung des Erasmus zu Luther und zur Befor-
mation in den Jahren 1516 — 1524. Diss. Leipzig 1900. — Derselbe,
Desiderius Erasmus und seine Stellung zu Luther (yerkttrzte und veränderte
Ausgabe der Dissertation in : Quellen und Darstellungen aus der G^chiehte
des Beformationsjahrhunderts ed. G. Berbig, Heft III, Leipzig 1907). —
F. Stichart, Erasmus von Botterdam, Leipzig 1870. — K. Zieken-
draht. Der Streit zwischen Erasmus und Luther über die Willensfreiheit,
Leipzig 1909.
Abkflrzungen.
Altdorff: Eyn Verglejchung oder zusamenhaltung dersprucheVom
freyen wyllen, Erasmi von Boterodam, durch Nikolaum Herman von Alt-
dorff yns teutsch gebracht, Leipzig 1525 (die Jahreszahl ist schwerlich
richtig, da die Vorrede Altdorffs die 1526 erschienene Übersetzung von de
servo arbitrio voraussetzt). — DG. = Dogmengeschichte. — Msg. MsL =
Migne, Patrologiae cursus completos series graeca, series latina. — BE.* =
Bealeui^clopädie für protestantische Theologie und Kirche, ed. A. Hauck.
— W. A. = Weimarer Ausgabe der Werke Luthers.
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Einleitung.
§1.
Entstehungsverhältnisse der Diatribe.
Unter den mancherlei dogmatischen Kämpfen der Reformationsaseit
dttrfte der Streit zwischen Erasmns und Luther ein besonderes Interesse in
Anq^rnch nehmen. Qanz abgesehen davon, daß dieser Streit die Charaktere
jener beiden Führer ihrer Zeit in ein scharfes Schlaglicht rückt, fesselt er
anch die Anfmerksamkeit des Dogmenhistorikers. Denn das Problem, nm
das es sich hier handelt, die Frage nach dem durch die Sünde geknechteten
menschlichen WiUen und nach der AUeinwirksamkeit der Gnade Qottes,
muß als das zentrale Problem der Frömmigkeit und Theologie Luthers an-
gesehen werden. Luther selbst spricht sich über den Gegenstand des
Streites folgendermaßen aus: Deinde et hoc in te vehementer laude et
praedieo, quod solus prae omnibus rem ipsam es aggressus, hoc est sum-
mam causae, nee me fatigaris aUenis illis causis de pi^atu, purgatorio,
indulgentüs ac similibus nugis potius quam causis, in quibus me hactenus
omnes fere venati sunt frustra. Unus tu et solus cardinem rerum
vidisti et ipsum iugulum petisti, pro quo ex animo tibi gratias ago; in
hac enim causa libentius versor, quantum favet tempus et otium. ') Man
sieht, der ganze Kampf mit Rom tritt für den Reformator hinter jener
einen Frage zurück. Nicht als ob £. seine Opposition gegen Luthers Zen-
tralgedanken auf dem Grunde eines neuen und originalen Verständnisses
des Evangeliums aufgebaut hätte. Luther selbst wirft ihm vor, er hätte
nichts Neues zur Sache gesagt,*) und E. äußert, in der Diatribe befände
sich fast nichts, quod non hauserim ex probatis ac vetustis ecclesiae docto-
ribus.") Das ist nicht bloße Konnivenz gegen die katholische Kirche, der
£. auch sonst oft Ausdruck verliehen hat; vielmehr bestätigt die dogmen-
*) De servo arbitrio, W. A. 18 p. 786.
*) L. c p. 600f. «) Hyperaspistes II p. 400.
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— vm —
geschichtliche Untersachong das einmütige Urteil der beiden Gegner: £.
macht sich in der Diatribe znm Anwalt der auf Angnstin faxenden nnd
Angostin so wenig verstehenden katholischen Lehre über Gnade nnd Frei-
heit. Wir haben den Streit somit als Auseinandersetzung zwischen Elatho-
lizismns nnd Protestantismus zu beurteilen, die um so spannender ist, als
hier die Sache des Katholizismus nicht von einem eingefleischten Scho-
lastiker vertreten wird, sondern von einem Manne, der den Schftden der
Kirche nicht blind gegenübersteht, der alle Bildungselemente seiner Zeit
in sich aufgenommen hat und der den Streit mit jener adyokatorischen
'^rtnositftt führt, die ohne selbst zu voller Klarheit über das Problem ge-
langt zu sein, doch den Gegner mit den Mitteln einer raffinierten Dia-
lektik ins Unrecht zu setzen sucht. Was hat £. in den Streit mit Luther
hineingetrieben?
Wir müssen bedenken, dafi Luthers Persönlichkeit Ton vornherein auf
£., wie auf viele fortschrittlich gesinnte Katholiken jener Zeit, wunder-
bar abstoßend und anziehend zugleich wirken mufite. Das um so mehr, als
£. zu den Naturen gehörte, bei denen der Litellekt den Willen weitaus
überwiegt und die in instinktivem Gefühl der Kinseitigkeit ihres Wesens
allen kraftvollen Naturen eine gewisse bewundernde Scheu entgegentragen,
obgleich ihr von Kritik lebender Geist es ihnen immer wieder verbietet,
sich dem Manne des Willens bedingungslos unterzuordnen. Dementsprechend
trägt das Urteil des £. über Luther von Anfang an ein Doppelgesicht.
Worte der Anerkennung und Worte der Misbilligung finden sich bei ihm
in bunter Aufeinanderfolge. Die Konsequenz hiervon war die, daß alle
di^enigen, die für oder wider Luther Partei ergriffen hatten, das Verhalten
des £. als zweideutig beurteilten. Am wohlsten fühlte sich £. daher, wenn
er sich über Luther nicht zu ftußem brauchte oder sein Urteil hinter ge-
schickten Neutralitätserklärungen verbergen konnte. Wie oft bekommen
wir zu hören, £. kenne Luther gar nicht, habe bloß ein paar Seiten seiner
Schriften gelesen und auch die mehr durchblättert, er, der Mann der
Wissenschaft, sei weder befugt noch gewillt, sich über Luthers Beform-
forderungen zu äußern, weder verteidige er Luther noch verdamme er ihn.
Aber nicht immer konnte sich £. in der von Parteileidenschaft zerrissenen
Zeit diese Beserve auferlegen. Die Mönche , die £. früher scharf mitge-
nommen hatte, rächten sich an ihm, indem sie ihn als heimliehen Lutheraner
verschrieen nnd ihn zum geistigen Urheber oder gar Mitverfasser der
Schriften Luthers machten; nnd so mancher Anhänger der Beformation
hat sich der Hoffnung hingegeben, £. würde öffentlich für Luther ein-
treten. £. war genötigt, Farbe zu bekennen.
£. hat kein Hehl daraus gemacht, daß er Luthers Forderung einer
Beform der Kirche billige — er selbst hatte oft und nachdrücklich genug
die gleiche Forderung erhoben. Aber mit der Art von Luthers Reform
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— IX —
war er nicht einverstanden. Das ranbtierartige Ungestüm, womit Luther
niederriß, was ihm entgegenstand, war ihm zuwider: er merkte nicht, dafi
nur so das Schaffende in Luthers Genius Raum gewinnen konnte. Es ist
des £. ständige Klage, daß Luther zu stürmisch reformiere und kein Maß
halten könne. So anerkennend £. über Luthers persönliches Leben urteilt,
— hier kann er ihn nicht billigen. Freüich auch Luthers (Gegner nicht.
Wenn £. auch den Baseler Verleger Frohen dazu vermocht hat, Luthers
Schriften nicht zu drucken, so ist er doch mit den Verbrennungen der-
selben ebensowenig einverstanden, wie mit der Bannbulle und dem Wormser
Edikt. Nach beiden Seiten hin wiU £. mäßigend einwirken und hat sich
hierbei nicht auf bloße Ermahnungen beschränkt, sondern ist mit einem
Plan hervorgetreten, an dem er zäh festgehalten hat: Luthers Sache solle
von einer Kommission gelehrter, wohlgesinnter und vorurteilsfreier Männer
geprüft werden. Dieser Plan mußte scheitern und mit ihm mußte des £.
Bedeutung für seine Zeit schwinden.
Aber nicht nur die Form der Lutherschen Beformation stieß £. ab.
Auch sachlich wußte er sich mit den Wittenbergem nur insoweit eins, als
es sich um die Beform der Sitten, die Abstellung einiger schreiender Miß-
bräuche und die Vereinfachung der scholastischen Dogmatik handelte. Es
gab vor allem einen Punkt, an dem die Meinungen auseinandergingen:
Luthers Lehre von der Alleinwirksamkeit der Gnade. Auf beiden Seiten
war man sich über diese Differenz klar. Schon Luthers erste Äußerungen
über £. betonen diesen Gegensatz, und nicht erst der Vorwurf des Pela-
gianismus, den £. von Lutheranern zu hören bekam, ^) dürfte ihn über die
Kluft belehrt haben, die zwischen dem von ihm vertretenen religiösen
common sense und dem Bewußtsein völliger Abhängigkeit bestand, in der
sich der Mensch nach Luther in sittlicher Beziehung von Gk)tt befindet
Was hat £. veranlaßt, diesem Dissensus öffentlich Ausdruck zu ver-
leihen? Die Frage zerfällt in zwei Teilfragen: 1. Warum hat E. überhaupt
gegen Luther geschrieben? 2. Was hat ihn bewogen unter den mancher-
lei Differenzpunkten gerade das Thema vom freien Willen herauszugreifen?
Was die erste Frage betrifft, so muß darauf aufmerksam gemacht werden,
daß £. von Fürsten (Heinrich VIII. von England, Georg von Sachsen),
Päpsten (Leo, Hadrian) und anderen hochgestellten Persönlichkeiten zum
Schreiben gegen Luther gedrängt wurde.') Daß £. diesem Drängen nach-
gab, hat darin seinen Grund, daß er sich endlich von dem Verdacht, ein
heimlicher Lutheraner zu sein, reinigen wollte. Auch hatte Luther in einem
*) Vgl. den Brief des E. an Barbirius vom 13. Aug. 1521 (opp. III,
1, col. 658 C).
*) Zu diesen seit dem Herbst 1520 einsetzenden Bemühungen vgl.
die ausführlichen Darstellungen von Freitag, Einl. zu d. s. a. W. A. 18,
p. 559 ft und Zickendraht, Der Streit zwischen E. n. L. p. 1—25.
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— X —
Brief an E. vom April 1524 geäußert, er wolle gegen £. nichts yeröffent-
liehen, wofern E. es imteriasse, an seiner Lehre zu rütteln. Das konnte
so gedeutet werden, als schweige E. aof Gnind einer Vereinbarang. ^)
Andere Provokationen der Lutheraner kamen hinzn,*) so daß E. nieht
länger schweigen konnte.
Aber warom hat £. das Thema vom freien Willen herausgegriffen?
Man hat mancherlei geantwortet. Bichter') hat in Luthers Assertio om-
nium articulorum einen deuüicben Angriff gegen E. wahrnehmen am sollen
gemeint; zu dieser Annahme liegt kein Qrund vor. Auch die Vermutung
Freitags,^) die Anregung fiber den freien Willen zu schreiben hätte K aus
England bekommen, entbehrt einer sicheren Begründung. Wir werden
darauf verzichten müssen, nach dem speziellen Anlaß der Wahl dieses
Themas zu fragen und haben zu allgemeineren Erwägungen zu greifen.
So wenig £. für den religiösen Determinismus Luthers ein wirkliches Ver-
ständnis besessen hat, so wenig konnte ihm entgangen sein, einen wie
«) S. Freitag, L
») Diss. p. 21. J
*) L. c. p. 579.
') Vgl. den Brief des £. an Melanchthon, 6. Sept. 1524 (opp. III, 1,
col. ^OA).
-- - ' \ c. p. Ö69ff.
Jedoch fehlt der betr. Passus in der zweiten Ausgabe.
Auch Zickendraht (I. c. p. 16 f.) vertritt die gleiche
Ansiclit. Nach ihm ist der Prozeß der Entstehung der Diatribe folgender :
Zunächst habe £. in dem Brief an Laurinus (1. Febr. 1523, opp. III, 1
col. 763 ff.) die Frage nach der Wahrheit der necessitas absoluta ganz
beiseite gestellt und lediglich das praktische Problem beantworten
wollen, welche Ansicht über die Willensfreiheit für den moralischen Fort-
schritt am zuträglichsten sei. Erst die Korrespondenz zwischen Hein-
rich VIII. und Georg von Sachsen aus der ersten Hälfte des Jahres 1523
habe ihn auf den eigentlichen Gegenstand des Streites, die dofi^matische
Frage nach dem freien Willen gebracht. Das gehe hauptsächlich daraus
hervor, daß E. im Brief an Georg (6. Sept. 1524 ed. F. Geß, Akten und
Briefe zur Kirchenpolitik Geor^ v. S. Bd. I p. 734; auch opp. III 1,
col. 812) auf dessen Brief an Heinrich „wie auf eine Aufforderung, der nun
willfahrt sei, Bezug nimmt.*' — Allein 1. erklärt E. schon im Brief an
Botzheim (30. Jan. 1523 opp. I Anfang): secundus (sc. dialogus, hierüber
s. u.) excutiet aliquot illius dogmata, und im Brief an Laurinus,
ihm könne es nicht verdacht werden, wenn er das Urteil der kirchlichen
Autoritäten unterschreibe (coL764F); 2. enthalten die Briefe Heinrichs
und Georgs keinerlei Anregung, die Frage nach dem freien Willen dog-
matisch zu untersuchen; 3. könnte aus dem Brief des E. an Georg
höchstens auf eine Anregung durch Georg geschlossen werden; 4. ist nicht
einmal das möglich, da die Aussage, E. habe den Brief Georgs an Heinrich
gelesen, mit der anderen, am Anfang des Briefes befindlichen, E. habe bis-
her den Ermahnungen Georgs (gegen Luther zu schreiben) kein Gehör ge-
schenkt, in keinerlei Znsammenhang steht — Daß E. englische Quellen
benutzt, ist noch kein Beweis dafür, daß die Anregung ^ über den freien
Willen zu schreiben, von England ausging. Letzteres ist zwar mö^di,
läßt sich aber mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht beweisen.
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— XI —
großen Nachdrack Luther gerade hierauf legtet nnd wie sehr sich die
Polemik des Beformators gegen den Eatholicismns nm dies Zentrum grup-
pierte. Und £. war weitblickend genug, um das Wesentliche vom Neben-
sächlichen scheiden zu können. Etwas anderes kommt hinzu : von solchen,
die nicht wußten, daß der religi(^e Determinismus Luthers in einem aufs
höchste gesteigerten sittlichen Einpfinden wurzelte, konnte die Lehre vom
unfeien Willen leicht mißverstanden und mißbraucht werden. Wenn der
Mensch doch nur tun kann, wozu Oott ihn treibt, was soll dann noch der
sittliche Kampf gegen die Sünde? Solchen Mißverständnissen der Lehre
Luthers war E. tatsächlich begegnet^) und hatte sie von seinem Stand-
punkt aus nicht zu beseitigen vermocht. Um so mehr erschien ihm Luthers
Lehre nicht nur als falsch, sondern auch als gefährlich, und um so unabweis-
lieher mag sich ihm die Notwendigkeit aufgedrängt haben, gerade an
diesem Punkte mit seinem Angriff gegen Luther einzusetzen. Ob £. sich
nebenher auch gesagt hat, er könne hier seinen Dissensus aussprechen,
ohne seine eigenen Beformforderungen widerrufen zu müssen, stehe dahin.
£. behauptet, die Diatribe in wenigen Tagen verfaßt zu haben.*)
Sollen wir dieser Versicherung Glauben schenken, so müssen wir annehmen,
daß lediglich die Niederschrift des Büchleins so viel Zeit in Anspruch ge-
nommen hat Vorbereitet hat E. diese Schrift sehr viel länger.*) Sein ur-
sprünglicher Plan ging dahin, drei Dialoge zu verfassen, in deren zweitem
er aliquot illius dogmata behandeln wollte. Der Brief an Botzheim, dem
wir die Kenntnis dieses Planes verdanken, stammt vom 30. Jan. 1523.
Zwei Tage darauf, am 1. Febr., schrieb E. seinen Brief an Markus Lauri-
nus,^) in welchem wir eine Beihe von Gedanken vorfinden, wie £. sie
späteriiin in der Diatribe vorgetragen hat. Wir dürfen also wohl annehmen,
unter den aliquot dogmata sei auch die Frage nach dem freien Willen zu
verstehen, um so mehr als der geplante Inhalt des ersten Dialogs: an ex-
pedierit hac via rem tractari, etiamsi Lutherus omnia vere scripsisset *) sich
mit dem berührt,, was £. in der Einleitung der Diatribe darlegt. Von da
ab finden sich im Briefwechsel des £. manche Bezugnahmen auf die Dia-
tribe. Die erste Nennung des Themas findet sich in einem Brief an Hein-
rich Vni., der aus dem Jahre 1523 stammt, ohne näher datiert zu sein.^
S. Assertio W. A. Vll p. 136, Z. 22 ff.
Ep. ad Laurinum col. 764 C. Hyp. I e 7 r, g 6 r, d 7 v, n 6 r.
, Hyp. I b2v (kaum 10 Tage); f 6v (kaum 8 Tage); II p. 254
(weniffe Tage). Über Ökolampads Angabe, die Diatribe sei ein opus tridni
8. Zi(£endraht p. 23.
*) Vgl. Freitag und Zickendraht.
*) S. p. X Anm. 4.
®) Opp. I im Anfang.
•) Opp. III, 1 col. 774. Die Gründe, die Freitag (1. c. p. 566) gegen
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— XII -
Seinen Plan, die Diatribe dem Kardinal Wolsey^) oder dem Papste Cle-
mens Vn. *) zu widmen, hat E. nicht ausgeführt, nm den Schein zu meiden,
als bnhle er damit am die Gunst der Großen.')
E. hat sich, wie oben erwähnt, oft über die Maßlosigkeit der Polemik
Luthers wie seiner Gegner beschwert. Das legte ihm die Verpflichtung
auf, den Ton seiner Streitschrift nach Möglichkeit zu mäßigen. Das ist
ihm auch gelungen; aber ganz ohne Teufelei ist es doch nicht abgegangen.
Ich meine hiermit nicht in erster Linie die mancherlei spitzen Bemerkungen,
die sich in der Diatribe finden, sondern vor allem die Tatsache, die obwc^l
sie in dem viel geschmähten und wenig gelesenen Hyperaspistes ver-
zeichnet ist, bisher kaum beachtet worden ist: Die Diatribe richtet sidi
nicht nur gegen Luther, sondern auch gegen Earlstadt>) Schon in der
Einleitung wird darauf hingewiesen, daß Luther und seine Freunde nicht
einheitlich über die Unfreiheit des Willens dächten. Im weiteren Verlauf
werden zwei Ansichten als diejenigen bezeichnet, gegen die E. streiten
will : die eine gehe dahin, daß der freie Wille nur zum Sündigen tauge —
das ist die angebliche Sonderansicht Earlstadts; die andere, daß es über-
haupt keinen freien Willen gäbe, ist diejenige Luthers. Und nun geht
durch die ganze Diatribe hindurch die Polemik gegen diese beiden An-
sichten. E. ist bei dieser Unterscheidung nicht ganz ehriich gewesen, denn
er war sich wohl bewußt, daß, sobald man auf die Sache selbst sieht, Earl-
stadt und Luther die gleiche Ansicht yertreten.^) Allein er klammert sich
an die inkorrekte Formulierung Karlstadts, weil er damit yerschiedene
Vorteile gewinnt. Zunächst konnte er den Schein erwecken, als denke
man in den reformatorischen ELreisen über die Unfreiheit des Willens nicht
einheitlich. Wie mußte da seine Gegenüberstellung der geschlossenen, für
den freien Willen eintretenden Majorität gegenüber der kleinen, unter sich
uneinigen Minorität wirken! Femer hat £. es so einzurichten gewußt,
daß bei der Besprechung einer eklatanten exegetischen Gewaltsamkeit
die Jahreszahl 1523 anführt, scheinen mir nicht durchschlagend zu sein.
Daß E. dem Ednig etwa ^egen Ende des Jahres den ersten Entwurf des
Buches schickt, verträgt sich sehr wohl mit der vom 19. Jan. 1524 stammen-
den Angabe, E. hätte sich an die Ausarbeitung gemacht, und mit der
anderen vom 13. Febr. 1624, das Buch sei ihm unter den Händen. Vgl.
auch Zickendraht, p. 185, Anm. 17.
>) Opp. III, 1, col. 784 AB.
« Ibid. coL 809 F, 810 A. «) Ibid.
*j Vgl. die einzelnen Nachweise in den Anmerkungen meiner Edition.
Auch in der Biographie Barges über Earlstadt findet sich m. W. hierüber
nichts. Nur Zickendraht erwähnt diese Tatsache fiüchtig (p. 84 f.), jedoch
merkwürdigerweise bei Gelegenheit der Besprechung von de servo arbitrio
und ohne zu zeigen, eine wie groQe Rolle die Bekämpfung Earlstadts in
der Diatribe spielt.
») S. u. p. 85 Z. Iff.
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— xin —
Karlstadts Lnther als deren Urheber zu stehen kommt (vgl. namentlich
p. 601). Endlich bedeutete die Nebeneinanderstellong und gleichmäfiige
Bek&mpfong Luthers und Karlstadts im Jahre 1524 schon eine Kompro-
mittierung Luthers: Der Beformator wurde auf eine Stufe mit dem Orla-
mi&nder Schwärmer gestellt! Allerdings bleibt es fraglieh, inwieweit die
Leser der Diatribe es verstanden haben, daß £. auch Karlstadt befehdete
— Luther wenigstens hat es nicht begriffen.')
§2.
Die Uraasgabe der Diatribe
Eine Ausgabe im Bahmen der „Quellenschriften zur Geschichte des
Protestantismus*' muß auf Vollständigkeit in der Zusammenstellung dea
textkritischen Materials verzichten und hat auf der ürausgabe zu fußen.
Gerade darin liegt nun aber bei der Diatribe eine nicht unerhebliche
Schwierigkeit Es existiert m. W. keine Notiz, die uns mitteilte, in welchem
Verlage die Ürausgabe der Diatribe erschienen ist Nun gibt es aber drei
Ausgaben der Diatribe, die im Sept 1524 gedruckt sind: Die eine der-
selben stammt von Frohen aus Basel (Fr.), die zweite von Michael Hilleniua
Hochstratanus aus Antwerpen (H.), die dritte von Hero Alopedus aus KOln
(A.). Welche dieser drei Ausgaben ist die Ürausgabe? Die Frage kompli-
ziert sich, wenn wir in Erwägung ziehen, daß £. im Brief an König Hein-
rich VIIL*) sagt, seine Schrift gegen Luther werde irgendwo gedruckt
werden: nam hie (d. h. in Basel), opinor, nuUus est typographus, qui ausit
excudere, quod vobulo attingit Lutherum. Die Besorgnis des E. dürfte
eine i&berflflssige gewesen sein« Immerhin nOtigt uns dieser Ausspruch^
auch die nicht gende nahe liegende Möglichkeit zu erwägen, ob die ür-
ausgabe nicht unter den Ausgaben zu suchen sei, die ohne oder ohne ge-
naue Angabe von 2^it und Ort des Druckes erschienen sind. Solcher Aus-
gaben weist die Bibliotheca Erasmiana (Gent 1S93 p. 20) fünf nach. Trotz
vieler Bemühungen ist es mir nicht gelungen, alle fünf Ausgaben einzu-
sehen. Ich kenne bloß drei dieser Ausgaben, nämlich zwei Ausgaben ohne
Ort und Zeit (X^ und X*) *) und die Ausgabe des Johannes Bebelius aua
>) Vgl. d. s. a. p. 667 Z. 15 ff. und p. 670 Z. 21; hier hält Luther
die Ansicht Karlstadts für diejenige Augusüns.
2 8. p. XI Anm. 7.
, X^ ist in zahlreichen Bibliotheken zu finden (Auffsburg, Berlin,
Breslau, Dresden, GKHüngen. Mfinchen, Bostock, Straßburg, Weimar, Wer-
nigerode, Wien). Die Initiale ist folgende: das I steht zwischen zwei in
einem spitzen Winkel zueinander stehenden Oberkörpern einer Nvmphe
und eines Fauns, die in Blattomamenten auslaufen. Die gleiche uiitiale
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Basel (B), der jede Zeitangabe fehlt Eine Ausgabe, die nur das Jahr 1524
nennt, nnd eine Ausgabe ohne Ort und Zeit sind mir unbekannt geblieben.
Ich maü also mit einem nicht ganz yoUstfindigen Material operieren.
Jede dieser Ausgaben besitzt eine Beihe von Lesarten, die sie mit
keiner anderen Ausgabe teilt. Zählt man nicht nur die Druckfehler und
sachlichen Varianten, sondern auch die Varianten in Orthographie und
Interpunktion, so ergibt sich folgendes Verhältnis: Fr. hat 24, A 161, B
210, H 243, X' 317, X* 445 Sonderlesarten. Schon diese Zahlen ergeben
mit hoher Wahrscheinlichkeit, daß Fr. die Urausgabe ist, denn das Ver-
schwinden von 24 Sonderlesarten in den späteren Ausgaben ist leichter zu
erklären, als dasjenige von 161 usw. Das wird noch einleuchtender, wenn
wir den Charakter der Sonderlesarten Ton Fr. prüfen : In neun Fällen handelt
es sich um Druckfehler, die jeder halbwegs aufmerksame Setzer verbessern
konnte (Agustiunus, moriemimini, reliqnum etc.), in neun Fällen um un-
wesentliche, in einem Fall um einen gravierenden Interpunktionsfehler (in
dreien dieser Fälle gehen übrigens die anderen Drucke ihrerseits ausein-
ander), in einem Falle um Markierung kurzer und langer Silben (p. 24
Z. 14), in zwei Fällen um verschiedene Orthographie (cetera und precepta
statt caetera und praecepta), in einem Fall um einen falsch angebrachten
Spiritus lenis bei einem griechischen Wort und in einem einzigen Falle um
einen Fehler, zu dessen Korrektur ein gewisses Nachdenken erford^lich
war (p. 54 Z. 9). Man sieht, die Prüfung der Sonderlesarten von Fr. be-
rechtigt nicht zu dem Schlüsse, daß Fr. die Urausgabe nicht sein kann.
Eine Eventualität ist jedoch noch denkbar: es wäre mOglich, daß
z. B. A oder H die Urausgabe wäre, daß dann Fr. gefolgt und von den
späteren Ausgaben zur Grundlage genommen worden wäre. Wir müssen
darum die einzelnen Ausgaben noch mit Fr. vergleichen. Hierbei darf
weder auf die Interpunktion noch auf die Orthographie geachtet werden.
Was die Interpunktion betrifft, so halten sich bei A, B und X^ die zahl-
reichen Verschlechterungen und Verbesserungen ungeOhr die Wage,
während bei X* und H die Verschlechterungen nicht nur deswegen über-
wiegen, weil in den betr. Setzkästen keine oder zu wenige Typen für Kolon
vorhanden waren. Selbst die beiden letzten Fälle dürfen zu Schlüssen
nicht verführen, denn die Interpunktion war damals recht regellos. Ebenso-
findet sich in einem Druck des oomm. in sex proph. von Bupert v. Deutz,
der aus der Offizin d^ Petrejus, Nürnberg 1524 stammt (vgL fol. 117,
190). Weitere große Ähnlichkeit der Typen in diesem Druck wie in X*
legt die Annahme nahe, daß X^ von Petrejus in Nürnberg gedruckt ist
(vgl. den Hinweis der BibL Erasm.). Dde Ausgabe X', deren Inittale I
von einem halb liegenden, halb kni^en Engel gehalten wird, konnte ich
nur in Wolfenbüttd nachweisen.
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wenig sind die wenigen and nicht einmal konsequent durchgeführten ortho-
graphischen Eigentümlichkeiten dieser oder jener Ausgabe yon Bdang.
Auch die gewöhnlichen Druckfehler, die namentlich in A und B recht zahl-
reich sind, entscheiden nicht, denn Druckfehler können in einer filteren
Ausgabe häufiger auftreten als in einer späteren. Dagegen dürften die
Druckfehler ins Gewicht ftdlen, bei deren Korrektur ein gewisses Nach-
denken oder eine gewisse theologische Bildung des Setzers oder Korrektors
angenommen werden müfite. Da eine solche Annahme in der Begel nicht
viel für sich hat, so werden wir den Schluii ziehen dürfen, daß die bessere
Lesart zugleich die ursprüngliche ist.
Beginnen wir mit einer Vergleichung von Fr. und X*. Da die Seiten-
flchlüsse fast durchweg übereinstimmen, eine Unregelmäßigkeit in einem
Kustoden (p. 50 Anm. 7) und einige Druckfehler sich hier wie dort finden,
80 steht zunächst fest, daß die beiden Drucke nahe verwandt sind. Welche
Ausgabe weist die besseren Lesarten auf? In zwei Fällen schwankt die
Entscheidung: auscultare (39, 6) kann mit dem Dativ und dem Akkusativ
konstruiert werden und ebenso ist profectus neben provectus (82, 15) mög-
lich. In allen übrigen Fällen sind die Lesarten von X' schlechter. Wenn
X* milites statt milies liest (63, 17), so entscheidet der Zusammenhang für
Fr. Sollte, die Priorität von X' vorausgesetzt, wirklich der Setzer eine
solche viel Nachdenken erfordernde Korrektur gemacht haben können?
Viel wahrscheinlicher ist die Annahme eines Druckfehlers bei X*. Ebenso
ist benignitate bei X* (84, 26) allenfalls denkbar, aber ungeschickt Die
Konstruktion manumittere in servum bei Fr. (80, 16) ist zwar ungewöhn-
licher, darum aber auch ursprünglicher als manumittere servum bei X* usw.
Vor allem kommt in Betracht, daß bei der Prüfung der Lesart eiecti (X*
55, 7) für reiecti (Fr>) £. selbst für letztere entscheidet, indem er bei einem
Zitat seiner Worte im Hyperasp. (II, 300) reiecti liest, und daß ein von
X* ausgelassenes Wort (35, 9) sich in einem Zitat des Hyperasp. (II, 108)
wiederfindet. Wir dürfen angesichts der vielen Druckfehler von X' den
Schluß ziehen, daß X* ein mechanischer, aber schlechter Nachdruck von
Fr. ist.
Auch bei der Vergleichung von B mit Fr. leuchtet der enge Zu-
sammenhang beider Ausgaben ein. Denn wenn auch die Seitenschlüsse
nicht übereinstimmen, so haben doch beide Ausgaben eine Beihe grober
Druckfehler gemeinsam. B hat nun keine Lesarten, die besser wären, als
di^enigen von Fr., mehrere, bei denen die Entscheidung schwankt, und
mehrere schlechtere. Unter diesen entscheiden für den sekundären Cha-
rakter von B vier falsche Zahlen bei Zitaten (41 Anm. 7; 42 Anm. SO;
49 Anm. 3; 68 Anm. 5). Die Möglichkeit, daß, die Ursprünglichkeit von
B vorausgesetzt, der Korrektor von Fr. die Zitate revidiert hätte, scheidet
aus, wenn wir in Erwägung ziehen, daß Fr. mit allen anderen Ausgaben
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— XVI —
eine Beihe falscher Zitate gemeinsam hat, bei denen das Versehen auf
Konto des £. zn setzen sein dürfte.
Sehr viel schwieriger gestaltet sich die Vergleichnng von Fr. mit X*,
denn bei X' haben wir es mit einer verhältnismäßig sorgfältigen Ausgabe
zn ton. Zwar gibt es anch hier der Druckfehler und falschen Interpunk-
tionen genug, aber die Druckfehler von Fr. sind bei X^ nicht zu finden
und vor allem hat X^ bessere Lesarten. Wenn Fr. schreibt: Et Christus:
linum fumigans non exstinguit (18, 15), so wird damit ein Wort zu einem
Hermwort gemacht, das tatsächlich keines ist; X' liest korrekt: Et Christus
linum etc. Femer findet sich bei Fr. folgende starke Diskrepanz: Die
Stelle Deut. 90, 15lf. (p. 33, 6 ff.) ist zitiert als aus Deut 3 herrOhrend;
es findet sich weiter unten am Bande das Zitat Deut. 30. X^ hat hingegen
richtig die Zahl 30 und setzt das Zitat am Bande an seine richtige Stelle.
Anderwärts wird man freilich den Lesarten von Fr. den Vorzug geben.
So ist vor allem auffällig, daß Fr. (39, 21) das Wort: Ego autem dico vobift
zweimal, X' hingegen nur einmal bringt Daß die spätere Ausgabe die
Wiederholung streicht, ist wahrscheinlicher, als daß die spätere Ausg^e
die Worte versehentlich wiederholt, zumal in diesem Falle die Wieder-
holung der Worte aus der Beminiszenz an ihre Wiederholung in Matth. 5
ihre gute Begründung hat Sicher besser ist die Lesart: ex rebus conditis
cognoverunt bei Fr. (23, 10), als: ex rebus cognitis bei X'; ebenso muß es
mit Fr. heißen libet (80, 8) statt licet, und mit Fr. custodias (33, 10) statt
custodies. Das Zitat: 2. Petr. 8 (18 Anm. 4) bei X^ ist falsch. Weitere
Varianten dürften kaum in Betracht kommen. Haben wir auf Grund dieses
Materials Fr. oder X^ als Urdruck anzusehen? Die Entscheidung würde
nicht leicht sein, wenn nicht Luther in de serv. arb. bei Besprechung von
Deut 30, 15 ff. die Stelle als aus Deut 3 und 30 geschöpft angäbe und
damit zeigte, daß ihm X' jedenfalls nicht vorgelegen hat') Man könnte
nun zwar einwenden, daß Luther nicht unbedingt den ürdruck in der
Hand gehabt haben muß, aber auch £. zitiert im Hyperasp. (II p. 82)
ebenso wie Luther. Ebenso ist zu bemerken, daß X' die Worte: ut qui-
dam aiunt (34, 2) einklammert, Fr. hingegen nicht, und daß das Zitat
dieser Worte im Hyperasp. (11, 93) die Einklammerung desgleichen fort-
läßt Das entscheidet für Fr. Wir dürfen zusammenfassend schließen,
daß Fr. vor den drei bisher besprochenen undatierten Ausgaben den Vor-
zug verdient
Fragen wir nun noch nach dem Verhältnis von Fr. zu A. und H.
Hier ist folgendes zu beachten: In mehreren vom 2. Sept. 1524 datierten
Briefen*) bezeugt E., daß die Diatribe schon erschienen sei, während sie
*) W. A. 18, p. 678, 1. «) Opp. m, 1, ool. 809 ff.
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— XVII —
am 31. August sich noch im Druck befand.') £. lebte damals in Basel.
Gesetzt, der vom September datierte ürdruck wäre in Köln oder Ant-
werpen erschienen, so müßten die ersten Exemplare im Laufe eines Tages,
nämlich des 1. Sept., ans einer dieser Städte nach Basel gelangt sein. Das
ist unmöglich. Nur einen Druck, der an seinem Aufenthaltsort erschien,
konnte £. schon am 2. Sept. versenden. Die Annahme, daß der Verleger
ein Interesse daran gehabt hätte, das im August erschienene Buch auf den
September voraus zu datieren, könnte noch gegen die Priorität "Von Fr.
angeführt werden; aber sie entbehrt jeden Haltes.
Zu dem gleichen Eesultate führt die Vergleichung der Texte. Becht
starke Übereinstimmung der Seitenschlüsse und ein identischer Druckfehler
verraten zunächst die enge Zusammengehörigkeit von Fr. und A. Bessere
Lesarten weist A. nicht auf, dagegen einige schlechtere (reliquit 13, 17;
sunt 15, 11; cognitis 23, 10 u. a.). Über die Zusammengehörigkeit von
Fr. und H. gilt genau das gleiche, wie über diejenige von Fr. und A.,
nur daß hier die Sache noch deutlicher wird, weil auch H. die gleiche Un-
regelmäßigkeit im Kustoden (50 Anm. 7) hat, wie X' und Fr. Beachtet
man, daß H. keine besseren Lesarten aufzuweisen hat, daß bei zwei
Zitaten (p. 6 Anm. 1 u. 2) am Rande die Kapitelzahlen fehlen, so daß
der Setzer von Fr., wenn Fr. sekundär wäre , den ganzen Römerbrief und
den ganzen Jesajas hätte durchstudieren müssen, um die Zitate zu veri-
fizieren, daß endlich an zwei Stellen die Lesart von Fr. (punierit 48, 2;
instinetus 60, 21) den Vorzug verdient, so leuchtet auch hier die Priorität
von Fr. ein.
Unser Resultat ist zwar nicht ganz zufriedenstellend, da, wie bemerkt,
zwei d^r undatierten Ausgaben mir nicht zur Hand gewesen sind. Bedenkt
man aber, daß ohnehin, wie oben angedeutet, es nicht sehr wahrscheinlich
ist, daß eine undatierte Ausgabe ernstlich in Betracht kommt, so hoffe ich,
dazu berechtigt zu sein, Fr. als die Urausgabe zu bezeichnen.')
§3.
Der Inhalt der Diatribe.
Die Disposition der für einen weiteren Leserkreis bestimmten *) Diatribe
ist eine klare : nach einer aUgemeinen (I a) und einer auf die Methode be-
M Ibid. col. 809 A.
') Der beste Kenner der Erasmusbibliographie, Herr van den Haeghen,
hat mir freundlichst mitgeteilt, daß ihm von der Existenz des Manuskriptes
der Diatribe nichts bekannt sei.
-) Vgl. p. 32, 1.
Walter, De libcro arbitrio. II
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— XVIII —
züglichen (Ib) Einleitung bespricht £. die alttestam entlichen (IIa) und
neutestamentlichen (II b) Stellen, die für den freien Willen sprächen, sucht
dann die dagegen sprechenden Stellen zu entkräften und zwar zunächst
meist solche, die Origenes besprochen hatte (III a), dann diejenigen, auf
die Luther in der Assertio sich stützte (III b) ; endlich hält er noch eine
Nachlese ähnlicher Stellen (III c). Im letzten Abschnitt formuliert E. seine
Ansicht und beurteilt diejenigen seiner Gegner (lY). Der Inhalt der Diatribe
ist im einzelnen folgender:
(I a 1.) In die Diskussion der schwierigen, seit alters und neuerdings
heftig umstrittenen Frage nach dem freien Willen will E. auf das Drängen
seiner Freunde hin eingreifen, (Ia2) ohne des Geschreies derer zu achten,
die Luther unbedingte Autorität zusprechen; ihnen kann sich £. um so
weniger anschließen, als Luther selbst ja auch alle menschliche Autorität
ablehne. (I a 3) Der Streit soll ohne Gezänk geführt werden und der Er-
forschung der Wahrheit dienen. (I a 4) Der jedem Streit gern ausweichende
und zur Skepsis neigende E. tadelt die unwissenschaftliche Voreingenommen-
heit der Gegner. (I a 5) Bezüglich des freien Willens steht ihm nur dessen
Existenz und somit die Ablehnung von Luthers Lehre fest. (I a 6) Wolle
man ihm deswegen mangelhafte geistige Regsamkeit und Durchbildung
vorwerfen, so möge man bedenken, daß Luther selbst auf die Erleuchtung
mit dem hl. Geiste den größten Nachdruck zu legen pflegt. Man möge
ihm gestatten, mit Luther zu disputieren, sei es auch nur, um von ihm
zu lernen, aber man bedränge ihn nicht mit Luthers Autorität Mißver-
ständnisse seinerseits seien möglich; darum trete er als Disputator auf,
nicht als Richter. Freilich ist es wünschenswert, daß die mittelmäßigen
Geister sich aller sicheren Behauptungen in diesen Dingen enthielten,
(Ja 7) gibt es ja doch in der Schrift Schwierigkeiten, die den Menschen
die Grenze ihres Erkennens verdeutlichen und sie zu demütiger Anbetung
veranlassen. (I a 8) Bezüglich des freien Willens genügt es an die sittliche
Persönlichkeit des Menschen zu glauben und sich in seinen tugendhaften
Bestrebungen von Gott abhängig zu fühlen. An Gottes Güte und Ge-
rechtigkeit ist festzuhalten, dagegen sind Spekulationen über Gottes Vorher-
wissen und menschliche Freiheit zu vermeiden. (Ia9) Denn in viererlei
Weise verhält sich das menschliche Erkennen zu den göttlichen Dingen:
1. Manches verbirgt uns Gott überhaupt, 2. manches offenbart er nur zum
Teil, 3. manches vollständig; 4. manches hingegen kann wahr sein, ohne
daß es doch opportun wäre, diese Wahrheit öffentlich bekannt zu machen.
(lalO) Letzteres würde auch dann auf Luthers Lehre zutreffen, wenn
sie wahr wäre: sie zieht sittliche Laxheit groß und entfremdet Gott
dem Menschen. (lall) Paßt die Schrift sich dem mangelhaften mensch-
lichen Denkvermögen an, so sollen die Prediger des Wortes ein gleiches
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— XIX —
ton, um dnrch die Predigt des religiösen Determinismus kein Unheil
zu. stiften.
(I b 1) Luthers Schriftprinzip überhebt £. der Aufgabe, die Lehre der
Kirchenlehrer darzustellen. (I b 2) Doch möge der Leser bedenken, wie
viele sich für, wie wenige sich gegen die Willensfreiheit aussprechen.
(IbS) Zwar vertritt die Majorität nicht immer die Wahrheit, da es sich
aber um Fragen der Schrifterklärung handelt, so verdienen die Griechen
und Lateiner gehört zu werden, um so mehr, als ihr sittliches Leben nichts
zu wünschen übrig läßt. (I b 4) Die Gegner pochen auf ihren Geistesbesitz,
aber wer kann sich dessen rühmen? Am ehesten doch die Amtsträger.
(Ib5) Zwar beschränkt sich der Geist nicht lediglich auf sie, sondern er-
leuchtet auch die Niedrigen. Aber hier wird die Prüfung der Geister zur
Pflicht. Die von den Gegnern an dem Geistesbesitz der Amtsträger geübte
Kritik kann einen positiven Beweis für ihren eigenen Geistesbesitz nicht
ersetzen. (Ib6) Die Wunder bleiben aus und wollte Gott, daß an deren
Stelle die apostolische Sittenreinheit träte ! (I b 7) Nach nochmaliger Ab-
weisung des Anspruchs auf Geistesbesitz betont £. (IbS), daß die sub-
jektive Überzeugung vom eigenen Geistesbesitz kein objektives Kriterium
hierfür sei, daß auch der Geistesträger irren könne, daß hingegen der
hl. Geist einen Irrtum seiner Kirche in dieser wichtigen Frage nicht hätte
dulden können. (I b 9) E. will anspruchslos darlegen, was ihn bewegt, und
bittet, ihn als einen beurteilen zu wollen, der lernen und abwarten will.
(I b 10) Nach einem Hinweis auf die Bedeutsamkeit seiner bisherigen Aus-
führungen gibt £. das Thema für II und III an und definiert den freien
WiUen.
Zunächst will E. den freien Willen aus alttestamentlichen Stellen
beweisen. (II al) E. geht von einer Stelle des Buches Sirach aus, für
dessen Kanonizität er sich ausspricht. Diese Stelle veranlaßt ihn zu einer
dogmatischen Erörterung. (II a 2) Zunächst redet er von dem Zustand der
Protoplasten vor dem Fall, unter Vergleichung der Engellehre, (IIa 8) dann
— im allgemeinen — von dem Zustand der nachadamitischen Menschheit
vor und nach Eintritt der Gnade. (IIa 4) Vor der speziellen Gnaden-
einwirkung Gottes ist der Mensch dank der natürlichen Beligion und dem
mosaischen Gesetz nicht ohne alle Erleuchtung. (IIa 5) Dem entspricht
daß der Mensch dem Gesetz verpflichtet ist. E. unterscheidet das Natur-
gesetz, (II a 6) das Gesetz der Werke und das Gesetz der Gnade. (II a 7)
Aus der Existenz des Gesetzes folgt sowohl für die Protoplasten, (II a S) als
auch für die nachadamitische Menschheit die Tatsache der Freiheit des
Willens, (11 a 9) dessen Wirkungsfeld die einen als ein großes, (U a 10) die
anderen als ein beschränktes beurteilen, bei welch letzterer Ansicht die
Sittlichkeit der Heiden zwar zu schlecht wegkommt, aber andererseits die
Gnade zu ihrem Bechte gelangt. (II a 11) Nach einer Einteilung der Gnade
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— XX —
nach ihren Wirkangen, (IIa 12) erklärt E. die Ansicht für probabel, üe
den freien Willen nicht aufhebt, seine Wirkungssphäre aber derart dn-
schränkt, daß alles Rühmen ausgeschlossen ist. Dagegen will er zwei
Ansichten (Karlstadts und Luthers) bekämpfen, die dem freien Willen nur
das Gebiet der Sttnde offen lassen oder ihn gänzlich leugnen. (II a 13) Nach
einer textkritischen Bemerkung zu Sir. 15 filhrt E. (IIa 14 — 17) unter
häufigen Wiederholungen seinen Beweis für den freien Willen aus dem
alten Testament (s. über diesen Beweis § 4). (II a 18) Lehrt die Schrift
eine Veränderlichkeit des göttlichen Willens, so liegt dieser Akkommodation
an die menschliche Vorstellungsweise die Rücksicht auf das veränderliche
sittliche Verhalten des Menschen zugrunde.
Es folgt eine Besprechung (IIb 1—2) cTangelischer, (IIb 3— 4) paulini-
scher, (Ilbö— 7) überhaupt neutestamentlicher Stellen, ans denen ungeföhr
die gleichen Schlüsse gezogen werden, wie in IIa. (IIb 8) Zum Schluß
zitiert E. eine Stelle aus der Assertio und weist darauf hin, daß die Fülle
der angeführten Schriftstellen die Behauptung der Willensfreiheit durch
die Väter rechtfertigen.
Der dritte Teü beschäftigt sich mit den scheinbar gegen den freien
Willen sprechenden Schriftstellen. In offenbarem Anschluß an Origenes
hebt E. (III a 1) die Stellen heraus, die Paulus R6m. 9 bespricht ; es
handelt sich um die Verstockung Pharaos und die Erwählnng Jakobs
und Verwerfung Esaus. (nia2) Was die erstere Stelle betrifft, so be-
deutet „y erstochen'^ von Gott ausgesagt „Gelegenheit zur Verstockung
geben"; (III a 3) ebensowenig als von einem Verstocken durch Gott ge-
redet werden kann, ebensowenig auch von einem „Verführen" durch Gott
(HI a 4) Die Verstockung Pharaos wie überhaupt die Betätigung der
Willensfreiheit benutzt Gott zur Erreichung seiner Zwecke, (lllaö) Aus
dem Vorherwissen einer freien Handlung durch Gott folgt noch nicht,
daß Gott sie verursacht. (III a 6) Schwierig wird die Frage erst, wenn
man bedenkt, daß Gott die vorausgesehene freie Handlung auch ver-
hindern kann, und sie also gewissermaßen gewollt hat, wenn er sie nicht
hindert Hier stößt das menschliche Denken an seine Grenze. Etwas
weiter kommt man, wenn man die Zulassung neuer Sünden durch Gott
als Strafe für vergangene Sünden faßt, aber hiermit werden auch nicht
alle Schwierigkeiten beseitigt. (III a 7) Übrigens führt (vgl. III a 4) nicht
jede freie Handlang zu einem vom Menschen nicht erstrebten Zid.
(UIa8) Dann streift E. die Frage nach dem Verhältnis Gottes, der pri-
mären Ursache, zu den sekundären Ursachen und erörtert (III a 9) die
Unterscheidung der necessitas consequentis und consequentiae, um nach
diesem Exkurs (III a 10) noch einmal seinen Lösungsversuch der Ver-
stockungsfrage vorzulegen und zu sagen, daß Gott auch an sündigen
Handlungen mitwirkt, ohne doch ihre sündige Bestimmtheit zu verursachen.
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(ina 11) Auch die von der Liebe und dem Hau Gottes gegen Jakob und
Esan handelnde Stelle mildert £., indem er menschliche Affekte bei Gott
l^ignet und die Stelle anf zeitliche Güter bezieht. (III a 12) Die Stellen
richten sich gegen den jüdischen Hochmut; die Erwählung und Verwerfung
Gottes aber hat ihren Grund in der sittlichen Beschaffenheit des einzelnen
Menschen, (in a 13) Die dritte deterministisch klingende Stelle in BQm. 9,
vom TGpfer und Ton, bezieht sich in ihrem alttestamentlichen Zusammen-
hang auf die Prüfungsleiden der Menschen, (IIIal4) zumal Paulus die
Stelle anderwärts so verwertet, daß sie den freien Willen nicht aus-
sehließt Paulus will damit bloß den Hochmut bekämpfen. Wer die paulini-
sdien Gleichnisse preßt, gekngt zu unsinnigen Konsequenzen. (III a 15-16)
Andere ähnliche Stellen lassen eine analoge Auslegung zu. (Illal?) Es
folgt eine Gegenüberstellung von Stellen, die für und gegen den freien
Willen sprechen. Den Ausgleich findet man, nicht indem man die ersteren
Stdlen in monströser Exegese umdeutet, sondern indem man Gnade und
freien Willen miteinander verbindet.
Es folgt eine von der Assertionis Lutheranae confutatio John Fishers
stark abhängige') Besprechung der in der Assertio angeftlhrten Stellen,
die meistens die absolute Sündhaftigkeit des Menschen und die Alleinwirk-
samkeit der Gnade behaupten. (III b 1) Gen. 6, 3 redet bloß von der Nei-
gung des Menschen zur Sünde, bezieht sich nach der richtigen Lesart auf
Gottes Erbarmen und hat keine allgemeingültige Bedeutung. (lUb 2) Ähn-
lich reden Qen. 8, 21 und 6, 6 von der Neigung zur Sünde , zumal den
Menschen im gleichen Zusammenhang eine Bußfrist gewährt wird. (III b 8)
Jes. 40, 2 spielt auf die göttliche Vergeltung an und Böm. 5, 20 schließt
eine Vorbereitung des Menschen auf die Gnade nicht aus. (III b 4) Jes. 40^
6 ff. handelt vom materiellen Elend. Der Mensch ist nicht nur Fleisch,
sondern auch Geist. (III b 5) Jer. 10, 23 bezieht sich nicht auf den freien
Willen, schließt ihn jedenfiJls nicht aus. (Illb 6 — 7) Einige Stellen aus
den Sprüchen beweisen desgleichen nichts gegen den freien Willen. (III b 8)
In Joh. 15, 5 darf das Wort nihil nicht gepreßt werden. — Es folgt eine
Nachlese von Stellen, die den freien Willen auszuschließen scheinen, was
doch nicht der Fall ist. (III cl) So die Stelle Joh. 3, 27. Bei dieser Ge-
legenheit führt E. mehrere Beispiele an, die seine Ansicht illustrieren. (III c8)
Matth. 10, 20 benimmt die Schüchternheit, gilt nicht allen Menschen und
schließt die menschliche Mitwirkung nicht aus. (III c 3) Joh. 6, 44 beweist
nicht eine zwangweise Einwirkung Gottes auf den Menschen. (III c 4)
2. Kor. 3, 5 schreibt (jK)tt alles zu, weil er die Hauptsache leistet, und
spricht nicht einmal gegen die, die von natürlichen sittlichen Kräften des
') Es ist das Verdienst Zickendrahts, auf diese Abhängigkeit auf-
merksam gemacht zu haben.
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- XXII —
Menschen reden. (Hie 5) 1. Kor. 4, 7 und ähnliche Stellen benehmen dem
Menschen das Rühmen; (IIIc6) in Phil. 2, 13 bezieht sich das pro bona
Yolnntate auf den Menschen. (III c7j Überhaupt wird häufig von einem
Tun des Menschen geredet, bei dem Gott zwar die treibende, aber nicht
die alleinige Ursache ist. (III c 8) Gott will nicht, da£ der Mensch sich
der guten Tat rtthme, aber er selbst lobt den Menschen. (IIIc9— 10) Wie
die Gleichnisse und Hyperbeln der Schrift nicht geprefit werden dürfen, so
haben die angeführten Stellen den Zweck, vom Hochmut abzuhalten. (III c 11)
Es folgt eine Deutung von Luc. 15, 11 ff. (und yon Mark. 12, 41) im Sinne
des £. (incl2) Die Willensfreiheit ist eine göttliche Gabe, woraus folgt,
daß alles Gute im Menschen Gott zuzuschreiben ist, ohne daß darum doch
die Freiheit aufgehoben wäre, denn die Gnade zwingt nicht, sondern unter-
stützt. (Ulcl3) Es folgt ein zusammenfassender Schluß. (IV 1) E. sucht
nach einer Vermittlung der extremen Ansichten, die er auf verschiedene,
an sich berechtigte Tendenzen zurückführt. (172) Die gegnerische An-
sicht schließt zwar das Bühmen aus und ist insoweit auch anzuerkennen.
(lY 3) Aber die Leugnung der Willensfreiheit gefährdet den Glauben an die
sittliche Persönlichkeit des Menschen und an die Vergeltung. (IV 4) Frei-
lich hat sich der Mensch dem göttlichen Willen unterzuordnen; auch der
Gedanke ist erträglich, daß QoU seine eigenen guten Taten im Menschen
belohnt; daß aber Gott seine Übeltaten im Menschen straft, muß abgelehnt
werden. (IV 5) Das wird an einigen Beispielen illustriert. (IV 6) E. streift
anerkennend die Betonung des Glaubens durch die Gegner und berührt das
wechselseitige Verhältnis von Glauben und Liebe ; (IV 7) aber die Leugnung
der Willensfreiheit verleitet zu zahlreichen Irrtümern, ebenso wie die Be-
hauptung ihrer uneingeschränkten Geltung, wobei freilich die Ansicht des
Duns Scotus von E. verteidigt wird. (IV 8) Allerdings ist die Ansicht noch
plausibler, die Anfang und Ende des Heilsprozesses Gott zuschreibt, seine
Mitte zwischen Gott und Mensch teilt, doch so, daß auch hier die göttliche
Kausalität betont wird. (IV 9— 10) Das wird an Beispielen illustriert Es
folgt eine nochmalige Kritik (IV 11) der Ansicht Karlstadts und (IV 12)
derjenigen Luthers, für die freilich die Eeflexion auf Gottes keinem Ge-
setz unterworfenen Herrscherwillen spricht. (IV 13) Hier muß der Mensch
anbeten, statt zu forschen, was nur zu Paradoxieen führt, (IV 14) deren
einige charakterisiert werden. (IV 15) Zu solchen und anderen Übertrei-
bungen wurde Luther durch die Mißstände des kirchlichen Lebens verleitet.
(IV 16) Doch solche Übertreibungen verursachen bloß Zwistigkeiten und
sind auf dogmatischem Gebiet unzulässig; hier hilft nur die dogmatische
Mittellinie des E. (IV 17) Nach einer Zusammenfassung der Hauptgedanken
der Diatribe, fragt E., ob es billig sei, um der Paradoxieen Luthers willen
die gesunde Lehre der Kirche zu verlassen. Nach nochmaligem Hinweis
auf seine Milde und Bescheidenheit schließt E., indem er dem gegnerischen
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— xxin —
Pochen auf deu Geistesbesitz die Frage entgegenstellt, welchen G^ist denn
die Christenheit bisher besessen hat.')
§4.
Die dogmatischen Gedanken der Diatribe.
Um die Lehre des E. über Gnade und freien Willen zu verstehen,
ist festzuhalten, daß er seinen Ausgangspunkt im thomistischen Gottesbegriff
nimmt Während die Frage nach den sittlichen Kräften des gefallenen
Menschen seiner Ansicht nach so schwer zu lösen ist, daß er in der Ein-
leitung seine ganze Beredsamkeit aufbietet, um vor sicheren Behauptungen
hierüber zu warnen, steht es ihm andererseits fest, daß an der iustitia und
misericordia Gottes nicht gezweifelt werden dürfe. Jede Ansicht, die zu
einer Aufhebung oder Einschränkung dieser Eigenschaften Gottes führt,
muß abgelehnt werden (85, 21 ff.). Gott ist natura optimns (79, 22) und
sein Gericht ist ein gerechtes (42, 2 f.). E. weiß, daß hiergegen Einwände
erhoben werden: Wie kann der gerechte und gütige Gott es bewirken,
daß manche Menschen mit körperlichen und geistigen Defekten schlimmer
und schlimmster Art zur Welt kommen? Wer so fragt, möge bedenken,
daß auch das Mißgestaltete sich der Ordnung des Universums wohl einfügt
und daß das, was Gott tut, doch das beste ist (85, 25 ff.). Freilich darf
diese im letzten Grunde ausweichende Antwort nur dort gegeben werden,
wo des Menschen Denken an seiner Grenze angelangt ist. Liegt indessen
die Möglichkeit vor, Gottes Güte und Gerechtigkeit zu verstehen, dann ist
diese Auskunft abzulehnen. In der unsicheren Frage nach den sittlichen
Fähigkeiten des freien Willens dürfen wir uns keine Ansichten bilden, die
jene beiden konstitutiven Merkmale des Gottesbegriffes als zweifelhaft er-
scheinen lassen.
*) In der Bestimmung des Inhalts der Diatribe weiche ich von Zicken-
draht ab. Entsprechend seiner (p. X Anm. 4 beurteilten) Theorie über
die Entstehung der Diatribe unterscheidet er (p. 25 ff.) eine echt erasmische
Umrahmung (Einleitung und Schluß) von dem dem E. im letzten Grunde
aufgenötigten Hauptteü. In der Umrahmung zeige sich E. als Skeptiker,
der „den Glaubenslehren das Becht auf selbständige Herrschaft'' absprechen
wolle, im Hauptteil als Dogmatiker, der für den freien Willen eintrete.
— Allein sowohl in der Einleitung als auch im Schluß bekennt sich E.
mehrfach und ausdrücklich zum freien Willen; ja, der Schluß soU erst
seine eigene vermittelnde Meinung darlegen (vgl. P...77, Z. 3 ff. und
p. XXVf Anm. 2). Zickendraht bet(»nt die skeptischen Äußerungen des E.
zu stark. E. zieht das skeptische Register zwar des öfteren, aber an der
Aufrichtigkeit seines Glaubens an den freien Willen darf nicht gezweifelt
werden.
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— XXIV —
Der vernünftigen Kreatur tritt Qott nämlich nicht immer alB der
sonveräne Herrscher gegenüber, der seinen allmächtigen Willen ohne jede
Schranke dorchsetzt. Zwar liegt das äofiere Leben des Menschen völlig:
in Gottes Händen (54, 5 f.; 64, 23 ff.) und hier ist der Mensch seinem
Schopf er unterworfen, wie der Ton dem Töpfer (56, 14 ff.). Selbst der
Fall ist denkbar, daß Gott dem menschlichen Willen Gtewalt antat (66, 5ff.,\
indem er ihm einen anderen Willen einflößt, wie er Bileam znm Segnen
gezwungen hat (51, 23 ff.). Allein in diesen Fällen handelt es sich um
Wunder (51, 20f.) und somit um Ausnahmen. Hingegen hält Gott es für
angemessen, die Wirkungssphäre seines Willens dort, wo es sich um das
sittliche Wollen der vernünftigen Kreatur handelt, aus Eücksicht auf diese
einzuschränken (22, 10; 84, 17): es gibt einen (im Gesetz offenbarten)
göttlichen Willen, dem widerstanden werden kann (52, 1 ff.). Diesen Willen
nennt £. im Anschluß an Thomas^) die voluntas signi (52, 2).
Wie verhält sich nun Gottes Wille zu den Handlungen, die mit Über-
legung und freiem Entschluß ausgeführt werden ? £. stellt sich dieses Ver-
hältnis im Schema des Konkursus vor.*) Er meint mit Thomas, daß Gott
(resp. Christus, 67, 20 ff.) als die principalis causa in allen causae secun-
dariae wirke (53, 16 f.; 83, 4 ff.). Ebenso wirkt Gk>tt auch bei den auf
freiem Willensentschluß beruhenden Geschehnissen als causa principalis mit
(53, 16 f.). Lediglich die sittliche Bestimmtheit einer Handlung ist auf die
freie Kreatur zurückzuführen. So ist z. B. die Gremeinschaft zwischen
Mann und Weib in jedem Falle etwas Gutes und folglich in jedem Falle
von Gott gewirkt. Trägt diese Gemeinschaft indes ehebrecherischen Cha-
rakter, so ist diese ihre sündige Bestimmtheit auf den menschlichen Willen
zurückzuführen (53, 19 f.). E. muß nun aber diese seine Ansicht gegen
einen Einwand verteidigen, der sich aus der Eeflexion auf GottAs Allmacht
und Allwissenheit ergibt: Wenn Gott eine Handlung voraussieht, so folgt,
daß er auch will, daß sie geschieht; denn wollte er das nicht, so würde
er die Handlung kraft seiner Allmacht jederzeit verhindern können; also
ist auch jede sündige Handlung von Gott gewollt E. beantwortet diesen
Einwand, indem er das Vorherwissen und das Vorherbestimmen einer Hand-
lung voneinander scheidet. Sähe jemand ein Ereignis voraus, so bedeute
das noch nicht, daß er auf das Eintreten desselben einen Einfluß habe.
Der Astronom kündigt die Sonnenfinsternis an, ohne sie zu bewirken.
Allein das Unzulässige dieser Trennung von Vorherwissen und Vorher-
bestimmen in der Gotteslehre leuchtet auch dem E. ein: Nam aliquo modo
velit oportet, qui, quod praesdt futurum, tamen non impedit, cum ipsi sit
») Summa. I. qu. 19 art. 11, opp. ed. Rom. Bd. IV p. 249.
') So auch Eck in der Leipziger Disputation, ed. V. E. Löscher,
Vollst. Reformationsakta, Bd. III p. 313.
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— XXV —
in manu (49, 25 f.). Eier kann £. nur sagen, daß Gott die Sünde des
Menschen znläßt, nm ihn damit für früher begangene Sünden zn strafen
(50, 16 ff.). Aber es ist klar, daß damit das Problem nur verschoben wird.*)
Nachdem £. in dieser Weise das Verhältnis göttlicher Eansalität zu
kreatürlicher Freiheit von der Gotteslehre aus beleuchtet hat, versucht er
eine Abschätzung der sittlichen Kräfte des Menschen. Der Mensch ist von
Qott bei der Schöpfung mit Verstand und freiem Willen ausgerüstet worden.
Und zwar hat, wie E. mit deutlicher Ablehnung der skotistischen Theorie
vom Primat des Willens ausführt, der Verstand die dominierende Stellung
im menschlichen Seelenleben: der Verstand ist die Quelle des Willens (21,
10), aus ihm entspringt alles Böse und Gute (21, 4 f.). Der Verstand sagt
dem Menschen, was er zn erstreben und zu meiden habe, und der Wille
besitzt die Freiheit, d. h. die Fähigkeit, sich für das Gute oder das Böse
zu entscheiden. Wie steht es mit den Fähigkeiten des Willens nach
Adams Fall? £. geht behutsam vor: die Definition der Willensfreiheit,
die er an die Spitze seiner Ausführungen stellt (19, 7 ff.), ist mit Absicht
weit gefaßt: Die Freiheit ist diejenige Fähigkeit des menschliehen Willens,
kraft deren sich der Mensch dem, was zum ewigen Heile führt, anpassen
oder sich davon abwenden kann. An dieser Definition fällt auf, daß £.
von dem redet, was zum ewigen Heile führt Die Scholastik setzte
bei ihrer Erörterung der Frage nicht an dem Punkte ein, wie aus dem un-
seligen ein seliger Mensch wird, sondern bei der Frage, wie der ungerechte
Mensch zu einem gerechten wird. Indem E. seine Definition von vorn-
herein auf die Seligkeit des Menschen hinzielen läßt, erweckt er den An-
schein, als wolle er eine klare Stellungnahme zu den verschiedenen scho-
lastischen Theorien vermeiden. Daß dieser Eindruck richtig ist, hat er
selbst bestätigt: Utrique sententiae^) locum reliquit mea definitio, quod
neutram omnino refellam!^ E. hält sich zunächst an das allen Scho-
lastikem gemeinsam, an die Ansicht, daß auch der gefallene Mensch eine
gewisse Wahlfreiheit hat Er meinte das um so getroster tun zu können,
ak Luther ja jegliche Willensfreiheit geleugnet hatte. Man könnte diese
reservierte Stellung des E. zunächst in dem Sinne auffassen, als lehne £.
die scholastische Fragestellung überhaupt ab, und dieser Eindruck wird
verstärkt, wenn wir den Schriftbeweis des E. für den freien Willen (diese
') Den weiteren £inwand, daß die Schrift von einer Verstockung des
Menschen durch Gott rede, beantwortet £., indem er die Möglichkeit einer
VerStockung durch GK>tt ablehnt (47, 14 ff.): Gott gibt bloß Gelegenheit
zur VerStockung (47, 18). Doch redet E. auch von einer Verstocknng
als Strafe vorangegangener Sünden (53, 7 ff.; 66, 20 f.), also im eigent-
lichen Sinne.
S. darüber weiter unten.
Hyp. I, r6v; s7r.
?
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— XXVI —
Form des Beweises mußte er ans Bücksicht auf Luthers Schrift^rinzip
wählen) näher ins Auge fassen. Sachlich lassen sich die vielfach breiten
und Wiederholungen nicht vermeidenden Ausführungen des E. zu zwei
Hauptgruppen zusammenstellen: 1. Die Schrift lehrt, der Mensch sei eine
sittliche Persönlichkeit; 2. die Schrift lehrt eine jenseitige Vergeltung für
die guten und bösen Taten des Menschen. Was die erste Gedankengruppe
betrifft, so macht E. vor allem darauf aufmerksam, daß die Schrift ein
sittliches resp. unsittliches Handeln des Menschen selbst, nicht ein Handeln
Gottes im Menschen kennt. Dementsprechend spendet die Schrift den
Menschen Lob und Tadel für ihre Handlungen. Der Mensch kann sich
für das Gute oder das Böse entscheiden; noch mehr, die Entscheidung für
das Gute wird ihm leicht gemacht (36, 28), ja, selbst das Wollen von Gut
und Böse liegt in des Menschen Hand (44, 24 f.). Wäre das nicht der
Fall, so wäre jeder Versuch Gottes, durch Mahnung und Warnung, durch
Gebot und Drohung auf den menschlichen Willen einzuwirken, überflüssig
— und doch weiß die Schrift gerade von der diesbezüglichen Tätigkeit
Gottes auf Schritt und Tritt zu berichten. — Diesen Beweisen treten die
der Vergeltungslehre entnommenen an die Seite: ohne freien Willen und
ohne Kenntnis des Sittengesetzes würde die Sünde ihren Schuldcharakter,
die gute Tat ihren Verdienstcharakter einbüßen und Gott hätte kein Becht,
die Sünde mit ewiger Verdammnis zu strafen, die Tugend mit der Selig-
keit zu belohnen. *)
Man gewinnt aus diesen Ausführungen des E. den Eindruck, als lehre
er nicht nur eine „gewisse" Wahlfreiheit, sondern die volle Wahlfreiheit
auch des gefallenen Menschen. Allein schon die Beobachtung der Aus-
drucksweise des E. mahnt zur Vorsicht Wir finden nämlich in der Diatribe
eine Beihe von charakteristischen Abschwächungen des Ausdrucks: E. redet
von der voluntas aliquo modo libera (34, 6) und meint, das Halten der
Gebote läge ullo pacto in der Hand des Menschen (36, 20; 37, 13). Vor
allem aber hat E. so energisch als möglich und nicht etwa im Sinne des
Pelagius die Notwendigkeit der Gnade betont, die den Menschen zum Heile
führen solle. Luther hat dies Nebeneinander als Widerspruch empfunden,
und wir würden geneigt sein, ihm Becht zu geben und zum mindesten
eine doppelte Gedankenreihe bei E. annehmen, wenn nicht E. im Hyper-
aspistes fortwährend geltend machen würde'), daß er zunächst gar nicht
die Absicht gehabt hätte, seine Meinung über das Problem Gnade und
*) Auch folgender Gedanke findet sich: Da die Schrift von einer
Unterordnung des Geistes unter den Propheten redet, so darf auch nicht
angenommen werden, daß die Wirksamkeit der Gnade den freien Willen
außer Kraft setze (45, 2 ff.).
*) Hyp. II, 82 f., 84 ff., 116, 134, 141, 186 etc.
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— XXVII —
Freiheit darzulegen, sondern lediglich die Stellen zusammensuchen und auf
ihre Konseqnenzen prüfen wollte, die für den freien Willen sprächen, um
dann nach Untersuchung der entgegenstehenden Stellen eine sententia
media zu finden. Wenn E. in der Diatrihe auch die Stellen für den freien
Willen als solche hezeichnet, die nostra confirmant, und die Absicht aus-
spricht, die Stellen, die dagegen zu sprechen schienen, zu entkräften
(19, 7), so sucht er doch auch in der Diatrihe nach der sententia media.
Wir werden £. also nicht gerecht, wenn wir bei ihm einen optimistischen
Moralismus konstatieren wollten, wie etwa bei den englischen Deisten;
vielmehr steht E., wie noch zu zeigen sein wird, der Scholastik näher als
dem Deismus.
Vor allem weiß E. von einer Korruption der menschlichen Natur
durch die Sünde Adams. Der Intellekt des Menschen ist ebenso korrumpiert
wie sein Wille (21, 2 ff.). Der Wille ist nicht imstande, aus eigener Kraft
meliorem frugem zu schaffen, ja, er ist genötigt, der Sünde zu dienen
(21, 15 ff.). Mehrfach redet E. von der infirmitas naturae (61, 12; 76, 20 ff.),
die sogar als eine weitgehende beurteilt wird (90, 20) oder von der pro-
divitas ad malum (62, 5 f.; 61, 12).^) Diese Neigung des Menschen zur
Sünde ist «jedoch nicht unüberwindlich. Nicht alle Affekte des Menschen
sind fleischlich ; es gibt auch solche Affekte, die als Geist bezeichnet werden
und diese streben dem Guten entgegen (63, 14). Es sind im Menschen
semina quaedam honesti vorhanden, kraft deren der Mensch aliquo modo
das Gute erkennt und erstrebt (64, 13 ff.). Diese semina ftlhren den Menschen
zur natürlichen Gotteserkenntnis (23, 10 f.), sowie zur Fähigkeit, zwischen
Gut und Böse unterscheiden zu können, wie denn die Philosophen sittliche
Vorschriften hinterlassen haben, die denjenigen des Evangeliums analog
sind (23, 11 ff.). Sogar das ist möglich, daß die Philosophen ein gewisses
Vertrauen und eine gewisse Liebe zu Gott gehabt haben (27, 9 f.). Allein
das Tun des Guten beim Menschen hat nun eine sehr wesentliche Schranke :
es ist inefficax ad salutem aetemam (24, 1; 90, 30 f.); es bedarf der Gnade,
um seinen Werken die efficacia zu verleihen. Was bedeutet das?
Um die theologische Stellung des E. zu verstehen, müssen wir uns
vergegenwärtigen, wie die Scholastik der 2. Hälfte des Mittelalters über
das Problem der Erweckung und Bekehrung dachte. Einig war man sich
darüber, daß des Menschen Werke die Seligkeit nicht verdienen könnten;
') In der auffallenden Stelle 64, 16 ff. macht £. einen Unterschied
zwischen der voluntas huc aut illo versatilis und der proclivitas peccati.
E^rstere sei fortasse propensior ad malum. E. steht hier unter dem Ein-
fluß derjenigen psychologischen Theorie, die zwischen den guten spiritus
und die böse caro die neutrale anima einschiebt. Allein er bricht dieser
Theorie selbst die Spitze ab, indem er dann doch wieder eine Korruption
der ratio annimmt (63, 20), die er mit dem spiritus identifiziert (63, 14 f.).
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— XXVIU —
hierzu bedürfe es der Mitwirkung der gQttlichen Ghiade. Im einzelnen
hingegen differierten die Ansichten stark, nnd zwar mit Bezng auf zwei
Punkte: 1. anf die Fassung der Bekehmngsgnade (£. nennt sie die gratia.
cooperans oder gratum fadens) und 2. auf die Frage nach der der Be-
kehrungsgnade vorausgehenden Erweckung und der mit ihr eyentnell
zusammenhängenden Erweckungsgnade (bei E. : gratia operans, exstimnlans,
praeveniens, pecuüaris). Bezüglich des ersten Punktes hielt ein Teil der
Scholastiker daran fest, dafi der sittliche Zustand des Menschen auf wunder-
bare Weise durch die Eingiefiung der Gnade verändert werde: dem Menschen
wird der Glaube und die Liebe eingegossen und durch diese reale Ver-
änderung seines sittlichen Zustandes wird er zum Verdienen der Seligkeit
beföhigt. So dachten etwa Alexander von Haies, Thomas u. a. Anders-
artig waren die Gedanken des Duns Scotus. Wenn er auch aus Bücksicht
auf die Tradition an einer realen Änderung des Willens festhält, so schränkt
er diese doch stark ein: bloß die Richtung auf Gott werde dem Mensdien
durch die Gnade verliehen. Dadurch erteilt die bekehrende Gnade den
guten Werken die Geltung eines Verdienstes; bisher waren sie un-
wirksam, von jetzt ab sieht Gott sie als Verdienste an, denen die ErSnnng
mit dem ewigen Leben gebührt.^) •
Noch stärker gingen die Ansichten über die Erweckung ') auseinander.
Beginnen wir mit Scotus. Er leugnete eine spezielle Einwirkung der
Gnade anf den Sünder vor der Bekehrung; vielmehr könne der Mensch
dank der in ihm vorhandenen sittlichen Kräfte tun, was an ihm läge, und
könne, da Gott diese Bemühungen als verdienstlich ansähe, sich damit die
Bekehrungsgnade verdienen. Umgekehrt haben Thomas nnd Alexander
auch die Erweckung auf eine spezielle göttliche Einwirkung zurückgeführt
und darum von einer Erweckungsgnade geredet Aber nun gehen ihre
Anschauungen auseinander: während Thomas, der stark unter Augnstins
Einfluß steht, von Verdiensten des Erweckten nichts wissen will, behauptet
Alexander, daß die Erweckungsgnade den Menschen wenigstens zu unvoll-
kommenen Verdiensten befähige, mit denen er sich die bekehrende Gnade
verdienen kann.
Fragt man nun, in welcher Weise die Anschauungen des £. sich
^) Vgl. etwa noch G. Biel: Die gratia gratum faciens ist quaedam
forma animae a deo infusa^ qua anima formaliter reddltur deo cara et
grata, qua ordinatur ad vitam aetemam possidendam (lib. II dist. 26 qu.
unica, art. IB).
*) Die Bezeichnung der gratia gratis data als Erweckungsgnade, der
Satia gratum faciens als Bekehrungsgnade soll dem Studierenden die scho-
ttischen termini deutlicher machen. An sich ist es ja mißlich, metho-
distische Bezeichnungen auf die Scholastik zu Übertragen. Aber schließ-
lich ist hier wie dort das gleiche religiöse Phänomen in Frage.
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— XXIX —
diesen scholastischen Theorieo einfügen, so steht man einer schwierigen
Aufgabe gegenüber, schwierig nicht deswegen, als stände E. hier anf
prindpieU anderem Boden als die Scholastik, sondern deswegen, weil bei
£. die vorhin charakterisierten Ansichten so ziemlich allesamt zu finden
sind. Wir sahen, daß nach E. die guten Werke vor der Bekehrung die
Seligkeit nicht verdienen können. Durch die bekehrende Gnade erhalten
sie nun die efficacia (30, 16): das ist die skotistische Lehre. Andererseits
hilft die eingegossene (infundere, 29, 19) bekehrende Gnade durch Mit-
teilung von Glauben und Liebe dem Intellekt und dem Willen anf (24, 6 ff.)
— das ist die Anschauung des Thomas. Ebensowenig einheitlich sind die
Aussagen des E. über die Erweckungsgnade. Hierfür ist die zweifache
Verwertung der Comelinsgeschichte bezeichnend: Während das eine Mal
— gut skotistisch — Cornelius durch seine guten Werke die Gnade ver-
dient (51, 5 ff.), so wird anderwärts Cornelius als Beispiel eines Menschen
genannt, der adiutus auxilio dei sich auf die Gnade vorbereitet (62, 22 ff.).
Wenn £. an einer Stelle die Verteidigung der skotistischen Ansicht über-
nimmt,^) so behauptet er andererseits doch mehrfach die Existenz der
Erweckungsgnade (29, 16 ff.), die bei dem Bechtfertignngsprozeß die Initiative
hat (49, 10; 82, 25 f. u. anderwärts). Wenn er einerseits meint, die Er-
weckungsgnade würde allen Menschen zuteil (30, Iff.), Ja, selbst die Be-
kehmngsgnade kdnue von allen verdient werden (30, 10 ff.), so hält er es
doch andererseits für wahrscheinlich, daß nur die Getauften die Gnade
erlangen (15, 12 f.). Fragt man weiter, ob E. mit Alexander von Ver-
diensten auf Grund der Erweckungsgnade redet, oder dieselben mit Thomas
leugnet, so kann auch hier die Antwort zwiespältig ausfallen: einerseits
bereitet sich der Mensch durch opera moraliter bona anf die Bekehrungs-
gnade vor (29, 20 ff.), die diese Gnade verdienen (30, lOff.; 62, 28f.; 75, 29ff.),
andererseits bezeichnet E. nicht nur das, was er für die augustinische (30,
27) und die thomistische (Hyp. I, s5r) Ansicht hält, als probabel, sondern
er macht sich auch die diesem Gedankenkreis entstammende Forderung zu
eigen, der Mensch möge alles, was er hat und tut, Gotte zuschreiben (49,
12 ff.; 71, 6). Bei dieser schwankenden Stellung ist es schließlich kein
Wunder, daß das Urteil über die sittlichen Fähigkeiten des gefallenen
Menschen verschieden ausfällt. Man braucht nur etwa des E. Urteil über
die Sittlichkeit der Philosophen (s. o.) neben die Aussage zu stellen, daß
der menschliche Wille noch weniger vermag, als das Kind, das sein Vater
gehen lehrt: Dem freien Willen wird bei der Beschaffung des Heils mini-
') Nach einer Darstellung der skotistischen Lehre fährt E. fort: Hie
illos (a. h. die Gegner) ... sie placare possumus. ohne jedoch die Er-
weckungsgnade zu nennen, so daß die Sätze skotistisch interpretiert werden
können (82, 7 ff.).
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— XXX —
mnm zugeschrieben (84, 18 ff.; 68, 13); ja, es findet sich die Wendnng, der
Wille sei durch die Sünde ad honesta inefficax geworden (22, 14),
womit allem, was über die Philosophen gesagt ist, die Spitze abgebrochen
wird. Wenn endlich von der proclivitas zum Sündigen gesagt wird, sie
sei bei den meisten (sie!) Menschen vorhanden (62, 6), so finden wir auf
der anderen Seite die Behauptung, daß diese proclivitas von den Proto-
plasten auf alle übergegangen sei (22, 7 f.).
Läßt man die Diatribe im ganzen auf sich wirken, so wird man den
Eindruck gewinnen, daß E. den nach Alexander interpretierten thomistischen
Gedanken näher steht als den skotistischen. Allein wir dürfen uns nicht
dazu verleiten lassen, die skotistisch klingenden Stellen im Sinne der
thomistischen zu deuten. So nahe das zu liegen scheint, so schneidet uns
£. selbst diese Auskunft ab. Denn ebenso wie seine Definition des freien
Willens (s. o.) der skotistischen und der thomistischen Ansicht Raum läßt,
so hat er sich in dem Hyperaspistes (II p. 13) folgendermaßen über seinen
Standpunkt ausgesprochen: Deinde non desinit (sc. Lutherus) omnia referre
ad illam probabilem opinionem (d. h. die thomistische) , quasi solam illam
habeam in scopo. Id si fuisset, non dixissem probabilem, sed certam et
indubitatam. Oder : Haue seutentiam non dico solam esse tuendam reiectis
aliis, sed probabilem appello (II, 60). Über die skotistische Ansicht äußert
er sich: quam nee tueor, nee impugno (II, 61). E. ist also weit davon
entfernt die scholastische Gnadenlehre überwunden zu haben; über ein
Schwanken zwischen Thomas, Alexander und Duns Scotus ist er nicht
hinausgekommen.
Das merkwürdige ist nun, daß E. sich nicht nur sachlich, sondern
auch methodisch mit der Scholastik berührt Das ist selbstverständlich
nicht in dem Sinne gemeint, als verleugnete E. in der Diatribe seine per-
s(inliche und humanistische Eigenart. Auch in der Diatribe tritt er uns
entgegen als der auf einsamer Höhe thronende Gelehrte, der sich nur un-
gern in die Händel dieser Welt mengt, weil er ein „Feind von allem
Bohen" sei und weil er die echte wissenschaftliche Bescheidenheit besitze,
die nicht blindlings drauf los urteile, sondern in kühler, ruhiger Über-
legung die Schwierigkeiten des Problems erwäge, um „die Welt durch
Überredung leiten'^ zu können. Auch in der Diatribe tritt uns seine
humanistische Bildung entgegen : ist seine Exegese auch nicht immer vor-
urteilsfrei, namentlich dort, wo es sich um Stellen handelt, die ihm nicht
passen, so steht sie doch auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Er
macht manche treffende Bemerkung zu Exegese, Einleitung und Text-
kritik und zieht, wie nicht erst gesagt zu werden braucht, häufig den Ur-
text zu Rate. Seine Hochachtung vor der geistigen Überlegenheit der
alten Griechen und Lateiner kommt ebenso zum Aasdruck, wie seine Anti-
pathie gegen diejenigen, die auf Grund ihres angeblichen Geistesbesitzes
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- XXXI —
die Schwierigkeiten einer wissenschaftlichen Behandlung exegetischer und
dogmatischer Probleme nicht empfinden. Auch die Scholastiker bekommen
ab nnd an einen kleinen Hieb (8, 11 ; 53, 6).
Allein das Urteil des £. über die Scholastiker ist in der Diatribe
doch ein wesentlich günstigeres geworden, als ehedem (13, Iff.). In
mancher methodischen Frage steht er der Scholastik recht nahe. Ich
möchte zur Begründung dessen nicht etwa bloß anf die Disposition der
Diatribe hinweisen, die zuerst die für den freien Willen, dann die da-
gegen sprechenden Schriftstellen behandelt, um schließlich eine zwischen
beiden Extremen liegende Ansicht zur Geltung zu bringen. Vor allem
kommt des £. Stellung zu Schrift und kirchlicher Autorität in Frage. Die
Zeiten sind vorüber, wo E. in „demokratischer Begeisterung für die Laien-
religion'' seinem Glauben an die Verständlichkeit der Bibel auch für den
gemeinen Mann Ausdruck verlieh. Die Schrift ist dunkel; die Wahrheit
ist nichts fürs Volk. Die kirchliche Autorität gewinnt eine alles über-
ragende Stellung. Wenn E. darauf verzichtet, die Lehre der Väter und
Scholastiker über Gnade und Freiheit darzulegen, so hat das lediglich
darin seinen Grund, daß alles das auf den autoritätsfeindlichen Luther
keinen Eindruck machen wird. Der Leser hingegen möge den Gedanken
auf sich wirken lassen, wieviel der Konsens der Jahrhunderte gegenüber
dem privaten Urteil dieses oder jenes wöge. Vor allem aber spricht E.
den durch und durch reaktionären Satz aus, daß er sich den Ent-
scheidungen der Kirche füge, gleichviel ob er sie verstände oder nicht
(3, 18 ff.). Das ist genau der Standpunkt, wie ihn die Spätscholastik ver-
treten hat, für die der Grundsatz Geltung hatte, daß eine kirchliche Lehre
selbst dann akzeptiert werden müsse, wenn dem Theologen das Gegenteil
derselben feststände.^)
Zusammenfassend werden wir urteilen dürfen: Die Diatribe berech-
tigt uns, E. trotz aller seiner Kritik an Theologie und Kirche denjenigen
Humanisten zuzuzählen, welche den Übergang zur Gegenreformation
haben vorbereiten helfen. Der alte Gegoer der Scholastik hat den Boden
der scholastischen Theologie an entscheidenden Punkten doch nicht zu ver-
lassen vermocht.
Das führt uns schließlich auf die Frage : Welches Verständnis hat E.
*) Vgl. auch Zickendraht p. 63 f. Es ist hier nicht der Ort, die
interessante Frage zu behandeln, wieweit sich E. in seinen sonstigen
Schriften von der scholastischen Gedankenwelt beeinflußt zeigt Wenn
M. Schulze (Calvins Jenseitschrist. p. 17) die These aussprechen konnte,
daß E. über die Gnade als Quelle der sittlichen Kräfte nicht anders denke
als Calvin, so zeigt das jedenfalls, daß bei E. antisupranaturalistische
Tendenzen wenn überhaupt, so doch nur in beschränkten Maße anzu-
nehmen sind.
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— XXXII —
dem religiösen Detenninismns Luthers entgegengebracht? Wir haben uns
daran zu. erinnern, daß der feste Punkt, an dem £. einsetzt, sein Gottes-
begriff ist, daß hingegen seine Lehre über den sittlichen Znstand des
Menschen nach dem Fall schwankend ist. Von hier aus werden wir es
begreifen, daß £. Luthers Problemstellung ebenso beurteilt, wie die seinige.
Man beachte etwa die Art, wie E. in der Einleitung vor der Erörterung
der Fragen warnt, denen sich das reformatorische Christentum zugewandt
hatte: Da wird zuerst die Frage genannt, wie sich das Yorherwissen
Gottes zu den mit freiem Willen vollzogenen Taten verhält. Die Fragen,
inwieweit der freie Wille an der Beschaffung des Heils beteiligt ist und
ob es überhaupt einen freien Willen gibt, rangieren erst an zweiter und
dritter Stelle (7, Iff.). Anderwärts behauptet E. die Frage nach den
Gründen, weswegen das Halten der göttlichen Gebote dem Menschen un-
möglich sei, gehöre nicht in sein Thema (88, 14 ff.). Am bezeichnendsten
ist aber folgende Stelle: Die Lehre von der völligen Unfähigkeit des
menschlichen Willens zum Guten wird als Hilfsatz der These beurteilt,
daß Gott die von ihm im Menschen gewirkten bösen oder guten Taten
straft resp. belohnt (87, 12 ff.). M. a. W. E. glaubt, es handle sich beim
religiösen Determinismus Luthers in erster Linie um ein spekulatives
Problem der Gotttslehre, während gerade das für Luther charakteristisch
ist, daß er in der Unfähigkeit des Menschen zum Guten, also in der
Anthropologie seinen Ausgang nimmt. Die Folge dieser verkehrten Auf-
fassung ist die, daß E. den religiösen Interessen der Keformatoren ein
rechtes Verständnis nicht entgegenzubringen vermag. Der Glaube wird
kaum gestreift (Hl, 6 ff.), ja, eine Erörterung des Glaubensproblems direkt
abgelehnt (81, 18), und für die Heilsgewißheit hat E. gar kein Verständ-
nis. Einer der Gründe, weswegen er die Willensfreiheit behauptet, lautet :
ut excludatur securitas (90, 28 f.). — An anderen Stellen zeigt E. wieder
etwas mehr Verständnis für Luthers Position: er ist sich darüber im
klaren, daß Luthers Lehre vom unfreien Willen durch das falsche Ver-
trauen auf die Werke veranlaßt worden sei (88, 26 ff.), und er spricht
diesem Motiv die Berechtigung auch nicht ab. Allein, wenn E. seiner-
seits diese Schwierigkeit vermieden zu haben meint, so zeigt sich, wie
wenig tief er das Problem erfaßt hat. Er meint, zweierlei müßte jedes
Selbstvertrauen auf die Werke ausschließen: l. Die Beflexion darauf,
daß der freie Wille seine Fähigkeiten zum Guten von Gott habe (83,
9 ff.). Allein daraus, daß Gott dem freien Willen die Möglichkeit zum
Guten gegeben hat, folgt noch längst nicht, daß die Wirklichkeit des
Guten auf Gott zurückgeführt werden darf. Mit demselben Becht könnte
man die Sünde auf Gott zurückführen, da die Möglichkeit dazu desgleichen
von Gott stammt. 2. Aller Hochmut werde dadurch ausgeschlossen, daß
das Tun des Menschen im Vergleich zum Tun Gh)ttes bei der Beschaffung
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— xxxm —
des Heiles sehr gering (perpasiUnin) sei (83, 7 ff.). Allein das, was E.
perpasillum nennt, ist tatsächlich nicht etwas Geringes. Denn sehen wir
anch Ton seinen Ansfühnmgen über die Sittlichkeit der Philosophen ab,
so ist die Zuwendung zu. GK)ttes Gnade, die £. von dem freien Willen
verlangt, eine Änderung der Gesinnung, mithin gerade das, worauf es
in erster Linie ankommt. Die Theorie des E. ist somit nicht geeignet,
die arrogantia auszuschließen. Am bedenklichsten ist der Satz des E.:
Non enim vult deus, ut homo sibi quicquam tribuat, etiamsi quid esset,
quod merito posset sibi tribuere (72, 22 f.). Damit wird verlangt, daß
der Mensch sich als unfähig zum Guten beurteile, ohne daß er es tat-
sächlich wäre. Das Urteil des E. über Luther läuft somit schließlich auf
die unklare Formel hinaus, daß der religiöse Determinismus zwar als Mafi-
stab der Selbstbeurteilung, eventuell auch als Mittel bei der Tröstung des
Schftchtemen und bei der Zurechtweisung des Hochmütigen (89, 27 ff.)
brauchbar sei, nicht aber als dogmatische Theorie (89, 25 ff.; 90, 4 ff.).
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In nomine lesm^)
De libero arbitrio dtmQißri siye collatio^) per
Oesiderinm Erasmnm Boterodamum.')
lal. Inter difficultates, quae non paucae occommt in
divinis literis, vix ullus labyrinthos inexplicabilior quam de 6
libero arbitrio. Nam haec materia iam olim philosophorom,^)
deinde theologomm etiam, tum vetemm, tum recentium ingenia
mimm in modnm exercuit, sed maiore, sicut opinor, negotio
quam frnctn. Nuper antem renovata est per Carolstadiom et
Eccium,*) sed moderatiore conflictatione; mox autem vehementius lo
exagitata per Martinom Lutherum, coins exstat de libero
arbitrio assertio.^ Coi tametsi iam non ab uno responsnm
*) B: In — Jesu fehlt.
*) JuxT^tß^ = wissenschaftliche Unterredung; coUatio wird von Alt-
dorff Obersetzt: „tznsammenhaltong etlicher Spruche^. Es k()nnte in der
Tat scheinen, als sei zn coUatio (= Vergleichong) etwa scriptoranun zu
ergänzen; vgl. p. 18,80 n. 77,3. Besser jedoch: coUatio = Unterredung.
*) B: Desiderii Erasmi Boterodami.
^) Gemeint sind die Streitigkeiten der deterministisch denkenden
Stoiker mit den die Willensfreiheit behauptenden Epikuräem, Akademikern
and Peripatetikem.
') Vgl. den bekannten, in der Leipziger Disputation gipfelnden Streit
zwischen Eck und Earlstadt
^ E. nennt die Schrift Luthers: Assertio omnium articulorum
M. Lutheri per bnllam Leonis X novissimam damnatorum (Wittenberg
1520, W. A. Vn p. 91 ff.), anderwärts: assertiones (vgl. p. 46, ö). Das war
mOgUch, denn Luther hat in seiner Schrift seine 41 vom Papst verdammten
Sfttze in ebenso vielen Abschnitten aufs neue behauptet und begründet
Walter, De libero arbitrio. 1
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— 2 —
est,^) tarnen, quando ita visum est amicis,^ experiar et ipse,
nnm ex nostra qnoque conflictatinncnla veritas reddi possit
dilucidior.
I a 2. Hie seio qnosdam protinus obtnratis anribos recla-
5 maturos: *'^v(o jtotafi&vl^ £rasinus aadet cum Lnthero
^ congredi, hoc est cum elephanto musca? Ad qnos placandos,
si tantülum silentii licebit impetrare, nihil alind praefabor in
praesentia qnam id, qnod res est, me nnmqnam inrasse in
yerba Lntheri. Proinde nemini yideri debebat indignnm,
10 sicnbi palam dissentirem ab iUo, nimimm, nt nihil alind/)
homo ab homine;*) tantnm abest, nt nefas sit de illins aliqno
dogmate ambigere, mnlto minns, si qnis veritatis eliciendae
stndio moderata dispntatione cnm illo congrediatnr. Gerte
Lnthemm ipsnm non arbitror indigne latnmm, sicnbi qnis ab
15 ipso dissentiat, cnm ipse sibi permittat non solnm ab omninm
ecclesiae doctomm, vemm etiam ab omninm gymnasiornm,
I concUiomm, pontiflcnm decretis appellare;^) qnod cnm ipse
Ähnlich konnte er anch hier von einer assertio de libero arbitrio reden,
denn Lnther hat im 36. Abschnitt seiner Schrift vom freien WiUen ge-
handelt (W. A. 1. c. p. 142 ff.; vgl. auch Abschn. 31 u. 32, p. 136«.).
^) E. hat hierbei vor allem die Schrift des John Fisher, Bischof v.
Bochester : Confatatio assertionis Lntheranae (1523) im Auge ; ygl. Hyperasp.
n p. 528. Anch Cochläns hat gegen die Assertio geschrieben, sich hierbei
jedoch lediglich anf die Sakramentslehre beschränkt.
") Vgl. Hyperasp. I, a 4 yf : Ego tot emditis, tot ecclesiae prooeribns,
tot orbis monarchis efflagitantibns, qoibnsdam etiam cnm minis ezigentibas,
nt snmmis eloqnentiae viribus in te detonarem etc. Die Worte enthalten
keine Übertreibung; vgl. Einl. § 1.
•) Vg^. z. B. Ludan, psx^. SmL 6, 2 (Bibl. Teubner. 58, 1, p. 148),
von ärto TMTaftOv qbXv = stromaufwärts fließen. Der Sinn läßt sich etwa
wiedergeben durch die Wendung: „Der Lauf der Welt ändert sich!*'
*) Erg. etwa: proferam, dicam. Vgl denselben Ausdruck Erasm. ep.
ad Volrium, opp. III, 1, coL 838 D.
*) Edd.: homine, tantum.
^ Luthers offizieUe AppeUationen vom 28. Nov. 1518 und vom 17. Nov.
1520 waren AppeUationen vom Papst ans Konzil Wenn £. gleichwohl von
ab omninm conciliomm . . . decretis redet, so hatte er dazu ein sachliches
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- 3 —
palam et ingmue profiteatnr, mihi non debet apud illius
amices esse frandi, si repeto.^)
I a 3. Proinde, ne qnis banc pugnam interpretetnr, qaalis
solet esse inter commissos gladiatores, *) com onico illius
dogmate conflictabor, non in alind, nisi ut, si flei^i qneat, hac 6
collisione scriptnranun et argnmentorom fiat eyidentior veritas,
cains indagatio semper fait\bonestissimalstndio8is. Res sine
conviciis agetur, siye qnia sie magis decet Christianos, siye j
qnia sie eertias inyenitnr veritas, qnae saepennmero niminm
altercando amittitor. 10
I a 4. Eqnidem non ignorabam, quam non essem ad banc
appositns palaestram: certe yix alins quisquam minus exer-
citatus, ut qui semper arcano quodam naturae sensu abborruerim
a pugnis, eoque semper babui prius in liberioribus Musarum
campis ludere, quam ferro comminus congredi. Et adeo non 16
delector assertionibus,') ut facile in Scepticorum sententiam
pedibus discessurus sim, ubicumque per diyinarum scripturarum
inyiolabilem auetoritatem et ecclesiae decreta liceat, quibus
meum sensum ubique libens submitto, siye assequor, quod
praescribit, siye non assequor.^) Atque hoc ingojiium mihi K)
Recht, da Luther auf dem Wonnser Beichstage auch die Aatoritftt des
Konzils nicht unbedingt anerkannt hatte.
^) E. wiederholt selbstverständlich nicht die AppeUation vom Papst
resp. Tom Konzil, sondern weigert sich blofi, die unbedingte Autorität
Luthers in Glaubenssachen anzuerkennen. Erg. : et ab iUo dissentio nach ep.
660, opp. m, 1 col. 762 B.
*) Aufeinander gehetzte Gladiatoren, die nur stodten, um zu streiten,
und denen infolgedessen jede BlOfie, die der Gegner sich gibt, als Angrilb-
punkt willkommen ist E. hat höhere Ziele: er wiU die Erkenntnis der
y^ahrheit fördern.
") Dieser Satz richtet sich gegen den siegesgewissen Ton Luthers in
der Assertio, der schon in diesem Titel zum Ausdruck kommt
^) £. sucht diesen (übrigens keineswegs nur hier behaupteten, vgl.
Stichart, Er. y. Bott. p. 28; s. auch Hyp. II, p. 575) Satz später zu müdem,
indem er zwischen assequi und certum scire unterscheidet Ersteres be-
deute eine schwierige Sache ingenii Tiribus et naturaübus argumentis per-
!♦
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— 4 —
malo, quam quo yideo quosdam esse praeditos, ut impotenter
addicti sententiae niliil ferant, qaod ab ea discrepet, sed
quicquid legunt in scriptnris, detorquent ad assertionem
opinionis, cni se semel manciparonty sicnti iuyenes, qoi pnellam
5 amant immoderatius, qnocnmque se vertunt, imaginantnr se
videre, qnod amant; immo, ut, quod est similius^ conferam,
quemadmodum inter eos, inter quos incruduit pugna, quicquid
forte ad manum est, siye cantharus sit, sive discus, in telum
yertitur.^} Apud sie affectos, quod obsecro potest esse sincemm
10 iudicium? Aut quis ex huiusmodi disputationibus fructus, nisi
ut uterque ab altero consputus discedat? Semper autem emnt
quam plurimi tales, quales describit Petrus apostolus, in-
docti et instabiles, qui depravant scripturas ad
suam ipsorum perditionem.^
15 Ia5. Itaque quod ad sensum meum attinet, fateor de
libero arbitrio multa variaque tradi a veteribus, de quibus
nondum habeo certam persuasionem, nisi quod arbitror esse
aliquam liberi arbitrii vim. Legi quidem Martini Lutheri
assertionem, et integer legi, nisi quod illic favorem quendam
ao in iUum mihi sumpsi, non aliter, quam cognitor ') favere solet
gravato reo. Et quamquam ille rem omnibus praesidiis
magnoque spiritu versat agitque, mihi tamen, ut ingenue
fatear, nondum persuasit.
Ia6. Quod si quis vel ingenii tarditati vel imperitiae
26 velit ascribere, cum hoc non contendam, modo tardioribus
etiam permittant vel discendi gratia congredi cum his, quibus
dei donum uberius contigit, praesertim cum Luthems minimum
tribuat eruditioni, plurimum spiritui,^)qui nonnumquam instillat
dpere (Hyp. I, d 2 r). Seinen reaktionären Charakter verliert dieser Sats
dämm doch nicht
^) Stichelei gegen die manchmal gewaltsame Exegese Lnthera und
seiner Anhftnger.
«) 2. Petri 3 (16).
*) Cognitor hier wohl im Sinne Ton Untersnchnngsrichter.
*) Vgl. z. B. : Denn es mag niemant got noch gottes Wort recht Yor-
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qoaedam hamilioribns, quae ao<poZg illis negat. Haec ad iUos,
qni fortiter clamant Luthero plus esse eraditionis in minimo
digitnlo quam Erasmo in toto corpore,^) quod ego sane nunc
non refellam. Ab istis quamlibet iniqnis tarnen illad opinor
impetrabo, ut, si per me conceditnr in hac dispntatione Luthero, 6
ne quo pacto gravetur praeiudicio doctorum, conciliorum,
academiarum, pontificum et caesaris, ne meam causam
deteriorem faciat quorundam in iudicando temeritaa Etiamsi
yisus sum mihi, quod illic Lutherus tractat, percepisse, attamen
fieri potest, u^me mea fallat opinio, eoque disputatorem agam, 10
non iudicem/ inquisitorem, non dogmatistenyparatus a quo- J ^
cumque discere, si quid afferatur rectius aut compertius.
quamquam illud libenter persuaserim mediocribus ingenüs, in
huius generis quaestionibus non adeo pertinaciter contendere,
quae citius laedant Ghristianam concordiam, quam adiuyent 16
pietatem.
Ia7. Sunt enim in divinis literis adyta quaedam, in
quae deus noluit nos altius penetrare, et si penetrare conemur,
quo fnerimus altius ingressi, hoc magis ac magis caligamus,
quo vel sie agnosceremus et divinae sapientiae maiestatem 20
impervestigabilem et humanae mentis imbeciUitatem , quem-
admodum de specu quodam Coricio') narrat Pomponius
Mela,^ qui primum iucunda quadam amoenitate allectat ac
ducit ad se, donec altius atque altius ingressos tandem horror
quidam ac maiestas numinis illic inhabitantis submoveat. Huc 26
stehen, er habs denn on mittel von dem heyligen geyst. Niemant kannsz
aber Ton dem heiligenn geist habenn, er erfaresz, vorsachs und empfinds
denn, nnnd yn der selben erfamng leret der heylig geyst alsz ynn seiner
eygenen schale, außer wilcher wirt nichts geleret, denn nur sehein wort
unnd geschwetz. (Das Magniflkat yerdeutschet und ausgelegt 1521, W. A
VII p. 646.)
0 So Erasmus Alberus in seinem ludicium de Spongia Erasmi Boterod.,
8. Sdmorr v. Carolsfeld, Erasmus Alberus, Dresden 1898 p. 15.
") Hohle bei der südwestlich von Tarsus gelegenen Stadt Corycos in
Ciliden.
•) Pomponius Mela, de chorogr. 1. 1 c. 13 (Bibl. Teubner. 153 p. 17 f.).
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vX
— 6 —
igitor ubi yentnm erit, mea sententia coBsultias ac reUgiosiofi
etiam faerit damare cam Paulo: 0 altitado divitiaram
sapientiae et scientiae dei, quam incomprehen-
sibilia sunt iudicia eius et impervestigabiles
6yiae eiusl^) et cum Esaia: Quis audiyit spiritum
domini aut quis consiliarius eius fuit?^, quam
definire, quod humanae mentis excedit modum. Multa servautur
ei tempori, cum iam non videbimus per speculum et in
aenigmate, sed revelata facie domini gloriam contemplabimur.^)
10 I a 8. Ergo meo quidem iudicio, quod ad liberum arbitrium
attinet, quae didicimus e sacris literis : si in yia pietatis sumus,
ut alacriter proficiamus ad meliora relictorum obliti;^) si
peccatis inyoluti, ut totis yiribus enitamur, adeamus remedium
paenitentiae ac domini misericordiam modis omnibus ambiamiis,
15 sine qua nee yoluntas humana est efficax nee conatus; et si
quid mali est, nobis imputemus, si quid boni, totum ascribamus
diyinae benignitati, cui debemus et hoc ipsum, quod sumus;
ceterum, quicquid nobis accidit in hac yita siye laetum siye
triste, ad nostram salutem ab illo credamus immitti nee ulli
80 posse fieri iniuriam a deo natura iusto, etiamsi qua nobis
yidentur accidere indignis, nemini desperandum esse yeniam
a deo natura clementissimo: haec,^) inquam, teuere meo iudicio
satis erat ad Christianam pietatem nee erat irreligioBa
curiositate irrumpendum ad illa retrusa, ne dicam sup^-
') Kom. 11 (33). H fehlt: 11.
*) Es. 40 (13). H fehlt: 40.
•) (Vgl 1. Cor. 18, 12.) *) (Vgl PhiL 2, 13.)
') Bas haec nimmt das quae (Zeile 11) wieder anf, dessen Inhalt in
den dazwischen liegenden Sätzen dargelegt wnrde, wobei £. ttbrigens ans
der Konstruktion gefaUen ist. — Diese formnla Christianae mentis, die
nicht so schlicht ist, als es scheinen möchte, zumal sie die skotistbehe
Qnadenlehre enthält (s. EinL § 4), ist laut Hyp. I, d 7r blofi fOr die idiotae
berechnet, nicht für die Theologen. Die SteUe zeigt, wie das to& E.
empfohlene „Laienchristentum*' zu beurteilen ist Das was j^iseits der
formnla Christianae mentis liegt, lehnt £. nicht etwa an sich ab, sondern
er hält eine Behandlung desselben vor und von Laien für nnnOtig.
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— 7 —
vaeanefty an dens contingenter praesciat aliqnid,^) atnun nostra ^
yolüntas aliquid agat in his, quae pertinent ad aeternam
salatem^ an tantnm patiatnr ab agente gratia, ui qnicqnid
facimns sive boni sive mali, mera necessitate faeiamus vel
patiamnr potios. 5
I a 9. Sunt qaaedam, quae dens omnino volnit nobis esse
ignota, sicnt diem mortis et diem extremi indicii: Non est
vestrnm nosse tempora vel momenta, qnae pater
posnit in sna potestate, Actonun 1 (7), etMarci 13 (32):
De die antem illa vel hora nemo seit, neqneio
angeli in caelo neqne filins, nisi pater. Qnaedam
volnit nos ^ scmtari sie, nt ipsnm in mystico silentio yeneremnr.
Proinde mnlta snnt loca in diidinis yolnminibns, in qnibns
cnm mnlti divinarint, nnllus tamen ambignitatem plane resecnit,
velnt de distinctione personanun,^ de conglntinatione natnrae 16
divinaeethnmanae in Christo, de peccato nnmqnam remittendo>)
Qnaedam volnit nobis esse notissima, qnod genns snnt bene
vivendi praecepta. Videlicet: Hie est sermo dei, qni neqne
petendns est e snblimi conscenso caelo neqne e longinqno
importandns transmisso mari, sed prope adest in ore nostro 20
et in corde nostro.^) Haec omnibns ediscenda snnt, cetera
^) £. denkt im Anschlai} an Aristoteles beim kontingenten Qeschehen
nicht nur an das Geschehen, bei dem der casus nnd die fortona mit im
Spiele sind: Atqui haec vox (sc. contingens) longe alind declarat Aristoteli,
qni distingnit contingens, fortonam et casum; contingens enim opponit
necessario, fortnnam tribuit rebus animatis, casum inanimatis. Contingenter
igitur facimns non täntum, quod casu et imprudenter fadmus, verum illud
quoque, quod scientes ac volentes fadmus, sed quod in nostro arbitrio erat
non facere. Hyp. I, f 8 v. Die Frage, ob Gott etwas contingenter yoraus-
weifi, bezieht sich darauf, ob Gott Handlungen voraussieht, die mit Über-
legung und nach freier WiUensentschließung geschehen.
*) A: nos volnit.
*) Das trinitarische Problem.
«) (Vgl Mark. 3, 29.) Im Hyp. I,d4r beruft sich £. auf Augustin,
der diese Schwierigkeit nach Möglichkeit meidet und sein Urteil bescheiden
ausspricht Vgl. Sermo 71, §§ 8 u. 38 MsL 38, col. 449, 466.
») Deut. 30 (11—14); ad Bom. 10 (d-S); freies Zitat.
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^
~ 8 —
rectins deo committuntor et religiosius adorantnr incognita,
goam discntiuntiir impervestigabilia.^) Quot examina quae-
stionom vel contentionom potius nobis peperit personsyrom
distinctdo,') ratio principii,*) distinctio natiyitatis et pro-
5 cessionis?^) Qaas tnrbas concitavit in orbe digladiatio de
eonceptione ^£OT($xot; yirginis?'^) Qnaeso, quid bactenus bis
operosis quaestionibns profectnm est, nisi quod magno con-
cordiae dispendio minns amamns, dorn plus satis yolumns
Hapere? lam sunt qnaedam eins generis, nt etiamsi vera essent
10 et sciri possent, non expediret tarnen ea prostituere promiscois
axuribns •). Fortasse verum est, quod solent garrire sopbistae,
deum secundum naturam suam non minus esse in antro sca-
rabei, ne quid dicam obscoenius, quod istos tamen non pudet
dicere,^) quam in caelo; et tamen hoc inütiliter disputaretur
15 apud multitudinem. Et tres esse deos, ut vere dici possit
iuxta rationem dialectices, ^ certe apud multitudinem imperitam
magno cum oflendiculo diceretur. Si mihi constaret, quod secus
^) Mit diesem Grundsatz kann sich £. nicht in Gegensatz zu den
Eefonnatoren steUen, da auch diese eine Beschränkung des scholastischen
Stoffes verlangten. Freilich wird der Umkreis der impervestigahilia yon £.
anders gezogen als von Luther und Melanchthon.
*) 8. p. 7 Anm. 3.
') Vgl. Hyp. I, d 4 y : quaerimus ... an spiritus sanctus, cum procedat
ah utroque, ah uno prindpio procedat an a duohus. Batio = die Weise.
^) Die Frage nach dem Unterschied der Entstehung von Sohn
und Geist.
*) Der bekannte Streit zwischen Dominikanern und Franziskanern um
die unbefleckte Empföngnis der Maria.
^ Vgl Hyp. I, g 5 Y : Et in bis pono multa , quae tu nunc lingua
(Germanica prodis idiotis, veluti de libertate evangelica, quae suo loco
sobrieque praedicata fructu non carent: sie praedicata, quid fructus attule-
lint, yides.
^ Vgl. Hyp. I, g 4 T : Veluti cum quidam sophistae sie nugantur :
deus est ubique; hoc concesso inferunt: ergo est ibi, et nominant locnm,
quem ego prae verecundia non ausus sum nominare, et pono antrum sca-
rabei, tu suspicaris de doaca etc. Die sophistae sind die Scholastiker.
') So Eeter d^AiUi, quaest sup. libr. sententiarum, lib. I qu. 5 H.
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habet, banc confessionem , qua nunc atimnr,^) nee foisse in-
stitutam a Cbristo nee ab hominibus potnisse institoi et ob
hoc non exigendam a qnoqaam, item non reqniri satisfactionem
pro commissis, vererer tarnen eam opinionem publicare, quod
videam plerosque mortales mire propensos ad flagitia^ qnos 5
nunc ntcumque cohibet ant certe moderatnr confltendi ne-
cessitas. Sunt quidam corporum morbi, qui minore malo tele- ^
rantur, quam toUuntur, yeluti si quis in calido sanguine tm-
cidatorum infantum lavet, ut lepra careat.^ Ita sunt quidam
errores, quos minore pernicie dissimules, quam convellas. 10
Paulus novit discrimen inter ea, quae licent, et ea, quae
expediunt. Licet verum dicere, verum non expedit apud
quoslibet nee quovis tempore nee quovis modo.') Si mihi
constaret in synodo quippiam perperam fuisse constitutum
aut definitum, Uceret quidem verum proflteri, at non expediret, 16
ne malis praeberetur ansa contemnendi patrum auctoritatem
etiam in bis, quae pie sancteque statuissent, mallemque dicere
sie Ulis tum pro ratione temporum probabiliter visum fuisse,
quod tamen praesens utilitas suadeat abrogari.^)
I a 10. Fingamus igitur in aliquo sensu verum esse, quod 20
docuit Vuyclevus,*) Lutherus asseruit, quicquid fit a nobis, non ^
*) Anspielung auf Luthers Kritik am Baßsakrament, wie sie sich n. a.
auch in der Assertio findet (W.A. Vn, p. 112 ff.).
*) Vgl. zu diesem Aherglauhen z. B. den „Aräien Heinrich*' Hart-
manns von Aue.
*) Erasmische Umbiegung des paulinischen Gedankens 1. Cor. 6, 12.
^ Anspielung auf Luthers Kritik der Konzilien (z. B. Assertio
p. 134f.).
*) Ob E. Wiklifs Lehre aus anderen Quellen kennt, als aus Luthers
Assertio (p. 146), mag dahingestellt bleiben. Wenn das Constanzer Konzil
den Satz Wiklifs: Omnia de necessitate absoluta eveniunt (Mansi, coU.
conc. XXVII col. 688) verurteilt, so hat Wiklif aUerdings gelehrt, quod
omnia, qnae evenient, sit necessarium evenire (de dominio divino I cap.
XrV ed. Wydif Society p. llö), aber er hat es ausdrücklich abgelehnt, daß
Qott jemanden zum Sündigen nötige (ib. p. 117). Vgl. Lechler, John
Wiclif I p. 605«.
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— 10 —
libero arbitrio, sed mera neeessitate fieri, quid inatilinSi quam
hoc Paradoxon eyolgari muDdo? Bursom fingamos esse yerom
iuxta sensTun aliquem, quod alicabi scribit Aogustinas, deum
et bona et mala operari in nobis et sna bona opera remnne-
5 rari in nobis et sna mala opera ponire in nobis. ^) Qaantam
fenestram haec yulgo prodita vox innnmeris mortalibus apmret
ad impietatem, praesertim in tanta mortalinm tarditate, so-
cordia, malitia et ad omne impietatis genns irrevocabUi pro-
nitate? Qois infirmas snstinebit peipetnam ac laboriosam
10 pngnam adversos camem snam? Qois malus stndebit corrigere
yitam snam? Qnis indncere poterit animnm,^) nt deam illnm
amet ex toto corde, qni tartamm fecerit aetemis cmdatibns
feryentem, nt illic sna malefacta pnniat in miseris, qnasi
snppliciis hominnm delectetnr? Sic enim inteipretabnntnr
15 pleriqne. Sunt enim forme mortalinm ingenia crassa et car-
^ nalia, prona ad incrednlitatem, procliyia ad scelera^ propensa
ad blaspbemiam^ nt non sit opus oleum addere Camino^).
I a 11. Itaque Paulus tamquam prudens dispensator ser-
monis divini frequenter adhibita in consilium caritate mavult
1) Die nngenaae Form des Angusünzitates erschwert seine Veri-
fisdenmg. Sollte £. an einzelne Stellen aus dem „psendoaugastinischen*'
Traktat denken, dessen Widerlegung der liber praedestinatns sich Eum
Ziele gesetzt hat? Hier findet sich n. a. das Wort: . . . nobis ut quid im-
pingitis crimen ob hoc, quod dicimns praedestinasse deum homines sive ad iusti-
tiam sive ad peccatum? (Msl. 53, col. 623 A.). Im übrigen behauptet Augustin
zwar Gottes Mitwirkung bei der VoUbringung des Bösen (vgl. z. B. de praed.
sanct. 33, Msl. 44, col. 984: . . . ut autem peccando hoc yel hoc iUa malitia
faciant, non est in eorum potestate, sed dei dividentis tenebras et ordi-
nantis eas; oder de grat. et lib. arb. 43, Msl. 44, col. 909: His. . . testimo-
niis... manifestatur, operari deum in cordibus hominum ad indinandas
eorum voluntates quocumque yoluerit, sive ad bona pro sua miserioordia,
sive ad mahi pro meritis eorum), allein stets trägt nach Augusttn der
Mensch selbst die Verantwortung für seine Sttnde. Vgl. auch: ... non
deus coronat merita tua tamquam merita tua, sed tamquam dona sna, ib.
15, MfiL 44, col. 891.
*) Inducere animum = sich überwinden.
«) Vgl. Horat. serm. lib. II, 3, 321 ed. Teubn. 128, p. 229.
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id sequi, quod expedit proximo, qnam quod ex sese licet, ^)
et hal>et sapientiam, quam loqnitor inter perfectos, inter in-
firmos nihil iudicat se scire, nisi Jesom Cbristom, et hone
cracifixum. ^ Habet scriptnra sacra linguam soam semet ad
nostrnm sensom attemperans. niic enim irascitor deos, dolet, 6
indignatur, forit, comminatnr, odit, rursns miserescit, paenitet,
mutat sententiam, non quod hmusmodi mutationes cadant in
naturam dei, sed quod sie loqui conyeniebat infinnitati tardi-
tatique nostrae. Eadem prudentia decet illos opinor, qui
dispensandi sermonis divini partes susceperunt Quaedam ob lO
hoc ipsum noxia sunt, quod apta non sint, quemadmodum
vinum febricitantL Proinde tales materias fortassis tractare
licuerat in coUoquüs eruditorum aut etiam in scholis theolo-
gicis, quamquam ne hie quidem expedire putarim, ni sobrie ^y
fiat; ceterum hoc genus fabulas agere in theatro promiscuae 15
multitudinis mihi yidetur non solum inutile, verum etiam
pemiciosum. Malim igitur hoc esse persuasum in huiusmodi
labyrinthis non esse terendam aetatem aut Ingenium, quam
Lutheri dogma vel refeilere vel asserere. Haec verbosius
praefatus merito videar, nisi pene magis ad rem pertinerent, 20
quam ipsa disputatio. *}
Ibl. lam quando Lutherus non recipit auctoritatem
uUius scriptoris quantumyis approbati, sed tantum audit
scripturas canonicas, sanequam libens amplectar hoc laboris
compendium. Cum enim tum apud Graecos, tum apud La- 25
tinos innumeri sint, qui yel ex professo vel per occasionem
tractant de libero arbitrio, non mediocris negotii faerit ex
Omnibus coUigere, quid quisque pro libero arbitrio aut contra
liberum arbitrium dixerit, et in explicandis singulorum dic-
^) (Vgl 1. Cor. 6, 12.) •) (Vgl 1. Cor. 2, 1-6.)
^ Zwischen disputatio und lam findet sich bei Fr. X^ nnd X* ein
kleiner Abschnitt, der in H, A and B fehlt Lnther teilt die Einleitung
des E. desgleichen in zwei Abschnitte, von denen er den ersteren, der bis
hierher reicht, als praefatiOi den letzteren als prooemium bezeichnet (de
serro arb. W. A. 18, p. 638 Z. 14 u. 18).
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tomm sensibns aiit dilaendis confirmandisve illormn argn-
mentis prolixam ac molestam operam snmere, apud Luthenun
et hnins amicos^) etiam inanern,^) praesertim cum illi non
solom inter sese yarient,*) yemm etiam ipsi sibi non satis
5 constent aliqaoties. ^)
I b 2. Et tarnen iUud interim lectorem admonitmn TeUm,
si scriptnrae divinae testimoniis ac solidis rationibns videbirnnr^)
cnm Luthero paria facere, nt tum deniqne sibi ponat ob oculos
tarn nnmerosam seriem ernditissimorom Tirorom,^ qao6 in
10 hnnc nsqne diem tot saecnlomm consensns approbayit, quomm
plerosqne praeter admirabilem sacrarnm literamm peritiam
yitae quoqae pietas commendat; quidam etiam doctrinae Christi,
quam scriptis defenderant, sanguine sno testimoninm reddi-
demnt, quales sunt apud Graecos Origenes, Basilius, Oiry-
16 sostomus, Cyrillus, Joannes Damascenos, Theophylactus;')
apud Latinos Tertullianus, Cyprianus, Amobins, HUarius,
V
^) Bei den amici Luthers denkt £. vor allem an Karlstadt (ygL a,
p. 31 und anderwärts), yielleicht auch an Melanchthon, auf den er des-
gleichen gelegentlich Bezug nimmt (s. u. p. 64 Anm. 1).
') Gedankengang: Eine solche dogmatisch-historische Kleinarbeit wäre
überflüssig, nicht nur weil Luther und die Seinigen jede in katholischen
Kreisen geltende Autorität ablehnen, sondern auch weü ihre Unklarheit
sie die feinen dogmatischen Unterschiede nicht verstehen lassen würde.
*) £. meint hier den angeblichen Unterschied zwischen der Lehre
Karlstadts und Luthers, von denen der erstere die Freiheit des WiUens
wenigstens beim Sündigen festhalte, während der letztere sie überhaupt
leugne (vgl. u. p. 31; auch Hyp. n p. 12: altera est Carolstadä ... nee
tarnen is simplidter negat esse liberum arbitrium. Altera est Lutheri . . .
nullum prorsus esse liberum arbitrium).
^) Anspielung auf den vermeintlichen Selbstwiderspruch Luthers in
der Assertio 36. Zu Anfang hatte Luther im Anschluß an Augnstin die
Freiheit des Willens beim Sündigen behauptet (W. A. 7, p. 142 Z. 28), im
weiteren Verlauf der Erörterung dieselbe völlig ausgeschaltet (p. 146
Z. 5 f.). Daher die häufige Betonung des Selbstwiderspruches bei Luther
(Hyp. I, 1 1 V, s 6 r; Hyp. II p. 12, 414, 417; die beiden letzteren Steflen
sind besonders deutlich).
») A: videbitur. «) Vgl. p. 91.
^ Theophylakt von Achrida (11. Jahrb.).
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AmbrosiuSy Hieronymns, Augastinns, ne recenseam interim
Thomas, Scotos, Dnrandos, Capreolos, Gabrieles, Aegidios,
GregorioSy Alexandros,^) quornm in argamentando vim et ar-
gutiam non arbitror cniqaam esse prorsus contemnendam.
utque interim semoveam tot academiarom, conciliornm ac 5
sommomm pontiflcom anctoritatem. A temporibns apostolorom
ad hunc nsque diem nullus adhac scriptor exstitit, qui in ^
totnm toUeret vim liberi arbitrii, praeter nnom Manichaenm *)
et Joannem Vuyclevnm. Nam Laurentii Vallae, *) qni pro-
pemodum videtur cnm bis sentire, auctoritas non mnltum 10
habet apud theologos ponderis. Manichaei vero dogma, com
iam^) olim magno totins orbis consensu explosom sit et exsibi-
latnm, tarnen band scio, an minus inutile sit ad pietatem
quam Yayclevi. Hie enim bona malaqae opera refert ad duas
in homine natnras, sie tamen, nt opera bona debeamus deo 15
propter conditionem, et interim adversos potestatem tenebramm
relinqnit ^) cansas implorandi opem conditoris, qua provecti, ^
leyins peccamns et facilius operamur bonnm. "^ Vuyclevus
antem omnia referens ad meram necessitatem, quid relinquit
^) In der Aaswahl und Aufeinanderfolge der genannten Scholastiker
ist ein ordnendes Prinzip nicht zu erkennen. Dorandos von Sto Porciano
f 1334 war ein selbständiger, dem Okkam nahestehender, wenn anch nicht
von ihm beeinflnßter Theologe; Johannes Capreolns f 1444 war Thomist,
Gabriel Biel f 1495 Okkamist, Ägidins von Colonna f 1816 Thomist;
Gregor von Bimini f 1358 war neben Okkam ein Vertreter des Nominalis-
mns (wenn £. sich aof ihn als anf einen Verfechter der Luthers Theologie
entgegengesetzten Tendenzen beruft, so kann er das zwar mit einem ge-
wissen Schein tun [yg]. Denifle, Lutiier und Luthertum, Bd. I Mainz 1904,
p. 642f., 570 Anm. 1, 573 Anm. 4 und Loofs DG.^ p. 615 Anm. 3 zum
Sehlufi]; tatsächlich war Gregor Augustinianer und ist als solcher Ton Luther
hochgeschätzt worden, vgl. Stange, TheoL Aufs. p. 101 ff.). Alexander von
Haies f 1245 war der Begründer der mit aristotelischen Methoden arbeiten-
den Scholastik.
») S.u.
^ L. VaUa, de übertäte arbitrii dialogus, opp. ed. Basel 1545 p. 999 ff.
*) X«: tam. ») A: reliquit. •) X«: profectL
^ Vgl. Augustin: de haeres. 46 (Msl. 42, coL 38), contra Fortunatum
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Tel precibus nostris vel conatni? Igitiir, nt ad id, qnod insti-
tneram, reyertar: 8i lector yiderit meae dispntationis i^pa-
ratum ex aeqno pagnare com parte diyersa, tmn illnd secimi
expendat, ntmm plus tribnendom esse iadicet tot eraditoram,
5 tot orthodoxomm, tot sanctoram, tot martyram, tot yetemm
ac recentium theologomm, tot academiamm, tot concilionm^
tot episcopornm et summoram pontificam praeiadiciis aa
nnius ant alterius priyato iudicio.
Ib3. Non qnod, nt fit in bnmanis consessibns, ex nn-
10 mero snffragiomm ant ex dignitate dicentinm metiar senten-
tiam. Scio freqnenter nsn yenire, nt maior pars yincat me-
Uorem, scio non semper esse optima, qnae plnrimis probantnr,
scio nnmqnam defntnrnm in indagatione yeri, qnod snperiorom
adiciatnr indnstriae. Fateor par esse, nt sola diyinae scriptorae
15 anctoritas snperet omnia mortalinm omninm snffi*agia. Vemm
bic de scriptnris non est controyersia. ütraqne pars eandem
scriptnram amplectitnr ac yeneratnr. De sensn scriptnrae
pngna est. In cnins interpretatione si qnid tribnitnr ingenio
et emditioni, qnid Graecornm ingeniis acntins ant perspi-
20 cacins? Qnid in literis sacris exercitatins? Nee Latinis
deftait ingeninm nee literamm sacramm peritia, qni si natnrae
felicitate cessemnt Graecis, certe monnmentis illomm adinti
potnemnt Graecornm indnstriam aeqnare. Qnod si in hoc
indicio magis spectatnr yitae sanctimonia qnam emditio, yides,
26 qnales yiros habeat haec pars, qnae statnit libemm arbitrinm.
Facessat odiosa, qnod ainnt inreconsnlti,^) comparatio ^). NoUm
enim qnosdam istos noyi eyangelii praecones cnm yeteribns
Ulis conferre.
Ib4. Hie andio: Qnid opns est interprete, nbi dilndda
30 est scriptnra? Si tarn dilncida est, cnr tot saecnlis yiri tsm
excellentes hie caecntiemnt, idqne in re tanti momenti, nt
17. 20 (ib. col. 119 und 120f.), confess. VII, 2 (MsL 82, coL 784); Chry-
sostomiui in Joannem homil. 46 (Mag. 69, col. 267 f.).
') X': (qnod ainnt inreconnilti).
*) odiosa comparatio »= b^^swiUige Vergleichnng.
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isti Yolant videri?^) Si scriptnra nihil habet caliginis, quid
opus erat apostolomm temporibus prophetia? Hoc erat donnm
si^ritns. Sed band scio, an quemadmodum sanationes et lin^ae
cessamnt, ita cessarit et hoc Charisma. . Quod si non cessayit,
qnaerendnm est, in qnos deriyatnm sit. Si in qnoslibet, incerta 6
erit omnis interpretatio. Si in nnllos, com et hodie tot obscori-
tates *) torqneant doctos, nnlla erit interpretatio certa. Si in
eos, qni snccessenint in locum apostolomm, reclamabunt mnltis
iam saecnlis mnltos snccedere in locum apostolorum, qui nihil
habent spiritus apostolici. Et tarnen de Ulis, si cetera paria 10
sint,*) probabilius praesumitur, quod deus bis infundit spiritnm,
quibus tribuit ordinem, quemadmodum verisimilius credimus
baptizato datam gratiam, quam non baptizato.
I b 5. Sed donemus, sicuti re yera donandum est, fieri
posse, ut unicuipiam humili et idiotae revelet spiritus, quod 15
multis eruditis non revelavit, quandoquidem hoc nomine Christus
gratias agit patri, quod quae celasset sapientes et prudentes,
hoc est scribas, pharisaeos et philosophos, revelasset nj/r/oe^,
hoc est simplicibus^) et iuxta mundum stultis.^) £t fortasse
talis stultus fuit Dominicus, talis Franciscus, si licuisset Ulis 20
suum sequi spiritum. Sed si Paulus suo saeculo, quo vigebat
donum hoc spiritus, iubet probari spiritus, an ex deo sint,*)
quid oportet fieri hoc saeculo camali? Unde igitur explora-
') D. h. wie jene (Luther und seine Freunde) woUen, dafi man es an-
sehen soUe.
*) X*: tot ob obscnritates.
*) A: snnt Der Sinn ist folgender: yoransg^esetzt, dafi die, welche
anfier den Amtsträgem auf den GeistesbesitE Ansprach erheben, sich nicht
doreh anfierordentliche Taten legitimieren können; Tgl p. 16 f.
*) (Vgl. Matth. 11, 26.) ») (Vgl. 1. Cor. 1, 27.)
^ Der Wortlaut der SteUe findet sich 1. Jo. 4, 1. Altdorfl hat diesen
Fehler bemerkt nnd dementsprechend Johannes fttr Panlns eingesetet Die
Editionen dmcken den Fehler sämtlich ab, so dafi die Annahme einer
BeTidon der Zitate durch einen Korrektor (Tgl. Einl. § 2) nicht gat mög-
lich ist Eine sachliche ParaUele zn 1. Jo. 4, 1 bei Panlns findet nch
etwa 1. Cor. 12, 3.
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- 16 —
bimus Spiritus? Ex ernditione? Utrirnqne rabini sunt Ex
vita? Utrimqxie peccatores. In altera totns sanctorum choms,
qui statuunt liberom arbitrium. Veram ainnt: Sed bomines
erant. At ego iam bomines confero com bominibns, non
6 bomines com deo.^) Audio: Quid multitudo facit ad sensum
Spiritus? Bespondeo: Quid facit paucitas? Audio: Quid
facit mitra ad intellectum scripturae divinae? Bespondeo:
Quid facit sagum aut cuculla?') Audio: Quid facit cognitio
pbilosophiae ad cognitionem sacrarum literarum? Bespondeo:
10 Quid facit inscitia? Audio: Quid facit ad intellectum scrip-
turae congregata synodus, in qua fieri potest, ut nuUus babeat
spiritum? Bespondeo: Quid faciunt conventicula privata
paucorum, in quibus yerisimilius est neminem esse, qui babeat
spiritum?
16 Ib6. Paulus clamat: An experimentum quaeritis
inbabitantisin me Cbristi?*) Non credebatur apostolis,
nisi miracula fidem astruxissent doctrinae; nunc quilibet sibi
postulat credi, quod affirmet se habere spiritum evangelicum.
Apostoli quoniam excutiebant viperas, sanabant aegrotos, ex-
20 citabant mortuos, imposita manu dabant donum linguarnm,
') Ironisch ; die Gkgner sollen sich bei ihrem Pochen auf den Geistes-
besitz nicht einbilden, sie hätten gSttliche YollkommeDheit erreicht.
') Da aUe mit Bespondeo eingeleiteten Fragesätze die Gegner des
Erasmns charakterisieren, so entsteht die Frage, was sagnm (grober um-
wnrf) und cucnlla (Kapuze), d. h. die Abzeichen des Mönches in diesem
Zusammenhang bedeuten sollen. Da Luther seine Ordenstracht bis zum
9. Okt. 1524 wenigstens in der Öffentlichkeit getragen hat, so liegt die
Annahme einer Anspielung auf Luther nahe. Freilich erklärt E. p. 17
Z. 7 f. Luther nicht gemeint zu haben (ähnlich Hyp. I k 5 y, II 429; I a 5 v
sagt £., er hätte bloß über Luthers persönliche Sittlichkeit nichts aussagen
wollen). Ein solcher Selbstwiderspruch ist bei £. nicht unmöglich. Will
man einen solchen nicht annehmen, so bleibt die SteUe dunkeL An die
schweizerischen Täufer zu denken, die ihre weltflüchtige SteUung durch
«ine besondere Tracht zu markieren suchten, geBt deswegen nicht an,
weil sie statt der cuculla breite Hüte trugen und dementsprechend als
^Mönche ohne Kappen" bezeichnet wurden.
•) 2. Cor. 13 (8).
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— 17 —
ita demum creditum est et vix creditum est illis paradoxa
docentibTis. Nimc cum ioxta communem opinionem afferant
pene Tta^ado^öts^a,^) nullus illorum adhuc exstitit, qui vel
equam claudum sanare potuerit. Atqae ntinam quidam absqae
miraculis praestarent sinceritatem ac simplicitatem morum 5
apostolicorum, qui nobis tardiusculis essent miraculorum vice!
I b 7. Non haec proprie dixerim in Lutherum, quem de
facie non novi, ac scripta hominis legens varie afBcior, verum
in alios quosdam mihi propius notos,') qui, si quid controversiae
incidit de sensu scripturae, nobis veterum orthodoxorum inter- 10
pretationem afferentibus statim occinunt: Homines erant.
Rogantibus, quonam argumento sein possit, quae sit vera
interpretatio scripturae, cum utrimque sint homines, respon-
dent: Indicio Spiritus. Si roges, cur illis, quorum aliquot
etiam miraculis editis inclaruere mundo, defaerit Spiritus potius 15
quam ipsis, sie respondent, quasi mille trecentis annis nullum
fuerit evangelium in mundo. Si requiras ab illis vitam spiritu
dignam, respondent se fide iustos esse, non operibus. Si re-
quiras miracula, dicunt iam olim cessasse nee opus esse iam
in tanta luce scripturarum. Hie si neges hac in parte esse 20
dilucidam scripturam, in qua tot surami viri caligarint, cir-
culus ad Caput redierit.
Ib8. Iam ut demus eum, qui spiritum habet, certum
esse de sensu scripturae, quomodo mihi constabit, quod ille
sibi sumit? Quid faciam, ubi multi diverses sensus afferunt, 25
quorum unusquisque se iurat habere spiritum? Ad haec, cum
Spiritus non iisdem suggerat omnia, labi fallique potest alicubi
etiam is, qui habet spiritum. Haec adversus illos, qui tam
facile reiciunt veterum interpretationem in sacris libris ac
suam nobis sie opponunt, velut ex oraculo proditam. Post- ä)
*) Seine Heidelberger Thesen hatte Lnther als theologica paradoxa
bezeichnet (ed. Stange, QneUenschr. z. Gesch. d. Prot I p. 52).
*) £. spielt im folgenden auf eine Unterredung an, die er laut Hyp.
I, m2y mit einer Ton ihm nicht genannten Persdnlichkeit gehabt hat.
Vielleicht ist Farel gemeint (opp. m, 1, col. 882 B; vgl. Zickendraht p. 25).
Walter, De libero arbitrio. 2
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remo, ut demus Christi spiritom passaram foisse populum
snnm erraxe in leyioribus, unde non magnopere pendet hominum
Salus, qni credi pbtest illum annis plus mille trecentis dissi-
mulasse errorem ecclesiae suae nee ex tot sanctissimis viris
5 dignum habuisse quemquam, cui hoc inspiraret, quod isti con-
tendunt esse totius evangelicae doctrinae caput?
I b 9. Verum hie, ut aliquando finiam, quid alii sibi arrogent,
ipsi viderint; ego mihi nee doctrinam arrogo nee sanctimoniam
nee fldo spiritui meo, simpliei tarnen sedulitate proferam in
10 medium , quae movent animum meum. Si quis doeere eo-
nabitur, seiens non reluctabor veritati. Sin civiliter et absque
conviciis eonferenti verius quam disputanti malint maledicere,
quis non desiderabit in eis spiritum eyangelieum, quem semper
habent in ore? Paulus elamat: Infirmum in fide sus-
16 eipite.^) Et Christus linum^) fumigans non exstinguit^) Et
Petrus apostolus: Sitis, inquit, semper parati ad satis-
faeiendum omnibus postulantibus a vobis ratio-
nem de ea, quae in yobis est spe, eum mansuetu-
dine et reverentia.*) Quod si respondebunt Erasmum
20 velut utrem vetulum non esse eapaeem musti Spiritus,*) quod
ipsi propinant orbi, si sibi tantopere fldunt, saltem eo loco
nos habeant, quo Christus habuit Nieodemum, apostoli Gama-
lielem. Blum lieet erassum, sed diseendi avidum non repulit
dominus, hune suspendentem sententiam, donec exitus rel
26 doeeret, quo spiritu gereretur, discipuli non sunt aspematL
I b 10. Absolvi dimidium huius libri, in quo si persuadeo^
quod proposui, satius esse de rebus huiusmodi non eontendere
superstitiosius, praesertim apud vulgum, nihil opus est argu*
mentatione, ad quam nune aeeingor optans, ut superet ubique
30 veritas, quae fortassis ex coUatione seripturarum velut ignis
') Eom. 14 (1).
<) Fr. B: Christas: Linum. A: Christas Linam. H: Christas; Li-
nam. X': Christas. Linom.
') Esa. 42 (3). Mat. 12 (20). *) 1. Petri 3 (16 f.). X»: 2. Pet 3.
») (Vgl. Matth. 9, 17.)
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— 19 —
ex Gollisione sUicTim emicabit Pk*incipio negari non potest
is sacris literis plnrima esse loca, quae plane statuere videntur
libemm hominis arbitrium, mrsns in iisdem esse nonnolla, qnae u^
videntur in totom tollere. Constat antem scriptnram secnm
pngnare non posse, cum ab eodem spiritu tota proficiscatur. Prins 6
igitur recensebimus ea, quae nostra confirmant, mox ea, qnae
ex adverso stare videntur, diluere conabimnr. Porro liberum ^
arbitrium hoc loco sentimus yim humanae voluntatis, qua se
possit homo applicare ad ea, quae perducunt ad aeternam
salutem, aut ab iisdem avertere.^) 10
Hai,. Ab his,*) qui statuunt liberum arbitrium, illud in
primis proferri solet, quod legitur in libro, cui titulus Eccle-
siasticus sive sapientia") Sirach, cap. 15 (14—18): Dens ab
initio constituit hominem et reliquit illum in
manu consilii sui. Adiecit mandataet praeceptal5
sua: Si volueris mandata conservare, conser-
yabunt te, et in perpetuum fidem placitam ser-
yare. Apposuit^) tibi aquam et ignem, ad quod
Yolueris, porrige manum tuam. Ante hominem
vita et mors, bonum et malum, quod placuerit ei, 80
dabitur illi. Non puto quemquam excepturum hie adversus
auctoritatem huius operis, quod, ut indicat Hieronymus,*) olim
apud Hebraeos non habitum sit in canone, cum ecdesia Christi
magno consensu receperit in suum canonem;^ neque causam
Video, cur Hebraei librum hunc a suo canone iudicarint excluden- 26
') A. am Bande: Quid sit libernm arbitrium.
») Vgl. Origenes, comm. in ep. ad Eom. I, 18 Mag. 14, col. 866 C;
Aognstin, de lib. arb. et grat., cap. 11, 3 Msl. 44 col. 888; so auch Eck in
der Leipziger Dispntation, ed. V. E. Löseber, Vollst. Reformations-Akta
Bd. III p. 294.
') A: sapientiae. *) X': Apposni.
*) Vg^. Prologns galeatas zu den Bttchem Samnel. nnd Kön. (Md. 28,
col. 601 f.) nnd praef. in Hbros Salomonis (Msl. 28, col. 1307 f.).
•) Docb hat es anch im Mittelalter nicht wenige gegeben, die sich
liierin von Hieronymns beeinflussen ließen, vgl. De Wette-Schrader, Lehrb.
d. hist-krit. Einl. 8. Anfl. p. 65.
2*
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— 20 —
dum, com parabolas Solomonis et canticum amatorinm receperint
Etenim quod daos posteriores libros Esdrae, historiam apud
Danielem de Zusanna ac Belo dracone, ladith, Bester ^) aliaque
nonnoUa non receperant in canonem, sed inter hagiographa name-
5 rarint, qnid illos moverit, facile divinat, qoi libros eos attentius
legerit. Ceterum in hoc opere tale nihil obstrepit lectorL
na 2. Hie itaqne locus dedarat Adam, nostri generis
principem, sie foisse conditum, ut rationem haberet incormptam,
qnae dinosceret, quid expetendum, quid fagiendom; sed
10 addita est voluntas , incorrupta qnidem et illa, sed libera
^ tarnen, ut, si vellet, posset sese a bono avertere et ad malum
deflectere. Eodem in statu conditi sunt angeli, priusquam
Lucifer cum suis sodalibus deficeret a conditore suo. In bis,
qui collapsi sunt, sie penitus corrupta est voluntas, ut sese
15 non possint ad meliora recipere; in bis, qui perstiterunt, sie
est confirmata bona voluntas, ut iam ne possit quidem sese
ad impietatem deflectere. In homine sie erat recta liberaque
voluntas, ut absque nova gratia potuerit in innocentia perse-
verare, sie tarnen, ut absque praesidio novae gratiae non
20 potuerit assequi felicitatem immortalis vitae, quam suis polli-
citus est dominus lesus.') Haec tametsi non possunt omnia
^) Die Eanonizität des Bnches Ester ist innerhalb des Judentums,
soviel wir wissen, nicht im Ernst bestritten worden (vgl RE.* IX p. 753).
Wohl aber fehlt es in der Aufzählung Melitos (Euseb. bist ecd. IV, 26, 14
ed. min. Schwartz p. 164); auch Atbanasius rechnet es im 39. Festbrief
(Preuschen, Analekta p. 146) zu den zwar empfohlenen, aber nicht kanoni-
sierten Schriften. Hiervon mag E. Kenntnis gehabt haben. Doch ist zu
beachten, daß E. im Hyperaspistes (I,t7vf) behauptet, das Buch Ester
befände sich im hebräischen Kanon. Es kann sich also an unserer Stelle
um einen Gedächtnisfehler des E. handeln.
*) Für Augustin bedeutete das göttliche adiutorium im ürstande nicht
bloß ein Mittel zur Erreichung der Unsterblichkeit, sondern die gute Tat
blieb ohne den Hinzutritt der Gnade unvollkommen (vgl. de grat. et lib.
arb. cap. XI § 31, MsL 44 col. 355). Auch Thomas und andere Scholastiker
steUen es in Abrede, daß der Mensch im Ürstande ohne die Gnade das
bonum superexcedens zu tun im stände sei (s. Loofs DG.* p. 549). Erst
Duns Scotus lehrte, daß der Mensch vor dem FaUe aus bloßen Natnrkräften
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apertis scriptararom testimoniis convinci, tarnen a patribns
orthodoxis ^) non improbabiliter disserta sunt. Cetemm in
Eva non solom yolnntas cormpta videtor, yeram etiam ratio
siye intellectus, nnde scatent fontes omninm bonorum ac
malorum. Yidetur enim Uli persuasisse serpens yanas fuisse 6
minas, quibus interdixerat dominus, ne quid contingerent de
ligno yitae.*) In Adam magis yidetur cormpta yoluntas ob v^
immodicum quendam amorem erga sponsam suam, cuius animo
maluit indulgere quam praecepto dei,^ quamquam et in hoc
arbitror corruptam fuisse rationem, ex qua nascitur yoluntas. 10
n a 3. Ea yis animi, qua iudicamus, quam non refert,
siye voCv, id est mentem aut intellectum, siye Xöyov^ idest
rationem dicere malis, per peccatum obscurata est, non ex-
stincta, yoluntas, qua eligimus aut refugimus, hactenus depra-
yata fuit, ut suis naturalibus praesidiis non posset sese 16
reyocare ad meliorem frugem, sed amissa übertäte cogebatur
seryire peccato, cui se yolens semel addixerat. Sed per dei
gi'atiam condonato peccato hactenus facta est libera, ut^)
iuxta sententiam Pelagianorum ^) absque praesidio noyae
Gott über alles lieben könne (op. Oxon. lib. III dist. 27 qn. onica n. 21)
und dafi die hinzutretende Gnade die Bedentang habe, daß das an sich
gfate Werk Terdienstlich wird nnd einen Ansprach aof ewigen Lohn erwirbt
(s. Seeberg, Dons Scotns p. 217). Wir haben hier also bei E. skotistische
Einflüsse zu konstatieren. Möglich ist anch, daß E. sich hier an John
Fisher anschließt (assertionis Lntheranae confatatio p. 548).
^) Es ist kaam anzanehmen, daß £. ein Interesse hat, sich für die
von ihm dargelegte kirchliche Angelologie auf die patres orthodoxi zu be-
ruf en. Meint er, wie wahrscheinlich ist, seine Lehre vom Urständ, so er-
gibt die vorige Anmerkung, wer die patres orthodoxi sind.
*) Das Verbot bezog sich auf den Genuß vom Baum der Erkenntnis
des Guten und B6sen.
*) Ähnlich Duns Scotus, op. Oxon. II dist. 21 qu. 2 n. 2 (vgl. See-
berg, p. 216).
*) X«: libera et.
^) Luther wirft dem E. vor, er mache Pelagium pene evangelicum
(d. serv. arb. W. A. 18, p. 666 f.). In der Tat ist die Darstellung der pela-
gianischen Lehre bei E. verfehlt, was sich schon daraus ergibt, daß E. die
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gratiae posset adipisci vitam aetemam, sie tarnen, nt salatem
snam deo ferret acceptam, qui et condidit et restituit libemm
arbitrinm, secandnm orthodoxos sie posset ope diyinae gratiae
semper adinvantis conatum hominis perseverare in recto stata,
5 nt tarnen non eareret proclivitate ad malnm ex semel inoliti
peccati vestigüs. Quemadmodom antem progenitomm peccatnm
^^ in posteros derivatom est, ita et ad peccandom procÜFitas
transiit in omnes, quam gratia peccatum abolens hact^ins
mitigat, nt vinci possit, non exstirpari Non quod hoc non
10 possit gratia, sed qnia nobis non expediebat
n a 4. Quemadmodnm autem in his, qui gratia carent
(de pecnliari loquor),^) ratio foit obscurata, non exstineta, ita
probabile est in iisdem volnntatis yim non prorsns exstinctam
fnisse, sed ad honesta inefficacem esse factam.^) Quod oeolns
15 est corpori, hoc ratio est animo. £a partim illnstratnr luce
nativa,') qnae insita est omnibus, licet non pari mensura, de
skotistische Lehre als dem freien Willen günstiger beurteilt, als die pela-
gianische (p. 26, Z. 15 f., p. 90, Z. 8). Der Fehler des E. liegt darin, daß
er meint, Pelagios lehre eine restitutio oder sanatio (p. 26 Z. 8) des WiUens,
und damit dem Pelagins die scholastische Lehre von der gratia gratom
faciens unterschiebt. Der Unterschied zwischen Pelagius und der Eirchen-
lehre (der übrigens laut Hyp. II, 641 commoda interpretatione beseitigt
werden konnte) besteht nach £. darin, daß der Mensch, nachdem sein
Wille durch die Gnade geheilt ist, nach Pelagius einer erneuten Gnaden-
unterstützung nicht bedarf, nach der Kirchenlehre ohne eine solche nicht
auskommt. Selbstyerständlich muß dann auch Scotus, der von einem Ver-
dienen der gratia gratum faciens redet, pronior in fayorem liberi arbitrii
sein. — Für seine Darstellung der pelagianischen Lehre beruft sich K auf
Augustin (Hyp. I, r 8 r), ohne indessen zu verraten, welche seiner Aussagen
er commode interpretiert habe.
') Die gratia pecuüaris ist die den Menschen auf den Empfang der
gratia gratum faciens vorbereitende Gnade (p. 29, 16 S.).
') Man beachte, daß hier der Wille inefficax ad honesta, weiter unten
(24, 1) bloß inefficax ad salutem ist.
') Die lax nativa, aus der die lex naturae (s. p. 23 Anm. 4) fließt, ist
die allen Menschen gemeinsame natürliche Gotteserkenntnis, m der sich
z. B. die griechischen Philosophen auf Grund der Betrachtung der er-
schaffenen Welt emporgeschwungen haben (s. u.). Erasmus nimmt damit
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— 23 —
quo meminit psalmus: Signatnm est super nos Inmen
ynltus tai, domine,^) partim praeceptis divinis ac literis
sacriSy qnemadmodum dicit psaltes noster: Luc er na pedibns
meis verbum tuum.*)
IIa 5. Unde nascitur nobis triplex legis genns: lex 5
naturae, lex operum, lex fidei, ut Panlinis utar verbis.') Lex ^
naturae penitus inscnlpta mentibns omninm tarn apnd Scythas
qaam apud Graecos dictat iniqunm esse, si quis alteri faciat,
quod sibi nolit fieri/) Et philosophi sine luce fidei, sine ad-
minicnlo divinae scripturae ex rebos conditis *) cognovemnt 10
sempitemam dei yirtntem ac divinltatem ac de bene vivendo
molta praecepta reliqnerunt vehementer congmentia cum
praeceptis evangelicis ®) mnltisque verbis ad virtutem adhor- ^
tantnr detestantes tnrpitndinem. Et in bis probabile est
foisse volontatem aliquo modo propensam ad honesta, sed 15
einen uralten, aus der stoischen Popolarphilosophie in die mittelalterliche
Theolog^ie eingedrungenen Gedanken anf. Daß es sich hierbei für £. nicht
am eine ohne göttlichen Beistand zustande gekommene Erkenntnis handelt,
ergibt schon der Ansdmck: insita est, vor allem aber die AnsfOhrnngen
anf p. 28 f.
*) Psal. 4 (7). £. schreibt (Hyp. I. r8 t), Luther wisse, daß diese An-
wendung des Psalmwortes nicht sein commentum sei Luther hatte in der
Tat schon früher Gelegenheit, gegen diese Auslegung zu kämpfen. Vgl-
Oper, in PsaL W. A. 5 p. 119.
«) Psal. 118 (105).
») (Vgl. Kom. 2, 14 u. 3, 27). Im Hyperasp. (I, s 1 rf, s 8 r) behauptet
E. weiter, die Unterscheidung der lex operum und der lex fidei der
Augustiniflchen Schrift de spir. et lit. (cap. 13 § 22 Msl. 44 coL 214) ent-
nommen zu haben, während er mit seiner Behauptung der lex naturae
etwas allgemein Anerkanntes ausspreche.
^) Die lex naturae enthält nach scholastischer Auffassung die allge-
meinen Prinzipien der praktischen Vernunft. £. schließt sich in seiner
Definition der lex naturae an Gratian an (Concordia discord. can. dist. I,
exordium MsL 187 col. 29 A).
*) A. X>: cognitis. (Vgl. Rom. 1, 19 ff.).
*) Die NebeneinandersteUung der stoischen und christlichen Ethik ist
für E. charakteristisch ; s. Hermelink, Die religiösen Keformbestrebnngen des
deutschen Humanismus, Tübingen 1907 p. 26 f.
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inef&cacem ad salutem aeternam, nisi per fidem accederet
gratia.
n a 6. Lex autem operum imperat et comminator paenam.
Ea peccatum congeminat et gignit mortem, non qnod mala
5 Sit, sed qnod ea praecipiat, qnae sine gratia praestare non
possnmns. Lex fidei, cnm magis ardua praecipiat qnam lex
opernm, tarnen addita copiosa gratia, qnae per se snnt im-
possibilia, reddit etiam dnlcia, non modo facilia. Fides igitur
medetur rationi laesae per peccatnm, Caritas provehit volnn-
10 tatem invalidam. Lex quodammodo operum erat: Ex omni
ligno paradisi comede,^) deligno autem scientiae
boni et mali ne comedas. In quacumque enim die
comederis exeo, morte morieris.*) Rursum per Mosen
lex operum lata est: Ne quem occidas,') si occidfiris, occideris; *)
15 ne commiseris adulterium,^) si commiseris, lapidaberis.*) Sed
quid dicit lex fidei, quae iubet diligere inimicos,^) quae iubet
tollere crucem quotidie,*) quae iubet contemnere vitam?*)
Nolite timere pusillus grex, vestrum est enim
regnum caelorum.^^) Et: Confidite, quia ego vici
SOmundum.*^) Et: Ego vobiscum sum usque ad con-
summationem saeculL^')Hanclegemexpresseruntapostoli,
cum caesi yirgis pro nomine lesu gaudentes abirent a con-
') A: commode.
*) (Gen. 2, 16 f.) Edd.: Gea. 3. Hier liegt wieder ein Fehler im
Zitat vor; TgL p. 16, Anm. 6.
*) Ex. 20 (13). Deut 5 (17). Dieses, wie die folgenden drei Zitate
sind sehr frei.
*) (Vgl etwa Ex. 21, 12.)
») (Vgl. Ex. 20, 14. Deut 5, 18.)
•) (Vgl Jo. 8, 6. Lev. 20, 10.)
') (Matth. 6, 44.) •) (Luc. 9, 23.)
*) Der Ausdruck: contemnere vitam ist im N. T. nicht zu belegen
(vgl. indes Matth. 10, 39; Jo. 12, 12).
'<0 Luc. 12 (32). Die zweite Hälft« des Zitates frei, offenbar in Er-
innerung an Matth. 5, 3.
") Joan. 16 (33). »«) Matth. 28 (20).
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spectu consilii.^) flinc Paulus: Omnia possum in eo, qui
me corroborat.*)
IIa?. Nimirum hoc est,*) quod dicit Ecclesiasticus (15, 15):
Et adiecit mandata et praecepta sua. Quibus?
Primum duobus Ulis generis humani principibus per seipsum, 5
post ludaicae genti per Mosen et prophetas.*) Lex ostendit,
quid velit deus: proponit paenam, ni pareas, proponit praemium,
si pareas. Cetemm eligendi potestatem illorum relinquit
Yoluntati, quam illis condidit liberam et utroque Yolubilem.
Et ideo: Si volueris mandata conservare, con- 10
servabunt te. Et rursum: Ad quod volueris, porrige >/
man um tuam.^) Si latuisset hominem boni malique dis-
crimen ac voluntas dei, non poterat imputari, si perperam
elegisset. Si voluntas non fuisset libera, non potuisset im-
putari peccatum, quod peccatum esse desinit, si non fuerit 15
voluntarium, nisi cum error aut voluntatis obligatio ex peccato ^
nata est. Ita per vim stupratae non imputatur, quod est
passa.
n a 8. Quamquam autem hie locus, quem adduximus ex
Ecdesiastico, peculiariter quadrare videtur in primos illos ao
progenitores, tamen aliqua ratione ad universam posteritatem
Adae pertinet; non pertineret autem, si nulla esset in nobis ^
liberi arbitrü vis. Quamquam enim arbitrii libertas per
peccatum vulnus accepit, non tamen exstincta est, et quam-
quam contraxit claudicationem, ut ante gratiam propensiores 26
simus ad malum quam ad bonum, tamen excisa non est, nisi
quod enormitas criminum et assuetudo peccandi velut in
naturam versa sie offuscat nonnumquam mentis iudicium, sie
') (Vgl. Act. 5, 40f.) «) Phü. 4 (13).
') Es handelt sich nicht bloß nm die lex fidei, sondern um die lex im
allgemeinen.
*) Mit diesem Satz wird das Thema für die beiden nächsten Ab-
schnitte: Lex ostendit — est passa, und: Qnamqnam autem — adempta
Tideator (p. 26, 2) angegeben.
») Ecci. 15 (16 u. 17).
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— 26 —
obrnit arbitrii libertatem, ut illud exstinctum, haec penitas
adempta videatur.
n a 9. Porro, qaantum yaleat in nobis liberum arbitriom
post peccatum et ante gratiam, mire variant et yetenun et
5 recentiorum sententiae, dum alius alind spectat. Qni yitabant
desperationem ac secnritatem, sed ad spem et conatum acnere
volebant homines, plus tribuebant libero arbitrio. Pelagius*)
^ docuit semel liberata sanataque per gratiam hominis voluntate
non opus esse nova gratia, sed liberi arbitrii praesidiis per-
10 tingi posse ad salutem aetemam, sie tarnen, ut hominis salus
debeatur deo, sine cuius gratia yoluntas hominis non erat
efftcaciter libera ad bonum; et haec ipsa vis animi, qua^) homo
cognitum bonum amplectitur avertens se ab eo, quod diver-
sum est, beneficium est conditoris, qui potuisset pro homine
15 ranam producere. Qui Scoti placitis addicti sunt, proniores
y sunt in favorem liberi arbitrii, cuius tantam vim esse
credunt, ut homo nondum accepta gratia, quae peccatum
abolet, naturae viribus exercere posset opera moraliter, ut
Yocant, bona,') quibus non de condigno, sed de congruo^)
*) Vgl. p. 21 Anm. 5. Hier liegt eine starke Entgleisung des E.
vor: er will von den Fähigkeiten des freien Willens post peccatom et
ante gratiam reden und reproduziert trotzdem die angebliche Anschauung
des Pelagius über den freien Willen nach Eintritt der Gnade.
*) X': animi, in qua.
^ Vgl. Biel, II dist. 28, qu. unica, art. 1. D: Actus moraliter bo-
nus . . . est actus a voluntate libere elicitus secundum dictamen rectae
rationis . . . Unde si actus aliquis eliceretur conformiter dictamini rationis
quantum ad omnes circumstantias, quas ratio dictasset, non tamen quia ratio
sie dictasset, sed casu vel propter delectationem, vel quia elicuisset, etiamsi
ratio non dictasset, aut si aliter dictasset, non esset actus ille bonus mora-
liter, sed bonus tantum ex genere. Bei den opera moraliter bona wird
also an die aus der guten Gesinnung entspringenden guten Taten gedacht,
während bei den opera ex genere bona auf die guten Taten reflektiert
wird, denen die entsprechende gute Gesinnung nicht korrespondiert Vgl
p. 27, 12 ff.
*) Das meritum de condigno ist ein Verdienst, bei dem die Leistung
so vollkommen ist, daß sie einen voUgültigen Anspruch auf den g(Sttlichen
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promereantor gratiam gratam facientem; sie enim illi lo-
quuntur.^)
II a 10. Ab his alii ex diametro, qaod aiunt, dissentientes
contendant omnia illa opera quantnmvis moraliter bona faisse
deo detestabilia non minus quam scelerate facta, quod genns 6
sunt adulteriom et homicidium, qnod non proflciscerentnr ex
flde et caritate in deum.*) Homm opinio videtur inclementior,
praesertim cum philosophi quidam, ut habuerunt aliquam de ^
deo cognitionem, ita fieri potuit, ut flduciam quoque nonnullam
et caritatem habuerint erga deum ^ nee omnia fecerint ob 10
inanem gloriam, sed amore yirtutis et honesti, quod docent
amplectendum non ob aliud, nisi quia honestum est. Nam
qni pro salute patriae semet obicit periculis ob inanem gloriam,
facit opus ex genere bonum, an moraliter bonum, nescio.
Sanctus Augustinus et qui hunc sequuntur, considerantes, 15
quanta sit pemicies verae pietatis hominem fidere suis viribus,
Lohn Terleiht; zu einer derartigen Leistung kann nach scholastischer Lehre
nur die göttliche Gnade den Menschen befähigen. Das meritnm de con-
gruo ist ein Verdienst, das dem göttlichen Lohne zwar nicht entspricht,
das aber doch einen Ansprach auf Betribution inyolviert, da der sittUch
geschwächte Mensch so viel geleistet hat, als er eben leisten konnte.
^) E. steUt die Lehre des Dnns Scotus und seiner Schule (trotz
Minges, Die Gnadenlehre des Duns Scotus, p. 14 ff., Münster 1906) richtig
dar. Duns Scotus behauptet, der Mensch könne aus eigner Kraft die Sftnde
bereuen (attritio) und dadurch de congruo die SündeuTergebung und die
gratia gratum faciens verdienen (vgl. op. Oxon. IV. dist. 14. quaest. 2. n. 14).
*) Dieser Satz bezieht sich auf die Vertreter der drei auf p. 30 f.
charakterisierten Ansichten. Diese ihre gemeinsame Ansicht lehnt £. hier
ab (Tidetur inclementior) ; allein diese Ablehnung hat nicht etwa den Sinn,
als woUe £. sich von Augustin lossagen, dessen Gnadenlehre er vielmehr
fOr probabel hält (p. dO). £. meinte, sieh Augustin anschließen zu können,
ohne doch die Eonsequenzen ziehen zu müssen, denen der große Kirchen-
vater nicht ausgewichen ist.
') £. beruft sich für seine Beurteilung der Philosophen auf Paulus
(Rom. 2, 14 ff.). Er hätte die Spätscholastik (z. B. Biel 1. III dist. 27 qu.
unica, dub. 2 Q) als seine Quelle anführen sollen, da diese die Lehre ver-
trat, der Mensch könne GK)tt ex suis naturalibus über aUes lieben.
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propensiores sunt in favorem gratiae, quam ubique Panlas
inculcat. Eoque negat^) hominem obnoxium peccato posse
sese reflectere ad yitae correctionem ant quicqnam posse
facere, quod conferat ad salntem, nisi gratuito dei dono
6 stimuletur diyinitus, ut velit ea, quae conducnnt ad vitam
aeternam; hanc gratiam alii praevenientem *) vocant, Angos-
tinus operantem. Nam et fides, quae ianua est salutis, gratni-
tnm dei donum est.') Huic additam caritatem per nberins
donum spiritus appellat gratiam cooperantem, quod semper
10 adsit conantibns, donec assequantur, quod expetunt, sed ita
tamen, ut cum simul idem opus operentur liberum arbitrium
et gratia, gratia tamen dux sit operis, non comes/) quamquam
"^ hanc quoque sententiam dividunt quidam^) dicentes: Si con-
sideres opus iuxta naturam suam, potiorem causam esse volun-
16 tatem hominis, sin iuxta quod promeretur, gratiam esse
potiorem. Porro fides, quae praestat, ut yelimus salutifera,
et Caritas, quae praestat, ne frustra yelimus, non tam tempore
distincta sunt quam natura; possunt tamen utraque temporariis
accessibus augeri.*)
>^ 20 Hall. Itaque cum gratia significet beneficium gratis datum,
tres aut, si mavis, quatuor gratias ponere licebit. Unam natura
') Seil. Ang^stiiiiis.
^) Die Bezeichnung gratia praeyeniens, die an Angnstin anknöpft
(Nolentem praevenit, nt velit, volentem subsequitur, ne frustra velit.
Enchir. 9, 32; Mal. 40 col. 428), kommt schon bei Cäsarins von Aries (Tita
I cap. 5 § 46; MsL 67 col. 1023 B) vor.
•) Hiemach ist die fides ein Werk der gratia operans, während weiter
unten (Z. 16 S.) die Eingießnng von Glauben und Lieben in einem Augen-
blick erfolgen, also auch der Glauben der gratia oooperans angehört
*) Vgl. Augustin, epist. 186 ad Paulinum § 10 (MsL 83, col. 819):
Non gratiam dei aliquid meriti praecedit humani, sed ipsa gratia meretur
augeri, ut aucta mereatur perfici, comitante, non ducente, pedissequa, non
praevia voluntate.
^) Duns Scotus, op Oxon. I dist. 17. qu. 3. n. 27; vgl. Seeberg, p. 313.
^) Vgl. das Augustinzitat Anm. 4. S. auch etwa G. Biel, lib. II, dist.
27 qu. unica, art. 2 concl. 3 J.
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insitam et per peccatum vitiatam, at diximns, non exstinctam, ^
quam qnidam vocant influxum naturalem.^) Haec omniom
communis manet etiam perseverantibns in peccato; liberum
est enim iUis loqui, tacere, sedere, surgere, sublevare pauperem,
legere libros sacros, audire contionem, sie tamen, ut ista 5
seeundum opinionem quorundam nihil conducant ad yitam
aeternam. Nee desunt tarnen, qui considerata immensa dei
bonitate dicant hactenus hominem proficere huiusmodi bene-
factis, ut praeparetur ad gratiam ac dei misericordiam erga
se provocet, quamquam sunt, qui negent*) haec etiam fieri 10
posse sine gratia peculiari.') Haec gratia, quoniam est omnium
communis, non dicitur gratia, cum re vera sit, quemadmodum
maiora miracula quotidie deus edit gignendis rebus, con-
seryandis et gubemandis, quam si sanaret leprosum aut
liberaret daemoniacum. Et tamen haec ideo non yocantur 15
miracula, quod ex aequo quotidie praestantur omnibus. Altera ^y
est gratia peculiaris, qua deus ex sua misericordia peccatorem
nihil promeritum stimulat ad resipiscentiam, sie tamen, ut
nondum infandat gratiam illam supremam, quae abolet pec-
catum ac deo gratum facit hominem. Itaque peccator adiutus ^
secunda gratia, quam diximus operantem, displicet sibi;
tametsi nondum exuit affectum peccandi, tamen eleemosjmis,
precibus, intentus sacris studiis, audiendis contionibus, inter-
peUandis piis hominibus, ut pro se deum orent, aliisque factis
moraliter, ut vocant, bonis ^) summae illius gratiae yelut 26
^) Inflnxus naturalis oder influentia commnnlB ist die aUgemeine Mit-
wirkung GK)ttes bei allen Handinngen der Geschöpfe, im Gegensatz zu der
ttbematürlichen Einwirkung Gottes.
*) A: negant
^ D. h. die gratia praeveniens. Vgl. zu den folgenden Ausführungen
des E. über die scholastische Gnadenlehre EinL § 4.
^) Der Unterschied zwischen den opera moraliter bona vor und nach
der grat praev. besteht für E. nicht darin, daü ihre Qualität sich änderte,
sondern darin, daß sie yor der grat. praev. nicht yerdienstlich sind (nihU
promeritum, Z. 18), nach derselben dagegen die gratia gratum faciens yer-
dienen (ygl. oben Z. lOf. und p. 80 Z. 3-12).
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candidatum quendam agit. Existimant antem gratiam, qaam
^ nunc secondam facimus, per dei bonitatem nnlli mortalinm
deesse,^) quod divina benignitas singnlis in hac yita sappeditet
idoneas occasiones, per quas possit resipiscere, si qnod reliqnnm
6 est in ipsornm arbitrio pro viribus accommodent ad opem
numinis velut invitantis, non compellentis ad meliora. Hoc
\/ antem pntant esse in nostro arbitrio, nt voluntatem nostram
applicemns ad gratiam ant avertamus ab ea, qnemadmodBm
in nobis est ad illatum Inmen aperire ocnlos ac rnrsnmclan-
10 dere.^) Quoniam antem immensa dei Caritas erga genus
hnmannm non patitur hominem frnstrari etiam iUa gratia,
quam gratnm facientem vocant, si totis viribus eam ambierit,
fit, ut nemo peccator debeat esse securus, nemo mrsus debeat
desperare, fit item illud, ut nemo pereat, nisi suo vitio. Est
16 igitur gratia naturalis, est gratia exstimulans, licet imperfecta,
v^ est gratia, quae voluntatem reddit efficacem, quam cooperantem
diximus, quae quod coeptum est provehit, est gratia, quae
perducit usque ad finem. Has tres putant eandem esse
gratiam, licet ab iis, quae operantur in nobis, diversis cogno-
20 minibus appeUentur. Prima exstimulat, secunda provehit,
tertia consummat.
n a 12. Ergo, qui longissime fugiunt a Pelagio, pluri-
V nium tribuunt gratiae, libero arbitrio pene nihil nee tamen
in totum toUunt: negant hominem posse velle bonum sine
25 gratia peculiari, negant posse incipere, negant posse progredi,
negant posse perficere sine principali perpetuoque gratiae
divinae praesidio. Horum sententia satis videtur probabilis,
quod relinquat homini Studium et conatum et tamen non
relinquit, quod suis ascribat viribus. ') Sed durior est istorum
') ffierfür beruft sich E. im Hyp. (II p. 438, 6B6) auf die Schrift de
vocatione gentium (üb. II cap. 19; Mal. 61, col. 706 CD). Die gleiche An-
sicht yertritt auch X Fisher (ass. Luth. conf. p. 548).
*) Ein ähnliches Bild braucht J. Fisher (ass. Luth. conf. p. 612).
•^ Diese Ansicht ist nach E. (Hyp. I s 5 r) diejenige des Angnstin
und des Thomas. E. ist sich aUerdings bewußt, dafi Augustin ein Yer-
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opinio, qui contendunt liberum arbitrium ad nilül valere nisi ^
ad peceandom ^), solam gratiam in nobis operari bonnm opus
non per liberum arbitrium aut cum libero arbitrio, sed in
libero arbitrio, ut nostra voluntas hie nihilo plus agat, quam
agit cera, dum manu plastae fingitur in quamcumque Visum 5
est artiflci speciem.^) Hi mihi sie fugere videntur meritorum
et operum humanorum fidueiam, ut praeter easam,^) quod diel
solet. Durissima videtur omnium sententia, qui dicunt liberum
arbitrium inane nomen esse nee quicquam valere aut valuisse
vel in angelis vel in Adam vel in nobis nee ante gratiam nee 10
post gratiam, sed deum tam mala quam bona operari in nobis, ^
omniaque, quae fiunt, esse merae necessitatis>) Itaqne cum
his duabus postremis mihi potissimum erit conflietatio.
IIa 13. Haec paulo loquaeius nobis repetita sunt, quo
dienen der gratia gratnm faciens durch den nnter dem EiDfln£ der gratia
praeveniens stehenden Menschen nicht lehrt, meint aber Angustin stände
dieser Lehre sehr nahe (Hyp. II 187). E. konnte so urteilen, weil er über-
sehen hat, daß die Behauptung der Freiheit bei Augustin „nicht viel mehr
als ein Spiel mit Worten ist" (Seeberg, DG.*. I p. 279). Auch Thomas hat
von einem Verdienen der gratia gratum faciens nicht geredet.
') Dieser Satz ist augustinisch (de spir. et lit. cap. 3 § 5, Msl. 44,
col. 203). Wenn E., der Verfechter der Sittlichkeit der Philosophen, diesen
Satz ablehnt, so hat er vergessen, daß er noch soeben (p. 30, 24 f.) den
Satz fttr probabel erklärt hat, daß der Mensch ohne die gratia praey. das
Gute nicht wollen könne.
*) Die in dieser Weise charakterisierte opinio durior ist diejenige
Karlstadts (vgl. Hyp. I, s 6 v, 1 1 v). E. kennt sie aus der Leipziger Dis-
putation (vgl. Hyp. II 12). Hier sagt Earlstadt u. a.: Interim salva sit
conclusio mea . . . quod liberum arbitrium ante gratiam haud quidquam
nisi ad peccandum valeat (ed. Löscher, Vollst. Eef. Akta III p. 302). Ergo
bona opera potius efficiuntur in libero arbitrio, quam fiunt activitate liberi
arbitrii (1. c. p. 308). ... est negatum per me . . . quod liberum arbitrium
habeat specialem et naturalem actiyitatem in bonis operibus (p. 309).
>) D. h. die Vertreter dieser Ansicht sind bei ihrer Flucht vor der
Werkgerechtigkeit so eifrig, daß sie an der schützenden Hütte yorbeilaufen.
Vgl. Terenz, Phormio 768, ed Dziatzko, p. 105.
*) Die sententia durissima ist diejenige Luthers (Hyp. I a. a. 0.}.
Vgl. Luthers Assertio, W. A. VH, p. 146 Z. 4 ff.
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lector imperitior, nam crassulis scribimus crassuli, reliqaam
argnmentationem facilius percipiat, eoqae locum exEcclesiastico
primom retulimus, quo*) originem ac vim liberi arbitrii
planissime videatur depingere. Nunc expeditiore cursu reliqua
5 scripturarum testimonia persequemur. Id faciemus, si prius
admonuerimus hunc locum secus haberi in editione Aldina,
quam hodie habeat*) ecclesiasticus usus Latinorum.') Non
enim in Graecis additur: conservabunt te, quamquam eandem
particulam nee Augustinus addit aliquoties adducens hunc
10 locum/) et Tcotfjrai scriptum opinor pro Ttocfjaai,^)
IIa 14. Quemadmodum igitur in paradiso proposuerat
electionem vitae ac mortis: 8i parueritis praecepto meo,*)
vivetis, sin minus, moriemini; cavete malum, eligite, quod
bonum est,') itidem Genesis cap. 4 (6 — 7) deus loquitur Caim:
15 Quare iratus es et cur concidit facies tua? Nonne
^ si bene egeris, recipies, sin autem male, statim
in foribus peccatum tuum aderit? Sed sub teerit
appetitus eins et tu dominaberis illius. Proponit
praemium, si yelit eligere, quod pium est, proponit paenam,
20 si malit sequi diversum. Et ostendit animi motus ad turpia
Vinci posse nee aiFerre necessitatem peccandi. Cum bis locis
congruit, quod dominus loquitur ad Mosen: Posui ante
"^ faciem tuam viam vitae et viam mortis. Elige,
quod bonum est, et incede cum eo.^) Quid poterat
56 apertius dici? Deus ostendit, quid bonum, quid malum,
») A: quod. «) X*: habet.
*) Die Aldina (Venedig 1518) enthält Sir. 15, 15 in folgender Form:
iäv d'iXrjg awrrj^OTjg ivroXäe aal nioriv Tioifjrai e^doxiag,
*) Vgl. z. B. de grat. et lib. arb. cap. II § 3, Mal. 44 coL 888.
') Das qnamqaam ist ungeschickt; E. wUl sagen, daß der kirchliche
Branch der Lateiner feststehe, obgleich Angnstin die SteUe mit anderem
Text biete. — E. bemerkt den Druckfehler der Aldina; es muß aber Ttoirjatu
gelesen werden, s. LXX ed. Swete II, p. 674.
«) B: mei.
^ Freie Paraphrase von Gen. 2, 17 und vieUeicht Deut 30, 19.
«) ? VieUeicht Deut. 30, 19.
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ostendit atriasqae diversa praemia, mortem et vitam, eligendi
Ubertatem relinqnit homini. Sidicule siquidem diceretur:
elige, coi non adesset potestas semet hac et illac applicandi,
perinde quasi quis in bivio consistenti dicat: Vides duplicem
viam, ntram voles ingreditor, cum altera tantum pateret. 6
Kursum Deuteronomii cap. 30 ^) (15—19) : Considera, quod
hodie proposuerim in conspectu tuo vitam et ^
bonum et e contrario mortem et malum, utdiligas
dominum, deum tuum, et ambules in viis eins et
custodias^) mandata illius et caerimonias atque 10
iudicia et vivas atque multiplicet te benedicatque
tibi in terra, ad quam ingrederis possidendam.
Si autem aversum fuerit cor tuum et audire no-
lueris atque errore deceptus adoraveris deos
alienos et servieris eis, praedico tibi hodie, quod 16
pereas et parvo tempore moreris in terra, adquam
Jordane transmisso ingredieris possidendanu')
Testes invoco hodie caelum et terram, quod pro-
posuerim vobis vitam et mortem, benedictionem
et maledictionem. Elige ergo vitam, ut et tu ^
vivas et semen tuum. Hie rursus audis proponendi ver-
bum, audis eligendi verbum, audis avertendi verbum, quae
intempestive dicerentur, si voluntas hominis non esset libera
ad bonum, sed tantum ^) ad malum.^) Alioqui perinde fuerit,
ac si quis homini sie alligato, ut non possit brachlum nisi in ^
laevum porrigere, diceret: Ecce habes ad dextram vinum
Optimum, habes ad laevam toxicum, utro velis, porrige manum.
IIa 15. Nee dissonat ab his, quod apud Esaiam loqnitur
idem dominus: Si volueritis et audieritis me, quae ^
bona sunt terrae comedetis; si vero nolueritis^
neque audieritis me, gladius vos consumet.^) Si
<) Fr. A. B. X* H: 3. X^ wiederholt das Zitat: Deat 80 am Bande.
«) X»: cnstodies. ») Fr. A. B. H. X* am Bande: Deut. 30.
^) B: tamen. ^) Gegen Karlstadt.
*) Ksa. 1 (19f.).
Walter. De Hbero arbitrio. 3
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— 34 —
Don est homini ullo pacto ]ibera voloiitas ad bonum aat si,
ut qnidam aiant, nec^) ad bonum nee ad malnm,') quid sibi
Yolunt haee verba: si volneritis, si nolneritis? Magis
hie eongraebat: si volnero, si nolaero. Atqae hoinsmodi mnlta
6 eum peeeatoribns dieantor, non video, quomodo yitari possit,
quin bis quoque tribuamus voluntatem aliquo modo liberam
ad eleetionem boni, nisi malumus hane eogitationem aut animi
motum dicere quam voluntatem, quod yoluntas certa sit et
ex iudieio naseatur.^) Sic autem loquitur apud eundem pro-
10 phetam cap. 21 (12): Si quaeritis, quaerite; conver-
timinietvenite. Quorsum attinet hortari, ut convertantur
et yeniant, qui nulla ex parte suae potestatis sunt? Nonne
perinde fuerit, ac si quis dicat yinculis astricto, quem nolit
solyere: Move te isthinc, yeni ac sequere me? Item apud
16 eundem prophetam cap. 45 (20): Congregamini etyenite.
Et: Conyertimini ad me et salyi eritis omnes fines
terrae/) Eursum cap, 62 (1—2): Consurge, consurge,
excutere de pulyere, solye yincula colli tuL Itidem
Hieremias cap. 15 (19): Si conyerteris, conyertam te,
20 et si separayeris pretiosum a yili, quasi osmeum
eris. Cum ait: separayeris, libertatem indicat eligendi.
Eyidentius etiam Zacharias et arbitrii liberi conatum indicat
et gratiam conanti paratam: Conyertimini, inquit, ad
me,*) ait dominus exercituum, et conyertar ad
26VOS, dicit dominus.®) Ezechielis cap. 18 (21) sie loquitur
deus: Si impius egerit paenitentiam ab omnibus
peccatis, quae operatus est, et fecerit iudi-
cium etc. Ac mox: Omnium iniquitatum eins, quas
operatus est, non recordabor.^ Item: Si autem
') X*: si (nt qnidam ainnt) nee.
*) Gegen Earlstadt nnd Lnther.
^ E. sucht abzuschwächen, um für seine Gnadenlehre Baum za
behalten.
«) (Es. 45, 22.) ^) B: inqnit ad me.
•) Zach. 1 (3). ') (Ez. 18, 22.)
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— 35 —
averterit se iastus aiastitia sna et fecerit iaiqui-
tatem.^) In hoc capite toties repetitnr: averterit se, fecit,
operatus est, in bonam partem et in malam. Et ubi sunt,
qni negant hominem qoicquam agere, sed pati tantum ab
operante gratia?') Proicite, inquit, a vobis omnes 6
iniqnitates.*) Et: Quare moriemini, domusisrael?*)
Nolo mortem peccatoris, revertimini et venite.*)
Deplorat pins dominus mortem popnli sni, qnam ipse operatur
in Ulis? Si ille non vult mortem, utique nostrae*) voluntati
impntandum, si perimus. Ceterum quid imputes illi, qui nihil 10
potest agere neque boni neque mali?^) Eis, qui nullo modo
suae Yoluntatis compotes sunt, frustra canit haue cantionem
psaltes ille mysticus: Declina a malo et fac bonum,®) ^
inquire pacem et persequere eam.®)
na 16. Sed quorsum attinet huius generis aliquot recensere 15
loca, cum tota divina scriptura plena sit huiusmodi hortamentis:
Convertimini in toto corde vestro;^®) convertatur
vir a via sua mala;^*) praevaricatores, redite ad
cor;'*) et: Convertatur unusquisque a via sua
mala, et paenitebit me mall, quod cogitavifacere 20
eis propter malitiam studiorum eorum;*') et: Si
non audieritis me, ut ambuletis inlegemea,^^) cum
fere nihil aliud sonet scriptura quam conversionem, quam
Studium, quam conatum ad meliora? Haec omnia frigeant
oportet semel inducta necessitate vel benefaciendi vel male. 25
Neque minus frigebunt illae tot pollicitationes, tot minae, tot
») (Ez. 18, 24.) •) Gegen Karlstadt; vgl. Hyp. ü, 1(».
') Ezech. 8. Hier liegt ein Zitationsfehler des £. vor; die SteUe
steht Ez. 18, 31.
*) Ihid. 83 (11). ») Ibid. 18 (22).
^ X' fehlt: nostrae. ^ Gegen Lnther.
*) Psal. 36 (27). Dayid ein psaltes mysticus? YieUeicht liegt eine
Bezugnahme auf den prophetischen Charakter einiger Psahnen vor.
•) (PsaL 38, 15.) >«) Johel. 2 (12).
") Jonae 3 (8). »«) Esa. 46 (8). X« fehlt: redite.
»») (Jer. 26, 3.) ") (Jer. 26, 4.)
3*
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expostnlationes, tot exprobrationes, tot obtestationes, tot ben^
dictiones ac maledictiones factae ad eos, qui se yertenuit ad
meliora aat qoi converti recasanmt. Qaacnnqae hora
ingemmerit peccator.^) Video, quod popalus iste
5 dmrae cervicis sit.*) Popule meus, quid feci?*)
Item: ladicia mea proiecerunt/) Et: Si popalus
meus audisset me, Israel si in viis meis ambu-
lasset.^) Qui Tult videre dies bonos, prohibeat
linguam suam a male.*) Cum audis: qui vult, audis
10 liberam voluntatem. Haec cum nusquam non occurrant, nonne
statim succurrit lectori: Quid polliceris ex conditione, quod
in tua unius voluntate situm est? Quid expostulas, cum
quicquid a me fit seu boni seu mali, tu geras in me yelim
nolim? Quid exprobras, cum in me non sit tueri, quod de-
15 deras, nee excludere malum, quod immittis? Quid obtestaris,
cum totum ex te pendeat et res ex tua geratur sententia?
Quid benedicis, quasi functus sim meo officio, cum tuum sit,
quicquid gestum est? Quid maledicis, cum necessitate pec-
canm? Quorsum autem attinent ^) tot examina praeceptorum,
20 si non est cuiquam ullo pacto in manu servare, quod prae-
ceptum est? Sunt enim, qui negant hominem quantumvis iusti-
ficatum dono fidei et caritatis ullum dei praeceptum implere
posse, sed omnia bona opera, quoniam in came fiunt, ad
damnationem profectura fuisse,^) ni deus ob meritum fldei
26 ignosceret illa per suam misericordiam.*)
IIa 17. Atqui sermo, quem per Mosen loquitur dominus
Deutero. cap. trigesimo (11—14), declarat non solnm in nobis
situm, quod praecipitur, verum etiam in prodivi, cum ait:
Mandatum hoc, quod ego praecipio tibi hodie,
») übi? VieUeicht Ezech. 18, 21. «) Exod. 32 (9).
«) Mich. 6 (3). *) (Ez. 20, 13.) ») Psal. 80 (14).
•) PsaL 33 (13 f.). ^ H: attinet.
*) Gegen Luther (Ass. art. 3Lf. W. A. YII, p. 136 fit), gegen den die
letzten Ansführongen dieses Abschnittes überhaupt sich riditen.
*) Grobes Mi^yerständnis der reformatorischen Lehre.
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noD snpra te est neqae procul positum nee in
eaelo sitnm, nt possis dicere: Qnis nostrum valet
ad eaelum aseendere, nt deferat illnd ad nos, nt
andiamns atqne opere compleamns? neqne trans
mare positnm, nt canseris et dieas: Qnis e nobis 5
poterit mare transire et illnd ad nos nsqne de-
ferre, nt possimns andire, qnod praeceptnm est? ^
sed inxta est sermo valde in ore tno et in corde
tno, nt facias illnm. Et tarnen illic loqnitur de prae-
cepto omninm maximo, nt revertaris ad dominnm, 10
denm tnnm, in toto corde tno et in tota anima
tna.*) Et qnid sibi vnlt hoc: si tarnen andieris, si
cnstodieris, si revertaris,*) si nihü homm nllo pacto
sitnm est in nostra potestate? Non adnitar in hninsmodi re-
citandis esse copiosns, cnm ntrinsque testamenti libri talibns 15
nndiqne referti sint, nt qni talia stndet conqnirere, nihil alind
qnam, qnod dici solet, per mare qnaerat aqnas.^ Itaqne bona
sacrae scriptnrae pars, nt dixi, videbitnr frigere, si nltimam
ant pennltimam opinionem receperis.*)
n a 18. ßeperinntnr antem in diyinis libris qnaedam 20
loca, qnae contingentiam ^) ac mntabilitatem etiam qnandam ^^
deo tribnere videntnr. Qnod genns est illnd, qnod legimns
Hieremiae cap. 18 (8, 10): Si paenitentiam egerit gens
illa a malo sno, qnod locntns snm adversns eam,
agam et ego paenitentiam snper malo, qnodcogi-26
tavi, nt facerem ei; si fecerit malnm in ocnlis
') (Deut. 30, 10.) «) (Ibidem.)
^ Vg^. das sprichwOrtl. in mare fnndere aquas, Ovid, tristia V, 6,
44, ed. Tenbn. 143, 3 p. 91.
^) D. h. die Ansichten Lnthers und Karlstadts.
^^ Contingentia ist der Gegensatz zn necessitas. Alles, was yon Gott
ausgesagt wird, mn£ mit innerer Notwendigkeit ans dem Wesen Gottes
sich ergeben. Darum können alle Schriftstellen, die auf einen Mangel an
mnerer Gesetzmäßigkeit in Gott schließen lassen, nach £. nur in uneigent-
lichem Sinne verstanden werden.
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meis et non audierit yocem meam, et ego paeni-
tentiam agam super bono, qnod locutns snm, at
facerem eL Neqae vero nescimas hie scriptTiram sacram
hominam more loqui, quod et alias non raro facit, com in
5 denm nolla cadat mntabilitas. Sed ex irato propitios fieri
dicitnr, cum nos ad meliora resipiscentes dignatnr saa gratia;
rorsos ex propitio iratos, cum ad deteriora relapsos ponit et
affligit. Rursnm 4 Regnm capite vigesimo (1) aaditEzechias:
Morieris tn et non vives.^) Ac mox post lacrimas andit
10 per eondem prophetam: Audivi orationem tnam et
yidi lacrimas tuas et conseryayi te etc.') Itidem
secondo Regnm cap. duodecimo (10) Dayid per Nathan andit
a domino: Non recedet gladins de domo tna usque
in sempiternnm etc. Mox ubi dixerat: Peccayi do-
l5mino, andit mitiorem sententiam: Dominus quoque
transtulit peccatum tuum, non morieris.^) In his
atque huiusmodi locis quemadmodum tropus sermonis excludit
\y mutabilitatem a deo, ita yitari non potest, quin inteUigamus
in nobis esse yoluntatem huc et iUuc flexilem,^) quae si ne-
20 cessitate flectitur ad malum, cur imputatur peccatum? Si
necessitate flectitur ad bonum, cur deus ex irato fit propitius,
cum nihilo plus iUic debeatur nobis gratiae?
II b 1. Atque hactenus quidem ex yetere testamento, de
quo fortasse causetur aliquis, nisi haec essent ex eorum
25 genere, quae non solum obliterata non sunt per lucem eyan-
gelicam, yemm etiam plus yigoris acceperunt. Veniamas igitur
ad noyi testamenti libros. Ac primum occurrit locus ex
eyangelio, quo Christus deplorans excidium urbis Hierosoly-
morum ita loquitur: Hierusalem, Hierusalem, quae
dOoccidis prophetas et lapidas eos, qui missi sunt
») Fr. B. X«: vides. «) (4. Reg. 20, 5.)
») (2. Eeg. 12, 13.)
^) Da von einem Wechsel bei Gott nnr bildlich geredet wird, so kann
der Wechsel nnr anf selten des Menschen liegen.
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ad te,^) quoties volui congregare te, qnemadmo-
dum gallina congregat pullos suos sub alas snas,^
et noluisti?') Si cuncta fiunt necessitate, nonne meiito
Hierosolyma poterat respondere deploranti domino: Quid ^
inanibus lacrimis te maceras? 8i tu nolebas nos auscultare 5
prophetis^X ^^^ ^^^ misisti? Cur nobis imputas, quod tua
Toluntate, nostra necessitate factum est? Tu volebas nos
congregare et idem in nobis nolebas \ cum hoc ipsum operatus
sis in nobis, quod noluerimus. Atqui in yerbis domini non
accusatur in ludaeis necessitas, sed prava ac rebellis voluntas: 10
Ego volui congregare, tu noluisti. Eursus alibi:
Si vis ad vitam ingredi, serva mandata.^ Qua
fronte diceretur: si vis, cui voluntas libera non est? Item:
Si vis perfectus esse, vade et vende') etc. Item
Lucae nono (23) : Siquis vult post me venire, abnegetlß
semetipsumet tollatcrucem suam et sequatur me.
In praecepto tam difficili tarnen audis mentionem voluntatis
nostrae. Ac mox: Qui enim voluerit animam suam
salvam facere, perdet eam.®) Nonne frigent omnia
praeclara praecepta Christi, si nihü tribuitui^ humanae vo- 20
luntati? Ego autem dico vobis, Ego autem dico
vobis^)etc. Et: Si diligitis me, mandata mea ser-
va t e.^^) Quanta apud loannem inculcatio mandatorum ? Quam
male coniunctio : si, congruit^^)merae necessitati? Si manse-
ritis in me et verba mea in vobis manserint") Si 26
vis perfectus esse.")
IIb 2. lam ubi toties est operum bonorum et malorum
mentio, ubi mentio mercedis, ibi non intelligo, quo pacto locus
Sit merae necessitati Neque natura neque necessitas habet
») B: a te. «) X« fehlt: sna». ») Matth. 23 (37)
*) X«: prophetas. ») B: volebas. «) Matth. 19 (17).
') Ibidem (19, 21). ^) (Luc. 9, 24.)
*) Matth. 5 (22. 28 etc.). X^ fehlt: Ego autem dico Tobis.
*^ loan. 14 (15). **) X': coniunctio, si congruit
") loan. 15 (7). '») (Matth. 19, 21.)
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meritam. Sic aatem dominus noster lesos loqnitor Matth.
qiiinto(12):6aadeteet exsultate, qniamerces vestra
copiosa est in caelis. Qoid sibi vnlt parabola de ope-
rariis condnctis in yineam?^) An operarii sunt, qni nihil
5 operantor? Dator denarios ex pacto velnt operae praemiom.
Dicet aliqnis: Merces dicitnr, qnod a deo quodammodo debetor,
qoi snam fidem obstrinxit homini, si crediderit promissis
ipsins. Atqoi hoc ipsom: credere, opns est in quo nonnulla
fanctio est liberi arbitrii, cum sese applicat ad credendnm
10 aut avertit Cor collandatnr servus, qni domini sortem saa
anxerat indostria, cor damnatnr ignavos et cessator, si nihil
ibi nostrnm est? Rnrsam cap. yigesimoqninto (36, 36), cnm
inyitat omnes ad consortiom aetemi regni, non commemorat
necessitatem, sedipsonun benefacta: Dedistis cibnm, de-
16 distis potnm, coUegistis hospitem, vestistis nn-
dnm etc. ßorsos haedis, qoi a sinistris snnt, exprobrat non
necessitatem, sed yoluntariamopenun omissionem: Vidistis
esnrientem, data est benefaciendi occasio, non dedistis
cibnm etc.^) lam nonne omnes evangelicae qnoqne literae
80 plenae snnt exhortationibns: Yenite ad me, qni onerati
estis,*) vigilate,0 orate,*) petite, qnaerite, pul-
sate,*) videte, cavete?') Qnid sibi yolnnt tot parabolae
de cnstodiendo verbo dei,®) deoccnrendo sponso,*)
de noctnrno suffossore'*), de domo fnndandasnper
85petram?^^) Nimirnm ad stndinm, ad conatnm, ad indnstriun
nos excitant, ne pereamns negligentes dei gratiam. Haec
ant ftigida videntnr ant snpervacanea, si cancta referantnr
ad necessitatem. Idem dicendnm est de minis evangelids:
») (Matth. 20, 1—16.) *) (Matth. 25, 42.)
») (Matth. 11, 28.) *) (Matth. 24, 48.)
') (Matth. 5, 44.) «) (Matth. 7, 7.)
") (Marc. 8, 15.)
*) (Matth. 13, 1—8.) Zum Wortlaut vgl. Luc. 11, 28.
•) (Matth. 25, 1—13.) »«) Nocturno? (yieUeicht Matth. 25, 14—30).
") (Matth. 7, 24 f. )
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Vae vobis, scribae, yae vobis, hypocritae,*) vae
tibi, Corozaim!*) Frigebunt et exprobrationes illae: O
generatio incredula et perversa, qnamdiu ero
vobiscnm, quamdiu vos patiar,*) serpentes, pro-
genies viperarum, quomodo fugietis a iudicio b
gehennae?*) Ex fructibus, inquit dominus, eorum
cognoscetis eos.*^) Fructus opera dicit, ea nostra Tocat;
at ea nostra non sunt, si cuncta geruntur necessitate. Orat
in cruce: Pater, ignosce illis, quia nesciunt, quid
faciunt.*) Quanto iustius excusasset eos, quia non est illis 10
libera voluntas nee possunt, si velint, aliter facere! Kursus
Joannes: Dedit eis potestatem filios dei fieri, bis,
qui credunt in nomine ipsius.^) Quomodo datur potestas,
ut filii dei flaut, qui nondum sunt, si nostrae voluntatis nuUa
est libertas?®) Cum quidam oflFensi verbis domini discessissent 15
ab eo, dixit proximis discipulis: Numquid et vos vultis
abire?*) Si illi non discesserant sua sponte, sed necessitate,
cur ceteros interrogat, num et ipsi velint?
n b 3. Sed non erimus molesti lectori recensendis huius-
modi locis omnibus, quorum ut non est numerus, ita sua ao
sponte facUe cuique occurrunt. Dispiciamus, an et apud
Paulum, strenuum assertorem gratiae et perpetuum expugna-
torem operum legis, reperire liceat, quod statuat liberum ^
arbitrium. Atque in primis occurrit locus in epistola ad
Romanos cap. secundo (4) : An divitias, inquit, bonitatisds
eins et patientiae et longanimitatis contemnis?
An ignoras, quod benignitas deiad paenitentiam
te adducit? Quomodo imputatur contemptus praecepti, ubi
') (Matth. 23, 13 ff.) «) (Matth. 11, 21.) A: Gorozaim.
«) Mar. 9 (19). *) (Matth. 23, 33.) ») Matth. 7 (16).
•) Luc. 28 (34). ^ loan. 1 (12). B: loan. 5.
^) Wie HilariüB (de trin. I, 11 Msl. 10 col. 33 A) und Augustin (tract.
in loan. 63, 8, Msl. 35, coL 1778) verwendet auch Fisher (1. c. p. 548f.,
670) Joh. 1, 12 als Beweis für die Willensfreiheit.
») loan. 6 (68).
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^ non est libera yolnntas? Aut quomodo deos inyitat ad paeni-
tentiam, qai auctor est impaenitentiae? Aut quomodo iusta
est danmatio, ubi iudex cogit ad maleficium? Et tarnen
Paulus paulo ante dixerat: Seimus enim, quoniam iu-
6dicium dei est secundum yeritatem in eos, qui
talia agunt.^) Audis actionem, audis iudicium secundum
*^ veritatem. Ubi mera necessitas? Ubi voluntas nihil aliud
quam patiens?*) Vide vero, cui malum illorum imputet
Paulus: Secundum autem duritiem tuam et im-
lOpaenitens cor thesaurizas tibi iram in die irae
et revelationis iusti iudicii dei, qui reddet uni-
cuique secundum opera eins.') Et hie audis iustum
dei iudicium, audis opera digna supplicio. Quod si deus sua
tantum bona opera, quae per nos operatui*, imputaret nobis
16 ad gloriam et honorem et immortalitatem, plausibilis esset
benignitas (quamquam et hie admiscet apostolus: secundum
patientiam boni operis, et rursum: quaerentibus
yitam aeternam).^) Ceterum qua iustitia infligitur ira,
indignatio, tribulatio, angustia homini velut operanti malum,
90 qui nihil operatur sponte, sed omnia facit necessitate?
II b 4. lam qui consistunt illae Pauli coUationes de
currentibus in stadio, de brabeo, de Corona, si nihil est tri-
buendum nostro conatui? Ad Corinth. cap. nono (24, 25): An
nescitis, quod hi, qui in stadio currunt, omnes
85quidem currunt, sed unus accipit brabeum? Sic
^currite, ut comprehendatis etc. Ac mox: Et illi
quidem, ut corruptibilem coronam accipiant, nos
autem incorruptam. Corona non datur, nisi certantibus,
et praemii loco datur, tamquam hunc honorem promeritis.^)
80 Rursum ad Timotheum prima cap. sexto (12)*): Certa,
inquit, bonum certamen fidei, apprehende vitam
») (Rom. 2, 2.) «) Vgl Luther und Karlstadt.
») (Rom. 2, 6f.) *) (Rom. 2, 7.)
*) X': pro meritis. •) B: cap. 9.
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aeternam. UM certamen est, ibi conatus est voluntariaS;
ibi periculnm est, ne, si cesses, perdas praemimn. Non itidem
fit, abi mera necessitate eveniant omnia. Korsum ad eundem
epistolae secundaecap. secimdo(5): Nam et qni certat in
agone, non coronatnr, nisi qni legitime certaverit. 5
Acpanlo snperins: Labora sicnt bonns miles Christi.*) v^
Meminit et agricolae laborantis.') Certanti datnr Corona,')
militanti salarinm, agricola fructnm percipii/) Item eiusdem
epistolae cap. qnarto (7, 8): Bonum, inquit, certamen
certavi, cursum consnmmavi. In reliqnnm re- 10
posita est mihi corona institiae, qnam reddet
mihi dominus in illadie, iustus iudex. Mihi difflcile
videtor certamen, coronam, instnm iudicem, reddendi, certandi
verbnm coninngere cnm omnium remm mera necessitate, cum
voluntate nihil agente, sed tantnm patiente.^) 15
n b 5. lacobns item hominum peccata non tribnit neces-
sitati ac deo in nobis operanti, sed ipsorum depravatae con-
cnpiscentiae. Dens, inqnit, neminem tentat, sed unus-
qnisque tent aturaconcnpis centiasua abstr actus "-
et illectus; deinde concupiscentia, cum conceperit, ao
parit peccatu m.^ Malefacta hominum Paulus vocat opera
camis,') non opera dei, videlicet hoc appellans camem, quod
lacobus Yocat concupiscentiam. Et in Actis audit Ananias:
Cur tentavit Satanas cor tuum?^) Paulus item ad
Ephes. cap. secundo (2) mala opera tribnit spiritui huius 25
aeris, qni operatur in filiis diffldentiae. Quae communi-
catio Christo cum Belial?^) Aut facite, inquit,
arborem bonam et fructus eins bonos, aut facite
arborem malam et fructus eins similiter malos.*^)
Qua igitur fronte quidam deo, quo nihil potest esse melius, 90
tribuunt fructus pessimos? Quamquam autem humana con-
») (2. Tim. 2, 3.) ') (2. Tim. 2, 6.) «) (2. Tim. 2, 5.)
*) (1. Cor. 9, 7.) ») Gegen Luther und Karistadt.
«) lacob. 1 (ia-15). ^ (GaL 5, 19.) ») Act. 5 (8).
•) (2. Cor. 6, 15.) '^) Matth. 12 (33).
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cnpiscentia soUicitator a Satana aut rebus extrariis aut alioqai
per occasionem rei, quae est in homine, tarnen sollicitatio non
aJDfert peccandi necessitatem. si velimns obniti implorato divino
praesidio, qnemadmodnm Spiritus Christi provocans nos ad
5 bene agendum non affert necessitatem, sed opem. Consentit
cum Jacobo Ecclesiasticus cap. 15(21): Nemini mandavit
deus impie agere et nemini dedit spatium pec-
candi At qui cogit, plus facit, quam si mandet. Sed eviden-
tius est, quod scribit Paulus 2. ad Timoth. secundo (21): Si
lOquis ergo se emundaverit ab istis, erit vas in
honorem. Quomodo emundat^) se, qui nihil agit omnino?
Scio hie subesse tropum, sed in praesentia mihi satis est,
quod hie sermo multum dissonat ab his, qui volunt omnia
tribuere merae necessitati. Concinit huic illud 1. loan. 5:*)
16 Omnis, qui habet hanc spem ineo, sanctificat se,
sicut et ille sanctus est Admittam hie tropum, si
yicissim illi nobis in aliis locis permittent tropi praesidium.
Et tamen nimis impudens fuerit tropus, si quis interpretetur:
sanctificat se, id est velit nolit sanctificatur a deo.*) Abi-
20ciamus, inquit Paulus, opera tenebrarum.*) Et: Ex-
spoliantes veterem hominem cum actibus suis.*)
Quomodo iubemur abicere et exuere, si nihil agimus? Item
ad ßo. 7. (18): Nam velle adiacet mihi, perficere
autem bonum non invenio. Hie Paulus videtur fateri
26 esse in hominis potestate velle, quod bonum est; atqui hoc
ipsum velle benefacere bonum est opus, alioqui nee velle
malum erit in malis.*) Ceterum extra controversiam est
voluisse occidere malum esse.
') X': emimdet.
*) Fehlerhaftes Zitat; die SteUe steht 1. Jo. 8, 3.
*) Mit Rücksicht auf Kapstadts wiUkürliche Exegese (p. 60 Anm. 2)
setzt E. die Möglichkeit einer solchen Erklärong hei seinen Gegnern Yorans.
*) Eom. 13 (12). ft) Coloss. 3 (9).
^) D. h. sonst würde ja auch das WoUen des Blasen nicht sn den
h(^en Dingen gehören.
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üb 6. RursTun 1. ad C!or. 14 (32): Spiritus, inquit,
prophetarum prophetis subiectus^) est. Si quos agit
Spiritus sanctus, sie agit, ut sit illis liberum, si velint, obtices- y
cere, multo magis hominis voluntas ex sese sui iuris est
Nam hi, quos agit Spiritus phanaticus, nee taeere possunt, si 5
velint, et saepe non intelligunt ipsi, quid loquantur. Eodem
periiinet illud, quod admonet Timotheum: Noli negligere
gratiam, quae in te est.^) Deelarat enim in nobis esse
avertere animum a gratia data. Item alibi: Et gratia
eins in me vacua non fuit.^) Signifieat se non defuisse 10
gratiae divinae. Quomodo non deftiit, qui nihil egit? Petrus
epist. 2. eap. 1 (5): Vos autem, inquit, omnem curam
subinferentes ministrate in fide vestra vir-
tutem ete* Ac mox: Quapropter, fratres, magis
satagite, ut per bona opera eertam voeationem 15
vestram et eleetionem faeiatis.*) Vult nostram solli-
citudinem iungi gratiae divinae, ut per gradus virtutum per-
veniamus ad perfeetionem.
n b 7. Sed iamdudum vereor, ne cui videar in his eon-
gerendis immodieus, eum nusquam non oeeurrant in divinis 20
voluminibus. Cum enim scribat Paulus seeunda ad Timotheum
cap. tertio (16): Omnis enim seriptura divinitus
inspirata utilis est ad doeendum, ad arguendum,
ad corripiendum, ad erudiendum etc., nihil horum
videtur habere loeum, ubi mera et inevitabili neeessitate 26
gernntur omnia. Quorsum pertinent tot eneomia sanctorum
apud Eeelesiastieum eap. quadragesimoquarto et sequentibus
aliquot, si nihil debetur industriae nostrae? Quid sibi vult
ubique laudata oboedientia, si ad bona et simul ^) mala opera
tale sumus instrumentum deo, quäle securis est fabro?^) so
*) X*: subvectus. •) 1. Tim. 4 (14).
«) 1. Cor. 16 (10). *) 2. Pet. 1 (10). *) B: simul et.
^ Vgl. Luthers Probationes zu den Heidelberger Thesen, cond. VI
ed. Stange, die ältesten eth Disp. p. 60.
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n b 8. At tale instramentum snmiis omnes, si yenun est
dogma Vuyclevi, omnia et ante gratiam et post gratiam, bona
pariter ac mala, qnin et media, mera necessitate geri, quam
sententiam approbat Lntheros. Quod ne qnis a me confictnm
6 cansetnr, ipsius verba snbscribam ex assertionibus:^) Unde,
inquit, et hunc articulnm necesse est revocare.
, Male enim dixi, quod liberum arbitrium ante
gratiam sit res de solo titulo, sed simpliciter
debui dicere: Liberum arbitrium est figmentum
10 in rebus seu titulus sine re, quia nulli est in
manu quippiam cogitare mali autboni, sed omnia,
ut Yuycleyi articulus Gonstantiae condemnatus
recte docet, de necessitate absolute*) eveniunt
Hactenus Lutheri verba recitavimus. Multa loca pmdens
15 praetereo, quae sunt in Actis et in Apocalypsi, ne molestus
sim lectori. Haec tarn multa non sine causa moyerunt eruditos
ac sanctos viros, ne in totum tollerent liberum arbitriunu
Tantum abest, ut spiritu ') Satanae fuerint instigati ^) sibique
damnationem accersierint fidentes operibus suis.
20 III al. Nunc tempus est^ ut ex adverso recenseamus
aliqaot^) scripturarum testimonia, quae yidentur prorsus
tollere liberum arbitrium. Ea sane nonnulla sunt obyia nobis
in sacris voluminibus, sed in bis duo praecipua sunt ac ceteris
eyidentiora, quorum utrumque sie tractat Paulus apostolus,
25 ut prima specie nihil omnino tribuere videatur vel operibus
nostris vel Üben arbitrii viribus. Alter locus est Exodi
cap. 9 (12, 16) et tractatur a Paulo epistolae ad Romanos
y cap. nono (14sq): Induravitque dominus cor Phara-
onis et non audivit eos. Et rursus: Idcirco autem
aoposui te, ut ostendam in te fortitudinem meamet
narretur nomen meum in omni terra. Paulus sie explicat
») Ass. 36, W. A. VII p. 146. «) Luther schreibt: absoluta.
') H: Spiritus. «) So Ass. a. a. 0. p. 145 Z. 35 f.
^) B: aliquod.
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addncenB similem locnm, qui est Exodi trigesimosecnndo:^)
Mosi enimdixit: Miserebor, cuicumque misereor, ^X
et commiserabor, quemcumque commiseror. Igitnr
non Yolentis neque cnrrentis, sed miserentis est
dei. Alter est apnd Malachiam cap. primo (2, 3), et tractatnr 6
apud Paulum cap. nono (11 — 13): Nonne frater er.at
lacob, dicit dominus?^) Et dilexi lacob, Esan
autem odio habui. Paulus sie explicat: Cum enim
nondum nati essent aut aliquid boni egissent aut
mali, ut secundum electionem propositum dei 10 x
maueret, non ex operibus, sed ex vocante dictum
est ei, quia maior serviet minori, sicut scriptum
est: lacob dilexi, Esau autem odio habui.
nia2. Quoniam autem absurdum videtur, ut deus, qui
non solum iustus est, verum etiam bonus, indurasse dicatur 15
cor hominis, ut per illius malitiam suam illustraret potentiam,
Origenes libro Ttegl &qxG)v tertio*) sie explicat nodum, ut
fateatur occasionem indurationis datam a deo, culpam tamen ^
in Pharaonem reiciat, qui sua malitia factus sit obstinatior
per haec, per quae debebat ad paenitentiam adduci ; quemad- 20
modum ex eodem imbre terra culta producit fructum optimum,
inculta spinas ac tribolos, et quemadmodum ex eodem sole
cera liquescit, limus durescit, ita lenitas dei, quae tolerat
peccantem, alios adducit ad paenitentiam, alios reddit obsti-
natiores in malitia. Miseretur ergo eorum, qui dei bonitatem 2fr
agnoscentes resipiscunt. Indurantur autem, qui dilati ad
paenitentiam neglecta dei bonitate proficiunt ad deteriora.
Tropum autem, quo dicitur fecisse, qui dedit occasionem,
probat primum ex consuetudine sermonis popularis, quo vulgo
>) Falsches Zitat; die SteUe steht Ex. 33, 19.
^ Diese Worte sind in dieser Form unverständlich. Es müßte heißen :
Nonne frater erat Esan lacob, dicit etc.
*) Cap. I, § 10 f. (Msg. 11, col. 265—270). Die Gedanken bis zum
Schluß des Abschnittes sind sämtlich dieser OrigenessteUe entnommen.
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pater dicit filio: Ego te perdidi, quod errantem non statim
punierit.^)
in a 3. Usus est simili tropo Esaias cap. 63 (17): Quar e
errare nos fecisti, domine, deviistuis, indurasti
6 cor nostrum, ne timeremus te? Hone locmn inxta
sententiam Origenis*) interpretatur Hieronymus.*) Indurat
dens, cum non statim castigat peccantem, et miseretnr, cum
mox per afflictiones ad paenitentiam invitat. Sic apud Osee
loqnitur iratus: Non visitabo super filias vestras,
10 cum fuerint fornicata e.*) Kursus misericorditer castigat
in PsaL 88 (33) : Visitabo in virga iniquitates eorum
et in verberibus peccata eorum. Eodem tropo dixit
Hiere. ca. 20 (7): Seduxisti me, domine et seductus
sum, fortior me fuisti et invaluisti. Seducere dicitur,
16 qui non statim revocat ab errore, quod ipsum existimat Ori-
genes *) interim conducere ad perfectiorem sanitatem, quemad-
modum periti chirurgi malunt tardius obducere cicatricem
vulneri, quo magis educta per hiatum vulneris sanie*) suc-
cedat perpetua sanitas. Annotat et illud Origenes,^) quod ait
20 dominus: In hoc ipsum excitavi te, non: In hoc ipsum
feci te. Alioqui Pharao non faisset impius, si talem condidisset
deus, qui contemplatus est omnia opera sua et erant valde
bona. Nunc utroque vertibili voluntate conditus suapte sponte
deöexit ad malum, dum suo animo maluit obsequi quam dei
26 iussis obtemperare.
nia4. Hac autem Pharaonis malitia deus abusus^) est
in suam gloriam et ad salutem populi sui, quo magis per-
spicuum esset homines frustra conari, qui dei voluntati
*) H. pnDieris. Vgl. übrigens auch J. Fisher (1. c. p. 674).
«) De^l ä^X' III, cap. 1 § 12 (Msg. 11, 270f.).
*) Comm. in Esaiam lib. XVU zur SteUe (Msl. 24, col. 643 AB).
*) Osee 4 (14). ^) L. c. § 18 coL 274 A.
•) X*: sanies.
^ Comm. in ep. ad. Rom. lib. VU zur SteUe (Msg. 14, coL 1146 B).
^) Abuti hier == gebranehen.
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resistunt, qnemadmodnm pmdens rex aut paterfamilias ^)
saevitia qnomndam, quos odit, tarnen ad poniendos improbos
abutitnr.*) Nee tarnen ideo vis fit nostrae voluntati, si remm
eventus in mann dei est aut si ille conatns hominnm pro suo
arcano consilio alio vertit, quam illi destinarant. Quemad- 5
modum igitur malomm conatus vertit in bonom piorum, ita
bonorum conatns non asseqnuntnr, qnod expetunt, nisi adinti
gratuito dei favore. Nimimm hoc est, qnod snbicit Paulus:
Igitur non volentis neque currentis, sed mise-
rentis est dei.^) Praevenit dei misericordia voluntatem 10
nostram, comitatur eandem in conando, dat felicem eventum. ^^
Et tarnen interim volumus, currimus, assequimur, sie tarnen,
ut hoc ipsum, qnod nostrum est, ascribamus deo, cuius su-
mus toti.
lU a 5. Satis autem explicant nodum de praescientia, 16
qnod non imponat necessitatem voluntati nostrae, sed mea^
sententia vix alius felicius quam Laurentius VaUa.*) Nee
enim praescientia causa est eorum, quae eveniunt, cum et
nobis contingat multa praescire, quae non ideo eveniunt, quia
praescimus, sed ideo praescimus, qnod sint eventura, quemad- 20
modum non ideo fit eclipsis solis, qnod eam astrologi futuram
praedixerint, sed ideo futuram praedixerunt, qnod esset futura.
ina6. Ceterum de voluntate ac destinatione dei diffi-
cilior est quaestio. Vult enim deus eadem, quae praescit. ^
Nam aliquo modo velit oportet, qui, quod praescit futurum, 26
tamen non impedit, cum ipsi sit in manu. Et hoc est, quod
*) A: patrifamilias.
^) Vgl. zu diesem Bilde Origenes, comm. in ep. ad Born. 1. c. coL
1146 AB.
«) Rom. 9 (16). B: Eom. 6.
^) S. p. 13 Anm. 3. Die folgende Argamentation ist übrigens nicht
erst Ton VaUa (dial. de lib. arb. L c. p. 1005) aufgebracht, sondern war
schon bei den Kirchenyätem üblich (ygl. z. B. Hieron. comm. in Jer. zn
26, 3 Msl. 24, col. 877 A; loann. Damasc. contra Manich. § 79 Msg. 94,
col. 1577 B).
Walter, De llbero arbltrio. 4
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s/
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subicit Paulas: Voluntati eins qnls resistit^), si
miseretnr cui vult, si indnrat quem vult?*) Etenim*)
si esset rex, qui quicquid vellet efSceret, neque quisquam
posset obsistere, facere diceretur quicquid vellet.*) Ita dei
5 voluntas, quoniam est principalis causa omnium, quae fiunt,
videtur nostrae voluntati necessitatem inducere. Nee haue
quaestionem explicat Paulus, sed obiurgat disputantem : O
homo, tu quis es, qui respondes deo?') Verum
obiurgat impie obmurmurantem, veluti si herus dicat servo
10 responsatori: Quid tua refert, quare sie iubeam? Tu fac,
quod iubeo, aliud responsurus, si servus prudens ac benevolus
modeste cupiat a domino discere, quare velit hoc fieri^ quod
in speciem videretur inutile/) Voluit deus male perire Phara-
onem et iuste voluit et bonum erat illum perire, nee ') tarnen
15 ille coactus est dei voluntate, ut pertinaciter esset impius.®)
Veluti si dominus sciens pravum ingenium servi committeret
illi munus, in quo daretur occasio peccandi, quo deprehensus
lueret paenas in exemplum aliorum, praescit illum peccatumm
et usurum ingenio suo et vult eum perire et vult eum aliquo
20 pacto peccare, nee tarnen excusatur servus, qui suapte malitia
peccavit. lam enim antea commeritus est, ut omnibus pro-
dita ipsius malitia det paenas. Verum unde sumes initium
^ meritorum, ubi est perpetua necessitas et ubi numquam fnit
libera voluntas?
25 m a 7. Quod autem de rerum eventu diximus, quia d^is
frequenter alio vertit, quod agitur, quam destinarant homines^
') (Rom. 9, 19.) ») (Rom. 9, 18.) «) X*: Et enim.
*) Dieser Satz ist nicht etwa taatologisch. Im Hanptsatz ist nicht
rex Subjekt, sondern quicquid veUet: „so würde, was auch immer er will,
ein Tun genannt werden.^
») (Rom. 9, 20.)
•) Vgl. Orig. n, d^X' III, I, 21, Msg. 11 col. 297 C f.
^ Dies Wort ist bei Fr. das Anfangswort einer Seite und ist klein
gesehrieben; der Custode schreibt hingegen: Nee Die gleiche Unglekh-
mftßigkeit findet sich bei H und X*.
*) B: impium.
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ut in plerisque verum est, ita non est perpetao vemin et
freqnentius accidit in nialis quam in bonis. ludaei erueifi-
gentes dominum destinarant illum in totum abolere; hoc
impium illorum consilium deus vertit in gloriam filii sui et
in salutem totius mundi.^) Sed Cornelius ille centurio, qui 5
bonis operibus ambiebat favorem numinis, assecutus est, quod
volebat.^ Et Paulus consummato cursu assecutus est coronam,
quam ambiebat.')
niaS. Hie non excutiam, an deus, qui est sine contro-
versia primaria et summa causa omnium, quae fiunt, quaedam 10
sie agat per causas secundarias, ut ipse interea nihil agat,
an sie agat omnia, ut secundariae causae tantum cooperentur
causae principali, tametsi non sunt alioqui necessariae.^) Gerte
dubitari non potest, quin deus, si velit, possit omnium secun- s/
dariarum causarum naturalem effectum in diversum vertere. 16
Videlicet efficere potest, ut refrigeret et humectet ignis, ut
duret et exsiccet aqua, ut obscuret sol, ut rigeant öumina, ut
fluant rnpes, ut seryet venenum, ut interimat cibus, quemad-
modum ignis fomacis Babylonicae tres pueros refocillavit et
idem Chaldaeos exussit.^) Id quoties facit deus, miraculum da
dicitnr. Hac ratione potest adimere gustum palato, iudicium
oculis, ingenü, memoriae voluntatisque vires obstupefacere et
ad id, quod ipsi visum fuerit, cogere, quemadmodum fedt in
Balaam, qui venerat, ut malediceret, nee potuit: aliud loque-
batur lingua, aliud volebat animus.^ Ceterum quod in paucis fit, 25
non pertinet ad generalem sententiam. Et tamen in his quic-
quid deus vult, ex iustis causis vult, licet nobis aliquoties
') (Vgl. Act. 2, 23f. u. 26.) *) (Act 10.)
») (2. Tim. 4, 7 f.)
*) £. spielt hier auf die divergierenden Ansichten des Thomas und
des Dorandns von St. Pordano an. Während ersterer eine st&ndige Mit-
wirkung Gottes hei aUem Geschehen lehrte, behauptete letzterer, daß
Gott die geschaffenen Dinge sich selbst aaswirken lasse nnd nur insofern
mitwirke, als er die Dinge erhalte (vgl. BE.' Bd. IV p. 262, Z. 40ff.).
*) (Dan. 3, 48 ff.) vgl. Pisher p. 680.
^ (Nnm. 23) vgl. Lather, ass. p. 145.
4*
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incogniti«. Hiiic volantati nemo potest resistere, sed ordinatae
^ volontati siye, at scholae vocant, yolantati signi ') nimimm
saepe resistitur. An non restitit Hierosolyma, qnae noliiit
congr^^ari, com dens volaerit?*)
6 niaÖ. Sed dixerit aliquis: Interim daplici nomine*)
necessitas est in renim eventis, quod nee praescientia dei
falli possit nee voluntas impedirL^) Non omnis necessitas
excludit liberam Yolnntatem, qnemadmodom deus pater neces-
sario gignit filinm et tamen yolens ac libere gignit, qnia non
10 coactns/) Potest et in hnmanis rebos aliqna poni necessitas,
^ qnae tamen non excindat libertatem nostrae volnntatis. Prae-
sciebat dens et, quod praesciebat, aliqno modo volebat fore,
nt ladas proderet dominum Itaqne si spectes dei praescientiam
infallibilem et volontatem inunatabilem, necessario eyentnrum
15 est, nt Indas prodat dominum, et tamen Indas poterat mntare
Yolnntatem suam aat certe poterat non snscipere volnntatem
impiam Dices: Qnid si mntasset? Non foisset ^ falsa dei
praescientia nee impedita voluntas, cum hoc ipsum praescitums
fnerit ac voliturus, quod esset mutaturus volnntatem. In bis
20 qui ^ rem scbolastica subtilitate discutiunt, recipiunt necessi-
tatem conseqnentiae, conseqnentis necessitatem reiciunt^ Nam
^) IHe Yoluntas signi ist derjenige Wille Gottes, dessen Inhalt den
Menschen bekannt ist.
«) (Matth. 23, 37.) ») Nomen = Veranlassung.
^) Ergänze: Es ist richtig, dafi es ans diesen beiden Gründen eine
Notwendigkeit gibt, aber . . .
^) Unterscheidung der inneren Notwendigkeit Yom äußeren Zwange.
^ „In diesen Dingen nehmen diejenigen, welche . . .'^
^) Die Unterscheidung der necessitas conseqnentis und der necessitas
conseqnentiae geht dort, wo sie auf Gott, die causa principalis, besogen
wird, auf eine Trennung des göttlichen Vorherwollens und Vorherwissens
zurttck. Jedes Ereignis tritt mit Notwendigkeit ein; aber die Art der
Notwendigkeit ist eine yerschiedene. Das eine Mal (necessitas conseqnentis)
geschieht etwas, weil Gott es vorher so gewollt hat; das andere Mal (necessitas
conseqnentiae) ist die bewirkende Ursache des Ereignisses der freie Wme der
Kreatur; gleichwohl tritt das Ereignis notwendigerweise ein, denn Gott
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his yerbis solent explicare, quod sentinnt. Fatentur enim
necessario consequi, quod ludas proditurus faerit dominum, ^
si hoc ab aeterno voluntate efflcaci voluit deus, at negant
consequi, quod ideo necessario proditurus sit, cum ex sua
prava voluntate susceperit impium negotium. 5
m a 10. Sed non est huius instituti hoc genus argutias
persequi. lam quod dictum est: Induravit dominus cor
Pharaonis,*) potest eodem accipi sensu, quo accipitur iUud
Pauli: Tradidit illos in reprobum sensnm,^) utidem
opus Sit peccatum et paena peccati. Sed quos tradit deus in 10
reprobum sensum, utique tradit ob merita praecedentia veluti
Pharaonem, quod tot signis provocatus noluerit dimittere
populum, philosophos, quod cum dei divinitatem nossent,
coluerint lapides et ligna. Verum ubi mera perpetuaque y
necessitas est, nuUa possunt esse merita neque bona neque 16
mala. Ad haec negari non potest, quin ad omnem actum con-
currat operatio divina, cum omnis actio res quaedam sit atque
etiam bonum quoddam sit, velut adulteram complecti aut hoc
ipsum velle. Ceterum actus *) malitia non proficiscitur a deo,
sed a nostra voluntate,*) nisi quod deus, ut dictum est, dici 20
posset aliquo sensu malitiam voluntatis operari in nobis, quod
eam sinat ire, quo velit, nee revocet per suam gratiam. Ita
perdidisse dicitur hominem, qui cum servare posset, passus
est perire.
hat es, wie ein Prophet, yoransgesehen und — so wenigstens fügt E.
hinzu — zugelassen. Beim Verrat des Judas kann somit nur yon einer
necessitas consequentiae geredet werden: Der aUwissende GK)tt sah den
Verrat voraus und hinderte ihn nicht; darum mnllte er notwendigerweise
eintreten. Aber diese Notwendigkeit war eine bedingte, denn die Möglich-
keit wenigstens lag vor, daß der mit freiem Willen ausgestattete Judas
den yerräterischen Entschlui^ nicht faßte. Vgl. etwa Thomas, contra gent.
I, 67, sol. 3, ed. de Sylvestris p. 101. Das Beispiel des Judas hat £. wahr-
scheinlich dem Laur. VaUa (1. c. p. 1001) entnommen.
>) Exod. 7. Die Stelle findet sich jedoch Exod. 9, 12.
') Rom. 1 (28). *) Actus gen. singul.
*) Vgl. Fisher p. 571 u. Orig. it. ä^y,. III, I, 19 Msg. 11, col. 293 AB.
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m a 11. 8'ed hisce de rebus satis, qnod ad hone locum
attinet. Nunc ad alterom de Esau et lacob, de qoibus non-
dom natis oracolo responsum est:.Maior serviet minori,
ut habetur Gteuesis 25 (23): Sed haec vox non proprie pertinet
6 ad hominis salutem; potest enim deus yelle, ut homo velit
nolit seryus sit aut pauper, ut tarnen non reiciatur ab aetema
Salute. Ceterum, quod attexit ex Malachiae cap. 1 (2): lacob
dilexi, Esau autem odio habui, si literaiA urgeas, deus
nee amat, quemadmodum nos amamus, nee odit quernquam,^)
10 cum in hunc non cadant affectus huiusmodi.*) Praeterea, quod
coeperam dicei^e, videtur illic loqui propheta non de odio, quo
v^ damnamur in aeternum, sed de afflictione temporaria, veluti
dicitur ira ac furor dei.') Eeprehenduntur illic, qui volebant
exstruere Idumaeam, quam deus Yolebat mauere dirutam.
16 HE a 12. Porro, quod attinet ad tropologiam, nee omnes
gentes dilexit deus nee omnes ludaeos odit, sed ex utraque
gente quosdam elegerat, ut hoc testimoninm apud Paulum non
admodum pugnet ad probandam necessitatem, sed potius ad
retundendam arrc^ntiam ludaeorum, qui credebant sibi pro-
20 prie deberi gratiam evangelicam, quod essent posteritas Abrahae
et gentes abominabantur nee recipi patiebantur ad evan-
gelicae gratiae consortium.^) Id paulo post explicans dicit:
*) Fr: qnemqnem.
') Diesen Satz hat Lnther als zwecklos bezeichnet (d. serv. arfo.
p. 724, 30). £. erklärt, ihn geschrieben zn haben, um zn zeigen, daß dies
prophetische Wort von Panlns nicht im eigentlichen, auf die Erwählung
bezüglichen Sinne gebraucht worden sein kann, sondern irgendwie tropisch
zu yerstehen sei (Hjp. II, 293). Über den Tropus, den £. hier finden wiU,
s. u. Anm. 4.
') Hiemach bezieht £. die ira und den furor Gottes auch nur auf
zeitliche Nöte.
*) Der Sinn dieser wenig glücklichen Ausführungen ist folgender:
Was nun das betrifft, daß Paulus in diesem alttestamentlichen Worte die
Erwählung der Heiden und die Verwerfung der Juden ausgedrückt findet,
so ist zu beachten, daß Paulus selbst die Schärfe der Aussage mildert, in-
dem er aus ihr nicht folgert^ Gott hätte alle Juden yerworfen, aUe Heiden
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Quos et vocavit, non solum ex ludaeis^) etc. Quo-
niam antem dens, quos odit aut diligit, ex instis cansis odit
aut diligit, non magis officit libertati arbitrii odinm et amor,
quo proseqnitor nascitiiFos, quam quo natos. Nondum natos
odit, qnia certo praescit illos gesturos odio digna; natos odit, 5
quia committunt odio digna. ludaei, qui erant populus dilectus,
reiecti ^ sunt, et gentes, qui non erant populus, receptae sunt.
Qnare ludaei recisi sunt ab olea? Quia noluerunt credere.
Quareinsitae gentes? Quiaoboedieruntevangelio. Hanc causam
affert ipse Paulus: Propter incredulitatem, inquit, 10
fracti sunt,^) utique quia credere noluerunt. Et exsectis
facit spem, ut rursus inserantur, si relicta incredulitate
Yoluerint credere, et insitis inicit metum, ne excidantur, si
averterint sese a gratia dei. Tu, inquit, fide stas, noli .
altum sapere, sed time.*) Ac mox: Ut non sitis 16
vobismet ipsis sapientes.*) Haec nimirum arguunt
Paulam hoc illic agere, ut reprimat gentium simul et ludae-
orum arrogantiam.®)
ni a 13. Tertius locus est Esaiae 45 (9): Vae qui
contradicit factori suo, testa de samiis terrae! ao
Numquid dicet lutum figulo suo: Quid facis? Et
opus tuum absque manibus est? Sed evidentius apud
Hieremiam cap. 18 (6): Numquid sicut figulus iste non
potero vobis facere, domus Israel? Ecce, sicut
erwählt, sondern (weiter nnten) darauf aufmerksam macht, daß Gott seine
Erwählten unter Heiden wie Juden hätte. Weil diese Milderung vorliegt,
so kann der Sinn nicht der sein, als wolle Paulus mit diesem Worte die
Prädestination beweisen, sondern nur der, daß Paulus die hochmütigen
Juden in ihre Schranken weisen will. Die Schlußfolgerung des £. ist yer^
fehlt: IHe Existenz gläubiger Juden läßt die Worte Pauli noch nicht zu
Übertreibungen aus pädagogischen Eücksichten werden. — Beachte femer,
daß £. unter amor und odium bei Paulus etwas anderes yersteht, als
bei Maleachi.
») (Rom. 9, 24.) «) X«: eiecti.
>) (Rom. 11, 20.) *) (Rom. 11, 20.) ») (Rom. 11, 2Ö.)
^) Zwischen arrogantiam und Tertius bei Fr. B. X^ ein kleiner Absatz.
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Intum in manu fignli, sie vos in manu mea. Haec
testimonia magis pngnant apnd Panlum, quam apnd proyhetas,
onde decerpta sunt Paolos enim ita recenset: An non habet
potestatem figolos loti ex eadem massa facere
5 aliod qoidem yas in honorem, aliod yero in con-
tomeliam? Qood si deos volens ostendere iram
^ et notam facere potentiam soam sostinoit in
molta patientia vasa irae apta ad interitim, ot
ostenderet divitias gloriae soae in vasa miseri-
lOcordiae, qoae praeparavit in gloriam^) etc. üter-
qoe locos prophetae obiorgat popolom obmormorantem domino^
qood affligeretor ad emendationem. Horom impias yoces
retondit propheta, qoemadmodom Paolos retodit hanc impiam
responsationem : 0 homo, to qois es?^) In his aot^n non
15 aliter debemos nos sobmittere deo, qoam figoli manibus
obtemperat lotom udom. Verom hoc non adimit in totnm
^^liberom arbitriom nee exclodit volontatem nostram yolontati
diyinae cooperantem ad salotem aetemam. Etenim apod
Hieremiam mox seqoitor cohortatio ad paenitentiam, qoem
20 locom ante ^) retolimos. Ea frostra fit, si ex necessitate fiont
omnia.
in a 14. Porro, qood hie Paoli sermo non pertinet ad
exclodendam in totom liberi arbitrii yim, sed ad retondendam
impiam mormorationem ludaeorom adyersos deom, qoi ob
25 peryicaeem incredolitatem reiciebantor a gratia eyangelii genti-
bos ob credolitatem reeeptis, satis explieat seconda epistola
ad Timotheom cap. 2(20,21): In magna aotem, inqoiens^
domo non solom sontyasa aorea et argentea, sed
et lignea et fictilia et qoaedam qoidem in honorem,
aoqoaedam yero in contomeliam. Si qois ergo se
V emondayerit ab istis, erit yas in honorem sancti-
ficatom et otile domino adomneopos bonompara-
') Eom. 9 (21-23). ^ (Rom. 9 20.)
«) S. p. 87 Z. 23ff.
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tnm.^) Hniosmodi vero similitudines docendi gratia sie ad-
hibentnr in literis sacris, nt tarnen non qnadrent per omnia.
Alioqoi quid stnltins, quam si quis dicat matnlae samiae: 8i
teipsam expnrgaris, eris vas utile et honorificum? Verum hoc
recte dicitur testae rationali, quae monita potest sese accom- 6
modare ad voluntatem domini. Praeterea, sit sane simpliciter
homo deO; quod lutum est in manu flguli, qualecumque vas
fingitur nulli imputabitur nisi flgulo, praesertim si talis sit
figulus, qui lutum etiam ipsum suo arbitrio crearit ac tem-
perarit Hie vas, quod ideo nihil commeruit, quia sui iuris 10
non est, conicitur in ignem aeternum.^) Ad id igitur inter-
pretemur parabolam, cuius docendi gratia adhibita est. Quod
si velimus omnes eins partes superstitiose ad id, quod pro-
positum est, accommodare, cogemur multa ridicula dicere.
Figulus hie faeit vas in eontumeliam, sed ex meritis prae- 15
cedentibus, quemadmodum reiecit ludaeos quosdam, sed ob
incredulitatem. Kursus ex gentibus fecit vas honorificum ob
credulitatem. lam qui nos urgent*) saerae seripturae verbis
ac similitudinem de flgulo et massa volunt simpliciter accipi,
cur non concedunt nobis, ut alterum locum: Siquis seao
emundaverit,*) simpliciter accipiamus? Et ita Paulus
reperietur sibi contradicere. In priore loco totum ponit in ^
mann dei, hie totum ponit in manu hominis. Et tamen uter-
que locus sanus est, quamquam aliud hie, aliud agit ille.
Prior occludit os obmurmurantis deo, posterior invitat ad 26
industriam ac deterret a securitate aut desperatione.
ni a 15. Non dissimilis huie locus est Esaiae cap. 10 (15):
Numquid gloriabitur securis contra eum, qui
seeat in ea, aut exaltabitur serra contra eum, a
quo trahitur? Quomodo,si elevetur virga contra 80
') Ah^lich Orig. n. äpy,, III, I, 20 Mag. 11, col. 296 BC.
') Diese Konsequenz, meint E., ist so widersinnig, daß wir in der
Parabel nach dem Zweck suchen müssen, um dessen wiUen sie gewählt
ist, nicht aber die einzelnen Züge derselben ausdeuten dürfen.
») X«: urget. *) 2. Timot. 2 (21).
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elevantem se et exaltetnr baculns, qni utique
lignnm est? Haec dicta sunt adversus impinm re^m,
coius saevitia deus abnsus fuerat ad castigandnm popnlam
suam. At is ea, qaae gerebantur divino permisso, tribaebat
6 snae sapientiae suisqae viribus, com faisset Organum irae
divinae. Organum erat, sed viyum et rationale. Quäle si
esset securis et serra, non absurde dicerentur et ipsae aliquid
agere una cum fabro. Servi sunt instrumenta viva dominorum^
ut docet Aristoteles,*) qualia forent secures, serrae, ligones,
10 aratrum, si per se moveri possent, quemadmodum tripodes ac
lebetes, quos sie fabricatus erat Yulcanus, ut sua sponte
venirent in certamen. *) Herus praescribit, suppeditat ea,
quibus est opus, neque quicquam possit') efficere servus
absque domino et tamen nemo dicat servum nihil agere domini
15 iussis obsequentem. Porro similitudo adhibita non yalet ad
toUendam arbitrii libertatem, sed ad retundendam arrogantiam
regis impii non deo, sed suo robori suaeque sapientiae tribu-
entis, quod gesserat.
ni a 16. Neque vero difficile diluitur, quod adducit Ori-
30 genes *) ex Ezechiele : Auferam cor lapideum ab eis et
immittam eis cor carneum.*^) Simili figura posset dicere
praeceptor discipulo soloecissanti : Eximam tibi linguam istam
barbaricam et inseram Romanam; nihilo secius tamen a dis-
cipulo requirit industriam, tametsi citra praeceptoris operam
85 non posset discipulus mutare linguam. Quid est cor lapideum?
Cor indocile et obstinatum in malitia. Quid est cor cameum?
Cor docile et obsequens gratiae divinae. Qui statuunt liberum
^ arbitrium, nihilo secius fatentur animum in malis obstinatum
non posse ad veram paenitentiam emollescere nisi adiutrice
') Eth. Nie. Vm, 13, 1161b 4. (Bibl. Teubn. 16 c, p. 190.)
«) Vgl. Dias XVIII, V. 373 ff. (BibL Teubn. 49, p. 376.)
*) X*: posset.
*) nefi äQx. III c. 1 § 15 (Msg. 11 col. 277 f.). Hier auch ein ähn-
liches Bild.
">) Kzech. 36 (26).
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gratia caelestL Qui docilem reddit, exigit et tnum conatam,
nt doctns evadas.
DI a 17. David orat: Cor mnndum crea in me,
deus.^) Et Paulus dicit: Qui se emundaverit.^) Ezechlel
didt: Facite vobis cor noYum et spiritum novum.*) 5
Contra David clamat: Et spiritum rectum innova in
visceribus meis/) David orat: Et omnes iniquitates
meas dele.^) Contra loannes: Omnis, qui habet hanc
spem in eo, sanctificat se, sicut et ille sanctus
est.*) David orat: Libera me de sanguinibus, deus.') 10
Propheta reclamat: Solve vincula colli tui, captiva
filia Sion.^) Et Paulus: Abiciamus opera tenebra-
rum.*) Item Petrus: Deponentes omnem malitiam et
omnem dolum et simulationes^®) etc. Paulus ad Philip.
2(12): Cum metu, inquit, et tremore vestram salutem 16
operamini. Atque idem prioris ad Corinthios 12 (6): Idem
vero deus, qui operatur omnia in omnibus. Huius
generis plusquam sexcenta loca sunt in divinis literis. Si
nihil operatur homo, cur dicit: Operamini? Si quid agit ^
homo, cur dicit: Dens operatur omnia in omnibus? 90
Quorum altera, si quis ad suum commodum detorqueat, nihil
agit homo, altera, si quis ad suam causam urgeat, totum facit
homo. Quod si nihil agit homo, nullus est locus meritis. Ubi
non est locus meritis, ibi nee suppliciis nee praemiis locus est.
Si totum agit homo, non est locus gratiae, cuius mentionem 85
toties inculcat Paulus. Non secnm pugnat Spiritus sanctus,
cuius afflatu proditae sunt canonicae literae. Utraque pars
amplectitur et agnoscit inviolabilem scripturae maiestatem.
Sed interpretatio quaerenda, quae nodum explicet. Qui tollunt
1) Psal. 50 (12). «) (2. Timot. 2, 21.)
») Ezech. 18 (31). *) (Peal. 50, 12.)
») (PsaL 50, 11.) •) 1. loan. 3 (3).
•) (PsaL 50, 16.) ^) Esaiae 52 (2).
») Rom. 13 (12). '0) 1. Pet. 2 (1).
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liberam arbitrium, sie interpretabantnr : Ad quod velis,
extende mannm,^) id est gratia extendet manom tuam, ad
quod ipsa velit.*) Facite vobis cor novum,*) id est
gratia dei faciet in vobis cor novum. Omnis, qui babet
5 hanc spem in eo, sanctificat sey^)id est gratia sanctiflcat
ipsum. Et abiciamus opera tenebrarum,*) id est
gratia abiciat. Toties occinitar baec cantio in divinis literis:
Fecit institiam,^ operatus est iniqaitatem.^ Id
quoties occurrit, exponemus : Dens fecit et operatus est in illo
10 iustitiam et iniquitatem. lam si proferam bic yeterum ortho-
doxorum aut etiam conciliorum interpretationem, mox reda*
mabitur: Homines erant^) Atquiininterpretationetam violenta
tortaque non licebit mibi dicere: Lutherus homo est? Sane
penes istos victoria est, si ipsis licet, utcumque causae com-
15 modum est, interpretari scripturas, nobis nee veterum inter-
pretationem sequi licebit nee nostram afferre in medium. Et
baec seriptura dilucidior est, quam ut egeat interprete : •)
Extende manum, ad quod voles,^^) id est gratia extendet
manum tuam, ad quod ipsa yolet, quod probatissimi doctores
ao interpretati sunt, somnium erit, non enim dieam, quod alii non
tacuerunt, instinetus Satanae.^^) Atqui baec loca, quae videntur
inter se pugnare, facile rediguntur in coneordiam, si nostrae
^^ Yoluntatis conatum cum aaxilio divinae gratiae eopulemus.
In comparatione figuli^*) et securis*') mordieus urgent nos
25 yerbis simpliciter intellectis, quoniam ita commodum est causae
>) (Sir. 15, 17.)
*) Diese Interpretation geht entgegen der Angabe des £. (s. u. Z. 12 f.)
nicht auf Luther, sondern auf Earlstadt zurück. Vgl. Leipziger Disp. ed.
Löscher, VoUst. Bef. Akta III, p. 295 u. 800. S. auch Hyp. I, g 4 r.
») (Ez. 18, 31.)
*) (1. lo. 3, 3) A. B. Fr. X» X«: spem, in eo sanctificat.
'') (Eom. 13, 12.) •) (Deut. 83, 21; Ps. 105, 3 etc.)
^ (Ps. 5, 7; 27, 3 etc.) •) Vgl. p. 17. ») Ironisch.
»0) (Sir. lö, 17.)
'^) Vgl. Ass. p. 145 Z. 85. H: tacuerunt instinctu Satanae.
") (Es. 45, 9.) >») (Es. 10, 15.)
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ipsorom, hie pamm pndenter recedunt a verbis divinae scriptu-
rae videlicet non miüto verecnndios interpretantes, quam si
quis dicat Petrum scribere et alius interpretetur: Non ipse
scribit, sed alias scribit in aedibns eius.^)
lUb 1. Nunc experiamnr, quantum habeant roboris, quae 5
Martinns Lathems addncit ad sabmendam liberi arbitrii
potestatem.*) Adducit enim ex Geneseos') cap. 6(3) et 8:*) ^y
Non permanebit Spiritus mens in homine in
aeternum, qnia caro est. Hoc loco scriptura non accipit
carnem simpliciter pro impio affectu, quemadmodnm aliquoties 10
nsnrpat Paulus, cum opera camis iubet mortificari,*) sed pro
inflrmitate oaturae proclivis ad peccandum,^ quemadmodnm
Corinthios camales appellat,^) quod nondum essent capaces
solidioris doctrinae, velnt infantes etiamnum in Christo. Et
Hieronymus in qnaestionibus Hebraicis ^) indicat apud Hebraeos 15
alind haberi, quam nos le^mus, nimirum ita:Non iudicabit
Spiritus mens homines istosin sempiternum, quia
carnes sunt*) Quae verba non severitatem dei, sed cle-
mentiam sonant. Games enim appellat inflrmae conditionis
et ad malum proclives, spiritum autem vocat indignationenu 20
Negat itaque se velle illos aetemis suppliciis seryare, sed volle
misericorditer hie paenas de illis sumere. Et tamen hoc
dictum non pertinet ad Universum genus hominum, sed tantum
ad illius aetatis homines nefandis vitiis corruptissimos. Et
ideo dicit: In hominibus istis. Nee tamen simpliciter ad 25
universos illius aetatis homines pertinebat, quandoquidem
laudatur Noe ut vir iustus et deo gratus.^^)
*) Zwischen eins und Nunc bei Fr. A. B. X* ein kLeiner Absatz.
*) In der Assertio. ■) Ass. p. 143.
*) 8. p. 62. *) (Vgl. Rom. 8, 13.)
^ Fisher (p. 660) schwächt Luthers Exegese ähnlich ab.
') (l. Cor. 3, If.) ») Zur Stelle, Msl. 23, col. 997 AB.
^ Gen. 6 (3). Auch Fisher (p. 563) zitiert die gleiche SteUe aus
Hieronymus.
>«) (Gen. 6, 8.) Vgl. Fisher, p. Ö60f.
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inb2. Eodem modo dissolvi potest, qnod affertvr ex
einsdem operis cap. 8 (21): Sensus enim et cogitatio
cordis hnmani prona sunt ad malnm ab adole-
scentia sua, et cap. 6 (5): Cuncta cogitatio cordis
öintenta est ad malnm omni tempore. Prodiyitas
aatem ad malnm, qnae est in plerisqae hominibns, non adimit
in totnm libertatem arbitrii, etiamsi vinci in totnm non potest
sine anxilio gratiae divinae.') Qaod si nnlla pars resipi-
Bcentiae pendet ab arbitrio, sed omnia necessitate qoadam
^ 10 gemntnr a deo, cur inibi datnm est hominibns spatinm paeni-
tendi? Ernntqne dies lllins centnm et yiginti
annornm.') Nam Hieronymns in qnaestionibns Hebraicis*)
hunc locnm referri vult non ad spatinm hnmanae vitae, sed
ad tempns dilnvii, qnod indnltnm est, nt interim, si y^ent,
15 resipiscerent, si nollent, digni yiderentnr nltione divina, qni
lenitatem domini contempsissent
in b 3. Porro, qnod addncit *) ex Esaiae cap. 40 (2) :
Snscepit de mann domini pro omnibns peccatis
suis, Hieronymns^) de divina vindicta interpretatnr, non de
20 gratia reddita pro malefactis.^) Qnamquam enim Panlns didt:
Ubi abnndavit peccatnm, snperabnndavit et gra-
tia,^ non tamen conseqnitnr ex hoc, qnod ante gratiam
gratnm facientem non possit homo adintns anxilio dei per
opera moraliter bona sese praeparare favori divino, qnemad-
26 modnm legimns de Cornelio centnrione ^) nondnm baptizato
acnondnm afflato spiritn sancto: Precationes et eleemo-
synaetnae ascendernnt in memoriam apnd denm.*)
^ Si omnia opera mala snnt, qnae finnt ante gratiam illam
snmmam, an opera mala conciliant nobis favorem dei?
>) Vgl. Fisher, p. 560.
•) (Gen. 6, 8.) •) Zur SteUe, Mal. 28. coL Ö97 B.
*) Ass. p. 144.
'^) Ck)mm. in Es. zxa SteUe, MsL 24, col. 415 A.
•) Vgl. Fisher, p. 566. ') Eom. 6 (20).
•^) X»: centnrioni. ») Actoram 10 (4). Vgl. Fisher 1. c.
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inb4. lam qaod affert^) ex Esaiae cap. eodem: Omnis
caro fennm et omnis gloria eius quasi flos feni.
Exsiccatum est fennm et flos eins decidit, qnia
spiritns domini snfflavit in illnd, verbnm antem
domini manet in aeternnm,^) mihi yidetnr violentins 5
trahi ad gratiam et liberum arbitrium. Siquidem hoc loco
spiritum accipit Hieronymus *) pro indignatione divina, camem
pro infirma hominis conditione, qnae nihil valet adversns denm,
florem pro gloria, qnae nascitnr ex felicitate rernm corporalinm.
Indaei gloriabantnr in templo, in praepntio, in victimis,^) 10
Graeci gloriabantnr in sapientia sna.*) Verum per evangelium ^
revelata ira dei de caelo,*) exsiccata est omnis illa gloria.
Nee tamen omnis affectus hominis est caro, sed est, qui dicitur
anima, est, qui dicitur spiritns, quo nitimui* ad honesta, quam
partem animi rationem vocant ant ^ysfiovixöv,'^ id est princi- 16
palem, nisi forte in philosophis nullus fuit ad honesta nixus,
qui docuerunt milies*) oppetendam mortem citius, quam ad-
mittendam tnrpitudinem , etiamsi sciremus futurum, ut et
ignorarent homines et deus ignosceret, ^) quamquam saepe
cormpta ratio male iudicat. Nescitis, inquit dominus, 20
cuius Spiritus sitis?^®) Errore quaerebant vindictam,*')
quod ad preces Heliae descendisset olim ignis de caelo, qui
absumpsit pentecontarchos cum suo comitatu.**) Esse antem
et in bonis spiritam humanum diyersum a spiritn dei declarat
Paulus ad Romanos 8 (16): Ipse enim spiritns testi- 25
monium reddit spiritui nostro, quod sumus filii
0 Ass. 1. c. «) (Es. 40, 6—8.)
*) Comm. in Es. zur SteUe, Msl. 24, col. 416 D, 417 A; vgl.
Fisher, p. 568.
*) (Vgl. Rom. 2, 17 ff.) '^) (Vgl. 1. Cor. 1, 22.)
•) (Äom. 1, 18.)
•) Vgl z. B. i^ietet Star^, II, cap. 18 § 30 (Bibl. Teubn. 33 e, p. 168)
8. Windelband, Gesch. d. Philos. 1892 § 14, 3 p. 131.
*) X*: müites. ») übi? Vgl. etwa Piatos Kriton.
'•) Luc. 9 (65). ») (Luc. 9, 54.) ") (4. Reg. 1, 8 ff.)
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dei. Qnod si qois contendat, id quod est in hominis natura
praestantissimam, nihil alind esse quam carnem, hoc est
affectum impinm, hnic facile assentiar, si qnod asseverat, sacrae
scriptnrae testimoniis doceat.^) Qnodnatumest ex carne,
5caroest, et qnod natum est ex spiritn, Spiritus
est.*) Porro loannes docet eos, qni crednnt evangelio, ex
deo nasci ") ac fieri filios dei *) atqne adeo deos.*) Et Paulus
distingnit hominem carnalem, qui non sapit ea, qnae dei sunt,
a spiritnali, qni omnia diindicat.^) Bnrsns alias yocat novam
10 creatnram in Christo.*^ Si totus homo etiam renatns per fidem
nihil aliud est quam caro,®) ubi spiritus e spiritn natus,*) ubi
filius dei, ubi nova creatura? Super his doceri velim. Interim
abutar yeterum auctoritate, qui semina quaedam honesti
tradunt insita mentibus hominum, quibus aliquo modo vident
15 et expetunt honesta, sed additos affectus crassiores, qui solli-
citant ad diversa. Porro voluntas huc aut illo versatilis
dicitur arbitrium, quae tametsi ob relictam in nobis peccati
procliyitatem fortasse propensior est ad malum qnam ad
bonum, tamen nemo cogitur ad malum, nisi consentiat
20 III b 5. Kursus, qnod recitat *®) ex Hieremiae cap. 10 (23):
Scio, domine, quoniam non est hominis yia eins
nee yiri est, ut ambulet et dirigat gressns suos,
magis ad rerum laetarum et tristium eyentus pertinet, qnam
ad potestatem liberi arbitrii.**) Frequeuter enim, cum maxime
^ cayent homines, ne quid incurrant mali, maxime malis inyol-
yuntur. Nee ob id adimitur libertas yoluntatis yel his, qui
^) Die Aasfühnmg richtet sich (laut Hyp. II, p. 352 f.) gegen Melanch-
thon; YgL Loci comm. ed. Plitt-Eolde' p. 92.
«)(Io. 3, 6) ») (1. lo. 6, 1.)
*) (lo. 1, 12.) *) (lo. 10, 34 f.)
•) (1. Cor. 2, 14 f.) ^ (2. Cor. ö, 17.)
^) Mit Becht konnte Lnther es ablehnen, so gelehrt zu haben (de
serv. arb. p. 744 f.)
») (lo. 3, 6.) »0) Ass. p. 144.
**) Laut Hyp. II p. 375 f. beruft sich £. für diese Ansicht auf Hiero-
nymus (Comm. in Jer. cur Stelle, M8I.24 col. 780 c).
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patiuntnr, quia malom Yentnnim non praeviderant, vel bis,
qui infenmty qnia non eodem animo afflignnt inimicos, quo
deus per illos hoc facit, nimirnm nt castiget. Qnod si maxime
torqneas ad liberum arbitrinm, nemo non fatetur absque dei ^
gratia neminem posse rectum yitae cursum teuere et quotidie 5
oramus: Dirige, domine deus, in conspectu tuo
vi am meam.^) Nihilo secius tamen interim annitimur et
ipsi pro viribus. Oramus: Inclina cor meum, deus, in
testimoniatua.*) Qui petit auxilium, non deponit conatum.*) ^
ni b 6. Iterum *) Proverbiorum 16 (1) : H o m i n i s e s 1 10
praeparare cor, domini autem est gubernare
linguam. Et hoc ad eventa rerum pertinet, quae possunt
accidere aut non accidere citra dispendium salutis aeternae. ^
Quomodo autem est hominis praeparare cor, cum Lutherus
affirmet omnia necessitate geri?") At idem eodem in loco 16
dicit: Eevela domino opera tua et dirigentur co-
gitationes tuae.^) Audis opera tua, audis cogitationes
tuas, quorum neutrum dici potest, si deus in nobis operatur
omnia, et bona et mala. Initium vitae bonae miseri-
cordia et veritas etc.^ Aliaque inibi multa leguntur, ao
quae faciunt pro bis, qui statuunt liberum arbitrium. Quod
autem citat^) ex eodem capite: Omnia propter semet
ipsum operatus est dominus, etiam impium ad
diem malum,^) deus non condidit ullam naturam ex se
malam et tamen sie sua ineffabili sapientia temperat omnia, 85
ut mala quoque vertat in bonum nostrum et in gloriam suam.
Nee enim Luciferum condidit malum, sed sua sponte defl-
cientem reservat aeternis suppliciis et per huius malitiam
exercet pios, punit impios.*®)
») Psal. 6 (9). «) Psal. 118 (36).
s) Zum ganzen Abschnitt vgl. Fisher p. 669 f.
*) Ass. p. 146. *) Vgl. Fisher p. 676f.
•) (Prov. 16, 3.) -^ (Prov. 16, 6 f.)
*^) Ass. p. 144. ») (Prov. 16, 4.)
'®) Die Erwähnang des Teufels ist dadurch veranlaßt, daß Fisher
Walter, De libero arbitrio. 6
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lU b 7. Neqne mnlto magis nrgei, quoi refert ^) ex ca^. 20 (1 ) :
Sicut divisiones aqnarum, ita cor regis in manu
domini; quacnmqae yolBerit, inclinabit illud.
Non statim cogit, qni incÜBat, et tarnen nemo n^at, ot dixi,-)
5 denm posse yim facere cogitationi bominis, extnndere, qnod
Tolebat, et aUam volnntatem inserere, qain et mentem ipsam
potest adimere. Nee ideo tarnen non manet in nobis regn-
lariter liberum arbitrium.') Qnod si Solomon sentit hie, qnod
V interpretatnr Lntherns^ cum omnia corda sint in mann do-
10 mini, cur hoc cen pecnliare pronnntiat de corde regis? Hie
locns magis consentit cum eo, qnod legimns lob 34 (30):
Qni regnare facit hominem hypocritam propter
' peceata populi. Item Esaiae 3 (4): Et dabo pueros
principes eornm et effeminati dominsbnntnr eis.
16 Cnm dens propitins popnlo sno inclinat animnm regis ad bona,
noQ affert illins volnntati necessitatem. Cetemm ad malnm
inclinare dicitnr, cnm offensns populi peccatis non revoeat
animnm stnlti principis ad rapinas, ad bella^ ad tyrannidem
propensnm, sed sinit illom suis affectibns praecipitem agi^
20 quo per illius malitiam castiget popnlum. Qnod si qnando
fleret, ut dens regem ita commeritum impelleret ad malitiam,
nihU est necesse peculiarem casum trabere ad sententiam
generalem. Huinsmodi testimoniornm , cuiusmodi Lntfaerus
IHTofert e Proverbiis, ingens aceryns nndiquaque coUigi
S5 peterat, sed magis faceret ad copiam quam ad victoriam. Tale
genns argnmentomm rhetores solent in mediam aciem con-
^ icere. Sunt enim huiusmodi pleraque, ut adhibita commoda
mterpretatione vel a libero arbitrio stare,*) vel contra liba'um
arbitrium pugnare queant.
80 m b 8. Dlud telum Lutherus existimat Achilleum et
p. 578) im Anschluß an Hieronymns unter dem impius (ProY. 16t, 4) den
Teufel versteht.
>) Ass. p. 146. «) S. 0. p. 51, 21 ff.
^ Vgl. Fisher p. 577.
*) Auf Seiten des freien Willens stehen.
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inevitabite,^) quod Christus in evangelio loannis 15 (6) ait:
Sine me nihil potestis facere. Atqni mea sententia ^
pdtest ad hoc non nno modo responderi. Primnm, vulgo nihil
agere didtnr, qm non aesequitnr td, qnod expetit, et tameti
fiiequenter aliquoHsqne promovit, qui conatur. In hoc sensu 6
veri^nmum est, nos sine Christo nihil posse facere, loquitur
enim iHic de fructu evangelico, qui non contingit nisi manen-
tibus in vite, qui est Christus lesus. Hoc tropo dixit Pau-
lus: Itaque neque qui plantat est aliquid neque
qui rigat, sed qui incrementum dat deus.*) Quod 10
mininii momenti est ac per se inutile, nihil appellat.^ Item
1. ad Corinth. cap. 13 (2): Si caritatem non habuero,
nihil sum. Et mox: Nihil mihi prodest/) Kursus ad
Bonwmos cap. 4 (17): Vocat ea, quae non sunt, tam-
quam sint. Kursus ex Osee non populum*) vocat popu- 16
lum contemptum et reiectum. Simili figura dictum est in
I^almis: Ego sum vermis et non homo.*) Alioqui si
qms urgeat hac voce: nihil, ne peccare quidem licebit sine
Christo (nam Christum hie opinor dici gratiam eins)') nisi
confogiant ad illud iam explosum, peccatum esse nihil. Et hoc 20
in aHquo sensu verum est, quandoquidem nee sumus nee vivi-
mus nee movemur sine Christo. Atqni isti donant nonnumquam
») Ass. p. 142. «) 1. Corin. 3 (7).
«) Ähnlich Fisher p. 558. *) (1. Cor. 13, 3;) Vgl. Fisher p. 554.
^ (Ofl. 1, 9.) •) Psal. 21 (7).
') Edd.: Christo. Nam Christum hie opinor did gratiam eins, nisi...
Doch scheint der Gedankengang der schwierigen SteUe nnr yerständlich
zn werden, wenn man die Worte: Nam — eins als Parenthese auffaßt.
Daäan meint £. folgendes: Wer das Wort nihil preßt, muß zugestehen, daß
aadi das Sündigen nicht ohne Christus möglich ist (unter Christus ist hier
nfittilich seine Gnade zu verstehen [vgl. Fisher, p. 554]), es sei denn, er er-
klärte die Sttnde fttr etwas nicht Wirkliches (Anspielung wohl auf Johannes
Skotos Eriugena, vgl R£.* XVIII p. 88 f.). Zwar ist der Satz, daß wir ohne
Christus nicht sündigen können, in gewissem Sinne richtig (ygl. oben
p. 53, 16 ff.), aber die £r{Srtenmg dieses Satzes wäre hier insofern überflüssig,
als dS« Gtegner ja ab und zu von einer Freiheit des WiUens zur Sünde reden.
5*
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liberum arbitriom absqne gratia yalere ad peccandom. Do-
narat boc Lnthems ipse in principio suae assertionis.^}
m c 1. Eodem pertinet, qnod ait loannes Baptista : N o n
v/ potest homo accipere quicquam, nisi faerit ei
5 datnm de caelo,*) nee ideo consequitnr nollam esse Tim
ant usnm liberi arbitrii. Qnod ignis calefacit, e caelo venit,
quod nos ioxta natnrae sensum expetimos utilia et refugimus
noxia, e caelo est, qnod post lapsnm impellitnr yolnntas ad
meliora stndia, e caelo est, qnod lacrimis, eleemosynis, preci-
10 bns asseqnimnr gratiam, qnae nos deo gratos reddit, e caelo
est. Nee Interim nihil agit nostra yolnntas, qnamqnam non
assecntnra, qnod conatnr, nisi adintrice gratia; sed qnoniam
minimnm boc est, qnod per nos agitnr, totum deo transcri-
. ^ bitnr, qnemadmodnm nayita, qni nayim in portnm dednxit e
16 grayi tempestate incolumem, non dicit: Ego seryayi nayim,
sed: Dens senrayit, et tarnen illins ars et indnstria non fnit
otiosa.*) Similiter agricola conyehens uberem proyentnm ex
agris in horrea non dicit: Ego dedi tarn copiosam annonam,
sed: Dens dedit. Et tamen Interim qnis dicat agricolam nihil
20 egisse ad proyentnm frngnm?*) Sic et ynlgo loqnnntnr: Dens
dedit tibi pnlchros liberos, cnm ad hos gignendos non defaerit
opera patris, et: Dens restitnit me sanitati, cnm nonnihil
adinyarit medicns, qnemadmodnm dicimns: Bex deyicit bestes,
cnm tamen dnces et milites nayarint bonam operam. Nihil
26 proyenit absqne caelesti plnyia et tamen terra bona prodncit
frnctnm, terra mala nihil affert boni frnctns. Sed qnoniam
humana opera nihil efflcit, nisi accesserit fayor diyinns,
snmma tribnitur diyino beneficio: Ni»i dominns aedifi-
cayerit domnm, in yannm laborant, qni aedifi-
80 cant eam. Nisi dominns cnstodierit ciyitatem,
frnstra yigilat, qni cndtodit eam.^) Nee tamen in-
») Aas. p. 142. •) (lo. 3, 27.)
*) Vgl Origenes, n. d^x- in cap. 1 § 18 (Mag, 11 col. 292 A).
*) Vgl. Orig. L c. col. 289Cf. •) PsaL 126 (l). B: PsaL 26.
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terim in aediiicando cessat cnra fabromm nee in custodiendo
yigilantia excnbitonun.^)
inc2. lam: Non enim vos estis, qui loqnimini,
sed spirituspatris vestri, qui loqnitnr in vobis.*)
Prima specie videtur tollere liberum arbitrium, sed re vera 6
adimit nobis sollicitudinem anxiam praemeditandi, quid simus
dicturi in negotio Christi; alioqui peccarent contionatores,
qui se studio praeparant ad sacram contionem. Nee Omnibus
hoe ezspeetandum, si quando diseipulis rudibus Spiritus infu-
dit, quod dieerent, quemadmodum infudit et linguarum donum. 10
Et si quando infudit, tamen in dieendo voluntas eorum eon- ^
sentiebat afflatui spiritus simulque agebat eum agente. Atque
hoe sane est liberi arbitrii, nisi forte reeipiemus sie deum
loeutum per os apostolorum, quemadmodum loquebatur Bala-
amo per os asinae.') 16
ni e 3. Sed magis urget, quod est apud loannem 6 (44) :
Nemo potest venire ad me, nisi pater mens tra-
xerit eum. Trahendi verbum videtur sonare neeessitatem
et exeludere voluntatis libertatem. Verum hie traetus non
est violentus, sed faeit, ut velis, quod tamen potes nolle; 20
quemadmodum ostendimus puero malum et aeeurrit, osten-
dimus ovi ramum salieis virentem et sequitur/) ita deus pulsat
animum nostrum^) sua gratia et volentes ampleetimur. Sie
aeeipiendum et iUud, quod habetur apud eundem eap. 14(6):
Nemo venit ad patrem nisi per me. Sieut pater glori- 2B
fieat filium, filius patrem, ita pater trahit ad filium, fllius ad
patrem. Sie autem trahimur, ut mox volentes eurramns. Sie
legis in Cantieo: Trahe me post te, eurremus*) ete.
nie 4. Ex Paulinis item epistolis aliquot loea eolligi
possunt, quae videntur omnem liberi arbitrii vim subvertere, 90
>) Vgl. Orig. L c. col. 289 A B und Fisher p. Ö76f.
•) Matth. 10 (20). >) (Num. 22, 28 ff.)
*) Vgl. Angußtm, tract. in loan. XXVI, 5, Msl. 85 col. 1609 und
Fisher p. 598.
*) B: animam nostram. ") Can. 1 (3).
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qnoi geaus ^t iUud 2. Comtb. 3 (5): Nob qaod suffi-
cientes simus cogitare aliqnid a nobis quasi ex
nobis, 8ed omnis nostra sufficientia ex deo est
Verum hie duobus modis succurri potest libero arbitrio. Plri-
5 mum enim quidam orthodox! patres ^) tres gradus faeiunt
^operis humani: primus est cogitare, secuadus vdlle, tertüs
perficere. Atque in primo quidem ac tertio uullum loonm
tribuunt libero arbitrio quicquam operandi. Aaimus enün a
sola gratia impellitur, ut cogitet bonum, et a sola gratia
10 peragitur, ut perficiat, quod cogitavit. Geterum in medio, hoc
est in consensa simol agit gratia et humana yolojaitas, mc
tarnen, ut principalis causa sit gratia, minus prineipalis
nostra voluntas. Quoniam autem summa rei tribuitar Uli,
qui totum contulit ad perficiendum, non est, quod hbmo ex
15 bono opere sibi quicquam asserat, cum hoc ipsum, ut possit
consentire et cooperari gratiae divinae, dei munus sit Deinde
haec praepositio: ex, sonat originem acfontem eoque Paulas
distincte refert a nobis quasi ex nobis, iq>^ iav^&v
&g i^ iavT&v, id est ex nobis ipsis. Haec dici poteraut
!dO etiam ab illo, qui donaret hominem naturae viribus e£Gica-
citer velle bonum, quandoquidem nee eas vires habet ex sese.*)
lue 5. Quis enim negat omne bonum a deo velut a
fönte proficisci? Atque id frequenter inculcat Paulus, ut
adimat nobis arrogantiam ac fiduciam nostri, quod et alibi
t6 facit: Quid habes, quod non accepisti? Si aece-
pisti, quid gloriaris, quasi non acceperis?') Glo-
riam audis, quam retundit hoc dicto. Idem audisset servus,
qui domino lucrum ex usura psurtum annumerat,^) si sibi
vindicasset laudem bene coUocatae operae: Quid habes,
80 quod non accepisti? Et tamen ob streune navatam
^) Bernhard t. Olairv. tract. de grat et lib. arb. cap. XIV § i6, Msl.
182 col. 1026 6.
') D. h. seU)st die skotistische Theorie würde durch dieses Wort nicht
ausgeschlossen sein.
») 1. Cor. 4 (7). *) (WLatth. 25, 20 ff.
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operam coUaüdatnr a domino. Eandem oantionem canit laco-
bns 1 (17): Omne datam Optimum et omne donum
perfectum desnrsam est descendens. Item Paulas
ad Ephesios 1 (11): Qui operatur omnia secundum
consilium yoluutatis suae. Et haec eo p^tinent, ne 5
quid arrogemus uobis, sed omHia referamus aecepta ^) gratiae
divinae, qvd^) nos aversos vocavit, qui per fidem puiificavit,
qui hoc ipsum donavit, ut nostra voluntas possit esse ovveQ-
y6g illins gratiae, quamquam haec vel ad omnia satis abunde
Sit sola nee opus habeat uUo humanae voluntatis auxilio. 10
nie 6. Ceterum quod est ad Philipp, cap. 2 (13): Dens
enim operatur in nobis et velle et perficere pro
bona Yoluntate, non excludit liberum arbitrium, cum enim (X
ait: Pro bona voluntate, si referas ad hominem, ut inter-
pretatur Ambrosius,^) intelligis bonam voluntatem simul 15
agere cum agente gratia. Ac mox inibi praecedit: Cum
metu et tremore vestram salutem operamini.*)
Unde colligis et deum operari in nobis et yoluntatem ac soUi-
citudinem nostram simul adniti cum deo. Eam interpretatio-
nem ne quis putet reiciendam, praecedit, ut dictum est, hone 20
locum: Vestram ipsorum*^) salutem operamini,
^yd^ecS^e, quod verius significat operari, quam verbum heQ-
yetv, quod deo tribuitur, 6 kveQyCbv. "Eve^el vero proprie,
quod agit et impellit. Sed ut idem poUeant i^yd^ea^i •) xal
hegyslv, certe locus hie docet et hominem operari et deum. 86
I£Ic7. Quid autem operatur homo, si idem est nostra
voluntas deo, quod argilla figulo? Non enim yos estis^
qui loquimini, sed *spiritus patris vestri, qui
loquitur in vobis.^ Hoc apostolis dictum est. Et tarnen,
in Actis Petrus legitur locutus: Tunc repletus spirituiO
*) Ferre oder refeire acceptum = jem. auf Bechnimg setzen, snschreiben.
*) Seil. deus.
^ Ambrosiaster, comm. in ep. ad. Phil, zar SteUe (Msl. 17, ool. 435 A).
*) (Phü. 2, 12.) ») Edd.: ipsanun. ♦*) H: ^i^yd^eade.
■) Matth. 10 (20).
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sancto Petrus dixit ad eos.^) Qnomodo cohaerebnnt
haec inter se contraria: Tu non loqueris, sed Spiritus,
et: Petrus locutus est plenus spiritu sancto, nisi
quod Spiritus sie loquitur in apostolis, ut simul et ipsi lo-
5 quantur obtemperantes spiritui ; et tarnen verum est, eos non
loqui, non quod nihil agant, sed quod ipsi non sint princi-
pales sermonis auctores. Itidem de Stephane legimus: Et
non poterant resistere sapientiae et spiritui, qui
loquebatur,^ et tarnen ipse loquitur apud concüium. Ita
10 Paulus: Vivo autem iam non ego, vivit vero in me
Christus,') et tarnen iustus apud eundem ex fide vivit.*)
Qnomodo igitur vivens non vivit? Quia spiritui dei fert
acceptum quod vivit Et ad Cor. 1 cap. 16 (10): Non autem
ego, sed gratia dei, quae mecum est. Si nihil egerat
15 Paulus, cur ante dixerat, se fecisse? Sed abundantius,
inquit, illis omnibus laboravi.*) Si verum erat, quod
dixerat, cur hie corrigit quasi perperam dictum? Nimirum
huc spectabat correctio, non ut inteUigeretur nihil egisse,
sed ne*) videretur suis viribus ascribere, quod auxiliante
20 dei gratia gesserat. Igitur insolentiae suspicionem excludit
^ ea correctio, non operis societatem.
ni c 8. Non enim vult deus, ut homo sibi quicquam tri-
buat, etiamsi quid esset, quod merito posset sibi tribuere:
Cum feceritis omnia, quae praecepta sunt vobis,
25 dicite: Servi inutiles sumus, quod debuimus fa-
cere, fecimus.') An non rem egregiam praestiterit, qui
servarit omnia praecepta dei? Qualis an omnino quisquam
reperiatur nescio.^) Et tamen qui hoc praestiterint, iubentur
dicere: Servi inutiles sumus. Non negantur fecisse, sed
90 docentur vitare periculosam arrogantiam. Aliud loquitur
>) Acto. 4 (8). ^ Acto. 6 (IG).
») Galat. 2 (20). *) Eom. 1 (17); Abacuc 2 (4).
») (1. Cor. 15, 10.) «) X«: ut. ^ Luc. 17 (10).
") Ob jemand überhaupt als ein solcher erfunden wird, das weiO
ich nicht.
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homo, aliad loqnitnr deas. Homo dicit: Servus sum, et ser-
vns inntilis. Quid dominns? Enge, serve bone et fide-
lis!^) et: lam non dicam vos servos. sed amicos,*)
eosdem pro servis fratres appellat.') Et qui se vocant servos
inatiles, deus appellat filios snos *) atqne hi ipsi, qni se nunc 5
praedicant servos inutiles, audiunt a domino: Venite,bene-
dicti patris mei,^) et andiant commemorari sua benefacta,
qnae ipsi se fecisse nesciebant.
in c 9. Arbitror autem praecipuam esse clavem ad divi-
nae scripturae intelligentiam, si spectemns , qnid eo in loco 10 .
agatnr; hoc animadverso conveniet ex parabolis ant exemplis ^
illnd excerpere, qnod ad institntnm pertinet. In parabola de
oeconomo,*) qui submovendus ab officio fraude mutat codi-
cillos debitoribus domini, quam multa sunt, quae nihil faciunt
ad sensum parabolae? Hoc tantum excerpitur magno cuique 15
studio conandum esse, ut dotes a deo acceptas largissime
effnndat iuvandis proximis, antequam mors occupet. Itidem
in parabola, quam modo attigimus: Quis vestrum habens
servum arantem aut pascentem boves, qui regresso
de agro dicat illi statim: Transi et recumbe, et 20
non dicit: Para, quod cenem, et praecinge te et
ministra mihi,donec manducem et bibam, et post
hoc tu manducabis et bibes? Numquid gratiam
habet servo illi, quia fecit, quae ei imperaverat?
Non puto. ') Huius parabolae summa est, ut simpliciter 26
oboedientes iussis divinis streune suo fungerentur officio nee
hinc quicquam laudis sibi vindicarent. Alioqui dominus ipse
dissidet ab hac parabola, qui se gessit pro ministro, cum dis-
cipulis concesserit honorem discumbentium. ^) Et gratias agit»
cum ait: Enge, serve bone,*) et: Venite, benedicti.^®) 30
Itaque non subicit: Ita et vos, cum feceritis omnia, dominus
') Lnc. 19 (17). «) loan. 16 (16). ») (lo. 20, 17).
*) (Ob. 1, 10.) ») Matth. 25 (34). «) (Lnc. 16, 1-9.)
') Luc. 17 (7-10). ^) (lo. 13, 4 ff.) ») (Luc. 19, 17.)
»<0 (Matth. 25, 34.)
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Bttlla gratia digBOS iüdicabit et pro senis inatDibnfi faaäehit,
«ed ait: Vos dicite: Servi inutiles snmns.^) Sie Pau-
los, qoi plus Omnibus laborarat, appellat se minimam aposto-
iorom et indignnm apostoli nomine.^)
5 ni c 10. Simüiter apnd Matthaeam cap. 10 (29) iNonnedno
passeres asse venennt? Et nnus ex illis noncadit
super terram sine patre vestro. Spectandum est in
primis, quid illic agat dominus; non enim voluit dooere Dio-
medeam,^) quod aiunt, omnium rerum necessitatem, sed eo
to tendit hoc exemplum, ut eximat discipulis metum hominum,
quod intelligerent se deo curae esse nee ab hominibus laedi
posse, nisi illius permissu^ illum yero non permissunua, nisi
sie expediret ipsis et evangelio; alioqui Paulus 1. ad Corin-
thios 9 (9): Numquid, inquit, de bubus cura est deo?
16 Videtur autem et in hoc, quod sequitur apud evangddstam,
hyperbole subesse: Vestri autem capilli capitis om-
nes numerati sunt^) Tot capilli quotidie deflount in
terram, an et hi vocabuntur ad rationem?'^) Quid igitur age-
bat hyperbole ? Nimirum illud, quod sequitur : Nolite ergo
äOtimere.*) Quemadmodum igitur his tropis eximitur metuß
hominum et conflrmatur fiducia erga deum, sine cuius proTi-
\/ dentia nihil omnino fit, ita quos supra recensuimus, non hoc
agunt, ut toUant liberum arbitrium, sed ut deterreant nos ab
arrogantia, quam odit dominus. Tutius est totum trwscribere
») (Luc. 17, 10.) «) (1. Cor. 16, 9.)
») Vgl. z. B. Plato, Rep. VI, 493 (BibI Teubn. 74, 4, p. 181). Eine
häufige Erklärung bringt den Ausdruck mit dem Baube des Bildes der
Pallas in Zusammenhang, an welchem das Schicksal Trojas hing. Zu
diesem Baube zogen Odjsseus und Diomedes aus, doch vollführte ihn
Diomedes aUein. Der darob eifersüchtige Odjsseus woUte ihn hinteirücks
erstechen, doch er wandte sich rechtzeidg um und nötigte den Odyflgeos,
vor ihm herzugehen. Diese Erklärung ist ebenso unwahrscheinlich, wie
eine andere, über die Pauly-Wissowa, B£. der klass. Altertumswiss. (Bd.
V, Sp. 816) nachgelesen werden kann. Non liquet.
*) Matth. 10 (30). ^) Batio hier = Bechnung.
«) (Matth. 10, 31).
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donuBO, bemgBns est, nee solum reddet nobis, qaod nostram
est, Terom etiam, qaod ipsias est, inbebit esse nostrum.
mcll. Filius flle prodigas ^) qaomodo dicitur prode-
gisse portionem suae sabstantiae, si nulla portio fuit in illins
manu? Quod habebat aeceperat a patre. Et nos fatemar 6
omods natorae dotes esse dona dei. Habebat portionem saam
etian tum, eom esset in mann patris, et babebat tatios.
Qaid igitof est efflagitata portione divertere a patre? Nimi-
rom est natorae dotes arrogare tibi easqne non applicare ad
implenda praecepta dei, sed ad explendas carnis concopis- lo
centias. ^nid est fames? Est afflictio, qua deus exstimulat
mentem peccatoris, ut agnoscat et oderit seipsum tangator-
qoe desidmo r^cti patris. Quid est filius secum loquens,
confessionem ac reditom meditans? Est volontas hominis
appUciuis sese ad gratiam ezstimulantemi qaam, nt diximas, 16
Tocant praevenientem. Quid est pater occurrens fllio? Est
gratia dei, quae proyehit yolontatem nostram, nt perficiamns,
qaod volumns. Haec interpretatio, si meum esset commen-
tum, certe probabilior esset, quam istorum, qui, quo convin-
cant hominis yolontatem nihil agere, porrige manum, ad ^
qaod voles,^) interpretantur: Gratia porrigit manum tuam,
ad qaod ipsa volet.') Nunc cum sit ab orthodoxis patribus^)
tradita, non video, quare debeat ccmtemni. Eodem p^*tinet,^)
quod Tidna paupercula duo minuta, hoc est totam substantiam
suam mittit in gazophylacium.^) tt
ni-c 12. Bogo, quid meritorum potest arrogare sibi, qui
quicqoid hoc est, quod ') homo potest intellectu natural! et ^
Ycduntatis libertate, totum debet ei, a quo vires eas accepit?
Et tamen deos hoc ipsum nobis imputat pro meritis, quod
non ayertimus animum nostrum ab ipsius gratia, quod naturae 90
') (Luc 15, 11 ff.) «) (Sir. 15, 17.) *) S. p. 60 Anm. 2.
^) Hieronymus, epist. XXI ad Damasam (Msl. 22 col. 379 ff).
^) Unter die gleiche Beurteilung (Nebeneinander von Gnade und freiem
WiUen) gehart die Erzählung.
**) (Marc. 12, 41 ff.) ^ Edd.: quicquid, hoc est, quod.
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vires ad simplicem oboedientiam appellimos. Hoc certe tantun
valet, ut falsum non sit hominem aliqnid agere, et tarnen
omninm, qnae facit, snmmam deo yelut anctori tribnat, nnde
profectum est, at potaerit sanm conatnm cum dei gratia
5 coniungere. Ita Paulus: Gratia, inquit, dei sum id,
quod sum.^) Agnoscit auctorem. Sed cum audis: Gratia
eius in me vacua non fuit,') agnoscis humanam volun-
tatem simul adnitentem auxilio diyino. Idem indicat, cum
ait: Non ego, sed gratia dei, quae mihi adest.*)
10 Nam Graecis est: fj ahv ifioL Et Hebraeus ille sapientiae
praedicator optat sibi assistere divinam sapientiam, ut
secum sit ac secum laboret^) Assistit tamquam
moderatrix et adiutrix, quemadmodum architectus assistit
ministro, praescribit, quid sit agendum, ostendit agendi
16 rationem, si quid ille perperam facere coeperit, revocat, si
quid ille deficit, succurrit; opus ascribitur architecto, sine
cuius ope nihil poterat effici, et tarnen nemo dixit ministrum
\y^c discipulum nihil egisse. Quod architectus est discipulo,
hoc gratia est voluntati nostrae. Ita Paulus ad Romanos
20 cap. 8 (26): Similiter et Spiritus adiuvat infirmi-
^^tatem nostram. Nemo vocat infirmum, qui nihil potest,
sed cui vires non sufficiunt peragendo, quod conatur, nee
adiutor dicitur, qui totum solus facit. Tota scriptura damat
adiutorium, opem, auxilium, subsidium. Quis autem adiuvare
26 dicitur, nisi aliquid agentem? Neque enim figulus adiuvat
lutum, ut fiat vas, nee faber securim, ut fiat scamnum.
III c 13. Itaque qui sie coUigunt: Nihil potest homo nisi
auxüiante gratia dei, igitur nulla sunt hominis opera bona,
his opponemus collectionem magis, ut arbitror, probabilem:
SO Homo nihil non potest auxiliante dei gratia, igitur omnia
^ opera hominis possunt esse bona. Quot igitur sunt in
scripturis divinis loca, quae meminerunt auxilii, tot sunt,
*) 1. Cor. 15 (10). «) (Ibid.)
») (Ibid.) *) (Sap. 9, 10.)
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qnae statuunt liberum arbitrium, atqne ea sunt innamerabilia.
Itaque vicero, si res aestimetur ex testimoniorom nnmero.
IV 1. Hactenus ex divinis libris loca contnlimus, qnae
statnnnt libemm arbitrinm, et ex adyerso, qnae yidentnr in
totnm tollere. Qnoniam antem spiritns sanctns, quo anctore 6
prodita snnt haec, non potest pngnare secnm, cogimnr
yelimns nolimns aliqnam sententiae moderationem qnaerere.
Cetemm, nt ex eadem scriptnra alii aliam snmerent opinionem,
in cansa fnit, qnod alins alio spectaret et ad snnm quemqne
scopnm interpretabatnr, qnod legebat. Qni secnm repntabant, 10
qnanta esset in hominibns ad stndinm pietatis socordia, deinde
qnantnm esset malnm desperatio salntis, dnm bis malis
mederi stndent, incanti in alind incidere malnm ac plns satis
tribnemnt libero hominis arbitrio. Enrsns alii perpendentes,
quanta sit pestis yerae pietatis hominem snis yiribns ac 16
meritis fidere, quam intolerabilis qnomndam arrogantia, qni
sna benefacta iactant atqne etiam ad mensnram ac pondns
yendnnt aliis, qnemadmodnm yenditnr olenm et sapo, dnm
hoc malnm magno stndio yitant, ant dimidiamnt libernm
arbitrinm, sie nt ad bonnm opns nihil prorsns ageret, ant in ^
totnm ingnlamnt indncta remm omninm absoluta necessitate.^)
IV 2. Nimimm istis'j yisnm est yehementer aptnm ad
Christianae mentis simplicem oboedientiam, nt totns homo
pendeat a nntn dei, in illins promissis spem omnem ac
fidnciam ponat et agnoscens, quam ipse ex sese sit misera- 25
bilis, miretnr et amet illins immensam misericordiam, qnae
nobis gratis tanta largitnr, illins yolnntati se totnm submittat,
siye seryare yelit siye perdere, nihil landis ex benefactis
sibi arroget, sed totam gloriam ascribat illins gratiae, cogi-
tans hominem nihil alind esse, quam yiynm Organum diyini 30
spiritns, qnod ipse sibi pnrgayit consecrayitqne sua gratnita
bonitate, qnod pro sna inscrntabili sapientia moderatur ac
temperat, nihil hie esse, qnod qnisqnam snis arroget yiribns,
') Earlstadt und Luther. *) Luther und seine Anhänger.
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et tarnen certa Mncia ab illo spettt pfaemiuiff aet^r&ae
yitae, non qoia suis benefactis promeraerit, sed qnod dos
bomtati vianm sit promittere ipsi fldentibiis; borainis partes
esse ^) assidne precari deam, Ht impartiat et augeat in nobis
5 f^iritnm snum, agere gratias, si qnid per nos benegestnm eat,
illins potentiam in omnibns adorare, sapientiam nbiqne Biirari,
bonitatem nbiqne amare. Haec oratio apnd me qnoqne
yebementer plausibilis est, congmit enim seriptnris c^vfnis,
respondet eomm professioni, qui semel mortui mundo per
10 baptismnm simnl sepolti sunt cnm Cbristo, xst mortifieata
came posthac vivant et agantnr spiritn lesu, in cnins corpus
insiti sunt per fldem. ^ Pia nimirmn et favorabilis sententia,
quae nobis omnem adimit arrogantiam, quae in Christum
transfert omnem gloriam simul et fiduciam, quae nobis metum
16 hominum ac daemonum excutit ac nostris ipsorum i^aesidiis
diffisos in deo fortes reddit et animosos! Bis libenter
applaudimus usque ad hyperbolas.
^ IV 3. Cum enim audio adeo nullum esse hominis meritum,
ut omnia quamvis piorum hominum opera peceata sint, cnm
20 audio nostram voluntatem nihilo plus agere, quam agat
argiUa in manu figuli, cum audio cuncta, quae f^imus aut
Yolumus, ad absolutam referri necessitatem, multis serupis
offenditur animus. Primum: quomodo toties legis sanctos
plenos operibus bonis fecisse iustitiam, ambnlasse rectos
25 coram deo, non declinasse ad dextram nee ad sinistram, si,
quicquid agunt etiam eximie pü, peccatum est et tale
peccatum, ut, ni subveniret dei misericordia, demersnanum
esset in tartarum eum, pro quo mortuus est Christus?
^ Quomodo toties auditur praemium, ubi prorsus nullnai est
80 meritum? Qua fronte coUaudatur oboedientia eomm, qui
parent iussis divinis, damnatur inoboedientia, qui non parent?
Cur toties fit in sacris literis iudicii mentio, si nuHa est
omnino meritorum expensio? Aut cur cogimur sisti* ad
1) KonstroktioiiBwechsd. ') (Vgl. Bom. 6, 4.)
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tribunal iudicis, si nihil ex nostro arbitrio, sed ex mera
necessitate gesta sunt in nobis omnia? Obstrepit et illa
cogitatio, qnorsnm opns tot moniti», tot praeeeptis, tot minis,
tot exhortationibns, tot expostnlationibns, si nos nihil agimns,
sed deus pro sna iramutabili volnntate Operator in nobis 5
omnia, et velle et perficere?^) Vult nos assidne precari,
vult advigilare, certare, contendere ad bravinm aetemae
vitae. Cur assidne rogari vnlt, qnod ipse iam decrevit dare /
aot non dare, nee mntare potest sna decreta, cum sit
immntabilis ipse? Cor inbet nos tot laboribns expetere, quod 10
ipse gratis largiri decrevit? Affligimnr, eicimui*, exsibilamur,
excmciamnr, occidimur: sie certat in nobis dei gratia, sie
vincit, sie trinmphat. Tarn atrocia patitnr martyr et tarnen
nihil Uli tribuitur meriti , immo peccare dicitnr exponens
corpus sunm tormentis spe vitae caelestis. Sed cur miseri- 15
cordissimus deus sie voluit in martyribus operari? Crudelis
enim videatnr homo, si quod gratis largiri decrevisset amico,
non daret nisi usque ad desperationem excruciato.
lY 4. Verum ad haue divini consilii caliginem ubi
ventum erit, fortasse iubebimur adorare, quod assequi fas non 20
est, ut dicat mens humana: Dominus est, potest quicquid
vult et quoniam natura optimus est, non potest non esse
Optimum, quicquid voluerit. Iam et iUud satis plausibiliter
dicitnr, quod deus sua dona coronat in nobis ac suum
beneflcium iubet nostrum esse praemium et, quod in nobis 25
operatus est, ex sua gratuita bonitate id sibi fidentibus
veluti debitum dignatur imputare ad assequendam immor-
talitatem. Sed nescio, quomodo sibi constent, qui sie in piis ^
exaggerant dei misericordiam, ut in aliis pene faciant illam
cmdelem, Benignitatem sua bona nobis imputantis utcumque 8^
fernnt aures piae; ceterum difficile expiicatur, quomodo
iustitiae sit (non enim iam dico misericordiae) alioa, in
quibus non dignatus est operari bona, aetemis addicere
') (Vgl. Phü. 2, 13.)
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sappliciis, cum ipsi per se nihil possint efficere boni, at
quibus aut nnllnm est liberum arbitrium aut, si est, ad nihil
aliud valet quam ad peccandum.^)
IV5. Si rex quispiam donaret ingens praemium ei, qui
6 nihil egisset in hello, cum ceteri, qui gnaviter se gessissent,
nihil ferrent praeter solitum salarium, fortasse posset ob-
murmurantibus militibus respondere: Quae yobis iniuria fit,
si mihi übet*) in hunc esse gratuito liberalem? At iustus et
Clemens qui posset videri, si ducem, quem machinis, copiis,
to pecuniis et omnibus praesidiis affatim instruxisset ad bellimi,
pro re bene gesta magnifice coronaret et alterum, quem nullis
instructum praesidiis inermem hello obiecisset, ob rem infeli-
citer gestam afficeret supplicio? Nonne moriens ille iure
diceret regi: Cur in me punis, quod tua culpa commissom
16 est? Si similiter instruxisses, similiter vicissem. Bursus, si
herus in*) servum nihil commeritum manumitteret, haberet
fortasse, quod aliis servis obmurmurantibus responderet: Nihil
yobis decedit, si in hunc sum benignior, habetis dimensum
vestrum. Atqui nemo non iudicaret crudelem et iniquom
20 dominum, qui servum loris caederet, vel quod minus esset
procero corpore vel naso porrectiore vel alioqui parum ele-
gante forma. *) Nonne is iure obmurmuraret domino caedenti :
Cur do paenas ob id, quod in manu mea non est? Atque hoc
iustius etiam diceret, si domino esset in manu mutare Vitium
25 corporis in servo, quemadmodum deo in manu est mutare
voluntatem nostram, aut si dominus hoc ipsum, quo offenditur,
Vitium addidisset servo, veluti si truncasset nasum aut faciem
cicatricibus foedasset, quemadmodum deus iuxta quorundam
opinionem etiam mala omnia operatur in nobis. Kursus,
* quod ad praecepta attinet, si dominus servo compedibus
astricto in pistrino multa praescriberet: Abi illuc, fac hoc,
0 So Lnther nnd Earlstadt.
*) X»: licet. ») BX«A fehlt: in.
*) Vgl. Fisher p. 545, der CliiyBostomas hom. in Matth. 60 (Msg. 58
-col. 575 f.) zitiert.
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corre, recorre, dira minitans, ni pareat, nee interim solya*et
illnm iamqne non parenti virgas expediret, nonne yideator
seryns iure dominuin vocare yel insannin yel crndelem, si loris
occideret, qnod non fecisset ea, qnae non erant in ipsins
potestate? 6
176. Porro, qnod isti fidem et caritatem in denm in
immensnm exaggerant, aeqnis aniibns ferimns arbitrantes
yitam Christianornm tot nndiqne sceleribns contaminatam
non alinnde proficisci, qnam ex fide nostra frigida et somni-
cnlosa, qna yerbotenns credimns deo quaeque natat in siunmis 10
labiis, cnm inxta Panlnm corde credatnr ad iustitiam.^)
Nee admodum digladiabor cnm bis, qni ad fidem yelnt ad
fontem capntqne refemnt omnia, etiamsi mihi fides ex
caritate, Caritas ex fide yicissim nasci aliqne yidetnr; certe
Caritas alit fidem , quemadmodnm in Incema lumen alitnr i6
oleo, libentins enim illi fidimns, qnem yehementer amamns.
Nee desnnty qni fidem initinm yolnnt esse salatis potins
qnam snmmam. Sed de bis non eontendimns.
IV 7. Getemm hie cayendnm erat, ne, dam toti snmns
in amplifieandis fidei landibns, snbyertamns libertatem arbitrü, 20 ,
qna snblata non yideo, qno pacto possit explicari qnaestio de ^
institia deqne misericordia dei. £x hninsmodi angnstiis
cnm sese non explicarent yeteres, qnidam dnos deos facere
coaeti sunt: altemm yeteris testamenti, quem tantnm yole-
bant esse instum, non etiam bonnm, altemm noyi testamenti, 85
qnem tantnm yolebant esse bonnm, non iustum, qnomm im-
pium eommentnm satis explodit TertuUianns.^) Manichaens,
nt diximns/) dnas in homine nataras somniayit: alteram,
qnae non posset non peceare, alteram, qnae non posset non
benefacere. Pelagins, dum metnit iustitiae dei, plns satis SO
tribnit libero arbitrio, a qno Jion ita mnltnm absnnt, qni
tantnm tribnnnt yoluntati hominis, nt ex natnrae yiribns
*) Bom. 10 (10). *) AdT. Marc. I cap. 2 ff. (Mal. 2, col. 273 ff.).
») 8. p. 13.
Walter, De libero arbitrio. 6
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per opera moraliter bona promereri possint gratiam ülam
snpremam, qua iastificamnr. ^) Hi mihi videntar bominem
ostensa bona spe salntis adipiscendae ad conandnm invitare
voloisse, qnemadmodnm Cornelius precibos et eleemosynis
6 meruit doceri a Petro , *) eunuchus a Philippo. *) Divus
Angostinns dam sedolo quaerit Christum in Paulinis epistolis,
meruit invenire. Hie illos, qui non ferunt quicquam boni
bominem posse, quod non debeat deo, sie placare possumus^
ut dicamus, nihilo secius totum opus deberi deo, sine quo
10 nihil efflceremus,^) et quod affertmomenti liberum arbitrium,
perpusillum esse et hoc ipsum esse divini muneris, ut possi-
mus animum ad ea, quae sunt salutis, afflectere aut gratiae
aovsQyelv, Augustinus ex colluctatione cum Pelagio factus
/ est iniquior libero arbitrio, quam fuerat antea. Contra Lutherus
16 ante nonnihil tribuens libero arbitrio *) huc provectus •) est
calore defensionis, ut in totum toUeret. Atqui reprehenditur
apud Graecos Lycurgus ') opinor, quod odio temulentiae vites
incidi iusserit, cum admotis propius fontibus sie posset ex-
cludere temulentiam, ut tamen non periret usus vinL
ao IV 8. Poterat enim mea sententia sie statui liberum arbitrium,
ut tamen yitaretur illa fiducia meritorum nostrorum cetera-
que incommoda, quae yitat Lutherus, simulque ea incommoda,
v^ quae nos supra recensuimus, nee perirent ea commoda, quae
miratur Lutherus. Hoc mihi videtur praestare illorum sen-
25 tentia, qui tractum, quo primum exstimulatur animus, totum
attribuunt gratiae; tantum in cursu tribuunt nonnihil homi-
nis voluntati, quae se non subduxerit gratiae dei. Cum autem
rerum omnium tres sint partes: initium, progressus et summa,
duas extremas tribuunt gratiae, tantum in progressu faten-
30 tur aliquid agere liberum arbitrium, sie tamen , ut ad idem
') Skotns und seine Schule.
«) (Act 10, in.) •) (Act 8, 26 ff.) *) S. p. 70, 19 ff.
^ Vgl p. 12 Anm. 4. •) X«: profectuB.
^ Nicht Lykurg, sondern Domitian hat eine ähnliche Verordnung
erlassen; ygL Sueton. Domitianus cap. VII § 2 ed. M. Ihm p. 840.
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opus individumn simol concurrant duae cansae, gratia dei et
hominis volnntas, sie tarnen, nt gratia sit causa principalis,
volnntas secundaria, quae sine principali nihil possit, cum i-^
principalis sibi sufficiat, quemadmodum nativa vis ignis urit ^)
et tarnen principalis causa deus est, qui simul per ignem agit, 5
quae yel sola suffleeret et sine qua nihil ageret ignis, ^i se
subduceret üla. Hae temperatura fit, ut homo totam salutem
suam diyinae gratiae ferre debeat aeceptam, cum perpusillum
Sit, quod hie agit liberum arbitrium, et hoc ipsum, quod agere
potest, Sit divinae gratiae, qui ^) primum condidit liberum arbi- 10
trium, deinde liberayit etiam ac sanavit. Atque ita placan-
tur, si modo plaeabiles sunt, hi, qui non ferunt homini quic-
quam esse boni, quod deo non debeat. Debet et hoc, sed
aliter alioque titulo, quemadmodum hereditas ex aequo obve-
niens liberis non yocatur quidem benignitas, quia per com- 16
munem legem eontingit omnibus. Si quid praeter commune
ins donatum est huic aut illi, liberalitas dieitur; tamen here-
ditatis etiam nomine liberi debeant parentibus.
IV 9. Conabimur et parabolis exprimere, quod dieimus^*
Oculus hominis quamyis sanus nihil yidet in tenebris, excae- 20
catus ne in luce quidem; ita yoluntas quamyis libera nihil s/
tamen potest, si se subdueat gratia, et tamen infusa luce
potest occludere, qui sanos habet oculos, ut non yideat, potest
et oculos ayertere, ut desinat yidere, quod yidere poterat
Plus autem debet, qui oculos habebat excaecatos yitio quo- 25
piam. Primum debet conditori, deinde medieo. Ante pecca-
tum utcumque sanus erat oculus, peccato yitiatur oculus.
Quid hie sibi potest arrogare, qui yidet? Est tamen, quod
sibi imputet, si prudens ^) daudat aut ayertat oculos.^) Accipe
parabolam älteram: Pater infantem nondum ingredi potentem 30
collapsum erigit utcumque adnitentem et pomum ex adyerso
') Das Bild Tom Feuer stammt von Thomas (prima sec. qa. 109,
art I, 8 opp. ed. Bom. VII p. 289).
•) Sic! •) Pradens = wiasentlich, mit Vorbedacht.
*) Vgl. p. 30 Anm. 2.
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s/
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positmn ostendit; gestit pner aocnrrere, sed ob imbeeillitatraQ
membrornm mox denno coUapsanis esset, ni pater maaa
pinrecta fnlciret regeretqne gressnm illius. Itaque patre dace
pervenit ad pommn, qnod pater yolens dat Uli in rnanum
6 yelati cnrsus praeminm. Erigere se non poterat infans, nisi
pater snstalisset, non vidisset pornnm, nisi pater ostendisB^
non poterat progredi, nisi pater inyalidos grados perpetao
adinvisset, non poterat attingere pomum, nisi pater dedisset
in mannm. Qnid hie sibi vindicabit infans? Et tarnen egit
10 nonnihil, nee habet tarnen , qnod de snis viribns glorietar,
com se totum debeat patri.
IV 10. Ponamus enim hoc interim esse, qnod est in deo.
Qnid igitur hie agit infans? Erigenti ntcnmqne annititar et
ad illins moderationem gressns infirmos, ut potest, accommo-
16 dat Poterat pater trahere nolentem et poterat relnctari
pnerilis animns spreto pomo, poterat pater dare pomnm abs-
qne cnrsn, sed sie dare malnit, qnia sie magis expedit pnero.
Facile patiar, nt aliquanto minus debeatnr industriae nostrae
ad conseqnendum vitam aetemam quam pueri ad patris ma-
20 nnm currentis.
IV 11. Hie cum yideamus minimum esse tributnm libero
arbitrio, tarnen quibusdam^) hoc ipsum videtur esse plus
satis, solam enim gratiam volunt in nobis agere, nostram
mentem in omnibus nihil aliud quam pati, velut Organum
2B divini Spiritus, ut nullo pacto bonum possit dici nostrum, nisi
quatenus diyina benignitas') gratis hoc nobis imputat, gra-
tiam enim non tarn operari in nobis per liberum arbitrinm
quam in libero arbitrio, quemadmodum figulus operatur in
argilla, non per argillam. Unde igitur coronae praemiiqne
90 mentio? Dens, inquiunt, sua dona coronat in nobis ac sunm
beneficium iubet esse nostrum praeminm et, quod in nobis
operatus est, imputare dignatur ad consortium regni caelestis.*)
^) Earlstadt, gegen den sich der ganze Abschnitt richtet; ygL p. 81.
•) X*: benignitate.
') Vgl. Leipz. Disp. ed. Löscher III p. 298: Pro mednUa yerbnin seryi
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Hie non yideo, quomodo statnant yolantatem liberam, qoae
nihil agat. Nam si dicerent sie agi a gratia, nt acta simol
agerety facilior esset explieatio^ qüemadmodom ioxta physicos
eorpns nostrum prineipinm motas habet ab anima nee omnino
moyeri posset absqne anima et tarnen non solnm movetnr 5
ipsnm, vemm etiam moyet alia et tamqnam socins operis vo-
catnr ad societatem gloriae. Quod si dens sie operatur in
nobis, qnemadmodum fignlus in argilla, qnid potest nobis im- ^
pntari Tel in bonnm vel in malnm? Non enim lifoet in hane
Tocare qnaestionem animam lesn Christi, qnae nimirnm et 10
ipsa foit Organum divini spiritns. Et si camis infirmitas ob-
stat, quo minus mereatur homo, exhorruit et ille mortem et
non yult fieri yoluntatem suam, sed patris/) Et tamen
hanc^) fatentur esse fontem meritorum, qui ceteris sanctis
Omnibus detrahunt omne meritum boni operis. 15
IV 12. Ceterum, qui negant') ullum omnino liberum
arbitrium esse, sed absoluta necessitate fieri omnia, fatentur
deum in omnibus operari non solnm opera bona, yerum etiam
mala, unde consequi videtur, ut qnemadmodum homo nulla
ratione dici potest auctor bonorum operum, ita nullo modo SO
dici potest auctor malorunt Haec sententia cum palam
yideatur deo tribuere cmdelitatem et iniustitiam, a quo ser-
mone yehementer abhorrent aures religiosae (deus enim non
esset, si quicquam in illum competeret yel yitii yel imper-
fecti), tamen habent hi quoque, quod in causa tam non plan- ib
sibili respondeant^): Deus est, non potest non Optimum et
pulcherrimum esse, quod facit; si spectes decorum uniyersi,
etiam iUa, quae per se mala sunt, hie bona sunt et ülustrant
gloriam dei nee est uUius creaturae iudicare consilium crea-
iUivs (der f&nf Pfund yerdient hatte) ... sie intelligitar: Non ego Incratos
snm, sed gratia dei mecnm.
>) (Matth. 26, 89.) •) Hanc, d. h. den WiUen Christi.
^ Qegen Lnther.
^) Zn den folgenden Gedankengängen dürfte E. wohl durch Lanr.
VaUa (L c. p. 1006) resp. SkotDS angeregt worden sein.
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toris, sed sese totam illi per omnia subicere adeo, nt si vide-
atur deo hunc aut illam damnare, non debeat obmarmurare,
\/sed amplecti, qnicqnid illi placuerit, illnd semel persnasom
babens omnia per illom optime gen nee posse aliter geri
6 quam optime. Alioqoi qois ferat hominem si dicat deo: Cor
me non fecisti angelum? Nonne deos huic merito respon-
deat: Impndens, si te fecissem ranam, quid habebas, qnod
querereris? Item si rana expostnlaret cum deo: Cur me non
fecisti payonem versicoloribns pennis conspicunm? Nonne
10 huic iure diceret: Ingrata, poteram te fnngnm ant bnlbnm
facere; nnnc salis, bibis et cantas. Rnrsns, si dicat basilis-
cns ant yipera: Cor me condidisti animal omnibns inTisnm,
omnibns letiferum potins qnam ovem? Qnid responderet
dens? Fortasse diceret: Mihi sie visnm est et sie congmebat
15 decoro et ordini nniversitatis. Nee tibi tarnen facta est
ininria, non magis qnam mnscis, cnlicibns reliqnisqne insectis,
qnomm nnnmqnodqne sie finxi, nt ingens etiam miracnlnm
praebeant contemplantibns. Nee ideo non est mirandum ac
pnlchmm animal aranens, si dissimilis est elephanto, immo
20 plus miracnlomm est in araneo qnam in elephanto. Non tibi
sat est, qnod in tno genere perfectnm es animal? Neqne
tibi datnm est venennm, nt occidas, sed nt bis armis te tnos-
qne fetns tueare, qnemadmodnm bnbns addita snnt comna,
leonibns nngues, Inpo dentes, calces eqnis. Habet ani-
85 mantinm nnnmqnodqne snam ntilitatem. Eqnns bainlns est,
bos arator, asinns et canis opera invant, ovis ad pastnm
ac yestitum hominis atfert ntilitatem, tu praestas usnm ad
pharmaca.
IV 13. Sed desinamus ratiocinari cum bis, qnae ratiohe
90 carent De homine nobis est instituta disputatio, quem dens
condidit ad imaginem et similitndinem snam^) et cnius gra-
tia condidit omnia. Cum vero videamus qnosdam nasci cor-
poribus felicissimis, ingeniis optimis ac velut ad yirtntem
') Gen. 1 (27).
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natis, rnrsus alios corporibos monstrosis, alios morbis hor-
rendis obnoxios, alios animis tarn stnpidis, nt minimuin
absint a brntis animantibns, qnosdam ipsis etiam brntis
bratioreSy alios ingeniis tarn propensis ad flagitia, nt ad
haec videantur vi fatorum rapi, qnosdam plane dementes 5
ac daemoniacos, qnibns modis bic explicabimns qnaestio-
nem de institia ac misericordia dei? An dicemns cnm ^
Panlo: O altitndo*) etc.? Sic arbitror melius, qnam
impia temeritate indicare de dei consilüs, qnae snnt homini
impervestigabilia. Yemm longe difficilins sit explicare, qnare 10
dens in aliis immortali gloria Coronet sna benefacta, in aliis
sna malefacta pnniat aetemis snpplieiis. Hoc tamen para-
doxen nt tneantnr, mnltis anxiliaribns paradoxis est opus,
quo tnta sit acies adversns alteram partem. Exaggerant in
immensnm peccatnm originale, quo sie volnnt corrnptas esse 15
praestantissimas etiam hnmanae natnrae vires, nt ex sese ^
nihil possit nisi ignorare et odisse denm ac ne per fidei qni-
dem gratiam instificatns nllnm opus possit efQcere, qnod non
Sit peccatnm;*) atqne illam ipsam proclivitatem ad peccan-
dnm in nobis ex peccato primomm parentnm relictam yolnnt 20
esse peccatnm et eandem invincibilem esse adeo, nt nnllnm
sit dei praeceptnm, qnod homo etiam per fidem instificatns
possit implere, sed tot dei praecepta non alio spectare, qnam
ut amplificetnr dei gratia salntem largiens absqne respectn
meritomm. 25
IV 14. Vemm Interim isti mihi videntur alibi contrahere
dei misericordiam, nt alibi dilatent, perinde ac si qnis apponat
convivis perparcnm prandinm, quo splendidior videatur in
cena et quodammodo pictores imitetur, qui cum lucem mentiri
volnnt in pictura, obscurant nmbris, qnae proxima snnt. 90
Primnm enim pene cmdelem faciunt denm, qui ob peccatnm
alienum sie saeviat in Universum hominnm genus, praesertim
cum qui commiserant resipuerint ac tam graves dederint
') (Kom. 11, 33.) ») S. p. 64 Anm. 8.
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paenas, quamdiu yixerunt. Deinde cum aiont etiam illos, qoi
per fldem iustificati sunt, nihil aliad quam peccare adeo, at
amando denm et fidendo deo reddamnr digni odio dei, nonne
^ yehementer hie faciant parcam dei gratiam, quae sie iusti-
5 fieat hominem per fldem, nt tamen adhuc nihil aliad sit quam
ipsom peccatnm? Praeterea dam deas tot praeeeptis onerat
hominem, qnae ad nihil aliad yalent, qaam nt magis oderit
deam graviasqae damnetar, nonne faciant eam ipso Dionjrsio
Siciliae tyranno inclementiorem,^) qoi moltas leges stadio
10 prodidit, qaas saspicabatar plerosqae, si nnllas instaret, ncm
servataros, ac primam connivebat, mox, nbi vidit omnes
propemodam alicabi peccasse, coepit eos vocare ad paenam.
Ita reddidit sibi omnes obnoxios. Et tamen hnins leges erant
hniasmodi, at facile possent servari, si qnis volaisseti Non
16 nnnc excntio caasas, qaibns docent omnia dei praecepta nobis
esse impossibilia, nee enim hoc institaimas, tantnm obiter
osteadere Yolai istos nimio stadio dilatandae gratiae in
ratione salatis eandem in aliis obscarare; qaaedam non Video,
qnomodo consistant. lagalato libero arbitrio docent hominem
20 iam agi spirita Christi, caias natnra non patitnr consortiom
^ peccati. Et tamen iidem dicnnt hominem etiam accepta
gratia nihil aliad qaam peccare.
IV 16. Id genas hyperbolis delectatas videtar Latheros,
at aliorum hyperbolas velati malam nodam, qaod dici solet,
25 malo caneo propelleret. Qaorandam temeritas ad hypeii)olen
processerat, qni vendebant merita non solam saa, yeram etiam
omninm sanctoram. At qnalia tandem opera? Cantiones,
marmara psalmoram, pisces, inedias, vestes, titalos. Hone
clavam clavo sie pepalit Latheras, at diceret nnlla esse
80 omnino merita sanctoram, sed omnia qnamlibet pioram homi-
nnm facta faisse peccata damnationem aetemam allatora,
ni fides et dei misericordia saccarrisset. Itidem altera pars
*) Aus welcher sekondären Quelle £. die «ipokiyphe Anekdote Ober
Dionys von Sizilien geschöpft h%%, ist mir unbekannt.
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lacnlentnin qnaestum fadebat ex confessionibns et satis-
factionibus, qnibns mire irretiverant hominnm consdentias,
item 6x porgatoriOy de qao paradoxa qaaedam tradiderant.
Hoc Vitium sie corrigit pars diversa, nt confessionem dicant
commentam esse Satanae^) (qni modestissime, negant exi- 6
gendam), *) pro peccatis non esse opus nlla satisfactione^ cum
Christus pro peccatis omninm paenas resolverit, denique
nolliun esse pnrgatorium. Item pars ana dicit etiam prior-
colomm') constitatioiies obligare ad paenam gehennae nee
dabitat promittere vitam aetemam, si qais oboedierit; diyersa 10
pars sie haic medetur hyperbolae, ut dicat omnes pontificum,
conciliorom, episcopomm constitationes esse haereticas et
antichristianas. Sic ana pars extalerat pontiflcis potestatem
Ttdw vTteQßoXixCtgj altera sie praedicat de pontifice, nt non
ansim referre. Barsas ana pars dicit monachornm et sacer- 16
dotam Yota obstringere hominem ad paenam gehennae et in
perpetaam, altera dicit talia vota esse prorsas impia nee
esse snscipienda nee, si snsceperis, servanda.
IV 16. Ex talinm igitor hyperbolarum collisione nascnntnr ^
haec falmina ac tonitrna, qaae nanc concatiant orbem. Qaod ^
si pars ntraqae pergat mordicos taeri saas hyperbolas, yideo
talem pagnam inter iUos ^) fatoram, qualis Mt inter Achillem
et Hectorem, qaos, qaoniam erant pariter feroces, sola mors
potnit dividere.*^) Ac valgo qaidem aiant baculam carvam,
nt rectum facias, in diyersam partem inflectendum esse; id 25
fortasse consnltam faerit in corrigendis moribas, in dogmatibas
an ferendnm sit nescio. In exhortando ant dehortando yideo
nonnnmqaam esse locam hyperbolis, yelat, at addas homini
timido fidnciam, apte dixeris : Ne metae, deas omnia loqnetar
et fadet in te. Et ad retnndendam hominis impiam inso- 80
*) Fr. H. A. B.: Satanae: qui. X^ X*: Satanae, qui.
') Fr. H. A. B. X': exigendam: pro. X*: exigendam. pro.
^ Priorcoli die Prioren der Klöster, deren Antoritftt geringer war als
die der Äbte nnd deren Yerordnongen somit nicht aU zn viel galten.
*) H: eos. ») Vgl. Horaa, serm. I, 7, 11 ff. (ed. Tenbn. p. 198).
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lentiam atiliter fortasse dixeris hominem nihil aliud esse
qaam peccatam; et adyersiis eos, qni sna dogmata postolant
aeqaari scripturis canonicis, atiliter dixeris hominem nihil
aliud esse quam mendaciom. Verum ubi in disquisitione Ten
proponuntur ü^Kbixata, non arbitror utendom huiusmodi para-
doxis, quae non multum absunt ab aenigmatibus, mihi quidem
in his placet moderatio. Pelagius libero arbitrio yisus est
tribuere plus satis, Scotus tribuit affatim. Lutherus primum
mutilabat tantum amputato dextro brachio, mox nee hoc con-
tentus prorsus iugfulavit liberum arbitrium et e medio sustu-
^ lit. Mihi placet illorum sententia , qui nonnihil tribuunt
libero arbitrio, sed gratiae plurimum. Nee enim sie erat
^ vitanda ScyÜa arrogantiae, ut feraris in Charybdim despera-
tionis aut socordiae, neque sie medendum membro luxato, ut
16 in diyersam partem detorqueas, sed in suum locum erat repo-
nendum, nee sie erat a fronte pugnandnm cum hoste, ut a
tergo vulnus accipias incautus. Uac moderatione fiet, ut sit
aliquod opus bonum, licet imperfectum, sed unde nihil sibi
possit arrogare homo; erit aliquod meritum, sed cuius summa
ao debeatur deo. Abunde multum est inflrmitatis vitiorum, sce-
lerum in vita mortalium, ut si se quisque yelit contemplari,
facile deponat cristas, etiamsi non asseyeremus hominem
quamyis iustificatum nihil aliud esse quam peccatum, prae-
sertim cum Christus appellet renascentium,^) Paulus noyam
26 creaturam.*) Cur, inquies, datur aliquid libero arbitrio? Ut
^ sit, quod merito imputetur impiis, qui gratiae dei yolentes
defuerint, ut exciudatur a deo crudelitatis et iniustitiae
calumnia, ut exciudatur a nobis desperatio, ut exciudatur
securitas, ut exstimulemur ad conandum. Ob has causas ab
90 Omnibus fere statuitur liberum arbitrium, sed inefficax absque
perpetua dei gratia, ne quid arrogemus nobis. Dicat ali-
quisi'j Ad quid valet liberum arbitrium, si nihil efficiat?
>) ? Renascentiam? «) (2. Cor. 6, 17.)
•) X»: aliqmd.
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Bespondeo: Ad quid yalet totus homo, si sie in illo agit deus,
quemadmodum flgulns agit in Into et qnemadmodnm agere
poterat in silice?
IV 17. Proinde, si satis iam demonstratnm est hanc
materiam esse talem, nt non expediat ad pietatem altins eam 5
scrntari, quam oportet, praesertim apnd idiotas, si docnimns
hanc opinionem plnribns et evidentioribos ^) testimoniis scrip-
tnramm folciri, quam alteram, si constat scriptnram sacram
in plerisqne locis Tel obscnram esse tropis yel secnm etiam
pngnare prima qnidem specie eaque gratia yelimos nolimns 10
alicnbi recedendam a verbis et literis ac interpretatione
moderandam esse sententiam, deniqne, si declaratnm est, quot
incommoda, non dicam abstlrda conseqnantnr, si semel fon-
ditos toUatnr libenun arbitriom, si palam est factum hac,
quam dixi, sententia recepta nihil perire eomm, quae Lutheros 15
pie qnidem et Christiane dissemit de summa caritate in denm,
de abicienda fidncia meritomm, opemm et yirinm nostramm,
de tota fidncia transferenda in deum et illius promissa: iam
velim illud expendat lector, nnm aeqnum censeat, ut damnata
sententia tot ecclesiae doctomm, quam tot iam saecnlomm ac 20
gentium consensus approbavit, recipere') paradoxa quaedam,
ob quae nunc tumultuatur orbis Ghristianus. Ea si vera
sunt, ingenue fateor ingenii mei tarditatem, qui non assequar,
certe sciens non reluctor veritati et ex animo faveo libertati
yere evangelicae ac detestor, quicquid adyersatur eyangelio. 25
Nee hie ago personam iudieis, ut dixi, sed disputatoris et
tamen yere possum illud afftrmare me in disputando eam
seryasse religionem, quae olim in causis capitalibus a iuratis
iudieibus exigebatur. Nee me licet senem yel pudebit yel
pigebit a iuyene discere, si quis cum eyangeliea mansuetudine 90
doceat eyidentiora. Hie audiam, sat scio: Discat Erasmus
^) X': evldentibas.
*) EoüBtruktionsfehler; entweder mnfi das nt (Z. 19) gestrichen oder
beaser redpere in redpiamns geändert werden.
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Christum et yalere iabeat hnmanam pradentiam;^) haec
nuUus intelligit, nisi qoi spiiitnm habet dei Si noudum
intelligo, quid sit Christas, nimiram hactenos procul aber-
ratnm est a scopo, qaamqaam illnd labens didicero, quem
5 spiritum habuerint tot doctores ac populi Christiani, — uam
probabile est populum idem sensisse, quod docebant episcopi,
— annis iam mille trecentis^ qui hoc non inteUexerunt
CONTULI, penes alios esto iudicium.
De libero arbitrio dunnißfjg sive coUationis per
10 Des. Erasmum Boterodamum finis.*)
>) Vgl. Lnther an Pellikan vom 1. Okt 1523; Enden Briefw. IV,
p. 235 (8. anch Hyp. II, 629).
*) Bei B fehlt diese Unterschrift; statt dessen: Finis. Die dra
datierten Ausgaben enthalten noch folgende Angaben über Ort, Zeit und
Verlag: Fr: Basileae apnd loan. Freb. mense Septemb. an. 1524. H: Amt-
Terpiae apnd Michaelem Hilleninm Hochstratannm mense Septemb. anno
1524. A: Coloniae apnd Heron. Alop. mense Septemb. anno 1524.
Lippen ft Co. (0. Pftta'sehe Bnehdr.), Maambuig a. 8.
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