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Full text of "Die Appellation und Protestation der evangelischen Stände auf dem Reichstage zu Speier 1529"

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QUELLENSCHRIFTEN 

ZUR 

GESCHICHTE  DES  PROTESTANTISMUS 

ZUM  GEBRAUCH  IN  AKADEMISCHEN  ÜBUNGEN 

IN   VERBINDUNG    MIT    ANDEREN    FACHQENOSSEN 
HERAUSQEOEBEN  VON 

Prof.  JOH.  KUNZE  und  Prof.  C.  STANGE. 


FÜNFTES  HEFT. 

DIE  APPELLATION  UND  PROTfiSTATION 

DER  EVANGEUSCHEN  STÄNDE  AUF  DEM  REICHSTAGB 

ZU  SPEIER  1529. 


LEIPZIG. 

A.  DEICHEBT'SCHE  VERLAGSBUCHH.  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1906. 


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DIE 

APPELLATION  UND   PROTESTATION 
DER  EVANGELISCHEN  STÄNDE 

AUF  DEM 

REICHSTAGE  ZU  SPEIER  1529. 
HERAUSGEGEBEN 

VON 

D.  JULIUS  NEY, 

OBERKONSISTORIALRAT  IN  SPEIER. 


-<8»- 


LEIPZIG. 

A.  DEICHEBT'SCHE  VERLAGSBUCHH.  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1906. 


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Alle   Rechte   vorbehalten. 


Lippert  d  Co.  (0.  F&ts*toho  Buchdr.).  Kaomborg  a.  S. 


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i  44  6  v^> 

JUL  1  >  191M 
5-0 


Einleitung. 


Unter  den  Quellenschriften  zur  Geschichte  des  Prote- 
stantismus ist  die  auf  dem  Reichstag  zu  Speier  im  Jahre  1589 
von  den  evangelischen  Ständen  eingelegte  Pi'otestation  und. 
Appellation,  von  welcher  im  nachstehenden  ein  Neudruck  ge- 
geben werden  soll,  schon  deshalb  eine  der  wichtigsten,  weil 
der  Protestantismus  ihr  seinen  Namen  verdankt. 

Das  Verständnis  derselben  ist  durch  die  Kenntnis  der 
geschichtlichen  Umstände  bedingt,  unter  denen  sie  entstand. 
Da  der  Beschluß,  gegen  den  die  Protestation  sich  wendet,  in 
seinem  ersten  Absätze  bestimmt,  daß  diejenigen  Stände,  welche 
bisher  bei  dem  Wormser  Edikt  geblieben  seien,  bis  zu  dem 
künftigen  Konzile  dabei  verharren  sollten,  muß  das  am  Schlüsse, 
des  Wormser  Reichstags  am  26.  Mai  1521  von  Karl  V.  unter- 
zeichnete, aber  vom  8.  Mai  datierte  kaiserliche  Mandat  den 
Ausgangspunkt  unserer  Erörterungen  bilden.  Die  hier  vorr 
nehmlich  in  Betracht  kommenden  Stellen  dieses  Edikts  haben 
nachstehenden  Wortlaut:^) 

„Und  (wir)  gebieten  darauf  euch  allen  und  jedem  insonder- 
heit bei  den  Pflichten,  damit  ihr  uns  und  dem  heiligen  Reiche 


^)  Das  Zitat  ist  nach  einem  in  einem  Sammelbande  (H.  ref.  287)  der 
kgL  Hof-  und  Nationalbibliothek  Mttnchen  sich  findenden  Originaldracke 
aiu  dem  Jahre  1521  gegeben. 

Key,  AppeUation  nnd  Protestation.  1 


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—    2    — 

verwandt  seid,  auch  Yenneidang  der  poenae  criminis  laesae 
majestatis  und  unserer  and  des  Reichs  Acht  und  Aberacht . . . 
von  römischer  kaiserlicher  Macht  eiiistlich  mit  diesem  Brief 
und  wollen,  daß  ihr  samtlich  und  sonderlich  nach  Yerschei- 
nung  der  obberührten  zwanzig  Tage,  *)  die  sich  auf  den  vier- 
zehnten Tag  dieses  gegenwärtigen  Monats  Mai  enden,  den 
vorgemelten  Martin  Luther  nicht  hauset,  hofet,  ätzt,  tränket, 
noch  enthaltet,  noch  ihm  mit  Worten  oder  Werken,  heimlich 
noch  öffentlich,  keinerlei  Hilfe,  Anhang,  Beistand  noch  Für- 
schub beweiset,  sondern  wo  ihr  ihn  alsdann  ankommen  und 
betreten  und  deß  mächtig  sein  mögt,  ihn  fänglich  annehmet 
und  uns  wohlbewahrt  zusendet  oder  das  zu  tun  bestellet  oder 
uns  das  zum  wenigsten,  so  er  zu  Händen  gebracht  würde, 
unverzüglich  verkündet  und  anzeiget  und  ihn  dazwischen  also 
gefänglich  behaltet,  bis  euch  von  uns  Bescheid,  was  ihr  femer 
niach  Ordnung  der  Hechte  gegen  ihn  handeln  sollt,  gegeben 
und  ihr  um  solch  heilig  Werk,  auch  euerer  Mühe  und  Kosten 
ziemliche  Ergötzlichkeit  haben  werdet." 

„Aber  gegen  seine  mitverwandten  Aufhänger,  Enthalter, 
Fttrschieber,  Gönner  und  Nachfolger  und  derselben  bewegliche 
und  unbewegliche  Güter  sollet  ihr  in  Kraft  der  heiligen  Kon- 
stitutionen und  unserer  und  des  Reiches  Acht  und  Aberacht 
dieser  Weise  handeln,  nämlich  sie  niederwerfen  und  fahen 
und  ihre  Güter  zu  euern  Händen  nehmen  und  die  in  euem 
eigenen  Nutz  wenden  und  behalten,  ohne  männiglichs  Ver- 
hinderung, es  sei  denn  daß  sie  durch  glaublichen  Schein  an- 
zeigen, daß  sie  diesen  unrechten  Weg  verlassen  und  päpst- 
liche Absolution  erlangt  haben." 

Schließlich  wird  in  dem  Edikte  noch  „bei  den  vorge- 
schriebenen Pönen"  geboten,  „daß  euer  keiner  des  obge- 
nannten  Martin  Luthers  Schriften  von  unserem  heiligen  Vater 
Papst  wie  obsteht  verdammt,  und  alle  andere  Schriften,  die 
in  Latein  oder  Deutsch  oder  in  anderer  Sprache  bisher  durch 

^)  Es  gmd  die  zwanzig  Tage  freien  Geleites  gemeint,  welche  ihm  der 
Kaiser  am  25.  April  noch  weiter  bewilligte. 


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—    3    — 

ihn  gemacht  sein  oder  hinfür  gemacht  werden,  als  bOs,  arg- 
wöhnig nnd  verdSchtlich  und  von  einem  offenbaren  hart- 
nickigen  Ketzer  ausgegangen,  kaufe,  verkaufe,  lese,  behalte, 
abschreibe,  drucke  oder  abschreiben  oder  drucken  lasse,  noch 
seiner  Opinion  zufalle,  die  auch  nicht  halte,  predige  noch  be- 
schirme, noch  das  in  einigem  andren  Wege,  wie  Menschen- 
simi  das  bedenken  kann,  unterstehe.''  Auch  wenn  etwas 
Gutes  in  diesen  Schriften  stttnde,  sollten  sie  doch  von  aller 
M^sscben  Gedächtnis  abgetan  und  vertilgt  werden,  damit  sie 
niemand  schaden  oder  ihn  ewiglich  töten.  Deshalb  sollte 
allenthalben  im  römischen  Reiche  geboten  werden,  alle  solche 
re^ftete  Schriften  und  Bächer  Luthers  „in  Gottes  Kirchen 
mit  dem  Feuer  zu  verbrennen  und  in  dem  oder  anderem  Wege 
gänzlich  abzutun  und  zu  vernichten^.  Den  hiezu  verordneten 
Kommissarien  der  päpstlichen  Heiligkeit  sollten  die  Stände 
bei  Vermeidung  der  obberflhrten  Strafen  hierin  allen  Beistand 
tun.  Das  gleiche  soll  mit  anderen,  nicht  in  Luthers  Namen 
ausgegangenen,  vergifteten  Schriften  wider  unseren  heiligen 
Vater  Papst,  Prälaten,  Fürsten,  hohe  Schulen  usw.  geschehen. 
Solche  Schriften  solle  man  nicht  mehr  dichten,  schreiben, 
drucken,  malen,  verkaufen,  kaufen,  noch  heimlich  oder  öffent- 
lich behalten.  Zur  Durchführung  dieser  Bestimmung  wird 
geboten,  „daß  hinfßro  kein  Buchdrucker  oder  Jemand  anderer, 
er  sei  wer  und  wo  er  wolle  im  heiligen  römischen  Reich, . . . 
keine  Bächer  noch  andere  Schriften,  in  denen  etwas  begriffen 
würde,  das  den  christlichen  Glauben  wenig  oder  viel  an- 
rühret, zum  ersten  Druck  nicht  drucke  ohne  Wissen  und 
Willen  des  Ordinarien  desselben  Orts  oder  seines  Substituten 
und  Verordneten  mit  Zulassung  der  Fakultät  in  der  heiligen 
Schrift  einer  der  nächstgelegenen  Universitäten^.  Auch  Bacher 
anderen  Inhalts  sollten  nur  mit  Wissen  und  Willen  des  Ordi- 
nwien  gedruckt  und  verkauft  werden  dürfen.  Wenn  aber 
jemand  gegen  die  vorstehenden  Anordnungen  dieses  Edikts 
in  irgend  einer  Weise  handeln  würde,  „wider  dieselben  wollen 
wir,  dafi  mit  den  vorgeschriebmien,  auch  den  Pönen  in  den 

1* 


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—    4    — 

Hechten  einverleibt,  and  nach  Form  und  Gestalt  des  Bannes 
und  kaiserlicher  Acht  und  Aberacht  gehandelt,  prozediert  und 
fargefahren  werden  soll." 

Wäre  dieses  Mandat  vollzogen  worden,  so  wäre  es  nach 
menschlichem  Ermessen  um  die  Sache  der  Eeformation  ge- 
schehen gewesen.  Aber  als  es  erlassen  wurde,  war  Luther 
bereits  auf  der  Wartburg  in  Sicherheit,  und  als  er  1522  dieses 
Asyl  verließ,  fand  die  Acht  keinen  Vollstrecker  mehr.  Die 
neunjährige  Abwesenheit  Karls  V.  von  Deutschland  machte 
ihm  auch  in  den  nächsten  Jahren  die  Durchfuhrung  des  Edikts 
unmöglich.  Der  erste  Nürnberger  Reichstag  von  1522/23 
lehnte  den  Vollzug  desselben  sogar  ausdrücklich  ab  und  forderte 
die  Berufung  eines  freien  Konzils  in  einer  deutschen  Stadt. 
Der  zweite  Nürnberger  Reichstag  von  1524  beschloß  zwar, 
daß  die  Stände  das  Edikt  ausführen  sollten,  brach  aber  diesem 
Beschlüsse  durch  den  Zusatz  „soviel  als  möglich"  die  Spitze 
ab.  Zugleich  wiederholte  er  die  Forderung  eines  Konzils  und 
verlangte  zu  dessen  Vorbereitung  eine  Nationalversammlung 
in  Speier,  die  jedoch  an  dem  Verbote  des  Kaisers  scheiterte. 

Auf  dem  Speierer  Reichstage  von  1526  sollte  nach  dem 
Befehl  des  Kaisers,  der  nach  der  Gefangennahme  des  Königs 
Franz  L  und  dem  Madrider  Friedensschlüsse  die  ersehnte  freie 
Hand  zu  haben  schien,  endlich  die  Ausführung  des  Wormser 
Mandats  beschlossen  werden.  Da  war  es  Papst  Clemens  Vn. 
selbst,  der  durch  seine  feindliche  Haltung  gegen  den  Kaiser, 
wider  den  er  eben  während  des  Reichstags  seihe  Heere  sandte, 
am  meisten  dazu  beitrug,  daß  der  Reichstagsabschied  Be- 
stimmungen traf,  welche  jenem  Befehle  des  Kaisers  direkt 
zuwiderliefen.  Nach  Wiederholung  der  Bitte  um  baldige  Be- 
rufung eines  freien  Generalkonziliums  oder  mindestens  einer 
Nationalversammlung  bemerkt  dieser  Abschied  wörtlich  weiter: 
„Demnach  haben  wir"  (die  kaiserlichen  Kommissäre),  „auch 
Kurf&rsten,  Fürsten  und  Stände  und  derselben  Botschaften 
uns  jetzo  allhie  auf  diesem  Reichstag  einmtttiglich  verglichen 
und  vereinigt,  mittler  Zeit  des  Konzilii  oder  aber  National- 


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Tersammlang  nichts  desto  weniger  mit  nnsern  Untertanen  in 
Sadien,  so  das  Edikt,  dnrch  kaiserliche  Majestät  anf  dem 
Reichstage  zu  Worms  gehalten  ansgangen,  belangen  möchten, 
far  sich  also  zu  leben,  zu  regieren  nnd  zu  halten,  wie  ein 
jeder  solches  gegen  Gott  nnd  kaiserliche  Majestät  hoffet  nnd 
vertrauet  zu  verantworten." 

War  dieser  Beschluß  zunächst  auch  nur  ein  Auskunfts- 
mittel der  Verlegenheit,  durch  welches  die  endgiltige  Ent- 
scheidung vertagt  werden  sollte,  so  war  damit  doch  eine  ge- 
setzliche Grundlage  geschaffen,  auf  welche  gestützt  die  der 
Beformation  geneigten  Fürsten  und  Stände  in  den  nächsten 
Jahren  die  Neuorganisation  des  Kirchenwesens  in  ihren  Ge- 
bieten in  Angriff  zu  nehmen  sich  berechtigt  hielten.  Das 
von  dem  Beichstage  verlangte  Konzil  war  noch  nicht  ge- 
kommen, ebensowenig  die  Nationalversammlung.  Da  sie  sich 
nun  in  ihrem  Gewissen  verbunden  fühlten,  dem  Worte  Gottes 
in  ihren  Landen  freie  Bahn  zu  schaffen,  waren  sie  dies  jeder- 
zeit gegen  Gott  und  den  Kaiser  zu  verantworten  bereit.  Nach- 
dem die  kaiserlichen  Kommissäre  kraft  der  ihnen  erteilten 
kaiserlichen  Vollmacht  diesen  einstimmigen  Beschluß  der  Reichs- 
stände im  Namen  des  Kaisers  bestätigt  hatten,  bestand  der 
Beichstagsbeschluß  so  lange  zu  Recht,  bis  das  Konzil  oder 
die  Nationalversammlung  zustande  gekommen  war  oder  der 
Kaiser  mit  den  Reichsständen  eine  neue  reichsgesetzliche  Ver- 
einbarung getroffen  hatte. 

Dem  Kaiser  selbst  mochte  freilich  dieser  von  seinen  Voll- 
machtträgem genehmigte  Beschluß  ebensowenig  gefallen  haben, 
wie  seinem  nicht  minder  eifrig  katholischen  Bruder  Ferdinand, 
dem  1527  zum  Könige  von  Böhmen  und  Ungarn  erhobenen 
kaiserlichen  Statthalter.  Aber  die  politischen  Verhältnisse, 
der  Krieg  gegen  Frankreich  und  gegen  den  Papst  und  die 
Österreich  bedrohende  Türkengefahr,  nötigten  beide,  die  evan- 
gelischen Stände  im  Reich  bis  auf  weiteres  gewähren  zu 
lassen.  Endlich  kam  eine  Zeit^  in  der  ihnen  die  Möglichkeit 
gegeben  zu  sein  schien,  ihren  nie  aufgegebenen  Entschluß  aus- 


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—    6    — 

mfiUuren,  „der  verpestenden  Krankheit  des  Luthertums  ent* 
gegenzuwirken  und  die  Irrenden  zur  wahren  christlichen  Kirche 
zurttckzuffthren.^  Sowohl  mit  dem  Papste,  dem  Karl  Y.  seine 
1627  verlorene  Freiheit  schon  nach  wenigen  Monaten  wieder- 
g^eben  hatte,  als  mit  Franz  I.  von  Frankreich  waren 
Friedensunterhandlungen  im  Gange,  die  zwar  erst  am  29.  Juni 
und  6.  August  1529  in  den  Frieden  von  Barcelona  und  Cambray 
zum  völligen  Abschlüsse  kamen,  aber  von  Anfang  an  das 
Versprechen  der  endlichen  Unterdrückung  der  lutherischen 
Ketzerei,  in  Deutschland  zur  Voraussetzung  hatten.  Da  auch 
im  Reiche  die  Gegner  der  Eeform  durch  das  tibereilte  Vor- 
gehen des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen  in  den  Packschen 
Händeln  erbittert  und  zum  Einschreiten  gegen  das  Luthertum 
eher  geneigt  waren,  so  schien  dies  jetzt  nicht  mehr  ganz 
unausf&hrbar  zu  sein. 

So  lagen  die  Verhältnisse,  als  am  30.  November  1528  das 
Ausschreiben  zu  dem  Reichstage  erlassen  wurde,  welcher  am 
16.  März  1529  im  Rathofe  zu  Speier  eröflfhet  wurde.  Als 
Motiv  zur  Berufung  des  Reichstags  wurde  im  Eingange  des 
Ausschreibens  unter  anderm  bezeichnet,  daß  sich  „über  viel  ge- 
machte Reichsabschiede  die  Irrtum  und  Zwietracht,  welche  bis- 
her unter  den  Gliedeni  und  Ständen  des  heiligen  Reichs,  für- 
nehmlich  unseres  heiligen  Glaubens  und  christlicher  Religion, 
auch  anderer  Sachen  geschwebt  haben,  zu  wenig,  ja  schier 
gar  keiner  Besserung,  sondern  mehr  Mißverstand,  daraus  Auf- 
ruhr, Widerwärtigkeit,  tätige  und  gewaltige  Handlungen  wider 
unsem  und  des  heiligen  Reichs  aufgerichteten  Landfrieden 
uns  zu  Ungehorsam  gefolgt  sein,  welche  nicht  wenig  den 
Widerstand  gegen  den  Türken  verhindert,  geschickt  und  er- 
zeigt haben  sollen."  Deshalb  solle  darüber  beraten  und  be- 
schlossen werden,  wie  „die  Irrung  und  Zweiung  im  heiligen 
Glauben  und  christlicher  Religion  bis  auf  ein  künftiges  Kon- 
zilium, das  auf  solchem  Reichstag  in  alleweg  zu  halten  und 
förzunehmen  beschlossen  werden  soll,  in  Ruhe  und  Frieden 
gestellt"  werden  könne. 


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—    7    — 

In  welcher  Weise  der  Kaiser  aber  diese  Rahe  hergestellt 
sehen  wollte,  das  sagte  die  in  ungewöhDlich  schroffer  Form 
abgefaßte  Instruktion  der  kaiserlichen  Bevollmächtigten,  welche 
noch  am  15.  März  den  Ständen  als  „kaiserliche  Proposition^ 
zur  Kenntnis  gebracht  wurde.  In  derselben  wird  zunächst 
das  Mißfallen  des  Kaisers  über  die  ^bösen,  schweren,  sorg- 
lichen und  verderblichen  Lehren^  ausgesprochen,  die  in  Deutsch- 
land entstanden  und  immer  weiter  ausgebreitet  worden  seien 
und  zu  Empörung  und  Aufruhr  Anlaß  gegeben  hätten.  Es 
wird  hinzugefügt,  der  Elaiser  sei  keineswegs  gewillt,  dem 
femer  zuzusehen.  Sodann  wird  das  von  den  Ständen  ge* 
forderte  Konzil  in  Aussicht  gestellt,  dessen  Berufung  der 
Kaiser  bei  dem  Papste  betreiben  werde.  Bis  zum  Konzile  aber 
befehle  der  Kaiser  ernstlich  einem  jeden,  geistlichen  und  welt- 
lichen, hohen  und  niederen  Standes,  daß  keiner  „den  andern 
mit  der  Tat  des  Glaubens  halben  mit  Einziehung  und  Ent- 
wehrung geistlicher  oder  weltlicher  Obrigkeit  und  Qüter,  altem 
Gebrauch  und  Herkommen  zuwider,  nicht  vergewaltige  oder 
dringe,  sich  zu  unrechten  oder  fremdem  Glauben  zu  geben 
oder  den  neuen  Sekten  anhängig  zu  machen,  wie  bisher  an 
etlichen  Orten  geschehen  sein  mag^.  Wer  dem  zuwiderhandle, 
solle  ohne  weitere  Deklaration  in  des  Reiches  Acht  und  Aber- 
acht gefallen  sein.  Wenn  sich  trotzdem  neue  Vergewaltigung 
zutragen  sollte,  sollen  die  Nächstgesessenen  dem  Vergewaltigten 
zu  Hilfe  kommen. 

In  der  Proposition  wird  dann  weiter  der  Bestimmung 
des  vorigen  Speierer  Reichstags  gedacht,  nach  welcher  sich 
jeder  in  Sachen  des  Wormser  Edikts  so  verhalten  solle,  wie 
er  es  gegen  Gott  und  kaiserliche  Majestät  zu  verantworten 
hoffe,  und  wörtlich  fortgefahren:  „Desselbigen  Artikels,  daß 
der  bishero  bei  vielen  aus  den  Ständen  des  heiligen  Reichs 
ihres  Gefallens  verstanden,  ausgelegt  und  erkläret,  daraus 
trefflicher  großer  Unrat  und  Mißverstand  wider  unsem  heiligen 
christlichen  Glauben,  auch  gegen  die  Oberkeiten  Ungehorsam 
von  ihren  Untertanen  und  viel  anderes  Nachteiliges  gefolgt 


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—    8    — 

ist,  trägt  ihre  kaiserliche  Majestät  nicht  kleine  Befremdang. 
Damit  aber  in  künftiger  Zeit  derselbige  Artikel  nicht  weiter 
nach  eines  jeden  Gefallen  angenommen  und  ausgelegt  und 
das,  so  bishero  unserem  heiligen  Glanben  zuwider  daraus  er- 
folgt ist,  verhütet  werde,  so  hebt  ihre  kaiserliche  Majestät 
angezeigten  Artikel,  wie  der  in  gedachtem  Abschied  begriffen 
ist,  hiemit  auf,  kassiert  und  vernichtet  denselben  jetzo  als 
•dann  und  dann  als  jetzo,  alles  aus  kaiserlicher  Machtvoll- 
kommenheit, und  ist  ihrer  kaiserlicher  Majestät  Befehl,  daß 
an  desselbigen  statt  der  jetzt  verlesene  Artikel,  was  den 
Glauben  belangt,  gestellt  und  in  künftigen  Eeichsabschied 
lauter  und  klar  gebracht  und  dawider  bei  Vermeidung  der 
Strafe,  Pön  und  Buße  obgemeldet  von  niemand  gehandelt 
werde." 

Mit  Erlassung  dieser  Instruktion  hatte  der  Kaiser  ohne 
Zweifel  in  die  Rechte  der  ßeichsstände  eingegriffen.  Denn 
er  war  weder  befugt,  einen  mit  Zustimmung  der  Stände  ge- 
faßten und  von  seinen  Eommissarien  auf  Grund  der  ihnen 
erteilten  Vollmacht  genehmigten  Reichstagsbeschluß  einseitig 
aufzuheben,  noch  war  er  berechtigt,  den  Ständen  einfach  zu 
befehlen,  was  sie  an  dessen  Stelle  zu  beschließen  hätten. 
Auch  wäre  es  unmöglich  gewesen,  diesen  Befehl  des  Kaisers 
in  seinem  vollen  Umfange  auszuführen  und  das  Wormser 
Edikt  im  ganzen  Reiche  zu  vollziehen,  wie  das  der  Kaiser, 
wenn  auch  nicht  mit  ausdrücklichen  Worten,  verlangte.  Konnte 
doch  die  evangelische  Predigt,  welche  überall  im  Reiche  ab- 
geschafft werden  sollte,  nicht  einmal  während  des  Reichstags 
am  Sitze  desselben,  in  Speier,  verhindert  werden,  wo  wie 
schon  1526  die  Prediger  der  evangelischen  Fürsten  unter 
außerordentlichem  Zulaufe  des  Volkes  regelmäßig  das  ge- 
läuterte Evangelium  verkündigten.  Aber  dem  so  entschieden 
ausgesprochenen  Willen  des  mächtigen  Kaisers  wollten  doch 
auch  viele  gemäßigt  denkende  Fürsten  und  Stände  soweit 
immer  mOglich  entgegenkommen.  Darum  stellten  auch  sie 
sich  auf  Seite  der  Gegner  der  Reform,  die  auf  diesem  Reichs- 


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—    9    — 

tage  aber  die  große  Mehrheit  verffigten.  So  kam  es,  daß 
unter  den  achtzehn  Mitgliedern  des  am  18.  März  zur  Vor- 
beratong  der  kaiserlichen  Vorlagen  eingesetzten  „großen  Aus- 
schusses^ nur  drei,  Kurfürst  Johann  von  Sachsen,  Jakob  Sturm 
von  Straßbnrg  und  Johann  Tetzel  von  Nürnberg,  evangelisch 
waren.  Einige  weitere  waren  einer  Vermittlung  nicht  ab- 
geneigt, alle  anderen  waren  mehr  oder  weniger  päpstlich  ge- 
sinnt und  ließen  sich  im  Ausschusse  völlig  von  Johann  Faber 
und  Leonhard  von  Eck  leiten,  welche  als  fanatische  Gegner 
des  Luthertums  bekannt  waren. 

Unter  diesen  umständen  setzte  die  streng  katholische 
Partei  im  Ausschusse  trotz  des  Widerspruchs  der  Evangelischen 
bald  ihren  Willen  durch.  Schon  am  22.  März  beschloß  der- 
selbe mit  Stimmenmehrheit,  bei  dem  Reichstage  die  Aufhebung 
der  fraglichen  Bestimmung  des  vorigen  Speierer  Reichstags 
und  die  Ersetzung  derselben  durch  die  in  der  kaiserlichen 
Proposition  geforderten  Artikel  zu  beantragen.  In  einer 
späteren  Sitzung  wurde  der  Antrag  formuliert  und  dann  am 
3.  April  dem  Plenum  der  Stände  zur  Kenntnis  gebracht.  Nach 
dem  Herkommen  hatten  nun  die  drei  Kollegien  der  Kur- 
fürsten, der  Fürsten  und  der  Städte  darüber  gesondert  zu 
beschließen.  Im  Kurfürstenrate,  in  welchem  am  6.  April 
darüber  verhandelt  wurde,  stand  Kurfürst  Johann  mit  seinem 
Widerspruche  gegen  den  Ausschußantrag  allein.  Auch  in  der 
Sitzung  des  Fürstenrates  (7.  April)  beschwerten  sich  nur 
wenige,  insbesondere  Landgraf  Philipp  von  Hessen,  dagegen. 
Da  diese  aber  entschieden  erklärten,  sie  würden  sich  von  dem 
vorigen  Speierer  Abschiede  nicht  dringen  lassen,  beschlossen 
beide  fürstlichen  Stände  doch,  das  Gutachten  zu  nochmaliger 
Erwägung  und  Milderung  einiger  Ausdrücke  an  den  Ausschuß 
zurückzugeben.  Ausdrücklich  wurde  aber  bemerkt,  daß  die 
^Substanz^  des  Gutachtens  nicht  geändert  werden  solle.  In- 
folgedessen beriet  der  Ausschuß  am  8.  und  9.  April  noch- 
mals über  seinen  Antrag,  blieb  aber  in  allein  Wesentlichen 
bei  demselben.     Nur  eine  bemerkenswerte  Änderung  nahm 


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—    10    — 

er  vor.  Nach  seinem  ursprünglichen  Vorschlage  sollte,  wie 
die  kaiserliche  Proposition  verlangte,  geboten  werden,  daß 
kein  Stand  den  anderen  „mit  Entziehung  und  Entwehrung 
der  Obrigkeiten,  Beut,  Zins  und  Herkommen  mit  der 
Tat  zu  keinerlei  Weise  vergewaltigen  solle."  Hier  waren 
den  Evangelischen  die  Worte  Obrigkeit  und  Herkommen  an- 
stößig, weil  sie,  wie  es  in  der  kaiserlichen  Proposition  aus- 
drücklich gefordert  worden  war,  auch  auf  die  geistliche  Obrig- 
keit zu  beziehen  waren.  Dadurch  wäre  die  Jurisdiktion  der 
Bischöfe  über  die  Geistlichen  wiederhergestellt  worden.  Alle 
ehemaligen  katholischen  Priester,  die  sich  der  Eeformation 
angeschlossen  hatten  und  nun  in  evangelischem  Sinne  wirkten, 
hätten  dann  den  Bischöfen  auf  ihr  Verlangen  zur  Bestrafung 
ausgeliefert  werden  müssen  und  bei  ihrer  weltlichen  Obrigkeit 
keinen  Schutz  finden  können.  Da  auch  unter  den  katholischen 
Ständen  einzelne,  z.  B.  Kurfürst  Ludwig  von  der  Pfalz,  an 
dieser  Bestimmung  Anstoß  nahmen,  beschloß  der  Ausschuß  die 
Streichung  der  Worte  Obrigkeit  und  Herkommen  aus  seinem 
Antrage,  der  im  übrigen  fast  unverändert  blieb.  Alle  Be- 
mühungen, weitere  wesentliche  Besserungen  herbeizuführen, 
blieben  erfolglos.  Am  10.  April  wurde  der  Antrag  in  seiner 
neuen  Fassung  den  beiden  fürstlichen  Kollegien  zur  Kenntnis 
gebracht.  Obwohl  darauf  ein  kursächsischer  Rat  alsbald  er- 
klärte, daß  sein  Herr  gegen  die  etwaige  Annahme  des  An- 
trags protestiere  und  bei  dem  vorigen  Speierer  Abschiede 
bleiben  werde,  wurde  derselbe  in  einer  weiteren  Sitzung 
beider  Kollegien  am  12.  April  mit  Stimmenmehrheit  ange- 
nommen und  beschlossen,  ihn  den  kaiserlichen  Kommissären 
zur  Aufnahme  in  den  Reichstagsabschied  zu  übergeben. 

Nach  der  üblichen  Geschäftsordnung  nahmen  die  Ver- 
treter der  Städte  an  den  Sitzungen  der  fürstlichen  Kollegien, 
in  denen  über  den  Inhalt  der  Reichstagsbeschlüsse  beraten 
und  entschieden  wurde,  nicht  teil  und  konnten  deshalb  nur, 
wenn  wie  diesmal  ein  „großer  Ausschuß"  gebildet  wurde,  durch 
zwei  in  diesen  entsendete  Vertreter  einen  Einfluß  auf  die 


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—  11  — 

Ausschoßbeschlüsse  ansfiben.  Sobald  aber  der  Aasscha£  seine 
Anträge  g^estellt  und  an  das  Plennm  gebracht  hatte,  konnten 
die  Städte  ihre  Wünsche  fiber  die  zu  fassenden  Beschlüsse 
nur  noch  dnrch  „Supplikationen"  an  die  f&rstlichen  Stände  zum 
Ausdruck  bringen.  Ob  und  inwieweit  sie  diese  Wünsche  be- 
rücksichtigen wollten,  blieb  den  f&rstlichen  Kollegien  über- 
lassen, welche  ohne  Zuziehung  der  Städte  weiter  verhandelten. 
Wenn  dann  die  Beschlußfassung  der  fürstlichen  Stände  erfolgt 
war,  wurden  die  Städte  vor  die  Wahl  gestellt,  ob  sie  die 
fertigen  Beschlüsse  annehmen  oder  verwerfen  wollten.  Dabei 
waren  sie  seit  langer  Zeit  gewohnt,  unter  sich  fest  zusammen- 
zuhalten und,  sobald  eine  einzelne  Stadt  gegründete  Beschwer- 
den hatte,  einmütig  für  dieselben  einzutreten.  Diesem  alten 
Herkommen  entsprechend  hatten  die  Städte  auch  auf  diesem 
Reichstage  die  Beschwerde  der  evangelischen  Städte  gegen 
den  Ausschußantrag  zu  einer  gemeinsamen  Sache  aller  ge- 
macht und  der  Haltung  ihrer  Vertreter  Sturm  und  Tetzel  zu- 
gestimmt, welche  im  Ausschusse  im  Namen  aUer  Städte  dagegen 
Tdderspruch  erhoben.  Diese  Einigkeit  hielten  sie  sogar  noch 
fest,  nachdem  am  3.  und  4.  April  König  Ferdinand  selbst  sie 
durch  Drohungen  und  Versprechungen  gefügig  zu  machen  ver- 
sucht hatte.  Noch  am  8.  April  baten  die  Städte  in  einer  ge- 
meinsamen Supplikation  die  Stände  dringend,  es  bei  den  be- 
währten Bestimmungen  des  vorigen  Speierer  Abschieds  zu  be- 
.lassen. 

Aber  nicht  bei  aUen  Städten  hatten  die  Einschüchterungs- 
versuche Ferdinands  ihre  Wirkung  verfehlt.  Dies  zeigte  sich, 
als  der  von  den  fürstlichen  KoUegien  gefaßte  Beschluß  in  der 
Sitzung  vom  12.  April  durch  den  Mainzer  Kanzler  den  zu 
diesem  Zwecke  vorgerufenen  Vertretern  der  Städte  mitgeteilt 
wurde.  Bevor  diese  sich  aber  über  ihre  Stellung  zu  diesem 
Beschlüsse  äußern  konnten,  trat  ein  kursächsischer  Rat  her- 
vor und  erklärte,  daß  der  Kurfürst  von  Sachsen  und  mehrere 
andere  Fürsten  jenem  Beschlüsse  nicht  zugestimmt  hätten 
und  ihn  nicht  annehmen  könnten.    Nach  kurzer  Beratung  der 


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—     12    — 

Städtegesandten  richtete  dann  deren  Wortführer  Sturm  die 
Bitte  an  die  Stände,  es  bei  dem  vorigen  Abschiede  bleiben 
zu  lassen,  da  sich  andernfalls  viele  Städte  beschwert  fühlten 
und  den  Abschied  gewissenshalber  nicht  annehmen  könnten. 
Aber  unmittelbar  darauf  trat  Konrad  Mock,  der  Gesandte 
von  Eottweil,  hervor  und  bemerkte,  es  seien  auch  Städte  vor- 
handen, die  sich  durch  den  Beschluß  nicht  beschwert  fühlten. 
Und  auf  die  Aufforderang  an  die  einzelnen  Städte,  sich  über 
ihre  Stellung  zu  erklären,  entschloß  sich  unter  dem  Drucke 
des  Königs  und  der  katholischen  Reichstagsmehrheit  in  der 
Tat  teils  alsbald,  teils  in  den  folgenden  Tagen  die  Mehrzahl 
der  Städte  zur  Annahme  des  Beichstagsbeschlusses. 

In  der  Plenarsitzung  vom  12.  April  machten  die  evan- 
gelischen Fürsten  noch  einen  Versuch,  die  übrigen  Stände 
zu  einer  Änderung  ihres  Beschlusses  zu  bewegen,  indem  sie 
durch  den  kursächsischen  Eat  Minkwitz  eine  Denkschrift  ver- 
lesen ließen,  in  welcher  sie  eingehend  die  Gründe  darlegten, 
aus  denen  sie  in  den  Beschluß  nicht  willigen  könnten  und 
nochmals  um  dessen  Zurücknahme  baten.  Dieselbe  wurde  zu 
den  Beichstagsakten  genommen  und  später  der  Appellations- 
urkunde als  erstes  Aktenstück  einverleibt. 

Auch  dieser  Schritt  blieb  erfolglos.  Die  Beschwerdeführer 
erhielten  nur  (am  13.  April)  die  Antwort,  man  habe  den  Be- 
schluß samt  ihrer  Beschwerde  den  kaiserlichen  Kommissären 
übergeben  und  es  ihnen  anheimgestellt,  was  sie  tun  wollten. 
In  den  nächsten  Tagen  wurde  über  andere  ßeichsangelegen- 
heiten  beraten  und  beschlossen.  Auf  den  immer  noch  erhofften 
günstigeren  Bescheid  auf  ihre  Beschwerde  warteten  aber  die 
evangelischen  Fürsten  und  Städte  vergebens. 

Erst  in  der  am  Montag  nach  Jubilate,  dem  19.  April,  im 
Rathofe  stattfindenden  feierlichen  Reichstagsitzung  erhielten 
sie  eine  Antwort.  Im  Namen  des  Königs  Ferdinand  und  der 
übrigen  kaiserlichen  Kommissarien  erklärte  Pfalzgraf  Fried- 
rich, daß  sie  den  Mehrheitsbeschluß  der  Stände,  obwohl  er 
nicht  alle  in  der  kaiserlichen  Instruktion   gestellten  Forde- 


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—    13    — 

rangen  erfülle,  kraft  ihrer  Vollmacht  im  Namen  des  Kaisers 
annähmen.  Der  Beschluß  sei  deshalb  jetzt  in  die  Form  eines 
Beichstagsabschieds  zu  bringen.  Die  erhobene  Beschwerde 
ließen  sie  „in  ihrem  Werte  bleiben"  und  versähen  sich  zu 
den  Beschwerdefahrem,  daß  sie  den  mit  großer  Mehrheit  ge- 
faßten Beschluß  jetzt  auch  nicht  weigern  würden,  unmittelbar 
nach  Verlesung  dieses  Bescheides  verließen  die  kaiserlichen 
Kommissäre  den  Sitzungssaal,  ohne  die  Erwiderung  der  zu 
einer  kurzen  Beratung  in  ein  Nebenzimmer  getretenen  evan- 
gelischen Fürsten  abzuwarten.  So  blieb  diesen  nichts  übrig, 
als  gegen  den  Beschluß  feierlich  und  öffentlich  zu  protestieren. 
Sie  kehrten  in  den  Sitzungssaal  zurück,  in  welchem  Kurfürst 
Johann  von  Sachsen,  Markgraf  Georg  von  Brandenburg,  Land- 
graf Philipp  von  Hessen,  Fürst  Wolfgang  von  Anhalt  und 
für  die  Herzöge  Ernst  und  Franz  von  Lüneburg,  die  erst 
tags  darauf,  am  20.  April,  eintrafen,  deren  Kanzler  Dr.  Johann 
Förster  zuerst  mündlich  protestierten  und  dann  die  in  die 
Appellationsurkunde  aufgenommene,  von  dem  sächsischen 
Kanzler  verfaßte,  kurze  Protestationsschrift  vom  19.  April, 
welche  mittlerweile  angefertigt  worden  war,  zu  den  Akten 
des  Reiches  übergaben.  Darauf  erhob  auch  Sturm  im  Namen 
der  sich  beschwert  fühlenden  Städte  fönnlichen  Protest  gegen 
den  Keichstagsbeschluß  und  erklärte  deren  Anschluß  an  die 
Eechtsvei*wahrung  der  Fürsten. 

Alsbald  nach  Schluß  der  Sitzung  ließen  die  evangelischen 
Fürsten  eine  zweite  ausführlichere  Protestationsschrift  aus- 
arbeiten, zu  welcher  zunächst  der  kursächsische  Kanzler  einen 
Entwurf  anfertigte.  Derselbe  wiederholte  jedoch  im  wesent- 
lichen nur,  großenteils  wörtlich,  was  die  am  19.  April  über- 
gebene  Protestation  enthalten  hatte,  und  fand,  wie  es  scheint 
aus  diesem  Grunde,  die  Billigung  der  protestierenden  Fürsten 
nicht.  Nun  wurde  die  Abfassung  eines  neuen  Entwurfs  dem 
trefflichen  brandenburgischen  Kanzler  Georg  Vogler  über- 
tragen, welcher  in  der  Eile  ein,  16  Folioblätter  enthaltendes, 
neues  Konzept  ausarbeitete,  welches  in  den  Brandenburger 


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—     14    — 

Akten  des  Kgl.  Bamberger  Archivs  noch  vorhanden  ^)  ist.  Die 
fiir  die  kaiserlichen  Kommissäre  bestimmte,  in  gleicher  Eile 
hergestellte,  Reinschrift  wurde  von  dem  Kurfürsten  Johann 
von  Sachsen,  dem  Markgrafen  Georg  von  Brandenburg,  dem 
inzwischen  in  Speier  eingetroffenen  Herzog  Ernst  von  Lüne- 
burg, dem  Landgrafen  Philipp  von  Hessen  und  dem  Fürsten 
Wolfgang  von  Anhalt  eigenhändig  unterzeichnet  und  Dienstag, 
den  20.  April,  nachmittags  zwei  Uhr,  dem  Könige  Ferdinand 
überreicht,  aber  von  demselben  sogleich  wieder  zurückgesandt. 
Dieselbe  bildet  jetzt  einen  der  interessantesten  Schätze  des 
kgL  Staatsarchivs  zu  Marburg.*)  Die  näheren  Umstände 
unter  denen  die  Zurücksendung  di^es  Schriftstücks  geschah, 
sind  in  der  Appellationsurkunde  erzählt.  Es  kann  deshalb 
an  dieser  Stelle  auf  die  Schilderung  derselben  verzichtet  werden. 
Ein  von  zwei  gemäßigten  Fürsten  der  Reichstagsmehrheit, 
dem  Markgrafen  Philipp  von  Baden  und  dem  Herzoge  Heinrich 
von  Braunschweig,  noch  in  letzter  Stunde  gemachter  Versuch, 
eine  Verständigung  mit  den  protestierenden  Fürsten  herbei- 
zuführen, fand  zwar  bei  diesen  bereitwilliges  Entgegenkommen 
und  führte  wirklich  zu  dem  Entwürfe  eines  Abschieds,  zu 
dessen  Annahme  sich  die  evangelischen  Stände  trotz  aller 
Bedenken  aus  Friedensliebe  bereit  erklärten.  Aber  sowohl 
König  Ferdinand  als  auch  die  Beichstagsmehrheit  wies  diese 
Vorschläge  unbedingt  zurück.  Ohne  Bücksicht  auf  die  erhobene 
Protestation  wurde  der  inzwischen  ins  reine  geschriebene  Reichs- 
tagsabschied in  der  Sitzung  vom  22.  April  durch  die  dazu 
bestimmten  Stände  unterzeichnet  und  besiegelt.  Selbst  die 
Bitte  der  evangelischen  Fürsten,  ihre  Protestation  den  Reichs- 


1)  Rep.  63,  Sammelband  13,  Fol  123—138.  Ebendaselbst  Nr.  16, 
Fol.  78  f.  findet  sich  auch  der  erwähnte  erste  Entwurf  mit  der  Übersehrift 
yon  Voglers  Hand:  „Wie  der  Sechsisch  Cantzler  erstlich  ein  Protestation 
begriffen,  davon  es  nachmals  nf  eine  bessere  kommen  ist.**  Voglers  Kon- 
zept schließt  sich  großenteils  an  die  Beschwerde  Tom  12.  April  an,  deren 
Verfasser  wohl  auch  Vogler  ist. 

*)  Beichstagsakten,  Politisches  Archiy,  Nr.  235,  Fol.  285  ff. 


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—    15    — 

tagsakten  einzuverleiben,  wurde  völlig  abgewiesen.  —  Die 
protestierenden  Färsten  nahmen  an  dieser  Sitzung  keinen 
Anteil  mehr  und  erschienen  auch  nicht,  als  am  24.  April  der 
feierliche  Schluß  des  Beichstags  stattfand.  Das  Ansinnen  des 
Königs  Ferdinand,  noch  nachträglich  den  Abschied  anzu- 
nehmen, damit  kein  Zwiespalt  erschalle,  lehnten  sie  ebenso 
entschieden  ab,  wie  das  Begehren,  die  Veröffentlichung  ihrer 
Protestation  zu  unterlassen,  ließen  ihm  jedoch  erklären,  daß 
sie  sich  auf  Grund  des  Abschieds  von  1526  auch  in  der  Folge 
gegen  alle  Stände  friedlich,  nachbarlich  und  freundlich  halten 
wollten.  Da  die  in  den  Tagen  vom  22.  bis  24.  April  hier&ber 
gewechselten  Erklärungen  mit  den  deshalb  gepflogenen  Ver- 
handlungen dem  Appellationsinstrumente  einverleibt  wurden, 
braucht  hier  nicht  darflber  berichtet  zu  werden. 

Dagegen  ist  zum  Verständnisse  der  Protestationsschrift 
die  Kenntnis  der  auf  die  Glaubensfrage  sich  beziehenden 
Stellen  des  nunmehr  endgiltig  angenommenen  Reichstags- 
abschieds erforderlich.  In  den  Eingangsworten  bemerken  die 
kaiserlichen  Kommissäre  ^)  nach  Bezugnahme  auf  das  Reichs- 
tagsausschreiben und  ihre  VoDmacht  („Gewalt"):  „So  haben 
wir  laut  und  vermöge  desaelbigen  unseres  Gewalt  und  Be- 
fehls, desgleichen  Kurf&rsten,  Fürsten,  Prälaten,  Grafen  und 
Stande  des  heiligen  Reichs,  so  in  tapferer  Anzahl  persönlich 
allhie  erschienen,  und  der  Abwesenden  Botschaften  obgemelte 
and  andere  Punkte  und  Artikel  mit  zeitigem  tapferm  Rat  er- 
messen und  uns  darauf  sämtlich  eines  Abschieds  derselbigen 
Batsdüäge  vereinigt  und  verglichen,  wie  derselbige  von  Artikel 
zu  Artikel  hernach  folgt." 


')  Es  waren  dies  nach  der  Tom  1.  Aognst  1528  ans  Yalladolid  datierten 
VoUMaeht  der  ftroder  des  Kaisers  und  kaiserliche  Statthalter  Ferdinand, 
König  Ton  Ungarn  nnd  Böhmen,  der  kaiserliche  General-Orator  und  Vize- 
kanzler Balthasar  Märklin,  Propst  Ton  Waldkirch,  Bischof  Ton  Malta,  geh. 
1471,  gest  1531,  Pfalzgraf  Friedrich,  geb.  1482,  gest.  1556,  Herzog  Wilhehn 
Ton  Bayern,  geb.  1493,  gest.  1550,  Herzog  Erich  Ton  Brannschweig, 
geb.  1470,  gest  1540,  und  Bischof  Bernhard  Ges  Ton  Trient,  gest.  1539. 


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—  le- 
in dem  ersten  Artikel  wird  an  die  Zasage  des  Kaisers 
erinnert,  daß  er  das  von  mehreren  Reichstagen  zur  Hinlegung 
des  Zwiespalts  im  christlichen  Glauben  erbetene  General- 
konzilium fördern  wolle,  und  dann  fortgefahren:  „So  haben 
Kurfürsten,  Fürsten  und  Stände  ihrer  Majestät  auf  solche 
ihre  Vertröstung  nochmals  aufs  untertänigste  tun  schreiben, 
ersuchen  und  erinnern,  daß  ihre  kaiserliche  Majestät  als  der 
Oberst,  Haupt  und  Vogt  der  Christenheit  solchen  schweren 
Fall  und  Obliegen  gemeiner  deutscher  Nation  und  daß  die 
Händel  keinen  langen  Verzug  mehr  erleiden  mag,  gnädiglich 
beherzigen,  daran  sein  und  fördern  wollten,  damit  zum  ersten 
als  immer  möglich  ein  frei  christlich  Generalkonzilium  und 
ungefährlich  aufs  längste  in  einem  Jahr  nach  dato  aus- 
schreiben und  darnach  zum  längsten  in  einem  Jahr  oder 
anderthalben  angefangen  und  in  deutscher  Nation  in  den 
hiebevor  bestimmten  Plätzen,  als  zu  Metz,  Köln,  Mainz, 
Straßburg,  oder  in  einer  anderen  gelegenen  Malstatt  in  der- 
selben Nation  gehalten,  damit  deutsche  Nation  im  heiligen 
christlichen  Glauben  vereiniget  und  der  bei  ihr  schwebende 
Zwiespalt  erörtert  werden  möge." 

Im  zweiten  Artikel  wird  gebeten,  daß,  wenn  das  General- 
konzilium zu  obbestimmter  Zeit  seinen  Fortgang  nicht  haben 
möchte,  „alsdann  ihre  Majestät  eine  gemeine  Versammlung 
aller  Stände  deutscher  Nation  und  anderer,  so  dazu  zu  er- 
fordern die  Notdurft  erheischen  wird,  auf  angeregte  Zeit  und 
obbestimmter  Malstatt  eine  in  Deutschland  ausschreiben  ließe. 
Und  daß  ihre  Majestät  als  das  Haupt  bei  solcher  Versammlung 
aller  Sachen  zu  gut  eigner  Person  auch  sein  wollt  und  solches 
alles  dermaßen  fördern  und  in  wirkliche  Vollziehung  bringen, 
damit  es  ohne  einige  Verlängerung  und  Weigerung,  wie  das 
die  höchste  Notdurft  erfordert,  seinen  gewissen  Fortgang 
erreiche." 

Die  folgenden  Bestimmungen  des  Abschieds  lauten  wört- 
lich: 3.  „Und  nachdem  in  dem  Abschied  des  gehaltenen  Reichs- 
tags allhie  zu  Speier  ein  Artikel  begriffen,  inhaltend,  daß 


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—    17    — 

sidi  Knrfarsten,  Fürsten  und  Stände  des  Beichs  und  derselben 
Botschaften  einmfitiglich  verglichen  und  vereinigt  haben,  mittler 
Zeit  des  Konzflinms  mit  ihren  Untertanen  in  Sachen  des 
Edikts  dnrch  kaiserliche  Majestät  anf  dem  Reichstage  zu 
Worms  gemacht  berührend,  zn  leben,  zn  regieren  und  zu 
halten,  wie  ein  jeder  solches  gegen  Gott  und  ihrer  Majestät 
hofft  und  trauet  zu  verantworten**, 

4.  „Und  aber  derselbige  Artikel  bei  vielen  in  einen  großen 
Mißverstand  und  zu  Entschuldigung  allerlei  erschrecklichen 
neura  Lehren  und  Sekten  seither  gezogen  und  ausgelegt  hat 
werden  wollen :  Damit  dann  solches  abgeschnitten  und  weiterem 
Abfall,  Unfrieden,  Zwietracht  und  Unrat  fürkommen  werde, 
so  haben  wir  uns  samt  Kurfürsten,  Fürsten,  Prälaten,  Orafen 
und  anderen  Ständen  entschlossen,  daß  diejenigen,  so  bei  ob- 
gedachtem  kaiserlichen  Edikt  bis  anher  blieben,  nun  hinfüran 
auch  bei  demselben  Edikt  bis  zu  dem  künftigen  Eouzilio  ver- 
harren und  ihre  Untertanen  dazu  halten  sollen  und  wollen. 
Und  aber  bei  den  andern  Ständen,  bei  denen  die  andere  Lehre 
entstanden  und  zum  Teil  ohne  merkliche  Aufruhr,  Beschwerde 
und  Gefährde  nicht  abgewendet  werden  mögen,  soll  doch  hin- 
für alle  weitere  Neuerung  bis  zu  künftigem  Konzilio  so  viel 
mSglich  und  menschlich  verhütet  werden." 

5.  „Und  sonderlich  soll  Etlicher  Lehre  und  Sekten,  so 
viel  die  dem  hochwürdigen  Sakrament  des  wahren  Fronleich- 
nams und  Bluts  unsers  Herrn  Jesu  Christi  zugegen,  bei  den 
Ständen  des  heiligen  Reichs  deutscher  Nation  nicht  angenommen 
noch  hinfüi*an  zu  predigen  gestattet  oder  zugelassen,  des- 
gleichen sollen  die  Ämter  der  heiligen  Messe  nicht  abgetan, 
auch  niemand  an  den  Orten,  da  die  andere  Lehre  entstanden 
und  gehalten  wird,  die  Meß  zu  hören  verboten,  verhindert, 
noch  dazu  oder  davon  ^)  gedrungen  werden." 


*)  In  dem  ersten  Entwürfe  des  Aosschoübedenkens  hieß  es  nur:  „noch 
daTon".  Die  Worte:  „dazu  oder"  wurden  nachträglich  am  8.  April  ein- 
gefügt hatten  aber,  da  die  Bestimmung  nur  für  die  Orte  gelten  sollte^ 
„da  die  andere  Lehre  entstanden'^,  keine  reale  Bedeutung. 

Hey«  Appellation  und  Protestation.  2 


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—    18    - 

Von  den  übrigen  Bestimmungen  des  Abschieds  hängt  mit 
der  Glaubensfrage  noch  die  in  Artikel  6  gegen  die  Wiedertäufer 
getroffene  zusammen.  Danach  sollten  „alle  und  jede  Wieder- 
täufer und  Wiedergetaufte,  Mann-  und  Weibspersonen,  yer- 
ständigs  Alters  vom  natürlichen  Leben  zum  Tod  mit  dem 
Feuer,  Schwert  oder  dergleichen  nach  Gelegenheit  der  Per- 
sonen, ohne  vorgehende  der  geistlichen  Richter  Inquisition, 
gerichtet  und  gebracht  werden''.  Das  soll  namentlich  gegen 
die  „Friedbrecher,  Hauptsächer,  Landläufer  und  die  aufrühre- 
rischen Aufwiegler  des  berührten  Lasters  des  Wiedertaufs, 
auch  die,  so  darauf  beharren  oder  zum  andemmal  umge- 
fallen'', streng  gehandhabt  werden,  während  solche,  die  ihre 
Irrsal  bekennten,  ihn  zu  widerrufen  und  Strafe  darüber  an- 
zunehmen willig  seien  und  um  Gnade  bäten,  begnadigt  werden 
mögen.  Dabei  soll  nach  Artikel  7  keiner  des  anderen  Unter- 
tanen, die  wegen  der  Wiedertaufe  von  ihrer  Obrigkeit  ge- 
wichen, bei  sich  leiden  oder  dulden. 

In  Artikel  8  werden  die  auf  beiden  Eeichstagen  zu 
Nürnberg  erlassenen  Anordnungen  erneuert,  nach  denen  alle 
Prediger  in  ihren  Predigten  vermeiden  sollten,  was  zu  Be- 
wegung des  gemeinen  Manns  wider  die  Obrigkeit  Ursache 
geben  möchte,  und  „allein  das  Evangelium  nach  Auslegung 
der  Schriften,  von  der  heiligen  christlichen  Kirche  approbiert 
und  angenommen,  predigen  und  lehren",  disputierliche  Sachen 
zu  predigen  sich  enthalten  und  des  Konzils  Entscheidung  ab- 
warten sollten. 

Endlich  ist  hier  noch  die  in  Artikel  10  gegebene  Vor- 
schrift zu  ei^wähnen,  welche  in  ihrer  schließlichen  Fassung 
wörtlich  lautete:  „Wir,  auch  Kurfürsten,  Fürsten,  Prälaten, 
Grafen  und  Stände,  haben  uns  einmütiglich  verglichen  und 
einander  in  guten  wahren  Treuen  zugesagt,  daß  keiner  von 
geistlichem  oder  weltlichem  Stand  den  andern  des  Glaubens 
halben  vergewaltigen,  dringen  oder  überziehen,  noch  auch 
seiner  Renten,  Zinsen,  Zehnden  oder  Güter  entwehren"  solle. 
Gegen  diese  in  der  erzählten  Weise  umgestaltete  Bestimmung 


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—    19    — 

erhoben  die  evangelischen  Stände  keinen  Einspruch  mehr. 
Anch  eine  in  Artikel  10  enthaltene  weitere  Anordnung,  nach 
welcher  ,,keiner  des  andern  Untertanen  und  Verwandte  des 
Glaubens  und  anderer  Ursachen  halben  in  sondern  Schutz 
und  Schirm  wider  ihre  Obrigkeit  nehmen^  sollten,  beanstan- 
deten sie  nicht 

Die  Protestation  der  evangelischen  Stände  richtete  sich 
nur  gegen  die  vier  in  Artikel  4  und  5  des  Reichstagsabschieds 
enthaltene  Bestimmungen.^)  Zuerst  dagegen,  daß  diejenigen, 
die  bisher  bei  dem  Wormser  Edikt  geblieben  waren,  bis  zum 
Konzile  dabei  verharren  und  ihre  Untertanen  dazu  halten 
sollten.  Was  das  Wormser  Edikt  befiehlt,  ist  oben  berichtet. 
Wer  es  halten  wollte,  war  verpflichtet,  nicht  nur  gegen  Luther 
selbst  in  der  in  dem  Edikt  näher  angegebenen  Weise  vorzu- 
gehen, sondern  auch  gegen  seine  „Anhänger,  Enthalter,  Fflr- 
schieber,  Gönner  und  Nachfolger".  Er  war  gehalten,  die- 
selben „niederzuwerfen  und  zu  fahen,  ihre  Güter  zu  seinen 
eigenen  Händen  zu  nehmen  und  in  seinen  Nutz  zu  wenden 
und  zu  behalten  ohne  männiglichs  Verhinderung".  Wer 
dieses  —  tatsächlich  auch  von  den  meisten  katholischen 
Ständen  nicht  befolgte  —  Edikt  bisher  gehalten  hatte,  sollte 
es  auch  ferner  und  selbst  in  dem  Falle  tun,  daß  er,  zu  besserer 
Einsicht  gelangt,  es  fQr  unrecht  erkannt  hätte,  in  solcher 
Weise  gegen  die  Anhänger  Luthers  zu  verfahren.  Es  ist 
klar,  daß  es  fOr  die  evangelischen  Stände  unmöglich  war, 

^)  Janssen  (Geschichte  des  deutschen  Volkes,  Band  III,  S.  ym,  vgl. 
8.132  ff.  nnd  138)  bemerkt  Ton  der  Protestation :  ,,Die  nengläubigen  Stände 
Terweigem  zn  Speier  die  verlangte  Duldung  der  Katholiken  in  ihren  Ge- 
bieten und  reichen  eine  Protestaüon  dagegen  ein.**  Die  übrigen  Beschwerde- 
punkte  der  eTangelischen  Stände  übergeht  er  mit  fast  TöUigem  Stillschweigen. 
Da  Ton  katholischer  Seite  diese  DarsteUung  Janssens  immer  wiederholt 
und  die  von  den  Eyangelischen  in  Speier  bewiesene  Unduldsamkeit  gegen- 
über der  angeblichen  Toleranz  der  katholischen  Stände  als  yerabscheuungs- 
würdig  gebrandmarkt  wird,  so  ist  es  nicht  überflüssig,  hier  klarzulegen, 
wogegen  sich  die  Protestation  tatsächlich  richtete.  Das  Urteil  über  die 
Bereehtigimg  derselben  wird  sich  daraus  Ton  selbst  ergeben. 

2* 


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-    20    - 

diesen  Beschloß  anzunehmen^  und  Gewissenspflicht,  dagegen  zu 
protestieren. 

Die  weitere  Vorschrift  des  Abschieds,  daß  bei  den  anderen 
Ständen  alle  weitere  Neuerung  verhütet  werden  solle,  war  für 
die  evangelischen  Stände  schon  wegen  ihrer  kränkenden  Fassung 
unannehmbar.  Denn  in  ihr  war  die  verletzende  Forderung 
enthalten,  daß  die  „andere  Lehre^  überall  abzuschaffen  sei, 
wo  sie  „ohne  merkliche  Aufruhr,  Beschwerde  und  Gefährde" 
abgewendet  werden  könnte.  Ein  Blick  auf  den  Wortlaut 
dieser  Bestimmung  lehrt  auch  die  Unrichtigkeit  der  Behaup- 
tung,^) dieselbe  habe  den  Evangelischen  „ausdrücklich"  die 
Beibehaltung  des  neuen  Eirchenwesens  bis  zum  Konzile  ge- 
stattet. Höchstens  stillschweigend  konnte  aus  ihr  gefolgert 
werden,  daß  die  im  Kultus  bereits  vollzogenen  Änderungen 
vorläufig  nicht  rückgängig  gemacht  werden  müßten.  Aber 
selbst  dieses  indirekte  Zugeständnis  wird  durch  die  spätere 
Bestimmung,  daß  die  Messe  nicht  abgetan  werden  dürfe,  teil- 
weise illusorisch  gemacht.  Was  jener  Artikel  jedoch  positiv 
enthält,  ist  nicht  eine  Erlaubnis,  sondern  das  Verbot 
jeder  weiteren  Neuerung  bis  zum  Konzile.  Auch  dies  konnten 
die  evangelischen  Stände  schon  deshalb  nicht  annehmen,  weil 
dadurch  die  gerade  damals  an  vielen  Orten  eben  begonnene, 
aber  nicht  vollendete  gründliche  Durchführung  der  Refor- 
mation ausgeschlossen  worden  wäre. 

Die  dritte  Bestimmung,  gegen  die  die  Prote^tation  sich 
richtete,  verlangte,  daß  die  Lehren  und  Sekten,  welche  dem 
Sakramente  des  wahren  Leibes  und  Blutes  Christi  entgegen 
seien,  bei  den  Ständen  nicht  angenommen  würden.  Da  die 
protestierenden  Fürsten  mit  der  Mehi^zahl  der  sich  ihnen  an- 
schließenden Städte  bekanntlich  der  hier  gemeinten  Zwingli- 
schen  Abendmahlslehre  nicht  huldigten,  war  ihr  Protest  da- 
gegen ein  schlagender  Beweis  für  die  Unrichtigkeit  der  Be- 
hauptung ihrer  „Unduldsamkeit  gegen  alle  Andersgläubigen".^) 

^)  Janssen  a.  a.  0.,  S.  132.  Vgl.  hiezu  die  trefflichen  AnsfQhningen 
von  W.  Walther:  Fttr  Luther  wider  Rom.  HaUe  1906,  8.  321  ff. 


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-    21    — 

Die  vierte  in  Betracht  kommende  Anordnung  zerf&Ut 
offensichtlich  in  zwei  Teile.  Zuerst  wird  durch  sie  gefordert, 
daß  die  Ämter  der  Messe  nicht  abgetan  werden  sollen.  Wenn 
diese  Vorschrift  Geltung  erhielt,  durfte  nirgends,  auch  dort 
nichts  wo  kein  Mensch  etwas  von  der  Messe  wissen  wollte, 
wo  die  ganzen  Gemeinden  mit  ihren  Geistlichen  evangelisch 
waren,  die  Messe  abgeschafft  und  durch  die  evangelische 
Abendmahlsfeier  ersetzt  werden.  Dann  mußten  die  evan- 
gelischen Geistlichen,  soweit  sie  in  katholischer  Zeit  die 
Priesterweihe  erhalten  hatten,  obwohl  dies  ihrer  Überzeugung 
zuwiderlief,  nach  wie  vor  die  von  ihnen  „aus  göttlicher  Schrift 
au&  höchste  angefochtenen  und  niedergelegten  päpstlidien 
Messen'',  auch  die  Seelenmessen,  halten  und  durften  nicht  an 
dessen  Stelle  „das  edel  köstlich  Nachtmahl  unsers  lieben 
Herrn  und  Heilands  Jesu  Christi''  aufrichten.  Eine  genauere 
Betrachtung  der  einschlägigen  Stellen  der  Protestationsschrift 
laßt  zweifellos  erkennen,  daß  die  evangelischen  Stände  sich 
gegen  diese  Zumutung  in  erster  Linie  verwahren.  Und  wenn 
sie  mit  Beziehung  darauf  erklären:  „So  hat  es  des  Artikels 
halben  die  Meß  berührend  dergleichen  und  viel  mehr  Be- 
schwerung'', so  zeigen  sie  damit  keine  Unduldsamkeit,  son- 
dern protestieren  gegen  eine  Intoleranz,  welche  ihnen  und 
ihren  Geistlichen  verwehren  will,  in  diesem  Stücke  nach 
ihrem  Gewissen  zu  handeln.^) 

In  seinem  zweiten  Teile  bestimmt  der  von  der  Messe 
handelnde  Artikel  des  Abschieds,  daß  „niemand  an  den  Orten, 
da  die  andere  Lehre  entstanden  und  gehalten  wird,  die  Messe 
zu  hören  verboten,  verhindert,  noch  dazu  od^  davon  ge- 
drungen werde''.  Auch  hiegegen  erhoben  die  evangelischen 
Stinde  ihren  Widerspruch.  Daß  sie  es  taten,  wird  als  ein 
abeizeugender  Beweis  f&r  ihre  Unduldsamkeit  hingestellt 
Dieselben  Historiker,  welche  nichts  dagegen  zu  erinnern  haben 


*)  Dieser  wichtige  Poukt  wird  aach  Ton  evangelischeii  Histonkem 
meist  übersehen.    Auch  Walther  berührt  ihn  a.  a.  0.  nicht. 


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—    22    — 

und  es  als  selbstverständlich  betrachten,  daß  die  katholischen 
Stände  das  Wormser  Mandat  vollziehen,  die  Anhänger  Luthers 
verfolgen  und  der  evangelischen  Lehre  keine  Dnldnng  ge- 
währen, entrosten  sich  fiber  die  von  den  Evangelischen  damit 
bewiesene  Intoleranz.  Nnn  ist  es  zwar  rfickhaltslos  zuzugeben, 
daß  die  evangelischen  Stände  damals  ebenso,  wie  die  katho- 
lischen,  von  einer  Toleranz  im  Sinne  der  heutigen  Zeit  nichts 
wußten.  Wohl  erhoben  sich  einzelne  erleuchtete  Geister^) 
schon  in  jener  Zeit  zu  der  Idee  einer  solchen.  Auch  in  der 
Protestationsschrift  finden  sich  Stellen,  aus  denen  sich  die 
gegen  jedermann  zu  übende  Duldung  als  notwendige  Eonse- 
quenz ergeben  wfirde.  Aber  ausdrücklich  zogen  die  pro- 
testierenden Stände  diese  Folgerung  nicht  Daß  sie  es  nicht 
taten,  daß  sich  die  Protestationsschrift  in  diesem  Stücke  über 
die  Anschauungen  jener  Zeit  nicht  erhebt,  wird  heute  jeder 
Protestant  aufrichtig  bedauern.  Aber  er  wird  dennoch  die 
Beschwerde  der  Evangelischen  auch  gegen  diese  Bestimmung 
schon  deshalb  für  nicht  unberechtigt  halten  können,  weil  sie 
nur  auf  die  Gebiete  der  evangelischen  Stände  Anwendung 
finden  sollte,  während  man  doch  „billig  die  Gleichheit  hätte 
bedenken"  und  ihnen  ebenso  zugestehen  sollen,  in  bezug  auf 
die  Duldung  der  Messe  nach  ihrem  Gewissen  zu  handeln,  wie 
sich  die  katholischen  Stände  hinsichtlich  der  Duldung  der 
Evangelischen  nichts  von  diesen  einreden  ließen. 

Nachdem  der  Beichstag  am  24.  April  geschlossen,  der 
Mehrheitsbeschluß  desselben  in  die  rechüiche  Form  gebracht 
und  der  Protestation  der  evangelischen  Stände  in  dem  Ab- 
schiede mit  keinem  Worte  gedacht  worden  war,  mußten  nun 
auch  diese  ihren  Protest  in  aller  Form  notariell  beglaubigen 
lassen.  Dies  geschah  in  der  Appellationsurkunde,  welche  am 
Sonntage  Kantate,  dem  25.  April,  in  der  Wohnung  des  Kap- 
lans Peter  Mutterstadt  zu  Speier  vor  den  kaiserlichen  Notaren 

^)  VgL  E.  B.  das  Ende  März  von  den  Nttmberger  Theologen  nach 
Speier  gesandte  Gutachten  in  meiner  Geschichte  des  Beichstags  zu  Speier 
im  Jahre  1529,  S.  144  fr. 


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—    23    — 

Leonhard  Stettner  nnd  Pankratias  Salzmann  aufgenommen 
wurde.  Vierzehn  Reichsstädte^)  erklärten  hier  ihren  An- 
schluß an  die  Protestation  der  evangelischen  Ffirsten.  Da 
dieser  Schrift  sämtliche  während  des  Reichstags  gewechselte 
Aktenstäcke  einverleibt  wurden  und  die  äußeren  Umstand^ 
unter  denen  die  Appellation  geschah^  im  Eingange  und  am 
Schlüsse  derselben  genau  geschildert  werden,  braucht  hier  aut 
sie  nicht  näher  eingegangen  zu  werden. 

Vor  Schluß  des  Reichstags  hatten  die  protestierenden 
Stände  beschlossen,  die  Appellationsschrift  dem  Kaiser  durch 
eine  eigene  Gesandtschaft  überreichen  zu  lassen.  Es  ist  be- 
kannt, daß  dieser  Beschluß  später  wirklich  ausgeführt  wurde, 
und  welchen  ungnädigen  Bescheid  ihre  Abgeordneten  am 
13.  Oktober  1529  in  Piacenza  empfingen.  Doch  gehört  die 
DarsteQung  der  interessanten  Begebenheiten  bei  Ausführung 
dieser  Gesandtschaft  nicht  in  den  Rahmen  der  vorliegenden 
Schrift 

Nach  ihrer  Rückkehr  in  die  Heimat  veröffentlichten  die 
protestierenden  Fürsten,  wie  sie  angekündigt  hatten,  alsbald 
ihre  Protestation.  Schon  am  5.  Mai  1529  erschien  im  Auf- 
trage des  Landgrafen  Philipp  eine  fünf  Quartseiten  ent- 
haltende Schrift  im  Druck:  „Landgreuisch  gemeine  auß- 
schreyben,  Protestation  und  vrsach,  das  sein  F.  G.  ...  in 
jüngsten  des  Reichs  zu  Speyer  beschehen  Abschied  Christ- 
lichen Glawben  belangend,  nit  haben  gehellen  noch  bewilligen 
wollen.''  In  dieser  noch  in  demselben  Jahre  mehrfach  nach- 
gedruckten Schrift  wird  die  Tatsache  der  Protestation  zur 
allgemeinen  Kenntnis  gebracht  und  ein  kurzer  Auszug  aus 
der  Protestationsschrift  vom  19.  April  gegeben.  Acht  Tage 
später,  am  Donnerstage  nach  Exaudi  (13.  Mai),  ließ  Kurfürst 
Johann  aus  Weimar  eine  ebenfalls  mehrfach  nachgedruckte 
kleine  Schrift  gleichen  Inhalts  folgen  mit  dem  Titel:   „Des 

^)  Es  waren  Straßbnrg,  Nürnberg,  Ulm,  Konstanz,  Lindan,  Memmingen, 
Kempten,  Nördlingen,  Heilbronn,  Bentlmgen,  Isnj,  Sankt  Gallen,  Weißen- 
borg  im  Nordgan  and  Windsheim. 


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—    24    — 

Cbttrf&rsten  zu  Sachsen  abscfaiedt  auf  ytzigem  gehalten  Reychs- 
tag  zu  Speyer  Anno  1529."  Es  folgte  dann  die  wörtliche 
Veröflfentlichung  der  ausfahrlichen  Protestationsschrift  vom 
20.  April  unter  der  Überschrift:  „Der  Durchleächtigsten, 
Durchleuchtigen,  Hochgepomen  Fürsten  und  Herren,  Herrn 
Johannsen  usw.  andere  und  endliche  Protestation  auff  dem 
jfingstgehalten  Reichstage  zu  Speyer"  usw.  Auch  diese  Schrift 
wurde  noch  1529  mehrfach  neugedruckt  Endlich  wurde 
bald  danach  das  ganze  Appellationsinstrument  vom  25.  April 
1529  mit  allen  dazu  gehörigen  Aktenstficken  dem  Drucke 
übergeben.  Nach  einem  Exemplare  des  Weimarer  Archivs 
hat  J.  J.  Müller  in  seiner  1705  zu  Jena  herausgegebene 
„Historie  von  der  Evangelischen  Stände  Protestation  ui^ 
Appellatiim"  usw.  dieses  Dokument  wieder  veröffentlicht.  Seit- 
dem sind  mehrere  Neudrucke,  teils  der  ganzen  Appellations- 
schrift, teils  der  Protestationsschrift  vom  20.  April,  erschienen, 
unter  denen  außer  dem  in  Walchs  Schriften  Luthers  Band  16, 
S.  366 — 420,  sich  findenden  besonders  der  sorgfältige  von 
A.  Jung  in  seiner  1830  herausgegebenen  Geschichte  des  Reichs- 
tags zu  Speyer  im  Jahre  1529  (S.  LXXVIIff.)  gegebene  Ab- 
druck des  ganzen  Appellationsinstruments  hervorzuheben  ist 


Der  Text  der  im  nachstehenden  vollständig  abgedrucktai 
Appellationsurkunde  ist  einem  Exemplare  des  erwähnt^i 
Originaldruckes  von  1529  entnommen,  welches  sich  in  den 
Heilbronner  Akten  des  kgl.  Württembergischen  Haus-  und 
Staatsarchivs  findet  und  mit  dem  von  J.  J.  Müller  benutzten 
völlig  übereinstimmt.  Die  Orthographie  dieses  Druckes  ist 
beibehalte.  Nur  sind  die  darin  vorkommenden  Buchstaben- 
häufung^  wie  „auf^  inn,  SchrifFt",  vermieden  und  die  Buch- 
staben i  (statt  j),  u,  V  und  w  in  der  heute  üblichen  Weise  (also 
„und"  statt  „vnd",  „unvermeydlich**  statt  „vnuermeydlich^, 
„euer"  statt  „ewer")  gesetzt.  Die  großen  Anfangsbuchstaben 
werden  nach  der  heutigen  Schreibweise  angewendet  Endlich  wird 


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—    25    — 

znr  Erleichtenuig  des  Verständnisses  die  nenere  Interpunktion 
gebraucht    Im  Original  fett  gedruckte  Stellen  werden  ge- 
•  sperrt  gegeben,  vorkommende  offenbare  nennenswerte  Druck- 
fehler in  den  Anmerkungen  verzeichnet 

Auch  die  dem  Instrumente  einverleibte  erweiterte  Pro- 
testatioQ  ist  nach  dem  genannten  Originaldrudce  wiederge- 
geben. Hier  wurde  jedoch  auß^  zwei  in  der  Münchener  kgL 
Hof-  und  Staatsbibliothek  vorhandenen  gleichzeitigen  Druckm 
dieser  Protestation  noch  das  von  fünf  Fürsten  eigenhändig 
unterzeichnete  Original  im  kgl.  Staatsarchive  zu  Marburg 
(vgL  S.  14)  genau  verglichen  und  jede  darin  sich  findende 
nicht  bloß  orthographische  Abweichung  in  den  Anmerkungen 
vermerkt  Auch  das  ebenda  erwähnte,  von  Vogler  ge- 
schriebene, Konzept  dieser  Protestation  wurde  zu  Rate  ge- 
zogen. Dasselbe  unterscheidet  sich  formell  von  der  Reinschrift 
und  dem  Drucke  dadurch,  daß  darin  König  Ferdinand  nirgends 
direkt  angeredet  wird,  da  Vogler  offenbar  nur  daran  dachte, 
daß  die  von  ihm  ausgearbeitete  Schrift  den  Reichsständen 
übergeben  werden  sollte.  Erst  nach  Anfertigung  des  Konzepts 
entschloß  man  sich,  die  Schrift  dem  Könige  Ferdinand  selbst 
zu  überreichen.  !bifolgedessen  werden  im  Konzepte  überall 
nur  die  Kurfürsten,  Fürsten  und  anderen  Stände  angeredet, 
niemals  aber  der  König,  von  dem  stets  nur  in  der  dritten 
Person  die  Rede  ist  So  heißt  es  z.  B.  gleich  im  Eingange 
des  Konzepts:  „Nachdem  wir  uns  uf  Römischer  Kays.  Mayst, 
unsers  allergnedigsten  Herrn,  Erfordern  und  daneben  KönigL 
Durchleuchtigkeyt  zu  hungern  und  beheim,  unsers 
lieben  undgnedigenhernOheymen  und  Seh  wegers, 
freundtlich  Beschreyben^  usw.,  während  in  der  Reinschrift  ein- 
fach bemerkt  ist:  „uf  Rom.  Kays.  May.  usw.  und  daneben  e wer 
Kön.  Durchl.**  usw.  Im  weiteren  Texte  fehlen  deshalb  im 
Konzepte  an  allen  Stellen,  in  denen  das  Original  sagt:  „Euer 
KönigL  Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und  ir,  die  Andern'',  die 
Worte  „Königl.  Durchleuchtigkeyt".  Die  übrigen  Abweichungen 
sind  im  aUgemeinen  nur  geringfügig,  werden  aber  in  den 


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Anmerkungen,  soweit  sie  nicht  rein  orthographischer  Natur 
oder  ganz  unwesentlich  sind,  angegeben.  Vieles  ist  im  Kon- 
zepte im  Interesse  größerer  Deutlichkeit  erst  am  Rande  nach- 
träglich beigefügt,  nicht  selten  zum  Schaden  des  Stils.  Die 
Abweichungen  des  Konzepts  sind  in  den  Anmerkungen  mit  K, 
die  Zusätze  am  Bande  desselben  mit  „Zus.  in  K"  bezeichnet, 
der  Text  des  Originaldrucks  mit  D,  das  Original  der  er- 
weiterten Protestation  mit  0. 


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Im  Namem  nnsers  Herrn  Jesu  Christi.  Amen.  Und 
nach  desselben  nnsers  lieben  Herrn  nnd  Heylands  Geburt 
tansent  f&nfhnndert  nnd  im  29.  Jam,  in  der  andern  Römer 
Zal  Indicion^)  genant,  bey  Re^erong  des  Allerdnrchlench- 
tigisten,  Oroßmechtigisten  Fürsten  nnd  Herrn;  Herrn  Caroli 
des  Fünften,  erweiten  Römischen  Kaysers,  zu  allen  Zeyten 
Merer  des  Reichs,  in  Germanien,  zu  Hispanien,  beyder  Sicilien, 
Jerusalem,  Hungern,  Dalmatien,  Croatien  usw.  König,  Eitz- 
bertzogen  zu  Osterreych  und  Hertzogen  zu  Burgundi  usw.,  nnsers 
allergnedigsten  Herrn,  und  auf  dem  Reychstag,  so  in  irer 
Eayserlichen  Maiestat  Namen  gegen  Speyer  auf  Suntag 
Reminiscere  obberürts  Jars  ausgeschrieben,  Seind  der  Durch- 
leuchtigisten  Hochgebomen  Fürsten  und  Herrn,  Herrn  Jo« 
hansen,  Hertzogen  zu  Sachsen  und  Churfürsten  usw.,  Herrn 
Georgen,  Marggrafen  zu  Brandenburg  usw.,  Herrn  Ernsten, 
Hertzogen  zu  Braunschweig  und  Lüneburg,  Herrn  Philipsen, 
Landgrafen  zu  Hessen  usw.,  und  Wolfgangen,  Fürsten  zu  An- 


^  Indiktion  oder  Bömer-Zinszahl  nannte  man  die  Art,  die  Jahre  zu 
Bihlen,  ta  denen  das  Ansagen  oder  die  Indiktion  gewisser  von  den  BOmem 
«De  16  Jahre  zu  entrichtenden  Steuern  (Zinsen)  Anlaß  gah.  Die  Indik« 
tioiien  umfassen  demnach  einen  Zeitraum  von  je  15  Jahren  und  begannen 
Bit  dem  Jahre  318  n.  Chr.  Im  ganzen  Mittelalter  wurde  die  Indiktion  in 
wichtigeren  Öffentlichen  Urkunden  der  gewöhnlichen  Jahrzahl  beigefügt. 
Dm  1528  eine  neue  Indiktion  angefangen  hatte,  war  das  Jahr  1529  das 
zweite  (andere)  Jahr. 


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—    28    — 

halt  usw.,  unser  gnedigst  und  gnedigen*)  Herrn,  verordente 
Bathe  und  Bevelhaber  am  Suntag  Cantate,  welcher  was  der 
25.  Tag  des  Monats  Aprilis,  in  des  wirdigen  Herrn  Petem 
Muterstats,  Caplan  in  Sanct  Johanskirchen  daselbst  zu 
Speyer  Behausung,  in  yetzgemelter  Sanct  Johansen  Gassen 
gelegen,  unten  in  einem  kleinen  Stüblein,  *)  bey  einander  ver- 
samblet  gewest,  die  haben  anstat  irer  Churförstlichen  und 
Fürstlichen  Gnaden  uns  beyde  hernach  geschribne  Notarien 
und  Gezeugen  dahin  für  und  zu  sich  erfordert  und  mit  Für- 
haltung einer  Schrift,  so  auf  etliche  papirene  Pletter  gefast, 
erzelt,  wie  vil  trefflicher  und  mercklicher  Beschwerungen 
irer  Churfürstlichen  und  Fürstlichen  Gnaden,  auch  allen  Den- 
jhenigen,  so  yetzt  und  zukünftiger  Zeyt  der  Predigt  götlichs 
Worts  und  Warheyt  und  mit  Abthuung  gotloser  Preuche 
und  Wideraufnchtung  christenlicher  Ceremonien  verwandt, 
auf  angezeygtem  Reychstag  begegnet  weren.  Derhalben  und 
von  sollicher  Beschwerden  und  Ursachen  wegen,  so  ir  Chur- 
fürstlichen und  Fürstliehen  Gnaden  in  berürte  Schrieft,  welche 
die  gemelten  Eethe  gegenwertigklich  in  Händen  hetten,  bringen 
lassen,  wurden  ir  Churfürstlich  und  Fürstlich  Gnaden  höchlich 
und  unvermeydlich  gedrengt,  von  denselben  Handlungen  und 
ervolgten  vermeintem  neuen  Abschied  (als  inercklich  be- 
schwerd)  an  die  hochgedacht  Bömisch  Kay.  May.  und  ein 
frey  christenlich  Ck)ncilion  usw.  zu  appellim,  wie  sie  dann 
hiemit  in  der  besten,  bestendigisten  und  kreftigisten  Weyß, 


^)  Hier  und  in  der  ganzen  Protestation  sind  nach  dem  höfischen 
Sprachgehranche  jener  Zeit  die  Kurfürsten  stets  als  „gn&digste",  die 
Fürsten  als  „gnädige"  Herren  bezeichnet.  Kurfürst  Johann  ist  also  der 
„gnädigste**,  die  übrigen  protestierenden  Fürsten  sind  die  gnädigen  Herren. 
Herzog  Franz  von  Lüneburg,  der  nur  Mitregent  seines  Bruders  Ernst  war, 
ist  hier  nicht  mitgenannt,  da  die  „vercHrdenten  Räte"  als  Beamte  des  Her- 
zogs Ernst  galten.  *)  Peter  Mutterstadt,  auch  Domvikar  in  Speier, 
kommt  als  solcher  bereits  1510  vor.  Er  starb  1633.  Die  Johaaniskirche 
grenzte  unmittelbar  an  den  Manlbronner  Hof,  in  welchem  Kurfürst  Johann 
von  Sachsen  bei  den  Reichstagen  von  1626  und  1529  wohnte,  und  lag  gegen- 
über dem  Absteigquartiere  des  Landgrafen  Philipp. 


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—    29    — 

Form  und  Gestalt,  so  ir  Chnrfilrst  und  F.  G.  von  Recht  und 
Billigkejrt  wegen  thun  solten  und  möchten,  vor  uns  vorge- 
nanten  Notarien  und  Gezeugen  (dieweyl  ir  Churfärstlich  und 
F.  6.  vor  und  in  Gegenwart  Eönigklicher  Dui-chleuchtigkeyt, 
Kay.  May.  Oratom  und  Commissarien/)  auch  der  andern 
Churf&rst,  Fürsten  und  Stenden  des  Beychs,  auß  Ursach,  so 
zu  gelegner  bequemer  Zeyt  so  vii  noht^)  deducirt  solten 
werden,  dasselbig  der  Zeyt  füglich  nit  thun  könten  noch 
möchten^  gethan,  auch  solcher  irer  Churfftrstl.  und  F.  G.  Ap- 
pellation, Aposteln ")  und  Abschiedsbrief,  sambt  rechtmessiger 
Anhangung  und  Adherentz,  ersucht,  reqnirirt  und  begert 
wolten  haben.  Mit  Vorbehalt,  Bedingung  und  Protestation,*) 
solche  ire  getane  Appellation  zu  mindern  und  meren,  auch 
sunst  alles  anders  zu  thun  und  f&rzunemen,  das  derhalben 
irer  Churfurstlichen  und  F.  G.  Notturft  sein  wurdet.  Und 
nach  solcher  Anzeyg  und  Erzelung  haben  obgemelter  irer 
Churf&rst.  und  F.  G.  verordente  Bethe  uns  beyden  Notarien 
dieselbige  ire  gethane  Appellation,  auf  etliche  papirene  Pletter 
(wie  oben  berürt)  verfast,  Überantwort  und  zugestelt,  welche 
Ton  Wort  zu  Wort  hernach  volget: 

Nachdem  in  allen  beschriben  Bechten  das  Mittel 
der  Appellation  und  Berufang  zu  Aufenthalt  derer,  die  be- 
schwerd  sein  oder  förchten  sie  künftigklich  beschwerd  zu 
werden,  außgesatzt  und  einem  yeden  gebürt,  auch  dermaß 
befreyt  ist,  das  *)  dieselbig  von  keinem  Gewalt  abgethan,  noch 
darüber  geschritten  oder  derselben  zuwider  gehandelt  noch 
attentirt  soll  werden:  Hierumb  in  Willen  und  Meynung,  von 
etlicher  vill  hoher,  dapferer  und  wichtiger  Beschwerd  wegen, 
welche  uns  von  Gots  Genaden  Johannsen,  Hertzogen  zu  Sachsen, 
des  heyligen  Bömischen  Beychs   Ertzmarschalck  und  Chur- 


*)  Die  Namen  des  Orators  und  der  Kommissäre  s.  Anm.  1  zu  S.  15 
te  Vorworts.  *)  In  D  Druckfehler :  noch.  *)  Apostel  ist  im  juristischen 
^raehgebraoch  jener  Zeit  ein  Bericht  an  einen  höheren  Bichter.  ^)  Die 
etjmologische  Bedeutung  des  Wortes  Protestation  »  Bezeugung  tritt  hier 
deutlich  herror.       *)  rJ^*^  ^i^  ^^  üheraU  in  der  Appellation  fttr  „daß**. 


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-    30    — 

forsten,  Landgrafen  in  Döringen  nnd  Marggrafeu  zu  Meyssen, 
Georgen,  Marggrafen  zu  Brandenburg,  zu  Stettin,  Bomem, 
der  Cassuben  und  Wenden  usw.  Hertzogen,  Burggrafen  zu 
Nttrmberg  und  Fürsten  zu  Bugen  auf  Oderburgk  usw.,  Ernsten 
und  Franciscen  Gebrüdern,  Hertzogen  zu  Braunschweyg  und 
Lunenburg,  Philipsen,  Landgrafen  zu  Hessen,  Grafen  zu  Katzen- 
ebipogen,  zu  Dietz,  Ziegenheym  und  Nidde,  und  Wolfgangen, 
Fürsten  zu  Anhalt,  Grafen  zu  Aßkeinen  und  Herrn  zu  Bemburg,^) 
in  gesambt  und  sunderlich  und  unsem  christlichen  Unterthanen, 
auch  gemeinlichen  allen  denen,  die  yetzt  und  künftiglich  dem 
heyligen  Glottes  Wort  verwandt,*)  auf  disen  Reychstag,  der 
im  yetztlaufenden  29ten  Jam  der  wenigem  Zal*)  zu  Speyer 
gehalten,  begegend  und  zugestanden  seind,  von  und  wider  die 
Durchleuchtigist,  Großmechtigen,  Hochwirdigist,  Hochgebomen, 
Wolgebomen,  Edeln  und  Wirdigen*)  Herm  Ferdinandum,  zu 
Hungern  und  Beheym  König  und  Römischer  Kay.  May.,  unsers 
allergnedigsten  Herrn,  Statthalter  im  Reych  Teutscher  Nation, 
Printzn  und  Infanten  in  Hispanien,  Ertz-hertzogen  zu  Oster- 
reych  usw.,  unserm  besundem  lieben  Herm  Oheymen  und 
Gnedigen  Herrn,  sampt  hochgemelter  Römischer  Kay.  May. 
Oratorn  und  verordenten  Commissarien,  auch  Churfürsten, 
Fürsten  und  Stenden,  so  auf  diesem  Reychstag  zu  Speyer 
versamblet  gewesen  (derer  aller  Liebden  und  der  andern 
Namen  wir  hiemit  voraußgedmckt  nnd  benandt  haben  wollen), 
zu  appellim,  provocim  und  zu  berufen,  auch  alles  und  yedes 
mer  zu  thun,  so  uns  die  Recht  in  dem  Fall  geben  und  zu- 
lassen, Protestim  und  bedingen  wir  anfangs  öffentlich  vor 
Gk)tt  und  menigklich,  dem  dise  unsere  Appellation  und  Be- 

')  Hier  in  der  feierlichen  Appellation  werden  aUe  protestierenden 
Fürsten,  auch  Herzog  Franz  Ton  Lünehnrg,  mit  ihren  voUständigen  Titeln 
genannt,  die  einer  weiteren  Erlftatenmg  nicht  hediirfen.  *)  Es  ist  zn 

beachten,  daß  die  protestierenden  Fürsten  auch  für  ihre  Untertanen  und 
andere  Gleichgesinnte  mit  appellieren.  ')  Oft  gebrauchte  Abkürznng 

für  fünfzehnhundert.  ^)  AUe  diese  Prädikate  beziehen  sich  auf  die 

verschiedenen  Fürsten  und  Stände  des  Reichs  je  nach  den  ihnen  gemäß 
ihrem  Bange  gebührenden  Titeln.    Vgl.  S.  32,  Anm.  2. 


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—    31    — 

rufimg  zu  lesen  oder  hörn  fflrkumpt,  das  unser  Will,  Gemüt 
imd  Meynong  änderst  nicht  stehet,  noch  ist,  dann  allein  die 
Eer  Gottes  Aes  Allmechtigen,  seines  heyligen  Worts  nnd  nnser, 
anch  menigklichs  Seelen  Seligkeyt  zu  suchen,  auch  nichts 
anders  dadurch  zu  handeln,  dann  was  uns  das  Gewissen  auß- 
weyset  und  leret,  und  das  jhenig,  so  wir  vor  Gott  dem  All- 
mechtigen,  sunder  menigklichs  YOTkleinerung,  Schmehung  oder 
Verachtung,  zu  thun  schuldig  und  billich  thun.^)  Dann 

alledieweyl  die  Becht,  auß  dem,  das  die  Natur  zwischen  allen 
Menschen  ein  natürlich  Verwandtnuß  gewürckt,  zulassen, 
das  sich  einer  des  andern,  der  zu  zeytlichem  Tod  vemrteylt 
wirdet,  auch  ausserhalb  Vollmacht,  anzunemen  und  von  des- 
selbigen  wegen  zu  appelliren  und  sein  pestes  zu  schaffen  hat: 
Wie  viel  mer  will  uns  als  Gtelidem  eins  geistlichen  Leybs  des 
Sun  Gottes,  unsres  Heylands  Jesu  Christi,  und  geistlichen 
Kindern  und  gesipten  Bi*üdem  eins  unsers  geistlichen  und 
bymelischen  Vaters  wol  zustehen,  gebüm  und  fügen,  dergleichen 
in  solchem  hochwichtigen  Handel  zu  Verhütung  unser  und 
unsers  Nechsten  ewigen  Urteyls  dasselbig  auch  zu  thun  und 
dieselben  unsere  Nechsten  sich  dises  unsers  rechtlichen  Schutzs 
mit  zu  freyen  und  zu  gebrauchen.  ^)  Und  sagen,  obgedachter 
Königlichen  Durchleuchtigkeit  sampt  JB^ay.  May.  Oratom  und 
Commissarien,  auch  Churfürsten,  Fürsten  und  den  andern  von 
Stenden  sey  wissendt,  was  mercklicher  und  dapferer  Be- 
schwerungen durch  uns  und  die  unsem  von  unsem  wegen,  ^) 
Tast  vom  Anfang  dieses  yetzigen  Speyrischen  Eeychstags  biß 
zum  Ende,  derhalben  seind  ffirgewandt  worden,  das  unter- 
standen hat  wollen  werden,  dieweyl*)  auch  (wiewol  mit  der 
That  allein)  beschehen,  den  Abschied,  so  auf  vorigem  Beichs- 
tag  zu  Erhaltung  Prides  und  Eynigkeyt  im  Beich  in  mitler 
Zeyt  des  künftigen  Concilion  oder  Nacional-Versamblung  auß 

1)  Ende  der  langen  Periode.  *)  Zu  beachten  ist  die  theologfische 

BegrOndmig  des  Bechtee,  anch  für  andere  mit  zn  appellieren.  ')  Dnrch 
die  Bäte  der  protestierenden  Fürsten  in  deren  Auftrag.  ^)  Dieweyl  hier 
«=E  seitdem. 


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—    32    — 

viel  bestendigen  und  hohen  Bedencken  allhie  za  Speyer  in 
nechstverschinem  26ten  Jar  einhellig  beschlossen^  Tolzogesi 
nnd  an%erichty  so  viel  den  Artickel  des  schwebenden  Zwi- 
spalts  in  unser  heyligen  Religion  anlanget,  zn  verendern,  ja 
auch  gentzlich  aufzuheben  und  daneben  auf  etliche  Artickel 
und  Punct  zu  schliessen,  dadurch,  so  wir  derselbigen  mit 
ejnig  weren,  wir  wider  die  christliche,  götliche  und  evan- 
gelische Leere,  die  wir  in  unsem  Färstentumen,  Landen, 
Herrschaften  und  Gebieten  nach  Außweysung  der  heyligen 
götlichen  Schrift  predigen  und  verkündigen  lassen  und  fQr 
Gottes  Wort  und  Warheyt  erkennen  und  unzweyfenlich  auch 
vestigklich  glauben,  in  Grundt  selbst  handelten,  bekenten  und 
theten,  welche  vorgemelte  unsere  Beschwerungen  wir  in 
Schriften  haben  fürtragen,  auch  öffentlich  verlesen  und  volgends 
zu  den  Reychshendeln  und  Acten  antworten  lassen,  und 
volget  Inhalts  hernach: 

Fürtragen   zu  Speyer  vor  Churfürsten,  Fürsten  und 

allen  Stenden  öffentlich  verlesen  und  Überantwort.  ^) 

Hochwirdigisten,  Hochwirdigen,  Hochgebomen, 

Erwirdigen,  Wohlgebornen  und  Edeln,  lieben  Herrn  Oheymen, 

Vettern,  Freunde  und  Besundern,  Euer  Lieb  und  ihr  ^)  tragen 


")  Beschwerde  der  eyangelischen  Fürsten  vom  12.  April.  S.  Vorwort 
S.  12.  Jung,  Gesch.  des  Beichst.  zn  Speyer  im  Jahre  1529,  S.  LXXX  und 
J.  T.  Müller  57  fügen  hier  bei:  „Montags  nach  Misericordias  Domini". 
*)  Da  die  Beschwerde  an  die  Stände  gerichtet  ist,  wird  König  Ferdinand 
nicht  mit  angeredet.  Schon  Ranke  (Deutsche  Gesch.  3.  Ausg.  Bd.  3,  S.  127) 
macht  auf  die  Sorgfalt  aufmerksam,  mit  welcher  die  protestierenden 
Fürsten  unter  steter  Wahrung  der  eigenen  fürstlichen  Würde  die  verschie- 
denen Stande  des  Beichs  in  der  nach  der  Sitte  der  Zeit  jedem  einzelnen 
gebührenden  Weise  anreden.  Während  sie  die  Fürsten  stets  euer  Lieb 
oder  euer  Liebden  nennen,  wenden  sie  sich  an  die  anderen  Stände  mit  der 
Anrede:  ihr  oder  ihr  andern.  Die  Hochwflrdigsten  sind  die  geistlichen 
Kurfürsten,  die  Hochwürdigen  die  Bischöfe,  die  Hochgeborenen  die  welt- 
lichen Kurfürsten  und  Fürsten,  die  Ehrwürdigen  die  Äbte  und  Prälaten,  die 
Wohlgeborenen  und  Edeln  die  Grafen  und  Freiherren.  Alle  Fürsten  werden 
als  Oheime  nnd  Vettern,  die  übrigen  Stände  als  Freunde  und  Besondere 
angeredet.    Die  Fürsten  werden  freundlich  gebeten,  an  die  übrigen  wendet 


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—    33    — 

sonders  Zweyfel  gleich  uns  in  gutem  Gedechtnuß,  wie  anfangs 
dises  Beychstag,  als  R5.  Kay.  May.,  unsers  allergnedigsten 
Herrn,  Gewalt  und  dameben  ein  Schrift  in  Gestalt  irer  K. 
May.  Instruction  ^)  euer  Lieb,  uns  und  allen  Stenden  fürge- 
tragen und  verlesen,  das  derwegen  von  Euer  Lieb,  uns  und 
gemelten  Stenden  einhellig  für  nottürftig  und  gut  angesehen 
ist  worden,  einen  Außschuß  zu  Fürdrung  der  Hendel  zu  ver- 
ordnen und  zu  machen, ')  welcher  Außschuß  den  Artickel,  den 
Zwispalt  in  unserm  heyligen  Glauben  berürent,  so  in  berürter 
Instruction  der  ander  gesatzt,  erstlich  füi^  die  Handt  nemen, 
denselbigen  erwegen  und  davon  reden  selten,  wie  soUichs  Zwi- 
spalts  halben  in  mitler  Weyle  eins  Concili  zwischen  den 
Stenden  im  Keych  Frid  und  Eynigkeyt  erhalten  möcht  werden, 
doch  auf  Maß  so  viel  den  ersten,  nemlich  die  Tfirckenhilf, 
belanget  hat,  wie  euer  Lieb,  wir  und  andere  Stendt  des 
snnder  Zweyfels  noch  alle  auch  wohl  eingedenck  sein.  So 
wissen  auch  euer  Lieb  und  ir  andere,  die  neben  etlichen  auß 
uns  zu  dem  Außschuß  verordent  worden,  das  es*)  im  selben 
Außschuß  sunderlich  dafür  angesehen  und  gehalten  ist  worden, 
wo  nit  von  ersten  gemelts  Artickels  halben  den  Zwispalt  be- 
langend ein  Maß  gemacht,  das  on^)  dasselb  schwerlich  Frid 
und  Eynigkeyt  im  Reych  erhalten  möcht  werden,  das  auch 
den  Stenden  von  allen  Teylen  schwer  sein  wolt,  in  einiche 
Hilf  oder  anders,  so  die  andern  zwen  Artickel  in  der  Instruc- 
tion verfast  berurten,  zu  willigen  oder  einzügen,  ^)  es  wttste  dann 
ein  yeder  zuvor,  wie  er  bey  seinem  Nachtpaum  seß  und  wie 
er  mit  demselbigen  Friden  haben  möchte,  und  das  derhalb 

man  sich  mit  gnädigem  Gesinnen.  Das  Entgegenkommen  jener  will  man 
nm  die  FQnten  frenndlich  verdienen,  das  der  anderen  mit  günstigem 
WiUen  erkennen.  Die  Beachtung  aller  dieser  Unterschiede  macht  die 
Schrift  ohne  Zweifel  schwerfäUig  and  umständlich.  Gleich  der  Protestation 
sind  die  Aktenstücke  jener  Zeit  üherhaupt,  wie  Bänke  sagt,  ,,weit  entfernt, 
schön  oder  klassisch  genannt  werden  zu  können,  aher  sie  sind  den  Umständen 
angemessen  und  hahen  Charakter:  wie  die  Menschen  selbst,  so  alles,  was  sie 
tun".  *)  S.  Einleitung  8.  7  ff.  «)  S.  Einleitung  S.  9.  •)  In  D 

Druckfehler:  er.  *)  In  D  Druckfehler:  an.         *)  =  einzugehn. 

Mey,  AppeUation  and  Protestation.  3 


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—    34    — 

im  Außschuß  der  gemeine  Beschluß  gewest,  dieweyl  geredt 
worden  und  die  Instruction  auch  etwas  Meldung  davon  thete, 
als  solt  der  nechst^)  allhie  zu  Speyer  aufgerichter  Abschid 
in  einen  Mißverstandt  gefftrt  sein  worden,  daß  solchs  Miß- 
verstands halben  ein  Milterung  und  Erklerung  gemacht  und 
begriffen  solt  werden.  Nun  betten  wir  uns  gentzlich 

und  unzweyfenlich  versehen,  berürte  Handlungen  würde  dem- 
nach zu  angezeygtem  Zyl,  nemlich  zu  Erhaltung  Fridens  und 
Eynigkeyt  in  mitler  Zeyt  des  Concilii  und  zum  andern  auf 
Wege  einer  Milterung  oder  Erklerung,  da  Mißverstandt  in 
nechstem  Abschid  fürgefallen  were,  im  Außschuß  und  nach- 
volgends  bei  euer  Lieb  und  den  andern  als  Stenden  des  Reychs 
gericht  und  gefordert*)  sein  worden.  Wir  haben  aber  nach- 
volgends  befunden,  das  euer  Lieb  und  etliche  andere  von 
Stenden  auf  solche  Artickel,  wie  in  einen  Begriff  bracht  und 
nun  zum  andernmal  den  Stenden  verlesen  seind  worden,  über 
alles  das,  so  durch  etliche  auß  uns  von  ersten  im  Außschuß 
und  nachvolgends  unter  den  Stenden  zu  mercklicher  und 
unleydlicher  Beschwerd  und  üngelegenheyt  dises  Teyls  ist 
angezeygt  worden,  so  vil  die  Substantz  derselben  belanget, 
vermainen  zu  verharren,  unangesehen,  das  solche  Ai'tickel 
zum  Teyl  auß  fürgewandten  Ursachen  zu  Erhaltung  ange- 
zeygts  Fridens  und  Eynigkeyt  im  Reych  nicht  dienstlich  und 
zum  Teyl  auch,  wo  anders  nicht  alle,  keine  Erklerung  des 
nechsten  allhie  zu  Speyer  gemachten  Abschids,  sunder  mehr 
ein  gentzliche  Aufhebung  und  Abthuung  desselbigen  seind. 

Und  wiewol  wir  wissen,  das  wir  in  allem  dem,  damit 
wir  uns  auß  *)  schuldigem  und  Pflichtigem  Gehorsam  gegen  den 
verstorbnen  und  yetziger  Rö.  Kay.  May.  usw.  zu  halten 
schuldig  gewest,  oder  was  wir  irer  Kay.*)  May.,  auch  des 
Reychs  Eeren,  Wolfart  und  Pesten  ye  zu  Zeyten  haben  zu 
fordern*)  wissen,  das  wir  solchs  mit  gantz  treuer,  williger 
und  bereyter  Underthenigkeyt  allweg  dermassen  gethan,  das 

')  =  letzte.  ')  =  gefördert.  *)  In  D  Druckfehler:  auch. 

*)  In  D  Druckfehler:  Kö.  »)  =  fördern. 


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—    35    — 

wir  sunder  Rum,  auch  on  menigklichs  Verkleinerung,  nie- 
mands  in  dem  sunders  zuvorzugeben  wissen,  wie  wir  dann 
hinfuran  biß  in  unser  Endt  und  Gruben  vermittelst  der 
Gnaden  Gottes  uns  in  allen  schuldigen  und  müglichen  Dingen 
gegen  Römischer  Kay.  May.,  unserm  allergnedigsten  Herrn, 
Leybs  und  Guts  ungespart,  gehorsamlich  und  willig,  auch 
gegen  euer  Lieb  als  unsern  lieben  Herrn  und  Freunden 
freündtlich  und  den  andern  Stenden  gnediglich  zu  halten 
willig  und  geneygt,  so  seind  doch  diß  Sachen,  wie  euer  Lieb 
und  ir  andern  wissen,  die  Gots  Eere  und  unser  Seelen  Heyl 
und  Seligkeyt  angeen  und  betreffen,  darinnen  wir  unser  Ge- 
wissen halben  Gott  vor  allen  anzusehen  verpflicht,  das  wir 
gantz  ungezweyfelt  seind,  euer  Lieb  und  ir,  als  wir  auch 
freündtlich  gebetten  und  günstigklich  und  gnedigklich  ge- 
sunnen  wollen  haben,')  werden  uns  darinnen  bey  euch  selbst 
wissen  entschuldigt  zu  haben,  das  wir  mit  euer  Lieb  und  euch 
obberürter  Artickel  halber  in  dem  nicht  eynich,  noch  dem 
Meren,  wie  etliche  mal  auf  diesem  Reychstag  hat  wollen 
furgewendt  werden,  zu  dem,  das  wir  auß  vilen  dapferen  und 
bewegenden  Ursachen  dasselb  nit  schuldig,  stat  geben  mögen. 
Und  damit  euer  Lieb  und  ir  andern  unser  Beschwerden 
nochmals*)  und  eygentlich  zu  vememen,  so  ist  nicht  zu  ver- 
laugknen,  das  der  Leer  halben  in  unser  christlicher  Religion 
in  vilen  Artickeln  ein  Zeit  here  ein  Zwispalt  gewest.  Woher 
sich  aber  derselbig  verursacht,  wollen  wir  dem  Gericht  Gottes, 
dem  alle  Ding  wissend  seind,  dißmals  heymgestelt  haben, 
dann  allein  das  auf  gehaltenem  Reychstag  zu  Nünnberg  in 
des  Bäbstlichen  Legaten  damals  gethan  Werbungen  ein  An- 
zeygung  derhalb  beschehen,*)  die  wir  dißmals  dabey  lassen. 

»)  Vgl.  hiezu  das  S.  32,  Anm.  2  Bemerkte.  *)  In  D  Druckfehler: 

nachmals.  *)  Es  ist  das  bekannte  Breye  des  Papstes  Hadrian  VI  vom 

25.  November  1522  gemeint,  welches  der  päpstliche  Legat  Chieregati  am 
3.  Jannar  1523  dem  Nürnberger  Eeichstage  mitteilte.  Hadrian  bekennt 
darin,  daß  Gott  seiner  Kirche  die  Verfolgung  wegen  der  Sünden  der 
Menschen,  besonders  der  Priester  und  Prälaten,  schicke.  Viel  Verabscheu- 
ungswürdiges  sei  am  heiligen  Stuhle  getrieben  worden,   Mißbrauche  in 

3* 


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—    36    — 

Und  wiewol  allerley  Wege  darin  betrachtet  und  er- 
wogen ^),  so  ist  es  doch  zuletzt  einhellig  dafür  angesehen  worden, 
das  den  Sachen  zu  allen  Seytten  nicht  bequemlicher  wolt 
Maß  zu  finden  sein,  dann  das  ein  gemein  frey  christlich  Con- 
cilium  gemacht  und  außgeschriben  würdt.  Und  das  *)  zeygen 
wir  frettndtlicher  und  guter  Meynung  yetzt  darurab  an,  das 
euer  Lieb  und  ir  andern,  auch  menigklich,  darauß  abzunemen 
und  euch  selbst  zu  erinnern  habt,  da  einem  Teyl  Abstand 
oder  Verurteylung  der  Leere,  so  er  als  für  christlich  füret  •) 
und  in  seinen  Landen  und  Gebieten  füren  lest,  vor  solchem 
Concilio  aufzulegen  hette  mögen  für  bequem,  fttrtreglich,  nutz 
oder  gut  angesehen  werden,  das  durch  Churfürsten,  Fürsten 
und  Stende  sambt  Kay.  May.  yedesmals  verordenten  Oratom 
und  Commissarien  auf  die  vorige  gehaltne  Reychstäge  nicht 
würde  so  oft  von  obgemeltem  Concilio  geredt  und  gehandelt 
sein  worden. 

Das  uns  aber  yetzo  auf  disem  Teyl  nach  Meynung  und 
Inhalt  der  Punct,  so  des  Zwispalts  und  Fridens  Artickel 
halben  yetzt  gestalt,  solcher  Abstandt  und  Verurteylung  be- 
gegnen und  schweygend  aufgelegt  wolt  werden,  ist  auß  nach- 
volgender  Anzeygung  zu  vememen: 

Dann  es  begreift  der  Eingang  dise  Meynung,  als  hetten 
sich  Churfürsten,  Fürsten  und  Stende  eins  solchen  Abschieds 
entschlossen,  in  welchem  Entschliessen  wir  gleich  euer  Lieb 
und  euch  stehen  und  gemeint  sein  musten,  als  nemlich,  das 
diejhenigen,  so  bey  dem  Kayserlichen  Edict  zu  Wurms  biß 
anher  blieben,  nun  hinfüran  bey  demselben  biß  zu  dem  künf- 
tigen Concilio  auch  verharren  und  ir  ünderthanen  darzu 
halten  solten  und  weiten. 


heiligen  Dingen,  Übertretungen  der  Gebote.  Von  dem  Haupte  habe  sich 
die  Krankheit  auf  die  Glieder,  von  den  Päpsten  an!  die  anderen  Prälaten 
verpflanzt.  Er  werde  ton,  was  er  könne,  daß  zuerst  der  römische  Hof 
gebessert  werde,  von  welchem  Tielleicht  das  ganze  Übel  aasgegangen  seL 
^)  In  D  Druckfehler:  erwegen.  *)  das:  fehlt  in  D.         •)  In  D  Druck' 

fehler:  frewet. 


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—    37    — 

Nun  wolte  uns  das  vor  6ot,  unser  Gewissen  halben,  gar 
hoch  beschwerlich  sein,  das  yemands,  hochs  oder  nider  Stands 
durch  unser  Mitentschliessung  von  der  Leere,  die  wii*  für 
götlich  und  christlich  achten,  abgesundert  und  auf  das  an- 
gezogen Edict  solt  verhaft  werden. 

Wiewol  war,  das  uns  nicht  zustehet  zu  verfechten,  als 
wir  auch  zu  thun  gar  nit  geneygt  seind,  wie  es  ausserhalb 
bemelter  unser  Mitvergleichung  ein  yeder  unter  euer  Lieb 
und  euch  nach  dem  Edict  oder  sunst  für  sich  selbst  oder  mit 
den  Iren  halten  will.  Dann  nachdem  die  Leere,  darumb  yetzt 
der  Zwispalt  ist,  in  vilen  gegen  einander,  solten  wir  der 
Meynung  mit  schlässig  sein,  so  wolt  ja  erfolgen  und  uns  zu 
Schulden  aufzulegen,  auch  wider  unser  eygen  Gewissen,  der 
eins  war  sein,  eintweder,  das  wir  die  Leere,  die  wir  für 
christlich  achten,  nun  bereyt  an  selbst  als  unrecht  urteylten, 
wie  dann  dasselb  auß  dem  nachstvolgenden  Punct  in  diesen 
Worten:  und  aber  bey  den  andern  Stenden,  bey  denen  die 
andere  Lere  entstanden  und  zum  Teyl  on  mercklich  Aufrur, 
Beschwerdt  und  Geverde  nicht  abgewendt  werden  möcht  usw., 
auß  dem  Widersynn  solcher  Wort  klerlicher  zu  vememen  sein 
wolt,  oder  aber  wir  mosten  schweygendt  einreumen  und  bekennen, 
das  sie  zu  beyten  Seyten  recht  gegründet  und  also  nicht  nöttige 
Artikel  oder  Punct  im  Glauben  weren,  welchs  wir  doch,  wir 
werden  es  dann  in  einem  künftigen  Concilio  mit  Schrift  anders 
gewisen,  diser  Zeyt  gar  nicht  zu  thun  wissen. 

So  hette  es  dergleichen  und  viel  mer  Beschwerung  des 
Puncts  halben  die  Meß  berürendt.  Dann  wir  seind  unge- 
zweyfelt,  euer  Lieb  und  ir  haben  vor  dieser  Zeyt  zu  Notturft 
vemummen,  welcher  Gestalt  unser  Prediger  die  Messen,  wie 
die  ein  Zeyt  here  gepraucht  und  gehalten  seind  worden,  mit 
gotlicher  heyliger  Schrift  aufs  höchst  angefochten  und  nider- 
gelegt  Solten  wir  nun  in  einen  solchen  Begriff,  wie  er  ge- 
melter  Messen  halben  gefast,  gehellen,  ^)  wie  möcht  es  anders 


*)  Gebellen  oder  gehelen  =  einwiUigen. 


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verstanden  werden,  dann  als  ob  wir  gemelter  Leere,  die  wir 
für  christlich  nnd  bestendig  halten,  nun  widerumb  zuwider 
sein  und  dieselb  als  unrecht  urteylen  wolten,  das  doch  durch 
die  Verleyhung  der  Gnaden  Gottes  unser  Gemüt  gar  nit  ist, 
noch  mit  Gewissen  geschehen  mag. 

Das  aber  von  euer  Lieb  und  euch  andern  die  berürten 
Messen,  wie  die  ein  Zeyt  here  gehalten  und  gepraucht  seind 
worden,  gemeint  und  der  Begriff  von  denselben  auch  ver- 
standen muß  werden,  haben  wir  auß  dem  leichtlich  abzunemen, 
das  gemelter  Begriff  nur  auf^)  die  Örter  gericht,  do  die 
andere  Leere,  wie  sie  genant  wirdet,  entstanden. 

Und  ist  dannoch  aller  Gelegenheyt  nach  uns  nicht  un- 
billich  befrembdlich,  das  euer  Lieb  und  ir  fiirgenummen  habt, 
uns  und  andern  diser  Leere  in  dem  ein  Maß  unser  Under- 
thanen  halben  zu  setzen,  welche  euer  Lieb  und  ir  im  Gegenfall 
der  Iren  halb  ungern,  auch,  darfür  wir  achten,  gar  nicht, 
würdet  leyden  wollen.  So  wir  uns  doch  versehen  hetten,  wii* 
selten  nicht  unbillich  in  dem  bedacht  sein  worden,  auch  noch- 
mals bedacht  werden,  als  wie®)  vielleicht  euer  Lieb  und  ir 
in  im  Oberkeyten  unter  iren  Underthanen  allein  von  wegen 
der  herkumenden  Gepreuche  beyderley  Messen,  nemlich  die 
Opfer  und  christliche  Nachtmals  Messen,  zuzulassen  beschwert, 
das  es  uns  Chiisti,  unsers  Heylands,  offenbaren  Einsatzung 
halben  seiner  Meß  und  Nachtmals  viel  beschwerlicher,  etwas, 
das  derselben  götlichen  Einsatzung  zuwider  und  nur  auf  Her- 
kumen  und  Menschen  Satzung  gegründet  mag  werden,  zuzulassen. 

Dieweyl  nun  die  Leere  auf  unserm  Teyl  in  unsem  Landen 
und  Oberkeyten  mit  göttlicher  Schrift  dermaß  gegründet,  daß 
sie  christlich,  und  die  Schrift  wider  solche  Messen  ein  Zeyt 
here  öffentlich  gefüiii  und  aber  solcher  Artickel  und  Leere 
des  Stücks  halber  unter  andern  nicht  das  geringstest,  das  in 
einem  künftigen  christlichen  Concilio  wil  zu  handeln  sein,  so 
hetten  wir  uns,  zu  dem  das  das  Äußschreiben,  so  zu  disem  Reychs- 


')  In  D  Druckfehler:  „auch  auf".  *)  In  D  Druckfehler:  wir. 


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—    39    — 

tag  in  Kay.  Ma.  Namen  beschehen  und  außgangen  ist,  und  die 
verleßne  Instruction  nichts  von  disem  oder  andern  dergleichen 
Artickel  melden,  das  über  unser  hievor  vilmals  gethane  An- 
zeygung  dermaß  darauf  het  sollen  verharret  werden,  gar  nicht 
versehen. 

Wiewol  auch  öffentlich  am  Tag,  was  wir  in  unsem 
Landen  und  Oberkeyten  des  Sacraments  halben  des  Leybs 
und  Bluts  unsers  Herrn  und  Heylands  Jesu  Christi  predigen 
und  halten  lassen,  das  derwegen  weytleuftige  Anzeigung  zu 
thun  on  Not,  so  wissen  wir  doch  gleichwol,  wie  wir  uns  hie- 
vor auch  haben  vernemen  lassen,  auß  vilfaltigen  Bedencken 
und  Ursachen  nicht  für  bequem  oder  furtreglich  anzusehen, 
das  der  Leer  halben,  so  darwider,  ein  soUiche  Verordnung,^) 
wie  der  Begiiff  veimag,  yetzo  auf  disem  Reychstag  gemacht 
werde,  und  sunderlich,  dieweyl  Kay.  May.  Außschreyben  davon 
nichts  meldet,  auch  diejhenigen,  so  dieselbigen  Sach  berüm, 
derhalben  nicht  erfordert  noch  verhört  worden  sein.  Zu  was 
Glimpf  uns  allen  auch  dasselb,  dieweyl  es  unverhört  und 
ausserhalb  des  künftigen  Concilii  fflrgenummen  (wir  wollen 
anderer  Unrichtigkeyt,  so  derhalb  ervolgen  möchten,  ge- 
schweygen),  gedeutet  möcht  werden,  ist  leychtlich  zu  bedencken. 

Das  aber  auch  vilgem elter  Begriff  zu  Erhaltung  Fridens 
und  Eynigkeyt  im  Reych  in  mitler  Zeyt  des  Concilii  nicht 
dienstlich  seyn  wolt,  ist  hieraus  klerlich  abzunemen.  Dann 
der  berürt  Begriff  vermag  im  ersten  Punct,  daß  diejhenigen, 
so  biß  anhere  bey  Kay.  May.  Edict  blieben,  nun  hinfüran 
darbey  auch  verharren  sollen  und  wollen,  und  wirdet  kein 
ünterschid  gemacht,  wie  weyt  und  ob  sich  solche  Verpflich- 
tung auf  die  Peen  des  angezogenen  Edicts  erstrecken  sol  oder 
nicht,  wie  es  dann  von  wegen  der  gemeinen  Wort,  damit  der 
Artickel  verfast,  nicht  anders  kan  vemummen  werden. 
Dieweyl  dann  unser  etlicher*)  Qeystlichen  von  andern  Ober- 
keyten bereyt  an  gemelts  Edicts  halben  begegendt,  nachdem 

^)  In  D  Druckfehler:  Vorordennuag.    •)  In  D  Druckfehler:  yetlicher. 


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—    40    — 

es  von  inen  nicht  dermaß,  wie  sie  *)  dem  Edict  nach  vermeinen, 
gehalten  wirdet,  daß  sie  sich  und  über  den  nechsten  Spey- 
rischen  Abschid  unterstanden,  denselben  ire  Renth  und  Zins 
zu  hemmen  und  vorzuhalten  lassen,  so  ist  wol  zu  erachten, 
was  in  Gleychnuß  weyter  unter  demselben  angemasten  Schein 
•unterstanden  und  fiirgenummen  möcht  werden,  das  dann  zu 
Erhaltung  Fridens  und  Eynigkeyt  wenig,  auch  gar  nichts 
dienen  würdt.  Wellichs  aber  durch  den  nechsten  allhie  zu 
Speyer  gemachten  Abschid  verhütet,  also  das  niemands  ge- 
fügt, solchs  oder  dergleichen  oft  gemelts  Edicts  halben  fürzu- 
nemen,  dieweil  die  Peen  desselbigen,  dadurch  das  ein  yede 
Oberkeyt  mit  iren  ünderthanen  in  mitler  Zeyt  des  Concilii* 
in  Sachen  das  Edict  belangend  also  solt  zu  leben  und  zu  re- 
gieren haben,  wie  sie  solchs  gegen  Gott  und  Kay.  May.  ver- 
trauet zu  verantworten,  suspendirt  worden. 

Darauß  dann  klerlich  zu  vememen  ist,  daß  der  nechst 
Abschid  zu  Friden  und  Eynigkeyt  mer  dienstlich,  wie  er  dann 
auch  vermög  der  Instruction,  so  nechst  an  die  Römisch  Kay. 
May.  daneben  begriffen,^)  durch  Churfürsten,  Fürsten  und  Stende 
dafür  ist  angesehen  worden.  Dann  ist  solchs,  wie'  vor  an- 
gezeygt,  über  den  nechsten  Abschid,  da  sichs  gar  nit  ge- 
pürt  hat,  unser  Geystlichen  halben  nicht  verblieben,  was  wolt 
yetzo,  so  der  Abschid  auf  Meynung  des  BegriflFs  gericht  solt 


')  In  D  Druckfehler:  es.  ^)  Es  ist  die  von  dem  Eeichstage  am 

21.  August  1526  beschlossene  Instruktion  gemeint,  welche  der  an  den 
Kaiser  abzuordnenden  Gesandtschaft  mitgegeben  werden  soUte.  In  der- 
selben wird  der  Kaiser  gebeten,  mit  dem  Papste  wegen  baldigster  Be- 
rufung eines  gemeinen  freien  Konzils  in  deutschen  Landen  ins  Benehmen 
zu  treten,  wenn  sich  das  aber  durchaus  nicht  erreichen  lasse,  eine  in  Gegen- 
wart des  Kaisers  abzuhaltende  freie  Versammlung  aller  Stände  des  Beichs 
zu  berufen.  Bis  dahin  möge  der  Kaiser  aber  die  Durchführung  des 
Wormser  Edikts  mit  Bücksicht  auf  die  schweren  Zeiten  „gnädiglich  in 
Buhe  steUen^,  da  der  Vollzug  desselben  den  einen  aus  Gewissensgründen, 
den  anderen  aber  deshalb  unmöglich  sei,  weil  sie  sonst  eine  Empörung  zu 
befürchten  hätten.  —  Doch  kam  der  Beschluß  des  Beichstags,  eine  Gesandt- 
schaft an  den  Kaiser  zu  schicken,  nicht  zur  Ausführung. 


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—    41    — 

werden  und  nns  auf  disem  Teyl  benummen  sein  solt,  in  an- 
gezeigten Sachen  das  Edict  berürendt  es  dermaß  zu  halten, 
wie  wir  solchs  gegen  Gott,  dem  Allerhöchsten,  und  auch  in 
seinem  Gericht,  auch  hie  zeytlich  gegen  Römischer  Kay.  Ma. 
als  unser  ordenlichen  weltlichen  Oberkeyt,  verhoffen  zu  ver- 
antworten, ervolgen  und  beschehen?  Welchs  auch,  wieyetzo 
angezeygt,  ye  nicht  solche  Wort  seind,  die  im  nechsten  Ab- 
schid  verleybt,  dadurch  einem  yeden  zugelassen  sein  wolt,  als 
dann  durch  etliche,  denen  die  Sach  höher  dann  wol  die  Not- 
turft  allweg  zu  Gemüt  gereycht,  geredt  wil  werden,  in 
mitler  weyl  eins  Concilii  alles  nach  eygenem  Gutduncken  oder 
Gefallen  zu  thun  und  fiii'zunemen.  Wer  auch  demnach  den 
nechsten  Speyrischen  Abschid  mit  angezeygtem  Fürhalten  der 
Zins  miBpraucht  und  zu  entgegen  gehandelt,  geben  euer  Lieb 
und  euch  andern  wir  selbst  zu  bedencken. 

Item,  es  ist  auch  hierauß  gnugsam  zu  vermercken,  wo 
die  vilberürten  Wort,  das  es  ein  yede  Obrigkeyt  in  mitler 
Weyl  des  Concilii  in  Sachen  das  Edict  belangend  usw.,  yetzo 
herauß  gelassen  und  an  derselben  stat  solche  Wort,  wie  in 
dem  yetzigen  Begriff  steen,  nemlich:  und  aber  bei  den  andern 
Stenden  usw.  gestelt  selten  werden,  das  solcher  fürgenummener 
Abschid  nit  ein  Erklerung,  sunder  ein  gantze  Aufhebung  der 
Substantz  des  nechsten  Abschids,  so  vil  den  Zwispalt  belangt, 
sein  wolte,  in  welchen  uns  zu  bewilligen,  dieweyl  der  nechste 
Abschid  durch  Kay.  May.  Stathalter  und  Commissari  in  kraft 
Kay.  ^)  May.  GewaJts  und  Volmacht,  auch  Churfürsten,  Fürsten 
und  Stende  einhellig,  als  solchs  der  Buchstabe  klerlich  mit- 
bringt, mit  Verpflichtung,  denselben  vest  und  unverprochenlich 
zu  halten,  auch  dawider  nichts  zu  thun  und  fürzunemen  oder 
außgeen  zu  lassen,  bewilligt  und  mit  Sigillen  bevestigt,  nicht 
unbillich  höchlich  beschwerlich  sein  wolt.  2) 

*)  In  D  Druckfehler:  Kön.  *)  Dies  bezieht  sich  auf  die  üblichen 

Schlußworte  der  Beichstagsabschiede,  die  sich  auch  in  §  Bl  und  32  des 
Speierer  Abschieds  von  1526  finden.  Die  einschlägigen  Stellen  werden  in 
der  Protestationsschrift  vom  20.  April  (S.  55  f.)  fast  wörtlich  wiedergegeben. 


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—    42    — 

Und  zu  dem,  daß  wir  simder  Rum  menigklich  darumb 
Antwort  zu  geben  ungescheuet,  wo  uns  aufgelegt  wolt  werden, 
als  solte  der  nechst  Abscliid  von  uns  in  einen  MüJverstandt 
gezogen  und  dadurch  mißbraucht  sein  worden,  so  können  wir 
doch  auch  bey  uns  nicht  ermessen,  das  die  Notturft  sey  oder 
erfordere,  des  angezogenen  Mißverstands  halben  solche  yetz- 
gemelte  Aufhebung  des  nechsten  Abschids  zu  thun.  Dann 
wiewol  wir  kein  Wissen  tragen,  welcher  Gestalt  solcher  Ab- 
schid  zu  einem  Deckel  neuen  Leeren  seyther  solt  gezogen 
sein  worden,  so  solt  doch  unsers  Ermessens  demselben  hin- 
füran  durch  ein  solche  Erklerung,  so  zum  Teyl  in  dem  BegriflF 
gesetzt  und  auf  Meynung  unsers  übergeben  Artickels,  den  ^) 
wir  euer  Lieb  und  euch  andern  yetzo  nochmals*)  zu  erwegen 
wollen  zugestelt  und  uberantwort  haben,  gemiltert  ist  worden, 
in  dem,  das  es  die  Obrigkeyten  in  iren  Oberkeyten  vermög 
des  nechsten  Abschids  zu  halten  und  fortan  ^)  weiter  Neurung 
oder  Secten  des  Glaubens  halb  so  vil  menschlich  und  müglich 
verhütet  solt  werden,  nottürftiglich  begegend  und  Fiirsehung 

Hier  sei  nur  noch  bemerkt,  daß  sowohl  Erzherzog  Ferdinand  für  die  kaiser- 
lichen Kommissäre,  als  auch  Beauftragte  der  Stände,  wie  am  Schlüsse  des 
Abschieds  ausdrücklich  gesagt  wird,  zu  Urkunde  dessen  ihre  Siegel  „an  den 
Abschied  hängen"  ließen.  ')  In  D  Druckfehler:  denen.    Im  „großen 

Ausschusse"  hatte  der  Kurfürst  Ton  Sachsen,  nachdem  alle  Versuche,  mehr 
zu  erreichen,  gescheitert  waren,  den  Vorschlag  gemacht,  den  vorigen 
Speierer  Abschied  in  nachstehender  Weise  zu  erläutern :  „daß  diejenigen,  so 
bis  anhero  bei  den  hergebrachten  Kirchenordnungen  und  Bräuchen"  (nicht 
bei  dem  Wormser  Edikt)  „büeben,  auch  hinfüro  bei  denselben  bis  zu  dem 
künftigen  Konzile  verharren  und  ihre  Untertanen  dazu  halten  mögen.  Aber 
die  andern,  Kurfürsten,  Fürsten  und  Stände,  mögen  nach  Inhalt  des  ge- 
meldeten letzten  Speierer  Abschieds  in  Sachen  die  Religion  betreffend,  ein 
jeder  für  sich  und  mit  den  Ihren,  in  ihren  Obrigkeiten  sich  nichts  minder 
auch  halten,  also  leben  und  regieren,  wie  sie  das  gegen  Gott  und  römische 
kaiserliche  Majestät  vertrauen  zu  verantworten,  und  soU  hinfürder  weitere 
Neuerung  oder  Sekten  im  Glauben  aufzurichten,  so  viel  möglich  und  mensch- 
lich, verhütet  werden."  Aber  dieser  Vorschlag  wurde  sowohl  im  Ausschüsse, 
als  auch  später  im  Plenum  zurückgewiesen.  Vgl.  meine  Gesch.  des  Reichs- 
tags zu  Speier  im  Jahre  1529,  S.  140.  *)  In  D  Dnickfehler:  nachmals. 
•)  In  D  Druckfehler:  voran. 


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—    43    — 

darwider  gethan,  auch  gantz  on  Not  sein  solt,  den  nechsten 
Abschid  derhalben  dermassen  wie^)  berfirt  aufzuheben. 

Dieweyl  wir  dann  auch  zu  der  Römischen  Kay.  May., 
unserm  allergnedigsten  Hen^n,  der  ungezweyfelten  und  gantzen 
Zuversicht  sein,  wo  ir  Kay.  May.  der  Ding,  wie  die  zum  Teyl 
yetzo  von  uns  erzelt,  und  sunst  ferner  bericht  worden  weren, 
zu  dem  das  irer  May.  Außschreyben,  so  zu  disem  Reychstag 
beschehen  und  am  Dato  jünger  und  neuer  ist,  zusampt  dem 
Kay.*)  Gewalt,  welcher  im  Anfang  dises  Reychstags  durch 
irer  May.  Stathalter  und  Commissarien,  unser  besunder  lieben 
und  gnedigen  Herrn  und  Freund,  euer  Lieb,  uns  und  allen 
Standen  fürgetragen  ist  worden,  als  wir  nicht  andei-s  wissen, 
klerlich  mitbringen,  daß  davon  geredt,  gehandelt  und  gerat- 
schlagt solt  werden,  wie  Frid  und  Eynigkeyt  im  Reych  möcht 
erhalten  werden,  darauf  dann  auch  euer  Lieb,  wir  und  die 
andern  von  Stenden  alle  Handlung,  so  vil  gemelten  Friden 
belanget,  furgenummen,  —  dann  wo  es  die  Meynung  gehabt,  das 
es  bey  der  verlesen  Instruction  des  Artickels  halben  bleyben 
zu  lassen  für  nütz,  gut  oder  bequeme  het  angesehen  mögen 
werden,  so  hette  es  solcher  Beratschlagung  und  Erwegung 
gar  nicht  bedürft  — ,  die  hochgemelte  Römische  Kay.  May.  würde 
sich  zu  dem,  wie  die  gelesen  Instruction  berürts  Artickels 
halb  vermag  gar  nicht  haben  bewegen  lassen. 

Und  ist  dem  allem  nach  an  euer  Lieb  und  euch  andern 
als  unser  lieben  Herrn  Vettern,  Oheymen,  Freund  und  Be- 
sunder unser  freündtlichs  Bitten  und  günstigs,  auch  gnedigs 
Gesynnen,  dieselbigen  und  ir  wollen  Gelegenheyt  der  Sachen 
nochmals  zu  Gemüt  füren  und  dieselbigen  zusampt  obange- 
zeygten  und  dergleychen  unseren  Beschwerungen,  so  wir  der 
angezognen  Punct  und  Artickel  halben  in  dem  gefasten  Ab- 
schid haben,  erwegen  und  betrachten,  und  uns  derselbigen 
insunderheyt  auf  den  Wege,  das  es  bey  dem  neclisten  Ab- 
schid, wie  derselbig  dazumal  einhellig  gewilligt,  beschlossen, 


»)  wie:  fehlt  in-D.  *)  In  D  Druckfehler:  Kön. 


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—    44    — 

angenummen  und  volzogen  ist  worden,  bleyb  oder  aber  auf 
Meynung,  wie  euer  Lieb  und  ir  hievor  verstanden  und  auß 
diser  unser  Schrift  weiter  zu  vernemen  haben,  frettndtlich 
und  gutwillig  entheben  und  sich  mit  dem,  als  ob  euer  Lieb 
und  ir  andern  das  merer  soltet  haben,  vilberiirter  nechst 
allhie  von  Kay.^)  May.,  euer  Lieb  und  unser  aller  wegen  ge- 
machten, bewilligten,  entschlossenen  und  versigeltem  Abschid 
zuwider  nicht  bewegen  lassen,  als  wir  dann  auch  auß  ange- 
zeygten  und  ander  mer  Ursachen  und  zu  voran  nach  Gestalt 
und  Gtelegenheyt  diß  Handels  die  Gewissen  und  der  Seelen 
Heyl  belangend  demselben  gar  nicht  wissen,  noch  unsers  Er- 
achtens  schuldig  seind  statzugeben. 

Dann  was  ferner  die  Artickel  angehet,  so  der  Wider- 
taufer,  der  Prediger  und  Drucks,  dergleychen  des  Fridens 
halben  bedacht  und  begriffen  seind  worden,  auch  was  dar- 
nach weyter  die  andern  zwen  Hauptartickel  •)  berüren  ist, 
wollen  und  verhoffen  wir  uns  mit  euer  Lieb  und  euch  andern 
dermaßen  zu  vergleychen,  das  an  uns  in  keinem,  so  gemeiner 
Christenheyt  und  dem  Reich  Teutscher  Nation  zu  Nutz,  Wol- 
fart und  Gutem  und  insunderheyt  zu  Friden  gereychen  sol, 
zu  der  Billigkeyt  sol  Mangel  gespürt  werden. 

Das  alles  geruhen  euer  Lieb  und  ir  zu  unser  hohen  Not- 
turft  und  zu  der  Billigkeyt  zu  vermercken,  auch  freündtlich 
und  gutwillig  darinnen  zu  erzeygen.  Das  seind  wir  umb  euer 
Lieb  mit  besundern  freündtlichen  Fleyß  in  allweg  zu  ver- 
dienen und  gegen  euch  andern  in  Gunst,  Gnaden  und  allen 
Guten  zu  erkennen  geneygt.  Und  bitten  freündtlich  und  be- 
gem  günstigklich  hierauf  euer  Lieb  und  euer  andern  unver- 
züglich, freündtlich  und  ersprießliche  Antwort,  uns  unser  Not- 
turft  nach  deshalben  femer  haben  zu  vernemen  lassen  usw. 


»)  In  D  Druckfehler:  Kön.  «)  Der  Türkenhilfe  und  Unterhaltung 

des  Eeichsregiments  und  des  Kammergerichts. 


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-    45    - 

Wiewol  wir  uns  nun  zu  Churfiirsten,  Fürsten  und  Stenden 
gantz  unzweyfenlich  versehen  hetten,  dieselben  würden  ange- 
zeygte  unsere  großwichtige  und  merckliche  Beschwerungen 
zu  Gemüt  gefast  haben  und,  auf  das  niemand  etwas,  so  wider 
sein  Gewissen  were,  und  bevor,  ausserhalb,  auch  vor  einem 
künftigen  gemeinen  und  freyen  Concilium  oder  Nationalver- 
samblung  aufgelegt  würde,  in  den  Dingen  ein  unbeschwerliche, 
billiche  und  christliche  Enderung  gemacht  haben :  So  seind  doch 
ihre  Liebden  und  sie  auf  ihren  Vorhaben  bestanden,  allein 
das  uns  von  dem  Außschuß,  so  ir  Liebden  und  sie  derhalben 
verordent  gehabt,  darnach  ist  angezeygt  worden,  wie  ir  Lieb- 
den und  sie  bedechten,  das  die  gestelten  Artickel  Königklicher 
Durchleuchtigkeyt  als  Kay.  May.  Stathaltern  und  irer  May. 
verordenten  Orator  und  Commissarien  selten  fürzutragen  seyn, 
ob  ir  Durchleuchtigkeyt  und  Liebden  Mittel  zu  bequemer 
Vergleychung  finden  möchten,  welchs  wir  uns  und  das  Königl. 
Durchleuchtigkeyt  samt  den  Oratom  und  Commissarien  dar- 
auf zu  bequemer  Vergleychung  handelten,  uns  auch  nicht 
haben  mißfallen  noch  zuwider  sein  lassen,  in  freundlicher 
Zuversicht,  solche  Handlung  würde  fürderlich  und  unverzogen- 
üch  ervolget  und  furgenummen  sein  worden. 

Es  ist  aber  gleichwol  und  über  das  es  die  Meynung  im 
Anfang  dises  Reychstags  nit  gewesen,  fort  und  zu  den  andern 
Artickeln,  so  in  der  Schrift  außgedrückt,  welche  in  berürtem 
Anfang  dises  Reychstags  in  Gestalt  einer  Kayserlichen  In- 
struction verlesen  und  fürgetragen,  geschritten  worden.  Die- 
weyl  uns  aber  nach  etlichen  verschinen  Tagen  von  Königklicher 
Durchleuchtigkeyt  und  Kay.  May.  Orators  und  Commissarien 
wegen,  ob  und  wann  wir,  wie  vorstehet,  ferner  Handlung 
gewarten  solten,  nichts  angesagt,  haben  wir  zum  allerwenigsten 
zwir^)  bei  Kön.  Durchleuchtigkeyt  durch  etliche  der  unsem 
dammb  Anregen  und  Erinnerung  thun  lassen.  Aber  so  wir 
uns  vermüg  obgemelts  Abschids,  den  wir  mit  dem  verordenten 

»)  SS  zweimal. 


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—    46    — 

Außschuß,  Churfiirst,  Fürsten  und  Stenden  genummen,  weyter 
Unterhandlung  und  Unterrede  vei-sehen,  haben  König.  Durch- 
leuchtigkeyt  sampt  dem  Oratoni  und  Commissarien  Montags 
nach  Jubilate  nechst  verschinen  vor  Churfürsten,  Fürsten  und 
allen  Stenden,  ausserhalb  und  on  alle  weytere  Unterhandlung, 
auch  aller  unser  obberürten  hochbetranglichen  Beschwerden 
unangesehen,  ire  Meynung  öffentlich  auß  einer  Schrift  ver- 
leßen  lassen,  sonder  Zweyfel  der  Meynung,^)  als  ob  uns  ir 
Kön.  Durchleuchtigkeyt  und  Liebden  damit  einen  entlichen 
Bescheyd  angesagt  und  gegeben  wollen  haben,  wie  her- 
nach folgt: 

Vermeinter  Bescheyd,  so  Königkliche  Durch- 
leuchtigkeyt, Kay.  M.  Orator  und  Commissarien  in  Versamb- 
lung  der  Reychstende  öffentlich  haben  verlesen  lassen.  ^ 

Der  R.  K.  M.,  unsers  allergnedigsten  Herrn,  Stathalter, 
Orator  und  Commissarien,  haben  der  Churfürsten,  Fürsten, 
Prelaten,  Grafen  und  Stende  des  heyligen  Reychs  und  der- 
selbigen  Botschaften  Schrift,  die  sie  auf  die  drey  Artickel 
irer,  der  Kay.')  Stathalters,  Orators  und  Commissarien,  mündt- 
lichen  und  schriftlichen  Fürtrags  in  Namen  hochgedachter 
Kay.^)  May.  in  Anfang  gegenwürtigs  Reychstags  beschehen, 
verfasset  und  gestellet  und  inen,  den  Kay. ')  Stathalter,  Orator 
und  Commissari  vergangner  Tag  übergeben  ist,  nach  leng 
hörn  lesen  und  darauf  solche  Schrift  gegen  irem  Fürtrag  in 
kraft  ires  vollkummenden  habenden  Gewalts  dem  Kay.  Auß- 
schreyben  dises  Reychstags  gemeß  gestelt  übersehen. 

Und  wiewol  in  solche  der  gedachten  Churfürsten  und  Fürsten 
und  der  andern  Stende  gestelte  Schrift  der  drey  er  Artickel  des 
bemelten  Kay.  ^)  Stathalter,  Orator  und  Commissari  beschehen 
Fürtrag  nach  zu  Erfüllung  und  Gnugthuung  der  gedachten 
Ka.  May,  unsers  allergnedigsten  Herrn,  Willen  und  Meynung 


^)  Die  bei  MüUer  und  Jung  sich  findenden,  Worte  „öffentlich  bis 

Meynung"  fehlen,  offenbar  infolge  eines  Druckversehens,  in  D.         ')  Vgl. 

Einleitung  S.  12 ff.     Bei  Jung  LXXXVÜI  und  MüUer  72  ist  beigefügt: 
„den  19.  Aprilis".             »)  In  D  Druckfehler:  Kön. 


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—    47    — 

gegründt  und  gnngsam  Einrede  zu  haben  weien,  so  bedencke 
doch  die  Kay.  Stathalter,  Orator  und  Commissarien,  das  Chur- 
fftrsten  und  Fürsten,  auch  andere  Stende  des  heyligen  Reichs 
und  der  andern  anwesenden  Botschaften  auf  solchen  iren 
Furtrag  die  Artickei  nach  einander  begriffen,  nach  gehaltem 
zeytigem  Bath  von  wegen  Gelegenheyt  gegenwüi^tiger  Lettfte 
und  Zeyt  irem  höchsten  Verstandt  nach,  Gott  dem  Allmech- 
tigen  zu  Lob  und  Eere  und  gedachter  Kay.  May.  zu  under- 
thenigster  Gehorsam  und  zuforderst  zu  Erhaltung  unsers 
christlichen  Glaubens,  auch  Frid  und  Eynigkeit  im  heyligen 
Reych  christenlich,  vemünftigklich,  weyßlich  und  wol  gestelt 
und  verfast  haben,  welchs  auch  zuvorsichtigklich  und  sunder- 
lich  deijhenigen,  die  on^)  das  Gott  und  die  Kay.  May.  vor 
Augen  haben,  darfur  verstanden  und  dem  zuwider  nicht  ge- 
handelt wirdet. 

Und  lassen  demnach  die  gedachten  Kay.  Stathalter,  Orator 
und  Commissarii  inen  derselben  Churfürsten  und  Fürsten,  auch 
der  andern  Stende  gestelte  Begriff  der  dreyer  Artickei  irs 
Teyls  durchauß  gefallen,  nemen  auch  in  Namen  gedachter 
Kay.  May.  und  für  sich  selbst  dieselben  Artickei  an,  wollen 
solche  inhalt  ires  Gewalts  anstat  genanter  Kay.  May.,  auch 
für  sich  selbst,  das  die  also  in  ordenlicher  Form  eins  Ab- 
schids  bracht  werden,  hiemit  bewilligt  haben  und  sagen  von 
gedachter  Kay.  Ma.,  auch  ir  selbst  wegen,  denselben  Chur- 
fürsten und  Fürsten  und  den  andern  Stenden  und  Botschaften 
irer  christlichen,  getreuen  und  embsigen  Handlungen,  obge- 
melter  massen  ffirgewandt,  sunder  fleißigen,  freundlichen  und 
gnedigen  Danck  und  wollen  das  alles  Kay.  May.  berümen, 
die  wirdet  sunders  Zweyfels  solchs  mit  Gnaden  gegen  allen 
Stenden  erkennen  und  sie,  die  Kay.^)  Stathalter,  Orator  und 


')  In  D  Druckfehler:  an.  Man  achte  auf  die  Zusammenstellung:  „Gott 
und  die  Eaiserl.  Maj.  vor  Augen  hahen",  sowie  auf  die  beleidigende 
Fassung,  nach  welcher  die  evangelischen  Fürsten  nicht  zu  denen  gehören, 
welche  Gott  und  die  kais.  Maj.  vor  Augen  haben.  *)  In  D  Druck- 

fehler: Kön. 


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—    48    — 

Commissarien,   solchs   auch   für  sich   selbst  frettndtlich  und 
gnedigklich  beschulden. 

Dann  so  haben  dieselben  Stathalter,  Orator  und  Commis- 
sarien die  Schrift,  so  der  Churfürst  zu  Sachsen  usw.,  Marg- 
graf Georg  von  Brandenburg  usw.,  Landgraf  von  Hessen  usw^ 
Fürst  von  Anhalt  und  der  Luneburgisch  Cantzler  gemeiner 
Reychsversamblung  wider  den  ersten  gestelten  Artickel,  unsem 
christlichen  Glauben  belangen,  übergeben  haben,  auch  ver- 
nummen  und  lassen  dieselb  Schrift  in  irem  Werdt  bleyben. 
Dann  dieweyl  dem  großen  Außschuß,  nachmals  Churfürsten 
und  Fürsten  und  andern  Stenden  des  heyligen  Reychs  solch 
Schrift  fürtragen  und  verlesen  ist  und  geraeine  Versamblung 
nachmals,  altem  löblichen  Herkummen  und  Geprauch,  auch 
irer  Conscientz  und  Gewissen  nach,  in  dem  Artickel  den 
Glauben  berürn  das  viel  mer  mit  iren  Stimmen  gemacht,  dar- 
auf beschlossen,  und  sie,  die  Kay.  ^)  Stathalter,  Orator  und 
Commissarien  auf  im  Gewalt  anstat  vilgemelter  Kay,  ^)  May., 
auch  für  sich  selbst  als  Mitglider  des  heyligen  Reychs 
solchen  gestelten  Artickel,  wie  obstet,  angenummen  haben:  So 
wollen  sich  dieselben  Kay.  ^)  Stathalter,  Orator  und  Commis- 
sarii  gentzlich  versehen,  der  gedacht  Churfürst  von  Sachsen 
und  die  andern  Fürsten  und  Botschaften  obgemelt,  so  bißher 
in  dem  Beschließ  angezeygts  Artickels  Einrede  gesucht  haben, 
werden  den  Abschid,  obgemelter  Massen  gemacht,  auch  nicht 
wegem,  angesehen,  das  nicht  allein,  wie  obstet,  durch  vil  den 
merem  Teyl  Churfürsten  und  Fürsten,  auch  ander  Stende  des 
Reychs  altem  löblichen  Geprauch  nach  aufriebt,^)  ordenlich 
und  wie  sichs  gepürt  bey  disem  Reychstag  gehandelt  und 
procedirt  worden  ist,  sunder  das  auch  die  Kay.  ^)  Stathalter, 
Orator  und  Commissari  nichts  anders  fürpracht  und  gehandelt 
haben,  auch  weyter  fümemen,  handeln,  bewilligen  und  be- 
schliessen,  dann  das  sie  in  kraft  obgemelts  ires  Gewalts  gut 
Fug,  Macht  und  Recht  haben  und  gegen  gedachter  Kay.  May. 


')  In  D  Druckfehler:  Kön.  *)  =  aufrichtig. 


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—    49    — 

wol  und  gnugsam  zu  verantworten  wissen.  Das  haben  dan- 
noch^)  die  Kay.  Statbalter,  Orator  und  Commissarii,  Chur- 
fürsten  und  Färsten  und  den  andern  Stenden  des  Reychs  auf 
solche  ubergebne  Schrift  freündtlicher  und  gnediger  Meynung 
nicht  verhalten  wollen. 

Und  als  wir  uns  aber  desselbigen  gar  nit  versehen 
und  derhalben  zu  einer  kurtzen  Unterredung  mit  einander  ent- 
wichen  und  uns  gar  nit  vermutet,  das  Kön.  Durchleuch.  mit 
gedachten  Oratom  und  Commissarien  nicht  die  kleine  Weyl 
würden  verzogen  und  abgeharret  haben,  das  wir  ein  kurtz 
Gesprech  betten  halten  und  irer  Kö.  Durchleuch.  und  Liebden, 
auch  Churfarsten,  Fürsten  und  Stenden  unser  Notturft  wider- 
umb  furtragen  mügen,  seind  doch  ire  Eon.  Durchlenchtigkeyt 
und  vilgemelte  Oratom  und  Commissarien,  unser  unerwartet, 
aufgestanden  und  auß  des  Reychsstende  Versamblung  vom 
Hauß  unversehen  herabgezogen.  Wiewol  wir  auch  ire  Kö. 
Durchlenchtigkeyt  und  Liebden  aufs  frettndtlichst  durch  et- 
liche unsere  Eethe,  die  wir  zu  irer  Durchlenchtigkeyt  und 
Liebden  geschickt,  haben  bitten  lassen,  unbeschwert  zu  sein, 
neben  Churfursten,  Fürsten  und  Stenden  unser  Notturft  auf 
den  verleßnen  Fürtrag  widerumb  zu  hörn,  so  hat  es  doch  bey 
irer  Durchlenchtigkeyt,  auch  dem  Oratorn  und  Commissarien 
nicht  verfahen  wollen,  sunder  den  Unsern  ist  zu  Antwort 
gefallen,  die  Artickel  weren  beschlossen  usw.  Seind  derhalben 
wider  den  vermeinten  Beschluß,  so  durch  die  obberürten 
Stende  in  kraft  eins  angemasten  und  doch  gantz  undienst- 
lichen, unerheblichen  und  unverbindlichen  Merem  unterstanden, 
und  was  mit  Kön.  Durchlenchtigkeyt,  auch  des  Oratorn  und 
Commissarien  obgenanter  verlesen  Meynung  und  Antwort 
darauf  weyter  ervolget  ist,  vor  Churfursten,   Fürsten   und 

')  Bei  Jung  XC  und  MüUer  75:  demnach.  Die  Varianten  bei  Müller, 
dem  Jung  überall  folgt,  beruhen  durchweg  auf  handschriftlichen  Korrektureu 
und  Zusätzen,  welche  MtUler  in  dem  Weimarer  Exemplare  des  Original- 
drucks  anbrachte. 

Key,  Appellation  and  Protestation.  ^ 


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—    50    — 

Stenden  öffentlich  zu  protestirn  und  dieselbig  in  Schriften  zu 
übergeben  verursacht  Welcher  Protestation  ungeverlicher') 
Inhalt  hernach  außgedruckt  volget. 

Protestation  vor  Churfürsten,  Fürsten  und 
Stenden  öffentlich  verlesen  und  zu  den  Actendes 
Reichs  uberantwort. 

Euer  Liebden  und  ir,  lieben  Herrn  Vettern,  Oheymen, 
Freündt  und  Besundem  wissen,  was  Beschwerung  wir  die 
vergangen  Tag  dises  gehaltnen  Reychstags  mündtlich  und 
schriftlich  wider  etliche  Punct  in  dem  Artickel  Erhaltung 
Fridens  und  Eynigkeyt  von  wegen  des  schwebenden  Zwispalts 
der  Religion  im  Reych  mitler  weyls  des  Concilii  belangendt 
haben  fürtragen  lassen.  Und  wiewol  wir  in  Betrachtung,  das 
wir  nichts  angezeygt,  dann  was  unser  Gewissen  zu  Gottes 
Eere,  Lob  und  Heyligung  seins  Namens,  auch  von  gemelts 
Friden  und  Eynigkeyt  wegen  im  Reych  die  höchste  unmeyd- 
liche  Notturft  erfordert,  uns  versehen  hetten,  euer  Lieb  und 
ir  andern  würden  die  Weg  fürgenummeu  haben,  das  wir  uns 
mit  euer  Lieb  und  euch  andern  zu  Erklerung  des  nechsten 
Speyrischen  Abschids,  wo  derselbig  durch  ungleichen  Ver- 
standt  solte  mißpraucht  worden  sein,  mit  gutem  Gewissen  und 
on  Beschwerung  hetten  vergleychen  mögen,  also  das  der  ge- 
melt  nechste  Abschid  sunst  allenthalben,  wie  billich  und  der- 
selbig zuvor  einhellig  beschlossen  worden,  in  esse  und  seiner 
S.ubstantz  blieb,  wie  dann  auch  wir  Hertzog  Johanns,  Churfürst 
zu  Sachsen,  auf  des  grossen  Außschuß  gethanen  Fürschlag  ein 
schiedliche  Meynung,  die  angezogne  Mißbrauchung  und  Er- 
haltung gemelts  Fridens  anlangend,  haben  begreyfen  und 
darnach  gemeltem  Außschuß  widerumb  zustellen  und  euer 
Lieb  und  euch  nechst  anderweyt  auch  übergeben  lassen,  in 


*)  Vgl.  Einleitung  S.  13.  Die  protestierenden  Fürsten  behielten  offenbar 
kein  Konzept  der  in  der  Eile  niedergeschriebenen  und  dem  Reichstag 
überreichten  Protestation  zurück.  Deshalb  konnte  in  das  Appellations- 
instrument nur  der  „ungefähre"  Inhalt  der  am  19.  April  übergebenen 
Protestation  aufgenommen  werden. 


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—    51     — 

Zuversicht,  derselb  Begriff,  würde  von  euer  Lieb  und  euch 
für  ein  gleichmessige  und  schiedliche  Erklerung  bedacht  und 
angenummen  sein  worden.^) 

Dieweyl  wir  aber  befanden,  das  euer  Lieb  und  ir  auf 
irem  Vorhaben  in  dem  vermeinen  zu  verharren  und  aber  uns 
auß  furtragnen  dapfern  Ursachen  und  Beschwerden,  die  wir 
yetzundt  allenthalb  widerumb  erholet  und  erneuet  wöUen 
haben,  beyde  der  Gewissen  halben,  auch  das  solch  euer  Lieb 
und  euer  Fümemen  von  wegen  obgemelts  schwebenden  Zwi- 
spalts  zu  Erhaltung  Fridens  und  Eynigkeyt  in  mitler  Weyl 
des  CJoncilii  nicht  dienstlich,  keinswegs  fügen  noch  zu  thun 
sein  will,  das  wir  darein  gehelen  oder  willigen  solten,  zudem 
das  wir  nach  Gestalt  des  Handels  und  bevor  über  den  ob- 
berürten  nechsten  Speyrischen  Abschid  dasselb  nicht  verpflicht 
seind,  sunderlich  on^)  unser  Mitbewilligung  auß  gemeltem 
nechsten  allhie  zu  Speyer  gemachtem  und  versigeltem  Ab- 
schid von  wegen  der  heinachbeschriben  stracken  verpindt- 
lichen  Clausulen  und  Wort,  so  zu  Ende  desselben  Abschids 
verfast  seind,  zu  schreyten,  nemlich:  Darauf  so  gereden  und 
versprechen  wir  Ferdinand,  Printz  und  Infant  in  flispanien 
usw^  und  wir  Churfürsten,  Fürsten  usw.,  Prelaten,  Grafen  und 
Herren  usw.:')  so  bedencken  wir,  das  der  vilberürten  Be- 
schwerungen halben  unsere  hohe  und  unmeydliche  Notturft 
erfordert;  wider  angezeygt  euer  Lieb  und  euer  als  von  wegen 
gemelts  nechsten  Abschids  nichtig  und  machtloß  und  unser, 
auch  der  unsem  und  menigklichs  halben  unpündig  Fümemen 
öffentlich  zu  protestirn,  als  wir  auch  hiemit  gegenwürtigklich 
thun,  und  das  wir  auß  fiirgewandten  Ursachen  darein  nit 
wissen,  können  noch  mögen  gehelen,  sunder  gemelt  euer  Lieb 
und  euer  Vorhaben  für  nichtig  und  unpündig  halten,  gegen 
euer  Lieb  und  euch  hiemit  protestirt  haben.  Und  wollen 
uns  gleychwol  in  den  Sachen  der  Religion  in  mitlerweyl  ge- 
melts gemeinen  und  freyen  christlichen  Concilii  oder  Nacional- 


')  Vgl.  S.  42,  Anm.  1.     «)  In  D  Druckfehler :  an.     ^  Vgl.  S.  41,  Anm.  2. 

4* 


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—    52    — 

versamblimg  vermittelst  götlicher  Hilf,  vermög  und  Inhalts 
des  vilberürten  nechsten  Speyrischen  Abschids  in  unser  Ober- 
keyten,  auch  bei  und  mit  unsern  Underthanen  und  Ver- 
wandten, also  halten,  leben  und  regieren,  wie  wir  das  gegen 
Gott  dem  AUmechtigen  und  Römischer  Kay.  May.,  unserm 
allergnedigsten  Herrn,  vertrauen  zu  verantworten.  Was  auch 
der  Geystlichen  Zinß,  Eent,  Güld,  Zehend  und  den  Friden 
belanget  und  in  vilgemeltem  nechsten  Speyrischen  Abschid 
verfast  und  außgedruckt  ist,  wollen  wir  uns  in  allweg  auch 
unverweyßlich  erzeygen  und  halten.  So  wollen  wir,  was  die 
nachvolgenden  Punct  als  die  Wiedertauf  und  den  Druck  berürt, 
wie  wir  allwegen  auf  disem  Reychstag  verstanden  seind,  mit 
euer  Lieb  und  euch  auch  einich  sein  und  uns  Inhalts  der- 
selbigen  Punct  in  allweg  auch  gepürlich  zu  halten  wissen. 

Und  ist  dem  allem  nach  an  euer  Lieb  und  euch  unser 
freündtlich  Bitt  und  gnedigs  Gesynnen,  die  wollen  dise  unsere 
Protestation  zu  unser  unmeydlichen  Notturft  vermercken  und 
derselbigen  ingedenck  und  insunderheyt  daran  sein,  wo  hier- 
über solche  Meynung,  wie  von  euer  Lieb  und  euch  fürge- 
nummen,  zum  Abschid  dises  Reychstags,  als  wir  uns  doch 
gar  nit  versehen,  zu  setzen  unterstanden  wolt  werden,  aut 
das  angezeygte  unser  Protestation  ires  Inhalts  darbey  und 
neben  euch  eingeleybt  und  gestellet,  und  werden  verursacht, 
unser  yetzt  gethan  Protestation  sambt  unsern  Beschwerungen, 
die  wir  wider  solchen  Artickel  nechst  in  Schriften  fürgetragen 
haben,  an  die  Kay.  May.  zu  gelangen,  auch  sunst  öffentlich 
aufgehen  zu  lassen,  damit  menigklich  Wissens  haben  und 
empfahen  müg,  das  wir  und  warumb  in  solche  Meynung  nicht 
gehellet,  sunder  vor  euer  Lieb  und  euch  öffentlich  dawider 
protestirt  haben.  Behalten  uns  auch  bevor,  vilberürte  unsere 
Beschwerungen  und  Protestation  fenier  zu  extendim  und  uns 
derselbigen  gegen  euer  Lieb  und  euch  andern,  auch  sunst  zu 
unser  Notturft  vememen  zu  lassen. 

Das  alles  wollen  euer  Lieb  und  ir  andern  im  pesten  und 
wie  gemelt  zu  unser  hohen  Notturft  und  nicht  anders  ver- 


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—    53    — 

stehen^  seind  wir  umb  euer  Lieb  freftndtlich  zu  yerdienen  und 
gegen  euch  andern  mit  gänstigem  und  gnedigem  Willen  zu 
erkennen  geneygt 

Und  auf  das  die  Kön.  Durchleuchtigkeyt  sampt  dem 
Oratom  und  Ck)mmissarien,  auch  Churf&rsten,  Fürsten  und 
Stenden  unserer  Beschwerungen  nochmals  und  zum  Überfluß 
erinnert  wurden,  ob  ir  Kön.  Durchleuchtigkeyt  und  Liebden, 
auch  ChurfÜrsten,  Fürsten  und  Stende  des  Reychs  nochmals 
betten  wollen  erweicht  und  bewegt  werden,  die  Sachen  weyter 
und  dahyn  zu  bedencken,  damit  wir  allerseyts  zu  billicher  und 
unbeschwerter  Vergleichung  des  furgefallen  Zwispalts  kummen 
möchten,  so  haben  wir  die  obgemelten  unser  Beschwerungen 
noch  einst  ^)  mit  weyter  nottürftigen  Extension  und  anhengen- 
der  Protestation  zusammenziehen  und  in  Schriften  bringen 
lassen  und  etlich  unser  Käthe  damit  abgefertigt,  Kön.  Durch- 
leuchtigkeyt und  vilberürtem  Oratori  und  Commissarien  die- 
selb  fürzutragen  und  schriftlich  zuzustellen,  wie  dann  be- 
schehen.  Aber  dieselben  unsere  Geschickten  haben  uns  zu 
irem  Widerkummen  bericht,  wiewol  Kön.  Durchleuchtigkeyt 
angezeygte  unsere  in  Schriften  verfaste  Notturft  im  ersten  zu 
irer  Durchleuchtigkeyt  Händen  genummen,  so  hette  sie  doch 
inen  die  wider  zuzustellen  und  zu  angezeygter  weytem  billichen 
Bewegung  bey  irer  Durchleuchtigkeyt  und  dem  Oratori  und 
Commissarien  nit  behalten  wollen.  Auch  do  sich  die  unsem 
beschwerdt,  vilgemelte  Schrift  on  und  ausserhalb  unsers  Be- 
velchs  wider  zu  sich  zu  nemen,^)  ist  uns  dieselb  gleichwol 
bey  etlichen  Kön.  Durchleuchtigkeyt  Eäthen  zu  vorigen  Be- 
schwerden wider  zugesandt  worden.  Was  wir  auch  in  solcher 
Schrift  angezeygt  und  fürgewandt  haben,  ist  auß  nachver- 
zeychenten  derselben  Schriften  Inhalt  zu  vememen. 

Die  Beschwerung  und  Protestation  anderweyt 

1)  =  einmal.  *)  Bei  MüUer  80  und  Jung  XCm  finden  sich  hier 

noeh  die  in  D  fehlenden  Worte:  sondern  selbige  in  des  Köni^  Gemach 
niedergelegt    Vgl.  Einleitung  S.  14. 


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—    54    — 

zusamen  gezogen  und  Kon.  Durchleuchtigkeyt, 
d^n  kayserlichen  Oratorn  und  Commissarien  zu- 
gestellt.^) 

Durchleuchtiger  König,  auch  Hochwirdigisten,  Hochwir- 
digen,  Hochgebomen,  Erwirdigen,  Wolgebornen  und  Edeln, 
lieben  gnediger  Herrn  Oheymen,  Vettern,  Schweger,  Freunde 
und  besunder  Lieben.  ^  Nachdem  wir  uns  auf  Rö.  Kay.  May., 
unsers  allergnedigsten  Herrn,  Erfordern  und  daneben  eur 
Kön.  Durchleuchtigkeyt  freündtlich  Beschreyben  derselben 
irer  *)  May.  zu  undertheniger  Gehoi'sam  und  euer  Kön.  Durch- 
leuchtigkeyt zu  freündtlichem  und  dienstlichem  Gefallen,  auch 
gemeiner  Christenheyt  und  dem  heyligen  Reych  zu  gut  hieher 
zu  disem  Eeychstag  verfugt  und  nun  neben  euem  Lieben 
und  euch  den  andern  die  verlesen  Instruction  sampt  dem  Ge- 
waltsbrief, in  Kay.  May.  Namen  auf  euer  Kön.  Durchleuchtig- 
keyt und  ander  irer  Kay.  Ma.  verordente  Commissarien  ge- 
stelt,  angehört  uns  auch  daneben  ia  Kay.  May.  Außschreyben 
dises  Reychstags  mit  Fleyß  ersehen  und  funden,  das  die  Sachen 
durch  unbequem  Practick  dahin  gericht  gewesen  sein,  das 
der  Artickel  *)  in  dem  Abschid  des  vor  hie  gehalten  Reychstags, 
unsem  heylichen  christlichen  Glauben  und  desselben  Religion 
oder  Ceremonien  belangend  aufgehaben  und  dagegen  ander 
gantz  beschwerlich  Artickel  gestelt  werden  solten; 

Dieweyl  sich  aber  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt  und  ander 
euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt  Zugeordente  als  Kay.  May.  ge- 
walthabende *^)  Stathalter  und  Commissarien,  auch  alle  Chur- 

^)  Vgl.  Einleitung  S.  13  f.  «)  Zu  der  Anrede  vgl.  S.  32,  Anm.  2.  König 
Ferdinand  wird  nur  Durchleuchtigkeit  genannt,  da  der  Titel  Majestät  dem 
Kaiser  und  dem  römischen  Könige  vorbehalten  blieb.  Daß  und  warum 
König  Ferdinand  in  dem  Voglerschen  Konzepte  nie  angeredet,  sondern  nur 
in  der  dritten  Person  von  ihm  gesprochen  wird,  ist  in  der  Einleitung  S.  25 
bereits  bemerkt.  Die  hiedurch  bewirkten  Abweichungen  des  K  von  D  und 
0  sind  hier  nicht  weiter  berücksichtigt.  •)  In  0  ist  beigefügt:  Kayser- 
lichen. *)  In  0  fehlen  die  Worte:  durch  unbequeme  usw.  bis  Artickel. 
*)  K:  Durchleuchtigkeit  mit  verwandte  als  Kay.  May.  verordente  gewalt- 
habende. 


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-    55    — 

fursten,  Fürsten  und  Stende  des  Reychs  und  derselben  Bot- 
schaften des  gemelten  Artickels  auf  vorgehaltem  Reychstag 
hie  zu  Speyer  auß  guten  christlichen  Ursachen  zu  Erhaltung 
Frideüs  und  Eynigkeyt  im  heyligen  Reych  einmütigklich  ver- 
glichen und  vereynigt  haben  des  Inhalts,  wie  hernach  folgt: 

Das  mitler  Zeyt  eins  general  Concilions  oder  National- 
versamblung  ein  yetlicher  Churfürst,  Fürst  und  Stand  des 
Reychs  mit  seinen  Underthanen  in  Sachen,  so  das  Edict, 
durch  Kay.  May.  auf  dem  Reychstag  zu  Wurms  außgangen, 
belangen  möchten,  für  sich  also  leben,  regieren  und  halten 
mög,  wie  ein  yeder  solchs  gegen  Gott  und  Kay.  May.  hofft 
und  getraut  zu  verantworten; 

Und  nun^)  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt  als  derselben 
Zeyt  und  yetzt  Kay.  May.  Stathalter  sampt  andern  iren  be- 
nannten*) hievor  zugeordneten  Mitcommissarien  in  kraft  ires 
dazumal  übergeben,  mit  Kay.  May.  Händen  underschriben  und 
besigelten,  Gewalts  von  Römischer  Kay.  Ma.  wegen  im  Be- 
schluß obberurts  Abschids  geredt  und  versprochen*)  haben. 
Alles  und  Yedes,  so  im  gemeltem  Abschid  geschriben  stehet 
mid  Kay.  May.  berüren  mag,  vest,  unverprochenlich  und  auf- 
richtigklich  zu  halten  und  zu  volziehen,  dem  gestracks  und 
ungewaigert  nachzukummen  und  zu  geleben,  dawider  nichts  zu 
thun,^)  fürzunemen  und  zu  handeln  oder  außgehen  zu  lassen, 
noch  yemandt  anderm  von  iren  wegen  zu  thun  zu  gestatten 
sunder  alle  Geverde; 

Desgleichen  auch  euer  Lieb,  wir  und  ander  Churfüreten, 
Füret^n,  Prelaten,  Grafen,  *)  Herrn,  auch  der  Churfürsten  und 
Fürsten,  Prelaten,  Grafen  und  des  heyligen  Römischen  Reychs 
frey  und  Reychsstette  gesandte  Botschaften  und  Gewalthaber, 


')  Zus.  in  K  statt  der  durchstrichenen  Worte:  Es  haben  sich  auch 
kö.  Durchl.  usw.  Vogler  hatte  überhaupt  in  richtigem  Stilgefühl  in  seinem 
Konzept  mehrfach  einen  neuen  Satz  begonnen,  den  er  dann  durchstrich, 
um  wieder  in  die  Periode  zu  f aUen  und  im  Nebensatze  fortzufahren.  *)  0 : 
miti^enannten.  •)  K.  beschlossen.  *)  „Zu  thun":  fehlt  in  0. 

*)  0:  und  Herrn. 


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—    56    — 

in  dem  Äbschid  mit  Namen  benandt,  darin  öffentlich  bekandt, 
das  alle  nnd  yede  geschribne  Punct  und  Ai-tickel  mit  unser 
aller  gutem  Wissen,  Willen  und  Rat  fürgenummen  und  be- 
schlossen sein,  das  auch  wir  alle  dieselben  sampt  und  sunder- 
lich  in  kraft  des  Briefs  gewilligt  und  in  rechten  guten  waren 
Treuen  geredt  und  versprochen  haben,  alle  Punct  und  Artickel 
in  dem  Abschid  geschriben,  so  vil  einem  yeden  sein  Her- 
schaft oder  Freund,  von  den  er  geschickt  oder  gewalthabendt 
ist,  betrifft  oder  betreffen  mag,  war,  stet,  vest,  aufrichtig  und 
unverprochenlich  zu  halten,  zu  volziehen  und  dem  nach  allem 
unserem  Vermögen  nachzukummen  und  zu  geleben  sunder 
Geverd ; 

Wie  dann  mergemelter  Abschid  vorigs  ^)  gehaltens  Reychs- 
tags  also  verbrieft  und  von  Kay.  May.  Stathaltem,  Chur- 
ffirsten,  Fürsten  und  andern  Ständen  des  Reychs  besigelt  ist, 
solchs  mit  klaren  außgedrückten  Worten  in  sich  helt,  will 
und  vermag; 

So  haben  wir,  in  Betrachtung  solchs  vor  aufgerichten, 
verpflichten,  verbrieften  und  versigelten  AbschidS;  auch  ^)  auß 
hemachfolgenden  gegründten  Ursachen,  die  dann^)  euer  Kön. 
Durch.,  Lieb  und  euch  den  andern  am  zwölften  Tag  dises 
Monats  Aprilis  zum  teyl  in  Schriften  auch  angezeygt  seind, 
in  Aufhebung  des  vorgesatzten  einmütigklich  bewilligten  und 
zu  halten  verpflichten  Artickels,  noch  auch  in  die  derhalben 
begriffen  vermeinten,  und  doch  an  ir  selbst  kein,  gethan 
Milterung  nicht  willigen  können  noch  mögen: 

Nemlich  zum  ersten  auß  der  gegründten  Ursach,  das  wir 
unzweyfenlich  dafür  halten,  Kay.  May.  als  ein  löblicher, 
gerechter  und  christenlicher  Kayser  und*)  allergnedigster 
Herr,  auch  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt  und  andere  ire  Mit- 
commissarien,  dergleichen  auch  der  merer  Teil  auß  euem  der 
andern  Lieben  seyen  nichts  weniger  dann  wir  des  kay.  und*^) 


')  0  Schreibfehler:  vor  euch.        «)  auch:  fehlt  in  0.       *)  0  Schreib- 
fehler: ir.  *)  0:  unser.  *)  In  0  fehlt:  und. 


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—    57    ~ 

kön.,  charfurstlichen,  fürstlichen  und  erbarn,  auMchtigen, 
bestendigen  Gemüts  und  Willens,  was  die  alle,  als  obgemelt, 
einmal  und  mit  uns  einmütigklich  bewilligt,  verpflicht,  ver- 
brieft und  versigelt  haben,  also  laut  des  Buchstabens  stet, 
vest  und  unverprochenlich  zu  halten,  zu  volziehen  und  darin ') 
gar  nichts  zu  grübeln,  noch  mit  ichte  *)  dawider  zu  sein  noch 
zu  thun.  Darin  wir  nun  nit  allein  unser,  sunder  zuforderst 
Kay.  May^  auch  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und 
unser  aller  Eere,  Lob,  Glimpf  und  Fug^  bedencken  und 
suchen. 

Zum  andern  wissen*)  wir  auch  solchs,  wie  vor  und  her- 
nach gemelt  würdet,  mit  gutem  Gewissen  gegen*)  Gott,  dem 
Alhnechtigen,  als  dem  eynigen  Herrn,  Eegierer  und  Enthalter 
unsers  heyligen  christlichen  seligmachenden  Glaubens,  noch 
auch  gegen  Kay.  May.  als  einem  christlichen  Kayser  in  keinem 
Wege  zu  verantworten.*) 

Dan  wiewol  wir  wissen,^  das  unsere  Voreltern,  Gebrü- 
dere und  wir  in  allem  dem,  damit  wir  uns  auß  schuldigem 
und  pflichtem  ^  Gehorsam  gegen  den  verstorben  und  yetziger 
regierender  Römischen  Kay.  May.  zu  halten  schuldig  gewesen 
oder  zu  irer  Kay.  May.  und  des  Reychs  Eere,  Wolfart  und 
Festem  ye  zu  Zejrten  haben  fürdem  mögen,  das  gedachte  unsere 
Voreltern,  Gebrüder  und  wir  solchs  mit  gantzer,  getreuer, 
williger  und  bereyter  Underthenigkeyt  allwegen  dermassen 
gethan,  das  wir  sunder  Rum,  auch  on  mennigklichs  Verklei- 
nerung niemandt  in  dem  ichts  bevor  zu  geben  wissen,  wie 
wir  dann  auch  hinfüro  biß  in  unser  Ende  und  Gruben  mit 


')  0:  darumb.  ')  =  irgend  etwas.  *)  0:  Gefug.  *)  0: 

wisten  =  wüßten.  ^)  0:  mit.  *)  In  K  standen  hier  ursprünglich 

die  nachträglich  dnrchstrichenen  Worte :  „Dann  als  durch  etliche  des  Auß- 
schus  in  ihrem  erstgesteUten  und  den  zehenden  Tag  dieses  Monats  Aprilis 
zum  teil  geenderten  begriff  under  andern  gesetzt  ist.^  ')  Das  hier 

Folgende  ist,  wie  manche  weiter  folgende  SteUen  großenteils  wörtlich  der 
Beschwerde  vom  12.  April  entnommen.    Vgl.  S.  34  ff.  *)  K  und  0: 

piichtigen. 


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—    58    — 

Hilt  gütlicher  Gnaden  in  allen  schuldigen  und  möglichen 
Dingen  gegen  Komischer  Kay.  May.  als  unserm  allergnedigsten 
Herrn  ungespart  Leybs  und  Guts  gehorsamlich  und  willigklich, 
auch  gegen  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt  und  Lieben  als 
unsern  lieben  und  gnedigen  Herrn  Oheymen,  Vettern,  Schwe- 
gem,  Freunden  und  andern  des  heyligen  Reychs  Stenden 
freund tlich,  gnedigklich  gleichhellig  zu  halten  gewilt  und  ge- 
neygt  seind; 

So  seind  doch  dises  solch  Sachen,  wie  euer  Kö.  Durch- 
leuchtigkeyt, Liebden  und  ir  die  andern  wissend,  die  Gottes 
Eere  und  unser  yedes  Seelen  Heyls  und  Seligkeyt  angehen 
und  betreffen,  darin  wir  auß  Gottes  Bevelch  unser  Gewissen 
halben  denselben  unsern  Herrn  und  Gott  als  höchsten  König 
und  HeiTU  aller  Herrn  in  der  Tauf  und  sunst  durch  sein 
heyligs  götlichs  Wort')  vor  allem  anzusehen  verpflicht  und 
schuldig  seyen,  der  unzweyfenlichen  Zuversicht,  euer  Kön. 
Durchleuchtigkeyt,  Liebden^)  und  ir  die  andern  werden  uns, 
als  wir  auch  hievor  freündtlich  gebeten  haben,  darin  freündt- 
lich,  gnedigklich  ^)  und  gutwilligklich  entschuldigt  halten,  das 
wir  mit  euem  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und  euch*) 
andern  obberiirter  Artickel  halben  in  dem  nicht  eynich  sein, 
noch  in^chem  dem  merem,  wie  etlich  mal  uf  disem  Reychstag 
hat  fürgewandt  werden,  gehorchen  wollen,  in  Bedacht  und 
angesehen,  das  wir  °)  solchs  vermög  des  vorigen  Speyrischen 
Reychsabschid,  der  sunderlich  in  dem  angezogen  Artickel 
lauter  darthut,  das  solcher  Artickel  durch  ein  einmütige  Ver- 
einigung, und  nicht  allein  den  merer  Teil,  also  beschlossen 
worden,  darumb  auch  ein  solcher  einmütiger  Beschluß  von 
Erberkeit,  Billigkeyt  und  Rechts  wegen  änderst  nichts  dann 
widerumb  durch  ein  einhellige  Bewilligung  geendeit  werden 
soll,  kan  oder  mag,  zusampt  dem,^)  das  auch  on  das  in  den 

^)  in  der  Tauf  usw.  .  .  .  Wort:  Zus.  in  K.  ')  Liebden:  fehlt  in  0. 
')  gnedigklich :  fehlt  in  K,  weil  König  Ferdinand  hier  nicht  angeredet  wird. 
*)  K:  euch  den  andern.  '^)  0:  das  je  wir.  *)  der  sunderUch  .  .  . 

bis  zusampt  dem:  Zus.  in  K. 


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—    69    — 

Sachen  Gottes  Eere  und  ^)  unser  Seelen  Heyl  und  Seligkeit  ^) 
belangend  ein  yeglicher  für  sich  selbs  vor  Gott  stehen  und 
Kechenschaft  geben  muß,  also  das  sich  des  Orts  keiner  auf 
ander  minders  oder  merers  Machen  oder  Beschliessen  ^)  ent- 
schuldigen kan,  und  auß  anderen  redlichen  gegründten  guten 
Ursachen  zu  thun  nit  schuldig  sein. 

Und  damit  euer  Kö.  Dui'chleuchtigkeyt,  Liebden,  auch 
ir  die  andern  und  sunst  menigklich,  an  die  dise  Handlung 
gelangen  möcht,  unser  Beschwerden,  auch  Grund  und  Ur- 
sachen, *)  warumb  wir  uns  in  berürten  Sachen  mit  euem  Kön. 
Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und  euch  den  andern  dißmal  nit 
vergleichen  können,  nochmals  und  eygentlich  zu  vernemen 
haben,  so  ist  öffentlich  am  Tag  und  nit  zu  verlaugnen,  das 
der  Leer  halben  in  unser  christlichen  Religion  von  vil  Stück 
und  Artickel  wegen  ein  Zeyt  lang  biß  here  Zwispalt  gewest. 
Woher  aber  solcher  Zwispalt  verursacht  und  geflossen,  das 
waiß  Gott  zuforderst,  des  Gericht  wir  auch  alle  Sachen  heym- 
stellen,  und  ist  zum  teyl  auf  dem  Reychstag  zu  Nürm- 
berg  durch  den  bäbstlichen  Legaten  laut  seiner  Werbung  und 
Instruction  ^)  damals  gethan  und  übergeben,  auch  sunst  durch 
vil  Churfürsten,  ®)  Fürsten  und  andere  Stende  des  Reychs,  die 
doch  zum  teil  auch  euers')  Teyls  sein,  selbs  bekandt,  wie 
dann  auf  gemeltem  Reychstag  zu  Nürmberg  von  den  welt- 
lichen Reychsstenden  unser  aller  Beschwerden  in  achtzigk 
Artickel  verzeichend  und  gedachtem  bäbst.  Legaten  uber- 
antwort®)   die  auch  fürter  öffentlich  im  Druck  außgangen, 


*)  Gottes  Eere  und:  Zus.  in  K.  *)  0:  unser  Heil  und  Zelen  Selig- 
keit. *)  Machen  oder  Beschliessen:  Zus.  in  K.  *)  auch  Grund  und 
Ursachen:  Zus.  in  K.  *)  Vgl.  S.  35,  Anm.  5.  **)  0:  und  Fürsten. 
^  In  D  Druckfehler:  eins.  *)  Die  Beschwerden  der  weltlichen  Stände 
waren  auf  dem  Nürnberger  Reichstage  zwar  (etwa  am  8.  Februar  1523) 
noch  vor  der  Abreise  des  päpstlichen  Legaten  (16.  Februar)  fertig  gesteUt 
worden,  wurden  ihm  jedoch  nicht  mehr  persönlich  übergeben.  Sie  wurden 
ihm  aber  nachgeschickt.  Vgl.  0.  Redlich,  Der  Reichstag  von  Nürnberg 
1522-23,  S.  144  f. 


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—    60    — 

wie  dann  dieselben  Beschwerden  und  Mißpreuch  noch  nicht 
abgethan  und  der  noch  viel  mer  vor  Augen')  seind. 

Und  obwol  zur  selben  Zeyt  und  hernach,  *)  auch  yetzt 
hie  auf  allerley  Wege  gedacht,  so  ist  doch  auf  allen  Eeychs- 
tägen  allzeyt')  dafar  angesehen  worden,  das  den  Sachen  zu 
allen  Seyten  nicht  bequemlicher  Mittel  und  Maß  weiten*)  zu 
finden  sein,  dann  das  ein  frey  gemein  christlich  Concilion 
oder  zum  wenigsten*)  Nationalversamblung  aufs  ehest  ge- 
macht und  außgeschriben  würde.  Und  das  zeygen  wir  yetzt 
keiner  andern  dann  getreuer,  christlicher,*)  freündtlicher, 
dienstlicher ')  guter  Meynung  und  darumb  an,  das  euer  Kö. 
Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und  ir  die  andern,  auch  mennigk- 
lich  darauß  abnemen  und  sich  selbst  erinnern  mögen,  wann 
sich  gezymmet  oder  gepüret,®)  einem  Teyl  Abstandt  und*) 
Verurteylung  der  Leere,  zu  Gottes  Eere  und  der  Seele  ^®) 
Heyl  und  Seligkey t  gehörig,  ^^)  die  er  als  für^*)  christlich 
heltet,  fürt  und  in  seinen  Landen  und  Gebieten  füren  und 
geen  leßt,  vor  einem  freyen  christlichen  general  Concilion  auf- 
zulegen, das  durch  Kay.  May.  verordente  Stathalter,  Com- 
missarien,  Oratores,  auch  Churfur.,  Fürsten  und  andere 
Stende  des  Reichs  nit  so  oft  und  statlich  von  gemeltem  Con- 
cilion geredt  und  gehandelt  worden  were  und  noch  würde, 
die  zwispaltigen  als  zweifenlich  Leren  und  Sachen,  die*^ 
sie  selbst  nit  gewiß  sein,  zu  hörn'*)  und  zu  handeln.^*) 

Das  uns  aber  yetzt  auf  unserm  Teil  nach  Inhalt  und 
Meynung  etlicher  Puncten  und  Artickel,  so  diß  Zwispalts  im 
Glauben  und  Fridens  halben  gestelt,  solchs  begegend  und  nit 
allein  schweygend,  ^®)  sunder  auch  offenbarlich  wolt  aufgelegt 


*)  wie  dann  usw.  bis  vor  Augen:  Zus.  in  K.  •)  0:  darnach. 

•"O  0:  also.  *)  0  Schreibfehler:  wol.  *)  0:  zum  wenigsten  ein. 

•)  getreuer  christlicher:  Zus.  in  K.     ')  dienstlicher:  fehlt  in  K.      *)  wann 
usw.  bis  gepttret:  Zus.  in  K.  »)  0:  oder.  *®)  0  Schreibfehler: 

derselben.  »')  zu  Gottes  usw.  bis  gehörig:  Zus.  in  K.  ")  0:  vor. 

")  0:  der.  ")  0:  verhorn.  ")  die  zwispaltigen  usw.  bis  handeln: 

Zus.  in  K.  >«)  0:  stilsweigendt. 


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—    61    — 

werden,  ist  auß  nachvolgender  Anzeygung  gnug  zu  ver- 
mercken  und  za  verstehen: 

Dann  also  haben  etliche^)  im  Außschuß  in  irem  erst- 
gesteltem  und  den  zehenden  Tag  dises  Monats  Aprilis  wider  ^) 
übersehen,  auch  in  etlich  andern  Stücken  geendertem  Begriff 
gesatzt,  das  sich  ChnrfEirsten,  Fürsten  und  ander  Stende, 
unter  welchen  wir  gleich  euem  Liebden  und  euch  den  andern ') 
begriffen  und  gemeint  weren,  yetzt  hie  mit  einander  ent- 
schlossen betten,  das  diejhenigen,  so  bey  dem  vorbestimpten 
keyserlichem  Edict  biß  anhere  blieben,  nun  hiufüro  auch  bey 
demselben  Edict  biß  zu  künftigem  Concilion  verharren  und 
ir  Underthan  darzn  halten  selten  und  wolten  usw.  Das  uns 
ye  als  denjhenen,  die  solch*)  Edict  in  allen  Stücken  mit 
gutem  Gewissen  nicht  halten  noch  vollziehen*)  mögen,  wie 
dann  auf  vorigen  Reychstägen  nicht  allein  bey  uns,  sunder 
anch  mer  andern  Seychsstenden  bedacht,®)  zum  Iiöchsten  be- 
schwerlich und  vor  Gott  mit  nichte  zu  verantworten  were, 
yemandt  hohes  oder  niders  Stands')  durch  unser  Mitent- 
schliessen  von  der  Leere,  die  wir  auß  gründtlichem  Bericht 
Gottes  ewigen  Worts  unzweyfenlich  ^)  für  götlich  und  christ- 
lich achten,  abzusundern  und  wider  unser  selbst  Gewissen, 
als  obstehet,  unter  das  angezogen  Edict  zu  dringen. 

Aber  wir  untersteen  uns  gar  nicht®)  anzufechten,  wie 
es  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  auch  ein  yeder  unter  euern 
Liebden  und  euch  den  andern  ausserhalb  gemelter  unser  Mit- 
vergleychung  ^^)  oder  Entschliessung  nach  dem  Edict  oder  sunst 
für  sich  selbst  und  mit  den  L:en  halten  wil,  allein  das  wir  Gott 
teglich  und  hertzlich  ^^)  bitten,  das  sein  götliche  Gnad  uns  alle 
zu  sein  und  unser  selbst  rechten  waren  Erkantnuß  erleuchten 
und  seinen  heyligen  HJeyst  geben  wöl,  uns  in  alle  Warheyt 


*)  0  Schreibfehler:  sich  etliche,  *)  0:  widerumb.  *)  den 

andern:  fehlt  in  K.  *)  K:  k.  Edict.  *)  In  D  Druckfehler:  ver- 

ziehen. •)  wie  dann  usw.  bis  bedacht:  Zus.  in  K.         ')  Man  beachte 

das:  niders  Stands.  •)  Zus.  in  K.  •)  0:  nichts.  *<>)  0: 

Mitrerwilligung.  ^')  teglich  und  heitzlich:  Zus.  in  K. 


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—    62    ~ 

zu  leyten,  dadurch  wir  zu  Einhelligkeyt  eins  rechten,  waren, 
liebreychen,  seligmachenden  christlichen  Glaubens  kummen') 
durch  Christum,  unsem  eynichen  Gnadenstul,  Mitler,  Für- 
sprecher und  Heyland.    Amen.-) 

Dann  nachdem  der  Zwispalt  öffentlich  vor  Augen  und 
wie  obgemelt  durch  den  Gegenteyl  zum  teyl  selbst  bekandt, 
das  der  auß  irem  Verursachen  entsprungen  ist,  das  auch  von 
gemeltem  Widerteyl  selbst  gestanden  und  nicht  verneynt 
wurdet,  das  die  Leere  bey  uns  in  vil  Stücken,  die  doch  das 
kayserlich  Edict  auch  anrürt,  gerecht  sey  und  allein  in 
etlichen  Puncten  und  Artickeln  wider  einander  streyte,  hat 
menigklich  erbars  Verstands  und  Gemüts  leichtlich  zu  er- 
messen, wann  wir  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  euer  Lieb 
und  euer  der  andern*)  yetz  begriffen  Meynung  mit  euer 
Kö.  Durchleuchtigkeyt,  euer  Lieb  und  euch  den  andern*) 
beschliessen  solten,  das  darauß  ervolgen  und  uns  aufgelegt 
würde,  das  wir  wider  unser  eygen  Gewissen  die  Lere,  so 
wir  bishere  unzweyfenlich  für  christlich  gehalten  und  noch 
dafür  achten,'^)  nun  selbst  als  unrecht  urteyln,  dieweyl  wir 
mit  beschlussen,  das  wider*)  dieselben  das  kayserlich  Edict 
stat  haben  solt. ') 

Welchs  dann  noch  klerlicher  auß  des  angehenckten  Punc- 
ten Widersyn  ®)  vermerckt  wirdet,  der  also  laut :  Und  aber 
bey  den  anderen  Stenden,  bey  denen  die  ander  Leere  ent- 
standen und  zum  teyl  on  mercklich  Aufruren,  Beschwerdt 
und  Geverde  nicht  abgewendt  werden  mag,  sol  doch  hinfüro 
alle  weyter  Neurung  biß  zu  künftigem  Concilion  sovil  möglich 
und  menschlich  verhüt  werden  usw.  Wie  dann  mennigklich 
darauß  arguirn  und  sagen  möcht,  wir  hetten  durch  solchen 


^)  In  K  steht  hier  noch  der  Znsatz :  und  darin  ewiglich  besteen  mögen. 
*)  Man  beachte  die  hier  ausgesprochene  Ton  wahrer  christlicher  Toleranz 
zeugende  Gesinnung.  ')  Kön.  Durchl.  usw.  bis  anderen:  fehlt  in  K. 

*)  Statt:  euer  Kön.  Durchl.  usw.  bis  andern  st^ht  in  K  einfach:  euch. 
*)  dafür  achten:  fehlt  in  K.  «)  In  D  Druckfehler:  wir.  ')  Der  Schluß- 
satz: dieweyl  wir  ...  bis  solt:  fehlt  in  K.  *)  Widersyn:  Zus.  in  K. 


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—    63    — 

Abschid  bekendt,  das  unser  christliche  Leere,  Meynung  und 
Haltung  so  unrecht  und  dermaßen  gestalt  weren,  wann  die 
on  mercklich  Aufruren,  Beschwerd  und  Geverde  abgestelt 
werden  möchten,  das  es  billich  geschehen  solt,  oder  wir  müsten 
zum  wenigsten  stilschweygend  ^)  einreumen  und  bekennen, 
das  wir  nicht  recht  gegründet  oder  also  nötig  Punct  und  Artickel 
im  Glauben  betten.  Das  wir  aber,  wir  werden  dann  zu 
einem  künftigen  Concilion  oder  sunst  mit  heyliger,  reyner, 
göttlicher-)  biblischer  Schrift  änderst  gewisen,  diser  Zeyt 
gar  nicht  zu  gestehen^)  noch  zu  thun  wissen. 

Was  were  auch  das  anders,  dann  nicht  allein  still- 
schweygendt,  sunder  öffentlich  unsers  Herrn  und  Heylands 
Christi  und  seins  heyligen  Worts,  das  wir  on  allen  Zweyfel 
pur,  lauter,  reyn  und  recht  haben,  *)  verlaugendt  und  dem  Herrn 
Christo  Ursach  geben,  uns  vor  seinem  hymelischen  Vater  auch 
zu  verlaugnen  und  nicht  zu  bekennen,  das  er  uns  von  Sünden, 
Todt,  Teufeln  und  der  Helle  erlöst  hette,  wie  er  dann  allen 
den,  die  inen  und  sein  heylig  Wort  nit  frey  und  öffentlich  vor 
den  Menschen  bekennen,  im  Evangelio*)  erschröckenlich 
troet.  So  stehet  die  recht  Bekantnuß  nicht  allein  in  plossen 
Worten,  sunder  in  der  That,  wie  zur  Notturft  weyter  dar- 
gethan  werden  mag.®) 

Zu  was  mercklicher  und  verdümblicher  Ergernuß ')  und 
Abfall*)  dann  solchs  nicht  allein  bey  unsem  christlichen, 
sunder  auch  bey  des  Gegenteyls  guthertzigen  Underthanen  das 


*)  zum  welligsten  stüschweygendt :  Zus.  iu  K.         ^)  göttlicher:  Zus. 
in  K.  ')  In  D  Druckfehler:  geschehen,    zu  gestehen:  Zus.  in  K. 

*)  das  wir  usw.  bis  haben:  Zus.  in  K.  In  0  lautet  der  Satz:  das  wir  on 
aUen  Zweyfel  vor  lauter,  reyn  vnd  recht  halten.  Im  Konzept  stand  hier 
nach  „seins  heiligen  Worts"  der  nachträglich  durchstrichene  Satz :  das  doch 
ein  IgÜcher  Christ  bei  yerlust  (am  Bande  statt  dessen:  als  blieb  ihm) 
seiner  seien  selickeit  vor  allen  menschen  und  zu  allen  Zeiten  frei  und 
öffentlich  bekennen  soU.  *)  Im  Evangelio:  Zus.  in  K.  ^)  Der  Satz: 
So  stehet  ...  bis  werden  mag:  Zus.  in  K.  ")  0:  verdumlicher  Er- 

genmg.  ^)  und  AbfaU:  Zus.  in  E. 


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—     64    — 

gedeyen  und  reychen  würde,  wann  sie  hörten,  das  wir  uns 
mit  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und  euch  den  an- 
dern entschlossen  hetten,  das  ir  bey  dem  Edict  verharren  und 
euer  Underthan  auch  darzu  halten  solt,  also  ob  gleich  Gott 
der  AUmechtig  yemandt  zu  Erkantnuß  seins  heiligen  allein 
seligmachenden  Worts  erleuchtet,  das  der  oder  dieselben  das- 
selbig  nicht  annemen  solten  oder  dörften,  das  kan  ein  yeder  ^) 
christlicher  Biderman  nit  schwer  bedencken  und  erkennen,  ^ 
als  sich  auch  etlich  Oberkeyten  euers  Teyls  gegen  im  Under- 
thanen  damit  zu  beschönen  unterstehen  möchten,  das  wir  uns 
eins  solchen  mit  euern  Kö.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und 
euch  den  andern  hetten  entschlossen,  dainimb  so  mußten  sie 
es  also  halten  und  thun. 

Wo  wir  uns  auch  mit  euern  Kön.  Durchleuchtigkeyt, 
Liebden  und  euch  den  andern  des  entschlössen,  das  die  jhenen, 
so  bißhere  bey  dem  Edict  blieben  sein,  hinfuro  biß  auf  ein 
künftig  Concilion  auch  darbey  verharren  solten  usw.,  bekendten 
wir  wie  vorgemelt  nit  allein,  das  euers  Teyls  Meynung  ge- 
recht, sunder  auch  das*j  das  Edict  noch  in  esse  were  und 
sein  solt,  das  doch  durch  den  vorigen  Speyrischen  Reychs- 
abschid,  wie  sich  aus  aller  Handlung  erfindet,  suspendirt  und 
aufgehaben  ist,  also  das  sich  ein  yeglicher  Reychsstand  *)  in 
solchen  Sachen  das  Edict  berürend  für  sich  selbst  mit  den 
Seinen  also  halten,  leben  und  regieren  mag,  wie  er  das  zu- 
forderst*) gegen  Gott  und  Kay.  May.  hoff  zu  verantworten. 
Darumb  wir  uns  mit  solchem  unverschuldten  Joch  des  Edicts 
nicht  mer  beschweren  lassen  könnten. 

Wir  seind  auch  ungezweyfelt,  es  sey  Kay.  May.  Will, 

')  0:  iglicher.  •)  das  kau  usw.  bis  erkennen:  Zus.  in  K. 

•)  K:  daß  auch.  *)  Reychsstand:  Zus.  in  K.  "*)  Man  beachte  das 

„zuforderst^.  Das  erinnert  an  die  bei  dem  Reichstage  von  1526  von  dem 
großen  Ausschusse  zuerst  vereinbarte  Fassung  der  bekannten  Klausel,  in  der 
es  ausdrücklich  heißt :  „gegen  Gott  z  u  v  o  r  a  b  und  darnach  gegen  kaiser- 
liche Majestät".  Vgl.  meine  Schrift:  Der  Reichstag  zu  Speier  1526,  Ham- 
burg 1889,  S.  39  f. 


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-    65    — 

Gemüt  oder^)  Meynung  Dicht,  wie  wir  dann  unser  Leeren, 
Leben,  Regieren,  Thun  und  Lassen  in  solchem  gegen  Gott 
dem  Ällmechtigen  und  irer  Kay.  Ma.  als  einem  chiistlichen 
Kayser  auf  waren  gründtlichen  Bericht  der  Sachen  wol  zu 
verantworten  hoffen  und  vertrauen. 

So  hat  es  des  Artickels  halben  die  Meß  berürendt  der- 
gleichen und  vil  mer  Beschwerung.  Dann  wir  seind  unge- 
zweyfelt,  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und  ir  die 
andern  haben  vor  dieser  Zeyt  zur  Notturft  gehört  und  ver- 
nummen,  welcher  gestalt  unsere  Prediger  und  Leerer  die 
bäbstlichen  Meß,  wie  di  ein  Zeyt  lang  bißhere  gepraucht  und 
gehalten  worden  seind,  mit  heyliger,  götlicher,  unüberwindt- 
licher,  bestendiger  ^  Schrift  aufs  höchst  angefochten  und  nider- 
gelegt,  auch  dagegen  das  edel  köstlich  Nachtmal  unsers  lieben 
Herrn  und  Heylands  Jesu  Christi,  so  die  evangelisch  Meß 
genannt  würdet,  nach  Christi,  unsers  eynichen  Meysters,  Ein- 
satzung  und  Exempel,  auch  seiner  heyligen  Apostel  Gebrauch  *) 
aufgericht  haben.  Solten  wir  nun  in  einen  solchen  Begriff 
oder  Beschluß,  wie  der  im  Außschuß  der  Meß  halben  gestelt 
ist,  gehelen  oder  willigen,  möcht  abermals  kein  *)  anders  ver- 
standen werden,  dann  das  wir  unser  Prediger  Leeren,  die 
wir  doch  für  christlich  und  besten dig  halten,  in  dem  Stück 
als  wol  als  in  dem  vorigen*)  zuwider  weren  und  dieselben 
als  unrecht  urteylen  hülfen,  das  doch  durch  Verleyhung  der 
Gnaden  Gottes  unser  Gemüt  gar  nicht  ist,  auch  mit  keinem 
guten  Gewissen  geschehen  kan,  ®)   Euer  König.  Durchleuchtig- 


*)  0:  und.         *)  unüberwindlicher  bestendiger:  fehlt  in  K. 
^  nach  Christi  usw.  ...  bis  Gebrauch:  Zus.  in  K.         *)  0  Schreibfehler: 
ein.  *)  0:  andern  vorigen.  *)  Die  vorausgehenden  Worte  zeigen 

klar,  daß  die  evangelischen  Fürsten  bei  ihrer  Verwerfung  des  Artikels 
von  der  Messe  das  Hauptgewicht  auf  die  Bestimmung  legten :  „Desgleichen 
sollen  die  Amter  der  belügen  Messe  nicht  abgetan"  werden.  Die  evan- 
gelischen Fürsten  hatten  in  ihren  Gebieten  mit  Zustimmung  der  meisten 
Geistlichen  und  zur  Freude  des  größten  Teües  der  Gemeinden  die  Ämter 
der  Messe  (SeelenSmter  usw.)  abgetan  und  statt  derselben  das  h.  Abend- 
Ney,  Appellation  nnd  Protestat ion.  ^ 


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—    66    — 

keyt,  Liebden  und  ir  die  andern,  ja  menigklich  mOgen  auch 
wol  bedencken,  wann  wir  in  unsern  Stetten,  Flecken  und 
Gepieten  zweyerley  einander  widerwertig  Messen  halten 
lassen  würden,  obgleich  die  bäbstisch  Meß  nicht  wider  Qott 
und  sein  heyUges  Wort  were,  welchs  doch  nymermer  mag 
erhalten  werden,  ^)  das  dannocht  auß  solchem  bey  dem  ge- 
meinen Mann,  sunderlich  bey  den  jhenen,  die  ein  rechten  Eyfer 
zu  Gottes  Eere  und  Namen  haben,  nichts  weniger  dan  wider- 
wertigs  Predigen,  Widerwertigkeyt,  Aufrur,  Entpörung  und 
alles  tJnglfick  volgen  und  gar  zu  keinem  Frid  noch  Eynigkeyt 
dienen  wfirde. 

Das  aber  von  euem  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und 
euch  den  andern  die  berurten  bäbstischen  Messen,  wie  die 
ein  Zeyt  lang  bißhere  gehalten  und  gepraucht  worden  seind, 
gemeint  sein  und  der  Begriflf  von  denselben  verstanden  werden 
muß,  haben  wir  aus  dem  leychtlich  abzunemen,  das  der  gemelt 
Begriflf  allein  auf  die  Örter  gericht,  da  die  ander  Leere,  wie 
sie  genandt  wUrdet,  entstanden,  und  gar  nicht  auf  euer  Eon. 
Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und  euer  der*)  andern  Obrig- 
keyten  und  Gepiete. 

Und  darumb  uns  nicht  unbillig  befrembd,  das  euer  Kön. 
Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und  ir  die  andern  fürnembd,  uns 
und  andern,  so  diser  Leere,  das  ist  dem  lautem  reynen  Wort 
Gotts,  anhangen,  in  dem  ein  Maß  unser  Underthan  halben  zu 
setzen  und  in  unsern  Stetten,  Flecken  und  Gepieten  Ordnung 
und  Regiment  zu  machen,  *)  welchs  euer  Kön.  Durchleuchtig- 
keyt, Liebden  und  ir  die  andern  im  Gegenfall  ungern,  auch 

mahl  in  evangelischer  Weise  eingeführt.  Sie  verwahren  sich  nun  —  gewiß 
mit  aUem  Bechte  —  dagegen,  daß  der  neue  Abschied  ihnen  dies  verbietet 
Und  gewiß  ist  es  nicht  Intoleranz,  die  sie  zu  ihrem. Proteste  hiegegen  be- 
wegt (Vgl  Einleitung  S.  21  f.)  *)  obgleich  usw.  ...  bis  werden:  Zus. 
in  K  ')  der:  fehlt  in  0.  ')  und  in  usw.  bis  machen:  Zus.  in  K. 

Diese  nachträgliche  Einfügung  gibt  ein  nicht  unwichtiges  Motiv  zu  dem 
Proteste  der  evangelischen  St&nde  an,  die  in  der  Bestimmung  über  die 
Messe  einen  Eingriff  in  ihre  —  von  aUen  Beichsständen  sehr  hochgehaltenen 
—  obrigkeitlichen  Bechte  erblickten. 


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—    67    — 

darf&r  wirs  achten,  gar  nit  würdet  leyden  wollen.  So  ir  doch 
billich  die  Gleycheit  bedencken  und  vil  weniger^)  wider  das 
sein  solt^  das  wir  uns  mit  den  Unsem  in  unsem  Stetten, 
Flecken,  Obrigkeyten  nnd  Gepieten*)  des  Nachtmals  Chiisti 
als  der  evangelischen  und  allein  in  gOtlicher  Schrift  ge- 
grondten  Messe  nach  *)  desselben  unsers  Heylands  Jesu  Christi 
offenbaren  und  unwidersprechlichen  Einsatzung  einhelligklichen 
gebrauchen,  dann  das  ir  ungern  het  oder*)  gedulden  würdet, 
euem  Liebden  und  euch  den  andern  in  iren  Stetten  und 
Flecken  die  bäbstischen  Messen  oder  etwas  anders  dergleichen, 
das  götlicher  Einsatzung,  auch  aller  seiner  heyligen  Apostel 
Geprauch*)  zuwider  und  allein  auf  Menschen  Gedicht  und 
Erfindung  gegründet  ist,  weren  oder  daran  eynich  Verhinde- 
rung thun  zu  lassen.^) 

Derhalben  und  dieweyl  die  Leere  auf  unsem  Teyl  in  un- 
sem Landen  und  Oberkeyten  mit  götlicher ')  unüberwundener 
Geschrift  gegründet,  wider  die  bäbstischen  Messen  obgemelter 
Massen  gefurt  und  nun  solcher  Artickel  nicht  der  geringst 
ist,  so  in  einem  christlichen  Concilion  zu  handeln  von  nöten 
sein  will,  so  betten  wir  uns,  zu  dem  das  auch  das  Auß- 
schreyben  zu  disem  Reychstag  in  Kay.  May.  Namen  beschehen 
und  außgangen,  welchs  auch  am  datum  jünger  ist,  dan  der 
vorgemelt  Gewaltsbrief  und  die  Instmetion,  ®)  noch  dieselb  •) 
verlesen  Instraction  nichts  von  disen  oder  andern  dergleichen 
Artickeln  melden,  gar  nit  versehen,  das  über  unser  hievor 


^)  vil  weniger:  Zus.  in  E.  *]  in  unsem  nsw.  ...  bis  Gepieten: 

Zus.  in  K.         .  •)  In  D  Druckfehler:  noch.  *)  0:  und.  *)  auch 

aller  usw.  ...  bis  Geprauch :  Zus.  in  K.  ^)  Die  hier  gebrauchte  Fassung 
(vgl  das  „wider  das  sein  sollt,  das  wir  uns  .  .  .  gebrauchen"  und  „ir  ge- 
dulden würdet,  •  •  .  euem  Liebden  und  euch  die  bäbstischen  Messen  .  .  . 
weren  und  daran  eynich  Verhinderung  thun  zu  lassen")  beweist 
meines  Erachtens  unwidersprechlich,  daß  die  ey.  Stände  gegen  den  Artikel 
"wegen  der  Messe  besonders  deshalb  protestierten,  weil  sie  in  dem  Verbot 
des  Abtuns  derselben  zugleich  ein  Verbot  der  eyangelischen  Abendmahls- 
feier  erblickten.  ^  0:  und  unüberwundener.  ^)  und  die  InstiHk- 

tion:  fehlt  in  K  *)  E:  die. 

6* 


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—    68    — 

vilmals  gethan  Anzeygen  und  christlich  Erinnerung  ob  dem 
dermassen  solt  gehaft  werden. 

Wiewol  auch  öffentlich  am  Tag  ligt,  was  wir  in  unsem 
Landen  und  Obrigkeyten  des  heyligen  Sacraments  halben  des 
Leybs  und  Bluts  unsers  Herrn  und  Heylands  Jesu  Christi 
predigen  und  halten  lassen,  das  derhalb  weytleuftig  Anzey- 
gung  zu  thun  on  not,  so  wissen  wir  doch  gleychwol  nochmals, 
wie  wir  uns  hievor  auch  haben  vememen  lassen,  auß  vil- 
faltigem  Bedencken  und  guten  christlichen  Ursachen  nit  für 
bequem  oder  flirtreglich  anzusehen,  das  der  Leere  halben,  so 
dawider,  ein  solch  Vorordnung  oder  wie  der  Begriff  vermag 
yetzt  auf  disem  Reychstag  gemacht  werden  solt,  und  sunder- 
lich  dieweyl  Kay.  May.  Außschreyben  auch  nichts  davon 
meldt,  das  auch  die  jhenen,  so  dieselben  Sach  berliren,  nicht 
erfordert  noch  verhört  worden  seind.  Und  ist  warlich  wol 
zu  bewegen  und  zu  betrachten,  wann  solche  schwere  und 
wichtige^)  Artickel  ausserhalb  des  künftigen  Concilion  für- 
genummen  oder  darin  on  nottürftig  und  gebttrlich*)  Verhöre 
aller  der,  so  die  Sach  berürt,  ein  Erkantnuß  oder  Ordenung 
zu  machen  unterstanden,  zu  was  Glimpf  und  Unrichtigkeit 
solche  Kay.  May.,  euem  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden,  uns 
und  andern  Stenden  des  Reychs  gekert  und  verstanden^) 
werden  möcht 

Item  als  weyter  in  des  Außschuß  Begriff  gesetzt  ist,  das 
die  Prediger  das  heylig  Evangelien  nach  Außle^ng  der 
Schriften  von  der  heyligen  christlichen  Kirchen  approbirt  und 
angenummen  predigen  und  leeren  sollen,  das  ging  wol  hyn,*) 
wann  wir  zu*)  allen  Teylen  eynig  weren,  was  die  recht 
heylig  christlich  Kirch.  Dieweyl  aber  derhalben  nicht  der 
kleinst  •)  Streyt  und  kein  gewiser  Predig  oder  Leere  ist,  dann 
allein  bey  Gottes  Wort  zu  bleyben,  als  auch  nach  dem  Be- 


*)  schwere  und  wichtige:  Zus.  in  K  •)  In  D  Drnckfehler:  un- 

gebttrlich.            ')  and  verstanden:  Zns.  in  E.  ^)  Vogler  hatte  in  K 

zuerst  geschrieben:  das  were  wol  recht.  *)  0:  in.              •)  0:  nit 
ein  klein. 


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—    69    - 

velch  Gottes  nichts  anders  gepredigt  werden  sol/)  und  da 
einen  Text  heyliger  götlicher*)  Schrift  mit  dem  andern  zu 
erklem  und  aufzulegen,  wie  auch  dieselbig  heylig  göttlich 
Schrift  in  allen  Stocken,  den  Christenmenschen  zu  wissen 
von  nötten,  an  ir  selbst  klar  und  lauter  gnug  erfunden  würdet, 
alle  Finstemuß  zu  erleuchten,  so  gedeneken  wir  mit  der 
Gnad  und  Hilf  Gottes  entlich ')  bey  dem  zu  bleyben,  das 
allein  Gottes  Wort  und  das  heylig  Evangelion  alts  und  neus 
Testaments  in  den  biblischen  Büchern  verfast  lauter  und  reyn 
gepredigt  werde  und  nichts,  das  dawider  ist.  Dann  daran 
als  an  der  eynigen  Warheit  und  dem  rechten  Richtscheyd 
aller  christlichen  Leere  und  Lebens^)  kan  niemandt  irren 
noch  feien,  und  were  darauf  bauet  und  bleybt,  der  bestehet 
wider  alle  Porten  der  Hellen,  so  doch  dagegen  *)  aller  mensch- 
licher Zusatz  und  Thand  fallen  muß  und  vor  Gott  nicht  be- 
steen  kan.*) 

Das  aber  auch  vorgemelter  Begriff  zu  Erhaltung  Frids 
und  Eynigkeyt  im  Eeych  mitler  Zeyt  des  Concilion  nit  fürder- 
lich  noch  dienstlich,  sunder  gestracks  dawider,  ist  auch  auß 
dem  klerUch  abzunemen,  das,  wie  hievor  gemelt,^)  im  ersten 
Punct  gesetzt  würdet,  daß  die  jhenigen,  so  biß  anhere  bey 
dem  Kay.  Edict  blieben,  nun  hinfuro  auch  darbey  verharren 
sollen  und*)  wollen,  und  wirdet  darinnen  kein  ünterschid 
gemacht,  ob  und  wie  weyt  sich  solche  Verpflichtung  auf  die 
Feen  des  angezogen  Edicts  erstrecken  sol,  wie  es  dann  nach 
laut  der  gemeinen  Wort  änderst  nicht  kan  verstanden  werden. 
Als  dann  etlichen  unsem  Geystlichen  von  andern  Obrigkeyten 
berejrt  an  im  Schein  gemelts  Edicts ')  begegend,  dieweyl  sie 
sich  irs  Gewissens  halben  auf  Gottes  Wort  gegründet  dem 


')  als  auch  usw.  ...  bis  8oU:  Zus.  in  K.        •)  In  0  fehlt:  götlicher. 
•)  =  endgiltjg,  definitiv.  ^)  als  an  usw.  ...  bis  Lebens:  Zus.  in  K. 

^)  doeh  dagegen:  fehlt  in  K.  *)  Man  beachte  die  dogmatische  Bedeu- 

tung dieser  AusftUirung  tfber  Gottes  Wort.  ')  wie  hievor  gemeh:  Zus. 

in  K.    In  D  rtatt:  wie  Druckfehler:  wir.  ^)  0:  oder.  »)  K:  ge- 

melts Edicts  halben. 


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—    70    — 

Edict  nicht  gemeß  halten,  das  understanden  würdet,  den- 
selben unsem  zugehörigen  Underthanen  über  den  vorigen 
Speyrischen  Eeichsabschied  ire  Zehend,^)  Renth,  Zyns,  GUld, 
Scholdt,  Erbschaft  und  anders  in  ander  Obrigkeyt  nnd  Ge- 
pieten  gelegen ')  on  nnd  wider  Recht  mit  Gewalt ')  zu  nemen 
nnd  voi'znhalten.  Und  ist  wol  zu  achten,  was  weyter  der- 
gleichen nnder  demselben  angemasten  Schein  f&rgennmmen 
werden  und  zu  Gegenhandlung  Ursach  geben  möcht,  das  dan 
ye  zu  Erhaltung  Frides  und  Eynigkeyt  wenig  oder  gar  nichts 
gedeyen,  *)  zu  geschweygen,  wann  sich  yemandt  euers  Teyls  *) 
unterstehen  würde,  im  Schein  des  Edicts  und  vermeinter  Acht 
und  Aberacht  als  der  Peen  desselben  •)  gegen  uns  oder  andern 
unsers  Teyls  mit  gewaltiger  That  zu  handeln  und  vermeinlich 
zu  nöten,  das  zu  thun,  das  wider  Gott,  sein  heyligs  Wort, 
unser  Seelen  und  gut  Gewissen  ist. 

Es  kan  aber')  ein  yeglicher  wol  bedencken,  was  einer 
christlichen  Obrigkeyt  in  solchem  zu  Erhaltung  Gottes  Worts, 
Eerens  und  Namens,  auch  ir  selbst  und  irer  Underthanen 
Seelen,  Leybs,  Lebens  und  Guts  zu  Befridung,  Schutz  und 
Schirm  zu  thun®)  gepüren  wil.  Damm  es*)  ye  billich  in 
solchem  bey  dem  Artickel  in  vorigen  Speyrischen  Reichs- 
abschid  verfast  bleybt,  der  das  Edict  umb  Frides  und  Eynig- 
keyt willen,  auch  auß  andern  guten  christlichen  Ursachen 
suspendirt  und  aufhebt 

Und  ^®)  auß  dem  allem  würdet  nun  lauter  gnug  vermerckt 
und  öffentlich  erwisen,  das  der  vorig  Speyrisch  Reychsabschid 
zu  Frid  und  Eynigkeyt  mer  dann  der  Begriflf  des  vorgemelten 
Artickels  fürderlich  und  dienstlich,  wie  dann  solcher  Abschid 


^)  Zehend:  Zus.  in  K.  *)  in  ander  ...  bis  gelegen:  Zns.  in  KL 

In  0  fehlt:  nnd.  »)  mit  Gewalt:  Zus.  in  K.  *)  In  K  steht 

hier  noch:  würde.  *)  yemandt  euers  Teyls:  Zns.  in  K.    Hier  ist  in  K 

durchstrichen:  einich  Oberkey t.  «)  als  der  Peen  desselben:  fehlt  in  K. 

')  K:  auch.  *)  zu  Befridung  usw.  bis  thun:  Zus.  in  K.    0:  Schreib- 

fehler statt  „Schutz  und":  so  tzum.  •)  In  0  Schreibfehler:  Darum 

ist  es.  10)  Und:  Zus.  in  K 


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—    71    — 

vermag  der  Instruction,  so  dazumal  an  die  Kay.  May.  be- 
griffen, durch  Churfürsten,  Fürsten  und  alle  andere  Stende 
des  Eeychs  hievor  dafür  augesehen  worden.^)  Und  so  über 
solchen  vorigem  lautem  Abschid,  darin  das  kayserliche  Edict 
wie  obstehet  suspendirt, *)  nit  überblieben  oder  unterlassen') 
ist,  in  vermeintem  Schein  desselben  den  Unsem  das  Ir  mit 
Gewalt  oder  on  Recht*)  in  ander  Obrigkeyt  Gepieten*)  zu 
nemen  und  aufzuhalten,  was  wolt  dann  yetzt  von  unsem 
Widerwertigen,  so  zum  Teyl  on  das  Widerwillen,*)  Zanck, 
Hader  und  keinen  Friden  suchen,  geschehen,  wann  inen  die 
Thür  des  Edicts  halben,  wie  der  gestelt  Begilff  will,  wider 
geöffendt  und  von  dem  vorigen  fridlichen  Spejrischen  Ab- 
schid'O  gegangen  würde? 

Es  können  auch  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden 
und  ir  die  andem  nicht  erhalten,  wann  die  Wort  in  vorigem 
Speyrischen  Eeychsabschid  begriffen,  das  ein  yeglicher  Reychs- 
stand  mit  seinen  Underthanen^  mitler  Zeyt  des  Concilion  in 
Sachen  das  Edict  belangend  für  sich  also  leben,  regieren  und 
halten  mög,  wie  er  das  gegen  Gott,  dem  allerhöchsten  und 
in  seinem  Gericht,  auch  hie  zeytlich  gegen  Kay.  Ma.  als 
unser  ordenlichen  weltlichen  Oberkeyt,  hofft  und  vertraut  zu 
verantworten,  yetzt  nicht,  sunder  die  vorgemelten  Punct  oder  •) 
Artickel  gesetzt  werden,  das  dadurch  voriger  Reychsabschid 
nicht  aufgehaben,  sunder  allein  erklert  sei.  Dann  es  öffentlich 
ein  gantze  Aufhebung  vorigs  Artickels  und  allen  christlichen 
Reychsstenden  nicht  mer  zugelassen  were,  das  sie  sich  in 
allen  Stücken  nach  Gottes  Wort  und  ihrem  rechten  guten 
Gewissen  halten  dörfen,  wie  sie  solchs  gegen  Gott  und  Kay. 
May.  wol  zu  verantworten  hofften  und  vertrauten,  und  mag 
mit  keinem  Grundt  angezeygt  werden,  das  es  solche  Wort 


')  Vgl.  S.  40,  Anm.  2.  *)  darin  das  usw.  ...  bis  snspendirt: 

Zus.  in  K.  *)  oder  unterlassen:  fehlt  in  K.  ^)  0  statt  on  Recht: 

Unrecht.  •)  in  ander  Oberkeyt  Gepieten:  Zus.  in  K.  •)  Wider- 

wiUen:  fehlt  in  E.  ^  In  K  fehlt:  fridlichen.    In  0  heißt  es:  Reichs- 

Abschied.  ^)  mit  seinen  Underthanen:  Zus.  in  K.  *)  0:  und. 


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—    72    — 

sein,  die  einem  jeden  sollen  zulassen,^)  mitlerweyl  eins 
Concilions  alles  nach  eygenem  Gutbeduncken  und  Gefallen 
fiirzunemen  oder  zu  thun,  wie  etlich,  die-)  on  Zweyfel  nit 
vil  von  Gottes  gerechten*)  und  gestrengen  Gericht,  dahin 
solch  Verantwortung  zuforderst  *)  gehört,  halten  oder  wissen,  *) 
davon  reden.  So  ist  auch  vor  angerürt,  wer  den  Speyrischen 
Abschid  *)  mißpraucht  oder  dawider  gehandelt  hat. 

Wir  mögen  auch  gegen  einem  yeglichen,  der  uns  auf- 
zulegen vermeint,  als  solt  oftgemelter  Keychsabschid  durch 
uns  mißbraucht  sein,  an  allen  Enden,  dahin  wir  ordenlich 
gehören.  Recht ')  und  alle  Billigkeyt  wol  leyden,  darzu  wir 
uns  hiemit  vöUiglich  erpieten.  ®)  Uns  ist  auch  nit  entgegen, 
wann  man  ye  besorgen,  •)  das  mer  berürter  Artickel  zu  einem 
Deckel  neuer  unchristlicher  Leere  gezogen  werden  wolt,  das 
der,  inmassen  wir  auf  eur  Lieb  und  der  andern  Zulassen 
unvorgriflTenlich  ^^)  ein  christliche  Erklerung  gestelt  und  in 
großen  Außschuß  geben  *^)  haben,  erklert  und  nicht,  wie  euer 
Concept  vermag,  an  seiner  rechten  Substantz  so  gantz  ^^)  auf- 
gehaben werde,  sunder  nach  dem  Buchstaben  bei  Wirden  und 
Kreften  bleyb. 

Und  dieweyl  wir  dann  zu  Römischer  Kay.  May.  als  einem 
christlichen  Kayser  und  unserm   allergnedigsten  Herrn   der 


*)  0:  zulassen  soUten.  *)  0  Schreibfehler:  der.  *)  0  Schreib- 

fehler: gerichten.  *)  Vgl  S.  64,  Anm.  5.    Die  obige  Ausiegang  des 

Abschieds  Yon  1526  zeigt  klar,  welche  Tragweite  die  eyangeiischen  Fürsten 
demselben  beimaßen.  *)  gerechten  usw.  ...  bis  gehört:  ist  in  K  ein 

nachträglicher  Zusatz  am  Bande.  Statt  gerechten  stand  hier  zuerst  Ge- 
richten. Man  fühlt  Vogler  die  sittliche  £utrü9tung  über  eine  solche  Aus- 
legung des  Abschieds  von  1526  ab.  Offenbar  ist  aber  ähnliches  damals 
mehrfach  in  Speier  geäußert  worden.  ^)  0:  Eeichs  Abschied.  ')  0 

Schreibfehler:  Gerecht  *)  darzu  usw.  ...  bis  erpieten:  fehlt  in  K. 

Die  eyangeiischen  Fürsten  mögen  erst  bei  Diktierung  der  Protestation  die 
Vollmacht  zu  dieser  Beifügung  ihres  Erbietens  zu  gerichtlichem  Austrage 
gegeben  haben.  •)  K:  besorgen  wolt.  ^^)  unvorgriffenlich :  Zus. 

in  K.  In  D  Druckfehler:  un vergriff enlich.  '0  ^^^  hi  großen  Außschuß 
geben:  Zus.  in  K        »*)  so  gantz:  Zus.  in  K.    Vgl.  hiezu  S.  42,  Anm.  1. 


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—    73    — 

gantzen  unzweyfenlichen  und  tröstlichen^)  Zuvei'sicht  sein, 
wo  ir*)  Kay.  May.  der  Ding,  wie  die  zum  teyl  yetzt  von 
uns*)  erzelt  und  sunst  ferner  mit  rechtem  Grundt*)  weren 
bericht  worden,  ir  Kay.  May.  würden  sich  zu  dem,  wie  die 
verlesen  Instruction  berttrts  Artickels  halben*)  vermag,  mit 
nichte  haben  bewegen  lassen,  wie  dann  auß  irer  Kay*)  May. 
Außschreyben  und  Gwalt,  als  wir  nicht  anders  wissen,  lauter 
gnug  erfunden  wurdet,  das  in  allweg')  davon  geredt,  gehan- 
delt und  geratschlagt  werden  sol,  auf  das  Frid  und  Eynigkeyt 
im  Eeych  meg  erhalten  werden.  Darauf  wir  neben  euer  Kon. 
Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und  euch  den  andern  Stenden 
alle  unser  färgenummene  Handlung  und  in  allem  unserm 
Thun  *)  nichts  dann  vor  allen  Dingen  Gottes  Eere,  auch  unser 
aller  Seelen  Seligkeyt,  christlichen  Frid  und  Eynigkeyt  ge- 
sucht haben  und  noch  nichts  anders  begern.  Das*)  können 
und  wollen  wir  mit  Gott,  dem  Allmechtigen  und  eynigen 
Erforscher  und  Erkenner  aller  Hertzen,  bezeugen.  Der- 
halben  und  wo  es  die  Meynung  gehabt,  das  es  von  wegen 
vilgemelts  Artickels  bey  der  verlesen  Instruction  föglicher 
und  bequemer  Weyß^^)  bleyben  sollen,  het  es  dises  Falls 
des  Außschuß,  auch  solcher  Beratschlagung,  Bewegung  und 
Hsmdlung  gar  nicht  bedörft,  damit  ir  doch  auch  euers  Teyls 
von  der  fürgelegten  oder  verlesen  Instruction,  darzu  auch 
sunst  von  Kay.  May.  Außschreyben  gangen  seyt.^^) 

Dem  allem  nach  wollen  wir  uns  zu  euer  Kön.  Durch- 
leuchtigkeyt, Liebden  und  euch  den  andern  als  unsem  lieben 


-)  und  tröstlichen:  fehlt  in  0.  *)  0  Schreibfehler:  ewer.  •)  von 
und:  Zus.  in  K.  In  0:  itzt  zum  Teyl  von  uns.  *)  mit  rechtem  Gnindt: 
fehlt  in  K.  ^)  berürts  Artickels  halben:  Zus.  in  E.  ^)  In  D  Druck- 
fehler: KCn.  ^  in  aUweg  Zus.  in  E.  ^)  in  allem  .  .  .  Thun:  Zus, 
in  E.  »)  0  Schreibfehler:  Dan.  ^^)  füglicher  .  .  .  Weyß:  Zus. 
in  K  *')  damit  ir  usw.  ...  bis  seyt:  Zus.  in  E.  —  Treffende  Be- 
merkung gegenüber  der  während  des  Reichstags  sicher  mehrfach  gefaUenen 
Äußeningy  die  Stände  müßten  den  in  der  Instruktion  ausgesprochenen 
WiUen  des  Eaisers  einfach  erfüUen. 


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—    74    — 

und  gnedigen*)  Herrn  Oheymen,  Vettern,  Schwegern,  Freun- 
den^) und  besunder  Lieben  versehen,  als  wir  auch  abermals 
freündtlich  bitten  und  gütlich  begeren,  ir  werdet  und  wollet 
Gelegenheyt  der  Sachen  nochmals  zu  Gemüt  füren  und  unser 
Beschwerung,  auch  derselben  Grundt  und  Ursachen  mit  Fleyß 
betrachten  und  euch  wider  den  vor  einmütigklich  *)  beschlossen, 
verpflichten,  verbrieften  und  besigelten  Abschid  mit  nichten 
bewegen  lassen  noch  handeln,  wie  dann  niemandt  ^)  desselben 
auß  angeregten*)  und  andern  gegründten  Ursachen,  die  wir 
dißmals  um  des  pesten  willen  zu  melden  unterlassen,  Fug, 
Macht  oder*)  Recht  hat. 

Und  wo  aber  ye  dises  dritt  Anzeigen  unser  mercklichen 
Beschwerden  bey  euern  Kö.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und 
euch  den  andern  kein  Stat  finden  noch  haben  wolt,  so  pro- 
testirn  und  bezeugen  wir  hiemit  öftentlich  vor  Gott,  unseren 
eynigen  Erschaffer,  Enthaltern,')  Erlösern  und  Seligmachem, 
der  wie  vorgemelt  allein  unser  aller  Hertzen  erforscht  und 
erkendt,  auch  demnach  recht  richten  würdet,  *)  auch  vor  allen 
Menschen  und  Creaturn,  das  wir  für  uns,  die  Unsem  und 
aller  menigklichs  halben®)  in  alle  Handlung  und  vermeint^**) 
Abschid,  so  wie  ^^)  vorberürt  in  gemelten  oder  andern  Sachen  ^*) 
wider  Got,  sein  heyligs  Wort,  unser  aller  Seelen  Heyl  und 
gut^*)  Gewissen,  auch  wider  den  vorigen  angezognen  Spey- 

*)  und  gnedigen:  fehlt  in  K.  Vgl.  S.  58,  Anm.  2.  •)  Schwegem 
fehlt  in  K.    In  0  statt  Freunden  Schreibfehler:  freuntlich.  ')  vor 

einmtitiglich :  Zus.  in  K.    In  D  Druckfehler:  wider  der  dem.  *)  nie- 

mandt: Zus.  in  K.  '')  0:  angerürten.  •)  K  und  alte  Drucke:  und.  — 
Am  Bande  in  K  steht  hier  von  Voglers  Hand:  No.  Nurmbergsch  rat- 
schlag. Vgl.  den  Auszug  aus  den  Gutachten  der  Nürnberger  Rechts- 
gelehrten  und  Theologen  in  meiner  Qesch.  des  Eeichst.  zu  Sp.  1529, 
S.  142—148.  Dieselben  hatten  schon  im  März  erklärt,  daß  man,  wenn 
alle  Vorstellungen  bei  der  Eeichsmehrheit  erfolglos  blieben,  gegen  die 
Mehrheitsbeschlüsse  protestieren  und  appellieren  müsse.  ^  0:  Erhaltern. 
®)  der  wie  vorgemelt  usw.  bis  würdet:  fehlt  in  K  •)  für  uns  usw.  .  .  . 
bis  halben:  Zus.  in  K  '®)  vermeint:  Zus.  in  K.  '>)  In  0  Druck- 

fehler: wir.  **)  in  gemelten  und  andern  Sachen:  Zus.  in  K.  *•)  gut: 
fehlt  in  K. 


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—    75    — 

rischen  Keychsabschid  f&rgenammen,  beschlossen  und  gemacht 
worden,  nicht  gehellen  noch  willigen,  sunder  auß  voi^esatzten 
mid  andern  redlichen  gegründten  Ursachen  für  nichtig  und 
unpündig  halten,  das  wir  auch^)  dawider  unser  Notturft 
öffentlich  anßgeen  lassen  und  der  BOmischen  Kay.  May., 
nnserm  allergnedigsten  Herrn,  in  disem  Handel  weyter  gründt- 
lichen  und  warhaftigen  Bericht  thun,  *)  wie  wir  uns  desselben 
gestern  nach  gegebnem  vermeintem  Abschid  alßbaldt  durch 
unser  in  der  Eyle  gethane  Protestation,  die  wir  auch  hierait 
wider  erholen,  offenlich  vememen  lassen  und  dameben  erpoten 
haben,  das  wir  uns  nichts  destweniger  mitler  weyl  gemelts 
gemeinen  und  freyen  christlichen  Concilion  oder  National- 
versamblung  vermittelst  götlicher  Hilf  vennög  und  inhalts 
des  vilberürten  vorigen  Speyrischen  Beychsabschid  in  unsern 
Oberkeyten,  auch  bey  und  mit  unsern  Underthanen  und  Ver- 
wandten, also  halten,  leben  und  regieren,  wie  wir  das  gegen 
dem  allmechtigen  Gott  und  Eömischer  Kay.  May.,  unserm 
aUergnedigsten  Herrn,  als  einem  christlichen  Kayser  hoffen 
und  getrauen')  zu  verantworten.  Was  auch  der  Geystlichen 
Eenth,  Zins,  Gttld,  Zehenden  und  den  Friden  belangt,  wie 
das  im  vorigem  Speyrischen  Beychsabschid  verfast  und  auß- 
gedmckt  ist,  das  wir  uns  darin  auch  unverweyßlich  halten 
und  erzeygen.  Und  dergleychen  wollen  wir  auch  die  nach- 
volgenden  Puncten,  als  die  Widertauf  und  den  Druck  be- 
rurendt,  wie  wir  allwegen  auf  disem  Beychstag  verstanden,  *) 
mit  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden  und  euch  den 
andern  eynich  sein,  auch  Inhalt  derselben  Punct  in  allweg 
auch  gepürlich  zu  halten  wissen.  Wir  behalten  uns  auch 
bevor,  vüberiirt  unser  Beschwerungen  und  Protestation  ferner 
zu  extendim  und  was  sunst  in  dem  allem  unser  weyter  Not- 
turft erfordert.^) 

')  auß  vorgesetzten  usw.  ...  bis  wir  auch:  fehlt  in  K.  *)  and 

warhaftigen:  fehlt  in  E,  ebenso  aUes  Folgende  von:  wie  wir  nns  nsw. 
bis  Nottnrft  erfordert.  Und.  ')  0:  vertrawen.  *)  0:  verstanden  sein. 
•)  Wir  behalten  nsw.  ...  bis  erfordert :  nachträglicher  Zns.  in  0. 


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—    76    — 

Und  wollen  uns')  auf  das  alles  unzweyfenlich  versehen 
und  getrösten,  die*)  Römisch  Ka.  Ma.  werden  sich  gegen 
uns  als  ein  christlicher,  Got  über  alle  Ding  liebender'*) 
Kayser  und  unser  allergnedigster  Herr  in  Ansehung  unsers 
christlichen,  erbarn,  redlichen  und  unwanckbaren  Gemüts  und 
schuldiger  Gehorsam*)  gnedigklich  halten  und  erzeygen* 
Warinnen  wir  dann  euer  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Liebden 
und  euch  den  andern  als  unsem  lieben  und  gnedigen  *)  Herrn 
Oheymen,  Vettern,  Schwegem,*)  Freunden  und  besundem 
Lieben  sunst  freündtlich  und  gutwillig  "O  Dienst,  günstigen 
und  gnedigen  Willen  thun  und  beweysen  ®)  mögen.  Das  seind 
wir  aus  Freündtschaft,  auch  gutwilliger  Gehorsam,  •)  Gnaden 
und  christlicher  Lieb  und  Pflicht  zu  thun  gutwillig  und 
geneigt.  ^^) 


»)  uns:  fehlt  in  0  durch  Schreibfehler.  «)  0:  ire.    In  K  fehlt 

Komisch.  •)  K:  statt  Gott  .  .  .  liebender:  gottliebender.         *)  Statt: 

in  Ansehung  usw.  .  .  .  Gehorsam:  Zus.  in  K:  in  Ansehung  unsers  christ- 
lichen Gemüts  und  schuldiger  Gehorsam.  '')  und  gnedigen:  fehlt  in  E. 
Vgl.  S.  58,  Anm.  2.  *)  Schwegem:  fehlt  in  K.  ")  und  gutwillig: 

fehlt  in  K.  •)  thun  und  beweysen:  Zus.  in  K  •)  auch  gut- 

williger Gehorsam:  fehlt  in  E.  Freündtschaft,  .  .  .  Gnaden:  Zus.  in  E. 
*®)  In  0  und  den  nur  die  Protestation  vom  20.  April  enthaltenden  alten 
Drucken  folgen  hier  noch  die  Worte :  „Actum  Speir  am  tzwantzigsten  Tag 
Aprilis  nach  Christi  unsers  lieben  Herrn  und  Heilands  Gepurt  xyjC  und 
im  neun  und  zweintzigsteu  Jare.^  Es  folgen  dann  die  eigenhändigen  Unter- 
schriften: „Johans  E  (Eurfürst)  Georg  marggraf  usw.  Ernst  H(elrzog) 
m(anu)  propria  Philips  L(andgraf)  z(u)  Hessen  usw.  s*st  (subscripsit)  Wolf 
Fürst  zu  Anhalt"  Vgl.  die  dieser  Schrift  beigefügte  verkleinerte  Nach- 
bildung. In  E  fehlt,  wie  in  S.  75,  Anm.  2  bemerkt,  ein  längerer 
Passus.  Statt  dessen  steht  nach  „Fug,  Macht  und  Recht  hat":  „Was 
aber  in  den  andern  Artickeln  der  Thurckenhilf,  Unterhaltung  des  Re- 
giments und  Camergerichts,  der  Widertaufe,  der  Truckereien,  gemeinen 
Fridens  und  anderer  guter  Pollicey  halben  im  Reich  bedacht  und  «u  han- 
deln fürgenomen  ist,  als  in  zeitlichen  Dingen,  darin  wir  kaiserlicher  Mt 
als  uns  von  Gott  geordneter  weltlicher  Oberkeit  pillich  gehorsam  sein 
soUen  und  wollen,  verhofifen  wir  uns  mit  e  Liebden  und  euch  den  andern 
dermassen  zu  vergleichen,  das  an  uns  in  all  m  dem,  so  Ro  kaiserlicher  Mt, 


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—    77    — 

Und  als  wir  nun  ferner  unser  Beschwerden  kein 
Verenderung  noch  Erlinderung  mer  zu  versehen  gehabt,  ist 
nicht  on,  das  gleychwol  die  Kö.  Durchleuchtigkeyt  sampt  den 
Oratom  und  Commissarien,  auch  Churfursten,  Fürsten  und 
Standen  etliche  ire  Räthe  zu  uns  auf  Donnerstag  nach  Jubi- 
late,  den  xxij  Tag  Aprilis,  mit  mündtlicher  Werbung  ver- 
fertigt, welche  wir  nachvolgender  Meynung  ungeverlich  ver- 
standen haben. 

Antragen  König.  Durchleuchtigkeyt,  Kay. 
May.  Oratorn  und  Commissarien, auch  Churfursten, 
Fürsten,  Stenden  und  Geschickten  usw. 

Auf  neohst  verschinen  Montag  hetten  unser  gnedigst  und 
gnedig  Herren  von  Sachsen,  Brandenburg,  Lüneburg,  Hessen 
und  Anhalt  die  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Kay.  May.  Oratom 
und  Commissarien  freundlich  ansuchen  lassen,  mit  Anzeyg, 
als  begerten  ir  churfurstlich  und  fürstlich  Gnaden  bey  Kön. 
Durchleuchtigkeyt  und  den  Commissarien  zu  sein,  darauf  ein 
Stund  auf  volgenden  Tag  umb  sechs  hora  emendt  worden, 
und  hette  sich  Kön.  Durchleuchtigkeyt  samt  den  Oratom  und 
Commissarien  zusammen  verfügt,  der  Zuversicht,  ir  chur- 
furstlich und  fürstlich  Gnaden  würden  zu  Kön.  Durchleuchtig- 
keyt und  andem  kumen  sein.  Aber  ir  Gnaden  hetten  umb 
dieselb  Stund  bey  irer  Kö.  Durchleuchtigkeyt  Entschuldigung 


gemeiner  Christenheit  nnd  dem  Reich  zu  £re,  Nutz^  Wolfart  nnd  Gutem 
und  insonderheit  zn  Friden  raichen,  an  aller  Pillicheit  kain  Mangel  ge- 
spürt werden  sdl.  Dann  wir  ans  wie  erst  gemelt  in  aUen  zeitlichen, 
zimblichen,  möglichen  and  schuldigen  Dingen  gegen  hochgedachter  kaiser- 
licher Mt  als  unserm  aUerg^edigsteu  Herrn  gehorsamlich  und  underthenig- 
lich,  auch  gein  e.  liebden  und  euch  den  andern  gern  freuntlich,  günstlich 
und  gnediglich  halten,  doch  das  wir  auch  in  allen  Anschlegen  über  unser 
Vermögen  nit  beschwert  und  der  Fride  nit  allein  dahin  gestelt  werd,  das 
kainer  den  andem  des  Glaubens  halb  nit  überziehen  soll,  sondern  umb 
keinerlei  Sachen  wiUen,  den  Glauben,  derselben  Religion  und  Ceremonien, 
auch  aUer  Zeitlich  belangend,  uns  auch  hierauf  der  Romischen  kaiserlichen 
Mt  hiemit  und  zu  aUen  Zeiten  in  aUer  Underthenigkeit  als  die  gehorsamen 
getreuen  Kurfürsten  und  Fürsten  bevolhen  haben." 


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—    78    — 

thun  lassen,  mit  Bitt,  ein  andere  Stande  anzustellen,  welchs 
die  König.  Durchleuchtigkeyt  gethan,  in  Zuversicht,  ir  chur- 
f&rstlich  und  fürstlich  Gnaden  würden  selbst  kummen  sein. 
Dieweyl  es  aber  iren  churfurstlichen  und  fürstlichen  Gnaden 
nicht  gelegen  gewest,  selbst  darzukummen,  haben  sie  die  Iren 
mit  einer  Schrift  zu  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  den  Orator  und 
Commissarien  verordent  Dieweyl  aber  Kö.  Durchleuchtigkeyt 
bedacht,  das  durch  Schrift  nichts  fruchtbarß  möcht  gehandelt 
werden,  hetten  Kön.  Durchleuchtigkeyt  und  Commissarien 
unsem  gnedigsten  und  gnedigen  Herrn  lassen  anzeygen,  sie 
wolten  heut  zwischen  acht  und  neun  Hören  auf  dem  Hauß 
bey  der  Hand  sein,  und  bitten  lassen,  das  die  vilgemelte 
Churfürsten  und  Fürsten  sich  dahin  auch  verfugen  wolten, 
so  solt  des  fürgefallen  Zwispalts  halben  und  sunst  dermaß 
zu  Beschluß  gehandelt  werden,  damit  sich  Kön.  Durchleuchtig- 
keyt als  Kay.  May.  Stathalter  sampt  den  Commissarien,  Chur- 
fürsten, Fürsten  und  Stenden  allerseyts  miteinander  verglichen 
und  nicht  also  zerteylt  abschiden. 

Es  hetten  sich  aber  ir  churfürstlich  und  fürstlich  Gnaden 
entschuldigen  lassen  und  die  Iren  verordent,^)  dasselb  von 
Kön.  Durchleuchtigkeyt  zu  vernemen.  Nachdem  aber  Kön. 
Durchleuchtigkeyt  dafür  geacht,  es  würde  doch  unfruchtbar 
sein,  mit  den  Gesandten  davon  zu  handeln,  derhalben  hetten 
Kön.  Durchleuchtigkeyt  sampt  den  Oratom,  Commissarien, 
auch  Churfürsten,  Fürsten  und  Stenden  sie  zu  iren  churfurst- 
lichen und  fürstlichen  Gnaden  abgefertigt  und  bevolhen, 
iren  churfurstlichen  und  fürstlichen  Gnaden  volgende  Meynung 
anzuzeygen : 

Nachdem  sich  diser  Reychstag  etwas  lang  verzogen  und 
des  Glaubens  halben  vil  Disputirens  fürgefallen,  aber  durch 
das  Merer  auf  ein  Meynung  beschlossen  worden,  wolten  sich 
die  Kön.  Durchleuchtigkeyt  und  Commissarien  von  wegen 
Kay.  M.,  auch  Churfürsten,   Fürsten  und  Stenden  versehen, 


*)  In  D  Druckfehler:  Terordente. 


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—    79    — 

yilgemelte  Choriärsten  und  Füi*sten  werden  sich  in  Bewegung 
allerley  Handlung  und  wie  es  herkummen,  das  der  minder 
Teyl  dem  merem  allwegen  gevolget,  dermassen  auch  erzeygen 
und  das,  so  der  merer  Teyl  beschlossen,  annemen,  damit  kein 
Zwispalt  erschüUe. 

Geleichwol  hetten  ire  churfürstlich  und  fürstlich  Gnaden 
daneben  ein  Protestation  gethan,  darinnen  sie  sich  des  Ab- 
schids  zum  höchsten  beschwerdt  und  begerdt  hetten,  das  solche 
Protestation  in  den  Abschid  dises  Eeychstags  gesatzt  wolt 
werden;  dann  wo  das  nicht  beschehe,  würden  ire  churfürstlich 
und  fürstlich  Gnaden  verursacht,  dieselben  zu  extendim  und 
öffentlich  aufigehen  zu  lassen.  Aber  ir  churfürstlich  und 
fürstlich  Gnaden  wüsten,  das  biß  anher  dergleichen  nicht 
gewest,  ob  gleichwol  ein  Teyl  protestirt  gehabt,  das  solliche 
Protestation  in  den  Abschid  gesatzt,  und  so  es  yetzo  solt 
furgenummen  werden,  würds  einen  Eingang^)  gepem,  der  zu 
viler  Beschwerung  gereichen  würde.  Darumb  sich  König. 
Durchleuchtigkeyt  von  wegen  Rö.  E^ay.  May.  derselben  keins 
wegs  versehen  wolt,  sunder  vilmer,  das  die  Churfürsten  und 
Fürsten  den  Abschid,  wie  derselb  durch  den  merern  Teyl  be- 
schlossen, nochmals  annemen  würden.  Wo  aber  die  genannten 
Churfürsten  und  Fürsten  dasselb  zu  thun  beschwert,  könt 
man  doch  gleichwol,  wie  begert,  die  Protestation  in  den  Ab- 
schid, nachdem  es  dermassen  nicht  herkummen,  nicht  setzen, 
sunder  man  het  derhalb  irer  churfürstlich  und  fürstlich 
Gnaden  in  gemelten  Abschid  zu  setzen  unterlassen  und  ire 
Gnaden  nit  hynein  gesatzt.  *)  Wo  nun  ir  churfürstlich  und 
fürstlich  Gnaden  ir  gethane  Fürwendung  darüber  weyter 
extendim  und  außschreyben  würden,  so  möcht  es  Kay.  Ma., 
unserm  allergnedigsten  Herren,  zu  mercklicher  Beschwerung 
reychen   und  irer  May.  Hoheyt  belangen   und  darzu  Kay. 


^)  =  PräzedenzfaU.  ')  Selbstverständlich  konnten  die  Unter- 

sduriften   der  protestierenden  Ftlrsten   nicht  unter  den  Abschied  gesetzt 
werden. 


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—    80    — 

May.^)  und  Commissarien,  auch  Churfursten,  Fürsten  und 
Stenden  mercklich  Nachteyl  bringen.  Damit  aber  derhalben 
nicht  ünfreündtschaft  ervolg,  were  Kön.  Durchleuchtigkeyt 
und  der  Commissarien,  auch  Churfürsten  und  Stende  freündt- 
lich  und  der  andern  dienstlich  Bitten,  das  die  ChurfBrsten 
und  Fürsten  gemelter  Extension  und  das  die  Protestation 
öffentlich  außgehen  solt,  sich  wolten  enthalten,  damit  Eon. 
Durchleuchtigkeyt  sampt  den  Commissarien  und  Stenden  nicht 
auch  verursacht  möchten  werden,  derhalb  außgehen  zu  lassen, 
das  ünfreündtschaft  geben  möcht. 

Und  damit  ir  churfürstlich  und  fürstlich  Gnaden  nicht 
gedencken  möchten,  als  ob  dise  Handlung  auf  etwas  scherpfers 
ffirgewandt  oder  unfreundlich  Meinung  auf  sich  trüge,  so 
hetten  die  Kön.  Durchleuchtigkeyt  sampt  den  Commissarien, 
auch  Churfürsten,  Fürsten  und  Stenden  Bevelch  geben,  diß 
wie  volget  weyter  zu  reden  und  ire  Durchleuchtigkeyt,  auch 
die  Geschickten  zu  verstendigen,  ob  ir  churfürstlich  und  fürst- 
lich Gnaden  mit  Kö.  Durchleuchtigkeyt,  item  den  Commis- 
sarien und  allen  Stenden  des  Glaubens  und  aller  zeytlicher 
Handlungen  halben  Frid  halten  wollen,  so  wolten  sich  König- 
liche Durchleuchtigkeyt,  die  Commissarien  und  Stende  des- 
selben auch  also  halten  und  keinen  Unfriden  derhalben  für- 
nemen.  Dann  Kön.  Durchleuchtigkeyt  were  des  entlichen 
Gemüts,  dergleichen  die  Commissarien,  auch  Churfürsten, 
Fürsten  und  die  Stende,  mit  vilberürten  Churfürsten  und 
Fürsten  in  Friden  und  Eynigkeyt  zu  stehen  biß  auf  ein  Con- 
cilion,  in  Zuversicht,  es  soll  sich  darnach  zu  Pesserung  und 
Guten  schicken  und  aller  Örter  Frid  gemacht  werden,  mit 
entlicher  Bitt,  das  sie,  die  Churfürsten  und  Fürsten,  Kön. 
Durchleuchtigkeyt  und  der  andern  halb  mit  freOndtlicher, 
irer  der  Geschickten  halben  mit  gnediger  Antwort  wolten 
vernemen  lassen. 

*)  Sic.  Es  sollte  heißen  Kön.  Durchl.  Zu  obigen  Ausführungen  vgl. 
S.  88,  Anm.  1. 


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—    81    — 

Darauß  ist  gleichwol  leychtigklich  zu  ver- 
nemen,  welcher  Gestalt  wir  ferner  und  weyter  beschwerdt 
seind  worden,  und  sunderlich  in  dem,  das  unser  Protestation 
zu  dem  vermeinten  Abschid  dises  Seychstags  zu  bringen  und 
einzuleyben  gewegert,  und  zum  andern,  das  für  beschwerlich 
hat  wollen  angezogen  werden,  so  wir  unser  gethane  Prote- 
station öffentlich  würden  anßgehen  lassen,  so  es  doch  unsere 
hohe  und  unvermeydliche  Notturft  erfordert  und  uns  zu  Recht, 
auch  sunst  bUlich  unverweystlich,  sunderlich  auß  Ursachen, 
welche  sampt  dem,  was  wir  weyter  und  mer  auf  obbemelter 
Kö.  Durchleuchtigkeyt,  Kay.  May.  Oratom  und  Commissarien, 
auch  Churfttrsten,  Fürsten  und  der  andern  von  Stenden  Ge- 
schickten Werbung  und  Antragen  zu  Antwort  geben,  und 
was  von  uns  zu  beyden  Sejrten  ferner  gegen  einander  derhalben 
in  Schriften  angezeygt  ist  worden,  das  alles  hernach  auch 
verzeychend  funden  würdet,  eygentlich  und  nach  der  Lenge 
zu  vememen  ist: 

Ferner  Antwort,  Red  und  Gegenrede  usw. 

Unser,  der  Churfürsten  undFürsten  Sachsen, 
Brandenburg, Lüneburg,  Hessen  und  AnhaltAnt- 
wort  auf  das  Fürhalten,  so  ir,  ^)  die  Geschickten  von  Kön. 
Durchleuchtigkejrt  zu  HuDgem  und  Beheym  als  Kay.  Ma. 
Stathalters,  Oratom  und  Commissarien,  auch  Churfiirsten, 
Fürsten  und  Stende  wegen  gestern  an  uns  gethan.^) 

Wir  wissen  uns  zu  erinnern,  das  wir  am  negst  ver- 
schinen  Montag*)  etliche  der  Unsem  zu  Kö.  Durchleuchtig- 
keyt geschickt  und  dieselbig  bitten  lassen,  auf  nachvolgenden 
Dienstag')  ein  Stundt  anzusetzen,  so  wolten  wir  ire  Durch- 
leuchtigkeyt und  Kay.  Ma.  Orator  und  Commissarien  etliche 
unser  Beschwerden  und  Notturft  anzeygen  lassen.     Das  wir 


*)  „Ferner  Antwort,  Red  und  Gegenrede"  ist  die  Überschrift  über 
die  drei  noch  gewechselten  Schriftstücke.  Das  Folgende :  „Unser  der  Chor- 
forsten  usw.  bifl  Füriialten"  ist  die  besondere  Überschrift  zu  der  Erwiderung 
der  eTangelischen  Fürsten.  Diese  wurde  Freitag  den  23.  April  gegeben. 
*)  19.  April  «)  20.  April. 

Hey,  Appellatien  und  Protestation.  ^ 


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—    82    — 

aber  auf  gemelten  Dienstag  früe  unsere  Eäthe  zu  E5n. 
DurcMeuchtigkeyt  und  iren  Liebden  nicht  haben  schicken 
mögen,  die  berürte  unser  Notturft  anzutragen,  ist  auß  f&r- 
gefallen  Verhinderung  geschehen,^)  wie  die  ünsem,  so  wir 
umb  dieselb  Stundt  in  Kön.  Durchleuchtigkeyt  Hof  verordent, 
euch  Herrn  Jörgen  Truchseß*)  angezeygt,  und  ir  ferner  an 
die  Eö.  Durchleuchtigkeyt  getragen,  und  mag  nicht  on  sein, 
das  ir,  Herr  Jörg,  den  Unsem  darauf  zur  Antwort  wider 
bracht,  die  Kön.  Durchleuchtigkeyt  sampt  Kay.  May.  Oratom 
und  Commissarien  weren  der  Entschuldigung  zufriden,  doch 
möchten  ir  Durchleuchtigkeyt  und  Liebden  wol  leyden,  so 
es  uns  gelegen,  das  wir  umb  zwey  hora  nachmittag  in  eygnen 
Personen  bey  iren  Durchleuchtigkeyt  und  Liebden  erscheinen 
wolten. 

Nachdem  es  aber  die  Sachen  belanget  hat,  der- 
wegen  die  König.  Durchleuchtigkeyt  sampt  Kay.  May.  Orator 
und  Commissarien  auf  bestimpten  Montag,  über  das  wir  uns 
doch  keins  andern  versehen  hetten,  dann  ir  Kön.  Durch- 
leuchtigkeyt, Liebden*)  würden  des  Zwiespalts  halben,  so 
zwischen  Churfiirsten  und  Fürsten,  auch  andern  von  Stenden 
und  uns  fürgefallen,  zu*)  bequemer  und  billicher  Verglei- 
chung  gegriffen  haben,  wie  dann  auch  der  Handel  zu  iren 
Kö.  Durchleuchtigkeyt  und  Liebden  nicht  änderst  gestelt  ge- 
west,  ir  Meynung  auß  einer  Schi-ift,  fast  in  Gestalt  einer 
angemasten  Weysung,  vorgedachten  Churfiirsten  und  Fürsten, 
auch  den  von  Stenden  öffentlich  verlesen  und  darnach  zu  des 
Eeycbs  Hendeln  antworten  lassen,  und  do  ir  Kön.  Durch- 
leuchtigkeyt und  Liebden,  als  wir  darauf  ein  kurtz  Gesprech 

^)  Die  „Verhinderung"  war  ohne  Zweifel  dadurch  bewirkt,  daß  die 
Protestation  vom  20.  AprU  noch  nicht  ins  Keine  geschrieben  und  von  den 
Fürsten  unterzeichnet  war.  •)  Georg,  Truchseß  von  Waldburg,  geb. 

1488,  gest.  1531,  als  Oberfeldherr  des  schwäbischen  Bundes  im  Bauernkriege 
bekannt,  war  Statthalter  in  Württemberg  und  der  yomehmste  der  Bäte, 
welche  den  evangelischen  Fürsten  das  „Antragen"  des  Königs  Ferdinand 
und  der  kaiserlichen  Kommissäre  überbrachten.  ')  Bei  Jung  CYIII: 

und  Liebden.  ^)  In  D  Druckfehler:  in. 


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-    83    — 

mit  einander  zu  halten  abgewichen,  nnser  anerwartet,  auch 
über  unser  freündtlichs  Bitten,  so  wir  durch  etliche  der  Unsem 
an  ir  Durchleuchtigkeyt  und  Liebden  derwegen  haben  thun 
lassen,  gleichwol  herab  gezogen  und  uns  auß  dem,  als  wer 
solcher  Handel  beschlossen,  nicht  hören  wollen,  so  ist  nit  on, 
das  wir  derhalben  für  nutz  und  bequemlich  geacht,  iren  Durch- 
leuchtigkeyt und  Liebden  unser  Protestation,  Beschwerden 
und  Notturft  gleicher  Gestalt,  wie  zuvor  bey  ChurfÜrsten, 
Fürsten  und  Stenden  beschehen,  auch  schriftlich  zu  antworten 
lassen,  ^)  haben  auch  umb  die  angesatzte  Stunde  unsere  Bethe 
zu  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Oratom  und  Commissarien  damit 
abgefertigt.  Aber  zu  vorigen  Beschwerden,  so  uns  in  disen 
Handlnngen  in  mer  dann  einem  Wege  begegendt,  haben  ir 
Durchleuchtigkeyt  und  Liebden  dieselb  unser  schriftliche 
Protestation  und  Notturft  nicht  annemen,  sunder  unsem  Rethen 
wider  zustellen  wollen.  Und  nachdem  sich  aber  dieselben 
solche  Schrift  auß  Mangel  ires  Bevelchs  wider  zu  nemen  ge- 
wegert  und  darfur  gebeten,  ist  sie  uns  durch  irer  Durchleuch- 
tigkeyt und  Liebden  Gesandte  wider  in  die  Herberg  bracht, 
und  hat  gleichwol,  was  wir  mit  bestendigem  Grund,  auch 
auß  unmeydlicher  Notturft  darin  angezeygt,  gar  nicht  wollen 
betrachtet  noch  angesehen  werden.  Des  wir  uns  und  das 
anstat  Komischer  Kay.  May.,  unsers  allergnedigsten  Herrn, 
uns  solchs  hette  begegnen  sollen,  weniger  dann  gar  nicht 
versehen,  wissen  auch  sunder  Rume,  daß  wir  darzu  nicht 
Ursach  gegeben,  und  zweyfeln  nicht,  so  die  Römisch  Kay. 
May.  als  ein  gutigster,  hocblöblicher  Kayser  auf  disem  Reichs- 
tags selbst  gegenwertig  gewest,  wir  würden  des  oder  der- 
gleichen gnedigklichen  vertragen  gewesen  sein. 

Es  ist  auch  nit  on,  *)  das  Kö.  Durchleuchtigkeyt  zu  uns. 


')  Die  eyangelischen  Fürsten  betrachteten  demnach  ihre  zweite  Pro- 
teetation vom  20.  April,  die  nach  dem  Konzepte  Voglers  als  nur  an  die 
Stände  gerichtet  gedacht  war,  als  in  erster  Linie  den  kaiserlichen  Kom- 
missären geltend.  Hieraas  ergab  sich  die  Notwendigkeit  der  mehrerwähnten 
Ändeningen  der  Titolatur  usw.  in  K.  ')  In  D  Dnickfehler:  an. 

6* 


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—    84    — 

dem  Churfürsten  zu  Sachsen,  an  nechster  Mitwoch^)  zu 
Abendt  geschickt  und  anzeygen  lassen,  ir  Durchleuchtigkeyt 
were  willens,  sampt  Kay.  May.  Commissarien  und  Oratorn  auf 
volgenden  Donnerstag*)  zwischen  acht  und  neun  Hom  aufm 
Hauß')  bey  Churfftrsten,  Fürsten  und  den  Stenden  zu  sein, 
mit  Beger  von  Kay.  Ma.  wegen,  das  wir  mit  den  andern 
unsern  Freunden  alsdann  auch  erscheynen  wolten,  so  wer 
ir  Durchleuchtigkeyt  sampt  den  Oratorn  und  Commissarien 
geneygt,  der  beschehen  Protestation  halben  und  zum  Beschluß 
dises  Reychstags  zu  handeln.  Darauf  wir  denselben  Ge- 
schickten unter  anderm  zur  Antwort  gegeben,  und  sunderlieh 
weyl  wir  vemumen,  das  sie  die  andern  unser  Freund  zu 
ersuchen  nicht  Bereich  hetten,  so  wolten  wir  uns  mit  ii'en 
Lieben  volgends  davon  unterreden  und  König.  Durchleuchtig- 
keyt derhalb  vor  der  Zeyt  Antwort  geben  lassen.  Haben 
auch  darauf  unsere  Rethe  samptlich  zu  irer  Durchleuchtigkeyt 
geschickt  und  ir  Kön.  Durchleuchtigkeyt  unter  anderm  er- 
innern lassen,  welcher  Gestalt  wir  auf  das  Außschreyben,  so 
in  Namen  Römischer  Kay.  May.  an  uns  außgangen,  Kay.  May., 
unserm  allergnedigsten  Herrn,  zu  Gehorsam  disen  Reychstag 
eygner  Person  besucht*)  hetten,  in  Meynung,  das  neben  andern 
Churfttrsten,  Fürsten  und  Stenden  zu  handeln  und  zu  schliessen 
helfen,  so  zur  Fürdrung  Gottes  Eere,  auch  dem  Reych  zu 
Friden,  Wolfart  und  allem  Guten  gereychen  möcht.    Wie  sich 


')  21.  April.  ")  22.  April.    An  diesem  Tage  wurde  der  Beichs- 

tagsabschied,  nachdem  die  Reinschrift  angefertigt  worden  war,  in  der 
Plenarsitzung  der  Stände  vorgelesen,  ohne  Bücksicht  auf  die  Protestation 
definitiv  genehmigt  and  besiegelt.  Das  Erscheinen  der  protestierenden 
Fürsten  in  dieser  Sitzung  wäre  zwecklos  gewesen,  nachdem  der  Vermitt- 
hingsversuch  des  Herzogs  Heinrich  von  Braunschweig  und  des  Markgrafen 
Philipp  von  Baden  gescheitert  war.  Vgl.  meine  Gesch.  d,  Beichst  zu 
Speier  8.  260f.  Wenn  die  ev.  Fürsten  die  offizielle  Mitteilung  hievon  auch 
erst  am  22.  April  um  ein  Uhr  erhielten  —  ,,gestem  nach  mittem  Tag**  — , 
so  wußten  sie  doch  ohne  Zweifel  schon  vorher,  daß  keine  Aussicht  auf 
einen  Erfolg  derselben  bestand.  *)  Im  Bathofe,  in  dem  die  Beichs« 

tagssitzungen  stattfanden.  *)  In  D  Druckfehler;  ersucht. 


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—    85    — 

aber  die  Sachen,  den  Zwispalt  des  Glaubens  nnd  Frid  und 
Ejmigkeyt  im  Reych  in  mitler  Zeyt  des  Concilii  belangendt, 
allhie  zugetragen,  davon  nun  biß  in  die  sechste  Wochen  ge- 
handelt worden  und  was  uns  vüfaltiger  Beschwerung  be- 
gegendt,  were  Kö.  Durchleuchtigkeyt  selbst  nit  verborgen. 
Dieweyl  uns  aber  solche  Beschwerungen  über  alles  unser  ge- 
grfindt  Fürbringen  begegendt  und  das  wir  uns  nunmer  wenig 
furtreglicher  Handlung  zu  versehen  wüsten  und  unser  Oheymen 
und  Vetter,  Hertzog  Heynrich  von  Braunschweig  und  Marg- 
graf Philips  von  Baden,  gemelts  Zwispalts  halben  Unterhand- 
lung an  uns  gemutet,  so  hetten  wir  iren  Lieben  unser  Gte- 
müt,  so  vil  wir  mit  Gewissen  hetten  thun  mögen,  angezeygt 
und,  nachdem  sich  ir  Lieben  erpoten,  mit  Churfttrsten,  Fürsten 
und  Stenden  darauf  auch  zu  handeln,  so  wollen  wii*  von  inen 
Antwort  gewarten,  mit  disem  Anhang,  wo  im  Lieben  bey 
gemelten  Chunürsten,  Fürsten  und  Stenden  die  Handlung 
entStunde,  das  wir  die  Sachen,  vermüg  unser  nechst  gethanen 
Protestation,  bey  dem  Abschid,  so  auf  vorigem  ßeychstag 
allhie  zu  Speyer  gemacht,  wolten  beruen  lassen;  weren  es 
aber  ander  Sachen,  davon  König.  Durchleuchtigkeyt  mit  uns 
reden  wolt  oder  zu  reden  hette,  wolten  wir  auf  irer  Durch- 
leuchtigkeyt Anzeyg  darin  unbeschwerd  sein. 

Darzu  haben  wir,  der  Churfürst  zu  Sachsen,  dieweyl 
Kon.  Durchleuchtigkeyt  den  Rethen  im  Abweychen  vermeldet, 
das  sein  Kon.  Durchleuchtigkeyt  mit  uns  zu  reden  hette  von 
Sachen  und  sunderlich  disen  Beychstag  belangendt,  daran 
mercklich  und  vil  gelegen  usw.,  etliche  unsere  Eethe  zu  seiner 
Kö.  Durchleuchtigkeyt  umb  die  obgemelte  Stundt  aufs  Hauß 
verordent,  mit  Bevelch,  uns  bei  irer  Durchleuchtigkeyt,  das 
wir  selbst  nicht  hynauf  kummen  mochten,  freundtlich  zu  ent- 
schuldigen und  daneben  anzuzeygen,  wo  Kö.  Durchleuchtigkeyt 
inen  die  Sachen  anzeygen  wolt,  das  sie  uns  derselben  be- 
richten selten.  Aber  wie  fruchtbar  und  nutz  es  gewesen  wer, 
wo  \^ir  gleychwol  eygner  Person,  über  das  wir  nach  gethaner 
unser  Protestation  zuvor  bey  Churfürsten,  Fürsten  und  Stenden 


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—    86    — 

unsern  Abschid  genummen,  wider  hinauf  gezogen  weren,  auch 
wie  weyter  dann  zuvorhyn  zu  bequemer  Vergleichung,  damit 
wir  allerseyts  nicht  also  zerteylt^)  von  disem  Reychstag  ab- 
schieden, möcht  gehandelt  worden  sein,  wollen  wir  yetzo 
weyter  nicht  anfechten,  sunder  den  Bescheyd  und  die  Ant- 
wort dasselb  weysen  und  besagen  lassen,  so  uns  die  obge- 
dachten  unser  Oheymen  und  Vetter  von  Braunschweyg  und 
Baden  gestern  nach  mittem  Tag,  irer  furgenummenen  Hand- 
lung halben,  haben  anzeygen  lassen,  was  sie  auf  ire  Für- 
schleg,  so  wir  zu  Verhütung  zwispaltig  Abschids,^)  bey  Kö. 
Durchleuchtigkeyt,  den  Oratom  und  Commissarien,  auch  Chur- 
fiirsten,  Fürsten  und  Stenden  hetten  erlangen  mögen. 

Es  gibt  auch  nicht  geringe  Bekreftigung  zu  unser  yetzt 
gethanen  Anzeygung,  als  ir  femer  unter  anderm  geworben 
habt,  dieweyl  das  merer  des  Zwispalts  halben  beschlossen,  so 
wolten  sich  Kö.  Durchleuchtigkeyt  sampt  den  Commissarien, 
auch  Churfttrsten,  Fürsten  und  Stenden  versehen,  wir  würden 
dasselb  auch  also  annemen  usw.,  so  doch  ir  Durchleuchtigkeyt, 
Liebden  und  die  andern  von  Stenden  auf  disem  gehaltnen 
Reichstag  zum  oftermaln  vemummen,  aus  wasen  hohen,  dapfem 
und  gegründten  Ursachen  wir  nicht  wüsten,  auch  nicht  schul- 
dig weren,  dafür  wirs  dann  nochmals  on  allen  Zweyfel  achten, 
dem  stat  zu  geben,  als  solt  ein  merers,  zuvoran  in  solchen 
Sachen  und  auf  die  Wege,  darauf  dem  mindern  Teyl  ewiger 
Gottes  Zorn  und  Verderb  irer  selbst  und  viler  Gk)ttes  auß- 
erweiten Seelen  steen  wolt,  wider  das  minder  zu  beschliessen 
und  dasselbig  zu  Gottes  Ungehorsam  auf  Menschen  Gehorsam 
zu  verbinden  und  zu  verstricken  haben,  so  doch  in  Menschen 
Handlungen  und  Sachen  das  merer  wider  das  minder  nicht 
fttrdrücken  möcht,  da*)  die  Sach  nit  ir  vile  in  ein  gemein, 
sunder  yeden  sunderlich  belangt.    Das  aber  diß  Sachen  seind. 


*)  In  D  Druckfehler:  zurteylt.  ')  Hier  fehlt  in  D  offenbar  ein 

Wort:  gethan  oder  gemacht.         •)  =  wenn.    Man  beachte  in  Obigem  die 
nny erkennbare  Anspielung  auf  Apostelgesch.  4,  19  und  5,  29. 


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—    87    — 

die  einen  yeden  sunderlichen  angeen,  wirdet  on^)  Zweyfel 
niemands  widersprechen.  So  besagt  es  die  götliche  Schrift*), 
das  ein  yeder  seine  Bürde  tragen  wirdet 

Und  wir  haltens  darfür,  wann  wir  auch  in  solche  Hand- 
langen mit  gewilligt  hetten  oder  willigten,  das  nns  gleichwol 
vor  Gott  und  der  Welt  nit  anders  gebären  wolt,  dann  der- 
selbigen  unser  Verpflichtung  forderlich  und  unverzüglich 
widemmb.abzusteen  und  uns  seins  götlichen  Worts  zu  halten. 
Zu  dem,  so  seind  diß  Sachen,  darein  sich  nicht  die  wenigsten 
Zwispaltspunct,  so  yetzt  vor  Augen  schweben,  ziehen,  davon 
aber  in  einem  künftigen  gemeinen  freyen  christlichen  Concilio 
gehandelt  sol  werden;  und  wer  solch  angemast  Fürdrücken 
des  merem  unsers  Ermessens  nichts  anders,  dann  als  ob  Chur- 
fürsten,  Fürsten  und  Stende  außerhalb  gemelts  Concilii  und 
der  Meynung,  darumb  dasselb  fürgenummen  für  notwendig 
bedacht,  zuwider  in  gemelten  Artickeln,  und  sunderlich  als 
der  ein  und  Gegenpart  zu  urteylen  selten  haben. 

Item  es  were  auch  nicht  allein  dem  Rechten,  sunder  auch 
aller  natürlichen  Billigkeyt  ungemeß,  do  zwo  Partheyen  eins 
Handels  strittig,  das  ein  Teyl  des  andern  Richter  und  Urteyler 
sein  solt  und  mit  dem  merem  oder  sunst  über  den  andern 
furzudrucken  haben,  und  würde  sunders  Zweyfels,  wo  den 
Dingen  gründtlich  nachgedacht  wolt  werden,  das  irer  Lieben 
und  der  Stende  Gemüt  und  Meynung  nicht  sein. 

Wir  wollen  auch  wol  darffir  halten,  wo  auf  disem  Reychs- 
tag  der  Ti*ost  nicht  so  gantz  aufs  merer  gestanden,  unser 
götliche  bestendige  und  gegrfindte  Anzeygung,  die  wir  der 
beschwerlichen  Artickel  halben  vilmals  gethan,  würden  baß 
zu  Gemüt  gefast  sein  und  solchen  Zwispalt  weniger  auf  der 
andern  Seyten  verursacht  haben.  Welchem  Teyl  auch,  so  ein 
Zwispalt  im  Reych  erschölle,  dasselb  am  billichsten  aufzulegen, 
das  er  darzu  Ursach  sey,  wollen  wir  dem  allem  nach,  wie 
angezeygt,  in  unser  aller  und  eins  yeden  selbst  eygnen  Ge- 


*)  In  D  Druckfehler:  an.  *)  öal.  6,  5. 


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—    88    — 

wissen  gesetzt  haben.  Hetten  uns  auch  nicht  versehen,  das 
von  Kö.  Durchleuchtigkeyt  sampt  den  Commissarien  und 
Stenden  unser  Protestation,  so  wir  auß  hoher  und  betrang- 
Ucher  Notturft  gethan,  in  den  Abschid  zu  verleyben  solt  ge- 
wegert  worden  sein.  Dann  ob  wii*  gleichwol  in  den  Abschid 
nit  gesetzt  werden,  wie  ir  anzeygt  habt,  dieweyl  man  aber 
nochmals  auf  das  merer  vermüg  euer  gethanen  Werbung  ver- 
meint zu  haften  und  dann  solch  merer  auß  den  untergeschriben 
Namen  der  Stende,  so  darein  gewilligt,  leychtlich  zu  ver- 
mercken  sein  wolt,  so  haben  ir  und  zuvoran  die  Kön.  Durch- 
leuchtigkeyt sampt  den  Commissarien,  auch  Churfiirsten, 
Fürsten  und  den  von  Stenden  leychtlich  selbst  zu  bedencken, 
wie  wir  zu  unser  Notturft  dardurch  versorgt  weren. 

Item  es  möcht  auch  von  uusern  Mißgünstigen,  die  Gestalt 
und  Gelegenheyt  der  Sachen  nit  Wissen  trügen,  gesagt  und 
fürgewant  werden,  wir  hetten  zu  Unbilligkeyt  und  on  gepür- 
liche  und  bestendige  Ursachen  in  die  vilberürte  beschwerliche 
Artickel  zu  willigen  gewegert,  darauß  uns  dann  mercklich 
Ergernuß,  ünglimpf  und  Auflegung  volgen  würde,  welchs  uns 
so  viel  müglich  zu  verhüten  gepüm  will. 

So  ist  auch  unser  Gemüt,  Will  noch  Meynung  nicht, 
yemands  zu  Unfreuntschaft  damit  Ursach  zu  geben  oder  zu 
verkleinen  und  bevoran  der  Rom.  K.  M.,  unsers  allergnedigsten 
Herrn,  Hoheyt^)  zuwider  zu  handeln,  sunder  allein  die  Eere 
Gottes,  seins  heyligen  Worts  und  unser  aller  Seelen  Seligkeyt 
zu  suchen,  auch  nichts  anders  damit  zu  handeln,  dann  was 
unser  Gewissen  weist,  und  do  wir  der  beschwerlichen  Ver- 
ursachung hetten  wollen  entladen  werden,  solt  an  uns  dasselb 
oder  dergleychen  zu  unterlassen  kein  Mangel  gewest  sein. 

Darzu  so  wissen  die  Kö.  Durchleuchtigkeyt  und  Orator 
sampt  den  Commissarien,  auch  Churfürsten,  Fürsten  und 
Stenden,   was  der  Protestation  Art  und  Eygenschaft,  auch 

*)  Antwort  auf  die  Bemerkung  im  Antragen  (S.  79  f.),  das  Ausschreiben 
der  Protestation  möchte  des  Kaisers  Hoheit  belangen  oder  es  könnte  Un- 
freundschaft  daraus  erfolgen. 


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warumb  dieselb  erfunden  und  in  Kay.  May.  Eechten  darvon 
Fursehung  gethan  ist,  ^)  das  wir  hoffen,  wir  seind  darumb 
nicht  zu  verdencken,  es  sey  uns  auch  bey  Kay.  May.  und 
menigklich  zu  aller  Billigkeyt  unvei'weyßlich,  ob  wii'  unser 
Protestation  und  Miterzelung  nottürftiger  und  wissentlicher 
Gelegenheyt  des  ergangnen  Handels  dermaß  werden  außgehen 
lassen. 

Als  aber  entlich  und  zuletzt  durch  euch  geworben,  damit 
wir  nit  gedencken  möchten,  als  ob  die  gethan  Werbung  etwas 
scharpf  und  ein  unfreündtliche  Meynung  auf  sich  trüge,  so 
hette  auch  Kön.  Durchleuchtigkeyt  sampt  den  Commissarien, 
auch  Churfftrsten,  Fürsten  und  die  andern  Stende  Bevelch 
gegeben,  weyter  zu  reden  und  euch  als  Geschickten  zu  ver- 
stendigen,  ob  wir  mit  iren  Durchleuchtigkeyt,  Lieben  und 
Stenden  allerseyts  des  Glaubens  und  aller  zeytlichen  Handt- 
lungen  halben  Frid  halten,  so  wolten  sich  Kö.  Durchleuchtig- 
keyt und  die  Ciommissarien,  auch  die  andern  Churfttrsten, 
Fürsten  und  Stende  gegen  uns  auch  fridlich  halten  und  nichts 
thatlichs  gegen  uns  fümemen  noch  handeln  biß  auf  das  künftig 
Concilium,  der  Hoffnung,  Gott  würde  alsdann  pessem  Frid 
und  Eynigkeyt  geben,  dann  ein  Zeyt  bißhere  gewest  were. 
Darauf  geben  wir  euch  dise  Antwort,  das  wir  so  hoch  als 
yemands  zu  Frid  und  Eynigkeyt  geneygt  seind,  auch  in  aller 
Handlung  hie  nichts  mer  dann  Gattes  Eere,  aller  Menschen 
Heyl,  Frid  und  Eynigkeyt  gesucht,  und  dieweyl  wir  nun  aus 
Kay.  May.,  unsers  allergnedigsten  Herrn,  Außschreyben  zu 
disem  Reychstag  und  sunst  vermerken,  das  ire  Kay.  May. 
gern  Frid  und  Eynigkeyt  im  Reych  gehalten  sehen  und  wissen 
wolt  und  Kön.  Durchleuchtigkeyt  und  die  andere  Kay.  May. 
Commissarien  nnd  Gewalthaber,  auch  alle  andere  Churfürsten, 
Fürsten  und  Stende  uns  durch  euch  haben  zusagen  lassen, 
mit  uns  des  Glaubens  halben  und  alles  zeytlichs  belangend 

^)  Vgl.  die  alte  Definition  der  Protestation:  „Est  denunciatio  publice 
facta  causa  juris  seryandi  in  futurum,  quod  protestanti  competit  yel  com- 
petere  potest." 


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—    90    — 

Frid  und  Eynigkeyt  zu  halten,  derhalben  und  da  wir  sampt 
den  ünsern  und  menigklich,  der  auf  disem  Teyl  und  dem 
Evangelio  verwand  und  Oberkeyt  und  Regierung  haben,  des 
Glaubens,  auch  der  jhenigen  Sachen  halben,  so  sich  in  die 
Artickel,  davon  in  künftigen  Concilio  gehandelt  sol  werden, 
ziehen  und  derselbigen  anhengig  und  verwandt  seind  oder 
darauß  fliessen  und  ervolgen,  auch  aller  anderer  zeytlichen 
Sachen  halben,  Frid  haben  und  erlangen,  wollen  wir  dem 
allem  nach  vilberfirten  Frid  hiemit  Kön.  Durchleuchtigkeyt, 
Kay.  Ma.  verordenten  Commissarien,  auch  Churfürsten,  Fürsten 
und  aller  Stende  halben  auch  zugesagt  und  gewilligt  haben 
und  uns  fridlich  und  dermaß  halten,  wie  wir  allesampt  das- 
selb  in  solchem  Fall  vor  Gott,  auch  Römischer  Kay.  May., 
unserm  allergnedigsten  Herrn,  schuldig  und  pflichtig.  Dann 
hochgedachter  Kay.  May.  allen  unterthenigen  schuldigen  Ge- 
horsam und  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Commissarien  und  allen 
Churfürsten,  Fürsten  und  Stenden  des  Reychs  freündtlich  und 
gutwillig  Dienst,  Gunst,  Gnad  und  Guts  zu  erzeygen  sein  wir 
zu  thun  gewilligt  und  gantz  geneygt,  und  bitten  hierauf  hyn- 
wider  schriftlich  Antwort. 

Kay.  May.  Stathalter,  Kön.  Durchleuchtigkeyt 
zu  Hungern  und  Behem  usw.,  auch  irer  May.  Ora- 
torn  und  Commissarien,  Churfürsten,  Fürsten, 
Prelaten,^)  Grafen,  Frey-  und  Reychstet  seind  entlich  ent- 
schlossen und  des  Gemüts,  das  sie  sich  des  heyligen  Reychs 
Ordnungen  und  zu  Wormbs  aufgerichten  Landfriden,  des- 
gleichen dem  yetzo  allhie  gemachten  Reychsabschid  gemeß 
halten,  dawider  auch  niemands  vergewaltigen  und  gegen  dem 
Churfürsten  von  Sachsen,  den  Hertzogen  von  Lüneburg, 
Marggraf  Georgen  zu  Brandenburg,  Landgrafen  zu  Hessen 
und  Fürsten  zu  Anhalt  des  Glaubens  halber  hie  zwischen 
dem  künftigen  Concilio  in  ungutem  mit  der  That  nichts  für- 

')  Bei  Jxmg  CXIII  und  Müller  118  steht  vor  diesem  die  in  D  fehlende 
Überschrift:  „Endtlicher  Schluß  Kays.  Majst.  Stadthalter,  Oratom  und 
Commissarien,  Churfürsten  und  Ständte." 


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—    91    — 

nemen  wollen,  des  Versehens,  yetz  gedachte  Churfürsten  und 
Fflrsten  werden  sich  herwidemmb  des  Landfriedens  and 
Glaubens  halber  gegen  Kay.  May.,  Churfürsten,  Fürsten  und 
gemeinen  Eeychsstenden  auch  gehorsamlich,  fridlich,  freündt- 
lich  und  nachtparlich  eraeygen  und  in  ungutem  mit  der  That 
nichts  fumemen,  sich  auch  ferrers  Außschreybens  oder  Auß- 
breytens  ii-er  übergeben  Protestation,  welchs  dann  zu  Weyte- 
rung  und  Unfrid  reychen  möcht,  enthalten  und  sich,  das  ge- 
melt  Protestation  bey  der  yetzt  geübten  Eeychshandlung  be- 
halten*) und  sie  dieselben  Kay.  May.  uberschicken  mögen, 
benugen  und  bleyben  lassen. 


Der  Churfürst  und  Fürsten  Sachsen,  Branden- 
burg, Lüneburg,  Hessen  und  Anhalt  entliche  Ant- 
wort auf  die  Schrift  von  Kön.  Durchleuchtigkeyt,  Kay. 
May.  Oratom  und  Commissarien,  auch  Churfürsten,  Fürsten 
und  Stenden  des  Reychs  heüt  umb  ein  Hora^)  übergeben. 

Ein  Protestation  außgeen  zu  lassen  auf  Meynung,  wie 
auß  obgemelter  Churfürsten  und  Fürsten  gesterigen  Schrift 
vemummen,  können  sie  sich  nicht  begeben,  wollen  sich  auch 
der  Gepür  damit  wissen  unverweyßlich  zu  halten  und  sich 
versehen,  das  sich  Kön.  Durchleuchtigkeyt  sampt  Kay.  May. 
Orator  und  Commissarien,  auch  Churtürsten,  Fürsten  und 
Stenden  gegen  inen  und  den  Iren,  auch  menigklich  auf  irem 
Teyl  und  dem  Evangelio  verwandt  und  Oberkeyt  und  Re- 
gierung haben,  des  Glaubens,  auch  der  jhenen  Sachen  halben, 

^)  Es  handelt  sich  hier  um  die  erste  Protestation  vom  19.  April,  die 
bei  den  ßeichsakten  behalten  wurde,  während  die  erweiterte  Tom  20.  April 
Ton  den  Eommissarien  wieder  zurückgeschickt  wurde.  Übrigens  erheUt 
aus  der  Zusage  der  Beichstagsmehrheit,  daß  auch  diese  nicht  die  Absicht 
hatten,  das  Wormser  Edikt  auszuführen,  das  sie  verpflichtet  hätte,  die 
Anhänger  und  Enthalter  Luthers  niederzuwerfen  und  zu  fahen  usw. 
*)  Samstag,  24.  April,  um  ein  Uhr  wurde  die  Zuschrift  der  Stände  den 
Evangelischen  übergeben,  an  demselben  Tage  um  sechs  Uhr  die  Antwort 
der  Evangelischen  den  katholischen  Ständen. 


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—    92    — 

so  sich  in  die  Artickel,  davon  in  künftigem  Concilio  gehandelt 
sol  werden,  ziehen  nnd  denselben  anhengig  und  verwandt 
seind  oder  darauß  fliessen  und  ervolgen,  uuverhindert,  auch 
aller  zeytlichen  Sachen  halben  fridlich,  nachtparlich  und 
freundlich  halten  werden,  und  wollen  sich  obgemelte  Chur- 
fürsten  und  Fürsten,  Sachsen,  Brandenburg,  Lüneburg,  Hessen 
und  Anhalt,  Kay.  May.,  ires  allergnedigsten  Herrn,  halben  zu 
allen  Pflichtigen  Gehorsam  underthenigklich,  gegen  Kö.  Durch- 
leuchtigkeyt,  Kay.  Orator,  Commissarien  und  alle  andere  Chur- 
fürsten,  Fürsten  und  Stend  des  Eeychs,  vermög  Kay.  May. 
Landfriedens  und  insunderheyt  des  vorigen  und  negsten 
Speyrischen  Abschids,  wie  in  irer  Protestation  auch  berürt^ 
wiederumb  fridlich,  nachtparlich  und  freündtlich  erzeygen,. 
auch  in  ungutem  und  mit  der  That  nichts  fümemen. 


Wiewol  nun  auch,  als  solchs  auß  o b angezeygten 
Schriften  helle  zu  versteen,  die  Kö.  Durchleuchtigkeyt,  Kay. 
May.  Orator  und  Commissarien,  auch  Churfürsten,  Fürsten 
und  Stende  und  wir  mit  und  gegen  einander  gewilligt  und 
uns  verpflichtet,  in  mitler  Weyl  eins  künftigen  Concilii  des 
Glaubens  halben  in  ungutem  und  mit  der  That  auf  keinem 
Teyl  nichts  fürzunemen,  sunder  uns  allerseyts  gegen  einander 
nachtparlich,  fridlich  und  freündtlich  zu  halten,  darzu  wir 
dann  zum  höchsten  geneygt  und  uns  ungezweyfelt  hynwider 
versehen;  die  weyl  aber  dem  Eechten  und  aller  BiUigkeyt 
gleichförmig  und  gemeß  ist,  da  die  Hauptsach,  wie  dits  fals 
der  Glaub  ist,  in  Ru  und  Anstand  gesatzt,  das  alles  das,  so 
der  Haubtsachen  anhengig  ist  oder  darauß  ervolgt  und  ent- 
springt, auch  ruen  und  der  Haubtsachen  Vorteyls  und  Frey- 
heyt  mit  teylhaftig  sein  soll  und  wir  aber,  als  das  die  obver- 
melte  ergangne  Schriften  anzeygen,  sollicher  Accessorien 
halben  kein  gewise  Antwort  erlangt,  so  werden  wir  verursacht, 
wo  derhalben  darüber  und  darwider,  es  were  in  oder  ausser- 
halb Rechtens,  hie  zwischen  und  obgemeltem  Concilion  icht 


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—    93    — 

was  wolt  fürgeniimmen  werden,  solchs  von  unser,  auch  aller 
unser  jetzigen  und  künftigen  Adherenten  wegen,  jetzt  als 
dann  und  dann  als  yetzt,  für  ein  tapfere  Beschwerang,  die 
uns  damit  begegendte,  anzuziehen,  als  wir  auch  hiemit 
thun  und  von  solcher  Beschwerung  hiemit  auch  wollen  pro- 
testirt  haben. 

Dem  allem  nach  protestim,  recusirn,  provocim,  appellirn, 
suplicim  und  berufen  wir,  die  obgemelten  Churfür.  und 
Fürsten,  für  uns  selbst,  unsere  ünderthanen  und  Verwandten, 
auch  jetzige  und  künftige  Anhenger  und  Adherenten,  in  und 
mit  diser  gegenwärtigen  Schrift  in  der  pesten  Form  und  Maß^ 
wie  wir  sollen  und  mögen,  von  allen  obangezeigten  Beschwer- 
den, so  uns  von  Anfang  dises  Eejchstags  biß  zu  Ende  und 
mit  dem  vermeinten  Abschid  begegendt  sejn,  auch  aller  Hand- 
lung und  aller  andern  Beschwerungen,  wie  die  darauß  ent- 
springen oder  hierunder  gezogen  oder  volgen  werden  mögen, 
sie  seind  hierinnen  benenndt  oder  nit,  ire  Untüglichkejt  und 
Nullitet  in  allweg  vorbehalten,  zu  und  für  die  Komische  Kay. 
und  christliche  Maj.,  unsem  allergnedigsten  Herrn,  und  darzu 
an  und  für  das  schirist  künftig  frej  christlich  gemein  Con- 
cilium  und  Versamblung  der  hejligen  Christenhejt,  für  unser 
Nationalzusammenkummen  und  darzu  einen  jden  diser  Sachen 
bequemen  unparthejischen  und  christlichen  Eichter  und  unter- 
werfen uns,  unser  Ffirstenthumb,  Herrschaften,  Land  und 
Leute,  Lejb  und  Gut,  auch  alle  jetzige  und  künftige  diser 
unser  Appellation  Anhenger,  in  der  Kaj.  Maj.  und  eins  christ- 
lichen Concilii  Schutz  und  Schirm.  Begem  und  bitten  hierauf 
von  König.  Durchleuchtigkejt,  Kay.  May.  Oratom,  auch  Chur- 
fürsten,  Fürsten  und  euch  andern  des  heyligen  Reichs  Stenden, 
darzu  euch  ^)  beyden  offenbaren  Notarien  oder  wer  des  Gewalt 
hat,  zum  ersten,  andern  und  dritten  mal,  fleyssig,  fleyssiger 
und  aufs  allerfleyssigst,  uns  solcher  unser  Appellation,  Recu- 
sation,  Provocation  und  Suplication  Zeugknuß,  Apostel,*) 
Abschidbrief,  Listrument  und  alles,  was  zu  Volziehung  der- 

')  In  D;  auch.  •)  Vgl.  S.  29,  Anm.  3. 


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selben  nottürftig  ist,  zu  geben  und  zu  fertigen,  abermals  be- 
zeugendt,  solcher  Appellation  und  anderm,  so  vil  an  uns  ge- 
legen, nachzukummen,  zu  volfüm  und  verkünden  zu  lassen^ 
an  Stetten,  Enden  und  Zeyten,  so  billich  und  recht  ist  Auch 
behalten  wir  uns  bevor,  solche  Appellation,  Provocation  und 
Suplication  zu  mem,  pessern,  mindern  oder  endern,  von  neuen 
einzulegen,  als  dann  die  gewönliche  Form  solchs  herpracht 
und  zugelassen  hat. 

Dieweyl  dann  die  gesandten  Botschaften  der 
nachbenanten  erbam  und  freyen  Reychsstette,  als  Straßburg, 
Nürmberg,  Ulm,  Costnitz,  Lindau,  Memmingen,  Kempten, 
Nördlingen,  Haylbrunn,  Reutlingen,  Ißna,  Sant  Gallen,  Weyssen- 
burg  und  Winßheim,  als  die  obberttrten  Churfursten  und 
Fürsten  Appellation,  Aposteln  und  Adherentz  begert  und  er- 
fordert, gegenwertig  gewesen,  haben  dieselben  Botschaften  zu 
Stund  diser  obangezeygten  Churfürst  und  Fürsten  Appellation 
adherirt,  angezeygt  und  bedinget,  das  sie  und  ire  Herrn  und 
Gewalthaber  derselben  Appellation  adheriren,  auch  keinem 
Fürnemen,  damit  und  dadurch  wider  die  appellirende  Chur- 
fürst und  Fürsten  oder  wider  ire  gethane  Appellation  adten- 
dirt  und  Neurung  fürgenummen  wolt  werden,  nicht  anhangen 
noch  verwandt  sein  oder  dawider  thun  wollen.  Und  alsbaldt 
hochgenanter  Churfürst  und  Fürsten  verordente  Räthe  an 
stat  irer  churfürstlichen  und  fürstlichen  Gua.  der  obbestimpten 
freyen  und  Reychsstette  Appellation,  so  sie  mer  berürter 
Sachen  und  Beschwerung  halben  gethan  oder  künftiglich 
thun  ^)  werden,  widerumb  auch  adherirt  und  bedingt,  denselben 
anzuhangen  und  nichts  darwider  zu  handeln  noch  fürzunemen, 
on  alles  Geverde,  und  von  uns  beyden  nachgeschriben  Notarien 
sampt  den  Gezeugen  solcher  gethaner  Appellation,  auch  An- 
hengung  derselben,  Bedingung,  Protestation  und  Vorbehaltung 
Kundtschafts  oder  Gezeugknu£brief,  auch  ein  oder  mer  Instrument, 
so  vil  iren  chui'fürstlichen  und  fürstlichen  Gnaden  derhalben 


')  In  D  Druckfehler:  than. 


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—    95    - 

Ton  nöten  sein  wfirden,  gesunnen  nnd  begert,  haben  wir  iren 
chnrfarstlichen  und  f&rstlichen  Gna.  anß  Erforderung  nnsers 
Notariatampts  6ezengkna£brief  and  dise  unser  ofihe  Eundt- 
Schäften  nicht  wissen  zn  wegem. 

Geschehen  zu  Speyer  im  Jar,  Indicion,  Tag,  Zeyt,  Stundt 
und  Behausung,  wie  alles  hieroben  femer  angezeygt  ist. 

Darbey  seind  gewest  und  gefordert  zu  Gezeugen  die 
erbem  und  ersamen  Alexius  Frauentraut,  hochgenants  unsers 
gnedigen  Herrn  Marggraf  Georgen  zu  Brandenburg  usw. 
Secretarius,  Eukarius  Ulrich,  eins  erbern  Eaths  zu  Nürmberg 
Kriegsschreyber  und  Burger  daselbst,  Veit  Kemerer^)  und 
ander  mer  gnug  glaubwürdiger. 


Und  nachdem  ich  Leonhart  Stetner,  Freysinger  Bißthumbs 
Lay,  auß  Kay.  Ma.  Macht  und  Gewalt  offenbarer  Notarius 
und  Tabellio  und  yetzt  hochgenants  meins  gnedigsten  Herrn, 
des  Churflirsten  zu  Sachsen  usw.,  Cantzleyschreyber,  neben 
dem  erbem  Pangratien  Saltzmann,  hochgemelts  meins  gnedigen 
Herrn  Marggrafen  Greörgen  zu  Brandenburg  usw.  Secretarien 
als  meinem  Mitnotarien  und  den  obgenanten  hierzu  sunderlich 
erforderten  Gezeugen  bey  angezeygter  Erzelung  der  Beschwe- 
rungen, Provocation,  Appellation,  Suplication  und  Berufung, 
auch  Bitt  und  Begerung  der  Apostel,  Abschieds  und  Kund- 
schaftsbrief sampt  der  obberürten  erbem  und  freyen  Eeychs- 
stette  Botschaften  Adherentz,  Anhangung  und  Bedingung, 
auch  Uberantwortung  der  Schrift,  darinnen  solche  Beschwe- 
rungen, Appellation  und  anders  verleybt,  und  sunst  anderm 
Furtragen,  so  hieoben  außgedrackt,  personlich  gegenwürtig 
gewesen,  das  also  beschehendt  angehört  und  gesehen,  so  hab 

^)  Von  den  hier  genannten  Zeugen  ist  der  markgräfliche  Sekretär 
Alexios  Franentrant  als  Mitglied  der  Gesandtschaft  der  protestierenden 
Stände  an  den  Kaiser  bekannt  Außer  ihm  gehörte  derselben  noch  Bürger- 
meister Johannes  Ehinger  von  Memmingen  und  der  Nürnberger  Syndikus 
Michael  von  Eaden  an.  Über  die  anderen  Zeugen  und  die  beiden  Notare 
ist  mir  nichts  Näheres  bekannt. 


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—    96    «- 

ich  neben  bemeltem  meinem  Mitnotarien  dieselb  ubergebne 
Schrift  auß  Erforderung  meins  Notariatampts  angenummen 
und  in  diß  offen  Instrument  und  Form  gestelt  und  durch  einen 
andern,  nachdem  ich  selbst  teglicher  Gescheft  halben  in  hoch- 
gedachts  meins  gnedigsten  Herrn,  des  Churftirsten  zu  Sachsen  usw. 
Cantzley  daran  verhindert,  auf  zwölf  Pergamentpletter 
schreyben  lassen,  dieselben  mit  Fleyß  überlesen  und  ver- 
fertigt, auch  meinen  Tauf  und  Zunamen  und  gewönlich  No- 
tariatszeichen mit  diser  meiner  eygnen  Handtschrift  auf  diß 
dreyzehendt  und  letzte  Pergamentplat  unterschriben  und  g-e- 
zeychnet,  zu  Gezeugknuß  und  Glauben  aller  obgemelter  Ding 
hiezu  sunderlich  berufen,  erfordert  und  requirirt. 

Und  dieweyl  ich  Pangratius  Saltzmann,  Bamberger 
Bißthumbs  Lay,  auß  Kay.  May.  Macht  und  Gewalt  offenbarer 
Notarius  und  Tabellio,  obgenants  meins  gnedigen  Herrn  Marg- 
giaf  Georgen  zu  Brandenburg  usw.  Camer  Secretari,  neben 
Leonharden  Stettner,  hochgedachts  meines  gnedigsten  Herrn, 
des  Churfürsten  zu  Sachsen,  Cantzleyschreyber  als  meinem 
Mitnotarien,  auch  bey  angezeygter  Erzelung  solcher  Beschwe- 
rungen, Provocation,  Appellation,  Suplication,  Berufung,  Be- 
gerung  der  Apostel  und  Gezeugknüßbrief  sampt  der  bemelten 
erbern  frey  und  Reychsstet  Adherentz,  Bedingung  und  sunst 
aller  Handlung,  wie  oben  steet,  neben  obbestimpten  meinem 
Mitnotarien  und  darzu  erforderten  Gezeugen  personlich  gegen- 
wurtig  gewest,  solchs  alles,  wie  darin  befunden  und  angezeygt, 
gesehen  und  gehört,  darumb  hab  ich  solche  Beschwerung  alle, 
hierinnen  verleybt,  durch  Verhinderung  anderer  meiner  Ge- 
scheft einen  andern  auf  zwölf  Pergamentpletter  schreybeu 
lassen  und  mich  darzu  auf  das  letzt  und  dreyzehendt  Plat 
mit  meinem  Tauf  und  Zunamen  und  gewönlichen  Notariats- 
signet und  diser  meiner  eygen  Handtschrift  auch  unterschriben 
und  bezeychendt,  und  zu  Glaubwirdigkeyt  aller  solcher  Ding 
hierzu  sunderlich  berufen  und  erfordert 


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H 


giji 


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QUELLENSCHRIFTEN 

ZUR 

GESCHICHTE  DES  PROTESTANTISMUS 

ZUM  GEBRAUCH  IN  AKADEMISCHEN  ÜBUNGEN 
IN   VERBINDUNG    MIT    ANDEREN    FACHGENOSSEN 

HERAUSQEQEBEN  VON 

Prof.  JOH.  KUNZE  und  Prof.  C.  STANGE. 


SECHSTES  HEFT. 

URBANUS  RHEGIUS: 
WIE  MAN  FÜRSICHTIGLICH  REDEN  SOLL. 


LEIPZIG. 

A.  DEICHEBT'SCHE  VERLAGSBUCHH.  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

190a 


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URBANUS  RHEGIUS. 

WIE  MAN  FÜRSICHTIGLICH  UND  OHNE  ÄRGER- 

NISS  REDEN  SOLL  VON  DEN  FÜRNEMESTEN 

ARTIKELN  CHRISTLICHER  LEHRE. 

(FORMULAE  QUAEDAM  CAUTE  ET  CITRA 
SCANDALUM  LOQUENDI.) 


NACH  DER  DEUTSCHEN  AUSGABE  VON  1536 

NEBST  DER  PREDIQTANWEISUNG  HERZOG  ERNST 

DES  BEKENNERS  VON   1529 

HERAUSGEGEBEN  VON 

LIC.  ALFRED  UCKELEY, 

PRIVATDOZENT  DER  PRAKTISCHEN  THEOLOGIE  IN  GREIFSWALD. 


LEIPZIG. 

A.  DEICHEBT'SCHE  VERLAGSBUCHH.  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1908. 


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Alle  Rechte  vorbehalten. 


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Einleitung. 


Der  vorliegende  Neudruck  der  Formulae  caute  loquendi 
des  Urbanus  Rhegius  möchte  nach  zwei  Richtungen  hin  dem 
Leser  einen  Dienst  leisten. 

1.  Er  möchte  einerseits  die  Kenntnis  eines  Schriftchens  neu 
beleben,  das  seinerzeit  für  die  Entwicklung  und  Ausgestaltung 
evangelischer  Grundsätze  eine  nicht  un'bedeutende  Rolle  ge- 
spielt hat;  wurde  es  doch  für  zwei  lutherische  Landeskirchen 
der  Reformationszeit  ihrem   „Corpus  Doctrinae"  beigegeben. 

Als  nämlich  1576  (Datum  der  Vorrede :  5.  Mai)  vom  Herzog 
Wilhelm  dem  Jüngeren  für  seinen  Braunschweig-Lüne- 
burgischen  Landesteil  ein  Corpus  Doctrinae  veröffentlicht  wurde, 
wurde  diesem  als  Anhang  beigedruckt  die  schon  im  Jahre  vor- 
her bei  Michael  Cröner  in  Ulssen  zu  einer  Ausgabe  zusammen- 
gefügten Formulae  quaedam  caute  et  citra  scan- 
dalum  loquendi  de  praecipuis  christianae  doc- 
trinae locis  pro  iunioribus  verbi  ministris  in 
Ducatu  Luneburgensi  D.  Urbano  Rhegio  autore 
und  die  von  Martin  Chemnitz  ^)  herrührenden  Formulae  recte 
sentiendi,  pie,  circumspecte  et  citra  scandalum  loquendi  de 

»)  Vgl  D.  Joh.  Kunze  in  Haucks  Kealenzyklopädie »,  Bd.  3,  S.  798, 
36  ff.  (Artifeel  „Martin  Chemnitz"). 

Uckeley,  ürbanus  Rhegius.  1 


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—     2    — 

praecipuis  lioruin  temporum  controversiis.  ^)  Doch  begnügte 
man  sich  nicht  mit  dem  lateinischen  Texte  beider  Schriften, 
sondern,  vermutlich  durch  praktische  Erwägungen  bestimmt, 
fügte  man  auf  den  61  folgenden  Seiten  auch  die  deutsche 
Übersetzung  beider  Abhandlungen  bei.  Beachtenswert  ist 
jedoch,  daß  die  Schrift  des  Rhegius,  ebenso  wie  die  des 
Chemnitz  lediglich  als  Anhang,  nicht  als  Bestandteil  des 
Corpus  Wilhelminum  gedacht  ist.  Beweis  dafür  ist  das  Titel- 
blatt der  Ausgabe,  auf  dem  als  „Summa,  Form  und  Vorbild 
der  reinen,  christlichen  Lehre"  nur  die  drei  Hauptsymbole, 
die  Augsburgische  Konfession  und  ihre  Apologie,  die  Schmal- 
kaldischen  Artikel  und  Luthers  beide  Katechismen  genannt 
sind.  Es  ist  demnach  unrichtig  oder  doch  wenigstens  miß- 
verständlich ausgedi'tickt,  wenn  Heppe  -)  sagt,  das  Schriftchen 
des  Rhegius  sei  in  das  Corpus  Wilhelminum  „übergegangen" 
oder  wenn  Uhlhorn**)  gar  von  „symbolartigem  Ansehen"  des 
Büchleins  redet,  da  es  „Aufnahme  in  das  Corpus  doctrinae 
Wilhelminum  gefunden  habe". 

Was  der  Herzog  von  Braunschweig-Lüneburg  getan,  das 
veranlaßte  im  selben  Jahre  der  Herzog  Julius  in  ähn- 
licher Weise  auch  für  seinen  Braunschweig- W^olfenbüttelschen 
Landesteil.  Aber  diesem  Corpus  Julium  (Datum  der  Vor- 
rede: 29.  Juni)*)  ist  das  Schriftchen  des  Rhegius  ebenso  wie 
das  des  Chemnitz  nur  dem  deutschen  Wortlaute  nach  bei- 
gedruckt. Wenngleich  es  hier  auf  dem  Titelblatt  im  un- 
mittelbaren Anschluß  an  Luthei^  Katechismus  aufgeführt 
wird,  so  zeigt  doch  der  es  behandelnde  Abschnitt  der  Vor- 


'j  Ein  Exemplar  befindet  sich  in  der  Bibliotheca  ministerii  ecclesiastici 
Gryphiswaldensis  (Nr.  912).    Die  Ausgabe  ist  in  Oktav  gedruckt.  *)  Dog- 

matik  des  deutschen  Protestantismus  im  sechzehnten  Jahrhundert.  Gotha  1857, 
Bd.  1,  S.  60.  *)  Urbanus  Rhegius,  Leben  und  ausgewählte  Schriften. 

Elberfeld  1861.  S.  225.  Später  redet  Uhlhorn  abschwächend  von  „halb- 
symbolischem  Ansehen"  der  Schrift.  Haucks  Kealenzyklopädie  *,  Bd.  5, 
S.  476,  8.    (Artikel  „Ernst  der  Bekenner").  *)  Gedruckt  in  der  Heinrich- 

stadt bey  der  Vestung  Wolfenbüttel  durch  Cunrad  Hörn.    1576. 


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—    3    — 

rede  (Blatt  6^),  daß  auch  hier  von  einem  „deuterosymbolischen 
Ansehen"  des  Buches  nicht  die  Rede  sein  kann.  Es  heißt 
dort  nämlich:  „Nachdem  auch  in  diesen  letzten  zeiten  zum 
höchsten  von  nöten,  das  man  zu  Verhütung  allerhand  Calumnien 
und  Corruptelen  in  den  Kirchen  und  sonderlich  von  etlichen 
fumehmen  Artikeln  einerley  rede  führe,  die  der  vielgemelten 
reinen  Lere  gemes,  damit  die  Zuhörer  dadurch  nicht  verirret 
und  verwirret,  den  Widersachern  auch  kein  ursach  gegeben 
möge  werden,  etwas  zu  calumniim,  und  aber  weiland  der 
Erwirdige  und  Hochgelarte  Urbanus  Eegius,  der  H.  Schrift 
Doctor  und  des  Fürstenthumbs  Lüneburg  Generalis  Superin- 
tendens,  ein  Büchlein  in  Druck  ausgehen  lassen,  De  Formulis 
caute  loquendi  etc.  und  dasselbige  unserm  Corpori  Doctrinae 
gemes,  als  haben  wir  aus  obangedeuten  Ursachen  und  damit 
jhe  nichts  underlassen,  dadurch  reine  Lere  vermittelst  gnedigen 
Göttlichen  Segens  durchaus  und  desto  mehr  erhalten  möge 
werden,  zu  angeregtem  unserm  Corpore  Doctrinae  auch  dis 
nützliche  Büchlein  anheften  und  drucken  lassen." 

Diese  Anfügung  an  die  zwei  Corpora  Doctrinae  hat  der 
Schrift  des  Rhegius  begreiflicherweise  weitgehende  Verbrei- 
tung verschafft.  Man  trifft  sie  in  der  späteren  Celler  Aus- 
gabe des  Corpus  Wilhelminum  von  1621,  in  der  Helmstedter 
Ausgabe  des  Corpus  Julium  von  1603  sowie  in  den  Braun- 
schweiger Ausgaben  desselben  von  1690  und  1715.  Natürlich 
ist  sie  auch  in  den  gesammelten  Werken  des  Urbanus  Rhegius 
zu  finden,  die  in  Nürnberg  1562  ediert  wurden,  und  zwar 
steht  sie  ihrem  lateinischen  Wortlaute  nach  in  den  Opera 
latina  Pars  I,  Nr.  5,  fol.  76*  bis  87^  und  dem  deutschen  Texte 
nach  in  seinen  „Deutschen  Büchern  und  Schrifften"  Teil  1, 
Nr.  16,  fol.  155*  bis  173^  Dazu  kommt  eine  Reihe  von  Einzel- 
ausgaben, z.  B.  Magdeburg  1538  lateinisch  —  Ulssen  1575 
lateinisch  sowie  deutsch  —  Helmstedt  1713  lateinisch  —  u.  a.  ^) 


»)  Pastor  H.  Steinmetz  hat  (CeUe  1880)  die  Schrift  des  Rhegius  neu 
herausgegeben.    Er  selbst  sagt  (S.  78):   „Es  war  nicht  meine  Absicht,  des 

1* 


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—    4    — 

Die  Originalausgabe,  auf  die  der  vorliegende  Abdruck 
zurückgeht,  ist  die  bei  Johannes  Lufft  1535  in  Oktav  er- 
schienene des  lateinischen  und  im  folgenden  Jahre  (1536)  eben- 
dort  herausgegebene  des  deutschen  Textes.  Unsere  Ausgabe 
bietet  genau  die  deutsche  Vorlage;  der  lateinische  Text  ist 
überall  verglichen  und,  wo  er  Abweichungen  des  Sinnes  bot^ 
sowie  auch,  wo  sein  Wortlaut  den  deutschen  Text  dem  Inhalt 
oder  den  Worten  nach  zu  erklären  schien,  in  Anmerkungen 
beigefügt,  sodaB  dem  Leser  nichts  aus  einer  der  beiden  Aus- 
gaben entgehen  kann,  und  ihm  bei  der  Lektüre  des  deutschen 
Textes  zugleich  die  Kenntnisnahme  von  dem  Inhalt  der 
lateinischen  Ausarbeitung  gewährleistet  ist. 

In  dem  soeben  von  0.  Giemen  (Arch.  f.  Ret -Gesch., 
Erg.-Bd.  2)  veröffentlichten  Briefwechsel  Georg  Helts  findet 
sich  S.  91  die  Notiz:  Hausmann  (in  Dessau)  dankt  dem  G.  H. 
(in  Wittenberg)  für  ein  Buch  des  ürb.  Rhegius.  —  Der  Brief 
ist  datiert  vom  5.  April  1535.  Es  dürfte  sich  nach  Erschei- 
nungsjahr und  -ort  um  kein  anderes  Buch  handeln  als  um 
unsere  „Formulae",  und  der  Dank  Hausmanns  würde  sich 
vortrefflich  daraus  erklären,  daß  Helt  ihn  mit  der,  an  seinem 
Wohnorte  soeben  edierten  buchhändlerischen  Novität  erfreut 
hatte.  Demnach  wäre  das  Buch  im  ersten  Quartal  1535 
herausgegeben. 

Aus  den  Angaben  über  die  häufigen  Drucke,  welche  die 
Schrift  des  Rhegius  in  früheren  Zeiten  erfahren  hat,  dürfte 
klar  geworden  sein,  daß  sie  für  die  „Geschichte  des  Protestan- 

Rhegins  Werk  mit  philologischer  Akribie  herauszugeben."  Nun  würde  es  sich 
ja  ertragen  lassen,  wenn  er  nur  die  Orthographie  modernisiert  und  schwer 
Terständliche  Sprachformen  in  uns  geläufigere  umgetauscht  hätte.  Allein 
sein  Abdruck  ist,  wie  ich  durch  genaue  Vergleichung  festgestellt  habe,  in 
hohem  Grade  flüchtig  und  stellenweise  sogar  sinnwidrig.  £r  läßt  wesent- 
liche Worte  und  Sätze  aus  (z.  B.  Seite  6,  Zeile  17.  7, 1.  7,  28.  14,  6,  15,  1. 
15,  9  usw.).  Der  Abdruck  ist  so  ungenau,  daß  z.  B.  S.  74,  6  statt  „erstlich* 
„christlich"  bei  ihm  zu  lesen  ist.  Ich  habe  nicht  eine  Seite  gefunden,  die 
nicht  Fehler  aufwiese.  So  dürfte  diese  Steinmetzsche  Ausgabe  als  für 
wissenschaftliche  Zwecke  völlig  unbrauchbar  angesehen  werden. 


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_    5    — 

tismus^  eine  nicht  unbedeutende  Bolle  gespielt  hat,  mithia 
ihre  Kenntnis  zum  Verständnis  derEntwidklung  der  lutherischen 
Lehraufstellungen  nicht  unwichtig  ist. 

2.  Neben  diesem  dogmenhistorischen  Interesse  wird  der 
Leser  aber  auch  andererseits  bald  ein  praktisch-theologisches 
Interesse  an  dem  Buche  gewinnen;  handelt  es  sich  doch  in 
ihm  um  Aufstellungen  und  Anweisungen,  die  unmittelbar  auf 
die  Predigtmethode  der  Beformationszeit  Einfluß  üben  wollten 
und  ihn  zweifelsohne  in  hohem  Grade  gewonnen  haben.  Um  diese 
Bedeutung  des  Buches  recht  verstehen  und  richtig  würdigen 
zu  können,  ist  es  unerläßlich,  sich  ein  Bild  von  den  für  seine 
Entstehung  maßgebenden  näheren  Verhältnissen  und  landes- 
kirchlichen Zuständen  zu  entwerfen. 

Zu  den  evangelischen  Predigern  Augsburgs,  denen  im 
Jahre  1530  durch  ein  Kaiserliches  Mandat  weitere  Predigt- 
tätigkeit untersagt  wurde,  gehörte  auch  Urbanus  Ehegius.^) 
Zu  unfreiwilliger  Muße  verurteilt,  war  ihm  das  alsbald  an  ihn 
gelangende  Anerbieten  Herzog  Ernsts  von  Lüneburg  sehr  will- 
kommen, als  Prediger  in  Celle  in  dessen  Dienst  zu  treten^ 
und  ei'  zögerte  nicht,  ihm  seine  Zusage  zu  geben.  So  war  er 
für  das  Lttneburgische  Land  gewonnen,  dem  er  von  1530  bis 
an  seinen,  am  27.  Mai  1641  erfolgten  Tod  als  Prediger  des 
Evangeliums,  bald  auch  als  Landessuperintendent  treu  und 
mit  reichem  Segen  gedient  hat.  Dieser  von  ihm  ausgegangene 
Segen  darf  nicht  in  bedeutsatiien  organisatorischen  Leistungen 
gesucht  werden,  die  er  dem  Lande  zu  gut  vollbracht  hätte. 
Zwar  hat  er  auch  auf  solchem  Gebiete  sich  versucht;  so 
empfing  die  Stadt  Lüneburg  von  ihm  ihre  „Kirchen-  und 

*)  Eine  wertvoUe  Biographie  des  Rhegius  bietet  der  Artikel  von 
Tschackert  in  Hancks  Bealenzyklopttdie ^^  Bd.  16,  S.  734 ff.  Anßerdem 
ist  noch  za  vergleichen:  Heimbnrger,  Urbanns  Bhegios,  Gotha  1851 
(stellenweise  überschwenglich  und  voreingenommen  für  Eh.).  OttoSeitz, 
Die  Üieologische  Entwicklung  des  Urbanus  Megius,  Gotha  1898.  G.  H  a  c  c  i  u  s , 
Urb.  Rh.'  Seelenarzenei,  Hennannsburg  18d4.  S.  1-— 3ö.  Für  die  frühere 
Periode  von  Rhegius'  Leben  vgl  Friedrich  Roth,  Augsburgs  Refor* 
mationsgeschichte,  Bd.  1,  München  1901.    S.  57  ff. 


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—    6    — 

Schulordnung"  vom  9.  Juni  1531.*)  Aber  seine  eigentliche 
segensreiche  Bedeutung  für  das  Land,  dessen  Superintendent 
er  war,  liegt  anderswo.  Sie  ist  in  der  stillen,  mehr  seel- 
sorgerlichen Art  zu  suchen,  mit  der  Rhegius  bestrebt  war, 
innerhalb  des  Fürstentums  ein  Pastor  pastorum  zu  sein.  Die 
einzelnen,  vielfach  noch  unbesetzten  Pfarren  mit  tüchtigen 
Predigern  des  Evangeliums  zu  versehen  und  die  amtierenden 
Prediger,  die  teils  aus  den  Kreisen  des  früheren  Klerus,  teils 
aus  denen  ehemaliger  Klosterbrüder  kamen,  teils  als  Witten- 
berger Studenten  von  Luther  und  Melanchthon  selbst  eine 
theologische  Ausbildung  erhalten  hatten,  anzusporen  und  an- 
zuweisen, wie  sie  sich  weiterbilden  und  worauf  sie  den  Schwer- 
punkt bei  ihren  Predigten  verlegen  sollten,  war  sein  Haupt- 
bemühen. ^)  Einer  tüchtigen  Ausbildung  und  Fortbildung 
der  ihm  unterstellten  Prediger  hat  er  mit  Mund  und  Feder 
gedient,  und  einzig  diesem  Bestreben  verdankt  das  vorliegende 
Buch  „Wie  man  fürsichtig  reden  soll"  seinen  Ursprung. 

Er  hatte  es  oft  erfahren  müssen,  wie  namentlich  junge 
Prediger  ihre  Predigten  dadurch  verdarben  und  der  Gemeinde 
dadurch  Ärgernis  und  Anstoß  bereiteten,  oder  gar  sie  in  Irr- 
tümer verleiteten,  daß  sie  die  Schriftwahrheit  als  Ganzes  zu 
wenig  berücksichtigten  und  einzelne  Stücke  aus  dem  Zusammen- 
hange herausrissen  und  ihnen  dadurch,  daß  sie  sie  einseitig 
betonten,  eine  mißverständliche  Bedeutung  verliehen.  Ließen 
sie  sich  dabei  von  der  an  sich  verständlichen  Absicht  leiten, 
durch  schroffe,  deutliche  Hervorkehrung  eines  Stückes  der 
evangelischen  Lehre  möglichst  klar  und  scharf  das  unevan- 
gelische Gegenteil  dieses  Lehrstückes  abzuweisen,  so  ver- 
mieden sie  doch  oft  nicht  die  leicht  sich  einstellende  Gefahr, 
weit  über  das  Ziel  hinauszuschießen  und  den  Zuhörern  irre- 
führende Gedanken,  auch  ohne  es  zu  beabsichtigen,  nahezulegen. 
Dergleichen  nannte  Rhegius  „ohne  Vorsicht  und  mit  Ärgernis 

*)  Abgedruckt  von  Ubbelohde  in  der  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für 
niedersächsische  Kirchengeschichte,  Bd.  1,  (1896),  S.  45  ff.  «)  Vgl  Uhl- 

horn  a.  a.  0.  S.  218. 


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—     7     — 

predigen".  Er  kannte  Prediger,  die  von  Glauben  und  von 
Sündenvergebung  zu  ihren  Zuhörern  zu  reden  nicht  müde 
wurden,  die  aber  nur  selten  von  der  Buße  etwas  sagten. 
Durch  derartiges  wurde  beim  Volke  die  irrige  Voi-stellung 
erweckt,  als  könnte  man  auch,  ohne  Buße  zu  tun  und  ohne 
Reu  und  Leid  über  die  Sünden  zu  haben,  dem  Evangelium 
von  Christo  glauben  und  sich  der  in  ihm  dargebotenen  Ver- 
gebung getrösten.  Andere  Prediger  trieben  wohl  das  Lehr- 
stück von  der  Buße  vor  der  Gemeinde  fleissig  und  erschreckten 
die  Gewissen  der  Leute  kräftig  durch  das  Gesetz,  ließen  es 
aber  am  Hervorheben  des  tröstlichen  Moments,  welches  das 
Evangelium  darreicht,  allzusehr  fehlen.  Einige  andere  wollten 
in  ihrer  Predigt  das  Volk  über  Glauben  und  gute  Werke 
unterrichten;  zu  dem  Zweck  ließen  sie  sich  in  derartigen 
Sätzen  aus:  „Es  ist  nichts  mit  unseren  Werken;  sie  stinken 
vor  Gott.  Er  will  sie  nicht.  Sie  machen  eitel  Gleisner. 
Es  tut's  allein  der  Glaube.  Wenn  du  glaubst,  so  wirst  du 
fromm  und  selig."  Das  Ergebnis  solcher  Predigt  konnte  dann 
nur  sein,  daß  die  Einfältigen  sich  ärgerten  und  zwar  besonders 
diejenigen,  welche  bisher  noch  nicht  viel  vom  Evangelium 
gehört  hatten.  Sie  konnten  Gefahr  laufen,  aus  solchen  Sätzen 
sich  die  irrige  Meinung  zu  bilden,  als  sollten  bei  den  Evan- 
gelischen die  „guten  Werke"  verworfen  und  für  zwecklos  und 
unwesentlich  erklärt  werden.  An  einer  ganzen  Reihe  von 
Lehrstücken  führt  Rhegius  solche  Entgleisungen  der  Predigt 
vor  und  zeigt,  wie  „die  Prädikanten  zu  beiden  Seiten  den 
Holzweg  ausfahren,  aber  auf  der  rechten  Mittelstraße  nicht 
bleiben  wollen",  oder,  wie  er  es  an  anderer  Stelle  ausdrückt, 
wie  sie  „allein  zerbrechen  und  nicht  bauen". 

3.  Daß  diese  Gefahr  für  die  evangelische  Predigt  nicht  zu 
unterschätzen  sei,  und  daß  man  zurzeit  dem  Volke  durch  nichts 
mehr  schaden  könne  als  durch  Unbesonnenheit  und  stürmische 
Einseitigkeiten,  war  schon  einige  Jahre,  ehe  Rhegius  sich  an 
die  Ausarbeitung  seiner  Formulae  caute  loquendi  machte,  dem 
Landesfürsten,  Herzog  Ernst  dem  Bekenner,  klar  ge- 


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—    8    — 

worden  und  hatte  ihn  dazu  veranlaßt,  gelegentlich  ^)  der  1529 
von  ihm  persönlich  vorgenommenen  Visitation  der  Stifter  und 
Klöster  seines  Landes  den  an  allen  Orten,  in  die  er  kam,  von 
ihm  eingesetzten  evangelischen  Predigern  einen  „Kurzen 
Begriff,  was  sie  lehren  sollen"  in  Gestalt  einer  all- 
gemeinen schriftlichen  Predigtinstruktion  zu  übermitteln.  — 
Hinweisen,  die  sich  bei  Adolf  Wrede  ^)  finden,  der  einen  „kurzen 
Auszug"  *)  aus  ihr  seiner  Darstellung  einverleibt  hat,  nach- 
gehend, habe  ich  ein  handschiiftliches  Exemplar  derselben  im 
Königlichen  Staatsarchiv  Hannover  unter  der  Sig- 
natur Celle  Br.  Arch.  Des.  50  Nr.  2,  fol.  34—41  fest- 
stellen können  und  biete  es,  da  es,  wie  schon  Wrede  sah, 
„außerordentlich  charakteristisch  für  das  besonnene  und 
konservative  Vorgehen  des  Herzogs  ist"  und  für  Ehegius 
„anscheinend  ein  Vorbild  für  seine  Formulae  caute  loquendi 
gewesen  ist",  in  Folgendem  zum  erstenmal  vollständig  in 
wörtlichem  Abdruck.  Freilich  hat  der  Verfertiger  der  alten 
Handschrift  wohl  nicht  an  allen  Stellen  das  Original  mit  er- 
wünschtem Verständnis  und  mit  der  nötigen  Genauigkeit 
kopiert,  immerhin  aber  läßt  sich  auch  an  den  Punkten,  wo 
ihm  Versehen  zugestoßen  zu  sein  scheinen,  Sinn  und  Ab- 
sicht der  Anweisung  Herzog  Ernsts  unschwer  und  sicher  er- 
kennen. 

Was  die  Datierung  des  herzoglichen  Schriftstückes  an- 
langt, so  hat  Wrede  zweifelsohne  im  allgemeinen  richtig  ge- 
sehen, wenn  er  es  in  die  Zeit  vom  Mai  bis  Juli  1629  rückt. 


*)  Vgl  Havemann,  Geschichte  der  Lande  Bratmschweig  und  Lüne- 
burg, Göttingen  1885,  Bd.  2,  S.  106  f.  «)  Die  Einführung  der  Refor- 
mation im  Fürstentum  Lüneburg  bis  zum  Jahre  1530  (Göttinger  philosophische 
Inauguraldissertation,  1887).  Neu  bearbeitet  und  herausgegeben  in  den 
Schriften  des  Vereins  für  Keformationsgeschichte  (Jahrg.  7,  Nr.  25)  unter 
dem  Titel:  Ernst  der  Bekenner,  Herzog  von  Braunschweig  und  Lüneburg. 
Halle  1888.  *)  Wiederum  eine  Verkürzung  aus  diesem  „Auszuge** 
bietet  Uhlhorn  in  seinem  Vortrag  „Herzog  Ernst  der  Bekenner**.  Zeit- 
schrift des  historischen  Vereins  für  Niedersachsen.    Hannover  1897,  S.  28. 


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—    9    — 

Denn  die  früheste  Zeitgrenze  ist  mit  der  Erwähnung  der 
Hambuiger  Kirchenordnung  Bugenhagens,  die  am  Pflngstabend, 
d.  i.  am  15.  Mai  1529,  Eechtfikraft  ^)  durch  Rats-  und  Bürger- 
beschluß empfing,  gegeben.  Es  dürften  sogai-  erst  noch  einige 
Wochen  des,  wenigstens  einigermaßen  erfolgten  Bekannt- 
werdens dieser  Ordnung  im  Fürstentum  Lüneburg  vor  dem 
Entstehen  unserer  Predigeranweisung  anzunehmen  sein.  Die 
andere  Zeitgrenze  ist  mit  der  verbürgten  Tatsache  ^)  gegeben, 
daß  Herzog  Ernst  sie  am  13,  Juli  1529  dem  Benediktiner- 
Kloster  St.  Michaelis  zugesandt  hat  Ich  glaube  aus  diesen 
Erwägungen,  daß  man  Grund  und  Recht  hat,  den  von  Wrede 
für  die  Entstehung  angegebenen  Zeitzwischenraum  noch  zu 
verengern,  indem  man  möglichst  vom  Mai  abrückt  und  erst 
die  Zeit  von  Mitte  Juni  bis  Anfang  Juli  1529  für  die 
Datierung  in  Ansatz  bringt. 

Die  ,•  Anweisung"  lautet  folgendermaßen: 
(fol.  34 »).    Wie  und  was  wir  Ernst,  von  gots  gnaden 
Hertzog  zn  Brannswick  und  Leuneborg,  unsers  fnrsten- 
thumbs  pharhem  und  predigem  zu  predigen  befohlen. 

Demnach  mancherley  kuntliche  mißbrauche  nun  langes 
her  eyngerißen,  die  nicht  leichtlich  noch  ohn  geverdt  ^)  in  der 
eyle  mögen  außgereuttet  ^)  werden,  ehe  dann  sie  vormiddelst 
heUer,  unwiddersprechliger  heiliger  schrifft  vor  ungotlich  er- 
klert,  erfoddert  die  billicheit  und  nottui^fft,  hir  innen  eynen  5 
klugkeit  des  geystes  und  Cristliger  bescheydenheit  zu  ge- 
brauchen, das  erstlich  eyn  gutter  unbewechliger  grundt  ge- 
legt, drauff  man  onsorgUch  bauwn  und  das  liecht  Gotlichs 
worths  im  mittel  angeßundet*)  werde,  dar  bey  die  Christ- 
glaubige  gleich  als  in  eynem  duncklen  orth  mögen  sehen,  bey  10 


^)  Richter:   Die  evangelischen  Kirchenordnongen  des  sechzehnten 
Jahrhondertfl,  Weimar  1846,  Bd.  1,  S.  127  (Einleitende  Bemerknngen). 

»j  Wrede,  Diss.  S.  94,  Anm.  6.  »)  Gefahr.  *)  ausgerottet. 

*)  angezündet. 


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—    10    — 

welchem  auch  berurte  mißbrauche  sich  nicht  vorstellen,  sonder 
an  Ihn  selbs  der  maße  gebloset  werden,  das  Irer  falscher 
scheyn  entlichen  vorlesche.  ^)  Sollen  drumb  alle  und  Jglige 
unsers  furstenthumbs  pharhern  und  prediger  nicht  untzeitlich 
6  noch  unbescheydennlich  mit  ergemus  der  zuhorer  wider 
menschlige  gerechtigkeit  fechten,  dieweill  der  grundtvest^) 
gotliger  gerechtigkeit,  welcher  ist  Cristus,  noch  nicht  gelegt 
ist,  dieweill  das  Evangelion  so  lange  noch  nicht  geprediget  ist, 
das  men  glaub,  der  sundt  Vergebung  durch  gots  gnade  und 

10  das  ewig  leben  nur  alleyn  in  unnserm  Hern  Jesu  Cristo.  Ejti 
nerrichter  mensch  bauet  ane  ^)  grundt  und  flickt  eyn  alt  kleidt 
mit  eynem  läppen  von  nuwem  thuch,*)  fasset  auch  den  most 
in  alte  schleiche.  Da  abir  die  menschen  angefangen,  die 
warhafftige  ge-  |  (fol.  34^)  rechtigkeit  zu  vorstehen,  als  dan 

löwirdet  die  falsche  gerechtigkeit  leichtlich  vordammet. 

Erstlich  sollen  sie  die  menschen  ansehen  als  bruder,  nicht 
in  kappen,  platten  etc.  als  der  widerwertigen  vileicht  durch 
predig  der  puße  van  irsalen  ^)  und  ßunden  nüchtern  zu  reden 
und  durch  predig  deß  Evangelii  zu  glauben  und  salicheit®) 

20  zu  entpfangen  auflf  die  vorheißung.  In  Cristo  wird  Jnnen 
got  puße  geben,  die  warheit  zuerkennen  und^nuchtern  zu 
werden  von  des  teuffels  strick,  der  sie  gefangen  hat  nach 
seynem  willen,  2.  Timoth.  2.') 

Hyr  Jnnen  ^)  aber  etwas  firuchtbares  nach  gotligem  willen 

25  außzurichten ,  sollen  sie  nicht  ungeschigkte,  noch  unnutze 
arbeyder  seyn  als  Jenne,  wenner®)  sie  ein  gantze  stunth^**) 
geprediget  auß  der  schrifft  der  gestalt,  das  sie  nicht  mögen 
beschuldigt  werden,  als  betten  sie  ichtwes  bosses^^)  gepredigt, 
haben  doch  nichts  gepredigt  und  die  zuhorer  ohn  frucht  hin- 

30wegk  gehen.    Demnach  da  sye  nichts  gesatzt,  das  ist  keyne 


*)  verlösche.  *)  die  Grundfeste.  ^)  ohne.         *)  neuem  Tuch, 

vgl.  Matth.  9,  17.  *)  Irrsal  =  Abweichung  vom  rechten  Glauben,  seductio, 
haeresis.  Vgl.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch,  Bd.  4,  Abt.  2,  S.  2174 
(Bedeutung  3).  «)  Seligkeit.  ')  2.  Timoth.  2,  26.  ^)  Hierin. 

**)  wann.  ***)  eine  ganze  Stunde.  *')  irgend  etwas  Böses. 


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—  11  — 

gewisse  maten^)  vor  sich  genomen,  dar  uff  sie  reden  die 
beweren,  ^)  oder  als  gepurlicli  dem  folck  Innbilden  werden, 
fharen  sie  weitlufftiglich,  werffen  ungeschigkt  alles  In  eynem 
hauffen,  das  mann  nicht  weis,  wie  hinauß,  Thun  datzu  nu 
diesses,  nu  Jenes,  das  datzu  nicht  gehört,  waren*)  zu  gleich  5 
de  pflüg  und  steen  odir  Ja  der  beyder  keines,  da  sie  sich 
beyderley  undirstheen,  *)  lauffen  Imer  dar  neben  und  auß  der 
bahn.  Von  diessen  dorflfstu  nicht  erwartten  eins  besclus,  *) 
drjTinen  alles,  das  gesagt,  kurtzlich  Vorgriffen  und  vorhält 
werde.  Dann  diewill,  was  ßie  Je  |  (fol.  35*)*)  gelernt  adirlO 
geleßen,  alles  auff  eyne  stunt  sagen  wollen,  werden  ßie  Irre 
Ihnen  selbs,  wissen  nicht,  was  ßie  gesagt;  solche  mugen  eynen 
andern  nicht  lernen.  Ein  Bischoff  aber  soll  lehrhaftig  sein. ') 
Sollen  drumb  nicht  ubir  eyne  stundt  predigen,  vorhandlen 
ichtwas®)  gewisses  und  setzen  aus  der  schrifft,  das  an- 15 
zweiffentlich  ®)  den  Zuhoreren  nutze;  ligt  nichts  drhan,  ob  sie 
das,  so  der  vorgenomen  schrifft  Inhalt  erfoddert,  eins  mahls 
nicht  alles  sagen. 

Als   dann  auch  schigligkeith  ^^)  weynig  nutzet,   wo  sie 
mitt  vormugen  und  krafft  Gotligs  worts  nicht  untyrbauet^^)20 
noch  vorfügt  ist;  sollen  die  prediger  dem  lesen  der  heiliger 


*)  Maß,  Zielpunkt.  *)  Hauptwort  zu  dem,  im  Sinne  von  „probare, 

explorare,  beweisen,  wahr  machen,  dartun"  oft  auch  von  Luther  gebrauchten 
Zeitwort.  Vgl.  Luther:  „Der  Landgraf  bewert  ihm  aus  der  Schrift,  das 
man  die  oberkeit  ehren  soll."  „Dieser  Artikel,  als  untüchtig  zum  glauben, 
bedarf  wohl  bewerens"  u.  ä.  Siehe  die  Zitate  bei  Grimm  a.  a.  0.,  Bd  1, 
S.  1764.  *)  wahren,  nehmen  in  acht.  *)  unterstehen.  *)  Be- 

schluß. **)  Hier  ist  dem  Abschreiber  das  Versehen  zugestoßen,  daß  er 

die  erste  Reihe  mit  Worten  füUt,  die  auf  fol.  38  a  gehören,  und  dafür  die 
in  den  Zusammenhang  gehörenden  Worte  ausläßt.  Zum  Glück  lassen  sie 
sich  aus  den  fol.  36»  der  Handschrift  mitgeteilten,  nachher  vom  Schreiber 
wieder  durchstrichenen  Sätzen  rekonstruieren,  sodaß  trotzdem  in  dem  Obigen 
ein  glatter  Text  dargeboten  werden  kann.  ')  1.  Timotheus  3,  2. 

•)  irgend  etwas.  ®)  unzweifelhaft.  *^)  Wrede  hat  versehent- 

lich „Seligkeit"  gelesen,  was  keinen  Sinn  gibt.  ")  unterbaut.    Auch 

bei  dem  Ausdruck  „vorfügt"  achwebt  das  Bild  des  Bauens  vor. 


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—    12    — 

schrifft  und  denen^  die  ßie  reyn  und  ohn  menschen  Znsatz 
handien,  hogsten  äeisses  obligen,  auch  nicht  alles  ohn  undir- 
scheit^)  untir  den  hauffen  pludern.  ^)  Dan  nach  gelegenheit 
der  zeit  muß  man  der  Swachen  vorschonen,  der  unwissenden, 
öwie  unwillig  sie  seyn,  sovem  sie  das  wort  hören  und  andere 
nicht  Vorursachen,  das  wort  zuvorachten,  ßunder*)  auff  eyne 
ordenung  und  gewisses  stellen  erstlich  Inen  selbs,  das  ßie 
andern  f  hur  halten  und  sie  bereden  werden,  vor  allen  Dingen 
ohn  untirlaß  den  hem  anruffen,  diessen  geschefften  mit  Got 

lOgepurlich  vor  zu  stehen  durch  Jeßum  Crist,  unsem  hern. 

Und  wie  woll  alle  zuhorer  Inen  stetiglich  zuermanen 
sein,  sollen  doch  die,  so  noch  in  menschliger  gerechtic^eit 
arbeiten,  allermeist  angehalten  werden,  Gottis  liecht  zu  bitten. 
Dan  got  als  dann  gewißlicken  bey  seynem  Evangelio  sein 

löwirdett  zu  seyner  Zeitt,  die  frucht  zu  geben.  Sunst  müssen 
doch  die  Cristen  von  bitten  nimmer  auffhoni.  Diesses  sey 
nun  kurtzlich,  wie  sie  sollen  lehren.    Folgt  ein 

kurtzer  begreiff,  was  ßie  leren  sollen. 

Rechtschaffen  erkantnus  der  Sundt. 

20  Demnach  die  erbawung  cristligs  glaubens  im  predigen 
auff  zwey  Ding  gericht  ist,  nemlich  |  (fol.  35^)  auff  pusse  und 
Vergebung  der  ßunt,  Als  Cristus  luce  am  lesten*)  spricht: 
also  muste  Cristus  leyden  etc.  und  predigen  lassen  in  seynem 
namen  busse  und  Vergebung  der  ßunt  undir  allen  folckeren, 

26  sollen  die  prediger  dran  sein,  das  die  Zuhorer  erkennen,  das 
sie  warhafftiglich  vordamtt  seyn  nicht  allein  umb  die  groben 
eußerlichen  sunt,  welche,  wollt  gott,  von  Ihnen  also  gemiden 
werdt,  als  sie  die  leichtfertigs  urtheils  vordammen,  Sonndern 
auch  zum  allermeisten  der  Ursachen,  das  ßie  der  Innerligen 

30  des   hertzen  gerechticheit  mangeln,  und  got  nicht   preisen 

*)  Unterschied.  *)  plaudern.  •)  sunder,  Adverb,  in  der  Be- 

deutung:  Jedoch,  aber".    Vgl.  Schiller-Lübben,  Mittelniederdeutsche« 
Wörterbuch,  Bremen  1878,  Bd.  4,  S.  470.  *)  Lukas  24,  46—47. 


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—    13    — 

Ro.  3,  ^)  welche  des  hertzen  Gerechtigkeit  und  er  -)  Gotts  das 
gesetz  woll  foddert;  gibt  sie  dochnit.  Diesses  ist  die  predig 
des  gesetzs;  Das  ist  eyn  fleissig  außlegung  und  offenbar 
Handlung  der  Zehen  gebott,  Jhe  kurtzer  und  gewisser,  Je 
nutzer.  Viel  wort  füllen  den  sack  nicht  Ein  außlegung,  die  5 
klar  und  gemeinem  man  vorstendtlich  ist,  die  bauet  und  bessert 
Solch  predig  des  gesetzs  foddert  kreflPbiglich  Zur  busse. 

Keyn  hoffnung  in  unJJ. 

Ob  nun  durchs  gesetz  die  Bunde  woll  erkant  werden,  sein 
doch  darmitt  nicht  hinwegk  gehnomen.^)  Sollen  drumb  die  10 
Prediger  Ire  Zuhörer  lernen,  das  sie  durch  Ire  kreffte,  das  ist 
alle  mynschlige  Ire  vormugen,*)  von  ubirtrettung  |  (fol.  36*) 
des  gotlichen  gesetzs,  dar  mit  alle  wir  Gotte  vorhafft  sein, 
nicht  mugen  erlediget  werden  widder*)  durch  Ire  genugthun 
odir  wercke  wedder  durch  Creature,  sein  heymlisch  odiri5 
yrdisch/)  Sintemhal  wir  sein  gefallen  in  gots  gericht  und 
des  gesetzs  urtheill,  welchs  Christus  mit  dießen  worten  ap- 
spricht:  Thue  das,  so  wirstu  leben,')  ob  er  sprechen  sollt: 
Thustu  das  nicht,  so  wirstu  nicht  leben.  Niemants  abir  hats 
gethan,  noch  wirt  es  thun,  so  du  syhest,  wie  große  Reynig-20 
keit  des  Hertzen  das  gesetz  erfoddert  Dar  her  wir  auch 
Ingefallen  sein  durch  ubirtrettung  des  gesetzs,  das  ist  durch 
die  ßunde  (dan  wer  wirt  sich  eyns  reynen  Hertzen  rumen  ?)  % 
gefallen  seyn  wir,  Sprech  ich,  in  des  teuffels  gewalt,  welchen 
Cristus  nennet  eynen  fursten  diesser  weit.  ®)  Abir  Zum  wech-  25 
nemen^^)'des  erschregkenlinge  gericht  des  hogsten  Richters, 
durchs  welchs  uns  das  ubirtretten  gesetzt  verdammet,  zuent- 
fliehen der  gewalt  so  mechtigs  feinds,  des  teuffels,  was  seyn 
wir  fleisch  und  bluth,  mit  was  krefften,  wercken,  gerechtig- 


*)  Römer  3,  11  ff.             *)  Ehre.  ')  genommen.             *)  all  ihr 

Bienschliehes  Vermögen.              *)  weder.  •)  himmlisch  oder  irdisch. 

^  Lukas  10,  28.             »)  rühmen.             »)  An  den  drei  Stellen  Joh.  12,31. 
14,  30.    16, 11.           »0)  wegnehmen. 


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-     14    — 

keiten,  Ja  auch  Engeischen  Creaturen  mögen  wir  Avedder- 
stehen?  Unser  Heuchley  mag  sich  seyn  untirstehen,  schaffet 
abir  nichts.  Vorblenden  mag  |  (fol.  36^)  ßie  uns,  nicht  abir 
helffen.    Sonst,  wen  das  entrynnen  in  uns  gelegen  were,  was 

^bedarfften  wir  Christo? 

Werden  Avir  drumb  vortzweiffeln  ?  Warlich  unserthalben 
müssen  wir  vortzweifflen,  den  wer  mag  von  seyner  ßundt 
wegen  hoffen,  und  menschlige  rechticheit  ^)  tychten  mher  be- 
trieglichen  eyn  hoffnung,  dan  das  sie  JJie  leisten,  welchs,  das 

10 es  war-)  sey,  wirt  der  mhal  aus  die  erschregkung  Gottlichs 
gerichts  und  entsetzung  des  tods  ausweisen.  Dann  zu  der 
zeit  wirt  diesse  betriegliche  hoffnung  dir  eben  eyn  Hoffnung 
sein  als  dem  hungerien^)  eyn  essen  ist  malte  ^)  speissa 

Es  sey  dann  abir,  das  die  mensche  auff  diesse  weise  er- 

15  erkennen,  was  ßie  seyn  und  was  ßie  aus  Inen  selbs  vormugen, 
werde  nummer  im  gründe  wedder  lieben  noch  das  Evangelion 
Christi  annemen.  Hir  sollen  abir  die  selsorgers  mit  den  ge- 
wissen seuberlick  f hären,  die  sie  befindten  albereydt  er- 
schrogken  und  rechtschaffen  von  wegen  Irer  ßunt  und  erkant- 

20nus  Ires  irsals  vorschembt,  dann  denselbigen  ist  noth,  von 
ßunt  eynen  Kath  und  Artzney  des  Evangelii  bey  zu  br *^) 

Vorgebung  der  Sundt  und  Ewiges  leben  durch 
Jeßum  Cristum. 

Auff  die  vorige  vordammnus,  welche  das  ubirtretten  gesetz 
25trauwet,  •)  da  aller  trost  unsent  und  unser  kreffte  halben 
abegesclagen,  ^  da  die  hell  Iren  rächen  auffsperret,  |  (foL  37*) 
uns  zuvorsclinden,  ^)  trifft  eben  das  Evangelion,  das  ist  vor- 
kundigung,  das  die  ßunt  durch  Cristum  vorgeben  seyn,  und 
syhe  die  Hoffnung  mitten  in  der  Vortzweifflung,  syhe  das 


*)  Gerechtigkeit.            *)  wahr.            ')  Hungrigen.  *)  gemalte. 

*)  Mit  den  beiden  Buchstaben  br  bricht   die   Handschrift  hier  den  Satz 

Ab.     VieUeicht  ist  „bringen"  zu  lesen.              *)  drohet.  ')  unsert- 
halben .  .  .  abgeschlagen.           **j  verschlingen. 


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—    15    — 

Hymmellreich,  eben  da  du  bist  Zur  hell  vordampt.  Got  der 
Vater  erkent  diesse  Zwey  stucke,  nemlich  deyn  vordamnus 
und  das  du  durch  deyn  vormugen  nicht  magst  entrynnen. 
Drumb  da  er  sich  unser  erbarmt,  als  er  dann  von  ewigkeit 
her  vorordenet,  hat  er  seins  eynigen  Suns  nicht  vorschonet,  6 
sondern  vor  uns  allen  In^)  hingegeben.  Bey  den  Cristen  ist 
nymant,  wy  heyligs  und  erligs  lebens  er  Imer  ist  (dan  wir 
Ja  auch  in  weltliger  odir  bürgerlicher  fromigkeit  sollen  be- 
rumbt  sein,  welche  das  scharflF  recht  auch  von  uncristen  er- 
foddert)  nemant,  sprich  ich,  ist,  der  nicht  bekenne  diesse lO 
Worte:  Cristus  ist  vor  meyne-)  ßunt,*)  ob  du  nun  in  deynen 
und  der  weit  ogen,  wie  dir  dann  auch  gepurt,  woll  bist  eyn 
from  man,  eyn  erliche  frau,  ein  zuchtig  Jungfrau,  in  *)  bedarif '^j 
gesell,  Jdoch  bekennestu  mit  diessen  Worten  dich  den  aller 
grossisten  sunder  vonn  gots  gsicht.  Es  sey  dann  *)  du  von  16 
wegen  diesser  weit  lygen ')  Deyner  fromigkeit  In  gleichßnerie  ^) 
vorblendet  seyest,  da  du  schauest,  wie  gar  unschiglig®)  und 
streflflig  ander  lehut^^)  gegen  dich  leben.  Dann  deyn  ßunth 
muß  kurtz  die  aller  gröbst  und  großiste  seyn,  welche  zu  vor- 
telgen  ")  der  ejugeborn  ßhun  Gots  muste  sterben.^*)  Sonst 20 
in  ewigkeit  weriestu^^)  verloren,  wenn  du  gleich  zum  ansehen 
auflFs  aller  erligst  lebetest.  Hettystu^^j  auch  in  ander  wege 
dejTi  ßunt  mugen  hinwegthun,  was  theth  noth  so  schendtlich 
umbkomen  den  eyngeborn  ßun  Gotts?  Her  widderumb  dar 
mit  I  (fol.  37*>)  du  nicht  vortzweiffelst,  syhestu,^*^)  das  vor  25 
deine  ßunth  der  Allergrossiste  kostung  ^•j  ist  gegeben,  nem- 
lich der  eyngebomen  ßun  Gotts,  auff  das  du  nicht  zweyffelst, 
ßunder  aller  gewissesten  vortrauwens  glaubst,  vor  deynn  ßunt 

*)  ihn.    Vgl  Römer  8,  32.  *)  Die  Handschrift  hat  versehentlich 

„neyne".  »)  Ergänze:  dahingegeben.  *)  Verschrieben  ftlr  ^ein". 

*j  Das  Wort  ist  heutzutage  nur  noch  in  seiner  Gegenteilsform  gebräuchlich : 
unbedarft.  «)  Ausgelassen  ist  „daß".  'j  Lügen.  »)  Gleißuerei. 

•)  unschicklich.  ^^}  Leute.  ")  vertilgen.         *«)  Christi  Tod  ist  Er- 

kenntnisgnind  für  die  Größe  der  Sünde.  ")  wärest  du.  "}  hättest 

du.  **j  siehst  du.  **)  Bezahlung. 


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—    16    — 

sey  gnug  gethan,  ja  mher  dan  genug  than.  Dan  was  ist  der 
gantzen  weit  ßunde  gegen  den  gegebenen  leyb  und  vergossen 
bluth  des  ßuns  Gottis?  Durch  dießen  glauben  alleyn  wirstu 
bestehen  in  Versuchung  und  todte  gegen  die  ßunt.  Alles,  das 
5  du  ausserhalb  diesses  glaubens  dich  untemimpt,  es  sey  dein 
selbst  gedieht  odir  auch  von  andern,  wie  heilig  sey  Imer  sein 
auflfgenomen,  ist  eyttell  und  vorloren  Ding. 

Glaub. 

Solliche   der   Sunt  vorgebung  und  Ewigs    leben,  durch 

loJeßum  Crist  mag  auff  erdtboden  keyn  Ding  erlangen  noch 
behalten  ane  ^)  der  eyniger  Cristliger  glaub.  Cristliger  glaub 
abir  ist  das  vortrauwen  nur  In  gottis  barmhertzickeit  on 
eyniges  unser  oder  annderer  vordienst  umb  den  eynigen  unseren 
midtler  Jeßum  Crist,  der  uns  geschengkt  und  umb  unnsem 

15 willen  hingeben  ist.*)  In  welchem  vortrauen  wir  auch  den 
vatter  alhy  für  und  für  anruffen:  vorlas  uns  unse  schulde,  als 
wir  vorlassen  unseren  schuldigers.*) 

Alhir  ist  noth,  das  folck  zu  lernen,  das  diesser  glaub  sey 
eyn  erkantnus,  die  von  menschen  nicht  mag  begriflFen  noch 

20  behalten,  sondern  von  got  muß  gegeben  werden,  auff  das  man 
drauß  nicht  eyne  fleischlige  freyheit  und  mussig-  |  (fol.  38 «) 
gang  guetter  wercke  lehrne.  Dem  nach  der  glaub  das  fleisch 
und  seine  wercke  todtett,  und  der  geist  Imer  und  Imer 
streytet  gegen  ßundt,  teuffei  und  weit.    Vorauß  abir  soll  das 

25  folck  die  krafft  und  gebrauch  des  glaubens  eygentlich  vomemen.  *) 

Krafft  des  glaubens. 

Des  glaubens  krafft  ist,  uns  rechtfertigen  und  mit  eyner 
frembden,  nemlich  Cristus  gerechticheytt  anthun,  und  das  ist 
die  unaußsprechliche  Gottis  gab,  da  durch  er  uns  in  seynem 
30  angepornnen  ^)  erlost  von  sunth,  todt  und  teuffei  etc. 

')  ohne.  »)  Vgl.  Römer  4,  25.  «)  Matth.  6,  12.  *)  ver- 

nehmen,  hören.  ^)  eingeborenen  [Sohn]. 


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—    17    — 

Hirauß  folget  nun  gewißlig,  das  alle  unßer  vorhaben 
und  wercke,  so  Zu  unser  und  anderer  rechtfertigung  und  er- 
loßung  allenthalber  dorch  Orden,  Cermonien,  Gelübde,  Meß^ 
Walfahrte,  Ablas  und  dergleichen  erfundten,  vorhmert^)  und 
pis*)  anher  vorteydigt  sein  ane,*)  Ja  widder  gots  worth,  5 
sein  alle  unnutze  und  vorgeblich.  Dann  vortrauwen  in  die, 
ist,  Gottis  des  vaters  bannhertzigkeitt  und  das  blut  Jesu 
Cristi,  des  ßuns  gottis,  vorleucken.  *)  Hier  aber  ist  Inen  nodt 
eyner  Cristlichen  bescheydenheit  bey  den,  die  woll  das  Evan- 
gelien lernen,  Jdoch  noch  nicht  genugsam  vorsthehen  mögen,  10 
das  solchs  alles  nichts  sey.  Sollen  doch  alles  In  das  gemein 
angemrth,  darnach  zu  gelegener  Zeit  mit  mheren  wortten 
erklert  und  dem  volck  Ingebildet  werden.  Dan  eyn  getruwer 
haußhalter  wirt  dem  haußgesinde  Cristi  zu  gepurlicher  zeitt 
Ire  massen  weitzen  geben.*)  15 

I  (fol.  38^)  Gebrauch  des  glaubens. 

Des   glaubens  brauch  ist,   durch   die   lieb   den   anderen 
dienen  und  hinwidder  den  bruder  bekleyden  mit  unser  fromig- 
keit,  weißheit  und  allen  unsern  wolvormugen,  gleich  als  wir 
von  Cristo  auflFgenomen  sein,  und  mit  seynen  guedtem  be-  20 
kleydt  und  reich  gemacht. 

Hirauß  folget  nu,  das  der  guedten  wercke  nodt  ist,  als 
des  Eechtschaffen  glaubens,  der  tettigen*)  lebett.  Hir  muß 
abir  auffsehen  und  woll  gedacht  werden,  das  die  werck  des 
glaubens  sein,  nicht  des  Unglaubens,  noch  des  abirglaubens.  25 
Der  Liebe  wercke  abir  sein  uns  von  got  gebotten,  die  der 
heilig  geist  in  uns  ungeheißen  vorbringeth. 

Untir  den  wercken  abir  sein   die  Ersten,  der  obirkeitt 
und  gewalt  in  allen  Dingen  negst  Gott  untirthan  sein,  den 
frydt  fodderen,  fursten  ehren  und  Groß  achten,  Bitten  vor  30 
alle  policei  und  sorgfeltig  sein,  welcher  gestalt  wir  Inen  mugen 


*)  vermehrt.  *)  bis.  *)  ohne.  *)  verleugn^en.  *)  Vgl. 

Lukas  12,  42.  «)  tätig  (Adverb). 

ückeley,  Urbanus  Rhegius.  2 


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nutzen  und  fromen.  Nebist  den  sein  [den]  Eiteren  gehorsam 
leysten,  das  haußgeßinde  mit  Gotts  wort  und  leiblichen  brotb 
Vorsorgen  und  ebmeren,  ^)  und  der  gestalt  in  beyderleyg  re- 
gerung*)  leybs  und  geists  Ihnen  dienen. 

6  Hir  muß  mit  lernen  getrieben  sein,  was  nach  seinem 
stanth  eyn  iglicher,  der  predig  horeth,  Zu  thun  schuldig,  was 
alte  menner  und  weyber,  was  Jungling  beyder  kunne,')  was 
kinder,  was  eiteren,  was  knechte  und  mägde,  was  hern  und 
frouwen  etc.  vorpflicht  sein,  wie  paulus  und  petrus  |  (fol.  39 ») 

10  davon  pflegen  zuermanen.  Die  Epistell  to  Tito  gedenckt  gar 
nha  der  alle.  Eynen  igligen  ist  wercks  genug  und  abir  genug 
vom  hern  befolen,  das  es  keyn  stat  noch  Zeit  hat,  mit  abir- 
glaubigen  wercken  sich  bekmnem.  Ich  weis,  spricht  Cristus, 
das  sein  (des  vaters)  gebott  ist  das  ewige  leben  Johann.  12.  *) 

15  Was  der  vatter  nicht  befolen  hat,  mag  woU  abirglaub  und 
strick  der  gewissen  seyn,  das  ewig  leben  mags  abir  nicht 
seyn.  Was  nicht  aus  dem  glauben  gehet,  das  ist  Sunt.  *)  Das 
geheth  abir  aus  dem  glauben  nicht,  das  man  sich  an^)  Grots 
wort  und  geheis  untirnympt.    Nun  ists  doch  das  aller  Jamer- 

201igst,  in  dem  stannth  leben,  den  du  mit  gots  worth  und  dem 
glauben  Cristi  vor  got  nicht  kanst  vorteydigen. 

Damach  gepurt  auch  Eynem  Cristen,  seinen  nachpauwm ') 
und  Negesten®)  dienen,  untir  welchen  die  dyner  des  worts 
sollen  als  die  vomemisten  geacht  werden,  das  Inen  Ire  not- 

25torfft  und  erlige  underhaltung  gepurlichen  vorschaflft  und  sie 
geeret  werden,  als  der  heilig  paulus  lerhnet.  **) 

Vor  allen  Dingen  abir  sollen  sie  das  folck  lernen,  vor 
alle  stende,  als  berurt,  stetiglich  und  fleissig  bitten,  weill 
kuntt  ist,  das  got  solchs  abirall  gebeut,  reychlich  die  erhorung 

SOvorheysset  und  hats  vor  das  aller  angenemst.  Die  abirglaubige 
achten  viell  waschen  vor  eyn  beth,^®)  wie  die  heyden.    Der 

^)  ernähren.  *)  Eegienmg.  ')  kunne  =  Geschlecht.  G  r  i  m  m  a.  a.  0., 
Bd.  5,  S.  2665  (Bedeutung  f.).  Schiller  und  Lttbben,  a.  a.  0.,  Bd.  2, 
S.  597.  *)  Job.  12,  50.  »)  Rom.  14,  23  b.  «)  ohne.  ')  Nachbarn. 
*)  Nächsten.  »)  Vgl.  1.  Tim.  5,  17  und  1.  Kor.  9, 11  ff.  »<>)  Gebet. 


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glaub  abir  ergreuffet  sein  glaubig  gebeth  vor  gottis  angesicht, 
wilch  er  allein  erhortt.  |  (fol.  39^)  Nach  den  wercken  sollen 
fiie  auch  predigen  vom  Creutz  und  vom  starcken  gemoth^) 
gegen  die  widerwertige  und  alle  fiendt,  *)  dar  mit  ßie  wiessen, 
allen  Unfall  zu  vortragen,  nicht  räche  suchen,  sondern  vor  die  5 
bösen  bitten.  Durch  solliche  des  glauben»  ubung  wirt  er- 
langt die  Sicherheit  unser  hoffnung,  glaubens  nnd  berufs.  Ro.  5.  •) 

Sacrament 
Dem  nach  dan   der  barmhertziger  Got    zu   sterckunge 
und  trost  unser  gewissen  im  Creutzt  neben  dem  wortt  auch  10 
eusserleyche  Zeichen  hat  gegeben,  dar  durch  wir  seiner  guthe 
gunste,  auch  unser  freyheitt  und  gepur  sollen  ermanet  werden, 
welch  da  sein  die  sacrament,  sollen  sie  dar  von  also  lernen,  das 
sie  gegeben   und  entpfangen  sollen  werden  nach  Insetzung 
unsers  Hern  Cristi,  welchs  Insatzung  wen  nicht  were,  hetteni6 
wir  kein  Sacrament.    Ime  gepurt  vorzuschreiben,  uns  abir  zu 
folgen.    Sollen  drumb  vom  tauff  predigen,  als  sie  eynen  untir- 
richt  zu  lernen  haben  auß  heyliger  geschriflft  in  hem  Jo- 
hannes Bngenhagen  Pomern  Brunswischer  ordenung,*)   der 
selben  weise  auch  vom  brauch  des  Sacraments  des  leibs  und  20 
hluts  Cristi,  wie  das  auch  eyn  lehr  auß  Insatzung  unsers  hem 
Cristi  In  bemelter  ordenung  begriffen,  dar  mitt  das  folck  lerne 
efftmals  und  wirdiglig  gotlichs  tyschs  messen.  *)    Welche  aber 
das  Sacramenth  nach  der  ordenung  Cristi  noch  |  (fol.  40*)  nicht 
mögen  empfangen,  die  ßich  nicht  wider  setzen  auß  törichter  26 
vormessenheit,  als  Jenne,  die  die  gewonheit  großer  achten 
dann  Cristum,  sonndern*)  aus  unwissennheit  alse  schwage') 
Junger  Cristi,  die  sollen  sich  des  Sacraments  enthalten,  pis 
das  ßie  lernen,  Cristus  gebott  und  ordenung  allen  menschligen 

»)  Gemüt,  starker  Sinn.  «)  Feinde.  »)  Römer  5,  3-5. 

*)  Vom  Jahre  1528,  abg^edrnckt  bei  Richter,  Die  evangelischen  Eirchen- 
ordnongen  des  sechzehnten  Jahrhunderts.  Weimar  1846.  Bd.  1,  S.  106 
bis  120.  *)  VieUeicht  liegt  ein  Schreiberversehen  vor  und  ist  zu  lesen : 

«ssen.  •)  Vgl.  S.  12,  Anm.  3.  "^  schwache. 

2* 


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geboten  und  gewonheiten  vorsetzen.  Es  wirt  Ja  nicht  schwer 
sein,  solchs  lernen  und  glauben.  Allein  die  torychte  ^)  vor- 
messenheytt  streicht  Irem  gotloßen  weßen  eyne  färb  an. 

Von  der  meß  abir,  wie  ßie  ist  eyn  soe  greulich  mißbrauch 
ödes  Sacraments  widder  dye  hellen  Insatzung  unnsers  hem, 
sollen  sie  als  dan  mher  und  vollkomliger  predigen,  wenner 
das  folck  durchs  worth  zuvor  woU  untirrichtet  ist,  wie  man 
wirdiglich  zu  des  hem  tisch  gehe  und  welch  der  rechtschaffen 
gebrauch  des  Sacramentes  sey  nach  der  Insatzung  Cristi  und 

10  Apostelscher  lehr.  Alß  dann  fundstu  eynen  seher,  gemeinen 
man  vorstendtligen  untirricht  gegen  den  gothloßen  mißbrauch 
des  Sacraments  in  berurter  Brunßwigscher  Ordnung.  Abir  in 
dießem  allen  soll  auff  zeytt  und  gelegenheit  der  Zuhörer  des 
Evangelii,  wie  obangetzeit,  getreuwlichen  gemerckt  werden. 

16  Dan  was  haben  wir  mit  den  unsaligen  zu  schaffen,  die  nummer 
Junger,  ßundem  ewige  vorechter  des  Evangelii  seyn  wollen? 

Ehestandt. 

I  (fol.  40^)  Als  dann  auch  der  heyligste  Ehestant  drub- 
sall  ^)  am  fleysch  hat  und  van  etligen  widder  gott  umbylche  *) 

20  wirt  wyder  fochten,  Jdoch  er  von  gott  erschaffen,  ingesetzt^ 
geheyliget  und  denen,  die  nit  sonderliche  gab  empfangen, 
beyde  am  leyb  und  geist  heylig  zu  seyn,  gebotten,  sollen  sie 
darvon,  als  heyligen  predigem  gepurt,  mit  Zucht,  ane  schaut- 
bar  wort  bescheydenlich  predigen.    In  unerklerten  abir  und 

26  Zweiffenlichen  *)  feilen,  auch  da  man  ßich  der  ergemus  be- 
sorgte, sollen  ßie  nichts  handelen  noch  schaffen  ohn  radth  des 
Superattendenten. 

Ceremonien. 

Zu  letzt,  weill   dye   Cristliche   samplung  mit  psalmen, 
SOgeystlichen  geßengen*)  und  deren  gleichen  Ceremonien  umb- 

^)  törichte.  *)  Trübsal.  »)  unbillig.  *)  zweifelhafteu 

Fällen.  ^)  Gesängen. 


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gehet,  sollen  die  prediger  darvon  lernen  udir  auch  In  gehen 
«rmanen,  das  öffentlich  bey  Cristen  nicht  soll  geßungen  noch 
geleßen  werden,  das  nicht  auß  der  heyligen  schrifft  ist,  wie 
das  die  Alten  auffs  fleissigst  gehalten.  Müssen  darumb  diö 
Suffragien  odir  vorbitt,  anruffung  nnd  was  sich  auff  vordienst  6 
der  heyligen  zeucht,  entzelen^)  abegethan  werden,  dan  man 
soll  gott  alleine  anruffen,  und  Cristus  Allein  im  hymmell  im 
aller  heyligsten  in  des  vaters  angesicht  (als  die  Episteil  zun 
Hebreem  meldet)*)  ist  eyn  Diener,  das  ist  eyn  vorbydder 
Zwuschen  got  und  menschen,  durch  welchs  vordienst  allein  10 
wir  erhortt  und  zalig  werden. 

Dusses  alles  werden  ßie  aus  heyliger  schrifft,  gutten  ge- 
wiessen bescheydt  finden  in  hern  Johan  |  (fol.  41*)  Bugen- 
hagen hamburgischer  ordenung.^) 

Allermeist  aber  sollen  ßie  abethun  unergrunde  historiel5 
und  lugerlige  *)  menschen  gedieht,  auch  die  unfruchtbare  auff- 
satzung,  dar  mit  man  alletzeit  in  gotts  wortt  und  reiner 
heyligen  geschriffit  umbgehe.  Ire  Ampt  ist,  das  folck  hirinne 
zu  ßeiner  zeit  lautter  untirrichten.  Den  Zuhörers  gepurt  zu 
folgen  und  Zu  thun.  Als  sie  gelemeth  werden,  ßo  viell  gott  20 
gnad  vorleyhet.  Es  ist  eyn  schände,  das  Cristen  nicht  wiessen, 
das  in  der  kirchen  nichts  anders  soll  geprediget  noch  geßungen 
werden,  dan  gots  wort.  Wiessen  wir  nicht,  das  alle  kirchen- 
dienste,  so  von  menschen,  als  weren  sie  gotlich,  erfunden  und 
nicht  dorch  got  gebotten,  von  Cristo  mitt  diessen  wortten  vor-  2ö 
dampt  worden:  Vorgeblich  dienen  ßie  mir,  dweill  ßie  lerhen 
solliche  lehr,  die  nichts  denn  menschen  gebott  sein,  und  in 
Esaia,  darher  Cristus  diesse  wortt  genamen,*^)  drauwet*)  Got 
denen,  die  Ihn  also  ehren,  erschrogkenliche  vorblendung  etc. 
Das  ander  alle,  das  aus  heyliger  schrifft  ist  und  nicht  auffao 


')  einzeln.  «)  Vgl.  Hebr.  9,  12.  »)  Vom  Jahre  1529.    Ab- 

gedruckt bei  Eicht  er,  a.  a.  0.,  Bd.  I,  S.  127—134.  Auch  als  Einzeldruck 
herausgegeben  von  Carl  Bertheau,  Hamburg  1885.  —  Vgl  Einleitung 
S.  8  und  9,  und  Hering,  Joh.  Bugenhagen,  1888,  S.  69  und  76.  *)  lügen- 
hafte. *)  Jesaias  29, 13  und  Matth.  15,  9.  «)  drohet. 


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eynen  abegelegen  frembden  syn^)  werdt  vorweldigt,  *)  sollen 
£ie  Inen  Zu  lassen  und  gedachter  gestalth  mit  Inn  ^)  handelen, 
das  Jüe  Ire  freyheytt  lehrnen,  nicht  des  fleisches  sondern,  die 
£ie  in  Cristo  haben,  in  wuchern  Crist  und  seynnem  todth  £ie 
6  getauft  sein,0  dar  mitt  ßie  zu  letzt  wießen,  das  ausserhalb 
Cristo  keyn  andre  gerechticheyt  ist^  In  dem  auch  leben  und 
sterben.    Amen. 


4.  Es  liegt  in  der  Natui*  der  Sache,  daß  Ehegius,  der  Landes* 
Superintendent,  von  dieser  Predigerinstruktion  seines  Herzogs 
Kenntnis  gehabt  hat.  Es  wäre  wunderbar,  wenn  gerade  ihm 
der  Wortlaut  einer  Anweisung  unbekannt  geblieben  sein  sollte, 
die  sich  im  allgemeinen  an  die  evangelischen  Prediger  des 
Landes  gewandt  hatte,  und  die  einen  Gegenstand  behandelte, 
der,  wie  das  die  Ausarbeitung  seiner  Formulae  caute  loquendi 
beweist,  ihm  aufe  höchste  am  Herzen  lag.  Werden  wir  aber 
nach  Lage  der  Dinge  bei  ihm  Kenntnis  der  herzoglichen  An- 
weisung annehmen  dürfen,  so  auch  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  Abhängigkeit  von  ihr,  so  daß  man  den  „KurzenBe- 
griff"  Herzog  Ernsts  als  die  Vorlage  ftirRhegius* 
Werk  bezeichnen  kann. 

Diese,  aus  den  äußeren  Umständen  sich  ergebende  Ver- 
mutung glaube  ich  nun  durch  einige  Einzelbeobachtungen  be- 
kräftigen und  als  zutreffend  erweisen  zu  können. 

Die  Methode,  die  Bhegius  wählte,  nach  einer  ausführ- 
lichen Einleitung  eine  Reihe  von  Einzelpunkten  durchzu- 
sprechen, ist  genau  die  von  Herzog  Ernst  eingeschlagene. 
In  der  Anlage  entsprechen  sich  also  die  beiden  Schriften 
völlig.  Beidemal  wird  der  Ausgang  von  dem  Lehrstück  der 
Buße  genommen.  Bemerkenswert  ist  es,  daß  der  Herzog  in 
der  Entwickelung  des  Gedankens  der  bußfertigen  Sünden- 
erkenntnis von  dem  Bibelwort  Lukas  24, 46—47  ausgeht,  und 


Sinn.         *)  vergewaltigt.         *)  mit  ihnen.         *)  Vgl  Römer  6, 3. 


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diese  Stelle  in  demselben  Gedankenzusammenhang  nnd  mit 
denselben  Folgerungen  bei  Rhegius  Verwendung  findet.  Das 
Bfld  des  Evangeliums  als  einer  Gewissensarzenei  findet  sich 
angedeutet  in  der  Predigerinstruktion  Emsts;  ausffthrlich  ver- 
wendet es  Rhegius  in  seinem  Kapitel  von  der  Buße.  Der 
Herzog  weist  darauf  hin,  daß  die  Sünde  nicht  kann  hinweg- 
genommen  werden  „weder  durch  Kreaturen,  sie  seien  himm- 
lisch oder  irdisch";  demselben  Gedanken  begegnet  man  in 
ausgeführter  Form  im  zweiten  Kapitel  des  Rhegius.  Achtet 
man  auf  die  beiderseitigen  Stellen,  die  von  den  Fehlem 
handeln,  welche  die  derzeitigen  evangelischen  Prediger  be- 
gehen, so  liest  man  das  eine  Mal :  „Sie  laufen  immer  daneben 
und  aus  der  Bahn",  nnd  bei  dem  andern:  „Also  fahren  sie  zn 
beiden  Seiten  den  Holzweg  aus,  können  auf  der  rechten  Mittel- 
straße nicht  bleiben."  Hier  scheint  mir  unabstreitbar  ein 
wörtlicher  Anklang  vorzuliegen.  Ich  weise  noch  auf  den  in 
beiden  Schriften  vorkommenden  geringschätzigen  Ausdruck 
„waschen"  für  wortreiches,  aber  unüberlegtes  Gerede  hin,  und 
glaube  mit  allen  diesem  genug  Material  beigebracht  zu  haben, 
um  die  oben  ausgesprochene  Vermutung  aufrecht  erbalten  und 
als  bewiesen  ansehen  zu  können. 

5.  Rhegius  hat  sein  Buch  so  disponiert,  daß  er  der  Reihe 
nach  behandelt  hat:  Buße,  Glaube,  Messe,  Gesetz,  Freier  Wille, 
Göttliche  Vorsehung,  Christliche  Freiheit,  Obrigkeit,  Wie  alle 
von  Gtott  gelehret  werden,  Genugtuung,  Jungfraustand,  Beichte, 
Menschensatzung,  Fasten,  Beten,  Anrufung  der  Heiligen,  Bilder, 
Begräbnis.  Die  einzelnen  Abschnitte  stehen  selbständig  und 
unvermittelt  nebeneinander;  Überleitungen  von  einem  zum 
andern  finden  sich  nicht. 

Eine  Eigentümlichkeit  der  lateinischen  Ausgabe  ist  es, 
daß  sich  oft  am  Schluß  der  Abschnitte,  oder  gelegentlich 
auch  mitten  inne  eine,  durch  vel  sie  brevius  eingeleitete  Zu- 
sammenfassung in  kurze,  markige  Sätze  findet,  die  dann  in- 
mitten des  lateinischen  Textes  in  hochdeutscher  Sprache  ge- 
geben ist    Die  Zusammenfassungen  sollten  offenbar  in  dieser 


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Sprachform  sich  fester  dem  Gedächtnis  des  lesenden  Predigers 
einprägen,  auch  ihm  zur  Verwendung  auf  der  Kanzel  sich  un- 
mittelbar brauchbar  darbieten.  In  der  deutschen  Ausgabe 
heben  sich  diese  Abschnitte  natürlich  vom  Kontext  nicht 
heraus ;  deshalb  ist  ihre  ausdrückliche  Abzeichnung  in  unserm 
Abdruck  als  unwesentlich  unterblieben. 

Ein  eigentümliches  Schicksal  hat  das  16.  Kapitel:  „Von 
Anrufung  der  Heiligen"  gehabt.  Man  nahm  an  einem  Teile 
seiner  Ausführungen  Anstoß  und  schied  ihn  in  den  späteren 
Drucken  aus.  (Bedeutsam  ist  diese  Ausscheidung  besonders  in 
den  dem  Corpus  Wilhelminum  und  dem  Corpus  Julium  bei- 
gegebenen Abdrucken.)  Es  ist  das  der  hinter  den  Worten: 
„Derselben  Gedächtnis  ist  allezeit  in  der  Christenheit  ehrlich 
gehalten  worden"  ansetzende  Abschnitt,  der  Zitate  aus  Luther 
und  einer  Reihe  von  Kirchenvätern  enthält,  die  sich  auf  das 
Verhalten  des  Christen  zu  den  Entschlafenen  beziehen,  und 
der  bis  zu  der  Anführung  Augustins  de  disciplina  christiana  II 
reicht.  Die  so  „gereinigten"  Textausgaben  fahren  demnach 
hinter  obigem  Satze  fort:  „Siehe,  also  ehren  wir  die  heiligen 
Märtyrer  .  .  ."  Um  die  Auslassung  unverdächtig  erscheinen 
zu  lassen,  hat  man  (ohne  wörtlichen  Abdruck)  die  SteUen- 
angabe  eines  der  Zitate,  nämlich  Augustinus  contra  Faustum 
Manichaeum  lib.  20  cap.  21,  stehen  lassen,  ohne  es  jedoch 
zu  erreichen,  daß  diese  Auslassung  nicht  schon  frühzeitig 
wahrgenommen  und  z.  B.  handschriftlich  auf  dem  Titelblatt 
der  Exemplare  vermerkt  wurde. 

6.  Für  ein  bestimmtes  Gebiet  scheint  mir  die  Schrift  des 
Rhegius  in  besonderem  Maße  Beachtung  zu  verdienen,  näm- 
lich für  das  wichtige  Gebiet  der  Erforschung  der  religiösen 
Vorstellungswelt  unseres  Volkes  d.  h.  des  „kleinen  Mannes" 
im  Reformationszeitalter,  Daß  hierfür  gerade  in  der  erhaltenen 
Predigtliteratur  und  in  allem,  was  damit  zusammenhängt, 
eine  inhaltreiche  Fundgi'ube  vorhanden  ist,  scheint  zui'zeit 
viel  zu  wenig  beachtet  zu  werden.  Wie  der  „kleine  Mann" 
die  evangelischen  Predigten,  die  er  holte,  auffaßte,  und  welche 


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Gedankenentgleisungen  ihm  besonders  leicht  dabei  vorkamen, 
und  wie  das  Volk  sich  den  kirchlichen  Lehrinhalt  praktisch 
znrecht  zu  legen  liebte,  kann  man  aufs  sicherste  und  zu- 
treffendste aus  der  vorliegenden  Schrift  des  Rhegius  ent- 
nehmen. Gerade,  da£  uns  aus  ihr  ein  Bild  der  damaligen 
„Durchschnittspredigt"  entgegentritt,  und  nicht  sonderlicher 
homiletischer  Musterleistungen,  macht  sie  uns  als  Geschichts- 
quelle in  hohem  Grade  wertvoll. 

Endlich  wird  —  mutatis  mutandis  —  Rhegius  auch  den 
modernen  Homileten  Wichtiges  zu  sagen  oder  wieder  in  die 
Erinnerung  zu  rufen  haben.  Er  hat  richtig  erkannt  und  in 
den  Formen  seiner  Zeit  es  ausgedrückt,  daß  die  Predigt  vor- 
sichtig einhergehen  müsse  und  das  „Bauen",  nicht  das  „Zer- 
brechen" als  ihre  Aufgabe  zu  erkennen  habe.  Frömmigkeit 
soll  sie  erwecken,  hegen  und  fördern,  nicht  aber  theologische 
Gegensätze,  vor  allem  nicht  in  einer,  den  Laien  mißverständ- 
lichen Schulsprache,  auf  die  Kanzel  bringen.  Stets  soll  sie 
den  Blick  auf  das  Ganze  der  christlichen  Weltanschauung 
gerichtet  halten  und  das  Einzelne,  was  sie  gerade  darzustellen 
hat,  vom  Ganzen  aus  beleuchtet  sein  lassen.  Nur  so  erscheint 
jedes,  was  sie  darzustellen  unternimmt,  in  seiner  rechten  Be- 
deutung und  bekommt  die  ihm  gebührende  Stellung,  nicht  zu 
hoch  und  nicht  zu  tief;  nur  so  wird  die  Predigt  der  Gefahr 
entgehen,  sich  in  unerquickliche,  „unerbauende"  Einseitigkeiten 
d.  h.  in  unevangelische  Art  zu  verirren. 


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Die  dankenswerten  Bemühungen  des  „Ausknnftsbnreaas  der 
deutschen  Bibliotheken  zu  Berlin"  haben  mich  in  den  Stand  ge- 
setzt, folgende  Bibliotheken  als  Besitzer  des  lateinischen  Druckes  von 
1535  angeben  zu  können:  KgL  Bibl.  Berlin,  Kaiser  Wilhelm-BibL  Posen, 
Univ.-Bibl.  Tübingen,  Kiel  und  Königsberg,  Herzogliche  BibL  Gotha,  KgL 
Landesbibl.  Stuttgart,  Stadtbibl.  Hamburg  und  Hannover,  Bibl.  des  Kgl. 
Domgymnasiums  in  Halberstadt,  BibL  des  Geistlichen  Ministeriums  in  Greifs- 
wald. —  Der  erste  deutsche  Druck  von  1536  befindet  sich  in  der  Univ.- 
Bibl.  Kiel,  KgL  BibL  Dresden,  Herzoglichen  BibL  Wolfenbttttd,  ßtadtbibL 
Lübeck  und  Nürnberg. 


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Wie  man  fursichtiglich  und  on  ergemis  reden  sol 

von  den  fomemesten  Artikeln  Christlicher   lere. 

Fnr  die  jungen  einfeltigen  prediger. 

D.  Urbani  Regü. 

1536. 


Der  Titel  der  lat.  Ausgabe  lantet:  Formolae  quaedam  cante 
et  dtia  scandalnm  loqnendi  de  praedpois  Christianae  doctrinae  locis  pro 
nmioribiiB  Verbi  Ministris  in  Dncatu  Limebnrgensi.    ürbano  Eheg.  Ant. 

1.  Cor.  10. 
Tales  estote,  et  nnllnm  praebeatis  offendicnlam 
Ecdesiae  Dei. 
Auf  der  Schlnfiseite:  Vitebergae  apnd  Johannem  Lnfft. 

1535. 


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Ab  die  Jnngen  prediger  des  Eyangelii  im  Fnrstenthnm 

Lfinebnrg. 

D.  Urbani  Regii 

Vorrede. 

Wie  wol  nicht  allein  *)  ein  Christen,  sondern  ein  iglicher 
vemnnflFtiger  mensch  sol  mit  grossem  vleis  war  nemen  und 
acht  haben,  was  er  redet,  das  es  nicht  ehe  aus  dem  munde, 
denn  aus  dem  hertzen  gehe,  und  nichts  reden,  das  er  nicht 
zuvor  bedacht  habe,  noch  on  alle  Ordnung  daher  wasche,  was  6 
im  einfeilet,  doch  sollen  viel  mehr  die  prediger  des  Evangelii, 
was  sie  für  der  gantzen  Christlichen  Gemeine  reden  wollen, 
zuvor  mit  allem  vleis  betrachten  und  auffs  ordentlichste  aus 
reden,  damit  sie  dem  einfeltigen  und  unverstendigen  kein 
ergemis  geben.  10 

l)enn  es  ist  (wie  die  gantze  Schrift  zeugt)  gar  ein  schwer 
ampt,  voller  sorgen  und  fahr,  öffentlich  reden  und  leren  inn 
der  Kirchen  oder  Gemeine  Gottes,  darin  on  zweivel  Gottes 
kinder  sitzen  und  zu  hören,  welchen  die  lieben  Engel  dienen, 
und  Gott  selbs  als  inn  seinem  Tabernakel  alda  gegenwertig  16 
ist,  und  allenthalben  auffschauet  sampt  seinen  Engeln,  und 
Gottes  wort  von  allen  creaturen  mit  grosser  ehrbiet ung  ge- 

')  Text.  Iftt.  hat  die  Fonn  der  Steigerang  des  Gedankens:  Etsi  in 
omni  sermone  viro  pmdenti,  nedum  Christiano,  stunma  cnra  cavendom 
est 


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—    30    — 

höret  wird.  Denn  also  helt  der  Christliche  glaube,  das  alle 
ding  Gottes  wort  (dadurch  sie  geschaffen  sind)  ehren  und  für 
äugen  haben,  on  allein  der  mensch  und  der  Teuffei,  welche 
durch  greuliche  undanckbarkeit  die  obren  dagegen  zustopffen 

6  und  nichts  davon  hören  wollen. 

Drumb  hat  auch  S.  Hieronimus  recht  und  wol  gesagt:  Es 
hat  gar  grosse  fahr,  inn  der  Christlichen  kirchen  reden  oder 
predigen,  das  nicht  etwo  durch  falsche  auslegung  aus  dem 
Evangelio  Christi  werde  ein  Menschlich  Evangelium  oder,  das 

10  noch  erger  ist,  des  Teuffels  Evangdium. 

Das  wil  auch  der  Heilig  apostel  S.  Paulus  mit  so  ernst- 
lichen vermanungen  als  1.  Cor.  14.  Wenn  ir  zu  samen  kompt^ 
so  lassets  alles  zur  besserung  geschehen.*)  Und  Coloss.  4: 
Euer  rede  sey  alle  zeit  lieblich  und  mit  saltz  gewürtzet.  *) 

16  Item  2.  Timoth.  2:  Befleisse  dich  selbs,  Gotte  zu  erzeigen 
einen  rechtschaffen  unstrefflichen  Erbeiter,  der  das  wort  der 
warheit  recht  teüe.  *)  Denn  hie  wil  S.  Paulus  nichts  anders 
leren,  denn  das  man  bedechtiglich  und  mit  grossen  sorgen  und 
vleis  das  erschreckliche  geheimnis  des  worts  Gottes  handeln 

20sol,  oder  wie  S.  Ambrosius  sagt,  das  man  zu  rechter  stet  und 
zeit  und  mit  bescheidenheit  von  dem  glauben  rede.  Denn 
wo  durch  unsern  unvleis  die  lere  unsers  glaubens  nicht  lauter 
und  rein  gehandelt,  oder  nicht  gantz  und  völlig  dem  volk  für 
getragen  und  nicht  recht  geteilet  wird,  so  werden  wir  gar 

25  schwere  straff  dafür  leiden  müssen  an  jenem  tage  des  Herrn, 
wenn  wir  rechenschafft  geben  sollen  von  unser  haushaltunge 
für  dem  Richtstuel  Gottes. 

Derhalben,  auff  das  die  jungen  prediger  und  so  noch  nicht 
gnug  inn  der  Schrifft  geübt  sind,  deste  leichter  sich  hüten 

30  mögen,  das  sie  inn  der  lere  niemand  ergernis  geben,  wil  ich 
hiemit  eine  kurtze  form  und  weise  stellen,  wie  man 
fursichtiglich  reden  sol  von  den  furnemesten  Ar- 
tikeln der  Christlichen  lere,  welche  ich  auch  selbs 


')  1.  Kor.  14,  26  (gekürzt).  «)  Kol.  4,  6.  «)  2.  Timoth.  2,  .15. 


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—    31    — 

im  predigen  halte,  weil  ich  nu  viel  jar,  mit  grosser  be- 
schwerong,  an  vielen  orten  ^)  gesehen  und  gehört  habe,  wie 
die  einfeltigen  oflEt  schwerlich  sind  geergert  worden  durch  un- 
geschickte, unordenliche,  grobe  und  unbesonnen  predigten 
etlicher  unffirsichtigen,  unzeitigen  Elüglinge,  die  sich  selbs  5 
für  gelert  halten,  und  nicht  achten,  was  oder  wie  oder  ftar 
welchen  sie  reden. 

Ich  mus  aber  etliche  solcher  ungeschickter,  ergerlicher 
rede  zum  Exempel  setzen,  damit  man  sehe,  wie  durch  die 
selben  der  einfeltigen  sinn  verruckt  und  viel  vom  EvangeliolO 
abgeschreckt  werden. 

Etliche  sagen  gar  selten  etwas  von  der  busse,  wenn 
sie  reden  vom  glauben  und  Vergebung  der  sunde,  gleich  als 
fcondten  die,  so  nicht  busse  thun,  dem  Evangelio  gleuben  und 
Vergebung  der  sunde  empfahen,  so  doch  das  Evangelien  beides  15 
zu  gleich  innhellt,  als  inn  einer  summa,  nemlich  busse  und 
Vergebung  der  sunden,  wie  Luce  ultimo  stehet:  Also  ists  ge- 
schrieben, und  also  muste  Christus  leiden  und  aufiferstehen  von 
den  todt^  und  predigen  lassen  inn  seinem  namen  Busse  und 
Vergebung  der  sunde  unter  allen  völckem  etc.^)  Da  sihestu20 
die  Ordnung,  so  Christus  selbs  stellet,  das  man  sol  zum  ersten 
von  der  Busse  predigen,  darauff  sol  denn  folgen  die  predigt 
von  Vergebung  der  sunde. 

Etliche  treiben  wol  die  Busse  und  schrecken  die  leute 
feindlich  mit  dem  Gesetz,  können  sie  aber  nicht  wider  trösten  2fr 
mit  dem  Evangelio.  Solche  leren  nur  ein  stück  von  der  Busse 
und  verstümpeln  sie.  Das  ich  aus  eigener  erfarung  dafür 
halte,  wer  den  Artikel  von  der  Busse  nicht  recht  verstehet,  das 
der  der  Christenheit  so  nütz  ist,  als  ein  wolff  unter  den  schafen.  ^) 


»)  Text  lat.  hat  den  Zusatz:  Gennaniae.  *)  Lukas  24,  46—47. 

Text  lat.  zitiert  nnr  Y.  47 :  oportebat  predicari  in  nomine  Christi  poenitentiam 
et  remissionem  peccatornm.  incipiendo  a  Jerosolyma  nsqne  in  omnes  gentes. 
*)  Text.  lat.  faßt  das  Bild  etwas  anders:  .  .  .  pastorem,  qoi  locam  de 
poenitentia  ignorat,  tarn  ntilem  esse  ovili  Christi,  quam  utiiis  est  lupns 
caolis  oTiam. 


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—    32    — 

Widerumb  sind  etliche,  wenn  sie  das  volck  richtig  und 
klar  unterrichten  sollen  vom  glauben  und  guten  wercken,  so 
faren  sie  daher  mit  solchen  Worten:  Es  ist  nichts  mit  unsern 
wercken.    Sie  sollen  nichts.  0    Sie  stincken  für  Gott.    Er  wil 

6ir  nicht.  Sie  machen  eitel  gleißner.  Es  thuts  allein  der 
glaube.  Wenn  du  glaubst,  so  wirstu  from  und  selig.  Solchs 
reden  sie  so  stumpf  und  unbesonnen  dahin,  thun  gar  kein 
saltz  dazu,  damit  die  wort  erkleret  würden,  wie  sichs  gebürt. 
Darumb  ist  nicht  wunder,   das   die  einfeltigen   sich   daran 

10  ergern,  sonderlich  die,  so  zuvor  nicht  viel  das  Evangelion 
predigen  gehört  haben.  Denn  sie  meinen,  man  rede  also  vom 
glauben,  als  solten  die  werck  gar  verworffen  und  kein  nütz 
sein.  Darumb  dencken  sie  bald:  Solcher  prediger  mus  ein 
loser,  verzweivelter  Bube  sein,  als  der  gute  werck  verdamme, 

16  welche  doch  Christus  selbs  gethan  hat  und  von  uns  foddert, 
und  halten  also  unser  gantzen  lere  für  unchristlich  und  ver- 
furisch. 

Also  reden  auch  etliche  unfursichtiglich  von  der  Messe 
on  alle  erklerung,  so  inn  solchem  wichtigen  artikel  von  nöten 

20 ist;  plaudern  schlecht  also  daher:  Die  Messe  ist  ein  greuel 
für  Gott  Man  sol  und  mus  sie  fliehen  bei  verlierung  ewiger 
Seligkeit.  Die  pfaffen  creutzigen  Christum  noch  einmal  inn 
der  Messe.  Die  Messe  ist  kein  opffer  uberal.  Es  ist  des 
Bapst  lere   und  fündlin.     Bey  diesen  Worten  lassen  sie  es 

25  bleiben  und  stecken,  on  alle  weitere  erklerung. 

Wenn  nu  ein  einfeltiger  nicht  weiter  höret,  denn  diese 
wort,  so  allein  zubrechen  ^)  und  nicht  bauen,  was  kan  er  anders 
denken,  denn  das  alles,  was  inn  der  Messe  gehandelt  wird, 


*)  Das  absolute  „sollen"  ohne  weitere  Bestimmung,  doch  stets  nrft 
einer  Negation,  wird  in  dem  Sinne  von  „helfen,  nützen,  taugen,  wert  sein" 
gebraucht.  Dieser  Gebrauch  ist  freilich  auf  das  ältere  Neuhochdeutsch 
(16.  Jahrhundert)  beschränkt,  dort  jedoch  ungemein  häufig,  namentlich  im 
alemannischen  Sprachgebiete.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch,  Bd.  10, 
Abt.  1,  S. : 
destruunt. 


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—    33    — 

nichts  und  vergeblich  sey?  Daraus  denn  folget,  das  er  auch 
das  heilige  Abendmal  des  Herrn  verachtet  als  ein  unnötig 
Diug.  Zu  solcher  unchristlichen  Verachtung  geben  diese  un- 
geschickte, tolle  Prediger  Ursache,  die  nicht  wissen,  wie  man 
ßol  weit  unterscheiden  den  mißbrauch  von  dem  wesen,  sondern  5 
umb  des  misbrauchs  willen  auch  das  wesen,  so  an  im  selbs  gut 
ist,  hinweg  werffen  und  thun  gerade,  als  wenn  jemand  ein 
köstlich  eddelstein,  im  kot  gefunden,^)  wider  hinweg  würffe, 
als  were  es  kein  nütz  mehr,  umb  des  kots  willen,  so  daran 
klebte,  und  künde  nicht  solch  eddelstein  von  dem  kot  fegen  10 
und  rein  behalten. 

Darumb  seit  man  hierin  fursichtiglich  faren  und  des 
HERRN  Abendmal  wol  unterscheiden  von  dem  menschen- 
thand,*)  so  durch  der  papisten  aberglauben  und  geitz  daran 
geschmirt  ist,  damit  das  volck  klerlich  verneme,  das  wir  allein  15 
verdammen  den  zusatz,  durch  menschen  dran  gehengt  zu 
wider  dem  glauben,  und  nicht  die  Heilige  Messe  Christi  und 
der  Apostel,  welche  wir  nennen  das  Abendmal  des  Herrn  oder 
das  hochwirdig  Sacrament  des  Altars. 

Etliche,   wenn    sie   sollen    die   lere   S.  Pauli  von   dem 20 
Gesetz   Gottes    und    seinem    ampt   dem   volck   furlegen, 
leren  sie  unverschampt  also:  Die  zehn  gepot  sind  uns  nicht 
gegeben,   das  wir  sie   halten  sollen.     Brechen   flugs   hiemit 
abe  und  fallen  auff  ein  anders,  da  man  solte  wol  und  reich- 
lich aus  streichen,  wo  zu  das  Gesetz  gegeben  sey,  weil  es  25 
nicht  kan  den   sunder  from  und  gerecht  machen.    Wer  nu 
solchs  höret  und  S.  Paulum  nicht  wol  verstehet,   der  mus 
durch  solche  rede  geergert  werden.    Denn  er  fasset  so  bald 
solche  gedancken  daraus,  das  man  nicht  durffe  sich  üben  im 
ge«etz  und  guten  wercken  und  möge  hinfort  stelen,  ehebrechen  30 
und  morden  etc.    Denn  solche  woii;  höret  man  öifentlich  von 
etlichen,  die  solche  ungeschickte  prediger  gehört  haben. 

Vom  freyen  willen  plaudern  etliche  auch  grob  und 


*)  Im  Text  steht:  gefuden.  ^)  Text.  lat. :  inventiones. 

Uckeley,  Urbanos  Rheglus.  3 


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—    34    — 

ungeschickt  gnug  für  dem  pobel,  so  da  sagen:  Wir  haben 
keynen  freyen  willen  überall.  Was  wir  thun,  das  müssen  wir 
thun  etc.  Und  sagen  nichts  weiter  dazu,  das  man  solche 
rede  künde  leiden,  sondern  fladdern  davon  und  lassen  solche 

östefift  inn  der  einfeltigen  hertzen  stecken,')  das  sie  müssen 
dencken:  Ist  das  war,  das  ich  alles,  was  ich  thu,  aus  not 
thun  mus,  was  bin  ich  denn  besser  denn  ein  vihe  ?  Und  wie 
kan  ich  mich  für  sunden  hüten  ?  So  ich  sundigen  mus,  warumb 
straffet  mich  Gott?  etc.     Also    geben    solche   unfursichtige 

lOwescher*)  dem  pobel  ursach,  das  sie  halten,  Gott  sey  ein 
ursach  der  sunde,  welches  ist  eine  Gotteslesterung.  Denn 
Gott  ist  gar  nicht  ein  ursach  der  sunden,  sondern  hat  uns 
dagegen  seinen  willen  offenbart  im  gesetz,  das  er  die  sunde 
hasset,  weil  er  sie  so  ernstlich  und  strenge  verbeut  und  dazu 

15  straffet,  beide  zeitlich  und  ewiglich. 

pjben  desselben  gleichen  reden  etliche  auch  von  dem 
hohen  Artikel  der  Göttlichen  versehung  über  die  masse 
ungeschickt  und  ergerlich,  da  sie  selten  bey  den  worten  und 
lere  S.  Pauli  bleiben.    Denn  also  reden  sie  unterweilen :  Bistu 

20  von  Gott  zur  Seligkeit  versehen,  so  kanstu  nicht  verdampt 
werden,  du  thuest,  was  du  wollest,  böses  oder  guts.  Davon 
werden  die  zuhörer  entweder  gar  wild  und  ruchlos,  verachten 
allen  gehorsam,  oder  fallen  inn  verzweivelung  und  lestein  also : 
Was   wolt  ich  mich  viel  mit  fasten,  beten,  almosen  geben, 

25  meinem  nehesten  verzeihen  und  der  gleichen  guten  wercken 
beladen  und  martern?  Unser  pfarrher  spricht,  es  helffe  mich 
nichts.  Ich  wil  ein  gut  gesell  sein  und  nichts  sorgen.  Bin 
ich  versehen,  so  werde  ich  selig;  bin  ich  nicht  versehen,  so 
fare  ich  hin  mit  dem  grossen  hauffen.    Ich  thue  gleich,  was 

30  ich  wolle,  so  gilts  gleich  viel.  Also  mus  menschlich  vernunfft 
gewislich  alzeit  lestem,  wenn  sie  höret  einen  solchen  plauderer, 
der  so  mit  ungewaschenem  mund  und  so  unsaubem  Worten 
von  d^m  hohen  heiligen  geheimnis  der  versehung  geifert  und 

*)  Text.  lat. :  Hie  nihil  addunt,  quo  sermo  ille  mitigetur  et  relinqnunt 
aculeos  in  mentibns  rudium.  *)  Text,  lat.:  illi  imprudentes  homines. 


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—    35    — 

speyet*)  Nein,  Es  gilt  nicht  gleich  so -)  viel,  was  du  thuest; 
Denn  wir  wissen,  das  Christus  Matth.  25  spricht :  Kompt  her, 
ir  gebenedeyten  meines  Vaters,  besitzt  das  Eeich,  welchs 
euch  von  anbegin  der  weit  bereit  ist.  Mich  hat  gehungert 
und  ihr  habt  mir  zu  essen  geben  etc.*)  Hie  hörestu:  Wer  6 
guts  thut,  der  wird  selig;  wer  böses  thutund  darin  verharret, 
der  wird  verdampt. 

Solchs  geschihet  auch  inn  dem  Artikel  von  der  Christ- 
lichen freiheit,  welchen  die  ungeleiten  prediger  so  un- 
weislich  und  unchristlich  handien,  das  der  grobe  pobel  wenet,  lo 
die  Christen  seien  niemand  nichts  verpflicht  und  herren,  frey 
von  allen  geboten,  keiner  Oberkeit  gehorsam  schuldig.  Item, 
das  alle  weld,*)  ecker,  Weinberge,  see,  guter  und  gründe*^) 
und  alle  ding  iderman  gemein  sein  sollen.  Man  durffe  auch 
keine  zehenden  noch  zins  bezalen  etc.  Und  inn  summa,  dasiö 
ein  iglicher  frey  möge  thun,  was  in  gelüstet.  Aus  solchem 
Unverstand  dieses  Artikels  ist  erweckt  der  Baurn  auffrur 
im  1525.  jar,  darin  bis  inn  die  lOOtausent  man  inn  Schwaben, 
Francken,  Türingen,  Elsas  etc.  erschlagen  sind.^)  Ich  habe 
selbs  einen  Magister  von  Paris  gekennet,  der  einen  baurenao 
verteidingen  wolt  für  der  Eptisschin  zu  Lindau,  welcher  baur 
ir  armer  man  war  und  muste  ir  frönen.')  Ey,  gnedige  frau 
(sprach  er),  es  ist  nicht  recht,  das  ir  die  armen  leute  also 


*)  Text,  lat.:  .  .  .  quoties  audit  talem  nugatorem,  qui  tarn  iUoto  ore, 
tam  indigno  sermone  de  sacrosancto  illo  Electionis  mysterio  blat^rat 
*)  Der  Text,  lat.,  welcher  diese  Worte  deutsch  abdruckt,  läßt  das  „so"  aus. 
»)  Matth.  25,  34—35.  *)  Wälder,  vgl.  Text,  lat.:  sUvas.  ^)  Text. 

lat.:  praedia  et  vUlas.  ^)  Vgl.  zu  der  angegebenen  hohen  Zahl  die 

Ausführungen  Luthers  über  „die  wüthenden,  rasenden  und  unsinnigen 
Tyrannen,  die  auch  nach  der  Schlacht  nit  mügen  Bluts  satt  werden,  .  .  . 
denen  es  gleich  viel  gilt,  sie  würgen  Schuldig  oder  Unschuldig"  (Sendbrief 
von  dem  harten  Buchlein  wider  die  Bauern  1525).  Auf  100000  wird  die 
Zahl  der  Erschlagenen  auch  von  andern  angesetzt  (vgl  Solle,  Reformation 
u.  Kevolution,  HaUe  1897,  S.  79).  Genauere  Zahlen  bietet  Nebelsieck, 
Eef.-Gesch.  der  Stadt  Mtihlhausen  (Magdeb.  1905)  S.  83.  ';  Text.  lat. 

erklärt:   erat  servus  ad  onera  servitutis  civilis  obnoxius. 

3* 


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—    36    - 

b^ckweret  und  solchen  dienst  von  inen  fordert,  denn  Christas 
hat  uns  erlöset  und  frey  gemacht  durch  sein  Wut  etc. 

Sihe,  dieser  alter  Magister  und  40  jar  ein  prediger  ge- 
west,^)  verstund  noch  nicht,   was  die  freyheit  sey,  so  wir 

6  haben  inn  Christo,  und  menget  untemander  weltlicher  öber^ 
keit  regiment  und  das  geistlich  reich  Christi  etc.,  als  were 
Christo  damit  grosse  ehre  gegeben,  das  er  uns  hette  von 
eusserlichen,  bürgerlichen  diensten  und  pflicht  gefreyet  und 
allein  eine  fleischliche  freyheit  erworben.    Darumb  hat  dieser 

10  nichts  überall  verstanden  noch  geleret  von  Sünde  oder  ge- 
rechtigkeit,  eben  so  wenig  als  seine  Meister,  die  hochgelerten 
inn  der  hohen  Schulen  zu  Paris,  die  noch  heutigs  tags  des 
Endchrists  diener  sind.  ^ 

Ich  rede,  wie  ichs  erfaren  habe,  das  solche  törichte,  gott- 

16  lose  und  auffrürische  predigt  von  Christlicher  freyheit  viel 
feiner  geschickter  und  gelerter  leut  vom  Evangelio  ab- 
geschreckt haben,  wenn  sie  gehört  haben  solche  Elüglinge 
das  Evangelium  rhümen  zum  deckel  solcher  greulicher  irthum, 
das  sie  darnach  von  der  gantzen  lere  des  Evangelii  nichts 

20  gehalten  haben,  so  doch  solche  tolle  schwermer  nicht  das 
Evangelion  Christi,  sondern  ir  eigen  treume  predigen.  Denn 
das  Evangelion  hebt  nicht  auff  weltliche  oberkeit  und  Ord- 
nung, sondern  bestetigt  sie.  Derhalben  haben  sich  auch  von 
weltlicher  oberkeit  übel  geleret,   das  sie   solch  ampt  nicht 

26  gepreiset  haben  als  ein  gut  und  nötig  werck,  sondern  ge- 
taddelt  als  ein  unbillichen  zwang  oder  tyranney. 

Etliche,  so  sie  gehöret  haben,  das  die  Christen  alle  von 
Gott  müssen  geleret  werden,^)  wollen  sie  damit  ir  faulheit 
und  Unwissenheit  beschützen  und  fahen  an,  alle  gute  lere  und 

30kunst  als  ein  untüchtig  ding  zuverachten,  blehen  und  brüsten 
sich,  als  können  und  wissen  sie  alles.    Und  ihe  ungelerter 

*)  Wörtlich  aus  dem  Text.  lat.  übersetzt:  Ecce  senex  iUe  Magister 
et  40  annorum  praedieator,  nondom  intellexit.  ...  *)  Text,  lat  be- 

deutend kürzer :  sunm  referens  Gymnasium,  quod  in  hnnc  nsqne  diem  servit 
Antichristo.  «)  Vgl.  Job.  6,  45. 


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6in  solcher  ist,  ihe  herrlicher  rhümet  er  von  seinem  geist, 
gerade  als  habe  der  Heilige  geist  an  seinen  eigenen  gaben, 
nemlich  knnst  und  Weisheit,  ^)  misfiallen.  Ans  solchem  irthnmb 
komets,  das  anch  gemeine  handwercks  lente  nnd  banren  vom 
dorff  ^)  inn  das  predigt  ampt  fallen  nnd  geben  fdr,  man  dnrffe  5 
keines  studirens  dazn,  denn  wir  werden  alle  von  Gott  geleret 
Darumb  weil  sie  sich  unterstehen,  die  schrifft  zu  handien  on 
die  gaben  der  weissagnng,  stiften  sie  unzelich  viel  irthnmb. 
Sie  verachten  die  alten  Christliche  Lerer,  als  wnstens  itzt 
allein  die  ungelerten  alles,  und  der  meiste  hauff  unter  inen  10 
verachten  auch  die  kinder  schulen,  das  itzt  alle  schulen  wüst 
werden.  Welche  Verachtung  sihet  der  Tenffel  seer  gerne, 
aber  Gott  wird  dadurch  auffs  höhest  erzürnet. 

Lieber  Gott,  woher  sollen  doch  die  kirchen  über  20  jar 
Prediger  welen  und  beruffen?  Woher  sollen  Fürsten  und  16 
Stedte  Juristen  und  Cantzler  nemen?  Es  werden  zu  letzt 
die  lente  gar  wilde  als  eitel  unvemunfftige  thier  werden,  und 
wird  aus  Deutschland  wider  ein  lauter  Barbarey,  wie  es  vor-. 
Zeiten  gewesen  ist,  und  werden  darnach  sich  wider  müssen 
lassen  schinden  und  berauben  durch  allerley  Verfurer.  Denn  20 
das  wir  den  EntChrist  und  die  Komische  triegerey  und  unser 
freiheit  inn  Christo  erkand  haben,  das  hat  Gott  alles  durch 
erkentnis  der  sprachen  und  heiliger  schrifft  ausgericht.  ^) 

Von  der  Satisfactio  oder  gnugthuung  (so  man  bisher 
ein  stück  der  Busse  genent*)  reden  auch  etliche  seer  un-26 
bescheiden,  das  der  unverstendige  pobel  daraus  einen  wahn 
fasset,  man  sey  nicht  schuldig,  sich  inn  gute  wercken  zu  üben 
und  das  creutz  zu  tragen. 


')  Text,  lat.:  enulitionem  et  scientiam.    YieUelcht  ist  an  Jesaias  11^  2 
^:edaeht  *)  Bhegins  hat  die  wiedertänferische  3ewega9g:  im 

Auge.   Vgi.  sa  Minen  Angführungen  Luthers  Schrift  „Ton  den  Schleiehem 
vBd  Wink£lpredigem<'  1592.  >)  Vgl  Luthers  Sehrift  „An  die  Bats- 

lierra  aUer  StSdte  dentschea  Landes,  dafi  sie  christliehe  Schulen  aufrichten 
mid  halten  soUen"*.    1524.  *)  Die  drei  Stücke  des  römischen  Bufisakra- 

SMnts  sind  attritio  resp.  eontritio  cordis,  confessio  ons,  satisfactio  operis. 


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—    38    — 

Von  der  jungfrauschafft,  welche  inn  der  schrifft  fast 
gelobt  wird,  reden  etliche  so  schimpfflich  und  unzüchtig,  das 
viel  unschuldiger  hertzen  durch  ire  unzüchtige  wort  verletzt 
werden.  Also  faren  sie  zu  beider  selten  den  holtzweg  aus,  ^) 
6  können  auff  der  rechten  mittel  Strassen  nicht  bleiben,  denn 
der  Ehestand  ist  on  zweivel  hoch  und  gros  zu  loben,  doch  das 
damit  die  jungfrauliche  keuscheit  auch  nicht  geschmehet  werde. 
Ich  höre  auch,  das  etliche  von  der  Beicht  wenig  halten 
und  ire  scheflin  nicht  vleissig  verhören,^)  noch  den  Cate- 

lOchismum  von  inen  foddem,  und  einen  gantzen  hauffen,  die  da 
beichten,  zu  gleich  und  auff  ein  mal  unterrichten  und  absol- 
viren.  Welchs  alles  nicht  taugt,  die  Christenheit  zu  bauen, 
sondern  mehr  zu  verstören. 

Dergleichen   reden  auch  viele  gar  unweislich  für  dem 

löpobel  von  Menschen  Satzungen;  Man  mus  alle  Menschen 
Satzungen  fliehen.  Sie  sind  aus  dem  Teuffei.  Man  ist  inen 
keinen  gehorsam  schuldig.  Das  ist  ergerlich  und  übel  von 
der  sach  gered. 

Darumb  solt  man  hie  vleissig  leren,  was  menschen  lere 

20heissen  und,  wie  sie  zu  unterscheiden,  welche  man  halten  oder 
verwerffen  solt.  So  wollen  sie  inn  hauffen  und  inn  gemein  dahin 
on  allen  unterschied  alles  verdammen.  Daher  denn  der  grobe 
pobel  meinet,  man  sey  niemand  keinen  gehorsam  schuldig  und 
durffe  gamichts  mehr  halten,  was  menschen  ordnen  oder  gebieten^ 

26  Von  dem  Fasten  narren')  sie  auch  also:  Man  darflf*) 
der  fasten  nicht.  Man  kan  keine  sunde  damit  büssen  oder 
gnug  thun.  Die  fasten  ist  des  Bapsts  fundle  etc.,  und  brechen 
gemeiniglich  hiemit  abe.    Weil  aber  on  das  unser  fleisch  von 


')  Text.  lat.  deatet  das  Bild  nur  an:  nbiqae  vel  ad  dext«ram  vel  ad 
sinistrain  declinantes.  ')  Für  die  Art,  wie  sich  in  der  evangelischen 

Kirche  aus  der  Ohrenbeichte  eine  Entwicklung  zum  „Glaubensverhör"  als 
notwendige  Vorbedingung  für  den  Abendmahlsempfang  vollzogen  hat,  ver- 
gleiche man  Fischer,  Zur  Geschichte  der  evangelischen  Beichte  (Studien 
zur  Gesch.  d.  Theol.  und  der  Kirche  8,  2  und  9,  4)  und  von  Zezschwitz, 
System  der  Katechetik  I,  556 f.        ')  Text,  lat.:  ineptiunt        *)  =  bedarf. 


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—    39    — 

natur  das  creutz  und  Casteyring  fleucht  und  sihet  wollust 
und.  was  im  sanfft  thut,  so  mus  aus  solchen  tollen  predigten 
viel  ubels  folgen,  wie  man  sihet,  das  die  leut  das  fasten  so 
herrlich  verachten,  als  sey  es  gar  kein  nütz,  und  frey  dahin 
on  alle  zucht  und  maß  schwelgen  und  inn  vollem  saus  leben.  5 
Darumb  wird  warlich  Gott,  der  öberst  Richter,  das  blut  dere, 
so  durch  solche  törichte  predigt  verfurt  werden,  von  der 
Prediger  hende  fordern,  wie  er  dreuet  Ezechiel.  33.*) 

Was  sol  ich  weiter  sagen?  Vom  Gebet  wissen  etliche 
nichts  zu  reden, ^)  denn  solche  törichte  wort:  Viel  beten  und  10 
plappern  ist  ein  Heidnischer  irthumb  und  gleisnerey.  Gott 
hat  gar  keinen  gefallen  daran.  Da  brechen  sie  aber  die  rede 
zu  kurtz  ab,  da  sie  solten  räum  nemen  und  ordentlich  handien 
und  ausstreichen,  was  zu  dem  Gebet  gehöret,  damit  die  leute 
nicht  von  so  nötiger  Christlicher  ubung  des  gebets  durch  16 
solch  töricht  geschrey  gezogen  wurden. 

Von  der  Heiligen  Anruffen  reden  etliche  so  frech 
und  frevel,  das  frome  hertzen  seer  geergert  werden  an  solchen 
unchristlichen  reden,  so  man  doch  von  den  Lieben  Heiligen 
billich  sol  auffs  aller  ehrlichste  reden.  Aber  der  Satan  wolt20 
gerne  durch  solche  lose,  unchristlich  gewesch  diesen  Artikel: 
Ich  gleube  ein  heilige  Christliche  kirche,  die  gemeine  der 
heiligen,  verachtet  machen,  das  man  wenig  oder  nichts  uberal 
von  der  gemeine  der  heiigen  hielte. 

Von  den  Bilden  höret  man  auch  dergleichen  alfentzenn *^) 26 
von  vielen,  so  von  der  Christlichen  freiheit  nichts  verstehen. 

Item  Von  gemeiner  Sontagsfeyer  und  ander  fest 
reden  sie  auch  den  Schwermgeistern  gleich,  dadurch  der 
pobel  von  Gottes  wort  zu  hören  und  das  hochwirdig  Sacra- 
ment  zu  empfahen,  gezogen  wird.  30 

Also  von  Ceremonien  oder  Kirchen  Ordnung 
predigen  sie  auch  nicht,  wie  sichs  gebärt,  denn  von  vielen 


')  Ezechiel  33,  8.  •)  Text.  lat.  schiebt  hier  die  Worte  ein:  cum 

in  hunc  locmn  inciderint.  ')  Text,  lat.:   De   imaginibas  in  Ecclesia 

similes  passim  neniae  a  quibusdam  andinntur. 


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—    40    — 

höret  man  nicht  anders,  denn  solche  wort:  Es  ist  ein  ver- 
geblich ding  mit  den  Ceremonien.  Sie  tragen  nichts.  ^)  Was 
bedarff  man  inn  der  kirchen  besonderer  kleider?  Es  ist  eitel 
unnütz  menschen  tand  etc.    Gleich  als  konde  das  leben  on 

5  Ceremonien  sein.  Darumb  solt  man  wol  unterscheiden  zwischen 
unchristlichen  Ceremonien  und  andern,  die  da  frey  sind.  Und 
welche  Ceremonien  dazu  dienen,  das  es  ordentlich  inn  der 
kirchen  zugehe,  die  solt  man  züchtiglich  halten  und  nicht  so 
frech  abthun  und  verwerffen.    Denn  solche  unzeitige  enderung 

10  der  alten  Ceremonien  hat  alle  zeit  viel  zwitracht  und  unruge 
inn  der  Christenheit  gemacht. 

Bey  etlichen  reget  sich  auch  noch  der  alte  Satan  der 
Origenisten  und  Sadduceem,^)  das  sie  seer  unehrlich  reden 
von  der  Christen  begrebnis  und  kirchofen  oder  Gottesacker ; 

löschwechen  dadurch  den  glauben  dieses  Artikels:  Ich  gleube 
eine  aufferstehung  der  todten.  So  doch  ein  Christ  sol  und 
mus  von  der  begrebnis  ehrlich  reden,  und,  was  dazu  gehöret, 
mit  zacht  und  ehren  handien  von  wegen  der  gewissen  hoff- 
nung  der  herrlichen  aufferstehung,  welche  ist  unser  ewiger 

20höhester  trost,  und  kan  nicht  leiden,  das  man  die  leichnam 
so  schendlich  dahin  werffe  an  alle  ehre,  dere  ^  sie  dem  leich- 
nam des  Herrn  Christi  am  jüngste  tage  gleich  werden  sollen, 
wie  uns  Gottes  wort  leret. 

Aber  wer  wil  oder  kan  alle  dergleichen  ertichte  lere  er- 

25zelen?  Das  man  aber  hierin  meinen  vleis  spüre,  habe  ich 
etliche  kurtze  form  und  weise  wollen  stellen,  welche  ich  auch 
selbs  brauche,  wenn  ich  von  solchen  stücken  predigen  mus, 


*)  Text,  lat.,  der  diese  Worte  deutsch  enthält,  hat:  sie  sollen  nichts. 
Diese  Lesart  ist  in  der,  Seite  32,  Anmerkung  1  angegebenen  Bedeutung 
auch  an  dieser  Stelle  vorzuziehen.  *)  Zur  Erklärung  dieser  Ausdrücke 

vergleiche  man  Actor.  23,  8  und  Matth.  22,  23,  sowie  den  Artikel  „Origenes" 
in  Haucks  Protest.  Realenzyklopädie  *,  Bd.  14,  S.  487—488  und  in  Wetzer- 
Weites  Kirchenlexikon«,  Bd.  9,  S.  1072—1073.    Zur  Sache  vgl  den  Artikel 
,,Spiritualismuä"  in  Meusels  Kirchlichem  Handlexikon,  Bd.  6,  S.  360. 
^)  S.  V.  a.:  die  sie.    Vgl.  Text,  lat.:  corpora,  quae  conformanda  esse. 


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—    41    — 

and  halte  dafür,  Meine  liebsten  brüder,  sie  sollen  anch  euch 

dienen,  das  ir  sie  stets  for  euch  habet,   damit  durch  uns 

Prediger  den  einfeltigen  kein  ergemis  gegeben  werde.    Von 

Busse.  Gnugthuung. 

Glaube.  Jungfraustand.  5 

Guten  wercken.  Beicht. 

Verdienst.  Menschen  Satzungen. 

Messe.  Fasten. 

Gesetz.  Beten. 

Freyen  wille.  Heiligen  anruffen.  10 

Göttlicher  versehung.  Bilder. 

Christliche  freiheit.  Feste  oder  feyertag. 

Oberkeit.  Ceremonien. 

^'ie  alle  von  Gott  gelert  werden.  Begrebnis. 


I.  15 

Wie  man  recht  leren  sol  von  der  Busse. 

Etliche  leren  wol  etwas  von  der  Busse,  sagen  aber  nicht 
gnug  davon,  wie  sichs  gebürt,  denn  sie  treiben  nicht  mehr, 
denn  den  gemeinen  Spruch  aus  Magistro  Sententiarum,  das 
Busse  sey,  begangene  sunde  beweinen  und  die  selben  nicht  20 
mehr  begehen.^)  Aber  daraus  verstehet  man  nicht,  woher 
rechte  busse  kome  oder  entspringe,  noch  worin  sie  eigentlich 
stehe  und  was  dazu  gehöre.  Denn  Judas  Ischarioth  Matth.  26  *) 
hat  seine  sunde  auch  ernstlich  beweinet  oder  bereuet  und 
dazu  öffentlich  bekandt,  das  er  das  unschuldige  blut  verrhaten  26 
hatte  und  hatte  so  grosse  reu  und  leid,  das  er  sich  so  bald 


^)  Hhegios  hat  die  Sentenzen  des  Petras  Lombardns  (f  1160  oder 
1164)  im  Auge,  in  denen  es  lib,  IV.  de  poenit.  Dist.  14,  II  heißt:  Poeni- 
tentia  est  virtos  vel  gratia,  qua  commissa  mala  cum  emendationis  proposito 
plan^mns  et  odimns  et  plagenda  ulterius  committere  nolumus.  ')  Der 

Verf.  zitiert  aus  dem  Gedächtnis;  es  ist  diese,  wie  erst  recht  die  Angabe 
des  Text.  lat.  falsch. ,  Gemeint  ist  Matth.  27,  3—5. 


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—    42    — 

selbs  erhenckt,  hat  auch  solche  sunde  nicht  mehr  gethan,^) 
und  war  doch  ein  vergebliche,  nichtige  Busse. 

Aber  das  Evangelium  leret  also  von  der  Busse,  das  es 
sey,  Hertzlich  reu  und  leid  haben  vor  begangene  sunde  und 

ö  ernstlich  erschrecken  für  Gottes  gericht,  damit  das  hertz  zu- 
schlagen ^)  und  gedemütigt  werde,  und  dameben,  ungezweivelt 
glauben,  das  alle  sunde  (wie  viel  und  wie  gros  sie  auch  sind) 
uns  von  Gott  vergeben  werden  durch  Christus  verdienst,*) 
welcher  unser  sunde  selbs  auff  sich  genomen  und  getragen 

10  hat  an  seinem  leibe  auff  dem  stam  des  creutzes.*) 

Darumb  ist  dis  die  Ordnung  inn  der  lere  von  der  busse. 
Zum  ersten:  So  das  Gesetz  recht  gepredigt  wird,  erwechset 
inn  uns  durch  den  Heiligen  geist  warhafftig  erkenntnis  der 
sunden,  das  heissen  wir  Reu  und  Leid. ^)    Zum  andern:  Wird 

16  uns  gegeben  durch  rechtschaffene  predigt  des  Evangelii  er- 
kentnis  der  gnaden  Gottes  inn  Christo,  das  heissen  wir  glauben 
oder  vertrauen  auff  Gottes  gnade.  •*) 

Als  zum  Exempel,  fürs  erst  hörestu  die  Zehen  gepot,  aus 
welchen  du  lernest,  wie  gröblich  du  Gottes  gesetz  ubertretten 

20  habest  und  nach  rechtem  urteil  Gottes  der  ewigen  verdamnis 
werd  bist.  Darnach  hörestu  weiter  solche  oder  dergleichen 
Spruche  des  Evangelii:  Jhesus  Christus  ist  inn  diese  weit 
komen,  nicht  das  er  die  weit  verdamme,  sondern  das  er  die 
sunder  selig  mache,  Johan.  3;  1.  Timoth.  1.®)  So  du  nu  Christum 

26  mit  dem  Glauben  ergreiffest  als  deinen  einigen  Gerecht-  und 
seligmacher,  der  nicht  allein  S.  Petri  oder  S.  Pauli  sondern 
auch  deine  sunde  tilget,  so  wirstu  als  denn  getröstet  und  er- 


*)  Text,  lat.:   nee  posthac  quenquam  prodidit  —  ein  etwas  platter 
Gedanke!  •)  Vgl.  oben  Seite  32.  ')  VgL  Confessio  Angnstana 

Art.  12:  Und  ist  wahre,  rechte  Busse  eigentlich  Reu  und  Leid  oder  Schrecken 
haben  über  die  Sünde,  und  doch  daneben  glauben  an  das  £yangelium  und 
Absolution,  daß  die  Sünde  vergeben  und  durch  Christum  Gnad  erworben  sei. 
*)  1.  Petr.  2, 24.  *)  Die  Ausdrücke:  Reu  und  Leid,  und:  Ein  vertrauen 

auf  Gottes  gnade,  sind  auch  im  Zusammenhang  des  lateinischen  Textes 
deutsch  gelassen.  **)  Johannes  3,  17.     1.  Timoth.  1,  15, 


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—    43    ~ 

kennest  die  Gnade  Gottes  recht,  und  hast  also  rechte  Busse, 
aus  welcher  on  zweivel  hernach  folgen  werden  rechtschaffene 
fruchte  der  Busse,  das  ist  Besserung  des  lebens  und  gute  werck. 

Diese  Ordnung  inn  der  rechten  Busse  leren  die  Evan- 
gelisten selbs  Marci  1 :  Thut  busse  und  glaubet  dem  Evan-  5 
gelio.  ^)  Dis  ist  die  predigt  des  grossen  Vorlauffers  Christi, 
S.  Johannes,  als  solt  er  hiemit  sagen:  Vor  allen  Dingen  er- 
kennet eure  sunde,  hasset  und  fliehet  die  selbigen  und  keret 
euch  von  euerm  bösen  wesen,  und  denn  glaubet,  das  euch  die 
sunde  vergeben  werden  umb  Christi  Jhesu  willen,  wie  euch  10 
das  Evangelium  Vergebung  der  sunde  im  namen  Jhesu  Christi 
verkündigt. 

Also  hastu  hie  zum  ersten  die  Reue  und  furcht  oder 
schrecken  für  Gott,  welchs  ist  das  erste  stück  der  Busse; 
zum  andern  hastu  den  Glauben  des  Evangelii,  welchs  ist  das  15 
ander  stück,  des  Judas  der  Verrether  nicht  gehabt  hat,  da- 
rumb  er  auch  verzweivelt,  als  der  der  rechten  busse  ge- 
felet  hat 

Hie   sihestu  auch,   das  kein  rechter  glaube  inn   einem 
menschen  sein  kan,  wo  nicht  zuvor  Busse  oder  Reu  und  leid  20 
da  ist.    Denn  wie  kann  der  mensch  an  Christum  gleuben  (als 
der  in  gerecht  machen  sol)  oder  sein  begeren,  der  -seine  Un- 
gerechtigkeit noch  nicht  erkennet,  oder  ihe  nicht  achtet? 

Des  nim  ein  Exempel.  Wo  einer  tödlich  kranck  ligt 
und  doch  seine  kranckheit  nicht  kennet  noch  achten  wolt,  der  26 
mus  gewislich  auch  beide,  den  Artzt  und  alle  ertzney,  ver- 
achten. Also  ist  die  Sunde  eine  tödliche  seuche.  Der  krancke 
ist  der  Sunder.  Der  Artzt  ist  Christus.  Die  ertzney  ist  die 
gnade  Christi.  Darumb  können  solche  verheissene  und  an- 
gebotene gnade  nicht  begeren,  die  verstockte  oder  unbusfertige  30 
sunder  sind,  das  ist,  die  kein  reu  noch  leid  von  wegen  irer 
sunde  haben,  sondern  sich  derselbigen  noch  freuen  und  rhümen ; 
dergleichen  begeren  ir  auch  nicht  der  heuchler,  die  sich  für 


')  Markus  1,  16  b. 


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—    44    — 

gerecht  halten  on  die  gnade  Christi.  Aber  solche  Sunder,  so 
ire  sunde  erkennen  und  erzitteiii  für  dem  schrecklichen  gericht 
Gottes  und  inn  irem  gewissen  Gottes  zom  fulen,  das  sie  den 
ewigen  tod  verdienet  haben,  die  selben  sttflftzen  mit  grossem 
ö  sehnen  und  verlangen  nach  der  gnade  Christi.  Den  selbigen 
ist  ein  einige  Absolutio  aus  dem  Evangelio  über  ire  sunde 
gesprochen,  teurer  und  lieber,  denn  alles  gelt  und  gut  der 
gantzen  weit.  Daher  spricht  Christus  Matth.  11:  Den  armen 
wird  das  Evangelium  verkündigt,^)   das  ist,  denen,  die  er- 

10schix)cken  und  blöde  gewissen  haben  von  wegen  der  sunde 
und  sind  zurschlagen  und  gemutigte  •)  hertzen.  Das  sind  die 
rechten  Schüler  und  zuhörer  des  Evangelii,  denn  inen  das 
Evangelium  verkündigt  Vergebung  der  sunde  durch  Christum, 
so  begeren  sie  nichts  hertzicher,  denn  Vergebung  der  sunde, 

I5auff  das  sie  mögen  gerecht  werden.  Also  spricht  er  auch 
Math.  9 :  Jch  bin  komen,  zuruffen  den  sundem  und  nicht  den 
gerechten.  *) 

Dis  alles  magstu  kurtzer  fassen  auff  diese  weise: 
Erkenne,  bereue  und  bekenne  Deine  sunde  von  hertzen. 

20Gleube  aber  auch  da  bey,  das  Jhesus  Christus,  Gottes  un- 
flecktes  Lamb,*)  auch  diese  deine  sunde  getragen  und  ge- 
büsset  habe.  Bezeuge  auch  deine  innwendige  Busse  mit  besse- 
rung  deines  gantzen  lebens.  Das  ist  die  rechte  Evangelische 
Busse.    Reu  und  leid  one  glauben  hilfft  nicht.    Glaube  one 

25  Reu  und  leid  ist  kein  rechter  Christlicher  glaube.  Reu  und 
Glaube  müssen  bey  einander  sein.  Darurab  merk  vleissig, 
Fromer  Christ,  Welcher  mensch  nicht  zum  ersten  seine  eigen 
manichMtige  sunde  und  daneben  auch  die  lautere  gnade  Glottes 


*)  Matth.  11,  5.  *)  Text,    lat.:    corda    contrita    et    humiliata. 

')  Matth.  9,  13.  Text.  lat.  hat  noch  die  Worte  „ad  poenitentiam."  *)  Text, 
lat.  hat  diesen  Abschnitt  deutsch,  und  an  Stelle  des  obigen  Ausdrucks : 
unvermasger  Lamb.  ,,Unvennasger"  ist  gleichbedeutend  mit  „unbefleckt"; 
(vgl.  Maser =Flecken.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch,  Bd.  6,  S.  1700—1701.) 
„Lamm-*  wird,  wie  öfter  geschieht,  maskulinisch  gefaßt. 


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inn  Christo  unserm  Herrn  warhafftiglich  one  gleisnerey  [nicht]  ^) 
kennet  und  glenbet,  der  steckt  warlich  noch  inn  seinen  snnden 
und  unbosfertigkeit  nnd  ist  kein  Christ,  wenn  er  schon  sonst 
viel  vom  Evangelio  reden  und  schreiben  kan. 

Die  einfeltigen  hören  itzt  zu  dieser  zeit  viel  predigt  vom 
Glauben,  aber  an  ettlichen  orten  allzu  wenig  von  der  Busse, 
und  lassen  sich  also  dünken,  sie  gleuben  recht,  so  doch  inn 
der  warheit  niemand  recht  gleubet,  er  habe  denn  auch  zuvor 
Kene  über  seine  sunde. 


n.  10 

Wie  man  recht  reden  sol  vom  Glauben,  Wercken 
und  Verdienst. 

Es  tregt  sich  oflft  zu,  ob  gleich  ein  Pfarherr  oder  Prediger 
etwas  anders  aus  der  Schrifft  zuhandlen  hat,  das  er  dennoch 
£Ufellig  vom  Glauben  und  guten  wercken  etwas  sagen  mus.  15 
Da  sol  er  allzeit  sich  fnrsehen,  das  er  nicht  kurtz  und  stumpf 
abbreche  und  nichts  mehr  sage,  denn :  Der  Glaube  macht  allein 
gerecht;  Unser  werck  sind  nichts;  Und  also  flugs  auflf  ein 
anders  Halle,  sondern  das  er  im  räum  neme  und  auff  solche 
weise  da  von  rede:  20 

Wol  ists  war,  das  allein  der  Glaube  (das  ist:  hertzlich 
vertrauen  auff  Gottes  gnad  und  barmhertzigkeit,  uns  umb 
Christi  willen  verheissen)  oder  allein  Gottes  gnade  und  barm- 
hertzigkeit machet  den  sunder  gerecht.  Aber  doch  bleibt  der 
Glaube  nimer  mehr  allein,  denn  der  rechtschaffene  Glaube  ist  25 
thetig  durch  die  liebe.  Galat.  5.  ^)  Und  gleich  wie  ein  guter 
bäum  gewislich  fruchte  bringet,  *)  also  bringet  auch  der  Glaube 
gute  werck,  welche  gewislich  dem  Glauben  folgen. 

Darumb,  wo  man  keine  besserung  des  lebens,  keine  furcht 


»)  Der  Text.  lat.  läßt  mit  Recht  dies  „nicht"  aus.  «)  Gal.  5,  6. 

*)  Zum  Ausdruck  vgl  Matth.  7,  17—19,  zur  Sache  Luthers  Vorrede  zum 
B^merbriel 


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—    46    — 

Gottes  oder  Busse,  und  keine  gute  werck  spüret,  da  ist  ge- 
wislich  kein  Glaube  oder  nur  ein  falscher,  geferbter  Glaube; 
und  welcher  noch  fleischlich  lebet  inn  fressen  und  sauffen, 
hurerey  und  ehebruch,  diebstal  und  der  gleichen  bösen  stücken, 

6  der  sol  sich  nicht  rhümen,  das  er  den  Glauben  habe  und  ein 

Christen  sey,  sondern  wende  sich  vom  bösen  und  thue  gutes. 

Des  rechten  Glaubens  Exempel  hastu  inn  Abraham.    Der 

gleubte  warhafftig  Göttlicher   verheissung,   und   der  selbige 

glaube  thet  viel  und  große  wunder  werck,  denn  er  war  Gottes 

lObefelh  gehorsam,  verlies  sein  Vaterland  und  zog  umb  inn 
elend,*)  war  auch  bereit,  seinen  eigen  son  zu  opffern.  Da- 
gegen hastu  auch  ein  exempel  des  geferbt^n  oder  falschen 
glaubens  inn  Cain  und  Juda,  denn  Cain  thet  Gotte  ein  opffer, 
aber  sein  hertz  stund  nicht  recht  gegen  im ;  ^)  Judas  war  ein 

15  Apostel  Christi  und  für  Christgleubig  gehalten,  aber  sein 
werck  war,  das  er  Christum  verrhiet. 

Das  ist  nu  die  Ordnung  zwisschen  dem  Glauben  und 
Wercken.  Erstlich  erapfehet  das  hertz  den  Glauben  aus  dem 
Evangelio ;  der  selbige  macht  mich  gerecht,  das  ist,  aus  einem 

20  sunder  machet  er  mich  from  für  Gott.  Damach,  wenn  ich 
also  bin  gerecht  worden,  so  thue  ich  gute  werck.  Der  bäum 
mus  zuvor  gut  sein,  sol  er  gute  fruchte  bringen.  Des  hastu 
ein  Exempel  inn  S.  Paulo.  Sanct  Paulus,  ehe  er  bekert  oder 
gerecht  ward,   war  ein  sunder  und  böser  mensch.    Darumb 

25  waren  alle  seine  werck  böse.  Wie  der  bäum  war,  so  waren 
auch  die  fruchte.  Hernach  aber,  da  er  bekert  ward,  da  war 
er  gerecht.  Darumb  so  bald  er  from  worden  war,  thet  er 
auch  gute  werck,  predigte  Christum,  und  umb  seines  namens 
willen,  leid^)  er  Verfolgung  und  allerley  übel,  zn  letzt  auch 

30  den  tod. 

Zweierley  werck  werden  inn  der  Schrifft  geleret,  nemlich 


*)  Text,  lat.:  ivit  in  exilium.  *)  Text.  lat.  hat  den  Zusatz:  ^opos 

eius  est  homicidium",  der  im  Blick  auf  den  Schlußsatz  unentbehrlich  ist. 
^)  Text,  lat.:  perpessus  est. 


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—    47     — 

zum  ersten  Christi,  darnach  unser  werck.  Aber  zwischen 
denen  beiden  ist  grosser  und  weiter  unterscheid,  denn  zwischen 
himel  und  erden.  Denn  des  Herni  Christi  werck  haben  uns 
erlanget  und  verdienet  ewige  gerechtigkeit,  leben  und  Selig- 
keit und  machen  uns  gerecht,  so  wir  sie  mit  dem  Glauben  6 
fassen,  denn  er  ist  allein  unser  Erlöser,  Versüner,  Mittler, 
Gerechtmacher  und  Heiland  und  kein  ander,  auch  kein  Engel, 
wie  die  gantze  Schrifft  bezeuget. 

Aber  unser  werck  verdienen  uns  nicht  solche  unbegreiff- 
liche,  ewige  Ding,  machen  auch  nicht  gerecht,  doch  sind  sie  10 
auch  von  nöten  und  haben  iren  nutz,  als  nemlich: 

Zum  Ersten  sind  sie  ein  gebotener  schuldiger  Gehorsam, 
den  wir  Gott  als  unsern  Schepffer  schuldig  sind.    So  sind  sie 
auch  eine  Dancksagung  für  allerley  wolthat  Gottes.     Dazu 
sind  sie  das  rechte  Opffer  oder  Gottesdienst,  die  im  gefallen  16 
umb  der  person  willen,  so  an  Christum  gleubt. 

Zum  Andern,  Unser  himlischer  Vater,  wird  dadurch  inn 
uns  gepreiset,  wie  Christus  Matth.  am  fünfften  ^)  sagt. 

Zum  Dritten,  Unser  Glaube  wird  durch  gute  werck  ge- 
übet und  gesterckt,  das  er  zu  neme  und  wachse.  20 

Zum  Vierden,  Gute  werck  sind  ein  zeugnis  gegen  unserm 
nehesten,  da  durch  er  gebessert  wird,  und  ein  exempel,  da- 
durch er  gereitzt  wird,  dem  selben  nach  zu  folgen.  Dazu 
wird  im  auch  leiblich  inn  seiner  not  geholfen. 

Zum  Fünfften,  Durch  gute  werck  wird  mir  meine  be-25 
mffung  gewis.    Denn  so  ich  meinen  nehesten  liebe  and  guts 
thue,  so  erfare  ich,  das  mein  glaube  nicht  falsch,  und  das  ich 
ein  rechter  Christ  sey. 

Zum  Sechsten,  Unser  gute  werck,  ob  sie  wol  die  grossen, 
unaussprechlichen  schetze  nicht  verdienen,  nemlich  Vergebung  30 
der  sunde,  Gerechtigkeit,  Erlösung  vom  Tod  und  Teufel  (denn 
das  alles  thut  allein  Jhesus  Christus),  so  haben  sie  (aus  Gottes 


'}  Matth.  5,  16. 


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—    48    — 

verheissung,  aus  lauter  gnaden  gethan)  beide,  leibliche  und 
geistliche  belonung  zu  gleich  inn  diesem  leben  und  nach  diesem 
leben.  Nicht  das  uns  Gott  etwas  dafür  schuldig  oder  pflichtig 
sey,  sondern  darumb,  das  ers  verheissen  und  zugesagt  hat 
6  aus  gnaden  und  warhafftig  ist,  darumb  wird  er  solche  werck 
belohnen  umb  seines  herrlichen  namens  willen,  wie  Jeremia 
am  siebzehenden  geschrieben  ist:  Jch  bin  der  HERR,  der 
hertz  und  nieren  prüfet,  und  gebe  einem  iglichen  nach  seinen 
wercken.  ^) 

10  Also  auch  Matthei  am  sechzehenden :  Es  wird  geschehen, 
das  des  menschen  Son  komen  wird  inn  der  herrligkeit  seines 
Vaters  mit  seinen  Engeln,  und  als  denn  wird  er  vergelten 
einem  iglichen  nach  seinen  wercken.*)  Des  gleichen  sagt 
Sanct  Paulus  Roma,  am  andern  Capitel.')    Jtem  Matthei  am 

lofünff  und  zwenzigsten  Capitel  zeugt  Christus  gnugsam,  wie 
angeneme  und  gefeilig  im  seien  gute  werck,  so  aus  dem  Glauben 
geschehen,  weil  er  spricht:  Ich  bin  hungerig  gewesen,  und  ir 
habt  Mich  gespeiset  etc.*) 

Und  Summa,  das  ichs  noch  klerer  auffs  einfeltigeste  sage : 

20  Die  Schrifft  redet  allenthalben  herrlich  und  löblich  von  guten 

wercken  und  gedenckt  ir  nimer  übel.     Darumb  wenn  man 

spricht :  Allein  der  Glaube  macht  from,  so  verwirft  man  nicht 

die  guten  werck,  denn  es  ist  nur  so  viel  gered,  als  ich  spreche: 

Allein  Gottes  gnade  inn  Christo  machet  uns  from  und  selig, 

25  unser  wirdigkeit  thuts  nicht.    Denn  kein  Creatur,  weder  im 

himel  noch  auff  erden,  vermag  solch  gros,  überschwenglich 

Ding  als  verdienen  Ablas  der  sunde,  from  und  selig  machen, 

sunde  und  tod  vertilgen.    Allein  unser  einiger  Mittler  Jhesus 

Christus  kan  und  sol  solchs  thun,  denn  der  Vater  hat  in  allein 

30  und  sonst  niemand,  weder  Engel  noch  menschen,  zur  erlösung 

und  from  machung  des  menschlichen   geschlechts   verordnet 

und  gesand.    Derhalben,  wenn  man  den  Glauben  liihmet,  so 


*)  Jer.  17, 10.  Text.  lat.  hat  den  Zusatz :  et  iuxta  fructum  adinventionum 
suarum.  «)  Matth.  16,  27.  »)  Römer  2,  6.  *)  Matth.  25,  42. 


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—    49    — 

schmehet  man  die  werck  nicht,  sondern  man  rhümet  den 
rechten  briinnen,  daraus  alle  gute  werck  quellen.  Es  ist  un- 
inüglich,  on  den  Glauben  gute  werck  thun. 

Das  man  aber  so  mit  vleissigem  unterscheid  vom  Glauben 
und  guten  Wercken  redet  und  einem  jeden  sein  ampt  zu  legt,  6 
das  thut  man  darumb,  das  man  klar  sehen  mag,  was  Christus 
sey,  und  wie  wir  alles  guts  von  Gott  allein  umb  Christus 
willen  haben  und  empfahen  und  was  wir  von  uns  selbs  haben 
Tind  thun.  Solche  erkentnis  machet  allein  aus  einem  ver- 
dampten  Sunder  einen  seligen  Christen.  Darumb  ist  viel  10 
mehr  daran  gelegen,  das  man  recht  unterschiedlich  vom 
Glauben  und  guten  werken  rede,  denn  die  weit  meinet. 

Der  Glaube  machet  uns  from  für  Gott.    Die  guten  werck 
bezeugen  aber  solche  innwendige  frömigkeit  von  aussen  für 
unserm  nehesten,  welchem  sie  dienen  sollen  zur  besserung  inn  16 
allen  nöten. 

Glaube  one  gute  werck  ist  kein  Glaube.  Werck  one 
Glauben  sind  nicht  gute  werck.  Darumb  müssen  diese  zwey 
i)ing,  Glauben  und  gute  werck  thun,  bey  einander  sein,  die 
weil  wir  leben.  Wer  sein  leben  nicht  bessert  und  gute  werck  20 
thut,  der  sol  wissen,  das  er  kein  Christ  ist.  Wer  aber  kein 
Christ  ist,  der  wird  verdampt.  Damach  mag  sich  jederman 
richten.  Gott  hats  also  beschlossen,  also  wird  ers  auch  end- 
lich volstrecken.    Das  ist  gewis. 


IIL  26 

Wie  man  recht  reden  sol  von  der  Messe. 

Die  Messe,  wie  sie  im  Bapstum  gehalten,  ist  gewest  ein 
rechte  Abominatio^)  umb  vieler  greulicher  misbreuch  und 
irthumb  willen,  so  durch  Menschen  sind  angehenget  der  Messe 
Christi  und  der  Apostel.    Wir  aber  haben,  was  nicht  gut  war,  30 


^)  Vgl.  Daniel  9,  27:  erit  in  templo  abominatio  desolationis  (Vnlg.)- 
Uckeley,  Urbaniu  Rhegius.  4 


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—    60    — 

hinweg  geworisD,  das  gnte  aber  habei  wir  behalten.  Denn 
Qottes  Wort  nnd  Ordnung  soUen  sieht  von  menschen  geendert 
werden;  viel  weniger  soi  man  etwas  wider  Oottes  w<»rt  nnd 
einsetzong  für  einen  Gottesdienst  inn  der  Christenheit  anff- 
öwerffen. 

Das  ist  aber  der  Orenel,  den  sie  an  die  Messe  gehengt 
haben : 

Zum  ersten,  Das  die  Messe  sey  ein  solch  opflFer,  darinn 
Gottes  Son  tegUch  Gotte  seinem  Vater  geopifert  werde  für 

10  die  sunde  der  lebendigen  und  der  todten.  Nu  leret  die  Schriffty 
das  Christus  sey  nur  ein  mal  gestorben  und  wider  auiT- 
erstanden  und  hinfürt  nicht  sterbe,  denn  er  hat  sich  ein  mal 
Gotte  dem  Vater  selbs  geopfltert  für  uns,  ein  opflFer  zum  süssen 
geruch,  wie  der  Apostel   S.  Paulus  leret  ^)  Ephes.  5,  Ebr. 

lö  7.  9. 10.  Dis  opflfer  kan  und  sol  nicht  wider  verneuet  werden^ 
sondern,  so  es  ein  mal  geschehen  ist,  gilt  es  imerdar  und 
ewiglich. 

Das  hat  aber  Christus  befolhen,  das  wir  sollen  ein  ge- 
dechtnis  halten  solches  einigen  opflfers  bis  an  den  JUngsten 

20 tag,*)  und  welche  dem  Evangelio  gleuben  von  Christus  Tod 
und  Aufferstehung,  und  die  Sacrament  desselbigen  unsere 
Herrn  Christi  empfahen,  werden  solches  opflFers  teilhaflPtig, 
denn  sie  empfahen  Vergebung  der  sunden  und  ewiges  leben^ 
Damach  sollen  diese  alle  zumal  teglich  Gotte  ir  opflFer  thun^ 

25  welche  sind.  Ein  zurschlagen  und  gedemütigt  hertz,  Lob  und 
preiß  Göttlichs  namens,  Dancksagung,  AnruflFen  oder  Beten^ 
Creutz  und  leiden  umb  Christus  namen  und  die  fruchte  des 
Glaubens,  allerley  gute  werck. 

Zum  Andern,  Aus  diesem  irthumb  von  dem  MesseopflFer 

30  für  die  sunde  sind  komen  die  Winckelmessen,  so  man  one  zal 
gehalten  hat  inn  der  weit  one  Communicanten  wider  Christus 
wort  und  brauch  der  Ersten  kirchen.    Denn  was  könd  des 


»)  Epheser  5,  25  ff.    Hebräer  7,  27;  9, 14.  25—28;  10, 10. 14.        «)  VgL. 
LKor.  U,2ö»»l    Lukas  22, 19  b. 


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—    51    - 

Herrn  Naehtmal  mehr  m  wider  gescheben,  denn  das  nan  mit 
eiüem  andern  nenen  opffer  oder  werck  wil  verdienen  yet" 
gebnng  der  snnden?  So  doch  des  Herrn  Naehtmal  nichts 
Müiiea%  ist^  denn  ein  gedechtnis  seines  tods,  wacher  ist  das 
0in%e  opffier,  dadurch  alle  sonde  kondte  und  m&ste  rersttnet  6 
werd^L 

Ascfa  haben  sie  geleret,  das  ire  zusetze  als  nötig  mttsten 
bey  der  Messe  gehalten  werden.  Das  ist  anch  ein  irthnmb^ 
aber  umb  der  einfeltigen  willen  und,  anf  das  nach  Sanct  Pauli 
regel  (hin  der  ersten  zun  C!orintbem  am  vierzeheden  Capitel)io 
aUes  fein  and  ordentlich  zugehe  inn  der  Gemeine  ^)  (nicht  aus 
Papistischer  Supersticio  und  falschem  Aberglauben^  behalten 
wir  den  gew5nlichen  kirchen  Ornat  ^)  und  anders,  so  nicht 
wider  Oottes  wort  ist. 

Aber  die  rechte  Messe  Christi  und  der  Apostel  ist,  desi* 
HERRen  Nachtmal  halten  inn  der  Gemeine,  so  wir  nach  der 
einsetzung  Christi  und  nach  der  Apostel  brauch  den  Leib  des 
HEIBBen  essen  und  sein  Mut  trincken  zu  seinem  gedechtnis 
mnd  verkiffidigen  den  heilsamen  tod  des  HERRn,  bis  er  kompt^ 
das  ist,  bis  an  den  Tag  des  Jttngesten  gerichts.    Dis  ist  das  20 
gedechtnis  seiner  wunder,  wie  es   der  hundfert  und   eilffte 
Psalm  nennet,')  das  Er  allein   für   uns   alle  gestorben  ist 
darumb,  das  wir  alle  gestorben  sind,  inn  der  andern  zun  Co- 
rnthem  am  fftufften  Capitel,*)  Und  ist  wider  aufferstanden 
Ton  den  todten,  nach. der  Schrifft,  und  hat  unser  feinde,  die 25 
amde,  den  Tod  und  Teufel  überwunden,  und  nu  zur  rechten 
hand  des  Vaters  regirt  inn  ewigkeit,  das  auch  wir  mit  im 
herrschen   werden.     Wie  können    alle   Creatur   imer   mehr 
diese  überaus  herrliche  werck  unsers  einigen  Erlösers  Christi 


')  1.  Kor.  14,  40.  ')  Es  handelt  sich  speziell  um  das  Mefigewand 

des  römischen  Bitns,  die  Casel.  Vgl.  für  ihre  Beschaffenheit  Wetzer- Weite 
Brchenlexikon.    Freiburg  i.  B.  188B,  Bd.  II,  S.  2045.  ')  Psalm  111,  4, 

Daa  der  Text.  lat.  Psafan  CX  angibt,  hängt  mit  der  mit  Luther  differierenden 
Zihkmg  der  Vnigata  zusammen.  Dies  sei  hier  ein  fUr  allemal  betreffs  der 
Psalmenzitate  im  vorliegenden  Buche  bemerkt.  *)  2.  Kor.  5, 15. 

4* 


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^    52    — 

guttg  verwundern  und  preisen?  Das  er  unser  Sund  durch 
sein  eigen  blut  getilget  hat,  unsem  tod  durch  seinen  tod  ver- 
schlungen und  den  Teufel  überwunden  durch  sich  selbs,  Colo.  2.  *) 
Also  wird  itzt  erfüllet,  das  der  hundert  und  eilflPte  Psalm 

6 weissaget:  Er  sendet  seinem  volck  erlösung.  Er  verheisst, 
das  sein  Bund  ewiglich  bleiben  sol.*)  Denn  solchen  überaus 
herrlichen  Sieg  an  unsem  feinden  hat  Gott  uns  gegeben  durch 
Jhesum  Christum  unsem  Herrn.*) 

Solchs  mochtestu  kürtzer  fassen  auff  diese  weise: 

10  Die  heilige  Schrifft  sagt  allein  von  einem  einigen  Sund- 
opflfer,  das  ist  das  besonder  grosse  opffer,  das  Gottes  Son 
Jhesus  Christus  sich  selbs  am  Creutz  ein  mal  dem  Vater  für 
uns  aufifgeopfifert  und  den  bittem  tod  gelidden  hat  und  damit 
alle  unsere  sunde   auff  ein  mal  bezalt  und  uns  Gotte  dem 

lö  Vater  widerumb  versünet  hat.  Wer  das  gleubet,  der  wird 
from  und  selig,  denn  er  wird  gewislich  sein  leben  bessern 
und  hinfurt  Christlich  leben,  dieweil  er  gleubet,  das  ein  solche 
emstlich  über  theure  bezalung  und  busse  hat  für  seine  sunde 
geschehen  müssen,  das  Gottes  Son  selbs  inn  eigener  person 

20  sich  umb  unser  sunde  willen  hat  tödten  lassen. 

Daramb  ist  ein  Greuel  für  Goit,  das  sich  die  sundigen 
menschen  unterstjanden,  mit  teglichem  Meßopffer  erst  itzt 
unser  sunde  zu  bezalen  und  uns  Gotte  zuversünen.  Die 
Christenheit  hat  ja  auch  ihre  opffer,  als  wol  fals]  vorzeiten  die 

26  Synagoga  der  Juden  und  viel  besser.  Aber  unser  einig  Sunde- 
und  Schuldopffer  ist  niemand  denn  Christus  selbs,  der  von 
keiner  sunde  wüste,  aber  der  Vater  hat  in*)  uns  zu  einem 
Sundopffer  gemacht,  spricht  Sanct  Paulus  inn  der  andern  zun 
Corinthem   am  fünfften,  *)  auff  das  wir  würden  inn  im  die 

30  gerech tigkeit,  die  für  Gott  gilt,  das  ist,  das  wir  durch  in 
geheiligt  und  gerecht  würden,  nicht  durch  unsere  werck. 


»)  Kol.  2, 14-15.  «)  Psalm  111,  9.  »)  Text.  lat.  setzt  die 

Stelle,  die  der  Verf.  im  Auge  hat,  ausdrücklich  hinzu:  1.  Kor.  15.  *)  Das 
hier  zu  ergänzende  „für"  hat  der  Text,  lat.,  der  diese  SteUe  wieder  in 
deutschen  Sätzen  bietet.  ^)  2.  Kor.  5,  21. 


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—    53    — 

über  das  Sundopffer  opffert  die  Christenheit  auch  itzt 
bis  an  Jüngsten  tag  Danckopffer  für  die  Eriösung  inn  Christo 
und  für  alle  guter  Gottes.  Also  opflFem  wir  teglich  ein  zer- 
knirscht, demütig  hertz,  lob  und  dank  und  alles,  was  wir  guts 
wirken,  unser  leben  lang  aus  reinem  Glauben.  Daneben  aber  5 
hat  uns  Christus  eingesetzt,  mit  ernst  zu  begehen  die  tröst- 
liche Gedechtnis  ^)  seines  todts  oder  einigen  opffers  am  Creutz 
ein  mal  volnbracht,  das  ist,  sein  heiliges  Nacht  mal,  das  hoch- 
wirdige  Sacrament  seines  leibs  und  bluts. 


IUI.  10 

Wie  man  recht  reden  sei  von  dem  Gesetz  oder 
Zehen  Geboten. 

Zum  Ersten,  Gottes  Gesetz  sind  wir  schuldig,  auffs  vol- 
komenst  zu  halten  also,  das  auch  kein  buchstaben  noch  Titel 
da  Ton  nachbleiben  solt,  denn  das  ist  der  allerheiligste  Gottes  15 
wiUe  und  das  rechte.  Gottselige  leben.    Und  wo  das  Gesetz 
nicht  gehalten  wird,  ist  die  ewige  Seligkeit  nicht  zuhoffen. 

Zum  andern,  Aber  unser  natur  ist  durch  die  Erbsund 
(welche  durch  die  fleischliche  geburt  von  Adam  inn  uns  alle 
gepflantzt  ist)  also  verderbt,  geschwecht  und  verblendet,  das  20 
sie  auch  Gottes  Gebot  aus  ir  selbs  oder  aus  eigenen  krefften 
nicht  verstehet  und  von  natur  mit  unordlicher  lust  und  be- 
girde  dawider  geneigt  ist  und  also  von  ir  selbs  die  selbigen 
nimer  mehr  erfüllet.  Denn  also  beschreibt  Moses  unser  natur 
(ehe  und  zuvor,  denn  wir  durch  wasser  und  geist  wider  ge-25 
born  werden)  Genesis  am  achten^)  Capitel:  Alles  tichten  des 
menschlichen  hertzen  ist  böse  von  der  jugent  auff.  Was  solt 
es  denn  guts  thijn  und  wircken?    Darumb  ist  das  Gesetz  und 

^)  Text  lat.  hat  „die  tröstlichen  Gedechtnis",  denkt  demnach,  indem 
die  Ploralfonn  gewählt  wird,  an  die  Vielheit  der  in  der  christlichen  Kirche 
begangenen  Abendmahlsfeiem.  *)  Genesis  8,  21.  Wenn  Text.  lat.  Gen.  6 
angibt,  so  ist  an  den  ö.  Vers  dieses  Kapitels  gedacht. 


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—    64    — 

Oottes  Gebot  wol  heilig,  gerecht  und  ffut,  zun  Römern  am 
siebenden/)  aber  wir  sind  bdse  von  mutter  leib  au,  und 
werden  dazu  mit  solcher  geistlicher  blindheit  gebom,  das  wir 
onser  eigen  bosheit  nicht   verstehen,   und   derhalben   kein 

5ertzney  noch  hfilffe  dawider  suchen  und  müsten  also  unsert- 
halben  ewiglich  verderben  und  verloren  sein. 

Zum  Dritten,  Darumb  hat  auch  der  barmhertzige  Gott 
sein  Gtesetz  schrifPtlich  gegeben,  das  es  uns  von  wegen  unser 
Sunden   straffe   und  erschrecke  mit  drenen  der  straffe  und 

XO  Gottes  gerichts  und  also  uns  zu  erkentnis  unser  selbs  bringe, 
auff  das,  so  wir  unser  bosheit  und  jamer  erkennen,  gnade 
und  hulffe  suchen.  Also  spricht  S.  Paul.  Rom.  3 :  Durchs  Ge- 
setz wird  die  sunde  erkandt.*)  Er  spricht  nicht:  Durdis 
Gesetz  wird  die  sunde  abgethan.    Denn  es  offenbart  allein 

16  unser  sunde  und  Gottes  zorn,  nimpt  aber  die  sunde  nicht  weg. 
Darumb  ist  daa  Gesetz  dazu  gegeben,  das  es  den  hotfertigen 
menschen  demütige,  auff  das,  wenn  er  gedemütigt  ist,  •)  gnade 
und  hfilffe  suche. 

Zum  vierden,  Es  ist  aber  kein  hfllfie  noch  rat,  keine 

20  gnade  bey  Gott,  on  allein  inn  Christo  Jhesu,  welcher  ist  unser 
Mittler  zwischen  Got  und  dem  menschen.*)  Darumb  treibt 
das  Gesetz  die  Sünder,  zu  Christo  als  zu  irem  Artzt  zu  fliehen, 
welcher  das  Gesetz  erfüllet  hat  und  dieselbige  seine  erfüllung 
uns  schencket,  wie  Paulus  inn  der  ersten  zun  Corin.  am  ei-sten 

25Capit,  sagt:  Christus  ist  unser  gerechtigkeit  etc.*)  Und 
Rom.  10 :  Christus  ist  die  erfüllung  des  Gesetz  zur  gerechtig- 
keit allen,  die  da  gleuben.*) 

Damach  hat  er  auch  uns  verdienet  den  Heiligen  geist, 
welcher  uns  gegeben  wird  inn  der  Tauffe  und,  so  wir  das 

80  Evangelium  von  der  gnaden  Gottes  hören,  durch  welchen  wir 
anfahen,  auch  selbs  das  Gesetz  zu  erhalten.  Wir  haben  aber 
einen  gar  grossen  vorteil  inn  dem  Herrn  Christo,  denn  wir 

»)  Kömer  7, 12.  »)  Bömer  3,  20  b.  »)  ErgftMe  „er".  ♦)  VgL 
1.  Tim.  2,  5.  ^)  t  Kor.  1,  30.  •)  Römer  10,  4. 


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—    65    — 

siBd  noch  zam  teil  fleiseUich,  die  weil  das  fleisch  lUle  seit 
iffider  den  geitt  strebt  und  hindert,  das  wir  das  Gesetc  nicht 
erf&ilen.  Zun  Römern  am  siebenden/)  zan  Galatem  am 
iOmfften  Capitel.^)  Aber  nmb  Christus  willen,  an  den  wir 
^lenben,  vergibt  nnd  schenckt  nns  Gott  die  nbrigen  sonde  5 
im  fleisch  nnd  rechent  sie  nns  nicht  znr  ewigen  verdamnis. 
So  haben  wir  auch  selbs  misfallen  an  der  selbigen  nbrigen 
sunde  und  wolten  gerne,  das  der  saurteig  der  alten  bosheit 
gar  inn  uns  ausgefegt  were,  welches  endlich  geschehen  wird 
inn  der  widdergeburt  am  Jüngsten  tag.  10 

Oder  also  anif  kurtser  weise: 

Die  Gebot  Gottes  sind  uns  Adamskindem  zu  hoch.    Wir 
sind  empfangen   inn    der  Erbsunde    und  derhalb   arme  ge- 
bome")  sunder,  von  jugent  auff  böse.     Wir  soUens  halten, 
aber  wir  könnens  one  die  gnade  Christi  nicht  halten.    Was  15 
nns  unmöglich  ist,  das  ist  Gotte  möglich.    Darumb  hat  uns 
Gott  die  Gebot*)  aus  gnedigem  willen  gegeben,  das  wir  darinn 
als  inn  einem  klaren  Spiegel  unser  sundige,  verstörte  natur, 
unser  gebrechen,  sunde  und  Göttlich  urteil  lernen  erkennen, 
demütig  werden  und  Christum  suchen.    Der  allein  und  sonst  20 
niemand    hat  die  Gebot   auffs  aller  volkomenest  ^)  erfüllet. 
Solcher  erfüUung  geniessen  wir  für  Gott,  wenn  wir  an  Christum 
gleuben.    Und  Christus  allein  gibt  uns  seinen  geist  durch  sein 
wort,  das  wir  auch  verstand,  willen  und  krafft  kriegen,  Gottes 
Gebot  zu  halten.    Aber  die  erfiillung  gehet  noch  sehwach  zu,  25 
die  weil  wir  leben,  denn  das  fleisch  hat  keine  lust  zu  Gottes 
Geboten.    Aber  den  vorteil  haben  wir,  so  wir  im  Christlichen 
Glauben  bleiben,  die  sunde  hassen,  das  uns  Gott  imerdar  die 
übrigen  sunde  umb  Christus  willen  verzeihet    Darumb,  ob 
schon  das  Gesetz  den  sunder  nicht  fi*om  machet  (denn  solch  30 
gros  ding  gehört  allein  Christo  zu  •),)  so  bereit  es  in  aber  zur 


^)  Rffmer  7,  Uff.  *)  Galater  5, 17 ff.  *)  d.  i.  von  dar  Gebart  m. 
>)  Text  lat  hat  kttn«r  „sie**.  «)  Text.  lat.  hat  „rein  amffs  Tolkomenest*'. 
*)  Text.  lat.  hat  „zu  eigen'*. 


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—    56    — 

frömigkeit,  denn  er  erschrickt,  wenn  er  seine  sunde  und  Grottes 
gericht  durchs  Gesetz  erkennet  und  kreucht  zum  Creutz  Christi, 
ruffet  den  namen  des  HERRn  an,  begert  gnade  und  kriegt 
Ablas  der  sunden  und  GrOttes  geist.  Darumb,  lieben  freunde, 
6  lernet  die  Zehen  Gebot  mit  grossem  vleis  und  bittet  Gott 
umb  gnade,  das  ir  sie  halten  muget,  und  umb  Verzeihung,  wo 
ir  sie  ubertretten  habt. 


V. 

Wie  man  recht  reden  sol  vom  Freien  willen. 

10  Der  Mensch  hat  einen  Freien  willen  inn  denen  Dingen, 
so  dis  vergenglich  leben  betreffen.  Da  mag  er  wollen  oder 
nicht  wollen  essen,  trincken,  gehen,  stehen,  dis  oder  das  thun 
oder  lassen,  denn  er  hat  das  natürlich  Hecht  der  natur  und 
ettlicher  mas  freiheit,  erbarlich  und  frömiglich  zu  leben  ^)  für 

16  der  weit,  wie  denn  viel  unter  den  Heiden  erbarlich  gelebt 
haben.  Wir  haben  aber  droben  gesagt,  das  durch  die  Erb- 
sunde alle  kreffte  des  menschen  verderbt  sind,  das  er  von 
wegen  der  verstörten  natur  nicht  kan  Gottes  Gesetz  erfailen. 
Denn  das  Gesetz  ist  geistlich,  zun  Römern  am  siebenden,*) 

20  und  foddert  viel  mehr,  denn  allein  eusserliche  werck.  Der 
natürlich  mensch  hat  weder  verstand  noch  lust  dazu.  Darumb 
haben  wir  von  natur  und  unser  ersten  geburt  keinen  Freien 
willen,  Gottseliglich  zu  leben  für  Gott  und  gute  werck  zu 
thun,  sondern  allein  durch  die  gnade  Christi,  wie  Christus 

2öJohannis  am  achten  spricht:  Wo  euch  der  Son  frey  machet, 
so  seid  ir  recht  frey,  **)  das  ist,  wo  euch  Christus  die  sunde 
vergibt  und  also  aus  des  Teuffels  gewalt  erlöset  und  euch 
seinen  Geist  schencket,  so  seid  ir  nicht  mehr  knechte,  sondern 

*)  Vgl.  Confessio  Angnstana  Art.  18 :  Vom  freien  WiUen  wird  gelehrt, 
daß  der  Mensch  etlichermaßen  einen  freien  Willen  hat^  äoBerlich  ehrbar  za 
.leben  und  zu  wählen  unter  den  Dingen,   so  die  Vernunft  begreift  usw. 
^)  Römer  7,  14  »)  Johannes  8,  36. 


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—    57    — 

freie  kinder  und  könnet  gerecht  nnd  Gottseliglich  leben,  das 
ist,  an  Christum  gleuben  und  den  Glauben  durch  gute  werck 
bezeugen. 

Oder  kurtzlich  also: 

Wir  sind  von  natur  kinder  des  zorns  und  knechte  der  5 
sunde  und  können  nichts  guts  thun  von  uns  selbs.  Aber 
wenn  uns  Christus  wider  gebiert  und  den  Glauben  und  geist 
gibt,  denn  so  sind  wir  frey  und  können  guts  thun  durch  den 
Heiligen  geist  Aber  one  die  gnade  und  den  geist  Christi 
gedencken,  begeren  und  thun  wir  eitel  böses,  wie  es  der  böse  10 
geist  haben  wil.  Und  wir  selbs  thun  das  böse  aus  uns  selbs, 
Gott  hat  keine  schuld  daran.  Er  verbeut  das  böse  und  straffts 
zeitlich  und  ewiglich.  Der  Teufel  und  unser  verkerter  böser 
Wille  sind  aller  sunden  ursach  und  theter. 

Und  solchs  ist  uns  von  nöten  wol  zu  verstehen,  auff  das  15 
wir  erkennen  den  jamer  unser  ersten  geburt,  durch  welche 
wir  sind  knechte  der  sunden  und  des  Teufels  eigen  worden, 
welcher  uns  gefangen  helt  von  wegen  der  sunde  nach  seinem 
willen  und  können  aus  seinen  henden  nicht  entrinnen,  es  kome 
denn  unser  starcker  Hellt  Christus,  der  den  starcken  gewap-^SO 
neten,  der  sein  pallast  bewaret,  überwinde  und  durch  Gottes 
finger,  das  ist,  durch  den  Heiligen  geist,  den  unsaubern,  bösen 
geist  austreibe;  inn  der  andern  zum  Timotheo  am  andern 
Capitel,  Luce  am  eilfften  Capitel.^) 

Wenn  wir  solchs  wol  erkennen,  so  werden  wir  auch  deste  25 
bas  verstehen  den  grossen,  unausforschlichen  schätz  der  gnaden 
Gottes,  die  wir  inn  Christo  haben.  Denn  allein  Christus  über- 
windet den  Teufel  und  treibt  in  aus.  Erlöset  und  erleucht  uns 
durch  seinen  geist,  das  wir  lust  kriegen,  zu  leben  nach  Gottes 
willen.  Darumb  ob  wol  des  Teufels  reich  starck  und  gros  ist,  30 
denn  wenn  er  seinen  Hof  oder  pallast  (das  ist,  die  Gottlosen) 
bewaret,  so  bleibet  das  seine  mit  frieden,  das  ist,  es  kan  im 
niemand  entrinnen,  so  ist  doch  Christus  Reich  noch  stercker 


»)  2.  Timotheiis  2,  26.    Lukas  11,  20—22. 


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—    58    - 

und  mechtiger,  denn  er  treibt  den  Tenfel  aus,  nimpt  im  alle 
seinen  hämisch  und  teilet  den  raub  aus  und  schaffet  inn 
seinem  Reich  ewigen  friede  und  Sicherheit. 


VI. 

5      Wie  man  recht  reden  so!  von  der  heimlichen 
Versehung  Gottes.^) 

Das  ein  ewige  Versehung  Gottes  sey,  ist  gewis  aus  Sanct 
Paulo  Ephe.  am  ersten:  Er  hat  uns  erwelet  duixh  Christum, 
ehe  denn  der  weit  grund  gelegt  war.^)    Item  Hom.  9:  Ehe 

10  denn  die  kinder*)  geborn  waren  und  wider  gutes  noch  böses 
gethan  hatten,  auff  das  der  fursatz  Gottes  bestünde  nach  der 
wal,  ward  gesagt  zu  Eebecca:  Der  grosse  sol  dienstbar  werden 
dem  kleinesten,  wie  geschrieben  stehet  Malach.  1:  Jacob  hab 
ich  geliebet,  aber  Esau  hab  ich  gehasset.*) 

16  Aber  dieser  hoher  heimlicher  Artikel  von  der  Versehung 
ist  nicht  eine  milchspeise  für  die  schwachen  jungen  kinder, 
sondern  eine  staixke  speise  für  die  starcken.^)  Darumb  ist 
hoch  von  nöten,  das  man  fursichtiglich  diesen  Artikel  handle 
und  nicht  für  idermann  on  unterscheid  davon  schwetze.    Denn 

20  S.  Paulus  leret,  das  unter  den  Christen  alles  zur  besserung 
geschehen  sol,  und  wir  sehen,  wie  mit  grosser*)  furcht  und 
ehrerbietung  gegen  Gott  S.  Paulus  diesen  Artikel  handlet 
Rom.  9,  10  und  11. 

Darumb  reden  etliche  übel  und  ergerlich  davon  mit  solchen 

26 Worten:  Bistu  versehen,  so  thu,  was  du  wilt,  Es  sey  guts 
oder  böses,  so  wirstu  selig  etc.  Das  ist  ein  Gottes  lesterlicher 
irthumb,  sondern  also  soltestu  sagen:  Wer  zum  ewigen  leben 
versehen  ist,  der  gleubt  dem  Evangelio  und  bessert  sein 

*)  Text,  lat.:  De  praedestinationis  mysterio.  •)  Epheser  1,  4. 

Text.  lat.  hat  „pater  elegit  nos".  *)  Auch  hier  fOgt  Text.  lat.  gesftuer 

die  beiden  Namen  Esau  et  Jacob  hinzu.  ^)  K6mer  9, 11  -  18.    Ma- 

leachi  1,  2b-3a.  ^)  Vgl.  Hebräer  ö,  12—14.  «)  —  mit  wie  großer. 


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Jebeo,  denn  Gott  bernfft  in  zu  seiner  zeit,  einen  inn  der  jngent, 
den  andern  im  alter  nach  seinem  willen.  Es  bleibt  kein  Er- 
weiter im  nnglanben  nnd  sandlichem  leben  endlich.  Welcher 
aber  imer  hin  böses  thut  und  daraaff  beharret,  der  wird  ver- 
dampt,  denn  er  hat  keinen  Christlichen  Glauben.  Wo  er  6 
flenbte,  so  lebte  er  Christlich  nnd  besserte  sein  leben.  Daramb, 
wer  endlich  keine  bnsse  thnt,  der  ist  gewislich  der  yer- 
dampten  einer. 

Dammb  ists  gewis,  welcher  versehen  ist,  der  thnt  nicht 
imerdar,  was  er  wil,  sondern  wird  bekert  und  thut  darnach  lo 
auch,  was  Gott  wil.  Wer  böses  thut,  der  kan  und  sol  ver- 
dampt  werden,  wenn  er  im  bösen  verharret  Gleich  wie  Gott 
Petrum,  Paulum  und  uns  andere  Christen  zur  Seligkeit  ver- 
sehen hat,  also  hat  er  auch  zuvor  verordnet  und  versehen 
ire  bekerung,  iren  Christlichen  wandeP)  und  gute  werck,l6 
darinnen  sie  wandeln  und  iren  beruff  und  Glauben  bezeugen 
mosten.    Zun  Ephesem  am  andern  Capitel.') 

Wir  sollen  den  tieffen  abgrund  Göttlicher  versehuiig  nicht 
mit  menschlichem  furwitz  handeln,  sondern  thun,  was  uns 
Gott  heisst  und  befihlt,  nemlich  dem  Evangelio  gleuben.  Wer  20 
im  gleubt,  der  ist  der  erweleten  einer.  Zun  Römren  am 
achten,  Johan.  am  achten.*)  Wer  im  noch  nicht  gleubt,  der 
ist  entweder  nicht  aus  der  zal  der  ausserwelten  oder  aber,  es 
ist  die  stunde  seines  beruffs  *)  noch  nicht  komen.  Wer  hie 
nicht  greulich  fallen  wil,  wie  Lucifer,  *)  der  sol  mit  den  heim-  26 
liehen  gerichten  Gottes  unverworren  bleiben. 

Daromb  gefellet  mir,  das  Sanct  Augustin  Libro  de  bono 
perseverantie  Cap.  zwey  und  zwenzigsten  die  prediger  warnet, 
so  von  der  heimlichen  Versehung  und  bedachtem  rat  Göttlichs 
willens  ftar  dem  volck  reden  wollen,  und  spricht  also:*)  Wenn 30 


^)  Text  lal  fttgt  in  diesem  Zusammenhang,  den  er  deutsch  bietet,  noeh 
ein:  boflee.         <)  Epheser  2,  1—9.  ')  Bömer  8.  1.  38-^9.    Joh.  8,  31. 

*)  D.  L  seiner  Bemfong.  ^)  Geläufige  Anspielung  an  Jesaias  14,  Vi, 

*)  Migne,   Patres   lat.,   Tom.   45  ^   pag.  1029:   quamris   ergo  haec   rera 


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-    60    — 

wir  zu  der  Gemeiue  Christi  oder  den  Christgleubigen  reden, 
«ollen  wir  nicht  sprechen :  Das  ist  durch  bedachten  rat  Gött^ 
lichs  willens  endlich  beschlossen  von  der  Versehung,  das  etliche 
aus  euch  aus  dem  Unglauben  zum  Glauben  komen  sind,  da 

»  6ir  habt  angefangen  zu  wollen  gehorsam  sein.  Denn  wenn  wir 
sagen  „Etliche  aus  euch",  so  scheinets,  als  thun  wir  andern 
unrecht  und  schliessen  sie  aus  von  der  Seligkeit.  Sondern 
also  sollen  wir  für  der  Christenheit  reden:  Das  ist  durch  be»- 
dachten  rat  Göttlichs  willens  beschlossen  von  der  Versehung, 

<lOdas  ir  aus  dem  Unglauben  seid  ;sum  Glauben  komen,  da  ir 
den  willen,  gehorsam  zu  sein,  von  Gott  empfangen  habt^  und 
das  ir  auch  empfahet  die  gnade  zu  beharren  und  im  Glauben 
bleibet.  Das  ist,  Gott  hat  euch  den  Glauben  an  Christum 
und  guten  willen  gegeben  und  gibt  euch  auch  die  gnade,  das 

tlöir  bis  ans  ende  im  glauben  verharret. 

Desselben  gleichen  sol  man  auch  nicht  also  reden  für 
dem  hauflfen,  das  die  andern,  so  inn  sundlichep  lüsten  ver*- 
harren,  darumb  noch  nicht  sind  auffgestanden,  weil  sich  Gott 
durch  die  hülflfe  der  gnade  noch  nicht  über  sie  erbarmet  hat, 

,20  sie  auff  zu  richten.  Denn  aus  solchen  werten  möcht  man 
meinen,  das  wir  etlichen  unter  dem  hauflfen  die  gnade  der 
Busse  versagten.  Sondern  also  sol  man  für  dem  volck  reden: 
Welche  noch  inn  lüsten  der  verdamlichen  sunde  beharren, 
die  sollen   die  heilsame  straffe   oder  Züchtigung  Gottes  er- 

^greiffen.  Welche  aber  nicht  also  sind,  sollen  nicht  sich  er- 
heben und  vermessen  als  von  iren  eigen- wercken,  oder  rhümen, 

sint,  non  tarnen  isto  modo  dicenda  sunt  andientibns  multis,  nt  sermo  ad 
ipsos  etiam  convertatur,  eisque  dicantor  illa  istorum  verba,  quae  veatriß 
litteris  indidistis  et  qnae  superias  interposni :  „Ita  se  habet  de  praedestinatione 
definita  sententia  Toluntatis  Dei,  ut  alii  ex  vobis  de  infidelitate,  accepta 
obediendi  voluntate,  veneritis  ad  fidem."  Quid  opus  est,  dici :  alii  ex  vobis V 
Si  enim  Ecclesiae  Dei  loquimur,  si  credentibus  loquimur,  cur.  alios  eorum 
ad  lidem  venisse  dicentes,  caeteris  facere  videamur  injuriam ;  cum  possimos 
■congruentius  dicerci  Ita  se  habet  de  praedestinatione  definita  sententia 
Dei,  ut  ex  infidelitate  veneritis  ad  fidem,  accepta  voluntate  obediendi,  et 
accepta  perseverantia  permaneatis  in  fide?    (De  bono  pers.  cp.  22.) 


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—    61    - 

als  betten  sie  es  nicht  empfangen,  denn  Gott  ists,  der  da  Inn 
euch  wircket  beide,  das  wollen  und  thun,  nach  seinem  wol- 
gefallen.  ^) 

YIL 

Von  der  Christlichen  Freiheit.  5 

Christus  hat  uns  erlöset  und  frey  gemacht  von  der  sunde 
nnd  straffe  der  sunden,  von  dem  ewigen  fluch  oder  tod  und 
von  des  Teufels  gewalt,  und  schencket  uns  den  Heiligen  geist, 
der  unser  hertzen  vemeuet,  das  wir  lust  haben,  zu  wandeln 
inn  Grottes  Geboten,  und  schützet  uns  wider  des  Teufels  listlO 
und  gewalt.  Des  gleichen  hat  er  uns  frey  gemacht  von  den 
zweien  stücken  des  Gesetz  Mosi,  die  man  heisst  Legem  Ceri- 
monialem  und  Judicialem  und  von  allen  menschlichen  auff- 
setzen  inn  der  Christenheit.  Darumb  alle  Satzungen  der 
Kirchen,  die  da  dienen  zu  eusserlichen  Ordnungen,  halten  wir  15 
frey  und  ungenötigt,  damit  es  inn  der  Gemeine  alles  ordent- 
lich zugehe,  wir  setzen  aber  kein  Heiligkeit  oder  Gottes  dienst 
darein,  wo  man  sie  helt,  auch  keine  sunde,  wo  man  sie  on 
ergemis  nachlest 

Dis  ist  die  überaus  hohe,  herrliche  freiheit,  die  wir  inn  20 
Christo  haben,  aber  ein  geistliche,  nicht  ein  fleischliche  freiheit. 
Darumb  sol  man  zusehen,  das  man  durch  solche  freiheit  nicht 
dem  fleisch  räum  gebe,  sondern  durch  die  Liebe  einer  dem 
andern  diene,  und  das  wir  die  einfeltigen  unsere  Brüder*) 
nicht  ergem,  wie  S.  Paul,  leret  Gal.  5.  Rom.  14.  1.  Corint.8.  *)  26 

Man  sol  aus  der  geistlichen  freiheit  keine  fleischliche 
Sicherheit  und  mutwillen  machen,  das  man  wolte  vogelfrey 
und  niemands  unterworffen  sein. 

Nach  dem  fleisch  können  wir  wol  jedermans  knechte  und 
nnterthan  sein  und  doch  im  Geist  frey  sein  und  bleiben  nicht  30 


»)  Philipper  2,  13.  •)  Text.   iat.   hat  nur   ^simplices  fratres". 

*)  Galater  5,  13.    Eömer  14,  15.    1.  Kor.  8,  11—13. 


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—    62    — 

TOB  weltliclier  oier  bnrgerlicher  pflidit  and  dienstbArkeity 
sondern  von  d^  Sunde,  Tod  nnd  Helle,  das  itzt  die  Sud« 
und  der  Teufel  nicht  über  uns  herrschen  wie  zuvor,  da  wir 
unter  des  Teufels  gewalt  und  noch  nicht  inn  die  gnade  und 
5  Reich  Christi  genomen  waren.  Also  sagt  8.  Paulus  Born.  6: 
Die  sunde  wird  nicht  über  euch  herrschen,  sintemal  ir  nicht 
seid  unter  den  Gresetz,  sondern  unter  der  Gnade,  ^)  und  Johan.  8: 
Wo  euch  der  Son  frey  machet,  so  werdet  ir  recht  frey  sein  etc.^) 


vm. 

10      Wie  man  recht  reden  sol  Ton  der  weltlichen 

Oberkeit 

Weltlicher  Obericeit  ampt  ist  nicht  ein  Tyranney  oder 
frevele  gewalt,  sondern  eine  ordenliche  gewalt,  von  Gott  uns 
zu  nutz  gegeben. 

15  Die  Christen  sollen  alleriey  gesetz  und  Ordnungen  irer 
weltlichen  Oberkeit  mit  vleis  halten,  wo  sie  nicht  wider  Gott 
sind  und  zu  snnden  zwingen  wollen,  denn  inn  solchem  fal 
mus  man  Gott  mehr  gehorchen,  weder  den  menschen.*) 

Und  solche  Ordnungen  der  Oberkeit  sol  man  nicht  halten 

SOfiir  lauter  Menschliche  traditiones,  denn  sie  haben  die  krafft, 
das  man  inen  gehorsam  schuldig  ist,  on  mittel*)  aus  Gottes 
wort;  inn  der  ersten  Epistel  Petri  am  andern  Capitel:  Seid 
unterthan  aller  menschlichen  Ordnungen  umb  des  HERRN 
willen,  es  sey  dem  König,  als  dem  Obersten,  oder  den  Heübt- 

25leuten,  als  den  gesandten  von  im  zur  räche  der  ubeltheter 
und  zu  lobe  den  fromen.  *)  Denn  das  ist  der  wille  Gottes, 
das  ir  mit  wolthun  verstopffet  die  Unwissenheit  der  törichten 
menschen,  als  die  Freien,  und  nicht  als  bettet  ir  die  freiheit 
zum  deckel  der  bosheit,  sondern  als  die  knechte  Gottes.  •) 

»)  Römer  6,  14.  «)  Johannes  8,  36.  *)  Act.  5,  29.    (Der  Text, 

lat.  aitiert  kier  fälschlich  Act  15.)        *)  Text  lat.:  imme^ate.        *)  Text, 
lat.:  recte  agentium.  •)  1.  Petri  2,  13—16. 


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—    63    — 

Der  gemeine  pobel  bat  yon  den  Papisten  gelernet,  die 
weltUcke  Oberkeit  verachten.  Dammb  mns  man  inen  mit 
yleis  und  oft  salche  vfort  des  heiligen  Apostels  einbleuen, 
znn  Rdm^n  am  dreizehenden :  Jderman  sey  umterthan  der 
Oberkeit,  die  gewalt  über  in  hat.  Denn  es  ist  kein  Oberkeit  6 
m  TOB  Gott.  Wo  aber  Oberkeit  ist,  die  ist  von  Gott  ver- 
(Nndnet  Wer  sich  mn  wid^  die  Oberkeit  setzet,  der  wid^> 
strebet  Gottes  Ordnung.  Die  aber  widerstreben,  werden  über 
äek  ein  urteil  empfahen.^)  Item,  Die  Oberkeit  ist  Gottes 
Dienerin,  eine  Rächerin  zur  strafe  über  den,  der  böses  thut.10 
So  sind  -)  nu  aus  not  mterthan,  nicht  alleine  umb  der  straffe^) 
willen,  sondern  auch  umb  des  gewissens  willen. 

Also  sol  man  oft  vermanen,  wie  köstlich  gut  werck  es 
sey  und  Gott  wolgefellig  beide,  das  die  Oberkeit  Göttlich 
regiere,  und  das  die  mnt^thanen  irer  Oberkeit  willig  und  IS 
gerne  geh(»*sam  leiste. 


IX. 

Wieman  den  spruch  des  Propheten  recht  handien 
sol,  Esaie  am  54:  Es  werden  alle  deine  kinder 

von  Gott  geleret  sein.*)  20 

Diesen  spruch  zihe  ich  nicht  vergeblich  an,  denn  er  von 
vielen  Ungelerten  gerhümet  wird,  als  werden  darin  gelobt 
die,  so  keine  schrifft  lernen  noch  wissen,  und  meinen,  sie 
haben  allhie  für  sich  Gottes  wort,  dadurch  alle  löbliche  künste, 
da  zu  die  Heilige  SchriflPt,  verworfen  werden.  Weil  Christus  25 
Joh.  6  spricht:  Es  kan  niemand  zu  mir  komen,  es  sey  denn. 


»)  Römer  13,  1  ff.  *)  Wahrscheinlich  ein  Druckfehler  für  „seid" 

(Text.  lat.  hat:  qDapropter  oportet  esse  snbditos).  *)  Text.  lat.  lautet 
„propter  iram".  *)  Jesaias  54, 13.  Als  Zitat  bei  Joh.  6,  45.  Wenn  der 
Text  lat.  „Dabo  univerBOs  üios  tnos  doctos  a  Domino"  hat,  so  folgt  er  genau 
dem  Ausdrack  der  Prophetenstelle,  während  der  Text  der  deutschen  Ausgabe 
T<m  der  Formulierung  des  Zitats  im  Johaaneseyangelium  beeinflußt  ist 


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—    64    — 

das  in  zihe  der  Vater,  der  mich  gesand  hat,  und  ich  werde 
in  aufferwecken  am  Jüngsten  tage.  Es  stehet  geschrieben 
inn  den  Propheten:  Sie  werden  alle  von  Gott  geleret  sein. 
Wer  es  nn  höret  vom  Vater  und  lernets,  der  kömpt  zu  mir.  *) 

.6  Hie  redet  Christus  von  der  gemeinen  lere  des  Evangelii, 
so  jederman  zur  Seligkeit  von  nöten  ist,  dadurch  wir  Christum 
lernen  und  erkennen,  das  er  sey  umb  unser  willen  mensch 
worden,  und  an  in  als  unseni  einigen  Heiland  gleuben.  Durch 
diese  lere  werden  gewislich  alle  ausserwelten  erleucht,  und 

10  wer  die  selbige  nicht  hat,  der  mus  verloren  werden. 

Aber  über  diese  gemeine  lere  und  erkenntnis  ist  ein 
ander  kunst  und  sonderlicher  verstand  inn  der  Christenheit, 
welchs  heisst  die  gäbe  der  Weissagung,  damit  nicht  on  unter- 
scheid alle  Christen  begnadet  werden,  sondern  ettliche,  so  der 

15  Christenheit  fui^stehen  sollen  inn  der  lere,  das  sie  die  heilige 
Schriflft  auslegen,  zur  besserung,  *)  zur  vermanung,  zu  trostung; 
inn  der  ersten  zun  Corinthern  am  vierzehenden  Capitel.') 
Diese  gäbe  hat  nicht  ein  iglicher  Schuster  oder  Schneider,*) 
den  Apostel  gleich,  und  welche  die  nicht  haben,  die  sollen 

20  nicht  leren  inn  der  Christenheit,  sondern  sollen  die  andern,  so 
da  leren  können,  mit  ehrerbietung  hören,  wie  Sanct  Paul,  da- 
selbs  sagt:  Wer  nicht  ist  ein  Ausleger,  der  schweige  inn  der 
Gemeine,  er  rede  aber  im  selber  und  Gotte.*) 


X. 

25     Wie  man  recht  leren  sol  von  der  Gnugthuung. 

Eigentlich  zu  reden,  ist  ja  keine  Gnugthuung  für  die 
sunde  der  weit,  denn  der  teure  tod  Christi.  Der  hat  allein 
für  uns  gnug  gethan  der  gerechtigkeit  Gottes,  und  uns  Gotte 


*)  Johannes  6,  44—45.         *)  Text.  lat.  hat  hier  „ad  aedificationem^. 
')  1.  Kor.  14,  3.  ^)  Text.  lat.  hat  den  Zusatz:   Hoc  donom  non  est 

Omnibus  cerdonibus,  sartoribus  et  sutoribus.  •)  a.  a.  0.  Vers  28. 


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—    65    — 

Tersänet;  aber  der  selben  gnngthnimg  wird  nieiMiid  teü- 
^affüg,  denn  die  da  gleuben  dem  Evangelio  Christi  Niemand 
4kber  wird  for  gleubig  gebalt^  wo  er  sein  leben  nicht  bessert 
ittd  seinen  glanben  dareh  gnte  werck  bezeuget,  oder  wie 
Sanct  Paulus  redet,  der  da  verleugnet  das  Gottlose  wesen  5 
und  die  weltlich»  lüste  und  züchtig,  g^echt  und  Gk)ttselig 
lebet  inn  dieser  gegenwertigen  welt.^) 

Darumb  werden  die  fehrlich^)  von  inen  selbs  betrogen, 
-die   also  lestem:  Was  ists  von  nöten,   das  ich  faste,  bete, 
meinen  leib  casteie  und  gute  werck  übe?    Hat  nicht  Christus  K) 
für  mich  dem  Gesetz  gnug  gethan?    Weil  denn  er  es  gethan 
hat,  was  bedarflf  es  meiner  werck? 

Ja,  lieber  Bruder,  Das  ist  wol  war,  das  Christus  hat  der 
strengen  gerechtigkeit  Gottes  und  dem  Gesetz  auffs  aller  vol- 
kömlichst  gnug  gethan  und  einen  unmenschlichen  schätz  ge-lö 
geben  zur  bezalung,  unser  sunde  zu  tilgen.  Aber  der  über- 
reichen bezalung  und  gnugthaung  wird  niemand  teilhaflftig, 
er  gleube  denn  an  Christum.  Die  aber  an  Christum  gleuben, 
<lie  sind  on  zweivel  der  sunden  feind,  weil  für  die  selbige  zu 
Tersünen,  ein  solch  teur  opffer  hat  müssen  geopffert  werden,  20 
Bnd  fahen  nu  an,  sunde  zu  meiden  und  unstrefflich  zu  leben. 
Welche  aber  inn  sunden  verharren  und  nicht  busse  thun,  die 
g:leuben  auch  nicht,  das  Gottes  Son  für  unser  sunde  gestorben 
sey.  Darumb  sind  sie  den  Heiden  gleich  zu  halten,  und  sollen 
noch  kennen  von  der  Gnugthuung  Christi  nicht  rhümen.  Denn  25 
Er  hat  dich  nicht  dazu  von  sunden  erlöst,  das  du  forthin 
imerdar  inn  sunden  solt  ligen  bleiben,  sondern  das  du,  nach- 
dem deine  sunde  getilget  sind,  solt  Götlich  und  heiliglich 
leben,  gleich  wie  ein  Wund-Artzt  ein  tödlich  verwundten  heilet 
nicht  dazu,  das  er  wider  sol  wund  werden,  sondern  das  er  30 
forthin  möge  gesund  sein  und  bleiben.  Also  sagt  Sanct  Paulus 
inn  der  ersten  zun  Thessalonichem  am  vierden :  Gott  hat  uns 
nicht  beruffen  zur  unreinigkeit,  sondern  zur  heiligung;*)  und 

»)  Titas  2,  12.  «)  öefährlitk.  «)  1.  Thessal.  4,  7. 

Uckeley,  Urbanas  Rbegins.  5 


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—    66    — 

zun  Römern  am  sechsten  Capitel:  Wir  sind  mit  Christo  be- 
graben durch  die  Tauffe  inn  den  tod,  das,  gleich  wie  Christus 
aufferweckt  ist  von  den  todten  durch  die  herrligkeit  Gk>ttes 
des  Vaters ,   also  sollen  auch  wir   inn  einem  neuen  leben 

5  wandeln.  ^) 

Darumb  sol  ein  Christen  also  dencken  und  sagen:  Christus^ 
Mein  Herr  und  mein  Gott,  ist  von  wegen  meine  sunde  zu- 
tilgen, gestorben  und  hat  dafür  bezalet  und  gnug  gethan* 
Darumb  wil  ich  hinfart  die  sunde  fliehen,  als  ein  tödliche^ 

10  Hellische  gifft  und  pestilentz,  welche  durch  kein  ertzney  hat 
getilget  mögen  werden,  denn  durch  den  unschuldigen  tod  des- 
Sons  Gottes.  Hat  die  bezalung  meiner  sunde  und  die  ver- 
sünung  so  viel  gekostet,  nemlich  den  bittem  tod  meines 
Gottes,  so  behut  mich  Gott  für  sunden. 


16  XI. 

Wie  man  recht  redensolvonder  Jungfrau  seh  äfft. 

Die  Jungfiauschaflft  ist  ein  solcher  stand,  den  Sanct  Pau- 
lus geraten  hat  denen,  so  die  gäbe  haben,  ausser  der  Ehe 
keusch  zu  leben.     Denn  solche  können  on  grosse  hindemis 

20 das  Evangelium  leren  und  predigen,  wie  Sanct  Paulus  sagt: 
Welche  nicht  freihet,  die  sorget,  was  dem  HERRN  angehöret,, 
das  sie  heilig  sey,  beide  am  leibe  und  auch  am  geist  etc^) 
Darumb  sol  man  also  leren:  Wer  die  hohe  gnade'*)  hat,  also 
keusch  zu  bleiben,  der  brauche  der  selben,  denn  die  zeit  ist 

2okurtz  (spricht  der  Apostel;,  und  das  wesen  dieser  weit  ver- 
gehet. *)  Wer  aber  brunst  leidet  *)  und  die  selbige  gäbe  nicht 
hat  der  gebe  sich  inn  den  heiligen  Ehestand.  Leibliche  trüb- 
sal  müssen  zwar  die  Eheleut  haben.  •)  Sie  sind  aber  inn 
solchem   stände,  der  Gott  gefellet,   und  daraus  bürgerliche 


»)  Kömer  6,  4.        «)  1.  Kor.  7,  34.        »)  Text.  lat. :  donum.        *)  a.  a.  O.. 
Vers  29  a  und  31  b.        5)  a.  a.  0.  Vers  9.        «)  a.  a.  0.  Vers  28. 


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—    67    — 

erbarkeit  inn  der  weit  entspringet  Denn  die  Ehe  ist  bey 
jederman  ehriich  zu  halten,  und  das  Ehebette  unbefleckt; 
zun  Ebreem  am  eiMFten.^)  Die  Hurer  und  Ehebrecher  wird 
Grott  richten. 


XII.  6 

Wie  man  recht  reden  sol  von  der  Beicht. 

Die  Beicht  ist  alle  zeit  inn  der  Christenheit  gewesen. 
Es  sind  aber  ettliche  unnötige,  ja  auch  fehrliche  ^)  zusetze  durch 
menschen  daran  gehengt. 

Zum  Ersten  haben  sie  gesagt,  Man  müsse  alle  sunde  inn  10 
der  Beicht  erzelen,  welchs  doch  nicht  müglicb  ist. 

Zum  Andern,  Man  mflsse  seinem  eigenen  Priester  beichten, 
es  sey  denn,  das  man  von  dem  selben  erleubnis  habe,  anders 
wo  zu  beichten.    Wßl  ists  gut  und  nützlich,  das  einer  bey 
seinem  eigen  pfarer  rat  hole,   aber  darinn  sol  man  das  ge-i6 
wissen  mit  keinem  gebot  beschweren. 

Zum  Dritten,  Wo  man  williglich  eine  sunde  nicht  erzelet 
bette,  so  müsse  man  wieder  auffs  neu  beichten. 

Zum  Vierden,  Ist  das  volck  inn  den  wahn  geftiret,  das 
die  sunde  vergeben  werde  von  wegen  desselben  wercks,  nem-  20 
lieh  der  beichte,  und  von  wegen  eigener  Reu,  und  ist  Christus 
verdienst  gar  geschwigen.     Solchs  haben   die  Papisten   als 
nötig  getrieben  mit  grosser  fahr  und  schaden  der  gewissen. 

Darumb  sol  ja  ein  Christen  gerne  beichten  Gotte  teglich 
und  alle  zeit,  da  zu  auch  oflFt  dem  Priester  oder  Diener  des  26 
Worts,  zum  wenigsten,  wenn  er  zu  Gottes  tisch  wil  gehen, 
aufif  das  er  aus  des  Dieners  mund  das  wort  Christi  höre, 
welcher  durch  desselben  mund  uns  los  spricht  von  unsem 
sunden.  Denn  Christus  hat  seiner  Christenheit  gegeben  die 
Schlüssel  desHimelreichs;  die  selbige  befilht  sie  den  Dienern  30 


')  Hebräer  13(!),  Vers  4.  «)  Vgl.  Seite  65  Anm.  2. 

5* 


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—    68    - 

• 

des  wort»;  welchen  nu  die  selbigen  sunde  vergebea,  denen  sind 
sie  vergeben,  and  welchen  sie  die  sunde  behalten,  denen  sind 
sie  behalten.^)  Dammb  sollen  wir  festigHch  der  Absolntio 
gleuben,  nicht  weniger,  denn  ob  -)  Christus  selbs  sichtiglicli  **) 

5  uns  absolviret,  wie  er  Magdalenam  und  den  Gichtbruchtigen 
absolvirt  hat. 

Die  das  hochwirdige  Sacrament  empfahen  wollen,  die 
sollen  zuvor  inn  der  Beicht  vleissig  verhört  werden,  nicht 
alle  oder  ir  viel  zugleich  und  auflF  ein  hauffen,  sondern  einer 

10  nach  dem  andern,  das  ein  Pfarrer  könne  hören,  ob  sie  den 
Catechismum  können  verstehen,  und  ob  sie  wissen,  warumb 
sie  zum  Sacrament  gehen,  und  was  sie  im  Sacrament  suchen 
sollen. 

XIII. 

löWie  man  recht  reden  sol  von  Menschensatzungen. 

Man  sol  nicht  on  unterscheid  allerley  Menschliche  Satzungen 
verwerifen,  und  sonderlich  mus  ich  vermanen,  das  niemand  der 
weltlichen  Oberkeit  Ordnung  und  gebot  für  traditiones  oder 
Menschen  lere  halte.    Denn  dieses  worts  (Menschen  lere  oder 

20  Traditiones)  brauchen  wir  allein  von  den  Satzungen,  so  die 
Bischove  inn  der  Kirchen  pflegen  zu  machen,  und  wir  ver- 
werffen  allein  solche  Traditiones,  welche  entweder  öffentlich 
wider  Gottes  wort  streben,  als  die  lere  von  dem  opffer  der 
Messe,  das  dadurch  Vergebung  der  sunde  verdienet  werde,  für 

25  die  todten  und  lebendigen.  Item,  die  Lere  von  dem  ehelosen 
leben,  das  Priester,  Mönche  oder  Nonnen  sundigen,  so  sie  ehe- 
lich werden,  Oder,  wenn  Bischove  oder  Priester  gesetz  oder 
Traditiones  machen,  da  mit  man  Gott  sonderlich  dienen  sol, 
und  da  durch  die  sunder  gerecht  sollen  werden.    Welcherley 

80  menschen  gesetz  sind  inn  der  Moncherey,  von  speisen  und 

^)  Vgl.  Johannes  20,  23.  *)  denn  als  ob.  »)  Text,  iat  : 

visibiliter. 


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—    6»    — 

»ancherley  kleidangeii)  damit  sie  gemeinet  haben,  das  sie 
Gott  dieneten,  und  für  grosse  sande  gehalten  haben,  wo  je* 
nand  solche  regel  oder  lere  ubertrette,  and  da  gegen  ge- 
rechUgkeit  darein  gesetzt^  so  man  die  selben  hielte. 

Solche  lere  hat  Christas  Matthei  am  fünffsehenden  Capitel  5 
öffentlich  verworffen  and  verdarapt,  als  er  spricht:  Ir  Heuchler, 
es  hat  Esaias  wol  von  euch  gesagt:  Dis  volck  nahet  sich  zu 
mir  mit  seinem  münde,  aber  ir  hertz  ist  ferne  von  mir;  Ver- 
geblidi  aber  dienen  sie  mir,  die  weil  sie  leren  solche  lere, 
die  nichts  denn  menschen  gebot  sind,  das  ist.  Es  ist  eitel  10 
vergeblicher,  unnützer  dienst.^) 

Aber  ettliche  Satzungen  werden  gestellet  inn  der  Christen- 
heit zu  gutem  brauch,  nemlich,  das  eusserlich  ein  gute  Ord- 
nung gehalten  werde.  Denn  S.  Paulus  hat  nicht  on  ursach 
die  Corinther  vermanet,  das  inn  der  Gemeine  sol  alles  zuchtig- 16 
lieh  und  ordenlich  zu  gehen.  1.  Corinth.  14.  *)  Inn  solchen 
suchen  wir  keine  frömigkeit  ftir  Gott,  sondern  die  einfeltigen 
werden  dadurch,  als  inn  einer  kinderzucht  gehalten,  das  sie 
sich  lernen,  mit  zucht  und  scheu  gegen  Gottes  wort  und 
Sacrament  erzeigen.  Also  halten  wir  die  gemeine  Sontagsfeier.  20 
Also  mag  ein  Bischoff  zur  zeit  eine  fasten  setzen,  das  die 
leut  deste  geschickter  seien  zu  beten.  Item,  man  setzet  einen 
tag,  daran  das  volck  zusamenkome,  Gottes  wort  zu  hören  und 
die  Sacrament  zu  empfahen,  als  da  sind  ettliche  furnemliche 
Feste  im  jar,  von  der  Geburt  und  Beschneidung,  Von  dem  26 
Leiden,  Aufferstehung  und  Himelfart  des  HErrn,  Von  der 
Sendung  des  Heiligen  geists,  Von  der  Engelischen  botschafft,  *) 
Von  S.  Johanne  dem  Teuffer,^)  auff  das  die  fumemlichen 
Artikel  des  Evangelii,  so  an  solchen  tagen  gehandelt  werden, 
inn  gedechtnis  der  leute  hafften  und  bleiben  mögen.  90 

Wider  solche  Satzungen,  so  von  eusserlichen  dingen,  die 
da  Indifferentes  und  frey  sind,  umb   guter  Ordnung  willen 


')  Matth.  15,  7—9  (vgl.  Jesaias  29,  13).        *)  1.  Kor.  14,  40.        »)  An- 
BQBciatio  Marifte,  25.  März  (vgl.  Lukas  1, 26—38).       ^)  Johannistag,  24.  Juni. 


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—    70    — 

eingesetzt  werden,  sol  niemand  predigen,  sondern  die  prediger 
sollen  die  selbigen  loben,  damit  die  einfeltigen  and  unversten- 
digen  nicht  von  solchen  Ceremonien  und  Ordnungen  abgescheuet 
werden,  und  also  anfahen,  alle  ubung  des  Christlichen  lebens 

6 zu  verachten,  wie  es  pflegt  zu  geschehen,  wo  die  Prediger 
on  unterscheid  alle  Traditiones  verwerffen,  als  man  an  vielen 
orten  sihet,  das  das  volck  nicht  mehr  inn  die  Kirchen  gehet 
oder,  ob  sie  gleich  hinein  gehen,  doch  keines  Christlichen 
ampts,  so  darinn  gehalten  wird,  nicht  achten.    Zu  solchem 

lOirthumb  geben  ursach  ungelerte  und  freche  Prediger,  die  on 
mas  und  on  auflFhören  wider  alle  Ceremonien  und  Ordnungen 
schreien,  bis  der  pobel  zuletzt  auch  die  predigt  und  den 
brauch  der  Sacrament  hat  lernen  verachten. 

Aus  diesem  ist  leicht  zu  verstehen,  wie  man  von  Cere- 

lömonien  und  Festen  recht  halten  und  reden  sol.  Die  Christen- 
heit, so  hie  noch  streitet  im  fleisch,*)  kau  der  Ceremonien 
nicht  geraten.  *)  Darumb,  wo  sie  nicht  oftenüich  wider  Gottes 
wort  streben,  sondern  umb  guter  Ordnung  willen  bisher  ge- 
halten sind  on  den  unchristlichen  wahn,  das  man  dadurch 

^frömigkeit  für  Gott  erlangen  solte,  so  sol  man  sie  traun  nicht 
verwerffen,  sondern  umb  friedes  und  einigkeit  willen  behalten, 
auff  das  den  einfeltigen  kein  ergernis  gegeben  werde.  Denn 
es  pflegen  offt  grosse  empörung  und  unzeliche  ergernis  zu 
folgen  aus  zustörung  und  enderung  solcher  Ceremonien,  wie 

25  man  inn  der  Kirchen  Historien  Eusebii  und  andern  klerlich 
lieset.  Darumb  sol  ein  fromer  und  kluger  Hirte  mit  vleis 
zusehen,  das  nicht  durch  plötzliche  enderung  solcher  dinge 
ergernis  erwachsen. 

Daher  ist  auch  unsers  Landsfursten  *)  gebot  und  befelh, 

90  das  man  eintrechtige  und  gleiche  Ceremonien  halte  und  die 
gewönlichen  Ornat  der  Kirchen,  so  man  braucht  inn  hand- 

^)  ecclesia  militans  im  Gegensatz  zur  ecclesia  triamphans.        *)  =  ent- 
raten.  «)  Das  war  Ernst,  Herzog  zu  Lüneburg,  „der  Bekenner"  (geb. 

1497,  gest.  1546).  Er  hatte  1530  die  Augsburgische  Konfessiou  unter- 
schrieben, war  Mitglied  des  Schmalkaldischen  Bundes,  trat,  wie  1525  gegen 


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—    71     — 

long  der  Sacrament,  nicht  verwerfe,  soDdeni  behalte  umb 
zucht  und  wolstehens  willen,^)  doch  inn  Christlicher  freiheit. 
Der  gleichen  sol  man  auch  andere  Fest  oder  Feiertage 
nicht  bald  abthan,  damit  das  volck  sich  gewehne  ja  auff  ett- 
liche  bestimpte  tage  Gottes  wort  zu  hören  und  Gottes  dienst  5 
zu  halten,  damit  sie  gereitzet  werden  zu  Christlicher  ubung. ') 


XIV. 

Vom  Fasten. 

Es  ist  zweierley  Fasten.    Zum  ersten,  Ein  gemein  teg- 
lich  fasten,  Zum  andern,  Ein   sonderlich  geistliche  Fasten.  10 
Das  erste  ist  tegliche  nüchterkeit  und  messigkeit  der  Christen, 
Denn  sie  sollen  sich  allzeit  hüten  für  fressen  und  sauffen  nach 
4er  vermauung  Christi  Luc.  21,  ^)  auff  das  sie  allezeit  bey 
vemunfft  und  geschickt   seien,    Gottes   namen    zu   preisen, 
Solchs  wird  allenthalben  inn  der  Schrifft  geboten.    Ephes.  5:15 
Sauffet  euch  nicht  vol  weins,  daraus  ein  wüst,  unordig  wesen 
folget,  sondern  werdet  vol  des  Heiligen  geist  und  redet  unter- 
nander  mit  Psalmen  und  lobsengen  und  geistlichen  lieblichen 
lieder,  singet  und  spielet  dem  HERm  inn  euem  hertzen  und 
saget  danck  allezeit  für  alles  Gott  und  dem  Vater  inn  dem  namen  20 
unsers  HERm  Jhesu  Christi.*)    Rom.  13:  Lasset  uns  ablegen 
die  werck  der  finsternis  und  anlegen  die  woffen  des  Hechts; 
Lasset  uns  ehrbarlich  wandeln,  als  am  tage,  nicht  inn  fressen 
und  sauffen  etc.*)    Inn  der  ei-sten  zun  Thessal.  am  funfften 
Capitel:  Lasset  uns  wachen  und  nüchtern  sein,  denn  die  da  26 
schlaffen,  die  schlaffen  des  nachts,  und  die  da  truncken  sind, 


die  Bauern,  so  1535  gegen  die  Wiedertäufer  kraftToll  auf,  war  ein  Freund  und 
eifriger  (XJnner  des  Urbanus  Ehegius,  den  er  sich  aus  Augsburg  geworben 
hatte.    (Vgl  Einleitung.)  ^)  Text,  lat.:  propter  decorum.  ')  Text, 

lat.:  eorumque  participatione  exerceantor  ad  pietatem.  ')  Lukas  21,  34. 
♦)  Ephe8er5,  18—20.  *)  Bömer  13,  13-14.    Text.  lat.  hat  noch  den 

Schluß  des  14.  Verses:  et  camis  curam  ne  agatis  ad  coneupiscentias. 


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—    12    — 

die  sind  des  nachts  truncken;  Wir  aber,  die  wir  des  tages 
sind,  sollen  nüchtern  sein.^)  Titnm  am  andern  Capitel:  Es 
ist  erschienen  die  heilsame  gnade  Gottes  allen  menschen  und 
züchtiget  uns,  das  wir  sollen  n&chtem  oder  züchtig,  gerecht^ 
5 und  Gottselig  leben  etc.*) 

Das  ander  sonderlich  Fasten  ist,  so  jemand  inn  grossem 
anligen  oder  von  wegen  des  Gebets  einen  oder  mehr  tage  im 
selbs  zu  fasten  aufi  legt,  oder  so  ein  Bischof  oder  Oberkeit 
eine  fasten  auflFsetzet,  wie  Josaphat,  der  König  Juda,  2.  Parali- 

lOpom.  20*)  und  der  Apostel  Sanct  Paulus  1.  Corin.  7  den 
Christlichen  Eheleuten  solche  fasten  an  gibt,  da  er  spricht: 
Entzihe  sich  nicht  eins  dem  andern,  es  sey  denn  aus  beider 
bewilligung,  eine  zeit  lang,  das  ir  zum  fasten  und  beten  müsse 
habt*)    Und  ich  halt  dafür,  das  die  Fasten  der  vierzig  tage 

16  vor  dem  Osterfest  aus  dieser  Ursachen  vorzeiten  inn  der 
Ersten  Kirchen  (doch  mit  Christlicher  freiheit)  gehalten  seien, 
das  das  volck  durch  die  fasten  geschickt  würde,  deste  heflf- 
tiger  und  vleissiger  zu  beten  und  Gotte  zu  danken  bey  des 
HERrn  Abendmal,  beide  für  das  bitter  leiden  und  tod  Christi, 

20  dadurch  wir  von  allem  übel  inn  ewigkeit  erlöset  sind,  und 
für  die  fröliche  sieghafte  AufFerstehung  des  selben,  daher 
unser  gerechtigkeit  und  aufferstehung  kömpt. 

Also  schreibt  Sauet  Ignatius,  des  heiligen  Evangelisten 
Johannis  jünger  inn  Asia  und  ein  heiliger  Merterer  Christi, 

26 inn  der  Epistel  an  die  Philipper:  Ir  solt  die  Fasten  der 
vierzig  tage  nicht  verachten,  denn  damit  folget  mau  dem 
exempel  dere,  die  mit  Gotte  gemeinschafft  gehabt  haben  etc.  ^) 
Er  hat  aber  als  ein  Heiliger  man  die  gewissen  nicht  be- 
schweret mit  solcher  last,  wie  uns  der  Bapst  geplagt  hat, 

30  welcher  solch  fasten  hat  geboten  bey  einer  tod  sunde,  dazu 


1)  1.  Thess.  5f  6>8.    Text  lat.   hat  nur  den  Satz:   nos,  qni  Bomiui. 
filii  Dei,  sobrii  umas.  «)  Titus  2,  11  ff.  »)  2.  Chronica  20,  a 

*)  1.  Kor.  7,  5.  *)  Migne,  Patr.  graec.  5,  Ö37 :  rqv  Teaaa^axoaTi;^'  /ui^ 

i^ovdei'etre,  fiijur^aw  yäp  Tieotixtt  rfjg  toC  Kvpiov  Ttokneia^  (der  Philipperbrief 

gehört  nicht  zn  den  echten  Ignatianen). 


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—    73    - 

fleisch,  eier,  butter  zu  essen  verboten,  von  welcher  Sanct 
Ignatios  kein  wort  gesagt  hat. 

Desgleichen  schreibt  auch  Sanct  Hieronymas  wider  den 
ketzer  Montannm:  Wir  halten  die  Fasten  der  vierzig  tage 
des  gantzen  jars  nach  Ordnung  der  Apostel.  ^)    Dieser  Fasten  5 
wird  auch  von  Sanct  Ambrosio  offt  gedacht  ^) 

Oder  kurtzlich  also: 

Welcher  ein  Christ  ist,  der  wird  gewislich  vom  Geist 
Gottes  bewegt,  nüchtern  und  messiglich  zu  leben  alle  tage, 
damit  das  mutwillige  fleisch  den  geist  nicht  uberpoltere.  10 
Auch  wenn  er  etwas  ernstlich  von  Gott  bitten  wil  oder  sich 
zu  einer  dancksagung  inn  des  HERRN  Nachtmal  schicken 
wil,  so  wird  er  auch  zuvor  durch  anregung  des  Geists •) 
fiftsten  oder  meßiglich  und  nüchtern  leben.  Wo  ers  nicht  thut, 
so  ist  er  noch  gar  fleischlich  und  nur  ein  Titel  Christ.  15 

Die  ersten  frome  Christenheit  vor  tausent  jaren  hielten 
die  Viertzig  tage  Fasten,  ein  jeder  nach  seiner  gelegenheit. 
Was  sind  wir  für  Christen,  das  wir  im  jar  nicht  ein  oder 
zweymal  wollen  fasten,  wenn  wir  zu  Gottes  tisch  gehen  sollen  ? 
Doch  dis  alles  von  der  besondern  fasten  sol  ein  lere  und  ver-  20 
manung  sein,  nicht  ein  gebot,  das  man  dem  gewissen  keinen 
strick  legt. 


XV. 

Wie  man  recht  reden  sol  von  dem  Gebet. 

Wer  da  wil  recht  beten,  der  sol  beten  im  geist  und  inn  25 
der  warheit,  nicht  das  er  allein  viel  mit  dem  maul  plappere. 
Das  Gebet,  so   von   hertzen   und  aus   dem  Glauben   gehet, 


^)  Migne,  Patr.  lat.  22,  475 :  Nos  anam  qnadragesimam  secandam  tradi- 
tioiiem  Apostokmm,  toto  nobis  orbe  congrno,  jejanamns.  (Epistola  Hiero- 
BjmiXLI,  ad  MaroeUam.)  *)  ^g^-  die  siebzehn  Sermones  de  sancta 

Qnadragesitta.    Migne,  Patr.  lat  17,  636—671..  <)  Text.  lat.  hat  hier 

in  deutscher  Ansfühning  „Geist  Christi*^. 


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—    74    — 

dasselb  wird  erhört,  denn  Gott  hat  selbs  beide,  geboten  zu 
beten,  Lu.  8*),  und  auch  verheissen  zu  erhören,  Math.  7.*) 
Darumb  mustu  im  Gebet,  nemlich*)  etwas  bitten  von  Gott 
dem  himlischen  Vater  durch  Christum,  es  sey  geistlich  oder 

•5  leiblich.  Vor  allen  Dingen  aber  soltu  bitten  umb  einen  rechten 
und  festen  glauben  an  Christum.  Was  du  aber  bitten  wilt 
inn  den  Sachen,  so  dis  zeitlich  leben  belangen,  als  da  ist  ge- 
sunder leib,  zeitlich  narung  und  der  gleichen,  so  setze  allzeit 
daneben  dis  stuck :  HErr,  dein  wille  geschehe.    Denn  Er  weis, 

Iowas  uns  nütz  oder  schedlich  ist. 

Man  sol  aber  imerdar  anhalten  mit  beten,  wie  uns  Christus 
selbs  ein  exempel  stellet,  da  er  betet  auflF  dem  berge  und  des 
nachts  im  gebet  verharret,  Luce  am  sechsten,  *)  und  die  selige 
Jungfrau  und  Mutter  Gottes  sampt  den  Aposteln  einmütiglich 

löbey  einander  blieben  im  Gebet,  Actuum  am  ersten  Capitel,*) 
und  Paulus  inn  der  ersten  zun  Thessalonichern  am  fänfften 
Capitel  spricht:  Betet  on  unterlas  etc.®)  Und  Christus,  Luce 
am  achzehenden,  inn  der  gleichnis  von  der  Widwen  und  dem 
ungerechten  Richter  leret  uns,  das  wir  sollen  alle  zeit  beten 

^und  nicht  laß  werden.') 

Das  aber  Christus  Matthei  am  siebenden  Capitel®)  der 
Phariseer  gebete  verwirft,  das  machet  ir  irrige  meinung  und 
misbrauch  inn  dem  gebete.  Beten  ist  gut  und  not.  Es  mus 
aber  geschehen  nach  Gottes  wort.    Der  Phariseer  gebete  war 

26  lauter  heucheley  wider  Gottes  wort.  Denn  sie  suchten  damit 
iren  rhum  bey  den  leuten,  weil  sie  oflFentlich  auflF  den  gassen 
stunden  und  betten,  und  war  nur  ein  geschwetz  on  glauben 
und  an  dacht  des  hertzens  gleich  wie  der  Papisten  gemurre, 
wenn  sie  ire  Horas  Canonicas  hinwegschnurren  on  alles  auff- 

SOmercken  und  andacht.     Darumb  spricht  er:  Wenn  ir  betet, 


»)  Lukas  18  (!)  Vera  7  und  8.  «)  Matth.  7,  11.  »)  =  mit 

Worten  bestimmt,  ausdrücklich.  Vgl.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch, 
Bd.  7,  S.  346  (Bedeutung  II,  2  a).  Der  Text.  lat.  hat  certi  aüquid.  *)  Lu- 
kas 6,  12,  ^)  Act.  1,  14.  «)  1.  Thess.  5,  17.  ')  Lukas  18,  1. 
«)  Matth.  6  (!)  Vers  6. 


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-     75     - 

solt  ir  nicht  viel  plappern,  wie  die  Heiden  thun,  denn  sie 
wehnen,  sie  werden  erhöret,  wenn  sie  viel  wort  machen; 
dammb  solt  ir  euch  inen  nicht  gleichen.  ^)  Darumb  verwirflFt 
Christus  nicht  stettig  und  lang  gebet,  so  es  geschieht  aus 
glenbigem  und  andechtigem  hertzen,  sondern  das  unnütz  ge-  5 
plepper,  da  das  hertz  nichts  ernstlich  begeret,  noch  darauff 
mercket,  sondern  allein  die  lippen  plappern  on  verstand. 

Summa,  Welcher  recht  beten  wil,  der  sol  aus  rechtem  ver- 
trauen inn  Christum  von  hertzen  etwas  von  Gott  begeren, 
wie  ein  kind  von  seinem  lieben  Vater,  und  sol  lang  oder  kurtz  10 
beten,  nach  dem  in  die  not  und  andacht  dringet.  Wolte  Gott, 
das  wir  auch  eine  gantze  nacht  beten  köndten  von  grund 
unsers  hertzens,  wie  Christus  thet,  Luce  am  sechsten.  Aber 
wenn  man  allein  viel  wort  mit  dem  munde  machen,  und  das 
hertz  kein  auffmercken,  noch  ernstlich  begird  hat,  etwas  von  16 
Gott  zu  erwerben,  das  ist  ein  eitel  gleisnerey  und  Phariseisch 
geschwetz,  welchs  Gott  nicht  haben,  noch  erhören  wil,  denn 
Christus  spricht  Johannis  am  vierden  Capitel:  Die  rechten 
änbeter,  das  sind  die  Christen,  werden  den  Vater  anbeten  im 
geist  und  inn  der  warheit.*)  20 

Ein  Prediger  sol  auch  das  volck  stettigs  vermanen,  ernst- 
lich und  on  unterlas  zu  beten,  und  oflFt  einbilden,  *)  wie  krefftig 
ein  Christgleubig  gebet  sey,  durch  solche  oder  der  gleichen 
exempel: 

Moses  betet  für  das  volck,  und  der  HERR  halff  inen  25 
durch  die  Eherne  Schlange.  Numeri  am  ein  und  zwenzigsten.*) 

Aharon  stund  zwischen  den  todten  und  lebendigen  und 
betet  für  das  volck,  und  die  plage  höret  auif.  Numeri  am 
sechzehenden  Capitel.*) 

Ezechias  betet,  da  er  todkranck  lag,  und  erbettete  noch  30 
f&nfizehn  jar  seines  lebens.    Jesaie  am  acht  und  dreissigsten.  ®) 

Die  erste  Christliche  Gemeine  betet  für  Petrum,  da  er 


•)  A.  a.  0.  Vers  7.        «)  Joh.  4,  23.         »)  Text.  lat. :  saepe  inculcet. 
*)  Numeri  21,  7.  »)  Numeri  16,  48  bezw.  17,  13.  »)  Jesaias  38,  2. 


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—    76    — 

f  efangpen  lag,  und  die  keten  fielen  von  im,  and  er  ward  ledig. 
Act.  12.1) 

Sanct  Paulas  betet  inn  dem  grossen  ungewitter  im  meer, 
and  er  fristet  zweihundert  und  sechs  und  siebenzig  menschen 
6  das  leben.    Actorum  27.^) 

Cornelius  betet  hefftig,  und  ward  zum  ersten  zu  im  ge- 
schickt ein  Engel,  der  sprach:  Dein  gebet  und  almosen  sind 
für  Gott  komen  and  gedacht  worden,  und  bald  ward  zu  im 
geschickt  Petrus,  das  er  in  im  glauben  Christi  unterrichtet 
10  und  teuffete.    Acto.  10.«) 

Solcher  exempel  ist  die  gantze  Schrifft  vol.  Darumb  solt 
ir  inn  alle  eur  not  zu  unseim  himlischen  Vater  beten  durch 
Christum  im  rechten  glauben,  so  wird  er  euch  geben,  was 
eur  hertz  begert. 


15  XVI. 

Wie  man  recht  reden  sol  von  der  Heiligen  ehre. 

Die  gemeine,  heilige,  Christliche  Kirche  ist  je  des  gewis^ 
das  wir  alle*)  sunder  geboren  sind,  und  aus  lauterer  gnade 
Gottes  durch  Christum  gerecht  und  selig  werden.    Damach 

20  weis  und  bekennet  sie  auch,  das  Jhesus  Christus  ist  idlein 
unser  priester  für  Gott  im  Himel,  unser  Mittler  und  Gnaden- 
stul,  welcher  allein  hat  sollen  und  können  uns  erlösen  von 
Sunden,  Tod  und  des  Teufels  gewalt  und  Grotte  dem  Vater 
versünen.    Und  dieweil  Gott  allein  umb  des  HERRn  Christi 

25 verdienst  uns  gnedig  wird  und  sunde  vergibt,*;  und  die 
Christenheit  weis.,  das  AnruflFen  ist  ein  werck  des  andern 
gebots,®}  welchs  Gotte  allein  gebürt  und  keiner  blossen 
Creatur,  so  sol  man  niemand  anruffen,  on  den  allein,  an 
welchen  wir  schuldig  sind  zu  gleubeu,  das  er  könne  und  wolle 


»)  Acta  12,  5.  «)  Act.  27,  37.  Text.  lat.  hat  fälschlich  die  Zahl  279. 
2)  Act.  10,  4.  *)  Ergtoze  „als".  »)  Text.  lat.  setzt  hinza :  et  vitam 
aeternam  dat.       ')  Im  Original  Druckfehler:  gebets. 


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—    77    — 

lag  seMg  machen.  Na  sollen  wir  allein  an  Gott  gleuhen. 
Darainb  sol  man  anch  allein  in  anrnffen,  das  er  ans  ron  allem 
nbel  erlöse.  Psalm  am  fanffiiigsten:  Baffe  Mich  an  inn  der 
not,  so  will  ich  dich  erretten  and  da  wirst  mich  preisen.^) 
Und  Christas  spricht,  Matthei  am  eilfften  Cap.:  Eompt  alle  6 
ZQ  Mir  etc.^ 

Also  leret  uns  der  Heilig  geist  dnrch  sein  Werckzeag 
S.  Paalam  zan  Römern  am  dritten:  Wir  werden  gerecht  ans 
desselben  gnade  durch  die  erlösung,  so  durch  Christum  Jhesum 
geschehen  ist,  welcl^n  Gott  hat  far  gestellet  zu  einem  Gnaden- 10 
stttl  durch  den  glauben  inn  seinem  blut  etc.') 

Daraus  lernen  wir,  Zum  Ersten,  das  wir  umbsonst  durch 
lauter  Gottes  gnade  gerecht  werden,  nicht  durch  unser  ver- 
dienst. 

Zum  Andern,  So  hat  dennoch  müssen  sein  eine  kost  *)  oder  15 
bezalung  solcher  herrlicher  erlösung,  und  ein  Mittler,  durch 
welchen  Gott  uns  verstmet  würde,  und  ein  solcher  schätz, 
welcher,  so  er  für  uns  gegeben  würde,  uns  verdienete  ver^ 
gebung  der  sunde  und  ewiges  leben.  Diese  bezalung  oder 
dieser  schätz  ist  unser  HERR  Christus  Jhesus  selbs,  welcher  20 
uns  durch  sein  eigen  blut  erlöset  und  Gottes  zom  gestillet 
hat.  Das  hette  keines  andern  menschen  blut  oder  tod  ver- 
mocht, sondern  allein  das  blut  Christi  hat  uns  solche  ewige 
guter  erworben. 

Zum  Dritten,  Durch   den   glauben  werden   wir  solcher  25 
bezalung  teilhafftig,  das  er  ist  die  versünung  für  unser  sunde; 
inn  der  ersten  Johannis  am  andern  Cap. '^) 

Daraus  folget  unwidersprechlich,   das  kein  Heilige  uns 
erlöset  hat,  sondern  allein  Christus.     Darumb  wil  uns  Gott 
durch  keines  Heiligen  verdienst  gnedig  sein  und  selig  machen,  30 
sondern  allein  von  wegen  des  verdiensts  *)  Christi,  welcher  ist 


«)  Psalm  50,  15.  «)  Matth.  11,  28.  »)  Römer  3,  24—25. 

^  Teat.  lat.:  precium  quoddam.  »)  1.  Joh.  2,  2.  «)  Text.  lat. 

setzt  hinzu:  tnfiaita  (merita). 


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-     78    — 

der  Heilige  aller  Heiligen.  Derhalben  sol  man  die  Heiligen 
nicht  anruflfen,  noch  auflT  ire  verdienst  vertrauen,  denn  sie 
sind  ja  nicht  Gott,  sondern  Gk)ttes  Creatum,  und  haben  nns 
gegen  Gott*)  nicht  versönet^  sondern  allein  Christus. 
5  Dazu  ist  von  anruffen  der  Heiligen  inn  der  gantzen 
SchriflFt  kein  gebot,  kein  rat,  keine  verheissung  und  kein 
Exempel. 

Die  lebendigen  bitten  wir  wol,  das  sie  für  uns  beten. 
Wir  ruffen  sie  aber  nicht  an,  vertrauen  auch  nicht  auff  ir 

10  verdienst,  als  weren  sie,  die  uns  kondten  erlösen,  oder  durch 
welcher  verdienst  uns  geholflfen  würde,  sondern  wir  vertrauen 
allein  auflF  Christus  verdienst,  und  solch  gebet,  so  einer  für 
den  andern  betet,  foddert  die  Schrifft,  und  hat  desselben 
beide,  Exempel  und  verheissung,  das  es  erhöret  werde. 

15  Aber  das  man  die  anruffen  solle,  so  inn  dem  HERRn 
entschlafen  sind,  da  von  gebeut  die  SchriflFt  nicht,  gibt  auch 
keinen  rat,  verheisset  auch  nichts  inn  irem  namen,  hat  dazu 
kein  Exempel,  da  jemand  unter  den  Christen,  die  verstorben, 
angeruflFet  habe^)  und  sey  erhöret  worden. 

20  Sind  wir  Christen,  warumb  bleiben  wir  nicht  bey  dem 
klaren  wort  Gottes?  Warumb  halten  wir  nicht  an  Christo, 
dem  rechten  einigen  Mittler  und  Fürsprecher  bey  dem  Vater, 
welchen  auch  der  Vater  selbs  allein  zu  unserm  Gnaden  stuel 
gestellet  hat,  und  keinen  andern?    Denn  allein  in  dem  namen 

25  Christi  wird  uns  verheissen  Gerechtigkeit  und  Seligkeit  und 
inn  keines  andern  namen. 

Nu  ist  der  Heiligen  wille  und  hertz  gleich  und  einig 
mit  Gottes  willen.  Darumb  begeren  sie  nicht  von  uns  solche 
ehre,  die  Gott  allein  gebürt,  zu  empfahen. 

30        Wie  soll  man  denn  die  Heiligen  ehren? 

Meine  Lieben  Brüder,  So  jemand  geistlich  ist,  der  erkenne, 
was  ich  euch  schreibe.    Man  sol  auflfs  aller  ehrlichste  nach 


*)  Text.  lat.  setzt  hinzu:  iratum  (Deiun).  *)  Text,  lat.:  nW 

quiapiam  ex  Christianis  invocaverit  defunctos  et  exauditos  sit. 


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—    79    — 

der  Schriflft  von  den  Heiligen  gedencken  und  reden,  denn  die, 
so  Gott  selbs  also  ehret,  die  wil  er  on  zweivel  auch  von  uns 
geehret  haben.  Denn  also  stehet  im  zwey  und  siebentzigsten 
Psalm  nach  der  Griechischen  Dolmetzung  von  den  Christen: 
Ir  name  ist  ehrlich  oder  herrlich  für  im.  ^)  Denn  Gott  der  6 
Vater  erkennet  sie  für  seine  kinder^  der  Son  nennet  sie  seine 
Brüder  und  Mit  Erben,  der  Heilige  geist  seinen  Tempel.*) 
Darumb  werden  uns  allenthalben  inn  der  Schrifft  der  Heiligen 
Exempel  für  gehalten,  das  wir  dieselbigen  betrachten. 

Die  Heiligen,   so  in  Christo  entschlaflFen  sind,   sind  onio 
zweivel  mit  Christo.  *)    Darumb,  wer  sie  nicht  ehret,  der  un- 
ehret  auch  Christum  inn  inen  und  verachtet  Gottes  gnade, 
durch  welche  sie  zu  solcher  herrligkeit  komen  sind.    Lieber, 
was  kau  der  von  der  Heiligen  Christlichen  Kirchen  halten, 
der  unser  Mitglieder,  die  itzt  mit  Christo  im  friden  sind  und  15 
des  ewigen  lebens  gewis,  nicht  ehret?    Christus  spricht,  das 
auch  die  Engele  im  Himel  sich  freuen  über  einen  sunder,  der 
busse  thut,  Luce  am  fünlfzehenden.^)    Darumb,  Lieben  Brüder, 
begeren  die  Heiligen,  unsere  Brüder,  on  zweivel  mit  grossem 
sehnen  und  verlangen,  das  wir  fodderlich*)  zur  Busse  und  20 
Seligkeit  komen.  Und  weil  die  Engele  für  uns  beten,  Zacha.  1,  •) 
so  ist  wol  zu  gleuben,  das  auch  die  Heiligen  für  uns  bitten, 
denn  ire  liebe  gegen  uns  ist  ja  nicht  geringer,  sondern  grösser 
worden.    Aber  daraus  folget  nicht,  das  man  die  Heiligen  an- 
ruffen  solle,  wie  wir  auch  die  Engele  nicht  anruffen  (ob  sie  25 
wol  für  uns  beten),  sondern  allein  Christum,  unsem  Gott  und 
HERRN. ') 


')  Psalm  72, 14.  Die  LXX  übersetzen  %viiftop  ib  6voua  aHaJt^  IfcüTuov 
airtoe,  desgleichen  die  Vulgata  (nomen  eorum  honorabile),  während  der 
Mas.  Text,  nnd  ihm  folgend  Luther,  den  Begriff  „Bluf"  haben.  ^)  Es 

ist  zu  denken  an  Bibelstellen,  wie  1.  Job.  3,  1  und  Römer  8,  17.  Hebr.  2, 
IIb  und  1.  Kor.  3,  16—17.  »)  Der  Satz  ist  im  Text.  lat.  als  selbst- 

Terst&ndlich  zu  bejahende  Frage  formuliert.  *)  Lukas  15,  10.  ^)  Text, 
lat:  accelerationem  nostrae  poenitentiae.  ')  Zacharja  1,  12.  ')  Text. 
lat.  hat  nur  „Christam,  Deum  nostrum^. 


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—    80    — 

Doch  sollen  wir  die  Heiligen  ehren,  wie  sie  die  atte 
Christliche  Kirche  geehret  hat,  welche  der  Heiligen  gedecbtnis 
ehrtich  gehalten  hat  und  Gk>tte  dancksagnng  gethan  dafür, 
das  er  die  Heiligen  erlöset  und  für  die  gnade,  die  inen  ge- 

5  geben  ist,  and  für  ire  Seligkeit  und  für  die  grossen  gaben, 
so  Gott  inn  der  Christenheit  durch  sie  hat  ausgegossen.  Denn 
hat  nicht  Gott  durch  Sanct  Augustin  (ich  wil  der  andern 
schweigen)  die  Christenheit  erweckt,  das  sie  Sanct  Paulas 
Episteln  deste  bas  verstehe,  die  weil  der  selbige  Heilige  man 

10  Christum  inn  der  Schrift  so  vleissig  suchet  und  die  Pela- 
gianer  Ketzer  durch  die  lere  Sanct  Pauli  so  gewaltiglich  ver- 
legt^) und  zu  schänden  macht? 

Es  sind  ja  die  lieben  heiligen  schöne,  helle  Spiegel  Gött- 
licher gnaden,  darinn  wir  sehen,  was  Gottes  gnade  vermag. 

16  Denn  wo  wir  lesen  oder  hören,  das  die,  so  uns  aller  dinge 
gleich  gewesen  sind,  so  wunderbarlich  und  mechtiglich  haben 
die  Sunde,  die  Welt  und  den  Tod  überwunden,  werden  wir 
als  bald  dadurch  erweckt,  ein  vertrauen  zu  schepflfen  zu 
solcher  grossen  bannherzigkeit  Gottes,  inn  Christo  verheissen 

20  und  dargegeben. 

Darüber  reitzen  und  entzünden  uns  ire  Exempel,  inen 
nach  zu  folgen,  das  wir  Gott  umb  solchen  Glauben  bitten, 
und  der  lieben  Heiligen  gute  werck, -)  so  viel  unser  benrff 
erfoddert,    nachfolgen.     Also    wird  inn  uns    der  Glaube  an 

25  Christum  gesterckt,  die  Liebe  angezündet,  die  hoffhung  der 
ewigen  Seligkeit  bestettigt,  und  gedencken,  das  sie  nicht  ver- 
loren sind,  sondern  vorhin  geschickt  zum  ewigen  Leben,  und 
können  diesen  Artikel:  Ich  gleube  eine  Heilige,  Christliche 
Kirchen,  mit  ernst  betrachten.     Denn  es  ist  einem  fromen 

SOhertzen  nicht  ein  kleiner  trost,')  wenn  es  gedenckt  an  die, 
so  zuvor  gleich  wie  wir  inn  diesem  sterblichen  fleisch  wider 
die  sunde  gestritten,  nu  aber  erlöset  und  zu  sicherer  rüge*) 


»)  Text,  lat.:  confutet.  «)  Text.  l«t.:  virtntes.  »)  Bedeutet: 

ein  nicht  kleiner  Trost.  *)  Ruhe. 


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—    81    — 

bracht  sind,  and  das  wir  inen  gewislich  werden  folgen.  Denn 
wir  sind  ja  ire  Brüder,  Bürger  mit  den  Heiligen,  und  hans* 
genossen  Gottes  (wie  Sanct  Paulus  zun  Ephesein  am  andern 
Capitel  sagt)/)  erbauet  auflF  den  festen  grund  der  Aposteln 
und  Propheten,  da  Jhesus  Christus  der  Eckstein  ist.  0  ein  6 
selige  stad  Gottes,  inn  welcher  so  viel  jungen  kindlin,  Jung- 
frauen und  Marterer  sind  eingenomen,  darinnen  wir  ewiglich 
werden  sehen  die  Heiligen  Aposteln,  Propheten,  Patriarchen 
und  alle  gerechten,  so  von  Adam  an  bis  auff  den  letzten 
Christen  auff  erden  an  Christum  gegleubet  haben,  da  wir  auch  10 
werden  schauen  die  Chor  der  Heiligen  Engel,  *)  die  Hochgelobte 
Mutter  Christi,  das  edleste  glied  des  Heiligen  geistlichen  leibs, 
und  inn  summa  die  hoheste  einige  freude  beide,  der  Engel 
und  menschen,  Jhesum  Christum  selbs,  den  König  der  Ehren, 
und  Gott,  der  alles  inn  allen  ist.  Solt  nu  nicht  durch  solch  16 
Christlich  betrachten  dieser  grossen  dinge  der  Glaube  unser 
herrlichen  aufferstehung  und  des  zukünfftigen  lebens  inn  uns 
erweckt,  wachsen  und  gesterckt  werden? 

Darumb  hat  auch  der  Apostel  uns  einen  schonen  Cata- 
logum  oder  Register  der  Heiligen  (von  welchen  man  weis  aus  ao 
der  Schrifft,  das  sie  bey  Christo  sind)  für  äugen  gemalet,  zun 
Ebreem  am  eilfften,*)  da  er  beschreibt  den  glauben  Habel, 
Henoch,   Noah,   Abraham,  Isaac,   Jacob,  Sara,  Joseph,  Mosi, 
Eahab,  Gedeon,  Samson,  David,  Samuels  etc.,  das  wir  darinn 
sehen  sollen*)  ire  ritterschafft  und  sieg  wider  die  Welt^  Sund 25 
und  Tod,  und  im  Glauben  und  hoffhung  gesterckt  werden. 
Und  zun  Ebreer  am  dreizehenden  spricht  er:  Gedenckt  an 
die,  die  euch  das  wort  Gottes  gesagt  haben,  welcher  ende 
schauet  an  und  folget  irem  Glauben  nach.  ^)    Und  1.  Timo.  1  : 
Christas  Jhesus  ist  inn  diese  weit  komen,  die  sunder  selig  ao 
zu  machen,  unter  welchen  ich  der  fumemest  bin.   Aber  darumb 


*)  Epheser  2, 19.  *)  Text.  lat.  hat  nur :  angelomm  choros.  •)  He- 
bräer 11.  4.  5.  7.  8  usw.  *)  Der  deutsche  Text  läßt  hier  yim  fidei  et 
gratiae  Dei  des  Text.  lat.  aus.  ^)  Hebräer  13,  7. 

Uckeley,  Urbanas  Bbegios.  6 


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—    82    — 

ist  mir  barmhertzigkeit  widerfaren,  auflf  das  an  mir  farnemlich 
Jhesus  Christas  erzeigete  alle  gedult  zum  exempel  denen,  die 
an  in  glauben  sollten  zum  ewigen  leben.  ^) 

Item,  Da  die  Thessalonicher  gleich  wie  die  Heiden  zuviel 

ötraui'eten  über  ire  todten,  wil  der  Apostel  Sanct  Paul  solch 
bekömemis  und  sorge  für  die  todten  und  die  Christliche  ge- 
dechtnis  dere,  so  inn  Christo  entschlaffen  sind,  nicht  gantz 
verwerffen,  sondern  bestettigt  die  selbigen  und  straffet  allein 
den  misbrauch.     Denn  der  Christgleubigen,   so   entschlaffen 

10  sind,  gedencken,  ist  ein  werck  der  Christlichen  liebe.  Aber 
die  verzweivelte  blindheit  der  Saduceer  verwirfft  die  todten 
beide  zum  hause  und  hertzen  hin  aus,  als  würden  sie  nimer 
mehr  wider  leben,  sondern  gar  mit  inen  aus  sein,  gleich  wie 
das  vieh  stirbt  und  verdirbt,  an  welchem  nach  dem  leiblichen 

lötod  nichts  mehr  zuhoffen  ist.*) 

Aber  last  uns  die  schönen,  tröstlichen  wort  des  Aposteln 
hören:  So  wir  gleuben  (spricht  er),  das  Jhesus  gestorben  und 
Aufferstanden  ist,  so  wird  Gott  auch,  die  da  entschlaffen  sind 
durch  Jhesum,  mit  Im  füren.*)    Durch  diese  wort  bestetiget 

20  er  den  Glauben  unser  aufferstehung  auffs  aller  gewaltigst^ 
als  solt  der  Apostel  sagen:  Euer  Freund  und  Brüder  sind 
wol  aus  euem  äugen  hinweg  gerückt,  aber  sie  sind  darumb 
nicht  verloren,  denn,  so  gewis  Christus  von  todten  aufferstanden 
ist,  so  gewis  werden  die  selbigen*)  auch  aufferstehen.    Und 

26  am  ende  des  selben  Capitels  inn  der  ersten  zun  Thessalo. 
spricht  er:  So  tröstet  euch  nu  mit  diesen  Worten  unter- 
nander.  *)  Was  waren  dieses  für  wort?  On  zweivel  diese, 
so  kurtz  zuvor  stehen:  Christus  ist  aufferstanden;  die  an 
Christum  gleuben,  werden  auch  aufferstehen.  Und  wir  werden 

30  allezeit  bey  dem  HERRn  sein,  das  ist.  Ob  uns  der  leibliche 
tod  ein  kleine  zeit  von  ander  scheidet,  doch  werden  wir  wider- 


*)  1.  Tim.  1,  15—16.  •)  Text,  lat.:   qnibns  a  morte  corporis 

nihil  snperest.  •)   1.  Thess.  4,  14.  *)  Text,  lat:   vestri  amici. 

»)  A.  a.  0.  Y.  18. 


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-    83    — 

amb  zu  gleich  mit  einander  leben  nnd  sampt  Christo  ewiglich 
herrschen.  Was  dörfifen  wir  uns  denn  fast  bekümem  der  ver- 
storbenen halben?  Müssen  wir  doch  wider  alle  zusamen 
komen  nnd  darnach  hinfurt  ewiglich  bey  einander  sein,  ^)  inn 
freude  und  glorie  bleiben.  6 

Also  tröstet  Sanct  Paulus  die  Christenheit,  und  sie  selbs 
tröstet  sich  nach  des  Apostels  vermanung  durch  die  gewissen 
wort  von  der  gewissen  sichern  rüge,  friede  und  Seligkeit 
unserer  Brüder,  so  inn  dem  HERRn  entschlaffen. 

Ich  fasse  mit  vleis   zusamen   beide,   die  Heiligen,  von  10 
welcher  Seligkeit  die  Schrifft  zeugnis  gibt,  und  die  andern, 
welche  wir  hoffen,  das  sie  im  Glauben  Christi  entschlaffen 
sind.    Denn  die  selbigen,  so  sie  inn  Christo  entschlaffen,  sind 
auch  gewislich  Heiligen.    Der  selben  gedechtnis  ist  allezeit 
inn  der  Christenheit  ehrlich  gehalten  worden.    Darumb  auch  16 
der  treue  diener  Gottes  D.  Martinus  Luther,   unser  lieber 
preceptor^)  inn  Christo,  meinet,  es  sey  nicht  unchristlich,  so 
wir  für  unsere  verstorbene  ein  mal  oder  zwey  aus  freier  an- 
dacht  beten.  ^)    Denn  die  Christliche  liebe  ist  seer  ein  krefftige 
tugent*)   und  kau  sich  nicht  enthalten,   das  sie  nicht  solt20 
beide,  für  lebendigen  und  todten  sorge  tragen,  also  das  sie 
auch  unser  lieben  mitgelieder,  so  aus  diesem  leben  verscheiden, 
durch  ir  Christlich  gebet  Christo,  unserm  HERRn  und  Gott, 
inn  ewigkeit  gelobt,  befilhet. 

Und  dis  ist  vorzeiten  gewesen  inn  der  Kirchen,  und  ist  25 
auch  noch,  das  gemeine  Christliche  gedechtnis  der  todten, 
welchs  ist   ein   offenbar   zeugnis    der  Liebe    und   auch    des 


")  Text,  lat  bietet  diese  Worte  dentsch,  läßt  aber  „sein"  aus.  *)  Text. 
lat.:  in  aetemnm  obserrandns  praeceptor  noster.  ')  Lnther,  Bekennt- 
nis vom  Abendmahl  Christi,  1628.  Erl  Ausg.  Bd.  30,  S.  370—371:  Für  die 
Todten,  weil  die  Schrift  nichts  davon  meldet,  halt  ich,  daß  ans  freier 
Andacht  nicht  Sttnde  sei,  so  oder  desgleichen  zu  bitten:  Lieber  Gott,  hats 
mit  der  Seelen  solche  Gestalt,  daß  ihr  zn  helfen  sei,  so  sei  ihr  gnädig  etc. 
Und  wenn  solchs  einmal  geschehen  ist  oder  zwier,  so  laß  es  gnag  sein. 
^)  Bedeutet:  eine  sehr  kräftige  Tugend. 

6* 


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-     84    — 

Glaubens  von  der  herrlichen  aufferstehung  des  fleischs.  Und 
weil  es  ist  eine  frucht  des  Glaubens,  welcher  durch  die  Liebe 
thetig  ist,  wird  sie  niemand  verwerffen,  es  seien  denn  gar 
Epicurei  und  Saducel 

6  Solche  gedechtnis  der  todten  hat  die  alte  Christliche 
Kirche  gehalten,  wie  die  alten  Christlichen  Lerer  zeugen, 
von  welchen  wir  nicht  sollen  weichen,  es  were  denn,  wo  sie 
öffentlich  wider  Gottes  wort  lereten. 

Gregorius  Nazianzenus,  den  man  nennet  Theologum,  hat 

10  eine  Orationem  funebrem  zu  seinem  bruder  Cesario  von  seiner 
mutter  geschrieben,  ^)  darinn  er  zeigt,  das  man  der  todten  ge- 
dechtnis gehalten  hat.  Solchs  zeuget  auch  Gregorius  Nyssenus,  *) 
item  Chrysostomus  inn  quodam  Sermone,  Homilia  sechs  und 
neuntzigst.  *) 

16        Sanct  Ambrosius  von  dem  verstorbenen  Keiser  Theodosio 


*)  Hier  liegt  offenbar  ein  Versehen  des  Ehegins  vor.  Gemeint  kann 
nämlich  nnr  die  Oratio  VII.  des  Gregor  von  Nazianz  (f  389  oder  390) 
sein,  die  er  als  iTitrd^oe  eis  Kcuadpiov  rdv  iavrov  ddsXfov,  TtspiovTcav  Ir* 
Töiv  yavitov  hielt  (Migne,  Patr.  graec,  35,  755—788).  *)  Vgl  Gregor 

von  Nyssa  (f  ca.  395),  Oratio  in  funere  Pulcheriae  und  0.  in  innere 
Placillae  imp.  (Migne,  Patr.  graec,  46,  863-892)  sowie  seinen  Aoyos  n^s 
rovg  Ttevd'ovvTas  inl  rote  dno  rov  Tia^ovroe  ßiov  Tzpog  tov  dlBiov  /ue&iara" 
fiivoie  (a.  a.  0.  pag.  497—538).  ')  Das  Zitat  ist  nicht  genau  angegeben. 

Text.  lat.  variiert  durch  seine  Angabe :  homilia  69.  Aber  auch  dies  stimmt 
nicht  Gemeint  ist  zweifellos  des  Chrysostomus  homilia  in  Joannem  62, 
al.  61  (Migne,  Patr.  graec,  59,  347—348),  wo  es  u.  a.  heüJt:  Ovk  evaart, 
fiTj  XvTtelo&cu.  Tovro  xai  6  Xpiarog  idei^ev  iSax^voe  ydp  inl  tov  Aa^dpov^ 
TovTo  xai  av  Troirjaov'  ddx^vaov^  dkX*  jj^e/uay  dXXd  fierd  tvaxtjftoavTje,  dlXa 
fivtC  TOV  foßov  TOV  06OV,  "Av  Sax^voue  ovrwe^  ovx  (oe  Tjj  dvaordaei  Sul- 
TtiOTcöv  TOVTO  TtoteJi,  dXX*  dt£  ov  fk^cov  TOV  '/^(o^iOfiov.  .  ,  .  Ei  fthv  yd^  dfia^ 
TOfXos  d  TadvTixdiS  xai  TtoXld  t^  ßerp  Ttpooxexpovxtugy  8et  dax^vetv  fidV^n^ 
Sh  ovdsv  fidvov  {tovto  yd^  ovBev  ofeios  ixeinp)  dXXd  Ttoutp  tu  Bvvd/aspd 
Ttra  na^a^vdiav  avr^  TtepiTVOirjaai^  kkerjfioovvas  xai  Tr^oa^opdg,  ...  Ei  Sk 
Sixeuos,  dydXXtodai  nXiov^  Sri  kv  da^aksiq  tu  ixeivov  xelTa$  xaX  dstrjl^MHtai 
rijs  TOV  fUXkovtos  ddijliag.  ,  ,  ,^H  ydp  T«//f?  t^  TETeXiVTr^xoTi  ov  d^fjvot  xtu 
oifiQfyai,  d}X  vfivoi  xa*  \paXfupditu  xai  ßioi  aqiOTog,  .  .  .  BovXa^  Ttfirjom  ror 
dntXdorra;  'Eriptoe  Tifirjoov  (anders,  als  durch  Lamentationen),  iXeijuoavvas 
notdiv^  BV6QyBolaSf  XaiTOV^yiag, 


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"    85    - 

spricht  also:^)  Ich  habe  den  Man  seer  lieb  gehabt  und  ver- 
traue zu  Qoitj  das  er  mein  gebet  anneme,  so  ich  der  fromen 
Seelen  nach  thue:  Gib  deinem  knecht  Theodosio  die  ewige 
rüge,  auff  das  seine  seele  wider  hinauff  kome,  da  her  sie 
herab  komen  ist,  da  sie  den  Stachel  des  todes  nicht  empfinden  5 
könne,  da  sie  erfare,  das  dieser  tod,  nicht  des  menschens 
sondern  der  sunde  aufhören  sey. 

Und  inn  einem  Concilio  Aphricano  Capit.  VIII  *)  wird  be- 
folhen,  zuhalten  eine  Commendatio  der  verstorbenen  nach 
Mittag,  allein  mit  dem  gebete.  10 

Sanct  Augustinus  lib.  Conf.  9,  Cap.  13*)  hat  für  seine  mutter 
Monica  gebeten  und  schreibt,  das  die  selbige  begert  habe, 
das  man  ir  gedencken  solte  für  dem  Altar  Gottes,  da  das 


*)  Migne,  Patr.  lat.,  16, 1397 :  Dilexi  (virum)  et  praesumo  de  Domino,  quod 
gnscipiat  vocem  orationis  meae,  qua  prosequor  animam  piam.  .  .  .  Conteror 
corde,  qoia  ereptns  est  vir,  qaem  vix  possumos  inTenire;  sed  tarnen  tu 
Bolus,  Domine,  inyocandns  es,  tu  rogandus,  ut  eum  in  filiis  repraesentes. . . . 
Da  requiem  perfectam  servo  tuo  Theodosio,  requiem  iUam,  quam  prae- 
parasti  sanctis  tuis.  Hlo  conyertatur  anima  eins,  unde  descendit;  ubi 
mortis  aculenm  sentire  non  possit;  ubi  cognoscat  mortem  hanc  non 
natnrae  finem  esse,  sed  culpae.  (De  obitn  Theodosii  oratio,  cp.  35—36.) 
')  Coliectio  Canonum  conciliorum  diversorum  Africanae  provinciae,  con- 
tinens  capitnla  CY.  (Mansi,  Ampliss.  coU.  conciliorum,  tom.  IV,  pag.  478  bis 
518.)  Dort  lautet  Cap.  VIII:  Ut  sacramenta  altaris  nonnisi  a  jejunis 
hominibus  celebrentur,  excepto  uno  die  anniversario  (Todestag  des  Heiligen 
oder  Märtyrers.  Wetzer- Weite,  Kirchenlexikon,  *  I,  869),  quo  coena  domini 
celebratur.  Kam  si  aliquorum  pomeridiano  tempore  defunctorum  sive  epis- 
eoporum  sive  ceterornm  commendatio  facienda  est,  solis  orationibus  fiat, 
si  Uli,  qui  faciunt,  jam  pransi  inveniuntur.  —  Diese  Art  der  Zusammen- 
stellung afrikanischer  Canones  mu£,  wie  die  Kapitelangabe  beweist,  dem 
Bhegins  vorgelegen  haben.  Sie  erweist  sich  als  ein  Ausschnitt  —  etwa 
Dreiviertel  —  des  bekannten  Codex  canonum  ecclesiae  africanae,  den  Diony- 
sina  Exiguus  im  Jahre  419  edierte.  In  ihm  findet  sich  unser  Canon  unter 
Nummer  XLI.  (Migne  a.  a.  0.,  3,  735.)  Vgl.  Hefele,  Conciliengeschichte, 
Bd.  2,  S.  112 ff.  und  125,  und  Lauchert,  Die  Canones  der  wichtigsten 
altkirchlichen  Concilien  (Heft  12  der  G.  Krügerschen  Sammlung  kirchen- 
ond  dogmengeschichtlicher  Quellenschriften)   S.  XXVII.  *)  Migne, 

Patr.  lat.,  32,  778:   Augustinus  erzählt  von  seiner  Mutter  Monica:  Immi- 


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—    86    — 

heilige  Opffer  ausgeteilet  wird,  dadurch  die  haudschriffl 
(welche  wider  uns  war)  aus  getilget  ist  Und  libro  20  de 
Civitate  Dei  Capitenono^)  spricht  er:  Die  seelen  der  fromen, 
so  verstorben  sind,  werden  nicht  abgesondert  von  der  Christen- 

öheit,  welche  ist  das  Reich  Christi;  sonst  würde  ir  gedechtnis 
nicht  gehalten  für  dem  Altar  bey  der  gejneinschafft  des  Leibs 
Christi.  Und  libro  de  cura  pro  mortuis  haben  da*)  Capit.  4') 
zeigt  er  klerlich,  das  man  die  Furbitt,  so  mit  rechtem  glauben 
und  aus  Christlicher  andacht  geschehen  für  die  todten,  nicht 

10  nach  lassen  sol.  Item,  de  LXXXVIII  Heresibus  ad  Quodvult- 
deum,  Heresi  LIII.,  schreibt  er,*)  wie  ein  Ketzer,  genant 
Aerius,  ein  Arianer,  geleret  habe,  man  solle  für  die  todten 
nicht  bitten. 

Des  gleichen  libro  de  cura  pro  mortuis  habenda  cap.  I.*) 


nente  die  resolutionis  snae  non  cogitavit  suum  corpus  sumptuose  contegi, 
ant  condiri  aromatibus,  aat  monumentain  electum  concupiyit,  aut  cnraTit 
sepulcrum  patrinm;  non  ista  mandayit  nobls;  sed  tantummodo  memoriam 
sxii  ad  altare  tuum  fieri  desideravit,  cui  nnllins  diei  praetermissione  servierat ; 
nnde  sciret  dlspensari  yictimam  sanctam,  qua  deletnm  est  chirographum, 
quod  erat  contrarinm  nobis.  (Confessiones  IX,  13.) 

')  Migne,  Patr.  lat.,  41,  674:  Neque  enim  piormn  animae  mortaornm 
separantor  ab  Ecclesia,  qnae  nunc  etiam  est  regnnm  Christi  Alioqoin  nee 
ad  altare  Dei  fieret  eonun  memoria  in  communicatione  corporis  Christi. 
(De  civ.  Dei  20,  9,  2.)  «)  Text.  lat.  hat  „gerenda**.  »)  Migne, 

Patr.  lat.,  40,  596:  Verum  et  si  aliqua  necessitas  vel  humari  corpora 
Tel  in  talibus  locis  humari  nuUa  data  facuitate  permittat,  non  sunt 
praetermittendae  supplicationes  pro  spiritibus  mortuorum:  quas  faciendas 
pro  Omnibus  in  christiana  et  catholica  societate  defunctis  etiam  tacitis 
nominibus  eorum  sub  generali  commemoratione  suscepit  Ecclesia.  (De 
cura   pro  mortuis    gerenda,   cap.  4,   §  6.)  *)  Migne,    Patr.  lat.,  42, 

39 — 40:  Aeriani  ab  Aerio  quodam  sunt,  qui  cum  esset  presbyter, 
doluisse  fertur,  quod  episcopus  non  potuit  ordinari;  et  in  Arianorom 
haeresim  lapsus,  propria  quoque  dogmata  addidisse  nonnulla,  dicens,  offerri 
pro  dormientibus  non  oportere.  ...  (In  der  Anmerkung  fügt  Migne  hinzu 
„sie  Mss.  At  editi:  dicens,  orare  vel  offerre  pro  mortuis  oblationem  non 
oportere".  So  lag  der  Text  offenbar  auch  Khegius  Tor.)  Ad  Quodyultdeum 
über,  haer.  53.  ^)  Migne,  Patr.  lat.,  40,  593:  Sed  et  si  nusquam  in 

Scripturis  veteribus  omnino  legeretur,  non  parva  est  universae  Ecclesiae. 


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—    87    — 

spricht  er:  Inn  dem  gebet  des  Priesters,  so  zu  Gotte  dem 
HEREn  für  seinem  Altar  ausgesöhnt  wird,  wird  auch  mit 
gehalten  die  Commendatio  der  todten.  Sihe,  das  ist  die  alte 
gewonheit  der  Christenheit,  welche  on  zweivel  nicht  solche 
ewige  jar  begengnis  und  Messen  opffer  für  die  sunde  der  5 
todten  eingesetzt  hat,*)  wie  der  Bapst,  sondern  die  Christ- 
gleubigen  aus  freier  Christlicher  liebe  Gotte  befolhen  hat. 

Johannes  Damascenus,  inn  Sermone  De  iis,  qui  in  fide  hinc 
migrarunt,  spricht  also:  *)  Die  Aposteln,  unsers  HERRN  Christi 
Junger,  haben  für  gut  angesehen,  bey  den  heiligen*)  Sacra- 10 
menten  auch  das  gedechtnis  dere,  die  im  Glauben  verschieden 
sind,  zu  halten,  und  sagt,  das  es  der  gantzen  Christlichen 
Kirchen  gemeiner  und  bestettigter  brauch  gewesen  sey. 

Also  hat  auch  die  erste  Christliche  Kirche  vleissig  be- 
gangen das  gedechtnis  der  Christen,  welche  sie  entweder  aus  16 
öffentlichem  zeugnis  der  Schrifft  gewis  gewust,  oder  aus  irem 
erkantem  Christlichem  leben  ungezweivelt  dafür  gehalten  hat, 
das  sie  bey  Christo  seien. 

Isy  chius,  ein  j  unger  Nazianzeni,*)  in  Leviticum  lib.  Capit.  19 :  ^) 


qnae  in  hac  consnetndine  claret,  anctoritas,  nbi  in  precibos  sacerdotis,  quae 
Domino  Deo  ad  ejus  altare  fandnntnr,  locum  sunm  habet  etiam  commen- 
datio mortuorum.    (De  cnra  pro  mortnis  gerenda,  cap.  I,  §  3.) 

*J  Das  vorliegende  „habt"  ist  Druckfehler.  *)  Migne,  Patr.  graec, 

95,  250:  Ol  3i  ye  ftvaxai,  xa*  avxoniat  lov  Xoyovt  ol  i6v  tov  noofiov  yv^ov 
^aty^rjoarrei  fiadr^Tol  tov  ^ojt^^os  xcti  Oelot  dnooTokot^  inri  rtjäv  tp^immv 
^uu  axpayrtor  xal  ^caoTtoidtv  ftvarij^icov  fitn^firjv  Ttoteta&at  tc5v  Tiiarfläv  xoi' 
ftr^&ivTwv  i^ioTtiaav  o  xal  xnrixet  ßeßcucas  xal  Xiav  uvavTtpprJTafg  v  tov 
X^totov  xai  &eov  abto  Trepdrcav  oTioaroXixq  xal  xadoXixrj  *£xxXi]oia  ix  jors  ftix^t 
tov  vvv  xal  rrjs  tov  xoofiov  Xrj^eate  äxpt.  {Hepl  tcov  iv  TfioTet  XBXoifitrjuivcav^ 
cap.  3.)  »)  Text.  lat.   fügt  „vitalibusque"   hinzu.  *)  Text,  lat.: 

Isazianzeni  discipulus.  ^)  Migne,  Patr.  graec,  93,  1024:  Hos  racemos 

sibimet  colligere  Judaei  et  in  suis  divitiis  thesaurizare  non  possunt,  quia 
eornm  yitam  minime  sunt  zelati,  pauperi  autem  et  eos  proseljto  relinquunt. 
Nobiscnm  enim  sunt  prophetae,  et  quotquot  iusti  apud  popuium  Judaicum 
fuerunt,  in  tantum  ut  memoriae  eorum  a  nobis  annis  singulis  honorentur, 
quod   apud  iUos  non  fit,   ut  experimento  cognoscatnr  yiridicum  divinum 


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—    88    - 

Bey  uns  (spricht  er)  sind  die  heiligen  Propheten*)  und  die 
gerechten,  so  bey  dem  Judischen  volck  gewesen  sind,  also,  das 
ir  gedechtnis  alle  jar  ehrlich  gehalten  wird. 

Sanct  Augustinus,  de  disciplina  Christiana  Cap.  2 :  *)  Haben 

6  nicht  die  solchen  tod  erlidden,  welcher  gedechtnis  wir  begehen? 
und  contra  Faustum  Manicheum  libro  20.  Capit.  21:')  Die 
Christliche  Gemeine  begehet  der  Marterer  gedechtnis  herrlich, 
beide,  darumb  das  sie  gereitzet  werde,  inen  nach  zu  folgen, 
und  darumb,  das  sie  auch  irer  geselschafft  teilhafftig  werde, 

10  doch  also,  das  man  keinem  Marterer  keinen  Altar  aufrichte  etc. 

Sihe,  also  ehren  wir  die  heiligen  Marterer,  welches  ist 

ein  ehre  der  Christlichen  liebe  und  geselschaflft,  gleich  wie 

man  die  Heiligen  menschen  Gottes  inn  diesem  leben  ehret. 

Aber  mit  solcher  ehre  (die  man  Griechisch  nennet  Latria),  *) 

16  welche  eigentlich  alleine  der  Göttlichen  Maiestet  geburt,  ehren 


eloqniam.  {Hesychius  Presbyter  Hierosolymitanus,  gest.  ca.  430,  Commentarius 
in  Leviticum,  üb.  6,  cp.  19,  Ters  9—11.) 

»)  Im  Text.  lat.  fehlt  das  Prädikat  „heilig".  «)  Migne,  Patr. 

lat.,  40,  676:  Jam  tu  dicis  tibi:  Non  multi  justi  naufragio  perienint? 
.  .  .  Non  maitos  jnstos  bestiae  laniaveront?  .  .  .  £t  ego  respondeo: 
Haec  tibi  euim  videtar  mala  mors?  naufragio  perire,  gladio  percuti,  a 
bestiis  laniari,  mors  mala  tibi  videtur?  Nonne  istas  mortes  martyres 
subierunt,  quorum  natalitia  celebramus?  (De  disciplina  christiana, 
cap.  XII,  §  13.)  »)  Migne,  Patr.  lat,  42,  384:  Populus  autera  christi- 

anus  memorias  martyrum  religiosa  solemnitate  concelebrat  et  ad  excitan- 
dam  imitationem  et  ut  meritis  eorum  consocietur  atque  orationibus  ad- 
juvetur:  ita  tamen  ut  nulli  martyrum  sed  ipsi  Deo  martyrum,  quamvis  in 
memorüs  martyrum,  constituamus  altaria.  Quis  enim  antistitum  in  locis 
sanctorum  corporum  assistens  altari,  aliquando  dixit:  offerimus  tibi,  Petre; 
aut,  Paule;  aut  Cypriane;  sed  quod  offertur,  offertur  Deo,  qui  martyres 
coronavit,  apud  memorias  eorum,  quos  coronavit;  ut  ex  ipsorum  locorum 
admonitione  major  affectus  exsurgat,  ad  acuendam  charitatem  et  in  iUos, 
quos  imitari  possumus,  et  in  illum,  quo  adjuvante  possumus.  Colimus  ergo 
martyres  eo  cultu  dilectionis  et  societatis,  quo  et  in  hac  vita  coluntur 
sancti  homines  Dei,  quorum  cor  ad  talem  pro  CTangelica  veritate  passionem 
paratum  esse  sentimus.  (Contra  Faustum  Manichaeum,  lib.  20,  cap.  21.) 
*)  Text.  lat.  hat  den  Zusatz:  latine  uno  verbo  dici  non  potest 


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wir  niemand,  leren  auch,  niemand  solche  ehre  erzeigen  on 
Gott  allein.  Denn  auch  sie,  die  heiligen  selbs,  es  seien  £ngel 
oder  menschen,  wollen  inen  nichts  gethan  haben,  das  Gott 
allein  gebart 

Also  spricht  Sanct  Augustinus,  libro  tertio  CJontra  duas  6 
Epistolas  Pelagianorum  ad  Bonifacium  Capite  octavo:^)  Alle 
Heiligen  (sie  seien  von  dem  Ersten  Abel,  bis  auflf  Johannem 
den  Teuflfer,  oder  von  den  Aposteln  bis  auflf  diese  zeit  und 
hinfurt  bis  an  der  weit  ende)  sol  man  preisen  und  loben  inn 
dem  HERRn,  nicht  inn  inen  selbs.  Denn  das  ist  ir  aller  10 
eigen  wort:  Durch  Gottes  gnade  bin  ich,  das  ich  bin,  inn  der 
ersten  zun  Corinthem  am  fünflFzehenden  Capitel;*)  Und  ist 
inn  gemein  zu  allen  gesagt:  Wer  sich  rhümet,  der  rhüme  sich 
des  HERRn.«) 

Item  libro  Confess.  10.  Capit.  42.*)  HERR,  wo  solt  ich  16 
jemand  finden,  der  mich  gegen  dir  versünete?    Solt  ich  zun 
Engeln  gehen?     Welcherley  gebet  oder  was  für  Sacrament 
solt  ich  für  sie  bringen? 

Der  gleichen  mehr,  wie  man  die  lieben  Engel  ehren  sol, 
findet  man  inn  Sanct  Augustin,  de  vera  religione  Cap.  55:*)  20 

*)  Migne,  Patr.  lat,  44,  607 :  Ae  per  hoc  et  sancti  omnes,  sive  ab  illo 
antiqno  Abel  nsque  ad  Joannem  Baptistam,  sive  ab  ipsis  Apostolis  usqne 
ad  hoc  tempns  et  deinceps  usqne  ad  termmmn  saecoli,  in  Domino  landandi 
sunt,  non  in  se  ipsis.  Qnia  et  illornm  anteriomm  yox  est:  In  Domino 
landabitnr  anima  mea  (Ps.  23,  3)  et  istomm  posteriorum  vox  est:  Gratia 
Dei  sum  id  qnod  snm  (1.  Cor.  15,  10).  Et  ad  omnes  pertinet,  Ut  qui 
gloriatnr,  in  Domino  glorietar  (Id.  1,  31),  et  confessio  communis  est  omninm: 
8i  dixerimos,  qnia  peccatnm  non  habemns,  nos  ipsos  sedncimns  et  y^ritas 
in  nobis  non  est  (1.  Joan.  1,  8).  (Contra  duas  epistolas  Pelagianonim, 
lib.  3,  cap.  8,  §  24.)  «)  1.  Cor.  15,  10.  »)  1.  Cor.  1,  31.  *)  Äligne, 
Patr.  lat,  32,  807:  Quem  invenirem,  qni  me  reconciliaret  tibi?  Ambiendnm 
mihi  foit  ad  Angelos?  Qna  prece?  qnibns  sacramentis?  Mnlti  conantes  ad 
te  redire,  neqne  per  seipsos  Talentes,  sicnt  audio,  tentavemnt  haec,  et 
inddemnt  in  dedderinm  cnriosamm  visionnm  et  digni  habiti  sunt  illusionibns. 
(Confessiones,  lib.  10,  cap.  42,  §67.)  »)  Migne,  Patr.  lat,  34,  170: 

Hoc  etiam  ipsos  optimos  Angelos,  et  excellentissima  Dei  ministeria  velle 
credamos,  nt  onnm  cum  ipsis  colamns  Denm,  cnins  contemplatione  beati 


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—    90    — 

Die  Engel  haben  wir  lieb  und  werd  und  frolocken  mit  inen 
und  ehren  sie  durch  die  liebe,  nicht  aus  pflicht.  und  bauen 
inen  keine  Tempel,  denn  damit  wollen  sie  nicht  von  uns  ge- 
ehret werden. 

5  Und  libro  22  de  Civitate  Öei  Capit.  10  ^)  leret  er,  das  man 
den  Heiligen  Marteren  nicht  sol  solche  ehre  oder  Gottes  dienst 
thun,  so  Gott  allein  geburt,  oder  Tempel  und  Kirchen  bauen, 
des  gleichen  handlet  er  auch  in  lib.  ^)  contra  Maximinum 
Arianorum  Episcopum. 

10        Sanct  Hierony.,  in  Cap.  3.  Sophonie.  ^    Der  Apostel  namen 

sunt.  Neqne  enim  et  nos  videndo  angelmn  beati  samas,  sed  videndo  veri- 
tatem,  qna  etiam  ipsos  diligimns  Angelos,  et  bis  cougratnlamnr.  Nee  in- 
videmns  quod  ea  paratiores  vel  nxdlis  molestiis  interpedientibos  perfrunntur  : 
sed  magis  eos  diligimus,  quoniam  et  nos  tale  aliqnid  sperare  a  commoni 
Domino  iussi  sumns.  Quare  bonoramns  eos  cbaritate,  non  Servitute.  Nee 
eis  templa  constraimns,  nolont  enim  se  sie  bonorari  a  nobis ;  qnia  nos  ipsos, 
cum  boni  sumus,  templa  summi  Dei  esse  noyerunt.  (De  vera  religione, 
cap.  55,  §  110.) 

*)  Migne,  Patr.  lat.,  41,  772:  Uli  (die  Heiden)  diis  suis  et  templa  ae- 
dificavernnt  et  statnerunt  aras  et  sacerdotes  institnernnt  et  sacrificia  fecenmt 
Nos  antem  martyribos  nostris  non  templa  sicut  diis,  sed  Memorias  sicut 
bominibus  mortnis,  quorum  apud  Denm  vivont  Spiritus,  fabricamus.  Nee 
ibi  erigimus  altaria,  in  quibus  sacrificemus  martyribus,  sed  uni  Deo  et  mar- 
tyrnm  et  nostro;  ad  quod  sacrificium  sicut  bomines  Dei,  qui  mundum  in 
eins  confessione  vicerunt,  suo  loco  et  ordine  nominantur,  non  tarnen  a 
sacerdote,  qui  sacrificat,  invocantur.  (De  civitate  Dei,  lib.  22,  cap.  10.) 
*)  Migne,  Patr.  lat.,  42,  760.  Si  autem  religionem,  qua  colitur  Dens,  sicut 
dignum  est,  cogitares,  multo  plus  esse  cerneres,  quod  babet  Spiritus  Sanctus 
templum,  quam  si  eum  legeres  adoratum.  Et  bomines  enim  a  sanctis  novimus 
adoratos.  Templum  vero  non  est  factum  ab  bominibus,  nisi  aut  vero  Deo, 
sicut  Salomon  fecit,  aut  eis,  qui  pro  diis  babentur,  sicut  gentes,  quae  Igno- 
rant Deum.  Spiritus  autem  Sanctus,  quod  cum  magno  bonore  de  Deo 
dictum  est,  non  in  manufactis  templis  babitat,  sed  corpus  nostrum  templum 
est  Spiritus  Sancti.  —  Der  Text.  lat.  gibt  den  Zusatz:  lib.  1.  contra  Max., 
was  sieb  aber  als  Irrtum  heraussteUt.  Dies,  bier  einzig  in  Frage  kommende 
Zitat  findet  sich  Contra  Maximinum  Arianorum  episcopum,  lib.  II,  cap.  3. 
')  Migne,  Patr.  lat.,  25,  1386:  Quotidie  nominatur  in  Ecclesia,  quotidie 
magnificatur  nomen  eorum;  non  quod  ipsis  prosit  a  nobis  in  Ecclesia 
nominari,  sed  quod  nos  magnificantes  nomen  eorum  et,  quae  scripserunt. 


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—    91    — 

wird  teglich  genennet  in  der  Christlichen  Kirchen  nnd  teglich 
hoch  gepreiset,  nicht  das  inen  damit  geholflfen  werde,  das  sie 
von  uns  inn  der  Gemeine  genennet  werden,  sondern  das  wir, 
so  wir  iren  namen  preisen  und  ire  Schriflften  rhumen,  dadurch 
zur  Seligkeit  komen.  6 

Das  magstu  kurtzer  also  fassen: 

Wir  sollen  Christum,  unsem  einigen  Erlöser,  Bischoflf, 
Mittler  und  Fürsprechern  im  Himel  bey  dem  Vater,  anruflfen, 
zu  im  vertraulich  inn  aller  not  fliehen  als  zum  Gnadenstuel, 
da  sich  Grott  allein  wil  inn  gnaden  finden  lassen.  Denn  er  10 
spricht  selbs  Math.  11:  Kompt  her  alle  zu  Mir,  die  ir  mtihe- 
selig  und  beladen  seid,  ich  wil  euch  erquicken.^)  Und  die 
gantze  Schrifft  weiset  uns  zu  Christo,  der  uns  allein  zum 
Vater  bringet.  Er  ist  allein  unser  barmhertziger  und  treuer 
Hoher  Priester  für  Gott  inn  den  Dingen,  die  wir  für  Gott  15 
zu  handeln  haben,  Ebre.  2.^) 

Aber  die  Schriflft  leret  nirgend,  das  wir  zu  denen,  so  im 
HEREn  entschlaffen  sind,  inn  unsern  nöten  fliehen,  sie  an- 
ruffen  und  hülffe  bey  inen  *)  suchen  sollen.  Die  SchrilFt  leret 
aber,  das  man  die  Heiligen  als  die  ausserwelten  glieder  Christi,  20 
unsere  treue  Brüder,  solle  sonst  ehren,  das  ist,  ehrlich  von 
inen  halten  und  reden,  Gott  inn  inen  preisen  und  sie  inn 
Gott  loben,  der  inen  solche  überschwengliche  gnade  bewisen 
und  zu  solcher  herrligkeit  erhöhet  hat.  Und  lasset  uns  solche 
gnade  teglich  verkünden,  auff  das  wir  durch  die*)  Exempel2ö 
lernen,  uns  gleicher  gnade  und  hülffe  zu  unserm  treuen  Gott 
zu  versehen,  und  das  wir  dadurch  gereitzt  werden,  Gott  mit 
ernst  zu  bitten,  das  er  uns  armen  sundem,  die  noch  mit  dem 
fleisch  kempffen,  auch  wolle  einen  solchen  festen  glauben, 
liebe  und  hoiftiung  geben,  wie  die  lieben  Heiligen  hie  zeitlich  30 


lectitantes,  conseqnamur  salatem.    (Comment.  in  Sophoniam,  cap.  III,  zu 
Vera  19-20.) 

M  Matth.  11,  28.         «)  Hebräer  2,  17.  »)  Text.  lat.  hat  hier  den 

deatschen  Zusatz:  ,,hoffen  und  suchen".         *)  Text.  lat.  hat  hier  „diese". 


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—    92    — 

gehabt  haben,  auflf  das  wir  auch  also  mögen  durch  Christum 
unser  eigen  sundlichs  fleisch,  die  weit  und  den  bösen  Geist 
überwinden,  und  zu  den  lieben  Heiligen  komen.  Das  ist  auch 
gewislich  ir  hertzlich  sehnen,  denn  sie  haben  uns  lieb  und 
6  freuen  sich  unser  frömigkeit  und  Seligkeit. 


XVII. 

Von  den  Bilden. 

Levitici  am  sechs  und  zwentzigsten  ^)  verbeut  die  Schrifft, 
Bilder  zu  machen,  sie  redet  aber  deutlich  von  solchen  Bildern, 

10  so  dazu  gemacht  werden,  das  man  sie  anbete.  Darumb  sol 
man  inn  der  Christenheit  keine  solche  bilder  haben,  die  man 
anbetet.  Aber  des  HERRn  Christi,  der  Heiligen  Jungfrauen 
Maria,  der  Patriarchen,  Aposteln  Bilder,  zu  eim  gedechtnis 
gemacht,  mag  man  wol  haben,  denn  sie  dienen  ja  da  zu,  das 

15  sie  uns  vermanen  oder  erinnern.  Als,  wenn  ich  sehe  ein  bild 
des  HERRN  am  Creutz  oder  der  Aufferstehung  Christi,  so 
werd  ich  erinnert  des  heilsamen  tods  Christi  und  seiner  herr- 
lichen AuflFerstehung,  welch  gedechtnis  ist  on  zweivel  nütz- 
lich und  not,  denn   also   schreibt  Sanct  Gregorius   an   den 

20  Bischoff  zu  Massilien:^)  Was  die  Schrifft  denen  nützet,  die 
da  lesen  können,  das  nützen  die  bilder  den  ungelerten. 


*)  Levit.  26,  1.  *)  Gregor  der  Große,   der  Papst,   episttilarum 

lib.  XI,  indict.  IV,  epist.  XHI  (Migne,  Patr.  lat.,  77,  1128):  Die,  frater, 
a  quo  factum  sacerdote  aliquando  auditnm  est,  qaod  fecisti?  Si  non  aliud, 
vel  illud  te  non  debuit  revocare,  ut  despectis  alils  fratribus  solum  te  sanc- 
tum  et  esse  crederes  sapientem?  Aliud  est  enim  picturam  adorare,  aliud 
per  pictnrae  historiam,  quid  sit  adorandnm,  addiscere.  Nam  quod  legentibus 
scriptura,  hoc  idiotis  praestat  pictura  cerneutibus,  quia  in  ipsa  etiam  igno- 
rantes  vident,  quid  sequi  debeant,  in  ipsa  legunt,  qui  litteras  nesciunt. 
tlnde  et  praecipue  gentibus  pro  lectione  pictura  est.  —  Der  Brief  ist  ge- 
richtet an  Serenus,  einen  Bilderfeind,  der  vom  Jahre  590  bis  601  Bischof 
von  Massilia  war.    Vgl.  Wetzer  und  Weite,  Kirchenlexikon*,  Bd.  8,  S.  906. 


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—    93    — 

Darumb  ist  im  neuen  Testament  kein  gebot,  das  man  die 
Bilder  solle  abthun,  sondern  mögen  ir  wol  branchen  aus 
Christlicher  freiheit,  doch  so  fem,  das  kein  misbrauch  daraus 
werde,  denn  wo  irgend  ein  Bilde  were,  da  der  unverstendige 
pobel  und  tolle  heiligen  ^)  zu  liefifen  und  das  selbige  ehreten  5 
oder  hulflf  bey  im  suchten,  solch  bild  sol  die  Oberkeit  des- 
selben orts  abthun,  auff  das  keine  Abgötterey  damit  getrieben 
werde,  nach  dem  Exempel  des  Königs  Ezechie,  welcher  die 
Eherne  schlänge,  so  Moses  gemacht  hatte,  zubrach,  um  des 
misbrauchs  willen,  weil  ir  der  tolle  pobel  anfieng.  Göttliche  10 
ehre  zu  erzeigen  und  die  selbige  anzubeten,  am  vierden  Regum 
am  achtzehenden  Capitel.') 


xvni. 

Von  der  Christen  begrebnis. 

Der  fumemest  Artikel  unsers  glaubens  leret  uns,   das  15 
dieses  fleisch,  welchs  wir  itzt  tragen,  am  Jüngsten  tage  werde 
wider  verkleret  werden  und  auflferstehen  zum  ewigen  leben. 
Denn  gleich  wie  Christus  auferstanden  ist  und  nicht  mehr 
sterben  wird,  also  sollen  alle  Christen  wider  auflferstehen  mit 
irem  leibe,  spricht  S.  Athanasius  inn  seinem  Symbolo.  ^)    Der-  20 
halben  sol  das  begi'ebnis  bey  den  Christen  ehrlich  gehalten 
werden  von  wegen  der  gewissen  hoffnung  der  künflftigen  auflf- 
erstehung,  also,  das  man  der  todten  leiche  nachfolge  bis  zum 
grabe,  *)  und  weil  die  selbige  begraben  wird,  mag  der  Pfarrer 
oder  Prediger  mit  einer  kurtzen  vermanung  das  volck  trösten,  25 
das  sie  erstlich  bedencken,  wie  wir  alle  inn  Adam  gestorben 
und  yerdampt  sind,  darnach,  das  wir  widerumb  inn  Christo 


')  Text,  lat.:  rade  et  supentitiosnm  ynlgns.  *)  2.  Könige  18,  4. 

*)  Ad  Christi  adventam  omnes  homines  resnrgere  habent  cum  corporibns 
8ai8  (Satz  38»  des  Symbolam  Qnicnnqne).  *)  Text,  lat.:  fnnera  sunt 

.  a  inis  deducenda. 


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—    94    - 

alle  lebendig  gemacht  werden,  welcher  alles  wider  hat  zu 
recht  bracht,  was  zuvor  Adam  verderbt  und  verloren  hat, 
denn  Er  ist  gestorben  umb  unser  sunde  willen,  welche  er  alle 
durch  seinen  tod  versünet  und  da  mit  unsern  tod  vertilget 

6  hat,  und  ist  nu  allen  Christgleubigen  worden  die  aufferstehung 
und  das  leben,  das,  wer  an  in  gleubet,  der  sol  leben,  ob  er 
auch  stirbet,  und  ein  iglicher,  der  da  lebt  und  an  in  gleubt, 
der  sol  ewiglich  nicht  sterben,  Johannis  am  eilfften  Capitel.  ^) 
Unsere  leibe  sind  glieder  Christi.   Darumb,  wie  Gott  Christum, 

10  unsern  HERRN  und  unser  heubt,  hat  aufferweckt,  also  wird 
er  auch  uns  auflferwecken  durch  seine  krafft,  1.  Corinth.  6. 2) 
Und  mag  der  Prediger  auch  hie  handeln  den  text  Sanct 
Pauli  zun  Thessalonichern  am  vierden  Capit.:  Wir  wollen  eucli, 
Lieben  Brüder,  nicht  verhalten  von  denen,  die  da  schlaffen 

15 etc.,*)  Oder  ein  stuck  aus  dem  fünffzehenden  Cap.  der  1.  zun 
Corinthem/)  Von  der  herrlichen  Aufferstehung  Christi  und 
der  Christen,  da  mit  der  Artikel :  Ich  gleube  die  aufferstehung 
dieses  fleisch,  den  hertzen  der  menschen  fest  eingedruckt,  und 
der  glaube  der  aufferstehung  gesterckt  und  geübt   werde. 

20  Denn  Sanct  Ambrosius  hat  recht  und  wol  gesagt  super 
15.  Capit.  1.  ad  Cor.:*)  Alle  hoffnung  und  trost  der 
gleubigen*)  stehet  darinn,  das  die  todten  wider  aufferstehen 
sollen. 

Solche  weise,  die  todten  ehrlich  zubegraben,  ist  allezeit 

25  gewesen,  beide  inn  der  Synagoga  und  inn  der  Christenheit, 
und  ist  ein  zeugnis,  beide  unsers  glaubens  von  der  auff- 
erstehung des  fleisches  und  auch  unser  liebe  gegen  unsere 
nehesten,  so  verstorben  sind,  welche  wir  gleuben,  das  sie  nicht 
verloren,  sondern  allein  zuvor  hin  geschickt  seien,  und  nicht 


')  Joh.  11,  25-26.  ^)  1.  Kor.  6,  14.  »)  1.  Thessalonicher 

4,  13  ff.  *)  1.  Kor.  15,  20  ff.  »)  Migne,  Patr.  lat.,  17,  260:  ostendit 

illis,  qnia  si  in  hac  causa,  qnae  snbjecta  est,  a  traditione  eins  sedacti 
sunt,  perdidenint  qnod  credidemnt;  omnis  enim  spes  credentiom  in  hoc 
sensn  est,  qnia  mortui  resnrgent.  (Ambrosius,  Comm.  in  ep.  ad  Cor.  I, 
cap.  XV,  vers  1—2.)  •)  Text.  lat.  hat  nur  „omnis  spes  credentinm''. 


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daran  zweiveln,  das  wir  die  selben,  unsere  freunde,  werden 
wider  sehen  am  tage  des  HERRn,  und  zugleich  bey  Christo 
bleiben  ewiglich. 

Es  ist  auch  im  alten  Testament  ein  greuliche  straffe 
gewesen,  so  jemand  nicht  begraben,  und  der  leib  on  alle  5 
ehre  hin  geworffen  ward,  wie  man  sihet  3.  Reg.  13.,  4.  Reg.  9. 
Jerem.  8.  14.  16.  19.^)  34.  36.  Ezechiel  39.  Hat  nicht 
unser  vater  Abraham  seine  Sara  ehrlich  begraben  zu  Hebron? 
Und  ist  der  selbige  acker  hernach  also  blieben  zum  begrebnis 
der  Heiligen  Patriarchen,  Gen.  23.  *)  26.  Der  gleichen  liesestu  lO 
von  den  andern  Vetern,  Genesis  35.  37.  38.  47.  49.  50. 

Also  ward  der  Widwen  son  zu  Nain*)  ehrlich  hinaus- 
getragen, Luce  7.  Desgleichen  auch  Lazarus  ehrlich  begraben 
zu  Bethania,  Johan.  11. 

Man  sol  auch  dem  volck  offt  furhalten  diese  oder  der  16 
gleichen  tröstliche  wort  und  Sprüche. 

Psalm  72:  Ir  Wut  wird  theur  geachtet  werden  für 
im.  *)  Denn  er  redet  von  den  Christen,  für  welcher  blut  Gott 
sorge  tregt 

Und  Psalm  116:  Der  tod  seiner  Heiligen  ist  theur  für  20 
im.  *)    Es  were  aber  kein  theurer  tod,  wenn  das  andere  teil 
des  menschens,  nemlich  der  leib,  nicht  aufferstehen  solte. 

In  der  ersten  zun  Corinthem  am  fünffzehenden :  Es  wird 
geseet  (das  ist,  inn  die  erden  begraben,  gleich  wie  der  samen 
inn  den  acker)  der  sterbliche  leib;  Es  wird  geseet  in  Unehre; 26 
Es  wird  geseet  inn  schwacheit;  Aber  es  wird  aufferstehen  ein 
unsterblicher  leib;  Es  wird  auffersten  inn  krafft  und  herrlig- 
keit  etc.  ß) 

Und  ich  vermane  Euch,  Lieben  Brüder  inn  Christo,') 
das  ir  auch  von  wort  zu  wort  auswendig  lernet  das  15.  Capit.30 


>)  Text  lat.  fügt  noch  „22"  ein.             «)  Gen.  23,  19.             «)  Im 

Druck  Bteht  „Naim".  *)  Psalm  72,  14  b.              ö)  Psalm  116,  15. 

•)  1.  Kor.  16,  42—44.  ')  Text.  lat.  bietet  noch  die  Apposition:  pri- 
mitias  resorgentium. 


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—    96    — 

der  1.  Epi.  zu  den  Corin^  das  ir  bey  den  sterbenden  und  inn 
den  begrebnissen  allezeit  daraus  tröstung  farhanden  habt 
Der  HERR  aber  gebe  euch  verstand  inn  allen  stücken.^) 
AMEN. 


»)  Vgl.  2.  Timoth.  2,  7. 


Gedruckt  zu  Wittemberg  durch  Hans  Luflft. 


Drack  von  Lippert  ft  Co.  (G.  Pätz'sche  Büchdr.),  Kaombiurg  a/S. 


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QUELLENSCHRIFTEN 

ZUR 

GESCHICHTE  DES  PROTESTANTISMUS 

IN  VERBINDUNQ  MIT  ANDEREN  FACHQENOSSEN 
HERAUSQEQEBEN  VON 

Prof.  JOH.  KUNZE  und  Prof.  C.  STANGE^ 


SIEBENTBS  HEFT. 

THEOLOGIA   DEUTSCH. 


LEIPZIG. 

A.  DEICHEBT'SCHE  VERLAQSBUCHH.  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1908. 


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THEOLOGIA  DEUTSCH. 


— <^>— 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


Lic  HERM.  MANDEL 

PRIVATDOZENT  AN  DER  UNIVERSITÄT  QREIFSWALD. 


Es  mochte  flatzlich  seyn,  dafs  die  ein- 
fältige bflchleln,  die  Teutsche  Tlieologi, 
sodann  Tauleri  Sclirifften.  aufs  welclien 

Cleichwul  nechst  der  Schrifft  unser  tbeure 
utlienis  worden,  was  er  gewesen  ist,  in 
die  hflnde  der  Studiosonim  melir  ge- 
bracht und  dero  gebrauch  ihnen  recom- 
mendiret  wflrde. 

Ph.  J.  Spener,  Pia  desideria,  Frirft  1680. 
p.  140. 


LEIPZIG. 

A.  DEICHEBT'SCHE  VERLAQSBUCHH.: NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1908. 


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Alle  Rechte  vorbehalten. 


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Einleitung. 


1.  Luthers  Aasgaben  und  Beurteilung. 

Wenn  irgend  eine  Schrift  zu  den  Quellenschriften  ^s 
Protestantismus  gehört,  so  ist  es  die  Epitome  der  deutsehen 
Mystik,  die  „Theologia  deutsch''.  Dieses  Büchlein  fiel  im 
Jalure  1616  Luther  in  die  Hände,  auf  welchem  Wege,  weiß 
man  nicht.  Es  begann  mit  dem  7.  Kap.  der  vorliegenden 
Ausgabe  und  enthielt  den  Text  bis  zum  24  Eap.  einschließ- 
lich. ^)  Die  bedeutendste  Abweichung  ist  die  Weglassung  des 
ganzen  22.  Eap.  und  der  letzten  Zeilen  des  21.  Kap.  ^) 

Luther  fand  das  Büchlein  „ohne  Titel  und  Namen''.  So 
gab  er  ihm  den  Titel :  „Eyn  geystlich  edles  Buchleynn.  Von 
rechter  underscheyd  und  vorstand.  Was  der  alt  und  new 
mensche  sey.  Was  Adams  und  was  gottis  kind  sey  und  wie 
Adam  ynn  uns  sterben  und  Christus  ersteen  sali" ;  Holzschnitt: 
Die  Kreuzigung  Christi.  Gedruckt  zu  Wittenbergk  durch 
Joannem  Grunenbergk.  Anno  nach  Christi  geburt  Tausent  fünf- 


*)  Die  inhaltlichen  Verschiedenheiten  dieses  Textes  von  dem  des 
spftter  gefondenen  sind  unter  dem  Texte  bei  dem  Buchstaben  A  yermerkt. 
Orthographie  ist  vielfach  eine  andere. 

')  Daß  Luther  schon  1516  das  Ganze  Yon  1518  gefanden  und  selbst 
einen  Auszog  gemacht  hätte  (so  J.  Köstlin,  Luthers  Theol.,  1.  A.  I  69. 115. 
213)  ist  bei  dem  Inhalt  des  Weggelassenen  mehr  wie  unwahrscheinlich 
(vgL  auch  GLPlitt  in  Zs.  f.  luth.  The.  u.  K.  1865  S.  58).  In  der  späteren 
Ausgabe  herrscht  auch  in  den  Stücken  von  1516  durchgehend  eine  andere 
Orthographie. 

Mandel,  Theologia  Deatsch.  I 


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—    II    — 

bandert  und  jm  sechtzenden  jar  am  tag  Barbare  (4.  Dez.).  Bey 
den  Augustinern."  In  derselben  Gestalt  wurde  das  Bücblein 
nocb  einmal  gedruckt:  in  Leipzig  durch  Wolfgang  Stöckel,  1618. 
Außerdem  versah  es  Luther  an  drei  Stellen  mit  einer  kurzen 
lateinischen  Anmerkung  (S.  30,  35,  51)  und  mit  einer  Vorrede. 
In  dieser  bittet  er,  sich  nicht  mit  dem  Urteil  über  die  Schrift 
zu  übereilen,  weil  es  „ynn  etlichen  werten  untüchtig  scheynnt 
oder  aufi  der  weiße  gewönlicher  prediger  und  lerer  reden". 
„Ja  es  schwebt  nit  oben  (d.  h.  in  den  Höhen  der  Spekulation) 
wie  schawm  auf  dem  wasser,  sunder  es  ist  auß  dem  gründe 
des  Jordans  von  einem  warhafftigen  Israeliten  erleßen,  wuchs 
namen  Gott  weyß".  Wolle  man  aber  vermuten,  so  sei  „die 
matery  faßt  nach  der  art  des  erleuchten  doctors  Tauleri. 
Nu  wie  dem  allen,  das  ist  war,  gruntlich  lere  der  heiigen 
Schrift  muß  narren  machen  adder  narre  werden.  Als  der 
apostel  Paulus  berurt  1.  Cor.  1.  Wir  predigen  Christum,  eyne 
torheyt  den  heyden,  aber  eyne  weyßheit  gottis  den  heyigen." 
Im  Jahre  1518  konnte  Luther  das  Büchlein  in  erweiterter 
Form  herausgeben.  Es  wurde  in  demselben  Jahr  in  Witten- 
berg (Grünenberg),  Leipzig  und  Augsburg  (Otmar)  gedruckt. 
Bis  1521  zählt  die  Weimarer  Ausgabe  von  Luthers  Werken 
(I  376 f.)  noch  sechs  Drucke.  Luther  gab  ihm  jetzt  den  Titel: 
„Eyn  Deutsch  Theologia,  d.  i.  Eyn  edles  Buchleyn,  von 
rechtem  vorstand,  was  Adam  und  Christus  sey,  und  wie  Adam 
yn  uns  sterben  und  Christus  ersteen  sali."  In  der  Augsburger 
Ausgabe  von  1518  heißt  es  zum  erstenmal :  Theologia,  Teütsch. 
Die  Vorrede  aber,  die  Luther  dieser  zweiten  Ausgabe  mit- 
gegeben hat,  bringt  die  einzigartige  Bedeutung  der  Theol.  D. 
für  die  Eeformation  in  so  deutlicher  Weise  zum  Ausdruck, 
daß  sie  hier  wiedergegeben  werden  muß.  —  Nachdem  Luther 
unter  Hinweis  darauf,  daß  sich  Gottes  Weisheit  gerne  in 
unscheinbarer  Form  darbiete  (1.  Kor.  1, 17;  2.  Kor.  10, 10)  den 
Leser  gebeten  hat,  die  Wirkung  des  Büchleins  nicht  durch 
Ärger  über  „die  iingefrenßeten  und  ungekrentzten  werte"  zu 
verscherzen,  sagt  er:  „Diß  edle  Buchleyn,  alß  arm  und  un- 


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—    m    — 

gesmnckt  es  ist  yn  Worten  und  menschlicher  weißheit  (Folie: 
die  umfassenden,  gelehrten  scholastischen  Systeme  der  Theo- 
logie), alßo  und  vill  mehr  reycher  und  ubirkostlich  ist  es  in 
kunst  und  gotlicher  weißheit    Und  das  ich  nach  meynem 
alten    narren  rüme,   ist  myr   nehst   der  Biblien    und 
S.  Augustino  nit  yorkummen  eyn  buch,  dar  auß  ich 
mehr  erlernet  hab  und  will,  was  got,  Christus, 
mensch  und  alle  dingseyn.    Und  befinde  nu  aller  erst, 
das   war   sey,    das    etlich   hochgelerten    von   uns    Witten- 
bergischen Theologen   schimpflich   reden,   also  wollten  wir 
new  ding  farnhemen,  gleych  alß  weren  nit  vorhyn  und  anderwo 
auch  leut  geweßen.     Ja  freylich  seynn  sie  geweßen.     Aber 
gottis  tzoren,   durch  unser  sund  vorwircket,  hatt  uns  nit 
laßen  wirdig  seyn  die  selben  zu  sehen  ader  hören,  dann  am 
[A  ij]  tag  ists,  das  in  den  Universiteten  eyn  lang  zeyt  sulchs 
nit  gehandelt,  dohynn  bracht  ist,  das  das  heylig  wortt  gottis 
nit  allein  under  der  bangk  gelegen,  sundemn  von  staub  und 
mutten  nahend  vorweßet     Leß   diß  Buchlein  wer  do  will 
unnd  sag  dann,  ab  die  Theologey  bey  unß  new  adder  alt  sey, 
dann  dißes  Buch  ist  yhe  nit  new,  Werden  aber  villeicht  wie 
vormals  sagen,  Wyr  seyen  deutsch  Theologen,  das  laßen  wyr 
ßo  seyn.   Ich  danck  Grott,  das  ich  yn  deutscher  zungen  meynen 
gott  alßo  höre  und  finde,  als  ich  und  sie  mit  myr  alher  nit 
funden  haben,  Widder  in  lateynischer,  krichscher  noch  hebre- 
ischer  zungen.    Grott  gebe,  das  dißer  puchleyn  mehr  an  tag 
kumen,  ßo  werden  wyr  finden,  das  die  Deutschen  Theologen 
an  zweyfiell  die  beßten  Theologen  seyn,  Amen.    Doctor  Mar- 
tinus  Luther,  Augustiner  zu  Wittenbergk."    Luther  bezeugt 
also  selbst,  daß  er  die  Hauptstucke  der  reformatorischen,  d.  i. 
der  im  Gegensatz  zur  Scholastik  stehenden  neuen  Denkweise 
über  Religion  und  Christentum:  die  Anschauungen  von  Gott, 
von  der  Welt  (alle  Ding),  wie  sie  in  der  Eeligion  beurteilt 
werde  (d.  i.  die  Anschauung  von  dem  Verhältnis  Gottes  zur 
Welt,  der  Schöpfungsbegrifl),  vom  natürlichen  Menschen  und 
die  Christologie  von   der  Th.  D.  überkommen   und  erlernt 

I* 


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—      IV      — 

habe.  So  urteilt  er  nicht  im  Feuer  der  ersten  Begeisteruag- 
(1516),  sondern  nachdem  er  sich  mit  dieser  Denkweise  be*- 
reits  zwei  Jahre  beschäftigt  und  sie  in  seinen  Schriften  un« 
ermüdlich  vertreten  hatte.  Wenn  man  überhaupt  der  Meinung 
ist,  daß  Luthers  Worte  ernst  zu  nehmen  seien,  so  wird  maa 
nicht  umhin  können,  den  Eeformator  Luther  einen  Schüler 
der  deutschen  Theologie  zu  nennen.  Schon  die  erste  Aus- 
gabe sandte  er  an  Spalatin,  der,  um  auf  die  Masse  zu  wirken, 
einige  Schriften  ins  Deutsche  fibersetzen  wollte:  Mein  Bat 
ist:  „Wenn  du  gerne  eine  reine,  solide  und  der  alten  (vor- 
scholastischen) möglichst  ähnliche  Theologie  in  deutscher 
Sprache  lesen  willst,  so  nimm  die  Predigten  Taulers  zur 
Hand,  cuius  (sc.  Tauleri)  totius  epitomen  ich  Dir  hiermit 
sende.  Ich  wenigstens  habe  weder  in  lateinischer  noch  in 
unsrer  Sprache  eine  heilsamere  und  mit  dem  Evangelium 
mehr  übereinstimmende  Theologie  gesehen."  (Briefe,  Enders 
I,  74.)  Die  Th.  D.  nennt  er  ein  opusculum  theologicissimum 
(ib.  90  f.).  Und  in  den  Eesolutionen  zum  Ablaßstreit  (1518): 
„Ich  weiß  allerdings,  daß  dieser  Doktor  den  Schulen  der 
Theologen  unbekannt  ist  und  sehr  von  ihnen  verachtet  wird. 
Aber  ich  habe  in  ihm,  mag  er  auch  deutsch  geschrieben  haben, 
mehr  solide  und  reine  Theologie  gefunden  als  bei  den  gesamten 
scholastischen  Doktoren  aller  Universitäten  gefanden  wird 
oder  zu  finden  ist  in  ihren  Sentenzen"  (Weim.  Ausg.  1, 557, 28). 
Die  Scholastik  hat  die  lautere  Theologie  Taulers  verjagt 
(Vm,  289,  7,  IX,  737,  33). 

Diese  Stellen  wären  leicht  zu  vermehren.^)  Sie  genfigen 
aber  zum  Erweise  dafür,  daß  Luther  nach  seiner  eigen^i 
Meinung  als  reformatorischer  Theolog  im  wesentlichen  nichts 
anderes  als  ein  Schüler  und  Vertreter  der  Denkweise  Taulers 
und  der  Epitome  desselben  war.  Wie  das  sachlich  zu  ver- 
stehen sei,  wird  die  folgende  (Nr.  6)  Einleitung  in  das  Ver- 


*)  Vgl.  die  stellen  bis  1521  bei  W.  Köhler,  Luther  u.  die  Kirchengesch. 
1900  S.  236  ff. 


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—      V      — 

sUadnis  der  deutschen  Theologie  andisutend  zeigen,  soweit 
das  im  Rahm^  dieser  Veröffentlichnng  tnnlich  ist 

DaS  Lnther  sich  sp&ter  yon  der  Th.  D.  abgewandt  habe, 
ist  eine  nnbewiesene  Behauptung.^)  Ihre  Grundgedanken 
waren  nach  seinen  eigenen  Worten  and  nach  seinen  Schriften 
za  sehr  mit  seinem  ganzen  theologischen  Denken  verwachsen, 
als  dafi  ihm  solche  Abwendung  möglich  gewesen  wäre. 

Wenn  man  nun  die  erste  Ausgabe  mit  der  zweiten  ver- 
gleicht, so  wird  in  der  Tat  keine  andere  Auffassung  möglich 
sein  als  die,  da£  jene  ein  Bruchstück  von  dieser  ist  und  keines- 
wegs der  Grundstock,  zu  dem  von  anderer  Hand  Zusätze  ge- 
macht sind.  Das  Neue  von  1518  ti*ägt  denselben  Charakter 
wie  das  Alte.  Ohne  dasselbe  würde  das  Büchlein  mitten  in 
einem  Zusammenhang  beginnen  und  aufhören;  Kap.  6,  aber 
nicht  gut  Kap.  7,  könnte  Anfang  sein ;  die  in  Kap.  23  be- 
gonnenen Fragen  würden  aber  ohne  Kap.  27  flf.  unbeantwortet 
bleiben. 

2.   Weitere  Ausgaben. 

In  dieser  Form  von  1518  hat  das  Büchlein  viele  Aus- 
gaben erlebt.«)  1523  Basel,  1526  Augsburg,  Nürnberg,  1528 
Nürnberg.  1528  gab  sie  der  Drucker  Peter  Schöffer  (Worms) 
heraus  mit  einem  eigenen  Vorbericht  und  den  in  den  meisten 
späteren  Ausgaben  und  Übersetzungen  wiederholten  „Etliche 
hauptreden,  inn  denen  sich  eyn  ieder  fleissiger  schuoler  Christi 


')  L.  KeUer,  Die  Beformation  n.  die  älteren  Reformparteien  S.  472. 
Der  einzige  Beleg:  ist  ein  Yöllig  angenaner  Hinweis  auf  Luthers  Vorrede 
zn  einem  Büchlein  des  Joh.  Kymens  (Ein  alt  ehr.  Conciliom  .  .  .  Item  ein 
alt  wnnderbarliche  Geschieht  1537),  dessen  zweiter  Teil  gegen  die  Wieder- 
tftttfer  und  SpIritnalisteB  geht,  ohne  jedoch,  soviel  ich  gesehen  habe,  die 
Th.  D.  SU  erwähnen.  Die  Vorrede  aber  ist  lediglich  für  den  1.  Teil  in- 
teressiert, der  gegen  Bom  ist. 

^)  Die  bibliographische  Hauptquelle  für  das  Folgende:  Panzer, 
AsMÜen  der  SHeren  dentsdien  Litt  1793  ff.  Zum  Übrigen  ist  zn  yergleichen 
die  Vorrede  Pfeiffers  n  seiner  später  zn  nennenden  Ausgabe  der  Th.  D. 
Nur  m«ß  eine  Beihe  Ton  Pf.  gezählter  Ausgaben  fortfallen :  Die  Schwenck- 


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—      VI      — 

prüfen  mag . . ."  ^)  Weiter:  1531, 1534, 1538  Rostock,  1546  Frank- 
furt, 1552  Augsburg,  1558  Königsberg.  1558  wurde  sie  zugleich 
zweimal  französisch  herausgegeben :  La  Theologie  Germanicque 
Liuret  auquel  est  traict^  CJomment  il  faut  d6pouiller  le  vieil 
homme  et  vestir  le  nouveau.  Der  Übersetzer  war  Sebastian 
Castellio.  Derselbe  hat  sie  1557  in  Basel  lateinisch  heraus- 
gegeben: Theologia  Germanica  Libellus  aureus:  hoc  est,  brevis 
et  pregnans :  Quomodo  sit  exuendus  vetus  homo,  induendusque 
novus.  Ex  Germanico  translatus,  Joanne  Theophilo  interprete. 
Diese  Ausgabe  wurde  oft  wiederholt:  1558  Antwerpen,  1580 
Lyon,  1603  München,  1625  Lyon,  c.  1700  Paris,  zuletzt  1730 
in  Leipzig  durch  Dr.  th.  Joh.  Georg  Pritius.  1597  Halber- 
stadt war  wohl  die  erste  der  von  Joh.  Arnd,  Gen.-Sup.  des 
Fürstentums  Lüneburg,  besorgten  und  bevorworteten  Ausgaben. 
Ebenso  erschien  um  diese  Zeit  eine  niederdeutsche  Übersetzung 
und  eine  flämische,  deren  es  aber  mehrere  gegeben  hat.  Weiter: 
1605,  1617  Magdeburg,  1621  Hamburg,  mit  Kempis  Nach- 
folgung, als  Anhang  zu  Taulers  Predigten;  1621  Lintz,  als 
erstes  in  „vier  alte  und  geistreiche  Büchlein";  1624  Straßburg, 
1628,  1642,  1652  Lüneburg,  1631  Amsterdam,  1647  Magde- 
burg, 1671  Amsterdam.  Als  Anhang  zu  Speners  Ausgabe  der 
Taulerschen  Predigten:  1681  Frankfurt,  1688 Nürnberg,  1692 
Frankfurt,  1703  Erfurt,  Leipzig,  Halle  (Waisenhaus),  1705 
Halle,  1720  Frankfurt,  Leipzig,  Halle.  Ebenso  Frankfurter 
Ausgaben  von  1700,  1703,  1704,  1710,  alle  wie  die  Lintzsche 
Ausgabe.  1722  erschien  es  in  „theosophia  teutonica,  der 
Seelen  Adel-Spiegel"  unter  dem  Namen  des  Joh.  Theophilus 
(s.  oben)  und  aus  dem  Lateinischen  zurückübersetzt,  1734 
endlich  in  Leipzig. 

1676  und  1700  hatte  P.  Poiret  das  Büchlein  französisch 
herausgegeben:  La  th^ologie  r6elle,  vulgairement  ditte  la 
Theologie  germanicque  (Amsterdam,  Wetstein). 

feldsehen.  Denn  Schwenckfeld  hat  fast  nur  den  Titel  von  der  Th.  D.  über- 
nommen; der  Text  selbst  ist  kaum  wiederzuerkennen. 

*)  Über  diese  Ausgabe  s.  L.  Keller,  Abhdlg.,  unten  S.  11  A.  2. 


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—      VII      

Das  Jahrhundert  des  Rationalismus  hat  nach  seinem 
ersten  Drittel  unseres  Wissens  keine  Ausgaben  hervorgebracht. 
Die  Th.  D.  war  nicht  nach  rationalistischem  Geschmack. 

In  dem  vergangenen  Jahrhundert  brachte  das  Jahr  des 
Reformationsjubiläums  (1817  Berlin,  Reimer)  die  erste,  besorgt 
und  bevorwortet  von  K  Grell,  Pastor  in  Berlin.  Sodann  1822 
Lemgo  von  F.  K.  Krüger,  1827  Erlangen  von  J.  A.  Dezer,  1837 
St.  Gallen  mit  Einleitung  von  Troxler,  1842  Berlin  von  J. 
H.  P.  Biesenthal,  mit  Einleitung.  Der  Text  war  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  naturgemäß  überaus  verwahrlost  worden, 
Zusätze  und  Änderungen  hatte  man  skrupellos  gemacht.  Dem- 
gegenüber griff  die  letzte  Ausgabe  unmittelbar  auf  den  Text 
von  1518  zurück  und  bot  ihn  übersetzt. 

Da  wurde  eine  neue,  nach  den  beiden  Lutherschen  also 
dritte  Handschrift  entdeckt,  in  der  fürstlichen  Bibliothek  zu 
Bronnbach,  der  ehemaligen  Cisterzienserabtei  bei  Wertheim 
a.  d.  Tauber  und  Main  (jetzt  in  der  fürstl.  Hofbibl.  zu  Klein- 
Heubach).^)  Die  Handschrift  ist  leider  ziemlich  jungen  Ur- 
sprungs, aus  dem  Jahre  1497.  Die  Th.  D.  trägt  die  Überschrift: 
Hie  hebet  sich  an  der  Franckforter  und  seit  gar  hohe  und 
gar  schone  dink  von  einem  volkomen  leben.  Dann  folgt:  Die 
vorrede  über  den  Franckforter.  Und  am  Ende:  Hie  endet 
sich  der  Franckforter,  Got  dem  herren  si  lob  und  ere  und 
der  edelen  koniginne  und  juncfrowen  Marie  gotes  muter.  Amen. 

Diese  dritte  Gestalt  der  Th.  D.  weicht  nun  nicht  wenig 
von  der  zweiten  ab ;  es  herrscht  nicht  allein  eine  ganz  andere 
Orthographie,  auch  fehlen  nicht  nur  einige  Sätze  von  1518, 
die  dann  aber  meist  durch  andere  ersetzt  sind,  sondern  vor- 
nehmlich stellt  sich  der  neuere  Fund  als  eine  sehr  starke 
Erweiterung  der  Gestalt  von  1518  dar.  Die  beiden  letzten 
Absätze  von  Kap.  12  sind  zu  besonderen  Kapiteln  (13  und  14) 
erweitert,  so   daß   von  da  an  die   neuere  Handschrift   der 


*)  Die  erste  Kunde  von  dieser  Handschrift  gab  Reuß,  Prof.  in  Wtirz- 
bnrg,  Zs.  f.  deutsches  Altertum  III  487. 


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-^      VIII      — 

J[Hitberso}i6Q  Zählnng  zwei  Kapitel  voraos  bat.  Ebenso  ist 
Kap.  47,  2.  Absobn.  in  der  neueren  Handscbrift  ein  eigenes 
Kap,  (60).  Aber  mit  Kap.  48  beginnt  die  Luthersche  Zählung 
4ie  andere  zu  überholen.  Kap.  48 — 52,  1.  Abschn.  (L.)  bilden 
ein  Kap.  (51);  Kap. 52, 2.  Absehn.  +  53, 1.  Abschn.  (L.)  =  Kap. 58; 
K«4p.  53,  2.  Abschn.  bis  56,  1.  Abschn.  (L.)  =  Kap.  53,  Kap.  56, 
8.  Abschn.  (L.)  erweitert  zu  einem  eigenen,  dem  letzten  Kap.  (54). 

Nach  dieser  Gestalt  nun  ist  die  Th.  D.  von  Dr. 
Fr.  Pfeiffer  im  Jahre  1851  zum  erstenmal  herauagegeben 
worden  (Gütersloh,  Bertelsmann),  zum  zweitenmal  mit  einer 
neudeutschen  Übersetzung  verseben,  1854,  und  hat  bis  heute 
noch  zwei  Auflagen  erlebt  (1875,  1900).  Das  Jahr  1854  hat 
auch  zwei  englische  Ausgaben  (London)  gebracht,^)  die  eine: 
Old  German  Theology,  a  hundred  years  before  the  reformation; 
With  a  preface  by  M.  Luther,  übersetzt  von  Mrs.  MaJccdm, 
Tochter  des  letzten  Erzbischofe  von  York,  gründet  sich  nach 
klugem  Urteil  auf  die  Biesenthalsche  Ausgabe,  obwohl  sie 
die  Pfeiffersche  kannte.  Die  andere:  Theologia  Germanica; 
Which  setteth  forth  many  fair  Lineaments  of  Divine  Truth, 
wd  saith  very  lofty  and  lovely  things  touching  a  perfeot 
Life;  übersetzt  von  Sus.  Winkworth,  mit  Vorrede  von  Charles 
Ki^gsley  und  einem  Brief  an  die  Übersetzwin  von  Bunsen, 
schließt  sich  Pfeiffer  an.  Außerdem  ist  die  Th.  D.  nach 
1850  noch  erschienen:  1858  und  1892  (Stuttgart,  Steinkopf j, 
1886  (Gemsbach,  „nach  Pf"). 

Nun  war  jene  von  Reuß  bekannt  gemachte  Handschrift 
wert,  neben  der  Lutherschen  uns  gegeben  zu  werden.  Aber 
das  Ansehen,  welches  ihr  Pfeiffer  gab,  verdiente  sie  nicht.  Es 
erweckt  zunächst  eine  falsche  Vorstellung,  wenn  Pfeiffer 
hinzusetzte:  Nach  der  einzigen  bis  jetzt  bekannten  Hand- 
sdirift  herausgegeben.  Wir  kennen  dank  Luthers  Bemühung 
doch  noch  zwei  andere  Handschriften  (1516,  1518).    Ja  es 


*)  Nach  dem  Vorwort  der  einen  ^bt  es  auch  eine  englische  Aasgabe 
nach  dem  Latein  yon  1648. 


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—      IX      — 

kann  kdn  Zweifel  darüber  bestehen,  daß  die  Texte  Luthers 
bei  weitem  ursprünglicher  sind.  Der  Text  bei  Pfeiffer  sucht 
den  Lutherschen  Text  zu  glätten  und  zu  verdeutlichen.  In 
den  meisten  Fällen  zeichnet  er  sich  durch  überflüssige  Er- 
weiterungen aus,  so  dajB  der  Luthersche  Text  den  Vorzug 
größerer  Knappheit  hat.  In  anderen  Fällen  ändert  Pf.  gar 
den  Sinn  oder  bringt  Fremdes  in  den  Zusammenhang. 
Gleich  in  Kap.  1  nimmt  der  Einschub  die  Antwort  vorweg. 
Statt  „der  Sünde"  ist  oft  von  „den  Sünden"  die  Rede,  die 
dann  bisweilen  noch  einzeln  aufgezählt  werden.  Der  „Teufel" 
ist  ständig  zum  „bösen  Geist"  geworden.  Die  weitere 
Prüfung  bleibt  dem  Leser  selbst  überlassen.  —  Wenn  sich 
ab^  schon  für  das  Ganze  die  Ursprünglichkeit  des  Luther- 
BohesL  Textes  ergibt,  so  sind  dessen  Lesarten  bis  Kap.  24 
doppelt  sicher  gestellt,  1518  und  1516! 

Schon  im  ersten  Bande  der  Weimarer  Ausgabe  der  Werke 
Luthers  ist  das  Urteil  ausgesprochen,  daß  „Pfeiffers  Text 
dem  Luthers  bedeutend  nachstehe",  indem  er  vielfach  nur 
^eine  matte  Erweiterung"  biete  und  keineswegs  eine  „voll- 
ständigere Wiedergabe  der  Urschrift",  daß  er  also  mit  Un- 
recht Luthers  Ausgaben  in  Mißkredit  gebracht  habe  (S.  376); 
und  der  so  urteilte  (Knaake),  kündigte  bereits  einen  neuen 
Abdruck  der  Ausgabe  Luthers  an  (Weimar,  Böhlau,  1883). 
Aber  dieser  Abdruck  ist  leider  unterblieben. 

Nun  ist  während  der  Vorbereitung  dieser  Ausgabe  die 
Th.  D.  als  „Das  Büchlein  vom  vollkommenen  Leben,  Eine 
dtsche  Theologie"  hrsgeg.  worden,  von  Herm.  Büttner,  Jena 
(bei  Diederichs)  1907.  Diese  Ausgabe  will  aber  Unmögliches: 
den  ursprünglichen  Text  der  Th.  D.  wiederherstellen  (Vorw. 
S.  71  f.).  Es  ist  ihr  Verdienst,  den  Vorzug  des  Lutherschen 
Textes  vor  den  neueren  erkannt  zu  haben.  Aber  sie  macht 
mit  dieser  Erkenntnis  nicht  Ernst,  sondern  fügt  den  neueren 
meist  unvermerkt  hinein.  Zur  Wiederherstellung  der  Urgestalt 
fehlen  uns  aber  die  Mittel,  und  so  muß  ein  Versuch  derselben 
an  Willkür  leiden.     Mithin  haben   wir  Luthers  ursprüng- 


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lieberen  Text  noch  immer  nicht  vor  uns;  zamal  Büttner  auch 
sprachlich  nicht  Luthers  Text  bietet.  So  wird  es  endlich  an 
der  Zeit  sein,  wirklich  Luthers  Text  zu  rehabilitieren,  um 
seines  wissenschaftlichen  Wertes  willen  zu  wissenschaftlichen 
Zwecken,  aber  auch  für  den  populären  Gebrauch. 

An  K.S  Ausgabe  ist  u.  a.  auch  der  unübersichtliche  Druck 
zu  tadeln.  Der  Text  wird  immer  wieder  durch  die  Kapitel- 
überschriften unterbrochen,  und  besonders  wird  das  Eindringen 
in  den  Gedankengang  erschwert  durch  Mangel  aller  Absätze. 
Mitten  im  Satze  beginnen  oft  neue  Entwicklungen.  Nun  bot 
der  Text  bei  L.  Einteilungen.  Diese  sind  in  unserer  Aus- 
gabe beibehalten,  wo  sie  dem  Sinn  entsprachen.  War  das 
offenbar  nicht  der  Fall,  so  sind  sie  nicht  markiert.  Im  übrigen 
hoffe  ich  die  wirklichen  Einschnitte  wie  auch  die  Satzzu- 
sammenhänge im  ganzen  getroffen  zu  haben. 

Anderseits  nun  aber  sind  die  Zusätze  bei  Pf.  so  in  G^ist 
und  Stil  des  ursprünglicheren  Textes  gehalten,  daß  sie  immer- 
hin wert  sind,  dem  Texte  mitgegeben  zu  werden.  Wenn  man 
eine  Eigentümlichkeit  derselben  nennen  will,  so  ist  es  sogar 
nur  ein  wertvoller  Zusatz:  man  soll  das  Seine  und  das 
Kreatürliche  nicht  suchen  „weder  in  natur  noch  in  geist". 
Alle  Abweichungen  aber  zu  verzeichnen,  wäre  untunlich  und 
unnötig.  Denn  für  die  Philologen  kann  Pf.s  Text  doch  nicht 
überflüssig  gemacht  werden,  da  er  durchweg  eine  andere  Ortho- 
graphie hat.  Folglich  ist  er  nur  soweit  zu  beachten,  als  der 
Inhalt  von  Belang  ist.  Die  meisten  Abweichungen  sind  aber 
geringfügig  und  von  rein  formeller  Bedeutung.^) 

*)  Vgl.  jedoch  S.  105  ff.  —  Zusätze  bei  Pf.  sind  durch  f,  Weglassungen 
durch  —  bezeichnet.  Andere  Lesarten  beziehen  sich,  ohne  Zeichen  gelassen, 
nur  auf  den  einen  Ausdruck,  zu  dem  sie  angemerkt  sind.  —  Die  sehr  häufigen 
Striche  über  einem  Buchstaben  (z.  B.  un)  sind,  wo  möglich,  aufgelöst; 
ebenso  die  selteneren  Haken  hinter  (z.  B.  Christ',  d'  =  der)  oder  über  einer 
Silbe  (z.  B.  y'spricht).  Wo  v  für  u  stand,  ist  n,  wo  u  für  y  (z.  B.  alsuU), 
y  gedruckt.  In  dz  und  wz  ist  das  fehlende  a  ergänzt.  —  Für  freundlichste 
Beratung  betreffs  der  sprachlichen  Anmerkungen  bin  ich  Herrn  Prof.  Dr. 
Stosch,  hierselbst.  zu  Dank  verpflichtet. 


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—      XI      — 

3.   Entstehung  der  Theologia  Deutsch. 

Der  Verf.  der  Th.  D.  hat  seinen  Namen  der  Nachwelt 
nicht  aufbewahrt  Das  entsprach  seiner  Grundstimmung,  die 
mit  derjenigen  übereinstimmte,  in  der  Luther  wohl  von  seinem 
„alten  Narren"  redet.  Durch  ihn  hat  der  allmächtige  Gott 
dies  Büchlein  ausgesprochen.  Oder  ob  der  Name  unterdrückt 
wurde,  um  dem  Büchlein  göttliche  Autorität  zu  geben?  ^)  —  Es 
bleibt  mithin  bei  Hypothesen.  Luther  dachte  1516  an  Tauler; 
Tauler  war  in  A  noch  nicht  genannt.  Vgl.  Text  S.  29.  A.  4.  1518 
gab  sich  der  Verf.  wenigstens  als  ein  Deutschherr  aus  Frank- 
furt und  einer  der  „Gottesfreunde"  (vgl.  Joh.  15, 15)  zu  erkennen. 
Gottesfreunde  nannte  sich  eine  zuerst  im  12.  Jahrhundert 
auftretende,  besonders  am  Rhein  entlang,  in  den  Beghinen- 
und  Beghardenhäusem  sich  ausbreitende  Eichtung,  die  keine 
Separation,  sondern  nur  die  Pflege  der  Frömmigkeit  beab- 
sichtigte, indem  sie  mit  dem  Gottesglauben  Ernst  machte 
auf  dem  Gebiet  des  persönlichen  Lebens  (Nr.  6  der  Einl.). 
Tauler,  der  sich  zu  ihnen  rechnete,  verwahrt  sich  an  einer 
Stelle  gegen  jene  falsche  Auffassung  ihrer  Absicht  und  be- 
fürwortet Absonderung  nur  in  dem  Sinne  des  religiös-sitt- 
lichen Ernstes.^)  Man  hat  von  einem  gewissen  Eblendus 
^geredet,*)  aber  ohne  genügenden  Anhalt.  Auch  die  Durch- 
sicht des  großen  Kopialbuches  der  Frankfurter  Kommende 
mußte  vergeblich  sein.*)  —  Wir  müssen  uns  begnügen,  den 


*)  L.  KeUer,  Die  Reformation  und  die  älteren  Reformparteien  1885  S.  172. 

«)  Prot  Real-Enc.»  17,  203  ff.  Art.  über  Rnlman  Merswin.  Für  die 
<je8chichtsanf£a88img  L.  Kellers  stehen  die  Gottesfreunde  in  der  weiter- 
reichenden Traditionslinie  der  altevangelischen  oder  Brüdergemeinden.  Vgl. 
das  angefahrte  Werk  KeUers,  über  die  Th.  D.  170ff.,  341  f.;  dazu  seine  Ab- 
hdlg,  in  „Monatshefte  der  Comenius-Gesellschaft"  1902,  XI  145 ff.:  Die 
Oott«8£reande,  die  Th.  D.  und  die  Rosenkreuzer;  ebenda  1896,  V  44 ff.: 
F.  Thudichum,  Die  Th.  D. 

•)  Placius,  Theatrum  anonymorum  et  pseudonymorum.  J.  Wolf,  Lec- 
tiones  memorabü.,  opp.  Hemipoll  1672,  I.  p.  742,  zum  Jahr  1460.  Schröckh, 
Kirchengesch.,  TL  34,  S.  71  f.        *)  Pfeiffers  Vorrede  8.  21  f. 


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—    xn    — 

ganzen  Mutterboden  der  Th.  D.  und  auch  die  Richtung  zu 
kennen,  gegen  welche  außratreten  die  Denkweise  der  Th.  D. 
das  lebhafteste  Interesse  hatte,  weil  sie  aus  gleichen  Prinzipien 
entgegengesetzte  Folgerungen  zog:  die  libertinistische  Sekte 
vom  freien  oder  auch  neuen  Geiste,  vgl  S.  48f.  Da  die  Be- 
wegung  der  Gottesfreunde  mit  dem  14.  Jahrhundert  abnimmt^ 
anderseits  aber  die  Th.  D.  die  vollste  Reife  der  deutschen 
Mystik  voraussetzt,  wird  sie  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahr- 
hunderts entstanden  sein. 

4.   Der  Gedankengang 

des  Büchleins  bedarf  dringend  der  Darstellung.  Denn  er  ist 
nicht  leicht  durchsichtig.  Es  scheint  so,  als  stünden  die 
Kapitel  zusammenhanglos  nebeneinander.  Man  hat  die  Th.  D» 
sogar  für  eine  Sammlung  von  einzelnen  Vorträgen  gehalten 
und  sie  zu  kapitelteiliger  Lesung  der  Erbauung  empfohlen. 
Für  den  Fortschritt  der  Gedanken  entschädigte  aber  in 
hohem  Maße  die  Einheitlichkeit  der  verschiedenen  Kapitel^ 
welche  auf  die  Th.  D.  anwenden  läßt,  was  man  von  den 
Predigten  Eckharts  und  Taulers  gesagt  hat:  wer  eine  der- 
selben gelesen  habe,  kenne  alle.  Es  ist  allerdings  die  Eigenart 
der  deutschen  Theologie,  daß  sie  nur  Einen  Hauptgedanken 
hat  und  diesen  unermüdlich  predigt:  Sei  lauterlich  und  gänz- 
lich ohne  dich  selbst!  oder  positiver:  Laß  dich  und  deinen 
Willen  Gotte!  oder  völlig  positiv:  Erkenne  Gott  als  Gott  an! 
Dennoch  aber  weisen  bei  genauerem  Zusehen  mehrere 
Ausführungen  einen  Zusammenhang  auf  und  heben  sich  gegen- 
einander ab.  ^)    Der  erste  Hauptteil  umfaßt  Kap.  1 — 22  un4 


')  Das  hat  Reifenrath,  Die  deutsche  Theologie  des  Frankfurter  Gottoa- 
frenndes,  1.  TL  einer  Bonner  Preisschrift,  bevorwortet  von  Tholnck,  HaUe 
1863,  nachzuweisen  yersucht.  Neben  dem  Gedankengang  (S.  8 — IG)  eine 
systemat.  Darstellung  der  deutschen  Theologie  (8.  40—63).  Er  teilt  ein : 
Sünleitg.:  Kap.  1.  2:  Notwendigkeit  der  Vereiiiigung  des  Menschen  mit 
Gott.  1.  Hpttl.:  Kap.  3—12,  2.  Abschn.  (nach  Pf.  18):  Das  Wesen  ikeet 
Yereinigunng.     2.  Hpttl.:  Kap.  12,  3.  Abschn.    -  Kap.  56  Anfeng:  Der 


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—    xni    — 

legt  das  sittlich-religidse  Ideal  positiv  dar.  Einen  zweiten 
Hanptteil  geben  die  Ansffifarnngen  bis  Es^.  38  deutlich  zb 
erkennen.  Dieser  wendet  sich  gegen  die  Irrlehre  vom  freien 
Geist  (S.  43  f),  bringt  aber  wertvolle  positive  Ausfuhmngen 
hinzu.  Dann  folgt  ein  erkennbarer  Zusammenhang  von  vier 
Kapiteln^  in  dem  zwar  die  Irrlehre  noch  vorkommt,  aber  nicht 
dan  Rahmen  f&r  den  Zusammenhang  bildet  Auf  diesen  Ab* 
schnitt  folgen  wiederum  vier  Kapitel  ohne  erkennbaren  Zu- 
sammenhang unter  sich  und  mit  den  vorigen  und  folgenden. 
Dann  aber  eine  geschlossene  und  gründliche  Ausführung  über 
die  Entstehung  des  Eigenwillens  (47—61)  und  endlich  (52 
—54)  über  die  mittlerische  Bedeutung  Christi.  Diese  vier 
Abschnitte  sind,  als  ziemlich  genau  das  letzte  Drittel  des 
Büchleins,  hier  zu  einem  dritten  Hauptteil  zusammengefaßt. 
I«  Das  Büchlein  beginnt  mit  dem  für  Religion  und 
Theologie  wichtigsten  Begriffe:  mit  dem  Gottesbegriff.  Gott 
ist  das  schlechthin  Vollkommene,  das  von  allen  geteilten 
Einzeldingen,  d.  i.  von  den  in  den  Begriffen  ausgedrückten 
dgentümlichen  Wesenheiten,  den  Quidditäten  (quid  est?)  der 
Dinge,  verschieden  und  über  sie  schlechthin  erhaben  ist, 
welches  aber  anderseits  die  Macht,  ja  das  Subjekt  des  Daseins, 
der  Existenz  (an  est?)  der  Dinge  ist,  (da  ja  mit  keines  Dinges 
Qniddität  oder  Begriff  die  Existenz  desselben  analytisch  oder 
notwendig  gegeben  ist).  Es  gibt  kein  Sein  ohne  von  Gott. 
1)  Gott  an  sich:  das  Vollkommene,  2)  Gott  im  Verhältnis  zur 


Weg  zur  Vereinigung.  Darunter  a)  12,  8 — 27:  der  Weg  ist  Gehorsam; 
b)  28—62, 1 :  nur  durch  diesen  Gehorsam  zur  Freiheit.  1)  28—37 :  Wert 
der  äußeren  Ordnungen  und  des  Lebens  Christi;  2)  38—46:  Grund  der 
diesbezüglichen  Verirrnngen;  3)  47—52:  Die  wahre  Freiheit.  Der  Haupt- 
fehler dieser  Einteilung  liegt  in  der  Yerkennung  des  Einschnittes  zwischen 
Kap.  22  und  23  und  in  der  etwas  gewaltsamen  Zusammenfassung  weiter 
Ansf&hrungen  unter  ganz  individuellen  Titeln.  Und  im  einzelnen  hat  Beif. 
der  scheinbaren  Gliederkrankheit  des  Ganzen  nicht  Herr  zu  werden  ver- 
mocht. Weil  dies  auch  in  der  Tat  nicht  leicht  ist  und  die  scheinbare  Ein- 
tönigkeit den  Geschmack  an  dem  Büchlein  verderben  kann,  legt  diese 
Ausgabe  solches  Gewicht  auf  den  Gedankengang. 


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—       XIV      — 

Welt:  der  Schöpfer,  von  dem  jede  Wesenheit  (als  an  sich  nicht 
seiende)  ihr  Sein  hat,  das  ist  die  Grundlage  des  Ganzen 
(Kap.  1). 

a.  1.  Daß  der  Mensch  sich  den  Einzeldingen  und  aller- 
meist sich  selber  zuwendet,  daß  er  sich  des  Guten  annimmt^ 
das  ist  die  Sünde  (Kap.  2,  3,  Anfg).  Diese  kann  nicht  durch 
den  Menschen  gebessert  werden,  Gott  muß  das  Subjekt,  der  Herr 
in  dem  Menschen  werden  (zufolge  des  Schöpfungsbegriffs  .')^ 
der  Mensch  muß  sich  aufgeben  und  Gott  leiden  (3).  Denn 
Gott  will  seine  Ehre  an  niemand  abtreten;  er  kann  es  nicht 
leiden,  daß  der  Mensch  des  Guten  sich  annimmt  (4).  Wenn 
aber  verlangt  wird,  daß  der  Mensch  nichts  begehren  und 
keines  Guten  sich  annehmen  soll,  so  ist  das  nicht  quietistisch 
zu  verstehen,  sondern  als  das  positive  Verhalten,  welches 
der  objektiven  Wirklichkeit  gemäß  Gott  als  das  Subjekt  aller 
Güter  anerkennt  (5). 

2.  Bisher  war  das  religiöse  Verhalten  wesentlich  nach 
Maßgabe  des  Schöpfungsbegriffs  dargestellt:  Sünde  =  an 
Stelle  Gottes  sich  zum  Subjekt  des  Guten  machen,  das  richtige 
Verhalten:  das  Gegenteil  und  Gott  leiden.  Jetzt  wird  die 
andere  Seite  des  Gottesbegriffs  ins  Spiel  gesetzt:  Gott  in 
seiner  Verschiedenheit  von  der  Welt:  das  Vollkommene* 
Dieses  nämlich,  das  objektiv  Beste,  sollten  wir  am  liebsten 
haben  und  danach  unser  Leben  richten,  1.  das  äußere:  daß 
wir  die  Kreaturen  von  Gott  aus  beurteilten,  2.  das  innere: 
daß  uns  unmittelbar  Gott  als  das  allein  wahre  Gut  aufginge  (6). 
Bei  Christus  war  das  innere  Leben  (d.  i.  das  „rechte  Auge") 
ungestört  neben  dem  äußeren  Leben  (das  linke)  auf  Gott  ge- 
richtet, weil  ihm  von  Haus  aus  (im  Anfang,  da  die  Seele 
Christi  ward)  diese  Richtung  auf  Gott  eigen  war.  Bei  dem 
natürlichen  Menschen  aber  ist  letzteres  nicht  der  Fall,  und 
so  pflegt  sein  äußeres  Leben  das  innere  nicht  zu  seinem  Rechte 
kommen  zu  lassen  (7).  Ja  es  erhebt  sich  die  Frage,  ob  jener 
unmittelbare  Anblick  Gottes  (vgl.  Kap.  6,  Nr.  2)  überhaupt  in 
dieser  Zeit  dem  natürlichen  Menschen  möglich  sei.     Diese 


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—      XV      — 

Frage  ist  zu  bejahen  unter  der  Bedingung,  daß  des  Menschen 
Liebe  und  Affekt  von  der  Welt  und  vom  eigenen  Ich  befreit 
werde  (8).  Das  ist  nur  durch  Einkehr  bei  sich  selbst  mög- 
lich. Denn  das  Vollkommene  ist  ja  bereits  in  der  Seele 
(zufolge  des  Schöpfungsbegriffs !  s.  oben).  Die  Seligkeit  liegt 
also  lediglich  daran,  daß  ich  mich  Gott  lasse  (9). 

3.  Wir  sollen  Gott  wie  dem  Menschen  seine  Hand  werden 
und  gar  nichts  eigenes,  auch  keine  Empfindung  der  Seligkeit 
bei  Gott  suchen,  sondern  ihm  bedingungs-  und  selbstlos  dienen 
(10).  Das  bewirkt  wahre  Reue,  in  der  man  sich  selbst  auf- 
gibt, ja  alles  Leides  und  der  ewigen  Verdammnis  wert  hält 
und  selbst  die  Erlösung  nicht  begehrt.  Diese  Hölle  der  Selbst- 
au%abe  ist,  positiv  angesehen,  die  Anerkennung  des  Schöpfers, 
das  Himmelreich,  (11)  und  bringt  als  solche  Einheit  mit  Gott 
den  Frieden,  der  über  allen  äußeren  Dingen  liegend  auch  durch 
Leid  u.  dgl.  ungetrübt  bleibt  (12  Anfg.). 

b.  Nachdem  nun  das  erste  Stück  des  ersten  Hauptteils 
in  diesen  drei  Abschnitten  das  vor  Gott  richtige  Verhalten 
gezeichnet  hat,  stellt  ein  zweites  Stück  den  vorbildlichen 
Typus  desselben  vor  Augen :  Christus,  im  Gegensatz  zu  Adam 
Die  Lehre  von  dem  richtigen  Verhalten  wird  zur  Christo- 
logie.  — 

1.  Es  ist  nämlich  nicht  gut,  den  (Vor-)Bildern  zu  früh 
Urlaub  zu  geben.  Der  Weg  führt*  durch  Stufen  (12,  2.  u. 
3.  Abschn.).  Wider  Adam,  den  Typus  der  natürlichen  Willens- 
beschaffenheit, steht  Christus,  der  Antitypus,  wider  den  Un- 
gehorsam der  Gehorsam,  wider  die  Selbstliebe  die  schlecht- 
hinige  Selbsthingabe,  die  alles  Eigenen  so  sehr  ledig  steht, 
daß  der  Mensch  bloßes  Haus  der  Gottheit  wird  (13).  Für 
das  Adamskind  ist  also  Wiedergeburt  notwendig  (a);  wo 
diese  geschieht,  d.  h.  wo  der  Mensch  aus  der  Selbstliebe  in 
die  Selbsthingabe  kommt,  da  ist  die  Sünde  ganz  von  selbst 
gesühnt  (b).  Kurz  alles,  wirkliche  Gerechtigkeit  (a)  und  das 
Verhältnis  zu  Gott  (b),  liegt  an  Gehorsam  oder  Ungehorsam 
(welcher  —  b  Anfg.  —  der  Abkehr  vom  Schöpfer  —  gleich- 


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—      XVI      — 

gesetzt  wird)  (c).  Die  Folgen  des  Gehorsams  sind  nun  aber 
1.  Vermeidung  alles  Unrecht-  und  Leid-Tuns  gegen  die  Eben^ 
menschen,  2.  tiefes  Leid  allein  über  eins:  was  wider  Gott  ist: 
die  Sande  (d)  (14).  Über  diese  im  Bewußtsein  der  Einheit 
mit  Gott  sich  auch  hinwegzusetzen,  ist  keine  wahre  Freiheit, 
sondern  ungöttiiche  Art  (15). 

2.  Für  den  also  Wiedergeborenen,  der  das  eine  wahre 
Gut  erkannt  hat,  ist  dann  das  Leben  Christi  das  beste,  was 
es  gibt,  während  es  dem  natürlichen  Menschen  das  bitterste 
ist  (16),  Gelangen  zu  diesem  Leben  kann  man  freilich  nicht 
durch  den  Litellekt,  sondern  nur  durch  wirkliche  Nachfolge 
(17).  Der  natürliche  Mensch  entzieht  sich  aber  derselben,  und 
die  von  seinen  Grundsätzen  geleitete  Vernunft  macht  sich 
eigene  Höhen  zurecht  (18). 

3.  Wie  steht  es  nun  um  einen  Menschen,  der  in  dem 
wahren  Licht  des  Lebens  Christi  wandelt?  Äußerlich  wandelt 
er  nach  den  von  der  empirischen  objektiven  Wirklichkeit  ihm 
vorgeschriebenen  Normen.  Denn  sich  selbst  nach  eigenen 
Wünschen  ein  Sollen  zurechtzumachen,  dazu  fehlt  die  Trieb- 
kraft: die  Selbstliebe  (19).  Innerlich  nämlich  ist  er  von 
Gottes  Geist  besessen  im  Gegensatz  zu  dem  vom  bösen  Geist 
der  Ichheit  besessenen  natürlichen  Menschen  (a).  —  „Aber 
ich  bin  nicht  bereit"!  Die  Bereitung  ist  einfach:  ernstliches 
Wollen  und  nach  dem  Vorbild  sich  richten  (b,  20).  Ein 
anderer  Weg  wäre:  Gott  einfach  zu  leiden;  nur  führt  dieser 
Weg  durch  ein  alle  Kreaturen  (Dinge,  Verhältnisse,  Menschen) 
Leiden.  Dieser  Weg  wäre  allerdings  köstlich  (21).  Der 
zentralste  Ausdruck  für  den  Weg  ist  aber:  Gott  will  selbst 
im  Menschen  Wohnung  machen,  wie  es  in  Christus  war  (a); 
da  war  wahre  Menschheit  mit  menschlichem  Empfinden,  die 
Leidensscheu  der  Natur  ausgenommen  (b),  da  war  wahre 
Gottheit,  indem  der  Mensch  von  keiner  Ichheit  wußte  (c,  22). 

IL  Wenn  nun  der  Mensch  meint,  er  sei  der  Welt 
und  sich  selbst  gestorben  und  allein  Gott  gelassen,  so  ent- 
steht geistliche  Hochfahrt,  in  der  sich  der  Mensch  fiir  den 


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—      XVII      — 

Gott  seiner  Umgebung  hält,  und  falsche  Freiheit  von  Schrift, 
Gesetz  und  Sakrament  (23). 

a.  Wo  wahre  Demut  ist,  da  hält  man  sich  für  gänzlich 
unwert  und  rechtlos  und  alle  eigene  Rede  für  Torheit  (a), 
und  in  der  Erkenntnis  eigener  Untugend  begreift  man  die 
Notwendigkeit  des  Gesetzes  (b),  unter  das  sich  selbst  Christus 
in  der  wahren  Demut  beugte  (c),  wie  seine  Nachfolger  auch 
tun  (d).  Leugnet  man  aber  die  Demut  Christi  —  er  habe  doch 
von  sich  selbst  geredet!  —  so  sollte  letzteres  nur  seinen  Hörern 
zur  Erkenntnis  der  Wahrheit  dienen.  „Es  war  also  doch 
ein  Warum,  ein  Zweck  und  Streben  in  ihm !"  Nein,  sondern 
sein  Wirken  war  notwendig  wie  das  Scheinen  der  Sonne 
(24).  Was  nun  das  Gesetz  oder  die  äußeren  Ordnungen  be- 
trifft, so  muß  äußeres  Wesen  und  Tun  sein;  allerdings  liegt 
die  Vereinigung  mit  Gott  nicht  auf  diesem  Gebiete,  sondern 
auf  dem  des  inneren  Willensverhaltens  (25).  Aber  der  äußere 
Mensch  wird  hin  und  her  bewegt,  ohne  Warum  und  ohne 
irgend  einem  Zwecke  nachzugehen,  vielmehr  zu  allem  objektiv 
Notwendigen  bereit,  weil  von  sich  frei,  in  Gottes  Willen  ge- 
gründet (26).  Unempfindlich  zu  werden  wird  mit  Unrecht 
als  das  Ziel  hingestellt  (27).  Endlich  wird,  wie  bisher  wesent- 
lich die  Notwendigkeit  des  Gesetzes,  nun  die  relative  Wahr- 
heit des  übergesetzlichen  Ideals  gezeigt :  das  Gesetz  fällt  för 
den  neuen  Menschen  weg,  1)  weil  er  keiner  Lehre  über  gut 
und  böse,  2)  keines  Imperativs  als  Antriebes  bedarf^  3)  weil 
es  keinen  Zweck  gibt,  dessen  Erreichung  die  Gesetzeserfüllung 
dienen  könnte  (28). 

b.  Aber  Christi  Leben  kann  nie  für  den  Menschen  über- 
flüssig werden,  wie  die  Hoffart  (Kap.  23)  meint.  Allerdings 
dmf  man  es  nicht  als  Mittel  zu  einem  Zweck  (etwa  die  Er- 
langung des  Heils)  ansehen.  Welche  Bedeutung  soll  es  dann 
aber  haben?  Dieses  Problem  findet  erst  Kap.  36  seine  Ant- 
wort und  bildet  also  bis  dahin  den  Rahmen.  —  Gott  will  in 
der  Welt  (d.  i.  unter  den  vernünftigen  Wesen)  einen  Ort 
haben,  wo  ihm  nicht  der  eigene  Wille  entgegengesetzt  werde, 

Mandel,  Tbeolof^a  Deutsch .  II 


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—    xvin    — 

sondern  wo  er  als  der  Herr  anerkannt  wird;  an  diesem  Ort 
(d.  i.  in  Christus)  will  er  würklich,  sichtbar  in  der  Welt  werden 
(29).  - 

1.  Gott  ist  das  einige  wahre  Gut  (das  Vollkommene, 
s.  Kap.  1) ;  ist  er  auch  ein  Licht,  das  leuchten  und  sich  be- 
kennen muß  (Kap.  29),  so  wird  er  sich  als  das  wahre  Gut  offen- 
baren, welches  ohne  die  Ichheit  der  geteilten  Dinge  das  Gute 
nicht  um  seinet-,  sondern  um  des  Guten  willen  will  (30).  Des- 
halb ist  auch  die  göttliche  Liebe  durch  egoistische  Gründe, 
dem  Verhalten  des  Nächsten  zu  dem  göttlichen  Ich  entnommen, 
nicht  bestimmbar;  es  ist  eine  schlechthin  unbedingte,  quellende 
Liebe  (31),  die  aber  keineswegs  das  dem  Menschen  als  Gut 
Erscheinende  d.  i.  das  Angenehme  gibt,  sondern  das  an  sich 
Gute,  und  den  egozentrischen  Menschen  so  zu  einem  trans- 
subjektiven Standpunkt  emporheben  will  (32).  Die  quellende 
Liebe  ist  die  göttliche  Art  eines  vergotteten  Menschen.  Es 
folgt  die  menschliche:  schlechthinige  Preisgabe  aUer  Eigen- 
heit gegen  den  Schöpfer:  alles  ist  Gottes.  Diese  Demut  beweist 
sich  dann  gerade  gegenüber  den  Kreaturen  (vgl.  Kap.  21,  24  a). 
Dies  alles,  Liebe  und  Demut,  vollbracht  zu  haben  ist  die 
Bedeutung  des  Lebens  Christi  (33). 

2.  Bisher  war  das  Leben  Christi  als  Gottes  Leben  im 
Menschen  dargestellt  ohne  Rücksicht  darauf,  daß  es  in  der 
Schöpfung  einen  Gegensatz  zu  Gott  gibt.  Dies  ist  aber  der 
Fall.  Freilich  nur  an  einem  Punkte;  nämlich  da,  wo  Selbst- 
bewußtsein und  Eigenwille  sich  erhebt  und  Gott  seiner  Herr- 
schaft, seines  Allein  Subjekt  und  Wille  Seins  beraubt  (34). 
So  ist  die  Sünde  ein  persönlicher  Gegensatz  gegen  Gott,  sie 
tut  ihm  persönlich  wehe,  so  sehr,  daß  er  sterben  möchte, 
wenn  die  Sünde  dadurch  beseitigt  werden  könnte.  In  seiner 
Erhabenheit  (vgl.  Kap.  1:  das  Vollkommene)  kann  er  aber 
kein  Leid  empfinden.  Auch  an  diesem  Punkte  bedarf  er  also 
eines  Menschen,  der  sich  ihm  als  Wohnung  läßt.  Das  ist 
die  Bedeutung  des  Leidens  Christi  (35).  —  Folglich  hat 
das  Leben  Christi  (das  Leiden  einbegriffen)  den  höchsten  Wert, 


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—      XIX      — 

selbst  wenn  man  es  nicht  als  „Löhner"  (um  Heil  und  Seligkeit 
willen)  lieben  darf:  es  ist  Gottes  Leben  im  Menschen  (36)! 

Zu  a.  Und  wie  das  Leben  Christi  also  geliebt  werden 
soU,  so  soll  man  sich  auch  zu  allen  um  des  äußeren  Lebens 
willen  erforderlichen  Gesetzen  und  Ordnungen  stellen  (a). 
Man*  soll  sie  weder  1.  aus  Zwang,  noch  2.  um  Lohnes 
willen  erfüllen,  noch  3.  sie  souverän  verachten,  sondern  sie 
aus  Liebe  erfüllen  (b).  Dann  wird  man  die  Gleichgültigkeit 
der  Freigeister  (Nr.  3)  in  der  Gesetzerfüllung  wie  die  egoistisch 
begründete  Regsamkeit  und  Besorgnis  der  Löhner  (2)  in 
gleicher  Weise  meiden  (c).  Gottes  Lehre  aber  zielt  auf  die 
innere  Vereinigung  mit  ihm ;  wo  diese  ist,  da  bedarf  es  keines 
äußeren  Gebotes  (d,  37). 

c.  Christi  Leben  ist  das  wahre  Licht.  Es  gibt  aber  auch 
ein  falsches  Licht,  welches  betrogen  wird  (I)  und  betrügt  (II). 
L  Das  Wesen  desselben,  welches  sich  aus  dem  Gegensatz  zum 
wahren  Licht  ergibt,  besteht  darin,  daß  es  a.  das  Gute  als 
solches  nicht  anerkennt,  sondern  die  Selbstheit  proklamiert, 
b.  sich  für  (Jott  hält  statt  zu  beachten,  daß  trotz  der  Ver- 
gottung die  empirische  Gebundenheit  (Kap.  19 !)  des  Menschen 
bleibt,  n.  Die  Frage,  wie  die  betrügende  Wirkung  zu  erklären 
sei,  läßt  a.  noch  einmal  seine  Art  darlegen :  1.  die  übertriebene 
Klugheit,  sich  für  Gott  zu  halten  statt  die  menschlichen 
Schranken  zu  beachten  (vgl.  Ib);  2.  in  dieser  hohen  Meinung 
steckt  nichts  anderes  als  die  Eigenliebe  der  Natur  (vgLIa), 
welche  3.  Gesetz  und  Gewissen  zu  ignorieren  sucht,  b.  Bei 
diesem  Charakter  ist  der  Erfolg  des  falschen  Lichtes  wohl 
begreiflich,  in.  Die  Widerlegung  a.  der  Meinung,  was  man 
wünsche  sei  das  Beste  (vgl.  IIa  2)  b.  von  IIa  3,  1.  Schluß 
der  polemischen  Ausführungen  (von  23  an):  das  wahre  und 
das  falsche  Licht  (38). 

III.  Neue  Ausführungen  a.  über  das  Verhältnis  von 
Liebe  und  Erkenntnis.  Licht  oder  Erkenntnis  an  sich  taugt 
nichts  ohne  Liebe.  Das  bloße  Wissen  um  1)  die  Tugend, 
2)  die  Gerechtigkeit,  3)  die  Wahrheit,  macht  den  Menschen 

n* 


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—      XX      — 

Hoch  nicht  tugendhaft  usw.  So  ist  es  auch  um  das  Wissen 
von  Gott.  Die  Liebe  allein  vergottet  (39).  Aber  kann  über- 
haupt erkannt  werden,  ohne  daß  geliebt  würde?  a)  Ja,  wenn 
Licht  oder  Liebe  nicht  wahr  ist,  1)  im  Falle  des  falschen 
Lichtes,  welches  a)  sich  selbst,  ß)  nicht  das  Erkannte,  sondern 
das  Erkennen  als  solches  liebt,  y)  und  dies  selbst  im  Falle  der 
Erkenntnis  Gottes,  mit  dem  es  sich  identifiziert;  2)  im  Falle  des 
rein  historischen  Wissens;  3)  im  Falle  der  falschen  Liebe,  der 
Liebe  um  Lohn,  b)  Demgegenüber  ist  bei  dem  wahren  Licht 
Liebe  die  notwendige  Folge  (die  Liebe  zu  Gott  ist  nichts 
anderes  als  Anerkennung  Gottes!);  denn  das  wahre  Licht 
stellt  Gott  an  die  Stelle  des  natürlichen  Ich  (40).  a)  Also 
liebt  Gott  sich  selbst!  Aber  doch  nicht  als  Selbstheit, 
sondern  als  das  über  allem  dies  und  das,  allem  Ich  und  Du 
stehende  Vollkommene  (vgl.  Kap.  1).  b)  Ebenso  liebt  der 
vergottete  Mensch  allein  das  vollkommene  Gut,  ist  darum 
unfähig  zu  aller  Ungerechtigkeit,  beklagt  nichts  denn  die 
Sünde  und  liebt  mit  dem  vollkommenen  Gut  alles  objektiv 
Gute,  c)  Dies  ist  dann  das  beste  Leben,  das  Leben  Christi. 
Dies  muß  also  geliebt  werden,  und  solche  Liebe  wirkt  alles 
das  Gute,  vgl.  b.  d)  Umgekehrt  sucht  die  Natur  in  aUem 
das  Ihre  und  betrügt.  Darum  ist  sie  identisch  mit  dem  Teufel. 
Teufel,  Sünde,  Natur  ist  alles  eins  (41).  Aber  gibt  es  denn 
eine  widergöttliche  Macht?  a)  Es  ist  nichts  ohne  Gott  als 
der  Eigenwille;  dieser  aber,  weil  1)  nur  mit  und  gemäß  Gott 
gewollt  werden  sollte,  2)  alle  Willen  eins  sein  sollten  in  dem 
Einen  Willen;  b)  Es  ist  aber  Torheit,  1)  das  eigene  Gut  außer- 
halb Gottes  zu  suchen,  2)  überhaupt  zu  meinen,  man  vermöge 
etwas  aus  sich  selber  (42). 

b.  das  Leben  Christi,  in  dem  Gott  lebt,  ist  zu  suchen; 
nur  wenn  man  sein  Leben  hat,  hat  man  ihn  selbst,  Gal.  2,  20. 
Christi  Leben  ist  aber  dasselbe,  was  sonst  als  Gehorsam  usw. 
bezeichnet  ist  (43).  Sagt  man,  man  solle  sich  an  Gott  ge* 
nügen  lassen,  so  ist  das  wahr;  neben  ihm  ist  nichts  zu  nennen. 
Aber  dann  muß  man  auch  allen  empirischen  Größen  gegenüber 


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—      XXI      — 

gelassen  sein,  wie  das  Christus  war;  und  man  darf  nichts 
neben,  sondern  alles  nur  in  Gott  lieben  (44) ;  nur  ist  die  Sünde 
von  diesem  „alles"  ausgenommen  (45).  Der  Glaube,  ohne  den 
man  verloren  geht,  d.  i.  nicht  der  Artikelglaube,  sondern  der 
wahre  Glaube,  bedingt  alles  Verständnis  (46). 

c.  über  den  Eigenwillen.  Hölle  ist  nichts  anderes  als 
der  Eigenwille;  Paradies  ist  alle  Kreatur,  nur  eins  ist  Gott 
zuwider  und  im  Paradies  verboten:  der  Eigenwille  (47). 
Warum  hat  Gott  ihn  denn  geschaffen?  Solche  neugierige 
Frage  entstammt  dem  Wissensstolz  und  ist  gegen  die  Demut 
vor  Gott.  Jedoch  ist  sie  zu  beantworten:  Es  muß  Vernunft 
und  Willen  in  der  Kreatur  geben,  damit  Gott  sein  tatsäch- 
liches Eigentum  (welches  er  in  allen  Dingen  hat  als  die  Macht 
ihres  Seins)  auch  durch  bewußte  Anerkennung  desselben  wieder- 
gegeben werde  (48).  Der  ewige,  göttliche  Wille  ist  an  ihm 
selber  ohne  Werk;  Werke  und  Wirken  kann  er  erst  in  einer. 
Kreatur  bekommen.  So  wollte  Gott  in  dem  menschlichen  Willen 
wollen-  Dann  würde  alles  Lieb  und  Leid  des  Menschen  Gott 
gehören  (49).  Nun  aber  kommt  Adam,  der  Teufel  oder  die 
(falsche)  Natur  und  macht  sich  den  Willen  zu  eigen,  1)  zum 
Schaden  der  Menschen,  2)  zu  Unrecht  gegenüber  der  edlen 
Freiheit  des  Willens  (60).  1)  Wo  der  Wille  in  seiner  ursprüng- 
lichen Freiheit  steht,  da  wählt  er  das  Beste  und  beklagt 
allein  die  Sünde;  2)  wo  man  sich  aber  der  Freiheit  an- 
nimmt (Freigeister),  da  ist  keine  wahre  Freiheit.  3)  Die 
wahre  Freiheit  würde  keinerlei  Eigentum  oder  Eigenheit  auf- 
kommen lassen  (51). 

d.  1)  Dies  alles  hat  Christus  gelehrt  und  mit  dem  Leben 
vollbracht.  Wir  sollen  ihm  nachfolgen,  d.  i.  in  anbetracht 
unserer  Natur:  unter  dem  Kreuze  leben.  2)  In  diesem  Sinne 
kommt  niemand  zum  Vater  denn  durch  ihn  (52).  1)  Einen 
andern  Weg  gibt  es  nicht.  2)  Anderseits  aber  kommt  niemand 
zu  Christus,  der  Vater  ziehe  ihn  denn:  a)  der  Vater  ist  das 
einige,  vollkommene  Gut,  vgl.  Kap.  1  (53);  ß)  wem  er  als 
solches  aufgeht,  den  zieht  er  an.    3)  Dann  aber  merkt  der 


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—      XXII      — 

Mensch  wiederum  die  Wahrheit  des  anderen  Spruches,  die 
Notwendigkeit  der  Verleugnung  aller  Dinge  (54). 

Abschließende  Zusammenfassung : 

Was  „hier"  gesagt  ist,  gehört  zur  Bereitung.  1)  Wenn 
aber  das  Vollkommene  geschmeckt  wird,  so  wird  alles  zu  nichte, 
und  Gott  nimmt  den  Menschen  in  Besitz.  2)  Dazu  ein  Weg: 
Daß  man  das  Beste  für  das  Liebste  halte  (vgl.  Kap.  6)  a)  in 
den  Kreaturen  (65),  ß)  an  sich  selbst.  3)  Alles  in  allem:  wir 
sollen  selbstloses  Organ  Gottes  werden,  ohne  4)  uns  dessen 
bewußt  zu  werden  und  anzunehmen,  wie  die  Irrlehre  es  tut 
(56).  - 

5.  Beurteilung  der  Th.  D.  in  der  Geschichte. 

Die  Th.  D.  hat  eine  merkwürdige  und  beachtenswerte 
Geschichte  bis  auf  unsere  Tage  gehabt,  eine  Geschichte,  in 
der  sich  größere  Zusammenhänge  im  kleinen  abspiegeln. 
1.  Der  erste,  auf  den  sie  nächst  Luther  Einfluß  ausgeübt  hat, 
ist  Luthers  väterlich  verehrter  Staupitz.  Wenn  man  urteilt, 
Staupitz'  Denkweise  habe  mit  der  Taulerschen  Mystik  keine 
Verwandtschaft,  da  er  die  Aufgabe  des  eigenen  Ich  nicht 
metaphysisch,  sondern  ethisch  meine,  ^)  so  liegt  dem  eine  Be- 
urteilung der  deutschen  Mystik  zugrunde,  die  zwar  verbreitet 
ist,  aber  m.  E.  (s.  S.  36 ft*.)  der  dtsch.  Mystik  Unrecht  tut.  Be- 
sonders ,ist  der  Einfluß  in  der  Schrift  „von  der  Liebe  Gottes", 
1517,  zu  merken.  ^)  —  Der  dritte  Schüler  der  Th.  D.  ist  Karl- 
stadt. Gelassenheit  des  Willens,  der  „Meinheit"  und  „Sich- 
heit"  —  wofür  er  auf  die  Th.  D.  verweist  —  ist  der  Grundton 
zahlreicher  Ausführungen,  besonders  in  den  Schriften  von 
1523:  „Von  Manigfältigkeit  des  einfältigen  einigen  Willens 


*)  Th.  Kolde,  Die  dtsche.  Atigtistmerkong7eg:atioii  u.  Jo.  Stanpitz  1879 
S.  307  f.  Ausführlicher  geht  auf  das  Verhältnis  Staupitzens  zur  Th.  D. 
ein  L.  KeUer,  J.  v.  Staupitz  und  die  Anfge.  der  Ref.  1888,  nur  nicht  immer 
mit  der  wünschenswerten  Genauigkeit  und  Schärfe. 

»)  Seine  Schriften,  hrsg.  Ton  J.  K.  F.  Knaake,  1.  Tl.  Dtsche  Schriften 
1867. 


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—      XXIU      - 

Gottes",  und  „Was  gesagt  ist:  sich  gelassen".  Er  identifiziert 
seine  Denkweise  ausdrücklich  mit  der  der  Th.  D.*) 

2.  Wenn  aber  Karlstadts  Wertschätzung  der  Th.  D.  noch 
wesentlich  ebenso  wie  die  Luthers  in  der  tiefen  Auffassung 
der  Keligion  ihren  Grund  hatte,  so  wurde  nunmehr  die  Th.  D. 
zum  Feldzeichen  för  eine  Richtung,  die  sich  gegen  die  Eefor- 
mation  wandte:  fdr  den  antikirchlichen  „Enthusiasmus"  oder 
Spiritualismus  der  Reformationszeit.  Es  ist  oflfenbar,  daß  diese 
Richtung  die  Th.  D.  nicht  in  erster  Linie  um  der  religiös- 
sittlichen Grundauffassung  willen  schätzte;  vielmehr  lag 
der  Grund  ihrer  Wertschätzung  darin,  daß  die  Th.  D.  keine 
Heilsmittel  kannte:  sie  hielt  die  bloße  Predigt  des  reli- 
giösen Grundverhaltens  für  ausreichend  zur  Entstehung  des- 
selben. Sie  verstand  es  nicht,  daß  die  göttliche  Darbietung  der 
Sündenvergebung  unter  Voraussetzung  der  Sündenerkenntnis 
allein  das  erforderliche  Grundverhalten  bewirken  könne.  In 
diesem  Punkte  schlössen  sich  die  Enthusiasten  ihr  an,  um 
so  lieber,  als  Luther  sie  —  um  der  Prinzipien  der  Theologie 
willen  —  so  hoch  gestellt  hatte.  So  ist  es  zu  erklären,  daß 
—  nach  einem  Kenner  der  spiritualistischen  Literatur*)  — 
sich  überall  in  den  Traktaten  der  Täufer,  in  den  Programmen 
und  erbaulichen  Ansprachen  der  Spiritualisten  und  in  zahl- 
reichen Flugschriften  die  Th.  D.  angeführt  findet. 

Die  Denk,»)  Hätzer*)  und  Kautz,*)  Schwenckfeld «)  und 
Bünderlin  haben  sie  hochgeschätzt.  Auf  Hätzer  und  Denk 
geht  wohl  die  erste  bedeutsame,  neuemde  Ausgabe  nach 
Luther  zurück,  die  Wormser  von  iSchöifer.')  Die  mit  ihr  ver- 
bundenen und  bis  heute  noch®)   beigedruckten  Hauptreden 


»)  Vgl  Herrn.  Bärge,  Karlstadt,  n  S.  25  ff.,  35,  74  f. 

■)  A.  Hegler,  Sebastian  Francks  latein.  Paraphrase  der  Th.  D.  u.  seine 
hoUänd.  erhalt.  Trakt.;  Tübinger  Univ.-schrift  1901  S.  6. 

>)  Prot.  R.-E.»  IV,  579,  Iff.;  Uhlhom,  Urbanus  Rhegius  S.  112 

*)  Prot.  R..E.«  VII,  328, 1.        *)  ebda  X,  193,  2  f. 

«)  8.  oben  S.  5  A.  2.  ')  KeJlers  u.  Heglers  Abhdlg  S.  148f.  u.  5f. 

*)  z.  B.  in  den  Stuttgarter  Ausg.  oder  Keller  a.  a.  0.  150  f. 


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—      XXIV      — 

haben  wahröcheinlich  Denk  zom  Verfasser.*)  Insbesondere 
hat  sich  Franck  mit  der  Th.  D.  beschäftigt.  Er  hat  sie 
ins  Latein  übersetzt  und  mit  Zutaten  versehen,  welche  sie 
um  mehr  als  das  Dreifache  vergrößern.*)  Dabei  ist  es  der 
spiritualistische  Grundgedanke,  der  sich  durch  das  Ganze 
zieht:  die  Entgegensetzung  des  Äußeren  und  des  Inneren 
in  der  Religion  und  die  Verwerfung  des  Äußeren.  In  der 
Vorrede  spricht  er  ihr  die  höchste  Autorität  nächst  der  Schrift 
zu.  Endlich  ist  VaL  Weigel  zn  nennen ; ')  unter  allen  Autoren 
hat  ihn  am  meisten  die  Th.  D.  beeinflußt;  ihre  Töne  klingen 
durch  seine  Erbauungsschriften.  Ja  er  soll  eine  Einführung 
in  die  Th.  D.  geschrieben  haben.*)  Die  Verbreitung  der 
Th.  D.,  die  bis  in  die  Mitte  des  Jahrhunderts  viele  Auflagea 
erlebte,  mag  wesentlich  in  den  Händen  der  bezeichneten 
Richtung  gelegen  haben.  Jedenfalls  ist  aus  den  späteren 
Jahrzehnten  keine  Auflage  bekannt. 

3.  Franck  stand  mit  seiner  Übersetzung  nicht  allein. 
Unabhängig  von  ihm  kam  Seb.  Castellio,  der  Vorkämpfer  der 
Toleranz  gegen  kalvinistischen  Rigorismus  und  ciceronia- 
nischer  Bibelübersetzer,  zu  dem  Plan  einer  lateinischen  Über- 
setzung der  Th.  D.  Dieser  Plan  wird  in  einem  Briefwechsel 
mit  dem  befreundeten  Bemer  Staatsmann  Zurkinden  erörtert*) 
Zur  Ausführung  kam  er  1557  unter  dem  Namen  des  Joh.  Theo- 
philus,  der  dann  später  als  der  Verfasser  angesehen  wurde.®) 
Die  Vorrede  Castellios  zeugt  von  dem  Geist  der  Th.  D. :  Gott 
um  seiner  Wohltaten  willen  d.  i.  aus  Dankbarkeit  zu  lieben 
sei  nicht  vollkommen,  sondern  habe   seinen  Grund   in   der 

»)  nach  Arnold,  Kirchen-  und  Ketzergesch.  1699,  2.  Tl.,  S.  271 ;  vgL 
Keller  a.  a.  0. 

^)  Diese  Paraphrase  ist  nie  erschienen;  sie  liegt  nur  in  einer  Hand- 
schrift der  Bibliothek  der  Vereenigten  Doopsgezinten  Gemeente  zu  Amster- 
dam vor.    Hegler  hat  uns  die  Vorrede  und  Textproben  gegeben. 

*)  J.  0.  Opel,  Weigel  S.  264  ff.,  121  ff. 

*)  nach  Nik.  Hunnius,  s.  unten  S.  27  A.  1. 

*)  Vgl  F.  Buisson,  Sebastien  Castellion  1892,  II,  382  ff.  99  ff.  Hegler 
S.  14  Anm.        ^)  nach  G.  Arnold,  Kirchen-  u.  Ketzerhist.  a.  a.  0. 


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—      XXV      — 

Selbstliebe;  Gott  sei  ohne  Egoität  und  „Meität"  zu  lieben, 
nicht  weil  er  mir  gut  ist,  sondern  weil  er  an  isich  gut  ist 

So  trat  die  Th.  D.  in  den  Gesichtskreis  der  Reformirten. 
Ihre  bisherige  Geschichte  macht  es  begreiflich,  daß  sie  von 
ihnen  abgelehnt  wurde.  Farel  spricht  in  einem  Briefe  an 
BuUinger^)  die  Vermutung  aus,  sie  stamme  aus  dem  Kreise 
des  Erzketzers  David  Joris.  Oporinus  wird  scharf  getadelt, 
daß  er  ein  so  gottloses  Buch  gedruckt  habe.  Wie  gottlos 
stehe  das  Deutschtum  da,  wenn  solcher  wiedertäuferischer 
Wahn  für  Theologie  der  wahren  Lehre  des  Glaubens  gehalten 
werde.  Und  wohin  ziele  die  politia  Piatonis  und  deliria 
Dionysii?  Von  Gott  abzuführen;  zur  bloßen  Kontemplation, 
statt  durch  Christum  zum  Vater.  —  Calvin  spricht  sich  ebenso 
scharf  über  „die  Th.  D.  und  über  den  neuen  Menschen"  aus.^) 
Habe  er  je  etwas  von  Gottes  Wort  verstanden,  so  wünschte 
er,  daß  die  Th.  D.  nicht  in  die  Frankfurter  Gemeinde,  an  die 
er  schreibt,  eingeführt  worden  wäre.  „Denn  obwohl  keine  be- 
merkenswerten Irrtümer  darin  sind,  so  sind  es  doch  Scherze- 
reien, die  durch  Satans  Hinterlist  ausgesonnen  sind,  um  die 
ganze  Einfalt  des  Evangeliums  zu  verwirren.  Wenn  ihr  aber 
etwas  näher  zuseht,  so  werdet  ihr  finden,  daß  verborgenes  und 
totliches  Gift  darin  ist,  das  ist,  die  Kirche  zu  vergiften. 
Damm,  meine  Brüder,  vor  allen  Dingen  bitte  und  ermahne 
ich  euch  im  Namen  Gottes,  wie  die  Pest  zu  fliehen  alle,  die 
euch  mit  solchen  Unreinigkeiten  anzustecken  trachten." 

Ebenso  hat  Beza  dem  Castellio  neben  anderen  Sünden, 
wie  die  Schrift  gegen  Servets  Verbrennung,  die  Herausgabe 
der  Th.  D.  übelvermerkt.*)  Bei  dieser  Verwerfung  blieb  es 
in  der  reformirten  Theologie.  Ein  G.  Voetius,  der  selbst 
asketischer  Schriftsteller  war,  hält  zwar  mit  dem  Urteil  über 
die  Person  zurück,  tadelt  aber  die  gefährliche,  dunkle  und 

»)  Corp.  Ref.  44,  p.  Ö49f.,  691  f. 

•)  ib.  441  f.;  vgl  Henry,  Calyins  Leben,  III  420.    Jules  Bonnet,  Lettres 
de  Calvin,  U  259,  Brief  v.  23.  2.  1550. 
»)  Corp.  Ref.  49,  26. 


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—      XX\1      — 

übertriebene  Kedeweise  entschieden;^)  und  sein  Schüler 
Joh.  Hoornbeek  wirft  Luther  gar  Leichtsinn  und  Unklugheit 
vor,  daß  er  die  Th.  D.  so  hoch  geschätzt  habe  und  stellt  sie 
auf  Eine  Stufe  mit  der  Empfehlung  einer  Schwenkfeldschen 
Schrift  durch  Oekolampad !  ^) 

4.  Solches  Urteil  fand  bei  den  Lutheranern  natürlich 
Widerspruch  (s.  Anm.  4).  Aber  die  lutherische  Theologie 
wußte  überhaupt  die  Th.  D.  erheblich  besser  zu  schätzen, 
obschon  sie  ihre  Denkweise  nicht  in  jedem  Punkte  billigen 
konnte.  Daß  solche  bessere  Beurteilung  nicht  lediglich  in 
der  Gebundenheit  an  Luther  ihren  Grund  hatte,  zeigt 
M.  Flacius,  der  sie  in  seinem  Katalog  der  Wahrheitszeugen 
anführt.^)  Luther  habe  sie  gelobt,  weil  sie  in  der  Tat  recht 
lehre  über  Sünde,  freien  Willen,  den  ganzen  alten  Menschen 
und  wiederum  über  Gnade,  Christus  und  Wiedergeburt.  Nach 
Kap.  9  hänge  das  Heil  allein  von  Gott  ab,  nicht  von  irgend 
welchen  Werken  unser  selbst  oder  anderer;  nach  Kap.  3  bestehe 
das  Heil  in  reiner  Passivität,  wie  auch  Luther  zu  disputiren 
pflege.  So  auch  mache  Kap.  37  u.  42  unsere  Verdienste  zu 
nichte.  Der  Vf.  habe  gewiß  mehr  und  Klareres  über  wahre 
und  falsche  Theologie  gewußt,  als  er  auszudrücken  vermocht, 
beabsichtigt  oder  auch  gewagt  habe.  —  Nik.  Seinecker,  Mit- 
arbeiter an  der  Konkordienformel,  soll  sie  auch  gelobt  haben.*) 


')  Ascetika  1664,  p.  76  ff. 

•)  Snmina  controvereianim  2.  A.,  1697,  p.  386. 

■)  Catalogns  testiam  yeritatis  p.  756  nr.  345. 

*)  Nach  des  J.  G.  Pritius  Vorrede  (s.  oben  S.  6)  t.  J.  1730:  Selneckers 
Worte  seien  ihm  nicht  zur  Hand.  Pritius  ftthrt  noch  an:  Michael  Neander, 
vir  de  rectis  stndiis  praeclarissime  meritus,  in  der  Vorrede  zu  seinen 
„Erotemata  graecae  ling^ae"  p.  311f.,  wo  es  nach  der  Zitimng  der  Vor- 
rede Luthers  heiße:  Kein  Christ  könne  nicht  mit  Bewunderung  erstaunen 
über  den  Reichtum  der  Gnade  und  des  Geistes  (in  der  Th.  D.),  den  Gott 
mitten  in  dichtester  Finsternis  einem  verachteten  Kustos  so  reichlich  ins 
Herz  gegeben.  Luthers  und  Neanders  Urteil  bestätige  auch  Paulus 
Egardus  in  seiner  Apologie  für  Arndt,  im  1.  Kap.  des  Examens  Oslanders 
p.  764.    Ebenso  lobe  die  Th.  D.  und  verteidige  Luthers  Urteil  gegen  un- 


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—    xxvn    — 

—  Der  Fürst  der  orthodoxen  Theologen  spricht  sich  zwar 
nicht  besonders  über  die  Th.  D.  ans;  aber  er  weist  ohne 
weitere  Vorbehalte  in  dem  Locus  über  die  Vollkommenheit 
Gottes  auf  den  scharfsinnigen  Gedanken  der  „Theologia  Ger- 
manica, hrsg.  durch  J.  Amds  . . .  unsern  besonderen  Freund," 
hin,  daß  Gott  sich  selbst  nicht  als  sich  selbst  liebe,  sondern 
als  das  höchste  Gut,  wie  auch  wir  Gott  so  lieben  und  dadurch 
allein  gut  werden  sollen.  ^)  —  Selbst  Nik.  Hunnius,  der  Be- 
kämpfer  des  Weigelianismus,  der  sich  über  die  Th.  D.  äußern 
mußte,  weil  sie  mit  Tauler  eine  wesentliche  Autorität  für 
Weigel  war,  kann  nicht  umhin,  die  Th.  D.  wenigstens  als 
ein  seiner  Zeit,  gegenüber  dem  Pelagianismus ,  nützliches 
Buch  anzuerkennen,  welches  alle  guten  Werke  zunichte  mache, 
natürliches  Vermögen  und  freien  Willen  über  den  Haufen 
werfe,  was  Luther  der  Hauptpunkt  gewesen  sei.  Weigels 
Grillen  seien  nicht  in  ihm  zu  finden.  Allerdings  sei  die 
Th.  D.  nach  dem  auf  den  Jakobusbrief  von  Luther  ange- 
wandten Kanon :  daß  Christi  Verdienst  aufs  höchste  zu  treiben 
sei,  zu  verwerfen,  wie  denn  auch  manche  Wendungen  schwer 
zu  entschuldigen  seien,  z.  B.  daß  Gott  im  Frommen  vermenscht 
würde,  daß  die  bloße  Sinnesänderung  den  Teufel  zum  Engel 
machen  würde  (Kap.  14),  daß  man  zum  wahren  Licht  und 
Christi  Leben  nicht  mit  Lesen  und  Studieren  käme,  daß  Gott 
sich  selber  liebe,  nur  weil  er  das  vollkommene  Gut  sei,  daß 
der  Fromme  keines  Gebotes  bedürfe,  und  das  Ideal  der  Ge- 
lassenheit. Zu  unserer  Zeit  könne  man  solche  Bücher  fahren 
lassen.*} 

Jo.  Ben.  Carpzov  rät,  Luthers  Urteil  nicht  absolut  zu 
verstehen,  sondern  in  Vergleich  mit  der  scholastischen  Theo- 
logie; so  fanden  sich  in  der  Th.  D.  Forderungen  einer  nicht 


gestüme  Angriffe  z.  B.  gegen  den  des  Hoornbeek  Jac.  Thomasins,  Origines 
faistoriae  philosophiae  et  ecclesiasticae  p.  141. 

»)  Joh.  Gerhard,  Loc.  theol.  Tom.  1  Cap.  22  §  180. 

^  ChristL  Betrachtg.  der  neuen  Parazels.  n.  Weigelian.  Theol.  1622, 
8.  19—30. 


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—    xxvin    — 

gewöhnlichen  Frömmigkeit,  die  vergeblich  in  der  unfrucht- 
baren Scholastik  gesucht  würden ;  sie  sei  nicht  rein  mystisch^ 
sondern  ein  wunderbar  gereinigtes  Bächlein,  gesammelt  ans 
den  Vorschriften  der  mystischen  Theologen,  bei  denen  manche» 
zur  Stärkung  unseres  geistlichen  Lebens  Dienliche  verborgen 
sei.  ^)  Günstig  urteilt  endlich  Fr.  Buddeus:  er  bezeichnet  die 
Th.  D.  als  „trefflich  und  überaus  voll  guter  Frucht";  wenn 
auch  nicht  alle  Wendungen  von  allen  gebilligt  würden,  so  sei 
doch  das  Treffliche  und  Wertvolle  (praeclara)  nicht  zu  ver- 
werfen.   Neanders  und  Thomasii  Urteil  büligt  er  darum.*) 

5.  Wie  dem  allen  aber  sei  —  ob  mit  Luther  zufrieden 
oder  unzufrieden  —  so  ist  einmal  Lutheri  Sinn  klar  am  Tage^ 
der  etwas  von  der  Kraft  dieses  Büchleins  geschmecket  und 
daher  die  Edition  wohlbedächtig  verschaffet  hat,  so  daß  nun 
kein  Bemänteln  oder  Einschränken  mehr  gilt.  So  G.  Arnold.*) 
Wenn  Luther,  Staupitz,  Karlstadt  die  Th.  D.  um  ihres  Grund* 
gedankens,  Flacius  und  Himnius  doch  um  dessen  ethische 
Konsequenzen  willen  geschätzt  hatte,  die  Enthusiasten  aber 
die  Unmittelbarkeit  des  religiösen  Lebens  gegenüber  besonderer 
Heilsvermittlung  hervorhoben,  so  wurde  die  Th.  D.  der  inner- 
kirchlichen Richtung  auf  unmittelbare  Frömmigkeit  in  einer 
neuen  Weise  wichtig.  Daß  die  Th.  D.  das  Leben  betont  und 
nicht  die  Lehre,  das  ist  nach  der  Vorrede  zur  Th.  D.,  mit 
welcher  Joh.  Arndt,  der  Verfasser  der  Bücher  vom  wahren 
Christentum,  seine  Ausgabe  geleitete,*)  ihi-  höchster  Ruhm. 
Christian  Skriver,  der  dem  Arndt  nahe  steht,  redet  in  seinem 
„Seelenschatz"  ähnlich.  *)    Voll  Lobes  aber  ist  besonders  Ph» 

^)  de  religione  Qnietistarum  Cap.  1  §  6  p.  12. 

*)  Isagoge  Historico-theologica  libr.  post.  cap.  4  §  6  p.  616. 

•)  Kirchen-  und  Ketzerhist.  a.  a.  0.        *)  s.  die  Stuttgarter  Auag. 

'^)  3.  Tl  13.  Predigt  §  19  (p.  1400).  In  Spenera  Zeit  gehört  das  Urteü 
Yon  Heinr.  Morus,  welches  Pritius  anführt  ans  der  praefatio  generaliiaima 
Tomi  I.  Operum  philosophicomm,  London  1679,  welches  jedoch  an  dem  an* 
gegebenen  Ort  nicht  zu  finden  ist.  Dieses  Urteil  trifi^  in  einziger  Weise 
den  wirklichen  Mittelpunkt:  daß  wir  nnsem  Eigenwillen  vemichtigen,  da- 
mit wir,  uns  selbst  tot,  Gott  leben,  und  bezeichnet  diesen  Kemgedanken 


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—      XXIX      — 

J.  Spener,  sowohl  nach  den  Pia  desideria  (s.  Motto)  wie  nach 
4er  Vorrede  zn  Tanlers  Werken,  denen  er  die  Th.  D.  beifügte. 
Er  rechnet  es  der  Stadt  Frankfurt  zu  nicht  geringer  Ehre, 
der  Entstehungsort  der  Th.  D..  gewesen  zu  sein.  —  Wie  sehr 
sich  auch  der  reformirte  Pietismus  der  Th.  D.  angenommen 
hat,  zeigen  die  französischen  Ausgaben,  die  von  dem  großen 
reformirten  Mystiker,'  P.  Poiret,  ausgehen  und  von  seiner 
Hochschätzung  der  Th.  D.  Zeugnis  ablegen.  Die  Polemik 
gegen  Arndt,  Spener  und  verwandte  Männer  nahm  auch  mehr- 
fach auf  die  Th.  D.  Bezug  und  empfand  dann  Luthers  Be- 
urteilung nicht  sehr  angenehm  und  erklärte  sie  als  relative:  aus 
der  Vergleichung  der  Th.  D.  mit  der  Scholastik.  So  z.  B.  Lukas 
Oslander  in  seinen  „Theologischen  Bedenken"  gegen  Arndt ^) 
6.  Daß  der  Rationalismus  die  Th.  D.  unbeachtet  ließ,  ist 
kein  Wunder.  Das  J.  1817  brachte,  soviel  wir  wissen,  nach 
über  80  Jahren,  die  erste  Ausgabe.  Beachtenswerte  Vorreden 
gaben  Troxler  und  Biesenthal  (s.  S.  7).  Jener  hat  den  för 
die  Th.  D.  allein  entscheidenden  ethischen  Dualismus  zwischen 
natürlichem  und  „übernatürlichem"  Menschen  erkannt,  der 
den  physischen  Dualismus  zwischen  Geist  und  Natur  in  der 
katholischen  Anthropologie  und  Religionslehre  kalt  stellt  (s. 
unten  S.  41).  Nur  faßt  er  den  neuen  Menschen  als  im  natür- 
lichen angelegt,  und  im  Zusammenhang  damit  folgt  er,  der 
schweizerische  Vf.  der  „Kirchenverbesserung  im  19.  Jhrhdt", 
dem  Enthusiasmus.  Biesenthal  schreibt:  „Allen  Parteien  der 
Gegenwart  kann  der  Inhalt  natürlich  nicht  gleichmäßig  zu- 
sagen; am  wenigsten  dem  gewöhnlichen  Rationalismus";  und 
zwar  wegen  der  Idee  der  Gottmenschheit,  die  er  „höchstens 
als  Symbol  des  geistigen  und  moralischen  Verhältnisses  gelten 
lassen  kann,  in  dem  die  Menschheit  zu  Gott  steht".    „Der 


als  dem  Vf.  mnerlichst  entsprechend.  —  Hier  ist  auch  Pritins  selbst  zn 
nennen,  der  2.  Heraasgeber  des  lateinischen  Textes.    Er  bemüht  sich  in 
seiner  Vorrede  das  Ansehn  der  Th.  D.  zn  heben  und  das  Anstößige  in 
ihrer  Redeweise  zn  beseitigen. 
>)  1628  8. 12  ff. 


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—      XXX      — 

innigen  Frömmigkeit  und  der  tiefsinnigen  Spekulation  unserer 
Tage  wird  das  Büchlein  am  willkommensten  sein",  sie  werden 
ihre  Zusammengehörigkeit  in  der  Th.  D.  erkennen.  Die  Speku- 
lation werde  in  der  Frömmigkeit  der  Th.  D.  erkennen,  wie 
ihre  Prinzipien  zu  solcher  Tiefe,  zu  Selbstverleugnung,  Demut 
und  Gottseligkeit  führen. 

Ein  de  Wette  urteilte:  Eine  treffliche,  gesunde,  körnige 
Schrift,  voll  Geist  und  Leben,  in  einer  reinen,  gediegenen 
Sprache  geschrieben,  wert,  von  Luther  so  nachdrücklich  emp- 
fohlen in  werden.^)  Der  Hegelschüler  Rosenkranz  urteilt 
ebenfalls  günstig  und  weist  auf  die  stete  Emeuung  des 
Buches  durch  Luther,  Spener,  Marheineke  und  andere  als  auf 
einen  Beweis  seines  „Wertes"  und  seiner  „ünentbehrlichkeit" 
hin.*)  Der  Philosophiehistoriker  J.  E.  Erdmann  macht  in 
seinen  Vorlesungen  über  Glauben  und  Wissen  auf  die  Th.  D. 
aufmerksam  als  auf  ein  „Büchelchen,  das  mehr  Tiefsinn  ent- 
hält als  manche  bändereiche  Werke".  F.  G.  Lisco,  der  be- 
kannte Bibelerklärer,  brachte  seine  Wertschätzung  durch  ein 
Büchlein  über  „Die  Heilslehre  der  Th.  D."  zum  Ausdruck; 
1857  (300  S.,  in  12»).»)  —  Einer  der  ersten  Zeugen  für  die  Th. 
D.  ist  aber  Chr.  K.  J.  Bunsen,  der  bekannte  geistvolle  Staats- 
mann und  Bibelerklärer.  Er  war  es,  der  die  englische  Haupt- 
ausgabe durch  sein  warmes  Eintreten  für  die  Th.  D.  veran- 
laßte.  Und  in  der  Tat  spricht  er  sich  in  dem  Brief  an  die 
Übersetzerin  mit  nicht  geringem  Verständnis  über  die  „Stellung 
der  Schule  der  Th.  D.  in  der  allgemeinen  Entwicklung  des 

*)  Chr.  Sittenlehre,  U  2,  248  ff.,  §360. 

*)  Gesch.  der  deutschen  Lit.  1836  S.  42  f. 

»)  8.  S.  114.  Vgl.  H.  Kitter,  Gesch.  der  Phil.,  VIII  627  ff.  Von  neueren 
Werken:  Th.  Ziegler,  Gesch.  der  Ethik,  H  3% ff.,  406;  0.  Pfleiderer,  Gesch. 
der  Eeiigionsphüos.,  I*,  9  ff.,  11,  die  Entwicklung  des  Christentums  1907, 
S.  127;  Bremer  Beiträge  1907,  3.  Heft.  B.  M.  Mauff,  der  religionsphilos. 
Stdpkt  der  sog.  dtsch  Theologie,  mit  besond.  Berücksichtigung  Eckharts, 
Diss.,  Jena  1890.  A  Jundt,  das  Büchlein  des  Frankfurter  Deutschherren 
und  Gottesfreundes:  Eyn  deutsche  Theologie,  neu  untersucht  Straßburg 
1881.    (Von  dem  Auskunftsbureau  der  dtsch.  Bibl.  nicht  nachweisbar.) 


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—      XXXI      — 

christlichen  Denkens",  über  „ihre  Bedeutung  für  die  gegen- 
wärtigen Gefahren  und  Aussichten  des  Christentums,  sowie 
für  die  ewigen  Interessen  der  Religion  im  Herzen"  aus  (59). 
Ja  er  übertrifft  Luthers  Urteil :  er  ziehe  die  Th,  D.  Augustin 
vor  und  gebe  ihr  den  ersten  Platz  nächst  der  Bibel.  Sie 
stelle  den  deutschen  Gegensatz  zur  lateinischen  Scholastik 
dar  und  sei  mehr  als  bloße  Wiederbelebung  der  Theologie. 
Sie  grabe  tiefer  wie  irgend  ein  scholastisches  System;  sie 
habe  nicht  nur  durch  Gründung  der  Gerechtigkeit  allein  auf 
den  Glauben  der  Reformation  vorgearbeitet,  sondern  weise 
auch  dem  philosophischen  Denken  eine  neue  Bahn.  Die  Denk- 
weise der  Th.  D.  aber  formuliert  er  trefflich:  „Sünde  ist 
Selbstsucht.  Frömmigkeit  ist  Selbstlosigkeit.  Göttliches  Leben 
ist  die  ständige  Auswirkung  der  inneren  Freiheit  vom  Selbst". 
Und  insbesondere  weist  er  auf  die  Verwerfung  aller  Lohn- 
hofihung  hin.  Von  sich  aber  bekennt  er,  daß  diese  goldene 
Abhandlung  vierzig  Jahre  hindurch  für  ihn  und  manche  von 
ihm  in  sie  eingeführten  christlichen  Freunde  eine  unaus- 
sprechliche Stärkung  gewesen  sei.  —  Auch  Ch.  Kingsley  be- 
kennt sich  zu  der  tiefen  Einsicht  (noble  views)  der  Th.  D., 
besonders  in  das  Wesen  der  Gerechtigkeit  und  der  Sünde. 
Er  erkennt  treffend,  daß  die  Th.  D.  nicht  denen  dienen  will, 
welche  von  der  Bestrafung  der  Sünde  nach  dem  Tode  frei 
werden,  d.  h.  zur  „ewigen  Seligkeit"  gelangen,  sondern  die 
von  der  Sünde  selbst  frei  werden  wollen  in  diesem  Leben. 
Alle  populären  modernen  Dogmen  und  Systeme  solle  der  Leser 
vergessen ;  er  werde  in  der  Th.  D.  Keime  weiterer  und  tieferer 
Weisheit  finden,  als  der  gute  Verfasser  sich  habe  träumen  lassen. 
7.  Was  aber  den  Geschmack  unserer  Zeitgenossen  für 
die  Th.  D.  angeht,  so  ist  man  ungünstig  gegen  sie  gestimmt, 
nicht  aus  dogmatischen  Gründen,  wie  sie  etwa  bei  Hunnius 
zu  finden  sind;  ihre  Meinung  von  Christi  Bedeutung  sowie 
ihr  sublimer  Nomismus  würde  dem  modernen  Denken  nur 
genehm  sein.  Aber  die  moderne  ethische  Grundrichtung,  die 
auf  Selbstbestimmung  und  -behauptung  des  Menschen  geht, 


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—    xxxn    — 

muß  die  Idee  schlechthiniger  Selbsthingabe  und  uninteressierter 
Gottesliebe  als  jugendliche,  unwahre  Phrase  verwerfen.  ^) 

Wertvolle  Ausführungen  zum  Verständnis  der  Mystik 
hat  Stange  .gegeben.  ^)  Während  für  die  Scholastik  die  Gottes- 
idee lediglich  ein  Begriff  sei,  der  sich  dem  Denken  in  der 
Kette  seiner  Schlüsse  ergebe,  mache  die  Mystik  die  unmittel- 
bare Erfahrung  der  lebendigen  Frömmigkeit  zum  Maßstab 
der  theologischen  Erkenntnis.  Dadurch  trete  an  die  Stelle 
der  Transcendenz  des  scholastischen  Gottesbegriffs  die  Gegen- 
wart Gottes  in  unserer  Welt.  Und  diese  begründe  wiederum 
eine  ganz  neue  Selbstbeurteilung,  deren  Ideal  die  Hingabe 
des  eigenen  Willens  und  Ichs  sei,  welche  dem  gegenwärtigen 
Gott  Raum  mache.  Neben  dieser  Übereinstimmung  mit  der 
reformatorischen  Denkweise  wird  aber  auch  die  Differenz 
erkannt  (669  ff.). 

Eigenartig  und  mit  Unbesonnenem  zutreffende  Erkennt- 
nisse vereinend  ist  die  Th.  D.  von  ihrem  letzten  Herausgeber 
bevorwortet.  *)  Diese  Vorrede  ist  in  der  Geschichte  der  Th.  D. 
einer  von  den  Beweisen  dafür,  daß  ein  tiefgreifender  Unter- 
schied zwischen  ihrer  Denkweise  und  der  kirchlich-scholasti- 
schen vorliegen  muß.  Die  lebendige  Gegenwart  Gottes  hier 
stehe  gegen  die  Transcendenz,  den  Dualismus  von  Welt  und 
Grott,  dort ;  hier  bloßes  Sich-lassen  an  Gott,  nach  dem  als  der 
einzigen  Voraussetzung  Gott  von  selbst  im  Menschen  wirke 
und  wohne,  dort  künstliche  Überbrückung  der  Elxdt  zwischen 
Gott  und  Mensch.  Eine  fröhliche  Diesseits-Religion  hier,  ein 
trüber,  weltflüchtiger  Jenseitsglaube  dort.  Und  auch  das 
dürfte  nicht  ganz  unberechtigt  sein,  wenn  man  die  Eigen- 
art dieser  Denkweise  als  germanische  bezeichnet  (s.  S.  38).  Aber 


>)  Hernnann,  Verkehr  des  Christen  mit  Gott*,  S.  2ö2.  K.  Thieme, 
Die  sittl.  Triebkraft  des  Glaubens  (nach  Luther)  S.  19  f.,  114  £f. 

')  Die  sittl.  Bedentang  des  Glaabens  an  die  Person  Jesu  Christi, 
Nene  kirchl.  Zs.  1906,  17,  633  ff. 

*)  s.  oben  S.  9.  Eine  ähnliche  Denkweise  vertritt  E.  H.  Schmitt, 
Die  Gnosis  de«  MA.s  und  der  NeoEeit.   Jena  (Diederichs)  1907. 


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—    xxxni    — 

nicht  von  wünschenswerter  Einsicht  zeugt  es,  wenn  jener 
Dnalismns  und  Deismus  statt  als  lediglich  platonisch-augosti^. 
nisch-tho^istische  als  offenbamngsgeschichtliche  Tradition 
angesehen  wird.  Denn  daß  der  Gott  der  Bibel  nicht  die 
Züge  der  jenseitigen  Welt  reinen  Seins  n.  dgl.  trägt,  sondern 
gerade  die  des  wohlverstandenen  Gottesbegrifife  der  Th.  D. 
(S.  38),  dürfte  nachhaltigerem  Eindringen  nicht  yersdilossen 
bleiben. 

8.  Wie  aber  stellte  sich  der  Katholizismus  zur  Th.  D.? 
Sie  kam  1621  auf  den  Index  der  verbotenen  Bücher.  ^)  Da- 
durch empfing  Luthers  Behauptung  der  Verschiedenheit  von 
der  scholastischen  Lehre  authentische  Bestätigung.  So  sucht 
denn  z.  B.  ein  A.  Günther  in  ihr  die  Quelle  alles  neueren 
Pantheismus.  *)  Ein  K  Werner  ist  ihr  nicht  günstig.  *)  Pfeiffer 
hat  aber  volle  Übereinstimmung  mit  der  katholischen  Lehre 
behauptet,  und  der  Herausgeber  der  „Teutschen  Theologey" 
Bertholds,  Bischofs  von  Chiemsee,  Reithmeier,  ist  Pf  bei- 
getreten.*) Die  Neuheit  ihrer  Ansicht  hätte  sie  zu  einem 
Beweise  veranlassen  müssen.    Der  unterblieb  aber. 

Die  alte  protestantische  und  katholische  Anschauung  von 
dem  Gegensatz  zur  katholischen  Lehre  vertrat  dagegen  Uli- 
mann.^)  Und  zwar  trifft  er  wesentliche  Punkte:  die  ganze 
Sichtung  der  Th.  D.  sei  vorwaltend  sittlich.  Menschwerdung 
und  Erlösung,  Sichaufgeben  und  -vergotten  sei  nicht  wie  bei 
Eckhart  spekulativ  gemeint,  sondern  durch  und  durch  sittlich. 


>)  F.  H.  Keusch,  Der  Index  der  verbotenen  Bücher  I  380.  Im  16.  Jhrhdt 
hatte  Plantin  in  Antwerpen  allerdings  das  Privileg  für  eine  latein.  mid 
französ.  Ansg.  Und  als  die  Inquisitoren  1570  das  Buch  bei  einer  Haos- 
snehnng  fanden,  wnrde  es  nicht  nur  nicht  konfisziert,  sondern  sogar  gelobt. 
Erst  1680  wurde  er  wegen  des  Druckes  angegriffen  (a.  a.  0.  fi04).  —  Auch 
Tauier  kam  auf  den  Index,  1590;  Rensch,  I  523.  Und  Eckharts  Lehren 
wurden  bereits  kurz  nach  seinem  Tode,  1329,  durch  eine  päpstliche  Bulle 
als  h&retisch  verworfen. 

«)  nach  Plitt,  a.  a.  0.        »)  Der  hl.  Thomas  von  Aquino,  III,  656. 

*)  Teutsche  Theologey,  Vorrede. 

*)  Reformatoren  vor  der  Reformation,  II  233—255. 
Mandel,  Theologia  Deutsch.  III 


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—      XXXIV      — 

Gott  werde  als  lebendiger,  allgegenwärtig  wirksamer  geglaubt^ 
sodaß  der  Mensch  ein  innerliches,  nicht  bloß  äußerliches  Ver- 
hältnis zu  ihm  habe.  Weiter  werde  die  Gnadenb^ttrftigkeit 
des  Menschen  anerkannt  sowie  Christi  Bedeutung.  Die  Be- 
kehrung sei  lediglich  Gottes  Werk.  G.  L.  Plitt  stellt  die 
Th.  D.  zwischen  protestantische  und  katholische  Lehre.  ^) 

Da  kam  ein  Thomist,  den  die  protestantische  (und  von 
der  Indexkongregation  akzeptierte)  Beurteilung  verdroß,  weil 
durch  sie  der  deutschen  Theologie  neuernde  Bedeutung  gegen- 
über seinem  Meister  Thomas  zuerkannt  wurde.  Er,  Denifle^ 
hatte  von  dem  Begründer  der  deutschen  Mystik,  Meister  Ecke- 
hart, lateinische  Schriften  gefunden,  in  denen  dieser  in  der- 
selben Weise  redet  wie  die  Scholastiker.  Und  auf  Grund 
dieser  Schriften  sucht  er  nachzuweisen,  daß  die  deutsche 
Mystik  keine  andere  Bedeutung  habe  als  die  der  populären 
Darbietung  der  thomistischen  Ideen  (S.  527)*).  Eine  Eigen- 
tümlichkeit muß  er  allerdings  anerkennen :  daß  Eckehart  das 
Verhältnis  Gottes  zur  Welt  erheblich  inniger  auffasse:  daß 
das  Sein  der  Dinge  —  nicht  die  Dinge  selbst,  d.  i.  ihre  Wesen- 
heiten oder  Begriffe;  daß  zwischen  diesen  und  dem  wirklichen 
Sein  der  Dinge  kein  analytisches,  sondern  ein  synthetisches 
Verhältnis  bestehe,  indem  kein  Ding  seinem  Begriff  nach 
das  Sein  beanspruchen  könne,  war  eine  gemeine  Erkenntnis 
in  der  Scholastik  —  nach  ihm  gar  keine  Selbständigkeit  habe 
gegenüber  dem  göttlichen  Sein,  sondern  so  sehr  von  ihm  ab- 
hänge, daß  es  geradezu  mit  dem  göttlichen  Sein  identisch, 
d.  h.  daß  Gott  und  nicht  die  Kreaturen  (nach  ihrer  Wesen- 
heit) der  Inhaber  des  Seins  der  Dinge  sei.  Das  ist  nichts 
anderes  als  der  Schöpfungsglaube,  der  bekennt,  daß  die  Dinge 
an  sich  keinen  Anspruch  auf  Dasein  haben,  sondern  im  Nicht- 
sein sind,  daß  Gott  allein  notwendig,  seinem  Wesen  zufolge, 
ist  und  der  Ursprung  und  Inhaber i alles  Seins  ist.    Die  tho- 


')  a.  a.  0. 

*)  Archiv  für  Litt.-  und  Kirchengesch.  des  MA.8  U  1886,  S.  417-532. 


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mistische  Auffassung  sieht  die  entscheidende  Verbindung  der 
Welt  mit  Gtott  gerade  darin,  daß  die  Wesenheiten  der  Dinge 
ewig  in  Gott  existieren  und  daß  die  gegenwärtige  Welt  ihr 
Sein  nicht  unmittelbar  Gott,  sondern  ihren  eigenen  ewigen 
Ideen  oder  „Formen"  ^)  zu  verdanken  hat.  Demzufolge  kann 
Denifle  die  Eckehartische  Auffassung:  „Gott  ist  das  Sein 
der  Dinge",  welche  den  Schöpfungsglauben  zum  Ausdruck 
bringt,  nur  als  Konfasion  der  Kreaturen  und  Gottes  bezeichnen, 
ohne  zu  beachten,  daß  Eckehart  die  Quidditäten  beider  durch- 
aus geschieden  hält.  Wo  Eckehart  von  Thomas  abweiche, 
sei  er  unklar. 

Dieser  tendenziösen  Abhandlung  des  gelehrten  Thomisten 
hat  die  protestantische  Forschung  die  auf  Luther  sich  be- 
rufende Meinung  von  einer  Eigentümlichkeit  der  deutschen 
Mystik  opfern  zu  müssen  gemeint,  obwohl  die  Abhandlung  in 
der  angedeuteten  Weise  selbst  eine  Handhabe  zur  Begründung 
des  Lutherschen  Urteils  bot.  Man  ist  dem  Thomisten  viel- 
mehr dankbar,  daß  er  deutlich  gesagt,  worin  das  Neue  der 
deutschen  Mystik  bestehe  und  ist  in  den  Dogmengeschichten 
bestrebt,  auch  „den  Schein  des  Irrtums  zu  vermeiden",  als 
habe  sie  irgend  eine  originelle  Bedeutung;  oder  es  bleibt  nur 
übrig,  das  Neue  der  deutschen  Mystik  darin  zu  sehen,  daß 
sie  aus  dem  Umfang  des  scholastischen  Systems  einzelne 
Dogmen  ausgewählt  und  ausgelegt  hat  nach  Maßgabe  ihrer 
Erbaulichkeit.  ^) 

Luthers  enger  Anschluß  an  die  deutsche  Mystik,  dem  man 
ohnehin  nicht  günstig  gesonnen  war,  muß  bei  solcher  Auf- 
lösung der  deutschen  Denkweise  in  die  Scholastik  erst  recht 


^)  Der  Begriff  der  Form  knüpft  eben  das  Sein  an  den  Begriff. 

*)  8.  die  Dogmengeschichten  von  Hamack  und  Loofs.  Diejenige 
A.  Domers  (1899)  macht  aber  eine  beachtenswerte  Ausnahme.  Domer  er- 
kennt einen  grundlegenden  Gegensatz  zur  Scholastik:  an  SteUe  des  Dua- 
lismus zwischen  Gott  und  dem  Menschen  samt  der  Welt  vertrete  die 
dtsche  Mystik  die  Einheit  und  meine  sie  ethisch!  S.  338 ff.,  341  f.;  Ent- 
stehung der  ehr.  Glaubenslehren  1906  S.  175. 

m* 


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—      XXXVI      — 


befremden  und  kann  dann  nur  auf  die  deutsche  Sprache, 
wie  vielfach  geschieht,  auf  einzelne  Wendungen  oder  au- 
höchst  auf  allgemeine  religiöse  Anregung  zurückgef&hrt 
werden.  ^) 


6.  Einführung  in  die  deutsche  Theologie  und  ihre 

Bedeutung. 

Die  Grundlage  der  abendländischen  Theologie  und  Frömmig- 
keit war  eine  dualistische  Gottesanschauung.  Qott  war  dem 
Glauben  nicht  der  in  unserer  Welt  gegenwärtige  und  wirk- 
same Herr,  sondern  eine  Größe,  die  im  Jenseits  unserer  Welt 
liegt  und  ihrer  Substanz  nach  einen  scharfen  Gegensatz  zu 
unserer  Welt  bildet.  Augustin  hatte  diesen  Dualismus  dem 
Abendlande  eingeimpft.  Es  ist  bekannt,  wie  ihm  Gott  die 
unvergängliche,  wahrhaft  seiende  Substanz  ist,  gegenüber  der 
vergänglichen  Welt  unseres  Daseins.  Augustin  hatte  diese 
Anschauung  vorgefunden  in  der  platonischen  Tradition.  Zu 
eigen  wurde  sie  ihm,  weil  sie  dem  tiefen  Sehnen  des  Menschen 
nach  ewig  verläßlichem  Halt  und  nach  unvergänglichem 
Lebensinhalt  entsprach.  Der  Hauch  solcher  persönlichen  Be- 
gründung geht  durch  alle  Schriften  Augustins.  —  Thomas 
von  Aquino  erst  änderte  diese  Begründung  und  damit  die 
Gottesanschauung  selbst,  indem  er  vom  Welterkennen  aus 
Gott  als  die  erste  Ursache  und  so  grundleglich  in  Verbindung 
mit  der  Welt  dachte.  Aber  diese  Auffassung,  welche  statt 
zum  Schöpfungsglauben  zum  Deismus  führt,  vertritt  ja  auch 
eine  Getrenntheit  Gottes  von  der  Welt.  Und  die  wird  zum 
Gegensatz,  wenn  die  erste  Ursache  als  Intellekt  gefaßt  wird, 
in  dem  die  Ideen  der  Dinge  gleichsam  als  eine  Überwelt  ent- 
halten sind,  von  der  die  gegenwärtige  Welt  durch  den  Zusatz 
der  Materie  verschieden  ist. 


*)  \g[.  A.  W.  Dieckhoff,  Luthers  Lehre  in  ihrer  ereten  Gestalt  S.  81  f. 
J.  Köstlin  Luthers  Theol.«,  I  S.  107  f.    Heuere  Abhdlg.  S.  9  ff. 


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—    xxxvn    — 

Diese  Gottesanschaaune:  des  Mittelalters  und  des  Eatho- 
lijusmns  brachte  das  katholische  Frömmigkeitsideal  hervor. 
Dasselbe  betrachtet  Gott  nicht  als  eine  Größe,  die  dem  Menschen 
innerlich  gegenwärtig  ist  als  der  Gegenstand  seiner  Hingabe, 
als  sein  Herr,  der  dann  auch  als  der  wirksame  Herr  alles 
Seins  und  Lebens  in  der  Welt  angeschaut  wird,  sondern  als  eine 
äußere  und  von  der  Welt  geschiedene  Größe,  zu  der  sich  der 
Mensch  erst  wie  zu  anderen  äußeren  Gegenständen  in  Beziehung 
setzen  muß,  nicht  ohne  dadurch  der  Welt  entfremdet  zu  werden. 

Das  Verhalten  zu  äußeren  Gregenständen  ist  aber  erstens 
Bezeptivität :  Wahrnehmung;  so  ist  das  Ideal  der  Religion  die 
Schauung  Gottes.  Vollendete  Frömmigkeit  liegt  jenseits  un- 
seres Lebens !  Das  diesseitige  Surrogat  ist  die  Kontemplation 
mit  der  Ekstase  als  Höhepunkt.  Die  Folge  ist  Zerfallenheit 
der  religiösen  Beziehung  mit  dem  empirischen  Leben  und  die 
Flucht  aus  diesem  in  den  Stand  der  „Religiösen",  ins  Kloster. 
Zweitens  muß  sich  die  Aktivität  des  Menschen  auf  Gott 
richten.  Gott  über  alle  Dinge  zu  lieben,  als  positive  Willens- 
leistung und  -anstrengung  gemeint,  ist  das  Ideal  für  das 
Wollen.  Die  religiöse  Beziehung  ist  nicht  als  Gnade  und 
Gabe  verstanden,  sondern  als  Anstrengung  und  Aufgabe.  In 
diesem  Ideal  ist  Augustin  mit  Pelagius  eins.  Soll  dann  der 
natürliche  Wille  zur  Gottesliebe  unfähig  sein,  so  entsteht  das 
große  Problem  der  Scholastik,  wie  die  ihn  befähigende  Gnaden- 
wiitung  Gottes  zu  denken  sei.  Und  nicht  nur  die  Kraft 
der  Liebe  wird  problematisch,  sondern  wie  vorhin  tritt  auch 
hier  Gott  in  Konflikt  mit  der  Welt,  sofern  sie  Gegenstand 
der  Liebe  ist;  Gott  allein  darf  um  seiner  selbst  willen  geliebt, 
d.  h.  genossen  werden;  irdische  Größen,  der  Nächste  z.  B., 
darf  nicht  um  seiner  selbst  willen  beachtet  werden,  sondern 
wird  „gebraucht",  als  bloßes  Mittel  für  mich,  Gott  zu  genießen. 
Die  Religion  ist  individualistisch  und  egozentrisch  verstanden, 
statt  gerade  die  Voraussetzung  selbstloser  Zuwendung  zum 
Nächsten  und  zu  allen  transsubjektiven  Forderungen  der  Welt 
um  mich  her  zu  sein. 


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—    xxxvin    — 

Die  religiöse  Beziehung  ist  nicht  Voraussetzung  des  sitt- 
lichen Handelns,  sondern  Ziel  und  „Endzweck".  Denn  die 
Vollendung  derselben  liegt  in  der  Schauung  im  Jenseits.  Die 
Seligkeit  ist  nicht  gegenwärtiger  Besitz,  sondern  zukünftiger 
Lohn.  Die  Werke  erscheinen  so  fast  unvermeidlich  als  Ver- 
dienste.   Sie  wollen  etwas  erwerben. 

Die  deutsche  Theologie  vertritt  eine  ganz  andere  Gottes- 
und  Religionsanschauung.  Gott  ist  ihr  nicht  jenseitig,  sondern 
diese  Welt  ist  die  Stätte  seines  Lebens.  Sie  ist  nicht  das 
Jammertal,  aus  dem  zu  fliehen  ist,  sondern  sie  ist  das  Paradies 
selbst,  in  allen  Stücken  gut,  vom  kreatürlichen  Willen  ab- 
gesehen. ^)  Und  Gott  ist  mehr  als  erste  Ursache:  der  Träger 
und  die  Macht  alles  Seins  und  Lebens,  ohne  den  nichts  ist, 
was  ist,  in  dem  lebt,  was  lebt.  Das  ist  der  Gedanke  der 
Schöpfung  (aus  nichts!),  nach  dem  die  Dinge  ohne  Gott  im 
Nichtsein  sind,  wie  schon  nach  der  Vernunft  kein  Ding  an  sich 
d.  h.  seinem  Begriffe  nach  Dasein  oder  Leben  hat. 

Demgemäß  fällt  der  Religionsbegrifl*  ganz  anders  aus. 
Allerdings  sind  sich  die  deutschen  Mystiker  anscheinend 
dessen  nicht  bewußt;  es  finden  sich  Reste  der  obigen  Religions- 
anschauung (z.  B.  Schauung).  Aber  die  neuen  Momente  sind 
ohne  Zweifel  da  und  überwiegen  bei  einem  Eckehart,  Tauler 
und  unserer  Epitome.  Der  Kern  des  Religionsbegriffs  ist,  daß 
sich  der  kreatürliche  Wille  an  Gott  läßt.  Denn  Gott  ist 
Träger  und  Macht  auch  seines  Seins  und  seiner  Aktivität; 
der  Mensch  ist  nur  so  töricht,  sein  Wollen  und  Dasein  für 
selbständig,  sich  selbst  für  das  Subjekt  desselben  zu  halten 

^)  Fragt  man  nach  dem  ürsprong,  so  scheint  mir  hier  die  Betonung 
des  Germanischen  zu  ihrem  Kechte  zu  kommen.  Lebensfrische  NatnrvOUcer 
konnten,  als  ihnen  der  christliche  Glaube  gepredigt  wurde,  unmöglich  dem 
weltvemeinenden  Dualismus  verfallen,  sondern  mußten,  wo  sie  von  der 
Tradition  unabhängig  dachten,  Gott  als  den  Herrn  dieser  Welt  vorsteUen. 
JedenfaUs  führt  eine  von  der  offiziellen  Theologie  unabhängige  Traditions- 
linie  von  Job.  Skotus  Erigena  über  die  Amalrich  Ton  Bena  und  David  von 
Dinanto  zu  Meister  Eckhart,  dem  Begründer  der  deutschen  Mystik. 


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—      XXXIX      — 

imd  sich  von  der  schlechthinigen  Abhängigkeit  von  Gott  zu 
emanzipieren.  Das  richtige  Verhalten  aber  ist,  sich  selbst 
gar  nichts  zuzuschreiben,  sich  selbst  gar  nicht  zu  kennen  oder 
doch  nur  als  Gottes  Geschöpf  und  Eigentum.  An  der  Stelle 
des  Selbstbewußtseins  sollte  Gottesbewußtsein  stehen;  an 
Stelle  von  Selbstbehauptung  und  -liebe  schlechthinige  Freiheit 
von  der  Herrschaft  des  eigenen  Ich  in  Anerkennung  Gottes 
als  Herrn  und  Bestimmungsgrundes,  Gelassenheit  des  Willens, 
d.  i.  wahre  Freiheit.  Wo  nur  der  Wille  frei  ist  von  der 
Eigenheit,  da  nimmt  Gott  mit  Naturnotwendigkeit  den  Menschen 
in  Besitz.  Denn  er  ist  gegenwärtig  und  wartet  nur  auf  die 
Gelassenheit. 

Es  bedarf  also  keines  Tuns  und  Sichanstrengens  des  Men- 
schen, um  zu  Gott  zu  kommen,  sondern  gerade  des  Gegenteiles 
alles  Tuns.  Die  religiöse  Beziehung  wird  nicht  in  Aktivität 
des  Menschen  wirklich,  sondern  in  einer  passio  —  mit  Luther  — , 
in  Gelassenheit.  Gott  ist  es,  der  tut  und  wirksam  ist;  selbst 
das  sein  zu  wollen,  d.  i.  das  natürliche  Selbstbewußtsein, 
welches  aUe  Leistungen  dem  Ich  zum  Weihrauch  darbringt, 
ist  gerade  die  Sünde.  Nicht  Objekt  des  Menschen  ist  Gott, 
sondern  Subjekt,  Herr.  Die  religiöse  Beziehung  ist  keine 
Leistung,  welche  dann  das  Problem  der  Gnadenwirkung  ent- 
stehen läßt,  sondern  ist  selbst  Gnade  und  Gabe.  Hier  erst 
ist  Pelagius  grundsätzlich  überwunden  und  alles  Hinschwanken 
zu  seiner  Auffassung  im  Keime  ertötet. 

Hier  ist  auch  der  Verdienstgedanke  unmöglich.  Ein 
^Warum",  d.  h.  einen  Zweck,  gibt  es  für  das  Handeln  nicht, 
wie  oft  gesagt  wird.  Die  Seligkeit  liegt  nicht  in  der  Zu- 
kunft, als  das  Ziel  des  Handelns,  sie  geht  dem  Handeln  vor- 
aus und  ist  die  innere  sittliche  Güte  desselben,  die  Selbst- 
losigkeit, welche  der  Gottesglaube  im  Gefolge  hat.  Wie  die 
Sonne  umsonst  scheint,  so  der  fromme  Mensch ;  er  muß  seinem 
Wesen  zufolge  gut  handeln.  Nicht  die  Werke  machen  den 
Menschen  gerecht,  sondern  die  gerechte  Person  macht  die 
Werke  gut.    Die  Ethik  hat  es  nicht  mit  den  Handlungen 


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—      XL      — 

und  deren  Endzweck  zu  tun,  sondern  mit  der  persönlich^i 
Bestimmtheit  des  Menschen. 

Und  endlich  ist  der  Individualismus  hier  durchbrochen. 
Wenn  die  Religion  nach  dem  Katholizismus  gerade  der  Selbst- 
liebe dient,  so  ist  sie  hier  der  Tod  derselben.  Und  damit 
erschließt  sich  hier  der  Blick  für  die  transsubjektiven  Forde- 
rungen der  objektiven  Wirklichkeit,  für  welche  der  Egoismus 
den  Menschen  blind  machte.  Das  Kecht  des  anderen  wird 
anerkannt.  Ihm  Schmerz  und  Unrecht  antun  ist  unmöglich; 
denn  egoistische  Bestimmungsgründe  gibt  es  nicht.  Man  lebt 
nicht  mehr  sich  selbst,  sondern  Gotte,  jeden  Tag  zur  völligen 
Vereinigung  mit  ihm  bereit.  Vergeltung  kennt  man  nicht 
mehr,  statt  ihrer  eine  schlechterdings  unüberwindliche  Liebe. 
Und  was  man  noch  lebt,  gehört  dem  Nächsten.  So  ist  hier 
die  religiöse  Beziehung  gerade  die  Voraussetzung  des  sitt- 
lichen Verhaltens  zum  Nächsten,  statt  dieses  unmöglich  zu 
machen.  Gott  ist  nicht  wie  der  Nächste  und  mit  ihm  kon- 
kurrierend Gegenstand  für  den  Menschen,  sondern  der  Be- 
stimmungsgrund und  Herr  des  Menschen,  der  Mensch  ist 
bloßes  Organ  Gottes,  die  Nächsten  aber  der  Gegenstand.  Diese 
Welt  ist  die  Stätte  der  Religion  wie  des  lebendigen  Gottes  selbst 

Die  neue  Gottesanschauung  ist  heuristisches  Prinzip  für 
einen  neuen  Religionsbegriff  geworden.  Man  kann  das  Ver- 
hältnis aber  umkehren  und  die  Ausprägung  des  Gottesbegrifis 
an  der  Welt,  wie  sie  der  Schöpfungsbegriff  zeigt,  auf  die  Be- 
deutung Gottes  für  das  persönliche  Leben  gründen:  er  wird 
als  der  Herr  des  Menschen,  als  Gegenstand  der  vollkommenen 
Hingabe  bekannt,  und  der  dieser  Art  fix)mme  Mensch  setzt 
die  persönlich  begründete  Herrschaft  oder  eigentliche  Gottheit 
Gottes  an  der  Welt  durch!  Der  Schöpfungsbegriff  ist  die 
Weltanschauung  der  Frömmigkeit.  Diese  aber  wiederum  ist 
erforderlich  zur  Angemessenheit  des  inneren  Verhaltens  gegen- 
über dem  Gesetz,  welches  die  Rechte  und  Forderungen  der 
empirischen  Objektivität  an  uns  zum  Ausdruck  bringt  Ein 
Weg  der  Apologetik! 


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Was  aber  Gk>tt  selbst  angeht,  so  ist  er  hier  grondleglich 
als  Persönlichkeit  gedacht.  Bei  Angnstin  ist  er  Substanz; 
das  Du  seiner  Gebete  hat  er  nicht  theologisch  auszuprägen 
yarstanden.  Bei  Thomas  ist  Gott  allerdings  Subjekt:  als  der 
Weltdenker  und  -ordner.  Hier  aber  erst  ist  er  Wille  und 
gemeinschaftsfähiger  Wille.  Und  diese  beiden  dem  Gott  der 
Frömmigkeit  unveräußerlichen  Stücke  sind  mit  dem  Efegriff 
der  Persönlichkeit  gemeint. 

Diese  Grundlegung  ändert  alle  anderen  theologischen  Be- 
griffe ;  das  soll  nur  angedeutet  werden.  Zunächst  die  anthro- 
pologischen. Der  Dualismus  zwischen  Geist  und  Natur,  der, 
aus  der  Anthropologie  entlehnt,  dem  Dualismus  zwischen  Gott 
und  Welt  zur  näheren  Bestimmung  gedient  hatte  und  von  da 
wiederum  einen  tiefen  Riß  in  die  Anthropologie  brachte,  ist 
hier  interesselos  geworden  (vgl.  S.  29).  Der  Mensch  ist  nicht 
aus  zwei  Substanzen  zusammengesetzt  und  die  Sünde  ist  nicht 
das  Übergewicht  der  einen  Seite.  Sondern  der  Mensch  wird 
einheitlich  und  naturwissenschaftlich  so  treu  wie  möglich  auf- 
gefaßt: als  natürlicher  Wille  und  natürliches  Selbstbewußt- 
sein. Als  solcher  ist  sein  Wille  in  Schuld  gegenüber  Gott, 
in  tiefem  Widerspruch  zu  Gott,  den  Gott  als  persönliche 
Kränkung  empfindet. 

Einen  Menschen  allein  hat  es  gegeben,  dessen  natürliche 
Haltung  die  entgegengesetzte  war:  Gelassenheit  an  Gott.  Das 
ist  Christus.  So  wird  die  Christologie  nach  Maßgabe  des 
sittlichen  Ideals  verstanden.  Wenn  solches  Verständnis  bei 
dem  Charakter  des  vulgären  moralischen  Ideals  die  Gottheit 
Christi  verkürzen  muß,  so  führt  der  Charakter  dieses  Ideals 
gerade  zur  vollsten  Anerkennung  der  Gottheit:  Christus  war 
bloßes  Haus  und  Handgezeug  Gottes,  sein  Wille  war  Gottes 
WiUe,  sein  Selbstbewußtsein  Gottes  Wirklichkeit  unter  uns. 
Eäne  Einigung  der  Extreme  der  physischen  oder  metaphy- 
sischen und  der  moralischen  Christologie! 

Was  Christus  aber  zu  bedeuten  habe  für  die  Gewinnung 
des  Friedens  mit  Gott,  das  wird  nicht  erkannt.    Das  ist  allav 


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XLH      — 

dings  noch  ein  Vorzug,  daß  mit  dem  Einheitsverhäitnis  mit 
Gott  unmittelbar  die  neue,  innere  Gerechtigkeit,  mit  der 
forensischen  Rechtfertigung  die  effektive  eins  ist.  Aber  in 
dem  Verständnis  der  Bedeutung  Christi  ffir  die  Rechtfertigung 
bleibt  die  Th.  D.  hinter  ihrem  Schüler  Luther  zurück.  Von 
Versöhnung  und  von  dem  bleibenden  Werte  Christi  als  Gegen- 
standes des  religiösen  Grundverhaltens  weiß  sie  nichts.  Über 
eine  —  freilich  tiefer  als  gewöhnlich  gefaßte  —  Vorbildlichkeit 
kommt  sie  nicht  hinaus.  — 

Die  Verschiedenheit  der  deutschen  Mystik  und  der 
Mystik  der  offiziellen  Theologie  (die  Viktoriner,  Bernhard 
V.  Clairvaux,  Bonaventura  u.  a.)  ist  schon  früher  erkannt 
worden.^)  Aber  die  ausführlichste  Behandlung  einer  Ver- 
schiedenheit in  der  Mystik  (Ritschi)  hat  darin  geirrt,  daß 
die  quietistische  (Gegensatz:  spekulative)  Mystik  von  der 
Betonung  des  Willens  bei  Duns  herrühren  und  daß  die  deutsche 
Mystik  als  dominikanische  zur  spekulativen  thomistischen 
Mystik  gehören  soll.  Letzterer  Lrtum  ist  geradezu  auffallend 
angesichts  der  unermüdlichen  Betonung  des  Willens  bei  Tauler 
und  erst  recht  in  unserem  Buch.  Man  vergleiche  die  Kenn- 
zeichnung der  quietistischen  Mystik  (Gesch.  des  Piet.  I  470  f.) 
und  frage,  ob  sie  nicht  genau  auf  die  genannten  zutreffe.  Daß 
die  Schauung  öfter  vorkommt  (besonders  bei  Tauler),  gibt  kein 
Recht,  sie  zum  Zweck  der  Willenshingabe  zu  machen.  Diese 
wird  oft  genug  in  ihrem  Selbstwert  und  als  Vollendung  der 
religiösen  Beziehung  hingestellt.  Es  bleibt  eine  tiefe  Eluft 
zwischen  dem  Frömmigkeitsideal  des  platonisch-thomistischen 
Dualismus  und  dem  Frömmigkeitsideal  der  auf  dem  jung- 
fräulichen Boden  der  Völker  erstehenden  Gottesanschauung, 
welchen  in  ihrer  weltbejahenden  und  -freudigen  Stimmung 
der  Dualismus,  den  wesentlich  das  Verlangen  nach  ewigem 
Halt  gegenüber  dieser  vergänglichen  Welt  geschaffen  hatte. 


')  Krönlein  in  Theol.  Stud.  u.  Krit.  v.  1847,  S.  319f.    Besds.:  A.  Ritschi, 
Gesch.  des  Pietism.,  I  468ff.  R.  u.  V.»,  I  122. 


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—    xLm    — 

keinen  Geschmack  abgewinnen  konnte.  Wo  ein  solcher  un- 
verdorbener Sinn  in  Sachen  der  Religion  sich  Geltung  ver- 
schaffte, mußte  der  Dualismus  positiver  und  engster  Verhältnis- 
bildung zwischen  Gott  und  Welt  weichen.  Und  diese  führte 
zu  dem  neuen  Keligionsbegriff. 

Einer  Richtung  ist  nun  aber  noch  zu  gedenken:  derjenigen 
nämlich,  welche  die  Th.  D.  in  ihrem  zweiten  Teile  bekämpft: 
die  Sekte  der  Brüder  vom  freien  Geiste.^)  Diese  hat  denselben 
Mutterboden  wie  die  Th.  D.:  die  Lebendigkeit  Gottes  tind  den 
entsprechenden  Keligionsbegriff.^)  Die  Quellen  für  diese  Sekte 
führen  manche  Gedanken  an,  die  genau  mit  der  Denkweise  der 
Th.  D.  übereinstimmen.  Dahin  gehört  es,  daß  nach  ihr  alles 
Gott  sein  soll  (399);  daß  alles  aus  Notwendigkeit  geschehe 
(399,  416)  —  wenigstens  in  dem  Sinne,  daß  kein  Sein  an  und 
in  sich  selbst  Bestand  hat  — ;  daß  alle  Kreatur  voll  sei  von  Gk)tt ; 
daß  es  keine  Hölle,  keinen  Teufel  noch  Fegefeuer  gebe  (401), 
sondern  alles  dies  Erdichtung  der  Priester  sei  (S.  B.  A.  532f), 
—  weil  Gott  in  allem  ist,  was  ist  %  und  weil  am  Eigenwillen 
eine  Größe  gewonnen,  auf  welche  die  Hölle  zurückgeführt 
werden  kann  (vgl  Th.  D.  Kap.  47)  — ;  daß  der  Eigenwille  zu 
brechen  sei  (zu  welchem  Zweck  man  z.  B.  scheußliche  Speisen 
vorsetze)  (411),  daß  Gott  alles  im  Menschen  wirken  solle,  wozu 


')  Auch  Tanler  bekämpft  sie  in  seinen  Predigten  mehrfach;  Prot. 
K.-E.'  III  467 ff.;  Preger,  Gesch.  der  dtsch.  Mystik  1874,  I  166 ff.  Neue 
<}neUen:  J.  v.  Döllinger,  Beiträge  2ar  Sektengesch.  des  MA.  1890,  n 
S.  378—416.  Sitzungsberichte  der  Berl.  Akad.  1887  (S.  B.  A.),  S.  517  ff. 
Zahlen  ohne  Zusatz  bedeuten  Döllinger. 

*)  Daß  die  Grundlage  der  Irrlehre  in  der  „yiktorinischen  Mönchs- 
mystik",  d.  i.  in  derjenigen  Frömmigkeit,  welche  auf  dem  Boden  der 
dualistischen  Gottes-  und  Weltanschauung  der  kirchlichen  Theologie  genuin 
war,  nicht  gesucht  werden  kann  (H.  Haupt,  Prot.  K.-E.  *,  III  468.  Die  relig. 
Sekten  in  Franken  vor  der  Bef.  8.  5)  dürfte  nach  allem  offenbar  sein. 

*)  Preger  deutet  mit  offensichtlichem  Unrecht  einige  Aussagen  der 
Amalrikaner  und  unserer  Sekte  —  die  allerdings  im  wesentlichen  nur 
eine  Fortfflhnmg  von  jener  ist  —  so,  daß  der  Dualismus  herauskommt, 
S.  175  f..  207  f. 


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—      XLIV      — 

man  in  diesem  Leben  gelangen  könne  (396,  398),  daß  solcher 
mit  Gott  einige  Mensch  die  Seligkeit  nicht  erst  erwarten 
dttrfe,  nnd  daß  zu  dieser,  znm  Schauen  und  seligen  Genuß 
Gottes,  nicht  eine  besondere  Erhebung  durch  das  Licht  der 
Herrlichkeit  gehöre,  denn  wo  solcher  Mensch  sei,  da  sei  Gott 
(S.  B.  A.  540) ;  daß  der  Mensch  daher  auch  nichts  tue,  um 
Lohn  von  Gott  zu  bekommen,  auch  nicht  das  ewige  Leben, 
sondern  allein  damit  Gott  gelobt  werde  (390);  daß  Christus 
nicht  für  uns,  sondern  für  sich  selbst  gelitten  habe  wie  jeder 
andere  Mensch  (391),  daß  sein  Leiden  nicht  zur  Meidung  der 
ewigen  Verdammnis  notwendig  sei,  sondern  dem  Fortschritt 
im  Guten  diene,  in  dem  jeder  ihm  gleich  sei,  um  dann  von 
Gott  ebenso  angenommen  zu  werden  wie  er,  obwohl  Christus 
wahrer  Gott  sein  soUte  (416  f);  es  gentigt  ihnen  nicht  das 
eine  Kreuz  Christi,  sondern  mit  mehreren  Kreuzen  zeichnen 
sie  „ad  yisum"  den  Menschen,  so  daß  sie  als  Nachahmer  des 
Kreuzes  Christi  angesehen  würden  (409).  In  diesem  Sinne 
ist  auch  der  bei  den  AmaMkanern  vielgerügte  Satz  zu  ver- 
stehen, daß  jeder  Fromme  sich  für  ein  Glied  am  Leibe  Christi 
halten  müsse:  sie  seien  „reaUter  und  naturaliter^^  Christus 
selbst  (391).  — 

Diese  Denkweise  wurde  nun  aber  zu  unsittlichem  Liber- 
tinismus  fortgeführt.  Der  Mensch  könne  so  eins  werden  mit 
Gott,  daß  er  ununterscheidbar  sei  von  Gott  (385 f.);  daß  er  real 
und  wahrhaft  Gott  sei  (390).  Solch  ein  zur  Umarmung  der 
Gottheit  zugelassener  Mensch  sei  dann  über  alle  Bestimm- 
barkeit (mutabilitas)  erhaben,  nichts  könne  ihn  bewegen  (ebda, 
vgl.  Th.  D.  Kap;  27),  wie  denn  auch  Christus  in  seiner  Passion 
nicht  wirklich  gelitten  haben  könne  (392,  398,  401,  vgl.  Kap.  7); 
ja  er  sei  ein  freier  Herr  und  König  über  alle  Kreaturen, 
könne  frei  alles  gebrauchen,  was  ihm  gefällt  und  vernichten, 
was  ihn  hindert;  möge  die  Erde  vergehen,  wozu  die  Natur 
treibt,  muß  geschehen  (S.  B.  A.  539).  Und  mit  dieser  Hochfahrt 
(Kap.  23,  vgl.  die  treffliche  Schilderang!)  ist  eine  falsche  Freiheit 
verbunden:  Freiheit  von  aller  Ordnung  und   allen  Gesetzen 


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—     XLV      — 

der  Kirche.  Zu  solchen  seien  nur  die  Groben  (grossi)  ver- 
pflichtet (886»  S.  B.  A.  541);  sie  seien  Aber  alles  Gewissen 
hinaus,  weil  von  Gott  ununterscheidbar  (S.  B.  A.  532  f.).  Die 
Freiheit  sei  gerade  in  ungebundener  Genugtuung  der  Fleischea- 
triebe  zu  beweisen  (ebda).  Es  ist  offenbar,  daß  bei  diesem 
Libertinismus  auch  das  „Leben  Christi^  als  ein  tieferer  Stand- 
punkt beurteilt  wurde  (oben  8. 17,  b). 

Die  Th.  D.  kennzeichnet  diese  Denkweise  gut,  wenn  sie 
sagt:  sie  wolle  den  Menschen  zum  Gott  in  der  Ewigkeit  er- 
beben, statt  zum  vergotteten  Menschen,  der  in  der  Zeit  lebt. 
Daß  aber  dieser  Libertinismus  dem  Prinzip  nicht  entspreche, 
und  gerade  wieder  das  Ich  auf  den  Thron  setze,  daß  die  allein 
richtige  Folgerung  Demut  und  geistliche  Armut  und  Willige 
keit  zu  allen  Pflichten,  ja  Liebe  sei,  das  sind  wertvolle  Aus- 
führungen der  Th.  D.,  die  der  Irrlehre,  ihrer  Gegnerin,  zu 
danken  sind.  — 

In  unserm  Jahrhundert  ist  dieselbe  Denkweise  vertreten 
worden  wie  die  von  der  Th.  D.  einerseits  und  den  Freigeistern 
anderseits  vertretene.  Beide  Seiten  sind  darin  eins,  daß  in 
unserm  Ich  und  Willen  ein  absolutes  Ich  und  ein  absoluter 
WiUe  zum  Leben  kommen  soU.  Fichte  ist  derjenige,  welcher 
diese  Grundanschauung  zu  demselben  Ergebnis  fortfahrt  wie 
die  Th.  D.  Gott  ist  nach  ihm  der  Bestimmungsgrund  zu  schlecht- 
hiniger  Selbsthingabe  —  wesentlich,  ja  lediglich  dies! ')  — ,  der 
zufolge  das  Ich  gar  kein  Recht  hat,  sich  selbst  zu  behaupten 
und  zu  pflegen,  wenn  nicht  in  Gott,  so  daß  als  Gegenstand  oder 
Gebiet  des  sittlichen  Handelns  nur  noch  der  Nächste  übrig 
bleibt.  Man  vertiefe  sich  in  seine  Ethik  und  man  wird 
etwas  von  dem  Geist  der  Th.  D.  verspüren.*) 

Der  freie  Geist  aber,  den  die  Beschreibung  in  Kap.  23  u.  38 
genau  trifft,  ist  Nietzsche.    Seine  kühne  Selbstbehauptungs- 


')  Appellation  a.  d.  Pabl.  gegen  Anklage  des  Atheism.,  Ww.  V  bes. 
214  ff. 

•)  System  der  Sittenlehre  IV  bes.  255  ff.  Anweisung  zum  sei.  Leben 
oder  Kelig.-lehre  V,  402  ff.,  z.  B.  411  ff.,  472,  518  ff.,  546. 


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—      XLVI      — 

lehre  ist  von  rein  empirischen  Gesichtspunkten  aus  unerklär- 
bar. Oder  wie  sollte  man  die  handgreiflichen  empirischen 
Schranken,  welche  dem  illusorischen  Egozentrismus  Gesetze 
au&ötigen,  so  verkennen  können?  Jene  Lehre  ist  nur  be- 
greiflich von  Schopenhauers  Willensmetaphysik  aus:  es  ist 
ein  unbedingter,  absoluter  Wille  zum  Leben,  der  in  dem 
Einzel-Ich  will.  Daß  sich  dieser  durch  den  Pesssimismus 
nicht  zur  Resignation  bringen  läßt,  ist  nur  ein  Vorzug  vor 
Schopenhauer.  Zugleich  aber  setzt  er  sich  über  die  sittlichen 
Schranken,  welche  der  Nächste  und  die  Gemeinschaft  dem 
Ich  aufnötigt,  hinweg. 

Die  Th.  D.  ist  imstande,  diese  Denkweise  zu  überwinden, 
wie  sie  nach  allen  Seiten  die  wirklich  durchgreifende  Apo- 
logetik zu  bieten  vermag,  freilich  nur  dem,  der  sie  —  wie 
Luther  —  studiert. 


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DIs  Bnohleyn  batt  der  almeohtig  ewig  gott  aiiTs- 

gesproohen  duroh  einen  weisen  vorstanden  war- 

hafltigen  gerechten  mensohen  seinem  freundt,  der 

da  vor  Zeiten  gewesen  ist  ein  Teutsoher  herr,  ein 

Priester  und  ein  Custos  in  der  Deutschen  herren 

haufs  zu  Franokfurt,  und  leret  manigen  lieblichen 

unterscheid  gotlicher  warheit  und  besunder, 

wie  und  wo  und  wa  mit  man  erkennen 

müg  die  warhafftigen  gerechten 

gottes     freundt    und    auch 

die  ungerechten  falschen 

freyen  geist,  die  der 

heyligen  kirchen 

gar  schedlich 

sindt 


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Inhalts -Übersicht. 


Seite 

1.  Zum  ersten:  was  das  yolkamen  sey  und  die  teil,  und  wie  man 

hin  legt  die  teil,  so  das  yolkamen  knmpt 1 

2.  Was  da  sond  sey,  nnd  wie  man  sich  keines  graten  an  sol  nemen, 

wan  es  allein  dem  waren  gut  za  gehört 10 

S.    Wie  des  menschen  fall  and  ahekere  ma£  gebessert  werden  M 

Adams  faU 11 

4.  Wie  der  mensch  darch  das  an  nemen,  das  er  sich  etwas  gatz  an 

nympt,  tat  eyn  fall  and  greyfft  gott  in  sein  ere 12 

5.  Wie  man  das  yersten  soll,  das  man  weüJIos,  willoü,  liebloß  und 

begirdloß  and  bekenloß  and  des  gleichen  werden  soll  ....    13 

6«    Wie  man  das  peste  and  das  edliste  allerliebst  soll  haben,  allein 

daramb,  das  es  das  peste  ist 14 

7*  Von  zwein  geistlichen  aagen,  mit  den  der  mensch  sieht  in  die 
ewickeit  and  in  die  zeit,  and  wie  eins  yon  dem  andemn  gehin- 
dert wirt 16 

S«    Wie  die  seel  des  menschen,  die  weil  sie  in  dem  leib  ist,  mag 

enphahen  einen  yorsmack  ewiger  selickeit  [Aiij] 18 

9.  Wie  dem  menschen  natzer  and  pesser  sey,  das  er  war  nem,  was 
got  mit  ym  wircken  wolle  oder  war  za  yn  got  natzen  woU, 
denn  ob  er  weßte,  waz  gott  mit  allen  creataren  ye  gewarcket 
hatt  oder  ymer  warcken  will,  und  wie  selickeit  allein  lig  an 
got  und  an  seinen  wercken  and  nit  an  der  creatare  ....  19 
10«  Wie  die  yolkamen  menschen  anders  nit  begeren  denn  das  sie  dem 
ewigen  gute  möchten  gesein  als  dem  menschen  seyn  band  ist, 
and  wie  sie  yerloren  haben  farcht  der  hell  und  begerung  des 

hymelreichs 22 

Mandel,  Tbeologia  Deutsch .  4 


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—    4    — 

Seit« 

11.  Wie  der  gerecht  mensch  yn  der  zeit  in  die  hell  wirt  gesetzt  und 
mag  da  ynne  nit  getrost  werden,  und  wie  er  bxlü  der  hell  wirt 
genomen  nnd  wirt  yn  das  hymelreich  gesetzt  und  mag  da 
ynne  nit  betrabt  werden 25 

12«  Was  rechter,  warer,  ynnerlicher  frid  sey,  den  Christas  seinen 
Jangeren  zoletz  gelassen  hatt.  (Pf.:  13.)  Wie  der  mensch  den 
bilden  etwan  zn  fr&  arlaab  gibt.  (14.)  Von  dreyen  graden,  die 
den  menschen  faeren  za  yolkomenheit 2B 

13.    Wie  all  menschen  in  Adam  sint  gestorben  and  in  Christo  wider 

lebentig  worden,  and  von  warer  gehorsam  and  angehorsam     .    31 

14«    Was  da  sey  der  alt  mensch,  and  aach  was  da  sey  der  new  mensch    33 

15.    Wie  man  sich  des  gaten  nyt  an  nemen  soll  and  soll  sich  des 

p($sen  schaldig  geben,  das  man  getan  hat 37 

16«  Wie  das  leben  Christi  sey  des  edelst  and  pest  leben,  das  ye  wart 
and  ymer  werden  mag,  and  das  raachloß,  falsch,  frey  leben  das 
aller  pößt  leben 38 

17«  Wie  man  za  dem  waren  liecht  and  za  Christas  leben  nit  koMen 
mag  mit  tu  fragens  oder  lesens  oder  mit  hocher  nataerlieher 
kanst  and  vemafft,  sander  mit  eim  yorzeyhen  sein  selbs  md 
aller  ding 3» 

18.  Seider  das  leben  Christi  aller  natamn  and  selbheit  daz  aller  bittent 

ist,  darnmb  will  die  natar  es  nit  an  sich  nemen  and  nympt 
an  sich  das  raachloß  falsch  leben,  wie  es  ir  das  aller  beqaem- 
lichst  and  lostigist  ist 40 

19.  Wie  ein  freont  gottes  yon  anßen  wiUicklichen  volbringt  mit  den 

wercken  die  ding,  die  da  sollen  and  müßen  sein,  and  mit  den 
abrigen  bekomert  er  sich  nit .41 

20.  Wie  der  geist  gotz  etwan  eynen  menschen  besitzt  and  sein  ge- 

waltig ist  and  aach  der  pöß  geist 42 

21.  Wer  got  leiden  sol  and  gehorsam  will  sein,  der  maß  alle  ding 

leiden,  das  ist:  got,  sich  selber  and  alle  creatar,  and  maß  in 
allen  gehorsaz  sein  in  leidender  weis  and  aach  etwan  in 
thnnder  weis 44 

22.  Vier  ding  gehorent  dar  za,  das  der  mensch  enpfencklich  werd  got- 

licher  warheit  und  besessen  werd  mit  dem  heyigen  geyst    .    .    45 
23«    Von  zwein  pößen  frachten,  die  da  wachsen  aaß  dem  samen  des 
pGßen  geists,  and  sindt  zwo  swestemn,  die  da  gemn  bey  ein 
ander  wonent.    Die  ein  heist  geistlich  reichtam  and  hoffart.    Die 

ander  angeordent  falsche  freyheit 47 

24.    Von  armnt  des  geistes  and  warer  demtttigkeit,  and  wa  bey  man 
soll  erkennen  die  gerechten,  geordenten,  waren  freyen,  die  die 
•    .warheit  gefreyet  hat 48 


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—    5    — 

Seite 

25.  Wie  man  das  Tersteen  sol,  das  Christas  spricht:  Man  soll  alle 
ding  lassen  und  Verliesen,  nnd  war  an  die  war  yereinnng  mit 
gotlichem  willen  gelegen  sey 68 

26«  Wie  nach  der  yereinong  mit  gotliehem  willen  der  ynner  meuseh 
nnbeweglich  stat  und  der  anaser  mensch  her  nnd  dar  bewegt 
Wirt 53 

27.    Wie  der  mensch  vor  seim  tod  dar  zu  nit  komen  mag,  das  er  Ton 

aussen  nnleidenlich  und  anbeweglich  werd 54 

28«    In  welcher  weis  man  komen  mag  aber  weise,  ordnong,  gesetz 

nnd  gepott  and  des  gleich  [Aiiij] 55 

29.  Wie  man  Christas  leben  nit  aaff  sol  schatten,  snnder  soll  es  an 

treiben  nnd  da  mit  nmb  gen  bis  in  den  todt 57 

30.  Wie  got  ein  war,  einfeltig,  yolkamen  gnt  ist,  and  wie  er  ein 

liecht  ist  and  ein  yerstentnaü  and  alle  tngent  ist,  nnd  wie 
man  das  aller  höchste,  pest  gnt  aller  liebst  haben  soll    ...    58 
Sl.    Wie  in  eim  vergotten  menschen  die  lieb  laatter  und  anvermischt 
ist  nnd  die  selb  lieb  allen  creatnren  wol  lieben  and  than  will 
das  aller  peste 61 

32.  Sol  der  mensch  za  dem  pesten  komen,  so  maß  er  seinen  eigen 

willen  lassen,  nnd  wer  dem  menschen  hilfft  za  seinem  eigen 
willen,  der  hilfft  ym  za  dem  aller  pesten 63 

33.  Wie  in  einem  vergotten  menschen  wäre,   grantlich   wesenliche 

demnttigkeit  sey  and  geistlich  armnt 64 

Mm  Wie  nit  anders  wider  gott  sey  denn  sundt,  and  was  sondt  sey  65 
35«    Wie  in  got,  als  er  got  ist,  nit  komen  mag  betrnbnnß,  leidt,  miß- 

vallen  and  des  gleich;  es  ist  aber  in  einem  vergotten  menschen    66 

36.  Wie  man  das  leben  Christi  an  sich  nemen  soll  von  lieben  and 

nit  amb  Ion  and  sol  es  nymer  hyn  legen  oder  aaff  schatten .    .    68 

37.  Wie  got  ordnnng,  weise,  maß  and  des  gleich  in  den  creatnren 

haben  will,  wan  er  es  on  creatnr  nit  gehaben  mag,  nnd  vierley 
menschen  die  Ordnung,  die  gesetz  und  die  weisen  handeint  nnd 
mit  nmbgandt 69 

38.  Guter  unterscheid  von  dem  falschen  liecht  und  seinem  eigen  .  .  71 
39«    Wie  das  ein  vergotter  mensch  heisset  und  ist,  der  da  darchleuchtet 

ist  mit  dem  gotlichen  liecht  und  erprant  ist  mit  ewiger 
gotlicher  liebe,  und  wie  liecht  und  bekantnuß  nit  taugent 
on  liebe 76 

40«    Ein  frag:  ob  man  got  müg  bekennen  und  nyt  lieben,  und  wie 

zweierley  liecht  und  liebe  ist,  wäre  und  falsche 78 

41«  Wa  bey  man  einen  waren  vergotten  menschen  bekennen  mag  und 
was  ym   zu  gehöre,   und  was  eim   falschen  liecht   oder  eim 

falschen  freyen  geist  auch  zu  gehör 81 

4* 


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-    6    — 

Seite 

42*    Wie  nit  anders  wider  got  sey  den  eigener  will,  und  wer  sein 

pestes  sacht  als  das  sein,  der  findet  es  nicht,  nnd  wie  der 

mensch  Ton  ym  selber  nichtz  gatz  weiß  oder  vermag ....    85 

48«    Wa  Christas  leben  ist,  da  ist  auch  Christas,  nnd  wie  Christas 

leben  das  aller  peste  and  edelst  leben  sey,  das  ye  ward  oder 

ymer  werden  magh 87 

44«  Wie  allein  gantz  genag  and  rüge  in  got  sey  and  yn  keiner  crea- 
taren,  and  wer  got  gehorsam  will  sein,  der  maß  allen  gehorsam 
sein  in  leidender  weis,  and  wer  got  lieb  haben  wUl,  der  maß 
alle  ding  lieb  haben  in  eym 87 

45.  Ob  man  aach  sande  lieb  soll  haben,  wenn  man  alle  ding  lieb  sol 

haben 89 

46.  Wie  man  etlich  ding  von  g<$tlicher  warheit  vor  maß  gelaaben, 

ee  man  kam  za  einem  waren  wissen  and  befinden 90 

47.  Von  eigem  willen,  and  wie  lacifer  and  Adam  yon  got  sindt  ge- 

fallen darch  den  eigenn  willen.  (50.)  Wie  diß  zeit  sey  ein  paradis 
and  ein  vorstat  des  hymelreich,  and  ist  da  ynn  nit  mer  dan  ein 
baam  dem  menschen  yerpotten,  das  ist  eigen  will 90 

48.  (51.)  Waramb  got  den  eigen  willen  geschaffen  hab,  wenn  er  im 

als  wider  ist 91 

49.  (52.)  Wie  man  die  zwey  wort  yersteen  sol,  die  Christas  gesprochen 

hatt,  das  ein :  'Niemant  kampt  za  dem  yater  dan  darch  mich' ; 
(53.)  Das  ander:  'Niemant  kampt  za  mir,  der  yater  ziech  yn 
dann\  Leret  er  darch  sieben  Capittel  biß  an  des  buchs  ende  .  92 
(54.  Wie  der  mensch  in  keinen  dingen  das  sin  sol  sachen  weder 
in  geiste  noch  in  natnr,  sander  aliein  die  ere  gotes,  and  wie 
man  darch  die  rechten  tür,  das  ist  darch  Kristam,  in  sol  gen 
in  das  ewig  leben.) 


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[B]  SAnctus  Paulus  spricht:  *wen  das  volkomen  kumpt,  1. 
ßo  vemichtiget  mann  dass  unvolkommen  unde  das  geteilte.'^) 
Nun  merck,  was  ist  dass  volkumen  unnd  das  geteilte?  Das  vol- 
kommen  ist  eyn  weßenn,  das  yn  yhm  und  yn  seynem  wesen  alles 
begryflfen  und  beschlossen  hatt,  und  an*)  das  unnd  außwendig  6 
dem  kein  wars  weßen  *)  ist,  unnd  yn  dem  alle  ding  jt  wesen 
band.  Wann*)  es  ist  aller  ding  wesen  unnd  ist  yn  ybm  selber 
xinwandelber  und  unbeweglich  und  wandelt  und  bewegt  alle 
andere  ding.*)  —  Aber  das  geteilte  ader  das  unvolkommen  ist 

')  1.  Cor.  la,  10.        «)  ohne. 

')  Wesen  hier  =  Sein,  Existenz,  Leben,  nicht  =  Wesenheit.  Quiddität 
(in  der  letzten  Ausgabe,  s.  oben  S.  9,  richtig  empfunden).  An  der  Auflösung 
der  Qnidditftten  der  Dinge  in  Gottes  Quiddität  —  d.  i.  recht  eigentlich  der 
Pantheismus!  —  hatte  die  deutsche  Mystik  kein  Interesse.  Ihre  Grund« 
anschauung  ist :  Gott  ist  das  Sein  der  Dinge  (Einl.  S.  13.  34).  AUe  Wesen 
sind  in  Gott  nicht  nach  ihrer  unterschiedlichen  Quiddität  —  so  lehrte 
Thomas  mit  seiner  Behauptung  der  Idealwelt  in  Gott  (Einl.  S.  36)  — , 
sondern  sofern  sie  Sein  und  Leben  haben  —  so  lehrte  man  vor  (z.  B.  und 
besonders  Alexander  Halesius,  Summa  I  q.  23  ff.  II  q.  3.  6)  und  nach  Tho- 
mas (ygl  zu  Sent.  Id.  35 ff.,  Aureolus,  Durandus,  Occam,  Biel  n.  a.). 

M.  a.  W.:  Gott  ist  es,  der  die  Dinge  aus  nichts  geschaffen  hat,  die 
Macht  ihres  Daseins  und  Lebens.  Ohne  ihn  sind  die  Dinge  nichtig.  Das 
ist  das  Verhältnis  Gottes  zur  Welt.  —  Zugleich  aber  ist  in  dem  Begriff 
des  Vollkommenen  sein  Unterschied  von  ihr  angedeutet:  er  ist  nicht  dies 
oder  das,  sondern  über  die  Welt  der  Quidditäten  erhaben,  schlechthin  ein- 
fach, vollkommen,  weil  das  Wesen,  das,  ohne  besondere  Quiddität  und 
Selbstheit,  schlechthin  ist.       *)  wann  =  denn. 

'»)  Vgl  Aristot.  Metaph.  ni  8, 1 30f. ;  Ap.-gesch.  17, 26.  28.  Vgl.  Luthers 


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—    8    - 

das,  dass  auß  difiem  yolkommenn  geursprungt  ist  ader  wirt, 
recht  als  eyn  glast  ader  eyn  schein  aufifleust  ans  der  snnnen 
adder  anß  eym  liecht  und  scheint  etwas,  diß  ader  das;  und 
lieisset  creatur.  ^)   —  Und  aller  dißer  geteilten  ist  keins  das 

6  volkommen.  Alßo  ist  auch  das  volkommen  der  geteilten  keins. 
Die  geteiltenn  sind  begreiffenlich,  bekentlich  ^)  und  sprechen- 
lich;*) das  volkumen  ist  allen  creaturen  unbegreififlich,  un- 
bekentlich  und  unsprechlich  ynn  dem*)  als  creatur.  Darumb 
nennet  man  das  volkommen  „nit",*)  wan  es  ist  dißer  keins. 

10  Die  creatur  als  creatur  mag  dis  nit  bekennen  noch  begreiffen, 
genennen  noch  gedencken.^ 

Nu  wenn  dass  volkommen  kumpt,  ßo  versmecht  man  das 
geteilte.  Wen  kumpt  es  aber?  Ich  sprich:  wenn  es,  als  ferre 
als"^)   muglich   ist,  bekant  und  enpfunden   unnd  geschmeckt 

lowirt  yn  der  seel.®)    Eyn  Frag.  Nu  mocht  man  sprechen:  seit 


Gottesanschauung  z.  B.  Ww.  (Weimar)  I  78.  besonders  aber  in  .De  servo 
arbitrio'. 

^)  Kreatur  =  das  Sein  nicht  in  sich,  seinem  Wesen  nach  haben^  Bon- 
dem  empfangen  haben  and  empfangen. 

*)  bekennen  oft  ==  erkennen ;  das  ist  fttr  die  ganze  Th.  D.  zu  merken. 

^)  aussprechbar.         *)  als  (qnatenus). 

^)  d.  h.  erhaben  tlber  aUe  besondere  Quiddität  und  Selbstheit  gegen 
andere  Großen.  Vgl.  S.  99,,«;  Einl.  S.  13;  Eckeharts  deutsche  Schriften, 
hrsg.  V.  Pfeiffer.  S.  493,  26;  Ö31,  13.         •)  ausdenken,  in  Gedanken  fassen. 

^)  als  ferre  als  =  soweit  als. 

**)  Hier  schiebt  Pfeiffers  Text  ein:  wan  der  gebrechen  [d.  i.  dafi  es 
daran  gebricht]  ist  aller  in  nns  und  nit  in  im.  Wan  zu  glicher  wls,  als 
die  sunne  die  ganzen  weit  erlüchtet  und  einem  als  n&he  ist  als  dem  andern. 
sd  «cht  ir  doch  kein  blinder  nit.  Aber  das  gebricht  nit  an  der  sonne, 
sunder  an  dem  blinden.  Und  zu  glicher  wis,  als  die  sunne  Iren  dftren 
schln  nit  yorbergen  mag,  si  enmüüe  [muß]  die  weit  erlüchten  (w&  anders 
der  himel  gelütert  und  gereinget  ist),  also  wil  sich  ouch  got,  der  das  hdchtt 
gftt  ist.  Tor  nimant  yorbergen,  wä  er  anders  ein  andächtige  s^le  findet, 
die  d&  genziich  gereiniget  ist  yon  allen  cr#atüren.  Wan  als  yil  wir  uns 
entledigen  yon  den  cr^atüren,  als  yil  werden  wir  enpfenklich  des  schepfers, 
und  des  weder  minner  noch  m#r.  Wan  sol  min  ouge  etwas  sehen,  so  muß 
es  gereinget  werden  oder  sin  yon  allen  andern  dingen;  wan  sol  hitze  uaA 
liecht  in  g^n,  so  muß  yon  not  wegen  kelte  und  linsternis  fts  g^:  d&  ist 


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-    9    — 

«s  nnbekentlich  und  unbeg:reyfflich  ist  von  allen  creaturen 
nnd  die  seel  nn  creatnr  ist,  wie  mag  es  den  yn  der  seel  be- 
kaiit  werden?  Antwort:  darumb  spricht  man:  yn  d^n  als 
creatfir.  Dass  meinet  als  vill:  die  creatner  von  yr  creatur- 
licbeit  nnd  geschaffenheyt;  von  yr  icheyt  nnd  selbheyt  ist  es  5 
yr  onmfiglich.^)  Wan  yn  wilcher  creatnr  diß  volkommen  be- 
kant  werden  soll,  da  muß  creaturlicheyt,  geschaffenheit,  idi- 
e3rt,  selbheyt  verlören  werden  unde  tzu  nichte.  Dis  meint 
das  wort  sant  Pauls  'wen  das  volkommen  kumpt,  das  ist:  wenn 
es  bekant  wirt,  ßo  wirt  das  geteilt,  das  ist:  creaturlicheyt,  10 
geschaffenheyt,  icheyt,  selbheyt,  meinheit,  alles  verschmecht 
und  für  nichtz  nit  gehalten/  Alle  die  weil  man  von  dißen 
icht*)  heltet  und  dar  anhanget,  ßo  bleibet  das  volkommen 
unbekant.  *) 

Nu  mocht  man  auch  sprechen:  du  sprichest:  außwendiglö 
dißem  volkommen  oder  on  es  ist  nichts ;  und  sprichst  doch,  aufi 
ym  fließ  etwas.  Was  nu  ausgeflossen  ist,  dass  ist  außwendig 
ym?  Antwort:  darumb  spricht  man:  außwendig  ym  oder  on 
es  ist  nit  war  weßen.  Was  nu  auß  geflossen  ist,  das  ist  nit 
war  wesen  und  hat  kein  weßen  anders  dan  yn  dem  volkommen,  80 
sunder  es  ist  eynn  zufall  *)  oder  eyn  glast  und  ein  schein,  der 


Sit  anders  an  [das  kann  nicht  anders  sein].  —  Die  UrsprOnglichkeit  des 
Lvtherschen  Textes  ist  deshalb  offenbar,  weil  der  andere  die  Antwort  schon 
Torwegnimmt.  Aber  es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  daß  die  Einschttbe  des 
Pf.sehen  Textes  von  gleicher  Denkweise  zeogen.  Inhaltlich  ist  zn  beachten, 
dafi  Gott  unentwegt  Gttte  ist,  daß  seine  Haitang  zum  Menschen  lediglich 
an  des  Menschen  Haitang  za  ihm  liegt.  —  Büttner  bemerkt:  eine  Al^ 
lehnang  der  Gnadenwahl  (Prädestination). 

')  Die  Selbheyt  -—  und  das  ist  die  Stbide  (s.  folg.  S.)  —  ist  notwendig 
mit  der  KreatUrlichkeit,  d.  i.  mit  der  des  Menschen,  des  selbstbewafites 
Geschöpfes,  yerbonden. 

«)  =  etwas  (Pf.). 

')  Also:  Gotteserkenntnis  identisch  mit  dem  der  natürlichen  Ichheit 
entgegengesetzten  persönlichen  Grundverhalten. 

*)  'Wesen  —  ZafaU'  nicht  =  Snbstanz  —  Accidenz  (Büttner),  sondeni : 
kein  wahres  Wesen  d.  h.  kein  solches,  das  seinem  Begriffe  nach  sein  müite, 
indem  es  vielmehr  sein  Wesen  (=  Sein)  in  einem  anderen  hat  (in  demWeeea, 


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—    10    — 

nit  wesen  ist  oder  nit  wesen  hatt  anders  dann  yn  dez  *)  fewr, 
da  der  glast  auß  fleusset,  als  yn  der  sunnen  ader  yn  eym  liechte. 

2«  I.a.  Die  geschrifit  und  gelaub  und  warheit  spricht:  Snndt 
sey  nit  anders,  dan  das  sich  die  creator  abkert  von  dem  nn- 

5wandelhaftigen  gnt  nnnd  kert  sich  zu  dem  wandelberen,  dass 
ist:  das  sie  sich  keret  von  dem  yolkommen  tzu  dem  geteilten 
und  unvolkommen  und  allermeist  zu  yr  selber.*)  Nu  merck: 
wenn  die  creatur  sich  an  nympt')  etwas  gutz  alß  wesens, 
lebens,  bekennens,  yermugens  unnd  kurtzlich  alles  des,  das  man 

10  gut  nennen  soll,  das  sie  das  sey  oder  das  es  yr  sey,  ßo  kert 
sie  sich  ab.  Was  tett  der  teuffei  anders,  oder  was  was  seyn 
abkeren  oder  seyn  yall  anders,  wan  das  er  sich  annam,  er 
wer  auch  etwas  und  wolt  etwas  seyn,  und  etwas  wer  seyn 
und  ym  gehöret  auch  etwas  tzu?*)    Diß  annemen  und  seyn 


das  seinem  Begriffe  nach  Sein  nnd  Leben  hat);  demgegenüber  ZnfaU:  daß 
die  Kreaturen  ihrem  Begriff  oder  Wesen  nach  anch  nicht  sein  können. 

^]  Dafür  ist  'dem'  zn  lesen. 

*)  „allermeist  zn  ihr  selber'',  das  ist  bezeichnend  für  die  Th.  D. 
nnd  in  aUen  folgenden  Ansführnngen  entscheidend.  Vor  der  Th.  D. 
war  die  Sünde  kosmisch  oder  psychologisch  begriffen:  als  Zuwendung 
zur  sichtbaren,  yergänglichen  Welt  (Augustin)  oder  als  verkehrtes  Ver- 
hältnis von  Bestandteilen  der  menschlichen  Natur  (Unbotmäßigkeit  des 
sinnlichen  Teiles  gegen  den  Geist).  Hier  ist  die  Sünde  wesentlich  Selbst- 
Hebe;  und  der  Maßstab  des  Sttndenbegriffs  liegt,  wie  wir  weiter  sehen 
werden,  weder  im  Verhältnis  zu  zwei  Welten  noch  in  der  Psychologie, 
sondern  in  einem  Verhältnis  von  zwei  Willen :  dem  göttlichen,  der  der  Be- 
stimmungsgrund, das  Subjekt  des  menschlichen  Willens  sein  wiU  und  dem 
menschlichen  WiUen  (der  yon  Natur  selbst  Herr  und  Subjekt  sein  wiU). 

*)  eines  Gutes  annimmt,  als  da  ist: 

*)  Die  Neuheit  des  Sündenbegriffs  zeigt  der  Vergleich  mit  des  Teufels 
nnd  Adams  Sünde.  Von  der  Art  der  letzteren  wußte  man  auch  vorher,  man 
bestimmte  sie  als  Hochmut  und  Selbstliebe.  Und  wo  Augustin  von  diesem 
Hochmut  redet,  kann  man  ähnliche  Ausführungen  lesen  wie  hier.  Aber 
Selbstliebe  und  Hochmut  war  nur  die  Sünde  des  Anfangs  (Adams  FaU) 
oder  rein  geistiger  Wesen  (Teufel) ;  von  ihr  zu  unterscheiden  war  die  gegen- 
wärtige, der  menschlichen  Natur  eigentümUche  Erscheinungsform  der  Sünde : 
die  Konkupiszenz,  sei  es  im  Sinne  der  kosmologischen  oder  der  psycho- 
logischen Ethik. 


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—  11   — 

ich  und  seyn  mich  und  seyn  myr  und  seyn  mein,  das  was 
seyn  abkeren  unnd  seyn  vall.  Alßo  ist  es  noch.  [Bij]  Was  thet8« 
Adam  anders  dan  dasselb?  Mann  spricht:  darumb,  das  Adam 
den  Apffel  aß,  wer  er  verloren  ader  gefallen.  Ich  sprich:  es 
was  umb  seyn  annemen  und  umb  seyn  ich,  meyn,  myr,  mich,  6 
und  nmb  des  gleich.  Hett  er  sieben  apflfel  gessen  nnd  wer 
das  annemen  nit  gewesen,  er  were  nit  gefallen.  Aber  do  das 
annemen  geschach,  do  was  er  gefallen  und  hett  er  nye  keyns 
öpfels  enpissen. 

Nu  dar!  ich  byn  hundert  mal  tieflfer  gefallen  und  verrer ')10 
abgekert  dan  Adam,  und  Adams  vall  unnd  seyn  abkeren  möchten 
alle  menschen  nit  gepessern  oder  widerbringen.  Oder  wie  sol 
er  *)  gepessert  werden  ?  Er  muß  gepessert  werden  als  Adams 
und  von  dem  selben,  davon  adams  val  gepessert  warte  und 
yn  der  selben  weiße.  Von  wem  oder  yn  wilcher  weis  geschach  16 
die  pesserung?  Der  mensch  mocht  nit  on  gott  und  got  solt 
nit  on  menschen.  Darumb  nam  got  menschlich  natur  oder 
menscheyt  an  sich  und  ward  vermenscht,  und  der  mensch 
wart  vergottet.    Alda  geschach  die  pesserung.*) 

Alßo  mueß  auch  meynn  fall  gepessert  werden.  Ich  vor- 20 
mag  seyn  nit  on  gott  und  got  ensoU  oder  enwill  nit  on  mich. 
Bann  soU  es  geschehen,  ßo  muß  gott  auch  yn  myr  vermenscht 
werden,  alßo  das  got  an  sich  nem  aUes  das,  das  yn  myr  ist, 
von  ynnen  und  von  außen,  das  nichtz  nit  yn  myr  sey,  das 
got  widderstrebe  oder  sein  werck  Jiinder.  Das*)  got  alle 26 
menschen  an  sich  nem,  die  da  sindt,  und  yn  yhn  vermenscht 
wurde  und  sie  yn  yhm  vergottet,  und  geschech  es  nit  yn  myr, 
mein  fall  und  mein  abkeren  wurd  nymer  gepessert,  es  geschech 
dan  auch  yn  myr.*) 


')  weiter,  entfernter. 

•)  Pf.  richtig  dafür:  mein  Fall,  und  st.  oder:  Aber. 
*)  Heilsgeschichtliche  Gegenüberstellung  von  Adam  nnd  Christas;  die 
bedeatsame  Art  der  deutschen  Christologie  s.  Einl.  S.  41. 
*)  hier  =  wenn,  ob. 
*)  Hier  zeigt  sich  schon  die  eigentümliche,  nicht  befriedigende  deutsche 


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—     12     — 

Und  yn  dißer  widerpringung  und  pesserung  kan  ich  oder 
mag  oder  soll  nichtz  nit  dar  zn  thun,  snnder  eynn  ploß  laatter 
leiden,  alßo  das  gott  allein  thn  und  wurck  unnd  ich  leide  yhn 
und  seyn  werck  und  seinen  willen.^)    Und  darumb  das  ich 

ödas  nit  leiden  will,  sunder  mein  und  ich  und  myr  und  mich, 
das  hindert  got,  das  er  nytt  allein  und  anhinternns  gewürcken 
mag.  Darumb  bleibet  auch  mein  fall  und  mein  abker  un- 
gepessert.    Sich,  dis  thut  aUes  meynn  annemen.*) 

4«        Gott  spricht:  *Ich  will  mein  ere  niemantz  geben.'*)    Das 

lOmeynet  er  alßo  vill,  das  ere  unde  glorie  gehört  niemantz  zu 
dan  got  alleyn.  Wan  ich  mich  nu  etwas  gutes  annhem,  alflo 
das  ich  sey  oder  vermag  oder  wiß  ader  thu  adder  das  es  meyn 
sey  ader  von  myr  adder  das  es  myr  zu  gehör  ader  mjrr  sol  *) 
oder  des  gleich,  ßo  nem  ich  mich  auch  etwas  rumes  und  eren 

16  an  und  thu  zway  ubell.  Zum  ersten  eynen  fall  und  eyn 
abkeren,  als  vorgesprochen  ist. '^)  Zum  andermal  greiflF  ich 
got  yn  seyn  ere  und  nym  mich  des  an,  das  got  aUeyn  zu- 
gehört. ®)    Wan  alles  das,  das  mann  gut  nennen  soll,  das  ge- 

Heilslehre :  der  Mensch  soU  wie  Christas  werden ;  Christas  hat  nur  die  Be- 
dentong,  der  Typas  des  Heilsweges  eu  sein,  das  Heil  in  Person  daneusteilen. 
Das  Ideal  wird  unmittelbar  zar  Nachfolge  gepredigt.  Es  wird  nicht  darauf 
geachtet,  daß  gerade  die  tiefe  Erfassung  des  Ideals  die  Sünde  erkennen 
lehrte  und  daß  die  Sündenerkenntnis  den  Zorn  Gottes  (s.  S.  62  A.  3)  empfinden 
läßt  und  zur  Versöhnung,  zur  Vergebung  drängt.  Die  Vergebung  ist  in 
ihrer  grundlegenden  Bedeutung  nicht  erkannt. 

*)  Gott  ist  in  mir,  ohne  ihn  habe  ich  kein  Dasein  oder  Leben;  so 
kommt  es  nicht  darauf  an,  daß  ich  mich  zn  ihm  als  einer  außer  mir  be- 
findlichen, mir  gegenständlichen  Größe  in  Beziehung  setze,  wie  nach  der 
dualistischen  Gottesanschauung  der  offiziellen  Theologie  (Einl.  S.  36),  sondern 
daß  ich  ihn  leide,  mich  ihm  lasse.    Dies  hat  Luther  unermüdlich  betont. 

*)  daß  ich  mich  meines  Tuns  und  Seins  annehme.    Sich  =  Siehe. 

«)  Jes.  42,  8.  48,  11.        *)  gebühre. 

^)  ein  Abkehren  von  dem  richtigen  Znstand:  daß  man  Gott  als  den 
Schöpfer  als  die  Macht  alles  Seins  anerkennt  (cap.  2);  insofern  verschieden 
von  dem  folgenden  tJbel. 

®)  Auch  hierzu  wären  viele  Parallelen  bei  Luther  möglich :  vgl.  I  78, 
2 ff.,  16 ff.;  126,  0-8;  193,  11—24. 


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—    13    — 

hört  niemant  zu  dan  allein  der  ewigen  waren  gute,  und  wer 
sich  des  an  nympt,  der  thut  unrecht  und  widder  ^ott. 

Etlich  menschen  sprechen,  man  sol  weißlos, ^)  willeloßS. 
und  liebloß  und  begirdloß  und  bekenneloß  *)  und  des  gleychen 
werden.    Das  ist  nit  alßo,  das  yn  den  menschen  keyn  be-  5 
kantnus  sey  oder  got  yn  ym  nit  bekant  wert  oder  geliebt  oder 
gewolt  werde  ader  begert  ader  gelobt  adder  geeret.    Wann 
das  wer  eyn  groß  geprech,  unnd  der  mensch  wer  als  eyn  vidi 
ader  als  eyn  rindt.    Sunder  es  sol  davon  komen,  das  das 
bekentnus  als  lautter  und  alßo  volkommen  sey.*)  das  da  be-lO 
kant  werde,   dass  dasselb   bekentnus   des  menschenn   adder 
doch  der  creatur  nit  ist,^)  sunder  es  ist  des  ewigen  bekent- 
nusse*),   das  das  ewig  wort  ist.     Sich  ßo  ghet  der  mensch 
ader  die  creatur  hyn  dan  und  nympt  sich  des  nit  an. 

Und  ßo  sich  des  bekentnus  die  creatur  ye  mynder  an  16 
nympt,  ßo  es  ye  volkomner  wirt.    Alßo  ist  es  auch  umb  den 
willen  und  die  liebe  und  begerunge  und  was  des  ist.    Wan 

')  ohne  Weisung. 

*)  8.  S.  8  Anm.  2.  Das  Ganze  die  Meinung  des  Quietismus,  dessen 
Ideal  nicht  positiv  die  ZurückfOhrung  aller  Güter  auf  Gott  ist,  sondern 
rein  negativ:  Aufhören  aUer  Aktivität.  Dieser  Quietismus  konnte  ver- 
mutet werden,  wenn  Eckehart  und  Tauler  von  einem  StiUestehn  aller  Seelen-  . 
krftfte  und  Eingehen  in  den  Seelengrund  redeten,  wo  alle  einzelne,  konkrete 
Bestimmtheit  aufhört. 

')  Statt:  'das  da  —  ßo  gehet'  Pf.:  das  er  eigentlich  in  der  wärheit 
hekenne,  das  er  von  im  selb»  nicht  gutes  hab  und  vormuge  und  das  aUe 
sin  bekentnis,  wlsheit  und  kunst,  sin  wille,  liebe  und  gute  werk  von  im 
nit  komen  und  ouch  des  menschen  nit  sin  noch  einer  cr^atür,  sunder  das 
es  aUes  ist  des  Ewigen  gotes,  von  dem  es  alles  komet,  als  Eristns  selber 
«pridit  4r  mugt  &ne  mich  nicht  gutes  getün.'  Es  spricht  ouch  sanctus 
Paulus  Svas  hästu  gutes,  das  du  nit  von  got  genomen  hast?'  als  ob  er 
sprühe :  nichts.  So  du  nu  alle  dink  von  got  enpfangen  hast :  was  rümestu 
dich  dan,  als  ob  du  es  nit  genomen  hütest?  Er  spricht  ouch  m6r  *wir 
mugen  von  uns  selber  nicht  gutes  gedenken,  sunder  unser  volkomenheit 
ist  von  got.'  So  nu  der  mensche  dise  dink  eigentlich  in  im  erkennet,  so 
^t  —  Die  SteUen  sind  Job.  16,  5;  1.  Kor.  4,  7;  2.  Kor.  3,  5. 

*)  Dem  Menschen  oder  der  Kreatur  nicht  gehört. 

*)  Des  Ewigen  Bekenntnis. 


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—    14    - 

ßo  man  sich  difier  mynder  annympt,  ßo  sie  edler  und  lauterer 
und  gotlicher  werdent;  und  ßo  man  sich  [B  iij]yr  ye  meher  an- 
nympt, ßo  sie  ye  grober  und  vermengter  und  unvolkomner 
werden.    Sich,  alßo  soU  man  dißer  loß  werden:  das  ist  des  an 

önemens.  Wen  mann  alßo  dißer  loß  wirt,  das  ist  das  edliste 
und  lautriste  bekenntnus,  das  yn  dem  menschen  geseyn  mag, 
und  auch  die  edliste,  lautriste  liebe  unnd  begerung;  wan  dis 
ist  den  alles  gottes  alleyn.  Es  ist  besser  und  edler,  es  sey 
gottis  wan  der  creaturen. 

10  Das  ich  mich  icht  gutes  an  nem,  das  kumpt  von  wone  ^) 
es  sey  mein  ader  ich  sey  es.  Were  die  warheyt*)  ynn  myr 
bekant,  ßo  wurdt  auch  bekant,  das  ich  es  nit  enpyn')  adder 
meyn  nit  ist  noch  von  myr  und  des  gleich,  und  ßo  viel  das 
an  nemen  selber  ab.    Es  ist  pesser,  got  wert  bekant  ader  des 

löseynen,  als  vil  es  muglich  ist,  und  geliebt  und  gelobet  und 
geeret,  und  das  doch  der  mensch  wene,  er  lob  oder  liebe  got/) 
wan  das  got  zumal  ungelobt,  geliebt,*)  ungeert  und  unbekant 
were.  Wan  ßo  der  wone  und  unwissenheytt  tzu  eym  wissen 
unnd  bekantnus  der  warheyt  wirt,  ßo  velt  das  annemen  ab. 

20Szo  spricht  der  mensch:  'sich,  armer  thore!  ich  wonte,*)  ich 
wer  es,  nu  ist  es  und  was  werlich  gott.' 

6.  Eyn  Meister,  Boetius')  genant,  spricht:  'das  wir  nit  das 
peste  lieb  han,  das  ist  von  geprechen.'  Er  hat  war  gesagt: 
das  peste  solt  das  liebst  seyn,  unnd  yn  dißer  lieb  solt  nit  an- 

26  gesehen  werden  nutz  adder  unnutz,  frum  ader  schaden,  gewyn 

>)  Meinung.         *)  d.  i.  eben  der  Schöpfungsbegriff  Einl.  S.  13.  34. 

*)  en  ist  Negation,  pyn  =  bin. 

*)  Es  ist  besser^  Gott  werde  .  .  .  geliebt  .  .  .  selbst  wenn  der  Mensch 
wähnte,  er  sei  es,  der  Gott  lobe  und  liebe,  als  daß  Gott  .  .  .,  denn  bei 
Erkenntnis  der  Wahrheit  fäUt  dies  Annehmen  von  selbst  ab.  Hierauf  liegt 
der  Nachdruck.  Für  das  Ganze  ist  der  Gegensatz  zum  Quietismus  im  Auge 
zu  behalten.        ^')  ungeliebt  (Pf.)        *)  glaubte. 

')  Boethius,  der  edle  letzte  Vertreter  der  alten  Philosophie  (f  525) 
schrieb  im  Gefängnis  vor  seiner  Hinrichtung  5  Bb.  „über  die  Tröstung  der 
Philosophie**  (bei  Keciam),  welche  eine  der  für  die  Scholastik  grundlegenden 
Schriften  wurde ;  insonderheit  deshalb,  weil  sie  die  Begründung  des  Gottes- 


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-     16    — 

oder  vertust,  ere  ader  unere,  lob  ader  nnlob  oder  dißer  keins. 
Sander  was  yn  der  warheit  das  edliste  and  das  peste  ist,  das 
solt  das  liebste  sein  und  nit  anders  denn  amb  das,  das  es 
das  pest  und  das  edlist  ist.  Hernach  mocht  eyn  mensch  seyn 
leben  richten  von  aassen  und  von  ynnen.  ^)  5 

Von  außen:  wan  unter  den  creaturen  ist  eyns  pesser 
den  das  ander,  darnach  das  das  ewig  gut  ynn  eym  mer  ader 
mynder  scheinet  und  wurcket  den  yn  dez  andern.  Yn  welchem 
nu  das  ewig  gutt  aller  meyst  scheinet  und  leucht  und  wurcket 
und  bekant  und  gemeinet  wirt,  das  ist  auch  das  peste  unter  lo 
den  creaturen ;  und  yn  welchem  allermynst,  daz  ist  auch  das 
mynste  gut.  Szo  nu  der  mensch  die  creatuer  handelt  und 
damit  umbget  und  dißen  unterscheidt  bekennet,  ßo  soll  ym 
die  pest  creatur  die  liebst  sein  unde  sol  sich  zu  der  halten 
und  sich  veresmigen,  und  allermeyst  mit  den,  die  man  gotti5 
tzu  eygent,  das  sie  got  tzu  gehörent  oder  gottis  sind,  Als  gut 

glanbens  auf  die  natürliche  Art  des  Menschen  in  klassischer  Weise  aus- 
fOhrte.  „Alles  Dichten  und  Trachten  der  Menschen  schlage  zwar  äußerlich 
verschiedene  Wege  ein^  habe  aber  schließlich  doch  ein  Ziel :  die  Glückselig- 
keit Diese  wird  dorch  das  höchste  Gnt  herbeigeführt,  das  aUes  Be- 
gehrenswerte in  sich  enthält;  fehlte  ihm  aach  nur  das  geringste,  so  wäre 
es  nicht  das  höchste  Gnt^  Dieses  gesuchte  vollkommene  Gnt  kann  in  den 
geteilten  und  relativen  Gütern  der  Welt  nicht  gefanden  werden.  Das 
höchste  Gut  zn  sein  und  das  natürliche  Streben  des  Menschen  nach  Glück- 
seligkeit zu  befriedigen,  das  ist  die  Bedeutung  Gottes!  Diese  individua- 
listische ,  eudämonistische  Beligionsanschauung  war  der  Scholastik  durchaus 
geläufig.  Wie  ganz  anders  die  Th.  D.!  Der  Gottesglaube  hat  nach  ihr 
gerade  die  Bedeutung,  die  subjektivistische  Begehrlichkeit  und  Selbstliebe 
zu  ertöten.  Gottes  Wesen  kann  nicht  anerkannt  werden,  wenn  nicht  unter 
Preisgabe  aller  Selbstheit,  Meinheit  usw.  Die  Beligion  sticht  hier  vielmehr 
den  Star  für  die  Objektivität,  die  die  Selbstliebe  verkennt  (s.  Einl.  40).  — 
Die  hier  angezogene  Stelle  ist  Buch  3  Prosa  2,  3:  es  ist  dem  Menschen  die 
Begierde  nach  dem  wahren  Gut  von  Natur  eingepflanzt ;  sed  ad  falsa  devius 
error  abducit.  Wiefern  die  Th.  D.  sich  diesen  Satz  zu  eigen  machen  konnte, 
dürfte  offenbar  sein. 

*)  1.  *Von  außen^  oder  das  vollk.  Gut  in  den  Kreaturen,  vgl.  auch 
Kap.  55,  Abschn.  2.  2.  Von  innen  oder  das  vollk.  Gnt  an  sich  selbst,  vgl. 
Kap.  56,  Abschn.  1. 


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—    16     - 

und  warheyt  frid,  lieb,  gerechtickeyt  unnd  des  gleich.  Hie 
hernach  solt  sich  der  ausser  mensch  richten,  und  was  di£em 
Widder  were,  das  solt  man  verschmehen  und  fliehen. 

Aber  ßo  der  ynner  mensch  einen  übersprang  thet  und 

5  sprang  yn  das  volkommen,  ßo  fand  man  und  schmackte,  das 
das  Yolkummen  on  maß  und  an  end  und  zal  edler  und  pesser 
ist.  über  alle  unvolkommen  und  geteilte  und  das  ewig  über  das 
zergencklich  und  der  prann  und  Ursprung  über  alles  das,  das 
dar  außfleust  oder  gefliessen  mag.    Szo  wurden  die  unvolkumen 

10  und  die  teile  absmeckig^)  und  vernicht.  Dasmerck:  soll  das 
edliste  und  das  peste  das  liebste  seyn,  ßo  muß  diß  geschehen. 

7.  Man^)  soll  mercken,  das  man  lißet  und  spricht,  die  sele 
Christi  hett  zway  äugen,  ein  recht  aug  unnd  ein  lingk  aug.*) 
In  dez  anbegyn,  do  sie  geschaffen  wart,^)  kert  sie  das  recht 

16  aug  yn  die  ewigkeit  und  yn  die  gotheit  und  stund  da  ynn 
volkumner  beschawung  und  gebrauchung  gottlichs  wesens  und 
gotlicher  volkumenheit  unbeweglich  und  blibe  do  unbewegt 
und  ungehindert  von  allen  zufellen  unnd  arbeit  und  bewegung, 
leydes,  martyr,  peyn,  die  yn  dem  äußern  menschen  ye  ge- 

20  schaben.  Mit  dem  lincken  aug  sähe  sie  yn  die  creaturen 
und  erkant  da^)  und  nam  da  unterscheidt  yn  den  creaturen, 
was  das  pesser  oder  unpesser,  edler  oder  unedler  were,  und 

*)  nnschmackhaft.        *)  A  — :  Man  —  das. 

»)  Vgl.  Eckehart,  hrsg.  v.  Pfeiffer,  z.  B.  59,  4  (488,  30).  Was  im 
vorigen  anderer  und  innerer  Mensch  ist,  sind  jetzt  die  zwei  Augen. 

*)  D.  i.  offenbar  der  kreatianisch  gedachte  Anfang  des  irdischen  Da- 
seins Christi.  Es  ist  von  hier  ans  auf  Lengnnng  der  immanenten  Trinität 
geschlossen  (Reifenrath  S.  53).  Und  in  der  Tat  ist  zu  fragen,  wo  der  vor- 
zeitliche Logos  bleibt?  da  die  in  der  Zeit  erst  erschaffene  Seele  Christi 
nach  dem  Folgenden  der  Träger  der  Gottheit  ist.  Allerdings  könnte  die 
Th.  D.  noch  antworten:  die  göttliche  Natur,  in  deren  Gebrauchung  die 
Seele  Christi  stehe,  sei  gerade  der  Logos.  Jedoch  ist  richtig,  daß  die  Christo- 
logie  der  Th.  D.  —  Gott  der  Wille,  der  in  der  Menschheit  Christi  als  bloßem 
Hanse  wohnt,  durchaus  nach  Maßgabe  des  sittlich-religiösen  Ideals  gedacht 
—  über  den  Logos  hinwegfiihrt  und  Gott  selbst  in  Christus  sieht  —  Büttner 
macht  darauf  aufmerksam,  daß  „geschaffen'^  soviel  bedeutet  wie  endlich. 

*)  Pf.  f:  alle  Ding. 


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—    17    — 

darnaeh  ward  der  ausser  mensch  Christi  [B  iiij]  gerichtet.  AlSo 
stund  der  jmner  mensch  Christi  nach  dez  rechten  aug  der  sei  yn 
Yolkomner  gebrauchung  gotlicher  natur,  yn  volkomner  wunne 
und  frewde.  Aber  der  ausser  mensch  und  das  lingk  aug  der 
sele  mit  jm  yn  volkumnen  leiden  und  iamer  und  arbeit.  Und  5 
di£  geschach  alßo,  das  das  ynwendig  und  das  recht  aug  un- 
bewegt und  ungehindert  und  unberärt  bleyb  von  aller  der 
arbeyt  und  leyden  und  marter,  das  yn  dem  äussern  menschen 
geschach.^)  Man  spricht,  das  Christus  an  der  seul  gegeßelt 
ward  oder  an  dem  Creutz  hing  nach  dem  äussern  menschen^io 
da  stund  die  sele  oder  der  ynner  mensche  nach  dem  rechten 
aug  yn  alßo  volkomner  gebrauchung  wonne  und  frewde,  als 
nach  der  hymelfart  oder  als  itzund.  Szo  ward  auch  der 
außer  mensch  oder  die  sele  nach  dem  lincken  aug  yn  yren 
wercken  yn  allem  dem,  das  yr  zugehört,  tzu  der  außwendig-15 
keyt  nie  gehindert  oder  gemindert  von  dem  ynwendigen;  yr 
keins  wartet  auflf  das  ander. 

Nun  hat  die  geschaffen  sele  des  menschen  auch  zwey 
äugen.  Das  eyn  ist  muglichkeyt  zu  sehen  yn  die  ewigkeyt; 
das  ander,  zu  sehen  yn  die  tzeit  und  yn  die  creaturen,  dar- 20 
ynn  unterscheid  zu  erkennen,  als  vor  gesprochen  ist,  und  dem 
leybe  leben  zu  geben.  Aber  diße  zwey  äugen  der  sele  des 
menschen  mügen *)  nit  mit  eynander  yr  werck  geüben.  Sunder 
sol  die  sele  mit  dem  rechten  aug  ynn  die  ewickeyt  sehen,  ßo 
muß  das  linck  aug  aller  seyner  werck  verzeyhen^)  und  sich  25 
halten,  als  ob  es  tod  sey.  Und  soll  das  linck  aug  seyn  werck 
äben  nach  der  außwendigkeyt,  das  ist  die  zeit  und  die  crea- 


»)  Nach  der  Christologie  der  Th.  D.  (s.  8.  32  A.  1),  welche  die  Gottheit 
ChriBti  nach  ihrem  ethischen  Ideal  d.  h.  als  schlechthinige  Bestimmtheit 
dnroh  Gott  vorstellte  and  von  der  natnrhaften  Auffassong  nichts  wußte, 
war  es  unmöglich,  Christas'  persönliches  Leben  als  von  Gbtt  verlassen  zn 
denken.  Die  Voranssetzang  aber  znm  Verständnis  der  von  der  Christo^ 
logie  aas  aUerdings  nicht  za  erwartenden  und  nar  als  Tatsache  hinnehm- 
baren Gottverlaseenheit,  das  Bedürfnis  nach  Versöhnang,  fehlte  der  deatschen 
Theologie.       *)  können.        ')  verzichten  auf. 


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—    18    — 

turen  handeln,  ßo  mnß  daz  recht  aug  gehindert  werden  ^)  an 
seiner  beschawnng.*) 

S.  Man  fragt,  ob  es  müglich  sey,  das  die  sele,  die  weil  sy 
yn  dem  leyb  ist,  müge   dar  zu  kommen,  das   sie  thn  ein 

öanplick  yn  die  ewigkeyt  nnd  da  entphach  ein  yorschmack 
ewiges  lebens  nnd  ewiger  selickeyt?  Man  spricht  gemeyn- 
lichen  neyn.  Und  das  ist  war  yn  dem  synne:  All  die  weil 
die  seel  eyn  sehen  hat  anff  den  leib  und  die  dingk,  die  dem 
leib  zu  gehören,  und  auff  die  tzeit  und  sunst  auff  die  crea- 

10  turen  und  sich  damit  verbildet  unnd  vermanigvaltiget,  ßo  mag 
es  nit  geseyn.  Wan  sol  die  sele  da  hin  lügen  ader  sehen, 
ßo  muß  sie  lautter  und  bloß  seyn  von  allen  bilden*)  und  ab- 
gescheiden  von  allen  creaturen  und  zu  fodrist  von  yr  selber, 
ünnd  dis  meynt  man,  es  sey  nit  geschehen  yn  der  tzeit. 

16  Aber  sanctus  Dionisius*)  der  wil  es  möglichen;*)  das 
meint  man  auß  seynen  Worten,  die  er  schreibt  zu  Timotheo :  ^ 
zu  der  schawung  gotlicher  heymlichkeyt  soltu  lassen  synn  und 
synlicheyt  und  alles,  was  synne  begreiflfen  mögen  und  ver- 
nufft,  vernuftichliche  wurckung  und  alles,  dass  vemufft  be- 

20greiffen  und  bekennen  mag,  geschaffen  und  ungeschaffen,  und 
stand ')  auff  jm  eym  auß  gang  deyn  selbs  und  yn  eym  unwissen 

')  Pf.  t :  an  sinen  werken,  das  ist. 

')  Pf.  f :  Dar  nmb  wer  eines  haben  wil,  der  müs  das  ander  laßen  faren, 
wan  es  mag  nimant  zwein  herren  gedienen.  Über  die  Beschanong  als 
für  die  Denkweise  der  Th.  D.  unwesentliches  Besidnum  des  katholischen 
Beligionsbegriffes  Einl.  S.  38. 

')  Bilder,  d.  h.  Anschauungen,  Begriffe  der  Dinge.  Statt  „von  aUen 
bilden^  A:  und  von  allen  geladen. 

*)  A:  „Der  ein  jünger  ist  gewesen  deß  außerweiten  vas  (Gefässes) 
sancti  Pauli,  der  es  in  der  höchsten  schule  gelernt  hat".  Dionysius  Areo- 
pagita,  nach  Apg.  17,  34,  nannte  sich  der  Vf.  von  anfangs  des  6.  Jhrhdts 
bekannt  werdenden  griechischen  Schriften  „über  die  himmlische  Hierarchie**, 
über  die  kirchliche  Hier.",  „über  die  göttlichen  Namen"  und  „über  die 
myst.  Theol."        *)  möglich  machen. 

^)  A:  „Freund  Timothee";  die  Stelle  steht  in  der  letztgenannten 
Schrift,  Kap.  1  §  1,  in  Mignes  Patrologie  Ser.  gr.  I,  tom.  3  p.  1015  A  B 
Ser.  lat.  II,  tom.  122   p.  1173A.        ')  Imperativ. 


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—    19    — 

alles  diß  vorgesprochens  und  kam  yn  die  eynunge^)  des,  das 
da  ist  über  all  weßen  und  bekentnus.  Hielt  er*)  dis  nit  flir 
mfiglich  yn  der  zeit,  waramb  lernet  er  es  adder  redet  eym 
menschen  yn  der  tzeit?  Auch  sol  man  wissen,  das  eyn  Meister 
spricht  über  sant  Dionisius  wort,  das  es  muglich  sey,  und  das  5 
es  auch  einem  menschen  alßo  dick')  geschech,  das  er  daryne 
Wirt  verwenet,*)  das  er  das  luget  ader  sehe,  als  dick*)  er  will.^) 
Und  der  plick')  ist  kejTier,  er  sey  edler  und  got  lieber  und 
wirdiger  denn  alles  das,  das  alle  creatur  geleisten  mSgen 
als  creatur.*)  10 

Man  sol  mercken  und  wissen  yn  gantzer  warheyt,  das  9. 
aUe  tugent  und  gut  und  auch  das  gut,  das  gott  selber  ist, 
machent  den  menschen  und  die  seel  nymer  tugentsam,  gut 
oder  selig,  die  weil  es  außwendig  der  seel  ist.®)    In  gleicher 


*)  A:  ein  eingang. 

*)  A :  sant  Dionisius  der  Jerarchischlerer  (Jer.  =  Lehrer),  vgl.  vor.  S. 
Anm.  4.        ')  dick  =  oft. 

*)  Statt  „verwenet"  (d.  i.  verwöhnt)  u.  ff.  A:  bekennend  das  er 
darplicket,  als  dick  er  will.        *)  so  oft. 

*)  Dieses  Wort  eines  Meisters  über  das  dionysische  Zitat  habe  ich 
nicht  feststeUen  können.  Pf.  f :  Wann  denne  dem  ein  dink  zu  dem  Ersten 
vast  swdr  ist  und  fremde  und  in  ganz  unmuglich  dunket,  tut  er  dan  aUen 
sSnen  fliß  und  ernst  dar  zu  und  vorharret  dar  inne,  so  wirt  im  dar  nÄch 
gar  IScht  und  geringe,  das  in  vor  unmuglich  düchte.  wan  es  touc  (taugt) 
kein  anfank,  er  hab  dan  ein  gut  ende. 

^  Der  das  vollkommene  Gut  nicht  nur  in  den  Kreaturen,  sondern  an 
sich  erkennt. 

•*)  Pf.  f :  Als  balde  dan  der  mensche  wider  in  keret  mit  slnem  gemüte 
und  mit  ganzem  willen  und  sinen  geist  in  keret  in  gotes  geist  über  die 
zit,  so  wirt  das  alles  wider  bracht  in  einem  ougenblicke,  das  e  vorloren 
wart.  Und  mocht  das  der  mensche  zu  tfisent  malen  in  dem  tag  getün,  so 
würde  da  allezit  ein  newe  wäre  voreinunge;  und  in  disem  liebUchen  und 
gotllchen  werke  d&  ist  die  wäreste  und  lüterste  voreinunge,  die  in  diser 
zit  immer  gesin  mag.  Wan  wer  dar  zu  komet,  der  fragt  nit  vorbai> 
(weiter),  wan  er  h&t  gefunden  das  himelrich  und  das  6wig  leben  üf  erden. 

^)  Pf.  t :  das  ist,  die  wile  er  mit  sinen  sinnen  und  vornuft  üswendig 
umb  gH  und  nit  in  sich  selber  k^ret  und  lernet  erkennen  sin  eigen  leben, 
wer  und  was  er  sS.  —  ^Auswendig  der  Seele':  wenn  es  bloß  in  den 
Mandel.  Tbeolo^ia  Deutsch.  5 


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—    20    — 

weys  ist  es  auch  umb  die  sundt  ader  boeßheyt.^)  Dammb 
wie  wohl  es  gut  ist,  das  man  fraget  und  erfert  und  auch 
bekennet  wirt,  was  gut  und  heylig  menschen^)  getan  und 
gelitten  haben  ader  wie  sie  gelebet  habenn  und  auch  was  [C] 

ögott  yn  yhn  und  durch  sie  gewurcket  hab  und  gewolt,  doch 
were  es  hundertfeltig  peßer,  daz  der  mensch  erfure  und  er- 
kennend wurde,  was  und  wie  sein  eygen  leben  were  und 
auch,  was  gott  yn  ym  were  und  wolte  und  wurckte  und  wo 
zu  yn  got  nutzen  wolt  oder  nit.*)    Darumb  ist  es  auch  noch 

10 war,  wan  man  spricht:  Es  ward  nie  außgang  ßo  gut,  ynne 
bleiben  wer  peßer/) 


Kreaturen  gesehen  wird;  oder  ist  an  den  Dualismus  der  katholischen  An- 
schauung von  dem  Verhältnis  Gottes  zur  Welt  gedacht? 

*)  Pf.  f:  Wan  aUe  snnde  und  hösheit  machen  uns  nimmer  böse,  die 
wUe  si  ÜBwendig  uns  sint,  das  ist :  die  wile  si  Ton  uns  nit  vorbrächt  werden 
und  als  lang  wir  dar  in  nit  vor  willigen. 

')  Darunter  könnte  man  auch  an  Christus  denken,  sofern  die  deutsche 
Heilslehre  den  Christus  für  uns  nicht  kennt.  Der  Anlaß  zu  dieser  Polemik 
ist  aber  darin  zu  sehen,  daß  die  verbreitetste  Volkslektiire  im  MA.  die 
Heiligenlegenden  waren;  auch  die  Predigt  erging  sich  in  ihnen. 

*)  Pf.  t :  Wan  wer  sich  selber  eigentlich  wol  erkennet  in  der  w&rheit, 
das  ist  über  alle  kunst  (auch  =  Wissenschaft  im  MA.),  wan  es  ist  die 
höchste  kunst ;  so  du  dich  selbs  wol  erkennest,  so  bistu  vor  got  besser  und 
loblicher,  dan  das  du  dich  nit  erkentest,  und  erkentest  den  louf  der  himel 
und  aller  plannten  und  sterne  und  euch  aller  krüter  kraft  und  alle  com- 
plexion  und  neigunge  aller  menschen  und  die  nätür  aller  tier  und  h^st 
ouch  dar  in  alle  die  kunst  aller  der,  die  in  himel  und  üf  erden  sint.  Wan 
man  spricht,  es  s!  ein  stimme,  von  dem  himel  komen:  'mensche,  erkenne 
dich  selber.'  —  Wo  man  jene  Stimme  als  himmlische  bezeichnet,  oder  nach 
Pf.,  der  das  Komma  fortläßt,  sagt:  es  sei  eine  Stimme  vom  Himmel  ge- 
kommen .  .  .,  dürfte  kaum  festzusteUen  sein. 

*)  Das  religiöse  Verhalten  als  Innebleiben  beschreiben,  kann  nur  die 
Th.  D.  Augustin  redet  von  einem  Gott  anhangen.  Diese  verschiedene 
Formulierung  ist  bezeichnend  für  die  Lebendigkeit  Gottes  in  der  empirischen 
Welt  hier,  für  den  Deismus  und  Dualismus  dort  und  in  der  offiziellen 
katholischen  Theologie.  Daher  ist  das  religiöse  Verhalten  hier  bloßes, 
passives  Schmecken  und  Empfinden,  dort  Willensanstrengung  und  Leistung. 
—  Wenn  es  im  folg.  heißt:  Gott  sei  in  der  Seele,  so  ist  das  auch  nach 
dem   Schöpfungsbegriff  auszulegen.     Ob   das  nicht   auch   der  verständige 


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—    21     — 

Auch^)  ist  zu  wissen,  daz  ewige  seligkeyt  an  ym  allein 
ligt  und  an  nicht  anders.  Und  sol  der  mensch  oder  seel 
selig  seyn  oder  werden,  ßo  wü  und  muß  das  ein  allein  yn  der 
seel  seyn.  Nu  mocht  man  fragen :  was  ist  aber  dis  eyn  ?  Ich 
sprich:  es  ist  gut  oder  gut  geworden,^)  und  doch  weder  dis  5 
gut  noch  das,  das  man  genennen,  bekennen  oder  gezeigen 
kan,  sundernn^  alle  und  über  alle.  Auch  darff  das  nit  yn 
die  seel  kummen,  wan  es  bereyte  dynnen*)  ist.  Es  ist  aber 
unbekant.  Wen  man  spricht,  man  soll  dar  tzu  kommen  oder  es 
sol  yn  die  sei  kommen,  das  ist  alßo  vill:  man  soll  es  suchen,  10 
enpfinden  und  schmacken.  Und  seyt  es  nu  eyn  ist,  ßo  ist 
auch  pesser  eynickeyt  und  einfeltickeit  den  manigfeltickeit. 
Wann  selickeyt  ligt  nit  an  vil  oder  vilickeyt,  sundern  an  eyn 
und  eynickeit.'^)  —  Auch  ligt  selickeit,  kurtzlich  zu  sprechen, 
an  keyner  creatur  oder  creatur  werck,  sunder  allein  an  gotlö 

Sinn  der  Reden  vom  Grunde  der  Seele  u.  dgl.  bei  anderen  Vertretern  der 
deutschen  Mystik  ist?  -— 

Joh.  Agrikola  führt  die  Sentenz  oben  unter  seinen  750  deutschen 
Sprichwörtern  an  (Nr.  720)  und  legt  sie  in  seiner  Weise  aus,  ohne  Rück- 
sicht auf  den  Zusammenhang. 

*)  A — :  „Auch  —  und  eynickeyt". 

*)  D.  h.  zum  Guten  erst  geworden ;  denn  seinem  Wesen  nach  ist  Gott 
über  aUe  Bestimmtheit  erhaben,  auch  über  die  des  Gutseins;  vgl.  S.  8  A.  5; 
Büttner  verweist  auf  Eckeharts  Schriften,  seine  Ausg.  I  S.  Id6. 

»)  Pf.  f:  es  ist. 

*)  Darinnen.  Mein  innerstes  Sein  und  Aktualität  steht  in  Gottes 
Hand,  ist  von  ihm,  und  er  ist  in  der  innersten  Aktualität  der  Wirkende 
und  Wollende.  Vgl.  Kap.  48,  2  f..  wie  Gott  gerade  den  Willen  zu  seinem 
Besitz  haben  will. 

^)  Bei  dieser  Ausführung,  daß  Seligkeit  an  Einem  und  Einheit  liege, 
könnte  man  daran  erinnern,  daß  nach  den  Mystikern  die  Vereinigung  mit 
Gott  nicht  an  den  einzelnen  Seelenkräften,  sondern  an  dem  Einen  Grand 
der  Seele  liege  (Büttner).  Richtiger  aber  erscheint  mir  der  Hinweis  darauf, 
daß  in  der  Scholastik  das  Gute  wie  mit  dem  Sein  so  auch  mit  dem  Unum 
einsgesetzt  wird  [bonum  et  unum  convertuntur,  z.  B.  Thom.  Aqu.  S.  th.  I 
q.  11).  Auch  dies  nach  Boethius,  nach  dem  die  einzelnen  Güter  an  sich  nicht 
das  wahre  Gut  sein  können,  sondern  nur  wenn  alle  in  Einem,  z.  B.  mit 
der  Zufriedenheit  zugleich  Macht,  Achtung,  Ruhm  und  Vergnügen  gegeben 

5* 


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—     22    — 

und  an  seinen  wercken.  Darnmb  solt  ich  aUein  gottis  und 
seines  wercks  warten  und  laßen  alle  creatuer  mit  allen  yren 
wercken  und  zu  fodrist ')  mich  *)  selber.  Auch  alle  die  werck 
und  wunder,  die  got  ye  gewurckt  hat  oder  ymer  mehr  ge- 
öwurcken  mag  in  oder  durch  alle  creaturen  oder  auch  gott 
selber  mit  aller  seyner  gut,  als  ferr  es  außwendig  myr  ist 
und  geschieht,  ßo  macht  es  mich  nit  selig.  Sunder  als  vill 
es  jm  myr  ist  und  geschieht  und  bekent  und  lieb  gehabt  wirt 
und  enpfunden  und  gesmackt  wirt. 
10.  Nu  sol  man  mercken.  Wo  erleuchte  menschen  sind  mit 
dez  waren  liecht,*)  die  bekennen,  das  alles,  das  sie  begeren 
oder  erwelen  mügent,  nichtz  ist  gegen  dez,  das  von  allen 
creaturen,  yn  dem  als  creatur,  ye  begert  oder  erweite  noch 
bekant  wart.*)  Darumb  lassen  sie  alle  begerung  und  erwelung 
16  und  befelhen  und  lassen  sich  und  alle  dez  ewigen  gute.*^)  — 

sind.  Einheit  und  Güte  sind  identisch.  A.  a.  0.,  1.  3  pr.  11.  Daß  die  Th.  D. 
aber  nicht  die  endämonistische  Auffassung  des  Gottesbegriffs  teilt,  sondern 
sie  gründlich  verwirft,  dürfte  weiterhin  klar  werden. 

')  zn  vorderst.         *)  A:  meine. 

^)  Es  wird  zu  diesem  Wort  abgelehnt,  daß  die  Th.  D.  von  anmittel- 
barer Einwirkung  Gottes  auf  die  Seelenvermögen  wisse  (Büttner).  Aller- 
dings ist  für  ein  solches  Eingreifen  Gottes  in  das  Seelenleben,  nach  Art 
seines  sonstigen  Wunderwirkens  in  der  Welt,  in  der  Th.  D.  keine  StÄtte. 
Die  Th.  D.  hat  die  Religion  anders  begriffen:  sie  besteht  darin,  daß  ich  mich 
an  Gott  lasse.  Er  ist  in  allem  wirksam,  als  der  innerste  Seins-  und  Lebens- 
^mnd.  Die  Frömmigkeit  besteht  darin,  daß  ich  mich  schlechthin  hingebe 
(1.  i.  im  Glauben  Gott  setze.  Wenn  das  geschieht,  so  ist  fortan  der 
glaubend  gesetzte  G^tt  der  Bestiromungsgrund  des  Menschen.  —  Das  wahre 
Licht  als  „Befruchtung  der  Erkenntnis  von  der  Seeleneinheit  her"  zu  ver- 
stehen (Büttner),  sagt  nichts  über  den  Inhalt  des  Lichtes  und  ist  insofern 
zu  beanstanden,  als  tatsächlich  der  Beligionsbegriff  in  der  Th.  D.  aus  dem 
(allerdings  von  der  Religion  erst  begründbaren)  Schöpfungsbegriff  gewonnen 
ist.    Das  wahre  Licht  ist  der  Schöpfungsglaube. 

*)  d.  i.  das  höchste  Gut.  Dieses  oder  das  Gute  schlechthin  wurde 
im  MA.  u.  a.  definiert:  Gut  ist,  was  alle  Dinge  (omnia)  erstreben,  z.  B. 
Thom.  Aqu.  S.  th.  I  q.  öa.  1,  auch  dies  nach  Boethius  1.  3  pr.  11. 

*)  Diese  Folgerung  ist  der  deutschen  Denkweise  durchaus  eigentüm- 
lich.   Die  genuine  Forderung,  die  sich  von  der  Idee  des  höchsten  Gutes 


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—    23    — 

Dennocht  bleibt  yn  yhn  ein  begerung,  yn  selbs  zu  einem  vort- 
gang  und  nehunge*)  zu  dem  ewigen  gute,  das  ist:  zu  einer 
nehern  bekentnuß  und  hitziger  liebe  und  clarer  beheglicheit  *) 
und  gantzer  untertenickeit  und  gehorsams,  alßo  das  eyn  yeg- 
lich  erleucht  mensch  mag  sprechen :  'Ich  wer  gernn  dez  ewigen  5 
gut  als  dem  menschen  seyn  band'*)  und  furchtent  alletzeit, 
das  sie  dez  nit  genug  sein,  und  begerent  auch  aller  menschen 
selickeyt.  —  Und  dißer  begerung  Stent  sie  ledig  und  nement 
sich  yr  nit  an.  Wann  diße  menschen  bekennent  wol,  das  diße 
begerung  des  menschen  nit  ist,  sunder  der  ewigen  gute.  Wan  10 
aUes,  das  gut  ist,  des  sol  sich  niemant  an  nemen,  sunder  ewigen 
gute  gehört  es  alleyn  zu. 

Auch  Stent  diße  menschen  yn  einer  freyheit,  alßo  das  sie 
vorlören  haben  förcht  der  pein  oder  helle  und  auch  hoffnung 
lones  oder  hymelreichs,  *)  sunder  sie  lebent  yn  lautter  unter- 16 
tenickeit  und  gehorsam  der  ewigen  gute,  auß  einer  freyen  liebe. 
Das  ist  in  Christo  gewesen  yn  volkumenheit  und  yn  seynen 
nachvolgernn,  yn  dem  eynen  mer,  ynn  dem  andern  mynder. 
Es  ist  iamer,  das  uns  das  ewig  gut  auff  das  aller  edlest 
weiset  und  reitzet  und  wir  das  nit  wollen.  Was  ist  edler  20 
wan  wäre  geistliche  armut?  Und  wenn   uns  das  vorgehalten 

aus  ergibt,  ist  vielmehr  die,  seine  Handlungen  auf  das  höchste  Gat  ain 
Endzweck  hinzuordnen,  das  Gat  also  zu  erstreben.  Hier  der  genaue 
Gegensatz.        *)  Fortschritt  and  Näherung.        *)  Wohlgefallen. 

')  Die  Näherung  ist  also  keineswegs  als  Streben  gedacht;  diese  Vor- 
stelhmg:  Hand  des  höchsten  Gutes  zu  sein,  bringt  die  Eigentümlichkeit 
und  Neuheit  der  deutschen  Denkweise  treffend  zum  Ausdruck. 

*)  Die  Scholastik  verwarf  diese  „knechtische  Furcht"  durchaus  nicht. 
Das  vollkommene  Verhalten  sah  sie  freilich  nach  Augustin  auch  in  einer 
freien  Liebe  zu  Gott.  Aber  jene  leistete  nach  der  Schol.  vorbereitende 
Dienste,  sofern  die  Furcht  vor  ewiger  Strafe  doch  den  Glauben  im  aU- 
gemeinen  religiösen  —  freilich  intellektualistischen  —  Sinn  voraussetzte. 
(VgL  Hunzinger,  Das  Furchtproblem,  von  Augustin  bis  Luther  1906.)  Hier 
aber  ist  das  religiöse  Verhalten  so  begriffen,  daß  jegliche  Straffurcht  ab- 
solut verweiflich,  geradezu  Sünde  ist,  weil  sie  genau  so  von  der  natttr- 
liehen  Selbstliebe  zeugt  wie  andere  Dinge.  (Vgl.  dagegen  Hunzinger, 
S.  Ulf.) 


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—    24    — 

Avirt,  ßo  wollen  wir  sein  nit.  ^)  Wir  woUen  als  ^)  gestrichen  *) 
seyn,  alßo  das  wier  yn  uns  großen  smack  und  sußickeyt  und 
lust  yn  uns  finden;  ßo  wer  uns  wol  und  hetten*)  got  lieb. 
Wenn  uns  aber  das  enpfellet,  ßo  ist  uns  wee  und  vergessen 
ögottes  und  wenen,  wir  sein  verlören.  Das  ist  großer  prech 
und  eyn  pöß  tzeichen.^)  W^an  ein  war  liebhabender  mensch 
hat  got  oder  das  ewig  gut  gleich  lieb  j^n  haben  und  yn  darben, 
yn  suß  und  yn  säur  und  des  gleich.®)  Hierynne  merck  sich 
eyn  iglich  mensch. ') 

*)  Pf.  f:  und  suchen  alzit  uns  und  das  unser. 
'     ^)  Für  *al8'  Pf.:  alzit  haben,  das  uns  das  süße  umb  den  schnabel. 

•)  so  gestreichelt. 

*)  für  'hetten  —  enpfellet'  Pf.:  meinen,  unser  sache  si  ganz  schlecht. 
Aber  es  ist  noch  gar  wlt  zu  einem  volkomen  leben.  Wan  wenne  uns 
got  zu  einem  hohem  wil  ziehen,  das  ist:  in  ein  darben  und  abgank 
des  unsern  in  geist  und  nätür,  und  zühet  sinen  tröst  und  süßikeit 
von  uns. 

''*)  Die  Geringschätzung  der  empfundenen  Seligkeit,  die  Ritschi  zu- 
treffend als  Kennzeichen  der  quietistischen  Mystik  angibt  (Einl.  S.  42), 
ündet  sich  also  hier! 

®)  Pf.  t :  wan  er  sucht  alleine  die  ere  gottes  und  des  sinen  nicht  weder 
in  geiste  noch  in'nätür,  und  dar  umb  so  st^t  er  alzit  glich  unbewegt  in 
aUen  dingen.  „In  geist  noch  in  natur",  das  aber  immer  nur  Pf.  hat, 
ist  bezeichnend.  Auf  scholastischem  Boden  und  bei  Angustin  liegt  die 
Religion  auf  dem  Gebiete  des  Geistes  in  seinem  Gegensatz  zur  Natur: 
der  geistige,  gottyerwandte  Teil  des  Menschen  ist  es,  der  in  der  Religion 
gegenüber  der  sinnlichen  Konkupiscenz  zu  seinem  Rechte  kommt.  Sinn 
und  Geltung  empßlngt  der  Gottesbegriff  auf  dem  Boden  des  Geisteslebens, 
aodaß  man  keineswegs  jenen  von  diesem  unabhängig  stellen  und  zu  wirk- 
lichem Theozentrismus  gelangen  kann.  Hier  dagegen  handelt  es  sich  nicht 
um  Fleisch  und  Geist  in  solchem  naturwissenschaftlichen,  anthropologischen 
8inn.  Gott  und  das  eigene  Ich  sind  die  Angelpunkte  der  Religionsanschau- 
ung. Die  Religion  ist  aus  der  Anthropologie  ausgewiesen  und  transsub- 
jektiv,  als  persönliches  Verhältnis,  als  Verhältnis  zweier  Willen  begriffen. 
Und  wenn  „Natur"  und  „Geist"  vorkommen,  so  sind  es  ethische  Begriffe 
geworden:  jener  die  Herrschaft  des  eigenen,  dieser  die  des  göttlichen 
WiUens  bedeutend. 

^  A  zieht  „Hierynne  ff.",  hinzufügend:  mit  vleysse,  zum  folg.  Kap. 
Pf.  t :  wie  er  st^  gegen  got  s!nem  schöpf  er  und  herren. 


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—    25    — 

[C  ij]  Christus  sele  mußt  j  n  die  helle  ee  dann  sie  zu  hymel  11. 
kam.^)     Alßo   muß  auch  des  menschen  sei.     Aber  wie  das 
geschech,  das  merckt.    Wen  sich  der  mensch  selber  bekennet 
und  ansieht  und  findet  sich  selber  alßo  pöß  und  unwirdig  alles 
des  guttes  und  trostes,  das  ym  von  got  oder  von  den  creaturen  5 
geschehen  mag,  sunder  ^)  nit  anders  den  eyn  ewig  verdamnenn 
und  verlören  sein  und  dunckt  sich  auch  desselben  unwirdig 
seyn.    Ja  ^)  er  dunckt  sich  unwirdig  alles  leidens,  das  ym  yn 
der  tzeit   geschehen   kan,   und  das    billich    und   recht    sey> 
das  alle  creatur  wider  yn  seyn  und  thun  ym  leyden  und  pein  10 
an,  und  ist  des  alles  unwirdig.    Auch  dunckt  yn  recht,  das 
er  ewiglich  verdampt  sol  sein  und  auch  ein  fußschemel  sol 
sein  aller  teuffei  yn  der  helle  und  dis  alles  noch  unwirdig,*) 
und    wil    oder    mag    keynes    trosts    oder   erlößung    begeren, 
weder  von  got  noch  von  creaturen,  sunder  er  wil  gemn  un-l5 
getrost  und  unerlöst  sein,  und  ym  ist  nit  leidt  verdampnus 
und  leiden.    Wann  es  billich  und  recht  ist  und  ist  nit  wider 
gott,  sunder  es  ist  der  wille  gottes ;  und  das  ist  ym  lieb,  und 
ist   ym   wol   da  mit.*^)     Im   ist  allein  leid  sein  schuld  und 

*)  Es  ist  nach  dem  folgenden  Begriff  von  HöUe  (sich  von  Gott 
verlassen  wähnen)  nicht  unbedingt  nötig  an  „hinabgefahren  zor  HöUe'' 
zu  denken;  möglich  ist  auch  der  Hinweis  auf  die  Gottverlassenheit  am 
Kreuze. 

*)  und  findet  nichts  anders  denn.  Fltr  „sunder  —  sein  und"  Pf.:  so 
kompt  er  also  in  ein  gar  tiefe  d^mütikeit  und  vorschm^hung  sin  selbes, 
das  er  sich  unwirdik  dunket,  das  in  das  ertrich  sol  tragen,  und  meint  ouch, 
das  es  billich  si,  das  alle  cr^atür  in  himel  und  üf  erden  wider  in  üf  sten 
und  rechen  an  im  iren  schopfer  und  im  alle  leide  an  tun  und  in  plnigen; 
des  alles. 

')  Pf.  — :  *Ja  —  alles  unwirdig'. 

*)  St.  „und  dis  alles  noch  unwirdig"  Pf. :  und  das  es  recht  und  billich  si, 
und  das  dis  alles  zu  wenig  si  gegen  sinen  sunden,  die  er  so  gar  oft  und 
manigfeldiglich  vorbrächt  hat  wider  got  sinen  schopfer. 

*)  Ein  Hauptargument  Luthers  gegen  den  Ablaß  war  der  Grundsatz 
seiner  „Kreuzestheologie",  nach  der  der  Weg  zum  Heil  die  Kreuzigung  und 
schlechthinige  Selbsthingabe  des  natürlichen  fleischlichen  Willens  war :  daß 
der  Mensch  Strafe  suchen  und  lieben  müsse  und  keinen  Nachlaß  suchen  dürfe. 


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—    26    — 

poßheit.  Wan  das  ist  unrecht  und  wider  got,  und  da  mit  ist 
ym  wee  und  übel  zumüt,  und  dis  ist  und  heyset  wäre  rew 
umb  die  sund.  ^)  (Und  wer  alßo  yn  der  tzeyt  yn  die  hell 
kumpt,  der  kumpt  nach  der  tzeit  yn  das  hymelreych  und 

5  gewint  sein^)  yn  der  tzeit  einen  vorsmack,  der  übertrifft 
allen  lust  und  freude,  die  yn  der  tzeit  von  zeitlichen  dingen 
ye  geward  oder  gewerden  mag.)  Und  die  weil  der  mensch  alßo 
yn  der  hell  ist,  ßo  mag  yn  niemant  getrösten,  weder  got  oder 
creatur.    Als  geschriben  stet:  -in  der  hell  ist  keyn  erlößung*. 

10 Davon  sprach  eyn  mensch: 

'Verderben,  sterben, 

ich  leb  on  tröst; 

außen  und  ynnen  verdampnet, 

niemant  bitt,  das  ich  werd  erlöst/^) 

15        Nu  lest  got  den  menschen  nit  yn  dißer  hell,  sunder  er 

*)  Die  Erkenntnis  der  Sünde  macht  Ernst  mit  der  gänzUchen  Preis- 
gabe des  eigenen  Wesens,  die  bis  zum  Verzicht  auf  Erlösung  geht.  Der 
Theozentrismus  duldet  keinen  egoistischen  Vorbehalt.  Wo  die  Vollkommen- 
heit im  Absterben  des  Eigenen  besteht,  ist  die  Frage  nach  dem  Weg  zur 
Vollkommenheit  leicht  zu  beantworten :  von  unvermittelt  eingreifender  und 
darum  unvorstellbarer  Eingießnng  der  Gnade  braucht  da  nicht  mehr  ge- 
redet zu  werden :  die  Sündenerkenntnis  führt  unmittelbar  zur  Vollkommen- 
heit d.  i.  zur  Aufgabe  des  „Annehmens",  des  eigenen  WoUens,  der  Selbst- 
liebe. Es  fragt  sich  nur,  ob  die  Sündenerkenntnis  nicht  Vergebung,  Ver- 
söhnung, notwendig  macht,  da  sie  an  sich  doch  wohl  zur  Verzweiflung 
führt  d.  i.  zu  einer  Selbstaufgabe  im  rein  negativen  Sinn,  der  das  neue 
Subjekt  fehlt,  auf  welches  der  Mensch  sein  Vertrauen  setzen  soll.  Aber 
da£  die  Buße,  d.  i.  das  Bekenntnis  zur  eigenen  Sünde,  die  grundlegende 
Seite  des  neuen  Lebens  ist  oder  der  VoUkommenheit,  hat  der  protestantische 
Lehrbegriff  nie  bestritten.  —  Das  in  Klammern  Folgende  unterbricht  den 
Zusammenhang  und  widerspricht  dem  Späteren,  nach  dem  das  Himmelreich 
nicht  im  scholastischen  Sinne,  naturhaft  und  transcendent,  sondern  sittlich- 
religiös  gefaßt  und  darum  auf  die  Erde  verlegt  wird. 

*)  davon. 

')  Aus  Eckeharts  Schrift:  „Vom  Zorn  der  Seele "^j  die  bei  Pfeiffer  noch 
nicht  vorhanden ;  vgl.  Eckeharts  Schriften  u.  Predigten,  hrsg.  von  H.  Büttner, 
IS.  181. 


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—     27     — 

nyiApt  yn  an  sich,^)  also,  das  der  mensch  nichtz  enrucliet*) 
den  allein  des  ewiges  gutes  und  bekent,  daz  dem  ewigen  gut 
also  über  wol  ^)  ist,  und  sein  wunne  und  frid  und  freude,  rwe  *) 
und  genügte.  Und  wen  der  mensch  nit  anders  enruchet  noch 
begert  den  daz  ewig  gut  und  ym  selbs  nicht,*)  ßo  wirt  des  6 
ewigen  gutes  fride  und  freude  und  wunne  und  lust  und  was  des 
ist,  alles  des  menschen.  Und  ßo  ist  der  mensch  ym  hymel- 
reich.  Diße  hell  und  dis  hymelreich  sind  tzwen  gut,  sicher 
weg  dem  menschen  yn  der  tzeit,  und  wol  ym,  der  sie  recht 
und  wol  findet.  Wan  die  helle  vergeet,  das  hymelreich  besteet.  10 
Auch  sol  der  mensch  mercken,  wen  er  yn  dißer  hell  ist,  ßo 
mag  yn  nichtz  getrosten  und  er  kan  nit  glauben,  das  er  ymer 
erlöst  oder  getrost  wert.  Aber  wenn  er  yn  dez  hymelreich 
ist,  ßo  mag  yn  nichtz  betrüben  oder  ungetrosten  und  gelaubt 
nit,  das  er  betrübt  oder  ungetrost  mag  werden,  wie  wol  er  16 
nach  der  hell  getrost  und  erlost  werde  und  nach  dem  hymel- 
reich betrübt  und  ungetrost.  ^) 

Auch  kumpt  dem  menschen  diße  hell  und  dis  hymelreich, 
das  er  nit  weiß,  wo  von  es  herkumpt,  und  der  mensch  kan 
weder  getun  oder  gelassen')  oder®)  nicht  von   dem   seinen, 80 


M  Die  Frage  ist  eben,  wodurch?  Wie  soU  der  Mensch  bei  jener 
„waren  Reue"  Mut  und  Vertrauen  fassen  auf  Gott,  so  daß  aus  der  Preisgabe 
des  £igenen  das  positive  Verhalten  der  Anerkennung  Gottes  und  der  Hin- 
gegebenheit au  ihn  werde?  In  der  Eeue  empfindet  der  Mensch  den  Zorn 
Gottes,  d.  i.  den  absoluten  Widerspruch  des  göttlichen  als  schlechthin  be- 
stimmen woUenden  Wesens  gegen  seinen  eignen  Willen  und  seine  Schuld 
d.  i.  seinen  Gegensatz  zu  Gott.  Hier  würde  eben  die  Versöhnung  und 
Vergebung  eintreten  müssen.  So  trefflich  der  grundlegende  Anfang  der 
Bekehrung  yerstanden  ist,  so  wenig  die  Vollführung. 

*)  begehrt,  en  =  nicht. 

^)  daß  es  um  das  ewige  Gut  so  wohl  bestellt  sei.        *)  Ruhe. 

■*)  Pf.  f :  oder  des  sSnen  nichts  suchet  sunder  allein  die  ere  gotes. 

*)  wie  es  unten  heißt:  er  kann  aus  dem  Himmel  in  die  Hölle  fallen 
und  umgekehrt. 

')  Wenn  man  die  Vollkommenheit  so  versteht,  daß  man  die  Sünden- 
erkenntnis als  Weg  zu  ihr  ansehen  kann,  so  hat  man  den  Vorzug^  dsiß 
menschhcher  WiUe  und  Leistung  für  die  Bekehrung  gar  nicht  in  Betracht 


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—     28    — 

da  von  es  komme  oder  fare.  Und  der  mensch  kan  ym  selber 
dißer  keins  gegeben  oder  genemen,  gemachen  oder  entmachen,  ^) 
sunder  als  geschriben  ist  ^) :  ^der  geist  geystet  wa  er  wil  und  du 
hörest  seyn  stymm  (das  meynet  man  yn  der  gegenwurtickeyt); 

5  aber  du  weist  nit,  wa  von  er  kommet  oder  wo  hin  er  geet.' 
Und  wen  der  mensch  yn  dißer  zweyer  einem  ist,  ßo  ist  ym 
recht,  und  er  mag  yn  der  hell  als^)  sicher  seyn  alls  yn  dem 
hymelreich.  Und  alle  die  weil  der  mensch  yn  der  tzeit  ist,  ßo 
mag  er  gar  dick  auß  einem  yn  das  ander  fallen.    Ja  unter 

10  tag  und  nacht  etwan^)  vil,  und  alles  on*)  sich  selber.  Wenn 
aber  der  mensch  yn  dißem  keinen  ist,  ßo  get  er  mit  den 
creaturen  umb  und  wackelt  her  und  dar  und  weiß  nit,  wa  er 
dar  an  ist.  Doch  solt  er  dißer  beider  nymer  vergessen  yn 
seinem  hertzen. 
12.  Es  sprechent  vil  leut,  sie  habent  nit  frid  oder  rwe,  sy 
haben  vil  widerwertickeit  und  anfechtung  und  drückes  und 
leiden.  Der  nu  dis  yn  warhejt  wil  ansehen  und  mercken:*) 
ßo  hett  der  teuffei ')  auch  frid.  wen  es  ym  gieng  nach  seynem 
willen  und  wolgefallen.  ®)    Und  darumb  ßo  sollen  T^ir  mercken 

20  und  war  nemen  des  frides.  den  Christus  seynen  iungern  [Ciii] 
zu  letz  Heß,  do  er  sprach  ®) :  *Meynen  frid  den  laß  ich  euch, 
meynen  frid  den  gib  ich  euch,  nit^®)  als  yn  die  werlt  gibt; 

kommt,  sondern  daß  Gott  durchs  Gesetz  den  Menschen  zerbricht  und  sein 
Selbstbewußtsein  zermalmt  (sich  selbst  durch  die  Vergebung  an  die  Stelle 
setzend),  ohne  daß  des  Menschen  Wille  sich  zu  regen  hätte. 

®)  St.:  *oder  —  fare'  Pf.:  es  kome  oder  fare  hinwek. 

*)  vernichten.  *)  Job.  3,  8.  *)  ebenso.  *)  hin  und  wieder. 

'^)  A:  in. 

®)  Pf.  t :  der  erkennet  wol,  das  warer  f ride  und  rftwe  nit  lit  an  üßer- 
lichen  dingen.    Wan  were  dem  also, 

')  Pf.  meist:  der  böse  Geist. 

^)  Pf.  t :  das  doch  mit  nichteu  ist.  Wan  der  hene  sprichet  durch  den 
prophßten  'die  bösen  und  ungetrewen  haben  keinen  fride'  (Jes.  48,  22). 

«)  Job.  14,  27. 

***)  St.:  *nit  —  Christus?'  Pf.:  In  disem  worte  mag  man  wol  merken, 
das  Kristus  den  liplichen  und  ußerlichen  fride  nit  gemeint  hat,  wan 
die  lieben  jungern  und  alle  liebhaber  und  nächfolger  Kristi   haben   Ton 


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—    29    — 

wan  die  werlt  betreugt  yn  yren  gaben.'  Was  frids  meint 
Christus?  Er  meinet  den  ynnerliehen  frid,  der  da  durch  prech 
und  durch  dimng  durch  alle  anfechtung  und  widerwertickeit, 
drucks,  elends  oder  schmacheit  oder  was  des  ist,  das  man  da 
ynne  frölich  und  gedultig  were,  als  sein  lieb  lungern  gewesen  5 
seynd  und  nit  sie  allein,  sunder  alle  außerweiten  freund  gottis 
uBnd  war  nochvolger  Christi.  Sich  und  nym  war,  wer  nu  liebe, 
fleiß  und  ernst  hietzu  hette ,  der  mochte  woU  bekennen  *) 
werden  den  waren  ewigen  frid,  der  do  gott  ist,  nach  muglicheyt 
der  creatur.*)  10 

b.  Es  *)  spriclit  der  Taulerus :  *)  Es  sind  menschen  yn  der 
zeit,  die  den  Widern  zu  fru  urlaub  geben,  •*)  ee  sie  die  warheit®) 

ftnbegfin  groß  tr&bsal,  Verfolgung  und  martir  geliden,  als  Kristu»  selber 
sprach  in  diser  zit  werdet  ir  betwenknis  haben/  Aber  Kristus  meint  den 
w&ren  innerlichen  fride  des  herzen,  der  sich  hie  an  f&het  und  weret  dort 
Ewiglichen.  Dar  nmbe  sprach  er  *nicht  als  in  die  weit  gibt.*  wan  die  weit 
ist  falsch  und  betrügt  in  iren  gaben:  si  vorheist  vil  und  helt  w§nig.  Es 
lebet  ouch  nimant  üf  erden,  der  alwege  rüwe  und  fride  habe,  an  tr&bsal 
und  widerwertikeit,  dem  es  allezit  g^  nach  sinem  willen:  es  müs  ie  hie 
geliden  sin,  man  k^re  es  recht  wie  man  wolle.  Und  so  man  einer  an- 
fechtuuge  ledig  wirt,  komen  villichte  ander  zwo  an  die  stat.  Dar  umb  so 
ergib  dich  williglichen  dar  in  und  suche  alleine  den  wären  fride  des  herzen, 
den  dir  nimant  genemen  mag,  da  mit  du  alle  anfechtunge  überwindest. 
Dar  umb.    Citirt:  Joh.  16,  33. 

*)  bekennend. 

-)  Pf .  f :  also  das  im  süße  wurde  das  im  vor  süre  was,  und  das  sin  herze 
unbewegt  stünde  alzit  in  allen  dingen  und  nftch  disem  leben  k^me  zu  dem 
Ewigen  fride.         *)  Hier  beginnt  nach  Pf.  Kap.  13. 

*)  A:  ein  lerer.  Tauler,  der  bekannte  Straßburger  Prediger,  f  1361. 
Seine  Predigten  (beste  neuere  Ausgabe:  Franckfurt  1826;  eine  andere, 
kritische,  fehlt  uns  noch)  zeigen  dieselbe  Denkweise  wie  die  Th.  D.  Das 
hier  angeführte  Wort  findet  sich  in  ihnen  nicht.  Büttner  macht  aber  darauf 
aufmerksam,  daß  Kuysbroek  sich  so  ausspreche  (Ww.  V  49,  der  hiesigen 
Fassung  noch  näher  bei  Surius);  jedoch  ist  daraus  nicht  auf  Eckehart  als 
Urheber  zu  schließen. 

*)  Bilder  =  Vorstellungen ;  hier  besonders  diejenigen  von  religiösem  Wert, 
wie  im  folgenden  dievon  Adam  und  Christus.  Wo  sich  der  Mensch  wirklich 
an  Gott  gelassen  hat,   bedarf  es  nicht  mehr  der  Vorstellungen  als  Mittel. 

*)  Pf.  t :  und  underscheit. 


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—    So- 
da von  geloße '),  und  darumb  das  ^  sie  sich  selber  lösen,   ßo 
mugen  sie  kaum  oder  nit  zu  der  Wahrheit  gereichen.    Und 
darumb  solt  man  altzeit  mit  fleis  war  nemen  der  werck  gottis 
und  seiner  heissunge,  treibung  und  vermanung  und  nicht  der 

6  werck  heyßung  oder  vormanunge  des  menschen.' 

Nu  *)  sol  man  wissen,  das  niemant  erleucht  *)  mag  werden, 
er  sey  dan  vor  gereynigt*),  geleutert  und  geledigt®)  Au^eh 
mag  niemant  mit  got  vereyniget  werden,  er  sey  den  vor  er- 
leucht.  Und  darumb  sindt  drey  weg.  Zum  ersten  die  reynigung. 

10  Zum  andernn  die  erleuchtung.    Zum  dritten  die  vereynigung. ') 

*)  ehe  die  Wahrheit  sie  davon  gelöst  hat  Luther  verstand  diesen 
Satz  unrichtig,  indem  er  'die  Wahrheit'  als  Objekt  faßte:  am  Rande:  i.  e. 
antequam  discemant  inter  figuram  et  rem  figure,  nondum  potents  separate 
preciosum  absconditum  a  vili  opercolo  tigure  et  ilii  adherere. 

*)  St.:  "das  —  menschen'  Pf.:  so  mugen  sie  die  rechten  wärheit 
gar  küme  oder  villichte  nimmer  m^r  begnfen.  Wan  solche  menschem 
die  wollen  nimant  volgen  und  ligen  üf  irem  egen  sinne  und  wollen 
Üiegen  ^  das  si  federn  gewinnen.  Sie  wollen  eins  ganges  gein  himel 
faren,  das  doch  Kristus  nicht  tet;  wan  nd,ch  siner  üferstentnis  bleib  er 
wol  vierzik  tag  bi  sinen  lieben  jungem.  Es  mag  nimant  in  einem  tag 
volkomen  werden.  Der  mensche  sol  sich  des  Ersten  sin  selbes  gans 
vorleugen  und  alle  dink  willigüchen  durch  got  vorlägen  und  sol  sInen 
eigen  willen  und  alle  natürliche  neigung  üf  geben  und  sich  ganz  lütem 
und  reingen  von  allen  Untugenden  und  sunden.  Dar  nach  sol  man  d^müti^ 
liehen  üf  sich  nemen  das  c  r  ü  z  e  und  sol  Kristo  nachvolgen.  Man  sol  ouch 
ebenbilde  und  underscheit  wise,  rät  und  lere  nemen  und  enpfähen  von  den 
andächtigen  und  volkomen  dienern  gotes  und  nit  nachvolgen  siuem  eigen 
heubt.  So  mag  es  ein  bestant  haben  und  zu  einem  guten  ende  komeo. 
Und  wenne  der  mensche  also  durchbricht  und  überspringt  alle  zitliche  dink 
und  cr^atür,  so  mag  er  dar  nach  in  einem  bescheulichen  leben  volkomen 
werden.  Wan  wer  eins  wil  haben,  der  müs  das  ander  laßen  faren,  da  ist 
nit  anders  an. 

')  Hier  beginnt  nach  H.  das  14.  Kap.,  so  daß  Pf.  fortan  in  der  Kapitel- 
zählung  2  voraus  hat. 

*)  mit  dem  wahren  Licht,  s.  Kap.  10  Anfang;  die  unmittelbare 
Folge  dieser  Erleuchtung:  daß  man  sich  und  alle  Dinge  dem  ewigen  Gut 
läßt,  ebda.    Vgl.  auch  Kap.  1,  S.  8,  Anm.  8:  Das  Bild  von  der  Sonne  bei  Pt 

'')  Durch  die  wahre  Reue?  (Kap.  11).        **)  befreit. 

')  Das  erste    ist  Sündenerkenntnis   und  wahre  Reue  (Kap.  11),   die 


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—    31    — 

Alles.  ^)  das  yn   Adam  untergieng  und  starb,  das  stund  18, 
yn  Christo  wider  auflf  und  ward  lebentig.    Alles,  das  yn  Adam 
auff  stund  und  lebentig  ward,  das  gieng  in  Christo  unter  und 
starb.  —  „Was  was*)  und  ist  aber  das?"    Ich  sprich:  war 
gehorsam  und  ungehorsam.    „Was  ist  aber  war  gehorsam?"  5 
Ich  sprich:  der  mensch  solt  alßo  gar  an  sich  sten  und  sein, 
das  ist  selbheit  und  icheit,')  das  er  sich  und  das  sein  als 
wenig  suchte  und  meynte  yn  allen  dingen,  als  ob  er  nit  were, 
noch  sein  selbs  als  wenig  enpfinden  und  von  ym  selber  und 
dem  seinen  als  kleyn  halten,  als  er  nit  were  und  als  wenig  *)  10 
von  allen  creaturen.    „Was  ist  denfi  das,  das  da  ist  und  da- 
von tzu  halten  ?"  Ich  sprich :  alleyn  eins,  das  man  gott  nennet.  *) 
Sich,  das  ist  war  gehorsam  yn  der  warheyt.    Unnd  alßo  ist 
es  yn  der  seligen  ewickeit.  ®)    Da  ynne  wirt  nit  gesucht  noch 

Keinigang;  dann  erst  kann  die  Erleuchtung  mit  ihrer  Folge  (Kap.  10)  ein- 
treten. Und  nach  dieser  erst  das  höchste :  die  Vereinigung  Gottes  mit  dem 
Menschen.  Als  solche  ist  das  Ideal  bisher  noch  nicht  beschrieben.  Sie 
wird  erst  im  folg.  behandelt.  Sie  ist  es  eben,  die  zur  Christologie  führt. 
Vgl.  das  letzte  Kap.  dieses  Abschn.,  22.  So  ist  obiges  Stück  eine  2.  Einl. 
zum  Folgenden,  welche  das  Folg.  mit  dem  Vorhergehenden  zusammenschließt. 
Pf.  f :  Die  reinignnge  gehöret  zu  dem  anfähenden  oder  dem  büßenden 
menschen  und  geschieht  in  drierleie  wise:  mit  rewe  und  leit  umb  die 
sunde,  mit  ganzer  bichte,  mit  volkomer  büße.  Die  erlüchtunge  gehört 
zu  den  zunemenden  menschen  und  geschieht  ouch  in  drierleie  wise,  das 
ist :  in  vorschm^hunge  der  sunde,  in  wurknnge  der  tugent  und  guter  werk 
und  in  willigem  liden  aller  anfechtunge  und  widerwertikeit.  Die  vor- 
einunge  triffet  an  die  yolkomen  menschen  und  geschieht  ouch  in  drierleie 
wise,  das  ist:  in  reinikeit  und  lüterkeit  des  herzen,  m  götlicher  liebe  und 
in  beschowunge  gotes  des  schepfers  aller  dinge. 

*)  A  schließt  diesen  Abschnitt  ohne  Absatz  dem  vorigen  an. 

«)  was  =  war.        ^  Pf.  f :  mir  min,  mich  und  des  glichen. 

*)  A:  von  ym  selber.  Pf.:  ob  ein  ander  hete  alle  sine  werk  getan. 
Er  solt  ouch  nit  halden 

^)  Die  Merkmale  des  Gottesbegriffs  sind  demnach  1.  daß  er  der  Gegenstand 
schlechthiniger  Hingabe  sei,  2.  daß  er  keine  Größe  der  Welt  (Kreatur)  sei. 

®)  Das  ewige  Leben  ist  also  ethisch  begriffen;  die  naturhafte  und 
darum  transcendente  Auffassung  (Schauung  Gottes)  tritt  zufolge  der  ethischen 
Bedeutung  des  Gottesbegriffs  zurück. 


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—    32     - 

gemeynt  oder  geliebt  den  das  ein;  ßo  wirt  auch  von  nichte 
gehalten  denn  von  dez  einen.  Hie  bey  mag  man  mercken, 
was  ungehorsam  sey;  das  ist:  das  der  mensch  von  ym  selber 
etwas  haltet  und  wenet,  er  sey  und  wisse  und  vermfig  etwas, 
5  unnd  sich  selber  und  das  seyne  sucht  yn  den  dingen  unnd  sich 
selber  lieb  hatt  und  dißen  gleich. 

Zu  dem  waren  gehorsam  was  und  ist  der  mensch  ge- 
schaffen und  ist  die  gott  schuldig.  Und  dißer  gehorsaz  ist 
yn  Adam  untergegangen  und  gestorben  und  ist  yn  Christo 

lOauff  gestanden  und  leben tig  worden;  und  ungehorsam  ist  yn 
Adam  aufferstanden  und  hatt  gelebt  und  yn  Christo  gestorben. 
Ja  die  menscheit  Christi  was  und  stund  alßo  gar  an  sich 
selber  unnd  on  all,  als  ye  keyn  creatur,  und  was  nit  anders,  den 
ein  hauß  oder  eyn  wonung  gottes.  ^)    Und  alles,  das  da  gott 

15  tzu  gehört  und  das  die  selb  menscheit  was  und  lebte  und  ein 
wonung  was  der  gotheit,  des  nam  sie  sich  alles  nit  an.  Sie 
nam  sich  auch  derselben  gotheit  nit  an,  der  wonung  sie 
was,  noch  alles  des,  das  die  selb  gotheit  yn  yr  wolte,  tet  oder 
ließ,  noch  alles  des,  das  yn  der  selben  menscheit  ye  geschach 

20  oder  gelitten  ward ;  sunder  yn  der  menscheit  *)  was  weder  an 
nemen  noch  gesuch  oder  begird,  sunder  allein  ein  gesuch  und 
begird,  wie  der  gotheyt  genug  geschech,  und  desselben  nam 
sie  sich  nit  an.  Von  dißem  synne  kau  man  hie  nu  nit  mer 
geschreiben  oder  gesprechen ;  er  ist  unsprechlich,  er  wardt  noch 

25  nie  tzu  grund  gar  auß  gesprochen  noch  nymer  wirt.    Wann 

er  will  sich  weder  sprechen  noch  schreiben  laßen,  weder'*) 

von  dem,  der  es  ist  und  weiß.  ^) 

14.         [Ciiij]  Auch  sol  man  mercken,  wenn  man  spricht  von 

einem  menschen,  der  da  ist  alt,  und  von  eynem  newen  menschen, 

*)  Bemerke  die  eigenartige  Bedeutung  dieser  Christologie.  Die  Grott- 
heit  Christi  ist  ethisch  begriffen.  Das  war  hier  ohne  Abschwächung  der- 
selben möglich,  weil  die  Vollkommenheit  als  schlechthinige  Bestimmtheit 
durch  Gott  begriffen  ist  (Einl.  S.  41). 

^)  sc.  Christi  (Pf.)        •^)  Pf.:  sunder  aHein. 

*)  Pf.  t :  das  ist  got  selber,  der  alle  dink  yormag  gar  woL 


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—    33    — 

Sich,  der  alt  ist  Adam  und  ungehorsam  und  selbheyt  und  icheyt 
und  des  gleich,  Aber  der  new  mensch  ist  Christus  und  gehor- 
sam. ^)  —  Wenn  mann  auch  spricht  von  sterben  und  von  vor- 
derben*) und  des  gleich,  ßo  meynt  man,  das  der  alt  mensch 
soll  zu  nicht  werden.*)  Und  wenn  und  wa  das  geschieht  yn  6 
eim  waren  gotlichen  liecht,^)  ßo  wirt  der  new  mensch  wider 
gebomn.  Mann*^)  spricht  doch,  der  mensdi  sol  an  ym  selber 
sterben,  das  ist  des  menschen  ®)  selbheyt  und  icheyt ')  sol  sterben. 
Hie  von  spricht  Sanctus  Paulus :  *Legt  ab  den  alten  menschen 
mit  seynen  wercken  und  ziecht  an  eynem  newen  menschen,  10 
der  noch  ^)  got  geschaffen  und  gebildet  ist.'  •)  —  Wer  yn  seiner 
selbheit  und  nach  dez  alten  menschen  lebt,  der  heist  und  ist 
Adams  kindt.  Er  mag  als  verr  und  alßo  wesenlich  daryn 
leben,  er  ist  auch  des  teuffels  kind  und  bruder.  ^")  Wer  aber 
yn  dez  gehorsam  und  yn  dem  newen  menschen  lebt,  ^^)  der  ist  16 
Christus  bruder  und  gottes  kind.  Sich,  wa  der  alt  mensch 
stirbt  und  der  new  gebomn  wirt,  da  geschieht  die  ander  gebort, 
davon  Christus  sprach:  ^Ir  werdent  denn  anderweit  gebornn, 
ßo  kumpt  yr  yn  das  reich  gotes  nyt.' '-)  Auch  spricht  S.* Paulus: 
*Als  alle  menschen  yn  Adam  ersterben,  alßo  werdent  sie  ynao 
Christo  alle  wider  lebentig.'  ^'*)  Das  spricht  also  vill:  Alle,  die 
Adam   nachvolgent   yn    dem  ungehorsaz,   die   sind  todt  und 


*)  Pf.  t :  ein  vorzihen  und  vorlengnen  sin  selbes,  aller  zitlichen  dinge 
und  alleine  die  ere  gotes  suchen  in  allen  dingen. 

«)  S.  20,  11-14. 

*)  Pf.  f :  und  des  sinen  nicht««  suchen  weder  in  geist  noch  in  nätftr. 

*)  S.  30  Anm.  4.  *)  A— :  Mann  —  gebildet  ist. 

*)  Pf.  t :  lustikeit,  tröst,  f reude,  begirlicheit. 

•)  Pf.  f :  und  was  solches  ist  in  dem  menschen,  dar  an  er  haftet  oder 
üf  dem  er  noch  rüwet  in  genügsamkeit  und  etwas  da  yon  helt,  es  si  der 
mensche  selber  oder  ander  creatfire,  was  halt  das  si,  das  muß  als  abe  und 
sterben,  sol  anders  dem  menschen' recht  geschehen  in  der  wärheit. 

**)  nach.        «)  Eph.  4,  22.  24. 

'*)  Daß  der  natürliche  Mensch  dasselbe  sündige  Wesen  wie  Adam  und 
der  Teufel  hat,  ist  der  Th.  D.  eigentümlich;  ygl.  S.  10  Anm.  4. 

»>)  Pf.  f:  der  da  Kristus  ist.        '')  Joh.  3,  3.        »»)  1.  Cor.  15,  22. 


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—    34    — 

werden  ns'mer  lebentig  denn  yn  Christo,  das  ist  j^n  gehorsam. 
Das  ist  darumb,  wann  alle  die  weil  daz  der  mensche  Adam 
ist  oder  sein  kindt,  ßo  ist  er  on  gott.  Christus  spricht:  'Wer 
nit  mit  myr  ist.  der  ist  wider  mich/^)  Wer  nn  wider  got 
5  ist,  der  ist  todt  vor  gott.  Hiernach  volget,  das  alle  Adams 
kind  todt  sind  vor  got.  Aber  wer  mit  Christo  jti  dem  ge- 
horsaz  ist,  der  ist  mit  gott  nnd  lebet. 

Auch  *)  ist  geschriben : ')  s  n  n  d  ist,  das  sich  die  creatuer 
abkert  von  dem  schepfer.    Daz  ist  aber  dißem  gleich  und  ist 

10  daßselb.  Wann  wer  yn  ungehorsaz  ist,  der  ist  yn  sunden,  und 
die  sundt  wirt  nymer  gepüst  noch  gepessert  den  mit  eim 
widerkeren  in  den  gehorsam.  *)  Und  alle  die  weil  der  mensch 
yn  dem  ungehorsaz  ist,  ßo  wirt  die  sundt  nymer  gepüst  noch 
gepessert,  er  thu  was  er  thu.    Das  merck,  wan  der  ungehor- 

I6sam  ist  selber  sundt.  Und  kumpt  er  wider  yn  den  waren 
gehorsam,  ßo  ist  es  alles  gepessert  und  gepüst  und  vergeben, 
und  anders  nit.  Diß  ist  mercklich.  Und  mocht  der  teuffei 
zu  dem  waren  gehorsam  kommen,  er  ^)  wurd  ein  engel  und  all 
sein  sund  und  pößheit  wer  gepessert  und  gepüst  und  wer 

20  zumall  vergeben.  Und  mocht  eyn  engeil  zu  dem  ungehor- 
sam kommen,  er  wer  als  pald  ein  teuffei,  und  ob  er  anders  nit 
mer  tete. 

Were  es  müglich,  das  eyn  mensch  als  gar  und  lauterlich 
on  sich  selber  und  on  alle  yn  dem  waren  gehorsam  were,  als 

25  Christi  menscheit  was,  der  mensch  wer  an  sund  und  auch 
eyns  mit  Christo,  und  dasselb  von  gnaden,  das  Christus 
was  von  natur.  Aber  man  spricht,  es  mug  nit  seyn.  Darumb 
spricht  man  auch,  niemant  sey  on  sund.  Aber  wie  dass  sey? 
Doch  ist  dass  war:  ßo  mann  dißem  gehorsam  neher  ist,  ßo  ye 

aomynder  sund,  ßo  man  ye  ferrer  ist,  ßo  mer  sund.    Kurtzlich: 

')  Mt.  12,  80.        *)  A— :  Auch  —  daßselb. 
*)  Pf. :  vor  gesprochen,  Kap.  2,  4. 

*)  St. :  'den  gehorsam'  Pf. :  got.  Das  geschieht  mit  demütiger  gehorsam. 
^)  A— :  „er  —  mer  tete",  dafür:  er  wer  als  bald  kein  tenffel  und  ob 
ehr  anders  nicht  mer  thet. 


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—    36    — 

ob  der  mensch  gut,  pesser  oder  aller  peste  sey,  pöß,  poeser^) 
oder  aller  pöst,  sundig  oder  selig  vor  gotte,  das  ligt  alzumal 
an  dißem  gehorsaz  und  ungehorsam.  Darumb  ist  auch  ge- 
schriben:  So  ye  mer  selbheit  und  icheyt,  *)  ßo  ye  mer  sundt 
un  bößheit ;  ßo  dißes  mynder,  ßo  auch  des  mynder.  Auch  •)  ist  5 
geschriben:  so  mein  ich,  daz  ist  icheit  und  selbheit,  mer  ab 
nympt,  ßo  gottes  ich,*)  das  ist  got  selber,  mer  zu  nympt 
yn  myr. 

Sich*),  weren  all  menschen  yn  dem  waren  gehorsaz,  ßo 
wer  kein  leid  noch  leiden,  sunder  leichte,  synliche  leiden ;  das  10 
wer  aber  nit  zu  clagen;  das  merck  man.    Wan  were  ym  alßo, 
ßo  weren  all  menschen  eins  und  niemant  tett  dem  andernn 


1)  A- 

*)  Luther  am  Bande:  ichheyt  i.  e.  si  dicere  liceret  Meitas  i.  e.  mei 
€ommodi  affectus  quo  ego  meipenm  qaaero.  Qoanto  decrescit  ego  hominis, 
taiito  crescit  in  eis  Ego  divinum.  —  Beachte  die  Bedentang  des  Gottesglanbens 
für  die  persönliche  Haltnng;  er  hat  seinen  Ort  in  der  Sphäre  des  Selbst- 
bewnfitseins,  nicht  in  der  des  rein  theoretischen  Weltbewnßtseins. 

')  St.:  'Auch  —  daz'  A:  so  manich. 

*)  Mit  Büttner  „Gottes  Art"  zu  tibersetzen  (ich  =  icht,  etwas)  ist 
nicht  berechtigt. 

^)  Dieser  und  der  nächste  Abschnitt  enthalten  zwei  Folgen  des  religiösen 
Grandverhaltens.  Die  erste  ist  besonders  wichtig:  das  religiöse  Verhalten 
würde  die  Eingriffe  in  den  Lebenskreis  und  die  Bechtssphäre  des  Nächsten 
d.  i.  das  Unrecht  unmöglich  machen.  Es  ist  offenbar,  daß  die  Anerkennung 
des  Nächsten  und  so  das  einträchtige  Zusammenleben  der  Menschen  sicher 
und  dem  inneren  WiUen  des  Einzelnen  nach  so  lange  nicht  gewährleistet 
ist,  wie  der  Einzelne  egozentrisch  gesinnt  ist.  Die  hinter  dem  Gesetze 
oder  dem  Becht  stehende  Gewalt  und  Elugheitsrücksichten  mögen  das 
äafiere  Verhalten  dem  Gesetze  anpassen  lassen;  der  innere  Wille  wird  zu 
einem  dem  Gesetze  gemäßen  nar  durch  die  Bekehrung  von  der  Selbstliebe 
zur  Anerkennung  Gottes  als  des  Herrn.  So  steht  die  religiöse  Beziehung 
auf  der  Seite  der  von  dem  Gesetz  vertretenen  empirischen  Objektivität  der 
natürUchen  Ichheit  und  dem  natürlichen  Subjektivismus  gegenüber,  er- 
schließt den  BUck  für  die  Objektivität  und  befähigt  den  Menschen  zur  Ge- 
meinschaft. S.  Einl.  S.  40.  2.  Folge  :  Nur  zu  einer  Größe  befindet  sich  der 
Fromme  in  Gegensatz:  zu  derjenigen,  zu  welcher  sein  Bestimmnngsgrund 
und  Herr  in  Gegensatz  steht:  zur  Sünde. 

Mandel,  Theologia  Deutsch.  6 


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—    36    — 

leid  noch  leiden  an;  ßo  lebte  oder  tete  auch  niemant  wider 

gott.    Wo  von  solt  den  leid  oder  leiden  kommen?    Aber  nu 

leyder  sind  all  menschen  und  all  die  werlt  yn  ungehorsam. 

Wer  nu  eyn  mensch  lautterlich  und  gentzlich  yn  dem  ge- 

5  horsam,  als  wier  glauben,  das  Christus  were  und  auch  was  (er 
were  anders  nit  Christus  gewesen),  [D]  dem  wer  aller  menschen 
ungehorsam  eyn  iemerlich  pitterlich  leidenn.  Wann  all  menschen 
weren  wider  yn  *),  das  mercket  man ;  wan  der  mensch  yn  dißem 
gehorsaz  were  eins  mit  gott,  und  gott  wer  selber  auch  da  der 

10  mensch.  Sich,  nu  ist  alle  ungehorsaz  wider  got  und  anders  nichtz. 
In  der  warheit,  got  ist  nicht  wider  *),  noch  keyn  creatuer  oder 
creaturen  werck  oder  alles,  das  man  genennen  oder  erdencken 
kan,  ist  nit  wider  got  oder  got  unbeheglich,  denn  allein  der  un- 
gehorsam und  der  ungehorsam  mensch.    Kurtzlich:  alles,  das  da 

15  ist,  behagt  und  gefeilet  got  wol  und  alleyn  der  ungehorsam  und 
der  ungehorsam  mensch  behagt  ym  alßo  übel  und  ist  ym  alßo 
gar  wider  unnd  clagt  alßo  sere  davon,  das  an  der  stat,  da  der 
mensch  leidenlich  und  des  befindlich  und  fulich  ist,  das  ym  wider 
ist,  *)  gerner  hundert  tod  wolt  leiden,  aufi*  das  er  den  ungehor- 

20  sam  yn  eym  menschen  ertötet  und  seinen  gehorsam  da  wider 
gepernn  möchte.  Aber  wie  nu  villeicht  keyn  mensch  alßo*) 
gar  und  lautterlichen  yn  dißem  gehorsam  ist,  als  Christus  was, 
nu  ist  doch  müglich  einem  menschen  also  nach  dar  zu  und  bey 


*)  Alle  Menschen,  sofern  sie  ungehorsam  sind,  wären  wider  ihn;  bei 
Pf.  ist  das  nicht  verstanden.  Der  Satz  lantet  bei  Pf. :  Wan  ob  aUe  Menschen 
wider  in  weren,  die  mochten  in  alle  nit  bewegen  oder  betrüben. 

*)  nichts  ist  wider  Gott. 

^)  während  der  natürliche  Mensch  das  als  schmerzlich  befindet  und 
fühlt  (fulich),  was  ihm  selbst  zuwider  ist,  das  Leiden,  würde  der  Gott- 
ergebene lieber  hundertmal  sterben,  wenn  er  dadurch  den  Ungehorsam  emes 
Menschen  ertöten  könnte  (was  er  aber  nicht  kann ;  jeder  Mensch  muß  selbst 
büßen).  Bei  Christus  war  es  so.  Er  hat  die  gottergebene  Gesinnung  in 
diesem  denkbar  höchsten  Maße  bewiesen.  In  diesem  Sinne  stellt  der  Tod 
Christi  den  Gegensatz  des  gottergebenen  Willens  gegen  den  natürlichen 
Willen  aufs  deutlichste  ans  Licht. 

*)  A— :  alßo  gar  und  lautterlichen. 


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—    37    - 

zu  kommen,  das  er  gotlich  und  vergottet  heyßet  und  ist.  Und 
ßo  der  mensch  dißem  ye  neher  kumpt  und  gotlich  und  vergottet 
wirt,  ßo  ym  alle  ungehorsam,  sund  und  ungerechtickeit  leid 
ist  und  wirser^)  tut  und  pitter  leiden  ist.  Ungehorsaz  und 
sund  ist  eins.  Es  ist  kein  sund  den  ungehorsam  und  was  5 
auß  dem  ungehorsam  geschieht. 

Sich,  nu  sagt  man,  es  sein  etlich  menschen,  die  wenen  15, 
und  sprechen,  sie  sein  alßo  gar  erstorben  und  yrselbs  auß- 
gangen,  das  sie  sollen  seyn  und  leben  yn  eym  unleidende*) 
und  von  nicht  berurt  werden,  recht  ob  alle   menschen   ynlO 
dißem  gehorsam  weren  oder  ob  keyn  creatur  were ;  und  leben 
alßo  yn  eym  guten,  leichten  leben  und  gemüte  und  lassen  yn 
mit  allen  dingen  wol  sein,  es  sey  dis  oder  das.    Nein  zwar  *) ! 
ym  ist  nit  alßo ;  ym  ist  alßo,  als  vor  geschriben  ist.    Im  wer 
wol  alßo,  weren  all  menschen  yn  dem  gehorsam.     Aber  nu  15 
ist  es  nit  alßo,  darumb  ist  auch  dis  nit  alßo.  —  Sich,  nu 
mocht  man  sprechen :  Nu  soll  doch  der  mensch  alles  ledig  steen 
und  sich  nichtz  an  nemen  weder  pöß  noch  gutz.    Ich  sprich: 
des  guten  soll  sich  niemant  an  nemen,  wann  es  ist  gottes 
und  der  gute  gottes ;  aber  danck  hab  der  mensch  und  ewigen  20 
Ion  und  selickeyt,  der  da  zu  taug  und  bereyt  ist  und  gestattet, 
das  er  ein  hauß  und  eyn  wonung  ist  der  ewigen  gute  und 
gotheyt,  das  sie  yren  gewalt,  willen  und  werck  yn  ym  gehaben 
mag  on  hindernuß.*)    Wil  man  sich  den  entschuldigen  und  des 
pößen  auch  nyt  an  nemen  und  wil  es  dem  teufel  und  der  26 
pößheyt  aufftragen,*)  so  sprich  ich:  undanck,  schänden  und 


*)  wirs  oder  wirser  Komparat.  zu  übel. 

*)  nicht  leidenden  Znstand.        ')  Walirlich  nicht! 

*•)  za  dem  Zweck,  daß  sich  der  bereits  gottergebene  Mensch  der  Sünde 
seiner  Mitmenschen  annehme. 

*)  St.:  'auftragen'  Pt  auflegen;  Sinn:  dem  Teufel  die  Schuld  an  der 
Sünde  geben  und  sich  so  mit  der  Sünde  als  einer  außerhalb  menschlicher 
Macht  und  Verantwortung  liegenden  Tatsache  abfinden,  statt  sich  derselben 
anzunehmen  in  tiefem  Leid  und  in  Besserung.  Dabei  ist  yieUeicht  an  die 
dualistische  manichäische  Ketzerei  im  MA.  gedacht.  —  Pf.  schiebt  ein: 

6* 


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—    38    — 

ewig  Unglück  und  verdampnns  hab  der  mensch,  das  er  dar 
zu  taug  und  bereit  ist  und  gestattet,  das  der  teuffei  und 
falscheit  und  lügen  oder  unwarheit  und  ander  boeßheit  yren 
willen  und  gewalt,  werck  und  wort  yn  ym  haben  mügent,  und 

5  das  er  yr  hauß  und  yr  wonung  ist. 

16,  Auch  sol    man  mercken  und  glauben  und  wissen,   das 

kein  als^)  edel  und  gut  uixd  gott  als  lieb  leben  ist,  als  das 

leben  Christi,  und  ist  aller  natuer  und  aller  selbheit  das 

pittirst  leben.    Aber  das  rauchlos  ^)  frey  leben  ist  aller  natur, 

10 selbheit  und  icheit  das  süßte  und  das  lustigest  leben;  es  ist 
aber  nit  das  pöste  und  das  edliste.  Es  mag  in  etlichen 
menschen  das  beste*)  werden.  Aber  wie  wol  Christus  leben 
das  pittrist  sey,  ßo  ist  es  doch  das  aller  liebste.  —  Das 
soll  man  da  bey  mercken :  *)  Es  ist  eyn  bekentnus,  da  von  wirt 

löbekant  das  war,  einfeltig  gut.  Und  das  gut  ist  weder  dis 
noch  das,  sunder  es  ist  das,  da  von  sant  Paulus  sprach :  *Wenn 
das  volkumen  und  das  gantz  kumpt,  ßo  wirt  alle  teilung  und 
unvolkumenheit  zu  nichte'.*)  Das  meynet  alßo,  daz  das 
gantz  volkumne  alle  teilung  übertrifft  und  alle  teil  und  unvol- 

20kumen  nichtz  sind  gegen  dez  volkumen.  Also  wirt  auch  alle 
bekentnus  der  teil  zu  nichte.  Wenn  das  gantz  bekant  wirt, 
und  wa  das  gut  bekant  wirt,  da  muß  es  auch  geliebet  und  lieb 
gehabt  werden,®)  alßo  das  ander  fD  ij]  liebe,  da  mit  der  mensch 
sich  selber  unnd  ander  ding  hatt  lieb  gehabt,  zumal  zu  nicht 

25 wirt.    Und  die  bekentnus  bekennet  auch  das  peste  und  das 


'und  wU  also  der  mensche  ganz  rein  und  unschnldik  sin  (als  ouch  t^ten 
unser  alderelderen,  das  ist  Adam  und  £y&,  dö  si  noch  wären  in  dem 
paradise:  d&  legete  ie  eins  dem  andern  die  schulde  üf),  das  ist  dan  gar 
unrecht  getan,  wan  es  st^t  geschriben  'nimant  lebet  äne  SHnde^  (1.  Joh.  1, 8). 
Dar  umb'.  Dadurch  wird  die  Frage  nach  der  Sündlosigkeit  aufgeworfen, 
die  nach  dem  ursprtlnglicheren  Text  gänzlich  fem  liegt. 

*)  so.        *)  unbekümmert,  ruchlos.        ')  böseste. 

^)  Abgeschlossen  ist  die  Begründung  erst  mit  dem  3.  Stück  des  Kap. 

»)  1.  Cor.  13, 10,  s.  Kap.  1. 

^)  Die  Ausführung  dieses  (Gedankens  nimmt  Kap.  40  ein. 


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—    39    — 

edlist  yn  allen  dingen  und  hat  es  lieb  yn  dem  waren  gut 
unnd  nit  anders  'den  umb  das  war  gut.  —  Sich,  wa  die  be- 
kentnus  ist,  da  wirt  bekant,  das  Christus  leben  das  peste 
und  das  edliste  ist.  Und  davon  ist  es  auch  das  allerliebste 
unnd  wirt  gern  gehabt  unnd  getragen  unnd  nit  gefraget  oder  5 
gerucht,^)  ob  es  der  natur  oder  auch  ymant  woll  oder  wee 
thu,  lieb  oder  leid  sey.^)  Auch^j  soll  man  mercken,  yn 
welchem  menschen  diß  war  gut  bekant  wirt,  da  muß  auch 
das  leben  Christi  sein  und  beleyben  pis  yn  den  leiplichen  tod 
und  wer  anders  wenet,  der  ist  betrogen,  und  wer  anders  10 
spricht,  der  leugt.  Und  yn  welchem  menschen  das  leben 
Christi  nit  ist,  da  ward  auch  das  war  gut  und  die  warheit 
nie  bekant. 

Niemant  gedenck,  das  er  zu  dißem  waren  li echte  und  17. 
waren   bekentnus   kome   oder   zu   Christus   leben    mit   villiö 
fragen  oder  von  hören  sagen  oder  mit  leßen  oder  studieren*) 
noch  mit  großen  hochen  kunsten  und  meisterschaft  oder  mit 
hocher  naturlicher  vernuflft.    Ich  sprich :  ia  mer  ^),  alle  die  weil 
das  der  mensch  von  icht  etwas  beheltet  ^)  oder  icht  yn  seiner 
lieb  oder  meynung  oder  yn  begirde  oder  gesuch  handelt  oder  20 
vorhanden  hatt,  das  diß  oder  das  ist,')  es  sey  der  mensch 
selber  oder  sey  was  das  sey,  ßo  kumpt  er  hie  zu  nit.    Diß 
hat  Christus  selber  gesprochen.    Er  spricht  *) :  "wiltu  nach  myr 
komen,  so  verzeich®)  dich  deinselbs  und  volg  myr  nach;  und 
wer  nit  sein  selbs  und  alles  verzeicht  und  verleßt  und  ver-2ö 
leurt,  der  ist  mein  nit  wirdig  noch  mag  mein  iunger  nit  sein^. 
Diß  meynet  alßo:  wer  nit  alle  ding  laßet  und  verleust,  der 

^)  sich  um  etw.  kümmern. 

^)  Der  Maßstab  des  Goten  liegt  nicht  in  der  Beziehung  zum  Menschen, 
sondern  ist  objektiv.        ')  Nach  A  Absatz. 

*)  Diese  Stelle  nahm  ein  Hunnios  der  Th.  D.  übel,  ein  Arndt  lobte  sie 
aufs  höchste  (Einl.  S.  27  f.). 

•)  Ja  vielmehr.        •)  von  Etwas  etwas  hält. 

')  dis  oder  das  =  Kreatur  als  das  geteilte  im  Unterschied  vom  Ein- 
fachen, Vollkommenen. 

»)  Mt.  16,  24.        *»)  verleugne  dich  selbst. 


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—    40    — 

mag  mich  yn  warheit  nymer  bekennen  noch  tzu  meynem 
lebenn  komen.  Unnd  wer  diß  durch  menschen  mnnd  nye  ge- 
sprochen, ßo  spricht  es  die  warheyt  ynn  yr  selber.  Wann  es 
ist  ynn  der  warheyt  allJo.  Aber  die  weyll  der  mensch  die 
5  teil  unnd  die  stuck  und  allermeist  sich  selber  lieb  hat  und 
damit  umb  geet  und  da  von  helt,  ßo  ist  er  und  wirt  alßo  plint, 
das  er  von  keinem  guten  weiß,  denn  das  ym  zu  ym  selber  und 
zu  dem  seynen  aller  nutzest  und  aller  bequemlichst  und  aller 
lustigst  ist:  das  hat  es  füer  das  peste  und  ist  ym  das  liebste.^) 
18.  Seyder   nu   das   leben  Christi   aller  natur,  selbheit  und 

icheit  das  pitterst  ist  (wann  zu  dem  waren  leben  Christi  mueß 
alle  selbheit  und  icheit  und  natur  gelassen  und  verlören  werden 
und  sterben),  darumb  grawet  eyner  yeglichen  natur 
vor  dem  leben  und  dunckt  sie  pöß  und  ungerecht  und  ein 

15  torheyt  und  nympt  an  sich  ein  leben,  das  yr  bequemlich  und 
lustig  ist  und  sprecht  und  went  von  yr  plintheit,  es  sey  das 
aller  peste.  Sich,  nu  ist  kein  leben  der  natur  als  bequem  und 
alßo  lustig  als  das  frey  rauchlos  leben.  Darumb  helt  sie  sich 
an  dasselb  und  brauchet  sich  yr  selbs  und  yr  selbheit  und  yr 

20 einiges*)  frids  und  gemachs  und  alles  des  iren  alda  selbes. 
Unnd  dis  geschieht  aller  meist,  da  hoch  naturlich  vor- 
nufft  ist:  wan  die  klimmet  alßo  hoch  yn  yrem  eigen  liechte 
und  yn  yr  selber,  das  sie  selber  wenet,  das  sie  das  ewig,  wäre 
liecht  sey  und  gibt  sich  da  für  dasselb  und  ist  betrogen  an 

25  yr  selber  und  betreugt  ander  mit  yr,  die  nit  pessers  wissen 
und  auch  dar  zu  geneyget  sind.') 


*)  d.  i.  Egozentrismus.  Die  deutsche  Denkweise  hat  das  Verdienst, 
die  Religion  so  Terstanden  za  haben,  daß  der  Egozentrismus  durch  die  An- 
erkennung Gottes  mit  der  Wurzel  entgrOndet  wird,  während  vorher  der 
Egoismus  in  einer  feineren  Weise  gerade  in  der  Religion  anerkannt  wurde. 
Hier  ist  dieser  Blick  filr  die  transsubjektive  Wirklichkeit  vorhanden,  für 
Gott  und  darum  auch  für  die  Forderungen  und  Rechte  der  empirischen 
Objektivität.  Der  Egoismus  ist  „Blindheit"  gegen  die  Objektivität,  die, 
vom  Bannkreis  des  eigenen  Daseins  aus  gesehen,  einzig  richtige  Gesinnung, 
objektiv  betrachtet  aber  illusorischer  Subjektivismus.         *)  einzigen. 

•)  Wenn  nachher  das  falsche  Licht  ausführlich  behandelt  wird,  so 


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—    41     - 

Nu  mocht  man  fragen:  Wie  stet  es  umb  den  menschen,  19. 
der  nach  muglicheyt  diJJem  waren  liecht  etwen  nachkampt? 
Ich  sprich  werlich:  es  wirt  nymer  recht  gesagt.    Wammb? 
der  es  nit  ist,  der  kan  es  nit  gesagen,  und  der  es  ist  und 
weiß,  der  kan  es  auch  nit  gesagen.    Denn  wer  es  wissen  wil,  5 
der  warte,  das  er  es  werd.^)  —  Doch  gelaub  ich,   das  seyn 
außer  wandel  und  weise  also  stee:  was  seyn  muß  und  sol 
sein,  das  müg  wol  da  mit  besteen ;  aber  was  nit  muß  und  sol 
sein,  sunder  ein  lautter  wollen  sein,  das  mag  [Diij]  da  mit 
nichte  besteen.*)  Aber  der  mensch  macht  ym  selber  vil  muß  und  10 
sol  sein,  das  doch  falsch  ist.  Treibt  den  menschen  sein  hochfart, 
geitzickeyt  und  ander  untugent  und  pößheit  zu  thun  oder  zu 
lassen,  ßo  spricht  er:  'es  muß  und  soll  sein'.    Treibt  yn  der  leute 
gunst  und  freuntschaflft  oder  seins  leibs  lust  indert  *)  zu  oder 
ab,  ßo  spricht  er:  'es  muß  und  soll  sein'.     Sich,  dis  ist  alles  15 
falsch.    Hett  der  mensch  kein  ander  muß  oder  soll  sein,   den 


fragt  es  sich  doch,  ob  hier  eine  Antizipation  vorliege.  Wohl  nicht,  denn 
der  hiesige  Abweg  ist  der  der  bloßen  Natar.  Das  falsche  Licht  teilt  aber 
mit  dem  wahren  das  Prinzip:  die  Gotteinheit  (Einl.  S.  43 f.). 

')  Pf.  t :  so  wirt  er  erkennen  nnd  finden,  das  nie  keines  menschen 
mnnt  üsgesprach. 

*)  Der  gottergebene  Mensch  darf  allen  Ansprüchen  und  Verpflichtungen 
der  objektiven  Wirklichkeit  nachkommen;  ja,  wie  oben  (S.  35,  vgl.  S.  54) 
ausgeftUirt,  ist  eine  wesentliche  Bedeutung  des  relig.  Grundverhaltens  die, 
daß  es  zu  selbstlosem  d.  i.  zu  dem  allein  richtigen  Verhalten  gegen  die 
empirische  Objektivität  befähiget;  aber  er  wird  nicht  aus  sich  selbst,  aus 
eigenem  Wollen  die  Linien  für  sein  äußeres  Leben  ziehen;  da  die  Religion 
gerade  von  jeglichem  irdischen  Interesse  und  EigenwiUen  befreit.  — 
Das  Gesetz  des  sittlichen  Verhaltens  nötigt  die  äußere  Erfahrungswelt  der 
y,blinden*'  Egoität  auf;  aus  der  Idee  schlechthiniger  Hingabe  kann  es  nicht 
abgeleitet  werden ;  aber  die  Hingabe  ist  die  Voraussetzung  wahrhafter  Er- 
füUung.  Dieses  rein  synthetische  Verhältnis  zwischen  dem  religiös-sitt- 
lichen Gnmdverhalten  und  den  einzelnen  sittlichen  Aufgaben  liegt  auch  bei 
Luther  vor,  in  der  „Freiheit  eines  Christenmenschen".  Beachtet  man  das 
nicht  und  verlangt  ein  analytisches  Verhältnis,  so  erhebt  man  den  Tadel, 
daß  das  Grundverhalten  den  sittlichen  Aufgaben  entfremde! 

')  irgendwo,  irgend. 


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—    42    — 

darzu  yn  got  und  die  warheit  weiset  und  treibet,  er  het  etwan 
mehr')  zu  schicken  und  zu  tun  den  nu.*) 
20.  Man  spricht,  der  teuffei  und  seyn  geist  hab  etwen  eynen 
menschen  besessen  und  behafft,  das  der  menscli  nit  weiß,  was 
5  er  tut  oder  leßt,  und  er  ist  seinselbs  ungewaltig,  sunder  der 
pöß  geist  ist  sein  gewaltig  und  thut  und  last*)  yn  dem 
menschen  und  mit  ym  und  durch  und  auß  ym,  was  er  wiL 
Es*)  ist  war  yn  eym  synne,  das  alle  die  werlt  besessen 
und  behafft  ist  mit  dem  teuffei,  das  meinet  man  mit  lugen 

10  und  mit  falscheit  und  ander  pößheit  und  untugent :  das  ist  alles 
tewfel,  wie  das*)  es  auch  yn  eym  andernn  syn  sey.  Der  nu 
besessen  und  begriffen  were  mit  dem  geist  gottes,  das  er  nit 
weßt,  was  er  tete  oder  ließ,  und  sein  selbs  ungewaltig  wer,  und 
der  wil  und  der  geist  gottes  were  sein  gewaltig  und  wurcket 

lö  und  tete  und  ließ  mit  ym  und  auß  ym,  was  und  wie  er  wolte : 
der  were  der  menschen  einer,  da  von  sant  Paulus  spricht :  *die 
von  gottes  geist  gericht  und  gefürt  werdent,  die  sind  gottes 
kinder  und  sint  nit  unter  der  ee',*)  und  zu  den  Christus 
sprach:  *Ir  seyt  nit  die  da  redent,  sunder  der  geist  ewers 

20vatters  redet  in  euch\')  Aber  ich  furcht,*)  hundert  tausent 
oder  an  tzal  sind  mit  dem  teuffei  beseßen,  da**)  nit  eins  mit 
gots  geyst  besessen  ist.  Das  ist  davon,  das  die  menschen 
hand  mer  geleicheit  mit  dem  teuffei  denn  mit  gott.    Icheyt 

*)  etwan  =  bisweilen.  Pf. :  minder ;  Luthers  Lesart  beansprucht  auch 
dem  Sinne  nach  (der  äußeren  Bezeugung  nach :  s.  EinJ.  S.  9)  den  Vorzug. 
Es  ist  nicht  im  Sinne  der  Th.  D.,  die  Schultern  dem  Menschen  zu  leichtem. 
Aber  das  ist  eine  ihrer  Erkenntnisse,  daß  der  natürUche  WiUe  das  Auge 
des  Menschen  erblinden  läßt  für  die  sittlichen  Gebote,  d.  i.  die  Ansprüche 
und  Rechte  der  empirischen  Objektivität  an  uns. 

^)  Pf.  t :  wan  gar  vil  unrüwe  und  anfechtunge  macht  im  der  mensche 
selber,  der  er  wel  überhaben  und  uberich  w6re.        *)  läßt. 

*)  A— :  „Es  —  syn  sey."        *)  Pf.:  wie  wohL 

^)  Eöm.  8,  13 ;  ee  —  lange  Zeit  nnd  was  seit  langem  gilt,  das  Gesetz. 

')  Mt.  10,  20. 

^)  Pf.  t :  wä  ein  mensche  wärlich  mit  dem  geiste  gotes  s!  besessen,  das 
da  wider.        »)  Pf—:  *da  —  ist\ 


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—    43    — 

und  selbheyt  das  ^)  gehört  alles  dez  teuflfel  zu,  und  deßhalben 
ist  er  ein  teuflfel.  Sich,  eyn  einiges  wort  oder  zwey  sprechen 
alles,  das  diße  vill  wort  sprechent,  das  ist:  Bis  lautterlich 
und  gentzlich  an  dich  selber.^)  Aber^)  diße  vil  wort 
habent  es  mer  und  paß*)  ercleret  und  bewert  und  unter-  6 
seheiden.  Nu  spricht  man :  'Ich  byn  zu  dißem  allemsampt  nit 
bereyt,  darumb  mag  es  yn  myr  nit  geschehen',  und  alßo  ge- 
wynnet  und  vindet  man  eyn  entschuldigung.^)  Szo  antwort  man 
den  und  spricht :  Das  der  mensch  nit  bereit  ist  oder  wirt,  das 
ist  werlich  sein  schuld.  Wan  het  der  mensch  anders  nit  zu  10 
warten  oder  zu  schicken,  den  daz  er  der  bereitung  war  nem 
yn  allen  dingen  und  wie  er  bereyt  wurde  yn  der  warheyt, 
got  solte  yn  wol  bereiten,  und  got  hat  alßo  großen  fleis  und 
lieb  und  ernst  zu  der  bereitung  als  zu  dem  yngiessen,  wen  er 
bereit  were.  15 

Doch  sind  etlich  werck  hie  zu,  als  man  spricht :  Wer  ein 
kunst  lernen  wil,  die  er  nit  kau,  da  gehörent  vier  ding  zu. 
Das  erst,  daz  aller  notest  ist,  das  ist  groeß  begird  und  fleis 
und  steter  ernst,  wie  dis  geschech.  Und  wo  dis  nit  ist,  da 
g^chicht  es  nymer.  Das  ander:  das  man  etwas  hab,  daran 
man  gelemen  mag.  Das  dritt:  das  man  dem  lerer  eben  und 
wol  zuseh  und  zu  warte  und  ym  glaub  und  gehorsaz  sey  und 


0  Fttr  ^das'  Pf.:  min,  mir  und  des  glichen. 

*)  Thema  des  ganzen  Büchleins. 

^  A— :  *Aber  —  unterscheiden'.        *)  Komparativ  zu  gut. 

*)  Die  Freigeister  lehrten  deterministisch:  wie  alles  nach  göttlicher 
Disposition  geschehe,  so  vermöge  auch  der  freie  Wille  nichts,  weder  im 
Guten  noch  im  Bösen,  wenn  er  nicht  von  Gott  geführt  werde  (416,  399, 
vgl.  Ein].  S.  43).  War  diese  Anschauung  der  Hintergrund  für  die  vorliegende 
Entschuldigung?  Die  Antwort  der  Th.  D.  verfällt  ins  andere  Extrem:  daß 
es  an  des  Menschen  Anstrengung  liege.  Sie  hätte  aber  wohl  das  lösende 
Wort  fttr  den  Streit  zwischen  Augustins  Ablehnung  aller  Vorbereitung,  die 
zun  Prädeterminismus  ftUirte,  und  dem  Pelagianismus  geben  können:  daß 
es  aUerdings  eine  menschliche  Bereitung  gebe,  daß  diese  aber  nicht  auf 
dem  Gebiete  der  Willensleistung  liege,  sondern  auf  dem  der  Erkenntnis: 
der  Erkenntnis  der  Stlnde  aus  dem  Gesetz;  vgl.  Kap.  11. 


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—    44    — 

ym  nachvolge.  Das  viert:  das  man  es  angreif  und  übe.  Wa 
dißer  eins  geprieht,  da  wirt  die  kunst  nymer  gelernt  oder 
überkommen.^)  Sich,  alßo  ist  auch  yn  dißer  bereitung;  und 
wer  das  erst  hat,  das  ist  fleis  und  stete  ernstliche  begirde  zu 
odez  ende,  der  sucht  und  vindet  alles  das,  das  dar  zu  gehört 
und  dar  zu  dienet  und  nutz  ist.  Wer  aber  den  'ernst  und 
lieb  und  begird  nit  hat,  der  sucht  auch  nit,  ßo  findet  er  auch 
nit  und  bleibet  unbereit  und  kumpt  nymer  zu  dem  end. 
21.         Auch  sagt  man  von  etlichen  wegen  und  bereitung  hie  zu 

10 und  spricht,  man  sol  got  leiden,  ym  gehorsam  und  gelassen 
und  unterthan  seyn.  Das  ist  war.  Wan  wer  tzu  dez  ende 
keme,  das  man  yn  der  zeit  geliaben  und  überkommen  mag,*)  yn 
demselben  wer  dis  alles  yn  rechter  volkommenheyt.  Aber  wer 
got  leiden  sol  und  wil,  der  muß  und  sol  alles  leiden,*) 

lödas  ist  got  und  sich  selber  und  alle  creaturen,  nichtz  [Diiij] 
auß  genomen.  Und  wer  got  gehorsam,  gelassen  und  unter  tan 
sol  und  wil  sein,  der  muß  und  soll  allein  *)  gelassen,  gehorsam 
und  unter  tan  sein  yn  leydender  weis  und  nit  yn  tunder  weis, 
und  dis  all  zumal  yn  eym  sweigenden   yn  pleiben  yn  seym 

20grund  seiner  sele  und  yn  eym  heymlichen  verborgen  leiden, 
alles  zu  tragen  und  zu  leiden  und  yn  allem  dißem  kein  be- 
helflFung  ^)  noch  entschuldigung  noch  wider  rede  noch  rachung 
zu  tun  oder  zu  begeren,  sunder  yn  allem  yn  einem  lieb- 
habenden, demutigen,  waren  erbarmung  sprechen :  *Vatter,  ver- 

26  gib  yn,  wan  si  wissent  nit  waz  sie  tund.'*) 

Sich,  diß  wer  ein  gut  weg  zu  dem  pesten  und  bereitung 
zu  dem  letzten  ende,  das  der  mensch  yn  der  zeit  über  komen 

*)  erlangt. 

')  zu  der  in  dieser  Zeit  möglichen  Vollkommenheit. 

*)  Hier  tritt  wiederum  (vgl.  S.  41.  35)  die  empirische  Objektivität  mit 
dem  Bestimmungsgmnd  der  schlechthinigen  Hingabe  zusammen  in  Gegen- 
satz zum  Subjekt.  Die  schlechthinige  Hingabe  hat  gerade  die  Bedeutung, 
eine  wirkliche  innere  Zuwendung  des  vorher  blinden  Subjektes  zur  ob- 
jektiven Wirklichkeit  zu  ermöglichen. 

*)  Pf.:  allen  dingen.        ")  Behelf. 

*)  Luc.  23,  34.  Die  Idee  der  Vergeltung  wird  hier  abgelehnt. 


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—    45    — 

mag,  das  ist  das  lieblich  leben  Christi.  Wan  yn  dez  leben 
Christ  sind  und  werden  die  vorgenanten  weg  behalten  vollick- 
lich  gentzlich  bis  yn  das  ende  des  leiplichen  lebens.  Darumb 
za  dem  lieplichen  leben  Jhesu  Christi  ist  kein  ander,  pesser 
weg  oder  bereitnng  dann  dasselb  leben,  und  sich  dar  yn  ge-  6 
übt,  alß  vil  es  muglich  ist.  Und  was  dar  zu  gehört,  davon 
ist  etwas  vor  gesagt.  Und  ^)  alles  das,  das  hie  und  anderswa 
gesprochen  ist,  das  ist  alles  weg  oder  weg  weiße  zu  dem 
waren  ende.  Aber  was  das  ende-)  sey,  da  weyß  niemant 
von  zu  sagen.  Aber  wer  es  gern  weste,  der  gee  den  rechten  10 
weg  dar  zu,  das^  ist  diß  leben. 

Aber  doch  sind  auch*)  weg  zu  dem  leben  Christi,  alß  22. 
vor  gesagt  ist.  Wan  und  wo  got  und  mensch  ver- 
nein ig  et  worden  sind,  alßo  das  man  yn  der  warheit  spricjht 
und  die  warheit  bekennet  sein,*^)  das  eines  ist  war,  volkumen  15 
gott  und  war,  volkum  meensch  r-  und  doch  der  mensch  gote 
iils  gar  entweichet,^  das  got  alda  selber  ist  der  mensch'), 
und  got  ist  auch  alda  selbst  und  daselb  ein  steticklichen  ®) 
wurcket  und  tut  und  lesset  on  alles  ich,  mir  und  mein  und  der 
gleich  —  sich,  da  ist  war  Christus  und  anders  nyndert.*)       20 

»)  A— :  *nnd  ff.  samt^ap.  22. 

')  Die  Vollendang  der  religiösen  Beziehung,  nicht  das  Lebensende 
und  das  Leben  nach  dem  Tode  (Büttner). 

')  St.  „das  ist  diß  leben."  Pf.:  „das  ist  das  demütig  leben  J§8U 
Kristi;  dem  selben  volge  man  n&ch  mit  einer  steten  vorhaminge,  so  komet 
man  ftne  zwifel  zu  dem  ende,  das  d&  ewiglich  weret:  wan  wer  vorharret 
bis  an  das  ende,  der  wirt  s^lik." 

*)  Pf.  f:  mer  (der  erste  Weg:  Kap.  20,  2.  Tl.;  ein  zweiter:  Kap.  21). 

*)  bekennet  es;  sein  ist  Genetiv;  gemeint  ist  die  Formel  der  kirch- 
lichen Zweinatnrenlehre. 

**)  so  sehr  vor  Gott  zurücktritt. 

^)  Das  sittliche  Ideal  ist  eben  nichts  anderes  als :  Gottheit  im  Menschen ; 
4aher  kann  der  Vf.  der  Gottheit  Christi  auf  ethischem  Wege  völlig  gerecht 
werden;  der  Unterschied  ist  nur,  daß  in  Christus  von  Haus  aus  das  ethische 
Ideal  verwirklicht  war  S.  34  Z.  27  f.,  während  unsere  Natur  Sünde  ist. 

**)  soU  „ein"  zur  Geltung  kommen,  so  etwa:  einträcbtiglich. 

•)  nirgends. 


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—    46    — 

Seit  ^)  nu  hie  war  volkumen  mensch  ist,  ßo  ist  hier  auch 
volkumen  fälen  unnd  enpfinden  wol  unnd  wee,  lieb  nnnd  leid, 
und  alles  das,  das  befület  und  erfaren  werden  mag  von  außen 
und  von  ynnen.  Und  seit  denn  gott  alda  der  selb  mensch  ist,  ßo 
5  ist  er  auch  empfindlich  und  erkentlich  liebs  und  leids  und  des 
gleich.  Als  ein  mensch,  der  nit  got  ist,  befindet  und  er- 
kennet alles  das,  das  dem  menschen  wol  und  wee  tut  und 
besunder  das  yhm  wider  ist.  Alßo  ist  es  auch,  da  gott  und 
mensch  eins  ist  und  doch  gott  der  mensch  ist:  da  wirt  alles 

10  das  befulet  und  enpfunden,  das  got  und  mensch  wider  ist. 
Und  alls  da  selbst  der  mensch  zu  nichte  werde  und  got 
alles  ist,  alßo  wirt  es  auch  umb  das,  das  dem  menschen 
wider  ist,  und  sein  leiden  wirt  gar  zu  nicht  gegen  dez, 
das  got  wider*)  ist  und  sein  leiden  ist;  und  diß  muß  weren 

15 von  gott,  aDe  die  weil  das  leiplich  und  wesenlich*)  leben 
wert  und  ist. 

Auch  sol  man  mercken,  das  das  ein,  da  gott  und  mensch 
vereyniget  sind,  an  sich  selber  und  an  all  und  alles  ledig  steet 
und  ist,  das  ist  gottes  halben  und  nit  des  menschen  oder  der 

20creaturen  halben.  Wann  gotz  eigen  ist  on  diß  und  das  und 
on  selbheyt  und  icheit  und  dem  es  gleich  stee  und  sey.  Aber 
creaturen  und  naturen  eygen  *)  ist,  das  sie  sich  selber  und 
das  yr  und  dis  und  das  hie  und  da  suchet  und  wil  yn 
aUem  dem,  das  sie  tut  oder  lasset.*^)    Wan  nu  die  creature 

25  oder  der  mensch  sein  eigen  und  sein  selbheit  und  sich  ver- 
leußt  und  außget,  da  get  got  ein  mit  seim  eigen,  das  ist  mit 
seyner  selbheyt.®) 


>)  Weil.        2)  wider  Gott. 

')  wesentlich.  Dieser  Abschnitt  hat  die  Bestimmtheit  der  inneren 
€rottheit  durch  die  Menschheit  des  Vergotteten  (soliuige  das  leibliche  Leben 
währt !)  zom  Gegenstande ;  der  folgende  den  göttlichen  Charakter  des  Ver- 
gotteten, das  genns  maiestaticnm  (das  ist  gottes  halben!) 

*)  Pf.:  „der  cr^atüre  nätnr  und  eig^n." 

*)  K.  f:  „iren  frumen  und  nutz  enpfähen." 

^)  Büttner  verbessert:  Seligkeit. 


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—    47     — 

n.  a.  Aach  sol  man  mercken,  fio  der  mensch  alle  die  weg  23. 
gegangen  hat,  die  yn  zu  der  warheit  weisen,  und  sich  da  ynn 
geübt  hat  und  ist  ym   säur   worden:   als  lang  und  als  yil 
das  er  meynet,^)  es  sey  zumal  geschehen  und  er  sey  gestorben 
und  sein  selbs  außgangen  und  gott  gelassen,  ßo  seet  den  der  5 
teuffei  seinen  samen  daryn.    Auß  dem  samen  wachsen  den 
zwo  frucht.    Die  ein  ist  geistlich  reichtum  oder  geistlich 
hochfart;  die  ander  ist  ungeordente,  falsch  freyheit.*) 
Das  sind  zwey  geswistret,  die  dick  unnd  gemn  bey  eyn  ander 
sind.     Sich,  dis   erhebt   sich   also.     Der   teuffei  bleset  dem  10 
menschen  eyn,  das  den  menschen  duncket  und  er  wenet,  er 
sey  [E]  auff  das  höchste  und  auff  das  nechste  komen  und  darff 
weder  geschrifft  noch  diß  noch  das  fürbaß  mer  unnd  sey  auch 
zumal  durftlos*)  worden. 

Und  *)  da  von  stet  yn  ym  eyn  frid  auff  und  großer  lust  *)  15 
und  volget  dan  dar  nach,  das  man  spricht:  Ja,  nu  byn  ich 
über  all  menschen  und  weiß  und  verstee  mer  dan  alle 
die  werlt,  und  darumb  ist  biUich  und  recht,  das  ich  aller  crea- 
turen    got    sey    und    mir    all    creaturen    und    besunder    all 
menschen  dienen  und  warten  und  mir  untertenig  seyen,  und  20 
sucht  und  begert  dasselb  und  nympt  es  an  gemn  von  allen 
creaturen  und  besunder  von  dem  menschen  und  duncket  sich 
diß  alles  wol  wirdig  sein  und  man  sey  es  ym  schuldig  und 
heltet  alle  menschhen  zu  samen  als  esel  oder  als  vich,  und 
auch  alles,  das  seinem  leib,  seynem  fleisch  und  seiner  natur25 
zu  guth  und  zu  lust,  kurtzweil  unnd  getzlicheit  geschehen  mag, 
das  dunckt  er  sich  alles  wirdig  und  sucht  und  nympt  es  an, 


*)  wenn  er  es  meint,  d.  h.  wenn  er  sich  seiner  Vollkommenheit  be- 
waßt  ist,  sich  ihrer  als  der  seinigen  annimmt  —  was  ja  gerade  gegen  die 
Vollkommenheit  der  Hingabe  ist — ;  hierauf  Uegt  der  Nachdruck,  vgl.  S.  103, 4  ff. 

*)  Der  Irr-  und  Abweg  von  der  mit  der  Th.  D.  gemeinsamen  (s.  die 
Einl.  des  Kap.)  Gmndanffassnng  der  Eeligion:  Die  Lehre  der  Brüder  vom 
freien  Geiste;  s.  Einl.  S.  43f.        ')  bedürfnislos. 

*)  Es  folgt  1.  die  Beschreibung  der  Hoffart  und  Selbstüberhebung. 

^)  Für  „großer  lust"  Pf.:  ein  wolgefallen  sin  selbes. 


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—    48    — 

wan  es  ym  werden  mag  und  dunckt  yn  alles  zn  kleyn,  was 
man  ym  getun  mag,  und  er  meynt,  er  sey  sein  alles  wol 
wirdig.  Und  alle  menschen,  die  ym  dienen  und  untertenig 
sind,  ob  sie  auch  diebe  oder  morder  weren,  ßo  spricht  mau 

5  doch,  es  sind  edel,  getrew  hertzen  und  haben  liebe  und  trew  zu 
der  warheyt  und  zu  armen  menschen,  und  werdent  gelobt  von 
yn  und  die  selben  suchet  man  und  volget  yn  nach,  wo  sie 
sind.  Aber  wer  dißen  hochfertigen  menschen  nit  tut  und 
wartet  und  untertenig  ist  nach  yrem  willen,  der  ist  auch  un- 

10  gelobt  von  yn  und  auch  leicht  gescholten  und  ungesucht,  und 
ob  er  auch^)  als  heylig  wer  als  sant  Peter. 

Syder^)  nu  diße  reiche  geistliche  hoffart  dunckt,  sie 
durff  nit  geschrifft  noch  lere  und  des  gleich,  ßo  werdent 
da   alle  weis,   Ordnung  und  gesetz  und  gebot  der  heyligen 

lökirchen  und  die  sacrament  zu  nichte  geachtet  und  auch  zu 
einem  spott  und  auch  all  menschen,  die  mit  dißer  Ordnung 
umbgend  und  davon  haltent.  Hier  bey  merckt  man  wol,  das 
diße  zwo  schwesternn  bey  eynander  wonent.  Sider  auch  diße 
reich   hoffart   dunckt,   sie  wisse  und  verstee   mer   dan  alle 

20  menschen,  ßo  wil  sie  auch  mer  claffen  und  reden   dan   all 

ander  menschen  und  wil,  das  yr  wort  und  yr  rede  sal  allein 

geachtet  und  gehöret  sein  und  all  ander  wort  und  redt  soll 

unrecht  sein,  und  auch  ein  spot  oder  ein  torheit. 

24.  Aber*)  wa  geistliche  armut  ist  und  war  geist- 

25iiche  demuttickeit,  da  ist  es  vil  anders,  und  dis  kommet 
davon,  daz  yn  der  warheit*)  gefunden  und  bekant  wirt,  das 
der  mensch  von  ym  selber  und  von  dem  seinen  nichtz  ist  noch 
vermag  oder  hat  noch  taug,  dan  allein  gepresten  und  untugent 
und  poßheit.    Dar  nach  volget,  das  sich  der  mensch  zumal 

30  unwirdig  findet  alles  des,  das  ym  von  gott  oder  von  creaturen 

*)  A— ;  Pf.:  halt.  *)  seit,  hier  =  weil.  Hier  nun  2.  die  falsche 
Freiheit. 

*)  Kap.  24 :  Die  richtige  Konsequenz  der  Grundanschauung.  Zu  allen 
Folgenden  ist  auf  die  Lehre  der  Freigeister  (Einl.  S.  44)  zu  achten. 

*)  Daß  hier,  in  der  Wahrheit,  nämlich  des  Gottesglauhens. . 


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—    49    — 

geschehen  mag,  und  das  er  schuldig  ist  gott  und  allen 
creaturen  an  gots  stat  yn  leydender  weiß  und  auch  etwan 
yn  tunder  weis.  ^)  Und  darumb  hat  man  yn  der  warheit 
nyndert  zu  -)  recht  und  wirt  da  gesprochen  auß  eim  demütigen 
gemfit:  *Es  ist  billich  und  recht,  das  gott  und  all  creaturen  6 
wider  mich  seien  und  recht  über  mich  und  zu  myr  haben  und 
ich  wider  niemantz  sey  und  zu  nicht  recht  hab'.  Hie  nach 
volget,  das  der  mensch  nichtz  pitten  oder  begeren  bedarff  oder 
wil,  weder  von  got  oder  von  creaturen,  dan  ploß  notdurflft, 
und  dasselb  alles  mit  forchten  und  von  gnaden  und  nit  von  10 
rechte,  und  lasset  auch  seinem  leib  und  seiner  natuer  auch  nit 
mer  zu  gute  oder  tzu  luste  geschehen  dan  notturflft,  und  lasset 
noch  gestattet  ym  niemant  zu  helffen  oder  zu  dienen  dan  yn 
notturflft,  und  dasselb  alles  mit  forchten.  Wan  er  zu  keim 
recht  haet  und  dunckt  sich  sein  alles  unwirdig.  15 

Auch  duncket  disen  menschen,  das  alle  seine  wort  und 
seine  rede  nichtz  sey  und  ein  torheit.  Darumb  redet  er  und 
spricht  nicht,  iemant  zu  leren  oder  zu  straffen,  ynn  treib  dan 
gotlich  lieb  und  trew  darzu,  und  dasselb  geschieht  mit  forchten 
und  ßo  es  mynst^)  mag.  20 

Auch  wirt  yn  dißem  geistlichen  armut  und  demütickeit 
verstanden  und  funden,  das  alle  menschen  komment  zu  mal 
auflf  sich  selber  und  auch  auif  untugent  und  poßheit  geneigt 
und  gekert  sind;  und  das  darumb  not  und  nutz  ist,  das  Ordnung 
und  weis  und  gesetzt  und  gebot  sind,  das  die  blintheit  *)  da  mit  25 
geleret  werd,  und  poß-  [Eij]  heit  gezwungen  werd  zu  orden- 
licheit.  Und  were  des  nit,  die  menschen  wurden  vill  poßer 
und  ungeordenlicher  dan  hund  oder  ander  vich.  Und  wirt 
auch  mannich  mensch  durch  diße  weise  und  Ordnung  gezogen 
und  gekert  zu  der  warheit,  das  anders  nit  geschech.  Auch*) 30 
wenig  menschen  zu  der  Wahrheit  komen  sind,  sie  haben  dan 


*)  „Gehoream  und  demütige  Unterwürfigkeit  gegen  alle  Kreatur  um 
Gottes  willen"  das  ist  Luthers  Ideal,  z.  B.  I,  263, 16. 
*)  zu  nichts.        ')  so  gelind  er  kann.        *)  S.  40. 
*)  A— :  „Auch  —  wisten." 


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—    50    — 

vor  Ordnung  und  weis  angefangen  und  sich  dar  yn  geübt, 
dieweil  sye  nit  anders  oder  pessers  wisten.  Sich,  hiemmb 
sind  gesetzt^)  und  die  gepot  und  Ordnung  und  weise  yn  der 
demütigen  geistlicheit  und  yn  geistlichen  armut  nit  versmecht 

6  noch  verspottet  und  auch  die  menschen,  die  da  mit  umb  gand 
und  sie  handeint.  Sunder  da  wirt  gesprochen  yn  einer  lieb- 
habenden erbarmung  und  yn  eim  clagenden  iamer  und  mit- 
leyden:  Got*)  und  warheit,  dir  sey  geclagt,  und  du  clagest 
es  selber,  das  menschlich  plintheit  und  geprech  und  poßheit 

10  macht,  das  das  not  ist  und  seyn  muß,  des  yn  der  warheit 
nit  not  ist  noch  solte  seyn;  und")  ist  ein  begird,  das  die 
menschen,  die  nit  pessers  odder  anders  wissent  zu  der  warheit 
zu  komm,  das  sie  wissen  und  bekennen,  warumb  alle  gesetzt 
und  Ordnung  sein  und  geschehen.    Und  man*)  greiftet  es  an 

16  mit  den  andernn,*)  die  nit  pessers  noch  anders  wissent  und 
übet  es  mit  yn,  auff  daz  man  sie  da  bey  behalte,  das  sie  nit 
zu  pößen  dingen  keren,  oder  ob  man  sie  möchte  zu  einem 
nehem  prengen. 

Sich,  alles,  das  hie  vor  gesprochen  ist  von  armut  und 

20  demüttickeit,  das  ist  yn  der  warheit  alßo,  und  man  bewert 
und  bezeuget  das  mit  dem  leben  Christi  und  mit  seinen 
Worten.  Wan  er  hat  alle  werck  der  waren  demüttickeit  ge- 
übt und  volbraciit,  als  man  yn  seinem  leben  vindet;  und  mit 
Worten  spricht  er  es :  ^Lernet  von  mir,  das  ich  gutig  pyn  und 

26  eins  demütigen  hertzen'.*)  Er  hat  auch  die  ee  und  die  gesetz 
nit  versäumt  noch  versmecht  noch  die  menschen  yn  der  ee. 


^)  Gesetze.        '*)  Af:  Her. 

*)  St.:  „und  —  menschen."  Pf.:  „Wan  die  da  volkomen  sint,  die 
sint  nnder  keinem  gesetze.  Dar  nmb  so  sint  ordenong,  gesetze,  gebot  und 
des  glichen  newer  ein  nnderwisange  den  menschen."  Wenn  jeder  Mensch 
in  der  Wahrheit  wäre,  d.  h.  daß  er  seinen  WiUen  Gott  ließe,  so  würde  es 
znm  Znsammenleben  keines  Gesetzes  bedürfen,  sondern  das  Eichtige  würde 
Ton  selbst  geschehen. 

*)  Pf.:  die  volkomen  menschen. 

*)  Pf.:  solchen  einfeldigen  menschen  („homines  grossi"  Einl.  S.  44). 

«)Mt.  11,29. 


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—    51    — 

Er  spricht  wol:  ^)  Es  were  dar  an  nit  genug:  man  sol  forbas  *) 
komen,  als  es  yn  der  warheit  ist.*)  Es  ist  auch  geschribea 
Yon  S.  Paulo:')  'Christus  nam  die  ee  an  sich,  aoff  das,  das  er 
die,  die  unter  der  ee  waren,  erWßet'.  Das  meynet  er,  daz  er  sie 
tzu  eynem  nehernn  unnd  pessern  brengen  möchte.  Er  sprach  5 
awh*):  'Ich  byn  nit  komen,  das  man  myr  dyene,  sunder  ich 
sol  dienen'.  Eurtzlichen,  in  Christus  Worten  und  wercken  und 
leben  yindet  man  nit  dan  war,  lautter  demüttickeit  und  armut, 
und  als  vor  hie  gesprochen  ist. 

Und  wa  got  der  mensch®)  ist  und "0  wa  Christus  ist,  da  maß  10 
und  sol  von  not  das  seyn.  Und  wo  die  hochmütickeit  ist  und  die 
geistlich  reicheit  und  das  leicht,  frey  gem&te,  da  ist  nit  Christus 
noch  sein  war  nachvolgender.  Christus  sprach:  'Mein  seel  ist 
betrabt  pis  yn  den  tod'.®)  Er  meynt  den  leiplichen  tod;  das*) 
was  von  dem,  ^®)  das  er  von  Maria  gepomn  ward,  pis  yn  den  15 
leiplichen  tod  und^^)  wa  von  das  was,  das  ist  vor  gesagt. 

*)  Pf.  i":  ^ich  bin  nicht  komen  die  ß  oder  das  gesetze  zu  brechen,  sunder 
zu  erfaUen.    Aber  er  spricht"  Mt.  5, 17. 

*)  Pf.  f:  »zii  einem  hohern  und  bessern." 

■)  Mt.  5,  20  die  Wahrheit:  das  vor  Gott  erforderliche  Grandyerhalten. 
Pf.  f :  „Es  spricht  'es  s!  dan,  das  ewer  gerechtikeit  m^r  und  yoUcomener  si 
dan  der  schriber  und  glisner,  so  mögt  ir  nit  in  g^n  in  das  rieh  der  himel.' 
Wan  das  gesetze  vorbüt  die  hosen  werk,  aber  Kristus  vordampt  ouch  die 
hosen  gedanken.  Das  gesetze  erlenbet  ouch,  das  man  sich  an  den  finden 
rechen  mag,  aber  Eristns  gebftt  die  finde  lieb  zn  haben  (Mt.  5,  44).  Das 
gesetze  erlenbet  das  zitlich  gut,  aber  er  rSt,  man  soUe  es  als  yorsehmdhen 
(Mt  19,  21  ff.),  and  das  h&t  er  aUes  bew§ret  mit  sinem  heiigen  leben :  wan 
6r  hat  nichtes  gel^ret,  er  habe  es  dan  vor  yorbrächt  mit  den  werken,  und 
hat  doch  das  gesetze  gehalden  nnd  ist  im  undertän  gewest  bis  in  den  lib- 
Üchen  tot." 

*)Gal.4,4f.        »)Mt.20,28. 

^)  Bezeichnung  der  sittlichen  Vollkommenheit,  des  Frommen.  Lnther 
am  Bande:  i.  e.  nbi  devB  est  nostnim  ego  et  tota  intentio. 

')  St.:  „wa  Christas  ist."  Pf.:  „der  mensche  ein  warer  nachfolger 
Kristi  ist." 

«)  Mt.  26,  38  Beachte  die  Auslegang.    Vgl.  S.  17. 

•)  A— :  „das  —  gesagt."        ^^)  yon  da  an. 

^^)  St.:  and  —  gesagt"  Pf.:  „hete  er  nie  keinen  gftten  tak,  sander 
Mandel,  Tbeologla  Deutsch.  7 


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—    52    — 

Christus  spricht:  ,Selig  sind  die,  die  des  geistes  armm  sind, 
das  sind  die  waren  demutigen;  wan  gottes  reich  ist  yr'.^) 
Alßo  spricht  auch  die  warheit,  allein  es  nit  geschriben  ist: 
Unselig  und  vermaledeyt  sindt  die  geistreichen  und  hoch- 
5 mutigen,  wan  des  teufeis  reich  ist  yr.  Sich  alßo  vindet 
man  yn  der  warheit,  wa  gott  der  mensch  ist.  Aber  wa 
Christus  und  seyn  war  nachvolger  sind,  da  muß  von  not 
war,  gruntlich  und  geistlich  demuttickeit  und  geistlich  armut 
sein  und  ein  nidergetruckt,  ynbleibendes  gemüt,  und  das  sol 

10  inwendig  vol  heymlichs,  verborgens  iamers  und  leidens  sein 
bis  yn  den  leipUchen  tod.  Und  wer  anders  wenet,  der  ist 
betrogen  und  betreugt  ander  mit  ym,  als  vor  gesagt  ist. 
Und  darumb  get  alle  natur  und  selbheit  von  dißem  leben 
und  heltet  sich  zu  dem  falschen  ledigen  leben,  als  vor  ge- 

15  sprechen  ist. 

Sich,  nu  kumpt  aber  ein  Adam  oder  ein  teufel  und  wil 
sich  behelfen  oder  entschuldigen  und  spricht :  „Man  sagt  vast, 
Christus  were  an  sich  selber  und  der  gleich:  nu  sprach  er 
doch  dick  von  ym  selber  und  rümte  sich   diß  und  des  und 

20 der  gleich"!  Antwurt:  Wa  warheit  wurcken  und  wellen-) 
sol  und  wil,  so  ist  ir  willen  und  begirde  und  werck  umb 
nicht  anders,  dan  das  warheit  bekant  und  offenbar  werd,  und 
diß  was  yn  Christo.  Und  darzu  gehörten  wort  und  werck. 
Und  was  darzu  das  nutzeste  und  das  peste  was,  und  was 

25  des  gleichen  da  geschach,  des  stundt  er  alles  ledig  als  anders, ') 
das  da  geschach.  Nu  sprichstu  aber:  „so  was  doch  war-  [Eiij] 
umb*)  in  Christo".  Ich  sprich:  der  die  sunnen  fraget,  warumb 
scheinestu,  sie  Sprech:  'ich  muß  scheinen  und  vermag  anders 
nit,  wan  es  ist  mein  eigenschafft  und  gehört  mir  zu;  und 

'^  der  selben  eigenschafft  unnd  des  scheinens  sten  ich  ledig.'  Alßo 
ist  es  auch  umb  got  und  Christum.     Und   alles,   das  gotlich 

trübsal,  liden  und  widerwertikeit.    Dar  umb  so  sol  es  ouch  gar  billich  in 
sinem  diener  sin." 

')  Mt.  5,  3.        *)  wollen.        ■)  wie  anderer  Dinge. 

*)  Ein  Erreichen  wollen,  eine  Abzweckung. 


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—    53    - 

ist  und  got  zu  gehört,  das  wil  und  wurckt  und  begert  anders 
nit  dan  als  gut  und  umb  gut,  und  da  ist  anders  kein  warumb. 

Dar  nach  sol  man  mercken :  Wan  man  spricht  und  auch  25. 
Christus  selber  spricht|:  Man  sol  alle  ding  lassen  und  Ver- 
liesen,^) das  sol  man  nit  alßo  versten,  das  der  mensch  nichtz  5 
zu   tun  oder  vorhanden  sol  haben.     Wan  der  mensch  muß 
auch  etwan  etwas  tun  unnd  zu  schicken  han,  die  weil  er  lebt. 
Aber  man  sol  es  alßo  verstee,  das  alles  des  menschen  ver- 
mögen, thun  und  lassen  und  wissen  und  auch  aller  creaturen 
ist  nit  das,  da  die  vereynigung  an  ligt.    „Was  ist  nu  dieia 
einigung?"    Nit  anders  dan  das  man  lautterlichen  und  ein- 
felticlichen  und  gentzlichen  yn  der  warheit  einfeltig  sey  mit 
dem  einfeltigen,  ewigen  willen  gottes  oder  auch   zumal   on 
willen  sey  und  der  geschaffen  wille  geflossen  sey  yn  den 
ewigen    willen    und    daryn   versmeltzet   sey   und   zu   nichtei5 
worden,  alßo  das  der  ewig  will   alleyn  daselbst  wolle,  thun 
und  laß.  —  „Nu  warte:  was  mag  dem  menschen  hie  zu  ge- 
gedienen  oder  gehelffen?"    Sich,  das  mag  weder  wort  noch 
werck  adder  weis,  auch  keiner  creaturen  noch  aller  creaturen 
werck,  wissen,  vermügen,  tun  oder  lassen.    Sich,  alßo  sol  man  20 
alles  verlyesen  und  lassen,  das  ist,  das  man  nit  wenen  oder 
gedencken  solle,  das  kein  werck,  wort  oder  weiße,  kunst  oder 
meisterschaft  und  kurtzlich  alles,  das  geschaffen  ist,  kau  hie 
zu  weder  gehelffen  noch  gedienen,  sunder  man  muß  diß  alles 
lassen  sein  daz   es   ist,   und   gen   yn   die   eynigung.     Doch  25 
müssent  die  ding  seyn  und  muß  man  tun  und  lassen,  und 
besunder  der  mensch  muß  slaffen  und  wachen,  gen,  sten,  reden 
und  sweigen  und  anders  vil,  das  auch  sein  muß,  die  weil  der 
mensch  lebt. 

Auch  sol  man  mercken  yn  der  warheit :  wa  die  eynigung  26. 
geschieht  und  wesenlich  wirt,  da  stet  farbas  mer  der  ynner 
mensch  yn   der  eynung  unbeweglich   und  gott  let^)  den 

1)  =  yerlieren.  Mt.  19,  21.  Die  Freigeister  sagten:  Vollkommene 
Menschen  branchten  sich  nicht  an  die  Arbeit  zu  halten,  sondern  dürften 
feiern  und  sehen,  wie  freundlich  der  Herr  sei  (892,  409).         *)  läÜt. 

7* 


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-.    54    — 

ausser  menschen  her  und  dar  bewegt  werden  yn  dem 
und  zu  dem  da  ^)  muß  oder  sol  sein  oder  geschehen,  siSkOy  daz 
der  ausser  mensch  spricht  und  es  yn  der  warheit  also  ist: 
*Ich  wil  weder  sein  noch  nit  sein,  leben  oder  sterben,  wissen 
5  oder  nit  wissen,  tun  oder  lassen,  und  alles  das  dißem  gleich 
ist;  sunder  alles,  das  da  muß  und  sol  sein  und  geschehen,  da 
bin  ich  gehorsaz  zu,  es  sey  yn  leidender  weis  oder  yn  thuender 
weise.'  Und  hat  der  ausser  mensch  kein  warumb  oder 
gesuch,  sunder  allein  dem  ewigen  willen  genug  zu  seyn.    Wan 

10  das  wirt  bekant  in  der  warheit,  das  der  inner  mensch  sten 
sol  unbeweglich  unnd  der  ausser  mensch  muß  und  sol  bewegt 
werden.  Und  hat  der  ynner  mensch  yn  des  äußern  beweglicheit 
ein  warumb,  das  ist  anders  nit  dan  eyn  muß  und  sol  sein, 
geordnet  von  dem  ewigen  willen.     Und  wa  got  selber  der 

15  mensch  were  oder  ist,  da  ist  ym  also.  Das  merckt  man  yn 
Christo.  Auch  wa  diß  yn  gotlichem  und  auß  gotlichem  liecht 
ist,  da  ist  nit  geistlich  hochfart  noch  unachtsam  freyheit  oder 
auch  frey  gemut,  sunder  gruntlich  demütickeit  und  ein  nider  ge- 
schlagen, ingesuncken,  betrübt  gemüt,  und  alle  ordenlicheit  und 

20redlicheit,*)  und  geleicheit  und  warheit,  und  was  allen  tugenden 
zu  gehört,  das  muß  da  sein  und  fridt  und  genügte  seinent- 
halben.  Wa  es  anders  ist,  da  ist  ym  nit  recht,  als  anderswa 
mer  gesprochen  ist  und  auch  recht.')  Alß  dis  oder  das  zu 
dißer  eynung  nit  gehelffen  oder  dienen  kan,  alßo  ist  auch 

25  nicht,  das  es  gehindem  oder  geyrren  mag,  dan  allein  der  mensch 

selber  mit  seinem  eigen  willen.*) 

27.         Es  ist  gesprochen  und  gehört,^)  der  mensch  mug  und  sol 

werden  yn  der  zeit  unleidenlich  yn  all  weis,  als  Christus 

was  nach  der  urstend ;  *)  und  das  wolt  man  beweisen  und  be- 


^)  zu  dem,  das  da.        *)  Veniünftigkeit. 

*)  und  auch  recht,  nämUch  gesprochen  ist;  oder  znm  folgenden  Satz 
zu  ziehen:  „Recht. als  .  .  . 

*)  Pf.  f :  „der  tut  im  disen  großen  schaden.    Das  sol  man  wissen." 
^)  von  den  Freigeistern,  EinL  S.  44. 
*)  Anferstehnng. 


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—    55    — 

weren  da  mit,  das  Christus  sprach:  'Ich  wil  euch  vor  fEiiij]  gen 
in  Gdilea ;  da  solt  yr  mich  sehen'  ^)  und  auch  das  er  sprach : 
^Ein  geist  hat  weder  fleisch  oder  gebein,  als  ir  mich  sechent 
haben' ^;  und  wolt  man  das  also  glosieren:  als  ir  mich  ge- 
sehen haben  und  mir  nachyolgend  sind  mit  eym  totlichen  5 
leibe  und  leben,  also  solt  ir  mich  auch  segen'),  und  ich  sol 
euch  vor  genn  und  yr  mir  nachvolgen  in  Galilea,  daz  ist  in 
einer  unleidlicheit  und  yn  einer  unbeweglicheit  befinden  und 
smacken  sollent,  und  dar  ynne  leben  und  bliben,  ee  dan  ir 
den  leiplichen  todt  durch  gand  und  erleident.  Und  als  ir  mich  10 
sehet  fleisch  und  gebein  haben,  und  ich  doch  unleidenlich  byn, 
also  solt  ir  auch  vor  dem  leiplichen  todt  in  ewer  leiplicheit 
und  yn  ewer  totlichen  menscheit  unleidenlich  werden. 

Sich,  nu  antwurt  man  von  erst  zu  dißen  bewerungen  und 
spricht,  daz  Christus  nit  gemeinet  hat,  das  der  mensch  hie  zu  15 
kernen  mag  oder  solle,  er  hab  dan  vor  alles  das  durch  gangen 
und  gelitten,  das  Christus  durch  gangen  und  gelitten  hat  Nu 
was  Christus  nit  hie  zu  komen,  ee  dan  er  den  leiplichen  tod 
dnrchgangen  und  gelitten  hat  und  anders,  das  dar  zu  gehöret; 
al£o  mag  oder  sol  kein  mensch  dar  zu  komen,  alle  die  weil  20 
er  tötlich  und  leidenlich  ist.  Wan  wer  diß  das  edlist  und 
daz  peste,  und  wer  es  mägenlich  zu  geschehen  und  solt  es  sein, 
daz  man  yn  der  zeit  dar  zu  kem,  als  vorgesprochen  ist,  es 
wer  in  Christo  auch  geschehen.  Wan  Christus  leben  was  und 
ist  das  edliste  und  daz  peste  und  gott  daz  wirdigst  und  daz  25 
liebst  leben,  daz  ye  ward  oder  ymer  wirt.  Wan  es  nu  in 
Christo  nit  geschehen  solt  oder  möcht,  ßo  sol  es  auch  yn 
keim  menschen  nymer  geschehen,  also  das  es  in  der  warheit 
das  peste  und  daz  edliste  sey.  Man  mag  seyn  wol  wenen 
oder  man  mag  es  sprechen,  es  ist  aber  nit  also.  30 

Man  spricht  auch,  man  sol  und  müg  kommen  über  all  28. 
tugent  und  über  all  weis,   Ordnung   und  gebot,   gesetz  und 
redlicheit,  also  daz  man  diß  alles  hin  legen  sol  und  sol  es 


>)  Mt.  26, 32.        «)  Luc.  24,  39.        »)  sehen. 


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—    B6    — 

auflfschieben  und  vernichten.  Hie  ynn  ist  etwas  wares  und 
etwas  unwar.  Diß  sol  man  mercken.  Sich,  Christus  waz  über 
Christus  leben  und  über  all  tugent,  weis  und  Ordnung  und 
waz  des  ist,  und  der  teufel  ist  auch  darüber,  aber  mit  unter- 
5  scheid.  Wan  Christus  was  und  ist  über  diß  alles  yn  dez 
vorstand:  aller  der  wort  und  werck  und  weiße,  thun  und 
lassen,  sweigen  und  reden,  leiden  und  alles,  das  in  Christo 
ye  geschach,  was  ym  nit  not  oder  bedorflft  sein  nit  und  was 
ym  kein  nutz  zu  yin  selber.    Sich,  alßo  was  und  ist.es  auch 

lOumb  all  tugent,  Ordnung  und  redlicheit  und  des  gleich:  wan 
was  hiemit  zu  uberkomen  ist  und  etwas  hie  mit  zu  über 
komen  were,  daz  ist  in  Christo  alles  vor  und  ist  bereit 
da;^)  yn  dißez  vorstand  ist  es  auch  war.  Und  yn  dißez 
vorstand  ist  auch  sant  Paulus  wort  war  unnd  zu  versten, 

15 da  er  spricht:  *die  von  gottes  geist  geweiset  unnd  ge- 
wurcket  und  geleitet  werden,  die  sind  gots  kind  und  sind 
nit  unter  der  ee;'^)  yn  eim^  syn,  das  ist:  man  darff  sie 
nit  leren,  was  sie  tun  oder  lassen  sollen ;  wan  yr  meister,  der 
geist  gottes,   soll  sie  wol  leren.  —  Auch  bedarft  man  yn  nit 

20  gepieten  oder  heissen  wol  tun  oder  übel  lassen  und  der  gleich ; 
wan  derselb,  der  sie  leret,  was  gut  oder  ungut  ist  oder  sey 
oder  das  pest  oder  nit,  der  selb  gepeut  yn  auch  und  heist  sie 
bleiben  bey  dem  pesten  und  das  ander  lassen,  und  dem  sind 
sie  gehorsam.    Sich,  yn  dißez  vorstand  durflfen  sie  keiner  ee 

25  noch  lernung  noch  gepot  warten.  —  Auch  yn  eym  andern  ver- 
stand durfFent  sie  keiner  ee,  daz  sie  yn  selber  da  mit  icht 
uberkomen  oder  gewynnen  oder  yn  selber  entzwar  *)  zu  nutze 
sey.  Wan  was  man  mit  disen  oder  auch  mit  allen  creaturen 
hilff  oder  rede,  Worten  und  wercken  überkommen  oder  ge- 

30  schicken  mag  aufF  den  ewigen  weg  und  zu  dem  ewigen  leben, 
daz  hand  sie  alles  bereyte.*^)    Sich,  yn  dißem  syn  ist  es  war, 


*)  aUes  zuvor  und  bereits  da.        ')  Köm.  8,  14. 

')  betont,  =  ersten;  es  folgen  zwei  weitere  Punkte,  8.  Einl.  S.  17. 

*)  =  eteswar?  =  irgendwozu. 

*)  Pf. :  bereit  vor  an.  —  Also  keine  Ethik  des  "Endzwecks.    Es  ist  nichts 


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—    67    — 

das  man  über  alle  ee  und  tugent  komen  mag  und  auch  aber 
all  creaturen  werck  und  wissen  und  vermugen. 

b.  Aber  das  ander,  das  man  spricht:  man  sol  beide,  Christus  29. 
leben  und  alle  gebot  und  gesetz,  weise  und  Ordnung  und 
der   gleich  alles  hin  legen  und  auf  schieben,  und  man   sol  5 
eir^)  unachtsam  sein  und  verschmehen  und  haben  es  zu  eim 
spot,  das  ist  falsch  und  gelogen.    Sich,  nu  mocht  man  sprechen: 
[F]  Seit  dem  mal  *)  beide,  Christus  und  auch  ander  menschen,  mit 
Christus  leben  oder  mit  allen  weisen,  Ordnung  und  der  gleich 
nichcz  über  komen  oder  nutzes  schaffen  mugent,  wan  das  da  10 
mit  zu  uberkomen  ist,  das  habent  sie  gereite,*)  was  sol  es 
yn  dan  fürbaß,  das  sie  es  nit  unterwegen  lassen  sollen?*) 
SoUent  sie  dennocht  da  mit  umbgan  und  soUent  es  handeln 
und  furthin  treiben? 

Sich,  das  sol  man  wol  mercken.  Es  ist  zweierleylö 
liecht:  eyn  war  liecht  und  das  ander  falsch.*^)  Das  war 
liecht  ist  das  ewig  liecht,  das  got  ist,  oder  es  ist  ein  ge- 
schaffen liecht®)  und  ist  doch  gotlich,  und  das  heist  man 
gnad,  und  dis  ist  alles  war  liecht.  So  ist  falsch  liecht  natur 
oder  naturlich.    Warumb  ist   aber  das  erst  liecht  war  und  20 


zn  erreichen.  Alles  liegt  an  einem  persdniichen  Grandyerhalten.  (Vgl. 
£inl.  S.  39  f.)  Mit  Recht  \vird  die  Endzwecklehre  als  Gesetzesdienst  be- 
schrieben :  wenn  die  Handlangen  den  Zwecken  nach  geregelt  werden  soUen,  so 
kommt  man  nie  über  das  Gesetz,  nie  zu  der  Freiheit  des  Christenmenschen, 
dem  alles,  was  die  empirischen  Forderungen  freilassen,  erlaubt,  weil  er  dem 
persönlichen  Verhalten  nach,  über  und  Tor  allem  Handeln,  mit  Gott  eins  ist. 

')  „eir"  =  6r  =  ehe.        *)  sintemal         •)  bereits. 

*)  Diese  Frage  drängte  sich  auf,  weil  die  Freigeister  das  Leben  Christi 
als  eine  niedrigere  Stufe  ansahen  (vgl.  die  Lehre,  die  von  ihnen  zwar  nicht, 
aber  Ton  den  Amalrikanem  überliefert:  daß  nach  der  Offenbarung  des 
Sohnes  nun  im  hl.  Geist  eine  neue  Offenbarungsstufe  gegeben  sei),  und  weil 
die  Th.  D.  aUerdings  mit  ihnen  in  der  Ablehnung  jeder  mittlerischen  Be- 
deutung Christi,  nach  der  durch  ihn  etwas  zu  erlangen  wäre,  eins  war.  — 
Die  Antwort  unter  ausdrücklicher  Bezugnahme  erst  Kap.  36. 

^)  Das  wahre  Licht  wird  bis  Kap.  37  dargesteUt,  Kap.  40  das  falsche. 

**)  wie  man  unterschied  gratia  increata,  die  Gnade  in  Gott,  gratia 
creata,  die  Gnade  als  Beschaffenheit  im  Menschen. 


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—    58    — 

das  ander  falsch?  Diß  sol  mann  paß  mercken,  da  maHä 
schreiben  odder  sprechen  kan.  Got  als  gotheit  gehört  nit 
zu,  weder  wil  noch  wissen  oder  offenbaren  noch  diß  noch  das^ 
das  manl  genennen   mag  odder  sprechen    oder   gedencken. 

5 Aber  gott  als  got  gehört  zu,  das  er  sein  selb  veriehe')  und 
sich  selber  bekenne  und  liebe  und  sich  selber  ym  selber 
offenbar  in  ym  selber,  und  diß  noch  alles  yn  got,  noch  alles 
als  ein  wesen  und  nit  als  ein  wurcken,  die  weil  es  on  creatur 
ist,  und  yn  dißez  veriehen  und  offenbaren  wirt  die  person- 

10  lieh  unterscheid.*)  Aber  da  got  als  got  mensch  ist  oder  da 
gott  lebet  in  eim  gotlichen  oder  yn  eim  vergotten 
menschen,  gehört  got  etwas  zu,  das  sein  eigen  ist  und 

*)  sich  bekennen. 

^)  Gott  als  Gottheit  d.  i.  das  über  alle  Verschiedenheit,  Einfelheit 
und  Ichheit  erhabene  Vollkommene,  das  „Nichts*^  im  Verg^leich  mit  aU 
diesem  (Kap.  1).  Gott  ist  aber  Gott  d.  i.  selbstbewußte  Person  nur  dadurch, 
daß  er,  wie  alles  Selbstbewußtsein,  sich  selbst  erfaßt,  daß  er  sich  gegen- 
ständlich wird,  sich  selbst  bekennt.  Da  wird  die  zweite  Person  der  Gottheit : 
das  Wort  (Logos).  —  Es  ist  geleugnet  worden,  daß  der  persönliche  Unter- 
scheid trinitarisch  zu  verstehen  sei :  die  Th.  D.  wisse  überhaupt  nichts  von 
der  Trinität;  der  Unterscheid  bestehe  darin,  daß  Gott  nch  selbst  liebe  als  das 
wahre  Gut,  daß  er  sich  als  solches  selbst  erfasse  (S.  81 20 ff.;  ygL  S.  61 1«). 
Auch  der  Schlußsatz  des  Büchleins  sei  daher  nicht  ursprünglich  (Reifen- 
rath,  S.  52).  Nun  ist  diese  Auslegung  angesichts  des  Sinnes  von  „persön- 
lichem Unterscheid^  bei  Tauler  und  Eckhart  sicher  unhaltbar  (so  schon 
Maoff  S.  16  f).  Aber  das  ist  zuzugeben,  daß  die  Ohristologie  der  Th.  D. 
eigentlich  die  Trinität  bei  Seite  schiebt .-  nach  Maßgabe  des  sittlich-religiösen 
Ideals  ist  Gott  selbst  in  Christus.  Anderseits  aber  ist  die  Unterscheidung 
von  Gottheit  und  Gott  aus  der  genuinen  Gotteslehre  der  Th.  D.  immerhin 
zu  verstehen,  wiewohl  man  auch  sagen  kann,  daß  sie  der  Trinität  zu  Liebe 
gemacht  sei.  —  Diese  beiden  Stufen  nun  hat  Gott  für  sich ;  bliebe  es  bei  ihnen, 
so  hätte  er  in  der  wirklichen  Welt  keine  Wirklichkeit.  Nun  könnte  man 
darauf  verweisen,  daß  GK>tt  schon  als  Gottheit,  als  das  Vollkommene,  zu- 
gleich die  Macht  in  aUer  Wirklichkeit  sei  Aber  es  handelt  sich  darum,  daß 
Gott  als  solche  anerkannt  werde,  daß  er  in  einem  bewußten  und  woUenden 
Wesen  seine  volle  Wirklichkeit  bekomme  (S.  92  ig  ff.,  93 1  ff.),  dann  erst  ist 
sein  Sich  selbst  aussprechen  vollendet.  —  Der  hl.  Geist  spielt  keine  RoUe; 
die  Dreiheit  ist:  Gott  in  Ewigkeit,  der  persönliche  Unterschied  und  Gott 
als  Mensch. 


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—    59    — 

ym  allein  sm  gehört  und  nit  den  creatnren;  und  ist  yn  ym 
8elb^  on  creatur,  ursprunglich  und  wesenlich,  aber  nit 
förmlich  oder  wurcklich;*)  und  got  wil  dasselb  geubet  haben, 
wan  es  ist  darumb,  das  es  gewurcket  und  geübet  werden  sol. 
Und  was  solt  es  anders?  solt  es  müssig  sein,  was  wer  es  5 
dan  nutz?  wan  was  nyndert  zu*)  nutz  ist,  das  ist  umb  sunst 
und  das  wil  gott  oder  die  natur  nit.  Wil  got  *)  nu  das  geübt 
und  gewurdLet  hau,  und  das  mag  on  creatur  nit  geschehen, 
das  es  also  seyn  solle.  Ja  solte  weder  dis  noch  das  sein, 
oder  were  diß  noch  das,  oder  wer  kein  werck  oder  wurck-lO 
licfaeit  oder  der  gleich,  was  wer  oder  solt  got  auch  selb^, 
oder  was  wer  er?*)  Man  muß  hie  umbkeren  und  beleihe: 
man  mocht  dißem  alßo  vehrr  nachvolgen  und  nach  kriechen, 
man  weßt*)  nit,  wa  man  were  oder  wa  man  wider  auß 
kriechen  solt.  16 

1)  Nu  sol  man  mercken.*)  Got  als  er  gut  ist,  ßo  ist  er  gut  30. 
als  gut  und  ist  wider  diß  gut  noch  das  gut.  Hie  merck  aber 
etwas.  Sich  was  etwa  ')  ist,  hie  oder  da,  das  ist  nyt  an  allen 
enden  und  über  alle  ende  und  stette ;  und  was  etwan  ist,  heut 
odw  morgen,  das  ist  nit  alwegen  und  altzeit  und  über  altzeit;ao 
und  was  etwas  ist,  diß  oder  das,  daß  ist  nit  alle  und  über 
alle.  Sich,  were  nu  got  etwas,  diß.  oder  das,  ßo  wer  er  nit 
all  und  über  alle,  als  er  ist,  und  ßo  wer  er  nit  die  war  vol- 
komenheit.    Und  darumb  ist  got  und  ist  doch  weder  diß  noch 


*)  Was  Gott  in  solchem  Menschen  ist,  das  ist  er  in  sich  selbst  wesent- 
lich und  orsprünglich,  aber  nicht  als  formierendes  Prinzip  einer  empirischen 
Wirklichkeit.        ^)  zu  nichts.        ')  Pf.:  Nu  dar!  got  wil. 

*)  Ja  nicht  nur  die  geschichtliche  Erscheinung  des  Wortes  ist  nicht 
E«  begreifen,  wenn  nicht  aus  der  Absicht,  daß  das  Wort  wirken  solle, 
sondern  auch  Gottes  Wesen  nicht,  wenn  es  nicht  eine  Welt  gäbe,  deren 
Sein  und  Geschehen  in  seiner  Macht  stünde.  Auch  hienach  also  gehört  das 
Verhältnis  Gottes  zur  Welt  zur  grundlegenden  Stufe.  Deshalb  ist  es  nicht 
besonders  berücksichtigt.        *)  wüßte. 

^)  Kap.  29:  Gott  muß  sich  offenbaren.  Kap.  30 ff.:  als  was?  als  das 
vollkommene  Gut,  daher  als  Liebe  (31)  die  über  den  egoistischen  Bannkreis 
hinaushelfen  will  (32)  usw.        ')  irgendwo. 


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—    60    — 

das,  das  creaturen  als  creaturen  bekennen  oder  genennen,  ge- 
dencken  oder  sprechen  mugen.  Und  dammb,  were  got,  als 
er  gut  ist,  das  gut,  oder  diß  gut,  ßo  were  er  nit  alles  gut 
und  über  alles  gut,  und  ßo  wer  er  nit  das  einfeltig  und  vol- 

ökumen  gut,  das  er  doch  ist.  —  Sich,  nu  ist  got  auch  ein 
liecht  und  bekentnuße,  ßo  gehört  liecht  und  bekentnus  zu 
und  ist  sein  eigenschaflFt,  das  es  leuchte  und  erleuchte,  schein 
und  bekenne.^)  Und  darumb,  das  gott  liechte  und  bekentnus 
ist,  ßo  muß  er  leuchten  und  erleuchten  und  bekennen,  und 

10  alles  dis  leuchten  und  bekennen  in  got  ist  on  creaturen.  Es 
ist  nit  da  als  ein  werck,  sunder  als  ein  wesen  oder  ein  Ur- 
sprung. Sol  es  aber  geschehen  als  ein  werck  yn  wurckender 
weis,  das  muß  in  creaturen  geschehen.  Secht,*)  wa  nu  das 
bekentnus  und  das  liecht  yn  einer  creaturen  wurckent  ist, 

16 da  bekennet  es  und  leret,  was  es  ist;  und  alßo  ist  es  gut. 
Und  darumb  ßo  ist  es  weder  diß  oder  das.  So  bekennet  und 
leret  es  auch  weder  dis  noch  das,  sunder  es  bekennet  und 
leret  zu  erkennen  das  ein,  war,  einfeltig,  volkumen  gut,  das 
weder  dis  oder  daz  ist,  sunder  es  ist  alles  gut  und  über  alles  gut. 

20  Nu  ist  hie  gesprochen,  es  lere  daz  einig  gut.  Was  leret 
es  aber  von  ym?  Dis  sol  man  wol  mercken.  Sich,  als  got 
ein  gut,  bekentnus  und  liecht  ist,  also  ist  er  auch  ein  wille 
und  liebe  und  gerechtickeit  und  warheit  und  ist  auch  alle 
tugent.    Und  ist  doch  alles  ein  wesen  in  got,  und  es  mag 

26  keines  nymer  gewurcket  oder  geübt  werden  on  creature.  Wan 
es  ist  in  got  [Fij]  on  creatur  nit  anders  dan  ein  wesen  und 
ein  Ursprung  und  nit  ei  wercke.  Aber  wa  diß  eine,  daz  doch 
dis  all  ist,  eyn  creatur  an  sich  nympt  und  jt  geweitig  ist 
und  ym  da  zu  füget  und  daugt,*)  das  es  sich  seins  eigens  da 

30  bekennen  mag,  sich,  als  es  dan  ein  wiU  und  liebe  ist,  ßo  wirt 
er  gelert  von  ym  selber  in  dem,  als*)  es  ein  liecht  und  be- 
kenntnus  ist.    Es  sol   nichtz  wollen  dan  das  ein,  das  es  ist. 

»)  nach  Kap.  29.        «)  Seht.        »)  taagt. 

*)  er  d.  i.  der  Wille,   Gott  wird  bekannt  gemacht  durch  ihn  selber, 
da  ja  zu  leuchten  und  zu  bekennen  ihm  wesentlich  ist. 


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—    61    — 

Sich,  da  wirt  dann  furbas  mer  nit  anders  gewölt  oder 
gemey  net  dan  gut  als  gut  und  umb  nit  anders  dan  darumb. 
daz  es  gut  ist,  und  nit  darumb,  das  es  dis  oder  das  sej% 
dißem  oder  dem  lieb  oder  leid,  wol  oder  we,  süß  oder  säur 
sey  und  der  gleich.  Dan  darnach  wirt  nit  gefraget  oder  ge-  5 
rucht,  und  auch  nit  umb  sich  selber  oder  als  sich  selber. 
Wann  da  ist  all  selbheit  und  icheit  und  ich  und  mir  und 
-des  gleich  gelassen  und  abgefallen.  Da  wirt  nit  gesprochen: 
ich  hab  mich  lieb  oder  dich  oder  diß  oder  das  und  der  gleich. 
Und  Sprech  man  zu  der  lieb:  *was  hastu  lieb?'  sie  Sprech:  10 
^Ich  hab  gut  lieb.'  *Warumb  ?',  sie  Sprech :  ^darumb,  das  es  gut 
ist,  und  umb  gut.'  So  ist  es  gut  und  recht  und  wolgetan,  das 
■es  gemeynet  werde,  und  were  icht  pessers  dan  got,  daz  must 
geliebet  werden  vor  got.^)  Und  darumb  hat  sich  gott  selber 
nit  lieb  als  sich  selber,  sunder  als  gut.  Und  were  oder  weßte  15 
got  icht  pessers  dan  got,  das.het  er  lieb  und  nit  sich  selber. 
Also  gar  ist  icheit  und  selbheit  von  got  gescheiden  und  ge- 
höret im  nichtz  zu,  sunder  alsvil  sein  not  ist  zu  der  per- 
sonlicheit.^)  Sich,  diß  sol  sein  und  ist  in  der  warheit  in  eim 
gotlichen  oder  in  eim  waren  vergotten  menschen,  dan  er  wer  20 
anders  nit  götlich  oder  vergottet. 

Hernach  volget,  daz  in  eim  vergotten  menschen  die  lieb  81. 
ist  lautter  und  unvermischet  und  gut  willig  zu  allem  und 
za  allen  dingen.  Und  darumb  muß  alda  selbst  alle  und  alle 
4ing  geliebet  werden  und  allem  und  allen  dingen  wol  wollen  25 
und  gunnen  und  tun,  unvermischt.  Ja  man  tu  eim  vergotten 
menschen  waz  man  wil,  wol  oder  wee,  lieb  oder  leid,  dis  oder 
daz:  Ja,  der  einen  vergotten  menschen  hundert  mal  tötet,  und 
wurd  wider  lebentig,  er  mußt  den  menschen  lieb  haben, ^)  der 


*)  Nicht  als  ob  das  Gute  über  Gott  stünde;  Gott  ist  wesentlich  das 
-einige  Gat,  ist  mit  diesem  identisch,  folglich  auch  ohne  Ichheit  in  dem 
Sinne,  daß  er  sich  von  dem  einigen  Gut  unterschiede,  um  etwas  yon  ihm 
für  sich  zu  haben,  im  Gegensatz  zu  anderen.  ^)  S.  58  Anm.  2. 

•)  Das  neue  per8()nliche  Grundverhalten  setzt  an  die  Stelle  des  natür- 
lichen Grundsatzes  der  Vergeltung  die  Liebe,  welche  durch  das  Verhalten 


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—    62    — 

ya  alßo  getötet  hette,  ofld  het  ym  also  vil  Unrechts  und 
ttbels  und  pößes  getan,  und  mufit  ym  wol  wollen  und  gunneii 
und  begeren  und  auch  dem  selben  das  aller  pest  tun,  möcht 
er  es  genemen  ^)  und  enphahen.  Sich,  dis  mag  man  mercke« 
5  und  beweisen  und  beweren  mit  Christo.  Dan  er  sprach  zu 
Judas,  der  yn  verriet:  'Freundt,  warumb  bistu  körnen? *)  ala 
ob  er  Sprech:  Du  hassest  mich  und  bist  mein  veindt:  so  hab 
ich  dich  lieb  und  pyn  dein  freund;  und  du  begerst  und 
gannest  und  tust  mir  das  aller  pöst,  das  du  kanst  oder  magst: 

10  So  wil  ich  und  beger  und  gan  dir  des  aller  pesten  und  gebe 
und  tete  es  dir  gernn,  möchtestu  es  genemen  und  emphahen; 
gleich  als  gott  auß  der  menscheit  Sprech :  Ich  pyn  eyn  lautter, 
eynfeltig  gut,  alßo  mag  ich  auch  nit  wollen,  begeren,  ge- 
gunnen,  getun  oder  geben  dan  gut;  sol  ich  dir  deines  ubels 

15  und  deiner  poßheit  Ionen,  das  muß  ich  mit  gute  thun,  wan 
ich  pin  oder  hab  anders  nichtz.  Hie  nach  volget,  das  got  yn 
einem  vergotten  menschen  keiner  räch  begert  oder  wil  oder 
tut  umb  alles  das  übel,  das  man  ym  getun  mag  oder  ymer 
geschieht ;  daz  merckt  man  aber  bey  Christo,  der  sprach :  'Vater,. 

20  vergib  yn,  wan  sie  wissent  nit,  waz  sie  tund.'') 

des  Anderen  znm  eigenen  Ich  nicht  bestimmbar,  sondern  anbedingt  ist,  weil 
ihr  Bestimmnngsgrund  das  einfältige,  lautere  Gut  d.  h.  das  Gut  ohne  Ich- 
heit  ist. 

»)  nnr  (Pf.)  nehmen.        «)  Mt.  26,  50. 

»)  Lc.  23, 34.  —  Die  Art  der  göttlichen  Liebe  schließt  aus,  daß  Gott  Ver-^ 
geltong,  Bestrafung  der  Sünde  oder  Genugtuung  für  sie  fordere.  Hier  liegt 
der  Grund  dafür,  daß  die  Th.  D.  nichts  wissen  will  yon  der  Bedeutung  des- 
Todes  Christi,  welche  ihm  die  übliche,  anseimische  Yersöhnungslehre 
beimißt.  Trotzdem  aber  weiß  die  Th.  D.  vom  Zorne  Gottes.  Sie  muft 
es  ablehnen,  von  einem  solchen  oder  von  göttlicher  Strafgerechtigkeit 
in  Gott  selbst  zu  reden;  aber  der  Zorn  Gottes  ist  ihr  deshalb  nicht  eine 
iUusorische  Idee  des  Menschen,  sondern  ein  reales  Verhältnis:  nämUch  der 
Gegensatz  des  sich  selbst  behauptenden  menschlichen  WiUens  zu  dem  den 
Menschen  schlechthin  bestimmen  wollenden  Wesen  und  Willen  Gktttes 
(s.  S.  66).  Von  hier  aus  dürfte  sich  eine  neue  und  bessere  Venöhnungs- 
lehre  ergeben,  welche  im  Tode  und  in  der  Gottverlaasenheit  Christi  nicht 
Genugtuung  für  eine  objektive  Strafgerechtigkeit  in  Gott  sieht,  sondern 


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—    63    — 

Auch  ist  gottes  eigenschaft,  daz  er  niemant  zwingt  mit 
gewalt^  zu  thuB  oder  zu  lassen,  sunder  er  lafit  einen  yeg- 
lichen  menschen  tun  und  lassen  nach  seinem  willen,  es  sey 
gut  oder  pöß,  und  wil  niemant  widersteen.  Das  merckt  maji 
aber  in  Christo,  der  wolt  seinen  ubeltetern  nit  widerstan  6 
oder  weren,  und  da  yn  sant  Peter  weren  wolt,  do  sprach  er: 
Tetre,  steck  dein  swert  wider  yn!  Wan  mit  gewalt  wider- 
sten  und  weren  und  zwingen  gehört  mir  nit  zu  noch  den 
meinen.'  ^)  Auch  mag  ein  vergotter  mensch  niemant  besweren 
oder  betrüben,  das  vememmet*)  alßo:  yn  seinem  willen  oderio 
begirde  oder  yn  seiner  meynung  kumpt  nymer  zu  tun  oder  zu 
lassen,  zu  reden  oder  zu  sweigen  ienert*)  einem  menschen 
zu  leid  oder  zu  betrfibniß. 

Nu  möcht  man  sprechen:  Sider  das  er  eym  yeglichen  daz  3S« 
peste  wil,  begeret  und  tut,  ßo  solt  er  auch  eim  iechlichenlö 
[Fiij]  helffen  und  tun,  das  ym  all  sein  wil  vortgieng,*)  als  dez 
einen  zu  dem  pabstum,  dem  andemn  zu  pistum  und  der  gleich. 
Antwort:  Wer  dem   menschen  zu  seim  eygen  willen  hilfft, 
der  hiMft  ym  zu  dem  aller  pösten.    Wan  ie  mehr  der  mensch 
Tolget  und  zu  nympt  yn  seim  eigen  wiUen,  ßo  vil  er  von  got  20 
und  dem  waren  gut  verrer  ist.*)    Nu  wolt  gott  dem  menschen 
gemn  helffen  und  prengen  zu  dez,  das  an  ym  selber  das  peste 
ist  und  auch  dem  menschen  unter  allen  dingen  das  peste. 
Und  sol  das  geschehen,  ßo  muß  aller  eigener  will  abgen,  als 
vor  gesprochen  ist,  und  dar  zu  hulff  got  dem  menschen  gemn; 25 


die  Anfhebnng  des  realen  Zorn-  und  Strafverhältnisses  Gottes  znm  Menschen, 
welche  natürlich  nur  durch  Eingehen  in  die  Erscheinungen  desselben  (Tod 
und  Gottesfeme)  und  durch  Anerkennung  des  Eechtes  solcher  realen  Zom- 
und  Straferscheinungen  angesichts  des  menschlichen  WiUens  ihren  Weg 
nehmen  kann.  Diese  angedeutete  Versöhnungslehre  hat  die  Th.  D.  aUer- 
dings  nicht  als  die  Folge  ihres  Zombegriffes  erkannt.    Vgl.  aber  Luther! 

»)  Job.  18,  11.        *)  versteht.        »)  irgend. 

*)  fortginge,  erftült  würde. 

^)  Pf.  t :  wan  es  brinnet  nichtes  in  der  helle  dan  eigener  wille.  Dar 
nmb  spricht  man:  tu  ab  den  eigen  willen,  so  wirt  kein  helle. 


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—    64    — 

wan  alle  die  weil  der  mensch  sein  pestes  sucht,  ßo  sucht  er 
nit  sein  pestes,  und  findet  es  auch  njrmer.  Wan  des  menschen 
pestes  were  und  ist,  das  er  weder  sich  noch  das  sein  such 
oder  meyn,^)  das  lert  und  redet  got.  Und  wer  da  wil,  das  ym 
ögot  helff  zu  dem  pesten  und  zu  seim  pesten,  der  volg  gottes 
red  unnd  seiner  lere  und  gepot,  ßo  wirt  und  ist  ym  ge- 
holfen, und  anders  nit.  Nu  lert  und  redt  got,  der  mensch 
sol  sich  selber  und  alle  ding  lassen  und  im  nachvolgen.  Wan 
wer  sein  sei,  das  ist  sich  selber,  lieb  hat  und  behüten  und 

10 behalten  wil,  das  ist:  wer  sich  und  das  seyn  yn  den  dingen 
sucht,  der  wirt  die  seel  verlieren.    Aber  wer  seiner  seel  un- 
achtsam ist  und  sich  selber  und  alles  das  seyn  verleuset,*) 
wirt  die  seel  behüten  und  behalten  yn  das  ewig  leben.') 
38.  Auch   gehört   got   zu  yn  eim  vergotten  menschen  war, 

lögruntlich,  wesenlich  demuttickeit,  und  wa  die  nit  ist,  da  ist 
nit  ein  vergotter  mensch.  Und  das  hat  Christus  gelert  mit 
Worten  und  mit  wercken  und  mit  leben.  Und  es  kumpt  da 
von,  dan*)  da  wirt  yn  dem  waren  liecht*^)  bekant  (als  es  yn 
der  warheit  ist),  das  wesen,  leben  und  bekennen,  wissen  und 

20  vermugen  und  was  des  ist,  alles  des  waren  gottes  ist  und  nit 
der  creaturen ;  besunder  ^)  creatur  als  creatur  ist  oder  hat  von 
irselber  nichtz;  und  wan  sie  sich  von  dem  waren  gut  kert 
mit  yrem  willen  und  wercken  und  was  des  ist,  ßo  findet  man 
da  nichtz  dan  lautter  poßheyt.    Und  darumb  ist  es  auch  yn 

25  der  warheit  wäre,  daz  creatur  als  creatur  von  irselber  nichtz 
wirdig  ist  oder  zu  nichte  recht  hat  und  ir  niemant  schuldig 
ist,  weder  got  oder  creatur,  und  das  sie  von  recht  got  sol 
gelassen  sein  und  Untertan,  und  das  ist  daz  gröste  und  daz 


')  Pf.  f :  „in  keinen  dingen,  weder  in  geist  noch  in  nätür,  sonder  aUeine 
das  lob  und  die  ^re  gotes  und  sinen  gotitchen  willen.'^ 

*)  Pf .  t :  „und  üf  git  slnen  eigen  willen  und  alleine  vorbringt  gotes 
willen".        »)  Mt.  10,  39;  Mc  8,  35;  Lc  9,  24. 

*)  Pf.:  das. 

»)  D.  i.  der  Schöpfungsglaube  (S.  22). 

*)  sondern. 


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—    65    — 

aller  mercklichst.*)  Waz  nu  got  gelassen  und  Untertan  sol 
und  wil  sein,  daz  muß  und  sol  allen  creaturen  Untertan  sein 
und  kurtzlich  daz  nit  in  tuender,  besonder  in  leidender  weis, 
oder  es  ist  falsch.  Und  von  dißer  letzten  sach  und  von  dißem 
letzten  artickel  kumpt  war  demüttickeit  und  auch  von  andemn  6 
artickel.  Und  solt  es  yn  der  warheit  nit  sein,  und  wer  es  nit 
von  warer  gotlicher  gerechtickeit  das  peste,  Christus  het  es 
nit  mit  Worten  gelert  und  mit  leben  volbracht.  Und  alda 
wirt  ein  war  verleben,  und  es  ist  in  der  warheit  also:  Diße 
creatuer  sol  von  gotlicher  warheit  und  gerechtickeit  got  und  10 
allen  creaturen  Untertan  sein,  und  ir  soll  nichtz  Untertan  oder 
gelassen  sein,  und  got  und  all  creatur  habent  recht  über  sie 
und  zu  ir,  und  sie  zu  nichte  oder  über  nichtz,  und  sie  ist 
aUen  schuldig  und  ir  niemant.  Und  dis  alles  in  leidender 
weis  und  auch  etwander  ^  in  thüender  weise.  Und  davon  wirt  15 
dan  auch  geistlich  armut,  da  von  Christus  sprach :  ^Selig  sind 
die  armen  des  geistes,  wan  das  reich  gottes  ist  ir*.  ^)  Diß 
hat  alles  Christus  mit  werten  gelert  und  mit  leben  volbracht. 

2)  Hie  sol  man  aber  etwas  mercken.    Man  spricht,  es  sey  84. 
oder  geschech  etwas  wider  got  und  sey  etwas  got  leid  und  20 
verdrieße  yn.    Man  sol  wissen,  das  kein   creatur  wider 
got  ist  oder  ym  leyd  oder  ym  verdrißlich  ist  in  dem,  daz  sie 
ist  oder  lebt,  weißt*)  oder  vermag.    Und  was  des  ist:  daz  ist 
alles  nit  wider  got.    Das  der  teufel  oder  mensch  ist,  lebt  und 
des  gleich,  daz  ist  alles  gut  und  gottes.    Wan*^)  got  ist  dis  25 
allzumal  wesenlich    und    ursprunglich.     Wan   got    ist    aller 
wesenden  wesen  und  aller  lebentigen  leben  und  aller  wiesen 
weißheit,  wan  alle  ding  haben  ir  wesen  warlicher  in  got  dan 
in  yn  selber  ^)  und  auch  ir  vermugen,  leben  und  waz  des  ist. 


*)  D.  h.  diese  ethische  Folgerung  aus  dem  Gottesglaaben  ist  das 
Wichtigste.       *)  bisweilen.        »)  Mt.  5,  3.       *)  weiß. 

*)  Pf.—  :  „Wan  —  ursprunglich." 

•)  Unter  Wesen  ist  das  Sein  und  Leben  verstanden  (s.  S.  7).  Hier  kann 
dem  Leser  der  Unterschied  Tom  platonisch -augustinisch-mittelaltrigen 
Dualismus  klar  werden. 


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—    66    — 

Oot  were  aoders  nit  alles  gut,  und  daramb  ist  es  altzamal  gut. 
Was  nu  gut  ist,  das  ist  got  lieb,  und  er  wil  es  haben,  dar-  [Fiiij] 
umb  ist  es  nit  wider  yn. 

Was  ist  dan  wider  got  und  ym  leid?  das  ist  altein 
ösunde.  Waz  ist  aber  sunde?  Nichtz  anders  dan  das  die 
creatur  anders  wü  dan  got  und  wider  got,  und  wider  got  wil; 
das  merck  ein  yeglicher  bey  im  selber.  AVan  wer  anders  wil 
dan  ich  oder  wider  mich  wil,  der  ist  meyn  feindt,^)  und  wer 
wil  als  ich,  der  ist  meyn  frunt  und  ist  mir  lieb.    Also  ist  es 

10  auch  umb  got.  Sich,  daz  ist  sund  und  ist  wider  got  und  ist 
im  leid  und  ein  betrübnus,  und  wer  nu  anders  wü  dan  ich 
oder  wider  mich,  waz  der  tut  oder  leßt,  redt  oder  sweigt,  daz 
ist  alles  wider  mich  und  ist  mir  swer.  AlBo  ist  es  auch  umb 
got.    Wer  anders  dan  got  oder  wider  got  wil,  waz  der  tut 

15  oder  leßt  und  alles,  daz  er  zu  schicken  hat,  daz  ist  alles  wider 
got  und  sund,  und  wilcher  wiU  anders  wil  dan  got,  der  ist 
auch  wider  gottes  willen.  Wan  Christus  spricht:  Wer  nit, 
mit  mir  ist,  der  ist  wider  mich.*)  Er  meint,  wer  nit  mit  mir 
wil  und  nit  eynigwiUig  mit  mir  ist,  der  wil  wider  mich.    Hie 

80  bey  mag  ein  mensch  mercken,  ob  er  on  sunde  sey  oder  nit, 
und  ob  er  sunde  thfi  oder  nit,  und  was  sunde  sey,  und  wie 
oder  wa  mit  man  sunde  pussen  oder  pessernn  sol  und  mag.*) 
Und  diße  widerwillickeit  zu  got  heist  man  und  ist  ungehorsaz. 
Adam,  icheit  und  selbheit,  eigenwillickeit,  sund  oder  der  alt, 

25  mensch  und  abkeren  und  abgscheiden  von  got,  daz  ist  alles  eins. 
85.         Nu  sol  man  mercken:  Got,  als  er  got  ist,  ßo  mag  weder 

^)  Sünde  ihrem  Wesen  nach  und  unmittelbar  =  Feindschaft  gegen  Gott ! 
Hier  dürfte  sich  der  Begriff  des  Zornes  Gottes  ergeben,  der  weder  den 
Zorn  als  objektive  Gerechtigkeit  in  Gott  noch  als  Illnsion  des  Menschen 
auffaßt!  Zorn  Gottes  ist  der  Gegensatz,  in  welchem  sich  Gottes  Wesen 
d.  i.  der  WiUe  zn  schlechthiniger  Hingabe  zn  dem  natürlichen  Willen  be- 
findet.   Vgl.  das  folgde  Kap.  darüber,  wie  Gott  die  Sünde  empfinden  muß. 

«)  Mt.  12,  30. 

')  Die  Sünde  ist  wieder  gut  gemacht,  wenn  ich  meinen  Sinn  ändere. 
Die  Vergebung  hat,  da  Gottes  Zorn  nicht  genügend  beachtet  wird  (S.  27), 
nur  eine  Bedingung:  wirkliche  Besserung. 


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—    67     - 

leid  oder  betrubnos  oder  mißval  in  yn  komen,  und  wirt  doch 
got  betrübt  umb  des  menschen  sand.   So  nn  dis  nit  geschehen 
mag  in  got  on  creatnr,  ßo  mn£  es  geschehen,  da  got  mensch 
ist  oder  in  eim  vergotten  menschen.    Sich,  da  ist  sund  got 
also  leid  and  verdreust  yn  also  sere,  daz  got  alda  selbs  gernn  5 
wolt  gemartert  werden  und  leiplich  sterben;  auf  das  er  eins 
menschen   sunde  da  mit   vertilgen   möcht;   und   der    zu    im 
Sprech,  ob  er  lieber  leben  wolte,  das  die  sund  belibe,  oder 
sterben  und  die  sund  mit  seinem  tod  vertilgen,  er  wolte  ^) 
sterben.    Wan  got  ist  eins  menschen  sunde  leider  und  tutio 
im  wirser   dan   sein   eigen  marter   und    tod.*)     T&t   im  nu 
eins  menschen  sund  als  wee,  wie  tut  ym  dan  aller  menschen 
sund?    Sich,  hie  bey  sol  man  mercken,  wie  der  mensch  got 
betrübt  mit  seinen  sunden.    Und  wa  got  mensch  ist  oder  yn 
einem  vergotten  menschen,  da  wirt  anders   nichtz  geclagetiö 
dan  sunde  oder  ist  anders  kein  leid.    Wan  alles,  das  da  ist 
oder  geschhicht  on  sund,  das  wil  got  haben  und  sein.    Aber 
die  clag  und  der  iamer,  der  umb  die  sund  ist,  der  sol  und 
muß  bleiben  pis  an  den  leiplichen  tod  yn  einem  vergotten 
menschen,  und  solt  der  mensch  leben  pis  an  den  iungsten20 
tag  oder  ewiglichen.    Hie  von  was  und  ist  Christus  heymlich 
leiden,  davon  niemant  sagt  oder  weißt  dan   allein  Christus; 
und   darumb   heißt   es   und  ist  heymlich.     Es  ist  auch  ein 
eigenschafft  gottes,  die  er  haben  wil  und  ym  wol  gefellet  yn 
eim  menschen,  und  ist  wol  gots  eigenschafft,  wan  es  gehört  20 
menschen  nit  zu,  und  er  vermag  sein  nit.*)    Und  wa  got  diß*) 
bekomen  kau,  das  ist  jTn  das  liebste  und  wirdigest,  wan  es 
ist  dem  menschen  das  pittrist  und  das  swerist.    Alles,  das 
hie  geschriben  ist  von  gottes  eigenschafft,  die  er  doch  haben 
wil  yn  dem  menschen,  yn  dem  sie  geübt  und  gewurckt  sol  30 

»)  Pf.  f:  tftsentmal  lieber. 

*)  Gott  verhält  sich  sur  Sünde  nicht  wie  der  Gesetzgeber  oder  Richter, 
nach  einer  objektiven  Gerechtigkeit:  die  Sünde  ist  persönliche  Kränkung 
Gottes.        ')  Gott  leidet  in  Christus  um  die  Sünde. 

*)  Leiden  um  die  Sünde. 
Mandel,  Theologla  Deutsch.  8 


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—    68    - 

werden,  die  leret  das  war  liecht,  und  leret  dar  zu,  das  der 
mensch,  yn  dem  sie  gewurcket  und  geübt  wirt,  das  er  sich  der  *) 
also  wenig  an  nympt,  als  ob  er  nit  were.  Wan  da  wirt  bekant 
also,  das  es  der  mensch  nicht  vermag  und  ym  nit  zu  gehört.*) 
6.  Sich,  wa  ein  solcher  Vergotter  menäch  were  oder  ist,  da 
wirt  oder  ist  das  aller  peste  und  edlist  leben  und  gott  das 
würdigest,  daz  ye  geward  oder  ymer  gewirt.  Und  von  der 
ewigen  liebe,  die  da  liebt  got  als  gut  und  umb  gut  und  das 
peste  und  edliste  in  allen  dingen  liebt  umb  gut,  wirt  das 

10  war  edel  leben  als  sere  geliebt,  das  es  nymer  mer  gelassen 
wirt  oder  auflf  geschutt.  Wa  es  ^)  yn  eym  menschen  ist,  solt 
der  mensch  leben  pis  an  den  iungsten  tag,  und  es  ist  unmug- 
lich  zu  lassen ;  *)  und  solt  der  selb  mensch  tausent  töd  sterben 
und  alles  das  leiden  auff  yn  fallen,   das  aufF  all  creaturen 

15  fallen  mag,  das  wolt  man  alles  lieber  leiden,  den  man  das 
edel  leben  lassen  solte,  und  ob**)  man  eins  engeis*)  leben 
dafür  haben  möcht.')  Sich,  nu  ist  [G]  geantwurt,  ßo  man  fragt:  ®) 
Wan  der  mensch  mit  Christus  leben  nit  mer  uberkomen 
möchte  oder  keinen  nutze  da  mit  schaffen,  was  sol  es  dan 

20fürbas  mehr?  Es  wirt*^)  gehabt  darumb,  das  man  nutz 
da  mit  schaff  oder  etwas  da  mit  uberkome,  sunder  von  liebe 
umb  sein  adel,  und  das  es  got  älßo  lieb  und  wert  ist.  Und 
wer  da  spricht  oder  meinet,  man  hab  sein  genug  oder  man 
sol  es  hyn  legen,  der  gesmackt  oder  bekant  es  nye.    Wan 

25  wa  es  in  warheit  befunden  oder  gesmackt  wirt,  da  mag  es 
nymer  mer  gelassen  werden.  Und  wer  Christus  leben  darumb 
Imt,  das  er  da  mit  etwas  uberkomen  oder  verdiene,  der  hat 
es  als  ein  loner^®)   und  nit  von  liebe  und  hat  sein  auch  zu 

*)  sc.  Eigenschaft. 

*)  Pf.  f :  „sunder  das  es  alles  gotes  aUein  ist." 

*)  Das  Leben  des  Vergotteten  (der,  oder  besser:  in  dem  Gott  um  die 
Sünde  leidet).        *)  sc.  das  Leben,  Anm.  3.        *)  selbst  wenn. 

*)  d.  i.  einer  rein  geistigen  Substanz,  die  von  viel  höherem  Wert  ist 
\vie  die  körperliche.        ')  Pf.  f :  „das  nßme  man  nicht  dar  für.**        ®)  Kap.  29. 

")  Zu  ergänzen:  nicht. 

*^j  Der  um  Lohn  dient,  statt  aus  freier,  spontaner  Liebe. 


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—    69    — 

mal  nicht.  Und  wer  es  nit  von  lieb  hat,  der  hat  sein  nicht. 
Er  mag  wol  wenen,  er  hab  es,  er  ist  aber  betrogen.  Christus 
hette  sein  leben  nit  umb  lone,  snnder  von  liebe.  ^)  Und  die 
liebe  macht  das  leben  leicht  und  nit  swer  und  das  es  gernn 
gehabt  und  willicklich  getragen  wirt.  Aber  der  es  nit  hat  5 
von  liebe,  sunder  er  wenet,  er  hab  es  umb  Ion,  dem  ist  es 
swer  und  wer  sein  gernn  schier  ledig.  Und  das  gehört  eim 
yeglichen  loner  zu,  das  er  seiner  arbeit  gernn  ein  end  hette. 
Aber  einen  waren  lieber*)  verdreußet  weder  arbeit  noch  zeit 
oder  leidens.  Darumb  ist  geschriben:  Grott  dienen  und  leben  lO 
ist  leicht  dem,  der  es  tut.  Es  ist  war:  ;dez,  der  es  von 
liebe  tut;  aber  der  es  umb  Ion  tut,  dem  ist  es  schwer.  Und 
also  ist  es  umb  all  tugent  und  gute  werck,  und  aLßo  ist  es 
auch  umb  Ordnung  und  redlicheit  und  der  gleich.^) 

Man  spricht  und  ist  war:  Gott  ist  über  und  on  alle  37. 
weise  und  maß  und  Ordnung  und  gibt  allen  dingen  weiß, 
Ordnung,  maß  und  redlicheit.  Das  sol  man  also  versten.  Got 
wil  das  alles  haben  und  mag  es  an  ym  selber  on  creatur 
nyt  gehaben ;  wan  in  got,  on  creatur,  ist  weder  Ordnung  oder 
Unordnung,  weiße  oder  unweise  und  der  gleich:  Darumb  wil 20 
er  es  haben,  das  es  gesein  und  geschehen  sol  und  mag.  Wan 
wa  wort,  werck  und  Wandlung  ist,  da  muß  es  geschehen  eint- 
weder  yn  Ordnung,  weis,  maß  und  redlicheit,  oder  in  Unord- 
nung. Nu  ist  ordenlicheit  und  redlicheit  pesser  und  edler 
dan  das  ander.  25 

Doch  sol  man  mercken,  das  vierley  menschen  die 
Ordnung  und  gesetz  und  weise  handelnnt.  Etlich  tund  es 
weder  umb  got  oder  umb  diß  oder  umb  das,  sunder  umb  die 
gezwungenheit:  die  tund  also  wenigest  sey*)  mugent  und 
wirt  yn  säur  und  swer.  —  Die  andemn  die  tund  sie  umb  30 


^)  Christus  selbst  woUte  mit  seinem  Leben  nichts  erreichen. 
«)  Liebhaber  (Pf.) 

')  Pf.  f:  Qote  ist  aber  ein  wärer  liebhaber  lieber  dan  tüsent  loner  oder 
mietlinge.        *')  so  wenig  als  sie.    Pf.:  sie  minnest. 

8* 


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—    70    — 

Ion;  dAS  sind  menschen,  die  anders  nit  wissen  dan  dasselb, 
und  wenen,  man  sol  und  mag  da  mit  hymelreich  und  ewig 
leben  uberkomen  und  verdienen  und  anders  mit  nichte; 
Und  wer  sein  vil  thnt,  der  ist  heilig;  und  wer  sein  icht« 
5  versäumet  und  unterwegen  la£et,  der  ist  verloren  und  des 
teufeis.  Und  die  habent  großenn  emnst  und  fleis  darzu  und 
wirt  yn  doch  säur.  —  Die  dritten  das  sind  pöß,  falsch  geist, 
die  wenen  und  sprechen,  sie  sein  volkumen,  sie  durffen  sein 
nit  und  haben  es  zu  eim  spott.  —  Die  vierden  das  sind  er- 

10  leuchtet  menschen  mit  dem  waren  liecht;  die  handelnn  disse 
ding  nicht  umb  Ion.  Wan  sie  wollen  nichtz  uberkomen  da 
mit  oder  das  yn  nichtz  darumb  werd,  sunder  sie  tund  es  von 
liebe,  was  sie  dißes^)  tund. 

Und  die  haben  nit  also  groß  not,^)  wie  dis  ding  vill  ge- 

loschech  und  pald  und  der  gleich,  sunder  was  wol  geschehen 
mag  und  mit  frid  und  mit  muß;  und  wurd  sein  etwan  ver- 
säumt on  geverd  und  der  gleich,  darumb  werden  sie  nit  ver- 
loren :  Wan  sie  wissen  wol,  das  Ordnung  und  redlicheit  pesser 
und  edler  ist  dan  unredlicheit,")  darumb  wollen  sie  es  halten; 

20  und  wissent,  das  auch  selickeit  heran  nit  ligt:  Darumb 
haben  sie  nit  als  groß  not  als  die  andemn.  Und  diße  menschen 
werden  von  den  andern  beyden  parteyen  gestraffet  und  ge- 
urteilet. Wan  die  loner  sprechen:  diße  menschen  versäumen 
sich  zu  mall  und  sprechen  etwan,*)  sie  sein  ungerecht  und 

25  der  gleich.  Und  die  andemn,  daz  sind,  die  ein  freyen  geist 
haben,  dise  sprechent  zu  spotte:  Sie  gend  mit  grobheit  und 
mit  torheit  umb  und  der  gleich.  Szo  haltent  sie  das  mittel  *) 
und  das  peste:   Wan  ein  liebhaber  gottes  ist  pesser  und  got 


*)  von  diesem.        *)  wie  die  Löhner. 

')  und  weil  sie  das  wissen,  so  haben  sie  darchaos  den  inneren  WiUen 
zur  ErftLUong;  wird  aber  einmal  etwas  versänmt,  so  wissen  sie.  daß  die 
Seligkeit  .  .  . 

*)  versäumen  sich  zugleich  und  sagen  bisweilen: 

*)  zwischen  der  Gleichgültigkeit  der  Freien  gegen  äußere  Ordnungen 
und  der  (egoistisch  begründeten)  Regsamkeit  der  Löhner. 


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—    71     — 

lieber  dan  hnndertausent  loner.    [6ij]  AIBo  ist  es  auch  umb 
yr  werck. 

Anch^)  sol  man  mercken,  das  gots  gebot  und  sein  red 
und  aD  seyn  lere  gehört  zu  dem  ynner  menschen,  wie  er  mit 
got  vereynet  werd.  Und  wa  das  geschieht,  da  wirt  der  ausser  5 
mensch  von  dem  ynnern  wol  geordnet  und  gelert,  daz  man 
da  keiner  ausser  gepot  oder  lere  darff.  Aber  der  leute  gepot 
und  gesetz  gehört  tzu  dem  aussemn  menschen.  Und  des  ist 
not,  da  man  nit  pessers  weißt.  Wan  da  weßt  man  nit,  was 
man  tun  oder  lassen  sol,  und  man  wurd  suste  als  hunde  oder  10 
als  vich. 

c  Nu  ist  auch  gedacht  von  eim  falschen  liecht;  da  ist  38. 
etwas  von  zu  sagen,  was  es  sey  und  was  im  zu  gehör.   Sich, 
alles  das,  das  dez  waren  liecht  wider  ist,  das  gehört  dem 
falschen  zu.    Dem  waren  liecht  gehört  zu  und  muß  sein,  das  15 
es  nit  tr legen  wil  oder  mag  nit  wöUen,  daz  yemant  be- 
trogen werd,  und  es  mag  nit  betrogen  werden.     Aber  das 
falsch  liecht  wirt  und  ist  betrogen  und  betreuget  farbas  ander 
mit  im.    Wan  gott  wil  niemant  betriegen  und  mag  nit  wollen, 
das  yemant  betrogen  werde.    Und  alßo  ist  es  auch  umb  das  20 
war  liecht. 

Nu  merck.  Das  war  liecht  ist  got  oder  götlich,  das 
falsch  liecht  ist  natur  oder  naturlich.  Nu  gehört  gott  zu, 
das  er  weder  dis  oder  das  ist  oder  dis  noch  das  wil,  begert 
oder  suchet  in  eim  vergotten  menschen,  sunder  gut  als  gut  25 
und  umb  nicht  dan  umb  gut.  Also  ist  es  auch  umb  das  war 
liecht.  So  gehört  der  creatur  und  der  natur  zu,  das  sie  etwas 
ist,  dis  oder  das,  und  auch  yn  yrer  meynung  und  gesuch  etwas 
hat,  dis  oder  das,  und  nit  lauterlich  gut  als  gut  und  umb 
gut,  sunder  umb  etwas  dis  oder  das.    Und  als  got  und  das  30 

*)  Im  folgd.  wird  ein  nener  Gegensatz  gebildet :  das  Gesetz,  das  sonst 
als  gottgewollte  Ordnung  erscheint,  heiiit  nnn  „der  Leute  Gebot^ ;  und  was 
Gott  wiU  und  lehrt,  geht  nur  den  inneren  Menschen  an.  Doch  aber,  wo 
dieser  das  richtige  Verhalten  hat,  wird  gerade  „der  Leate  Gebot"  von 
selbst  erfüUt. 


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—    72    — 

war  liecht  on  all  icheit  und  selbheit  und  on  eigen  gesuch  ist, 
also  gehört  der  natur  und  dem  naturlichen  falschen  liecht  zu 
ich,  mir,  mich  und  der  gleich,  also  daz  es  sich  und  daz  sein 
mer  suchet  in  allen  dingen  dan  gut  als  gut.  Dis  ist  sein 
öeigenschaft  und  einer  yeglichen  natur.  Nu  merck  man,  we^) 
dis  vö  ersten  btrogen  ist.  Es  wil  oder  erwelet  nit  gut  als 
gut  und  umb  gut,  sunder  es  wil  und  erwelet  sich  selber  und 
das  sein  das  peste,*)  und  das  ist  falsch  und  daz  ist  die  erst 
betriegung. 

10  Auch  wenet  es,  es  sey  daz  es  nit  ist,  wan  es  wenet,  es 
sey  gut,  und  ist  natur;  und  da  von,  das  es  wenet,  das  es 
got  sey,  ßo  nympt  es  sich  des  an,  daz  got  zu  gehört:  und 
nit  des,  das  gottes  ist,  alß  *)  got  mensch  ist  oder  in  eim  ver- 
gotten menschen,  sunder  es  nympt  sich  an  des,  das  gottes  ist 

15  und  ym  zu  gehört,  als  er  gott  ist  on  creatur  yn  ewigkeit.*) 
Wan  als  man  spricht:  Got  ist  durftloß  und  bedarff  keines 
dinges,  frey,  mussig,  ledig  und  über  all  ding  und  der  gleich, 
(das  alles  war  ist)  und  ist  unbeweglich  und  nympt  sich  nichtz 
an  und  ist  on  gewissen,  und  was  er  tut,  das  ist  wol  getan: 

20  -Sich,  alßo  wil  ich  auch  sein',  spricht  das  falsch  liecht.  *  Wann 
so  man  got  gleicher  ist,  ßo  veil  pesser  ist  man,  und  darumb 
wil  ich  got  gleich  sein  und  wil  auch  got  sein  und  bey  gott 
sitzen,  und  sein  ym  gleich'^),  recht  als  lucifer  der  teufel  tet. 
Gott  yn  ewigkeit  ist  on  leid,  leiden  und  betrubnus  und  leßt 

25  ym  mit  nichte  schwer  oder  leid  sein,  umb  etwas  waz  da  ist 
oder  geschieht.  Aber  da  got  mensch  ist  und  in  eym  vergotten 
menschen,  da  ist  es  anders.  Kurtzlich :  alles,  daz  betrogen  mag 
werden,  das  muß  betrogen  werden  von  dißez  falschen  liecht.  Sider 
nu  alles  das  betrogen  wirt  von  dißez,  daz  betrogen  werden 

30  mag  [betrogen  wirt]  und  alle  creaturen  und  natur  und  alles, 


')  Pf. :  wie.         ^)  als  das  Beste.    Pf.— :  das  peste.         ')  sofern,  wie. 
*)  Die  Freigeister  vergessen,  daO  der  Vergottete  doch  Mensch  bleibt 
und  als  solcher  empirisch  gebunden. 
*)  vgl.  Jes.  14,  14. 


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—    73    — 

das  nit  got  oder  gotlich  ist,  mag  betrogen  werden,  und  dis 
liecht  dan  selber  natur  ist,  60  ist  es  müglich,  das  es  betrogen 
werde.    Darumb  wirt  es  und  ist  betrogen  von  ym  selber. 

Nu  möcht  man  sprechen:  Wa  von  ist  oder  kumpt  das, 
das  von  ym  alles  daz  betrogen  wirt,  das  betrogen  werden  5 
mag?    Sich,  es  ist  von  seiner  übrigen  kundickeit.    Wan  es 
also  gar  clüg  und  subtil  und  behent  in  ym  selber  ist,  daz  es 
also  hoche  steiget  und  clymet,  daz  es  wenet,  es  sey  über 
natur,  und  sey  natur  oder  creatur  unmöglich,  alßo  hoch  zu 
komen ;  darumb  wenet  es,  es  sey  got.    Und  davon  so  nympt  es  10 
sich  alles  des  an,  das  got  zu  gehöret,  und  besunder  als  got  ist 
in  ewigkeit  und  nit  [Güj]  als  er  mensch  ist.  Und  darumb  spricht 
es  und  wenet,  es  sey  über  alle  werck,  wort,  weise,  Ordnung 
und  über  daz  leiplich  leben  Christi,  das  er  yn  der  menscheit 
het.    Darumb  wil  es  ungerürt  sein  von  allen  creaturen  und  15 
aller  creaturen  werck,  es  sey  pöß  oder  gut,  es  sey  wider  got 
oder  nit,  das  ist  ym   alles  gleich  und  stet  sein  alles  ledig 
recht  als  got  in  ewickeit.   Und  des  andemn  alles,  das  got  zu 
gehört  und  nit  creaturen,  des  nympt  es  sich  alles  an :  es  gehör 
ym  zu,  und  es  sey  aller  ding  wirdig  und  es  sey  billich  und  20 
recht,  das  ym  alle  creaturen  dienen  und  Untertan  seyen.    Und 
allSo  pleibt  da  kein  leid,  leiden  oder  betrubnus  umb  kein  ding  ^ 
oder  Sache  dan  allein  eyn  leiplich  und  ein  synlich  enpfinden ; 
das  muß  bleiben  pis  an  den  leiplichen  tod,  und  was  vonda 
leidens  komen  mag.    Und  spricht  und  wenet,  man  sey  über  25 
Christus  leiplich  leben  komen   und   sey  und  solle  sein  un- 
leydenlich  und  unberürlicb,  als  Christus  waz  nach   der  auff- 
stende,  und  ander  manig  wunderlich,  falsch  irtumb,  die  hie 
von  erstend  und  erhaben  werdent. 

Und  sider  dis  falsch  liecht  natur  ist,  ßo  gehört  im  der 30 
natur  eigen  schafft  zu,  das  ist:  sich  selber  und  das  sein 
meynen  und  suchen  yn  allen  dingen  und  der  natur  und  im 
selber  in  allen  dingen  das  beqwemest,  gemachsamste  und  daz 
lustigste.  Und  darumb,  das  es  betrögen  ist,  ßo  wenet  es  und 
spricht,  was  ym  das  lustigste,  beste  und  beqwemste  sey,  das  36 


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—     74    — 

sey  das  aller  peste ;  und  spricht,  es  sey  das  aller  peste,  das  ein 
yegUch  ym  selber  daz  peste  such  und  thu  und  well  und  von 
anders  keim  guten  wisse  dan  von  seim,  das  ym  gut  ist,  als  es 
wenet.    Und  wer  im  sagt  von  dem  waren,  einfeltigen  gut,  das 

5  weder  dis  noch  das  ist,  davon  weißt  es  nichtz  und  ist  ym 
ein  spott,  und  das  ist  wol  pillich.  Wan  natur  als  natur  mag 
hie  zu  nit  komen,  und  dan  ^)  dis  Hecht  ploß  natur  ist,  £o  mag 
es  auch  hie  zu  nit  komen. 

Auch  spricht  dis  falsch  liecht,  es  sey  über  gewissen 

10 und  conscientz  komen,  und  was  es  thut,  das  sy  alles  wol 
getan.  Ja  es  ward  gesprochen  von  eym  falschen  freyen  geist, 
der  yn  dißer  yrrung  was:  ertötete  er  zehen  menschen,  es  wer 
ym  als  klein  gewissen,  als  ob  er  ein  hund  ertötet.  Kurtzlich, 
dis  falsch  betrogen  liecht  fleucht  alles,  daz  der  natur  wider 

16  und  swer  ist;  und  daz  gehört  ym  zu,  wan  es  nature  ist.  Und 
sider  es  dann  also  gar  betrogen  ist.  das  es  wenet,  es  sey  got, 
darumb  swur  es  über  all  heiigen,  es  bekante  ^)  das  peste  und 
sein  meynung  und  gesuch  stee  auf  dem  aller  pesten.  Und 
darumb  mag  es  nymer  bekert  oder  geweiset  werden,  recht 

20  als  der  teufel.  Auch  sol  man  mercken :  in  dem,  als  dis  liecht 
wenet,  es  sey  got,  und  sich  des  an  nympt,  so  ist  es  lucifer 
der  teufel.  Aber  yn  dem,  als  es  Christus  leben  verwurffet 
und  anders  mehr,  das  dem  waren  gute  zu  gehurt,  das  Christus 
gelert  und  gelebet  hat,  so  ist  es  ein  endechrist;  wan  es  leret 

2öund  lebet  wider  Christum. 

Und  als  dis  liecht  betrogen  ist  von  seiner  kundickeit, 
also  wirt  von  im  alles  das  betrogen,  das  nit  got  oder  gotlich 
ist,  das  ist:  all  menschen,  die  das  war  liecht  nit  erleuchtet 
hat  und  sein  lieb.   Wan  wa  und  welche  die  sind,  die  das  war 

30  Hecht  euleucht  hat,  die  werden  nymer  betrogen.  Aber  wer 
das  nit  hat  und  sol  oder  wiU  mit  disem  falschen  liecht  wan- 
dernn  und  bey  wonen,  der  wirt  betrogen.  Das  kumpt  davon, 
wan  all  menschen,  in  denen  daz  war  liecht  nit  ist,  die  sind 


*)  Pf.:  wan.        *)  erkenne. 


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—    75    — 

awff  sich  selber  gekert  und  haltent  sich  selber  und  was  yn 
gut  und  bequeme  ist,  fSr  das  peste.  Und  wer  yn  *)  dan  das- 
selb  ffir  das  pest  gibt,  vorhelt  und  yn  darzu  hilflft  und  leret 
»ie,  es  zu  uberkomen,  dem  volgent  sie  und  haltent  yn  für  den 
pesten  lerer.  Nu  leret  dis  falsch  liecht  alles  dasselb,  das  5 
darzu  gehört:  darumb  volgent  im  alle  die  nach,  die  das  war 
liecht  nit  wissent.  Also  werdent  sie  mit  einander  betrogen. 
Man  sagt  vom  endecrist,  wan  der  kumpt,  wer  dan  gottes 
zeichen  nit  hat,  der  volgt  ym  nach;  aber  wer  es  hat,  der 
volgt  im  nit  nach.    Daz  ist  deßselb.  10 

Es  ist  wol  war:  wer  sein  pestes  gottes  pestes-)  uber- 
komen mag  oder  kan,  das  ist  daz  peste.  Aber  das  geschieht 
nit,  die  weil  der  mensch  sein  pestes  suchet  unnd  meinet :  wan 
sol  er  sein  pestes  finden  unnd  uberkomen,  ßo  muß  er  seyn 
pestes  Verliesen,  als  ^)  vor  gesagt  ist.  Und  wil  der  mensch  sein  15 
[6  iiijj  pestes  lassen  und  Verliesen,  auff  das  er  seyn  pestes  finde, 
so  ist  es  aber  falsch,  und  darumb  mügen  wenig  auff  dißen 
weg  komen.  Dis  falsch  liecht  spricht,  man  sol  on  gewiße 
sein,  und  es  sey  ein  torheit  und  ein  grobheit,  daz  man  da 
mit  umb  get  und  wil  das  beweren  mit  Christo,  wan  er  was  20 


0  Urnen. 

*)  als  Gottes  BeBtes.    Pf.—  :  gottes  pestes.    Vgl.  S.  72  Anm.  2. 

*)  St.  *als  —  weg  komen'  Pf. :  üf  das  er  sin  bestes  finde.  Als  oueh  Kristus 
spricht :  Ver  s!ne  s§le  lieb  hat,  der  sol  sie  Ter]ie8en\  Das  ist :  er  sol  dem  ge- 
steh siner  nd,tür  üs  g^n  und  ersterben  and  sol  nit  nach  volgen  sinem  eigen 
willen  und  der  beg^e  sines  libes,  snnder  den  geboten  gotes  und  siner  obersten, 
und  sol  des  sinen  in  keinen  dingen  suchen  weder  in  geist  noch  in  nätür,  sonder 
aUeine  das  lob  nnd  die  ere  gotes  in  allen  dingen.  Wan  wer  sin  s^le  also 
Yorlüset,  als  hie  gesaget  ist,  der  wirt  si  wider  finden  in  dem  ewigen  leben. 
Das  ist :  alles  das  gut,  liebe,  hilfe,  tröst  und  freude,  das  in  aUen  crßatüren 
ist  in  himel  nnd  üf  erden,  das  findet  ein  wärer  Tolkomener  liebhaber  aUes 
mit  einander  in  got  aüeine ;  ja  onüssprechüchen  m€r  und  onch  so  yil  edeler 
imd  Yolkomener,  so  yil  besser,  edeler  nnd  Tolkomener  got  der  schepfer 
ist  dan  die  cr§atür.  Aber  an  diesen  dingen  ist  diO  falsch  liecht  betrogen 
und  sucht  newer  das  sin  nnd  sich  selber  in  allen  dingen.  Dar  nmb  so 
komet  es  nimer  tif  den  rechten  wek.    Job.  12,  25. 


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—    76    - 

on  gewiße.  So  antwurt  man  unnd  spricht:  der  teufel  hat 
auch  keyn  und  ist  darumb  dester  pesser  nit.  Merck,  was 
gewiße  sey.  Es  ist,  das  man  bekennet,  das  der  mensch  ab- 
gekert  ist  oder  werde  von  got  mit  seinem  willen  (das  man 

ösunde  heisset  und  ist),  und  das  dis  des  menschen  schuld  ist 
und  nit  gottes,  wan  gott  unschuldig  ist  an  der  sund.  Wer 
ist  nu,  der  sich  unschuldig  weißt,  dan  allein  Christus,  und 
wenig  mer?^)  Sich  wer  nu  on  gewiße  ist,  der  ist  Christus 
oder  teufel. 

10  Kurtzlich:  wa  das  war  liecht  ist,  da  ist  ein  war,  recht 
leben,  das  gott  werd^)  und  lieb  ist.  Und  ist  es  nit  Christus 
leben  in  volkumenheit,  ßo  ist  es  doch  dar  nach  gepildet  und 
gerichtet  und  Christus  leben  wirt  lieb  gehabt  und  alles,  daz 
redlicheit,  Ordnung  und  allen  tugenden  zugehört;  und  da  ist 

15  und  wirt  verlören  alle  selbheit  und  ich  und  mein  und  des 
gleich,  da  wirt  nit  gemeint  oder  gesucht  dan  gut  umb  gut 
und  als  gut.  Aber  da  das  falsch  liecht  ist,  da  wirt  man 
unachtsam  Christus  leben  und  aller  tugent,  sunder  waz  der 
uatur  beqwem  und  lustig  ist,  das  wirt  da  gesucht  und  ge- 

20meynt.  Davon  kumpt  dan  falsch  ungeordent  freyheit,  daz 
man  unachtsaz  und  rauchlos  wirt  dis  und  des.  Wan  daz  war 
liecht  ist  ein  samen  gots,  darumb  pringt  es  gottes  frucht; 
und  das  falsch  liecht  ist  des  teufeis  samen:  wa  der  geseet 
wirt,  da  wechst  des  teufeis  frucht  und  der  teufel  selber.   Das 

26  mag  man  mercken  und  versten  in  dißen  vor  geschriben  worten 
und  unterscheid. 
89.  III.  a.  Man  möcht  fragen,  welchs  oder  was  ist  ein  ver- 

gotter oder  ein  gotlicli  mensch.    Antwurt:  Der  durchleuchtet 

*)  Gegen  das  Dogma  von  der  allgemeinen  Stindhaftigkeitnach  Büttner. 
Man  sollte  aber  sagen,  daß  die  Zurückfiihrung  der  Sünde  auf  den  natür- 
lichen Menschen,  die  Einssetzung  mit  Adam  deutlich  genug  bezeugte,  daß 
die  Th.  D.  die  Sünde  für  die  unvermeidliche  Beschaffenheit  jedes  Menschen 
hält;  Christus  war,  der  er  war,  nur  von  Gnaden.  Man  wird  den  Znsatz 
nicht  pressen  dürfen  und  die  Christo  Nachfolgenden  darunter  verstehen 
müssen.        -j  wert. 


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—    77    — 

und  durchglastet  ist  mit  dez  ewigen  oder  gotlichen  liechte  und 
erbrant  mit  ewiger  oder  gotlicher  liebe,  der  ist  ein  gotlicher 
oder  vergotter  mensch.  Und  von  dem  liecht  ist  vor  etwas 
gedacht.  Aber  man  sol  wissen,  das  liecht  oder  bekantnus 
nichtz  ist  oder  taug  on  liebe.  5 

Dass  mag  man  mercken:  ob  ein  mensch  gar  wol  weißte, 
was  tugent  oder  untugent  ist,  hat  er  tugent  nit  lieb,  er 
wirt  oder  ist  nyt  tugentsaz,  er  folget  der  untugent  nach 
leJJt  die  tugent.  Meynet  er  aber  tugent,  ßo  folget  er  der 
tugent,  unnd  die  lieb  macht,  das  er  der  untugent  feint  wirt  10 
und  mag  ir  nit  getun  oder  geuben  und  er  hasset  sie  in 
allen  menschen  und  hat  tugent  alßo  lieb,  das  er  sie  nit  un- 
getan oder  ungeübt  leßt,  wa  er  mag;  und  das  umb  keinen 
Ion  oder  warumb,  sunder  aUein  der  tugent  zu  lieb.  Und  dem 
wirt  tugent  zu  Ion  und  da  genügt  ym  wol  an,  und  nemiö 
keinen  schätz  oder  gut  für  die  tugent;  der  ist  oder  wirt 
tugentsaz.  Und  wer  ein  war,  tugentsam  mensch  ist,  der  nem 
nit  alle  die  werlt,  das  er  untugentsam  werden  solte,  ja  er 
sturb  lieber  eins  iemerlichen  tods. 

Sich,   alßo  ist   es   auch   umb   gerech tickeit.     Manig20 
mensch  weißt  wol,  was  recht  oder  unrecht  ist,  und  wirt  oder 
ist   doch  nit  gerecht.     Wan   er   gerechtickeit  nit  lieb  hatt, 
darumb   übet  er   untugent,   unrecht.     Aber  hett  er  gerech- 
tickeit lieb,  ßo  möcht  er  keyn  unrecht  gethun.    Wan  er  un- 
gerechtickeit  also  feint  wer  und  gram,  wa  das  er  sie  be-25 
kante  yn  eym  menschen,  das  er  gernn  große  ding  leiden  oder 
tun  wolte,  auff  das  die  ungerechtickeit  vertilget  wurde  und 
der  mensch  gerechte  wörde.    Und   ee  er  unrecht  wolte  tun, 
er  wolte  lieber  sterben,  und  das  alles  umb  nicht  dan  der  ge- 
rechtickeit zu  lieb.    Und  dem  wurd  gerechtickeit  zu  Ion  und  30 
sie  lonet  ym  mit  irselber,   und  da  wirt  und  ist  ein  gerecht 
mensch,  und  er  wolt  lieber  hundert  vert  M  sterben  dann  un- 
recht leben. 


')  mal. 


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—    78    — 

Sich,  alßo  ist  es  auch  umb  warheit.  Das  der  mensch 
weißt  vil,^)  was  war  oder  falsch  oder  gelogen  ist:  hat  er 
warheit  nit  leeb,  ßo  ist  er  nit  warhaftig;  hat  er  sie  aber 
lieb,  fio  geschieht  im  als  mit  gerechtickeit.  Von  gerechtickeit 
6  spricht  Isaias  an  dez  6.  capittel*):  *wee,  wee  allen  den,  die 
eyn  zwifaltigen  geist  [H]  haben :  das  sind  die  von  aussen  gut 
scheinen  unnd  von  ynnen  vol  lugen  sind,  und  yn  yrem  mund 
lugen  wirt  funden.'  Also  merckt  man,  das  das  wissen  und 
bekantnus  on  liebe  nichtz  wert  ist.    Auch  merckt  man  es 

lObey  dez  teufel:  der  weißt  und  bekent  pöß  und  gut,  recht 
und  unrecht  und  der  gleich,  und  wan  er  nit  liebe  hat  zu 
dem  guten,  das  er  bekennet,  ßo  wirt  er  nit  gut,  daz  doch 
geschech,  het  er  liebe  zu  der  warheit  und  zu  andermm  gute 
und  tugenden,  die  er  bekennet.    Es  ist  wol  war,  das  liebe 

15 von  bekentnus  muß  geweiset  und  gelert  werden:  aber  volget 
liebe  dem  bekantnus  nit  nach,  ßo  wirt  nicht  dar  auß. 

Sich  also  ist  es  auch  umb  got  und  das  got  zu  gehört. 
Das  ein  mensch  vil  bekennet  von  got  und  was  gottes  eigen 
ist,  und  meinet,  er  wiß  und  bekenne  auch,  was  got  ist:  hat 

20  er  nit  liebe,  ßo  wirt  er  nit  gotlich  oder  vergottet.  Ist  aber 
war  lieb  da  mit,  ßo  muß  sich  der  mensch  an  got  halten  und 
lassen  alles,  das  nit  got  ist  oder  got  nit  zu  gehört;  und  waz 
des  ist,  dem  ist  er  feint  und  gram  und  ist  im  wider  und  ein 
leiden.     Und  dlße  liebe  vereyniget  den  menschen  mit  got, 

26  daz  er  nymer  mer  da  von  gescheiden  wirt. 

40.  Sich,  hie  kumpt  ein  frag.     Wan  man  hat  gesprochen: 

wer  got  bekennet  und  nit  liebet,  der  wirt  nymer  selig  von 

dem  bekentnus.    Das  lautet:  man  mug  got  bekennen  und  nit 

lieben.*)    So  spricht  man  anderswa:   wa   gott  bekant  wirt, 

30  da  vnrt  er  auch  geliebet,  und  was  got  bekent,  das  muß  yn 
auch  lieben.^)    Wie  mag  diß  besteen?   Sich,  hie  sol  man  aber 

»)  Ob  er  viel  wüßte.        *)  Jes.  5,  20? 

*;  D.  h.  Gotteserkenntnis  sei  eine  rein  theoretische  Sache  (wofür 
Thomas  von  Aquino  der  klassische  Vertreter  ist). 

*)  D.  h.  Gotteserkenntnis  sei  an  sich  selbst  oder  analytisch  mit  einem 


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—    79    — 

etwas  mercken.  Es  ist  vor  gesprochen  von  zwey  Hechten, 
war  und  falsch.  Alßo  sol  man  auch  merckenfi  zweyeriey 
liebe:  war  und  falsch.  Ein  yecklich  liebe  muß  von  eim  Ifeoht 
oder  bekentnus  gelert  oder  geleit  werdenn.  Nun  das  war 
liecht  macht  war  liebe  und  falsch  liecht  macht  falsch  liebe;  5 
wan  was  das  licht  für  das  peste  hat,  das  gibt  es  der  liebe 
für  das  peste  dar  und  spricht,  sie  sol  es  lieb  haben,  und  die 
lieb  Voigt  ym  und  thut  seyn  gepotte. 

Nu  ist  vor  gesagt,  das  das  falsch  liecht  naturlich  und 
natur  ist  Darumb  ist  seyn  eigenschafft  und  ym  gehört  zu  10 
alles  das,  das  der  natur  eigen  ist  und  ir  zu  gehört,  das  ist: 
ich,  meyn,  myr,  dis,  das,  des  und  der  gleichen.  Und  darumb 
muß  es  betrogen  sein  an  im  selber  und  falsch.  Wan  es  kam 
nie  kein  ich  oder  mein  zu  warem  liecht  und  bekantnus  un- 
betrogen,  on  eins  allein,  das  ist  yn  den  götlichen  personen.^)  15 
Und  wa  man  zu  bekentnus  der  eynfeltigen  warheit  komen 
sol,  da  muß  dis  alles  abgeen  und  verloren  werden. 

Und  dez  naturlichen,  falschen  liecht  gehört  besunder  zu, 
das  es  gernn  vil  weißt  und  gernn  wissen  wolte,  möcht  es  seyn, 
unnd  hat  grossen  lust,  freude  und  glorieren  in  seim  wissen  20 
und  bekennen,  und  darumb  begert  es,  alles  mehr  und  mehr 
zu  wissen,  und  kumpt  darynn  nymer  zu  ruwe  oder  genugde, 
und  ßo  es  mehr  und  hoher  bekennet,  ßo  es  mer  lustes  und 
gloriens  hat.    Und  wan  es  also  hoch  kumpt,  das  es  meinet, 
es  bekenne  alles  und  über  alle,  ßo  stet  es  in  seinem  höchsten  25 
lust  und  glorieren,  und  es  hat  bekennen  für  das  peste  und 
für  das  edliste,  und  darumb  leret  es  die  liebe,  sie  solle  das 
bekennen   und  wissen   lieb   hau  für  das  peste  und  edliste. 
Sich,   alda  wirt  daz  bekennen  und  wissen  mer  geliebet,  den 
das  bekant  wirt.    Wan  das  naturlich  falsch  liecht  liebet  sein  30 
bekennen  und  wissen,   das  es  selber  ist,   mehr  dan  das  be- 
kant wirt. 

persönlichen  oder  Willensverhalten  verbunden,  oder:  Grotteserkenntnis  sei 

Sache  des  persönlichen  Verhaltens,  nicht  des  gegenständlichen  Bewußtseins. 

*)  Pf.:  menschen.    Doch  ist  'personen'  wohl  richtiger:  allein  Oottes 


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—    80    — 

Und  wer  es  müglich,  daz  dis  naturlich  liecht  got  und 
einfeltige  warheit,  als  in  got  und  in  der  warheit  ist,  bekante^ 
es  ließ  nit  von  seiner  eigenschaflft,  das  ist:  von  ym  selber 
und  dem  seinen.  Sich,  in  dißem  synne  ist  bekantnus  on  lieb 
ödes,  das  bekant  ist  oder  wirt.  Und  also  steiget  oder  clymet 
es  also  hoch,  das  es  wen  et,  es  bekenne  got  und  lautter  ein- 
feltige warheit,  und  also  liebet  es  in  im  selber  sich. 

Und  es  ist  war,  das  got  von  nichte  bekant  wirt  dan 
von  gote;  und  so  es  wenet,  es  bekenne  got,  ßo  wenet  es 

10  auch,  es  sey  gott,  und  gibt  sich  für  got  dar  und  wil  da  für 
gehalten  sein,  und  es  sey  aller  ding  wol  wirdig  und  hab 
zu  allen  dingen  recht,  es  sey  über  alle  ding  komen,  hab  alles 
überwunden  und  der  gleichen,  und  auch  über  Christum  und 
Christus  leben,  [Hij]  und  wirt  alles  ein  spott,  wan  es  will  nit 

15  Christus  sein,  sunder  es  wil  got  sein  in  ewigkeit.  Das  ist 
davon:  Wan  Christus  und  sein  leben  ist  aller  natur  wider 
und  schwer;  darumb  wil  die  natur  nit  dar  an,  sunder  wil 
got  sein  yn  ewigkeit  und  nit  mensch,  oder  wil  Christus  sein 
nach  der  urstend,  das  ist  alles  liecht,  lustig  und  gemachsam 

20  der  natur.  Darumb  hat  sie  es  für  das  peste,  wan  sie  meynt, 
es  sey  ir  pestes.  Sich,  von  dißem  falschen  liecht  und  diser 
falsche,  betrogne  liebe  wirt  etwas  bekant  und  nit  geliebet, 
sunder  das  bekennen  und  wissen  wirt  mehr  geliebet,  dan 
das  bekant  wirt. 

25  Auch  ist  ein  bekantnus,  das  heißt  man  wissen,  es  ist 
aber  nit  wissen;  das  ist:  das  man  von  hören  sagen  oder  von 
lesen  oder  von  großer  meisterschafft  der  geschrift  wenet,  man 
wisse  gar  vil,  und  es  heist  ein  wissen  und  spricht:  ^ich  weis 
dis  und  das/    Und  wan  man   fragt:  ^a  von   weistu  das?, 

30 ßo  spricht  man:  *ich  hab  es  gelesen  in  der  geschrift,'  und  der 
gleich.  Sich,  daz  heist  man  wissen  und  bekennen.  Es  ist 
aber  nit  wissen,  sunder  glauben.  Sich,  von  disem  wissen  und 
bekentnus  wirt  vil  bekant  und  gewißt  und  nit  geliebet. 

und  des  Logos  Ich  bildet  keinen  Gegensatz  znm  ewigen  Gute.    VgL  z.  B. 
Kap.  41  Anfg. 


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—    81     ~ 

Noch  ist  ein  liebe,  die  ist  zumal  falsch,  das  ist:  so  man 
etwas  liebet  umb  Ion,  als  man  hat  gerechtickeit  lieb,  nit  umb 
gerechtickeit,  sunder  das  man  etwas  da  mit  uberkum  und 
der  gleich.  Und  wan  ein  creatur  die  ander  lieb  hat  umb 
etwas  des  iren  oder  die  creatur  got  umb  etwas  lieb  hat,  so  5 
ist  es  alles  falsch,  und  diße  libe  gehört  eigenlich  der  natur 
zu.  Unnd  natur  als  natur  vermag  oder  weißt  anders  kein 
liebe  dan  diße;  wan  wer  es  kan  gemercken,  so  hat  natur  als 
natur  nichtz  lieb  dan  sich  selber.  Sich,  yn  dißer  weis  wirt 
etwas  bekant  für  gut  und  nit  liebet.  10 

Aber  wäre  liebe  wirt  gelert  und  geleitet  von  dem  waren 
liecht  und  bekentnus,  und  das  war,  ewig  oder  gotlich  liecht 
leret  die  liebe  nichtz  lieb  haben  dann  das  war,  einfeltig,  vol- 
kumen  gut  und  umb  nichtz  dan  umb  gut  und  nit,  das  man 
das  zu  lone  haben  wolle  oder  icht  von  im,  sunder  dez  gutenl5 
zu  lieb  und  darumb,  das  es  gut  ist  und  das  es  von  recht 
geliebet  werden  sol.  Und  was  alßo  von  dem  waren  liecht 
bekant  wirt,  das  muß  auch  geliebt  werden  von  der  waren 
liebe.  Nu  mag  das  volkumen  gut,  das  man  got  nennet,  nit 
bekant  werden  dan  von  dem  waren  liecht:  darumb  muß  es 20 
auch  geliebet  werden,  wa  es  bekant  wirt  oder  ist. 

Auch  sol  man  mercken:  wa  das  war  liecht  und  die  war  41* 
liebe  ist  yn  eym  menschen,  da  wirt  das  war,  volkumen  gut 
bekant  und  geliebt  von  ym  selber^),  und  doch  nit  also,  daz 
es  sich  selber  von  im  selber  und  als  sich  selber,   sunder  ^)  25 
daz  war,  einfeltig  gut  liebe.    Und  daz  volkumen  vermag  und 
wil  anders  nit  lieb  han,   in  dem   als  es  in  im  liebe  ist,^) 
dan  daz  ein,  war  gut.    Und  wan  es  nu  dasselb  ist,  so  muß  . 
es  sich  selber  lieb  haben,  und  nit  sich  selber  als  sich  selber 
und  nicht  von  ym  selber  als  von  ym  selber,  sunder  also  und  30 

')  sich  selber.  *)  betont :  „sich  selber"  „und  als  sich  selber" ;  'sondern' 
sc.  so,  daß  es.  Sinn:  wo  wahres  Licht  und  wahre  Liebe  ist,  da  ist  das 
vollkommene  Gut  wirkend  (Kap.  40  a.  E.) :  es  liebt  sich  also  selbst,  aber 
nicht  als  sich  selber,  sondern  als  Gut. 

*)  sofern  es  in  sich  Liebe  ist. 


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—    82    — 

yn  dem,  als  das  ein,  war  gut  liebet  und  lieb  hat  das  ein,  war, 
volkumen  gut,  und  das  ein,  war,  volkumen  gut  wirt  geliebt 
von  dem  einen,  waren,  volkumen  gut.  Und  in  dißem  synne 
spricht  man  und  ist  war:  Got  hat  sich  selber  nit  lieb  als 

ösich  selber.  Wan  wer  icht  pessers  dan  got,  das  het  got  lieb 
und  nit  sich  selber.  Wan  in  dißem  waren  liecht  und  in  diser 
waren  liebe  ist  oder  beleibt  weder  ich  noch  mein,  mir,  du, 
dein  und  der  gleich,  sunder  das  liecht  bekennet  und  weiset 
eyn  gut,  das  alle  gut  und  über  alle  gut  ist,  und  alle  gut 

10  eines  sind  wesenlich  in  dem  einen  und  on  das  ein  kein  gut 
ist.  Und  darumb  wirt  auch  nit  da  geliebet  dis  oder  das, 
ich  noch  du  oder  der  gleich,  sunder  allein  das  eine,  das  weder 
ich  noch  du,  diß  oder  das  ist,  sunder  es  ist  über  aUe  ich  und 
du,  dis  und  das,  und  yn  dem  wirt  alles  gut  geliebet  als  ein 

16 gut,  als  man  spricht:  alles  yn  eym  als  ein  und  ein  yn  allen 
als  alle  und  ein  und  alle  gut  geliebt  durch  das  eine  in  dem 
einen  und  dem  einem  zu  lieb,  von  der  liebe,  die  man  zu  dem 
einem  hat.  Sich,  hie  muß  alle  icheyt,  meynheit  und  selbheit 
und  was  des  ist,  zumal  verloren  und  gelassen  werden;   das 

90  ist  gottes  eigen,')  on  alsvil  tzu  der  [Hiij]  personlicheit  gehört. 

Und  was  yn  einem  waren,  vergotten  menschen  geschieht, 

es  sey  yn  thuender  oder  yn  leidender  weis,  das  geschieht  in 

dißem    liecht   und   in   diser   lieb   und    auß    dezselben   durch 

dasselb  wider  yn  dasselb.    Und  da  wirt  und  ist  ein  genügte 

26  und  ein  stU  sten,  nicht  zu  begeren  mer  oder  mynder,  zu 
wissen,  zu  haben,  zu  leben,  zu  sterben,  zu  seyn  oder  nit  zu 
sein,  und  was  des  ist,  das  wirt  und  ist  alles  ein  und  gleich. 
Und  da  wirt  nicht  geclagt  dan  allein  sund.  —  Und  was  das 
sey,  das  ist  vorgesagt,  das  ist:   anders  wollen  dan  das  ein- 

30feltig,  volkumen  gut  oder  der  ein,  ewig  wille,  und  on  und 
wider  dasselb  oder  den  selben  einen  willen  wollen.  Und  was 
hie  auß  geschieht,  als  liegen,  triegen,  ungerechtickeit,  falscheit 

')  ohne  Ichheit  zu  sein,  ist  Gott  eigen,  in  dem  Sinn:  daß  er  nidits 
für  sich  selbst  besonders  wiU  and  sich  nicht  als  Ich  liebt,  abgesehen  davon, 
daß  er  das  vollkommene  Gut  ist.    Als  solches  liebt  er  sich. 


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—    83    — 

und  alle  ontagent  und  kurtzlich  alles,  das  man  sunde  heisset 
und  ist,  das  knmpt  alles  davon,  das  man  anders  wil  dan  got 
nnd  das  war  gut.  —  Wan  were  keyn  will  dan  der  ein,  ßo 
geschech  nymer  sund.  Unnd  darumb  mag  man  wol  sprechen, 
das  aller  eigen  wil  sund  sey,  und  ist  anders  nicht;  dan  5 
alles  das  darauß  geschieht.^)  Und  dis  wirt  allein  geclagt  in 
einem  waren,  vergotten  menschen  und  wirt  also  sere  geclagt 
und  tut  also  wee,  das  derselb  mensch,  solt  er  hundert 
schemlich,  peynlich  tode  leiden,  das  wurd  nit  alßo  sere  ge- 
clagt und  tet  nit  also  wee  als  sund;  und  das  muß  pleibenio 
pis  yn  den  leiplichen  tod.  Und  wa  das  nit  ist,  da  ist  auch 
nit  ein  war  gotlich  oder  vergotter  mensch,  on  zweifei. 

Sider  nu  in  disez  liechte  und  in  diser  liebe  alle  gut  in 
eim  und  als  ein  und  das  ein  in  allem  und  in  allen  als  ein 
und  als  alle  geliebt  wirt,  ßo  muß  alles  das  da  geliebet  15 
werden,  das  guten  namen  in  der  warheit  hat,  als  tugent, 
Ordnung,  redlicheit,  gerechtickeit,  warheit  und  der  gleichen; 
und  alles,  das  got  und  dem  waren  gut  zu  gehört  und  sein 
eigen  ist,  das  wirt  da  geliebt  und  gelobet.  Und  alles,  daz  dem 
wider  ist  und  on  dis  ist,  das  ist  leiden  und  pein  und  wirt  20 
geclagt  als  sund,  wan  es  in  der  warheit  sund  ist. 

Und  in  welchem  menschen  gelebt  wirt  in  dez  waren 
liecht  und  in  der  waren  liebe,  das  ist  das  aller  edliste, 
peste  und  wirdigest  leben,  das  ye  geward  oder  ymmer  ge- 
wirt.  Darumb  muß  es  auch  geliebt  und  gelobt  werden  über  25 
alle  leben.  Und  dis  was  und  ist  in  Christo  in  gantzer  vol- 
kumenheit,  er  wer  anders  nit  Christus.  Und  dise  liebe,  da 
von  dis  edeU  leben  geliebt  wirt  und  alles  gut,  macht,  das 
alles  das,  das  zu  leiden,  zu  tun  oder  zu  geschehen  gepurt*) 
und  sein  muß  oder  sol,  das  wirt  alles  willicklich  und  gernnso 
gethan  und  gelitten,  wie  schwer  es  der  natur  ist.  Darumb 
spricht  Jesus:  'Mein  ioch  ist  suß  und  mein  purd  leicht.'^)  Daz 
kumpt  von  der  liebe,  die  dis  edel  leben  liebt.    Dis  mag  man 


')  geschieht  daraus.        «)  gebührt.        ^)  Mt.  11,  30. 
Mandel,  Theoloffia  Deutsch. 


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—    84    — 

mercken  bey  den  apostelnn  und  marteren:  die  lidten  willick- 
lich  und  gernn,  was  yn  zu  leiden  geschach  und  begerten  nit 
von  gott,  das  yn  das  leiden  oder  die  pein  kurtzer  oder  leichter 
oder  mynder  wurd,  sunder  allein,  das  sie  stet  und  bestendig 
obeliben.  In  der  warheit,  alles,  daz  gotlicher  lieb  zu  gehört 
in  eim  waren  vergotten  menschen,  das  ist  also  gar  einfeltig, 
recht  und  schlechte,  das  es  mit  rechtem  unterscheid  nye 
gesprochen  oder  geschriben  ward  oder  auch  nye  bekant  wart, 
dan  allein,  das  es  ist  und  das  es  nit  ist,  da  kan  man  sein  nit 

lOgelauben;  wie  solt  man  es  dan  wissen? 

Nu  ist  herwiderumb  naturlich  leben,  da  ein  subtile, 
behende,  kundige  natur  ist  also  manigfeltig  und  verworren 
und  suchet  und  findet  also  vil  wiuckel  und  falscheit  und 
betriegunge,  und  alles  umb  sich  selber,  das  es  auch  nit  zu 

15  sagen  zu  schreiben  ist.  Wan  nu  alle  falscheit  betrogen  ist 
und  alle  betriegung  sich  selber  von  erst  betreugt,  so  ge- 
schieht disem  falschen  liecht  und  leben  auch  also:  wan  wer 
betrügt,  der  ist  betrogen,  davon  mehr  gesagt  ist.  —  Und  in 
disem  leben  und  liecht  und  seiner  liebe  ist  alles,  ^)  das  dem 

20teufel  zu  gehört  und  sein  eigen  ist,  also  gar,  daz  da  nit 
unterscheid  ist :  dann  falsch  liecht  das  ist  teufel,  und  teufel  ist 
das  liecht.  Das  mag  mau  mercken.  Wan  gleich  als  der 
teufel  meint,  er  sey  got,  oder  wer  gern  got  und  für  got  ge- 
halten, und  er  in  disem  allem  betrogen  ist  und  ist  also  gar 

25 betrogen,  das  er  meint,  er  sey  nit  betrogen:  Sich,  also  ist  es 
auch  umb  das  falsch  liecht  und  sein  lieb  und  sein  leben.  Und 
als  der  teufel  alle  menschen  gernn  betreug  und  an  sich  und 
an  das  sein  züge  und  ym  gleich  machte,  und  kan  dar  [Hiiij] 
zu  manig  kunst  und  list,  also  ist  auch  in  disem  liecht.    Und  als 

30  den  teufel  niemant  auß  dez  seinen  pringen  mag,  also  ist  ^)  es 
auch  hie.  Und  kumpt  alles  davon,  das  beide,  teufel  und  natur, 
meinent,   sie   seyen    unbetrogen   und   auff  dem    aller  pesten. 

0  sc.  Yorhanden. 

*j  St. :  „ist  —  hie".  Pf. :  mag  ouch  nimant  diß  falsche  betrogen  liecht 
von  siner  irresal  bringen. 


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—    So- 
und das  ist  die  aller  pößlichst  und  schedlist  betriegung.  — 
Danimb  ist  der  teufel  und  natur  eins/)  und  wa  natur  über- 
wunden ist,  da  ist  auch  der  teufel  überwunden ;  und  herwider- 
umb,  wa  natur  nit  überwunden  ist,  da  ist  auch  der  teufel 
nit  überwunden.    Es  werd  auflf  weltlich  oder  auff  geistlich  5 
leben  gekert,  so  pleibt  es  doch  alles  in  seiner  falschen  be- 
triegung, beyde,  das  es  betrogen  ist  und  betreugt  ander  mit 
im,  wa  es  mag.    Auß  dißem  vorgesprochen  mag  man  noch 
neher  versten  und  bekennen  (dan  hie  kein  unterscheid  ist), 
wan  und  wa  man  spricht  von  Adam  und  ungehorsam  und  10 
von  einem  alten  menschen,  icheit,  eigen  willen   und   eigen 
willickeit,  selbwillickeit,  ich,  mein,  natur,  falsch  liecht,  teufel, 
sund:  das  ist  alles  gleich  und  eins;  dis  ist  alles  wider  got 
und  on  got. 

Sich,  nu  möcht  man  fragen:  Ist  icht  wider  got  und  das  42. 
wäre  gut?    Mau  spricht:  neyn,  ßo  ist  auch  nichtz  on  got, 
sunder  allein:  wollen  anders  dan  der  ewig  will  wil;  und  das 
anders  gewoltwirt,  dan  der  ewig  will  wil,  das  ist  wider  den 
ewigen  willen.    Nu  wil  der  ewig  will,  das  anders  nichtz  ge- 
wolt  oder  geliebet  werde  dan  das  wäre  gut.    Und  wan  es  nu  20 
anders  ist,  daz  ist  im  wider;  und  in  disem  synn  ist  es  war: 
wer  on  got  ist,  der  ist  wider  gott ;  aber  in  der  warheit,  so  ist 
nichtz  wider  got  odder  wider  das  war  gut.    Man  sol  es  also 
versten,  als  ob  got  Sprech :  wer  on  mich  will  oder  nit  wil  als 
ich  oder  anders  dan  ich,  der  wil  wider  mich.^)    Wan  mein  25 
will  ist,  das  niemant  anders  wollen  sol  dan  ich  oder  on  mich, 
und  on  meinen  willen  sol  kein  wille  sein.    Gleich  als  on  mich 
ist  weder  wesen  noch  leben  noch  dis  oder  das,  also  solt  auch 
kein  wille  sein  on  mich  und  on  mein  willen.*)  —  Und  als 


')  Es  sollte  keines  besonderen  Hinweises  bedürfen,  daß  die  Natur  von 
der  Th.  D.  nur  in  ethischem  Sinne  mit  dem  bösen  Geist  eingesetzt  wird, 
nicht  in  einem  physischen,  substanziellen. 

«)  Mt.  12,  30. 

')  Hier  ist  besonders  deutliche  Einsicht  in  die  heuristische  Bedeutung 
des  SchSpfungsglaubens  für  den  Eeligionsbegriff  möglich! 

9* 


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—    so- 
gleich in  der  warheit  alle  weßen  wesenlich  eins  sind  in  dem 
volknmen  wesen  und  alle  gut  ein  gut  in  dem  einen  und  der 
gleichen  und  nichtz  gesein  mag  on  das  eine,  also  solten  alle 
willen  ein  will  sein  in  dem  eynen  volkumen  willen  und  kein 

6  Wille  on  den  einen.  Und  wa  es  anders  ist,  das  ist  unrecht 
und  wider  got  und  seinen  willen,  und  darumb  ist  es  sund. 
Sich  hernach  als  vor,^)  daz  alle  die  willen  on  gottes  wil  (das 
ist  aller  eigen  wille)  ist  sund,  und  was  auß  dez  eigen  willen 
geschieht. 

10  Alle  die  weil  der  mensch  sein  eigen  gut  sucht  und  sein 
pestes  als  das  sein  und  ym  selber  und  als  von  ym  selber,  ßo 
findet  er  es  nymer;  wan  alle  die  weil  das  ist,  so  sucht  der 
mensch  nit  sein  pestes.  Wie  solte  er  es  dan  finden?  Wan 
die  weil  im  also  ist,  so  sucht  der  mensch  sich  selber  und 

l5wenet,  er  sey  selber  das  peste,  und  sider  der  mensch  das 
peste  nit  ist,  ßo  sucht  der  mensch  nit  daz  peste,  die  weil  er 
sich  selber  sucht.  Aber  in  welchem  menschen  gesucht,  geliebt 
und  gemeynt  wirt  gut  als  gut  und  umb  gut  und  nyt  anders 
dan  lautterlich  dem  gut  zu  liebe,  nit   als  von  mir  oder  als 

20  ich,  mein,  mir  oder  umb  mich  und  der  gleich,  da  wirt  es 
gefunden;  wan  es  wirt  da  recht  gesucht,  und  wa  es  anders 
ist,  da  ist  es  falsch.  Und  in  der  warheit,  in  dißer  weis  suchet, 
meynet  und  liebet  sich  das  war,  volkumen  gut,  und  darumb 
findet  es  sich. 

25  Es  ist  ein  groß  torheit,  das  ein  mensch  oder  ein  creatur 
wenet,  sie  wiße  oder  vermüge  von  ir  selber,  und  besunder  das 
sie  wenet,  sie  wisse  odder  vermüge  etwas  gutz,  da  mit  sie 
groß  verdienen  odder  uberkomen  müg  umb  gott.  *)  Man  peut 
got  smacheit^)  da  mit,  der  es  recht  vorstund.    Aber  daz  war 

30 gut  übersieht  eim  einfeltigen  albernn  menschen,  das  nit 
pessers  weißt  und  lest  im  also  wol  geschehen  als  im  ymmer 


^)  Siehe  hernach,  wie  schon  vorhergesagt  ist. 

*)  womit  sie  großes  verdienen  oder  infolge  Verdienstes  um  Gott  er- 
langen möge. 

')  Schmach. 


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-     87    — 

geschehen  mag,  und  also  vil  gutes  er  enphahen  mag,  das 
gan^)  im  got  zumal  wol.  Aber  als  gesprochen  ist,  er  findet 
oder  enphecht  seyn  nit,  die  weil  im  also  ist;  wan  die  icheit 
mufi  hinweg,  er  wirt  anders  nichtz  finden  oder  enpfangen. 

b.  [I]  Wer  Christus  leben  weiß  und  bekennet,  der  weiß  und  43. 
bekennet  auch  Christum.  Und  herwiderumb:  wer  das  leben 
nit  bekennet,  der  bekent  auch  Christum  nit,  und  wer  an 
Christum  gelaubet,  der  glaubet,  das  seyn  leben  das  aller 
edlist  und  peste  leben  sey,  und  wer  des  nit  gelaubet,  der 
glaubet  an  Christum  auch  nit.  Und  alsvil  Christus  leben  10 
in  eim  menschen  ist,  alsvill  ist  auch  Christus  in  ym,  und  als 
wenig  des  einen,  als  wenig  des  andernn.  Wan  wa  Christus 
leben  ist,  da  ist  Christus,  und  da  sein  leben  nyt  ist,  da  ist 
Christus  auch  nit.  Und  wa  Christus  leben  ist  oder  were,  da 
wurd  gesprochen,  als  S.  Paulus  spricht:  4ch  leb,  aber  ich  nit,  15 
Hunder  Christus  lebet  in  mir.'-)  Und  das  ist  das  edlist  und 
peste  leben,  wann  wa  das  leben  ist,  da  ist  und  lebet  gott  selber 
und  alles  gut.  Wie  möcht  ein  pesser  leben  gesein?  Merck: 
Wan  man  spricht  von  gehorsam,  von  einem  newen  menschen 
und  von  dem  waren  liecht  und  von  der  waren  liebe  und  von  20 
Christus  leben,  das  ist  alles  eins;  und  wa  yr  eines  ist,  da 
sind  sie  alle,  und  wa  yr  eins  gebricht  oder  nyt  ist,  da  ist 
jT  keines,  wan  es  alles  eins  ist  und  werlich  und  wesenlich. 
Und  wa  mit  man  das  uberkomen  möchte,  das  es  gepornn  wurd 
und  lebentig  wurd  in  eim  menschen,  dem  sol  man  anhafFten25 
und  anders  nichtz;  und  was  es  yrret,^)  das  sol  man  lassen 
und  fliehen.  Und  wer  das  enphecht  in  dem  heyigen  sacra- 
ment,  der  hat  Christum  werlich  und  wol  enpfangen,  und  ßo 
man  sein  mehr  enphecht,  ßo  mer  Christus,  und  ßo  des  mynder, 
ßo  mynder  Christus.  30 

Man  spricht:  wer  ym  an  got  genügen  leßt,  der  hat  genug,  44. 
und  das  ist  war.    Und  wem  an  icht  genüget,  das  dis  oder 
das  ist,  dem  genügt  nichtz  an  got ;  sunder  wem  an  got  genüget, 

»)  gönnt.        *)  Gal.  2,  20.        *)  hindert. 


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—    88    — 

dem  genügt  an  nichtz  und  an  allem,  das  weder  dis  oder  das 
ist^)  und  alle  ist.*)  Wan  got  ist  ein  und  muß  ein  seyn  und 
got  ist  alle  und  muß  alle  sein.  Und  was  nu  ist  und  nit  eins 
ist,  das  ist  nit  gott,  und  waz  ist  und  nicht  alles  ist  und  über 
5  alles,  das  ist  auch  nit  got.  —  Wan  got  ist  eyns  und  über 
alles  und  ist  all  und  ist  über  alles.  Wem  nu  an  gott  genüget, 
dem  genügt  an  eim  und  allein  in  dem  einem  als  an  eim. 
Und  wem  nicht  alles  eins  ist  und  eins  aUes  und  wem  nyt 
icht  und  nicht  gleich  und  ein  ist,   dem  kau  an  got  nit  ge- 

10  nügen.  Aber  wa  diß  were,  da  wer  auch  genügen  und  anders 
nyndert. 

Sich,  also  ist  es  auch:  wer  sich  got  gentzlich  lassen 
sol  und  gehorsam  sein,  der  muß  allein  gelassen  und  ge- 
horsam sein  yn  leidender  weis  und  auch  nit  wider  zu  sten 

löoder  sich  zu  weren  oder  behelflfen.  Und  wer  also  nit  allem 
und  allen  dingen  gelassen  und  gehorsam  ist  in  eim  und 
als  yn  eim,  der  ist  got  nit  gelassen  oder  gehorsam.  Diß 
merck  man  bey  Christo.  Und  wer  got  leiden  sol  oder  wil, 
der  muß  alles  leiden  yn  eim  als  yn  einem  und  keim  leiden 

20  mit  nicht  wider  sten.  Das  ist  aber  Christus.  Und  wer  leiden 
widerstet  und  sich  des  weret,  der  wil  oder  mag  got  nit  ge- 
leiden. Diß  sol  man  also  versten.  Man  sol  keim  ding  oder 
creatur  widersten  mit  gewalt  oder  mit  kriegen  an  willen  oder 
an  wercken.    Man  mag  leiden  wol  vorkumen  oder  ym  ent- 

25  weichen  und  fliehen  on  sund. 

Sich,  wer  nu  got  lieb  haben  will  oder  sol,  der  hat  alles 
lieb  in  einem  als  yn  einem  und  alles  und  eins  in  allen  als 
alle  yn  eynem.  Und  wer  etwas  lieb  hat,  diß  oder  das,  anders 
dan  yn  dem  einem  und  umb  das  ein,  der  hat  got  nit  lieb, 

30  wan  er  hat  etwas  lieb,  das  nit  got  ist.  Darumb  hat  er  mer  lieb 
dan  got.  Wer  nu  mer  lieb  hat  dan  gott  oder  etwas  mit  got, 
der  hat  got  nit  lieb,  wan  got  sol  und  will  allein  lieb  gehabt 

»)  D.  i.  eben  Gott. 

*)  weil  Gott  das  Nichts  von  allen  empirischen  Qiddditäten  ist,  kann 
er  zugleich  in  allen  sein  (als  ihr  Sein  und  Leben!). 


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—    89    — 

sein,  und  es  solt  yn  der  warheyt  nichtz  lieb  gehabt  werden 
dan  allein  got.  Und  wa  das  war  liecht  in  ein  menschen  ist 
nnd  die  war  lieb,  da  wirt  anders  nit  lieb  gehabt  dan  allein 
got;  wan  da  wirt  got  lieb  gehabt  als  gut  und  umb  gut  und 
alle  gut  als  ein  und  ein  als  alle,  wan  in  der  warheit  alles  5 
ist  eins  und  eins  ist  alles  in  gott. 

[lij]  Man  möcht  sprechen :  *Sol  man  alles  lieb  han,  sol  man  45. 
denn  auch  sund  lieb  han?    Man  antwurt:  neyn.    Wan  man 
spricht :  'alles',  so  meynet  man  gut ;  und  alles,  das  da  ist,  das 
ist  gut,  in  dem  als  es  ist^);  der  teufel  ist  gut  in  dem  als  er  10 
ist ;  yn  dem  synne  ist  nichtz  pöße  oder  ungut.   Aber  sund  ist 
anders  wollen  oder  begeren   oder  lieb  han  den  got.     und 
das   wollen   ist   nit   wesen^),   darumb   ist   es  auch  nit   gut. 
Kein  ding  ist  gut  dan  alsvil  es  in  got  und  mit  got  ist.    Nu 
sind  alle  ding  wesenlich  in  got  und  wesenlicher  dan  in  ymlö 
selber;^)  darumb  alle  ding  gut  sind  nach  dem  wesen;  und  wer 
icht,  das  nit  wesenlich  in  got  were,  daz  were  nit  gut.    Sich, 
nu  ist  das  wollen  und  begeren,  das  wider  gott  ist,  das  ist  nit 
in  got ;  wan  got  mag  nit  wollen  oder  begeren  wider  got  oder 
anders  dan  got.    Sich,  darumb  ist  es  pöß  oder  nit  gut   oder  20 
auch  nichtes  nicht.    Got  hat  auch  die  werck  lieb,  aber  nyt 
alle  werck.    Welche  dan?    Die  da  geschehen  auß  der  lere 
und  anweisung  des  waren  liechtz  und  auß  der  waren  liebe. 


*)  Alles  Seiende  ist  als  solches  gut. 

*)  Das  Wollen  ist  keine  rein  physische  Größe.  Diese  Erkenntnis  ist 
von  großer  Bedeutung.  In  den  Systemen  des  Dualismus  ist  der  Wille, 
wenigstens  wenn  er  vom  Guten  abfäUt,  einer  physischen  Kategorie  unter- 
steUt,  der  des  Nichtseins.  Der  böse  Wille  ist  nur  eine  Spezies  des  Übels. 
Diese  Kategorie  fällt  hier  weg.    Der  Wille  steht  über  der  bloßen  Natur. 

')  in  sich  selber;  Sinn:  jedes  Ding  hat  sein  Sein  von  und  in  Gott; 
Gott  ist  der  Schöpfer.  Das  Sein  aber  ist  die  innere  Aktualität  der  Dinge, 
deren  tiefe,  innerliche  Bedeutung  gerade  bei  dem  Menschen  offenbar  wird. 
So  ist  der  nicht  seltene  Gedanke  der  dtsch.  Mystik  zu  verstehen,  daß  Gott 
den  Dingen  näher  ist  wie  sie  sich  selbst.  Sie  w  ä  r  e  n  eben  nicht  ohne  Gott, 
sie  wären  bloße  Begriffe.  Von  hier  aus  ist  auch  die  Rede  der  dtsch.  Mystik 
von  dem  Grunde  der  Seele,  von  der  tiefen  Anlage  zur  Religion  zu  verstehen. 


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—    90    — 

Und  was  anß  difiem  und  yn  dißem  geschieht,  das  geschieht 
in  dem  geiste  und  in  der  warheit,  und  was  des  ist,  das  ist 
gottes  und  gefeit  ym  wol.  Aber  was  geschieht  auß  falschez 
Hecht  und  auß  falscher  liebe,  das  ist  alles  arg ;  unnd  besunder 
5  was  geschieht  und  getan  oder  gelassen,  gewurckt  oder  gelitten 
wirt  auß  eim  andernn  willen  oder  begirt  oder  ander  liebe  dan 
auß  gottes  willen  und  seiner  liebe,  das  ist  und  geschieht  on 
got  und  wider  got  und  ist  auch  wider  gottes  werck  und  ist 
all  zu  mal  sund. 

46.  Christus  spracli:  ^wer  nit  glaubet  oder  nit  glauben  wil 
oder  kan,  der  ist  und  wirt  verdampt  und  verloren.'  ^)  Das 
ist  werlich  war.  Wan  ein  mensch,  der  in  die  zeit  kommen  ist, 
der  hat  nit  wißen  und  kan  zu  wißen  nit  komen,  er  muß  vor 
glauben.    Und  wer  wissen  wil  ee  dan  er  glaubt,  der  kumpt 

15  nymer  zu  warem  wissen.  Und  man  meint  hie  nyt  die  artickel 
des  Christen  glaubens,  wan  die  glaubet  yeder  man  und  ein 
yechlich  Christen  mensch  gemeinicklich,  sundig  und  selig,  pöß 
und  gut.  Und  man  sol  sie  glauben  und  man  mag  sie  nit  zu 
wissen  komen.    Man  meynet  hie  etwas  von  der  warheit:  daz 

20müglich  ist  zu  wissen  und  zu  befinden,  des  muß  man  glauben, 
ee  dan  man  es  wisse  oder  befinde,  anders  es  kumpt  nymer 
zu  warem  wissen.    Und  den  glauben  meint  Christus. 

47.  c.  Man  spricht,  es  ist  nichtz  alßvil  in  der  helle  als 
eygener  will;  und  das  ist  war,  und  da  ist  nit  anders  dan 

25  eygener  will ;  und  wer  nit  eigen  wil,  ßo  wer  kein  hell  *)  oder 
kein  teufel.  Wan  man  spricht,  der  t^ufel  lucifer  viel  von 
dem  hjTnelreicli  und  kerte  sich  von  gote  und  des  gleich,  das 
ist  nit  anders,  dan  er  wolt  seinen  eigen  willen  haben  und 
nit  einwillig  sein  mit  dem  ewigen  willen.    Und  also  was  es 

30  auch   umb  Adam   yn   dem  Paradeis.    Und   wan   man   eigen 


•)  Mc.  16,  16. 

*)  Die  Freigeister  sagten,  daß  die  Hölle  nichts  anderes  sei  als  des 
Menschen  eigener  Wille,  weil  ein  natürliches  Feuer  dort  nicht  sei  und 
also,  wenn  der  Mensch  seinen  eigenen  Willen  breche,  so  breche  er  aach  die 
HöHe  (S.  B.  A.  536). 


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—    91     — 

willen  meynet,  ßo  meynt  man :  anders  wollen  dan  der  einfeltig 
ewig  Wille  wil. 

Was  ist  aber  das  Paradeis?    Das  ist  alles,  das  da  ist; 
wan  alles,  das  da  ist,  das  ist  gut  und  lustig  unnd  ist  auch 
got  lustig,  und  darumb  heist  es  und  ist  wol  ein  Paradeis.    Man  5 
spricht  auch,  das  das  paradis  sey  ein  voi'purch  oder  ein  vor- 
stat  des  hymelreichs.    ALBo  ist  alles,  das  da  ist,  wol  ein  vor- 
stat  des  ewigen  oder  der  ewickeit  und  besunder,  was  man  yn 
der  zeit  und  bey  den  zeitlichen  dingen  und  in  und  bey  den 
creaturen  gottis  und  ewigkeit  gemercken  oder  bekennenn  mag.  lo 
Wan  die  creaturen  sind  ein  weisunge  und  ein  weg  zu  got  und 
zu  der  ewigkeit.    Also  ist  es  alles  ein  vorpurgh  und  ein  vor- 
stat  der  ewigkeit,  und  darumb  mag  es  wol  ein  paradis  heissen 
und  sein.    Und  yn  dissez  paradis  ist  alles  das  erluabt,  das 
darynne  ist,  on  ein  bäum  und  sein  frucht.    Das  meynt  alsovil:l5 
in  allem  dem,  das  da  ist,  da  ist  nicht  verpotten  und  nicht 
das  got  [liijj  wider  ist,  dan  eins  allein:  das  ist  eigen  will  oder 
daz  man  anders  wolle  dan  der  ewig  wille  wil.    Das  ist  zu 
mercken.    Wan  got  sprichet  zu  Adam  ^)  (dass  ist  zu  eim  yeg- 
lichen  menschen) :  'Was  du  pist  oder  lessest  oder  was  geschieht,  20 
das  ist  alles  unverpotten  und  ist  erlaubt,  alßo  das  es  nit  auß 
deim  oder  nach  deinem  willen  geschech,  sunder  auß  und  nach 
meinem  willen.'    Was  aber  geschieht  auß  deinem  willen,  das 
ist  alles  wider  den  ewigen  willen;  nit  das  alle  werck,  die 
also  geschehen,  wider  den  ewigen  willen  sein,  besunder  das  25 
sie  geschehen  auß  eim  andernn  willen  oder  anders  dan  auß 
dem  ewigen  willen. 

Nu  möcht  man  fragen:  sider  das  diser  bäum,   das  ist  48. 
eigen  wille,  got  und  dez  ewigen  willen  also  wider  ist,  war- 
umb  hat  yn  dan  got  geschaffen  und  gemacht  und  hat  yn  inao 
das  paradis  gesetzt?    Antwort:  Welcher  mensch  oder  welche 
OTeatur  begert  zu  erfaren  und  zu  wissen  den  heimlichen  rat 
und  willen  gottes,  also  das  er  gemn  wolte  wissen,  warumb  got 


»)  1.  Mose  2,  16  f. 


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—     92    — 

dis  oder  das  thu  oder  lasse  und  der  gleich,  der  begert  nicht 
anders  dan  als  Adam  und  der  teufel.  Und  alle  die  weil  die 
begerung  wert,  ßo  wirt  es  nymer  bekant,  und  der  mensch  ist 
nit  anders  dan  als  Adam  oder  der  teufel.  Wan  diße  begird 
5  ist  selten  umb  andere  icht,  dan  das  man  da  von  lust  hab  und 
daryn  gloriert,  und  das  ist  war  hoffart.  Eyn  war,  demutig, 
erleucht  mensch  begert  nit  von  gott,  das  er  ym  sein  heim- 
licheit  offenbar,  also  daz  er  frage,  warumb  got  dis  oder  das 
thu  oder  verheng  und  der  gleich,  sunder  er  begert,  wie  er 

10  allein  an  ym  selber  zu  nichte  werd  und  willenloß  und  der 
ewig  will  in  ym  leb  und  gewaltig  sey  und  ungehindert  von 
andernn  willen,  und  wie  dem  ewigen  willen  von  und  in  ym 
genug  geschech. 

Doch  mag  man  etwas  anders  zu  diser  frage  antwurten 

15  und  sprechen.  Das  aller  edlist  und  lustigiste,  das  in  allen 
creaturen  ist,  das  ist  bekentnus  oder  vernufft  und  wille. 
Und  diße  zwey  sind  mit  ein  ander ;  wa  daz  ein  ist,  da  ist  auch 
das  ander.  Und  weren  diße  zwey  nit,  ßo  wer  auch  kein  ver- 
nufftig  creatur,  sunder  allein  vich  und  vichlicheit.  ^)  Das  wer 

20  ein  groß  geprest,  und  got  möchte  sich  des  seinen  nyndert  be- 
komen  und  seiner  eigenschafft  (davon  vor^)  gesagt  ist)  yn 
wurcklicher  weise,  das  doch  sein  sol  und  gehört  zu  volkumen- 
heit.  —  Sich,  nu  ist  das  bekentnus  und  vernuft  mit  dem  willen 
geschaffen  und  gegeben.    Das  sol  dan  willen  leren  und  auch 

26  sich  selber,  das  weder  bekentnus  oder  wille  von  ym  selber  ist, 
oder  das  ir  keins  sein  selbs  ist  oder  sein  sol,  noch  ym  selber 
sollen  oder  wollen  sol  oder  ir  keins  sich  selber  nutzen  oder 
sein  selbs  geprauchen  sol  zu  im  selber  oder  umb  sich  selber; 
sunder  von  dem  sie  sind,  des  sind  sie  auch,  und  dem  sollen 

30  sie  gelassen  sein  und  wider  dar  yn  fliessen,  und  werden  an 
yn  selber  zu  nichte,  das  ist  an  ir  selbheit. 
49.         Hie  sol  man  aber  etwas  mercken  und  besunder  von  dem 
willen.    Der  ewig  will,  der  in  got  ursprunglich  und  wesen- 


»)  Viehische  Art.        ^)  S.  58  f. 


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—    93    — 

lieh  ist  und  on  alle  werck  und  wurcklicheit,  derselb  will  ist 
in  dem  menschen  oder  in  der  creatur  wurcklich  und  wollende : 
wan  dem  willen  gehört  zu  und  ist  sein  eigen,  das  er  wollen 
sol.  Was  solt  er  anders?  Er  wer  anders  vergebens,  solt  er 
kein  werck  haben.  Und  dis  mag  on  creatur  nit  geschehen.  5 
Darumb  sol  creatur  sein  und  gott  wil  sie  haben,  dass  diser 
will  sein  eigen  werck  dar  yn  hab  und  wurck,  der  in  got  on 
werck  ist  und  sein  muß.  Darumb  der  wil  in  der  creature, 
4en  man  einen  geschaffen  willen  heist,  der  ist  also  wol  gottes 
als  der  ewig  wil,  und  ^)  nit  der  creaturen.  Und  wan  nu  got  10 
on  creatur  wurcklich  und  beweglich  nit  gewollen  mag,  darumb 
wil  er  es  thun  in  und  mit  den  creaturen.  Darumb  solt  die 
creatur  mit  dez  selben  willen  nit  wollen,  sunder  got  solt  und 
wolt  wollen  wurcklichen  ^)  mit  dez  willen,  der  in  dem  menschen 
ist  und  doch  gottes  ist.  Und  wa  das  lauterlich  und  gentzlich  15 
were  oder  in  welchem  menschen,  da  wurd  gewolt  nit  von  dem 
menschen,  sunder  von  got,  und  da  wer  der  will  nit  eigen  wil, 
und  da  wurd  auch  nit  anders  gewolt  dan  als  [liiij]  got  will. 
Wan  got  wolte  selber  da  und  nit  der  mensch,  und  da  were 
der  wil  eins  mit  dem  ewigen  willen  und  wer  da  in  geflossen.  20 

Und  yn  dem  menschen  were  und  belib  lieb  und  leid,  wol 
und  wee  und  des  gleich.  Wan  da  der  will  willicklich  wil, 
da  ist  lieb  oder  leid:  wan  ist  es  als  der  wille  wil,  so  ist  es 
lieb,  und  was  anders  ist,  dan  der  wille  wil,  das  ist  leid.  Und 
-diß  lieb  und  leid  ist  nit  des  menschen,  sunder  gottes;  wan 25 
wes  der  wille  ist,  des  ist  auch  lieb  und  leid.  Nu  ist  der  wil 
nit  des  menschen,  sunder  gottes,  darumb  ist  das  lieb  und 
leid  auch  sein,  und  da  wirt  nit  geclaget  dan  allein  das  widder 
got  ist.  So  wirt  auch  kein  freude  da  dan  allein  von  gotte 
und  von  dem,  das  gottes  ist  und  im  zu  gehört.  Als  es  nu30 
umb  den  willen  ist,  also  ist  es  auch  umb  bekentnus,  vemuft, 
vermügen,  liebe,  und  was  in  dem  menschen  ist,  das  ist  alles 
gottes  und  nit  des  menschen.    Und  wa  das  geschehe,  das  der 


»)  t  ist  (Pf.).        *)  wirkend,  actualiter. 


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—    94    — 

wil  also  got  gar  gelassen  wer,  da  wurd  das  aoder  alzu  mal 
gelassen  und  da  bekeme  got  alles  des  seinen  unnd  der  will 
wer  nit  eigen  wille.  Sieh,  also  hat  got  willen  geschaffen,  aber 
nit,  das  er  eigen  sol  sein. 
50.  Nu  kumpt  der  teufel  und  adam,  das  ist  die  falsch 
natur,  und  nympt  dißen  willen  an  sich  und  macht  yn  ir  eigen 
und  nutzet  yn  zu  ir  selber,  zu  dem  iren.  Und  dis  ist  der 
seh  ad  und  das  unrecht  und  ist  der  pisse,  da  mit  Adam 
den  apfel  peiße,^)  und  das  ist  verpotten,  und  das  ist  wider  got, 

10  Und  alle  die  weil  und  wa  der  eigen  will  ist,  da  wirt  nymer 
mer  war  rwe.  Das  merck  man  bey  dem  menschen  und  bey 
dem  teufel.  So  wirt  werlichen  alda  selbst  nymer  wäre 
selickeit,  weder  yn  der  zeit  noch  yn  ewickeit,  wa  diser  eigen 
wil   geschieht,   das  ist  die  eigenschaft,^)   das   man  sich  des 

16  willen  an  nympt  und  macht  yn  eigen.  Und  so  er  nit  gelassen 
wirt  yn  der  tzeit,  sunder  das  er  bracht  wirt  auß  der  zeit,  so 
ist  vorsehenlich,^)  das  er  nymer  gelassen  muge  werden;  so 
wirt  auch  yn  der  warheit  daselbs  nymer  genugde  oder  frid^ 
rüge  oder  Seligkeit.    Das  merck  man  aber  bey  dem  teufel.  — 

20  Wer  nit  vernufft  oder  wille  yn  den  creaturen,  werlich  got 
belib  und  wer  unbekant  und  ungeliebt  und  ungelobt  und  un- 
geeret,  und  all  creaturen  weren  nichtz  wert  und  tuchten 
nyndert  zu  got.^)  Sich,  also  ist  geantwurt  zu  der  frag.*) 
Were  yemant,  der  sich  gepessernn  möchte  und  wolt  von  dissen 

26  langen  vil  Worten,  die  doch  kurtz  und  nutz  in  got  sind,  daz 
wer  got  lieb. 

Was  frey  ist,  daz  ist  niemantz  eigen,  und  wer  daz  eigen 
macht,  der  thut  unrecht.  Nu  ist  unter  aller  freyheyt  nichtz 
also  frey  als  der  wiD,  und  wer  den  eigen  macht  und  leßt  yn 

30  nit  an  seiner  edlen  freyheit  und  in  seinem  freyem  adel  und 
in  seiner  freyen  art,  der  thut  unrecht.*)    Das  thut  der  teufel 

')  biß.        *)  =  Aneignung.        *)  vorauszusehen. 

*)  taugten  Gott  zu  nichts. 

"")  Kap.  48  Anfg. 

")  Mit  dieser  Freiheit  ist  das  Freisein  vom  EigenwiUen  und  für  Gott 


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und  adam  und  all  yr  nachvolger.  Aber  wer  den  willen  leßt 
in  seiner  edlen  freybeit,  der  thut  recht ;  und  das  thut  Christus 
und  all  sein  nachvolger.  *  Wer  den  willen  seiner  edelnn  frey- 
heit  beraubet  und  Inacht  yn  eigen,  der  muß  zu  Ion  haben, 
das  er  mit  sorgen  und  bekummemus  und  mit  ungenugung  und  5 
unfirid  und  unrwe  und  allem  ungluck  behangen  ist  und  be- 
leibt, all  die  weil  das  weret  yn  zeit  und  in  ewickeit.  Aber 
wer  den  willen  in  seiner  freyen  art  leßt,  der  hat  genug, 
fryd,  rwe,  selickeit,  yn  der  zeit  und  in  ewigkeit.  Wa  und 
in  welchen  menschen  der  will  nit  geeigent  wirt,  sunder  das  10 
er  bleibt  in  seiner  edlen  freyheit,  da  wirt  und  ist  ein  war, 
frey,  ledig  mensch  oder  creatur,  da  von  Christus  spricht :  *Die 
warheit  sol  euch  frey  machen'.  Und  zu  haut  dar  nach:  'Wilchenn 
der  sun  frey  machet,  der  ist  werlich  frey.'  ^) 

Auch  sol  man  mercken.  In  welchen  menschen  der  wil  51. 
seiner  freyheit  geprauchet,  do  hat  er  sein  eigen  werck,  das 
ist  wollen,  und  da  wil  er,  was  er  will,  ungehindert;  ßo  wil 
er  auch  das  edlist  und  das  pest  in  allen  dingen;  und  alles, 
das  nit  edel  und  gut  ist,  das  ist  im  wider  und  ist  ym  iamer 
und  clag.  Und  ßo  der  will  ye  freyer  ist  und  ungehindert,  so  20 
im  ungut,  unrecht,  pößheit,  untugent  und  alles,  das  man  sund 
hisset  und  ist,  wirs  thut  und  großer  iamer  [K]  und  clag  ist.  Das 
merck  man  bey  Christo.  In  dem  was  der  aller  freyeste,  un- 
ungehinderst  und  ungeeygenst  wiU,  der  jrn  keinem  menschen 


gemeint.  Sie  fäUt  also  zusammen  mit  der  schlechthinigen  Bestimmtheit 
durch  Gott.  Wenn  diese  aber  als  Freiheit  bezeichnet  werden  kann,  ist 
zu  beachten,  wie  wenig  sie  als  Heteronomie  empfunden  wird.  Der 
Religionsbegrif!  der  Th.  D.  hat  in  der  Tat  den  Vorzug,  daß  der  von  selten 
der  profanen  Ethik  gegen  die  religiöse  und  christliche  Ethik  oft  erhobene 
Vorwurf  der  Heteronomie  verstummen  muß.  Das  Verhältnis  zu  Gott  hat 
sein  Wesen  darin,  den  Willen  Ton  aller  empirischen  Gebundenheit  zu 
befreien  und  zum  Organe  schlechthiuiger  Freiheit  und  Unbedingtheit  zu 
erheben.  Von  hier  aus  ist  es  zu  verstehen,  wenn  Luther  bisweilen  von 
der  voluntas  nuda  redet. 
»)  Job.  8,  32.  36. 


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ye  ward  oder  ymer  wirt.^)  So  was  auch  Christus  menscbeit 
die  aller  freyest  und  ledigist  creatur,  und  was  doch  die  größte 
clag  und  iamer  und  leiden  umb  sund  (das  ist  umb  alles  das^ 
daz  wider  got  ist),  das  in  keiner  creatur  gesein  mag. 
5  Aber  wa  man  sich  freyheyt  an  nympt,  alßo  das  da  keyn 
clag  oder  iamer  sey  umb  sundt  und  was  wider  got  ist^ 
sunder  man  will  alles  unachtsam  und  rauchlos  sein  und  man 
sol  sein  yn  der  zeit,  als  Christus  was  nach  der  urstend,  und 
des  gleich :  da  ist  nit  eyn  war,  gotlich  freyheit  auß  eim  waren 

lOgotlichen  liecht,  sunder  da  ist  ein  naturlich,  ungerecht,  falsch, 
betrogen,  teufeis  freyheit  auß  eim  naturlichen,  falschen  be- 
trogen liecht. 

Were  nit  eigen  wille,  ßo  were  kein  eigenschaft.    In  dem 
hymelreich  ist  nit  eigens :  davon  ist  da  genug  ^)  und  war  fride 

15  und  alle  selickeit.  Und  wer  yemant  da,  der  sich  eigenschaft 
an  nem,  der  mußt  herauß  in  die  helle  und  ein  teufel  werden. 
Aber  in  der  helle  wil  yederman  eigen  willen  haben:  darumb 
ist  da  alles  ungluck  und  unselickeit.  Also  ist  es  auch  yn 
der  zeit.     Were  aber  yemant  in  der   hellen,   der   on   eigen 

20  willen  wurd  und  on  eigenschaft,  der  kem  auß  der  hellyn  das 
hymelreich.  Nu  ist  der  mensch  in  der  zeit  zwischen  hymel- 
reich und  der  hellen  und  mag  sich  keren,  zu  welchem  er  wil. 
Wan  so  mer  eigenschaft,  ßo  mer  hell  und  unselickeit,  und  so 
mynder  eigens  willen,  so  mynder  hell  und  neher  dem  hymel- 

25  reich.  Und  möcht  der  mensch  in  der  zeit  lauterlichen  on 
eigen  willen  und  on  eigenschaft  gesein  und  ledig  und  frey 
auß  eim  waren,  gotlichen  liechte^)  und  belib  wesenlich  also, 
der  were  des  hymelreichs  sicher.  Wer  etwas  eigens  hat  oder 
haben  will  oder  gernn  hett,  der  ist  selber  eigen;  und  wer  nit 

30  eigens  hat  oder  haben  wil  oder  nichtz  begert  zu  haben,  der 
ist  ledig  und  frey  und  niemantz  eigen. 
52.  d«  Alles,  das  hie  geschriben  ist,  das  hat  Christus  gelert  mit 

langem  leben  —  wan  vierdhalb  und  dreissig  iar  —  und  mit 

*)  Wichtige  Ergänzung  zu  den  früheren  christologischen  Stellen. 
^)  infolgedessen  ist  da  Genüge.  *)  Tgl.  S.  22. 


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kurtzen  Worten,  das  ist  da  mit,  das  er  spricht:  *Volg  mir.* 
Aber  wer  im  volgen  sol,  der  muß  alle^)  lassen,  wan  in  ym 
was  alles  gelassenn,  als  gar  als  es  yn  creaturen  ye  gelassen  ward 
oder  geschehen  mag.  Auch  wer  ym  volgen  will,  der  sol  das 
creutz  an  sich  nemen,  und  daz  creutz  ist  anders  nit  denn  5 
Christus  leben,  wan  das  ist  ein  pitter  creutz  aller  nature.*) 
Darumb  spricht  er:  *Wer  nit  alles  das  leßt  und  nyt  das  creutz 
auff  sich  nympt,  der  ist  mein  nit  wirdig  und  ist  meyn  iunger 
nit  und  volget  mir  nit  nach.'*)  Aber  die  frey,  falsch  natur 
meynt,  sie  hab  alles  gelassen:  sie  will  aber  des  creutzes  nit  10 
und  spricht,  sie  hab  sein  genug  gehaben  und  durff  sein 
nymer,  und  ist  betrogen.  Wan  het  sie  daz  creutz  ye  ge- 
smeckt,  sie  möcht  es  nymer  mer  gelassen.  —  Wer  an  Christum 
glaubt,  der  muß  alles  das  glauben,  daz  hie  geschriben  stet, 
amen.  15 

Christus  spricht :  *Niemant  kumpt  zu  dem  vater  dan  durch 
mich.'^)  Nu  merckt,  wie  man  durch  Christum  komen  sol  zu 
dem  vater.  Der  mensch  sol  war  nemen  sein  selbs  und  alles 
des  seinen  von  innen  und  von  aussen  und  sich  also  halten 
und  bewaren  (alsvil  es  müglich  ist),  daz  yn  im  von  ynnen20 
nymer  wille  noch  begerung,  liebe  oder  meynung,  gedanck  oder 
lust  auff  stee  oder  bliben  hab  anders  dan  als  got  zu  gehöret 
und  wol  geczeme,  ob  got  selb  der  mensch  were.  Und  wa 
man  gewar  wirt,  daz  sich  anders  erhebt,  daz  got  nit  zu  ge- 
hört und  got  nit  wol  gezemet,  das  sol  man  vertilgen  und  im '^5 
widersteen,  so  man  erst  und  pest  mag.  Und  dasselb  sol  auch 
sein  von  aussen  an  thun  und  an  laßen,  an  reden,  an  sweigen, 
an  wachen,  an  schlaffen  und  kurtzlich  an  aller  weise  und 
Wandlung,  die  der  mensch  hat  zu  im  und  mit  im  selber  und 

•)Pf.t:Dmg. 

')  Das  Ereaz  ist  der  symbolische  Ausdruck  für  das  religiöse  Grund- 
verhalten, d.  i.  schlechthinige  Selbsthingabe.  In  diesem  Sinne,  nicht  in 
dem  der  Versöhnungslehre,  hat  Luther  in  den  Anfangsjahren  seine  Theologie 
zusammenfassend  als  Kreuzestheologie  bezeichnet,  z.  B.1, 123, 35  ff. ;  101, 19  ff. ; 
141, 11 ;  613,  20  ff. ;  V,  85,  1-5  ff. ;  176.  31.        »)  Mt.  10,  38.        *)  Joh.  14,  6. 


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zu  andernn  und  mit  anderen  leuten,  daz  diß  alles  behfit  sey, 
das  icht  anders  geschech,  oder  das  sich  der  mensch  zu  icht 
anders  kere  oder  anders  icht  in  im  gestatte,  auf  zu  sten  oder 
beleiben  von  ynnen  und  auß  im,  und  durch  yn  geschech  anders, 
5  dan  als  got  wol  zu  gehört  und  wol  muglich  und  wol  zymlich 
were,  ob  got  selber  der  mensch  were.  Sich,  waß  da  ist  oder 
wer,  was  da  wer  oder  ist  von  ynnen  oder  geschech  von 
aussen,  das  ist  oder  were  alles  gottes,  und  der  mensch  ist 
oder  wer  ein  nachvolger  Christi  nach  seinem  leben,  da  von  wir 
68.  versteen  und  gesagen  kunnen.  [Kij]  Und  wer  dis  leben  hett, 
der  gieng  und  kern  durch  Christum.  Wan  er  wer  Christus 
nachvolger;  so  kem  er  auch  mit  Cliristo  zu  dem  vater  und 
durch  Christum,  und  er  wer  auch  ein  warer  diener  Christi. 
Dann  der  im  nachvolget,  als  er  selber  spricht :  *  Wer  mir  dienen 

löwil,  der  volg  mir  nach,'  ^)  (als  ob  er  Sprech:  Wer  myr  nit  volgt, 
der  dient  mir  auch  nit),  und  wer  also  Christo  nachvolget  und 
dienet,  der  kumpt  daselbst  hin,  da  Christus  ist,  daz  ist  zu 
dem  vater.  Das  spricht  Christus  selber,  da  er  spricht:  'Vater, 
ich  wil,  wa  ich  pyn,  das  auch  mein  diener  daselbs  sey.'*) 

20  Sich,  wer  dißen  weg  get,  der  get  durch  die  thür  in  den  schaf- 
stall, das  ist  in  das  ewig  leben,  und  der  törwarter  schleust 
ym  auf.^)  Und  wer  einen  andernn  weg  get  oder  wenet,  er 
wol  oder  mug  zu  dem  vater  komen  oder  zu  ewiger  selickeit 
anders  dan  also  durch  Christum,  der  ist  betrogen ;  wan  er  get 

26  nit  durch  den  rechten  weg,  auch  get  er  nit  eyn  durch  die 
rechten  tur.  Darumb  wirt  ym  nit  auf  getan,  sunder  er  ist 
ein  dieb  und  ein  morder,  als  Christus  spricht.  Sich,  nu  merck, 
ob  man  in  ungeordenter  freyheit  und  ledickeit  und  Unacht- 
samkeit, tugent  und  untugent,  Ordnung  und  Unordnung  und 

30  dem  gleichen,  als  ir  woU  merckent,  ob  man  also  den  rechten 
weg  oder  zu  der  rechten  tur  yn  gee  oder  nit.  Diß  Unacht- 
samkeit ist  nit  in  Cliristo  gewesen,  [sie  ist  auch  in  keinen 
seinen  waren  nachvolgern. 


0  Joh.  12,  26.        ^)  Job.  17,  24.        »)  Job.  10,  3. 


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Auch  spricht  Christus :  *Niemant  kumpt  zu  mir,  der  vater 
ziech  yn  denn.'^)  Nu  merckent:  bey  dem  vater  verstee  ich 
daz  volkumen,  einfeltig  gut,  das  da  all  ist  und  über  all  und 
on  daz  und  außwendig  dem  kein  war  wesen  noch  kein  war 
gut  ist,  und  on  das  kein  war  gut  werck  ye  geschach  noch  ymer  6 
geschieht.  Und  wan  es  nu  alle  ist,  so  muß  es  auch  allein 
sein  und  über  alle.  Es  mag  auch  keins  der  gesein,  daz  creatur, 
in  dem  als  creatur,  begreiflfen  oder  versten  kan.  Wan  was 
die  creatur  begreifen  oder  versten  kan  als  creatur  (das  ist 
nach  ir  creaturlicheit),  das  ist  alles  etwas,  diß  oder  das,  und  10 
das  ist  dan  alles  creatur.  Und  were  nu  das  einfeltig  vol- 
kumen  etwas,  dis  oder  das,  das  creatur  versteet,  so  were  es 
nit  alle  noch  allein  und  were  auch  nit  volkumen.  Darumb 
nennet  man  es  auch  „nit".*)  Man  meynet,  es  sey  der  keins, 
das  creatur  von  ir  creaturlicheyt  begreiflfen,  bekennen,  ge-16 
dencken  oder  genennen  mag.  Sich,  wan  dis  volkumen  unge- 
nant fleußt  in  ein  geberende  person,')  da  in  es  gepirt  seinen 
eingepornn  sun  und  sich  selber  darinn,  so  nennet  man  es  vatter. 

Sich,  nu  merck,  wie  der  vatter  ziech  zu  Christo.    Wen  54. 
der  sele  oder  dem  menschen  etwas  endecket  wirt  und  ge-20 
offenbart  von  disem  volkumen  gut  als  in  eim  plick*)  oder  in 
eim  zuck,*)  so  wirt  in  dem  menschen  geporen  ein  begerung, 
dem  volkumen  gut  zu  neben  und  sich  mit  ym  vereinigen. 
Und  ßo  diße  begerung  grosser  wirt,  so  im  mer  geoffenbart 
wirt;  und  so  im  mer  geoffenbart  wirt,  so  er  mer  begert  und 26 
gezogen  wirt.    Also  wirt  der  mensch  gezogen  und  gereitzet 
zu  der  vereinung  des  ewigen  gutz.    Und  diß  ist  des  vatters 
zeihen. 

Und  also  wirt  der  mensch  geleret  von  dem  selben,  das 
yn  zeuchet,  das  er  zu  der  einickeit  nit  komen  mag,  er  kumao 


')  Joh.  6,  44.        «)  Vgl  Kap.  1. 

^  D.  L  in  einem  Menschen,  der,  aUen  Eigenwülen  lassend,  Gott  Baom 
gibt  Von  dem  Ideal  des  persönlichen  Gnmdverhaltens  ans  ist  die  bild- 
liche Eede  vom  Gebären  des  Sohnes  durchaus  verständlich  nnd  unanstößig. 

*)  Blitz.       »)  Verzückung. 
M  a  n  d  e  / ,  Theologia  Deutsch.  ^^ 


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dan  durch  Christus  leben.  Sich,  nu  nympt  er  das  leben  an 
sich,  davon  vor  gesagt  ist.  Sich,  nu  merck  diße  zwey  wort^ 
die  Christus  spricht:  das  eyn:  *Niemant  kumpt  zu  dem  vatter 
den  durch  mich,'  daz  ist:  durch  mein  leben,  als  vor  gesprochen 
5 ist;  das  ander  wort:  *Niemant  kumpt  zu  mir,'  das  ist:  das 
er  sich  des  lebens  an  nem  und  mir  nachvolg,  er  werd  den 
berurt  und  gezogen  von  dem  vater,  das  ist  von  dem  ein- 
feltigen  gut  und  volkumen,  da  von  sant  Paulus  spricht:  *Wenn 
das  volkumen  kumpt,  so  wirt  das  geteilt  alles  auß  gewüstef^ 

10  Das  meinet  alßo  vü:  in  welchem  menschen  dasselb  volkumen 
bekant,  befunden  und  gesmackt  wirt,  alsvil  es  muglich  ist  in 
der  zeit,  den  menschen  dunckent  alle  geschafiie  ding  nichtz 
sein  gegen  diße  volkumen,  als  es  auch  in  der  warheit  ist: 
wan  außwendig  dem  volkumen  und  on  es  ist  kein  war  gut 

16  noch  war  wesen.   Wer  denn  das  volkumen  hat  oder  bekennet 

und  liebet,  der  hat  und  bekennet  all  und  alles  gut.    Was  [Küj] 

solt  im  denn  mer  oder  anders  oder  was  solten  im  die  teil,  wan 

die  teil  all  in  dem  volkumen  vereiniget  sind  yn  eim  wesen? 

55.         Was  hie  gesagt  ist,  das  gehört  alles  außwendigem  leben 

20  zu  und  ist  ein  weg  und  ein  zu  gang  zu  eim  waren  in- 
wendigen leben.  Unnd  das  inwendig  das  hebet  an  nach  dißem. 
Wenn  der  mensch  smecken  wirt  das  volkumen,  als  es  muglich 
ist,  so  werden  alle  geschaffne  ding  dem  menschen  zu  nichte 
und  auch  der  mensch  selber.    Und  so  man  bekennet  in  der 

26  warheit,  das  das  volkumen  allein  all  ist  und  über  all,  so 
volget  von  not  darnach,  das  man  dem  selben  volkumen  allein 
alles  guten  bekennen  muß  und  keiner  creaturen,  als  des  wesens, 
lebens,  bekennens,  Wissens,  vermügens  und  des  gleichen.  Und 
darnach  volget,  das  der  mensch  sich  nichtz  an  nympt,  weder 

80  lebens  noch  wesens,  vermügens,  Wissens,  thuens  und  lassens 
noch  alles  des,  das  man  gut  genennen  mag.  Und  also  wirt 
der  mensch  als  armm  und  wirt  auch  in  im  selber  zunichte 
und  in  ym  und  mit  im  alles  icht,  daz  ist  alle  geschafne  ding. 
Und  so  aller  erst  hebet  sich  an  ein  war  inwendig  leben.   Und 

36  den  furbas  mer  wirt  got  selber  der  mensch,  also  das  da  nicht 


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mer  ist,  das  nit  got  oder  gottes  sey,  und  aach  daz  da  nichtz 
ist,  das  sich  ichtes  an  nem.  So  ist  und  lebet  und  bekennet 
und  vermag  und  liebet  und  will  und  thut  und  lesset  got,  daz 
ist  das  ewig,  ein,  volkumen  alleine.  Und  also  solt  es  in  der 
warheit  sein,  und  wa  es  anders  ist,  da  möcht  im  wol  pas^)  5 
und  rechter  sein. 

Auch  ist  ein  gut  werck  und  zu  gang,  das  man  war  nem, 
das  das  peste  das  liebste  sey,  und  daz  man  das  peste  erwele 
und  sich  dar  zu  halte  und  sich  da  mit  yereinige.    Zu  dem 
ersten  yn  den  creaturen.    Was  ist  aber  das  peste  in  den  10 
creaturen?    Das  mercket.    Wa  das  ewig  volkumen  gut  und 
das  seyn,  daz  im  zu  gehört,  aller  meist  scheinet  und  wurcket 
und  bekant  und  geliebet  wirt.    Was  ist  aber  das,  das  gottes 
ist  und  im  zu  gehört?    Ich  sprich:  Es  ist  alles  das,  das  man 
von  recht  unnd  mit  warheit  gut  heisset  und  nennen  mag.   Sich,  15 
wenn  man  sich  also  yn  den  creaturen  zu  dem  pestenn  heltet, 
das  man  bekennen  mag,  und  bey  beleibet  und  nit  hinter  sich 
get,  der  kumpt  aber  zu  eim  pessemn  und  aber  zu  eim  noch 
pessemn  also  lang,  das  der  mensch  bekennet  und  schmecket, 
das  das  ewig,  ein,  volkumen  on  maß  und  on  zal,  über  aUes20 
geschaffen  gut  ist. 

Sol^  nu  das  peste  das  liebste  sein  und  volget  man  dem  56, 
selben  nach,  so  sol  das  ewig,  eynig  gut  über  aUe  und  allein 
lieb  gehabt  seyn,  und  das  sich  der  mensch  za  dem  allein  halte 
und  sich  mit  ym  vereinige,  alsvil  es  müglich  ist.    Und  sol  26 
man  nu  dem  ewigen  einigen  gute  aUes  gutes  bekennen,  als 
man  von  rechte  und  yn  der  warheit  sol,   so  muß  man  ym 
auch  von  recht  und  in  der  warheit  bekennen  des  anhebens 
und  Vorganges  und  zum  ende  zukomen')  und  muß  ym  auch 
desselben  bekennnen,  auch  verjehen,  also  das  dem  menschen  30 
oder  der  creaturen  nichtz  nit  pleibe.    Alßo  solt  es  yn  der 

^)  soUte  es  wohl  besser. 

*)  Der  Torige  und  dieser  Abschnitt  haben  ein  ähnliches  Verhältnis 
Zueinander  wie  die  in  Kap.  6. 
')  Des  VoUendens. 

10* 


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warheit  sein,  man  sag  oder  singe,  was  man  wolle.  Also  kem 
man  aber  zu  einem  waren  inwendigen  lebenn.  Und  wie  es 
dan  furbas  ergieng,  oder  was  da  geoffenbart  ward,  oder  wie 
das  gelebet  wurd,  da  singt  oder  sagt  nyemant  von.  Es  ward 
öanch  mit  mundt  nye  gesprochen  noch  myt  hertzen  nye  be- 
dacht oder  bekant,  als  es  yn  der  warheit  ist. 

Diße  lange  vorgeschriben  rede  begreiffet  kurtzlichen,  als 
im  solte  von  recht  sein  und  yn  der  warheit,  das  in  dem 
menschen  nichtz  nit  were,  daz  sich  ichtes  an  nem  noch  icht 

lOwolte  oder  begert  oder  liebende  oder  meynend  were,  sunder 
got  und  die  gotheit  allein,  das  ist  das  ewig,  einig,  volkumen 
gut.  Und  ist  in  dem  menschen  etwas,  das  sich  an  nympt 
oder  will  oder  meinet  oder  begert  anders  oder  mer  dan  das 
ewig  gut,  das  ist  zuvü  und  ist  geprechen.^) 

16  Eyn  ander  kurtz  rede:  Mag  der  mensch  darzu  werden, 
das  er  gotte  sey  als  dem  menschen  seyn  hand  ist  so  laß 
er  ym  genügen.  Und*)  das  sol  werlich  sein.  Und  ein  yeg- 
lich  creatur  ist  dasselb  von  recht  und  in  der  warheyt  got 


^)  Pf.  f :  und  hindert  den  menschen  eines  yoikomen  lebens,  also  daß 
der  mensch  dis  yoikomen  gut  nimer  aber  komet.  er  vorl&ße  dan  aUe  dink 
und  zn  dem  Ersten  sich  selber.  Wan  nimant  mag  zweien  herren  gedienen, 
die  wider  ein  ander  sint:  wer  eines  wil  haben,  der  ml£  das  ander  laßen 
faren.  Dar  umb,  sol  der  schepfer  In,  so  muß  alle  cr^atür  üs,  das  wisset 
Tor  war. 

*)  St.:  „und  —  sein".  Pf.:  und  suche  nit  furbas.  Das  rÄte  ich 
im  mit  trewen  und  hübe  d&  bi.  Das  ist,  das  man  sich  des  sol  flißen 
und  wenen,  das  man  got  und  sinen  geboten  zu  allen  ziten  und  in  allen 
dingen  also  gehörsam  si,  das  man  weder  in  geiste  noch  in  nätür  kein 
widerstant  nicht  finde,  also  das  s^le  und  lib  mit  allen  sinen  gelidem  also 
willig  und  bereit  sin,  dar  zu  in  dan  got  geschaffen  hat,  als  wiüig  und 
bereit  dem  menschen  sin  haut  ist;  wan  die  ist  in  siner  macht,  also  das  er 
si  in  einem  ougenblicke  wendet  und  k^ret  wie  er  wil.  Und  w&  man  sich 
anders  findet,  das  sol  man  bessern  mit  ganzem  fliße,  und  das  sol  geschehen 
üs  liebe  und  nicht  üs  forchten,  und  man  sol  ouch  in  allen  dingen,  was  das 
imer  si,  allein  got  meinen  und  s!n  lob  und  ^re  suchen.  Man  sol  des  sinen 
nindert  suchen  weder  in  geiste  noch  in  nätür,  und  das  müs  ie  Ton  not  sin, 
sol  im  anders  recht  sin. 


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schuldig,  und  besunder  ein  [Kiiij]  yeclich  redlich*)  creatur, 
und  allenneist  der  mensch.  Das^)  merckent  bey  eim,  das  ir 
vorgeschriben  habt. 

Auch  sol  man  mercken:  Wan  der  mensch  also  verre 
kumpt,  daz  er  meynet  und  yn  dunckt,  das  er  hie  zu  komen  6 
sey,  ist  zeit,  das  er  sich  vorsehe,  das  dan  der  teufel  nyt 
aschen  daryn  see,  also  das  die  natur  ir  gemach  und  rüge^) 
und  ir  frid  und  ir  wol  hie  ynn  suche  und  nem  und  gee  in 
eyn  törichte,  ungeordente  freyheit  und  in  Unachtsamkeit,  das 
eim  waren  gotlichen  leben  zumal  fremd  und  verr  ist.  Das  10 
geschieht  dem  menschen,  der  nyt  gegangen  hat  noch  gen  will 
den  rechten  weg  und  zu  der  rechten  tur  yn,  das  ist  durch 
Christum,  als  vor  gesagt  ist,  und  wenet,  er  woU  oder  mfig 
anders  und  einen  andernn  weg  kumen  zu  der  obristen  war- 
heyt,  oder  er  meynet,  er  sey  villeicht  darzu  komen,  er  dan  16 
werlichen*)  darzu  komen  ist.  Das  bezeugt  man  mit  Christo, 
der  da  spricht:  *Wer  anders  yn  gen  wil  denn  durch  mich, 
der  kumpt  nymer  zu  recht  yn  noch  zu  der  obristen  warheit, 
sunder  er  ist  eyn  dieb  und  ein  morder.' '^) 

*)  Ternttnftig. 

')  St.:  „Das  —  hat".  Pf.:  dem  durch  die  ordennnge  gotes  aUe  crda- 
türe  sint  xmdertän  nnd  im  dienen  üf  das,  das  der  mensch  got  aUeine  si 
nndert&n  und  im  diene. 

*)  Bnhe.        *)  ehe  dann  (sc.:)  er  in  Wahrheit. 

^)  Joh.  10, 1.  Pf.  f :  „Ein  diep:  wan  er  stilt  gote  sin  lob  nnd  ^re,  wan 
si  got  alleine  zn  gehört;  der  nimpt  er  sich  an  nnd  suchet  nnd  meinet  sich 
selber.  Er  ist  ein  morder:  wan  er  mordet  sin  eigne  s§le  und  nimet  ir  ir 
leben,  das  ist  got  selber.  Wan  als  der  lib  lebt  von  der  s^le,  also  lebt  die 
s^le  von  got.  Er  ermordet  ouch  aUe,  die  im  nach  Tolgen,  mit  l^re  und 
mit  exempel.  Wan  Eristus  spricht  'ich  bin  nicht  komen,  das  ich  tue  minen 
wiUen,  sunder  den  willen  mines  himelischen  yaters,  der  mich  h&t  gesant 
(Joh.  6,  38).  Er  spricht  m6r  'was  heißet  ir  mich  herre,  herre,  und  tut  doch 
nicht,  was  ich  ftch  heiße  ?'  (Lc.  6,  46),  als  ob  er  sprechen  wolte :  es  hilft 
üch  nichts  zu  dem  Ewigen  leben.  Er  spricht  m^r  'es  wirt  nit  ein  iegllcher 
in  g^n  in  das  himelrich,  der  d&  spricht :  herre,  herre,  sunder  der  d&  tut  den 
willen  mines  himelischen  yaters'  (Mt.  7,  21).  Er  spricht  aber  m§r  'wiltu 
in  g6n  in  das  €wig  leben,  so  halt  die  gebot  gotes  (Mt.  19, 17).    Was  sint 


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Das  wir  uns  selber  ab  gea  und  unsers  eigen  willen 
sterben  und  got  und  seinem  willen  leben  allein,  des  helff  uns 
der,  der  seinen  willen  seinem  hymlischen  vater  auff  geben 
hat  der  ^)  da  lebt  und  herscht  mit  got  dez  vater  in  eynickeit 
ödes  heiigen  geistes  in  volkumner  dryvaltigkeit  ewicklich. 
Amen. 

Gedruckt  zu  Wittenburg  durch  Joannem 
Grünenberg.  Nach  Christ  geburt  Tausent 
funffhundert  und  ym  Achczehenden  Jar. 


aber  die  gebot  gotes?  Das  ist:  habe  got  lieb  inaUen  dingen  von  ganzem 
dinem  herzen  und  d!nen  nächsten  als  dich  selber.  In  disen  zweien  geboten 
werden  aUe  ander  gebot  beslossen  (Mt.  22,  37  ff.).  Es  ist  got  nicht  lieben 
nnd  dem  menschen  nicht  nntzers  dan  ein  demütige  gehorsam.  Got  ist 
lieber  ein  gut  werk,  das  da  geschiet  üs  wärer  gehorsam,  dan  hundert 
tüsent,  die  dd,  geschehen  üs  eigem  wiUen  wider  die  gehörsam.  Dar  nmb, 
wer  die  hat,  der  bedarf  im  nicht  furchten,  wan  er  ist  ftf  dem  rechten  wege 
und  volget  n&ch  Kristo." 

*)  St. :  „der  —  dryvaltigkeit".    Pf. :  Jßsus  Kristus,  unser  lieber  herre, 
der  da  gebenediet  ist  über  alle  dink. 


Berichtigung: 

S.  31  A.  4  lies  für  „A:  v.  y.  s.":  Af:  v.  y.  s.  als  wenig. 

S.  36  A.  3  Ues  für  „daz'" :  daz  ist'. 

S.  45  A.  1  füge  hinzu :  mit  Ausnahme  des  letzten  Satzes. 


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Anhang, 


Um  der  Vollständigkeit  willen  geben  wir  hier  die  unter  dem  Text 
nicht  berücksichtigten  Abweichungen  des  Pf.-Textes  Ton  obigem.  Letzterer 
wird  durch  die  Anfangsbuchstaben  der  in  Frage  kommenden  Wörter  aor 
gedeutet.  Fangen  mehrere  Wörter  mit  demselben  Buchst,  an,  so  bezeichnet 
die  in  Klammem  beigesetzte  Zahl  das  gemeinte  Ton  diesen  näher.  Ist  der 
Buchst,  trotzdem  ohne  Zahl  gelassen,  so  ergibt  sich  die  Entscheidung  ent- 
weder aus  der  Stellung  innerhalb  der  andern  zu  der  einen  Zeile  gehörigen 
Buchst.,  oder  es  ist  das  erste  der  gleichanfangenden  Wörter  gemeint.  Pia 
Text  steht  hinter  den  Buchst.,  wenn  er  die  angedeuteten  Wörter  ersetzt, 
Tor  ihnen,  wenn  er  dem  angedeut.  Wort  Torausgeht.  Stehen  die  Buchst, 
allein,  so  fallen  die  betr.  Wörter  bei  Pf.  fort.*) 

S.8Z.7d.(8)sin  9u.  IGnochi.  18 das d./ eben w.  22ouchn.  42wi. 
S  und  bringen  z.  rechter  y.  10  sint  w.  21  S.  Sitdem  mal,  das  22  so  w.  /  e. 
sin  23  d.  (2)  24  u.  1.  25  g.  Kristi  37  das  s.  5  21.  u. /w.  (2)  6  hin  und  h./ 
u.  d  11  a  /  US  =  seh.  14  i.  (2)  17  in  t.  22  und  we.  24  f  und  ist  26  f  anders 
28  a.  aus  33  EinG.  /  s.  e.  Ton  seiner  eigenschaft  35  e.  enznndet  36  g.  6  7 
wäre  r.  /  allein  s.  8  auch  a.  /  creaturen  g.  11  Ein  frage :  0.  14  f  gotlicher  Wahr- 
heit 18  d.  m.  71  also  w.  5  wesen  b.  82  der  da  au.  4  das  h.  7  aber  d.  14  es 
m.  9  1  nu  u.  2  ein  c.  4  d.  als  alle  /  y.  in  5  wan  y.  8  und  dergllchen  alles  y. 
12  n.  (2)  13  mit  liebe,  freude,  lust  oder  begirde  fi.  /  uns  d.  16  o  . .  n.  s!  kein 
wesen  10  3  die  w.  9  wissens  b.  10  und  meint  d.  /  oder  ir  zu  gehöre  oder  das  es 
yon  ihr  s! :  als  oft  und  dicke  das  geschiet  ß.  13  u. . .  s.  11 1  u.  (2)  3  ouch  d.  (2) 
5  sin  m.  /  sin  m.  /  und  sfn  m.  10  öfter  und  t.  14  fal  u.  15  o.  und  16  das  merk  D. 
17  den  m.  /  so  na.  18  die  m.  19  n.  (2)  31  und  ie  wären  u.  /  allen  y.  32  ouch 
y  (3).  12  1 0.  und  2o.  und  3  alle  dink  in  mir  t.  4  alle  s.  /  götlichen  wi.  /ü.  d. 
Aber  so  5m...  mi.  ich  besitze  mich  mit  eigenschaft,  als  min  und  ich,  mir  und 
mich  und  des  glichen  6  lüterlich  a.  /  alle  hint.  /  in  mir  sin  werk  g.  7  8ob.  10  e./ 
lob  e.  /  g.  wirdikeit  12  es  s.  13  y.  m.  vermüge  14  o.  und  /  als  oft  und  ditfke  ich 
das  tft  ß.  /  u.  oder  15  tft  ich  ey.  18  yor  gut  helt  oder  gu.  13  1  d.  (2)  dem  / 
g.  u.  gut,  das  got  aUein  ist.  Darumb  3  die  sp.  5  zu  vorst€n  d.  (2)  6  s.  o. 
sol  sin  und  das  /  b.  w.  o.  /  7  a.  (2)  und  8  gar  e.  /  a.  e.  glich  dem  9  a.  und  / 
r.  unyomunftiges  tier  10  gar  1.  /  a.  (2)  14  d.  m.  a.  er  und  15  s. . .  c.  man 
«ich  der  ding     17  umb  die  b.  /  wa.  /  i.  glichen     14  1  ding  ie  my.  /  ie  yol- 

*)  Zum  obigen  Text  ist  noch  zu  bemerken,  daß  die  zwecks  Übersicht 
über  den  Inhalt  zum  eigenen  Gebrauch  gemachten  Unterstreichungen  un- 
beabsichtigter Weise  durch  Sperrung  wiedergegeben  sind.  Einmal  wieder- 
gegeben, unterblieb  ihre  Aufhebung  aus  praktischen  Gründen. 


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—    106    — 

komener  e.  /  n.  1.  4  d.  aller  Ding  ledig  und  5  a.  d.  denne  der  ding  /  beste, 
Yolkomenste  e.  6  iemer  g.  7  aller  e.  /  und  1.  /  wille  u.  8  yil  b.  /  u.  e.  10  i. 
(2)  nu  etwas  d.  /  (2) . .  11  e.  (2)  also  das  ich  es  si,  das  ich  es  get&n  habe,  das 
ich  es  wisse,  kunne  und  yermuge  oder  das  es  min  st,  das  kompt  alles  Ton 
gebrechen  und  torheit.  Wan  11  recht  wa.  13  no.  und  /  nit  ist  und  das  ich 
s!n  nit  weilt  und  nit  kan  oder  Tonnag  u.  /  u.  Wenne  di£  geschehe  15  uns  m.  / 
u.  (2)  16  und  des  glichen  u./do.ouch  18  die  u.  (2)  19  selber  a.  (2)  20dand./ 
ich  a.  22  der  sp.  15  8  ouch  d.  /  aller  1.  /  umb  n.  /  allein  u.  10  g.  geliebet  11 
dis  a.  /  ist,  d.  12  aller  m.  14  ie  d.  /  mit  flis  z.  /  d.  ir  15  da  mit  v.  16  also  d.  / 
g.  (3)  götlich  /  g.  u.  wlsheit  16  1  gütikeit,  f .  /  und  g.  2  di.  diser  tugent  3we. 
ist  /  alles  t.  6  alle  m.  /  an  z.  7  u.  dan  8  zitlich  oder  z.  /  u.  (2)  oder  9  immer  g.  / 
S.  Also  /  d.  das  10  m.  wisse  11  das  höchste  u.  13  a  (2)  14  dö  k.  17  g.  Ewiger 
18denz. /u.  b.  20  aber  M.  17  4  u.  /  und  in  Ewigem  fride.  A.  5  Kristi  stunt  m.  / 
u.  in  aller  trübsal  7  u.  8  u.  /  smerzen  u.  9  ie  g.  10  o.  und  do  er  /  heiigen  C. 
12  gotlicher  w.  13  er  hete  n.  /  d.  siner  /  er  i.  /  h&t  S.  16  o.  g.  betrübt  oder 
bekumert  /  oage ;  y.  22  und  nötturft  z.  /  und  den  zu  richten  und  zu  regtren 
n&ch  dem  allerbesten.  A.  23  glich  mi.  25  sich  d.  /  Torwegen  und  muß  s.  (2) 
26  glich  h.  /  U.  /  dan  d.  27  da . .  h.  18  1  ouch  d.  6  des  e.  7  dar  zu.  U. 
8  ül  =  seh.  /  üf  d.  (3)  9  dienen  und  z.  /  s.  10  bekumert  u.  (2)  /  als  lange  nu  das 
geschiet  ß.  11  e.  dises  / 1.  a.  s.  komen  12  ganz  1.  /  ledig  u.  /  muß  ouch  genz- 
lieh  sin  a.  (2)  13  z.  f.  des  allerersten  14  m.  (2)  yil  menschen  /  g.  zu  tun  und 
st  unmüglich  /  d.  diser  15  m.  s!  muglich  16  m.  Tomimpt  /  a.  in  17  dd  er 
also  spricht  z.  /  Tor  =  1.  18  die  s.  (2)  19  w.  gewerken  mag  das  die  t.  21 
allein  a.  /  y.  19  2  nu  d.  3  es  ey.  4  d.  diser  7  t.  alsd  gewonet,  also  /  d.  (2)  dar  / 
a.  s.  8  d.  diser  edelen  /  ed.  besser,  wirdiger,  hdher  /  u.  (3)  12  6wig  g.  (2)  13  u. 
d.  s.  14  e.  er  /  J.  gl.  w.  des  glichen  20  1  ad.  und  2  nutze  und  g.  3  u.  (2)  oder 
4  a. . .  h.  5  habe,  d.  6  so  w.  /  h.  tüsentmal  /  in  im  er.  /  erlemete  u.  6/7  erk.  w. 
erkennete,  wer  er  w§re  8  in  im  wu.  /  was  er  Ton  im  haben  wo.  9  so  i  10  w. 
(2)  das/ ein  y.   llvilp.  21  ly.  einem  2  anders  d. / 3  die  s. / immer  s.  /  wi.  sol 

7  es  ist  al.  8  b.  d.  itzunt  dar  inne  11  ey.  einig  13  t.  (2)  an  yilheit  /  es  lit  a.  (2) 
15  an  der  c.  (2)  /  es  lit  a.   22 1  sd  so.   2  a.  (2)  3  z.  f.  des  allerersten  7  n.  nimmer 

8  in  mir  g.  /  u.  1.  g.  geliebet  13  n.  oder  14  so  1.  15  dink  d.  23  6  eigene  h.  / 
ist  u.  8  ganz  1.  9  y.  der  /  d.  m.  si  10  g.  gutikeit  11  dkg,  j  sn.  mit  eigen- 
Schaft,  wan  der  14  der  h.  15  des  h.  /  einer  la.  16  a.  e.  f.  in  ganzer  friheit  in- 
brunstiger 17  y.  T.  Tolkomelichen  /  ouch  y.  18  d.  /  und  y.  (2)  19  j.  aber  wol 
zu  erbarmen  /  alzit  a.  /  al.  20  besser  und  e.  24  2  s.  werde  /  lust  u.  (2)  3  y. 
u.  f.  enpfinden.  Wenne  uns  das  wirt  /  w.  ist  4  wank  und  w.  (2)  /  und  kunnen 
uns  nindert  darin  schicken  u.  5  und  laßen  Ton  unser  Übung  u.  /  ganz  t.  /  ein 
gar  g.  6 1.  m.  liebhabender  /  8  in  liebe  und  in  leide  u.  (2)  25  3  wärlich  b. 
4  a.  merket,  wer  und  was  er  ist  /  gar  schnöde  p.  5  o.  und  6  ie.  g.  /  ist  oder  m. 
7  u.  (2)  /  er  si.  /  a.  d.  8  8.  1 1  d.  y.  r.  Ißßet  er  sich  bedunken  12  vorloren  und  y. 
13 1.  bösen  geiste  14  so  w.  /  o.  und  /  er  ouch  k.  15  allen  c.  /  die  in  himel  und  üf 
erden  sint  s.  16  sin  y.  18  u.  d.  darumbe  so  /  es  y.    26  2  u.  4  d.  (2)  dirre  5  y.  d.  t. 


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—    107    — 

6  de.  diser.  7  immer  g.  (2)  8  o.  noch  die  13  bin  ich  y.  27  2  oder  achtet  d.  / 
d.  (4)  das  3  n.  w.  gar  edel  nnd  übergnt  /  n.  das  /  tröst  n.  (4)  /  4  nimant  durch- 
gmnden  noch  üsgesprechen  mag.  U.  /  dan  d.  /  e.  achtet,  suchet  5  allein  n. 
Ö/6  d.  e.  g.  /  u.  1.  rüwe  nnd  tröst  7  dan  d.  (2)  9  d.  (2)  diser  10  d.  dise  /  nnd  d. 
14  0.  n.  /  n.  er  15  n.  onch  /  e. . .  w.  in  nimant  immer  beleidigen  oder  betrüben 
mnge  /  das  ist,  das  e.  16  mag.  g.  1 8  so  k.  /  dicke  di.  20  von  im  selber  w.  /  o.  noch 

28  1  U.  d.  m.  Er  2  e.  Tortrlben  3  i  stet  7  gar  r.  10  e.  t.  etwiedicke  13  do. 
dammb  s6  16  sd  y.  /  u.  (2)  17  das  si  nit  wissen  w&  sie  dar  üs  sollen  komen  D.  / 
derw.  18 1.  böse  geist  1913.  20  eben  w.  /  lieben  i.  21  de.  29  4  Mens  e.  /  des 
glichen  w.    5  s.  die  gew. .  7  w.  (2)  nnd  n&chf olger  Eristi  gewesen  sint   7  mit  1. 

8  allen  sinen  fl.  /  m.  w.  wnrde  gar  schiere  9  w.  /  d.  (3)  /  selber  i.  11  etUche  m. 
12  das  s.  /  d.  30  1  nnd  nnderscheit  d.  /  n.  9  so  s.  10  m&le  d.  31  2  nnd  A. 
4w.n.  6  frte  a  (2)  /  selber  st.  /  7  an  s.  /  n.  /  also  d.  (2)  9  n. . .  e.  /  nnd  solt  onch 
alsw6nikT./n.  (2)..10kl.  lOobe.  14 y  (2).  32  1  snst  y.  2 alleine t.  4w. 
meinet  6  meint  nnd  1.  /  d.  des  7  w.  n.  8  d.  onch  /  die  von  recht  seh.  10  wider 
a.  / 1. . .  11  n.  /  n. .  g.  13  o.  a.  also  ledig  von  allen  cr^atüren  /  y.  nie  /  er.  mensche 
Uo.nnd   18dochw.   21s.. .22b.   23n(2)  24 wan e. / e. nnd  25ga./no.nnd 

29  alden  m.  /  d. .  a.  /  e.  dem  33  1  was  das  si  S.  /  mensche  das  i.  /  n.  (3)  2  der 
w&reg.  3UndW./a./T.(2)  öU.w.n.Wan  6ß.d&  8 so. . . 9 sp.  dar  zn  vor- 
mant  nns  9  nnd  spricht  L.  /  a.  Ton  üch  10  allen  s.  13  al . .  w.  onch  also  flißik 
14  a  joch  / 1.  bösen  geistes  15  d.  demütiger  16  joch  C.  21  a.  22  d.  höchfart, 
in  woUnstikeit  des  libes  nnd  in  /  alle  an  der  s^le  t.  34  1  da. . .  g.  2  d.  (4)  6  d. 
w&rer  9  hie  di  10  den  s.  11  no.  oder  12  U.  Wan  13  di.  sin  13/14  n.  gep. 
14  glich  w.  /  das  hilfet  in  aUes  zn  male  nichts  d.  /  sol  man  gar  eben  m.  15  die 
8.  (2)  /  U.  Aber  /  e. . .  wa.  der  mensche  in  die  17  t.  böse  geist  18  wider  ei. 
21  t  böser  geist  23  dan  m.  /  sich  sin  selbes  nnd  aller  dinge  yorzüge  nnd  a. 
24  0. . .  d.  lebete  in  /  we.  25  dan  C.  /  ganz  a.  26  e.  ein  dink  /  da  C.  28  f  ^^ 
si  es.  29  di.  der  wären  /  ie  n.  30  nnd  ß.  /  ir  y.  /  ie  m.  35  2  alz.  alles  5  ß. . . 
m.  (2)  6  mir,  mich  d.  /  so  das  ie  m.  /  in  dem  menschen  a.  7  ie  m.  8  m.  dem 
menschen  9  S.  /  nn  a.  10  onch  k.  10/11  s. . .  ma.  3tf  1  o.  nnd  2  o.  nnd  / 
3  a  (2)  /  ganze  w.  4  d.  5  w. .  d.  6/6  we  . .  d.  was,  im  6  m.  7  i.  große  / 1. 
p!n  /  ob  a.     8  d. .  .  m.  (2)  die  mochten  in  alle  nit  bewegen  oder  betrüben 

9  ei.  ein  dink  11  no.  weder  12  der  er.  /  o.  nnd  13  alles  n.  15  das  b.  /  alles 
w.  /  n.  (2)  &n  15/16  n.  d.  n.  16  b.  der  gefellet  /  gar  nb.  17  d.  (2) . .  19  g. 
ob  es  müglich  wöre,  das  er  19  w.  möcht  /  die  lide  er  alle  gerne  yor  einen 
nngehörsamen  menschen  a.  /  das  e.  20  d.  21  A. . .  y.  Sich !  wie  wol  das  ist, 
das  22  nnd  yolkomenlich  y.  /  i.  gesin  mag  23  n.  so  /  ieglichen  m.  /  hie  b. 
37  1  also  d.  3  bösheit  n.  / 1.  ie  leider  /  n.  (2) . .  i  5  ei.  ein  dink,  wan  /  gesch.  f : 
Das  ist  alles  snnde.  Dar  nmb  ist  sich  allein  zn  hüten  yor  nngehörsam.  9  se. 
st^n  n (2)  nnliden  10 also.  11  also  1.  12  a. si alzit / g.  1. 1. n. glichen  13 halt 
was  es  si  d.  (2)  14  sunder  y.  (2)  /  g.  gesprochen  15  So  A.  15/16  n.  i.  e.  das 
16  aL  ist  /  so  L  (2)  /  S.  17  a.  ganz  18  yon  allen  dingen  n  /  no.  oder  19  allein  go. 
21  n.  g.   24  alle  h.  /  yon  den  snnden  e.  /  u.  also  das  man  sich  25  wil  a.  (2)  /  e.  die 


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—    108    — 

schulde  alle  / 1. . .  26  p.  bösen  geiste  /  n.  (2)  ew.  schade  88  1  äwige  t.  /^be  m. 
2  g.  das  Torhenget  /  te.  böse  geist  3  n  /  alle  a.  /  b.  untngent  5  y.  (2)  6  A. 
In  ganzer  w&rheit  /  m.  n.    7  ouch  go.   8  doch  a.  /  a.  (2)  /  und  ichheit  d.    11  u. 

d.  e.  /  oüch  i.  12  d&Q  C.  15  selbige  g.  (2)  16  d.  (2)  18  er  a.  19  das  a.  (2) 
22  begeret  and  ge.  /  n   28 1.  g.  alle  an.   24  z.  ganz    39  2  ninb  a.   3  w&rlichb. 

4  leben  i.  /  so  i  (2)  5  wirt  n.  6  a  7s...  me.  süre  oder  süite  nnd  des  glichen. 
Unddarumbe  8  volkomen  und  wa.  12  gwige  w.  (3)  /  n  nimerm§r  ]4solg./e. 
man  15 w. yolkomen / mng k.  17g/grö£erm.  18h/J. s./m  19 d  20begirde 
oder  m.  /  y.  b.  o.  22  die  cr§atür,  es  s.  (2)  24  k.  folgen  /  v  yerleuken  25  a.  y.  n. 
alle  dink  y  (3)  üfgibt  26  no.  nnd  /  onch  m.  (3)  27  er  a.  / 1.  vorl^t  40  1  y. 
^wige  2D.nit  3  doch  d.  6  etwas  d.  (2)  /  betrogen  n.  (3)  /  gar  p.  7m6rw.  9  h. 
helt  /  aller  1.  (2)  /  f :  Also  kompt  er  zu  der  w&rheit  nimer  13  ganz  s.  15  aller  b. 
16  w.  meinet  ouch  /  y.  17  S  /  gar  b.  18  a  /  so  h.  20  ei  eigenes  22  k  selbige 
sügt  23  zn  letzte  sei.  (2)  w  meinet  24  d  (2)  ü£  /  also  b.  251ütem.  411  d. 
ein  solchen    3  W.  Wan    4  k  mag  /  g  vorstßn  noch  wissen  /  u  aber  /  n  (2)  der 

5  es  allein,  aber  d.  /  a  /  D.  was  es  ist  onüssprechlich.  Dar  nmb  6  w  halde 
sich  mit  ganzem  fliße  6  so  g.  /  s.  eins  solchen  menschen  wise  and  7  n.  w.  / 
frte  st.  8  s  10  d.  maniger  11  das  merket  man  da  b!.  Wan  T.  12  dar  z.  / 
etwas  za  t.  13  dan  d.  14  a.  liebe  /  fintschaft  and  s.  /  und  begirde  i.  15  joch  a. 
42  4  also  d.  5  o.  and  9  t.  bösen  geiste  10  mit  a.  11  t.  der  böse  geist  /  d. 
wol  /  doch  a.  /  y.  von  12  also  da.  13  also  s.  /  a.  (3)  sander  14  d  (2)  16  d. 
das  18  si  s.  21 1.  bösen  geiste  21/22  d.  (2) . .  i  23 1.  bösen  geiste  /  Wan  J. 
43 1  u  / 1.  bösen  geiste  2  t.  böser  geist  3  das  d.  7  so  m.  7/8  g.  n  /  S. . .  9  s. 
10  w.  Yorwär  newer  11  o.  and  /  alleine  d.  (3)  12  gedachte  dar  nach  mit 
ganzem  fliße  w.  /  dar  za  b.  /  w.  mochte  werden  14  w.  e.  so  der  mensche  19  d. 
g.  er  dise  konst  müge  gelemen   20  g.  e.  n.  wirt  die  kanst  nimer  gelemet.  /  ist :  / 

e.  ein  forme  oder  exemplar  21  ist :  / 1.  l^rmeister  mit  ganzem  fltß  22  and  mit 
ernste  üf  in  warte  and  merke  a.  /  z.  w.  im  in  allen  dingen  gehörsam  s!  /  g.  s. 

44  1  y  /  stucke  ist  d  (2).  /  mit  fliß  n.  2  aber  d.  8  S  /  es  a.  /  y.  umb  /  u.  wan 
4  ganzer  f.  5  ouch  u.  7  fllß  1.  8  also  a.  (2)  /  u  (3)  dar  umb  so  9  A  . .  m.  Es 
sagen  etliche  menschen /e.  anderen  und  y.  12de.  diser  13  menschen  w.  14  dink 
1.  (2)  17  a  ouch  allen  dingen  19  z  /  s  (2).  dem  inwendigen  20^1 1.,  a.  gedultf- 
keit,  alle  dink  oder  widerwertikeit  williglichen  21  dingen  k.  23/24  y. . .  d. 
absit  in  einer  lieplichen    24  e.  dömütikeit    26  d.  das  /  ein  edele  und  sölige  b. 

45  2  alle  volkomlich  und  genzlich  b.    2/3  v.  g     4  1.  wunniglichen  /  und  p. 

6  dan  m.  7  u.  (2)  oder  8  und  geschriben  i.  /  w.  w.  wise  9  w  10  volge 
minem  rate  und  g.  (2)  12  A.  d.  Noch  /  a  /  lieplichen  1.  13  das  ist  W.  / 
genzlich  y.  15  u  . .  s.  got  und  der  mensche  sin  ein  dink.  Das  geschieht  in 
solcher  wise.  So  die  wärheit  alzit  yor  g^t,  also  18  der  mensche  g.  /  d.  e. 
dieselbige  wäre  einikeit  da  19  u  (3)  /  mich  u.  46  2  f.  Yorstentnis  3  süres 
und  süßes,  freude  und  trürikeit  u.  /  b.  gemerket  /e.  enpfunden  5  erk.  yorstent- 
lich  /  böses  und  gutes  u.  (3)  6  er.  merket  8  g^t  im  zu  herzen  und  b.  10  b. 
vomomen    12  allein  i.    13/14  u  . .  i    18  a.  a.  u.  a.  aller  ding   19  ob  etwas  d&  i. 


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—    109    — 

aO  e.  eigenschaft  /  &ne  da.  24  o.  und  /  iren  fmmen  and  nutz  enpfähen  W. 
49  1  A  . .  me.  /  na  d.  (2)  /  4  na  m,  /  a  /  na  ganz  g.  5  diser  weit  a.  /  allein 
g.  /  komet  dan  etwan  der  böse  geist  and  s.  5/6  d.  d.  t.  6  d.  (3)  9  a.  gar  10 1. 
bdse  geist  11  w.  meinet  12  er  d.  13  na  w.  /  d.  n.  d.  l^re  /  weder  äiQ  noch 
das  and  er  g.  15  dan  y.  /  falscher  f.  /  g.  1.  ein  wolgefallen  sin  selbes  16  m, 
er  /  oder  gedenket :  18  d.  dise  /  a  /  so  i.  /  es  wol  b.  19  g.  herre  and  gebieter  / 
das  m.  20  w.  o.  m.  21  dan  a.  /  a.  oach  gar  23  oach  seh.  24  er  h.  /  z.  s.  /  e. 
•.  a.  das  25  a  /  8.  f.  and  leben  26  natze,  za  freade  and  L  /  and  za  k.  27  e.  a. 
das  48 1  w.  wfi  /  a.  Es  /oach  a.  /  and  za  wenig  sin  w.  2  tut  oder  g.  /  a.  wan  / 
s.  a.  w.  noch  yil  m^r  and  größer  6ren  3  dan  man  im  getün  mttge  U.  /  die  m. 
4  a.  halt  /  w.  s!n  /  m.  er    6  solche  menschen  we.    7  d.  s.  /  m.  si    9  w.  a.  in  nit  /  a 

10  a  vil  11  a  halt  12  and  g.  16  kristUchen  k.  /  z.  vor  17  icht  d.  /  J.  da 
20  a.  r.  21  oach,  d.  /  aller  y.  /  y  22  s.  werden  /  menschen  w.  23  ein  a.  /  helt 
a.  /  das  Tor  ei  /  0.  and  Tor  24  g  (2)  *  26  i.  göt  /  zu,  a  28  u  29  so  t.  30  ganz 
a«  /  0.  and  /  allen  c.  49  1  ie  g.  /  ist  oder  geschehen  m.  /  oach  ^.  2  a  (2)  3  and 
oaeh  in  diender  wise.  U.  /  so  h.  4  es  w.  5  g.  herzen  7  das  i  /  oach  z.  8  dan,  d. 
9  0.  noch  /  den  c.  /  allein  p.  11  aUer  s.  (2)  /  a.  12  die  bloßen  n.  12/13  L  (2) . . 
z.  Tortienget  oach  nit,  das  im  imant  13  z.  (2)  /  allein  y.  14  lüter  n.  14  k. 
simant  16  a.  dar  amb  /  er  s.  /  s.  a.  aller  ding  /  a  f  sin  16/17  a.  s.  wise  17  and 
werk  n.  /  ganz  ei.  /  so  r.  /  w6nig  a.  18  s.  nimpt  sich  /  an,  i  19  a.  oder  /  dan 
aUesm.  20  oach  ß.  /  e.  er  22  eigentlich  t.  /  k.  z.  m.  23a(2)/üfp.  25  a  (2)/ 
and  anwitze  der  menschen  d.  (3)  /  m.  darch  26  das  die  antagent  and  p.  / 
werde  ander  gedroket  and  g.  27  U  Wan  28  die  h.  /  o.  a.  and  das  /  U  Es 
30  a.  n.  säst  nimmer  m^r  31  rechten  w.  (2)  50  1  haben  s.  2  o.  noch  /  S.  h. 
daramb  so  3  a.  d.  /  a  (2)  4  y  5  a.  noch  6  1  lieblichen  7/8  a,  m.  G.  almech- 
tiger,  da  6wige  9  oach  s  /  a  12  yorst^n  o.  12/13  z . .  w.  14  s.  u.  sint  /  m.  die 
Tolkomen  menschen  15  d.  a.  solchen  einfeldigen  menschen  /  vorst^n  oder  w. 
17  k.  komen  19  dli  h.  21  reinen  1.  23  and  onch  alle  tugent,  a.  /  heiigen  1.  / 
kl6rlich  y.  /  a.  oach  24  d.  wan  /  g  /  senftmatig  a.  26  n.  (3)  oder  51 1  w.  / 
w.  si   2  also  i.  /  i.  a.  g.  y.  spricht  auch  7  a.   8  anders  d.  9  u  /  h    10  dar  amb  w. 

11  esa./d.oach/U/aberd.  (2)  13  s.  ein /  Kristi.  C  15  d.  (2)  als  62  1  ouch: 
SA...  58.  6A.  Wan8a.g.  12  lüte  m.  13s6g.  14frienuudl.  16  t.  böser 
geist  17  0.  und  25  g.  d.  /  a.  ganz  26  d.  d.  dinge  die  29  ei.  eigen  30  ganz 
L  /  and  nim  mich  des  nit  an.  A.  58  1  zu  g.  I  z.  I  u.  (2)  2  gut  a.  7  a.  e.  ie  / 
za  t.  9  bekentnis  a.  (2)  11  N.  a.  d.  das  ist  13  a.  15  s.  16  si,  a.  17  w. 
merke  18  wise  w.  (2)  19  a.  w.  and  20w.  (2)..S.  21  dink  v.  23  das  k.  (2), 
alles  h.  24  s.  m.  dar  amb  so  /  man  d.  25  muß  g.  27  and  st.  28  u.  a.  y.  essen 
and  trinken  and  yil  mßr  der  glichen  /  a.  doch  30  A  . .  w.  Und  31  yn  der 
w&rheit  u.  /  m.  54  1  y.  d.  u.  yon  disem  2  d.  (2)  Das  /  o.  and  /  a.  3  oach  y. 
4  weder  1.  7  bereit  and  g.  8  also  h.  12  d.  a.  siner  16  y.  es  /  wol  y.  18  gr. 
ein  grantlöse  19  und  ein  ges.  20  fride  und  genügsamkeit  u.  (3)  /  und  alles 
das  das  a.  21  n  . .  s.  22/23  a.  m.  yor  23  u.  a.  Wan  26  s.  27  E  . .  geh.  Es 
sprechent  etlich  menschen    28  d.  diser    29  d.  siner  /  w.  m.  wollen  si  da  mit 


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—    110    — 

65 8 0. noch  8 y.  ei. / die ir b.  9 solid.  11  i.  12  v.  13y.e.  14 S / nnd  spricht 
y.  /  n.  15  spr.  18  h.  dar  19  a.  d.  was  21  d.  das  22  onch  m.  /  e  (2)  23  e.  ad 
24  es  i.  26  d.  (4)  26  o.  nnd  /  W.  So  30  m.  32  nnd  o.  /  n  (3)  56  4  t.  böse 
geist  6  T.  sinne  /  der  w.  (2)  7  nnd  1.  10  gesetz  n.  (2)  11  i.  were  12  b. 
Yolkomenlich  13  y.  sinne  /  y  . .  14  a.  wirt  da  erfüllet,  das  /  w. . .  15  e  18  das 
ist  d.  19  1. 1  was  in  not  ist  zn  wissen  21  edel  meister  d.  (2)  22  o  /  nnd  si 
kürzlich  16ret  alle  wftrheit  d.  (2)  23  zn  1.  24  onch  g.  /  y.  sinne  /  e  . .  25  g.  / 
w  f  weder  zu  l^ren  noch  zn  gebieten  /  v.  sinne  26  sei.  30  d.  (2)  31  b  f  vor  an 
57  6  e.  sin  /  sol  es  v.  /  e.  z.  für    7  alles  f.  /  S.    8  das  b.    9  o.  nnd  onch  /  und  o. 

10  s.  geschicken  /  alles  d.  11  g.  yor  hin  14  f.  19  ein  w.  /  das  f.  58  4  o  7  &ne 
crfiatüre.  Und  diß  y.  (2)  13  y.  e.  12  d&  g.  59  1  gewurcket  und  ge.  5  ü 
6  so  w^r  es  als  gut,  es  wdre  nicht,  nnd  besser,  w.    7  o.  und   9  d.  so    10  weder 

d.  /  0.  (2)  nnd    11  dan  o.  (2)  /  a   12  w.  wes  got  /  u.  wenden    13  wan  m.   14  a  . . 

16  s.  umb  solte  keren.  16  N.  Kürzlich  17  doch  w.  18  hie  i.  /  h.  o.  und  denne 
21  etwan  e.  23  onch  n.  24  U  60  1  die  c.  /  o  2  U  /  nu  g.  5  8  6  ein b»/ 
ß  . .  z  7  er.  9  u.  e.  13  den  c.  20  h.  21  recht  a.  (2)  23  kurzlich  al.  25  ir 
k.  /  0.  nnd  29  d.  (2)  dunket  31  ein  b.  61  2  g.  geliebet  /  a.  umbe  5  d.  d.  des  / 
alles  n.  /  o.  und  8  min  und  wir  und  d.  14  so  h.  /  s.  (2)  15  o.  und  16  g.  er  / 
selbige  h.  19  alles  s  (2)  23  z  .  .  24  d.  /  so  m.  25  muß  a.  27  und  des 
glichen,  d.  29  er  alwege  w.  (2)  62  1  ofte  g.  /  u.  h.  wie  wol  er  2  h§te  u.  (2) 
H  wünschen  u.  /  müste  a.  4  newer  g.  /  yon  im  en.  /  S  5  d.  e.  der  6  d.  dö  er 
8  n  (2)  9  0  nnd  11  newer  gen.  12  g.  recht  13  a.  dar  nmb  so  14  o.  nnd  16  o. 
und  18  das  im  y.  (2)  19  dd  s.  63  5  u.  finden,  die  in  fiengen  6  s.  /  e.  Eristos 
zu  im  8  das  g.  10  y.  a.  meint  als  yil  14  e.  nu  got  16  im  t  /  a.  (2)  und  ge- 
schehe, also  17  d.  p.  b&best  /  p.  bischof  18  A.  das  sol  man  wissen  19  i.  so 
20  y.  (2)   21  n.  /  ie  y    22  in  p.   23  ist  a.   25  riete  und  h.    64  2  dar  umb  so  L  / 

e.  a.  er  sin  4  r.  rötet  uns  /  U  /  d.  nu  5  mit  fliß  g.  (2)  6  r.  r&te  /  sl  gehorsam 
sinen  g.    7  r.  rötet  /  d.  dem    8  s.  das  er  /  sol  L  /  sol  i.    10  der  yorlüset  si,  d. 

11  n.  hasset  das  12  n.  wer  13  w.  /  b.  wirt  behütet  14  g.  z.  y.  /  zu  w.  15  und 
w.  16  U  17  und  hat'das  erfüllet  m.  /  den  w.  /  u.  m.  1.  19  u  /  u  20  das  es 
a.  /  g.  gutes  21  die  c.  (2)  /  o.  und  24  d.  denne  /  d.  mör  d&  26  o.  und  27  o. 
noch  die  65  3  u  . .  b.  4  aUes  f .  /  U  5  d&  k.  /  den  a.  (3)  8  dem  1.  11  und 
nimant  u.  (3)    12  u.    13  u.  (2)  aber  /  hat  z.  /  o  . .  u.  recht    14  dingen  s.    16  a 

17  das  sint  die  wären  demütigen,  w.  /  g.  der  himel  18  dem  1.  19  H.  Furbas  / 
a.  e.  /  Wenne  M.  21  y.  müe  /  so  sol  M.  22  y.  y.  müesam  23  kan  o.  (2)  /  U.  oder 
24  t  böse  geist  /  der  m.  25  W. . .  26  n.  (2)  29  alles  i.  /  wissen  und  1.  66  1 
Wan  wör  das  nicht,  so  w.  G.  /  a.  /  so  i.  /  e.  a.  alle  cröatür  2  onch.  h.  3  so  L 
4  ist  y.    5  Das  merk.  Sunde  ist  N.    6  u.  (2)  w.  g.    8  u    9  aber  w.    10  S 

12  w. . .  d.  anders  /  o.  (2)  /  nnd  desgllchen  d.  14  wil  d.  15  u.  oder  kurzlich 
16  ist  s.  20  itslicher  m.  /  wol  m.  24  Und  dar  umb  A.  25  u.  das  /  e.  ein  dink 
26  N  . .  m.  67  1  0.  noch  4  da  got  L  5  y.  müet  9  er  spreche  e.  13  S  14  dar 
umb  w.  15  ist,  d.  16  o.  und  17  ist  s.  (2)  20  halt  d.  21  w.  u.  25  e.  (2) 
eigen   26  dem  m.  /  onch  n.  (2)   27  k.  mag  /  aller  1.  /  das  w.    29  ist  h.    68  1  d. 


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—  111  — 

s.  oach  2  d.  (3j  sin  3  eigentlich  b.  4  a  5  S  /  nu  e.  8  g.  gut  /  n  (3) . .  9  g. 
d&  Ton  10  Kristi  a.  12  halt  p.  /  u  13  s.  (2)  15  ie  gefiel  oder  f.  /  das  m.  (3) 
16  onch  ei.  17  S.  n.  das  ndme  man  nicht  dar  für.  Alsd  19  s.  geschicken  /  im 
d.  (2)  20  nit  g.  21  s.  schicke  22  und  o.  23  m.  w^net  24  e  (2)  sin  26  m. 
27  wil,  d.  (3)  69  1  U.  Wan  4  n.  s.  u.  nimpt  im  alle  beswämos  also  /  gar  g. 
7  s.  gar  bitter  nnd  sür  /  L  los  9  den  y.  12  herte  und  s.  13  oach  u.  14  ge- 
setze  XL,  (2)  16  euch  w.  17  r.  f  nnd  des  glichen  19  d&  i.  (2)  /  o.  (3) 
noch  20  weder  w.  /  o.  noch  22  w.  (3)  handlnng  /  g.  sin  23  in  nnredlikeit 
und  i.  27  die  w.  28  o.  noch  29  a.  ie  so  70  1  bessers  noch  a.  2  die  w.  / 
8.  n.  /  das  h.  /  das  e.  4  d.  i.  den  haben  si  Tor  /  s.  i.  es  5  u.  oder  sin  icht  / 
Q.  d.  t.  6  gar  g.  8  s.  (4)  nnd  9  h.  halden  /  z.  vor  12  o. .  n.  nnd  begeren 
onch  nit.  das  in  etwas  /  aUeine  t.  13  d.  des  16  n.  /  guter  m.  (4)  19  n.  e. 
20  ir  s.  21  sd  h.  /  U  25  U  /  e  26  die  h.  /  s.  z.  s.  menschen  vor  ein  spot  nnd 
sprechen  27  S.  Aber  dise  erlüchten  menschen  /  s.  28  ist  onch  das  p.  71  2  alle 
y.  6  also  d.  (2)  7  d.  9  d.  (2)  man  /  m.  anders  10  m.  (2)  /  s.  der  mensche 
glich  11  ander  t.  12  yor  g.  /  y.  e.  worden  eines  /  d.  dar  nmb  so  13  d&  y.  / 
joch  s.  (2)  16  0.  nnd  /  onch  n.  (2)  /  geleidiget  oder  b.  17  onch  n.  19  lüte  m. 
20  U  22  aber  d.  (2)  24  o.  noch  26  anders  d.  27  S.  g.  Aber  /  gehört  z.  29  g.  (2) 
72  1  n  /  0  3  min  m.  (2)  6  d.  es  8  nnd  im  yor  an  d.  (2)  10  doch  n.  11  doch 
newern.  16n..  17d.  18goti.(2)  20S  21iegl./y.ie  22s6w.  23n..r.g6n 
nnd  st^n  /  t.  böse  geist  25  m.  nmb  /  e.  kein  dink  27  ist,  d.  29  falschen 
Hechte,  d.  30  n.  das  ist  73  1  so  d.  (2)  2  falsch  1.  /  e  9  es  s.  /  der  n.  (2)  /  o. 
und  aller  12  der  e.  13  gesetze  nnd  o.  14  d.  (3)  siner  heiigen  15  so  w.  /  a. 
c.  n.    18  r.  /  a  (2)  /  alleine  z.    19  n.  keiner  /  nnd  w€net :    20  onch  a.   24  d&  b. 

25  U.  Es  /  onch  n.  /  m.  es  26  s.  n.  man  27  d.  siner  28  yil  a.  /  m.  /  nnd  f. 
30  nn  d.  35  w  . . .  74  1  sp.  2  u.  w.  u.  Es  wil  onch  4  Ewigen  e.  6  w.  nit 
an  =  /  die  n.  7  falsche  1.  12  onch  y.  13  ein  k.  14  das,  17  so  s.  /  n.  bi  18  g.  wlse 
19  höchsten,  d.  /  so  m.  /  üf  den  rechten  wek  g.  20 1.  böse  geist  22 1.  böse  geist 
23  m.  dink  /  g.  liecht  24  g.  (2)  yorbr&cht  /  ei.  der  27  oder  klügheit,  a.  /  onch  y. 
.30  m^r  b.  32  im  w.  75  1  s.  (3)  yon  in  /  nnd  suchen  nnd  meinen  sich  in  allen 
dingen  u.  (2)  2  g.  das  süßest  /  das  halden  sie  f.  3  dar  g.  /  y.  4  nach  n.  (2)  5  und 
wisesten  1.  /  a  glich  /  d  (2)  nnd  was  6  so  y.  8  dem  e.  13  n.  oder  18  onch,  / 
consdenz  nnd  g.  19  ei.  gr.  n.  onch  ei.  t.  76  1  oder  consdenz.  / 1.  böse  geist 
3  g.  conscienz  6  Sich.  W.  7  der,  d.  8  iemant  m.  /  S  /  g.  consdenz  9  t.  böse 
geist  10  e  15  n  (2)  n  (3)  23  n.  So  ist  /  i  / 1.  bösen  geistes  24 1.  bösen  geistes  / 
onch  d.  / 1.  böse  geist  28  die  A.  77  1  n.  oder  2  enznnt  oder  e.  /  o.  nnd 
3  wfiren  1.  4  das,  d.  6  da  bi  wol  me.  /  Wan  o.  8  w.  o.  /  dar  nmb  n.  /  wan  e. 
9M.  HÄt/diet.  (2)/Ueb,  ß./d.irn&ch  10u.t.  11  onch  L  (2)  12erh./diet. 
15  onch  w.  (2)  /  er  n.  18  a  /  ganzen  w.  19  6  1.  20  S  21  o  (2)  nnd  22  liebet 
oderl.  23  so  ü.  /  nnd  n.  (3)  24  dem.  (2)  25  d.  28  das  e.  (2)  291.6  30  w. 
wirt  78  1  S  2  0.  nnd  4  der  ger.  7  y.  y.  inwendig  9  w.  i.  snllen  10  t. 
bösen  geist    11  w.  sit    13  gn.  n.    17  S    19  m.  wönet    22  müs  1.    23  allem  f. 

26  S.  /  k.  ist    31  1.  Heb  haben  /  nn  d.  /  S     79  1  z.  zweierlei    2  das  w.  /  das  f. 


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—    112    — 

3  die  w.  5  das  f.  8  t.  yorbringt  10  so  i.  (2)  /  y.  ir  12  d.  d.  d.  mich  13  so 
m.  /  Bln.  W  14  0  /  oder  mich  z.  /  u.  oder  18  f.  19  h.  g.  oder  21  a.  ahEtt 
22  es  k.  /  0.  g.  und  zn  benügung  23  ß.  ie  /  n.  h.  b.  lernet  nnd  erferet  26  demie 
b.  27  80  1.  30  das  b.  31  das  b.  (2)  80  1  onch  m.  /  falsch  n.  2  ^  i.  3  daii- 
noch  n.  4  von  d.  /  d&  i  (2)  /  die  b.  5  U  /  o  (2)  es  and  6  die  L  9e.  nndifi 
liecht  10  d.  üfi  /  onch  d  (2)  11  meinet  e.  /  aber  alle  dink  and  st  a.  /  es  k. 
12  onch  z.  /  and  e.  /  h  . .  13  g.  als  aber  gebot,  gesetze  and  aber  alle  tagest 
14  im  a.  15  Und  D  16  d.  daramb  /  al  s.  17  sd  w.  /  s.  w.  aber  18  w.  19  als 
er  was  n.  21d..a.  24  das  d.  2öe.  i..26w.  27  w.  meinet  29  a.  oder 
32  ein  g.  /  S.  and  81 5  des  Iren  1.  7  ü.  wan  12  o.  and  13  and  t.  15  anders 
y.  /  allein  d.  (2)  20sdm.  22d(2)  23w(2)  24  and  als  sidi  selber  a.  (2)  /  a 
25  se.  liebet  26  g. .  d.  /  gut  y.  27  1(2)  29  doch  n.  30  oach  n.  /  a..  s. 
82  1  w.  (2)  3  U  4  onch  w.  7  mich  m.  8  w.  weis  9  das  a  (3)  24  U  27  a.  L 
28  die  s.  /  d.  na  sonde    29  begeren  oder  w.    8S  4  oneh  n.  /  kein  s.  /  ü  /  so  bl 

8  im  a.  /  8.  e  9  s.  sm^lich  and  /  solte,  d.  10  ouch  n.  18  a.  (2)  in  19  d  (2) 
22  i.  yon  25  so  m.  28  die  m.  30  wirdiglich  a  (2)  31  halt  d.  32  J.  Kristas 
84  1  lieben  a.  3  o.  und  8  ganz  a£  g.  /  o.  (2) . .  w.  9  o.  d.  Wan  d&  14  das 
a.  /  and  des  ist  so  gar  yil  d.  15  W.  So  18  oach  b.  (2)  /  yor  m.  19  folsehen 
1.  /  a.  s.  1.  d&  20  t.  bdsen  geiste  21  das  f .  /  d.  / 1.  böse  geist  22  da  bt  me.  / 
g.  recht  23  t.  böse  geist  /  a.  oder  24  so  gar  b.  /  a . .  25  b.  /  oach  m.  26  amk 
8.  /  8.  27  t.  böse  geist  /  sie  a.  (2)  28  sie  y.  /  gerne  g.  29  falschen  l  (2)  aOt. 
bösen  geist  31  das  k.  /  a.  als  / 1.  böse  geist  /  die  n.  32  sin  a.  85  1  denne  d. 
(2)  2  so  i.  / 1.  böse  gst  /  die  n.  (2,  3)  3  t.  böse  geist  4  t.  böse  fint  5  halt  a. 
7  b.  also  /  lüte  m.    8  sinne  m.  (2)    9  k.  /  n.  anterscheiden     10  a  /  yon  a.  (3) 

11  and  e.  (2)  12  s.  selbheit  /  mir  mich,  n.  /  f.  1.  falschheit  14bl!beto.  15  S  16  fi. 
es  17a..l8w.  (3)  27  G.  Recht  29  recht  a.  861g.  4  w.  (2)  7S..d.dar 
amb     10  g.  willen    11  a.  a.     15  si.  sit  na     16  d.  m.  er  oach    26  etwas  yo. 

30  yolkomen  g.  /  es  e.   87  2  yor  ge.    4  m . .  e.  und  selbheit  sol  abe,  es  /  fanden 

9  das  ie  wart,  n.  (2)  12  oach  d.  (2)  13  ouch  C.  23  oach  k.  25  mit  allem 
fltße  a.    27  alzit  f.    88  1  sanst  n.  /  dem,  da.    4  na  i.  (3)    6  a.  ein    10  w&r  g. 

12  S  13  wil  se.  /  a.  oach  allen  dingen  14  a  /  dar  wi.  15  o.  (2)  and  za  17  y 
18  0.  and    19  a.  alle  dink  /  y.  e.  (2)  ein    26  a.  alle  ding    27  y.  e.  eim    30  es  m. 

31  etwas  m.  89  3  gotliche  1.  7  M.  Es  möcht  iemant  hie  ein  frage  tun  and  / 
S.  So  /  ding  1.  /  sol  h.  10  t.  böse  geist  14  als  e.  15  in  got  da.  16  mnd  d. 
20  S  /  8ö  i.  22  de.  90  3  dem  f.  7  a.  oder  begirde  oder  aß  8  a.  joch  12  w. 
w.  in  der  w&rheit  also  16  c.  kristenlichen  /  di.  den  17  c.  kristenttch  18  m 
(2)  /  8.  §r  23  i.  sl  24  a.  /  a.  wan  25  oach  k.  /  o.  and  oach  26  t.  böser 
geist  /  d.  t.  29  wolte  n.  /  U  91 1  m.  nennet  2  and  der  e.  /  gotes  w.  (2)  4  n. 
(2) . .  5  u.  /  so  h.  6  e.  y.  o.  14  onch  s.  15  o.  ftß  genomen  16  ist  n.  (2) 
17  nit  d.  20  was  da  tust  oder  1.  25  a.  d&  27  and  gotlichen  w.  30  a.  g. 
31  die  A.  92  2  tet  a.  / 1.  böse  geist  4  t.  böse  fint  6  rechte  h.  9  o.  nnd  / 
oder  lä£e  a.  10  got  a.  /  mage  gefallen  and  a.  /  das  d.  11  sin  ganz  g.  12  aUen 
a. /ima.  (2)    17  also  w.    19  and  D.    25  also  d.     27  Es  8.  (2)  /  o.    28  s.  s./c 


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—    113    — 

Ü8  /  8.  äO  we.  31  snllen  sie  z.  /  werden,  d.  98  4  Und  w^e  das  nicht  W.  /  £. 
S6  /  a.  er  ganz    6  sö  s.    7  doch  i.     10  wa.  so    13  n.  w.  allein     15  alleine  g. 

16  das  w6re,  d.  /  und  doch  n.  20  e.  einig  24Lwü  278dL  942  sich  go.  / 
menschen  w.  3  wi  /  den  w.  ö  t.  böse  g.  7  nnd  z.  (2)  9  n.  d.  (2)  wan  es 
10  a.  dar  nmb  /  u.  w.  /  etw&  L  11  w&re  liebe,  wftrer  fride  w.  12  t.  böse  geist 
13  d.  16  da.  19  oder  r.  /  ma.  / 1  bösen  finde  20we.(2)  25  nnd  t.  29  frier  oder  a. 
31  bllben,  d.  /  gar  n.  /  te.  böse  geist  95  3  aber  d.  4  onch  z.  5  o.  (2)  6  mit 
n.  /  mit  a.  /  das  b.  (2)   7a..  da.  nnd   9  nnd  s.  /  d.   13  spricht  er  d.    16  sich  8. 

17  w.  (5)  welet  18  a.  doch  21  nnd  kurzlich  alle  p.  22  ie  w.  /  im  ie  g.  96  2 
ir  do.  3  n.  /  die  s.  6  o.  nnd  /  die  sn.  7  w.  spricht  man  snlle  /  a.  aller  ding 
8  d.  (2)  siner  heiigen  11  nnd  b.  / 1.  13  onch  k.  14  h.  himel  d&  /  n  15  U 
16  m.  wurde  zuhant  /  gestofien  i  /  e . .  w.  wurde  zu  einem  bösen  geiste  17  d& 
w.  18  sö  i.  20  wöre  oder  wu.  21  dem  h.  (2)  26  alle  e.  (2)  /  u.  30  o.  (2)  nnd 
33  1. .  w.  Worten  und  h&t  es  onch  Torbrächt  mit  den  werken  wol  /  er  Mret  uns 
das  m.  97  1  d  . .  m.  /  -f-  n&ch  2  ding  yor  =  /  3  w.  a.  waren  alle  ding  sö  / 
a.  g.  /  keiner  c.  5  a  üf  7  d.  ding  Tor  =  / 10  m.  w^net  /  a.  alle  ding  g.  12  also 
i.  /  si  b.  15  a.  19  sol  si.  25  u.  oder  /  d.  dem  /  t  . .  i.  26  und  sol  das  vor- 
dilgen,  s.  /  p.  peldest  28  an  gSn,  an  sten  u.  98  4  a.  tou  aui^en  oder  in  /  u. 
oder  6  halt  g.  7  dan  d.  9  wfirer  n.  12  dar  umb  s.  13  wa.  17  im,  d.  18  d. 
e.  8.  25  d.  /  a.  und  /  e.  onch  26  sö  w.  /  s.  wan  32  nicht  i.  (4)  99  5  y  nie  / 
y.  nimmer  7  die  c.  12  gut  e.  /  die  c.  13  a.  (2)  allem  15  die  c.  16  nu  d. 
19  8  /  eben  w.  21  wirt  v.  24  ie  g.  /  ie  m.  25  ie  m.  100  2  S  5  der  vater 
ziehe  in  dan  d.  (2)  9  a.  g.  zu  nichte  10  m . .  y.  12  selben  m.  16  an.  22  yil 
e.    27b.Torjehen    33  i  (8)  ist    35  m.  sö   101  8  alle  zit  d.  (2)    12  das  ist  alles 

d.  (2)  15gütn./S  16  dan  a.  17  da  b.  (2)  18a/n.  19  bis  d.  21  i  23  ey. 
eine  25  e.  dan  26  b.  Torjehen  27  doch  v.  28  b.  vorjehen  29  u  (3) . . 
30  V.  102  5  üs  g.  7  V.  =  gesprochen  10  o.  / 1.  liebete  /  m.  w.  meinte  in 
allen  dingen  11  d.  g.  was  goüich  ist  /  und  ei  12  ü  /  aber  i  (2)  /  anders,  d.  / 
er  8.  /  etwas  a.    13  o.  (2)  /  di£  oder  das,  es  si  was  es  immer  si  a.    14  yolkomen 

e.  /  das  got  selber  ist  d.  /  großer  ge.  15  £  . .  r.  103  1  e . .  2  a  4  mit  fliße 
m.  5  und  hoch  k.  /  also  d.  /  m.  wönet  /  h.  dar  6  sö  i.  /  d,  (3)  im  / 1.  böse  gst 
7  und  stnen  sftmen  d.  8  u.  i.  /  i . .  h.  woUust  dar  10  doch  e.  /  Und  D.  13  o.  und 
15  0.  /  onch  y.  e.  (2)  8.  /  des  e.  /  d.  doch  16d.k.nit  18z.r.  104 1  also  yorlougneu 
und  a.  /  und  alle  dink  durch  got  yorl&ßen  u.  2  also  mügen  üf  geben  und  er  =r  st. 


Die  unter  dem  Text  nicht  berücksichtigten  Abweichungen  der  Aus- 
gabe yon  1516. 

17  25  sich  a.  (2)  18  7  das  A.  8  aufiE  d.  (3)  11 1.  a.  s.  plicken  14  zu  g. 
16  m.  nimpt  17  und  spricht  Freund  Thimothee  z.  /  der  g.  1 9  und  y.  19  3  a.  r. 
7  d.  (2) . .  8.  darplicket  8  got  e.  (2)  10  yn  dem  a.  11g.  20  2  w.  e.  /  es  i.  /  u. 
3  b.  bekennend  wirt  9  n.  (3)  auch  21 14  die  s.  22  4  m.  5  o.  (2)  und  10  nun  e. 
13  n.  oder    15  u.  (3)    28  11  der  e.    24  3  y.  u.   9  f  selber  mit  yleysse    25  3  m. 


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—    114    — 

ist  zu  merken  4  a.  siebet  5  d.  (3)  14  d.  u.  16  t.  sein  verdamnen    26  4  ewig  ?  h. 

27  3  nnd  bekennet  8.  4  dan  d.   10  u.  w.  /  und  d.  (2)   18  d.  der  /  yn  d.  (2)  /  d.  (3) 

28  1  f.  gescbecb    7  a.    9  komen  und  f.    10  y.  dicke  nnd  offt    11  d.  (3)  disen. 

19  8.  29  2d.  (4)  30  6  N.  314  a.  7  an  s.  8  n.  oder  32  2  das  eine  und  v. 
12 w.u.  83 6 U.  6m.  15 beysset nnd i.  16 S.  Und/m.  3410W.  15 dies. (2)/ 
w.(2)  29soi./yed.  30ymy./nndK.  36 2 d.  nnd  5 yil d.  /  yil ist a.  7s.  (2) 
9  nnn  a.  10  s.  dan  /  oder  liepUob  leiden;  d.  36  5  w.  n.  a.  6  selben  menscb 
w.  (2)  8  were  de.  9  so  w.  /  er  e.  15  b.  gehabet  18  n.  f.  23  n.  b.  87  16  8. 
17N.g.  /  22  e  (3)  26  scbaden  und  s.  (3)  88  3  u.  1.  o.  7  u.  8  a.  (2)  18  auf- 
hören und  z.  n.  22  g.  u.  23  alle  L  89  2  und  nicht  nmb  ander  warumb.  —  S. 
10U..111.  I60.8./0.S.  17n. .  g.  und /u.m.o.  noch  18J.  s.  20o./oy./ 
0.  und  25  u.  (2)  26  und  no.  27  D.  m.  a.  das  ist  40 1  m.  y.  mein  4  y.  d.  die  /  a. 
7  u. .  8  s.  /  n.  a.  b.  wolgefellig  9  e.  ehr  18  a.  /  r.  rausch  20  ei.  eygen  /  a.  s.  da- 
selbs  22  steyget  und  k.  / 1.  23  s.  (3)  4t  3  J.  s.  So  sprich  ich  /  das  er  e.  /  w.  / 
gantz  g.  4  wan  d.  /  wan  er  weyss  sein  nicht  u.  5  e.  /  es  n.  /  geworten  noch  g. 
7  u.  w.  /    8  u.  oder    12  g.  neyd,  geyrheyt  /  u.  p.    13  seyn  u.    14  s.  eygens 

15  u.  oder  42  3  Wer  es  nun  als  M.  /  das  „d.  / 1.  u.  s.  bös  /  h.  besitz  und  behaffte 
4  b.  u.  b.  5  s.  sein  6/7  d.  m.  u.  ym  7  u.  d.  11 D.  n.  wer  nun  das,  dz  der  mensch 
also  15  u.  (3)  durch  yn  17  wem  u.  20  i.  f.  es  ist  zu  besorgen  /  h.  21  o.  und 
aber  tausend  21 1.  bösen  geyst  22  g.  g.  dem  geyst  gottes  /  sey  b.  /  i.  23  h.  / 
haben  d.  (2)  43 1  u.  (2) . .  3  i.  Alles  dis  vorgesprochen  daz  sprechen  diß  kurtze 
wortauß;  4u.  g./  7undd./g.  (2)  8u./e.  9d.  11 0. noch  14u.e.  44  2 
0.  u.  3  es  a.  17  a.  /  und  g.  (2)  18  u.  u.  t  /  wurckender  w  (2)  22  n.  oder  23  L 
liebsamen  45  1 1.  leyplich  4  edeln  1.  /  J.  /  noch  p.  g.  geschriben.  46  24  n.  wo 
47  1  A.  /  auch  me.  5  von  g.  9  d.  u.  offt  13  g.  schrit  /  a.  15  eyn  g.  16  J.  21  a. 
alles  vor  gutt  und  22  n.  23  s.  24  die  e.  /  0.  und  /  das  y.  27  a  (2)  48  2  e.  5e. 
s.  das  sein    10  n.  (3)    13  weder  g.    14  d.    15  d.    18  b.  mit  19  s.  w.  sich  weyfi 

20  a.  23  e.  sp.  0.  30  der  er.  49  3 1.  dynender  6  n.  (2)  wider  8  b  (2)  getar  9  der 
er.  /  Ha  (2)  12  u.  noch  17  u.  dann  /  e.  18  0.  z.  s.  20  u. .  ma  wan  ehr  zu 
keynem  recht  hat  und  dunckt  sich  alls  unwirdig.  21  d.  dem  22  k.  24  0. 
25  u.  w.  u.  26  u. .  w.  28  0.  a.  y.  und  unyemunfftige  thir.  29  d  (2)  die  30  a. 
sunst    50 2 S.   3dieg.   10 d.   12 o.a.   17. m  (2)   18mochtp.   19  das  d.   20m. 

21  man  d.  24e.  e./d.  dan  25  d.  e.  n.  26  n  (3)  51  2  e.  y.  d.  das  die  3d(2) 
9  u.  /  y.     52  1  d  (3)    3  ob  e.  /  auch  n.  /  i.  stund. :    5  8.  und    15  s.  schriben 

16  S.  0.  e.  t  17  0.  und  20  W.  w.  Wan  die  demut  21  u  (2)  22  die  w.  25  g  (2) 
d.  s.  e.  gestund  man  /  a.  (3)  aUes  des  andern  26  eyn  w.  (2)  53  2  gut  a.  3  W. 
so  /  u.  als  4  a.  d.  alles  6  0.  y.  noch  handeln  7  zu  t  18  0.  g.  19  a.  noch  /  weder 
a.  (3)  22g.gelauben  23  k.  27  g.  28  a.  (2)  30  y.  d.w.  54  2dasdt2)  7y./ 
t.  wurckender   11  mu. . .  12  a.  yn  seiner  13  e.  keyn  22  a.  (2) . .  23  i. 


Druck  von  Lippert  k  Co.  (O.  P&ts*sche  Bachdr.),  Naumburg  a.  S. 


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QUELLENSCHRIFTEN 

ZUR 

GESCHICHTE  DES  PROTESTANTISIDS 

IN  VERBINDUNG  MIT  ANDEREN  FACHQENOSSEN 
HERAUSQEQEBEN  VON 

Prof.  JOH.  KUNZE  und  Prof.  C  STANGE. 


ACHTBS  HEFT. 

DE  LIBERO  ARBITRIO  AIATPIBH  SIVE  COLLATIO 
PER  DESIOERIUM  ERASMUM  ROTERODABiUM. 


LEIPZia 

A.  DEICHEBT'SCHE  VERLAGSBUCHH,  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1910. 


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f  ^Y^?>vi;^e.^  'j^r.--    -^--'v  -■■, 


DE 

LIBERO  ARBITRIO  AIATPIBH 
SIVE  COLLATIO 

PER 
DESIDERIUM  ERASMUM  ROTERODAMUM, 

HERAUSGEGEBEN 
VON 


Lic  JOHANNES  von  WALTER, 

•.  o.  PROFESSOR  IN  BRESLAU. 


— <33— 


LEIPZia 

A.  DEICHERT'SCHE  VERLAQSBUCHH.  NACHF. 

(OEORO  BÖHME). 

1910. 


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Alle  Bechte  yorbehalten. 


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Yorbemerlning. 


Die  Diatribe  des  Erasmas  kann  nnr  indirekt  als  QneUen- 
schrift  zur  Geschichte  des  Protestantismus  gelten.  Doch  ist 
ohne  ihre  Kenntnis  ein  Verständnis  der  demnächst  heraus- 
zugebenden Schrift  Luthers :  de  servo  arbitrio  nicht  möglich, 
welcher  Ausgabe  eine  Tabelle  beigefügt  werden  wird,  die  die 
einander  korrespondierenden  Stellen  der  Diatribe  und  der 
Lutherschen  Gegenschrift  notiert.  —  Die  vorliegende  Aus- 
gabe der  Diatribe  ist  für  die  Bedürfnisse  von  Studenten  be- 
rechnet: Orthographie  und  Interpunktion  sind  modernisiert, 
die  Stellen  aus  den  Kirchenvätern  und  Klassikern  sind  meist 
nach  den  Migne'schen  und  Teubner'schen  Ausgaben  zitiert, 
die  Schrift  ist  in  einzelne  kleine  Abschnitte  zerlegt.  Die 
Bibelzitate  beziehen  sich  auf  die  Yulgata.  Die  Unregel- 
mäßigkeiten in  der  Zitationsweise  derselben  sind  auf  gewisse 
Unregelmäßigkeiten  bei  Erasmus  zurückzuführen,  der  teils 
im  Texte,  teils  am  Rande  zitierte:  Die  Randzitate  sind  in 
die  Anmerkungen  verwiesen ;  alles,  was  bei  den  Bibelzitaten  ein- 
geklammert ist,  stammt  vom  Herausgeber.  Die  Briefe  des 
Erasmus  sind  nach  der  Leydener  Ausgabe  zitiert;  dagegen 
wurde  fclr  den  Hyperaspistes  die  Urausgabe  benutzt.  Der 
erste  Teil  derselben  hat  bloß  Bogenzählung.  Es  bedeutet 
also  etwa  g  4  r  oder  g  4  v ,  daß  das  betr.  Zitat  sich  auf 
Bogen  g,  Blatt  4,  recto  oder  verso  befindet  —  Kurz  vor  der 
Drucklegung  konnte  noch  die  jüngst  erschienene  Monographie 
Zickendrahts  berücksichtigt  werden. 


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Idteratnn 

A.  Freitag,  Einleitung  zn  de  servo  arbitrio  in  der  Weimarer  Ausg. 
Bd.  XVm  (Weimar  1908)  p.  551  ff.  —  H.  Hermelink,  Die  religiösen 
Bef(»rmbe8trebangen  des  deutschen  Hamanismns,  Tübingen  1907.  — 
G.  Kaweran,  Luthers  Stellung  zn  den  Zeitgenossen  Erasmus,  Zwingli 
und  Melanchthon  (DentBch-evang.  Blätter  31  [1906]  p.  12 ff.).  —  F.  Le- 
zius,  Zur  Charakteristik  des  religiösen  Standpunktes  des  Erasmus,  Güters- 
loh 1895.  —  C.  E.  Luthardt,  Die  Lehre  vom  freien  Willen  und  sein 
Verh&ltnis  zur  Gnade,  Leipzig  1868,  p.  76 ff.  —  W.  Maurenbrecher, 
Geschichte  der  katholischen  Beformation,  Bd.  I  p.  119  ff.,  242  ff.  NOrdlingen 
1880.  —  M.  Bichter,  Die  Stellung  des  Erasmus  zu  Luther  und  zur  Befor- 
mation in  den  Jahren  1516 — 1524.  Diss.  Leipzig  1900.  —  Derselbe, 
Desiderius  Erasmus  und  seine  Stellung  zu  Luther  (yerkttrzte  und  veränderte 
Ausgabe  der  Dissertation  in :  Quellen  und  Darstellungen  aus  der  G^chiehte 
des  Beformationsjahrhunderts  ed.  G.  Berbig,  Heft  III,  Leipzig  1907).  — 
F.  Stichart,  Erasmus  von  Botterdam,  Leipzig  1870.  —  K.  Zieken- 
draht.  Der  Streit  zwischen  Erasmus  und  Luther  über  die  Willensfreiheit, 
Leipzig  1909. 


Abkflrzungen. 

Altdorff:  Eyn  Verglejchung  oder  zusamenhaltung  dersprucheVom 
freyen  wyllen,  Erasmi  von  Boterodam,  durch  Nikolaum  Herman  von  Alt- 
dorff yns  teutsch  gebracht,  Leipzig  1525  (die  Jahreszahl  ist  schwerlich 
richtig,  da  die  Vorrede  Altdorffs  die  1526  erschienene  Übersetzung  von  de 
servo  arbitrio  voraussetzt).  —  DG.  =  Dogmengeschichte.  —  Msg.  MsL  = 
Migne,  Patrologiae  cursus  completos  series  graeca,  series  latina.  —  BE.*  = 
Bealeui^clopädie  für  protestantische  Theologie  und  Kirche,  ed.  A.  Hauck. 
—  W.  A.  =  Weimarer  Ausgabe  der  Werke  Luthers. 


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Einleitung. 


§1. 

Entstehungsverhältnisse  der  Diatribe. 

Unter  den  mancherlei  dogmatischen  Kämpfen  der  Reformationsaseit 
dttrfte  der  Streit  zwischen  Erasmns  und  Luther  ein  besonderes  Interesse  in 
Anq^rnch  nehmen.  Qanz  abgesehen  davon,  daß  dieser  Streit  die  Charaktere 
jener  beiden  Führer  ihrer  Zeit  in  ein  scharfes  Schlaglicht  rückt,  fesselt  er 
anch  die  Anfmerksamkeit  des  Dogmenhistorikers.  Denn  das  Problem,  nm 
das  es  sich  hier  handelt,  die  Frage  nach  dem  durch  die  Sünde  geknechteten 
menschlichen  WiUen  und  nach  der  AUeinwirksamkeit  der  Gnade  Qottes, 
muß  als  das  zentrale  Problem  der  Frömmigkeit  und  Theologie  Luthers  an- 
gesehen werden.  Luther  selbst  spricht  sich  über  den  Gegenstand  des 
Streites  folgendermaßen  aus:  Deinde  et  hoc  in  te  vehementer  laude  et 
praedieo,  quod  solus  prae  omnibus  rem  ipsam  es  aggressus,  hoc  est  sum- 
mam  causae,  nee  me  fatigaris  aUenis  illis  causis  de  pi^atu,  purgatorio, 
indulgentüs  ac  similibus  nugis  potius  quam  causis,  in  quibus  me  hactenus 
omnes  fere  venati  sunt  frustra.  Unus  tu  et  solus  cardinem  rerum 
vidisti  et  ipsum  iugulum  petisti,  pro  quo  ex  animo  tibi  gratias  ago;  in 
hac  enim  causa  libentius  versor,  quantum  favet  tempus  et  otium. ')  Man 
sieht,  der  ganze  Kampf  mit  Rom  tritt  für  den  Reformator  hinter  jener 
einen  Frage  zurück.  Nicht  als  ob  £.  seine  Opposition  gegen  Luthers  Zen- 
tralgedanken auf  dem  Grunde  eines  neuen  und  originalen  Verständnisses 
des  Evangeliums  aufgebaut  hätte.  Luther  selbst  wirft  ihm  vor,  er  hätte 
nichts  Neues  zur  Sache  gesagt,*)  und  E.  äußert,  in  der  Diatribe  befände 
sich  fast  nichts,  quod  non  hauserim  ex  probatis  ac  vetustis  ecclesiae  docto- 
ribus.")  Das  ist  nicht  bloße  Konnivenz  gegen  die  katholische  Kirche,  der 
£.  auch  sonst  oft  Ausdruck  verliehen  hat;  vielmehr  bestätigt  die  dogmen- 


*)  De  servo  arbitrio,  W.  A.  18  p.  786. 

*)  L.  c  p.  600f.  «)  Hyperaspistes  II  p.  400. 


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—  vm  — 

geschichtliche  Untersachong  das  einmütige  Urteil  der  beiden  Gegner:  £. 
macht  sich  in  der  Diatribe  znm  Anwalt  der  auf  Angnstin  faxenden  nnd 
Angostin  so  wenig  verstehenden  katholischen  Lehre  über  Gnade  nnd  Frei- 
heit. Wir  haben  den  Streit  somit  als  Auseinandersetzung  zwischen  Elatho- 
lizismns  nnd  Protestantismus  zu  beurteilen,  die  um  so  spannender  ist,  als 
hier  die  Sache  des  Katholizismus  nicht  von  einem  eingefleischten  Scho- 
lastiker vertreten  wird,  sondern  von  einem  Manne,  der  den  Schftden  der 
Kirche  nicht  blind  gegenübersteht,  der  alle  Bildungselemente  seiner  Zeit 
in  sich  aufgenommen  hat  und  der  den  Streit  mit  jener  adyokatorischen 
'^rtnositftt  führt,  die  ohne  selbst  zu  voller  Klarheit  über  das  Problem  ge- 
langt zu  sein,  doch  den  Gegner  mit  den  Mitteln  einer  raffinierten  Dia- 
lektik ins  Unrecht  zu  setzen  sucht.  Was  hat  £.  in  den  Streit  mit  Luther 
hineingetrieben? 

Wir  müssen  bedenken,  dafi  Luthers  Persönlichkeit  Ton  vornherein  auf 
£.,  wie  auf  viele  fortschrittlich  gesinnte  Katholiken  jener  Zeit,  wunder- 
bar abstoßend  und  anziehend  zugleich  wirken  mufite.  Das  um  so  mehr,  als 
£.  zu  den  Naturen  gehörte,  bei  denen  der  Litellekt  den  Willen  weitaus 
überwiegt  und  die  in  instinktivem  Gefühl  der  Kinseitigkeit  ihres  Wesens 
allen  kraftvollen  Naturen  eine  gewisse  bewundernde  Scheu  entgegentragen, 
obgleich  ihr  von  Kritik  lebender  Geist  es  ihnen  immer  wieder  verbietet, 
sich  dem  Manne  des  Willens  bedingungslos  unterzuordnen.  Dementsprechend 
trägt  das  Urteil  des  £.  über  Luther  von  Anfang  an  ein  Doppelgesicht. 
Worte  der  Anerkennung  und  Worte  der  Misbilligung  finden  sich  bei  ihm 
in  bunter  Aufeinanderfolge.  Die  Konsequenz  hiervon  war  die,  daß  alle 
di^enigen,  die  für  oder  wider  Luther  Partei  ergriffen  hatten,  das  Verhalten 
des  £.  als  zweideutig  beurteilten.  Am  wohlsten  fühlte  sich  £.  daher,  wenn 
er  sich  über  Luther  nicht  zu  ftußem  brauchte  oder  sein  Urteil  hinter  ge- 
schickten Neutralitätserklärungen  verbergen  konnte.  Wie  oft  bekommen 
wir  zu  hören,  £.  kenne  Luther  gar  nicht,  habe  bloß  ein  paar  Seiten  seiner 
Schriften  gelesen  und  auch  die  mehr  durchblättert,  er,  der  Mann  der 
Wissenschaft,  sei  weder  befugt  noch  gewillt,  sich  über  Luthers  Beform- 
forderungen  zu  äußern,  weder  verteidige  er  Luther  noch  verdamme  er  ihn. 
Aber  nicht  immer  konnte  sich  £.  in  der  von  Parteileidenschaft  zerrissenen 
Zeit  diese  Beserve  auferlegen.  Die  Mönche ,  die  £.  früher  scharf  mitge- 
nommen hatte,  rächten  sich  an  ihm,  indem  sie  ihn  als  heimliehen  Lutheraner 
verschrieen  nnd  ihn  zum  geistigen  Urheber  oder  gar  Mitverfasser  der 
Schriften  Luthers  machten;  nnd  so  mancher  Anhänger  der  Beformation 
hat  sich  der  Hoffnung  hingegeben,  £.  würde  öffentlich  für  Luther  ein- 
treten.   £.  war  genötigt,  Farbe  zu  bekennen. 

£.  hat  kein  Hehl  daraus  gemacht,  daß  er  Luthers  Forderung  einer 
Beform  der  Kirche  billige  —  er  selbst  hatte  oft  und  nachdrücklich  genug 
die  gleiche  Forderung  erhoben.    Aber  mit  der  Art  von  Luthers  Reform 


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—    IX    — 

war  er  nicht  einverstanden.  Das  ranbtierartige  Ungestüm,  womit  Luther 
niederriß,  was  ihm  entgegenstand,  war  ihm  zuwider:  er  merkte  nicht,  dafi 
nur  so  das  Schaffende  in  Luthers  Genius  Raum  gewinnen  konnte.  Es  ist 
des  £.  ständige  Klage,  daß  Luther  zu  stürmisch  reformiere  und  kein  Maß 
halten  könne.  So  anerkennend  £.  über  Luthers  persönliches  Leben  urteilt, 
—  hier  kann  er  ihn  nicht  billigen.  Freüich  auch  Luthers  (Gegner  nicht. 
Wenn  £.  auch  den  Baseler  Verleger  Frohen  dazu  vermocht  hat,  Luthers 
Schriften  nicht  zu  drucken,  so  ist  er  doch  mit  den  Verbrennungen  der- 
selben ebensowenig  einverstanden,  wie  mit  der  Bannbulle  und  dem  Wormser 
Edikt.  Nach  beiden  Seiten  hin  wiU  £.  mäßigend  einwirken  und  hat  sich 
hierbei  nicht  auf  bloße  Ermahnungen  beschränkt,  sondern  ist  mit  einem 
Plan  hervorgetreten,  an  dem  er  zäh  festgehalten  hat:  Luthers  Sache  solle 
von  einer  Kommission  gelehrter,  wohlgesinnter  und  vorurteilsfreier  Männer 
geprüft  werden.  Dieser  Plan  mußte  scheitern  und  mit  ihm  mußte  des  £. 
Bedeutung  für  seine  Zeit  schwinden. 

Aber  nicht  nur  die  Form  der  Lutherschen  Beformation  stieß  £.  ab. 
Auch  sachlich  wußte  er  sich  mit  den  Wittenbergem  nur  insoweit  eins,  als 
es  sich  um  die  Beform  der  Sitten,  die  Abstellung  einiger  schreiender  Miß- 
bräuche und  die  Vereinfachung  der  scholastischen  Dogmatik  handelte.  Es 
gab  vor  allem  einen  Punkt,  an  dem  die  Meinungen  auseinandergingen: 
Luthers  Lehre  von  der  Alleinwirksamkeit  der  Gnade.  Auf  beiden  Seiten 
war  man  sich  über  diese  Differenz  klar.  Schon  Luthers  erste  Äußerungen 
über  £.  betonen  diesen  Gegensatz,  und  nicht  erst  der  Vorwurf  des  Pela- 
gianismus,  den  £.  von  Lutheranern  zu  hören  bekam,  ^)  dürfte  ihn  über  die 
Kluft  belehrt  haben,  die  zwischen  dem  von  ihm  vertretenen  religiösen 
common  sense  und  dem  Bewußtsein  völliger  Abhängigkeit  bestand,  in  der 
sich  der  Mensch  nach  Luther  in  sittlicher  Beziehung  von  Gk)tt  befindet 

Was  hat  £.  veranlaßt,  diesem  Dissensus  öffentlich  Ausdruck  zu  ver- 
leihen? Die  Frage  zerfällt  in  zwei  Teilfragen:  1.  Warum  hat  E.  überhaupt 
gegen  Luther  geschrieben?  2.  Was  hat  ihn  bewogen  unter  den  mancher- 
lei Differenzpunkten  gerade  das  Thema  vom  freien  Willen  herauszugreifen? 
Was  die  erste  Frage  betrifft,  so  muß  darauf  aufmerksam  gemacht  werden, 
daß  £.  von  Fürsten  (Heinrich  VIII.  von  England,  Georg  von  Sachsen), 
Päpsten  (Leo,  Hadrian)  und  anderen  hochgestellten  Persönlichkeiten  zum 
Schreiben  gegen  Luther  gedrängt  wurde.')  Daß  £.  diesem  Drängen  nach- 
gab, hat  darin  seinen  Grund,  daß  er  sich  endlich  von  dem  Verdacht,  ein 
heimlicher  Lutheraner  zu  sein,  reinigen  wollte.   Auch  hatte  Luther  in  einem 


*)  Vgl.  den  Brief  des  E.  an  Barbirius  vom  13.  Aug.  1521  (opp.  III, 
1,  col.  658  C). 

*)  Zu  diesen  seit  dem  Herbst  1520  einsetzenden  Bemühungen  vgl. 
die  ausführlichen  Darstellungen  von  Freitag,  Einl.  zu  d.  s.  a.  W.  A.  18, 
p.  559  ft  und  Zickendraht,  Der  Streit  zwischen  E.  n.  L.  p.  1—25. 


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—    X    — 

Brief  an  E.  vom  April  1524  geäußert,  er  wolle  gegen  £.  nichts  yeröffent- 
liehen,  wofern  E.  es  imteriasse,  an  seiner  Lehre  zu  rütteln.  Das  konnte 
so  gedeutet  werden,  als  schweige  E.  aof  Gnind  einer  Vereinbarang.  ^) 
Andere  Provokationen  der  Lutheraner  kamen  hinzn,*)  so  daß  E.  nieht 
länger  schweigen  konnte. 

Aber  warom  hat  £.  das  Thema  vom  freien  Willen  herausgegriffen? 
Man  hat  mancherlei  geantwortet.  Bichter')  hat  in  Luthers  Assertio  om- 
nium  articulorum  einen  deuüicben  Angriff  gegen  E.  wahrnehmen  am  sollen 
gemeint;  zu  dieser  Annahme  liegt  kein  Qrund  vor.  Auch  die  Vermutung 
Freitags,^)  die  Anregung  fiber  den  freien  Willen  zu  schreiben  hätte  K  aus 
England  bekommen,  entbehrt  einer  sicheren  Begründung.  Wir  werden 
darauf  verzichten  müssen,  nach  dem  speziellen  Anlaß  der  Wahl  dieses 
Themas  zu  fragen  und  haben  zu  allgemeineren  Erwägungen  zu  greifen. 
So  wenig  £.  für  den  religiösen  Determinismus  Luthers  ein  wirkliches  Ver- 
ständnis besessen  hat,  so  wenig  konnte  ihm  entgangen  sein,  einen  wie 


«)  S.  Freitag,  L 
»)  Diss.  p.  21.    J 
*)  L.  c.  p.  579. 


')  Vgl.  den  Brief  des  £.  an  Melanchthon,  6.  Sept.  1524  (opp.  III,  1, 
col.  ^OA). 

--   -    '        \  c.  p.  Ö69ff. 

Jedoch  fehlt  der  betr.  Passus  in  der  zweiten  Ausgabe. 
Auch  Zickendraht  (I.  c.  p.  16  f.)  vertritt  die  gleiche 
Ansiclit.  Nach  ihm  ist  der  Prozeß  der  Entstehung  der  Diatribe  folgender : 
Zunächst  habe  £.  in  dem  Brief  an  Laurinus  (1.  Febr.  1523,  opp.  III,  1 
col.  763 ff.)  die  Frage  nach  der  Wahrheit  der  necessitas  absoluta  ganz 
beiseite  gestellt  und  lediglich  das  praktische  Problem  beantworten 
wollen,  welche  Ansicht  über  die  Willensfreiheit  für  den  moralischen  Fort- 
schritt am  zuträglichsten  sei.  Erst  die  Korrespondenz  zwischen  Hein- 
rich VIII.  und  Georg  von  Sachsen  aus  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1523 
habe  ihn  auf  den  eigentlichen  Gegenstand  des  Streites,  die  dofi^matische 
Frage  nach  dem  freien  Willen  gebracht.  Das  gehe  hauptsächlich  daraus 
hervor,  daß  E.  im  Brief  an  Georg  (6.  Sept.  1524  ed.  F.  Geß,  Akten  und 
Briefe  zur  Kirchenpolitik  Geor^  v.  S.  Bd.  I  p.  734;  auch  opp.  III  1, 
col.  812)  auf  dessen  Brief  an  Heinrich  „wie  auf  eine  Aufforderung,  der  nun 
willfahrt  sei,  Bezug  nimmt.*'  —  Allein  1.  erklärt  E.  schon  im  Brief  an 
Botzheim  (30.  Jan.  1523  opp.  I  Anfang):  secundus  (sc.  dialogus,  hierüber 
s.  u.)  excutiet  aliquot  illius  dogmata,  und  im  Brief  an  Laurinus, 
ihm  könne  es  nicht  verdacht  werden,  wenn  er  das  Urteil  der  kirchlichen 
Autoritäten  unterschreibe  (coL764F);  2.  enthalten  die  Briefe  Heinrichs 
und  Georgs  keinerlei  Anregung,  die  Frage  nach  dem  freien  Willen  dog- 
matisch zu  untersuchen;  3.  könnte  aus  dem  Brief  des  E.  an  Georg 
höchstens  auf  eine  Anregung  durch  Georg  geschlossen  werden;  4.  ist  nicht 
einmal  das  möglich,  da  die  Aussage,  E.  habe  den  Brief  Georgs  an  Heinrich 
gelesen,  mit  der  anderen,  am  Anfang  des  Briefes  befindlichen,  E.  habe  bis- 
her den  Ermahnungen  Georgs  (gegen  Luther  zu  schreiben)  kein  Gehör  ge- 
schenkt, in  keinerlei  Znsammenhang  steht  —  Daß  E.  englische  Quellen 
benutzt,  ist  noch  kein  Beweis  dafür,  daß  die  Anregung ^  über  den  freien 
Willen  zu  schreiben,  von  England  ausging.  Letzteres  ist  zwar  mö^di, 
läßt  sich  aber  mit  den  uns  zur  Verfügung  stehenden  Mitteln  nicht  beweisen. 


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—    XI    — 

großen  Nachdrack  Luther  gerade  hierauf  legtet  nnd  wie  sehr  sich  die 
Polemik  des  Beformators  gegen  den  Eatholicismns  nm  dies  Zentrum  grup- 
pierte. Und  £.  war  weitblickend  genug,  um  das  Wesentliche  vom  Neben- 
sächlichen scheiden  zu  können.  Etwas  anderes  kommt  hinzu :  von  solchen, 
die  nicht  wußten,  daß  der  religi(^e  Determinismus  Luthers  in  einem  aufs 
höchste  gesteigerten  sittlichen  Einpfinden  wurzelte,  konnte  die  Lehre  vom 
unfeien  Willen  leicht  mißverstanden  und  mißbraucht  werden.  Wenn  der 
Mensch  doch  nur  tun  kann,  wozu  Oott  ihn  treibt,  was  soll  dann  noch  der 
sittliche  Kampf  gegen  die  Sünde?  Solchen  Mißverständnissen  der  Lehre 
Luthers  war  E.  tatsächlich  begegnet^)  und  hatte  sie  von  seinem  Stand- 
punkt aus  nicht  zu  beseitigen  vermocht.  Um  so  mehr  erschien  ihm  Luthers 
Lehre  nicht  nur  als  falsch,  sondern  auch  als  gefährlich,  und  um  so  unabweis- 
lieher  mag  sich  ihm  die  Notwendigkeit  aufgedrängt  haben,  gerade  an 
diesem  Punkte  mit  seinem  Angriff  gegen  Luther  einzusetzen.  Ob  £.  sich 
nebenher  auch  gesagt  hat,  er  könne  hier  seinen  Dissensus  aussprechen, 
ohne  seine  eigenen  Beformforderungen  widerrufen  zu  müssen,  stehe  dahin. 
£.  behauptet,  die  Diatribe  in  wenigen  Tagen  verfaßt  zu  haben.*) 
Sollen  wir  dieser  Versicherung  Glauben  schenken,  so  müssen  wir  annehmen, 
daß  lediglich  die  Niederschrift  des  Büchleins  so  viel  Zeit  in  Anspruch  ge- 
nommen hat  Vorbereitet  hat  E.  diese  Schrift  sehr  viel  länger.*)  Sein  ur- 
sprünglicher Plan  ging  dahin,  drei  Dialoge  zu  verfassen,  in  deren  zweitem 
er  aliquot  illius  dogmata  behandeln  wollte.  Der  Brief  an  Botzheim,  dem 
wir  die  Kenntnis  dieses  Planes  verdanken,  stammt  vom  30.  Jan.  1523. 
Zwei  Tage  darauf,  am  1.  Febr.,  schrieb  E.  seinen  Brief  an  Markus  Lauri- 
nus,^)  in  welchem  wir  eine  Beihe  von  Gedanken  vorfinden,  wie  £.  sie 
späteriiin  in  der  Diatribe  vorgetragen  hat.  Wir  dürfen  also  wohl  annehmen, 
unter  den  aliquot  dogmata  sei  auch  die  Frage  nach  dem  freien  Willen  zu 
verstehen,  um  so  mehr  als  der  geplante  Inhalt  des  ersten  Dialogs:  an  ex- 
pedierit  hac  via  rem  tractari,  etiamsi  Lutherus  omnia  vere  scripsisset  *)  sich 
mit  dem  berührt,,  was  £.  in  der  Einleitung  der  Diatribe  darlegt.  Von  da 
ab  finden  sich  im  Briefwechsel  des  £.  manche  Bezugnahmen  auf  die  Dia- 
tribe. Die  erste  Nennung  des  Themas  findet  sich  in  einem  Brief  an  Hein- 
rich Vni.,  der  aus  dem  Jahre  1523  stammt,  ohne  näher  datiert  zu  sein.^ 


S.  Assertio  W.  A.  Vll  p.  136,  Z.  22  ff. 
Ep.  ad  Laurinum  col.  764  C.    Hyp.  I  e  7  r,  g  6  r,  d  7  v,  n  6  r. 
,  Hyp.  I  b2v  (kaum  10  Tage);  f 6v  (kaum  8  Tage);  II  p.  254 
(weniffe  Tage).    Über  Ökolampads  Angabe,  die  Diatribe  sei  ein  opus  tridni 
8.  Zi(£endraht  p.  23. 

*)  Vgl.  Freitag  und  Zickendraht. 

*)  S.  p.  X  Anm.  4. 

®)  Opp.  I  im  Anfang. 

•)  Opp.  III,  1  col.  774.    Die  Gründe,  die  Freitag  (1.  c.  p.  566)  gegen 


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—    XII    - 

Seinen  Plan,  die  Diatribe  dem  Kardinal  Wolsey^)  oder  dem  Papste  Cle- 
mens Vn.  *)  zu  widmen,  hat  E.  nicht  ausgeführt,  nm  den  Schein  zu  meiden, 
als  bnhle  er  damit  am  die  Gunst  der  Großen.') 

E.  hat  sich,  wie  oben  erwähnt,  oft  über  die  Maßlosigkeit  der  Polemik 
Luthers  wie  seiner  Gegner  beschwert.  Das  legte  ihm  die  Verpflichtung 
auf,  den  Ton  seiner  Streitschrift  nach  Möglichkeit  zu  mäßigen.  Das  ist 
ihm  auch  gelungen;  aber  ganz  ohne  Teufelei  ist  es  doch  nicht  abgegangen. 
Ich  meine  hiermit  nicht  in  erster  Linie  die  mancherlei  spitzen  Bemerkungen, 
die  sich  in  der  Diatribe  finden,  sondern  vor  allem  die  Tatsache,  die  obwc^l 
sie  in  dem  viel  geschmähten  und  wenig  gelesenen  Hyperaspistes  ver- 
zeichnet ist,  bisher  kaum  beachtet  worden  ist:  Die  Diatribe  richtet  sidi 
nicht  nur  gegen  Luther,  sondern  auch  gegen  Earlstadt>)  Schon  in  der 
Einleitung  wird  darauf  hingewiesen,  daß  Luther  und  seine  Freunde  nicht 
einheitlich  über  die  Unfreiheit  des  Willens  dächten.  Im  weiteren  Verlauf 
werden  zwei  Ansichten  als  diejenigen  bezeichnet,  gegen  die  E.  streiten 
will :  die  eine  gehe  dahin,  daß  der  freie  Wille  nur  zum  Sündigen  tauge  — 
das  ist  die  angebliche  Sonderansicht  Earlstadts;  die  andere,  daß  es  über- 
haupt keinen  freien  Willen  gäbe,  ist  diejenige  Luthers.  Und  nun  geht 
durch  die  ganze  Diatribe  hindurch  die  Polemik  gegen  diese  beiden  An- 
sichten. E.  ist  bei  dieser  Unterscheidung  nicht  ganz  ehriich  gewesen,  denn 
er  war  sich  wohl  bewußt,  daß,  sobald  man  auf  die  Sache  selbst  sieht,  Earl- 
stadt  und  Luther  die  gleiche  Ansicht  yertreten.^)  Allein  er  klammert  sich 
an  die  inkorrekte  Formulierung  Karlstadts,  weil  er  damit  yerschiedene 
Vorteile  gewinnt.  Zunächst  konnte  er  den  Schein  erwecken,  als  denke 
man  in  den  reformatorischen  ELreisen  über  die  Unfreiheit  des  Willens  nicht 
einheitlich.  Wie  mußte  da  seine  Gegenüberstellung  der  geschlossenen,  für 
den  freien  Willen  eintretenden  Majorität  gegenüber  der  kleinen,  unter  sich 
uneinigen  Minorität  wirken!  Femer  hat  £.  es  so  einzurichten  gewußt, 
daß  bei   der  Besprechung   einer    eklatanten    exegetischen  Gewaltsamkeit 


die  Jahreszahl  1523  anführt,  scheinen  mir  nicht  durchschlagend  zu  sein. 
Daß  E.  dem  Ednig  etwa  ^egen  Ende  des  Jahres  den  ersten  Entwurf  des 
Buches  schickt,  verträgt  sich  sehr  wohl  mit  der  vom  19.  Jan.  1524  stammen- 
den Angabe,  E.  hätte  sich  an  die  Ausarbeitung  gemacht,  und  mit  der 
anderen  vom  13.  Febr.  1624,  das  Buch  sei  ihm  unter  den  Händen.  Vgl. 
auch  Zickendraht,  p.  185,  Anm.  17. 

>)  Opp.  III,  1,  col.  784  AB. 

«   Ibid.  coL  809  F,  810  A.  «)  Ibid. 

*j  Vgl.  die  einzelnen  Nachweise  in  den  Anmerkungen  meiner  Edition. 
Auch  in  der  Biographie  Barges  über  Earlstadt  findet  sich  m.  W.  hierüber 
nichts.  Nur  Zickendraht  erwähnt  diese  Tatsache  fiüchtig  (p.  84  f.),  jedoch 
merkwürdigerweise  bei  Gelegenheit  der  Besprechung  von  de  servo  arbitrio 
und  ohne  zu  zeigen,  eine  wie  groQe  Rolle  die  Bekämpfung  Earlstadts  in 
der  Diatribe  spielt. 

»)  S.  u.  p.  85  Z.  Iff. 


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—  xin  — 

Karlstadts  Lnther  als  deren  Urheber  zu  stehen  kommt  (vgl.  namentlich 
p.  601).  Endlich  bedeutete  die  Nebeneinanderstellong  und  gleichmäfiige 
Bek&mpfong  Luthers  und  Karlstadts  im  Jahre  1524  schon  eine  Kompro- 
mittierung Luthers:  Der  Beformator  wurde  auf  eine  Stufe  mit  dem  Orla- 
mi&nder  Schwärmer  gestellt!  Allerdings  bleibt  es  fraglieh,  inwieweit  die 
Leser  der  Diatribe  es  verstanden  haben,  daß  £.  auch  Karlstadt  befehdete 
—  Luther  wenigstens  hat  es  nicht  begriffen.') 


§2. 

Die  Uraasgabe  der  Diatribe 

Eine  Ausgabe  im  Bahmen  der  „Quellenschriften  zur  Geschichte  des 
Protestantismus*'  muß  auf  Vollständigkeit  in  der  Zusammenstellung  dea 
textkritischen  Materials  verzichten  und  hat  auf  der  ürausgabe  zu  fußen. 
Gerade  darin  liegt  nun  aber  bei  der  Diatribe  eine  nicht  unerhebliche 
Schwierigkeit  Es  existiert  m.  W.  keine  Notiz,  die  uns  mitteilte,  in  welchem 
Verlage  die  Ürausgabe  der  Diatribe  erschienen  ist  Nun  gibt  es  aber  drei 
Ausgaben  der  Diatribe,  die  im  Sept  1524  gedruckt  sind:  Die  eine  der- 
selben stammt  von  Frohen  aus  Basel  (Fr.),  die  zweite  von  Michael  Hilleniua 
Hochstratanus  aus  Antwerpen  (H.),  die  dritte  von  Hero  Alopedus  aus  KOln 
(A.).  Welche  dieser  drei  Ausgaben  ist  die  Ürausgabe?  Die  Frage  kompli- 
ziert sich,  wenn  wir  in  Erwägung  ziehen,  daß  £.  im  Brief  an  König  Hein- 
rich VIIL*)  sagt,  seine  Schrift  gegen  Luther  werde  irgendwo  gedruckt 
werden:  nam  hie  (d.  h.  in  Basel),  opinor,  nuUus  est  typographus,  qui  ausit 
excudere,  quod  vobulo  attingit  Lutherum.  Die  Besorgnis  des  E.  dürfte 
eine  i&berflflssige  gewesen  sein«  Immerhin  nOtigt  uns  dieser  Ausspruch^ 
auch  die  nicht  gende  nahe  liegende  Möglichkeit  zu  erwägen,  ob  die  ür- 
ausgabe nicht  unter  den  Ausgaben  zu  suchen  sei,  die  ohne  oder  ohne  ge- 
naue Angabe  von  2^it  und  Ort  des  Druckes  erschienen  sind.  Solcher  Aus- 
gaben weist  die  Bibliotheca  Erasmiana  (Gent  1S93  p.  20)  fünf  nach.  Trotz 
vieler  Bemühungen  ist  es  mir  nicht  gelungen,  alle  fünf  Ausgaben  einzu- 
sehen. Ich  kenne  bloß  drei  dieser  Ausgaben,  nämlich  zwei  Ausgaben  ohne 
Ort  und  Zeit  (X^  und  X*)  *)  und  die  Ausgabe  des  Johannes  Bebelius  aua 


>)  Vgl.  d.  s.  a.  p.  667  Z.  15  ff.  und  p.  670  Z.  21;  hier  hält  Luther 
die  Ansicht  Karlstadts  für  diejenige  Augusüns. 


2  8.  p.  XI  Anm.  7. 


,  X^  ist  in  zahlreichen  Bibliotheken  zu  finden  (Auffsburg,  Berlin, 
Breslau,  Dresden,  GKHüngen.  Mfinchen,  Bostock,  Straßburg,  Weimar,  Wer- 
nigerode, Wien).  Die  Initiale  ist  folgende:  das  I  steht  zwischen  zwei  in 
einem  spitzen  Winkel  zueinander  stehenden  Oberkörpern  einer  Nvmphe 
und  eines  Fauns,  die  in  Blattomamenten  auslaufen.    Die  gleiche  uiitiale 


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—    XIV    - 

Basel  (B),  der  jede  Zeitangabe  fehlt  Eine  Ausgabe,  die  nur  das  Jahr  1524 
nennt,  nnd  eine  Ausgabe  ohne  Ort  und  Zeit  sind  mir  unbekannt  geblieben. 
Ich  maü  also  mit  einem  nicht  ganz  yoUstfindigen  Material  operieren. 

Jede  dieser  Ausgaben  besitzt  eine  Beihe  von  Lesarten,  die  sie  mit 
keiner  anderen  Ausgabe  teilt.  Zählt  man  nicht  nur  die  Druckfehler  und 
sachlichen  Varianten,  sondern  auch  die  Varianten  in  Orthographie  und 
Interpunktion,  so  ergibt  sich  folgendes  Verhältnis:  Fr.  hat  24,  A  161,  B 
210,  H  243,  X'  317,  X*  445  Sonderlesarten.  Schon  diese  Zahlen  ergeben 
mit  hoher  Wahrscheinlichkeit,  daß  Fr.  die  Urausgabe  ist,  denn  das  Ver- 
schwinden von  24  Sonderlesarten  in  den  späteren  Ausgaben  ist  leichter  zu 
erklären,  als  dasjenige  von  161  usw.  Das  wird  noch  einleuchtender,  wenn 
wir  den  Charakter  der  Sonderlesarten  Ton  Fr.  prüfen :  In  neun  Fällen  handelt 
es  sich  um  Druckfehler,  die  jeder  halbwegs  aufmerksame  Setzer  verbessern 
konnte  (Agustiunus,  moriemimini,  reliqnum  etc.),  in  neun  Fällen  um  un- 
wesentliche, in  einem  Fall  um  einen  gravierenden  Interpunktionsfehler  (in 
dreien  dieser  Fälle  gehen  übrigens  die  anderen  Drucke  ihrerseits  ausein- 
ander), in  einem  Falle  um  Markierung  kurzer  und  langer  Silben  (p.  24 
Z.  14),  in  zwei  Fällen  um  verschiedene  Orthographie  (cetera  und  precepta 
statt  caetera  und  praecepta),  in  einem  Fall  um  einen  falsch  angebrachten 
Spiritus  lenis  bei  einem  griechischen  Wort  und  in  einem  einzigen  Falle  um 
einen  Fehler,  zu  dessen  Korrektur  ein  gewisses  Nachdenken  erford^lich 
war  (p.  54  Z.  9).  Man  sieht,  die  Prüfung  der  Sonderlesarten  von  Fr.  be- 
rechtigt nicht  zu  dem  Schlüsse,  daß  Fr.  die  Urausgabe  nicht  sein  kann. 

Eine  Eventualität  ist  jedoch  noch  denkbar:  es  wäre  mOglich,  daß 
z.  B.  A  oder  H  die  Urausgabe  wäre,  daß  dann  Fr.  gefolgt  und  von  den 
späteren  Ausgaben  zur  Grundlage  genommen  worden  wäre.  Wir  müssen 
darum  die  einzelnen  Ausgaben  noch  mit  Fr.  vergleichen.  Hierbei  darf 
weder  auf  die  Interpunktion  noch  auf  die  Orthographie  geachtet  werden. 
Was  die  Interpunktion  betrifft,  so  halten  sich  bei  A,  B  und  X^  die  zahl- 
reichen Verschlechterungen  und  Verbesserungen  ungeOhr  die  Wage, 
während  bei  X*  und  H  die  Verschlechterungen  nicht  nur  deswegen  über- 
wiegen, weil  in  den  betr.  Setzkästen  keine  oder  zu  wenige  Typen  für  Kolon 
vorhanden  waren.  Selbst  die  beiden  letzten  Fälle  dürfen  zu  Schlüssen 
nicht  verführen,  denn  die  Interpunktion  war  damals  recht  regellos.   Ebenso- 


findet sich  in  einem  Druck  des  oomm.  in  sex  proph.  von  Bupert  v.  Deutz, 
der  aus  der  Offizin  d^  Petrejus,  Nürnberg  1524  stammt  (vgL  fol.  117, 
190).  Weitere  große  Ähnlichkeit  der  Typen  in  diesem  Druck  wie  in  X* 
legt  die  Annahme  nahe,  daß  X^  von  Petrejus  in  Nürnberg  gedruckt  ist 
(vgl.  den  Hinweis  der  BibL  Erasm.).  Dde  Ausgabe  X',  deren  Inittale  I 
von  einem  halb  liegenden,  halb  kni^en  Engel  gehalten  wird,  konnte  ich 
nur  in  Wolfenbüttd  nachweisen. 


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-    XV    — 

wenig  sind  die  wenigen  and  nicht  einmal  konsequent  durchgeführten  ortho- 
graphischen Eigentümlichkeiten  dieser  oder  jener  Ausgabe  yon  Bdang. 
Auch  die  gewöhnlichen  Druckfehler,  die  namentlich  in  A  und  B  recht  zahl- 
reich sind,  entscheiden  nicht,  denn  Druckfehler  können  in  einer  filteren 
Ausgabe  häufiger  auftreten  als  in  einer  späteren.  Dagegen  dürften  die 
Druckfehler  ins  Gewicht  ftdlen,  bei  deren  Korrektur  ein  gewisses  Nach- 
denken oder  eine  gewisse  theologische  Bildung  des  Setzers  oder  Korrektors 
angenommen  werden  müfite.  Da  eine  solche  Annahme  in  der  Begel  nicht 
viel  für  sich  hat,  so  werden  wir  den  Schluii  ziehen  dürfen,  daß  die  bessere 
Lesart  zugleich  die  ursprüngliche  ist. 

Beginnen  wir  mit  einer  Vergleichung  von  Fr.  und  X*.  Da  die  Seiten- 
flchlüsse  fast  durchweg  übereinstimmen,  eine  Unregelmäßigkeit  in  einem 
Kustoden  (p.  50  Anm.  7)  und  einige  Druckfehler  sich  hier  wie  dort  finden, 
80  steht  zunächst  fest,  daß  die  beiden  Drucke  nahe  verwandt  sind.  Welche 
Ausgabe  weist  die  besseren  Lesarten  auf?  In  zwei  Fällen  schwankt  die 
Entscheidung:  auscultare  (39,  6)  kann  mit  dem  Dativ  und  dem  Akkusativ 
konstruiert  werden  und  ebenso  ist  profectus  neben  provectus  (82, 15)  mög- 
lich. In  allen  übrigen  Fällen  sind  die  Lesarten  von  X'  schlechter.  Wenn 
X*  milites  statt  milies  liest  (63,  17),  so  entscheidet  der  Zusammenhang  für 
Fr.  Sollte,  die  Priorität  von  X'  vorausgesetzt,  wirklich  der  Setzer  eine 
solche  viel  Nachdenken  erfordernde  Korrektur  gemacht  haben  können? 
Viel  wahrscheinlicher  ist  die  Annahme  eines  Druckfehlers  bei  X*.  Ebenso 
ist  benignitate  bei  X*  (84,  26)  allenfalls  denkbar,  aber  ungeschickt  Die 
Konstruktion  manumittere  in  servum  bei  Fr.  (80,  16)  ist  zwar  ungewöhn- 
licher, darum  aber  auch  ursprünglicher  als  manumittere  servum  bei  X*  usw. 
Vor  allem  kommt  in  Betracht,  daß  bei  der  Prüfung  der  Lesart  eiecti  (X* 
55,  7)  für  reiecti  (Fr>)  £.  selbst  für  letztere  entscheidet,  indem  er  bei  einem 
Zitat  seiner  Worte  im  Hyperasp.  (II,  300)  reiecti  liest,  und  daß  ein  von 
X*  ausgelassenes  Wort  (35,  9)  sich  in  einem  Zitat  des  Hyperasp.  (II,  108) 
wiederfindet.  Wir  dürfen  angesichts  der  vielen  Druckfehler  von  X'  den 
Schluß  ziehen,  daß  X*  ein  mechanischer,  aber  schlechter  Nachdruck  von 
Fr.  ist. 

Auch  bei  der  Vergleichung  von  B  mit  Fr.  leuchtet  der  enge  Zu- 
sammenhang beider  Ausgaben  ein.  Denn  wenn  auch  die  Seitenschlüsse 
nicht  übereinstimmen,  so  haben  doch  beide  Ausgaben  eine  Beihe  grober 
Druckfehler  gemeinsam.  B  hat  nun  keine  Lesarten,  die  besser  wären,  als 
di^enigen  von  Fr.,  mehrere,  bei  denen  die  Entscheidung  schwankt,  und 
mehrere  schlechtere.  Unter  diesen  entscheiden  für  den  sekundären  Cha- 
rakter von  B  vier  falsche  Zahlen  bei  Zitaten  (41  Anm.  7;  42  Anm.  SO; 
49  Anm.  3;  68  Anm.  5).  Die  Möglichkeit,  daß,  die  Ursprünglichkeit  von 
B  vorausgesetzt,  der  Korrektor  von  Fr.  die  Zitate  revidiert  hätte,  scheidet 
aus,  wenn  wir  in  Erwägung  ziehen,  daß  Fr.  mit  allen  anderen  Ausgaben 


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—    XVI    — 

eine  Beihe  falscher  Zitate  gemeinsam  hat,  bei  denen  das  Versehen  auf 
Konto  des  £.  zn  setzen  sein  dürfte. 

Sehr  viel  schwieriger  gestaltet  sich  die  Vergleichnng  von  Fr.  mit  X*, 
denn  bei  X'  haben  wir  es  mit  einer  verhältnismäßig  sorgfältigen  Ausgabe 
zn  ton.  Zwar  gibt  es  anch  hier  der  Druckfehler  und  falschen  Interpunk- 
tionen  genug,  aber  die  Druckfehler  von  Fr.  sind  bei  X^  nicht  zu  finden 
und  vor  allem  hat  X^  bessere  Lesarten.  Wenn  Fr.  schreibt:  Et  Christus: 
linum  fumigans  non  exstinguit  (18, 15),  so  wird  damit  ein  Wort  zu  einem 
Hermwort  gemacht,  das  tatsächlich  keines  ist;  X'  liest  korrekt:  Et  Christus 
linum  etc.  Femer  findet  sich  bei  Fr.  folgende  starke  Diskrepanz:  Die 
Stelle  Deut.  90,  15lf.  (p.  33,  6  ff.)  ist  zitiert  als  aus  Deut  3  herrOhrend; 
es  findet  sich  weiter  unten  am  Bande  das  Zitat  Deut.  30.  X^  hat  hingegen 
richtig  die  Zahl  30  und  setzt  das  Zitat  am  Bande  an  seine  richtige  Stelle. 
Anderwärts  wird  man  freilich  den  Lesarten  von  Fr.  den  Vorzug  geben. 
So  ist  vor  allem  auffällig,  daß  Fr.  (39,  21)  das  Wort:  Ego  autem  dico  vobift 
zweimal,  X'  hingegen  nur  einmal  bringt  Daß  die  spätere  Ausgabe  die 
Wiederholung  streicht,  ist  wahrscheinlicher,  als  daß  die  spätere  Ausg^e 
die  Worte  versehentlich  wiederholt,  zumal  in  diesem  Falle  die  Wieder- 
holung der  Worte  aus  der  Beminiszenz  an  ihre  Wiederholung  in  Matth.  5 
ihre  gute  Begründung  hat  Sicher  besser  ist  die  Lesart:  ex  rebus  conditis 
cognoverunt  bei  Fr.  (23, 10),  als:  ex  rebus  cognitis  bei  X';  ebenso  muß  es 
mit  Fr.  heißen  libet  (80,  8)  statt  licet,  und  mit  Fr.  custodias  (33, 10)  statt 
custodies.  Das  Zitat:  2.  Petr.  8  (18  Anm.  4)  bei  X^  ist  falsch.  Weitere 
Varianten  dürften  kaum  in  Betracht  kommen.  Haben  wir  auf  Grund  dieses 
Materials  Fr.  oder  X^  als  Urdruck  anzusehen?  Die  Entscheidung  würde 
nicht  leicht  sein,  wenn  nicht  Luther  in  de  serv.  arb.  bei  Besprechung  von 
Deut  30,  15  ff.  die  Stelle  als  aus  Deut  3  und  30  geschöpft  angäbe  und 
damit  zeigte,  daß  ihm  X'  jedenfalls  nicht  vorgelegen  hat')  Man  könnte 
nun  zwar  einwenden,  daß  Luther  nicht  unbedingt  den  ürdruck  in  der 
Hand  gehabt  haben  muß,  aber  auch  £.  zitiert  im  Hyperasp.  (II  p.  82) 
ebenso  wie  Luther.  Ebenso  ist  zu  bemerken,  daß  X'  die  Worte:  ut  qui- 
dam  aiunt  (34,  2)  einklammert,  Fr.  hingegen  nicht,  und  daß  das  Zitat 
dieser  Worte  im  Hyperasp.  (11,  93)  die  Einklammerung  desgleichen  fort- 
läßt Das  entscheidet  für  Fr.  Wir  dürfen  zusammenfassend  schließen, 
daß  Fr.  vor  den  drei  bisher  besprochenen  undatierten  Ausgaben  den  Vor- 
zug verdient 

Fragen  wir  nun  noch  nach  dem  Verhältnis  von  Fr.  zu  A.  und  H. 
Hier  ist  folgendes  zu  beachten:  In  mehreren  vom  2.  Sept.  1524  datierten 
Briefen*)  bezeugt  E.,  daß  die  Diatribe  schon  erschienen  sei,  während  sie 


*)  W.  A.  18,  p.  678,  1.  «)  Opp.  m,  1,  ool.  809  ff. 


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—    XVII    — 

am  31.  August  sich  noch  im  Druck  befand.')  £.  lebte  damals  in  Basel. 
Gesetzt,  der  vom  September  datierte  ürdruck  wäre  in  Köln  oder  Ant- 
werpen erschienen,  so  müßten  die  ersten  Exemplare  im  Laufe  eines  Tages, 
nämlich  des  1.  Sept.,  ans  einer  dieser  Städte  nach  Basel  gelangt  sein.  Das 
ist  unmöglich.  Nur  einen  Druck,  der  an  seinem  Aufenthaltsort  erschien, 
konnte  £.  schon  am  2.  Sept.  versenden.  Die  Annahme,  daß  der  Verleger 
ein  Interesse  daran  gehabt  hätte,  das  im  August  erschienene  Buch  auf  den 
September  voraus  zu  datieren,  könnte  noch  gegen  die  Priorität  "Von  Fr. 
angeführt  werden;  aber  sie  entbehrt  jeden  Haltes. 

Zu  dem  gleichen  Eesultate  führt  die  Vergleichung  der  Texte.  Becht 
starke  Übereinstimmung  der  Seitenschlüsse  und  ein  identischer  Druckfehler 
verraten  zunächst  die  enge  Zusammengehörigkeit  von  Fr.  und  A.  Bessere 
Lesarten  weist  A.  nicht  auf,  dagegen  einige  schlechtere  (reliquit  13,  17; 
sunt  15,  11;  cognitis  23,  10  u.  a.).  Über  die  Zusammengehörigkeit  von 
Fr.  und  H.  gilt  genau  das  gleiche,  wie  über  diejenige  von  Fr.  und  A., 
nur  daß  hier  die  Sache  noch  deutlicher  wird,  weil  auch  H.  die  gleiche  Un- 
regelmäßigkeit im  Kustoden  (50  Anm.  7)  hat,  wie  X'  und  Fr.  Beachtet 
man,  daß  H.  keine  besseren  Lesarten  aufzuweisen  hat,  daß  bei  zwei 
Zitaten  (p.  6  Anm.  1  u.  2)  am  Rande  die  Kapitelzahlen  fehlen,  so  daß 
der  Setzer  von  Fr.,  wenn  Fr.  sekundär  wäre ,  den  ganzen  Römerbrief  und 
den  ganzen  Jesajas  hätte  durchstudieren  müssen,  um  die  Zitate  zu  veri- 
fizieren, daß  endlich  an  zwei  Stellen  die  Lesart  von  Fr.  (punierit  48,  2; 
instinetus  60,  21)  den  Vorzug  verdient,  so  leuchtet  auch  hier  die  Priorität 
von  Fr.  ein. 

Unser  Resultat  ist  zwar  nicht  ganz  zufriedenstellend,  da,  wie  bemerkt, 
zwei  d^r  undatierten  Ausgaben  mir  nicht  zur  Hand  gewesen  sind.  Bedenkt 
man  aber,  daß  ohnehin,  wie  oben  angedeutet,  es  nicht  sehr  wahrscheinlich 
ist,  daß  eine  undatierte  Ausgabe  ernstlich  in  Betracht  kommt,  so  hoffe  ich, 
dazu  berechtigt  zu  sein,  Fr.  als  die  Urausgabe  zu  bezeichnen.') 


§3. 

Der  Inhalt  der  Diatribe. 

Die  Disposition  der  für  einen  weiteren  Leserkreis  bestimmten  *)  Diatribe 
ist  eine  klare :  nach  einer  aUgemeinen  (I  a)  und  einer  auf  die  Methode  be- 


M  Ibid.  col.  809  A. 

')  Der  beste  Kenner  der  Erasmusbibliographie,  Herr  van  den  Haeghen, 
hat  mir  freundlichst  mitgeteilt,  daß  ihm  von  der  Existenz  des  Manuskriptes 
der  Diatribe  nichts  bekannt  sei. 

-)  Vgl.  p.  32,  1. 

Walter,  De  libcro  arbitrio.  II 


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—    XVIII    — 

züglichen  (Ib)  Einleitung  bespricht  £.  die  alttestam entlichen  (IIa)  und 
neutestamentlichen  (II  b)  Stellen,  die  für  den  freien  Willen  sprächen,  sucht 
dann  die  dagegen  sprechenden  Stellen  zu  entkräften  und  zwar  zunächst 
meist  solche,  die  Origenes  besprochen  hatte  (III  a),  dann  diejenigen,  auf 
die  Luther  in  der  Assertio  sich  stützte  (III  b) ;  endlich  hält  er  noch  eine 
Nachlese  ähnlicher  Stellen  (III  c).  Im  letzten  Abschnitt  formuliert  E.  seine 
Ansicht  und  beurteilt  diejenigen  seiner  Gegner  (lY).  Der  Inhalt  der  Diatribe 
ist  im  einzelnen  folgender: 

(I  a  1.)  In  die  Diskussion  der  schwierigen,  seit  alters  und  neuerdings 
heftig  umstrittenen  Frage  nach  dem  freien  Willen  will  E.  auf  das  Drängen 
seiner  Freunde  hin  eingreifen,  (Ia2)  ohne  des  Geschreies  derer  zu  achten, 
die  Luther  unbedingte  Autorität  zusprechen;  ihnen  kann  sich  £.  um  so 
weniger  anschließen,  als  Luther  selbst  ja  auch  alle  menschliche  Autorität 
ablehne.  (I  a  3)  Der  Streit  soll  ohne  Gezänk  geführt  werden  und  der  Er- 
forschung der  Wahrheit  dienen.  (I  a  4)  Der  jedem  Streit  gern  ausweichende 
und  zur  Skepsis  neigende  E.  tadelt  die  unwissenschaftliche  Voreingenommen- 
heit der  Gegner.  (I  a  5)  Bezüglich  des  freien  Willens  steht  ihm  nur  dessen 
Existenz  und  somit  die  Ablehnung  von  Luthers  Lehre  fest.  (I  a  6)  Wolle 
man  ihm  deswegen  mangelhafte  geistige  Regsamkeit  und  Durchbildung 
vorwerfen,  so  möge  man  bedenken,  daß  Luther  selbst  auf  die  Erleuchtung 
mit  dem  hl.  Geiste  den  größten  Nachdruck  zu  legen  pflegt.  Man  möge 
ihm  gestatten,  mit  Luther  zu  disputieren,  sei  es  auch  nur,  um  von  ihm 
zu  lernen,  aber  man  bedränge  ihn  nicht  mit  Luthers  Autorität  Mißver- 
ständnisse seinerseits  seien  möglich;  darum  trete  er  als  Disputator  auf, 
nicht  als  Richter.  Freilich  ist  es  wünschenswert,  daß  die  mittelmäßigen 
Geister  sich  aller  sicheren  Behauptungen  in  diesen  Dingen  enthielten, 
(Ja 7)  gibt  es  ja  doch  in  der  Schrift  Schwierigkeiten,  die  den  Menschen 
die  Grenze  ihres  Erkennens  verdeutlichen  und  sie  zu  demütiger  Anbetung 
veranlassen.  (I  a  8)  Bezüglich  des  freien  Willens  genügt  es  an  die  sittliche 
Persönlichkeit  des  Menschen  zu  glauben  und  sich  in  seinen  tugendhaften 
Bestrebungen  von  Gott  abhängig  zu  fühlen.  An  Gottes  Güte  und  Ge- 
rechtigkeit ist  festzuhalten,  dagegen  sind  Spekulationen  über  Gottes  Vorher- 
wissen und  menschliche  Freiheit  zu  vermeiden.  (Ia9)  Denn  in  viererlei 
Weise  verhält  sich  das  menschliche  Erkennen  zu  den  göttlichen  Dingen: 
1.  Manches  verbirgt  uns  Gott  überhaupt,  2.  manches  offenbart  er  nur  zum 
Teil,  3.  manches  vollständig;  4.  manches  hingegen  kann  wahr  sein,  ohne 
daß  es  doch  opportun  wäre,  diese  Wahrheit  öffentlich  bekannt  zu  machen. 
(lalO)  Letzteres  würde  auch  dann  auf  Luthers  Lehre  zutreffen,  wenn 
sie  wahr  wäre:  sie  zieht  sittliche  Laxheit  groß  und  entfremdet  Gott 
dem  Menschen.  (lall)  Paßt  die  Schrift  sich  dem  mangelhaften  mensch- 
lichen Denkvermögen  an,  so  sollen  die  Prediger  des  Wortes  ein  gleiches 


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—    XIX    — 

ton,  um  dnrch  die  Predigt  des  religiösen  Determinismus  kein  Unheil 
zu.  stiften. 

(I  b  1)  Luthers  Schriftprinzip  überhebt  £.  der  Aufgabe,  die  Lehre  der 
Kirchenlehrer  darzustellen.  (I  b  2)  Doch  möge  der  Leser  bedenken,  wie 
viele  sich  für,  wie  wenige  sich  gegen  die  Willensfreiheit  aussprechen. 
(IbS)  Zwar  vertritt  die  Majorität  nicht  immer  die  Wahrheit,  da  es  sich 
aber  um  Fragen  der  Schrifterklärung  handelt,  so  verdienen  die  Griechen 
und  Lateiner  gehört  zu  werden,  um  so  mehr,  als  ihr  sittliches  Leben  nichts 
zu  wünschen  übrig  läßt.  (I  b  4)  Die  Gegner  pochen  auf  ihren  Geistesbesitz, 
aber  wer  kann  sich  dessen  rühmen?  Am  ehesten  doch  die  Amtsträger. 
(Ib5)  Zwar  beschränkt  sich  der  Geist  nicht  lediglich  auf  sie,  sondern  er- 
leuchtet auch  die  Niedrigen.  Aber  hier  wird  die  Prüfung  der  Geister  zur 
Pflicht.  Die  von  den  Gegnern  an  dem  Geistesbesitz  der  Amtsträger  geübte 
Kritik  kann  einen  positiven  Beweis  für  ihren  eigenen  Geistesbesitz  nicht 
ersetzen.  (Ib6)  Die  Wunder  bleiben  aus  und  wollte  Gott,  daß  an  deren 
Stelle  die  apostolische  Sittenreinheit  träte !  (I  b  7)  Nach  nochmaliger  Ab- 
weisung des  Anspruchs  auf  Geistesbesitz  betont  £.  (IbS),  daß  die  sub- 
jektive Überzeugung  vom  eigenen  Geistesbesitz  kein  objektives  Kriterium 
hierfür  sei,  daß  auch  der  Geistesträger  irren  könne,  daß  hingegen  der 
hl.  Geist  einen  Irrtum  seiner  Kirche  in  dieser  wichtigen  Frage  nicht  hätte 
dulden  können.  (I  b  9)  E.  will  anspruchslos  darlegen,  was  ihn  bewegt,  und 
bittet,  ihn  als  einen  beurteilen  zu  wollen,  der  lernen  und  abwarten  will. 
(I  b  10)  Nach  einem  Hinweis  auf  die  Bedeutsamkeit  seiner  bisherigen  Aus- 
führungen gibt  £.  das  Thema  für  II  und  III  an  und  definiert  den  freien 
WiUen. 

Zunächst  will  E.  den  freien  Willen  aus  alttestamentlichen  Stellen 
beweisen.  (II  al)  E.  geht  von  einer  Stelle  des  Buches  Sirach  aus,  für 
dessen  Kanonizität  er  sich  ausspricht.  Diese  Stelle  veranlaßt  ihn  zu  einer 
dogmatischen  Erörterung.  (II  a  2)  Zunächst  redet  er  von  dem  Zustand  der 
Protoplasten  vor  dem  Fall,  unter  Vergleichung  der  Engellehre,  (IIa  8)  dann 
—  im  allgemeinen  —  von  dem  Zustand  der  nachadamitischen  Menschheit 
vor  und  nach  Eintritt  der  Gnade.  (IIa 4)  Vor  der  speziellen  Gnaden- 
einwirkung Gottes  ist  der  Mensch  dank  der  natürlichen  Beligion  und  dem 
mosaischen  Gesetz  nicht  ohne  alle  Erleuchtung.  (IIa 5)  Dem  entspricht 
daß  der  Mensch  dem  Gesetz  verpflichtet  ist.  E.  unterscheidet  das  Natur- 
gesetz, (II  a  6)  das  Gesetz  der  Werke  und  das  Gesetz  der  Gnade.  (II  a  7) 
Aus  der  Existenz  des  Gesetzes  folgt  sowohl  für  die  Protoplasten,  (II  a  S)  als 
auch  für  die  nachadamitische  Menschheit  die  Tatsache  der  Freiheit  des 
Willens,  (11  a  9)  dessen  Wirkungsfeld  die  einen  als  ein  großes,  (U  a  10)  die 
anderen  als  ein  beschränktes  beurteilen,  bei  welch  letzterer  Ansicht  die 
Sittlichkeit  der  Heiden  zwar  zu  schlecht  wegkommt,  aber  andererseits  die 
Gnade  zu  ihrem  Bechte  gelangt.    (II  a  11)  Nach  einer  Einteilung  der  Gnade 


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—    XX    — 

nach  ihren  Wirkangen,  (IIa  12)  erklärt  E.  die  Ansicht  für  probabel,  üe 
den  freien  Willen  nicht  aufhebt,  seine  Wirkungssphäre  aber  derart  dn- 
schränkt,  daß  alles  Rühmen  ausgeschlossen  ist.  Dagegen  will  er  zwei 
Ansichten  (Karlstadts  und  Luthers)  bekämpfen,  die  dem  freien  Willen  nur 
das  Gebiet  der  Sttnde  offen  lassen  oder  ihn  gänzlich  leugnen.  (II  a  13)  Nach 
einer  textkritischen  Bemerkung  zu  Sir.  15  filhrt  E.  (IIa  14 — 17)  unter 
häufigen  Wiederholungen  seinen  Beweis  für  den  freien  Willen  aus  dem 
alten  Testament  (s.  über  diesen  Beweis  §  4).  (II  a  18)  Lehrt  die  Schrift 
eine  Veränderlichkeit  des  göttlichen  Willens,  so  liegt  dieser  Akkommodation 
an  die  menschliche  Vorstellungsweise  die  Rücksicht  auf  das  veränderliche 
sittliche  Verhalten  des  Menschen  zugrunde. 

Es  folgt  eine  Besprechung  (IIb  1—2)  cTangelischer,  (IIb 3— 4)  paulini- 
scher,  (Ilbö— 7)  überhaupt  neutestamentlicher  Stellen,  ans  denen  ungeföhr 
die  gleichen  Schlüsse  gezogen  werden,  wie  in  IIa.  (IIb  8)  Zum  Schluß 
zitiert  E.  eine  Stelle  aus  der  Assertio  und  weist  darauf  hin,  daß  die  Fülle 
der  angeführten  Schriftstellen  die  Behauptung  der  Willensfreiheit  durch 
die  Väter  rechtfertigen. 

Der  dritte  Teü  beschäftigt  sich  mit  den  scheinbar  gegen  den  freien 
Willen  sprechenden  Schriftstellen.  In  offenbarem  Anschluß  an  Origenes 
hebt  E.  (III  a  1)  die  Stellen  heraus,  die  Paulus  R6m.  9  bespricht ;  es 
handelt  sich  um  die  Verstockung  Pharaos  und  die  Erwählnng  Jakobs 
und  Verwerfung  Esaus.  (nia2)  Was  die  erstere  Stelle  betrifft,  so  be- 
deutet „y erstochen'^  von  Gott  ausgesagt  „Gelegenheit  zur  Verstockung 
geben";  (III a 3)  ebensowenig  als  von  einem  Verstocken  durch  Gott  ge- 
redet werden  kann,  ebensowenig  auch  von  einem  „Verführen"  durch  Gott 
(HI  a  4)  Die  Verstockung  Pharaos  wie  überhaupt  die  Betätigung  der 
Willensfreiheit  benutzt  Gott  zur  Erreichung  seiner  Zwecke,  (lllaö)  Aus 
dem  Vorherwissen  einer  freien  Handlung  durch  Gott  folgt  noch  nicht, 
daß  Gott  sie  verursacht.  (III a 6)  Schwierig  wird  die  Frage  erst,  wenn 
man  bedenkt,  daß  Gott  die  vorausgesehene  freie  Handlung  auch  ver- 
hindern kann,  und  sie  also  gewissermaßen  gewollt  hat,  wenn  er  sie  nicht 
hindert  Hier  stößt  das  menschliche  Denken  an  seine  Grenze.  Etwas 
weiter  kommt  man,  wenn  man  die  Zulassung  neuer  Sünden  durch  Gott 
als  Strafe  für  vergangene  Sünden  faßt,  aber  hiermit  werden  auch  nicht 
alle  Schwierigkeiten  beseitigt.  (III  a  7)  Übrigens  führt  (vgl.  III  a  4)  nicht 
jede  freie  Handlang  zu  einem  vom  Menschen  nicht  erstrebten  Zid. 
(UIa8)  Dann  streift  E.  die  Frage  nach  dem  Verhältnis  Gottes,  der  pri- 
mären Ursache,  zu  den  sekundären  Ursachen  und  erörtert  (III  a  9)  die 
Unterscheidung  der  necessitas  consequentis  und  consequentiae,  um  nach 
diesem  Exkurs  (III  a  10)  noch  einmal  seinen  Lösungsversuch  der  Ver- 
stockungsfrage  vorzulegen  und  zu  sagen,  daß  Gott  auch  an  sündigen 
Handlungen  mitwirkt,  ohne  doch  ihre  sündige  Bestimmtheit  zu  verursachen. 


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—    XXI    — 

(ina  11)  Auch  die  von  der  Liebe  und  dem  Hau  Gottes  gegen  Jakob  und 
Esan  handelnde  Stelle  mildert  £.,  indem  er  menschliche  Affekte  bei  Gott 
l^ignet  und  die  Stelle  anf  zeitliche  Güter  bezieht.  (III  a  12)  Die  Stellen 
richten  sich  gegen  den  jüdischen  Hochmut;  die  Erwählung  und  Verwerfung 
Gottes  aber  hat  ihren  Grund  in  der  sittlichen  Beschaffenheit  des  einzelnen 
Menschen,  (in  a  13)  Die  dritte  deterministisch  klingende  Stelle  in  BQm.  9, 
vom  TGpfer  und  Ton,  bezieht  sich  in  ihrem  alttestamentlichen  Zusammen- 
hang auf  die  Prüfungsleiden  der  Menschen,  (IIIal4)  zumal  Paulus  die 
Stelle  anderwärts  so  verwertet,  daß  sie  den  freien  Willen  nicht  aus- 
sehließt Paulus  will  damit  bloß  den  Hochmut  bekämpfen.  Wer  die  paulini- 
sdien  Gleichnisse  preßt,  gekngt  zu  unsinnigen  Konsequenzen.  (III  a  15-16) 
Andere  ähnliche  Stellen  lassen  eine  analoge  Auslegung  zu.  (Illal?)  Es 
folgt  eine  Gegenüberstellung  von  Stellen,  die  für  und  gegen  den  freien 
Willen  sprechen.  Den  Ausgleich  findet  man,  nicht  indem  man  die  ersteren 
Stdlen  in  monströser  Exegese  umdeutet,  sondern  indem  man  Gnade  und 
freien  Willen  miteinander  verbindet. 

Es  folgt  eine  von  der  Assertionis  Lutheranae  confutatio  John  Fishers 
stark  abhängige')  Besprechung  der  in  der  Assertio  angeftlhrten  Stellen, 
die  meistens  die  absolute  Sündhaftigkeit  des  Menschen  und  die  Alleinwirk- 
samkeit der  Gnade  behaupten.  (III  b  1)  Gen.  6,  3  redet  bloß  von  der  Nei- 
gung des  Menschen  zur  Sünde,  bezieht  sich  nach  der  richtigen  Lesart  auf 
Gottes  Erbarmen  und  hat  keine  allgemeingültige  Bedeutung.  (lUb  2)  Ähn- 
lich reden  Qen.  8,  21  und  6,  6  von  der  Neigung  zur  Sünde ,  zumal  den 
Menschen  im  gleichen  Zusammenhang  eine  Bußfrist  gewährt  wird.  (III  b  8) 
Jes.  40,  2  spielt  auf  die  göttliche  Vergeltung  an  und  Böm.  5,  20  schließt 
eine  Vorbereitung  des  Menschen  auf  die  Gnade  nicht  aus.  (III  b  4)  Jes.  40^ 
6  ff.  handelt  vom  materiellen  Elend.  Der  Mensch  ist  nicht  nur  Fleisch, 
sondern  auch  Geist.  (III  b  5)  Jer.  10,  23  bezieht  sich  nicht  auf  den  freien 
Willen,  schließt  ihn  jedenfiJls  nicht  aus.  (Illb  6 — 7)  Einige  Stellen  aus 
den  Sprüchen  beweisen  desgleichen  nichts  gegen  den  freien  Willen.  (III  b  8) 
In  Joh.  15,  5  darf  das  Wort  nihil  nicht  gepreßt  werden.  —  Es  folgt  eine 
Nachlese  von  Stellen,  die  den  freien  Willen  auszuschließen  scheinen,  was 
doch  nicht  der  Fall  ist.  (III  cl)  So  die  Stelle  Joh.  3,  27.  Bei  dieser  Ge- 
legenheit führt  E.  mehrere  Beispiele  an,  die  seine  Ansicht  illustrieren.  (III c8) 
Matth.  10,  20  benimmt  die  Schüchternheit,  gilt  nicht  allen  Menschen  und 
schließt  die  menschliche  Mitwirkung  nicht  aus.  (III  c  3)  Joh.  6,  44  beweist 
nicht  eine  zwangweise  Einwirkung  Gottes  auf  den  Menschen.  (III  c  4) 
2.  Kor.  3,  5  schreibt  (jK)tt  alles  zu,  weil  er  die  Hauptsache  leistet,  und 
spricht  nicht  einmal  gegen  die,  die  von  natürlichen  sittlichen  Kräften  des 


')  Es  ist  das  Verdienst  Zickendrahts,  auf  diese  Abhängigkeit  auf- 
merksam gemacht  zu  haben. 


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-    XXII    — 

Menschen  reden.  (Hie  5)  1.  Kor.  4,  7  und  ähnliche  Stellen  benehmen  dem 
Menschen  das  Rühmen;  (IIIc6)  in  Phil.  2,  13  bezieht  sich  das  pro  bona 
Yolnntate  auf  den  Menschen.  (III  c7j  Überhaupt  wird  häufig  von  einem 
Tun  des  Menschen  geredet,  bei  dem  Gott  zwar  die  treibende,  aber  nicht 
die  alleinige  Ursache  ist.  (III  c  8)  Gott  will  nicht,  da£  der  Mensch  sich 
der  guten  Tat  rtthme,  aber  er  selbst  lobt  den  Menschen.  (IIIc9— 10)  Wie 
die  Gleichnisse  und  Hyperbeln  der  Schrift  nicht  geprefit  werden  dürfen,  so 
haben  die  angeführten  Stellen  den  Zweck,  vom  Hochmut  abzuhalten.  (III  c  11) 
Es  folgt  eine  Deutung  von  Luc.  15,  11  ff.  (und  yon  Mark.  12,  41)  im  Sinne 
des  £.  (incl2)  Die  Willensfreiheit  ist  eine  göttliche  Gabe,  woraus  folgt, 
daß  alles  Gute  im  Menschen  Gott  zuzuschreiben  ist,  ohne  daß  darum  doch 
die  Freiheit  aufgehoben  wäre,  denn  die  Gnade  zwingt  nicht,  sondern  unter- 
stützt. (Ulcl3)  Es  folgt  ein  zusammenfassender  Schluß.  (IV  1)  E.  sucht 
nach  einer  Vermittlung  der  extremen  Ansichten,  die  er  auf  verschiedene, 
an  sich  berechtigte  Tendenzen  zurückführt.  (172)  Die  gegnerische  An- 
sicht schließt  zwar  das  Bühmen  aus  und  ist  insoweit  auch  anzuerkennen. 
(lY  3)  Aber  die  Leugnung  der  Willensfreiheit  gefährdet  den  Glauben  an  die 
sittliche  Persönlichkeit  des  Menschen  und  an  die  Vergeltung.  (IV  4)  Frei- 
lich hat  sich  der  Mensch  dem  göttlichen  Willen  unterzuordnen;  auch  der 
Gedanke  ist  erträglich,  daß  QoU  seine  eigenen  guten  Taten  im  Menschen 
belohnt;  daß  aber  Gott  seine  Übeltaten  im  Menschen  straft,  muß  abgelehnt 
werden.  (IV  5)  Das  wird  an  einigen  Beispielen  illustriert.  (IV  6)  E.  streift 
anerkennend  die  Betonung  des  Glaubens  durch  die  Gegner  und  berührt  das 
wechselseitige  Verhältnis  von  Glauben  und  Liebe ;  (IV  7)  aber  die  Leugnung 
der  Willensfreiheit  verleitet  zu  zahlreichen  Irrtümern,  ebenso  wie  die  Be- 
hauptung ihrer  uneingeschränkten  Geltung,  wobei  freilich  die  Ansicht  des 
Duns  Scotus  von  E.  verteidigt  wird.  (IV  8)  Allerdings  ist  die  Ansicht  noch 
plausibler,  die  Anfang  und  Ende  des  Heilsprozesses  Gott  zuschreibt,  seine 
Mitte  zwischen  Gott  und  Mensch  teilt,  doch  so,  daß  auch  hier  die  göttliche 
Kausalität  betont  wird.  (IV  9— 10)  Das  wird  an  Beispielen  illustriert  Es 
folgt  eine  nochmalige  Kritik  (IV  11)  der  Ansicht  Karlstadts  und  (IV 12) 
derjenigen  Luthers,  für  die  freilich  die  Eeflexion  auf  Gottes  keinem  Ge- 
setz unterworfenen  Herrscherwillen  spricht.  (IV  13)  Hier  muß  der  Mensch 
anbeten,  statt  zu  forschen,  was  nur  zu  Paradoxieen  führt,  (IV 14)  deren 
einige  charakterisiert  werden.  (IV 15)  Zu  solchen  und  anderen  Übertrei- 
bungen wurde  Luther  durch  die  Mißstände  des  kirchlichen  Lebens  verleitet. 
(IV  16)  Doch  solche  Übertreibungen  verursachen  bloß  Zwistigkeiten  und 
sind  auf  dogmatischem  Gebiet  unzulässig;  hier  hilft  nur  die  dogmatische 
Mittellinie  des  E.  (IV  17)  Nach  einer  Zusammenfassung  der  Hauptgedanken 
der  Diatribe,  fragt  E.,  ob  es  billig  sei,  um  der  Paradoxieen  Luthers  willen 
die  gesunde  Lehre  der  Kirche  zu  verlassen.  Nach  nochmaligem  Hinweis 
auf  seine  Milde  und  Bescheidenheit  schließt  E.,  indem  er  dem  gegnerischen 


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—  xxin  — 

Pochen  auf  deu  Geistesbesitz  die  Frage  entgegenstellt,  welchen  G^ist  denn 
die  Christenheit  bisher  besessen  hat.') 


§4. 

Die  dogmatischen  Gedanken  der  Diatribe. 

Um  die  Lehre  des  E.  über  Gnade  und  freien  Willen  zu  verstehen, 
ist  festzuhalten,  daß  er  seinen  Ausgangspunkt  im  thomistischen  Gottesbegriff 
nimmt  Während  die  Frage  nach  den  sittlichen  Kräften  des  gefallenen 
Menschen  seiner  Ansicht  nach  so  schwer  zu  lösen  ist,  daß  er  in  der  Ein- 
leitung seine  ganze  Beredsamkeit  aufbietet,  um  vor  sicheren  Behauptungen 
hierüber  zu  warnen,  steht  es  ihm  andererseits  fest,  daß  an  der  iustitia  und 
misericordia  Gottes  nicht  gezweifelt  werden  dürfe.  Jede  Ansicht,  die  zu 
einer  Aufhebung  oder  Einschränkung  dieser  Eigenschaften  Gottes  führt, 
muß  abgelehnt  werden  (85,  21  ff.).  Gott  ist  natura  optimns  (79,  22)  und 
sein  Gericht  ist  ein  gerechtes  (42,  2 f.).  E.  weiß,  daß  hiergegen  Einwände 
erhoben  werden:  Wie  kann  der  gerechte  und  gütige  Gott  es  bewirken, 
daß  manche  Menschen  mit  körperlichen  und  geistigen  Defekten  schlimmer 
und  schlimmster  Art  zur  Welt  kommen?  Wer  so  fragt,  möge  bedenken, 
daß  auch  das  Mißgestaltete  sich  der  Ordnung  des  Universums  wohl  einfügt 
und  daß  das,  was  Gott  tut,  doch  das  beste  ist  (85,  25  ff.).  Freilich  darf 
diese  im  letzten  Grunde  ausweichende  Antwort  nur  dort  gegeben  werden, 
wo  des  Menschen  Denken  an  seiner  Grenze  angelangt  ist.  Liegt  indessen 
die  Möglichkeit  vor,  Gottes  Güte  und  Gerechtigkeit  zu  verstehen,  dann  ist 
diese  Auskunft  abzulehnen.  In  der  unsicheren  Frage  nach  den  sittlichen 
Fähigkeiten  des  freien  Willens  dürfen  wir  uns  keine  Ansichten  bilden,  die 
jene  beiden  konstitutiven  Merkmale  des  Gottesbegriffes  als  zweifelhaft  er- 
scheinen lassen. 


*)  In  der  Bestimmung  des  Inhalts  der  Diatribe  weiche  ich  von  Zicken- 
draht ab.  Entsprechend  seiner  (p.  X  Anm.  4  beurteilten)  Theorie  über 
die  Entstehung  der  Diatribe  unterscheidet  er  (p.  25  ff.)  eine  echt  erasmische 
Umrahmung  (Einleitung  und  Schluß)  von  dem  dem  E.  im  letzten  Grunde 
aufgenötigten  Hauptteü.  In  der  Umrahmung  zeige  sich  E.  als  Skeptiker, 
der  „den  Glaubenslehren  das  Becht  auf  selbständige  Herrschaft''  absprechen 
wolle,  im  Hauptteil  als  Dogmatiker,  der  für  den  freien  Willen  eintrete. 
—  Allein  sowohl  in  der  Einleitung  als  auch  im  Schluß  bekennt  sich  E. 
mehrfach  und  ausdrücklich  zum  freien  Willen;  ja,  der  Schluß  soU  erst 
seine  eigene  vermittelnde  Meinung  darlegen  (vgl.  P...77,  Z.  3  ff.  und 
p.  XXVf  Anm.  2).  Zickendraht  bet(»nt  die  skeptischen  Äußerungen  des  E. 
zu  stark.  E.  zieht  das  skeptische  Register  zwar  des  öfteren,  aber  an  der 
Aufrichtigkeit  seines  Glaubens  an  den  freien  Willen  darf  nicht  gezweifelt 
werden. 


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—    XXIV    — 

Der  vernünftigen  Kreatur  tritt  Qott  nämlich  nicht  immer  alB  der 
sonveräne  Herrscher  gegenüber,  der  seinen  allmächtigen  Willen  ohne  jede 
Schranke  dorchsetzt.  Zwar  liegt  das  äofiere  Leben  des  Menschen  völlig: 
in  Gottes  Händen  (54,  5 f.;  64,  23 ff.)  und  hier  ist  der  Mensch  seinem 
Schopf  er  unterworfen,  wie  der  Ton  dem  Töpfer  (56,  14  ff.).  Selbst  der 
Fall  ist  denkbar,  daß  Gott  dem  menschlichen  Willen  Gtewalt  antat  (66, 5ff.,\ 
indem  er  ihm  einen  anderen  Willen  einflößt,  wie  er  Bileam  znm  Segnen 
gezwungen  hat  (51,  23  ff.).  Allein  in  diesen  Fällen  handelt  es  sich  um 
Wunder  (51,  20f.)  und  somit  um  Ausnahmen.  Hingegen  hält  Gott  es  für 
angemessen,  die  Wirkungssphäre  seines  Willens  dort,  wo  es  sich  um  das 
sittliche  Wollen  der  vernünftigen  Kreatur  handelt,  aus  Eücksicht  auf  diese 
einzuschränken  (22,  10;  84,  17):  es  gibt  einen  (im  Gesetz  offenbarten) 
göttlichen  Willen,  dem  widerstanden  werden  kann  (52,  1  ff.).  Diesen  Willen 
nennt  £.  im  Anschluß  an  Thomas^)  die  voluntas  signi  (52,  2). 

Wie  verhält  sich  nun  Gottes  Wille  zu  den  Handlungen,  die  mit  Über- 
legung und  freiem  Entschluß  ausgeführt  werden  ?  £.  stellt  sich  dieses  Ver- 
hältnis im  Schema  des  Konkursus  vor.*)  Er  meint  mit  Thomas,  daß  Gott 
(resp.  Christus,  67,  20  ff.)  als  die  principalis  causa  in  allen  causae  secun- 
dariae  wirke  (53,  16 f.;  83,  4 ff.).  Ebenso  wirkt  Gk>tt  auch  bei  den  auf 
freiem  Willensentschluß  beruhenden  Geschehnissen  als  causa  principalis  mit 
(53,  16  f.).  Lediglich  die  sittliche  Bestimmtheit  einer  Handlung  ist  auf  die 
freie  Kreatur  zurückzuführen.  So  ist  z.  B.  die  Gremeinschaft  zwischen 
Mann  und  Weib  in  jedem  Falle  etwas  Gutes  und  folglich  in  jedem  Falle 
von  Gott  gewirkt.  Trägt  diese  Gemeinschaft  indes  ehebrecherischen  Cha- 
rakter, so  ist  diese  ihre  sündige  Bestimmtheit  auf  den  menschlichen  Willen 
zurückzuführen  (53,  19  f.).  E.  muß  nun  aber  diese  seine  Ansicht  gegen 
einen  Einwand  verteidigen,  der  sich  aus  der  Eeflexion  auf  GottAs  Allmacht 
und  Allwissenheit  ergibt:  Wenn  Gott  eine  Handlung  voraussieht,  so  folgt, 
daß  er  auch  will,  daß  sie  geschieht;  denn  wollte  er  das  nicht,  so  würde 
er  die  Handlung  kraft  seiner  Allmacht  jederzeit  verhindern  können;  also 
ist  auch  jede  sündige  Handlung  von  Gott  gewollt  E.  beantwortet  diesen 
Einwand,  indem  er  das  Vorherwissen  und  das  Vorherbestimmen  einer  Hand- 
lung voneinander  scheidet.  Sähe  jemand  ein  Ereignis  voraus,  so  bedeute 
das  noch  nicht,  daß  er  auf  das  Eintreten  desselben  einen  Einfluß  habe. 
Der  Astronom  kündigt  die  Sonnenfinsternis  an,  ohne  sie  zu  bewirken. 
Allein  das  Unzulässige  dieser  Trennung  von  Vorherwissen  und  Vorher- 
bestimmen in  der  Gotteslehre  leuchtet  auch  dem  E.  ein:  Nam  aliquo  modo 
velit  oportet,  qui,  quod  praesdt  futurum,  tamen  non  impedit,  cum  ipsi  sit 


»)  Summa.  I.  qu.  19  art.  11,  opp.  ed.  Rom.  Bd.  IV  p.  249. 
')  So  auch  Eck  in   der  Leipziger  Disputation,   ed.  V.  E.  Löscher, 
Vollst.  Reformationsakta,  Bd.  III  p.  313. 


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—    XXV    — 

in  manu  (49,  25  f.).  Eier  kann  £.  nur  sagen,  daß  Gott  die  Sünde  des 
Menschen  znläßt,  nm  ihn  damit  für  früher  begangene  Sünden  zn  strafen 
(50,  16 ff.).  Aber  es  ist  klar,  daß  damit  das  Problem  nur  verschoben  wird.*) 
Nachdem  £.  in  dieser  Weise  das  Verhältnis  göttlicher  Eansalität  zu 
kreatürlicher  Freiheit  von  der  Gotteslehre  aus  beleuchtet  hat,  versucht  er 
eine  Abschätzung  der  sittlichen  Kräfte  des  Menschen.  Der  Mensch  ist  von 
Qott  bei  der  Schöpfung  mit  Verstand  und  freiem  Willen  ausgerüstet  worden. 
Und  zwar  hat,  wie  E.  mit  deutlicher  Ablehnung  der  skotistischen  Theorie 
vom  Primat  des  Willens  ausführt,  der  Verstand  die  dominierende  Stellung 
im  menschlichen  Seelenleben:  der  Verstand  ist  die  Quelle  des  Willens  (21, 
10),  aus  ihm  entspringt  alles  Böse  und  Gute  (21,  4  f.).  Der  Verstand  sagt 
dem  Menschen,  was  er  zn  erstreben  und  zu  meiden  habe,  und  der  Wille 
besitzt  die  Freiheit,  d.  h.  die  Fähigkeit,  sich  für  das  Gute  oder  das  Böse 
zu  entscheiden.  Wie  steht  es  mit  den  Fähigkeiten  des  Willens  nach 
Adams  Fall?  £.  geht  behutsam  vor:  die  Definition  der  Willensfreiheit, 
die  er  an  die  Spitze  seiner  Ausführungen  stellt  (19,  7  ff.),  ist  mit  Absicht 
weit  gefaßt:  Die  Freiheit  ist  diejenige  Fähigkeit  des  menschliehen  Willens, 
kraft  deren  sich  der  Mensch  dem,  was  zum  ewigen  Heile  führt,  anpassen 
oder  sich  davon  abwenden  kann.  An  dieser  Definition  fällt  auf,  daß  £. 
von  dem  redet,  was  zum  ewigen  Heile  führt  Die  Scholastik  setzte 
bei  ihrer  Erörterung  der  Frage  nicht  an  dem  Punkte  ein,  wie  aus  dem  un- 
seligen ein  seliger  Mensch  wird,  sondern  bei  der  Frage,  wie  der  ungerechte 
Mensch  zu  einem  gerechten  wird.  Indem  E.  seine  Definition  von  vorn- 
herein auf  die  Seligkeit  des  Menschen  hinzielen  läßt,  erweckt  er  den  An- 
schein, als  wolle  er  eine  klare  Stellungnahme  zu  den  verschiedenen  scho- 
lastischen Theorien  vermeiden.  Daß  dieser  Eindruck  richtig  ist,  hat  er 
selbst  bestätigt:  Utrique  sententiae^)  locum  reliquit  mea  definitio,  quod 
neutram  omnino  refellam!^  E.  hält  sich  zunächst  an  das  allen  Scho- 
lastikem  gemeinsam,  an  die  Ansicht,  daß  auch  der  gefallene  Mensch  eine 
gewisse  Wahlfreiheit  hat  Er  meinte  das  um  so  getroster  tun  zu  können, 
ak  Luther  ja  jegliche  Willensfreiheit  geleugnet  hatte.  Man  könnte  diese 
reservierte  Stellung  des  E.  zunächst  in  dem  Sinne  auffassen,  als  lehne  £. 
die  scholastische  Fragestellung  überhaupt  ab,  und  dieser  Eindruck  wird 
verstärkt,  wenn  wir  den  Schriftbeweis  des  E.  für  den  freien  Willen  (diese 


')  Den  weiteren  £inwand,  daß  die  Schrift  von  einer  Verstockung  des 
Menschen  durch  Gott  rede,  beantwortet  £.,  indem  er  die  Möglichkeit  einer 
VerStockung  durch  GK>tt  ablehnt  (47,  14 ff.):  Gott  gibt  bloß  Gelegenheit 
zur  VerStockung  (47,  18).  Doch  redet  E.  auch  von  einer  Verstocknng 
als  Strafe  vorangegangener  Sünden  (53,  7 ff.;  66,  20 f.),  also  im  eigent- 
lichen Sinne. 

S.  darüber  weiter  unten. 

Hyp.  I,  r6v;  s7r. 


? 


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—    XXVI    — 

Form  des  Beweises  mußte  er  ans  Bücksicht  auf  Luthers  Schrift^rinzip 
wählen)  näher  ins  Auge  fassen.  Sachlich  lassen  sich  die  vielfach  breiten 
und  Wiederholungen  nicht  vermeidenden  Ausführungen  des  E.  zu  zwei 
Hauptgruppen  zusammenstellen:  1.  Die  Schrift  lehrt,  der  Mensch  sei  eine 
sittliche  Persönlichkeit;  2.  die  Schrift  lehrt  eine  jenseitige  Vergeltung  für 
die  guten  und  bösen  Taten  des  Menschen.  Was  die  erste  Gedankengruppe 
betrifft,  so  macht  E.  vor  allem  darauf  aufmerksam,  daß  die  Schrift  ein 
sittliches  resp.  unsittliches  Handeln  des  Menschen  selbst,  nicht  ein  Handeln 
Gottes  im  Menschen  kennt.  Dementsprechend  spendet  die  Schrift  den 
Menschen  Lob  und  Tadel  für  ihre  Handlungen.  Der  Mensch  kann  sich 
für  das  Gute  oder  das  Böse  entscheiden;  noch  mehr,  die  Entscheidung  für 
das  Gute  wird  ihm  leicht  gemacht  (36,  28),  ja,  selbst  das  Wollen  von  Gut 
und  Böse  liegt  in  des  Menschen  Hand  (44,  24  f.).  Wäre  das  nicht  der 
Fall,  so  wäre  jeder  Versuch  Gottes,  durch  Mahnung  und  Warnung,  durch 
Gebot  und  Drohung  auf  den  menschlichen  Willen  einzuwirken,  überflüssig 
—  und  doch  weiß  die  Schrift  gerade  von  der  diesbezüglichen  Tätigkeit 
Gottes  auf  Schritt  und  Tritt  zu  berichten.  —  Diesen  Beweisen  treten  die 
der  Vergeltungslehre  entnommenen  an  die  Seite:  ohne  freien  Willen  und 
ohne  Kenntnis  des  Sittengesetzes  würde  die  Sünde  ihren  Schuldcharakter, 
die  gute  Tat  ihren  Verdienstcharakter  einbüßen  und  Gott  hätte  kein  Becht, 
die  Sünde  mit  ewiger  Verdammnis  zu  strafen,  die  Tugend  mit  der  Selig- 
keit zu  belohnen.  *) 

Man  gewinnt  aus  diesen  Ausführungen  des  E.  den  Eindruck,  als  lehre 
er  nicht  nur  eine  „gewisse"  Wahlfreiheit,  sondern  die  volle  Wahlfreiheit 
auch  des  gefallenen  Menschen.  Allein  schon  die  Beobachtung  der  Aus- 
drucksweise des  E.  mahnt  zur  Vorsicht  Wir  finden  nämlich  in  der  Diatribe 
eine  Beihe  von  charakteristischen  Abschwächungen  des  Ausdrucks:  E.  redet 
von  der  voluntas  aliquo  modo  libera  (34,  6)  und  meint,  das  Halten  der 
Gebote  läge  ullo  pacto  in  der  Hand  des  Menschen  (36,  20;  37,  13).  Vor 
allem  aber  hat  E.  so  energisch  als  möglich  und  nicht  etwa  im  Sinne  des 
Pelagius  die  Notwendigkeit  der  Gnade  betont,  die  den  Menschen  zum  Heile 
führen  solle.  Luther  hat  dies  Nebeneinander  als  Widerspruch  empfunden, 
und  wir  würden  geneigt  sein,  ihm  Becht  zu  geben  und  zum  mindesten 
eine  doppelte  Gedankenreihe  bei  E.  annehmen,  wenn  nicht  E.  im  Hyper- 
aspistes  fortwährend  geltend  machen  würde'),  daß  er  zunächst  gar  nicht 
die  Absicht  gehabt  hätte,   seine  Meinung  über  das  Problem  Gnade  und 


*)  Auch  folgender  Gedanke  findet  sich:  Da  die  Schrift  von  einer 
Unterordnung  des  Geistes  unter  den  Propheten  redet,  so  darf  auch  nicht 
angenommen  werden,  daß  die  Wirksamkeit  der  Gnade  den  freien  Willen 
außer  Kraft  setze  (45,  2  ff.). 

*)  Hyp.  II,  82  f.,  84  ff.,  116,  134,  141,  186  etc. 


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—    XXVII    — 

Freiheit  darzulegen,  sondern  lediglich  die  Stellen  zusammensuchen  und  auf 
ihre  Konseqnenzen  prüfen  wollte,  die  für  den  freien  Willen  sprächen,  um 
dann  nach  Untersuchung  der  entgegenstehenden  Stellen  eine  sententia 
media  zu  finden.  Wenn  E.  in  der  Diatrihe  auch  die  Stellen  für  den  freien 
Willen  als  solche  hezeichnet,  die  nostra  confirmant,  und  die  Absicht  aus- 
spricht, die  Stellen,  die  dagegen  zu  sprechen  schienen,  zu  entkräften 
(19,  7),  so  sucht  er  doch  auch  in  der  Diatrihe  nach  der  sententia  media. 
Wir  werden  £.  also  nicht  gerecht,  wenn  wir  bei  ihm  einen  optimistischen 
Moralismus  konstatieren  wollten,  wie  etwa  bei  den  englischen  Deisten; 
vielmehr  steht  E.,  wie  noch  zu  zeigen  sein  wird,  der  Scholastik  näher  als 
dem  Deismus. 

Vor  allem  weiß  E.  von  einer  Korruption  der  menschlichen  Natur 
durch  die  Sünde  Adams.  Der  Intellekt  des  Menschen  ist  ebenso  korrumpiert 
wie  sein  Wille  (21,  2  ff.).  Der  Wille  ist  nicht  imstande,  aus  eigener  Kraft 
meliorem  frugem  zu  schaffen,  ja,  er  ist  genötigt,  der  Sünde  zu  dienen 
(21, 15  ff.).  Mehrfach  redet  E.  von  der  infirmitas  naturae  (61, 12;  76,  20  ff.), 
die  sogar  als  eine  weitgehende  beurteilt  wird  (90,  20)  oder  von  der  pro- 
divitas  ad  malum  (62,  5 f.;  61,  12).^)  Diese  Neigung  des  Menschen  zur 
Sünde  ist  «jedoch  nicht  unüberwindlich.  Nicht  alle  Affekte  des  Menschen 
sind  fleischlich ;  es  gibt  auch  solche  Affekte,  die  als  Geist  bezeichnet  werden 
und  diese  streben  dem  Guten  entgegen  (63,  14).  Es  sind  im  Menschen 
semina  quaedam  honesti  vorhanden,  kraft  deren  der  Mensch  aliquo  modo 
das  Gute  erkennt  und  erstrebt  (64, 13  ff.).  Diese  semina  ftlhren  den  Menschen 
zur  natürlichen  Gotteserkenntnis  (23,  10  f.),  sowie  zur  Fähigkeit,  zwischen 
Gut  und  Böse  unterscheiden  zu  können,  wie  denn  die  Philosophen  sittliche 
Vorschriften  hinterlassen  haben,  die  denjenigen  des  Evangeliums  analog 
sind  (23,  11  ff.).  Sogar  das  ist  möglich,  daß  die  Philosophen  ein  gewisses 
Vertrauen  und  eine  gewisse  Liebe  zu  Gott  gehabt  haben  (27,  9  f.).  Allein 
das  Tun  des  Guten  beim  Menschen  hat  nun  eine  sehr  wesentliche  Schranke : 
es  ist  inefficax  ad  salutem  aetemam  (24, 1;  90,  30 f.);  es  bedarf  der  Gnade, 
um  seinen  Werken  die  efficacia  zu  verleihen.    Was  bedeutet  das? 

Um  die  theologische  Stellung  des  E.  zu  verstehen,  müssen  wir  uns 
vergegenwärtigen,  wie  die  Scholastik  der  2.  Hälfte  des  Mittelalters  über 
das  Problem  der  Erweckung  und  Bekehrung  dachte.  Einig  war  man  sich 
darüber,  daß  des  Menschen  Werke  die  Seligkeit  nicht  verdienen  könnten; 


')  In  der  auffallenden  Stelle  64,  16  ff.  macht  £.  einen  Unterschied 
zwischen  der  voluntas  huc  aut  illo  versatilis  und  der  proclivitas  peccati. 
E^rstere  sei  fortasse  propensior  ad  malum.  E.  steht  hier  unter  dem  Ein- 
fluß derjenigen  psychologischen  Theorie,  die  zwischen  den  guten  spiritus 
und  die  böse  caro  die  neutrale  anima  einschiebt.  Allein  er  bricht  dieser 
Theorie  selbst  die  Spitze  ab,  indem  er  dann  doch  wieder  eine  Korruption 
der  ratio  annimmt  (63,  20),  die  er  mit  dem  spiritus  identifiziert  (63,  14  f.). 


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—    XXVIU    — 

hierzu  bedürfe  es  der  Mitwirkung  der  gQttlichen  Ghiade.  Im  einzelnen 
hingegen  differierten  die  Ansichten  stark,  nnd  zwar  mit  Bezng  auf  zwei 
Punkte:  1.  anf  die  Fassung  der  Bekehmngsgnade  (£.  nennt  sie  die  gratia. 
cooperans  oder  gratum  fadens)  und  2.  auf  die  Frage  nach  der  der  Be- 
kehrungsgnade vorausgehenden  Erweckung  und  der  mit  ihr  eyentnell 
zusammenhängenden  Erweckungsgnade  (bei  E. :  gratia  operans,  exstimnlans, 
praeveniens,  pecuüaris).  Bezüglich  des  ersten  Punktes  hielt  ein  Teil  der 
Scholastiker  daran  fest,  dafi  der  sittliche  Zustand  des  Menschen  auf  wunder- 
bare Weise  durch  die  Eingiefiung  der  Gnade  verändert  werde:  dem  Menschen 
wird  der  Glaube  und  die  Liebe  eingegossen  und  durch  diese  reale  Ver- 
änderung seines  sittlichen  Zustandes  wird  er  zum  Verdienen  der  Seligkeit 
beföhigt.  So  dachten  etwa  Alexander  von  Haies,  Thomas  u.  a.  Anders- 
artig waren  die  Gedanken  des  Duns  Scotus.  Wenn  er  auch  aus  Bücksicht 
auf  die  Tradition  an  einer  realen  Änderung  des  Willens  festhält,  so  schränkt 
er  diese  doch  stark  ein:  bloß  die  Richtung  auf  Gott  werde  dem  Mensdien 
durch  die  Gnade  verliehen.  Dadurch  erteilt  die  bekehrende  Gnade  den 
guten  Werken  die  Geltung  eines  Verdienstes;  bisher  waren  sie  un- 
wirksam, von  jetzt  ab  sieht  Gott  sie  als  Verdienste  an,  denen  die  ErSnnng 
mit  dem  ewigen  Leben  gebührt.^)  • 

Noch  stärker  gingen  die  Ansichten  über  die  Erweckung ')  auseinander. 
Beginnen  wir  mit  Scotus.  Er  leugnete  eine  spezielle  Einwirkung  der 
Gnade  anf  den  Sünder  vor  der  Bekehrung;  vielmehr  könne  der  Mensch 
dank  der  in  ihm  vorhandenen  sittlichen  Kräfte  tun,  was  an  ihm  läge,  und 
könne,  da  Gott  diese  Bemühungen  als  verdienstlich  ansähe,  sich  damit  die 
Bekehrungsgnade  verdienen.  Umgekehrt  haben  Thomas  nnd  Alexander 
auch  die  Erweckung  auf  eine  spezielle  göttliche  Einwirkung  zurückgeführt 
und  darum  von  einer  Erweckungsgnade  geredet  Aber  nun  gehen  ihre 
Anschauungen  auseinander:  während  Thomas,  der  stark  unter  Augnstins 
Einfluß  steht,  von  Verdiensten  des  Erweckten  nichts  wissen  will,  behauptet 
Alexander,  daß  die  Erweckungsgnade  den  Menschen  wenigstens  zu  unvoll- 
kommenen Verdiensten  befähige,  mit  denen  er  sich  die  bekehrende  Gnade 
verdienen  kann. 

Fragt  man  nun,  in  welcher  Weise  die  Anschauungen  des  £.  sich 

^)  Vgl.  etwa  noch  G.  Biel:  Die  gratia  gratum  faciens  ist  quaedam 
forma  animae  a  deo  infusa^  qua  anima  formaliter  reddltur  deo  cara  et 
grata,  qua  ordinatur  ad  vitam  aetemam  possidendam  (lib.  II  dist.  26  qu. 
unica,  art.  IB). 

*)  Die  Bezeichnung  der  gratia  gratis  data  als  Erweckungsgnade,  der 

Satia  gratum  faciens  als  Bekehrungsgnade  soll  dem  Studierenden  die  scho- 
ttischen termini  deutlicher  machen.  An  sich  ist  es  ja  mißlich,  metho- 
distische Bezeichnungen  auf  die  Scholastik  zu  Übertragen.  Aber  schließ- 
lich ist  hier  wie  dort  das  gleiche  religiöse  Phänomen  in  Frage. 


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—    XXIX    — 

diesen  scholastischen  Theorieo  einfügen,  so  steht  man  einer  schwierigen 
Aufgabe  gegenüber,  schwierig  nicht  deswegen,  als  stände  E.  hier  anf 
prindpieU  anderem  Boden  als  die  Scholastik,  sondern  deswegen,  weil  bei 
£.  die  vorhin  charakterisierten  Ansichten  so  ziemlich  allesamt  zu  finden 
sind.  Wir  sahen,  daß  nach  E.  die  guten  Werke  vor  der  Bekehrung  die 
Seligkeit  nicht  verdienen  können.  Durch  die  bekehrende  Gnade  erhalten 
sie  nun  die  efficacia  (30,  16):  das  ist  die  skotistische  Lehre.  Andererseits 
hilft  die  eingegossene  (infundere,  29,  19)  bekehrende  Gnade  durch  Mit- 
teilung von  Glauben  und  Liebe  dem  Intellekt  und  dem  Willen  anf  (24,  6  ff.) 

—  das  ist  die  Anschauung  des  Thomas.  Ebensowenig  einheitlich  sind  die 
Aussagen  des  E.  über  die  Erweckungsgnade.  Hierfür  ist  die  zweifache 
Verwertung  der  Comelinsgeschichte  bezeichnend:  Während  das  eine  Mal 

—  gut  skotistisch  —  Cornelius  durch  seine  guten  Werke  die  Gnade  ver- 
dient (51,  5  ff.),  so  wird  anderwärts  Cornelius  als  Beispiel  eines  Menschen 
genannt,  der  adiutus  auxilio  dei  sich  auf  die  Gnade  vorbereitet  (62,  22  ff.). 
Wenn  £.  an  einer  Stelle  die  Verteidigung  der  skotistischen  Ansicht  über- 
nimmt,^) so  behauptet  er  andererseits  doch  mehrfach  die  Existenz  der 
Erweckungsgnade  (29, 16  ff.),  die  bei  dem  Bechtfertignngsprozeß  die  Initiative 
hat  (49,  10;  82,  25  f.  u.  anderwärts).  Wenn  er  einerseits  meint,  die  Er- 
weckungsgnade würde  allen  Menschen  zuteil  (30,  Iff.),  Ja,  selbst  die  Be- 
kehmngsgnade  kdnue  von  allen  verdient  werden  (30,  10  ff.),  so  hält  er  es 
doch  andererseits  für  wahrscheinlich,  daß  nur  die  Getauften  die  Gnade 
erlangen  (15,  12  f.).  Fragt  man  weiter,  ob  E.  mit  Alexander  von  Ver- 
diensten auf  Grund  der  Erweckungsgnade  redet,  oder  dieselben  mit  Thomas 
leugnet,  so  kann  auch  hier  die  Antwort  zwiespältig  ausfallen:  einerseits 
bereitet  sich  der  Mensch  durch  opera  moraliter  bona  anf  die  Bekehrungs- 
gnade vor  (29,  20 ff.),  die  diese  Gnade  verdienen  (30,  lOff.;  62,  28f.;  75,  29ff.), 
andererseits  bezeichnet  E.  nicht  nur  das,  was  er  für  die  augustinische  (30, 
27)  und  die  thomistische  (Hyp.  I,  s5r)  Ansicht  hält,  als  probabel,  sondern 
er  macht  sich  auch  die  diesem  Gedankenkreis  entstammende  Forderung  zu 
eigen,  der  Mensch  möge  alles,  was  er  hat  und  tut,  Gotte  zuschreiben  (49, 
12 ff.;  71,  6).  Bei  dieser  schwankenden  Stellung  ist  es  schließlich  kein 
Wunder,  daß  das  Urteil  über  die  sittlichen  Fähigkeiten  des  gefallenen 
Menschen  verschieden  ausfällt.  Man  braucht  nur  etwa  des  E.  Urteil  über 
die  Sittlichkeit  der  Philosophen  (s.  o.)  neben  die  Aussage  zu  stellen,  daß 
der  menschliche  Wille  noch  weniger  vermag,  als  das  Kind,  das  sein  Vater 
gehen  lehrt:  Dem  freien  Willen  wird  bei  der  Beschaffung  des  Heils  mini- 


')  Nach  einer  Darstellung  der  skotistischen  Lehre  fährt  E.  fort:  Hie 
illos  (a.  h.  die  Gegner)  ...  sie  placare  possumus.  ohne  jedoch  die  Er- 
weckungsgnade zu  nennen,  so  daß  die  Sätze  skotistisch  interpretiert  werden 
können  (82,  7  ff.). 


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—    XXX    — 

mnm  zugeschrieben  (84,  18 ff.;  68, 13);  ja,  es  findet  sich  die  Wendnng,  der 
Wille  sei  durch  die  Sünde  ad  honesta  inefficax  geworden  (22,  14), 
womit  allem,  was  über  die  Philosophen  gesagt  ist,  die  Spitze  abgebrochen 
wird.  Wenn  endlich  von  der  proclivitas  zum  Sündigen  gesagt  wird,  sie 
sei  bei  den  meisten  (sie!)  Menschen  vorhanden  (62,  6),  so  finden  wir  auf 
der  anderen  Seite  die  Behauptung,  daß  diese  proclivitas  von  den  Proto- 
plasten auf  alle  übergegangen  sei  (22,  7  f.). 

Läßt  man  die  Diatribe  im  ganzen  auf  sich  wirken,  so  wird  man  den 
Eindruck  gewinnen,  daß  E.  den  nach  Alexander  interpretierten  thomistischen 
Gedanken  näher  steht  als  den  skotistischen.  Allein  wir  dürfen  uns  nicht 
dazu  verleiten  lassen,  die  skotistisch  klingenden  Stellen  im  Sinne  der 
thomistischen  zu  deuten.  So  nahe  das  zu  liegen  scheint,  so  schneidet  uns 
£.  selbst  diese  Auskunft  ab.  Denn  ebenso  wie  seine  Definition  des  freien 
Willens  (s.  o.)  der  skotistischen  und  der  thomistischen  Ansicht  Raum  läßt, 
so  hat  er  sich  in  dem  Hyperaspistes  (II  p.  13)  folgendermaßen  über  seinen 
Standpunkt  ausgesprochen:  Deinde  non  desinit  (sc.  Lutherus)  omnia  referre 
ad  illam  probabilem  opinionem  (d.  h.  die  thomistische) ,  quasi  solam  illam 
habeam  in  scopo.  Id  si  fuisset,  non  dixissem  probabilem,  sed  certam  et 
indubitatam.  Oder :  Haue  seutentiam  non  dico  solam  esse  tuendam  reiectis 
aliis,  sed  probabilem  appello  (II,  60).  Über  die  skotistische  Ansicht  äußert 
er  sich:  quam  nee  tueor,  nee  impugno  (II,  61).  E.  ist  also  weit  davon 
entfernt  die  scholastische  Gnadenlehre  überwunden  zu  haben;  über  ein 
Schwanken  zwischen  Thomas,  Alexander  und  Duns  Scotus  ist  er  nicht 
hinausgekommen. 

Das  merkwürdige  ist  nun,  daß  E.  sich  nicht  nur  sachlich,  sondern 
auch  methodisch  mit  der  Scholastik  berührt  Das  ist  selbstverständlich 
nicht  in  dem  Sinne  gemeint,  als  verleugnete  E.  in  der  Diatribe  seine  per- 
s(inliche  und  humanistische  Eigenart.  Auch  in  der  Diatribe  tritt  er  uns 
entgegen  als  der  auf  einsamer  Höhe  thronende  Gelehrte,  der  sich  nur  un- 
gern in  die  Händel  dieser  Welt  mengt,  weil  er  ein  „Feind  von  allem 
Bohen"  sei  und  weil  er  die  echte  wissenschaftliche  Bescheidenheit  besitze, 
die  nicht  blindlings  drauf  los  urteile,  sondern  in  kühler,  ruhiger  Über- 
legung die  Schwierigkeiten  des  Problems  erwäge,  um  „die  Welt  durch 
Überredung  leiten'^  zu  können.  Auch  in  der  Diatribe  tritt  uns  seine 
humanistische  Bildung  entgegen :  ist  seine  Exegese  auch  nicht  immer  vor- 
urteilsfrei, namentlich  dort,  wo  es  sich  um  Stellen  handelt,  die  ihm  nicht 
passen,  so  steht  sie  doch  auf  einem  hohen  wissenschaftlichen  Niveau.  Er 
macht  manche  treffende  Bemerkung  zu  Exegese,  Einleitung  und  Text- 
kritik und  zieht,  wie  nicht  erst  gesagt  zu  werden  braucht,  häufig  den  Ur- 
text zu  Rate.  Seine  Hochachtung  vor  der  geistigen  Überlegenheit  der 
alten  Griechen  und  Lateiner  kommt  ebenso  zum  Aasdruck,  wie  seine  Anti- 
pathie gegen  diejenigen,  die  auf  Grund  ihres  angeblichen  Geistesbesitzes 


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-    XXXI    — 

die  Schwierigkeiten  einer  wissenschaftlichen  Behandlung  exegetischer  und 
dogmatischer  Probleme  nicht  empfinden.  Auch  die  Scholastiker  bekommen 
ab  nnd  an  einen  kleinen  Hieb  (8,  11 ;  53,  6). 

Allein  das  Urteil  des  £.  über  die  Scholastiker  ist  in  der  Diatribe 
doch  ein  wesentlich  günstigeres  geworden,  als  ehedem  (13,  Iff.).  In 
mancher  methodischen  Frage  steht  er  der  Scholastik  recht  nahe.  Ich 
möchte  zur  Begründung  dessen  nicht  etwa  bloß  anf  die  Disposition  der 
Diatribe  hinweisen,  die  zuerst  die  für  den  freien  Willen,  dann  die  da- 
gegen sprechenden  Schriftstellen  behandelt,  um  schließlich  eine  zwischen 
beiden  Extremen  liegende  Ansicht  zur  Geltung  zu  bringen.  Vor  allem 
kommt  des  £.  Stellung  zu  Schrift  und  kirchlicher  Autorität  in  Frage.  Die 
Zeiten  sind  vorüber,  wo  E.  in  „demokratischer  Begeisterung  für  die  Laien- 
religion'' seinem  Glauben  an  die  Verständlichkeit  der  Bibel  auch  für  den 
gemeinen  Mann  Ausdruck  verlieh.  Die  Schrift  ist  dunkel;  die  Wahrheit 
ist  nichts  fürs  Volk.  Die  kirchliche  Autorität  gewinnt  eine  alles  über- 
ragende Stellung.  Wenn  E.  darauf  verzichtet,  die  Lehre  der  Väter  und 
Scholastiker  über  Gnade  und  Freiheit  darzulegen,  so  hat  das  lediglich 
darin  seinen  Grund,  daß  alles  das  auf  den  autoritätsfeindlichen  Luther 
keinen  Eindruck  machen  wird.  Der  Leser  hingegen  möge  den  Gedanken 
auf  sich  wirken  lassen,  wieviel  der  Konsens  der  Jahrhunderte  gegenüber 
dem  privaten  Urteil  dieses  oder  jenes  wöge.  Vor  allem  aber  spricht  E. 
den  durch  und  durch  reaktionären  Satz  aus,  daß  er  sich  den  Ent- 
scheidungen der  Kirche  füge,  gleichviel  ob  er  sie  verstände  oder  nicht 
(3,  18  ff.).  Das  ist  genau  der  Standpunkt,  wie  ihn  die  Spätscholastik  ver- 
treten hat,  für  die  der  Grundsatz  Geltung  hatte,  daß  eine  kirchliche  Lehre 
selbst  dann  akzeptiert  werden  müsse,  wenn  dem  Theologen  das  Gegenteil 
derselben  feststände.^) 

Zusammenfassend  werden  wir  urteilen  dürfen:  Die  Diatribe  berech- 
tigt uns,  E.  trotz  aller  seiner  Kritik  an  Theologie  und  Kirche  denjenigen 
Humanisten  zuzuzählen,  welche  den  Übergang  zur  Gegenreformation 
haben  vorbereiten  helfen.  Der  alte  Gegoer  der  Scholastik  hat  den  Boden 
der  scholastischen  Theologie  an  entscheidenden  Punkten  doch  nicht  zu  ver- 
lassen vermocht. 

Das  führt  uns  schließlich  auf  die  Frage :  Welches  Verständnis  hat  E. 


*)  Vgl.  auch  Zickendraht  p.  63  f.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  die 
interessante  Frage  zu  behandeln,  wieweit  sich  E.  in  seinen  sonstigen 
Schriften  von  der  scholastischen  Gedankenwelt  beeinflußt  zeigt  Wenn 
M.  Schulze  (Calvins  Jenseitschrist.  p.  17)  die  These  aussprechen  konnte, 
daß  E.  über  die  Gnade  als  Quelle  der  sittlichen  Kräfte  nicht  anders  denke 
als  Calvin,  so  zeigt  das  jedenfalls,  daß  bei  E.  antisupranaturalistische 
Tendenzen  wenn  überhaupt,  so  doch  nur  in  beschränkten  Maße  anzu- 
nehmen sind. 


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—    XXXII    — 

dem  religiösen  Detenninismns  Luthers  entgegengebracht?  Wir  haben  uns 
daran  zu.  erinnern,  daß  der  feste  Punkt,  an  dem  £.  einsetzt,  sein  Gottes- 
begriff ist,  daß  hingegen  seine  Lehre  über  den  sittlichen  Znstand  des 
Menschen  nach  dem  Fall  schwankend  ist.  Von  hier  aus  werden  wir  es 
begreifen,  daß  £.  Luthers  Problemstellung  ebenso  beurteilt,  wie  die  seinige. 
Man  beachte  etwa  die  Art,  wie  E.  in  der  Einleitung  vor  der  Erörterung 
der  Fragen  warnt,  denen  sich  das  reformatorische  Christentum  zugewandt 
hatte:  Da  wird  zuerst  die  Frage  genannt,  wie  sich  das  Yorherwissen 
Gottes  zu  den  mit  freiem  Willen  vollzogenen  Taten  verhält.  Die  Fragen, 
inwieweit  der  freie  Wille  an  der  Beschaffung  des  Heils  beteiligt  ist  und 
ob  es  überhaupt  einen  freien  Willen  gibt,  rangieren  erst  an  zweiter  und 
dritter  Stelle  (7,  Iff.).  Anderwärts  behauptet  E.  die  Frage  nach  den 
Gründen,  weswegen  das  Halten  der  göttlichen  Gebote  dem  Menschen  un- 
möglich sei,  gehöre  nicht  in  sein  Thema  (88,  14  ff.).  Am  bezeichnendsten 
ist  aber  folgende  Stelle:  Die  Lehre  von  der  völligen  Unfähigkeit  des 
menschlichen  Willens  zum  Guten  wird  als  Hilfsatz  der  These  beurteilt, 
daß  Gott  die  von  ihm  im  Menschen  gewirkten  bösen  oder  guten  Taten 
straft  resp.  belohnt  (87,  12 ff.).  M.  a.  W.  E.  glaubt,  es  handle  sich  beim 
religiösen  Determinismus  Luthers  in  erster  Linie  um  ein  spekulatives 
Problem  der  Gotttslehre,  während  gerade  das  für  Luther  charakteristisch 
ist,  daß  er  in  der  Unfähigkeit  des  Menschen  zum  Guten,  also  in  der 
Anthropologie  seinen  Ausgang  nimmt.  Die  Folge  dieser  verkehrten  Auf- 
fassung ist  die,  daß  E.  den  religiösen  Interessen  der  Keformatoren  ein 
rechtes  Verständnis  nicht  entgegenzubringen  vermag.  Der  Glaube  wird 
kaum  gestreift  (Hl,  6 ff.),  ja,  eine  Erörterung  des  Glaubensproblems  direkt 
abgelehnt  (81,  18),  und  für  die  Heilsgewißheit  hat  E.  gar  kein  Verständ- 
nis. Einer  der  Gründe,  weswegen  er  die  Willensfreiheit  behauptet,  lautet : 
ut  excludatur  securitas  (90,  28  f.).  —  An  anderen  Stellen  zeigt  E.  wieder 
etwas  mehr  Verständnis  für  Luthers  Position:  er  ist  sich  darüber  im 
klaren,  daß  Luthers  Lehre  vom  unfreien  Willen  durch  das  falsche  Ver- 
trauen auf  die  Werke  veranlaßt  worden  sei  (88,  26 ff.),  und  er  spricht 
diesem  Motiv  die  Berechtigung  auch  nicht  ab.  Allein,  wenn  E.  seiner- 
seits diese  Schwierigkeit  vermieden  zu  haben  meint,  so  zeigt  sich,  wie 
wenig  tief  er  das  Problem  erfaßt  hat.  Er  meint,  zweierlei  müßte  jedes 
Selbstvertrauen  auf  die  Werke  ausschließen:  l.  Die  Beflexion  darauf, 
daß  der  freie  Wille  seine  Fähigkeiten  zum  Guten  von  Gott  habe  (83, 
9 ff.).  Allein  daraus,  daß  Gott  dem  freien  Willen  die  Möglichkeit  zum 
Guten  gegeben  hat,  folgt  noch  längst  nicht,  daß  die  Wirklichkeit  des 
Guten  auf  Gott  zurückgeführt  werden  darf.  Mit  demselben  Becht  könnte 
man  die  Sünde  auf  Gott  zurückführen,  da  die  Möglichkeit  dazu  desgleichen 
von  Gott  stammt.  2.  Aller  Hochmut  werde  dadurch  ausgeschlossen,  daß 
das  Tun  des  Menschen  im  Vergleich  zum  Tun  Gh)ttes  bei  der  Beschaffung 


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—  xxxm  — 

des  Heiles  sehr  gering  (perpasiUnin)  sei  (83,  7 ff.).  Allein  das,  was  E. 
perpasillum  nennt,  ist  tatsächlich  nicht  etwas  Geringes.  Denn  sehen  wir 
anch  Ton  seinen  Ansfühnmgen  über  die  Sittlichkeit  der  Philosophen  ab, 
so  ist  die  Zuwendung  zu.  GK)ttes  Gnade,  die  £.  von  dem  freien  Willen 
verlangt,  eine  Änderung  der  Gesinnung,  mithin  gerade  das,  worauf  es 
in  erster  Linie  ankommt.  Die  Theorie  des  E.  ist  somit  nicht  geeignet, 
die  arrogantia  auszuschließen.  Am  bedenklichsten  ist  der  Satz  des  E.: 
Non  enim  vult  deus,  ut  homo  sibi  quicquam  tribuat,  etiamsi  quid  esset, 
quod  merito  posset  sibi  tribuere  (72,  22 f.).  Damit  wird  verlangt,  daß 
der  Mensch  sich  als  unfähig  zum  Guten  beurteile,  ohne  daß  er  es  tat- 
sächlich wäre.  Das  Urteil  des  E.  über  Luther  läuft  somit  schließlich  auf 
die  unklare  Formel  hinaus,  daß  der  religiöse  Determinismus  zwar  als  Mafi- 
stab der  Selbstbeurteilung,  eventuell  auch  als  Mittel  bei  der  Tröstung  des 
Schftchtemen  und  bei  der  Zurechtweisung  des  Hochmütigen  (89,  27  ff.) 
brauchbar  sei,  nicht  aber  als  dogmatische  Theorie  (89,  25 ff.;  90,  4 ff.). 


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In  nomine  lesm^) 

De  libero  arbitrio  dtmQißri  siye  collatio^)  per 
Oesiderinm  Erasmnm  Boterodamum.') 

lal.  Inter  difficultates,  quae  non  paucae  occommt  in 
divinis  literis,  vix  ullus  labyrinthos  inexplicabilior  quam  de  6 
libero  arbitrio.  Nam  haec  materia  iam  olim  philosophorom,^) 
deinde  theologomm  etiam,  tum  vetemm,  tum  recentium  ingenia 
mimm  in  modnm  exercuit,  sed  maiore,  sicut  opinor,  negotio 
quam  frnctn.  Nuper  antem  renovata  est  per  Carolstadiom  et 
Eccium,*)  sed  moderatiore  conflictatione;  mox  autem  vehementius  lo 
exagitata  per  Martinom  Lutherum,  coins  exstat  de  libero 
arbitrio  assertio.^    Coi  tametsi  iam  non  ab  uno  responsnm 

*)  B:  In  —  Jesu  fehlt. 

*)  JuxT^tß^  =  wissenschaftliche  Unterredung;  coUatio  wird  von  Alt- 
dorff  Obersetzt:  „tznsammenhaltong  etlicher  Spruche^.  Es  k()nnte  in  der 
Tat  scheinen,  als  sei  zn  coUatio  (=  Vergleichong)  etwa  scriptoranun  zu 
ergänzen;  vgl.  p.  18,80  n.  77,3.    Besser  jedoch:  coUatio  =  Unterredung. 

*)  B:  Desiderii  Erasmi  Boterodami. 

^)  Gemeint  sind  die  Streitigkeiten  der  deterministisch  denkenden 
Stoiker  mit  den  die  Willensfreiheit  behauptenden  Epikuräem,  Akademikern 
and  Peripatetikem. 

')  Vgl.  den  bekannten,  in  der  Leipziger  Disputation  gipfelnden  Streit 
zwischen  Eck  und  Earlstadt 

^  E.  nennt  die  Schrift  Luthers:  Assertio  omnium  articulorum 
M.  Lutheri  per  bnllam  Leonis  X  novissimam  damnatorum  (Wittenberg 
1520,  W.  A.  Vn  p.  91  ff.),  anderwärts:  assertiones  (vgl.  p.  46,  ö).  Das  war 
mOgUch,  denn  Luther  hat  in  seiner  Schrift  seine  41  vom  Papst  verdammten 
Sfttze  in  ebenso  vielen  Abschnitten  aufs  neue  behauptet  und  begründet 
Walter,  De  libero  arbitrio.  1 


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—    2    — 

est,^)  tarnen,  quando  ita  visum  est  amicis,^  experiar  et  ipse, 
nnm  ex  nostra  qnoque  conflictatinncnla  veritas  reddi  possit 
dilucidior. 

I  a  2.   Hie  seio  qnosdam  protinus  obtnratis  anribos  recla- 

5  maturos:  *'^v(o  jtotafi&vl^     £rasinus  aadet    cum    Lnthero 

^    congredi,  hoc  est  cum  elephanto  musca?    Ad  qnos  placandos, 

si  tantülum  silentii  licebit  impetrare,  nihil  alind  praefabor  in 

praesentia  qnam  id,  qnod  res  est,  me  nnmqnam  inrasse  in 

yerba  Lntheri.     Proinde   nemini   yideri   debebat   indignnm, 

10  sicnbi  palam  dissentirem  ab  iUo,  nimimm,  nt  nihil  alind/) 

homo  ab  homine;*)  tantnm  abest,  nt  nefas  sit  de  illins  aliqno 

dogmate  ambigere,  mnlto  minns,  si  qnis  veritatis  eliciendae 

stndio  moderata  dispntatione  cnm  illo  congrediatnr.     Gerte 

Lnthemm  ipsnm  non  arbitror  indigne  latnmm,  sicnbi  qnis  ab 

15  ipso  dissentiat,  cnm  ipse  sibi  permittat  non  solnm  ab  omninm 

ecclesiae  doctomm,  vemm  etiam  ab  omninm  gymnasiornm, 

I       concUiomm,  pontiflcnm  decretis  appellare;^)  qnod  cnm  ipse 


Ähnlich  konnte  er  anch  hier  von  einer  assertio  de  libero  arbitrio  reden, 
denn  Lnther  hat  im  36.  Abschnitt  seiner  Schrift  vom  freien  WiUen  ge- 
handelt (W.  A.  1.  c.  p.  142 ff.;  vgl.  auch  Abschn.  31  u.  32,  p.  136«.). 

^)  E.  hat  hierbei  vor  allem  die  Schrift  des  John  Fisher,  Bischof  v. 
Bochester :  Confatatio  assertionis  Lntheranae  (1523)  im  Auge ;  ygl.  Hyperasp. 
n  p.  528.  Anch  Cochläns  hat  gegen  die  Assertio  geschrieben,  sich  hierbei 
jedoch  lediglich  anf  die  Sakramentslehre  beschränkt. 

")  Vgl.  Hyperasp.  I,  a  4  yf :  Ego  tot  emditis,  tot  ecclesiae  prooeribns, 
tot  orbis  monarchis  efflagitantibns,  qoibnsdam  etiam  cnm  minis  ezigentibas, 
nt  snmmis  eloqnentiae  viribus  in  te  detonarem  etc.  Die  Worte  enthalten 
keine  Übertreibung;  vgl.  Einl.  §  1. 

•)  Vg^.  z.  B.  Ludan,  psx^.  SmL  6,  2  (Bibl.  Teubner.  58,  1,  p.  148), 
von  ärto  TMTaftOv  qbXv  =  stromaufwärts  fließen.  Der  Sinn  läßt  sich  etwa 
wiedergeben  durch  die  Wendung:  „Der  Lauf  der  Welt  ändert  sich!*' 

*)  Erg.  etwa:  proferam,  dicam.  Vgl  denselben  Ausdruck  Erasm.  ep. 
ad  Volrium,  opp.  III,  1,  coL  838  D. 

*)  Edd.:  homine,  tantum. 

^  Luthers  offizieUe  AppeUationen  vom  28.  Nov.  1518  und  vom  17.  Nov. 
1520  waren  AppeUationen  vom  Papst  ans  Konzil  Wenn  £.  gleichwohl  von 
ab  omninm  conciliomm . . .  decretis  redet,  so  hatte  er  dazu  ein  sachliches 


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-    3    — 

palam  et  ingmue  profiteatnr,  mihi  non  debet  apud  illius 
amices  esse  frandi,  si  repeto.^) 

I  a  3.  Proinde,  ne  qnis  banc  pugnam  interpretetnr,  qaalis 
solet  esse  inter  commissos  gladiatores,  *)  com  onico  illius 
dogmate  conflictabor,  non  in  alind,  nisi  ut,  si  flei^i  qneat,  hac  6 
collisione  scriptnranun  et  argnmentorom  fiat  eyidentior  veritas, 
cains  indagatio  semper  fait\bonestissimalstndio8is.  Res  sine 
conviciis  agetur,  siye  qnia  sie  magis  decet  Christianos,  siye  j 
qnia  sie  eertias  inyenitnr  veritas,  qnae  saepennmero  niminm 
altercando  amittitor.  10 

I  a  4.  Eqnidem  non  ignorabam,  quam  non  essem  ad  banc 
appositns  palaestram:  certe  yix  alins  quisquam  minus  exer- 
citatus,  ut  qui  semper  arcano  quodam  naturae  sensu  abborruerim 
a  pugnis,  eoque  semper  babui  prius  in  liberioribus  Musarum 
campis  ludere,  quam  ferro  comminus  congredi.  Et  adeo  non  16 
delector  assertionibus,')  ut  facile  in  Scepticorum  sententiam 
pedibus  discessurus  sim,  ubicumque  per  diyinarum  scripturarum 
inyiolabilem  auetoritatem  et  ecclesiae  decreta  liceat,  quibus 
meum  sensum  ubique  libens  submitto,  siye  assequor,  quod 
praescribit,  siye  non  assequor.^)    Atque  hoc  ingojiium  mihi  K) 


Recht,  da  Luther  auf  dem  Wonnser  Beichstage  auch  die  Aatoritftt  des 
Konzils  nicht  unbedingt  anerkannt  hatte. 

^)  E.  wiederholt  selbstverständlich  nicht  die  AppeUation  vom  Papst 
resp.  Tom  Konzil,  sondern  weigert  sich  blofi,  die  unbedingte  Autorität 
Luthers  in  Glaubenssachen  anzuerkennen.  Erg. :  et  ab  iUo  dissentio  nach  ep. 
660,  opp.  m,  1  col.  762  B. 

*)  Aufeinander  gehetzte  Gladiatoren,  die  nur  stodten,  um  zu  streiten, 
und  denen  infolgedessen  jede  BlOfie,  die  der  Gegner  sich  gibt,  als  Angrilb- 
punkt  willkommen  ist  E.  hat  höhere  Ziele:  er  wiU  die  Erkenntnis  der 
y^ahrheit  fördern. 

")  Dieser  Satz  richtet  sich  gegen  den  siegesgewissen  Ton  Luthers  in 
der  Assertio,  der  schon  in  diesem  Titel  zum  Ausdruck  kommt 

^)  £.  sucht  diesen  (übrigens  keineswegs  nur  hier  behaupteten,  vgl. 
Stichart,  Er.  y.  Bott.  p.  28;  s.  auch  Hyp.  II,  p.  575)  Satz  später  zu  müdem, 
indem  er  zwischen  assequi  und  certum  scire  unterscheidet  Ersteres  be- 
deute eine  schwierige  Sache  ingenii  Tiribus  et  naturaübus  argumentis  per- 

!♦ 


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—    4    — 

malo,  quam  quo  yideo  quosdam  esse  praeditos,  ut  impotenter 
addicti  sententiae  niliil  ferant,  qaod  ab  ea  discrepet,  sed 
quicquid  legunt  in  scriptnris,  detorquent  ad  assertionem 
opinionis,  cni  se  semel  manciparonty  sicnti  iuyenes,  qoi  pnellam 
5  amant  immoderatius,  qnocnmque  se  vertunt,  imaginantnr  se 
videre,  qnod  amant;  immo,  ut,  quod  est  similius^  conferam, 
quemadmodum  inter  eos,  inter  quos  incruduit  pugna,  quicquid 
forte  ad  manum  est,  siye  cantharus  sit,  sive  discus,  in  telum 
yertitur.^}   Apud  sie  affectos,  quod  obsecro  potest  esse  sincemm 

10  iudicium?  Aut  quis  ex  huiusmodi  disputationibus  fructus,  nisi 
ut  uterque  ab  altero  consputus  discedat?  Semper  autem  emnt 
quam  plurimi  tales,  quales  describit  Petrus  apostolus,  in- 
docti  et  instabiles,  qui  depravant  scripturas  ad 
suam  ipsorum  perditionem.^ 

15  Ia5.  Itaque  quod  ad  sensum  meum  attinet,  fateor  de 
libero  arbitrio  multa  variaque  tradi  a  veteribus,  de  quibus 
nondum  habeo  certam  persuasionem,  nisi  quod  arbitror  esse 
aliquam  liberi  arbitrii  vim.  Legi  quidem  Martini  Lutheri 
assertionem,  et  integer  legi,  nisi  quod  illic  favorem  quendam 

ao  in  iUum  mihi  sumpsi,  non  aliter,  quam  cognitor ')  favere  solet 
gravato  reo.  Et  quamquam  ille  rem  omnibus  praesidiis 
magnoque  spiritu  versat  agitque,  mihi  tamen,  ut  ingenue 
fatear,  nondum  persuasit. 

Ia6.    Quod  si  quis  vel  ingenii  tarditati  vel  imperitiae 

26  velit  ascribere,  cum  hoc  non  contendam,  modo  tardioribus 
etiam  permittant  vel  discendi  gratia  congredi  cum  his,  quibus 
dei  donum  uberius  contigit,  praesertim  cum  Luthems  minimum 
tribuat  eruditioni,  plurimum  spiritui,^)qui  nonnumquam  instillat 


dpere  (Hyp.  I,  d  2  r).  Seinen  reaktionären  Charakter  verliert  dieser  Sats 
dämm  doch  nicht 

^)  Stichelei  gegen  die  manchmal  gewaltsame  Exegese  Lnthera  und 
seiner  Anhftnger. 

«)  2.  Petri  3  (16). 

*)  Cognitor  hier  wohl  im  Sinne  Ton  Untersnchnngsrichter. 

*)  Vgl.  z.  B. :  Denn  es  mag  niemant  got  noch  gottes  Wort  recht  Yor- 


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—    6    — 

qoaedam  hamilioribns,  quae  ao<poZg  illis  negat.    Haec  ad  iUos, 
qni  fortiter  clamant  Luthero  plus  esse  eraditionis  in  minimo 
digitnlo  quam  Erasmo  in  toto  corpore,^)  quod  ego  sane  nunc 
non  refellam.    Ab  istis  quamlibet  iniqnis  tarnen  illad  opinor 
impetrabo,  ut,  si  per  me  conceditnr  in  hac  dispntatione  Luthero,   6 
ne  quo  pacto  gravetur   praeiudicio    doctorum,   conciliorum, 
academiarum,    pontificum   et   caesaris,    ne    meam    causam 
deteriorem  faciat  quorundam  in  iudicando  temeritaa    Etiamsi 
yisus  sum  mihi,  quod  illic  Lutherus  tractat,  percepisse,  attamen 
fieri  potest,  u^me  mea  fallat  opinio,  eoque  disputatorem  agam,  10 
non  iudicem/  inquisitorem,  non  dogmatistenyparatus  a  quo-  J  ^ 
cumque   discere,  si  quid  afferatur  rectius   aut  compertius. 
quamquam  illud  libenter  persuaserim  mediocribus  ingenüs,  in 
huius  generis  quaestionibus  non  adeo  pertinaciter  contendere, 
quae  citius  laedant  Ghristianam  concordiam,  quam  adiuyent  16 
pietatem. 

Ia7.  Sunt  enim  in  divinis  literis  adyta  quaedam,  in 
quae  deus  noluit  nos  altius  penetrare,  et  si  penetrare  conemur, 
quo  fnerimus  altius  ingressi,  hoc  magis  ac  magis  caligamus, 
quo  vel  sie  agnosceremus  et  divinae  sapientiae  maiestatem  20 
impervestigabilem  et  humanae  mentis  imbeciUitatem ,  quem- 
admodum  de  specu  quodam  Coricio')  narrat  Pomponius 
Mela,^  qui  primum  iucunda  quadam  amoenitate  allectat  ac 
ducit  ad  se,  donec  altius  atque  altius  ingressos  tandem  horror 
quidam  ac  maiestas  numinis  illic  inhabitantis  submoveat.  Huc  26 


stehen,  er  habs  denn  on  mittel  von  dem  heyligen  geyst.  Niemant  kannsz 
aber  Ton  dem  heiligenn  geist  habenn,  er  erfaresz,  vorsachs  und  empfinds 
denn,  nnnd  yn  der  selben  erfamng  leret  der  heylig  geyst  alsz  ynn  seiner 
eygenen  schale,  außer  wilcher  wirt  nichts  geleret,  denn  nur  sehein  wort 
unnd  geschwetz.  (Das  Magniflkat  yerdeutschet  und  ausgelegt  1521,  W.  A 
VII  p.  646.) 

0  So  Erasmus  Alberus  in  seinem  ludicium  de  Spongia  Erasmi  Boterod., 
8.  Sdmorr  v.  Carolsfeld,  Erasmus  Alberus,  Dresden  1898  p.  15. 

")  Hohle  bei  der  südwestlich  von  Tarsus  gelegenen  Stadt  Corycos  in 
Ciliden. 

•)  Pomponius  Mela,  de  chorogr.  1. 1  c.  13  (Bibl.  Teubner.  153  p.  17  f.). 


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vX 


—    6    — 

igitor  ubi  yentnm  erit,  mea  sententia  coBsultias  ac  reUgiosiofi 
etiam  faerit  damare  cam  Paulo:  0  altitado  divitiaram 
sapientiae  et  scientiae  dei,  quam  incomprehen- 
sibilia   sunt   iudicia   eius  et   impervestigabiles 

6yiae  eiusl^)  et  cum  Esaia:  Quis  audiyit  spiritum 
domini  aut  quis  consiliarius  eius  fuit?^,  quam 
definire,  quod  humanae  mentis  excedit  modum.  Multa  servautur 
ei  tempori,  cum  iam  non  videbimus  per  speculum  et  in 
aenigmate,  sed  revelata  facie  domini  gloriam  contemplabimur.^) 

10  I  a  8.  Ergo  meo  quidem  iudicio,  quod  ad  liberum  arbitrium 
attinet,  quae  didicimus  e  sacris  literis :  si  in  yia  pietatis  sumus, 
ut  alacriter  proficiamus  ad  meliora  relictorum  obliti;^)  si 
peccatis  inyoluti,  ut  totis  yiribus  enitamur,  adeamus  remedium 
paenitentiae  ac  domini  misericordiam  modis  omnibus  ambiamiis, 

15  sine  qua  nee  yoluntas  humana  est  efficax  nee  conatus;  et  si 
quid  mali  est,  nobis  imputemus,  si  quid  boni,  totum  ascribamus 
diyinae  benignitati,  cui  debemus  et  hoc  ipsum,  quod  sumus; 
ceterum,  quicquid  nobis  accidit  in  hac  yita  siye  laetum  siye 
triste,  ad  nostram  salutem  ab  illo  credamus  immitti  nee  ulli 

80  posse  fieri  iniuriam  a  deo  natura  iusto,  etiamsi  qua  nobis 
yidentur  accidere  indignis,  nemini  desperandum  esse  yeniam 
a  deo  natura  clementissimo:  haec,^)  inquam,  teuere  meo  iudicio 
satis  erat  ad  Christianam  pietatem  nee  erat  irreligioBa 
curiositate   irrumpendum  ad  illa  retrusa,   ne  dicam  sup^- 


')  Kom.  11  (33).    H  fehlt:  11. 

*)  Es.  40  (13).    H  fehlt:  40. 

•)  (Vgl  1.  Cor.  18,  12.)  *)  (Vgl  PhiL  2,  13.) 

')  Bas  haec  nimmt  das  quae  (Zeile  11)  wieder  anf,  dessen  Inhalt  in 
den  dazwischen  liegenden  Sätzen  dargelegt  wnrde,  wobei  £.  ttbrigens  ans 
der  Konstruktion  gefaUen  ist.  —  Diese  formnla  Christianae  mentis,  die 
nicht  so  schlicht  ist,  als  es  scheinen  möchte,  zumal  sie  die  skotistbehe 
Qnadenlehre  enthält  (s.  EinL  §  4),  ist  laut  Hyp.  I,  d  7r  blofi  fOr  die  idiotae 
berechnet,  nicht  für  die  Theologen.  Die  SteUe  zeigt,  wie  das  to&  E. 
empfohlene  „Laienchristentum*'  zu  beurteilen  ist  Das  was  j^iseits  der 
formnla  Christianae  mentis  liegt,  lehnt  £.  nicht  etwa  an  sich  ab,  sondern 
er  hält  eine  Behandlung  desselben  vor  und  von  Laien  für  nnnOtig. 


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—    7    — 

vaeanefty  an  dens  contingenter  praesciat  aliqnid,^)  atnun  nostra  ^ 
yolüntas  aliquid  agat  in  his,  quae  pertinent  ad  aeternam 
salatem^  an  tantnm  patiatnr  ab  agente  gratia,  ui  qnicqnid 
facimns  sive  boni  sive  mali,  mera  necessitate  faeiamus  vel 
patiamnr  potios.  5 

I  a  9.  Sunt  qaaedam,  quae  dens  omnino  volnit  nobis  esse 
ignota,  sicnt  diem  mortis  et  diem  extremi  indicii:  Non  est 
vestrnm  nosse  tempora  vel  momenta,  qnae  pater 
posnit  in  sna  potestate,  Actonun  1  (7),  etMarci  13  (32): 
De  die  antem  illa  vel  hora  nemo  seit,  neqneio 
angeli  in  caelo  neqne  filins,  nisi  pater.  Qnaedam 
volnit  nos  ^  scmtari  sie,  nt  ipsnm  in  mystico  silentio  yeneremnr. 
Proinde  mnlta  snnt  loca  in  diidinis  yolnminibns,  in  qnibns 
cnm  mnlti  divinarint,  nnllus  tamen  ambignitatem  plane  resecnit, 
velnt  de  distinctione  personanun,^  de  conglntinatione  natnrae  16 
divinaeethnmanae  in  Christo,  de  peccato  nnmqnam  remittendo>) 
Qnaedam  volnit  nobis  esse  notissima,  qnod  genns  snnt  bene 
vivendi  praecepta.  Videlicet:  Hie  est  sermo  dei,  qni  neqne 
petendns  est  e  snblimi  conscenso  caelo  neqne  e  longinqno 
importandns  transmisso  mari,  sed  prope  adest  in  ore  nostro  20 
et  in  corde  nostro.^)    Haec  omnibns  ediscenda  snnt,  cetera 

^)  £.  denkt  im  Anschlai}  an  Aristoteles  beim  kontingenten  Qeschehen 
nicht  nur  an  das  Geschehen,  bei  dem  der  casus  nnd  die  fortona  mit  im 
Spiele  sind:  Atqui  haec  vox  (sc.  contingens)  longe  alind  declarat  Aristoteli, 
qni  distingnit  contingens,  fortonam  et  casum;  contingens  enim  opponit 
necessario,  fortnnam  tribuit  rebus  animatis,  casum  inanimatis.  Contingenter 
igitur  facimns  non  täntum,  quod  casu  et  imprudenter  fadmus,  verum  illud 
quoque,  quod  scientes  ac  volentes  fadmus,  sed  quod  in  nostro  arbitrio  erat 
non  facere.  Hyp.  I,  f  8  v.  Die  Frage,  ob  Gott  etwas  contingenter  yoraus- 
weifi,  bezieht  sich  darauf,  ob  Gott  Handlungen  voraussieht,  die  mit  Über- 
legung und  nach  freier  WiUensentschließung  geschehen. 

*)  A:  nos  volnit. 

*)  Das  trinitarische  Problem. 

«)  (Vgl  Mark.  3,  29.)  Im  Hyp.  I,d4r  beruft  sich  £.  auf  Augustin, 
der  diese  Schwierigkeit  nach  Möglichkeit  meidet  und  sein  Urteil  bescheiden 
ausspricht    Vgl.  Sermo  71,  §§  8  u.  38  MsL  38,  col.  449,  466. 

»)  Deut.  30  (11—14);  ad  Bom.  10  (d-S);  freies  Zitat. 


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^ 


~    8    — 

rectins  deo  committuntor  et  religiosius  adorantnr  incognita, 
goam  discntiuntiir  impervestigabilia.^)  Quot  examina  quae- 
stionom  vel  contentionom  potius  nobis  peperit  personsyrom 
distinctdo,')  ratio  principii,*)   distinctio  natiyitatis  et  pro- 

5  cessionis?^)  Qaas  tnrbas  concitavit  in  orbe  digladiatio  de 
eonceptione  ^£OT($xot;  yirginis?'^)  Qnaeso,  quid  bactenus  bis 
operosis  quaestionibns  profectnm  est,  nisi  quod  magno  con- 
cordiae  dispendio  minns  amamns,  dorn  plus  satis  yolumns 
Hapere?  lam  sunt  qnaedam  eins  generis,  nt  etiamsi  vera  essent 

10  et  sciri  possent,  non  expediret  tarnen  ea  prostituere  promiscois 
axuribns  •).  Fortasse  verum  est,  quod  solent  garrire  sopbistae, 
deum  secundum  naturam  suam  non  minus  esse  in  antro  sca- 
rabei,  ne  quid  dicam  obscoenius,  quod  istos  tamen  non  pudet 
dicere,^)  quam  in  caelo;  et  tamen  hoc  inütiliter  disputaretur 

15  apud  multitudinem.  Et  tres  esse  deos,  ut  vere  dici  possit 
iuxta  rationem  dialectices,  ^  certe  apud  multitudinem  imperitam 
magno  cum  oflendiculo  diceretur.   Si  mihi  constaret,  quod  secus 


^)  Mit  diesem  Grundsatz  kann  sich  £.  nicht  in  Gegensatz  zu  den 
Eefonnatoren  steUen,  da  auch  diese  eine  Beschränkung  des  scholastischen 
Stoffes  verlangten.  Freilich  wird  der  Umkreis  der  impervestigahilia  yon  £. 
anders  gezogen  als  von  Luther  und  Melanchthon. 

*)  8.  p.  7  Anm.  3. 

')  Vgl.  Hyp.  I,  d  4  y :  quaerimus ...  an  spiritus  sanctus,  cum  procedat 
ah  utroque,  ah  uno  prindpio  procedat  an  a  duohus.    Batio  =  die  Weise. 

^)  Die  Frage  nach  dem  Unterschied  der  Entstehung  von  Sohn 
und  Geist. 

*)  Der  bekannte  Streit  zwischen  Dominikanern  und  Franziskanern  um 
die  unbefleckte  Empföngnis  der  Maria. 

^  Vgl  Hyp.  I,  g  5  Y :  Et  in  bis  pono  multa ,  quae  tu  nunc  lingua 
(Germanica  prodis  idiotis,  veluti  de  libertate  evangelica,  quae  suo  loco 
sobrieque  praedicata  fructu  non  carent:  sie  praedicata,  quid  fructus  attule- 
lint,  yides. 

^  Vgl.  Hyp.  I,  g  4  T :  Veluti  cum  quidam  sophistae  sie  nugantur  : 
deus  est  ubique;  hoc  concesso  inferunt:  ergo  est  ibi,  et  nominant  locnm, 
quem  ego  prae  verecundia  non  ausus  sum  nominare,  et  pono  antrum  sca- 
rabei,  tu  suspicaris  de  doaca  etc.    Die  sophistae  sind  die  Scholastiker. 

')  So  Eeter  d^AiUi,  quaest  sup.  libr.  sententiarum,  lib.  I  qu.  5  H. 


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—    9    — 

habet,  banc  confessionem ,  qua  nunc  atimnr,^)  nee  foisse  in- 
stitutam  a  Cbristo  nee  ab  hominibus  potnisse  institoi  et  ob 
hoc  non  exigendam  a  qnoqaam,  item  non  reqniri  satisfactionem 
pro  commissis,  vererer  tarnen  eam  opinionem  publicare,  quod 
videam  plerosque  mortales  mire  propensos  ad  flagitia^  qnos  5 
nunc  ntcumque  cohibet  ant  certe  moderatnr  confltendi  ne- 
cessitas.   Sunt  quidam  corporum  morbi,  qui  minore  malo  tele-  ^ 
rantur,  quam  toUuntur,  yeluti  si  quis  in  calido  sanguine  tm- 
cidatorum  infantum  lavet,  ut  lepra  careat.^    Ita  sunt  quidam 
errores,  quos  minore  pernicie   dissimules,    quam  convellas.  10 
Paulus  novit  discrimen  inter  ea,    quae  licent,  et  ea,  quae 
expediunt.    Licet  verum   dicere,  verum  non   expedit  apud 
quoslibet  nee  quovis  tempore  nee  quovis  modo.')    Si  mihi 
constaret  in  synodo  quippiam  perperam  fuisse  constitutum 
aut  definitum,  Uceret  quidem  verum  proflteri,  at  non  expediret,  16 
ne  malis  praeberetur  ansa  contemnendi  patrum  auctoritatem 
etiam  in  bis,  quae  pie  sancteque  statuissent,  mallemque  dicere 
sie  Ulis  tum  pro  ratione  temporum  probabiliter  visum  fuisse, 
quod  tamen  praesens  utilitas  suadeat  abrogari.^) 

I  a  10.    Fingamus  igitur  in  aliquo  sensu  verum  esse,  quod  20 
docuit  Vuyclevus,*)  Lutherus  asseruit,  quicquid  fit  a  nobis,  non  ^ 


*)  Anspielung  auf  Luthers  Kritik  am  Baßsakrament,  wie  sie  sich  n.  a. 
auch  in  der  Assertio  findet  (W.A.  Vn,  p.  112  ff.). 

*)  Vgl.  zu  diesem  Aherglauhen  z.  B.  den  „Aräien  Heinrich*'  Hart- 
manns von  Aue. 

*)  Erasmische  Umbiegung  des  paulinischen  Gedankens  1.  Cor.  6,  12. 

^  Anspielung  auf  Luthers  Kritik  der  Konzilien  (z.  B.  Assertio 
p.  134f.). 

*)  Ob  E.  Wiklifs  Lehre  aus  anderen  Quellen  kennt,  als  aus  Luthers 
Assertio  (p.  146),  mag  dahingestellt  bleiben.  Wenn  das  Constanzer  Konzil 
den  Satz  Wiklifs:  Omnia  de  necessitate  absoluta  eveniunt  (Mansi,  coU. 
conc.  XXVII  col.  688)  verurteilt,  so  hat  Wiklif  aUerdings  gelehrt,  quod 
omnia,  qnae  evenient,  sit  necessarium  evenire  (de  dominio  divino  I  cap. 
XrV  ed.  Wydif  Society  p.  llö),  aber  er  hat  es  ausdrücklich  abgelehnt,  daß 
Qott  jemanden  zum  Sündigen  nötige  (ib.  p.  117).  Vgl.  Lechler,  John 
Wiclif  I  p.  605«. 


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—    10    — 

libero  arbitrio,  sed  mera  neeessitate  fieri,  quid  inatilinSi  quam 
hoc  Paradoxon  eyolgari  muDdo?  Bursom  fingamos  esse  yerom 
iuxta  sensTun  aliquem,  quod  alicabi  scribit  Aogustinas,  deum 
et  bona  et  mala  operari  in  nobis  et  sna  bona  opera  remnne- 

5  rari  in  nobis  et  sna  mala  opera  ponire  in  nobis.  ^)  Qaantam 
fenestram  haec  yulgo  prodita  vox  innnmeris  mortalibus  apmret 
ad  impietatem,  praesertim  in  tanta  mortalinm  tarditate,  so- 
cordia,  malitia  et  ad  omne  impietatis  genns  irrevocabUi  pro- 
nitate?     Qois  infirmas  snstinebit  peipetnam  ac  laboriosam 

10  pngnam  adversos  camem  snam?  Qois  malus  stndebit  corrigere 
yitam  snam?  Qnis  indncere  poterit  animnm,^)  nt  deam  illnm 
amet  ex  toto  corde,  qni  tartamm  fecerit  aetemis  cmdatibns 
feryentem,  nt  illic  sna  malefacta  pnniat  in  miseris,  qnasi 
snppliciis  hominnm  delectetnr?     Sic  enim  inteipretabnntnr 

15  pleriqne.    Sunt  enim  forme  mortalinm  ingenia  crassa  et  car- 

^  nalia,  prona  ad  incrednlitatem,  procliyia  ad  scelera^  propensa 

ad  blaspbemiam^  nt  non  sit  opus  oleum  addere  Camino^). 

I  a  11.    Itaque  Paulus  tamquam  prudens  dispensator  ser- 
monis  divini  frequenter  adhibita  in  consilium  caritate  mavult 


1)  Die  nngenaae  Form  des  Angusünzitates  erschwert  seine  Veri- 
fisdenmg.  Sollte  £.  an  einzelne  Stellen  aus  dem  „psendoaugastinischen*' 
Traktat  denken,  dessen  Widerlegung  der  liber  praedestinatns  sich  Eum 
Ziele  gesetzt  hat?  Hier  findet  sich  n.  a.  das  Wort:  . . .  nobis  ut  quid  im- 
pingitis  crimen  ob  hoc,  quod  dicimns  praedestinasse  deum  homines  sive  ad  iusti- 
tiam  sive  ad  peccatum?  (Msl.  53,  col.  623  A.).  Im  übrigen  behauptet  Augustin 
zwar  Gottes  Mitwirkung  bei  der  VoUbringung  des  Bösen  (vgl.  z.  B.  de  praed. 
sanct.  33,  Msl.  44,  col.  984:  . . .  ut  autem  peccando  hoc  yel  hoc  iUa  malitia 
faciant,  non  est  in  eorum  potestate,  sed  dei  dividentis  tenebras  et  ordi- 
nantis  eas;  oder  de  grat.  et  lib.  arb.  43,  Msl.  44,  col.  909:  His. . .  testimo- 
niis...  manifestatur,  operari  deum  in  cordibus  hominum  ad  indinandas 
eorum  voluntates  quocumque  yoluerit,  sive  ad  bona  pro  sua  miserioordia, 
sive  ad  mahi  pro  meritis  eorum),  allein  stets  trägt  nach  Augusttn  der 
Mensch  selbst  die  Verantwortung  für  seine  Sttnde.  Vgl.  auch:  ...  non 
deus  coronat  merita  tua  tamquam  merita  tua,  sed  tamquam  dona  sna,  ib. 
15,  MfiL  44,  col.  891. 

*)  Inducere  animum  =  sich  überwinden. 

«)  Vgl.  Horat.  serm.  lib.  II,  3,  321  ed.  Teubn.  128,  p.  229. 


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—  11  — 

id  sequi,  quod  expedit  proximo,  qnam  quod  ex  sese  licet,  ^) 
et  hal>et  sapientiam,  quam  loqnitor  inter  perfectos,  inter  in- 
firmos  nihil  iudicat  se  scire,  nisi  Jesom  Cbristom,  et  hone 
cracifixum.  ^    Habet  scriptnra  sacra  linguam  soam  semet  ad 
nostrnm  sensom  attemperans.   niic  enim  irascitor  deos,  dolet,   6 
indignatur,  forit,  comminatnr,  odit,  rursns  miserescit,  paenitet, 
mutat  sententiam,  non  quod  hmusmodi  mutationes  cadant  in 
naturam  dei,  sed  quod  sie  loqui  conyeniebat  infinnitati  tardi- 
tatique  nostrae.    Eadem  prudentia  decet  illos   opinor,    qui 
dispensandi  sermonis  divini  partes  susceperunt    Quaedam  ob  lO 
hoc  ipsum  noxia  sunt,  quod  apta  non  sint,  quemadmodum 
vinum  febricitantL    Proinde  tales  materias  fortassis  tractare 
licuerat  in  coUoquüs  eruditorum  aut  etiam  in  scholis  theolo- 
gicis,  quamquam  ne  hie  quidem  expedire  putarim,  ni  sobrie  ^y 
fiat;  ceterum  hoc  genus  fabulas  agere  in  theatro  promiscuae  15 
multitudinis   mihi   yidetur  non  solum  inutile,  verum  etiam 
pemiciosum.    Malim  igitur  hoc  esse  persuasum  in  huiusmodi 
labyrinthis  non  esse  terendam  aetatem  aut  Ingenium,  quam 
Lutheri  dogma  vel  refeilere  vel  asserere.     Haec  verbosius 
praefatus  merito  videar,  nisi  pene  magis  ad  rem  pertinerent,  20 
quam  ipsa  disputatio.  *} 

Ibl.  lam  quando  Lutherus  non  recipit  auctoritatem 
uUius  scriptoris  quantumyis  approbati,  sed  tantum  audit 
scripturas  canonicas,  sanequam  libens  amplectar  hoc  laboris 
compendium.  Cum  enim  tum  apud  Graecos,  tum  apud  La-  25 
tinos  innumeri  sint,  qui  yel  ex  professo  vel  per  occasionem 
tractant  de  libero  arbitrio,  non  mediocris  negotii  faerit  ex 
Omnibus  coUigere,  quid  quisque  pro  libero  arbitrio  aut  contra 
liberum  arbitrium  dixerit,  et  in  explicandis  singulorum  dic- 


^)  (Vgl  1.  Cor.  6,  12.)  •)  (Vgl  1.  Cor.  2,  1-6.) 

^  Zwischen  disputatio  und  lam  findet  sich  bei  Fr.  X^  nnd  X*  ein 
kleiner  Abschnitt,  der  in  H,  A  and  B  fehlt  Lnther  teilt  die  Einleitung 
des  E.  desgleichen  in  zwei  Abschnitte,  von  denen  er  den  ersteren,  der  bis 
hierher  reicht,  als  praefatiOi  den  letzteren  als  prooemium  bezeichnet  (de 
serro  arb.  W.  A.  18,  p.  638  Z.  14  u.  18). 


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—    12    — 

tomm  sensibns  aiit  dilaendis  confirmandisve  illormn  argn- 
mentis  prolixam  ac  molestam  operam  snmere,  apud  Luthenun 
et  hnins  amicos^)  etiam  inanern,^)  praesertim  cum  illi  non 
solom  inter  sese  yarient,*)  yemm  etiam  ipsi  sibi  non  satis 

5  constent  aliqaoties.  ^) 

I  b  2.  Et  tarnen  iUud  interim  lectorem  admonitmn  TeUm, 
si  scriptnrae  divinae  testimoniis  ac  solidis  rationibns  videbirnnr^) 
cnm  Luthero  paria  facere,  nt  tum  deniqne  sibi  ponat  ob  oculos 
tarn  nnmerosam  seriem  ernditissimorom  Tirorom,^  qao6  in 

10  hnnc  nsqne  diem  tot  saecnlomm  consensns  approbayit,  quomm 
plerosqne  praeter  admirabilem  sacrarnm  literamm  peritiam 
yitae  quoqae  pietas  commendat;  quidam  etiam  doctrinae  Christi, 
quam  scriptis  defenderant,  sanguine  sno  testimoninm  reddi- 
demnt,  quales  sunt  apud  Graecos  Origenes,  Basilius,  Oiry- 

16  sostomus,  Cyrillus,  Joannes  Damascenos,  Theophylactus;') 
apud  Latinos  Tertullianus,  Cyprianus,   Amobins,  HUarius, 


V 


^)  Bei  den  amici  Luthers  denkt  £.  vor  allem  an  Karlstadt  (ygL  a, 
p.  31  und  anderwärts),  yielleicht  auch  an  Melanchthon,  auf  den  er  des- 
gleichen gelegentlich  Bezug  nimmt  (s.  u.  p.  64  Anm.  1). 

')  Gedankengang:  Eine  solche  dogmatisch-historische  Kleinarbeit  wäre 
überflüssig,  nicht  nur  weil  Luther  und  die  Seinigen  jede  in  katholischen 
Kreisen  geltende  Autorität  ablehnen,  sondern  auch  weü  ihre  Unklarheit 
sie  die  feinen  dogmatischen  Unterschiede  nicht  verstehen  lassen  würde. 

*)  £.  meint  hier  den  angeblichen  Unterschied  zwischen  der  Lehre 
Karlstadts  und  Luthers,  von  denen  der  erstere  die  Freiheit  des  WiUens 
wenigstens  beim  Sündigen  festhalte,  während  der  letztere  sie  überhaupt 
leugne  (vgl.  u.  p.  31;  auch  Hyp.  n  p.  12:  altera  est  Carolstadä  ...  nee 
tarnen  is  simplidter  negat  esse  liberum  arbitrium.  Altera  est  Lutheri  . . . 
nullum  prorsus  esse  liberum  arbitrium). 

^)  Anspielung  auf  den  vermeintlichen  Selbstwiderspruch  Luthers  in 
der  Assertio  36.  Zu  Anfang  hatte  Luther  im  Anschluß  an  Augnstin  die 
Freiheit  des  Willens  beim  Sündigen  behauptet  (W.  A.  7,  p.  142  Z.  28),  im 
weiteren  Verlauf  der  Erörterung  dieselbe  völlig  ausgeschaltet  (p.  146 
Z.  5  f.).  Daher  die  häufige  Betonung  des  Selbstwiderspruches  bei  Luther 
(Hyp.  I,  1 1  V,  s  6  r;  Hyp.  II  p.  12,  414,  417;  die  beiden  letzteren  Steflen 
sind  besonders  deutlich). 

»)  A:  videbitur.  «)  Vgl.  p.  91. 

^  Theophylakt  von  Achrida  (11.  Jahrb.). 


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—    13    — 

AmbrosiuSy  Hieronymns,  Augastinns,  ne  recenseam  interim 
Thomas,  Scotos,  Dnrandos,  Capreolos,  Gabrieles,  Aegidios, 
GregorioSy  Alexandros,^)  quornm  in  argamentando  vim  et  ar- 
gutiam  non  arbitror  cniqaam  esse  prorsus  contemnendam. 
utque  interim  semoveam  tot  academiarom,  conciliornm  ac   5 
sommomm  pontiflcom  anctoritatem.  A  temporibns  apostolorom 
ad  hunc  nsque  diem  nullus  adhac  scriptor  exstitit,  qui  in  ^ 
totnm  toUeret  vim  liberi  arbitrii,  praeter  nnom  Manichaenm  *) 
et  Joannem  Vuyclevnm.    Nam  Laurentii  Vallae,  *)  qni  pro- 
pemodum  videtur  cnm  bis  sentire,   auctoritas  non  mnltum  10 
habet  apud  theologos  ponderis.    Manichaei  vero  dogma,  com 
iam^)  olim  magno  totins  orbis  consensu  explosom  sit  et  exsibi- 
latnm,  tarnen  band  scio,  an  minus  inutile  sit  ad  pietatem 
quam  Yayclevi.    Hie  enim  bona  malaqae  opera  refert  ad  duas 
in  homine  natnras,  sie  tamen,  nt  opera  bona  debeamus  deo  15 
propter  conditionem,  et  interim  adversos  potestatem  tenebramm 
relinqnit  ^)  cansas  implorandi  opem  conditoris,  qua  provecti,  ^ 
leyins  peccamns  et  facilius  operamur  bonnm.  "^     Vuyclevus 
antem  omnia  referens  ad  meram  necessitatem,  quid  relinquit 


^)  In  der  Aaswahl  und  Aufeinanderfolge  der  genannten  Scholastiker 
ist  ein  ordnendes  Prinzip  nicht  zu  erkennen.  Dorandos  von  Sto  Porciano 
f  1334  war  ein  selbständiger,  dem  Okkam  nahestehender,  wenn  anch  nicht 
von  ihm  beeinflnßter  Theologe;  Johannes  Capreolns  f  1444  war  Thomist, 
Gabriel  Biel  f  1495  Okkamist,  Ägidins  von  Colonna  f  1816  Thomist; 
Gregor  von  Bimini  f  1358  war  neben  Okkam  ein  Vertreter  des  Nominalis- 
mns  (wenn  £.  sich  aof  ihn  als  anf  einen  Verfechter  der  Luthers  Theologie 
entgegengesetzten  Tendenzen  beruft,  so  kann  er  das  zwar  mit  einem  ge- 
wissen Schein  tun  [yg].  Denifle,  Lutiier  und  Luthertum,  Bd.  I  Mainz  1904, 
p.  642f.,  570  Anm.  1,  573  Anm.  4  und  Loofs  DG.^  p.  615  Anm.  3  zum 
Sehlufi];  tatsächlich  war  Gregor  Augustinianer  und  ist  als  solcher  Ton  Luther 
hochgeschätzt  worden,  vgl.  Stange,  TheoL  Aufs.  p.  101  ff.).  Alexander  von 
Haies  f  1245  war  der  Begründer  der  mit  aristotelischen  Methoden  arbeiten- 
den Scholastik. 

»)  S.u. 

^  L.  VaUa,  de  übertäte  arbitrii  dialogus,  opp.  ed.  Basel  1545  p.  999  ff. 

*)  X«:  tam.  »)  A:  reliquit.  •)  X«:  profectL 

^  Vgl.  Augustin:  de  haeres.  46  (Msl.  42,  coL  38),  contra  Fortunatum 


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—    14    — 

Tel  precibus  nostris  vel  conatni?  Igitiir,  nt  ad  id,  qnod  insti- 
tneram,  reyertar:  8i  lector  yiderit  meae  dispntationis  i^pa- 
ratum  ex  aeqno  pagnare  com  parte  diyersa,  tmn  illnd  secimi 
expendat,  ntmm  plus  tribnendom  esse  iadicet  tot  eraditoram, 

5  tot  orthodoxomm,  tot  sanctoram,  tot  martyram,  tot  yetemm 
ac  recentium  theologomm,  tot  academiamm,  tot  concilionm^ 
tot  episcopornm  et  summoram  pontificam  praeiadiciis  aa 
nnius  ant  alterius  priyato  iudicio. 

Ib3.    Non  qnod,  nt  fit  in  bnmanis  consessibns,  ex  nn- 

10  mero  snffragiomm  ant  ex  dignitate  dicentinm  metiar  senten- 
tiam.  Scio  freqnenter  nsn  yenire,  nt  maior  pars  yincat  me- 
Uorem,  scio  non  semper  esse  optima,  qnae  plnrimis  probantnr, 
scio  nnmqnam  defntnrnm  in  indagatione  yeri,  qnod  snperiorom 
adiciatnr  indnstriae.  Fateor  par  esse,  nt  sola  diyinae  scriptorae 

15  anctoritas  snperet  omnia  mortalinm  omninm  snffi*agia.  Vemm 
bic  de  scriptnris  non  est  controyersia.  ütraqne  pars  eandem 
scriptnram  amplectitnr  ac  yeneratnr.  De  sensn  scriptnrae 
pngna  est.  In  cnins  interpretatione  si  qnid  tribnitnr  ingenio 
et  emditioni,  qnid  Graecornm  ingeniis  acntins  ant  perspi- 

20  cacins?  Qnid  in  literis  sacris  exercitatins?  Nee  Latinis 
deftait  ingeninm  nee  literamm  sacramm  peritia,  qni  si  natnrae 
felicitate  cessemnt  Graecis,  certe  monnmentis  illomm  adinti 
potnemnt  Graecornm  indnstriam  aeqnare.  Qnod  si  in  hoc 
indicio  magis  spectatnr  yitae  sanctimonia  qnam  emditio,  yides, 

26  qnales  yiros  habeat  haec  pars,  qnae  statnit  libemm  arbitrinm. 
Facessat  odiosa,  qnod  ainnt  inreconsnlti,^)  comparatio  ^).  NoUm 
enim  qnosdam  istos  noyi  eyangelii  praecones  cnm  yeteribns 
Ulis  conferre. 

Ib4.    Hie  andio:  Qnid  opns  est  interprete,  nbi  dilndda 

30  est  scriptnra?  Si  tarn  dilncida  est,  cnr  tot  saecnlis  yiri  tsm 
excellentes  hie  caecntiemnt,  idqne  in  re  tanti  momenti,  nt 

17.  20  (ib.  col.  119  und  120f.),  confess.  VII,  2  (MsL  82,  coL  784);  Chry- 
sostomiui  in  Joannem  homil.  46  (Mag.  69,  col.  267  f.). 

')  X':  (qnod  ainnt  inreconnilti). 

*)  odiosa  comparatio  »=  b^^swiUige  Vergleichnng. 


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—    15    — 

isti  Yolant  videri?^)  Si  scriptnra  nihil  habet  caliginis,  quid 
opus  erat  apostolomm  temporibus  prophetia?  Hoc  erat  donnm 
si^ritns.  Sed  band  scio,  an  quemadmodum  sanationes  et  lin^ae 
cessamnt,  ita  cessarit  et  hoc  Charisma.  .  Quod  si  non  cessayit, 
qnaerendnm  est,  in  qnos  deriyatnm  sit.  Si  in  qnoslibet,  incerta  6 
erit  omnis  interpretatio.  Si  in  nnllos,  com  et  hodie  tot  obscori- 
tates  *)  torqneant  doctos,  nnlla  erit  interpretatio  certa.  Si  in 
eos,  qni  snccessenint  in  locum  apostolomm,  reclamabunt  mnltis 
iam  saecnlis  mnltos  snccedere  in  locum  apostolorum,  qui  nihil 
habent  spiritus  apostolici.  Et  tarnen  de  Ulis,  si  cetera  paria  10 
sint,*)  probabilius  praesumitur,  quod  deus  bis  infundit  spiritnm, 
quibus  tribuit  ordinem,  quemadmodum  verisimilius  credimus 
baptizato  datam  gratiam,  quam  non  baptizato. 

I  b  5.  Sed  donemus,  sicuti  re  yera  donandum  est,  fieri 
posse,  ut  unicuipiam  humili  et  idiotae  revelet  spiritus,  quod  15 
multis  eruditis  non  revelavit,  quandoquidem  hoc  nomine  Christus 
gratias  agit  patri,  quod  quae  celasset  sapientes  et  prudentes, 
hoc  est  scribas,  pharisaeos  et  philosophos,  revelasset  nj/r/oe^, 
hoc  est  simplicibus^)  et  iuxta  mundum  stultis.^)  £t  fortasse 
talis  stultus  fuit  Dominicus,  talis  Franciscus,  si  licuisset  Ulis  20 
suum  sequi  spiritum.  Sed  si  Paulus  suo  saeculo,  quo  vigebat 
donum  hoc  spiritus,  iubet  probari  spiritus,  an  ex  deo  sint,*) 
quid  oportet  fieri  hoc  saeculo  camali?    Unde  igitur  explora- 


')  D.  h.  wie  jene  (Luther  und  seine  Freunde)  woUen,  dafi  man  es  an- 
sehen soUe. 

*)  X*:  tot  ob  obscnritates. 

*)  A:  snnt  Der  Sinn  ist  folgender:  yoransg^esetzt,  dafi  die,  welche 
anfier  den  Amtsträgem  auf  den  GeistesbesitE  Ansprach  erheben,  sich  nicht 
doreh  anfierordentliche  Taten  legitimieren  können;  Tgl  p.  16 f. 

*)  (Vgl.  Matth.  11,  26.)  »)  (Vgl.  1.  Cor.  1,  27.) 

^  Der  Wortlaut  der  SteUe  findet  sich  1.  Jo.  4, 1.  Altdorfl  hat  diesen 
Fehler  bemerkt  nnd  dementsprechend  Johannes  fttr  Panlns  eingesetet  Die 
Editionen  dmcken  den  Fehler  sämtlich  ab,  so  dafi  die  Annahme  einer 
BeTidon  der  Zitate  durch  einen  Korrektor  (Tgl.  Einl.  §  2)  nicht  gat  mög- 
lich ist  Eine  sachliche  ParaUele  zn  1.  Jo.  4,  1  bei  Panlns  findet  nch 
etwa  1.  Cor.  12, 3. 


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-    16    — 

bimus  Spiritus?  Ex  ernditione?  Utrirnqne  rabini  sunt  Ex 
vita?  Utrimqxie  peccatores.  In  altera  totns  sanctorum  choms, 
qui  statuunt  liberom  arbitrium.  Veram  ainnt:  Sed  bomines 
erant.  At  ego  iam  bomines  confero  com  bominibns,  non 
6  bomines  com  deo.^)  Audio:  Quid  multitudo  facit  ad  sensum 
Spiritus?  Bespondeo:  Quid  facit  paucitas?  Audio:  Quid 
facit  mitra  ad  intellectum  scripturae  divinae?  Bespondeo: 
Quid  facit  sagum  aut  cuculla?')  Audio:  Quid  facit  cognitio 
pbilosophiae  ad  cognitionem  sacrarum  literarum?   Bespondeo: 

10  Quid  facit  inscitia?  Audio:  Quid  facit  ad  intellectum  scrip- 
turae congregata  synodus,  in  qua  fieri  potest,  ut  nuUus  babeat 
spiritum?  Bespondeo:  Quid  faciunt  conventicula  privata 
paucorum,  in  quibus  yerisimilius  est  neminem  esse,  qui  babeat 
spiritum? 

16  Ib6.  Paulus  clamat:  An  experimentum  quaeritis 
inbabitantisin  me  Cbristi?*)  Non  credebatur  apostolis, 
nisi  miracula  fidem  astruxissent  doctrinae;  nunc  quilibet  sibi 
postulat  credi,  quod  affirmet  se  habere  spiritum  evangelicum. 
Apostoli  quoniam  excutiebant  viperas,  sanabant  aegrotos,  ex- 

20  citabant  mortuos,  imposita  manu  dabant  donum  linguarnm, 


')  Ironisch ;  die  Gkgner  sollen  sich  bei  ihrem  Pochen  auf  den  Geistes- 
besitz nicht  einbilden,  sie  hätten  gSttliche  YollkommeDheit  erreicht. 

')  Da  aUe  mit  Bespondeo  eingeleiteten  Fragesätze  die  Gegner  des 
Erasmns  charakterisieren,  so  entsteht  die  Frage,  was  sagnm  (grober  um- 
wnrf)  und  cucnlla  (Kapuze),  d.  h.  die  Abzeichen  des  Mönches  in  diesem 
Zusammenhang  bedeuten  sollen.  Da  Luther  seine  Ordenstracht  bis  zum 
9.  Okt.  1524  wenigstens  in  der  Öffentlichkeit  getragen  hat,  so  liegt  die 
Annahme  einer  Anspielung  auf  Luther  nahe.  Freilich  erklärt  E.  p.  17 
Z.  7  f.  Luther  nicht  gemeint  zu  haben  (ähnlich  Hyp.  I  k  5  y,  II 429;  I  a  5  v 
sagt  £.,  er  hätte  bloß  über  Luthers  persönliche  Sittlichkeit  nichts  aussagen 
wollen).  Ein  solcher  Selbstwiderspruch  ist  bei  £.  nicht  unmöglich.  Will 
man  einen  solchen  nicht  annehmen,  so  bleibt  die  SteUe  dunkeL  An  die 
schweizerischen  Täufer  zu  denken,  die  ihre  weltflüchtige  SteUung  durch 
«ine  besondere  Tracht  zu  markieren  suchten,  geBt  deswegen  nicht  an, 
weil  sie  statt  der  cuculla  breite  Hüte  trugen  und  dementsprechend  als 
^Mönche  ohne  Kappen"  bezeichnet  wurden. 

•)  2.  Cor.  13  (8). 


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—    17    — 

ita  demum  creditum  est  et  vix  creditum  est  illis  paradoxa 
docentibTis.  Nimc  cum  ioxta  communem  opinionem  afferant 
pene  Tta^ado^öts^a,^)  nullus  illorum  adhuc  exstitit,  qui  vel 
equam  claudum  sanare  potuerit.  Atqae  ntinam  quidam  absqae 
miraculis  praestarent  sinceritatem  ac  simplicitatem  morum  5 
apostolicorum,  qui  nobis  tardiusculis  essent  miraculorum  vice! 

I  b  7.  Non  haec  proprie  dixerim  in  Lutherum,  quem  de 
facie  non  novi,  ac  scripta  hominis  legens  varie  afBcior,  verum 
in  alios  quosdam  mihi  propius  notos,')  qui,  si  quid  controversiae 
incidit  de  sensu  scripturae,  nobis  veterum  orthodoxorum  inter- 10 
pretationem  afferentibus  statim  occinunt:  Homines  erant. 
Rogantibus,  quonam  argumento  sein  possit,  quae  sit  vera 
interpretatio  scripturae,  cum  utrimque  sint  homines,  respon- 
dent:  Indicio  Spiritus.  Si  roges,  cur  illis,  quorum  aliquot 
etiam  miraculis  editis  inclaruere  mundo,  defaerit  Spiritus  potius  15 
quam  ipsis,  sie  respondent,  quasi  mille  trecentis  annis  nullum 
fuerit  evangelium  in  mundo.  Si  requiras  ab  illis  vitam  spiritu 
dignam,  respondent  se  fide  iustos  esse,  non  operibus.  Si  re- 
quiras miracula,  dicunt  iam  olim  cessasse  nee  opus  esse  iam 
in  tanta  luce  scripturarum.  Hie  si  neges  hac  in  parte  esse  20 
dilucidam  scripturam,  in  qua  tot  surami  viri  caligarint,  cir- 
culus  ad  Caput  redierit. 

Ib8.  Iam  ut  demus  eum,  qui  spiritum  habet,  certum 
esse  de  sensu  scripturae,  quomodo  mihi  constabit,  quod  ille 
sibi  sumit?  Quid  faciam,  ubi  multi  diverses  sensus  afferunt,  25 
quorum  unusquisque  se  iurat  habere  spiritum?  Ad  haec,  cum 
Spiritus  non  iisdem  suggerat  omnia,  labi  fallique  potest  alicubi 
etiam  is,  qui  habet  spiritum.  Haec  adversus  illos,  qui  tam 
facile  reiciunt  veterum  interpretationem  in  sacris  libris  ac 
suam  nobis  sie  opponunt,  velut  ex  oraculo  proditam.    Post-  ä) 

*)  Seine  Heidelberger  Thesen  hatte  Lnther  als  theologica  paradoxa 
bezeichnet  (ed.  Stange,  QneUenschr.  z.  Gesch.  d.  Prot  I  p.  52). 

*)  £.  spielt  im  folgenden  auf  eine  Unterredung  an,  die  er  laut  Hyp. 
I,  m2y  mit  einer  Ton  ihm  nicht  genannten  Persdnlichkeit  gehabt  hat. 
Vielleicht  ist  Farel  gemeint  (opp.  m,  1,  col.  882  B;  vgl.  Zickendraht  p.  25). 
Walter,  De  libero  arbitrio.  2 


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—    18    — 

remo,  ut  demus  Christi  spiritom  passaram  foisse  populum 
snnm  erraxe  in  leyioribus,  unde  non  magnopere  pendet  hominum 
Salus,  qni  credi  pbtest  illum  annis  plus  mille  trecentis  dissi- 
mulasse  errorem  ecclesiae  suae  nee  ex  tot  sanctissimis  viris 
5  dignum  habuisse  quemquam,  cui  hoc  inspiraret,  quod  isti  con- 
tendunt  esse  totius  evangelicae  doctrinae  caput? 

I  b  9.  Verum  hie,  ut  aliquando  finiam,  quid  alii  sibi  arrogent, 
ipsi  viderint;  ego  mihi  nee  doctrinam  arrogo  nee  sanctimoniam 
nee  fldo  spiritui  meo,  simpliei  tarnen  sedulitate  proferam  in 

10  medium ,  quae  movent  animum  meum.  Si  quis  doeere  eo- 
nabitur,  seiens  non  reluctabor  veritati.  Sin  civiliter  et  absque 
conviciis  eonferenti  verius  quam  disputanti  malint  maledicere, 
quis  non  desiderabit  in  eis  spiritum  eyangelieum,  quem  semper 
habent  in  ore?    Paulus  elamat:  Infirmum  in  fide  sus- 

16  eipite.^)  Et  Christus  linum^)  fumigans  non  exstinguit^)  Et 
Petrus  apostolus:  Sitis,  inquit,  semper  parati  ad  satis- 
faeiendum  omnibus  postulantibus  a  vobis  ratio- 
nem  de  ea,  quae  in  yobis  est  spe,  eum  mansuetu- 
dine  et  reverentia.*)     Quod  si  respondebunt  Erasmum 

20  velut  utrem  vetulum  non  esse  eapaeem  musti  Spiritus,*)  quod 
ipsi  propinant  orbi,  si  sibi  tantopere  fldunt,  saltem  eo  loco 
nos  habeant,  quo  Christus  habuit  Nieodemum,  apostoli  Gama- 
lielem.  Blum  lieet  erassum,  sed  diseendi  avidum  non  repulit 
dominus,  hune  suspendentem  sententiam,    donec   exitus  rel 

26  doeeret,  quo  spiritu  gereretur,  discipuli  non  sunt  aspematL 

I  b  10.    Absolvi  dimidium  huius  libri,  in  quo  si  persuadeo^ 

quod  proposui,  satius  esse  de  rebus  huiusmodi  non  eontendere 

superstitiosius,  praesertim  apud  vulgum,  nihil  opus  est  argu* 

mentatione,  ad  quam  nune  aeeingor  optans,  ut  superet  ubique 

30  veritas,  quae  fortassis  ex  coUatione  seripturarum  velut  ignis 

')  Eom.  14  (1). 

<)  Fr.  B:  Christas:  Linum.  A:  Christas  Linam.  H:  Christas;  Li- 
nam.    X':  Christas.    Linom. 

')  Esa.  42  (3).    Mat.  12  (20).  *)  1.  Petri  3  (16 f.).    X»:  2.  Pet  3. 

»)  (Vgl.  Matth.  9,  17.) 


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—    19    — 

ex  Gollisione  sUicTim  emicabit    Pk*incipio  negari  non  potest 
is  sacris  literis  plnrima  esse  loca,  quae  plane  statuere  videntur 
libemm  hominis  arbitrium,  mrsns  in  iisdem  esse  nonnolla,  qnae  u^ 
videntur  in  totom  tollere.    Constat  antem  scriptnram  secnm 
pngnare  non  posse,  cum  ab  eodem  spiritu  tota  proficiscatur.  Prins   6 
igitur  recensebimus  ea,  quae  nostra  confirmant,  mox  ea,  qnae 
ex  adverso  stare  videntur,  diluere  conabimnr.   Porro  liberum  ^ 
arbitrium  hoc  loco  sentimus  yim  humanae  voluntatis,  qua  se 
possit  homo  applicare  ad  ea,  quae  perducunt  ad  aeternam 
salutem,  aut  ab  iisdem  avertere.^)  10 

Hai,.  Ab  his,*)  qui  statuunt  liberum  arbitrium,  illud  in 
primis  proferri  solet,  quod  legitur  in  libro,  cui  titulus  Eccle- 
siasticus  sive  sapientia")  Sirach,  cap.  15  (14—18):  Dens  ab 
initio  constituit  hominem  et  reliquit  illum  in 
manu  consilii  sui.  Adiecit  mandataet  praeceptal5 
sua:  Si  volueris  mandata  conservare,  conser- 
yabunt  te,  et  in  perpetuum  fidem  placitam  ser- 
yare.  Apposuit^)  tibi  aquam  et  ignem,  ad  quod 
Yolueris,  porrige  manum  tuam.  Ante  hominem 
vita  et  mors,  bonum  et  malum,  quod  placuerit  ei,  80 
dabitur  illi.  Non  puto  quemquam  excepturum  hie  adversus 
auctoritatem  huius  operis,  quod,  ut  indicat  Hieronymus,*)  olim 
apud  Hebraeos  non  habitum  sit  in  canone,  cum  ecdesia  Christi 
magno  consensu  receperit  in  suum  canonem;^  neque  causam 
Video,  cur  Hebraei  librum  hunc  a  suo  canone  iudicarint  excluden-  26 

')  A.  am  Bande:  Quid  sit  libernm  arbitrium. 

»)  Vgl.  Origenes,  comm.  in  ep.  ad  Eom.  I,  18  Mag.  14,  col.  866  C; 
Aognstin,  de  lib.  arb.  et  grat.,  cap.  11,  3  Msl.  44  col.  888;  so  auch  Eck  in 
der  Leipziger  Dispntation,  ed.  V.  E.  Löseber,  Vollst.  Reformations-Akta 
Bd.  III  p.  294. 

')  A:  sapientiae.  *)  X':  Apposni. 

*)  Vg^.  Prologns  galeatas  zu  den  Bttchem  Samnel.  nnd  Kön.  (Md.  28, 
col.  601  f.)  nnd  praef.  in  Hbros  Salomonis  (Msl.  28,  col.  1307  f.). 

•)  Docb  hat  es  anch  im  Mittelalter  nicht  wenige  gegeben,  die  sich 
liierin  von  Hieronymns  beeinflussen  ließen,  vgl.  De  Wette-Schrader,  Lehrb. 
d.  hist-krit.  Einl.  8.  Anfl.  p.  65. 

2* 


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—    20    — 

dum,  com  parabolas  Solomonis  et  canticum  amatorinm  receperint 
Etenim  quod  daos  posteriores  libros  Esdrae,  historiam  apud 
Danielem  de  Zusanna  ac  Belo  dracone,  ladith,  Bester  ^)  aliaque 
nonnoUa  non  receperant  in  canonem,  sed  inter  hagiographa  name- 
5  rarint,  qnid  illos  moverit,  facile  divinat,  qoi  libros  eos  attentius 
legerit.    Ceterum  in  hoc  opere  tale  nihil  obstrepit  lectorL 

na 2.  Hie  itaqne  locus  dedarat  Adam,  nostri  generis 
principem,  sie  foisse  conditum,  ut  rationem  haberet  incormptam, 
qnae    dinosceret,    quid    expetendum,    quid   fagiendom;    sed 

10  addita  est  voluntas ,  incorrupta  qnidem  et  illa,  sed  libera 

^  tarnen,  ut,  si  vellet,  posset  sese  a  bono  avertere  et  ad  malum 
deflectere.  Eodem  in  statu  conditi  sunt  angeli,  priusquam 
Lucifer  cum  suis  sodalibus  deficeret  a  conditore  suo.  In  bis, 
qui  collapsi  sunt,  sie  penitus  corrupta  est  voluntas,  ut  sese 

15  non  possint  ad  meliora  recipere;  in  bis,  qui  perstiterunt,  sie 
est  confirmata  bona  voluntas,  ut  iam  ne  possit  quidem  sese 
ad  impietatem  deflectere.  In  homine  sie  erat  recta  liberaque 
voluntas,  ut  absque  nova  gratia  potuerit  in  innocentia  perse- 
verare,  sie  tarnen,  ut  absque  praesidio  novae  gratiae  non 

20  potuerit  assequi  felicitatem  immortalis  vitae,  quam  suis  polli- 
citus  est  dominus  lesus.')    Haec  tametsi  non  possunt  omnia 


^)  Die  Eanonizität  des  Bnches  Ester  ist  innerhalb  des  Judentums, 
soviel  wir  wissen,  nicht  im  Ernst  bestritten  worden  (vgl  RE.*  IX  p.  753). 
Wohl  aber  fehlt  es  in  der  Aufzählung  Melitos  (Euseb.  bist  ecd.  IV,  26, 14 
ed.  min.  Schwartz  p.  164);  auch  Atbanasius  rechnet  es  im  39.  Festbrief 
(Preuschen,  Analekta  p.  146)  zu  den  zwar  empfohlenen,  aber  nicht  kanoni- 
sierten Schriften.  Hiervon  mag  E.  Kenntnis  gehabt  haben.  Doch  ist  zu 
beachten,  daß  E.  im  Hyperaspistes  (I,t7vf)  behauptet,  das  Buch  Ester 
befände  sich  im  hebräischen  Kanon.  Es  kann  sich  also  an  unserer  Stelle 
um  einen  Gedächtnisfehler  des  E.  handeln. 

*)  Für  Augustin  bedeutete  das  göttliche  adiutorium  im  ürstande  nicht 
bloß  ein  Mittel  zur  Erreichung  der  Unsterblichkeit,  sondern  die  gute  Tat 
blieb  ohne  den  Hinzutritt  der  Gnade  unvollkommen  (vgl.  de  grat.  et  lib. 
arb.  cap.  XI  §  31,  MsL  44  col.  355).  Auch  Thomas  und  andere  Scholastiker 
steUen  es  in  Abrede,  daß  der  Mensch  im  Ürstande  ohne  die  Gnade  das 
bonum  superexcedens  zu  tun  im  stände  sei  (s.  Loofs  DG.*  p.  549).  Erst 
Duns  Scotus  lehrte,  daß  der  Mensch  vor  dem  FaUe  aus  bloßen  Natnrkräften 


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—    21    — 

apertis  scriptararom  testimoniis  convinci,  tarnen  a  patribns 
orthodoxis  ^)  non  improbabiliter  disserta  sunt.  Cetemm  in 
Eva  non  solom  yolnntas  cormpta  videtor,  yeram  etiam  ratio 
siye  intellectus,  nnde  scatent  fontes  omninm  bonorum  ac 
malorum.  Yidetur  enim  Uli  persuasisse  serpens  yanas  fuisse  6 
minas,  quibus  interdixerat  dominus,  ne  quid  contingerent  de 
ligno  yitae.*)  In  Adam  magis  yidetur  cormpta  yoluntas  ob  v^ 
immodicum  quendam  amorem  erga  sponsam  suam,  cuius  animo 
maluit  indulgere  quam  praecepto  dei,^  quamquam  et  in  hoc 
arbitror  corruptam  fuisse  rationem,  ex  qua  nascitur  yoluntas.  10 

n  a  3.  Ea  yis  animi,  qua  iudicamus,  quam  non  refert, 
siye  voCv,  id  est  mentem  aut  intellectum,  siye  Xöyov^  idest 
rationem  dicere  malis,  per  peccatum  obscurata  est,  non  ex- 
stincta,  yoluntas,  qua  eligimus  aut  refugimus,  hactenus  depra- 
yata  fuit,  ut  suis  naturalibus  praesidiis  non  posset  sese  16 
reyocare  ad  meliorem  frugem,  sed  amissa  übertäte  cogebatur 
seryire  peccato,  cui  se  yolens  semel  addixerat.  Sed  per  dei 
gi'atiam  condonato  peccato  hactenus  facta  est  libera,  ut^) 
iuxta    sententiam   Pelagianorum  ^)    absque   praesidio   noyae 


Gott  über  alles  lieben  könne  (op.  Oxon.  lib.  III  dist.  27  qn.  onica  n.  21) 
und  dafi  die  hinzutretende  Gnade  die  Bedentang  habe,  daß  das  an  sich 
gfate  Werk  Terdienstlich  wird  nnd  einen  Ansprach  aof  ewigen  Lohn  erwirbt 
(s.  Seeberg,  Dons  Scotns  p.  217).  Wir  haben  hier  also  bei  E.  skotistische 
Einflüsse  zu  konstatieren.  Möglich  ist  anch,  daß  E.  sich  hier  an  John 
Fisher  anschließt  (assertionis  Lntheranae  confatatio  p.  548). 

^)  Es  ist  kaam  anzanehmen,  daß  £.  ein  Interesse  hat,  sich  für  die 
von  ihm  dargelegte  kirchliche  Angelologie  auf  die  patres  orthodoxi  zu  be- 
ruf en.  Meint  er,  wie  wahrscheinlich  ist,  seine  Lehre  vom  Urständ,  so  er- 
gibt die  vorige  Anmerkung,  wer  die  patres  orthodoxi  sind. 

*)  Das  Verbot  bezog  sich  auf  den  Genuß  vom  Baum  der  Erkenntnis 
des  Guten  und  B6sen. 

*)  Ähnlich  Duns  Scotus,  op.  Oxon.  II  dist.  21  qu.  2  n.  2  (vgl.  See- 
berg, p.  216). 

*)  X«:  libera  et. 

^)  Luther  wirft  dem  E.  vor,  er  mache  Pelagium  pene  evangelicum 
(d.  serv.  arb.  W.  A.  18,  p.  666  f.).  In  der  Tat  ist  die  Darstellung  der  pela- 
gianischen  Lehre  bei  E.  verfehlt,  was  sich  schon  daraus  ergibt,  daß  E.  die 


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gratiae  posset  adipisci  vitam  aetemam,  sie  tarnen,  nt  salatem 
snam  deo  ferret  acceptam,  qui  et  condidit  et  restituit  libemm 
arbitrinm,  secandnm  orthodoxos  sie  posset  ope  diyinae  gratiae 
semper  adinvantis  conatum  hominis  perseverare  in  recto  stata, 

5  nt  tarnen  non  eareret  proclivitate  ad  malnm  ex  semel  inoliti 

peccati  vestigüs.  Quemadmodom  antem  progenitomm  peccatnm 

^^  in  posteros  derivatom  est,  ita  et  ad  peccandom  procÜFitas 

transiit  in  omnes,  quam  gratia  peccatum  abolens  hact^ins 

mitigat,  nt  vinci  possit,  non  exstirpari    Non  quod  hoc  non 

10  possit  gratia,  sed  qnia  nobis  non  expediebat 

n  a  4.  Quemadmodnm  autem  in  his,  qui  gratia  carent 
(de  pecnliari  loquor),^)  ratio  foit  obscurata,  non  exstineta,  ita 
probabile  est  in  iisdem  volnntatis  yim  non  prorsns  exstinctam 
fnisse,  sed  ad  honesta  inefficacem  esse  factam.^)   Quod  oeolns 

15  est  corpori,  hoc  ratio  est  animo.    £a  partim  illnstratnr  luce 
nativa,')  qnae  insita  est  omnibus,  licet  non  pari  mensura,  de 

skotistische  Lehre  als  dem  freien  Willen  günstiger  beurteilt,  als  die  pela- 
gianische  (p.  26,  Z.  15  f.,  p.  90,  Z.  8).  Der  Fehler  des  E.  liegt  darin,  daß 
er  meint,  Pelagios  lehre  eine  restitutio  oder  sanatio  (p.  26  Z.  8)  des  WiUens, 
und  damit  dem  Pelagins  die  scholastische  Lehre  von  der  gratia  gratom 
faciens  unterschiebt.  Der  Unterschied  zwischen  Pelagius  und  der  Eirchen- 
lehre  (der  übrigens  laut  Hyp.  II,  641  commoda  interpretatione  beseitigt 
werden  konnte)  besteht  nach  £.  darin,  daß  der  Mensch,  nachdem  sein 
Wille  durch  die  Gnade  geheilt  ist,  nach  Pelagius  einer  erneuten  Gnaden- 
unterstützung nicht  bedarf,  nach  der  Kirchenlehre  ohne  eine  solche  nicht 
auskommt.  Selbstyerständlich  muß  dann  auch  Scotus,  der  von  einem  Ver- 
dienen der  gratia  gratum  faciens  redet,  pronior  in  fayorem  liberi  arbitrii 
sein.  —  Für  seine  Darstellung  der  pelagianischen  Lehre  beruft  sich  K  auf 
Augustin  (Hyp.  I,  r  8  r),  ohne  indessen  zu  verraten,  welche  seiner  Aussagen 
er  commode  interpretiert  habe. 

')  Die  gratia  pecuüaris  ist  die  den  Menschen  auf  den  Empfang  der 
gratia  gratum  faciens  vorbereitende  Gnade  (p.  29,  16  S.). 

')  Man  beachte,  daß  hier  der  Wille  inefficax  ad  honesta,  weiter  unten 
(24, 1)  bloß  inefficax  ad  salutem  ist. 

')  Die  lax  nativa,  aus  der  die  lex  naturae  (s.  p.  23  Anm.  4)  fließt,  ist 
die  allen  Menschen  gemeinsame  natürliche  Gotteserkenntnis,  m  der  sich 
z.  B.  die  griechischen  Philosophen  auf  Grund  der  Betrachtung  der  er- 
schaffenen Welt  emporgeschwungen  haben  (s.  u.).    Erasmus  nimmt  damit 


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—    23    — 

quo  meminit  psalmus:  Signatnm  est  super  nos  Inmen 
ynltus  tai,  domine,^)  partim  praeceptis  divinis  ac  literis 
sacriSy  qnemadmodum  dicit  psaltes  noster:  Luc  er  na  pedibns 
meis  verbum  tuum.*) 

IIa 5.     Unde  nascitur  nobis  triplex  legis   genns:   lex   5 
naturae,  lex  operum,  lex  fidei,  ut  Panlinis  utar  verbis.')   Lex  ^ 
naturae  penitus  inscnlpta  mentibns  omninm  tarn  apnd  Scythas 
qaam  apud  Graecos  dictat  iniqunm  esse,  si  quis  alteri  faciat, 
quod  sibi  nolit  fieri/)    Et  philosophi  sine  luce  fidei,  sine  ad- 
minicnlo  divinae  scripturae  ex  rebos  conditis  *)  cognovemnt  10 
sempitemam  dei  yirtntem  ac  divinltatem  ac  de  bene  vivendo 
molta   praecepta    reliqnerunt   vehementer   congmentia   cum 
praeceptis  evangelicis  ®)  mnltisque  verbis  ad  virtutem  adhor-  ^ 
tantnr  detestantes  tnrpitndinem.     Et  in  bis  probabile   est 
foisse  volontatem  aliquo  modo  propensam  ad  honesta,  sed  15 


einen  uralten,  aus  der  stoischen  Popolarphilosophie  in  die  mittelalterliche 
Theolog^ie  eingedrungenen  Gedanken  anf.  Daß  es  sich  hierbei  für  £.  nicht 
am  eine  ohne  göttlichen  Beistand  zustande  gekommene  Erkenntnis  handelt, 
ergibt  schon  der  Ansdmck:  insita  est,  vor  allem  aber  die  AnsfOhrnngen 
anf  p.  28  f. 

*)  Psal.  4  (7).  £.  schreibt  (Hyp.  I.  r8  t),  Luther  wisse,  daß  diese  An- 
wendung des  Psalmwortes  nicht  sein  commentum  sei  Luther  hatte  in  der 
Tat  schon  früher  Gelegenheit,  gegen  diese  Auslegung  zu  kämpfen.  Vgl- 
Oper,  in  PsaL  W.  A.  5  p.  119. 

«)  Psal.  118  (105). 

»)  (Vgl.  Kom.  2,  14  u.  3,  27).  Im  Hyperasp.  (I,  s  1  rf,  s  8  r)  behauptet 
E.  weiter,  die  Unterscheidung  der  lex  operum  und  der  lex  fidei  der 
Augustiniflchen  Schrift  de  spir.  et  lit.  (cap.  13  §  22  Msl.  44  coL  214)  ent- 
nommen zu  haben,  während  er  mit  seiner  Behauptung  der  lex  naturae 
etwas  allgemein  Anerkanntes  ausspreche. 

^)  Die  lex  naturae  enthält  nach  scholastischer  Auffassung  die  allge- 
meinen Prinzipien  der  praktischen  Vernunft.  £.  schließt  sich  in  seiner 
Definition  der  lex  naturae  an  Gratian  an  (Concordia  discord.  can.  dist.  I, 
exordium  MsL  187  col.  29  A). 

*)  A.  X>:  cognitis.   (Vgl.  Rom.  1,  19 ff.). 

*)  Die  NebeneinandersteUung  der  stoischen  und  christlichen  Ethik  ist 
für  E.  charakteristisch ;  s.  Hermelink,  Die  religiösen  Keformbestrebnngen  des 
deutschen  Humanismus,  Tübingen  1907  p.  26  f. 


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—    24    — 

inef&cacem  ad  salutem  aeternam,  nisi  per  fidem  accederet 
gratia. 

n  a  6.  Lex  autem  operum  imperat  et  comminator  paenam. 
Ea  peccatum  congeminat  et  gignit  mortem,  non  qnod  mala 

5  Sit,  sed  qnod  ea  praecipiat,  qnae  sine  gratia  praestare  non 
possnmns.  Lex  fidei,  cnm  magis  ardua  praecipiat  qnam  lex 
opernm,  tarnen  addita  copiosa  gratia,  qnae  per  se  snnt  im- 
possibilia,  reddit  etiam  dnlcia,  non  modo  facilia.  Fides  igitur 
medetur  rationi  laesae  per  peccatnm,  Caritas  provehit  volnn- 

10  tatem  invalidam.  Lex  quodammodo  operum  erat:  Ex  omni 
ligno  paradisi  comede,^)  deligno  autem  scientiae 
boni  et  mali  ne  comedas.  In  quacumque  enim  die 
comederis  exeo,  morte  morieris.*)  Rursum  per  Mosen 
lex  operum  lata  est:  Ne  quem  occidas,')  si  occidfiris,  occideris;  *) 

15  ne  commiseris  adulterium,^)  si  commiseris,  lapidaberis.*)  Sed 
quid  dicit  lex  fidei,  quae  iubet  diligere  inimicos,^)  quae  iubet 
tollere  crucem  quotidie,*)  quae  iubet  contemnere  vitam?*) 
Nolite  timere  pusillus  grex,  vestrum  est  enim 
regnum  caelorum.^^)    Et:  Confidite,  quia  ego  vici 

SOmundum.*^)  Et:  Ego  vobiscum  sum  usque  ad  con- 
summationem  saeculL^')Hanclegemexpresseruntapostoli, 
cum  caesi  yirgis  pro  nomine  lesu  gaudentes  abirent  a  con- 


')  A:  commode. 

*)  (Gen.  2,  16 f.)  Edd.:  Gea.  3.  Hier  liegt  wieder  ein  Fehler  im 
Zitat  vor;  TgL  p.  16,  Anm.  6. 

*)  Ex.  20  (13).  Deut  5  (17).  Dieses,  wie  die  folgenden  drei  Zitate 
sind  sehr  frei. 

*)  (Vgl  etwa  Ex.  21,  12.) 

»)  (Vgl.  Ex.  20,  14.    Deut  5,  18.) 

•)  (Vgl  Jo.  8,  6.    Lev.  20,  10.) 

')  (Matth.  6,  44.)  •)  (Luc.  9,  23.) 

*)  Der  Ausdruck:  contemnere  vitam  ist  im  N.  T.  nicht  zu  belegen 
(vgl.  indes  Matth.  10,  39;  Jo.  12,  12). 

'<0  Luc.  12  (32).  Die  zweite  Hälft«  des  Zitates  frei,  offenbar  in  Er- 
innerung an  Matth.  5,  3. 

")  Joan.  16  (33).  »«)  Matth.  28  (20). 


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—    25    — 

spectu  consilii.^)  flinc  Paulus:  Omnia  possum  in  eo,  qui 
me  corroborat.*) 

IIa?.  Nimirum  hoc  est,*)  quod  dicit  Ecclesiasticus  (15, 15): 
Et    adiecit   mandata   et   praecepta   sua.     Quibus? 
Primum  duobus  Ulis  generis  humani  principibus  per  seipsum,   5 
post  ludaicae  genti  per  Mosen  et  prophetas.*)    Lex  ostendit, 
quid  velit  deus:  proponit  paenam,  ni  pareas,  proponit  praemium, 
si  pareas.     Cetemm   eligendi  potestatem  illorum   relinquit 
Yoluntati,  quam  illis  condidit  liberam  et  utroque  Yolubilem. 
Et   ideo:   Si   volueris   mandata    conservare,    con-  10 
servabunt  te.   Et  rursum:  Ad  quod  volueris,  porrige  >/ 
man  um  tuam.^)     Si  latuisset  hominem  boni  malique  dis- 
crimen  ac  voluntas  dei,  non  poterat  imputari,  si  perperam 
elegisset.    Si  voluntas  non  fuisset  libera,  non  potuisset  im- 
putari peccatum,  quod  peccatum  esse  desinit,  si  non  fuerit  15 
voluntarium,  nisi  cum  error  aut  voluntatis  obligatio  ex  peccato  ^ 
nata  est.    Ita  per  vim  stupratae  non  imputatur,  quod  est 
passa. 

n  a  8.    Quamquam  autem  hie  locus,  quem  adduximus  ex 
Ecdesiastico,  peculiariter  quadrare  videtur  in  primos  illos  ao 
progenitores,  tamen  aliqua  ratione  ad  universam  posteritatem 
Adae  pertinet;  non  pertineret  autem,  si  nulla  esset  in  nobis  ^ 
liberi  arbitrü  vis.     Quamquam  enim   arbitrii   libertas   per 
peccatum  vulnus  accepit,  non  tamen  exstincta  est,  et  quam- 
quam contraxit  claudicationem,  ut  ante  gratiam  propensiores  26 
simus  ad  malum  quam  ad  bonum,  tamen  excisa  non  est,  nisi 
quod  enormitas  criminum   et    assuetudo   peccandi  velut  in 
naturam  versa  sie  offuscat  nonnumquam  mentis  iudicium,  sie 


')  (Vgl.  Act.  5,  40f.)  «)  Phü.  4  (13). 

')  Es  handelt  sich  nicht  bloß  nm  die  lex  fidei,  sondern  um  die  lex  im 
allgemeinen. 

*)  Mit  diesem  Satz  wird  das  Thema  für  die  beiden  nächsten  Ab- 
schnitte: Lex  ostendit  —  est  passa,  und:  Qnamqnam  autem  —  adempta 
Tideator  (p.  26,  2)  angegeben. 

»)  Ecci.  15  (16  u.  17). 


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—    26    — 

obrnit  arbitrii  libertatem,  ut  illud  exstinctum,  haec  penitas 
adempta  videatur. 

n  a  9.    Porro,  qaantum  yaleat  in  nobis  liberum  arbitriom 
post  peccatum  et  ante  gratiam,  mire  variant  et  yetenun  et 

5  recentiorum  sententiae,  dum  alius  alind  spectat.  Qni  yitabant 
desperationem  ac  secnritatem,  sed  ad  spem  et  conatum  acnere 
volebant  homines,  plus  tribuebant  libero  arbitrio.   Pelagius*) 

^  docuit  semel  liberata  sanataque  per  gratiam  hominis  voluntate 
non  opus  esse  nova  gratia,  sed  liberi  arbitrii  praesidiis  per- 

10  tingi  posse  ad  salutem  aetemam,  sie  tarnen,  ut  hominis  salus 
debeatur  deo,  sine  cuius  gratia  yoluntas  hominis  non  erat 
efftcaciter  libera  ad  bonum;  et  haec  ipsa  vis  animi,  qua^)  homo 
cognitum  bonum  amplectitur  avertens  se  ab  eo,  quod  diver- 
sum  est,  beneficium  est  conditoris,  qui  potuisset  pro  homine 

15  ranam  producere.    Qui  Scoti  placitis  addicti  sunt,  proniores 

y  sunt  in  favorem  liberi  arbitrii,  cuius  tantam  vim  esse 
credunt,  ut  homo  nondum  accepta  gratia,  quae  peccatum 
abolet,  naturae  viribus  exercere  posset  opera  moraliter,  ut 
Yocant,  bona,')  quibus  non  de  condigno,  sed  de  congruo^) 


*)  Vgl.  p.  21  Anm.  5.  Hier  liegt  eine  starke  Entgleisung  des  E. 
vor:  er  will  von  den  Fähigkeiten  des  freien  Willens  post  peccatom  et 
ante  gratiam  reden  und  reproduziert  trotzdem  die  angebliche  Anschauung 
des  Pelagius  über  den  freien  Willen  nach  Eintritt  der  Gnade. 

*)  X':  animi,  in  qua. 

^  Vgl.  Biel,  II  dist.  28,  qu.  unica,  art.  1.  D:  Actus  moraliter  bo- 
nus . . .  est  actus  a  voluntate  libere  elicitus  secundum  dictamen  rectae 
rationis . . .  Unde  si  actus  aliquis  eliceretur  conformiter  dictamini  rationis 
quantum  ad  omnes  circumstantias,  quas  ratio  dictasset,  non  tamen  quia  ratio 
sie  dictasset,  sed  casu  vel  propter  delectationem,  vel  quia  elicuisset,  etiamsi 
ratio  non  dictasset,  aut  si  aliter  dictasset,  non  esset  actus  ille  bonus  mora- 
liter, sed  bonus  tantum  ex  genere.  Bei  den  opera  moraliter  bona  wird 
also  an  die  aus  der  guten  Gesinnung  entspringenden  guten  Taten  gedacht, 
während  bei  den  opera  ex  genere  bona  auf  die  guten  Taten  reflektiert 
wird,  denen  die  entsprechende  gute  Gesinnung  nicht  korrespondiert  Vgl 
p.  27,  12  ff. 

*)  Das  meritum  de  condigno  ist  ein  Verdienst,  bei  dem  die  Leistung 
so  vollkommen  ist,  daß  sie  einen  voUgültigen  Anspruch  auf  den  g(Sttlichen 


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—    27    — 

promereantor  gratiam  gratam  facientem;   sie  enim  illi  lo- 
quuntur.^) 

II  a  10.    Ab  his  alii  ex  diametro,  qaod  aiunt,  dissentientes 
contendant  omnia  illa  opera  quantnmvis  moraliter  bona  faisse 
deo  detestabilia  non  minus  quam  scelerate  facta,  quod  genns   6 
sunt  adulteriom  et  homicidium,  qnod  non  proflciscerentnr  ex 
flde  et  caritate  in  deum.*)   Homm  opinio  videtur  inclementior, 
praesertim  cum  philosophi  quidam,  ut  habuerunt  aliquam  de  ^ 
deo  cognitionem,  ita  fieri  potuit,  ut  flduciam  quoque  nonnullam 
et  caritatem  habuerint  erga  deum  ^  nee  omnia  fecerint  ob  10 
inanem  gloriam,  sed  amore  yirtutis  et  honesti,  quod  docent 
amplectendum  non  ob  aliud,  nisi  quia  honestum  est.    Nam 
qni  pro  salute  patriae  semet  obicit  periculis  ob  inanem  gloriam, 
facit  opus  ex  genere  bonum,   an  moraliter  bonum,  nescio. 
Sanctus  Augustinus  et  qui  hunc  sequuntur,   considerantes,  15 
quanta  sit  pemicies  verae  pietatis  hominem  fidere  suis  viribus, 


Lohn  Terleiht;  zu  einer  derartigen  Leistung  kann  nach  scholastischer  Lehre 
nur  die  göttliche  Gnade  den  Menschen  befähigen.  Das  meritnm  de  con- 
gruo  ist  ein  Verdienst,  das  dem  göttlichen  Lohne  zwar  nicht  entspricht, 
das  aber  doch  einen  Ansprach  auf  Betribution  inyolviert,  da  der  sittUch 
geschwächte  Mensch  so  viel  geleistet  hat,  als  er  eben  leisten  konnte. 

^)  E.  steUt  die  Lehre  des  Dnns  Scotus  und  seiner  Schule  (trotz 
Minges,  Die  Gnadenlehre  des  Duns  Scotus,  p.  14  ff.,  Münster  1906)  richtig 
dar.  Duns  Scotus  behauptet,  der  Mensch  könne  aus  eigner  Kraft  die  Sftnde 
bereuen  (attritio)  und  dadurch  de  congruo  die  SündeuTergebung  und  die 
gratia  gratum  faciens  verdienen  (vgl.  op.  Oxon.  IV.  dist.  14.  quaest.  2.  n.  14). 

*)  Dieser  Satz  bezieht  sich  auf  die  Vertreter  der  drei  auf  p.  30  f. 
charakterisierten  Ansichten.  Diese  ihre  gemeinsame  Ansicht  lehnt  £.  hier 
ab  (Tidetur  inclementior) ;  allein  diese  Ablehnung  hat  nicht  etwa  den  Sinn, 
als  woUe  £.  sich  von  Augustin  lossagen,  dessen  Gnadenlehre  er  vielmehr 
fOr  probabel  hält  (p.  dO).  £.  meinte,  sieh  Augustin  anschließen  zu  können, 
ohne  doch  die  Eonsequenzen  ziehen  zu  müssen,  denen  der  große  Kirchen- 
vater nicht  ausgewichen  ist. 

')  £.  beruft  sich  für  seine  Beurteilung  der  Philosophen  auf  Paulus 
(Rom.  2,  14  ff.).  Er  hätte  die  Spätscholastik  (z.  B.  Biel  1.  III  dist.  27  qu. 
unica,  dub.  2  Q)  als  seine  Quelle  anführen  sollen,  da  diese  die  Lehre  ver- 
trat, der  Mensch  könne  GK)tt  ex  suis  naturalibus  über  aUes  lieben. 


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—    28    — 

propensiores  sunt  in  favorem  gratiae,  quam  ubique  Panlas 
inculcat.  Eoque  negat^)  hominem  obnoxium  peccato  posse 
sese  reflectere  ad  yitae  correctionem  ant  quicqnam  posse 
facere,  quod  conferat  ad  salntem,  nisi  gratuito  dei  dono 
6  stimuletur  diyinitus,  ut  velit  ea,  quae  conducnnt  ad  vitam 
aeternam;  hanc  gratiam  alii  praevenientem  *)  vocant,  Angos- 
tinus  operantem.  Nam  et  fides,  quae  ianua  est  salutis,  gratni- 
tnm  dei  donum  est.')  Huic  additam  caritatem  per  nberins 
donum  spiritus  appellat  gratiam  cooperantem,  quod  semper 

10  adsit  conantibns,  donec  assequantur,  quod  expetunt,  sed  ita 
tamen,  ut  cum  simul  idem  opus  operentur  liberum  arbitrium 
et  gratia,  gratia  tamen  dux  sit  operis,  non  comes/)  quamquam 

"^  hanc  quoque  sententiam  dividunt  quidam^)  dicentes:  Si  con- 
sideres  opus  iuxta  naturam  suam,  potiorem  causam  esse  volun- 

16  tatem  hominis,  sin  iuxta  quod  promeretur,  gratiam  esse 
potiorem.  Porro  fides,  quae  praestat,  ut  yelimus  salutifera, 
et  Caritas,  quae  praestat,  ne  frustra  yelimus,  non  tam  tempore 
distincta  sunt  quam  natura;  possunt  tamen  utraque  temporariis 
accessibus  augeri.*) 
>^ 20  Hall.  Itaque cum  gratia  significet  beneficium  gratis  datum, 
tres  aut,  si  mavis,  quatuor  gratias  ponere  licebit.  Unam  natura 


')  Seil.  Ang^stiiiiis. 

^)  Die  Bezeichnung  gratia  praeyeniens,  die  an  Angnstin  anknöpft 
(Nolentem  praevenit,  nt  velit,  volentem  subsequitur,  ne  frustra  velit. 
Enchir.  9,  32;  Mal.  40  col.  428),  kommt  schon  bei  Cäsarins  von  Aries  (Tita 
I  cap.  5  §  46;  MsL  67  col.  1023  B)  vor. 

•)  Hiemach  ist  die  fides  ein  Werk  der  gratia  operans,  während  weiter 
unten  (Z.  16  S.)  die  Eingießnng  von  Glauben  und  Lieben  in  einem  Augen- 
blick erfolgen,  also  auch  der  Glauben  der  gratia  oooperans  angehört 

*)  Vgl.  Augustin,  epist.  186  ad  Paulinum  §  10  (MsL  83,  col.  819): 
Non  gratiam  dei  aliquid  meriti  praecedit  humani,  sed  ipsa  gratia  meretur 
augeri,  ut  aucta  mereatur  perfici,  comitante,  non  ducente,  pedissequa,  non 
praevia  voluntate. 

^)  Duns  Scotus,  op  Oxon.  I  dist.  17.  qu.  3.  n.  27;  vgl.  Seeberg,  p.  313. 

^)  Vgl.  das  Augustinzitat  Anm.  4.  S.  auch  etwa  G.  Biel,  lib.  II,  dist. 
27  qu.  unica,  art.  2  concl.  3  J. 


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—    29    — 

insitam  et  per  peccatum  vitiatam,  at  diximns,  non  exstinctam,  ^ 
quam  qnidam   vocant  influxum  naturalem.^)    Haec  omniom 
communis  manet  etiam  perseverantibns  in  peccato;  liberum 
est  enim  iUis  loqui,  tacere,  sedere,  surgere,  sublevare  pauperem, 
legere  libros  sacros,   audire  contionem,  sie  tamen,  ut  ista   5 
seeundum  opinionem  quorundam   nihil  conducant  ad  yitam 
aeternam.    Nee  desunt  tarnen,  qui  considerata  immensa  dei 
bonitate  dicant  hactenus  hominem  proficere  huiusmodi  bene- 
factis,  ut  praeparetur  ad  gratiam  ac  dei  misericordiam  erga 
se  provocet,  quamquam  sunt,  qui  negent*)  haec  etiam  fieri  10 
posse  sine  gratia  peculiari.')  Haec  gratia,  quoniam  est  omnium 
communis,  non  dicitur  gratia,  cum  re  vera  sit,  quemadmodum 
maiora  miracula  quotidie   deus   edit  gignendis  rebus,    con- 
seryandis   et  gubemandis,   quam  si   sanaret   leprosum   aut 
liberaret   daemoniacum.    Et  tamen  haec  ideo  non  yocantur  15 
miracula,  quod  ex  aequo  quotidie  praestantur  omnibus.   Altera   ^y 
est  gratia  peculiaris,  qua  deus  ex  sua  misericordia  peccatorem 
nihil  promeritum  stimulat  ad  resipiscentiam,  sie  tamen,  ut 
nondum  infandat  gratiam  illam  supremam,  quae  abolet  pec- 
catum ac  deo  gratum  facit  hominem.   Itaque  peccator  adiutus  ^ 
secunda   gratia,   quam   diximus    operantem,    displicet   sibi; 
tametsi  nondum  exuit  affectum  peccandi,  tamen  eleemosjmis, 
precibus,  intentus  sacris  studiis,  audiendis  contionibus,  inter- 
peUandis  piis  hominibus,  ut  pro  se  deum  orent,  aliisque  factis 
moraliter,   ut  vocant,   bonis  ^)   summae  illius  gratiae  yelut  26 


^)  Inflnxus  naturalis  oder  influentia  commnnlB  ist  die  aUgemeine  Mit- 
wirkung GK)ttes  bei  allen  Handinngen  der  Geschöpfe,  im  Gegensatz  zu  der 
ttbematürlichen  Einwirkung  Gottes. 

*)  A:  negant 

^  D.  h.  die  gratia  praeveniens.  Vgl.  zu  den  folgenden  Ausführungen 
des  E.  über  die  scholastische  Gnadenlehre  EinL  §  4. 

^)  Der  Unterschied  zwischen  den  opera  moraliter  bona  vor  und  nach 
der  grat  praev.  besteht  für  E.  nicht  darin,  daü  ihre  Qualität  sich  änderte, 
sondern  darin,  daß  sie  yor  der  grat.  praev.  nicht  yerdienstlich  sind  (nihU 
promeritum,  Z.  18),  nach  derselben  dagegen  die  gratia  gratum  faciens  yer- 
dienen  (ygl.  oben  Z.  lOf.  und  p.  80  Z.  3-12). 


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—    30    — 

candidatum  quendam  agit.  Existimant  antem  gratiam,  qaam 
^  nunc  secondam  facimus,  per  dei  bonitatem  nnlli  mortalinm 
deesse,^)  quod  divina  benignitas  singnlis  in  hac  yita  sappeditet 
idoneas  occasiones,  per  quas  possit  resipiscere,  si  qnod  reliqnnm 
6  est  in  ipsornm  arbitrio  pro  viribus  accommodent  ad  opem 
numinis  velut  invitantis,  non  compellentis  ad  meliora.    Hoc 

\/  antem  pntant  esse  in  nostro  arbitrio,  nt  voluntatem  nostram 
applicemns  ad  gratiam  ant  avertamus  ab  ea,  qnemadmodBm 
in  nobis  est  ad  illatum  Inmen  aperire  ocnlos  ac  rnrsnmclan- 

10  dere.^)  Quoniam  antem  immensa  dei  Caritas  erga  genus 
hnmannm  non  patitur  hominem  frnstrari  etiam  iUa  gratia, 
quam  gratnm  facientem  vocant,  si  totis  viribus  eam  ambierit, 
fit,  ut  nemo  peccator  debeat  esse  securus,  nemo  mrsus  debeat 
desperare,  fit  item  illud,  ut  nemo  pereat,  nisi  suo  vitio.    Est 

16  igitur  gratia  naturalis,  est  gratia  exstimulans,  licet  imperfecta, 

v^   est  gratia,  quae  voluntatem  reddit  efficacem,  quam  cooperantem 

diximus,  quae  quod  coeptum  est  provehit,  est  gratia,  quae 

perducit   usque  ad  finem.     Has   tres   putant   eandem   esse 

gratiam,  licet  ab  iis,  quae  operantur  in  nobis,  diversis  cogno- 

20  minibus  appeUentur.  Prima  exstimulat,  secunda  provehit, 
tertia  consummat. 

n  a  12.    Ergo,  qui  longissime  fugiunt  a  Pelagio,  pluri- 

V     nium  tribuunt  gratiae,  libero  arbitrio  pene  nihil  nee  tamen 

in  totum  toUunt:   negant  hominem  posse  velle  bonum  sine 

25  gratia  peculiari,  negant  posse  incipere,  negant  posse  progredi, 
negant  posse  perficere  sine  principali  perpetuoque  gratiae 
divinae  praesidio.  Horum  sententia  satis  videtur  probabilis, 
quod  relinquat  homini  Studium  et  conatum  et  tamen  non 
relinquit,  quod  suis  ascribat  viribus. ')    Sed  durior  est  istorum 


')  ffierfür  beruft  sich  E.  im  Hyp.  (II  p.  438,  6B6)  auf  die  Schrift  de 
vocatione  gentium  (üb.  II  cap.  19;  Mal.  61,  col.  706  CD).  Die  gleiche  An- 
sicht yertritt  auch  X  Fisher  (ass.  Luth.  conf.  p.  548). 

*)  Ein  ähnliches  Bild  braucht  J.  Fisher  (ass.  Luth.  conf.  p.  612). 

•^  Diese  Ansicht  ist  nach  E.  (Hyp.  I  s  5  r)  diejenige  des  Angnstin 
und  des  Thomas.    E.  ist  sich  aUerdings  bewußt,  dafi  Augustin  ein  Yer- 


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—    31    — 

opinio,  qui  contendunt  liberum  arbitrium  ad  nilül  valere  nisi  ^ 
ad  peceandom  ^),  solam  gratiam  in  nobis  operari  bonnm  opus 
non  per  liberum  arbitrium  aut  cum  libero  arbitrio,  sed  in 
libero  arbitrio,  ut  nostra  voluntas  hie  nihilo  plus  agat,  quam 
agit  cera,  dum  manu  plastae  fingitur  in  quamcumque  Visum   5 
est  artiflci  speciem.^)   Hi  mihi  sie  fugere  videntur  meritorum 
et  operum  humanorum  fidueiam,  ut  praeter  easam,^)  quod  diel 
solet.    Durissima  videtur  omnium  sententia,  qui  dicunt  liberum 
arbitrium  inane  nomen  esse  nee  quicquam  valere  aut  valuisse 
vel  in  angelis  vel  in  Adam  vel  in  nobis  nee  ante  gratiam  nee  10 
post  gratiam,  sed  deum  tam  mala  quam  bona  operari  in  nobis,  ^ 
omniaque,  quae  fiunt,  esse  merae  necessitatis>)    Itaqne  cum 
his  duabus  postremis  mihi  potissimum  erit  conflietatio. 

IIa  13.    Haec  paulo  loquaeius  nobis  repetita  sunt,  quo 


dienen  der  gratia  gratnm  faciens  durch  den  nnter  dem  EiDfln£  der  gratia 
praeveniens  stehenden  Menschen  nicht  lehrt,  meint  aber  Angustin  stände 
dieser  Lehre  sehr  nahe  (Hyp.  II 187).  E.  konnte  so  urteilen,  weil  er  über- 
sehen hat,  daß  die  Behauptung  der  Freiheit  bei  Augustin  „nicht  viel  mehr 
als  ein  Spiel  mit  Worten  ist"  (Seeberg,  DG.*.  I  p.  279).  Auch  Thomas  hat 
von  einem  Verdienen  der  gratia  gratum  faciens  nicht  geredet. 

')  Dieser  Satz  ist  augustinisch  (de  spir.  et  lit.  cap.  3  §  5,  Msl.  44, 
col.  203).  Wenn  E.,  der  Verfechter  der  Sittlichkeit  der  Philosophen,  diesen 
Satz  ablehnt,  so  hat  er  vergessen,  daß  er  noch  soeben  (p.  30,  24 f.)  den 
Satz  fttr  probabel  erklärt  hat,  daß  der  Mensch  ohne  die  gratia  praey.  das 
Gute  nicht  wollen  könne. 

*)  Die  in  dieser  Weise  charakterisierte  opinio  durior  ist  diejenige 
Karlstadts  (vgl.  Hyp.  I,  s  6  v,  1 1  v).  E.  kennt  sie  aus  der  Leipziger  Dis- 
putation (vgl.  Hyp.  II  12).  Hier  sagt  Earlstadt  u.  a.:  Interim  salva  sit 
conclusio  mea  .  .  .  quod  liberum  arbitrium  ante  gratiam  haud  quidquam 
nisi  ad  peccandum  valeat  (ed.  Löscher,  Vollst.  Eef.  Akta  III  p.  302).  Ergo 
bona  opera  potius  efficiuntur  in  libero  arbitrio,  quam  fiunt  activitate  liberi 
arbitrii  (1.  c.  p.  308).  ...  est  negatum  per  me . . .  quod  liberum  arbitrium 
habeat  specialem  et  naturalem  actiyitatem  in  bonis  operibus  (p.  309). 

>)  D.  h.  die  Vertreter  dieser  Ansicht  sind  bei  ihrer  Flucht  vor  der 
Werkgerechtigkeit  so  eifrig,  daß  sie  an  der  schützenden  Hütte  yorbeilaufen. 
Vgl.  Terenz,  Phormio  768,  ed  Dziatzko,  p.  105. 

*)  Die  sententia  durissima  ist  diejenige  Luthers  (Hyp.  I  a.  a.  0.}. 
Vgl.  Luthers  Assertio,  W.  A.  VH,  p.  146  Z.  4  ff. 


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—    32    — 

lector  imperitior,  nam  crassulis  scribimus  crassuli,  reliqaam 
argnmentationem  facilius  percipiat,  eoqae  locum  exEcclesiastico 
primom  retulimus,  quo*)  originem  ac  vim  liberi  arbitrii 
planissime  videatur  depingere.  Nunc  expeditiore  cursu  reliqua 
5  scripturarum  testimonia  persequemur.  Id  faciemus,  si  prius 
admonuerimus  hunc  locum  secus  haberi  in  editione  Aldina, 
quam  hodie  habeat*)  ecclesiasticus  usus  Latinorum.')  Non 
enim  in  Graecis  additur:  conservabunt  te,  quamquam  eandem 
particulam  nee  Augustinus  addit  aliquoties   adducens   hunc 

10  locum/)  et  Tcotfjrai  scriptum  opinor  pro  Ttocfjaai,^) 

IIa  14.  Quemadmodum  igitur  in  paradiso  proposuerat 
electionem  vitae  ac  mortis:  8i  parueritis  praecepto  meo,*) 
vivetis,  sin  minus,  moriemini;  cavete  malum,  eligite,  quod 
bonum  est,')  itidem  Genesis  cap.  4  (6 — 7)  deus  loquitur  Caim: 

15  Quare  iratus  es  et  cur  concidit  facies  tua?  Nonne 

^    si  bene  egeris,  recipies,  sin  autem  male,  statim 

in  foribus  peccatum  tuum  aderit?  Sed  sub  teerit 

appetitus  eins  et  tu  dominaberis  illius.    Proponit 

praemium,  si  yelit  eligere,  quod  pium  est,  proponit  paenam, 

20  si  malit  sequi  diversum.  Et  ostendit  animi  motus  ad  turpia 
Vinci  posse  nee  aiFerre  necessitatem  peccandi.  Cum  bis  locis 
congruit,   quod   dominus  loquitur  ad  Mosen:    Posui   ante 

"^  faciem  tuam  viam  vitae  et  viam  mortis.  Elige, 
quod  bonum  est,  et  incede  cum  eo.^)    Quid  poterat 

56  apertius    dici?    Deus   ostendit,    quid    bonum,   quid  malum, 

»)  A:  quod.  «)  X*:  habet. 

*)  Die  Aldina  (Venedig  1518)  enthält  Sir.  15,  15  in  folgender  Form: 
iäv  d'iXrjg  awrrj^OTjg  ivroXäe  aal  nioriv  Tioifjrai  e^doxiag, 

*)  Vgl.  z.  B.  de  grat.  et  lib.  arb.  cap.  II  §  3,  Mal.  44  coL  888. 

')  Das  qnamqaam  ist  ungeschickt;  E.  wUl  sagen,  daß  der  kirchliche 
Branch  der  Lateiner  feststehe,  obgleich  Angnstin  die  SteUe  mit  anderem 
Text  biete.  —  E.  bemerkt  den  Druckfehler  der  Aldina;  es  muß  aber  Ttoirjatu 
gelesen  werden,  s.  LXX  ed.  Swete  II,  p.  674. 

«)  B:  mei. 

^  Freie  Paraphrase  von  Gen.  2,  17  und  vieUeicht  Deut  30,  19. 

«)  ?  VieUeicht  Deut.  30,  19. 


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—    33    — 

ostendit  atriasqae  diversa  praemia,  mortem  et  vitam,  eligendi 
Ubertatem    relinqnit   homini.     Sidicule    siquidem   diceretur: 
elige,  coi  non  adesset  potestas  semet  hac  et  illac  applicandi, 
perinde  quasi  quis  in  bivio  consistenti  dicat:  Vides  duplicem 
viam,  ntram   voles  ingreditor,  cum  altera  tantum  pateret.  6 
Kursum  Deuteronomii  cap.  30 ^)  (15—19) :  Considera,  quod 
hodie    proposuerim    in   conspectu    tuo    vitam    et  ^ 
bonum  et  e  contrario  mortem  et  malum,  utdiligas 
dominum,  deum  tuum,  et  ambules  in  viis  eins  et 
custodias^)  mandata  illius  et  caerimonias  atque  10 
iudicia  et  vivas  atque  multiplicet  te  benedicatque 
tibi  in  terra,   ad  quam  ingrederis  possidendam. 
Si  autem  aversum  fuerit  cor  tuum  et  audire  no- 
lueris    atque    errore    deceptus    adoraveris    deos 
alienos  et  servieris  eis,  praedico  tibi  hodie,  quod  16 
pereas  et  parvo  tempore  moreris  in  terra,  adquam 
Jordane    transmisso    ingredieris   possidendanu') 
Testes  invoco  hodie  caelum  et  terram,  quod  pro- 
posuerim vobis  vitam  et  mortem,  benedictionem 
et   maledictionem.     Elige    ergo   vitam,   ut  et   tu  ^ 
vivas  et  semen  tuum.    Hie  rursus  audis  proponendi  ver- 
bum,  audis  eligendi  verbum,  audis  avertendi  verbum,  quae 
intempestive  dicerentur,  si  voluntas  hominis  non  esset  libera 
ad  bonum,  sed  tantum  ^)  ad  malum.^)    Alioqui  perinde  fuerit, 
ac  si  quis  homini  sie  alligato,  ut  non  possit  brachlum  nisi  in  ^ 
laevum  porrigere,   diceret:    Ecce  habes  ad  dextram  vinum 
Optimum,  habes  ad  laevam  toxicum,  utro  velis,  porrige  manum. 
IIa  15.   Nee  dissonat  ab  his,  quod  apud Esaiam  loqnitur 
idem  dominus:  Si  volueritis  et  audieritis  me,  quae    ^ 
bona  sunt  terrae  comedetis;  si  vero  nolueritis^ 
neque  audieritis  me,  gladius  vos  consumet.^)    Si 

<)  Fr.  A.  B.  X*  H:  3.    X^  wiederholt  das  Zitat:  Deat  80  am  Bande. 
«)  X»:  cnstodies.  »)  Fr.  A.  B.  H.  X*  am  Bande:  Deut.  30. 

^)  B:  tamen.  ^)  Gegen  Karlstadt. 

*)  Ksa.  1  (19f.). 
Walter.  De  Hbero  arbitrio.  3 


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—    34    — 

Don  est  homini  ullo  pacto  ]ibera  voloiitas  ad  bonum  aat  si, 
ut  qnidam  aiant,  nec^)  ad  bonum  nee  ad  malnm,')  quid  sibi 
Yolunt  haee  verba:  si  volneritis,  si  nolneritis?  Magis 
hie  eongraebat:  si  volnero,  si  nolaero.  Atqae  hoinsmodi  mnlta 
6  eum  peeeatoribns  dieantor,  non  video,  quomodo  yitari  possit, 
quin  bis  quoque  tribuamus  voluntatem  aliquo  modo  liberam 
ad  eleetionem  boni,  nisi  malumus  hane  eogitationem  aut  animi 
motum  dicere  quam  voluntatem,  quod  yoluntas  certa  sit  et 
ex  iudieio  naseatur.^)    Sic  autem  loquitur  apud  eundem  pro- 

10  phetam  cap.  21  (12):  Si  quaeritis,  quaerite;  conver- 
timinietvenite.  Quorsum  attinet  hortari,  ut  convertantur 
et  yeniant,  qui  nulla  ex  parte  suae  potestatis  sunt?  Nonne 
perinde  fuerit,  ac  si  quis  dicat  yinculis  astricto,  quem  nolit 
solyere:   Move  te  isthinc,  yeni  ac  sequere  me?  Item  apud 

16  eundem  prophetam  cap.  45  (20):  Congregamini  etyenite. 
Et:  Conyertimini  ad  me  et  salyi  eritis  omnes  fines 
terrae/)  Eursum  cap,  62  (1—2):  Consurge,  consurge, 
excutere  de  pulyere,  solye  yincula  colli  tuL  Itidem 
Hieremias  cap.  15  (19):   Si  conyerteris,  conyertam  te, 

20  et  si  separayeris  pretiosum  a  yili,  quasi  osmeum 
eris.  Cum  ait:  separayeris,  libertatem  indicat  eligendi. 
Eyidentius  etiam  Zacharias  et  arbitrii  liberi  conatum  indicat 
et  gratiam  conanti  paratam:  Conyertimini,  inquit,  ad 
me,*)   ait  dominus   exercituum,  et   conyertar   ad 

26VOS,  dicit  dominus.®)  Ezechielis  cap.  18  (21)  sie  loquitur 
deus:  Si  impius  egerit  paenitentiam  ab  omnibus 
peccatis,  quae  operatus  est,  et  fecerit  iudi- 
cium  etc.  Ac  mox:  Omnium  iniquitatum  eins,  quas 
operatus  est,  non   recordabor.^     Item:    Si   autem 


')  X*:  si  (nt  qnidam  ainnt)  nee. 
*)  Gegen  Earlstadt  nnd  Lnther. 

^  E.  sucht  abzuschwächen,   um   für   seine  Gnadenlehre   Baum    za 
behalten. 

«)  (Es.  45,  22.)  ^)  B:  inqnit  ad  me. 

•)  Zach.  1  (3).  ')  (Ez.  18,  22.) 


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—    35    — 

averterit  se  iastus  aiastitia  sna  et  fecerit  iaiqui- 
tatem.^)    In  hoc  capite  toties  repetitnr:  averterit  se,  fecit, 
operatus  est,  in  bonam  partem  et  in  malam.    Et  ubi  sunt, 
qni  negant  hominem  qoicquam  agere,  sed  pati  tantum  ab 
operante  gratia?')     Proicite,   inquit,   a   vobis   omnes   6 
iniqnitates.*)  Et:  Quare  moriemini,  domusisrael?*) 
Nolo  mortem  peccatoris,  revertimini  et  venite.*) 
Deplorat  pins  dominus  mortem  popnli  sni,  qnam  ipse  operatur 
in  Ulis?  Si  ille  non  vult  mortem,  utique  nostrae*)  voluntati 
impntandum,  si  perimus.    Ceterum  quid  imputes  illi,  qui  nihil  10 
potest  agere  neque  boni  neque  mali?^)    Eis,  qui  nullo  modo 
suae  Yoluntatis  compotes  sunt,  frustra  canit  haue  cantionem 
psaltes  ille  mysticus:  Declina  a  malo  et  fac  bonum,®)  ^ 
inquire  pacem  et  persequere  eam.®) 

na  16.  Sed  quorsum  attinet  huius  generis  aliquot  recensere  15 
loca,  cum  tota  divina  scriptura  plena  sit  huiusmodi  hortamentis: 
Convertimini  in  toto  corde  vestro;^®)  convertatur 
vir  a  via  sua  mala;^*)  praevaricatores,  redite  ad 
cor;'*)    et:    Convertatur   unusquisque    a   via   sua 
mala,  et  paenitebit  me  mall,  quod  cogitavifacere  20 
eis  propter  malitiam  studiorum  eorum;*')   et:   Si 
non  audieritis  me, ut  ambuletis  inlegemea,^^)  cum 
fere  nihil  aliud  sonet  scriptura  quam  conversionem,  quam 
Studium,  quam  conatum  ad  meliora?    Haec  omnia  frigeant 
oportet  semel  inducta  necessitate  vel  benefaciendi  vel  male.  25 
Neque  minus  frigebunt  illae  tot  pollicitationes,  tot  minae,  tot 

»)  (Ez.  18,  24.)  •)  Gegen  Karlstadt;  vgl.  Hyp.  ü,  1(». 

')  Ezech.  8.     Hier  liegt  ein  Zitationsfehler  des  £.  vor;  die  SteUe 
steht  Ez.  18,  31. 

*)  Ihid.  83  (11).  »)  Ibid.  18  (22). 

^  X'  fehlt:  nostrae.  ^  Gegen  Lnther. 

*)  Psal.  36  (27).    Dayid  ein  psaltes  mysticus?    YieUeicht  liegt  eine 
Bezugnahme  auf  den  prophetischen  Charakter  einiger  Psahnen  vor. 

•)  (PsaL  38,  15.)  >«)  Johel.  2  (12). 

")  Jonae  3  (8).  »«)  Esa.  46  (8).    X«  fehlt:  redite. 

»»)  (Jer.  26,  3.)  ")  (Jer.  26,  4.) 

3* 


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—    36    — 

expostnlationes,  tot  exprobrationes,  tot  obtestationes,  tot  ben^ 
dictiones  ac  maledictiones  factae  ad  eos,  qui  se  yertenuit  ad 
meliora  aat  qoi  converti  recasanmt.  Qaacnnqae  hora 
ingemmerit  peccator.^)  Video,  quod  popalus  iste 
5  dmrae  cervicis  sit.*)  Popule  meus,  quid  feci?*) 
Item:  ladicia  mea  proiecerunt/)  Et:  Si  popalus 
meus  audisset  me,  Israel  si  in  viis  meis  ambu- 
lasset.^)  Qui  Tult  videre  dies  bonos,  prohibeat 
linguam  suam  a  male.*)    Cum  audis:  qui  vult,  audis 

10  liberam  voluntatem.  Haec  cum  nusquam  non  occurrant,  nonne 
statim  succurrit  lectori:  Quid  polliceris  ex  conditione,  quod 
in  tua  unius  voluntate  situm  est?  Quid  expostulas,  cum 
quicquid  a  me  fit  seu  boni  seu  mali,  tu  geras  in  me  yelim 
nolim?   Quid  exprobras,  cum  in  me  non  sit  tueri,  quod  de- 

15  deras,  nee  excludere  malum,  quod  immittis?  Quid  obtestaris, 
cum  totum  ex  te  pendeat  et  res  ex  tua  geratur  sententia? 
Quid  benedicis,  quasi  functus  sim  meo  officio,  cum  tuum  sit, 
quicquid  gestum  est?  Quid  maledicis,  cum  necessitate  pec- 
canm?  Quorsum  autem  attinent  ^)  tot  examina  praeceptorum, 

20  si  non  est  cuiquam  ullo  pacto  in  manu  servare,  quod  prae- 
ceptum  est?  Sunt  enim,  qui  negant  hominem  quantumvis  iusti- 
ficatum  dono  fidei  et  caritatis  ullum  dei  praeceptum  implere 
posse,  sed  omnia  bona  opera,  quoniam  in  came  fiunt,  ad 
damnationem  profectura  fuisse,^)  ni  deus  ob  meritum  fldei 

26  ignosceret  illa  per  suam  misericordiam.*) 

IIa  17.  Atqui  sermo,  quem  per  Mosen  loquitur  dominus 
Deutero.  cap.  trigesimo  (11—14),  declarat  non  solnm  in  nobis 
situm,  quod  praecipitur,  verum  etiam  in  prodivi,  cum  ait: 
Mandatum   hoc,    quod  ego  praecipio  tibi   hodie, 


»)  übi?    VieUeicht  Ezech.  18,  21.  «)  Exod.  32  (9). 

«)  Mich.  6  (3).  *)  (Ez.  20,  13.)  »)  Psal.  80  (14). 

•)  PsaL  33  (13  f.).  ^  H:  attinet. 

*)  Gegen  Luther  (Ass.  art.  3Lf.  W.  A.  YII,  p.  136  fit),  gegen  den  die 
letzten  Ansführongen  dieses  Abschnittes  überhaupt  sich  riditen. 
*)  Grobes  Mi^yerständnis  der  reformatorischen  Lehre. 


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—    37    — 

noD   snpra   te   est  neqae  procul  positum   nee  in 
eaelo  sitnm,  nt  possis  dicere:   Qnis  nostrum  valet 
ad  eaelum  aseendere,  nt  deferat  illnd  ad  nos,  nt 
andiamns  atqne  opere  compleamns?  neqne  trans 
mare  positnm,  nt  canseris  et  dieas:  Qnis  e  nobis   5 
poterit  mare  transire  et  illnd  ad  nos  nsqne  de- 
ferre,  nt  possimns  andire,  qnod  praeceptnm  est?  ^ 
sed  inxta  est  sermo  valde  in  ore  tno  et  in  corde 
tno,  nt  facias  illnm.    Et  tarnen  illic  loqnitur  de  prae- 
cepto  omninm   maximo,   nt   revertaris    ad   dominnm,  10 
denm  tnnm,  in  toto  corde  tno  et  in  tota  anima 
tna.*)     Et  qnid  sibi  vnlt  hoc:   si  tarnen  andieris,  si 
cnstodieris,  si  revertaris,*)  si  nihü  homm  nllo  pacto 
sitnm  est  in  nostra  potestate?   Non  adnitar  in  hninsmodi  re- 
citandis  esse  copiosns,  cnm  ntrinsque  testamenti  libri  talibns  15 
nndiqne  referti  sint,  nt  qni  talia  stndet  conqnirere,  nihil  alind 
qnam,  qnod  dici  solet,  per  mare  qnaerat  aqnas.^    Itaqne  bona 
sacrae  scriptnrae  pars,  nt  dixi,  videbitnr  frigere,  si  nltimam 
ant  pennltimam  opinionem  receperis.*) 

n  a  18.     ßeperinntnr  antem  in   diyinis  libris  qnaedam  20 
loca,  qnae  contingentiam  ^)  ac  mntabilitatem  etiam  qnandam  ^^ 
deo  tribnere  videntnr.    Qnod  genns  est  illnd,  qnod  legimns 
Hieremiae  cap.  18  (8, 10):  Si  paenitentiam  egerit  gens 
illa  a  malo  sno,  qnod  locntns  snm  adversns  eam, 
agam  et  ego  paenitentiam  snper  malo,  qnodcogi-26 
tavi,  nt  facerem  ei;   si  fecerit  malnm  in  ocnlis 


')  (Deut.  30,  10.)  «)  (Ibidem.) 

^  Vg^.  das  sprichwOrtl.  in  mare  fnndere  aquas,  Ovid,  tristia  V,  6, 
44,  ed.  Tenbn.  143,  3  p.  91. 

^)  D.  h.  die  Ansichten  Lnthers  und  Karlstadts. 

^^  Contingentia  ist  der  Gegensatz  zn  necessitas.  Alles,  was  yon  Gott 
ausgesagt  wird,  mn£  mit  innerer  Notwendigkeit  ans  dem  Wesen  Gottes 
sich  ergeben.  Darum  können  alle  Schriftstellen,  die  auf  einen  Mangel  an 
mnerer  Gesetzmäßigkeit  in  Gott  schließen  lassen,  nach  £.  nur  in  uneigent- 
lichem Sinne  verstanden  werden. 


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—    38    — 

meis  et  non  audierit  yocem  meam,  et  ego  paeni- 
tentiam  agam  super  bono,  qnod  locutns  snm,  at 
facerem  eL  Neqae  vero  nescimas  hie  scriptTiram  sacram 
hominam  more  loqui,  quod  et  alias  non  raro  facit,  com  in 
5  denm  nolla  cadat  mntabilitas.  Sed  ex  irato  propitios  fieri 
dicitnr,  cum  nos  ad  meliora  resipiscentes  dignatnr  saa  gratia; 
rorsos  ex  propitio  iratos,  cum  ad  deteriora  relapsos  ponit  et 
affligit.  Rursnm  4  Regnm  capite  vigesimo  (1)  aaditEzechias: 
Morieris  tn  et  non  vives.^)   Ac  mox  post  lacrimas  andit 

10  per  eondem  prophetam:  Audivi  orationem  tnam  et 
yidi  lacrimas  tuas  et  conseryayi  te  etc.')  Itidem 
secondo  Regnm  cap.  duodecimo  (10)  Dayid  per  Nathan  andit 
a  domino:  Non  recedet  gladins  de  domo  tna  usque 
in  sempiternnm  etc.    Mox  ubi  dixerat:    Peccayi  do- 

l5mino,  andit  mitiorem  sententiam:  Dominus  quoque 
transtulit  peccatum  tuum,  non  morieris.^)  In  his 
atque  huiusmodi  locis  quemadmodum  tropus  sermonis  excludit 

\y  mutabilitatem  a  deo,  ita  yitari  non  potest,  quin  inteUigamus 
in  nobis  esse  yoluntatem  huc  et  iUuc  flexilem,^)  quae  si  ne- 

20  cessitate  flectitur  ad  malum,  cur  imputatur  peccatum?  Si 
necessitate  flectitur  ad  bonum,  cur  deus  ex  irato  fit  propitius, 
cum  nihilo  plus  iUic  debeatur  nobis  gratiae? 

II  b  1.    Atque  hactenus  quidem  ex  yetere  testamento,  de 
quo  fortasse  causetur  aliquis,   nisi  haec  essent  ex  eorum 

25  genere,  quae  non  solum  obliterata  non  sunt  per  lucem  eyan- 
gelicam,  yemm  etiam  plus  yigoris  acceperunt.  Veniamas  igitur 
ad  noyi  testamenti  libros.  Ac  primum  occurrit  locus  ex 
eyangelio,  quo  Christus  deplorans  excidium  urbis  Hierosoly- 
morum  ita  loquitur:   Hierusalem,  Hierusalem,  quae 

dOoccidis  prophetas  et  lapidas  eos,  qui  missi  sunt 


»)  Fr.  B.  X«:  vides.  «)  (4.  Reg.  20,  5.) 

»)  (2.  Eeg.  12,  13.) 

^)  Da  von  einem  Wechsel  bei  Gott  nnr  bildlich  geredet  wird,  so  kann 
der  Wechsel  nnr  anf  selten  des  Menschen  liegen. 


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—    39    — 

ad  te,^)  quoties  volui  congregare  te,  qnemadmo- 
dum  gallina  congregat  pullos  suos  sub  alas  snas,^ 
et  noluisti?')    Si  cuncta  fiunt  necessitate,  nonne  meiito 
Hierosolyma   poterat    respondere   deploranti    domino:     Quid  ^ 
inanibus  lacrimis  te  maceras?   8i  tu  nolebas  nos  auscultare  5 
prophetis^X  ^^^  ^^^  misisti?    Cur  nobis  imputas,  quod  tua 
Toluntate,  nostra  necessitate  factum  est?    Tu  volebas  nos 
congregare  et  idem  in  nobis  nolebas  \  cum  hoc  ipsum  operatus 
sis  in  nobis,  quod  noluerimus.    Atqui  in  yerbis  domini  non 
accusatur  in  ludaeis  necessitas,  sed  prava  ac  rebellis  voluntas:  10 
Ego  volui   congregare,    tu   noluisti.     Eursus  alibi: 
Si  vis   ad  vitam  ingredi,   serva  mandata.^     Qua 
fronte  diceretur:  si  vis,  cui  voluntas  libera  non  est?  Item: 
Si  vis  perfectus  esse,  vade  et  vende')  etc.    Item 
Lucae  nono  (23) :  Siquis  vult  post  me  venire,  abnegetlß 
semetipsumet  tollatcrucem  suam  et  sequatur  me. 
In  praecepto  tam  difficili  tarnen  audis  mentionem  voluntatis 
nostrae.    Ac  mox:    Qui  enim  voluerit  animam  suam 
salvam  facere,  perdet  eam.®)     Nonne  frigent   omnia 
praeclara  praecepta  Christi,  si  nihü  tribuitui^  humanae  vo-  20 
luntati?    Ego    autem   dico  vobis,   Ego   autem   dico 
vobis^)etc.    Et:  Si  diligitis  me,  mandata  mea  ser- 
va t  e.^^)  Quanta  apud  loannem  inculcatio  mandatorum  ?  Quam 
male  coniunctio :  si,  congruit^^)merae  necessitati?  Si  manse- 
ritis  in  me  et  verba  mea  in  vobis  manserint")    Si  26 
vis  perfectus  esse.") 

IIb 2.  lam  ubi  toties  est  operum  bonorum  et  malorum 
mentio,  ubi  mentio  mercedis,  ibi  non  intelligo,  quo  pacto  locus 
Sit  merae  necessitati    Neque  natura  neque  necessitas  habet 


»)  B:  a  te.  «)  X«  fehlt:  sna».  »)  Matth.  23  (37) 

*)  X«:  prophetas.  »)  B:  volebas.  «)  Matth.  19  (17). 

')  Ibidem  (19,  21).  ^)  (Luc.  9,  24.) 

*)  Matth.  5  (22.  28  etc.).    X^  fehlt:  Ego  autem  dico  Tobis. 
*^  loan.  14  (15).  **)  X':  coniunctio,  si  congruit 

")  loan.  15  (7).  '»)  (Matth.  19,  21.) 


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—    40    — 

meritam.  Sic  aatem  dominus  noster  lesos  loqnitor  Matth. 
qiiinto(12):6aadeteet  exsultate,  qniamerces  vestra 
copiosa  est  in  caelis.  Qoid  sibi  vnlt  parabola  de  ope- 
rariis  condnctis  in  yineam?^)    An  operarii  sunt,  qni  nihil 

5  operantor?  Dator  denarios  ex  pacto  velnt  operae  praemiom. 
Dicet  aliqnis:  Merces  dicitnr,  qnod  a  deo  quodammodo  debetor, 
qoi  snam  fidem  obstrinxit  homini,  si  crediderit  promissis 
ipsins.  Atqoi  hoc  ipsom:  credere,  opns  est  in  quo  nonnulla 
fanctio  est  liberi  arbitrii,  cum  sese  applicat  ad  credendnm 

10  aut  avertit  Cor  collandatnr  servus,  qni  domini  sortem  saa 
anxerat  indostria,  cor  damnatnr  ignavos  et  cessator,  si  nihil 
ibi  nostrnm  est?  Rnrsam  cap.  yigesimoqninto  (36,  36),  cnm 
inyitat  omnes  ad  consortiom  aetemi  regni,  non  commemorat 
necessitatem,  sedipsonun  benefacta:  Dedistis  cibnm,  de- 

16  distis  potnm,  coUegistis  hospitem,  vestistis  nn- 
dnm  etc.  ßorsos  haedis,  qoi  a  sinistris  snnt,  exprobrat  non 
necessitatem,  sed  yoluntariamopenun  omissionem:  Vidistis 
esnrientem,  data  est  benefaciendi  occasio,  non  dedistis 
cibnm  etc.^)    lam  nonne  omnes  evangelicae  qnoqne  literae 

80  plenae  snnt  exhortationibns:  Yenite  ad  me,  qni  onerati 
estis,*)  vigilate,0  orate,*)  petite,  qnaerite,  pul- 
sate,*)  videte,  cavete?')  Qnid  sibi  yolnnt  tot  parabolae 
de  cnstodiendo  verbo  dei,®)  deoccnrendo  sponso,*) 
de  noctnrno  suffossore'*),  de  domo  fnndandasnper 

85petram?^^)  Nimirnm  ad  stndinm,  ad  conatnm,  ad  indnstriun 
nos  excitant,  ne  pereamns  negligentes  dei  gratiam.  Haec 
ant  ftigida  videntnr  ant  snpervacanea,  si  cancta  referantnr 
ad  necessitatem.    Idem  dicendnm  est  de  minis  evangelids: 


»)  (Matth.  20,  1—16.)  *)  (Matth.  25,  42.) 

»)  (Matth.  11,  28.)  *)  (Matth.  24,  48.) 

')  (Matth.  5,  44.)  «)  (Matth.  7,  7.) 

")  (Marc.  8,  15.) 

*)  (Matth.  13,  1—8.)  Zum  Wortlaut  vgl.  Luc.  11,  28. 

•)  (Matth.  25,  1—13.)  »«)  Nocturno?  (yieUeicht  Matth.  25,  14—30). 

")  (Matth.  7,  24  f.  ) 


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—    41    — 

Vae  vobis,  scribae,  yae  vobis,  hypocritae,*)  vae 
tibi,  Corozaim!*)  Frigebunt  et  exprobrationes  illae:  O 
generatio  incredula  et  perversa,  qnamdiu  ero 
vobiscnm,  quamdiu  vos  patiar,*)  serpentes,  pro- 
genies  viperarum,  quomodo  fugietis  a  iudicio  b 
gehennae?*)  Ex  fructibus,  inquit  dominus,  eorum 
cognoscetis  eos.*^)  Fructus  opera  dicit,  ea  nostra  Tocat; 
at  ea  nostra  non  sunt,  si  cuncta  geruntur  necessitate.  Orat 
in  cruce:  Pater,  ignosce  illis,  quia  nesciunt,  quid 
faciunt.*)  Quanto  iustius  excusasset  eos,  quia  non  est  illis  10 
libera  voluntas  nee  possunt,  si  velint,  aliter  facere!  Kursus 
Joannes:  Dedit  eis  potestatem  filios  dei  fieri,  bis, 
qui  credunt  in  nomine  ipsius.^)  Quomodo  datur  potestas, 
ut  filii  dei  flaut,  qui  nondum  sunt,  si  nostrae  voluntatis  nuUa 
est  libertas?®)  Cum  quidam  oflFensi  verbis  domini  discessissent  15 
ab  eo,  dixit  proximis  discipulis:  Numquid  et  vos  vultis 
abire?*)  Si  illi  non  discesserant  sua  sponte,  sed  necessitate, 
cur  ceteros  interrogat,  num  et  ipsi  velint? 

n  b  3.    Sed  non  erimus  molesti  lectori  recensendis  huius- 
modi  locis  omnibus,  quorum  ut  non  est  numerus,  ita  sua  ao 
sponte  facUe  cuique  occurrunt.     Dispiciamus,   an   et   apud 
Paulum,  strenuum  assertorem  gratiae  et  perpetuum  expugna- 
torem  operum  legis,  reperire  liceat,   quod  statuat  liberum  ^ 
arbitrium.     Atque   in   primis   occurrit  locus  in  epistola  ad 
Romanos  cap.  secundo  (4) :  An  divitias,  inquit,  bonitatisds 
eins  et  patientiae  et  longanimitatis  contemnis? 
An  ignoras,  quod  benignitas  deiad  paenitentiam 
te  adducit?   Quomodo  imputatur  contemptus  praecepti,  ubi 


')  (Matth.  23,  13  ff.)  «)  (Matth.  11,  21.)    A:  Gorozaim. 

«)  Mar.  9  (19).  *)  (Matth.  23,  33.)  »)  Matth.  7  (16). 

•)  Luc.  28  (34).  ^  loan.  1  (12).    B:  loan.  5. 

^)  Wie  HilariüB  (de  trin.  I,  11  Msl.  10  col.  33  A)  und  Augustin  (tract. 
in  loan.  63,  8,  Msl.  35,  coL  1778)  verwendet  auch  Fisher  (1.  c.  p.  548f., 
670)  Joh.  1,  12  als  Beweis  für  die  Willensfreiheit. 

»)  loan.  6  (68). 


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^  non  est  libera  yolnntas?  Aut  quomodo  deos  inyitat  ad  paeni- 
tentiam,  qai  auctor  est  impaenitentiae?  Aut  quomodo  iusta 
est  danmatio,  ubi  iudex  cogit  ad  maleficium?  Et  tarnen 
Paulus  paulo  ante  dixerat:  Seimus  enim,  quoniam  iu- 
6dicium  dei  est  secundum  yeritatem  in  eos,  qui 
talia  agunt.^)    Audis  actionem,  audis  iudicium  secundum 

*^  veritatem.  Ubi  mera  necessitas?  Ubi  voluntas  nihil  aliud 
quam  patiens?*)  Vide  vero,  cui  malum  illorum  imputet 
Paulus:   Secundum    autem    duritiem   tuam    et   im- 

lOpaenitens  cor  thesaurizas  tibi  iram  in  die  irae 
et  revelationis  iusti  iudicii  dei,  qui  reddet  uni- 
cuique  secundum  opera  eins.')  Et  hie  audis  iustum 
dei  iudicium,  audis  opera  digna  supplicio.  Quod  si  deus  sua 
tantum  bona  opera,  quae  per  nos  operatui*,  imputaret  nobis 

16  ad  gloriam  et  honorem  et  immortalitatem,  plausibilis  esset 
benignitas  (quamquam  et  hie  admiscet  apostolus:  secundum 
patientiam  boni  operis,  et  rursum:  quaerentibus 
yitam  aeternam).^)  Ceterum  qua  iustitia  infligitur  ira, 
indignatio,  tribulatio,  angustia  homini  velut  operanti  malum, 

90  qui  nihil  operatur  sponte,  sed  omnia  facit  necessitate? 

II  b  4.  lam  qui  consistunt  illae  Pauli  coUationes  de 
currentibus  in  stadio,  de  brabeo,  de  Corona,  si  nihil  est  tri- 
buendum  nostro  conatui?  Ad  Corinth.  cap.  nono  (24,  25):  An 
nescitis,  quod  hi,   qui  in  stadio  currunt,  omnes 

85quidem  currunt,  sed  unus  accipit  brabeum?  Sic 

^currite,  ut  comprehendatis  etc.  Ac  mox:  Et  illi 
quidem,  ut  corruptibilem  coronam  accipiant,  nos 
autem  incorruptam.  Corona  non  datur,  nisi  certantibus, 
et  praemii  loco  datur,  tamquam  hunc  honorem  promeritis.^) 

80  Rursum  ad  Timotheum  prima  cap.  sexto  (12)*):  Certa, 
inquit,  bonum  certamen  fidei,  apprehende  vitam 


»)  (Rom.  2,  2.)  «)  Vgl  Luther  und  Karlstadt. 

»)  (Rom.  2,  6f.)  *)  (Rom.  2,  7.) 

*)  X':  pro  meritis.  •)  B:  cap.  9. 


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—    43    — 

aeternam.    UM  certamen  est,  ibi  conatus  est  voluntariaS; 
ibi  periculnm  est,  ne,  si  cesses,  perdas  praemimn.    Non  itidem 
fit,  abi  mera  necessitate  eveniant  omnia.    Korsum  ad  eundem 
epistolae  secundaecap.  secimdo(5):  Nam  et  qni  certat  in 
agone,  non  coronatnr,  nisi  qni  legitime  certaverit.   5 
Acpanlo  snperins:  Labora  sicnt  bonns  miles  Christi.*)  v^ 
Meminit  et  agricolae  laborantis.')    Certanti  datnr  Corona,') 
militanti  salarinm,  agricola  fructnm  percipii/)   Item  eiusdem 
epistolae  cap.  qnarto  (7,  8):   Bonum,   inquit,   certamen 
certavi,    cursum   consnmmavi.     In   reliqnnm   re-  10 
posita  est  mihi  corona   institiae,    qnam   reddet 
mihi  dominus  in  illadie,  iustus  iudex.  Mihi  difflcile 
videtor  certamen,  coronam,  instnm  iudicem,  reddendi,  certandi 
verbnm  coninngere  cnm  omnium  remm  mera  necessitate,  cum 
voluntate  nihil  agente,  sed  tantnm  patiente.^)  15 

n  b  5.   lacobns  item  hominum  peccata  non  tribnit  neces- 
sitati  ac  deo  in  nobis  operanti,  sed  ipsorum  depravatae  con- 
cnpiscentiae.  Dens,  inqnit,  neminem  tentat,  sed  unus- 
qnisque  tent aturaconcnpis centiasua  abstr actus  "- 
et  illectus;  deinde  concupiscentia,  cum  conceperit,  ao 
parit  peccatu m.^    Malefacta  hominum  Paulus  vocat  opera 
camis,')  non  opera  dei,  videlicet  hoc  appellans  camem,  quod 
lacobus  Yocat  concupiscentiam.    Et  in  Actis  audit  Ananias: 
Cur  tentavit  Satanas   cor  tuum?^)    Paulus  item  ad 
Ephes.   cap.  secundo  (2)  mala  opera  tribnit  spiritui  huius  25 
aeris,  qni  operatur  in  filiis  diffldentiae.    Quae  communi- 
catio  Christo   cum   Belial?^)     Aut   facite,   inquit, 
arborem  bonam  et  fructus  eins  bonos,  aut  facite 
arborem  malam  et  fructus  eins  similiter  malos.*^) 
Qua  igitur  fronte  quidam  deo,  quo  nihil  potest  esse  melius,  90 
tribuunt  fructus  pessimos?    Quamquam  autem  humana  con- 


»)  (2.  Tim.  2,  3.)  ')  (2.  Tim.  2,  6.)  «)  (2.  Tim.  2,  5.) 

*)  (1.  Cor.  9,  7.)  »)  Gegen  Luther  und  Karistadt. 
«)  lacob.  1  (ia-15).  ^  (GaL  5,  19.)  »)  Act.  5  (8). 

•)  (2.  Cor.  6,  15.)  '^)  Matth.  12  (33). 


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—    44    — 

cnpiscentia  soUicitator  a  Satana  aut  rebus  extrariis  aut  alioqai 
per  occasionem  rei,  quae  est  in  homine,  tarnen  sollicitatio  non 
aJDfert  peccandi  necessitatem.  si  velimns  obniti  implorato  divino 
praesidio,  qnemadmodnm  Spiritus  Christi  provocans  nos  ad 
5  bene  agendum  non  affert  necessitatem,  sed  opem.  Consentit 
cum  Jacobo  Ecclesiasticus  cap.  15(21):  Nemini  mandavit 
deus  impie  agere  et  nemini  dedit  spatium  pec- 
candi At  qui  cogit,  plus  facit,  quam  si  mandet.  Sed  eviden- 
tius  est,  quod  scribit  Paulus  2.  ad  Timoth.  secundo  (21):  Si 

lOquis  ergo  se  emundaverit  ab  istis,  erit  vas  in 
honorem.  Quomodo  emundat^)  se,  qui  nihil  agit  omnino? 
Scio  hie  subesse  tropum,  sed  in  praesentia  mihi  satis  est, 
quod  hie  sermo  multum  dissonat  ab  his,  qui  volunt  omnia 
tribuere  merae  necessitati.    Concinit  huic  illud  1.  loan.  5:*) 

16  Omnis,  qui  habet  hanc  spem  ineo,  sanctificat  se, 
sicut  et  ille  sanctus  est  Admittam  hie  tropum,  si 
yicissim  illi  nobis  in  aliis  locis  permittent  tropi  praesidium. 
Et  tamen  nimis  impudens  fuerit  tropus,  si  quis  interpretetur: 
sanctificat  se,  id  est  velit  nolit  sanctificatur  a  deo.*)    Abi- 

20ciamus,  inquit  Paulus,  opera  tenebrarum.*)  Et:  Ex- 
spoliantes  veterem  hominem  cum  actibus  suis.*) 
Quomodo  iubemur  abicere  et  exuere,  si  nihil  agimus?  Item 
ad  ßo.  7.  (18):  Nam  velle  adiacet  mihi,  perficere 
autem  bonum  non  invenio.    Hie  Paulus  videtur  fateri 

26  esse  in  hominis  potestate  velle,  quod  bonum  est;  atqui  hoc 
ipsum  velle  benefacere  bonum  est  opus,  alioqui  nee  velle 
malum  erit  in  malis.*)  Ceterum  extra  controversiam  est 
voluisse  occidere  malum  esse. 


')  X':  emimdet. 

*)  Fehlerhaftes  Zitat;  die  SteUe  steht  1.  Jo.  8,  3. 

*)  Mit  Rücksicht  auf  Kapstadts  wiUkürliche  Exegese  (p.  60  Anm.  2) 
setzt  E.  die  Möglichkeit  einer  solchen  Erklärong  hei  seinen  Gegnern  Yorans. 

*)  Eom.  13  (12).  ft)  Coloss.  3  (9). 

^)  D.  h.  sonst  würde  ja  auch  das  WoUen  des  Blasen  nicht  sn  den 
h(^en  Dingen  gehören. 


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üb 6.    RursTun  1.  ad  C!or.  14  (32):  Spiritus,  inquit, 
prophetarum  prophetis  subiectus^)  est.  Si  quos  agit 
Spiritus  sanctus,  sie  agit,  ut  sit  illis  liberum,  si  velint,  obtices-   y 
cere,  multo  magis  hominis  voluntas  ex  sese  sui  iuris  est 
Nam  hi,  quos  agit  Spiritus  phanaticus,  nee  taeere  possunt,  si   5 
velint,  et  saepe  non  intelligunt  ipsi,  quid  loquantur.    Eodem 
periiinet  illud,  quod  admonet  Timotheum:  Noli  negligere 
gratiam,  quae  in  te  est.^)    Deelarat  enim  in  nobis  esse 
avertere  animum  a  gratia  data.     Item   alibi:   Et  gratia 
eins  in  me  vacua  non  fuit.^)    Signifieat  se  non  defuisse  10 
gratiae  divinae.    Quomodo  non  deftiit,  qui  nihil  egit?  Petrus 
epist.  2.  eap.  1  (5):  Vos  autem,   inquit,  omnem  curam 
subinferentes    ministrate    in    fide    vestra    vir- 
tutem   ete*     Ac  mox:    Quapropter,    fratres,   magis 
satagite,  ut  per  bona  opera  eertam  voeationem  15 
vestram  et  eleetionem  faeiatis.*)   Vult  nostram  solli- 
citudinem  iungi  gratiae  divinae,  ut  per  gradus  virtutum  per- 
veniamus  ad  perfeetionem. 

n  b  7.  Sed  iamdudum  vereor,  ne  cui  videar  in  his  eon- 
gerendis  immodieus,  eum  nusquam  non  oeeurrant  in  divinis  20 
voluminibus.  Cum  enim  scribat  Paulus  seeunda  ad  Timotheum 
cap.  tertio  (16):  Omnis  enim  seriptura  divinitus 
inspirata  utilis  est  ad  doeendum,  ad  arguendum, 
ad  corripiendum,  ad  erudiendum  etc.,  nihil  horum 
videtur  habere  loeum,  ubi  mera  et  inevitabili  neeessitate  26 
gernntur  omnia.  Quorsum  pertinent  tot  eneomia  sanctorum 
apud  Eeelesiastieum  eap.  quadragesimoquarto  et  sequentibus 
aliquot,  si  nihil  debetur  industriae  nostrae?  Quid  sibi  vult 
ubique  laudata  oboedientia,  si  ad  bona  et  simul  ^)  mala  opera 
tale  sumus  instrumentum  deo,  quäle  securis  est  fabro?^)        so 


*)  X*:  subvectus.  •)  1.  Tim.  4  (14). 

«)  1.  Cor.  16  (10).  *)  2.  Pet.  1  (10).  *)  B:  simul  et. 

^  Vgl.  Luthers  Probationes  zu  den  Heidelberger  Thesen,  cond.  VI 
ed.  Stange,  die  ältesten  eth  Disp.  p.  60. 


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—    46    — 

n  b  8.  At  tale  instramentum  snmiis  omnes,  si  yenun  est 
dogma  Vuyclevi,  omnia  et  ante  gratiam  et  post  gratiam,  bona 
pariter  ac  mala,  qnin  et  media,  mera  necessitate  geri,  quam 
sententiam  approbat  Lntheros.   Quod  ne  qnis  a  me  confictnm 

6  cansetnr,  ipsius  verba  snbscribam  ex  assertionibus:^)  Unde, 

inquit,  et  hunc   articulnm   necesse   est   revocare. 

,      Male    enim    dixi,    quod    liberum   arbitrium   ante 

gratiam  sit  res   de  solo  titulo,  sed  simpliciter 

debui  dicere:  Liberum  arbitrium  est  figmentum 

10  in  rebus  seu  titulus  sine  re,  quia  nulli  est  in 
manu  quippiam  cogitare  mali  autboni,  sed  omnia, 
ut  Yuycleyi  articulus  Gonstantiae  condemnatus 
recte  docet,  de  necessitate  absolute*)  eveniunt 
Hactenus  Lutheri  verba  recitavimus.     Multa  loca  pmdens 

15  praetereo,  quae  sunt  in  Actis  et  in  Apocalypsi,  ne  molestus 
sim  lectori.  Haec  tarn  multa  non  sine  causa  moyerunt  eruditos 
ac  sanctos  viros,  ne  in  totum  tollerent  liberum  arbitriunu 
Tantum  abest,  ut  spiritu ')  Satanae  fuerint  instigati  ^)  sibique 
damnationem  accersierint  fidentes  operibus  suis. 

20  III  al.  Nunc  tempus  est^  ut  ex  adverso  recenseamus 
aliqaot^)  scripturarum  testimonia,  quae  yidentur  prorsus 
tollere  liberum  arbitrium.  Ea  sane  nonnulla  sunt  obyia  nobis 
in  sacris  voluminibus,  sed  in  bis  duo  praecipua  sunt  ac  ceteris 
eyidentiora,  quorum  utrumque  sie  tractat  Paulus  apostolus, 

25  ut  prima  specie  nihil  omnino  tribuere  videatur  vel  operibus 
nostris  vel  Üben  arbitrii  viribus.  Alter  locus  est  Exodi 
cap.  9  (12,  16)  et  tractatur  a  Paulo  epistolae  ad  Romanos 

y  cap.  nono  (14sq):  Induravitque  dominus  cor  Phara- 
onis  et  non  audivit  eos.    Et  rursus:  Idcirco  autem 

aoposui  te,  ut  ostendam  in  te  fortitudinem  meamet 
narretur  nomen  meum  in  omni  terra.  Paulus  sie  explicat 


»)  Ass.  36,  W.  A.  VII  p.  146.  «)  Luther  schreibt:  absoluta. 

')  H:  Spiritus.  «)  So  Ass.  a.  a.  0.  p.  145  Z.  35  f. 

^)  B:  aliquod. 


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-    47    — 

addncenB  similem  locnm,  qui  est  Exodi  trigesimosecnndo:^) 
Mosi  enimdixit:  Miserebor,  cuicumque  misereor,  ^X 
et  commiserabor,  quemcumque  commiseror.  Igitnr 
non  Yolentis  neque  cnrrentis,  sed  miserentis  est 
dei.   Alter  est  apnd  Malachiam  cap.  primo  (2,  3),  et  tractatnr   6 
apud   Paulum    cap.    nono  (11 — 13):    Nonne  frater  er.at 
lacob,  dicit  dominus?^)     Et    dilexi    lacob,  Esan 
autem    odio   habui.     Paulus   sie   explicat:   Cum   enim 
nondum  nati  essent  aut  aliquid  boni  egissent  aut 
mali,    ut    secundum    electionem   propositum    dei  10 x 
maueret,  non  ex  operibus,  sed  ex  vocante  dictum 
est  ei,  quia  maior  serviet  minori,  sicut  scriptum 
est:  lacob  dilexi,  Esau  autem  odio  habui. 

nia2.    Quoniam  autem  absurdum  videtur,  ut  deus,  qui 
non  solum  iustus  est,  verum  etiam  bonus,  indurasse  dicatur  15 
cor  hominis,  ut  per  illius  malitiam  suam  illustraret  potentiam, 
Origenes  libro  Ttegl  &qxG)v  tertio*)  sie   explicat  nodum,   ut 
fateatur  occasionem  indurationis  datam  a  deo,  culpam  tamen  ^ 
in  Pharaonem  reiciat,  qui  sua  malitia  factus  sit  obstinatior 
per  haec,  per  quae  debebat  ad  paenitentiam  adduci ;  quemad-  20 
modum  ex  eodem  imbre  terra  culta  producit  fructum  optimum, 
inculta  spinas  ac  tribolos,  et  quemadmodum  ex  eodem  sole 
cera  liquescit,  limus  durescit,  ita  lenitas  dei,  quae  tolerat 
peccantem,  alios  adducit  ad  paenitentiam,  alios  reddit  obsti- 
natiores  in  malitia.   Miseretur  ergo  eorum,  qui  dei  bonitatem  2fr 
agnoscentes  resipiscunt.     Indurantur    autem,   qui   dilati  ad 
paenitentiam  neglecta  dei  bonitate  proficiunt   ad   deteriora. 
Tropum   autem,  quo  dicitur  fecisse,   qui    dedit  occasionem, 
probat  primum  ex  consuetudine  sermonis  popularis,  quo  vulgo 


>)  Falsches  Zitat;  die  SteUe  steht  Ex.  33,  19. 

^  Diese  Worte  sind  in  dieser  Form  unverständlich.  Es  müßte  heißen : 
Nonne  frater  erat  Esan  lacob,  dicit  etc. 

*)  Cap.  I,  §  10  f.  (Msg.  11,  col.  265—270).  Die  Gedanken  bis  zum 
Schluß  des  Abschnittes  sind  sämtlich  dieser  OrigenessteUe  entnommen. 


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v/ 


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pater  dicit  filio:  Ego  te  perdidi,  quod  errantem  non  statim 
punierit.^) 

in  a  3.  Usus  est  simili  tropo  Esaias  cap.  63  (17):  Quar  e 
errare  nos  fecisti,  domine,  deviistuis,  indurasti 

6  cor  nostrum,  ne  timeremus  te?  Hone  locmn  inxta 
sententiam  Origenis*)  interpretatur  Hieronymus.*)  Indurat 
dens,  cum  non  statim  castigat  peccantem,  et  miseretnr,  cum 
mox  per  afflictiones  ad  paenitentiam  invitat.  Sic  apud  Osee 
loqnitur  iratus:  Non  visitabo  super  filias  vestras, 

10  cum  fuerint  fornicata e.*)  Kursus  misericorditer  castigat 
in  PsaL  88  (33) :  Visitabo  in  virga  iniquitates  eorum 
et  in  verberibus  peccata  eorum.  Eodem  tropo  dixit 
Hiere.  ca.  20  (7):  Seduxisti  me,  domine  et  seductus 
sum,  fortior  me  fuisti  et  invaluisti.  Seducere  dicitur, 

16  qui  non  statim  revocat  ab  errore,  quod  ipsum  existimat  Ori- 
genes  *)  interim  conducere  ad  perfectiorem  sanitatem,  quemad- 
modum  periti  chirurgi  malunt  tardius  obducere  cicatricem 
vulneri,  quo  magis  educta  per  hiatum  vulneris  sanie*)  suc- 
cedat  perpetua  sanitas.   Annotat  et  illud  Origenes,^)  quod  ait 

20  dominus:  In  hoc  ipsum  excitavi  te,  non:  In  hoc  ipsum 
feci  te.  Alioqui  Pharao  non  faisset  impius,  si  talem  condidisset 
deus,  qui  contemplatus  est  omnia  opera  sua  et  erant  valde 
bona.  Nunc  utroque  vertibili  voluntate  conditus  suapte  sponte 
deöexit  ad  malum,  dum  suo  animo  maluit  obsequi  quam  dei 

26  iussis  obtemperare. 

nia4.  Hac  autem  Pharaonis  malitia  deus  abusus^)  est 
in  suam  gloriam  et  ad  salutem  populi  sui,  quo  magis  per- 
spicuum    esset   homines   frustra   conari,    qui    dei   voluntati 


*)  H.  pnDieris.    Vgl.  übrigens  auch  J.  Fisher  (1.  c.  p.  674). 

«)  De^l  ä^X'  III,  cap.  1  §  12  (Msg.  11,  270f.). 

*)  Comm.  in  Esaiam  lib.  XVU  zur  SteUe  (Msl.  24,  col.  643  AB). 

*)  Osee  4  (14).  ^)  L.  c.  §  18  coL  274  A. 

•)  X*:  sanies. 

^  Comm.  in  ep.  ad.  Rom.  lib.  VU  zur  SteUe  (Msg.  14,  coL  1146  B). 

^)  Abuti  hier  ==  gebranehen. 


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resistunt,    qnemadmodnm   pmdens   rex   aut   paterfamilias  ^) 
saevitia  qnomndam,  quos  odit,  tarnen  ad  poniendos  improbos 
abutitnr.*)   Nee  tarnen  ideo  vis  fit  nostrae  voluntati,  si  remm 
eventus  in  mann  dei  est  aut  si  ille  conatns  hominnm  pro  suo 
arcano  consilio  alio  vertit,  quam  illi  destinarant.    Quemad-   5 
modum  igitur  malomm  conatus  vertit  in  bonom  piorum,  ita 
bonorum  conatns  non  asseqnuntnr,  qnod  expetunt,  nisi  adinti 
gratuito  dei  favore.    Nimimm  hoc  est,  qnod  snbicit  Paulus: 
Igitur  non  volentis  neque  currentis,  sed  mise- 
rentis  est  dei.^)    Praevenit  dei  misericordia  voluntatem  10 
nostram,  comitatur  eandem  in  conando,  dat  felicem  eventum.   ^^ 
Et  tarnen  interim  volumus,  currimus,  assequimur,  sie  tarnen, 
ut  hoc  ipsum,  qnod  nostrum  est,  ascribamus  deo,  cuius  su- 
mus  toti. 

lU  a  5.     Satis   autem  explicant  nodum  de  praescientia,  16 
qnod  non  imponat  necessitatem  voluntati  nostrae,  sed  mea^ 
sententia  vix  alius  felicius  quam  Laurentius  VaUa.*)     Nee 
enim  praescientia  causa  est  eorum,  quae  eveniunt,  cum  et 
nobis  contingat  multa  praescire,  quae  non  ideo  eveniunt,  quia 
praescimus,  sed  ideo  praescimus,  qnod  sint  eventura,  quemad-  20 
modum  non  ideo  fit  eclipsis  solis,  qnod  eam  astrologi  futuram 
praedixerint,  sed  ideo  futuram  praedixerunt,  qnod  esset  futura. 

ina6.    Ceterum  de  voluntate  ac  destinatione  dei  diffi- 
cilior  est  quaestio.    Vult  enim   deus   eadem,  quae  praescit.  ^ 
Nam  aliquo  modo  velit  oportet,  qui,  quod  praescit  futurum,  26 
tamen  non  impedit,  cum  ipsi  sit  in  manu.    Et  hoc  est,  quod 


*)  A:  patrifamilias. 

^)  Vgl.  zu  diesem  Bilde  Origenes,  comm.  in  ep.  ad  Born.  1.  c.  coL 
1146  AB. 

«)  Rom.  9  (16).    B:  Eom.  6. 

^)  S.  p.  13  Anm.  3.  Die  folgende  Argamentation  ist  übrigens  nicht 
erst  Ton  VaUa  (dial.  de  lib.  arb.  L  c.  p.  1005)  aufgebracht,  sondern  war 
schon  bei  den  Kirchenyätem  üblich  (ygl.  z.  B.  Hieron.  comm.  in  Jer.  zn 
26,  3  Msl.  24,  col.  877  A;  loann.  Damasc.  contra  Manich.  §  79  Msg.  94, 
col.  1577  B). 

Walter,  De  llbero  arbltrio.  4 


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s/ 


—    60    — 

subicit  Paulas:  Voluntati  eins  qnls  resistit^),  si 
miseretnr  cui  vult,  si  indnrat  quem  vult?*)  Etenim*) 
si  esset  rex,  qui  quicquid  vellet  efSceret,  neque  quisquam 
posset  obsistere,  facere  diceretur  quicquid  vellet.*)  Ita  dei 
5  voluntas,  quoniam  est  principalis  causa  omnium,  quae  fiunt, 
videtur  nostrae  voluntati  necessitatem  inducere.  Nee  haue 
quaestionem  explicat  Paulus,  sed  obiurgat  disputantem :  O 
homo,  tu  quis  es,  qui  respondes  deo?')  Verum 
obiurgat  impie  obmurmurantem,  veluti  si  herus  dicat  servo 

10  responsatori:  Quid  tua  refert,  quare  sie  iubeam?  Tu  fac, 
quod  iubeo,  aliud  responsurus,  si  servus  prudens  ac  benevolus 
modeste  cupiat  a  domino  discere,  quare  velit  hoc  fieri^  quod 
in  speciem  videretur  inutile/)  Voluit  deus  male  perire  Phara- 
onem  et  iuste  voluit  et  bonum  erat  illum  perire,  nee ')  tarnen 

15  ille  coactus  est  dei  voluntate,  ut  pertinaciter  esset  impius.®) 
Veluti  si  dominus  sciens  pravum  ingenium  servi  committeret 
illi  munus,  in  quo  daretur  occasio  peccandi,  quo  deprehensus 
lueret  paenas  in  exemplum  aliorum,  praescit  illum  peccatumm 
et  usurum  ingenio  suo  et  vult  eum  perire  et  vult  eum  aliquo 

20  pacto  peccare,  nee  tarnen  excusatur  servus,  qui  suapte  malitia 

peccavit.    lam  enim  antea  commeritus  est,  ut  omnibus  pro- 

dita  ipsius  malitia  det  paenas.    Verum  unde  sumes  initium 

^    meritorum,  ubi  est  perpetua  necessitas  et  ubi  numquam  fnit 

libera  voluntas? 

25  m  a  7.  Quod  autem  de  rerum  eventu  diximus,  quia  d^is 
frequenter  alio  vertit,  quod  agitur,  quam  destinarant  homines^ 


')  (Rom.  9,  19.)  »)  (Rom.  9,  18.)  «)  X*:  Et  enim. 

*)  Dieser  Satz  ist  nicht  etwa  taatologisch.  Im  Hanptsatz  ist  nicht 
rex  Subjekt,  sondern  quicquid  veUet:  „so  würde,  was  auch  immer  er  will, 
ein  Tun  genannt  werden.^ 

»)  (Rom.  9,  20.) 

•)  Vgl.  Orig.  n,  d^X'  III,  I,  21,  Msg.  11  col.  297  C  f. 

^  Dies  Wort  ist  bei  Fr.  das  Anfangswort  einer  Seite  und  ist  klein 
gesehrieben;  der  Custode  schreibt  hingegen:  Nee  Die  gleiche  Unglekh- 
mftßigkeit  findet  sich  bei  H  und  X*. 

*)  B:  impium. 


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—    51    — 

ut  in  plerisque  verum  est,  ita  non  est  perpetao  vemin  et 
freqnentius  accidit  in  nialis  quam  in  bonis.  ludaei  erueifi- 
gentes  dominum  destinarant  illum  in  totum  abolere;  hoc 
impium  illorum  consilium  deus  vertit  in  gloriam  filii  sui  et 
in  salutem  totius  mundi.^)  Sed  Cornelius  ille  centurio,  qui  5 
bonis  operibus  ambiebat  favorem  numinis,  assecutus  est,  quod 
volebat.^  Et  Paulus  consummato  cursu  assecutus  est  coronam, 
quam  ambiebat.') 

niaS.    Hie  non  excutiam,  an  deus,  qui  est  sine  contro- 
versia  primaria  et  summa  causa  omnium,  quae  fiunt,  quaedam  10 
sie  agat  per  causas  secundarias,  ut  ipse  interea  nihil  agat, 
an  sie  agat  omnia,  ut  secundariae  causae  tantum  cooperentur 
causae  principali,  tametsi  non  sunt  alioqui  necessariae.^)  Gerte 
dubitari  non  potest,  quin  deus,  si  velit,  possit  omnium  secun-  s/ 
dariarum  causarum  naturalem  effectum  in  diversum  vertere.  16 
Videlicet  efficere  potest,  ut  refrigeret  et  humectet  ignis,  ut 
duret  et  exsiccet  aqua,  ut  obscuret  sol,  ut  rigeant  öumina,  ut 
fluant  rnpes,  ut  seryet  venenum,  ut  interimat  cibus,  quemad- 
modum  ignis  fomacis  Babylonicae  tres  pueros  refocillavit  et 
idem  Chaldaeos  exussit.^)    Id  quoties  facit  deus,  miraculum  da 
dicitnr.    Hac  ratione  potest  adimere  gustum  palato,  iudicium 
oculis,  ingenü,  memoriae  voluntatisque  vires  obstupefacere  et 
ad  id,  quod  ipsi  visum  fuerit,  cogere,  quemadmodum  fedt  in 
Balaam,  qui  venerat,  ut  malediceret,  nee  potuit:  aliud  loque- 
batur  lingua,  aliud  volebat  animus.^  Ceterum  quod  in  paucis  fit,  25 
non  pertinet  ad  generalem  sententiam.   Et  tamen  in  his  quic- 
quid  deus  vult,  ex  iustis  causis  vult,  licet  nobis  aliquoties 

')  (Vgl.  Act.  2,  23f.  u.  26.)  *)  (Act  10.) 

»)  (2.  Tim.  4,  7  f.) 

*)  £.  spielt  hier  auf  die  divergierenden  Ansichten  des  Thomas  und 
des  Dorandns  von  St.  Pordano  an.  Während  ersterer  eine  st&ndige  Mit- 
wirkung Gottes  hei  aUem  Geschehen  lehrte,  behauptete  letzterer,  daß 
Gott  die  geschaffenen  Dinge  sich  selbst  aaswirken  lasse  nnd  nur  insofern 
mitwirke,  als  er  die  Dinge  erhalte  (vgl.  BE.'  Bd.  IV  p.  262,  Z.  40ff.). 

*)  (Dan.  3,  48  ff.)  vgl.  Pisher  p.  680. 

^  (Nnm.  23)  vgl.  Lather,  ass.  p.  145. 

4* 


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—    52    — 

incogniti«.   Hiiic  volantati  nemo  potest  resistere,  sed  ordinatae 

^  volontati  siye,  at  scholae  vocant,  yolantati  signi ')  nimimm 
saepe  resistitur.  An  non  restitit  Hierosolyma,  qnae  noliiit 
congr^^ari,  com  dens  volaerit?*) 
6  niaÖ.  Sed  dixerit  aliquis:  Interim  daplici  nomine*) 
necessitas  est  in  renim  eventis,  quod  nee  praescientia  dei 
falli  possit  nee  voluntas  impedirL^)  Non  omnis  necessitas 
excludit  liberam  Yolnntatem,  qnemadmodom  deus  pater  neces- 
sario  gignit  filinm  et  tamen  yolens  ac  libere  gignit,  qnia  non 

10  coactns/)    Potest  et  in  hnmanis  rebos  aliqna  poni  necessitas, 

^     qnae  tamen  non  excindat  libertatem  nostrae  volnntatis.  Prae- 

sciebat  dens  et,  quod  praesciebat,  aliqno  modo  volebat  fore, 

nt  ladas  proderet  dominum  Itaqne  si  spectes  dei  praescientiam 

infallibilem  et  volontatem  inunatabilem,  necessario  eyentnrum 

15  est,  nt  Indas  prodat  dominum,  et  tamen  Indas  poterat  mntare 
Yolnntatem  suam  aat  certe  poterat  non  snscipere  volnntatem 
impiam  Dices:  Qnid  si  mntasset?  Non  foisset  ^  falsa  dei 
praescientia  nee  impedita  voluntas,  cum  hoc  ipsum  praescitums 
fnerit  ac  voliturus,  quod  esset  mutaturus  volnntatem.   In  bis 

20  qui  ^  rem  scbolastica  subtilitate  discutiunt,  recipiunt  necessi- 
tatem  conseqnentiae,  conseqnentis  necessitatem  reiciunt^  Nam 


^)  IHe  Yoluntas  signi  ist  derjenige  Wille  Gottes,  dessen  Inhalt  den 
Menschen  bekannt  ist. 

«)  (Matth.  23,  37.)  »)  Nomen  =  Veranlassung. 

^)  Ergänze:  Es  ist  richtig,  dafi  es  ans  diesen  beiden  Gründen  eine 
Notwendigkeit  gibt,  aber . . . 

^)  Unterscheidung  der  inneren  Notwendigkeit  Yom  äußeren  Zwange. 

^  „In  diesen  Dingen  nehmen  diejenigen,  welche . .  .'^ 

^)  Die  Unterscheidung  der  necessitas  conseqnentis  und  der  necessitas 
conseqnentiae  geht  dort,  wo  sie  auf  Gott,  die  causa  principalis,  besogen 
wird,  auf  eine  Trennung  des  göttlichen  Vorherwollens  und  Vorherwissens 
zurttck.  Jedes  Ereignis  tritt  mit  Notwendigkeit  ein;  aber  die  Art  der 
Notwendigkeit  ist  eine  yerschiedene.  Das  eine  Mal  (necessitas  conseqnentis) 
geschieht  etwas,  weil  Gott  es  vorher  so  gewollt  hat;  das  andere  Mal  (necessitas 
conseqnentiae)  ist  die  bewirkende  Ursache  des  Ereignisses  der  freie  Wme  der 
Kreatur;  gleichwohl  tritt  das  Ereignis  notwendigerweise  ein,  denn  Gott 


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—    63    — 

his  yerbis  solent  explicare,  quod  sentinnt.     Fatentur  enim 
necessario  consequi,  quod  ludas  proditurus  faerit  dominum,  ^ 
si  hoc  ab  aeterno  voluntate  efflcaci  voluit  deus,  at  negant 
consequi,  quod  ideo  necessario  proditurus  sit,  cum  ex  sua 
prava  voluntate  susceperit  impium  negotium.  5 

m  a  10.    Sed  non  est  huius  instituti  hoc  genus  argutias 
persequi.   lam  quod  dictum  est:  Induravit  dominus  cor 
Pharaonis,*)  potest  eodem  accipi  sensu,  quo  accipitur  iUud 
Pauli:  Tradidit  illos  in  reprobum  sensnm,^)  utidem 
opus  Sit  peccatum  et  paena  peccati.    Sed  quos  tradit  deus  in  10 
reprobum  sensum,  utique  tradit  ob  merita  praecedentia  veluti 
Pharaonem,   quod   tot  signis  provocatus   noluerit    dimittere 
populum,   philosophos,    quod   cum   dei    divinitatem   nossent, 
coluerint  lapides   et   ligna.     Verum  ubi  mera  perpetuaque    y 
necessitas  est,  nuUa  possunt  esse  merita  neque  bona  neque  16 
mala.   Ad  haec  negari  non  potest,  quin  ad  omnem  actum  con- 
currat  operatio  divina,  cum  omnis  actio  res  quaedam  sit  atque 
etiam  bonum  quoddam  sit,  velut  adulteram  complecti  aut  hoc 
ipsum  velle.    Ceterum  actus  *)  malitia  non  proficiscitur  a  deo, 
sed  a  nostra  voluntate,*)  nisi  quod  deus,  ut  dictum  est,  dici  20 
posset  aliquo  sensu  malitiam  voluntatis  operari  in  nobis,  quod 
eam  sinat  ire,  quo  velit,  nee  revocet  per  suam  gratiam.    Ita 
perdidisse  dicitur  hominem,  qui  cum  servare  posset,  passus 
est  perire. 


hat  es,  wie  ein  Prophet,  yoransgesehen  und  —  so  wenigstens  fügt  E. 
hinzu  —  zugelassen.  Beim  Verrat  des  Judas  kann  somit  nur  yon  einer 
necessitas  consequentiae  geredet  werden:  Der  aUwissende  GK)tt  sah  den 
Verrat  voraus  und  hinderte  ihn  nicht;  darum  mnllte  er  notwendigerweise 
eintreten.  Aber  diese  Notwendigkeit  war  eine  bedingte,  denn  die  Möglich- 
keit wenigstens  lag  vor,  daß  der  mit  freiem  Willen  ausgestattete  Judas 
den  yerräterischen  Entschlui^  nicht  faßte.  Vgl.  etwa  Thomas,  contra  gent. 
I,  67,  sol.  3,  ed.  de  Sylvestris  p.  101.  Das  Beispiel  des  Judas  hat  £.  wahr- 
scheinlich dem  Laur.  VaUa  (1.  c.  p.  1001)  entnommen. 

>)  Exod.  7.    Die  Stelle  findet  sich  jedoch  Exod.  9,  12. 

')  Rom.  1  (28).  *)  Actus  gen.  singul. 

*)  Vgl.  Fisher  p.  571  u.  Orig.  it.  ä^y,.  III,  I,  19  Msg.  11,  col.  293  AB. 


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—    54    — 

m  a  11.  8'ed  hisce  de  rebus  satis,  qnod  ad  hone  locum 
attinet.  Nunc  ad  alterom  de  Esau  et  lacob,  de  qoibus  non- 
dom  natis  oracolo  responsum  est:.Maior  serviet  minori, 
ut  habetur  Gteuesis  25  (23):  Sed  haec  vox  non  proprie  pertinet 
6  ad  hominis  salutem;  potest  enim  deus  yelle,  ut  homo  velit 
nolit  seryus  sit  aut  pauper,  ut  tarnen  non  reiciatur  ab  aetema 
Salute.  Ceterum,  quod  attexit  ex  Malachiae  cap.  1  (2):  lacob 
dilexi,  Esau  autem  odio  habui,  si  literaiA  urgeas,  deus 
nee  amat,  quemadmodum  nos  amamus,  nee  odit  quernquam,^) 

10  cum  in  hunc  non  cadant  affectus  huiusmodi.*)  Praeterea,  quod 
coeperam  dicei^e,  videtur  illic  loqui  propheta  non  de  odio,  quo 

v^  damnamur  in  aeternum,  sed  de  afflictione  temporaria,  veluti 
dicitur  ira  ac  furor  dei.')  Eeprehenduntur  illic,  qui  volebant 
exstruere  Idumaeam,  quam  deus  Yolebat  mauere  dirutam. 

16  HE  a  12.  Porro,  quod  attinet  ad  tropologiam,  nee  omnes 
gentes  dilexit  deus  nee  omnes  ludaeos  odit,  sed  ex  utraque 
gente  quosdam  elegerat,  ut  hoc  testimoninm  apud  Paulum  non 
admodum  pugnet  ad  probandam  necessitatem,  sed  potius  ad 
retundendam  arrc^ntiam  ludaeorum,  qui  credebant  sibi  pro- 

20  prie  deberi  gratiam  evangelicam,  quod  essent  posteritas  Abrahae 
et  gentes  abominabantur  nee  recipi  patiebantur  ad  evan- 
gelicae  gratiae  consortium.^)    Id  paulo  post  explicans  dicit: 


*)  Fr:  qnemqnem. 

')  Diesen  Satz  hat  Lnther  als  zwecklos  bezeichnet  (d.  serv.  arfo. 
p.  724,  30).  £.  erklärt,  ihn  geschrieben  zn  haben,  um  zn  zeigen,  daß  dies 
prophetische  Wort  von  Panlns  nicht  im  eigentlichen,  auf  die  Erwählung 
bezüglichen  Sinne  gebraucht  worden  sein  kann,  sondern  irgendwie  tropisch 
zu  yerstehen  sei  (Hjp.  II,  293).  Über  den  Tropus,  den  £.  hier  finden  wiU, 
s.  u.  Anm.  4. 

')  Hiemach  bezieht  £.  die  ira  und  den  furor  Gottes  auch  nur  auf 
zeitliche  Nöte. 

*)  Der  Sinn  dieser  wenig  glücklichen  Ausführungen  ist  folgender: 
Was  nun  das  betrifft,  daß  Paulus  in  diesem  alttestamentlichen  Worte  die 
Erwählung  der  Heiden  und  die  Verwerfung  der  Juden  ausgedrückt  findet, 
so  ist  zu  beachten,  daß  Paulus  selbst  die  Schärfe  der  Aussage  mildert,  in- 
dem er  aus  ihr  nicht  folgert^  Gott  hätte  alle  Juden  yerworfen,  aUe  Heiden 


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—    55    - 

Quos  et  vocavit,  non  solum  ex  ludaeis^)  etc.    Quo- 
niam  antem  dens,  quos  odit  aut  diligit,  ex  instis  cansis  odit 
aut  diligit,  non  magis  officit  libertati  arbitrii  odinm  et  amor, 
quo  proseqnitor  nascitiiFos,  quam  quo  natos.    Nondum  natos 
odit,  qnia  certo  praescit  illos  gesturos  odio  digna;  natos  odit,   5 
quia  committunt  odio  digna.  ludaei,  qui  erant  populus  dilectus, 
reiecti  ^  sunt,  et  gentes,  qui  non  erant  populus,  receptae  sunt. 
Qnare  ludaei  recisi  sunt  ab  olea?    Quia  noluerunt  credere. 
Quareinsitae gentes?  Quiaoboedieruntevangelio.  Hanc causam 
affert  ipse   Paulus:   Propter    incredulitatem,   inquit,  10 
fracti  sunt,^)  utique  quia  credere  noluerunt.    Et  exsectis 
facit   spem,   ut  rursus   inserantur,    si  relicta  incredulitate 
Yoluerint  credere,  et  insitis  inicit  metum,  ne  excidantur,  si 
averterint  sese  a  gratia  dei.    Tu,  inquit,  fide  stas,  noli        . 
altum   sapere,   sed  time.*)     Ac  mox:   Ut  non  sitis  16 
vobismet  ipsis   sapientes.*)     Haec  nimirum   arguunt 
Paulam  hoc  illic  agere,  ut  reprimat  gentium  simul  et  ludae- 
orum  arrogantiam.®) 

ni  a  13.  Tertius  locus  est  Esaiae  45  (9):  Vae  qui 
contradicit  factori  suo,  testa  de  samiis  terrae!  ao 
Numquid  dicet  lutum  figulo  suo:  Quid  facis?  Et 
opus  tuum  absque  manibus  est?  Sed  evidentius  apud 
Hieremiam  cap.  18 (6):  Numquid  sicut  figulus  iste  non 
potero  vobis  facere,  domus  Israel?    Ecce,  sicut 

erwählt,  sondern  (weiter  nnten)  darauf  aufmerksam  macht,  daß  Gott  seine 
Erwählten  unter  Heiden  wie  Juden  hätte.  Weil  diese  Milderung  vorliegt, 
so  kann  der  Sinn  nicht  der  sein,  als  wolle  Paulus  mit  diesem  Worte  die 
Prädestination  beweisen,  sondern  nur  der,  daß  Paulus  die  hochmütigen 
Juden  in  ihre  Schranken  weisen  will.  Die  Schlußfolgerung  des  £.  ist  yer^ 
fehlt:  IHe  Existenz  gläubiger  Juden  läßt  die  Worte  Pauli  noch  nicht  zu 
Übertreibungen  aus  pädagogischen  Eücksichten  werden.  —  Beachte  femer, 
daß  £.  unter  amor  und  odium  bei  Paulus  etwas  anderes  yersteht,  als 
bei  Maleachi. 

»)  (Rom.  9,  24.)  «)  X«:  eiecti. 

>)  (Rom.  11,  20.)  *)  (Rom.  11,  20.)  »)  (Rom.  11,  2Ö.) 

^)  Zwischen  arrogantiam  und  Tertius  bei  Fr.  B.  X^  ein  kleiner  Absatz. 


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—    56    — 

Intum  in  manu  fignli,  sie  vos  in  manu  mea.  Haec 
testimonia  magis  pngnant  apnd  Panlum,  quam  apnd  proyhetas, 
onde  decerpta  sunt  Paolos enim  ita  recenset:  An  non  habet 
potestatem  figolos  loti  ex  eadem  massa  facere 

5  aliod  qoidem  yas  in  honorem,  aliod  yero  in  con- 

tomeliam?    Qood  si  deos  volens  ostendere  iram 

^    et   notam    facere    potentiam   soam    sostinoit   in 

molta  patientia  vasa  irae  apta  ad  interitim,  ot 

ostenderet  divitias  gloriae  soae  in  vasa  miseri- 

lOcordiae,  qoae  praeparavit  in  gloriam^)  etc.  üter- 
qoe  locos  prophetae  obiorgat  popolom  obmormorantem  domino^ 
qood  affligeretor  ad  emendationem.  Horom  impias  yoces 
retondit  propheta,  qoemadmodom  Paolos  retodit  hanc  impiam 
responsationem :  0  homo,  to  qois  es?^)   In  his  aot^n  non 

15  aliter  debemos  nos  sobmittere  deo,  qoam  figoli  manibus 
obtemperat  lotom  udom.    Verom  hoc  non  adimit  in  totnm 

^^liberom  arbitriom  nee  exclodit  volontatem  nostram  yolontati 
diyinae  cooperantem  ad  salotem  aetemam.  Etenim  apod 
Hieremiam  mox  seqoitor  cohortatio  ad  paenitentiam,  qoem 

20  locom  ante  ^)  retolimos.  Ea  frostra  fit,  si  ex  necessitate  fiont 
omnia. 

in  a  14.  Porro,  qood  hie  Paoli  sermo  non  pertinet  ad 
exclodendam  in  totom  liberi  arbitrii  yim,  sed  ad  retondendam 
impiam  mormorationem  ludaeorom   adyersos  deom,   qoi   ob 

25  peryicaeem  incredolitatem  reiciebantor  a  gratia  eyangelii  genti- 
bos  ob  credolitatem  reeeptis,  satis  explieat  seconda  epistola 
ad  Timotheom  cap.  2(20,21):  In  magna  aotem,  inqoiens^ 
domo  non  solom  sontyasa  aorea  et  argentea,  sed 
et  lignea  et  fictilia  et  qoaedam  qoidem  in  honorem, 

aoqoaedam   yero  in   contomeliam.     Si  qois  ergo  se 

V  emondayerit  ab  istis,  erit  yas  in  honorem  sancti- 
ficatom  et  otile  domino  adomneopos  bonompara- 


')  Eom.  9  (21-23).  ^  (Rom.  9   20.) 

«)  S.  p.  87  Z.  23ff. 


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—    57    — 

tnm.^)    Hniosmodi  vero  similitudines  docendi  gratia  sie  ad- 
hibentnr  in  literis  sacris,  nt  tarnen  non  qnadrent  per  omnia. 
Alioqoi  quid  stnltins,  quam  si  quis  dicat  matnlae  samiae:  8i 
teipsam  expnrgaris,  eris  vas  utile  et  honorificum?  Verum  hoc 
recte  dicitur  testae  rationali,  quae  monita  potest  sese  accom-  6 
modare  ad  voluntatem  domini.   Praeterea,  sit  sane  simpliciter 
homo  deO;  quod  lutum  est  in  manu  flguli,  qualecumque  vas 
fingitur  nulli  imputabitur  nisi  flgulo,  praesertim  si  talis  sit 
figulus,  qui  lutum  etiam  ipsum  suo  arbitrio  crearit  ac  tem- 
perarit    Hie  vas,  quod  ideo  nihil  commeruit,  quia  sui  iuris  10 
non  est,  conicitur  in  ignem  aeternum.^)    Ad  id  igitur  inter- 
pretemur  parabolam,  cuius  docendi  gratia  adhibita  est.    Quod 
si  velimus  omnes  eins  partes  superstitiose  ad  id,  quod  pro- 
positum  est,   accommodare,    cogemur  multa  ridicula  dicere. 
Figulus  hie  faeit  vas  in  eontumeliam,  sed  ex  meritis  prae-  15 
cedentibus,  quemadmodum  reiecit  ludaeos  quosdam,  sed  ob 
incredulitatem.    Kursus  ex  gentibus  fecit  vas  honorificum  ob 
credulitatem.    lam  qui  nos  urgent*)  saerae  seripturae  verbis 
ac  similitudinem  de  flgulo  et  massa  volunt  simpliciter  accipi, 
cur  non  concedunt   nobis,  ut   alterum  locum:    Siquis    seao 
emundaverit,*)   simpliciter  accipiamus?     Et  ita  Paulus 
reperietur  sibi  contradicere.    In  priore  loco  totum  ponit  in    ^ 
mann  dei,  hie  totum  ponit  in  manu  hominis.   Et  tamen  uter- 
que  locus  sanus  est,  quamquam  aliud  hie,   aliud   agit   ille. 
Prior  occludit  os  obmurmurantis   deo,  posterior  invitat  ad  26 
industriam  ac  deterret  a  securitate  aut  desperatione. 

ni  a  15.  Non  dissimilis  huie  locus  est  Esaiae  cap.  10  (15): 
Numquid  gloriabitur  securis  contra  eum,  qui 
seeat  in  ea,  aut  exaltabitur  serra  contra  eum,  a 
quo  trahitur?   Quomodo,si  elevetur  virga  contra  80 


')  Ah^lich  Orig.  n.  äpy,,  III,  I,  20  Mag.  11,  col.  296  BC. 

')  Diese  Konsequenz,  meint  E.,  ist  so  widersinnig,  daß  wir  in  der 
Parabel  nach  dem  Zweck  suchen  müssen,  um  dessen  wiUen  sie  gewählt 
ist,  nicht  aber  die  einzelnen  Züge  derselben  ausdeuten  dürfen. 

»)  X«:  urget.  *)  2.  Timot.  2  (21). 


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—    58    - 

elevantem  se  et  exaltetnr  baculns,  qni  utique 
lignnm  est?  Haec  dicta  sunt  adversus  impinm  re^m, 
coius  saevitia  deus  abnsus  fuerat  ad  castigandnm  popnlam 
suam.    At  is  ea,  qaae  gerebantur  divino  permisso,  tribaebat 

6  snae  sapientiae  suisqae  viribus,  com  faisset  Organum  irae 
divinae.  Organum  erat,  sed  viyum  et  rationale.  Quäle  si 
esset  securis  et  serra,  non  absurde  dicerentur  et  ipsae  aliquid 
agere  una  cum  fabro.  Servi  sunt  instrumenta  viva  dominorum^ 
ut  docet  Aristoteles,*)  qualia  forent  secures,  serrae,  ligones, 

10  aratrum,  si  per  se  moveri  possent,  quemadmodum  tripodes  ac 
lebetes,  quos  sie  fabricatus  erat  Yulcanus,  ut  sua  sponte 
venirent  in  certamen.  *)  Herus  praescribit,  suppeditat  ea, 
quibus  est  opus,  neque  quicquam  possit')  efficere  servus 
absque  domino  et  tamen  nemo  dicat  servum  nihil  agere  domini 

15  iussis  obsequentem.  Porro  similitudo  adhibita  non  yalet  ad 
toUendam  arbitrii  libertatem,  sed  ad  retundendam  arrogantiam 
regis  impii  non  deo,  sed  suo  robori  suaeque  sapientiae  tribu- 
entis,  quod  gesserat. 

ni  a  16.    Neque  vero  difficile  diluitur,  quod  adducit  Ori- 

30  genes *)  ex  Ezechiele :  Auferam  cor  lapideum  ab  eis  et 
immittam  eis  cor  carneum.*^)  Simili  figura  posset  dicere 
praeceptor  discipulo  soloecissanti :  Eximam  tibi  linguam  istam 
barbaricam  et  inseram  Romanam;  nihilo  secius  tamen  a  dis- 
cipulo requirit  industriam,  tametsi  citra  praeceptoris  operam 

85  non  posset  discipulus  mutare  linguam.  Quid  est  cor  lapideum? 
Cor  indocile  et  obstinatum  in  malitia.  Quid  est  cor  cameum? 
Cor  docile  et  obsequens  gratiae  divinae.   Qui  statuunt  liberum 

^  arbitrium,  nihilo  secius  fatentur  animum  in  malis  obstinatum 
non  posse  ad  veram  paenitentiam  emollescere  nisi  adiutrice 


')  Eth.  Nie.  Vm,  13,  1161b  4.    (Bibl.  Teubn.  16  c,  p.  190.) 
«)  Vgl.  Dias  XVIII,  V.  373  ff.    (BibL  Teubn.  49,  p.  376.) 
*)  X*:  posset. 

*)  nefi  äQx.  III  c.  1  §  15  (Msg.  11  col.  277  f.).    Hier  auch  ein  ähn- 
liches Bild. 

">)  Kzech.  36  (26). 


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—    69    - 

gratia  caelestL    Qui  docilem  reddit,  exigit  et  tnum  conatam, 
nt  doctns  evadas. 

DI  a  17.    David  orat:  Cor  mnndum   crea   in   me, 
deus.^)  Et  Paulus  dicit:  Qui  se  emundaverit.^)  Ezechlel 
didt:  Facite  vobis  cor  noYum  et  spiritum  novum.*)   5 
Contra  David  clamat:  Et  spiritum  rectum  innova  in 
visceribus  meis/)  David  orat:  Et  omnes  iniquitates 
meas  dele.^)    Contra  loannes:  Omnis,  qui  habet  hanc 
spem  in  eo,  sanctificat  se,  sicut  et  ille  sanctus 
est.*)   David  orat:  Libera  me  de  sanguinibus,  deus.')  10 
Propheta  reclamat:  Solve  vincula  colli  tui,  captiva 
filia  Sion.^)    Et  Paulus:  Abiciamus  opera  tenebra- 
rum.*)   Item  Petrus:  Deponentes  omnem  malitiam  et 
omnem  dolum  et  simulationes^®)  etc.  Paulus  ad  Philip. 
2(12):  Cum  metu,  inquit,  et  tremore  vestram  salutem  16 
operamini.   Atque  idem  prioris  ad  Corinthios  12  (6):  Idem 
vero  deus,  qui  operatur  omnia  in  omnibus.    Huius 
generis  plusquam  sexcenta  loca  sunt  in  divinis  literis.    Si 
nihil  operatur  homo,  cur  dicit:  Operamini?    Si  quid  agit  ^ 
homo,  cur  dicit:  Dens  operatur  omnia  in  omnibus?  90 
Quorum  altera,  si  quis  ad  suum  commodum  detorqueat,  nihil 
agit  homo,  altera,  si  quis  ad  suam  causam  urgeat,  totum  facit 
homo.   Quod  si  nihil  agit  homo,  nullus  est  locus  meritis.   Ubi 
non  est  locus  meritis,  ibi  nee  suppliciis  nee  praemiis  locus  est. 
Si  totum  agit  homo,  non  est  locus  gratiae,  cuius  mentionem  85 
toties  inculcat  Paulus.    Non  secnm  pugnat  Spiritus  sanctus, 
cuius  afflatu  proditae  sunt  canonicae  literae.    Utraque  pars 
amplectitur  et  agnoscit  inviolabilem  scripturae  maiestatem. 
Sed  interpretatio  quaerenda,  quae  nodum  explicet.  Qui  tollunt 


1)  Psal.  50  (12).  «)  (2.  Timot.  2,  21.) 
»)  Ezech.  18  (31).  *)  (Peal.  50,  12.) 

»)  (PsaL  50,  11.)  •)  1.  loan.  3  (3). 

•)  (PsaL  50,  16.)  ^)  Esaiae  52  (2). 

»)  Rom.  13  (12).  '0)  1.  Pet.  2  (1). 


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—    60    — 

liberam  arbitrium,  sie  interpretabantnr :  Ad  quod  velis, 
extende  mannm,^)  id  est  gratia  extendet  manom  tuam,  ad 
quod  ipsa  velit.*)  Facite  vobis  cor  novum,*)  id  est 
gratia  dei  faciet  in  vobis  cor  novum.    Omnis,  qui  babet 

5  hanc  spem  in  eo,  sanctificat  sey^)id  est  gratia  sanctiflcat 
ipsum.  Et  abiciamus  opera  tenebrarum,*)  id  est 
gratia  abiciat.  Toties  occinitar  baec  cantio  in  divinis  literis: 
Fecit  institiam,^  operatus  est  iniqaitatem.^  Id 
quoties  occurrit,  exponemus :  Dens  fecit  et  operatus  est  in  illo 

10  iustitiam  et  iniquitatem.  lam  si  proferam  bic  yeterum  ortho- 
doxorum  aut  etiam  conciliorum  interpretationem,  mox  reda* 
mabitur:  Homines  erant^)  Atquiininterpretationetam  violenta 
tortaque  non  licebit  mibi  dicere:  Lutherus  homo  est?  Sane 
penes  istos  victoria  est,  si  ipsis  licet,  utcumque  causae  com- 

15  modum  est,  interpretari  scripturas,  nobis  nee  veterum  inter- 
pretationem sequi  licebit  nee  nostram  afferre  in  medium.  Et 
baec  seriptura  dilucidior  est,  quam  ut  egeat  interprete :  •) 
Extende  manum,  ad  quod  voles,^^)  id  est  gratia  extendet 
manum  tuam,  ad  quod  ipsa  yolet,  quod  probatissimi  doctores 

ao  interpretati  sunt,  somnium  erit,  non  enim  dieam,  quod  alii  non 

tacuerunt,  instinetus  Satanae.^^)  Atqui  baec  loca,  quae  videntur 

inter  se  pugnare,  facile  rediguntur  in  coneordiam,  si  nostrae 

^^  Yoluntatis  conatum  cum  aaxilio  divinae  gratiae  eopulemus. 

In  comparatione  figuli^*)  et   securis*')   mordieus  urgent  nos 

25  yerbis  simpliciter  intellectis,  quoniam  ita  commodum  est  causae 


>)  (Sir.  15,  17.) 

*)  Diese  Interpretation  geht  entgegen  der  Angabe  des  £.  (s.  u.  Z.  12  f.) 
nicht  auf  Luther,  sondern  auf  Earlstadt  zurück.  Vgl.  Leipziger  Disp.  ed. 
Löscher,  VoUst.  Bef.  Akta  III,  p.  295  u.  800.    S.  auch  Hyp.  I,  g  4  r. 

»)  (Ez.  18,  31.) 

*)  (1.  lo.  3,  3)  A.  B.  Fr.  X»  X«:  spem,  in  eo  sanctificat. 

'')  (Eom.  13,  12.)  •)  (Deut.  83,  21;  Ps.  105,  3  etc.) 

^  (Ps.  5,  7;  27,  3  etc.)  •)  Vgl.  p.  17.  »)  Ironisch. 

»0)  (Sir.  lö,  17.) 

'^)  Vgl.  Ass.  p.  145  Z.  85.    H:  tacuerunt  instinctu  Satanae. 

")  (Es.  45,  9.)  >»)  (Es.  10,  15.) 


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—    61    — 

ipsorom,  hie  pamm  pndenter  recedunt  a  verbis  divinae  scriptu- 
rae  videlicet  non  miüto  verecnndios  interpretantes,  quam  si 
quis  dicat  Petrum  scribere  et  alius  interpretetur:  Non  ipse 
scribit,  sed  alias  scribit  in  aedibns  eius.^) 

lUb  1.   Nunc  experiamnr,  quantum  habeant  roboris,  quae  5 
Martinns  Lathems   addncit   ad   sabmendam  liberi    arbitrii 
potestatem.*)    Adducit  enim  ex  Geneseos')  cap.  6(3)  et  8:*)  ^y 
Non    permanebit    Spiritus    mens    in    homine    in 
aeternum,  qnia  caro  est.   Hoc  loco  scriptura  non  accipit 
carnem  simpliciter  pro  impio  affectu,  quemadmodnm  aliquoties  10 
nsnrpat  Paulus,  cum  opera  camis  iubet  mortificari,*)  sed  pro 
inflrmitate  oaturae  proclivis  ad  peccandum,^  quemadmodnm 
Corinthios  camales  appellat,^)  quod  nondum  essent  capaces 
solidioris  doctrinae,  velnt  infantes  etiamnum  in  Christo.    Et 
Hieronymus  in  qnaestionibus  Hebraicis  ^)  indicat  apud  Hebraeos  15 
alind  haberi,  quam  nos  le^mus,  nimirum  ita:Non  iudicabit 
Spiritus  mens  homines  istosin  sempiternum,  quia 
carnes  sunt*)    Quae  verba  non  severitatem  dei,  sed  cle- 
mentiam  sonant.    Games  enim  appellat  inflrmae  conditionis 
et  ad  malum  proclives,  spiritum  autem  vocat  indignationenu  20 
Negat  itaque  se  velle  illos  aetemis  suppliciis  seryare,  sed  volle 
misericorditer  hie  paenas   de  illis  sumere.     Et  tamen  hoc 
dictum  non  pertinet  ad  Universum  genus  hominum,  sed  tantum 
ad  illius  aetatis  homines  nefandis  vitiis  corruptissimos.    Et 
ideo  dicit:  In  hominibus  istis.   Nee  tamen  simpliciter  ad  25 
universos   illius  aetatis   homines   pertinebat,   quandoquidem 
laudatur  Noe  ut  vir  iustus  et  deo  gratus.^^) 


*)  Zwischen  eins  und  Nunc  bei  Fr.  A.  B.  X*  ein  kLeiner  Absatz. 
*)  In  der  Assertio.  ■)  Ass.  p.  143. 

*)  8.  p.  62.  *)  (Vgl.  Rom.  8,  13.) 

^  Fisher  (p.  660)  schwächt  Luthers  Exegese  ähnlich  ab. 
')  (l.  Cor.  3,  If.)  »)  Zur  Stelle,  Msl.  23,  col.  997  AB. 

^  Gen.  6  (3).    Auch  Fisher  (p.  563)  zitiert  die  gleiche  SteUe  aus 
Hieronymus. 

>«)  (Gen.  6,  8.)    Vgl.  Fisher,  p.  Ö60f. 


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—    62    — 

inb2.  Eodem  modo  dissolvi  potest,  qnod  affertvr  ex 
einsdem  operis  cap.  8  (21):  Sensus  enim  et  cogitatio 
cordis  hnmani  prona  sunt  ad  malnm  ab  adole- 
scentia  sua,  et  cap.  6  (5):  Cuncta  cogitatio  cordis 
öintenta  est  ad  malnm  omni  tempore.  Prodiyitas 
aatem  ad  malnm,  qnae  est  in  plerisqae  hominibns,  non  adimit 
in  totnm  libertatem  arbitrii,  etiamsi  vinci  in  totnm  non  potest 
sine  anxilio  gratiae  divinae.')  Qaod  si  nnlla  pars  resipi- 
Bcentiae  pendet  ab  arbitrio,  sed  omnia  necessitate  qoadam 
^  10  gemntnr  a  deo,  cur  inibi  datnm  est  hominibns  spatinm  paeni- 
tendi?  Ernntqne  dies  lllins  centnm  et  yiginti 
annornm.')  Nam  Hieronymns  in  qnaestionibns  Hebraicis*) 
hunc  locnm  referri  vult  non  ad  spatinm  hnmanae  vitae,  sed 
ad  tempns  dilnvii,  qnod  indnltnm  est,  nt  interim,  si  y^ent, 

15  resipiscerent,  si  nollent,  digni  yiderentnr  nltione  divina,  qni 
lenitatem  domini  contempsissent 

in  b  3.  Porro,  qnod  addncit  *)  ex  Esaiae  cap.  40  (2) : 
Snscepit  de  mann  domini  pro  omnibns  peccatis 
suis,  Hieronymns^)  de  divina  vindicta  interpretatnr,  non  de 

20  gratia  reddita  pro  malefactis.^)  Qnamquam  enim  Panlns  didt: 
Ubi  abnndavit  peccatnm, snperabnndavit et gra- 
tia,^ non  tamen  conseqnitnr  ex  hoc,  qnod  ante  gratiam 
gratnm  facientem  non  possit  homo  adintns  anxilio  dei  per 
opera  moraliter  bona  sese  praeparare  favori  divino,  qnemad- 

26  modnm  legimns  de  Cornelio  centnrione  ^)  nondnm  baptizato 
acnondnm  afflato  spiritn  sancto:  Precationes  et  eleemo- 
synaetnae  ascendernnt  in  memoriam  apnd  denm.*) 

^  Si  omnia  opera  mala  snnt,   qnae  finnt  ante  gratiam  illam 
snmmam,  an  opera  mala  conciliant  nobis  favorem  dei? 


>)  Vgl.  Fisher,  p.  560. 

•)  (Gen.  6,  8.)  •)  Zur  SteUe,  Mal.  28.  coL  Ö97  B. 

*)  Ass.  p.  144. 

'^)  Ck)mm.  in  Es.  zxa  SteUe,  MsL  24,  col.  415  A. 

•)  Vgl.  Fisher,  p.  566.  ')  Eom.  6  (20). 

•^)  X»:  centnrioni.  »)  Actoram  10  (4).    Vgl.  Fisher  1.  c. 


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—    63    — 

inb4.  lam  qaod  affert^)  ex  Esaiae  cap.  eodem:  Omnis 
caro  fennm  et  omnis  gloria  eius  quasi  flos  feni. 
Exsiccatum  est  fennm  et  flos  eins    decidit,   qnia 
spiritns  domini  snfflavit  in  illnd,  verbnm  antem 
domini  manet  in  aeternnm,^)  mihi  yidetnr  violentins   5 
trahi  ad  gratiam  et  liberum  arbitrium.    Siquidem  hoc  loco 
spiritum  accipit  Hieronymus  *)  pro  indignatione  divina,  camem 
pro  infirma  hominis  conditione,  qnae  nihil  valet  adversns  denm, 
florem  pro  gloria,  qnae  nascitnr  ex  felicitate  rernm  corporalinm. 
Indaei  gloriabantnr  in  templo,  in  praepntio,   in    victimis,^)  10 
Graeci  gloriabantnr  in  sapientia  sna.*)  Verum  per  evangelium    ^ 
revelata  ira  dei  de  caelo,*)  exsiccata  est  omnis  illa  gloria. 
Nee  tamen  omnis  affectus  hominis  est  caro,  sed  est,  qui  dicitur 
anima,  est,  qui  dicitur  spiritns,  quo  nitimui*  ad  honesta,  quam 
partem  animi  rationem  vocant  ant  ^ysfiovixöv,'^  id  est  princi-  16 
palem,  nisi  forte  in  philosophis  nullus  fuit  ad  honesta  nixus, 
qui  docuerunt  milies*)  oppetendam  mortem  citius,  quam  ad- 
mittendam   tnrpitudinem ,   etiamsi   sciremus  futurum,  ut  et 
ignorarent  homines   et  deus  ignosceret,  ^)   quamquam  saepe 
cormpta  ratio   male    iudicat.     Nescitis,   inquit    dominus,  20 
cuius  Spiritus  sitis?^®)    Errore  quaerebant  vindictam,*') 
quod  ad  preces  Heliae  descendisset  olim  ignis  de  caelo,  qui 
absumpsit  pentecontarchos  cum  suo  comitatu.**)    Esse  antem 
et  in  bonis  spiritam  humanum  diyersum  a  spiritn  dei  declarat 
Paulus  ad  Romanos  8  (16):  Ipse  enim  spiritns  testi- 25 
monium  reddit  spiritui  nostro,  quod  sumus  filii 


0  Ass.  1.  c.  «)  (Es.  40,  6—8.) 

*)  Comm.  in  Es.  zur  SteUe,  Msl.  24,  col.  416  D,  417  A;  vgl. 
Fisher,  p.  568. 

*)  (Vgl.  Rom.  2,  17  ff.)  '^)  (Vgl.  1.  Cor.  1,  22.) 

•)  (Äom.  1,  18.) 

•)  Vgl  z.  B.  i^ietet  Star^,  II,  cap.  18  §  30  (Bibl.  Teubn.  33  e,  p.  168) 
8.  Windelband,  Gesch.  d.  Philos.  1892  §  14,  3  p.  131. 

*)  X*:  müites.  »)  übi?    Vgl.  etwa  Piatos  Kriton. 

'•)  Luc.  9  (65).  »)  (Luc.  9,  54.)  ")  (4.  Reg.  1,  8  ff.) 


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—    64    — 

dei.  Qnod  si  qois  contendat,  id  quod  est  in  hominis  natura 
praestantissimam,  nihil  alind  esse  quam  carnem,  hoc  est 
affectum  impinm,  hnic  facile  assentiar,  si  qnod  asseverat,  sacrae 
scriptnrae testimoniis doceat.^)  Qnodnatumest  ex  carne, 
5caroest,  et  qnod  natum  est  ex  spiritn,  Spiritus 
est.*)  Porro  loannes  docet  eos,  qni  crednnt  evangelio,  ex 
deo  nasci ")  ac  fieri  filios  dei  *)  atqne  adeo  deos.*)  Et  Paulus 
distingnit  hominem  carnalem,  qui  non  sapit  ea,  qnae  dei  sunt, 
a  spiritnali,  qni  omnia  diindicat.^)    Bnrsns  alias  yocat  novam 

10  creatnram  in  Christo.*^  Si  totus  homo  etiam  renatns  per  fidem 
nihil  aliud  est  quam  caro,®)  ubi  spiritus  e  spiritn  natus,*)  ubi 
filius  dei,  ubi  nova  creatura?  Super  his  doceri  velim.  Interim 
abutar  yeterum  auctoritate,  qui  semina  quaedam  honesti 
tradunt  insita  mentibus  hominum,  quibus  aliquo  modo  vident 

15  et  expetunt  honesta,  sed  additos  affectus  crassiores,  qui  solli- 
citant  ad  diversa.  Porro  voluntas  huc  aut  illo  versatilis 
dicitur  arbitrium,  quae  tametsi  ob  relictam  in  nobis  peccati 
procliyitatem  fortasse  propensior  est  ad  malum  qnam  ad 
bonum,  tamen  nemo  cogitur  ad  malum,  nisi  consentiat 

20  III  b  5.  Kursus,  qnod  recitat  *®)  ex  Hieremiae  cap.  10  (23): 
Scio,  domine,  quoniam  non  est  hominis  yia  eins 
nee  yiri  est,  ut  ambulet  et  dirigat  gressns  suos, 
magis  ad  rerum  laetarum  et  tristium  eyentus  pertinet,  qnam 
ad  potestatem  liberi  arbitrii.**)  Frequeuter  enim,  cum  maxime 

^  cayent  homines,  ne  quid  incurrant  mali,  maxime  malis  inyol- 
yuntur.    Nee  ob  id  adimitur  libertas  yoluntatis  yel  his,  qui 


^)  Die  Aasfühnmg  richtet  sich  (laut  Hyp.  II,  p.  352  f.)  gegen  Melanch- 
thon;  YgL  Loci  comm.  ed.  Plitt-Eolde'  p.  92. 

«)(Io.  3,  6)  »)  (1.  lo.  6,  1.) 

*)  (lo.  1,  12.)  *)  (lo.  10,  34  f.) 

•)  (1.  Cor.  2,  14  f.)  ^  (2.  Cor.  ö,  17.) 

^)  Mit  Becht  konnte  Lnther  es  ablehnen,  so  gelehrt  zu  haben  (de 
serv.  arb.  p.  744  f.) 

»)  (lo.  3,  6.)  »0)  Ass.  p.  144. 

**)  Laut  Hyp.  II  p.  375  f.  beruft  sich  £.  für  diese  Ansicht  auf  Hiero- 
nymus  (Comm.  in  Jer.  cur  Stelle,  M8I.24  col.  780  c). 


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-    65    - 

patiuntnr,  quia  malom  Yentnnim  non  praeviderant,  vel  bis, 
qui  infenmty  qnia  non  eodem  animo  afflignnt  inimicos,  quo 
deus  per  illos  hoc  facit,  nimirnm  nt  castiget.   Qnod  si  maxime 
torqneas  ad  liberum  arbitrinm,  nemo  non  fatetur  absque  dei    ^ 
gratia  neminem  posse  rectum  yitae  cursum  teuere  et  quotidie  5 
oramus:    Dirige,    domine    deus,   in    conspectu    tuo 
vi  am  meam.^)    Nihilo  secius  tamen  interim  annitimur  et 
ipsi  pro  viribus.    Oramus:  Inclina  cor  meum,  deus,  in 
testimoniatua.*)  Qui petit auxilium, non deponit conatum.*)  ^ 
ni  b  6.    Iterum  *)  Proverbiorum  16  (1) :  H  o  m  i  n  i  s   e  s  1 10 
praeparare    cor,    domini    autem    est    gubernare 
linguam.    Et  hoc  ad  eventa  rerum  pertinet,  quae  possunt 
accidere  aut  non  accidere  citra  dispendium  salutis  aeternae.  ^ 
Quomodo  autem  est  hominis  praeparare  cor,  cum  Lutherus 
affirmet  omnia  necessitate  geri?")    At  idem  eodem  in  loco  16 
dicit:  Eevela  domino  opera  tua  et  dirigentur  co- 
gitationes  tuae.^)    Audis  opera  tua,  audis  cogitationes 
tuas,  quorum  neutrum  dici  potest,  si  deus  in  nobis  operatur 
omnia,  et  bona  et  mala.    Initium  vitae  bonae  miseri- 
cordia  et  veritas  etc.^     Aliaque  inibi  multa  leguntur,  ao 
quae  faciunt  pro  bis,  qui  statuunt  liberum  arbitrium.    Quod 
autem  citat^)  ex  eodem   capite:  Omnia  propter  semet 
ipsum  operatus    est    dominus,   etiam  impium  ad 
diem  malum,^)  deus  non  condidit  ullam  naturam  ex  se 
malam  et  tamen  sie  sua  ineffabili  sapientia  temperat  omnia,  85 
ut  mala  quoque  vertat  in  bonum  nostrum  et  in  gloriam  suam. 
Nee  enim  Luciferum  condidit  malum,  sed  sua  sponte  defl- 
cientem  reservat  aeternis  suppliciis  et  per  huius  malitiam 
exercet  pios,  punit  impios.*®) 


»)  Psal.  6  (9).  «)  Psal.  118  (36). 

s)  Zum  ganzen  Abschnitt  vgl.  Fisher  p.  669  f. 
*)  Ass.  p.  146.  *)  Vgl.  Fisher  p.  676f. 

•)  (Prov.  16,  3.)  -^  (Prov.  16,  6  f.) 

*^)  Ass.  p.  144.  »)  (Prov.  16,  4.) 

'®)  Die  Erwähnang  des  Teufels  ist  dadurch  veranlaßt,  daß  Fisher 
Walter,  De  libero  arbitrio.  6 


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—    66    — 

lU  b  7.  Neqne  mnlto  magis  nrgei,  quoi  refert  ^)  ex  ca^.  20  (1 )  : 
Sicut  divisiones  aqnarum,  ita  cor  regis  in  manu 
domini;  quacnmqae  yolBerit,  inclinabit  illud. 
Non  statim  cogit,  qni  incÜBat,  et  tarnen  nemo  n^at,  ot  dixi,-) 
5  denm  posse  yim  facere  cogitationi  bominis,  extnndere,  qnod 
Tolebat,  et  aUam  volnntatem  inserere,  qain  et  mentem  ipsam 
potest  adimere.  Nee  ideo  tarnen  non  manet  in  nobis  regn- 
lariter  liberum  arbitrium.')    Qnod  si  Solomon  sentit  hie,  qnod 

V  interpretatnr  Lntherns^  cum  omnia  corda  sint  in  mann  do- 

10  mini,  cur  hoc  cen  pecnliare  pronnntiat  de  corde  regis?    Hie 

locns  magis  consentit  cum   eo,  qnod  legimns  lob  34  (30): 

Qni  regnare  facit  hominem  hypocritam  propter 

'  peceata  populi.    Item  Esaiae  3  (4):  Et  dabo  pueros 

principes  eornm  et  effeminati  dominsbnntnr  eis. 

16  Cnm  dens  propitins  popnlo  sno  inclinat  animnm  regis  ad  bona, 
noQ  affert  illins  volnntati  necessitatem.  Cetemm  ad  malnm 
inclinare  dicitnr,  cnm  offensns  populi  peccatis  non  revoeat 
animnm  stnlti  principis  ad  rapinas,  ad  bella^  ad  tyrannidem 
propensnm,  sed  sinit  illom  suis  affectibns  praecipitem  agi^ 

20  quo  per  illius  malitiam  castiget  popnlum.  Qnod  si  qnando 
fleret,  ut  dens  regem  ita  commeritum  impelleret  ad  malitiam, 
nihU  est  necesse  peculiarem  casum  trabere  ad  sententiam 
generalem.  Huinsmodi  testimoniornm ,  cuiusmodi  Lntfaerus 
IHTofert    e    Proverbiis,    ingens   aceryns   nndiquaque   coUigi 

S5  peterat,  sed  magis  faceret  ad  copiam  quam  ad  victoriam.    Tale 

genns  argnmentomm  rhetores  solent  in  mediam  aciem  con- 

^    icere.    Sunt  enim  huiusmodi  pleraque,  ut  adhibita  commoda 

mterpretatione  vel  a  libero  arbitrio  stare,*)  vel  contra  liba'um 

arbitrium  pugnare  queant. 

80         m  b  8.     Dlud  telum  Lutherus  existimat  Achilleum  et 


p.  578)  im  Anschluß  an  Hieronymns  unter  dem  impius  (ProY.  16t,  4)  den 
Teufel  versteht. 

>)  Ass.  p.  146.  «)  S.  0.  p.  51,  21  ff. 

^  Vgl.  Fisher  p.  577. 

*)  Auf  Seiten  des  freien  Willens  stehen. 


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—    67    — 

inevitabite,^)  quod  Christus  in  evangelio  loannis  15  (6)  ait: 
Sine  me  nihil  potestis  facere.    Atqni  mea  sententia  ^ 
pdtest  ad  hoc  non  nno  modo  responderi.    Primnm,  vulgo  nihil 
agere  didtnr,  qm  non  aesequitnr  td,  qnod  expetit,  et  tameti 
fiiequenter  aliquoHsqne  promovit,  qui  conatur.    In  hoc  sensu   6 
veri^nmum  est,  nos  sine  Christo  nihil  posse  facere,  loquitur 
enim  iHic  de  fructu  evangelico,  qui  non  contingit  nisi  manen- 
tibus  in  vite,  qui  est  Christus  lesus.    Hoc  tropo  dixit  Pau- 
lus: Itaque  neque  qui  plantat  est  aliquid  neque 
qui  rigat,  sed  qui  incrementum  dat  deus.*)    Quod  10 
mininii  momenti  est  ac  per  se  inutile,  nihil  appellat.^    Item 
1.  ad  Corinth.  cap.  13  (2):  Si  caritatem  non  habuero, 
nihil  sum.    Et  mox:  Nihil  mihi  prodest/)    Kursus  ad 
Bonwmos  cap.  4  (17):  Vocat  ea,  quae  non  sunt,  tam- 
quam  sint.    Kursus  ex  Osee  non  populum*)  vocat  popu-  16 
lum  contemptum  et  reiectum.     Simili  figura  dictum  est  in 
I^almis:  Ego  sum  vermis  et  non  homo.*)     Alioqui  si 
qms  urgeat  hac  voce:  nihil,  ne  peccare  quidem  licebit  sine 
Christo  (nam  Christum  hie  opinor  dici  gratiam  eins)')  nisi 
confogiant  ad  illud  iam  explosum,  peccatum  esse  nihil.  Et  hoc  20 
in  aHquo  sensu  verum  est,  quandoquidem  nee  sumus  nee  vivi- 
mus  nee  movemur  sine  Christo.   Atqni  isti  donant  nonnumquam 


»)  Ass.  p.  142.  «)  1.  Corin.  3  (7). 

«)  Ähnlich  Fisher  p.  558.  *)  (1.  Cor.  13,  3;)    Vgl.  Fisher  p.  554. 

^  (Ofl.  1,  9.)  •)  Psal.  21  (7). 

')  Edd.:  Christo.  Nam  Christum  hie  opinor  did  gratiam  eins,  nisi... 
Doch  scheint  der  Gedankengang  der  schwierigen  SteUe  nnr  yerständlich 
zn  werden,  wenn  man  die  Worte:  Nam  —  eins  als  Parenthese  auffaßt. 
Daäan  meint  £.  folgendes:  Wer  das  Wort  nihil  preßt,  muß  zugestehen,  daß 
aadi  das  Sündigen  nicht  ohne  Christus  möglich  ist  (unter  Christus  ist  hier 
nfittilich  seine  Gnade  zu  verstehen  [vgl.  Fisher,  p.  554]),  es  sei  denn,  er  er- 
klärte die  Sttnde  fttr  etwas  nicht  Wirkliches  (Anspielung  wohl  auf  Johannes 
Skotos  Eriugena,  vgl  R£.*  XVIII  p.  88 f.).  Zwar  ist  der  Satz,  daß  wir  ohne 
Christus  nicht  sündigen  können,  in  gewissem  Sinne  richtig  (ygl.  oben 
p.  53, 16  ff.),  aber  die  £r{Srtenmg  dieses  Satzes  wäre  hier  insofern  überflüssig, 
als  dS«  Gtegner  ja  ab  und  zu  von  einer  Freiheit  des  WiUens  zur  Sünde  reden. 

5* 


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—    68    — 

liberum  arbitriom  absqne  gratia  yalere  ad  peccandom.    Do- 
narat boc  Lnthems  ipse  in  principio  suae  assertionis.^} 

m  c  1.    Eodem  pertinet,  qnod  ait  loannes  Baptista :  N  o  n 
v/   potest  homo   accipere  quicquam,   nisi   faerit   ei 

5  datnm  de  caelo,*)  nee  ideo  consequitnr  nollam  esse  Tim 
ant  usnm  liberi  arbitrii.  Qnod  ignis  calefacit,  e  caelo  venit, 
quod  nos  ioxta  natnrae  sensum  expetimos  utilia  et  refugimus 
noxia,  e  caelo  est,  qnod  post  lapsnm  impellitnr  yolnntas  ad 
meliora  stndia,  e  caelo  est,  qnod  lacrimis,  eleemosynis,  preci- 

10  bns  asseqnimnr  gratiam,  qnae  nos  deo  gratos  reddit,  e  caelo 

est.    Nee  Interim  nihil  agit  nostra  yolnntas,  qnamqnam  non 

assecntnra,  qnod  conatnr,  nisi  adintrice  gratia;  sed  qnoniam 

minimnm  boc  est,  qnod  per  nos  agitnr,  totum  deo  transcri- 

.   ^  bitnr,  qnemadmodnm  nayita,  qni  nayim  in  portnm  dednxit  e 

16  grayi  tempestate  incolumem,  non  dicit:  Ego  seryayi  nayim, 
sed:  Dens  senrayit,  et  tarnen  illins  ars  et  indnstria  non  fnit 
otiosa.*)  Similiter  agricola  conyehens  uberem  proyentnm  ex 
agris  in  horrea  non  dicit:  Ego  dedi  tarn  copiosam  annonam, 
sed:  Dens  dedit.   Et  tamen  Interim  qnis  dicat  agricolam  nihil 

20  egisse  ad  proyentnm  frngnm?*)  Sic  et  ynlgo  loqnnntnr:  Dens 
dedit  tibi  pnlchros  liberos,  cnm  ad  hos  gignendos  non  defaerit 
opera  patris,  et:  Dens  restitnit  me  sanitati,  cnm  nonnihil 
adinyarit  medicns,  qnemadmodnm  dicimns:  Bex  deyicit  bestes, 
cnm  tamen  dnces  et  milites  nayarint  bonam  operam.    Nihil 

26  proyenit  absqne  caelesti  plnyia  et  tamen  terra  bona  prodncit 
frnctnm,  terra  mala  nihil  affert  boni  frnctns.  Sed  qnoniam 
humana  opera  nihil  efflcit,  nisi  accesserit  fayor  diyinns, 
snmma  tribnitur  diyino  beneficio:  Ni»i  dominns  aedifi- 
cayerit  domnm,  in  yannm  laborant,  qni  aedifi- 

80  cant  eam.  Nisi  dominns  cnstodierit  ciyitatem, 
frnstra  yigilat,  qni  cndtodit  eam.^)     Nee  tamen  in- 


»)  Aas.  p.  142.  •)  (lo.  3,  27.) 

*)  Vgl  Origenes,  n.  d^x-  in  cap.  1  §  18  (Mag,  11  col.  292  A). 

*)  Vgl.  Orig.  L  c.  col.  289Cf.  •)  PsaL  126  (l).    B:  PsaL  26. 


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—    69    — 

terim  in  aediiicando  cessat  cnra  fabromm  nee  in  custodiendo 
yigilantia  excnbitonun.^) 

inc2.  lam:  Non  enim  vos  estis,  qui  loqnimini, 
sed  spirituspatris  vestri,  qui  loqnitnr  in  vobis.*) 
Prima  specie  videtur  tollere  liberum  arbitrium,  sed  re  vera  6 
adimit  nobis  sollicitudinem  anxiam  praemeditandi,  quid  simus 
dicturi  in  negotio  Christi;   alioqui  peccarent  contionatores, 
qui  se  studio  praeparant  ad  sacram  contionem.    Nee  Omnibus 
hoe  ezspeetandum,  si  quando  diseipulis  rudibus  Spiritus  infu- 
dit,  quod  dieerent,  quemadmodum  infudit  et  linguarum  donum.  10 
Et  si  quando  infudit,  tamen  in  dieendo  voluntas  eorum  eon-   ^ 
sentiebat  afflatui  spiritus  simulque  agebat  eum  agente.    Atque 
hoe  sane  est  liberi  arbitrii,  nisi  forte  reeipiemus  sie  deum 
loeutum  per  os  apostolorum,  quemadmodum  loquebatur  Bala- 
amo  per  os  asinae.')  16 

ni  e  3.  Sed  magis  urget,  quod  est  apud  loannem  6  (44) : 
Nemo  potest  venire  ad  me,  nisi  pater  mens  tra- 
xerit  eum.  Trahendi  verbum  videtur  sonare  neeessitatem 
et  exeludere  voluntatis  libertatem.  Verum  hie  traetus  non 
est  violentus,  sed  faeit,  ut  velis,  quod  tamen  potes  nolle;  20 
quemadmodum  ostendimus  puero  malum  et  aeeurrit,  osten- 
dimus  ovi  ramum  salieis  virentem  et  sequitur/)  ita  deus  pulsat 
animum  nostrum^)  sua  gratia  et  volentes  ampleetimur.  Sie 
aeeipiendum  et  iUud,  quod  habetur  apud  eundem  eap.  14(6): 
Nemo  venit  ad  patrem  nisi  per  me.  Sieut  pater  glori- 2B 
fieat  filium,  filius  patrem,  ita  pater  trahit  ad  filium,  fllius  ad 
patrem.  Sie  autem  trahimur,  ut  mox  volentes  eurramns.  Sie 
legis  in  Cantieo:  Trahe  me  post  te,  eurremus*)  ete. 

nie 4.    Ex  Paulinis  item  epistolis  aliquot  loea  eolligi 
possunt,  quae  videntur  omnem  liberi  arbitrii  vim  subvertere,  90 


>)  Vgl.  Orig.  L  c.  col.  289  A  B  und  Fisher  p.  Ö76f. 
•)  Matth.  10  (20).  >)  (Num.  22,  28  ff.) 

*)  Vgl.  Angußtm,  tract.  in  loan.  XXVI,  5,  Msl.  85  col.  1609  und 
Fisher  p.  598. 

*)  B:  animam  nostram.  ")  Can.  1  (3). 


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—    70    - 

qnoi  geaus  ^t  iUud  2.  Comtb.  3  (5):  Nob  qaod  suffi- 
cientes  simus  cogitare  aliqnid  a  nobis  quasi  ex 
nobis,  8ed  omnis  nostra  sufficientia  ex  deo  est 
Verum  hie  duobus  modis  succurri  potest  libero  arbitrio.  Plri- 
5  mum  enim  quidam  orthodox!  patres  ^)  tres  gradus  faeiunt 
^operis  humani:  primus  est  cogitare,  secuadus  vdlle,  tertüs 
perficere.  Atque  in  primo  quidem  ac  tertio  uullum  loonm 
tribuunt  libero  arbitrio  quicquam  operandi.  Aaimus  enün  a 
sola  gratia  impellitur,  ut  cogitet  bonum,  et  a  sola  gratia 

10  peragitur,  ut  perficiat,  quod  cogitavit.  Geterum  in  medio,  hoc 
est  in  consensa  simol  agit  gratia  et  humana  yolojaitas,  mc 
tarnen,  ut  principalis  causa  sit  gratia,  minus  prineipalis 
nostra  voluntas.  Quoniam  autem  summa  rei  tribuitar  Uli, 
qui  totum  contulit  ad  perficiendum,  non  est,  quod  hbmo  ex 

15  bono  opere  sibi  quicquam  asserat,  cum  hoc  ipsum,  ut  possit 
consentire  et  cooperari  gratiae  divinae,  dei  munus  sit  Deinde 
haec  praepositio:  ex,  sonat  originem  acfontem  eoque  Paulas 
distincte  refert  a  nobis  quasi  ex  nobis,  iq>^  iav^&v 
&g  i^  iavT&v,  id  est  ex  nobis  ipsis.    Haec  dici  poteraut 

!dO  etiam  ab  illo,  qui  donaret  hominem  naturae  viribus  e£Gica- 

citer  velle  bonum,  quandoquidem  nee  eas  vires  habet  ex  sese.*) 

lue 5.     Quis  enim  negat  omne  bonum  a  deo  velut  a 

fönte  proficisci?    Atque  id  frequenter  inculcat  Paulus,  ut 

adimat  nobis  arrogantiam  ac  fiduciam  nostri,  quod  et  alibi 

t6  facit:  Quid  habes,  quod  non  accepisti?  Si  aece- 
pisti,  quid  gloriaris,  quasi  non  acceperis?')  Glo- 
riam  audis,  quam  retundit  hoc  dicto.  Idem  audisset  servus, 
qui  domino  lucrum  ex  usura  psurtum  annumerat,^)  si  sibi 
vindicasset  laudem  bene  coUocatae  operae:  Quid  habes, 

80  quod   non   accepisti?     Et  tamen  ob   streune  navatam 


^)  Bernhard  t.  Olairv.  tract.  de  grat  et  lib.  arb.  cap.  XIV  §  i6,  Msl. 
182  col.  1026  6. 

')  D.  h.  seU)st  die  skotistische  Theorie  würde  durch  dieses  Wort  nicht 
ausgeschlossen  sein. 

»)  1.  Cor.  4  (7).  *)  (WLatth.  25,  20  ff. 


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—    71    — 

operam  coUaüdatnr  a  domino.  Eandem  oantionem  canit  laco- 
bns  1  (17):  Omne  datam  Optimum  et  omne  donum 
perfectum  desnrsam  est  descendens.  Item  Paulas 
ad  Ephesios  1  (11):  Qui  operatur  omnia  secundum 
consilium  yoluutatis  suae.  Et  haec  eo  p^tinent,  ne  5 
quid  arrogemus  uobis,  sed  omHia  referamus  aecepta  ^)  gratiae 
divinae,  qvd^)  nos  aversos  vocavit,  qui  per  fidem  puiificavit, 
qui  hoc  ipsum  donavit,  ut  nostra  voluntas  possit  esse  ovveQ- 
y6g  illins  gratiae,  quamquam  haec  vel  ad  omnia  satis  abunde 
Sit  sola  nee  opus  habeat  uUo  humanae  voluntatis  auxilio.       10 

nie 6.    Ceterum  quod  est  ad  Philipp,  cap.  2  (13):  Dens 
enim  operatur  in  nobis  et  velle  et  perficere  pro 
bona  Yoluntate,  non  excludit  liberum  arbitrium,  cum  enim  (X 
ait:  Pro  bona  voluntate,  si  referas  ad  hominem,  ut  inter- 
pretatur    Ambrosius,^)    intelligis    bonam   voluntatem   simul  15 
agere  cum   agente  gratia.    Ac  mox  inibi  praecedit:   Cum 
metu    et    tremore   vestram  salutem  operamini.*) 
Unde  colligis  et  deum  operari  in  nobis  et  yoluntatem  ac  soUi- 
citudinem  nostram  simul  adniti  cum  deo.    Eam  interpretatio- 
nem  ne  quis  putet  reiciendam,  praecedit,  ut  dictum  est,  hone  20 
locum:    Vestram     ipsorum*^)     salutem     operamini, 
^yd^ecS^e,  quod  verius  significat  operari,  quam  verbum  heQ- 
yetv,  quod  deo  tribuitur,  6  kveQyCbv.     "Eve^el  vero  proprie, 
quod  agit  et  impellit.    Sed  ut  idem  poUeant  i^yd^ea^i  •)  xal 
hegyslv,  certe  locus  hie  docet  et  hominem  operari  et  deum.  86 

I£Ic7.  Quid  autem  operatur  homo,  si  idem  est  nostra 
voluntas  deo,  quod  argilla  figulo?  Non  enim  yos  estis^ 
qui  loquimini,  sed  *spiritus  patris  vestri,  qui 
loquitur  in  vobis.^  Hoc  apostolis  dictum  est.  Et  tarnen, 
in  Actis  Petrus  legitur  locutus:  Tunc  repletus  spirituiO 


*)  Ferre  oder  refeire  acceptum  =  jem.  auf  Bechnimg  setzen,  snschreiben. 

*)  Seil.  deus. 

^  Ambrosiaster,  comm.  in  ep.  ad.  Phil,  zar  SteUe  (Msl.  17,  ool.  435  A). 

*)  (Phü.  2,  12.)  »)  Edd.:  ipsanun.  ♦*)  H:  ^i^yd^eade. 

■)  Matth.  10  (20). 


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—    72    — 

sancto  Petrus  dixit  ad  eos.^)  Qnomodo  cohaerebnnt 
haec  inter  se  contraria:  Tu  non  loqueris,  sed  Spiritus, 
et:  Petrus  locutus  est  plenus  spiritu  sancto,  nisi 
quod  Spiritus  sie  loquitur  in  apostolis,  ut  simul  et  ipsi  lo- 
5  quantur  obtemperantes  spiritui ;  et  tarnen  verum  est,  eos  non 
loqui,  non  quod  nihil  agant,  sed  quod  ipsi  non  sint  princi- 
pales  sermonis  auctores.  Itidem  de  Stephane  legimus:  Et 
non  poterant  resistere  sapientiae  et  spiritui,  qui 
loquebatur,^  et  tarnen  ipse  loquitur  apud  concüium.    Ita 

10  Paulus:  Vivo  autem  iam  non  ego,  vivit  vero  in  me 
Christus,')  et  tarnen  iustus  apud  eundem  ex  fide  vivit.*) 
Qnomodo  igitur  vivens  non  vivit?  Quia  spiritui  dei  fert 
acceptum  quod  vivit  Et  ad  Cor.  1  cap.  16  (10):  Non  autem 
ego,  sed  gratia  dei,  quae  mecum  est.    Si  nihil  egerat 

15  Paulus,  cur  ante  dixerat,  se  fecisse?  Sed  abundantius, 
inquit,  illis  omnibus  laboravi.*)  Si  verum  erat,  quod 
dixerat,  cur  hie  corrigit  quasi  perperam  dictum?  Nimirum 
huc  spectabat  correctio,  non  ut  inteUigeretur  nihil  egisse, 
sed  ne*)  videretur  suis  viribus  ascribere,  quod  auxiliante 

20  dei  gratia  gesserat.    Igitur  insolentiae  suspicionem  excludit 
^    ea  correctio,  non  operis  societatem. 

ni  c  8.  Non  enim  vult  deus,  ut  homo  sibi  quicquam  tri- 
buat,  etiamsi  quid  esset,  quod  merito  posset  sibi  tribuere: 
Cum  feceritis  omnia,  quae  praecepta  sunt  vobis, 

25  dicite:  Servi  inutiles  sumus,  quod  debuimus  fa- 
cere,  fecimus.')  An  non  rem  egregiam  praestiterit,  qui 
servarit  omnia  praecepta  dei?  Qualis  an  omnino  quisquam 
reperiatur  nescio.^)  Et  tamen  qui  hoc  praestiterint,  iubentur 
dicere:  Servi  inutiles  sumus.    Non  negantur  fecisse,  sed 

90  docentur   vitare   periculosam    arrogantiam.     Aliud   loquitur 

>)  Acto.  4  (8).  ^  Acto.  6  (IG). 

»)  Galat.  2  (20).  *)  Eom.  1  (17);  Abacuc  2  (4). 

»)  (1.  Cor.  15,  10.)  «)  X«:  ut.  ^  Luc.  17  (10). 

")  Ob  jemand  überhaupt  als  ein  solcher  erfunden  wird,  das  weiO 
ich  nicht. 


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—    73    - 

homo,  aliad  loqnitnr  deas.  Homo  dicit:  Servus  sum,  et  ser- 
vns  inntilis.  Quid  dominns?  Enge,  serve  bone  et  fide- 
lis!^)  et:  lam  non  dicam  vos  servos.  sed  amicos,*) 
eosdem  pro  servis  fratres  appellat.')  Et  qui  se  vocant  servos 
inatiles,  deus  appellat  filios  snos  *)  atqne  hi  ipsi,  qni  se  nunc  5 
praedicant  servos  inutiles,  audiunt  a  domino:  Venite,bene- 
dicti  patris  mei,^)  et  andiant  commemorari  sua  benefacta, 
qnae  ipsi  se  fecisse  nesciebant. 

in  c  9.    Arbitror  autem  praecipuam  esse  clavem  ad  divi- 
nae  scripturae  intelligentiam,  si  spectemns ,  qnid  eo  in  loco  10    . 
agatnr;  hoc  animadverso  conveniet  ex  parabolis  ant  exemplis  ^ 
illnd  excerpere,  qnod  ad  institntnm  pertinet.    In  parabola  de 
oeconomo,*)  qui  submovendus  ab  officio  fraude  mutat  codi- 
cillos  debitoribus  domini,  quam  multa  sunt,  quae  nihil  faciunt 
ad  sensum  parabolae?    Hoc  tantum  excerpitur  magno  cuique  15 
studio  conandum  esse,  ut  dotes  a  deo   acceptas  largissime 
effnndat  iuvandis  proximis,  antequam  mors  occupet.    Itidem 
in  parabola,  quam  modo  attigimus:  Quis  vestrum  habens 
servum  arantem  aut  pascentem  boves,  qui  regresso 
de  agro  dicat  illi  statim:  Transi  et  recumbe,  et  20 
non  dicit:  Para,  quod  cenem,  et  praecinge  te  et 
ministra  mihi,donec  manducem  et  bibam,  et  post 
hoc  tu  manducabis  et  bibes?    Numquid  gratiam 
habet  servo  illi,  quia  fecit,  quae  ei  imperaverat? 
Non  puto. ')    Huius  parabolae  summa  est,  ut  simpliciter  26 
oboedientes  iussis  divinis  streune  suo  fungerentur  officio  nee 
hinc  quicquam  laudis  sibi  vindicarent.    Alioqui  dominus  ipse 
dissidet  ab  hac  parabola,  qui  se  gessit  pro  ministro,  cum  dis- 
cipulis  concesserit  honorem  discumbentium.  ^)  Et  gratias  agit» 
cum  ait:  Enge,  serve  bone,*)  et:  Venite,  benedicti.^®)  30 
Itaque  non  subicit:  Ita  et  vos,  cum  feceritis  omnia,  dominus 

')  Lnc.  19  (17).  «)  loan.  16  (16).  »)  (lo.  20,  17). 

*)  (Ob.  1,  10.)  »)  Matth.  25  (34).  «)  (Lnc.  16,  1-9.) 
')  Luc.  17  (7-10).           ^)  (lo.  13,  4  ff.)  »)  (Luc.  19,  17.) 

»<0  (Matth.  25,  34.) 


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—    74    — 

Bttlla  gratia  digBOS  iüdicabit  et  pro  senis  inatDibnfi  faaäehit, 
«ed  ait:  Vos  dicite:  Servi  inutiles  snmns.^)  Sie  Pau- 
los, qoi  plus  Omnibus  laborarat,  appellat  se  minimam  aposto- 
iorom  et  indignnm  apostoli  nomine.^) 
5  ni c  10.  Simüiter apnd Matthaeam cap.  10 (29) iNonnedno 
passeres  asse  venennt?  Et  nnus  ex  illis  noncadit 
super  terram  sine  patre  vestro.  Spectandum  est  in 
primis,  quid  illic  agat  dominus;  non  enim  voluit  dooere  Dio- 
medeam,^)  quod  aiunt,  omnium  rerum  necessitatem,  sed  eo 

to  tendit  hoc  exemplum,  ut  eximat  discipulis  metum  hominum, 
quod  intelligerent  se  deo  curae  esse  nee  ab  hominibus  laedi 
posse,  nisi  illius  permissu^  illum  yero  non  permissunua,  nisi 
sie  expediret  ipsis  et  evangelio;  alioqui  Paulus  1.  ad  Corin- 
thios  9  (9):  Numquid,  inquit,  de  bubus  cura  est  deo? 

16  Videtur  autem  et  in  hoc,  quod  sequitur  apud  evangddstam, 
hyperbole  subesse:  Vestri  autem  capilli  capitis  om- 
nes  numerati  sunt^)  Tot  capilli  quotidie  deflount  in 
terram,  an  et  hi  vocabuntur  ad  rationem?'^)  Quid  igitur  age- 
bat  hyperbole ?    Nimirum  illud,  quod  sequitur :  Nolite  ergo 

äOtimere.*)    Quemadmodum  igitur  his  tropis  eximitur  metuß 

hominum  et  conflrmatur  fiducia  erga  deum,  sine  cuius  proTi- 

\/   dentia  nihil  omnino  fit,  ita  quos  supra  recensuimus,  non  hoc 

agunt,  ut  toUant  liberum  arbitrium,  sed  ut  deterreant  nos  ab 

arrogantia,  quam  odit  dominus.  Tutius  est  totum  trwscribere 

»)  (Luc.  17,  10.)  «)  (1.  Cor.  16,  9.) 

»)  Vgl.  z.  B.  Plato,  Rep.  VI,  493  (BibI  Teubn.  74,  4,  p.  181).  Eine 
häufige  Erklärung  bringt  den  Ausdruck  mit  dem  Baube  des  Bildes  der 
Pallas  in  Zusammenhang,  an  welchem  das  Schicksal  Trojas  hing.  Zu 
diesem  Baube  zogen  Odjsseus  und  Diomedes  aus,  doch  vollführte  ihn 
Diomedes  aUein.  Der  darob  eifersüchtige  Odjsseus  woUte  ihn  hinteirücks 
erstechen,  doch  er  wandte  sich  rechtzeidg  um  und  nötigte  den  Odyflgeos, 
vor  ihm  herzugehen.  Diese  Erklärung  ist  ebenso  unwahrscheinlich,  wie 
eine  andere,  über  die  Pauly-Wissowa,  B£.  der  klass.  Altertumswiss.  (Bd. 
V,  Sp.  816)  nachgelesen  werden  kann.    Non  liquet. 

*)  Matth.  10  (30).  ^)  Batio  hier  =  Bechnung. 

«)  (Matth.  10,  31). 


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—    75    — 

donuBO,  bemgBns  est,  nee  solum  reddet  nobis,  qaod  nostram 
est,  Terom  etiam,  qaod  ipsias  est,  inbebit  esse  nostrum. 

mcll.  Filius  flle  prodigas  ^)  qaomodo  dicitur  prode- 
gisse  portionem  suae  sabstantiae,  si  nulla  portio  fuit  in  illins 
manu?  Quod  habebat  aeceperat  a  patre.  Et  nos  fatemar  6 
omods  natorae  dotes  esse  dona  dei.  Habebat  portionem  saam 
etian  tum,  eom  esset  in  mann  patris,  et  babebat  tatios. 
Qaid  igitof  est  efflagitata  portione  divertere  a  patre?  Nimi- 
rom  est  natorae  dotes  arrogare  tibi  easqne  non  applicare  ad 
implenda  praecepta  dei,  sed  ad  explendas  carnis  concopis-  lo 
centias.  ^nid  est  fames?  Est  afflictio,  qua  deus  exstimulat 
mentem  peccatoris,  ut  agnoscat  et  oderit  seipsum  tangator- 
qoe  desidmo  r^cti  patris.  Quid  est  filius  secum  loquens, 
confessionem  ac  reditom  meditans?  Est  volontas  hominis 
appUciuis  sese  ad  gratiam  ezstimulantemi  qaam,  nt  diximas,  16 
Tocant  praevenientem.  Quid  est  pater  occurrens  fllio?  Est 
gratia  dei,  quae  proyehit  yolontatem  nostram,  nt  perficiamns, 
qaod  volumns.  Haec  interpretatio,  si  meum  esset  commen- 
tum,  certe  probabilior  esset,  quam  istorum,  qui,  quo  convin- 
cant  hominis  yolontatem  nihil  agere,  porrige  manum,  ad  ^ 
qaod  voles,^)  interpretantur:  Gratia  porrigit  manum  tuam, 
ad  qaod  ipsa  volet.')  Nunc  cum  sit  ab  orthodoxis  patribus^) 
tradita,  non  video,  quare  debeat  ccmtemni.  Eodem  p^*tinet,^) 
quod  Tidna  paupercula  duo  minuta,  hoc  est  totam  substantiam 
suam  mittit  in  gazophylacium.^)  tt 

ni-c  12.    Bogo,  quid  meritorum  potest  arrogare  sibi,  qui 
quicqoid  hoc  est,  quod ')  homo  potest  intellectu  natural!  et  ^ 
Ycduntatis  libertate,  totum  debet  ei,  a  quo  vires  eas  accepit? 
Et  tamen  deos  hoc  ipsum  nobis  imputat  pro  meritis,  quod 
non  ayertimus  animum  nostrum  ab  ipsius  gratia,  quod  naturae  90 

')  (Luc  15,  11  ff.)  «)  (Sir.  15,  17.)  *)  S.  p.  60  Anm.  2. 

^)  Hieronymus,  epist.  XXI  ad  Damasam  (Msl.  22  col.  379 ff). 
^)  Unter  die  gleiche  Beurteilung  (Nebeneinander  von  Gnade  und  freiem 
WiUen)  gehart  die  Erzählung. 

**)  (Marc.  12,  41  ff.)  ^  Edd.:  quicquid,  hoc  est,  quod. 


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—    76    ~ 

vires  ad  simplicem  oboedientiam  appellimos.  Hoc  certe  tantun 
valet,  ut  falsum  non  sit  hominem  aliqnid  agere,  et  tarnen 
omninm,  qnae  facit,  snmmam  deo  yelut  anctori  tribnat,  nnde 
profectum  est,  at  potaerit  sanm  conatnm  cum  dei  gratia 
5  coniungere.  Ita  Paulus:  Gratia,  inquit,  dei  sum  id, 
quod  sum.^)  Agnoscit  auctorem.  Sed  cum  audis:  Gratia 
eius  in  me  vacua  non  fuit,')  agnoscis  humanam  volun- 
tatem  simul  adnitentem  auxilio  diyino.  Idem  indicat,  cum 
ait:   Non  ego,  sed  gratia  dei,  quae  mihi  adest.*) 

10  Nam  Graecis  est:  fj  ahv  ifioL  Et  Hebraeus  ille  sapientiae 
praedicator  optat  sibi  assistere  divinam  sapientiam,  ut 
secum  sit  ac  secum  laboret^)  Assistit  tamquam 
moderatrix  et  adiutrix,  quemadmodum  architectus  assistit 
ministro,   praescribit,    quid   sit   agendum,   ostendit   agendi 

16  rationem,  si  quid  ille  perperam  facere  coeperit,  revocat,  si 
quid  ille  deficit,  succurrit;  opus  ascribitur  architecto,  sine 
cuius  ope  nihil  poterat  effici,  et  tarnen  nemo  dixit  ministrum 

\y^c  discipulum  nihil  egisse.  Quod  architectus  est  discipulo, 
hoc  gratia  est  voluntati  nostrae.     Ita  Paulus  ad  Romanos 

20  cap.  8  (26):  Similiter  et  Spiritus  adiuvat  infirmi- 

^^tatem  nostram.  Nemo  vocat  infirmum,  qui  nihil  potest, 
sed  cui  vires  non  sufficiunt  peragendo,  quod  conatur,  nee 
adiutor  dicitur,  qui  totum  solus  facit.  Tota  scriptura  damat 
adiutorium,  opem,  auxilium,  subsidium.    Quis  autem  adiuvare 

26  dicitur,  nisi  aliquid  agentem?  Neque  enim  figulus  adiuvat 
lutum,  ut  fiat  vas,  nee  faber  securim,  ut  fiat  scamnum. 

III  c  13.  Itaque  qui  sie  coUigunt:  Nihil  potest  homo  nisi 
auxüiante  gratia  dei,  igitur  nulla  sunt  hominis  opera  bona, 
his  opponemus  collectionem  magis,  ut  arbitror,  probabilem: 

SO  Homo  nihil  non  potest  auxiliante  dei  gratia,  igitur  omnia 

^  opera  hominis  possunt  esse  bona.  Quot  igitur  sunt  in 
scripturis  divinis  loca,  quae  meminerunt  auxilii,  tot  sunt, 


*)  1.  Cor.  15  (10).  «)  (Ibid.) 

»)  (Ibid.)  *)  (Sap.  9,  10.) 


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—    77    — 

qnae  statuunt  liberum  arbitrium,  atqne  ea  sunt  innamerabilia. 
Itaque  vicero,  si  res  aestimetur  ex  testimoniorom  nnmero. 

IV 1.    Hactenus  ex  divinis  libris  loca  contnlimus,  qnae 
statnnnt  libemm  arbitrinm,  et  ex  adyerso,  qnae  yidentnr  in 
totnm  tollere.    Qnoniam  antem  spiritns  sanctns,  quo  anctore   6 
prodita   snnt   haec,    non   potest    pngnare   secnm,    cogimnr 
yelimns  nolimns  aliqnam  sententiae  moderationem  qnaerere. 
Cetemm,  nt  ex  eadem  scriptnra  alii  aliam  snmerent  opinionem, 
in  cansa  fnit,  qnod  alins  alio  spectaret  et  ad  snnm  quemqne 
scopnm  interpretabatnr,  qnod  legebat.    Qni  secnm  repntabant,  10 
qnanta  esset  in  hominibns  ad  stndinm  pietatis  socordia,  deinde 
qnantnm   esset   malnm   desperatio   salntis,   dnm    bis    malis 
mederi  stndent,  incanti  in  alind  incidere  malnm  ac  plns  satis 
tribnemnt  libero  hominis  arbitrio.    Enrsns  alii  perpendentes, 
quanta  sit  pestis  yerae  pietatis  hominem   snis  yiribns   ac  16 
meritis  fidere,  quam  intolerabilis  qnomndam  arrogantia,  qni 
sna  benefacta  iactant  atqne  etiam  ad  mensnram  ac  pondns 
yendnnt  aliis,  qnemadmodnm  yenditnr  olenm  et  sapo,  dnm 
hoc  malnm   magno  stndio  yitant,   ant  dimidiamnt  libernm 
arbitrinm,  sie  nt  ad  bonnm  opns  nihil  prorsns  ageret,  ant  in  ^ 
totnm  ingnlamnt  indncta  remm  omninm  absoluta  necessitate.^) 

IV  2.  Nimimm  istis'j  yisnm  est  yehementer  aptnm  ad 
Christianae  mentis  simplicem  oboedientiam,  nt  totns  homo 
pendeat  a  nntn  dei,  in  illins  promissis  spem  omnem  ac 
fidnciam  ponat  et  agnoscens,  quam  ipse  ex  sese  sit  misera-  25 
bilis,  miretnr  et  amet  illins  immensam  misericordiam,  qnae 
nobis  gratis  tanta  largitnr,  illins  yolnntati  se  totnm  submittat, 
siye  seryare  yelit  siye  perdere,  nihil  landis  ex  benefactis 
sibi  arroget,  sed  totam  gloriam  ascribat  illins  gratiae,  cogi- 
tans  hominem  nihil  alind  esse,  quam  yiynm  Organum  diyini  30 
spiritns,  qnod  ipse  sibi  pnrgayit  consecrayitqne  sua  gratnita 
bonitate,  qnod  pro  sna  inscrntabili  sapientia  moderatur  ac 
temperat,  nihil  hie  esse,  qnod  qnisqnam  snis  arroget  yiribns, 


')  Earlstadt  und  Luther.  *)  Luther  und  seine  Anhänger. 


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—    78    — 

et  tarnen  certa  Mncia  ab  illo  spettt  pfaemiuiff  aet^r&ae 
yitae,  non  qoia  suis  benefactis  promeraerit,  sed  qnod  dos 
bomtati  vianm  sit  promittere  ipsi  fldentibiis;  borainis  partes 
esse  ^)  assidne  precari  deam,  Ht  impartiat  et  augeat  in  nobis 
5  f^iritnm  snum,  agere  gratias,  si  qnid  per  nos  benegestnm  eat, 
illins  potentiam  in  omnibns  adorare,  sapientiam  nbiqne  Biirari, 
bonitatem  nbiqne  amare.  Haec  oratio  apnd  me  qnoqne 
yebementer  plausibilis  est,  congmit  enim  seriptnris  c^vfnis, 
respondet  eomm  professioni,  qui  semel  mortui  mundo  per 

10  baptismnm  simnl  sepolti  sunt  cnm  Cbristo,  xst  mortifieata 
came  posthac  vivant  et  agantnr  spiritn  lesu,  in  cnins  corpus 
insiti  sunt  per  fldem.  ^  Pia  nimirmn  et  favorabilis  sententia, 
quae  nobis  omnem  adimit  arrogantiam,  quae  in  Christum 
transfert  omnem  gloriam  simul  et  fiduciam,  quae  nobis  metum 

16  hominum  ac  daemonum  excutit  ac  nostris  ipsorum  i^aesidiis 
diffisos  in  deo  fortes  reddit  et  animosos!  Bis  libenter 
applaudimus  usque  ad  hyperbolas. 

^  IV  3.  Cum  enim  audio  adeo  nullum  esse  hominis  meritum, 
ut  omnia  quamvis  piorum  hominum  opera  peceata  sint,  cnm 

20  audio  nostram  voluntatem  nihilo  plus  agere,  quam  agat 
argiUa  in  manu  figuli,  cum  audio  cuncta,  quae  f^imus  aut 
Yolumus,  ad  absolutam  referri  necessitatem,  multis  serupis 
offenditur  animus.  Primum:  quomodo  toties  legis  sanctos 
plenos   operibus   bonis   fecisse  iustitiam,    ambnlasse   rectos 

25  coram  deo,  non  declinasse  ad  dextram  nee  ad  sinistram,  si, 
quicquid  agunt  etiam  eximie  pü,  peccatum  est  et  tale 
peccatum,  ut,  ni  subveniret  dei  misericordia,  demersnanum 
esset   in   tartarum   eum,    pro   quo   mortuus   est   Christus? 

^   Quomodo  toties  auditur  praemium,  ubi  prorsus  nullnai  est 

80  meritum?  Qua  fronte  coUaudatur  oboedientia  eomm,  qui 
parent  iussis  divinis,  damnatur  inoboedientia,  qui  non  parent? 
Cur  toties  fit  in  sacris  literis  iudicii  mentio,  si  nuHa  est 
omnino   meritorum   expensio?     Aut   cur   cogimur    sisti*  ad 


1)  KonstroktioiiBwechsd.  ')  (Vgl.  Bom.  6,  4.) 


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-    79    — 

tribunal  iudicis,  si  nihil  ex  nostro  arbitrio,  sed  ex  mera 
necessitate  gesta  sunt  in  nobis  omnia?     Obstrepit  et  illa 
cogitatio,  qnorsnm  opns  tot  moniti»,  tot  praeeeptis,  tot  minis, 
tot  exhortationibns,  tot  expostnlationibns,  si  nos  nihil  agimns, 
sed  deus  pro  sna  iramutabili  volnntate  Operator  in  nobis   5 
omnia,  et  velle  et  perficere?^)     Vult  nos  assidne  precari, 
vult  advigilare,   certare,   contendere  ad  bravinm   aetemae 
vitae.    Cur  assidne  rogari  vnlt,  qnod  ipse  iam  decrevit  dare      / 
aot  non   dare,    nee  mntare    potest    sna   decreta,    cum  sit 
immntabilis  ipse?    Cor  inbet  nos  tot  laboribns  expetere,  quod  10 
ipse  gratis  largiri  decrevit?    Affligimnr,  eicimui*,  exsibilamur, 
excmciamnr,  occidimur:  sie  certat  in  nobis  dei  gratia,  sie 
vincit,  sie  trinmphat.    Tarn  atrocia  patitnr  martyr  et  tarnen 
nihil  Uli  tribuitur  meriti ,  immo  peccare   dicitnr  exponens 
corpus  sunm  tormentis  spe  vitae  caelestis.    Sed  cur  miseri-  15 
cordissimus  deus  sie  voluit  in  martyribus  operari?    Crudelis 
enim  videatnr  homo,  si  quod  gratis  largiri  decrevisset  amico, 
non  daret  nisi  usque  ad  desperationem  excruciato. 

lY  4.     Verum  ad  haue   divini    consilii    caliginem    ubi 
ventum  erit,  fortasse  iubebimur  adorare,  quod  assequi  fas  non  20 
est,  ut  dicat  mens  humana:  Dominus  est,  potest  quicquid 
vult  et  quoniam  natura  optimus  est,  non  potest  non  esse 
Optimum,  quicquid  voluerit.    Iam  et  iUud  satis  plausibiliter 
dicitnr,   quod    deus    sua   dona   coronat   in    nobis   ac  suum 
beneflcium  iubet  nostrum  esse  praemium  et,  quod  in  nobis  25 
operatus   est,   ex  sua  gratuita  bonitate  id  sibi  fidentibus 
veluti  debitum  dignatur  imputare   ad  assequendam  immor- 
talitatem.    Sed  nescio,  quomodo  sibi  constent,  qui  sie  in  piis  ^ 
exaggerant  dei  misericordiam,  ut  in  aliis  pene  faciant  illam 
cmdelem,    Benignitatem  sua  bona  nobis  imputantis  utcumque  8^ 
fernnt  aures   piae;    ceterum    difficile    expiicatur,    quomodo 
iustitiae    sit   (non  enim  iam    dico   misericordiae)    alioa,  in 
quibus  non    dignatus   est   operari  bona,   aetemis  addicere 


')  (Vgl.  Phü.  2,  13.) 


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—    80    — 

sappliciis,  cum  ipsi  per  se  nihil  possint  efficere  boni,  at 
quibus  aut  nnllnm  est  liberum  arbitrium  aut,  si  est,  ad  nihil 
aliud  valet  quam  ad  peccandum.^) 

IV5.  Si  rex  quispiam  donaret  ingens  praemium  ei,  qui 
6  nihil  egisset  in  hello,  cum  ceteri,  qui  gnaviter  se  gessissent, 
nihil  ferrent  praeter  solitum  salarium,  fortasse  posset  ob- 
murmurantibus  militibus  respondere:  Quae  yobis  iniuria  fit, 
si  mihi  übet*)  in  hunc  esse  gratuito  liberalem?  At  iustus  et 
Clemens  qui  posset  videri,  si  ducem,  quem  machinis,  copiis, 

to  pecuniis  et  omnibus  praesidiis  affatim  instruxisset  ad  bellimi, 
pro  re  bene  gesta  magnifice  coronaret  et  alterum,  quem  nullis 
instructum  praesidiis  inermem  hello  obiecisset,  ob  rem  infeli- 
citer  gestam  afficeret  supplicio?  Nonne  moriens  ille  iure 
diceret  regi:  Cur  in  me  punis,  quod  tua  culpa  commissom 

16  est?  Si  similiter  instruxisses,  similiter  vicissem.  Bursus,  si 
herus  in*)  servum  nihil  commeritum  manumitteret,  haberet 
fortasse,  quod  aliis  servis  obmurmurantibus  responderet:  Nihil 
yobis  decedit,  si  in  hunc  sum  benignior,  habetis  dimensum 
vestrum.     Atqui   nemo  non  iudicaret  crudelem   et  iniquom 

20  dominum,  qui  servum  loris  caederet,  vel  quod  minus  esset 
procero  corpore  vel  naso  porrectiore  vel  alioqui  parum  ele- 
gante forma.  *)  Nonne  is  iure  obmurmuraret  domino  caedenti  : 
Cur  do  paenas  ob  id,  quod  in  manu  mea  non  est?  Atque  hoc 
iustius  etiam  diceret,  si  domino  esset  in  manu  mutare  Vitium 

25  corporis  in  servo,  quemadmodum  deo  in  manu  est  mutare 
voluntatem  nostram,  aut  si  dominus  hoc  ipsum,  quo  offenditur, 
Vitium  addidisset  servo,  veluti  si  truncasset  nasum  aut  faciem 
cicatricibus  foedasset,  quemadmodum  deus  iuxta  quorundam 
opinionem   etiam  mala   omnia   operatur   in   nobis.     Kursus, 

*  quod  ad  praecepta  attinet,  si  dominus  servo  compedibus 
astricto  in  pistrino  multa  praescriberet:  Abi  illuc,  fac  hoc, 

0  So  Lnther  nnd  Earlstadt. 
*)  X»:  licet.  »)  BX«A  fehlt:  in. 

*)  Vgl.  Fisher  p.  545,  der  CliiyBostomas  hom.  in  Matth.  60  (Msg.  58 
-col.  575  f.)  zitiert. 


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corre,  recorre,  dira  minitans,  ni  pareat,  nee  interim  solya*et 
illnm  iamqne  non  parenti  virgas  expediret,  nonne  yideator 
seryns  iure  dominuin  vocare  yel  insannin  yel  crndelem,  si  loris 
occideret,  qnod  non  fecisset  ea,  qnae  non  erant  in  ipsins 
potestate?  6 

176.  Porro,  qnod  isti  fidem  et  caritatem  in  denm  in 
immensnm  exaggerant,  aeqnis  aniibns  ferimns  arbitrantes 
yitam  Christianornm  tot  nndiqne  sceleribns  contaminatam 
non  alinnde  proficisci,  qnam  ex  fide  nostra  frigida  et  somni- 
cnlosa,  qna  yerbotenns  credimns  deo  quaeque  natat  in  siunmis  10 
labiis,  cnm  inxta  Panlnm  corde  credatnr  ad  iustitiam.^) 
Nee  admodum  digladiabor  cnm  bis,  qni  ad  fidem  yelnt  ad 
fontem  capntqne  refemnt  omnia,  etiamsi  mihi  fides  ex 
caritate,  Caritas  ex  fide  yicissim  nasci  aliqne  yidetnr;  certe 
Caritas  alit  fidem ,  quemadmodnm  in  Incema  lumen  alitnr  i6 
oleo,  libentins  enim  illi  fidimns,  qnem  yehementer  amamns. 
Nee  desnnty  qni  fidem  initinm  yolnnt  esse  salatis  potins 
qnam  snmmam.    Sed  de  bis  non  eontendimns. 

IV  7.    Getemm  hie  cayendnm  erat,  ne,  dam  toti  snmns 
in  amplifieandis  fidei  landibns,  snbyertamns  libertatem  arbitrü,  20  , 
qna  snblata  non  yideo,  qno  pacto  possit  explicari  qnaestio  de  ^ 
institia    deqne   misericordia   dei.     £x   hninsmodi   angnstiis 
cnm  sese  non  explicarent  yeteres,  qnidam  dnos  deos  facere 
coaeti  sunt:  altemm  yeteris  testamenti,  quem  tantnm  yole- 
bant  esse  instum,  non  etiam  bonnm,  altemm  noyi  testamenti,  85 
qnem  tantnm  yolebant  esse  bonnm,  non  iustum,  qnomm  im- 
pium  eommentnm  satis  explodit  TertuUianns.^)    Manichaens, 
nt  diximns/)  dnas  in  homine  nataras  somniayit:   alteram, 
qnae  non  posset  non  peceare,  alteram,  qnae  non  posset  non 
benefacere.     Pelagins,  dum  metnit  iustitiae  dei,  plns  satis  SO 
tribnit  libero  arbitrio,  a  qno  Jion  ita  mnltnm  absnnt,  qni 
tantnm  tribnnnt  yoluntati  hominis,   nt  ex  natnrae  yiribns 


*)  Bom.  10  (10).  *)  AdT.  Marc.  I  cap.  2  ff.  (Mal.  2,  col.  273  ff.). 

»)  8.  p.  13. 
Walter,  De  libero  arbitrio.  6 


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per  opera  moraliter  bona  promereri  possint  gratiam  ülam 
snpremam,  qua  iastificamnr.  ^)  Hi  mihi  videntar  bominem 
ostensa  bona  spe  salntis  adipiscendae  ad  conandnm  invitare 
voloisse,  qnemadmodnm  Cornelius  precibos  et  eleemosynis 
6  meruit  doceri  a  Petro ,  *)  eunuchus  a  Philippo.  *)  Divus 
Angostinns  dam  sedolo  quaerit  Christum  in  Paulinis  epistolis, 
meruit  invenire.  Hie  illos,  qui  non  ferunt  quicquam  boni 
bominem  posse,  quod  non  debeat  deo,  sie  placare  possumus^ 
ut  dicamus,  nihilo  secius  totum  opus  deberi  deo,  sine  quo 

10  nihil  efflceremus,^)  et  quod  affertmomenti  liberum  arbitrium, 
perpusillum  esse  et  hoc  ipsum  esse  divini  muneris,  ut  possi- 
mus  animum  ad  ea,  quae  sunt  salutis,  afflectere  aut  gratiae 
aovsQyelv,     Augustinus  ex  colluctatione  cum  Pelagio  factus 

/    est  iniquior  libero  arbitrio,  quam  fuerat  antea.  Contra  Lutherus 

16  ante  nonnihil  tribuens  libero  arbitrio  *)  huc  provectus  •)  est 
calore  defensionis,  ut  in  totum  toUeret.  Atqui  reprehenditur 
apud  Graecos  Lycurgus ')  opinor,  quod  odio  temulentiae  vites 
incidi  iusserit,  cum  admotis  propius  fontibus  sie  posset  ex- 
cludere  temulentiam,  ut  tamen  non  periret  usus  vinL 

ao  IV  8.  Poterat  enim  mea  sententia  sie  statui  liberum  arbitrium, 
ut  tamen  yitaretur  illa  fiducia  meritorum  nostrorum  cetera- 
que  incommoda,  quae  yitat  Lutherus,  simulque  ea  incommoda, 

v^  quae  nos  supra  recensuimus,  nee  perirent  ea  commoda,  quae 
miratur  Lutherus.    Hoc  mihi  videtur  praestare  illorum  sen- 

25  tentia,  qui  tractum,  quo  primum  exstimulatur  animus,  totum 
attribuunt  gratiae;  tantum  in  cursu  tribuunt  nonnihil  homi- 
nis voluntati,  quae  se  non  subduxerit  gratiae  dei.  Cum  autem 
rerum  omnium  tres  sint  partes:  initium,  progressus  et  summa, 
duas  extremas  tribuunt  gratiae,  tantum  in  progressu  faten- 

30  tur  aliquid  agere  liberum  arbitrium,  sie  tamen ,  ut  ad  idem 


')  Skotns  und  seine  Schule. 

«)  (Act  10,  in.)  •)  (Act  8,  26 ff.)  *)  S.  p.  70,  19 ff. 

^  Vgl  p.  12  Anm.  4.  •)  X«:  profectuB. 

^  Nicht  Lykurg,  sondern  Domitian  hat  eine  ähnliche  Verordnung 
erlassen;  ygL  Sueton.  Domitianus  cap.  VII  §  2  ed.  M.  Ihm  p.  840. 


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opus  individumn  simol  concurrant  duae  cansae,  gratia  dei  et 
hominis  volnntas,  sie  tarnen,  nt  gratia  sit  causa  principalis, 
volnntas  secundaria,  quae  sine  principali  nihil  possit,  cum   i-^ 
principalis  sibi  sufficiat,  quemadmodum  nativa  vis  ignis  urit  ^) 
et  tarnen  principalis  causa  deus  est,  qui  simul  per  ignem  agit,   5 
quae  yel  sola  suffleeret  et  sine  qua  nihil  ageret  ignis,  ^i  se 
subduceret  üla.    Hae  temperatura  fit,  ut  homo  totam  salutem 
suam  diyinae  gratiae  ferre  debeat  aeceptam,  cum  perpusillum 
Sit,  quod  hie  agit  liberum  arbitrium,  et  hoc  ipsum,  quod  agere 
potest,  Sit  divinae  gratiae,  qui  ^)  primum  condidit  liberum  arbi- 10 
trium,  deinde  liberayit  etiam  ac  sanavit.    Atque  ita  placan- 
tur,  si  modo  plaeabiles  sunt,  hi,  qui  non  ferunt  homini  quic- 
quam  esse  boni,  quod  deo  non  debeat.    Debet  et  hoc,  sed 
aliter  alioque  titulo,  quemadmodum  hereditas  ex  aequo  obve- 
niens  liberis  non  yocatur  quidem  benignitas,  quia  per  com- 16 
munem  legem  eontingit  omnibus.    Si  quid  praeter  commune 
ins  donatum  est  huic  aut  illi,  liberalitas  dieitur;  tamen  here- 
ditatis  etiam  nomine  liberi  debeant  parentibus. 

IV  9.    Conabimur  et  parabolis  exprimere,  quod  dieimus^* 
Oculus  hominis  quamyis  sanus  nihil  yidet  in  tenebris,  excae-  20 
catus  ne  in  luce  quidem;  ita  yoluntas  quamyis  libera  nihil   s/ 
tamen  potest,  si  se  subdueat  gratia,  et  tamen  infusa  luce 
potest  occludere,  qui  sanos  habet  oculos,  ut  non  yideat,  potest 
et  oculos  ayertere,  ut  desinat  yidere,  quod  yidere  poterat 
Plus  autem  debet,  qui  oculos  habebat  excaecatos  yitio  quo-  25 
piam.    Primum  debet  conditori,  deinde  medieo.    Ante  pecca- 
tum  utcumque   sanus  erat  oculus,   peccato  yitiatur  oculus. 
Quid  hie  sibi  potest  arrogare,  qui  yidet?    Est  tamen,  quod 
sibi  imputet,  si  prudens  ^)  daudat  aut  ayertat  oculos.^)  Accipe 
parabolam  älteram:  Pater  infantem  nondum  ingredi  potentem  30 
collapsum  erigit  utcumque  adnitentem  et  pomum  ex  adyerso 

')  Das  Bild  Tom  Feuer  stammt  von  Thomas   (prima  sec.  qa.  109, 
art  I,  8  opp.  ed.  Bom.  VII  p.  289). 

•)  Sic!  •)  Pradens  =  wiasentlich,  mit  Vorbedacht. 

*)  Vgl.  p.  30  Anm.  2. 


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s/ 


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positmn  ostendit;  gestit  pner  aocnrrere,  sed  ob  imbeeillitatraQ 
membrornm  mox  denno  coUapsanis  esset,  ni  pater  maaa 
pinrecta  fnlciret  regeretqne  gressnm  illius.  Itaque  patre  dace 
pervenit  ad  pommn,  qnod  pater  yolens  dat  Uli  in  rnanum 

6  yelati  cnrsus  praeminm.  Erigere  se  non  poterat  infans,  nisi 
pater  snstalisset,  non  vidisset  pornnm,  nisi  pater  ostendisB^ 
non  poterat  progredi,  nisi  pater  inyalidos  grados  perpetao 
adinvisset,  non  poterat  attingere  pomum,  nisi  pater  dedisset 
in  mannm.    Qnid  hie  sibi  vindicabit  infans?    Et  tarnen  egit 

10  nonnihil,  nee  habet  tarnen ,  qnod  de  snis  viribns  glorietar, 
com  se  totum  debeat  patri. 

IV 10.  Ponamus  enim  hoc  interim  esse,  qnod  est  in  deo. 
Qnid  igitur  hie  agit  infans?  Erigenti  ntcnmqne  annititar  et 
ad  illins  moderationem  gressns  infirmos,  ut  potest,  accommo- 

16  dat  Poterat  pater  trahere  nolentem  et  poterat  relnctari 
pnerilis  animns  spreto  pomo,  poterat  pater  dare  pomnm  abs- 
qne  cnrsn,  sed  sie  dare  malnit,  qnia  sie  magis  expedit  pnero. 
Facile  patiar,  nt  aliquanto  minus  debeatnr  industriae  nostrae 
ad  conseqnendum  vitam  aetemam  quam  pueri  ad  patris  ma- 

20  nnm  currentis. 

IV 11.  Hie  cum  yideamus  minimum  esse  tributnm  libero 
arbitrio,  tarnen  quibusdam^)  hoc  ipsum  videtur  esse  plus 
satis,  solam  enim  gratiam  volunt  in  nobis  agere,  nostram 
mentem  in  omnibus  nihil  aliud  quam  pati,  velut  Organum 

2B  divini  Spiritus,  ut  nullo  pacto  bonum  possit  dici  nostrum,  nisi 
quatenus  diyina  benignitas')  gratis  hoc  nobis  imputat,  gra- 
tiam enim  non  tarn  operari  in  nobis  per  liberum  arbitrinm 
quam  in  libero  arbitrio,  quemadmodum  figulus  operatur  in 
argilla,  non  per  argillam.    Unde  igitur  coronae  praemiiqne 

90  mentio?  Dens,  inquiunt,  sua  dona  coronat  in  nobis  ac  sunm 
beneficium  iubet  esse  nostrum  praeminm  et,  quod  in  nobis 
operatus  est,  imputare  dignatur  ad  consortium  regni  caelestis.*) 

^)  Earlstadt,  gegen  den  sich  der  ganze  Abschnitt  richtet;  ygL  p.  81. 

•)  X*:  benignitate. 

')  Vgl.  Leipz.  Disp.  ed.  Löscher  III  p.  298:  Pro  mednUa  yerbnin  seryi 


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Hie  non  yideo,  quomodo  statnant  yolantatem  liberam,  qoae 
nihil  agat.    Nam  si  dicerent  sie  agi  a  gratia,  nt  acta  simol 
agerety  facilior  esset  explieatio^  qüemadmodom  ioxta  physicos 
eorpns  nostrum  prineipinm  motas  habet  ab  anima  nee  omnino 
moyeri  posset  absqne  anima  et  tarnen  non  solnm  movetnr  5 
ipsnm,  vemm  etiam  moyet  alia  et  tamqnam  socins  operis  vo- 
catnr  ad  societatem  gloriae.    Quod  si  dens  sie  operatur  in 
nobis,  qnemadmodum  fignlus  in  argilla,  qnid  potest  nobis  im-  ^ 
pntari  Tel  in  bonnm  vel  in  malnm?    Non  enim  lifoet  in  hane 
Tocare  qnaestionem  animam  lesn  Christi,  qnae  nimirnm  et  10 
ipsa  foit  Organum  divini  spiritns.    Et  si  camis  infirmitas  ob- 
stat, quo  minus  mereatur  homo,  exhorruit  et  ille  mortem  et 
non  yult  fieri  yoluntatem  suam,  sed  patris/)     Et  tamen 
hanc^)  fatentur  esse  fontem  meritorum,  qui  ceteris  sanctis 
Omnibus  detrahunt  omne  meritum  boni  operis.  15 

IV 12.  Ceterum,  qui  negant')  ullum  omnino  liberum 
arbitrium  esse,  sed  absoluta  necessitate  fieri  omnia,  fatentur 
deum  in  omnibus  operari  non  solnm  opera  bona,  yerum  etiam 
mala,  unde  consequi  videtur,  ut  qnemadmodum  homo  nulla 
ratione  dici  potest  auctor  bonorum  operum,  ita  nullo  modo  SO 
dici  potest  auctor  malorunt  Haec  sententia  cum  palam 
yideatur  deo  tribuere  cmdelitatem  et  iniustitiam,  a  quo  ser- 
mone  yehementer  abhorrent  aures  religiosae  (deus  enim  non 
esset,  si  quicquam  in  illum  competeret  yel  yitii  yel  imper- 
fecti),  tamen  habent  hi  quoque,  quod  in  causa  tam  non  plan-  ib 
sibili  respondeant^):  Deus  est,  non  potest  non  Optimum  et 
pulcherrimum  esse,  quod  facit;  si  spectes  decorum  uniyersi, 
etiam  iUa,  quae  per  se  mala  sunt,  hie  bona  sunt  et  ülustrant 
gloriam  dei  nee  est  uUius  creaturae  iudicare  consilium  crea- 


iUivs  (der  f&nf  Pfund  yerdient  hatte) ...  sie  intelligitar:  Non  ego  Incratos 
snm,  sed  gratia  dei  mecnm. 

>)  (Matth.  26,  89.)  •)  Hanc,  d.  h.  den  WiUen  Christi. 

^  Qegen  Lnther. 

^)  Zn  den  folgenden  Gedankengängen  dürfte  E.  wohl  durch  Lanr. 
VaUa  (L  c.  p.  1006)  resp.  SkotDS  angeregt  worden  sein. 


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toris,  sed  sese  totam  illi  per  omnia  subicere  adeo,  nt  si  vide- 
atur  deo  hunc  aut  illam  damnare,  non  debeat  obmarmurare, 

\/sed  amplecti,  qnicqnid  illi  placuerit,  illnd  semel  persnasom 
babens  omnia  per  illom  optime  gen  nee  posse  aliter  geri 

6  quam  optime.  Alioqoi  qois  ferat  hominem  si  dicat  deo:  Cor 
me  non  fecisti  angelum?  Nonne  deos  huic  merito  respon- 
deat:  Impndens,  si  te  fecissem  ranam,  quid  habebas,  qnod 
querereris?  Item  si  rana  expostnlaret  cum  deo:  Cur  me  non 
fecisti   payonem   versicoloribns  pennis  conspicunm?     Nonne 

10  huic  iure  diceret:  Ingrata,  poteram  te  fnngnm  ant  bnlbnm 
facere;  nnnc  salis,  bibis  et  cantas.  Rnrsns,  si  dicat  basilis- 
cns  ant  yipera:  Cor  me  condidisti  animal  omnibns  inTisnm, 
omnibns  letiferum  potins  qnam  ovem?  Qnid  responderet 
dens?    Fortasse  diceret:  Mihi  sie  visnm  est  et  sie  congmebat 

15  decoro  et  ordini  nniversitatis.  Nee  tibi  tarnen  facta  est 
ininria,  non  magis  qnam  mnscis,  cnlicibns  reliqnisqne  insectis, 
qnomm  nnnmqnodqne  sie  finxi,  nt  ingens  etiam  miracnlnm 
praebeant  contemplantibns.  Nee  ideo  non  est  mirandum  ac 
pnlchmm  animal  aranens,  si  dissimilis  est  elephanto,  immo 

20  plus  miracnlomm  est  in  araneo  qnam  in  elephanto.  Non  tibi 
sat  est,  qnod  in  tno  genere  perfectnm  es  animal?  Neqne 
tibi  datnm  est  venennm,  nt  occidas,  sed  nt  bis  armis  te  tnos- 
qne  fetns  tueare,  qnemadmodnm  bnbns  addita  snnt  comna, 
leonibns    nngues,   Inpo    dentes,    calces    eqnis.     Habet   ani- 

85  mantinm  nnnmqnodqne  snam  ntilitatem.  Eqnns  bainlns  est, 
bos  arator,  asinns  et  canis  opera  invant,  ovis  ad  pastnm 
ac  yestitum  hominis  atfert  ntilitatem,  tu  praestas  usnm  ad 
pharmaca. 

IV 13.    Sed  desinamus  ratiocinari  cum  bis,  qnae  ratiohe 

90  carent  De  homine  nobis  est  instituta  disputatio,  quem  dens 
condidit  ad  imaginem  et  similitndinem  snam^)  et  cnius  gra- 
tia  condidit  omnia.  Cum  vero  videamus  qnosdam  nasci  cor- 
poribus  felicissimis,  ingeniis  optimis  ac  velut  ad  yirtntem 


')  Gen.  1  (27). 


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natis,  rnrsus  alios  corporibos  monstrosis,  alios  morbis  hor- 
rendis   obnoxios,    alios    animis    tarn    stnpidis,   nt   minimuin 
absint  a   brntis    animantibns,   qnosdam   ipsis   etiam   brntis 
bratioreSy  alios  ingeniis  tarn   propensis   ad  flagitia,  nt  ad 
haec  videantur  vi  fatorum  rapi,   qnosdam  plane  dementes   5 
ac   daemoniacos,    qnibns   modis   bic   explicabimns   qnaestio- 
nem    de   institia    ac    misericordia  dei?    An    dicemns   cnm  ^ 
Panlo:  O   altitndo*)   etc.?     Sic   arbitror   melius,    qnam 
impia  temeritate  indicare  de  dei  consilüs,  qnae  snnt  homini 
impervestigabilia.    Yemm  longe  difficilins  sit  explicare,  qnare  10 
dens  in  aliis  immortali  gloria  Coronet  sna  benefacta,  in  aliis 
sna  malefacta  pnniat  aetemis  snpplieiis.    Hoc  tamen  para- 
doxen nt  tneantnr,  mnltis   anxiliaribns   paradoxis   est  opus, 
quo  tnta  sit  acies  adversns  alteram  partem.    Exaggerant  in 
immensnm  peccatnm  originale,  quo  sie  volnnt  corrnptas  esse  15 
praestantissimas  etiam  hnmanae  natnrae  vires,  nt  ex  sese  ^ 
nihil  possit  nisi  ignorare  et  odisse  denm  ac  ne  per  fidei  qni- 
dem  gratiam  instificatns  nllnm  opus  possit  efQcere,  qnod  non 
Sit  peccatnm;*)  atqne  illam  ipsam  proclivitatem  ad  peccan- 
dnm  in  nobis  ex  peccato  primomm  parentnm  relictam  yolnnt  20 
esse  peccatnm  et  eandem  invincibilem  esse  adeo,  nt  nnllnm 
sit  dei  praeceptnm,  qnod  homo  etiam  per  fidem  instificatns 
possit  implere,  sed  tot  dei  praecepta  non  alio  spectare,  qnam 
ut  amplificetnr  dei  gratia  salntem  largiens  absqne  respectn 
meritomm.  25 

IV 14.  Vemm  Interim  isti  mihi  videntur  alibi  contrahere 
dei  misericordiam,  nt  alibi  dilatent,  perinde  ac  si  qnis  apponat 
convivis  perparcnm  prandinm,  quo  splendidior  videatur  in 
cena  et  quodammodo  pictores  imitetur,  qui  cum  lucem  mentiri 
volnnt  in  pictura,  obscurant  nmbris,  qnae  proxima  snnt.  90 
Primnm  enim  pene  cmdelem  faciunt  denm,  qui  ob  peccatnm 
alienum  sie  saeviat  in  Universum  hominnm  genus,  praesertim 
cum   qui  commiserant  resipuerint  ac  tam  graves  dederint 


')  (Kom.  11,  33.)  »)  S.  p.  64  Anm.  8. 


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—    88    — 

paenas,  quamdiu  yixerunt.  Deinde  cum  aiont  etiam  illos,  qoi 
per  fldem  iustificati  sunt,  nihil  aliad  quam  peccare  adeo,  at 
amando  denm  et  fidendo  deo  reddamnr  digni  odio  dei,  nonne 

^  yehementer  hie  faciant  parcam  dei  gratiam,  quae  sie  iusti- 

5  fieat  hominem  per  fldem,  nt  tamen  adhuc  nihil  aliad  sit  quam 
ipsom  peccatnm?  Praeterea  dam  deas  tot  praeeeptis  onerat 
hominem,  qnae  ad  nihil  aliad  yalent,  qaam  nt  magis  oderit 
deam  graviasqae  damnetar,  nonne  faciant  eam  ipso  Dionjrsio 
Siciliae  tyranno  inclementiorem,^)   qoi  moltas  leges  stadio 

10  prodidit,  qaas  saspicabatar  plerosqae,  si  nnllas  instaret,  ncm 
servataros,  ac  primam  connivebat,  mox,  nbi  vidit  omnes 
propemodam  alicabi  peccasse,  coepit  eos  vocare  ad  paenam. 
Ita  reddidit  sibi  omnes  obnoxios.  Et  tamen  hnins  leges  erant 
hniasmodi,  at  facile  possent  servari,  si  qnis  volaisseti    Non 

16  nnnc  excntio  caasas,  qaibns  docent  omnia  dei  praecepta  nobis 
esse  impossibilia,  nee  enim  hoc  institaimas,  tantnm  obiter 
osteadere  Yolai  istos  nimio  stadio  dilatandae  gratiae  in 
ratione  salatis  eandem  in  aliis  obscarare;  qaaedam  non  Video, 
qnomodo  consistant.    lagalato  libero  arbitrio  docent  hominem 

20  iam  agi  spirita  Christi,  caias  natnra  non  patitnr  consortiom 

^  peccati.  Et  tamen  iidem  dicnnt  hominem  etiam  accepta 
gratia  nihil  aliad  qaam  peccare. 

IV 16.    Id  genas  hyperbolis  delectatas  videtar  Latheros, 
at  aliorum  hyperbolas  velati  malam  nodam,  qaod  dici  solet, 

25  malo  caneo  propelleret.  Qaorandam  temeritas  ad  hypeii)olen 
processerat,  qni  vendebant  merita  non  solam  saa,  yeram  etiam 
omninm  sanctoram.  At  qnalia  tandem  opera?  Cantiones, 
marmara  psalmoram,  pisces,  inedias,  vestes,  titalos.  Hone 
clavam   clavo  sie  pepalit  Latheras,  at  diceret  nnlla  esse 

80  omnino  merita  sanctoram,  sed  omnia  qnamlibet  pioram  homi- 
nnm  facta  faisse  peccata  damnationem  aetemam  allatora, 
ni  fides  et  dei  misericordia  saccarrisset.    Itidem  altera  pars 


*)  Aus  welcher  sekondären  Quelle  £.  die  «ipokiyphe  Anekdote  Ober 
Dionys  von  Sizilien  geschöpft  h%%,  ist  mir  unbekannt. 


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lacnlentnin  qnaestum  fadebat  ex  confessionibns  et  satis- 
factionibus,  qnibns  mire  irretiverant  hominnm  consdentias, 
item  6x  porgatoriOy  de  qao  paradoxa  qaaedam  tradiderant. 
Hoc  Vitium  sie  corrigit  pars  diversa,  nt  confessionem  dicant 
commentam  esse  Satanae^)  (qni  modestissime,  negant  exi-  6 
gendam),  *)  pro  peccatis  non  esse  opus  nlla  satisfactione^  cum 
Christus  pro  peccatis  omninm  paenas  resolverit,  denique 
nolliun  esse  pnrgatorium.  Item  pars  ana  dicit  etiam  prior- 
colomm')  constitatioiies  obligare  ad  paenam  gehennae  nee 
dabitat  promittere  vitam  aetemam,  si  qais  oboedierit;  diyersa  10 
pars  sie  haic  medetur  hyperbolae,  ut  dicat  omnes  pontificum, 
conciliorom,  episcopomm  constitationes  esse  haereticas  et 
antichristianas.  Sic  ana  pars  extalerat  pontiflcis  potestatem 
Ttdw  vTteQßoXixCtgj  altera  sie  praedicat  de  pontifice,  nt  non 
ansim  referre.  Barsas  ana  pars  dicit  monachornm  et  sacer-  16 
dotam  Yota  obstringere  hominem  ad  paenam  gehennae  et  in 
perpetaam,  altera  dicit  talia  vota  esse  prorsas  impia  nee 
esse  snscipienda  nee,  si  snsceperis,  servanda. 

IV 16.  Ex  talinm  igitor  hyperbolarum  collisione  nascnntnr  ^ 
haec  falmina  ac  tonitrna,  qaae  nanc  concatiant  orbem.    Qaod  ^ 
si  pars  ntraqae  pergat  mordicos  taeri  saas  hyperbolas,  yideo 
talem  pagnam  inter  iUos  ^)  fatoram,  qualis  Mt  inter  Achillem 
et  Hectorem,  qaos,  qaoniam  erant  pariter  feroces,  sola  mors 
potnit  dividere.*^)    Ac  valgo  qaidem  aiant  baculam  carvam, 
nt  rectum  facias,  in  diyersam  partem  inflectendum  esse;  id  25 
fortasse  consnltam  faerit  in  corrigendis  moribas,  in  dogmatibas 
an  ferendnm  sit  nescio.    In  exhortando  ant  dehortando  yideo 
nonnnmqaam  esse  locam  hyperbolis,  yelat,  at  addas  homini 
timido  fidnciam,  apte  dixeris :  Ne  metae,  deas  omnia  loqnetar 
et  fadet  in  te.    Et  ad  retnndendam  hominis  impiam  inso-  80 

*)  Fr.  H.  A.  B.:  Satanae:  qui.    X^  X*:  Satanae,  qui. 
')  Fr.  H.  A.  B.  X':  exigendam:  pro.    X*:  exigendam.  pro. 
^  Priorcoli  die  Prioren  der  Klöster,  deren  Antoritftt  geringer  war  als 
die  der  Äbte  nnd  deren  Yerordnongen  somit  nicht  aU  zn  viel  galten. 

*)  H:  eos.  »)  Vgl.  Horaa,  serm.  I,  7,  11  ff.  (ed.  Tenbn.  p.  198). 


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lentiam  atiliter  fortasse  dixeris  hominem  nihil  aliud  esse 
qaam  peccatam;  et  adyersiis  eos,  qni  sna  dogmata  postolant 
aeqaari  scripturis  canonicis,  atiliter  dixeris  hominem  nihil 
aliud  esse  quam  mendaciom.  Verum  ubi  in  disquisitione  Ten 
proponuntur  ü^Kbixata,  non  arbitror  utendom  huiusmodi  para- 
doxis,  quae  non  multum  absunt  ab  aenigmatibus,  mihi  quidem 
in  his  placet  moderatio.  Pelagius  libero  arbitrio  yisus  est 
tribuere  plus  satis,  Scotus  tribuit  affatim.  Lutherus  primum 
mutilabat  tantum  amputato  dextro  brachio,  mox  nee  hoc  con- 
tentus  prorsus  iugfulavit  liberum  arbitrium  et  e  medio  sustu- 

^  lit.  Mihi  placet  illorum  sententia ,  qui  nonnihil  tribuunt 
libero  arbitrio,  sed  gratiae   plurimum.    Nee  enim   sie  erat 

^  vitanda  ScyÜa  arrogantiae,  ut  feraris  in  Charybdim  despera- 
tionis  aut  socordiae,  neque  sie  medendum  membro  luxato,  ut 

16  in  diyersam  partem  detorqueas,  sed  in  suum  locum  erat  repo- 
nendum,  nee  sie  erat  a  fronte  pugnandnm  cum  hoste,  ut  a 
tergo  vulnus  accipias  incautus.  Uac  moderatione  fiet,  ut  sit 
aliquod  opus  bonum,  licet  imperfectum,  sed  unde  nihil  sibi 
possit  arrogare  homo;  erit  aliquod  meritum,  sed  cuius  summa 

ao  debeatur  deo.  Abunde  multum  est  inflrmitatis  vitiorum,  sce- 
lerum  in  vita  mortalium,  ut  si  se  quisque  yelit  contemplari, 
facile  deponat  cristas,  etiamsi  non  asseyeremus  hominem 
quamyis  iustificatum  nihil  aliud  esse  quam  peccatum,  prae- 
sertim  cum  Christus  appellet  renascentium,^)  Paulus  noyam 

26  creaturam.*)    Cur,  inquies,  datur  aliquid  libero  arbitrio?   Ut 

^     sit,  quod  merito  imputetur  impiis,  qui  gratiae   dei  yolentes 

defuerint,  ut   exciudatur   a   deo   crudelitatis    et   iniustitiae 

calumnia,  ut  exciudatur  a  nobis  desperatio,  ut  exciudatur 

securitas,  ut  exstimulemur  ad  conandum.    Ob  has  causas  ab 

90  Omnibus  fere  statuitur  liberum  arbitrium,  sed  inefficax  absque 
perpetua  dei  gratia,  ne  quid  arrogemus  nobis.  Dicat  ali- 
quisi'j  Ad  quid  valet  liberum  arbitrium,  si  nihil  efficiat? 


>)  ?  Renascentiam?  «)  (2.  Cor.  6,  17.) 

•)  X»:  aliqmd. 


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Bespondeo:  Ad  quid  yalet  totus  homo,  si  sie  in  illo  agit  deus, 
quemadmodum  flgulns  agit  in  Into  et  qnemadmodnm  agere 
poterat  in  silice? 

IV 17.    Proinde,   si  satis  iam   demonstratnm  est  hanc 
materiam  esse  talem,  nt  non  expediat  ad  pietatem  altins  eam   5 
scrntari,  quam  oportet,  praesertim  apnd  idiotas,  si  docnimns 
hanc  opinionem  plnribns  et  evidentioribos  ^)  testimoniis  scrip- 
tnramm  folciri,  quam  alteram,  si  constat  scriptnram  sacram 
in  plerisqne  locis  Tel  obscnram  esse  tropis  yel  secnm  etiam 
pngnare  prima  qnidem  specie  eaque  gratia  yelimos  nolimns  10 
alicnbi   recedendam    a   verbis  et   literis   ac  interpretatione 
moderandam  esse  sententiam,  deniqne,  si  declaratnm  est,  quot 
incommoda,  non  dicam  abstlrda  conseqnantnr,  si  semel  fon- 
ditos  toUatnr  libenun  arbitriom,  si  palam  est  factum  hac, 
quam  dixi,  sententia  recepta  nihil  perire  eomm,  quae  Lutheros  15 
pie  qnidem  et  Christiane  dissemit  de  summa  caritate  in  denm, 
de  abicienda  fidncia  meritomm,  opemm  et  yirinm  nostramm, 
de  tota  fidncia  transferenda  in  deum  et  illius  promissa:  iam 
velim  illud  expendat  lector,  nnm  aeqnum  censeat,  ut  damnata 
sententia  tot  ecclesiae  doctomm,  quam  tot  iam  saecnlomm  ac  20 
gentium  consensus  approbavit,  recipere')  paradoxa  quaedam, 
ob  quae  nunc   tumultuatur  orbis  Ghristianus.     Ea  si  vera 
sunt,  ingenue  fateor  ingenii  mei  tarditatem,  qui  non  assequar, 
certe  sciens  non  reluctor  veritati  et  ex  animo  faveo  libertati 
yere  evangelicae  ac  detestor,  quicquid  adyersatur  eyangelio.  25 
Nee  hie  ago  personam  iudieis,  ut  dixi,  sed  disputatoris  et 
tamen  yere  possum  illud  afftrmare  me  in  disputando  eam 
seryasse  religionem,  quae  olim  in  causis  capitalibus  a  iuratis 
iudieibus  exigebatur.    Nee  me  licet  senem  yel  pudebit  yel 
pigebit  a  iuyene  discere,  si  quis  cum  eyangeliea  mansuetudine  90 
doceat  eyidentiora.    Hie  audiam,  sat  scio:  Discat  Erasmus 


^)  X':  evldentibas. 

*)  EoüBtruktionsfehler;  entweder  mnfi  das  nt  (Z.  19)  gestrichen  oder 
beaser  redpere  in  redpiamns  geändert  werden. 


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Christum  et  yalere  iabeat  hnmanam  pradentiam;^)  haec 
nuUus  intelligit,  nisi  qoi  spiiitnm  habet  dei  Si  noudum 
intelligo,  quid  sit  Christas,  nimiram  hactenos  procul  aber- 
ratnm  est  a  scopo,  qaamqaam  illnd  labens  didicero,  quem 
5  spiritum  habuerint  tot  doctores  ac  populi  Christiani,  —  uam 
probabile  est  populum  idem  sensisse,  quod  docebant  episcopi, 
—  annis  iam  mille  trecentis^  qui  hoc  non  inteUexerunt 
CONTULI,  penes  alios  esto  iudicium. 

De  libero  arbitrio  dunnißfjg  sive  coUationis  per 
10  Des.  Erasmum  Boterodamum  finis.*) 

>)  Vgl.  Lnther  an  Pellikan  vom  1.  Okt  1523;  Enden  Briefw.  IV, 
p.  235  (8.  anch  Hyp.  II,  629). 

*)  Bei  B  fehlt  diese  Unterschrift;  statt  dessen:  Finis.  Die  dra 
datierten  Ausgaben  enthalten  noch  folgende  Angaben  über  Ort,  Zeit  und 
Verlag:  Fr:  Basileae  apnd  loan.  Freb.  mense  Septemb.  an.  1524.  H:  Amt- 
Terpiae  apnd  Michaelem  Hilleninm  Hochstratannm  mense  Septemb.  anno 
1524.    A:  Coloniae  apnd  Heron.  Alop.  mense  Septemb.  anno  1524. 


Lippen  ft  Co.  (0.  Pftta'sehe  Bnehdr.),  Maambuig  a.  8. 


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